Titel: Botschaft Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Weihnachten 2022 Erstellt: 23.12.2022 Disclaimer: alles Meins, soweit nicht anders erwähnt. ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ Botschaft "Jetzt müsste es fluppen!" Verkündete Fixis und zog sich rasch in eine ungefährliche Distanz zurück. Es rumpelte und polterte vernehmlich, während Semori die Finger hinter dem Rücken kreuzte und die Luft anhielt. Das Eine, so hatte er gelesen, sollte das persönliche Glück fördern, das Andere geschah stressbedingt automatisch. Krachend fegte schließlich eine verplombte Nachrichtenkapsel in den Netzkorb, glitschig von Kondenswasser und dezent glühend. Den Inhalt konnte man wegen beschlagener Fläche noch nicht mal erahnen. "Wir warten besser ein Weilchen." Empfahl Fixis mit einem Seitenblick auf Semori, denn die Dampfreinigung per Geothermie konnte gelegentlich die persönliche Wohlfühltemperatur überschreiten. Ausgenommen bei Kohle, selbstredend. Wenn Leah Lexx in der Nähe war, wollte Fixis definitiv keine Betriebsunfälle riskieren: der Papierkram brächte einen garantiert um! Semori strebte nicht sonderlich danach, die Rohrpostille zu empfangen, aber er war sich seiner Aufgabe bewusst und konnte auch nicht auskneifen. »Hoffentlich keine Erdmännchen! Bitte, lass es keine Erdmännchen sein!« Wiederholte er innerlich einen frommen, sehr eigennützigen Wunsch und wartete, bis die Dampfschwaden sich verzogen hatten und die Verschlüsse nicht mehr feurig glühten. Mit schweren Handschuhen bestückt gelang es ihm, den Transportkokon zu entkorken. Die enthaltene Botschaft war schlicht, löste jedoch bei den involvierten Drei erhebliches Stirnrunzeln aus: [Mehr Diversität!] ~#*#~ Semori fischte geübt die tropische Blüte aus seinem Henkelbecher Kaffee und nahm einen stärkenden Schluck. Der Yeti hinter dem selbst konstruierten Tresen ließ ein dezentes Pfeifen hören, was Semori mit einem aufrichtigen Dank beantwortete. DIESE Infusion hatte er jetzt aber nötig! Fixis erkletterte geübt seinen Stammplatz an der Theke und stemmte Met, bevor er sein Rentier-Gulasch in Angriff nahm. "Ich kapier's immer noch nicht!" Ließ er Semori wissen, sich den Schnurrbart wischend. Eine deutliche Aufforderung, in den "Boss-Modus" zu wechseln, aber Semori seufzte bloß stumm und blickte auf die Terrasse hinaus. Seine Ratlosigkeit konnte er auch noch offenbaren, wenn Leah Lexx auf selbigen (sehr langen) zu ihnen stieß. ~#*#~ "Was sollen die vielen Buchstaben und Zeichen?" Fixis deutete kritisch auf die säuberlich auf die kleine Schiefertafel notierten Kreidespuren. Leah Lexx nippte an einem extrem farbigen Cocktail und schnabulierte eine Miniatur-Banane. Üblicherweise beschäftigte sie sich mit anderen Zeichen, zuerst dem Paragraphenzeichen, dann den Währungskürzeln, noch lieber mit vielen Zahlen, die sich dahinter einreihten! "Meine Recherche. Diversität, Klammer auf, queer, dann das da, Klammer zu." Ließ sie ihre Beisitzenden wissen, allerdings wenig euphorisch. Ausnahmsweise boten sich hier weniger Einnahmequellen als bußgeldbewehrte Unterlassungserklärungen, das konnte einem schon mal die Pause verderben! "Ja, ganz toll, schöne Dingsda, aber WAS soll das bedeuten?!" Fixis benötigte einen weiteren Humpen Met, den der Yeti ohne Aufforderung (und ohne Telepathie) vor ihn auf den Tresen platzierte. "Das ist quasi die Spannbreite menschlicher, geschlechtlicher Einordnung mit und ohne sexuelle Aspekte, zur Identität und gesellschaftlichen Rolle." Grummelte Leah Lexx, die eine justiziable Definition in diesem Fall schmerzlich vermisste, während sie bei Einnahmen unbestimmte Rechtsbegriffe durchaus begrüßte. Es kam eben immer darauf an, ob es was zu verdienen oder zu latzen galt! "Das alles?! He, das sind Schlitten, beim Großen M, und keine Ozeanriesen!" Brauste Fixis alarmiert auf. Wenn allein die Buchstaben und die Zeichen, und dann noch, man kannte ja Menschen!, in mehreren Kolorationen...!! "Überhaupt, die ganze Bagage krieg ich nie unter!" Teilte er Semori deshalb präventiv mit ultimativer Entschlossenheit mit. Der rieb sich gerade die Augen und justierte die unlängst erforderlich gewordene Brille. "Ich bin nicht sicher, ob dafür Personen geeignet sind." Murmelte er bedächtig, denn gegen Fixis' zutreffenden Hinweis auf die Belastungsgrenzen der Schlitten konnte er nicht argumentieren. "Vielleicht sollte es tendenziell symbolisch sein?" Nicht schnell genug deckte er seine eiligen Notizen ab, da polterte Fixis bereits los. "Einhörner?! Oh nein, nicht in DIESEM Zirkus! Wir haben jetzt schon Platzprobleme, und dann, ich sag nur: Personalausfälle! Die haben bloß ein Interesse!! Auf keinen Fall!" Während er noch in Rage diesen Einfall zurückwies, verlor sich trotz monumentalem Schnurrbart rasch seine gesunde Gesichtsfarbe. "Ach, du, du denkst doch nicht...?! Nicht DIESES Einhorn! Dann können wir gleich heiß abreißen! Ist der nicht verbannt?! Das hier ist ein Traditionsbetrieb, Boss! Das haben wir nicht verdient!" Semori, der eigentlich etwas ganz anderes im Sinn gehabt habe, konnte nicht nur bei Fixis blankes Entsetzen auf der Miene lesen, auch Leah Lexx wirkte käsig. Glücklicherweise bequemte sich sein Oberstübchen zu einem Sprint und schloss eilig Synapsen kurz, die die wenig subtile Botschaft dechiffrierten. "Was meint ihr? Oh! Nein, nein, wirklich, keine ECHTEN Einhörner, versprochen! Und besonders nicht DIESES!" Versicherte er hastig, auch wenn er manchmal zweifelte, ob die Gerüchte über dieses EINE Einhorn mit seinem Erfindungstalent möglicherweise ein wenig übertrieben waren. Flankierend entwichen tiefe Seufzer der Erleichterung. "Nur für das nicht existierende Protokoll: die Vorspiegelung falscher Tatsachen kann gerichtlich verfolgt werden." Leah Lexx schlug selbige übereinander. "Besser, du erklärst uns deine Ideen, Boss." Semori zog die Hände von seinem Schiefertäfelchen zurück, denn a) waren sie sehr überschaubar, und b) nicht sonderlich innovativ. "Menschen assoziieren Einhörner mit unterschiedlichen Botschaften. Ich dachte auch an eine Art Fahne." Ihm entging nicht, wie Fixis und Leah Lexx einen bezeichnenden Blick wechselten. Die nächste Viertelstunde würden sie seine vagen Ideen bis auf atomare Ebene zerpflücken, so viel stand fest. Schicksalsergeben zerkaute Semori die Blüte aus seinem Kaffee. ~#*#~ Semori hatte in seiner Bildungslaufbahn das Kapitel "Menschen" nur periphär gestreift, denn bei seinem optischen Erscheinungsbild konnte er sich wohl kaum auf der anderen Seite ohne besondere Vorkehrungen sehen lassen. Außerdem war er mit sich selbst beschäftigt genug, denn unseliger Weise plagte ihn ein lästiges Schuppenleiden: sie verabsentierten sich. Was ihn als Einzigen im Familien- und Umgebungsverbund ziemlich nackt wirken ließ. Eine Behandlung mit Kältereizen sollte der Ent-Schuppung abhelfen. Tatsächlich erwies sich die Kur als segensreich, zumindest für den begrenzten Aufenthalt in einer Wassertonne mit Eiswürfelbruch. Semori entschied folgerichtig, dass eine Existenz in seiner Heimat (trocken, sehr warm, gelegentliche heftige Schauer) langfristig die Gewöhnung an ganzkörperliche Kahlheit und lästigen Juckreiz zur Folge haben müsste. Was ihm bis dato noch nicht gelungen war. Weshalb die Wahrscheinlichkeit nicht zu seinen Gunsten stand. Eine Qualifizierungsberatung später fand er sich in einem Schnellkurs zur Buchhaltung für kleine Unternehmen, zusätzlich ausgestattet mit einem Flugblatt zum Thema "Psychologie in der niederschwelligen, wertschätzenden Führung von Teams (Toll, Ein/e/s Andere/r/s Macht's!)". Prompt wurde ihm auch ein Stellengesuch unterbreitet, weshalb Semori seinen Seesack umhängte und sich pünktlich zur Vorstellung für eine sechsmonatige Probezeit an ein etwas unterbevölkertes Portal zwecks innerdimensionalem Transport stellte. Kühle Temperaturen, gemächliches Anlernen durch die Geschäftsführung, eine eher ländliche Atmosphäre, keine städtische Hektik, interessante Aufgaben für Aufgeschlossene, das las man selten! Ein Glücksgriff! Den zumindest bewies auch einer der Yetis, der Semori auf der anderen Seite des Portals abholte, in mehrere Schichten Rentierfell wickelte, über eine hängende Schulter warf und schnurstracks zum Hauptquartier transportierte. Während Semori auftaute (und dabei feststellte, dass "kühl" hier ganz andere Dimensionen umfasste als ein paar medizinische "Kältereize"), wurde er mit der Realität konfrontiert: a) Yeti-Getränke sollte man NIE ohne vorherigen Blick auf Ex trinken, wollte man nicht an Blüten im Respirationstrakt ersticken. Allerdings lernten die Überlebenden schnell. b) Das halbe Jahr Probezeit fiel aus. c) In seinem Arbeitsvertrag müsste noch eine klitzekleine Passage ergänzt werden. Während Leah Lexx, zuständig für die Leitung der Sektion "Einnahmebeschaffung durch juristische Auseinandersetzung in Bezug auf Rechte/Copyright-Verwertung", rasch die Annotation absolvierte, klopfte Fixis, technische Leitung, ihm beruhigend auf den Rücken, um auch jede Spur der heimtückischen Blüte zu exilieren. "Sieh es mal so, Boss: du bist direkt in der Pole-Position! Haha, kleiner Scherz!" Semori jedenfalls hatte nicht erwartet, dass seine erste berufliche Station mit der Feuerbestattung seiner 815-jährigen Vorgängerin beginnen würde, die "vergnügt wie ein Heimchen" ihre Pensionierung ein wenig zu sehr gefeiert hatte und des Morgens "grinsend wie ein Honigkuchenpferd!" erstmalig, wenn auch entschuldigt bei der Arbeit gefehlt hatte. Seit diesem Einstand war ein sehr turbulentes Vierteljahrhundert vergangen. Semori hatte gelernt, dass das "Spiegelbild" des "Weihnachtslands am Nordpol" von menschlicher Seite aus auf der anderen Seite der Pforte der Dimensionen ein klein wenig abwich. Weshalb es ihm davor graute, auch noch Erdmännchen irgendwo unterbringen zu müssen! ~#*#~ Transkriptionen zu menschlichen Vorstellungen und Traditionen bezüglich "Nordpol/Heimat Weihnachtsmann/Weihnachtsland" drängten sich in der Collectio. Semori hatte sich hin und wieder zwecks eiligem Nachschlagen hierher verirrt, doch seit Fixis auf undurchsichtigen Wegen ein Omniskop organisiert hatte, konnte Semori selbst die sich entwickelnden Vorstellungen der Menschenwelt verfolgen. Regelmäßig überkam ihn beim virtuellen "Zaunlochgucken" der Verkaufsmesseveranstaltungen (Christmasworld und ähnlichen) ein Schaudern. Seine Vorgängerin hatte eine ruhige Weihnachtsbaum-Kugel (haha) geschoben, bis ungefähr vor zweihundert Jahren. Menschliche Gott-Repräsentierende jeglichen Geschlechts (oder ohne) in allen Couleurs residierten nicht hier, sondern in eigenen Unterbringungsprojekten des Großen M, der sich als mitfühlend gegenüber Restposten menschlicher Vorstellungsgabe erwies. So blieb es recht überschaubar, was "Weihnachtsland" betraf. Ja, bis quasi im Nachgang zu Biedermeierlichen Anläufen und der reformatorischen Terminverlagerung literarische Vorbilder entstanden, die sich dank permanenter Völkerwanderung (Übersiedelung nach Nordamerika hauptsächlich) verbreiteten und kombiniert mit dem aufkommenden Zeitungswesen, dem Bildungsbürgertum, einer Idee von "Kindheit" und diversen Zeichnungen eine derartige Entwicklung nahmen, dass wie bei einer Lawine ein Momentum entstand. In der Konsequenz erforderte es ein rasch auszubauendes Refugium für populäre Fantasien, die viele Versatzstücke zu einem umsatzträchtigen Mosaik zusammenfügten, bei dem Rentiere, Schlitten, untersetzte Männer mit Bart und roten Klamotten, namenlose Assistierende/Helfende und Eisbären einquartiert werden mussten. Das artete verflixt flugs von einem Gedicht zu einem komplizierten Unternehmen aus! Gut, um die Rentiere kümmerten sich die Elfen, die nicht bei Leah Lexx ihrem Drang nach juristischen Auseinandersetzungen nachgingen. Aufgrund der begrenzten Fläche dienten die Rentiere als multiple Quellen für Nahrung, Geländepflege, Bekleidung und Transport, zusätzlich auch als Aas-Futter für die Eisbären, die ebenfalls verstaut werden mussten, weil ein Getränkekonzern dämliche Werbung mit ihnen geschaltet hatte! Die Yetis (bis auf den, der sich liebend gern im Hauptquartier in der Kantine tummelte), residierten schon sehr lange in der Gegend und pflegten die Yaks. Semori hatte sie (mangels Telepathie) mit komplizierten Pfiffen (die Pfeife trug er immer bei sich) dafür gewinnen können, einen Fischteich anzulegen, damit Pinguine versorgt werden konnten, die mit dem Nordpol nichts zu tun hatten, aber AUCH NOCH untergebracht werden mussten! Semori graute vor jedem neuen Werbefeldzug. Alpakas, Lamas, das ginge wohl noch an, aber Erdmännchen mit Zipfelmützen und Schals?! Wer dachte sich so einen Irrsinn aus?! Durch einige geothermische Quellen konnten sie im Hauptquartier in einem Tal zwischen Gletschern und Schneewehen sowie einem Bereich Tundra (für die Rentiere) eine Selbstversorgung betreiben (nein, kein Shangri-La!) und dank der Wichtel technisch auf der Höhe der Zeit bleiben. Wichtel, denen Fixis als Sprachrohr vorstand, interessierten sich für die "Vorstellung an Heiligabend", weil die es ihnen erlaubte, neue Gimmicks und Schnickschnack in der großen Werkstatt zu konstruieren. Das Eine brachte das Geld, um das Andere zu ermöglichen. Sie waren KEINE "Heinzelmännchen", die nachts reparierten oder gar lächerliche Geschenke zusammenschusterten, oh nein! Den Menschen-Kram sollten doch bitte Menschen zusammendengeln, danke auch! Man sollte auch tunlichst nicht den Fehler begehen, Wichtel mit "Zwergen" zu verwechseln, wenn man die dentale Grundausrüstung nicht fürderhin dekorativ um den Hals als schicke Kette garniert tragen wollte. Semori sah sich als "Boss" nicht in der Lage, anders als kooperativ die Gruppe zu begleiten, von "Leitung" oder "Führen" ganz zu schweigen. Alles funktionierte, wenn man es in Ruhe ließ. Für ihn blieb das Verhandeln über den Etat, die Buchführung und die Ehre, eine Spinn- und Strickmaschine bei der "Technik" in Auftrag gegeben zu haben, um mit der Yak-Wolle für sich (und später über einen Online-Shop samt bissigster Klauseln) Bekleidung gegen eisige Temperaturen herzustellen. Die Yetis halfen aus, weil für sie neckische Schopffellbänder abfielen, die Yaks wechselten ohnehin das Fell, Fixis mochte Herausforderungen (und weniger kratzige Rentier-Unterwäsche), während Leah Lexx gewagte modische Accessoires entwarf, die nur Elfen tragen konnten (nun, die aus der Rechtsabteilung zumindest). Semori gewöhnte sich ein, weil es keine Gelegenheit gab, sich für anderes zu interessieren, wenn man fortwährend zwischen allen Beteiligten verhandelte, menschliche Geschmacksverirrungen verfolgte und zur Entspannung gerade mal ein heißes Bad genießen konnte. Außerdem, das durfte man nicht vergessen, kamen die zwei Sonnen nur selten lange zu Besuch, sodass es meist dunkel oder wenigstens dämmrig blieb. Da konnte man auch schon mal für eine ausgedehnte Zeitspanne im bequemen Bett verweilen! ~#*#~ Semori notierte gerade den Bestand der Rentiere und hörte sich die gezischten Bemerkungen der Elfen an, die sich um die Rentiere kümmerten. Wie jedes Jahr legten sie Beschwerden vor, weil die Rentiere für die Schlitten ausgesucht werden sollten. Diese Elfen würde wohl kein Mensch für besonders "weihnachtlich" halten, denn sie erinnerten eher an die andere Sorte, an die Alben, die Nachtmahre, die wilde Jagd, spitzzahnig, grimmig, misstrauisch. Zwischen den Rentieren waren sie ohnedies nicht leicht auszumachen, da sie sich in Rentierfelle hüllten. Das Pfeifen, was ihn just in diesem Moment erreichte, kam unerwartet. Er entschuldigte sich eilends und hastete auf den breiten Schneeschuhen bis an die Einflussgrenze der geothermischen Quellen, wo er sie auszog, den Rentierfell-Umhang abstreifte und ins Hauptquartier stürzte. "Ich sag noch, wir hätten mal nachschauen müssen." Fixis krähte im Quartett mit drei anderen, während Semori herbei eilte und das Panorama betrachtete. Sorgsam baute ein Yeti eine tiefgefrorene Gestalt vor dem Pseudo-Kamin auf, hinter dessen farbig gestalteten Glasscheiben Gluthitze aufstieg. "Ach du liebe Zeit." Stellte Semoris fest. Die Gestalt, zweifellos ein Ex-Engel der sechsten Generation mit Stroh-Sandalen, einem überlangen Kittel und hochgestecktem Zopf, apportierte eine Aktentasche, während die andere Hand am Tau der Türglocke eines Tors festgefroren war. Der Yeti tippte sich an das Stirnfell und stapfte davon. Fixis, der nicht untätig erscheinen wollte, weil offenbar ein kleines Malheur die Glocke außer Betrieb gesetzt haben musste, angelte eine Art Amulett, das der Engel um den Hals trug. "Oh~oh!" Brummte er missmutig. Semori warf ebenfalls einen Blick auf die Plakette. "Ein Buchprüfer." Seufzte Semori, denn kurz vor dem wichtigsten Termin im Jahr fehlte das auch noch (von der Rohrpostille ganz zu schweigen). "Muss so ne Art Blizzard gewesen sein." Fixis tendierte entschieden Richtung Werkstatt, gleichzeitig den statuesken Ex-Engel ein wenig weiter von der Wärmequelle dirigierend. "Mit den Büchern ist alles in Ordnung." Bekundete Semori entschieden und konterte Richtung Kamin. "Oh, na dann!" Recht hastig verabsentierte sich Fixis, denn ihm gingen einige eher kreative Einkäufe durch den Kopf, die man vielleicht ein wenig kommentieren sollte. "Schöne Bescherung!" Stellte Semori seufzend fest, wenn auch allzu früh. In diesem Moment polterte die Türglocke zu Boden und läutete somit die nächste Runde seines persönlichen Stresstests ein. ~#*#~ Nachdem der Ex-Engel, Xeeni genannt, aufgetaut worden war, verwies er höflich auf eine Unterfunktion des Zugangssystems, was er sogleich auch notierte. Semori brachte ihn in sein Büro, stellte Bücher und Aufzeichnungen zur Verfügung und bat Xeeni, sich doch zu melden, falls etwas benötigt werde. Der Ex-Engel kramte aus der Aktentasche einen Abakus heraus, spitzte einen Stift und verschwand sofort in den Untiefen unternehmerischer Buchhaltung. Leise die Tür hinter sich ins Schloss ziehend fragte sich Semori, wie es noch schlimmer kommen konnte. Aber dafür stand ja die letzte Konferenz gleich bevor. ~#*#~ "Ich versteh das nicht!" Fixis schnaubte, nachdem Leah Lexx ihm dank Omniskop Buchstaben-Kürzel zu "Diversität" grafisch erläutert hatte. "Ich dachte immer, es ginge um die vier F." Semori, der Platz nahm und gleich einen stärkenden Tee (mit einer gewaltigen Eibisch-Blüte) bekam, blinzelte verwirrt. "Ficken, Fressen, Feiern und Flatulenzen! Ah, mein Fehler, sollte Faulenzen heißen." Erleuchtete Fixis sie, seine Notizen grimmig studierend. "Menschen! Von Technik keine Ahnung! Stumpfsinnig! Keine Verbindung zur Umgebung, Chassis schon so lala, von wegen 'aufrechter Gang', und dann die Verdrahtung unter der Haube, ein Trauerspiel! Ich weiß ja wirklich nicht, was daran 'divers' sein soll, wenn programmtechnisch so wenig los ist im Oberstübchen." Leah Lexx reckte den Hals, um die Quelle für die vier F abzulesen. Sie hegte gewisse Zweifel, was Fixis' Recherche-Fähigkeiten betraf. "Das mag ja alles sein, aber wenn wir die Anforderung nicht umsetzen, steuern wir auf großen Ärger zu. Etat-Einbußen, Handelsbeschränkungen, schlimmstenfalls Verwaltungsaufsicht." Zwei Augenpaare funkelten Semori beschwörend an. "Und jetzt noch ne Buchprüfung!" Munkelte Fixis düster. Semori nippte an seinem Tee. "Noch haben wir ja ein wenig Zeit. Lasst uns die Ideen mal testen..." ~#*#~ "Die Idee war ja nicht ganz verkehrt." Tröstete Fixis großmütig, während sie sich vom Ort der Niederlage, nämlich dem Schneetreiben und dem Rentier-Gehege zurückzogen, unter äußerst empörtem Zischen und Schimpfen der Rentier-Hege-Elfen. Semori seufzte und löschte mit einem kurzen Hauch den Eintrag auf seiner Schiefertafel. Eigentlich sollte es ja kein größeres Hindernis darstellen, auf der Rentier-Stirn ein zusätzliches (falsches) Horn zu befestigen, wenn schon ein Geweih vorhanden war, denn immerhin beförderten Luftschiffe mit Hängegeschirr die Rentiere samt Schlitten in sehr luftigen Höhen, sodass eine gewisse Unbehaglichkeitstoleranz vorhanden war. Die offenbar nicht für dekorative, spitz zulaufende konische Aufsätze auf dem Haupt galt. Fixis paradierte voran in die Werkstatt, eine gewaltige Höhle, in der nicht nur gebastelt, konstruiert, gebaut, erfunden und verworfen, sondern auch gehaust und geschlafen wurde. Ein unterdrücktes Kichern ließ Semori ahnen, dass seine zweite Eingebung auch auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen war. Tatsächlich stellte Fixis sich neben einen der identischen Schlitten, die für die Illusion am Firmament sorgten. Beinahe theatralisch rollte der Wichtel eine lange Stoffbahn aus, die veritable Regenbogenfarben aufwies (und garantiert keine "Irgendwie-Armbinde mit lächerlichem Testbild-Charakter!"). Auf einem Laufband legten vier Wichtel einen flotten Marsch hin, was einen Ventilator antrieb, der für das Aufflattern des Stoffbands sorgte. "Und jetzt!" Fixis schnippte mit den Fingern, woraufhin rasch die Höhle ein erhebliches Maß an Verdunkelung aufwies. Unseliger Weise war die Stoffbahn nun auch einfach nur monochrom in Abstufung. "Es werde Licht!" Kopierte Fixis mit merklichem Feixen in der Stimme eine andere Quelle, woraufhin die Höhle wieder in gewohnter Helligkeit erstrahlte. Semori nahm die zweite Niederlage mit sportlicher Fairness, hauchte erneut auf seine Schiefertafel und löschte den zweiten Vorschlag. "Ich will jetzt nicht kompliziert werden." Setzte Fixis in exakt der Tonalität an, die das inhaltliche Gegenteil ankündigte. Er demonstrierte die Beladung des Schlittens, die in der Hauptsache aus sehr leichten Aufbauten bestand plus dem "aufblasbaren fetten Mann", der mittels Seil- und Pfeiltechnik mit Kaminen temporär in Kontakt gebracht wurde. Wie sollte auch sonst die Illusion der extrem ignoranten Erzählung vom Schlot-schlüpfenden Vollbartträger in rotem Pyjama nachgestellt werden?! Fixis hielt die meisten menschlichen Eingebungen außerhalb technischer Belange für hanebüchen idiotisch und darum als Indiz der geistigen Mangelausrüstung beim aufrecht torkelnden Affen. Die eingebaute "Umgebungstaubheit" konnte man Menschen per se nicht zum Vorwurf machen, richtig, aber die einhergehende Vermessenheit, sich für besonders begabt zu halten, konnte selbst den gemäßigsten Wichtel echauffieren! "Wenn es UNBEDINGT was Symbolisches sein muss, würde ich eventuell über eine andere Lackierung mit mir reden lassen." Bot er mit grämlicher Grimasse unter dem Schnurrbart versöhnlich an, auch wenn er PINK nicht gerade goutierte. Die Luftschiffe selbst, an denen in Geschirren Schlitten und Rentiere hingen, konnten nicht mehr allzu viel Zulast vertragen, das verstand Semori auch. Leah Lexx, die neben ihm elegant paradierte, touchierte die dezente Beleuchtung in den Kufen. "Na ja, möglicherweise könnten Schablonen ja helfen? Ich bin nicht überzeugt, dass PINK die passende Farbe ist." Traditionell waren schließlich Weiß für den Schnee, Rot für Beeren und Grün für Nadelgewächse angesagt, ergänzt um ein bisschen Glitter in Silber und Gold. Das wirkte auch bei der gedämpften Beleuchtung noch festlich und im hergebrachten Thema. "Schablonen? Schön, technisch möglich, aber mit welcher Silhouette?" Fixis stemmte die Fäuste in die Seiten und beäugte Leah Lexx streng. Sie drehten sich doch immer noch im Kreis! Wie denn, "symbolisch"?! "Na ja, es gibt doch diese EMOTICONS!" Zitierte sie ihre eigenen Notizen kritisch. "Für JEDEN dieser Buchstaben?! Aus der Distanz von unten erkennt man aber nix, sag ich euch gleich!" Energisch bildete Fixis die Dimension möglicher Schablonen mit den Fingern ab, während er auf Leah Lexx' Tafel spähte. "Schön, irgendeinen besseren Vorschlag?! Wie war das noch mit 'wichtig ist nicht, was wir empfangen, sondern was wir geben'?! Bei einem übergewichtigen, weißen CIS-Mann, der unbekannte Minderjährige mit Geschenken überhäuft, seriell Hausfriedensbruch begeht, Luftfahrtgesetze ignoriert? Und eine jungfräuliche Geburt scheint ja wohl befremdlich, selbst in menschlicher Biologie! Ich bin wirklich nicht überzeugt, dass wir das Fass aufmachen sollten, figurativ gesprochen!" Konterte Leah Lexx aufgebracht. Semori positionierte sich zwischen den beiden und hob besänftigend die Hände. "Zunächst mal gebe ich euch beiden recht und bedanke mich für eure Beiträge. Vielleicht sollten wir darüber schlafen und uns vertagen." Er lächelte bemüht optimistisch und sorgte persönlich für das Signal zum eiligen Aufbruch. "Möchte mich jemand zur Buchprüfung begleiten?" ~#*#~ Xeeni arbeitete sich konzentriert und systematisch durch die Buchhaltung plus Einkauf, notierte Hinweise und Beanstandungen. Der Ex-Engel ließ Semori wissen, dass ein zusammenfassender Bericht erstellt werden würde, wenn sie bei einem abschließenden Gespräch noch offene Punkte geklärt hätten. Semori nickte schicksalsergeben und bot an, eine Unterkunft bereitzustellen, doch Xeeni wünschte lediglich etwas Wasser und, falls vorhanden, eine Höhensonne, da Ex-Engel nichts speisten (zumindest nicht beim "Serienmodell"). Semori versprach, sich entsprechend zu kümmern und stöberte Fixis erneut in der Werkstatt auf, der grummelig verkündete, es sei ja nun nicht gerade üblich, so ein Gerät einzusetzen und möglicherweise könne es verlegt worden sein. Was Semori sanft mit dem Hinweis konterte, es sei dann wohl notwendig, Xeeni zum Einkauf auch noch eine Inventur vorstellen zu müssen. In Nullkommanichts fand sich eine Höhensonne, die Semori bei Xeeni installierte und sich für die lange Nacht empfahl. Erschöpft ließ sich Semori anschließend an der Theke nieder und bekam als Rausschmeißer einen dickflüssigen Sirup serviert. Er kaute die Hibiskusblüte, ignorierte seine bedrohlich blanke Schiefertafel (was Einfälle betraf) und blickte auf die Terrasse hinaus, wo vor der Kulisse der Gletscher und schneebedeckten Landschaft Palmen, Obstbäumchen, Zier- und Nutzpflanzen, Blumen, Kräuter und Gemüse vom Abglanz der offenen Geysire und geothermischen Austrittspunkte beleuchtet (und gewärmt) wurden. Eine Lösung musste her, denn zum ersten Mal in seiner Karriere hatte es von höchster Ebene eine Botschaft gegeben! Semori seufzte und blinzelte in die Idylle. Die Lider wurden ihm schwer und er merkte nicht mal, wie der Yeti ihm behutsam eine gestrickte Decke umlegte und die Lichter abdeckte. ~#*#~ "Morgen, Boss! Na, sind dir Ideen wie Schuppen von den Augen gefallen? Kleiner Scherz!" Brummte Fixis, während er auf den Hocker kletterte und mutmaßte, dass Semori wohl an der Theke eingeschlafen sein musste. Der Yeti, der es mit Sicherheit wusste, kredenzte einen besonders starken Kaffee, frisch geröstet, und eine Chrysanthemen-Blüte. Semori murmelte, rieb sich über das Gesicht, verstaute sicherheitshalber die Blüte und nahm einen großen Schluck. Es lag wirklich nicht an der Brille, dass er verschriemelt durch die Gegend guckte! Leider gab es dazu allen Anlass, denn über den doch recht unbequemen Schlaf hatte sich nicht wie mit Zauberhand verfasst eine glänzende Eingebung auf seiner Schiefertafel verewigt. Bevor er jedoch diese Beichte ablegen musste, erlöste ihn Xeeni. "Verzeihung, aber da wären einige offene Punkte." Semori stolperte fast vor Erleichterung, seine Niederlage auf einen späteren Zeitpunkt verschieben zu können. Selten war ihm eine Buchprüfung so gelegen gekommen! ~#*#~ Leah Lexx leckte sich die Fingerspitzen und tauschte einen bezeichnenden Blick mit Fixis aus. "Der Boss hat keine Idee, oder?" "Wir stecken so was von in der Klemme!" Dato waren Anweisungen zuletzt vor Jahrzehnten von höchster Stelle gekommen, als es hieß, unerwartet mehr Wesen unterbringen zu müssen. Ansonsten ließ sich der Große M selten zu Details aus. Delegieren zählte zu seinen Liebhabereien (natürlich ebenso Pudel). Eigentlich hatte Semori sich recht gut angestellt, das konnte nicht bestritten werden. Wenn sich jetzt allerdings kein blendender Einfall bemerkbar machte, würde es hier sehr schnell zappenduster werden und zwar nicht nur, weil die zwei Sonnen nur selten vorbeischauten. ~#*#~ Semori geleitete Xeeni zu einem vernachlässigten Portal, das lediglich eine Richtung vorsah, aber dafür nicht am Berg/Gletscher in Schnee und Eis positioniert war. "Es tut mir wirklich leid wegen der Umstände. Die Technik ist bereits im Begriff, das Zugangssystem zu überarbeiten." Schockgefrorenen Besuch wollte man ja nun wirklich nicht ständig auftauen müssen und es stand zu erwarten, dass eine erhöhte Pendel-Frequenz einsetzen würde, wenn er seines Postens enthoben wurde. "Bitte erledige die vereinbarten Korrekturbuchungen und erstelle ein angepasstes Buchungskonzept." Der Ex-Engel tippte auf seine Aktentasche, in der zum Abakus auch die Vereinbarungen aufgezeichnet waren, die Bestandteil des Prüfungsberichts werden würden. "Es ist erforderlich, die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung zu beachten und sinngemäß an veränderte Umstände anzupassen." Erinnerte er Semori, der artig nickte, weil er sich vage an seinen Kurs vor einem Vierteljahrhundert erinnerte. Nun, langweilig würde ihm bei den "Hausaufgaben" nicht werden, und sollte der Große M ihn schassen, wäre seine Nachfolge ausreichend bis zum nächsten Weihnachtsfest beschäftigt. Xeeni verneigte sich knapp, wandte sich dann um und schritt durch das Portal. Eine warme Brise hüllte Semori ein, bevor sich das Reiseportal wieder schloss. Er seufzte. Sein "Menschen-Studium" via Fernstecher (aka Omniskop) hatte ihn gelehrt, dass Menschen an sich kompliziert waren. Und fundamental anders konzipiert. Mangels Instinkten sollten sie durch ihre geistigen, nun, Fähigkeiten, lernen, sich an ganz unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen, sich adaptieren können. Was auf unerklärliche Weise ausschloss, sich mit ihrer Umgebung verbunden zu fühlen. Jede menschliche Person blieb geteilt in das eigene Ich und die anderen Menschen und das Drumherum. Ohne direkte "Antenne" oder "Standleitung". Semori fand diesen Zustand befremdlich, denn wie alle Wesen auf dieser Seite der Dimensionspforten nahm er seine Umgebung wahr, spürte sie direkt, wenn auch nicht telepathisch wie beispielsweise die Yetis. Es gab selbstverständlich ein Semori-Ich, aber das empfand sich nicht als separiert-allein-abgetrennt von der kompletten Umwelt, von den Elementen, den Bestandteilen aller Existenz. »Vielleicht deshalb?« Dachte Semori, während er langsam, widerstrebend den Rückweg zum Hauptquartier antrat. Vielleicht war es der Umstand dieser menschlichen "Taubheit" für ihre Umwelt, die Natur, den Planeten, ihre eigene Beschaffenheit, dass sie unablässig nach etwas strebten, einem Sinn, einer Bedeutung, einer überragenden Rolle, einer Überlegenheit? Dass ihre "Stumpfsinnigkeit" (oder vielmehr das Fehlen des wichtigsten Sinnes überhaupt) sie veranlasste, in kurzsichtigster, grausamster, erbarmungslosester Weise mit einander und ihrer Welt umzugehen, ihre Fähigkeit der Adaption dazu zu pervertieren, sich gegenseitig zu nihilieren. Deshalb mussten es wohl auch "Schubladen" sein, Einordnungen, Klassifizierungen, nach Anatomie, nach äußerer Erscheinung, nach Kopulationspräferenzen... Semori seufzte laut. Möglicherweise war er einfach nicht klug genug, um diese fremde Sichtweise nachvollziehen zu können. Dann wäre es nur gerecht, wenn der Große M ihm den Abschied nahelegte. ~#*#~ "Ich brauche ein Bad." Stellte Semori fest, nachdem ihm der Yeti freundlich wieder auf die Beine geholfen hatte. "Es ist nicht meine Schuld!" Betonte Fixis und deutete auf einen nicht gerade fröhlich wirkenden Pinguin. Dem hatte wohl der Sinn nach Abwechslung (zum Fischteich) gestanden, weshalb er durch die unbekannte Flora gezogen, die offene Terrassentür entdeckt und den Obstkorb geplündert hatte. Wobei ihn Fixis sah (quasi auf Augenhöhe) und samt einiger eilfertiger Wichtel versuchte, den Eindringling raus zu scheuchen. Die wilde Hatz rund um die Theke, zwischen Tischen, Bänken und offenen Regalen hinterließ diverse Kollateralschäden plus einen zerbrochenen Krug mit Sirup. Semori, der besser daran getan hätte, seine Brille erneut zu wienern, stürzte angesichts des Radaus über die Terrasse hinein, konsultierte allzu spät die bodennahen Gefilde, rutschte über die Sirup-Lache und krachte mit Verve nach einem einfachen Rittberger gegen die Theke in die Reste des ehemaligen Obstkorbinhalts. "Da steckt etwas auf deinem Kamm." Leah Lexx deutete auf ihre eigene, sehr extravagante Frisur. Semori fasste sich auf den Kopf und zog von seinem beschuppten Hornkamm eine Apfelsinenhälfte. "Danke. Vitamine sind ja gesund. Wenn ihr mich entschuldigen wollt..." Mehr als bedient und gefährlich nahe dran, seine Kontenance zu verlieren, humpelte Semori zum Dampfbad, garniert mit Fallobst dank Sirup-Kleber. ~#*#~ Semori genoss das große Sitzbad und ignorierte das warnende Knacken seiner Schuppen. Man durfte sich nicht von kleinen Alltagsnickligkeiten unterkriegen lassen, vor allem nicht an einem so bedeutsamen Tag. Außerdem musste er jetzt rasch eine Antwort aus dem, nun, Lendentuch zaubern, wenn er dieses Privileg und seine Aufgabe nicht verlieren wollte. Leider hatte sich mit den verklebten Obstresten von seiner Kleidung noch nicht die mentale Blockade gelöst, die ihm einen Ausweg offenbarte. "He, Moment mal!" Drang Lärm an sein Ohr, sodass Semori sich widerwillig erhob. Bevor er das großräumige Becken jedoch verlassen konnte, schwangen die Pendeltüren wild auf und eine Gestalt stürzte hinein. "Oh, mein großer Weihnachtsmann, hier ist Sugar, die dir dein Leben versüßen wird!" Der Ankündigung, im schmelzenden Timbre verkündet, folgte jedoch keine Attacke auf Semoris Tugend, sondern ein erschrecktes Quietschen, da die High Heels der vermeintlichen Zuckerfee nicht gegen Pfützen gefeit waren. Zur Abwechslung fiel somit eine farbig schillernde Person mit schrillem Aufschrei und Federgestöber in Semoris Arme, der das Gleichgewicht verlor und unvermittelt heftig in das warme Thermalwasser plumpste. ~#*#~ "Was, beim Großen M, war das denn?!" Leah Lexx reichte Semori ein weiteres Handtuch, während er, Reste von Thermalwasser aushustend, seine aufgeraute Kehle mit Kräutertee besänftigte. "Zuckerfee?! Ich glaub's ja nich!" Brummte Fixis neben ihnen, ungeniert den Inhalt einer Handtasche sezierend. "Das gehört sich nicht." Mahnte Leah Lexx ihn streng. "Ich sammle bloß Streugut auf. Diese Verschlüsse gehen eben schnell kaputt." Antwortete Fixis unbeeindruckt, der persönlich für den desolaten Zustand gesorgt hatte. Semori justierte seine Brille und langte ungewohnt autoritär nach dem kompakten Papierbündel. Er nieste donnernd, was selbst Fixis davon abhielt, zu protestieren. "Verstehe." Murmelte Semori schließlich, rutschte vom Hocker und raffte die Handtücher um sich. "Bereitet schon mal alles für die Abflüge vor, ja? Ich komme nach." "Aber die Diversitätssache?" Wagte Leah Lexx einen Einwand. "Darum kümmere ich mich." Stellte Semori klar, bevor er barfuß und etwas klamm den Weg zu seinem Zimmer antrat. ~#*#~ »Eine Art Paradiesvogel.« Dachte Semori, während er, ordentlich bekleidet, auf seiner Bettkante Platz nahm und im gedämpften Licht die "Zuckerfee" (selbsternannt) studierte. So, wie ihm nach dieser Eskapade einige Schuppen fehlten, hatte "Sugar Cane" auch einige Federn verloren, vor allem aber das Bewusstsein, weil sie mit der Stirn Bekanntschaft mit der Einfassung des Thermalbeckens geschlossen hatte. Vermutlich eine Gehirnerschütterung samt Platzwunde. Frisch versorgt lag die "Zuckerfee" nun in seinem Bett und bot, wie Fixis sich mit technischer Präzision ausgedrückt hatte, "jede Menge Optionen für menschliche Buchstaben-Diversität". Mit anderen Worten: ein hermaphroditisches Wesen. Semori kannte diese nur aus wenigen Sendungen im Omniskop, begnadete und geförderte Kunstschaffende. Im spärlichen Gepäck von "Sugar Cane" befanden sich sparsame Kostümierung als Burlesque-Darstellende, eine Postkarte des Balletts "Der Nussknacker" von Pjotr Tschaikowski mit dem "Tanz der Zuckerfee" und handschriftlich notiert der Code für ihr eigentlich nur als Ausgang gedachtes Portal. Nicht zu vergessen ein medizinisches Bulletin, das Semori zuerst von Fixis einkassiert und konzentriert gelesen hatte. Nun beugte er sich über den "Zuckerfee"-Paradiesvogel, kontrollierte Temperatur und Atemzüge. "Manisch-depressiv, ohne wirksame Medikation. Armes Vögelchen." Sorgsam stopfte er seine Bettdecke fest und reduzierte die Beleuchtung, bis nur noch wenige Glühkäfer einen zarten Sternenhimmel durch die Glaslaterne projizierten. ~#*#~ Durchaus nervös beäugten ihn die versammelten Teams bei den Luftschiffen, die noch vertäut auf den Einsatz warteten. Die Rentiere wurden von den Elfen beruhigt, während die Wichtel letztmalig Funktionskontrollen zur Steuerung der Zeppeline und der Luftpumpen für die "Weihnachtsmann"-Illusion vornahmen. Der "Stealth"/"Tarnkappen"-Modus lief bereits und verhinderte sowohl Ortung als auch Peilung durch menschliche Einrichtungen. Semori stapfte mit den Schneeschuhen in die mit Laternen beleuchtete Mitte. "Gute Arbeit, alle miteinander! Wie ihr wisst, gibt es eine besondere Aufgabe in diesem Jahr. Ich möchte deshalb, dass an den Schlittenkufen etwas angepasst wird." Damit übergab er seine eiligen Notizen an Fixis und zog sich zu den Yetis zurück, die zwischen den molligen Yaks saßen und interessiert das Spektakel verfolgten. Sie würden wie in jedem Jahr auf den richtigen Pfiff hin die Taue lösen und den Zeppelinen den Start ermöglichen. ~#*#~ Semori hatte wie alle über das Omniskop Start, Flug und Rückkehr aller Gespanne, die in der nördlichen Hemisphäre unterwegs waren, verfolgt. Nach einer sehr langen Nacht waren nicht nur die Yetis eher wortkarg in ihre jeweiligen Quartiere eingekehrt und hatten sich aufs Fell, Ohr oder andere Extremitäten nach Belieben gehauen. Semori war keineswegs davon überzeugt, die richtige Antwort auf die Anforderung des Großen M gefunden zu haben. Für ihn selbst zumindest ergab sie Sinn. Er stellte dem Yeti, der in einer Hängematte hinter der Theke schlief, für das Aufwachen eine große Tasse frische Yak-Milch hin, garniert mit einer Bananen-Blüte, dann ging er gemächlich, während selbst die aufgeregtesten Leuchtkäfer langsam ihren Betrieb einstellten, in sein eigenes Zimmer. Als er sich auf die Bettkante setzte, richtete sich die "Zuckerfee" auf. "Ich bin Sugar Cane, versüße dir dein Leben, großer, roter..." Semori lächelte mitfühlend. "Ich bin Semori. Den Weihnachtsmann kann ich dir leider nicht bieten, Sugar, aber einen Ort zum Ausruhen. Tut dir etwas weh?" Immerhin saß der Verband um den Kopf sehr stramm und die verhinderte Flugeinlage konnte bei der erheblich verbesserungswürdigen Landung Spätfolgen nach sich gezogen haben. "Ist es vorbei? Bin ich zu spät?" Sugar zog die Beine vor die Brust und umklammerte sie, klapperte mit den Zähnen und kullerte dicke Tränen über das Gesicht, das ohne Makeup-Schicht gar nicht so glamourös wirkte. Nach einem Handtuch fischend tupfte Semori nasse Spuren ab. "Weißt du, von dieser Seite betrachtet sieht es anders aus. Wenn du möchtest, zeige ich dir alles. Das Wichtigste ist aber nicht vorbei, keine Angst." Sugar beäugte ihn mit oszillierenden Augen. "Ich bin krank, weißt du? Mit mir stimmt was nicht." Ließ die vermeintliche "Zuckerfee" ihn wissen. Semori schnupperte derweil ein angenehmes Vanille-Aroma. "Das habe ich gelesen. Ich bin an diesem Ort, weil ich sonst meine Schuppen verliere und mich ständig kratzen muss." Erklärte er ruhig. "Ich kann für dich tanzen und dein Leben versüßen und..." Sugar brach leise ab. "In der anderen Phase, oder?" Semori faltete das Handtuch und deponierte es auf einen kleinen Hocker. "Wenn du magst, lass uns eine Weile schlafen und träumen. Ich wecke dich dann auf und wir sehen uns zusammen alles an. Du kannst dann tanzen und sehr fröhlich sein." "Versprichst du es? Geh nicht weg, ja?" Eine warme Hand ergreifend nickte Semori entschieden. "Versprochen. Wenn du ein wenig rückst, können wir uns das Bett auch teilen. Dann weißt du, dass ich da bin." Zögerlich rutschte Sugar etwas näher an die Wand. "Du wirst auch sicher aufwachen, ja?" Semori streifte sich seine Stiefel ab und entledigte sich seines Strickpullovers, bevor er unter die Bettdecke kroch. "Ich werde aufwachen, Sugar, ganz bestimmt. Das ist sogar Bestandteil meines Arbeitsvertrags. Hier, meine Hand." Sugar ergriff sie eilig und seufzte matt. "Ich möchte nicht fallen, aber dann falle ich doch und weiß nicht heraus oder warum, und es ist dunkel." Die traurige Stimme raunte Semori ihre Ängste und Sorgen zu. "Vertrau mir, Sugar, ja? Hmmm, du duftest übrigens ganz wunderbar." Semori blinzelte, denn so langsam fühlte er eine große Müdigkeit einsetzen. Sanft drückte er die Hand, die seine verkrampft umklammerte. "Schlaf ruhig ein, Sugar. Ich bin da." Auch wenn er für eine längere Weile den "Sendebetrieb" einstellen würde. ~#*#~ "Post da?" Leah Lexx enterte neben Fixis einen Hocker und raufte sich den etwas vernachlässigt wirkenden Schopf. "Bis jetzt nix." Antwortete Fixis und spachtelte engagiert, denn nach der "Vorstellung" bedeutete vor der "Vorstellung", und wenn sie gelungen war, ein nettes Budget für viele amüsante Ideen! "Semori schon aufgetaucht?" Längere Phrasen würden sich erst einstellen, wenn sie den Boden ihres Kaffeebechers sah. "Nope!" Kaute Fixis, der nicht zu unrecht vermutete, dass Kündigungen pronto erfolgten, weshalb er entspannt auf die nähere Zukunft blickte. "Winterschlaf." Optionierte er und zwinkerte vertraulich. "Vermutlich nach ausgedehntem Naschen von Zuckerwerk, haha!" Leah Lexx unterdrückte ein wenig elegantes Grunzen ob der sehr subtilen Anspielungen. Andererseits gönnte sie Semori durchaus aufgeschlossene Gesellschaft mit Nettigkeiten nach all der Arbeit und Abstinenz quasi mit seiner Anstellung hier. Obwohl die vermeintliche Zuckerfee ordentlich Ballast im Gepäck hatte, konnte sie es hier und bei Semori mit dessen ausgleichendem Wesen nicht besser treffen. Höchstens ein wenig Nachhilfe bei den eher praktischen Aspekten persönlicher Verbindungen geben. "Ich hätte nicht gedacht, dass es funktioniert." Kommentierte sie, während der Yeti ihr aufmerksam eine zerlegte Ananas servierte. "Wie bitte?! Warum denn nicht?! Es war präzise berechnet, genau ausgerichtet!" Bevor imaginärer Dampf aus Fixis' Ohren steigen konnte, unterbrach Leah Lexx ihn Augen rollend. "Ich meine NICHT die technischen Aspekte!" Sondern den sprichwörtlichen "Silberstreif" am Horizont, an dessen Ende eine morgenrote Linie den Anbruch eines neuen Tages verhieß. Wie merkwürdig, vermeintlich unterschiedlich/divers und unbegreiflich Menschen auch sein mochten: die Botschaft der Hoffnung würde sie erreichen. Was sie daraus machten, das wäre eine andere Geschichte. ~#*#~ Ende ~#*#~ Danke fürs Lesen! kimera {Fortsetzung in "Alltags-Paradies"!}