Titel: Das Pralinenmassaker Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Seifenoper Ereignis: Weißer Tag 2007 Erstellt: 14.03.2007 Disclaimer: Alles meins! Erklärung: der so genannte White Day wird einzig in Japan am 14. März gefeiert und dient dazu, sich mit kleinen Geschenken bei denen zu bedanken, die einem am Valentinstag etwas Süßes überreicht haben. Revanche-Foul im Namen des Karies sozusagen. Wie immer ist alles erfunden, hat mit der Realität, Personen, Orten, etc. nicht das Geringste zu tun! Hinweis: Sams erster Auftritt findet in "Don't You" bei der Honig-Challenge statt. ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ Das Pralinenmassaker Kapitel 1 - Konfrontation am White Day - »Es wird niemals langweilig, so viel ist mal sicher!« Katsuhiro, von allen nur Katsu gerufen, stützte die Hände auf seine Hüften und ließ den Blick über das Chaos schweifen, das die kleine Küche heimgesucht hatte. Er seufzte lautlos, lockerte seine mächtigen Schultern. dann betrachtete er die beiden reuigen Sünder, die den Eingang blockierten. Nun, zumindest einer von den beiden wirkte bedrückt und verlegen; sein Begleiter und Zimmernachbar starrte konzentriert auf eine Wand, ruhig und geistesabwesend. "Also gut." Katsuhiro klatschte sich in alter Gewohnheit mit beiden Händen auf die Oberschenkel und den Bauch. "Das kriegen wir schon wieder hin." Er richtete sich auf und winkte die beiden Missetäter heran. "Da sind Lappen und Eimer. Holt das Spülmittel dazu und vergesst die Handtücher nicht! Ich gehe mal eben telefonieren!" ~@~ Seit neun Jahren arbeitete er schon als Hausmeister, Aufsichts- und Vertrauensperson in dem Wohnheim für junge Männer, das drei Firmen gemeinsam betrieben. Und seit sieben Jahren tat er das ganz allein, nachdem sein Vorgänger sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet hatte. Die drei sehr unterschiedlichen Firmen, die das Wohnheim am Rand von Tokio belegten, quartierten in die Doppelzimmer die unverheirateten Berufsanfänger und Studenten ihres jeweiligen Unternehmens ein. Darunter befanden sich angehende Informatiker, Analysten, Architekten, Ingenieure, aber auch Kommunikationsspezialisten und Techniker aller Art. Die meisten der Studenten und Berufseinsteiger stammten nicht aus Tokio oder der Umgebung, weshalb es für sie besonders notwendig war, mit "leichter, aber sicherer Hand" in den Moloch Tokio eingeführt zu werden. Katsuhiro hatte damit keine Schwierigkeiten, denn er war in Tokio geboren und kannte sich aus, auch wenn er immer wieder überrascht war, wie seltsam und verschieden das Leben anderswo sein musste. Besonders die ganz jungen Bewohner, die gerade die Oberschule beendet hatten und sich in den kombinierten Studien- und Arbeitsberufen fanden, wo man mit Ausnahmegenehmigungen während des Studiums auch gleichzeitig in der Firma praktische Arbeitsnachweise erbringen musste, erlebten einen regelrechten Kulturschock, wenn man sie auf Tokio losließ. Oder vielmehr umgekehrt. »Und eigentlich...« Er fischte nach seinem Mobiltelefon. »...haben sich Yuuya und Shinji gar nicht SO schlecht angestellt.« Er wählte eine Geheimnummer an und grinste. »Na, zumindest relativ gesehen.« Sein Anruf wurde nach einigen weiteren Momenten tatsächlich angenommen. "He, Sam, wie geht's? Bist du auch schön fleißig?" Flötete er eine Oktave über seiner gewohnten Tonlage und stellte kokett die Hüfte aus. Ein samtig-raues Lachen echote in seinem Ohr. Im Hintergrund konnte er Betriebsgeräusche wahrnehmen, aber das hatte er auch erwartet. "Sieh an, wer sich da mal wieder meldet..." Schnurrte die vertraute Stimme kehlig. "Wenn das nicht Katsu, unser Godzilla, ist!" Unwillkürlich stahl sich ein breites, großspuriges Grinsen auf Katsuhiros Züge. Es war lange her, dass jemand seinen Spitznamen gebraucht hatte. "Na, mein süßer Prinz, wie stehen die Aktien?" Erkundigte er sich höflich, obwohl er die Antwort schon kannte. Samuel Ridgeways Konfiserie-Ladenkette 'Finest Delight' existierte bereits seit dessen Mittelschulzeit und hatte gerade ein Jubiläum gefeiert. Sam, wie ihn seine Freunde nennen durften, war reich, berühmt, bienenfleißig, extrem gut aussehend und mit einem formidablen Gespür dafür ausgestattet, was besonders die weibliche Bevölkerung von Drei bis Hundertdrei an Süßigkeiten, Pralinen, Keksen, Plätzchen, Kuchen, Bonbons und Lutschern liebte. Sein Talent hatte ihm ein Vermögen beschert. "Alles cremig." Schnurrte Sam erwartungsgemäß an Katsuhiros Ohr und purrte dabei wie eine hochtourige Rennmaschine. "Und wie geht's deinem Süßen?" Konnte sich Katsuhiro nicht verkneifen. Obwohl es niemals offiziell bestätigt wurde, kannte jeder das offene Geheimnis: wie in einer Romanze aus der Schnulzenecke hatte sich der berühmt-berüchtigte Schläger in eine zarte, schüchterne Schönheit verliebt, als ein widriges Schicksal in Form von Nachsitzen sie in der Oberstufe zusammengeführt hatte. Einen winzigen Schönheitsfleck hatte die Geschichte allerdings: die Prinzessin, die vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan mutierte, war ein zierlicher Knabe namens Kenji. {siehe Honig-Challenge"Don't You"} "Ken-chan hat gerade eine neue Formel entwickelt, mit der man den Verbrauch von Wasser bei der Maschinenwäsche reduzieren kann!" Plapperte Sam stolz in Katsuhiros geneigtes Ohr. "Sie arbeiten an einer neuen Produktlinie zusammen mit einem Waschmittelhersteller!" Das ungleiche Paar war seit zehn Jahren liiert und Sam offenkundig sehr stolz auf seinen feingliedrigen Partner, der sich weder von Reichtum noch Aussehen oder kreischenden weiblichen Fan-Horden beeindrucken ließ. Katsuhiro fand das durchaus bemerkenswert und wunderte sich heimlich darüber, was die beiden so unverbrüchlich zusammenhielt. Manche Ehe seiner Klassenkameraden währte kürzer. "Okay." Dehnte Sam gerade mit John Wayne-Akzent. "Aber du rufst doch nicht an, um mit mir zu plaudern, oder? Wo brennt's, Godzilla?" Mit einem süffisanten Grinsen lupfte Katsuhiro den unsichtbaren Hut. "Recht hast du! Dann sperr mal die Lauscher auf!" ~@~ Zuerst war es der seltsame Geruch gewesen. Katsuhiro war allerlei Odeurs gewohnt, immerhin lebte er in einem Männerwohnheim und kümmerte sich auch um die komplette Einrichtung, von Sanitäranlagen über die Mülltonnen bis zur Heizung. Er schnupperte misstrauisch und erhob sich, um einen Kontrollgang in Angriff zu nehmen. Alles war besser als die Buchhaltung! Es roch merkwürdig. Nicht nach einem der gefährlichen, heimtückischen Schwelbrände, aber doch verbrannt, nur irgendwie anders. Rasch ließ er sich die drei kleinen Küchen anzeigen, die es im Wohnheim gab. Sie boten die Möglichkeit, dort Wasser zu erhitzen oder eine der Mikrowellen zu benutzen. Da wie überall das Reinlichkeitsempfinden nicht so hoch war, wenn es sich um Gemeinschaftseigentum handelte, hatte er bald kleine Kameras installiert, um 'Schmutzfinger' zu überführen. So konnte er jetzt schnell erkennen, dass sein Kontrollgang besser sofort im dritten Stock anfangen sollte. Die Übeltäter kannte er vom Sehen. Unauffällige Neulinge, die erst seit einem knappen halben Jahr im Wohnheim lebten, gerade in ihre jeweiligen Studiengänge eingestiegen waren. Da sie beide das gleiche Alter hatten, vom Land kamen und sonst nicht untergebracht werden konnten, hatte man Yuuya und Shinji zusammen in ein Doppelzimmer verfrachtet. Eine überaus seltene Kombination, denn Yuuya kam vom nördlichen Ende der Inselkette Japans, während Shinji sonnengebräunt und beinahe exotisch wirkend von der südlichsten Spitze stammte. Und nun standen die beiden vor ihm. Shinji wie immer wortlos, entsetzt, ratlos und zappelig. Er erinnerte Katsuhiro stets an einen dieser Animateure auf Hawaii, nur dass die der Sprache mächtig waren. »Liegt vielleicht auch an diesen grauenvollen Hemden.« Dachte er und blinzelte, um nicht in Tränen der Notwehr angesichts des psychedelischen Farbrausches auf Shinjis Hemd auszubrechen. Yuuya stand neben ihm, stocksteif und ungerührt, der Blick durchdringend, allerdings auf einen Punkt links von Katsuhiro gerichtet. »Ausgeblendet.« Stellte der fest und rief sich in Erinnerung, was eine nervöse Mutter ihm über ihren 'speziellen' Sohn mitgeteilt hatte: der junge Mann mit den langen, schwarzen Haaren und der getönten Brille in einem von Taschen übersäten Overall war Autist. Katsuhiro hatte keine genaue Vorstellung gehabt, was er mit dieser Mitteilung anfangen sollte. Er wusste nur, dass Yuuya offenkundig Emotionen nicht an Verhalten und Körpersprache erkennen konnte, für alles eine bestimmte Vorgehensweise bevorzugte und sein Leben "regelte". Jede Veränderung in dem Plan, den er sich mutmaßlich erstellt hatte, löste Turbulenzen aus. Außerdem schien er der Realität nicht sonderlich viel abgewinnen zu können, sodass er üblicherweise vor einem Computer kauerte und in seltsamen Zeichenfolgen mit Maschinen kommunizierte. »Blasser Nerd.« Für Katsuhiro keine ganz fremde Spezies, da eine der drei Firmen Computerspezialisten aller Art beschäftigte. Shinji zappelte und zupfte schließlich an Yuuyas Ärmel. Der fokussierte seine Aufmerksamkeit auf Katsuhiro und spulte emotionslos, aber sachlich ab, was zu der Katastrophe in der Küche geführt hatte. Die Kurzfassung, chronologisch abgewickelt, lief auf die alte Geschichte hinaus: Boy meets girl. Oder zumindest hoffte der Boy, dass er das Girl treffen würde. Wenn er DER Boy war! Genau vor einem Monat, am Valentinstag, der mit Pflicht- und Liebesgeschenken in Form von Süßigkeiten begangen wurde, hatte auch Shinji ein kleines Päckchen mit Pralinen erhalten. Nun...zumindest jemand mit den Initialen S. Yamada. Da Shinji die Absenderin, Keiko Masamune, nicht persönlich kannte, konnte es sich durchaus um eine schüchterne Verehrerin handeln, die die optimale Gelegenheit nutzen wollte, um sich bekannt zu machen. Während er grübelte und sich nicht schlüssig war, wie er reagieren sollte, verstrich einige Zeit. Sein Zimmergenosse, der nüchterne Yuuya, erwähnte ohne besondere Absichten, dass möglicherweise auch ein anderer S. Yamada gemeint sein könnte. Es gebe nämlich ZWEI Personen mit diesem Namen im Wohnheim und da die Post ja einigermaßen wahllos verteilt werde in die winzigen Schließfächer am Eingang, könne es sich auch um einen Fehler handeln. Was dann erklären würde, warum sich diese Keiko noch nicht gemeldet habe. Solcherart von der traurigen Realität eingeholt brüteten die zwei weltfremden Debütanten auf dem Markt der Einsamen Herzen darüber, wie nun weiter vorzugehen sei. Dass die Pralinen mittlerweile fossiliert waren und keineswegs mehr dem mutmaßlich richtigen Adressaten weitergeleitet werden konnten, stand außer Debatte. Konsens wurde endlich darüber erzielt, dass man für den morgigen Tag, den White Day, mit einem Gegengeschenk auftreten müsste, sozusagen als Wiedergutmachung, falls der andere S. Yamada gemeint war. Oder auch als Antwort, sollte wider Erwarten die schüchterne Holde an Shinji Interesse zeigen und vergeblich auf eine Antwort gewartet haben. Yuuya stellte folglich für seinen unbedarften Zimmerkameraden einige Rezepte für Pralinen zusammen, druckte einen Plan aus, wo der im Valentins-Päckchen verabredete Ort zu finden sei. Allerdings zeichnete sich Yuuya nicht gerade durch ein Gespür für kulinarische Details aus. Es ging nämlich nicht an, dass man Temperatur und Backzeit für Süßigkeiten, die im Ofen zubereitet wurden, einfach auf Mikrowellenleistung umrechnete. DAS sahen die Rezepte nicht vor, weshalb die beiden nun in den Versuchstrümmern standen und ratlos eine zweite Meinung einholen mussten, wie das Debakel abgewendet werden konnte. Katsuhiro hatte trotz des Zustands der Küche mit großer Mühe einen veritablen Lachanfall unterdrückt. Andererseits glaubte er auch ohne Zögern, dass die beiden hier noch nie mit den Tücken des Valentinstags konfrontiert worden waren. Ohne weibliche Geschwister, ohne Position als 'sempai' und ohne einen Funken von Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht war das durchaus möglich. Sam prustete an seinem Ohr, als er von dieser Tragödie hörte. "Ich nehme an, du willst eine Eillieferung bekommen, obwohl wir hier mit Hochtouren arbeiten und bis unter die Arme mit Aufträgen eingedeckt sind, richtig?" "Na ja." Katsuhiro grinste. "Du schaffst das schon. Du könntest eine zarte Liebe retten!" "Ha ha!" Schnaubte Sam und schnalzte mit der Zunge. "Ich tue, was ich kann, aber ehrlich, Godzilla, dein kleiner Schützling wird eher Saures als Süßes bekommen." »Ja.« Seufzte Katsuhiro stumm, das Gefühl hatte er auch. Laut antwortete er. "He, immer optimistisch bleiben! Es könnte auch klappen!" "Sicher." Brummte Sam, wechselte dann in einen geschäftsmäßigen Tonfall. "Dann wirst du 'rausfinden, wer diese Keiko ist und mich dann noch mal anrufen, wenn du mehr über sie weißt!" "Hä?!" Katsuhiro rollte überrascht mit den Schultern. "Wieso das denn?!" "Hör mal, mein Mutantenmonster,wenn du willst, dass die Chose funktioniert, dann sag mir, wie die Frau ist, kapiert?!" Säuselte Sam ungeduldig. Katsuhiro blinzelte. "Das ist jetzt wieder so eine metaphysische Geschichte, oder?" Hakte er vorsichtig nach. Dem 'Frauenkenner' Sam, der erstaunlicherweise WIRKLICH einen siebten Sinn in dieser Hinsicht sein Eigen nannte, wollte er bestimmt nicht in die Parade fahren. "Na, husch husch!" Drängte Sam aufgekratzt. "Du suchst sie aus, und ich versüße sie!" ~@~ Katsuhiro warf einen kontrollierenden Blick in die Küche, wo die beiden Missetäter ordentlich schrubbten. Zumindest hier versuchten sie keine Freistil-Abwandlungen! Er wählte die Nummer eines Bekannten und wartete auf die Antwort. Sie entsprach seinen Erwartungen: Keiko war eine der jungen Frauen, die zur Büroassistentin ausgebildet wurden. Eine ganze Clique davon wohnte in einem Wohnheim in der Nähe, und wie jedes Jahr würde sich die Horde hoffnungsvoller Damen an der Wasserstelle, nämlich dem großen Einkaufszentrum, treffen. Auf die Spur hatte ihn ja auch der Rendezvous-Punkt gebracht. »Tja.« Katsuhiro warf einen Blick aus luftiger Höhe auf Shinji. »Kumpel, ich bin nicht sicher, ob DAS deine Kragenweite ist.« Obwohl man angesichts dessen Kleidungsgeschmacks in der Freizeit durchaus Zweifel hegen konnte. Wie verabredet meldete er sich erneut bei Sam und gab die kurze Beschreibung seines Bekannten weiter, damit Sam ein White Day-Päckchen zusammenstellen konnte. Die Gegenleistung sollte darin bestehen, dass Katsuhiro Sam in allen Einzelheiten berichtete, wie die Romanze ausging, deshalb musste er wohl oder übel Shinji begleiten. Shinji, der ihm immer wieder bettelnde Blicke zuwarf, grinste nervös-hoffnungsvoll. "Also gut!" Katsuhiro klatschte sich gut gelaunt auf die Oberarme. "Wir haben morgen ein Date!" ~@~ 14. März-White Day Man konnte die Atmosphäre immer spüren, erwartungsvolle Schwingungen trotz des Werktags: kichernde Schülerinnen, zahlreiche Pärchen, eine Swing-Melodie in der Luft, obwohl eine kalt-regnerische Witterung vorherrschte. Katsuhiro wartete geduldig, bis Shinji und Yuuya aus dem Taxi geklettert waren. Eigentlich hätte er lieber die Bahn genommen, wie es die meisten taten, da es nicht so teuer wie ein Taxi war, doch Yuuya weigerte sich: er wolle nicht von anderen berührt werden. Punkt. Und Shinji wollte nicht ohne Yuuya gehen, weil er zu nervös war. »Ich komme mir vor wie ein Psychiater mit seinen Patienten beim Ausflug!« Aber Katsuhiro war zu gut gelaunt, um sich von solchen Kleinigkeiten aufhalten zu lassen. Das lag möglicherweise darin begründet, dass er seit Ewigkeiten keine Verabredung mehr gehabt hatte. Mittelbar war es schließlich auch sein Date, oder?! Das gewaltige Einkaufszentrum war gut besucht, wirkte wie ein lebendiges Mosaik. Ständig trafen Teilchen andere, kamen zusammen und gingen wieder auseinander, ein quecksilbriger Organismus mit guter Laune. Natürlich mussten sie die einzige Treppe nehmen, die sich bis in das oberste Geschoss schraubte, weil Yuuya nicht in Aufzüge einstieg und Rolltreppen auch nicht mochte, weil er es hasste, wenn jemand hinter ihm stand. Shinji war offenkundig mit den Eigenheiten seines Zimmerkameraden vertraut. Er starrte dafür jedes der lebensgroßen Maskottchen an, die für Geschäfte oder Dienstleistungen warben. Katsuhiro hatte mit seinen 1,95m keine Mühe, die Menge zu überblicken, als sie sich dem Treffpunkt näherten. Überall saßen Gruppen junger Frauen an Tischen zusammen, schwatzten aufgedreht, während ihre Augen umherschweiften, auf der Suche nach dem Liebsten. "Gut." Stelle Katsuhiro fest, wandte sich um, betrachtete Shinji kritisch. Der Anzug wirkte nicht, als hätte man den Bügel miteingenäht, die Krawatte saß, die Turnschuhe waren geputzt und die krause Mähne mit einem Kopftuch gebändigt. Auf eine poppige Weise sah Shinji sogar richtig fesch aus. Also überreichte Katsuhiro ihm das wertvolle Päckchen, das Sam per Kurier zugesandt hatte. "Glück auf!" Wünschte er und dirigierte Shinji in die richtige Richtung, hinunter in die finsteren Abgründe zwischenmenschlicher Interaktion. Yuuya stand neben ihm, starrte wie gewohnt durchdringend ins Leere und strahlte eine unbestimmte Abwehr aus, die selbst im Gedränge für Distanz sorgte. Erstaunlich zuversichtlich bahnte sich Shinji den Weg eine Plattform tiefer, wo sich Lounge-Ecken befanden, wie Inseln in einem dunklen, aufgewühlten Meer. »Da würde ich mich ja nicht herantrauen!« Zog Katsuhiro stumm den virtuellen Hut. »Liebe macht eben blind!« Zwar konnte es sich in Shinjis Fall nur um Wunschdenken handeln, aber er selbst hätte sich bestimmt nicht so unerschrocken einem großen Tisch mit zahlreichen glucksenden, quietschenden und schrill aufgeputzten Frauen zugewandt. Das erforderte wirklich Courage. Instinktiv klappte er einen Arm wie eine Schranke aus, um Yuuya am Abgang zu hindern. "Wir warten und beobachten." Fügte er laut an, damit sich der schwierige Kandidat nicht aufregte, doch die Sorge erwies sich als unbegründet: Yuuya schlug artig neben ihm Wurzeln, auch wenn er keineswegs interessiert das Geschehen auf der unteren Etage verfolgte, sondern wie gewohnt konzentriert und gleichzeitig blind in die Gegend starrte. Unten bahnte sich gerade eine Katastrophe an und Katsuhiro konnte nur mitfühlend seufzen, denn es hatte sich gerade bewahrheitet, was er vermutet und Sam orakelt hatte: das Valentinsgeschenk war dem anderen 'S. Yamada' zugedacht gewesen. Und die Valentine nicht sonderlich friedlich gestimmt, auch wenn er aus der Entfernung nicht genau hören konnte, mit welchen Worten sie Shinji vor der versammelten Mannschaft bzw. Frauschaft runterputzte. »Es ist immer ein Fehler, wenn sie private Herzensangelegenheiten im Rudel ausdiskutieren wollen.« Erinnerte er sich eines alten Ratschlags. Aber leider wusste man das erst, wenn man vor ihnen stand. Dass die unfreundliche Zicke aber Shinji auf die Hand schlug und die schöne Tüte mit ihrem geschmackvollen 'Finest Delight'-Aufdruck zu Boden schleuderte, zeigte wirklich eine schlechte Kinderstube und aufgeblasene Dramatik. Shinji stand nun da, ratlos, offenkundig von dieser Entwicklung vollkommen überrumpelt, was Katsuhiro erneut bestätigte, dass seine beiden Schützlinge nur marginalen Kontakt mit der grausamen Realität menschlichen Balzgehabes gehabt hatten. Er zögerte noch, selbst die Treppe hinabzusteigen, um seinen Schützling aus den Klauen der holden Weiblichkeit zu retten, als Shinji aus seiner Winterstarre erwachte, sich bückte, um die Tüte mit dem Pralinenpäckchen aufzulesen und wortlos die Stätte seiner Schmach verließ. "Wir gehen." Kündigte Katsuhiro an und widerstand im letzten Augenblick der Versuchung, Yuuya auf die Schulter zu tippen. Der schaltete jedoch allein aufgrund der Bewegung in seinem Wahrnehmungsradius wieder auf Realität und blickte Katsuhiro durchdringend an, nicht etwa verärgert oder provozierend, aber auf eine Weise, die Röntgenbrillen wie Funzelgläser wirken ließ. Katsuhiro bahnte sich ohne Mühe einen Weg durch die Menge, Yuuya in seinem Fahrwasser unbehelligt. Sie erreichten Shinji, als der die Treppe erklommen hatte und noch immer recht ratlos wirkte. Auf so ein Ergebnis hatte man ihn nicht vorbereitet. "Kopf hoch, Kumpel." Tröstend klopfte Katsuhiro auf Shinjis Rücken. "Gehen wir erst mal was trinken auf den Schreck hin! Na los!" Während Katsuhiro die Richtung vorgab, möglichst weit weg von kuschelnden Pärchen, um Shinjis zartes Empfinden nicht zu strapazieren, bemerkte er einmal mehr, wie ungewöhnlich die beiden jungen Männer in seinem Schlepptau waren. Yuuya sprach gar nicht, kommentierte weder die Szene, noch bot er Aufmunterung an, Shinji dagegen lief wie aufgezogen, sah aber eher verwirrt als beleidigt aus. Sie erreichten eine Filiale der zahlreichen Schnellimbissketten. Katsuhiro stellte seine beiden Begleiter an einem Tisch ab, forderte sie auf, Platz zu nehmen und sich nicht von demselben zu rühren. Er sprach aus Erfahrung. Dann suchte er sich einen Schalter, um Flüssignahrung und Pommes frites in rauen Mengen zu ordern. Wenn die anderen beiden keinen Hunger hatten: ER brauchte jetzt Nervennahrung! Als er zu ihrem Tisch zurückkehrte, befleißigte sich Shinji gerade damit, die havarierten Pralinen in ihrem pastellfarbenen Hüllen aus dem zerdrückten Karton zu bergen. Sie wirkten wie die tapferen Soldaten einer verlorenen Schlacht im ewigen Krieg zwischen Mars und Venus. Yuuya dagegen nutzte die Gelegenheit, in seinen Taschencomputer mit einer winzigen Klapptastatur unermüdlich Zeichen einzugeben. Katsuhiro vermutete, dass dem seltsamen Genie wieder irgendein Programm in einer Maschinensprache eingefallen war und nun konnte er es endlich loswerden. Er lud seine Last ab und zog sich einen der Bistrostühle heran. "Das Päckchen war wohl doch für den anderen Typen, wie?" Eröffnete er das Gespräch und gestikulierte den beiden, dass sie eingeladen waren und zugreifen sollten. Yuuya konsultierte als Antwort seine gewaltige Armbanduhr, nickte dem Softdrink zu und verweigerte sich der Kartoffelstäbchen. »Auch noch ein heikler Esser!« Katsuhiro zog die Augenbrauen zusammen. Die beiden würden sicher für längere Zeit in seinem Wohnheim ansässig sein. Allzu 'kompatibel' wirkten sie auf ihn nicht. "Vielleicht sollte ich es vor seine Zimmertür abstellen?" Erwog Shinji laut, mümmelte Pommes frites und warf einen fragenden Blick auf Katsuhiro. Der schaltete flink und schüttelte den Kopf. "Ich halte es nicht für eine gute Idee, ihm die steinharten Pralinen vor die Tür zu setzen. Die sind ja nun schon einen Monat alt." "Aber was soll ich denn dann tun?" Eifrig wie ein Welpe lehnte sich Shinji über den Tisch und staunte Katsuhiro wie das Delphische Orakel an, als wäre er die Quelle aller Weisheit. Der Gedanke entlockte Katsuhiro ein trauriges Grinsen. »Sicher doch!« Er pickte in den Kartoffelstäbchen herum und malmte gründlich. "Sie kann ihm immer noch was zum Geburtstag schenken und den nächsten Anlauf wagen." Er blickte Shinji in die erwartungsvoll aufgerissenen Augen. "Aber ehrlich: sie hat bei dem Knaben keine Chance." "Wie schade!" Murmelte Shinji mitfühlend, so, als habe er nicht gerade von der besagten Dame eine herbe Abfuhr erteilt bekommen. »Du meine Güte!« Katsuhiro zog eine Grimasse. »Verkappter Romantiker?!« Die waren die schlimmsten und hoffnungslosesten Fälle nach seiner Erfahrung, außer, man koppelte sie mit einem entsprechenden Pendant. Geistesabwesend tätschelte er über den Tisch hinweg Shinjis Schulter. "Wir stärken uns erst mal, und dann sehen wir zu, dass wir noch ein bisschen Spaß unter uns Jungs haben." Verkündete er aufgeräumt. Es gab sicher ein Spielcenter, wo sie sich austoben konnten und dann schaffte er seine beiden seltsamen Schützlinge wieder nach Hause, damit sie artig und pünktlich zur Schlafenszeit in ihren Betten lagen. Zumindest lautete so sein Plan. ~@~ Shinji stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und hypnotisierte die arglosen Kartoffelstäbchen. »Das ist wirklich seltsam gewesen.« Summierte er die letzten Ereignisse und versuchte, sich darauf einen Reim zu machen. Nach dem zu urteilen, was Yuuya für ihn recherchiert hatte, und der war so mutig, in Frauenzeitschriften und Manga zu suchen!, hätte sich eigentlich aus diesem Treffen eine zarte Romanze entwickeln müssen, immerhin hatte er sich ordentlich angezogen, war geduscht und brachte Pralinen mit. »Und ich habe mich vorgestellt, mich entschuldigt und dabei gelächelt!« Hakte er die Punkte auf seiner Liste ab. Doch irgendetwas musste ihm entgangen sein. Yuuya nannte das einen Fehler im Kommunikationsprogramm. Shinji war nicht so sicher, worin sein Fehler bestanden hatte, fühlte sich aber auf unbestimmte Weise über Gebühr getadelt. Dass Frauen an sich eine merkwürdige Spezies waren, davor hatte man ihn bereits gewarnt, dass Kommunikation aber derart schwer sein würde, das hatte er nicht erwartet. Dabei sahen sie immer so hübsch und vergnügt aus, wenn sie in kleinen Grüppchen umherflanierten! Er seufzte lautlos. Sie mochten wie er auch flauschige Plüschfiguren und fotografierten gern, SO fremd konnte man sich also nicht sein! Das Mobiltelefon brummte in seiner Hosentasche und verlangte Zuwendung. Shinji fischte es heraus, warf einen entschuldigenden Blick in die Runde, doch Yuuya widmete sich hingebungsvoll seinem Taschencomputer, und ihr Betreuer Katsu schichtete gerade die Pralinen in ein Stofftaschentuch um, bevor er sie in die Papiertüte setzte. "Oh!" Entfuhr es Shinji überrascht. ~@~ "Was ist los?" Katsuhiro beobachtete Shinji aufmerksam. Es war schon ein wenig unheimlich, dass der sich gar nicht über die Szene auslassen wollte, sondern nur artig aß und trank. "Ingrams Warhammer ist hier!" Verkündete Shinji aufgekratzt und strahlte. »Häh?!« Skandierte Katsuhiro stumm, bemühte sich, sein Gedächtnis daraufhin zu durchwühlen, ob dieser Ausdruck einem der Fachbegriffe entsprach, die Teil des Kauderwelschs waren, in dem sich die Spezialisten unterhielten. "Das ist mein Kumpel aus dem Galahad-Universum!" Erläuterte Shinji eifrig. "Er ist so cool!! Du glaubst gar nicht, wie fix der kodieren kann!! Wir haben gerade an einer mutierten Titan-Kampfratte gearbeitet und dafür sogar einen Preis eingestrichen!" Katsuhiro starrte. Er verstand die Worte, weil sie in seiner Muttersprache in seinen Ohren einschlugen, aber er konnte sich einfach nicht auf eine Bedeutung einigen, die für ihn einen Sinn ergab. "Ihr arbeitet zusammen an einem Computerspiel?" Hasardierte er schließlich tapfer, um einen Gesprächsbeitrag zu leisten. "Genau!" Shinji senkte bereits den Blick auf das Anzeigefeld, während seine Finger flink über das Menü huschten. "Ich habe meine Nahbereichs-Kontaktsuche nicht ausgeschaltet, deshalb hat er mich geortet." Plötzlich ließ er den Kopf hängen, seufzte laut. Katsuhiro zerkaute hastig die restlichen Pommes frites. "Stimmt was nicht?" Konversation mit diesen beiden war wirklich ein Drahtseilakt. "Na ja." Shinji zuckte mit den Schultern, blinzelte Katsuhiro nervös an. "Ich würde ihn gern treffen. Ich meine, in echt. Aber ich bin auch ein wenig nervös. Er ist SOOOO cool!" "Ah ja..." Gab Katsuhiro Durchblick vor, obwohl er sich mal wieder wie ein alter Mann vorkam. Nun, mit 29 Jahren lag das nicht fern, wenn man von Computer- und Hightech-Generationen ausging. Shinji schwärmte also von einem guten Freund, dem er noch nie gegenübergestanden hatte?! "Warum gehst du nicht und triffst ihn?" Schlug er laut vor, lächelte Shinji aufmunternd an. "Lerne ihn kennen! Wir kommen hier schon klar." "Wirklich? Soll ich?" Shinji zögerte, warf einen Seitenblick auf Yuuya, der lediglich physisch anwesend war. "Na sicher!" Katsuhiro zwinkerte. "Amüsiert euch!" "Also-also gut. Ich tu 's!" Shinji erhob sich, atmete tief durch, jagte ein flackerndes Grinsen über sein Gesicht. "Ich bin total nervös!" Trotzdem machte er auf dem Absatz kehrt, umklammerte sein Mobiltelefon mit beiden Händen wie einen Heilsbringer und marschierte, von einem elektronischen Pfadfinder geleitet, durch den steten Passantenstrom. »Und was tun wir zwei nun?« Katsuhiro beobachtete Yuuya, aber das war nicht sonderlich unterhaltend, sodass er versuchte, Shinji im Gewühl zu erspähen. Zu Katsuhiros Erstaunen hielt Shinji inne, sah sich suchend um. Eine kleine, eher rundliche Person tippte ihm auf die Schulter. Katsuhiro konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als der die fremde Person näher in Augenschein nahm: Ingrams Warhammer war offenkundig ein Mädchen! Er fingerte sein Mobiltelefon aus der Hemdtasche und sandte eine eilige Textnachricht an Shinji. [Hast du deinen Freund getroffen? Ist alles in Ordnung?] Statt einer Textantwort erschien wenige Augenblicke später eine Bildnachricht. Das fremde Mädchen, der Bekleidung nach eher eine junge Frau, strahlte pausbackig in die Kamera, hinter ihr Shinji, der für Zahnpasta Reklame machen konnte. Dann hatte er Shinji selbst am Apparat. "Katsu? Es ist alles prima! Kannst du es glauben, Ingrams Warhammer ist Yohko! Ich werde mit ihr in einen der Spielcenter gehen, in Ordnung?" "Sicher doch." Katsuhiro grinste. "Aber tu nichts, was ich nicht auch tun würde!" Er konnte Shinji am anderen Ende förmlich stutzen hören. "Ähem, nein. Sicher nicht. Bis dann!" Katsuhiro grinste vor sich hin, als er sein Mobiltelefon wieder verstaute. Vielleicht gab es doch eine Romanze, von der er Sam berichten konnte. ~@~ Das Unglück nahm seinen Lauf, als sie an den Aufzügen vorbei zu der einzigen Treppe strebten. Wahre Horden bewegten sich in schwatzenden, aufgedrehten Pulks durch das Einkaufszentrum und sie hielten alle auf die Expressaufzüge zu. Katsuhiro blickte sich zwar immer wieder um, aber in einem Moment der Unaufmerksamkeit hatten die menschlichen Fluten Yuuya aus seinem Fahrwasser mitgerissen. Als er das Fehlen seines taktophoben Trabanten bemerkte, war es schon zu spät: der Aufzug schloss seine gläsernen Türen um eine kompakte Masse, in der fahlbleich Yuuya steckte. ~@~ Yuuya registrierte beiläufig, wie sein Herz raste, Notschweiß seinen Körper bedeckte, den Overall auf die Haut klebte. Er bekam kaum Luft, wollte schreien, doch seine Kehle war zugeschnürt. Er HASSTE die fremden Leiber, die sich glühend, erstickend an ihn pressten, ihre lauten, enervierenden Geräusche! Die fiebrigen Blicke, den Gestank von Parfüm und Kosmetika! Die Situation verursachte ihm Übelkeit und gleichzeitig den Wunsch, wie wahnsinnig um sich zu schlagen, damit man ihn sofort wieder freiließe. Alles um ihn herum war zu eng, zu dicht, zu niedrig! Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen, in seinen Ohren rauschte schrill ein Geräuschbrei wie ein Alarmton ohne Unterbrechung. Die Luft wurde knapp, die Hitze stieg an. Ohne es zu bemerken fischte er in der Tüte, stopfte sich Praline um Praline in den Mund, suchte sein Heil in der Ablenkung, während sein Bewusstsein Amok lief. ~@~ "Verdammt!" Brüllte Katsuhiro laut und erregte für einen Augenblick die abweisende Aufmerksamkeit umstehender Passanten. Darauf konnte er jedoch keine Rücksicht nehmen, denn trotz furioser Aufholjagd hatte er die Spur von Yuuya verloren. Jede Etage hatte er abgesucht, sogar in der Zentrale darum gebeten, Yuuya auszurufen, doch niemand hatte sich gemeldet. Yuuyas Telefon war ohne Empfang und auch der Zimmeranschluss im Wohnheim blieb stumm. Nicht mal die Taxizentrale konnte ihm bestätigen, dass ein junger Mann mit Yuuyas Beschreibung den Heimweg angetreten hatte. Katsuhiro ballte die gewaltigen Fäuste und legte den Kopf in den Nacken. Was sollte er tun, wenn Yuuya etwas geschah?! ~@~ »Arme Trottel.« Dachte Kenrou, schwang seinen Rucksack nonchalant, um gemächlichen Schritts das Einkaufszentrum zu verlassen. Er ließ sich auf einem Bürgersteig nieder und sortierte im Licht einer Anzeigentafel seine Ausbeute. Es war doch immer wieder viel zu einfach: ein Aufzug, Gedränge, viele Menschen. Und leichtes Spiel für flinke Finger! Dabei entwendete er grundsätzlich kein Bargeld, Brieftaschen, Ausweise oder Kreditkarten, oh nein! Erstens brachte einem das nur Scherereien ein, und zweitens hatte er das gar nicht nötig! Ihn zogen vielmehr kleine Dinge an, Kinkerlitzchen, Persönliches, wie Souvenirs auf einer Reise. Dieses Mal hatte er einen glitzernden Radiergummi, einen Schlüsselanhänger in Form der Freiheitsstatue, einen winzigen Flakon Parfüm, ein Band Automatenfotos und eine kleine Tasche stibitzt. "Nett." Murmelte er, öffnete die kleine Tasche. Darin steckte zu seiner Überraschung ein kleiner Computer, eines von diesen unglaublich teuren Dingen, die er sich nicht leisten konnte. »Und für die ich auch überhaupt keine Verwendung habe!« Unschlüssig drehte er das Gerät hin und her. Musste man das nicht irgendwo aufklappen? Aufschieben? Er fand den winzigen Haken und klappte den Taschencomputer auf. Bevor er noch beginnen konnte, einen Testanlauf zu wagen, bemerkte er die Kunststofffolie, die durchscheinend auf dem Eingabefeld ruhte. Sie diente jedoch nicht nur dem Schutz der empfindlichen Oberfläche, sondern transportierte eine Botschaft. [Wenn Sie mich gefunden haben, geben Sie mich bitte meinem Besitzer zurück. Er heißt Yuuya Tamamori und ist Autist. Ohne mich ist er hilflos.] »Netter Versuch!« Schnaubte Kenrou abfällig und grübelte einen Moment darüber nach, was wohl ein Autist war. Dann bemerkte er ein Hologramm, das sich aufbaute, als er die Oberfläche antippte. Auf dem winzigen Bildschirm forderte ein Feld unmissverständlich die Eingabe eines Passworts. »So viel dazu.« Brummte Kenrou, rieb sich nachdenklich über das Kinn. Sollte er ein paar Versuche wagen? ~@~ Yuuya lief ohne Ziel. Er lief, um zu laufen, wollte nicht stehen bleiben. Laufen, an der kühlen, feuchten Luft, das war gut. Es kühlte die konfusen Gedanken in seinem Kopf. Jeden Augenblick konnten sie explodieren. Alles von unten nach oben kehren. »Luft, ich brauche Luft!« Nur weg aus dieser erstickenden Enge. Und niemals stehen bleiben! ~@~ Drei Stunden nach dem geheimnisvollen Verschwinden von Yuuya musste Katsuhiro endlich seinen schmerzenden Füßen Tribut zollen: er setzte sich auf den Rand eines Springbrunnens und vergrub das Gesicht in den Händen. Das durfte alles einfach nicht wahr sein! Niemand hatte Yuuya gesehen, er hatte kein Taxi genommen, sein Telefon blieb stumm. "Aber ich kann doch nicht einfach nach Hause gehen." Katsuhiro stöhnte leise. Er wollte allerdings auch nicht zur nächsten Polizeistation gehen, um Yuuya vermisst zu melden, schließlich starb die Hoffnung zuletzt. "Alles in Ordnung mit dir?" Katsuhiro hob den Kopf an, blickte in ein ausgesprochen attraktives Gesicht. Der vornehme Anzug in einem schimmernden Pflaumenton wies ihn darauf hin, dass er möglicherweise einem Koberer gegenüberhockte. »Trotzdem...« "Ich suche jemanden." Katsuhiro bemerkte das Lächeln und ergänzte rasch. "Einen jungen Mann aus meinem Wohnheim. Wir haben uns im Einkaufszentrum verloren." "Möchtest du, dass ich dir helfe? Wie sieht er denn aus?" Der Fremde ließ sich wohl nicht so einfach abschrecken. "Danke, wirklich, ich möchte dich nicht bemühen." Antwortete Katsuhiro höflich, immerhin war er sich nicht SICHER, dass der Unbekannte auf der Suche nach Kundschaft war und unter den Einsamen Herzen auf Beutezug ging. Der Fremde lachte, ging vor Katsuhiro in die Hocke und legte lässig seine Fingerspitzen auf dessen Knie, so, als wolle er sich lediglich abstützen. Schwarze Augen mit dichten langen Wimpern unter pfeilgeraden Augenbrauen zwinkerten kontaktfreudig zu Katsuhiro hoch. "Soll ich dir verraten, was du gerade denkst? Hmm?" "Lieber nicht." Brummte Katsuhiro und fühlte sich entdeckt. Und ziemlich albern, wenn nicht sogar eingebildet, immerhin war er für den jungen Geck vor ihm nur ein alter Sack, der seine Einsamkeit mal nicht ertränkte. Trotzdem überrumpelte es ihn, als ihm der Fremde eine Hand leicht auf die Wange legte, sich hochreckte und ihm einen neckenden Kuss auf die Lippen gab. Hitze schoss in Katsuhiros Wangen. Er versuchte verzweifelt, NICHT daran zu denken, wann er zum letzten Mal geküsst worden war. "Hey." Eine Fingerspitze streichelte ihm über eine sauber gestutzte Kotelette. "Magst du keine Gesellschaft? Ich bin stubenrein, beiße nicht und grabe keine Blumenbeete um!" Die Wimpern flatterten einschmeichelnd Sturm. Gegen seinen erklärten Willen musste Katsuhiro grinsen. "Das wird aber ziemlich langweilig." Drohte er aufrichtig. "Ich suche TATSÄCHLICH einen jungen Mann aus dem Wohnheim, das ich betreue." "Oh, ich bin gut zu Fuß und kenne mich hier auch aus." Sein Gegenüber schmunzelte. "Mein Name ist Hiroshi. Und wie heißt du?" "Katsuhiro, aber alle nennen mich Katsu." Er erhob sich, rollte seine Schultern. "Bist du sicher, dass du deine Freizeit mit mir verbringen willst?" "Definitiv." Hiroshi richtete sich auf und strich über den seidig glatten Stoff seines Anzugs. "Sag mal, bist du Sumotori?" ~@~ Kenrou hasste das asthmatische Keuchen und Röcheln von Rosinante, aber er hatte keine Wahl: entweder auf dem alten Mofa nach Hause rollen oder auf Schusters Rappen reisen. Mit der U-Bahn fuhr er nicht so gern, mochte das Geglotze nicht und die dämlichen Deppen, die einen Vorwand suchten, um ihn anzumachen, so, als gehörte ihnen jeder Bezirk! Es nieselte leicht, was seiner Stimmung nicht gerade wohltat. Die Jacke sah zwar nach Leder aus, bestand aber aus Kunststoff und neigte bei feuchter Witterung zu extremer Müffelei. »Abkürzung.« Entschied er und brauste, soweit man bei Rosinante überhaupt von einer nennenswerten Geschwindigkeit sprechen konnte, durch eine kleine Gasse. Als er wieder auf die Hauptstraße bog, streifte er eine Gestalt, obwohl zu dieser nachtschlafenden Zeit niemand etwas auf dem Gehweg zu suchen hatte!! ~@~ "Machen wir eine kurze Pause." Hiroshi fasste Katsuhiro am Arm, schenkte ihm ein angestrengtes Lächeln, auch wenn er nach eigenen Angaben gut zu Fuß war, seine eleganten Slipper zeigten Abnutzungserscheinungen. "Sicher." Katsuhiro nickte, folgte Hiroshi zu einem Rondell, um dort Platz zu nehmen. Ein Uhr in der Nacht und noch immer keine Veränderung. Shinji hatte sich abgemeldet, um die Nacht im Gästeschlafsaal des Wohnheims von Yohko zu verbringen und Katsuhiro hatte es nicht gewagt, ihm eine Nachricht vom Verschwinden seines Zimmergenossen zu senden. "Danke, dass du mich so lange begleitet hast." Katsuhiro klopfte Hemd- und Hosentaschen ab, fingerte schließlich das bescheidene Päckchen heraus, das Sam für ihn mitgesandt hatte. Er hoffte, dass sich Leckereien darin befanden, die man auch gefahrlos einem Mann anbieten konnte. "Nicht doch, wer würde nicht gern in ein kleines Abenteuer verwickelt werden?" Hiroshi zwinkerte und wischte sich nachlässig durch die sanfte Welle, die seine getönten Haare aus dem Gesicht hielt. "Vielleicht kann ich dich mit etwas Süßem aufmuntern?" Katsuhiro schnippte mit dem Fingernagel unter die Verschlussrosette, um das kleine Paket zu öffnen. Wie eine Blume teilte sich der Karton, enthüllte sein Innenleben. "Das...das ist ja Wahnsinn!" Ächzte Hiroshi zu Katsuhiros Überraschung neben ihm, legte vorsichtig beide Hände um Katsuhiros, um das kleine Päckchen darin näher in Augenschein nehmen zu können. "Finest Delight?! Die sind unglaublich! WOW! Und diese Sorte habe ich noch nie gesehen!" Klang Hiroshi nicht ein wenig zu aufgeregt?! Katsuhiro warf einen kritischen Seitenblick auf seinen Begleiter und beäugte dann die einzeln verpackten Pralinen. Oder waren es Bonbons? Dragees? Von der Verpackung her konnte man nichts ausschließen. "Bitte, bedien dich doch." Überspielte Katsuhiro seine Verwirrung, denn eigentlich fand er Hiroshi, der gern ausging und als Amateur-Host mit Umsatzbeteiligung in den umliegenden Bars arbeitete, durchaus nett. Ja, sogar ausgesprochen sympathisch und angenehm. Hiroshi zögerte, obwohl er erkennbar zugreifen wollte, er biss sich auf die Unterlippe, warf die Stirn in minimale Falten. "Nur keine Scheu!" Katsuhiro hob die Hand an, lächelte. "Sie sind ganz frisch und sicher lecker. Sam kennt sich damit aus." "Sam...Samuel Ridgeways?" Nun staunte Hiroshi Katsuhiro wie das achte Weltwunder an. "Jaaaa..." Seufzte Katsuhiro gedehnt. "Ist ein Studienkollege von mir. Ihm gehört Finest Delight." "Ich weiß!" Seufzte Hiroshi sehnsüchtig, leckte sich zögerlich über die Lippen. "Ich liebe seine Süßigkeiten!" Sein schmachtender Tonfall irritierte Katsuhiro, der daraufhin beobachten konnte, wie Hiroshi vor Verlegenheit rot anlief. "Nicht nur Frauen haben ein Faible für süße Dinge." Verteidigte er sich leise. "ICH sage ja gar nichts." Katsuhiro unterdrückte ein amüsiertes Lachen. "Nun greif schon zu! Du hast mich jetzt fast zwei Stunden lang begleitet, dabei könntest du sicher den Abend viel besser und bequemer verbringen." Sehr vorsichtig pickte sich Hiroshi ein verpacktes Wunderwerk aus der Kartonage, balancierte es andächtig auf der Handfläche. "Darf ich fragen, wie er eigentlich so ist?" "Hmm..." Katsuhiro stellte den kleinen Karton auf einem Oberschenkel ab, streckte und dehnte seinen Oberkörper. "Er ist ein ganz normaler Typ, sieht gut aus, in Ordnung, hat eine Menge Geld verdient, aber ansonsten ist er sehr nett und normal geblieben. Wir haben uns auf der Uni kennengelernt, als ich noch im Sumo-Team war. Wir sind nämlich beide sehr groß, da sticht man aus der Menge heraus." Hiroshi hing an Katsuhiros Lippen, metaphorisch gesprochen, lauschte begierig auf jedes Wort. "Ist es wahr, dass er seit der Oberstufe mit einem Mann liiert ist?" "Findest du das seltsam?" Konterte Katsuhiro, der sich über das schwärmerische Interesse amüsierte. Er wollte gern wissen, warum Hiroshi, der sonst so souverän und gelassen wirkte, eine derartige Begeisterung für Sam an den Tag legte. "Nein, nein, warum auch? Ich glaube nicht, dass er solche Delikatessen hervorbringen könnte, wenn er nicht wahrhaftig lieben würde!" Setzte Hiroshi zu einer flammenden Brandrede an. "Warum bist du so interessiert?" Katsuhiro fischte ein geheimnisvolles Stück aus der Kartonage und betrachtete es anscheinend gedankenverloren. "Oje..." Hiroshi lächelte verlegen, streichelte mit der Fingerspitze über die Verpackung. "Das kann ich jetzt eigentlich nicht sagen." "Ein Geheimnis?" Katsuhiro grinste. "Bist du verlegen, weil du Süßigkeiten magst? Ich halte das nicht für peinlich." "Das sagst du JETZT..." Murmelte Hiroshi, tippte ein Päckchen mit der Fingerspitze an. Katsuhiro schmunzelte und beschloss, nicht weiter in Hiroshi zu dringen. Er wickelte unbefangen eine Verpackung ab und stellte fest, dass es sich wirklich um Pralinen handelte. »Also gut, wollen doch mal sehen, ob Sam wieder seinen siebten Sinn eingesetzt hat!« Beschloss er und setzte die Praline auf der Zunge ab, bevor er sie bedächtig mit der Zunge umfing. Die Praline zerging förmlich, füllte seinen gesamten Mund mit einem ungewöhnlichen und doch ungeheuer angenehmen Geschmack aus. Wie ein warmes, dunkles, wohliges Feuerwerk, obwohl das ein Widerspruch in sich selbst zu sein schien. Hiroshi beobachtete ihn eindringlich. "Sehr lecker." Grinste Katsuhiro, verdrehte übertrieben die Augen und rieb sich parodistisch über den Bauch. "...ja..." Hiroshi betrachtete unentschlossen die Praline, die noch verpackt in seinem offenen Handteller ruhte, nagte an seiner Unterlippe, als habe er eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. "Ich kann sie für dich auswickeln." Bot Katsuhiro an, dessen Interesse trotz des anregenden Geschmackserlebnisses sich nun wieder auf seinen Begleiter richtete. "Danke, aber..." Weiter kam Hiroshi nicht, denn Katsuhiro pflückte ungerührt die Praline aus dessen Handteller, löste sie aus ihrer Verpackung und balancierte sie auf dem eigenen Handteller. "Wenn du das Papier an den Seiten fasst, werden deine Finger nicht mal schmutzig." Neckte er Hiroshi, der inzwischen nervös die Hände öffnete und schloss. »Meine Güte!« Feixte Katsuhiro innerlich. »Ist das hier ein Pralinensüchtiger?« "Willst du sie nicht? Soll ich sie vorkosten?" Ein kleines Teufelchen trieb Katsuhiro an, die Grenzen auszutesten. Er wollte herausfinden, warum Hiroshi so zögerlich reagierte. Statt einer Antwort packte der unerwartet schnell Katsuhiros Hand am Gelenk und um die Finger, hob sie an seine Lippen und schnappte mit den Zähnen zu. Kaum war die Praline verstaut, leckte seine Zunge über die Verpackung, so gierig und ausgehungert, dass Katsuhiro erschauerte. Und Hiroshi gab seine Hand nicht etwa frei, nein, er umklammerte sie, während seine Lider halb geschlossenen flatterten, er genüsslich stöhnte, um Atem rang. »Das kann...doch nicht wahr sein...« Katsuhiro staunte wie vom Donner gerührt, bemerkte nicht einmal, dass ihm der Unterkiefer herunterklappte. Seit der legendären Orgasmus-Szene im 'Harry und Sally' hatte er niemanden mehr gesehen, der sich solcher Lust beim Essen hingab. Er spürte die Hitze von Hiroshis Fingerspitzen, ein trockenes, fiebriges Glühen, das sich in sein Handgelenk bohrte, sein Herz rasen ließ. Hiroshi schluckte, seufzte, keuchte. Von einem Impuls angetrieben fischte Katsuhiro eilig eine weitere Praline aus ihrem Karton-Sarkophag, wickelte sie geschickt einhändig aus und schob sie zwischen seine Lippen. Als sich Hiroshis Lider langsam hoben, der Blick verschleiert und selig, spürte er die Hitze in den eigenen Wangen, doch bevor Zweifel ihn kleinmütig behindern konnten, nahm ihn das attraktive Antlitz seines Begleiters gefangen. So schön und begehrenswert in seiner Leidenschaft! Katsuhiro schloss die Augen, als Hiroshi die Distanz überwand, die Arme um seinen Nacken schlang und ihm die Praline zu stibitzen versuchte. ~@~ Kenrou schüttelte benommen den Kopf, rappelte sich auf, angelte seinen Rucksack heran. Rosinante drehte noch den Vorderlauf, hinten jedoch zeichnete sich eine hässliche Acht ab. "Scheiße!" Brüllte Kenrou seinen Frust heraus, fand zu seinem Ärger auch noch einen Riss in seiner Jacke. Mitten auf der Straße lag das mobile Hindernis, das für seinen Sturz gesorgt hatte, rollte sich nun auf die Seite, zog die Beine unter den Leib und kam schwankend in die Höhe, taumelte auf unsicheren Beinen einfach weiter. "..he! HE! Warte!" Kenrou hatte nicht die Absicht, diesen Deppen einfach so davonkommen zu lassen. Er schüttelte den Schreck aus den Gliedern, verzichtete darauf, Rosinante den Gnadenstoß zu erteilen und eilte hinter dem trudelnden Flüchtigen her. "Was soll der Mist?!" Er haschte schwungvoll einen Arm, schleuderte die Gestalt herum. Und unterdrückte einen Schrei, weil er kein Gesicht ausmachen konnte. Eine Platzwunde blutete heftig, verklebte Haare, Schmutz und winzige Splitter auf einem Gesicht, das nicht zu identifizieren war. "Stehen bleiben!" Kommandierte er, doch der Fremde, die Knie blutig aufgeschürft, wehrte sich lautlos, atmete flach, wollte ihn nicht angreifen, sich allerdings auch nicht bremsen lassen. "Hör auf mit dem Quatsch!" Donnerte er mit seiner bedrohlichsten Stimme. "Du blutest ja alles voll!" Erstaunlicherweise hatte diese Ermahnung Erfolg. Der Fremde hielt inne, sah an sich herab. Und stutzte. "Verzeihung, haben Sie meine Brille gesehen?" Erkundigte er sich heiser, bevor ihm die Knie wegsackten. ~@~ Für einen flüchtigen Augenblick fragte sich Katsuhiro, ob die Kameras in dem gläsernen Aufzug, der sie vom Dach in die Tiefe gleiten ließ, von unzähligen Lichtern wie ein Sternenhimmel übergossen, auch noch zu dieser späten Stunde aufzeichneten. Trotzdem konnte er nicht aufhören, Hiroshi zu küssen, den Geschmack der Pralinen mit dessen Aroma zu würzen, ihn gegen die Scheibe zu drängen und so innig zu umhalsen, dass kein Lufthauch mehr Platz zwischen ihnen fand. Südlich seines Äquators gab es bereits stehende Ovationen für Sams Wunderwerk, wenig überraschend angesichts der Zahl der Pralinen, die er wie ein Aphrodisiakum verkostete, um Hiroshi an sich zu fesseln. Der zeigte sich atemlos, euphorisch, leidenschaftlich und wirkte so erotisch und anziehend, dass Katsuhiro alle Sorgen um seinen verlorenen Schützling für lange Augenblicke vergaß. Er wollte nun bloß das Untergeschoss erreichen, die Parkebene, wo es eine zu jeder Uhrzeit geöffnete Herrentoilette gab. Sie würden sie brauchen. ~@~ Hiroshi umklammerte die sehr breiten Schultern, spürte die Stärke der Muskelpakete an dem groß gewachsenen Mann. »Sumotori.« Schoss ihm durch den Kopf. Das Gefühl der warmen, langen Arme, die ihm kraftvoll umschlossen, gefiel ihm ungemein. Und dann diese Pralinen!! Noch nie zuvor hatte er diese Kreation gekostet, dessen war er sich absolut sicher. Daran konnte auch nicht der geringste Zweifel bestehen, weil sein Körper so außer sich geriet, in unbeschreiblicher Lust entbrannte, dass er die Kontrolle verlor. Er wollte sich gehen lassen, von diesen Emotionen wegspülen. Konnte er Katsuhiro vertrauen, alle Vorsicht vergessen? ~@~ Katsuhiro war dankbar dafür, dass er saß. Auch für Sams untrüglichen Sinn war er sehr dankbar. Doch seine größte Dankbarkeit galt dem viel zu jungen Mann auf seinen Beinen, der die Stirn auf seiner Schulter abgelegt hatte und noch immer nach Atem rang. Er lächelte, nach eigener Befürchtung zweifellos idiotisch, vor sich hin, während er mit Toilettenpapier die radial Hitze ausstrahlenden Ex-Erektionen abwischte. "JETZT verstehe ich." Neckte er Hiroshi sanft, streichelte mit der freien Hand über dessen Rücken. "...es ist mir peinlich." Flüsterte der an Katsuhiros Halsbeuge, drehte den Kopf weg. Katsuhiro zögerte, holte tief Luft, um sich Mut zu machen. Er wollte nicht daran denken, dass sie beinahe ein Jahrzehnt trennte, dass er selbst ein alter Sack, ein 'Onkelchen' war, der größere Chancen hatte, von einem Blitz getroffen zu werden, als einen liebenden Partner zu finden. "Danke, Hiroshi." Antwortete er schlicht, aber bestimmt. Lange Reden verwässerten nur das, was er transportieren wollte. Tatsächlich hatte er Erfolg, denn Hiroshi hob den Kopf an und betrachtete ihn. »Ich wünschte, er würde mich noch mal küssen!« Seufzte Katsuhiro inwendig. Dass diese wunderbare Begegnung noch nicht an ihrem Höhepunkt angelangt war. Aber er durfte sich natürlich keine Blöße geben, sein Glück überstrapazieren. Liebe war keine Parforcejagd, sondern musste wie eine zarte Pflanze mit Geduld und Geschick gehegt werden. »Liebe?!« Stutzte er über die eigenen Gedankengänge. »Moment mal! Vergaloppier dich nicht! Wir kennen uns doch gerade ein paar Stunden!« Andererseits wollte er Hiroshi ganz sicher nicht von der Bettkante stoßen, sollte es zu diesem paradiesischen, wenn auch unwahrscheinlichen Ereignis kommen. "Du bist der erste, der mein Geheimnis erfahren hat." Hiroshi zog eine verlegene Grimasse. "Ich hätte dich wirklich warnen sollen." Er stützte einen Ellenbogen auf Katsuhiros breite Schulter, presste die Hand auf die Augen. "Ich bereue nichts." Katsuhiro hauchte die Worte sanft, studierte Hiroshi aufmerksam. "Geht's dir gut?" "Mir ist ein wenig schwindlig." Bekannte Hiroshi. "Entschuldige, ich bin sicher ganz schön schwer." Auf diese Vermutung hin konnte Katsuhiro ein Auflachen nicht unterdrücken und streichelte zärtlich über die losen Strähnen, die nicht mehr artig von der Welle in Fasson gehalten wurden. "Keine Sorge, auch wenn ich schon ein alter Mann bin, so viel halte ich noch aus." "So habe ich das doch nicht..." Mit einem erstickten Keuchen stemmte sich Hiroshi hoch, taumelte aber unsicher gegen die Kabinenwand, massierte hastig seine Schläfen. Auch Katsuhiro kam hoch, nahm aber gleichzeitig auch seine Hosen mit, um sich rasch wieder vollständig zu bekleiden. "Hiroshi?" Er fasste nach Hiroshis Unteram, fühlte sich einmal mehr zu groß und breit für seine Umwelt. "Es geht gleich wieder." Murmelte Hiroshi, doch Katsuhiro zweifelte das an. Er ging in die Hocke, um auch Hiroshi wieder in dessen Hosen zu kleiden, streichelte ihm dann kräftig über den Rücken. "Kannst du dich auf mich stützen? Dann gehen wir gerade hier aus der Toilette raus, und ich hole dir etwas zu trinken." Katsuhiro legte einen Arm um Hiroshis Taille, während er sich einen Arm über die Schulter schlang und behutsam am Handgelenk hielt. Er spürte, wie zögerlich Hiroshi die Füße setzte, ging in die Hocke, um ihn kurzerhand auf die Arme zu nehmen. Vor der Toilette reihten sich zahlreiche Automaten aneinander. Er setzte Hiroshi auf einer einfachen Bank ab, streichelte ihm über den Schopf. "Ist Cola in Ordnung? Oder lieber Kaffee?" "Einen Eiskaffee, bitte." Hiroshi lehnte sich zurück, lächelte Katsuhiro benommen an. "Kommt sofort!" Trompetete Katsuhiro eilig, machte auf dem Absatz kehrt und flipperte am Automaten. Er öffnete die Dose auch gleich und nahm neben Hiroshi Platz. Kurzentschlossen fasste er ihn unter, drehte ihn, sodass er ihm seine Brust als bequeme Rückenstütze bieten konnte. Den linken Arm um Hiroshi geschlungen setzte er ihm mit der rechten Hand die Dose an die Lippen. Hiroshi nahm das Angebot dankbar an, schmiegte sich an Katsuhiro, der nun auch bemerkte, dass es doch recht frisch war. Eine kühle Brise wehte durch das Parkhaus, entzog ihnen die Wärme vom sicheren Kokon des Einkaufszentrums. "Geht es wieder?" Erkundigte er sich besorgt bei Hiroshi, widerstand tapfer der Versuchung, ihm über die Wangen zu streichen. "Das ist wirklich beschämend." Brummte Hiroshi. "Ich hätte es wirklich besser wissen müssen." "Oh, ICH beklage mich nicht." Schmunzelte Katsuhiro, der den Vertrauensbeweis erkannte. "Obwohl wir ja immer gewarnt werden, von Fremden Süßigkeiten anzunehmen." Hiroshi lächelte. "Das passiert mir normalerweise nicht. Nur bei Finest Delight-Pralinen." Schränkte er zerknirscht ein. "Gut zu wissen." Gab sich Katsuhiro forsch. "Ich hoffe, ich habe noch ein paar übrig." In seinen Armen drehte sich Hiroshi leicht, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können. "Willst du die Situation ausnutzen?" »Liebend gern!« Dachte Katsuhiro, schwieg aber. Er wollte den Abend nicht damit ruinieren, großen Erwartungen aufzusitzen oder seinen überaus sympathischen Begleiter zu bedrängen. »Außerdem, sieh es ein, Katsu, du BIST fast ein Jahrzehnt älter. Und solltest eigentlich hübsch artig das verlorene Schäfchen suchen!« "Als ich ungefähr Zwölf war, da brachte mein Vater Pralinen von Finest Delight mit." Hiroshi überging taktvoll Katsuhiros tiefsinniges Schweigen. "Wir führen ein Delikatessengeschäft, haben aber nur sehr selten Süßwaren im Sortiment. Mein Vater wollte herausfinden, ob die Pralinen wirklich so gut sind. Ich durfte mir eine aussuchen und habe sie mit in mein Zimmer genommen, wo ich eigentlich noch Schularbeiten zu erledigen hatte." Hiroshi kuschelte sich gegen Katsuhiros breiten Brustkorb und blinzelte. "Ich hatte das noch nie erlebt. Ich dachte, es sei bloß Schokolade, aber von wegen! Das war dann mein Erstes Mal." Seufzte er lächelnd. "Sam würde das gefallen." Schmunzelte Katsuhiro, dann setzte sich Hiroshi auf, rückte ein wenig von Katsuhiro ab. "Darf ich dich etwas fragen?" "Schieß los." Katsuhiro rollte unwillkürlich mit den Schultern, als müsse er eine Verspannung lockern. Hiroshi kämmte sich entflohene Strähnen aus dem Gesicht, legte den Kopf schief. "Warum hast du den Sumo aufgegeben?" "Oh, hmmm." Katsuhiro hatte mit allem gerechnet, ausgenommen dieses Thema. "Tja." Er zuckte mit den Schultern, grimassierte schief. "Ich war ziemlich gut, als Amateur. Nur deswegen habe ich es überhaupt an die Uni geschafft, damals. Besonders helle war ich nie." Er rieb sich beschämt über den Nacken, blickte dann versonnen in die Nacht. "Auf der Uni sollte ich mich entscheiden, ob ich mal Profi werden wollte. Mit Zwanzig war ich noch nicht zu alt, um in die erste Liga aufzusteigen." Er kreiste unbewusst mit den Schultern, zog sie wie einen schützenden Panzer nach vorne. "Ich bin bei einem Kampf unglücklich rausgeschleudert worden. Bei der Landung habe ich mir ein Schulterblatt und das Schlüsselbein gebrochen." Hiroshi zog hörbar zischend Luft durch die Zähne ein. "Also waren damit alle Zukunftspläne gestorben." Katsuhiro verschränkte die Finger miteinander, lächelte melancholisch. "it der Aussicht, vielleicht eine Behinderung davonzutragen, zumindest aber für ein Jahr auszufallen, das war für alle Beteiligten nicht tragbar." Einen langen Augenblick schwiegen sie beide, lauschten den leisen Betriebsgeräuschen der Automaten und dem nicht allzu entfernten Rauschen des Verkehrs. "Und dann?" Hiroshi legte Katsuhiro scheu eine Hand auf den Unterarm. Der streichelte mit der freien Hand über Hiroshis, wärmte sie schließlich unter seinem breiten Handteller. "An der Uni konnte ich nicht mehr bleiben, also musste ich mich nach einem Job umsehen. Ich wurde als Assistent dem Verwalter des Wohnheims vermittelt, das ich heute unter meinen Fittichen habe." Er brummte ironisch. "Wenn mir nicht gerade ein Schäfchen aus der Herde entkommt." "Das war sicher ein schlimmer Schlag." Hiroshi lehnte sich an Katsuhiro an, der kühn genug den Arm um ihn legte. "Och, ich bin darüber weg. Ich mag meine Arbeit wirklich sehr gern, es ist eine gute Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich lerne viele unterschiedliche Menschen kennen, wachse an den Herausforderungen und darf tagsüber mit den Hausfrauen aus der Umgebung im Supermarkt klatschen." Hiroshi lächelte wieder, die Betroffenheit verschwand aus seinen Zügen. Eine Veränderung, die Katsuhiro erleichtert begrüßte. "Hast du vielleicht Lust, das Wohnheim mal zu sehen? Ich lade dich ein!" Die Eingebung entsprang wohl seinem Leichtsinn, jeglichen Schwermut zu vertreiben. "Das würde ich sehr gern." Hiroshi nickte. "Aber, ist das wirklich in Ordnung?" Katsuhiro verstand. "Du bist um meinen guten Ruf besorgt, ja? Süß!" Grinste er Hiroshi ein, dem Farbe in die Wangen stieg. Hastig wandte der sich ab. "Es gibt lediglich Regelungen über Damenbesuch." Katsuhiro streichelte sanft über Hiroshis Oberarm, wollte verhindern, dass der sich veräppelt fühlte. "Als man die Satzung aufstellte, hat man Herrenbesuch noch nicht für problematisch gehalten." Er schnitt eine Fratze. " Ich denke nicht, dass irgendjemand an einem Gast Anstoß nehmen wird. Und ICH würde mich sehr freuen, wenn du mich besuchst." Hiroshi spielte mit einem modischen Ring, den er am kleinen Finger trug. "Wissen die anderen denn, dass du...?" Als sich kein Satzende anschließen wollte, obwohl Katsuhiro höflich abwartete, ergänzte er gelassen. "Dass ich schwul bin? Ich weiß es nicht. Vielleicht vermutet der eine oder andere etwas, aber so lange ich keine intimen Beziehungen zu meinen Schäfchen unterhalte, ist meine sexuelle Vorliebe hoffentlich auch nicht relevant." Auch ohne weitere Erklärungen konnte er sich vorstellen, dass Hiroshi seinen Eltern sicherlich nicht anvertraut hatte, dass er zumindest dem eigenen Geschlecht nicht ablehnend gegenüberstand. »Heikel!« Dachte Katsuhiro, wollte aber keinen Druck ausüben. Er hatte keine Erfahrung darin, wie man in solchen Situationen KEINEN Schock bei den Beteiligten auslöste. Hiroshi schmiegte sich enger an seine Brust, in seinen Arm. Er richtete den Blick vor sich auf den Asphalt, wagte nicht, Katsuhiro anzusehen. "Deine Eltern, wissen sie es?" Erkundigte er sich bei Katsuhiro scheu. "Nein." Katsuhiro streichelte wieder sanft über die angespannte Gestalt. "Zumindest glaube ich das nicht. Sie sind bei einem Erdrutsch gestorben, als ich in der zweiten Oberschulklasse war. Also werde ich für sie wohl immer der große Junge bleiben, der Sumotori werden wollte." "Oh, Entschuldigung! Ich wollte nicht... es tut mir Leid!" Hastig entschlüpfte Hiroshi Katsuhiros wärmender Umarmung, verneigte sich so förmlich vor ihm, dass Katsuhiro in sich zusammensank. "Es gibt keinen Anlass für Entschuldigungen." Belehrte er Hiroshi beinahe ungeduldig. "Du konntest es nicht wissen, und außerdem spielt es keine Rolle. Es ist nichts dabei, wenn man sich nach der Familie erkundigt! Habe ich ja auch getan!" Das war erneut eine dieser Situationen, in denen er sich alt vorkam, nicht mehr der 'große Bruder' war, sondern das 'Onkelchen'. Manchmal verstörte es ihn, wie schnell die Zeit verging, weil er sich selbst gar nicht so alt fühlte, wie er den Anschein erwecken musste. Hiroshi warf ihm verunsicherte Blicke zu, nagte an seiner Unterlippe, zog die Schultern zusammen, weil ihn in dem dünnen Anzug fror. »Ich will nicht vernünftig sein!« Seufzte Katsuhiro innerlich, wischte sich über die kurzrasierten Haare. SELBSTVERSTÄNDLICH würde er es wieder sein, wie immer ein offenes Ohr anbieten, vielleicht sogar einen Rat erteilen. Und verzichten. »Wieder zu einem Neutrum werden.« Nannte er es stumm und melancholisch. Wahrscheinlich war es auch das, was Hiroshi gesucht hatte: jemanden, der ihm die Angst vor den eigenen Vorlieben nahm, ihm zuhörte und Mut machte. Nichts Persönliches. Katsuhiro atmete tief durch. Auch wenn er nicht mehr im Ring stand, so war er immer noch ein Sumotori. Da ließ man sich nicht einfach unterkriegen und bejammerte sein Schicksal! "Es ist schon spät." Lächelte er Hiroshi an, fasste ihn behutsam an einem Ellenbogen. "Wir sollten uns ein Taxi suchen. Immerhin haben wir morgen beide einen ganz normalen Arbeitstag auszuhalten." Hiroshi wirkte nicht mehr so souverän wie der Amateur-Host der Damenclubs. Seine Augenbrauen kräuselten sich kritisch, als sei er im Begriff, Katsuhiro zu enträtseln. "Es tut mir wirklich leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe." Entschuldigte er sich erneut. Tapfer erhob sich Katsuhiro, bot ihm eine helfende Hand. "Nicht doch. Du hast nichts Falsches gesagt oder getan." Hiroshi nahm zwar Katsuhiros Hand, behielt aber seinen Platz bei, studierte den Älteren eindringlich. "Warum bist du dann so reserviert? Gilt die Einladung in dein Wohnheim nicht mehr?" Nun war es an Katsuhiro, verblüfft auf den jüngeren Mann hinabzublicken. "Ah...du kannst mich natürlich gern jederzeit besuchen." Wiederholte er betont munter. "Ich schreibe dir gleich die Adresse auf!" "Das meine ich nicht." Hiroshi schraubte sich langsam in die Höhe, zwang seinen Gegenüber, ihm in die Augen zu sehen. "Ich bin nicht an einer Besichtigung interessiert." Dass ihm bei dieser forschen Aussage das Herz bis zu den Ohren hinaustrommelte, hoffte er inständig, vor Katsuhiro zu verbergen. Katsuhiro riss sich los, trat einen Schritt von Hiroshi weg. Er ballte die Fäuste und atmete hörbar durch. "Bitte, SO standhaft bin ich auch nicht! Ich weiß, dass du neugierig bist, aber heute Nacht will ich kein Simulator für Sex mit Männern sein." So, da war es raus. Seine schlimmste Vermutung über Hiroshis Motive. Er konnte es ihm nicht mal verübeln, doch heute Nacht...auch wenn es sentimental war: Sex ohne Bindung stand nicht mehr zur Debatte. Andererseits fürchtete er sich vor sich selbst, dass er lieber in Torschlusspanik seine ehernen Vorsätze vergaß, um sich für einige Stunden lebendig und geliebt zu fühlen. »Denk an den schalen Nachgeschmack!« Warnte er sich selbst. »Sei kein Idiot und LERNE endlich mal aus deinen Fehlern!« Hiroshi hinter ihm zerdrückte die Dose, wechselte einige Schritte zu einem Rückgabeautomaten hinüber und lehnte sich dann mit der Stirn an dessen Aluminiumfront. Katsuhiro wandte den Kopf, betrachtete die attraktive Silhouette des anderen Mannes. Er seufzte, laut, was durchaus beschämend war. »So eine Verschwendung!« Jammerte seine Libido begehrlich, aber Katsuhiro forderte sie stumm auf, die Klappe zu halten, immerhin hatten sie gerade sehr viel Vergnügen auf einer öffentlichen Toilette gehabt. Das erfüllte praktisch schon sein Jahrespensum an sexuellen Abenteuern! "Es ist kalt, Hiroshi." Bemerkte er leise, strich mit einem Finger die Außenseite von Hiroshis Rechter. "Suchen wir ein Taxi." »Ja, vernünftig, erwachsen, zurückhaltend und moralisch einwandfrei!« Ätzte seine Libido, flankiert von seinem Sinn für Romantik. »Na klar!« Schnaubte er die ungleichen Spießgesellen an. »Wie wahrscheinlich ist es, dass ein alter, fetter Ex-Sumotori von einem knackigen Host aufgerissen wird und sich die Welt in rosaroten Kaugummi-Kitsch verwandelt?! Na?! EBEN!!« Als Hiroshi nicht reagierte, schloss Katsuhiro die Hand um dessen Rechte. Hastig drehte Hiroshi den Kopf weg, wischte sich mit der Linken über die Augen. "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen." Krächzte er erstickt. "Du hast mich nicht beleidigt." Katsuhiro schnaufte leise. "Hör mal, das ist in Ordnung, Hiroshi! Ich bin geschmeichelt, wirklich. Aber..." Er beendete den Satz nicht. »Mein 29 Jahre altes Herz verkraftet es nicht mehr so gut, bloß zu spielen.« Ohne weitere Worte zog er Hiroshi einfach in die Arme, hielt ihn in einer bärigen Umarmung fest und wiegte ihn leicht. Das war bestimmt nicht einfach für den Jüngeren, er empfand Mitgefühl und auch Wehmut. Warum nur konnte er nicht so selbstlos sein und...?! "...ich bin auch einsam." Flüsterte Hiroshi halb erstickt an seinem Hals, schnüffelte leise. "Ich spiele allen immer nur etwas vor!" Er räusperte sich, grub die Finger tiefer in Katsuhiros Hemd, der seine Umarmung verstärkte. "Ich habe Angst!" Schluchzte Hiroshi an seiner Brust. "Ich habe Angst vor Sex, vor dem Schwulsein, vor dem ganzen Leben! Das ist so widerlich!!" »Oha!« Katsuhiro kannte das Gefühl gut genug. Raus aus der behüteten, übersichtlichen Schulwelt in ein starres Korsett, mit zahlreichen Erwartungen und ungeschriebenen Regeln, ein endloses Meer aus Fettnäpfchen und Rückschlägen. Da wurde man zurechtgestutzt, bis man passte, "der hervorstehende Nagel eingeschlagen". "Hab keine Angst." Summte er beruhigend, hauchte Küsse auf Hiroshis Schopf. "Nur keine Angst. Du schaffst das. Heute warst du doch schon sehr mutig! Immer eins nach dem anderen." Natürlich waren das Plattitüden, aber er hoffte darauf, dass seine Stimme Hiroshis aufgewühlte Seele erreichen konnte, sie besänftigen und aufbauen. "...tut mir leid." Murmelte es erstickt an seiner Brust, dann blickte Hiroshi zu ihm hoch, biss sich auf die Unterlippe. "Dein Hemd ist nass..." Katsuhiro zwinkerte aufmunternd. "Das trocknet auch wieder. Kein Problem." Er löste eine Hand, um behutsam mit dem Daumen Tränen von Hiroshis Gesicht zu tupfen, betrachtete ihn eingehend. "Willst du wirklich mit mir gehen?" Erkundigte er sich schließlich. "Bitte!" Hiroshi klammerte. "Bitte lass mich mitkommen!" Katsuhiro presste die Lippen aufeinander. »Mit dir ist man auch geduldig und nachsichtig gewesen!« Erinnerte ihn sein Gewissen streng. Er legte den Arm um Hiroshi, hielt ihn eng an seiner Seite und spähte nach dem Taxistand. Vielleicht kümmerte sich auch jemand um sein verirrtes Schäfchen. ~@~ Kapitel 2 - Entscheidungen - »Hoffentlich sieht mich niemand!« Knurrte Kenrou, schob ein 'beschlagnahmtes' Fahrrad und achtete darauf, dass sein Passagier nicht herunterfiel. Er hätte ihn da hocken lassen sollen, mitten auf der Straße, mit der doofen Brille und der Tüte leerer Pralinenverpackungen! Jetzt hatte er wieder nur Ärger am Hals! Außerdem musste der Knabe total plemplem sein, wiederholte immer wieder monoton dieselben Phrasen wie eine defekte Platte! Aber er HATTE ihn nicht liegen lassen., nicht liegen lassen können. Weil der blutige, halb blinde Bursche mit der zertrümmerten Sehhilfe sich als der Besitzer des kleinen Taschencomputers entpuppt hatte. Zumindest der Name, den er immer murmelte, war derselbe, die Aufforderung wortwörtlich gleich. »Und was stelle ich nun mit ihm an?!« Kenrou wünschte sich eine dritte Hand, um seine gepflegte Tolle kämmen zu können. »Hoffentlich begegne ich keinem, der mich kennt!« ~@~ Der Taxifahrer verlor kein Wort über die beiden Männer, die eng aneinander gelehnt schweigend in seinem Fond saßen. Sie wirkten nicht betrunken, was eine solche Nähe erklärt hätte, aber andererseits ging eine intensive Atmosphäre gespannter Erwartungen von ihnen aus, dass er auf leichte Konversation oder Musik verzichtete. Die Geräusche der niemals schlafenden Stadt mussten genügen. Katsuhiro hielt Hiroshi an der Hand, als er den Schlüssel aus der Tasche fischte und die Haustür öffnete. Dort warteten in zahlreichen offenen Fächern nicht nur Postsendungen, sondern auch Hausschlappen und eine alte Truhe ohne Deckel mit rosafarbenen Slippern für Gäste. Hiroshi kicherte nervös. Katsuhiro zwinkerte. "War ein Sonderverkauf. Klaut außerdem niemand." Es gab keinen Aufzug, das Treppenhaus war nur schwach beleuchtet. Leise ließen sie es hinter sich, denn Katsuhiros bescheidenes Zimmer, das er nicht teilen musste, lag im Erdgeschoss, gleich gegenüber dem Gemeinschaftsbad, den Flurtoiletten und dem Büro mit Lager. Er schloss seine Zimmertür auf und bat Hiroshi mit einer Geste hinein. Er wusste wohl, dass die Innenausstattung zu wünschen übrig ließ, trotzdem mochte er sein kleines Reich: ein bequemes Bett, in dem er trotz seiner Größe genug Platz fand; ein eigener kleiner Kühlschrank neben einer winzigen Spüle; ein Regal mit zusammengewürfelten Küchenutensilien, geschickt vom Eingang verborgen durch einen großen Kleiderschrank, zur Unterhaltung eine kleine Anlage mit einem Röhrenfernseher und einem Stapel von bunten Sitzkissen rund um einen altmodischen niedrigen Tisch. Vor den schmalen, hoch eingebauten Fenstern reihten sich Grünpflanzen in bunt bemalten Töpfen auf. "Es ist sehr gemütlich." Bemerkte Hiroshi leise, folgte Katsuhiros Einladung, es sich doch auf dem Bett bequem zu machen. Katsuhiro trat an die Hausanlage, wählte die Zimmernummer von Shinji und Yuuya. Niemand nahm ab. »Was hast du auch erwartet?« Seufzte er innerlich, kehrte sich zu Hiroshi um. Der hatte seine Anzugjacke abgelegt, trug darunter lediglich ein grob geripptes weißes Unterhemd, das seine aparte Bräune betonte. Und er fror, wie Katsuhiro trotz der reduzierten Beleuchtung deutlich erkennen konnte. Katsuhiro öffnete den großen Schrank mit den Doppeltüren, entnahm ihm Handtücher und zwei Yukatas. Er streckte Hiroshi die Hand hin, der sich hastig erhob, beinahe mit den rosafarbenen Slippern stolperte und sich an ihm festhielt. Vor den Gemeinschaftsduschen wartete eine lange Bank mit Plastikschlappen darunter. Sie legten ihre Kleider ab, ein wenig verlegen, obwohl sie doch oft genug in Gesellschaft anderer Männer gebadet hatten. Katsuhiro legte einen Finger auf die Lippen, um zu signalisieren, dass sie besser schweigen sollten, weil sich Geräusche weit im Haus übertrugen, zumindest in diesem großen Raum. Er justierte die Brause, stellte seine kleine Waschschüssel mit Shampoo, Bürste, Lappen und Duschgel ab, winkte Hiroshi heran. »Wow!« Registrierte Katsuhiros Reptiliengehirn. »WOW!!« Hiroshi dagegen begann wohlerzogen, Katsuhiro den Rücken zu schrubben. Höflich, aber auf unbestimmte Weise auch ärgerlich, befand Katsuhiro, der nicht schon wieder an sein biblisches Alter erinnert werden wollte. Kurzerhand wirbelte er herum, schlang einen Arm um den überraschten Hiroshi und zog ihn fest an seinen Leib. Wozu benötigten sie Lappen und Bürsten?! Mit der freien Hand bestrich er Hiroshi nachdrücklich mit Duschgel, schäumte ihm die nassen Haare auf, vertrieb energisch die letzten Spuren von nächtlicher Kälte. »Wenn schon, denn schon!« Rechtfertigte er sich vor sich selbst. Dass Hiroshi die Arme um ihn schlang und ihn küsste, tat seiner Entschlossenheit keinen Abbruch. ~@~ Katsuhiro schlug die Tagesdecke zurück, legte Kondome und Gleitcreme neben die Kopfkissen, die er aufgeschüttelt hatte. »Wie gut, dass die Hoffnung zuletzt stirbt.« Dachte er und war dankbar dafür, immer wieder einen bescheidenen Vorrat an Hygieneartikeln zu horten. Üblicherweise nahmen andere diesen Service in Anspruch, aber dieses eine Mal würde er das ausgelegte Geld nicht zurückerstattet bekommen. "Schnell, sonst frierst du!" Mahnte er Hiroshi, der zögernd hinter ihm stand. Artig glitt der nun an ihm vorbei, schlüpfte unter die Decke und zog sie bis unter das Kinn hoch. Katsuhiro ließ seine Yukata fallen, sammelte sie vom Boden auf und drapierte sie auf den niedrigen Tisch in Gesellschaft der Yukata von Hiroshi. Er dämpfte die Beleuchtung auf eine Duftkerze in einer alten Laterne, dann glitt er zu Hiroshi unter die Bettdecke. Mutig rückte er heran, kämmte feuchte Strähnen aus dem attraktiven Gesicht, das ihn angespannt, aber auch erwartungsvoll musterte. "Es gibt ein paar Regeln." Dozierte er leise, tippte Hiroshi auf die Nasenspitze. "Nummer eins: Nein bedeutet hier auch Nein. Nummer zwei: ich sage, was mir gefällt, damit ich mich verwöhnen lassen kann. Nummer drei: wir haben Spaß. Wir wollen uns beide wohlfühlen. Nummer vier: keine Gewalt. Alles verstanden?" Hiroshi nickte artig, schluckte sichtbar. "Gut!" Lobte Katsuhiro, wollte auch die eigene Nervosität abschütteln. Angeblich war Sex wie Fahrrad fahren, man verlernte es nie, aber auch Radfahrende rosteten ein, benötigten Sturzhelme und viel Schmiermittel, damit sie keinen Salto hinlegten. "Wir spielen ein Spiel, in Ordnung?" Katsuhiros Nasenspitze streichelte die Hiroshis. "Jeder denkt sich einen bestimmten Punkt an seinem Körper aus. Der andere muss diesen Punkt finden, ohne den Einsatz von den Händen. Als Hinweise sind lediglich 'heiß' und 'kalt' erlaubt!" "Einverstanden." Antwortete Hiroshi, räusperte sich. "Darf ich beginnen?" Katsuhiro rollte sich bequem auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Hinterkopf und schloss die Augen. "Dann such meinen Hotspot!" ~@~ Kenrou massierte sich energisch die Nasenwurzel und atmete konzentriert tief durch. Vor ihm schwankte der undefinierbare Bursche mit seinen zerrissenen Kleidern, dem blutig verklebten Gesicht und wiederholte unablässig. "Bitte fassen Sie mich nicht an. Ich möchte nicht angefasst werden. Bitte fassen Sie mich nicht an..." »Schon klar!« Grummelte Kenrou. »Irgendwann musste ich ja mal eine richtig ätzende Pechsträhne erwischen!« Er seufzte laut, streckte einen Gurt seines Rucksacks hin. "Da, fass an!" Der Trick funktionierte: artig ergriff der seltsame Knabe den Träger mit beiden Händen, als sei es ein Rettungsanker. »Geht doch!« Triumphierte Kenrou ermutigt. Auch wenn es für einen Yakuza überhaupt nicht schmeichelhaft war, wirkte er auf Kinder und kleine Hunde wie ein Magnet. Zwangsweise hatte er sich eine bestimmte Verhaltensweise angeeignet, um mit solchen Situationen umzugehen. Und manche undichten, sabbernden Kleinkinder wollte er auch nicht direkt anfassen! "Pscht!" Signalisierte er mit der freien Hand, nahm seinen Rucksack am anderen Träger und huschte auf Zehenspitzen in das niedrige Holzhaus. Obwohl er von der Straße aus den überdrehten Lärm einer Fernsehshow hörte, war er doch vorsichtig. »Der alte Knacker liegt sicher noch auf der Lauer!« Nervös spähte er in das Aufenthaltszimmer. Auf dem Bildschirm kasperten irgendwelche Semi-Prominente, es wurde gekichert und lautstark herumgealbert. Vor einem gefüllten Aschenbecher lag sein Großvater, den kahl rasierten Schädel auf die verschränkten Arme abgelegt, schnarchte vernehmlich. Kenrou ließ seinen Rucksack los und schob die schwergängige Tür zu seinem kleinen Zimmer auf, winkte seinen gruseligen Begleiter hastig hinein. Die abgeschabten Slipper in der einen Hand, den Rucksackgurt in der anderen hoppelte der hinein, wurzelte wieder artig in der Zimmermitte an. Erleichtert, dass er ungesehen mit seinem ungebetenen Besuch in sein Zimmer gelangt war, schob Kenrou die Tür wieder zu und klemmte einen Keil ein. "In Ordnung!" Munterte er sich selbst auf. "Das ist doch ganz gut gelaufen." Er öffnete die Schiebetür zum kleinen Garten und dem winzigen Häuschen mit Badezuber und Toilette, kramte eilig in einem Karton, um eine Zeitung auszuwählen. Er breitete sie neben einem Stapel Manga aus, streckte die Hand nach den Slippern aus. "Wir stellen sie hier ab, klar?" Tatsächlich schwenkte der Fremde den Arm wie einen Kran aus, überreichte die Schuhe. "Ich mache jetzt Licht." Kündigte Kenrou an, griff unter die Decke, wo eine Lampe mit Zugschalter baumelte. Nun, im Pegel des Lichtscheins, konnte er den Fremden genauer in Augenschein nehmen. In der verklebten Maske aus Blut, Schmutz und glitzernden Splittern blickten zwei schwarze Augen unverwandt, um nicht zu sagen intensiv in sein Gesicht. Forschend. »Liegt vielleicht an der fehlenden Brille.« Mutmaßte Kenrou, der solche durchdringenden Blicke nur von anderen 'Familienangehörigen' kannte. "Schön hier stehen bleiben." Kommandierte er, wandte sich von seinem seltsamen Gast ab, suchte nach einem zweiten Paar Schlappen. "Und so lautet der Plan!" Verkündete er aufgeräumt. "Wir gehen da rüber, waschen das Blut ab und verbinden deine Wunden." Die schwarzen Augen blinzelten nicht mal. "Hast du gehört, was ich gesagt habe?" Kenrou zog kritisch eine Augenbraue hoch. Automatisch streckte er eine Hand aus, wollte nach einem Ellenbogen fassen, doch bevor er überhaupt Kontakt aufnehmen konnte, spulte der Fremde wieder hastig seinen Monolog ab. "Schon gut, schon gut!" Kenrou riss beide Hände hoch. "Nicht anfassen, alles klar!" »Was aber tun?« Grübelte er. Vielleicht den Rucksack mitnehmen? Er las seinen Rucksack auf, kramte in dessen Innereien. »Wie heißt er noch mal?! Yuuya?« Kenrou fummelte den Taschencomputer heraus. Sofort erwachte Yuuya wieder zum Leben, umklammerte seinen Computer mit beiden Händen, klappte ihn wie gewohnt auf und wurde von seinem Hologramm empfangen. "Den habe ich...gefunden! Ja, in einem Aufzug! Im Einkaufszentrum." Improvisierte Kenrou hastig, doch Yuuya schenkte ihm keine Beachtung. "Oh oh. Oh oh. Der Akku ist leer. Das ist nicht gut." "Hast du ein Ladegerät?" Kenrou überging die unhöfliche Reaktion, beugte sich neugierig über den Computer. "Kein Ladegerät. Genug Strom für acht Stunden. Geschätzte Rückkehr um 10 Uhr." Yuuya wirkte unruhig, was Kenrou an Kleinkinder mit Spielzeug ohne Batterie erinnerte. "Morgen bringe ich dich nach Hause. Dann kannst du deinen Computer auch wieder aufladen. Jetzt gehen wir erst mal das Blut abwaschen. Nimm ihn ruhig mit." Wies er mit dem Kinn auf das kleine Gerät. Das schien Yuuya zu beruhigen, denn er glitt artig in das Paar Schlappen und folgte Kenrou in die kleine Hütte, die als Badezimmer und Toilette diente. Kenrou zündete eine alte Sturmlaterne an, packte sein Feuerzeug wieder in die Hosentasche und winkte Yuuya heran. Er schob einen kleinen Hocker über den Bodenabfluss, klopfte auffordernd auf die Sitzfläche und zog sich einen Schritt zurück, damit Yuuya sich nicht zu bedrängt fühlte und auch tatsächlich Platz nahm. "Kein Strom." Wiederholte der leise, murmelnd. "Unbedingt Akku mitnehmen. Kein Strom. Nächstes Mal Ersatz-Akku mitnehmen." Kenrou ignorierte den monotonen Singsang, füllte Wasser in eine kleine Plastikschüssel und taufte einen Lappen gründlich. Er baute sich mit Lappen und Schüssel vor Yuuya auf, erwog die nächsten Schritte. "Leg den Kopf in den Nacken." Kommandierte er schließlich und begann energisch, das Blut abzutupfen. Da er Yuuyas Unruhe spürte, der offenkundig Mühe hatte, den Kontakt auszuhalten, währte die Säuberungsaktion länger als erwartet. Dann musste verbunden werden mit dem Material, das er auf dem Heimweg noch besorgt hatte. Auch im Verpflastern hatte er sich einige Kenntnisse erworben, weil jedes Häufchen Elend unter vierzehn Jahren automatisch bei ihm einlief. »Komischerweise wirkt das nicht mehr, wenn die Mädels älter sind.« Er schüttelte den Kopf. Und staunte, denn unter dem Blut der Platzwunde, dem Schmutz und den verklebten Haaren hatte er ein ebenmäßiges, ja, sogar schönes Gesicht freigelegt. Die schwarzen Augen studierten ihn durchdringend, die Litanei hatte auch aufgehört. Unwillkürlich schnitt Kenrou eine Grimasse, um die Spannung zu lösen. Sein Gegenüber blinzelte verwirrt, musterte ihn eindringlich, als gelte es, ein schwieriges Rätsel aufzuklären. »Sieht schlecht und hat einen Schock. Großartig!« Schnaubte Kenrou stumm, schälte sich aus seiner demolierten Jacke und hängte sie an einen Haken. "Also, deine Hosen kannst du vergessen. Und die Socken..." Kenrou schüttelte den Kopf. Das Blut, das nicht die zerrissene Hose getränkt hatte, war hinunter bis zu den Socken gelaufen. Unschlüssig ging er vor Yuuya in die Hocke, betrachtete die Hose. Sollte er ihm heraushelfen? Andererseits klebte der Stoff auf der Haut. "Yuuya." Kenrou sah hoch, klatschte kurz in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren, denn Yuuya zupfte ratlos an seiner Hose. Ruckartig schnellte dessen Kopf hoch. "Yuuya, ich werde die Hose aufschneiden. Das ist kein Grund, Angst zu bekommen, verstanden?" Er bemerkte, dass die schwarzen Augen nicht mehr so klar wirkten, die Haltung weniger aufrecht als erschöpft aussah. Um ihn abzulenken, bat er Yuuya, doch etwas über seinen Computer zu erzählen. Das löste einen Monolog auf, der Kenrou die Kinnlade herunterklappen ließ. Offenkundig hatte dieser merkwürdige Knabe die Anleitung aufwendig gelernt. Zumindest hörte es sich so an. Kenrou erinnerte sich an seine Aufgabe, kam aus der Hocke und zog aus seinem Rucksack sein Messer. Dabei handelte es sich nicht, wie man naheliegend vermuten konnte, um eine Waffe. Nein, es war sein persönliches Werkzeug für die Blumenkunst und entgegen jeder Tradition verfügte es über eine Keramikklinge. Den Blick fest auf einen Punkt an der Wand gerichtet spulte Yuuya noch immer Erklärungen zu dem kleinen Wunderwerk moderner Technik ab, während Kenrou vor ihm kniete und sich bemühte, Stoff von Haut zu trennen. Die blutigen Fetzen entsorgte er in eine Plastiktüte, fügte ihr auch gleich die Socken hinzu. "Gut." Ächzend ob der unbequemen Haltung richtete er sich auf. "Nun runter mit der Jacke! Die Ellenbogen sind zwar durch, aber da könnte man Flicken draufnähen." Allerdings musste er Yuuya erst dazu bewegen, abwechselnd eine Hand von seinem Computer zu lösen, um ihn aus den Ärmeln zu fädeln. Grob wischte er über die blutigen Spuren auf der Jacke, vermutete aber anhand der bescheidenen Resultate, dass hier nur noch ein Wunder helfen konnte. Schulterzuckend hängte er Yuuyas Jacke neben seine eigene an die Hakenleiste. Vor ihm saß nun ein junger Mann mit blanken Armen und Beinen, die Füße bloß, lediglich in einen Slip und ein verschwitztes Hemd gekleidet. "So, jetzt wäschst du dich, während ich dir ein T-Shirt hole." Ordnete Kenrou streng an, wechselte das Wasser in der Schüssel und angelte einen quietschgrünen Kunststoffschwamm heran. "Wir müssen auch noch deine Ellenbogen verbinden, also Vorsicht mit den Wunden!" Da sich Yuuya gehorsam mit der Schüssel auf dem Schoß daran begab, seinen Oberkörper abzureiben, das Hemd bereits artig der Plastiktüte anvertraut, huschte Kenrou eilig über den Hof. Angestrengt lauschte er auf verräterische Geräusche oder Bewegungen im benachbarten Zimmer, doch außer der Kasperei aus dem Fernseher zeigte sich nichts Verdächtiges. Er fischte aus dem Wandschrank ein T-Shirt, hängte es sich über die linke Schulter und präparierte danach den großen Futon, den er sich mit seinem Gast teilen würde. »Was für ein verrückter Tag!« Stellte er fest und unterdrückte ein herzhaftes Gähnen. Jetzt musste er seinen seltsamen Bettgenossen bloß noch dazu bringen, friedlich einzuschlafen. Als Kenrou die kleine Hütte betrat, kauerte Yuuya mit abgeklappten Beinen auf dem kalten, ungeschickt gefliesten Boden. "Was ist los? Geht's dir nicht gut?!" Sofort ging Kenrou neben ihm in die Hocke, vergaß die Ermahnungen und legte einen Arm um Yuuyas Schultern. Wie aufgezogen folgte nicht einen Herzschlag später eine schrille Antwort. "Mein Name ist Yuuya Tamamori, es freut mich, Sie kennenzulernen, ich bin Autist, bitte fassen Sie mich nicht an, guten Tag." Bevor Yuuya den zweiten Umlauf der 'Schallplatte' starten konnte, zog Kenrou seinen Arm zurück und versuchte es mit einer Ablenkung. "Hier ist das T-Shirt. Bitte zieh es doch über!" Erstaunlicherweise gelang es dem ungelenk wie ein gerade geborenes Fohlen kauernden Yuuya, sich das Hemd überzustreifen, ohne die Wunden zu berühren. Kenrou nutzte die Gelegenheit, die Ellenbogen mit Mullverbänden zu bandagieren. Anschließend kniete er sich vor Yuuya hin. "Die Hände auf meine Schultern!" Forderte er barsch, sorgte auf diese Weise dafür, dass Yuuya sich aufrichten musste. "Rechten Fuß auf den Boden!" Yuuya schwankte zwar, doch Kenrous Hand in den Kniekehlen löste den gewünschten Effekt aus: taumelig, aber aufrecht stand Yuuya vor ihm. Hastig rappelte sich auch Kenrou auf, tippte auf eine Gürtelschlaufe an seiner Hose und kommandierte. "Hier festhalten, Computer nicht loslassen!" Er löschte noch die Laterne, dann zuckelte er mit Yuuya los, der sich brav an der Gürtelschlaufe führen ließ. »Gleich habe ich es geschafft!« Kenrou spürte nun auch seine Müdigkeit und die schmerzenden Knochen. Aber er war schließlich ein Yakuza, da musste man so was wegstecken! Wie ein Kind deckte er Yuuya bis unter die Nasenspitze zu, stopfte die Bettdecke fest, legte dessen Haargummi zu den Pralinenverpackungen und der zerschlagenen Brille in die Konfiserietüte. Der Verband um den Kopf reichte seiner Ansicht aus, um den Schopf zu bändigen. "Gute Nacht, Yuuya." Wünschte er, löschte das Licht und streifte sich rasch Hemd, Hose und Socken vom Leib. "Gute Nacht..." Stockte sein Schlafgenosse. Kenrou grinste. "Mein Name ist Kenrou. Nenn mich einfach Ken." "Gute Nacht, Ken." Spulte Yuuya wohlerzogen ab. Als sich Kenrou zur wohlverdienten Ruhe bettete, hörte er den jungen Mann neben sich leise murmeln. Er strengte sich an, die Worte zu verstehen und stutzte. Sprach Yuuya etwa von Sternen und Planeten?! Tatsächlich hörte es sich wie die Beschreibungen an, die man in der Zeitung las, wenn es um jahreszeitliche Konstellationen von Himmelskörpern ging. »Na ja, muss ja nicht jeder Schafe zählen.« Kenrou schmunzelte in die Dunkelheit und vergaß, dass er sich danach erkundigen wollte, was genau ein Autist war. Aber er war sich recht sicher, dass es etwas mit Außerirdischen zu tun haben musste, denn dieser Yuuya war eindeutig nicht von dieser Welt! ~@~ Katsuhiro wusste nicht, wie viel Zeit sie damit verbracht hatten, den geheimnisvollen Punkt am Körper des jeweils anderen auszumachen, aber nun waren sie aufgewärmt, erleichtert, gut gelaunt. Kitzeln, kichern, küssen: das war der richtige Auftakt! Hiroshi streckte sich wie eine Katze neben ihm aus, zwinkerte träge und leckte sich über die Lippen. Als Belohnung hatte Katsuhiro eine weitere Praline in Aussicht gestellt und die konditionierten Reflexe zeigten Wirkung. Mittlerweile war es ihm gleichgültig, ob er nur diese eine Nacht haben würde. Viel zu lange hatte er dieses Vergnügen vermisst, jemanden, mit dem er lachen und lieben konnte. Zumindest das Letztgenannte stand noch bevor, doch Katsuhiro zweifelte nicht daran, dass ohne die lähmende Nervosität auch hier ein Erfolg verbucht werde. Er schob Hiroshi die Praline in den Mund, verfolgte fasziniert, wie der auf den Genuss reagierte, sich wand, seufzte und stöhnte, mit flatternden Lidern um Atem rang. »Dein Einsatz, los doch!« Jubilierte seine Libido, die Askese für überschätzt hielt, wies Katsuhiro an, endlich seine Hände zu gebrauchen. »Eintüten und Einölen, aber hurtig!« Abgelenkt durch Finest Delight Kalorienbomben versteifte sich Hiroshi nicht, als Katsuhiro die Vorsorgemaßnahmen traf, sich dann hinunterbeugte, um ebenfalls eine Mundvoll Schokolade zu stibitzen. "Hiroshi?" Er wisperte leise an den dunkel verschmierten Lippen. "Halte dich nicht zurück." Der blinzelte, sortierte noch Worte und Bedeutung, als Katsuhiro schon handgreiflich wurde, den vor Wärme strahlenden Körper liebkoste, die Erektion keinen Augenblick freigab, während er Spuren auf dem attraktiven Mann zog. Er hörte Hiroshi leise keuchen, spürte die Anspannung, genoss die Fingerspitzen, die über seinen Rücken, durch seine kurzgeschorenen Haare glitten. An Hiroshis Ohr wisperte er, der möge sich doch noch eine Praline nehmen, führte ihn in Versuchung, um genau abzupassen, wann er mit den Fingern den ersten Vorstoß wagen konnte. Zu seiner Überraschung verspannte sich Hiroshi nur für einen Augenblick, seufzte dann und ließ sich inwendig streicheln. Katsuhiro fiel es immer schwerer, seine Gedanken zu fokussieren. Er WOLLTE so sehr mit diesem pralinensüchtigen Mann verschmelzen, dass ihm die Brust eng wurde. Nur mit großer Mühe konnte er sich zurückhalten, musste sich ermahnen, dass es Hiroshis erstes Mal war. Als dessen Füße sich jedoch von der Matratze lösten, um mit den nackten Zehen über Katsuhiros Kehrseite zu streichen, war es um seine Willensstärke geschehen. Er hob Hiroshis Becken höher auf seine Oberschenkel, drängte gegen Hiroshis Schließmuskel. Ein unterdrücktes Stöhnen später war die enge Passage genommen. Hiroshi keuchte heftig an seinem Ohr, umklammerte seinen Nacken. Katsuhiro zwang sich, eine Pause einzulegen, küsste Hiroshi auf eine glühende Wange. Dann nahm er erneut Anlauf, verstärkte die Verbindung, verankerte sich in Hiroshis Leib. Der ließ ihn los, sich rücklings auf die Matratze fallen, grub die Finger in die Matratze. Katsuhiro beugte sich tiefer, leckte über Hiroshis Kehle, den Unterkiefer, küsste atemlos jede erreichbare Stelle. Ungeduldig wartete er auf den ersten tiefen Atemzug von Hiroshi, dann wagte er, sich zu bewegen, eine stoßende Bewegung aufzunehmen. Hiroshi bäumte sich unter ihm auf, ächzte und stöhnte, besprühte sich und Katsuhiro mit winzigen Speichel- und Schokoladentröpfchen. Mit geschlossenen Augen ließ Katsuhiro sich einfach treiben, folgte ihrem gemeinsamen Rhythmus, bis Hiroshi sich ergab. Von dessen muskulärem Orgasmus angefeuert suchte er selbst schnell Erlösung. Katsuhiro entsann sich gerade noch rechtzeitig, dass er zur Seite abrollen musste, unterbrach die intime Verbindung und kugelte sich ächzend auf den Rücken neben Hiroshi. So gern er auch die prickelnde Entspannung danach genoss, hier musste er sich und das eigene Vergnügen hintanstellen. Er wischte sich mit einer flachen Hand über das Gesicht, rieb es kräftig. Dann stützte er sich auf einen Ellenbogen, studierte Hiroshi, der noch immer nach Luft rang. Vorsichtig, zögerlich streckte er die freie Hand aus, um sanft über Hiroshis glühendes Gesicht zu streicheln. »Sommersprossen aus Schokolade.« Grinste er zärtlich, beugte sich hinüber und küsste Hiroshi auf die Stirn. "Geht es wieder?" Erkundigte er sich leise und hoffte, dass er nicht zu grob gewesen war. Hiroshi rollte sich auf die Seite, schmiegte sich an Katsuhiro und vergrub das Gesicht an dessen Brust. Schweigend streichelte Katsuhiro über Hiroshis Rücken, wartete, bis sich das Zittern verabschiedet hatte. "Entschuldige." Wisperte er leise, drehte Hiroshi auf den Rücken und fischte die Taschentücher heran. Hiroshi legte sich einen Unterarm über die Augen, biss sich auf die Unterlippe. "Nur einen Augenblick." Besänftigte Katsuhiro, zog erst die Kondome ab, bevor er ihre Haut abtupfte. Er schob anschließend eine Hand zwischen Hiroshis fest geschlossene Beine. "Hiroshi?" Katsuhiro streichelte über Hiroshis feuchte Strähnen. "Nur einen Moment, ja?" Zögerlich gab Hiroshi nach, stellte die Beine auf. Katsuhiro legte die Linke flach auf Hiroshis Bauch, streichelte kreisrund, um die Nervosität zu vertreiben, während er mit der Rechten die Taschentücher zum Einsatz brachte. »Kein Blut.« Registrierte er erleichtert, tupfte behutsam. »Nur die Nachwehen.« Er verbannte die traurigen Reste aus dem Bett, sackte wieder zusammen und räkelte sich. Sofort kuschelte Hiroshi sich an seine Seite, streichelte mit der Linken über das Narbengewebe auf Katsuhiros Schulter. Katsuhiro respektierte das Schweigen, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, wenn Hiroshi ihm gesagt hätte, dass alles in Ordnung sei. Er legte stattdessen seine Rechte auf Hiroshis Ellenbogen, streichelte mit dem Daumen über die weiche Haut. Er bemerkte, wie Hiroshi sich entspannte, dessen Atem gleichmäßiger, tiefer wurde. »Dann schlaf gut, Hiroshi.« Wünschte er wortlos, schloss die Augen. Der Morgen würde früh genug kommen. ~@~ Es knackte vernehmlich. Kenrou blinzelte, rieb sich über die verklebten Augen, bevor sein Gehirn in höchsten Alarmzustand versetzt wurde. Als er gerade mit abgeschüttelter Decke zur Schiebetür sprang, hatte sein Großvater schon den Sieg über den Keil davongetragen und dröhnte ins Zimmer. "Du fauler Sack, heb deinen Hintern! Mach Frühstück! Warum habe ich bloß so eine Pflaume zum Enkel!?" "Kannst du nicht klopfen?! Und schrei nicht so rum, Opa!" Hielt Kenrou dagegen. Eine weitere Kanonade von Schimpfworten saß seinem Großvater bereits auf der Zunge, um mit genüsslicher Grausamkeit über den einzigen Enkel ausgeschüttet zu werden, als die flinken Augen sich weiteten. »Oh verdammt!« Kenrou blähte sich verzweifelt auf, um weitere Einblicke zu verhindern. "Du verdammte Rotzgöre hast dein Komma ausgeführt?! Und ich dachte schon, wir müssten uns ne Ziege kaufen!" Ein meckerndes Lachen begleitete die Zoten, dann gelang es Kenrou endlich, die Schiebetür zu schließen. "Hau ab!" Brüllte er mit hochrotem Kopf durch das Papier, ballte die Fäuste. Familie hin oder her, manchmal HASSTE er sein Leben! "Ist das ein Hund?" Erkundigte sich eine ruhige Stimme hinter ihm. Kenrou senkte den Kopf, lehnte die Stirn gegen die Schiebetür. "Ein wilder Hund!" Betonte er, obwohl das nicht gerade einen großen Unterschied machte. Andere Yakuza bekamen Tiger, Drachen, Schlangen, Götter und Dämonen: ihm hatte sein Großvater einen wilden Hund übergebraten! Das brachte ungefähr so viel Ansehen wie ein Gebiss mit drei Zähnen! "Von einem Holzschnitt, nicht wahr? Sehr hübsch. Wie lange?" "Wie lange was?" Kenrou richtete sich auf. Wenigstens klang Yuuya nicht angeekelt. "Die Tätowierung. Wie lange hat es gedauert?" Er hörte, wie sich sein Gast aus der Decke wickelte und ihm näherte. "Vier Monate." Antwortete Kenrou dumpf. Üble Schmerzen, nur auf dem Bauch liegen und ab dem vierzehnten Lebensjahr nie mehr mit nacktem Oberkörper herumlaufen. "Das ist dein Name, da oben, richtig?" Er spürte Yuuyas Atem auf seiner nackten Haut, nicht unangenehm, sogar tröstend. "Stimmt." Gab sich Kenrou gelassener, als er war. Wenn sein Großvater spitz bekam, dass er keineswegs 'sein Komma ausgeführt' hatte, sondern sich den Futon mit einem anderen Mann teilte, und sei es für eine Nacht, dann wäre der Teufel los. "Praktisch." Kommentierte Yuuya hinter ihm gerade. "So kann man gleich den Körper identifizieren." Kenrou wandte sich um und zog eine Augenbraue kritisch hoch. Sollte das ein Scherz sein? Eine Anspielung? Aber Yuuya wirkte so rätselhaft ausdruckslos wie zuvor, allerdings aufgrund der Erholung durchaus attraktiver als der blutverkrustete Zombie vom Vorabend. "Du bist ein Yakuza, oder?" Wieder schienen die schwarzen Augen ihn wie Röntgenstrahlen durchdringen zu wollen. »Wieso braucht der Bursche eine Brille?! Sieht doch genug?!« Knurrte Kenrous angeschlagener Stolz grantig. Er seufzte, wischte sich durch die Haare, die noch nicht in der imposanten Tolle frisiert waren. "Ich bin zwar in eine Yakuza-Familie geboren, aber du musst keine Angst haben." "Warum nicht?" Der Außerirdische vor ihm zeigte eine geradezu selbstmörderische Neugierde. "Weil ich nicht vorhabe, dir einen überzubraten?!" Schnaubte Kenrou bissig. "Das wäre auch unlogisch, nachdem du mich gestern verbunden hast." Stellte Yuuya vollkommen unbeeindruckt fest. Kenrou blinzelte. Die Worte sanken, nisteten sich ein. Er hielt dem Blick der schwarzen Augen stand, bewunderte unbewusst die Symmetrie des Gesichts, den Glanz der langen Haare. Mit einem Seufzen gab er sich geschlagen. Wem wollte er etwas vormachen?! "Ziehen wir uns an, bevor mein bekloppter Großvater den nächsten Angriff auf meine Privatsphäre startet." Nachdem er einige Kleidungsstücke aus seinem Schrank ausgelegt hatte, fischte er sein Mobiltelefon aus dem Rucksack. "Ich rufe eben meinen Boss an, damit ich mir den Wagen leihen kann." Erklärte er. Yuuya kleidete sich umständlich an und wartete, den Computer in der Rechten, die Tüte in der Linken. "Hippie?! Ist das wahr, Junge?! Dein Großvater verbreitet überall, dass du heimlich eine Schönheit vernascht hättest! Unter seinem Dach!" Kenrou wich die Farbe aus dem Gesicht, während er Yuuya anstarrte. "Komm schnell vorbei, Casanova, bring deine Süße mit dem Transporter heim!" ~@~ Das Geräusch des gewohnten morgendlichen Lärmens weckte Katsuhiro aus einem viel zu kurzen Schlaf. Er setzte sich auf, zupfte die Bettdecke zurecht, um Hiroshi zu wärmen, der sich neben ihm zusammengerollt hatte. Doch es half alles nichts. Katsuhiro rieb sich den Schlaf aus den Augen, kletterte über Hiroshi hinweg, las seine Yukata vom Beistelltisch auf und wickelte sich darin ein, dann räumte er ein wenig auf, überlegte, wie viele Becher Kaffee wohl nötig sein würden, um seine Augenlider oben zu behalten. "Katsuhiro?" Hiroshi richtete sich auf, versuchte vergeblich, die zerwühlten Strähnen zu glätten. Er wirkte zerzaust und ein wenig verquollen. Katsuhiro wandte sich um, lächelte. "Guten Morgen. Hast du einigermaßen gut geschlafen?" Hiroshi ließ die Hände auf die Bettdecke fallen, errötete. "Guten Morgen..." Er räusperte sich. "Ich mache Kaffee, möchtest du auch einen? Oder lieber Tee?" Katsuhiro dachte darüber nach, wann er wohl Hiroshi ohne großes Aufsehen in die Gemeinschaftsdusche schleusen konnte. "Kaffee wäre sehr gut, danke schön." Murmelte Hiroshi heiser. "Kein Problem, kommt umgehend." Gab sich Katsuhiro munter. Er rechnete nicht damit, dass Hiroshi das Bett verließ und ihn von hinten umarmte. "Alles in Ordnung?!" Katsuhiro wandte sich herum, erwiderte die Umarmung besorgt. "Mir ist kalt ohne dich." Wisperte Hiroshi mit belegter Stimme, zupfte Katsuhiros Yukata auf, um sich an dessen nackte Front zu schmiegen. »Oh OH!« Katsuhiro holte tief Luft. »Tu das nicht!« Aber zu spät, denn auch Hiroshi reagierte auf die intime Nähe. "Oh, Verzeihung!" Er blinzelte, wich aber nicht zurück, schwankte offenkundig zwischen Flucht und Sehnsucht. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, wisperte rau. "Können wir noch mal?" Katsuhiro küsste Hiroshi auf die Stirn. "Bist du sicher? Das ist ziemlich kurzfristig." "Na ja..." Hiroshi streichelte Katsuhiros Kehrseite. "Vielleicht können wir tauschen?" Vollkommen verblüfft sackte Katsuhiro der Unterkiefer herunter. "Willst du nicht? Ich gebe mir auch Mühe!" Versicherte Hiroshi treuherzig, doch das Funkeln in seinen nun gar nicht mehr müden Augen verriet ihn. Da musste Katsuhiro wohl Farbe bekennen. "Also...ich habe noch nie..." "Ein erstes Mal gegen ein erstes Mal." Zwinkerte Hiroshi, um dann ernst zu werden. "Wie kann ich dich überzeugen?" "So wichtig ist es dir?" Katsuhiro verdrängte das beschämende Geständnis, studierte Hiroshi verwirrt. "Regel Nummer zwei: sag, was dir gefällt." Entgegnete Hiroshi, leckte sich angespannt über die Unterlippe. "Ich möchte noch mal mit dir schlafen." Automatisch langte Katsuhiro nach der Kaffeemaschine, stellte sie aus. "In Ordnung." Pflichtete er bei, legte einen Finger unter Hiroshis Kinn, um es sanft anzuheben. "Du berücksichtigst aber, dass ich ein Anfänger und alt bin, ja?" Hiroshi grinste schief, rieb eine Wange an Katsuhiros Brust. "Hilf mir ein bisschen, dann wird es auch schön." Katsuhiro seufzte, knuddelte Hiroshi und spürte, wie der Körperkontakt sie erneut elektrisierte. "Dann bring mich zu Bett." Raunte er Hiroshi zu, überließ ihm die Führung. Dieses Mal war kein Spiel vonnöten, um sie aufzuwärmen und vorzubereiten. Der Duft von Frühstück schmuggelte sich durch das gesamte Wohnheim, Getrappel und Stimmen wurden zu einem Hintergrundrauschen, das sie selbst in einer Oase verbarg. Sie mussten nicht eilig den Tag beginnen, konnten die ersten Sonnenstrahlen erblicken, sich aneinander berauschen. Hiroshi kauerte auf Katsuhiro, außer Atem, zerzaust und bezaubernd errötet. Er fasste nach Katsuhiros Händen, drückte sie ermutigend, zwinkerte sogar. Der hob tapfer das Gesäß an, atmete flach und hörte sich selbst schnaufen wie eine Dampflok. Das erste Mal, dass jemand überhaupt die Idee hatte, er könne auch mal das empfangende Ende sein. Katsuhiro hatte das sichere Gefühl, dass Hiroshi etwas beweisen wollte. Doch sollte er ihn aufhalten? Hatte er ihm nicht selbst Mut zugesprochen? Und war er selbst nicht neugierig, wie ES war? Er spürte Hiroshis Hand auf seiner Wange, dann angelte der über ihn hinweg nach dem traurigen Rest des Pralinenvorrats, wählte eine aus, um sie mit den Zähnen zu schälen und dann in Katsuhiros Mund zu deponieren. "Mhhmmmmmm!" Schnurrte Katsuhiro rollig, lutschte die Praline an und schloss die Augen. »Das wird sicher gut!« ~@~ Katsuhiro blinzelte, fokussierte endlich seinen Blick. Direkt über ihm lehnte Hiroshi, offenkundig besorgt. Und verschreckt? "...washabichgdan?!" Nuschelte Katsuhiro undeutlich, fühlte sich merkwürdig benommen. Eben noch hatten sie doch... und er lag ja auch noch auf seinem Bett...also?! "Ist...ist alles in Ordnung?" Hiroshi sah nicht nur besorgt aus, er klang auch piepsig. Eilig nahm Katsuhiro eine kurze Bestandsaufnahme vor: er spürte Zehen und Fingerspitzen. Das war gut. Sein Kiefer schmerzte, etwas pochte in seinen Zähnen. Das war nicht so gut, aber keineswegs unbekannt. Er neigte bei Stress zu gewissen Kompensationsverhaltensweisen. Zähne zusammenbeißen gehörte dazu. "Was habe ich angestellt?" Erkundigte er sich, dieses Mal wohlartikuliert. Er war nicht betrunken, dessen war er gewiss, sodass ein alkoholbedingter Blackout ausschied. "Na ja..." Unerwartet heftig errötete Hiroshi über ihm, drehte hastig den Kopf weg. »Weia!« Schoss es Katsuhiro durch den Kopf. »Ich werde doch nicht irgendwas Unanständiges gesagt haben?!« Andererseits schloss sein schmerzender Kiefer größere Reden eigentlich aus. "Komm schon!" Ächzend rappelte er sich auf, fasste mit der Rechten nach Hiroshis Kinn, um dessen Blick auf sich zu lenken. "Erzähl mir die grausigen Details, ja?" Hiroshi glühte noch immer vor Verlegenheit, sog die Oberlippe ein, um sie mit den Zähnen zu perforieren. "Na los, gib dir einen Ruck." Scherzte Katsuhiro mit wachsender Ungeduld. "Ich bin mittlerweile so alt, dass ich überhaupt keine Illusionen mehr über mich habe!" "...du hast..." Hiroshi holte tief Luft, suchte erkennbar nach den richtigen Worten, runzelte ärgerlich über das eigene Unvermögen die Stirn. "Nein, also..." "Also?" Half Katsuhiro mit dem letzten Stichwort aus. Hiroshi leckte sich erneut über die Lippen, betrachtete Katsuhiro so eingehend, dass der Mühe hatte, seine Ungeduld zu kontrollieren. Dann, für Katsuhiro vollkommen unerwartet, beugte er sich vor und küsste ihn lange auf den Mund, als wolle er ihm ein Siegel aufbrennen. Beide Hände hielten Katsuhiros Wangen warm, der gar nicht mehr wusste, wie er die Situation zu begreifen hatte. »Bin ich etwa weggetreten? Gut, ich habe die Augen geschlossen, aber trotzdem!« "Ich hab mich nur so erschrocken." Wisperte Hiroshi mit gesenktem Haupt. "Erschrocken? Warum?! Was habe ich denn gemacht?!" Plötzlich hatte Katsuhiro eine Gänsehaut. Er war sich eigentlich sicher, dass er seine Körperkräfte unter Kontrolle hatte, selbst wenn gewisse Leidenschaften ihn ergriffen, aber insgeheim fürchtete er doch, dass es einen Blinden Fleck gab, einen Bereich, der sich nicht beherrschen lassen wollte, der darauf brannte, ohne Rücksicht auf Verluste die eigene Stärke zu erproben. "Hab ich dir etwa weh getan?!" Sofort saß er kerzengerade, fasste Hiroshi um die Oberarme, drehte und wendete ihn, um etwaige Verletzungen zu ermitteln. "Nein, nein!! Ich bin vollkommen in Ordnung, wirklich!" Beteuerte Hiroshi hastig, haschte nach Katsuhiros Wangen, streichelte sie behutsam. "Warum warst du dann erschrocken?!" Katsuhiro verlor die Geduld. "willst du mir das bitte endlich erklären?!" Das kam sehr viel energischer und lauter heraus, als er beabsichtigt hatte. Hiroshi zuckte zusammen, japste nach Luft. Er funkelte Katsuhiro an, ballte die Fäuste kurz, bevor er sie entspannte. "Ich habe es mit der Angst bekommen, weil DU dich plötzlich wie ein Mustang aufgeführt hast! Ich bin fast vom Bett geschleudert worden!" Fauchte er laut zurück. "Und du warst nicht gerade leise! DU hast gesagt, ich solle mich vorsehen, weil es dein erstes Mal ist, aber was ist denn mit mir?! Ich hätte mir fast die Zunge abgebissen!" Zum Beweis bleckte er sie wütend. "Ehrlich?" Katsuhiro ließ Hiroshi los, blinzelte. "Du meine Güte..." Murmelte er und rieb sich versonnen über den Nacken. "Ich wusste nicht, dass ich so reagiere..." »Verdammt!« Brummte seine Libido enttäuscht. »Und du erinnerst dich nicht mal an die Einzelheiten! Eine Schande!« Hiroshi kniete neben ihm, musterte ihn unschlüssig. Katsuhiro wagte schließlich einen scheelen Seitenblick. "Hattest du den Eindruck, dass ich mich amüsiert habe?" Ein Blinzeln, dann prustete Hiroshi, hielt sich beinahe mädchenhaft die Hand vor den Mund, um zu kichern. "Es war ein ausgesprochen einschüchterndes Naturereignis." Zog er Katsuhiro boshaft auf. Der kniff Hiroshi knapp in die Nasenspitze, seufzte dann vernehmlich. "Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern. Ich bin wohl zur Krönung auch noch wie ein holdes Jungfräulein in Ohnmacht gefallen." "Nein." Hiroshi wischte sich Strähnen aus den Augen. "Aber beschwören könnte ich es nicht, weil ich auch gerade beschäftigt war." "Nun ja." Brummte Katsuhiro. "Vielen Dank für deinen Mut. Jetzt sollte ich besser aufstehen und herausfinden, ob ich aufrecht gehen kann, ohne Verdacht zu erregen." Von Hiroshi nervös beobachtet schälte sich Katsuhiro aus dem völlig verdrehten Laken und der anhänglichen Bettdecke, schwang die Beine über die Bettkante und schraubte sich wachsam in die Höhe. Stehen ging, Laufen auch. Aber er spürte durchaus, dass er eine neue Erfahrung gemacht hatte. Allerdings war es kein unangenehmes Gefühl, eher eine bittersüße Erinnerung. "Ach du Schreck!" Kommentierte er die fortgeschrittene Uhrzeit. "Wir sollten jetzt duschen! Möchtest du vielleicht deinen Eltern sagen, dass du ein wenig später kommst? Nicht, dass sie sich sorgen?" Katsuhiro streifte sich eilends das Kondom ab und angelte nach den Taschentüchern. "Ja. Natürlich. Danke." Mit gebremsten Schaum erhob sich auch Hiroshi, tat es Katsuhiro nach. Er fischte aus seinen abgelegten Kleidern das Mobiltelefon, hielt dann aber inne, warf Katsuhiro einen langen Blick zu. "Du hast es ganz schön eilig, mich loszuwerden." Katsuhiro hörte die leisen Worte und wandte sich um. "Tja." Bemerkte er bitter, zuckte mit den Schultern, knackte mit seinem verspannten Kiefer. "Das ist eben die Aufgabe von uns Alten: immer vernünftig sein und jeden Spaß verderben." Hiroshi ließ sein Telefon sinken, starrte auf den Boden. Wie zu sich selbst wisperte er. "Ich will nicht, dass es so einfach vorbei ist. Als ob nichts gewesen wäre. Das geht doch nicht!" Katsuhiro presste die Lippen aufeinander. Er wäre auch lieber im Paradies verweilt, hätte den Tag im Bett verbracht, von Liebe und Luft gezehrt, aber so war das Leben nun mal nicht! Dass ihn dieser Umstand wütend machte, verärgerte ihn noch mehr, schließlich war er dem Alter sinnlosen Aufbegehrens längst entwachsen! Hiroshi drehte sich zu ihm um, ein sehr attraktiver Anblick im gedämpften Schimmer der Morgensonne. "Geht es dir nicht genauso? Oder willst du es einfach nur vergessen?" »Vorgeben, dass es nie passiert ist. Gedächtnisverlust nach exzessivem Alkoholmissbrauch.« Katsuhiro ballte die Fäuste. Wie oft hatte er das schon gehört? Oft genug, dass es normal wurde, die Regel? Dass es einer Floskel glich, die man bedenkenlos benutzen konnte, um sich zu distanzieren? "Bist du sicher, dass du MICH meinst und nicht deinen ersten Mann?" Erwiderte er kühl, immerhin war Hiroshi um einiges jünger, unerfahren, euphorisch und enthusiastisch. Noch beinahe ein Kind! Aber ein gestandener Mann mit klaren, wenn auch bescheidenen Perspektiven und ein so junger Hüpfer, der gerade erst über den Rand der Eierschale lugte: das konnte ja nicht gut gehen! Er würde sich immer wieder, ob beabsichtigt oder nicht, wie Papa Schlumpf aufführen. Hiroshi wäre immer zu jung. "Lass uns miteinander ausgehen." Zu seiner Verwunderung ging Hiroshi nicht auf die Provokation ein, verbannte mit der freien Hand Strähnen hinter die Ohren. "Lernen wir uns richtig kennen." Er deponierte das Telefon auf dem niedrigen Tisch, baute sich vor Katsuhiro auf, legte die Hände flach auf dessen Brustkorb. "Gestern sind eine Menge Dinge passiert. Ich habe endlich den Mut gefunden, einen Mann anzusprechen. Ich habe auf mein Gefühl vertraut und den Sprung in das kalte Wasser bei dir gewagt. Und anschließend eine gewaltige Menge an Dingen gesagt und getan, die alle eine Premiere waren. Mein Gefühl sagt mir, dass wir gut zueinander passen. Dass ich dich nicht einfach verschwinden lassen darf." Katsuhiro zögerte. Natürlich war Hiroshi das allerbeste, das ihm seit einer sehr langen Zeit begegnet war. Aber er hatte auch schmerzliche Enttäuschungen erlitten, hauptsächlich, weil er sich etwas vorgestellt hatte, das nicht mehr als eine Fata Morgana gewesen war. "Bitte." Hiroshi rieb energisch über Katsuhiros Brustkorb. "Geh mit mir aus! Gib mir eine Chance!" Mit einem ergebenen Brummen schlang Katsuhiro endlich die Arme um Hiroshi, hielt ihn eng an sich gedrückt. "Du bekommst deine Chance, wir gehen aus. Aber eins sage ich dir gleich!" Funkelte er betont bedrohlich. "Untreue ist nicht!" Hiroshi lachte, merklich erleichtert. "Das verspreche ich dir! Eigentlich bin ich nämlich ziemlich schüchtern." Gestand er verlegen, schmiegte sich seufzend an. »Oje, oje!« Katsuhiro schüttelte über sich selbst den Kopf, schloss die Augen, um die intime Nähe zu genießen. »Ich werde mich doch nicht wirklich extrem kitschig am White Day verknallt haben?!« Andererseits gab es sehr viel schlimmere Vorstellungen. ~@~ »Das ist ein Albtraum, und gleich wache ich auf. Dann ist alles wieder in Ordnung!« Gebetsmühlenartig gab sich Kenrou dieser Hoffnung hin. Mochten sie auch ungesehen seinem Großvater entwischt sein: die Nachbarschaft lag gewiss auf der Lauer. Obwohl Yuuya mit den langen Haaren und der schlanken Silhouette ohne Zweifel ein Blickfang war, musste sich längst herumgesprochen haben, dass Kenrou mit einem MANN unterwegs zu seinem Arbeitgeber war. "Da ist es." Murmelte er, warf einen Seitenblick auf Yuuya. Er hatte ihm ein T-Shirt, einen dicken Pullover, Socken und eine Hose geliehen. Darin wirkte sein Übernachtungsgast leger und jugendlich. "Du arbeitest in einem Blumengeschäft?" Yuuya studierte den winzigen, lang gestreckten Laden genau, dessen Inhaber in der Tür lehnte und sich den Bauch vor Lachen hielt. "Junge, Junge, Hippie, wenn dein Alter das rauskriegt, steckst du aber mächtig in der Klemme!" Irritiert warf Yuuya Kenrou einen Blick zu. "Wer ist Hippie?" "Oh, das ist sein Name." Mischte sich der Florist ein, deutete mit seinem grünen Daumen auf Kenrou, der sich fragte, wie viele Demütigungen er noch erleiden musste. "Verstehst du? Ein Yakuza, der Blumen züchtet und verkauft?! Kann ja nur ein Hippie sein!" Yuuya begriff offenkundig nicht. "Es ist eine ehrenwerte Profession. Obwohl ich Blumen in der Erde denen in der Vase vorziehe." Antwortete er ernsthaft. Kenrou spürte den Blick seines Arbeitgebers. »Wo hast du den Vogel bloß aufgetrieben?!« "Darf ich den Transporter kurz ausleihen? Ich möchte Yuuya gern in sein Wohnheim bringen." Bat er resigniert um Erlaubnis. Kurze Zeit später fädelten sie in den stockenden Berufsverkehr ein. Sie schwiegen beide, ohne Frühstück und nach einer kurzen Nacht dankbar für die Pause. Yuuya leerte die Konfiserietüte auf seinem Schoß aus. Er zählte die Verpackungen nacheinander, deponierte sie wieder in der Tüte. "Ich habe 36 Pralinen gegessen." Verkündete er mit einer gewissen Fassungslosigkeit in der Stimme. "Ich darf eigentlich keinen Zucker durch Süßigkeiten aufnehmen." Kenrou wandte sich ihm zu. "Das ist wirklich eine Menge. Warum hast du sie alle gegessen?" "Ich erinnere mich nicht." Yuuya runzelte die Stirn. "Ich war im Aufzug eingeklemmt." "Ich habe neben dir gestanden. Im Aufzug." Kenrou zuckte mit den Schultern. "Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir geholfen." "Ich wollte gar nicht in den Aufzug." Verteidigte sich Yuuya energisch. "Ich mag keine engen Räume. Und viele Leute!" "Dann hast du all die Pralinen aus Angst gegessen." Räsonierte Kenrou forsch. "Du bist wahrscheinlich ein Stress-Esser!" "Wirklich?" Yuuya blinzelte ihn überrascht an, sinnierte schweigend über diese Einschätzung. Die Stille hielt an, bis sie das Wohnheim erreichten. Kenrou stellte den Motor ab und seufzte stumm. Obwohl er sich gar nicht auszumalen wagte, was sein Großvater gerade ausheckte, um sich für die schreckliche Enthüllung zu rächen, bedauerte er doch, sich von diesem seltsamen Burschen trennen zu müssen. Yuuya war anders als alle anderen Menschen, die er bisher kennengelernt hatte. »Vielleicht ist er wirklich ein Außerirdischer?!« "Ich werde deine Sachen waschen und dir zurückgeben." Verkündete Yuuya aufgeräumt, schraubte die Brille auf die Nase. »Der Supermann-Clark Kent-Effekt.« Stellte Kenrou bedauernd fest, dann erst stutzte er, setzte sich auf. "Sag mal, siehst du wirklich so schlecht?!" Yuuya wischte sich Strähnen aus dem Gesicht. "Meine Sehkraft ist vollkommen in Ordnung. Ich habe nur nicht gerne Insekten oder Staub in den Augen. So eine Brille ist da sehr praktisch." »Fensterglas. Seine Brillengläser waren gar nicht echt, sondern Fensterglas! Deshalb auch die Splitter!« In Kenrous Kopf dröhnte die Erkenntnis. "Du bist wirklich ein komischer Vogel." Stellte er grinsend fest. "Findest du?" Yuuya zog die Nase kraus, beugte sich dann vor. "Lächelst du? Ist es ein Kompliment?" Kenrou grinste breit, zog sogar die Mundwinkel mit den Fingern auseinander. "Ischd ain Komblimnd!" Betonte er, lachte dann laut vor Erleichterung. "Aha!" Klang Yuuya wirklich erfreut? "Dann mach es mal gut, Yuuya. Es war toll, dich kennenzulernen." Kenrou zwinkerte. Trotz allen drohenden Ungemachs kam es von Herzen. Yuuya nickte, zögerte dann, legte den Kopf schief. Und beugte sich hinüber, um Kenrou ungelenk zu umarmen. "Vielen Dank, Ken." Damit stieg er aus, schloss die Tür hinter sich und marschierte auf den Eingang zu. Kenrou staunte, spürte seinen trommelnden Herzschlag. »He...heeee!! Er hat mich angefasst!! Freiwillig!!« Unerklärlich hoffnungsvoll gestimmt ließ er den Transporter an und wendete. Yuuya wechselte am Eingang die Schuhe, barg seinen Taschencomputer aus dem weichen Bett der Pralinenverpackungen in der Tüte. Eine glänzende Hülle verhakte sich im Klappverschluss. Er zupfte sie ab, studierte die in perfekter Schönschrift gehaltenen Lettern. Anschließend eilte er die Treppen hinauf in sein Zimmer. Die Akkus mussten aufgeladen werden, denn er wollte sich den genauen Ort von Kenrous Haus und dem Blumenladen markieren. In seiner Hand knisterte leise das Papier. Sams neue Kreation: dating destiny. ~ ENDE ~ ~~> Sam kommt wieder in "Affenzirkus" Vielen Dank fürs Lesen! kimera