Titel: Angels Geschichte, Buch 5: Lichtgestalten und Schattenkrieger Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Erstellt: 02.06.2002 Disclaimer: Es werden mehrere Songs zitiert, die ihren Textern gehören. Anmerkungen: Dies ist die Fortsetzung zu "Giftiges Efeu", "Feuertaufe", "Tanz am Abgrund" und schließt direkt an "Verwandte Seelen" an, das man zum besseren Verständnis gelesen haben sollte. ~@~ Für meinen Clan ~@~ ~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?*~~?* Angels Geschichte, Buch 5: Lichtgestalten und Schattenkrieger Kapitel 1 Hand in Hand bewegten sie sich gleichmäßig wie ein Uhrwerk, zwei Gestalten mit einem einzigen Herzschlag, die Treppen hoch, miteinander verbunden, als sei es niemals anders gewesen. Matthias' Finger prickelten in Angels Hand, winzige, elektrische Schläge, die von der ungebändigten Energie kündeten, die noch immer in dessen austrainiertem Körper nach einem Ventil lechzte, so unerwartet leidenschaftlich die Distanz zwischen ihnen überwunden hatte. In Angels erregtes Herz mischte sich eine Ahnung von Furcht, als ihn flüchtig der Gedanke durchwanderte, was Matti wohl beabsichtigte, kaum dass sie ihr kleines Appartement erreicht haben würden... Unwirsch trieb er widerspenstige Strähnen mit der freien Hand hinter ein Ohr, befahl seinem jagenden Herzschlag, nicht in den panischen Galopp hysterischer Unruhe zu verfallen. Derart abgelenkt erfolgte seine Reaktion auch Sekundenbruchteile zu spät, als Matthias abrupt in seinem geschmeidigen Schritt inne hielt, den Griff um seine Regenjacke verstärkte, was dem Material ein synthetisches Ächzen entlockte. Auf dem Treppenabsatz zum Flur, von dem ihr Zimmer abging, lehnte nachlässig, eine undurchdringliche Miene präsentierend, Gitano. Seine bernsteinfarbenen Augen erfassten mit einem abschätzigen Blitzen ihre verschränkten Finger. Matthias' Fingerkuppen bohrten sich schmerzhaft in Angels Hand. Der musste sich zwingen, keinen Protestlaut entschlüpfen zu lassen. Hatte die Gestalt neben ihm noch Wimpernschläge zuvor irisierende Wärme und Anziehungskraft verströmt, so verspannte sie sich nun zu einem einzigen, stählernen Strang, der mit jedem Atemzug arktische Blitze aussandte. Angel zog hastig an Matthias' Hand, hoffte, eine Eskalation zu vermeiden, wenn er nur Gitano mit Verachtung strafte. Eine bange Vorahnung mahnte ihn zur Eile. Doch Gitano kam ihm zuvor. Mit einer eleganten Verbeugung, die jedem höfischen Kratzfuß vergangener Jahrhunderte Konkurrenz machen konnte, neigte er sein gelocktes Haupt, funkelte spöttisch in Angels Augen, blendete Matthias vollkommen aus. "Sei gegrüßt, kleiner Prinz. Wie ich sehe, hast du eine Vorliebe für die groben Plebs. Nun, wie sagt man so schön, Abwechslung ist das Salz in der Suppe." Ein Schnalzen warf sich über die geleckten Lippen. "Allerdings würde ich mich nicht wundern, wenn du dir an dem da den Magen verdirbst." Reflexartig wanderte Angels freie Hand auf Matthias' Handgelenk, als gelte es, einen tollwütigen Hund an der Leine zu halten. Doch Matthias traf keinerlei Anstalten, aus ihrer Verbindung auszubrechen, sich loszureißen. "Warum haust du nicht ab und langweilst jemanden anderen mit deinen Profilneurosen?!", fauchte Angel ungnädig, schoss einen irritierten Seitenblick auf Matthias ab, der sich ungewöhnlich ruhig verhielt. Gitano grinste überlegen, lehnte sich mit ausgebreiteten Armen auf dem Geländer zurück, räkelte sich dabei demonstrativ, um das T-Shirt provozierend über seinen ausmodellierten Bauch lupfen zu lassen. Angel ignorierte diese primitive Geste des schalen Triumphs, drängte darauf, das gemeinsame Zimmer zu erreichen, um von der vielversprechenden Stimmung, die noch vor wenigen Minuten einen brodelnden Vulkan in seinem Leib befeuert hatte, zu retten, was zu retten war. Matthias neben ihm folgte zwar widerstandslos, hielt seine Stirn aber derartig gesenkt, dass Angel aus seinem Profil nicht lesen konnte, was diesen bewegte. Er spürte aber, dass man sich noch immer auf einem Drahtseil befand. "Er ist nur ein eifersüchtiger, kleingeistiger Idiot", plapperte Angel nervös, streichelte bekräftigend mit dem Daumen über den glatten Handrücken in seinem Griff, bemüht, das brütende Schweigen zu vertreiben. Matthias jedoch machte keinerlei Anstalten, ihn zu unterstützen, im Gegenteil. Obwohl er dicht neben Angel stand, als dieser die Zimmertür entsperrte, schien es Angel, als zöge sich alle Wärme, die der athletische Körper zuvor ausgestrahlt hatte, in diesen zurück, absorbiere zusätzlich auch die sommerliche Hitze in der Luft. Eine Zuckerschicht aus Eis prickelte auf Angels Haut, rumorte gleichsam in seinem Magen. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Um Zeit zu gewinnen, hängte er zunächst das Handtuch im angrenzenden Bad auf, strich es fast bedächtig glatt, sammelte dabei angestrengt seine Gedanken. Sollte er nun die Initiative ergreifen? Wie würde Matti wohl reagieren? Angel kämmte nervös weißblonde Strähnen hinter die Ohren, warf einen schrägen Seitenblick in ihr Zimmer, wo Matthias es sich bereits auf dem Schreibtisch im Lotussitz gemütlich gemacht hatte. »Er ist unberechenbar. Wenn ich wüsste, was in ihm vorgeht, dann hätte ich eine Chance...« Eine Lässigkeit vorgebend, über die er in der Situation nicht verfügte, schlenderte Angel zu ihm, stützte sich auf Matthias' Schreibtischplatte ab, um dessen Blickrichtung demonstrativ zu folgen. Der Zielpunkt der blaugrauen Stahlaugen war nicht zu verfehlen, hing er doch direkt über Angels Bett, schmerzlich vertraut und verehrt. Frankies Selbstporträt, gerahmt und in Augenhöhe. Matthias hatte die Zeichnung bereits häufiger intensiv studiert, ein gründlich erwogenes Urteil gefällt, sodass Angel überrascht war, es einer erneuten, eingehenden Prüfung ausgesetzt zu sehen. Er stieß sich vom Tisch ab, umrundete diesen, der Kopf an Kopf mit seinem eigenen Schreibtisch stand und blockierte Matthias' Sichtfeld. Lehnte sich weit über die Tischkante, funkelte in die Stahlaugen. "Was ist los?" ~~?* Immer, wenn ich ihn ansah, spürte ich, wie sich Eiskristalle in meinem Blut bildeten. Wie sie aneinander stießen, sich verbanden, lange Ketten, die sich zu Blöcken formierten, mich erfrieren ließen. Dieser schmale Junge mit seinen wirren, überlangen Strähnen, den großen Augen, diesem freudigen Blick, so hoffnungsvoll... ich hasste ihn. Wenn ich lange genug in seine Augen blickte, verschlangen sie mich, zogen mich in ihren schwarzen Strudel hinab, in dem ich kreiselnd unterging. Dabei fürchtete ich mich nicht vor der Versenkung, vor der Auflösung. Aber in seinen Augen unterzugehen, war eine Höllenqual. Sein unschuldiges Lächeln verspottete mich nicht einmal, nein, es sah aus, als fühlte er mit mir. Ich hasste ihn. HASSTE IHN. Wenn Angel nicht wäre, dann... Phhh... was für ein absurder Gedanke. Wie lächerlich... Ich hasse dich. ~~?* Matthias schnellte derart plötzlich hoch, dass Angel erschrocken zurückzuckte, rückwärtig in Stolpern kann und mit einem wenig eleganten Plumpser auf seinem eigenen Bett landete. Bevor er seiner Überraschung eine scherzhafte Wendung abgewinnen konnte, fegte Matthias an ihm vorbei, Strümpfe und Schuhe achtlos abschüttelnd, dann schnappte die leidgeprüfte Tür hart in ihr Schloss. Angel wischte sich Strähnen aus den katzengrünen Augen und zog die schwarzen Augenbrauen zusammen. Er hatte keine Vorstellung davon, was sich gerade abgespielt hatte, aber die Resultate verstand er durchaus zu deuten: Matthias trainierte wieder. Und er hielt es nicht für nötig, ihn an seinen Gedanken teilhaben zu lassen. ~~?* Glücklicherweise begegnete mir niemand, als ich den Wäschekeller aufsuchte. Auch dort, inmitten der fensterlosen Dunkelheit, flankiert von stummen Waschautomaten, konnte ich mich ohne Gesellschaft wähnen. Endlich. Als ich in der Grundstellung versuchte, meinen Atem in der vorgeschriebenen Weise tief fliegen zu lassen, bemerkte ich den Ring, der sich erstickend eng um meine Brust gelegt hatte, enervierende Stiche in mein Herz versandte. Doch was sollte mich so ein kümmerlicher Widerstand schrecken? Wie immer sammelten sie sich bereits in meinem Hinterkopf zur Attacke. Ihr schweigendes Lauern jedoch lenkte meine Aufmerksamkeit von meinem körperlichen Zustand ab. Und dieses Mal beabsichtigte ich nicht, vor ihnen zu fliehen. Nein, ich wollte mich mit ihnen verbünden, ihren Wahnsinn nutzbar machen. Zu diesem Zweck schloss ich die Augen, visualisierte meine Umgebung mit geschärften Sinnen, begann dann die einfache Bewegungsfolge, die meine Muskeln wieder erwärmen und geschmeidig formen sollte. Bis ich mich im Rausch der endlosen Lektionen verlor und die Freiheit erlangte. Dann näherten sie sich auch schon, dissonant, zuerst ein schrilles, jedoch flüsterndes Gemurmel, das sich bald in hysterisches Kreischen und boshaftes Kichern wandelte. Es hagelte die üblichen Schimpfworte. »Versager.« »Idiot.« »Traumtänzer.« »Wirst wohl nie aus Schaden klug, was?!« »Wo siehst du eigentlich eine Marktlücke?!« »Lachhaft.« »DU hast keine Chance.« »Gib auf.« »Mach Schluss.« »Hau ab von hier.« »Lauf weg.« »NEIN. Nein, ich werde nicht weglaufen«, stemmte ich mich gegen ihren aggressiven Chor in meinem Kopf. »Ich werde kein Feigling sein.« »Nein, ganz recht, nur ein Blödmann«, folgte die sarkastische Replik. »Was denkst du dir denn, dass du die Hauptrolle in einer Liebesschnulze hast?! Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage?!« »Idiot.« Diesem vernichtenden Urteil konnte ich mich leider nur anschließen. Keine Frage, es war eine hoffnungslos realitätsferne Vorstellung zu glauben, dass es eine lebenslange Liebe gebe und dass, zusätzlich, ich sie ausgerechnet bei diesem weißblonden, grünäugigen Jungen gefunden hatte. »Ja, genau, auch noch ein Kerl. Wirklich eine ausgezeichnete Wahl.« »Willst du vielleicht jemanden provozieren?! Ziemlich billig, oder?« »Aber vielleicht haben wir ja noch nicht genug Ärger am Hals und wollen unbedingt noch einen Nachschlag?!« »Ich habe es.. mir nicht ausgesucht«, hielt ich gegen die ätzende Stimme und stellte entsetzt fest, dass es keine Selbsttäuschung war. Ich hatte es mir nicht ausgesucht. Es hatte mich überrumpelt. »Was natürlich kein Grund ist, sich einfach so gehen zu lassen, oder?!« Ich feuerte eine Schlagserie ins Leere, genoss das Anspannen der Sehnen bis in die Fingerspitzen meiner geballten Fäuste, die Energie in den Knöcheln. Lauschte meinen eigenen Atemzügen, reduzierte sie wieder auf ein Mindestmaß. Ich konnte mich entscheiden. Ihn zurückweisen. Abhauen. Dann flammten direkt in die konturenlose Schwärze meiner Konzentration katzenhaft grüne Augen auf. Ein Schauer durchrieselte mich, ich kam ins Trudeln, musste mich an einer Maschine abstützen. Kalter Schweiß folgte dem unerwarteten Adrenalinstoß wie eine schimmlige Schicht an Selbstekel. Konnte ich... wirklich... gehen? ~~?* Angel blätterte verstimmt in einem Fotoalbum, das er in seinen Ferien in Frankreich angefertigt hatte, um Frank damit zu überraschen. Nur dass dieser es niemals zu Gesicht bekommen hatte. Mit einem frustrierten Seufzer ließ er sich rücklings auf die Matratze sinken, kreuzte die nackten Arme unter den langen Haaren und betrachtete die Zimmerdecke. Vielleicht ging es tatsächlich zu schnell. »Vielleicht habe ich wirklich nur... einen Ersatz gesucht?« Angel kniff die Augen zusammen. Nicht gerade eine schmeichelnde Selbsterkenntnis, so sie denn zuträfe. »Das Problem ist...«, sinnierte er stumm, »... dass ich mir nicht sicher bin.« Er drehte den Kopf und betrachtete Matthias' Seite des Zimmers, also Bett, Regale und Schreibtisch. Das Bett akkurat gemacht, die Regale noch immer vollkommen leer, ebenso der Schreibtisch. Und im Schrank warteten noch immer, wie bei einem Flüchtling, die gepackten Koffer. »Manchmal glaube ich, er könnte einfach so gehen. In einem Augenblick verschwunden sein.« Ein Stich in seinem Herz trieb seine Hände auf die tätowierte Brustseite. »Genau so, wie Frankie verschwunden ist.« ~~?* Als ich lautlos in unser Zimmer schlüpfte, war er auf die Seite gesunken. Die weißblonden Strähnen hingen verwirrt und doch malerisch in sein helles Gesicht. Wie gewöhnlich brannte eine Lampe, warf ihren grellen Pegel auf das aufgeschlagene Album, das in seinen entspannten Armen ruhte. Er wirkte zerbrechlich und schutzlos auf mich. Automatisch ballten sich meine Fäuste, eine Reaktion, die ich langsam mit Argwohn und Furcht beobachtete. »Ich wünschte.... du wärst stärker.« Dann rief ich mich energisch zur Ordnung. Kein Anlass, hier herumzustehen und zu glotzen! »Er ist eben ein vertrauensseliges Kind...« Ich fädelte trotz der hohen Temperaturen, die den Raum erstickend aufheizten, eine dünne Decke um seine kaum merklich bebende Gestalt, hütete mich aber, den kostbar gehüteten Schatz aus seinen Armen zu entfernen. Ein wenig Ruhe würde ihm zweifellos gut tun. Und wenn ich meine schmerzenden Unterarme in Betracht zog, die noch von den Anstrengungen des Sportfests zehrten, sollte ich mich auch regenerieren. Nicht, dass ich die Schmerzen für unangemessen hielt. Immerhin hatte ich sie mir selbst auferlegt. Doch störte mich der damit verbundene Aufwand, die Wunden sauber zu halten, meine Unterarme stets zu bedecken und das zwanghafte Aufkratzen des Schorfs zu unterdrücken. Ich schätzte die Zeit bis zum Abendessen. Es würde wohl für eine eilige Dusche genügen. ~~?* Angel erwachte mit dem Gefühl, eine Sockenschublade verschluckt zu haben. Seine Kehle war zugeschnürt, die Zunge wie mit Pelz besetzt, sein Kopf dröhnte und die Nase grippte übellaunig. "Uuuhhhh", kommentierte er dieses unfrohe Erwachen, deutete es doch daraufhin, dass der Ausflug in den Sommerregen, die sich wieder anschließende dunstige Hitze ihm stärker zugesetzt hatten, als er es vermutet hatte. Die verklebten Augen missmutig reibend blickte er sich trübe im dämmrigen Raum um. Lediglich die Nachtleuchte konkurrierte mit den gegen die tägliche Sonneneinstrahlung heruntergelassenen Rollläden. Was bedeutete.... dass Matthias zurückgekommen sein musste... Ein weiteres Indiz belegte seine Theorie zugleich, denn auf seinem Schreibtisch warteten in militärischer Akkuratesse zwei Becher Joghurt mit sanft perlender Kondensschicht und eine Scheibe Wassermelone auf ihn. In der üblichen Sorgfalt auf einer saugkräftigen Serviette drapiert. Angel lächelte zögerlich. War dies nun... ein Versöhnungsangebot? Oder aber... eine der versteckten Gesten der Sorge, die Matti ihm angedeihen ließ, weil er ihn für schwach hielt? Angel kämmte nachdenklich Haare hinter die Ohren und lutschte genießerisch an dem saftigen Fruchtfleisch der Melone. Eins war sicher: ohne Mattis Hilfe und seinen Schutz wäre er in den vergangenen Wochen untergegangen. Doch bisher war es ihm nie in den Sinn gekommen, den Junge, der ihn noch vor einigen Stunden in der Gymnastikhalle so leidenschaftlich geküsst hatte, als nicht ebenbürtig einzustufen. "Vielleicht sehe ich aber auch nur wieder Gespenster", knurrte Angel in die dumpfe Staubigkeit des Zimmers. »Wenn Gitano nicht dazwischen gekommen wäre....« Mit einer Hand baute er sich ein Nest aus Kissen und Decke, lehnte sich dagegen und arbeitete sich durch die Melone. »Tja, was wäre wohl gewesen...« Er zweifelte nicht daran, dass Matthias ihn mochte, vielleicht sogar ein wenig mehr, als er sich erwartet hatte. Doch konnte man sich darauf verlassen? Auf einen Jungen, der nicht einmal Anstalten machte, sich einzurichten? Den man in eine psychiatrische Behandlung geben wollte, wenn er noch einmal handgreiflich wurde? Angel schloss die Augen. »Keine Frage, ich habe ein echtes Händchen für unkomplizierte Beziehungen«, neckte er sich selbst versonnen. ~~?* Als Matthias wohlig erschöpft und von quälenden Stimmen in seinem Hinterkopf befreit kurz vor der offiziellen Sperrstunde in der ihm eigenen raubtierhaften Eleganz in das stickige Appartement schlüpfte, flog sein Blick sofort auf das Bett seines Zimmergenossen. Der musste aus seinem betäubten Schlaf erwacht sein, denn in unbekannter Ordnung reihten sich Melonenrinde und geleerte Plastikbecher auf dem Schreibtisch. Während er selbst, spärlich mit Boxershorts und einem zerrissenen T-Shirt bekleidet, bäuchlings ausgestreckt schlief. Jedoch wirkten die Atemzüge, die Matthias angespannt aus der spätabendlichen Geräuschkulisse der Mitschüler herausfilterte, sonor, schwerfällig. »Er hat sich erkältet«, reduzierte er die Ursachen knapp, durchmaß den Raum, um über den Freund gebeugt wie schon einige Stunden zuvor eine Decke auszubreiten. Sein Schatten verfinsterte einige Sekunden das warme Licht der Nachtleuchte zu Füßen von Angels Bett, doch diese Verdunkelung reichte aus, Angels Wahrnehmung zu alarmieren, sodass er mit einem heiseren Ächzer gegen die Wand wich. Matthias verharrte regungslos, die Stahlaugen unbewegt auf das erschrockene Gesicht hinter den klebrigen Strähnen gerichtet. Auf die schwarzen, pointierten Augenbrauen, die sich nun, gleichsam mit den grünen Katzenaugen, zu einem Ausdruck von ängstlicher Wut wandelten. "Verdammt, Matti, warum schleichst du dich so an?!" Ohne ein Wort zu entgegnen, drehte sich dieser auf den nackten Fußsohlen herum, verschwand im angrenzenden Bad. Um nach einigen nervenzehrenden Augenblicken, in denen Angel zwischen Entschuldigung für seine Aggressivität und beißendem Sarkasmus angesichts der Mundfaulheit seines Mitschülers schwankte, demonstrativ ein Glas Wasser anzubieten. Angel blinzelte. "Nein, danke", fauchte er kehlig, gab seinem Zorn den Vorrang, "ich kann mich schon selbst versorgen!" Matthias' maskenhaftem Gesichtsausdruck war keinerlei Reaktion zu entnehmen. Er platzierte den verschmähten Becher einfach in die Reihe der Joghurtbehälter. Als er sich anschickte, erneut das Bad aufzusuchen, bereits das verschlissene Hemd über den Kopf streifend, das mit dunklen Flecken vom letzten Trainingspensum kündete, war es Angel nicht mehr möglich, seine Neugier in ihren Schranken zu halten. "Also, was sollte das?! Hmmm?!" Er war sich mehr als bewusst, dass sein Tonfall aggressiv ausfiel, herrisch, somit die beste Methode, seinen empfindlichen Gegenüber in eine Blockadehaltung zu zwingen, die sie beide noch weiter von einander entfernen würde. Zu seiner Überraschung hielt Matthias im Türbogen zwischen den beiden Kleiderschränken inne, studierte über die Schulter hinweg sein Gesicht aufmerksam. "Du hast dich erkältet." Einen Wimpernschlag später traf Wasser perlend auf den rauen Stoff eines Waschhandschuhs, und Angels Blick ging ins Leere. Verärgert, aber auch erleichtert drehte sich Angel auf die Seite, schniefte kindlich trotzend. "Toll, danke, Doc, die Diagnose haut mich glatt um", knurrte er übellaunig, aber ohne echten Elan. "Einfach herrlich, sich mit einem leeren Zimmer zu unterhalten. Man könnte meinen, es liege eine Steuer auf Worten", brummte er gehässig, als Matthias wieder in den Raum trat. Trotz der Temperaturen hatte Matthias einen dünnen Pyjama in hochgeschlossenem Schnitt übergestreift, quittierte Angels Nörgelei mit einer hochgezogenen Augenbraue. Der stützte das Kinn in eine Hand und stichelte weiter, nun, da er zumindest optisch eine Reaktion erhalten hatte. "Du kannst aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln, okay?! Ich muss nicht gefüttert oder zugedeckt werden. Als nächstes kommst du wohl noch, um mir einen Gute Nacht-Kuss zu geben, was?" Matthias korrigierte die Ausrichtung eines Blätterstapels auf seinem Schreibtisch, dann fingen die graublauen Augen Angels grünen Blick. Langsam, fast bedächtig umrundete er die Tische, baute sich vor Angels Bett auf, als jener, durch die geschmeidige Lautlosigkeit seines Gegenüber in Alarm versetzt, sich tiefer Richtung Wand schob. Matthias zerschnitt die Luft in einer blitzartigen Bewegung, schlug beide Arme pfeilschnell um Angels Wangen gegen die Wand, ohne jedoch das primitiv klatschende Geräusch ungezielten Aufpralls zu erzeugen. Ungeachtet der Nutzlosigkeit der Geste bemühte sich Angel um eine Miene arroganter Herablassung, die in keinem Zusammenhang mit dem heftigen Impulsschlag seines Herzens stand. Matthias wirkte auf ihn nicht tatsächlich bedrohlich in Form einer körperlichen Gewalt, doch sein unverwandter Blick, der reglose, spannungsgeladene Körper, der wie ein Peitschenhieb herumschnellen konnte... Adrenalin raste hektisch durch Angels Blutbahnen. Er wusste, dass seine verräterisch flachen, hastigen Atemzüge ihn demaskierten, blinzelte hektisch. Als sich Matthias vorbeugte und einen warmen, kurzen Kuss auf seine Stirn brannte. "Deck dich zu", nur ein raues Wispern. Als Angels schmerzende Augen ihn nachdrücklich ermahnten, dass sie auszutrocknen drohten, hatte sich Matthias bereits den nächtlichen Schemen angeschlossen und war mit der in seiner Zimmerhälfte vorherrschenden Dunkelheit verschmolzen. ~~?* Der Spätsommer gönnte weder Mensch, noch Natur eine Erholung von der erstickenden, brütenden Hitze, die austrocknete und erschöpfte. Der Unterricht fiel Lehrer- wie auch Schülerschaft entsprechend schwer. Man einigte sich stillschweigend auf einen langsameren Rhythmus im Tagesgeschehen. Angel verfolgte Matthias' Verhalten mit wachsendem Unmut, hielt sich dieser doch auf Distanz, wagte keinerlei Berührungen und Annäherungen mehr, machte sich insgesamt einfach rar. Und so verbrachte er auch den Nachmittag in der staubig-miefigen Atmosphäre der Bibliothek. Die klebrigen Haarsträhnen mit schwitzender Handfläche aus dem Gesicht geschoben, bemüht, in die Hintergründe der Französischen Revolution einzusteigen, allerdings im Original. Sein Kopf verweigerte standhaft die Verarbeitung des aktuellen Absatzes. Wieder und wieder registrierte Angel, dass er nach knapp zehn Sätzen schon den Inhalt verdrängt hatte. Er sinnierte, während er den Blick über die farbenprächtigen Buchrücken müßig gleiten ließ, ergeben über das, was seine Gedanken stärker in Beschlag nahm. »Habe ich mich in Matti getäuscht? Vielleicht hat er mich nur geküsst.... um zu probieren, wie das ist?!« Zweifelnd strich er sich mit dem Daumen über die Unterlippe, massierte mit den Zähnen die Kuppe nachdenklich. War es tatsächlich möglich, dass der Außenseiter aus eigener Entscheidung lediglich zwecks Vermehrung des persönlichen Erfahrungsschatzes seine Gesellschaft gesucht hatte? Weil er vielleicht den Eindruck hatte, dass Angel sich ihm nicht verweigern würde?! Angel knurrte verärgert über die Farbe, die seine erhitzten Wangen stärker erblühen ließ, als ihm einige Argumente für diese Theorie durchaus plastisch in den Sinn kamen. Matthias war Augenzeuge gewesen, wie Gitano ihn mehrfach eindeutig bedrängt hatte. Und er hatte sich nicht sofort in heller Empörung gewehrt. »Nein, tatsächlich habe ich mich küssen lassen...« Niedergeschlagen zog er mit aufgefächerten Fingern eine breite Spur durch seine Haare, von den Schläfen bis tief in den feuchten Nacken. Hielt die Strähnen fest, sodass die fiebrigen Wangen ungehindert glühen konnten. »Wenn ich mit ihm reden will... sollte ich mir sicher sein, dass ich seine Reaktion akzeptieren kann«, bemühte er sich um eine konstruktive Haltung, schüttelte aber sogleich über sich den Kopf. »Was für ein Unsinn! Ich habe keine Ahnung, was ich schon wieder getan habe, um ihn zu verärgern, verdammt! Und eigentlich habe ich keine Lust, mich immer wieder ihm anzupassen! Er nimmt ja auch keine Rücksicht auf mich bei seinen Egotrips!« ~~?* Als ich nach dem Abendessen, auf das ich verzichtet hatte, in unser Zimmer trat, empfing mich bereits aufpeitschende Musik in angemessener Lautstärke. Dennoch dröhnte sie in meinen Ohren, die die stundenlange Geräuschlosigkeit des kühlen Waschkellers ungestört genossen hatten. Angel saß mit angewinkelt aufgestützten Beinen auf seiner Matratze. Die weißblonden, von der hohen Luftfeuchtigkeit strähnigen Haare verdeckten sein Gesicht. Er musste wohl dumpf vor sich hin gebrütet haben, denn mich streifte, nach dem er in Zeitlupe den Kopf anhob, ein säuerlich-gärender Blick, der einen Schauer durch mein Rückgrat trieb. Feige wandte ich mich ab, suchte fieberhaft nach einer Ablenkung, einer Beschäftigung, die mich außerhalb seiner Reichweite halten würde, damit er nicht auf die Idee kam, ein klärendes Gespräch zu forcieren. Doch scheinbar ging ich fehl in der Annahme, dass er mich sprechen wollte. Nur seine grünen, funkelnden Augen folgten mir unablässig. Seine übrige Körperhaltung signalisierte gelangweilte Gleichgültigkeit. Je länger ich in der angespannten Atmosphäre vorgab, mich mit mathematischen Formeln zu beschäftigen, umso enervierender wurde die Musik. Ein einzelnes Lied, dessen Klang schon eine schnodderige Herausforderung in mein Gesicht schleuderte, ohne dass Angel sich bemühen musste. Ich zwang mich, die Wortschrapnell, die auf mein erhitztes Gemüt einprasselten, zu ignorieren, doch wie eine ätzende Lauge brannten sie sich ein, schwärten, verdunkelten meine Stimmung. Es fiel von Minute zu Minute schwerer, den Drang zu kontrollieren, aufzustehen und die Anlage kurzerhand auszuschalten. Warum hörte er ausgerechnet dieses bescheuerte Lied on rotation?! Konnte er nicht die Kopfhörer aufsetzen?! ~~?* Angel registrierte die kühle Miene mit den undurchdringlichen Stahlaugen, die arktisch aus der warmen Hautfarbe glommen, nicht ohne Befriedigung. Ja, sollte er wütend werden! »Ich habe allen Grund, sauer auf ihn zu sein. Erst hilft er mir, küsst mich und nun zieht er wieder die Berliner Mauer zwischen uns hoch! Na komm schon, du Misanthrop, steig von deinem hohen Ross und kämpfe wie ein Mann!« In diesem Augenblick, als Angel sich entschloss, die Provokation auf die Spitze zu treiben, indem er die Lautstärke steigerte, feuerte Matthias einen niederschmetternden Blick kombiniert mit der Nachsicht für die Unterbelichteten und Geschmacklosen der Welt, auf ihn ab. "Was ist?!! Passt dir was nicht?!!", ätzte Angel postwendend zurück, die schwarzen Augenbrauen zu einer dünnen Linie der Verärgerung zusammengezogen. Matthias begegnete ihm mit vorgeschobener Gleichgültigkeit, die vor Arroganz troff. Angel kam energisch hoch, baute sich vor Matthias' Schreibtisch auf. "Also was?!!", fauchte er aufgebracht. Matthias legte äußerlich unbeeindruckt seinen Stift ab, lupfte eine Augenbraue tadelnd. Doch bevor er wieder seine Arbeit aufnehmen konnte, offenkundig fest entschlossen, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen, fegte Angel mit einem gutturalen Knurren seine Bücher und Hefte schwungvoll auf den Boden. "Na los, sag schon!!" Befriedigt notierte er das kurzzeitige Ballen der Fäuste, dann aber erhob sich Matthias, um kommentarlos seine Habseligkeiten aufzulesen. "Rede mit mir!" Angel stieß Matthias heftig in die Seite, als dieser sich aufrichtete. Auf den Körperkontakt reagierte dieser wie elektrisiert. Noch bevor Angel reflexartig ausweichen konnte, traf ihn Matthias' Handrücken ungebremst im Gesicht. Von der Wucht des Schlags zurückgeschleudert wankte Angel. Eine Hand flog auf die Wange, die andere suchte den Taumel zu stabilisieren, indem sie nach der Schreibtischkante fasste. Matthias' Stahlaugen korrodierten. In breitbeiniger Kampfpose stand er ihm gegenüber, nicht wie üblich reglos, sondern zischend ausatmend, um Kontrolle bemüht, die ihm entschlüpfte. "Na los", wisperte er rau, "verschwinde doch endlich..." ~~?* I want to disappear (by Marilyn Manson) look at me now got no religion look at me now I'm so vacant look at me now I was a virgin look at me now grew up to be a whore and I want it I believe it I'm a million different things and not one you know Hey, and our mommies are lost now Hey, Daddy's someone else Hey, we love the abuse because it makes us feel like we are needed now but I know I wanna disappear I wanna die young and sell my soul use up all your drugs and make me come yesterday man, I was a nihilist and now today I'm just too fucking bored by the time I'm old enough I won't know anything at all Hey, and our mommies are lost now Hey, Daddy's someone else Hey, we love the abuse because it makes us feel like we are needed now but I know I wanna disappear ~~?* Angel blinzelte, tastete mit der Zunge die malträtierte Wange inwendig ab, wie sein Gegenüber die Fäuste geballt, den Kopf angriffslustig gesenkt. "Das ist wohl das Einzige, was du verstehst, hm? Wenn man dir Prügel verpasst?", kehrte er zynisch die Verhältnisse um, bewegte sich kreiselnd, als wolle er Matthias taxieren, dessen Stärken abschätzen. Gleichzeitig schwitzte er Blut und Wasser, denn ungeachtet seiner großspurigen Herausforderung fürchtete er sich davor, dass Matthias ihn attackierte. Beim letzten Mal hatte er ihn schließlich bis zur Ohnmacht gewürgt. Dieser schien jedoch ebenso bedacht wie er selbst, die Distanz zu wahren, merklich vor Anspannung zitternd, wie eine schubweise rieselnde Gänsehaut. Fieberhaft suchten sie nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation, erkannten an der Haltung und den unsteten Augen ihres Gegenüber, dass dieser sich ebenso bemühte. Angel beendete die Farce endlich. Er entkrampfte sich sichtlich, schüttelte die klebrigen Strähnen aus und seufzte, reduzierte den Blick abgewandt die Lautstärke merklich. »Eine lächerliche Aktion«, bedachte er sich selbst mit einer missmutigen Rüge, »wie kann ich erwarten, ihm auf seinem Level begegnen zu können? Dumm, dumm, dumm....« Als er auf seinem Bett wieder Platz nehmen wollte, frustriert von dem Ausklang des Tages, stellte er verwirrt fest, dass Matthias noch immer wie angewurzelt verharrte, leicht bebend, die Stahlaugen dunkel vor verborgenen Emotionen. "Es.. es tut... mir ... leid", brachte er stockend, gezwungen hervor, "dass... ich dich... geschlagen... habe." Angel massierte demonstrativ seinen Unterkiefer, funkelte provozierend hoch. "Denk das nächste Mal daran, dass du auf meine unerreichten, oralen Liebeskünste verzichten müsstest", rügte er mit lüsternem Augenaufschlag. Ruckartig schnellte Matthias' Kopf in die Höhe. "Nein, danke!!", stieß er hasserfüllt hervor, um dann in der üblichen Gewandtheit aus dem Zimmer zu schlüpfen. Angel starrte ernüchtert auf das blanke Türblatt, einen schalen Geschmack auf der Zunge, bleiern und unbekömmlich. »Wieso... Wieso habe ich geglaubt, dass er...« ~~?* Wie bodenlos sadistisch sich die Stimmen in meinem Hinterkopf gebärdeten, wurde mir erst bewusst, als ich im Heizungskeller angekommen ihre vernichtenden Kommentare betreffs meiner unzulänglichen Person und Handlungsweise vermisste. In grausamen Kalkül schwiegen sie. Und ließen noch mehr freien Raum, Angels Worte in einer endlosen Abfolge durch meinen Geist spuken zu lassen, vermischt mit der Stimme des Sängers, die mich mit Worthülsen bombardierte. Ich hätte gern meinen Schädel gegen eine Wand geschmettert, wenn ich davon überzeugt gewesen wäre, es hätte einen Effekt. Aber solange ich noch bei Bewusstsein war, würden sie mich martern. Somit blieb mir nur die Flucht durch Erschöpfung. Vielleicht war es noch nicht zu spät, ein Ende zu machen?! ~~?* Als Angel sich verschwitzt und von schemenhaften Traumsprengsel verwirrt am nächsten Morgen aus dem Laken schälte, in das er sich gewunden hatte, fiel sein zögerlicher Blick auf das Nachbarbett. Es war verlassen... oder aber nicht benutzt worden. Angel streifte sich vorwitzige Strähnen aus dem Gesicht und trottete in das Bad, in der vagen Hoffnung, neben einer erfrischenden Dusche auch ein Indiz zu finden, dass Matthias lediglich wieder auf seine Vermeidungstaktik zurückgegriffen hatte. Jedoch fand sich auch hier keine Spur, was, wie sich Angel versicherte, nichts zu bedeuten hatte. Immerhin hielt Matthias es mit militärisch anmutender Ordnung. Ungeachtet dessen stieg die gereizte Spannung in ihm an. Warum machte er sich Sorgen um diesen Verrückten?! Der wollte nichts mehr von ihm wissen, launisch bis dorthinaus! Sollte er doch sehen, wo er blieb! Angel schlüpfte in helle Leinenhosen und ein dünnes Baumwollshirt, das die strahlende Farbe seiner Augen perfekt wiedergab. Im Speisesaal kreiselten die ersten Mitschüler bereits um die Theken, schoben träge die Tabletts vor sich her, verkniffen sich Scherzworte oder Geplänkel. Offenkundig hatte die drückende Hitze und die darauf beruhende Schlaflosigkeit viele Opfer gefunden. Angel kam dies zupass. Er konnte sich unbehelligt an einen Tisch setzen und in seinem Müsli herumstochern, die Flocken schwammig ertränken, ohne rechte Begeisterung das Resultat in seinen Mund löffeln. Matthias vermochte er nicht zu entdecken, auch wenn er trödelte, den Abgang verzögerte. Aus einem Impuls heraus spähte er aus den Panoramafenstern vor das Haus auf den Grünstreifen, der den Auftakt für den anliegenden Park setzte, doch auch hier trainierte keine einsame Gestalt versunken geheimnisvolle Abläufe. »Keller«, benannte er die letzte Option, bevor er in ihr Zimmer zurückkehren und ihn seinem Schicksal überlassen würde. An der schweren Brandschutztür zum Wäscheraum zögerte Angel, sah sich misstrauisch um, ob nicht etwaige Verfolger ihm auflauerten. Er fürchtete noch immer die Dunkelheit, und man hatte ihn bereits einmal hier eingesperrt... zusammen mit einem unberechenbaren Matthias. Unwillkürlich fasste er sich an die Kehle. Drückte dann entschlossen den schweren Riegel herunter. "Matti?", schickte er eine höfliche Anmeldung voraus, doch er erhielt keine Replik. Der Maschinenpark schwieg unbeleuchtet, nichts regte sich. Als Angel jedoch den im Flur angebrachten Lichtschalter betätigte, vernahm er ein Keuchen. Matthias stemmte sich angestrengt mit zitternden Ellenbogen auf die Knie, von einem heiseren Husten geschüttelt. »Er... hat doch nicht etwa die Nacht hier verbracht?!« Angel durchmaß rasch die Mitte des Raums, ging neben Matthias in die Hocke, klopfte diesem behutsam auf den Rücken. Der Hustenreiz jedoch potenzierte sich weiter, ein gräuliches Würgen, das an Atemnot erinnerte. Angel schnellte hoch, ließ aus einem einsamen Hahn Wasser in seine gewölbten Hände laufen, drängte Matthias dann seine verdunstende Last auf. "Was machst du denn hier?!" Matthias, dessen Krächzen sich verlor, wandte demonstrativ den Kopf ab, sammelte sich, um auf die Beine zu kommen. Angel wich wachsam zurück. Er beabsichtigte nicht, einen übellaunigen Kämpfer zu reizen. Dazu fühlte er sich momentan absolut nicht disponiert. "Das Frühstück ist gleich beendet, nur zu deiner Information", gab er betont beiläufig zum Besten, versenkte die Hände in den Hosentaschen, um nicht in Versuchung zu geraten, Matthias zu helfen. Der hielt sich wacker, die Stahlaugen rot entzündet, die einfache Baumwollkombination, an einen Trainingsanzug erinnernd, knitterte an ihm herab. Angel konnte sich nunmehr die stumme Frage, die über diesem Morgen hing, selbst beantworten: Matthias hatte offenkundig im Waschkeller genächtigt. Groll stieg in ihm hoch, noch ungefiltert und ungezielt. Wirklich toll, der Nachwuchs Bruce-Lee traute sich nicht mehr, mit ihm in einem Zimmer zu schlafen?! Was sollte das?! Glaubte er etwa, dass Angel ihn des Nachts anfallen würde?! "Warum pennst du hier unten?! Hast du Angst, ich bespringe dich, oder was?!" Seine morgendlich aufgeraute Stimme hallte hohl, aber nicht minder Gift sprühend in dem Schlauch wider, prallte von den stummen Maschinen ab. Matthias sonderte ein heiseres Schnauben ab, ein geringschätziges Dementi, aktivierte offensichtlich die versprengten Reserven, um den Aufstieg in ihr Zimmer in Angriff zu nehmen. »Ich sollte meinen Vorteil nützen«, huschte ein Impuls durch Angels Kopf, da hatte er bereits Matthias an der Schulter herumgeworfen, funkelte zornig in das fahle Gesicht. Die Schwäche seines angeschlagenen Gegenüber auszunutzen, nagte nur Sekundenbruchteile an ihm, als er gewahr wurde, dass Matthias die höhnische Maske zur Schau stellte, hinter der er sich üblicherweise vor der Welt verschanzte. "Los, antworte mir!", herrschte Angel ihn arrogant an, hütete sich aber, im Übermut eine flache Hand gegen die sehnige Brustpartie zu schlagen. Matthias legte den Kopf schief, als amüsiere er sich mit kalter Grausamkeit über etwas Possierliches, das größenwahnsinnig glaubte, es könne ihm das Wasser reichen... figurativ hatte Angel das Augenblicke zuvor sogar getan, doch verdrängte er diese boshafte Einrede eilig. "Ich tue und lasse, was mir gefällt", raunte er drohend und schnickte dabei in blitzartiger Geste lose Strähnen hinter Angels Ohr. Der erwies ihm aber nicht die Genugtuung zusammenzuzucken, was unter anderem auch am Grad der Erschöpfung lag, die aus wenig entspannendem Schlaf resultierte. "Na gut, wie du willst! Was geht's mich auch an, was du treibst?! Kümmert mich keinen Meter!!" Angel fauchte katzenartig und wandte sich der Tür zu, um einen rauschenden Abgang zu inszenieren. Doch die Enttäuschung über Matthias' Meinungsumschwung sprudelte heraus, bevor er ihr einen deutlichen Riegel vorschieben konnte. "Weißt du, ich dachte, wir wären Freunde. Aber da habe ich mich wohl geirrt, wie?! Vielleicht suchst du dir dann besser ein anderes Zimmer. Obwohl ich bezweifle, dass jemand mit dir tauschen möchte. Nach deiner Auffassung bin ich ja der letzte Dreck, und..." "Ich habe nie behauptet, dass wir Freunde wären", unterbrach Matthias mit rauem Krächzen zornig. "Ich will nicht dein Freund sein! Und über meine Meinung von dir weißt du kein bisschen, klar?!!" Angel fegte auf dem Absatz herum, nun ernsthaft wütend. "Ach ja?! Und warum ist das wohl so?! Weil du viel zu arrogant bist, um mit mir zu reden! Erst hilfst du mir, lässt zu, dass ich dir vertraue und nun ist es einfach aus?! Eine Information vorab wäre sehr zuvorkommend gewesen", setzte Angel zynisch nach. "Ich habe dich nie gebeten, mir zu vertrauen, klar?! Du hast doch genug Verehrer um dich herum, was brauchst du da meine Unterstützung?! Du suchst doch bloß ein billiges Betthupferl!" Es fehlte nicht viel und Matthias hätte verächtlich auf den Boden gespuckt, um die Pose des arroganten Stiesels ohne Manieren zu perfektionieren. Angel blinzelte. Auch wenn der implizierte Vorwurf wie ein erstickender Knebel seinen Hals belagerte, so bemerkte er doch eine zweideutige Botschaft in Wort und Gestik. Zu flüssig kamen die Worte, einstudiert wirkte die Haltung. Wenn Matthias zuvor zornig geworden war, hatte er Mühe gehabt, sich zu artikulieren. Es schien, als berste er förmlich vor pulsierender Energie, die aufgestaut ein Ventil suchte. »Er will mich unbedingt loswerden«, resümierte Angel, plötzlich amüsiert. »Trotz seiner Intelligenz versucht er es auf diese altmodische Weise...« Ein diebisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Freund oder nicht, Eifersucht hin oder her: so einfach werde ich dich nicht untertauchen lassen. Den Schwarzen Peter gebe ich postwendend an dich zurück, mein Bester.« Mit einem maliziösen Zug um die kirschroten Lippen näherte er sich tänzelnd, leichthin Matthias, der nun verunsichert seine Pose aufgab, in Abwehrhaltung ging, als fürchte er einen körperlichen Übergriff. "Weißt du", Angel beugte sich vor und raunte samtig-lasziv an seinem Ohr, "mich macht es richtig scharf, dass du so widerspenstig bist." Und verließ gemächlich hüftschwingend den Kellerraum, eine boshafte Melodiefolge summend. ~~?* Vor meinen Augen löschten schwarze Flecke Teile der Wahrnehmung. Ich klammerte mich wie ein Ertrinkender an die harten Kanten einer Waschmaschine, trieb die Fingerkuppen schmerzhaft in das Blech. Versagt. »Was auch sonst«, bemerkte höhnisch eine Stimme dissonant in meinem Hinterkopf, dann setzte das enervierende Pochen hinter meinen Schläfen ein. Was hatte ich falsch gemacht?! Ich hatte ihn beleidigt, ihn abblitzen lassen, seine Freundschaft ausgeschlagen. Wieso hatte es nicht funktioniert?! »Weil du eben von dir auf andere schließt, Idiot! Aber der Rest der Menschheit ist keineswegs so kaputt wie du!«, kommentierte eine weitere Stimme schrill. »Er hat nicht mal versucht, mich anzugreifen... verdammt.« Ich schloss die Augen und vertraute darauf, dass ich nicht fallen würde, dass mein Gleichgewichtssinn nicht von der blamablen Schwäche befallen war. Wenn er mich attackiert hätte, dann hätte ich eine Chance gehabt... Ich ließ mich schwerfällig an der Maschine auf den Boden hinab, dessen eisige Bekanntschaft ich in der vergangenen Nacht gemacht hatte. Ich musste aus diesem Chaos heraus. Lieber die Flucht antreten, als der Wahrheit in ihr erschreckendes Antlitz zu sehen... Doch ich verlor immer schneller den Glauben an mich selbst. ~~?* Angel drehte müßig Locken in seine weißblonden Strähnen, während er mit der anderen Hand Gleichungen auflöste. Er war sich der Ungerechtigkeit der Situation bewusst. Während um ihn herum seine Mitschüler ausnahmslos gequält stöhnend den Parcours der höheren Mathematik durchlitten, half ihm die Beschäftigung mit der logischen Welt der Zahlen, sich von den Merkwürdigkeiten der vergangenen Tage zu distanzieren. »Zuerst geküsst, dann abgeschmettert...«, er kritzelte einen stilisierten Frosch auf den Heftrand, ».. wenn der Kuss einen nicht in den Prinzen verwandelt, wird man an die Wand geklatscht...« Angel lächelte in sich hinein. »Netter Frosch«, schmeichelte er seinem Doodle. Dann warf er einen Blick zu Matthias hinüber, der den Kopf über das Blatt gesenkt hielt, unter der Tischplatte jedoch verkrampft eine Stütze suchte, um sich in der gewohnt disziplinierten Haltung präsentieren zu können. Es ging ihm offenkundig nicht besonders gut. Nicht einmal seine durchaus rasche Auffassungsgabe würde verhindern, dass seine Leistungen heute einen Tiefpunkt erreichten. Angel tippte sich mit dem Ende des Bleistifts an die Unterlippe, kniff konzentriert die Katzenaugen zu. »Wenn ich ein Frosch bin, welche Art von Tier bist du dann wohl? « ~~?* »Wenn ich ein Hamster in einem Laufrad wäre«, fluchte ich lautlos in mich hinein, »wäre der Tag wirklich zu überstehen.« Unglücklicherweise war ich aber kein Nager. Meine Gedanken auf den Unterricht zu fokussieren, der aufgrund der tropischen Klimabedingungen bereits im Schneckentempo abgespult wurde, brachte mich in arge Verlegenheit. Einfach peinlich. Doch Selbstvorwürfe waren weder konstruktiv, noch zeigten sie mir eine Lösung aus meinem Dilemma. Vor einigen Fakten konnte ich meine Augen nicht verschließen. Zunächst einmal musste ich zu Mittag etwas essen, wollte ich der allgemeinen Katastrophe meines heutigen Eindrucks auf meine Mitmenschen nicht noch einen opernreifen Ohnmachtsanfall hinzufügen. Was unerwünschterweise Angel die Gelegenheit geben würde, während des Essens zu sticheln. Oder, schlimmer noch, weiter in mich zu dringen. Mich schauderte. Ich musste, MUSSTE, unbedingt eine Antwort finden. Eine andere Antwort als die, die sich krebsartig in mir ausbreitete, langsam die Kontrolle über mich gewann. ~~?* Angel beobachtete jede Regung Matthias' mit Argusaugen und dem süffisanten Lächeln, das seiner Überzeugung entstammte, diesen festzunageln, bis er sich offenbarte. Er konnte nur zu gut erkennen, wie die Erschöpfung und Anspannung, das nervenaufreibende Warten darauf, wann er wohl erneut verbal zuschlagen würde, Matthias zusetzte. Wie fahrig seine Gesten sich ausnahmen, wie unsicher seine gewöhnlich undurchdringliche Haltung wirkte. Ein Anflug von Mitgefühl durchwehte Angel. Für einen Augenblick fragte er sich unbehaglich, ob er wieder zu seinem überwunden geglaubten Arroganz-Ich zurückkehrte, das er nach der Beziehung mit Frank eigentlich nie mehr überstreifen wollte. Doch versprach diese Maske Erfolg. Und, so redete er sich ein, das Resultat würde den Selbstekel wettmachen. ~~?* Ich schleppte mich, -erbärmlicherweise konnte man es nicht anderslautend klassifizieren-, die Treppen hoch zu unserem Zimmer. Zu lange benötigten die Nahrungsmittel, um meinen lahmenden Kreislauf auf Touren zu bringen. Außerdem drangsalierte mich eine merkwürdige Art von Fieber, die meinen soghaft kreiselnden Gedanken entsprang. Ich hatte trotz aller Anstrengung, dem Vorsatz, kühl und sachlich zu bleiben, emotionsfrei zu analysieren, noch keine adäquate Lösung gefunden. Und nun hastete ich unsicher den Flur hinab, um Angel nicht begegnen zu müssen. Da ich es verabsäumt hatte, nach dem anstrengenden Training und der sehr kurzen Nachtruhe auf dem Fußboden eine Dusche zu nehmen, klebten meine Kleider mittlerweile hautnah und schweißgetränkt an mir, klamm und widerlich. Vermutlich stank ich bereits zum Himmel, würgte mich der Abscheu vor mir selbst. Erst der zugegeben warme Wasserstrahl tröstete mich ein wenig, lockerte die verspannten Sehnen und Muskeln, verschaffte mir Erleichterung. Als ich unbekleidet aus dem Bad trat, um aus meiner Reisetasche Unterwäsche und Oberbekleidung zu entnehmen, streckten sich mir, demonstrativ auf einem Kopfkissen wie bei einer Parade mit anschließender Ehrung gebettet, zwei leicht gebräunte Arme entgegen, die das Gewünschte offerierten. Der Augenaufschlag hinter den schwarzen, langen Wimpern allerdings hatte nichts Würdevolles. Er war mokierend und bezeichnend auf meinen unteren Torso gerichtet, eine mehr als anzügliche Replik auf meine Unterstellungen. Ich spürte, noch bevor ich eilends meine Kleider mit einem unterdrückten Zischen an mich reißen konnte, wie mir die Farbe in die Wangen stieg, sich mit dem Fieber paarte, das ohnehin lodernd sein Unwesen in meinem Schädel trieb. Ein amüsiertes Lachen quittierte meine pubertäre Vorstellung, begleitete mich in das Bad, in das ich wie eine verschreckte Jungfrau floh. Ich wollte ihn beschimpfen, anschreien, in Stücke reißen... und zitterte unter der Gewalt meiner Gefühle. Brachte kein Wort über die Lippen, fürchtete mich in arktische Tiefen davor, ihn zu berühren. Als könnte der minimalste Kontakt das Siegel brechen, die Dämme niederwalzen, die ich selbst errichtet hatte. ~~?* Angel schlenderte höchst vergnügt im Zimmer auf und ab. Auch wenn es frivol war, zutiefst gemein: er genoss die kleine Scharade sehr. Wie leicht es sich bewerkstelligen ließ, den unerschrockenen, so kaltblütig und unberührbar auftretenden Matthias in die Enge zu treiben. Wie hilflos dieser sich gerierte, unfähig, ihm Kontra zu geben. »Noch ein wenig... noch ein wenig mehr... ich darf aber mein Blatt nicht überreizen«, ermahnte sich Angel plötzlich. »Wenn er, wie vorher schon so oft, einfach abhaut...würde ich es bereuen?« Er lehnte sich gegen die Wand vor der Zimmertür, sah konzentriert und abwesend zugleich auf das unberührte Bett seines Mitschülers hinab. »Oh ja... ich würde ihn verfolgen...«, erkannte er düster. »Weil ich darauf brenne zu erfahren, was er so hartnäckig vor mir verbirgt. Was so schrecklich sein muss, dass er zum Feigling wird, sich selbst so erbarmungslos bezwingt und hasst.« ~~?* Als ich endlich, nach beschämenden Mehrfachanläufen, meine Kleider gerichtet hatte und in der vagen Hoffnung, ich hätte mich ausreichend gesammelt, um ihm die Stirn bieten zu können, das Badezimmer verließ, bremste mich sogleich sein Bein. Das er wie eine Barriere gegen die Schrankwand neben der Tür gestemmt hatte. Die Arme nachlässig vor der Brust verschränkt zwinkerte er mich durch seine weißblonden Strähnen provozierend an. "Weißt du", schnurrte er in dem Timbre, das niemals seine Wirkung auf mich verfehlte, mir heiß-kalte Schauer über den Nacken jagte, "ich habe über deine Worte heute Morgen nachgedacht." Ich zuckte zurück, eine verräterische Geste, für die ich mir am Liebsten ein Loch in die Haut gebrannt hätte. Er lächelte lasziv, die Lider über den katzengrünen Augen halb gesenkt, vertraulich, streifte hinderliche Strähnen aus seinem attraktiven Gesicht hinter ein Ohr. "Meine Betthupferl müssen keine Freunde sein. Also sollten wir nicht daran scheitern...", raunte er mir boshaft und rollig zugleich zu. Das Knirschen meiner Zähne konkurrierte mit dem hysterischen Gelächter in meinem Kopf. Ich war entlarvt. Er hatte erkannt, dass ich nicht ehrlich gewesen war. Ein lausiger Schauspieler. Und nutzte seine Überlegenheit, seine Gewalt über mich, um mich zu demütigen!! "Lass mich raus", brachte ich mit letzter Kraft knurrend, die Vokale schluckend, über die Lippen. ~~?* Angel registrierte die unverhohlene Panik in den Stahlaugen mit einem Schauder. Matthias schien immer der Stärkere, Standhafte zu sein, rücksichtslos gegen sich selbst, kompromisslos und aufrecht. Die Unsicherheit und Angst, die in seinem blanken Gesicht aufflackerte, bevor er die mühsam die Kontrolle wiedergewann, irritierte Angel gewaltig. »Natürlich, ich habe damit gerechnet, dass er sich ertappt fühlt. Aber so extrem...« Als Matthias' verzerrtes Gesicht vor ihm brannte, er kaum verstand, was dieser zu sagen versuchte, die Intention aber deutlich an seiner Körpersprache abzulesen war, gehorchte er ohne Verzögerung. Da drohte wie ein Fanal etwas Animalisches, Archaisches in Matthias' Ausstrahlung, furchteinflößend und faszinierend zugleich. Angel rieb sich über die Unterarme, als könnte er damit die Kälte vertreiben, die sich seiner bemächtigt hatte. Doch ihr eisiges Feuer fackelte im Kern seines Herzens, als hätte sich ein Schatten über die Sonne geworfen. ~~?* Kapitel 2 Als ich endlich, noch in einer Trance, in die ich geflüchtet war, dem Unterricht entrann, währte meine Atempause nicht lange. Die nachmittäglichen Sportkurse, in meinem Fall das Volleyballtraining, das ich in einem Anfall geistiger Umnachtung oder aber romantisch-verkitschter Illusion, belegt hatte, entfiel, damit die Gruppe das in der näheren Umgebung gelegene Hallenbad aufsuchen konnte. Dieses schon etwas betagte Gebäude wurde in der Sommerzeit nur selten genutzt. Man tummelte sich lieber in den Freibädern. Doch für die Schulen im Bezirk bot es die Gelegenheit, zu trainieren oder aber sich auszutoben, ohne einem Hitzschlag zum Opfer zu fallen. Obwohl ich gern schwamm, wenn auch keineswegs elegant oder in diversen Disziplinen, sah ich diesen Ausflügen immer mit gemischten Gefühlen entgegen, suchte nach Möglichkeit, ihnen zu entkommen. Indem ich Arbeitsstunden vorschützte oder unangenehm auffiel, um eine Strafe zu ergattern, die mich im Haus hielt. Dieses Mal kam die Kunde zu knapp, um ein entsprechendes Alternativprogramm für den Nachmittag zu forcieren. Und Krankheit vorzugeben, schied zugunsten der kümmerlichen Reste meiner Selbstachtung aus. Missmutig trottete ich hinter meinen Klassenkameraden her. Unbehelligt raffte ich eilig Badehose und Handtuch zusammen, stopfte dies mit einer Tube Duschgel in eine Plastiktüte und hastete aus dem Zimmer. Verstohlen wie ein Dieb, einfach erbärmlich. So viel zur Selbstachtung. Den Blick auf das Pflaster geheftet trödelte ich ausreichend herum, um die Nachhut zu bilden. Hoffte, man würde in der Aussicht auf eine Abkühlung Tempo vorlegen und auch schon die Umkleiden besetzen, damit ich einen weiteren Aufschub erbeutete. Ich spürte, dass Angel sich auch unter den anderen befand. »Es kann gar nicht anders sein«, dröhnten die Stimmen in meinem Kopf. Ich würde keine Auszeit in meiner persönlichen Erniedrigung erfahren. ~~?* Angel sammelte seine schulterlangen Haare zu einem einfachen Zopf am Hinterkopf, um dann mit Handtuch bewaffnet der aufgeregt plaudernden Schar der Mitschüler zu folgen. Er freute sich auf das Wasser, die Schwerelosigkeit, die Abkühlung, den Spaß. »Möglicherweise habe ich heute doch keinen gebrauchten Tag erwischt?« ~~?* Die große Umkleide leerte sich rasch. Wie vorauszusehen war, drängte es alle in das kühle Nass, sodass ich mich bald allein fand. Ich stopfte mit Widerwillen meine Kleider in ein kleines Schließfach, sah dann prüfend an mir herab. Auch wenn ich die Kordel der knielangen Bermudas festzurrte, so waren die Narben doch für jedermann sichtbar. Ebenso die unzähligen, sich hell absetzenden Schnittwunden auf beiden Unterarmen. Normalerweise kümmerte es mich nicht, wie Dritte auf mein Aussehen reagierten, denn mein eisiger Blick hielt auch die Vorwitzigen auf Distanz, doch hier, unter Freunden... ich schnaubte zornig. Deshalb hatte ich immer auf Freunde verzichtet, mich abgesondert. Freunde glaubten doch stets, das Recht zu haben, sich ungefragt in das eigene Leben einzumischen! Waren der Überzeugung, nur das Beste für einen zu wollen! Ich entscheide selbst über mein Leben!! Ich will eure Sorge nicht, ich will eure Anteilnahme nicht und erst recht will ich mich für Nichts rechtfertigen!! Mit ausreichend komprimierter Wut, so rechnete ich mir aus, würde ich diese Tortur wohl überstehen. ~~?* Während seine Kameraden in der Mehrzahl übermütig durch das Wasser tollten, frischte Angel die Bekanntschaft mit einigen ruhigen Bahnen auf, glitt pfeilschnell und mühelos durch die leicht gechlorten Wogen. Auch wenn man es wohl kaum mit dem Meer vergleichen konnte, so durchfluteten ihn doch Erinnerungen an Frankreich und auch an Frank. Wie er versucht hatte, diesen von seiner Furcht zu befreien und ihn schließlich am Beckenrand geküsst hatte. Aber auch, wie jener fast ertrunken war, als ein Streich ausuferte, wie panisch Frank sich an ihn geklammert hatte, in Weinkrämpfe aufgelöst, weil er nicht wie versprochen an seiner Seite gewesen war. Angel trieb auf dem Rücken langsam dahin. »Irgendwie habe ich es nie geschafft, dich wirklich zu beschützen, Frankie...« Er schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter. »Wir hatten eine großartige Zeit, nicht wahr?! Und wenn wir uns wiedersehen, wo auch immer, wie auch immer... dann glaube ich fest, dass du mir verzeihen wirst.« ~~?* Es gelang mir, ohne Aufsehen in die schmucklose Halle zu schleichen, dann rasch eine Leiter zu entern und mich ins Wasser gleiten zu lassen. Die Aufmerksamkeit ruhte noch immer auf den planschenden und sich kabbelnden Mitschülern im niedrigen Becken. So weit, so gut. Als ich die Sprosse losließ, um mich dem Wasser anzuvertrauen, streifte ich unachtsam eine träge dahingleitende Gestalt. Die ebenso erschrocken wie ich selbst über meine Gedankenlosigkeit auf die Seite rollte und mit einigem ungraziösen Gespritze wieder auftauchte. Angel. Er musste wohl die komische Verzweiflung auf meinem Gesicht gesehen haben, denn seine Züge entspannten sich deutlich, jedoch in einer so milden, sanften Qualität, dass mein Herz aussetzte, der Geräuschpegel um mich verstummte. Als existierten in dieser Sekunde nur wir beide in einem von Zeit und Raum gelösten Ort, glitzerten Wasserspuren auf seinen Wangen wie Tränen, während sein sanftmütiger Blick mir den Verstand raubte. Dann, schlagartig, löste sich die Illusion, drangen ungehindert Lärm und Elemente auf mich ein, löste sich meine Hand kraftlos, tauchte ich ab. ~~?* Angel blinzelte, schoss dann ohne Bedenkzeit Richtung Beckenrand, um Matthias' Auftauchen zu erwarten. »Einmal hoch kommen sie immer«, funkte die Stimme eines Bademeisters seltsam gelassen durch seinen Kopf, eine Erinnerung aus sehr lange vergangenen Zeiten. Er fasste zu, als Matthias die Wasserfläche durchbrach, umklammerte das Handgelenk, das in seiner Reichweite fahrig dahinglitt. Matthias schnappte nicht etwa hektisch nach Luft oder geriet unter dem explodierenden Adrenalinpegel in Panik. Nein, zu Angels Verunsicherung bewegte er sich regungslos, mit leichten Fußschlägen, im Wasser, starrte ihn mit aufgerissenen Stahlaugen an, als habe dieser soeben ein Mirakel vollbracht. "Alles okay?", vergaß er sein Vorhaben, Matthias mit Frivolitäten in die Enge zu treiben, musterte ihn besorgt. Einen Wimpernschlag später versiegelten sich die graublauen Augen wie gewohnt, verschwand der andächtige Ausdruck hinter der undurchdringlichen Maske, als unerwartet sanft Matthias sein Handgelenk befreite. "Nichts ist okay", wisperte er rau, bevor er sich ohne Abschiedsblick in das Wasser stürzte, darin versank. ~~?* Das Chlor brannte wie üblich in meinen Augen, aber ich filterte den Schmerz einfach als belanglos heraus, konzentrierte mich auf Arme und Beine, um rasch von ihm wegzukommen. Meine Atemübungen trugen mich auch im Wasser verlässlich weit von ihm fort, ohne dass ich auftauchen musste. Langsam kühlte sich auch das Fieber, das meine Gedanken trübte, ab. Unter Wasser blieb es ruhig, niemand störte diese sakrosankte Ruhe. Nicht einmal die Quälgeister in meinem Hinterkopf blieben den Respekt schuldig. Auch wenn ich die Luft und Erde als mein Trainingspartner bevorzugte, ihren Widerstand, ihre Härte, so machte sich das nasse Element als Abwechslung nicht schlecht. Konnte ich doch an der Präzision meiner Ausführungen feilen. ~~?* Angel schloss sich seinen Mitschülern an, die eine Art Wasservolleyball vorschlugen, was viel Aufhebens und noch mehr an Gespritze und Gelächter nach sich zog. Unwillkürlich schweiften seine Blicke in jeder Atempause jedoch zum Tiefbecken, wo in regelmäßigen Abständen ein schwarzhaariger Kopf an die Oberfläche brach, um sogleich wieder zu verschwinden. ~~?* Meine Idylle wurde nachhaltig von dem schrillen Pfiff des Sportlehrers unterbrochen, der mich damit letztmalig ermahnte, mich endlich meinen Kameraden anzuschließen, um das Becken für die Springer zu räumen. Missmutig wechselte ich unter der mit Schwimmkugeln abgesperrten Markierungskette den Aufenthaltsort, hoffte insgeheim, um die Aufgabe herumzukommen, doch unmissverständlich wurde ich aus dem Becken expediert. Mit meiner störrischen Haltung musste ich wohl der werten Lehrkraft bereits zuvor erheblich auf den Schlips getreten sein, denn er wartete demonstrativ mit der Freigabe für den ersten Sprung, bis ich mich behelfs der Leiter aus dem Becken gehievt hatte. Und einen spektakulären Panoramablick auf meinen vernarbten Bauch freigab. ~~?* Mit Unbehagen verfolgte Angel, wie Matthias mit ausdrucksloser Miene ungeachtet der neugierigen Augenpaare seinen Platz am hinteren Ende der Schlange einnahm. Zuvor hatte jener es immer geschickt verstanden, die Spuren seiner Selbstverletzungen zu verbergen, doch dieses Mal hatte er versagt. Gemurmel brandete um Angel auf, niemand wagte jedoch, ihn direkt anzusprechen. Offenbar scheute man einen möglichen Konflikt. Oder fragte sich, ob selbst Angel diese Offenbarung unbekannt war. ~~?* Er stand fast an der Spitze, nicht zu verfehlen mit der makellos hellen Haut, der dunkelgrünen Badehose und der Tätowierung auf seinem Herzen. Schlank und ätherisch, zumindest im Kreise seiner Mitschüler. Ich ignorierte die Blicke, die meine Haut prickeln ließen, hielt mich an seiner Gestalt fest. Fragte mich, was er wohl antworten würde, wenn man ihn danach fragte. Ob er gewusst habe, was für ein Freak ich sei. Was dahinterstecke. Ich kreuzte bewusst ablehnend die Arme vor der Brust. ~~?* Angel schenkte den Ausführungen des Lehrers keine Aufmerksamkeit. Er suchte Matthias' Augen auch in der Entfernung. Natürlich hatte er diese Narben bereits gesehen. Und auch, wie sich Matthias die jüngste in die Haut gebrannt hatte. Jedoch war ihm nicht bekannt gewesen, wie spektakulär sie sich ausnehmen würden, wenn sie sich, vermutlich durch den Kontakt mit Chlor, weißlich schimmernd von der warmen, dunklen Hautfarbe absetzten. "Sieht aus wie Maden... zombiemäßig", drang eine gesichtslose Bemerkung an sein Ohr. "Ekelhaft", kommentierte jemand vernichtend, und Angels Kopf fuhr herum, um den Sprecher auszumachen. Doch dann bremste er sich selbst. »Was willst du sagen? Dass die Haut an den Narben besonders weich ist? Dass es reizvoll ist, mit dem Fingernagel die wulstigen Ränder nachzufahren? Dass du diese weißen Flecken gerne küssen würdest? Dass er nicht einmal dir ihr Geheimnis anvertraut hat?« Angel senkte den Kopf, ernüchtert. »Für einen neuen Anfang schleppen wir wohl beide sehr viel alten Ballast mit...« ~~?* Angel absolvierte seinen Sprung vom Drei-Meter-Brett mit Bravour. Ich hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet von jemandem, der dieses Element so liebte. Zu meiner Verärgerung mischte sich Gitano unter die Wartenden. Er musste wohl mit einigen anderen auch nachgekommen sein, nachdem er seine nachmittäglichen Verpflichtungen erfüllt hatte. Natürlich nutzte er seinen Sprung zu einem divenhaften Auftritt, watschelte im Handstand bis zum federnden Ende des Sprungbretts, um dann in Zeitlupe umzukippen und mit einer eleganten Schraubbewegung fast spritzerfrei ins Wasser einzudringen. Sein Profilierungsdrang hätte mich kalt gelassen, wenn ich nicht vermutete, dass er heimlich noch immer Angel nachstellte. Vom Jäger zur Beute....abstoßenderweise schien es uns ähnlich zu gehen. Vielleicht war aus dem Spiel, Angel zu verführen und sich über ihn einen Namen zu machen in der Modell-Branche, ein unerwarteter Ernst geworden? Ich ballte die Fäuste und hoffe inständig, dass sich die mühsam kanalisierte Wut nicht vorab ein Ventil suchte. ~~?* Angel wartete wassertretend am Beckenrand darauf, dass er noch eine Gelegenheit zu einem weiteren Sprung im Anschluss an den ersten Durchlauf bekommen würde. Neben ihm hing Gitano demonstrativ lässig im Wasser, den Kopf mit den beperlten, haselnussbraunen Locken auf die gekreuzten Arme gebettet. Er traf keinerlei Anstalten, Angel zu berühren oder ihn anzusprechen, aber allein der konzentrierte Blick, der sich wie Laserstrahlen auf Angels Oberkörper fixierte, irritierte diesen. »Du kannst mir gar nichts«, versuchte er sich innerlich Mut zu machen, »glotz ruhig, ist mir doch egal. Matti hat dich entlarvt, da kannst du alle anderen hundertmal um den kleinen Finger wickeln! Ich habe in meinem Leben wirklich genug selbstsüchtige Mistkerle gehabt, ich verzichte!« Er befreite seine Haare aus dem Zopf, schüttelte sie aus und verfolgte die Sprünge. Als Matthias das Brett erklomm, zweifelte er nicht daran, dass dieser sie gesehen hatte... und ihm dies nicht gefiel. Die Anspannung, wie eine dunkle Wolke Wut unterdrückt, quoll aus jeder Pore, die steifen, marionettenartigen Schritte. Dann der Absprung ohne jedwede Anwandlung von Elan, das glatte Eintauchen wie ein Pflock in die träge dahintreibenden Wellen: starr vor Zorn traf es nach Angels schaudernder Analyse ziemlich exakt auf den Punkt. Gitano neben ihm lachte leise, glitt rückwärts anmutig ins Wasser, zwinkerte Angel anzüglich zu. "Muss man nekrophil sein, um mit dem Zombie seinen Spaß zu haben?", zwitscherte er sotto voce hinüber, nur für Angels Ohren bestimmt. Zu seiner Verärgerung stieg Angel die Farbe ins Gesicht, fürchtete er doch Ohrenzeugen. Dann schnaubte er laut. »Ich beachte ihn einfach nicht, diesen aufgeblasenen Wichtigtuer!« Und so bekam er gerade noch mit, dass Matthias dem Defilee der Wartenden ausgewichen war, unter Wasser bis zum entfernten Beckenrand getaucht, sich dort ohne Zuhilfenahme einer Leiter aus dem Wasser katapultiert hatte und den Duschen zustrebte. ~~?* Mein Maß an Selbstbeherrschung war erschöpft. Ich spürte das ungeduldige Zerren aller meiner Sinne an mir, sie endlich aus den Ketten zu entlassen, in die ich sie geschlagen hatte. Und ich selbst wollte ihrem Verlangen nachgeben, wollte raus aus dieser erstickenden Halle, aus dem nervtötenden Chor an Nichtigkeiten, der mich umschwirrte, den starrenden Blicken, der dumpfen Trägheit der Gedanken, der Banalität des Vergnügens. Ich sehnte mich danach, meine Fäuste in die Luft zu treiben, mit wuchtigen Tritten die Schatten zu zerstieben. Als ich mich durch die dampfgeschwängerte Luft zu den Duschen zurücktastete, -hatte ich doch in meinem unbändigen Drang, diese ungastliche Stätte zu verlassen, mein Duschgel nicht eingepackt-, hörte ich ihre Stimmen. Meine Schritte, barfuß auf den nassen Fliesen, hielten inne. ~~?* "Warum so eilig? Ich dachte, du springst noch einmal?" "Lass mich in Ruhe, Gitano, okay?" "Heyhey... wir sind heute aber verzickt, was?" "Blödmann! Kannst du nicht jemandem anderen auf den Keks gehen?! Ich habe kein Interesse, klar?" "Ach ja, wie könnte ich das vergessen...du bist ja mit dem Spinner zusammen. Nun sag doch mal, ist er im Bett auch so steif??" "Du... bescheuertes Arschloch, das geht dich gar nichts an, capice?! Und nun nimm deine Hand weg, bevor ich sie dir in deinen Hals ramme!" "Prinzchen, du machst mir ja richtig Angst! Nein, Süßer, im Gegenteil, du machst mich richtig scharf... diese niedlichen, grünen Katzenaugen...hihi, vorbei!" "Hände weg, du Wichser!" "Schsch, meine Wildkatze, sonst hört man dich noch... und sag nicht, dass ich dich nicht anmache..." "Tust du nicht!! Scheißkerl!" "Hey, du hättest fast die Kronjuwelen getroffen... soll ich dir zeigen, wie man's richtig macht?" ~~?* Ich hatte vorgehabt, mich davonzustehlen. Immerhin war Angel alt genug, auf sich selbst aufzupassen. Außerdem hatte er ja Gitano... Noch bevor ich mich selbst belügen konnte, brach ich in die offene Kabine ein. Und erstarrte. Gitano küsste Angel hart, eine Hand in seinem Schritt, was Angel ein gutturales Stöhnen entlockte. Er selbst klammerte sich an die muskulösen Oberarme, doch schien der Widerstand zwiegespalten. In meinem Kopf explodierte etwas, das Schmerzimpulse wie elektrische Stöße in meinen Bauch sandte, mir den Atem aus der Lunge trieb. Angel bemerkte mich zuerst. Seine Augen weiteten sich, die Fingernägel bohrten sich verspätet in die sommersprossige Haut. An Gitanos gelassener Reaktion erkannte ich, dass er sich meiner Gegenwart zeitgleich mit Angel bewusst geworden war, sich aber entschlossen hatte, die Situation auszukosten. Während sich Angel noch mit dem Handrücken den Mund abwischte, Anstalten machte, sich von der Kachelwand zu lösen, um mir zu folgen, wirbelte ich herum, fand wie beiläufig meine Tube Duschgel ordentlich in einem Halter und trabte davon. Ein Blick zurück hätte mich wohl den Verstand gekostet, so sehr wühlte in meinem Herzen die Enttäuschung. ~~?* Angel wehrte mit einem Fluch Gitanos Hände um seine Taille ab, trat ungezielt nach hinten und wand sich wie ein Aal. "Lass mich los, ich will das nicht!!", steigerte er seine Lautstärke, was Gitano zur Vernunft brachte, der offenkundig einen Eklat nicht favorisierte, sondern an ihm vorbeischlenderte, als habe sich nichts Bemerkenswertes ereignet. "Du weißt einfach nicht, wer dir gut tut, Prinzchen", spottete er melodiös. Angel seufzte leise, lehnte sich gegen die Kachelwand und drehte kaltes Wasser auf. »Manchmal hasse ich mein Leben...« ~~?* Ich hatte mir vorgestellt, sofort nach dem Ablegen meiner nassen Sachen in den Gymnastikraum zu entwischen, vermutete ich in diesem zur Abendstunde keine Zuschauer. Doch als ich den Fuß über die Schwelle unseres Zimmers setzte, verließ mich jede Kraft, verpuffte meine Entschlossenheit. Auf der Matratze kauernd wie ein waidwundes Tier schoss mir immer die selbe Frage durch den Kopf. Wieso er?! Dass sich nicht einmal der Hyänenchor in meinem Hinterkopf meldete, besiegelte meine Überzeugung, dass ich geschlagen, am Ende war. Niemand tritt Dreck am Boden. ~~?* Noch bevor er den Aufstieg zu ihrem Zimmer in Angriff nahm, inspizierte Angel Waschkeller und Gymnastikraum, doch nirgendwo eine Spur von Matthias. Seufzend nahm er die Stufen, bedächtig wie ein Bergsteiger die letzten Höhenmeter zum Gipfel. Dieses Mal war es Gitano wohl wirklich gelungen, das spärliche Vertrauen, das Matthias in ihn gehabt hatte, zu zerstören. »Ich habe mich gewehrt...«, er senkte den Kopf, »allerdings nicht besonders effektiv. Verdammt... Ich sollte mich wohl vor ihm rechtfertigen...aber ich weiß nicht mal, wie ich mir selbst plausibel machen soll, warum ich... nachgiebig war.« Als er in der Erwartung, das Zimmer verlassen zu finden, die Tür aufstieß, ohne diese entriegeln zu müssen, fand er sich bereits Matthias gegenüber. Der ihm das Profil zuwandte, den Blick ebenso starr wie seine gesamte Körperhaltung auf Franks Bild über dem Bett gerichtet. Angel schloss behutsam die Tür hinter sich, schob seine Tasche einfach davor, wie eine provisorische Barriere, ein Fluchthindernis. "Matti..." "Sei still." Angels Augenbrauen zogen sich zusammen, aber er unterdrückte aufsteigende Wut. "Ich möchte es dir erklären." "Interessiert mich nicht. Spar dir die Mühe." Angel fegte förmlich heran, um direkt vor Matthias dessen Blickfeld zu okkupieren. "Ist mir egal, ob dich das interessiert! Ich lasse mich von dir nicht einfach abwürgen!" Matthias knurrte kehlig, funkelte nun hoch zu Angel, der die Hände in die Seiten gestützt hatte, um diese nicht reflexartig zu Fäusten zu ballen. "Mich kümmert es kein bisschen, mit wem du es alles treibst", zischte er eisig. Angel verlor die Contenance. "Ich treibe es mit niemanden, klar?!", giftete er laut zurück. "Ah nein?", Matthias lehnte den Kopf gegen die Wand, um Angel besser fixieren zu können, "wie nennst du das dann? Murmel spielen?" Vor Zorn zitternd musste Angel sich rücklings gegen die Kante von Matthias' Schreibtisch lehnen. "Du bist wohl eifersüchtig, wie? Willst du es nicht auch mal versuchen? Komm doch her, ich laufe nicht weg!", fauchte er böse, nur wenig von dem boshaften Charme versprühend, den er eigentlich beabsichtigt hatte. Doch er war zu aufgebracht, um sich zu konzentrieren. Matthias' Miene verzog sich zu einem angeekelten Ausdruck. "Du bellst den falschen Baum an", krächzte er unterkühlt, "ich bin nicht promiskuitiv veranlagt." Und gratulierte sich nicht ganz so unverhohlen zu Angels Reaktion, die in einem schlagartigen Erbleichen bestand. "Was soll das heißen?", erkundigte er sich tonlos, die grünen Augen katzenhaft zusammengekniffen. Matthias wedelte bezeichnend mit einer Hand, eine gelangweilte Pose kopierend, die ihm so fremd war, dass sie ohne Leben oder Überzeugungskraft blieb. "Promiskuitiv eben. Wahllos. Indifferent. Sehr freizügig. Ohne moralische Scheuklappen...", erläuterte er gnadenlos, bis ihn Angels Ohrfeige bremste. "Du... DU...", Angel fehlten die Worte, die seine hochschäumenden Gefühle fassen konnten. Matthias funkelte ebenso erregt zurück, vergaß seine Taktik. "Hure", zischte er, was in der Luft hing. Angel gab einen erstickten Laut von sich, eine Kombination aus hysterischem Auflachen und Schmerzensschrei. "Hure...?!", wiederholte er mit zersplitternder Stimme, umarmte sich selbst, um der Schwäche, die seinen Körper befallen hatte, mitsamt ihrem konvulsivischen Zucken Einhalt zu gebieten. "Hure... verdammt, warum eigentlich nicht?" Er lehnte sich leicht vor, Matthias' Stahlaugen zum Ziel. "Ja...nenn mich ruhig Hure...bin so richtig verdorben...lass mich von allem vögeln, was Lust dazu hat... hast das schon richtig erkannt... schrecke vor gar nichts zurück... so einer bin ich... mach gern die Beine breit..." Tränen perlten über seine Wangen, ließen durch Schluchzer die Worte unverständlich werden. "Deswegen trage ich... ja auch.. das nette... Ding hier..", zitternd versuchte er, das T-Shirt hoch zu streifen, sein tätowiertes Efeublatt zu zeigen, doch entglitt seinem unsteten Griff der Stoff, "damit jeder... sieht...dass ich schlecht bin..." Die Augen gen Decke richtend atmete er tief durch, wischte mit dem Handrücken Tränenspuren ab, um dann Matthias brennend anzufunkeln. "Ja... ich bin.. der ..letzte Dreck... also... willst du.. auch mal?" Sein Gelächter neigte sich bedenklich der Hysterie zu, als er sich zu Matthias herunterbeugte. ~~?* Ich wollte das nicht hören. Wollte ihn nicht so sehen. Aufgelöst. Schwach. Unglücklich. Verzweifelt. Erniedrigt. Meine Schuld. »Er soll aufhören.« Als er näher an mich heranrückte, völlig außer sich, verlor ich einfach den Kopf. Er durfte mich nicht anfassen, auf keinen Fall! Ich rollte mich auf die Seite ab, rammte gleichzeitig seinen linken Oberschenkel, riss ihm förmlich die Beine weg, sodass er frontal auf die Matratze fallen musste. Mich auf die Füße schraubend visierte ich die Tür an, entschlossen, mich dem Gespräch zu entziehen, zu fliehen, um nicht etwas zu tun, was ich bereuen könnte. Seine leisen Worte trafen mich wie ein vergifteter Pfeil. ~~?* "Mein Vater hat mich das erste Mal an meinem 12. Geburtstag vergewaltigt..." Angel erstickte sein erschöpftes Schluchzen in Matthias' Kissen, umklammerte es, die Beine fötal angezogen, wollte sich in Luft auflösen. Er registrierte kaum, dass Matthias schwer neben ihm auf die Matratze sackte, die Stahlaugen vollkommen blank. ~~?* Ich wäre bis an das Ende der Welt gelaufen, wenn ich mir selbst in diesem Moment hätte entkommen können. Sein apathisches Schluchzen erreichte mich durch eine Nebelwand, die die Welt filterte, abdämpfte, reduzierte auf ein Nebengeräusch in meinem Kopf. Ich war unfähig, ihn zu berühren. Und unwürdig. Mein Magen rebellierte. Stülpte sich um. Ich ekelte mich vor mir selbst. Was hatte ich von ihm geglaubt? Dass er leichtfertig war. Oberflächlich. Ein naives Kind. Oder ein unbekümmerter Spieler. Ich hatte nicht das mindeste recht, über ihn zu urteilen, weder zuvor, noch in diesem Augenblick. Weigerte mich, über seine Worte nachzudenken, konnte es körperlich nicht ertragen, sie in meinen Kopf einzulassen. Als ich mich endlich so weit gesammelt hatte, dass ich wie ein Uhrwerk aufgezogen mir entkommen konnte, verließ ich ohne Abschied das Zimmer. ~~?* Ich ging. Blind für meine Umgebung. Für die Zeit. Einfach nur einen Fuß vor den anderen. Ein Automat auf unbekanntem Kurs. Solange ich nicht anhielt, würde ich sicher sein. ~~?* Als das Getöse auf dem Gang sich steigerte, sicherstes Indiz dafür, dass das Abendessen im Speisesaal bereitstand, ließ Angel widerwillig das Kissen fahren, das er umklammert und mit seinen Tränen getränkt hatte. Seine Kehle brannte, zudem zweifelte er nicht daran, dass er keinen attraktiven Anblick bieten würde. »Er ist einfach abgehauen.« Unwillkürlich glitten seine Finger über den Abdruck von Matthias' Kehrseite auf dem Laken, als könnten sie suchend eine Spur von ihm aufnehmen. Dann verwischte er sie verärgert. »Ich brauche dich nicht!« ~~?* Die Hitze des Tages verlor sich langsam in der abendlichen Witterung, noch immer Spätsommer, doch gewürzt mit einer winzigen Prise herbstlicher Vorahnung. Wie losgelöst strömten die Eindrücke meiner sich abwechselnden Umgebung auf mich ein, ein Panoptikum ohne Stil oder Zielrichtung, allein gesteuert von dem unbekannten Kompass in meinen Füßen. Mein Kopf war vollkommen leer. Ein angenehmes, betäubendes Gefühl. Dennoch schmerzte mich ein lästiger Stich im Herzen, wie eine kaum verheilte Wunde, eine unerwünschte Sehnsucht. Dieser Schild aus gläsernem Gleichmut wurde von einer hellen Stimme durchbrochen, die bereits zum wiederholten Male meinen Namen rief. Das heißt, nein, nicht meinen Rufnamen, sondern die Koseform, die Angel gewählt hatte. Langsam, als müssten sich erst komplizierte Räderwerke in meinem Körper verzahnen, kam ich zu einem schlingernden Halt, wandte mich der Störquelle zu, die den Schleier gelüftet hatte. Ein großer, junger Mann, eisblaue Augen in einem flächigen, jedoch sympathischen, offenen Gesicht, sandfarbenes Haar, in einigen Strähnen verdunkelt durch körperliche Anstrengung. »Urs«, ordnete meine Gedankenmaschine eilfertig ein, wirbelte hilfreich Schnipsel meiner Erinnerungen auf, um mich mit Informationen zu versorgen. Er lächelte mich an, hielt ein wenig atemlos auf mich zu, offenkundig in der Absicht, ein Gespräch zu führen. Ich fragte mich müßig, wie oft er wohl gerufen haben mochte, bis ich geruht hatte, ihn wahrzunehmen. "Hi, Matti, so eine Überraschung, dich hier zu sehen!" Seine gewaltige Rechte fasste einfach zu, schüttelte meine schlaffen Finger so behutsam, als könnten sie innerhalb der schwieligen Hand zerquetscht werden. "Wir haben uns das letzte Mal auf dem Fest getroffen, erinnerst du dich? Ich fand deinen Auftritt mit der Kata einfach klasse, wirklich!" Ich nickte mechanisch, blieb in seinen beunruhigend wachen Augen hängen, während seine Worte durch mich hindurchspülten, abperlten, ohne Zeichen zu hinterlassen. "Wie geht es denn Angel? Ist der Krieg beendet?" Eine direkte Frage, wie unfair. Ich kehrte hastig meine verstreuten, im Winterschlaf befindlichen Gehirnzellen zusammen, murmelte Unverständliches, konnte jedoch die Augen vor seinem Bannblick nicht abwenden, der so unerwartet instinktsicher aus dem Teddybärengesicht strahlte. Er entließ mich schließlich gnädig, gab die Richtung vor, in der ich an seiner Seite stolperte. Füllte die Sprachlosigkeit, die mich lähmte, indem er von seiner Familie berichtete. Was ich Angel ausrichten sollte. Seinem Plan, diesem in den nächsten Tagen mal wieder eine Herausforderung zu einem Tischtennis-Turnier im heimischen Garten zukommen zu lassen, wozu ich selbstredend auch herzlich eingeladen war. Seine helle Stimme glitt melodiös und gleichmäßig dahin, beruhigte meine verwirrten Gedanken, die sich unerwartet aus dem Exil zurückgerufen sahen. "Ich muss hier abbiegen. Also, war schön, dich getroffen zu haben, Matti. Bitte richte doch Angel meine Grüße und die Einladung aus, ja?" Ich nickte automatisiert, bereit, nun wieder als Solitär durch die Landschaft zu wandern. Als hätte ich tatsächlich ein Ziel. Da riss er mir mit einem Wort den Schleier der Idylle herunter. "Ich bin froh, dass Angel nicht mehr allein gelassen ist." Ein Zwinkern des freundlich-scharfsinnigen Teddybären, das mich Wurzeln schlagen ließ. Ich fühlte mich, als könnte ich keinen einzigen Schritt mehr tun. Die Welt drang wie ein Vampir blutgierig auf mich ein, holte sich meine Aufmerksamkeit gewaltsam zurück. Bilder. Geräusche. Leichte Brise. Lachen. Fahrradklingel. Hundegebell. Sonnenstrahlen. Geruch von Grillwaren. Versprengte Grillen. Hummelflug. Ich blinzelte. Mich fror, als ich mich selbst nicht mehr spürte, obwohl ich doch sicher stand, keine Grenze mehr fand, die mich definierte. Kalter Schweiß kristallisierte sich auf meiner Haut, unsichtbar, doch für mich glitzernd wie Elfenstaub. 'Allein gelassen' Angel... allein gelassen... Es drehte und wirbelte wie eine verrückte Primaballerina in meinem Kopf, dehnte und streckte sich in seinem Klang, wechselte die Tonhöhe wie eine Klaviatur, zwitscherte, piepste, grollte, ächzte. Allein gelassen. Ich schloss die Augen. Atmete tief. Hob wie ein Bleigewicht einen Fuß an, den ich irgendwo unter mir vermutete. Explodierte in Glücksgefühlen, als ich registrierte, dass ich nicht fiel. Schlug die Augen langsam, vorsichtig wieder auf. Schritt. Schritt. Schritt. Mit jeder Bewegung wurde ich schneller, der Ablauf flüssiger, eroberte ich mich selbst zurück. Und hielt unbeirrt auf mein Ziel zu. ~~?* Angel spielte versonnen mit dem Verschluss des Aluminiumdeckels herum, zwirbelte das lose Ende zwischen Zeige- und Mittelfinger, wischte perlendes Kondenswasser ab. »Warum habe ich den mitgenommen? Mag keine Erdbeeren im Joghurt...« Der Fingernagel tippte energischer den Becher an. »Möchte bloß...« Er hob beide Hände, die Ellenbogen gegen die angewinkelten, aufgestützten Knie gelegt, presste sie sich flach auf die Augen. »Weiß nicht mehr...« ~~?* So langsam setzte sich das Puzzle zusammen, kombinierte ich Bilder, Eindrücke und Gesprächsausschnitte in meinem Kopf, während ich leichtfüßig durch die rot gefärbte Welt des Sonnenuntergangs glitt. Und alles ergab einen, wenn auch blutig-metallisch schmeckenden, Sinn. Seine Angst vor der Dunkelheit. Die Albträume. Das Nachtlicht. Die seltsamen Dinge, die mir zugetragen worden waren, um auszuloten, wie ich mich verhalten würde. Dass er immer ein Einzelzimmer gehabt hatte. Niemand jemals seine Familie zu Gesicht bekommen hatte. Nur diese Frau, Monika, sich um ihn sorgte. Frankie... der erste Zimmergenosse... Ich unterdrückte ein Knurren. Dass er bis zu diesem Zeitpunkt zwar ungeheuer beliebt und bewundert gewesen war, aber keinen Kumpel oder besten Freund vorweisen konnte. Die Unlust, in den Ferien nach Hause fahren zu müssen. Meine Arme flogen angewinkelt leicht in flüssigem Schritt mit, kontrolliert atmete ich, ohne Anstrengung. Wie passte der Kapitän des Volleyballteams der Paul Ehrlich ins Bild? Oder Gitano? 'Allein gelassen.' Ich reduzierte mein Tempo, um gründlicher nachdenken zu können, nicht abgelenkt von etwaigen Hindernissen auf meinem Parcours. Wie war es wohl gewesen... NEIN, ich wollte das nicht wissen!! Ich wollte mir nicht vorstellen, wie man über ein Kind herfiel... mich würgte. Die Resultate jedoch, wich ich eilig auf eine leichter zu bewältigende Schiene, die des kalten Hasses, zeigten sich deutlich. Sein Vertrauen war zerstört worden, systematisch und rücksichtslos. Er hatte erfahren müssen, dass sein Recht auf Selbstbestimmung vergewaltigt wurde, nur das Recht des Stärkeren galt. Ob er wohl, wie ich selbst, noch immer versuchte, dem Fluch aller Kinder zu entsprechen und die Liebe seiner Eltern, seines Vaters zu gewinnen? Er war nicht stark genug. Eine leichte Beute für die, die ein Auge dafür hatten. 'Allein gelassen.' Man hatte ihn allein gelassen. In dem Glauben, etwas Widerwärtiges, Monströses, Abnormes zu sein. Ein Stück Dreck. Ich trieb eine Ganzkörperspannung durch meinen Leib, bis in jede Zehe, jede Fingerkuppe, jede Haarspitze. Ich hatte ihn allein gelassen. Nicht widersprochen. Nicht widerlegt. Sein Vertrauen enttäuscht. Obwohl es in meiner Verantwortung lag, die Schwächeren zu beschützen. Versagt. Mich selbst verraten. Und Ihn Allein Gelassen. ~~?* Angel schreckte hoch, als kurz vor der Sperrstunde die Tür leise ins Schloss klickte. Er musste eingedämmert sein, vergessen haben, die Nachtleuchte zu aktivieren. Nun war er den Schatten ausgeliefert, seinem galoppierenden Herzschlag, dem wunden Hals, der unfähig zu einem Laut blieb. Eine schemenhafte Gestalt glitt lautlos, geschmeidig im Zwielicht, durch den Raum, zielsicher auf sein Bett zu. Angstvoll kroch er rücklings zur Wand, die Beine anwinkelnd, nach Luft gierend. In seinem Kopf rotierten panische Ratlosigkeiten, unverständliche Anweisungen, gegenläufige Befehle an seine Glieder. Da wärmte unerwartet die Nachtleuchte den Raum auf mit ihrem gedämpften, schattenbannenden Licht. Matthias kniete neben seinem Bett, den Kopf gesenkt. "Es tut mir leid, dass ich dich... allein gelassen habe", brachte er heiser, doch klar artikuliert heraus. Angel entspannte sich leicht, musterte ihn angestrengt: die Atmung, die auf einen Sprint hindeutete, das Hemd auf den Oberkörper geklebt, die minimal zuckenden Sehnen in dem maskenhaften Profil. Noch immer wagte er wohl nicht, ihm in die Augen zu sehen, was Angel nicht wunderte. Er nahm sich die Zeit, Matthias eingehend zu studieren, schob Fragen, Spekulationen, wilde Hoffnungen, Enttäuschung, Unsicherheit in den Hintergrund seines Bewusstseins. Ließ die Hand gewähren, die sich dunkel um seine eigene helle wand, zögerlich den Handrücken streichelte, sie dann mit der offenen Fläche an die Lippen führte und mit geschlossenen Augen einen Kuss hineinhauchte. Dann erst hoben sich die Stahlaugen, schwarz vor dem gedämpften Licht, ruhten in seinem Blick. Die Zeit verstrich, ohne sie zu berühren. Angel glitt sanft auf die Seite, mit den Fingerspitzen noch immer im lockeren Verbund ihrer Hände, entwich ihrer stummen Konversation keinen Wimpernschlag. Ebenso schweigend kletterte Matthias zu ihm auf die Matratze, wahrte scheu einen Abstand, der ihnen eine angenehme Blickdistanz erlaubte. Vorsichtig berührten sich ihre Fingerspitzen im Niemandsland dazwischen. Und hielten diesen Kontakt in der gesamten Nacht aufrecht. ~~?* Kapitel 3 Meine innere Uhr weckte mich präzise, steuerte meinen Körper entsprechend umsichtig aus, sodass ich hellwach und alert die Augen aufschlug. Direkt neben mir, ohne mir jedoch auf Tuchfühlung nahe zu kommen, atmete Angel im Schlaf ruhig und gleichmäßig, verdeckt von seinen weißblonden Strähnen. Mit einer magischen Schönheit ausgestattet, die mir das Blut in die Wangen trieb. Der bereits gewohnte Cocktail aus Verehrung und Verlangen brodelte hoch, doch ich schluckte ihn hinab in die Hölle, in die ich ihn verwünschte. Behutsam befreite ich meine Fingerspitzen aus seinen Porzellanhänden, rollte mich lautlos von der Matratze auf alle Viere herunter, um ihn nicht aufzuschrecken. Ich hatte einen riskanten Entschluss gefasst, um meine Ehre wiederherzustellen und mein Gewissen zu erleichtern. Dafür würde ich alle meine Kraft benötigen, sodass es von nun an keine Disziplinlosigkeiten mehr geben durfte. Als ich unser Zimmer verließ, schloss ich die Tür sorgfältig hinter mir ab. »Du sollst dich nicht mehr fürchten müssen.« ~~?* Angel kehrte Morpheus nur widerwillig den Rücken zu, doch die anhaltenden Störgeräusche aus einer anderen Dimension drängten sich, um Aufmerksamkeit buhlend, in sein Unterbewusstsein. Sich räkelnd, die Katzenaugen reibend, nahm er Kontakt mit der Wirklichkeit auf, stellte überrascht fest, dass er Gesellschaft hatte. Zumindest akustisch. Im Bad plätscherte ein Wasserstrahl auf ein Hindernis, wechselte in einer tropfenden Symphonie, sodass Angel sich mühelos vorstellen konnte, wie sich Matthias unter der Brause bewegte. Die losen Strähnen hinter die Ohren bannend wartete Angel ruhig darauf, dass jener das Badezimmer verlassen würde, ein nervöses Zucken in der Magengegend, wie wohl bei Tageslicht ihre Verbindung aussehen mochte. Matthias trat heraus, den Kopf energisch frottierend, obwohl die lackschwarzen, glatten Haare nicht einmal einen Zentimeter Länge besaßen. Eine einfache, lange Stoffhose bedeckte seinen Unterleib. Von der austrainierten Brustpartie perlten noch vereinzelte Wassertropfen, schimmerten auf der warmen Hautfarbe. Den verstörenden Kontrast zu der Perfektion der modellierten Gestalt bildeten die sternförmig angeordneten Narben um den Bauchnabel, wie ein bizarres Sonnengeflecht. Als Matthias das Handtuch senkte, die Augen auf Angel richtete, verharrte er, jedoch weder erschrocken, noch angespannt. Wich dem ruhigen Blick nicht aus, sondern hielt diesem stand. Angel entstieg gemächlich, noch schlafesschwer in den Gliedern, seiner Bettstatt, näherte sich langsam Matthias an, der unbewegt seinen Bewegungen folgte, die Hände um die Enden des Handtuchs geschlungen. Einander nun auf gleicher Augenhöhe betrachtend registrierte Angel die Stille in den Stahlaugen, gleichzeitig auch eine gestrenge Zuversicht, die die Erinnerungen an Qual und Unsicherheit wie einen fernen Fiebertraum erscheinen ließen. Matthias brach schließlich das Schweigen. Rau, mit einer Stimme, die erst wieder an ihre Funktion herangeführt werden musste. "Du musst stark werden." Angel zwirbelte irritiert eine Locke in eine Strähne, sortierte diese Eröffnung in ihre möglichen Kategorien ein: Ermahnung, Ermunterung, Ratschlag oder Kritik? "Ich werde dir zeigen, wie man sich wehrt", erläuterte Matthias, nunmehr fast eifrig, seine Äußerung, wandte dann den Kopf, als das Getrappel unzähliger Füße auf dem Flur für Sekundenbruchteile einer Stampede glich. Den Kopf leicht wiegend lächelte Angel versonnen in sich hinein. »Er will einen Kämpfer aus mir machen? Ist das deine Antwort auf mich?« ~~?* Ich bemerkte sein Schmunzeln und zwang mich selbst, den naiven Vorschlag ernsthaft zu unterstützen, damit er nicht meine eigentlichen, verwerflichen Intentionen entdeckte. Ein knappes Nicken, ich hatte also seine Zustimmung. Nun musste es mir nur noch gelingen, die mahnende Anklage seiner grauenhaften Kindheitserlebnisse im Hinterkopf, mich ausreichend unter Kontrolle zu halten, um ihn stark zu machen. Stark genug, sich zur Wehr zu setzen. Stärker noch, damit ich... Die Fäuste ballend vertrieb ich Schimären der Wollust. ~~?* Der Tagesablauf bewegte sich in den von schulischen Anforderungen geprägten Bahnen. Es galt, die ganze Konzentration dem Unterrichtsgeschehen zu widmen. Matthias, der Urs' Einladung übermittelte, vereinbarte nach Unterrichtsende am Nachmittag, sich trotz des unwiderstehlichen Wetters in der Gymnastikhalle zu treffen. ~~?* In meinem Kopf probte ich bereits den Ablauf, formulierte Erläuterungen und spielte Bewegungen durch, die verdeutlichen sollten, was ich an Kniffen und Tricks weitergeben wollte. Als Angel hereinkam, stockte mir für einen Schlag das Herz. Ich hatte ihn gebeten, lockere Trainingskleidung zu tragen, doch er schien mich missverstanden zu haben. Zumindest entsprach sein Aufzug keineswegs meiner Vorstellung. Eine knappe Hose, die an Tennisshorts erinnerte, in einer rubinroten Kolorierung, die es wohl kaum von der Stange zu erwerben gab, dazu ein bauchfreies Netz-Top in kleidsamen Schwarz, das seine helle Haut auf das Vorteilhafteste ins Licht setzte. "Okay, da bin ich!" Schwang in seiner Stimme tatsächlich heiteres Amüsement, oder verfing ich mich erneut im Netz meiner eigenen Paranoia?! Ich atmete tief durch. Keine Feigheit vorschützen! Winkte ihn heran, um dann frontal mit den Fingerspitzen die Körperpartien herauszustreichen, die als Markierungspunkte gelten sollten. Er lächelte, kicherte unterdrückt, wenn ich mich bemühte, Lymphdrüsen oder kurze Rippen als Ziel zu demonstrieren, hielt jedoch artig den Anschein des interessierten Schülers aufrecht. »Er hat mich durchschaut«, funkte mein Gehirn mit der Regelmäßigkeit einer Signalleuchte Alarm, akkompagniert von einem Chor mich verhöhnender Hyänengeister. Ich wechselte eilig die Strategie, entwickelte nun die Abläufe bei Schulterwürfen, die unterschiedlichen Methoden, jemandem die Beine wegzuziehen oder zu treten. Langsam erstickte mich meine eigene Lächerlichkeit, sodass ich ihn aufforderte, nun an der Praxis zu lernen, sprich, mich zu attackieren. Zunächst ließ er sich gehorsam auf den Boden werfen, kam wieder hoch, nahm einen Hüftwurf hin, sodass ich mich bereits in Sicherheit zu wiegen begann. Ich konnte ihn anfassen, ohne mir anstößig vorzukommen, auch wenn ich beständig mehr Haut unter meinen prickelnden Fingerspitzen kostete. "Matti, ich möchte dir ja nicht deine Illusionen nehmen", anmutig wischte er lose Strähnen aus seinen grünen, funkelnden Katzenaugen, "aber solche Angriffe passieren mir eher selten." Das spöttische Glitzern in seinem Blick pulsierte wie eine Droge in meinem Blut, hieß mich schnauben und rasch nach einer einigermaßen plausibel klingenden Rechtfertigung suchen. "Lass uns mal die Plätze tauschen, ich greife an und du wehrst ab, ja?" Zweifellos sollten seine ersten, spielerischen Attacken mich in Sicherheit wiegen: er tänzelte wie ein Bär vor mir, sprang mir dann zappelnd in den Nacken. Begleitete jeden Angriff mit seinem samtigen, sprudelnden Lachen, berstend vor Vergnügen. Innerlich krümmten sich die kümmerlichen Reste meiner Selbstachtung unter solcherart schmeichelnder Vernichtung. Ich schleuderte ihn erneut schwungvoll von mir, verdrehte ihm den Arm, was ein jammervolles Jaulen über seine Lippen brachte. Er wand sich derart ungeschickt, für mich unerwartet, dass ich erschrocken losließ, sein Gesicht suchte, mich entschuldigen wollte für meine Brutalität. Das maliziöse Funkeln warnte mich vergebens. Seine Arme, nunmehr vollkommen unversehrt, schlangen sich blitzartig um meine Hüften. Jede Hand umfasste mit eindeutigem Griff meine Pobacken. Reflexartig peitschte der Impuls schockwirksam durch mich hindurch, stieg mir im Eilschritt die Farbe in die Wangen, als ich seinen feixenden Blick bemerkte. In der Absicht, mich grob loszumachen ungeachtet der Lächerlichkeit meines Verhaltens, stemmte ich energisch die Handflächen gegen seine Oberarme, was ihn lediglich zu einem samtigen Schnurren bewegte, begleitet von bohrenden Fingerkuppen in meiner Kehrseite. Und als wolle er sich Vergebung erschmeicheln für den harschen Zugriff, eine reizvolle Massagebewegung. Mir schwindelte panisch vor den Reaktionen, die er mir entlocken würde, wenn ich nicht spornstreichs Abstand nahm, doch er hielt mich mitleidlos umschlungen. "Das", wisperte er lasziv an meinem Hals, "passiert mir dagegen schon öfter...", kalkuliert schmuggelte sich sein Atem in den Ausschnitt meines Hemds. Einen Blutsturz befürchtend fegte ich ihn von den Füßen, unterschätzte jedoch seine Entschlossenheit, sich an mir festzuhalten, sodass wir ineinander verschlungen zu Boden gingen. Es gelang mir im letzten Augenblick, mich unter ihn zu schieben, um ihn nicht mit meinem Gewicht zu erdrücken. Gelenkig entglitt er mir, trommelte amüsiert mit den Fäusten auf meinen Brustkorb, wollte sich vor Lachen ausschütten, was es ihm keineswegs erschwerte, mir den Gnadenstoß zu versetzen. "Ehrlich, Matti, nun habe ich dich bereits am Boden in sehr vielversprechender Position... was wolltest du mir doch gleich beibringen?!" Zweifellos hummerrot im Gesicht wischte ich ihn verärgert von mir, rappelte mich auf und stürmte auf die Umkleide zu, wo ich mir eine flüssige Abkühlung versprach. Und eine Zuflucht vor weiteren Blamagen. ~~?* Angel grinste breit und mehr als von sich selbst eingenommen, als er Matthias' um das letzte Quäntchen Würde bemühten Abgang verfolgte. »Kein Zweifel, in einem Kampf, auch einem regelfreien, hat er wohl sehr gute Karten, doch einem erotischen Infight hält er nicht einmal in der Aufwärmrunde stand«, resümierte Angel nachsichtig. »Nicht nur, dass er möglichst jede Berührung vermeidet, er opfert sich sogar, damit sein Gegenüber, den er«, wie Angel mutmaßte, »als Schwächeren klassifiziert, nicht verletzt wird. Ziemlich fatale Fehleinschätzung«, kicherte er in sich hinein. Es verhielt sich keineswegs so, dass er selbst in Sachen Prügeleien vollkommen unbewandert war, auch wenn er nicht den geschulten Expertenstatus von Matthias für sich beanspruchen konnte. Doch ein Mindestmaß an Selbstverteidigungskünsten fand sich auch in seinem Repertoire. »Und ich glaube nicht, dass es diese Art von 'Stärke' war, die du mir eigentlich abfordern wolltest...« ~~?* Das Wasser kühlte meine Gedanken und besänftigte das Zittern in meinen Gliedern, auch wenn mit der Ruhe sich die Deutlichkeit meines mehr als beschämenden Fehlurteils vor meinen Augen darbot. Ich hatte mich der Lächerlichkeit preisgegeben vor seinem spöttelnden Blick und zwar mit einem Eifer, der mir den Magen umdrehte. Mir blieb nur die Hoffnung, dass er mich nicht mit seinem Urteil über mich konfrontierte, das sicherlich nicht an unschmeichelhaften Feststellungen zu überbieten war. Zudem schmerzte mich auch noch mein Hinterteil, wo sich seine Fingernägel besitzergreifend in meine Muskeln gebohrt hatten. Verflucht, der Gedanke allein zündete erneut die fiebrigen Flecken unterhalb meiner Wangen. Ich glaubte fast, das Wasser zischend erhitzen zu sehen, wartete auf die Dampfwolke, die mich mit meinen unaussprechlichen Vorstellungen verhüllen würde. "Das ist auch eine Einladung", zwitscherte es amüsiert durch das beharrliche Plätschern des Wassers. Sekunden später schmiegte er sich an meinen über das niedrige Becken gekrümmten Leib, die Arme in meinem Nacken gekreuzt. Legte sein Gewicht auf mich, um mich daran zu hindern, hochzuschnellen und mir an dem massiven Hahn den Schädel einzurennen, wie mein erster Impuls mir riet. Was blieb mir anderes, als zu hoffen, dass er des Spiels müde würde, das Wasser mein Mütchen kühlte?! ~~?* Angel genoss für lange Augenblicke die sanfte, wenn auch unfreiwillige Massage, die sein Torso dadurch erfuhr, dass er sich an Matthias' gebeugten Rücken anschmiegte, der sich durch dessen hastige Atemzüge rhythmisch hob und senkte. Er schnurrte laut, ein wenig kehlig, um sich den akustischen Anschein eines rolligen Katers zu verleihen, nutzte die Gelegenheit, mit ausgestreckter Zunge einige vorwitzige Wassertropfen aufzufangen, die von Matthias' Kopf umgelenkt absprangen. Dann beschrieb er mit beiden Armen eine anmutige Kurve, um sich sanft mit den Fingerspitzen bis zu Matthias' Hosenbund herunterzuarbeiten. Bevor er jedoch sein Spiel auf die Spitze treiben konnte, knickte dieser plötzlich hastig ein, rollte sich über den gemauerten Beckenrand ohne Rücksichtnahme auf seine Rippen und entwischte dem Zugriff. Angel lachte elektrisiert auf. So entstand erst der reizvolle Kitzel, der noch immer in seinem Inneren loderte, sich nur temporär verborgen hatte. Geschmeidig umkreiste er das Becken, ein angriffslustiges Fauchen pflegend, bereit, sich erneut auf sein Opfer zu stürzen. Matthias, den nassen Kopf schüttelnd, in Abwehrhaltung, taxierte ihn angespannt, hielt sich auf Distanz. Angel schnellte nach vorne, spritzte ablenkend Wasser hinüber, was Matthias ohne Reaktion abfing, nun seinerseits herausgefordert einen Ausfall wagte, der Angel mit einem triumphierenden Quietschen in die andere Richtung trieb. Je länger sie einander umkreisten, nur getrennt durch das mannshohe Wasserbecken, umso unbedeutender wurde ihnen ihre Umgebung. Allein das nächste Aufblitzen in Katzen- oder Stahlaugen schlug sie in den Bann. Über die Fliesen huschend, um in einer Vollbremsung zum Halt zu kommen inszenierte Angel seine neueste Attacke, als vollkommen unerwartet Matthias ansatzlos in das Becken sprang. Mit einer Rolle über die steinerne Trennung der Hälften hinwegsetzte und auf der anderen Seite klatschend eine Fontäne durch seine Landung auslöste. Angel taumelte, die Arme zum Schutz vor dem Wasser hochgerissen, zurück, machte eilends kehrt, um wieder die volle Länge des Doppelbeckens zwischen sie zu legen, als er sich nachdrücklich, aber nicht schmerzhaft gegen eine Kachelwand geschoben fand. Geübt drehte Matthias ihm die Handgelenke über den Kopf, fixierte ihn mit den eigenen Hüften, in seinen hastigen Atemzügen einen Anflug von Befriedigung, Angel in die Falle gelockt zu haben. Dieser verhielt sich still, wartete einfach ab, bis Matthias die Tuchfühlung bewusst wurde, die er mittels seines Knebelgriffs eingehen musste. Just in dem Augenblick, in dem sich die Erkenntnis durchsetzte, drehte Angel den Kopf, lachte Matthias schmelzend an und flüsterte boshaft. "Na, was fängst du nun mit mir an, hmmm?" Mit einem animalischen Knurren wurde er herumgedreht, nun lediglich noch an den Handgelenken gehalten, jedoch mit finsteren Blicken aus sturmumwölkten Stahlaugen beschossen. "Du... sollst dich.. wehren, klar?!" Angel grinste unter halb gesenkten Lidern, leckte sich provozierend über die schmalen Lippen, korrigierte seinen Stand. "Und... wenn ich mich... gar nicht... wehren will?", säuselte er sanft. Der Lohn bestand in einem abwertenden Fauchen, dann löste sich Matthias so hastig von ihm, als habe er sich verbrannt. "Wenn du meine Hilfe nicht willst, dann sag das doch gleich!" Angel massierte sich demonstrativ die Handgelenke. "Und wenn du mir helfen willst, dann mach auch ernst." Matthias, bereits in der offenen Tür, fegte herum, in Verteidigungshaltung, bereit, sich ausufernd zu rechtfertigen, seine selten genutzte Stimme in einer ausgefeilten Eloge zu schärfen. Mit einer nachlässigen Geste fächerte Angel, die Arme über dem Kopf angewinkelt, sodass das knappe Top noch weniger Hautfläche bedeckte, seine feuchten Strähnen auf. Eine kalkulierte Pose, die dies auch ihrem Betrachter mehr als deutlich verkündete. "Ich hätte dich an fast zehn Punkten treffen können, die du mir gezeigt hast", Angel wies mit dem Kinn bezeichnend auf die Kachelwand als letzten Ort des Kampfes. Und so offenkundig, wie er seine Reize spielen ließ, verriet ihm auch die angespannte Haltung seines Gegenüber, dass dieser insgeheim darauf spekuliert hatte, er möge eine der Steilvorlagen nutzen. Zu welchem Zweck, das leuchtete Angel nicht ein. Doch bevor er sich Klarheit verschaffen konnte, entmaterialisierte sich Matthias kommentarlos. ~~?* Warum versuchte ich es nur immer wieder?! Als ob ich mich in zwei Personen spaltete, die gegeneinander arbeiteten. Einerseits war ich fest entschlossen, Angel zu trainieren, dass niemand mehr sich das Recht herausnehmen konnte, sich ihm unerwünscht zu nähern, andererseits verpatzte ich meinen Einsatz derart offenkundig, dass ich mein eigenes Vorhaben konterkarierte. Darauf lauerte, dass er mich besiegte, über mich verfügte. Ich hasste mich für diese Schwäche, die sich immer stärker meiner Gedanken bemächtigte, dieser lässlichen Sehnsucht, von ihm berührt zu werden, ihm nahe zu sein. Alles, was ich tat, war von lasterhaftem Eigennutz beschmutzt. Ich betrog mich und ihn, indem ich vorgab, was nicht einmal eine Sekunde lang vor meinen eigenen Augen Gnade finden würde. Das musste ein Ende haben!! Ich durfte mich nicht in seinem Sog verlieren. Musste endlich den Willen finden, mir selbst die Stirn zu bieten. ~~?* Angel schlenderte gelassen die Stufen zu ihren Flur hoch, ließ sich und Matthias Zeit, die Gedanken neu zu ordnen. Er nickte einigen Mitschülern zu, die ihm aufgeregt plappernd entgegen kamen, ihn beiläufig fragten, ob er denn nicht zur Theater AG gehen wolle, man suche gerade Mitspieler für eine Art Performance? Mit einem vagen Schulterzucken klinkte sich Angel aus der Neugierde seiner Kameraden aus. Es gab in seinem Leben schon genug experimentelle Aufführungen, die ihn in Beschlag nahmen. Das Letzte auf seiner persönlichen Bedarfsliste wäre eine Rolle in einer unverständlichen Farce. Im Zimmer angekommen fand er Matthias, wie dieser gerade noch immer nass von ihrem Wasserkampf seine Reisetasche aus dem Schrank zerrte. "Was soll das denn?!" Alarmiert umklammerte Angel einen der beiden Ledergriffe. Ein gutturales Knurren sollte ihn wohl auf Abstand halten, doch er gehorchte der Warnung nicht. "Willst du wieder abhauen?!" Angel ließ den Trageriemen fahren, baute sich vor der Zimmertür auf. "Na toll, ganz prima, mach nur, hau ab! Weißt du, ich habe dich bewundert für deine Stärke, deine Unabhängigkeit, aber ich habe mich wohl in dir geirrt! Mir sagen, ich solle stärker werden, ha!! Feigling!" Matthias klaubte seine Habseligkeiten mit mühsam kontrollierter Erregung zusammen, polterte nahezu unverständlich. "Du verstehst das nicht..." "Natürlich verstehe ich das nicht!", ereiferte sich Angel laut, "ich verstehe nie irgendwas!! Und warum?! Weil sich niemand die Mühe macht, mir etwas zu erklären!" Matthias steckte den Vorwurf weg, ohne in seinem fiebrigen Bemühen inne zu halten, sich aufbruchsbereit zu machen. "Ich lass dich nicht gehen, klar?!", Angel senkte den Kopf wie ein Stier, die aparten Wangenknochen leicht gerötet vor Wut, "ich hab diese theatralischen Ausflüge in das Einzelkämpfertum so satt!!" "Es ist mein Leben!", brüllte Matthias unvermittelt zurück. "Und ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, hier herumzuhängen! Ich tue, was ich will!" "Von wegen", giftete Angel zurück, "du rennst doch bloß weg!! Immer, wenn's kritisch wird, ziehst du den Schwanz ein und haust ab!" "Das... das ist.. .nicht wahr!", Matthias ließ die Tasche fahren, die Fäuste geballt, zum ersten Mal tatsächlich emotional engagiert. "Ach nein?! Dann hab doch die Güte und erklär mir, warum du ausgerechnet jetzt verschwinden willst?!" Matthias zitterte förmlich vor Anspannung, jedoch verließ kein Ton seine Lippen, allein die Stahlaugen korrodierten finster. Angel ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. "Na, was ist denn nun?! Ekele ich dich schon so sehr, dass du mir nicht mal mehr antworten kannst?! Komm schon, raus damit", triezte er weiter, schwang provozierend die Fäuste. Ohne aufzublicken, stopfte Matthias Habseligkeiten in eine Plastiktüte, die Zähne fest in die Unterlippe gegraben, als wollte er sie festnageln. Die dünne Kunststoffhülle hielt der Belastung seiner energischen Bemühungen, seine Besitztümer zusammenzuraffen, nicht lange stand, barst mit einem ächzenden Geräusch. Mit einem verächtlichen Schnalzen kommentierte Angel die Entwicklung, um im verbitterten Plauderton die einseitige Konversation wieder aufzunehmen. "Du bist nicht nur ein Feigling und ein Angsthase, sondern auch ehrlos. Du hattest mir versprochen, mir zu helfen und nun lässt du mich einfach hängen. Das ist so erbärmlich..." Matthias materialisierte sich blitzartig vor ihm, die offenen Hände zuckten, in den Stahlaugen kochte es schwärzlich, Blut der aufgebissenen Unterlippe sickerte in seine Mundwinkel. Zum ersten Mal verspürte Angel nun Furcht vor den erschreckenden inneren Kämpfen, die Matthias solcherart erschütterten, dass ihre Ausläufer ihn unkontrolliert zittern ließen. Er konnte sich nicht von dem unheimlich tosenden Wirbeln in den blaugrauen Augen losreißen, den tanzenden Sehnen unterhalb der warmen Gesichtshaut, den nun deutlich erkennbaren Krämpfen, den pfeifenden Atemzügen. »Ich habe ihn noch nie so aufgebracht gesehen...nein, nicht aufgebracht...verzweifelt. Gequält.« Ohne eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, hob Angel die Hand, näherte sich einer Wange, ob zum Schlag oder zu einer Liebkosung, als etwas in den Stahlaugen aufblitzte, die Bewegung verspätet registrierte. Reflexartig zurücktaumelte, dabei das Handgepäck streifte, trudelte. Angel griff ebenso unreflektiert zu, um einen vermeintlich drohenden Sturz zu verhindern, umklammerte die muskulösen Oberarme. Ein elektrischer Schlag entlud sich mit diesem Hautkontakt in seinem ganzen Körper, als hätte Matthias wie ein Akkumulator zuvor die innere Spannung angesammelt, um sie nun in einer einzigen Explosion glühender Energie abzugeben. Angel keuchte unter der Sensation der prickelnden Nervenbahnen. Seine Katzenaugen öffneten sich weit, erschrocken. Für einen Wimpernschlag lang glaubte er, in den Stahlaugen das gleiche Entsetzen lesen zu können. Dann grub sich eine Hand fest in seinen Nacken, während ihr Pendant seine Taille umschlang und er heißhungrig geküsst wurde. ~~?* Als ich ihn berührte, einen Herzschlag unaufmerksam war, knickten meine selbsterrichteten Barrikaden ein wie Streichhölzer. »Du hast nichts mehr zu verlieren«, schäumte ein wahnwitziger Gedanke in meinem von Strudeln überschwemmten Gehirn auf. »Und wenn es das letzte Mal ist... Lass es frei...« ~~?* Angel lechzte nach Luft, zitterte unter dem Ansturm der Liebkosungen, die unerwartet über ihn hereinbrachen. Wie schon bei ihrem ersten Kuss schien es, als sammele Matthias tief in seinem Inneren gewaltige Mengen an Lust, die sich nun von ihren Ketten befreit wie wilde Bestien austobten, die Macht über ihn gewannen. Die Hände, eine in seinem Nacken, die andere kreisend über seiner Kehrseite, brannten sich förmlich durch seine Haut, während er sich selbst an einen glühenden Körper gedrückt fühlte, der keinerlei Distanz zwischen ihnen erlaubte. Unsicheren Schritts taumelte er in der atemraubenden Umklammerung in die Raummitte, fand sich gegen die Schreibtischplatte gedrängt, von heißen Küssen beregnet, die ihn mit frenetischem Einsatz bedeckten. Er fühlte sich wehrlos dem Fiebertaumel ausgeliefert, der wie eine Droge über die aufgebissenen Lippen in seinen Leib eindrang, ihn aufforderte, sich an dem wahnsinnigen Reigen zu beteiligen. Ein metallisch-schmeckender Cocktail, garniert mit Salz, Verbitterung und aufbrausender Wut. Als sich Matthias' Zähne schmerzhaft in seine Zungenspitze gruben, ihr Marodieren in seinem Mund zu grob wurde, machte sich Angel mit einem erstickten Ächzen los. Wischte sich mit dem Handrücken über die malträtierten Lippen, seinen fliegenden Atem mühsam bezähmend. Warf verunsicherte Blicke auf Matthias, der noch bebender als zuvor vor ihm stand, die Schultern hängend, den Kopf gesenkt. Erst als sich eine glasklare Perle von seinem Gesicht löste, zu Boden stürzte, erkannte Angel, dass Matthias weinte. Scheu tastete er in Ermahnung an die vorhergehende Reaktion nach einer Wange, in der behutsamen Geschwindigkeit, derer man sich bediente, wollte man ein wildes Tier locken. Matthias' Kopf schnellte hoch. Die Fäuste ballten sich, in den Stahlaugen loderte es taghell. "Ich... hasse ...es!!", setzte er zu einem stockenden Zornschrei an, wie gewöhnlich nur unter großer Anstrengung in der Lage, seine Emotionen in Worte zu sperren. Angel erstarrte ehrfürchtig. Das Feuer, das ihm entgegenschlug, stand dem ungezähmten Hunger in den Küssen, die ihn bestürmt hatten, keineswegs nach. "Ich HASSE...", Matthias' aufgeraute Stimme barst krächzend. In Ermangelung der Worte fauchten seine Fäuste zerschmetternd durch die Luft. "Diese... ganze.... Scheiße!!" Matthias schnappte nach Luft, bereits die nächste Anklage auf der Zunge. Angel nutzte die Atempause, um sich wieder in das Geschehen einzubringen, die Gelegenheit nicht auszulassen, um Matthias endlich einmal etwas Persönliches entlocken zu können. "Was hasst du? Mich?" "Nein!!!", funkenschlagend wurde er förmlich von den Stahlaugen auf Höllenfeuer gegrillt. "Das Zimmer? Die Schule?", soufflierte Angel weiter, ein winziges Schmunzeln in den Mundwinkeln. »Er ist derart außer sich, dass er sprachlos wird...irgendwie niedlich. Wer hätte das gedacht, wenn man ihn sonst so zynisch formulieren hört?« Ein Knurren forderte seine Aufmerksamkeit wieder ein, sodass er mit einer gespielt verwirrten Miene eine weitere Option in die Debatte warf. "Den Sommer? Die Hitze?" "NEIN!" Matthias sammelte sich mit der Verbissenheit eines trotzigen Kindes, das nun endlich und zwar ohne die Unterbrechung von begriffsstutzigen Erwachsenen seine Meinung zu Gehör bringen wollte. "Diese beschissene Situation!!" Tiefes Luftholen, Konzentration. "Ich hasse es, wie ich mich verhalte! Ich hasse es, dass mein Leben total vermurkst ist!! Ich hasse es, dass ich so abhängig bin!!" Während Angel noch verwirrt Worte und die eigene Einschätzung in Einklang zu bringen suchte, tigerte Matthias unruhig im Zimmer auf und nieder, als könne die körperliche Betätigung ihn ablenken, den Aufruhr in seinem Inneren besänftigen. Sein brennender Blick blieb bei Franks gerahmten Selbstporträt über Angels Bett hängen. "Und ihn", den Arm anklagend ausgestreckt, "ihn hasse ich über alles!!" Angels Augenbrauen zogen sich düster zusammen. "Ach ja? Warum?! Er hat dir nichts getan, du hast Frankie ja nicht mal kennengelernt!" Matthias schnellte herum, Triumph in den Augen. "Vollkommen korrekt!", fauchte er, "aber das ist bei Heiligen doch immer so, oder nicht?!" "Heiligen?", echote Angel lauernd, vermutete, dass Matthias einen Ausfall beabsichtigte, um von seiner Selbstoffenbarung abzulenken. "Na, das ist er doch, oder? Eine richtige Lichtgestalt, der unfehlbare Frankie! Unerreichbar, eine nicht zu schlagende Konkurrenz, da er ja praktischerweise nicht mehr unter uns weilt!" Angel knurrte zornig, hielt sich nur mit Mühe zurück. Auf Frankie würde er nichts kommen lassen, da konnte Matthias noch so hilfsbedürftig sein!! "Du hast ihn zu einer Ikone hochstilisiert. Niemand kann eurer perfekten Liebesgeschichte das Wasser reichen...", Matthias verstummte, plötzlich seelenruhig, resigniert. "Quatsch, Ikone, Lichtgestalt!! Du redest gerade so, als wäre er kein normaler Mensch gewesen! Und überhaupt, was hat Frankie mit dir zu tun?!" "Gar nichts", giftete Matthias postwendend zurück, doch seine Replik kam zu hastig, zu gereizt, um Angels Aufmerksamkeit zu unterlaufen, der akut eine Erkenntnis hatte, die er nicht im Streit untergehen lassen wollte. "Moment mal...hier geht es doch gar nicht um Frankie, oder?", scharf fasste er Matthias ins Auge, der ihm unwirsch den Rücken kehrte. "Du bist eifersüchtig... richtig? Du glaubst, Frankie wäre eine Konkurrenz...nicht wahr? Du bist in mich verliebt." "Blödsinn!", spie ihm Matthias förmlich ins Gesicht, "ich bin nicht in dich verliebt, klar?!" Angel jedoch lächelte nachsichtig. Warum sonst sollte Matthias so ungnädig gegenüber seinem verstorbenen Freund sein, wenn er nicht selbst...? "Wenn du nicht in mich verliebt bist, warum hast du mich dann geküsst?", beendete er in sanftem Spott seine Beweisführung, als Matthias vor ihm explodierte. "ICH BIN NICHT VERLIEBT!! Hörst du, ich bin nicht verliebt!!" Angel schauerte unter dem Wutschrei, der animalische Qualitäten hatte, blinzelte hastig, um seine Fassung zurückzugewinnen. Matthias zitterte vor ihm wie zuvor. Sein ganzer Leib schüttelte sich unter Spasmen, als entluden sich die trainierten Muskeln unkoordiniert. Seine Atemzüge klangen wie Schluchzer, aus tiefster Seele, untröstlich. Die offenen Hände zuckten ins Leere, den Blick gewaltsam auf den Fußboden gebannt. Auf ein lautloses Signal hin verharrten die ungebändigten Sehnen und Muskelstränge jedoch nacheinander, als sammelten sie sich für eine letzte, über alle Kräfte schlagende Anstrengung, bis endlich der gesamte Leib vollkommen reglos blieb. Angel widerstand dem Bedürfnis zurückzuweichen, auch wenn sich ihm am ganzen Körper die Haare aufstellten, er die flirrende Energie in der Luft knistern zu hören glaubte. Dann hob Matthias langsam den Kopf. Die Stahlaugen glänzten feucht, ohne dabei etwas von ihrer Härte einzubüßen. "Es ist viel schlimmer", flüsterte er kaum hörbar. "Ich liebe dich." ~~?* Ich hatte es ausgesprochen. Als seine Pupillen sich weiteten, die schmalen, so köstlichen Lippen sich teilten, da war ich sicher, dass er die entsetzliche Kunde vernommen hatte. In mir gähnte eine unendliche Leere. Ich war erschöpft. Ausgelaugt. Über meine Grenzen hinaus gegangen. Von meiner Wut verlassen. Ende. Aus. ~~?* Angel registrierte ungläubig, wie Matthias' Augenlider sich senkten, fast anmutig seine Knie einbrachen, in einer Lautlosigkeit, die ihn umso stärker aufschreckte. Er warf sich nach vorn, umklammerte den Stürzenden und fing, ebenfalls auf die Knie sinkend, den Fall ab. Als er eine flache Hand auf die glühende Wange legte, flatterten Matthias' Lider bereits wieder. Es musste sich um eine nur Sekunden dauernde Schwäche des Kreislaufs gehandelt haben. Angel hielt ihn weiterhin in seinen Armen, strich mit der Hand beruhigend über den Rücken, während er selbst versuchte, mit den Ereignissen wieder auf gleiche Höhe zu kommen. »Was hatte er...? Aber...?! Er... Er liebt... mich... Noch... schlimmer?« Die Hand, die sich unbemerkt in seinen Nacken geschlichen hatte, massierte nun behutsam mit Daumen und Zeigefinger seine angespannten Sehnen. Doch Angel konnte es noch nicht über sich bringen, erneut diesen Stahlaugen zu begegnen. "Wieso...", wisperte er unsicher in Matthias' Ohr, "... wieso ist das... noch schlimmer?" Warme Atemzüge streichelten seine Schulter durch die Struktur des Netz-Tops. Dann erst, als müsse er erneut die Worte sammeln, raunte ihm Matthias heiser seine Antwort in die weißblonden Haare. "Weil ich mich nicht wehren kann." Ein tiefer Atemzug. "Ich hasse mich dafür, dass ich alles tun würde... dass es mich nicht kümmert, was ich sein will... dass ich lieber in deiner Nähe bin, als für mich selbst einzustehen... dass es mir egal ist, ob ich meine Prinzipien verletze..." Angel lehnte sich vorsichtig zurück, schüttelte langsam störende Strähnen aus seinem Gesicht, um einen mutigen Blick in Matthias' Stahlaugen zu wagen. "Ich finde... das nicht besonders schlimm", hauchte er besänftigend, doch die Reaktion entsprach nicht seinen Erwartungen, denn Matthias machte sich eilends und nicht gerade behutsam los. "Na klar", sprang er hoch, bereits wieder in Abwehrhaltung, "dir muss das ja auch nichts ausmachen, du kannst ja mit mir spielen wie einer Marionette!!" Angel kam nicht weniger gelenkig hoch, funkelte verärgert zurück. "Du tust gerade so, als hätte ich nichts anderes im Kopf, als ständig alle in meiner Umgebung zu manipulieren!!" "Du weißt doch gar nicht, wie du auf andere wirkst!", brüllte Matthias gedankenlos zurück. Angel lachte auf, schrill und bitter. "Ach nein? Da habe ich andere Erfahrungen machen müssen...", er hielt inne, als er Matthias' fahl-bleiches Gesicht gewahr wurde. »Er wird doch nicht wieder umfallen?!«, sprang er hastig auf diesen zu. "Das hat keinen Sinn", murmelte dieser tonlos, um mit fahriger Geste nach seiner Tasche zu greifen, verfehlte jedoch im ersten Anlauf die Riemen. "Toll", knurrte Angel enerviert, "du liebst mich, aber du verschwindest lieber?! Soll das jetzt ritterlich sein? Nur zu meinem Besten?" "Du kapierst einfach nicht!!", Matthias krächzte, den Tränen nahe. "Ich bin nicht wie er!!", seine Hand markierte Frankie, "ich will dich nicht bloß anhimmeln!" Er zog die Nase hoch, umklammerte sich selbst an den Ellenbogen, als könne dies verhindern, dass noch mehr aus dem Käfig seiner selbst entfloh, doch vergebene Mühe. Seine Unterlippe zitterte unkontrolliert, die üblicherweise dunkle Haut zierten hektische Flecken. "Ich will dich, verstehst du nicht?! Ich bin schlimmer als ein Tier, genauso ein Vieh wie dein Vater oder Gitano!!" Angels Gesichtsfarbe wechselte ebenfalls. Langsam sickerte Erkenntnis in sein Bewusstsein, während er ungläubig verfolgte, wie sich der unnahbare Kämpfer Matthias in einen verzweifelten Gleichaltrigen verwandelte, der vor Liebesqual nicht mehr ein, noch aus wusste. »Darum also hat er versucht, mich nicht mehr anzufassen... ist mir ausgewichen. Oder auf Gitano losgegangen... Und...« "...wolltest du", Angel räusperte sich, weil seine Stimme ihren Gehorsam schuldig blieb, "... wolltest du... deshalb.. dass.. ich mich..wehren kann? Auch... gegen... dich?" Matthias' Reaktion, von trostlosem Schluchzen begleitet, mündete in ein zustimmendes Schulterzucken. Plötzlich fühlte sich Angel auch unsicher auf den Beinen. Die schiere Vorstellung, mit welchen Methoden Matthias sich bemüht hatte, ihn vor sich zu schützen, war rührend und schmerzlich zugleich. Ohne bewusste Entscheidung, sich seinem Instinkt überantwortend, durchbrach er die Distanz zwischen ihnen und schlang die Arme Halt suchend um Matthias' Nacken, der nach einigen verunsicherten Atemzügen vorsichtig die Umarmung erwiderte. Sie hielten einander fest, bis vermehrtes Türenschlagen zum Abendessen rief. ~~?* Nach einer schweigsamen Mahlzeit, bei der sie sich zaghaft im Auge behielten, zögerlich die ersten Schritte aufeinander zu wagten, trennten sie sich an der Tür des Speisesaals. Angel verstand ohne Erklärung, dass Matthias eine Auszeit benötigte, die er zweifelsohne mit einem Kampftraining verbringen würde, während er selbst ebenfalls die Gelegenheit zu einer Revision der letzten Stunden nutzte. ~~?* Es war still in mir. Nicht die Leere, in die ich gestürzt war. Einfach eine beseelte Ruhe. Keine boshaften Stimmen. Hatte es sie vertrieben, dass er mich nicht abgewiesen hatte? Denn... er hatte mich... doch ... nicht..? Nein. Ich konnte endlich atmen ohne den erstickenden Ring um meine Brust. Mich wieder konzentrieren. Mit der Luft verschmelzen, ihre Flanken pfeilschnell aufreißen. Meine eigenen Grenzen spüren. ~~?* Angel sortierte mit musikalischer Untermalung Wäschestücke ein, faltete gerade die Reisetasche handlich zusammen, um sie neben dem verschlissenen Koffer im Schrank zu platzieren. Er erwiderte Matthias' unverwandten Blick furchtlos. "Ich habe dein Zeug ausgepackt." Eine Feststellung bar jeden Triumphs oder Machtwillens. Matthias zupfte ein Ende seines verschwitzten Hemds hoch, um sich über die Stirn zu fahren, offensichtlich unschlüssig, wie es weitergehen sollte. Ob er sich über den Eingriff in seine Privatsphäre beschweren oder aber kommentarlos diese Eigenmächtigkeit hinnehmen sollte. "Mir ist gerade klar geworden, dass ich eigentlich gar nicht besonders viel über dich weiß", führte Angel die einseitige Unterhaltung fort, schoss einen inquisitorischen Blick zwischen hellblonden Strähnen ab. Matthias ließ den Hemdzipfel sinken, die Stirn in krause Falten gelegt. "Ich habe dir von meinen Eltern erzählt...", stellte er richtig, doch Angels wegwerfende Handbewegung hieß ihn schweigen. "Deine Eltern, entschuldige, wenn ich das so sage, interessieren mich im Augenblick überhaupt nicht. Ich will mehr über DICH wissen." Angel lächelte über die Verlegenheit in Matthias' Haltung, das kaum verständlich genuschelte "gibsnichszuerzähln", die vage Ausweichbewegung Richtung Bad. "Warte mal", hielt er Matthias auf, wirbelte auf den nackten Fußsohlen herum, um die Lautstärke der Musik zu erhöhen. Dann streckte er die Arme nach Matthias aus. "Komm." Dieser blinzelte ratlos, verstand offenkundig nicht. Angel kicherte amüsiert, trat auf Matthias zu, um wie zuvor vertraulich eng die Arme um seinen Nacken zu schlingen. "Als Erstes", hauchte er in dessen Ohrmuschel, "will ich wissen, wie du tanzt." "Ich... ich bin ganz verschwitzt", krächzte dieser beschämt, mehr als bemüht, Abstand von Angel zu gewinnen, ohne diesen kränkend von sich zu schieben. "Dann reibe dich doch an mir trocken", wisperte Angel mit lasziven Schnurren, schmiegte sich nun hautnah und in dem getragenen Rhythmus des Lieds an Matthias. Ergeben schlangen sich Augenblicke später dessen Arme beschützend um seine Taille, folgten seiner sanft wiegenden Bewegung. Und Angel hauchte Wort für Wort in Matthias' Ohr. ~~?* fundamentally loathsome (by Marilyn Manson) I want to wake up in your white, white sun I want to wake up in your world with no pain but I'll just suffer in a hope to die someday while you are numb all of the way when you hate it you know you can feel but when you love it you know it's not real no and I am resigned to this wicked fucking world on its way to hell the living are dead and I hope to join them too I know what to do and I do it well... when you hate it you know you can feel but when you love it you know it's not real no shoot myself to love you if I loved myself I'd be shooting you ~~?* "Traurig, nicht wahr?", kommentierte Angel samtig die Melodie, ließ sich noch in die ausufernde Stille tragen, die Stirn in Matthias' Halsbeuge geschmiegt. Dann, als sei er entschlossen, den dichten Zauberbann, der auf ihrer einmütigen, zärtlichen Bewegung lag, zu zerstreuen, schüttelte er übertrieben heftig seine Glieder aus und zwinkerte Matthias zu. "Okay, Tanzen ist in Ordnung... mal sehen, was will ich als Nächstes wissen?!" Ohne Matthias' leichten Unwillen zu beachten, zerrte er diesen kurzerhand auf sein Bett, platzierte ihn an der Wand, während er sich selbst auf die vordere Kante rollte, die Augen demonstrativ gegen die Zimmerdecke gewandt. "Hmmm....deine Lieblingsfarbe... dein Leibgericht... Buch... Musik.. Film...", sammelte er vergnügt, sich durchaus der steifen Haltung Matthias' bewusst, der versuchte, sich so kompakt und klein wie möglich in dem schmalen Bett zu machen. "Gut, erste Frage... was ist deine Lieblingsfarbe?" Matthias starrte verbissen an die Zimmerdecke, woraufhin sich Angel demonstrativ auf die Seite rollte, sein Profil ungeniert studierte. "Meine Lieblingsfarbe ist Gold. Altgold, wie auf antiken Bilderrahmen." Als Matthias noch immer vor sich hin schwieg, versetzte Angel ihm einen aufmunternden Rippenstoß. "Na komm, Lieblingsfarbe?", zwitscherte er munter. "...Grün." Angel langte mit einer Hand zu Matthias hinüber und kniff diesen neckend in die Nasenspitze. "Meine Augen sind auch grün, nur zu deiner Information...", flirtete er frech, erntete dafür ein Schnauben. Erfreut darüber, dass Matthias sich, wenn auch widerwillig, Persönliches entlocken ließ, setzte Angel nach. "Was isst du am Liebsten, hmm?" "... selbst gemachte... Pizza...", grummelte es aus den Tiefen des Bettes. "Hey, kochst du auch gern selbst?! Cool! Ich mag am Liebsten Lasagne und Nuss-Nougat-Crêpe!" Angel schmatzte lautmalerisch und rieb sich den flachen Bauch. "Davon könnte ich Berge verdrücken!" Er legte sich einen angewinkelten Arm unter den Kopf und grübelte über die nächste Frage nach. "Was liest du gern?" Keine Reaktion. Angel wandte den Kopf herum, stupste mit einem spitzen Finger in Matthias' Seite. "Na?" Murmeln, unverständlich. Grinsend rollte sich Angel auf die Seite, stützte das Kinn auf eine Hand auf. "Mann, das muss ja wirklich was sehr Verwerfliches sein, wenn du so ein Geheimnis darum machst", triezte er neugierig. "Lehrbücher", knurrte es ihm nun klar artikuliert zu. "Lehrbücher?!", Angels Stimme konnte den Unglauben nicht ganz bemänteln, der in ihr schwang. "Warum denn Lehrbücher?" Matthias rollte sich zur Wand. Angel grinste diebisch. Das stellte nun wirklich eine Steilvorlage dar, wenn man sich doch so unbedingt keine Blöße geben wollte! Ohne Zögern pirschte er sich heran, um sich hauteng anzuschmiegen und dabei sanftpfotig in Matthias' Nacken zu flüstern. "Sag schon, hmm?? Bitte.... Matti..." ~~?* Wir hätten genauso gut unbekleidet sein könnten. Seine Brust an meinem Rücken durchdrang mich mit ihren Herzschlag unter den Rippen, der sengenden Hitze, die von ihm ausging, als wären wir eins. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein Spiel irritierte mich, und ich fürchtete, dass ich in meiner Verunsicherung wieder gewalttätig werden könnte. Warum las ich Lehrbücher?!, versuchte ich mich verzweifelt auf die letzte Frage zu konzentrieren, einen halbwegs intelligenten Antwortsatz zusammenzuschustern. Weil ich selten andere Bücher zu Gesicht bekommen hatte? Weil ich neugierig war, wissbegierig? Weil ich glaubte, mit Klugheit meine Feinde bezwingen zu können? Doch er beharrte nicht auf einer Antwort, rieb stattdessen mit leisen Wohlgeräuschen seine Wange an meiner Schulter, erzählte von den Büchern, die er gern las. "Sag mal", drang unerwartet direkt und aufmerksam seine Stimme an mein Ohr, lehnte er sich zurück, "wollen wir morgen mal Kassetten tauschen? Du bekommst meine Musik, und ich höre in deine rein?" Das war keine gute Idee, absolut nicht! Bevor ich jedoch ansetzen konnte, ihm energisch diesen Vorschlag auszureden, hatte er sich vollends von mir gelöst und lagerte nun wieder in Distanz auf dem Rücken, den Blick gen Zimmerdecke gerichtet. "Ich bin wirklich gespannt, was dir so gefällt", murmelte er eher selbstvergessen. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Was meine versiegelte. Wie konnte ich es ihm verweigern?! Unmöglich. Dann zwinkerte er mir zu. "Warum fragst du mich nichts? Willst du denn gar nichts von mir wissen?" Was sollte ich ihm antworten?! Ich wollte wissen, alles, selbst Dinge, die ich eigentlich nicht erfahren wollte. Aber mir war es unmöglich, sie zu formulieren, greifbar zu machen. ~~?* Selbst im Halbschatten der einbrechenden Nacht, ungeschützt ohne das Nachtlicht, konnte Angel ausmachen, dass Matthias mit sich rang. »Vielleicht sollte ich das Gleichgewicht ein wenig zu meinen Gunsten austarieren«, entschied sich Angel mit diabolischem Grinsen. "Ich verstehe...du hältst es mit der Gentleman-Order... genießen und schweigen. Aber vielleicht... vertraust du mir auch einfach nicht." Unruhiges Zappeln neben ihm, somit ein Volltreffer. "Da man Vertrauen ja nicht erzwingen kann, werde ich es dir einfach machen: ich vertraue dir. Und erzähle dir von mir, ohne dass du etwas sagen musst, okay?" Es war weder besonders fair, noch ausgesprochen rücksichtsvoll, Matthias' Ehrenkodex derart zu missbrauchen. Angel war sich dessen nur zu bewusst, andererseits war er überzeugt, dass es des schäbigen Tricks wert war, um ihm näher zu kommen. Er setzte sich auf, um sich das Hemd über den Kopf zu streifen, es achtlos von sich zu schleudern, sich dann neben Matthias auf die Matratze zu knien. "Siehst du das?" Seine Hände umfassten Matthias Hand besänftigend, hoben sie dann auf seine linke Brustseite, legten die wärmende Fläche direkt über die Tätowierung. "Die habe ich nach meinem 12. Geburtstag bekommen. Sozusagen der Preis... für..." Angel brach ab, schluckte. Er wollte doch gelassen und heiter darüber hinweggleiten, sein Vorsatz scheiterte aber an den aufgewühlten Erinnerungen. Er sammelte sich mit aufeinander gepressten Lippen, blinzelte aufwallende Tränen hinweg. "Na ja... wie auch immer... jedenfalls ist es ein Efeublatt... ein giftiges.." Mit einer Hand Matthias' eingefangene auf der Brust haltend stützte er sich auf der anderen ab, um sich tief über jenen zu beugen. "Zuerst... wickeln sie ihr Opfer ein...die Efeuranken... und dann...", wisperte er an Matthias' Lippen, "dann schlagen...sie ihre Dornen hinein...senden ihr Gift aus... verseuchen... verschlingen..." Angel raunte kehlig, nur noch einen Wimpernschlag von Matthias' rasch fliehenden Atemzügen entfernt, "fürchtest du...dich nicht?" Dieser befeuchtete sich hastig die Lippen, während seine Augen zwischen Angels Mund und seinen halb gesenkten Lidern irrlichterten. "Du bist nicht böse." Diese Replik traf Angel unerwartet, ebenso wie der ungewohnt helle, fast kindlich-klare Klang von Matthias' Stimme. Irritiert setzte er sich auf seine Fersen zurück, nun nur noch durch die Hand auf seiner Brust mit Matthias verbunden. "Was?!", wisperte er perplex. Matthias blieb ihm die Repetition seiner Antwort schuldig. Stattdessen streiften seine Fingerspitzen in kaum wahrnehmbaren Strichen über Angels tätowiertes Herz. Der lächelte verunsichert, rollte sich eng neben Matthias auf die Matratze zurück, um ihn mit aufgestütztem Kinn eingehend zu studieren, ungeachtet der Dämmerung in ihrem Zimmer. "Willst du mir etwas erzählen?", erkundigte er sich leise, legte die freie Hand auf Matthias' Brust. Als er keine Antwort erhielt, schmiegte er sich einfach an dessen Schulter und schloss die Augen. Man musste es ja nicht forcieren, nicht wahr?! ~~?* Es erschien mir beinahe unerträglich, ihn zu spüren und mich nicht regen zu dürfen. Ich wollte mich regen! Und damit gegen meine eigenen Grundsätze verstoßen, mir einen unsportlichen Vorteil verschaffen. Mich auf eine Stufe stellen mit all den Bestien, die bereits vorher rücksichtslos über ihn hergefallen waren. Nein. Ausgeschlossen. Jedoch gab es eine andere Möglichkeit, ihm ein wenig seiner Freundschaft zu vergelten. ~~?* Überrascht bemerkte Angel eine sanfte Bewegung an seiner Seite, dann umfasste Matthias behutsam, als handele es sich um feinstes Porzellan, seine Hand, dirigierte sie vorsichtig tiefer in Höhe seines Bauchnabels. Wählte Angels Zeigefinger, um mit leichtem Druck auf dessen Nagel die narbenversehrte Haut zu markieren. Aufmerksam lauschte Angel den knappen Worten, vervollständigte im Geist die Landkarte der wulstigen, sich weiß absetzenden Narben, die im Laufe ihrer Entstehung ein Sonnengeflecht bildeten. "Die erste...weil meine Eltern mich nicht mehr liebten als andere Kinder. Eitelkeit und enttäuschter Stolz", die lakonische Begründung. "Bei dieser habe ich Gott verloren." "Einen Mitschüler zusammengeschlagen." "Noch eine Prügelei mit Schwächeren." "Einen Andachtsraum verwüstet." "Bei einer Aufnahmeprüfung versagt." "Nach Hause zurückgekehrt und geheuchelt, weil ich es nicht allein aushielt." "Ein Buch gestohlen." Die warme Haut unter Angels prickelnden Fingerspitzen entfaltete sich wie ein sich ständig erweiternder Horizont. Zuerst ein Flügelpaar um den Nabel, dann eine Windrose, die größere Ausdehnung erfuhr. "Ein Schwur, nicht mehr davonzulaufen, sondern zu kämpfen." Diese Narbe wirkte gewaltiger als die übrigen, tiefer, verheerender in ihrer lederartigen Struktur. "Und diese hier?", hauchte Angel, bestrich vorsichtig eine Stelle, die glühender als ihre Umgebung zu brennen schien, noch nicht verhärtet war. Die jüngste Narbe. Matthias hatte sie sich vor seinen Augen eingebrannt. Wenigstens durfte er sie anschließend versorgen. Dessen Hand hielt seine Fingerspitzen fest. Angel schob sich quer über Matthias' Brust, ignorierte das erschrockene Zucken unter sich, die eintretende Starre. "War es... wegen meinem Hals...oder...", er blies sanft über die weichen, nun wie gemeißelt geschlossenen Lippen, "weil du... mich liebst?" Auch wenn er kaum mehr als Silhouetten erkennen konnte, so spürte er doch genau, wie Matthias, einer physischen Flucht nicht fähig, sich in Ermangelung innerlich zurückzog, in sich selbst verkroch. Wollte er die Antwort nicht geben, oder zögerte er sogar, sie herauszufinden? Mit einem nachsichtigen Schnurren bettete sich Angel bequem auf den angespannten Muskeln, schloss die Augen. "Du hast damals eine Menge ziemlich gemeiner Sachen gesagt", murmelte er, fast träumerisch, gedankenverloren. "Über Frankie, über meine Überzeugungen. Nicht mal meine Freundschaft wolltest du akzeptieren...", er kicherte müde, "hast lieber den Soziopathen raushängen lassen wegen dem blöden Schrieb von diesem Psychiater. Ich fand es damals wirklich niedlich, wie tapfer du den Einsiedler gegeben hast", Angel schob einen Arm unter Matthias' Achsel, richtete sich komfortabel an dessen Brust ein, "aber am Besten gefiel mir, wie du in dem finsteren Waschkeller meine Hand gehalten hast." Er konzentrierte sich auf die regelmäßigen, einlullenden Herztöne unter sich, als Matthias ihm überraschend antwortete. "Ich glaube, ich habe damals nicht ein einziges ehrliches Wort gesagt... na ja, Selbsttäuschung inbegriffen", ergänzte er in Reminiszenz an eine wenig schmeichelhafte Selbstverurteilung lakonisch. "Und ich hätte... dich ...fast...", er schluckte hart, "...erwürgt..." Angel lachte leise, rieb die Wange an der groben Struktur des Hemds, das sie trennte. "Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass du so stark auf mich reagieren würdest", neckte er friedfertig. Matthias unter ihm stählte unversehens alle Muskeln, unnachgiebig und hart. Angel begriff nur zu gut, nun, da er Matthias' Gefühle einordnen konnte. Der war konsequent, gestattete sich keinerlei Schwächen und hatte nun durch ihn sein persönliches Waterloo durchlitten, mehrfach seine so mühsam errungene Selbstbeherrschung verloren, seine Unabhängigkeit und seine altklugen Lebensweisheiten. "Du fürchtest noch immer, mir etwas antun zu können, richtig?", kommentierte er leise, gab vor, die ganzkörperliche Verspannung unter sich nicht zu bemerken. "Wenn ich nun", Angels Finger zeichneten müßige Schnörkel über dem trommelnden Herzschlag, "wenn ich nun mit dir trainieren würde...?" Als ihm keine Antwort zugebilligt wurde, nutzte er ohne Reue seine intimen Kenntnisse von Matthias' verzögerter Reaktion auf bestimmte Reize aus. Er stemmte sich hoch, robbte dann in ungehinderter Tuchfühlung über Matthias' Torso, um diesem von oben herab konzentriert in die Augen zu starren. "Wenn ich verspreche, mich ernsthaft zu bemühen?", hakte er nun sehr viel weniger samtig nach, demonstrierte seine Entschlossenheit. In der vagen Vermutung, er könne Matthias paralysiert haben, da dieser sich nun gar nicht mehr regte, nicht einmal mehr Luftzuholen wagte, beugte er sich runter und benetzte provozierend dessen Lippen mit einer vorwitzigen Zungenspitze. "Sag ja", soufflierte er rollig, rieb die Nasenspitze an Matthias', streifte mit den losen Strähnen immer wieder dessen Wangen. "...ja", krächzte es eilig unter ihm, und Angel zweifelte nicht, dass Matthias' Gesicht fiebrig glühte. "Danke schön", schwelgte er gnadenlos euphorisch, brannte einen Schmetterlingskuss auf die zuckenden Lippen, bevor er sich zufrieden schnurrend neben Matthias einrollte und in Schlaf fiel. ~~?* Ich konnte nicht glauben, dass er einfach einschlief... doch tat er es. So, als habe unsere Auseinandersetzung niemals stattgefunden, als wisse er nicht, welche Gefahr ich für ihn darstellen konnte. War er nur leichtsinnig bis zur Dummheit, oder vertraute er mir tatsächlich so rückhaltlos, wie er es angekündigt hatte?! Vielleicht aber waren wir uns doch ein wenig ähnlich, und er verließ sich darauf, dass mein Ehrenkodex in Kombination mit seiner Unschuld mich hindern würde, ihm zu nahe zu treten. Genau so, wie er zweifellos einkalkuliert hatte, dass ich seine Offenbarungen mit einem eigenen Geheimnis erwidern würde...erwidern musste. Nein...ich spürte ein fraglos dämliches Grinsen über mein Gesicht irren, auch wenn Eitelkeit sicherlich nicht schmeichelhaft ist, ich freute mich darüber, dass meine Wahl... nun, nicht unbedingt Wahl im Sinne der freiwilligen, bewussten, reiflich überlegten Entscheidung...ja, meine Wahl einen klugen und strategisch versierten Menschen getroffen hatte. Die Stimmen buhten und blökten auf Kommando los, 'wie erbärmlich muss man sein, um von der anderen Seite Hilfskonstruktionen zu benötigen, um den eigenen Willen zu befriedigen?!' Ich ignorierte sie, was mir leicht fiel, da sein warmer Atemhauch über meiner Brust winzige Turbulenzen auslöste. Kreischt, pöbelt und tobt nur... wenn das der Weg ist, wie wir zueinander finden, dann kümmert mich weder Stolz, noch Eitelkeiten! ~~?* Kapitel 4 Angel erwachte am nächsten Morgen mit einem schwerfällig startenden Schädel, was seine Laune bedenklich beeinträchtigte. Zudem fand er sich allein, die ungewechselten Kleider der Trainingsstunde klebten unangenehm an seinem Körper und die Luftfeuchtigkeit beabsichtigte, tropische Rekorde anzustreben. Kurzum, ein Tag, der wahrlich alles andere als geeignet schien, sich mit zwei Leistungsklausuren zu plagen und danach noch unter Mattis Händen in ein muskelgestähltes Kampfmonster zu mutieren! Einen engen Ring migräneartiger Schmerzimpulse um den Kopf schleppte sich Angel eher missmutig und wortkarg durch den Vormittag. Selbst das Mittagessen, leichte Crêpes mit Obst, konnte seine Stimmung nicht heben. Nachdem die letzte Nachmittagsstunde beendet war, sich eingereiht hatte in den Reigen der nebulös verstrichenen Zeit in Angels getrübtem Verstand, strebte er erschlagen das gemeinsame Zimmer an. Versenkte eilends eine hohe Dosis Kopfschmerzmittel, um sich dann, ein kühlendes Tuch über die geschlossenen Augen platziert, auf dem eigenen Bett auszustrecken. Mit gelinder Neugier auf die Musikkassette, die er Matthias mit einigem Piesacken und Necken entschmeichelt hatte. Sie war vollkommen unbeschriftet, ohne eine Hülle, als sei sie selbst bestrebt, nichts von ihrem Geheimnis preiszugeben, ja, umgab sie tatsächlich der Air von etwas Verbotenem! »Mitschnitte aus dem Radio, vielleicht ein paar Aufnahmen von anderen Tonträgern«, spekulierte Angel und fragte sich dann verblüfft, wann er Matthias eigentlich mit einem entsprechenden Abspielgerät gesehen hatte. Natürlich, es war ihm untergekommen, als er ungefragt und mutwillig dessen spärlichen Besitz in den bislang vakanten Schrank geräumt hatte! Doch schien Matthias nicht dem Bedürfnis nachzuhängen, sich mit Musik in den Ohren abzusondern, wie er selbst dies tat. Nicht unverständlich aber, wenn man um dessen Sehnsucht nach Stille wusste. Würde seine Musik nun gegen die geheimnisvollen Stimmen anschreien, die Matthias gelegentlich erwähnte?! Oder wäre es eine Varianz von Stille, meditativ, beruhigend? »Ich höre hinein, bis er kommt, um mich wegen des ausgefallenen Trainings zu tadeln«, beschloss Angel und schob sich den Kopfhörer über die feuchten Strähnen. ~~?* cage of desire (Secret Discovery) you caught my dreams and raped all my love and destroyed sweet memories are gone too far they may come back when the pain is over but i can't find no sleep in this prison surrounded with flames of your untouched body in my distress i'll be stronger like a beast of prey i will tear you to pieces living in this cage of my desire and there is no way out losing my reason, i lose my pride i long for touching you end my ache, end my pain and let me play with you radiate as the sun and let me get you you took away my pride you captivate my joy but you will see it's not forever at some time i will be strong enough then i'll possess you you shouldn't turn you shouldn't sleep you shouldn't dream and don't rely on your power living in this cage of my desire and there is no way out losing my reason, i lose my pride i long for touching you end my ache, end my pain and let me play with you radiate as the sun and let me get you ~~?* Als ich nach vergeblichem Warten in unser Zimmer platzte, panisch vor Sorge, Angel wäre etwas zugestoßen, man hätte ihm erneut aufgelauert, lag er regungslos in dem von Schatten verdunkelten Bett. So still, dass ich im Türbogen erstarrte, mein Herz den Takt verfehlte, eiskalte Schauer mich durchtosten. Dann erst bemerkte ich das anmutige Heben und Senken seiner flachen Bauchdecke, tiefe Atemzüge, doch nicht die des Schlafs. Er hatte mich nicht gehört. Und solcherart im Vorteil konnte ich mir die Lasterhaftigkeit erlauben, ihn zu studieren: das rechte Bein leicht angewinkelt, der Arm umlagerte den Kopf, während sein linkes Pendant zerbrechlich zart auf der Brust ruhte. So... unschuldig... verletzlich... Erneut durchhauchten mich arktische Schauer. Ich fürchtete mich vor seiner Unbekümmertheit. Er musste doch wissen, wie verführerisch und anbetungswürdig er sich ausnahm, welche Gefühle er beschwor und wie grausam ihre unerfüllte Sehnsucht und Begierde sich wandeln konnte?! Aufgezogen wie ein Zinnsoldat stolperte ich an seine Seite, knickte hölzern ab, um neben ihm Platz zu nehmen. Mein Gewicht auf der Matratze störte seine Versunkenheit. Die Rechte verließ ihren tänzerisch anmutenden Ruheplatz neben seinem Kopf, löste das Tuch, verwirbelte ungezähmte Strähnen, um dann mit der mageren Ausbeute ermattet wieder über den Scheitel zu sinken. Seine bezwingend schönen, tiefseegrünen Katzenaugen waren verschleiert, gezeichnet von einer inneren Einkehr, die ich schnöde beendet und ihn zurückgezwungen hatte in eine klebrig-verschwitzte Realität. Er lächelte matt, als er mich erkannte. "Wenn es dir nicht gut geht, dann sag mir das nächste Mal Bescheid", schnauzte ich ungehobelt, bemüht, nicht seinem Zauber zu verfallen. "... das Lied...", wisperte er seltsam traumverhaftet, eine verwirrte Falte auf seiner makellosen Stirn formend. Lied?! Ich spürte, wie mir Farbe in das Gesicht schoss, mit einer Vehemenz, die mich schwindeln ließ. Wie konnte ich so einfältig sein zu glauben, er hätte den Tausch vergessen?! Es war mir unmöglich, in seine Augen zu blicken. Zweifellos forderten sie nicht zu Unrecht eine Erklärung, vielleicht eine Genugtuung für meine Verwerflichkeit? "... Matti....lass mich... noch ein wenig... Musik hören... bitte..." Bevor ich mich endlich zu einer Reaktion durchgerungen hatte, waren seine Lider bereits herabgesunken. ~~?* Das Abendessen wartete bereits, als Matthias sich in der Dunkelheit ihres Zimmers über Angel beugte und vorsichtig klebrige Strähnen von dessen fahlem Gesicht pflückte. "Angel...?", erkundigte er sich rau im Flüsterton, unsicher, ob er es wagen sollte, erneut Körperkontakt, und sei er noch so minimal, zu suchen. Angel stöhnte leise, wand sich ächzend auf der Matratze, hoffte wohl, dem Störenfried zu entkommen, wenn er der Lärmquelle den Rücken zukehrte. Doch Matthias' Hand wog bereits kritisch seine gefühlte Körpertemperatur an der Stirn ab. "Angel, komm schon, du hast bereits heute Mittag nichts gegessen. Du musst wenigstens etwas trinken!" Ohne viel Federlesens, aber mit großer Behutsamkeit umschlang er Angels Schultern und hob diesen in eine sitzende Position, lehnte das weißblonde Haupt gegen seine Schulter. "...uh....Matti....mein... Kopf...", kommentierte Angel gequält, hustete dann trocken, mit dem Handrücken Tränen aus den Augenwinkeln wischend, die aus dem hartnäckigen Hustenreiz resultierten. Matthias drehte ihn sanft auf der Matratze, stützte seinen Rücken mit einem Kissen ab, erhob sich dann, um unter Einsatz eines feuchten Waschlappens Angels Gesicht zu bestreichen. Konzentriert studierte er dabei Angels unwillkürliche Regungen, fädelte Haare hinter die Ohren, betupfte die trockenen Lippen. "Angel, bitte, du brauchst Flüssigkeit und Bewegung, auch wenn dir der Kopf schmerzt", drängte er heiser, angespannt Konsens in den glasig-grünen Augen suchend. Angel nickte schwach, ließ sich wie eine Aufziehpuppe auf die Beine stellen, in den Speisesaal dirigieren und mit Getränken versorgen, die Matthias unerbittlich vor ihm aufreihte und mit Argusaugen streng verfolgte, wie Angel ergeben die jeweilige Neige anpeilte. Er war sich bewusst, dass man verstohlen zu ihnen hinüberstarrte. Dass seine Fürsorge, so barsch und despotisch er sie anbringen mochte, die Mitschüler überraschte. Doch das kümmerte ihn wenig, da Angels Lebensgeister sich wieder zu regen begannen, die Katzenaugen ihren Fieberglanz verloren, selbst die Haltung aufrechter wurde. "Matti?" "Hm?" "Dieses Lied", Angel zeichnete aus einem Kondenswasserring auf der Resopaltischplatte eine Sonne, "... ich hätte nicht gedacht, dass dir solche Musik gefällt." Matthias verschanzte sich mit düster zusammengezogenen Augenbrauen hinter einer Scheibe Wassermelone, knurrte guttural, um eine Antwort umgehen zu können. Eine Reaktion, die Angel ein Lächeln entlockte, was er Matthias ungeniert darbot, mit dem Quäntchen Nachsicht gewürzt, das nicht verfehlte, jenem die Farbe in die Wangen zu treiben, unter der dunklen Haut nur dem genauen Beobachter erkenntlich. "Hör mal, können wir die Hausaufgaben auf später verschieben und das Training nachholen?" Angel sammelte bereits in Aufbruchstimmung die Überreste ihres Mahls ein. Matthias' maskenhafte Miene verbarg seine Gefühle vollständig. Er gönnte Angel nur ein knappes Nicken, um dann unaufgefordert, aber in der Geste der Selbstverständlichkeit, das Tablett an sich zu nehmen und abzugeben. Angel folgte ihm mit einem augenzwinkernden Lächeln. Matthias' steife Unschuld verfehlte ihre aufreizende Wirkung auf ihn nicht. ~~?* Ich drehte eine Runde durch die staubig-stickige Luft der Gymnastikhalle, verdrängte das Spiel aus Licht und Schatten auf dem Boden, verursacht durch die Abendröte, die sich zwischen den trägen Baumwipfel hindurch brannte. Mahnte mich, mich zu sammeln, meine Gedanken aus dem Kopf zu löschen. Nur noch eine eingespielte Symphonie von Bewegungsabläufen umzusetzen, um die notwendige Ruhe zu erlangen, die es mir erlauben sollte, mit Angel zu trainieren. Als er erschien, war ich bereits schweißgebadet, allerdings weniger durch die hohe Luftfeuchtigkeit oder Anstrengung. Sondern weil prickelnd in meiner Leibmitte Unruhe brodelte, die säuerlich zu erkunden suchte, wann ich meine Beherrschung verlöre und mich erneut zum Narren machte. Angel strebte direkt auf mich zu, mit blanken Füßen, einer abgeschnittenen und verschlissenen Jeans und einem weiten, einfachen Hemd. Offenkundig eine Rücksichtnahme auf meine beschämend aggressive Libido. Wusste er um... mein animalisches Verlangen?! Ich schmeckte Galle und Selbstekel auf meiner Zunge, zwang ich ihn doch, nicht seinem freien Willen zu gehorchen, sondern sich mir unterzuordnen. "Okay", lächelte er neugierig im mein Gesicht, auf die unerschütterlich offene Art, die mir tiefen Respekt abforderte, da es mir ein Phänomen war, wie ein Mensch nach derart grauenhaften Enttäuschungen durch seine Mitmenschen noch den Mut aufbrachte, Vertrauen zu schenken. Dieses Mal wollte ich es um jeden Preis richtig beginnen, sein Schicksal über meine unsäglich banalen Sehnsüchte stellen. ~~?* Matthias demonstrierte ohne viele Worte, lediglich in plakativen Gesten die Grundzüge der Techniken, die er Angel zu lehren beabsichtigte. Allein seine Stahlaugen kündeten eloquent, was jeder Bewegung innewohnte, welchen Zweck sie hatte und auch, was Matthias selbst damit verband. Zunächst wies er Angel an, seine Atmung zu kontrollieren, auf die Regungen zu achten, die jeder Atemzug in seinem Leib bewirkte, wie tief er Luft zu schöpfen hatte und wohin diese wandern sollte, bis sie ihn wieder verließ. Auch wenn diesem das Konzept sehr eingängig war, so hatte Angel mit der praktischen Umsetzung seine Schwierigkeiten. Es schien unmöglich, einen gleichmäßigen, tiefen Rhythmus einzuhalten, sodass er sich in angestrengtem Bemühen verausgabte. Matthias, ihm wie ein Spiegel gegenüberstehend, sozusagen als Vorbild, registrierte die Annäherung an den enttäuschten Frustpegel ruhig. Durchmaß die Armlänge Distanz zwischen ihnen und platzierte eine Hand unter Angels Bauchnabel, die andere direkt auf dessen Brustbein. Mit minimalen Druck bildete er sodann das Ziel ab, schloss die Augen, was Angel, zögerlich, ihm gleichtat. Trotz des Hemdstoffs spürte er Matthias' Hände wie brennende Markierungen auf seinem Leib, die sanften Schwingungen, die diese weiterleiteten, wenn Matthias selbst die tiefe Bauchatmung praktizierte. Und Angel sich langsam seinem Rhythmus anpasste. Er wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit verstrich, die sie lediglich in dieser konzentrierten Übung verbrachten, doch als Matthias' Hände sich lösten, was Angel einen winzigen Stich im Herz versetzte, bemerkte er mit aufgerissenen Augen, dass er wie ein Schilfrohr im Wind schwankte. Sein Herz raste ungebremst dahin, als Adrenalinstöße der Panik in seinem Körper tosten, fürchtete er sich doch vor dieser unwillkürlichen Bewegung, die in einen Sturz münden konnte. ~~?* Er war gelehriger, als ich erwarten konnte, obwohl ich ihn nicht zum ersten Mal beobachtete, wenn er mir nachzueifern versuchte. Sobald ich ihn berührte, schienen die Unsicherheiten in ihm zu verblassen, balancierte sich sein Körper selbsttätig aus, erreichte er seine eigenen Grenzen. Ließ ich ihn fahren, so verlor er sich, als könne die Kontrolle nur von einem anderen als ihm selbst ausgeübt werden. Seine schönen Augen weiteten sich erschrocken, als er sich schwankend fand. Er begriff nicht, dass sein Stand sicher war, er keineswegs zu stürzen drohte. Ich musste ohne meinen bewussten Willen lächeln, als ich meine Hände wieder auf die bereits glühenden Flächen legte und ihn augenblicklich zur Ruhe brachte, mein kontrolliertes Schwanken seinem anglich. Und meine Handflächen wurden zu Fenstern in seinen Leib. Wie in einem hoch dosierten Rausch fühlte ich mich in ihn hinein, Herzschlag, Puls, Kontraktionen von Sehnen und Muskeln, das Funken der Nervenstränge. Losgelöst beobachtete ich mich selbst, den Mund geöffnet, die Augen aufgerissen, damit mir nichts entginge, so sehr lechzte ich danach, in ihn einzutauchen. Er beruhigte sich rasch, die Katzenaugen fest mit meinen, zweifellos euphorisch verklärten Augen verwoben, schenkte mir ein zögerliches, sich dann vertiefendes Lächeln. Mühsam und widerwillig unterbrach ich den Kontakt, zwang mich, sein Wohl über mein eigenes zu stellen, ihm die Fertigkeiten mitzugeben, die einen wahren Kämpfer ausmachten. Und vielleicht würde es mir auch gelingen, ihn so zu stählen, dass er seinen anmutigen und so verführerischen Leib jeden Kampf wert befand. ~~?* Angel studierte Matthias' Anleitungen sorgfältig, sich an die stumme Kommunikation gewöhnend, die ihm größte Aufmerksamkeit abverlangte. Nach der Demonstration der tiefen Bauchatmung, die Matthias befähigte, sich zu konzentrieren und seine Kräfte zu bündeln, stand die Beobachtung des Gegners und das Erkennen seiner Schwachpunkte auf dem Programm. Matthias täuschte schattenboxartige Attacken vor, tippte sich dann auf die Körperpartien, die schwächlich oder zumindest attackierbar wirkten und ermunterte Angel, mit einem knappen Nicken, sich eine Abwehr zu überlegen. Dieser fand sich selbst bald erschöpft und durchgeschwitzt, nicht mehr aufnahmefähig, sodass er, in einem Anflug von Gereiztheit, Matthias schlichtweg um den Hals fiel, um sich anzuschmiegen. ~~?* Ich erkannte seine Absicht und wehrte mich nicht, bot ihm die Stütze, deren er bedurfte. Sicherlich stellte es keinen belegbaren Fortschritt dar, ihn das Ermitteln der "Achillesfersen" seiner Gegner zu lehren. Doch benötigte ich beschämenderweise diesen Exkurs, um mir sicher sein zu können, dass ich in der Lage war, ihn in der Zurückweisung sexueller Attacken unterrichten zu können. Ich sprengte seine Umarmung mühelos, aber vorsichtig, um ihn nicht etwa vor den Kopf zu stoßen, hatte diese Situation doch etwas zutiefst Ironisches an sich. Denn alles andere wäre mir lieber gewesen, als ihn von mir zu weisen. Angel jedoch begriff sofort, was ich mich ihm zu sagen befleißigte und ließ sein samtig sprudelndes Lachen erklingen, das aus einer geheimnisvollen Quelle tief im Inneren seiner Brust entspringen musste. Wie ein wollüstiges Tier besprang er mich rücklings, grapschte kichernd, um meine unterschiedlichen Abwehrtechniken auszutesten. Für eine Weile schien meine Saat aufzugehen. Mit erheitertem Blick und konzentriertem Ernst zugleich, variierte er seine Attacken, suchte nach einem Schwachpunkt in meiner Deckung. Doch dann, unvermittelt, riss er mich aus der Selbstzufriedenheit heraus. ~~?* "Okay, und nun will ich es versuchen!" Angel stolzierte mit dem Air eines hochwohlgeborenen Pfaus vor Matthias auf und ab, schwenkte leicht mit den Hüften aus, einen arroganten Blick zwischen den weißblonden Strähnen aussendend. Der zögerte, beäugte die Darbietung unschlüssig, machte Anstalten, den ersten Annäherungsversuch zu starten, um dann, verunsichert, sofort abzubrechen, ohne dass Angel in irgendeiner Form eine Abwehr forciert hatte. "Was ist? Stimmt was nicht?" Angel stemmte die Hände auf die schlanken Hüften und legte misstrauisch den Kopf schief. "Na komm schon, wie soll ich es lernen, wenn du mir keine Übungsmöglichkeiten gibst?" Mit einem gespielt strengem Blick und tadelnd erhobenem Zeigefinger baute sich Angel vor Matthias auf, der ausweichend auf ihre nackten Füße starrte. Angel musterte den gesenkten Kopf mit einer Spur Ungeduld, nicht bereit, in diesem Stadium Gnade walten zu lassen, beugte sich dann in Hautkontaktnähe zu Matthias hinüber. "Fass mich an, los", hauchte lasziv seine samtige Stimme in dessen Ohrmuschelhöhe, beschrieben die hellen Hände eine sanfte Kurve durch den freien Raum im Taillenbereich. Matthias stand stocksteif, ohne erkennbare Regung, selbst das Atmen musste unterbrochen sein, wie eine Salzsäule. Es schien unmöglich zu sein, die Hände, militärisch nach einer nicht vorhandenen Hosennaht ausgerichtet, nur um einen Millimeter anzuheben. Angel war es nicht vergönnt, in den Stahlaugen zu erkunden, welcher Art Kämpfe sich im Inneren des Freundes wohl zutrugen. Daher ergriff er die Initiative, umfasste leichthin die kräftigen, dunklen Handgelenke und platzierte sie sorgfältig auf den eigenen Hüftknochen, wo sie wandern mochten, wie immer es ihnen gefiel. "Also, Matti...", er näherte sich einem Ohr an, wispernd, mit leicht schleppender Intonation, "du bist mir im Augenblick... nicht gerade...eine Hilfe...", und krönte die Herausforderung mit einem hauchzarten Kuss auf ein Ohrläppchen. Um sich unversehens und vollkommen vorwarnungslos, mit energischem Nachdruck weggeschoben zu finden. "Ich kann das nicht!!", fegte Matthias' gequältes Krächzen unharmonisch in die stickige Atmosphäre. Dann schritt dieser raumgreifend aus, die Fäuste ballend, als könne durch die Bewegung der aufgestaute Druck besser entweichen. Angel verdrehte demonstrativ die Augen und schnalzte verärgert mit der Zunge. "Wieso vertraust du mir nicht einmal so weit, dass du mich wenigstens versuchen lässt, mich selbst zu verteidigen? Hältst du mich denn tatsächlich für derart unfähig?!" Die gebündelten Vorwürfe bremsten Matthias' unruhigen Sturmlauf abrupt. "Was soll denn das mit Vertrauen zu tun haben?", grollte er barsch zurück, die Stahlaugen wolkenverhangen. "Na, ganz einfach", provozierend studierte Angel die Beschaffenheit seiner Nägel, warf sich geübt in eine herausfordernde Pose, "wir wollten doch hier üben, aber du greifst mich nicht an, weil du glaubst, dass ich dich nicht abwehre! Und das nenne ich mangelndes Vertrauen", setzte er bestimmt nach, "außerdem ist es auch beleidigend, weil du mich für unfähig hältst, zwischen Ernst und Spiel zu unterscheiden." "Das ist nicht wahr!", explodierte Matthias gereizt, preschte heran, in solch katzenartiger Geschwindigkeit, dass er zu schweben schien, wie eine fremdartige Maschinerie auf Hochdruck, so erschien es Angel für Sekundenbruchteile. "Ah nein?!", Angel funkelte mutwillig in die Stahlaugen, die nur durch einen Wimpernschlag Abstand zwischen ihren Nasenspitzen ein stummes Duell ausfochten, "warum beweist du mir nicht, dass ich falsch liege?" ~~?* »Wieder einmal erbärmlich in meine eigene Falle getappt und jämmerlich untergegangen...« Das schoss mir selbst durch den Kopf, noch bevor die Stimmen ihre Kakophonie des Hohngelächters im schrillen Diskant in meinem Hinterkopf erhoben. Natürlich wollte ich ihn trainieren... doch viel mehr noch beherrschte mich der Wunsch, nein, das Verlangen, ihn anzufassen, zu berühren, die Gesten zu wiederholen, die frühere Liebhaber... NEIN! Neinneinneinneinneinneinneinnein!! Ich wollte nicht so denken!! Mich nicht herabsetzen zu den wollüstigen Biestern, die sich seiner bedient hatten, ihn besessen hatten! In mir brannte die verabscheute Flamme der Eifersucht, mischte sich mit der Scham und Bitterkeit darüber, dass mein Geist sich von meinem schwachen Fleisch besiegen ließ... doch welcher Geist?! Dieses minderwertige, ratlose, zerrissene Etwas, das sich nun im hintersten Winkel meines Schädels verkroch, weil es in die Ecke getrieben keinen Rat mehr wusste?! Lächerlich... Wenn ich mich überwand, ihn anfasste, meiner Sehnsucht nachgab, würde er mich von sich stoßen... und der zu erwartende Schmerz raubte mir schon vorab den Atem. Eine Zurückweisung, und sei sie gespielt, konnte ich nicht ertragen. Wie abgrundtief schwach ich war. Selbstekel kategorisierte die bittere Galle, die meine Kehle emporstieg, nur unzureichend. Nein, er hatte meine Haltung missverstanden... egoistisch, wie ich war, zweifelte ich nicht in erster Linie seine Ernsthaftigkeit an, misstraute ihm.... nein, ich misstraute mir selbst am Stärksten. Denn ich verfügte über keinerlei Sicherheiten mehr, was mein eigenes Verhalten betraf. Kein Boden, kein Horizont, nichts mehr, an dem ich mich in mir selbst orientieren konnte. ~~?* Angel entging es keineswegs, dass Matthias mit sich kämpfte, aber weniger leidenschaftlich und temperamentvoll als zuvor, sondern in der resignierten Leblosigkeit eines Besiegten. »Vielleicht war ich zu direkt...zu grob«, hielt er sich selbst vor, »immerhin weiß ich doch, wie schwer es ihm fällt, zu anderen Menschen Vertrauen zu fassen... und ich kann mich selbst wohl kaum als besonders vertrauenswürdig betrachten! Außerdem hat er Angst, mir weh zu tun...glaubt sicherlich, dass ich zerbrechlich bin...«, ein freudloses Grinsen irrlichterte über Angels angespannte Miene. Wie aber sollte er den Konflikt lösen? Kurzentschlossen hielt sich Angel an die instinktive Vorgehensweise, die schon zuvor erfolgversprechend funktioniert hatte. Beinahe schüchtern näherte er sich Matthias an, um sich dann einfach an diesen anzulehnen, die Arme um den erstarrten Torso zu schlingen und sich festzuhalten. Dieses Mal jedoch erwiderte Matthias die Umarmung nicht, auch wenn er Angel nicht von sich schob. Er stand steif und starr, in eine unsichtbare Ferne entrückt, die Gesichtszüge in maskenhafter Leblosigkeit eingefroren, bis langsam, wie eine heimtückische Infektion, sich resignierende Entspannung in seine Muskeln fraß. Besiegt. Und diese unsichtbare Mauer der Niederlage, wie eine lähmende Schicht Unberührbarkeit, ließ ihn auch aus Angels Armen entgleiten, sich auf den nackten Fußsohlen umkehren und albtraumwandlerisch die Halle verlassen. ~~?* Angel blinzelte mehrfach, bevor er tatsächlich akzeptieren konnte, dass Matthias wie ein gedemütigter Verlierer in der Haltung eines alten Mannes zur Tür schlich. Die Bewegungen hatten nichts mehr von der katzenhaften und präzisen Eleganz, ihrer bedrohlich wirkenden Anmut. Nun kündeten sie von bleierner Schwere und Bedeutungslosigkeit ihres Akteurs. »So haben wir nicht gewettet!!«, knurrte Angel stumm und folgte Matthias mit entschiedenem Schritt, »ich lasse dich nicht einfach in dieses Potpourri von vagen Befürchtungen und Selbstvorwürfen abgleiten!! Ich beweise dir, dass ich es wert bin!!« ~~?* Die Welt schien mir dunkel. An ihren Rändern ausgefranst. Mein Körper taub. Obwohl er noch funktionierte. Welchem Willen... er wohl folgte? Es kümmerte mich nicht. Eine Hand. Auf meiner Schulter. Augen. Frohlockend. Triumphierend. Boshaft. Bernstein mit dunklen Einschlüssen. Ein lasterhafter Mund. Aufreizende Stimme. Worte. Mir war kalt. ~~?* Angel legte eine veritable Vollbremsung ein, als er im Treppenhaus förmlich in Matthias' reglose Gestalt rannte. Der sah unbeweglich und vermutlich auch ohne Wahrnehmung, in Gitanos provozierend funkelnde Augen, wies nicht einmal die Hand, die frech auf seiner Schulter lag, zurück. "...tja, ich dachte ja gleich an dich, für diesen Part. Allerdings sieht es ja so aus, als wärst du in Ungnade gefallen?", zwitscherte dieser im Plauderton, falsches Mitgefühl demonstrierend. Angel schlang in besitzergreifender Pose beide Arme eng um Matthias' Taille, lugte mit eiskaltem Blick aus grüner Tiefsee in das spöttische Bernstein über Matthias' Schulter hinweg. "Ich habe keine Ahnung, woher du deine Informationen nimmst, aber sie entbehren jedweder Grundlage", beschied er kühl und distanziert. "Ach, ist das so?", spöttelte Gitano, keinesfalls bereit, sich so schnell aus dem Feld schlagen zu lassen, "dann wärt ihr doch frei, die Rollen zu übernehmen? In dem Theaterstück, das wir am nächsten Samstag aufführen wollen?" Angel kalkulierte eilig. Er hatte keine Vorstellung, um was es sich dabei inhaltlich handeln mochte, zweifelte aber keinen Herzschlag daran, dass Gitanos Offerte einen Hinterhalt verbarg. Erstaunlicherweise fand Matthias in diesem Augenblick die Sprache wieder. "Wir nehmen an", krächzte er rau, schüttelte Gitanos Hand wie ein lästiges Insekt ab und stieg langsam die Treppen hoch. Angel warf Gitano im Rückwärtsgang einen verachtungsvollen Handkuss zu und beeilte sich, Matthias zu folgen. ~~?* Als sich unsere Zimmertür hinter mir schloss, entfloh mir das letzte Quäntchen Kraft, sackte ich unter der tonnenschweren Last meiner eigenen Wertlosigkeit auf meinem Bett zusammen. Wie passend, sich schwächlich in ein warmes, weiches Polster zu flüchten, wie erbärmlich feige! Ich war müde, wollte keinen Laut mehr hören, keinen Gedanken mehr fassen. Nicht einmal das nörglerische Getön in meinem Hinterkopf trieb mich noch zur Auflehnung an. "Wie ist dein Plan?", erkundigte sich Angel bei mir, in unruhigem Schleichgang paradierend, erstaunlicherweise weder gekränkt durch meine unverzeihliche Vorwegnahme seiner Entscheidung, noch durch die stumme Reglosigkeit, die ihn zur Weißglut bringen sollte. Nein, im Gegenteil, er klang konzentriert und ruhig, als gehe es um etwas Bedeutendes, gleichzeitig auch ein wenig besorgt. Ich konnte intellektuell nachvollziehen, was ihn umtrieb. Immerhin war ich offenen Auges auf ein Angebot meines Intimfeindes eingegangen, ein Risiko, dass ich, so vermutete er wohl, nur eingegangen war, weil ich eine Strategie verfolgte. Was er wohl sagen mochte, wenn ich meine Apathie bezwungen hatte und die spärlichen Fetzen meines resignierten Verstandes vor ihm ausbreitete? Vielleicht würde es ihm ein amüsiertes, nachsichtiges Lachen entlocken... oder er würde mich lauthals beschimpfen... Ich wusste es nicht. Wusste gar nichts mehr. Wollte mich zusammenrollen und verkriechen. In der Hoffnung, dass niemand kam, um mich zu finden. ~~?* Angel musterte Matthias nachdenklich: die aufgestützten Beine, die Stirn auf die verschränkten Unterarme gelegt, wirkte er erschöpft und hilfsbedürftig. Als habe sich die Aura des Unberührbaren, Abweisenden spurlos verflüchtigt. »Worauf haben wir uns da eingelassen, Matti?« Sich ungeniert schwer auf die Matratze plumpsen lassend zerrte Angel Kissen heran, um es sich gegen die Wand gelehnt bequem zu machen. »Wenn er nur reden würde...in Worte fassen, was ihn quält...« Er betrachtete den warmen Hautton, die schwarzen, glänzenden Haare, die sehnige Gestalt eingehend. »So viel physische Kraft...üblicherweise scheint er von einem Halo an Energie umgeben, so stark, dass er Funken auf meiner Haut schlägt, noch bevor ich ihn berühre...« Ein entschlossenes Glühen trat in die grünen Katzenaugen. »Mit Worten haben wir einander die schwersten Wunden geschlagen, doch unsere Körper haben sich immer wieder versöhnt...« Er kniete sich neben Matthias, stützte sich an dessen Schulter ab, um mit der freien Hand das Kinn zu umfassen und einen aufmunternden Kuss auf die weichen Lippen zu drücken. In den Stahlaugen verirrte sich ein lebendiger Funken, der jedoch wieder verglomm, was Angel reizte, es erneut zu versuchen. Wenn sich Funken schlagen ließen, dann würde auch bald ein Feuer entfacht werden können. ~~?* Jeder sanfte Kuss, der wohlkalkuliert im Rhythmus meiner Herzschläge meine Lippen wärmte, jagte eine köstliche Mischung aus Energieblitzen und Hitzschlägen durch meinen Körper. Er bemühte sich immer wieder um mich... baute goldene Brücken, über die ich ohne Gesichtsverlust schreiten konnte. Es war beschämend, wie viel Rücksicht und Großmut er mir erwies. In diesem Augenblick wollte ich nichts weiter als ihn halten und der sphärischen Melodie seines Körpers lauschen... vergessen, was ich törichterweise angezettelt hatte, meine eigene Unzulänglichkeit, die blinde Eifersucht gegenüber Gitano. Ich rollte mich auf den Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, wo sie gehindert waren, auf unverschämte Reisen auf dem hellen Leib zu gehen, der sich sogleich neben mir ausstreckte, mich umarmte. Warum schwieg er? Tat er es mir zu gefallen? Mich hätte seine sanfte, angenehm samtige Stimme nicht gestört, eine beruhigende Untermalung in eine schläfrige Ausflucht. Ich schloss die Augen und dämmerte ergeben hinweg. ~~?* Angel erwachte zeitgleich mit Matthias, was sich nicht Wunder ausnahm, da dieser sich bemühte, die warme, schlaftrunkene Last von sich zu schieben, ohne den Träumer zu wecken, was jedoch an Angels ungewohnter Wachsamkeit scheiterte. "Nun", wischte er, bäuchlings auf die Ellenbogen gestützt, aufgeladene Strähnen aus seinen Augen, "willst du mir nicht jetzt deinen Plan verraten?" Matthias, der sich Gelegenheit genutzt hatte, sich aus dem eigenen Bett zu schlängeln und auf das Bad zuhielt, bremste seinen flüssigen Schritt ab, verharrte, um sich dann über die Schulter nach Angel umzusehen. "Plan?", erkundigte er sich betont nichtssagend. "Die Theateraufführung", ergänzte Angel nachsichtig, setzte sich nun auf, "die übrigens am Samstag in einer Woche stattfindet... also?!" Eine herablassende, wegwerfende Handbewegung sollte ihn beschwichtigen, aber Angel hielt es an diesem Morgen nicht mit der üblichen Unlust. Er fühlte sich aufgekratzt und erwartungsfreudig, obwohl dieser Zustand unter keinen Umständen mit der Aufführung in Verbindung zu bringen war. "Matti!!", drohte er kehlig, federte elegant von der Matratze in den Stand, um in wenigen Schritten seinem Freund den Weg zum Bad zu versperren. "Wir waren nicht einmal bei der Vorbesprechung, ich habe keine Ahnung, was wir eigentlich darstellen sollen, also hättest du wohl die Güte, mich in deine Planungen einzuweihen?", knurrte er, nun ernstlich verstimmt. Überraschend für Angel wählte Matthias jedoch nicht den einfachen Ausweg der widerspenstigen Blockadehaltung. Sondern hob in malerischem Bogen eine freie Hand und zupfte hauchzart hinter das Ohr exilierte Strähnen hervor, als bevorzuge er einen weißblonden Rahmen um Angels Gesicht. Mit unbewegtem Ausdruck, selbst die Stahlaugen undurchdringlich schwieg er weiter, bis Angel, verunsichert und gleichzeitig beruhigt, den Weg freigab. Die Stille, die Matthias umgab, schien aus tiefer Konzentration zu entspringen, und Angel nahm dies zum Beleg, dass Matthias einen vielversprechenden Plan ersonnen hatte. Und er ihm vertrauen wollte. ~~?* Als ich die einfache Tür hinter mir schloss und das Wasser aufdrehte, um die nächtlichen Schichten der Spätsommerhitze von meiner Haut zu waschen, schwebten seine wundervoll mysteriösen Katzenaugen in ihrem strahlenden Grün wie eine Vision vor meinem inneren Auge. Ich konnte sein couragiertes Vertrauen in mich förmlich greifen, ein Gefühl oszillierend zwischen Stolz und Belastung. Es durfte mir nicht misslingen, so viel war sicher. Und zum ersten Mal seit unserer ersten Begegnung verspürte ich Zuversicht. Ja, ich hatte eine Lösung gefunden. Und wenn ich reüssierte... ~~?* Kapitel 5 Der Samstagsunterricht verlief nicht unähnlich den vergangenen Werktagen. Die Dunstglocke über der Stadt richtete sich offenkundig häuslich ein, unvorstellbar, sich schneller als notwendig zu bewegen, oder den ermatteten Geist mit hohen Anforderungen in den Kollaps zu treiben. Angel bemühte sich unterdessen, durch behutsames, sich selbst nicht entblößendes Nachfragen bei den Mitschülern herauszufiltern, was für eine Art Doppelrolle Matthias in ihrem Namen angenommen hatte. Die bruchstückweisen Erklärungen stimmten ihn nicht gerade euphorisch. Eine Art Chinesische Oper, aber nicht des Inhalts nach, sondern die Selbstfindung des jungen Menschen, eine Iliade der Irrungen und Wirrungen durch die Spätpubertät. Sich den feuchten Nacken wischend ächzte Angel verwirrt. Was zum Teufel sollte er mit diesen Informationsbrocken anfangen?! Tatsächlich, so wurde ihm versichert, gab es noch kein stringentes Textbuch, lediglich eine grobe Storyline, die die einzelnen Darsteller in Selbstentfaltung mit Leben füllen sollten. Die Texte sollten selbst verfasst werden, damit man authentischer an die Gefühlswelten der Jugend anknüpfen konnte. »Möchte bloß mal wissen, wie sich Matthias dafür ködern ließ«, brummte Angel in sich hinein. Es kontrastierte sehr stark mit seiner Meinung über den schweigsamen Freund. Er erhoffte sich einen Fingerzeig in der für den Nachmittag angesetzten großen Besprechung. ~~?* Die Aula füllte sich rasch mit den eingeladenen Teilnehmern der Aufführung. Wie ich bemerkte, hatte Winfried auch das "technische" Personal einberufen, Kulissenschieber, Musiker, Dekorateure, Beleuchter und andere Experten. Ein erstaunlicher Mensch, zweifelsohne, nur eine Altersstufe über uns, äußerlich keineswegs attraktiv nach landläufigen Vorstellungen, verfügte er doch über ein einnehmendes Wesen und, wenn er sich einem seiner Projekte widmete, über das Charisma eines Genies. Während er sich freudig mit jedem Eintretenden befasste, glühten die braunen Augen hinter der Nickelbrille ernsthaft, kontrastierten die schwärmerisch ausgeführten Gesten. Winny, wie er gerufen zu werden pflegte, verfügte bereits über einen Ruf als Regisseur, sodass man sich freudig bereit erklärte, ihm zur Seite zu stehen. Ich beobachtete Angels aufmerksame Studie des Storyboards, seine maskierte Verwirrung, welche Rolle man uns zugedacht hatte. Ungezogenerweise hatte ich mir den Vorteil verschafft, mit Winny zuvor einige Worte zu wechseln, die mir die Sicherheit verliehen, dem kommenden Samstag mit Gelassenheit entgegenzusehen. Nun hieß es, mögliche Störfaktoren aufzudecken und aus dem Weg zu schaffen. ~~?* Winfried strich sich durch die ungleichmäßig gestutzten Haare, die ihre Ähnlichkeit mit einem Vogelnest keineswegs einbüßten, räusperte sich wohlgemut und begrüßte seine Mitschüler. Da die Zeit drängte, wollte man doch innerhalb einer Woche eine Inszenierung auf die Beine stellen, die sich sehen und ansehen lassen konnte, enthielt er sich Elogen über Absicht und Hintergründe, sondern erklärte bündig, wenn auch akkompagniert von ausdrucksstarker Gestik, den Verlauf der Handlung. Dargestellt werden sollte die Gratwanderung und Entwicklung eines Jugendlichen kurz vor seinem Schritt in die Erwachsenenwelt, respektive die Auslotung des eigenen Ichs. "Wenn ihr die Augen schließt, stellt euch vor, ihr seid unterwegs in euer Leben. Zuerst ist alles verschwommen, undeutlich, es gibt keinen roten Faden, gar nichts, doch dann erkennt ihr langsam Grenzen, Hinweise, Nachrichten... und lernt euch selbst kennen." Jemand hob die Hand. "Winny, das klingt ja ganz nett... aber wieso lese ich hier was von chinesischer Oper?!" Winfried nickte gelassen, diese Frage hatte er sich erhofft. "In der Tat wird ein Teil der Dekoration, der Musik und der Kostüme sich auf die chinesische Oper gründen. Allerdings nicht traditionell oder gar werkgetreu", strahlte er sein mitreißendes Lächeln. "In einer Woche?!", echote eine andere Stimme aus dem Hintergrund. "Lasst es mich erklären... mir ist klar, dass eine Woche sehr knapp ist, andererseits können wir die Dynamik für die Darstellung nutzen, und zweitens kann jede Stufe teilnehmen, denn die Prüfungsvorbereitungen starten erst nach diesem Wochenende." Winfried tigerte in der Runde auf und nieder, suchte in den Gesichtern nach Zustimmung und Begeisterungsfähigkeit. "Ein Mensch.. geht auf die Suche... und erst mal ist ihm alles fremd, er hat nichts außer seinem Instinkt. Und da will ich mich der chinesischen Oper bedienen. Erscheint uns das nicht exotisch, rätselhaft, unverständlich?! Wir sehen Zeichen, begreifen sie aber nicht. Wir hören Lieder, verstehen sie nicht. Farbkreationen erscheinen uns grell und unpassend, doch betrachten wir sie ja in Unkenntnis nur oberflächlich." "Gitano", er tippte diesem auf die Schulter, "du wirst der Protagonist sein, der sein Leben erfährt... eine stumme Rolle, aber ich will mich deines Talents bei der Choreographie bedienen. Den Text, sozusagen den inneren Monolog, wird Harry lesen, damit haben wir bei der schauspielerischen Umsetzung eine Hinwendung zur Pantomime." "Du meinst doch nicht, dass wir Stücke aus der Peking-Oper spielen sollen?", befürchtete der Bandleader der eilig zusammengewürfelten Hausmusiktruppe. "Fragt doch unser Schlitzauge Matthias", kläffte Robert, der Terminator, aus dem Hintergrund gehässig. Stille trat ein. ~~?* Ich hatte mich zurückgelehnt und dem aufgeregten Stimmengewirr gelauscht. Tendenziell war man Feuer und Flamme für Winnys noch namenloses Spektakel. Der Ausspruch des Terminators überraschte mich gelinde, hatten sich doch er selbst samt seinem Strippenzieher Ronnie nach dem Patt im Streit um Angel rar gemacht. Seine kleingeistige und dümmlich agitierende Bemerkung entlockte mir ein müdes Zucken im Mundwinkel. "Nur zu deiner Information, mein geographisch retardierter Kollege: meine Mutter stammt aus Indonesien, was sich doch in beträchtlicher Entfernung zu China befindet, auch wenn die Welt bekanntlich klein ist." Warum machte ich mir die Mühe, ihn zu beachten? Weil er mich unbeabsichtigterweise auf eine Idee gebracht hatte... ~~?* Im Folgenden legte Winfried die Besetzung unterschiedlicher Gruppen fest, instruierte sie und entließ sie. Denn nach seiner Vorstellung sollte aus dem Patchwork-Verfahren der Vorbereitung in einem einzigartigen Moment der einmaligen Inszenierung ein Gesamtwerk entstehen, einmal abgesehen von Stellproben mit den Beleuchtern und dem Hauptakteur Gitano. Der sonnte sich in der Gunst, strahlte heißblütig und vergaß sogar, Angel bezeichnende Blicke zu schenken, was diesen jedoch unbeeindruckt ließ. Er fand sich in einer Kleingruppe mit Matthias wieder, "Yin und Yang" getauft, die eine Performance von ganzen sechs Minuten auf die Beine stellen sollten. Kaum dass sich die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte, bestürmte Angel folgerichtig Matthias, um nun endlich an die Details zu gelangen. ~~?* Ich reichte den kaum handtellergroßen Notizzettel weiter, den Winny mir mit dem Air eines Siegers zugesteckt hatte. Es fanden sich verabredungsgemäß nur Stichworte darauf. Immerhin bestand die einzige Sprechrolle in dem verlesenen inneren Monolog, sodass für alle anderen Darsteller nur ihre optische Wirkung von Bedeutung war. Unsere Aufgabe bestand darin, widerstreitende Gegensätze plakativ zu machen, den ewigen Kampf in uns selbst. "Gut und Böse?", erkundigte sich Angel mit einer steilen Falte über der Nasenwurzel, deutliches Zeichen seines Missmuts. "Nein", versetzte ich ruhig, "nicht gut und böse, nicht schwarz gegen weiß." Seine Katzenaugen funkelten auffordernd, ungeduldig. Ich lächelte vorsichtig, ungeübt. Das Ergebnis nahm sich offenbar nicht allzu entsetzlich aus, denn Angel entspannte sich leicht. "Wir sind Janus, die doppelköpfige Ansicht der Welt, die beiden Seiten der Medaille." "Und wie stellt er sich vor, dass wir das präsentieren sollen? Schilder hoch halten??" Bevor ich mich selbst ermahnen konnte, floh meine Hand wie ein Dieb an seine Wange, schmiegte sich unverschämt an die pfirsichweiche Haut. "Nein", hörte ich mich selbst raunen, "wir werden kämpfen." Mehrere atemlos verfliegende Wimpernschläge lang musterte er mich stumm. "Du willst es tatsächlich noch einmal mit mir versuchen?" Ich spürte das dümmlich-glückliche Lächeln auf meinen Lippen flimmern. "Oh ja", krächzte ich voller Inbrunst, "das will ich!" ~~?* Angel studierte die freudig erregte Strahlkraft in den graublauen Augen, das spröde, ungeübte Lächeln, die unterdrückte Vorfreude und fühlte sich angesteckt. Wie es schien, hatte der Eklat am Vortag nicht zu einem Bruch geführt, vertraute Matthias ihm doch weitgehend. Hätte er sonst mit ihm einen Kampf auf offener Bühne gewagt?! "Janus also...Yin und Yang...welche Seite möchtest du sein?", erkundigte er sich neugierig. Matthias platzierte den Zettel korrekt austariert in die Mitte seines Schreibtisches, von dieser Aufgabe derart gefesselt, dass er sich Zeit mit der Antwort nahm, Angel aber dann bedeutsam in die Augen blickte. "Weder Yin, noch Yang. Einfach ein Widerpart und doch Teil von dir." Angels Augenbrauen beschrieben eine kritische Linie. "Ich glaube nicht an Seiten oder Parteien. Das ist, als würde man sich auf eine Wahrheit versteifen." Matthias fixierte Angels Augen ernst. "Aber es gibt keine Wahrheit, sondern Wahrheiten. Nicht wahr?" ~~?* Two Sides (by Clawfinger) There's nothing a god can give to me that I can't give to myself I put my beliefs in the things I believe and a god can take care of himself There's not enough love in the world for me to think about wasting my time It's not that I don't believe at all but I can't need a heavenly sing I can achieve the things I need without getting down on my knees I can respect your religion but I don't want to pay your fees I don't want to hear you talk about things you think that I need So don't help me back on my feet again until you can hear me pied Just look in the holy book of crooks and tell me what you can find All the rules and regulations made to manipulate your mind Don't pretend that you're blind, just open your mind and study historical times The bigger the loss the bigger the cost the bigger the cross and its crimes I don't believe in god that I need to worship I don't believe that I need to get down on my knees I don't believe that voice from above can help me I only believe in that I can see and the things I can achieve Whatever belief you belong to there's still always a reason to doubt And there's always another opinion as to what life is all about There's always a bigger dimension and a different point of view So I don't want to try to change you that decision is up to you Whatever your final choice is and however you chose to live You better be happy for what you can get and happy with what you can give There's only one thing to remember there is only one thing you can do And that is to do unto others as you'd have others do unto you Two sides two sides to every story two stories more makes four new ones to chose Four sides four sides to every story four stories more makes eight new ones to chose Eight sides eight sides to every story eight stories more now which one should you chose now which one can you use ~~?* Mir schwebte bereits eine Choreographie vor Augen und die Tatsache, dass Winny mich weitgehend mir selbst überließ, gründete sich auf einen sehr simplen Fakt: ich kannte sein Stück en detail. Wir hatten uns vor einiger Zeit in der Bibliothek getroffen, unabsichtlich und meine Lektüre erweckte sein Interesse, denn ich studierte gerade eine Biographie über Champollion, der den Schlüssel zur Dechiffrierung der Hieroglyphen entdeckt hatte. Es fiel Winny einfach, Kontakte zu knüpfen, da man sich von seiner Begeisterung und Leidenschaft angesteckt sah und mir erging es damals nicht anders. Die Ablaufplanung seines Stücks bereits im Kopf ausgiebig durchgespielt befand er sich auf der Suche nach plakativen Botschaften zur Verdeutlichung. Und nach seiner Vorstellung eignete sich die bildhafte Schrift der alten Ägypter hervorragend zur Darstellung der Befremdung und Rätselhaftigkeit der Gesellschaft und des Lebens. Ich grübelte gerade über einer nicht besonders erhellend formulierten Erklärung von Champollions Gedankenzügen und entließ die verhängnisvollen Worte, "das ist nicht mal Fachchinesisch", grollend, was seine Augen lichterloh illuminierte. "Chinesisch?! Chinesisch...", sein flinker Verstand rotierte bereits in Höchstgeschwindigkeit. Dann erklärte er mir alles freimütig, so, als verdanke er mir einen großen Teil der Lösung seines Problems die Hintergründe. Und gemeinsam arbeiteten wir uns durch Kanji und chinesische Musik, eine perfekte Kombination, Kontraste und auch Voreingenommenheiten zu demonstrieren. Die Rolle des Yin/Yang-Doppels sprach er mir zu. Offenkundig hatte sich auch zu ihm herumgesprochen, dass ich ein gewisses Talent in physischer Hinsicht hatte, doch Gitano als Partner hieß mich, vehement abzulehnen. Mit Angel jedoch nahm sich die Situation vollkommen anders aus. Nun konnte ich ihn lehren und stärken, ohne dass ich mich mit der Unerträglichkeit einer, -und sei sie gespielt-, Ablehnung auseinandersetzen musste. Wahrhaft eine glückliche Fügung des Schicksals, an das ich mich zu glauben weigerte! ~~?* Angel runzelte nachdenklich die Stirn. "Wenn wir doch aber nur zu zweit sind, wie wird man dann mehr als zwei gegenteilige Seiten wahrnehmen?", erkundigte er sich irritiert. Matthias grinste maliziös, eine ungewohnte Demonstration seiner Gedanken. "Zunächst einmal werden wir nicht weiß und schwarz auftreten", er beschrieb in einer knappen Geste den Rund, auf die jeweilige Hauttönung anspielend, "und dann wird es an mir sein, über unseren Kampf zu zeigen, wie heterogen die Absichten der beiden Darsteller sind." "Aha", kommentierte Angel auffordernd, stemmte die Hände in die schmalen Hüften. "Und das bekommen wir in einer Woche hin, sicher. Du hast aber nicht vergessen, dass ich absolut ungeübt bin, oder?!", brummte er lauernd. Matthias' Stahlaugen funkelten tiefgründig. "Ich vergelte dein Vertrauen mit Vertrauen, Angel." ~~?* "Du könntest doch mitkommen, Matti", Angel tippte mit einem Knie gegen Matthias gekreuzten Oberschenkel, lehnte sich schwer auf dessen Matratze, die Hände auf dessen Schultern gelegt. Die Stahlaugen blieben undurchdringlich, ebenso unleserlich wie das maskenhafte Gesicht. "Tut mir leid, Angel, aber ich habe noch Einiges zu erledigen." "Ach verdammt!!", kommentierte Angel übellaunig, kehrte Matthias demonstrativ den Rücken zu, um sich ein durchscheinendes Hemd überzustreifen und die Sonnenbrille mit den nachtschwarzen Gläsern wie ein Visier herunterzuklappen. "Wie du willst. Dann versauer eben hier, soll mir recht sein. Ich werde mich jedenfalls mit Urs amüsieren!", stichelte er verärgert und rauschte aus ihrem Zimmer. Matthias betrachtete das leicht vibrierende Türblatt mit einen nachsichtigen Schmunzeln in den Mundwinkeln. »Ich würde dich ja wirklich gern um eine Tischtennisplatte jagen, Angel, aber diese Überraschung hier bedarf meiner absoluten Aufmerksamkeit.« ~~?* Angel erreichte Urs' Haus leicht außer Atem. Er war in der heißen Spätsommersonne zu schnell ausgeschritten, noch immer verstimmt durch Matthias' kategorische Ablehnung, ihn zu begleiten. Was sollte Urs denken? Dass Matthias sich nicht willkommen fühlte?! »Er ist so verflucht schwierig, dieser Kerl!!«, grollte Angel, steuerte die Klingel an, als sich bereits die Haustür öffnete und eine große, schwielige Hand sein eigenes Handgelenk lässig einfing, um ihn selbst schwungvoll in den abgedunkelten Hausflur zu ziehen. "Urs!?", ächzte Angel überrumpelt, lachte dann aber in das strahlende, rosige Teddybärengesicht des großgewachsenen Freundes. "Hey, Angel, du bist ja ganz außer Atem, hat dich jemand verfolgt?"" Angel grinste und warf sich in Pose, "nur die Unmenge Verehrerinnen." Urs zwinkerte mit den eisblauen Augen, "so? Und warum hast du sie nicht mitgebracht?" "Ach, mein Großer", Angel tippte Urs auf die Nase, "ich widme dir meine ungeteilte Aufmerksamkeit, da hätten die Mädels nur gestört." Er ließ seine langen Wimpern flattern, kopierte perfekt eine schmachtende Anbetung, was die Röte in Urs' rundlichem Gesicht verstärkte, bevor er gutmütig nachgab und auf das letzte Wort in ihrem Geplänkel verzichtete. Sie spürten beide eine leichte Befangenheit, und Angel begriff, dass es an ihm war, den ersten Schritt zu tun, sich an die unsichtbare Mauer, die zwischen ihnen entstanden war, heranzutasten. Er zauberte ein ruhiges Lächeln in sein Gesicht und folgte Urs, der ihn in das Wohnzimmer geleitete. "Wie geht es deinem Vater?", erkundigte er sich behutsam und leise. Urs verharrte einen Augenblick im Türrahmen, warf Angel einen stillen Blick über die Schulter zu, bemerkte in dessen grünen Augen die Sorge und das Unwohlsein über die Situation, lächelte dann unsicher. "Er wird schon wieder. Wir besuchen ihn so oft wie möglich." Impulsiv fasste Angel nach Urs' schwieliger Hand, in der seine eigene zu verschwinden drohte, drückte sie aufmunternd. "Ich wünsche ihm alles Gute, Urs. Und ich bin mir sicher, dass Frankie ihm nichts nachtragen würde. Es war ein Unfall." Urs betrachtete ihn eingehend, jedoch nicht auf eine enervierende oder gar sezierende Weise. "Weißt du, Angel, je länger ich dich kenne, umso stärker wünsche ich mir, ich hätte Frankie treffen können. Da du ihn liebst, muss er einfach ein wundervoller Mensch... gewesen sein." Angel spürte die Hitze in seinen Wangen wie einen akuten Fieberanfall, konnte Urs' eisblauen Augen nicht mehr begegnen, der, verborgen hinter seiner so harmlos-sympathisch wirkenden Art, über einen tiefgründigen Verstand verfügte und nun alarmiert Angel am Oberarm berührte. "Habe ich etwas Falsches gesagt?! Ich wollte dich nicht verletzen..." Angel winkte hastig ab, ließ sich unaufgefordert in ein Polster der Couch sinken, bemühte sich, seine Verlegenheit zu überwinden. "Matti wollte wohl nicht kommen...", traf Urs behutsam ins Schwarze, mit oberflächlicher Arglosigkeit, doch Angel kannte den vierschrötigen Jungen besser. "Er lässt sich entschuldigen, hat für die Theateraufführung am nächsten Samstag noch Einiges zu erledigen... ach, hast du Lust zu kommen?" Angel richtete sich wieder auf, um einen beschwingten Tonfall bemüht, ließ sich doch angenehmerweise das Thema wechseln. Urs schüttelte bedauernd den Kopf, "das würde ich wirklich gern, denn bei euch kann man sicher sein, dass einem Denkwürdiges geboten wird. Aber wir haben eine große Familienfeier in Schweden..." "Natürlich, verstehe ich doch", Angel lächelte befreit. "Na, wollen wir die erste Runde einläuten?", Urs erinnerte sich an seine Gastgeberpflichten und ließ Angel vom Haken seiner eisblauen klugen Augen. Der nickte eifrig, ignorierte das indignierende Kichern in seinem Hinterkopf, das ihm einbläute, er möge die Selbstoffenbarung nur als aufgeschoben, aber nicht aufgehoben betrachten. ~~?* Es erwies sich als nicht besonders schwierig, den richtigen Rhythmus zu finden. Er residierte schon eine geraume Zeit in meinen Erinnerungen, etwas Archetypisches, Machtvolles, das in meine Seele gebrannt zu sein worden schien, bevor ich Bewusstsein erlangte. Weitaus diffiziler stellte sich die Umsetzung in die vorhandenen Musikinstrumente dar, doch ich verspürte eine überwältigende Zuversicht, dass es mir gelingen mochte. »Vielleicht«, höhnten die Stimmen in meinem Hinterkopf boshaft, »weil du es so nötig hast, dass du dir allen Unsinn einreden würdest.« Ich trommelte mit den Fingerkuppen auf der Schreibtischplatte. Nein. Nein, ich fühle es. Es wird funktionieren. Mit diesem Lied in mir. Mit ihm. ~~?* "Ich kann nicht mehr", japste Angel erschlagen und sackte, die Fingernägel in die Kunststoffplatte des Tischtennisfeldes gepresst, sodass sie sich hell färbten, in die Knie. Sein Herz raste vor Anstrengung, seine Lungen schmerzten unter der komprimierten Hitze, vor seinen geschlossenen Augen flirrten rötliche Punkte. Nach einigen Augenblicken der Rast spürte er eine Bewegung neben sich, bevor sich eine breite Handfläche auf seine Schulter legte. "Alles... in.. Ordnung?", auch Urs rang noch um Sauerstoff, die Stimme aufgeraut durch die Trockenheit in der Gluthitze des Spätsommertages. "HmmHmm", krächzte Angel und zwang sich ungelenk wie ein gerade geborenes Füllen auf die Beine zu kommen, die streichholzartig einzuknicken drohten. Gemeinsam schleppten sie sich im schwankenden Taumelgang zu einer Hollywood-Schaukel auf einer von der Sonne ausgedörrten Grasfläche, plumpsten schwerfällig in die Polsterung. "Na, Jungs, macht es Spaß?" Urs' Mutter überquerte den Innenhof der Schreinerei zum Freigelände, balancierte dabei ein farbenfrohes Tablett, das kondensierende Gläser mit selbstgemachter Limonade barg. Angel, der nicht zum ersten Mal die Gastfreundschaft und kulinarische Großzügigkeit genoss, federte hoch, um das Tablett in Empfang zu nehmen und sich unter Auferbietung all seinen Charmes zu bedanken. Was ihm das freundliche Gelächter von Urs' Mutter eintrug, die ihn in ihr Herz geschlossen zu haben schien. Nachdem sie nun über die Mittel verfügten, die ausgetrockneten Kehlen anzufeuchten, ließ es sich sehr viel angenehmer träge dahinschaukeln und dem friedlichen Brummeln und Zwitschern der Fauna lauschen. "Angel...", Urs passte sich der ruhigen Atmosphäre stimmlich an, "... was ist los?" Angel ließ die Fingerspitze feucht über den Glasrand gleiten, erzeugte Quietschgeräusche, die einen der gefiederten Sänger derart irritierten, dass er unter aufgebrachtem Piepen dem Garten entfloh. "Was...", Angel fächerte die Finger beider Hände um das Glas, kreuzte sie ineinander, "... was würdest du sagen, wenn ich... wenn ich einen anderen Freund hätte?" Urs vermied es, sich zu Angel umzukehren, sah stattdessen wie dieser auch geradeaus, die Augenlider halb gesenkt, erwog bedächtig die verborgenen Aspekte der Frage. "Du fragst dich, ob es mich stören würde, wenn du dich neu verliebst", resümierte er halblaut und rhetorisch, was Angels ureigentliche Beweggründe umfasste. Es war nicht erforderlich, Konsens auszudrücken, sodass Angel sich ermattet in die Ruhephase sinken lassen konnte, während Urs sich eingehend mit der aufgebrachten Thematik beschäftigte. An einem Spätsommertag wie diesem, die Luft zerfließend in der Hitze, die Wahrnehmung verdichtet zu einem erdrückenden Kaleidoskop an Farben, Lauten und Gerüchen: »ja«, dümpelte der Gedanke träge wie ein Nachen auf Angels schläfrigem Verstand, »an einem solchen Tag schien das Leben paradiesisch. Man konnte vergessen.« ~~?* the speed of pain (by Marilyn Manson) they slit our throats like we were flowers and our milk has been devoured. when you want it it goes away too fast when you hate it it always seems to last but just remember when you think you're free the crack inside your fucking heart is me (thought, not spoken) I wanna outrace the speed of pain for another day I wish I could sleep but I can't lay on my back because there's a knife for everyday that I've known you when you want it it goes away too fast when you hate it it always seems to last but just remember when you think you're free the crack inside your fucking heart is me (thought, not spoken) I wanna outrace the speed of pain for another day lie to me, cry to me, give to me I would lie with me, die with me, give to me I would keep all you secrets wrapped in dead hair I hope at least we die holding hands for always. ~~?* Ich fing Paul vor dem Probenraum der Band ab und überreichte ihm den Packen an Notenblättern, den ich mit größter Sorgfalt gefüllt hatte. Da er keinerlei Überraschung zeigte, offenbarte sich sogleich, dass Winny sich an meinem Vorschlag orientiert hatte, für meinen Auftritt eine eigene Intonation zu verfassen. Es war durchaus schmeichelhaft, mit so viel Vertrauen gesegnet zu werden. Üblicherweise hätte es mich in die Flucht getrieben, doch dieses Mal war ich bis ins Mark meiner selbst überzeugt, das Richtige zu tun. Ich ließ ihn also eilig studieren, was meiner Feder entsprungen war, registrierte seine Reaktionen: die zusammengezogenen Brauen, die gefältete Stirn, die Lippen, die einem unsichtbaren Text folgten. Natürlich würde niemand tatsächlich zu singen haben. Er sprach einfach die Schläge und Rhythmen lautlos mit. Musterte mich dann eingehend. "Matthias, ich kann da wirklich nichts versprechen... aber es hat was, so viel steht mal fest." Für seine Verhältnisse glich die Aussage einem Begeisterungsausbruch, was mich erleichtert nicken hieß. "Soweit ich verstanden habe, wirst du mit Angel einen Auftritt haben. Also, wie wollen wir das mit den Proben halten?" Ich winkte gelassen ab. "Winny hat eine Fläche auf der Bühne abgesteckt, die unseren Aktionsradius darstellt. Die habe ich mir bereits eingeprägt. Wir müssen gar nicht zusammen üben. Wenn ihr den Rhythmus haltet, dann werden wir uns entsprechend bewegen." Er zweifelte, das funkten die braunen Augen, widersprach aber nicht. "Dann ist ja gut", beschied er mir, um sich mit grimmig-konzentrierter Miene seinen Bandmitgliedern zuzuwenden. Ich schlüpfte hinaus und sprang wie auf Frühlingsfedern die Treppen hinunter in das Foyer im Erdgeschoss, um, die staubige Hitze des ausgedörrten Rasens vor dem Haus unter den nackten Fußsohlen, ein wenig Energie abzuschöpfen. Wenn Angel wiederkehrte, würde ich bereit sein, unseren Kampf zu beginnen. ~~?* Eine vorsichtig tätschelnde Hand weckte Angel aus dem einlullenden Dösen. "Uh....entschuldige", rieb er sich die Katzenaugen, räkelte sich und stellte dabei fest, dass selbst in einer Ruhephase noch Feuchtigkeit und Schweiß aus seinem Körper gedünstet wurden, so stark war noch immer die Strahlkraft der Sonne. "Ich möchte nicht, dass du meinetwegen zu spät zum Abendessen kommst", erklärte sich Urs mit einem bedauernden Schulterzucken, schälte sich dann seufzend unter dem niedrigen Schirm der Hollywood-Schaukel hervor. Angel rollte sich katzenhaft von den Polstern und kam mit einem elastischen Sprung zu stehen, zwinkerte dann Urs mit einem zugekniffenen Auge zu. Dieser lächelte hingerissen. Dann geleitete er Angel in das Haus, wo dieser sich herzlich von Urs' Mutter verabschiedete, die trotz der Temperaturen mit konzentriertem Blick die Geschäftsgänge der Schreinerei aktualisierte. In stummer Vereinbarung schlenderten sie ein gemeinsames Stück Weg, doch dieses Mal ohne Unbehagen. Angel wartete gelassen auf Urs' noch ausstehende Antwort auf seine Frage. Der blieb sodann auch stehen, nahm Angel gelassen ins Visier und knetete in Gewohnheit seine riesigen Hände. "Es stört mich nicht im Geringsten, dass du dich wieder verliebst. Ich wünsche mir, dass es ein Mensch ist, der dich so zu schätzen und zu lieben weiß, wie du es verdienst." Mit einem nachdrücklichen Nicken schloss er diese für seine Verhältnisse ausschweifende Rede ab, ein aufmunterndes Funkeln in den eisblauen Augen. Angel behielt den Ernst bei, nickte ebenfalls und erklärte, er werde sich dementsprechende Mühe geben. Als sie sich nach freundschaftlichem Klaps auf die jeweilige Schulter voneinander abwandten, schmeichelten sich wie ein auffrischender Wind Urs' leise Worte in Angels sommertaubes Gehör. "Matti ist ein besonderer Mensch." ~~?* Ich konnte kaum erwarten, dass sich die Woche endlich vor mir enthüllte, die Probenzeit vor und nach dem Abendessen anstand. Sekundenweise blitzte dann Panik in mir auf, wie eine meterhohe Stichflamme, aufschäumende Säure in meinem Magen peitschend, meinen Adrenalinspiegel hochtreibend und wieder wie ein Schemen verschwindend. Ja, ich riskierte alles, ohne doppelten Boden und ohne Netz. Ein Wagnis, das ich niemals zuvor eingegangen war und von dem ich glaubte, dass niemand auf dieser Welt die Macht besaß, mich dazu zu bewegen. Die Hyänen in meinem Kopf lachten meckernd, doch schienen sie mir schwächer, im Rückwärtsgang krebsend. Ich war auf dem richtigen Weg. ~~?* "Hast du diesen Paragraphen gelesen?" Angel wischte sich vollgesogene Strähnen aus dem rosigen Gesicht, kauerte ermattet auf dem blanken Boden der kleinen Gymnastikhalle, rieb sich mit einem kurzen Ärmel durch das anmutige Lupfen einer Schulter über das Gesicht. Matthias beugte sich zu ihm herüber, bequem in der Hocke, weitaus weniger angestrengt, überflog die Passage im Vorabdrucks des zu verlesenden Textes. Längst lag noch keine Gesamtausgabe vor, feilte man noch an den Formulierungen, doch wurde schon emsig vorab das Notierte verteilt. Angel lehnte sich weit nach hinten, die Arme gespreizt aufstützend, die Augen geschlossen. "Was denkst du darüber?", erkundigte er sich heiser, dann räuspernd. Matthias erhob sich in müheloser Geschmeidigkeit, entfernte sich an die Wand unterhalb der Fensterfront, wo sie ihre Habseligkeiten verstaut hatten. Entnahm einer Leinentasche eine durchscheinende Flasche mit einem isotonischen Getränk, reichte diese Angel an, der in gierigen Schlucken seinen aufgerauten Hals beruhigte. "Ich mag diesen Auszug. Welcher vernünftige Mensch kann denn schon mit vollem Verstand behaupten, er richte sein Leben, seine gesamte Existenz nur an einem anderen Menschen aus?" Angel öffnete die Augen um einen Spaltbreit, seine Mimik drückte Dissens aus. "Dann hoffst du nicht auf die wahre Liebe?", erkundigte er sich lauernd. Die Schultern kreisend gab Matthias ein nachsichtiges Schnalzen von sich. "Wahre Liebe, das impliziert doch nach landläufiger Vorstellung die Suche nach der anderen Hälfte und dann die ewige Liebe... was für ein Humbug." Angels blitzende Augen ebenso furchtlos duellierend fuhr er in heiserem, ironischen Tonfall fort. "Ich für meinen Teil fühle mich keineswegs unzulänglich oder nur als halbe Person, die unbedingt ihr Pendant benötigt. Ergo bin ich für mich selbst komplett. Und was die wahre Liebe betrifft: das ist doch eine naive Wunschvorstellung, die sich andere zunutze machen, um einen manipulieren zu können, nichts weiter." "Andere?!", Angel wirkte verwirrt, kämmte Strähnen hinter die Ohren, zerrte dann unwillig das durchtränkte T-Shirt von seinem Torso. "Sicher", bekräftigte Matthias unbeeindruckt von den Zweifeln in Angels Stimme, "es ist doch für alle bequem, wenn man zwei zusammengeschweißt hat und sie dem Druck aussetzt, dass es für das ganze Leben so zu bleiben hat. Geordnete Verhältnisse, kein emotionales Chaos mehr, leicht durchschaubar, unkompliziert zu lenken. Meist wird der weibliche Part in einem Paar dazu erzogen und geimpft, sich anzupassen und zurückzustecken. Während das männliche Pendant dazu angehalten wird, für die Lebensverhältnisse zu sorgen und den Ton anzugeben. Und beide müssen sich immer wieder zusammenraufen, weil es keine Alternative gibt. Denn", er lächelte diabolisch, "es ist ja die wahre Liebe, da muss man schon mal Kompromisse machen." Angel nagte nachdenklich an einem Daumen. "Aber was ist mit anderen Paaren? Und würdest du denn keine Zugeständnisse machen für jemanden, den du liebst?" Matthias zuckte mit den Schultern, "über andere Paare weiß ich nichts zu sagen, das entzieht sich meiner Erfahrung." "Zugeständnisse?", erinnerte Angel hartnäckig an seine zweite Frage, die Matthias unbeantwortet gelassen hatte. Der kehrte ihm den Rücken zu, dehnte sich die Bänder. "Ich stelle es mir vor wie bei Vertragsverhandlungen. Man tut kund, was man will, erwartet und beitragen möchte. Die andere Partei trägt ihre Ansichten vor. Man findet einen Konsens. Fertig." Angel lachte trocken und bar jeden Amüsements auf. "Aha. Und was ist mit den Gefühlen, der Liebe?" In seinem Magen rumorte es. Hatte nicht Matthias gesagt, er liebe ihn?! Und nun äußerte er sich so abfällig... was war davon zu halten?! Der ließ sich Zeit mit einer Replik. "Vermutlich nur eine chemische Reaktion. Immerhin hat man festgestellt, dass sie nach etwa sechs Monaten abklingt. Da ist doch ein solides Fundament nicht zu verachten, oder?!" Angel betrachtete das maskenhafte Gesicht eingehend, konnte aber keine Entscheidung treffen, ob die Worte nun ernsthaft gemeint oder eine ironische Überspitzung beinhalten sollten. »Liebe nur ein hormongesteuertes Bedürfnis, ein körperlicher Mangel, der mit einem in das Schema passenden Gegenüber befriedigt wurde?! Nicht gerade eine hehere Vorstellung...« Matthias streckte Angel die Hand hin, um diesem aufzuhelfen. "Vagabundierende Hormone, streunendes Serotonin, unterernährte Nerven, gelangweilte Synapsen... ein aus dem Ruder laufendes chemisches Experiment. Was sind wir denn sonst?" Diese rhetorische Frage war nun eindeutig der Bosheit zuzuordnen. Angel ließ sich auf die Füße helfen, gab Matthias' glühende, doch trockene Hand nicht frei. Er fixierte die Stahlaugen eindringlich. "Nicht nur Körper, auch Geist, Seele und Herz. Und mir reicht eine chemische Explosion nicht. Ich will mehr. Ich will alles." ~~?* Ich erwiderte seinen entschlossenen Blick gelassen, hielt mich bedeckt, unleserlich für ihn. Seine Worte tanzten in meinen Ohren, brachen sich in unzähligen Echi, brandmarkten meine Gehirnrinde. 'Ich' 'Will' 'Alles' Genau wie ich. ~~?* Kapitel 6 Die Woche verflog rasch ungeachtet der drückenden Hitze, die wie ein Fanal über den Menschen schwebte, der Natur und den Ermüdeten und doch Schlaflosen keine Rast gönnte. Fieberhaft bereitete man sich vor. In jeder freien Minute probten die unterschiedlichen Gruppen, flog Winny koordinierend hin und her, beriet bei der Ausstattung und bemühte sich im Übrigen, Gitano an eine einzuhaltende Choreographie zu gewöhnen. Der hatte den eindeutig schwierigsten Part. Mit jedem Tag vervollständigte sich der zu verlesende Text, verlängerte sich auch die Dauer des Stücks. Wie die Yin/Yang-Rolle fanden sich auch weitere Darsteller. Eine Kleingruppe stellte ein wogendes Meer dar, eine andere einen Garten Eden, allerdings in moderner Version, wie eine riesige Chemiefabrik mit den Wundern der Pharmazeutik als immerwährendes Glücksgefühl auf medikamentöser Basis. Ebenso eifrig probte die Hausmusiktruppe an ihrer Aufgabe, für die Untermalung der Szenen und des Monologes geradezustehen. Angel, der sich mit recht fragte, was sie wohl tragen sollten oder auch, welche Musik bei ihrer Darbietung aufgespielt wurde, sah sich von Matthias mehr als einmal ausgebremst. Und wo sich gute Worte als nicht ausreichend erwiesen, nahm dieser ihn derart erschöpfend in die Mangel, dass Angel nicht nur die Neugier, sondern auch alles andere vergaß und nur noch wie ein Stein ins Bett fiel. Dass er sich am folgenden Morgen ohne Muskelkater und gut erholt erhob, erstaunte ihn umso mehr, doch Matthias kommentierte seine Verblüffung lediglich mit einem winzigen Lächeln. Am Donnerstagnachmittag schließlich streckte Angel die Waffen. "Matti, heute Abend will ich mit den anderen ins Kino gehen. Lassen wir es gut sein, okay?" Die Arme unsicher auf die Knie gestützt, weit übergebeugt, rang er weniger um Luft als um Haltung. "Und die Kostüme?", aus Matthias' heiserer Stimme brachen sich frostige Eiszapfen. "Das können wir doch danach noch machen, oder?" Angel gab auf und klappte wenig anmutig auf dem Boden zusammen. Die Arme ausstreckend lag er wie ein Gekreuzigter flach auf dem Rücken. "Du kannst auch aus meinem Schrank nehmen, was du möchtest..." Für Minuten hörte man nur das leise Zischen von Stoff, konzentrierte Atemstöße, Windzüge, als Matthias im Schnelldurchlauf seine Kata absolvierte. Angel drehte den Kopf in die Richtung, in der er Matthias' letzten Standort vermutete, schlug dann die Augen wieder auf. "Bitte, Matti... ich brauche einfach mal eine Pause..." Matthias beendete seine Kata, schüttelte dann in lässiger Manier seine Glieder aus, um geschmeidig und ohne Spuren der letzten beiden Trainingsstunden neben Angel in die Hocke zu gehen. Der wunderte sich immer wieder, welche Nehmerqualitäten der Schwarzhaarige besaß, denn allzu oft konnte Angel die angedeuteten Schläge und Treffer nicht mehr vollständig abbremsen und traf Matthias, doch der ignorierte den Umstand kommentarlos. Sie betrachteten einander eingehend: das angestrengte, rötlich getönte Gesicht, die trüben, grünen Augen, von Erschöpfung gezeichnet und sein Gegenüber, kaum erhitzt, reserviert, unbeeindruckt. Dann wölbte Matthias seine Hand um Angels Wange, ließ sie dort trocken und glühend ruhen. Angel seufzte unwillkürlich. Es schien ihm, als ströme Matthias' unbändige Energie durch seine Hand kanalisiert in seinen Kopf, drang in Knochen, Sehnen und Muskeln ein, vermischte sich mit seinem fiebrigen Blut. Er empfand es als eine unbeschreibliche Wohltat. "Kannst du aufstehen?" Matthias entzog ihm die tröstliche Kraftquelle, bot sich als Stütze an. Enttäuscht murmelnd rollte sich Angel daraufhin auf die Seite, zog die Knie unter den Leib und richtete sich so umständlich und unsicher wie ein Kleinkind auf. Matthias wirkte nicht durch diesen Alleingang gekränkt. Er durchquerte in dem surreal schwebenden Gang, der auf Angel niemals seine Wirkung verfehlte, die Halle und ging zur Wand, um ihre Habseligkeiten aufzulesen. Noch bevor Angel den Türbogen erreicht hatte, war Matthias wieder an seiner Seite, lag eine Hand flach auf seinem Rücken, strahlte feurige Energielohen direkt durch die Rippen in sein Herz. Als sich vor ihnen die Tür zum Flur öffnete, stand ihnen Gitano frontal gegenüber. ~~?* Ich hatte bereits mit Winny meine Vorabentwürfe diskutiert und arbeitete mich nun konzentriert durch den Fundus unserer gemeinsamen Kleiderstücke. Angels Schrank barst förmlich vor Designermodellen. Einiges schien nur selten getragen zu sein, entsprach auch kaum seinem Geschmack, anderes hingegen überraschte mich durch seinen ausgeprägt verschlissenen Gesamteindruck. Ich fand tatsächlich so einiges, was meiner Vorstellung entsprach, wie wir beide uns kostümieren sollten. Die Accessoires mussten allerdings in Handarbeit fertiggestellt werden, sodass ich, den Rhythmus mit einem Fuß locker schlagend, über meiner Arbeit auf dem Schreibtisch saß, als Angels Mobiltelefon zu lärmen begann. Unschlüssig funkelte ich den Störenfried an, entschied endlich, den Anruf abzunehmen, als sich die Melodie in eine weitere Schleife begab. Nachdem ich meinen Namen zur Vorsicht zuerst genannt hatte, lachte eine Frau dunkel sprudelnd an mein Ohr. Intuitiv erkannte ich meine Gesprächspartnerin: das konnte nur Monika, Angels Freundin sein. Tatsächlich verwickelte sie mich gut gelaunt in ein Gespräch, lud uns beide für den nächsten Tag in ihr Haus ein, musste sie doch erneut nach Frankreich in einer Rechtsangelegenheit. Was es ihr zu ihrem großen Bedauern auch versagte, unserem Auftritt beizuwohnen, sodass sie mich beschwor, die Kostüme mitzubringen, um ihr einen kleinen Vorgeschmack auf das Ereignis zu präsentieren. Ihre quecksilbrig fröhliche Art machte es mir unmöglich, ihren Wunsch abzuschlagen, auch wenn ich eine gewisse Nervosität verspürte angesichts des Aufeinandertreffens. Ohne Angels ausdrückliche Erklärungen war ich mir bewusst, wie wichtig diese Frau in seinem Leben war, sie die Stelle seiner Mutter einnehmen konnte. Die Hyänen in meinem Hinterkopf heulten triumphierend auf. Wie pubertär, wie lächerlich, ich gerierte mich ja, als hieße es, dem Vater meiner Braut Rede und Antwort zu stehen, um ihre Hand zu gewinnen! Und, unwillig musste ich dem schrillen Diskant beipflichten, so abwegig war diese Vorstellung vermutlich gar nicht. ~~?* Angel polterte ungelenk in das Zimmer, hielt schlingernd vor den Schreibtischen inne, auf denen Matthias noch immer thronte, seine Handarbeit ausgebreitet. Die Augen vor Müdigkeit brennend und erschöpft registrierte Angel nur beiläufig Matthias' Kunstfertigkeiten, schwankte dann aufgezogen zu seinem Bett, um sich während der wenigen Schritte bis auf die Unterhose zu entblättern und frontal in die Matratze zu sinken. Matthias verfolgte diesen filmreifen Auftritt mit gerunzelter Stirn, enthielt sich aber jeden Kommentars. Vielleicht war die vergangene Woche doch ein wenig zu hart für den weißblonden Jungen gewesen? ~~?* Ein angstvolles Wimmern, kaum hörbar gefangen hinter fest aufeinander gepressten Lippen, riss mich aus einem klebrigen, wenig erholsamen Halbschlaf. Als ich mich aufsetzte, musste ich nicht lange nach der Ursache des Wehklagens Ausschau halten, denn Angel wälzte sich auf seinen bereits verknoteten Laken umher, wand sich wie ein betäubter Fisch. Im Licht der Nachtleuchte, die ich neben seinem Bett eingeschaltet hatte, konnte ich erkennen, dass seine Augenlider fest geschlossen waren, er vermutlich noch immer in einer Albtraumwelt gefangen war, ungeachtet seiner heftigen Bewegungen. Ich zögerte zunächst, aufzustehen und zu ihm zu treten, hatte ich doch noch in Erinnerung, wie verschreckt er auf eine solche, unerwartete Annäherung reagierte. Doch bald konnte ich das erstickte Winseln nicht mehr ertragen, raffte mich auf und ging an seiner Seite in die Hocke. Anstrengung verzerrte seine attraktiven Züge. Er war mit kalten Schweiß bedeckt und atmete viel zu flach und hektisch. Mein Herzschlag brannte schmerzhaft, als unerwünschte Visionen sich in meinem schlaftrunkenen Geist aufbäumten, bis ich sie mit einer vehementen Absage vertrieb. "Angel", krächzte ich heiser, platzierte dann vorsichtig meine Hand auf seiner Wange, die trotz der vorherrschenden stickigen Schwüle in unserem Zimmer klamm war. Mit einem hastigen Ächzen nach Luft schreckte er hoch, die Augen weit aufgerissen, in verzweifeltem Entsetzen. "Angel...", wieso musste ich nur über eine so unmanierlich raue Stimme verfügen?! Glücklicherweise erkannte er mich nach einigen angstvollen Wimpernschlägen, sackte tief in sein zerwühltes Kissen zurück. Seine Brust hob und senkte sich in dem Tempo eines Sprinters nach Erreichen des Ziels, und ich verging vor Sehnsucht danach, meine Hände auf die zweifelsohne schmerzenden Partien zu legen und ihn unter mir zu spüren. Eine unmögliche Option in dieser Lage. Er wandte mir nun das Gesicht zu. Ein verwackeltes Lächeln irrte über seine angestrengten Züge, verschwand aber spurlos, als es keine Zuflucht fand. "Geh duschen", wies ich ihn an, rückte von ihm ab, damit er auf die Beine kommen konnte. All die Versicherungen, die man kleinen Kindern auf den Weg gab, dass es nur ein böser Traum gewesen sei, den man verscheuchen konnte: ihm konnte ich diese Gewissheit nicht geben. Er hatte Albträume durchlitten, die niemals jemand vertreiben konnte. Mir blieb nur, mit knirschenden Zähnen ihm ein wärmendes Lager an meiner Seite zu bieten, damit er sich nicht verkühlte. Eine Decke über uns auszubreiten und zu hoffen, dass sich die Geister seiner Vergangenheit für diese Nacht ausgetobt hatten. ~~?* Angel kroch aus Matthias' Bett, das wie an jedem Morgen bereits verlassen war. Er erinnerte sich schemenhaft an die letzte Nacht, doch dies war keine Angelegenheit, die er weiter verfolgen wollte. Auf seinem Schreibtisch warteten wie in einer Parade aufgereiht Kakao, Joghurt und ein bauchiges Sandwich auf ihn, angeführt von einer kurzen Notiz in Matthias' gestochen scharfer Handschrift, die besagte, dass Monika sie für diesen Nachmittag in ihr Haus einlud. Angel kämmte elektrisch aufgeladene Strähnen hinter seine Ohren. Dass Matthias sich um ihn sorgte, rührte ihn an. Die Tatsache jedoch, dass er bereits den zweiten und auch letzten Abend vor der Aufführung ohne Training verbrachte und Matthias sich rar machte, stimmte ihn nachdenklich. »Habe ich ihn verärgert?« ~~?* Es half, sich auf die einzupackenden Kleidungsstücke zu konzentrieren, um der Anspannung Herr zu werden, die mich zu meinem eigenen Missfallen behelligte. Angel tigerte neben mir auf und ab, die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkt, die grünen Katzenaugen hinter seiner Sonnenbrille verschanzt. "Das wird nie was, Matti...ich schaff das nicht, morgen Abend... ich meine, ich verpatze es garantiert. Nicht mal die Abfolge habe ich schon verinnerlicht!" Nachdem ich die ersten beiden Male seine Selbstanklage beschwichtigend beantwortet hatte, gab ich es auf, denn ich erreichte ihn gar nicht, so sehr hatte er sich in seinen düsteren Vorahnungen verfangen. Ich war mir sicher, dass wir Erfolg haben würden, auch wenn es dafür keinen gegenständlichen Beleg gab. "Es ist Zeit", bremste ich nachdrücklich die nächste Runde seines einsamen Paradierens, dirigierte ihn zur Tür. Jeden Augenblick konnte seine Freundin vor der Schule eintreffen, und ich wollte sie nicht unhöflich warten lassen. »Jaja, genau wie beim Vater der Braut«, ätzte es in meinem Hinterkopf. ~~?* Monika bog schwungvoll in die kleine Straße ein, die an der Schule vorbeiführte, ein kurzes Stück, das parallel zu einer viel befahrenen Ausfallstraße angelegt worden war. Durch die grünlich getönten Gläser ihrer Sonnenbrille konnte sie auf den Absperrgattern vor dem Foyer zwei Gestalten erkennen, die eine so intim vertraut mit ihrer biegsamen Gestalt und dem weißblonden Schopf, dass ihr Herz einen beglückten Hüpfer absolvierte. Die andere Person, ungeachtet der nachmittäglichen Sommerhitze vollständig in Schwarz gekleidet, mit der tiefgebräunten Haut, die ihren Ursprung in einer genetischen Vorprägung hatte, wirkte wie ein Schattenbild Angels. »Das muss wohl Matthias sein... Matti, wie Angel ihn nennt.« Sie bremste, musterte die sich nähernden Jungen eingehend. Angels Züge trugen Zeichen der Erschöpfung, obwohl er vor Freude strahlte, während Matthias' Miene undurchdringlich schien. "Monika!" Sie hatte kaum Gelegenheit, sich aus dem niedrigen Sitz hoch zu schieben, als Angel sie bereits umschlungen hatte und fest an sich drückte, als biete sie den einzigen Halt in seinem Universum. "Mein Herz, ich freue mich auch, dich zu sehen", neckte sie ihn sanft, streichelte liebevoll durch die weißblonden Haare und begrüßte den bittersüßen Schmerz, den Angels Nähe niemals vergaß auszulösen. »Wärst du doch nur mein Sohn...« Angel löste sich widerstrebend von ihr, als er sich an seine Manieren erinnerte, die geboten, auch Matthias vorzustellen. Der hatte geduldig und reglos im Hintergrund gewartet, reichte nun höflich zurückhaltend die Hand. Monika betrachtete ihn eingehend, und Matthias' Stahlaugen korrodierten, errichteten Barrieren, wie Monika durchaus bemerkte. Mit einer ausschweifenden Geste lud sie nun beide ein, Platz zu nehmen, wobei Matthias ohne Aufforderung im Fond Platz nahm, neben einer Stofftasche, die ihre Habseligkeiten enthielt. Angel lächelte unentwegt sonnig und plauderte mit Monika, die sehr viel öfter, als dies verkehrstechnisch erforderlich war, im Spiegel nach Matthias' Augen Ausschau hielt, doch diese ließen sich nicht aus der Reserve locken. ~~?* Ich spürte ihre Blicke wie einen Laser auf mich ausgerichtet und verbarrikadierte mich hinter den trutzigen Mauern meines reglosen Mienenspiels. Ob sie mich wohl mit diesem Frank verglich? Vermutlich...und ich war überzeugt, dass ich negativ abschneiden würde. Es verwirrte mich, die beiden zu beobachten. Sie verhielten sich nicht etwa außergewöhnlich, doch ihre Körper widerlegten jede andere Wahrnehmung, so intim und liebevoll, wie sie sich einander zuwandten. Nicht einmal meine gluckenhaft programmierte Mutter verfügte über eine solch intensive Ausstrahlung. Sie liebte ihn, das war selbst für jemanden wie mich nicht zu übersehen. Wenn ich mich recht entsann, so hatte Angel erwähnt, dass sie keine eigenen Kinder hatte. Sollte Angel ihr Ersatzsohn sein? Seltsam, dass ich keinerlei Eifersucht verspürte wie bei Gitano....nein, mir schien, als könnte sie in Eintracht mit Urs eine Phalanx bilden, die Angel beschützen könnte vor den Unbillen seiner Vergangenheit und Gegenwart. Fraglich jedoch, ob sie mich in ihrem Bund den Dritten sein ließen. ~~?* Monika sprudelte in ihrer lebhaften, sympathisch temperamentvollen Art einige Begebenheiten ihres letzten Ausflugs nach Frankreich heraus, entschuldigte sich sogleich wortreich, dass sie Matthias keine Möglichkeit der Mitsprache gegeben hatte, doch dieser winkte bescheiden ab. Nachdem sie es sich in der umgewandelten Galerie auf dem alten Sofa bequem gemacht hatten, folgte Matthias der Offerte, sich Bilder und Fotografien anzusehen, um Angel und Monika die Gelegenheit zu weiterem Austausch zu geben. Angel genoss die vertraute Nähe, bettete sich kichernd auf Monikas Schoß, um sich schnurrend wie ein Kätzchen durch die Haare kraulen zu lassen. Er bemerkte die leichte Blässe unter den Sommersprossen, die wenigen Silberfäden in den wilden, dunklen Locken, Spuren einer aufreibenden Zeit. Fing behutsam die kleinen Hände ein, führte sie an seine Lippen, um zärtliche Küsse auf die samtweichen Handrücken zu hauchen. "Du siehst angestrengt aus, Moni", raunte er leise, besorgt. "Ach, mon ange...ich bin nur ein wenig müde", mit einem lebhaften Augenzwinkern beschied ihm Monika eine sanfte Ablehnung, doch Angel ließ sich nicht beirren. "Würdest du mit mir die Herbstferien verbringen? Hmm?", schmiegte er sich auffordernd an ihre Mitte, doch wohnte dieser Geste nichts Anzügliches oder Erotisches inne, wie Monika nicht verhehlen konnte zu bemerken. »Nein, was sie in einer einzigen Nacht einander zum Trost und Schutz gewährt hatten, würde niemals wiederkehren. Vielleicht fühlte Angel für sie wie für eine Mutter?« "Ich weiß nicht, was deine Eltern dazu sagen würden", erinnerte sie sich an die Tatsachen, zwang sich ein nachsichtiges Lächeln auf die Lippen. Angel lächelte kalt, maliziös. "Meine Eltern", er spie das Wort wie einen Fluch aus, "haben sich bisher nicht um mich gesorgt, warum sollten sie das ausgerechnet dann tun?! Nein, Moni, wenn es dich nicht stört, würde ich sehr gern meine Ferien mit dir verbringen!" Zu seinem Erschrecken beschlugen die Augen über ihm, sodass Angel hochschnellte und tröstend die Arme um Monikas fragile Gestalt schlang. "Ich habe dich vermisst, mon Ange", flüsterte sie unterdrückt schluchzend an seinem Ohr. ~~?* Auch wenn sie sich bemühte, konnte ich ihre tränenversetzten Atemzüge hören, Angels liebevolles Flüstern und Liebkosen, die Zärtlichkeit, mit der er die Frau in seinem Armen wiegte. Mir war immer bewusst gewesen, dass Angel niemandem allein gehören konnte. Zu stark war seine Wirkung auf andere, doch wie schmerzhaft es sich ausnahm, ihn nicht beständig an der eigenen Seite zu wissen, erlebte ich nun mit eigenen Augen. Ein eisiger Schauer durchrieselte mich. Irrte ich mich dieses Mal, so würde ich ihn für immer verlieren. Diese Aussicht erschreckte mich ins Mark, rief sie mir doch erst ins Bewusstsein, wie sehr ich mich daran gewöhnt hatte, dass er für mich immer erreichbar war. Ich war nicht mehr länger allein. Hastig schlug ich eines der Alben auf, die in einem wackligen Stapel vom Fußboden aufragten. Angel... in vielen Posen, so unverwechselbar und doch wandlungsfähig wie ein Chamäleon. Und stets von einer atemberaubenden Schönheit. Wie viele Leute wohl eine dieser Fotoserien betrachtet hatten? Wie viele von ihnen hatten danach des Nachts von ihm geträumt, sich nach ihm gesehnt? Ich war einer von ihnen geworden. Nur dass meine Chancen sehr viel besser standen. ~~?* Angel beäugte die roten Kleidungsstücke misstrauisch, auch wenn er sie sehr wohl als sein Eigentum identifizierte. "Wieso rot?!", beschränkte er sich zunächst auf die unbedeutendste Frage, die in seinem Kopf aufbrauste. Matthias, der sich mit der üblichen Reserviertheit mit dem Rücken zu ihm umgezogen hatte, band sich unter Zuhilfenahme seiner Zähne ein Band um das Handgelenk. Die Enden flatterten über einen ganzen Meter Richtung Boden. Nachdem er wieder in artikulierfähiger Position war, erläuterte er sachlich. "In der chinesischen Oper gibt es einen bestimmten Farbcode, dem wir uns anschließen wollen. Es ist natürlich nicht vorhersehbar, ob die Zuschauer instinktiv die Charaktere der Darsteller anhand ihrer Kostümierung erkennen, aber wir befassen uns ja auch mit einem Experiment, nicht wahr?! Also, Rot kennzeichnet einen loyalen, aufrechten und tapferen Menschen. Schwarz bedeutet eine gute, kraftvolle, etwas grobe und schroffe Natur. Blau charakterisiert Wildheit und Unerschrockenheit, Arroganz, während Gelb die gleichen negativen Eigenschaften zeigt, aber auch einen klugen Kopf kennzeichnet. Grün steht für einen unbeständigen Charakter, etwa einen Teufel. Orange und Grau verweisen auf das Alter und Gold auf die Götter." Unaufgefordert verzierte Matthias Angels Handgelenke mit roten Bändern, die bei jeder Bewegung flatterten, zupfte das bauchfreie Netztop zurecht, das Angels anziehender Figur den perfekten Rahmen gab. "Du bist also der wilde Mann und ich das Musterbeispiel des netten Typs von nebenan?", nörgelte Angel unbefriedigt, pusselte an seinen Handgelenken herum. "Vielleicht ist es Feuer und Wasser, vielleicht heiß und kalt, vielleicht versteht niemand die Bedeutung...", Matthias schob Angel ungeduldig auf den Flur zur Galerie, "was zählt, wird unser Kampf sein." Als sie vor Monika aufmarschierten, die zur Belohnung bereits in der Küche einfache Schnittchen kreiert hatte, erstarrte diese für Augenblicke. Matthias zweifelte nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, denn unter dem Parero konnte auch die kunstvolle Schleife nicht das Narbengeflecht auf seiner warmen Haut verbergen. Ohne einen Kommentar abzugeben, trat sie auf Angel zu, um dessen Hosenbund umzuschlagen, sodass diese einen sanften Bogen auf den Hüftknochen bildete. Mit jeder verstreichenden Sekunde der Stille baute sich eine verdichtete Atmosphäre voller Erwartung und energetischer Spannung auf. Als Monika sich langsam rückwärts auf das Sofa zubewegte, von dem aus sie ihre Darbietung verfolgen wollte, konzentrierte Matthias Angels Aufmerksamkeit auf sich, indem er eine Hand besitzergreifend in Angels Nacken legte und diesen funkenschlagend anvisierte. Sie verharrten, bis Matthias befand, dass sie ausreichend Ruhe gefunden hatten, um nun ernsthaft ihre Vorstellung zu eröffnen. Wenn Angel sich durch die flatternden und nun mit jeder scharfen Bewegung in der Luft knatternden Bänder irritiert fühlte, so zeigte er dies nicht. Parierte jeden Hieb in der abgesprochenen Reihenfolge, wirbelte mit Matthias in einem engen Kreis umeinander, einem Ring, den sie nicht verlassen konnten. Eine der schwierigsten Übungen bestand in einer Rückwärtsbewegung, die Angel in eine tiefe Rückenlage bringen sollte. Allerdings versagten in diesem Durchgang seine angespannten Muskeln ihren Dienst, und Angel brach förmlich unvorbereitet in eine Brücke hinab, bevor unter ihm seine Beine einknickten. "Nein!" Matthias' raue Stimme blaffte so befehlsgewohnt, dass selbst Angels ermattete Glieder erstarrten. Dann beugte er sich in einer fließenden Bewegung vor, umfing Angels stürzenden Leib behutsam, zwang dessen Aufmerksamkeit auf sich. "Langsam jetzt." Und grub die Zehen in den Boden, spannte seine eigenen Muskeln stählern an, um nur durch den eigenen Einsatz Angel vorsichtig, Zentimeter um Zentimeter, in eine aufrechte Lage zu bringen. Schweißperlen traten auf seine Stirn, doch die Stahlaugen verließen für keinen Wimpernschlag Angels Gesicht, während dieser sich bemühte, nicht unerwartet unter Matthias wegzusacken und dessen Bemühungen zu torpedieren. Als es endlich gelungen war, in atemloser Spannung Angel vertikal auf die Beine zu stellen, hielten sie einander noch immer fest umschlungen. Sie erfuhren die gegenseitige Erleichterung durch das sich potenzierende Zittern der erschöpften Muskeln, das sie schwanken ließ. "Alles... okay?", erkundigte sich Matthias schließlich mit schwerer Zunge, rückte vorsichtig von Angel ab, der um Fassung rang, wurde ihm doch nun nachträglich bewusst, dass er nicht nur ihren Auftritt "geschmissen" hatte. Sondern ohne Matthias' umsichtige Reaktion sich auch erhebliche Verletzungen hätte zufügen können. "Ich... ich hab's...vermasselt... und morgen...", er schluckte bereits an aufgelösten Tränen, als Matthias ihm sanft die flache Hand über den Mund legte. "Im Orchester heißt es, eine versemmelte Generalprobe ist ein gutes Omen für die Vorstellung. Warum sollte es nicht bei uns genauso sein?! Du bist nur müde, das ist alles, Angel." "Vielleicht solltest du dich erst mal hinsetzen, Schätzchen?" Monika nahm bereits seinen Arm und dirigierte ihn liebevoll zum Sofa. Angel sackte wie ein Häufchen Elend in sich zusammen, richtete sich dann aber mit einem Schmerzlaut auf. Es war keinesfalls ratsam, die überdehnten Wirbel einer erneuten Belastungsprobe auszusetzen. Um ihn abzulenken, lobte Monika ausdrücklich ihre Darbietung und bedauerte wortreich, dass sie verhindert sei, diese am morgigen Tag zu verfolgen. Bekundete aber die Hoffnung, dass sie die Bilder, die sie von beiden Jungen unbemerkt geschossen hatte, ausreichend für diesen Verlust entschädigen würden. Nachdem sich abzeichnete, dass Angel keinen längeren Kampf mehr gegen seine Mattigkeit durchstehen würde, ließ er sich ohne Widerspruch von Matthias zum Auto führen und verschlief an dessen Schulter die Heimfahrt, während Monika und Matthias sich stumm über die Spiegel duellierten. Vor der Schule angekommen verabschiedete sich Matthias mit wohlgesetzten Worten und transportierte das Gepäck ab, während Angel, am windschnittigen Chassis des Cabrio Halt suchend Monika anlächelte, mit fahrigen Gesten seine Haare hinter die Ohren bannte. "Hier, Schätzchen", Monika drückte ihm eilig ein winziges Makeup-Set in die Hand, das in seiner vorigen Bestimmung als Werbepräsent gedacht gewesen war. "Oh, danke", murmelte Angel schwerfällig, musste sich sichtbar anstrengen, seine freundliche Miene zu bewahren. Monika wischte ihm sanft durch die weißblonden Strähnen, zeichnete mit den Fingerspitzen seine Gesichtszüge nach. "Ich wünsche euch Hals und Beinbruch, mein Herz. Und nun geh rasch hoch in dein Bett und schlaf dich aus, ja?" Mit einem sanften Kuss auf Angels Lippen wollte sie sich verabschieden, eine mehr als hastige Flucht, doch Angel vereitelte ihr Bemühen. "Was denkst du, Moni...über Matti?" Angel den Rücken zukehrend beugte sie sich schwer über die Tür, stützte sich mit beiden Armen auf dem Rahmen ab. Vor ihren Augen blühte erneut unwillkommen eine Szene auf, die ihren Kreislauf zum Stocken brachte, ihren Puls in höhere Frequenzen trieb. Angel in Matthias' Armen, wie ein gefallener Engel geborgen, während ihre Augen keinen Wimpernschlag voneinander ließen. Sich intensiv umwarben, ohne Laut hochverdichtet kommunizierten, ein intimes Netz woben, das von niemandem zu durchdringen war, gleichsam den Lauf der Zeit anhielten. Es schauderte sie. Rasch öffnete sie den Verschlag und rutschte hinter das Lenkrad, als Angel in gefährlichem Übergewicht sich zur Beifahrerseite hineinlehnte. "Moni... magst du ihn nicht?" Unsicherheit und Verwirrung trudelten in Angels matter Stimme. Eine Grimasse drängte sich in ihre Gesichtszüge. Dann, mit schmerzlichem Lächeln, wandte sie sich zu Angel um. "Er... ist gefährlich... Angel..." ~~?* Ungeduldig erwartete ich seine Rückkehr, lauschte auf den Aufzug, den er sicherlich gewählt haben würde, um nicht die volle Höhe des Treppenhauses bewältigen zu müssen. Als er unsicher im Türrahmen lehnte, erschrak ich über seinen fahlen Ausdruck, die Mühsal in seiner Haltung. Ohne ein weiteres Wort schloss ich die Tür hinter ihm fest, dirigierte ihn auf sein Bett und wickelte ihn wie ein kleines Kind aus seinen Kleidern. Er stöhnte leise, als meine Finger über seinen Rückgrat strichen. "Leg das Kissen unter", wies ich ihn an, "ich werde dich vorsichtig massieren." "Da... ist... Öl... meiner... Tasche...", raunte er in das Federkissen. Ich öffnete im Badezimmer seine Toilettentasche und stieß unversehens auf Artikel, denen meine Suche ganz sicher nicht galt: Kondome und Gleitcreme. Letztere hatte ich, ebenso wie die eindeutige Beschriftung der Präservative ihren Einsatzzweck marktschreierisch verkündete, noch niemals zuvor in realitas gesehen. Einen boshaften Stich von Eifersucht und Misstrauen herunterschluckend arbeitete ich mich bis zu einer dunklen Flasche vor, der ein starker Duft nach Pfefferminzöl, mit einer Zitrusnote gemildert, entströmte. Als ich in unser Zimmer zurückkehrte, döste Angel bereits in trauter Umarmung des Kissens. Ich nahm an seiner Seite Platz, wärmte mit kinetischer Energie meine Handflächen auf, bis sie funkenspringend prickelten, um dann behutsam die ölige Flüssigkeit auf seiner warmen Haut zu verteilen. Es kostete mich einiges an Konzentration, Bandscheiben und Wirbel zu beruhigen, Angels unwillkürliche Bewegungen auszugleichen und seine genießerischen Seufzer unkommentiert zu lassen. Meine Arbeit mit einem sanften Hieb auf die appetitliche Kehrseite beendend stieß ich mit den Füßen gegen eine kleine Schachtel. Schminke?! "... Matti...?" Ich drehte mich um, legte das flache Kästchen achtlos auf Angels Schreibtisch ab. "Ja?" "... bist... du.... gefährlich...?", nuschelte es im Halbschlaf in die Federmasse. Verwirrt betrachtete ich die weißblonde Mähne, die nun über die Schultern reichte, die anmutige Gestalt unter der dünnen Decke, golden schimmernd im Pegel der Nachtleuchte. Gefährlich? Waren es ihre Sorgen, die aus seinem Mund sprachen? Ich ertappte mich bei einem bitteren Lächeln. "Ich bin gefährlich... aber besiegbar", schickte ich rau zu ihm hinüber, doch ob er meine Replik noch hörte, konnte ich nicht abschätzen. ~~?* Kapitel 7 Aufgrund der vielfältigen Theatervorbereitungen war an den samstäglichen Unterricht nur in sehr reduziertem Rahmen zu denken. Angel kämpfte mit wachsender Verzweiflung gegen eine lähmende Müdigkeit an, die doch an diesem Abend absolut unerwünscht war. Matthias hingegen schien vollkommen unbewegt. Hochkonzentriert folgte er dem Lehrgeschehen, verabschiedete sich nach dem Mittagessen zu einem einsamen Training im angrenzenden Park, um dem Getöse und sich steigerndem Adrenalinpegel sämtlicher Beteiligter auszuweichen. Angel nutzte die Gelegenheit, sich auf Matthias' Bett auszustrecken. Seines hatten sie kurz vor Unterrichtsbeginn der Laken und Bezüge beraubt, um diese einer Runde in der Waschmaschine zuzuführen. Seine Sorge jedoch ließ keinen erholsamen Schlaf zu, lediglich ein klebriges Dösen in der stickigen Atmosphäre, die diesen spätsommerlichen Tag kennzeichnete. Als Matthias in raubtierhafter Geschmeidigkeit das Zimmer betrat, um rechtzeitig zu duschen und sich umzukleiden, tigerte Angel in nervöser Unrast im Zimmer auf und ab, ein wahrhaftiges Nervenbündel. "Unter die Dusche", kommandierte Matthias energisch, verteilte in Gemütsruhe und unerschütterlich ihre Kostüme auf den aufgeräumten Schreibtischen, breitete die Utensilien übersichtlich aus. Angel, ein wenig abgekühlt, aber kaum weniger verunsichert, trippelte an seiner Seite auf der Stelle, bis Matthias entschied, dass schwerere Kaliber aufzufahren seien. Mit einem boshaften Funkeln in den Stahlaugen winkte er Angel mit gekrümmtem Zeigefinger machohaft heran, bis dieser in Wimpernschlagentfernung frontal vor ihm stand, ihn unverhohlen Hilfe suchend anblickte. "Schließ die Augen", raunte er heiser, fing Angels schmale Hände ein, um sie sich jeweils auf Brust und Unterbauch zu legen und wechselseitig diesem dieselbe Aufmerksamkeit zu erweisen. Wie erwartet passte sich Angel seinem tiefen, langsamen Atemrhythmus in erstaunlich kurzer Zeit an, löste sich die verkrampfte Alertheit aus seinen anmutigen Gliedern. Ein winziges Lächeln tänzelte verirrt auf Matthias' unterkühlten Zügen, als Angels Atemzüge leisen Seufzern glichen, ein sanft wogender Impuls sie durchlief. Langsam, bedauernd, führte er Angel wieder in die Wirklichkeit zurück, bedeutete diesem, die Glieder energisch auszuschütteln und einige rasche Atemzüge hinauszupressen. Angel blinzelte noch immer träumerisch, als sich Matthias unter die Dusche verabschiedete. ~~?* Ich sollte nervös sein. Immerhin geht es um alles. Doch ich bin ruhig. Erschreckend gelassen, wie das Auge eines Orkans. Als ob die frei fliegende Energie aller anderen einen komprimierten Wirbel um mich erzeugen würde, doch mich selbst unberührt ließ. Während ich mir die spärlichen Tropfen, die nicht sofort der Verdunstung anheim fielen, aus den Augen wischte, spulte sich in meinem Kopf erneut die Choreographie ab. Wir befanden uns im letzten Drittel der Aufführung, sodass wir einige Zeit zu warten hatten, doch ich beabsichtigte nicht, dies inmitten einer Horde nervöser Darsteller hinter der Bühne zu absolvieren. Nein, mein Plan sah vor, dass ich mich mit Angel in den Gymnastikraum zurückzog und erst Minuten vor dem Vorhang erschien. Ich fahndete unwillkürlich nach den Geisterhyänen in meinem Schädel, doch ihr weinerliches Murren drang kaum in mein Bewusstsein. Als habe man eine Käseglocke über sie gestülpt. War das die Auswirkung meiner Zuversicht?! Ich mochte es kaum glauben. Aber es fühlte sich berauschend an. ~~?* Angel war bereits in sein Dress geschlüpft, wickelte den Hosenbund umeinander, um diesen tief auf seinen Hüftknochen reiten zu lassen. Bemühte sich dann, die winzigen Schleifen an den Knöcheln zu binden, die verhindern sollten, dass man sich unbedacht im Stoff verhedderte und selbst zu Fall brachte. Das Netztop schwang sanft um seine kurzen Rippen. Lediglich die flatternden Bänder um die Handgelenke wollten sich nicht seinem Willen unterordnen, als Matthias wieder in ihr Zimmer zurückkehrte. Er glitt ohne Aufhebens in seine blaue Hose, wickelte sich Schnürsenkel in passender Tönung von den Knöcheln überkreuz bis unter die Knie, band die Schleife unter dem Bauchnabel. Streifte den Parero über, verknüpfte die dünne Kette, die beide Flügel verbinden sollte, sehr großzügig miteinander. Dann streckte er die Hand aus, auffordernd und stumm, erprobte ihre intuitive Verständigung. Angel reichte ihm seine Hand, ließ sich die Bänder befestigen, um dann Matthias' Handgelenken das Gleiche angedeihen zu lassen. Als dieser ihn jedoch mit sanftem Nachdruck auf die Schreibtischplatte dirigierte, blinzelte er überrumpelt. Unerwartet flinke Finger verflochten Strähnen rund um sein Gesicht zu winzigen Zöpfen, die sich in Höhe der Ohren wieder in der weißblonden Flut bis zu seinen Schultern auflösten, ihm auf diese Weise aber freie Sicht ermöglichten. Dann klappte Matthias das Makeup-Set auf, das ihnen Monika verehrt hatte, wies Angel wortlos an, die Lider zu senken. Um diese in einem warmen Hennaton zu bestreichen, die schmalen, amüsiert gekräuselten Lippen in Karmesinrot zu tauchen und mit einigen gezielten Strichen entlang der Nasenflügel und Augen Angels attraktivem Gesicht etwas Fuchsartiges zu verleihen. Eine angedeutete Flammenzeichnung auf Stirn und Kinn, keilförmig zulaufend, und Matthias nickte zufrieden, gewährte Angel einen kritischen Blick in einen Handspiegel. Matthias strebte nun in wiegendem Schritt der Zimmertür zu, als Angels Hand an seinem Ellenbogengelenk ihn abrupt bremste. Sogleich fand er sich nun gegen die Schreibtischplatte geschoben, mit zärtlichem, aber unmissverständlichen Nachdruck tief hinuntergebeugt. Dann ließ Angel einen blauen Filzstift mit breiter Mine in der schlanken Hand kreisen. Seine Finger glätteten geübt die Haut auf Matthias' Bauch, um die Flammenzeichnung der Narben zu betonen, ein veritables Sonnengeflecht zu beschwören. Der intensive Geruch des Lösungsmittels ließ sie beide husten, dann erlaubte Angel Matthias, sich wieder in die Senkrechte zu begeben. Auch er musste sich nun eine Maske auf das Gesicht zeichnen lassen: breite indigofarbene Streifen mit zackigen Kanten, wie Blitzschläge aus Kobalt. "Warte, ich mache ein Bild!" Angel kramte eilends in seinem Schrank, programmierte dann seine winzige Kamera auf Selbstauslöser, um mit Matthias zu posieren, der die Augen rollte und sich selbst in eine schauerliche Götzenfigur verwandelte. Doch kaum hatte der Blitz das Dämmerlicht ihres Zimmers taghell erleuchtet, nahm er sich zurück, umfasste bestimmt Angels Hand und dirigierte diesen auf den Flur. Es war Zeit. ~~?* Ob Gary Cooper in "Zwölf Uhr Mittags" auch diese Befreiung verspürt hatte, als endlich der Zenit der Ereignisse erreicht war? Wir wärmten uns auf, in der vorherrschenden Hitze eigentlich überflüssig, dehnten unsere Glieder, sammelten uns, wobei Angel immer wieder den Kontakt zu mir suchte, als könne meine Haut unsichtbare Essenzen der Zuversicht an ihn abtreten. Mir schien es fast, als habe ich mein gesamtes Leben bisher auf diesen Augenblick hin gearbeitet, vollkommen unbewusst und sicherlich nicht in dieser Erwartung, stellte es doch eine ironische Verkehrung aller Umstände und Prinzipien dar, die mein Leben ausmachten. Ich kämpfte tatsächlich um meine Liebe. Und sehnte mich danach, den Himmel zu erstürmen. ~~?* Im Halbdunkel hinter der Bühne, verborgen von dem psychedelisch ausgeleuchteten Bühnenbild, das in einem flackernden, unregelmäßigem Rhythmus wie ein Zerrbild die Augen anstrengte, drängten sich die Darsteller, die noch auf ihren Auftritt im 3. Akt warteten. Äußerste Ruhe war ihnen von Winny auferlegt worden, was in der schlechten Schallisolierung ihre Berechtigung hatte. Doch erwies sich diese Anordnung als nicht zu problematisch in ihrer Umsetzung, denn die Musik, die Harrys Monolog das Fundament gab, fing sie in ihrem gelegentlich atonalen Zauber ein. Selbstredend beschränkte sich die Annäherung an den vielfältigen Reichtum der Orchestrierung der chinesischen Oper in einer gewagten Interpretation, verfügte man doch weder über die entsprechenden Instrumente, noch über die jahrelange Übung in der Umsetzung. Dies behinderte die verantwortlichen Bandmitglieder unter der Leitung des Musiklehrers jedoch nicht in ihrem Anspruch, Winnys Vision nach bestem Wissen und Vermögen umzusetzen. Statt zweiseitiger Erhu und Huqin setzte man auf den spärlichen Einsatz von Violine und Bratsche, Cello und Kontrabass für die Basis. Statt der Pipa ließ der Musiklehrer selbst seine Fertigkeiten auf einem Banjo erklingen. Man brachte in allen Variationen Flöten, Trommeln, einen Gong und Kastagnetten zum Einsatz. Es war nicht zu verhehlen, dass der unkonventionelle Umgang, Gitarrensaiten zu schlagen oder ein Windspiel zu zweckentfremden, allen Mitwirkenden Vergnügen bereitete. Die Vielseitigkeit den einzelnen Stimmen eine ungeahnte Klangfülle verlieh, die sich nicht in der großen, vollbesetzten Aula verlor. Die Bedeutung der musikalischen Untermalung ließ sich auch daran ermessen, dass Harrys Text über die Selbstfindung des Helden, plakativ "Ich-Wege" betitelt, bar jeder Emotion sein sollte. Sodass alle weiteren Geräusche, Lachen, Wehklagen, Singen, Stöhnen, Herumalbern oder Schmollen akustisch von dem vor der Bühne platzierten Orchester vermittelt werden mussten. In diesem Augenblick erlosch der Bilderschauer auf der Bühne, erzeugt durch bunte Glasscheiben vor den Scheinwerfern und einem entliehenen Projektor. Der Vorhang senkte sich, und Stille kehrte ein, bis die Zuschauer in einen schmeichelhaften Beifall ausbrachen, um eine kurze Verschnaufpause für Akteure und Musiker zu gestatten. ~~?* Wir nahmen auf der Bühne unsere unsichtbar auf dem Boden abgesteckten Plätze ein. Wenn der Vorhang sich wieder heben würde, hatten wir gute fünf Minuten auszuharren, bis unsere Darbietung intoniert wurde. Danach blieb ebenfalls eine geschlagene Viertelstunde, die wir wie alle anderen zuvor auch, auf der Bühne abzuwarten hatten, zu einem Standbild erstarrt. Angel fasste nach meiner Hand, seine eigene feucht vor Aufregung. Unmerklich bebte seine Brust, während seine schönen grünen Augen hin und her irrten, einen beruhigenden Fixpunkt suchten. Unerwünscht und mit einem diabolischen Sinn für den richtig-falschen Zeitpunkt gesegnet materialisierte sich Gitano vor uns, in eine Art hautfarbenes Dress gehüllt, das ihn mittels Beleuchtung und Entfernung unbekleidet erscheinen lassen sollte. Entsprechend der nackten Seele des jungen Menschen, der sich unbefangen und entblößt, ohne Wehr, auf den Weg zu sich selbst machte. "Ich wünsche dir Hals und Beinbruch", wisperte er in dem triumphierend vertraulichen Ton in Angels Gesicht, der mir unwillkürlich rotglühende Lohen in die Glieder sandte, strich dann unaufgefordert durch Angels Haare, drückte ihn kurz an sich. Obwohl seit fast einer Stunde auf der Bühne agierend wirkte er nicht angestrengt oder belastet, vielmehr in seinem Element, befreit, strahlend, stand er doch im ersehnten Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Konnte durch Pantomime und Akrobatik, kombiniert mit Jonglage und seinem schauspielerischen Talent die Herzen aller Zuschauer erobern. »Aber das reichte ihm nicht«, knirschten meine Zähne hörbar, nein, er wollte Angel! Als Trophäe in seiner Sammlung erlegter Herzen. Nur über meine Leiche, du Schleimer!! Als er Angel freigab, der stocksteif erstarrt schien, die Katzenaugen trübe vor unterdrücktem Lampenfieber, bemerkte er, mit abschätzigem Blick, dass wir noch immer an den Händen miteinander verbunden waren. Ich ließ ihn meine gebleckten Zähne sehen. Mit elegantem Hüftschwung bewegte er sich auf seine Position, während man uns im Flüsterton ermahnte, uns auf den Auftritt vorzubereiten. Die Zeit lief rückwärts... Bevor ich Angel wie vereinbart den Rücken zukehrte, umfing ich auch seine zitternde freie Hand, zwang seinen irrlichternden Blick in meine Augen. "Ichwerdsvermasseln,Matti,ichweißgarnichtsmehr...", seine Zähne schlugen aufeinander, was mich unbewusst lächeln ließ. "Hör mir zu, Angel... was auch immer passiert, lass dich von deinem Instinkt leiten. Ich...", ich unterbrach mich, fühlte das Fieber in meinem Leib wühlen, eine noch größere Hitze entflammen als für einen einzigen Kampf notwendig. »Ruhig«, ermahnte ich mich. Er bebte, hing an meinen Lippen wie ein Verdurstender. "...gleich wird Musik spielen, die ich für uns ausgesucht habe.... sie wird mich vielleicht verwandeln....", ich biss mir auf die Zunge, um mich am sinnentleerten Plappern zu hindern. Das war es nicht, was ich ihm sagen wollte, verflixt!! Die Augen schließend atmete ich tief durch, von der Schädeldecke bis zu den Fußsohlen in den Boden darunter. Dann lächelte ich Angel an, so kriegerisch, wie ich befürchtet hatte, denn er erschauerte sichtbar. "Gib einfach alles. Lass alles raus, schenke mir nichts. Mit diesem Kampf entscheiden wir es." Als ich ihn losließ, ihm den Rücken zukehrte, ohne ihn zu berühren, doch in derart intimer Nähe, dass sich unsere Körperwärme wie eine zusätzliche Sonne füreinander ausnahm, erloschen die winzigen Scheinwerfer. Ich schloss ein letztes Mal die Augen. High Noon. ~~?* Die vorgelagerten Minuten irrte Gitano mit zerquälter Miene zufluchtslos über die Bühne, die in kalkweißes Licht getaucht durch den Schattenwurf der Akteure wie ein Friedhof wirkte, er selbst wie ein verlorener Geist. Harry behielt bewundernswert die ruhige Diktion in seinem Vortrag aus dem Off, gab in Wortfetzen, einzelnen Silben einem Chaos Stimme, das in der Hauptfigur toste, die in existentieller Verzweiflung keinen Weg mehr vor sich sah, keinen Halt fand. Als Gitano sich aufbäumte, die Haare zerraufte, brüllte schrill eine elektrische Gitarre auf, die verzerrt seiner Tour de force Einhalt gebot. Die Bühne erlosch sekundengenau, dann fing ein kreisrunder Scheinwerfer Gitanos zusammengekauerte, auf Knien lagernde Gestalt ein, ein Bild des himmelschreienden Jammers. Ein Gong erklang. Und Stille. Erneut ein Gongschlag. Ruhe in Anspannung. Bevor der nächste Herzschlag den Kontrapunkt setzte, dröhnte eine gewaltige Trommel in einem Paukenschlag, der nicht nur das gespannte Fell erzittern ließ, sondern auch die Nerven der Zuschauer erschütterte. Wie eine Kriegstrommel folgte nun im Marschrhythmus Schlag auf Schlag auf dem dumpf drohenden Hohlkörper. Dann schlossen sich in Trippelschritten kleine Trommeln wie Tausendfüßlerspuren an. Ein gehöhltes Klangholz mischte sich ein, versetzte den Marsch in einen aufzehrenden Tanz. Improvisierte Rasseln wirbelten, als mit einem Triangelschlag ein weiterer Scheinwerfer aufblendete, Matthias und Angel ins Visier nahm. Rücken an Rücken hoben sie nun die Hände auf Schulterhöhe, die Bänder dazwischen gespannt, die mit einem Knall nachfederten, dann fuhren beide herum, in der ersten Kampfpose einfrierend. Die Trommeln trieben nun schneller, das Klangholz rauschte wie der Pulsschlag in ihren Ohren. Matthias lächelte in seiner dämonenhaften Maskierung jagdlustig, attackierte dann vorwarnungslos, perfekt im Einklang mit den Trommeln, die ihren Tamtam-Zauber durch den Bühnenboden bis unter das Dach der Aula versprühten. Sein fuchsgesichtiger Gegenüber in leuchtendem Rot wich zentimetergenau aus, dann fauchten die Bänder mit den Fäusten durch die Luft, zerschnitten diese knackend, drehten sich die beiden umeinander wie in einem tödlichen Tanz. Einander im Kreisrund belauernd tauchten sie nach dem Schwachpunkt der gegnerischen Deckung, artifiziell in der Darbietung, eine schamanenhafte Beschwörung der widerstreitenden Emotionen und Wahrheiten. Führten jede Bewegung präzise bis in die Fingerspitzen aus, steigerten mit ihrem fliehenden Atem den Grundtakt der Trommeln, zu einem wahren Crescendo. Lust barst knisternd wie elektrische Entladungen zwischen ihren anmutigen Angriffen, als sich wie durch Zauberhand die flatternden Bänder ineinander verschlangen, die Kämpfer untrennbar vereinten. Jede Attacke sich selbst traf, bis endlich der Radius sich auf ein Minimum reduzierte, sie zu einer Gesamtheit verschmolz. Die Trommeln wirbelten ohne Unterscheidung in den Schlägen auf, beide Darsteller öffneten die Münder, als wollte ihnen ein Schrei entfahren, als der Gong sie erstarren hieß. Und die Bühne taghell erstrahlt wurde, bar jeden Lauts. ~~?* Mein Horizont war tiefseegrün. Eingehüllt in eine sommerwarme Brise. Einen rasenden Herzschlag in meinem Ohr. Ich brannte lichterloh wie das Feuer um die grünen Oasen vor meinen Augen, und es verlangte mich nach mehr. Wie ein Rausch entfloh meine Ratio in diesem Weltenbrand. Und ich trauerte keinen Wimpernschlag lang. Würde wie ein Phönix aus meiner Asche entstehen. ~~?* Applaus erschütterte die festen Wände der Aula, als sich nach der Besinnungssekunde auf den Fall des letzten Vorhangs die Zuschauer wieder in die Realität zurücktasteten. Ihre Ovationen tosten wie ein Sturm durch die Reihen, doch auf der Bühne tat sich nichts mehr, bis in ruhigem Schritt Winny in die kaleidoskopartig ausgeleuchtete Mitte trat. Sich mit artigen Worten im Namen aller bedankte, die zum Zwecke des traumartigen Erlebnisses nicht mehr auf der Bühne erscheinen würden. Das Leben sei schließlich wie ein Mittsommernachtstraum, wild, phantastisch und voller Mysterien. Ein wenig überrascht schickte man sich drein, um im Foyer Erfrischung zu suchen, die Eindrücke zu verarbeiten und sich zueinander zu gesellen. Angel, der sich hinter der Bühne mit zitternden Gliedern auf einer Transportkiste zusammengekauert hatte, hielt vergeblich nach Matthias Ausschau. Er schien sich wie seine kriegerische Vision aufgelöst zu haben. ~~?* Angel drückte die Klinke schwerfällig herunter, mit den Zähnen das verbliebene Flatterband vom Handgelenk zerrend, noch immer heftig atmend, betäubt. Ihr Zimmer lag in vollständiger Dunkelheit, doch als er sich umwandte, nach dem Lichtschalter zu tasten, spürte er wie eine Flammenwand eine Gestalt hinter sich. Die sich an seinen Rücken schmiegte, ihn hautnah umfing, seinen Hals bog, um ihn hungrig zu küssen. Angel erschauerte in ganzkörperlichem Zittern, suchte nach Halt, saugte gierig Atem aus dem glühenden Mund. Kräftige Handflächen bestrichen in langen Schwüngen seine helle Haut, erkundeten Rippen, Wirbel, Knochen, Sehnen, Muskeln, als wollten sie eine Kartographie seiner selbst erstellen. Versengten dabei seine Haut, hießen ihn lustvoll ächzen, ihrer beider Speichel mischen. Schließlich wurde ihm gewährt, seine Front dem Partner zuzukehren, der vertraut und doch exotisch fremd in einem archaischen Aroma roch, vollkommen unbekleidet war, allein durch den Hautkontakt Angel in Verzückung versetzte. Die Hände wanderten ungehindert über seinen Leib, erwärmten um ein Vielfaches, was die körperliche Anstrengung auf der Bühne schon in geschmeidige Hitze verwandelt hatte. Während brennende Lippen Angels Gesicht mit Küssen beregneten, ihn kosteten wie eine ersehnte Liebesfrucht. Er selbst zitterte unter dem Ansturm, bog sich geschmeidig in den muskulösen Leib, fügte sich dem Rausch, der in ihm toste, hörte sich durch einen tranceartigen Schleier seufzen und stöhnen. Bald brachen ihm die Beine weg, taumelte er in engem Körperkontakt auf sein eigenes Bett zu, wurde nun in Gänze liebkost, erkundet, ohne Scheu oder Hast entkleidet und erneut erforscht wie ein unbekanntes Land der Sehnsucht. Seine Nerven mussten wohl weißglühend in Flammen stehen, so leckten die unzähligen Lohen in seinem Inneren auf, versetzten ihn in Schwingungen. Hießen seinen Leib, sich wohlig-begehrlich zu winden, aufzubäumen und sogleich wieder die verlockende Hitze des sonnengleichen Partners zu suchen. Angel öffnete die Augen in die Dunkelheit. Nicht einmal silhouettenhaft vermochte er, sich zu orientieren, sodass ihm nur blieb, sich gänzlich seinem Liebhaber hinzugeben, der keine Furcht vor der Finsternis hatte, sich verlieren und wiederfinden konnte. Trommelnde Herzschläge an seiner Brust, Zähne und Lippen auf seinem gesamten Körper, Hände, die jede Verwerfung, jede Fläche, jede Spalte seines Leibes erkundeten: Angel erstickte seine Lust hinter versiegeltem Mund. Als sich die verdrehten Laken störend um ihre verschlungenen Körper wanden, fand er sich auf die Knie hochgezogen. Den Rücken an eine haarlose, glatte Brust mit ausgeprägter Muskelstruktur gezogen, die mit jeder Bewegung der unentwegt erobernden Arme und Hände seinen Torso massierten. Küsse brannten auf seinen Schultern, in seinem Nacken. Eine Zunge erkundete seine Ohrmuschel, zeichnete die Linien seines anmutigen Gesichts, um ihn zu biegen, damit auch die andere Hälfte diese Liebkosung erhalten konnte. Die Reibungshitze zwischen ihnen konnte kaum noch intensiviert werden, als Angel, den Kopf über eine starke Schulter zurückgeworfen, eine überaus deutliche Erektion an seiner Kehrseite registrierte, die sich zuvor in einem träumerischen Rausch verborgen hatte. Er erschauerte, verkrampfte sich unwillkürlich, lechzte nach Luft, doch die Arme entließen ihn nicht, zeichneten mit aufgefächerten Fingern eine gerade Linie von seiner Kehle bis tief hinab in seinen Schritt. Wo sie unbefangen und behutsam zugleich den Zustand seiner eigenen Erregung erspürten. Obgleich das Verlangen greifbar, der Hunger noch nicht gestillt, die Lust überwältigend war, fand sich Angel nicht bedrängt. Vielmehr mit der Gelassenheit eines Staunenden erkundet, der eines Mirakels gewahr wurde und nicht ablassen konnte, dieses mit allen Sinnen zu erfahren, sich immer wieder seiner Beschaffenheit zu versichern. Vielleicht niemals zu überzeugen war. Angel hob in zeitlupenartiger Anstrengung einen Arm, tastete, in dem anschmiegsamen, lustbetonten Griff, nach seinem Regal, irrte mit prickelnden Fingerspitzen über Buchrücken und Schachteln, bis seine Suche mit Erfolg gekrönt wurde. Etwas schwer auf die Matratze schlug. Von beiden Armen umfangen, durch Mund und Zähne im Nackenwirbel atemraubend massiert, kostete es ihn ausgesprochene Mühe, seine versprengten Gedanken soweit zu konzentrieren, um der Schachtel ihren Inhalt zu entlocken. Schon streichelte sich eine glühende Hand seinen abtrünnigen Arm hinunter, zeichnete die Sehnen seiner Finger nach, fächerte diese auf, um sich dazwischen zu setzen, als die kühle Verpackung mit ihrem Inhalt Interesse erweckte. Den Arm um die gespannten Muskeln unter der Achsel hindurch auf die Schulter schlingend genoss Angel das Spiel der Sehnen, die blind die Beschaffenheit ermittelten. Dann in einem Augenblick der Erkenntnis benetzten ihn fiebrige Küsse, wölbte er seinen flachen Bauch nach außen, stemmte sich hoch aus den Knien, entfernte sich von der köstlichen Wärme. Um sogleich wieder eingefangen zu werden, mit Zärtlichkeiten verlockt, bestrichen, als könnten die glühenden Handflächen ein unsichtbares Netz über seinen Leib spannen, das ihn gefangen nahm. Ein zweites Mal wagte er, nach einem langen, mehr als erregenden Kuss, den Ausbruch, bot sich auf allen Vieren mit gespreiztem Schritt an, dirigierte seine Kehrseite gegen die glatten Oberschenkel, initiierte seine Offerte. Beschwichtigend legte sich der heiß pulsierende Leib wie eine federleichte Decke um ihn, rieb sich das Narbengeflecht an seinem verlängerten Rückgrat, entwich Angel ein flehendes Winseln. Er hörte gesperrte Atemzüge, die rasch frei wurden, dann liebkosten ihn die vertrauten Hände wieder, umwarb ihn der intensive Geruch erinnernd, um mit der bereits erwärmten Kunsthaut seine Erektion zu bemänteln. Ein wildes Muster auf seiner Wirbelsäule einbrennend mit jedem hungrigen Kuss spürte er intuitiv, wie Matthias sich derselben Prozedur unterwarf. Ihn dann wieder streichelte, seine Oberschenkel mit den Fingerspitzen eindrückte, um Nervenpunkte zu entflammen, die Angel nötigten, noch tiefer herabzusinken, die Fingernägel in die Matratze zu graben und die zusammengepressten Lippen weiß zu färben. Fließend, vorwarnungslos wagte Matthias den ersten Vorstoß in Angels Leib, der sich für einen Wimpernschlag lang verspannte, einfror, um dann, ohne einen einzigen Laut Vorschub leistete, es sich erträglicher zu gestalten. Doch bevor er noch in eine schmerzliche Disziplin verfallen konnte, entzog sich Matthias ihm, strich über die gespannten Sehnen der aufgestützten Arme. Nagte animalisch an der weichen Haut in Angels Nacken, leckte über seine Schultern und lutschte an einzelnen Haarsträhnen. Angel atmete freier. Die Anspannung ließ sich nicht länger halten, verließ ihn bebend, überantwortete seinen Leib dem Fieberschauer, der sein Gefüge aufweichte, ihn nachgiebig formte. Wie eine Erlösung erschien ihm Matthias' erneutes Eindringen, mit jedem fliehenden Atemzug tiefer, behutsam seine eigene Erektion liebkosend, eine schier aufzehrende Konzentration und Balance haltend. Angel bannte Erinnerungen, fand in seinem Hinterkopf den Trommelwirbel ihres Kampfes, den intensiven Geruch wie einen Leuchtpfad durch die Finsternis, fühlte den Rhythmus in sich. Matthias wölbte sich über ihm, folgte Angels ausweichenden Bewegungen sekundenschnell, sammelte seinen Atem, verstärkte mit jedem Herzschlag ihre Verbindung, verströmte verschwenderisch Hitze und Verlangen. Er trachtete danach, Angel auf den treibenden Rhythmus einzuschwören, gleichzeitig aber ihre tiefe Atmung aufrecht zu halten. Schließlich zog er mit der freien Hand Angel hoch, was einen gemeinschaftlichen Schauer durch ihre verbundenen Körper sandte, umklammerte diesen fest, um schwankend wie ein Schilfrohr, Angel stärker zuzusetzen. Als dies nicht fruchtete, befeuchtete er den Daumen, legte diese Hand dann unter Angels Kinn, massierte dessen versiegelte Lippen, bis Angel nicht mehr standhalten konnte und ein lustvolles Stöhnen entließ. Die Fingerspitzen tief in Matthias' Oberschenkel grabend, die einzige Stütze in ihrer Verbundenheit, aktivierte Angel seine Schließmuskeln, um dem Höhepunkt zuzustreben. Ein raues Keuchen an seinem Ohr belohnte ihn, dann bog Matthias seinen Kopf herum, um ihn gierig zu küssen, die Zurückhaltung in seiner wogenden Bewegung fahren zu lassen und sich erlösend dem Fixpunkt in Angels Unterleib vorzustellen. Matthias erging sich in einem überraschend hellen Laut, bevor seine unkontrolliert zuckenden Finger Angels Orgasmus beschleunigten. Schwankend und zitternd taumelten sie Wimpernschläge lang, bis Angel sich unbeholfen freimachte, haltlos auf die Matratze sackte, um Atem ringend, die Beine fötal angezogen. Matthias stützte sich mit beiden Armen ab. Seine harschen Atemzüge verwirbelten die Luft über Angel, zauberten eine wohlig-erregende Gänsehaut auf seinen zusammengefalteten Gliedern. Gedankenleer, ermattet und am Ende seiner Selbstbeherrschung war es Angel unmöglich, sich zu rühren, als heiße Tränen auf seinen Oberkörper tropften, in der Finsternis und doch hautnah Matthias vergeblich gegen ein vibrierendes Schluchzen ankämpfte. Seine körperliche Schwäche, Resultat langer Anspannung und Sorge, ließ die Matratze erzittern, erfüllte die verdichtete Atmosphäre in dem nachtschwarzen Raum mit einer befreienden Note. Angel wand sich ächzend herum, tastete mühselig mit einer Hand nach Matthias, erreichte einen geballten Handrücken, der die Last des gekrümmten Leibes trug, liebkoste diesen fahrig. Er wollte die Arme ausbreiten, lindern, was Matthias' Fassung zerfasert hatte, doch verlor er rasch den Kontakt zu seinen Gliedern, raubte ihm die Erschöpfung den Willen. Nur noch nebulös registrierte er, wie Matthias sich beruhigte, das Zittern nachließ. Dieser sie behutsam von den Kondomen befreite, ungewohnterweise gegen Möbelstücke prallte, als er sich den Weg zum Bad suchte. Wie ein körperlicher Schmerz empfand Angel die Kälte und Verlassenheit, stöhnte wehmütig, bis sich Matthias' erhitzter Leib neben ihm ausstreckte, ihn unter den Achseln fasste und über sich rollte. Blitzartig fürchtete Angel vergangene Schrecken, niedergerungen und bis über Schmerzgrenzen hinaus benutzt, doch Matthias' Gegenwart unter ihm besänftigte seine Panik. Er fädelte unsicher eine Decke auf, um sie um Angel zu schlingen, ließ dann vertraulich und stützend, eine Hand in dessen Nacken, die andere auf dessen Rücken oberhalb der Kehrseite ruhen. Das Gesicht ihm zugewandt, was die heißen Atemzüge verrieten, hielt er ihn fest wie einen Talisman, den es zu beschützen und zu bewahren galt. Angel schmiegte sich bequem an Matthias' Seite an, und versank über den ermatteten Herzschlägen in Schlaf. ~~?* Kapitel 8 Ich erwachte zeitig, gönnte mir aber den lasterhaften Luxus, mit geschlossenen Augen zu verharren, langsam Energie in meine Glieder fließen zu lassen und mich einem Traum hinzugeben. Dann aber ermahnte ich mich selbst. Zunächst stand zu befürchten, dass das wollüstig-dämliche Grinsen mit meinem Gesicht verwachsen würde und darüber hinaus musste ich mir einfach auch mit den Augen Gewissheit verschaffen. Ich wandte den Kopf, zählte drei Herzschläge und schlug langsam die Augen auf. An meiner Seite, einen Arm quer über meine Brust abgelegt, schlief Angel fest. Trotz verschmierter Spuren in Rot und Blau auf seiner hell schimmernden Haut wirkte er atemberaubend schön. Die langen, schwarzen Wimpern wie eine dichte Wolke ruhend, die sich im Laufe der Nacht aufgelösten Zöpfe in der vertraut elektrisierten, weißblonden Mähne verschwunden. Sein Zauberbann verfluchte mich zur Reglosigkeit. Ich studierte ihn, verschlang ihn mit den Augen, wagte nicht, mich zu rühren. Nein, wahrhaftig, ich war nicht verliebt. Ich liebte. Mit jeder Faser meines Herzens, mit meiner wilden, ungebärdigen Seele, mit meinem übellaunigen Verstand. ~~?* Diffuse Geräusche waberten aufdringlicherweise in Angels schlaftrunkenem Geist umher, bis er sich gereizt zwang, dem Diesseits seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sein Leib glühte ungewohnt hitzig, prickelte unter den ersten Vorboten muskulärer Erschöpfung. Nur unwillig stemmte er sich auf die Ellen, um den Kopf von der Matratze zu balancieren. Ein trüber Blick verschaffte ihm Gewissheit. Er war allein. Mit einem heiseren Knurren bedachte er den Umriss auf dem verwühlten Laken neben sich und grollte in leiser Enttäuschung. Es wäre schön gewesen, das erste Mal danach in den Armen eines anderen beschützt aufzuwachen. Die Tür wurde in dem Bemühen um Lautlosigkeit entriegelt. Dann huschte ebenso geräuscharm eine Gestalt hinein, schloss sie bedächtig hinter sich, sperrte die Welt aus. Angel rollte sich auf die Seite, den Kopf auf den Oberarm ablegend, musterte unter halb gesenkten Lidern Matthias, der nur in Boxershorts, noch immer flammengezeichnet mit dunkelblauem Edding, eine Kanne heißen Wassers transportierte. Geheimnisvolle Vorgänge auf seinem Schreibtisch damit einleitete. Ein nachsichtiges, entspanntes Lächeln nistete sich auf Angels schmalen Lippen ein. »Er hat mich nicht allein gelassen. Ich bin nur zu zeitig erwacht.« Dennoch angelte er sich ein zerdrücktes Kissen vom Fußboden, um es begleitet von einem Aufkeuchen nach Matthias zu schleudern, der ihm lediglich einen aufblitzenden Blick schenkte, garniert mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. "Du... hast... mich einfach... hier liegen lassen...", schmollte Angel kindlich, massierte sich mit einer Grimasse die Schulter und rollte sich ächzend auf den Rücken ab. "Ich glaube... ich bewege mich nie wieder!", stöhnte er gespielt verzweifelt, verbarg die Augen hinter einem quer gelegten Unterarm. Ein kräftiger Duft nach vermischten Kräutern und starken Essenzen wehte von der Schreibtischplatte herüber, reizte Angels Nase. Dann senkte sich die Matratze neben ihm, strahlte Matthias im Radiant Hitze aus. Er stieg behände über Angels ausgestreckte Gestalt hinweg, machte es sich im Lotussitz hautnah hinter diesem bequem, hob ohne das geringste Zittern einen irdenen Becher von dessen Zwischenstation auf Angels Regal herunter, um daran zu nippen, abzuschmecken. Angel musterte ihn von unten schläfrig, sehnte sich nach der wohligen Wärme, die die aufflammenden Schmerzen aus seinen Muskeln vertreiben würde. "Komm her", raunte Matthias heiser, beugte sich langsam herunter, um den freien Arm um Angels Taille zu schlingen, diesem vorsichtig beim Aufrichten zu assistieren. Aufseufzend lehnte sich Angel an Matthias' Brust, sprengte dessen Lotussitz, machte es sich selbst wie in einem Nest vor ihm gemütlich, die Beine gekreuzt, die Arme überkopf in Matthias' Nacken verschränkt, was ihm einen erneutes, langgezogenes Stöhnen entlockte. Matthias stützte seine Beine wie eine schützende Palisade um Angel auf, begann dann, mit der freien Hand kreisrund um Angels Bauchnabel zu streichen, was diesem leise Seufzer des Wohlbehagens entschlüpfen ließ. Er nahm einen Schluck der Kräutermischung, hieß sie in seinem Mund kreisen und dann in seine Kehle rinnen, vorbei an Angels fahrig seinen Hals liebkosenden Hand. Dann wandte er Angel den Kopf zu, leckte diesem zärtlich mit der Zungenspitze die Lippen, schmeichelte sich in die Mundwinkel, betupfte die Zähne, tänzelte immer wieder aus der Reichweite von Angels Zunge. Hob erneut den Becher an die Lippen, füllte seinen Mund mit einem winzigen Vorrat, streifte auffordernd Angels Lippen. Der ergab sich, gestattete, dass Matthias die Flüssigkeit tropfenweise über seine Zunge in seinen Mund rinnen ließ. Auch hier kreiste der Kräutertrunk, machte eine Runde, bis Angel sich entschloss, ihn zu schlucken. Eine Flammenspur brandmarkte den Lauf seine Kehle hinab, beheizte die Glut in seinem Magen zu einer wahren Lohe, die der beharrlichen Massage seiner Bauchdecke zu einem ganzkörperlichen Flächenbrand verhalf. Angel verbiss sich dieses Gefühl nicht, rieb seinen Rücken an Matthias' Brust und keuchte leise, die Augen geschlossen, rollte den zerbrechlichen Nacken auf Matthias' Schulter. Sie teilten schweigend Schluck um Schluck, bis Matthias sich in die Höhe reckte, um den Becher auf das Regal über ihren Köpfen zu verbannen. Dann umfasste er zärtlich Angels Kinnpartie, streichelte dessen Wange mit dem Daumen, während er seine Zunge über Angels Gaumen streifen ließ. Angel wand sich unwillkürlich in Matthias' Umarmung, erzwang ein gesteigertes Tempo, intensivere Küsse, um sich ermattet gegen ihn sinken zu lassen, die Stirn an Matthias' Wange gebettet. Der wechselte nun mit der unbeschäftigten Hand auf Angels Brust, um in kreisrunder Gegenbewegung zu seiner Hand auf Angels Unterleib auch hier einen Brandherd zu entfachen. Angels Arme hingen wie leblose Flügel herab. Er selbst lag schwer in ihrer Umarmung, ließ sich halten und auffangen. "Habe ich...", Matthias' ungeübte Stimme splitterte krächzend, er hielt den Blick gesenkt. Angels Kopf wanderte schwerfällig, betäubt in den Nacken. Seine Lippen streiften Matthias', benetzten sie mit seufzenden Atemzügen. "....was...?" Das Kreisen auf Angels Torso einstellend umschlang Matthias Angel besitzergreifend, doch nicht schmerzhaft, platzierte einen Kuss auf dessen Schulter. "Habe ich... dir... große Schmerzen... zugefügt...?", brachte er endlich hervor, mit der Zunge zwischen weißblonden Strähnen hindurch Angels Ohrläppchen umspielend. Der lachte leise, ermattet, fing mit einem Arm Matthias' Kopf im Nacken ein, schlug die Augen auf und lächelte nachsichtig in die Stahlaugen. "Ich küsse niemanden, der mir weh tut", zwinkerte er müde, um Matthias nachdrücklich die Lippen zu versiegeln, aus seinem Mundwinkel spielerisch den Geschmack des mysteriösen Gemischs zu entführen. "Möchtest du vielleicht etwas frühstücken? Ich hole dir ..." Angel bremste Matthias' ungewohnten Mitteilungsdrang erneut mit belehrenden Zungenspiel. "Ich will", er funkelte demonstrativ hart in die blaugrauen Augen, "dass du mich in deinen Armen ausschlafen lässt." Sprach's und rollte sich schnurrend wie ein Kätzchen gegen Matthias' Brust, der sich mit einem verblüfften Lächeln auf den Lippen zur Seite sinken ließ. Angel auf seine Schulter bettete wie in der Nacht zuvor und ihn hielt, bis dieser erneut in erquickenden Schlaf fiel. ~~?* Unglaublicherweise verfiel ich Angels Magie so gründlich, dass auch ich erst gegen Mittag wieder die Augen aufschlug, klebrig von der stickig-staubigen Hitze unseres Zimmers, verdichtet mit den Gerüchen der Nacht und des Morgens. Wenn ein Dritter unseren Raum betreten hätte, wären ihm ohne Zweifel die korrekten Assoziationen gekommen, was unsere gemeinsame Unternehmung betraf. Doch ich wollte nicht aufstehen, ihn loslassen und ein Fenster aufreißen, das sonntäglichen Lärm und Gluthitze hineinwabern ließ. Er seufzte dösend, als ich mit den Fingern auf seinem Rückgrat zu musizieren begann, mit den Fingerkuppen den Rhythmus vorgab, der unseren Kampf bestimmt und unseren Akt vollendet hatte. Ein durchdringendes Wolfsgeheul meines Magen zerstörte unsere Idylle, und Angel lachte samtig sprudelnd an meiner Brust, biss mich, sich hoch über mir aufrichtend, spielerisch in die Nasenspitze. Seine tiefseegrünen Katzenaugen strahlten vergnügt und lebendig, voller Esprit und Tatendrang. War er glücklich? Ich sehnte mich danach, ihn frei, stark und ungezügelt zu sehen. Und zu spüren. "Hunger", schnurrte er befehlend, leckte katzenhaft über meine Lippen. "Aye aye", beschied ich grummelnd, um mit einer rasanten Rolle unsere Positionen umzukehren, was Angel nicht einmal Protest entlockte, nur dieses köstliche Lachen, das ich nie müde wurde zu hören. Als ich mich erhob, ihn von meiner Last befreite und ihm die Hand hin streckte, um ihm aus unserem Lotterbett zu helfen, das einem verwüsteten Schlachtfeld glich, grinste er in diebischem Amüsement. "Wir duschen besser vorher", schlug er angesichts der Spuren an unseren Körpern vor, die keine Deutlichkeit zu wünschen übrig ließen, was für einer Art von Zeitvertreib wir gefrönt hatten. Unter dem ausgedünnten Wasserstrahl hielten wir einander umschlungen, genoss ich die Tatsache, dass wir gleichgroß gewachsen waren. Ich ohne Umschweife in seinen Augen versinken konnte, während seine hellen Arme auf meinen Schultern ruhten, die Finger mit ihren Perlmuttnägeln meine gestutzte Mähne wie einen Teppich durchwanderten. Es gelang uns, das Makeup zu entfernen, auch wenn so mancher Fleck darunter zum Vorschein kam, der seinen Ursprung in einer anderen Ursache hatte. Doch das Sonnengeflecht auf meinem vernarbten Leib erwies sich als hartnäckig, und ich fühlte mich zu entspannt, um diszipliniert mit einer Wurzelbürste dem versehrten Part meines Torsos einen Kehraus zu bereiten. Erfrischt und wohlig duftend schlüpften wir in einfache Kleider, die verräterische Male verbargen, dann gestattete Angel mir, seine herrlichen Haare zu kämmen, begleitet von seinem gutturalen Schnurren, das mir unversehens die Farbe in die Wangen trieb. Ich spürte Beglückung in seiner Nähe, durchsetzt von einzelnen Stichen der Hyänen in meinem Hinterkopf, die mir immer wieder aufwiesen, dass nichts auf dieser Welt von Dauer war, doch ich ignorierte sie. Ganz gleich, was ich zu sein beabsichtigt hatte: hier wollte ich nur sein, was ihm Freude bereitete. ~~?* In dem Speisesaal fanden sich nach und nach sämtliche Schüler ein, diskutierten mit steigender Lautstärke die Ergebnisse des letzten Abends, die nachfolgende Feier, ihren Triumph und die Begeisterung des Publikums. Immerhin handelte es sich um eine Einmaligkeit, und nun hieß es für die oberste Stufe, sich auf den langen Hindernisparcours der Abschlussprüfungen einzustimmen. Angel lutschte an einer geschälten Orange, lauschte dem Pandämonium der Äußerungen und lächelte vor sich hin. Er wusste Matthias in schattigem Schwarz neben sich, wie immer lauernd und stumm, doch schienen sie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, das in regelmäßigen Wellen Hitze fließen ließ, köstliche Schauer auslöste. »Ich muss ihn nicht berühren, um ihn zu spüren.« "Hey, Süßer, wohin bist du denn gestern verschwunden?" Gitano paradierte wie ein Pfau um ihren Tisch, lehnte sich dann über Angels Schulter, streifte mit seinen kastanienbraunen Locken dessen Wange. Angel zerlegte gelassen eine weitere Orange, pflückte Fasern von den einzelnen Fruchtkammern, bevor er Gitano einer Antwort würdigte. "Ich bin ins Bett gegangen." Sein unschuldig-arktisches Lächeln wirkte wie eine aufreizende Pose, und Gitanos triumphierende Miene zuckte für einen einzigen Wimpernschlag, verdunkelte die Bernsteinaugen bedrohlich. Angel sammelte seine geschälten Orangenscheiben auf, reichte sie mit einer nachlässigen Geste an Matthias weiter. "Hier, ich schaffe den Rest nicht." Es war eine nicht misszuverstehende Botschaft, und Gitano tänzelte aus ihrem Dunstkreis, nicht aber ohne über Angels Haar gestreichelt zu haben. "Du hast was verpasst, Schnuckel." Angel schüttelte sich demonstrativ, erhob sich in einer fließenden Bewegung, die das Pochen und Zerren des Muskelkaters Lügen strafte und verließ den Speisesaal, einen lautlos dahingleitenden Matthias auf den Fersen. ~~?* "Ich werde Meemee besuchen", hatte er verkündet, dieses unwiderstehliche Lächeln auf seinen Lippen, das mein Herz höher takten ließ. Für einen Augenblick zwiegespalten wollte ich ihn doch für mich allein behalten, sehnte mich aber nach einem Moment der Stille, um mich zu sammeln, nickte ich endlich. Zwang mich, ihm nicht wie eine hätschelnde Glucke bis an die Schulpforten zu folgen, sondern marschierte in den Park, um ungeachtet der brennofenähnlichen Hitze eine Kata zu absolvieren. Ich erhoffte mir Frieden in der steten Abfolge der vertrauten Bewegungen, eine Atempause, bevor aus dem Zauber des Liebestraums in der Nacht die Realität des Tags Funken schlug, bis dieser blind und farblos vor meinen Füßen lag. ~~?* Angel strahlte, von der Sonne erhitzt, doch gut gelaunt, als er das Schulgelände wieder erreichte. Er prickelte vor sprudelndem Gelächter, das sich wie ein Akkumulator in ihm aufgeladen hatte. Hervorgerufen durch die Anekdoten von Monikas Mutter, die in ihrer sanften, augenzwinkernden Art eine unglaubliche Episode nach der anderen aus ihrem Leben zu Gehör gebracht hatte. Und wie hatte er sich nach leichtem, quecksilbrigem Lachen gesehnt, nach Esprit, nach neckenden Anspielungen, denn selbst der alten Dame war nicht entgangen, dass Angel etwas ausstrahlte, das man eindeutiger nicht klassifizieren konnte. Obgleich sie taktvoll und ganz grande dame diesen Umstand keineswegs zur Sprache brachte. Auf dem Campus lagerten in der langsam sinkenden Abendsonne einzelne Gruppen, hockten im kühleren Treppenhaus, dröhnte Musik aus geöffneten Fenstern, doch in manierlicher Lautstärke, um nicht die Anlieger aufzubringen. Als Angel den ersten Fuß auf die Treppe setzte, zurück zu ihrem Zimmer, drangen die Worte eines Moderatoren in sein Ohr. "Der nächste Song ist von Matti... Mädel oder Junge?... na egal, er oder sie wünscht sich starken Tobak von den Nine Inch Nails, That's what I get, für Angel. Tja, sieht nach einem Streit aus..." Die Stimme des Moderatoren verlor sich in einem brodelnden Chaos von auf Angel einströmenden Geräuschen, Satzfetzen, Lachen, Türenschlagen, eiligen Füßen, die Welt selbst wirbelte um ihn herum. ~~?* that's what i get by Nine Inch Nails (Pretty Hate Maschine) just when everything was making sense you took away all my self-confidence now all that i've been hearing must be true i guess i'm not the only boy for you but that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get how can you turn me into this? after you just taught me how to kiss you i told you i'd never say goodbye now i'm slipping on the tears you made me cry but that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get why's it come as a surprise to think that i was so naive maybe didn't mean that much but it meant everything to me that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get that's what i get ~~?* Angel brach atemlos, vornübergebeugt in unser Zimmer, als ich gerade das Bad verließ, unzureichend mit einem Handtuch bedeckt. Ich erstarrte, als ich die rötlichen Flecken unter seinen Augen bemerkte, die sich unter der Belastung verfärbenden Nägel, die das Türblatt umklammerten, während die andere Hand sich auf dem Oberschenkel abstützte. Hastig das Handtuch befestigend überwand ich eilends den Abstand zwischen uns, fasste nach ihm, doch er wich mir aus, schluckte würgend, hustete trocken. »Idiot«, scholl ich mich, »siehst du nicht, dass er völlig ausgedörrt ist in der Gluthitze?! Benimm dich nicht wie eine aufgescheuchte Henne, reiche ihm etwas Trinkbares!« Also machte ich kehrt, entführte aus unserer winzigen Nasszelle eine dort deponierte Wasserflasche, reichte sie ihm an, als er sich bereits zusammengekrümmt auf sein Bett sinken ließ. Nach einigen gierigen Schlucken suchten mich seine Augen mit fiebrigem Glanz, verunsichert, brennend. Ich begriff nicht, welche seltsamen Schwingungen von ihm ausstrahlten, was ihn so angespannt zu mir aufsehen hieß, doch wirkte er ausgesprochen aufgewühlt. »Ich habe etwas falsch gemacht... er ist wütend...« In meine instinktive Selbstanklage mischte sich das begeisterte Aufheulen meiner aus ihrem Versteck hervorbrechenden Plagegeister. Endlich fand ich mich wieder da, wo ich nach ihrer Überzeugung hin gehörte: im Dreck, auf dem Boden, verhasst und abgelehnt. Doch sie zerstoben in alle ihre Bestandteile, als er meine Hand umklammerte und mich mit flackernder Stimme ansprach. "Hast du... bei dem Sender angerufen?!" Ich blinzelte begriffsstutzig. Sender?! Anruf?! Und verwünschte im selben Augenblick mein trainiert ausdrucksloses Mienenspiel, das ihm keinen Hinweis auf meine Gemütslage geben konnte, lediglich steinern und unleserlich erscheinen musste. Doch sah ich mich getäuscht, denn ihm entfuhr ein erleichterter Stoßseufzer. Dann federte er, unerwartet energisch, hoch und schlang seine Arme um meinen Nacken, lehnte sich eng an mich, noch immer zitternd, atemlos, erschüttert unter einem fiebrigen Lachen, schwankend zwischen Tränen und Verwirrung. Ich bestrich in groben Schwüngen seinen Rücken, massierte mit den Fingerspitzen seinen verkrampften Nacken, wiegte ihn behutsam, ermahnte mich, nicht zu besitzergreifend zu agieren. "Tut mir leid, aber ich verstehe einfach nicht...", konnte ich mich endlich zu einer Aussage aufraffen, die die letzten Zweifel über meine Verfassung ausräumen sollte. Angel schmiegte sich an mich, leckte mir wie ein Welpe hechelnd über die Wange und drückte mich überschwänglich, bis er sich langsam wieder in der Gewalt hatte. Dann gab ich ihn widerstrebend frei, nahm neben ihm auf der Bettkante Platz und wartete mit wachsender Ungeduld auf eine Erklärung. Verbot mir, durch seine weißblonden Haare zu streifen, ihn mit Küssen zu benetzen, wie sehr es mich auch danach verlangen mochte. "Das ist wirklich zu bescheuert!", er rollte sich rücklings ab, breitete die Arme aus wie ein Gekreuzigter, während argwöhnische Wolken seine wundervollen Katzenaugen trübten. Doch sein Unmut galt nicht mir, auch nicht der Zimmerdecke, die er so unbarmherzig fokussierte, ebenso wenig die gefletschten Zähne, die düstere Miene. Unschlüssig betrachtete ich ihn, hin und her gerissen zwischen der Sehnsucht nach seiner weichen Haut und der Neugier, was wohl diesen Aufruhr verursacht haben mochte und wem sein Zorn galt. Endlich wandte er den Kopf und sah mir direkt in die Augen, versöhnlich...verzeihungsheischend?! "Weißt du", er angelte nach meinen Händen, umfing sie und bettete sie auf seinen Unterleib, die Eigenen darüber verschränkt, "als ich zurückgekommen bin, da dröhnte eine Sendung im Radio. Der Ansager nannte einen Liedwunsch, von einem Matti an einen Angel, Nine Inch Nails, That's what I get...." Ich blinzelte, zuckte schließlich ratlos mit den Schultern. Mir war das Lied unbekannt, auch wenn mich ein eisiger Schauer durchlief, schien die Namensgleichheit doch verdächtig. Angel studierte meine Augen aufmerksam und nickte. "Genau, das kann kein Zufall sein... vor allem nicht, wenn man den Song kennt." Womit ich nicht dienen konnte, aber Angel löste sich bereits gewandt von Matratze und mir, reckte sich nach seinem Regal, um ohne Zögern eine CD auszuwählen und in seine Mikroanlage zu portieren. Er ließ sich neben mich sinken, spielte mit meinen Fingern und hielt den Blick auf diese gebannt, gönnte mir keinen Augenkontakt, bis das Lied sich in meinen Gehörgang gefressen hatte. Unbeabsichtigt griff ich hart zu, erschrak über meine eigene Unbeherrschtheit, doch Angel entfuhr nicht ein Laut des Schmerzes. Stattdessen aber bot er mir offen sein Gesicht an, senkte sämtliche Schutzwälle und Visiere. "Ich bin", er räusperte sich heiser, verlegen, "ich bin vielleicht zu impulsiv und ganz sicher auch schon versaut", seine Wortwahl ließ mich zusammenzucken, "doch ich würde niemals", er verbrannte mich förmlich mit seinem strahlend grünen Blick, "niemals untreu sein. Niemals." Seine Stimme flehte unter den harschen Worten, und nun endlich verstand ich, was er sich bemühte, mir zu erklären. Ich musste mir begreiflich machen, dass ich nicht der Erste war, seine Lebensgeschichte Konkurrenz bereithielt. Doch er versprach mir, Vertrauen mit Vertrauen zu vergelten. Dass er mich nicht betrügen und verraten würde. Solange wir einander treu blieben. ~~?* Matthias löste eine Hand aus ihrem fahrigen Spiel, zupfte sanft Strähnen hinter Angels Ohr hervor, liebkoste eine noch immer blühende Wange und lächelte auf die ungeübte, anrührende Art, die Angels Herz zu einem Hüpfer ermutigte. Er beendete den Lauf des Liedes, schlang dann erneut die Arme um Matthias und warf diesen mit einem überraschenden Krafteinsatz um. Sodass sie in enger Umarmung auf dem noch immer unordentlichen Bett herumrollten, die Nasenspitzen aneinander reibend, kichernd, sich versöhnend, versichernd. Angel streckte die Hand nach Matthias aus, streifte nachdenklich durch die lackschwarzen, kurzen Stoppel, die Augenbrauen zusammengezogen. "Ich bin nicht viel wert, Matti, aber ich verspreche dir..." Seine leise Stimme wurde von einem grollenden Knurren unterbrochen, das sich tief in Matthias' Unterleib sammelte, um wie eine vulkanische Eruption gewalttätig seiner Kehle zu entspringen. "Blödsinn!", fauchte dieser, drückte Angels Handgelenke wehrlos in die Matratze über dessen Kopf, funkelte zornig auf ihn herab. Sie musterten einander stumm, bis Matthias sein furchteinflößendes Zähnefletschen aufblecken ließ. "Ich will dich", wisperte er rau in Angels Gesicht, nur einen Wimpernschlag von diesem getrennt, "und ich teile dich nicht." Angel lächelte unwillkürlich, hingerissen von der augenrollenden Vorstellung über ihm, dem spöttisch karikierten Pathos, das es Matthias ermöglichte, seinen wahren Beweggründen Ausdruck zu verleihen. Er schenkte Matthias einen zärtliches Lächeln, was diesem nicht nur die Farbe in die Wangen trieb, sondern ihn auch rasch von Angels anmutigem Leib. Ein wenig enttäuscht rollte sich Angel auf die Seite, malte müßig auf dem aufgerichteten, nackten Rücken Schnörkel. "Wer ist dafür verantwortlich?!", brach es eisig-reserviert aus Matthias heraus, der in imposanten Muskelspiel zwischen An- und Entspannung wechselte. Sie wussten ohne Augenkontakt, auf wen ihr Verdacht sofort fiel. ~~?* Angel beabsichtigte, Gitano wegen des Vorfalls zur Rede zu stellen, erschien dieser uns doch geradezu prädestiniert, um auf solche Methoden zurückzugreifen. Ich war davon überzeugt, dass unser erster Gegner, Ronnie, kein weiteres Interesse mehr an Angel hatte, nachdem ihm schmerzhaft bewusst geworden war, dass Gitano ihn nur benutzt hatte. Auf die oberflächliche, achtlose Weise, in der er auch Angel nachstellte. Zudem zielte der Inhalt des Lieds zu genau auf Szenen ab, die nur Gitano kennen konnte: er hatte Angel geküsst und spionierte uns nach. Obwohl wir uns freundschaftlich gaben in Gesellschaft Dritter, schien er der Einzige zu sein, der das unsichtbare Geflecht zwischen uns als das zu identifizieren vermochte, was es war: eine Liebesbeziehung. Perfiderweise schützten ihn diverse Prüfungsvorbereitungen vor unserem Zugriff, sodass wir erst am folgenden Samstag Gelegenheit hatten, ihn zur Rede zu stellen. ~~?* Angel tigerte unruhig in dem winzigen Stichflur von Wand zu Fensterfront und zurück, erwartete Gitanos Erscheinen auf dem Weg zu seinem Einzeltraining in dem Gymnastikraum. Durch den Zeitablauf hatte sich in seinem Inneren eine gallenbittere Frustration angestaut, die es ihm vereitelte, sich zufrieden in Matthias' Armen einzurollen und erholsamen Schlaf zu finden. Ganz im Gegenteil, er hatte sein ohnehin bedenklich reduziertes Schlafpensum minimiert, um dem enervierenden Hin- und Herwälzen zu entgehen, den im Schlaf knirschenden Zähnen, der wachsenden Unruhe. Verstand sich selbst als Zumutung für seine Mitmenschen, so übellaunig hieß ihn der bestehende Zustand auftreten. Dass Matthias sich nicht beklagte, dessen Stahlaugen ihm aber wie unbestechliche Scheinwerfer folgten, erleichterte es ihm nicht gerade, den Selbstvorwürfen ihre säuerliche Schärfe zu nehmen. Es musste endlich ein Ende haben!! Gitano erlöste ihn, tänzelte mit der Anmut eines Akrobaten federnd den Gang hinab, um sich von Angel den Weg verstellen zu lassen. "Na, Süßer, wie...?" "Halt bloß das Maul, du Scheißkerl! Ich weiß, dass dieser miese Trick mit dem Wunschlied auf deinem Mist gewachsen ist!", giftete Angel hasserfüllt los. Gitano grinste ihn offensiv an, wischte sich provozierend durch die kastanienbraunen Locken, legte den Kopf schief und lachte spöttisch. "Na und?! Was regst du dich so auf?! War doch ein Spaß." Seine Hand tastete nach Angels Haaren, doch dieser schlug sie vehement weg, kampfbereit vorgebeugt, sengte Blitze aus den Katzenaugen. "Lass das, du Stück Dreck!! Wieso kannst du mich nicht endlich in Frieden lassen?! Was, zur Hölle, willst du eigentlich?!" Mit einer eleganten Drehung wischte Gitano an Angel vorbei, deutete einen Kratzfuß an, um diesen dann von unten, keineswegs beeindruckt, zu mustern, ein boshaftes Funkeln in den Bernsteinaugen. "Was für eine Frage! Spaß, Spannung, Abenteuer, Nervenkitzel. Der Kurzweil, mein Angebeteter, ist mein Ziel." Angel zischte guttural, feuerte unbeherrscht einen Faustschlag nach Gitano, der diesem mühelos entging. "Ich bin nicht interessiert, kapierst du das?!", brüllte er Gitano an, der gelangweilt eine Locke um den Finger drehte, mit der freien Hand eine kreiselnde Bewegung vollführte, die seinen Überdruss ausdrücken sollte. "Jaja, erspar mir diesen naiven Quark, Angel." Er drängte Angel gegen die Wand, der erneut die Fäuste ballte, mit geschlossenen Kiefern mahlte vor Zorn. "Wir sind doch keine Anfänger. Du weißt, dass ich dich haben will." Gitano stützte eine Hand flach neben Angel an der Wand ab, lächelte ohne Gefühl in dessen vor Hass verzerrte Miene. "Und ich werde dich kriegen. Denn", Gitano tippte Angel provozierend auf die Nasenspitze, "wenn du nicht kooperierst und endlich ein bisschen Spaß mit mir hast, dann finde ich einen Weg, diesen stummen Kotzbrocken von der Schule zu schaffen, darauf gebe ich dir mein Wort." Mit sichtbarer Befriedigung registrierte er Angels Verspannung, die Blässe in dem vereisten Gesicht, den angehaltenen Atem. "Oh ja, der Zombie hat ne Menge auf seinem Kerbholz, da lässt sich sicher was machen... also", er hob Angels Kinn an, leckte diesem über die Lippen, "sei nett zu mir, Süßer, sonst..." ~~?* Ich konnte nicht einen Atemzug länger in meinem Versteck ausharren, wollte nicht zulassen, dass er Angel zwang, sich um meinetwillen zu prostituieren. Ihn von diesen gierigen Händen beschmutzen zu lassen. Doch Angel kam mir zuvor. Ein Blitz sengte durch seinen Körper. Ich bemerkte den hellgoldenen Strahl in seinen Katzenaugen, wie ein sichtbarer Stromschlag von unglaublicher Stärke. Er atmete heftig wie ein Erstickender, sonderte ein Keuchen ab, das sich in schrille Höhen steigerte. Dann trat er Gitano fest auf einen Span, nagelte so dessen Fuß unter sich fest, um das Knie vorwarnungslos in dessen Schritt zu rammen. Seine Fäuste versetzten dem Zurücktaumelnden Wirkungstreffer um Wirkungstreffer, während er in wachsendem Hass schrie. "Rühr mich nicht an!! Fass mich nie wieder an!!!" Gitano ging vor meinen Augen zu Boden, vor Entsetzen und Schmerz heulend, denn Angel drosch wie von Sinnen auf ihn ein, verrückt vor Zorn und Verzweiflung. Ich wusste, wem seine Attacke galt. Nicht allein dem Intriganten, der zu seinem Füßen davonzukriechen drohte, sondern all den Bestien, die sich über sein Recht auf Selbstbestimmung erbarmungslos hinweggesetzt hatten. Doch konnte ich nicht zulassen, dass er sich selbst schadete, indem er sich im Blutrausch vergaß. Einen Ausfall vortäuschend umging ich seine unkontrollierte Angriffslust, umklammerte seine Arme und fesselte sie eng an seinen Leib, hob ihn an, um seinen ausschlagenden Beinen den Stand zu rauben. "Genug", keuchte ich heiser an seinem herumfliegenden, zu schmetternden Stößen ausholenden Kopf, "Angel, es reicht!" Schließlich drang ich zu ihm durch, keinen Augenblick zu früh, denn meine Kräfte drohten zu erlahmen. Er brach aus meiner Umklammerung und stürzte den Flur hinab. Ich drehte mich nach Gitano um, der sich an einer Wand hochgezogen hatte und sich in die Sicherheit des Gymnastikraums schleppte. "Wenn du das melden willst, dann sei gewarnt", raunte ich ihm hinterher, die akustische Tragweite des Raums nutzend. "Dann werde ich das nutzen, was Ronnie mir in einem schwachen Moment anvertraute, Süßer", wisperte ich in eiskalter Befriedigung, "und dann wirst du dir wünschen, niemals meinen Weg gekreuzt zu haben." Sein angstvolles Winseln begleitete meinen Abgang. Und mir schien es eine aufreizende Melodie der Satisfaktion. ~~?* Angel sprintete die Treppenstufen hinab, wie von Höllenhunden gehetzt, noch immer berstend vor Zorn und Aggression, die er durch Bewegung zu reduzieren hoffte, auch wenn sein Verstand durch den Blutrausch getrübt langsam arbeitete. Er kehrte dem Schulgebäude den Rücken, marschierte nun steif durch den anliegenden Park, beachtete die sich in der Spätsommerhitze elektrisch aufladende Luft nicht, die sich drohend türmenden Wolken, Vorboten eines heftigen Gewitters. Als sich die ersten schweren Tropfen aus dem belagerten Himmel lösten, hielt er endlich atemlos in seinem Sturmlauf inne, die Fäuste unverändert geballt, die Zähne knirschend aufeinander mahlend. "Angel!" Matthias' Stimme riss ihn herum, abwehrbereit, angriffslustig. Der blieb ohne Furcht vor ihm stehen, in sicherem Abstand, reglos, passiv. Allein die in der Gewitterfront verdunkelten Stahlaugen glommen schwärzlich. Der aufgepeitschte Himmel ließ aufgeblasene Wolken kollidieren, presste ihre prallen Wänste aufeinander, bis sie bauchige Tränen weinten. Angels weites Hemd klebte bereits durchscheinend an verschiedenen Körperpartien, die hellen, nur unwesentlich von abgeschnittenen Jeans-Hot-Pants bekleideten Beine schimmerten feucht. Die kinetische Energie in der Luft knisterte mit dem Ozon der entfernten, sich aber rasch nähernden Blitzschläge. Als Angel Anstalten machte, Matthias' den Rücken zuzukehren und weiter durch das Gewitter zu irren, preschte dieser vor, umklammerte ein Handgelenk und wirbelte Angel schwungvoll herum. Der schlug nach ihm, wurde aber sicher geblockt, sein freies Handgelenk eingefangen, wie sein Pendant auf den Rücken gebogen und Matthias küsste Angel gierig, erstickend auf den Mund, presste ihn eng an sich. Der Gewitterregen steigerte sich zu einem dichten Vorhang, als sie ungeschützt einander mit Bissen und Küssen bedrängten, schwankend, sich festklammernd, rücksichtslos und getrieben. Für einen Augenblick entkam Matthias dem Wahnsinn der verdichteten Entladung elektrischer Ströme in der Luft. Zerrte Angel ungeachtet des fahrigen Protestes in den Schutz einer gewaltigen Eiche, wo er, dessen Hemd über die Schultern herunterreißend und Angel damit gleichsam fesselnd, diesen gegen die Borke schob und leidenschaftlich küsste. Tropfen von seinem Gesicht leckte, sich animalisch an ihm rieb. Angel warf keuchend den Kopf in den Nacken, ließ sich mit Regenwasser tränken, lechzte nach einer Erfrischung für seine von bitterer Wut gesäuerte Kehle. Taumelte im Strudel der erregenden Liebkosungen, bot seinen Hals schutzlos an, damit Matthias sich an der überspannten Haut vergehen konnte, mit den Zähnen sich abzeichnende Sehnen massieren, den Adamsapfel bestreichen. Ein Blitz erleuchtete das Blätterdach, das ihnen im Sturm nur wenig Schutz bot, gleißend hell, dann folgte so rasch der Paukenschlag eines erderschütternden Donners, dass sie angstvoll zusammenzuckten. Matthias umklammerte Angels Hand und zog ihn hinter sich her, setzte zu einem Sprint über aufgeweichte Wiesen und regenfeuchte Sandwege an. Angel stolperte hinter ihm her, bis sie beide einen Rhythmus fanden, der sie eilig und ohne Sturz zum Schulgebäude trug. Im Foyer hatten auch Passanten und Spaziergänger Zuflucht gesucht, sodass ihre Rückkehr nicht weiter ins Gewicht fiel. Allein die Spuren, Gras und Sand, verrieten ihre Besitzer. Heftig atmend erreichten sie ihr Zimmer, schob Matthias Angel vor sich her, um sie einzuschließen, während dieser zitternd vor Anspannung im Bad verschwand, sich abzutrocknen beabsichtigte. Die freigesetzte Energie wirbelte in ihnen wie ein Feuersturm, rannte sich blutig an den Grenzen, die ihre Körper bildeten, faserte in den Nervenenden wie ein unsichtbarer Halo heraus, elektrisierte bei jedem Kontakt. Als Angel, die Mähne frottierend und nicht wahrnehmbare Funken schlagend, in ihr Zimmer trat, erledigte sich Matthias mit eiligem Griff seiner Kleidung, kehrte sich dann zu Angel um. Wieder erleuchtete ein Blitz den verdunkelten Himmel vor ihrem Fenster sengend hell, dann vibrierte der qualvolle Donnerschlag der zerquetschten Wolkenformation in den Wänden, durchdrang ihre angespannten Körper. Einem archaischen Ritual folgend, das älter als das bewusste Leben war, stürzten sie aufeinander zu, prickelnd vor angestauter Leidenschaft, brennend in der Glut der Massage unzähliger schwerer Regentropfen. Gierige Küsse austauschend zerrte Matthias Angel die durchweichte Kleidung vom Leib, rieb sich an ihm, brannte mit jeder Berührung seine Lust in die helle Haut, berauschte sich an dem erregten Stöhnen, das Angels Lippen entfuhr. In enger Umklammerung, die mit jedem neuerlichen Kontakt das Verlangen steigerte, sich zu berühren, taumelten sie auf Angels Bett zu. Bedachten einander mit fiebrigen Liebkosungen, die zielstrebig mit jedem markerschütternden Zusammenprall der wuchtigen Wolkenberge hoch über ihren Köpfen auf eine untrennbare Verschmelzung hinarbeiteten. Matthias verfügte über die größeren Reserven. Er hielt Angel unter sich, fesselte dessen Handgelenke auf die Matratze, wütete wie ein Berserker der Lust, bis Angels aufgestelltes Bein in seinem Schritt ihn innehalten ließ. Angel bleckte hungrig die Zähne, zeichnete ihre scharfen Kanten mit seiner Zungenspitze provozierend nach, bot sich aufbäumend Matthias in unmissverständlicher Geste an. Der entließ die Handgelenke aus seinem Zugriff, tastete fiebrig nach der Schachtel über ihnen, wich dann zurück, um Angel eine Drehung zu gestatten, die ihn in dessen Rücken bringen sollte, doch Angel lachte kehlig, schüttelte wild seine trocknenden Haare. "Ich will dich sehen", schnurrte er in aufgerautem, nachtschwarzem Samt, eroberte ein Päckchen, um Matthias' Geistesgegenwart herbeizuzwingen, indem er dessen Erektion schützend verpackte. Unbeeinträchtigt von der aufreizenden Elektrizität in ihrem Zimmer, dem Gewittersturm, nur eine Hauswand von ihnen abgeschirmt, besann sich Matthias. Bettete Angel fürsorglich auf stützenden Kissen, nahm sich zurück, um diesen am ganzen Körper wie ein erfülltes Versprechen einer glückseligen Verheißung zu liebkosen. Angel bestürmte ihn, erwiderte die Aufmerksamkeit mit kaum verhohlener Lust, bot sich Matthias erneut an, entließ jedoch für keinen Wimpernschlag die Stahlaugen aus seinem Bann. Endlich fühlte sich dieser firm genug, in Angel einzudringen, diesen sicher auf seinen Hüften reiten zu lassen, tief gebeugt, einen erfüllenden Liebestakt ermittelnd. Angel lächelte atemlos, umklammerte die neben ihm aufgestützten Ellenbogen, verharrte andächtig, bevor er signalisierte, dass Matthias das Tempo steigern durfte. Immer wieder schloss er im Folgenden die Augen, stöhnte und seufzte lustvoll, um dann wieder die Stahlaugen über sich zu suchen, herabstürzende Tropfen Regenwassers und Schweiß auf seinen Lippen zu kosten. Matthias' Körperbeherrschung und Ausdauer gereichte ihnen zu einem alles abfordernden Duell der Hingabe und drängenden Leidenschaft. Sie erlösten einander inmitten des tobenden Gewitters und fielen, bis in das Mark erschöpft, in tiefen Schlaf. ~~?* Ich schreckte aus der Schwärze traumlosen Schlafs hoch, weil mein Unterbewusstsein sich aufkreischend meldete. Unwillkürlich herumfahrend bemerkte ich im Halbdunkel unseres Zimmers, dass das Bett an meiner Seite verlassen war. Hochschnellend zuckte ich aus der Verwicklung verdrehter Laken und Decken, als ich Angels schlanker Silhouette vor dem Fenster gewahr wurde. Er wandte sich zu mir herum, und ich erahnte mehr, als dass ich sehen konnte, wie ein nachsichtiges Lächeln sein Gesicht und mein Herz erwärmte. "Ich bin hier", wisperte er mir das Offensichtliche zu. Die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Dieses heftige Gewitter, das uns in Besessene verwandelt hatte, nur ein Vorbote weiterer Stürme, die den Herbst einläuten würden. Ich schälte mich aus der textilen Umklammerung, wickelte mir die Decke um die Hüften, weniger aus Schamhaftigkeit, sondern in Vorsicht gegenüber den reduzierten Temperaturen. Neben Angel tretend folgte ich seiner Blickrichtung auf einen bleigrauen Himmel bar jeden Abendrots, der in Dunkelheit überging, gezeichnet von zerrissenen Wolkenfetzen, in dichtem Vorhang dünne Fäden weinend. Von Angel ging noch der Duft des Sommers aus, Hitze, Salz, sonnengebräunte Glieder, staubige Küsse. Ich umschlang ihn unaufgefordert, befestigte die uns beide beherbergende Decke fest unter meinen Achseln. Er keuchte auf. Sein Blick flackerte in meinen Augen, als auch ihm aufging, wie eng ich uns aneinander gekettet hatte. Atmete er, so durchlief mich die Erschütterung seines Leibes ungebremst, durchdrang meine Hitze ihn wie eine Glutwand. Ich wusste, dass er sich mir anpassen würde, einen gemeinsamen Atemrhythmus folgen würde. Und ich beabsichtigte, ihn spüren zu lassen, was ich ersehnte. ~~?* Angel schlang Halt suchend die Arme um Matthias' Schultern, fand sich in gewohnter Pose, dessen Hände auf verlängertem Rückgrat und in seinem Nacken abgelegt, zwei glühende Pole, die ihm den Verstand raubten. Er schloss die Augen, lauschte auf Matthias' tiefen Atem, die lange Wanderung, die der Sauerstoff kreisend in dessen Körper absolvierte und adaptierte sie für sich. Ohne eigenes Zutun wankten sie sturzsicher in jedem gemeinsamen Atemzug, liebkosten ihre Brust- und Bauchdecken einander, wenn sie Ausdehnung erfuhren. Vor Angels geschlossenen Augen tanzten Lichtpunkte. Er verspürte Frische, Entspannung, ließ sich entgleiten, hinwegtragen von der meditativen Einkehr. Zeit verstrich. Als Angel unversehens, in Trance, die schweren Augenlider hob, ächzte er panisch vor der sanften Wiegebewegung, die ihre verschlungenen Leiber angenommen hatten, geriet aus dem Rhythmus, drohte, in die Knie zu brechen. Adrenalin feuerte seinen ruhig gestellten Kreislauf hektisch an, Synapsen funkten Alarm, sein Gleichgewichtssinn rotierte, als er wie einen Fixpunkt Matthias' intensiven Kuss auf seinen Lippen spürte. Hitze drang über die Handflächen in seinen aufgepeitschten Körper, besänftigte das davon stürmende Pulsieren seines Blutes. Matthias' Zunge tanzte in seinem Mund, ließ sich nicht einfangen, zog sich blitzschnell zurück, um erneut einzufallen, jagte leidenschaftliche Erregung in Angels galoppierenden Herzschlag. Sich zurückziehend zwang Matthias ihm die Entscheidung auf, die Augen zu öffnen und sich einer taumelnden Welt zu stellen, sich verunsichern zu lassen. Doch Angel fand sich geborgen und sicher in den muskulösen Armen, den tiefgründigen Stahlaugen, dem schüchternen Lächeln. Er lachte erleichtert, verlegen auf, kuschelte sich an Matthias an. "Das... das war so... intensiv...", sprudelte es hell aus ihm heraus. Matthias' Reaktion bestand in einem besänftigenden Kuss. Dann dirigierte er Angel im Rückwärtsgang zu seinem eigenen, noch unbenutzten Bett, um diesen und sich selbst aus der hautengen Verschlingung zu entlassen, damit sie Seite an Seite Schlaf finden konnten. ~~?* Angel räkelte sich schläfrig, als Matthias an seiner Seite Anstalten unternahm, sein Bett zu verlassen. "Geh nich", murmelte er mit schlafesschwerer Zunge, schmiegte sich beharrlich an Matthias an, dem nichts weiter blieb, als nachzugeben und Angels Mähne auf seiner Brust mit neckenden Fingern auszukämmen. Sich nur widerwillig an die Geräuschkulisse des Morgens gewöhnend robbte Angel schließlich gänzlich auf Matthias' nackten Leib, verschränkte die Arme auf dessen Brust und betrachtete ihn, grüne Funken aus Katzenaugen schlagend. Beständig strichen dessen Finger an Angels Seite auf und nieder, von den Achselhöhlen über die Rippenbögen bis tief zu den Hüftknochen und vice versa. "Du bist ein richtiger Nimmersatt", triezte er Matthias mit einem vorwitzigen Grinsen, wand sich schlüpfrig wie ein Aal, was diesen bewegte, Angel zu umklammern und sich mit ihm zu drehen, sodass er über Angel zu liegen kam. Seine Stahlaugen sprachen eine Warnung, doch die eigenen Hände straften ihn Lügen, zeichneten die Linien in Angels Gesicht nach, schoben sich an einem Oberschenkel entlang, um diesen aufzustützen, um die eigene Hüfte zu biegen. Angel lachte kehlig, flatterte provozierend mit den Lidern, verfolgte das Gewitter in den Stahlaugen hinter halb verborgenen Katzenaugen. Matthias konnte unbestreitbar kaum von Angel lassen. Und Angel trug nichts dazu bei, diesen Umstand zu verändern, im Gegenteil, er schmiegte sich genießerisch schnurrend an Matthias an, drückte sich ihm von der Matratze entgegen. Bis jener, rötliche Tönung auf den Wangen, von Angel rollte und sich knurrend neben ihn lagerte. Angel kicherte leise, machte es sich bäuchlings bequem, den Blick zur Zimmermitte gewandt, rieb eine Hüfte an Matthias' Seite, bis dieser wieder die Wanderung einer Hand über Angels Rückgrat aufnahm, mit dessen losen Haarsträhnen spielte. "Denkst du, dass er mich anzeigen wird?", erkundigte sich Angel versonnen nach einer Periode einträchtigen Schweigens. Matthias massierte einhändig seinen Nacken, während ein Fuß begehrlich über Angels Waden strich. "Nein. Er wird nicht reden", versicherte er heiser. "Warum nicht?", Angel drehte den Kopf und studierte Matthias' Miene inquisitorisch. "Weil ich ihm gedroht habe, und er weiß, dass es mir Ernst ist." Angel schnaubte, rollte sich herum, visierte die Zimmermitte an, gestattete Matthias aber, an seine Seite zu rücken und einen Arm über seine Brust streifen zu lassen. Es entging Matthias nicht, dass in Angels Gedanken etwas gärte und ein Ventil suchte, doch er zwang sich Geduld auf, begnügte sich damit, seine Körperwärme durch die Handfläche weichen zu lassen, die unsichtbare Sonnenflecken auf Angels Torso hinterließ. "Findest du mich pervers?", wisperte dieser unvermittelt in die Stille hinein. ~~?* Ich blinzelte, glaubte, mich verhört zu haben. Als er jedoch den Kopf wandte, mich ansah, kühl und doch so leicht verwundbar, da begriff ich, dass er tatsächlich diese seltsame Frage aufgeworfen hatte. Und ich verstand nicht. Meine Verwirrung musste von meinem Gesicht so deutlich wie aus einem aufgeschlagenen Buch zu lesen sein, denn er schürzte die Lippen, faltete die Hände auf der Brust und unterzog mich einer eingehenden Musterung. "Denkst du nicht", er betonte jedes Wort, angestrengt, wie mir schien, "dass es pervers ist, mit einem Mann zu schlafen, wenn man von Männern missbraucht wurde?" Überschlagende Gedanken sprengten ziellos durch meinen aufgewühlten Geist, doch ich erkannte rasch, dass das nicht die eigentliche Frage war. Was konnte ich schon über Perversionen sagen?! Sollte die Frage nicht zutreffender lauten, »denkst du nicht, dass es pervers ist, als Missbrauchsopfer Sex mit einem Mann zu genießen?«, zumindest flüsterte mir das mein ungerührt kalkulierender Verstand ein. Ich geriet in stärkere Turbulenzen, als meine eigene Bedenkenlosigkeit in mir aufkochte. Auch wenn ich mich gefragt hatte, was meine rettungslose Leidenschaft ihm abverlangte, hatte ich jemals berücksichtigt, dass es ihm belanglos erscheinen könnte?! Der Akt eine Trivialität, die man über sich ergehen ließ? Hatte ich jemals einen Gedanken verschwendet, wer von uns welche Position innehaben würde in einem Liebesakt?! Nein. Ich hatte mich darauf verlassen, dass mein unzureichendes Gestammel, das man kaum als Liebesschwur einordnen konnte, ausgleichen würde, was ich von ihm verlangte. Egoistisch und gefühllos hatte ich agiert. Nichts konnte meine elende Handlungsweise beschönigen. Unfähig, Worte zu finden, die ihm vermittelten, wie sehr ich ihn liebte, brauchte, wollte, verehrte und begehrte, wie zerrissen und hilflos ich in seiner Gegenwart wurde. Und wieder nur ich, ich, ich!! Verzweifelt wie ein kleines Kind, das sich nicht zu helfen wusste, drängte sich mir heulendes Elend auf, wellten unerwünschte Tränen in meinen Augen, zerfraß mein Selbsthass meine Kehle. Angels Aufmerksamkeit entging meine abstoßende Schwäche nicht, doch er missverstand mich, zog mich an sich, streichelte meine Schultern, wisperte erschrocken Koseworte in meine Ohren. "Ich liebe dich!", explodierte ich krächzend, immer wieder, als könnte die Repetition einen schalen Vorgeschmack auf das geben, was ich nicht greifbar machen konnte. Eine banale Essenz des Sturms in mir. ~~?* Angels Finger kämmten beharrlich durch die lackschwarzen Stoppel, hauchten tröstende Küsse auf die tränennassen Bahnen in Matthias' verzerrtem Gesicht, schauderten unter der ureigenen Verzweiflung in dem Stahlgewitter der überquellenden Augen. Unsicher, ob Matthias etwa glaubte, er habe ihn als pervers brandmarken wollen, da er mit ihm geschlafen habe, suchte Angel fieberhaft nach einer Beschwichtigung. Er entschloss sich zu einer verbalen Selbstoffenbarung, um dem erstickten Schluchzen an seiner Seite ein Ende zu machen. "Als du das letzte Mal geweint hast... danach...da war ich zu fertig, sonst hätte ich dir locker Gesellschaft geleistet", plapperte er hastig. Matthias nahm sich zurück, um ihm zuzuhören, was Angel gleichzeitig erleichterte und in Verlegenheit brachte. Seine Entscheidung für Offenheit revidierte er nicht. "Ich wollte mit dir schlafen... und habe ich mich gefürchtet...", er flüsterte kaum hörbar, das Gesicht abgewandt. "...war nicht sicher, wie ich... reagieren würde...immerhin...", Angel atmete tief durch, drehte dann den Kopf, um Matthias' tränenverschmiertes Gesicht zu konfrontieren. Der verharrte so regungslos, dass Angel sich fragte, ob eine endlose Dehnung der Gesprächspause ihn ohne Sauerstoff bewusstlos zusammensinken lassen würde. "Immerhin...", er straffte sich mit scheuem Lächeln, "war es das erste Mal...aus Leidenschaft", ergänzte er unhörbar, nur anhand seiner Lippenbewegungen zu dechiffrieren. "Ich hab dir weh getan, oder?!", Matthias zog resignierend die Nase hoch, verblüffte Angel mit dieser Kehrtwende ihres Gesprächs. "Es ist meine Schuld, ich bin verantwortlich. Du bist nicht pervers, ich allein...", weiter gelangte Matthias in seiner vernichtenden Selbstanklage nicht, da Angel ihn mit einem Knurren in den Magen boxte. "Nun lausche mal aufmerksam meinen Worten, Matti", fauchte er, nur halb im Scherz, "du hast mir nicht weh getan. Und im Übrigen, auch wenn das jetzt ein Bruch der guten Sitten und Diskretion ist: für dein Debüt hast du verdammt gute Arbeit geleistet. Habe ich mich klar ausgedrückt?!", herrschte er Matthias einschüchternd an, der in völliger Verblüffung unwillkürlich nickte. "Gut", zwinkerte Angel sanftpfotig, rollte sich über ihn und schmiegte sich Wärme suchend an, "dann will ich keine Selbstanklagen mehr hören. Wenn uns gefallen hat, was wir getan haben, muss es richtig sein." ~~?* Nach einer gemeinsamen, in zivilisierter Zurückhaltung gestalteten Dusche kleideten wir uns an und erwogen, zum Mittagessen unser Refugium zu verlassen. Ich spürte, dass Unausgesprochenes vor uns lag, doch benötigten wir beide den Alltag und die Routine, bis wir eine erneute Annäherung riskieren konnten. ~~?* Das Gewitter hatte nicht nur Abkühlung gebracht, auch signalisierte es den Aufbruch in den Herbst. Die Spätsommerhitze verlor sich im Ansturm der sich ausbreitenden Wolken, immer öfter verhing sich der Himmel in bleigrauem Gewand. Angel und Matthias spazierten nebeneinander durch den Park, schweigend, gedankenverloren. Zwei anstrengende Leistungsklausuren hatten ihre Gemüter ausgewrungen wie Schwämme. Nun galt es, neue Kraft zu schöpfen. Eine stetige Brise blähte ihre dünnen Jacken auf, als Angel eine Brücke ansteuerte, sich über das Geländer lehnte, um in die trübe Flüssigkeit zu ihren Füßen zu starren. "Es wird Herbst", bemerkte er leise, wies mit dem Kinn auf im Wasser treibende, einst farbenfrohe Blätter. Als Matthias keine Entgegnung formulierte, setzte Angel seinen einsamen Monolog fort, so, als spräche er zu sich selbst. "Ein Jahr vergangen...letztes Jahr um diese Zeit bin ich Frankie begegnet...und nun ist er... und ich bin hier mit dir..." Unwillig drehte Matthias sich neben ihm herum, die Unterarme auf der hölzernen Brüstung aufgestützt. "Was wohl in einem Jahr sein wird?" "Wischiwaschi, BlaBla", platzte es in Angels melancholische Betrachtung, barsch und knapp. "Zeit spielt keine Rolle, sondern die Art, wie man sie nutzt. Alles andere ist müßige Spekulation und vollkommen überflüssig." Angel kicherte amüsiert in sich hinein, schenkte Matthias einen neckenden Seitenblick, der knurrig vor sich hin brummte. "Planst du denn deine Zukunft nicht?", erkundigte er sich dann ernsthaft, drehte sich zu Matthias um, schmuggelte seine Hände zu Matthias' in dessen Jackentaschen. "Humbug! Wie jeder weiß, kommt es erstens anders und zweitens, als man denkt!", versetzte dieser mit arktischem Blitz aus den Stahlaugen, flirtete dabei gleichzeitig mit Angels Fingerspitzen. "Keine Ideen für ein Studium oder eine Familie, oder...?", hakte dieser nach, den Kopf geneigt, von den wilden Strähnen seiner weißblonden Mähne umschmeichelt. Matthias senkte den Kopf, um dann wieder unverwandt in Angels Augen zu sehen. "Ich habe einen Großteil meines Lebens wie eine Kugel in einem Flipperautomaten verbracht, immer wieder hin und her geschmettert, niemals lange an einem Ort. Meine einzige Gewissheit bestand darin, dass meine Eltern mich niemals aufgeben würden. Und niemals mehr lieben als irgendein anderes Blag." Angel schluckte unwillkürlich vor dem verbitterten Schlusswort, doch Matthias überraschte ihn mit einem selbstironischen Lächeln. "Und nun bin ich hier, halte Händchen mit einem Jungen, den ich wirklich nicht einen einzigen Moment loslassen kann. Was für einen Sinn würden Pläne haben, hmm?" Angel grinste und lehnte die Stirn gegen Matthias'. "Das müssen wirklich gefährliche chemische Verbindungen sein, die uns einander schweißen, was?!", wisperte er aufreizend an Matthias' Mund, eine Reminiszenz an dessen geäußerte Ansicht über die Beschaffenheit von Liebe. Ein herbstlicher Windstoß wirbelte Angels Haare auf und trieb aufgepeitschte Blätter um sie herum. Schaudernd umschlang Angel Matthias' Taille und lehnte sich in den Schutz von dessen Körperwärme. "Gehen wir zurück", entschied dieser, verstaute Angels Hand in seiner Jackentasche, bevor sie umkehrten. ~~?* "Hmmmm...", genießerisch nahm Angel einen Schluck von Matthias' Spezialmischung, die ihn bereits nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht aufgewärmt und gestärkt hatte. Dass es sich dabei um eine chinesische Variante des bewährten Brühwürfels handelte, störte ihn nicht weiter. Matthias lagerte auf seinem Bett, im Lotussitz, konzentrierte sich auf ein Lehrbuch. Angel kroch neben ihn auf die Matratze, studierte seine ruhige Ausstrahlung, bis sein Maß an Geduld erschöpft war. Das Lehrbuch aus Matthias' Griff entfernend hockte sich Angel selbst rittlings auf Matthias' Oberschenkel, schlang die eigenen Beine verkreuzend um dessen Hüften. Eine Augenbraue wanderte hoch, ansonsten enthielt sich Matthias jeglichen Kommentars. Die Arme um dessen Schultern schlingend betrachtete Angel ihn eingehend, ein vorwitziges Lächeln in den Mundwinkeln. "Matti..?" "Ja?" Angel zwinkerte amüsiert über die militärisch knappe Replik. "Sag mal... willst du mit mir gehen?" Sein scherzhaft beschwingter Ton täuschte Matthias nicht, der wie gewohnt über seinen Rücken strich, ihn auf den muskulösen Oberschenkeln wiegte. "Sollte die Frage nicht besser lauten: wollen wir gemeinsam gehen?", korrigierte er vorgeblich pingelig. Angel stemmte sich hoch, um nun stoffreibend und hauteng auf Matthias' Hüften zu hocken. "Auch das", wisperte er rau, "und, willst du?" Matthias' Blick wanderte zu Angels Lippen, dann wieder in die Katzenaugen, spazierte ungehindert umher. "Du meinst, mir massenweise Schwierigkeiten aufhalsen, weil ich mich oute, deine Verehrerinnen mich umbringen wollen, mich gesellschaftlich ruiniere, zweifelsohne schief angesehen werde..." Ein diabolisches Funkeln erleuchtete seine blaugrauen Augen gespenstisch, "... und dafür darf ich dich haben?", summierte er lauernd. Angel knurrte. Dies entsprach seiner Vorstellung eines gemeinsamen Lebens ebenso wenig wie seinem Sinn für Romantik. Matthias grinste breit. "Glaub es oder nicht, Angel, aber das ist die erste Verbesserung meines Lebens", raunte er spöttelnd an Angels Ohr. Um dann, sehr viel aufrichtiger, einen zärtlichen Kuss auf Angels zum Protest geöffnete Lippen zu hauchen. "Ich will." Mit einem nachsichtigen Fauchen beließ es Angel bei einem Biss in die Nasenspitze, wirbelte mit seinen langen Wimpern ein Tremolo. "Soso... und wie war das noch gleich mit der unsinnigen Vorstellung einer absoluten Liebe, das eigene Leben auf eine einzige, andere Person auszurichten, das halbe Jahr vagabundierende, chemische Verirrungen?!", zog er Matthias auf. Der zuckte geschmeidig mit den Schultern, lächelte Angel still an. "Ich habe dich gefunden. Und mit jeder Berührung will ich mehr", entgegnete er schlicht. "Selbst wenn wir nicht wissen, was in einem Jahr ist?", erkundigte Angel sich leise. Matthias' Hände wanderten expeditionsfreudig unter Angels Hemd. "Angel, ich liebe dich. Ich kann nicht von dir lassen... und werde dich nicht freigeben." Angel versank in den Stahlaugen, die ihm wie ein aufgewühltes Meer an einer Steilküste erschienen. "Ich will", beantwortete er seine eigene Frage mit unsicherer Stimme, bevor er sich herunterbeugte und Matthias intensiv küsste. Sicherheit existierte nur im Augenblick, und diesen galt es zu nutzen. Ganz gleich, ob Lichtgestalt oder Schattenkrieger. ~~?* the last day on earth (by Marilyn Manson) yesterdays was a million years ago in all my past lives I played an asshole now I found you, it's almost too late and this earth seems obliviating. we are trembling in our crutches high and dead our skin is glass I'm so empty here without I crack and split my xerox hands I know it's the last day on earth we'll be together while the planet dies I know it's the last day on earth we'll never say goodbye. the dogs slaughter each other softly love burns its casualties we are damaged provider modules spill the seeds at our children's feet I'm so empty here without you I know they want me dead I know it's the last day on earth we'll be together while the planet dies I know it's the last day on earth we'll never say goodbye ~~?* ENDE ~~?* Dies ist das letzte Kapitel, und ich werde Angel nun in die Freiheit entlassen, was aber nicht unbedingt ausschließt, dass er noch einmal eine Stippvisite absolvieren wird. Mein Dank an alle, die bis hierher tapfer durchgehalten haben, diejenigen, die mich ermuntert oder mir abgeraten, mich kritisiert oder ignoriert haben. Es war eine interessante Erfahrung. kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Der letzte Teil der Saga kam aufgrund einer Varianz von Gründen erst mit einem Jahr Verspätung heraus, allerdings nahtlos an die letzten Ereignisse anknüpfend. Wieder einmal von Musik geleitet dreht sich nun alles um Matti und Angel, die nicht nur erwachsen werden, sondern auch Emotionen ausgesetzt sind, die ihrem unterschiedlichen Naturell Einiges abverlangen. Wie unschwer zu bemerken ist, bewegt sich die Handlung von standbildartigen Szenen weiter, und endlich gibt es mal lemon ^_^ Ich habe über die chinesische Oper recherchiert, die geheimnisvollen Brühwürfel selbst gekostet und die Trommelklänge, die den Auftritt begleiten, aus einem koreanischen Abend "entliehen". Auch wenn die meisten Leser Matti nach wie vor nicht leiden können, so bedeutet er mir viel und ich bin stolz, die Burschen in meiner Nähe zu wissen ^_~ Ich danke an dieser Stelle allen, die Angels Werdegang verfolgt haben d=^_^=b