Titel: Der Gentlemen's Club Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Seifenoper Ereignis: Halloween 2007 Erstellt: 31.10.2007 Disclaimer: alles Meins! Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sowie Parallelen zur realen Alltagswelt in Japan sind zufällig, wenn auch nicht immer unbeabsichtigt. ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ Der Gentlemen's Club Kapitel 1 - Schulanfang Mit einem amüsierten Lächeln schloss er den Umschlag sorgfältig, drückte das altmodische Siegel mit dem Schulwappen auf den Wachsflecken, setzte danach schwungvoll den Kalligraphie-Pinsel an, um die wertvolle Information den Händen seines Nachfolgers zu überlassen. Dann schob er den Stuhl geräuschvoll zurück, hinterließ weitere Kratzer auf dem abgenutzten Laminat und erhob sich graziös. Ja, Akio-chan würde zweifellos der Tradition Folge leisten! ~+~ Seiji Nishikawa richtete sich auf, prüfte im Spiegel seine Reflexion. Für einen kurzen Moment zuckte ein Lächeln über sein Gesicht. Er raffte seine Schultasche und eine Plastiktüte zusammen, verließ den Waschraum der Bahnstation, um eine neue Gewohnheit einzuläuten. ~+~ Der leichte Regen am ersten Schultag passte sich seiner Stimmung an. Die Hände tief in die Taschen der neuen Uniformhose vergraben stapfte Arashi Kitamura zum Haupteingang, reihte sich artig in die Menge der Schüler ein, die mit ihm in die alte Versammlungshalle strebten. ~+~ »Hoffentlich ist er bald fertig!« Satoru Tanaka stand wie alle anderen der zweiten Oberstufe akkurat in seiner Reihe und lauschte gelangweilt der Begrüßungsansprache des Direktors. Wen es mit Bewunderung erfüllte, dass der untersetzte Mann gänzlich ohne Manuskript seine Rede vortrug, dem konnte man entgegnen, dass der Vortrag sich seit Amtsantritt des besagten Herren nicht geändert hatte. »Gefühlte 300 Jahre entsetzliche Öde.« Satoru unterdrückte eine Grimasse und ließ unauffällig den Blick über die Reihen der neuen Schüler der ersten Oberstufe schweifen. Er zweifelte nicht daran, dass ihre Vitae bereits verfügbar waren. ~+~ "...und darum schlage ich vor, dass Akio-chan, ich meine Yamada-kun, unser neuer Schülerpräsident wird!" Akio erhob sich, wischte in einer beiläufigen Geste die schwarzen Locken hinter die Ohren und verbeugte sich höflich, bevor er feixend die Finger zur Victory-Geste streckte. "Vielen Dank für den Vertrauensvorschuss!" Strahlte er in den Rund der zweiten Oberstufe, die den Kandidaten für die Schülerpräsidentschaft stellte. "Mit großer Freude nehme ich das Amt an und bitte um eure Unterstützung!" Euphorischer Jubel untermalte die Ernennung, bevor Akio die erste Amtshandlung vornahm: er musste seinen Stellvertreter vorschlagen. Akio schmunzelte über einen privaten Scherz, denn er erinnerte sich der letzten Unterhaltung mit seinem Vorgänger. Die Präsidentschaft war weniger eine demokratische Wahl als ein gelenkter Beliebtheitswettbewerb. Was nun den Vertreter betraf, galt hier eine andere Regel. Es musste sich um eine Person handeln, die klaglos im Schatten des Präsidenten die administrativen Aufgaben übernahm. Wer bewarb sich schon darum, zusätzlich zu den Vorbereitungen für die Prüfungen zum Schulabschluss den Etat zu verwalten, sich die Klagen der Schüler anzuhören, die Sitzungen vorzubereiten und weitere, zweifelsohne lästige Arbeiten zu erledigen? Sein Vorgänger und Gönner hatte ihm einen entsprechenden Vorschlag gemacht, ihm einen Kandidaten ans Herz gelegt, der genau dieser Beschreibung entsprach. "Bitte hört doch einmal her!" Akio hob die Hände, strahlte in die Runde. "Ich möchte gern einen Kandidaten für den Posten meines Stellvertreters vorschlagen. Ich nominiere Haruno-kun!" Motoki Haruno errötete vor Überraschung und zog die Schultern schützend hoch, als sich alle Blicke auf ihn richteten. Für einen Augenblick legte sich der ausgelassene Jubel, aber niemand zeigte sich empört, immerhin galt Motoki als Primus, zeichnete sich durch große Ernsthaftigkeit und Pflichtbewusstsein aus und wurde lästiger Dienste wie Klassenbuchführen oder Klassenzimmerreinigen nicht müde. Akio legte eine Hand auf Motokis Schulter, drückte sie kurz. "Bist du einverstanden, mich bei der Erfüllung meiner Pflichten zu unterstützen? Es wäre mir eine große Erleichterung!" Wie erwartet nickte Motoki hastig, denn er konnte seinem Pflichtbewusstsein nicht zuwiderhandeln. "Fein! Ich danke dir, Haruno-kun!" Akio kämmte sich graziös einige Strähnen aus dem Gesicht. "Dann wollen wir gleich die Vertreter der einzelnen Klassen benennen, damit wir loslegen können!" ~+~ "Gar nicht mal so übel, der Haufen!" Kommentierte Kentarou Miwa, wie immer einen Schritt voraus, die Schultasche nachlässig über einer Schulter baumelnd. "Die Bude ist zwar grässlich veraltet, aber das Angebot besser, als ich befürchtet hatte." Gelenkig wie ein Affe kletterte er auf das breite Geländer der Fußgängerbrücke über einen der zahlreichen Kanäle, spazierte ungerührt in luftiger Höhe weiter. "Andererseits, dieser Schülerpräsident, also die Type...!" Lautstark pustete er eine lose Strähne dunkelbrauner Haare aus den langen Wimpern, schnalzte verächtlich mit der Zunge. "Der komische Vogel grinst mir zu viel. Wahrscheinlich wieder so ein Blender mit zementierter Grinsefresse, viel Show und nichts dahinter!" Am anderen Ende der Brücke blieb er wie gewohnt einen Moment auf dem breiten Stahlband stehen und wartete, bis sein schweigender Begleiter den einen Schritt Distanz aufgeholt hatte. In jahrelanger Übung stützte sich Kentarou auf eine Schulter des Hünen, sprang elastisch auf den Boden der Tatsachen und klemmte sich anschließend die Schultasche unter einen Arm, um beidseitig in den Hosentaschen zu forschen. Seine Ausgrabungen waren von Erfolg gekrönt: grinsend förderte er zwei bunte Kaugummibälle an das schwindende Tageslicht, überließ seinem gewaltigen Schatten die Qual der Wahl. Eine große Hand senkte sich über Kentarous vergleichsweise zierliche Hand und pickte mit Vorsicht den blau gefärbten Kaugummiball auf. "Hau wech die Scheiße!" Verkündete Kentarou jovial und zerknautschte mit Genuss seinen Kaugummiball, um schmatzend die erste Blase zu produzieren. "Hey, Hiro, schau mal!" Stieß er den Hünen an, wies mit einer Kopfbewegung auf eine der zahlreichen Werbetafeln, die pausenlos Reklamekurzfilme abspielten. "Ob sie das Spiel schon im Zentrum haben?" Nachdenklich zermatschte Kentarou den Kaugummiballen, leckte sich über die zuckrigen Lippen. "Vielleicht schaffen wir's am Sonntag ja tatsächlich mal, uns in die Spielhalle zu verirren." Sein ironischer Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen: die Chancen standen nicht gerade gut. Aber die Hoffnung klammerte sich eben immer an die Eins vor dem Doppelpunkt. Kentarou setzte den Heimweg fort, wieder exakt einen Schritt voraus. Als er an einem kleinen Schreibwarengeschäft vorbei kam, blieb er abrupt stehen, doch die Kollision fand nicht stand. Das tat sie nie. "Weißt du was? Wir müssen doch noch ein paar Hefte besorgen für den Futzi in Kaufmännischer Buchführung! Das können wir auch gleich hinter uns bringen!" Folgerichtig stürmte Kentarou das Geschäft, das zunächst mit einem dezenten Bimmeln auf die eintretende Kundschaft reagierte, bevor eine junge Frau hinter dem zugestellten Verkaufstresen sie begrüßte. "Ah, Miwa-kun! Wie schön, wir haben uns ja eine ganze Weile nicht gesehen! Wie geht's denn dem Großvater?" "Hallo Hitomi." Gab Kentarou mit betont gebremstem Schaum zurück. Er funkelte in die übermäßig mit allerlei Makeup eingekreisten Augen. "Guten Abend, Miruno-kun." Nun wurde auch sein ständiger Begleiter zur Kenntnis genommen, der bereits die erforderlichen Hefte aus einem der hohen Regale entnommen hatte und sie schweigend zur Abrechnung vorlegte. Kentarou blitzte noch immer aus den hellbraunen Katzenaugen Pech und Schwefel. »Blöde Tussi! So viel Luft im Schädel, dass sie dir Blei in die Schuhe packen müssen, damit du nicht abhebst!« Er straffte die angespannten Schultern, hielt sich selbst zur Beherrschung aller niederen Instinkte an, vor allem aber davon ab, eine der ausliegenden Zeitungen zusammenzurollen und sie Hitomi wiederholt über die aufgetürmte Papua-Bombe zu ziehen, die auf ihrem Dummschädel thronte. Stumm grollend legte er seinen Anteil an Münzen neben Hirokis und verschränkte demonstrativ die Hände mit der Schultasche auf dem Rücken. Damit sie Hiroki die Tüte geben musste! Danach schnaubte er einen kurzen Gruß und stürmte wieder nach draußen, heraus aus dem winzigen Mausoleum von Schreibartikeln aller Art. Ohne sich umzusehen marschierte er mit großen Schritten voran, in Richtung der kleineren Wohnhäuser und mittelständischen Betriebe. Kentarou wusste Hiroki hinter sich. Exakt einen Schritt. ~+~ Hiroki Miruno richtete sich auf, wechselte die Tüte in die linke Hand, wo er bereits die Schultasche trug. Darauf zu achten, dass er sich nicht den Kopf anstieß, war eine Automatik geworden, die er seit dem vierzehnten Lebensjahr mühelos beherrschte. Nun, mit einer ungewöhnlichen Größe von 1,95m gab es auch keine Alternative. Sein Blick konzentrierte sich wieder auf Kentarou, der vor ihm ging und schwieg, was von einem innerlich brodelnden Hexenkessel kündete. Der Hüne studierte das Farbenspiel der untergehenden Sonne auf dem Schopf seines Freundes. Jetzt konnte man den rötlichen Schimmer deutlich erkennen. »Wie ein Fuchs!« Pflegten die Nachbarn zu bemerken und auf die Katzenaugen hinzuweisen, auf die schlanke, gelenkige Gestalt und die respektlose Frechheit. »Den hat bestimmt ein Fuchsgeist zurückgelassen!« Munkelten manche, die es ganz sicher nicht gut meinten. Doch Hiroki kümmerte nicht, ob Kentarou ein Fuchsgeist war, von einem solchen hergebracht worden oder sonst irgend etwas. Kentarou war sein Freund seit dem Kindergarten, seit dem ersten Tag, an dem der Großvater ihn an der Hand durch die Nachbarschaft geführt hatte. Sie wohnten nebeneinander, lebten miteinander. Unzertrennlich, so vertraut, dass sie nicht sprechen mussten. »Auch wenn es mir lieber wäre, Kentarou würde etwas sagen.« Hiroki blinzelte. Je länger das Schweigen anhielt, je steifer der Schritt, umso höher kochte die Wut in seinem Freund. Ihm blieb lediglich zu warten, wann die Explosion stattfinden würde. ~+~ Kentarou gönnte den spiegelnden Glasflächen der kleinen Geschäfte und Automaten, die sich wie Perlenschnüre aneinanderreihten, kaum mehr als einen giftigen Seitenblick. Seine Gedanken kreisten in bitterer Galle um »Tussis wie diese dämliche Hitomi!« Die ihn anlächelten, auf ihn einplapperten, sich an seinen Arm hängen wollten, während sie Hiroki nicht einmal ansahen. Ihn ignorierten. »Dass sie ausnehmend blöd sind, ist ja schon eine Strafe an sich, aber trotzdem!« Grollte er zornig. Er KONNTE sich einfach nicht an diese Reaktion gewöhnen. Warum auch?! »Wenn es nach mir ginge...!« Dann hätte er Hitomi nicht mal mehr mit dem Hintern angeguckt. Oder ihr ins debil geschminkte Gesicht gesagt, was für eine dämliche Pute sie sei! Aber genau diesen Launen durfte er nicht nachgeben und das zehrte an seinem inneren Gleichgewicht, erinnerte ihn an früher. Seit dem Kindergarten war Hiroki sein Freund, bester, engster und rasch größter Freund. Hiroki war Hiroki. Und selbst wenn er hundertmal blinzelte, änderte sich daran nichts. Zugegeben, man HATTE ihn darauf hingewiesen, dass Hiroki gelinde gesagt hässlich war. Ungeschlacht. Zu groß. Zu still. »Verblödete Bande von Idioten und Pissnelken!« Geiferte er schweigend. Was änderte es, dass Hiroki eine Hautkrankheit hatte, die immer wieder am ganzen Körper stückweise die obersten Schichten ablöste? Dass die neue Haut in einer anderen Tönung nachwuchs?! Vielleicht waren 1,95m groß, aber doch nur, weil alle anderen dürre Mickerlinge waren! Wobei er sich selbst nicht ausnehmen konnte, der verzweifelt an der 1,70m-Marke kratzte. In der Grundschule hatte er auf das "Frankenstein"-Geschrei seiner Mitschüler reagiert, indem er sie alle verdroschen hatte. Gleich in der zweiten Schulwoche fünf Tage vom Unterricht suspendiert worden war. »Großvater fand das gar nicht gut«. Kentarou biss sich unwillkürlich auf die Lippen. Viel schlimmer war es gewesen, dass Hiro sich solidarisch geweigert hatte, ohne ihn in die Schule zu gehen, obwohl er damit die Woche verpasste, in der er das Zwergkaninchen hätte pflegen dürfen. Er spürte die bittere Melange aus Schuldgefühlen und unterdrückter Wut in seiner Magengrube. Hiro hatte sich nicht beklagt. Wie er es nie tat. Aber das Wissen darum, durch eine spontane Trotzreaktion gegen die stete Dummheit seiner Umgebung den Freund um eine große Freude gebracht zu haben, sorgte fortan dafür, dass er sich, manchmal krampfhaft, zurückhielt und auf Revanchen verzichtete. Zähneknirschend. Innerlich kochend vor Zorn. An den Retourkutschen würgend, die nicht über seine Lippen kommen durften. Unversehens hielt er vor dem Wohn- und Geschäftshaus inne, das seinem Großvater gehörte, streckte gewohnt die Linke nach hinten aus, während er an der Schwelle die Slipper von den Füßen schüttelte. "Du isst bei uns!" Kommandierte er, spürte die vertraute Wärme, als sich die großen Finger warm um seine Hand schlossen. »Vergiss die Dumpfbacken!« Ermahnte er sich, zog Hiroki hinter sich her durch den schmalen Gang in den großen Raum, wo am Kotatsu sein Großvater über ein mechanisches Räderwerk gebeugt saß und mit Spezialinstrumenten hantierte. "Ah, Ken und Hiro." Ein extrem vergrößerter Blick durch die Speziallinsen der Brille fokussierte sich für einen Moment, dann konzentrierte sich der alte Mann wieder auf sein Handwerk. "Ich mache Abendessen." Verkündete Kentarou, ließ die Schultasche achtlos neben einem Stützbalken sinken, wartete einen Augenblick ab, dass Hiroki es ihm nachtat, bevor er den Freund in die offene Küche führte. Kentarou verteilte die Küchenschürzen, ließ Hiroki wie gewohnt ihre Uniformjacken aufhängen, krempelte die Ärmel seines Hemds hoch und organisierte die anstehenden Aufgaben. Mit einem vollen Bauch sah die Welt doch gleich viel freundlicher aus! ~+~ Seiji seufzte stumm vor Erleichterung. In der Bahn, die ihn beinahe eine Stunde lang nach Hause schaukelte, konnte er keine vertraute Schuluniform entdecken. Es war natürlich unangenehm voll, da sich auch viele Pendelnde auf dem Heimweg befanden. Er hatte jedoch ein Eckchen gefunden, in das er sich zwängen konnte, ohne dass man ihn wie eine Sardine einquetschte. »Alles hat funktioniert!« Beglückwünschte er sich selbst zum gelungenen Auftakt. Auch wenn es eine Umstellung darstellte, von Acht bis Acht in der Schule zu sein, so machte es doch den Eindruck, dass er die richtige Wahl getroffen hatte: eine altmodische Oberschule, die sich auf die Erwartungen des Handwerks und der mittelständischen Betriebe fokussierte, praktische Ausbildungsfächer anbot und Ablenkungen weitmöglichst ausschloss. Keine Koedukation, keine Mobiltelefone, Musikabspieler, tragbare Spielkonsolen oder andere 'Errungenschaften' der modernen Zivilisation. Kein sichtbarer Schmuck unter der Schuluniform, uniforme Slipper und Hausschuhe, identische Schultaschen. Alle aßen in der Mensa, niemand verließ ohne Erlaubnis das Schulgelände. Konzentration auf das Wesentliche: einen guten Abschluss und die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfungen für die Universitäten oder Fachausbildungen. Mehr Praxis, weniger Theorie, dazu Hilfestellungen für ein eigenverantwortliches Leben als Erwachsener. Was für Seiji bereits damit begann, in einem fremden Vorort in einer kleinen, privaten Pension ein Zimmer zu mieten, um ohne seine Familie den nächsten Lebensabschnitt in Angriff zu nehmen. Selbstverständlich hatte sein Vater über Kontakte die Unterbringung vermittelt, aber im Großen und Ganzen war er jetzt auf sich allein gestellt und konnte endlich mit einer ausgeklügelten Taktik seinem Fluch entgehen. ~+~ Satoru studierte die Gesichter eingehend, überflog die kurzen Informationen. »Unbeschriebene Blätter.« Er ließ den Mauszeiger über den Bildschirm kreisen. Der eine oder andere Kandidat war ihm bereits ins Auge gefallen, aber das gewisse Etwas, der zündende Funke fehlte noch. »Außerdem nicht zu vergessen die Markierung!« Selbstvergessen summte er eine Reklamemelodie, die nicht aus seinen Ohren weichen wollte. Sein Blick fiel schließlich auf ein blasses Gesicht, bezuckert mit winzigen Sommersprossen. Die schwarzen Haare sollten in einen Seitenscheitel gezwungen werden, setzten sich allerdings mit einer störrischen Krause zur Wehr, zernagte Unterlippe, große Augen hinter einer rahmenlosen Brille. »Keine Markierung.« Knurrte Satoru enttäuscht. Seine Mundwinkel zuckten in einem diabolischen Lächeln, während er sich den kurzen Lebenslauf zu Gemüte führte. Er hatte so ein Gefühl, als könne er selbst den Schlüssel finden. ~+~ Hiroki beobachtete, wie Kentarou über die Aschenbahn sprintete. Selbstverständlich bestand sie nicht mehr aus gepresster Asche, sondern war mit einer speziellen Kunststoffmischung hergestellt worden, deren Tönung allein an die Tradition erinnerte. In der Sommersonne glänzte Kentarous zusammengebundener Schopf wie Flammenglut. Wegen der Haare hatte es bereits am zweiten Schultag Ärger gegeben. Man vermutete offenkundig, dass Kentarou sie eingefärbt hatte. Außerdem waren sie einfach zu lang, auch wenn sie nicht die offizielle Schulterlänge überschritten. Der Hüne merkte auf, als die Reihe an ihm war, die Kugel von sich in den Sand zu stoßen. Er war gut darin, achtete aber darauf, nicht ZU gut zu werden. In eine Mannschaft aufgenommen zu werden bedeutete nämlich, dass er nicht ständig in Kentarous Nähe sein konnte. Gedanken an den Eklat beanspruchten wieder seine Aufmerksamkeit, während er beobachtete, wie Kentarou sich auf den dünnen Oberschenkeln nach vorn gebeugt abstützte und um Atem rang, ein hervorragender Läufer auf der mittleren Distanz. »Mit einem extrem explosivem Temperament!« Für einen Moment stahl sich ein zärtliches Lächeln auf Hirokis Züge. NATÜRLICH war sein sehnig-zierlicher Freund wie ein Feuerwerkskörper detoniert, als man ihn wegen seiner Haare getadelt hatte. Wer nicht mit dessen Temperament und dem Hang zu sehr prosaischer Sprache vertraut war, legte instinktiv den Rückwärtsgang ein, wenn Kentarou in Wut geriet, nicht etwa still und unter vier Augen ein Problem höflich aufklärte, sondern vor Publikum fauchte und zischte, darauf bestand, dass man mit dem Zentimetermaß kam, eine Haaranalyse verlangte. Der auf eine Entschuldigung beharrte, weil man ihm Manipulation (durch Haarefärben) oder wahlweise Lügen unterstellte (dass er keine Ausländer in seiner Verwandtschaft hätte, die für den Farbton verantwortlich waren). Es gab durchaus einige Lehrer, die jetzt bereits Angst vor Kentarou hatten, weil der unbeherrscht wie ein Choleriker wirkte. Hiroki wischte sich durch den Bürstenhaarschnitt, spürte winzige Tröpfchen an seinen Fingern. Es war beinahe unerträglich heiß. Nicht, dass hohe Temperaturen Kentarous Temperament ausbremsen konnten. Der war wie ein Dynamo: einfach nicht anzuhalten. Zumindest nicht, solange er sich in der Vertikalen befand. Erneut stieß Hiroki die Kugel von sich in den Sand, recht weit, achtete aber darauf, dass er über den gezogenen Kreis trat, um den Wurf ungültig werden zu lassen. Er verzog keine Miene, wollte keine verlogene Zerknirschung mimen, die er nicht empfand. Wenn Kentarou in die Horizontale geriet, schlief sein Freund sofort ein, fest und tief. Als habe man einfach die Energie abgeschaltet. »Zusammengerollt wie ein Kätzchen.« Hiroki starrte hinüber und wünschte sich, er könnte auch bei den Läufern sein, doch dazu war er zu groß. Es war schon schwierig genug, die Annäherungsversuche des Kapitäns der Basketball-Mannschaft abzuwehren, von anderen Clubs ganz zu schweigen. Er wusste, dass Kentarou gerne Baseball gespielt hätte, doch für die teure Ausrüstung kein Geld hatte, deshalb verboten sich auch die meisten der traditionellen Sportarten. Blieb also nur Leichtathletik und in ihrer alten Schule das Schwimmen. Aber ein Schwimmbecken gab es hier nicht, sodass sich diese Option verabschiedete. "He, Miruno, schlaf nicht im Stehen!" Lenkte der Sportlehrer Hirokis Aufmerksamkeit wieder auf die traurige Realität. ~+~ "Na endlich!" Kentarou schaufelte seine Hefte und die kleine Stiftmappe geübt in die Schultasche, stemmte sich von seinem Platz hoch. Er wusste ohne sich umblicken zu müssen, dass Hiroki, der einen Platz hinter ihm saß, genau dasselbe tat. Es gab keine Diskussionen darüber, ganz gleich was Alphabet oder Nummer besagen mochten: Hiroki saß immer direkt hinter ihm. Punkt. "Lass uns abzischen!" Frech zwinkerte Kentarou Hiroki zu, griff sich an den Nacken, um den kurzen Zopf zu lösen und den Gummi um sein Handgelenk zu winden. "Ich muss noch was besorgen." Kündigte er an, vertraute darauf, dass Hiroki ihn wie immer begleiten würde. Als sie sich mit den anderen Schülern zum Schulschluss in den Gängen drängten, ein Gewusel, das sich erst bei den Schließfächern am Eingang reduzieren würde, rempelten ihn einige an. "He, willst du dich nicht entschuldigen, Kleiner?" Grollte eine dunkle Stimme, jemand packte Kentarou am Arm. Der wirbelte herum, trat zu, traf ein Schienbein und kam rasch frei. "Entschuldige dich selbst, du Penner! Oder hast du keine Augen im Kopf?!" "Wie redest du denn mit deinen Sempai?!" Um den Drittklässler, der sich fluchend das Schienbein rieb, gruppierten sich drei andere. "Du hast wohl keinen Respekt gelernt, was?!" "Passt ihr lieber auf, wo ihr hinlauft!" Fauchte Kentarou unbeeindruckt zurück. "Entschuldige dich gefälligst!" "Ich denke nicht dran! Der Depp ist mir doch in die Hacken gelatscht!" "Na warte, du kleine Ratte! Los, packt den Rotschopf!" "Fasst mich nicht an, ihr Vollidioten!" Kentarou wischte gelenkig außer Reichweite, die Fäuste geballt, die Katzenaugen funkelnd. »Oje.« Hiroki schob sich einfach zwischen die beiden Fronten. Er kannte seinen Freund gut genug um zu wissen, dass sich Kentarou im Zorn weder um die Qualität, noch die Quantität seiner Gegner kümmerte. Tatsächlich WAR Kentarou ein fieser und leicht zu unterschätzender Nahkämpfer, aber Hiroki hielt eine Auseinandersetzung kurz nach dem Frisuren-Debakel nicht gerade für förderlich, ihre schulische Laufbahn betreffend. "Was willst du denn?!" Blökten die abgeblockten Drittklässler irritiert, aber moderater. Wenn Hiroki sich aufbaute, wanderte eine 1,95m hohe Mauer umher. "Die Lehrer werden aufmerksam." Verkündete er mit sonorer Stimme, behielt die Angreifer im Blick. Ein Jahr vor dem Schulabschluss siegte schließlich die Vernunft über die gekränkte Eitelkeit. "Du bist vorgemerkt, du kleiner Pisser!" Drohte einer unverhohlen, aber Hirokis fester Griff in Kentarous Hemdkragen verhinderte eine Fortsetzung der Auseinandersetzung. "Dämliche, aufgeblasene, gehirnamputierte Wichtigtuer!" Machte Kentarou seiner Wut Luft. "Was soll dieser Sempai-Scheiß?! Wer will solche Einzeller als Vorbilder haben?!" Hiroki unterdrückte ein Grinsen, gab Kentarous Hemdkragen frei und damit das Signal zum Aufbruch. Immerhin musste Kentarou ja noch einkaufen, richtig? ~+~ "Ich habe gehört, dass das Basketball-Team an dir interessiert ist?" Kentarou säbelte mit großem Geschick schmale Scheiben Lauch, bevor er die große Gemüsezwiebel in kleine Quadrate würfelte. "Wäre doch eine gute Gelegenheit für dich, oder?" Hiroki ließ sich mit der Antwort Zeit, gab vor, mit dem Putzen der Ingwerwurzel ausgelastet zu sein. Tatsächlich war es nicht ganz einfach, an dem niedrigen Tisch zu kauern, der für die Vorbereitung der Speisen bei den Miwas diente. "Halt, Großvater!" Kentarou langte über den Tisch, nahm seinem Großvater den Teebecher ab. "Der ist bestimmt schon kalt und bitter. Ich schenke dir eine neue Tasse aus, in Ordnung?" "HmmHmm." Der alte Mann lächelte nachsichtig, sortierte seine Spezialwerkzeuge. Jeden Tag wurden sie nach ihrem Einsatz gereinigt, poliert und sorgsam in ihren Schutzhüllen geborgen. "Basketball, ha? Ist das der Sport mit den Körben?" Blinzelte er Hiroki an, der eine Bestätigung brummte. "Hiro ist groß genug, deshalb machen sie ihm hinterher." Mischte sich Kentarou ein, servierte frischen Tee und füllte auch gleich Hirokis Becher auf. "Warum probierst du es nicht mal?" "Es interessiert mich nicht sonderlich." Bequemte der sich zu einer Antwort. "Ich bin auch nicht schnell genug." "Quatsch, du bist flink auf den Beinen!" Kentarou ließ diese Erklärung nicht gelten, erhitzte Öl in der gusseisernen Wok-Pfanne, die seit Jahren benutzt wurde. "Komm mir bloß nicht mit der Trikot-Scheiße!" Ergänzte er scharf und unflätig. Wie immer wartete Hiroki vergeblich darauf, dass der alte Mann Kentarou tadelte, aber vielleicht hatte der sich auch schon vom Gespräch verabschiedet. "Es IST ein Thema." Brummte er, ein wenig spitz, zurück. Jedes Mal, wenn eine Sportart erforderte, dass man nicht von Kopf bis Fuß bedeckt war, wurde der Zustand seiner Haut zu einem Problem. Auch wenn sich mit dem Ende der Wachstumsphasen und dem erhofften Höhepunkt der Pubertät die Zyklen des Hautablösens reduzierten, wusste Hiroki zu genau, dass er wie ein Flickenteppich aussah. Auf die meisten Menschen wirkte sein Anblick verstörend bis ekelerregend. "Blödsinn!" Schnaubte Kentarou enragiert, die Katzenaugen funkelten. "Gib mir bitte den Ingwer." Während er die Ingwerstücke kurz im heißen Öl schwenkte, fuhr er energisch fort. "Wenn die Lulatsche damit ein Problem haben, ist es gut, wenn du nicht in ihre Mannschaft gehst. Ist doch vollkommen wurscht, wie man aussieht!" Hiroki stützte das Kinn auf eine Hand, legte den Kopf schief. Manchmal staunte er darüber, wie vehement und nachdrücklich sein Freund die Realität des menschlichen Daseins ignorieren konnte. "Was ist mit dir?" Erkundigte er sich ruhig, ein dunkles Brummen. "In welche Mannschaft möchtest du gern aufgenommen werden?" Geschäftig fischte Kentarou den Ingwer heraus, ließ sich das zerkleinerte Gemüse reichen. "Die Läufer sind ganz in Ordnung. Auf die Springerei mit den Stangen habe ich keine Lust, ist sowieso unsinnig, wenn man drunter durchgehen kann und irgendwelche Scheiben oder Kugeln will ich auch nicht durch die Gegend schmeißen. Muss man ja doch wieder aufklauben, den Müll." »Hier haben wir den wahrscheinlich einzigen Jungen an unserer Schule, der bei einer Olympiade nur Betätigungen im Haushalt anerkennen würde.« Hiroki erhob sich, um Kentarous Großvater auf die Beine zu helfen, der ihm freundlich den Oberschenkel tätschelte. Der alte Mann litt unter einem verkrümmten Rückgrat und konnte sich nicht mehr gerade aufrichten. Als er sich umwandte, konnte er im Augenwinkel noch erkennen, wie Kentarous sorgenvoller Blick dem Großvater folgte. Der Ausdruck verschwand sofort aus dem Fuchsgesicht. Hiroki studierte die gespannte Gestalt seines Freundes bedauernd. In der letzten Zeit, so erschien es ihm, gab es Geheimnisse, die Kentarou nicht mit ihm teilen wollte. Und das tat weh. "Hättest du vielleicht Lust, in die Fußballmannschaft zu wechseln?" Er bückte sich, um sich nicht den Kopf anzuschlagen, als er sich neben Kentarou an den alten Gasherd stellte. "Vorsicht!" Ermahnte der ihn wie ein Kind. "Das Fett spritzt." Emsig wurde das Gemüse gewendet, zum Abtropfen auf ein eingehängtes Gitter bugsiert, während Kentarou nun auch die gekürzten Eiernudeln anbriet. "Ach, Fußball!" Er zuckte mit den sehnigen Schultern. "Die sind mir zu besessen. Ich habe keine Lust, auch noch am Sonntag auf irgendwelchen Spielplätzen herumzurennen. Für so einen Käse habe ich keine Zeit." »Stimmt.« Hiroki studierte unter dem kurzen Zopf die anmutige, weiße Nackenpartie. Am Sonntag erledigte Kentarou die Arbeiten, die er wochentags nicht schaffte. Bis auf kleine Besorgungen führte er den Zwei-Personen-Haushalt alleine, überprüfte auch noch die Buchhaltung seines Großvaters, der immer noch Stammkunden bediente. Nur gelegentlich, wenn alles passte, begleitete Kentarou ihn in die Spielhalle. Oder ins Kino. Aber Hiroki wäre nie in den Sinn gekommen, allein einen Sonntag zu verbringen. "Hiro, sag Opa Bescheid, ich decke schon mal den Tisch." Mit geübten Bewegungen verteilte Kentarou Gemüse und Nudeln auf abgenutzte Schüsseln, bevor er für jeden eine Portion Reis aus dem Reiskocher holte. Mochten die Miwas auch in beengten finanziellen Verhältnissen leben: frischen Tee und gekochten Reis gab es immer. Und sie hätten es als Beleidigung aufgefasst, wenn Hiroki nicht mit ihnen zu Abend gegessen hätte. ~+~ Seiji kontrollierte sein Erscheinungsbild im Spiegel, suchte danach seine Umgebung rasch in der Reflexion ab. Außer ihm befand sich nur ein weiterer Schüler im Waschraum, 'Mamas Liebling', Mamoru Taki. »Hat wohl eine Konfirmandenblase.« Mutmaßte Seiji mitleidig. Sie waren beide die vermutlich häufigsten Gäste der sanitären Einrichtungen. Von seinem 'Schicksalsgenossen' wusste er lediglich, dass der in eine Parallelklasse der ersten Oberstufe ging, zumeist vergeblich versuchte, die sich störrisch krausenden, schwarzen Haare in einen Seitenscheitel zu zwingen und dass er trotz Brille immer in der ersten Reihe gleich bei der Tür saß. Den Spitznamen hatte man ihm gegeben, weil seine Mutter ihn einen ganzen Monat lang zur Schule gebracht und wieder abgeholt hatte, bis der Direktor ihr ans Herz legte, doch ein Einsehen zu haben und ihrem Sohn wenigstens so viel Selbständigkeit zuzutrauen. »Und ich habe auch den ersten Monat gut überstanden.« Seiji zwinkerte sich verstohlen zu, nahm seine Schultasche und verließ den Waschraum. Als er die Spinde erreichte, hatte sich der gewohnte Schülerstau bereits aufgelöst. Er reckte sich auf die Zehenspitzen, um sein Fach zu öffnen und die Slipper herauszunehmen, sie gegen die Schulschlappen auszutauschen. Seiji blinzelte überrascht, als er einen gefalteten Zettel im rechten Slipper entdeckte. Hastig blickte er um sich, doch niemand war zu sehen. Er entfaltete das Papier und las die knappe Botschaft. [Ich kenne dein Geheimnis.] ~+~ Es war still, die Geschäftigkeit des Tages nur eine Erinnerung. Er war allein, lediglich von einem leisen Summen der Lüfter begleitet. Buchstaben und Ziffern spiegelten sich auf seinem Gesicht vom Schein des Bildschirms wieder, zeichneten scharfe Züge um die Schatten. Geduld, er musste geduldig sein! Nichts überstürzen, nicht zweifeln. Die Lösung, die Antwort: sie war da. Das konnte er spüren wie seinen Herzschlag. Nur noch ein wenig mehr Geduld. ~+~ Der Schweiß klebte ihm das Hemd auf die Haut, lief sein Rückgrat hinab und tränkte den Hosenbund. Seiji vermied den Blick in das wachsbleiche Gesicht, das die Fenster des Zugs zurückwarfen. »Eine Lüge oder die Wahrheit?« Er blickte sich verstohlen um, immer wieder, fühlte sich paranoid und elend zu gleichen Teilen. »Wie kann das sein?! WIE?!« Was sollte er jetzt tun? Nicht wie gewohnt in den Waschraum gehen? Oder in die Pension?! »Aber welche Alternative habe ich denn?!« Regte sich ohnmächtiger Protest in ihm. Sollte er sich etwa in die Büsche schlagen?! »Wobei es nicht mal Büsche gibt!« Versetzte er innerlich angesäuert. »Denk nach!« Drängte er sich selbst verzweifelt. »Wer könnte es sein?!« Aber der Zettel war mit einem Computer bedruckt worden, keine Möglichkeit, eine Handschrift zu erkennen. »Er wird sich in jedem Fall melden.« Knirschte Seiji mit den Zähnen, ballte die Fäuste. Ganz klar, wer bekannt gab, dass er ein Geheimnis kannte, wollte sicherlich mehr als nur ein kurzes Erschrecken. Ging es vielleicht um Geld? Oder eine andere Form der Erpressung? Seiji zog die Schultern höher, verschränkte die Arme enger vor der Brust, als könne er sich selbst umarmen. Er hatte davon gehört, dass manche Gauner Schüler erpressten, für sie Ladendiebstähle zu begehen, wenn die Opfer nicht genug Geld von Zuhause unterschlagen konnten. Er selbst verfügte nur über bescheidene Mittel, immerhin bezahlten seine Eltern das Schulgeld und die Pensionskosten. Hier und da gab es Taschengeld, das in der Regel für kleine Ausflüge und Schulartikel verwandt wurde. »Aber wahrscheinlich geht es nicht um Geld...« Seiji presste die Lippen fest aufeinander, zuckte unter dem eisigen Schauer zusammen, der ihn überlief. »Ich kann nicht schon wieder wechseln.« Trotzig schob er die Unterlippe vor, funkelte sein Spiegelbild durch die großen Brillengläser an. Es blieb wohl nichts anderes zu tun, als abzuwarten, ob und wann sich der Erpresser melden würde und dann sehr schnell eine Lösung zu finden. ~+~ Er war fünf Minuten zu spät dran. Seiji hastete eilig in den Waschraum der Bahnstation, schlängelte sich an den uniformen Angestellten vorbei, die sich rasierten, Falten glätteten, Krawatten justierten, sich für einen weiteren Tag in der Tretmühle vorbereiteten. Er wählte eine der Kabinen, schloss sich ein. Geübt legte er den kleinen Taschenspiegel auf dem Spülkasten ab, deponierte die schmale Kosmetikschatulle daneben. Zuerst zwang er seine lackschwarzen, glatten Haare mit einem Band aus dem Gesicht, legte mit einem Schwämmchen die Grundierung auf. Grüner und blauer Lidschatten folgte, vom Hals bis zur Stirn, dann Rot und Gelb. Mit Toilettenpapier tupfte er überschüssige Sprenkel des farbigen Pulvers ab, betonte die Augen mit violettem Lidschatten, um Augenringe zu simulieren. Die Puderquaste tat ihr Übriges, bevor er zufrieden die Schminkschatulle schloss und die struppige Perücke justierte, die altmodische Brille mit der schweren Fassung und den überdimensionierten Gläsern aufsetzte. »Krawatte!« Erinnerte er sich selbst, bevor der kleine Taschenspiegel zur Schatulle in die Einkaufstasche wanderte. Seiji tauschte die Turnschuhe gegen Slipper, allerdings mit abgeschabten Absätzen, die ihn dazu zwangen, o-beinig zu laufen wie ein Greis. Der Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass er besser die Beine in die Hand nahm, wenn er ohne hängende Zunge am Bahnsteig ankommen wollte. Seiji stopfte die leere Plastiktüte in die Einkaufstasche, schloss die Kabinentür auf und verließ hastig den Waschraum. Von den Männern, die sich um die Spiegelfläche drängten, würde niemand ihn bemerken oder erstaunt sein über die Verwandlung. Er erreichte die Schließfächer, verstaute die Einkaufstasche und atmete kurz durch. Seine Hüfte schmerzte bereits, weil der Gang mit den vermaledeiten Schuhen so ungelenk und belastend war! "Guten Morgen, Sonnenschein!" Eine unbekannte Stimme wisperte vertraulich in seinen ungeschützten Nacken, während eine Hand demonstrativ die Schließfachtür einrasten ließ, der ausgestreckte Arm jeden Fluchtweg blockierte. Seiji bebte minimal, zu einer Salzsäule erstarrt. Die Stimme, warm, freundlich, sogar zärtlich, fuhr fort. "Ich war schon in Sorge, dass du verschlafen hast. Nun, wollen wir?" Langsam, angespannt wie ein Flitzebogen, drehte sich Seiji auf den schrägen Absätzen herum, blickte dem Feind in das Gesicht. Es lächelte amüsiert. Eine pointierte Augenbraue lupfte sich über einem Paar schwarzer Falkenaugen. Quer über das spitze Kinn verlief eine alte, imposante Narbe. "Nagaki. Tomohiko Nagaki." Flüsterte der amüsierte Mund vertraulich. In Seijis Erinnerung funkte ein Blitz der Erkenntnis. Vage meinte er sich zu entsinnen, seinen Gegenüber bereits einmal gesehen zu haben, ebenso ein Schüler der ersten Oberstufe, aber zweifellos keiner seiner Klassenkameraden. "Wollen wir?" Schmunzelnd streckte ihm Tomohiko den angewinkelten Arm hin. Endlich kam wieder Leben in Seijis eingefrorene Glieder. Hastig deponierte er den Schlüssel des Schließfachs in seiner Hosentasche und ging mit gesenktem Kopf voran. Die Katastrophe war eingetreten. ~+~ Mamoru erhob sich eilig, kreiste um die eigene Schulbank, huschte hinter dem Lehrer durch die Schiebetür und preschte über den Gang zur Toilette. Erst in der Kabine, auf dem Thron des Kleinen Mannes, schöpfte er Atem. Er wusste, dass sie über ihn lachten. »Aber besser Gelächter als die Wahrheit.« Mamoru rollte sich zusammen, zog die Knie leicht an, um sie zu umarmen. Sein Leben bestand seit jeher aus unzähligen "wenn ich doch nur...!" Nun, eigentlich begannen sie zumeist mit "wenn du doch nur...", bevor er sie sich pflichtschuldig zu eigen machte. »Wenn ich doch nicht so nervös wäre!« Seufzte er stumm. Ein frommer Wunsch, doch ob er sich jemals erfüllen würde? Hier, wo ihn jede Unzulänglichkeit, jede Schwäche, jeder Makel noch stärker verunsicherte, das winzige bisschen Selbstvertrauen zu Atomen zerbröselte und in alle Winde verstreute? Er schloss die Augen, rollte sich ein, bis er die Stirn auf den Knien ablegen konnte. Den einzigen Frieden konnte er nur im Schlaf finden. Und tagsüber hierher fliehen: letzter Ausweg Waschraum. ~+~ Noch immer fehlte eine Markierung, aber das spielte keine Rolle mehr für Satoru. Er selbst würde das Geheimnis nutzen, um eine andere Markierung zu erreichen und seine Beute einfordern. ~+~ Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Jagd von Erfolg gekrönt sein würde. Wenn er erst mal den Zugang gefunden hatte, das richtige Passwort, dann ergäbe sich alles Weitere von selbst. Alle Splitter würden sich zu einem Mosaik zusammensetzen lassen. »Und dann ist die Zeit der Rache angebrochen.« ~+~ Kapitel 2 - Erpressungen Seiji wagte nicht, sich nach den anderen umzusehen. »Wie hat er es erkannt?! Woher weiß er...?!« Er konnte sich nicht auf den Unterricht konzentrieren, jeder Vortrag rauschte wie ein Störgeräusch an ihm vorbei, eine enervierende Empfindung, die zu seiner Gesamt-Übelkeit beitrug. Immer wieder spulte er seine Liste ab, mit jedem weiteren Durchlauf eine Idee hysterischer. Konnte es die Perücke sein? Oder hatte er etwa irgendwo Makeup-Reste an der Uniform? War er Tomohiko schon einmal begegnet? Hatte er ihn etwa im Zug übersehen? Nein, der Zug schied aus, denn dort war er ja bereits der "andere" Seiji. Also doch etwas an seinem äußeren Erscheinungsbild? Könnte er beim Sport vielleicht eine Ahnung zu geschickt gewesen sein? Nicht wie der extrem kurzsichtige Trottel, den er darstellen wollte?! Seiji grübelte verzweifelt. Er hatte jeden Ball an sich abprallen lassen, niemals bei einem Sprint auf dem Punkt gestoppt, war artig bei jeder Anstrengung keuchend und schwitzend ermüdet. »Wie hat er mich erkannt?!« Die vage Hoffnung, Tomohiko möge auf ein anderes vermeintliches Geheimnis anspielen, konnte Seiji schnell ad acta legen. Warum hätte der ihm sonst über die eingefärbte Wange streicheln sollen?! »Nicht mal die üblichen Perversen haben mir nachgestellt!« Seiji zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern. Er WUSSTE, dass er grässlich entstellt und abstoßend wirkte. Nicht mal ein Buckel hätte noch etwas beitragen können! »Er weiß Bescheid, also, was nun?« Seiji senkte die Lider hinter der unförmigen Brille, kontrollierte jeden Atemzug, um sich zu beruhigen. Er hatte durchaus eine grafische Vorstellung davon, was Tomohiko erpressen konnte. Vor GENAU diesen Dingen war er schließlich geflohen. Mädchen waren schlimm genug, die hatten sogar Mitleid mit hässlichen Typen, ließen sich kaum von etwas abschrecken. Andere Perverse zeichneten sich auch nicht gerade durch guten Geschmack aus. »Aber an einer verdammten Oberschule für Jungs, die auf eher handwerkliche Berufsausbildungen ausgerichtet ist, DA sollte es doch wenigstens streng heterosexuelle Machos geben!!« Seiji zuckte zusammen, als alle um ihn herum auf die Beine kamen: die Stunde war zu Ende, der Lehrer verließ den Raum. Hastig folgte er dem Vorbild seiner Kameraden, bevor er wieder wie ein Häufchen Elend auf seinen Stuhl sackte. »Ich habe mit meinem Glück wahrscheinlich den einzigen Typen der Schule für mich interessiert, der auch auf Jungs steht!« Er lupfte die Brille, kreuzte die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf darauf. »WAS tun?!« Wieder abgehen, die Schule wechseln? Natürlich, in Kürze standen die Sommerferien an, doch die Zeitspanne war nicht kurz genug. Außerdem, wohin sollte er wechseln? Schon wieder?! Diese Option schied also aus. Sich arrangieren, das war ausgeschlossen. »Lieber ein Übel bzw. ein Übler als viele Üble?!« Die Alternative bestand darin, Tomohiko das Geheimnis wahren und sich im Gegenzug dafür missbrauchen zu lassen, oder sich allen zu offenbaren und zu hoffen, dass keiner ihm nachsteigen würde. Die Chancen dafür standen allerdings erfahrungsgemäß schlecht. »Wenn ich etwas entdecke, mit dem ich Tomohiko zum Schweigen verdonnern kann?« Für eine Sekunde schien diese Eingebung die Rettung zu versprechen, doch dann musste Seiji sich eingestehen, dass er rein gar nichts über diesen Tomohiko Nagaki wusste, geschweige denn intime Geheimnisse, die ihn zum Stillhalten nötigen wurden. »Wenn er nur Geld will?« Noch ein Strohhalm. In einer Toilettenspülung. »Wenn er Geld wollte, hätte er mich wohl kaum gestreichelt.« Versetzte der realistische Teil seines Urteilsvermögens. Nein, die schwarzen Falkenaugen ließen keinen Zweifel daran, dass er genau in Tomohikos Beuteschema passte. Ein anderer Lehrer trat ein. Automatisch taumelte Seiji zur Begrüßung in die Höhe, angelte seine Brille heran, um sich zu tarnen. Zwischen seinen Schläfen tobte ein fiebriger Kampf um den größten Schmerz. ~+~ "Hey, pass auf!" Mamoru hörte die ärgerliche Stimme, bemerkte im Augenwinkel den gewaltigen Schatten des Hünen. Eilig verneigte er sich im Weiterstolpern, hoffte, dass der Typ mit den Katzenaugen und dem rötlich schimmernden Schopf nicht seinen Goliath auf ihn losließ. Glücklich im Waschraum suchte er sich eine Kabine, schloss sich ein und ging in die Hocke. Würde es jemals aufhören? Gäbe es irgendwann eine Zeit, in der er tagsüber nicht ängstlich mit einer beschämenden Katastrophe rechnen musste? Würde er einmal ohne ständiges Schnüffeln auf verdächtige Gerüche leben? Mamoru rollte sich in der hockenden Haltung zusammen und umarmte seine angezogenen Knie. ~+~ Seiji ignorierte den mutmaßlich anwesenden Mamoru, tupfte sich mit einem angefeuchteten Papierhandtuch über das Gesicht. Wie versprochen hielt sein Makeup unverändert. Kein Wunder, wenn er an die Anstrengungen abends dachte, die Schichten von Vaseline, die er benötigte, um seine normale Gesichtsfarbe hervorzulocken! Mittagszeit. Er hatte keine Freunde, natürlich nicht!, deshalb suchte er sich immer irgendwo einen freien Platz in der ersten Oberstufe. Niemand wäre vermessen genug, sich einfach zu einer anderen Stufe zu setzen. »Wenn ich Freunde hätte, konnte ich sie um Schützenhilfe bitten.« Dachte er bitter. Die würden ihn dann so abschotten, dass Tomohiko das Nachsehen hätte. »Andererseits, wenn ich Freunde hätte, wäre ich nicht in dieser beschissenen Situation!« Er seufzte, zerraufte die Perücke, schob die übergroße Brille auf die Nasenspitze. Sein Magen signalisierte mit heftigen Kontraktionen, dass ER Hunger hatte und sich wie ein Wolf auf alles stürzen würde, was des Wegs gezogen käme. »Tomohiko zum Beispiel!« Knurrte Seiji grimmig, knöpfte seine Uniformjacke falsch und verließ den Waschraum. Die Mensa war bereits gut gefüllt, die Schlangen an der Ausgabe merklich kürzer. Seiji reihte sich ein, versuchte sich nach Tomohiko umzusehen, ohne seine Tarnung als halbblinder Volltrottel aufzugeben. Er zuckte zusammen, als unerwartet eine Stimme sanft in seinem Nacken raunte. "Du bist spät dran, Sei-chan." Ein Zucken raste in Blitzgeschwindigkeit durch seine Muskeln, sorgte dafür, dass Seiji Mühe hatte, einen Absturz seines Tabletts zu verhindern. »Wie kann der Kerl so plötzlich in meinem Blinden Fleck auftauchen?!« Ferngesteuert torkelte er durch die Stuhlreihen, suchte verzweifelt in seiner Stufe nach einem einsamen, freien Platz, beschleunigte, wollte eigentlich lieber stiften gehen, als sich hier einer weiteren Quälerei auszusetzen. Gleichzeitig schnaubte in seinem Inneren eine wütende Stimme. »Hast du DAS gehört?! SEI-CHAN!! Wie ich diesen Spitznamen HASSE!! Am Liebsten würde ich ihm die Fresse polieren! Komm schon, stell das verdammte Tablett ab, damit wir ihm die Zahngarnitur neu sortieren können!! Sei EINMAL in deinem verkorksten Leben nicht feige und schlag zu! Los, du Memme, nutze den Überraschungsmoment!« "Da hinten ist frei." Seiji spürte förmlich die Eisberge in seinem Blut. Tomohiko war wieder DIREKT hinter ihm. Selbst wenn er zuschlagen könnte, wie sollte er so einen Typen ÜBERRASCHEN?! Mit hängenden Schultern steuerte er die ausgedeuteten Plätze an, stellte sein Tablett klappernd ab, warf dabei wie gewohnt das Getränkepaket auf die Seite, während die Einweg-Essstäbchen zum Tablettrand rutschten. Ohne die Ungeschicklichkeit zu beachten plumpste er auf den Stuhl und spürte lähmende Resignation in seinen Gliedern. Ja, es lief auf die Entscheidung hinaus, sich selbst vor allen zu offenbaren oder aber Tomohiko nachzugeben. Alle anderen Optionen schieden aus. »Feigling!« Seufzte die wütende Stimme in seinem Inneren enttäuscht. Seji reagierte nicht, als Tomohiko ihm gegenüber sitzend das umgekippte Getränkepaket aufrichtete, die Essstäbchen wieder auf ihren Platz dirigierte. Plötzlich verursachte der Geruch der Speisen Seiji nur noch Übelkeit und Widerwillen. Er konnte sich nicht überwinden, einen Unterarm von der Kunststoffbeschichtung des Tisches zu heben, die Essstäbchen aus ihrer Papierummantelung zu befreien und durchzubrechen. Er spürte die inquisitorischen Blicke auf sich ruhen, fokussiert wie der brennende Strahl der Sonne durch eine Lupe auf ein Insekt gerichtet. Seiji kämpfte gegen das Gefühl der Ohnmacht und Niederlage an. Das Lachen, Schwatzen und Geschirrklappern verschwand, er wurde taub. In der Stille beruhigte sich auch sein aufgewühlter Zustand. »Das ist nicht fair.« Stellte er fest. Er musste sich das nicht antun. Nicht schon wieder. Der Trotz in dieser Feststellung gab ihm Kraft, die er nutzen wollte, bevor sein Verstand ihm wieder Ketten anlegte, vernünftig wurde. Ohne ein Wort erhob er sich, nahm das Tablett auf und ging zu den Service-Wagen hinüber. Er stellte das Getränkepaket und die ungenutzten Stäbchen auf eine Ebene, schüttete die noch dampfenden, unangetasteten Speisen in die Mülltonnen, bevor er Geschirr und Tablett auf das Rollband deponierte. Sein Magen jaulte empört auf, beugte sich aber kleinlaut dem kalten Trotz der Mehrheit. Seiji verließ die Mensa, ging zu den Schließfächern. Er tauschte die Schulschlappen gegen die abgetretenen Slipper, dann spazierte er zum Schultor. Es war geschlossen, wie immer, doch Seiji hatte keine Mühe, es zu übersteigen und das Schulgelände zu verlassen. »Vogelfrei.« Dachte er, lächelte aber nicht. Auch wenn Die Leute ihm neugierige Blicke zuwarfen, weil er in seiner Uniform leicht als Schulschwänzer zu erkennen war, kümmerte er sich nicht darum. Sein Ziel war der kleine Park mit dem alten Weiher. Zwischen den knorrigen Bäumen suchte er sich einen freien Platz, warf die Uniformjacke auf das mit Moosgeflecht durchsetzte Gras und ließ sich matt niedersinken. Hier war die Welt in Ordnung. Weil er mit sich allein war. ~+~ »Das ist überraschend.« Tomohiko erhob sich, nachdem er sein Mittagessen beendet hatte, sammelte sein Tablett auf. Er hatte nicht erwartet, dass Seiji einfach gehen würde. »Dem wird bald der Magen knurren.« Er verteilte das benutzte Geschirr auf dem Rollband, griff nach dem ungenutzten Getränkepaket. So warm, wie es bereits war, würde Seiji sicher Durst haben. »Wir sehen uns noch.« Lächelte er zähnebleckend. ~+~ Es war nicht schwierig, das Geheimnis herauszufinden. Ihm einfach zu folgen genügte bereits. Satoru lächelte beschwingt. Er hatte nicht erwartet, SO einen Treffer zu landen. ~+~ Seiji fühlte sich schwindlig, als er am Abend zur Schule zurückkehrte. Längst bedauerte er, zwar die Schuhe gewechselt zu haben, nicht aber die Schultasche mitzunehmen. Ohne Fahrkarte oder Bargeld MUSSTE er an den Ort der Schmach zurückkehren. In seinem Kopf dröhnte dumpfer Schmerz, Durst, durch die Hitze erhöhte Körpertemperatur und drückende Sorgen. Er WUSSTE, dass sein Anfall von Trotz nicht mehr als eine Geste gewesen war. Das Schultor stand nun offen, die große Masse der Schüler hatte sich bereits auf den abendlichen Heimweg gemacht. Ohne sich um mögliches Publikum zu sorgen stolperte er in das Gebäude, erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass er sich nicht mit dem Handrücken über die feuchte Stirn wischen sollte. Für einen langen Augenblick lehnte er sich gegen die Schließfächerfront, hob dann die Hand, um sein eigenes Fach zu öffnen. Seiji zuckte nicht mal, als sich eine Hand in Kopfhöhe neben ihm auf eine Schließfachtür legte. "Du wirst meine Notizen benötigen." Da war sie wieder, diese trügerisch sanfte Stimme. Die Henkel der Schultasche umklammert schloss Seiji die Augen. Er fühlte sich sogar zu schwach, sie aus dem Fach über seine Schulschlappen hinwegzuheben. Außerdem klebte ihm die Zunge am Gaumen, was einen Würgereiz auslöste. Eine Hand packte seine Schulter, drehte ihn herum, lehnte ihn rücklings gegen die Fächer. Obwohl der Aufprall kaum bemerkenswert schien, dröhnte Seijis gesamter Körper. "Trink das." Viel zu nahe stand Tomohiko vor ihm, drückte ihm ein Getränkepaket in die kalten, zitternden Hände. Er blinzelte, versuchte in den schwarzen Falkenaugen zu lesen. Die blickten gelassen zurück, gaben keine Absichten preis. Stattdessen umfasste eine Hand sein rechtes Handgelenk, um das Getränkepaket anzuheben, während die andere den Strohhalm durch die Schutzfolie rammte. Als er nicht reagierte, hob Tomohiko ihm sogar das Handgelenk an, justierte mit der freien Hand schmunzelnd den Strohhalm. Seiji gab nach, saugte langsam und schlürfend den grünen Tee ein. Sie musterten einander schweigend, bis das Getränkepaket leer war. Tomohiko griff an Seiji vorbei, nahm dessen Schultasche und apportierte sie wie seine eigene. "Lass uns noch etwas essen gehen. Du hast sicher Hunger, und ich kann dir dabei meine Notizen erklären." Seiji erwog für einen Augenblick, Tomohiko beiseitezustoßen und wegzulaufen, aber angesichts seines matten Zustands legte sein Verstand ein Veto ein. Stumm trottete er o-beinig neben seinem Begleiter her. Es irritierte ihn ein wenig, dass Tomohiko sich ihm nicht körperlich aufdrängte oder damit prahlte, wie er sein Wissen gegen ihn einsetzen würde. "Hier, Tanuki-Soba, hast du Lust?" Tomohiko wischte einen der Vorhänge beiseite und ging voran. Seiji erwog eilig den Stand seiner Barschaft. Normalerweise genügte ihm das Mensaessen, sodass er abends nur noch Tee trank. Und in der Pension gab es ja Frühstück! »Nun, ausnahmsweise.« Gestattete er sich selbst den Luxus, kletterte auf den Hocker neben Tomohiko an der Theke. Der hatte bereits geordert und klappte seine Notizbücher auf. "Du gehst gar nicht in meine Klasse." Stellte Seiji nun fest, das erste Mal, dass er mit Tomohiko direkt sprach. "Stimmt." Sein Begleiter lächelte ungetrübt. "Aber wir haben viele Stunden zusammen, besonders am Nachmittag." »Wirklich?« Seiji verwünschte seine Unachtsamkeit. Warum hatte er nicht stärker seine Umgebung im Auge behalten?! Nur weil er sich von allen distanzieren wollte, musste er ja nicht so leichtsinnig sein! »Zu spät!« Knurrte er sich selbst an. Dampfend wurden die Schüsseln vor ihnen abgestellt. Abgelenkt von seinem Hunger schlürfte Seiji gierig die Nudeln ein. Wenn der Kopfschmerz verschwunden war, konnte er sich immer noch mit seinen Problemen befassen. Nachdem sie ihre Nudeln bezahlt hatten, liefen sie nebeneinander zur Bahnstation. Seiji, der die Notizhefte leihweise in seiner Schultasche verstaut hatte, wollte nicht fragen, plagte sich aber mit Neugierde. Welchen Zug würde dieser Tomohiko wohl nehmen? War er ihm deshalb auf die Spur gekommen? Tatsächlich unternahm Tomohiko keine Anstalten, sich von ihm zu verabschieden, ergriff allerdings auch nicht mehr das Wort. Der Zug war wie immer stark gefüllt, Pendel-Berufsverkehrszeit. Seiji drängte sich mit hochgezogenen Schultern in eine Ecke, möglichst nahe des Fensters. Tomohiko blieb ihm auf den Fersen, stellte sich breitbeinig wie eine Sperre auf, als wolle er Seiji von allen anderen abschirmen. Den Kopf abgewandt, die Schultasche vor die Brust gezogen starrte Seiji aus dem Fenster. »Er weiß ES.« Resignierte er und gab letzte Hoffnungen auf. Schweigend schaukelten sie die Stunde Zugfahrt. Seiji legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Wann würde Tomohiko wohl mit der Sprache herausrücken? An der Melodie erkannte Seiji seine Station, drehte sich um, nahm die Masse in Augenschein, die mit ihm aus dem Zug quellen würde. Beim Aussteigen achtete er darauf, zu den letzten Reisenden zu gehören, das reduzierte die Gefahr, gestoßen oder begrapscht zu werden. Zu seiner Verwirrung schloss sich Tomohiko an. »Der will doch nicht mit mir gehen, oder?!« Ausgeschlossen, dass er Tomohiko auch noch verriet, wo er logierte! Der ließ sich jedoch nicht abschütteln. "Musst du nicht nach Hause?!" Fauchte Seiji schließlich, hielt vor dem Waschraum der Bahnstation inne. Tomohiko lächelte bloß. Seiji machte auf den schräg getretenen Absätzen kehrt und stürmte mit seiner Plastiktüte hinein. Er suchte sich eine freie Kabine, ignorierte Tomohiko, der amüsiert grinsend bei der Waschbeckenreihe wartete. Ärgerlich lupfte Seiji die Perücke, zog die überformatige Brille ab und schob alles in seine Plastiktüte. Dann nahm er erst mal auf der Toilette Platz und atmete tief durch. Aber alle Wut half nicht, das wusste er ja nur zu gut. Also wurde der Taschenspiegel wie gewohnt auf dem Spülkasten ausgerichtet, er zupfte Toilettenpapier ab, um sich mit Vaseline die kunstvollen Spuren des Makeup vom Gesicht zu wischen. Zuletzt zog er das enge Stoffband von seinem Kopf, kämmte sich rasch durch die lackschwarzen Haare. Er kontrollierte seine Habseligkeiten und verließ endlich die Kabine. Natürlich wartete Tomohiko noch immer, würdigte die anderen Nutzer keines Blicks. Seiji blieb stehen, funkelte trotzig in die schwarzen Falkenaugen. Die musterten ihn, wanderten genüsslich von den schrägen Slippern bis zu seinen Haarspitzen. Mit jedem Herzschlag spürte Seiji, wie ihm Farbe in die Wangen stieg, was seine Wut noch steigerte. Schimpfworte lagen ihm auf der Zunge, aber er schluckte sie herunter, rauschte mit Plastiktüte und Schultasche davon, zurück zu den Schließfächern. Tomohiko lehnte sich lässig neben ihn an die Türen. Seiji wandte den Kopf und starrte ihn herausfordernd an. »Nun sag schon endlich was! Schüchtere mich ein! Du willst mich doch erpressen, also spare dir die noble Zurückhaltung!« "Ich sehe dich morgen, Sei-chan." Tomohiko zwinkerte souverän, drehte sich geschmeidig um und verließ die Bahnstation. Seiji starrte ihm ungläubig nach, dann schlug er sich mit der Faust gegen den Oberschenkel. »So läuft das Spiel also!« ~+~ Als Seiji an der Schließfachreihe der Bahnstation eintraf, rieb er sich erneut über die Augen. Die ganze Nacht über hatte er sich unruhig hin und her gewälzt, geplagt von Befürchtungen. Die Notizen hatte er artig kopiert, überrascht von der akkuraten Handschrift. Er löste seine Plastiktüte aus, schob die Schultasche herein, denn er musste ja nicht die Toilettenkabine unnötig füllen! War so schon eng genug! Seiji betrat den Waschraum, einigermaßen erleichtert, dass er bisher noch kein Anzeichen von Tomohiko erblickt hatte. Das änderte sich jedoch rasch, als er Tomohiko vor der Kabine stehen sah, die er üblicherweise für seine Verwandlung benutzte. "Guten Morgen, Sei-chan." Tomohiko löste sich lässig, streckte die Hand fordernd aus. Seiji hielt inne. "Was willst du?!" Fauchte er heiser. "Lass mich es versuchen." Tomohiko zeigte sich vollkommen unbeeindruckt von Seijis Abwehr. "Nein!" Zischte Seiji. "Ich will nicht angefasst werden!" Er wandte sich ab, schließlich gab es noch andere freie Kabinen! "Ich werde dich auch nicht anfassen, wenn du das nicht möchtest." Klang Tomohikos sanfte Stimme etwa amüsiert?! "Nur Pinsel und Papier, nicht wahr?" Seiji zögerte. Wenn Tomohiko ihn nicht an der Verwandlung hinderte, konnte das nicht bedeuten, dass der vielleicht gar nicht so einfach seinen Vorteil aufgeben wollte? Warum drohte er ihm denn nicht, wie sich das für einen zünftigen Erpresser gehörte?! "Ich brauche deine Hilfe nicht, und jetzt geh beiseite!" Schnaubte er betont ungehalten. "Wie du möchtest, Sei-chan." Tomohiko schmunzelte und gab tatsächlich den Weg frei. Seiji schloss sich in der Kabine ein, konzentrierte sich grimmig auf seine Arbeiten, justierte abschließend Brille und Perücke. Nachdem er alle Habseligkeiten in der Plastiktüte verstaut hatte, öffnete er die Kabinentür und flitzte an Tomohiko vorbei. Doch abhängen konnte er ihn natürlich nicht, außerdem würde der ja mit ihm in den Zug steigen. Trotzdem wollte er ein Zeichen setzen, auch auf den verdammt schrägen Absätzen! Tomohiko lächelte. Natürlich! Seiji registrierte dessen Gelassenheit zähneknirschend, war aber dankbar, dass sich Tomohiko wie am Vorabend als menschlicher Prellbock aufbaute, ihn von den anderen Reisenden abschirmte. Die Augen geschlossen döste er im Stehen vor sich hin. Kichern und hämische Gesprächsfetzen drangen in seine Enklave der Sicherheit ein. Er blinzelte, erkannte einige Schulmädchen, die sich über ihn lustig machten, lästerten. Das war zu erwarten und besser als andere Reaktionen von früher. Tomohiko sah nicht mal herüber. "Stört es dich nicht, dass alle glauben, du wärst mit einem Vollidioten unterwegs?" Seiji konnte sich die Gehässigkeit nicht verkneifen. Aber wie gewohnt blitzten bloß die Zähne in einem Lächeln auf, die schwarzen Falkenaugen funkelten amüsiert. "Idiot!" Zischte Seiji ärgerlich, schloss sich den Aussteigenden an. Er glaubte, Tomohikos Grinsen in seinem Nacken prickeln zu spüren. ~+~ Mamoru hastete geduckt zu seinem Schließfach. Wie gewohnt wollte er eilig die Turnschuhe mit dem kindlichen Klettverschluss gegen die Schulslipper eintauschen und sich sogleich in seine Zuflucht, die Toilette flüchten, die er erst mit dem ersten Gong wieder verließ. An diesem Morgen jedoch flatterte ihm ein Umschlag entgegen. Ängstlich blickte er sich um, raufte sich die krausenden Haare, die bereits dem lästigen Seitenscheitel entflohen waren. Beobachtete ihn jemand? Begannen nun die gemeinen Streiche und Hänseleien? Noch bevor seine Nervosität überhand nehmen konnte, flitzte er an den Wänden entlang zur Toilette, schloss sich in seiner bevorzugten Kabine ein. Nun erst wagte er, den Umschlag zu öffnen. Er enthielt eine Seite gewöhnliches Druckerpapier, verziert mit zwei Fotos und einem kurzen Text. [Ich kenne dein Geheimnis. Ich werde schweigen, wenn du dich am Mittwoch um Sieben vor dem dritten Kellerausgang einfindest.] Mamoru starrte totenbleich auf die Bilder, wandte dann ruckartig den Kopf, doch wenig verwunderlich konnte er keine Kamera erblicken. Seine Finger zitterten, er war kaum fähig, den Erpresserbrief wieder in den Umschlag zu schieben. Durch das panische Dröhnen seines Pulses kämpfte sich mühsam die Glocke zum Unterrichtsbeginn. Wie aufgezogen richtete sich Mamoru auf, bekleidete sich wieder vollständig und zog die Spülung, bevor er sein Refugium verließ. Doch SICHER war er hier nicht mehr. ~+~ Die Angst hatte angestrengte Linien in sein Gesicht getrieben, die leichenfahle Blässe ließ die Sommersprossen stärker hervortreten. Fahrig, gebeugt und mit flackerndem Blick durchlitt Mamoru den Unterricht, doch seine Gedanken kreisten unaufhörlich um den Brief. Was tun? Riskieren, dass das schreckliche Geheimnis verbreitet wurde? »Wie schlimm kann es noch werden?« Jagte ein sarkastischer Gedanke den anderen. »Wolltest du nicht ein wenig Aufmerksamkeit deiner Mitschüler?« Diese Anspielung verursachte ihm Übelkeit. Natürlich, ganz scheu und bescheiden, hatte er den Wunsch gehegt, es möge sich ein Freund finden, jedoch keine übersteigerten Erwartungen an die Oberstufe geknüpft. Allein, die Aussicht, auf DIESE Weise einen Bekanntheitsgrad zu erringen, erschütterte ihn bis ins Mark. Wenn er nun aber einwilligte, den oder die Unbekannten traf, was konnten sie von ihm fordern? Schweigegeld konnte er nicht entrichten, verfügte kaum über eigene Mittel. Kein Einfluss, kein Posten, keine Verbindungen... Mamoru war nicht naiv genug, um nicht zu vermuten, dass die Erpressung auf eine Quälerei hinauslief. Er verfügte über nichts, das für andere von Interesse war, sodass es nur eine mögliche Antwort gab: zum Zeitvertreib das Drangsalieren eines Schwächeren. Wie schlimm würde es werden? Wo fand sich seine Schmerzgrenze? Wann würde er eher die öffentliche Demütigung ertragen als misshandelt werden? Mamoru rieb sich die Nasenwurzel, so, als könne seine randlose Brille ihren Sitz zum Nachteil verändern. Obwohl ihm immer wieder der Schweiß ausbrach, er hochnotpeinlich mit einem 'Unglück' rechnete, die Uniform klamm auf seiner Haut klebte: Mamoru konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Gegner planvoll vorgingen. Sie hatten nicht nur die entlarvenden Bilder über eine eingeschmuggelte Kamera erzeugt, sondern auch festgestellt, wann er am Abend Selbststudium hatte und sich so ohne Aufsicht oder Zugriff befand. »Wie soll ich Mutter bloß erklären...?!« Aber die Sorge schob er von sich. Solange er zum Schulschluss um acht Uhr das Gebäude verlassen und ordnungsgemäß seinen Zug erreichen konnte, bestand keine Notwendigkeit, ein Geständnis abzulegen. Ängstlich und geduckt huschte er also in den Keller, blickte sich hastig um, ob ihm jemand folgte. Das dämmrige Licht der Energiesparbeleuchtung wirkte auf ihn bedrückend und surreal. »Wie bin ich bloß in diese Klemme geraten?« Fragte er sich bedrückt, hoffte auf ein äußerst unwahrscheinliches Wunder. Als er den mit einer großen Ziffer bemalten Kellereingang Drei erreichte, fand er sich allein. Bange drehte er sich um die eigene Achse, suchte nach einem Hinweis, einer Nachricht oder vielleicht einer verborgenen Kamera, die ihn aufnahm und irgendwo für Erheiterung angesichts seiner panischen Qual sorgte. »Was nun?!« Ratlos blickte er den Gang auf und nieder, wrang die Hände, biss sich auf die Unterlippe. Wenn er noch weitere Minuten in dieser folternden Ungewissheit verbringen müsste, würde ein Unglück geschehen. Da hörte er leichte Schritte. Rasch presste sich Mamoru in den Eingang, fürchtete für einen Moment die Entdeckung stärker als das trügerisch erlösende Aufeinandertreffen mit dem Erpresser. "Tut mir leid, ich habe mich verspätet." Eine Gestalt blendete das fahle Licht aus, adressierte ihn mit kultivierter, sanfter Stimme. Mamoru starrte bloß. »Zweite Oberstufe.« Registrierte sein aufgeschreckter Verstand, doch er konnte dem Älteren keinen Namen zuordnen. "Tanaka. Satoru Tanaka." Antwortete sein Gegenüber spöttisch, als könne der tatsächlich Gedanken lesen. "Warum gehen wir nicht hinein?" So nonchalant, wie die Worte ausgesprochen wurden, schob der Ältere Mamoru beiseite, drehte einen Vierkantschlüssel und öffnete die Kellertür. "Bitte, nach dir." Eine elegante Geste begleitete die Aufforderung. Mamorus Schultern zuckten automatisch hoch, verkrochen sich bei seinen Ohren. Er wickelte die Arme um seinen Oberkörper, schlich geduckt an dem Älteren vorbei und stieg die geflieste Treppe hinunter, wagte kaum, sich umzublicken. ~+~ »Sieh an.« Satoru schmunzelte, als er sein Opfer vor sich die steile Treppe hinunterklettern sah. Mamoru wirkte auf ihn wie das sprichwörtliche verschreckte Kaninchen im Bann der Schlange, eingeschüchtert, verängstigt und stumm. Ärgerlich kämpfte er einen Anflug von Mitgefühl herunter. »Souverän auftreten!« Ermahnte er sich, befahl seinem Herz, nicht so aufgeregt zu trommeln. Es wäre zu lästig, wenn die Beklemmung seines Opfers sich wie Mehltau auf ihn selbst legen würde! "Das ist die Hebeanlage." Erklärte er betont höflich. "Aber obwohl hier alles gefliest ist, gab es noch keine Überschwemmungen." Er beobachtete, wie Mamorus Kopf hastig hochzuckte, flink die Umgebung auf sich wirken ließ und sich wieder in sich selbst verkroch. In der Tat musste die Umgebung abschreckend wirken. Lediglich die Anlage selbst, stählern glänzend und von gewaltigem Umfang, wie ein Braukessel verschlossen und mit gewaltigen Rohren verbunden, war nicht weiß gefliest. Sie saß inmitten des so genannten Pumpensumpfs, also der tiefsten Stelle. Hinter ihr führte eine Leiter auf eine mit Geländern abgetrennte Galerie, die sämtliche Messinstrumente und Regler beherbergte. "Fein." Stellte Satoru aufgeräumt fest. "Jetzt zieh dich aus." Große, schwarze Augen blickten ihn fassungslos, sogar begriffsstutzig an. "Liebe Güte!" Bemühte sich Satoru mit betont selbstsicherer Heiterkeit. "Was hast du denn erwartet?" In dem bleichen Gesicht mit den winzigen Sommersprossenschatten konnte er noch immer Unverständnis lesen. Demzufolge sah er sich zu einer Erklärung genötigt. "Ich nehme doch an, du möchtest nicht, dass ich dein Geheimnis in die geschwätzigen Hände der Schulgemeinde lege, oder? Nein? Nun, dann darf ich wohl davon ausgehen, dass du meiner Aufforderung JETZT nachkommen wirst." "...aber-aber...warum?" Piepste ihm, durchaus zu seiner Überraschung, da er nicht mit Widerstand gerechnet hatte, der Jüngere zu. "Glaubt man's?!" Satoru verdrehte mokierend die Augen. "Natürlich zum Sex!" Diese Eröffnung schien undenkbar zu sein, denn sein Gegenüber starrte ihn mit herabsackendem Kiefer so blöde an, dass Satoru unwillkürlich lachen musste. Mamoru wirkte vollkommen perplex. "Nun, los doch!" Antreibend klopfte Satoru dem Jüngeren auf die Schulter. "Ausziehen! Wir wollen doch nicht unnötig Zeit verschwenden." Damit kehrte er sich um, streifte seine eigene Schuluniform gelassen ab, deponierte sie auf das Geländer der Treppe, knöpfte sich mit einem versteckten Schmunzeln das Schulhemd auf. Hinter ihm räusperte sich krächzend sein Opfer. Höflich kehrte sich Satoru um. Mamoru stand mit blankem Oberkörper in drei Schritten Entfernung, in der Haltung eines verbogenen Kleiderhakens. Seine fahlen Wangen zeigten unkleidsame Röte der Scham. "...aber...soll ich...??" Die schwarzen Augen flehten förmlich um Hilfe. Satoru schnaubte übertrieben, verkürzte die Distanz mit großen Schritten und packte das spitze Kinn des herzförmigen Gesichts. "Wo liegt das Problem? Stottere hier nicht herum, ich WEISS, dass du dich korrekt artikulieren kannst!" Sein strenger Ton verfehlte die Wirkung nicht: der Jüngere klapperte nun sogar mit den Zähnen, kämpfte verzweifelte Tränen zurück. Erneut bot er Satoru eine erfreuliche Überraschung, denn nach zwei krampfhaften Schluckversuchen äußerte er sich verständlich. "Ich kann das nicht. Wegen meines Problems." Satoru lupfte eine Augenbraue in einem sardonischen Vergnügen. "ICH sehe kein Problem. Da ist der Bodenabfluss, an der Wand hängt ein Gummischlauch, Wasser gibt es auch. Und dann wäre da natürlich auch noch die wundervolle Erfindung des Latex. Wenn du nun so freundlich wärst!" Mit Grandezza kniff er das spitze Kinn und drückte es tadelnd beiseite, bevor er sich schwungvoll umkehrte, um sich vollkommen zu entkleiden. Er war darauf gefasst, Schluchzen, ängstliches Flehen zu hören, doch Mamoru blieb stumm. Als Satoru sich umwandte, stand Mamoru neben dem Bodenabfluss, splitternackt, den Kopf mit dem sich krausenden Schopf gesenkt, die verkrampften Hände auf eine unsichtbare Hosennaht gelegt, den Blick auf den gefliesten Boden gesenkt. Mit einem Seitenblick registrierte Satoru den Stein des Anstoßes auf dem ordentlichen Kleiderstapel. "Komm her." Ordnete er an, sanft und geduldig. Mamoru gehorchte, verspannt und geduckt wie ein Tier, das Prügel erwartet und doch weiß, dass es Folge leisten muss. "Sieh mich an." Befahl Satoru streng. Er hatte nicht die Absicht, unter der unerträglich verwirrten Putzwolle ein Gesicht zu suchen. "Die Regeln sind ganz einfach." Erläuterte er im Plauderton, ließ die großen, schwarzen Augen nicht aus seinem Fokus. "Wir werden uns jeden Mittwoch hier um diese Uhrzeit treffen. Ich werde Sex mit dir haben. Wenn du darüber nachdenkst, unsere Vereinbarung aufzukündigen, werde ich dein Geheimnis publik machen. Irgendwelche Fragen?" Er erwartete eigentlich nicht, dass sich Mamoru muckste, doch zu seiner Überraschung teilten sich die blutleeren, partiell zerbissenen Lippen. Den ersten Anlauf brach Mamoru ab, weil seine Stimme versagte, nur aus Krächzen bestand. Er räusperte sich und nahm einen zweiten Versuch in Angriff. "Ich-ich weiß nicht, ob es gehen wird." »Rührend!« Fuhr es Satoru unwillkommen durch den Kopf. Als ob ein Spitzmäuschen mit einem Panther verhandelt und ihn warnt, er möge sich vielleicht den Magen verderben. Laut antwortete er arrogant. "Darüber solltest du dir nicht den Kopf zerbrechen. Los, komm zur Treppe!" Er veranlasste Mamoru, sich neben die Treppe zu setzen, bevor er begann, dessen Handgelenke zu fesseln und an das Treppengeländer zu binden. "Ich finde kein Vergnügen daran, gekratzt oder gekniffen zu werden." Zischte er den Jüngeren warnend an. "Genauso halte ich es mit Tritten oder Bissen. Mit anderen Worten: wenn du dich ungebärdig aufführst und mich verletzt, werde ich dich windelweich prügeln. Hast du das verstanden?!" "Jawohl." Antwortete Mamoru gehorsam, folgte ihm mit den schwarzen Augen bange. Über Mamorus Kopf auf der Treppe sortierte Satoru seine Habseligkeiten. Er spürte eine gewisse Erregung bei der Vorstellung, wie gelungen sich sein Vorhaben in die Tat umsetzen ließ. "Die Beine auseinander." Gebot er, half selbst energisch nach, als Mamoru zögerte. Satoru kniete sich zwischen die gespreizten und aufgestellten Beine des Jüngeren, spürte die hastigen Atemzüge auf seiner Front. Mamoru hatte Angst und fürchtete sich davor, ein 'Unglück' nicht verhindern zu können. »So wird das nie etwas.« Befand Satoru kritisch. Spielerisch ließ er die Finger über Mamorus Seiten gleiten, spürte unter der Haut die Rippenbögen. Er beugte sich vor, raunte in ein Ohr. "Schließe die Augen. Atme tief und langsam. Entspann dich." Er zog sich ein wenig zurück, um zu kontrollieren, ob Mamoru tatsächlich artig die Lider gesenkt hatte. Der war der Aufforderung nachgekommen, doch seine Lider flatterten, weil von Entspannung nun wirklich keine Rede sein konnte. Satoru wählte das andere Ohr, flüsterte verführerisch wie eine Sirene. "Lass dich fallen und wehre dich nicht. Ich kann ohnehin mit dir tun, was ich will, du hast keine Chance. Gib nach." Dann erhob er sich aus der knienden Haltung, zog ein Stofftuch aus seinen Utensilien heraus, band es Mamoru über die Augen, ließ Zeit verstreichen, indem er den Jüngeren, der unruhig bebte, einfach studierte. Sah man von der geisterhaften Blässe ab, konnte der fast zu schlanke Mamoru für recht anziehend gelten. »Wenn er nur eine richtige Frisur bekäme! Und nicht wie ein verdrehtes Fragezeichen herumgehen würde!« Satoru betrachtete die randlose Brille, die er seinem Opfer abgenommen hatte. Er selbst nutzte Kontaktlinsen, konnte aber recht gut abschätzen, dass Mamoru vermutlich nur eine geringe Sehschwäche hatte. »Nun gut!« Ermahnte er sich selbst zur Tat. »Finden wir heraus, ob unser Spitzmäuschen mir munden wird!« Mit den Fingerspitzen glitt er Mamorus hochgebundene Arme langsam hinunter, bemerkte jeden Schauer, jeden erstickten Seufzer. "Denk dran!" Wisperte er rau. "Ich kann mit dir tun, was ich will. Du hast keine Chance." Hätte ein anderer sich aufgebäumt und protestiert, so wäre Satoru nicht überrascht gewesen, doch bei Mamoru vermutete er, dass seine Worte den richtigen Schalter umlegten, sinnlosen Widerstand verhinderten. Während er die Innenseiten von Mamorus Oberschenkeln bestrich, knabberte er lächelnd an dessen rosigen Brustwarzen. Sie waren ein herrliches Spielzeug, wie Satoru fand, ließen sich ablecken, ansaugen, sanft beißen und mit der Zunge necken, wie ein Joystick dirigieren. Mamoru atmete schneller, seine Bauchdecke hob und senkte sich rapid. Satoru spürte, dass der Jüngere die Beine schließen wollte, sich zusammenkrümmte. "Keine Angst." Tröstete er zärtlich, löste sich, um nach den Kondomen zu greifen. Er wollte sich nicht um das Vergnügen bringen, weil Mamoru von seiner Angst beherrscht wurde. Als er nach dessen Penis griff, zuckte Mamoru so heftig zusammen, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Treppe schlug. "Nicht doch!" Tadelte Satoru streng. "Habe ich nicht entspannen gesagt?! Wenn du mir noch mal deine spitzen Knie in die Seiten rammst, muss ich dich versohlen!" "Ent-entschuldigung!" Stieß der Jüngere keuchend hervor, die gefesselten Hände zu Fäusten geballt. "Tsk, tsk!" Tadelte Satoru unnachsichtig, lächelte aber im Schutz der verbundenen Augen. Er begann erneut, über die bleiche Haut zu streicheln, ließ aber die alerten Brustwarzen außen vor. So konnte er spüren, wie sich der Jüngere tatsächlich entspannte, sich ergab. "So ist es gut." Murmelte er selbstvergessen. "Lass dich einfach fallen." Mamoru wirkte, obwohl er zweifellos das Ende der Pubertät erreichte, wie ein Kind. Seine Ausstrahlung zeugte von Unsicherheit, Furcht und Befangenheit. »Ein gutes Opfer!« Rief Satoru sich zur Ordnung. »Artig und fügsam!« Trotzdem verspürte er Mitgefühl mit dem überschlanken Körper, der sich so zusammenkrümmte, wegduckte, sich kleiner machte, der Gesten eines Jungen bediente. Er streichelte über die Oberschenkel, konzentrierte sich auf Mamorus Gesicht. So konnte er ablesen, was in seinem jüngeren Partner vorging. Dazu musste er nicht einmal Finger und Zehen betrachten, die gekrümmt und wieder entspannt wurden. Mamoru reagierte wie jemand, der sich an einer fremden Sportart versuchte: er wollte keinen Laut von sich geben, die Spannung durch den Atem unter Kontrolle bringen, sich fieberhaft einreden, dass alles in Ordnung war und keine Veranlassung bestand, in Aufregung zu geraten. »So viele Geheimnisse!« Satoru lächelte, streichelte über Mamorus Brustkorb und beglückwünschte sich zu seiner Wahl. Es GAB natürlich eine Erklärung dafür, warum sich Mamoru die Schambehaarung rasierte, aber sie konnte wohl kaum für seinen Brustkorb gelten, richtig? »Dann gehen wir jetzt zum vergnüglichen Teil über!« Satoru befeuchtete sich die Lippen, gebot seinem Herzschlag kein Limit mehr. Er richtete sich auf, um von der Treppenstufe die Kondome zu pflücken, sie neben sich auf die Fliesen in Reichweite zu legen. Kniend, die Beine leicht geteilt, beugte er sich vor, packte die Knöchel und hob sie an. Mamoru entrang sich ein erschrockener Laut, er zuckte zusammen. "Keine Angst." Besänftigte Satoru, legte sich die Füße auf die Schultern, streichelte über die Schienbeine. Auch hier, wie er ohne Überraschung feststellte, hatte ein Nassrasierer seine Arbeit geleistet. Der Jüngere keuchte mit offenem Mund, immer wieder flatterte seine eingerollte Bauchdecke nervös. "Schön entspannen." Erinnerten Satorus Fingerspitzen, wechselten über die Seiten und liebkosten magere Pobacken. Mamoru reagierte auf ihn, was Satoru nicht verwunderte. Leichte, ganz unvermutete Liebkosungen, wenn die Augen ausgeschaltet waren, bewirkten so etwas. "Es geht nicht!" Wisperte Mamoru plötzlich schrill, zitterte. "Bitte, es geht nicht!" "Natürlich geht es." Versicherte Satoru zuvorkommend, zeichnete mit zwei Fingern Mamorus Lippen nach, die ein deutliches Zeugnis darüber ablegten, wie sehr sich ihr Besitzer um Beherrschung und Selbstkontrolle bemühte. Satoru beugte sich vor und senkte die Schultern ein wenig, um die Dehnung zu reduzieren, streichelte beruhigend über die Oberschenkel bis zu den Knien. "Du darfst deine Beine um meine Taille legen." Erlaubte er großmütig und verfolgte, wie Mamoru die Muskeln anspannte, um ein Bein nach dem anderen von den Schultern zu heben und es in leichtem Rund um Satoru zu legen. Mamoru atmete leichter, schien aber noch immer besorgt zu sein. So verwunderte es nicht, dass er winselte, als der Ältere seine schüchterne Erektion entschlossen mit einer Hand umfasste. "Das geht nicht, wirklich, ich kann das nicht!" Beschwor er Satoru panisch. Satoru unterdrückte ein Lächeln, denn er wusste genau, WAS nicht ging. Streng ermahnte er Mamoru. "Habe ich es dir nicht schon erklärt?! Da Wasser, dort Bodenabfluss! Also benimm dich nicht wie eine Rotznase!" Der Jüngere keuchte, presste die Lippen zusammen, um nicht zu schluchzen. Satoru ignorierte die Angst, wickelte ein Kondom aus und rollte es geübt ab. Seine Finger massierten spielerisch die Erektion. Während er mit der freien Hand neckend über die erregten Brustwarzen streichelte, raunte er auf Mamorus bebende Lippen. "Das Kondom hat ein großes Fassungsvermögen, es kann gar kein Unglück geschehen." Waren es die einfachen Worte? Hatte er einen Nerv getroffen? Aber die Antwort auf diese Fragen war nachrangig, denn Mamoru richtete sich unerwartet auf, wandte den Kopf Satoru zu. "Wirklich?" Wisperte er nahe an Satorus Mund. "Wirklich?" Beinahe erschrocken hielt Satoru inne, denn dieses Flüstern war so eindringlich, so flehend, dass sein Herz einen Schlag verfehlte. Konnte es sein, dass sein Opfer ihm gefällig sein WOLLTE? Beherrscht streichelte er über eine leichenfahle Wange. "Wirklich. Vertrau mir einfach." »Lächerliche Situation!« Verspottete er sich selbst innerlich. »DU bist hier der Böse, wieso läuft das Ganze so aus dem Ruder?« "Danke." War da wirklich ein Lächeln auf Mamorus Gesicht? In jedem Fall löste sich die ängstliche Verspannung, sogar sein Keuchen nahm ab. Satoru gestand sich ein, dass ihn die Handlungsweise seines Opfers verwirrte. Andererseits, so ehrlich war er zu sich selbst, es war ihm lieber, Mamoru nicht bezwingen zu müssen. Er spürte die Kälte der Fliesen, löste sich aus seiner Trance und rückte näher an Mamoru heran, nahe genug, dass er ihre beiden Erektionen zusammen umschließen konnte. Mit seiner freien Hand strich er nachdrücklich über Mamorus Rückgrat, richtete ihn damit unwillkürlich auf. Die Lippen an ein Ohr hauchte er Mamoru Ermutigungen zu, kontrollierte sich, damit der Jüngere sich gehen lassen konnte. Es waren hauptsächlich innere Widerstände zu überwinden, aber Satoru fühlte, wie Mamoru sich in seinen Armen verwandelte. Auch seine Stimme, die heiser stöhnte, war längst nicht mehr das piepsige Wispern eines Jungen. Er ließ Mamoru den Vortritt, genoss die Erschütterungen, die ihn in Ausläufern erreichten und gestattete sich selbst, ebenfalls Erlösung zu finden. "Es ist wahr." Höchst erstaunt und noch immer dunkel, beinahe rau erklang Mamorus Stimme, riss Satoru aus den Nachwehen seines Vergnügens. "Selbstverständlich!" Schnappte er gespielt ärgerlich. "Das habe ich dir doch gesagt!" Mamoru lächelte, erst zögerlich, dann breit und strahlend. "Aber bevor du übermütig wirst, das nächste Mal geht es richtig zur Sache!" Satoru kniff Mamoru in die Nase. "Oh." War alles, was Mamoru herausbrachte, deutlich schrumpfend. "Denk dran, dein Geheimnis liegt in meiner Hand!" Gnadenlos beendete Satoru den Höhenflug, zog sich zurück, um nach Taschentüchern zu fahnden und die Kondome abzuzupfen. Er löste die Fesseln, studierte die Handgelenke, doch es waren keine Spuren zu entdecken. "Hoch mit dir!" Kommandierte er, barsch genug, um die aufkommende Vertraulichkeit zu unterdrücken. Ein wenig wacklig kam Mamoru seiner Aufforderung nach, lehnte sich an die Treppe in seinem Rücken. Satoru löste das Stofftuch, das als Augenbinde gedient hatte und drückte Mamoru dessen Brille in die Hand. Obwohl es ihn juckte, nach den Gründen für die Rasur zu fragen, hielt sich der Ältere zurück. Mamoru blickte ihn mit großen, schwarzen Augen konzentriert an. "Du wirst mich weiterhin erpressen?" "Exakt." Schnaubte Satoru, kehrte ihm den Rücken zu, um sich anzuziehen. "Bring nächste Woche ein Handtuch und einen Waschlappen mit, verstanden? Und kein Wort zu niemandem!" "Jawohl." Nun klang Mamoru wieder eingeschüchtert, aber nicht mehr piepsig. Eher gedankenverloren. "Los jetzt, zieh dich an!" Ermahnte Satoru über die Schulter. "Trödle nicht herum!" Mamoru kam eilig seiner Aufforderung nach, kleidete sich an. Er keuchte, als Satoru ihn grob am Arm packte und anzischte. "Sprich mich nicht an in den Pausen, klar?! Wir kennen uns nur hier, verstanden?!" Der Jüngere nickte hastig, schob wieder die Schultern unter die Ohren, machte sich klein. "Dann ab mit dir! Sieh zu, dass du nach Hause zu Mutti kommst!" Satoru funkelte Mamoru an, der schleunigst die Treppe hinaufstolperte und auf den Gang stürzte. Er ließ sich auf den unteren Stufen nieder und sortierte seine Mitbringsel wieder ordentlich in seine Tasche ein. Mamoru war ihm sympathisch, das konnte er nicht verhehlen. Offensichtlich gab es da noch ein anderes Geheimnis als das offenkundige. Außerdem fühlte er sich mit seiner Vermutung bestätigt: Mamorus 'Problem' war zu überwinden. Er erhob sich und sammelte seine Tasche auf. »Ich weiß schon, was wir nächste Woche machen.« ~+~ Mamoru konsultierte die billige Uhr, stellte erleichtert fest, dass seine ungewöhnliche Aktivität ihm keine Verspätung einbrachte. Ohne Aufsehen zu erregen konnte er die Schuhe wechseln und sich auf den Weg zum Bahnhof machen. Seltsamerweise war es in seinem Kopf ganz ruhig, keine Panik mehr, kein Chaos von Gedanken. So hatte er sich seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Er ließ sich von den Reisenden in den Zug drängen, leerte seinen Blick. Die Auszeit würde ein Ende nehmen. ~+~ Kapitel 3 - Bis zu den Sommerferien Satoru hatte erwartet, dass Mamoru sich trotz seines Kommandos nicht enthalten konnte, verstohlen seine Nähe zu suchen oder wenigstens Blicke auf ihn zu werfen, doch Mamoru zeigte sich gehorsam, blieb das verhuschte Wesen, das sich ständig auf die Toilette flüchtete. So unauffällig es möglich war, studierte Satoru die Reaktionen der Klassenkameraden von Mamoru. Niemand schien ihn zu hänseln oder zu beschimpfen, vielmehr war er einfach nur isoliert, weil sich keiner um ihn scherte. Das erleichterte es natürlich, Mamoru bei der Stange zu halten. Andererseits hatte Satoru nicht die Absicht, seinen 'Partner' in völlige Verzweiflung zu stürzen. »Oder ihm Anlass zu geben, sich auch noch bei mir zu bedanken!« Satoru verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Da half nur eins: klare Verhältnisse schaffen! ~+~ »Das wird nicht einfach werden.« Stellte Seiji fest, fühlte sich aber erstaunlich ruhig. Offenkundig war Tomohiko einer von den Kandidaten, die nicht einfach locker ließen, die sich eine Weile beherrschen konnten. Also ein gefährlicher Gegner. Zunächst beschäftigte er sich damit, in den nächsten Unterrichtsstunden genau herauszufinden, wer mit in welche Fächer ging. Wer danach aussah, als könne er auf schlaksige, schwarzhaarige Typen mit klassisch-japanischer Schönheit stehen. »Auf die werde ich achten müssen!« Seufzte er. Das waren gar nicht so viele, aber dennoch hinterließ die Aufstellung seiner potentiellen Gegner einen üblen Nachgeschmack. Er war überrascht, wie oft er mit Tomohiko gemeinsam Unterricht hatte. »Klar, wenn man sich als Trottel in die erste Reihe setzt, bekommt man auch kaum etwas davon mit, was hinter einem vorgeht!« Grummelte er stumm. Andererseits hatte er sich ja gerade diese Tarnung aufgebaut, um möglichen Ärger aus dem Weg zu gehen! »Finde deinen Feind und kenne ihn!« Der nächste Schritt bestand darin, etwas über die potentiellen Gegner herauszufinden, um sie davon abzuhalten, ihn anzugehen. Erpressung, kein feiner Zug, aber besser als die Alternative. Dummerweise konnte er kaum auf die Kooperation seiner ahnungslosen Mitschüler bauen, denn die, die ihm jetzt aus dem Weg gingen oder ihn ignorierten, weil er ein Totalausfall war, würden wohl kaum damit beginnen, ihm peinliche Informationen anzuvertrauen. Das Risiko bei einer Offenbarung war kaum zu reduzieren, so viel musste er sich eingestehen. Zusätzlich war er an weitere Grenzen bezüglich des Erzfeinds, Tomohiko, gestoßen. Er wusste schlichtweg gar nichts über seinen ständigen Begleiter. Abgesehen von dem fragilen Gleichgewicht, das sie ausbalancierten, nämlich nicht ohne Not Seijis Geheimnis preiszugeben, hinderte Tomohiko nichts daran, ihm auf die Pelle zu rücken. Was der nicht tat. »Noch nicht.« Seiji brütete finster vor sich hin. Allerdings wollte er Tomohiko auch nicht ausfragen, sich diese Blöße geben. »Nachher glaubt der noch, ich interessiere mich für ihn!« Aber er konnte Tomohikos seltsames Verhalten auch nicht verstehen, nicht einschätzen. Jeden Morgen, Montag bis Samstag, trafen sie sich im Waschraum der Bahnstation. Jedes Mal fragte Tomohiko, ob er ihm beim Makeup behilflich sein könne, um ohne Umschweife eine Abfuhr zu erhalten. Gemeinsam schaukelten sie die einstündige Fahrt zur Schule. In der Mensa saß Tomohiko immer gegenüber. Abends, nach dem Unterricht, verabschiedete er sich erst, wenn Seiji sich auf den Heimweg von der Bahnstation zu seiner Pension machte. Das Irritierende an diesem Verhalten war nicht etwa die unermüdliche Aufmerksamkeit, die unablässige Begleitung, nein, wirklich beunruhigend und rätselhaft war es Seiji, dass Tomohiko NIEMALS Körperkontakt forcierte, keine Ablehnung ihn beeindrucken konnte. »Der blöde Kerl fragt einfach am nächsten Tag wieder!« Das war zermürbend und beschäftigte Seiji mehr, als er sich eingestehen wollte. Zwei Monate dauerte dieses "Spiel" bereits, und Tomohiko schien einfach nicht die Waffen strecken zu wollen! Wurde nicht mal ungeduldig! Seiji seufzte. Wenigstens war schon Samstag, der Unterricht bald vorbei, dann kamen ja auch die Sommerferien. Darauf konnte er sich freuen. ~+~ Hiroki warf einen Blick zu Kentarou hinüber, der ärgerlich das Ende seines Bleistifts zernagte. Behutsam tippte er unter dem Kotatsu Kentarou mit einer Fußspitze an. Die Katzenaugen fokussierten sich auf ihn, zogen sich einen Moment zusammen, bevor Kentarou demonstrativ angewidert den Bleistift aus dem Mund nahm und stöhnte. "Verdammt, Hiro, ich kapier diesen Quark nicht, und wenn ich mir Zeichnungen mache!" Beklagte er sich, schleuderte das Heft von sich und ließ sich auf den Rücken sinken. Ohne Klage legte Hiroki das Heft ordentlich auf den Tisch, studierte Kentarou,der sich die Augen rieb, in einem Unterhemd und alten Boxershorts flach lag, was gleichbedeutend damit war, dass der Schlaf in Kürze eintreten würde. Er streckte eine große Hand aus. "Ken, setz dich auf, sonst schläfst du hier ein." "Mir egal!" Ungeniert kratzt sich Kentarou am Brustbein. "Morgen ist Sonntag, da kann ich schlafen." "Wolltest du nicht das Dach überprüfen?" Hiroki erhob sich auf die Knie, achtete darauf, nicht mit einer ungeschickten Bewegung den Tisch umzustoßen. "Oh, stimmt!" Kentarou rollte sich gelenkig wie eine Katze auf die Seite, zog die Knie an und sprang elastisch auf die Beine. "Kommst du rüber, um mir zu helfen?" "Sicher." Hiroki wunderte sich, warum er überhaupt noch antwortete. Als ob die Möglichkeit bestand, dass er NICHT an Kentarous Seite war. "Setzen wir uns auf die Veranda." Schlug er vor, nahm sein Heft mit dem verschmähten, klassischen Japanisch an sich. Gesagt, getan. Standen auch ihre Häuser, das alte der Miwas und das moderne der Mirunos so eng nebeneinander, dass ihre Kinder mühelos beim Freund einsteigen konnten ohne die Treppe zu bemühen, so hatte sich der alte, winzige Innenhof bei den Miwas erhalten. Keine Terrasse, kein Golfrasen, sondern eine alte Steinlaterne, winzige Bäumchen und kleine Blumenkübel, die man aus Natursteinen gefertigt hatte. Auf der hölzernen Veranda ließen sie sich nieder. Kentarou baumelte mit den nackten Beinen, warf einen kritischen Blick zu seinem Großvater, der dort mit einer Tasse Tee den späten Vögeln und Insekten lauschte. Beinahe konnte man vergessen, dass sie in einer Großstadt lebten. Wenn nicht gerade über den Himmel ein Flugzeug zog. Hiroki platzierte eine alte Laterne neben sich, damit er seine eigene Handschrift erkennen konnte. Während er leise vorlas, seine dunkle Stimme sich mit den Lauten der Fauna mischte, wünschte er sich, dass er den Arm um den quirligen Freund legen könnte, damit der ihm nicht wie ein Fuchsgeist entschlüpfte. ~+~ "Hiro, aufstehen!" Jemand rüttelte an Hirokis breiten Schultern, dann, als er sich auf den Bauch rollte, streiften ihn nackte Fußzehen energisch. "Komm schon!" Drängelte der Quälgeist putzmunter. "Gleich gibt es Frühstück!" Hiroki lauschte auf das Tappen der elastischen Schritte, roch die alten Tatami unter dem Futon. In seinem eigenen Zimmer, nur einen Katzensprung entfernt, schlief er in einem extra angefertigten, großen Bett auf einer gewaltigen Matratze. In Kentarous Zimmer unter dem Dach, wo er sich nicht aufrecht bewegen konnte, gab es bloß Tatami und Futons, alte Schiebetüren, die Holzkisten verbargen, in denen Kentarou seine Habseligkeiten aufbewahrte. Auch das winzige Zimmerchen des Großvaters im Erdgeschoss war nicht anders gestaltet. Er hörte Kentarous nackte Füße auf der Leiter, dann näherten sich ihm die Schritte. "Hier, nun trink schon deinen Tee und komm hoch, Hiro!" "Guten Morgen." Ließ Hiroki sich endlich zu einer Begrüßung herab, setzte sich auf. Kentarou hockte neben ihm, grinsend und hellwach. "Brav." Tätschelte er Hirokis Bürstenhaarschnitt wie einen Haushund. "Jetzt komm in die Gänge. Kriegst auch ein Extra-Ei!" Neckte er den großen Freund herausfordernd, machte auf den blanken Sohlen kehrt und kletterte gelenkig wie ein Affe wieder die Leiter herunter. Hiroki nahm einen Schluck Tee und seufzte dann leise. Ob es ihm heute gelang, mit Kentarou DARÜBER zu sprechen? ~+~ Sonntags hatte Seiji eine bestimmte Routine eingeführt. Er frühstückte wie die anderen Pensionsbewohner mit ihrer Vermieterin, bevor er sich bei schönem Wetter in dem kleinen Garten hinter dem Haus ein lauschiges Plätzchen suchte, um den wöchentlichen Brief an seine Eltern in der Heimat zu schreiben. Natürlich hätte er auch anrufen können, doch ein Brief, gelegentlich mit Karten oder Bildern bestückt, war etwas, das man vorzeigen konnte, den Großeltern mitbringen. Außerdem bekam er gern Briefe seiner Familie, die über den Alltag erzählten, Zeitungsausschnitte enthielten, den neuesten Klatsch kolportierten. So fühlte er sich nicht ausgeschlossen oder vergessen in dieser fremden Stadt. Auch an diesem Sonntag machte Seiji es sich im Schatten bequem, denn der Sommer näherte sich mit großen Schritten und ebensolchen Hitzegraden. Er hatte seine Seite gerade gefüllt, eine getrocknete Blüte vorsichtig aufgeklebt, als der Kater in den Garten tigerte. Der Kater war keines der langhaarigen Haustiere, die man auf dem Arm trug und verhätschelte. Dieser Kater war einer von der wilden, freien Sorte, der Mäuse und Vögel fing, der klug und gerissen jeder Gefahr begegnete, schlank und beweglich, abgesehen davon, dass er alles ihn Umgebende wie seine herrschaftliche Domäne betrachtete und wie ein König einherschritt. Daher nahm es auch nicht Wunder, dass der Kater mit dem gefleckten Fell sich den schönsten Sonnenfleck, den das Laub durchließ, als Platz für sein Nickerchen auswählte. Dass Seiji sich ebenfalls dort niedergelassen hatte, stellte für den Kater nur eine Fußnote dar, die man vernachlässigen konnte. Seiji lächelte, als der Kater einfach über seine Beine kletterte und sich auf seinem Schoß zusammenrollte. Der Kater schnurrte nicht, er fauchte höchstens warnend. Für Seiji war das kein bedrohliches Ereignis. Er kannte in seiner Heimatstadt viele Katzen, die frei herumzogen, nur gelegentlich die Nähe der Menschen suchten. Wer sich da keine Krallenspuren einfangen wollte, der kraulte ein Wildtier eben nicht unaufgefordert! Seiji legte den Kopf in den Nacken, atmete den schweren Duft bereits faulender Blüten ein. Zu Hause würde er jetzt im Innenhof ihres Hauses im Grünen sitzen, vielleicht ein wenig das wuchernde Unkraut zupfen oder mit den nackten Zehen die Kieselsteine hin und her wenden. Er würde den vertrauten Geruch der Farben schnuppern, die Stille, die über dem Haus lag. Vielleicht würde er auch seinem Vater helfen, der ein Meister darin war, japanische Antiquitäten aller Art zu restaurieren und zu neuem Glanz zu verhelfen. Oder seine Mutter würde mit ihm Teegebäck herstellen. Oder er würde bei seinen Großeltern klassische Musik im Radio hören, während sie gemeinschaftlich Blumen steckten oder andere, kleine Arbeiten ausführten. »Zu Hause...« Zu Hause fühlte er sich geborgen, getröstet. Alles war weit weg, ein schlechter Traum, die Fahrten zur Schule, die Schule selbst. Seiji zwinkerte, hoffte, dass niemand außer dem Kater die Perlen bemerkte, die in seinen Wimpern hingen. Wenn er den wöchentlichen Brief seiner Familie las, schöpfte er daraus Kraft. ~+~ Hiroki schirmte seine Augen mit einer Hand ab, während er immer wieder seine Position veränderte, um Kentarou nicht zu verlieren. Der kletterte gewandt wie ein Affe über das Dach, so traditionell gedeckt und regelmäßig repariert wie vor fast dreihundert Jahren, als man es errichtet hatte. Erstaunlicherweise, betrachtete man Kentarous recht hitziges Temperament, konnte er Stunden damit zubringen, das alte Haus liebevoll zu erneuern, die uralten Konstruktionstechniken zu studieren, die einfachen, jedoch wirkungsvollen Maßnahmen zu erforschen, die trotz der allgegenwärtigen Erdbebengefahr einen Einsturz verhindert hatten: tragende Elemente, die das Schwanken ausgleichen konnten, sorgfältig platzierte Steine unter den Pfählen, auf denen das Haus über die Beben ritt, Balken, die ohne Nägel verbunden worden waren. Es schien eine endlose Reihe an staunenswerten Zivilisationstechniken in diesem Haus präsent zu sein. Und, wie Hiroki neidlos anerkannte, Kentarou kannte sich aus. Geduldig, geschickt, ja, beinahe einfühlsam restaurierte er sein Heim. Das hatte nicht nur der Großvater erkannt, sondern auch der Priester des nahe gelegenen Tempels, der ebenfalls eine Reihe alter Gebäude zu betreuen hatte. Auch hier konnte man Kentarou wie einen Blitz über die Dächer huschen sehen, im Gebälk herumklettern oder unter dem Boden herumkriechen. "Hiro, ich brauche noch drei Ziegel" Kentarous wirrer Schopf, der längst dem kurzen Zöpfchen entflohen war und sich über das dicke Haarband aus gedrehtem Tuch kringelte, spitzte über den Dachfirst. "In Ordnung." Vorsichtig nahm der Hüne die bestellten Ziegel in eine Hand, suchte sich dann eine Leiter, um wenigstens bis in Reichweite zu steigen. Obwohl die Leiter durchaus solide war, fürchtete er, sie könnte unter seinem Gewicht nachgeben, einzelne Holme durchbrechen. "Ah, danke." Unbekümmert fischte Kentarou nach den Ziegeln, so souverän wie eine Katze, ohne jede Furcht vor dem Absturz, als könnten alle sieben Leben und neun Schwänze für seine Unversehrtheit garantieren. Nachdem er alle Ziegel abgeliefert hatte, kletterte Hiroki wieder auf den sicheren oder zumindest festen Erdboden zurück, trat einige Schritte vom Haus weg, um Kentarou nicht aus den Augen zu verlieren. "Ah!" Hörte er eine Stimme hinter sich, kraftvoll und amüsiert. "Der Feuerkopf bessert das Dach aus? Fleißig, fleißig!" Hiroki wandte sich um, begrüßte den älteren Mann, der wie für den Golfplatz gekleidet war, jedoch keinerlei Ambitionen in dieser Hinsicht hegte. "Guten Tag, Meister Hagiwara." Artig verneigte er sich, die Hände ordentlich an der Hosennaht. "Hallo, Hiroki." Hagiwara lächelte, schob die Golfer-Kappe in den Nacken und hängte höflich die Sonnenbrille in die Brusttasche seines Polo-Hemdes. Mehr als vier Köpfe trennten sie an Körpergröße, doch Hiroki fühlte sich nie so, als müsse er auf den älteren Mann hinabsehen, was möglicherweise darin begründet lag, dass Meister Hagiwara einer der führenden Architekten des Landes war und ein wahrer Genius in Bezug auf die traditionelle japanische Baukunst. Außerdem nahm er eine Professur an der Universität wahr und führte sein eigenes Architektenbüro. Dass er in der Nachbarschaft wohnte und sich vehement für den Erhalt alter Gebäude einsetzte, hatte ihre Bekanntschaft gefördert. "He, Feuerköpfchen, willst du nicht runterkommen und mir guten Tag sagen?" Hagiwara legte die Hände wie Schalltrichter um den Mund. Blitzartig erschien Kentarous strahlendes Gesicht über dem Dachfirst. "Guten Tag, Meister Hagiwara!" Er ruderte wild mit der freien Hand. "Bin gleich unten! Gehen Sie bitte schon ins Haus, ich mache Tee!" Hagiwara lachte laut, zwinkerte Hiroki vertraulich zu. "Dieser Junge hat mehr Energie als ein Brummkreisel!" Hiroki erwiderte das Lächeln, antwortete jedoch nicht. Es war ein offenes Geheimnis, dass Hagiwara von Kentarous unverkennbar wilden Charme eingenommen war und unbedingt darauf bestand, dass Kentarou studierte und sein Schüler wurde. Auch wenn sie äußerlich wenig Gemeinsamkeiten aufwiesen, so konnte man doch darauf vertrauen, dass sie mit Feuereifer über jeden Aspekt der Restauration alter Gebäude diskutieren konnten. Die Köpfe über Skizzen und Aufrissplänen gebeugt wirkten sie wie Vater und Sohn. Der Hüne schüttelte den Anflug von Eifersucht ab und führte Hagiwara ins Haus, wo der respektvoll Kentarous Großvater begrüßte. Die beiden Männer kannten sich, Hagiwara hatte wie Michiko, die Tochter des alten Mannes, die Mittelschule zur selben Zeit besucht. "Ich komme, ich komme, ich komme!" Trompetete Kentarou eilig, wischte an Hiroki vorbei, um sich schleunigst den Schmutz abzuwaschen. In der Küche goss Hiroki derweil frisches Teewasser auf und suchte passende Teeschalen aus der Anrichte, die er auf ein Tablett platzierte. Nur wenige Augenblicke später, noch feucht glänzend von der Katzenwäsche, huschte Kentarou herein, suchte flink selbstgebackene Süßigkeiten heraus, die den herben Teegeschmack ausgleichen sollten. "Danke!" Nickte er Hiroki aufgeräumt zu. "Setz dich auch hin, ja?" Immerhin, auch wenn Hiroki sich wie in seinem eigenen Elternhaus auskannte, HIER war er trotzdem GAST. Also servierte Kentarou geübt am Kotatsu, wo sich die beiden Männer vertraut niedergelassen hatten, trennte seinen Großvater von der aktuellen Arbeit und versorgte sie mit Tee und süßem Gebäck. Hiroki schwieg höflich und lauschte aufmerksam, wie das Gespräch über den Klatsch in der Nachbarschaft zu anstehenden Festen und den Sommerferien wechselte. DARÜBER wollte er auch unbedingt mit Kentarou sprechen, doch der befleißigte sich damit, seinem Großvater unauffällig die Tabletten zu verabreichen, die der einzunehmen hatte. "Du solltest in den Sommerferien bei mir vorbeischauen." Eröffnete Hagiwara gerade munter. "Ich könnte dich als Aushilfe einstellen und dir Einiges zeigen." Kentarou zögerte unmerklich, aber Hiroki entging der Seitenblick auf den Großvater nicht. "Das würde ich sehr gern, allerdings dürfte es nicht zu spät werden..." Gab Kentarou zurück. Hiroki war sich sicher, dass keiner der anderen Mitarbeiter oder Schüler des Meisters jemals eine solche Offerte ausgeschlagen hätte, aber Kentarou war auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme: ehrlich bis dorthinaus und kein Feigling. Hagiwara lachte und schlürfte seinen Tee. "Keine Angst, länger als deine Schulzeiten beanspruche ich dich bestimmt nicht. Außerdem musst du ja auch sicher noch Schularbeiten erledigen, nicht wahr?" Kentarou strahlte. "Also, abgemacht! Ich werde auch fleißig sein!" Daran zweifelte in dieser Runde niemand. ~+~ "Ah, schon so spät?" Seijis Vermieterin, eine rundliche Frau jenseits der Siebzig, die ihre ergrauten Haare gern mit einer rosigen Nuance tönte, schreckte von der Lektüre einer Zeitschrift hoch. Wie immer deutete Seiji lächelnd eine Verneigung an. "Sag, Seiji-kun, könntest du wohl am Briefkasten vorbeigehen? Es liegt ja auf dem Weg, nicht wahr?" Flötete sie zwitschernd mit einer Spur von Dialekt. Grinsend nickte Seiji, nahm mit einer weiteren Verbeugung das kleine Bündel Briefe entgegen. Dieses Spiel wiederholte sich auch jeden Sonntag. Wenn er, mit einer Plastikschüssel, Shampoo und Seife bewaffnet, zum alten Badehaus im Viertel zog, stets den Brief an seine Eltern sicher verwahrt dabei, bat sie ihn, doch auch die übrige Korrespondenz freundlicherweise mitzunehmen. Durch die laue Abendluft machte sich Seiji auf den Weg. Normalerweise hätte er sich davor gehütet, sich irgendwo öffentlich zu entblößen. Selbst in der Schule achtete er peinlich genau darauf, dass niemand mehr als schlanke Fesseln oder nackte Füße zu sehen bekam, langärmlige Hemden, lange Hosen, der uniforme Trainingsanzug ausgebeult, um jede Ahnung einer Silhouette zu kaschieren. Doch jeden Tag bloß duschen, wenn man von Zuhause ein großes, altmodisches Bad gewöhnt war: das GING einfach nicht! Also zog Seiji sonntags, nach dem mutigen Erstversuch, in das alte Badehaus des Viertels, das lediglich von den älteren Semestern noch frequentiert wurde. Die Jugend nutzte lieber die modernen Möglichkeiten der eigenen vier Wände oder besuchte die Spaß- und Erlebnisbäder im Zentrum. Eine bescheidene, heiße Quelle, ein einziges Becken aus Naturstein, viel Holz und polierte Kiesel statt Fliesen und Kacheln: ja, das Badehaus war zweifelsohne ein Relikt aus anderen Epochen. Seiji liebte den Geruch des Holzes, der Räucherstäbchen, das Gefühl der Steine unter seinen nackten Fußsohlen. Außerdem war die Gesellschaft ungefährlich. Alte Männer, die sich leise unterhielten, gemeinschaftlich das Steinbecken verließen, um sich von der uralten Betreiberin heißen Sake ausschenken zu lassen, vor dem Badehaus im Schein der flankierenden Steinlaternen Neuigkeiten und Erinnerungen auszutauschen. So konnte er oft den Luxus genießen, das gesamte Becken für sich allein zu haben. »Für kleines Geld große Entspannung und Seelenfrieden!« Das schien auch die glückbringende Katze mit ihrer erhobenen Tatze zu maunzen. Seiji entrichtete den Obolus, nahm zwei Handtücher, einen Lappen und eine dünne Yukata entgegen und marschierte in den Umkleideraum. Auch hier gab es keine modernen Schließfächer oder Kabinen. Man wählte eine Holzkiste mit einer Nummer, entkleidete sich und schob die Holzkiste durch eine passgenaue Öffnung in den kleinen Raum daneben. So wurde Platz gespart, und niemand musste sich um seine Habseligkeiten sorgen. Die Hausherrin selbst bewachte jede Kiste mit Argusaugen. Die eigene Plastikbütte unter den Arm geklemmt wechselte Seiji um Umkleideraum auf sorgsam behandelten Geta hinüber zum Reinigungsbereich. Er stellte die Geta artig ab, lächelte, weil sich kein anderes Paar dort fand. Folglich war er ganz allein! Hölzerne Hocker warteten auf dem mit poliertem Stein ausgelegten Boden, dass man Platz nahm, die Knie beinahe unter dem Kinn, seine Plastikschüssel abstellte und sich vom Schmutz der Welt draußen befreite. Seiji mochte die altmodische Dekoration mit den Laternen, die nicht so grell wie Neonlicht jedes Detail ausleuchteten. Er benötigte auch keine bodentiefen Spiegel um sich herum! Nachdem er seine Schüssel unter einen aufgedrehten Hahn gestellt hatte, schäumte er die Seife auf und schrubbte sich gründlich ab. Die Haare durften ebenfalls nicht fehlen, bevor er die Schüssel mit dem warmen Wasser füllte und sie solange über sich ausleerte, bis keine Spur von Schaum mehr übrigblieb. Er erhob sich, sammelte Schüssel und Waschzubehör auf, wechselte zu einem Gestell, wo er die Bütte umgekehrt abtropfen lassen konnte, während er seine Utensilien daneben ablegte. Bevor er nun durch eine Schiebetür das Steinbecken erreichen konnte, wartete ein winziger Raum, der trockene Hitze beherbergte. Wer es wollte, konnte hier seine Handtücher auf die Rohre hängen, die das Wasser der Thermalquelle in den Waschraum beförderten, darunter die Yukata. Wenn man dann erhitzt aus dem Thermalbad stieg, tat es unendlich wohl, sich warm abzutrocknen und eine ebenso temperierte Yukata überzustreifen! Seiji gönnte sich den Luxus und stellte erfreut fest, dass auch hier kein anderer Gast zugegen war. Er seufzte unwillkürlich, als er die Schiebetür beiseite schob und über die polierten Steine zum großen Thermalbecken wechselte. Behände kletterte er in das Steinbecken, suchte sich den schönsten Platz aus, wo man in den kleinen Garten sehen konnte. Im Licht der untergehenden Sonne tanzten Schattenbilder auf dem Laub, die schmale Steinlaterne war bereits angezündet worden. Insekten summten noch geschäftig umher, Vögel tauschten sich aus. "Herrlich!" Stöhnte Seiji, schob den kleinen Lappen höher auf seinen Kopf und sank bis zum Kinn in das heiße Wasser ein. SO sollte die Zukunft sein. Zuhause, in dieser Ruhe, nach einem langen Tag in einem heißen Bad! Wenn er die leidige Schulzeit endlich überstanden hätte, um von seinen Eltern ausgebildet zu werden! Die Augen geschlossen, den Nacken auf dem Beckenrand abgelegt döste er in tröstlichen Phantasien. "Ein sehr schönes, altes Bad." Bemerkte eine sanfte Stimme unerwartet. Seiji zuckte zusammen, zog reflexartig Arme und Beine vor den Leib, blinzelte heftig, um seine Augen zu fokussieren. Im sanften Schein der Laternen stand Tomohiko neben ihm, den abgerutschten Lappen vor dem Aufprall auf das Wasser abgefangen. "Guten Abend." Wünschte er lächelnd. Seiji bekam keinen Ton heraus. Er war auch nicht fähig, den Lappen aus der ausgestreckten Hand zu pflücken, sodass Tomohiko ihn einfach auf dem Beckenrand deponierte. Tomohiko nahm selbst Platz, im artigen Abstand, legte die Arme auf den Beckenrand, ließ sich tief sinken und seufzte behaglich. ER streckte alle Glieder von sich, ohne Scheu, ohne Scham. Seiji klapperten die Zähne. NUN war es gar nicht mehr herrlich, allein im Bad zu sein. Allein mit IHM! Alle Entspannung war verflogen, er konnte nicht mehr als ein kleiner Ball von Leib und Gliedmaßen sein, sich einrollen wie ein Igel, alle Stacheln aufgestellt, damit Tomohiko nicht glaubte, er werde leichtes Spiel mit ihm haben! Vergessen war die idyllische Aussicht, die Atmosphäre anregender Stille. Seiji wagte nicht, die Augen von Tomohiko zu wenden. Einmal mehr bemerkte er die große Narbe am Kinn des anderen und weitere Spuren auf dem muskulösen Leib. Tomohiko war gebaut wie ein Athlet. Oder ein Tänzer. Sehnige Muskelstränge, eine geschmeidige Eleganz. Vor allem aber große Kraft. »In die Augen stechen!« Seiji presste die Kiefer aufeinander. »Dann zwischen die Beine treten und weglaufen!« Er hatte Angst. Angst, dass Tomohiko die Distanz aufgab, ihn so lange im Ungewissen ließ, bis er ein Nervenbündel war, verspannt und eingeschüchtert, um dann zuzuschlagen. Gegen jemanden, der SO aussah, hatte Seiji keine Chance, das wusste er. Nicht ohne Hilfe. Nur, wenn er überhaupt dazu kam, um Hilfe zu schreien. Er zuckte heftig zusammen, als Tomohiko sich aufsetzte, die dunkelbraunen Strähnen aus den Augen wischte, ihn ansah. Seiji zog die Schultern hoch, verschanzte sich bis zu den Augen hinter der Phalanx seiner angezogenen Knie. »Oh bitte, oh bitte, oh bitte, geh weg! Bitte geh weg!« Flehte er innerlich verzweifelt. Tomohiko blickte ihn einfach an. Ewigkeiten. Dann erhob er sich graziös, streifte Wasserperlen von der Haut. "Ich warte vor dem Haus auf dich. Bleib nicht mehr zu lange." Seiji wagte erst, sich wieder zu rühren, als die Schiebetür von außen einrastete. ~+~ Bleich, verängstigt und matt verabschiedete sich Seiji von der Betreiberin. Wie automatisiert hatte er die Handtücher in den kleinen Korb deponiert, die Yukata gefaltet und zurückgegeben, sich angezogen, seine Schüssel mit den Utensilien unter den Arm geklemmt. Tomohiko wartete tatsächlich draußen, ein wenig abseits der alten Männer, die ihren Sake schlürften und ihm neugierige Seitenblicke zuwarfen. Seiji erstickte beinahe an dem Kloß in seinem Hals. Stumm trottete er voran, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen. »Er weiß jetzt, wo ich wohne!« Schoss ihm resigniert durch den Kopf. »Natürlich weiß er das! Was denkst du wohl, wie er dich sonst in diesem alten Badehaus aufgespürt hat?!« Fauchte ihn panisch seine innere Stimme an. »Dabei war ich immer so vorsichtig!« Die kleinen Sonntagsausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, die er artig absolviert hatte, waren immer in der Verkleidung des "anderen" Seiji geschehen. Nur hier, in direkter Nähe der Pension, hatte er sich getraut, ohne Camouflage auf die Straße zu gehen. Sie erreichten die Pension. "Lass uns nächsten Sonntag etwas gemeinsam unternehmen." Tomohiko klang so trügerisch freundlich wie immer. Als könne er nicht erpressen, was er 'vorschlug'! Seiji hob nicht mal den Kopf, als er die wenigen Stufen zum Eingang hinaufstieg. Er erwiderte auch den sanften Gruß zur Nacht nicht. ~+~ Es war warm genug, um auf der Veranda zu sitzen und in den Himmel zu sehen. Da die Großstadtlichter niemals ausgingen, war es jedoch schwierig, den Sternenhimmel zu erkennen. Hiroki warf einen Seitenblick auf Kentarou, der eben noch Erbsenschoten gezupft hatte und sie nun im Wasser einweichte. »Wirklich ein Energiebündel!« Dachte er und unterdrückte einen Seufzer. "Willst du die ganzen Sommerferien bei Meister Hagiwara arbeiten?" Erkundigte er sich schließlich sonor. Kentarou drehte den Kopf, sah ihn mit den Katzenaugen überrascht an. "Na klar! Ich lerne viel, und er gibt mir ein wenig Geld." Mit düsterer Miene wirbelte er im fahlen Schein der alten Steinlaterne die Erbsen umeinander. "Das können wir auch bitter gebrauchen. Dieser schmierige Stinkstiefel Matsushita wird sicher in Kürze wieder hier auftauchen." Die Erbsen wurden ihrem Bad überlassen, Kentarou wischte sich die Hände an der einfachen Schürze ab, die er trug, löste das Haarband. Sein Blick blieb in die Ferne gerichtet. "Ich habe schon einen Plan, wie ich die Rauchmelder befestigen kann und die Kameras miteinander verbinde. Das wird ihn ein bisschen auf Trab halten." Hiroki musterte seinen Freund angespannt. Wenn es jemanden gab, den Kentarou aus tiefstem Herzen hasste, mit einer kalten Wut, die beängstigte, dann war es Matsushita. Der Funktionär beabsichtigte schon seit Jahren, Kentarous Großvater das Grundstück abzukaufen, um darauf ein modernes Mehrfamilienhaus zu errichten, mit dem Komfort eines Hühnerstalls, aber es würde Geld einbringen, ohne Zweifel. Kentarou argwöhnte, dass Matsushita auch zu anderen Methoden greifen würde, um das Haus zu "entmieten", beispielsweise, wenn man Feuer legte. Mit Argusaugen verfolgte er jeden Fremden, der sich dem Haus näherte, bekniete seinen Großvater sogar, sich Gänse anzuschaffen, weil die noch besser als jeder Hund ihr Revier verteidigten. Allerdings wurde die Gänseschar von seinem Großvater nicht favorisiert, sodass Kentarou sich auf Fallen und Tricks verlegen musste, die seinen Großvater nicht gefährdeten, aber potentielle Brandstifter von ihrem Vorhaben abhielt. Bis jetzt hatte sein Erfindungsreichtum stets den Sieg davongetragen, aber sein Gegner war zu vorsichtig, um sich festnageln zu lassen. "Dieser widerliche Drecksack!" Zischte Kentarou hasserfüllt, ballte die Fäuste. Es tat der Situation auch nicht gut, dass Matsushita immer wieder bei Kentarous Großvater vorsprach und sich jovial gab. Doch er kam als Gast, so musste Kentarou seine niederen Instinkte beherrschen. "Du kannst mit uns in das Ferienhaus am Meer fahren!" Hiroki platzte schließlich doch mit seinem Anliegen heraus. Seit Tagen hatte er darüber nachgedacht, wie er am Besten darauf zu sprechen kommen sollte, doch ein optimaler Weg hatte sich nicht präsentiert. Nun war es metaphorisch Fünf vor Zwölf, er MUSSTE endlich seine Offerte loswerden. "Hä?!" Demonstrierte Kentarou übertrieben Irritation. "Na hör mal! Deine Familie hat das Haus gemietet, um mit dir zusammen Ferien am Meer zu verbringen! Du kannst doch nicht irgendwen da mitschleppen!" "Du bist nicht irgendwer!" Versetzte Hiroki ungewohnt scharf, um sich dann rasch wieder zurückzunehmen. Er legte behutsam eine große Hand auf Kentarous Unterarm, nur einen Augenblick, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren. Kentarou mochte es nicht besonders, wenn man ihn länger anfasste, als wäre er wie ein wildes Tier eingefangen worden. "Ich möchte gerne, dass du mitkommst. Meine Familie hat gar keine Einwände. Es ist eine Abwechslung, wir hätten viel Spaß." Bemühte sich Hiroki um sachliche Argumente. "Nichts da!" Die Katzenaugen funkelten im Schein der Steinlaterne, sodass der Hüne sich für einen Augenblick wirklich an ein scheues, eigenwilliges Wildtier erinnert fühlte. "Ich kann hier nicht weg, Hiro. Fahre mit deinen Leuten ans Wasser und amüsiere dich. Nimm meinetwegen auch noch die dämlichen Hausarbeiten mit, dann kann ich wenigstens bei dir abschreiben, wenn du wiederkommst." "Ken..." Nahm Hiroki noch einmal Anlauf, doch er wurde herrisch unterbrochen. "Keine Diskussion! Wenn du wiederkommst, will ich sehen, dass du knackig braun bist, jede Menge Mädels beeindruckt hast und gut drauf bist!" Hiroki presste die Lippen zusammen. Er wusste, dass Kentarou seine Meinung nicht ändern würde. Es gab nichts, dass ihn dazu brachte, was verständlicherweise eine immense Wut hochköcheln ließ, aber Hiroki war geübt darin, sie brodeln, nicht aber überkochen zu lassen. "Mir sind der Strand und Mädchen völlig egal." Brachte er kehlig hervor, denn es stand außer Frage, dass er sich munter dort tummeln würde. Oder ohne geschlossene Kleidung auftrat. An Kentarous Seite hätte er es getan, ohne Zweifel, doch ohne ihn schien es wertlos, sich Anfeindungen und Abscheu auszusetzen. "Sei nicht albern!" Kentarou verpasste Hiroki einen Nasenstüber. "Denk mal an deine Leute! Du bist ein großer Junge, du kannst dich auch allein amüsieren! Das ist doch eine tolle Gelegenheit! Nächstes Jahr müssen wir für die blöden Prüfungen pauken, da ist es Essig mit Spaß und Relaxen!" Hiroki unterdrückte ein bitteres Schnauben. Er bezweifelte, dass Kentarou überhaupt wusste, wie man sich einfach mal gehen ließ und faul herumlag. Es gab IMMER etwas zu tun. Und wenn Kentarou mal in der Horizontalen war, schlief er wie ein Stein, sofort und fest. "Ist es wegen deines Großvaters?" Hiroki wollte wenigstens versuchen, Kentarou Emotionen zu entlocken. Wenigstens ein paar Worte des Bedauerns, dass sie nicht gemeinsam am Strand Spaß haben konnten! "He, denk nicht mal dran, meinen Großvater zu fragen!" Sofort sprang Kentarou wie ein Schachtelteufelchen hoch, kniff Hiroki in die Nasenspitze. "Kein Wort zu ihm, verstanden?!" Für einen langen Moment hielt Hiroki dem flammenden Blick stand, dann gab er nach. Es hatte keinen Sinn, Kentarou zwingen zu wollen. DAS führte nur zum gegenteiligen Ergebnis. Kentarou ließ sich wieder neben Hiroki nieder, barg die Erbsen aus dem Wasserbad und trocknete sie in einem Bambussieb. "Ich kann Opa nicht allein lassen." Murmelte er, beinahe im Selbstgespräch, zog ein Bein vor die Brust, während er sich scheinbar auf die Erbsen konzentrierte. "Es gibt niemanden, der sich um ihn kümmert." Hiroki schwieg. Welche Argumente sollte er dagegen setzen? Soweit er sich erinnern konnte, lebten Großvater und Enkel als verschworene Gemeinschaft in ihrem alten Haus. Kentarou kannte keine Urlaubsreisen, keine Ausflüge in Vergnügungsparks. Es schien ihn auch nicht im Mindesten zu interessieren. "Ich bringe dir Spezialitäten mit." Gab er nach, beugte sich über die Schüssel, um ebenfalls Erbsen herauszufischen. Es würden lange, einsame, öde zehn Tage am Strand werden, das wusste er jetzt schon. ~+~ Seiji würdigte Tomohiko keines Wortes oder Blicks, als sie am nächsten Tag gemeinsam zur Schule fuhren. Er hatte heftige, migräneartige Kopfschmerzen und fühlte sich entsprechend elend. Immer wieder zog er die überformatige Brille ab, massierte sich die Nasenwurzel. "Es ist besser, wenn du zum Schularzt gehst und dich eine Weile hinlegst." Unerwartet ergriff Tomohiko das Wort, als sie bei den Schließfachreihen angelangt waren. "Ich werde für dich mitschreiben." Fügte er an. "Lass mich bloß in Ruhe, mir ist schon schlecht!" Fauchte Seiji übellaunig. Er fürchtete, wenn er sich dem Schularzt anvertraute, würde der darauf bestehen, ihn genau zu untersuchen. Dann käme natürlich der Schwindel mit seiner Verkleidung heraus. Seiji schleppte sich durch den Vormittag, zwischen Dämmerzustand und peinigenden Schmerzwellen. In der Mensa wartete Tomohiko auf ihn, aber Seiji nahm das lediglich als eine weitere Qual zur Kenntnis. "Hier." Tomohiko streckte Seiji die Hand hin, öffnete sie, um ein kleines Päckchen zu enthüllen: eine Tablette in Papier eingeschlagen. Seiji blinzelte verständnislos. "Ich war beim Schularzt und habe um Kopfschmerztabletten gebeten." Erläuterte Tomohiko ruhig. "Wenn du dich nicht ausruhen willst, dann versuch es damit." Zögerlich hob Seiji die Hand hoch, ließ sich das kleine Päckchen darauf schütteln. Er schleppte sich in den Waschraum, legte die Tablette auf die Zunge und schluckte sie mit Leitungswasser. Als er sich aufrichtete, stand Tomohiko neben ihm. "Ich schreibe mit, ruhe du dich aus." Die schwarzen Falkenaugen studierten Seiji eingehend. "Hrmpf!" Brummte der, verließ den Waschraum zuerst. Tatsächlich ließen die Schmerzen nach, wichen einer gewissen Betäubung. Seiji konzentrierte sich darauf, nicht abzusacken oder auf andere Weise Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erleichtert stolperte er mit den anderen zu den Schließfächern, als endlich der Schulschluss eingeläutet wurde. Nur vage spürte er, wie Tomohiko sich an seine Seite schob und damit verhinderte, dass er ständig angerempelt und gestoßen wurde. Tomohiko sorgte sogar dafür, dass er in der Bahn einen Sitzplatz bekam, schirmte ihn gewohnt besitzergreifend ab. Dieses Mal verabschiedete sich Tomohiko auch nicht an der Bahnstation, nachdem Seiji sich wieder in sein wahres Selbst verwandelte. "Du musst mich nicht wie ein Mädchen zu Hause abliefern!" Fauchte Seiji ihn an, stampfte müde voran. Er hatte keine Kraft mehr, sich mit Tomohiko zu streiten, wollte bloß noch duschen und auf seinen Futon sinken. Dann lief ihm eben der verdammte Tomohiko nach, was soll's?! "Ich hole dich morgen Früh hier ab." Bestimmte Tomohiko vor der Pension. "Untersteh dich!" Seiji kehrte sich auf dem Absatz herum, funkelte auf Tomohiko herunter am Fuß der kleinen Treppe. "Wenn es dir besser geht, dann treffen wir uns wieder in der Bahnstation." Zeigte sich Tomohiko unbeeindruckt, zwinkerte sogar frech und lächelte breit, bevor er sich lässig winkend verabschiedete. ~+~ »Mistkerl!« Buchstabierte Seiji ärgerlich, verkniff sich aber jede laute Äußerung. Zu seinem Leidwesen hatte die Pensionswirtin Tomohiko bereits ins Herz geschlossen, fand es überaus reizend, dass er sich Seijis annahm, weil "der arme Junge ja ganz allein in der Fremde war!" »Wenn ich doch bloß ganz allein WÄRE!« Schnaubte Seiji innerlich empört, hütete sich jedoch vor einer verräterischen Grimasse. Wenn er seine Vermieterin gegen sich aufbrachte, müsste er in das schuleigene Wohnheim umziehen. Der Gedanke daran ließ ihn heftig schlucken. Man hörte genug Geschichten über die 'normalen' Aufnahmerituale in Wohnheimen, um sich zu gruseln. Von den perverseren Versionen wollte er nichts wissen, schon gar nicht aus erster Hand erleben! Tomohiko ging neben ihm, elastisch, geschmeidig. Nicht der schlurfende, schlappende Gang, den die meisten Schüler in den unpraktischen, klobigen Slippern adaptierten. »Frohlockt wahrscheinlich!« Unterstellte Seiji voreingenommen, wischte sich über die Stirn. Der Hochsommer war eingetroffen, die Luftfeuchtigkeit legte sich wie ein öliger Film auf die Haut. Trat man aus den klimatisierten Räumen auf die Straße, glaubte man, den aufsteigenden Wasserdampf kondensieren zu sehen. "Darf ich deine Tasche nehmen?" Bot sich Tomohiko höflich an. Seiji zuckte heftig zurück, presste reflexartig seine Schultasche vor die Brust. "Danke, NEIN!" Fauchte er bissig, um seine Verlegenheit zu überspielen. Es wäre schön gewesen, dieser Last verlustig zu gehen, denn er fühlte sich noch immer ein wenig matt und schwer in den Gliedern. Andererseits, was für ein Eindruck würde entstehen, wenn er sich von einem Typen die Schultasche tragen ließ?! Da konnte er sich ja gleich eine Zielscheibe auf den Hintern kleben! In der Bahnstation spulte er die eingeübte Routine ab, verwandelte sich in den hoffnungslosen Vollidioten, schlecht frisiert, extrem kurzsichtig hinter der überformatigen Brille, schlappend und stolpernd wie ein betrunkener Pinguin. Wie immer war der Zug gepackt voll, alle drängelten und schoben. Seiji hielt die Luft an, warf den Kopf in den Nacken, um wenigstens über sich die Illusion von Freiheit festzuhalten. Kalte Schauer überrieselten ihn, er spürte, wie sich eine Panikattacke aufbaute. Da rammte ihm jemand hart einen Ellenbogen in die Seite. Keuchend stieß Seiji gegen andere Reisende, die missbilligend blickten, doch niemand protestierte. Das zumindest schien den Grobian zu stören, der Seiji eine säuregetränkte Alkoholfahne ins Gesicht hing und ihn ohrenbetäubend anbrüllte. Schockstarr wusste Seiji nicht, wohin er sich wenden sollte. Konnte es auch gar nicht, weil er so eingekeilt stand! Der Kerl war besoffen und suchte offenkundig jemanden, an dem er seinen Frust auslassen konnte. Ebenso sicher, wie Seiji diese Erkenntnis durchfuhr, wusste er auch, dass ihm niemand der anderen zu Hilfe kommen würde. Alle waren froh, nicht selbst die Zielscheibe des betrunkenen Rowdys zu sein. Tomohiko schob sich ohne Rücksicht auf Verluste zu ihm durch, baute sich direkt vor ihm auf, starrte dem Besoffenen in die rot geäderten Augen. Er verschränkte die Arme vor der Brust, blieb einfach so stehen, verdeckte Seiji völlig. Der Betrunkene brüllte noch einige Beleidigungen, verlor aber das Interesse, weil Tomohiko weder wankte, noch wich, nicht mal mit der Wimper zuckte. Allein die schwarzen Falkenaugen verengten sich, als nähme er Maß für die erste, physische Revanche. Seiji blieb wie erstarrt stehen, von fremden Rücken eingesperrt, wie eingemauert, bis ihre Station angekündigt wurde. Erst auf dem Bahnsteig registrierte er, dass er nicht die Zipfel der eigenen Uniformjacke umklammerte, sondern Tomohikos. "Geht es wieder, Seiji?" Tomohiko löste behutsam die Schultasche unter Seijis angewinkeltem Arm, vermied aber jede direkte Berührung. Das entging Seiji nicht, der dadurch wieder Kontakt mit der grausamen Realität aufnahm und wütend wurde, weil Tomohiko sich exakt an das hielt, was er ihm gesagt hatte: dass er nicht von ihm angefasst werden wollte! Eine weitere Gemeinheit, es so zu befolgen, mit solcher Souveränität! Er entriss Tomohiko seine Schultasche und nahm einen Spurt auf. Nun, eher ein Stolpern, Hoppeln und Taumeln, weil die verflixten Slipper mit ihren schiefen Absätzen ihn bei jedem Schritt behinderten. Aber es war Zeit für ein deutliches Signal: Tomohiko sollte ihn bloß in Ruhe lassen! ~+~ Kapitel 4 - Seltsame Methoden Während der Mittagspause pickte Seiji unfein in seinen Nudeln herum, konnte keinen rechten Appetit entwickeln. Noch immer ging ihm die schreckliche Episode aus dem Zug durch den Kopf. Wenn man gut aussah, zumindest nach landläufiger Meinung, wurde man in der Bahn sexuell belästigt und befummelt. Sah man seltsam bis hässlich aus, wurde man zur Zielscheibe für die aufgestauten Aggressionen irgendwelcher Idioten. »ES lässt sich nicht vermeiden!« Resignierte Seiji dumpf. Offenkundig konnte man nirgendwo einfach in Ruhe und Frieden leben, weil es immer irgendeinen bösen 'Nachbarn' gab, der einem schon die bloße Existenz absprach. Er spürte, dass Tomohiko ihn ansah, studierte. »Aber ich werde nicht mit dir reden, klar?!« Trotzte Seiji kindisch. »Du würdest es ohnehin nicht verstehen!« Außerdem war Tomohiko ja der 'Held', erwartete sicher auch noch, dass er ihm dankbar war! Sich breitschlagen ließ zu... »Was auch immer.« Seiji legte die Essstäbchen beiseite, der Appetit hatte sich nicht eingefunden. Es war schon bemerkenswert, wie langmütig Tomohiko sich gab, hartnäckig wie ein Blutegel, aber erstaunlich geduldig. »Trotzdem!« Beharrte Seiji. Es kam nicht in Frage, auch nur einen Fußbreit nachzugeben. Da konnte Tomohiko noch so heroisch sein, tugendhaft und vorgeblich keusch: keine Chance!! ~+~ Mamoru erhob sich, raffte seine Sporttasche und huschte eilig aus dem Raum, bevor jemand auffallen würde, dass er das Selbststudium bis zum Schulschluss nicht absolvierte, doch niemand registrierte seine Abwesenheit oder sprach ihn an. Allerdings gab sicherlich auch andere, die nicht lernen wollten, sondern ihre Freizeit anderweitig nutzten. Eilig lief er in den Keller, stürzte durch den Gang, bis er die Kellertür Nummer Drei erreichte. Probeweise drückte er die Klinke, doch die Tür erwies sich als verschlossen. »Er ist also noch nicht da.« Erleichtert lehnte Mamoru sich gegen die Kellertür, um nicht allzu sichtbar zu sein, falls sich jemand in den Keller verirrte. Mamoru stellte die Motive seines Erpressers nicht in Frage, denn er vermutete, dass es ganz normal war, dass Männer Sex haben wollten. Eingestandener Weise wäre ein Mädchen wohl die bessere Wahl, aber er hatte in Erfahrung gebracht, dass Satoru Tanaka im Wohnheim lebte. Dort konnte man selbstverständlich kein Mädchen kennenlernen oder gar mit ihr intim werden. Verwunderlich war allerdings, dass sich jemand, der so attraktiv und souverän wie Satoru war, einen Partner erzwang. Nach seiner Meinung waren die braunen Strähnen, elegant auf eine Seite geschwungen und die eindringlich forschenden, dunkelbraunen Augen in einem klassisch-schönen Gesicht mit Augenbrauen, die wie kalligraphiert schienen, ganz gewiss von einer magnetischen Anziehungskraft. Vielleicht war Satoru nicht der Typ für eine Rock'n'Roll- oder Pop-Mode, aber mit den richtigen Accessoires wäre es nicht zu übersehen, wie hervorstechend dessen Anziehungskraft war. Satoru bog in diesem Augenblick in den Gang ein, schulterte ebenfalls nonchalant eine Tasche. Im letzten Moment konnte sich Mamoru daran hindern, ihm zuzuwinken. Er bemerkte die betont strenge Miene, den frostigen Blick und zog schützend die Schultern hoch. War er die Ursache für Satorus Verärgerung? ~+~ Satoru schloss die Kellertür auf und stieg die Treppen hinunter. Er wusste Mamoru wie ein getreues Hundchen auf seinen Fersen, bemüht, nicht der Blitzableiter für eine offenkundig schlechte Laune zu sein. Innerlich seufzte er, denn eigentlich war er nicht wütend oder missgestimmt, aber er wollte nicht reden, vor allem keine Fragen beantworten müssen. »Ja, ein stummes, williges Spielzeug, das wäre doch nett!« Versetzte er zynisch. Als sie die Treppe hinter sich gelassen hatten, wandte er sich zu Mamoru um. "Ich hab heute kein Interesse an Gesprächen, also tu einfach, was ich dir sage. Verstanden?" Mamoru nickte stumm, umklammerte seine Sporttasche. Satoru wusste, dass seine Anwandlung kapriziös war, doch er konnte sich nicht zur Ordnung rufen: er WOLLTE sein 'Drehbuch' inszenieren. Nachdem sie sich beide entkleidet hatten, dirigierte er Mamoru vor die geflieste Steigung der Kellertreppe. In Höhe der Schultern wickelte er ein festes Band um Mamorus Handgelenke, das einigen Spielraum hatte, dann knüpfte er das Band an den Fuß des Geländers. "So kannst du dich anlehnen oder abstützen, Hände oder Ellen." Erklärte er knapp und verwünschte sofort den Drang, die bange Sorge aus den großen, schwarzen Augen zu vertreiben, was sich am Besten realisieren ließ, wenn man die Augen hinter einer Binde versteckte. »Genau, so bleibt dir sein Anblick erspart!« Beschimpfte er sich selbst, aber auch die Verteidigung sprang ihm zur Seite. »Unsinn, so fühlt er es intensiver!« Vor allem aber, so bestimmte Satoru kategorisch, würde es sicherstellen, dass Mamoru nicht zurückschreckte und alles verdarb. Er legte sich das Zubehör in Reichweite, begann dann, beinahe eine Armlänge hinter Mamoru stehend, spielerisch mit den Fingerspitzen über dessen Rückseite zu streichen. Mal trieb er seine Finger über die Kopfhaut, das Rückgrat entlang, dann kniff er die mageren Pobacken oder kniete sich hin, um in die Waden zu zwicken. Ein Spaß nur, keineswegs eine gezielte Attacke auf neuralgische Punkte, aber Mamoru reagierte bereits auf ihn, atmete schneller, streckte sich, um muskuläre Standhaftigkeit zu präsentieren. Satoru schlüpfte unter Mamorus leicht gebeugten Armen hindurch, genoss für einen langen Moment die ungefilterte Körperwärme, die der Jüngere in dieser intimen Distanz verströmte. Er begann sein Spiel von neuem, streichelte die Brust, kreiste mit den Fingerspitzen rund um die Kniescheiben, zog mit den nackten Zehen Streifen über den Rist seines Partners. Dass die Erinnerungen an ihr erstes Tete-a-Tete Mamoru nicht unbeeindruckt ließen, bewies ihm dessen freundliche Erektion. Er verpackte sie geschäftig, gewährte Mamoru sogar die Gnade, sich für einen Moment an ihn zu lehnen. Danach aber gebot er mit beiden Handflächen deutlich Distanz, schlüpfte unter Mamorus Armen hindurch und wandte sich dessen rückwärtiger Partie zu. Mit aufgefächerten Fingern strich er nachdrücklich über Rücken und Schulterblätter, schmiegte sich aufreizend an Mamoru, um dessen unwillkürliche Reaktion zu erkunden. Freundlich gestimmt, da Mamoru stöhnte und ungelenk versuchte, seine Haut an Satorus Front zu reiben, zog er das Tempo ein wenig an. Die eigene Erektion, frisch verpackt, streifte zuerst neckend zwischen Mamorus Oberschenkeln umher, bevor Satoru die Knie durchdrückte und dadurch seine Aufwartung der Gesäßfalte machte. Mamoru lehnte sich nun auf die Ellen, keuchte mit offenem Mund, rollte die Zehen ein, ballte die Fäuste. Offenkundig gefiel ihm diese süße Folter durchaus. Er hielt sich an Satorus Gebot, keine Konversation zu pflegen. "Spreize die Beine ein wenig." Mit durchaus erhöhtem Pulsschlag erteilte Satoru sanft Anweisungen an Mamorus Ohr, half mit einer Hand an dessen Oberschenkeln nach, streichelte über die samtigen Schenkelinnenseiten. An Mamoru gelehnt, der den Körperkontakt willig geschehen ließ, konnte Satoru die Stufe erreichen, wo er seine 'Arbeitsutensilien' ausgebreitet hatte. Er applizierte die Gleitcreme auf dem schlanken Dildo, kontrollierte die Temperatur und Flexibilität. Anschließend zog er sich von Mamoru zurück, der enttäuscht zu folgen versuchte, packte mit der Linken recht grob dessen Erektion und presste den Daumen auf die empfindliche Spitze. In Mamorus aufgeschrecktes Winseln erläuterte er kühl. "Du wirst erst kommen, wenn ich es dir gestatte, verstanden?!" Mit zusammengepressten Lippen nickte Mamoru hastig, senkte den Kopf, zitterte. "Fein." Lobte der Ältere boshaft, konzentrierte sich. Ohne es selbst zu bemerken holte er ein paar Mal tief Luft. Er hatte nicht die Absicht, Mamoru Leid zuzufügen, zumindest aber keine unnötigen, physischen Grausamkeiten, deshalb wollte er nicht, dass das erste Mal analen Verkehrs zu einem Trauma wurde. Kaum, dass er die Spitze, dezent perlenförmig gekerbt, mit dem starken Ring der Schließmuskeln bekannt gemacht hatte, verspannte sich Mamoru. Sein Körper wurde zu einem Panzer, starr und steif. Also schmiegte sich Satoru wieder an ihn, rieb seine harten Brustwarzen an dessen Rücken, raunte sanft, er möge doch an etwas Schönes denken. Vor allem aber dürfe er den Mund nicht schließen, die Zähne nicht aufeinander pressen. "Zeig mir deine Zunge!" Forderte Satoru energisch, biss Mamoru sogar in den Nacken, um Gehorsam zu forcieren. Als schließlich die Zunge schüchtern hervor spitzte und ihr Besitzer dazu getrieben worden war, sie richtig breit zu blecken, konnte auch der restliche Körper nicht mehr die rigorose Anspannung aufrechterhalten. Wie auch, wenn man so lächerlich aussehen musste, der eigene Speichel aus den Mundwinkeln rann! Satoru beglückwünschte sich selbst zu dieser erfolgreichen Taktik und nutzte die Gelegenheit, mit dem schlanken Dildo in Mamorus Körper einzudringen. Nicht weit, selbstredend, gerade mal drei Perlen, sodass der Schließmuskel die Niederlage gestehen musste. "Ich weiß, dass es sich merkwürdig anfühlt, aber gleich wird es sehr viel besser." Beruhigte er den ächzenden Mamoru. Durch das Gleitmittel erleichtert bewegte er behutsam das Hilfsmittel, arbeitete sich geschickt vor und lauerte auf Mamorus Reaktion. Der bog die Hüften, verlagerte sein Gewicht vom einen auf den anderen Fuß, versuchte, es sich angenehm zu machen, spielte damit unwissentlich Satoru in die Hände. Eine unerwartete Bewegung reichte aus: Mamoru sprühte Speichel, verschluckte sich und hustete keuchend, während sein Unterleib heftig zuckte. "Ahhhhh!" Schnurrte Satoru triumphierend. "Oder Heureka." Nun war es keine große Kunst mehr, genau diese eine Region immer wieder zu treffen, mit dem Kopf des Dildo Reibung zu erzeugen. Mamoru schluchzte keuchend, bockte und buckelte, wollte sich befreien und ebenso der Versuchung erliegen. "Was möchtest du, hmm?" Raunte Satoru an dessen Nacken, leckte über die beperlte Haut. "Soll ich nett zu dir sein?" Der Jüngere wandte den Kopf Satoru zu, formte stumm eine Bitte. "Wenn ich nett zu dir bin, was gibst du mir dafür?" Neckte ihn Satoru, aber er wartete keine Bedenkpause ab, sondern nannte seinen Preis. "Wenn ich nett zu dir bin, wirst du mir das nächste Mal gefällig sein, ohne Widerrede!" Mamoru nickte hastig, schauderte, bebte. Satoru löste sich, nutzte den Überraschungsmoment, um unter Mamorus Armen hindurch zu schlüpfen, erneut den Dildo mit der Linken und Mamorus Erektion mit der Rechten zu umfassen. "Komm her." Flüsterte er rau. "Nach vorne, los!" Schwankend leistete Mamoru Folge, blies seinen heißen Atem über Satorus Gesicht und das Schlüsselbein. Der schmiegte seine eigene, sträflich vernachlässigte Erektion gegen Mamorus Unterleib, wurde in der Rechten miteingeschlossen. Satoru hielt den Dildo ruhig, verhinderte, dass Mamoru sich selbst befriedigen konnte, während er ihre Erektionen betreute. Im letzten Augenblick, da Mamoru so stark taumelte und bebte, dass Satoru fürchten musste, der Jüngere werde in Ohnmacht fallen, drehte er den Dildo und schob ihn tiefer in Mamorus Leib. Ohne Ausweichmöglichkeit, dem Geschick des Älteren ausgeliefert gab es für ihn kein Halten: mit einem heiseren Schrei erlebte Mamoru seinen Orgasmus. Satoru, der nicht mehr tat, als rasch die Arme um den Jüngeren zu schlingen, folgte seinem Beispiel nur wenige Herzschläge später. Zu aufreizend und verführerisch war die entfesselte Leidenschaft, die Mamoru präsentierte. ~+~ Die Kälte und Härte der Fliesen an seinem Rücken weckte Satoru rasch aus der post-koitalen Verzückung. Er tauchte unter Mamorus bebenden Armen hindurch, konzentrierte sich darauf, das Kondom abzustreifen, um sich nicht dem Anblick des Jüngeren auszusetzen. Obwohl er sehr mit sich zufrieden war, da Mamoru offenkundig Vergnügen und Lust empfunden hatte ungeachtet der initiierenden Erfahrung, wollte er nicht, dass es zu Missverständnissen kam: das hier war allein für SEIN Bedürfnis arrangiert worden. "Lehne dich vor." Kommandierte Satoru demgemäß scharf. "Geh leicht in die Knie!" Mamoru folgte seinen Anweisungen nicht, atmete noch schwer, die Glieder zitterten. "Tsk, tsk!" Tadelte Satoru laut, doch seine Rechte war schneller, streichelte sanft über die sich deutlich abzeichnenden Wirbel des Rückgrats. Um nicht zu nachgiebig zu erscheinen, kniff er Mamoru streng in die Kniebeugen, damit der seiner Aufforderung Gehorsam leistete. "Atme tief durch!" Empfahl der Ältere konzentriert, legte die Linke auf Mamorus Leiste und nutzte den intimen Kontakt, um behutsam den Dildo zu entfernen. Ohne einen Anflug von Ekel, sondern geschäftsmäßig und sachlich, wischte er das austretende Gleitgel ab, um sich anschließend um Kondom und Penis seines beeindruckten Partners zu kümmern. "Halt noch still!" Gebot er, stieg die Treppe hinauf, um von dort das Band zu lösen, das Mamorus Handgelenke festgehalten hatte. "Jetzt nimm Handtuch und Waschlappen und geh 'rüber zum Abfluss. Den Hahn kannst du sicher selbst aufdrehen!" Er klopfte auf den wirren Schopf krausenden Haars. Aufgezogen und ein wenig linkisch klemmte sich Mamoru seine Mitbringsel unter einen Arm und stakste an den angewiesenen Ort. Er kniete sich allerdings auf die Fliesen, bevor er sich selbst mit Wasser und einer Waschlotion reinigte. Aus den Augenwinkeln, scheinbar mit Aufräumarbeiten und dem Packen beschäftigt, beobachtete Satoru den Jüngeren. Mamoru hatte trotz seines Alters, seiner Körpergröße und der offenkundig erlebten Pubertät das Gebaren eines kleinen Jungen. Allein diese ungelenke Haltung auf den Knien, die Unterschenkel seitlich weg geklappt! Beinahe übermächtig plagte ihn die Versuchung, den Jüngeren anzuherrschen, er möge sich endlich mal um eine aufrechte Haltung bemühen! Sich wegzuducken, auf Kleinkind zu machen, DAS beschützte ihn doch vor gar nichts! Gerade, als Satoru sich zu fragen begann, ob es vielleicht der überfürsorglichen Mutter zuzuschreiben war, dass Mamoru sich so merkwürdig gab, kam das Objekt seiner privaten Studie tapsig auf die Füße und drehte sich schüchtern nach ihm um. "Du kannst dich schon anziehen und gehen." Gestattete Satoru hoheitsvoll, näherte sich selbst dem 'Wasserloch.' "Aber vergiss nicht, dass du nächste Woche tun wirst, was ich dir auftrage, ohne Widerspruch!" Mamoru nickte hastig, verbeugte sich und huschte zu seinem Kleidungsstapel, die feuchten Textilien und die Waschlotion eng vor den Leib gepresst. Seine Haltung drückte so sehr die Furcht vor Prügeln aus, dass Satoru sich abwenden musste, um ihn nicht anzubrüllen. »Der dämliche Kerl muss sich nicht gleich vor Angst in die Windel machen! Ich habe nicht vor, ihn zu verdreschen!« Kochte er wütend und drehte Mamoru betont den Rücken zu. Mit einer gemurmelten Floskel, die dem frühen Aufbruch geschuldet war, hastete Mamoru, durchaus noch wacklig auf den Beinen, die Treppe hinauf, verbeugte sich erneut, bevor er durch den Kellereingang verschwand. Satoru seufzte und fragte sich, wohin das Hochgefühl so schnell verschwunden war und warum er nun ein gewisses Bauchgrimmen verspürte. ~+~ Mamoru stolperte, die Schultasche vor die Brust geklemmt, mit dem Menschenstrom zum Bahnhof, ließ sich schieben und schubsen, bevor es in die moderne Konservenbüchse des Zugabteils hineinging. Wie vor einer Woche fühlte er sich erstaunlich ruhig, doch die körperliche Versicherung, dass er nicht geträumt hatte, fügte einen prickelnden Spritzer Adrenalin hinzu. Es fiel ihm sehr schwer, nicht grundlos vor sich hin zu lächeln. Dass er in der nächsten Woche Willkür und Misshandlung zu fürchten hätte, kam ihm nicht einen Augenblick in den Sinn. ~+~ Entgegen aller Durchhalteparolen sah Seiji dem Sonntag mit Unbehagen entgegen. Sonntags war seine Auszeit, die Flucht aus dem grässlichen Alltag, um seine Seele baumeln zu lassen und neue Kräfte zu finden, sich zu regenerieren. Sollte er wirklich das winzige bisschen Zeit, die ihm allein gehörte, auch noch an Tomohiko abtreten?! Das wollte er nicht, selbstredend! Jedoch, wie sah die Alternative aus? Wenn Tomohiko ihn verraten wollte, müsste er sich vorher offenbaren, um wenigstens einen kleinen Triumph zu erringen. Am Samstagabend bemühte er sich folgerichtig darum, Tomohiko immer wieder zu entwischen: wenn der nichts mit ihm ausmachen konnte, bestünde auch die Chance, ungeschoren davonzukommen! Tatsächlich schien Tomohiko nicht allzu eifrig an Seijis Hacken zu kleben, der sich bereits auf der Erfolgsstrecke sah. Vor der Bahnstation musste er einfach nur im Gewimmel untertauchen und hätte den Sonntag gerettet! Als es ihm wirklich gelang, sich unbegleitet auf den Heimweg zu machen, schwankte Seiji zwischen Euphorie und Unruhe. Hatte Tomohiko seine Drohung vielleicht vergessen? Oder führte er noch etwas Schlimmeres im Schilde und wiegte ihn in Sicherheit?! Mit einem mulmigen Gefühl kroch Seiji an diesem Abend unter die Steppdecke. Nach dem Frühstück sah die Welt allerdings sehr viel freundlicher aus. Eine frische Brise vertrieb die erdrückende Hitze, jagte Wolken über den blauen Himmel. Kein Kleinmotor dröhnte, um die Flora zurechtzustutzen, kein Lautsprecher quäkte Überflüssiges heraus. »Beinahe wie Zuhause!« Seiji ging in sein Zimmer, um wie immer Briefpapier und ein Buch zu holen, in dem er einige hübsche Blumen gepresst hatte. Die besten Exemplare wollte er mitsenden. "Ah, Seiji-kun, dein Freund ist da!" Seiji erstarrte in der Bewegung, konnte sein Erschrecken nicht verbergen: in der Diele neben dem Schuhregal wartete Tomohiko. Die kurzen Khakis enthüllten wohlgeformte Beine, das T-Shirt prahlte mit einem dunkelblauen Stern auf weißem Grund. "Wenn du mir rasch deine Sachen gibst, dann können wir starten." Lächelte er Seiji so harmlos an, als wäre ihr Treffen eine verabredete Angelegenheit. "Sogar ein Kissen!" Hörte Seiji das aufgedrehte Plaudern seiner Vermieterin. "Und einen Picknickkorb! Na, da habt ihr euch auch einen guten Tag ausgesucht! Wohin geht es denn?" Da er ortsunkundig war, konnte Seiji mit Tomohikos Beschreibung nichts anfangen. Zudem kreisten seine Gedanken hektisch um einen Ausweg aus der Misere. Gab es überhaupt eine Möglichkeit, Tomohikos aufdringliche Offerte abzulehnen? Seiji funkelte in die schwarzen Falkenaugen, die keine seiner Reaktionen unregistriert ließen, machte kehrt, um Kleinigkeiten in seine Schultasche zu stopfen. Zu seiner langen Hose und dem langärmligen Hemd wählte er eine Baseballkappe und eine reflektierende Sonnenbrille. So maskiert wäre er kaum von jemandem zu erkennen und würde effektiv dafür sorgen, dass Tomohiko sich ärgerte, denn mit einer Schreckschraube und Vogelscheuche konnte man keinen Staat machen! Leidlich zufrieden mit seiner Maskerade begab sich Seiji widerstrebend vor das Haus. Tomohiko hatte ein stabiles Rad im vorderen Korb mit einem Picknick belastet, während er auf dem Gepäckträger ein Kissen befestigt hatte. "Ich wünsche euch beiden viel Spaß!" Trällerte die Pensionswirtin, was Seiji nötigte, sich hinter Tomohiko auf den Drahtesel zu schwingen. Da er allerdings keine Lust hatte, ständig auf Tomohikos Rücken glotzen zu müssen, kehrte sich Seiji kurzerhand um, grub die Finger in das Drahtgeflecht des Rücklichts. Während der Fahrt schwiegen sie beide. Ärgerlicherweise, aus Seijis Blickwinkel, gab es keine heftigen Steigungen, keine Kollisionen, einfach nichts, dass Tomohikos 'Husarenritt' torpedierte. Sie entfernten sich vom Zentrum, folgten einem der zahlreichen Kanäle, bis sie ein offenes Gelände erreichten. Gras und Sträucher kämpfte sich zwischen den eingestürzten Ruinen mehrerer Gebäude ans Licht, hier und da waren Trümmerhaufen wohl als Sprungschanzen für Kunststücke genutzt worden. Tomohiko bremste gemächlich, stieg elegant ab und schob sein Rad nun. Widerwillig kletterte Seiji vom Sozius, stapfte mit den Händen tief in den Hosentaschen hinter seinem Fremdenführer her. Der betrat eine der Ruinen, lediglich noch Mauerreste und klagend in den Himmel ragende Stahlverstrebungen, lehnte sein Rad dann in einer Nische an, die man nicht einsehen konnte. Nachdem er die beiden Fahrradschlösser eingerastet hatte, sammelte Tomohiko den Picknickkorb und Seijis Schultasche ein, der nicht schnell genug reagierte, um sie an sich zu bringen. Ihr Weg führte sie durch zwei große Löcher, dann hatte Tomohiko sein Ziel erreicht: ein Tiefgeschoss, das sich durch Regen- und Grundwasser angefüllt hatte und nun Flora und Fauna als Teich ein neues Zuhause bot. In dem stehenden Gewässer befanden sich sogar Lotosblüten, wie Seiji staunend bemerkte. Er tappte über einen Moos- und Flechtenteppich, ging neben dem vollgelaufenen Keller in die Knie, inspizierte, was sich dort bot. Auf recht morbide Weise war dieses industrielle Ruinenfeld idyllisch und sogar anheimelnd. Eine merkwürdige Atmosphäre verzauberte den Besuch, erinnerte an Endzeit-Spektakel, eine post-zivilisatorische Welt. Tomohiko hatte im Schatten einer Mauer eine Picknickdecke ausgebreitet und geschickt beschwert, damit keine verirrte Brise sie anheben konnte. Widerwillig löste sich Seiji von dem künstlichen Teich, plumpste neben Tomohiko auf ihr Lager. Zweifellos hatte Tomohiko ihren Ausflug gut vorbereitet: kalte Speisen, Knabbereien, ausreichend zu trinken, Geschirr und Besteck, Servietten, dazu ein Federballspiel und eine kleine Schachtel mit Shogi-Steinen. Seiji kehrte Tomohiko betont den Rücken zu, kramte in seiner Schultasche nach dem Briefpapier und seinem Stift. Die Beine gekreuzt, darüber seine Schultasche als Schreibunterlage widmete er sich seiner sonntäglichen Schilderung der vergangenen Woche. Sollte sich Tomohiko doch beschäftigen, wie er wollte! Unerfreulicherweise tat der genau das, was Seiji forcierte: er beschäftigte sich selbst, spazierte durch das verwunschene Ruinenfeld, pflückte Gräser, um damit eine einfache Kette zu knüpfen, beobachtete den Tanz der Libellen über dem Wasser und streckte sich schließlich gemütlich aus. Derweil schwitzte Seiji in seiner Aufmachung, krempelte die Ärmel hoch und wusste doch, dass ihm keine Abkühlung zuteil werden würde. Trotzig beendete er seinen Brief, dekorierte ihn mit gepressten Blumen und frankierte den Umschlag. "Hast du Hunger? Durst?" Tomohiko lächelte zu ihm hoch. "Hrmpf" Kommentierte Seiji, wurde aber von seinem Magen lautstark übertönt. "Fein!" Tomohiko rollte sich geschmeidig auf die Seite und kam mit einer eleganten Bewegung hoch. "Dann serviere ich sofort!" ~+~ »Ich kann's nicht glauben.« Schüttelte Seiji den Kopf über sich selbst. Er HATTE ordentlich zugelangt, denn die mitgebrachten Speisen waren einfach zu köstlich. Anschließend WAR er in der wohligen Wärme des späten Mittags eingenickt! Jetzt fühlte er sich zwar gut und ausgeruht, aber seine unerschütterlichen Vorsätze hatten erheblichen Schaden erlitten. "Spielst du mit mir?" Tomohiko ließ den Federball auf dem gekreuzten Gewebe des Schlägers springen. »Warum nicht?« Seiji ergriff den anderen Schläger, krempelte die Ärmel hoch. »Mal sehen, wie gut du bist!« Tomohiko war, leider, sehr gut, aber das stachelte Seijis Ehrgeiz nur mehr an. Dummerweise rutschten ihm immer wieder die Ärmel über die Ellenbogen, behinderten ihn. "Soll ich dir helfen?" Tomohiko schob den Federball in eine Tasche, überquerte die Distanz. Seiji schnaubte, die Wickelei enervierte ihn. Außerdem rutschte die dämliche Brille ständig auf seine Nasenspitze! Und unter der Mütze juckte ihm die Kopfhaut! "Na los!" Kommandierte er folglich Tomohiko ungehalten, streckte ihm einen Arm hin. Er erwartete eigentlich, dass der sich nun auch mit einer überragenden Aufkrempel-Technik hervortun würde, doch Tomohiko wählte eine andere Lösung: er riss einfach so heftig in einem Ruck am Bund, dass die Nähte der Ärmel an der Schulter nachgaben. "Voila, ein ärmelloses Hemd! Tres chic!" Grinste er. Um sich keine Blöße zu geben, deponierte Seiji grimmig Brille und Baseballkappe auf den hemdlosen Ärmeln, drehte dann den Schläger angriffslustig in den Händen. "Willst du eine Extra-Einladung, oder was?!" Provozierte er Tomohiko. Der lachte amüsiert, zückte den Federball. Nun konnte das Spiel erst richtig beginnen! ~+~ "GEMEIN!" Protestierte Seiji grundlos, musste sich aber erhitzt und atemlos geschlagen geben: gegen Tomohikos flinke Reaktion war er ohne Chance. Keuchend sackte er auf der Picknickdecke in sich zusammen, wischte sich mit einem nutzlosen Ärmel über das Gesicht. Tomohiko schmunzelte schweigend vor sich hin, während er grünen Tee aus einer Thermokanne ausschenkte und über den Rand seines Bechers mit schwarzen Falkenaugen blitzte. Seiji wich dem Funkeln aus, erinnerte sich daran, dass er hier mit einem vollkommen verdrehten Erpresser und potentiellen Belästiger seine Zeit verbrachte, sich amüsierte, als wären sie Freunde. Der Gedanke nistete sich ein, drückte seine Stimmung, verordnete grüblerisches Schweigen. Es war sehr lange her, dass er sich mit einem Gleichaltrigen gut verstanden hatte, ohne Befürchtungen agierte, sich nicht versteckte oder zurückzog. »Bin ich jetzt schon so weit, dass ich mich mit IHM abfinde?!« Tadelte er sich selbst wütend. Tomohiko war nicht wie die anderen: er war geschickter und geduldiger, aber letztendlich lief alles auf dasselbe hinaus. "Möchtest du ein Spiel machen?" Tomohiko rüttelte ihn aus düsteren Gedanken auf. In seinen Händen hielt er die einfache Schachtel mit den Shogi-Steinen. "Auf dem karierten Muster der Decke können wir das Spielfeld abstecken." Seiji zögerte. Er beherrschte Shogi nicht besonders gut, entsann sich nur vage der Regeln und fühlte sich zu unruhig, zu unleidlich in seiner Situation, um sich auf etwas konzentrieren zu können. "Spielst du das gern?" Erkundigte er sich, zupfte an Grashalmen herum, wich einer Antwort auf die Offerte aus. "Ja. Mein Vater hat es mir beigebracht." Tomohiko ließ die einfachen Spielsteine in seiner Handfläche wie Murmeln kreiseln. "Wenn wir Zeit haben, spielen wir." "Aha." Brummte Seiji, gab sich desinteressiert. "Du hast wohl keine Geschwister, wie?" "Eine Schwester." Tomohiko beförderte die verschmähten Spielsteine wieder in ihren Karton. "Sie ist an einer Hirnhautentzündung gestorben, als sie drei Monate alt war." Unwillkürlich schauderte Seiji, presste die Lippen zusammen. »Na toll, das kommt davon, wenn ich ihn einmal etwas frage!« "Das tut mir leid." Krächzte er beschämt, drehte Kringel in geplagte Grashalme. "Ja, mir auch." Tomohikos Stimme änderte sich nicht, sie klang unverändert sanft und eine Winzigkeit amüsiert. "Es wäre sicher schön gewesen, eine kleine Schwester zu haben." Seiji schwieg, wich jedem Blickkontakt aus, zog die Beine vor den Leib und schlang die nun blanken Arme um seine Knie. Er kam sich ungeschickt und grob vor, weil er nicht leicht über den Bruch in der Konversation hinwegsetzte, mit Esprit das Thema wechselte oder überhaupt noch ein Gespür dafür besaß, wie man sich mit anderen Menschen unterhielt, wenn es über Sachinformationen hinausging. "Wir sollten uns langsam auf den Weg machen." Tomohiko schien das Schweigen nicht zu beleidigen. "Es gibt hier keine Beleuchtung." In der Folge war es im Dunkeln auf dem Ruinengelände gefährlich. Wortlos packte Seiji seine Schultasche, beobachtete dann missmutig, wie Tomohiko den Picknickkorb füllte. Er hätte helfen müssen, ein Beweis guter Manieren, aber gerade jetzt fühlte er sich zu beklommen-angespannt, um auch noch guten Willen zu beweisen. »Ich habe wirklich keine Ahnung, woran ich mit ihm bin!« Grollend stapfte er hinter Tomohiko her, der voran zu seinem Fahrrad ging. »Was soll dieser Aufwand?! Wenn er mich angrapscht, werde ich ihn verabscheuen, da kann er mir vorher schöntun, so viel er will!« Es dämmerte bereits, zerrissene Wolken trieben über den imposant gefärbten Abendhimmel, als sie die Straße entlang des Kanals erreichten. Tomohiko bestieg sein Rad und wartete geduldig, dass Seiji es sich als Sozius bequem machte. Dieses Mal verzichtete der auf große Gesten, hielt sich am Sattelgestänge fest. Es kümmerte ihn nicht sonderlich, auf den blauen Stern zu starren, während Tomohiko gemächlich in die Pedalen trat. Sobald sie auf befestigtem Weg unterwegs waren, wurde ihre Heimfahrt zu einem Defilee. Seiji betrachtete die Pärchen, Kleinfamilien, Senioren mit oder ohne Tier, bewaffnet mit Drachen, Sonnenschirmen, Rucksäcken, Fotoapparaten oder Bällen. Alle der Enge der eigenen vier Wände entflohen, um gemeinsam in der zivilisierten Natur etwas zu erleben. Den Blick auf den Schopf dunkelbrauner Haare gerichtet spürte Seiji ernstliche Zweifel aufsteigen. Zum ersten Mal fragte er sich, ob es sinnvoll war, sich gegen Tomohikos Annäherungen zu sträuben. Ob er nicht durch Einsamkeit und Heimweh irgendwann einfach aufgab, ganz gleich, wie feige und rückgratlos das war. Ob Tomohiko das vielleicht längst schon erkannt hatte und GENAU aus diesem Grund keine Eile damit hatte, ihn zu bedrängen. In diese trüben Gedanken versunken bemerkte er recht spät, dass sie nicht denselben Weg für die Rückfahrt wählten wie am Vormittag. "He!" Seiji widerstand der Versuchung, Tomohiko auf den Rücken zu schlagen. "Wo fährst du denn lang?!" "Zu mir nach Hause, Abendessen." Antwortete Tomohiko ungezwungen, in völliger Arglosigkeit über den Vulkan, der hinter ihm vor sich hin brodelte. Seiji konnte es nicht fassen: dieser miese, charakterlose, intrigante, schmeichlerische, aufdringliche Perverse wollte ihn SEINEN Eltern vorstellen?! "Setz mich ab!" Verlangte er. "Ich habe noch etwas zu erledigen!" "Ein Briefkasten ist direkt bei uns um die Ecke." Tomohiko steigerte perfid das Tempo, verhinderte, dass Seiji tollkühn vom Rad sprang, aber angesichts der Tatsache, dass seine Schultasche vorne im Fahrradkorb lag, verzichtete Seiji zähneknirschend auf waghalsige Aktionen. Kurze Zeit später bog Tomohiko in eine schmale Gasse ein, schlängelte sich zwischen Pflanzenkübeln, Mülltonnen und Miniaturbänken hindurch. Da und dort warteten Fahrräder oder Motorroller auf ihre Eigentümer. Die Häuser selbst zählten selten mehr als zwei Stockwerke, einfacher, kastenförmiger Aufbau, dicht an dicht errichtet, um jeden freien Fleck zu nutzen. Vor einem solchen zweigeschossigen Kasten hielt Tomohiko an, schob sein Rad unter den Treppenaufgang. "Wir wohnen oben." Erklärte er, sammelte den Picknickkorb UND Seijis Schultasche ein. Der zögerte unschlüssig. Er fand sich lächerlich in dem Hemd mit den abgerissenen Ärmeln, der wirren Frisur und den langen, mit Grasflecken verunzierten Hosen. Doch bevor er noch einen rettenden Ausweg finden konnte, öffnete sich die Eingangstür im Obergeschoss und eine zierliche Frau beugte sich über die Balustrade. "Guten Abend, Seiji-kun! Endlich lerne ich dich mal kennen! Los, Tomo, beeile dich ein bisschen! Ich habe extra Sushi gemacht!" Reflexartig tappte Seiji einen Schritt nach hinten, Fluchtinstinkt. Sushi, extra seinetwegen?! Was hatte Tomohiko seiner Mutter über ihn erzählt?! "Gehen wir." Tomohiko zwinkerte, die schwarzen Falkenaugen blitzten vor Vergnügen über den gelungenen Coup. »Er weiß, dass ich nicht weglaufen kann!« Der Vulkan kochte Lavablasen auf, doch Seiji erkannte auch, dass er geschlagen war. Langsam folgte er Tomohiko die Stufen hinauf, absolvierte eine höfliche Begrüßung mit Tomohikos Mutter, die vor Begeisterung übersprudelte. Sie bewunderte sein Haar, die Haut, seine elegante Haltung, dass er Tomohiko bei den Schularbeiten unterstütze, wie herrlich es doch sei, einen Leidensgenossen im Schulstress zu haben! Seiji klingelten die Ohren. Er fühlte sich eingeschüchtert von dieser kleinen Frau mit den spitzen Gesichtszügen, die ihn einfach an der Hand fasste und vertraulich mit sich zog. Sofort wurde er auf Besichtigungstour geführt, zwei Schlafzimmer, das Bad, die getrennte Toilette, das Wohnzimmer mit angeschlossener Küchenzeile, der umlaufende Balkon, wo Wäsche im Abendwind flatterte. "Mein Mann kommt auch gleich, er müsste jeden Augenblick eintreffen! Aber sicher möchtest du dich frischmachen, nicht?! Los, Tomo, halte keine Maulaffen feil, deck den Tisch!" Tomohikos Mutter führte mit ihrer hellen Kleinmädchenstimme das Regiment. Erleichtert floh Seiji ins Bad, studierte im Spiegel die wirren Haare, pflückte kleine Blätter und Halme heraus. »Der blöde Kerl hätte mir ruhig sagen können, dass ich die halbe Botanik als Souvenir mitgenommen habe!« Haderte er mit der eigenen Eitelkeit, doch die guten Manieren gewannen stets die Oberhand: selbst in dieser Situation verspürte er den Drang, sich von seiner besten Seite zu zeigen, um sich und seine Familie nicht zu blamieren. Nachdem er einen einigermaßen respektablen Auftritt bewerkstelligt hatte, wagte sich Seiji aus dem Badezimmer. Am Esstisch der Familie saß ein älterer Mann, noch in der Uniform der Angestellten, eine Brille auf den schütter werdenden Oberkopf geschoben. "Ah, Seiji-kun!" Er erhob sich zur Begrüßung, lächelte mit kunterbunt stehenden Zähnen. "Tomo hat uns schon so viel über dich erzählt!" Seiji verneigte sich höflich und verwünschte Tomohiko innerlich. Was konnte der durchtriebene Mistkerl über ihn erzählt haben?! Der kannte ihn doch überhaupt nicht!! Sein Zorn wurde allerdings vom Essen überstimmt: Tomohikos Mutter hatte sich viel Mühe gegeben. Obwohl Seiji gewohnt war, abends nicht mehr viel zu essen, konnte er doch nicht ablehnen und beantwortete unentwegt Fragen der Eltern. Wie sein Zuhause so sei. Ob seine Eltern wirklich Künstler seien, Handwerksmeister, die Antiquitäten restaurierten. Ob er das Leben auf dem Land vermisse. Was er gerne esse. Welche Spezialitäten es in seiner Heimat gebe. Seiji war zu überrascht, um anders als ehrlich und ausführlich zu antworten. Tomohikos Eltern befragten ihn nicht aus Höflichkeit, sondern bekundeten großes Interesse. »Doch woher...?!« Woher wussten sie so gut über ihn Bescheid? Wie hatte Tomohiko all diese Dinge in Erfahrung gebracht, ohne ihn ein einziges Mal dazu zu befragen?! Die Zeit verging wie im Flug, es war bereits stockdunkel, als Tomohikos Mutter die Tafel aufhob. "Ich werde deine Pensionswirtin anrufen, dass sie sich nicht sorgt." Verkündete sie aufgeräumt. "Tomo, du bringst Seiji wohlbehalten zurück, nicht wahr?" "Natürlich." Tomohiko lächelte auf die gewohnt selbstsichere Weise. Den ganzen Abend über hatte ER geschwiegen, lediglich aufmerksam gelauscht. Für Seiji eine bodenlose Gemeinheit, aber er war zu satt, zu zufrieden, um sich eine entsprechende Revanche auszudenken. »Und da ist noch etwas...« Ja, irgendetwas war ihm aufgefallen, beinahe unbewusst, doch er konnte sich nicht recht darauf besinnen. Etwas Wichtiges, ganz sicher, aber was es genau war... Nun, später würde es ihm sicher wieder einfallen! Überaus freundlich verabschiedet von den Eltern nahm Seiji hinter Tomohiko auf dem Fahrrad Platz, winkte sogar übermütig zum Abschied. Wie konnte so ein Ekelpaket wie Tomohiko nur so nette Eltern haben?! Genau in diesem Moment begriff er, was ihm zuvor aufgefallen war. ~+~ Den Brief vertrauensvoll der Post anvertraut und von einer warmen Brise umschmeichelt fühlte sich Seiji auf dem Sozius erstaunlich gut gelaunt. Er hatte, wenn er sich nicht irrte, eine Gelegenheit gefunden, seinen perfiden Peiniger in die Schranken zu verweisen! Das MUSSTE ja die Stimmung aufhellen! Tomohiko hielt vor der Pension an, bockte sein Fahrrad auf und überreichte mit einer gezierten Verbeugung Seijis Schultasche ihrem Besitzer. Der stieg genau zwei Stufen hoch, um des Effekts willen die richtige Distanz zu wählen und äußerte sich bedenklich samtpfotig. "Vielen Dank für den Ausflug und die Einladung zum Abendessen. Es war wirklich sehr unterhaltend." Tomohiko lächelte selbstgewiss. Seiji funkelte herunter, spürte seine Eckzähne, als wolle er zu einer bissigen Attacke übergehen. "Ich nehme an, alle wissen, dass du adoptiert bist?" Er starrte fix in die schwarzen Falkenaugen, die im Schein der Straßenbeleuchtung keine wahrnehmbare Reaktion verrieten. Dann aber breitete sich Tomohikos Lächeln aus, wandelte sich in ein anerkennendes Auflachen. "Nun, ich glaube nicht, dass unsere Mitschüler davon wissen, aber es ist sicher kein Geheimnis. Wenn du dich dafür interessierst, erzähle ich dir morgen in der Mittagspause davon." Bot er zwinkernd an. Wütend ballte Seiji die freie Faust, während sich die Fingernägel der anderen Hand in den ledernen Griff der Schultasche bohrten. "Deine Eltern haben mein ganzes Mitgefühl!" Verkündete er hochmütig, machte auf dem Absatz kehrt und schlüpfte ins Haus. Tomohikos Lachen und den gewohnt nachsichtigen Gruß zur Nacht vernahm er trotzdem. ~+~ An einem Montag ging es immer lebhafter in der Mensa zu, denn alle wussten von Erlebnissen des freien Sonntags zu berichten. Seiji, der in seiner Verkleidung kaum mehr Beachtung fand als eine Läuse behaftete, grässliche Zimmerpflanze, lauschte aus der Distanz und ignorierte Tomohiko, der wie immer den Platz gegenüber für sich beansprucht hatte. Wenn ER schulfrei hatte, zu Hause, war es ihm immer am Liebsten gewesen, seinen Eltern zu helfen oder die Großeltern gleich nebenan zu besuchen. Spielhallen, Einkaufsmeilen, Schwimmbäder, Konzerte: das waren fremde Welten, nach denen es ihn nicht gelüstet hatte. »Ich bin offenkundig nicht für das Leben als moderner Großstädter geschaffen.« Stellte er befriedigt fest. Ein Grund mehr, sich zu Hause eine Existenz aufzubauen, in Gesellschaft von Menschen, die seine Leidenschaften und Sehnsüchte teilten! Er zuckte zusammen, als Tomohiko ihre Tabletts stapelte und sich geschmeidig erhob, um das benutzte Geschirr abzugeben. »Jetzt zwingt er mich schon, den Tisch zu verlassen!« Grummelte Seiji, kam aber auf die Beine. Vielleicht konnte er es sich im Klassenzimmer bequem machen und ein wenig dösen, von zu Hause träumen, bis der nachmittägliche Unterrichtsblock auf ihn herabprallte? Tomohiko folgte ihm, natürlich!, sogar auf die Toilette, richtete sich dann gemütlich auf einem Stuhl ein, obwohl es Seiji gelungen war, eine Fensternische für sich allein zu erobern. Um Tomohiko keine Gelegenheit zu geben, seine Lebensgeschichte zu schildern, attackierte Seiji von einer anderen Front aus. "Was hast du deinen Eltern über mich erzählt?!" "Nur das, was du selbst gestern bestätigt hast." Zwinkerten die schwarzen Falkenaugen konspirativ. "Alles andere zu seiner Zeit." "Nichts da!" Fauchte Seiji, verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. "Bilde dir bloß nichts ein! Ich will nichts von dir wissen und werde dir ganz bestimmt auch nichts über mich erzählen!" Er blitzte Donner und Vernichtung auf Tomohiko nieder, doch bevor sich ermitteln ließ, wer länger ohne ein Blinzeln in die Augen des anderen starren konnte, betraten drei Klassenkameraden den Raum und füllten die Stille mit ihrem lautstarken Gespräch. Ruckartig wandte Seiji sich ab, klebte den Blick betont an das Panorama der Häuserwellen, die jeden Horizont in dumpfes Grau verödeten. Tomohiko erhob sich, stellte den Stuhl beiläufig an seinen Platz, beugte sich dann herunter, als wolle er ebenfalls aus dem Fenster sehen. "Auch wenn deine Lippen versiegelt sind, Sei-chan, deine Körpersprache ist ein offenes Buch. Solange ich hier der Einzige bin, der weiß, wie du wirklich bist, kann ich darauf warten, dass du mir mehr erzählst." Wäre Seiji ein gewalttätiger Mensch gewesen, so hätte er Tomohiko wohl empört vor die Brust gestoßen und ihn zusammengestaucht, doch in Ermangelung dieser Option konnte Seiji nicht mehr tun, als hinter der unseligen Brille im Gigantenformat giftige Blicke abschießen und lautlos eine Verwünschung murmeln. Also hatte Tomohiko nicht vor, ihn so schnell zu verraten, um den exklusiven Status nicht zu verlieren? Half diese Erkenntnis irgendwie weiter? Zum Beispiel zu einer herausragenden Methode, sich für die Arroganz zu rächen? Seiji zog die Schultern hoch und ballte sich zusammen. »Ich will endlich nach Hause.« ~+~ Die Bahn war voll, eine einzige kompakte Masse. Seiji presste sich in seine Nische, dankbar, dass Tomohikos Rücken die Menge ein wenig auf Distanz hielt, auch wenn er dafür immer wieder gegen Tomohikos Brust geschleudert wurde, sobald es zu einem Tempowechsel kam. Der beugte sich zu ihm, immerhin standen sie vertraut wie langjährige Bekannte, was die Umstände erzwangen. "Als ich klein war, gab es ein Erdbeben, bei dem das Haus meiner Eltern zusammenfiel." Wisperte er sanft an Seijis Ohr. "Es war Nacht, alle schliefen. Das Beben währte nicht mal lange, einige Sekunden nur, aber die Stromleitungen wurden heruntergerissen, Gas trat aus, Wasserrohre barsten und überschwemmten alles." Seiji schauderte, wollte die grausigen Einzelheiten gar nicht erfahren. "Ich wurde einen Tag später gefunden. Man glaubte schon, ich sei tot, aber ich war bloß still. Meine Eltern dagegen sind von den Trümmern erschlagen worden. Es hieß, sie seien sofort tot gewesen, gar nicht mehr aufgewacht." Unfähig, sich länger unbeteiligt zu geben, starrte Seiji direkt in Tomohikos Gesicht. Wie konnte der nur so gelassen berichten?! Mit diesem verrückten Lächeln?! "Als ich dann aus dem Krankenhaus kam, haben meine Adoptiveltern mich zu sich genommen. Ende der Geschichte." "Das-das tut mir leid." Haspelte Seiji unwillig. "ICH hatte nicht vor, dich bloßzustellen!" Tomohiko lachte amüsiert. "Oh, das hätte mir durchaus gefallen! Da du schon so viel Mitgefühl mit meinen Eltern hast, hätten sich dir bestimmt einige andere mit dem gleichen, frommen Wunsch angeschlossen." "Idiot!" Fauchte Seiji, drehte sich in der Enge ungelenk, bis er Tomohiko den Rücken zukehrte. Den Rest der Heimfahrt über ignorierte er standhaft, dass Tomohikos Atem über seinen Nacken strich. ~+~ Mit gemischten Gefühlen schloss Satoru den Kellereingang Nummer drei auf und stieg die Treppe hinab. Sein Vorhaben, das ihm in der letzten Woche noch so frech und verführerisch erschienen war, wirkte nun längst nicht mehr so uneingeschränkt positiv. »He, wolltest du dich nicht entspannen?! Dir etwas gönnen?! Worüber zerbrichst du dir den Kopf?!« Lästerte seine innere Stimme boshaft. Selbstverständlich wusste Satoru, worüber er sich den Kopf zerbrach! Allerdings wollte er diesen Pfad ganz sicher nicht verfolgen, auf gar keinen Fall diesen Gedanken weiter ausführen! Keuchend, da abgehetzt erreichte Mamoru den Eingang, öffnete aber so zaghaft die Kellertür, dass man glauben konnte, es drohe ihm ein harscher Verweis. Bevor der Jüngere noch eine rasche Folge beschämter Entschuldigungsfloskeln vom Stapel lassen konnte, winkte Satoru gebieterisch ab. "Komm endlich rein und zieh dich aus!" Schnaubte er betont ärgerlich, was dafür sorgte, dass sein Opfer hastig und dadurch ungeschickt den Aufforderungen nachkam. Als sie beide entkleidet waren, winkte er Mamoru heran, drehte ihn an den Schultern herum und band dessen Handgelenke hinter dem Rücken zusammen. "Heute werden wir etwas Neues lernen. Da du letztes Mal von meiner Großzügigkeit profitiert hast, wirst du gehorsam tun, was ich dir sage." Mamoru nickte eifrig, die Brillengläser leicht beschlagen. Satoru winkte ihn mit einer herrischen Geste des Kinns heran, drapierte das eigene Handtuch so, dass es den scharfen Knick einer Stufe polsterte und ließ sich mit gespreizten Beinen bequem nieder. Er wies Mamoru an, sich vor den Treppenabsatz hinzuknien. Die Rechte auf den unmöglichen Haarschopf gelegt blickte er Mamoru streng in die großen, schwarzen Augen. "Du bist ein Hund. Ich bin dein Herr und Meister. Ich befehle dir, mich sauberzulecken. Besonders hier." Seine Linke krümmte sich gewölbt über dem eigenen Schritt. Mamoru blinzelte, nickte dann hastig, als könne man das Zögern wie eine Weigerung auffassen und senkte den Kopf. Er beugte sich vor, begann damit, Satoru über die Fußrücken und Knöchel zu lecken. Der lehnte sich zufrieden zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und senkte die Lider herab. Er mochte diese leichte, prickelnde Feuchtigkeit, die einen gewissen Kälteschauer erzeugte, bevor sie eintrocknete, die verführerische Ungewissheit, ob dem heißen Atem auch die Zunge folgen würde, oder ob sich Mamoru doch für eine andere Stelle entschied. Er bemerkte nicht, dass er leise seufzte, aber die sich verlierende Anspannung des Alltags verspürte er doch: seine Muskeln wärmten sich auf, die Schultern schmerzten nicht mehr so sehr wie gewohnt. Mamoru unterdessen leckte bereits über die samtig-weiche Haut der inneren Oberschenkelseiten. Er fragte sich, ob er sich erdreisten konnte, einfach über den Bauchnabel nach oben zu wandern, um mit Satorus Brustwarzen ein vergleichbar perfides Spiel zu treiben, wie der Ältere es zuvor bei ihm getan hatte. Ob er bestraft werden würde, wenn er über Satorus Gesicht leckte. Da sein Herr und Meister keine Anzeichen zeigte, sich über den Fortgang zu beklagen, richtete sich Mamoru auf, erprobte seine Zungenfertigkeit an den Brustwarzen. Das gefiel ihm durchaus. Der trommelnde Herzschlag an den eigenen Lippen war eine erstaunlich beeindruckende Erfahrung, vor allem aber, wie Satoru erblühte! Die Strenge in den attraktiven, klassischen Zügen wich einem warmen, gelösten Lächeln, die kalligraphierten Augenbrauen beschrieben sanfte Bögen. Mamoru wünschte sich, er könnte diesen oft so spottenden, strikten Mund küssen. Selbstverständlich vermessen und egoistisch, da er noch nie zuvor jemanden geküsst hatte und zweifelsohne jegliche Fertigkeit auf diesem Gebiet vermissen lassen würde! Balancierend, da er sich ja nicht mit den Händen abstützen konnte und nun sehr nahe zwischen Satorus geöffneten Beinen kniete, leckte er mit angehaltenem Atem über dessen Lippen. Sofort spürte er, wie sich Satoru aus der entspannten, beinahe verträumten Haltung löste. Die Augen wurden zwar nicht mit einem Sengstrahl auf den Frevler geöffnet, aber Mamoru bemerkte genau, dass es hier eine Demarkationslinie gab, die er nicht überschreiten sollte. Als habe er diesen Impuls nicht aufgefangen, leckte er diensteifrig über Kinn und Kehle, bis Satorus Rechte sich um seinen Hals legte. "Sitz!" Der Jüngere gehorchte nach einem Moment der Unsicherheit, sank auf seine Fersen zurück und blickte hoch zu seinem Herren und Meister. "Leck mich hier sauber!" Satorus Aufforderung war unzweideutig. Eine Hand auf der Stirn hinderte Mamoru am augenblicklichen Gehorsam. "ABER nicht beißen, kneifen oder quetschen!" Satoru lehnte sich nun nicht mehr zurück, sondern beäugte scharf, wie Mamoru den Kopf zwischen seine Beine senkte, über die Leisten und die Innenseiten der Schenkel leckte. Ob der Jüngere wohl bemerkte, dass er zuvor auf der Toilette mit feuchten Intimpflegetüchern eine sorgfältige Reinigung vorgenommen hatte? Wie dem auch sei, sein Körper mochte diesen glühend heißen Atem und die ungelenke Zärtlichkeit der Zunge, die ihn streichelte. Der Ältere kippte die Hüfte leicht, damit Mamoru nicht vergaß, dass es neben dem hervorstechenden Botschafter auch noch Begleiter gab, die ebenfalls auf eine Aufwartung großen Wert legten. Als er registrierte, dass die liebkosenden Streicheleinheiten auslösende Effekte ausübten, fasste er Mamoru unter das spitze Kinn, blitzte unter halb gesenkten Lidern in die großen, schwarzen Augen. "Warte." Wisperte er rau, angelte überkopf nach den Kondomen. Er wollte nicht, dass Mamoru sein Sekret schluckte, empfand es als schlechten Stil, seinem Opfer eine solche Dienstleistung abzufordern. Geübt rollte er das Kondom ab, beugte sich dann, durchaus ächzend, vor, um auch Mamorus schüchterne Erektion, die vernachlässigt wurde, auszustatten. "Hör zu!" Die Rechte schwer auf den wirren Krausschopf gelegt lektionierte er streng. "Drücke deine Zähne nicht rein, geh nicht weiter als bis zur Mitte des Gaumens und atme durch die Nase. Keine Heldentaten, verstanden? Du willst ja wohl nicht meine Haare zwischen deinen Zähnen haben, oder?!" Der Vortrag zeitigte durchaus eine Reaktion: Mamorus Wangen färbten sich dunkelrot, ein unkleidsamer Kontrast zu der leichenfahlen Blässe. "Dann guten Appetit!" Spottete Satoru, ließ den Kopf in den Nacken rollen, die Ellenbogen auf einer Stufe aufgestützt. Er erhoffte sich davon, dass Mamoru nicht den Mut verlor. Ohne den scharfen Blick fühlte sich Mamoru tatsächlich leichter, konnte die Verlegenheit überwinden, die ihn mit Eisschauern erschüttert hatte. Zunächst erschien es ihm ratsam, noch ein wenig die Umgebung der Hauptattraktion zu besuchen, denn er konnte sich ausmalen, dass es nicht einfach sein würde, ohne den Einsatz seiner Hände die kostbare und verletzliche Fracht in den eigenen Mund zu bugsieren. Aber er hielt sich nicht über Gebühr auf, denn seine Neugierde trieb ihn voran. Hieß es nicht, dass Männer Oralsex besonders schätzen? Zumindest, wenn er ihnen bereitet wurde? Solche Erkenntnisse waren natürlich absolutes Geheimwissen, das man nicht offenbaren durfte, geschweige denn für diese Art von Information ein Interesse zeigen. Er verschwendete aber keinen Gedanken darauf, wo er diese mutmaßliche Erkenntnis aufgeschnappt hatte, sondern leckte über die empfindliche Spitze von Satorus Erektion. Eine Ahnung von künstlichem Pfefferminzgeschmack drängte sich seinen Sinnen auf. Mamoru lächelte, bevor er diese Reaktion verstecken konnte. Es gab also WIRKLICH Kondome mit Geschmack! Er schloss die Augen, rollte mit der Zungenspitze über das erstaunlich große Objekt, das er nun einführen sollte und bemühte sich, nur noch flach durch die Nase zu atmen, bloß nicht daran zu denken, wie es sein musste, ein fremdes Schamhaar im eigenen Gebiss zu finden! Ein Fehler, natürlich, denn nun musste er trotz aller Willensanstrengung prusten und sich hastig zurückziehen. "Was ist so komisch?" Die dunkelbraunen Augen funkelten nun hellwach und intensiv. Mamoru spürte, wie ihm die Farbe aus den Wangen wich. Glücklicherweise dauerte die Folter des Basiliskenblicks nicht lange, denn der Ältere löste einen Ellenbogen von der Stufe und tippte Mamoru mit der Zeigefingerspitze auf die Lippen. "Konzentriere dich bitte. Wenn du Pfefferminz nicht magst, wechseln wir eben beim nächsten Mal auf Erdbeere." Gelassen lehnte sich Satoru wieder zurück, senkte die Lider und wartete darauf, dass sein 'Verwöhnprogramm' fortgesetzt wurde. Sein Opfer allerdings registrierte dieses Verhalten durchaus überrascht. Sollte Satoru nicht der gemeine, rücksichtslose Erpresser sein, der seine ganze Gewalt auf ihn ausübte?! Aber nein! Satoru gab sich geduldig, aufmerksam und freundlich! Mamoru tauchte rasch wieder zu seiner Aufgabe ab, wagte es tollkühn, mit gespitzten Lippen auf die Erektion einen Kuss zu setzen. Er schloss die Augen, stellte sich eine besonders große Zuckerstange vor, rot-weiß geringelt, aus Schweinespeck bestehend und mit Zuckerguss überzogen. Ein rares Gut, das in seiner Erinnerung an eine fröhliche Kindheit legendäre Formen angenommen hatte. Folgsam hielt er sich an Satorus Anweisungen, achtete darauf, nicht mit den Zähnen über das Latex zu kratzen, nur behutsam mit der Zunge von unten gegen die heiße Gabe zu drücken. "Lutschen!" Keuchte Satoru über ihm kehlig, eine Hand kraulte Mamorus wirren Schopf. "Langsam rauf und runter." Weil er flach atmen musste, schwindelte Mamoru leicht, aber er kam der Forderung nach, spürte die unwillkürlichen Beben, die Satorus Unterleib erzittern ließen und von dessen angestrengter Selbstbeherrschung kündeten. Satoru zischte durch die Zähne, genoss den rauen Kontrast der krausen Haare in seinem Handteller. Er WOLLTE sich gern gehen lassen, ohne Rücksicht auf Verluste in dieser Hitze eruptieren, aber seine Manieren hinderten ihn, also drückte er Mamoru sanft zurück, wusste, dass ihm Schweißperlen auf dem Leib standen, er bereits verräterisch zitterte. "Auf meine Beine." Brachte er mühsam, keuchend, über die zuckenden Lippen. Ungelenk und schwankend erkletterte Mamoru mit auf dem Rücken gebundenen Händen Satorus Schoß. Der legte die Linke um Satorus Rücken auf dessen linke Leiste, damit der Jüngere nicht abstürzen konnte. Satoru richtete sich auf, umfasste beide Erektionen mit der Rechten. "Näher heran!" Fauchte er Mamoru atemlos ins Gesicht, lange konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Mamoru rutschte auf seinen Oberschenkeln so nahe heran, wie es Treppenstufe und Anspannung zuließen, lehnte die Stirn gegen Satorus, die Brillengläser beschlagen. Unwillkürlich tauschten sie hastige Atemstöße aus, stöhnten und keuchten unterdrückt. Der Ältere wusste, dass sein jüngerer Partner ihm rasch auf den Fersen war, keine Erfahrung darin hatte, diese Erregung zu kontrollieren. »Aber seine verdammten Muskeln!« Stellte er im aufgeputschten Hormonnebel in seinem Kopf fest, denn er konnte fühlen, wie die Ausläufer auf seinen Oberschenkeln beinahe Wellen in seine Haut kerbten. Unter halb geschlossenen Augen blinzelte er in das Gesicht, das viel zu nahe vor seinem eigenen schwebte, bemerkte kaum die gesenkten Lider hinter den beschlagenen Gläsern. Da war nur der speichelbenetzte Mund, der ihn mit höllisch glühendem Atem versengte. »Ach, Teufel noch eins!« Fluchte Satoru stumm und küsste Mamoru leidenschaftlich. Der Kerl war ja selbst schuld, ihn so herauszufordern! Auch wenn Mamoru nicht erfahren war, was diese Affektionsbekundung betraf, so lernte er doch sehr schnell, wie er seine Zunge in diesem begrenzten Areal geschickt einsetzen konnte, besonders, wenn es galt, die Handreichungen unterhalb des Bauchnabels zu kopieren! Außerdem wollte er den Pfefferminzgeschmack teilen, spüren, wie Satoru schluckte, ihm seinen Speichel einflößte, langsam den Kampf um die Selbstkontrolle verlor. Satoru sah Sterne, spürte Blitzschläge, litt Eiseskälte und Gluthitze. Während sein Verstand die Nerven verlor, gab sein Körper nach. ~+~ Mamoru lehnte auf einer anmutig geschwungenen Schulter, spürte, wie sein Speichel sich von dort in der Kuhle des Schlüsselbeins sammelte, aber er war für den Moment zu ermattet, um sich zu lösen und aufzurichten. Außerdem konnte er seinem Gleichgewichtssinn noch nicht trauen. Jede Grundfeste war erschüttert worden. Satorus Arme um seinen Rücken waren die einzigen Banden, die ihn vor dem Absturz bewahrten. "Brav." Hörte er die kehlig-aufgeraute Stimme wispern. "Gut gemacht." Es sollte wohl das überlegene Lob eines Herren und Meisters für sein getreues Hundchen sein, aber Mamoru hörte mehr: zärtliche Verbundenheit. ~+~ Kapitel 5 - Ein rätselhafter Verehrer Satoru legte den Bleistift hin und verzichtete darauf, erneut den Radiergummi zum Einsatz zu bringen. Aussichtslos, diese Abhandlung zu formulieren, wenn die Gedanken sich bei einem anderen Thema befanden! Er musste mit sich ins Gericht gehen, da gab es kein Vertun. Man konnte noch argumentieren, dass er Mamoru erst nach seinen Wünschen formen und trainieren musste, aber das ging zu weit! Wieso war es noch immer nicht zu einer zünftigen Vergewaltigung gekommen?! Warum konnte er nicht Mamorus Lächeln aus dem Gedächtnis verbannen?! »Es ärgert mich eben!« Fauchte er seinen Widerpart stumm an. NIEMAND sollte nach einem Orgasmus lächeln können, ohne wie ein debiler Idiot zu wirken!! Es war lästerlich unfair, wie bezaubernd glücklich und charmant dieser kleine Kerl ihn angeschmunzelt hatte! »Wenn du anfängst, dich für ihn zu erwärmen, gibt es eine Katastrophe!« Prophezeite ihm seine private Kassandra warnend, aber Satoru hatte diese Gefahr längst erkannt. Er hatte sich natürlich jemanden ausgesucht, der ihn ansprach, in das 'Beuteschema' passte, das er sich skizziert hatte. Wenn man jedoch die Kontrolle verlor, wurde aus dem Jäger sehr schnell der Gejagte. Man konnte wohl kaum verübeln, wenn es dann zu Racheakten kam! Satoru erhob sich, marschierte zum Fenster. Selbststudium bedeutete nicht, dass man wie üblich ununterbrochen auf seinem Stuhl kleben musste. Draußen brannte die Sonne ungetrübt von Wolken den Sommer in das Land. Er zupfte an seinem Hemd, wünschte sich, es gebe statt der altersschwachen Ventilatoren eine leistungskräftige Klimaanlage. »Ich habe ihn noch unter Kontrolle.« Beruhigte er sich selbst. »Sein Geheimnis will er bestimmt nicht verbreitet sehen.« Er ballte die Fäuste, funkelte den erbarmungslosen Feuerball am Himmel an. »Genau!« Fasste er einen Entschluss. »Es ist Sommer und klebrig heiß. Ich will mich entspannen und abkühlen!« ~+~ Seiji registrierte zu seiner eigenen Verärgerung, dass er sich an Tomohikos stete Anwesenheit gewöhnte, nicht mehr zusammenzuckte, wenn der plötzlich aus dem Nichts in direkter Nähe aus dem Boden zu wachsen schien. »Denn der verdammte Mistkerl hält wirklich sein Wort!« Das brachte Seiji wirklich auf die Palme. Tomohiko fasste ihn tatsächlich nicht an. Zwar wurden sie manchmal im Gedränge gegeneinander gestoßen, aber es blieb bei Körpertreffern. Tomohiko hatte sich beeindruckender Weise so unter Kontrolle, dass er kein einziges Mal reflexartig zugriff. »Dafür macht er mir auf jede erdenkliche andere Weise zu schaffen!« Grollte Seiji, rieb sich die Augen. Samstagabend, sechs Tage angefüllt mit Unterricht, Übungen, Prüfungen, steigender Sommerhitze. Er fragte sich, ob Tomohiko ihm morgen eine Pause gönnen würde. Ob es einen Tag gäbe, an dem der ihn nicht auf die Toilette begleitete, sich zu ihm setzte zum Essen, ihn von der Bahnstation bis zur Bahnstation unermüdlich begleitete. Seiji hatte bereits im Vorbeigehen gehört, wie sich andere wunderten, warum der schweigsame Tomohiko sich mit so einem komischen Vogel wie ihm abgab. Ob sie sich vielleicht von früher kannten. »Wie sollten wir?!« Verächtlich rollte Seiji die Augen, drehte sich auf den Rücken, um das Schattenspiel an der Zimmerdecke zu betrachten. Er wusste, dass man ihm seinen dezent ländlichen Akzent durchaus anhören konnte. WENN er sich mal äußerte. »Wieso sucht er sich eigentlich keine anderen Freunde?!« Grummelte er und stutzte dann über seine eigene Wortwahl. »Freunde?! Von wegen!« Korrigierte er sich grimmig. »Freunde sucht man sich aus. Die erpressen einen nicht und drängen sich auf!« Aber es WAR dessen ungeachtet bemerkenswert, dass Tomohiko keine Freunde in der Schule gewinnen wollte, denn der wohnte immerhin hier! »Ein totaler Freak.« Verkündete Seiji sein abschließendes Urteil. Tomohiko war viel zu selbstgewiss mit diesem mokierenden Lächeln, seinem aufdringlichen Nachstellen! Wenn das nicht einen Psychopathen auszeichnete! Zumindest, wenn man dem Kintopp glaubte. ~+~ Vom Morgen und einer glühenden Sonne aus dem Bett vertrieben verabschiedete sich Seiji zeitig von seinem Futon, um noch vor den anderen Pensionsgästen zu frühstücken. Er sammelte seine Schreibutensilien ein, huschte in den kleinen Garten und genoss in der noch frischen Brise die Ruhe. So ließ es sich doch gleich gut an! Er brachte flüssig die Ereignisse der vergangenen Woche zu Papier, erwies dem Kater die Referenz, der sich neben ihn in einem Sonnenfleck aalte. Nun heizte sich die Luft bereits beträchtlich auf. Seiji wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und verwünschte seine geschlossene Kleidung. Allerdings vertrug er direkte Sonneneinstrahlung nicht besonders gut, sodass er es nicht gewöhnt war, in kurzen Hosen herumzulaufen. "Guten Morgen." »Irgendjemand hasst mich.« Seiji unterzog sich nicht der Mühe, den Gruß zu erwidern oder die Augen aufzuschlagen. Natürlich lauerte das Verhängnis in Gestalt von Tomohiko ihm auch am Sonntag auf! Er spürte, wie sich Tomohiko in seiner Nähe niederließ. "Es wird heute sehr heiß." Tomohiko klang gewohnt ruhig, seine Stimme sanft und einen Hauch amüsiert. "Könnte ich dich dennoch zu einem Marktbesuch bewegen?" "Mit einer Rikscha vielleicht." Grummelte Seiji ungnädig, weil er nicht mehr die Ruhe und den Frieden genießen konnte. In Tomohikos Anwesenheit erfasste ihn immer eine gewisse Anspannung. Dann musste er sich zwingen, lässig und unangestrengt zu erscheinen. "Wie wäre es mit einem Logenplatz auf meinen Fahrrad und einem schönen, großen Sommerhut?" Hörte er etwa leichten Spott in Tomohikos Worten?! Seijis Augenlider klappten gewarnt hoch, er funkelte in die schwarzen Falkenaugen. "Warum gehst du nicht allein?! Ich bin kein dämliches Maskottchen, klar?!" Tomohikos Mundwinkel zuckten, hielten offenkundig ein Auflachen zurück. "Jeder Augenblick ohne dich ist für mich verlorene Zeit. Außerdem glaube ich, dass dich der Markt interessieren wird." "Igitt!" Seiji deutete Würgegeräusche an. "Wie kannst du mit der gleichen Klappe essen UND so einen verlogenen Schleim ablassen?! Gott, das hört sich an wie aus einem Mädchen-Manga!" Er kam auf die Beine, fing sich ein warnendes Knurren vom Kater ein, der den Streit in der Luft offenkundig nicht goutierte. "Überhaupt, ich bin kein Mädchen, klar?! Ich will nicht deine Freundin werden! Spare dir also diesen ganzen Käse für eine auf, die deinen widerlichen Geschmack teilt!" Tomohiko lehnte sich im Gras zurück und grinste nur, ohne jede Zurückhaltung. Die Falkenaugen verengten sich ein wenig, was möglicherweise auf die Sonneneinstrahlung zurückgeführt werden konnte. "Wenn dieses Mädchen meinen Geschmack teilen würde, dann wäre sie wohl meine Rivalin im Rennen um deine Gunst." Konterte er schnurrend. "Ich glaube, von dieser Sorte gibt es eine große Anzahl. Nicht wahr, Sei-chan?" Seiji spürte die Hitze in seinen Wangen, noch bevor ihm das Blut in den Kopf schoss und seine Kehle sich zuschnürte. Er brachte kein Wort heraus. Um sich eine weitere Demütigung zu ersparen, ging er eilig in die Hocke und raffte seine Schreibutensilien zusammen, machte auf dem Absatz kehrt, um zum Haus zu laufen. »Dieser miese, bescheuerte, aufgeblasene Kotzbrocken!« Echauffierte er sich innerlich, blinzelte heftig. »Von wegen Gunst!! Ich habe keine Gunst, für niemanden!« Er stolperte die Treppe zu seinem Zimmer hoch, schloss die Tür laut hinter sich und ließ seine Schreibutensilien auf den kleinen Tisch fallen. Tomohiko war genau wie alle anderen, ein ganz mieser Typ, der sich an ihm vergreifen und ihn dafür verachten wollte! "Seiji-kun? Geht es dir gut? Dein Freund ist schon da!" Trillerte die Pensionswirtin munter durch die Tür. "Ein schöner Tag, um etwas zu unternehmen! Ich werde euch noch ein paar Stücke Melone mitgeben." Seiji schlug mit der Faust trotzig auf die Tischplatte. Der Schmerz half, seine Fassung zurückzugewinnen. Es klopfte an der Zimmertür. Seiji schwieg, lauschte mit klopfendem Herzen, wer wohl Einlass begehren würde, doch eine Bitte um Zutritt folgte nicht. Nach einigen, hastigen Herzschlägen, die Seiji mit wachsender Wut abzählte, drehte er sich zur Tür um, trippelte auf Zehenspitzen, legte ein Ohr an das Türblatt. So sehr er sich auch bemühte, er konnte kein Geräusch vernehmen. Folglich blieb ihm nichts anderes übrig, als sehr vorsichtig die Tür einen Spaltbreit zu öffnen. Verblüfft starrte Seiji ins Leere. Niemand wartete vor seiner Tür! Als er zu Boden blickte, fand er ein sorgsam geschnürtes Päckchen, das von einem geflochtenen, breitkrempigen Sonnenhut gekrönt wurde. »Dieser verdammte...!« Wider besseres Wissen ging Seiji in die Hocke, um das Päckchen aufzulesen und in seinem Zimmer zu inspizieren. Eingeschlagen in dickes Packpapier, mit duftenden Wachsstreifen garniert, lagen eine sommerliche Yukata, feine Söckchen und Geta. Den Blick aus dem Fenster schenkte sich Seiji. Tomohiko würde geduldig warten. So lange, bis er sich endlich bequemte, zum Ausflug aufzubrechen. Mit einem tiefen Stoßseufzer streifte sich Seiji sein Hemd ab. ~+~ Das bewundernde Gezwitscher der Pensionswirtin im Ohr brachen Seiji und Tomohiko zu ihrem Ausflug auf. Tomohiko trat gemächlich in die Pedale, trug eine weite Stoffhose und ein ärmelloses Hemd, die Haare unter einem Piratentuch aus der Stirn gebunden. »Wenigstens wirst du ordentlich rackern müssen!« Seiji funkelte auf die Rückenpartie, studierte gedankenverloren die einzelnen Wirbel unter dem doppelrippigen Stoff. Zugegeben, die Yukata fühlte sich herrlich frisch und angenehm auf der Haut an, seine Füße liebten die dünnen Söckchen in den Geta und auch der Sonnenhut tat ein Übriges, ihm Wohlbehagen zu bescheren, doch... »Es kotzt mich an, wie die Prinzessin auf der Erbse hier zu thronen!« Durch die Yukata musste er die Beine auf einer Seite geschlossen halten, mit dem Rücken die Balance ausgleichen, sanft gebettet auf das weiche Kissen, das zur Grundausstattung von Tomohikos Gepäckträger zu gehören schien. Mädchen wurden auf diese Weise von ihren Freunden kutschiert. Das ging Seiji gegen den Strich. Er löste eine Hand, um Tomohiko heftig mit der geballten Faust auf den Rücken zu schlagen. "Ich bin KEIN Mädchen, merk dir das!" Fauchte er giftig, die ersten Worte, die er nach seiner Flucht aus dem kleinen Garten an Tomohiko richtete. Der wandte den Kopf, lächelte amüsiert. "Ich WEISS, dass du kein Mädchen bist." Er zwinkerte. Seiji knurrte, drehte demonstrativ den Kopf weg. Er wusste selbst zu genau, dass Tomohiko ihn bereits im Adamskostüm gesehen hatte. "Warum klebst du dann an mir?! Such dir gefälligst ein Mädchen!" Streitsüchtig wollte er sich für Tomohikos souveräne Geduld mit seiner Abwehr schadlos halten. »Als ob meine Meinung überhaupt keine Rolle spielt!« "Ich bin nicht an Mädchen interessiert." Tomohiko reduzierte die Geschwindigkeit, wartete an einem beschrankten Bahnübergang. "Du hast die Richtige bloß noch nicht gefunden!" Seiji nutzte die Gelegenheit, sich vom Gepäckträger mit Kissen zu lösen, die Beine zu strecken, einige Schritte zu tippeln. Sofort bereute er seine Reaktion, weil Leute sich nach ihm umwandten. »Wo bleibt der Zug?!« Unwillkürlich rückte Seiji wieder näher an Tomohiko heran, war sich des Getuschels bewusst. Dabei blieb es nicht. Zu einigen bewundernden Ausrufen gesellten sich auch kichernde Mädchen, die ihn ansprachen, an den Ärmeln der Yukata zupften, offenkundig auf Gesellschaft aus waren. Tomohiko mischte sich lächelnd ein. "Entschuldigung, aber wir haben bereits eine Verabredung. Eine geschlossene Gesellschaft." Sofort erklang ein Chor an Beschwörungen, Bitten, Gejammer. Das weckte auch die Aufmerksamkeit von einigen Halbstarken, die ihre motorisierten Untersätze knatternd ausführten. Seiji wich so weit zu Tomohikos Fahrrad zurück, dass er beinahe in den Rahmen kroch. Seine Finger tasteten nach dem Gestänge, während ihm der kalte Schweiß auf der Haut stand. Wieso kam der Zug nicht endlich?! Er wusste nur zu genau, dass gleich ein Streit ausbrechen würde. Die schrägen Motorroller-Rowdys waren eifersüchtig, die Mädchen aufdringlich, würden ihm aber vermutlich zur Seite springen, was dann in einer Keilerei enden konnte. Vom Austausch von Beleidigungen ganz zu schweigen. "Ah, der Zug." Hörte er Tomohikos gelassene Stimme. "Dann geht es sicher gleich weiter." Hastig kletterte Seiji auf den Gepäckträger, drehte den Kopf weg. »Nicht hingucken. Wenn du sie nicht beachtest, verschwinden sie sicher!« Hämmerte er sich ein. "Wir verabschieden uns schon mal." Tomohikos Stimme erklang noch immer unangestrengt. "Einen schönen Tag noch." Damit rollte er einen halben Meter näher an die Schranke. Obwohl der Abstand nur minimal war, markierte er doch deutlich, dass die Unterhaltung beendet war. Seiji hörte das enttäuschte Gemurmel der Mädchen. Ängstlich lauschte er auf die Rowdys, doch die schienen ihr Glück lieber bei den Mädchen zu versuchen, als der Zug vorbeirauschte. Kaum hob sich die Schranke an, nahm Tomohiko Tempo auf, neigte sich tief über den Lenker. Seiji folgte seinem Beispiel, um eine Kollision mit den sich langsam hebenden Schranken zu vermeiden. Er schwieg bedrückt. Was auch immer er tat, es würde sich gar nichts ändern. ~+~ "Wir sind da." Tomohiko verlangsamte das Tempo, ließ das Fahrrad ausrollen, bevor er sich einen Platz an einem sehr kunstvoll gestalteten Fahrradständer aussuchte. Seiji kletterte vom Gepäckträger herunter, wich Tomohikos Blick aus. Der hatte ihn sicher als das erkannt, was er war: ein Feigling. Ein Angsthase. Tomohiko schloss das Fahrrad an und schulterte die Tasche mit ihrem Proviant. "Der Markt ist im Innenhof." Er lächelte Seiji an, der einen zögerlichen Seitenblick in sein Gesicht riskierte. "Es wird dir gefallen." Unbehaglich, weil Tomohiko mit keinem Wort auf den Zwischenfall einging, trottete Seiji hinter ihm her, glättete geistesabwesend Falten in der Yukata. Zu Hause trug er gern Yukata und einfache Geta. Einen Sonnenhut im traditionellen Stil besaß er ebenfalls. Das kam ihm ganz normal, gar nicht bemerkenswert vor. »Aber ich hätte wissen müssen, dass hier alle auf mich aufmerksam werden.« Er warf einen scharfen Blick auf Tomohikos Rücken. »Hat er das extra gemacht? Überhaupt, wem gehören diese Sachen?!« Sie betraten den Innenhof eines Häuserkomplexes, der wohl früher einmal ein Gasthof gewesen sein musste. Seiji hielt inne, als er das bunte Treiben bemerkte. Überall waren Gegenstände ausgestellt, die Kunsthandwerkenden saßen oder standen in Reichweite, sprachen mit Interessierten und verkauften ihre Produkte. "Na, wollen wir?" Tomohiko warf ihm ein neckendes Lächeln über die Schulter zu, bot seinen Arm zum Einhängen an. Selbstverständlich ignorierte Seiji die Geste, nahm jedoch Tempo auf, als er eine Bambus-Stange erblickte, an der verschiedene Kimono-Stoffe ausgestellt wurden. ~+~ "Es gefällt dir hier." Tomohiko schmunzelte, platzierte ein weiteres Stück Melone auf Seijis Lacktellerchen. Seiji zog die Schultern hoch, konnte aber nicht verbergen, dass ihm verlegene Röte in die Wangen stieg. Zur Tarnung pickte er eilig das Melonenstück auf und schob es sich in den Mund, sah vorgeblich gefesselt in eine andere Richtung. »Ich kann nichts dafür!!« Protestierte er stumm und wackelte mit den Zehen in den feinen Söckchen. Er HATTE sich einfach die Artikel ansehen müssen, die die Kunsthandwerkende und Hobbyisten anboten! Man konnte schließlich immer etwas lernen, sich über Techniken unterhalten! Außerdem hatte ihm seine Mutter eingeschärft, wie wichtig es war, einen guten Kontakt mit anderen Kunstschaffenden zu pflegen. Seiji lutschte an seinem Melonenstück. Nun gut, er gestand sich zähneknirschend ein, dass er trotz des unschönen Erlebnisses am Bahnübergang zwei Stunden lang wie im Fieber hin und her gelaufen war, alles betrachtet und mit Erlaubnis befühlt hatte, auf das sein Blick fiel. Der ganze Ärger, die Scham und Unsicherheit, das alles war verflogen, musste hinter seinem Eifer zurückbleiben. »Es hat mich an Zuhause erinnert.« Seufzte er stumm, ließ die Hände in den Schoß sinken. Selbst die vereinzelten Aufforderungen, doch für ein Foto zu posieren, hatten ihn nicht ablenken, seine Begeisterung nicht trüben können. "Nimm noch etwas Tee." Tomohiko reichte ihm die Thermosflasche, lächelte wie immer leicht amüsiert. Seiji nahm sie wortlos, schenkte sich nach und wich Tomohikos Blicken aus. »Natürlich hat er es gewusst.« Mischte sich Resignation in seine Gedanken. Aus einem ihm noch unerklärlichen Grund schien Tomohiko genau zu wissen, was er gerne sehen oder erleben wollte. Kein einziger Versuch, ihn in ein Einkaufszentrum zu schleppen oder zu lauten, lärmenden Orten, wo sich andere Jugendliche ihres Alters vergnügten. Kein Schwimmbad, keine Spielhalle, kein Karaoke- oder Manga-Café. »Ich bin ihm nicht gewachsen.« Erkannte er missmutig und beklommen. Seiji riskierte einen hastigen Seitenblick, erhaschte Tomohikos Profil. »Wenn der Kerl so weitermacht, dann werde ich nicht anders können als ihn mögen!« Seiji schluckte schwer und schüttete eilig Tee nach. Der Gedanke machte ihm Angst. ~+~ "Ich habe einige Fotos gemacht." Tomohiko sprach über die Schulter, während er in die Pedalen trat. "Die kannst du deinen Eltern schicken, wenn du magst." Es hatte sich zugezogen, der schwere Geruch von nassem Gras lag in der Luft. Es würde nicht lange dauern, bis ein heftiges Sommergewitter auch sie erreichte. "Du hast Bilder gemacht? Von mir?" Seiji staunte benommen. Er hatte seine Kräfte überschätzt und war dankbar dafür, sich einfach nur an den Rücken anlehnen zu können, vor sich hin zu dösen. Wann hatte Tomohiko ihn denn fotografiert? Seiji konnte sich nicht daran erinnern. Allerdings hatte er eingestandenermaßen auch nicht sonderlich auf Tomohiko geachtet, als er um die Kunstgegenstände gekreiselt war. "Ich hoffe, sie sind gelungen." Tomohikos Stimme transportierte das nachsichtige Schmunzeln. "Morgen kann ich sie entwickeln lassen. Dann wissen wir mehr." "Au!" Brummte Seiji, löste eine Hand vom Gestänge und tastete nach dem Sonnenhut. Inzwischen hatte er von Tomohiko erfahren, dass die Yukata und die Geta dessen Vater gehörten, der Sonnenhut Tomohikos Mutter, die nur allzu gern bereit waren, dem 'bildschönen' Jungen auszuhelfen, damit der sich wie Zuhause fühlte. "Es tropft schon." Bemerkte Seiji schließlich, nachdem er den Einschlag auf dem Sonnenhut analysiert hatte. Wenn er die Fotos seinen Eltern sandte, würden die ihm vielleicht auch raten, wie er Tomohikos Eltern angemessen seinen Dank abstatten konnte. "Ich fahre nach Hause." Tomohiko stemmte sich aus dem Sattel und ließ die Muskeln spielen. Sofort beschleunigte das Fahrrad. Seiji legte den Kopf in den Nacken, umklammerte den Sonnenhut mit einer Hand und studierte den Himmel. Das sah in der Tat nach einer heftigen Dusche aus. "Du kannst mich an der Bahnstation absetzen." Schlug er vor und schauderte unter der auffrischenden Brise. "Zur Pension willst du schwimmen?" Mokierte sich Tomohiko, kaum außer Atem, obwohl er mit aller Kraft das Fahrrad vorantrieb. "Nein, aber..." Eine Unebenheit unterbrach Seiji, der sich hastig mit beiden Händen festklammerte. "Das könnte ein Taifun sein." Behauptete Tomohiko. "Du kannst bei uns übernachten. Bei dem Wetter ist es draußen viel zu gefährlich." »Ich könnte ein Taxi nehmen!« Meldete Seiji pro forma und stumm Protest an. Er konnte sich kein Taxi leisten und war auch ohne Fahrkarte zum Ausflug aufgebrochen, sodass er seine bescheidene Barschaft strapazieren müsste. Heftige Windböen jaulten bereits durch die Straßen, fuhren Seiji unter den dünnen Stoff der Yukata. Er schauderte und zog die Glieder näher an den Leib. Andere Verkehrsteilnehmende und Flanierende beeilten sich ebenfalls, ihren Bestimmungsort zu erreichen. Ampeln und Anzeigetafeln warnten bereits mit den bekannten Symbolen vor dem Ausläufer eines Taifuns, der heftige Regenfälle und Gewitter mit sich führte. "Bei mir bist du sicher." Entschied Tomohiko, preschte in halsbrecherischem Tempo zu seinem Elternhaus. Seiji schwieg dazu. Er fürchtete, dass Tomohiko recht hatte. ~+~ Obwohl Tomohiko einen unglaublichen Spurt ansetzte, die glitschigen Straßen ignorierte, waren sie nass bis auf die Haut, als sie die Treppe hinauf hasteten und von Tomohikos Mutter mit vorgewärmten Handtüchern empfangen wurden. "Schnell, schnell, ich habe das Badewasser aufgeheizt! Wascht euch, dann gibt es Abendessen! Seiji, keine Sorge, ich rufe gleich deine Pensionswirtin an, solange die Leitungen noch nicht überlastet sind." Seiji folgte Tomohiko schlotternd ins Badezimmer. Er hielt inne, tropfte auf die Fliesen, wusste nicht, was er tun sollte. Für andere Jungen war es sicher kein Problem, mit einem Freund das Badewasser zu teilen, nicht der Rede wert, aber er konnte nicht so unkompliziert agieren. Nicht mehr. Tomohiko kehrte ihm den Rücken zu, schälte sich den klatschnassen Stoff von der Haut, wrang die einzelnen Wäschestücke aus, bevor er sie einer Plastikschüssel anvertraute. "Keine Angst, Seiji, ich drehe mich nicht um. Aber sag mir Bescheid, wenn du dich gewaschen hast, dann klettere ich zuerst ins Bad und schließe die Augen." Das war nur pragmatisch, immerhin befand sich Tomohiko direkt an der großen Wanne, aber Seiji fühlte sich durch dessen souveränen Großmut verärgert. "Wenn ich mich gewaschen habe, sage ich dir Bescheid, damit du die Augen zukneifst, weil ICH zuerst in die Wanne steige!" Ordnete er in kindischem Trotz an. Für einen Augenblick blieb Tomohiko still, dann lachte er laut heraus, winkte ab. "In Ordnung, Sei-chan, so machen wir es!" »Sei-chan!« Filterte Seiji beleidigt heraus, wickelte sich grummelnd aus den nassen Kleidern, warf immer wieder scheele Blicke zu Tomohiko hinüber, der sich nicht eine einzige Blöße gab, zumindest betreffend ihrer Abmachung: er linste nicht einmal zu Seiji. »Der ist so eingebildet, dass ich ihm am Liebsten die Bürste überziehen würde!« Aber es vereinbarte sich nicht mit der guten Erziehung seiner Eltern, seinem Gastgeber mit den Badezimmer-Accessoires einen Scheitel zu ziehen. »Obwohl die Chance besteht, dass es auf ihn einen bleibenden Eindruck machen könnte!« Gab sich Seiji finsteren Phantasien von gewaltigen Beulen hin. Er schrubbte sich eilig ab, kommandierte misstrauisch. "AUGEN ZU!!" Wischte an Tomohiko vorbei, um in die hohe Wanne zu klettern. Die Beine eng vor den Leib geklappt war es zwar nicht gemütlich, doch das heiße Wasser entspannte ihn ein wenig. "Darf ich?" Erkundigte sich Tomohiko höflich. »Der macht mich noch wahnsinnig!« Schäumte Seiji, registrierte erneut, dass Tomohiko sich nicht nur weggedreht hatte, die Lider gesenkt, sodass seine Wimpern wie schwarze, fedrige Halbmonde auflagen, sondern auch artig die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Man kann's auch übertreiben! Unsäglicher Kerl!« "In Ordnung." Antwortete Seiji laut, bemühte sich, seine Stimmung nicht nach außen dringen zu lassen. Es verunsicherte ihn in einem nicht geringen Maße, WIE lässig und selbstsicher Tomohiko agierte. So, als sei er überzeugt, dass der Sieg ihm schon gehöre! »Nichts da!« Schwor sich Seiji, zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und äugte über die Phalanx seiner Knie argwöhnisch zu Tomohiko hin. Der kletterte behände in die Wanne, überhaupt nicht verlegen oder gehemmt, obwohl er das Bad doch mit einem Fremden teilen musste. Der ihn potentiell kritisch unter die Lupe nehmen konnte! »Arroganter Schnösel!« Beneidete Seiji seinen Mitschüler für diese innere Stärke. Tomohiko lächelte ihn an, in den Mundwinkeln zuckte es verräterisch. Prompt wandte Seiji den Kopf ab. "Es ist ein wenig eng, nicht wahr? Tut mir leid." Entschuldigte sich Tomohiko sanft. »Du tust gerade so, als wäre ich verwöhnt und launisch!« Hörte Seiji einen versteckten Vorwurf heraus, der lediglich in seiner Einbildung existierte. "Vielleicht sollten wir nächsten Sonntag wieder in das alte Badehaus gehen." Tomohikos Stimme durchdrang die echauffierte Debatte in Seijis Kopf. "Das hat mir wirklich gefallen." »Klar! Damit du mich mit den Augen vermessen kannst!« Schnappte Seiji, doch eine Welle von Melancholie spülte seine aufgeplusterte Verärgerung weg. Die gesamte Woche über war er so in Anspruch genommen von der Schule, dass er kaum dazu kam, an seine Familie und sein Zuhause zu denken. Heute hatte er sich auf den Kunsthandwerkmarkt amüsiert, ganz so, als könne man es hier ohne Mühe aushalten. Er fühlte sich wie ein Verräter. Von einem Augenblick zum nächsten wurde es stockdunkel. Selbst der Schein der Straßenlaterne in der Nähe des Hauses verschwand durch das Oberlicht. "Keine Sorge." Tomohiko erhob sich, wie Seiji an der Wasserbewegung erkennen konnte. "Vermutlich ein Stromausfall. Das kommt bei Unwetter und Taifunen hier öfter vor." Durch die Tür des Badezimmers erklang im nächsten Moment auch die Stimme seiner Mutter, die sich überzeugen wollte, dass sie sich nicht erschreckt hatten. "Alles in Ordnung." Verkündete Tomohiko mit lauter Stimme. "Ich habe die Kerzen schon gefunden!" Seiji blinzelte, versuchte in der Dunkelheit Einzelheiten zu erkennen. Vergeblich. Wider Willen bewunderte er Tomohiko, der sich ohne Zusammenstoß durch die Finsternis bewegen konnte. Ein Streichholz flammte auf, wurde von einer Kerze zur nächsten geführt, bis drei Lichtpegel den Raum erhellten. Ihr Schein wurde von den Kacheln widergespiegelt. "Wir haben in jedem Raum ein kleines, in Wachs geschlagenes Paket mit Streichhölzern, Kerzen, Trillerpfeifen und Ratschen." Erklärte Tomohiko, während er die Kerzen in kleine, gläserne Untersetzer topfte und im Raum strategisch verteilte. "Damit man auf sich aufmerksam machen kann, wenn etwas passiert." Ein Lächeln sprang Seiji an, der hastig seine Gesichtszüge zur Ordnung rief. Für einen Moment musste er wohl seine Gedanken enthüllt haben, nämlich die Erinnerung an Tomohikos Erzählung über das Erdbeben, das dessen Eltern tötete. "Was meinst du, sollen wir das Baden für heute lieber aufgeben und nachsehen, was das kalte Buffet macht?" Tomohiko hob ein großes Badehandtuch von den Heizstangen, die einen Seiji unbekannten Luxus darstellten, breitete es aus, als wolle er Seiji darin einhüllen. "Mach die Augen zu!" Seiji wich dem funkelnden Blick der Falkenaugen nicht aus, erhob sich erst aus dem Wasser, als Tomohiko seiner Aufforderung Folge geleistet hatte. Er streifte Tomohikos Fingerspitzen, als er die Enden des Handtuchs an sich brachte, wickelte sich eilig ein. Tomohiko kehrte ihm den Rücken zu, um sich selbst zu frottieren und in einen bereit gelegten Pyjama zu schlüpfen. "Warte einen Augenblick, ich gehe schon mal vor." Schmunzelte Tomohiko etwa über ihn? Trotzig wartete Seiji, die Arme mit Handtuch um den Leib geschlungen, sodass er sich selbst wie ein Vampir mit Umhang vorkam, bis Tomohiko tatsächlich das Badezimmer verlassen hatte. Er trocknete sich rasch ab, schlüpfte in den Pyjama, der ein wenig zu groß war und fuhr sich mit einem Kamm durch die lackschwarzen Strähnen. "Oje!" Murmelte er laut. "Sie werden einfach zu lang!" Zuhause war das gar kein Problem gewesen, wozu gab es schließlich Zopfgummis? Hier aber, unter der filzigen Perücke, wurde ihm langsam der Raum eng. Es sähe auch sehr merkwürdig aus, wenn sein falscher Haaransatz langsam nach hinten rücken würde! »Wie gut, dass bald Sommerferien sind!« Wiederholte er sein Gebet. Als Seiji das Badezimmer verließ, empfing ihn Kerzenschein in Laternen. Er schlüpfte in die Gästepuschen und folgte der leisen Unterhaltung. Im Wohnzimmer waren sämtliche Fenster blockiert worden, wohl um Glasbruch zu verhindern, während ein Sturm am Haus rüttelte, wütende Tropfen gegen jede Oberfläche trommelten, zu einem einzigen, rauschenden Getöse wurden. "Mein Vater sitzt im Büro fest." Tomohiko winkte Seiji heran. "Er hat gerade mit dem Mobiltelefon angerufen. Tja, sieht so aus, als blieben wir hier zu dritt. Was magst du essen? Schau, wir haben den Kühlschrank geleert, damit nichts verdirbt." Obwohl es sich um eine wetterbedingte Belagerungssituation handelte, fühlte sich Seiji überraschend geborgen. Die Wohnung war zu einer Höhle geworden, einem Fort inmitten der Ödnis. Das Kerzenlicht trug zum phantastischen Szenario die richtige Atmosphäre bei. Nach einem improvisierten Mahl, das Seiji eher an die Gruselgeschichten von Helden des Mittelalters erinnerte, die seine Großmutter mit verschmitztem Grinsen zu erzählen pflegte, wurde er mit Tomohiko in dessen Zimmer entlassen. Tomohikos Mutter hatte bereits einen Futon auslegt und für 'den zierlichen Jungen' noch eine Auswahl an Decken deponiert, die für eine Übernachtung in der Antarktis ausgereicht hätten. "Wir können tauschen, wenn du lieber im Bett schlafen möchtest." Bot Tomohiko an, doch Seiji lehnte ab. Es kam ihm unanständig vor, in Tomohikos Bettwäsche zu nächtigen. Außerdem schlief er immer auf einem Futon! Eine Weile lang lauschten sie stumm dem Wettergetöse, dem endlosen, ohrenbetäubenden Rauschen, allein akkompagniert durch ihre eigenen Atemzüge. Diese Kulisse war so intim, dass sich Seiji am Liebsten die Ohren zugehalten hätte. Die Spannung in der Luft erschien ihm zu intensiv, um auch nur an Schlaf zu denken. "Keine Angst." Wisperte Tomohiko unerwartet. "Ich werde dir nichts tun, Seiji. Morgen Früh bringe ich dich zur Pension, damit du deine Schuluniform holen kannst." Seiji wandte den Kopf, um in der Dunkelheit, die lediglich von einer bescheidenen Kerze durchbrochen wurde, nach den schwarzen Falkenaugen Ausschau zu halten. Eigentlich hätte er gegen Tomohikos Annahme protestieren müssen, betonen, dass er KEINE Angst habe. Nein, Angst konnte man das wirklich nicht nennen. Angespannte Erregung traf es viel besser. ~+~ Die eingebaute Weckfunktion in Tomohikos Mobiltelefon holte sie aus dem Schlaf. Zum ersten Mal seit seinem Umzug frühstückte Seiji nicht in der Pension, sondern bei einem Mitschüler, dessen Mutter wie ein Derwisch um sie kreiselte, damit sie auch genug aßen, während sie gleichzeitig den ordnungsgemäßen Zustand wiederherstellte, sich versicherte, dass die Züge pünktlich fuhren und Seiji auch die von Tomohiko geliehenen Kleider einigermaßen passten. Erschöpft von so viel Aufmerksamkeit und ein wenig unbehaglich, da er komplett inklusive Leibwäsche in eine Garderobe von Tomohiko eingekleidet war, ließ sich Seiji von Tomohiko zur Pension radeln. Die Pensionswirtin empfing ihn aufgeregt, sprudelte über von den Ereignissen der letzten Nacht. Glücklicherweise konnte Seiji in sein Zimmer entkommen mit dem Hinweis auf die knappe Zeit, sodass Tomohiko der Fels in der Brandung des Redeschwalls blieb. Seiji zog sich bis auf die Haut aus, dankbar dafür, endlich die fremde Unterwäsche ablegen zu können. Natürlich war sie frisch gewaschen und sauber gewesen, aber sie gehörte eben Tomohiko! Da konnte man sich verständlicherweise nicht wohlfühlen! Hastig streifte er auch die Schuluniform über, drapierte die geliehenen Kleidungsstücke auf seinem Tisch. Er würde sie natürlich nach der Schule in einer Münzwäscherei reinigen und Tomohiko dann wieder zurückgeben müssen. Als er die Treppe hinuntereilte, bemerkte er, wie gelassen Tomohiko den Schilderungen der letzten Nacht lauschte. Nichts schien IHN aus der Ruhe zu bringen. "Entschuldigung, aber wir müssen wirklich los, sonst erreichen wir den Zug nicht mehr." Brachte sich Seiji in Erinnerung, verneigte sich eilig. "Verzeihen Sie bitte die Umstände!" Verzückt trällerte seine Pensionswirtin die üblichen Beschwichtigungsfloskeln. Seiji kam sich für einen Moment scheinheilig vor, weil er sein Erscheinungsbild und die Manieren als Waffe einsetzte, um einem lästigen Vortrag zu entgehen, aber die Zeit drängte ja tatsächlich. Er würde eben am Abend jedem Detail der ereignisreichen Nacht seine Aufmerksamkeit widmen! Bestimmt! Tomohiko zwinkerte Seiji verschwörerisch zu, bevor er mit dem Fahrrad durch die nassen Straßen pflügte. Dieses Mal würde er auch ein Spind mieten müssen, um die Regenstiefel und den Plastikumhang zu verstauen. Seiji schminkte sich mit fliegenden Fingern, stülpte sich die Perücke über, kämpfte mit dem Widerstand, den seine Haare leisteten und maskierte sich mit der überformatigen Brille, dann kehrte er zu Tomohiko an die Schließfächer zurück, um seinen Regenumhang und die Plastiktüte mit seinen Habseligkeiten unterzubringen. "Deine Wäsche bringe ich dir morgen, ja? Ich gehe gleich heute zur Wäscherei." Haspelte er eilig, wich Tomohikos Blick aus. "Du kannst sie mir auch heute mitgeben. Es besteht keine Notwendigkeit, Geld für die Wäscherei auszugeben." Tomohiko lehnte sich auf dem Bahnsteig tiefer zu Seiji herunter. "Außer, du vermutest, dass ich perverse Gedanken über die Unterwäsche hege, weil DU sie getragen hast." Seiji fegte herum, ließ beinahe seine Schultasche fallen, öffnete den Mund, um Tomohiko eine Unzahl an Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Er brachte angesichts des zärtlichen Blicks, mit dem ihn Tomohiko bedachte, bevor der seine Aufmerksamkeit auf den einfahrenden Zug fokussierte, kein Wort heraus. Verwirrt und verunsichert ließ sich Seiji von der Menschenmasse in den Waggon spülen, wurde wie eine Kugel im Pachinko hin und her gestoßen, bis er gegen Tomohiko prallte. Der baute sich gewohnt unverrückbar auf, schirmte ihn ab. Seiji lehnte sich gegen den breiten Rücken und schloss die Augen, die Schultasche wie einen Schild vor die Brust gezogen. Tomohikos Blick ließ seinen Herzschlag aussetzen. ~+~ Um seinen Stolz zu wahren und auch zur Abwehr verräterischer Schwäche gegenüber den schwarzen Falkenaugen ließ Seiji trotzig die Wäsche reinigen. Er besorgte auf Empfehlung seiner Eltern auch ein kleines Geschenk als Zeichen seiner Dankbarkeit, das er Tomohikos Eltern überreichte. Nun brütete er über den Abzügen, die Tomohiko ihm geschenkt hatte. Eigentlich sollte er sie seinen Eltern nach Hause schicken, doch er konnte nicht glauben, was er vor sich sah. Tomohiko schien wirklich zu geschickt mit dem Fotoapparat umgehen zu können, denn Seiji fand kein Foto, das ihn unvorteilhaft darstellte. Außerdem hatte Tomohiko ihn stets abgebildet, in den Mittelpunkt gerückt. »Ich kann diese Bilder nicht meinen Eltern schicken!« Schüttelte Seiji verzweifelt den Kopf. Er hatte sich nach dem ersten Schreck entschlossen, zwei Stapel zu bilden, um die Fotos auszuwählen, die unverfänglich schienen, zumindest wenn man nicht wusste, dass Tomohiko erklärt hatte, dass er... »Moment!« Stutzte Seiji, verzog das Gesicht vor Konzentration. HATTE Tomohiko ihm eigentlich direkt angekündigt, dass er sich in ihn verliebt hatte? Oder dass er mit ihm schlafen wollte?! »Nein.« Gestand sich Seiji nach langen Minuten intensiven Nachdenkens ein. »ICH selbst habe angenommen, dass er nur auf das Eine aus ist.« Andererseits hatte Tomohiko ihm tatsächlich gesagt, dass er sich nicht für Mädchen interessierte. Bedeutete das, dass der schwul war? Oder war es bloß eine Verschleierung von Tatsachen, um ihm zu schmeicheln?! "Konzentriere dich!" Fauchte sich Seiji selbst laut an. Er WOLLTE Bilder senden, und dazu musste er einige auswählen. Es gab jede Menge schöne Handwerksstücke, für die er sich interessiert hatte. Die würden auch seinen Eltern gefallen. Dumm nur, dass er auf jedem Bild im Fokus zu sehen war, das Zentrum bildete. »Und mir ist gar nicht aufgefallen, dass er fotografiert hat! Zumindest nicht so häufig.« Doch wenn man sich die Fülle der Bilder betrachtete, verkündeten sie eine deutliche Sprache: sie waren aufgenommen worden, weil sie IHN zeigten. In allen Facetten. Endlich wählte Seiji zwei Aufnahmen aus, verpackte die übrigen rasch in einen Umschlag und schob ihn in ein Buch. Aus den Augen, aus dem Sinn!! Trotzdem beschäftigte ihn die Frage noch im Traum: was GENAU wollte Tomohiko von ihm? ~+~ Kapitel 6 - Annäherungen und Entscheidungen Mamoru eilte atemlos den Kellergang hinunter. Er hatte sich, gänzlich ohne eigenes Verschulden, verspätet und fürchtete nun, dass er Satoru verärgern würde.Als er die Kellertür öffnete, überraschte ihn für einen Moment die Dunkelheit. Wieso war die Beleuchtung gelöscht worden, wenn sich doch die Tür ohne Mühe öffnen ließ? Bevor er den Gedanken zu Ende verfolgen konnte, packten ihn energische Hände, drehten ihn herum. Die Brille wurde recht unsanft heruntergezogen, dann blendete ihn ein blickdichtes Tuch von solcher Schwärze, dass er glaubte, er selbst habe die Augen geschlossen. "Sei still!" Fauchte Satoru, mutmaßlich über Gebühr erzürnt, stieß ihn grob die Stufen hinunter, ohne jedoch die sichernden Hände von Mamorus Oberarmen zu nehmen, der sich nun blind auf seinen Führer verlassen musste. Der schubste ihn hart gegen die Treppe, drückte ihn an den Schultern förmlich in die geflieste Wand hinein. "Ich will nicht reden!" Heißer Atem blies Mamoru ins Gesicht. "Also kein Wort von dir. Reiz mich bloß nicht!" Die Drohung war unmissverständlich. Demzufolge muckste sich Mamoru auch nicht, als ihm fiebrig und ungeduldig die Kleider vom Leib gerissen wurden, seine Sporttasche irgendwo in der Finsternis landete, dumpf aufprallte. Einen Augenblick nur zum Verschnaufen, vermutlich die Zeit, in der sich Satoru selbst entkleidete, dann fing ihn der fremde Körper ein, quetschte ihn gegen die eisigen Fliesen, bohrte Knochen ineinander. Mamoru keuchte, wurde abgeschnitten, weil Finger seine Handgelenke wie Schraubstöcke umspannten, sie an die Wand hefteten, während Satoru ihn küsste. Gierig, begehrlich, vor allem aber feucht und ungehemmt. In der Tat hatte die unerträgliche Sommerhitze, das stete Kleben der Schuluniform auf der Haut, die lästigen Aufgaben, die kein Ende zu nehmen schienen, dessen Langmut besiegt. Er wollte um sich schlagen, sich die Lungen aus der Kehle brüllen, irgendetwas tun, um diesen klebrigen, zähen Brei, in den sich sein Leben verwandelt hatte, aufzustören. Ein Ventil musste her. All dieser Dampf konnte nur durch eine Explosion entweichen, zu lange hatte man ihn komprimiert. Satoru schwebte eine Phantasie vor, die diesem Stau der Emotionen entgegen kam. Schluss mit Blümchen-Sex und manierlichem Betragen! Er rieb sich aufreizend am Leib des Jüngeren, unterband jeden Versuch, ihn zu liebkosen. Mamoru sollte nicht mehr als ein Objekt sein, das seinem Rausch behilflich war! Bald waren Küsse zu wenig, das Stehen zu lästig. Er zerrte Mamoru am Unterarm von der Wand weg zu Boden, rücksichtslos auf die kalten Fliesen, die ohne Zweifel unbequem sein würden, fing beide Handgelenke ein, damit sie keinen Widerstand leisten konnten, bevor er an der Kehle tiefer wanderte, endlich die Brustwarzen misshandelte. Hart saugte und knabberte, sie nicht necken wollte, sondern dafür sorgen, dass Mamoru unter ihm kehlig und erstaunlich sonor stöhnte, sich wand. Da Satoru auf Mamorus Hüften kauerte, spürte er wohl, dass sie beide stark erregt waren. Es überraschte ihn dennoch, dass es Mamoru gelang, eine Hand zu befreien und ihn zurückzuschieben. "...Kondome!" Stieß Mamoru ächzend aus, die Augen noch immer hinter der Binde verborgen. "Nein." Lehnte Satoru ab, öffnete ohne Rücksicht auf eventuell verfangene krause Strähnen die Augenbinde, um damit Mamorus Handgelenke aneinanderzufesseln. Große, schwarze Augen, mit einem feuchten Film glänzend, blickten ihn atemlos an. Satoru funkelte kriegerisch durch den roten Schleier, über alle Maßen erhitzt und nicht willig, irgendeine Konzession zu machen. Nun war es ausreichend, einen Ellenbogen des Jüngeren zu fixieren, ihn damit zu zwingen, die Hände knapp über dem Kopf auf den Boden zu legen, während er sich selbst mit ihren Erektionen bekannt machen konnte. Er drängte sich zwischen Mamorus Beine, bewegte die Hüften so, als befände er sich wirklich in dessen Leib, schmirgelte sich in groben Stößen an dessen Unterleib. Seine Rechte kam zum Einsatz, wenn er sich ein wenig aufrichtete, verstärkte, was bloße Reibung nicht bewirken konnte. Mamoru schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, bäumte den Oberkörper auf, rang um Luft. Ein Anblick, der Satoru gefiel. So schmiegte er sich an den Jüngeren, die Rechte eingeklemmt zwischen ihren Körpern, fing sich Mamorus geteilte Lippen ein, küsste ihn keuchend. Was gab es Besseres, als in diesem klinisch weißen, harten, beklemmenden, eisigen Raum all die klebrige, feuchte, dampfende Hitze ihrer Leidenschaft auszubrennen? Er löste beide Hände, bog sie unter Mamorus Schulterblättern hindurch und legte sie auf dessen Schultern, gestattete, dass der Jüngere ihm die gefesselten Arme um den Nacken legte. Die Wellen der Lust, arhythmisch, zuweilen ungelenk, fügten beide Körper zu einer einzigen, großen Peitsche der Leidenschaft, die sie durchliefen. Beinahe synchron eruptierten sie mit glühender Flüssigkeit, stöhnten keuchend in den leeren Raum. Dann trocknete langsam der feuchte Film wie Morgentau, während sich ihr Atem beruhigte. ~+~ Es war das erste Mal, dass Satoru sich über seine eigenen Regeln hinwegsetzte und mit Mamoru gemeinsam zum Bodenabfluss trat, sich beim Abspülen und Abreiben abwechselte. Erfreulicherweise schwatzte Mamoru nicht los oder beklagte sich, weil er mit Sperma bekleckert worden war. Satoru wollte nicht reden, es hätte seinen Frieden gestört. Er fühlte sich gut, vermutlich, wie er durchaus ahnte, nicht allzu lange, aber diese Augenblicke waren zu kostbar, um sie mutwillig zu zerstören. Die quälende Hitze und der innerliche Druck waren gewichen, er hatte sich von Ballast befreit, seine Schultern erleichtert. Alles war traumhaft, keine komplizierte Beziehung, keine Ansprüche, keine Bedenken. Man konnte sich vormachen, dass beide Parteien genau das bekommen hatten, was sie sich ersehnten. ~+~ Mamoru stand, wie immer unerträglich eng eingequetscht und an fremde Körper gepresst, in der Bahn. Schon seit einigen Tagen konnte er nicht anders, als an Satoru denken. Es war einfach unbegreiflich, warum jemand wie Satoru keinen festen Freund hatte. Nun, oder eine feste Freundin. Soweit er es, sehr vorsichtig und verstohlen, beobachten konnte, unterhielt sich Satoru zwar mit den Klassenkameraden, aber niemand schien dessen Vertrauter oder guter Freund zu sein. Eine unerklärliche Distanz war festzustellen. Mamoru war sich durchaus bewusst, dass eine gleichgeschlechtliche Präferenz gesellschaftliche Ausgrenzung bedeuten konnte. WENN Satoru dieses 'Interesse' hatte, konnte die Angst vor Entdeckung verantwortlich sein für diese Isolation? Obwohl es absurd sein musste, fragte sich Mamoru, ob sein 'Erpresser' sich nicht selbst in Not befand. Ob Satoru nicht aus Einsamkeit und dem Druck des Verheimlichens einen 'Freund' gesucht hatte, in dessen Gesellschaft er er selbst sein konnte. ~+~ Der nächste Sonntag gehörte der Schule, der vorletzte Sonntag vor dem Beginn der Sommerferien. Eltern und Interessierte konnten sich einen Eindruck davon verschaffen, welche Möglichkeiten und Angebote die Schule offerierte. Seiji war am Abend von seinem Einsatz als Springer, den er gewohnt ungelenk absolvierte, um seinem Ruf als bebrillter Trottel gerecht zu werden, so erschöpft, dass er nicht einmal Einwände erhob, als sich Tomohiko zum Besuch des alten Badehauses einlud. "Ich gehe davon aus, dass du mir nicht gestatten wirst, dir den Rücken zu waschen und deinen Nacken zu massieren?" Tomohiko wirkte keineswegs vom Tagewerk gezeichnet. "Nein, mein Rücken gehört mir allein." Murmelte Seiji matt, saß zusammengesunken abgewandt von Tomohiko auf dem winzigen Hocker, um sich abzuspülen. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren, als die Pensionswirtin ihm erklärt hatte, sie habe ihn auf der Veranstaltung gar nicht gesehen, was eine Schande gewesen sei! Zwar hatte er sich mit der Weitläufigkeit und dem großen Andrang herausreden können, aber Seiji konnte nicht verbergen, dass ihm angst und bange bei der Vorstellung wurde, sie oder seine Familie könnten ihn in seiner Verkleidung erkennen. "Ich gehe schon vor." Verkündete Tomohiko und wechselte den Raum. Seiji schloss die Augen, erhob sich langsam und streckte die müden Glieder. »Dämlich!« Mahnte er sich, als er zum steinernen Naturbad tappte, denn obwohl Tomohiko mit dem Rücken zu ihm im Wasser logierte, konnte der in der Fensterscheibe sehr wohl seine gesamte Gestalt gespiegelt sehen. Aber welche Rolle spielte das noch? Seiji kletterte vorsichtig in das Becken, ließ sich ächzend in das Wasser sinken und bedeckte seine Augen mit dem kleinen Lappen. "Hast du Schmerzen?" Tomohikos Stimme klang fern. "Nur müde." Murmelte Seiji, verlagerte seinen Sitz. Er schreckte hoch, als Tomohiko vor ihm aus dem Wasser ragte, seinen Namen laut wiederholte. "Huh?" Der Lappen rutschte von Seijis Kopf, als er sich aufzusetzen versuchte, mit den Sohlen auf dem Steinboden ausglitt und unter Wasser tauchte. Hustend, da er unfreiwillig das Thermalwasser geschluckt hatte, taumelte Seiji hoch, griff blindlings nach dem ersten, festen Halt, der sich bot. Tomohiko ballte die Faust, spannte den Arm an, an den sich Seiji klammerte, um ihn auf diese Weise wieder auf die Beine zu befördern und gleichzeitig nicht in Versuchung zu geraten, gegen Seijis Verbot zu verstoßen. "Geht es wieder?" Tomohiko beugte sich ein wenig vor, inspizierte Seiji, der sich beschämt über das Gesicht wischte. "Ich hatte Angst, dass du einschläfst und ertrinkst." "JETZT bin ich wach!" Krächzte Seiji mit galligem Humor, bemerkte dann, dass er noch immer Tomohikos Arm fest umschloss. Das musste weh tun. "Entschuldigung!" Hastig gab Seiji Tomohikos Arm frei und verneigte sich knapp, um durch Formalitäten Distanz zu schaffen und seine Verlegenheit zu überwinden. "Ich bringe dich besser zur Pension zurück." Tomohiko musterte Seijis Gesicht. "Das-das ist nicht nötig. Mir geht's gut!" Eilig tappte Seiji an Tomohiko vorbei, steuerte rasch den Ausgang an. Der Schreck pumpte genug Adrenalin durch seine Adern, um ihn endlich für die potentielle Gefährlichkeit der Situation zu sensibilisieren. Auch wenn er keineswegs die Absicht gehabt hatte, so wirkte seine Aktion doch so, als wolle er Tomohiko provozieren! In der Folge den Eindruck erwecken, als wäre er an Belästigung interessiert! ~+~ Obwohl Seiji voranstürmte, folgte ihm Tomohiko unbeeindruckt bis zur Pension. Seiji stieg die Eingangsstufen hoch, fegte dann herum und fauchte Tomohiko an. "Was willst du eigentlich von mir?! Warum läufst du mir ständig nach?!" Tomohiko betrachtete ihn eingehend von unten, ohne das amüsierte Lächeln. Gerade, als Seiji beschloss, er habe lange genug auf eine Antwort gewartet und könne nun berechtigt wutentbrannt in das Haus stürzen, erfolgte tatsächlich eine Replik. "Ich will dein Herz für mich gewinnen, Seiji. Deshalb folge ich dir." Seiji erstarrte, suchte nach höhnischen Worten. Eine boshaft-arrogante Lachsalve hätte es auch getan. Allein, er blieb stumm, starrte Tomohiko mit offenem Mund an, weil der genau die Antwort gegeben hatte, vor der sich Seiji fürchtete. "Ich treffe dich dann morgen an der Bahnstation. Schlaf gut, Sei-chan." Zwinkerte Tomohiko, lächelte wieder mit zuckenden Mundwinkeln und schob sein Fahrrad an, um elegant aufzusteigen. "Das war ein blöder Scherz!" Krächzte Seiji endlich, kam sich allerdings selbst lächerlich dabei vor. Tomohiko nannte ihn nur 'Seiji', wenn er es aufrichtig meinte. ~+~ Als Satoru sich dem Kellereingang näherte, erwartete ihn Mamoru bereits. »Seltsam, wir haben uns erst ein paar Mal gesehen und sprechen uns auch sonst nicht, aber ich habe das Gefühl, als würden wir schon viel länger miteinander bekannt sein.« Schoss es ihm durch den Kopf. Ohne ein Wort zu verlieren griff er Mamorus Hand und zog ihn hinter sich her die Treppe hinab. Dann wandte er sich zu dem Jüngeren um, dessen große, schwarze Augen hinter der randlosen Brille konzentriert auf ihn gerichtet waren. "Heute wirst du dich vor mir ausziehen, und zwar langsam und aufreizend. Ein Striptease." Erklärte er gelassener, als er sich fühlte. Mamoru nickte knapp. "Also stell dir vor, wie du mich anheizen kannst!" Fühlte sich Satoru zu einer Erläuterung aufgefordert. "Oft ist das Verborgene erotischer als das, was man sofort zu sehen bekommt." Damit ließ er sich auf der Kellertreppe nieder, stellte seine Tasche ab und begab sich selbst in die lässige Haltung eines Zuschauers, der von anderen unterhalten werden will, ohne sich selbst zu bemühen. Mamoru bog um die Kellertreppe herum, um sich seiner Schultasche und der Sporttasche zu erledigen, dann trat er wieder hervor. Für einen langen Augenblick sahen sie sich nur an, ein stummes Duell. Satoru war sich nicht sicher, ob Mamoru jemals einen albernen oder parodistischen Striptease gesehen hatte, aber er wollte, dass Mamoru diese Aufgabe ernst nahm. Er WÜNSCHTE sich, dass sein jüngerer Partner ihn in den Bann schlug, faszinierte und betörte. Mamoru studierte Satoru schweigend, die Anzeichen von Erschöpfung und Melancholie. Er hatte bereits am Klang der Stimme gehört, dass sein 'Erpresser' angeschlagen war, nicht mit Schärfe oder Strenge sprach. Er verneigte sich kurz, ein höflicher Gruß, dann setzte er sich selbst langsam die Brille ab, klappte die Träger ein und schob sie in seine Uniformjacke. Die saß nur lose, ungeknöpft auf seinem Leib, sodass er sie ohne Eile durch das Rollen seiner Schultern abschütteln konnte, bis er sie auf den Boden gleiten ließ wie einen sterbenden Schwan. Anschließend knöpfte er den Hosenbund auf, denn so konnte er gemächlich das Hemd herauszupfen, bis es einen Vorhang bildete. Immer wieder hielt er den Blick lange auf Satoru gerichtet, fragte sich, was ihn wohl so beschäftigte. Im Schatten des Schulhemds zog er den Reißverschluss der Uniformhose herunter, wechselte dann zum Hemd, um die ersten Knöpfe zu öffnen. Wenigstens waren die kurzen Ärmel nicht zu berücksichtigen! Mamoru schob die Schulhose bis zu den Knien herunter, ging dann vorgebeugt in die Hocke, sodass Satoru nicht sah, wie er die zusammengerollte Hose über die eigenen Knöchel schob, sondern den Einblick in den aufgeknöpften Ausschnitt des Schulhemds goutieren konnte. Sehr langsam klappte Mamoru seine Glieder wieder auseinander, erst ein wenig die Knie, dann den Rücken, dann wieder die Knie und erneut das Rückgrat um einige Wirbel, bis er aufrecht stand, über seine eingerollte Hose steigen konnte. Er schlüpfte ohne Komplikationen in zwei Schritten aus den Schulschlappen, die wie Spuren wirkten. Dann stand er vor Satoru. Wieder duellierten sich ihre Blicke, große, schwarze Augen mit dunkelbraunen unter kalligraphierten Augenbrauen. Mamoru stellte ein Bein auf einer Stufe auf, die Satoru Sitzplatz bot, neigte sich über den Oberschenkel, um die lästig rutschenden Socken gelassen über die eigene Ferse zu streifen. Er richtete sich wieder auf, ließ die Socke, an offenen Ende gefasst, wie bei einem Zaubertrick auseinanderrollen, sodass ihre ganze Länge offenbart wurde. Den blanken Fuß setzte er wieder auf die kalten Fliesen, wandte sich ab, um in der Distanz zweier Schritte in die Hocke zu gehen, den Socken bewehrten Fuß nach vorne zu strecken und ihn abzustreifen, wobei er auf dem bereits entblößten Fuß balancieren musste. Blieb nur noch das Schulhemd, das verbarg, was jeden Striptease unmöglich machte. Unerwarteterweise winkte ihn Satoru heran, griff hart in den aufgeknöpften Ausschnitt und blickte zu Mamoru auf. "Jetzt zieh mich aus." Artig kniete sich Mamoru vor den Älteren, öffnete Knöpfe und Reißverschluss, wickelte, rollte und streifte Textilien von nackter Haut. Satoru kam ihm entgegen, stand auf, streckte und bog sich, bis er nackt auf der untersten Treppenstufe vor Mamoru aufragte.Majestätisch wie ein Prinz stieg er neben Mamoru herab, entfernte sich zwei Schritte, um dann über die Schulter einen flammenden Blick auf den Jüngeren zu werfen, eine Hand lässig ausgestreckt. Eilig kam Mamoru auf die Beine, fasste entschlossen die elegante Hand. Satoru führte ihn in die Mitte des gefliesten Raums vor die Hebeanlage, gebot ihm mit einer Geste, sich nicht zu rühren. Mit einem Handtuch und einer Plastiktüte kehrte er zu Mamoru zurück, breitete das Handtuch aus wie eine Picknickdecke und bedeutete dem Jüngeren, sich dort niederzulassen. Mamoru hätte nicht überraschter sein können, als Satoru einen Arm um ihn legte, die andere Hand auf seinen Hinterkopf und ihn küsste, zunächst nicht besonders gierig, sondern beinahe verhalten. Scheu, da er nicht instruiert worden war, hob Mamoru die eigenen Arme, bog sie vorsichtig um Satorus nackten Oberkörper. Er keuchte, als Satoru seine Küsse auf die Kehle verlagerte, ihm über das Schlüsselbein leckte, beiläufig und ohne Hast das Hemd aufknöpfte, es über Mamorus Arme nach unten streifte und achtlos beiseite schob. Bald fand sich der Jüngere auf das Handtuch geschoben, den Partner über sich, der ihn so aufmerksam küsste, streichelte und liebkoste, dass es keinen Unterschied zu einem Liebespaar geben konnte. »Wäre da nicht...!« Mamoru zuckte zusammen, als Satorus Hände sich an dem letzten Hindernis zu schaffen machten. Er verspannte sich, spürte, wie Scham seine Wangen unkleidsam erhitzte. Doch er kannte Satorus gelassene Beharrlichkeit schlecht, der sich nicht abschrecken ließ, bis endlich das Objekt des Anstoßes über Mamorus Beine heruntergezogen werden konnte. Einen Arm über die Augen gelegt keuchte Mamoru, weil die Anspannung ihn so viel Kraft kostete. Wie konnte Satoru sich über ihn hermachen wie über ein gedecktes Buffet, hier knabbern, da lecken, dort küssen?! Überall streicheln, berühren, mit den Fingern nachzeichnen?! Bald schon verloren sich gepeinigte Verlegenheit und Bedenken, denn Mamoru konnte sich dem Sog des Verlangens nicht entziehen. Er selbst wollte Satoru den gleichen Dienst erweisen, alle Distanz überbrücken, seine Wertschätzung in Handreichungen demonstrieren. Atemlos, speichelgezeichnet, die Augen glühend, die Glieder bebend gab Satoru endlich die Losung aus, über Mamoru kauernd. "Dieses Mal werde ich in dich eindringen. Du musst tun, was ich dir sage." Mamoru war nur zu bereit, diesem Kommando zu folgen, da er stark vermutete, in Satoru den besten Lehrmeister gefunden zu haben, den man sich vorstellen konnte. Zuerst gebot der Ältere ihm jedoch, sich aufzusetzen, dann sollte er sein Geschick unter Beweis stellen, indem er nacheinander Kondome über ihre pochenden Erektionen streifte. "Gut!" Lobte Satoru, die Stimme ein wenig heiser, die Wangen sanft gerötet. "Nun knie dich hin, schön breitbeinig. Stütze dich auf meinen Schultern ab." Sanft streichelte er über Mamorus Kehrseite, ignorierte die enorme Hitze, die dessen Erektion so nahe an seinem Leib ausstrahlte. "Schließ die Augen." Raunte er kehlig. "Atme schön tief." Er nutzte die Gelegenheit, ohne Beobachtung ein weiteres Kondom über seine Finger zu streifen und es mit Gleitmittel zu bedecken. Dann bog er die Finger um Mamorus Erektion, der einen Moment alle Muskeln anspannte, die Luft anhielt, bevor er folgsam Satorus Gebot gehorchte. Satoru legte die Wange behutsam auf Mamorus Bauchdecke, schloss die Augen. Man musste nicht sehen, um das Richtige zu tun, etwa, geduldig den Schließmuskel belagern, bis Mamoru ihm Einlass gewährte. Auf seinen Schultern zitterten die Arme, er spürte das unwillkürliche Schwanken des Jüngeren, ließ sich aber nicht aufhalten. Zwei Finger, die auf Expedition gingen, innere Wände betasteten, das eine Areal suchten, wo ein Nervenzentrum einen Kurzschluss der Lust im Gehirn auslösen konnte. Mamoru über ihm keuchte laut, den Kopf gesenkt, Schweiß und glasklare Tränen herabtropfend. Satoru selbst hatte Mühe, ausreichend Luft zu holen, konnte jedoch ein Lächeln nicht unterdrücken. DA war das Ziel, das sie sich beide merken mussten! "Mamoru!" Wisperte er rau, ließ sich nicht anmerken, dass die Fingerspitzen, die sich hart in seine Schultern bohrten, ihm weh taten. "Dieser Punkt ist es. Merk ihn dir. Dahin musst du mich immer dirigieren." Harte, flache Atemzüge fegten über ihm in die Luft, aber Satoru erwartete keine Antwort. Behutsam zog er sich zurück, schüttelte das Kondom ab, denn er wagte nicht, die Erektion einfach loszulassen. Mamoru schien aufgeladen bis zur Explosion. Mit beiden Händen, die einander ablösen konnten, gebot er Mamoru, sich langsam auf den Knien herumzudrehen, bis der ihm den Rücken kehrte. "Und jetzt stütze dich auf die Ellen." Flüsterte er atemlos. Der Jüngere klappte artig nach vorne, keuchte allerdings wie eine Dampflok, beinahe schluchzend. Satoru schloss die Augen, kniete aufrecht, spürte den eigenen Druck, der ihm in den Schläfen trommelte. Für Mamoru musste es unerträglich sein. Eine Hand unnachgiebig um die Erektion geschlossen, die in seiner Hand förmlich glühte, zwängte sich Satoru in den engen Eingang. Nun schluchzte der Jüngere tatsächlich aufgelöst, zitterte am ganzen Leib, verspannt und gequält. "Nicht weinen." Satoru schmiegte sich an den gekrümmten Rücken, küsste einen Wirbel. "Mamoru, atme tief durch. Bis zu mir. Spüre, wie ich das tue." Also atmete er selbst langsam und tief durch, auch wenn vor seinen geschlossenen Augen Sterne tanzten, hoffte, dass sein Beispiel über den Hautkontakt auch den aufgewühlten Mamoru erreichte. Jeder Atemzug wanderte tiefer, fand sich dort, wo ihre Körper einander verbanden, wenn auch nur mit einer Spitze. Satoru registrierte erleichtert, dass die Anspannung nachließ. Wie zuvor schon einmal konnte er kaum glauben, dass ein Inkontinenzler über derart ausgeprägte Schließmuskeln verfügte. Behutsam, schweißgebadet und körperlich aufs Äußerste herausgefordert schob er seine Erektion tiefer hinein, raunte seine Anweisungen auf Mamorus Rücken, konnte sich nicht mehr aufrichten. "Schön weiter atmen. Bis zu mir. Ganz tief bis zu mir. Fein. Jetzt hilf mir. Zeig mir den Weg." Wieder und wieder flüsterte er keuchend diese Anweisungen, bis er glaubte, dass er zum Ansatzpunkt mit Mamoru verbunden war. Vorsichtig bewegte er die Hüften, minimal nur, weniger als ein Zucken, prüfte, ob Mamoru ihm gewachsen war. Dessen Muskeln wurden zu Schraubzwingen, klemmten ihn ein, sodass es Satoru war, der aufschrie, Mamorus Erektion losließ und sich selbst befreien wollte. Doch mit dieser hastigen Reaktion hatte er das Ende der Lunte erreicht. Mamorus Körper übernahm die Regie, mit solcher Kraft und Geschmeidigkeit, dass Satoru nur antworten konnte, sich an den Jüngeren klammerte, während sie beide hin und her geworfen wurden vom Orkan der lodernden Begierde. Muskelkraft, Reflexe und chemische Interaktion regierten, was auch immer ihre Eigentümer beabsichtigt hatten. ~+~ Satoru zog sich zurück, zitternd, seiner eigenen Kondition misstrauend. Mamoru lag zusammengekauert auf den Knien, rang noch immer um Atem. Fiebrig, ein wenig benommen zupfte Satoru sich mechanisch das Kondom ab, kroch um Mamoru herum. Er hob ihn mit einem beherzten Griff unter die Achseln an, legte sich die Arme des Jüngeren um den Nacken und streichelte ihm beruhigend über den Rücken. So verharrte er geduldig, erfreut über die Rückkehr der eigenen Sinne, bis Mamoru gleichmäßig atmete, nicht mehr schwer auf ihm lehnte. "Ich möchte jetzt, dass du mit mir auf die Beine kommst." Vertraute er heiser und unmelodisch einem Ohr unter der sich krausenden Putzwolle an. Ungelenk und schwankend kamen sie beide zu stehen, hielten einander an den Händen, als würde der Boden sich gleich in Bewegung setzen und sie ihrer fragilen Balance wieder berauben. Satoru bückte sich, fand weitere Taschentücher. Eines drückte er Mamoru in die Rechte, während er sich hinter den Jüngeren kniete. "Zupf dir das Kondom ab. Und nicht erschrecken, ich mache dich hinten sauber." Artig leistete Mamoru Folge, versteifte sich nur ein wenig, als er Satorus Fingerspitzen spürte. "Gut." Satoru sammelte den Abfall in eine blickdichte Plastiktüte. "Wird Zeit, dass wir uns waschen." Stumm rieben sie einander ab, wichen den Blicken des anderen bis auf verstohlenes Blinzeln aus. Nachdem sie sich abgetrocknet und wieder bekleidet hatten, deutete Satoru an, Mamoru möge vor ihm die Treppe hinaufsteigen. Auf mittlerer Höhe erklärte er, betont beiläufig. "Weil du heute so brav warst, bekommst du das nächste Mal ein Geschenk." Stockte Mamorus Schritt für einen Augenblick? Satoru konnte es nicht mit Sicherheit behaupten, aber er war zu froh darüber, dass er Mamoru keine übermäßigen Schmerzen aufgebürdet hatte, um sich zu sorgen. ~+~ Mamoru starrte aus dem kleinen Fenster in die Nacht. Irgendwo da oben waren unzählige Sterne, doch das Leuchtfeuer der Stadt ließ sie verschwinden. Er konnte nicht schlafen, außerdem war die laue Luft noch immer nicht aus seinem Zimmer vertrieben, so sehr der Ventilator sich quälte. In seinem ganzen Körper konnte er Satorus Echo fühlen. Wenn er die Augen schloss, war es, als wäre kein Augenblick vergangen. "Satoru." Flüsterte er in die Nacht. Bisher hatte er sich nicht vorstellen können, irgendetwas so sehr zu wollen, um alle Brücken hinter sich abzubrechen. Doch heute war das letzte Mosaiksteinchen gesetzt worden. Er richtete sich auf, leckte sich über die Lippen. Jetzt, wo er seinen Entschluss gefasst hatte, konnte er die Fesseln abstreifen. Sein zweites Leben hatte gerade erst begonnen. ~+~ "Sag mal, hast du morgen schon etwas vor? Dann komm doch zu unseren Schulfest vorbei, ja? Und bring deine Freunde mit!" Seiji wandte sich ab, starrte konzentriert aus dem Fenster. Die Sonne wanderte schon tiefer am Horizont, es war unerträglich heiß, sogar hier, im Zug, obwohl die Klimaanlage zweifellos arbeitete. Aber so viele Menschen auf engstem Raum, das konnte nicht ohne Folge bleiben. Noch immer bedrängten die drei Mädchen in den kurzen Sommeruniformen Tomohiko. Es war nicht das erste Mal, dass wagemutige Schülerinnen oder Studentinnen ihn ansprachen. Tomohiko unterhielt sich auch immer freundlich mit ihnen, lehnte jedoch jede Offerte höflich ab, jedes Mal mit dem Hinweis darauf, dass 'er schon vergeben' sei! Seiji wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Schweiß benetzte die Haut, das Makeup tat ein übriges, seine Körpertemperatur zu erhöhen. »Und dann noch die verdammte Perücke!« Schnaubte er säuerlich, ignorierte den abschätzigen Blick einer Matrone. Er musste sich eine Alternative überlegen, wenn es nach den Sommerferien noch immer so heiß war. Vielleicht reichten ja die unförmige Brille und das Makeup aus, um jedes Interesse abzutöten? »Nächste Woche, da werde ich schon fertig gepackt haben!« Dachte Seiji, denn die Schule endete zeitig, um ihre Schüler in die Sommerferien zu entlassen. Am Sonntagmorgen, da würde Seiji den ersten Zug nehmen, der in seine Heimat fuhr. »Keine Minute zu früh!« Seiji rollte die Augen, als er das aufgedrehte Kichern hinter sich hörte. Obwohl er und Tomohiko erkennbar die gleichen Uniformen trugen, war er für die Schülerinnen offenkundig Luft, existierte gar nicht. Nicht etwa, dass er diesen Umstand bereute. »Aber das rührt daher, dass ich nicht wirklich grottenhässlich und entstellt bin.« Resümierte er unzufrieden. Wie grausam mochte der Alltag für diejenigen sein, die nicht einfach ihre Verkleidung abstreifen konnten? Ein solcher 'Schutzschild' konnte auch sehr einsam machen. "Wir müssen jetzt gehen." Tomohikos Stimme schreckte ihn von düsteren Gedanken auf. "Wirklich sehr bedauerlich, aber morgen bin ich definitiv vergeben. Tut mir leid." »Von wegen, du Lügenbold!« Seiji riskierte es, Tomohiko eine Grimasse zu schneiden. ER war nämlich genötigt worden, Tomohiko zu einem kleinen Fest im Tempel in dessen Viertel zu begleiten. Da die Einladung im Beisein der Pensionswirtin ausgesprochen worden war, konnte Seiji unmöglich ablehnen. »Außerdem wird für einen guten Zweck gespendet.« Wiederholte er ärgerlich Tomohikos Worte, stolperte hinter ihm auf den Bahnsteig, nicht schnell genug, um einige beißende Kommentare über seinen Auftritt sowie sein gesamtes Äußeres aufzufangen. Er machte auf den schrägen Absätzen kehrt, eine beinahe elegante Bewegung, zog sich die Unterlider herunter und die Mundwinkel hoch, während er die Augen verdrehte und die Zunge herausschlabbern ließ. Durch die geschlossenen Zugtüren konnte er das empörte Kreischen nicht hören, aber die Mienen, die er erkennen konnte, ließen an seinem Triumph keinen Zweifel. "Ha!" Trompetete er laut. Diese Lektion hatten sich die eingebildeten Hühner redlich verdient! "Süß." Tomohiko hinter ihm lachte. "Zu schade, dass ich es nicht aufgenommen habe!" "Pah!" Das Kinn hochgereckt stolzierte Seiji an Tomohiko vorbei zu den Schließfächern. Es musste wohl die Hitze sein, die ihm zu Kopf stieg und leichtsinniges Benehmen förderte. ~+~ Seiji wartete nach dem Frühstück vor der Pension auf Tomohiko. Er fühlte sich ein wenig unwohl, weil die Yukata und die Strohsandalen, die Tomohikos Mutter bei der Pensionswirtin für ihn abgegeben hatte, ihn für alle frühen Flanierenden zum Mittelpunkt des Interesses machten. »Jetzt haben die Zwei sich auch gegen mich verschworen!« Seiji wischte sich über den Nacken. Seine lackschwarzen, glatten Strähnen reichten nun mühelos bis auf die Schultern. Er schwitzte unter ihrer Masse. Die Yukata reichte ihm bis zur Mitte der zierlichen Waden, bot allerdings nicht das bei Männern übliche, geometrische Muster in den Grundfarben, sondern einen intensiven Vanille-Ton, auf dem sich kleine, braune Spiralen drehten. »Sieht eher aus wie etwas für Kinder.« Seufzte Seiji und verachtete seine Eitelkeit. Beschämender Weise MOCHTE er seine Erscheinung in dieser ungewöhnlichen Yukata. Die Farbkombination war schmeichelhaft, das Muster originell, ragte aus der einförmigen Masse der Yukata für Männer heraus. »Andererseits sehe ich viel zu NIEDLICH! aus« Warnte ihn sein Radar für potentielle Schwierigkeiten. Er umklammerte den kleinen Beutel, in den er einige lebenswichtige Dinge gepackt hatte, um im Notfall mit dem Zug zur Pension zurückfahren zu können. Seine Mutter hatte ihm den Beutel geschickt, aus den Resten von Kimono-Stoffen gefertigt. Seiji hob den Beutel an die Wange und ließ den Stoff über seine Haut gleiten. Beinahe glaubte er, die Essenz riechen zu können, mit der seine Eltern die kostbaren Stoffe behandelten. "Guten Morgen." Tomohiko wuchs mal wieder aus dem Boden und sorgte für einen Hopser in Seijis Herzschlag. »Er hat das verdammte Rad geschoben und ist auf Zehenspitzen hierher geschlichen!« Empörte sich Seiji, erhob sich eilig. "Musst du immer so herumgeistern?!" Fauchte er Tomohiko an, ließ hastig den Beutel hinter seinem Rücken verschwinden. "Entschuldige, ich wollte dich nicht aus der Fassung bringen, Sei-chan." BEINAHE klang Tomohiko aufrichtig und zerknirscht. Allerdings nicht, wenn man das amüsierte Zucken in den Mundwinkeln und das Funkeln in den schwarzen Falkenaugen berücksichtigte! "Wenn du mich ärgerst, bleibe ich hier!" Seiji stampfte trotzig mit einer Sandale auf, wusste EXAKT, wie albern und kindisch er wirkte, konnte aber nicht anders. Aus einem unerfindlichen Grund lockte Tomohikos bloße Anwesenheit die Abgründe guten Benehmens hervor. "Ich verspreche dir, dass ich nicht herumgeistern oder dich ärgern werde." Mit einem Lächeln wies Tomohiko auf den kissengepolsterten Gepäckträger. "Bitte, Seiji, sei so freundlich und begleite mich auf das Fest." "Hrmpf!" Brummte Seiji, ging in einem Bogen um Tomohiko herum und nahm auf dem Kissen Platz. Tomohiko stieß sich vom Asphalt ab und trat munter in die Pedalen. ~+~ »Kleines Fest!« Seiji umklammerte verkrampft den Beutel, rückte näher an Tomohiko heran. Ein munteres, sehr bevölkertes Treiben wogte um den Tempel. Viele kleine Stände waren aufgebaut worden, boten die gewohnten Kleinigkeiten und viele Spezialitäten an, um den Erlös den gemeinnützigen Unternehmungen zu stiften, die von den Priestern des Tempels organisiert wurden. Seiji erweckte natürlich Aufsehen. Nicht etwa, weil er die einzige Person in einer Yukata war, nein, es war der alte Fluch, der ihn verfolgte. »Und der blöde Kamm!« Aber Seiji wagte nicht, den hölzernen Schmuckkamm aus seinem Haar zu entfernen. Tomohiko hatte den Kamm gekauft, weil Seiji zu interessiert die Holzarbeiten studiert hatte. Selbstverständlich hatte er die Unverschämtheit besessen, Seiji den Kamm in Abwesenheit seiner Eltern zum Geschenk zu machen, woraufhin Tomohikos Mutter unaufgefordert Seijis Haare eingedreht und den Kamm befestigt hatte, damit 'der liebe Seiji seinen schönen Nacken zeigen kann'! Also wurde er ständig für ein Foto angesprochen und sicher war es nur der Begleitung von Tomohikos Eltern zu verdanken, dass man ihm keine anderen Avancen machte! Versorgt mit süßen Klebereisbällchen am Spieß ergab sich Seiji in sein Schicksal. Tomohikos Eltern WAREN ja sehr nett und unterhielten ihn! Trotzdem war es sehr irritierend, in ihrer Gesellschaft über den Festplatz zu flanieren im Wissen darum, dass ihr Sohn beabsichtigte, ihm den Hof zu machen! "Ah, gleich ist es soweit!" Tomohikos Vater legte einen Arm um Seijis Schultern. "Die Schaukämpfe beginnen gleich." Seiji verstand nicht recht, was er sich ansehen sollte, stapfte aber artig mit. Unterwegs schienen sie Tomohiko und seine Mutter verloren zu haben. In einer der Tempelhallen hatte man alle beweglichen Türen und bodentiefen Fensterpartien entfernt sowie einfache Matten ausgelegt. Nun sollten dort verschiedene Vorführungen der umliegenden Kampf- und Sportschulen beginnen. Zu seiner Überraschung erblickte Seiji Tomohiko, der in einer einfachen Hose barfüßig und ohne Hemd bei anderen Jugendlichen kniete, die auf ihren Einsatz warteten. Zuerst jedoch war Bogenschießen dran, gefolgt von Schwertkampf und verschiedenen Varianten der japanischen, waffenlosen Kampfkünste. Im Gedränge lauschte er Tomohikos Vater, der den ganzen Tag über Erklärungen und Details in das Gespräch einfließen ließ, als sei es sein Bestreben, dass Seiji sich schnell eingewöhnen sollte. "Früher hat Tomohiko bei allen Gruppen mitgemacht. Keine Sportart, die hier unterrichtet wird, hat er ausgelassen!" Da klang sehr viel Stolz in der Stimme von Tomohikos Vater mit. "Weißt du, als er klein war, da konnte er einfach nicht ruhig sitzen. Die Lehrer in der Grundschule haben sich beschwert." Tomohikos Vater richtete die Brille, bot Seiji das Profil. "Unser Tomo konnte nur lernen, wenn er in Bewegung war. Sicher eine Folge von dem Unglück." Seiji warf einen Blick auf Tomohiko, der dort so ruhig kniete, als wäre er erstarrt. Kaum vorstellbar, dass ein jüngerer Tomohiko nicht stillhalten konnte oder unbeherrscht reagierte. "Er hat alles ausprobiert, war ungeheuer geschickt! Nicht wie ich." Ein nachsichtiges Lächeln streifte Seiji, der verlegen zuckte. "Alle haben sich gewundert, wie so ein kleines Kerlchen so viel Energie haben konnte!" Tomohikos Vater schwieg für einen Augenblick, wirkte melancholisch. Aus dem kleinen Jungen war ein starker, junger Mann geworden. "Als unsere kleine Aiko geboren wurde, Tomos Schwester, da hat Tomo das erste Mal über Stunden ruhig gesessen." Er schmunzelte wehmütig, zwinkerte Seiji zu. "Tomo war vollkommen vernarrt in unser kleines Baby. Er hat sie überallhin mitgenommen. Nach der Schule kam er wie eine Rakete angesaust, um sie zu füttern. Er hat nachts aufrecht geschlafen, damit er sie halten konnte." Seiji biss sich auf die Lippen. Er war ein Einzelkind, aber wenn er sich Tomohiko vorstellte, der ein kleines Mädchen in den Armen hielt, all seine Aufmerksamkeit auf das Baby konzentrierte, dann krampfte sich ihm das Herz zusammen bei der Vorstellung, wie sehr ihn der Tod seiner kleinen Schwester schmerzen musste. "Tomohiko hat mir von Aiko erzählt." Schmückte Seiji die Wahrheit ein wenig aus, denn das, was Tomohiko nicht ausgesprochen hatte, vermittelte ihm sehr viel mehr als bloße Worte. "Es tut mir sehr leid, dass sie gestorben ist." "Ja." Tomohikos Vater lächelte traurig, das Gesicht ein wenig spitzer und faltiger als zuvor. "Es tut uns allen leid. Aber sie ist so geliebt worden, dass sie nicht einen unglücklichen Tag hatte. Das tröstet uns sehr." Er lächelte Seiji an. Seiji nickte unwillkürlich, schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Vor ihnen tauschten gerade Karateka ihren Gruß aus, bevor sie den Kampf eröffneten. "Tomohiko spielt gern Shogi, oder?" Seiji wechselte das Thema. "Das stimmt." Bestätigte ihm Tomohikos Vater aufgeräumt. "Ich habe es ihm beigebracht, weil ich dachte, er würde dann ruhiger werden. Er spielt immer noch ab und zu mit seinem alten Herrn." Zwinkerte er Seiji an. "Interessierst du dich denn auch für Shogi?" "Ich kenne mich da nicht aus." Verlegen zog Seiji die Schultern hoch. "Ab und zu spiele ich mit meinen Großeltern. Tomohiko hat mir einmal seine Spielsteine gezeigt." "Ah ja, die alten Dinger!" Tomohikos Vater lachte. "Sie sehen sehr abgegriffen aus, nicht wahr? Ich wollte eigentlich mal einen neuen Satz kaufen, aber mein Sohn will nichts davon hören." »Weil es nicht ums Prestige der Steine geht.« Vermutete Seiji still. Vielleicht waren sie wie Talismane für Tomohiko, eine tragbare Versicherung der Liebe und Verbundenheit mit seiner Familie. Nun erhob sich auch Tomohiko. Er führte jedoch keine der traditionellen japanischen Künste vor, wie Seiji anhand der Schilderung dessen Vaters vermutet hatte. Eine kleine Gruppe stellte sich im Kreisrund auf, klatschte einen Rhythmus, während sie sich von einem Bein auf das andere bewegten. "Capoeira." Erklärte Tomohikos Vater. "Das ist ein Kampfsport, der aus Brasilien stammt, so hat man mir erklärt. Die Musik wird dort aber tatsächlich gespielt, kommt nicht vom Band." Seiji beobachtete fasziniert, wie sich immer zwei Teilnehmer aus dem kleinen Kreis lösten, kurz die Fingerspitzen des anderen berührten und dann in akrobatischen Bewegungen versuchten, den Gegner zu beeindrucken. Die wichtigste Regel schien in beweglichen Ausweichen zu bestehen, sodass für das Publikum eine Art artistischer Kampf im Rhythmus des Klatschens und der Musik aufgeführt wurde. Die Körperbeherrschung der Partner erschien Seiji unglaublich, erinnerte ihn an alte Aufnahmen, die er mal von Breakdance in einer historischen Dokumentation gesehen hatte. Der gesamte Körper agierte, es ging nicht um Treffer oder den Austausch von Aggressionen. "Wie macht er das?!" Krächzte Seiji fassungslos, als Tomohiko sich mit seinem Gegenüber aus der Runde löste, um einen akrobatischen Pas de deux vorzuführen. Ein Tanz, bei dem jeder improvisierte und sich darauf verließ, dass der Partner entsprechend reagierte, um den Fluss von Rhythmus und Musik in Bewegung nicht zu unterbrechen. Wann trainierte Tomohiko?! Tomohikos Vater raunte Seiji zu. "Unglaublich, nicht wahr? Jeden Abend vor dem Schlafengehen eine halbe Stunde, das genügt ihm schon. Also, ich bin jedes Mal wieder überrascht!" »Dito!« Pflichtete Seiji stumm bei. Er konnte kaum glauben, dass es Tomohiko im Alltag so mühelos gelang, diese Kunstfertigkeit und Eleganz vor anderen zu verbergen. Die Vorführungen endeten wenig später mit großem Applaus für alle Teilnehmenden. Seiji fühlte sich wie betäubt und war dankbar für die süßen Leckereien, die Tomohikos Mutter anbot, während sie sich über einen ehemaligen Klassenkameraden ausließ, der eine annuale Wette erneuerte. Obwohl es unhöflich war, ließ Seiji seine Aufmerksamkeit abschweifen und sah sich unauffällig nach Tomohiko um. Der würde sich zweifellos wieder in zivile Kleidung werfen. »Und dann von einem Schwarm aufgedrehter Mädchen verfolgt werden!« Zog er eine säuerliche Grimasse. Die Mädchen hier schienen Tomohiko näher zu kennen, denn keine driftete ab, als er seine Eltern ansteuerte. Im Reflex wich Seiji zurück, separierte sich von der Gruppe, wie er es gewöhnlich im Zug tat. Allerdings ließ er dabei außer Acht, dass er nicht seine gewohnte Verkleidung trug, nicht der "andere" Seiji war. "Oh, bist du ein Schulfreund von Tomo-kun?!" Der bienenartige Schwarm dröhnte nun auf Seiji ein, zwang ihn zurück in den Kreis der Familie. Man zupfte an der Yukata, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, wollte sich einhaken, zog an seinen Händen, sogar an dem kunstvoll gefertigten Beutel. "Das reicht jetzt aber!" Tomohiko schritt ungewohnt energisch ein, obwohl er noch lächelte. Die schwarzen Falkenaugen jedoch blitzten. "Bitte bedrängt meinen Freund nicht so. Er muss sonst denken, dass die Mädchen hier überhaupt keine Manieren haben!" Damit lenkte er den kichernden und quietschenden Unmut auf sich, während Seiji in den Schutz von Tomohikos Mutter flüchtete, die sich ungeniert bei ihm einhakte und ihm gegrillte Hühnchenstücke am Spieß aufnötigte. Kurze Zeit später hatte Tomohiko seine Anhängerinnen abgeschüttelt und traf ein, um die empörte Rede seiner Mutter zu vernehmen. Wieder einmal hatte der fette Toshi ihr ins Gesicht gesagt, dass niemand seine Wette annehmen würde!! Seiji begriff noch immer nicht ganz, welchen Inhalt diese Wette hatte, da ihm nur Bruchstücke enthüllt wurden und die gesamte Erzählung sprunghaft von einem Thema zum nächsten wischte. "Ich glaube, du solltest mal nach Vater sehen, bevor er wirklich noch einen Goldfisch fängt." Lenkte Tomohiko zwinkernd seine Mutter ab und berührte Seiji sanft mit dem Ellenbogen. "Wagst du es, dir die Wette anzuhören?" "Wenn wir aus dem Gedränge rauskommen und keine Mädchen in der Nähe sind!" Seiji zog eine Schnute. "Dann ist mir das auch recht." "Hier." Tomohiko hielt ihm das Ende eines langen Stofftuchs hin, dann pflügte er bereits durch die Menge, zog Seiji auf diese Weise mit sich, ohne dass sie einander tatsächlich berührten. Seiji erinnerte sich, dass Tomohiko das Tuch um die Taille geschlungen hatte, als er den fremdartigen Tanz/Kampf vorführte. »Du bist schon ein komischer Kerl.« Adressierte er Tomohikos rückwärtige Partie versonnen. Bald schon erreichten sie ihr Ziel. Ein in der Tat wohlbeleibter Mann verkündete sein Wettangebot, während er sich mit einem runden Fächer Abkühlung zuwedelte: wenn es gelang, dass jemand sich ohne Hilfe einen Kimono anlegte und dafür weniger als fünf Minuten in Anspruch nahm, würde er dem Tempel 100.000 Yen spenden! "Er ist ein ehemaliger Schulkamerad meiner Mutter." Erklärte Tomohiko. "Die Wette stellt er schon seit Jahren auf. Bisher ist es noch niemandem gelungen, die fünf Minuten zu unterbieten." Gerade versuchte sich eine kräftige Frau daran, den Kimono über ein knappes Sommerkleid zu ziehen, scheiterte aber kläglich an den Polstern, die unterhalb des prächtigen Obi getragen wurden. Seiji nagte an seiner Unterlippe, studierte die nächste Teilnehmerin, ein sehr schlankes Mädchen, die von ihren Freundinnen herausgefordert worden war. Es war wirklich nicht einfach, sich in einen Kimono zu kleiden, ohne Hilfe zu beanspruchen. Meist half eine ältere Dame in den Frisiersalons aus, wenn zu den feierlichen Gelegenheiten ein Kimono ausgeliehen und angelegt wurde. "Schade eigentlich." Tomohiko zwinkerte Seiji zu. "Das Geld wäre beim Tempel gut aufgehoben und meine Mutter würde vermutlich vor Freude tanzen." Ergänzte er schmunzelnd. Langsam löste Seiji den Beutel von seinem Handgelenk. "Jeder darf es versuchen, nicht wahr?" Erkundigte er sich konzentriert. "Das ist richtig." Tomohikos Blick versengte sein Profil, verstärkte noch den aufgeregten Herzschlag. "Bitte halte das für mich." Seijis Fingerspitzen streiften Tomohikos Hand, als er ihm seinen Beutel übergab, sich durch die Zuschauermenge schlängelte und den feisten Mann auf sich aufmerksam machte. Nur wenige Augenblicke später kletterte Seiji barfüßig auf die kleine Bühne. "Ich beginne." Nickte er dem Herausforderer zu, der siegessicher die Stoppuhr in Gang setzte. Seiji ließ die Yukata fallen, ignorierte die Rufe der Zuschauer, obwohl er sich SEHR bewusst war, dass er vor vollkommen fremden Personen in Unterwäsche stand, aber das war unerheblich. Seit er ein kleines Kind war, hatte er seinen Eltern assistiert und so auch gelernt, wie Frauen ihre Kimonos trugen. Zuhause hatte er die sehr alten, überaus prachtvollen und unglaublich kostbaren Kimonos vorgeführt, die man seinen Eltern zur Restauration überließ. »Ich wette, dass ich mich in weniger als fünf Minuten ohne Hilfe ankleiden kann!« Machte er sich selbst Mut, immerhin hatte seine Mutter ihm alle Tricks und Kniffe verraten. SIE benötigte auch keine Hilfe! Da konnte ihr Sohn wohl kaum nachstehen! "Und ich bin fertig." Seiji legte die Hände sittsam vor dem Schoß übereinander und deutete eine referentielle Verbeugung an. Die Stoppuhr stand auf vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden. Jubel brach aus, die Bühne wackelte. Seiji wich ein wenig zurück, suchte mit errötenden Wangen in der Menge nach Tomohiko und dessen Eltern. In der Tat sprang Tomohikos Mutter wie ein Gummiball auf und nieder, reckte die kleinen Fäuste und johlte vor Begeisterung. Der feiste Herausforderer schüttelte Seiji mit feuchten Handflächen die Hände, strahlte und zückte ein Bündel Scheine, um zu beweisen, dass er ein guter Verlierer war. "Tja, meine Damen, da ist ein hübscher Junge schneller! Wer hätte das gedacht!" Reizte er sein Publikum, zog Seiji am Handgelenk hinter sich her. Der fühlte sich beim Gedanken, durch die Zuschauer wie ein ungezogenes Schoßhündchen gezerrt zu werden, gar nicht wohl, doch gegen den Schwung kam er nicht an. "Ein Foto! Wir machen vor dem Tempel ein Foto!" Dröhnte sein Entführer, nahm keine Rücksicht darauf, dass Seiji von allen Seiten berührt wurde, sogar den hölzernen Kamm verlor. Die blanken Füße beschmutzt, die Haare wild herunterhängend, vollkommen derangiert sollte er im Arm des feisten Geschäftsmannes posieren, aber Seiji verspürte nur Ekel und Angst. "Moment mal, so geht das aber nicht!" In Tomohikos Schlepptau, der sich rasch durch die Menge schob, ohne Rücksicht auf Verluste, trompetete dessen Mutter ärgerlich. "Willst du den armen Jungen so zerrupft fotografieren lassen?! Unmöglich ist das!!" Während sie wetterte, schwang sich Tomohiko über die niedrige Brüstung, um die Distanz zu Seiji zu überbrücken. Er hatte nicht nur Seijis Beutel, sondern auch die Yukata und die Strohsandalen geborgen. "Ich habe den Kamm verloren!" Platzte Seiji heraus und lief dunkelrot an, weil seine Stimme klang, als wolle er gleich in Tränen ausbrechen. "Ich habe ihn in Sicherheit gebracht." Tomohiko musterte ihn besorgt, ignorierte das Wortgefecht neben ihm, wo Tomohikos Mutter gerade zur Hochform auflief und mit der Unterstützung des Publikums verlangte, dass man den 'zarten Jungen' nicht bloßstellte. "Du hast das phantastisch gemacht!" Lobte Tomohiko, wischte mit feuchten Tüchern über Seijis Füße, darauf bedacht, nicht über den Zellstoff hinauszugreifen. Seiji schniefte energisch, richtete den Kimono und drehte sich die Haare ein, um den Kamm wieder festzustecken. "Danke schön." Murmelte er, als Tomohiko sich lächelnd aufrichtete und die Strohsandalen zum Reinschlüpfen offerierte. "ICH danke dir, Seiji. Du warst sehr mutig und hast damit eine große Spende für den Tempel bewirkt." Für einen Moment schien Tomohiko dem Impuls zu folgen und Seijis Hände zu nehmen, doch er fasste sich, legte die eigenen Hände aneinander und verneigte sich ehrerbietig. So konnte auch die Menge einen Blick auf Seiji in präsentabler Aufmachung werfen. Mobiltelefone und kleine Kameras wurden gezückt, Seiji musste sich einen fleischigen Arm um die Schultern legen lassen und vornehm in die offizielle Kameralinse blicken. Er war dankbar und erschöpft, als er nach einer halben Stunde, die sich auf Ewigkeiten auszubreiten schien, endlich wieder die einfache Yukata überstreifen konnte. Tomohikos Mutter führte ihn an einer Hand und wollte sich gar nicht mehr beruhigen darüber, wie Seiji es 'diesem eingebildeten Fatzke gezeigt' hatte! Glücklicherweise schlug Tomohikos Vater vor, sich einen schönen Platz zu sichern, wo sie noch etwas mehr von den angebotenen Speisen verzehren und das in der Nacht veranstaltete Feuerwerk betrachten konnten. Seiji bemerkte Tomohikos Lächeln, das sich auf das Händchenhalten mit dessen Mutter fokussierte und errötete heftig. »Was denkt der sich?! Dass ich mich wie eine Schwiegertochter einfüge?!« Aber Seiji wusste nur zu gut, dass es SEINE Gedanken waren, die auf diesem Pfad wandelten und erschrocken bekannten, dass es wirklich nett mit Tomohikos Familie war. ~+~ Das Feuerwerk endete kurz vor Mitternacht. Da Seiji darauf bestanden hatte, wenigstens in der Pension zu schlafen, radelte Tomohiko zurück, Seiji auf dem Gepäckträger. Sie schwiegen beide, genossen die nächtliche Stille nach dem großen Trubel. Wie gewohnt ließ Tomohiko das Rad sanft ausrollen, bevor er es aufbockte und Seiji zusah, der die Stufen zum Eingang erklomm. "Vielen Dank, dass du mich heute begleitet hast" Tomohiko lächelte im Schein der Straßenlaterne. "Ich bin von deinem Mut beeindruckt. Du hast nicht nur die Wette, sondern auch meine Eltern für dich gewonnen. Es ist lange her, dass die beiden so viel Spaß hatten." Seiji errötete heftig, erinnerte sich an die Worte von Tomohikos Vater. "Ich-ich habe gar nichts Besonderes getan!" Verteidigte er sich rasch, wollte das Kompliment nicht gelten lassen. Tomohiko hielt den Blick auf Seiji konzentriert. "Ich WEISS, wie schwer es dir fällt, in so einer Menge unterwegs zu sein. Oder dich vor anderen auszuziehen. Du hast es trotzdem getan und hilfst damit vielen Menschen, die du nicht mal kennst. Ich bin dir wirklich sehr dankbar." Höchst verlegen wandte Seiji den Kopf ab, suchte eilig ein anderes Thema. "Wie spät ist es?" Haspelte er eilig heraus. "Kurz nach Mitternacht." Antwortete Tomohiko, klappte sein Mobiltelefon zusammen und deponierte es wieder in einer Hosentasche. "Oh. Kannst du einen Augenblick hier warten? Nur eine Minute?!" Schon kletterte Seiji die letzte Stufe hoch und wischte in die Pension. So schnell und lautlos er es vermochte, huschte er die Stufen zu seinem Zimmer hoch, griff sich eilig den gesuchten Gegenstand und machte kehrt. Atemlos preschte er wieder zur Eingangstür hinaus, zögerte dann auf der obersten Stufe, räusperte sich, weil ihm der Mund eintrocknete. "Ähem...herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!" Damit drückte er Tomohiko eilig ein kunstvoll verziertes Kästchen in die Hände und fegte wieder in die relative Sicherheit des Hauseingangs. "...danke schön..." Zum ersten Mal sah Seiji Tomohiko verblüfft und überrascht. »Denkt der wirklich, ich hätte seinen Geburtstag vergessen?!« Seiji wollte sich lieber auf Wut als auf Scham verlegen. »SO ein gedankenloser Typ bin ich ja auch nicht!« Tomohiko betrachtete unterdessen das verzierte und lackierte Holzkästchen. Sehr behutsam öffnete er es und fand darin eine Stoffbahn mit winzigen Täschchen. Zusammengerollt passte sie perfekt in die Schatulle. "Du-du kannst die Shogi-Steine darin aufbewahren." Seiji hustete. "Natürlich nur, wenn du willst." "Hast du das gemacht?" Tomohiko überwand mit einem großen Schritt ohne Mühe die hinderlichen Eingangsstufen. Seiji schreckte zurück, spürte eine Säule hinter sich und nickte hastig. Tomohiko wandte nicht für einen Wimpernschlag den Blick von ihm, sah ihn einfach an. Das Herzklopfen wuchs sich zu einem donnernden Trommelwirbel an. Seiji fürchtete, er würde gleich in Ohnmacht fallen. Warum musste Tomohiko ihn bloß so intensiv ansehen?! "...vielen Dank." Flüsterte der endlich. Erleichtert, weil der unheimliche Bann gebrochen schien, grinste Seiji schief und antwortete. "Nichts zu danken. Ist ja dein Geburtstag." Tomohiko stand noch einen Augenblick länger einfach vor ihm. ZU lange für Seijis zerrüttetes Nervenkostüm, der die Finger in den Verputz grub und glaubte, im rechten Auge einen nervösen Tic zu entwickeln. Dann wandte sich Tomohiko elegant ab, sprang lautlos hinunter und stellte sein Fahrrad auf. "Schlaf gut, Seiji." Wünschte er mit gedämpfter Stimme, schwang sich auf den Sattel und verschwand in der Nacht. Seiji atmete tief durch und ermahnte seine Knie, sich nicht wie Geliermasse aufzuführen. Es war HÖCHSTE Zeit, dass er nach Hause fuhr!! ~+~ Kapitel 7 - Start in den Sommer Am nächsten Morgen beobachtete Seiji nervös, ob sein Geschenk Tomohikos Verhalten beeinflusste, ob der sich vielleicht Freiheiten herausnahm. »Aber ich MUSSTE ihm ja etwas schenken!« Haderte er mit sich selbst. Immerhin hatte sich Tomohiko um ihn gekümmert, leistete ihm Gesellschaft. Selbst seine Eltern fragten in ihren Briefen nach 'seinem guten Freund'. »Bloß, es ist eine Gratwanderung.« Seufzte Seiji stumm, spürte, wie die drückende Hitze jeden hochfliegenden Gedanken abtötete. Wann wurde aus Sympathie mehr, wann wandelte sich eine Freundschaft in eine Beziehung, die den anderen dazu veranlasste, den Freund zu attackieren?! In dieser Hinsicht konnte Seiji einfach kein Gespür entwickeln. Mal glaubte er sich paranoid, mal zu naiv, zu vertrauensselig. »Hauptsache, ich kann am Sonntag früh im Zug nach Hause sitzen!« Munterte er sich grimmig auf. Für die Dauer der Sommerferien musste er sich nicht über die Schule und ihre unangenehmen Begleiterscheinungen Gedanken machen. ~+~ Mamoru blinzelte überrascht. Zum ersten Mal fand er eine Nachricht auf vanillefarbenem Papier in seinem Fach. Es duftete sogar! Er lächelte der Wand zu, da ihn niemand beobachten konnte. Üblicherweise hätte man die Wahl eines solchen Briefpapiers wohl einem Mädchen zugeordnet, aber die sauber und anmutig geschwungenen Zeichen bewiesen ihm, dass sein Herzklopfen richtig vermutet hatte: die Nachricht stammte von Satoru. »Es muss etwas Schönes sein!« Flüsterte sich selbst zu, denn aus welchem Grund hätte ihn der Ältere sonst auffordern können, für den nächsten Tag statt Handtüchern Freizeitkleidung mitzubringen? ~+~ Satoru flitzte schwungvoll den Gang hinunter, nicht wie üblich mit lässiger Nonchalance. Mamoru blickte ihm überrascht entgegen, keineswegs aber scheu oder beunruhigt. "Schnell, rein da und umziehen!" Kommandierte der Ältere, öffnete den Kellereingang. Hinter ihm schlüpfte Mamoru hinein, bestaunte hingerissen, wie sich Satoru eilig aus der Schuluniform pellte, eine cremefarbene Stoffhose und ein khakifarbenes Doppelripp-Unterhemd überstreifte, sich zum krönenden Abschluss einen weißen Baumwollpullover um den Nacken band. Sogar die hellen Segelturnschuhe passten perfekt zu seinem sportiv-vornehmen Aussehen. Mamoru zögerte, umklammerte die Träger seiner Sporttasche. "Worauf wartest du?" Satoru hatte seine Schuluniform bereits mit Geschick gefaltet und verstaut. Ohne sich dessen bewusst zu sein, zog Mamoru eine Grimasse, öffnete seine Sporttasche und ließ einen Blick auf den Inhalt zu. Er hatte das sichere Gefühl, dass jemand wie Satoru bestimmt nicht mit ihm gesehen werden wollte. "Oh, ich verstehe." Klang da Amüsement in Satorus Stimme mit? Niedergeschlagen holte Mamoru seine gebügelte Jeans und das kindliche T-Shirt mit einem Aufdruck von Doraemon hervor. "Darf ich?" Die Frage, höflich gestellt, war natürlich rhetorisch. Ohne eine Antwort zu erwarten bemächtigte sich Satoru der Anstoß erregenden Bekleidung. Mamoru, der sich gerade entblätterte, verfolgte ungläubig, wie Satoru ein Necessaire aus seiner Schultasche holte, mit der Schere Ärmel und Kragen des T-Shirts abtrennte, sodass sich faserige Abschlüsse zeigten. Fünf scharrtige Risse, die Doraemon Belüftungsschlitze verpassten und eine ebenso grobe Behandlung der Jeans an neuralgischen Stellen sorgten dafür, dass Mamoru wie gebannt auf Satorus flinke Hände starrte. "So ist es besser, nicht wahr?" Selbstsicher und höflich, aber in Satorus dunkelbraunen Augen tanzte ein spöttisches Zwinkern. Grinsend streifte sich Mamoru seine modifizierten Kleider über. "Fertig? Dann gehen wir, aber schnell und leise!" Kommandierte Satoru und setzte sich an die Spitze. Sein Begleiter fragte sich, wie sie ungesehen das Schulgelände verlassen wollten, denn bis zum Schulschluss in einer Stunde wäre das große Tor verschlossen, doch Satoru führte ihn durch die labyrinthischen Kellergänge, bis sie einen Ausgang erreichten. Der führte zum Müllabladeplatz. Mit ein wenig Schwung erkletterten sie eine Mauer und standen in Kürze auf der anderen Seite in einer Stichstraße. Außerhalb des Schulgeländes. "Los jetzt, zum Bahnhof!" Satoru eilte los, beschwingt und energisch. Mamoru in seinem Schlepptau fragte sich, wohin sie wohl gehen mochten, aber er vertraute dem Älteren. Die Bahnstation war wie immer voll, Menschen drängten sich. Die Taschen an den Leib gepresst mischten sie sich unter die Einsteigenden. "Es ist nicht weit." Vertraute Satoru dem Jüngeren an, zwinkerte unternehmungslustig. Aus einer Laune heraus, zerraufte er Mamorus krausen Schopf, der nun in alle Richtungen abstand. Mamoru nahm diese 'Verbesserung' stoisch hin, denn in ihm keimte ein geradezu ungeheuerlicher Verdacht auf, nachdem er die Station in Erfahrung gebracht hatte, an der sie den Zug verlassen würden. Aber er schwieg, wollte sich überraschen lassen. Satoru drängte sich mit Mamoru ins Freie, fädelte in den Menschenstrom und hakte sich auf der Straße einfach bei Mamoru unter. Er neigte den Kopf ein wenig, um vertraulich zu flüstern, während er ihre Schritte die Straße entlang lenkte. "Das ist die Rückseite vom Rotlichtviertel. Wenn wir hier reingehen, entwischen wir den Sittenwächtern." Mamoru nickte eifrig. Er spürte den prüfenden Seitenblick und vermutete, dass Satoru auf ein zimperliches Aufbegehren oder Zaudern wartete. Sein Begleiter hätte sich jedoch um nichts in der Welt einen Ausflug in diese legendenumwobene Welt entgehen lassen! Einige Querstraßen weiter lockten unzählige Lautsprecher und Leuchtreklamen, Koberer und Feierabendschwärmende den interessierten Besuch. Musik, Essen, Bars, Clubs, Hotels, alle möglichen Ladengeschäfte: Mamoru fühlte sich, als sei er in einen Zauberzylinder gefallen, wo sich alle wundervollen Geheimnisse verbargen, bis sie ans Licht gebracht wurden. Satoru achtete unterdessen darauf, dass sich niemand allzu sehr für sie erwärmte. Auch ohne die Schuluniform konnte man sie für zu jung halten, für minderjährig. Jeder Eklat würde sein Vergnügen erheblich trüben. Doch zu seiner Erleichterung erreichten sie ihr Ziel ohne unerfreuliche Erlebnisse. Der kleine Kellerladen, ein ehemaliger Friseursalon, war geöffnet, jedoch noch nicht frequentiert. Satoru lächelte dem Inhaber aufreizend zu. Er war nicht zum ersten Mal hier. "Sieh dir einen Moment die Tätowierungen an." Lenkte er Mamoru ab, um über das Geschäftliche zu verhandeln. Artig befolgte Mamoru seine Anweisung und studierte die zahllosen Polaroids, die an straff gespannten Leinen präsentiert wurden. Die Verhandlung war bald abgeschlossen, der Inhaber, ein Mann mittleren Alters, winkte Mamoru heran, auf einer verstellbaren Liege Platz zu nehmen. Sie erinnerte Mamoru unangenehm an die Untersuchungsstühle, die er anlässlich des Aufklärungsunterrichts gesehen hatte. "Keine Angst." Satoru nahm neben ihm auf einem mobilen Hockerchen Platz und knöpfte Mamorus Jeans auf. "So schlimm wird es nicht." Er lächelte in die großen, schwarzen Augen, die ihn studierten, offenkundig erwogen, ob sie ihn gewähren lassen sollten. Inzwischen war der Inhaber zurückgekehrt. "Die Hose runter." Kommandierte er und ignorierte Mamorus 'Problem' vollkommen. Satoru wickelte also alles Hinderliche auf Halbmast, während Mamorus Finger sich tief in das hart gepolsterte Leder der Liege bohrten. Sein Puls raste, und ihm trat kalter Schweiß auf die Stirn. Der Inhaber streifte sich Einweghandschuhe über, nahm dann neben der Liege Platz und sprühte Mamoru ohne weitere Erklärung Eisspray auf den Unterleib. Er wählte Werkzeug aus, fasste die Haut am Unterleib, wo üblicherweise die Schambehaarung begann und jagte ankündigungslos einen Metallstift durch die Haut. Mamoru war zu verblüfft, um Schmerz zu empfinden. Er konnte nur auf seinen Unterleib starren, verfolgen, wie der Metallstift und die Haut mit einem Antiseptikum besprüht wurden, bevor der Stift durch einen Schmuckanhänger aus Chirurgenstahl ersetzt wurde. Ein luftdurchlässiger Verband wurde festgeklebt, dann erhob sich der Inhaber. "Wenn es blutet, musst du zum Arzt gehen. Sauber halten und auf Infektionen achten." Brummte er auf Mamoru hinunter. Satoru beugte sich über ihn, um ihn wieder manierlich zu bekleiden, nicht aber, ohne mit den Fingerspitzen sanft über den Verband zu huschen. "Warte einen Augenblick auf mich." Flüsterte er Mamoru ins Ohr, dann folgte er dem Inhaber durch einen Perlenvorhang. Mamoru atmete tief durch und registrierte, wie die nervöse Spannung von ihm abfiel. Jetzt erst konnte er sich eingestehen, was geschehen war: Satoru hatte ihn an einer recht intimen Stelle piercen lassen! Er hatte nur einen kurzen Blick auf den Anhänger erhaschen können, doch es schien sich um etwas mit Flügeln zu handeln. Obwohl ihn die Neugierde plagte, wagte er nicht, sich zu vergewissern. Außerdem ließ die Wirkung des Eissprays nach, und er begann zu spüren, dass seine Haut verletzt worden war. Da drängte sich ihm eine Eingebung auf: Satoru musste das Schmuckstück hier erstanden haben! Vielleicht gab es bereits Polaroids davon! Mamoru kam auf die Beine, ignorierte den leichten Schmerz, der sich einstellte, wanderte zu einer Wand hinüber und studierte die Aufnahmen eilig. Von diesem Winkel aus konnte er auch in den benachbarten Raum spähen. Auch dort befand sich ein ominöser Stuhl mit diversen, beweglichen Teilen. Was ihn jedoch schockierte, war Satoru, der vor dem Inhaber auf dem Boden kauerte und ihm oral dienlich war. Einen langen Moment würgte Mamoru an bitterer Enttäuschung, dann aber setzte sich sein Verstand durch. Satoru hatte ihn sicherlich nicht mitgenommen, um ihm seine Promiskuität vorzuführen. »Wahrscheinlich tut er es, damit der Kerl uns nicht verrät.« Mutmaßte er. Einen Minderjährigen ohne Einwilligung seiner Eltern zu piercen, das konnte juristische Konsequenzen haben, wenn die Eltern sich beschwerten. »Würde er das nicht tun, hätte der Typ es sicher nicht gemacht.« Mamoru entfernte sich langsam, um außer Sichtweite zu geraten. Obwohl ihm das Herz bleischwer wurde, ermahnte er sich streng, Satoru gegenüber nichts verlauten zu lassen, denn der hatte sich offenkundig sehr über seine Überraschung gefreut, wollte ihm unbedingt ein Geschenk machen. Man durfte es nicht verderben. Einige Minuten später holte Satoru ihn ab, lächelte spitzbübisch über die gelungene Aktion und hängte sich bei Mamoru ein. "Jetzt wirst du auch in den Sommerferien nicht vergessen, dass du mir gehörst!" Grinste er frech. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit bestand Satoru darauf, dass sie mit beschleunigtem Tempo über die Seitenstraßen zur Bahnstation zurückkehrten. Mamoru hatte keine Einwände, denn obwohl die Wunde nicht schmerzte und er die Nähe des Älteren genoss, trübte doch die Erkenntnis, dass sich Satoru eine Dienstleistung durch sexuelle Gefälligkeiten 'erkauft' hatte, seine Stimmung. Die Rückfahrt verlief nicht ganz so beengt und bot Mamoru die Möglichkeit, seinen lächelnden Begleiter unter anderen Menschen zu studieren. Satoru wirkte reserviert-höflich, selbstsicher, und doch schien es Mamoru nur ein dünner Panzer zu sein, der den Älteren schützte. Lag es vielleicht an der Umsicht, wie Satoru jeden 'verräterischen' Kontakt vermied? Oder waren es diese wachsamen Seitenblicke, wenn er sich unbeobachtet fühlte? Am Zielbahnhof drängte Satoru den Jüngeren, eilig auszusteigen und mit ihm zu den Toiletten zu gehen. Die Absicht war schnell erkannt: sie sollten sich beide wieder in ihre Schuluniformen werfen, damit es keine Fragen gab. Immerhin hatten sie sich selbst vom Unterricht 'befreit' und auch noch unerlaubt das Schulgelände verlassen! Ohne dass jemand etwas bemerkte, schlüpften sie in benachbarte Kabinen und kamen rasch der Verwandlung nach. Satoru begleitete Mamoru bis hoch zum Bahnsteig, vermied aber jeden Körperkontakt. Er musste sich vorbeugen, um seine vertraulichen Mitteilungen Mamoru ins Ohr zu flüstern. "Ich mag keine langen Abschiede, und in der Schule werden wir weiterhin Distanz halten, also sage ich jetzt schon mal schöne Sommerferien und bis zum Herbst!" Satorus Rechte klopfte auf Mamorus wüste Krausmähne, wie man einen getreuen Vierbeiner tätschelt, dann machte er kehrt, um sich zu entfernen, zum Wohnheim zu laufen. Mamoru sah ihm schweigend nach und verspürte eine bis dato ungekannte Wut darüber, immer pünktlich zu sein, niemals diesen Zug zu verpassen. Als hätte er sich selbst daran gekettet! »Aber die Welt wird ganz sicher nicht untergehen, wenn ich einen späteren Zug nehmen würde!« Verspottete er sich bitter. Nur im Augenblick gab es keinen Grund, länger hier zu verweilen. ~+~ Obwohl es aussichtslos war, hoffte Mamoru bis zum letzten Schultag vor den langen Sommerferien, dass Satoru die selbst verordnete Distanz doch durch eine Geste, ein Zwinkern, einen längeren Blickkontakt durchbrechen würde, aber der Ältere hielt sich treu an seine Ankündigung. Mamoru zog die Schultern zusammen und krümmte sich, bevor er sich selbst ermahnte, nicht mehr in die Schildkröten-Haltung zu verfallen. Trauer zu tragen stand jetzt ganz gewiss nicht an! Er hatte einen Entschluss gefasst und hoffte, dass die Sommerferien genug Gelegenheit bot, sich ein neues Leben einzurichten. ~+~ "Darf ich dir schreiben?" Seiji schreckte hoch, als Tomohiko die Worte an ihn richtete. Er war bereits imaginär beim Kofferpacken, sah mit dem geistigen Auge seine Habseligkeiten durch, damit er nichts zurückließ. "Oh..." Seiji überlegte fieberhaft, nickte dann knapp. Welchen Grund sollte er auch zur Ablehnung anführen? "Danke, Sei-chan." Tomohiko zwinkerte, verlagerte seinen Stand ein wenig. "Hrmpf!" Schmollte Seiji und zeigte Tomohiko die kalte Schulter, starrte aus dem Fenster, auch wenn der grelle Sonnenschein blendete. »Das letzte Mal!« Dachte er erleichtert. »Dann fahre ich eine Weile nicht mehr wie eine Sardine in der Dose mit dem Zug! Dann bin ich Zuhause, und alles ist gut!« Am letzten Schultag schien die Kulisse noch aufgedrehter, der Lärmpegel im Zug noch größer. Überall wurden Grüße ausgetauscht, lautstark an Absprachen erinnert, gekichert und gejammert. Seiji schaltete die Ohren auf Durchzug. Wenn er jetzt die Bahnstation verließ, würde er ohne Verkleidung herumlaufen können, keine Schuluniform, keine Perücke, kein Makeup! "Herrlich!" Seufzte er leise und schloss die Augen, lächelte verzückt. Er musste wohl eingedöst sein im Stehen, denn Tomohikos Aufforderung ließ ihn zusammenfahren. "Sei-chan, wir sind da. Aussteigen!" Eigentlich wollte Seiji Tomohiko gleich an der Bahnstation brüsk verabschieden, um keine Gedanken mehr an die komplizierte Situation zu verschwenden, aber er wies ihn auch nicht ab, als Tomohiko ihm wie gewohnt in den Waschraum folgte, geduldig wartete, bis Seiji sich abgeschminkt hatte und mit der Plastiktüte zu den Schließfächern zuckelte. Seiji räumte das Schließfach aus, denn er wollte es nicht für die Dauer der Sommerferien nutzen. "Also dann..." Setzte er zum Abschiedsgruß an, doch Tomohiko unternahm vor der Bahnstation keine Anstalten, sich zu verabsentieren. "Ich bringe dich noch zur Pension." Bestimmte er, rückte an Seiji heran, der notgedrungen den Weg zu den Fahrradständern einschlug. Schweigend ließ der sich zu seiner Unterkunft kutschieren, sprang vom Gepäckträger herab und sammelte Plastiktüte sowie Schultasche ein. "Ja, dann...schöne Ferien!" Schon wollte er eilig in der Pension verschwinden, doch im Eingang blockierte ein anderer Pensionsgast die Tür, schwatzte mit dem Rücken zur Straße gewandt mit der Pensionswirtin. "Seiji." Tomohiko klang vertraut ruhig, aber auch ernsthaft. "Was noch?!" Verärgert über seine Verlegenheit pirouettierte Seiji auf der Stelle, funkelte in die schwarzen Falkenaugen. "Du wirst mir fehlen." Tomohiko lächelte. Seiji schoss Farbe ins Gesicht, die Ohren glühten. "Sieh zu, dass du Land gewinnst!" Fauchte er Tomohiko schließlich an und drängte sich hochrot an den zwei Zaungästen vorbei, die in Gelächter ausbrachen. »Dieser BLÖDE IDIOT!!« ~+~ Bepackt wie ein Esel stapfte Seiji zum Bahnhof. Es war sehr früh, die Luft dampfte allerdings schon und versprach einen tropisch heißen Tag. Trotzdem trällerte sein Herz in Hochstimmung. Bald würde er Zuhause sein! "Guten Morgen." Seiji ließ vor Schreck eine Tasche fallen, fuhr auf den Absätzen herum. "Tomohiko?!" Krächzte er überrascht. "Ich helfe dir mit dem Gepäck." Unaufgefordert schnappte sich Tomohiko die abgestürzte Tasche, befestigte sie auf seinem Fahrrad. "Aber...he! Ich schaffe das alleine, hörst du?!" Vergeblich versuchte Seiji, seine Habseligkeiten vor der freundlichen Unterstützung zu bewahren. "Ich habe auch eine kleine Aufmerksamkeit von meinen Eltern für deine Familie dabei." Ungerührt schob Tomohiko sein zum Packesel umfunktioniertes Rad weiter. "Wie?! Warum das?!" Seiji stolperte hinter ihm her, wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ihre Eltern kannten sich doch gar nicht!! "Sie mögen dich eben." Tomohiko zwinkerte ihm über die Schulter zu. "Du verbringst ja viel Zeit mit mir. Da ist es doch ganz natürlich, eine kleine Aufmerksamkeit zu übergeben." "Ja..schon...aber..." Seiji ballte die Fäuste, fand endlich seine Haltung wieder. "Du machst das mit Absicht!! Ständig bist du nett zu mir, um mich rumzukriegen!!" Tomohiko blieb stehen, und Seiji wahrte misstrauisch Abstand, starrte auf den so vertrauten Rücken. Dann begann Tomohiko zu lachen, unverstellt und enorm belustigt. "Was ist so komisch?! Warum lachst du?!" Wie ein Giftzwerg sprang Seiji um ihn herum, zutiefst empört darüber, dass Tomohiko seine Vorwürfe einfach nicht ernst nahm. Der wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln, stützte dabei das vollgepackte Fahrrad an seiner Hüfte ab und schmunzelte. "Ehrlich, Seiji, die Zeit ohne dich wird mir sehr zu schaffen machen." "Depp!" Fauchte Seiji, wandte sich ab und marschierte stocksteif weiter zum Bahnhof. Dieser alberne Knilch machte sich über ihn lustig!! Tomohiko ließ es sich nicht nehmen, Seijis schwere Gepäckstücke selbst zum Bahnsteig zu tragen. Dann warteten sie auf den Frühzug. Seijis Empörung hatte sich durch die Anstrengung verflüchtigt. Wenn Tomohiko ein 'richtiger' Freund wäre, dann hätte er es sicher genossen, von ihm verabschiedet zu werden, so dachte er bei sich. Aber er konnte, nein!, er durfte ihm nicht vertrauen!! Tomohiko war gerissen, geduldig, stark und... »Und er stellt mich seinen Eltern vor!« Das Signal für die Zugeinfahrt erlöste ihn von gewaltigen Zweifeln. Endlich konnte er nach Hause aufbrechen. "Danke schön." Murmelte er, als Tomohiko das Gepäck in den Zug schob und von der Tür zurück auf den Bahnsteig trat. "Pass auf dich auf, Seiji." Tomohiko lächelte sanft. Die Türen schnurrten pneumatisch zu. Ehe es sich Seiji versah, erwiderte er Tomohikos lässiges Winken, so lange, bis sie einander nicht mehr sehen konnten. ~+~ Hiroki kletterte aus seinem Fenster über den kleinen Vorsprung in das offene Dachfenster von Kentarous Kämmerchen unter dem Dach, achtete darauf, nicht das Windspiel zu berühren. Im Sommer schliefen sie beide immer bei offenem Fenster. Oft genug lud er sich auch bei Kentarou ein, um in der Enge auf dem zweiten Futon an ihn heranrutschen zu können. Es war sehr früh, aber mit Beginn der Sommerferien, an diesem ersten Werktag der Woche, wusste er, dass Kentarou wie immer das Frühstück richten würde, eilig aufräumen, für den Großvater eine Mahlzeit kühlstellen, die der nur noch zu erhitzen brauchte und dann rasch aufbrechen würde, um mit Meister Hagiwara in dessen Büro zu gelangen. Er kniete sich neben Kentarou auf die alten Tatami, betrachtete den Freund stumm. Kentarou schlief immer zusammengerollt wie ein Tier, als müsse er sich selbst im Schlaf verteidigen, der Welt unsichtbare Stacheln bieten. »Zehn Tage.« Dachte Hiroki und schluckte schwer. So lange musste er Zeit herumbringen ohne Kentarou. »Verlorene Zeit.« Sie würden zwar erst gegen Mittag aufbrechen in der Hoffnung, die Straßen nicht verstopft zu finden, aber verabschieden musste er sich jetzt schon. Ihm war bewusst, dass der gestrige Ausflug in die Spielhalle nur Kentarous gutem Willen geschuldet war. Der hatte für die Spiele und Automaten herzlich wenig übrig, mochte auch die Gesellschaft nicht, die sich gern zwecks Karaoke hübsche Jungs dort angelte. Karaoke und Gruppenverabredungen waren Begriffe, die in Kentarous Wortschatz keine Bedeutung hatten. Wie immer war er Kentarou gefolgt, genau einen Schritt hinter ihm. Welche Spiele sie sich ansahen, Angebote studierten, das war ihm gleich, Hauptsache, Kentarou leistete ihm Gesellschaft, spottete und marschierte grimmig voran. Hiroki streckte eine Hand aus, streichelte behutsam Strähnen aus Kentarous Gesicht. Kentarou zog die Schultern hoch, die Nase kraus und knurrte heiser. Ein Reflex, doch Hiroki reagierte sofort, wich ans Fenster zurück und räusperte sich rumpelnd. "Hiro? Was machst du hier?" Die Katzenaugen wurden gerieben, während sich ihr Besitzer auf den Bauch rollte, die Knie anzog und elegant auf die Beine kam. "Ich wollte mich verabschieden, bevor du gehst." Erwiderte Hiroki melancholisch. "Oh." Kentarou kämmte Haare auf den Hinterkopf, wickelte einen Gummi vom Handgelenk um die Strähnen. "Klar. Ich gehe mich eben waschen, dann frühstücken wir zusammen." Der Futon wurde ausgeschüttelt und dem Querbalken anvertraut, schon sprang er die Leiter energisch herunter. Hiroki folgte seinem Freund langsam. In diesem Moment fragte er sich, ob es Kentarou überhaupt etwas ausmachte, ihn nicht zu sehen. ~+~ "Großvater, schluck die Pillen mit Tee." Kentarou dirigierte autoritär die Tasse näher an den alten Mann heran, schnalzte mit der Zunge, um die Zeitung vom Frühstückstisch zu entfernen. Hiroki folgte Kentarous betriebsamer Unrast mit den Augen. Er fand sich oft des Morgens hier, an dem niedrigen Kotatsu, wie ein überdimensioniertes Spielzeug deponiert, mit Frühstück versorgt, während Kentarou wie ein Taifun durch das alte Haus fegte, beinahe alles gleichzeitig zu erledigen trachtete. Über den Tisch zwinkerte ihm der Großvater zu. Wenn Kentarou nicht in der Horizontalen war und wie ein Stein schlief, dann konnte man ihn kaum bändigen. Es gab eben IMMER etwas zu erledigen. Stumm schlürfte Hiroki seinen Tee, drehte das Eieromelett in seiner Schüssel. Kentarou würde ohne ihn zurechtkommen. Wahrscheinlich würde er nicht mal bemerken, dass jemand fehlte, ausgenommen die geringere Zahl an zu spülenden Schüsseln. Der Gedanke schmerzte so sehr, dass er die Rechte hob und sich über die verkrampften Brustmuskeln streichen musste. "Was meinst du?" Kentarou, die Zahnbürste noch im Mundwinkel, stürmte herein, drehte eine Pirouette, um den Anzug zu präsentieren, ein graues Modell, zweireihig, in einem sommerlich leichten Stoff gehalten. Es KONNTE nur aus dem Kleiderschrank vom Großvater stammen! "Sehr nett." Der alte Mann nickte bedächtig, schielte zu seiner verbannten Zeitung hinüber. Wenn Kentarou sich auf den Weg machte, konnte er zum gemütlichen Teil übergehen. "Oje, ich muss mich beeilen!" Schon wieder verschwand Kentarou, seine flinken Füße tanzten Echi auf den alten Holzbohlen. "Ich werde dann auch gehen." Hiroki erhob sich vorsichtig, um nicht versehentlich etwas umzuwerfen oder hängen zu bleiben. "Ah!" Kentarous Großvater tätschelte Hirokis Bein. "Kommt gut an und erholt euch gut, nicht wahr? An die See zu fahren, das ist wirklich schön. Grüß bitte deine Eltern von mir!" "Natürlich!" Hiroki verneigte sich höflich. "Vielen Dank, dass Sie sich um mich kümmern." Der alte Mann lachte heiser, winkte beschwichtigend. Hiroki wartete vor dem Haus auf Kentarou, der letzte Anweisungen hinein brüllte und eilig hinausstürzte. "Dann, viel Erfolg." Würgte Hiroki hervor. "Von wegen!" Kentarou schnaubte, quetschte sein Mittagessen in den alten Rucksack. "Die werden mich in die Mangel nehmen und piesacken!" Er blickte auf, die Katzenaugen funkelten keck. "Aber DAS kann mich nicht aufhalten!" Gegen seinen Willen musste Hiroki lächeln. "Dann mach's gut und amüsiere dich am Wasser, in Ordnung? Ich weiß zwar nicht warum, aber traditionell wünsche ich dir auch Waidmanns Heil bei den Strandhasen! Und creme dich ordentlich ein!" Kentarou klopfte Hiroki auf den Oberarm, weil er nicht ohne Anstrengung dessen Schultern erreichen konnte, grinste und spurtete mit großen Schritten davon. Hiroki stand auf der Straße und blickte ihm nach. Selbstverständlich würde sich Kentarou nicht noch einmal nach ihm umsehen. Wenn er ihn fragen würde, ob er ihn nicht vermissen werde, dann würde der ihn bloß kritisch anstarren und zurückfragen, warum er das solle, wo Hiroki doch wieder zurückkomme? »Warum?« Der Hüne seufzte und rollte mit den breiten Schultern. »Warum verstehst du das nicht, Ken?« ~+~ "Hiroki, wo steckst du schon wieder?!" Hiroki warf sich eilig den Rucksack über die Schulter und flitzte mit großen Sprüngen den Weg hinunter, der vom Haus zur Hauptstraße führte. Schlimm genug, dass er ständig seinen Eltern aus dem Weg gehen musste, damit sie ihn nicht an den Strand befehlen konnten, nein, nun war auch noch seine ältere Schwester eingetroffen! Mit den Zwillingen, die sie offenkundig gern seiner Obhut übergeben hätte, doch Hiroki stand nicht der Sinn danach, zwei Dreijährige zu beaufsichtigen, deren Lieblingsspielplatz der Strand war. Da hastete er doch lieber in die Kleinstadt, außer Reichweite, um sich in ein Café zu flüchten. Hier konnte er bei einer Tasse Eiskaffee, die seiner Körpergröße ganz sicher nicht schaden würde, die nächste Postkarte schreiben. Hiroki wusste, dass die Miwas nur Post bekamen, wenn es sich um Werbung oder Rechnungen handelte. Bunte Postkarten, je farbiger und drolliger, desto besser, wären sicher eine Abwechslung! »Außerdem hilft es.« Er zog den Faserstift aus seinem Rucksack und dachte über seine Worte nach. Heimweh, dieses Wort galt es zu vermeiden, denn es bestand die Gefahr, dass es sich unbemerkt einschlich. Weniger die Sehnsucht nach der Heimatstadt oder dem eigenen Wohnhaus, nein, die quälende Einsamkeit und Trennung von Kentarou trieb ihn um. Er wollte nicht an den Strand gehen oder sich dort bloß in Bermudas sehen lassen. Natürlich war es warm, aber wie immer enthüllte er nicht mehr Haut als unbedingt notwendig. Hiroki tippte sich mit dem Stift unbewusst an die Unterlippe. »Wäre Kentarou hier, würde es mir nichts ausmachen.« Am Strand zu sein, beglotzt zu werden, abgewiesen, wie ein Ungeheuer abgelehnt. »Kentarou würde das nicht mal begreifen.« Ein Lächeln schlich sich auf Hirokis scharfe Züge. Ja, Kentarou hatte einen großen Blinden Fleck, was ihn betraf. Er schien nicht zu begreifen, dass sein bester Freund in den Augen anderer abstoßend und hässlich war, abnorm groß, ungeschlacht. »Leider merkt er auch sonst nichts.« Hiroki seufzte und nippte an seinem Eiskaffee. Er blickte auf die Straße, die Häuserfront der Gegenseite, hinter der sich das Meer befand. Mit Kentarou wäre es am Strand zweifelsohne schön gewesen. obwohl Kentarou Mühe hatte, sich mit dem Phänomen 'Freizeit' auseinanderzusetzen. Soweit Hiroki sich erinnern konnte, hatte Kentarou nie die Möglichkeit gehabt, die Stadt zu verlassen. Bei Klassenausflügen neigte er dazu, die gesteckten Ziele abzuklappern, von einem Ziel zum nächsten zu preschen und endlich erledigt auf die Matratze zu sinken. Heimlich verschwinden, sich amüsieren, herumhängen oder Mädchen anmachen?! Hiroki schmunzelte traurig. So etwas käme Kentarou nie in den Sinn. »Weil er es nicht begreifen kann.« Hiroki beschloss, es bei einigen kurzen Worten zum Wetter und der veränderten Situation vor Ort bewenden zu lassen. Widerwillig sammelte er seinen Rucksack ein und erhob sich. Mit ein bisschen Glück könnte er den Strand vermeiden, wenn er sich anbot, die zahlreichen Wollknäuel aufzuwickeln, die seine Schwester mitgebracht hatte. Immerhin stand ja der Winter bevor, und bis dahin wollte sie ihre selbst kreierten und hergestellten Kinderkleider an junge Mütter bringen. ~+~ Hiroki atmete erleichtert auf, als ihr Haus in Sicht kam. Die Atmosphäre im Auto war zum Zerschneiden dick mit sorgfältig beherrschten Gefühlen. Das lag nicht zufällig daran, dass er gerade zwei Tage am Strand verbracht hatte, in langen Hosen und Sweatshirts, eine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Ansonsten hatte er jede Gelegenheit genutzt, um sich rar zu machen, irgendwo alleine zu sitzen und an Kentarou zu denken. Wie es ihm ging. Was er gerade tat. Ob er ihn nicht doch ein klitzekleines Bisschen vermisste. Er erinnerte sich perfekt an die erste Begegnung mit Kentarou, obwohl es Jahre her war. Damals hatte er sich vor der drohenden Aussicht gefürchtet, in Kürze in den Kindergarten gehen zu müssen. Eine tolle Schürze, eine hübsche Kappe?! Ihn lockte das gar nicht, löste keinen Stolz aus. Er wollte lieber allein bleiben, zu Hause, sich mit seinen Spielsachen befassen. Da war der alte Mann vom Nachbarhaus vorbeigekommen. Weil ihn seine Mutter rief, hatte er sich zögerlich im Wohnzimmer gezeigt. Neben dem alten Mann saß auf ihrer großen, hellen Couch ein kleiner Junge in einer verwaschenen Yukata, die nackten Füße baumelten über dem Boden. Auf dem Rücken trug der kleine Junge mit dem wirren, rotbraunen Schopf einen altmodischen Beutel, während er auf dem Schoß artig ein Tellerchen mit Keksen balancierte und graziös an seinem Tee nippte. "Sag Herrn Miwa und seinem Enkel Kentarou guten Tag, Hiroki!" Ein Klaps auf den Hinterkopf ermahnte ihn zur Höflichkeit. Er hatte sich neben den kleinen Jungen auf die Couch gesetzt und darauf gewartet, dass die üblichen Gemeinheiten begannen, sobald sich die Erwachsenen um ihre langweiligen Gesprächsthemen kümmerten. Er zog die Schultern hoch, als sich Kentarou neben ihm drehte und ihn neugierig musterte. Jedoch die erste Frage, "bist du eine Mumie?", traf ihn vollkommen unerwartet. Er starrte in die funkelnden Katzenaugen, zuckte ratlos mit den Schultern. Unbehelligt von seinem Zögern hatte Kentarou flugs den Rucksack abgeschnallt und aus dem überquellenden Inhalt Ausschnitte aus einer Zeitschrift aufgeblättert. Ermutigt durch die erfrischende Neugierde hatte Hiroki einen Blick auf seine Mutter riskiert und rasch die Bandagen seines Arms abgewickelt, um Kentarou zu zeigen, was sich darunter befand. Er konnte sich zwar nicht als Mumie qualifizieren, aber dafür erinnerte er den kleinen Jungen an eine Anzeige für Plastik-Heldenfiguren in Tarnfleck-Uniformen. Natürlich war die Eskapade mit einem weiteren Klaps, dieses Mal auf seinen Hintern, geahndet worden, doch Hiroki interessierte das nicht mehr, weil der fremde, kleine Nachbarjunge ihm feierlich ein Bonbon überreicht und ernsthaft festgestellt hatte, dass sie jetzt beste Freunde seien. Hiroki lächelte, vergaß den Ärger seiner Eltern über ihn. Sofort, wenn er das Ausladen des Gepäcks erledigt hatte, würde er nach Kentarou Ausschau halten. ~+~ "Ja, dann bis Morgen!" Kentarou winkte, den alten Rucksack auf den Rücken geborgen. Jetzt noch rasch einkaufen, dann nichts wie nach Hause! "He, Ken." Hörte er eine vertraut sonore Stimme hinter sich, bevor die Sonne von einem großen Schatten geblockt wurde. "Hiro?!" Verblüfft drehte Kentarou sich um. "Du bist schon zurück?" Der Hüne schmunzelte. So viel zum Thema 'vermisst werden'. "Heute angekommen." Antwortete er laut, studierte für einen Moment seinen Freund. Kein Anzug, sondern ein altes T-Shirt und knielange Hosen, dazu altmodische gebundene Strohsandalen. Die Haare waren mit einer offenkundig ausrangierten Krawatte aus dem Gesicht gebunden. "Du musst keinen Anzug tragen?" Wagte Hiroki schließlich einen Kommentar zum gewagten Auftritt. "Neee!" Kentarou winkte ab, marschierte voran. "Solange keine Kundentermine anstehen, darf ich leger erscheinen. So lässt sich auch besser arbeiten als in einem Pinguin-Kostüm!" Hiroki ersparte sich eine Antwort, sondern nahm die Verfolgung auf. "Ich muss noch einkaufen." Setzte Kentarou ihn ins Bild. "Du kannst bei uns essen, wenn du Lust hast." "Danke, gern." Hiroki wollte die nächste Konfrontation mit seinen Eltern verschieben. "Bist gar nicht so braun geworden?" Ein kritischer Blick über die Schulter nahm ihn ins Visier. Auch dieses Mal schien Schweigen die bessere Option zu sein, aber wie gewohnt musste er auch nicht zu Kentarous Unterhaltung beitragen, weil sie nun durch zwei Lebensmittelgeschäfte und einen Supermarkt fegten. Er blieb für die Verkäuferinnen unsichtbar, während sie Kentarou umschwärmten. Erfolglos. "Muss am Wetter liegen!" Brummte der gerade grimmig. "Diese Tussis werden immer verrückter! Ich meine, was interessiert es mich, ob sie sich die Achseln bemalen lassen?! Ist mir doch völlig wurscht!" Kopfschüttelnd preschte Kentarou vorneweg, Hiroki folgte mit einem Schritt Abstand, durfte aber eine Tüte tragen. "Ich habe mit deinem Großvater Tee getrunken und Mitbringsel überreicht." Wagte er einen ungefährlichen Gesprächsbeitrag. "Oh, wirklich?" Nun hielt Kentarou inne, marschierte neben ihm. "Danke, Hiro!" "Er hat alle Postkarten in ein Album geklebt." Knüpfte Hiroki den Gesprächsfaden an. "Stimmt, danke auch für die Postkarten!" Kentarou zwinkerte ihm zu, bevor er streng ergänzte. "Aber wirklich, du hättest nicht deine Zeit damit vertrödeln sollen!" Hiroki lächelte bloß. Er war froh, endlich wieder bei Kentarou zu sein. ~+~ Hiroki gelang es, sich einen Aushilfsjob für die Ferienzeit zu besorgen. Regale einräumen erforderte zwar keine geistigen Höchstleistungen, aber er hatte tagsüber etwas zu tun und konnte seinen Eltern beweisen, dass er nicht ein komplett vereinsamter Eigenbrödler war. Außerdem langweilte er sich nicht bis zum Abend, wenn Kentarou von seinem Job zurückkehrte! Der Hüne wechselte gerade die Kleider, Jogginghose und T-Shirt, die Haare noch feucht von der Dusche, als er Geschrei hörte. In ihrer ruhigen Wohnstraße kam das eher selten vor, nicht mal Betrunkene lärmten hier. Er stürzte zum Fenster, hörte deutlich Kentarous zornige Stimme. »Oh, oh!« Eilig galoppierte Hiroki die Treppe hinunter, überhörte die Mahnung seiner Mutter, nicht so zu trampeln. In ausgetretene Turnschuhe geschlüpft sprang er in großen Sprüngen aus dem Haus zum Nachbargrundstück. Kentarou, die Fäuste geballt, brüllte zornrot einen Mann an, der ihn um mindestens einen Kopf überragte und wie ein Kleiderschrank gebaut war. Ein doppeltüriger Kleiderschrank. »Matsushita!« Hiroki legte einen Zahn zu, konnte Kentarou gerade noch um den Brustkorb fassen, bevor der auf den Bezirksabgeordneten in dem maßgeschneiderten Anzug losgehen konnte. Der grinste bloß ölig, machte kehrt und spazierte einige Schritte, wo sich weitere Riesen aus nonchalanten Haltungen lösten und ihn entourierten. "Verschwinden Sie bloß und lassen Sie sich nicht mehr blicken!" Kentarous Stimme überschlug sich vor Hass. Hiroki hatte wirklich Mühe, seinen gerade mal 1,70m großen Freund zu bändigen. "Dieser miese, eingebildete, verlogene, schleimige Gangster!" Kentarou schrie sich die Wut aus dem Bauch. Er rang stoßweise nach Luft, angespannt wie ein Flitzebogen, beinahe berstend vor Energie. Hiroki hegte keinen Zweifel, dass es ohne sein Eingreifen wirklich zu einer Prügelei gekommen wäre. "Lass uns nach deinem Großvater sehen!" Drängte er Kentarou rau. "Ken, gehen wir rein, in Ordnung?" "Dieser Drecksack!" Kentarou machte sich frei und stapfte barfuß zum Haus zurück. "Den sollte man teeren und federn!" Im Haus, wo es angenehm kühl war, verwandelte sich Hirokis aufgebrachter Freund sofort. Da wurden die Füße eilig mit einem feuchten Lappen abgewienert, um den Schmutz nicht ins Innere zu tragen, bevor er zu seinem Großvater lief und ihn besorgt befragte, ob es dem auch gut ginge. Ein Tee musste unbedingt getrunken werden, am Handgelenk die Pulsfrequenz kontrolliert. "Du kannst nicht so mit einem Gast sprechen, Enkel!" Tadelte Kentarous Großvater streng. Kentarou presste die Lippen aufeinander, ließ sich aber kein Widerwort, keine Verteidigung entlocken. So konnte er die Situation für alle entschärfen, ohne dass sie eskalierte. "Ich helfe dir beim Abendessen." Mischte sich Hiroki rasch ein. Wenn sie auf der Veranda das Gemüse putzten, könnte Kentarou sich aussprechen und nicht wie ein Dampfkessel unter Druck vor sich hin brüten! "Hrmpf!" Gab sein Freund nach, sammelte das Gemüse ein und überließ es Hiroki, ihm mit Schüsseln und Werkzeug zu folgen. Eine Weile arbeiteten sie ruhig vor sich hin, schälten, schabten, schnitten, würfelten. "Er will das Grundstück!" Zischte Kentarou plötzlich, der Auftakt seiner Rechtfertigung. "Der Mistkerl will das Haus abreißen, hier einen Wohnblock draufquetschen mit Appartements wie Legebatterien, um den großen Reibach zu machen!" "Aber dein Großvater wird sicher nicht verkaufen." Versuchte Hiroki, die Wogen zu glätten. "HA!" Kentarou fauchte aggressiv, die Katzenaugen funkelten vor Zornestränen. "Der taucht hier so lange auf und quatscht Opa voll, bis der nachgibt! Erzählt ihm irgendwas von Altersversorgung und dass ich ja ohnehin in Kürze nach der Schule weggehe und allen möglichen Blödsinn!" Wütend schnippelte Kentarou weiter, brütend und längst nicht mit dem Thema fertig. "Du hast den feigen Schmierlappen doch gesehen! Dem macht es nichts aus, wenn er hier alles in Brand stecken lassen würde. Wie oft habe ich die Bastarde hier herumschleichen sehen! Die warten doch bloß auf eine Gelegenheit!" Ein harter Blick traf Hiroki, der in seiner Arbeit erschrocken inne hielt. "Wer garantiert mir, dass sie warten, bis Opa auch aus dem Haus ist, wenn ich nicht da bin?!" Kentarou wandte abrupt den Kopf ab, die Knöchel weiß vor Anspannung. "Aber ich habe bald das Geld zusammen für die Videoanlage. Überall stehen Wasser und Feuerlöscher. Ich habe Stolperdrähte und kleine Glocken überall. Sie nehmen uns das Haus nicht weg! NIEMALS!" Hiroki hätte gern die Hand ausgestreckt und über Kentarous Schopf gestrichen,aber er bezweifelte, dass sein Mitgefühl positiv aufgenommen worden wäre. "Ich helfe dir." Versprach er stattdessen. »Und passe auf, dass du keine Dummheiten machst.« ~+~ Trotz gewisser Befürchtungen verlief der Rest der Sommerferien für Hiroki und Kentarou ruhig. Um seinem Freund zur Seite zu stehen, half Hiroki wie versprochen dabei, die handgemachten Alarmanlagen zu justieren. Der Kauf der Videoanlage würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass mit dem Provisorium zu leben war. Kentarou spannte Hiroki ein, ihm wie immer bei den Restaurationsarbeiten am Haus zu helfen, dann musste der sich auch noch nützlich machen, um beim Tempel zu assistieren. Hiroki focht das nicht an, solange er seine Zeit mit Kentarou verbringen konnte. Nun lagen sie auf der Veranda, die Hände wund von den Reinigungsarbeiten am Holz. "Morgen geht die Schule wieder los." Stellte Hiroki versonnen fest. "Hmm." Kentarou balancierte einen Grashalm von einem Mundwinkel zum nächsten. "Sag mal, wieso ist deine Mutter so verärgert über dich?" Verabschiedete er endlich sein Spielzeug. Hiroki setzte sich auf, zog die Beine an. Es überraschte ihn, dass Kentarou die Missstimmung bemerkt hatte, obwohl der doch selten zu ihnen kam. "Nichts Besonders." Versuchte der Hüne abzulenken, aber Kentarou ließ ihn nicht so schnell vom Haken. "Das hat nichts mit dem Strand zu tun, oder wie?" Kentarou zeigte sein Fuchsgesicht, studierte Hiroki eingehend. "Ich mache mir nichts aus Sand und Sonne." Gab der Hüne zu, wischte sich durch die schwarzen, kurzen Haare. "Schisshase!" Kommentierte Kentarou gnadenlos. "Du hast dich wieder nicht getraut." "Mich interessiert das nicht, wenn du nicht dabei bist!" Hiroki hörte selbst, wie rau seine dunkle Stimme klang, ein sonores Donnergrollen. "Blabla!" Kentarou klopfte mit den Fersen auf die Verandabretter. "Du kannst ohne mich jede Menge Spaß haben! Deine Mutter wird glauben, dass du an meinen Rockschößen hängst!" Elastisch zog Kentarou die Knie an, rollte sich schwungvoll hoch und landete in einem bequemen Schneidersitz. "Nicht, dass ich Rockschöße habe!" Korrigierte er grinsend, um Hiroki in die Seite zu stippen. "Du bist ein großer Junge, also sei nicht so empfindlich, klar?!" Hiroki wandte den Kopf, sah in die Katzenaugen, aber er wusste, dass er kein Wort hervorbringen würde. Kentarou begriff ja noch nicht einmal, wie attraktiv er war. Wie sollte er ihm dann verständlich machen, wie es sich anfühlte, ein Leben lang als 'Frankensteins Monster' abqualifiziert zu werden? »Oder dass ich den einzigen Menschen liebe, der nicht bei meinem Anblick seinen Ekel überwinden muss?« "He!" Kentarou sprang auf die Beine. "Ich hole uns noch etwas Tee!" Abgelenkt flitzte er ins Haus. Hiroki gestattete sich in der Einsamkeit des kleinen Gartens einen Seufzer. Wenn er sich nicht etwas einfallen ließ, würde es bald zu spät sein. ~+~ Kapitel 8 - Neustart nach den Sommerferien Seiji verfolgte durch das Zugfenster, wie die Sonne sich langsam verabschiedete. Er hatte den letztmöglichen Zug ausgewählt, um zurückzufahren, sich eingebunkert in zahlreiche Gepäckstücke. Das verhinderte auch, dass man sich ihm näherte, obwohl er mit der hübschen Yukata mit herbstlichen Blattmustern sehr apart wirkte. Die lackschwarzen Haare waren mit einem Zopfgummi im Nacken zusammengefasst, die Füße vertrauten sich gepflegten Strohsandalen an. Nur die Sonnenbrille passte nicht zum Ensemble, aber sie verhinderte auch allzu neugierige Blicke. Seiji warf einen Blick auf das Gepäck und seufzte. Unmöglich, diese Mengen komplett bis zur Pension zu transportieren! Wenigstens einen Teil würde er im Bahnhof in Schließfächer verstauen müssen. Er ging die einzelnen Stücke durch, entschied, dass ganz sicher die Tasche mit der Winterkleidung nicht beim ersten Gang dabei sein musste. Winterkleidung im Spätsommer erschien merkwürdig, doch seine Mutter hatte ihn sanft darauf hingewiesen, dass er lange nicht mehr nach Hause kommen würde. Erst die wenigen Feiertage zu den Neujahrsfestlichkeiten boten die nächste Möglichkeit, bei seiner Familie zu sein. Er ballte die Fäuste, blinzelte hinter dem Schutz der undurchdringlichen Sonnenbrille. Beim Abschied waren ihm wirklich die Tränen gekommen, schlimmer noch als im Frühjahr zu Beginn des Schuljahrs. Es war wie die Vertreibung aus dem Paradies. Weg von der freundlichen Geduld seiner Eltern und von der nachsichtigen Liebe seiner Großeltern, die ihn nur zu gern verwöhnten. Morgen Früh schon würde sein Alltag wieder eine Qual werden. Um sich abzulenken, zählte Seiji die Papptüten durch, damit er keine vergaß. Sie enthielten die Geschenke seiner Familie an die Nagakis. Für den Vater eine geschickt restaurierte Sammlung alter Shogi-Steine, Tomohikos Mutter würde sich bestimmt über den hübschen Sommerkimono mit eingefärbtem Muster freuen. Dann waren da auch noch selbstgebackenes Teegebäck, eingelegtes Gemüse der Region und getrocknete Kräuter, die ein sommerliches Bukett verströmten. Für Tomohiko hatte er selbst das Mitbringsel angefertigt. Was blieb ihm auch anderes übrig, da jeden Tag ein Brief eintraf?! Mal lagen Fotos bei vom Fest am Tempel, mal lustige Postkarten, Aufkleber, dies und das, um Tomohikos Alltag zu illustrieren. Der hatte seine Freizeit mit ehrenamtlicher Arbeit bestritten, Senioren betreut, bei Renovierungsarbeiten geholfen, war schwimmen gegangen oder hatte mit seinen Eltern kleine Ausflüge unternommen. Ratlos, wie er Tomohiko eine unverfängliche Freude machen konnte, hatte Seiji schließlich die Empfehlung seiner Mutter aufgegriffen und ein Foto in Kunstharz gegossen, verziert mit Muscheln, Sand, Gräsern, Blumen und allerlei anderen Dingen. Das Ergebnis war ein prächtiger Briefbeschwerer. Das Foto im Zentrum, zeigte sie beide beim Tempelfest lachend, da hatte Tomohikos Mutter gerade ihren Triumphtanz aufgeführt. Seufzend blickte Seiji auf die schnell anwachsende Zahl von Lichtern vor dem Fenster. Er war sich nicht schlüssig, wie er weitermachen sollte. Führte wirklich kein Weg daran vorbei, sich die struppige Perücke überzustülpen, mit gigantischer Brille und Makeup jede Ähnlichkeit zu tilgen? Wieder hochgeschlossen herum zu schlurfen auf schrägen Absätzen? »Wahrscheinlich hat mich die Idylle Zuhause unvorsichtig gemacht.« Seiji kniff sich mahnend in einen Oberschenkel. Konnte er riskieren, ohne Inkognito in die Oberschule zu gehen? Von wehmütigen und trüben Gedanken eingehüllt stapelte er sein Gepäck und positionierte sich an der Tür. Er musste sich beeilen, um alles vollständig auf den Bahnsteig zu schaffen, bevor der Zug zur nächsten Station abfuhr. "Na toll!" Brummte Seiji, ignorierte das indignierte Brummen und Schimpfen von anderen Passagieren, die um seinen Gepäckberg herumgehen mussten. "Willkommen zurück." Seijis Kopf schnellte hoch. Tomohiko lächelte, deutete eine Verbeugung an. "Mein Transportservice steht zu deiner Verfügung. Darf ich dir mit dem Gepäck behilflich sein?" "Ah...ja...danke." Seiji spürte förmlich, wie die Röte von seinem Hals eilig bis hoch zu seinen Ohren stieg, seine Wangen glühen ließ. Verlegen senkte er rasch den Blick, beschäftigte sich mit der Verteilung der Lasten. Gemeinsam gelang es ihnen, alle Gepäckstücke zu Tomohikos Fahrrad zu schaffen. Erneut musste es als Lastesel herhalten, wobei an Radeln nicht zu denken war. Also marschierten sie, Tomohiko rechts, Seiji links, neben dem schwerbeladenen Fahrrad her, während die Nacht hereinbrach. "Woher hast du gewusst, wann ich komme?" Brach Seiji endlich das Schweigen, riskierte einen Seitenblick auf Tomohiko. War der noch dunkler geworden, die Haut stärker sonnengebräunt? "Oh, ich dachte mir, dass du so spät wie möglich von Zuhause aufbrechen würdest, also musste ich lediglich bei deiner Wirtin meine Vermutung bestätigen lassen." Tomohiko schmunzelte. "Und, geht es deiner Familie gut?" "Ja..." Seiji nahm die Sonnenbrille ab und hängte sie über die sich kreuzenden Stoffbahnen vor seinem Brustkorb. "Übrigens so gut wie gestern auch. Und den Tag davor!" Er richtete anklagend einen Finger auf Tomohiko. "Du hast mir jeden Tag einen Brief geschickt! JEDEN TAG!! Deinetwegen musste ich ständig Briefe schreiben!" "Du hast mir sehr gefehlt. Es war einsam ohne dich, also konnte ich gar nicht anders." Tomohiko zwinkerte, aber seine Worte klangen aufrichtig, ohne trügerisches Pathos. "Sag nicht so was!" Schnaubte Seiji verlegen. "Das war pure Absicht!! Du wolltest bloß meine Familie beeindrucken!!" "HABE ich sie denn beeindruckt?" Tomohiko lächelte, suchte mit den schwarzen Falkenaugen Seijis Blick, der sich hastig abwandte. "Hrmpf!" Verweigerte er jeden Kommentar, ballte die Fäuste. Er hatte seiner Familie ja schlechterdings unmöglich erklären können, dass Tomohiko ein hundsgemein gerissener Kerl war, der sich freundlich und aufmerksam verhielt, weil der ihn erobern wollte! "Und wie geht es DIR, Seiji?" Tomohiko lenkte das Fahrrad trotz der großen Last ohne Mühe. "Ich will heim!" Quengelte Seji kindlich, seufzte dann laut und ließ die Schultern sacken. "Ich wäre am Liebsten gar nicht abgefahren. Hier zu leben ist ein ständiger Kampf." Er spürte Tomohikos inquisitorischen Blick auf seinem Profil, widerstand aber dem Zwang, sich abzuwenden. Selbstverständlich war es sehr unhöflich, vor Tomohiko, der sich alle Mühe gab, ihm den Alltag zu erleichtern, so etwas auszusprechen, doch der Trotz, der möglicherweise aus der Erschöpfung und dem Wehmut geboren wurde, stachelte Seiji an. "Immerzu muss ich mich verstellen und verkleiden. Tue ich das nicht, muss ich mich vor Avancen in Acht nehmen. Du sagst zwar, dass du mein Geheimnis kennst, aber du hast keine Vorstellung, wie das ist, wenn man zum Freiwild wird, zu einem Objekt, dessen Meinung oder Gefühle völlig unerheblich sind!" Seiji holte tief Luft, hatte sich in Rage geredet und erschrak nun über seinen Freimut. Tomohiko blieb mit dem Fahrrad stehen, hielt Seijis flammendem Blick stand. "Aber ich sehe dich nicht so." Stellte er leise richtig. "Für mich bist du kein Objekt." "Nein." Knurrte Seiji, kreiselte mit den Schultern, um die Verspannung zu lösen. "DU bist noch schlimmer! Du bringst die ganze Statistik durcheinander!" Er fing Tomohikos verwirrten Blick auf und preschte verbal ohne Rücksicht auf Verluste vor. "DU bist die einzige Ausnahme! Bei dir weiß ich nicht, woran ich bin! Immerhin könntest du mich ja nur in Sicherheit wiegen wollen!" Nun hatte Tomohiko seine Fassung wieder gewonnen, lächelte zähnebleckend. "Ich möchte auch, dass du dich bei mir sicher fühlst." "Sieh an!" Unfein deutete Seiji auf Tomohikos Nasenspitze. "Da kommt es raus! Aber was bezweckst du?! Wie lauten deine finsteren Absichten?! Na?! NA?!" Den Kopf leicht geneigt, das amüsierte Zucken in den Mundwinkeln studierte Tomohiko den aufgeregten Seiji eine Weile, dann antwortete er gelassen. "Ich will dich für mich gewinnen." "Ach, und dann?!" Fauchte Seji, verlegen und eingeschüchtert zugleich. "Wie soll es denn dann weitergehen, bitte schön?! Hmm??!!" Tomohiko schob sein Fahrrad wieder an. "Nun, ich werde nach dem Abschluss versuchen, einen Studienplatz in deiner Heimat zu bekommen. Oder wenn das nicht möglich ist, eine Anstellung. Ich bewerbe mich für ein Wohnheim, denn meine Ersparnisse reichen nicht für die Mietkaution, fürchte ich. Tja, dann werde ich mich bemühen, dich jeden Tag in der Werkstatt deiner Familie zu besuchen. Wenn ich genug Geld zurückgelegt habe, suche ich eine Wohnung und bitte dich, mit mir zusammenzuziehen. Wir besuchen gemeinsam Museen und andere Kunstschaffende. Wir reisen zusammen. Wir verbringen jeden Tag miteinander. Und jeden Tag werde ich dir erneut versprechen, dich zu lieben und zu achten." Tomohiko hielt an, denn er wusste, dass Seiji schon ein ganzes Stück hinter ihm stehen geblieben war, aber nicht weit genug, um eine einzige Silbe der Rede zu verlieren. "...das ist komplett verrückt." Würgte Seiji endlich heraus, schluckte schwer. Tomohiko klang so ÜBERZEUGT! So SICHER! »Als wäre es ernst gemeint. Als gebe es nicht den geringsten Zweifel!« "Warum findest du das verrückt?" Tomohiko wandte sich zu ihm um. "Weil-weil..." Seiji suchte nach Worten, die Fäuste geballt, aufgeregt und durcheinander. "Wieso fragst du MICH nicht, was ICH will?! Du redest bloß von dir, als wäre alles schon abgemacht!! Was ICH will, steht überhaupt nicht zur Debatte!! Verdammt, du bist SO eingebildet, SO großkotzig...!" Er stürmte an Tomohiko vorbei. "Dass du Bescheid weißt, ich will NICHT mit dir zusammen sein! Mir ist egal, ob du in der Schule allen erzählst, wer ich wirklich bin!! Du bist genauso wie alle anderen auch!! Ich habe die Nase voll von diesem Ort und der Schule und DIR!!" Seiji raffte die Yukata leicht und flitzte los. Sollte der blöde Tomohiko doch sehen, wo er blieb! Konnte dahin gehen, wo der Pfeffer wuchs! Samt seiner Arroganz und dämlichen Angeberei!! Tomohiko unternahm jedoch keinen Versuch, Seiji hinterherzulaufen. Mit dem gesamten Gepäck wäre er ohnehin gehindert gewesen, das notwendige Tempo zu erreichen. Außerdem erschien es ihm ratsam, dass Seiji sich zunächst mal beruhigte. Das Heimweh und der Trennungsschmerz waren stärker, als er vermutet hatte. »Vielleicht hätte ich auch nicht allzu freimütig mit der Wahrheit herausrücken sollen.« Tomohiko seufzte stumm. Seine Angewohnheit, keine Zeit auf Zögern, Bedenken oder Reue zu verschwenden, irritierte seine Umgebung des Öfteren, aber er hatte einmal zu oft erfahren, wie kurz und unvorhersehbar das Leben sich zeigte. Seiji BRAUCHTE einen sehr geduldigen Menschen, daran hielt er fest. Den Mut jedoch, sich ihm anzuvertrauen, den konnte er lediglich herbeiwünschen, nicht forcieren. Seiji erreichte unterdessen die Pension, atemlos und von sich selbst irritiert. Warum hatte er die Beherrschung vor Tomohiko verloren? Und das auch noch mitten auf der Straße! Wieso konnte er nicht einmal mit einer cleveren Replik kontern, fühlte sich stets in die Ecke gedrängt?! »Und dann deine dumme Prahlerei!« Tadelte er sich selbst. »Was, wenn Tomohiko dich wirklich verrät?! Wie willst du dann klarkommen?!« "Ah, Seiji-kun! Willkommen zurück!" Ertappt zuckte Seiji zusammen. Im Licht der Eingangstür strahlte ihm seine Pensionswirtin entgegen. Hastig verneigte er sich, stotterte unbeholfen. "Vielen Dank, ich freue mich, wieder hier zu sein, ich habe etwas von meinen Eltern für Sie im Gepäck." »Dem Gepäck, mit dem du Tomohiko stehen gelassen hast!« Soufflierte sein Kritikzentrum unerbittlich. "Guten Abend." Tomohikos ruhige Stimme jagte einen Schauer über Seijis Rücken. "Welche der Tüten ist es, Sei-chan?" Ohne Tomohiko anzusehen fischte Seiji eilends die entsprechende Tüte heraus, überreichte sie seiner Wirtin mit weiteren Floskeln, die er stockend über die Lippen brachte. Es schien veritabel unmöglich, Tomohiko zu entkommen. Der gab sich unbeeindruckt durch Seijis Ausbruch, packte wie selbstverständlich mit an, um alle Einzelteile des Gepäcks in Seijis Zimmer zu transportieren. Nun musste Seiji Farbe bekennen. Niedergeschlagen und nervös drückte er die Geschenke an Tomohikos Familie in dessen Hände, verneigte sich und richtete murmelnd die Grüße und Danksagungen seiner Familie aus. Tomohiko erwiderte die Verneigung und bedankte sich formvollendet auch im Namen seiner Eltern, ließ eine Einladung zum Essen am nächsten Sonntag folgen. In Anwesenheit seiner Pensionswirtin konnte Seiji nicht anders als zusagen. Dann verabschiedete sich Tomohiko höflich, wünschte eine gute Nachtruhe. Seiji schlich müde in sein altes-neues Quartier. Er hatte den starken Eindruck, dass er Tomohiko nicht gewachsen war und das machte ihm Angst. ~+~ Der Wecker lärmte zu früh, Seiji konnte keinen rechten Appetit entwickeln und er kämpfte sich nur unwillig in die Schuluniform. Sein Vater hatte die schrägen Absätze bemerkt und die Schulslipper neu besohlt. Die Schultasche war gesäubert und geflickt worden, wo sich erste Abnutzungserscheinungen zeigten. Seiji warf einen Blick in den Spiegel und würgte mit trockenem Mund. Der Jugendliche, der ihm entgegenblickte, sah trotz der dunklen Ringe um die Augen und der sehr blassen Haut ordentlich und gesittet aus. Wenig munter und freudig erregt stapfte Seiji zur Bahnstation. Er schwitzte, hätte sich am Liebsten von der Uniformjacke verabschiedet, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Mit der Plastiktüte und seiner Schultasche betrat er den Waschraum, fand wie zuvor die Geschäftsleute und Angestellten aufgereiht, ein Bienenstock voller Drohnen, die sich für den täglichen Arbeitskampf rüsteten. Seiji starrte in seine Plastiktüte, betrachtete die filzige Perücke. Er verspürte nicht den geringsten Wunsch, sie aufzusetzen. Hatte keine Lust, die bunten Farben auf seine Haut zu stäuben, bis er wie ein Aussätziger wirkte. "Gib sie mir, Seiji." Tomohiko materialisierte sich vor ihm aus dem Nichts. Er streckte einladend die Hand nach der Plastiktüte aus. Ohne seinen bewussten Willen schwenkte Seijis Arm aus, überreichte die Tüte. "Lass uns gehen." Tomohiko flüsterte die Worte, doch trotz des gewaltigen Geräuschpegels vernahm Seiji sie klar und deutlich. Stumm schlich er hinter Tomohiko zu den Schließfächern her, verfolgte, wie seine Plastiktüte ordentlich verplombt wurde. "Ich habe dein Geschenk gestern noch ausgepackt." Tomohiko ging voran, steuerte den Bahnsteig an. "Es ist wunderschön. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf der Welt etwas Vergleichbares besitzt." Seiji zuckte mit den Schultern. "Ich muss noch viel lernen." Entgegnete er beklommen. Um sie herum drängten sich Reisende, Bekannte begrüßten sich. Dann hörte er helles Kichern. »Oh nein!« Flehte Seiji stumm, schloss für einen Augenblick die Lider. Er fühlte sich unbehaglich und alles andere als munter. Außerdem pochte die Angst in seinem Magen lautstark, weil er kaum etwas gegessen hatte und es trotzdem wagen wollte, als er selbst in die Schule zu fahren. "Stell dich vor mich." Raunte Tomohiko in seinen Nacken. "Ich passe auf, dass dir niemand zu nahe kommt." Seiji blickte auf. Er konnte schließlich nicht ewig auf seine Schuhe starren. Tomohiko lächelte ihn an. Als hätte es keine Auseinandersetzung gegeben, als wäre sie vergeben und vergessen. "Ich mag nicht angefasst werden." Krächzte Seiji resigniert. Tomohiko wusste das selbstverständlich schon, dennoch schien es ihm wichtig, das Problem auszusprechen. "Ich verstehe." Antwortete Tomohiko ernst. »Ja.« Dachte Seiji erschöpft, rückte wie empfohlen in der Schlange vor Tomohiko. »Ich fürchte, du verstehst es wirklich.« ~+~ Mit jedem Schritt von der Bahnstation zur Schule stieg Seijis Nervosität. Kalter Schweiß stand ihm trotz der Hitze auf der Haut, immer wieder wischte er sich fahrig über das Gesicht. Sein Magen verkrampfte sich vor Sorge. Da er auf seine Camouflage verzichtet hatte, waren sie recht früh dran, doch das bedeutete nicht, dass die Schule noch menschenleer war. Tomohiko marschierte vor ihm her, gab den Prellbock und Sichtschutz. Das nützte allerdings nicht viel, sobald sie das Schultor durchquert hatten. Sofort stand Seiji im Mittelpunkt des Interesses. Niemand schien in ihm den bebrillten Trottel wiederzuerkennen. Alle glaubten, er sei ein neuer Schüler und überboten sich damit, ihn am ersten Schultag an die Hand zu nehmen. "He, was ist los mit euch Pfeifen?!" Ungewohnt laut schritt Tomohiko präventiv ein, bevor es zu körperlichen Annäherungen kam, baute sich vor Seiji auf. "Seid ihr blind, oder was? Das ist Nishikawa!" Das wollte keiner glauben, nicht mal, nachdem Seiji hastig seinen Schülerausweis schwenkte. "Aber er ist so süß!" "Seine Haare sind ganz anders!" "Was ist mit seiner Haut passiert?!" "Kann gar nicht sein, Nishikawa war viel kleiner!" "Du willst ihn bloß für dich haben, wie ein alter Schwerenöter!" "Nennst du mich etwa einen alten geilen Bock?!" Zum ersten Mal erlebte Seiji, wie Tomohiko giftig und bedrohlich auftreten konnte. "Was ist mit euch Deppen los?! Seid ihr jetzt alle schwul, oder was?!" Das sorgte für erstaunlich große Distanz, denn DIESEM Vorwurf wollte sich keiner so leicht aussetzen, auch wenn Seiji wirklich zum Anbeißen aussah! Tomohiko zwinkerte Seiji verschwörerisch zu, der es wagte, erleichtert auszuatmen. »Gut, wie verlässlich alte Vorurteile funktionieren!« Dachte Seiji säuerlich. Noch besser, dass niemand die mangelnde Logik bemerkte, denn wie gewohnt begleitete Tomohiko ihn wie ein Leibwächter, ließ nicht zu, dass andere sich mit plumpen Scherzen vertraulich an ihn heranmachen konnten. Obwohl es keine Zwischenfälle gab, sah man von der Qual ab, dass sich Seiji jedem Lehrer erneut vorstellen musste, fühlte er sich am Abend wie ausgelaugt. "Du hast es überstanden." Tomohiko, die menschliche Mauer, lächelte Seiji an, der im Zug in einer Nische döste. "Bis jetzt." Brummte Seiji pessimistisch, nagte dann an seiner Unterlippe. Sein Gewissen drängte ihn, sich bei Tomohiko für den Ausbruch am Vorabend zu entschuldigen. Es kniff ihn förmlich in die Seite. "Gestern, da habe ich viel Unsinn geredet. Tut mir leid." Seiji nuschelte gesenkten Blicks vor sich hin. "Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen." Tomohikos Atem streifte Seijis Wange. "Du kannst mir alles sagen. Ich nehme es dir nicht übel." Seiji knurrte. "Du machst ES schon wieder!" "Hmm?" Tomohiko blinzelte, ehrlich überrascht. "Was tue ich denn?" "DU!" Seiji senkte die Stimme eilig, um nicht unnötige Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. "Du bist IMMER so verständnisvoll!! NIE kann man sich richtig mit dir streiten!! Das ist echt ätzend!" "Ah!" Nun nickte Tomohiko. "Ich verstehe." "Nicht 'verstehen'!" Schnaubte Seiji, funkelte in die schwarzen Falkenaugen. "Zoffe dich gefälligst auch mal! Herrgott nochmal, du bist viel zu nett!" Zu Seijis Empörung begann Tomohiko unterdrückt zu lachen, musste sogar nach einer der baumelnden Halteschlaufen greifen. "He, ich meine das ernst!" Seiji vergaß sich selbst und stippte mit spitzem Zeigefinger in Tomohikos Seite. "Hör sofort auf, über mich zu lachen!" Tomohiko bemühte sich redlich, sein Amüsement zu kontrollieren, doch der Lachteufel hatte ihn beim Schlafittchen gepackt und ließ nicht mehr los. Auch eine Hand auf dem Mund und den Kopf abgewandt halfen nicht, wenn ihn innerliche Lachsalven erschütterten. So sehr Seiji ihm auch zürnen wollte, der Anblick war doch zu komisch, um sich nicht kichernd anzuschließen. Als sie auf den Bahnsteig hinaus stolperten, waren sie sich zahlreicher, missbilligender Blicke durchaus bewusst, doch das kümmerte sie beide nicht einen Deut. "Komm." Tomohiko grinste noch immer breit. "Mein Fahrrad steht da hinten. Ich setze dich bei deiner Unterkunft ab!" Seiji schmunzelte, packte tollkühn den Träger von Tomohikos Schultasche und ließ sich durch das Gedränge ziehen. Dabei vergaß er, dass er eigentlich sein Schließfach leeren und den Inhalt entsorgen wollte. ~+~ »Das ist eine Überraschung.« Motoki ließ geistesabwesend einige Mitschüler im Gang an sich vorbei, die nicht auf der linken Seite gingen, wie es eigentlich vorgesehen war und somit im 'Gegenverkehr' unterwegs waren. Üblicherweise hätte er sie höflich gebeten, einfach auf der linken Seite ihren Weg fortzusetzen, doch in diesem Augenblick kreisten seine Gedanken um das gerade beendete Gespräch. Der Schuldirektor hatte ihn zu sich ins Büro gebeten, um ihm mitzuteilen, dass der Schülerpräsident, Akio Yamada, seine Ämter niedergelegt hatte. Überraschend kurzfristig sei Yamadas Vater versetzt worden, wie ihm der Direktor lächelnd mitgeteilt hatte, sodass Yamada-kun sich entschlossen habe, die zweite Oberschulklasse direkt nach den Sommerferien in der neuen Oberschule zu beginnen. So kurz vor dem Abschluss handele es sich schließlich um eine wichtige Entscheidung! Motoki verstand durchaus. Die Konsequenzen jedoch trafen ihn vollkommen unerwartet. ALLE wussten, dass der Schülerpräsident der beliebteste Schüler der zweiten Oberstufe war. Wie konnte er selbst nun dieses Amt antreten?! Selbstverständlich musste er theoretisch die Amtsgeschäfte als Vize übernehmen, doch seine ureigene Aufgabe hatte doch im Administrativen, im Wirken im Hintergrund bestanden! Der Schuldirektor hatte ihm nahe gelegt, sich selbst einen Vertreter aus der zweiten Oberstufe auszuwählen, damit die anstehenden Aufgaben geteilt werden konnten. Motoki straffte die Schultern, überprüfte automatisch seine Haltung. »Ich werde mich selbstredend an die Regeln halten.« Ermunterte er sich selbst. Nun war keine Zeit für Zaudern und ängstliche Bedenken: er war der Schülerpräsident! Dessen erste Amtshandlung darin bestehen musste, alle Klassenvertreter über die neue Entwicklung in Kenntnis zu setzen. ~+~ Da das Büro des Schülerpräsidenten für die Klassenvertreter einfach zu klein war, bat Motoki darum, einen Klassenraum, der am Nachmittag nicht belegt war, kurzfristig nutzen zu dürfen. Wie erwartet hatte sich Akio Yamadas Abgang bereits in der Schulgemeinschaft herumgesprochen. Es fiel selbstverständlich auf, wenn der Schülerpräsident am ersten Schultag nicht anwesend war! Motoki erhob sich, räusperte sich höflich, um das aufgeregte Schwatzen auf eine leise Hintergrundkulisse zu reduzieren. Wie gewohnt bedankte er sich für das Kommen, nahm anschließend in knappen Worten das anstehende Thema in Angriff. Er wiederholte aus dem Gedächtnis die Aussage des Schuldirektors über die Beweggründe ihres vorherigen Schülerpräsidenten, bat darum, dass die Vertreter der zweiten Oberstufe in ihren Klassen nach Freiwilligen Ausschau hielten, die gewillt waren, ihm zu assistieren. Er konnte an den Mienen der anderen Schüler erkennen, dass sie Zweifel hegten, ob ausgerechnet ER als Schülerpräsident bis zum Abschluss die Geschicke ihrer Schicksalsgemeinschaft führen sollte. "Ich habe selbstverständlich unserem Direktor auch zu verstehen gegeben, dass vielleicht eine neue Wahl durchgeführt werden sollte, gerade, da Yamada-kun sich großer Beliebtheit erfreut hat und vom seinem Vorgänger im Amt ausdrücklich vorgeschlagen worden ist. Bedauerlicherweise hat unser Direktor explizit von einer solchen Möglichkeit Abstand genommen. Deshalb wird es meine Aufgabe sein, bis zu unserem Abschluss die Aufgaben des Schülerpräsidenten zu übernehmen." Motoki lächelte zurückhaltend. Skeptische Blicke bombardierten ihn, kombiniert mit mürrischen Mienen. Besonders die Sempai der dritten Oberstufe schienen wenig begeistert, sich seinen Anweisungen beugen zu müssen, aber es war nun mal Tradition, dass eine Schülerpräsidentschaft zwei Jahre währte und der Kandidat immer aus der zweiten Oberstufe nominiert wurde. "Ich möchte euch alle bitten, mich bei meiner Aufgabe zu unterstützen. Ich bin für eure Ratschläge und Hinweise sehr dankbar. Mir ist bewusst, dass ich nicht der gewählte Vertreter der Schülerschaft bin, dennoch versichere ich, dass ich mich mit aller Kraft meiner Aufgabe widmen werde." Als die Schülervertreter den Klassenraum verließen, wusste Motoki, dass er, zumindest im Augenblick, allein auf weiter Flur stand. Er glaubte nicht, dass man gegen ihn opponieren würde, aber die Erwartungen, die man in ihn setzte, mussten wohl gering sein. Motoki räumte die Stühle wieder auf die Bänke, überprüfte die Fenster und den Müllkorb, bevor er die Schiebetür hinter sich schloss. Er vertraute auf seine administrativen Fähigkeiten, um die Aufgaben des Vize gut ausfüllen zu können, doch der Schülerpräsident zeichnete sich durch Charisma, Charme, Überzeugungskraft und Begeisterung aus. Motoki leistete sich einen Blick in das spiegelnde Fensterglas. Es warf das Bild eines korrekt gekleideten Oberschülers zurück, der keine bemerkenswerten, optischen Qualitäten für sich verbuchen konnte. Die Haltung war aufrecht, die Brille unaufdringlich und sauber, die schwarzen Haare ordentlich gekämmt und stufig geschnitten. »Ich bin ein Durchschnittsmensch mit Allerweltsgesicht.« Befand Motoki. Für ihn waren das keineswegs negative Qualitäten, denn er war stets angehalten worden, sich nicht eitel von den anderen abzugrenzen und hervorzuheben. Konnte es ihm wirklich gelingen, mit Fleiß und Arbeitseifer auszugleichen, was ihm an Ausstrahlung und Anziehungskraft fehlte? »Vielleicht findet sich ja doch ein Freiwilliger.« Schob er die Zweifel beiseite. Es gab Arbeit, die zu erledigen war! ~+~ Satoru spazierte nonchalant den Kellergang hinab und fragte sich, wie er seinem verwünschten Herzen beibringen sollte, keine aufgeregten Kapriolen zu schlagen. Die erste Woche nach den Sommerferien war immer ein Kulturschock. Er fühlte sich anders, doch es dauerte einige Tage, bis er auch seine Körpersprache wiedergefunden hatte. Es würde leichter sein, sein wahres Ich aufzuwecken, wenn er da anknüpfte, wo er vor den Sommerferien ausgesetzt hatte. Als er den Kellereingang erreicht hatte, löste sich Mamoru aus dem Türschatten. Der Ältere blieb überrascht stehen, staunte zu lange, um es verbergen zu können. Zweifellos WAR es Mamoru, denn wen hätte er pünktlich an einem Mittwoch in der letzten Stunde vor dem allgemeinen Unterrichtsschluss vor Kellereingang Drei antreffen sollen?! Aber der junge Mann, der vor ihm stand, sah ganz anders aus als der Erstklässler, den er vor einigen Wochen verlassen hatte, angefangen bei der krausen Mähne, die vorher in einem unglaubwürdigen Seitenscheitel gezwungen werden sollte, nun aber in so genannte Cornrows geflochten worden war! Satoru fragte sich, ob man Mamoru abgekanzelt hatte. Oder sich vielleicht nicht traute, weil die Haare nicht zu lang waren oder unordentlich wirkten. Die großen, schwarzen Augen hinter der randlosen Brille strahlten ihn direkt an, ohne Scheu oder Verlegenheit. Die leichenfahle Haut mit den Sommersprossenschatten trug eine sanfte Bräune, die gesund wirkte. Die Lippen waren nicht mehr blutleer und zerkaut. »Entweder bin ich geschrumpft, oder er ist tatsächlich gewachsen! Oder steht er nur mal aufrecht?« Satoru runzelte die Stirn. Für einen langen Augenblick zweifelte er daran, dass er mit Mamoru weiter so umgehen konnte wie vorher. NUN wirkte der Jüngere gar nicht mehr wie ein leichtes Opfer. Mamoru lächelte ihn an, schwieg erwartungsvoll. So blieb dem Älteren nichts weiter übrig, als zunächst die Kellertür zu öffnen und die Treppe langsam hinabzusteigen. Wie gewohnt stellte er am Fußende der Treppe seine Schultasche ab und gab seinem Begleiter mit einer eleganten Geste zu verstehen, der möge sich entblättern. »Sieh an!« Konnte Satoru nur schweigend feststellen. »Da hat sich jemand ganz schön verwandelt!« Mamoru stand nämlich nicht nur aufrecht, seine überschlanke Gestalt hatte sich angenehm ausmodelliert zu einem gesund und kraftvoll wirkenden, sehnigen Jugendlichen, der offenkundig gelegentlich in der Sonne gearbeitet hatte. Der magere Hungerhaken mit der Mondscheinblässe war definitiv Vergangenheit. Unversehens trat Satoru vor und streifte den Anhänger, den er Mamoru geschenkt hatte. So hatte er sich das Treffen nicht vorgestellt. Mamorus neue Erscheinung wirkte einschüchternd auf ihn. Dass sich die großen, schwarzen Augen wie Suchscheinwerfer auf sein Gesicht hefteten, verbesserte seine Gefühlslage keineswegs. Hier mussten andere Maßnahmen ergriffen werden! Folgerichtig packte er Mamoru an einem Handgelenk, dirigierte ihn zum Treppenaufgang, wo er ihn an den Schultern auf den Boden drückte. Mamoru nahm artig Platz, blickte erwartungsvoll zu ihm hoch. Satoru kehrte dem Jüngeren den Rücken zu, zog sich sehr langsam aus, schenkte Mamoru vorgeblich keine Beachtung. Er ging vor seiner Tasche in die Hocke, wühlte heraus, was er für notwendig hielt, richtete sich auf und kehrte zu Mamoru zurück. "Streck die Hände zu mir hoch." Kommandierte er streng, fesselte die Handgelenke aneinander. "Rutsch von der Wand weg." Mamoru war bequem angelehnt, was Satorus Plänen zuwiderlief. Nun aber konnte er um ihn kreisen, mit einem breiten Lederband Mamorus Arme kunstvoll vor dessen Oberleib binden. Ergänzend dazu bedeckte er die großen, schwarzen Augen mit einem weichen Stoffband. Auf Mamorus Lippen lag ein erwartungsvolles Lächeln, gänzlich ohne Unbehagen oder Furcht. »Kein Wunder!« Satoru schmunzelte. »Er reagiert schon auf meine bloße Berührung!« In der Tat zeigte sich, dass es keiner allzu großen Anstrengung bedürfen würde, die anmutige Erektion aushärten zu lassen. Für den Augenblick ließ Satoru Mamoru allein, kehrte zu seiner Tasche zurück, um die Kondome und Gleitgel zu beschaffen. Er hatte sich eigentlich vorgenommen, beim ersten Mal nach der Sommerpause nicht das Tempo zu forcieren, doch nun musste er sicherstellen, dass er die Führung nicht aus der Hand gab! Er kniete sich vor Mamoru hin, streifte geschickt das Kondom über und lächelte, als er sein Spezialwerkzeug hinter dem Ohr abnahm. »Eines von den Dingen, die ich absolut niemals mit nach Hause nehmen kann.« Lächelte er, bevor das puschelige Ende eines violetten Faserschreibers über Mamorus Nacken tanzte, unter den Zopfenden hindurch. Die hübschen Kunstfasern, die wie ein großer Makeup-Pinsel angeordnet waren, kitzelten den Jüngeren, der erschauerte, leise lachte. »Noch kicherst du!« Satoru grinste. »Aber warte ab, was ich mit diesem hübschen Spielzeug anstellen kann!« Es gab nämlich einige Körperpartien, die würden Mamoru schon die Schweißperlen auf die Stirn treiben! Satoru wechselte zwischen neckenden Küssen und pinseligen Streicheleinheiten ab, wählte die Innenseiten der Oberschenkel und die Zwischenräume der Zehen, die Kniebeugen und die Knöchel. Inzwischen rang Mamoru nach Atem, den Kopf in den Nacken gelegt. Satoru bedauerte, dass er durch die kunstvolle Verschnürung nicht an den Brustwarzen saugen konnte, denn er wusste, wie Mamoru darauf reagierte. Stattdessen beugte er sich über Mamorus rechte Schulter und wisperte süffisant. "Was denkst du, möchtest du Pfefferminz lutschen? Dann bin ich auch sehr nett zu dir." Der Stiftaufsatz wirbelte derweil unter Mamorus linkem Ohrläppchen, kreiselte über dem Schlüsselbein, bevor Satoru ihn hinter sein Ohr steckte. "Ich will." Wisperte der Jüngere rau. Er musste sich breitbeinig auf die Knie begeben, um Satorus Unterleib bequem erreichen zu können, der vor ihm stand. Balancierend, da er sich nicht nach vorne aufstützen konnte, blies Mamoru seinen Atem auf Satorus Körper, bis er durch die Sensation der Wärme, die abgestrahlt wurde, sein Ziel fand. Sanft, zärtlich umschmeichelte er mit der Zunge Satorus verpackte Erektion, sank auf die Fersen, um wie bei einem Kinderspiel nach der empfindlichen Spitze zu tauchen, sie mit den Lippen zu umschließen. Satoru seufzte und senkte die Lider, seine Fingerspitzen streiften über Mamorus Schultern, genossen es, über die geflochtenen Zopfreihen zu gleiten. Während sein Pulsschlag sich beschleunigte, in seinem Unterleib der Druck für eine Explosion anstieg, fragte er sich müßig, wer wohl Mamorus Eltern waren. Warum der Jüngere über eine so helle, leicht sommersprossige Haut verfügte und gleichzeitig über einen krausen Wust schwarzer Haare. Er stöhnte, weil es Mamoru gelang, die Erektion tief zu schlucken. Nun musste er doch die Augen aufschlagen, auf seinen Partner hinuntersehen, dessen harsche Atemzüge das Lederband unter Spannung setzten. Gewagt verlagerte er sein Gewicht auf das rechte Bein, hob den linken Fuß, um mit der Spitze des großen Zehs von der Wurzel bis zur Spitze der Erektion zu streichen. Ein unartikulierter Laut drang zu ihm hoch. Aber auch Satoru musste nachgeben, um nicht Gefahr zu laufen, dass sein bestes Stück zerquetscht wurde. Außer Atem wich er zurück, blinzelte schwarze Punkte weg. "Schneidersitz, die Beine offen." Befahl er keuchend, ließ sich dann auf Mamoru herunter und kreuzte die eigenen Beine hinter dessen Kehrseite. Satoru rückte auf Mamorus Oberschenkeln so nahe heran, dass er die beiden Erektionen umschließen konnte. "Mhmmmmm!" Schnurrte er kehlig, rieb grinsend die Nasenspitze an Mamorus. Der rang nach Luft, doch das erwies sich als geschicktes Täuschungsmanöver: als Satoru schmunzelnd Atem auf Mamorus Mund blies, landete er einen perfekten Kuss. Zunächst war Satoru konsterniert, denn Küssen war intim! Aber er konnte auch nicht widerstehen, die leidenschaftlichen Küsse mit seinen Handreichungen zu kombinieren. Die Fingerspitzen seiner Linken spielten mit dem Anhänger nicht weit über Mamorus Erektion. Er spürte die Flügel, die Schneckenspirale dazwischen und lächelte keuchend. Mamoru fing seinen Mund ein, legte es auf ein engagiertes Duell mit Satorus Zunge an. Mit der aufbrandenden Lust beschloss der Ältere, dass es vielleicht doch nicht so schlecht war, kein hilfloses Opfer zu haben, sondern einen zum Spielen aufgelegten Partner. Mamoru teilte die Begeisterung spürbar, sodass sie bald aneinander geschmiegt einen Orgasmus teilten. ~+~ Nachdem Satoru seinen jüngeren Partner von den beiden Bändern befreit hatte, offenbarte er grinsend das Geheimnis des dritten Folterwerkzeugs. Mamoru lächelte, enthielt sich aber eines Kommentars. Stattdessen fasste er scheu nach Satorus Hand, um ihn zum Bodenabfluss zu geleiten und den Älteren sanft mit Wasser und Seife zu betreuen. Der erwiderte die Geste und ignorierte die alarmierten Stimmen in seinem Hinterkopf, die ihn fragten, was zum Teufel er sich dabei dachte! War Mamoru nicht das Opfer einer böswilligen Erpressung?! ~+~ Einige Stunden später, die automatische Beleuchtung hatte sich im gesamten Wohnheim ausgeschaltet, lag Satoru auf seinem Bett, verwünschte die klebrige Hitze und dachte angespannt nach. Jetzt, wo die hormonelle Überflutung nachgelassen hatte und ausreichend Blut in seinem Gehirn zur Verfügung stand, um sein Misstrauen ordentlich zu versorgen, konnte er die kritischen Gedanken nicht mehr abstreifen. Etwas Gewaltiges, Bedeutsames musste mit Mamoru in den Sommerferien geschehen sein. »Davor kann ich die Augen nicht verschließen!« Ärgerte er sich. Da waren nicht nur die äußerlichen Veränderungen wie die Sonnenbräune und die neue Frisur. Mamorus Haltung war selbstbewusst und aufrecht. »Er lächelt. Und wie er mich geküsst hat!« Satoru spürte, wie ihm Hitze in die Wangen stieg, er sich unwillkürlich unruhig auf dem Laken bewegte. Außerdem hatte er nicht übersehen können, dass der Jüngere nur noch die Partie glattrasierte, die den Schmuckanhänger betraf. »Warum das?« Satoru leckte sich nervös über die Lippen. »Was mache ich, wenn...??« "Wenn er sich in mich verliebt?" Flüsterte er mit belegter Stimme in den Raum. Dann wäre das gesamte Konzept beim Teufel! ~+~ Zu Seijis Überraschung wurde er zwar freundlicher und aufmerksamer von seinen Klassenkameraden behandelt, doch niemand attackierte ihn oder lauerte ihm auf. Offenbar hatte Tomohikos Andeutung genügt, sie auf vorsichtiger Distanz zu halten. Außerdem blieb Tomohiko ständig in seiner Nähe. Bewies sein Versprechen, dass Seiji bei ihm sicher war. Am Sonntag aß er nicht nur bei Tomohikos Familie zu Abend, sondern wurde vorher gänzlich damit überfahren, dass er UNBEDINGT mit ihnen gemeinsam einen Tag im Vergnügungspark verbringen müsse. Seiji kannte solche Orte nur von Erzählungen und kümmerte sich nicht sonderlich um entsprechende Angebote zur Freizeitgestaltung, fand sich aber positiv überrascht. Dazu trug auch bei, dass Tomohikos Eltern sich keineswegs würdevoll und zurückhaltend gaben, sondern ihren Spaß an Albernheiten nicht verbargen. Vielmehr tollten sie wie ein junges, verliebtes Pärchen herum! "Manchmal muss man eine Auszeit vom Alltag nehmen." Tomohiko zwinkerte Seiji zu, keineswegs peinlich berührt durch die Ausgelassenheit seiner Eltern. "Das sehe ich." Seiji staunte noch immer, kämpfte gegen die Klebrigkeit der grüngefärbten Zuckerwatte an, die sich in seinem gesamten Gesicht verteilen wollte. "Vielen Dank, dass du mitgekommen bist." Tomohikos Lächeln ließ ihn erröten. "Meine Eltern haben dich ins Herz geschlossen." "Genug jetzt!" Protestierte Seiji dunkelrot, rammte Tomohiko förmlich seine Zuckerwattenwolke ins Gesicht. "Ich hab's ja kapiert! Du gibst wohl nie auf?!" Tomohiko grinste, zerpflückte die Zuckerwatte geschickt und schob sich einzelne Fetzen in den Mund. "In deinem Fall? Nein. Da gebe ich nicht auf." "Bah!" Schnaubte Seiji, spürte verärgert, wie sein Herz raste. "Genug von dem Schmu! Ich gehe mir die Hände waschen!" Natürlich folgte ihm Tomohiko, denn es konnten sich ja fragwürdige Gestalten in den Waschräumen aufhalten. ~+~ Nach einer Woche zog Motoki als neuer Schülerpräsident eine erste Bilanz. Erstens, es hatte sich kein einziger Freiwilliger gefunden, um als sein Vertreter einzuspringen und ihm auszuhelfen. Zweitens, die Arbeit des Schülerpräsidenten schien sich seit den Sommerferien verdoppelt zu haben. »Oder Yamada-kun hat viel mehr erledigt, ohne dass ich es bemerkt habe.« Motoki gestattete sich ein Stirnrunzeln. Sie hatten sich zwar den kleinen Raum geteilt, doch musste ihm entgangen sein, wie Akio es erreichte, in relativ kurzer Zeit all die kleinen Streitigkeiten, die Budget-Verhandlungen, die Unstimmigkeiten zur Raumnutzung, die AG-Angelegenheiten und die hundert anderen kleinen und großen Sorgen zu behandeln, die ihm jetzt täglich vorgetragen wurden. Die eine Stunde, die er als 'Sprechstunde' angesetzt hatte, reichte nicht aus, also blieb er nach dem offiziellen Schulschluss jeden Tag eine weitere Stunde, um die E-Mails und schriftlichen Eingaben zu bearbeiten. Noch zeichnete sich keine Kollision mit seinem sorgsam aufgestellten Lernplan ab, der ihm seine Stellung als Primus sichern sollte, in der Hauptsache jedoch dafür gedacht war, mit hervorragenden Zensuren die Aufnahme auf eine gute Universität zu erreichen. Aber er fragte sich in kurzen Momenten der Sorge, um er dieses Ziel mit der zeitlichen Belastung tatsächlich treffen würde. Motoki saß nun am Schreibtisch des Schülerpräsidenten. Endlich fand er einen Augenblick Zeit, um die Dokumente seines Vorgängers in Ruhe durchzusehen. Seine Vermutung erwies sich als zutreffend: Akio hatte besonders die weniger angenehmen Verpflichtungen gern hinausgeschoben. Pflichtbewusst ergänzte Motoki auf seinem Aufgabenplan weitere Punkte, auf die er bei der Lektüre der Unterlagen stieß. Nun, Yamada-kuns Qualitäten hatten offenkundig auf einem anderen Gebiet gelegen, sodass er Vorwürfe für unangemessen hielt. Mit ein wenig Organisationstalent und Selbstdisziplin würde er die kleinen, zusätzlichen Hürden auch nehmen. Dann fiel sein Blick auf den versiegelten Umschlag, die letzte Aufgabe, bevor er sich auf den Heimweg machen konnte. Motoki studierte ihn kritisch, suchte nach einem Absender oder einem Hinweis darauf, welcher Natur der Inhalt des Umschlags sein mochte. Nur ungern wollte er nach dem Öffnen herausfinden, dass es sich um eine private Korrespondenz handelte. Da es sich allerdings um eine Nachricht des ehemaligen Schülerpräsidenten an Yamada-kun handelte, durfte er wohl von einem offiziellen Anlass ausgehen. Mit einem Lineal öffnete Motoki den Umschlag, entnahm den Zettel und betrachtete ihn ratlos. Was mochte das wohl sein? Ein eingeprägtes Wasserzeichen, dazu ein Begriff, der willkürlich aus Zeichen und Ziffern zusammengesetzt schien. "Sehr ungewöhnlich." Stellte er laut fest, zupfte sich nachdenklich an einem Ohrläppchen, bevor er hastig die Hand wieder auf die Tischplatte legte. Plötzlich kam ihm eine Idee: er HATTE das Symbol des Wasserzeichens schon einmal gesehen! Motoki schaltete erneut den Arbeitsplatzrechner an. Zunächst erschien die Oberfläche wie jede andere im hauseigenen Netz. Einen Zugang zum Internet gab es aus Sicherheitsgründen nicht. Die einzelnen Arbeitsstationen sollten lediglich der Aufgabenbearbeitung dienen. Eine kleine Nachrichtenbörse mit einem Postfach für jeden Schüler und ein elektronisches Schwarzes Brett waren die einzigen Ausnahmen von dieser Regel. Motoki ließ den Mauszeiger langsam über die Arbeitsfläche wandern. Da! Für einen Moment veränderte sich das Symbol, deutete an, dass es hier einen Verweis auf eine unsichtbare Funktion gab! Er aktivierte den Verweis, woraufhin sich ein weiteres Fenster auf der Arbeitsfläche öffnete, mit dem Signet, das er gesehen hatte. Ein einziges Feld forderte ihn auf, ein Kennwort einzugeben. »Das ist ungewöhnlich.« Motoki grübelte. »Wieso werde ich nicht nach einem Benutzernamen gefragt? Oder kann dieses Programm etwa auf unsere Anmeldeinformationen zugreifen?« Kurzentschlossen tippte er die Zeichenfolge der versiegelten Nachricht ein. Sie erwies sich als korrekt. Motoki konnte Einblick in den 'Gentlemen's Club' nehmen. ~+~ Man konnte es nicht als 'lügen' bezeichnen. Motoki schob sein altmodisches Mobiltelefon zusammen und presste die Hand auf seine Magengrube. Der letzte Zug würde gleich einfahren. »Schließlich HABE ich etwas für die Schule getan!« Argumentierte er mit galligem Geschmack vor sich selbst. »Außerdem heißt es immer, dass man am Abend nicht mehr so viel essen soll.« Er war stets darauf bedacht, seinen Eltern unnötige Sorgen oder gar Kummer zu ersparen. Das gehörte sich schließlich so, wenn man einander verbunden war. In seinem Kopf breitete sich eine seltsame Taubheit aus. Es war ein dumpfer Schmerz, der seinen gesamten Körper okkupierte. Er wusste, die Bilder würden nicht weichen. SO ETWAS konnte man nicht einfach aus der Erinnerung verbannen! »Mein Leben ist nicht mehr das gleiche.« Diese scheinbar so pathetische Aussage war zu einer bitteren Realität geworden. Als der Zug einfuhr, taumelte Motoki hinein, fühlte sich unsicher auf seinen Beinen. Gab es jemanden, mit dem er DARÜBER sprechen konnte? Eine Welle von Panik überflutete ihn plötzlich, spülte weitere Übelkeit hoch, sodass er sich abwenden und die Hand fest auf den Mund pressen musste. Er spürte die Verätzung durch den Speichel in seinem Mund, sog gepresst Luft durch die Nase ein und ermahnte sich streng, die Ruhe zu bewahren. Die Fahrt würde nicht lange dauern, dann würde die frische Nachtluft ihm gut tun! »Aber was soll ich tun?! WAS SOLL ICH TUN?!« Motoki schloss die Augen, umklammerte seine Schultasche verkrampft, drückte sie gegen seine Seite, wo ein stechender Schmerz gegen die Taubheit anging. »Ich MUSS etwas tun!« Die möglichen Konsequenzen ließen ihn zusammenzucken und die Schultern hochziehen. Er wollte sich instinktiv wegducken, einrollen, verstecken. Es gab NATÜRLICH einen richtigen, einen auf-richtigen Weg. »Doch ist das auch der Beste? Ich bin der Schule verpflichtet! Meinem Amt!« Motoki verzog die Miene, würgte den beißenden Speichel herunter. »Meinen Amtsvorgängern.« Eine Entscheidung war zu treffen, doch wie seine Entscheidung auch ausfiel, er WUSSTE, dass ihn sein Gewissen plagen würde. »Ich hätte nie erwartet, dass meine Loyalität mir so etwas abverlangt.« Motoki wischte sich hastig über die Augen. Sie brannten von der Säure. »Ich werde darüber schlafen und dann eine Liste aufstellen.« Versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen. »Heute ist ohnehin nichts auszurichten! So eine schwerwiegende, delikate Angelegenheit darf auf keinen Fall über das Knie gebrochen werden!« Trotzdem fühlte er sich elend und schreckte immer wieder aus unverständlichen Albträumen hoch. ~+~ Langsam senkte er die Verschlussklappe, löschte das Schreibtischlicht. Das Programm hatte tatsächlich funktioniert. Die Mitteilung hatte ihn erreicht, das Protokoll würde er am nächsten Tag in Ruhe betrachten. "Du hast Zeit bis zur nächsten Woche." Wisperte er in der Dunkelheit. ~+~ Kapitel 9 - Kleine und große Schrecken »Eigentlich ist es ganz einfach.« Motoki widerstand mannhaft der Versuchung, sich über die Stirn zu streichen. Obwohl der Sommer wenig von seiner Kraft eingebüßt hatte, bedeckte ihn eine klamme Schicht kalten Schweißes. Die erste Nacht war entsetzlich gewesen. Albträume hatten ihn geplagt, die Bilder verfolgt. Immer wieder war er aus dem Halbschlaf hochgeschreckt, die Hand fest auf den Mund gepresst. Ob er instinktiv einen Schrei ersticken oder verhindern wollte, dass er sich übergab, konnte Motoki selbst nicht einschätzen. Die Liste lag vor ihm. Seine Augen tränten, der Kopfschmerz schien unerträglich. So gut es ging hatte er sich alle Argumente zurechtgelegt. Pro und Kontra. Jede Konsequenz musste gewürdigt werden. Seine Entscheidung beeinflusste das Schicksal vieler Personen. Er DURFTE sich also keine Leichtfertigkeit, keinen Fehler leisten! Doch solange er auch auf die Liste starrte, die einzelnen Punkte abzählte wie die Knöpfe an einer Jacke oder die Blätter an einer Blume: eigentlich gab es nur eine Wahl. »Ich muss mir Zeit nehmen.« Entschied er endlich. Behutsam vorgehen, die richtigen Schritte in der richtigen Reihenfolge unternehmen. Er erhob sich langsam, schob die Liste in die oberste Schublade. Der Schreibtisch war nun wieder blank, doch morgen würde er erneut bedeckt sein mit Anfragen, Beschwerden, Vorschlägen und Abrechnungen. Selten sprach ihn jemand direkt an. »Nun, das sind vielleicht nur anfängliche Berührungsängste.« Hoffte Motoki. Früher war es im Büro des Schülerpräsidenten so lebhaft zugegangen wie in einem Bienenstock, ein emsiges, munteres Treiben. Motoki nahm seine Schultasche auf. »Ich muss noch bei der Pharmazie vorbei.« Erinnerte er sich, obwohl sein Zustand sicherlich keines Memorandums benötigt hätte. »Kopfschmerztabletten, Koffeintabletten, lösliches Pulver gegen die Übelkeit, außerdem etwas gegen das Sodbrennen.« Zählte er auf. Es war für ihn nicht allzu ungewöhnlich, sich der Medikamente zu bedienen. Besonders kurz vor entscheidenden Prüfungen neigte er zu Magenproblemen. »Doch so früh im Jahr hätte ich wirklich darauf verzichten können!« Seufzte Motoki, schob die Tür hinter sich zu und ging langsam über den Gang zum Treppenhaus. ~+~ "He! HE! Miwa-kun!" Das schrille Rufen im mehrstimmigen Chor wollte nicht verstummen. Kentarou verdrehte die Augen, dann sich selbst um die eigene Achse. Er wusste instinktiv, dass Hiroki, der ihm mit exakt einem Schritt Abstand folgte, nicht seine Blickrichtung blockieren würde. "Ja?" Knurrte er widerwillig, schwenkte die einfachen Plastiktüten. Drei Mädchen eilten herbei, vielmehr stöckelten, stolperten und hoppelten sie. »Wie auf dem Kriegspfad.« Bewertete Kentarou die Aufmachung missmutig. »Die wollen mich doch nicht schon wieder zu irgendwelchem Klimbim einladen?!« "Oh, du siehst so niedlich aus mit dem Haarband!" Quiekte die Siegerin im Wettstaksen glücklich. Kentarou verdrehte die Katzenaugen, um nach seinen Haarspitzen zu schielen. Einige warfen über den hohen Rand des Haarbands Schatten auf sein Gesicht. "Niedlich?" Brummte er ärgerlich. Auch wenn er sich selten mit seinem äußeren Erscheinungsbild befasste, brüllte sein interner 'Stolz'-Alarm gellend auf. Kein Mann auf der Welt wollte 'NIEDLICH' genannt werden!! "Gehst du nach Hause? Kochst du was Schönes? Lädst du uns ein? Können wir uns am Sonntag sehen? Willst du ins Kino gehen? Lust auf Karaoke?" Im hektischen Stakkato trällerten und piepsten sie auf ihn ein, er konnte kaum zuordnen, wer welchen Vorschlag vorgebracht hatte, die sich ohnehin alle zu einem unerträglichen Klangbrei zu mischen schienen. "Ich trage dir eine Tüte!" Die potentiell Suizidgefährdete aus dem Trio griff nach Kentarous Arm, der reaktionsschnell Distanz zwischen sich und die Harpyien brachte. "SEKUNDE MAL!" Bellte er wütend. "Anschauen: ja, anfassen: NEIN! Und ich bin beschäftigt, jeden Tag die Woche und sonntags rund um die Uhr, alles klar?!" Sofort brach ein Klagechor aus, während Kentarou sich mit zwei Fingern an das Haarband tippte und "man sieht sich", wünschte, bevor er mit erhöhter Geschwindigkeit losmarschierte. "Oder auch nicht!" Knurrte er leise, riskierte einen Seitenblick in ein Schaufenster, um sich zu überzeugen, dass sie die lästigen Anhängsel verloren hatten. "Mann, was ist bloß mit diesen Tussis los?! Haben die nichts um die Hand, oder wie?!" Beschwerte er sich laut bei Hiroki, der stumm und stoisch die Episode verfolgt hatte. "Du gefällst ihnen." Bemerkte der mit sonorer Stimme, studierte den wirren Schopf vor sich. »Wie seltsam, obwohl ich doch über 25cm größer bin, kommt es mir nie so vor, als würden wir uns nicht in Augenhöhe unterhalten.« "HA!" Schnaubte Kentarou aufgebracht, die Tüten wirbelten, während er sich im Vorwärtsdrang einmal um sich selbst drehte. "Was wissen die denn schon?! Die haben doch bloß Grütze im Kopf! Sollten die nicht irgendwelche Popstars anhimmeln?" Quengelte er weiter. "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach." Quittierte Hiroki, ohne die Miene zu verziehen. "Spatz? ICH?!" Kentarou warf seinem groß gewachsenen Freund einen finsteren Blick zu. "Sehe ich aus wie ein Federmatz?!" Wütend knurrte er vor sich hin. "Außerdem wäre das Dach längst nicht hoch genug, um den Schnepfen zu entwischen! Mit Dächern habe ICH kein Problem!" Hiroki musste nun doch schmunzeln. Kentarous explosives Temperament gehörte zu den Eigenschaften, die dessen besonderen Charme auszeichneten. "Wieso quatschen die immer mich an?!" Kentarou blieb stehen, den Blick auf das Gemüseangebot gerichtet, konzentriert, während sein Mund auf Autopilot schaltete. "Warum rennen die immer MIR nach?! Wieso passiert DIR so was nie?!" "Ja~aa, die Welt ist eben ungerecht." Hiroki unterdrückte ein Seufzen ob soviel Ignoranz. "Pah!" Kentarou hatte sich für einige der Kürbisgewächse entschieden und reichte Münzen weiter. "Ich würde lieber mit dir ausgehen als mit irgendeiner schnatternden Gans!" Höflich bedankte er sich und nahm seinen Abschied, während Hiroki ihn aufmerksam betrachtete. Begriff Kentarou eigentlich, was er da so leichtfertig aussprach? "Hast du die mal erlebt?!" Ein Abscheu getränkter Blick aus zusammengekniffenen Katzenaugen richtete sich auf Hiroki. "Die sind höllisch! Laut, zänkisch, labern ohne Pause! Ständig haben sie Launen, ich will dies, ich will das, kauf mir dies, gehen wir dahin!" Kentarou verdrehte die Augen nach dem schrillen Vortrag. "Die degradieren dich zur Unterhaltungs- und Geldmaschine! Keine Minute Ruhe, stattdessen musst du dir blöde Popmusik anhören, wie ein Gepäckesel durch zig Boutiquen schleichen! Hundertmal erklären, dass sie GANZ BESTIMMT nicht fett in dem Fummel aussieht und JEDER mindestens 30 Paar Schuhe benötigt...HORROR!!" Hätte Kentarou die Hände frei gehabt, so wäre sein eingebundener Schopf wohl in empathischem Entsetzen gerauft worden. Hiroki wusste, dass Kentarou noch nie eine Freundin gehabt hatte und jeden Anschein, für eine solche Offerte empfänglich zu sein, auf das Hartnäckigste und Kämpferischste verneinte. "Ich würde auch lieber mit dir ausgehen." Wagte sich Hiroki mutig auf unentdeckte Gefilde vor. "SIEHSTE! EBEN!" Kentarou nickte heftig. "MEINE REDE!! Wer sollte sich mit klarem Kopf auch mit diesen Tussis freiwillig treffen wollen?! Da muss man ja total bescheuert sein! Und blind und taub! Mindestens!" "Aber irgendwann wird eine kommen, die dir gefällt." Mit Mühe konnte Hiroki diese unselige Vorstellung formulieren. Sein Vater pflegte ihn damit vermeintlich aufzuheitern. Allerdings war es ein trauriger Witz. "Pah!" Kentarou blieb abrupt stehen und funkelte Hiroki an, die Arme mit den Tüten in die Hüften gestützt. "So ein Quatsch! Solange mich kein Komet am Kopf trifft, sind DIE Chancen gleich Null!" "Du wirst noch als Frauenfeind enden." Der Hüne raunte in das Fuchsgesicht unter sich, aber der Größenunterschied entging ihm wie stets. Als ob er einen persönlichen Zoom hatte, der nur auf Kentarou geeicht war. "Ich habe nichts gegen Frauen!" Kentarous Verärgerung kühlte sich ab. "Ich komme mit den meisten aus. Bloß Tussis, die kann ich nicht ab!" Er zog eine Grimasse. Hiroki beschloss, es dabei bewenden zu lassen. Ruhig folgte er im gewohnten Abstand Kentarou, der bereits das Abendessen erläuterte und darüber klagte, dass die alte Waschmaschine immer öfter bockte. »Wenn es doch nur wahr wäre!« Schluckte er an einem hartnäckigen Kloß in seinem Hals. »Wenn doch nie eine käme!« ~+~ Mamoru wartete geduldig mit verschränkten Armen am Kellereingang Drei, den Rücken gegen die Tür gelehnt. Er hatte jeden Kontakt während der Pausen mit Satoru vermieden, denn er hatte nicht vergessen, wie verblüfft, ja, beinahe konsterniert der Ältere gewirkt hatte. Würde Satoru es sich vielleicht anders überlegen? Erleichtert bemerkte er, wie sich Schritte näherten. Er beugte sich vor und spähte um den Türstock auf den Gang. Als hätten sich seine Befürchtungen bewahrheitet, trug der Ältere eine recht finstere Miene zur Schau. Mamoru erwog eilig seine Optionen: sollte er sich besonders gefügig zeigen? Oder lieber abwarten, ob der Ältere selbst eine Vorliebe äußerte? Ohne ein Wort der Begrüßung stürmte Satoru heran, schloss die Kellertür auf und zog Mamoru an dessen Handgelenk hinter sich her die Treppe hinab, wo er ungewohnt übellaunig seine Schultasche fallen ließ, dann erst blickte er Mamoru ins Gesicht. Auf der Stirn zeigten sich ärgerliche Falten, die dunkelbraunen Augen unter den kalligraphierten Augenbrauen blitzten, der sonst so amüsierte Mund verzog sich zu einer dünnen Linie. Satoru setzte an, konnte sich aber beherrschen, sodass Mamoru nicht erfuhr, was ihm zuerst durch den Kopf gegangen war. "Hör gut zu!" Zischte er schließlich, packte Mamoru an der Knopfleiste des Schulhemds. "Ich werde dich anketten wie einen Köter und richtig rannehmen, klar?! Also spare dir jeden Protest!" Mamoru nickte artig, unterdrückte ein Schmunzeln und bemühte sich, wenigstens den Anschein von Furcht zu erwecken. Das klang nicht nach Satoru, und die Wortwahl verriet sofort, dass der etwas vorgab, was nicht der Wahrheit entsprach. "Die Klamotten runter, dalli dalli!" Knurrte Satoru inzwischen, die Hände in die Hüften gestützt. Der Jüngere wandte sich gehorsam ab, um sich zu entkleiden. Er wusste nicht, welche Laus Satoru über die Leber gelaufen war, aber die in Aussicht gestellte Behandlung erschreckte ihn keineswegs. Mamoru vermutete vielmehr, dass Satoru eine etwas härtere Gangart beim Sex einlegen wollte und nicht wusste, wie dieses Ansinnen formuliert werden konnte. Allerdings bezweifelte er stark, dass Satoru sich im Falle von schluchzender Gegenwehr durchsetzen würde. »Ich habe bloß nicht den Wunsch, mich zu wehren.« Mamoru ging unaufgefordert auf alle Viere, blinzelte erwartungsvoll nach oben in die dunkelbraunen Augen. Satoru befestigte ein billiges Lederhalsband und hakte eine dünne Leine ein, die er um eine Strebe des Treppengeländers wickelte. Er rechnete natürlich nicht damit, dass Mamoru ein knappes Bellen blaffte, auf ihn zuschoss und ankündigungslos mit der gebleckten Zunge über Satorus Genitalien strich. "Nicht!" Quietschte er überrascht, taumelte Arme rudernd zurück. Nun folgte eine Standpauke, in der Mamoru, auf die Fersen gehockt, wütend darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass es unvorsichtig und unmanierlich war, sich ohne Schutz auf anderer Leute Intimzonen zu stürzen! Ob er etwa nicht gelernt hätte, wie schnell sich Geschlechtskrankheiten übertragen?! Oder es vorziehe, mit dem Mund zu 'essen', wo andere 'ausschieden'?! Mamoru lauschte mit einem artig zerknirschten Ausdruck, während Satoru seine Rage durch einen echauffierten Vortrag auslebte, deutlich erhitzt nach Luft schnappte. Wie lächerlich diese Situation war, wurde ihnen beiden bewusst. Mamoru zwinkerte verschmitzt, Satoru lief noch eine Nuance dunkler an und wischte sich in einer Geste der Verlegenheit die dunkelbraunen Strähnen aus dem Gesicht auf die Seite. Wie konnte er sich zünftig an Mamoru austoben, wenn der ihn einfach nicht ernst nahm?! Der Jüngere indessen wollte das Dilemma lösen, die Lage entschärfen. Warum nicht einfach die Kondompackung apportieren? Damit würde er guten Willen signalisieren und ihnen beiden die Möglichkeit offerieren, das Gesicht zu wahren. Also wandte er sich auf allen Vieren ab, um wie ein Vierbeiner mit dem Kopf voran in Satorus Tasche zu wühlen. "He! Lass den Unsinn doch!" Schnappte der Ältere ärgerlich, zog so stark an der Leine, dass der Aufsatz auf dem Halshand ausriss, die dünne Leine wie eine Peitsche durch die Luft zischte und Satoru selbst oberhalb einer Augenbraue traf. Sein erstickter Schrei war dem Schreck zuzuschreiben, nicht etwa einem besonders üblen Schmerz. Aber der Schaden trat bereits ein: der Karabinerhaken, mit der einfachen Metallöse verbunden, hatte die dünne Haut aufgerissen und nun tropfte Blut in einem bemerkenswerten Rinnsal von Wangenknochen und Kinn auf die Fliesen. "Oh...verdammt..." Murmelte Satoru, taumelte mit einer ausgestreckten Hand rückwärts zur Wand hin, während er instinktiv die andere Handfläche auf die Wunde presste. Unter seinem Handteller hindurch tropfte es weiter geschäftig. Mamoru packte die Taschentücher, richtete sich auf und war in großen Schritten bei Satoru, schlang einen Arm besitzergreifend um dessen Taille. Er konnte an dem glasigen Blick, auf einer Seite die Wimpern blutverklebt, erkennen, dass Satoru schwindelte. "Langsam!" Gebot er drängend, unterstützte die einknickenden Knie, sodass der Ältere auf den Fersen kniete, mit einer Schulter gegen die Wand gelehnt, nach Luft ringend. »Es wird nicht reichen, bloß das Blut abzuwischen.« Stellte Mamoru fest, erhob sich und wühlte erneut in Satorus Schultasche. Die Augenbinde wurde apportiert, dann auch das Gleitmittel, ein Handtuch warf er sich über die Schulter, das andere klemmte er sich unter den Arm. "So ist der Plan: ich helfe dir, dich hinzulegen. Nimm die Hände bitte noch nicht von der Wunde." Erläuterte er, als er neben Satoru in die Hocke ging, ein Handtuch auf den Boden ausbreitete, das andere am Kopfende zusammengefaltet deponierte. Er fasste den Älteren an der freien Schulter. "Hast du verstanden?" Mit einem Augenblick Verzögerung nickte Satoru. Sein Gesicht wirkte nun, von den Blutspuren abgesehen, bleich, auch zitterten ihm die Glieder. Mamoru vermutete, dass sein Liebhaber kein Blut sehen konnte und deshalb so außer sich war. "In Ordnung, dann geht es jetzt los." Er kniete sich eng neben Satoru, legte eine Hand unter dessen Hinterkopf, schlang den anderen Arm um dessen Rücken, wie eine distanzierte Umarmung. Er rangierte ein wenig, um das Handtuch auch zielgenau zu treffen, dann löste er sich von den eigenen Fersen und gebot Satoru, sich sinken zu lassen. Der wollte jedoch die angespannte Haltung nicht aufgeben. "Mach einfach die Augen zu und vertraue auf mich. Ich lasse dich nicht hart aufschlagen." Umwarb ihn Mamoru besänftigend, wartete artig, bis er registrierte, dass Satorus Schultern ihre verkrümmte Haltung aufgaben. So konnte er langsam, um nicht aus der Balance zu geraten, den Älteren auf das improvisierte Lager betten, bis er halb über Satoru gebeugt war. Mamoru atmete tief durch, schüttelte die Arme und lockerte die eigene Schulterpartie. Das gestaltete sich anstrengender, als er erwartet hatte. Mithilfe des Wasseranschlusses befeuchtete er einige der Zellstofftücher aus dem Spender, faltete andere sorgsam zu einem kleinen Päckchen zusammen. Jetzt musste es schnell gelingen! Behutsam hob er Satorus Kopf ausreichend an, die Stoffbinde darunter durch zu führen, bevor er die Enden sinken ließ. "Wenn ich es sage, nimm deine Hände herunter, damit ich die Wunde versorgen kann." Erteilte er weitere Anweisungen. Satoru gehorchte schweigend, die Lippen aufeinander gepresst. "Hände runter!" Kommandierte Mamoru konzentriert, nutzte die Chance, um mit den feuchten Tüchern einen Ring um die Wunde frei zu wischen, bevor er mit der anderen Hand eifrig mit dem Gleitmittel ein Hindernis für das unvermindert austretende Blut bildete. Das Päckchen aus kompakt gefalteten Zellstofftüchern wurde direkt auf die Wunde gesetzt, dann knotete er bereits die Binde darüber. "Puhhhh!" Erleichtert lächelte Mamoru. "Warte noch, ich wische das Blut ab." Das dauerte einige Zeit, denn auch die Bodenfliesen mussten abgespült werden. Mit leicht geröteten Händen ob der Reinigungsprozedur lag Satoru flach auf dem Handtuchlager, die Augen geschlossen. Mamoru vermutete nicht zu Unrecht, dass der Ältere sich in ein Mauseloch oder wahlweise kilometerweit weg wünschte. »Aber das hindert mich doch nicht daran, des Menschen bester Freund und treuer Gefährte zu sein!« Mamoru studierte mitfühlend das bleiche Gesicht unter sich. Er kniete sich auf allen Vieren über Satoru, fasste die Hände in einem warmen, aber unnachgiebigen Griff und beugte sich hinab, bis er der Länge nach über dessen Brustbein lecken konnte. Er spürte, wie Satorus Brustkorb sich hob, ahnte den beschleunigten Herzschlag. Zärtlich hob er Satorus Hände über den Kopf, sodass sie angenehm gebeugt wie eine Aureole um ihn lagen, verschränkte ihre Finger miteinander, bevor er sich daran begab, Satorus Brustwarzen zu liebkosen. Das faszinierte ihn außerordentlich, nicht nur die flatternde Bauchdecke, die auch sehr erotisierend auf ihn wirkte. Nein, DIESES Gefühl auf den Lippen, die Zungenspitze leicht gerollt, einen Hauch von Atem hinzugefügt, unmöglich, es zu beschreiben! Er wusste jedoch, dass er sich darin verlieren konnte, Satoru auf diese Weise zu lieben. Dessen Lippen hatten sich längst geteilt, ächzten nach Luft, begleiteten die unwillkürlichen Windungen, die das Rückgrat befielen. Mamoru leckte über gespannte Halssehnen, rieb das eigene Kinn, mit einem Hauch von Bartstoppeln an Satorus, bevor er einen ersten Kuss platzierte. Satoru erwiderte die Leidenschaft durchaus, schluckte ihren vermischten Speichel ohne Widerwillen. Der Jüngere veränderte den Griff seiner Hände mit Satorus, um sich weiter südlich begeben zu können. Satoru ließ es geschehen, dass sein Unterbauch geneckt wurde, sanft beknabbert und liebevoll geküsst, öffnete jedoch die Augen einen Schlitz, weit genug, um seinen Partner zu beobachten. Seine angestrengt bewahrte Aufmerksamkeit erwies sich als notwendig: Mamoru verpackte ihre Erektionen ordnungsgemäß, wollte anschließend Anstalten unternehmen, sich auf Satorus Unterleib häuslich einzurichten. Auf eine Weise, die nur zu gut bewies, dass er noch keine schmerzhaften Erfahrungen mit Analverkehr erlebt hatte. "Halt!" Donnerte Satoru gebieterisch, die Lider sorgsam gesenkt, um sich einen Air der Überlegenheit zu bewahren, so, als könne er die Gedanken des Jüngeren lesen. "Vergiss das gleich wieder! Du darfst dich aber drehen und mir das Gleitgel reichen." Gewährte er gnädig Kompensation. Für einen winzigen Moment lang stockte sein Herz, denn er konnte spüren, dass Mamoru zögerte, seiner Anweisung Folge zu leisten. »Siehst du?!« Fauchte seine innere Stimme hysterisch. »Ich hab's dir ja gesagt!« In der Tat stiegen in Satoru ernsthafte Zweifel auf, dass er Herr der Situation war. Oder ihrer Beziehung. Dann jedoch kletterte Mamoru gelenkig, lediglich minimal eingeschränkt durch seine stramme Erektion, über Satoru, übergab mit einer Hand das Gleitgel, noch immer auf allen Vieren über dem Älteren kauernd. Er senkte den Oberkörper, bog die Ellenbogen wie beim Liegestütz nach außen, um über Satorus Erektion zu lecken, als handle es sich um einen gewaltigen Lutscher. Satoru schauerte, seine Beine zuckten unwillkürlich, er krümmte die Zehen. Viel zu gut hatte er sich schon auf diesen frechen Kerl eingestellt! Um sich zu rächen, packte er mit beiden Händen Mamorus Hüften, zwang dessen Unterleib in bequeme Tiefen hinab, tippte mit der Zungenspitze gegen dessen Erektion, ließ sie an seinen Zähnen vorbeigleiten, bevor er die Lippen spitzte. Er grinste unwillkürlich, als er Mamoru erstickt aufwinseln hörte. »Pass bloß auf, wen du hier provozierst!« Boshaft schnickte er gegen den Anhänger, der in seiner Sicht nach unten baumelte. Noch immer lächelnd schloss Satoru die Augen wieder, fischte nach einem verpackten Kondom, um sich zu präparieren. Zwei Finger mussten genügen, um Mamoru Mores zu lehren! Der katzbuckelte und schlängelte sein Rückgrat, ließ sich gern verwöhnen, ohne die geringste Scheu. Warum sollte er auch Satoru nicht entgegenkommen? Trotzdem gelang es ihm, eine Hand freizumachen, sein Gewicht auf die andere zu stützen, damit er Satorus Erektion mit dem Gleitgel bestreichen konnte. Er spürte genau, dass sein älterer Partner begriff, wie jede kleine Rache mit einer Revanche beantwortet wurde. Mit einem leichten Ruck befreite Mamoru seine Kehrseite aus Satorus aufreizenden Zugriff, atmete flach durch die bebenden Nasenflügel, um nicht wie eine Lokomotive unter Dampf zu keuchen und steuerte sein Ziel an. "Du wirst dir weh tun!" Obwohl ebenfalls atemlos schnaufte der Ältere eine Warnung, doch Mamoru hatte nicht die Absicht, sich aufhalten zu lassen. Seine Unterschenkel waren kräftig genug, er konnte darauf vertrauen, dass sie ihn tragen würden, wenn er sich langsam auf Satorus Schoß niedersinken ließ. Die eine Hand stützte, die andere griff nach hinten, um den Eingang zu erleichtern. "Warte doch!" Satoru ächzte, den Kopf mühsam angehoben, während er mit beiden Händen Mamorus Hüften umfasste. Der glaubte sicherlich, über genügend Kraft zu verfügen, um es langsam anzugehen, aber Satoru wusste aus eigener Erfahrung, dass die Schwerkraft ein sehr unangenehmer Gegner sein konnte. Mit gepresstem Atem dirigierte er Mamoru, spannte seine Armmuskeln an, keuchte unter dem glühenden Gefängnis, das seine Erektion einverleibte. Mamorus Körper bebte nun, sein Atem klang nach Schluchzen, so groß war die Anstrengung, die er sich selbst abverlangte. "Hilf mir! Kipp dein Becken!" Bemühte sich Satoru, ihn abzulenken, obwohl er selbst die größte Mühe hatte, bei Verstand zu bleiben. Mamoru fehlte eben die Übung, und er selbst hatte sich auf lächerliche und peinliche Weise selbst lädiert, das musste ja Folgen zeigen! Keuchend, in Schweiß gebadet, war es endlich gelungen. Satoru streckte die Arme aus, blindlings, streichelte über den verkrümmten Rücken, sammelte verzweifelt seine Kraft, denn er musste ja wohl die Arbeit übernehmen! Er rechnete selbstredend nicht damit, dass Mamoru vornübergebeugt allen Willen sammelte und darauf fokussierte, die eigenen Schließmuskeln zu spannen. Ein Impuls genügte, die Kettenreaktion auszulösen. Satoru zuckte, sein Körper klappte hoch, traf Mamorus empfindlichsten Punkt zielgenau, sodass weitere Erschütterungen beide schüttelten und wie unter Strom zappeln ließen. Beinahe ohnmächtig kippte Mamoru zwischen Satorus aufgestellte, zuckende Beine nach vorne, tropfte Speichel und Schweiß auf das Handtuch, während Satoru ein Hohlkreuz pflegte, ungesund lange, bis die letzte Eruption ausgebrochen und die Munition verschossen war, dann platt herunter sackte, den Kopf auf eine Seite gewandt. Für lange Minuten wehten nur ihre harschen Atemzüge durch den Kellerraum. Mamoru löste sich notgedrungen zuerst, kauerte neben dem Älteren, noch immer um Fassung bemüht. Satoru rollte sich auf die Seite, kämpfte sich zittrig in eine sitzende Haltung. Er fühlte sich angeschlagen und schob das eilig auf den Unfall mit dem Haken. Leicht benommen begriff er kaum, dass Mamoru zu ihm herüber gekrabbelt war, eine Hand auf seine Wange gelegt hatte und ihn küsste, mit häufigen Pausen zum Schnaufen, aber ausdauernd und beharrlich. Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als Mamoru mit beiden Händen gegen dessen Brustkorb wegzuschieben. Dabei spürte er unter seinen Handflächen den sich krausenden Flaum, der nicht mehr rigoros rasiert wurde. In einer betont ärgerlichen und unmanierlichen Geste wischte sich Satoru mit dem Handrücken über die Lippen. Doch auf Mamoru machte er mit dieser Geste des Missfallens keinen Eindruck: der Jüngere lächelte ihn an, kam auf die Beine und holte den Schlauch herbei. Blinzelnd, mit einer Hand behutsam über das Zellstofftuchpaket über seiner Augenbraue tastend, gab sich Satoru geschlagen. Er hatte sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert und begrüßte eine Erfrischung. Dass Mamoru ihn zärtlich einseifte, sanft abwusch und die Wunde mit gebotener Vorsicht behandelte, versöhnte Satorus verletzten Stolz umso mehr. ~+~ Unerwartet für ihn selbst gewöhnte sich Seiji an den neuen Alltag. In der Bahn wusste er sich durch Tomohiko sicher geschützt. Wer ihm zu nahe kam, der musste mit Tomohikos unabsichtlich-gut gezielten Ellenbogenstößen rechnen oder fand seinen Spann erheblich beeindruckt durch Tomohikos Absätze. Wenn sich Mädchen für ihn interessierten, wählte Seiji einfach Tomohikos Taktik und erklärte, er habe schon etwas vor und sei zweitens bereits vergeben. Allerdings musste er dabei immer Tomohikos funkelndem Blick ausweichen, um nicht dunkelrot anzulaufen. »Das kommt aber nur davon, dass ich nicht lügen kann!« Argumentierte er vor sich selbst verunsichert. In der Schule blieb Tomohiko sein steter Begleiter, doch nun wagte Seiji, auch mal Fragen zu stellen, etwas mehr über seinen 'Leibwächter' herauszufinden. Wenn alle schon vermuteten, dass sie 'alte Kindergartenfreunde' waren, wollte er zumindest den Versuch unternehmen, seinen 'alten Freund' näher kennenzulernen. Den nächsten Sonntag verbrachten sie wieder auf einer Decke im verwilderten Abbruchgelände, ungestört und im angenehmen Schatten, lernten gemeinsam. Abends ging es dann noch zur Entspannung in das alte Badehaus. Seiji fühlte sich gut aufgehoben bei Tomohiko. Obwohl es zahlreiche Gelegenheiten gab, die der ausnutzen konnte, hielt sich Tomohiko ungerührt an sein Versprechen, Seiji nicht anzufassen. »Beinahe schon unheimlich!« Diese Willensstärke gab Seiji Rätsel auf. Hatte er Tomohiko vielleicht missverstanden? Wollte der gern mit ihm zusammen sein, aber nur platonisch? Für den kommenden Sonntag hatten sie sich in der Nähe der Bahnstation verabredet, Kinobesuch und danach noch ein wenig einkaufen. Seiji wollte nicht zu sehr auffallen, schlüpfte in sein einziges Paar Bluejeans und streifte ein leichtes Baseballhemd über, das ihm sein Großvater geschenkt hatte, weil sie beide gerne Baseball im Fernsehen verfolgten. Mit seinem geliebten Stoffbeutel bewaffnet machte sich Seiji auf die turnschuhbewehrten Sohlen. Er folgte der kurzen Skizze, die Tomohiko für ihn auf Papier geworfen hatte, um sich nicht zu verlaufen. Vor dem Kino angelangt versuchte er, sich am Rande der pulsierenden Menschenmasse zu halten. In dem Gebäudekomplex waren zahlreiche andere Lokalitäten der Unterhaltungsindustrie untergebracht, Spielhallen, Clubs, Karaoke-Läden, Cafés und Modeketten. Seiji zögerte, kramte in seinem Beutel, ob er nicht seine Telefonkarte fand, um Tomohikos Mobiltelefon anzuläuten. In diesem Gewühl war es zu leicht, einander zu verpassen. Argwöhnisch schob er sich durch die Menge, um eine der Telefonsäulen zu erreichen. Sie stellte offenkundig einen Treffpunkt für halbseidene Unruhestifter dar, doch Seiji straffte die Schultern, sprach sich selbst Mut zu. Tomohiko war sicher in der Nähe, würde schon auf den ersten Anruf reagieren und ihn hier schnell abholen! "Na, Kleiner, willst du deine Mutti anrufen?" Einer der martialisch eingerüsteten Herumtreiber blockierte den Weg zur Telefonsäule, leckte sich obszön über die Lippen. »Würg!« Kommentierte Seijis Ekelzentrum, bevor Panik ihn erfasste. Besser jede Konfrontation meiden! Er machte also auf dem Absatz kehrt, wollte sich in der Menge verstecken, doch der Unruhestifter erwischte ihn an einem Handgelenk. "Bleib mal schön hier, Prinzessin!" Grölte er triumphierend. Seiji erstarrte, schlug dann auf das Handgelenk des Älteren ein, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. Wieso half ihm niemand?! Konnten die nicht sehen, wie seine Schuhe über den Boden schleiften, weil er nicht mitgehen wollte?! Schließlich verlieh die Angst Seiji genug Mut, um wild zu treten und zu schlagen. "Oi, du verzickter Bengel, lass das!" Ein wuchtiger Faustschlag in den Magen betäubte Seiji, der spürte, wie ihm Galle in die Kehle schoss. Er spuckte aus, fing sich eine Ohrfeige ein. Seine Lippe platzte auf, in seinem rechten Ohr hörte er nur noch ein Summen. Vage wurde ihm bewusst, dass die Typen ihn einfach in eine der schmutzigen Hintergassen verschleppten, an seinem Baseballhemd zerrten. »Nein! NEIN!« Flehte Seiji verzweifelt um Hilfe, zappelte in den schweißigen Griffen. Da waren fremde Hände auf seiner nackten Haut, jemand spuckte ihm ins Gesicht! Zog ihn an seinen Haaren, als wolle er sie ausreißen! Wenn er doch nur schreien könnte! Aber seine Kehle war zugeschnürt, der Gaumen von der hochsteigenden Galle verätzt. Nun war es zu spät, da einer ihm ein dreckiges Tuch in den Mund stopfte. Plötzlich jedoch kam Seiji frei, landete hart auf dem Asphalt. Durch einen klebrigen Tränenfilm beobachtete er, wie vor seinen Augen ein Kampf entbrannte. Jemand fasste ihn am Handgelenk, zerrte ihn hinter sich her, rannte mit ausgreifenden Schritten. Seiji stolperte, prallte gegen Hindernisse, würgte an seiner Galle und Übelkeit, bekam kaum noch Luft. Er glaubte ohnmächtig zu werden, da wurde es unerwartet dunkel um ihn, ruhig. Aber er stürzte nicht erneut hart, sondern landete weich, auf knisterndem Stoff. Als der Knebel aus seinem Mund entfernt wurde, vollgesogen mit erbrochener Galle und Blut, rollte er sich in einer embryonalen Haltung zusammen und schluchzte in den weichen Stoff unter seiner aufgeschürften Wange. "Es tut mir leid!" Wiederholte eine belegte Stimme immer wieder, aber Seiji presste die Hände auf die Ohren, wollte nichts mehr hören oder sehen. Unsichtbar werden. ~+~ Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Seiji konnte nicht mehr weinen, fühlte sich benommen und fiebrig. Außerdem taten ihm die Knochen weh, jeder einzelne, sodass er sich gezwungenermaßen ausstrecken musste. Tomohiko saß neben ihm auf einem Doppelbett. Entgegen seiner gewohnt ruhigen Ausstrahlung wirkte er blass und erschüttert. Hastig rollte sich Seiji weg, verlor das Bett unter seinen Knien und stürzte auf den Teppich. Ohne sich um Tomohikos Aufruf zu kümmern kroch er auf allen Vieren eilends in das beleuchtete Badezimmer, lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht gegen die Tür und schloss sich ein. Er kauerte sich über die Toilettenschüssel, würgte, bis ihm schwindlig wurde. Mühsam gelang es ihm, sich auf die Beine zu ziehen, am Waschbecken einen der bereitstehenden Becher mit Wasser zu füllen und in schluchzenden Schlucken zu leeren. Im Spiegel konnte er seinen eigenen, verheerenden Anblick betrachten. Das Baseballhemd war wie seine Jeans schmutzig, schlimmer noch, der Stoff war an mehreren Stellen zerrissen. Er hatte Schürfwunden an Armen und Beinen, einen sich färbenden Bluterguss auf der Wange, wo ihn der Schlag getroffen hatte. Seine Lippe war aufgeplatzt, die Kruste zeichnete sich schwärzlich ab, würde sich lösen, wenn er die Miene verzog. Mit beiden Händen umklammerte Seiji das Waschbecken, zwang sich dazu, tief ein- und auszuatmen. Er durfte nicht in Panik verfallen! Mit eiserner Entschlossenheit streifte er sich die schmutzigen Kleider ab, stieg unter die Dusche. »Zuerst muss all der Dreck runter!« Beschloss er. Die Erinnerung an die gierigen Hände, die ihn schänden wollten, trieb Tränen in seine Augen. Zweimal schäumte er sich gründlich ein, nahm keine Rücksicht auf die Wunden, spülte sich ab, bis er glaubte, dass seine Haut Falten schlug. Seiji streifte sich einen der bereit hängenden Bademäntel über, kauerte sich auf dem Boden zusammen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Wie sollte es weitergehen? Er hörte, wie Tomohiko an die Tür klopfte. "Seiji? Seiji, hörst du? Ich-ich habe frische Wäsche für dich vor die Tür gelegt. Wenn du willst, warte ich vor der Zimmertür." Für einen langen Moment schloss Seiji die Augen, legte den Kopf in den Nacken. Er hatte inzwischen begriffen, wo sie Zuflucht gesucht hatten: in einem Love-Hotel. Daran ließ die geschmackvolle Ausstattung mit ihren zahlreichen, werbenden Aufschriften keinen Zweifel. Sollte er wirklich darauf bestehen, dass Tomohiko auf den Gang trat, während er sich im Badezimmer anzog? Ächzend kam Seiji aus der unbequemen Haltung auf die Beine, entriegelte die Tür. Vor seinen Füßen, noch verpackt, lagen Wäschestücke. Tomohiko musste sie eilig gekauft haben, während er unter der Dusche stand. Der selbst stand mit dem Rücken an der Zimmertür, auf Sicherheitsabstand bedacht. "Es tut mir leid." Krächzte er unglücklich. "Da war ein Verkehrsunfall..." "Du warst zu spät!" Unterbrach Seiji mit überschlagender Stimme. "Ja, ich weiß, wirklich, es tut mir leid..." Tomohiko nahm einen neuen Anlauf, aber Seiji fuhr lautstark dazwischen. "DU WARST ZU SPÄT! ZU SPÄT!" Schon wieder liefen ihm Tränen über das Gesicht, er schniefte und kletterte über die verpackte Wäsche, hielt auf Tomohiko zu. "Es ist DEINE SCHULD! DU WARST ZU SPÄT!!" Er packte Tomohiko bei den Jackenaufschlägen des Blousons und schlug ihm immer wieder auf die Brust, schluchzte und schniefte seine Anklage. "Es tut mir leid, Seiji. Es tut mir so leid!" Auch Tomohiko klang erschüttert, blinzelte heftig. "Bitte, verzeih mir! Ich wollte dich nicht versetzen! Es tut mir so leid!" Seiji aber trommelte, heulte und sprühte Tomohiko mit Tränen und Speichel ein, bis ihn die Kräfte verließen und er vor ihm auf den Boden sank. ~+~ Ein zweites Mal erwachte Seiji auf dem weichen Doppelbett. Dieses Mal war die Tagesdecke jedoch zurückgeschlagen, er selbst warm eingepackt. Tomohiko saß neben ihm, Seijis geliebten Beutel auf dem Schoß. "Wie geht es dir?" Erkundigte Tomohiko sich mit gedämpfter Stimme. Seiji wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. "Beschissen." Zischte er, jedoch ohne Nachdruck. "Dann-dann werde ich meinen Vater anrufen, damit er uns abholen kann." Tomohiko unternahm Anstalten sich zu erheben und nach seinem Mobiltelefon zu fahnden. "Nein!" Seiji schoss hoch, verzog das Gesicht, weil er sich einige Sehnen zerrte, packte einen Blousonärmel. Tomohiko wandte sich zu ihm um, zupfte behutsam den verrutschten Bademantel wieder auf die Schulter. "Tut mir leid, Seiji, aber ich habe nicht mehr genug Geld für ein Taxi. Und wir müssen ja nach Hause kommen." "Ich-ich kann laufen!" Seiji hustete. "Ruf niemanden an! Es geht schon! Ganz sicher!" Tomohiko betrachtete ihn einen langen Moment, klappte dann sein Mobiltelefon zu. "Willst du-willst du sie anzeigen?" Erkundigte er sich schließlich. Seiji senkte den Kopf, schüttelte ihn dann bedächtig. Wenn er zur Polizei ginge, würde er alle furchtbaren Einzelheiten preisgeben müssen. Fremde Leute würden ihn überall anfassen, um Beweise zu sammeln. Er würde sich an ihre Gesichter erinnern müssen, obwohl sie für ihn nun nur noch ein unklarer Brei waren. Ein Glockenschlag ließ ihn zusammenschrecken. Tomohiko seufzte. "Wir haben noch fünf Minuten. Dann müssen wir hier raus sein." "Ich-ich ziehe mich rasch an." Unbeholfen löste sich Seiji aus der Decke, kam schwankend auf die Beine und sammelte eilig die Wäschepakete ein, um sich im Badezimmer anzukleiden. Seine schmutzigen Kleider deponierte er in einer der Tüten. Als er das Badezimmer verließ, in eine sommerliche Kombination aus Baumwollstoff gehüllt, bronzefarben in einem abgewandelt chinesischen Zuschnitt, wartete Tomohiko mit seinem Beutel bereits an der Tür. "Tut mir leid, dass ich nichts Besseres gefunden habe." Entschuldigte er sich leise, deutlich geknickt. Seiji zögerte. Tomohiko hatte für die Zeit im Love-Hotel bezahlt und ihm eine ganz neue Garderobe besorgt, sogar neue Unterwäsche und frische Socken. "Das-das ist schon in Ordnung." Murmelte er hastig. Dann stutzte er. Hielt Tomohiko seinen Arm nicht etwas merkwürdig? "Warte mal!" Seiji fasste Tomohiko am Blouson, der ihm ausweichen wollte. "Was ist mit deinem Arm los? Zeig her!" Tomohiko wich zurück. "Nichts passiert. Hör mal, es tut mir auch leid, dass ich dich gepackt habe. Ich wollte dich nicht anfassen, aber der Reflex..." Testete er ein Ablenkungsmanöver. »Also doch!« Seiji presste die Lippen aufeinander. Es WAR Tomohiko gewesen, der ihn gefunden und sich auf die Vergewaltiger geworfen hatte! "Zeig mir deinen linken Arm." Betonte er grimmig jede Silbe. Widerstrebend rollte Tomohiko den Ärmel hoch, dirigierte Seiji gleichzeitig in den Flur, bevor sie erneut für eine Stunde bezahlen mussten. Dort war es der Diskretion geschuldet sehr dämmrig, aber Seiji gab sich nicht damit zufrieden, fasste Tomohikos linke Hand und zerrte ihn hinter sich her auf die Straße. Dort, wo noch die gleißende Sonne am Himmel stand, konnte er sehen, dass der Unterarm sich bereits verfärbte, angeschwollen war. "Ist-ist er gebrochen?" Seiji hatte keine Erfahrung mit solchen Verletzungen und fühlte sich plötzlich flau. "Dann könnte ich meine Finger nicht mehr bewegen." Tomohiko setzte ein schiefes Grinsen auf. "Verstaucht und tut höllisch weh." Gestand er ein, zwinkerte Seiji zu. "Aber das ist meine Schuld. Ich war zu spät und habe die Stange nicht kommen sehen." Seiji stiegen die Tränen in die Augen. Er WUSSTE, wie ungerecht sein Vorwurf gewesen war, dass er aus Todesangst ausgerechnet die Person verletzt hatte, die ihm als einzige in der Not beigestanden hatte. Dass seine Wut über die versuchte Vergewaltigung sich den denkbar unverdientesten Adressaten ausgesucht hatte. Er wollte sich entschuldigen, aber erneut brachte er kein Wort heraus, biss sich wütend auf die zitternden Lippen, woraufhin die Schnittwunde wieder zu bluten begann. "Es tut mir sehr leid, Seiji. Bitte verzeih mir." Tomohiko stellte die Tüte mit Seijis schmutzigen Kleidern ab, die er wie selbstverständlich an sich genommen hatte, fischte ein sauberes Taschentuch aus seiner Blousontasche und tupfte Blut und Tränen von Seijis Gesicht. Seiji lehnte sich vor, legte die Arme um Tomohikos Nacken und ließ die Tränen auf dessen Schlüsselbein und Kragen tropfen. Endlich konnte er seine Entschuldigung wispern. "...tut mir auch leid...Tomo..." ~+~ Mit dem kümmerlichen Bestand von Seijis Barschaft zogen sie sich etwas zu trinken an einem der Automaten, wechselten in einen winzigen Park, der einen Schrein umgab. Seiji hielt noch immer Tomohikos linke Hand, wollte sie nicht loslassen. Auch wenn der Arm schmerzte, er KONNTE einfach nicht! Bloß nicht allein sein unter diesen gleichgültigen Menschen! Tomohiko nahm die Schmerzen und die neugierigen Blicke klaglos auf sich. Sie mussten ohnehin einen seltsamen Anblick bieten: der bildschöne Seiji in seiner neuen Kombination mit rotgeweinten Augen, einer verfärbten Wange und aufgesprungener Lippe. Er selbst sportlich in Jeans und Blouson, leicht verdreckt vom Straßenschmutz, der bei der Prügelei aufgewirbelt worden war. "Was möchtest du jetzt tun?" Erkundigte sich Tomohiko leise, als sie einen beschatteten Sitzplatz gefunden hatten. Seiji neben ihm zitterte leicht, schreckte zusammen als wäre er aus einem Tagtraum gerissen worden. Zweifelsohne ein Albtraum. "Ich weiß nicht." Zweifelnd wandte er sich Tomohiko zu. "Vielleicht sollten wir zu einem Arzt gehen, damit er sich deinen Arm ansieht?" Tomohiko lächelte. "Mehr als Salbe draufschmieren und einwickeln kann ein Arzt auch nicht. Das hole ich zu Hause einfach nach." "Na gut." Murmelte Seiji, ballte die Fäuste, wobei er Tomohikos Finger in seiner Hand einfach vergaß. Warum klapperten ihm bloß die Zähne?! Wie konnte er in der Hitze frieren?! "Seiji?" Tomohiko rückte näher heran. "Seiji, komm mit zu mir nach Hause. Meine Mutter ist auch da, du musst also keine Angst haben. Ruhe dich bei uns aus, ja?" Seiji bebte nun merklich und jeder Versuch, die nervösen Erschütterungen zu verbergen, verstärkte die nächste Welle unwillkürlicher Zuckungen nur noch. "O-o-kay!", Gelang es ihm zwischen klappernden Zähnen zu stottern. "Dann gehen wir." Tomohiko zog ihn auf die Beine. "Wenn wir uns bewegen, wird es etwas besser." Zumindest lenkte es ab. ~+~ Seiji fühlte sich vollkommen erschlagen, als sie Tomohikos Haus erreichten. Dessen Mutter zeigte sich erstaunt, immerhin vermutete sie die beiden ja im Kino und dann bei einem ausgedehnten Einkaufsbummel. Tomohiko versteckte seinen Arm, dirigierte Seiji in sein Zimmer und erklärte seiner Mutter beiläufig, dass sie wohl zu lange in der Sonne gewesen seien, weshalb Seiji ein leichtes Fieber hätte und sich hinlegen müsse. Kaum, dass sie einen Augenblick allein in Tomohikos Zimmer waren, wählte er eilig ein T-Shirt und Shorts aus, die sich Seiji überstreifen sollte. Der hing noch immer an Tomohikos Hand, wiegte sich hin und her, glühte in der Tat vor Hitze. »Der Schock und die Aufregung.« Diagnostizierte Tomohiko und gab der Versuchung nach, über Seijis Wange zu streicheln, ging vor ihm in die Hocke. "Seiji! Seiji, sieh mich an, ja?" Zwang er die streunende Aufmerksamkeit auf sich. "So ist gut. Kannst du dich allein umziehen? Schaffst du das?" Seiji nickte fahrig, bedurfte dennoch einiger Unterstützung, bis er die bronzefarbene Kombination abgestreift und T-Shirt mit Shorts übergezogen hatte. Tomohiko schlug sein Bett auf, in das Seiji mechanisch kroch, bevor er mit einem leisen Seufzer die Lider senkte. Behutsam deckte Tomohiko Seiji zu, wischte mit den Fingerspitzen hauchzart verirrte Strähnen aus dem glühenden Gesicht. Er saß noch auf der Bettkante, als seine Mutter das Zimmer betrat und ihnen zur Erfrischung Melonenscheiben anbieten wollte. ~+~ Tomohikos Kopf zuckte hoch, als sich seine Zimmertür öffnete, Licht hinein drang. Eilig blinzelte er, legte den Zeigefinger an die Lippen, um seinem Vater zu signalisieren, dass der bitte leise sein möge. Seiji schlief schon wieder. Er hatte bis acht Uhr am Abend fest durchgeschlafen, war dann betäubt aufgewacht, wollte sich anziehen und zur Pension laufen, doch Tomohiko hatte ihm das Unterfangen sanft ausgeredet. Es war ihm auch gelungen, Seiji einige Stückchen gekühlter Melone einzutrichtern, bevor der wie ein Stein erneut auf die Matratze gesunken war. "Tomohiko." Gedämpft, aber bestimmt forderte ihn sein Vater auf, den Platz neben Seiji aufzugeben und aus seinem Zimmer zu treten. Matt und mit gesenktem Kopf leistete Tomohiko der Aufforderung Folge. Er rechnete damit, dass auch seine Mutter im Wohnzimmer ihn erwartete, doch sie hatte sich schon ins Schlafzimmer zur Nacht zurückgezogen. "Ich werde mir deinen Arm besser im Bad betrachten, nicht wahr?" Die Stimme seines Vaters klang ungewohnt scharf. "Ja." Murmelte Tomohiko geschlagen. Seiner Mutter musste doch etwas aufgefallen sein! Wie hätte sein Vater sonst darum wissen können?! Langsam wickelte er den linken Ärmel des Sweatshirts hoch, enthüllte die Hämatome. Die Schwellung schmerzte noch immer, obwohl er sie bereits hastig mit Salbe eingekleistert hatte. "Wie ist das passiert?" Sein Arm wurde vorsichtig bewegt, die Reaktionen geprüft. Tomohiko schluckte schwer, wagte es, seinem Vater ins Gesicht zu sehen. "Bitte, sag Seiji nicht, dass ich es dir verraten habe, ja?" Flehte er bedrückt. "Bitte, Papa?" Dann schilderte er knapp die Ereignisse, beobachtete, wie sein Vater den lädierten Arm erneut eincremte und behutsam in einen leichten Verband wickelte. Ohne ein Wort wurde er in die sehnigen Arme gezogen und wie ein kleines Kind tröstend gewiegt. "Es ist besser, wenn ihr euch da eine Weile nicht mehr sehen lasst. Das sind gefährliche Typen." Hörte er die raue Stimme seines Vaters an seinem Ohr. "Verstanden und versprochen, Papa." Antwortete Tomohiko, der sich elend fühlte, weil er seinen Eltern solche Sorge bereitet hatte. "Dann geh jetzt schlafen. Wenn dein Arm morgen nicht besser aussieht, wirst du vor dem Unterricht zum Arzt gehen." Tomohiko nickte, setzte ein tapferes Lächeln auf. "Vielen Dank, Papa." In der Tür drehte er sich noch einmal um und versprach leise. "Ich werde auf mich aufpassen. Das kommt nicht noch mal vor." Tomohiko schlüpfte zu Seiji unter die Decke, studierte eine Weile die Silhouette und suchte den Geruch des Duschgels, der Seijis Haaren entströmte. Vorsichtig bettete er seinen verletzten Arm auf die Decke, rutschte ein wenig näher an Seiji heran, wagte todesmutig, seinen Arm locker auf dessen Seite zu lagern. Seiji wachte nicht auf, legte keinen Protest ein. "Ich liebe dich, Seiji." Flüsterte er sanft in die einsame Dunkelheit. ~+~ Kapitel 10 - Abgründe Als Seiji am Morgen erwachte, weil ein ungewohnter Weckton ihn aus dem Schlaf schreckte, war er für einige Augenblicke desorientiert und sah sich mit verklebten Lidern verwirrt um. Dann tauchte Tomohiko neben ihm unter der Decke auf, rieb sich die Augen und lächelte müde. "Guten Morgen, Sei-chan." "Huh?" Seiji blinzelte heftig, schüttelte schließlich wie ein Hund nach einem Bad den Kopf wild und stöhnte auf. "Was ist los? Was ist los?!" "Ganz ruhig!" Tomohiko schmunzelte, widerstand im letzten Moment der Versuchung, Seiji über den Kopf zu streicheln. "Du bist bei mir zu Hause. Jetzt werden wir gleich frühstücken. Du kannst zuerst duschen, wenn du möchtest." "...oh..." Bei Seiji setzte die Erinnerung wieder ein. Er starrte Tomohiko für einen Augenblick glasig an, dann griff er nach dessen linken Arm und streifte grob den Pyjamaärmel hoch. "Das tut weh, weißt du?" Teilte Tomohiko ihm beiläufig mit. Seijis Hand flog vor den Mund, in seine Augen traten Tränen. "Schon gut." Raunte Tomohiko sanft. "Alles in Ordnung, Seiji. Alles okay." Schniefend und mit einem Schluckauf geschlagen bemühte sich auch Seiji, seine Fassung zu wahren. "Tut mir leid! Ich wollte dir nicht weh tun!" Krächzte er eilig, wischte sich mit dem kurzen Ärmel des T-Shirts über die Augen, gelenkig wie eine Katze. "Nicht so schlimm." Beruhigte Tomohiko, lächelte Seiji aufmunternd an. "Na, was meinst du, zuerst du in die Dusche oder ich? Hm?" "Ähem..." Seiji schluckte und räusperte sich. "Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern zuerst gehen. Ich beeile mich auch!" "Nur keine Hektik." Tomohiko streckte sich, kletterte dann aus dem Bett. "Ich werde schon mal nach dem Frühstück sehen. Bis zur Pension trägst du am Besten die Kombination, oder?" Seiji wandte sich um, sah den ordentlich aufgehängten, bronzefarbenen Anzug im chinesischen Stil. Darunter stand die Tüte, die sein zerfetztes Baseballhemd und die schmutzigen Bluejeans enthielt. Mit trübem Blick stakste er steif vom Bett zur Tüte, ging in die Hocke, um das ruinierte Hemd anzuheben. "Vielleicht kann man es noch flicken." Murmelte Tomohiko bedauernd. Seiji seufzte leise, schüttelte den Kopf. Langsam ließ er das geliebte Hemd in die Tüte sinken, richtete sich auf. "Ich-ich werde dann duschen gehen." Wisperte er, nahm die Kombination samt Bügel und verließ leise Tomohikos Zimmer. ~+~ Das Frühstück verlief in angespannter Stille. Tomohiko vermutete, dass sein Vater seiner Mutter einige Informationen anvertraut hatte, denn sie versuchte nicht, bei Seiji das Fieber zu messen oder ihm einen speziellen Tee gegen Sonnenstich aufzudrängen. Seiji mümmelte auf einer Seite, angestrengt bemüht, seine offenen Haare über die malträtierte Seite zu wischen, die nun deutlich Farbe angenommen hatte. »Wie ein schlechtes Fernsehdrama!« Tomohiko schlürfte gedämpft seine Suppe. Ihm gefiel diese Atmosphäre gar nicht, aber er hatte schließlich seinen Vater um Stillschweigen gebeten. So konnte er sich wohl kaum beklagen. Als sie auf dem Fahrrad saßen, Seiji wie gewohnt auf dem Gepäckträger, brach er zum ersten Mal seit dem Frühstück das Schweigen. "Sie haben es herausgefunden, oder? Deine Eltern." Tomohiko überlegte fieberhaft, wie er reagieren sollte. Abstreiten war zwecklos, doch würde es ein Argument geben, dass Seiji von drastischen Sanktionen abhielt? Wie etwa jeden Kontakt aus Scham mit ihm abzubrechen? "Ich weiß nicht, aber wichtig ist doch nur, dass es dir wieder gut geht, oder?!" Sprudelte er hastig heraus, um Zeit zu gewinnen. Seiji antwortete ihm nicht darauf. Überhaupt schwieg er hartnäckig den gesamten Tag über. Im Waschraum der Bahnstation überschminkte er den deutlich sichtbaren, buntschillernden Fleck auf seiner Wange und verkroch sich in sich selbst. Tomohiko hatte beinahe den Tag schon abgeschrieben, als sie am Abend den Zug verließen. "Hast du es eilig?" Seiji krächzte, weil er seine Stimme den ganzen Tag über kaum genutzt hatte. "Nein." Tomohiko schob sein Fahrrad geduldig, studierte Seijis Profil. Der blieb abrupt stehen, verneigte sich tief vor ihm. "Ich bitte um Verzeihung für die falschen Anklagen, die ich gegen dich erhoben habe. Ich bedaure meine Worte zutiefst." Tomohiko blinzelte perplex. Warum jetzt diese seltsam förmliche Entschuldigung?! Sie machte ihn nervös, ließ ihn Schlimmes ahnen. "Ich danke dir, dass du mir beigestanden hast und dabei sogar verletzt wurdest. Ich stehe in deiner Schuld und in der deiner Familie." Seiji spulte ungerührt Text ab, so unpersönlich, als betreffe es einen anderen, wollte Distanz zwischen sie bringen. "Ich werde deiner Familie nicht mehr zur Last fallen. Deshalb erlaube mir, allein den Schulweg zu bestreiten und sieh bitte von Einladungen zum Wochenende ab." Tomohiko presste die Lippen zusammen, bockte ruckartig sein Fahrrad auf. Er umrundete es rasch, registrierte enttäuscht, dass Seiji ängstlich einige Schritte von ihm weg trat. "Warum tust du das, Seiji?" Mühsam konnte er beherrscht und leise sprechen. "Was soll das jetzt, hm? Du weißt, dass ich dich gern habe, dass ich dir nichts tun werde. Was am Sonntag passiert ist, war ein unglücklicher Zwischenfall und ich bedaure sehr, dass ich so spät gekommen bin." Tomohiko holte tief Luft. "Aber ich werde nicht einfach akzeptieren, dass du vor mir wegläufst. Ich will den Grund erfahren, sonst gebe ich keine Ruhe. Also erkläre mir, was los ist!" "Es ist deine Schuld!" Seiji gab sein Laienschauspiel auf, ballte die Fäuste. "Du bringst mich ganz durcheinander! Ich habe Angst, irgendwo hinzugehen, wenn du nicht dabei bist! Ich traue mich nicht mal in die Schule, wenn du nicht da bist, um mich zu beschützen! Und was ist mit deinen Eltern?! Denkst du, die sind glücklich, wenn du deine Zeit an mich verschwendest?! Du wurdest verletzt, weil du MIR geholfen hast! Glaubst du, sie wollen, dass du dich mit einem Homo abgibst?!" Er rang nach Atem, blinzelte heftig, klemmte sich fahrig fliegende Strähnen hinter die Ohren. "Es ist deine Schuld! Ich habe die Nase voll von dir! Also lass mich in Ruhe, verstanden?!" "Was ICH verstanden habe, ist, dass du mir vertraust. Dass ich keiner von denen bin, die dir etwas antun wollen. Du hast bloß Angst davor, dass du mich wirklich liebgewinnen könntest. DAS macht dir Angst!" Tomohiko rückte näher heran, funkelte aus schwarzen Falkenaugen. "Ist gar nicht wahr!" Protestierte Seiji. "Das stimmt gar nicht!" Er zitterte so sehr, dass ihm die Zähne klapperten. Ob vor Wut oder Furcht, das vermochte er selbst nicht zu bestimmen. "Was meine Eltern betrifft, da musst du dir keine Sorgen machen. Sie wissen, dass ICH dich umwerbe, nicht umgekehrt. Also muss ich ja wohl der 'Homo' sein, oder nicht?! Niemand macht dir Vorwürfe oder hält dich für frivol oder leichtfertig. Willst du das endlich einsehen?!" Tomohiko zeigte sich ungerührt. Seiji starrte, sämtliche Farbe bis auf den überschminkten Fleck auf seiner Wange wich aus seinem Gesicht. "Du-du hast deinen Eltern erzählt, dass du mit mir...?!" Tomohiko seufzte leise, wischte sich durch die Haare. "Hör mal, es ist gar nicht so dramatisch. Erinnerst du dich an den Aufnahmetest für die Schule? Ja, genau, den. Du warst mit deinen Eltern hier. Ich habe dich gesehen, als du in deiner alten Schuluniform ganz eingeschüchtert zu den Prüfungsräumen gegangen bist, dann noch mal, als du Hand in Hand mit deinen Eltern strahlend und lachend zum Parkplatz gelaufen bist." Ein verlegenes Lächeln zuckte in Tomohikos Mundwinkeln. "Auf so etwas wie Liebe auf den ersten Blick soll man zwar nicht vertrauen, aber ich war derart hingerissen von dir, dass ich dich einfach nicht vergessen konnte. Ich habe nach dir gesucht, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, wer du bist und ob du auch auf diese Oberschule gehen würdest." Er holte tief Luft, kreiste mit den Schultern, bevor er Seiji wieder ansah. "JETZT kennst du mein Geheimnis. Ich will dich seit unserer ersten Begegnung für mich gewinnen. Mir geht es nicht um Sex oder darum, dich zu besitzen." Vorsichtig streckte er eine Hand aus. "Seiji, ich möchte mit dir zusammen sein. Ich strenge mich an, um dir ein guter Freund zu sein, ein Partner. Bitte, gib mir noch eine Chance." Seiji betrachtete die ausgestreckte Hand, als sehe er sie zum ersten Mal. Tomohiko MACHTE ihm Angst. Schließlich raste deshalb ja das Herz in seiner Brust so sehr, dass er kaum noch etwas anderes zu hören vermochte! »Wenn ich jetzt nachgebe...wenn ich jetzt...« Ja, was dann? War es wirklich so schlimm, Tomohiko in seiner Nähe zu wissen? Hatte der ihn auch nur einmal enttäuscht oder im Stich gelassen? »Will ich denn wirklich mein Leben lang Angst haben und weglaufen?« Seiji biss sich auf die Lippen, schmeckte Blut und wischte sich mit einer Hand über die Augen, schniefte. »Das wird mir hier langsam alles zu viel!« "Seiji?" Tomohiko schnurrte fast, sanft, tief und besorgt. "Schon gut!" Schnaubte Seiji, grapschte die ausgestreckte Hand grob. "Ich hab's ja kapiert!" Tomohiko zögerte. "Dann erlaubst du mir, dich für einen Augenblick in den Arm zu nehmen? Den linken Arm? Ja?" »Jetzt will er mich schon wieder trösten!!« Lärmte Seijis Stolz geknickt, aber der Rest seines Empfindens knebelte ihn. "Na gut." Brummte Seiji, ließ sich behutsam einen Arm um die Taille legen und an Tomohikos Brust ziehen. Der Geruch und die Wärme waren ihm vertraut. Er glaubte sich daran zu erinnern, dass Tomohiko ihn schon einmal im Arm gehalten hatte. Nach einer gefühlten Minute schließlich zog sich Tomohiko widerstrebend zurück. "Ich schätze, wir sollten uns langsam auf den Weg machen." Begründete er sein Verhalten. "Sonst sucht man noch nach uns." "Also, das würde mir gerade noch fehlen!" Gespielt ärgerlich rollte Seiji die Augen und legte eine Hand auf den Fahrradlenker. Dass sie über Tomohikos Linker ruhte, war nicht sein Problem. Der unverbesserliche Kerl sollte seinen Arm ja eigentlich schonen, oder nicht?! Vor der Pension tauschten sie einen kurzen Gruß zur Nacht aus. Seiji betrat aber erst das Haus, als er Tomohiko nicht mehr sehen konnte. ~+~ Tomohiko gewöhnte sich daran, dass Seiji sich ab dem nächsten Morgen in der Bahn stets mit einem Finger in seiner linken Hand einhakte. Keine große Sache sollte man meinen, aber für jemanden, der so viel Angst vor Berührungen hatte und sich verzweifelt um Selbstbehauptung bemühte, ein großer Schritt. Tomohiko stand fortan nicht mehr mit dem Rücken zu Seiji, sondern bot ihm die Front zum Anlehnen. Er konnte ja immer noch in den spiegelnden Fensterscheiben das Treiben hinter seinem Rücken beobachten. Sein linker Arm erwies sich als gewohnt hart im Nehmen und verlor noch schneller die bunte Färbung als Seijis Wange. Trotzdem sorgte sich Tomohiko um Seiji, dessen Augen dunkle Ränder zierten. Wahrscheinlich plagten ihn Albträume, doch Tomohiko gegenüber erwähnte er nichts davon. ~+~ Motoki rieb sich über die Nasenwurzel, die Brille ordentlich vor sich auf der Schreibtischplatte abgelegt. Er war weniger müde als betäubt, in einem Zustand, in dem Schlaf zu weit weg schien, um noch attraktiv zu sein. In seiner Schläfe pochte ein dumpfer Schmerz, von den Tabletten bekämpft. Die Koffeintabletten hielten ihn wach, Kohletabletten sollten die Magenschmerzen lindern und er kaute Dragees, um den Zahnschmelz zu bewahren, wenn ihm gallige Säure die Kehle hochstieg. Es konnte nicht so weitergehen, das wusste er selbst. Er funktionierte, zumindest wie ein Automat. Er reagierte auf Situationen, mit denen er vertraut war. Auswendig lernen, aus dem Gedächtnis herunterbeten oder niederschreiben. Abrechnungen prüfen. Budgets im Rechner verwalten. Doch wenn die erste Frage kam, die ihm Initiative und Einfallsreichtum abfordern würde, dann, das wusste Motoki genau, dann würde er scheitern. »Es ist erbärmlich.« Ging er streng mit sich ins Gericht. Man sollte nicht hadern oder zaudern, wenn eine Entscheidung getroffen werden musste! »Aber-aber ich kann es nicht!« Da war eine markerschütternde, lähmende Angst, die ihn ergriff. Die einzige Aktion betreffs des 'Gentlemen's Club', zu der er sich hatte durchringen können, bestand darin sicherzustellen, dass die Funktionen außer Betrieb waren, dass Nachrichten und 'neues Material' sowie Anfragen nicht mehr angenommen wurden. Motoki ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken, presste eine Hand auf seinen Bauch. Das Zwerchfell schmerzte, alles tat weh, obwohl er kaum etwas gegessen hatte, eigentlich nur Tee getrunken und die löslichen Hilfsmittel geschluckt! »Eine Lüge zieht immer weitere Lügen nach sich.« Ermahnte er sich selbst. »Triff endlich deine Entscheidung!« »Aber ganz gleich, welche Wahl ich treffe, es nimmt kein gutes Ende!« Hielt er dagegen, worin auch eine Ursache für sein Zögern bestand. »Aber so geht es nicht weiter!« Widersprach seine innere Stimme energisch. In der Tat, denn Motoki wusste genau, dass man ihm seine schlechte Verfassung ansehen konnte, dass er fahrig wirkte, die Hände ständig klamm waren, er sich den kalten Schweiß von Gesicht und Gliedern abtupfen musste. Dass er seiner Familie aus dem Weg ging, morgens früh genug aufstand, um niemandem zu begegnen und abends spät zurückkehrte. Dass er log, was seine Mahlzeiten betraf. Dass er kaum noch schlafen konnte und behauptete, er lerne, obwohl er minutenlang auf seine Unterlagen starrte, ohne überhaupt etwas wahrzunehmen. Motoki zuckte zusammen, als jemand an die Schiebetür anklopfte. "Ja, bitte?" Krächzte er heiser, schob eilig einen weiteren Dragee in den Mund. »Bloß nicht nach Galle stinken!« Die Tür wurde beiseite geschoben, und ein großer Schüler beugte sich unter dem Türsturz hindurch. "Guten Tag, bitte nimm doch Platz! Wie kann ich dir helfen?" Motoki lächelte gegen die Nervosität an, während er verzweifelt versuchte, sich an diesen Schüler zu erinnern. Es musste sich um einen Schüler der ersten Oberstufe handeln. Die dunkelbraunen Haare waren zottig und strähnig, erstaunlich lang und wirkten so, als habe ihr Besitzer lange keinen Kamm mehr in Gebrauch genommen. Die Mandelaugen waren schmal und machten unter den feinen, schwarzen Augenbrauen einen bedrohlichen Eindruck. Das Gesicht insgesamt war kantig, wies Spuren von Bartschatten auf und erinnerte Motoki an einen Halbstarken. Oder einen Yakuza. In jedem Fall an eine Person, die provozierte und Ärger machte. Die Schuluniform war ungebügelt und faltig, das Hemd am Kragen ausgefranst. Motoki lächelte weiter, versuchte zu verstehen, was sein Gegenüber von ihm erwartete. "Entschuldigung, aber ich glaube, ich kenne deinen Namen nicht...?" Bemühte er sich um eine weitere Einleitung in das Gespräch. Sein Gegenüber unternahm keine Anstalten, sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch hinzusetzen. Vielmehr lehnte er seine geschätzten 1,90m über die Platte, die Hände um die Kanten gebogen, als wolle er den Tisch zerschmettern. Die Lippen formten einen dünnen, verärgerten Strich. Motoki wich zurück, konnte auch ohne Brille auf der Haut winzige Sprenkel erkennen. "Du hast nichts unternommen." Raunte der Schüler bedrohlich, funkelte Motoki finster an. "...ich-ich verstehe nicht...?" Motoki blinzelte heftig, wich zurück, um die Brille aufzusetzen. Ihm war schlagartig eisig kalt. "Kitamura. Arashi Kitamura. Erste Oberstufe." Zischte der groß gewachsene Schüler, um dann heftig und für Motoki vollkommen unerwartet auf die Tischplatte zu schlagen. "DU HAST NICHTS UNTERNOMMEN!" Der Vorwurf gellte in seinen Ohren. Motoki zitterte unwillkürlich, rang nach Luft. Er war noch nie in seinem Leben so laut und so wutentbrannt angeschrien worden. Arashis Gesicht drohte über ihm, vor Abscheu und Hass verzerrt, die Fäuste geballt. "Eine Woche!" Fauchte er heiser. "Eine ganze Woche habe ich dir gegeben, Herr Schülerpräsident Haruno!" Spuckte er die Silben verächtlich aus. "Du hast NICHTS unternommen!" "...wirklich...ich weiß..." Motoki schnappte nach Luft, verängstigt und eingeschüchtert. In SEINER Welt reagierte niemand so, bedrohte, bedrängte. "Nein." Arashi lächelte zuckersüß und bitter zugleich. "Bitte, versuch nicht, mich zu belügen." Seine Stimme säuselte giftig. "Ich habe Protokolle, in denen ich deine Aktivitäten am Rechner aufgezeichnet habe. Ich WEISS, dass du nichts unternommen hast." Er richtete sich auf, starrte angewidert auf Motokis fahles Gesicht. "Oh, ich habe natürlich auch diese kleine Liste gesehen. Sehr gewissenhaft!" Er würgte voller Hass an den Silben, " Motoki verstand nun. Der 'Gentlemen's Club'! War dieser Kitamura dabei? Falsche Frage, gab es zu ihm einen Eintrag? Eine Kennzeichnung?! "Fein." Arashi lächelte rasiermesserscharf. "Du hast deine Wahl getroffen, Herr Schülerpräsident! Machst deinen Vorgängern alle Ehre!" Wieder spuckte er die Silben förmlich aus. Da er keine Attacke erwartete, traf es Motoki vollkommen überraschend, am Oberarm von seinem Stuhl hochgerissen und weggeschleudert zu werden. Arashi beachtete ihn jedoch nicht weiter. Er war nicht mehr als ein lästiges Hindernis gewesen, um an den Arbeitsplatzrechner zu gelangen. "Warte! Was tust du denn da?!" Motoki quietschte vor banger Vorahnung. Arashi warf ihm einen Blick über die Schulter zu, voller Verachtung. "Stell dich nicht dumm. ICH werde alles dem Direktorium zusenden." "NEIN!" Motoki hängte sich an Arashis Arm. "Bitte tu das nicht, Kitamura-kun!" Ein hasserfüllter Blick traf ihn, doch Motoki haspelte panisch weiter. "Denk bitte an die Konsequenzen! Ich habe doch schon verhindert, dass es weitere Aktivitäten gibt! Ich rede mit jedem einzelnen Betroffenen, versprochen!! Ich kümmere mich um alles! Wenn du jetzt die Meldung machst, dann ist der Ruf unserer Schule ruiniert! Denk doch an die Abschlüsse! An das Renommee! Wir können nur verlieren..." Weiter kam Motoki nicht, weil Arashi ihn wie ein lästiges Insekt abschüttelte und mit einer Hand um den Hals packte. "Du WIDERST mich an!" Knurrte er Speichel sprühend in Motokis Gesicht. "Willst du mir etwas von EHRE erzählen? Von Loyalität? Zu wem? Zu dieser Schule?! Zu ihren Schülerpräsidenten?! Denen, die DAS HIER ausgebrütet und jahrelang gedeckt haben?!" Motoki zitterte, umklammerte verzweifelt das Handgelenk, dessen Griff ihm die Luft abschnürte. "Wo ist deine Loyalität mit den Opfern, hm?" Arashi flüsterte nun bitter. "Wo ist ihre Ehre?! Denkst du wirklich, sie KÖNNEN das alles vergessen? Willst du für sie die Entscheidung treffen, dass besser über alles der Mantel des Schweigens ausgebreitet wird? Wer bist du, GOTT?!" Gerade noch seine Fußspitzen tanzten in den Schulschlappen über den Boden. Motoki zappelte unwillkürlich, weil sein Körper leben wollte! Verzweifelt über den Hemdsärmel und die nackte Haut darunter kratzte, Striemen zog. Arashi ließ los. Mit einem dumpfen Geräusch brach Motoki in die Knie, rang zusammengekauert nach Luft, spuckte galligen Speichel aus. Sein ganzer Körper zuckte und bebte in der Anstrengung, wieder zu Atem zu kommen. "Sieh dich doch nur an, Herr Schülerpräsident!" Arashi ragte vor ihm wie ein Fels auf. "Was für ein jämmerliches Zerrbild!" "Bitte!" Motoki drückte die Stirn auf den kalten Boden, umfasste einen von Arashis Knöcheln. "Ich flehe dich an, bitte tue das nicht! Ich stehe dafür ein, ich übernehme die Verantwortung! Doch bitte, BITTE, Kitamura-kun, bewahre Stillschweigen!" "Pff!" Schnaubt Arashi über ihm, dann jedoch beugte er sich herunter, fasste in Motokis Kragen, um ihn aufzurichten. "Was bietest du mir? Wie viel bist du bereit, für mein Schweigen zu bezahlen?" Motoki blinzelte. Er fühlte sich elend und schwindlig, außerdem spürte er den eigenen Auswurf auf seinem Gesicht kleben. Er ekelte sich vor seiner eigenen Angst. "Wie-wie viel verlangst du?" Selbst seine Stimme klang klein und schwächlich. Arashi gab Motokis Kragen frei, ließ sich auf dem Schreibtisch nieder, als gehöre der zu seinem Eigentum. "Hast du die Einträge gelesen? Und die Bilder gesehen? Alle Bilder?" Erkundigte er sich bei Motoki trügerisch sanft. Die Lippen eingerollt, um sie zusammen zu pressen, nickte Motoki stumm. Er wünschte sich, niemals vom 'Gentlemen's Club' erfahren zu haben. "Dann weißt du ja, WAS das für ein NETTER Club war." Mit der Spitze eines Schulschlappens hob Arashi Motokis Kinn an, drückte die Zehen in dessen Kehle. "Was-was soll ich tun?" Motoki fühlte sich fiebrig. Er begriff, auf eine schwerfällige, beinahe gleichgültige Weise. Arashi wollte Kompensation und ER sollte sie leisten. Es ging nicht um Geld. Es ging um Macht. Um Demütigung und Erniedrigung. Befriedigung aus gemeinen, niedrigen Gelüsten. Arashi musterte ihn. "Wisch dir das Gesicht ab." Antwortete er schließlich. "Und dann zieh dich aus." ~+~ Motoki spürte nur noch die betäubte Ruhe und das dumpfe Pochen in seinen Schläfen. Der nackte Boden war nicht sonderlich sauber, er konnte den Schmutz an seinen Fußsohlen schon ahnen, doch diese Empfindung wirkte seltsam fern. Arashi hatte sich einen Stuhl umgedreht und ritt nun entspannt. Die schwarzen Mandelaugen fixierten Motoki, der keine Anstalten unternahm, seine Blöße zu bedecken. »Ich habe Fieber.« Dachte Motoki stumpf. »Aber wenigstens haben die Bauchschmerzen aufgehört.« "So, jetzt dreh dich mal langsam." Arashi grinste ohne Humor, richtete eine kleine Kamera auf Motoki. "Ich darf dich darauf hinweisen, dass solche Geräte an der Schule verboten sind?" Motoki hörte sich zu seiner Überraschung automatisiert plappern. "Ausgenommen sind natürlich die Aktivitäten der Medien-AG." Ihn schwindelte, sodass er im Reflex eine Hand gegen die Stirn presste. "Setz dich auf den Tisch." Arashi schien gegenüber seinem Zustand gleichgültig. Motoki kletterte ungelenk auf seinen Schreibtisch. "Dreh dich zu mir." Arashi funkelte ihn an. Betäubt folgte Motoki den Anweisungen, blinzelte. Wenn er eine Koffeintablette nähme, dann wären seine Augenlider jetzt nicht so schwer. "Spreize die Beine." Die dunkle Stimme wurde zu einem Raunen, das von Ferne zu kommen schien. Motoki schloss die Augen, spürte die Tränen des pochenden Kopfschmerzes in seinen Wimpern hängen. Er tat, wie ihm geheißen, stützte sich auf die Ellenbogen, weil die Arme ihm so zitterten. "Du darfst dich auf den Rücken legen. Aber die Beine bleiben aufgestellt." Gestattete die sonore Stimme eine Erleichterung. "Jetzt besorge es dir." Motoki zögerte, hob den Kopf leicht an, versuchte durch den schmierigen Tränenfilm in der einsetzenden Dämmerung etwas zu erkennen. "...ich verstehe nicht...?" Brachte er mit schwerer Zunge hervor. Jemand lachte leise. Amüsiert und verbittert zugleich. Bevor Motoki seine Frage wiederholen konnte, weil er sich trotz des Bodennebels in seinem Kopf gehorsam zeigen wollte, erklärte die dunkle Stimme nachsichtig. "Selbstbefriedigung, Herr Schülerpräsident. Du wirst bestimmt mit den Einzelheiten vertraut sein." Für einen langen Augenblick sortierte Motoki seine dahintreibenden Gedanken. Dann antwortete er leise. "...ich bin nicht sicher, dass ich..." "Es ist ganz einfach." Nun klang die eindringliche Stimme beinahe zärtlich. "Du kennst doch die Bilder, die kurzen Videos. Immerhin sind wir HIER im 'Gentlemen's Club', nicht wahr?" Als Motoki sich nicht rührte, ergänzte Arashi lässig. "Nun, wenn du nicht möchtest, werde ich einfach die Nachricht an das Direktorium absetzen. Es ist DEINE Wahl." "Ich-ich tue es!" Versicherte Motoki eilig. "Gut. Und überzeuge mich. Mach es richtig. Sonst sehe ich unsere Verhandlungen als gescheitert an." Motoki atmete tief durch. Er hatte keine Übung in 'solchen' Dingen. Erstens teilte er sich ein Zimmer mit seinem Großvater, zweitens hatte er keine Muße, um sich ungestörten, egoistischen Vergnügungen hinzugeben und drittens erblindete man davon. Nun ja, an den letzten Teil glaubte er selbstverständlich nicht, doch eine Verschwendung von Ressourcen sollte man nicht leichtfertig begehen. Er dachte an die wacklige Aufnahme, die er gesehen hatte, von einem Mobiltelefon gefilmt. Ein ganz privater Moment vor fremden Augen dargeboten, herabgesetzt, entwürdigt. Langsam ließ er die Hände über die Innenseite seiner Schenkel gleiten. Die Erinnerung an die schockierenden Aufnahmen führte ihn wie ein Skript. Seine Fingerspitzen glitten über seine Genitalien, zuerst scheu, überrascht von der Hitze, die mit der Kälte unter seinem nackten Rücken kontrastierte. Motoki wusste, dass Arashi ihm zusah, doch diese Gewissheit verlor sich in dem Maße, in dem sich die Wärme ausbreitete. Er verteilte sie mit den Fingerspitzen, streichelte sie in seinen Unterleib, begann, um seinen Penis Spiralen zu ziehen. Sein Körper reagierte. Ohne sein Zutun ließen sich die Beine weiter spreizen, die Zehen krümmten sich im Reflex, als wollten sie ihre Beweglichkeit beweisen. Und dann war da dieses Bedürfnis, zuzufassen und fest zu umschlingen, mit dem Daumen über die Spitze zu streichen, immer wieder. Dort waren bestimmte Punkte, einzelne Stellen, die nach ihm riefen. Wie eine Wunde, die man einfach kratzen MUSSTE. Er spürte, wie sich der Druck aufbaute, wie er nach Luft rang, als er sich mit der freien Hand über den Brustkorb strich. Sollte er auch die eigenen Brustwarzen drehen und kneifen? Oder reichte es, sie zu berühren, über die Spitze zu tanzen? Wenn er mit den Hüften der massierenden Bewegung folgte, wie ein Fahrstuhl auf und nieder glitt, entsprach er den Erwartungen Arashis? In der Dunkelheit seiner gesenkten Lider vergaß Motoki die Außenwelt, ließ alles willig hinter sich, das ihn quälte und bis zur Erschöpfung trieb. Sein Rückgrat bog und wendete sich, bockte, zuckte ganz flach, drängte die heftigen Atemzüge in den Hintergrund. In seinem Magen brodelte es, tiefer noch spürte er Wellen wogen und aufbranden, heiße, tröstlich wärmende, alles überschwemmende Fluten. Motoki wollte den Schmerzen, dem Druck, den Erwartungen und der ausweglosen Lage entfliehen, alles geben, damit nichts mehr übrigblieb, sich befreien von der unerträglichen Last. Er spürte die Eruption, den feuchten Niederschlag, das Aufeinanderschlagen seiner Zähne und das Knacken im Genick. Aber alles war gut, weil sein Bewusstsein sich abschaltete. ~+~ Motoki blinzelte, wandte den Kopf ein wenig. Nun baumelten seine Beine über die Tischkante, hingen wie alte Algen zum Trocknen leblos herunter. Ein Luftzug streifte ihn, markierte die Stellen auf seinem nackten Leib, wo sein eigenes Sperma ihn getroffen hatte. Er fieberte noch immer. Arashi stand an der Tür, warf ihm einen Schulterblick zu. "Du hast bis morgen Zeit gewonnen." Dann verließ er grußlos den Raum. ~+~ Es war vollkommen dunkel, als Motoki steif und ungelenk vom Schreibtisch herunterrollte, sich die Knie beim Aufprall auf dem Boden aufschlug. Unsicher kam er auf die Beine, umklammerte stützend die Tischkante. »Es ist so still.« Bemerkte er fiebrig, doch die Kopfschmerzen waren verschwunden, eine erfreuliche Entdeckung. Vage ging Motoki durch den Kopf, dass er sich angewidert und beschmutzt fühlen sollte, doch seine Sorgen konzentrierten sich pragmatisch auf das Naheliegende. Er musste sich mit einigen Taschentüchern abwischen, anschließend ankleiden und zügig nach Hause fahren. Um zehn Uhr abends kontrollierte der Hausmeister alle Räume, also hatte er noch zehn Minuten, um sich auf den Weg zu machen. Ungeschickt rieb sich Motoki über die Haut. Sie war kalt, die köstliche Hitze längst verflogen. Wie in Trance kleidete er sich an, schob die Stühle ordentlich an den Tisch und nahm seine Tasche auf. »Morgen!« Tröstete er sich. »Morgen finde ich einen ehrenvollen Ausweg.« ~+~ Es half nicht, sich etwas vorzumachen: die Lage WAR ihm entglitten. Satoru griff nach einem Taschentuch, recht ungelenk, tupfte sich die Augenwinkel ab. Klare Flüssigkeit sammelte sich dort, ein weiterer Indikator grauenvoller Kopfschmerzen. Außerdem konnte er sich kaum bewegen, der Nacken war steif, der Rücken tat ihm weh und jeder Schritt wurde zur Qual. Die Kontaktlinsen konnte er unter diesen Umständen nicht tragen, seine Ersatzbrille war längst nicht mehr stark genug und wirkte mit dem groben Kunststoffgestell klobig und unattraktiv. Außerdem hatte er die letzten Nächte nicht richtig geschlafen, hatte eher gedöst, um von Sorgen und vagen Albträumen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, hochzuschrecken. In der Krankenstation hatte er sich hinlegen dürfen, gerade mal eine Viertelstunde, aber das half auch nicht und die Kopfschmerztabletten zeigten keine Wirkung. »Wenn ich nur Kaffee hätte...!« Doch ohne Koffein in rauen Mengen war Kaffee wertlos und hier gab es kein Koffein im Kaffee! Diese elende Lage hatte ihn in der Überzeugung bestärkt, dass auch sein Erpressungsversuch endgültig gescheitert war: Mamoru schien ihn weder zu fürchten, noch widerwillig zu agieren! »Dummerweise basiert aber die gesamte Erpressung darauf, dass er Angst vor mir hat und mir gehorcht!« Er tupfte erneut die Augenwinkel trocken. Mittlerweile schien der Gehorsam nur ein Lackanstrich zu sein, den Mamoru sich gab, wenn ihm zusagte, was man ihm befohlen hatte. »Außerdem ist er doch größer, als ich angenommen hatte.« Ja, Mamoru schien wie verwandelt, aufrecht und selbstbewusst. Gleichbedeutend damit, dass Satoru Schluss machen musste. Nun sollte er sich neben seiner Misere auch noch auf den Weg machen, um Satoru zu treffen und ihm den Laufpass geben?! Na herrlich! Satoru zog eine gequälte Miene und strengte sich an, in der Gemüsebrühe, in die sich sein Gehirn verwandelt zu haben schien, einen Weg zu finden, wie er seinen Stolz wahren und Mamoru abservieren konnte. Er bestand ja die hoffentlich unbegründete Befürchtung, der Jüngere sei in ihn verliebt! Als er nun übellaunig und schmerzgeplagt den Kellergang hinabtaumelte, zeigte sich Mamoru bereits erwartungsvoll. Die Überraschung über Satorus indisponierten Auftritt verhehlte er nicht. Auf seinem Gesicht zeichneten sich Bestürzung und Sorge ab. »Warum schaust du so?! Geht mir doch seit Tagen nicht gut!« Zürnte Satoru stumm und ungerecht, denn er hatte sich ja strikte Distanz erbeten, damit niemand bemerkte, dass sie in einem Verhältnis miteinander standen. "Ich fühle mich beschissen, also lassen wir es. Überhaupt, ich will..." Doch die Worte 'Schluss machen' kamen nicht über seine Lippen, denn Mamoru überrumpelte ihn, indem er mitfühlend einen Arm um Satorus Taille schlang und ihn unaufgefordert die Treppe hinab geleitete. "Das kann ich verstehen! Hast du dich irgendwo verrenkt oder gezerrt?" Satoru konnte den Kopf nicht drehen, allein der Versuch jagte grässliche Wellen von Pein durch seinen Körper. Aber dennoch war er erstaunt. »Verrenkt? Gezerrt?« "Nicht, dass ich mich entsinnen könnte." Schnaubte er missvergnügt. Allerdings gestand er sich ein, dass sein Verstand nicht sonderlich verlässlich in dieser Lage war. "Vielleicht hast du dich auch verkühlt." Warum klang Mamoru bloß so offen und unerschrocken?! »Reiß dich zusammen und rede Klartext!« Sammelte er noch einmal alle Kräfte. "Lass mich jetzt los, ich muss mit dir reden." Erneut wurde Satoru daran gehindert, seine Botschaft an den Mann zu bringen, denn Mamoru gab ihn zwar frei, aber lediglich so lange, wie er benötigte, um das Schulhemd aufzuknöpfen und mit der Uniformjacke von Satorus verkrümmten Schultern zu streifen. Die unkleidsame Brille wurde artig auf dem Kleiderhäufchen deponiert. "Wenn du deine Jacke trägst, hast du bestimmt gefroren." Die großen, schwarzen Augen hinter der randlosen Brille nahmen Satoru in Fokus. "Ich werde dich massieren." "Wie?! Aber ich will gar nicht...!" Satoru drückte sich selten so unfein und egoistisch aus, doch er sah sich jeder Gegenwehr enthoben: mit erstaunlichem Geschick war die Uniformhose geöffnet und sank auf seine Knöchel, dann kniete der Jüngere schon vor ihm. "Stütze dich doch bitte auf mich." Bat er Satoru höflich, wickelte nacheinander die lästigen Socken herunter und hob sie samt den Hosenbeinen über Satorus Füße. Weil er gerade die richtige Position eingenommen hatte, fädelte er sanft die Fingerspitzen in den Bund der Unterhose, streifte sie entlang der Seiten ebenfalls zu den Knöcheln. Satoru biss die Zähne aufeinander, denn das Abstützen auf Mamorus Schultern zog erneut Schmerzwellen nach sich. Tränen traten in seine Augen, dieses Mal ungehindert von Papiertaschentüchern. »Schluss machen kann ich immer noch.« Drängte ihn seine Vernunft. »Jetzt bin ich schon nackt, warum nicht die Massage mitnehmen?« Das war zweifellos ein unmanierlicher Gedanke, aber im Augenblick war er wirklich mit seiner Weisheit am Ende angelangt. "Einen Moment noch." Mamoru wirbelte längst dienstbeflissen um ihn herum, breitete ein Handtuch aus, streifte die eigenen Kleider ab und suchte in ihren Taschen. Satoru ließ sich auf dem Handtuch nieder, schniefte und funkelte triefäugig zu Mamoru hinüber. "Was suchst du denn?!" "Ah, entschuldige!" Mamoru lächelte ihm über die Schulter aufmunternd zu. "Ich habe leider kein Massageöl, und das Gleitgel kann ich nicht nehmen. Wir werden es wohl mit Duschgel versuchen müssen." "Vielleicht sollte ich ins Wohnheim gehen." Satoru lupfte eine Augenbraue, unternahm aber noch keine Anstrengungen, wieder auf die Beine zu kommen. Er konnte kaum glauben, dass Mamoru tatsächlich mit der Zunge schnalzte. "Du hast wohl gar kein Vertrauen zu mir, was?" Dabei klang er so amüsiert und nachsichtig, dass Satoru bange wurde. DAS war ganz bestimmt kein kleines, verhuschtes Opfer!! "Ich gehe." Murmelte Satoru, kam ungelenk auf die Beine und wollte zu seinem Kleiderstapel schlurfen. Möglicherweise würde ja Schlaf helfen? Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufschreien. Mamoru stellte sich ihm in den Weg. "Tut mir leid, aber du hast doch wirklich große Schmerzen, warum also hast du Angst vor meiner Hilfe??" "Ich habe keine Angst!" Dementierte Satoru giftig, doch sein Protest strafte seine Worte Lügen. Der Jüngere musterte ihn ruhig, aber die Hand auf Satorus Schulter blieb an Ort und Stelle. Satoru gab schließlich nach, senkte den Blick und verzichtete auf eine gehässige Antwort, um seinen Stolz zu wahren. "Setz dich am Besten auf die Fersen." Mamoru folgte ihm, als bestünde Fluchtgefahr, doch Satoru hatte den Widerstand aufgegeben. Nachdem sich Mamoru hinter ihn gekniet hatte, das Duschgel zwischen den Handflächen leicht anwärmte und verteilte, befolgte Satoru stumm die leisen Anweisungen, senkte den Kopf und schloss die Augen. Auch wenn es nicht ohne weitere Schmerzen abging, so spürte er doch, dass das Reiben, Streichen und Ziehen Wirkung zeigte. Sein Körper erwärmte sich, die verspannten Sehnen und verkrampften Muskeln ließen sich behandeln. Artig streckte er sich auch aus, um sich die Beine massieren zu lassen, bis hinunter zum kleinen Zeh verwöhnt zu werden. Eine gewisse Furcht überkam ihn, als Mamoru sich über seinen Unterleib beugte, doch die Streicheleinheiten, die seinem Brustkorb Erleichterung verschafften und seine Lenden erhitzten, waren nicht zudringlich. Er senkte die Lider, nun gänzlich in Seifenschaum eingehüllt, gab sich geschlagen. Es war einfach zu verführerisch, der Pein zu entkommen. Außerdem war ihm nun wohlig warm, er wollte sich eine Weile um nichts mehr sorgen müssen. Mamoru, der aufmerksam verfolgte, wie die zuckenden Lider sich langsam entspannten, Satorus Atem ruhiger wurde, lächelte verschmitzt. Er wagte es sogar, feuchte, dunkelbraune Strähnen aus dem Gesicht des Älteren zu streichen, ohne eine Gegenwehr zu provozieren. Mit einem Lächeln erhob er sich, um ein Utensil zu holen und sich selbst zu präparieren. Anschließend ließ er sich mit gespreizten Beinen neben Satoru nieder, beugte sich herunter und flüsterte sanft. "Fühlst du dich jetzt besser?" "Hmmmmm." Schnurrte der Ältere müde, hob nicht mal ein Augenlid an. »Fein!« Dachte Mamoru, küsste Satoru zärtlich auf die Lippen. Er ließ sich rittlings auf Satorus Schoß nieder, legte die mit Gleitmittel eingeschmierte Handfläche um Satorus Penis. Ruckartig hoben sich die Lider mit den dichten, langen Wimpern, starrten ihn dunkelbraune Augen ängstlich an. Mamoru legte den linken Zeigefinger auf Satorus halb geöffnete Lippen. "Nein, ich werde mir nicht weh tun, keine Angst." Satorus Lippen pressten sich zu dünnen Strichen zusammen, er stellte die Beine gespreizt an. Eine weitere Ermunterung benötigte Mamoru nicht. In seinem geübten Zugriff härtete Satorus Erektion schnell aus, pulsierte glühend in seiner Hand. Wie in der vorangegangenen Woche assistierte Satoru ihm, stützte seine Hüften ab, während der Jüngere Satorus Erektion in seinen Körper einführte. Die dunkelbraunen Augen fokussierten ihn konzentriert, erwarteten wohl, dass er sich übernommen hatte und nun vor Schmerzen zuckte, doch Mamoru konnte seinen Körper gut einschätzen, hatte das richtige Gefühl entwickelt. Außerdem vertraute er Satoru, der ihm half, den Rhythmus richtig abmaß, sich sogar aufbäumte, um ihn zu treffen. Allzu schnell spürte er, wie flüssige Hitze als Funkenexplosion in seinem Unterleib detonierte, der Schwerkraft trotzte. Das Gefühl war unvergleichlich, atemberaubend. Mamorus Kopf flog in den Nacken, seine Finger umklammerten Satorus, hielten sich fest. Feuer raste durch seine Adern, vor seinen weit aufgerissenen Augen wurde alles weiß. Satoru rang ebenfalls um Atem, in seinen Finger- und Zehenspitzen kribbelte es, die Haare schienen ihm elektrisiert vom Kopf zu stehen. Reflexartig gelang es ihm, Mamoru abzufangen, der keuchend nach vorne auf ihn sank. "He...HE!" Heiser beschwerte er sich, stupste Mamoru an. "Der ganze Seifenschaum trocknet ein!" »Bloß keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es hier keine Romanze gibt!« Mamoru keuchte ihm jedoch Wüstenatem auf die Brust, begann dann zu lachen. Mit einiger Mühe konnte er Satoru freigeben, sich neben ihn kauern. Schon spürte er, wie Sperma und Gleitgel aus seinem Unterleib sickerten. Satorus Fingerknöchel tippten gegen seinen Oberschenkel. "Du sollst das nicht ohne Gummi machen. Habe ich dir schon mal gesagt." Mamoru umfasste die Hand, die ihn tadelnd geklopft hatte, hob sie an die Lippen und küsste den Handrücken, der eindeutig nach Seife schmeckte. "Jetzt hilf mir endlich aufstehen!" Beklagte sich Satoru betont quenglig. "Ich will diesen Seifenschaum abspülen!" Der Jüngere kam dieser Aufforderung nach und ignorierte, was ihm selbst an den Innenseiten Richtung Bodenfliesen herunter sickerte. Aber auch in diesem Fall konnte er auf Satoru bauen, der sich nicht nur selbst mittels Schlauch abspülen ließ, sondern energisch den Wasserstrahl auf Mamoru richtete, ihn anhielt, seine Becken- und Schließmuskulatur zu benutzen, damit keine unerwünschten 'Reste' im Unterleib verblieben. Mamoru lächelte, schlang kühn einen Arm um Satorus Taille und küsste den Älteren trotz eines harschen Protestrufs auf die verheilende Wunde oberhalb der Augenbraue. "Geht es dir wieder besser? Oder hast du noch Schmerzen?" Erkundigte er sich aufmerksam. Satoru zog eine Grimasse, löste sich aus der halben Umarmung. "Danke der Nachfrage. Die Massage war erfolgreich, aber jetzt will ich mich bloß noch anziehen und zu Abend essen!" Schmunzelnd schickte sich Mamoru drein, kleidete sich wie der Ältere auch flink an und räumte mit ihm gemeinschaftlich auf, bevor sie den Kellerraum verließen. Kurz vor dem Schlafengehen erinnerte sich Satoru schuldbewusst an sein Vorhaben, seinen jüngeren Partner 'abzuschießen'. »Hast du ja beeindruckend gelöst! Toll hingekriegt!« Seufzte er über sich selbst. Aber es war nun eindeutig erwiesen, dass Mamoru nicht mehr kontrolliert und beherrscht werden konnte. »In der nächsten Woche!« Gab er sich selbst ein Versprechen. ~+~ Kapitel 11 - Der Gentlemen's Club "Beinahe neun Uhr." Stellte Motoki heiser fest, schob sich erneut eine Pastille in den Mund. Er musste unbedingt seine Vorräte an Tabletten aufstocken, sein Magen brodelte bereits wieder. »Das ist viel zu einfach.« Wisperte eine klägliche Stimme in seinem Inneren. »Das kann nicht die Lösung sein!« Motoki ignorierte sie, massierte sich die Seite. »Nur aus Versuch wird man kluch!« Sprach er sich selbst Mut zu. Die Schiebetür öffnete sich, ein großer Schatten vom Flur fiel hinein. Motoki ließ die Hände sinken, drehte sich um, vom Beistelltisch mit dem Rechner zum Eingang. Arashi trat ein, beugte sich wie immer leicht unter dem Türsturz durch. Ruhig schloss er die Tür. In der Stille hörte man deutlich das Einrasten des Hakens. Für lange Augenblicke musterte er Motoki, der starr auf seinem Platz verweilte. "Du beleidigst mich, Herr Schülerpräsident." Wisperte Arashi schließlich, bleckte die Zähne. "Hältst du das für klug?" Motoki presste die Lippen zusammen, zwang sich, nicht den Kopf zu senken, den Blick abzuwenden. Er drückte die Handflächen fest auf seine Oberschenkel, als Arashi sich auf seinem Schreibtisch flözte, ihn am Kinn packte und seinen Kopf schmerzhaft in den Nacken zwang. "Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass es ausreicht, die Datenbank zu löschen, oder? Herr Schülerpräsident?" Arashi spottete, doch unter der beherrschten Oberfläche konnte Motoki genau den Hass, die mühsam bezwungene Wut heraushören. "Wir hatten eine Vereinbarung. DU hast mich hintergangen." Arashi lächelte wie eine Giftnatter. "Aber warum sollte ich von DIR ein ehrenhaftes Verhalten erwarten? Immerhin bist du ja ein GENTLEMAN, nicht wahr?" Er spuckte die Silben aus. Motoki zitterte. Er leckte sich hilflos über die Lippen, wusste nicht, ob er flehen oder sich verteidigen sollte. "Tja." Achtlos stieß Arashi Motokis Kinn weg. "Dann werde ich heute das Direktorium informieren. Selbstverständlich sind alle Daten an einem sicheren Ort aufbewahrt." "Bitte warte!" Motoki fasste nach Arashis Hemdsärmel. "Es tut mir leid, dass ich das versucht habe. Ich wollte es aus der Welt schaffen." Ergänzte er aufrichtig, die Schultern sackten tiefer. "Was kümmert mich das?" Erwiderte Arashi in einem betont gelangweiltem Tonfall. "Du hast dich entschieden. Punkt." "Was soll ich tun?" Motoki umklammerte nun Arashis Handgelenk mit beiden Händen. "Bitte, Kitamura-kun, es war MEIN Fehler, aber andere werden darunter leiden! Ich bitte dich inständig, es nicht zu melden!" "Was hast DU mir schon zu bieten?" Arashi versetzte Motoki einen Stoß, der mitsamt seinem Stuhl nach hinten geschleudert wurde und gerade noch ein Umkippen verhindern konnte. "Ich werde das tun, was ich gestern getan habe!" Antwortete Motoki eilig. "Bestimmt!" "Pfff!" Arashi winkte ab. "Du denkst, du kannst mich verscheißern, du betrügst mich und kommst du mit so etwas? Verehrter Herr Schülerpräsident, ich werde deine nette Vorstellung von gestern noch als Bonus den Dateien hinzufügen, wenn ich alles melde!" Er rückte näher an Motoki heran, der erstarrte. "Es kümmert mich einen Dreck, was aus deinesgleichen wird!" Nach einer Schrecksekunde klammerte sich Motoki an Arashis Arm, blickte zu ihm auf. "Bitte, ich tue, was du verlangst! Sag es mir, ich werde es tun!" »Nur zerstöre nicht alles, vernichte den Ruf der Schule nicht! Ruiniere nicht meine Zukunft!« Arashi packte Motoki im Nacken wie eine junge Katze. Die schwarzen Mandelaugen zogen sich zu Schlitzen zusammen, so, als erwäge er, ob er die junge Katze erwürgen oder zerschmettern solle. "Bitte!" Wisperte Motoki kaum hörbar. "Bitte, ich tue, was du verlangst. Ich verspreche, dich nicht mehr zu hintergehen!" "So, so." Raunte Arashi gallig. "Du willst tun, was ich verlange. Verkaufst dich für den Ruf von Leuten, die dich nicht einmal anspucken würden. Wie reizend." Motoki schluckte trotzig, hielt sich verstohlen die Seite. Sein Magen schmerzte, drohte mit Koliken. "Also schön." Arashi lächelte finster. "Warum nicht?" Er ließ sich auf Motokis Stuhl nieder, lümmelte sich bequem, die Arme auf den Lehnen abgelegt, studierte Motoki abfällig. "Blase mir einen, dann verlängere ich das Ultimatum bis morgen Abend." Raunte er maliziös, beugte sich vor, als Motoki ihn verständnislos ansah. "Ich darf dann mal übersetzen, Herr Schülerpräsident: befriedigen Sie mich oral. Und leisten Sie gute Arbeit, sonst ziehe ich mein Angebot zurück!" Motoki erwiderte den herausfordernden Blick matt. Er hatte keine Wahl. Um eine Lüge zu beschützen, folgten immer weitere Lügen. Langsam schälte er sich aus der Jacke, die er als Vorbild selbst bei großer Hitze trug, doch bevor er sich vor Arashi auf die Knie begeben konnte, hielt der ihn auf. "Wir wollen doch nicht, dass deine Hose beschmutzt wird, immerhin ist der Boden hier nicht besonders sauber." Säuselte er boshaft. "Zieh dich aus." Ohne weitere Umstände gehorchte Motoki. Was half auch zaudern? Niemand durfte von der Sache erfahren. Es lag in seiner Verantwortung, dafür zu sorgen und er war nie vor einer Pflicht geflohen! Bedächtig kniete er sich nackt vor Arashi, zögerte und sah auf. "Verzeihung, aber ich weiß nicht recht, was ich genau tun soll." Erklärte er höflich. Die schwarzen Mandelaugen zogen sich gewittrig zusammen, suchten offenkundig nach einer provozierenden Frechheit in dieser Aussage, doch Motoki hielt dem sezierenden Blick stand. "Zuerst aufmachen." Arashi lümmelte sich bequem, die Beine breitbeinig ausgestellt. Motoki nickte stumm, schob das Schulhemd beiseite, um den Knopf zu öffnen und den Reißverschluss der Hose herunterzuziehen. "Jetzt holst du ihn raus." Wieder nickte Motoki beflissen, doch Arashi bremste laut. "Halt! Was tun wir vorher?" Verwirrt wechselte Motoki von Arashis Schritt zu dessen Gesicht, suchte nach einem Hinweis wie ein schlecht vorbereiteter Schüler. "Hände aufwärmen!" Schnauzte Arashi, rollte die Augen und stützte vorgeblich gelangweilt das Kinn in einer Handfläche auf. "Natürlich! Verzeihung!" Ernsthaft rieb Motoki seine Handflächen aneinander, blies sogar seinen Atem darauf. Dieses Mal hielt er inne, noch bevor er die Hände auf Arashis Oberschenkel platzieren konnte. "Soll ich ihn aus dem Eingriff holen oder besser den Bund herunterziehen?" Erkundigte er sich artig. Arashi bleckte die Zähne. "Was glaubst du wohl gefällt mir besser?" »Ah!« Hastig nickte Motoki, er wollte sich nicht durch ständige Rückfragen wieder in eine Lage bringen, dass er, um Arashis Zorn zu besänftigen, noch weitere Konzessionen machen musste. Behutsam bog er die Finger um den Bund, weitete den Gummi, um mit der einen Hand vorsichtig Arashis Penis zu umfassen und den Bund der Unterhose herunterzuziehen, sodass er genug Spielraum hatte und nichts eingeschnitten wurde. Er wagte nicht zu fragen, warf aber einen prüfenden Blick hoch in Arashis Gesicht, um sich zu versichern, dass er nicht erneut einen Fauxpas begangen hatte. "Jetzt benutzt du deine Zunge." Arashis sonore Stimme klang nicht mehr boshaft oder spottend. Sie hatte etwas Hypnotisierendes und wirkte beruhigend. Motoki hielt Arashis Penis behutsam mit den Fingerspitzen fest. "Du weist doch, wie man einen Lolli lutscht, oder?" Neckte ihn Arashi? Er senkte die Lider, rückte auf bloßen Knien noch näher heran, bis seine Schultern beinahe die Kante des Stuhls berührten. »Es ist gar nicht so schwer.« Munterte er sich auf, folgte der Hitzeabstrahlung, bis er mit leicht ausgestreckter Zunge weiche Haut berührte. Motoki spürte das minimale Schaudern, bevor Arashi seine Beherrschung wiedergewinnen konnte. Vorsichtig leckte er über die Haut, balancierte mit den Fingerspitzen, zog die Zunge zurück, schluckte und begann von neuem. Er empfand keinen Ekel oder Widerwillen, registrierte die enorme Hitze, den Geruch, der ihm vertraut war. Seine Aufregung legte sich. Er konnte mit der Zunge um die sich spannenden Muskeln und Sehnen gleiten, mit den Fingerspitzen Muster zeichnen. "Genug gespielt!" Eine Hand streifte durch Motokis Schopf, die raue Stimme riss ihn aus seiner ruhigen Betätigung. "Nimm ihn in den Mund." Nach einem Augenblick der Besinnung stemmte sich Motoki von den Fersen hoch, öffnete den Mund so weit, dass sein Kiefer knackte. "Pass auf, dass du mich nicht beißt!" Arashis Warnung kam unerwartet und ließ ihn zusammenzucken. Die mittlerweile deutliche Erektion passierte an der Spitze Motokis Lippen, wurde an den Zahnreihen vorbeigeführt, doch dann gingen Motoki die Nerven durch. Er hatte das Gefühl zu ersticken, als könne er den Mund nicht weit genug öffnen. Galle stieg ihn in die Kehle, er würgte, zuckte von Arashi zurück, krümmte sich auf dem Boden zusammen und rang ächzend, winselnd nach Luft. "Ist ja toll!" Vernahm er Arashis schneidende Stimme. "Willst du mich verarschen?" Motoki blinzelte Tränen weg, umklammerte keuchend ein Fußgelenk. "Bitte-bitte, ich versuche es noch mal...Verzeihung...es tut mir leid..." Um Luft ringend wartete er zusammengekauert auf Arashis Antwort. Endlich schnarrte der wütend. "Komm da gefälligst hoch!" Zitternd richtete sich Motoki auf. Arashi blickte ihn finster an. "Wisch dir das Gesicht ab!" Nachdem Motoki eilig dieser Aufforderung nachgekommen war, packte ihn Arashi unter dem Kinn, schob die Fingerspitzen bis unter Motokis Ohren, spürte der Kieferlinie nach bis zum Gelenk. "Du musst die Schultern unten lassen, sonst verspannst du alles. Den Kopf nach vorne halten. Der Kiefer muss hängen, nicht aufreißen, sondern locker hängen!" Predigte Arashi. Motoki bemühte sich, die Anweisungen zu befolgen, mit dem Ergebnis, dass er sich noch stärker verspannte. Arashi seufzte übertrieben geplagt. "Gib mir deine Hände, los!" Forderte er Motoki auf. Er legte sich Motokis Hände neben die Seiten, die Handflächen offen nach oben. "Siehst du? Die Schultern bleiben unten." Demonstrierte er ruhig. "Achte auf deine Ellenbogen. Nicht auf meinen Oberschenkeln aufstützen." Gehorsam nickte Motoki, vergaß für einen Moment seine Panik und die Verspannung. "Gut, dann üben wir das jetzt!" Arashi richtete sich leicht auf, beugte sich ein wenig vor. "Eine Hand bleibt hier!" Er zog Motokis Linke von seiner Seite ab, bog sie um seine Erektion. Motokis Rechte führte er am Handgelenk an dessen Ohr, platzierte die Fingerspitzen auf das Kiefergelenk. "So, und jetzt übst du mit meinen Fingern." Bestimmte Arashi, legte seine Fingerspitzen auf Motokis Lippen. Motoki spürte die harten Fingernägel, glaubte, jede Rille und Einkerbung an seiner Lippe zu fühlen, doch wenn er die Augen schloss, dann konnte er dieses Hindernis überwinden, seine Lippen teilen, die Finger mit seiner Zunge umschmeicheln, sie in seinen Speichel hüllen, vollständig benetzen. Eigenständig begann er, an den Fingern zu saugen, sie langsam, erst zu mittleren Gelenk, dann bis zum Knöchel in seinen Mund gleiten zu lassen. Die eigene Rechte unter dem Ohr warnte ihn, sollte er sich verkrampfen, doch er schien die Herausforderung gemeistert zu haben. Synchron mit seiner linken Hand wiederholte er die Bewegungen, kopierte mit den Fingern die Muster, die seine Zunge über die geschlossenen Finger zog. Wenn er den Mund schloss, bogen sich seine Finger um Arashis Erektion. "Das reicht jetzt." Hörte er Arashis Stimme rau und ein wenig atemlos. Motoki schlug die Augen auf, sorgte sich nicht um die Speichelfäden, die Arashis Finger folgten, seine Mundwinkel und sein Kinn benetzten. Er nickte langsam, richtete dann seinen Blick auf die Erektion. Die weiche Haut hatte sich dunkel gefärbt, pulsierte, schimmerte feucht. »Proteine!« Erinnerte er sich. »Denk an Proteine!« Trotzdem begann er zuerst wieder damit, die Zunge über die glühende Haut gleiten zu lassen. Die Augen geschlossen wartete er, bis sein Puls sich beruhigte, dann richtete er sich auf, erinnerte sich daran, wie er an Arashis Fingern gesaugt hatte. Ohne Anstrengung, ohne krampfhaft aufgerissenen Mund. »Ich kann das.« Überzeugte er sich tapfer. Wenn es nicht funktionierte, würde Arashi schon verzichten, immerhin musste man sich vor scharfen Zähnen hüten! Dieses Mal ließ er sich Zeit, arbeitete sich langsam vor. Vage bemerkte er Arashis Hände auf seinen Schultern, wie sie über seine Haut strichen. Arashi reagierte. Motoki, der gerade eine Form von Routine entwickelte, begriff allerdings nicht schnell genug und schluckte Sperma, bevor er zurückwich und ausspuckte. »Auch noch in die Luftröhre!« Protestierte sein Körper, während ihm Tränen in die Augen stiegen, weil er hustete und nach Luft schnappte. "Dein...dein...Timing...muss noch...verbessert werden!" Keuchte Arashi. Sein Erguss hatte Motoki auch auf der Brust getroffen. Er lehnte sich zurück, wischte sich mit einer Hand kurz über das Gesicht. Dann straffte er sich wieder, langte nach den Tüchern und warf sie mit der Schachtel Motoki vor die Knie. "Jetzt sauber machen und ordentlich wieder verpacken!" Ordnete er streng an. Motoki, der noch immer indisponiert war, tastete sich blind vor, kam der Aufforderung nach. Er hörte, wie Arashi den Stuhl zurückschob, an ihm vorbeiging. In der Schiebetür hielt er inne. "Du hast dir Zeit bis morgen Abend erkauft." Stellte er knapp fest. Dann rastete der Haken wieder ein. ~+~ Motoki wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Der Boden war kalt, auf seinem Brustkorb sickerte Arashis Sperma langsam herunter. Er wunderte sich darüber, nach all den Tabletten und Pastillen überhaupt noch einen Geschmack wahrnehmen zu können, aber Arashis Samenflüssigkeit stach heraus. »Nicht besonders lecker.« Lautete das Urteil seiner abgestumpften Geschmacksnerven. »Außerdem kann man von diesen Dingen Krebs im Mundraum bekommen!« Mahnte ihn sein Verstand. »Haben wir da nicht eine Studie gelesen?« Tatsächlich erinnerte er sich daran, eine beiläufige Notiz in der Zeitung. Ungeschützte Oralsex-Praktiken erhöhten die Wahrscheinlichkeit, an Krebs im Mund- und Kehlenbereich zu erkranken. "Verrückt." Wisperte er, unterdrückte ein schluchzendes Auflachen. »Jetzt mache ich mir über solche Dinge Gedanken!« Die Kälte vom Boden überzog ihn mit einer Gänsehaut, Schauer sickerten durch seinen Leib. Motoki strich mit der Hand über seine Brust. Die Brustwarzen hatten sich zu harten Knoten zusammengezogen. Es WAR unanständig. Gleichzeitig erschienen ihm alle Bedenken und Vorbehalte gegenstandslos. Er senkte die Lider, umschloss mit der Rechten seine Erektion. Gar nicht so schwer, einfach zu wiederholen, was er gelernt hatte. Diese pumpende Bewegung, die neuralgischen Stellen, die nach ihm VERLANGTEN. Doch er zögerte den Kontakt hinaus. Jede Sekunde mehr steigerte das Bedürfnis, stärkte seinen kleinen Triumph. »Noch einen Augenblick. Noch einen Augenblick...« Mit der Linken strich er sich über die Brust, verteilte den Speichel und Arashis Sperma gedankenlos. Er spürte seine heftigen Atemzüge in den eigenen Sehnen, das Zucken und Beben seiner Bauchdecke, die Revolte in seiner Magengrube. Dann schob er sich die eigenen Finger in den Mund. Sie waren nicht ganz so lang, nicht so rau aufgescheuert wie Arashis, aber sie trugen dazu bei, sich leichter zu erinnern. Motoki steigerte den Rhythmus, kam von den Fersen hoch, bewegte sein Becken. Mit geschlossenen Augen war es so einfach! Als wäre er eine andere Person. ~+~ "Blödes Erdbeben!" Knurrte Kentarou, strich besorgt über das alte Regal. Als die kurzen Stöße, nur wenige Sekunden lang, den Boden erschüttert hatten, war es in sich zusammengefallen, was nicht hätte passieren dürfen! "Hast du dir etwas getan?" Besorgt ragte Hiroki hinter ihm auf, versperrte für einen Augenblick das Licht der Deckenlampe. Sie hatte nur rasch geflackert, leuchtete jetzt aber gewohnt gleichmäßig. "Nein, nein!" Winkte Kentarou ab, studierte enttäuscht die Bretter. Das Erdbeben hatte lediglich beschleunigt, was ohnehin eines Tages geschehen wäre: die Substanz war verfault. "Wo kommt das her?" Hiroki beugte sich über Kentarous Schulter. "Vielleicht von dem Leck im Fallrohr." Kentarou knurrte resigniert. Einige Bretter konnte er wohl noch retten, um das Holz an anderer Stelle zu verwenden, doch ob er erneut ein Regal damit montieren könnte? "Hilft nichts!" Gab er sich einen Ruck. "Kannst du so nett sein und die Schachteln wieder aufsammeln? Ich werde die Bretter raus stellen, damit sie morgen in der Sonne richtig trocknen können." »Dann wäre auch der Schaden sichtbar.« Kentarou legte sich zwei Bretter auf die Schultern und balancierte sie vorsichtig durch das Haus auf die Veranda. »Außerdem könnte ich sie einwachsen.« Hiroki blieb allein zurück, warf Kentarous Großvater einen beruhigenden Blick zu. Der alte Mann hatte das Erdbeben wie auch das Umstürzen des Regals gelassen hingenommen, der Hüne jedoch hatte das Gefühl, als wäre sein Gegenüber durchaus blass. Rasch sammelte er die Schachteln auf, die hauptsächlich alte Fotos und Briefe enthielten. Das Regal war nicht besonders gut gefüllt gewesen, ein Segen, eingedenk der morschen Bretter. Kentarou kehrte zurück, um weitere Bretter auf die Veranda zu schleppen. Dann nötigte er seinen Großvater, sich doch hinzulegen, es sei ja schon spät. Hiroki klaubte fliegende Blätter zusammen, die aus einer aufgesprungenen Teedose entwischt waren. Er blinzelte, als ein Dokument seine Aufmerksamkeit erweckte. Seine Hände begannen zu zittern, doch noch bevor Kentarous leichte Fußsohlen auf den Tatami erklangen, hatte er das Dokument wieder gefaltet und mit den übrigen in der Teedose verstaut. "Tja!" Kentarou stürmte heran. "Danke erstmal. Ich lasse den Kram besser hier gestapelt stehen, bis ich weiß, ob man noch einige Bretter verwenden kann." Hiroki schwieg, schien den Blick auf den Turm der Schachteln geheftet zu haben. "Komm, Hiro." Kentarou klopfte ihm auf eine breite Schulter. "Für heute reicht es. Ich glaube, deine Mutter hat auch schon nach dir gerufen." Mit einem knappen Brummen kam Hiroki auf die Beine, achtete automatisch darauf, den Kopf einzuziehen, als er durch das Haus zur Veranda ging, um zum eigenen Grundstück zu wechseln. Wenn Kentarou sich über den wortkargen Abschied seines besten Freundes wunderte, so vergaß er es prompt, als er erschöpft auf seinen Futon sank und einschlief. ~+~ Motoki studierte den Ausdruck erneut, schob ihn dann beiseite. Sein Magen schmerzte wieder heftiger, anfallartige Wellen der Pein. Ohne Nachzudenken dirigierte er eine weitere Tablette zwischen seine Zähne. »Was tun?« Die Antwort fehlte ihm noch immer. Wie lange würde Kitamura schweigen? Gab es eine Möglichkeit, ihn zum Schweigen zu bringen?! Motoki erschrak über seine Gedanken. Das war keinen Deut besser als die 'Gentlemen', solche Überlegungen anzustellen! Andererseits hatte er bereits ein solches Gespinst aus Lügen und Heimlichkeiten errichtet, um eine unsägliche Entdeckung zu verhindern, dass es nicht Wunder nehmen konnte, dass diese rücksichtslose, verächtliche Vorstellung abfärbte. Müßiges Geplänkel, denn die Schulakten, in die er Einsicht nehmen konnte, gaben wenig Stichhaltiges zu Arashi Kitamura preis. Mit recht ordentlichen Noten aus einer Provinz gekommen, lebte im Wohnheim, keine Geschwister, keine besonderen Interessen. Nahm nicht an AGs teil, verfügte über die Erlaubnis, in einer großen Buchhandlung zu arbeiten. »Er ist so durchschnittlich!« DAS überraschte Motoki. Wenn man nicht WUSSTE, wie Arashi aussah und wie er auftrat, dann konnte man anhand der Akten zum Schluss kommen, dass er nicht weiter bemerkenswert war. Das konnte jedoch nicht ALLES sein! Auf irgendeine, Motoki unbekannte Weise war es diesen Kitamura gelungen, hinter das Geheimnis des 'Gentlemen's Club' zu kommen! Kannte der sich besonders gut mit Netzwerken aus? Oder einer bestimmten Software? WOHER wusste Arashi Kitamura Bescheid?! Es gab keinen Hinweis auf Geschwister oder Verwandte, die vor ihm die Schule besucht hatten. Auch aus seiner Provinz kamen keine Schüler, die als 'Gentlemen' aktiv geworden waren! »Er ist mir ein Rätsel!« Für einen langen Moment gab sich Motoki der Resignation hin. Wenn dieser Erstklässler so viel Energie investiert hatte, um ein geheimes Netzwerk auszuheben, dann würde es IHM kaum gelingen, eine nennenswerte Verzögerung bei der Veröffentlichung des Ungeheuerlichen zu verursachen. Vielleicht hatte sich Kitamura nur einen Spaß erlaubt, als er ihm diese zwei Tage Verlängerung gewährte, aber am Ende... Darüber mochte Motoki lieber nicht nachdenken, weil seine Magenschmerzen sich steigerten und sich sein Kopf leer fegte. Aus der Schublade holte er die Liste der Argumente. Beide Seiten kamen ihm hohl und befremdlich vor, zu rational, zu unpersönlich. »Es gibt keinen Weg zurück.« Er nahm beide Schriftstücke und verstaute sie wieder in seinem Schreibtisch, wischte gedankenverloren über die blanke Platte. Natürlich sagte man immer, dass es nicht zu spät sei, eine Entscheidung zu revidieren, doch in diesem Fall war es aussichtslos, der Zug längst abgefahren. Die erste, kleine Lüge, die winzigen Notlügen und Ausflüchte: sie waren zu einem verwickelten Gestrüpp angewachsen. Er gab vor, noch immer der Schülerpräsident zu sein, der gute, alte, geduldige, freundliche, ordentliche und zuverlässige Motoki Haruno. Unverändert spielte er diese Rolle, obwohl er sich elend fühlte. Dabei vernachlässigte er seine Studien, verheimlichte seine schlechte Kondition und hoffte, mit seinem Körper Konzessionen von einem Jüngeren zu erkaufen. »Täuschen und tricksen, verheimlichen und verbergen.« Es beschämte ihn, allerdings bedenklicher Weise nicht stark genug, um von dieser neuen Verhaltensweise Abstand zu nehmen. Das Lügen würde ihm zu bald zur zweiten Natur werden, so fürchtete er. Ein hoher Preis, eingeschlossen seine Selbstachtung. »Und wofür? Für die Zukunft...« Aber jetzt klang diese Zusammenfassung seiner persönlichen Beweggründe banal. Die Schiebetür öffnete sich. Motoki blickte auf, sah Arashi in die schwarzen Mandelaugen. Der schloss langsam die Tür hinter sich, posierte an der Tür, musterte Motoki abschätzend. "Und, ist der verehrte Herr Schülerpräsident noch immer willig, seine Ehre und Loyalität zu den 'Gentlemen' aufrechtzuerhalten?" »Warum? Was treibt dich an?« "Ich bin verpflichtet." Antwortete er leise auf die spöttischen Worte. Arashis Gesicht verschloss sich, der Ausdruck wurde unleserlich. Motoki erhob sich langsam von seinem Stuhl, musste beide Arme fest gegen die Tischplatte stützen. "Ich bitte dich." Wisperte er heiser. "Bitte, Kitamura-kun, bewahre Stillschweigen. Bitte!" Er verneigte sich bis zur Tischplatte, schloss die Augen. "Ich BEGREIFE nicht, warum du das tust!" Arashi packte ihn am Nacken, eine große Hand reichte aus. Die langen, kraftvollen Finger gruben sich in die weiche Haut. »Ich habe keine Wahl!« Wollte Motoki antworten, aber der Satz blieb ihm im Hals stecken. Er konnte nur blinzeln, in die zu Schlitzen verengten Mandelaugen blicken. Er konnte den unbändigen Zorn in Arashis Gesicht sehen, die verzerrte Maske gewalttätigen, verzweifelten Hasses. "Fein!" Zischte Arashi schließlich. "Sehen wir doch mal, wie lange du deinen Edelmut durchhältst!" "Vielen Dank." Wisperte Motoki, verneigte sich noch mal. Er trat von seinem Schreibtisch zurück, um sich neben dem Fenster zu entkleiden. Arashis Blicke streiften ihn immer wieder, auch wenn der sich auf seinem Stuhl lümmelte, lässig einen Arm über die Rückenlehne baumeln ließ. Motoki war durchaus überrascht, dass sein Herz zwar schneller schlug, er sich aber nicht genierte oder in Scham zurückwich. Es zwickte in der Seite, seine Magengrube grollte, doch das schien ihm mehr eine Verlegenheitsreaktion, um seine Sinne zu schärfen, damit er nicht sofort in diese merkwürdige Trance fiel. Eine andere Person wurde. Arashi funkelte ihn betont gelangweilt an. Motoki öffnete die Schublade, zog unter den Akten Zellstofftücher im Spender und Kondome heraus. Damit fokussierte er Arashis Aufmerksamkeit auf sich. Ein Grinsen breitete sich auf dessen kantigem Gesicht aus, grub winzige Falten in die Bartschatten. "Sieh an, der Herr Schülerpräsident hat in seiner Uniform Gummis gekauft? Was für eine Show!" "Darf ich sie bitte benutzen?" Erkundigte sich Motoki höflich. Er war tatsächlich am Vortag nach seiner ersten oralen Erfahrung in eine der zahlreichen Drogerien gegangen, wie immer in Schuluniform. Insgesamt verteilte er seine Einkäufe an Tabletten, Pastillen und Medikamenten auf vier verschiedene Standorte, um keinen Verdacht zu erwecken. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen oder Sorge bemühen. "Du hast sicher behauptet, es sei für den Unterricht, nicht wahr, Herr Schülerpräsident? Edukative Hilfsmittel, richtig?" Arashi grinste tatsächlich wölfisch. Eine Antwort war nicht erforderlich. Motoki kniete sich zwischen Arashis lässig aufgestellte Beine. Der Boden unter ihm war kalt, sodass er fast instinktiv näher an Arashis Schritt heranrückte. Auch die Oberschenkel boten Schutz. Er rieb die Handflächen aneinander, bevor er sich auf die Hacken niederließ und Arashis Hose aufknöpfte, den Reißverschluss nach unten zog. Motoki legte den Kopf in den Nacken, um zu Arashi hochzusehen, der noch immer gelassen auf dem Stuhl herumlungerte. Für einen langen Moment beobachteten sie einander, dann löste sich Motoki von seinen Fersen, begann, Arashis Schulhemd von unten langsam nach oben aufzuknöpfen. Mit den Handflächen strich er gemächlich über Arashis Brustkorb, fuhr ihm über die Rippen, bevor er die Brustwarzen zwischen Zeige-und Mittelfinger einkerkerte, behutsam mit den Handballen die Muskeln nach oben massierte. Arashi kam ihm wie ein erwachsener Mann vor, Muskelstränge, breite Schultern und Körperbehaarung, die in einem dünnen Streifen bis zum Bauchnabel auslief. Beinahe erwartete Motoki, dass Arashi ihn zur Eile anmahnte oder sich solche Freiheiten verbat. Doch Arashi ließ ihn gewähren. Motoki spürte den beschleunigten, kräftigen Herzschlag unter der warmen Haut. Ohne Scheu umfasste er Arashis Penis, der bereits eine gewisse Anspannung zeigte, strich mit der freien Hand über Arashis Unterleib und die Innenseite der Oberschenkel. Mit geballter Faust ließ Motoki die Knöchel über Arashis Unterbauch kreisen. Er spürte, wie Arashis betont geflegelte Haltung sich veränderte, der Jüngere flacher atmete. Motoki drängte die Schultern zwischen Arashis Beine, während er die eigenen Beine spreizte und seine Balance austarierte. Er hauchte warmen Atem auf Arashis Penis, umschloss ihn mit beiden Händen, bevor er mit der Zunge über die Spitze strich. Dann leckte er über die Seiten, genoss mit geschlossenen Augen die Hitze, die Arashi verströmte. Es ließ ihn den Kontrast zwischen der vom Boden ausgehenden Kälte verstärkt wahrnehmen. Arashi bewegte sich über ihm, doch Motoki schlug die Augen nicht auf, kreiselte mit der Zunge über die glühende Haut. Erst als Arashis Hand sich auf seinen Nacken legte, blinzelte er und ließ sich auf die Hacken sinken. In Arashis freier Hand lagen zwei ausgepackte Kondome. Motoki holte tief Luft, pickte dann ein Präservativ auf und runzelte die Stirn. »Die Spitze nach oben und dann...« Arashi legte die freie Hand auf Motokis Schulter, schob ihn leicht zurück, um das überzählige Kondom selbst überzustreifen. Nun begriff Motoki, widerstand der Versuchung, zu Arashi aufzusehen. Er spreizte die Beine, um seinen Penis in rascher Folge zu bestreichen, damit er selbst das Präservativ abrollen konnte. Als er sich wieder aufrichtete, hatte Arashi den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Motoki verstand es als Aufforderung, dass sie sich nun beide in ihre private Welt zurückziehen wollten. Er legte die Finger wieder um Arashis Erektion, leckte über den durchscheinenden Kunststofffilm, zuerst an der Spitze, dann arbeitete er sich bis zu den Hoden herunter. Nun hatte es tatsächlich etwas von einem Lutscher, denn in seinem Mund breitete sich das künstliche Aroma von Pfefferminz aus. Motoki ließ die Schultern tief sinken, bevor er vorsichtig die Lippen um die Spitze schloss. »Ohne Gewalt, ganz locker hängen lassen.« Erinnerte er sich an Arashis Anweisung und krümmte seine Zunge leicht. Er hörte, wie Arashi zischend Luft einsog. Ermutigt wiederholte Motoki seine minimal saugende Bewegung, beugte sich ein wenig tiefer. Er wagte, eine Hand zu lösen, um sich über die eigene Erektion zu streichen. Wie am Vorabend trat er mit sich selbst in Wettstreit. Ging es noch ein wenig tiefer? Bis ihn die Schamhaare streiften? Konnte er selbst widerstehen, die verlockenden Punkte auslassen, die UNBEDINGT berührt werden wollten? Immer wieder ihren Sirenengesang in seinem Kopf anstimmten? Arashis Hand fuhr durch Motokis Schopf, drückte ihn sanft zurück. Motoki blinzelte, gab die Erektion nicht aus der Hand. Hatte er etwas falsch gemacht? Unter halb gesenkten Lidern funkelte Arashi ihn an, erhob sich dann vom Stuhl. Er ließ sich auf dem Schreibtisch nieder, spreizte die Beine so weit, dass er nur auf der Kante saß. Die Vorteile des Höhenunterschieds bemerkte Motoki rasch, als er sich wieder über Arashis Erektion beugte. Er musste den Nacken nicht mehr anspannen, sich herunterbeugen. Er setzte seine Liebkosungen fort, bewegte den Kopf langsam auf und nieder, während er im gleichen Rhythmus seine eigene Erektion bestrich. Seine Linke wanderte an Arashis Hüfte vorbei, sein Arm wickelte sich um dessen Taille. Eine zusätzliche Stütze benötigte Arashi nicht mehr, denn sein Becken folgte Motoki. Motoki bekam Mühe, Luft zu holen, er spürte, wie Arashis Bauchdecke flatterte. Dessen harte Atemzüge mischten sich mit seinem eigenen, dumpfen Stöhnen, wenn die Erektion gegen seinen Gaumen drückte und er reflexartig schluckte. Arashi krümmte sich zusammen, legte eine Hand auf Motokis Hinterkopf, stützte sich mit dem anderen Arm ab. Er stieß einen heiseren Schrei aus, ejakulierte in unwillkürlichen Zuckungen. Motoki würgte, sein Körper nahm die Impulse auf und folgte Arashi. Betäubt und atemlos löste er sich, fiel auf die Seite, rollte sich zusammen. Ihn schwindelte, während in seinem Körper die Nachwehen tobten. Er wollte sich aufrichten, immerhin musste er Arashi assistieren, doch der hatte sich bereits vom Kondom befreit, alle Spuren abgewischt und seine Kleidung wieder gerichtet. Mühsam kam Motoki auf die Knie. Seine Seite schmerzte wieder, außerdem war er sich der Kälte des Bodens bewusst. Arashi stand vor ihm, halb hinter den zotteligen Strähnen verborgen, die die Schultern erreichten. Er hob mit der Rechten Motokis Kinn an, noch gezeichnet von Speichel. Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Der Haken rastete ein. Motoki ließ den Kopf hängen, atmete tief durch. Immer wieder. Doch die Kälte und die betäubende Müdigkeit wollten nicht weichen. ~+~ Hiroki verschränkte die Arme unter dem Hinterkopf, starrte an seine Zimmerdecke, wo Schatten träge tanzten. Er konnte nicht schlafen, besonders nicht bei Kentarou. »Der mir nichts davon gesagt hat.« Der Gedanke versetzte ihm erneut einen schmerzenden Stich. »Wir sind Freunde.« Hielt der Hüne stumm Zwiesprache mit einem imaginären Kentarou. »Warum hast du mir das verschwiegen?! Dieses Geheimnis vergiftet alles!« Hiroki presste die Lippen zusammen. »Blödsinn! Mach dir nichts vor! Nicht das Geheimnis ist das Problem, sondern DU bist es!« »Nur zu wahr!« Er hakte die Finger wie die Zähne eines Reißverschlusses ineinander, damit sie nicht einmal im Traum daran dächten, sich zu lösen und andere Dinge zu tun. ~+~ Motoki stützte seine schmerzenden Schläfen ab, schloss die Augen. Sollte er noch eine Kopfschmerztablette schlucken? Andererseits klebte staubiger Belag auf seiner Zunge, rührte von den Kohletabletten her und dem Mittel gegen das Sodbrennen. Blindlings fingerte er in seiner Schultasche herum, die er achtlos auf den Schreibtisch geworfen hatte. Er bekam die kleine Schachtel mit den Pastillen zu fassen, öffnete sie und schob sich eine flache Pille in den Mund.Vielleicht würde sich das flaue Gefühl dann verabschieden? Oder wenigstens die vage Furcht, dass er schlecht aus dem Mund roch? Motoki seufzte leise. An diesem Tag waren nicht so viele Eingaben gekommen, die er als Schülerpräsident bearbeiten musste. Noch immer besuchte ihn kein Schüler persönlich. »Das ist im Augenblick sicher auch von Vorteil.« Motoki wich spiegelnden Flächen lieber aus. Schlafmangel, die steten Bauch- und Kopfschmerzen, das hinterließ Spuren, die er kaum noch verbergen konnte. Er zweifelte nicht daran, dass Arashi in einigen Minuten, kurz nach neun Uhr wie gewohnt kommen würde, deshalb wartete er, auch wenn er nichts mehr zu erledigen hatte. Natürlich konnte er die Wartezeit nutzen, um noch ein wenig zu lernen, doch dazu verspürte er nicht den geringsten Antrieb. Motoki erhob sich mühsam wie ein alter Mann, musste sich schwer auf dem Schreibtisch abstützen. Langsam ging er zum Fenster hinüber. »Wenigstens kenne ich die Antwort.« Motoki betrachtete versonnen das Panorama. Er konnte nicht zurück. Und er konnte nicht aufhören. »Kitamura wird nicht schweigen.« Das WUSSTE er. Jeder Tag konnte der Tag sein, an dem der Jüngere sein Wissen veröffentlichte. Er hatte es bis heute nicht getan. »Um mich aufzurütteln. Mir zu helfen.« Motoki ließ die Stirn gegen das kalte Fensterglas sinken. Ja, Kitamura war nicht wie die 'Gentlemen', die sich an ihrer Macht berauschten. Oder demütigten, erniedrigten, quälten. »Aber ich werde ihn wieder enttäuschen.« Motoki ballte die Fäuste, als eine Kolik ihn zusammenkrümmte. Mit einem Taschentuch wischte er sich Galle und Speichel vom Mund, drückte es zusammen. Kitamura hatte von ihm erwartet, dass er den 'Gentlemen's Club' auffliegen ließ. Das hatte er nicht getan. Und jetzt konnte er nicht zurückweichen. Damit würde er Kitamura ein weiteres Mal enttäuschen. »Aber wenn ich nachgebe, dann stehe ich nirgendwo. Dann bin ich zu feige, um die Konsequenzen meiner Entscheidung zu tragen.« Das wäre auch ein Verrat an all den Opfern der 'Gentlemen'. »Obwohl es nicht vergleichbar ist.« Das gestand sich Motoki ein. Kitamura zwang ihn nicht, Vergewaltigung um Vergewaltigung zu gestatten. Er verspottete, misshandelte, benutzte oder demütigte ihn nicht. »Er ist einer von den Guten.« Motoki lächelte traurig. »Ich frage mich, ob er das weiß.« Doch irgendwann würde Kitamura ihn aufgeben. Dann würde er erkennen, dass es kein Zurück gab, dass Motoki kein mutiger, unerschrockener Außenseiter war. Die Arme um den Leib geschlungen lehnte sich Motoki mit der Schulter an den Fensterrahmen. Auch wenn er sich bisher nicht mit diesem Thema beschäftigt hatte, so war ihm dennoch bewusst, dass es sexuelle Beziehungen zwischen Mitschülern gab. Vielleicht war es sogar unvermeidlich, bei einer großen Schule, jungen Männern, die früh bis zum späten Abend sechs Tage in der Woche zusammenlebten. Ganz zu schweigen von den Wohnheim-Nutzern. Sie standen sich näher als manche Familien, kannten einander besser, sahen Stärken und Schwächen. Außerdem waren keine unangenehmen Folgen wie ungewollte Schwangerschaften zu befürchten. Man konnte die physischen Bedürfnisse ausleben, ohne sich zwangsläufig emotional fest zu binden. Niemand erwartete eine gemeinsame Zukunft, wie es bei Paaren der Fall war. »Einfach und bequem. Wenn man es möchte.« Die Mitschüler, die eine bestimmte Kennzeichnung trugen, hatten diese Option nicht gehabt. Jemand hatte ein Geheimnis, eine verborgene Schwäche, etwas sehr Privates an den Schülerpräsidenten gemeldet. Wenn ein 'Gentleman', der sich für den jeweiligen Mitschüler interessierte, selbst bereits einen Beitrag geleistet hatte, dann konnte er dieses Geheimnis nutzen, um sexuelle Gefügigkeit zu erpressen. Alternativ war sein Opfer gezwungen, das Geheimnis zu offenbaren, um die Erpressung abzuwenden. Motoki schauderte. Er hatte in grauenvoller, pflichtbewusster Gründlichkeit jeden Beitrag gelesen oder angesehen. So waren ihm die Geheimnisse seiner Mitschüler, die gekennzeichnet worden waren, vertraut. Er wusste, welche Schüler bereits Opfer geworden waren. Wer als 'Gentleman' in Erscheinung getreten war. »Wie gut, dass ich keine Freunde habe, sonst könnte ich ihnen nicht mehr ins Gesicht sehen.« Der Gedanke war traurig und tröstlich zugleich. Konnte man überhaupt mit jemandem unbefangen umgehen, von dem man wusste, dass er sich vergewaltigen und erniedrigen ließ, um zu verbergen, dass er als Kind heimlich einen Lagerschuppen in Brand gesteckt hatte? Die Welt geriet aus den Fugen. Die Masken fielen, die Fassade bröckelte. Es war leichter vorzugeben, dass man nichts wusste. Dass man die Oberfläche auch für den Inhalt nahm. Motoki schrak zusammen, als sich ein Arm um seine Taille legte, eine warme Hand unter sein Schulhemd kroch, doch bevor er sich durch einen erschrockenen Schrei verraten konnte, dämpfte ihn Arashis andere Hand. Für einen langen Augenblick standen sie vor dem Fenster. Motoki, mehr als einen Kopf kleiner als der hochgewachsene Arashi, von ihm umschlungen. Er lauschte auf den kräftigen Herzschlag an seinem Rücken, die ruhigen Atemzüge, genoss die Wärme, die Arashi verströmte. Heute würde Arashi ihn nicht aufgeben. Noch hoffte er. ~+~ Kapitel 12 - Den Sprung wagen? Hiroki war sich sicher, dass Kentarou es nicht bemerkt hatte. Wenn doch, so hätte der es sicherlich als albernen Scherz abgetan, die Katzenaugen verdreht und das Fuchsgesicht zu einer Grimasse verzogen. »Waaaahhnnsinnig witzig, ha ha!« Hätte er vermutlich kommentiert. Der Hüne studierte die Zettel. Sie waren aus Notizbüchern oder Heften herausgerissen, eilig bekrakelt, Liebesgeständnisse, Aufforderungen zu einer Verabredung. Kentarou hatte solche Briefchen in seinem Schulfach stets ignoriert und bloß knapp erklärt, er habe grundsätzlich keine Zeit. Das hatte, zumindest nach einer Weile, der einseitigen Korrespondenz ein Ende bereitet. »Aber hier?!« Hiroki ließ den Blick noch einmal schweifen, ob einer der Mitschüler ihnen ein besonderes Interesse schenkte. »Hier hatte ich eigentlich damit gerechnet...« "Los, Hiro, geschlafen wird im Unterricht!" Kentarou wühlte sich mit gewohntem Elan durch die Schüler. Hiroki folgte ihm. Er hatte gehofft, dass sein Auftreten genügen würde, um alle anderen Verehrer abzuschrecken. Ein Irrtum. ~+~ "Was bist du, eine Rennschnecke?! Bewege dich mal schneller!" Hiroki hörte über den Platz den munteren Austausch von Beleidigungen der Läufer. Gerade sollten sie sich im Staffellauf üben, doch der nötige Ernst fehlte, weil sich der aufsichtsführende Lehrer mit anderen Teams befassen musste. Von seinem Platz aus, auf der künstlichen Aschenbahn hockend direkt neben der Sandgrube, die für das Kugelstoßtraining genutzt wurde, konnte Hiroki Kentarou im Kreis der anderen Athleten beobachten, wie sie herumalberten und Kentarou, der sie energisch zur Arbeit antrieb, weil er es verabscheute, seine Zeit zu vertrödeln. Obwohl sie sich kabbelten, schienen sie ihn in ihrer Mitte gern aufgenommen zu haben, zerwühlten ihm den Schopf oder umarmten ihn kühn, um hastig wegzuspritzen, wenn Kentarou ausholte und sich befreite. Wie immer konnte er es nicht ausstehen, wenn man seine Freiheit beschnitt, indem man sich an ihn hängte oder ihn gar umhalste! Hirokis Miene verfinsterte sich. Er musste an die Briefchen denken, die Kentarou gelangweilt las, grundsätzlich für dämliche Scherze hielt und achtlos entsorgte. Wieso gaben sie nicht auf?! Warum ließen sie Kentarou nicht in Ruhe?! "He, du bist dran!" Ein unfreundlicher Stoß in seine Seite katapultierte Hiroki in die traurige Realität zurück. Ohne einen Kommentar schraubte er sich hoch, nahm eine der schweren Kugeln auf, um sie mit einer eleganten Drehung um die eigene Achse in die Sandgrube zu stoßen. Seine Weiten waren nicht schlecht, sein Stil durchaus vorbildlich, aber Hiroki nahm jedes erzielte Resultat oder gar ein Lob mit stoischem Desinteresse hin. Ihn kümmerten seine Ergebnisse nicht, solange sie ausreichend waren, um hier sitzen und Kentarou beobachten zu können. Sport war ohne Belang, wenn Kentarou nicht an seiner Seite war. Er nahm wieder Platz, ein wenig abseits der anderen. Auch wenn niemand ihm offen feindselig oder ablehnend gegenübertrat, wusste er doch genau, dass sie ihn verabscheuten. Es gab nichts, dass seine Gesellschaft erträglich oder nützlich gestalten konnte. Die Läufer hatten sich inzwischen dazu aufgerafft, in ihrer Nähe mit kurzen Läufen die Staffelholzübergabe zu erproben. Hiroki hörte genau, wie sie Kentarou aufforderten, doch mit ihnen den Sonntag zu verbringen, da er bestimmt wie ein Magnet auf die Mädchen wirken würde. "Ich hab zu tun!" Knurrte Kentarou grimmig. "Außerdem, wenn ihr Mädchen sucht, lacht euch gefälligst selbst welche an! Was mir nachläuft, ist gemeingefährlich, DAS kann ich euch aber garantieren!!" Dass sein wütender Ausruf lautes Gelächter und Begeisterung auslöste, irritierte Kentarou gewaltig. "Ich meine es ERNST, ihr Pappnasen!! Nur irre Tussis! Total bekloppt!!" "Wir wollen uns ja nicht unterhalten." Grinste einer seiner Kameraden feixend. "Da käme bei dir auch nicht viel raus." Versetzte Kentarou unbeeindruckt. "Sieh lieber zu, dass du das Holz nicht wieder fallen lässt!" "Ja, beweise ein gutes Händchen, dann ist es am Wochenende auch nicht mit deinem Söhnchen ganz allein!" Die obszöne Geste begleitete den Spott der anderen, was in einer Rauferei ausartete. "Idioten!" Kentarou schnaufte enerviert. "Wird das heute noch was, oder kann ich gehen?!" Hiroki erhob sich ebenfalls. Wenn Kentarou ging, war für ihn auch Schluss. "He, Miruno, du hast noch einen Versuch!" Mahnte ihn der Trainer ärgerlich. Hiroki wandte nicht mal um. "Bitte zählen Sie ihn als ungültig." Natürlich würde das seinen Schnitt erheblich verschlechtern, aber wen kümmerte es schon, wie weit man eine schwere Kugel in den Sand schleudern konnte?! "Ah, auch schon fertig?" Kentarou zwinkerte Hiroki gut gelaunt zu. "Komm, lass uns abzittern! Die Blödmänner gehen mir wirklich auf den Keks!" Hiroki folgte Kentarou gewohnt wortkarg, warf einen kritischen Blick in das Fach seines Freundes, als sie die Schuhe wechselten. Noch mehr Zettelchen, die gelangweilt gelesen und entsorgt wurden! "He, Hiro!" Kentarou warf sich die Schultasche schwungvoll über eine Schulter. "Lass uns eine Kürbissuppe essen, in Ordnung? Es ist ja noch warm, und die Reste sind damit auch erledigt." "Klingt gut." Brummte der Hüne sonor. Er wünschte sich, jeden Tag mit Kentarou speisen zu können. ~+~ War es das nackte Kauern auf dem bloßen Boden gewesen? Motoki wusste, dass er fieberte. Immer wieder musste er sich über die tränenden Augen wischen. Die Koffeintabletten halfen nicht mehr, sein Magen rebellierte schon wieder, produzierte Galle und krampfartige Schmerzen. Hatte er sich eine Erkältung geholt? Am Vortag wollte Arashi die Aussicht genießen und hatte sich nicht vom Fenster entfernt. Für Motoki eine kleine Herausforderung, sich an die Wand zu pressen, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er hatte sein Ziel erreicht, sich selbst erlöst und war anschließend vollkommen erschöpft gegen die Wand gesunken. Da Arashi sich gewohnt knapp und abschiedslos entfernt hatte, konnte er nicht sagen, wie lange er dort ausgeharrt hatte, vollkommen nackt, ohne den Antrieb, aufzustehen, sich zu säubern und anzukleiden. Er legte die Brille ab, verschränkte die Arme auf der Schreibtischplatte und ließ den Kopf sinken. Schlaf wäre wunderschön, doch der wollte nicht kommen. Immer wieder schreckte ihn die Angst auf, dass der Tag X bevorstand. Es war Motoki unmöglich, sich emotional auf die Konsequenzen einzurichten. Er WEIGERTE sich schlichtweg, den Gedanken abschließend zu verfolgen. Als sich die Schiebetür öffnete, schreckte Motoki aus seinem fiebrigen Dämmerzustand hoch, stieß im Reflex den Stuhl zurück, um sich zu erheben und wäre beinahe gestürzt. Der Schreck darüber trieb blitzartig seinen Adrenalinpegel hoch, ließ ihn nach Luft schnappen. Sofort krampfte sich sein Magen zusammen, Motoki fühlte sich flau, stützte sich auf der Schreibtischplatte ab. Eine kraftvolle Hand packte seinen Oberarm, stabilisierte das Trudeln. Arashis Schultasche wurde achtlos neben den Schreibtisch geworfen, damit er die andere Hand frei hatte, um die eigene Stirn gegen Motokis zu legen. "Du hast Fieber." Stellte er knapp fest, schnalzte mit der Zunge, gab Motoki frei. Der begriff nur eins: wenn er Arashi nicht gefällig war, könnte der sich entschließen, dass heute der Tag X sein sollte. "Es ist in Ordnung!" Beteuerte er also hastig, knöpfte sich eilends das Schulhemd auf. "Bitte, Kitamura-kun, ich bin bereit!" Die schwarzen Mandelaugen musterten ihn kritisch, nahmen dann das ganze Panorama in den Blick, die unordentlich abgestellte Schultasche, die Uniformjacke beiläufig darüber geworfen, der unheilvolle Glanz in Motokis Augen, die dunklen Schatten und der aufdringliche Geruch von künstlichen Aromastoffen. "Hmpf." Grunzte er betont gleichgültig, schob den Stuhl beiseite, um Motoki gegen den Schreibtisch zu drängen. "Na fein!" Lächelte er ohne Humor. "Dann treiben wir's heute hier oben!" Er klopfte auf die beschichtete Spanplatte. "Verstanden." Diensteifrig und schwankend nickte Motoki, wickelte sich rasch aus seinem Hemd, taumelte aber bereits, als er sich von Hosen und Strümpfen befreite. Arashi schien ungeduldig zu warten, bis Motoki auf den Schreibtisch kletterte, ein wenig ratlos, wie es nun weitergehen sollte. Lange allerdings musste er nicht ausharren, denn Arashi verpasste ihm einen Klaps auf die Kehrseite und kommandierte. "Leg dich auf den Rücken!" Motoki kam der Aufforderung nach, fühlte sich verletzlich und gleichzeitig erregt, weil er bloß und ungeschützt auf der Platte drapiert war, die Beine aufgestellt und leicht gespreizt. Von Arashi jedoch hörte er keinen Kommentar. Der schlüpfte aus seinem eigenen, zerknitterten Schulhemd, rollte es achtlos zusammen, um unter Motokis Hinterkopf zu fassen und das Hemd darunter zu legen. »Das ist überraschend.« Motoki blinzelte, ging nun seiner Brille verlustig. Sein fiebernder Verstand konnte mit den Entwicklungen nicht ganz Schritt halten, aber er fühlte, dass Arashi nicht die Absicht hatte, ihn zu quälen. Der suchte unterdessen die Kondome heraus, öffnete die Umverpackungen, legte beide auf Motokis Bauch ab. Er kletterte selbst gelenkig auf die Schreibtischplatte, positionierte seine Knie rechts und links unterhalb von Motokis Achseln. Nun erklärte sich diesem auch das improvisierte Kissen! Motoki strich mit den Händen über Arashis Oberschenkel, wärmte seine Handflächen durch das Reiben am Stoff auf. Er knöpfte die Hose auf, zog den Reißverschluss herunter und legte Arashis halbherzige Erektion frei. Es war ein wenig ungewohnt, auf diese Weise zu hantieren, da ihn Arashis Knie und Oberschenkel in seinem Bewegungsradius beschränkten, doch Motoki fand auch Gefallen an der Nähe, der Wärme, die auf ihn herabstrahlte. Er reckte die Arme nach oben, um wie am Vortag schon unaufgefordert Arashis Brustmuskulatur zu bestreichen, mit Handballen und Fingerknöcheln über die Haut zu reiben. Der Kontrast von weicher Haut zu Körperbehaarung erschien ihm reizvoll und entlockte Arashi ein vehementeres Keuchen. Wagemutig streifte Motoki schließlich Arashis Hosen über die aparten Hinterbacken. Auch hier konnte er die Muskeln direkt unter der Haut spüren, angespannt und prall, geradezu verlockend, sie zu massieren und zu kneten. Motoki streichelte über die Seiten, den sich abzeichnenden Beckenknochen. Er angelte blind nach dem Kondom, gerade rechtzeitig, bevor sich die erste Flüssigkeit lösen konnte. Während er mit der Linken weiter über Arashis Kehrseite streichelte, stützte seine Rechte die Erektion. Er musste die Hals- und Nackenmuskeln nicht überanstrengen, konnte bequem mit der Zunge die Honneurs machen. Arashi kam ihm entgegen, indem er sich mit den Unterarmen an der Wand abstützte, das Becken nach vorne beugte. Mit geschlossenen Augen begann Motoki schließlich, sich die Erektion langsam in den Mund zu schieben. Vorsichtig, immer wieder mit der Zunge an der künstlichen Hülle entlang tastend. Er hörte Arashis harte, schnelle Atemzüge, spürte das Flattern der Sehnen und Muskeln. Als Arashis Becken zu tanzen begann, vor und zurück zuckte, presste Motoki die Fingerspitzen hart in Arashis Kehrseite, begleitete den steigenden Rhythmus mit knetenden Bewegungen, ließ nicht mehr zu, dass Arashi sich entfernte. Über ihm stöhnte Arashi kehlig, zitterte und bebte, kämpfte um eine Selbstbeherrschung, die er verlieren würde. Motoki empfing einen harten Stoß gegen den Gaumen, bevor sich unter der Oberfläche des Kondoms Flüssigkeit explosionsartig sammelte. Erstickend stöhnend und röchelnd reagierte sein eigener Körper, schoss Sperma auf die aufgestellten Oberschenkel und seinen Bauch. Doch Gedanken an das vergessene Kondom verschwendete Motoki nicht. Er würgte an dem fremden 'Knebel', rang anfallsartig nach Sauerstoff, hyperventilierte in Zuckungen. Arashi wurde auf seinen Zustand aufmerksam, wich eilig zurück. Er konnte sehen, wie unter ihm Motoki schäumend Speichel spuckte, dann spannungslos in sich zusammensackte. Das Bewusstsein hatte ihn verlassen. ~+~ Arashi starrte für Augenblicke auf Motoki herunter, dessen Brustkorb hob und senkte sich, sodass keine Gefahr bestand, der Ältere möge in akuter Gefahr schweben. Ein kurzer Ruck ging durch den erschlafften Leib, als Motokis Beine nachgaben, über die Schreibtischkanten rutschten, in den Knien einknickten. Ungelenk und benommen kletterte Arashi schwankend vom Schreibtisch herunter. Er zwang sich mehrere Male tief durchzuatmen, bevor er wieder die Kontrolle über seine zitternden Finger gewonnen hatte. Mit dem Taschentuchspender ausgerüstet beugte er sich über Motoki, drehte dessen Kopf am Kinn behutsam zu sich. Speichelfäden sickerten herunter, feuchte Flecken zeichneten sein zusammengerolltes Schulhemd. Behutsam wischte er die nassen Spuren von der Haut, setzte seine Reinigungsarbeit anschließend am Torso und Motokis Beinen fort. Durch die Haut konnte er die fiebrige Hitze wahrnehmen, aber auch die sich abzeichnenden Knochen. Es hieß, dass der Stress des Amtes dem Schülerpräsidenten zusetze, dass er jeden Vergleich mit dem Vorgänger scheuen müsse und besser auf repräsentative Pflichten verzichten sollte. Motoki regte sich wieder, zuckte unwillkürlich, bis er endlich die Augen aufschlug, den Blick zu fokussieren suchte. Arashi wandte sich ab, trat zum Fenster. "Zieh dich an, ich bringe dich zur Bahnstation." Rumpelte er sonor. Einen verstohlenen Seitenblick später tippte er absichtsvoll Motokis achtlos abgeworfene Schultasche an. Die Uniformjacke rutschte herunter und gab Einblick in den Tascheninhalt, Tablettenröhrchen, Schachteln, kleine Dosen. Arashi senkte den Kopf angriffslustig, funkelte sein Spiegelbild in der Scheibe an. ~+~ "Du WIRST nicht gehen." Das Machtwort seiner Mutter schloss kategorisch jeden Widerspruch aus. Motoki sackte auf dem Stuhl in sich zusammen, geschlagen und mutlos. Er wusste selbst, dass sein Fieber, das Erbrechen und die Erschöpfung für diese Woche keinen Unterricht mehr zuließen. Dennoch durfte er nichts unversucht lassen, denn es oblag seiner Verantwortung, das ungeheuerliche Geheimnis um den 'Gentlemen's Club' zu wahren. Wenn er nicht auch an diesem Tag pünktlich erschien, würde Arashi zweifellos seine Ankündigung wahr machen. Konnte er jedoch den wachsamen Augen seines Großvaters entwischen? Motoki kroch gehorsam unter die Decke auf seinem Futon. Während er noch erschöpft Pläne schmiedete, schlief er ein. ~+~ "Komm schon, Kenny, alle gehen am Sonntag mit! Die Sempais haben es praktisch befohlen!" "Ist mir egal!" Unwillig pflückte Kentarou sich einen Klassenkameraden von den Schultern. "Kleb nicht an mir wie eine Klette!" "Du MUSST einfach mitkommen!! Wir lassen mal so richtig die Sau raus!" Seine Trabanten wollten einfach kein Einsehen haben. Kentarou zerrte sich das Stirnband vom Kopf und fauchte. "Seid ihr taub, oder was?! Ist mir wurscht, wer was will oder sein lässt! Ich habe Sonntag was vor, PUNKT! Also geht mir nicht mit dieser Bettelei auf den Keks!" "Du kannst dich nicht immer hinter deinem Opa verschanzen!" Bemerkte einer der Umstehenden unklugerweise. "Was geht dich mein Privatleben an, hä?!" Kentarou pflügte durch die Menge, bevor Hiroki ihn mit einem lässigen Griff am Hemdkragen ausbremste. "Quatsch mich hier nicht von der Seite an, klar?!" "Langweiler! Spielverderber! Buuuuhhhh!!" Echote es von allen Seiten, doch in Kentarous Katzenaugen blitzte Hölle und Verdammnis. "Rutscht mir doch den Buckel runter!" Fauchte er hitzig, schüttelte Hirokis Griff ab, der sich an der Auseinandersetzung nicht beteiligt hatte. Für ihre Klassenkameraden war er in solchen Situationen einfach unsichtbar. "Immer dasselbe!" Schnaubte Kentarou aufgebracht, während er seine Schulslipper in den Schrank feuerte. "Warum wollen mich die Blödmänner ständig zu irgendeinem Mist mitschleppen?!" "Du siehst gut aus. Sie wollen damit Mädchen auf sich aufmerksam machen." Antwortete Hiroki ungefragt und betont sachlich. "Ach, papperlapapp!" Kentarou knotete das Haarband um seinen Schopf, die Zungenspitze konzentriert in einem Mundwinkel eingeklemmt. "Verstehe ohnehin nicht, warum die Deppen jedem Rock hinterherrennen. Es gibt viel Wichtigeres auf der Welt." Hiroki hielt inne, warf einen langen Seitenblick auf seinen Freund, doch Kentarou zeigte keinerlei Anzeichen für Ironie. "Und schau dir all die blöden Zettel an!" Ärgerlich landete die magere Ausbeute in einem Abfallkorb. "Warum, zum Teufel, will ein Kerl mit MIR ausgehen?! Die spinnen doch alle komplett!" Dieses Mal gab Hiroki keinen Kommentar ab. "Überhaupt, die ganze Aufregung ist doch idiotisch! Für ein bisschen Sabber-Schlabber und Zäpfchen-Massage so einen Aufwand zu betreiben, vollkommen lächerlich!" Kentarou marschierte aufgeladen durch das Eingangstor, hatte in seiner Verärgerung das Kapitel noch nicht abgeschlossen "Hast du denn nie Lust, jemanden zu küssen? Oder zu umarmen?" Hiroki konnte nun nicht länger schweigen, auch wenn es ein selbstquälerischer Beitrag war, den er sich leistete. "Hä?!" Kentarou machte auf der Stelle kehrt, stapfte rückwärts weiter. "Warum sollte ich?! Was kann schon toll daran sein, das Leckbrett in irgendeine Schnauze zu schieben?! Und fremden Sabber runterzuwürgen?! Eklig!!" Elegant pirouettierte er, um wieder nach vorne zu blicken, während sein Schritt sich nicht verlangsamte. "Überlege mal, du hast doch keine Ahnung, wo sich die Tussi herumgetrieben hat! Was man sich da alles holen kann! Karies, Hepatitis oder Herpes!! Jede Menge widerlicher Bakterien!" Hiroki lupfte kritisch eine Augenbraue. "Meinst du nicht, dass ein gesunder Körper mit den eventuellen Bakterien fertig wird?" "Von wegen!" Kentarou schwenkte seine Schultasche heftig. "Da holt man sich Infektionen und keiner weiß, warum! Dann bekommst du Monate später Fieber und Ausschläge! Richtig widerliche, nässende Pusteln!" "Lecker." Brummte der Hüne, hauptsächlich der plastischen Beschreibung geschuldet. "Nein!" Stellte Kentarou abschließend und mit großem Nachdruck fest. "Das ist nichts für mich! Ich habe viel zu viel zu tun, um meine Zeit mit solchem Blödsinn zu verschwenden!" »Leider.« Seufzte Hiroki stumm, folgte im gewohnten Abstand. »Warum musst du bloß so verflixt unabhängig sein?!« ~+~ Für den Sonntag verabredeten Seiji und Tomohiko, einen ruhigen Tag im Abbruchgelände zu verbringen. Da es aber herbstlich stürmte, mussten sie sich mit Regenschirm, Gummistiefeln und großen Umhängen bewaffnen. Unerschrocken stapfte Tomohiko voran, auf dem Rücken einen Rucksack mit Proviant. Seine Eltern hatten keine Einwände erhoben, als er darum bat, dass Seiji die Nacht bei ihnen verbringen dürfe. Ein Blick in das spitze, blasse Gesicht genügte. Seijis Schönheit war schon fast zu ätherisch, um zu gefallen. Finger in Finger eingehakt planschten sie durch Pfützen, beobachteten, wie die Regentropfen sich von Blatt zu Blatt gleiten ließen, bis sie endlich den Boden erreichten. Seiji störte das Regenwetter nicht, bedeutete es doch, dass nur wenige andere Leute unterwegs waren. Sie suchten sich eine trockene Nische, um ihr mittägliches Picknick zu verzehren. Unvermittelt brach Seiji das einmütige Schweigen im steten Rauschen des Spätsommerregens. "Ich habe in der Mittelstufe dreimal die Schule gewechselt. Wegen solchen Vorfällen." Gedankenverloren strich er sich die lackschwarzen Strähnen aus der Stirn. "Seit der Grundschule sind mir solche Dinge passiert. Fremde Leute, die mich einfach im Auto mitnehmen wollten. Jungen, die mir auflauerten. Frauen haben mir durch die Haare gestreichelt und wollten mich küssen. Männer haben mir an den Hintern gefasst und mir widerliche Fragen gestellt." Seiji seufzte leise. "Ich wollte sogar Unterricht in Selbstverteidigung nehmen, aber der Lehrer hat mich nach zwei Stunden hinauskomplimentiert. Ich würde die anderen Jungen 'irritieren'!" Er schnaubte abschätzig. "Die Irritation bestand darin, ob sie sich an mir vergreifen wollten oder mich verprügeln, weil sie sich gern an mir vergriffen hätten!" Ergänzte er bitter. "Lehrer gestanden mir ihre Liebe und wollten die Schule verlassen. Aber am Ende bin ICH jedes Mal weggegangen." Tomohiko studierte Seijis Profil, die scharfen Linien, die Angst und der Schlafmangel gezeichnet hatten. "Das war so unerträglich peinlich! Ich habe nichts getan, habe mich extra mit niemandem angefreundet, aber jedes Mal ist wieder so eine Sache passiert." "Was sagen denn deine Eltern dazu?" Tomohiko reichte Seiji zum Trost süßes Teegebäck. Seiji seufzte erneut. "Dass es nicht meine Schuld ist. Dass sich das geben wird, wenn ich erwachsen bin. Dass ich mir keine Vorwürfe machen soll und sie mir immer zur Seite stehen, ganz egal, was auch passiert." "Und jetzt hast du mich." Tomohiko zog ein schiefes Grinsen. "Der auch immer an deiner Seite stehen will und ebenfalls hofft, dass sich DAS geben wird. Ganz uneigennützig natürlich!" Seiji wandte den Kopf, um Tomohiko anzusehen. Er grinste. "GANZ uneigennützig!" Wiederholte er neckend. Dann hob er die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu unterdrücken. "Willst du ein bisschen schlafen?" Tomohiko räumte seinen Rucksack zur Seite. "Du kannst dich bei mir anlehnen, wenn du magst." "Danke." Schüchtern rutschte Seiji vor Tomohiko, legte sich dessen Arme um den Leib, drehte und wendete sich ein wenig, bis er bequem saß. Er ließ den Kopf auf Tomohikos Schlüsselbein ruhen und schnurrte leise vor Wohlbehagen. "Du bist schön warm." "Zu etwas bin ich also nutze." Spöttelte Tomohiko, schielte auf Seijis friedliches Gesicht. Der schlief zu seiner Überraschung binnen kürzester Zeit tief und fest. Tomohiko streichelte ganz sanft und vorsichtig über die Hände, die auf seine Oberschenkel gesunken waren. Es war sehr lange her, seit er einen anderen Menschen so vertraut und zärtlich im Arm gehalten hatte. Die letzte Person war Aiko gewesen, kurz bevor sie starb. ~+~ "Seiji?" "Hmmhuh?" Seiji blinzelte, regte sich unwillkürlich. Aus irgendeinem Grund bewegte sich sein Futon! "Seiji, es wird bald dunkel. Wir sollten uns auf den Rückweg machen." Jemand streichelte sanft über seine Wange. "Tomohiko?" Endlich trudelte auch Sejis Verstand ein. "Genau. Wen hast du denn erwartet?" Tomohiko lachte, die Vibrationen tanzten köstlich über Seijis Rücken. "Uuhhhh!" Seiji kam auf die Beine, reckte und streckte sich, absolvierte einige Rumpfbeugen. "Ich fühle mich richtig gut! Hoffentlich ist dir nichts eingeschlafen?" Erkundigte er sich eilig. "Nein, alles noch dran und wach." Tomohiko grinste, kopierte zum Beweis Seijis Aufwärmübungen. "Was, schon so spät?! Tomo, du hättest mich wecken sollen!" Tadelte Seiji beim Blick auf die Uhrzeit. Er hatte glatt den ganzen Nachmittag in Tomohikos Armen verbracht! "Ich HABE dich doch geweckt, Dornröschen." Neckte ihn Tomohiko amüsiert, wich einer drohenden Faust mühelos aus. "Komm, sei friedlich, sonst geht die ganze Erholung flöten!" Es regnete noch immer, aber keineswegs mehr so malerisch. Die Luft war schwül und stickig, klebte den Stoff auf die Haut. Seiji seufzte, auf so ein Dampfbad hatte er eigentlich keine Lust und noch waren sie im Trockenen. Er wandte sich nach Tomohiko um, der gerade sein Sweatshirt abstreifte und es im Rucksack verstaute. Offenkundig wollte er nur mit einem Unterhemd bekleidet den Rückweg antreten. Die Regenjacke wurde bereits um die Taille geknotet. "Tomo." Seiji baute sich vor Tomohiko auf, fasste nach dessen Händen. Mit zwei langsamen Schritten drängte er Tomohiko in eine Ecke, die von zwei noch intakten Mauern gebildet wurde. Er führte Tomohikos Hände auf dessen Rücken, bog dessen Finger um ein altes Rohr. "Nicht loslassen." Wisperte er. "Jetzt schließe die Augen." Ohne Furcht kam Tomohiko der Aufforderung nach, auch wenn Seiji durch die Nähe feststellen konnte, dass dessen Herz ebenso stürmisch wie sein eigenes schlug. Sanft glitt er mit den Fingerspitzen über Tomohikos Schläfen, streichelte über die Wangen, bis er den passenden Platz fand. Seine Lippen berührten scheu Tomohikos, ein-, zweimal, dann strich er mit der Zungenspitze vorwitzig über Tomohikos Mund. Seiji konnte spüren, wie Tomohiko die Schultern anspannte, sich zwang, unter gar keinen Umständen das alte Rohr loszulassen. Seiji hatte noch nie jemanden aus eigenem Antrieb geküsst. Er war vorsichtig, ängstlich, wollte sich nicht blamieren. Gleichzeitig war er aber auch neugierig und bereit, an neuen Erfahrungen Geschmack zu finden. Zum Beispiel daran, Tomohikos Zungenspitze zu necken, Speichel mit ihm zu tauschen, während ihre Nasenspitzen einen Kuss teilten. Er stemmte sich auf die Zehenspitzen, um Tomohiko mit wachsender Leidenschaft zu küssen. Selbst wenn er jetzt an einem Herzinfarkt sterben sollte, der Preis schien es ihm wert. Als ihm die Luft ausging, schlang er die Arme um Tomohikos Nacken, vergrub das Gesicht in dessen Halsbeuge. "Ich glaube, meine Füße brennen." Krächzte Tomohiko verwirrt. "Alles prickelt so komisch." Seiji lachte, warf einen kritischen Blick nach unten, um mögliche Feuer auszumachen. Es bot sich jedoch keine spontane Selbstentzündung. "Ich glaube, wir sind außer Gefahr." Er dippte einen Kuss auf Tomohikos Nase. "Könnte eine Spontan-Allergie sein." Mutmaßte Tomohiko mit geröteten Wangen. Seiji bestaunte ihn fasziniert. Tomohiko sah ganz anders aus, wenn er verlegen oder gar erregt war! "Da hilft nur Immunisierung!" Behauptete er frech. "Man muss sich dem Erreger aussetzen und einfach hoffen, dass die Nebenwirkungen mit der Zeit verschwinden!" Tomohiko prustete los, hob dann eine Hand, um Seiji durch die lackschwarzen Strähnen zu streicheln. Schließlich unterbrach er ihr flirtendes Schweigen. "Lass uns heimgehen, ja?" ~+~ Seiji hatte vermutet, dass nach dem ersten Kuss, der größten aller möglichen Herzklopfattacken, das Übernachten bei Tomohiko ein wenig verunsichernd verlaufen würde. Zumindest er selbst würde sicherlich linkisch und verlegen sein. Aber das trat nicht ein, was besonders der Verdienst von Tomohikos Eltern war, die keinerlei Groll oder Argwohn gegen Seiji hegten. Vielmehr sorgten sie sich darum, ob ihm der ganze 'Stress' nicht zusetze, ob er vielleicht in der Pension nicht genug Ruhe bekäme. Außerdem müsse man ausnutzen, dass man einen Abend lang zu viert sei! Tomohikos Mutter bestand darauf, dass sie alle zusammen spielten, und zwar mit zwei Kontrollgeräten! Immer abwechselnd musste einer der beiden Teammitglieder steuern, mit verbundenen Augen, während sein Partner ihm Anweisungen gab. Dem jungen Gemüse wolle sie es mal richtig zeigen! Seiji hatte keine Übung mit den Spielkonsolen und sorgte für viel Gelächter und Geschrei, weil er Tomohikos Anweisungen zwar zu befolgen versuchte, aber sich selbst mit den Knöpfen und seinen eigenen Daumen ins Gehege kam. Das musste ja in einer vernichtenden Niederlage enden! Trotzdem schmerzten Seiji die Seiten, weil er so viel und herzlich gelacht hatte. Er kroch in den bereit gelegten Futon und ächzte ermüdet. "Das war schön!" "Ja." Tomohiko lag auf der Seite, das Kinn in eine Hand gestützt. "Das sollten wir im Winter ruhig mal wiederholen." "Tomo?" "Ja?" Tomohiko löschte das Licht. "Es ist doch gut, dass ich hierher gekommen bin." Tomohiko lächelte in der Dunkelheit. "Ja." Antwortete er schließlich. "Das finde ich auch." ~+~ "Hast du deine Suppe getrunken?" "Jawohl." Antwortete Motoki seinem Großvater. Zum Wochenbeginn hatte sich das Fieber gelegt, was gleichbedeutend mit der Verpflichtung einherging, wieder zur Schule zu gehen. Unbehaglich schlüpfte Motoki in seine Uniformjacke, nahm seine Tasche hoch. Niemand hatte angerufen, sich nach seinen Eltern erkundigt. Bedeutete das aber auch, dass Kitamura geschwiegen hatte?! Mit steifen Schritten machte er sich zur Bahnstation auf. Sein Magen rumorte schon wieder, spiegelte seine Angst vor dem Schulbeginn. In der Bahn musste er sich setzen, weil ihm die Knie weich waren. »Früh wie immer, früh, um möglichst wenige Zeugen zu haben?« Wenn Kitamura geschwiegen hatte, gäbe es eine Möglichkeit, ihm seine Abwesenheit zu erklären? Motoki schloss die Augen, senkte den Kopf. Bisher hatten sie es beide strikt vermieden, außerhalb des Büros Kontakt aufzunehmen. Ohnehin trennte sie auch die Klassenstufe! Er presste seine Schultasche enger vor den Leib. ~+~ Hiroki wartete vor dem Haus auf Kentarou. Seine Laune war nicht die Beste, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. In einem seltenen Anfall von Autorität hatte sein Vater verfügt, dass er den gestrigen Sonntag nicht wie gewohnt bei Kentarou verbrachte, sondern mit der Familie zu spontanen Verwandtenbesuchen aufbrach. Da half auch kein Betteln oder der Hinweis auf geleistete Versprechen: Hiroki musste mit. Den größeren Stich versetzte ihm allerdings Kentarous ungerührte Mitteilung, dass er sich keine Gedanken zu machen brauche, sie kämen prima zurecht. »Ohne mich.« In finsterer Stimmung hatte er sich rachsüchtig gewünscht, dass es Kentarou einmal nicht gelingen möge, ganz allein alles zu meistern, aber dieser wenig fromme Gedanke entsetzte ihn nach einigen Augenblicken selbst. Er WUSSTE doch, dass sein Freund 'Sentimentalitäten' nicht favorisierte, kein Bedürfnis nach körperlicher Nähe hatte und stolz darauf war, von niemandem abzuhängen, frei zu sein. »Niemandem zu gehören.« Hiroki unterdrückte das akute Verlangen, gegen etwas zu treten. Seine Eltern hatten ihn gestern erneut gewarnt, sich nicht wie ein Welpe an Kentarous Fersen zu heften, ihm stets und ständig zu folgen. Es war nicht so, dass sie Kentarou nicht mochten, oh nein! Aber sie wollten nicht, dass ihr einziger Sohn keine eigene Persönlichkeit entwickelte, weil er sich ständig im Schatten eines anderen aufhielt. »Ich HABE eine eigene Persönlichkeit!« Schnaubte Hiroki innerlich, auch wenn er seinen Eltern klugerweise nichts entgegnet hatte. Ein Streit wäre nur kontraproduktiv gewesen. Ohnehin neigte er nicht dazu, seine Eltern über seine Befindlichkeiten in Kenntnis zu setzen. DAS war sein Stolz, seine Freiheit. "He, Hiro!" Kentarou stürmte hinaus, drückte Hiroki ohne Umschweife ein Reisbällchen in die Hand. "Da, ist noch übrig vom Frühstück!" "Danke schön." Hiroki räusperte sich, nahm einen großen Bissen. Er liebte es, Kentarous Speisen zu essen. "Wie war's bei den Verwandten?" Kentarou flitzte voraus, wandte sein Fuchsgesicht dem Hünen zu, der eine leidvolle Grimasse zog, vollmundig kaute. "Verstehe schon!" Kentarou grinste. "Haben sie dir ordentlich zugesetzt? Na, vergiss das! Denk lieber an den dämlichen Test heute! Du musst mit mir vorher noch mal kurz die wichtigsten Punkte durchgehen, sonst sehe ich ziemlich alt aus!" Hiroki lächelte vorsichtig. "Abgemacht." "Kannst ruhig alle Beißer blecken!" Forderte ihn Kentarou breit feixend auf. "Kein Grünzeug in Sicht!" Der Hüne schmunzelte, antwortete aber nicht. Richtig herzhaft lachen, das wagte er nur, wenn er mit Kentarou allein war. ~+~ Motoki sortierte die Eingaben mit brennenden Augen. Zuerst waren sie zu trocken gewesen, dann hatte er wiederholt mit dem Fingerknöchel gerieben und nun rächten sie die Misshandlung mit einer tränenden Entzündung. »Außerdem ist das eine gute Ausrede!« Tadelte er sich selbst mit einem Kloß im Hals. Zwar war er nicht einbestellt worden, um für die ungeheuerlichen Aktivitäten seiner Vorgänger geradezustehen, aber er hatte auch nicht den Mut aufgebracht, nach Arashi zu suchen. Immer war etwas dazwischengekommen, obwohl er bloß einen Schultag gefehlt hatte, den Sonntag ausgenommen. Nachprüfungen, nachzureichende Aufgaben, dies und das. Zu Mittag hatte er sich auf Tee und Reis beschränkt, um seinen rebellischen Magen nicht noch vehementer gegen sich aufzubringen. Nun teilte er seine Post als Schülerpräsident ein in zu erledigende Anfragen und anonyme Aufforderungen, von seinem Amt zurückzutreten, weil er in keiner Hinsicht qualifiziert war. Die Anonymität der Eingaben schien den Autoren jegliche Zurückhaltung als unnötig abzufordern. Polemische, bedrohliche, einschüchternde und vor allem persönlich verletzende Äußerungen wechselten sich mit ausfallenden Beleidigungen ab. Motoki schob den Stapel beiseite, widmete sich angestrengt seinen Aufgaben. Dass man ihn verachtete, diese Reaktion hatte er bisher noch nie erlebt. Ignorierte, das schon, aber es war nun mal so, dass nicht jeder mit jedem gut Freund sein konnte! Da ging man eben rücksichtsvoll einander aus dem Weg. »Ob sie mich verfolgen werden? Einschüchtern und ausschließen?« Er hatte Berichte über die perfiden Maßnahmen gelesen, in denen Schüler andere Schüler zum Äußersten trieben, sie gnadenlos quälten. Das waren nicht die Ergebnisse der Aktionen der 'Gentlemen'. Als er das nächste Mal von seiner Arbeit aufsah, war es bereits nach neun Uhr. »Er ist nicht gekommen.« Motoki schob die Brille hoch, wischte sich mit den Fingerspitzen über die tränenden Augen. »Was soll ich denn jetzt tun?!« Er legte die Brille schließlich ab, verschränkte die Hände im Nacken und rollte sich zusammen, bis seine Stirn die Schreibtischplatte berührte. »Hat er erwartet, dass ich ihn suche? Dann ist er jetzt sicher enttäuscht, oder? Vielleicht sollte ich losgehen? Aber woher soll ich wissen, wo er jetzt ist?!« Die Schiebetür wurde geöffnet. Motoki spürte förmlich, wie sein Herzschlag aussetzte, dann galoppierend wieder in Gang kam. Er wagte nicht aufzusehen, weil er wusste, dass eine heftige Röte sein Gesicht glühen ließ. "Du hast mich versetzt." Verkündete die dunkle Stimme ärgerlich. "Ich bitte um Verzeihung!" Motoki kam stolpernd auf die Beine, hielt den Kopf aber gesenkt, verneigte sich hastig. "Wo ist deine Entschuldigung?" Arashis Stimme fauchte ungeduldig, sonor. "Ich bitte vielmals um Verzeihung!" So tief er konnte, beinahe auf Kollision mit dem Schreibtisch, wiederholte Motoki seine Verneigung. "Nicht doch das!" Arashi schnalzte abschätzig mit der Zunge. "Ich will deine Entschuldigung sehen! Oder haben dir deine Eltern keine mitgegeben? Darf der Herr Schülerpräsident auf sein EHREN-Wort hin einen Tag fehlen?" Der giftige Spott war nicht zu überhören, aber Motoki benötigte einige Herzschläge, bis er begriff, worauf Arashi abzielte. Zögerlich hob er den Kopf an, blickte zuerst auf die ablehnend vor der Brust verschränkten Arme, dann in die schwarzen Mandelaugen. "Die-die Entschuldigung befindet sich im Sekretariat." Erklärte er endlich verwirrt. "Tja, dann solltest du sie wohl besser holen, nicht wahr? Denn ICH gebe mich nicht mit deinem EHREN-Wort zufrieden!" Ergänzte Arashi bissig. Motoki verneigte sich knapp. "Selbstverständlich. Ich werde sie sofort holen." Doch bevor er an Arashi vorbeiwischen konnte, packte ihn der am Oberarm. "Ah, ah, ah! So wirst du nicht gehen, Herr Schülerpräsident. Inkognito wäre doch zu empfehlen, nicht wahr?" Die Augen reibend blinzelte Motoki Arashi an, verstand den Hinweis nicht. Arashi rollte die Augen. "Du wirst UNBEKLEIDET gehen, Herr Schülerpräsident. Wir sind ja alle unter der Uniform gleich, nicht wahr? Wer kann da einen Versager von einem ehrenwerten Amtsträger unterscheiden?" Obwohl die Bemerkung mehr als gallig hervorgebracht wurde, schob Motoki die Anfeindung beiseite. "In Ordnung." Nickte er knapp, löste sich aus Arashis Griff, um sich eilig bei seiner Schultasche neben dem Fenster zu entkleiden. "Ich werde mich beeilen. Entschuldigung für die Unannehmlichkeit." Motoki wollte zum zweiten Mal an Arashi vorbeihuschen. "Warte." Der fasste nach einer Hand. "Wie willst du in das Sekretariat hineinkommen?" "Oh!" Rutschte Motoki heraus, bevor er die Lippen zusammenpresste. Natürlich, das Sekretariat schloss pünktlich mit Schulschluss! Hilfesuchend blickte er in Arashis schwarze Mandelaugen, die ihn prüfend musterten. Schließlich fasste der in seine Hosentasche, produzierte einen Passepartout. Motoki lächelte erleichtert, nahm den Schlüssel an sich und flitzte eilig durch die noch immer offenstehende Tür. Obwohl er noch Stimmen hörte, andere Schüler noch nicht nach Hause oder in das Wohnheim aufgebrochen waren, flog er auf nackten Sohlen dahin, ohne Sorge, dass man ihn ertappen konnte. Vor der Tür des Sekretariats musste er einige bange Augenblicke mit dem Passepartout hantieren, bevor er sich Zutritt verschaffen konnte. Dann jedoch währte es nicht lange, bis er in den Aktenschränken seine eigene Akte fand und die Entschuldigung aus der Krankenakte nahm. Eilig schloss er die Eingangstür hinter sich und kehrte im Laufschritt zurück, Passepartout und das Schriftstück vor die Brust gepresst. Als er das Büro des Schülerpräsidenten wieder betrat, lümmelte sich Arashi auf dem Schreibtisch und blätterte den Stapel der anonymen Schreiben durch. Motoki erstarrte, zögerte. Ohne aufzusehen streckte Arashi die Hand aus, forderte das Entschuldigungsschreiben ein. Er las die Entschuldigung genauso unbewegt wie die anonymen Einsendungen, blickte erst auf, als er seine Lektüre beendet hatte. Arashi erhob sich, warf die anonymen Schreiben achtlos in den Abfallkorb und gab Motoki das Entschuldigungsschreiben zurück. "Jetzt solltest du deine Schülerakten wieder vervollständigen." Er bleckte die Zähne. Motoki begriff, machte kehrt, um erneut durch die Schule zu sprinten, in das Sekretariat einzudringen und das Schreiben wieder ordentlich abzuheften. Auch dieses Mal gelang es Motoki, ungesehen den Rückweg anzutreten. Er betrat sein Büro und schloss die Schiebetür hinter sich. »Ist Kitamura-kun damit zufrieden?« Fragte er sich, betrachtete die hochgewachsene Gestalt am Fenster, lässig gegen den Rahmen gelehnt, den Blick in die Ferne gerichtet. "Vielen Dank für den Schlüssel." Geräuschlos legte er den Passepartout auf seinen nun blanken Schreibtisch. Kommentarlos wandte sich Arashi um, trat so nahe an Motoki heran, dass der die abstrahlende Körperwärme spüren konnte. Der Schlüssel verschwand wieder in der Hosentasche. "Was für ein Bild, der ehrenwerte Herr Schülerpräsident rennt splitternackt durch die Schule und bricht mit einem Nachschlüssel in das Sekretariat ein." Er blickte unverwandt in Motokis Augen. Motoki schwieg. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. "Wie weit willst du noch gehen, Herr Schülerpräsident?" Arashi hob Motokis Kinn an. "Ist es das wert?" »Ich kann nicht zurück. Ich bitte dich um Verzeihung.« Motoki senkte die Lider, schloss die Augen fest. Noch vor den Sommerferien hätte er all diese Dinge nicht für möglich gehalten, doch im Augenblick glaubte er sich selbst im freien Fall. "Verschwenden wir keine Zeit mehr!" Zischte Arashi schließlich frostig, ließ sich auf dem Schreibtisch nieder. Eilig umrundete Motoki seinen Schreibtisch, öffnete die Schublade, um Kondome zu entnehmen. Er wich Arashis Blick aus, knöpfte dessen Schulhemd langsam auf, schlug es auseinander, strich mit den Handflächen über die nackte Haut, genoss die Hitze, die Arashi verströmte. Der lümmelte sich zwar betont, die Hände hinter sich auf der Schreibtischplatte abgestützt, aber an den Herzschlägen konnte Motoki erkennen, dass Arashi nicht so entspannt war, wie er sich gab. Er öffnete Arashis Uniformhose, ging vor ihm auf die Knie, um seine Liebkosungen fortzusetzen, bevor er Arashis anschwellende Erektion vom Stoff befreite. Sanft leckte er über die weiche, vor Hitze glühende Haut, streichelte mit den Fingerspitzen über die Genitalien. "Gummi!" Kommandierte Arashi rau, drückte Motoki die bereits entpackten Präservative in die Hand. Artig applizierte der die künstlichen Hüllen und kam wieder von den Fersen hoch. Überrascht blickte er auf Arashis Rechte, die sich ihm entgegenstreckte: ein weiteres Kondom umhüllte Zeige-und Mittelfinger. "Gib mir deine Hand." Forderte Arashi, legte sich Motokis zögerlich angehobene Rechte um die eigene Erektion. Seine Finger siegelten einen Moment lang Motokis Lippen, bis der begriff, den Mund öffnete und an ihnen zu lutschen begann. Er schloss die Augen, saugte hingebungsvoll an den langen, kräftigen Fingern, koordinierte die massierenden Bewegungen seiner Hände an beiden Erektionen. Arashis freie Hand streichelte fahrig durch Motokis Haare. Das Gefühl steigerte Motokis Erregung. Er hörte sich selbst gedämpft stöhnen. "Steh auf." Arashi unterbrach Motokis hingebungsvolle Zärtlichkeiten. Ungelenk kam Motoki auf die Beine, blinzelte Arashi an, atmete schwer. "Komm her." Arashi klopfte sich mit der freien Hand auf seinen Oberschenkel. Motoki musste sich Halt suchend auf Arashis Schulter stützen, als er behäbig rittlings auf dessen Oberschenkel Platz nahm. Langsam spreizte Arashi seine Beine, zwang Motoki, dieser Bewegung zu folgen. Unwillkürlich presste er die nackten Fußsohlen gegen den rauen Stoff der Hose über Arashis Waden. Ohne Aufforderung wand er wieder seine Rechte um Arashis Erektion, schlang einen Arm abstützend um dessen Nacken. Spiegelgleich kopierte Arashi seine Bewegung, doch sein linker Arm wand sich erst um Motokis Taille, dann glitt er über dessen Kehrseite. Mit aufgerissenen Augen schnappte Motoki nach Luft, als er begriff, WO ihn die vom Kondom umhüllten Finger Arashis berührten. Er vergrub das Gesicht an Arashis Halsbeuge, biss in den Kragen des Schulhemds. Sein Körper zuckte, schreckte vor den Eindringlingen zurück, aber Arashi gab nicht auf, sondern kombinierte den nächsten Versuch mit den massierenden Bewegungen seiner rechten Hand um Motokis Erektion. "Ah! AH! AHN!" Motoki kniff die Augen zusammen, drückte die Fersen stärker in Arashis Waden, versuchte, seine unwillkürlichen Laute zu dämpfen. "Sag meinen Namen." Raunte Arashis sonore Stimme kehlig an seinem Ohr. "Sag 'Arashi'." "A-Ah-Arashi!" Keuchte Motoki, ließ Arashis Nacken los, umklammerte stattdessen dessen Taille, weil sich seine Oberschenkel anspannten, ihn nach oben trieben, doch Arashi ließ sich nicht beeindrucken, bewegte seine Finger in Motokis Innerem. Motoki presste sich so eng an ihn, dass er dessen Erektion loslassen musste. Ohnehin rieben ihre Bauchdecken so erregend aneinander, dass er sogar Motokis Hand löste, sie auf seinen Rücken dirigierte. Er hörte seinen Namen, zwischen hastigen Atemzügen, immer wieder. Bald hatte er Mühe, Motoki festzuhalten, der zuerst seinen Höhepunkt erreichte, dann betäubt und keuchend auf seinem Schoß zusammensank. "Gut." Hörte er sich selbst wispern. "Gut, Haru-chan." ~+~ Motoki verpasste einen Zug, weil er nicht schnell genug laufen konnte. Andererseits WOLLTE er auch gar rennen. Er konnte noch immer Arashis Finger in sich spüren. Und diesen EINEN Punkt. Wenn er allein daran dachte, konnte er das sprichwörtliche Flattern der Schmetterlinge in seiner Magengrube spüren. Andererseits schämte er sich auch, weil er doch eigentlich Buße tun musste, Kompensation leisten für die Verfehlungen seiner Vorgänger. Aber nach einer Strafe fühlte sich DAS gar nicht an. Ganz im Gegenteil. Motoki seufzte lautlos, wartete geduldig in der Schlange auf den nächsten Zug. Er hatte nie geglaubt, dass er so charakterschwach sein könnte. ~+~ Kapitel 13 - Eklat "Das ist totale Verschwendung!" Hiroki hielt inne, nahm das Handtuch von den Schultern. Befanden sich außer ihm noch andere in der Umkleide? Nein, das Echo schien von den Duscheinheiten zu kommen. Lautlos pirschte er sich an, neugierig geworden, weil ein vertrauter Namen gefallen war. "Er schmeißt alle Zettel einfach weg." "Blödmann, Zettel sind was für Mädchen! Man muss ihn überraschen!" "Wie denn?! Er ist ja süß, aber total verklemmt! Zappelt schon rum, wenn man ihn bloß in den Arm nimmt!" "Der wird seine Meinung schon ändern, wenn er es mal getan hat." "Du willst doch nicht etwa...?!" "Nee, SO doof stelle ich mich nicht an! Hier, das Geheimnis: chemische Kriegsführung! Davon zwei Stück und er weiß nicht mal, wo hinten und vorn ist!" "Irgendwie unpraktisch...!" "Halt die Klappe, du geiler Bock! Überhaupt, was ist schon dabei? Es wird ihm schon gefallen." "Das einzige Problem ist Frankenstein! Der hängt ständig mit ihm herum." "Den werde ich schon los!" "Wer sagt, dass du zuerst eine Chance hast?!" Hiroki zog sich lautlos wieder zurück, die Fäuste fest um den gerollten Stoff des Handtuchs gepresst. Sie sprachen eindeutig über Kentarou! »Sie wollen ihn vergewaltigen!« Hiroki bekam vor Zorn kaum Luft. »Sie wollen ihn zum Sex zwingen!« Kentarou würde vielleicht nicht einmal die Gefahr begreifen, in der er schwebte. »Weil er nichts davon ernst nimmt!« Eilig sammelte Hiroki seine Habseligkeiten ein. Er verwarf die Eingebung, Kentarou von dem belauschten Gespräch zu berichten, sofort wieder. JETZT war die Zeit gekommen, endlich Farbe zu bekennen und danach zu handeln. Eine spontane Eingebung verband sich mit den Ärgernissen der letzten Zeit zu einem Schlachtplan. Einem hässlichen, unmoralischen, riskanten Plan. Es würde allen Mut erfordern, jedes angestaute Quäntchen Verzweiflung und Sehnsucht, um ihn zu verfolgen. »Aber im Krieg und in der Liebe sind alle Waffen erlaubt!« Hiroki ballte die Fäuste und richtete die Schultern aus ~+~ Motoki stellte das unruhige Paradieren ein, als er Arashis großen Schatten hinter der Schiebetür erkannte. Wie immer beugte der sich unter dem Türsturz hindurch, die Schultasche lässig über die Schulter an einem Finger baumelnd. Seine finstere Miene ließ Motoki innehalten, der im Begriff war, zu ihm zu laufen. Auch die Art, wie er an Motoki vorbeirauschte und seine Tasche gegen die Wand schleuderte, sprach Bände. Er ließ sich auf Motokis Stuhl fallen, kreuzte die Arme im Nacken und streckte die Beine von sich. Zögerlich bewegte sich Motoki zur Wand neben das Fenster, um sich wie immer zu entkleiden. Er kniete sich neben Arashi auf den Boden, ließ die Finger vorsichtig das Hosenbein nach oben wandern, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Arashis schwarze Mandelaugen funkelten endlich auf ihn herunter. "Wo sind die Gummis?" Zischte der Jüngere übellaunig. Motoki kam rasch hoch, zog an der Schublade, allerdings zu heftig, sodass sie heraus rutschte und vor ihm auf den Boden fiel. Dabei verteilte sich ihr Inhalt im Raum. "Ent-entschuldigung!" Hastig kroch er herum, um die verstreuten Teile einzusammeln. "Schon gut!" Arashi wischte seine Bitte um Nachsicht weg. "Nimm die Gummis und setz dich." Einige Präservative umklammernd ließ sich Motoki auf Arashis Schoß nieder, die Beine sittsam geschlossen. "Was-was möchtest du tun?" Er zögerte. Arashi löste ein Kondom aus der Umverpackung, rollte es über seinen Zeige- und Mittelfingern ab. Bevor Arashi ihn auffordern konnte, legte Motoki beide Hände um dessen Hand, schob sich die Finger in den Mund. Hingebungsvoll leckte er über den Kunststoff, kämpfte gleichzeitig um Beherrschung. Motoki bebte, als Arashis warme Hand über seine Taille strich, über seine Hüfte wanderte und kleine Kreise über seinen Bauch zog. Er wollte die Beine nicht ohne Erlaubnis teilen, aber sein Körper verlangte danach, benötigte bald dringend mehr Spielraum, während sein Atem beschleunigte. "Mhn-mhn! Mhn!" Er flehte in Arashis Augen, ein 'Unglück' zu verhindern. Der verstand auch ohne diese Hinweise, löste seine Hände von Motokis nackter Haut, um mit einem weiteren Kondom auszuhelfen. "Steh auf." Raunte er Motoki ins Ohr, entzog ihm seine Finger. Berauscht und bebend kam der auf die Beine, mit sichtlich zitternden Knien. Arashi legte die freie Hand flach auf Motokis Rücken, dirigierte ihn über den Schreibtisch, beugte sich selbst hinab. "Gut festhalten." Flüsterte er kehlig. Gehorsam bog Motoki die Finger um die entfernte Schreibtischkante, erwartete atemlos Arashis nächsten Schritt. Der streichelte erst neckend über die deutliche Erektion, leckte über Motokis Wange, bevor er langsam mit den verhüllten Fingern Eingang in dessen Körper suchte. "A-Arashi! ARASHI!" Motoki wollte nicht schreien, doch die Empfindungen, potenziert durch seine lustvollen Erwartungen entzogen ihm seine Selbstkontrolle. Vor dem nächsten, ächzenden Atemzug löste er eine Hand, presste sie flach auf die Tischplatte und legte die Lippen darauf. Seine Beine zuckten, sein Rückgrat schien einem fremden Willen unterworfen, bog und krümmte sich. Er spürte Arashis Wärme hinter sich, der ihn ohne Zögern auf die Zehenspitzen trieb, immer wieder DIESEN Punkt traf. Motoki sprühte Speichel, bekam keine Luft mehr, als sein Orgasmus ihn wie ein Blitz traf, elektrische Entladungen seine Glieder reflexartig tanzen ließen. Arashi bremste ihn mit einem Oberschenkel, sodass Motoki keuchend flach auf der Schreibtischplatte lag, aufgehalten von einer Handfläche, die ruhig zwischen seinen Schulterblättern residierte. Mühsam kam er zu Atem, konnte sich auf die Seite drehen. Auf der Kante saß Arashi, ein Bein angewinkelt. Unsicher stemmte sich Motoki auf die Ellenbogen, legte die Wange auf Arashis Oberschenkel ab, um behutsam über dessen erigierten Penis zu lecken. Arashi fische ein weiteres Präservativ aus der Schublade, riss die Umverpackung auf und streifte es sich selbst über. Er fasste Motoki unter die Achseln, um ihn hoch auf die Schreibtischplatte zu ziehen. Die Unterschenkel angewinkelt, die Zehen gegen die Wand gedrückt schlang Motoki beide Arme um Arashis Unterleib, begann gierig die verhüllte Erektion mit seinem Speichel einzukleiden, bevor er sie in den Mund einführte. Er hörte Arashis Stöhnen, grub die Fingerspitzen tiefer in dessen Fleisch, setzte seine Zunge ein, um einen weiteren Kitzel hinzuzufügen. Sein eigener Körper reagierte erneut. Ihn schwindelte, er blähte die Nasenflügel, musste schließlich den Kopf hochreißen, um genug Atem zu schöpfen. Flach auf dem Tisch zu liegen, das konnte ihm nicht genügen, er musste sich von der Wand abdrücken, vor und wieder zurück, während er einen weiteren Anlauf nahm. Arashi streichelte fahrig über seine Haare, den Rücken, die angespannten Arme. Er krümmte sich zusammen, grub die Finger in Motokis Kehrseite, drückte sie hart in die Muskeln, als er seinen Höhepunkt in dessen Rachen erlebte. Für einige lange Augenblicke sah Arashi tatsächlich Sterne und schwarze Flecken. Dann besann er sich, fasste Motoki unter die Achseln und drehte ihn auf den Rücken, schob einen Arm unter eine Achsel und wickelte ihn um Motokis Brustkorb, um ihn an seine Brust hochzuziehen. Er streichelte über Motokis zuckenden Unterleib, erkannte, dass der wohl das Bewusstsein verloren haben musste, als er zum zweiten Mal einen Orgasmus erlitt. Als Motokis Lider flatterten, bettete er ihn tiefer auf seinen angewinkelten Oberschenkel, streifte sein eigenes Hemd ab, um es über Motokis nackten Leib aufzufalten. ~+~ Motoki saß matt auf seinem Stuhl, die Uniformjacke locker um die Schultern gelegt. Er schämte sich ein wenig für seine Schwäche, konnte allerdings nichts dagegen unternehmen. Arashi traf Anstalten, den Raum zu verlassen, bückte sich nach seiner Schultasche. "Warte bitte..." Motoki verstummte, wusste nicht, wie er Arashi ansprechen sollte. Wieder förmlich? Oder so vertraut wie bei ihren Intimitäten? Der warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. "Ich... bitte einen Augenblick nur noch!" Motoki beugte sich vor, die Uniformjacke rutschte achtlos hinter ihm auf den Boden, während er unter dem Schreibtisch eine kleine Tasche hervorangelte. Er öffnete die kleine Kühltasche, barg den Styroporbehälter und hob behutsam die Kuchenschachtel heraus. Die Vorkehrungen waren erforderlich gewesen, weil er die kleinen Stücke Kuchen am Vortag besorgt hatte. "Heute ist dein Geburtstag, nicht wahr? Alles Gute." Motoki lächelte scheu, hoffte, dass Arashi ihn nicht brüsk abwehren würde. Arashi hielt an der Tür inne, warf einen Blick über die Schulter. "Warte hier." Raunte er schließlich, verließ das Büro. ~+~ Motoki war seltsam stolz, als Arashi neben ihm zur Bahnstation ging. Sie hatten Tee getrunken und gemeinsam den Kuchen verzehrt, schweigend, aber ohne eine bedrückende Atmosphäre. Als Motokis Zug einfuhr, wandte er sich zu Arashi herum, sah tapfer in die schwarzen Mandelaugen hoch. "Vielen Dank." Lächelte er, denn es musste ein charakterstarker Mensch sein, der mit jemanden seinen Geburtstag feierte, den er als große Enttäuschung betrachtete. Arashi erwiderte das Lächeln nicht. Er wirkte für einen Moment traurig und müde. Trotzdem wartete er, bis sich die Türen schlossen und der Zug Fahrt aufnahm, bevor er sich auf den Weg zum Wohnheim machte. ~+~ Mamoru wartete eine besorgniserregende Viertelstunde im Kellereingang. Er konnte nur vermuten, dass sich Satoru verspätete, weil es in der letzten Unterrichtsstunde vor dem Selbststudium eine Verzögerung gegeben hatte. Dass ihn der Ältere ohne Nachricht einfach versetzte, hielt er für ausgeschlossen. Als Satoru endlich kam, den Kopf gesenkt, mit unerklärlich steifen Schritten, ahnte er bereits, dass etwas vorgefallen sein musste. Satoru wirkte angespannt, sehr blass und die dunkelbraunen Haarsträhnen hingen noch dichter in sein Gesicht, verdeckten es zur Hälfte. "Was ist geschehen?" Mamoru legte beide Hände um Satorus Gesicht, suchte die dunkelbraunen Augen hinter dem Haarvorhang. Für einen Augenblick spannte sich der Ältere an, ließ Mamoru fürchten, er werde mit einer schnippischen Bemerkung abgefertigt und wie ein lästiges Insekt abgeschüttelt, aber dann atmete Satoru lediglich tief durch. Es klang wie ein Seufzer. Endlich blickte er auf in die großen, schwarzen Augen. "Können wir bitte nur Sex haben und nicht reden?" Mamoru benötigte einen Moment, um die Zurückweisung zu verdauen, nickte dann aber ernsthaft. Er konnte Satoru schließlich nicht dazu zwingen, dessen Angelegenheiten mit ihm auszumachen! Satoru selbst fühlte sich elend, mutlos und wütend zugleich. Er wusste, dass er eigentlich den Abschied zu nehmen hatte, Mamoru die Rote Karte zeigen musste, ihre Trennung verkünden sollte, aber gerade jetzt WOLLTE er das nicht, ganz gleich, wie selbstsüchtig und erbärmlich das auch war, wie feige. Er wollte diese Hand spüren, die ihn die Treppe hinunterführte, die Augen schließen und alle Gedanken und Sorgen verbannen, sich derart austoben und erschöpfen, dass für nichts anderes mehr Raum in seinem Kopf war. Mamoru schien erstaunlich feinfühlig diesen Wunsch zu ahnen, denn er sparte sich die Mühe, sie beide mehr als unbedingt notwendig zu entkleiden, platzierte die unverzichtbaren Utensilien in Reichweite auf den Treppenstufen, bevor er sich vor Satoru hinkniete, die Honneurs mit dessen Genitalien auffrischte. Satoru lehnte mit dem Rücken an der Wand, die Beine geöffnet, die Knie gebeugt, streichelte über die Cornrows, die vertrauten Schultern, Ohren und Nacken. Er ließ nicht zu, dass Mamorus orale Affektionsbekundungen ihn schon zur Erfüllung brachten, sondern tauschte den Platz, hieß den Jüngeren, sich mit gekreuzten Armen gegen die Wand zu lehnen, ein wenig vorgebeugt, damit es ihm nicht so schwerfiel, einerseits die alerte Erektion zu liebkosen, andererseits das Gleitmittel an entsprechendem Ort zu applizieren. Sie tauschten sich nicht mit Worten aus, aber jede Geste war geeignet, ihr Vertrauensverhältnis zu bestärken. Mit Übung drang Satoru in Mamorus Leib ein, kontrollierte mit der Rechten den verpackten Penis, während die Linke über dem Areal kreiste, wo der Anhänger den Unterleib des Jüngeren schmückte. Es war eine Mischung aus Trost, Aufbegehren, Zustimmung und Verlangen, die sie dominierte, den Rhythmus vorantrieb, kunstfertig stolpern ließ, sodass sie beide trotz der wenig komfortablen Position rasch hintereinander Erfüllung fanden. Satoru lehnte sich an den Jüngeren, hängte die Arme lose baumelnd über dessen Schultern nach vorne, schloss die Augen. Er hatte das Gefühl, dass es nicht schlimmer kommen konnte und sich nun irgendwo doch ein Hoffnungsschimmer zeigen musste. Mamoru begnügte sich damit, die Hände zärtlich zu halten, die so spannungslos und einsam von seinen Schultern baumelten. Gern hätte er Satoru versichert, dass sich alles schon in Wohlgefallen auflösen würde, dass er ihm beistehe, ganz gleich, mit welchen Problemen der Ältere konfrontiert war, aber er hatte sein Einverständnis gegeben, dass Schweigen herrschen sollte und so sah er sich genötigt, auf die nächste Woche zu warten. ~+~ Am nächsten Tag wartete Motoki vergeblich auf Arashis Besuch. Kurz bevor der Hausmeister den letzten Kontrollgang vornahm, verließ er widerwillig das Gebäude. »Habe ich etwas falsch gemacht? Oder...« 'Oder' summierte die Übelkeit erregende Vorstellung, der Tag X sei bereits erreicht. War Arashi deshalb nicht mehr gekommen? Weil er seine Enthüllung vorbereitete? Motoki fühlte sich elend, als er auf den Zug wartete. ~+~ Kentarou wischte müßig die Zettel beiseite, um seine Schuhe aus dem Fach zu holen. "Blödsinniger Kram!" Murmelte er ärgerlich, faltete die Mitteilungen auf, um sie anschließend zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu entsorgen. Der letzte Zettel jedoch jagte ihm einen gehörigen Schreck ein. [Ich kenne dein Geheimnis. Ich weiß, wer du wirklich bist.] "Was zum Teufel..." Hastig erinnerte sich Kentarou daran, dass Hiroki bereits auf ihn wartete und verschluckte jede weitere Äußerung. Eilig schob er den mit einem Computer erzeugten Zettel in seine Hosentasche und setzte eine nonchalante Miene auf. Aber auf dem Heimweg konnte er sich nicht wie gewohnt ungehemmt zu allem und jedem äußern. Was hatte diese Botschaft zu bedeuten?! Eine Erpressung? Eine Ankündigung? Von wem?! ~+~ Langsam räumte Motoki seine Schultasche ein, atmete tief durch. Es war zwar noch vor neun Uhr, doch er rechnete nicht damit, dass Arashi kommen würde. Den ganzen Tag über hatte er ausgeharrt, auf verräterische Zeichen gelauert, dass es hinter den Kulissen brodelte, war bei jeder Lautsprecheransage zusammengezuckt in der Erwartung, man würde ihn zum Direktorium zitieren. Nun war er lediglich noch bis auf die Knochen erschöpft, ausgelaugt von der Anspannung und den überfallartigen Bauchschmerzen. Obwohl er bezweifelte, dass die Schulleitung einen solchen Skandal thematisieren würde, fürchtete er die Konsequenzen für seine Familie. Die eigene Zukunft hatte er dabei schon abgehakt. Als die Schiebetür zur Seite glitt, blinzelte er daher betäubt, starrte verwundert auf den großen Schattenwurf, bevor sich Arashi wie gewohnt unter dem Türsturz hindurchbeugte. Der hielt auch für einen langen Moment inne, studierte die zum Aufbruch bereite Gestalt, dann wandte er sich halb ab, um die Schiebetür hinter sich einrasten zu lassen. Sie beäugten einander in unterschiedlichen Graden der Wachsamkeit. Auch Arashi wirkte nicht gerade munter, unter den Augen zeichneten sich Schatten ab, der Dreitagebart war nicht gestutzt worden, die zotteligen Strähnen wirkten filzig. Schließlich fasste Motoki seine Schultasche am Griff, stellte sie langsam an ihren Stammplatz an der Wand beim Fenster. Er kehrte sich zu Arashi um, begann, seine Uniformjacke und das Schulhemd aufzuknöpfen. Danach folgten die Hosen und Strümpfe, sorgsam gefaltet und abgelegt. Arashi beobachtete ihn unverwandt, bevor er sich auf Motokis Stuhl niederließ, in einer nachlässigen Haltung posierte. Mit ausgestreckter Hand lotste er Motoki zu sich, wies ihn an, sich rittlings auf seinen Oberschenkeln niederzulassen, bevor der sein Hemd aufknöpfen konnte. Motoki streichelte über die nackte Brust. Er mochte das Gefühl der widerspenstigen Haare unter seinen Handflächen, die Hitze mit einer Ahnung von Feuchtigkeit. Wenn er Arashi ansah, hatte er das Gefühl, einem erwachsenen Mann nahe zu sein, nicht einem Jugendlichen. Außerdem konnte er mit Brille die winzigen Sprenkel auf der Haut erkennen, die sich unter der Behaarung und an freien Stellen zeigte. »Wie bezuckert.« Trudelte ein müßiger Gedanke durch seinen Kopf, als er sich zusammenrollte, um Arashis Brustwarzen zu küssen, sie behutsam mit der Zunge zu umschmeicheln. Er fragte sich beiläufig, ob in Arashis Ahnenreihe Ausländer gewesen waren. Eine große Hand umfasste sein Handgelenk, platzierte es demonstrativ auf Arashis Schritt. Der begriff, knöpfte die Uniformhose auf und zog den Reißverschluss herunter, befreite die sich engagiert entgegenstreckende Erektion. Motoki erhob sich, wollte sich zwischen die gespreizten Beine knien, um sich unterhalb der Gürtellinie schaffen zu machen, doch erneut dirigierte ihn Arashi in eine andere Richtung. Er ließ Motoki zwar aufstehen, drehte ihn dann aber um 180 Grad und zog ihn wieder auf seine Oberschenkel, stellte die Beine so auf, dass Motoki Mühe hatte, auf den Oberschenkeln zu reiten, ohne vornüber zu kippen. Arashis Linke, die Finger gespreizt, eine einzige, glühende Fläche, hinderte aber einen Absturz wirkungsvoll. Motoki hörte sich selbst keuchen, konnte nicht fassen, wie sehr er auf diese Berührung reagierte. Konnte man denn wirklich am Bauch so empfindlich sein?! "Kommst du an die Schublade?" Raunte Arashis sonore Stimme an Motokis Ohr. Der beugte sich vorsichtig vor, grub die Zehen sogar in die Stofffalten von Arashis Hosenbeinen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, angelte hastig mit der Rechten nach der Schublade. Schließlich beteiligte sich Arashi an der Anstrengung, folgte Motokis Bewegung, sodass die fehlende Distanz überwunden wurde und Motoki schnell Kondome an sich bringen konnte. Arashis heißer Atem rieselte Schauer über Motokis Haut, die rauen, flachen Atemzüge trieben seinen Herzschlag an, noch schneller dahinzufliegen. Ihm zitterten die Finger, als er die Kondome endlich aus der Umverpackung gelöst hatte und überzustreifen versuchte. Auch hier sprang ihm Arashi schließlich zur Seite, stellte seine angewinkelten Beine auf die Zehenspitzen und rollte sich ein wenig ein, sodass er sein Becken kippen konnte. Nachdem Motoki ächzend zwei Erektionen eingehüllt hatte, legte er schwindlig den Kopf zurück auf Arashis Schulter, suchte nach Selbstkontrolle. Wenn er die Augen schloss, verlor sich wenigstens das Gefühl, der Raum drehe sich um ihn. Allerdings half es seiner Selbstbeherrschung nicht, dass Arashi ihre Erektionen in seiner Hand aneinander rieb, zwischen seinen Fingern entlang streifte. "A-A-Arashi! Arashi!" Motoki warf den Kopf zur Seite, spürte die eigene Bauchdecke gegen Arashis Linke flattern. "Noch nicht." Raunte Arashi heiser, presste Motokis Genitalien an neuralgischen Punkten zusammen. Motoki hörte sich winseln, legte eine Hand auf Arashis, mit der anderen erfüllte er seine Pflicht, Arashis Erektion zu massieren. Er konnte es nicht fassen, als Arashi ihn kommandierte. "Steh auf". Er gehorchte zwar, doch seine Knie waren so weich, dass er einzuknicken drohte. Arashi fasste Motoki unter den Achseln, hievte ihn auf die Schreibtischplatte, bog Motokis Rechte um dessen Genitalien und befahl. "Nicht loslassen." Tränen blinzelnd hinderte Motoki sich selbst daran, zum Höhepunkt zu kommen, lenkte sich ab, indem er durch den schmierigen Film vor Augen Arashi zusah, der etwas aus seiner Hosentasche fischte, bevor er sich selbst die Uniformhose und die Unterwäsche abstreifte. Hätte er sich selbst nicht besser gekannt, wäre Motoki wohl unwillkürlich »sexy!« durch den Kopf geschossen, doch solche Gedanken hegte er natürlich nicht. Behutsam hob Arashi ihm die Brille vom Kopf, legte sie auf den Stuhl, dann öffnete er erneut die Schublade, holte ein weiteres Präservativ heraus. Motoki ballte die freie Hand zur Faust, zwang sein Becken, auf der kalten Tischplatte liegen zu bleiben, sich nicht zu bewegen. Seine Zehen krümmten sich um die Tischkante, suchten Ablenkung in der Anstrengung. Arashi hatte sich das Kondom über zwei Finger streift, verteilte dann mit der anderen Hand aus einer kleinen Flasche Flüssigkeit auf die Kunststoffhülle. Nun raste Motokis Herz, er konnte den Schwarm Schmetterlinge in seiner Magengrube explodieren hören. Arashis freie Hand glitt glühend über die Innenseiten von Motokis Oberschenkeln. "Du darfst nicht loslassen." Gebot Arashi kehlig. Motoki nickte, schluckte heftig an seinem Speichel. Er schloss die Augen, kippte das Becken minimal, damit Arashi eindringen konnte. Ihre hastigen, abgehackten Atemzüge erfüllten den Raum, mischten sich mit der einsetzenden Dämmerung. Dann drängten sich Arashis breite Schultern zwischen Motokis Beine. Seine freie Hand wanderte über Motokis Schlüsselbein, glitt über dessen Seiten, brannte sich glühend heiß in dessen Bauchdecke, als sie lange Atemzüge dort ruhte. Arashi spreizte die Finger in Motokis Leib, achtete trotz der Erregung darauf, nicht den EINEN Punkt zu reizen, der Motokis Selbstbeherrschung wegspülen würde. »Noch nicht!« Ermahnte er sich konzentriert, betrachtete den Älteren, der schwer atmend vollkommen entblößt unter ihm lag, zitternd und rosig überhaucht. Er beugte sich tiefer, soweit sein vor dem Körper arbeitender Arm es zuließ, leckte über die nahezu unbehaarte Brust, saugte nacheinander die dunklen Brustwarzen ein, kreiselte mit der Zungenspitze über die Haut. Motoki schluchzte seinen Namen nun, presste sich eine Hand auf den Mund, doch er musste immer wieder loslassen, um nach Luft zu schnappen. Arashi richtete sich auf, legte die freie Hand um Motokis. Er spürte die gewaltigen Wogen der Lust, die hier brutal zurückgewiesen wurden. "Du darfst loslassen." Gestattete er mit belegter Stimme, erschrak, als Motokis Hand sein Handgelenk umklammerte, Halt suchte. "Sag meinen Namen." Flüsterte er, kreiste mit dem Daumen minimal über die Spitze von Motokis Penis, so, wie er selbst es liebte. "Arashi! Arashi-Arashi..." Motoki wisperte, hustete Speichel, umklammerte mit einer Hand die Schreibtischkante. "Gut." Lobte Arashi rau, um dann seine Finger zu bewegen. Gespreizt und mit aller Kraft. ~+~ Arashi presste die Lippen aufeinander, die Augen geschlossen. »Nein!« Befahl er sich selbst. »Warte!« Langsam hob er die Lider an, blinzelte den feuchten Film weg. Motokis Arme lagen leicht gebogen um dessen Kopf, das Gesicht war abgewandt. Noch immer rasten flache, hastige Atemzüge durch den nackten Körper, aber die Füße standen nicht mehr auf der Schreibtischplatte, waren heruntergerutscht, von den Knien schließlich gebremst. Ungelenk fischte Arashi sein Schulhemd vom Boden, rollte es zusammen, um es unter Motokis Kopf zu legen, während er Speichel von dessen Kinn wischte. Arashi lehnte sich mit den Oberschenkeln gegen den Schreibtisch, eine Seite gegen den Türrahmen. Seine eigene Erektion pochte bereits, funkte im Sekundentakt Alarmsignale an seinen Verstand, doch er wartete mit geballter Faust, bis Motoki sich aus eigenem Antrieb auf die Seite drehte, blinzelte und mit einer Hand über seine Erektion strich, den anderen Arm um Arashis Hüften schlang, sich auf diese Weise näher an dessen Becken heranzog und die Penisspitze hinter seinen Lippen verschwinden ließ. Zunächst streichelte Arashi noch Motokis Hinterkopf, während er mit der anderen Hand über dessen Seite und Bauchdecke kraulte. Doch mit Motokis Fortschritt, sich seine Erektion ganz in den Mund zu dirigieren, musste sich Arashi auf der Schreibtischplatte abstützen, die Kanten endlich umklammern. "Haru-chan!" Zischte er warnend heraus, nicht sicher, ob Motoki die Silben überhaupt verstehen konnte, konnte nicht mehr zurückziehen. Der Griff um seine Taille verkrampfte sich für einen Augenblick, gab ihn aber nicht frei. Arashi sprühte Speichel, als sein Kopf in den Nacken flog, Erschütterungen ihn wie bei einem Erdbeben durchliefen. ~+~ Er atmete tief durch, verabscheute den kalten Boden unter seinem nackten Hintern. »Aufstehen!« Kommandierte er sich selbst, kam ächzend an der Wand hoch, wo er zusammengesackt war. Motoki lag noch immer heftig atmend auf der Schreibtischplatte. Arashi zupfte aus dem Zellstoffspender einzelne Tücher, wischte Motoki das Gesicht sauber, dann entfernte er die Kondome, bevor er Motokis Beine in den Kniekehlen fasste und auf dem Schreibtisch anstellte. Motoki wandte den Kopf, betrachtete ihn mit auf der Seite liegendem Kopf. Dann schloss er die Augen, platzierte beide Hände auf dem Bauch, als gelte es, etwas darunter zu bewahren. Arashi tilgte behutsam die äußerlichen Spuren des Gleitmittels, bevor er eine Hand auf Motokis Knie legte. "Entspann dich." Er wartete, bis Motoki einige tiefe Atemzüge getan hatte, sichtlich lockerer vor ihm lag, bevor er mit einem zellstofftuchumwickelten Finger auch die inneren Reste aufsaugte. Betont distanziert wischte er sich über die eigenen Handflächen, räumte geschäftig das 'Zubehör' wieder in die Schublade zurück, die er lauter als notwendig schloss. Motoki rollte sich auf die Seite, um sich aufzurichten. Besorgt betrachtete er Arashis Schulhemd, das unter seinem Kopf als Kissen gedient hatte. Wortlos nahm Arashi es ihm ab, schlüpfte hinein, bevor er routiniert die Hosen überzog. Aus den Augenwinkeln heraus verfolgte er, wie Motoki sehr viel unsicherer auf den Beinen seinem Beispiel nachkam und sich selbst ankleidete. Arashi sammelte ihre Schultaschen auf, positionierte sich mit Andeutungen von Ungeduld an der Schiebetür. Er brachte Motoki bis zur Bahnstation und übergab ihm erst dann dessen Schultasche wieder. ~+~ Kentarou zerknüllte zähneknirschend den Zettel in seiner Faust, starrte für einen langen Moment ins Leere. Bereits am gestrigen Abend hatte er sich den Kopf zerbrochen, was wohl die merkwürdige Botschaft für einen Sinn hatte. NUN wusste er es. [Wenn du nicht willst, dass alle erfahren, wer du bist, dann gehorche mir. Der Preis für mein Schweigen sind Nacktbilder von dir. Wie du es dir besorgst.] "Welcher Idiot will mich nackt sehen?!" Zischte Kentarou, erinnerte sich an seine Umgebung und unterdrückte jeden weiteren Zornausbruch. Beobachtete ihn jemand? Hatte jemand zugehört?! Doch er konnte nichts Ungewöhnliches bemerken. Während er mechanisch die Schultasche auf den Rücken schwang und an Hiroki vorbei ins Freie trat, rotierten seine Gedanken hektisch umeinander. Mühsam musste er sich anhalten, nicht die Nerven zu verlieren. Wer zum Teufel wollte Nacktbilder von einem Kerl?! »Ich habe mich zigmal nackt gesehen, vollkommen uninteressant!« Schnaubte er innerlich. »Also ein Perverser.« Und zwar ein Perverser, der ihn vielleicht bluffte. Wenn er tatsächlich so verrückt war, Nacktbilder (wie auch immer das vor sich gehen sollte) anzufertigen und auszuliefern, würde er sich erst recht in die Gewalt dieses Irren geben! »Außerdem ist es widerlich!« Unbewusst verzog Kentarou die Miene. »Selbst wenn ich so geschmacklos sein WÜRDE, wir haben bloß einen alten Fotoapparat.« Zumindest glaubte Kentarou, sich an einen solchen erinnern zu können. Was also, wenn er sich weigerte? Wenn er einfach nicht reagierte? Sicher würde noch ein Zettel folgen, wie er die Bilder (die er auf GAR KEINEN Fall anfertigen würde) übergeben sollte. Und dann? »Was weiß der Kerl wirklich?« Geistesabwesend wickelte Kentarou seine Einkäufe ab, vertraute alle Tüten Hiroki an, der sie ganz selbstverständlich an sich nahm und keinen Kommentar zur ungewohnten Schweigsamkeit seines Freundes abgab. Den ganzen Abend über versuchte Kentarou angestrengt, auf die offenen Fragen eine schlüssige Antwort zu finden. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit schlief er nicht ein, als er auf seinen Futon sank. ~+~ Hiroki starrte, halb verborgen hinter einer Gardine, auf das kleine Fenster, so nah und doch so unerreichbar fern. Seine Finger gruben sich tief in den dünnen Stoff. »Wieso redest du nicht mit mir darüber?!« Er senkte die Lider und rieb sich die Nasenwurzel kräftig, wollte die Bilder vertreiben. Sie häuften sich, verfolgten ihn, ganz gleich, ob er träumte oder wachte. Wie Kentarou den Kopf in den Nacken legte, eine elegante Linie bildete. Sein Profil, wenn er konzentriert in die Ferne sah, die Katzenaugen ein wenig schmaler, als könne er sein Ziel auf diese Weise besser anvisieren. Das ungefilterte Lachen auf den sanft geschwungenen Lippen. Die Sonnenstrahlen, die den rötlichen Schimmer wie kleine Farbexplosionen hervorbrachten. Die schlanken Glieder. Die kleinen, kräftigen Hände, die von ihrer Arbeit gezeichnet waren. Stumme Träume. Hiroki schlug die Augen auf, seine Züge spannten sich an. JEDER wurde in Kentarous zauberhaften Bann geschlagen, von dessen wildem Charme verführt. Er bemerkte jeden Blick, jede Annäherung. »Der Vorteil des Unsichtbarseins.« Ein bitteres Lächeln zuckte auf seinen Mundwinkeln wie eine flackernde Glühbirne. »Noch kann ich aussteigen.« Belog er sich selbst, aber der Gedanke erschien ihm lächerlich und bar jeder Substanz. Es war das einzige probate Mittel zu erkunden, worin seine Existenz bestehen würde. ~+~ [Leg die Fotos in einen Umschlag. Klebe den Umschlag hinter die Mülltonne direkt neben der Schließfachreihe. Wenn du mir auflauern willst, platzt unsere Vereinbarung.] Kentarou drückte das Papier zu einem winzigen Ball zusammen, so stark, dass ihm die Finger zitterten. »Und was jetzt?!« Geiferte er sich selbst an. Natürlich hatte er keine Fotos gemacht. Wie denn auch?! »Kann ja schlecht Hiroki bitten...!« Hastig warf er einen Seitenblick auf seinen Freund, doch der stellte gerade die Schuhe in den Schrank, schien nicht auf ihn konzentriert zu sein. »Überhaupt, kommt nicht in die Tüte, dass ich mich von einem Perversen für seine debilen Spielchen erpressen lasse!!« Für einen Augenblick erfüllte ihn Genugtuung, weil er seinen Mut wiedergefunden hatte, doch dann traten wie düstere Gewitterwolken die Konsequenzen in den Vordergrund. »Wenn der Typ nun alles verrät?« Ja, wie schlimm konnte es werden? Kentarou schlug heftig gegen den Schrank, was einige Mitschüler veranlasste, sich nach ihm umzusehen. Die Fäuste geballt atmete er tief durch. Spürte beinahe, wie sich sein Schopf elektrisiert auflud. "Und wenn schon!" Knurrte er kaum hörbar, richtete sich auf. Er hatte nie klein beigegeben. Was scherten ihn schon die anderen?! "Ken..." Hiroki legte ihm eine Hand auf die Schulter, doch Kentarou schlüpfte darunter durch. "Lass mich in Ruhe!" Zischte er ärgerlich, weniger gegen Hiroki als die ganze Welt gerichtet. »Ich gebe NICHT nach, du Bastard!!« ~+~ "Ken, hast du keinen Hunger?" Hiroki stellte das Tablett ab und ließ sich wie gewohnt neben Kentarou nieder. Der starrte mit verschränkten Armen aus dem Fenster, zeigte eine konzentrierte, grimmige Miene. "Nein." Antwortete er endlich verspätet, ignorierte seine Umgebung vollständig. Inzwischen hatte sich seine Rage ein wenig gelegt. Noch schien der widerliche Erpresser zu glauben, dass sein niederträchtiger Erpressungsversuch nicht gescheitert war. Kentarous gewittrige Stimmung hatte für die nötige Distanz seiner Klassenkameraden gesorgt, sodass er endlich Ruhe fand, um über seine Situation nachzudenken. »Wer ist der miese Typ?« Wenn er diese Frage beantwortete, konnte er die ganze Aktion im Keim ersticken. Aber um die Identität des anonymen Zettelautoren zu ermitteln, hätte er ihm auflauern müssen. »Feige, wie der Mistbock ist, wird er bestimmt nicht auftauchen, wenn ich in der Nähe bin!« Konnte er Hiroki um den Gefallen bitten? »Dann müsste ich ihm ja alles erklären. Außerdem, wie unauffällig ist Hiro denn?! Blöde Idee!« Schließlich wusste jeder, dass sie Freunde waren. Damit konnte man keinen täuschen. »Doch woher...?« Ja, das nagte seit dem Vormittag an Kentarou, als er sich in einem Heft seine Gedanken zwecks Sortierung notiert hatte. Woher wusste jemand DAVON? Nun, es gab vielleicht Möglichkeiten. Kentarou erhob sich abrupt, schob den Stuhl heftig zurück. Sofort blickte Hiroki ihn an, fasste nach einer Hand. "Wohin gehst du?" "Muss was erledigen!" Bellte Kentarou kurzangebunden zurück, löste seine Hand aus Hirokis Griff. "Ich begleite dich." Hiroki erhob sich ebenfalls. "NEIN!" Versetzte Kentarou energisch. "Iss gefälligst dein Mittagessen auf. Wir sehen uns im Unterricht!" Damit ließ er Hiroki allein stehen. ~+~ Hiroki starrte auf den leeren Platz direkt vor sich. Wo steckte Kentarou?! ~+~ »Es darf nicht wahr sein.« Kentarou rollte sich auf der Liege zusammen, zwang sich aber, die Augen nicht zu verschließen, besonders nicht vor der Wahrheit. Langsam begann das Kopfschmerzmittel, um das er gebeten hatte, zu wirken. Seine verspannten Glieder erhitzten sich gleichermaßen, lockerten die gequälte Muskulatur. Hatte er etwas ausgelassen? Etwas übersehen? Das Sekretariat. Seine Schülerakte. Die Auskunftei in der Bibliothek. Den Anruf in der Bezirksverwaltung. "Nein." Wisperte er leise. "Es gibt keine andere Möglichkeit." Aber die Wahrheit war so niederschmetternd, dass er sich zunächst zurückziehen und seine Kräfte sammeln musste. ~+~ Das Glockengeläut beendete den Schultag. Hiroki verließ eilig die Klasse, um im Eingangsbereich einen Blick in Kentarous Fach zu werfen. Dessen Straßenschuhe waren verschwunden, nur die Slipper lagerten dort. Er schlüpfte hastig in die eigenen Schuhe, stürzte vor das Gebäude, sah sich um. Am Schultor wartete Kentarou, musterte ihn mit einem ungewohnt fremden Gesichtsausdruck. "Geht es dir gut? Wo warst du?" Hiroki vergaß sich selbst, überquerte mit großen Schritten die Distanz. Kentarou sezierte ihn mit einem giftigen Blick aus den Katzenaugen, machte dann kehrt, um stumm voranzugehen, in hohem Tempo. Hiroki folgte ihm, starrte auf den wirren Schopf. Er hütete sich davor, noch einmal unaufgefordert das Wort zu ergreifen. Wenn Kentarou auf DIESE Weise schwieg, konnte er davon ausgehen, dass sein Freund vor Zorn kochte. Sie erreichten die Fußgängerbrücke, bei der Kentarou üblicherweise den festen Asphalt unter den Sohlen verließ, um in luftiger Höhe zu paradieren. Dieses Mal blieb Kentarou stehen, wandte sich um und blockierte den Weg. Die Hände zu Fäusten geballt, auf die Hosennaht gepresst, sodass die Knöchel weiß hervortraten, funkelte er Hiroki an. "Warum hast du das getan?" Hiroki blinzelte. Und zögerte. Sollte er vorgeben, nicht zu wissen, worauf Kentarou abzielte? Konnte er auf Zeit spielen, in der Erwartung, dass die aufgestaute Wut Kentarou schon die Erklärungen entlocken würde? "Was ist los?!" Zischte Kentarou ungehalten, das Fuchsgesicht vor Zorn weiß. "Hast du deine Zunge verschluckt?!" "Können wir das zu Hause besprechen?" Der Hüne bemühte sich um Beherrschung, wollte Publikum vermeiden. "Ich glaube nicht, dass ich ohne eine SEHR gute Erklärung mit dir unter einem Dach sein will." Mit Anstrengung gelang es Kentarou, seine Kiefer zur Kooperation zu zwingen, mehr als Konsonanten hervorzuzischen. DAS war starker Tobak. Sie wussten es beide. Hiroki rollte die mächtigen Schultern, richtete sich zu seiner gewaltigen Größe auf. "Wieso hast du es mir nicht gesagt? Warum hast du mich nicht um Hilfe gebeten?" "Oho!" Höhnte Kentarou bissig. "DU willst mir vorwerfen, ich hätte dich nicht um Hilfe gebeten bei einer Erpressung, die DU eingefädelt hast?! Das ist ja ganz REIZEND!" "Wir sind Freunde!" Brach es unerwartet hitzig aus den sonoren Tiefen von Hirokis Bauch heraus, ein grollender, donnernder Bass. "Warum vertraust du mir nicht?! Wieso musst du IMMER alles alleine lösen?!" "Ganz einfach!" Fauchte Kentarou, die Katzenaugen zu Schlitzen verengt. "Weil ich IMMER auf mich allein gestellt bin! Und versuch nicht abzulenken! Ich will von dir hören, was du dir bei diesem SCHEISS gedacht hast!" Seine Stimme überschlug sich vor heiserem Zorn, einige Leute sahen sich um. Niemand unternahm jedoch Anstalten, sich einzumischen oder stehen zu bleiben. "Fein!" Auch Hiroki spürte eine immense Wut in sich, die dumme Versuchung, endlich ein Ventil für seine Seelenqualen gefunden zu haben. "Fein, dann werde ich dir antworten! Ich will, dass du mich wahrnimmst!! Hör auf, meine Gefühle zu ignorieren! Nimm mich endlich ernst!" Der Hüne atmete schwer, konnte gar nicht glauben, welche Anstrengung es ihn gekostet hatte, seine Frustration herauszuschreien. Kentarou blinzelte. Sein Fuchsgesicht war zu einer Maske erstarrt. Dann flüsterte er gallig. "Wegen diesem QUATSCH hast du mich fertiggemacht?! Für so einen Mist?!" Seine Stimme schwankte unstet zwischen Unglauben und heftiger Empörung. "Für mich ist das KEIN MIST!" Röhrte Hiroki. "Wie kannst du meine Gefühle und Sorgen so geringschätzen?! Wir sind doch Freunde!" Kentarou wich einen Schritt zurück, sein Gesicht verschloss sich, die Katzenaugen glühten. Kühl und sehr pointiert gab er zurück. "DAS dachte ich auch. Aber ich habe mich geirrt. Ich weiß nicht mal, WER du bist." Damit machte er auf dem Absatz kehrt und lief davon, so schnell und wieselflink, dass Hiroki ihm nicht folgen konnte. ~+~ Kapitel 14 - Tag X Kentarou preschte durch die kleinen Geschäfte und den unvermeidlichen Supermarkt. Nicht einmal Flash Gordon hätte ihm Konkurrenz machen können. Er WOLLTE niemanden sprechen, niemanden länger als einen frostigen Blick lang ansehen, lediglich seine Aufgaben erledigen, so, wie er es immer tat. »Jetzt nicht nachdenken!« Ermahnte er sich in gebetsmühlenartiger Wiederholung. Das Abendessen musste zubereitet, die Wäsche gewaschen und aufgehängt, diverse Vorbereitungen für den nächsten Tag erledigt werden. Es waren Rechnungen zu sortieren, die beglichen werden mussten. Außerdem hatte er sich darüber zu versichern, dass die Medikamente des Großvaters in ausreichender Menge vorgehalten wurden. Beim Abendessen sprach er kaum, schützte große Konzentration vor, überließ seinen Großvater den geliebten Schallplatten mit japanischen Volksliedern, die traurig-schmachtend eine längst vergessene Frauenstimme vortrug. Während er die Wäsche feucht faltete, um sie über Nacht zum Trocknen aufzuhängen, fand er endlich Gelegenheit, den aufgestauten Gedanken Raum zu lassen. Würde Hiroki ihn verraten? Noch einen Tag zuvor hätte er mit absoluter Überzeugung geantwortet, dass sein Freund NIEMALS etwas sagen oder tun würde, um ihm zu schaden. JETZT war er sich über gar nichts mehr sicher. WER war dieser riesige Fremde, der sich hinter Hiroki verbarg? Der so einfach und schändlich intime Kenntnisse ausnutzen wollte, um ihn zu demütigen?! »Perverse Nacktfotos!« Kentarou knirschte mit den Zähnen. Hörbar. Wieso wollte ausgerechnet Hiroki, der ihn seit Ewigkeiten kannte, ihn nackt sehen? Und dann in so einer abartigen Situation?! Das KONNTE nur auf Rache und Erniedrigung hinauslaufen! Davon war Kentarou zumindest überzeugt. Und immer dieses Gerede über Gefühle und Sentimentalitäten! Er begriff sich selbst als einen nüchternen, pragmatischen Menschen. Wenn er mit Hiroki vereinbart hatte, dass sie Freunde waren, dann WAREN sie das auch. Warum sollte man darüber weitere Worte verlieren, es müßig diskutieren?! »Vielleicht hat sich irgend eine besonders dämliche Wahnvorstellung in seinem Kopf festgesetzt?!« Suchte Kentarou nach einer möglichen Erklärung, während er den Wäschekorb an die Hüfte presste und sich zur Veranda begab. Es MUSSTE eine logische Erklärung geben, schließlich war Hiroki immer ein kluger, verlässlicher Typ gewesen. Keiner dieser Spinner, die sich irgendwelche Substanzen reinpfiffen und dann Dinge oder sonst was sahen!! "Hrmpf!" Knurrte Kentarou laut, fädelte Hemden auf die Wäschestange auf, befestigte Socken und Unterwäsche an den Klammern der Gestänge und kleinen Karussells. Eins musste festgestellt werden: diese dämliche Pseudo-Erpressung war ausgesprochen rücksichtslos datiert! Hatte er nicht bereits genug Sorgen mit dem aufdringlichen Schleimer Matsushita am Hals? MUSSTE Hiroki ihm nun auch noch auf die Nerven gehen?! »Was tust du, wenn er es verrät?« Plagte ihn eine kleinlaute, ängstliche Stimme in seinem Hinterkopf. "Dann sind wir die längste Zeit Freunde gewesen." Zischte Kentarou leise zurück. Vielleicht waren sie das ohnehin. Möglicherweise, er warf einen verstohlenen Seitenblick auf das Nachbarhaus, war es sogar gut so. Hiroki hatte keine anderen Freunde, richtete sein gesamtes Leben nach ihm aus. Das bürdete ihm ja auch eine Last auf! Nicht nur um seine eigenen Probleme musste er sich Sorgen machen, sondern auch noch um Hirokis Leben!! Als wäre er nicht bereits mit genug Verantwortung für zwei Personen ausgelastet! "Ich schaffe es alleine!" Beteuerte er sich selbst. »Ich habe immer mein eigener Held sein müssen, mich selbst gerettet.« ~+~ Motoki starrte auf seine Hände. Sie lagen auf der Schreibtischplatte, wollten nicht aufhören zu zittern, selbst wenn er sie zu Fäusten ballte. Was waren das für seltsame Gefühle? Er WUSSTE, dass es so nicht weiterging. Nicht weitergehen würde. Doch obwohl er den Abgrund auf sich zurasen sah, konnte er nicht aufhören und auch den Blick nicht abwenden. Sein Gewissen erinnerte ihn daran, dass er im Begriff war, aus rein egoistischen Gründen einen anderen Menschen zu etwas zu verleiten. »Für das er sich vielleicht verabscheuen wird.« Trotzdem. Trotzdem KONNTE er nicht widerstehen. Es war eine Sucht. Stärker sogar als SEHNsucht. Gierig und rücksichtslos. Verwerflich. Unmoralisch. Motoki nahm die Brille ab, presste seine bebenden Hände auf sein Gesicht. »Wer hätte gedacht, dass mir einmal alles gleichgültig sein würde?« Er fühlte sich ekstatisch aufgeregt und vollkommen ruhig zugleich. Er blickte auf, als Arashi eintrat, die Schiebetür hinter sich schloss. Motoki erhob sich langsam, nahm seine Brille, ging zur Wand hinüber, wo seine Schultasche lehnte. Er deponierte sie dort, zog sich aus. Bevor er sich umdrehen konnte, presste sich Arashi an seinen Rücken, eine Hand um Motokis Penis, die andere auf dessen Bauch gelegt. Er bog das Rückgrat, schlang die Arme überkopf um Arashis Nacken. Sein Herz raste. Der Tag X war gekommen. ~+~ Satoru saß bereits auf der Kellertreppe, tupfte sich mit einem Stofftuch Stirn und Nacken ab. Im Keller spürte man eben doch den großen Temperaturunterschied. Mamoru trat ein, schloss die Kellertür leise hinter sich. Er lächelte scheu, als Satoru sich zu ihm umdrehte, aufsah. Langsam zog sich Satoru am Geländer hoch, stand auf und lehnte sich an die Wand. "Heute will ich sehen, was du alles gelernt hast." Schnurrte er gedehnt, um seine Erschöpfung zu verbergen. Er streckte eine Hand nach Mamoru aus, fasste den Träger dessen Sporttasche, um ihren Besitzer langsam hinter sich her die Treppe hinabzuführen. Sein Begleiter verstand offenkundig, denn kaum hatten sie ihre Taschen abgelegt, drängte ihn Mamoru höflich gegen die Wand des Kellerabgangs und schälte ihn aus seinen Kleidern. Dann zog er sich selbst aus, keineswegs aufreizend, sondern geschwind, bevor er als krönenden Abschluss die randlose Brille dem Stapel anvertraute. Satoru nutzte die Gelegenheit, sich über seine Tasche zu kauern und die versprochene Belohnung auszugraben. Als er sich aufrichtete, hatte Mamoru ihm seine Aufmerksamkeit bereits wieder gewidmet. "Deine Belohnung." Mit einem spöttischen Grinsen drückte er Mamoru ein kleines Päckchen in die Hand. Der Jüngere blinzelte, packte dann hastig aus und studierte mit großen Augen einen Tanga-Slip, bordeauxrot mit schwarzen Kontrastnähten und aus Latex. Satoru wartete nun gespannt auf die Reaktion. "Darf-darf ich es gleich anprobieren?" Mamoru schien wie gebannt, die großen, schwarzen Augen spiegelten das exklusive Dessous wieder. "Ich bitte darum." Schmunzelte Satoru und überraschte sich selbst mit der ungetrübten Freude über seinen Erfolg. Zum ersten Mal bemerkte er, dass ein ironischen Funkeln in diesen Augen glitzern konnte, als der Jüngere mit erstaunlicher Anmut den Schlangentanz aufführte, um sich den Tanga-Slip überzustreifen. "Gut." Lobte Satoru und applaudierte lautlos. "Dann darf ich jetzt bitten?" Er erlebte eine weitere Überraschung, als Mamoru seine Hand ergriff, sich europäisch mit einem Kratzfuß verneigte und einen Kuss auf den Handrücken andeutete. Bevor er sich äußern konnte, legte Mamoru den Zeigefinger gebieterisch auf die Lippen, was ihn Schweigen gemahnte. Die Fingerspitzen beider Hände glitten sanft über Satorus Augenbrauen hinunter, touchierten die Wimpern und sorgten dafür, dass er die Augen schloss, weil die Lider so zärtlich dazu überredet wurden. Anhand der Ahnung von warmem Atem spürte der Ältere, wie Mamoru ihn langsam umkreiste, mit den Fingerspitzen über seinen Körper strich, hier und da einen Kuss platzierte. Satoru durchlief ein Schauer nach dem anderen, zuerst kaum merklich, dann mit steigender Vehemenz. Erwartungsvolle Spannung baute sich auf, prickelnd und leichtsinnig. Sich einfach auszuliefern, ganz zu vergessen, dass er diesen Jungen zwang, ihm gefällig zu sein! Der stellte sich nun hinter ihn, schmiegte sich an seine Rückseite, fädelte die Arme unter Satorus Achseln hindurch, um dessen Front zu bestreichen, während er Nacken und Hals mit zärtlichen Küssen zeichnete. »Das ist nett.« Stellte Satoru fest, denn er konnte sich nach kurzem Zögern durchaus sicher und bequem gegen Mamoru lehnen. Die Art, wie dessen Hände so gar nicht ungelenk auf Erkundungstour gingen, das löste in der Tat Turbulenzen aus. »Es wäre wohl besser, jetzt für Latex zu sorgen.« Entschied Satoru. Folgerichtig drehte er den Kopf, um Mamoru zu instruieren. Er rechnete nicht damit, einen enthusiastischen und recht feuchten Zungenkuss zu bekommen, der für geraume Zeit jegliche intellektuelle Anstrengung ausschloss. War das wirklich eine Hand, die seine Wange wärmte und dirigierte? Satoru wandte schließlich ruckartig den Kopf ab. Keinesfalls wollte er sich die Blöße geben und einen 'Unfall' erleiden! Verlegenheit färbte seine Wangen ein, verstärkte die Hitze, die ihm ohnehin zu schaffen machte. Rücksichtsvoll gab Mamoru ihn frei, hakte nur die Fingerspitzen bei Satoru ein, eine federleichte Berührung, die ihn abstützen sollte, weil er sich hinter ihm auf die Fliesen kniete und ihn auf die Kehrseite küsste! Die Hände glitten mit aufgefächerten Fingern über Satorus Hüften, den Unterleib, zogen jeden Muskelstrang nach, sparten allerdings den Schritt aus. Beharrlich, aber sanft wurde der Ältere um die eigene Achse gedreht, bis er vor Mamoru stand, der ihn ruhig anblickte, die Lippen leicht geteilt, keineswegs ängstlich oder unsicher. Satoru registrierte nun, wie hastig und flach seine Atemzüge flogen. »Das ist bloß Sex, verdammt!« Ermahnte er sich erschrocken, aber das hinderte ihn nicht daran, die Zärtlichkeit jeder Geste zu erkennen. Hastig distanzierte er sich, wandte sich ab, schließlich mussten ja die Kondome her, nicht wahr?! Er kramte eilig in seiner Tasche und zuckte zusammen, als eine Fingerspitze über sein Rückgrat nach unten wanderte. In einer Verlegenheitsgeste wischte er sich die Haare aus dem Gesicht, spitzte über die Schulter hinter sich. Mamoru stand hinter ihm, abwartend und aufmerksam. »Idiot!« Knurrte Satoru sich an. »Musst du dir so eine Blöße geben?!« Er war versucht, einfach seine Anweisung zu widerrufen, sich auf den Jüngeren zu stürzen und grob zu werden. Mamoru hinter ihm lächelte verhalten, wandte sich dann ab, um der eigenen Sporttasche ein Handtuch zu entnehmen und es über die Fliesen auszubreiten. Dann streckte er höflich eine Hand zu Satoru aus, die Aufforderung, sich ihm anzuvertrauen. Satoru holte noch einmal tief Luft, Mamoru den Rücken zugekehrt, in der vagen Hoffnung, der möge nicht erkennen, wie verunsichert er war. Dann wappnete er sich, wandte sich um, die freundlich offerierte Hand zu ergreifen. Sein Plan stand fest: kaum, dass Mamoru ihn aufmerksam zu ihrer Lagerstatt geleitet hatte, streckte er sich betont lässig aus, kreuzte die Arme unter dem Hinterkopf und prägte einen besonders gelangweilten Gesichtsausdruck. »Nun, dann unterhalte mich mal, Kleiner!« Schnarrte er innerlich. Es musste doch gelingen, auch nach außen so nassforsch und überlegen zu sein! Wenn der Jüngere irritiert war, so bemerkte Satoru davon nichts. Mamoru ging neben ihm auf die Knie, lächelte leicht trotz seiner Konzentration, bevor er begann, Satoru erneut zu streicheln, leichte, beinahe fließende Gesten, begleitet von sanften Küssen, wenn er sich über den Älteren beugte. Doch die flüchtige Aufmerksamkeit täuschte, denn Satoru merkte schnell, dass sein 'Schüler' mit einem erschreckend guten Gedächtnis gesegnet war: zeigte er sich reflexartig empfindsam, so konnte er damit rechnen, dass dieser Körperpartie bald ein spezielles Interesse gewidmet wurde. Die Beine aufgestellt und geteilt, da sich südlich des Äquators lebhafte Teilnahme regte, schloss Satoru die Augen und fragte sich berauscht, ob Mamoru den Mut aufbringen würde. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Erstaunlich gelenkig kletterte der Jüngere über ihn, kauerte auf allen Vieren, rollte ein Kondom mit bemerkenswerter Sicherheit ab, bevor er den Kopf senkte und über Satorus frisch verpackte Erektion leckte. »Man könnte sich an ein Wassereis erinnert fühlen!« Fluchte Satoru hilflos, musste er doch eingestehen, dass Mamoru geradezu sensationell lernfähig war. Sein Puls raste schon, die Zehen krümmten sich, er hörte sich ächzen, die Finger in den Walkstoff des Handtuchs gegraben. »So geht das aber nicht!« Trompetete sein Stolz Alarm. Er durfte doch Mamoru nicht einfach die Zügel überlassen!! Mit einiger Mühe gelang es Satoru, ausreichend Blut wieder in seinen Schädel zu pumpen, um zu einer konzertierten Aktion befähigt zu sein: er angelte, nicht sonderlich elegant, nach den Kondomen und dem Gleitmittel. »Was dir recht ist, ist mir nur billig!« Quittierte er stolz, tütete zwei Finger in Latex und salbte sie gründlich ein. Gut ausgerüstet und entschlossen, nicht so einfach unter dem Jüngeren vor Wonne zu zerschmelzen, wählte er sein Ziel: Mamorus Kehrseite. Der Stringtanga war kein Hindernis für den ersten Vorstoß. Mamoru hatte sich gerade gelöst, wollte wohl den geplagten Kiefer entspannen, da meldeten sich zwei unerbittliche Eindringlinge an delikater Stelle. Kurzatmig lächelte Satoru, ignorierte die Strähnen, die feucht seine Stirn beklebten. Der sonore, kehlige Laut, der Mamoru entfuhr, als der Muskelring bezwungen wurde, löste einen wohlig-prickelnden Schauer aus. Satoru tätschelte das verlängerte Rückgrat mit der freien Hand, eine pompöse Geste, Mamoru möge sich bloß nicht stören lassen bei seiner Beschäftigung. Dem zitterten nun merklich die Beine, denn Satoru konnte sich zugute halten, dass er ebenfalls über Geschick und ein hervorragendes Einfühlungsvermögen verfügte. Ein Wettstreit kündigte sich an, gewann die Zunge gegen die beiden Finger? »Aber nein!« Durchaus diabolisch, weil er schließlich einen Ruf als bösartiger Erpresser zu wahren hatte, nutzte Satoru den technischen Vorteil, noch eine Hand frei zu haben: er schloss sie vertraulich eng um Mamorus Erektion. Die war weder latexbemäntelt worden, noch hatte man sie aus dem zweifellos einschnürenden Geschenk befreit. Mamoru rang so heftig nach Luft, dass er Satoru aus dem Konzept brachte. Bebend und ächzend richtete er sich ein wenig auf, befreite sich mit Unterstützung des Älteren, der die Erfindung des Klettverschlusses atemlos lobte. Reichlich wacklig wurde das Kondom übergelupft, dann unternahm Mamoru Anstalten, eine Kehrtwende einzuleiten. Satoru ahnte, was Mamoru beabsichtigte und legte ein Veto ein, indem er den Jüngeren am String packte, nach vorne drängte, die beiden gebieterischen Finger noch immer an Gehorsam fordernder Stelle. Es war zu früh und zu gefährlich, dass sich Mamoru in dieser Position betätigte. Er wollte nicht, dass sich sein gelehriger Schüler verletzte. Taumelnd, von winzigen Perlen bedeckt rutschte Mamoru auf allen Vieren nach vorne, gerade so weit, dass Satoru sich aufsetzen konnte. Der Ältere kniete sich hin, die Unterschenkel abgeklappt, fasste Mamoru um die Taille. Sie kamen einander entgegen, vorsichtig, aber mit ausreichend Schwung, um zu verdeutlichen, dass sie beide nicht mehr warten wollten. Mit einem lauten Stöhnen gewährte Mamoru Einlass in seinen fiebrig-glühenden Leib, ließ sich von Satoru umklammern, der einen Erguss verhinderte und gleichzeitig begehrlich über die Front streichelte. Quälend langsam, so schien es ihnen, kamen sie einander näher, bereits verbunden, aber noch nicht bis zur Neige. "Jetzt hilf mir." Wisperte Satoru kehlig in ein Ohr unterhalb der sich krausenden Mähne, hatte den Jüngeren fast auf seinem Schoß. Er wollte jedoch, dass Mamoru selbst den letzten Schritt tat, ihn so dirigierte, dass er sich selbst Ekstase bereitete. Die ausgestreckten Arme, die die fragile Balance halten sollten, die Stützpfeiler bilden, sie zitterten so stark, dass sich die Erschütterungen auf Satoru übertrugen. Mamoru seufzte rau, kippte das Becken moderat, den Kopf in den Nacken gelegt, selbstvergessen und nicht mehr zu erreichen. Satoru sammelte alle Kraft, um Mamoru am Rendezvouspunkt zu treffen. ~+~ »Schon seltsam, wie der Körper so ohne aktive Gedanken agieren kann.« Schlenderte eine Wahrnehmung durch Satorus aufgewühltes Bewusstsein. Wie hatten ihre Körper bloß gelernt, so perfekt miteinander zu verschmelzen, zu kommunizieren?! Wie konnte er von einem Moment auf den anderen plötzlich von den Knien auf die Seite sinken, ohne dezidierte Erinnerung an die Zeit dazwischen? Er streckte mühselig einen Arm aus, ignorierte das nachlassende Funken in den Fingerspitzen, um Mamoru klebrige Krause aus dem Gesicht zu wischen. Der Jüngere war ebenfalls auf das Handtuch gesunken, lag auf der Seite, ihm zugewandt. Obwohl erhitzt und atemlos strahlten die großen, schwarzen Augen doch eine beeindruckende Ruhe aus. Mamoru wusste wohl, dass er die 'Prüfung' bestanden hatte. "Gut." Lobte Satoru mit einem frechen Lächeln, enthielt sich aber eines vertraulichen Zwinkerns. Sie waren schließlich keine Freunde! Er wollte sich auch nicht anbiedern! Mamoru stemmte sich in eine sitzende Position, fischte die Taschentücher herbei, um die nötigen 'Aufräumarbeiten' in Angriff zu nehmen. Satoru, der bequem lag, soweit man es auf dem gefliesten Boden vermochte, ertappte sich bei dem gefährlichen Wunsch, er könne sich noch ein wenig ausruhen, vor sich hinträumen, aber er durfte dieser Versuchung nicht nachgeben. "Darf ich dich waschen?" Erkundigte sich Mamoru höflich. »Ja, so schnell ist alles irdische Vergnügen dahin!« Seufzte Satoru innerlich. Er musste wieder spöttisch-souverän werden. Hoheitsvoll gestattete er Mamoru mit einer Geste, ihm dienlich zu sein, ließ sich aufhelfen, behutsam, aber gründlich einschäumen und mit dem lauwarmen Wasser aus dem Schlauch abspülen. In Anbetracht der Hitze, die sich auch in jedem Körper festsetzte, eine Wohltat. Während Satoru sich langsam ankleidete, beobachtete er, wie Mamoru sich wusch und abtrocknete. Täuschte er sich, oder war der Jüngere gewachsen? Vielleicht trog ja der krause Wust auf dem Kopf? Satoru gestand sich ein, dass er sich besser fühlte als in den ganzen vorangegangenen Tagen. Eine gefährliche Erkenntnis. Unwillkürlich erwiderte er das Lächeln, das Mamoru ihm schenkte. In einem Anfall von Trotz entschied er, dass gar nichts dagegen sprach, auch mal nett zueinander zu sein. ~+~ Motoki spürte die Unrast in jeder Bewegung. Allein die Augenringe und der veritable Dreitagebart, der an seinem Nacken gerieben hatte, waren schon Anzeichen genug. Er bewunderte Arashi auf einer entfernten Ebene für dessen tapferen Widerstand. Wie am Tag zuvor ritt er auf Arashis nackten Oberschenkeln, wurde allerdings so eng an dessen Leib gepresst, dass er zu ersticken glaubte. Nie zuvor hatte er so deutlich gespürt, dass Arashi am ganzen Leib behaart war. Nun rieben sich Haare nicht nur an seinem Unterleib und der Brust, er fühlte sie auch unter seinen eigenen Oberschenkeln, wenn er sich unwillkürlich bewegte. Arashi hatte ihm einen Arm um die Taille geschlungen, mit der anderen Hand packte der ihn im Nacken, bog ihn nach hinten, um erneut an seinen Brustwarzen zu lecken, sie anzusaugen, mit den Zähnen zu markieren. Motoki hörte seinen eigenen Herzschlag dröhnen, beinahe synchron mit Arashis, wenn der ihn wieder eng an sich zog, an den Hüften auf und nieder bewegte, damit ihre Erektionen sich so vertraut wie ihre Bauchdecken aneinander rieben. Die Arme um Arashis Nacken geschlungen wisperte Motoki immer wieder. "Arashi.. ah...A-Arashi!" Er rang um Atem. Dieses Mal durfte er nicht an den kondombemäntelten Fingern lutschen, doch das trat in den Hintergrund, wenn er seine Wange an Arashis schmiegte, die Härte der Bartstoppeln spürte, die filzigen Strähnen und den winzigen Ohrstecker in Arashis linkem Ohrläppchen, so geschickt verborgen, dass er bisher den wachsamen Augen der Lehrer entgangen sein musste. Vielleicht wollten sie sich auch nicht mit einem Typen anlegen, der so sehr Unruhestifter und Rowdy ausstrahlte. Motoki holte tief Luft, sog den Geruch des Duschgels ein, das Arashi noch immer anhaftete. Es roch erstaunlich fruchtig, gar nicht wie ein Duschgel, das Männer benutzen sollten. Er schnurrte unbewusst, rollte mit dem Becken, um die forschenden Finger tiefer in sich zu dirigieren. Die Hand in seinem Nacken packte ihn fester, zog seinen Kopf zurück. Die schwarzen Mandelaugen funkelten ihn an. Motoki ließ sich von diesem hungrigen Blick bannen, konnte sich nicht abwenden. Ob man ihm selbst auch ansah, wie gierig er war? Wie sehr er ES wollte? Arashi biss ihn in ein Ohrläppchen. Keuchend schloss Motoki die Augen, gestattete der Zunge, über seine Kehle zu lecken, gegen seinen Adamsapfel zu drücken, ihn zu necken. Er musste die Lippen aufeinander pressen, um nicht zu laut zu stöhnen. Die Zunge glitt über sein Kinn, wanderte über seine Lippen. Motoki schmeckte den fremden Speichel. Dann wurde die Hand in seinem Nacken ungeduldig, kippte seinen Kopf leicht. Motoki ächzte laut, doch dieses Mal erstickte er nicht selbst die lustvollen Laute. Arashi küsste ihn. Leidenschaftlich. So lange, bis Motoki beinahe den Kleinen Tod starb. ~+~ »Mehr!« Motoki drückte seine geöffneten Lippen auf Arashis Mund, wollte die gelenkige Zunge wieder in seinen Mund locken. Wenn sie sich an seiner eigenen rieb, arbeitete Arashi synchron mit seiner Hand, kopierte die Bewegung über ihre beiden Erektionen. Motoki schlang die Arme unter Arashis Achseln hindurch, grub die Finger tief in dessen Schulterbeugen. Er kippte das Becken, hoffte, die Finger würden noch tiefer in seinen Leib vordringen. Aber Arashi zog sich wieder zurück, biss Motoki warnend in die Ohrmuschel. "A-Arashi..." Motoki schlug die Augen auf, rang nach Luft. Die schwarzen Mandelaugen glänzten fiebrig. Arashi packte Motokis Oberarme, zwang dessen Hände von seinen Schulterbeugen herunter und drapierte dessen Arme eng um seinen Nacken. Dann wickelte er sich Motokis Beine um die Hüften, so eng wie er konnte, biss die Zähne zusammen. Eine Hand unter Motokis Kehrseite, die andere um dessen Rücken geschlungen kam er mühsam auf die Beine, schwankte, stieß beim Aufstehen den Stuhl hinter sich um. Mit zwei tapsigen Schritten hatte er sich halb umgewandt und konnte Motoki auf dem Schreibtisch ablegen. Motoki ließ sich artig sinken, griff zwischen seinen Beinen hindurch, um über ihre Erektionen zu streichen, während Arashi sich mit zitternden Armen auf dem Schreibtisch aufstützte und um Atem rang. "Arashi." Wisperte Motoki erstickt, bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich der Jüngere das Kondom von den Fingern wischte. Für einen langen Moment hielt er dem fiebrigen Blick stand, dann senkte er die Lider, ließ beide Arme neben dem Kopf auf die Schreibtischplatte ruhen. Eine Hand strich kurz über seinen Schopf, dann fasste sie unter seinen Nacken, bettete seinen Kopf auf einen Stoffballen. Arashis Fingerspitzen glitten hauchzart über Motokis Haut, von der Schulterbeuge bis zu den Knien, als er an ihm vorbei zurück an die Kopfseite des Tisches schritt. Zuerst drückte eine Hand Motokis Oberschenkel tiefer zu dessen Leib, dann wärmte eine Hand dessen Erektion. Die andere öffnete den Eingang in Motokis Unterleib, spreizte ihn, um Arashis Erektion Raum zu machen. Arashi hielt inne, lauschte auf die harten Atemzüge, zitterte vor Anspannung. Motoki biss sich in den Handrücken, Tränen perlten in seinen Wimpern. "Sag meinen Namen." Raunte Arashi kehlig. "Sag 'Arashi'." Motoki bebte, sein Rückgrat bog sich, seine Fingerknöchel zeichneten sich weiß ab, um die Tischkante überkopf zu beklammern. Arashi beugte sich so tief es ihm möglich war, wisperte rau. "Leg die Arme um mich." Blindlings tastete Motoki mit zusammengepressten Lippen an Arashis Oberarmen entlang, bis er die Arme hinter dessen Nacken verschränkten konnte. Er spürte Arashis Atem auf seinem Mund, rang ächzend nach Luft, ließ sich heiß küssen, als ob flüssiges Feuer in seine Kehle rann. "Arashi...! Schluchzte er atemlos, doch einen zweiten Ausruf dämpfte ein langer Kuss. Halb ohnmächtig spürte Motoki, wie sich Arashi in seinen Körper bewegte. Erleichtert gab er nach, ließ sich mit flatternden Lidern fallen. ~+~ Arashi wischte sich mit einer Hand die tropfnassen Strähnen aus den Augen. Motoki lag auf der Schreibtischplatte, so, wie er ihn abgelegt hatte, nach den heftigen Stößen, die sein Körper verlangte, obwohl er gespürt hatte, dass der bereits seinen Höhepunkt erlebt hatte und kaum noch bei Besinnung war. Aber er hatte nicht an sich halten können, wie im Rausch agiert, bis auf die Spitze getrieben, alles in einer einzigen Entladung zusammengeballt. Jetzt zitterten ihm die Knie, er fühlte sich schwindlig. Hastig schlug er sich mit aller Kraft selbst ins Gesicht. Ein-, zweimal. Kein Zögern mehr. Kein Zaudern. Rasch, flüchtig zupfte er die Kondome ab, wickelte sie in Taschentücher und warf sie in den Abfall, schlüpfte in Hosen und Hemd, schaltete den Arbeitsplatzrechner an. ~+~ Motoki blinzelte. Er fühlte sich schwer und seltsam satt, glühend heiß, obwohl ihm die kalte Schreibtischplatte schaudern lassen müsste. »Und dieser Geschmack...« Der Stoff unter seinem Kopf war rau, wie der einer Uniformjacke. Er schlug die Augen auf, drehte den Kopf leicht. Arashi stand gebeugt am Beistelltisch, bediente den Arbeitsplatzrechner. »Tag X.« Motoki konstatierte es unbewegt. Er KONNTE sich unmöglich emotional beteiligen, nicht im Augenblick. Arashi warf ihm einen Seitenblick zu, richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder auf den Rechner, deaktivierte ihn. Für einen langen Moment starrte er blicklos auf die Wand. "Du hättest nichts tun können, das mich abgehalten hätte." Raunte er endlich sonor. Motoki rührte sich nicht, antwortete nicht. Er hatte es gewusst. Arashi wischte an ihm vorbei, nahm seine Schultasche und ging zur Schiebetür. Mit dem Rücken zu Motoki bemerkte er heiser. "Morgen wird ein harter Tag." Dann verschwand er. ~+~ Motoki lehnte sich an eine Säule, wartete auf den letzten Zug. Es kümmerte ihn nicht, ob er ein seltsames Bild bot. Ja, die Uniformjacke war zerknittert, er schwankte, die Schultasche krampfhaft vor den Leib gepresst. Alles war anders. Und doch unverändert. Die köstliche Hitze, die Glut, die Feuersbrunst, sie verschwand langsam, obwohl er sich bemühte, sie aufzubewahren, zu konservieren. Zwar spürte er noch den Druck in seinem Unterleib, aber das war nicht die Essenz dieses überwältigenden Gefühls gewesen! Und Arashis Geschmack verlor sich ebenfalls. Trotzdem weigerte sich Motoki, gegen die Magenschmerzen, die ihre Auszeit beendet hatten, ein Medikament einzunehmen. »So ist das also.« Dachte er betäubt, erschöpft und gedankenleer. »Mein erster Kuss...das erste Mal...« All die grässlichen, enttäuschenden Erfahrungsberichte, die er heimlich studiert hatte, die Prahlereien und banalen Realitäten: sie hatten nichts mit seinen Gefühlen im Augenblick gemein. Natürlich gab es eine physische Komponente, die sich bemerkbar machte, doch sie blieb hinter den Emotionen zurück. Diesem Gefühl von Geborgenheit, von absoluter Freiheit. Er hatte sich fallen gelassen, jede Scham negiert, sich von seinem Rausch, seinem Hunger, der Sucht treiben lassen. »Schön.« Er stolperte unbeholfen, als der Zug einfuhr. Ja, es war schön. Zum Sterben schön gewesen. Aber der Zauber war verflogen. Das Ende SEINER Welt war eingeläutet worden. Als er zu Hause eintraf, mied er jeden Kontakt mit seinen Eltern, verschanzte sich eilig im Badezimmer. Die Magenschmerzen plagten ihn so quälend, dass er schließlich nachgab, Tabletten und lösliche Mittel schluckte, spülte mit deprimierter Gründlichkeit jede Spur von Arashi ab, verlor auch das letzte Quäntchen der köstlichen Wärme, die ihn erfüllt hatte. Er schlüpfte in das kleine Zimmer, das er sich mit seinem Großvater teilte. Der alte Mann schlief bereits, die harschen, flachen Atemzüge erfüllten den Raum. Motoki rollte sich auf seinem Futon zusammen, zog die Knie bis unter das Kinn. Was würde morgen sein? Würde man seine Eltern in die Schule zitieren? Könnten die Nachbarn es erfahren? Es wäre furchtbar, wenn sie umziehen müssten, denn der Großvater hatte sich sehr schwer getan, nach dem Umzug vom Land zu seinem Sohn neue Bekannte kennenzulernen, nicht den ganzen Tag allein in der kleinen Wohnung auszuharren. Motoki presste die Fäuste vor die Augen, trotzdem sickerten Tränen heraus. »Ich habe mich immer bemüht, das Richtige zu tun. Die Regeln zu befolgen.« Nun musste seine Familie, die für seine Zukunft so viele eigene Wünsche zurückgestellt hatte, einen hohen Preis bezahlen. Es tat weh, zerriss ihm das Herz. Aber es gab keinen Ausweg. ~+~ Hiroki starrte an die Zimmerdecke. Die Augen brannten, schmerzten vor Trockenheit, aber er KONNTE einfach nicht schlafen. Sein Herz, ja, sein gesamter Brustkorb, alles tat weh, hielt ihn mit Verspannungen wie in ein Korsett eingezwängt, das jeden Atemzug zu einer einzigen Qual machte. Er wusste, dass das winzige Fenster auf der anderen Seite direkt unter dem Dach verschlossen war, sogar der selten genutzte Bambus-Rollo war heruntergezogen worden. Kein Eiserner Vorhang hätte deutlicher signalisieren können, dass es aus war. Vorbei. Hiroki biss sich in die Unterlippe. Sie hatte bereits geblutet, aber das kümmerte ihn nicht sonderlich. »Warum?« Er ballte die Fäuste. »Warum habe ich nicht ein wenig länger...??« Aber wie lange noch? Er konnte sich nicht selbst verdammen. Ganz gleich, wie streng er sich selbst richtete: es hatte irgendwann passieren müssen. Die Entdeckung, dass Kentarou ihm etwas Wesentliches über dessen Existenz verschwiegen hatte, war lediglich der Katalysator gewesen. »Und er hat mich nicht gefragt.« Wenn man in Not war, einen Rat benötigte: fragte man da nicht seine besten Freunde? Vertraute man sich ihnen nicht an? Aber Kentarou hatte ihm nichts von der Erpressung erzählt. »Obwohl er meine Hilfe benötigt HÄTTE!« Hiroki funkelte matt die Zimmerdecke an, denn durch seine Konditionen hatte er ja forciert, dass Kentarou sich Beistand erbitten MUSSTE. Weil die Miwas keine Kamera hatten. Doch sein bester, sein einziger Freund hatte keine Silbe verlauten lassen. Wollte ihn offenkundig nicht ins Vertrauen ziehen. »Aber warum nicht? Habe ich dich denn jemals enttäuscht? Nicht auf deiner Seite gestanden?« Hiroki rollte sich auf die Seite, zog die Beine in einer fötalen Haltung vor die Brust. »Wenn ich nur ein wenig länger gewartet hätte...« Aber er konnte sich nichts vormachen. Ihre gemeinsame Zeit WAR begrenzt. Mit dem Ende der Mittelschule hatte ihn dieser Gedanke bereits einmal entsetzt. Nun, im ersten Jahr der Oberschule, besonders in den entsetzlich öden Sommerferien am Meer, hatte er das drohende Ungemach ganz genau begriffen. Kentarou WÜRDE studieren, weil es der schlaue Fuchs Hagiwara nicht locker ließ. Selbst wenn es ihm gelänge, an dieselbe Universität zu kommen, so würde er nicht mehr Kentarous bester Freund und engster Vertrauter sein, weil der stets andere Menschen kennenlernen würde. Unter Garantie würde Hagiwara ihm dann auch die Tochter eines Kunden oder Geschäftspartners vorstellen. »Wenn sie ihm nicht allzu lästig fällt, heiratet er sie auch.« Die Vorstellung, dass Kentarou ihn einfach wie eine abgelegte Yukata abstreifen und ein ganz anderes Leben beginnen konnte, verstörte Hiroki. Aber er wusste auch, dass Kentarou dies durchaus möglich war. Sein Freund hielt sich nicht lange auf mit 'unnützen Sentimentalitäten'. Die einzigen Sorgen, die Kentarou wirklich nahe zu gehen schienen, waren der Großvater und das Haus. "Was hätte ich denn tun sollen?" Krächzte Hiroki laut in den stillen Raum. Natürlich war es eine Schnapsidee gewesen, eine Kurzschlusshandlung, die ihm in seiner Not eingefallen war. Ohne etwas Drastisches würde Kentarou einfach nicht begreifen, wie er für ihn empfand! »Andererseits versteht er es trotzdem nicht! Bloß weiß er jetzt, dass du ein ganz schön perverser Typ bist!« Stellte eine gehässige Stimme, die ihn stets kritisierte, hämisch fest. »Tja, ich BIN eben eine GROSSER Junge.« Antwortete Hiroki sich selbst bitter. Er konnte es nicht ausschwitzen. Er konnte sich selbst nicht überreden, alles zu vergessen. Er konnte sein Herz nicht rausschneiden und in eine Truhe einschließen. »Ich kann nicht einfach jede Hoffnung fahren lassen.« ~+~ Motoki umklammerte ein Taschentuch, presste es erneut vor den Mund. Immer wieder stieg ihm Galle den Hals hoch, verbrannte seine Kehle, aber er wusste, dass es nichts mehr gab, was er erbrechen konnte, also schluckte er immer wieder die übersäuerte Flüssigkeit herunter. Wie ein Roboter hatte er sich angekleidet, den Weg zur Schule bestritten, sich anrempeln lassen, herumstoßen. Kalter Schweiß klebte die Uniform an seinen Leib, seine Augen waren entzündet. Als er die Schulpforte erblickte, erstarrte Motoki. Die Schüler standen dort in Gruppen, niemand betrat das Gebäude. Vertreter der Schulleitung stachen mit ihren Anzügen aus der Menge der Uniformen hervor. Aber nicht nur das. Da war auch ein Fernsehteam mit einem kleinen Übertragungswagen. Abseits standen Männer, die auf eine unbestimmte Weise nach Behörden oder Polizei aussahen. Motoki zögerte, wollte am Liebsten umkehren, doch sein Pflichtbewusstsein trieb ihn wie aufgezogen vorwärts. Außerdem, was half ihm schon die Flucht? Sie führte doch ohnehin zu nichts. Das Taschentuch fest vor den Mund gepresst kam er langsam näher an das Schultor heran. Üblicherweise ging sein Gruß im Chor unter, nahm niemand von ihm besondere Notiz. Er hätte auch unsichtbar sein können. Nun wünschte er sich, unsichtbar zu sein. Jemand bemerkte ihn, stieß Mitschüler an. Motoki blieb stehen. Er sah, wie die Mitglieder des Fernsehteams ihn in den Fokus nahmen, losliefen. Ein Wettrennen zeichnete sich ab, als sich auch Mitglieder des Kollegiums anstrengten, ihn zuerst zu erreichen. »Wieso das Fernsehen?« Motoki würgte. Wollte Arashi wirklich sichergehen, dass der Skandal nicht im Stillen abgewickelt wurde? Fürchtete er Vertuschung? Ein neuer Schwall Galle sprudelte ätzend in seiner Kehle hoch, füllte seinen Mund. Motoki wandte sich ab, presste das Taschentuch auf die Lippen. »Bloß nicht hier vor allen übergeben!« Jagte fiebrig durch seinen Kopf. Wenigstens ein winziges bisschen Würde wollte er sich bewahren. Als er nach Luft schnappte, die Augen tränend ob der Säure, konnte er das Husten nicht länger unterdrücken. Fassungslos starrte er auf die dunkelroten Sprenkel auf dem Pflaster. Das mit Blut und Schleim getränkte Taschentuch, den sich vollsaugenden Uniformärmel. »Oh nein!« Stellte er resigniert fest. »Oje...« Schwäche erfasste seine Knie, schlagartig war ihm eisig kalt. Noch bevor er hart auf das Pflaster schlug, versank seine Welt in Dunkelheit. ~+~ Kapitel 15 - Zerwürfnis Hiroki WUSSTE, dass an diesem Morgen zum ersten Mal seit den Kindergartentagen niemand vor seiner Tür ungeduldig auf ihn warten würde. Wenn seinen Eltern die ungewöhnliche Diskrepanz auffiel, so hielten sie es nicht für angemessen, dies auch zu äußern. Mit langen Schritten bemühte sich Hiroki, seine Verspätung aufzuholen. Ein Blick in den Spiegel hatte ihm versichert, dass er nach einer solchen Nacht ohne Schlaf, aber voller Sorgen wahrhaftig wie Frankenstein aussah, ganz ohne gewaltig verschmierten Kajal. Auf der Fußgängerbrücke konnte er zum ersten Mal über die Köpfe anderer Passanten hinweg Kentarous agile Gestalt in der Schuluniform erkennen. Der hatte seine Haare zu einem Zopf zusammengefasst, was mutmaßlich wieder zu einem Tadel führen würde, weil sie ja dann definitiv zu lang sein MUSSTEN. Der Hüne legte an Tempo zu, ohne jedoch zu riskieren, dass Kentarou auf ihn aufmerksam wurde. Ein Streit wäre sicher nicht zu vermeiden, und Hiroki fühlte sich noch nicht disponiert, es mit Kentarous zweifelsohne gewaltigem Wutausbruch aufzunehmen. Wie Hase und Igel flitzten sie die gewohnte Strecke entlang, näherten sich endlich dem Schulgelände. Ungewohnter Weise schienen sich jedoch alle VOR dem Gebäude versammelt zu haben. Hiroki sah, durch seine Körpergröße in erheblichem Vorteil, wie sich eine gewisse Aufregung über das Zentrum der Menschenmenge legte, dann hörte er hinter sich bereits die jammernden Sirenen eines Krankenwagens. Was war geschehen? Nun war er glücklich darüber, dass Kentarou den Schopf zu einem streitbaren Zopf zusammengefasst hatte, denn so konnte er seinen Freund leichter aus der Menge der Uniformen herauspicken. Doch wer war zu Schaden gekommen? Warum ging niemand in das Schulgebäude? Hatte es ein Unglück gegeben? Der Krankenwagen bahnte sich seinen Weg, warf gespenstische Lichter an die Häuserwände. Hinter ihm schloss sich die Menge wieder dicht, niemand wollte etwas verpassen. Die morbide Neugierde trieb auch Hiroki vorwärts. Wen lud man ein? Warum? Hatte es eine Auseinandersetzung gegeben? Nachdem der Krankenwagen sich mit seinem Patienten auf die mühsame Retour durch die Menschenmenge gemacht hatte, hörte Hiroki wie auch die anderen Nachzügler die Aufforderung durch ein Megaphon, in Ruhe und Ordnung in das Schulgebäude einzutreten. In kleinen Gruppen. Er bemerkte nun auch den Übertragungswagen einer Lokalredaktion, hörte die Gerüchte, die ihn umschwirrten. Polizei?! »Kann es wirklich NOCH schlimmer kommen?« Fragte sich seine innere Stimme boshaft. ~+~ Kentarou hasste es grundsätzlich, so eingezwängt zu stehen, nur Köpfe und Rücken vor sich, Schulter an Schulter. Er spürte fremde Körperwärme, roch Aftershave und Deodorants, Schweiß und Spuren von Speisen. Am Liebsten hätte er um sich geschlagen, wäre stiften gegangen, um dieser schieren Masse zu entgehen, aber er war eingeklemmt, gefangen, umzingelt. Sein Puls raste, doch er zwang sich mit aller Willenskraft, nicht die Nerven zu verlieren, legte den Kopf in den Nacken, denn wenigstens der Himmel über ihm war grenzenlos und frei. Nur langsam, winzige Schritte, ging es vorwärts. Er hatte bisher nur aufschnappen können, dass es einen Skandal gegeben hatte, weshalb auch das Fernsehen bereitstand. Der Schülerpräsident hatte enthüllt, dass Schüler andere Mitschüler zu sexuellen Handlungen erpressten! Kentarou konnte das kaum glauben. Ausgerechnet dieser farblose Typ aus der Zweiten, der Ersatzmann hinter dem gewandten Schwätzer, sollte so eine Entdeckung gemacht haben? War der deshalb zusammengebrochen? Oder hatte man ihn angegriffen, um ihn zum Schweigen zu bringen? Die Gerüchte brodelten. »Was für eine Idiotie!« Kentarou beobachtete die Raben, die kreischend ihre Kreise über den Himmel zogen. »Wieso erpressen sich Kerle untereinander zum Sex?! Wir leben in einer Metropole, da geht man für diesen Quatsch in die Vergnügungsviertel!« Der Skandal würde natürlich das Ansehen der Schule und aller Absolventen beeinträchtigen, darüber waren sich die Umstehenden einig. Kentarou kratzte das nicht. Wer konnte einen Menschen denn allein nach der Schule beurteilen?! Das war vollkommen idiotisch! Überhaupt, er hatte andere Sorgen als irgendwelche Schwachmaten, die sich gegenseitig an die Wäsche gingen! »Zumindest kannst du sicher sein, dass DEIN Skandal in dem Fahrwasser dieser Geschichte untergeht.« Wisperte ihm ein boshaftes Stimmchen zu. »Das IST zumindest ein Trost.« Befand Kentarou, der sich in seiner 'Lemming-Gruppe' gerade dem Haupteingang näherte. Obwohl es ihn stärker beruhigt hätte, wenn Hiroki nichts verraten würde. ~+~ Hiroki konnte sehen, wie Kentarou in der Menge langsam zum Haupteingang geschoben wurde. Er verzichtete jedoch auf den Versuch, sich zu ihm durchzudrängen. Die Lehrer, die sich an den Seiten der Menge postiert hatten, wirkten angespannt und brüllten jeden an, der sich dem Strom entziehen wollte. Mittlerweile hatte er in Erfahrung gebracht, dass es sich um einen Erpressungsskandal handelte, Sex unter Mitschülern! Es verblüffte ihn. Konnte es sein, dass andere genau dasselbe versucht hatten wie er selbst? Gehörte er vielleicht auch zu den Tätern, die der ehemalige Vize dekuvriert hatte? »Aber wie denn?!« Schnarrte sein Logikzentrum, das erstaunlich exakt Kentarous ungeduldige Stimme kopieren konnte. »Glaubst du, Kentarou hat dem etwas erzählt? Oder der hätte deine Zettelchen gelesen?! Die Kentarou nicht mal in den Mülleimer geschmissen hat, so wie die anderen Briefe?!« In der Tat, NIEMAND außer Kentarou konnte von seinem schändlichen Versuch wissen, sich Klarheit über dessen Gefühle zu erzwingen, aber trotzdem war Hiroki stark beunruhigt, als er in der Menge darauf wartete, endlich in das Schulgebäude eingelassen zu werden. ~+~ Aufgrund der strikten Gruppeneinlasspolitik verpasste Hiroki Kentarou an den Schließfachschränken, wo sie ihre Schuhe wechselten. So blieb ihm nur, auf eine Gelegenheit zu warten, um Kentarou sprechen zu können. Demonstrativ wandte der den Kopf ab, als Hiroki an ihm vorbei zu seinem Platz ging. Obwohl die Aufregung kaum übergangen werden konnte, plante das Direktorium offenkundig, den Unterricht wie gewohnt abzuhalten, doch gegen die unterschwellige Unruhe, auch der Lehrer, konnte man nicht angehen. Schließlich wusste niemand mit Sicherheit zu sagen, ob und wie die Anschuldigung lautete, die der Schülerpräsident erhoben hatte. Aber es musste etwas Bedeutsames sein, sonst wäre wohl nicht die Polizei zugegen. Hiroki starrte Löcher in Kentarous Rücken. Wie sollte er bloß das Gespräch beginnen? Wäre eine Entschuldigung als Eröffnung ausreichend? Würde das genügen, damit der ihm zuhörte? Ihr Lehrer malte eifrig Aufgabenstellungen an die Tafel, raunzte dann "Selbststudium" und verließ mit energischen Schritten das Klassenzimmer. Vermutlich erhoffte er sich wie seine Kollegen auch Aufklärung, wenn man sich im Lehrerzimmer traf. Kaum, dass sich die Schritte auf dem Flur ausreichend entfernten, brandete der Geräuschpegel hoch, schwappte wie aufgepeitschte Wogen durcheinander. Jeder wollte den anderen damit übertreffen, nähere Einzelheiten zu verbreiten. Selbst der üblicherweise besonnene Klassensprecher verlegte sich lediglich darauf, die Lautstärke zu bemängeln und sie zu ermahnen, nicht ganz so laut zu diskutieren, während er sich an der Tür postierte. Hiroki interessierte sich nicht für die brodelnde Gerüchteküche. Aber auch Kentarou vor ihm schien keinerlei Neugierde zu zeigen, sondern pinnte einfach die Aufgaben von der Tafel ab, beugte sich konzentriert über seine Bank. "Ken? Können wir bitte reden?" Wisperte Hiroki eilig, lag beinahe über seinem kleinen Schreibtisch. Er erhielt keine Antwort. Also schraubte er sich hoch, trat vor, unbemerkt von den anderen, die sich bereits zu einzelnen Gruppen zusammengerottet hatten, um zu debattieren. Hiroki stellte sich neben Kentarous Platz, platzierte die Hände auf dessen Tischplatte. "Bitte, Ken, lass es mich erklären!" Drängte er leise und sonor. Endlich wandte sich ihm das Fuchsgesicht seines Freundes zu. Die Katzenaugen inspizierten ihn wie etwas besonders Ekelerregendes. "Sprich mich nicht mehr an, Miruno." Fauchte Kentarou giftig. "Und jetzt hau endlich ab." Hiroki erstarrte. Unschlüssig richtete er sich auf, die Hände noch immer auf der Platte. Was sollte er jetzt tun? Eine Aussprache erzwingen? »Nicht vor so viel Publikum!« Mahnte ihn die Vorsicht. DAS würde Kentarou unter keinen Umständen vergeben. Also es vertagen? »Das ist so feige!« Klagte er sich selbst an, doch welche Alternative hatte er? Würde es Kentarou vielleicht zu denken geben, wenn er sich wirklich an dessen Gebot hielt und ihn mied? Oder wäre es für Kentarou ein weiterer Beweis dafür, dass er nicht würdig war, dessen Freund zu sein? Schließlich löste sich Hiroki, wandte sich ab, um zu seinem Platz zurückzukehren. Es blieb ihm keine Wahl, als sich GENAU zu überlegen, was er unternehmen wollte. Das Drahtseil über dem Abgrund hatte bereits zu schwingen begonnen. ~+~ Weder in der Mittagspause, die an einen aufgescheuchten Bienenkorb erinnerte, noch auf dem Nachhauseweg suchte Hiroki Kentarous Gesellschaft. Vielleicht war ein wenig Distanz zur Abkühlung der Gemüter wirklich notwendig. Trotzdem fühlte der Hüne sich wie erschlagen, als er zum Abendessen mit seinen Eltern Platz nahm. Längst hatte sich die Nachricht über die unglaublichen Enthüllungen an ihrer Schule herumgesprochen. Seine Eltern waren empört, wollten gleich am nächsten Tag eine Stellungnahme des Direktoriums einfordern. Immerhin konnte dieser Skandal das gesamte Leben ihres Sohnes zerstören! Hiroki lauschte der aufgeregten Diskussion seiner Eltern nur mit halbem Ohr. Was kümmerte ihn schon seine Karriere, wenn er in Gefahr war, den Menschen, der er so lange und so intensiv liebte, zu verlieren?? Wenn er befürchten musste, dass das letzte Quäntchen Hoffnung starb und seine Liebe wirklich unerwidert und einseitig blieb? Als er stumm die Treppen zu seinem Zimmer hochstieg, fürchtete er sich vor dem Blick aus dem Fenster. Wäre Kentarous Fenster immer noch blockiert, durch den Bambus-Rollo abgeschirmt? ~+~ Kentarou widmete sich mit stillem Zorn seinen häuslichen Aufgaben. Der Großvater hatte ihn zwar verwirrt nach der Aufregung befragt, die durch das Fernsehen auch seine Aufmerksamkeit erregt hatte, doch Kentarou war es gelungen, mit einer abschätzigen Geste die Situation zu entschärfen. Skandale gab es immer mal, die wurden aufgebauscht, um mehr Zuschauer anzuziehen und die Einschaltquoten zu verbessern. Nichts, was nicht in ein paar Tagen vergessen sein würde. Wichtiger war es, noch eilig die letzten Rechnungen zu begleichen und für den nächsten Tag die Einkäufe einzuplanen! So war es für Kentarou überraschend, dass Meister Hagiwara ihn zu später Stunde noch anrief. Auch Hagiwara wollte erfahren, was sich hinter der schlagzeilenträchtigen Aufregung verbarg. Kentarou antwortete knapp, dass er selbst nichts Genaues wisse, nur Gerüchte. Selbst die Lehrer konnten keine schlüssigen Antworten geben. Es hieß, dass am nächsten Tag ein Ministrialer eintreffen würde, der Staat sich einmischte. "Ich bin jedenfalls nicht von dieser Geschichte betroffen." Verkündete Kentarou abschließend, um das Telefonat zügig zu beenden. Auch sein Mentor gab sich überzeugt. Kentarou und ein Erpressungsskandal? Unvorstellbar. Als er seinen Futon ausbreitete, starrte Kentarou für einen Augenblick auf den herabgelassenen Bambus-Rollo. Konnte es sein, dass Hiroki mehr über diese Angelegenheit wusste? Deshalb auf die lächerliche Idee mit der Erpressung verfallen war? "Ich habe wirklich keine Ahnung, WER du eigentlich bist!" Schnaubte er laut und rollte sich auf seinem Futon zusammen. Glücklicherweise kam der Schlaf gewohnt schnell. ~+~ Die Sonne ging langsam unter, die Krähen kreisten lärmend über der Stadt. Es stank nach Abgasen und Vogeldreck. Arashi fuhr sich durch die Haare. »Wäre ein guter Moment für eine Kippe!« Er verzog die Lippen spöttisch. Allerdings rauchte er seit einiger Zeit nicht mehr. Er war selten ganz allein hier oben. Meistens gab es noch andere, die hier laut schwatzten, heimlich Bier tranken und hofften, nicht dabei erwischt zu werden. Ein öder Ort mit einer öden Aussicht auf eine Betonwüste. Zuhause war er auch immer ausgerückt, den Berg hochgestiegen und hatte sich verbotenerweise auf einem alten Tempeldach eingenistet. Von dort konnte man über die Baumkronen und Felder blicken, auf die steinigen Pfade, das Meer eine Ahnung in der Ferne. Wenn man sich Mühe gab, konnte man all die Häuserdächer ignorieren. »Zuhause!« Schnalzte er, schüttelte sich die zotteligen Strähnen ins Gesicht. »Vergiss es!« Langsam streckte er die Beine aus, ließ sich auf den Rücken sinken, verschränkte die Arme unter dem Hinterkopf. Wolken trieben über das glühende Rot des Himmels. Im Wohnheim war es uncharakteristisch ruhig, eine gespannte, bedrückte Stille. Wahrscheinlich lief immer noch der Bericht des Lokalsenders. Ihm hatte es genügt, einen Durchlauf zu sehen, spektakulär eingeläutet mit Motokis blutigem Sturz auf das Pflaster. Die Kamera hielt unerträglich lange auf ihn, wie er da leichenblass und reglos lag, in einer rasch wachsenden Blutlache. Spekulationen, steif vorgebrachte Erklärungen des Direktoriums, die Abfahrt des Rettungswagens, den man endlich gerufen hatte. Arashi starrte unverwandt in den Himmel. Es war vollbracht. ~+~ Der nächste Schultag begann weniger chaotisch, doch ein jeder lauerte darauf, die Wahrheit hinter all den widersprüchlichen Gerüchten zu erfahren. Was war mit dem Schülerpräsidenten geschehen? Wieso befanden sich Polizisten an der Schule? Wer war erpresst worden und womit? Wo befanden sich die Erpresser? All die ungelösten Fragen, die Mutmaßungen und auch ersten Verdächtigungen heizten das angespannte Klima unter der Schülerschaft noch stärker an. Das Gebot, bis auf weiteres das schuleigene Netzwerk nicht mehr benutzen zu dürfen, gab neuen Spekulationen Nahrung. Gab es etwa Hacker unter ihnen? Doch was konnte man schon aus den dürftigen Daten erfahren? Waren möglicherweise Noten verändert worden? Prüfungsfragen ausgespäht? Hiroki wagte nicht, Kentarou noch einmal anzusprechen. Der schien vor unterdrückter Wut zu kochen. Während des Sportunterrichts explodierte dann die aufgestaute Energie. Alles begann recht harmlos damit, dass die Läufer sich kabbelten, weil einer die Staffelholzübergabe vermasselt hatte. Ein Wortgefecht schloss sich an. Kentarou, der bereits die gesamte Zeit über ungeduldig wirkte und eine düstere Miene zog, mischte sich mit scharfen Worten ein. Hiroki, der missmutig auf seinen Einsatz beim Kugelstoßen wartete, erhob sich rasch. Inzwischen hatte wohl einer etwas zu Kentarou gesagt, das dessen Zurückhaltung überrannte. Kentarou fauchte für Hiroki Unverständliches, wehrte sich gegen den Mitschüler, der ihn am Trikot fasste. Ob die anderen die Streithähne trennen wollten oder selbst mitmischen, konnte er aus der Distanz nicht beurteilen. "Miruno, setzen Sie sich!" Hörte Hiroki die scharfe Aufforderung seines Lehrers, doch er ignorierte sie. Stattdessen nahm er seine Kugel auf, schätzte die Entfernung ab, drehte sich elegant, stieß die schwere Kugel weit von sich. Von Warnrufen begleitet zischte sie durch die Luft und schlug schwer auf der künstlichen Aschenbahn ein, wo die Läufer auseinander spritzten. Kentarou wehrte sich noch immer gegen den Zugriff, hatte bereits einen seiner Mitschüler mit einem gezielten Tritt in den Magen zu Boden geschickt. Nicht nur auf dem Dach konnte er sich wie eine Katze bewegen, auch auf dem Boden war er geschmeidig und gnadenlos, wenn man sich seinem Willen nicht fügte. Hiroki spürte die Hand seines Lehrers auf der Schulter, hörte aber nicht zu, konnte sich nicht dafür interessieren, denn der zweite Trainer hatte Kentarou von hinten umfasst. Der fühlte sich bedroht, konnte nicht erkennen, dass es ein Lehrer war, der ihn attackierte, reagierte so, wie er es immer tat, überaus wütend und seine persönliche Freiheit verteidigend: er rammte den Ellenbogen nach hinten, packte einen Arm, drehte sich und brachte sein Knie mit der Magengrube des vermeintlichen Angreifers in Kontakt. ~+~ Hiroki hörte nichts mehr. Tatsächlich waren schlagartig alle still. Kentarou war zurückgewichen, die Fäuste geballt, die Katzenaugen glühend, ein in die Enge getriebenes Tier. Der Sportlehrer vergaß Hiroki und die Kugel, eilte los, um seinem Kollegen zur Hilfe zu eilen, der auf dem Boden kauerte und sich mit beiden Armen den Leib hielt. Wie aufgezogen marschierte nun auch Hiroki los, beschleunigte. Er hatte es nicht verhindern können! Selbstverständlich war es ein Unfall, JEDER musste das doch einsehen! Er erreichte den Kreis der Umstehenden gerade, als der Sportlehrer seinem Kollegen aufhalf und mit schneidender Stimme den Teamleitern der anwesenden Sport-AG befahl, Kentarou zum Direktorium zu schaffen. "Er hat es nicht mit Absicht getan!" Donnerte Hiroki verzweifelt, stellte sich vor Kentarou, doch Kentarou, das Trikot schmutzig und zerknittert, schob sich an ihm vorbei. "Was spielt das für eine Rolle?" Zischte er giftig, funkelte voller Hass die beiden Lehrer und seine Mitschüler an. "Misch dich nicht ein, Miruno!" Ohne auf die Teamleiter zu warten marschierte er zum Schulgebäude zurück. ~+~ Hiroki starrte unverwandt aus dem Fenster. Wenn die Lehrer ihn aufriefen, reagierte er nicht, antwortete nicht, stand nicht auf. Eine SEKUNDE Unaufmerksamkeit konnte dafür sorgen, dass er Kentarou verpasste! Was würden sie tun? Diese Frage nagte an ihm, quälte ihn. Würde man überhaupt würdigen, dass Kentarou es nicht mochte, wenn man ihn anfasste? Außerdem, er hatte ja nicht wissen können, dass ein Lehrer ihn von hinten packte! Im Hinterkopf hatte schließlich niemand Augen! »Wem machst du hier etwas vor?« Verzweiflung wallte auf. »Er hat einen Lehrer angegriffen! Ausgerechnet jetzt!« Würden sie Kentarou der Schule verweisen? Und was dann?? Als er Kentarous straffe, hochaufgerichtete Gestalt erblickte, gab es für Hiroki kein Halten mehr. Er sprang auf die Beine, stieß dabei unabsichtlich seine Schulbank um, spritzte zum Fenster, riss es auf und kletterte auf das umlaufende Sims hinaus. Hinter ihm schrie der Lehrer, auch einige Mitschüler, aber Hiroki kannte nur eine Sorge: Kentarou. Also sprang er, rollte sich auf dem Rasen ab und kam wieder auf die Beine. Er wusste, dass er Glück gehabt hatte, aus dem zweiten Stock zu fallen, doch das war zweitrangig. "Ken! KEN! Warte!" Atemlos fegte er hinter Kentarou her, der keine Anstalten unternahm, sich nach ihm umzusehen. Aber wenigstens hielt er tatsächlich inne. Hiroki erreichte ihn, stellte sich keuchend vor ihm auf, um den Fluchtweg zu blockieren. "Was haben sie gesagt?" Drängte er Kentarou besorgt, hütete sich aber, den Freund zu berühren. Die Katzenaugen funkelten so unbeugsam wie immer, stolz und eigenwillig. "Was geht dich das an, Miruno?!" Fauchte Kentarou frostig. "Bitte, Ken!" Hiroki WOLLTE nicht aufgeben, nicht zurückweichen. DIESES Mal wollte er nicht klaglos einstecken und um des lieben Friedens Willen schweigen. Kentarou bleckte die Zähne, zeigte ein galliges Lächeln. "Ich darf eine Woche lang dieses Etablissement nicht betreten." Antwortete er zuckersüß. "Bist du nun zufrieden?!" "Aber du hast den Streit nicht angefangen!" Protestierte Hiroki laut. "Was ist denn mit den anderen?!" "Die, die mich gefragt haben, ob ich meinen Arsch auch angeboten habe für diesen elitären Club, den es angeblich an der Schule geben soll?" Kentarou flüsterte hasserfüllt, ein grausiger Kontrast zu seinem eisigen Lächeln. "Die sind zu wichtig für das Schulfest. Außerdem habe ich ja einen Lehrer vorsätzlich verletzt, nicht wahr?" Hiroki schluckte. Waren die anderen Läufer nicht Kentarous Freunde gewesen? Wie konnten sie so etwas zu ihm sagen?! »Ach, und du bist doch auch sein Freund? Wie konntest DU ihn so widerwärtig erpressen?« Mischte sich sein Gewissen pointiert ein. "Warte kurz, ich gehe mit dir." Verkündete Hiroki rasch. Kentarou blickte an ihm vorbei, offenkundig auf die Gebäudefront, dann fokussierten sich die Katzenaugen wieder auf Hiroki. "Hau ab, Miruno und lass mich in Ruhe! Wir haben nichts miteinander zu schaffen, kapiert?!" Brüllte Kentarou so laut, dass es von den Häuserfronten echote. Unwillkürlich zuckte Hiroki zurück, erstarrte. Das Fuchsgesicht lächelte lieblich, dann drehte sich Kentarou um und ließ Hiroki stehen. ~+~ Kentarou kochte noch immer vor Zorn, einem Zorn, den er kaum in Worte fassen, herausschreien konnte. Die ganze Welt war offenkundig von Idioten überfüllt, perversen Schwachköpfen, die den Kopf nur auf den Schultern trugen, damit es nicht in den Hals regnete. »Was soll's, das bringt uns auch nicht weiter!« Ermahnte er sich selbst. Der frühzeitige Schulschluss, zumindest für ihn, musste genutzt werden, um Einkäufe zu tätigen und alle Bankgeschäfte abzuwickeln. »Und dann muss ich es Großvater erklären.« Die Aussicht stimmte Kentarou nicht gerade froh. Er wusste, dass sein Großvater ihn nicht für einen schlechten Menschen hielt, aber es sehr schwernahm, wenn er mal wieder mit den Autoritäten in Konflikt geriet. »Dieser Idiot hat sogar die verdammte Kugel geschmissen!« Lenkte er seinen Zorn auf ein anderes Ziel. Das war so typisch Hiroki, dass es ihm die Galle in den Hals trieb!! Sich ohne Rücksicht auf Verluste einmischen, sogar aus dem zweiten Stock springen! Dann auch noch mit ihm die Schule schwänzen wollen, aus falsch verstandener Solidarität! »Kein Wunder, dass seine Mutter sauer ist!« Kommentierte Kentarou stumm, während er noch Tempo zulegte. »Wie dämlich kann man sein, um so etwas durchzuziehen?!« Mit Einkäufen vollbepackt, die seine komplette Barschaft gekostet hatten, begab sich Kentarou nach Hause. Sein Großvater, wie gewohnt über ein kniffliges Uhrwerk gebeugt, studierte ihn überrascht. "Hallo Großvater, ich bin wieder da." Absolvierte Kentarou die Formalitäten und wechselte in ihre Küche, um seine Einkäufe zu verstauen. Er setzte neues Wasser für Tee auf und atmete tief durch. Mit frisch aufgegossenem Tee machte er sich es am Kotatsu bequem. Der alte Mann hatte die großen Lupengläser nach oben geklappt, nippte wie sein Enkel am Tee und genoss das Aroma. "Ich habe Ärger." Kam Kentarou ohne Umschweife zum Kern. "Ich hatte eine Auseinandersetzung in der Schule. Wir haben uns geprügelt. Ein Lehrer hat sich eingemischt. Ich habe ihn nicht gesehen und niedergestreckt." Lediglich die ausgedünnten Augenbrauen verkündeten dem Betrachter, dass der alte Mann über diese Entwicklung überrascht war. Kentarou nahm einen weiteren Schluck Tee, ertränkte den galligen Kloß in seinem Hals. Ihm WAR Unrecht widerfahren, aber er war realistisch genug, um zu erkennen, dass er sich nicht wehren konnte. "Ich habe eine Woche lang Schulverbot und Hausarrest. Ein Lehrer und ein Vertreter des Nachbarschaftskomitees werden kontrollieren, dass ich das Haus nicht verlasse." Erklärte Kentarou die Strafe. "Wir müssen daher überlegen, ob ich heute noch etwas besorgen muss, damit wir auch alles haben, Großvater." Der alte Mann nippte an seinem Tee. "Hast du dich entschuldigt, Kentarou?" Fragte er nach einer langen Pause. Der verzog die Miene, nickte aber knapp. Auch wenn er hitzköpfig war, DUMM traf nicht auf ihn zu! "HmmHmm." Kommentierte der Großvater, erhob sich langsam. Das Thema war abgeschlossen. Auch Kentarou stand auf, stürzte hastig den Rest Tee herunter. Er musste unbedingt organisieren, dass neben der Zeitung auch noch das Nachbarschaftsblatt für die Woche geliefert wurde. Sein Großvater sollte auf gar keinen Fall unter dieser dämlichen Episode zu leiden haben!! ~+~ Als Hiroki nach Hause kam, erwartete ihn bereits eine Standpauke. Der Sportlehrer hatte es sich nicht nehmen lassen, seine Eltern über die Ereignisse des heutigen Tages ausführlich aufzuklären. Hiroki lauschte stumm. Ihn kümmerte es nicht, was seine Lehrer beklagten. Oder die Vorwürfe seiner Eltern. Er wusste genau, auch wenn er es gut versteckte, dass er mit der Kugel niemanden hatte verletzen können. Was er sich nicht hätte verzeihen können, war allein die Vorstellung, Kentarou im Stich zu lassen, seinem Freund nicht beizustehen. Während er auf sein Zimmer ging und blicklos auf das Bambus-Rollo starrte, berieten seine Eltern noch über seine Strafe. Doch womit sollten sie ihn bestrafen? Er sah kaum Fernsehen oder spielte am Computer. Er ging nicht aus. Seit dem Streit mit Kentarou verließ er auch sein Zimmer kaum noch. Hausarrest?? Lächerlich. »Ihnen muss wohl klar sein, was für eine erbärmliche Existenz ich eigentlich bin.« Hiroki lächelte traurig vor sich hin. Sein Leben kreiste um Kentarou, wurde von dessen Plänen gelenkt. Er hatte es nie anders haben wollen, fühlte sich nicht abhängig oder benachteiligt. Wer benötigte schon Hobbys oder eigentümliche Interessen? Kentarou WAR der Fokus all seiner Aufmerksamkeit, der erste und der letzte Gedanke an jedem Tag. Vielleicht war es eine krankhafte Besessenheit, aber hatte er Kentarou jemals geschadet? »Du meinst wohl abgesehen von der dämlichen Erpressung?« Plagte ihn sein Gewissen erneut. »Hör auf zu jammern!« Trieb ihn sein Trotz an. »Denk lieber darüber nach, wie du wieder mit Ken ins Gespräch kommst! Er braucht Hilfe. DU weißt, wie er ist, wenn man ihn in die Ecke treibt! Also, lass dir was einfallen!!« ~+~ Am nächsten Tag war Hiroki zum ersten Mal ganz allein in der Schule. Ohne Kentarou. Für die anderen war er somit praktisch unsichtbar, es gab keinen Grund, ihn zur Kenntnis zu nehmen, weil Kentarou nicht da war, um die Missachtung zu strafen. Obwohl er mit seiner Kugelstoß-Attacke und dem Fenstersprung auch unter Aufsicht stand, musste Hiroki keine Strafe fürchten. Er hatte sich entschuldigt, und man hatte offiziell entschieden, dass wohl die Aufregung des Tages zu gewissen 'Ungeschicklichkeiten' geführt hatte. Immerhin konnte er eine weiße Weste vorweisen, was seine Schulakte betraf. »Oder ich bin einfach zu unwichtig.« Hiroki tendierte zu dieser Erklärung. Ungeduldig wartete er den Schulschluss ab. Wenn es schon nicht möglich war, mit Kentarou wieder ins Gespräch zu kommen, so würde er es eben über dessen Großvater versuchen, indem er ganz einfach anbot, die Botengänge zu erledigen, die Kentarou in dieser Woche nicht erfüllen konnte! Hastig schaufelte er die Kopien, die er für Kentarou angefertigt hatte, in seine Schultasche und marschierte mit großen Schritten los. Schon aus der Ferne konnte er Kentarous wütende Stimme hören. Hiroki vergaß alle vornehme Zurückhaltung und nahm die Beine in die Hand. War es Kentarou etwa gelungen, bereits am ersten Tag seines Hausarrests erneut Ärger zu bekommen? Als er stolpernd vor seinem Elternhaus zum Stehen kam, noch vom Schwung mitgenommen, verstand Hiroki die Aufregung. Ausgerechnet den Erzfeind Matsushita hatte das Komitee dazu erkoren, vor dem alten Haus Wache zu schieben?! Kaum verwunderlich, dass Kentarou im Hauseingang stand, den Besen drohend erhoben hatte und Matsushita nicht ins Haus lassen wollte! Der verlangte in seiner Aufgabe als Komitee-Vertreter mit Kentarous Großvater zu sprechen. Rücksichtslos und frech drängte sich Hiroki einfach an Matsushita vorbei. "Hallo Ken, ich habe die Schulaufgaben dabei." Verkündete er betont munter mit seiner sonoren Stimme. "Lass uns das gleich erledigen, damit ich zum Abendessen pünktlich bin!" Obwohl Kentarous Katzenaugen bedrohlich funkelten, ließ der sich doch herab, auf die Scharade einzugehen, indem er hinter Hiroki lautstark die Tür ins Schloss schob und Matsushita einfach stehen ließ. "Hast du ja geschickt eingefädelt!" Schnaubte er Hiroki an, der gerade aus seinen Turnschuhen in Hauspantoffel schlüpfte. Der Hüne zog es vor, diesen Vorwurf zu überhören und zunächst Kentarous Großvater zur begrüßen. "Ah, Hiro! Habt ihr euch wieder vertragen? Sehr schön." Der alte Mann nickte und klopfte neben sich auf die Tatami. Artig nahm Hiroki also Platz, übermittelte Grüße seiner Eltern und bot gleich an, Kentarou zu vertreten, falls es etwas gab, dass der wegen des ungerechten Hausarrests nicht erledigen durfte. Kentarou hinter ihm, der gerade den Tee servierte, schnaubte hörbar ein weiteres Mal, schluckte aber mögliche Vorwürfe herunter. "Geht doch auf die Veranda mit dem Schulaufgaben." Schlug der Großvater vor. "Biete Hiro die Kekse an, ja, Ken? Die sind dir wirklich gut gelungen!" Knurrend und brummend verlegte Kentarou also den Kampfplatz auf die Veranda, schleuderte ärgerlich zwei Sitzkissen auf die Bohlen, bevor er mit dem Tee und den Keksen zu Hiroki trat, der bereits Platz genommen hatte. "Ich will deine Hilfe nicht!" Verkündete Kentarou mit demonstrativ vor der Brust verschränkten Armen. "Ich weiß." Hiroki seufzte leise. "Du wolltest meine Hilfe nie. Auch nicht, als wir noch Freunde waren." "Und?!" Fauchte Kentarou ungeduldig, weigerte sich, sich hinzusetzen. Hiroki probierte das selbst gefertigte Teegebäck. "Mhhmmmm!" Kommentierte er. "Es ist wirklich sehr lecker!" Dann jedoch sackten seine Schultern herab. Er wollte nicht einfach die Kopien aus der Tasche nehmen und gehen müssen. Er betrachtete den kleinen Garten, konzentrierte sich auf die Steinlaterne. Bald müsste man sie illuminieren, denn die Dämmerung brach bereits herein. "Ich habe dir oft gesagt, dass ich dich sehr mag." Begann er leise. "Dass ich dein Freund bin. Ganz egal, was passiert, ich bin dein Freund. Ich werde immer dein Freund sein." Hiroki seufzte leise, sprach wie zu sich selbst, die Hände ruhig auf den Oberschenkeln abgelegt. "Vielleicht hätte ich dir viel früher sagen sollen, dass ich dich liebe. Dass ich mein Leben mit dir verbringen möchte. Dass ich es ohne dich nicht aushalte." Eine leichte Brise wehte die ersten Blätter auf. Der Hüne beobachtete sie mit einem traurigen Lächeln. Bald war der Sommer nur noch eine Erinnerung, die Wärme verflogen. "Weil wir Freunde sind, habe ich gehofft, dass du mich auch magst. Auch wenn ich hässlich bin und ungeschlacht. Ich dachte, dass ich eine Chance habe." Er wischte sich mit einer Hand durch die schwarzen Haare. "Aber es gibt so viele andere, die dich genauso mögen. Du bist klug, selbständig und sehr attraktiv. Du weißt genau, was du willst. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis du dich verliebst. Und dann wäre alles aus." "Das ist Blödsinn!" Bemerkte Kentarou endlich rau. "Ja." Hiroki krächzte. "Das sagst du immer. Sind meine Gefühle wirklich so unbedeutend für dich?" Kentarou sprang vor ihn auf den großen, flachen Stein, tippte Hiroki vorwurfsvoll an die Stirn. "Wieso machst du dir so einen Kopf über solchen Quark?! Ich hab nicht vor, mich in irgendwen zu verlieben!" Hiroki sah auf, registrierte Kentarous verärgerte Haltung. »Er versteht es einfach nicht!« Das musste er erneut erkennen. "Ken, es geht nicht nur darum, was du tust." Erklärte Hiroki langsam. "Ich liebe dich. Und ich will dich für mich allein haben." "Du spinnst wohl komplett!" Kentarou echauffierte sich. "Wir verbringen die ganze Zeit zusammen! Wer, bitte schön, kommt dir da in die Quere, hä?! Und hör endlich mit dem Liebes-Kram auf, das macht mich ganz wuschig!" Gemächlich, beinahe in Zeitlupe, schraubte sich Hiroki in die Höhe. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie groß der Unterschied zwischen ihnen war, auch ohne die erhöhte Veranda. "Du hörst mir nicht zu, Ken." Formulierte er bedächtig, lediglich mit mildem Vorwurf. "Ich liebe dich, VERSTEHST du, was ich damit meine?" "Du guckst dir zu viele schmalzige Seifenopern an, DAS verstehe ich!" Gab Kentarou beleidigt zurück. "Wegen so einem Mist schickst du mir widerliche Aufforderungen?! Tickst du nicht richtig, oder was?!" Hiroki beugte sich vor, um den Größenunterschied zu reduzieren. Leise, aber bestimmt antwortete er in tiefen Basstönen. "Du verstehst gar nichts, Ken. Vielleicht bist du wirklich noch zu jung. Also erkläre ich es dir: ich liebe dich. Ich will mit dir schlafen. Ich will alles über dich wissen. Ich will mein Leben mit dir verbringen. Und ja, ich will sehen, wie du dich selbst befriedigst. Denn es ist vollkommen NORMAL, wenn man mit dem Geliebten intim werden will." Zum ersten Mal erlebte er Kentarou nach diesen Ausführungen sprachlos. Zweifellos war es kein sonderlich romantisches Liebesgeständnis, aber nun konnte Hiroki wenigstens mit Bestimmtheit sagen, dass er Kentarou vermittelt hatte, wie er für ihn empfand. Kentarou starrte ihn an, ohne jede Regung. Dann wandte er abrupt den Kopf weg. "Fein." Wisperte er heiser. "ICH will, dass du jetzt SOFORT gehst. Wie du ja weißt, bin ich höchstwahrscheinlich absolut NICHT NORMAL, also verkneif dir deine perversen Anwandlungen in meiner Gegenwart. Such dir andere Freunde, die deine Interessen teilen!" Damit kletterte Kentarou auf die Veranda und stürmte ins Haus. Hiroki ließ langsam den Kopf hängen. Sollte er sich Vorwürfe machen, weil er endlich ausgesprochen hatte, was ihn seit Jahren quälte? »Ich war nur aufrichtig.« Verteidigte er sich selbst stumm. Aber trotzdem schmerzte es ihn sehr, wie gefühllos und angewidert sein Freund ihn abgekanzelt hatte. Langsam sammelte er seine Schultasche ein, stapelte die Kissen aufeinander und sortierte das Teegeschirr, damit es keinen Schaden nahm. Dann verließ er langsam das Grundstück. ~+~ Hiroki spülte sich den Staub des Tages ab, hoffte, in der heißen Badewanne anschließend ein wenig Entspannung zu finden. Auch wenn die Erkenntnis niederschmetternd war: trotz ihres heftigen Streits hatten sich seine Gefühle nicht einen Iota geändert. "Aber ich habe das Problem unterschätzt." Brummte er seufzend. Konnte es wirklich sein, dass Kentarou einfach nicht BEGRIFF, wie man liebte? Zwar begrüßte Hiroki durchaus die Tatsache, dass sich sein Freund noch nie verliebt hatte, aber nun sah er die Angelegenheit in anderem Licht. Vielleicht hatte er Kentarou einfach zu früh mit seinen Gefühlen überfahren. In Wahrheit war der ja gar nicht gleichaltrig! Er wusste auch nichts von der Zeit vor ihrer ersten Begegnung. Hieß es nicht, dass die ersten drei Jahre für die emotionale Bindung eines Kindes besonders wichtig waren? Was mochte Kentarou erlebt haben? Gab es möglicherweise einen Grund dafür, warum er sich so verhielt? Hiroki kletterte aus der Wanne und trocknete sich ab. Da gab es eine Äußerung von Kentarou, die ihn stutzig machte, hellhörig werden ließ. Hielt der sich etwa selbst für 'absolut nicht normal'? Spürte Kentarou vielleicht doch, dass er anders als die anderen war? Mit einem leisen Seufzer ließ sich Hiroki auf sein Bett sinken. Er konnte sich nicht vorstellen, dass andere Jungs seines Alters nicht häufig an Sex dachten. Das war normal, natürlich, selbstverständlich. Wenn man nicht die Hemmungen in Alkohol ertränkte, dann hoffte man doch, einen Partner zu finden, den man liebte, bevor es zu ersten gemeinsamen Beischlafversuchen ging, oder? Hiroki starrte an seine Zimmerdecke. Er war überzeugt, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Doch wie konnte er Kentarou davon überzeugen? Was war notwendig, um dessen Gefühle aufzuwecken? ~+~ Kentarou schüttete sich zornig Wasser über den Kopf, um den Seifenschaum abzuspülen. Hirokis Worte beschäftigten ihn, und GERADE DAS machte ihn fuchsteufelswild! Dieser ganze Quatsch von Liebe und Sex!! Was wollte der damit bezwecken?! Sie waren jahrelang Freunde gewesen, wie zur Hölle kam der nüchterne, schweigsame Hiroki auf derart widerliche Ideen?! "Und was soll das heißen 'vielleicht bist du noch zu jung'?! Ich war NIE zu jung für irgendwas!" Schimpfte Kentarou wütend vor sich hin. Selbst wenn er nicht ganz 'normal' war, bedeutete das noch längst nicht, dass er ein Problem hatte! Die ANDEREN hatten ein Problem, weil sie ständig meinten, ihre beschränkte Weltsicht jedem aufdrängen zu müssen!! Kentarou schlüpfte in einen einfachen Pyjama und überzeugte sich, dass sein Großvater bereits bequem ruhte. Der Zustand des alten Mannes bereitete ihm zunehmend Sorgen. "Hier." Er stellte eine kleine Glocke neben dem Futon auf die Tatami. "Läute, wenn etwas ist, ja? Nur zu meiner Beruhigung." Ergänzte er streng, um nicht etwa den Stolz seines Großvaters zu verletzen. »Immerhin kommen wir beide prima alleine klar!« Schnaubte er stumm, als er behände die Leiter zum Dachgeschoss hochkletterte und seinen Futon ausrollte. Fakt war doch, dass Hiroki ihn verraten hatte. Wegen einer blödsinnigen Idee riskierte der ihre langjährige Freundschaft und kam ihm dann auch noch frech mit 'zu jung'!! Das erboste Kentarou wirklich. Streng genommen, wenn man sich bloß an nackten Zahlen festklammerte, WAR er mehr als ein Jahr jünger. Gut, es waren beinahe zwei Jahre. Aber welche Rolle spielte das denn?! Hatte er nicht in der Schule dieselben Leistungen erbracht?! Absolvierte er denn nicht seinen Teil wie alle anderen?! "Ich wusste, dass es mir irgendeiner mal zum Vorwurf machen würde!" Bemerkte Kentarou bitter. Er starrte auf den Bambus-Rollo. "Hätte nur nicht erwartet, dass ausgerechnet DU das bist. Mein so genannter Freund!" Er legte sich auf den Futon, zog die Beine vor die Brust und rollte sich ein, aber Schlaf wollte sich nicht einstellen. Kentarou versicherte sich selbst, dass er nach seinen eigenen Maßstäben vollkommen 'normal' war. Sogar nüchterner und pragmatischer als zahlreiche seiner Mitschüler. Wenn das ein Fehler war, ein Manko, dann, BITTE SCHÖN!! Er konnte es nicht ändern. "Und ich WILL es auch überhaupt nicht!" Wütend streckte er die Zunge Richtung Fenster raus. ~+~ Hiroki starrte aus dem Fenster, erledigte eher geistesabwesend die Aufgaben, die man ihnen auftrug. Der zweite Tag ohne Kentarou, eine neue Zeitrechnung. Und, wie man überall hörte, wurden einzelne Schüler von den Polizisten zu Verhören einbestellt! In der Schule! Einfach aus den Klassenzimmern gerufen und befragt!! Diese Praxis schien allerdings nur die beiden oberen Klassen zu betreffen. Hiroki ließ das kalt. Er hatte sich eine Menge vorzuwerfen, was das 'Kentarou-Management' betraf, aber nichts, was einen Polizisten interessieren konnte. Ihn beschäftigte noch immer Kentarous Feststellung. Konnte sein Freund davon überzeugt sein, dass die nahe Verwandtschaft seiner Eltern ihn nicht 'normal' werden ließ? Zugegeben, Kentarou war recht kratzbürstig und sehr unabhängig, mochte es nicht, angefasst zu werden und beharrte immer auf seinem eigenen Willen. Wenn er nicht den charmanten 'Fuchsgeist' gab, erinnerte er eher an einen wilden Streuner, der sich nicht zähmen ließ. Hiroki krakelte Lösungen zu den Aufgaben, während seine Gedanken abschweiften, erneut das Schriftstück vor seinem inneren Auge ausbreiteten, das seine gesamte Weltsicht verändert hatte. Laut Familienregister war sein bester Freund Kentarou das Kind von Michiko und ihrem Ehemann Tomasu. Und Michiko war die Tochter des alten Miwa, der nach dem Unfalltod von Tochter und Schwiegersohn den Enkel adoptiert hatte und bei sich aufgenommen. Der Brief eines kleinen Bezirkskrankenhauses, das man vor Jahren geschlossen hatte, weil es nicht mehr rentabel war, bewies etwas ganz anderes. Darin wurde nicht etwa Michiko als Mutter bezeichnet, sondern deren einziges Kind, Tochter Miharu. Somit war der Großvater Kentarous Urgroßvater. Und Michiko nicht seine Mutter, sondern seine Großmutter. Allerdings geschah das beinahe zwei Jahre NACH dem Unfalltod des Ehepaars. Warum aber hatte der Großvater im Familienregister seine Tochter und ihren Ehemann als Eltern von Kentarou ausgegeben? Und warum den Jungen zwei Jahre älter gemacht, als der tatsächlich war? Hiroki hatte die Angelegenheit gründlich überdacht und die intimen Kenntnisse, die er durch die jahrelange Freundschaft mit seinen Nachbarn hatte, in Betracht gezogen. Es hieß, dass Miharu nach dem Tod ihrer Mutter depressiv geworden war. Nicht verwunderlich für ein 14-jähriges Mädchen, das plötzlich ganz allein auf der Welt stand. Auch Hajime, den um Jahre jüngeren Bruder von Michiko, hatte der Verlust schwer getroffen. Es hieß, die beiden hätten allein im Haus des Ehepaars zusammengelebt, bis der jüngere Bruder recht überraschend eine Stelle im Ausland angetreten habe, gleich nach dem Abschluss seines Studiums. Miharu, die ihre Depressionen nicht mehr verlor, lebte nun seit Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung. Kentarou hatte einmal entschlüpfen lassen, dass seine 'ältere Schwester' die Realität nicht verstand und es ihrem Zustand nur schade, wenn man sie damit konfrontiere. Also gab es einen bedeutenden Grund, warum sich Kentarou immer als Einzelkind verstand und weder Onkel, noch 'Schwester' erwähnte. Was die bösen Klatschmäuler nicht wussten, war, dass sich Onkel und Nichte in ihrer Trauer gegenseitigen Trost gespendet hatten. Waren es die Anti-Depressiva gewesen oder bloße Unachtsamkeit? In jedem Fall hatte die damals knapp 15-jährige Miharu Kentarou auf die Welt gebracht. Um den möglichen Skandal zu vertuschen, hatte der Großvater einfach Kentarou als knapp zwei Jahre älter ausgegeben, damit er ihn als Kind seiner eigenen Tochter Michiko aufziehen konnte. Wer hätte in der Ferne schon das Gegenteil behaupten können? Doch zunächst war Kentarou irgendwo anders untergebracht worden, zu klein, um die Täuschung glaubhaft zu machen. Wer hatte sich um ihn gekümmert? War Miharu überhaupt in der Lage gewesen, einen Säugling zu versorgen? Oder hatte der Onkel/Vater, Hajime, diese Aufgabe so lange übernommen, bis er ins Ausland gehen konnte? Hiroki registrierte automatisch, dass eine weitere Stunde endete. Er glaubte nicht, dass die Beziehung Nichte/Onkel für Kentarou schädlich gewesen war. Aber es konnte sein, dass die Zeit, die der bis zu seinem Umzug hierher verbrachte, ihn geprägt hatte. War Kentarou einsam gewesen? Hatte ihn jemand getröstet, in den Arm genommen? Oder gründete seine Abneigung gegen körperlichen Kontakt, sein Unverständnis für 'normale' Bedürfnisse nach zwischenmenschlicher Interaktion darauf, dass es niemanden gab, der sie ihm vermittelt hatte? »Mit ein bisschen Glück ist er bloß ein Spätzünder.« Redete sich Hiroki selbst gut zu. Vielleicht war Kentarou tatsächlich so stark, dass er auf emotionaler Ebene keinen anderen Menschen benötigte. Aber es gab genug Dinge, die man sich gönnte, ohne dass man ihrer bedurfte!! »Davon muss ich ihn nur noch überzeugen!« Schöpfte Hiroki Hoffnung. Nur, wie er das anstellen sollte, das wusste er noch nicht. ~+~ Kapitel 16 - Ermittlungen und Erkenntnisse Hiroki klopfte an die Schiebetür, um sich bemerkbar zu machen. Er konterte Kentarous zornigen Blick mit einem höflichen Lächeln und rief an ihm vorbei ins Haus nach dem Großvater. Er habe sich die Freiheit erlaubt, ihm die Lotteriescheine mitzubringen! Wohl oder übel, vor allem aber arktisch unterkühlt musste Kentarou Hiroki nun doch ins Haus einlassen. Der alte Mann bemerkte natürlich die Spannung zwischen den Freunden und vermutete folgerichtig, dass der Streit noch längst nicht beigelegt worden war. Er bat Hiroki also zum Tee hinein und sortierte die Lotteriescheine, während der die Kopien des heutigen Tags aus seiner Schultasche für Kentarou ablegte. "Wie ich sehe, habt ihr noch immer euren Streit nicht bereinigt." Bemerkte der alte Mann schließlich, nippte an seinem Tee und nahm das Teegebäck, das Kentarou abgestellt hatte. Er wusste seinen verärgerten Enkel auf der Veranda, wo die Wäsche mit mehr Elan als notwendig aufgehängt wurde. Der Hüne wandte sich um, achtete darauf, den Kotatsu nicht versehentlich anzustoßen. "Leider nein." Gab er höflich zurück. "Es ist schon bemerkenswert." Die erstaunlich klaren Augen des alten Mannes nahmen Hiroki ins Visier. "Lange Jahre hat Kentarou keinen Ärger in der Schule, und kaum hadert ihr miteinander, schon fällt er unangenehm auf." Bereitwillig schluckte Hiroki den Köder, denn er wollte auch an verborgenen Wahrheiten rühren. "Die Strafe trifft Ken ungerecht." Antwortete er ernsthaft. "Er ist provoziert worden." "Und du warst nicht zur Stelle, um ihn daran zu hindern, aus der Haut zu fahren." Kentarous Großvater nippte erneut an seinem Tee. "Nein." Hiroki spürte, wie seine Schultern herabsackten. "Ich habe es nicht rechtzeitig geschafft." "Ich weiß, dass mein Enkel kein schlechter Mensch ist. Aber ich bin dankbar, dass du als sein Freund über ihn wachst. Ken hat einen starken Willen, aber nicht immer das richtige Gespür, wann er sich zurücknehmen sollte." Der Großvater knabberte versonnen einen Keks. Hiroki schmunzelte unwillkürlich, nahm seinerseits einen Schluck Tee. "Ich glaube, er ist noch zu jung, um so besonnen zu sein." Eröffnete er das 'Spiel'. Mutig blickte er dem alten Mann in die klaren Augen. "Wo war er, bis Sie ihn hierher geholt haben?" Eine lange Zeit studierten sie einander, tranken Tee und knabberten das Gebäck. "Ich verstehe." Endlich ergriff der Großvater erneut das Wort. "Aber ich nehme nicht an, dass Ken dir selbst etwas erzählt hat." "Nein." Hiroki gab nicht klein bei. "Ich habe beim Aufräumen vor kurzem den Brief des Krankenhauses gefunden." "Hmmm-hmmm." Brummte sein Gegenüber, wandte sich halb ab und sah auf den kleinen Garten hinaus. Dort rückte Kentarou gerade mit wütenden Gesten dem schüchternen Unkraut zu Leibe. "Ich nehme an, die Vergangenheit ist wichtig geworden." Plötzlich klang seine Stimme brüchig und erschöpft. "Ich kenne dich lange genug, Hiro, um dir zu vertrauen. Um Kens Willen möchte ich nicht, dass diese Dinge bekannt werden." Der Hüne folgte dem Blick und betrachtete seinen Freund. In der Spätsommersonne glühten rote Funken auf dessen Schopf. "Ich werde nichts preisgeben." Versprach er gelassen. "Ich bin sein Freund." "Hmmm..." Nun beobachteten sie beide, wie Kentarou durch den kleinen Garten wirbelte. Er hatte in der Tat etwas von einem Fuchsgeist, eine wilde Eleganz und Geschmeidigkeit, die jeden Betrachter in den Bann schlug. "Ich habe damals meine Michiko und ihren Mann verloren." Der alte Mann flüsterte so traurig, dass es Hiroki das Herz in der Brust zusammenzog. "Für meinen Hajime war das ein furchtbarer Schlag. Sie war für ihn aufgrund des Altersunterschieds eher eine Ersatzmutter als eine große Schwester." Hiroki langte über den Kotatsu, um Tee nachzuschenken. Nachdenklich tupfte sich der Großvater über die Augen, folgte Kentarous Bewegungen im Garten. "Und die arme, kleine Miharu. Sie verlor darüber den Verstand." Der Hüne studierte ebenfalls seinen Freund und fragte sich, ob es Ähnlichkeiten zwischen ihm und seiner leiblichen Mutter gab. Es schien ihm unmöglich. "Man konnte ihnen keinen Vorwurf machen." Der alte Mann trank einige Schlucke und hatte Mühe, den Teebecher in den beiden zitternden Händen zu halten. "Sie waren so unglücklich, und ich konnte nicht bei ihnen bleiben. Als ich dann davon erfuhr, war es bereits viel zu spät." Die gebeugten Schultern und der krumme Rücken strafften sich. "Das Kind abzutreiben, das hätte Miharu zerstört. Aber sie durfte die Medikamente nicht mehr einnehmen." Er holte tief Luft. "Deshalb verschlimmerte sich ihr Zustand nach der Geburt. Mein Sohn konnte doch keinen Säugling betreuen, während er seinen Abschluss machte." Hiroki spürte, wie ihn ein kritischer Blick von Kentarou traf. Der war viel zu stolz, um sie zu belauschen, kontrollierte aber misstrauisch, dass Hiroki seinem Großvater nicht zu viel abverlangte. "Seltsam." Er hörte das Lächeln in der brüchigen Stimme. "Wie ich ihn zum ersten Mal sah, da konnte ich gar nicht glauben, dass er zur Familie gehört. So ein eigenwilliges, unabhängiges Kind! Und diese roten Strähnen!" "Ich finde seine Haarfarbe sehr schön!" Bemerkte Hiroki verteidigend. "Ja, nicht wahr?" Der alte Mann nickte beifällig. "Schon damals war er ein wunderschönes Kind. Ich habe ihn besucht, so oft ich konnte. Damals, in dem Pflegeheim." Versonnen drehte der Großvater den Teebecher behutsam in den verformten Händen. "Alle waren über seine Fortschritte überrascht. Wie rasch er laufen lernte. Wie flüssig er sprechen konnte. Dass er sich so anstrengte, auf keine Hilfe angewiesen zu sein." Er richtete sich auf, wandte sich Hiroki zu. "Damals beschloss ich, dass mein Urenkel nicht unter der Tragödie unserer Familie leiden soll. Weil er so pfiffig und anstellig war, habe ich ihn einfach für älter erklärt und als meinen Enkel ausgegeben. Er ist ein GUTER Junge." Hiroki hielt dem strengen Blick stand. "Ich weiß." Antwortete er nach einem Augenblick ruhig. "'Aber', willst du mir wohl sagen",'er hat keine Mutter gehabt, und nun fehlt es ihm an Einfühlungsvermögen'." Kentarous Großvater funkelte herausfordernd. Der Hüne ersparte sich eine Antwort. Der alte Mann wusste also darüber Bescheid, dass Kentarou nicht in allen Dingen so erwachsen war, wie es den Anschein hatte. "Willst du ihm dabei helfen, seine Herzensbildung zu verbessern?" Beinahe klang es spöttisch. Hiroki lächelte. "Ich bin sein Freund." Antwortete er schlicht. Nichts würde daran etwas ändern. ~+~ "Danke für die Kopien, und nun zisch ab!" Kentarou baute sich vor Hiroki auf, der seinem Gastgeber höflich aufgeholfen hatte. Hiroki studierte den finsteren Gesichtsausdruck, die in der Hüfte geballten Fäuste. "Ken, kannst du dich noch an die Zeit erinnern, bevor du hierher kamst?" Perplex runzelten sich die Augenbrauen über den Katzenaugen. "NEIN!" Fauchte Kentarou eilig. "Überhaupt, was geht dich das an?! Hast du meinen Großvater etwa mit diesem Mist belästigt?!" "Ich will verstehen, warum du glaubst, dass du 'absolut nicht normal' bist!" Hiroki schoss ebenso scharf zurück. "Das ist allein meine Sache und geht dich gar nichts an!" Kentarou funkelte zornig, warf an Hiroki vorbei aber einen besorgten Blick auf seinen Großvater, der sich in der Küche aufhielt. "Ich bin dein Freund." Hiroki raunte sonor die Silben in das aufgebrachte Gesicht. "Ich liebe dich und deshalb werde ich alle deine Angelegenheiten auch zu meinen eigenen machen. Ich gebe nicht auf. Gewöhne dich also besser daran." Damit wandte er sich um, durchquerte seelenruhig das Haus, um sich am Eingang die Turnschuhe überzustreifen und seine Schultasche lässig über eine Schulter zu schwingen. Vor der Tür patrouillierte Matsushita. Hiroki ignorierte ihn betont und betrat das Grundstück seiner Eltern. Beinahe überraschte es ihn, dass er keinen wütenden Fluch von Kentarou geerntet hatte. ~+~ "Ein Begräbnis wäre günstiger." Motoki sprach laut, wollte seine eigene Stimme hören. Sie blieb jedoch ein unverständliches Krächzen, zusätzlich gedämpft durch die Sauerstoffmaske. Vor etwa einer halben Stunde war er nach eigenem Gefühl mit klarem Bewusstsein erwacht, in einem fremden Raum, nur unwesentlich beleuchtet. Die digitale Anzeige an der gegenüberliegenden Wand erklärte ihm, dass es gerade kurz nach drei Uhr in der Früh war. Allerdings waren statt der gefühlten fünf Minuten Ohnmacht fast drei Tage vergangen! Vorsichtig bemühte sich Motoki, die Arme von der Bettdecke zu heben, die man sorgsam wie bei einem kleinen Kind festgestopft hatte. Sie rührten sich kaum, lagen wie dünne, hässliche Stöcke auf dem weißen Stoff. Ein übernächtigter, angestrengt munter auftretender Arzt hatte ihm kurz nach dem Aufwachen erklärt, wieso er sich hier, im Krankenhaus des Schulbezirks, befand. Da war einmal die hässliche Platzwunde an der rechten Schädelseite, die man mit sieben Stichen genäht hatte. Keine große Sache, wie der Arzt abschätzig winkend bemerkt hatte, aber eben sehr fotogen. Dieser Hinweis speicherte sich in Motokis Gehirn, der langsam ernsthaft zu schaudern begann. Andererseits verblüffte es ihn schon, dass der Arzt durchaus mitfühlend mit ihm sprach, nicht etwa verächtlich und angewidert. Zum Zweiten, nun wurden die Finger bemüht, hatte Motoki außerdem noch einen Kreislaufkollaps erlitten, weil er mangelernährt und unterzuckert war sowie offenkundig in erheblichen Maße Medikamentenmissbrauch betrieben hatte, unterzog er seinen Körper doch einem Belastungstest, der schon suizidal anmutete! Dazu war dann auch noch das Problem mit dem Magengeschwür gekommen. Aber dank modernster Technik blieb bloß eine kleine Narbe als Erinnerung, wo sie mit der Schlüssellochtechnik präzise das blutende, wuchernde Gewebe entfernt hatten. Schließlich konnten Magengeschwüre auch zu Krebserkrankungen führen! Ach ja, zum krönenden Abschluss, weshalb er auch die Sauerstoffmaske trug und mit einer Art heilendem Dampf versorgt wurde: er hatte sich nicht nur die Speiseröhre verätzt, sondern bis zum Eintreffen des Notarztes auch noch ätzende Galle eingeatmet, an der er beinahe erstickt wäre! Soviel also zu den Schläuchen, Membranen, Kabeln und Sensoren, die Motoki in einen Androiden verwandelten. "Halb so schlimm." Wiederholte Motoki die Worte des Arztes, der ihn aufgefordert hatte, noch eine Weile ruhig im Bett zu bleiben. Er hörte sie selbst nicht, vor allem aber glaubte er ihnen nicht einen Moment. Nicht etwa, dass er sich nicht erstaunlich gut fühlte, was auf die Schmerzmittel zurückzuführen war, nein, ihn drückte die Zukunft. Quasi jeder Moment von nun an, da er aufgewacht war. Krankenhausaufenthalte waren sehr kostspielig. Er hatte keine großen Ersparnisse, da er in den Sommerferien mit dem Großvater aufs Land gefahren und dort für Kost und Logis gearbeitet hatte. Sollte er nun auch noch seine Familie an den Rand des Ruins bringen?! Zusätzlich zu der Schande?! NATÜRLICH hatte er an jenem Abend, als er die ungeheuerliche Entdeckung über die Natur des 'Gentlemen's Club' gemacht hatte, gewusst, dass mit einer Entdeckung seine Zukunft verloren war. Keine Universität würde einen wie ihn aufnehmen. Und eine Arbeit zu finden bei dem Skandal? Unmöglich. Aber nicht er allein musste die Zeche zahlen, nein, auch seine gesamte Familie würde leiden. Wäre es da nicht wirklich einfacher gewesen, er wäre an seinem eigenen Blut erstickt? Motoki wandte den Kopf zu Seite, nur ein wenig, denn Maske und der Verband behinderten ihn. Auf dem Boden standen Papiertüten. Er konnte die Umrisse eines verpackten Pyjama ausmachen. »Neu.« Dachte er und blinzelte gegen die Tränen an. »Damit man sich nicht schämen muss, auch wenn das Geld sehr knapp bemessen ist.« Zusammengefaltet eine bunte Decke, seine Decke, vom Futon zu Hause. Ein Talisman vom Tempel, um Genesung zu erbitten. Sie waren also gekommen, hatten ihn trotz allem nicht einfach aufgegeben und sich abgewandt. Motoki begann zu weinen, ein ersticktes, jämmerliches Schluchzen. Nicht mal die Augen konnte er sich wischen. Warum hatte dieses grausame Schicksal ihn und seine Familie getroffen?! ~+~ Seiji funkelte die beiden Beamten an. Sie gaben sich nett und verständnisvoll, aber er spürte genau, dass sie Antworten benötigten, und zwar schnell. "Nein." Wiederholte er knapp. "Niemand hat mich erpresst. Ich weiß auch nichts von diesem Intranet-Club. Darf ich jetzt bitte gehen?!" "Einen Moment noch!" Der jüngere der beiden Polizisten zwinkerte ihn vertraulich zu. "Wir haben gehört, dass du nach den Sommerferien ganz verändert zurück in die Schule gekommen bist." Seiji schwieg trotzig. Wenn sie Antworten wollten, sollten sie erst mal die Fragen stellen!! Seine Blockadehaltung schien auch den Beamten zu missfallen. "Ist es nicht so, dass du eine riesige Brille getragen hast? Strubbelige Haare, eine schlechte Haut? Dass du ein bebrillter Vollidiot warst?" "So habe ich mich nicht gesehen." Gab Seiji spitz zurück. DAS war ja das Image für die Augen der anderen! "Wir haben Bilder von dir." Nun mischte sich der Ältere ein. "Also, was hast du gemacht, um dein Aussehen zu verändern?" Beine baumelnd verdrehte Seiji die Augen und wusste, dass er in Gefahr stand, wegen Frechheit eine Ohrfeige zu bekommen. "Ich war beim Friseur, die Brille war nicht gut für meine Augen wegen der vielen Computerarbeit in der Schule, und ich habe meine Ernährung umgestellt." Leierte er einen vollen Satz Lügen herunter. DAS konnten sie wohl nicht widerlegen. "So. Und warum der Gesinnungswandel?" Seiji zappelte betont unruhig auf seinem Stuhl. "Ich habe eben mal was Neues ausprobiert. Darf ich jetzt BITTE gehen?" "Gleich." Der Ältere blätterte in irgendwelchen Papieren. "Willst du etwa auch behaupten, dass du nicht weißt, dass Nagaki, mit dem du ständig herumziehst, wegen sexuellen Übergriffen angezeigt worden ist?" Seiji erstarrte, bekam für einen Augenblick keine Luft mehr. »Das ist ein Trick.« Beruhigte er sich eilig. »Die wollen mich bloß aufs Glatteis führen, weil sie überhaupt keine Beweise haben für irgendetwas!« "Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Und jetzt möchte ich BITTE gehen!" "Wissen deine Eltern, dass du mit diesem Nagaki befreundet bist?" Der Ältere ignorierte Seijis Aufforderung. "Ja, das tun sie!" Fauchte Seiji, bevor er an sich halten konnte. "Rufen Sie sie doch an! Dann können Sie auch gleich sagen, dass Sie mich hier ohne Grund festhalten! Ohne einen Erziehungsberechtigten!" Der Jüngere schnellte vor Seiji hoch, doch der zuckte nicht zurück, war viel zu aufgebracht. »Schlag mich doch, dann gehe ich gleich zum Fernsehen!« Funkelte er wütend in die Augen des Polizisten. Eine Minute später war er entlassen und stand auf dem Flur. ~+~ "Willst du bestreiten, dass du diesen Nishikawa erpresst hast?" Tomohiko starrte konzentriert auf die Tischplatte vor sich, ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Aufregung half ihm gar nicht. "Ich habe Nishikawa nicht erpresst. Wir sind Freunde." Antwortete er in gleichmütigem Ton. "Ach ja? Wie erklärst du dir dann seine Veränderung nach den Sommerferien?! Die anderen haben ihn nicht wiedererkannt! Es gibt Zeugen dafür, dass du ihn erpresst hast!" Tomohiko schwieg. Er war davon überzeugt, dass es KEINE Zeugen gab, dass man ihn mit Gebrüll und falschen Aussagen einschüchtern wollte. "Was ist?! Hast du deine Zunge verschluckt? DU hast diesen Nishikawa erpresst! Das hat er uns selbst gesagt! Hier ist seine Aussage!" Eine Mappe schlug lautstark vor Tomohiko auf den Tisch. "Du hast auch von dem 'Gentlemen's Club' gewusst! Es stimmt doch auch, dass du deine Mitschüler bedroht hast, sich von Nishikawa fernzuhalten!" Tomohiko schwieg einfach. Er hatte keine Ahnung, was genau dieser 'Gentlemen's Club' war, deshalb konnte diese Behauptung nur eine Lüge sein. "Was hast du mit Nishikawa gemacht? Hast du ihn auch vergewaltigt? Wie damals, hm? Die Kleine, die du damals rangenommen hast?" »Immer ruhig bleiben.« Tomohiko spürte den Schweiß auf seinen Handflächen. "Nun mach endlich das Maul auf!" Eine Ohrfeige schleuderte Tomohiko vom Stuhl. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Tomohiko erhob sich, setzte sich wieder auf den Stuhl, blickte nicht auf. Er hatte nicht vor, sich zu irgendeinem dieser Vorwürfe zu äußern. Ewig konnten sie ihn auch nicht festhalten, immerhin war schon der Schulschluss überschritten. "Du hältst dich wohl für schlau, was? Du denkst, du kommst wie damals davon, richtig? Aber wir haben Beweise, Nagaki! Du wanderst ins Gefängnis!" Bevor die angespannte Stille durch einen weiteren Vorwurf unterbrochen wurde, öffnete jemand die Tür. Tomohiko blieb reglos, rechnete mit einem dritten Beamten, der den Druck erhöhen sollte, doch Arme flogen um seinen Hals, er wurde an einen warmen Körper gedrückt. "Sie haben ihn geschlagen!" Hörte er Seiji anklagend ausrufen. "Seine Wange ist ganz rot!" "Tomohiko, steh auf. Wir gehen jetzt." War das wirklich sein Vater? Hatte Seiji seine Eltern alarmiert? "Wir sind noch nicht fertig!" Der Jüngere baute sich auf, doch Tomohikos Vater ließ sich nicht einschüchtern. "Wir kennen unsere Rechte. Sie wollen doch sicher nicht, dass ich Sie wegen gemeinschaftlicher Misshandlung eines Minderjährigen im Dienst anzeige, oder?" Tomohiko kam mit Seijis Hilfe auf die Beine, spürte dessen Arme, die sich um seine Taille gewickelt hatten. Seiji führte ihn nach draußen, wo Tomohikos Mutter wartete, bereit, sich auf das geringste Zeichen hin für ihren Sohn in die Bresche zu werfen. "Es ist alles in Ordnung." Versicherte Tomohiko, grinste schief. "Tut mir leid, dass ihr extra kommen musstest." Seine rechte Hand wurde fest in der Hand seiner Mutter gehalten, Seiji hing an seiner Linken. Hinter ihm ging sein Vater, empörte sich. "Wie kann die Schulleitung so etwas zulassen? Ein Skandal ist das!" Tomohiko warf einen Seitenblick auf Seiji. Was hatten sie ihm erzählt? Sicher hatten sie Seiji auch vernommen! Aber er konnte nicht fragen, nicht gerade jetzt, wo seine Eltern in der Nähe waren. Vor dem Schulgebäude lauerte noch ein vereinsamtes Team eines lokalen Fernsehsenders, doch Tomohikos Vater signalisierte, dass sie weder gefilmt werden wollten, noch eine Interview-Frage beantworten würden. Er zückte sein Mobiltelefon, um ein Taxi für vier Personen zu bestellen. "Diese Ungeheuer!" Tomohikos Mutter begutachtete die entflammte Wange. "Ich sollte den Vorgesetzten von diesen beiden Kerlen mal besuchen! Eine Unverschämtheit ist das! Sich an Kindern zu vergreifen!" Tomohiko drückte Seijis Hand, um ihm zu versichern, dass er in Ordnung war. Er hatte das Gefühl, dass Seijis Augen in seinen eigenen nach Antworten suchten. »Ich werde alles erklären. Später. Hab ein wenig Geduld.« Sandte er in Gedanken aus. Zuerst wurde Seiji abgesetzt, in der Nähe seiner Pension. Er verabschiedete sich beklommen, wollte Tomohiko nicht gern loslassen. Zu Hause dann, vor Nudelsuppe mit Hühnchenfleisch und Gemüseeinlage, musste Tomohiko seinen Eltern exakt wiedergeben, was an diesem Tag geschehen war und wie die Beamten ihm zugesetzt hatten. Erschöpft, aber dankbar für die Unterstützung seiner Eltern kroch Tomohiko endlich in sein Bett. Er war sich sicher, dass er nichts Verwerfliches getan hatte. Nun, man konnte natürlich spitzfindig bemängeln, dass er einige allzu aufdringliche Mitschüler gewarnt hatte, Seiji anzugehen, aber das war keine Erpressung. Lediglich eine Aussicht darauf, was ihnen blühte, wenn sie es wagten, Hand an Seiji zu legen. ~+~ "Tanaka, Satoru, sofort ins Sekretariat." Die Lautsprecherdurchsage dröhnte in Satorus Kopf. Er hielt inne, blickte bleich zum winzigen Ausgang der Anlage hoch. Wie sengende Strahlen trafen ihn die Blicke seiner Mitschüler. Hastig senkte er den Kopf wieder, packte eilig seine Schultasche und schlängelte sich durch die Reihen nach vorne, um auf den Gang zu treten. Seit dem verhängnisvollen Zusammenbruch des Schülerpräsidenten hatte er ängstlich auf die Gerüchte gelauscht, fassungslos deren Auswüchse verdaut. Nun also, beinahe eine Woche später, schwankend zwischen Hoffnung und Verdammnis, war der Nullpunkt erreicht. Blass und stumm meldete er sich im Sekretariat, wo ihn zwei Polizeibeamte erwarteten. Sie flankierten ihn, beide kräftig gebaut und einen Kopf größer, ohne Worte zu verlieren. »Jetzt ist alles aus.« Diese Feststellung brachte wieder Ruhe in das Chaos in seinem Kopf. Es konnte nicht mehr schlimmer kommen. Die Beamten forderten ihn auf, sich in einem leeren Raum niederzulassen und dort auf sie zu warten. Satoru starrte aus dem Fenster, fragte sich beiläufig, welche AG wohl diesen winzigen Raum sonst nutzte, wie lange sie ihn wohl hier warten lassen würden, als Verhörtaktik, damit er weichgekocht sofort alles gestehen würde. »Ob sie Mamoru auch schon befragt haben?« Er schlang die Arme eng um seinen Oberkörper, fröstelte. Es war ihm zwar zu Ohren gekommen, dass man verschiedene Schüler bereits aus den Klassen herausgeholt hatte, aber bisher waren keine Erstklässler dabei gewesen. Satoru schloss die Augen, verwünschte das verräterische Zittern seiner Glieder. In einer halben Stunde hätte er sich mit Mamoru getroffen, ihm gesagt, dass sie sich nicht mehr sehen würden. Schluss gemacht. »Er hätte es sicher verstanden.« Satoru presste die Lippen aufeinander. Hatten sie ihn über das Netzwerk erwischt? Wie? So sehr er sich anstrengte, er konnte sich nicht entsinnen, dass er mehr als ungeduldige Klicks auf verschiedenen Porträts hinterlassen hatte. Oder war Mamoru selbst bei ihnen vorstellig geworden? Hatte ihn angezeigt? Satoru öffnete die dunkelbraunen Augen, blickte trübe ins Leere. Auch wenn es ausgesprochen lächerlich war, so vertraute er dem Jüngeren doch. Mamoru hätte ihn nicht verraten. »Du bist ein Idiot.« Resignierte er über sich selbst. »Warum sollte er dich beschützen wollen, hm?! Ist dir eigentlich klar, dass du ihn nicht bloß mehrfach vergewaltigt hast, sondern auch noch gepierct?! Das gibt so viele Anklagepunkte, da kannst du dich niemals rauswinden!« Hastig sprang er auf, ging zum Fenster und wieder zur Tür, wollte sich ablenken. Die Konsequenzen seiner Taten wurden ihm nun deutlich bewusst. Das war kein üblicher Zeitvertreib der älteren Schüler, kein Stressabbau, keine Gefälligkeit. Vergewaltigung, Körperverletzung, Erpressung: man würde ihn ganz bestimmt verurteilen und ins Gefängnis stecken. Mehrere Jahre, bis er gebrochen war, an Körper und Seele verkrüppelt und verroht. »Eigentlich kann ich mich auch gleich umbringen.« Ein fahles, bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. Mit zwei Fingern wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Es gab keinen Zweifel daran, dass er eine Haft nicht aushalten würde. Er war nicht stark genug, um so etwas zu überstehen. Aber mit ein bisschen Glück würde es nicht soweit kommen. »Mein Vater erschlägt mich vorher.« Das erheiterte ihn auf eine grausige Weise. Die Vorstellung einer Konfrontation mit seinem Vater trieb ihm Angstschweiß auf den gesamten Körper. Erregt lief er auf und ab, konzentrierte sich allein darauf, in Bewegung zu bleiben, bloß nicht innezuhalten, damit ihn seine Gedanken nicht einholen konnten. Als die beiden Beamten eine Viertelstunde später eintraten, war er erhitzt und in Schweiß gebadet, machte einen durchaus gehetzten Eindruck. "Setz dich." Satoru nahm Platz, ballte die Fäuste unter dem Tisch, schmeckte Galle auf seiner Zunge. In seinen Ohren trommelte sein Pulsschlag erhöht. "Kennst du diese Personen?" Bilder wurden vor ihm auf die abgewetzte Tischplatte aufgefächert. "Ja." Antwortete Satoru, die eigene Stimme klang blechern in seinen Ohren, aber seine Sinne reagierten plötzlich hellwach. Eine unglaubliche Idee keimte in ihm auf. Bestand etwa noch Hoffnung?! "Was kannst du uns zu ihnen sagen?" Satoru sah nicht auf, betrachtete die Bilder. »Ich werde mich nicht so einfach aufgeben!« Glühende Hitze strömte durch seine Adern, angefeuert von einer wilden Aussicht auf Rettung. "Sie waren sempais. Zwei Klassen über mir, haben bereits im letzten Jahr ihren Abschluss gemacht." "Trifft es nicht zu, dass du besonders eng mit ihnen befreundet warst?" Obwohl es unmöglich war, hatte Satoru das Gefühl, seine Zähne verlängerten sich, verwandelten sich in ein Raubtiergebiss. "Nicht mehr als jeder andere kouhai auch." Gab er knapp zurück. "Sieh mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst!" Fauchte der ältere der beiden Beamten. Betont langsam legte Satoru den Kopf in den Nacken, funkelte hoch. "Also, warst du mit ihnen näher bekannt?!" Die Finger um die harten Kanten der Sitzfläche des Stuhls gebogen konnte Satoru sich besser konzentrieren. »Ruhig Blut!« Ermahnte er sich selbst. »Bewahre die Nerven, und wir kommen unbeschadet hier heraus!« "Sie haben mir beim Eingewöhnen geholfen, so wie andere sempais auch. Wir waren nicht enger befreundet." DAS entsprach der Wahrheit. Von einem gewissen Standpunkt aus. "Hör mit der Lügerei auf!" Der Ältere schlug hart mit der flachen Hand auf den Tisch und beugte sich herunter, um Satoru ins Gesicht zu starren. Satoru verzog das Gesicht, denn er mochte den Zigarettengeruch des warmen Atems nicht, der ihm wie eine Fahne ins Gesicht wehte. "Was ziehst du hier Grimassen, hä?!" Ein Feldwebel wäre wohl begeistert gewesen von dem Gebrüll. Satoru presste die Lippen aufeinander, starrte tapfer zurück. Er wich auch nicht der Ohrfeige aus, die ihn traf, beinahe vom Stuhl fegte. Seine Wange brannte, seine Sicht verschwamm vor Tränen. Wortlos verließen die beiden Männer den Raum. Satoru schniefte, wischte sich mit dem Ärmel trotzig über die Augen. Seine Gedanken rasten jedoch. Wenn sie etwas wussten, wäre diese lächerliche Scharade unnötig, was wiederum bedeutete, dass sie von der Wahrheit keine Ahnung hatten. Möglicherweise hatten sie das Netzwerk entdeckt, aber das war's dann auch! »Genau!« Bestärkte er sich selbst. »Die hätten doch nicht fragen müssen, wenn sie die Bilder gesehen hätten, oder? Die wären Beweis genug!« Satoru schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und massierte seine malträtierte Wange mit der Zunge. Sie hatten ohne Mamorus Anzeige nichts gegen ihn in der Hand. Gegen die sempai würde er selbst niemals aussagen. »Ich muss nur hartnäckig leugnen!« Schwor er sich selbst ein. »Lieber jetzt ein paar Prügel aushalten als die Alternative!« ~+~ Mamoru lehnte im schützenden Schatten des Kellereingangs Nummer Drei. Satoru hatte sich noch nie so lange verspätet. »Ob er wohl heute nicht kommt wegen der Aufregung?« Mamoru seufzte, lockerte die Schultern. Es hieß, was ihn nun nicht mehr überraschte, dass es einen Ring von Erpressern gegeben hatte, die andere Schüler zum Sex genötigt hatten. Oder haben sollten. Mehr als einmal waren Schüler der beiden höheren Oberstufenklassen zu Gesprächen aus dem Unterricht zitiert worden. Hatte es etwa auch Satoru getroffen?! Das war nicht unwahrscheinlich, wie sich Mamoru eingestand. Es wäre eine Erklärung für Satorus Verhalten zu Anfang ihres Verhältnisses. Oder hatte Satoru vielleicht Angst vor Entdeckung gehabt und mied ihn deshalb? Langsam löste sich Mamoru von der Tür, straffte seine Gestalt. Vielleicht konnte er bei Satorus Mitschülern etwas erfragen. ~+~ Dieses Mal ließen sie ihn beinahe eine halbe Stunde schmoren, aber Satoru kümmerte das nicht mehr. Fiebrig hielt er an seinem Vorhaben fest, alles abzustreiten, keinen Fußbreit nachzugeben. Sie hatten keinen Beweis, ganz sicher nicht! "Wieso erzählst du uns nicht, was passiert ist, hm? Sie haben bereits alles zu Protokoll gegeben." Schnurrte der andere Beamte, beugte sich nahe über Satorus Stuhllehne. "Du musst keine Angst haben, wir beschützen dich vor ihnen." »Sicher doch!« Satoru verspürte den Drang, um sich zu schlagen. »Ihr beiden Affen glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich euch etwas sage?! Erst schlagt ihr mich, und dann wollt ihr mein Vertrauen?!« "Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen." Gab er knapp zurück. "Oh, das sehe ich anders." Eine Hand strich über Satorus Nacken unter den Hemdkragen. Er erstarrte, biss die Zähne aufeinander, atmete tief durch. "Bitte unterlassen Sie das." Zischte er. "Wie war das?! Auch noch frech werden!" Dieses Mal wurde seine andere Wange getroffen. War es ein Reflex oder unbändige Wut?! Satoru trat heftig gegen ein Tischbein, der Tisch rammte nach vorne, dem Beamten in die Leistengegend, bevor Satoru aufsprang, der Stuhl nach hinten kippte. Der zweite Beamte wollte ihn packen, durch den Stuhl behindert, doch Satoru erkannte nur, dass er Publikum finden musste, wenn er den Prügeln ein Ende setzen wollte. Er wischte unter dem Zugriff hindurch, wirbelte herum, um den Tisch umzukippen, eine Barriere, die es ihm ermöglichte, durch die Schiebetür auf den Gang hinaus zu flüchten. Wie eine glückliche Fügung erwies sich, dass der letzte Schlag seine Lippe aufgerissen hatte, sodass er Eindruck hinterließ, als er über den Gang rannte. Schneller und unliebsamer als erwartet hörte er schwere Schritte hinter sich. »Sekretariat!« Funkte sein Gehirn. Leider erwischten sie ihn vorher, bogen ihm die Arme auf den Rücken, sodass er in die Knie ging. Da sah er Mamoru im Treppenhaus. "Geh ins Sekretariat!" Brüllte er verzweifelt. "Sie müssen meinen Vater anrufen! Die schlagen mich hier zusammen!" Mamoru zögerte einen langen Moment, wirkte, als wolle er ihm zur Hilfe kommen, dann aber machte er kehrt, stürmte die Treppen hinauf, immer zwei Stufen auf einmal. Mit einem Fluch löste sich einer der Beamten, wollte die Verfolgung aufnehmen, aber nun öffneten sich bereits Türen zum Flur. Es gab plötzlich Zeugen. Satoru wurde brutal auf die Beine gestellt und zum Treppenhaus gezerrt. ~+~ Mamoru bewegte sich so schnell er konnte. Sein Atem pfiff in der Luft, aber er musste in jedem Fall zuerst das Sekretariat erreichen. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf wisperte fassungslos, sie könne nicht glauben, dass die Polizei tatsächlich Leute verprügelte. Aber Satorus geschwollenes Gesicht, die blutige Lippe, das ließ keinen Zweifel übrig. Grimmig fegte er den Gang hinunter, stürzte in das Sekretariat, wo die beiden verbliebenen Frauen ihn missbilligend ansahen. "Schnell, bitte helfen Sie mir! Tanaka wird von den Polizisten misshandelt! Sie müssen bitte seinen Vater anrufen!" Sprudelte er in Hochgeschwindigkeit hervor. Nicht einen Augenblick später polterte atemlos sein Verfolger in die Szenerie. Beide Frauen standen noch wie erstarrt. Mamoru wandte sich herum, ballte die Fäuste. "Nun rufen Sie doch bitte endlich an!" Brüllte er aggressiv, überrascht, wie gut ihm das gelang. "Das werden Sie nicht tun!" Die Antwort des Polizisten klang nicht halb so autoritär wie Mamorus Aufforderung, wurde zudem noch vom Keuchen unterbrochen. "Sie haben Tanaka verprügelt, ich habe ihn auf dem Gang gesehen! Sein Vater wird das bestimmt nicht gut aufnehmen!" Mamoru ließ sich nicht unterkriegen. "Was geht dich das an?! Sag sofort deinen Namen!" Nun war er Zielobjekt der Aufmerksamkeit. "Den erfahren Sie früh genug, wenn ich Sie wegen Körperverletzung eines Mitschülers anzeige!" Schnappte Mamoru giftig. Inzwischen waren die beiden Frauen aus ihrer Schockstarre erwacht. "Das reicht jetzt! Sie befinden sich im Sekretariat!" "Dann rufen Sie den Vorgesetzten dieser Polizisten an!" Mamoru gab nicht auf. "Sonst machen Sie sich der Beihilfe und unterlassenen Hilfeleistung schuldig! Die beiden haben Tanaka misshandelt!" Da traf sich der Umstand günstig, dass der zweite Polizist eintrat, um seinen Kollegen zu sich zu rufen. Dass er Satoru Handschellen angelegt hatte und ihn wie ein lästiges Tier vor sich hertrieb, wirkte sich nicht positiv aus. Die ältere der beiden Frauen warf einen Blick auf Satoru, wandte sich dann ab und nahm den Telefonhörer auf. "Das lassen Sie bleiben!" Röhrte der zweite Polizist laut. "Von wegen." Schnappte sie kühl. "Mäßigen Sie Ihren Ton!" "Sie mischen sich in Polizeiermittlungen!" Giftete er zurück, dann knackte es, bevor er seine Stimme über die Lautsprecheranlage hörte. "Wir leiten hier eine Ermittlung!" "Bei der Sie Schüler verprügeln?!" Die jüngere Frau lächelte frostig, den manikürten Zeigefinger noch immer auf der Lautsprecheranlage. "Der Leiter der Untersuchung wird sofort im Sekretariat benötigt!" "Machen Sie sofort die Anlage aus!" Verlangte der Polizist, doch nun waren die beiden Frauen entschlossen, ihre Solidarität mit den Schülern unter Beweis zu stellen. "Damit Sie sich Freiheiten uns gegenüber herausnehmen können?! Oder uns bedrohen und einschüchtern wie den armen Jungen hier?!" Der Waffenstillstand, der sich anschloss, währte fünf Minuten, bis schnaufend ein älterer Mann dazu kam. Er erteilte brüske Befehle. Satoru wurden die Handschellen abgenommen, er sollte seine Tasche nehmen und zurück in den Unterricht gehen. Dasselbe gelte für den anderen Schüler. Die beiden Beamten wurden aufgefordert, sich auf der Stelle im Präsidium bereitzuhalten. Satoru huschte zurück in den leeren Raum, wo noch immer das Mobiliar auf dem Boden lag, sammelte seine Schultasche auf und beschloss, sich lieber gleich auf den Heimweg in das Wohnheim zu machen. Die Erleichterung darüber, gerade noch einmal davongekommen zu sein, mischte sich mit der Befürchtung, man werde ihn erneut vorladen. ~+~ Mamoru hielt vergebens Ausschau nach Satoru. Seine Klassenkameraden, die sich mehr oder weniger vollzählig mit dem Selbststudium befasst hatten, bestürmten ihn mit ungläubigen Fragen. Zum ersten Mal wurde ihnen wohl auch bewusst, dass der unscheinbare Bursche mit der Konfirmandenblase sich gewaltig verändert hatte. Nach dem Zwischenfall mit Kentarou gab es nun einen neuen Skandal! Mamoru löste sich vom Fenster, polierte seine randlose Brille. "Es ist wahr!" Erklärte er zur Überraschung seiner Mitschüler, die vermutet hatten, er werde ihren Fragen keine Antwort erteilen. "Sie haben ihn wohl ins Gesicht geschlagen. Tanaka aus der Zweiten." Das löste Betroffenheit aus. "Sie haben kein Recht, uns zu misshandeln!" Stellte Mamoru grimmig fest. "Was auch immer es mit diesem Gentlemen's Club auf sich hat." Jemand meldete sich von hinten zu Wort. "Hat denn dieser Tanaka etwas damit zu tun?" Mamoru zuckte mit den Schultern. "Er macht auf mich bestimmt nicht den Eindruck, jemand zum Sex erpressen zu müssen." "Vielleicht-vielleicht ist alles nur eine Verleumdung? Diese ganze Geschichte! Ich habe gehört, dass unser Schülerpräsident nicht mal Namen genannt hat!" Während die Gerüchteküche erneut zum Brodeln gebracht wurde, krakelte Mamoru eine Nachricht auf ein Blatt. Er würde sie in einem unbeobachteten Moment in Satorus Schließfach fallen lassen. ~+~ Als Hiroki an diesem Tag an der Schiebetür klopfte, spürte er bereits eine veränderte Atmosphäre. Kentarou erschien, blockierte allerdings die Tür, funkelte ihn wütend an. "Was willst du, Miruno?!" Schnappte er bissig. Hiroki vermutete, dass die Ansprache auch dem allgegenwärtigen Matsushita galt, der in der Nähe herumlungerte. "Reinkommen." Entgegnete der Hüne also liebenswürdig. "Ich habe dir die Kopien mitgebracht." Vermutlich hätte Kentarou ihn trotzdem nicht ins Haus gelassen, aber ein Blick auf Matsushita änderte wohl seinen Entschluss. Wortlos ließ er Hiroki passieren, bevor er lautstark die Schiebetür einrasten ließ. "Gib mir die Kopien und hau ab!" Fauchte er bösartig. "Du erlaubst doch wohl, dass ich deinem Großvater guten Tag sage und Grüße von den Nachbarn ausrichte?" Hiroki wechselte unaufgefordert die Schuhe. "Nein, das erlaube ich nicht!" Kentarou baute sich vor ihm auf, doch Hiroki bemerkte, dass Kentarou sich hütete, zu laut zu toben. "Geht es deinem Großvater nicht gut?" Erkundigte Hiroki sich folglich besorgt. "Das geht dich nichts an!" Zischte Kentarou giftig, aber die Katzenaugen wichen Hirokis suchendem Blick aus. "Was ist los?" Er legte die Hände auf Kentarous Schultern. "Was ist passiert?!" "Gar NICHTS!" Brüllte Kentarou und schüttelte die großen Hände ab, ballte die Fäuste und bemühte sich sichtlich, wieder die frostige Front aufzubauen. "Hör auf zu lügen." Hiroki drängte sich einfach an Kentarou vorbei. "Es ist wohl besser, wenn ich mich selbst überzeuge, dass es deinem Großvater gut geht!" "Nein!" Unvermittelt spürte er, wie Kentarous Arme ihn umschlangen, den Versuch unternahmen, ihn festzuhalten. "Er schläft!" Hiroki legte die großen Hände auf die kleinen seines Freundes, wisperte über die Schulter hinunter. "Komm schon, Ken, erzähl mir, was los ist." "Lass mich los!" Schnaubte es an seinem Rücken, eine Aufforderung, der Hiroki Folge leistete. Er spürte, dass Kentarou sich geschlagen gab. Das bedeutete, dass etwas Gravierendes vorgefallen sein musste. Schweigend folgte er Kentarou auf die Veranda, wo sein Freund Wäsche abhängte, die einzelnen Stücke zusammenfaltete. "Die Polizei war vorhin hier." Presste Kentarou finster hervor, weigerte sich, Hiroki anzusehen, der einen gewaltigen Schatten warf, die untergehende Sonne aussperrte. "Die haben mich verhört." Hiroki blickte auf die verspannten Schultern herunter, das verkniffene Profil. "Warum?" "Warum?!" Kentarou fegte auf den Absätzen herum, geiferte außer sich. "Die wollten wissen, ob ich mich flachlegen lasse! Weil irgendwelche Klicks auf meinem Namen in dem Schulnetz waren!!" Das Unverständnis musste Hiroki wohl vom Gesicht abzulesen gewesen sein, was einem weiteren Wutausbruch Kentarous Nahrung gab. "Nun glotz nicht so blöd!! Da hast du doch deine gloriose Idee her, mich zu den perversen Fotos erpressen zu wollen!" "Moment mal!" Beschwichtigte Hiroki, hob die Hände in einer besänftigenden Geste an. "Ich weiß von dieser Schulnetz-Geschichte nicht mehr als das, was die Gerüchteküche ausgekocht hat!" "Lüge mich nicht an!" Standen wirklich Tränen der Wut in den Katzenaugen? Hiroki fragte sich für einen unsicheren Augenblick, ob Kentarou sich tatsächlich auf ihn stürzen würde. "Aber ich lüge nicht! Ich habe bloß die Gelegenheit mit dem Brief genutzt." Erklärte er eilig. "Warum sollte ich im Schulnetz unterwegs sein? Außerdem, WANN hätte ich das tun sollen?!" Dieses Argument schien Kentarou einen Moment abzulenken. "Erzähl mir, was sie gesagt haben." Forderte Hiroki das Schicksal heraus. In seinem Kopf schwirrten die Gedanken und Mutmaßungen durcheinander. Also hatte Kentarou auf der 'Abschussliste' gestanden? Das verwunderte ihn nicht wirklich, denn immerhin war Kentarou auch nach neutralen Maßstäben einer der attraktivsten Mitschüler. Sein Freund verlegte sich jedoch darauf, recht energisch Wäsche zu falten. Den Blick auf seine Arbeit fokussiert zischte er zwischen den Zähnen hindurch. "Die sind hier herumstolziert, dass jeder sie genau erkennen konnte. Hätten sich auch gleich 'Polente' auf den Arsch tätowieren lassen können!" Kentarou ballte die Fäuste. "Die haben meinem Großvater erzählt, dass es diese Erpressungsgeschichte gab, dass besonders hübsche Jungs für ihre Mitschüler den Arsch hingehalten haben. ICH wäre auch im Kreis dieser Typen, die 'alle meine Entchen' beherrscht hätten." "Aber das ist nicht wahr!" Platzte Hiroki entsetzt heraus. Allein die Vorstellung, dass Kentarou so etwas wie ein sexuelles Bewusstsein entwickelt haben könnte, während der sich vehement gegen jede Berührung wehrte, war vollkommen abwegig. Leider. Kentarou starrte ins Leere, auf den Wangen rote Flecken. "Dein Großvater hat ihnen kein Wort geglaubt." Versicherte Hiroki bestimmt. "Auf keinen Fall! Das war bloß ein mieser Trick, weil sie dich verunsichern wollen!" "Mir reicht es langsam!" Hörte er Kentarou flüstern. "Erst dieser Schleimer Matsushita, der vor der Tür herumlungert, dieser verfluchte Hausarrest und jetzt die Bullen! Die Nachbarn werden meinen Großvater schneiden." Neben ihm beugte sich Hiroki tiefer, wollte instinktiv den Arm um Kentarou legen, zögerte aber im letzten Moment. Kentarou konnte mit solchen Gesten des Trosts und der Unterstützung nichts anfangen. "Mein Opa ist ein alter Mann. Die machen ihn mit diesem ganzen SCHEISS noch ganz krank!" Kentarou knirschte laut mit den Zähnen. Überall unter seiner Haut zeichneten sich Muskeln und Sehnen ab, so, als würde ihr Besitzer am Liebsten um sich schlagen, seinen Ärger körperlich ausdrücken. "Sie haben in der Schule auch immer wieder Schüler aus den Klassen geholt." Füllte Hiroki unbehaglich die Stille. Er wusste nicht, wie Kentarou die aufgestaute Energie freilassen konnte, ohne dass damit Schaden angerichtet wurde. So viele Hausarbeiten waren vermutlich nicht mehr zu erledigen. Die Kiefer mahlten angestrengt. "WIE kommt jemand auf die IDEE, seinen Mitschüler um SEX zu erpressen?!" Kentarou holte tief Luft, um seine Lautstärke zu reduzieren. "Was zum Teufel ist mit euch los?!" »Der Angriff gilt also auch mir.« Konstatierte Hiroki und spürte eine ungekannte Verärgerung. »Warum musst du dich so verdammt blöd anstellen, Ken, hmmm?!« "Es ist ganz einfach." Hiroki verschränkte die Arme vor der Brust. "Wir sind gesunde Jugendliche, die sechs Tage die Woche von morgens bis abends zusammengepfercht werden. Jede Menge pubertierende Hormone, jeder denkt mehrmals am Tag an Sex. DAS ist normal, Kentarou. Also, was verstehst DU nicht?!" Kentarou fegte zu ihm herum, funkelte mit zusammengekniffenen Katzenaugen. "Normal? NORMAL?! Was ist daran normal, sich daran aufzugeilen, wie irgendein Typ nackt an sich herumfingert?! WIE NORMAL ist es, den Schwanz in fremde Ärsche zu rammen?!" Hiroki spürte, wie ihm Farbe in die Wangen stieg. Konnte Kentarou sich nicht einer weniger drastischen Ausdrucksweise bedienen?! "Sex ist ein instinktives Bedürfnis wie Nahrung oder Schlaf." Bemühte er sich um demonstrative Gelassenheit. "Das wissen alle. Warum willst DU das einfach nicht BEGREIFEN?!" "Das ist NICHT normal!!" Widersprach Kentarou heftig. "Es ist widerwärtig! Das Ganze kotzt mich an! Ich will damit nichts zu tun haben!" "Du läufst nur vor der Realität weg!" Donnerte Hiroki, vergaß seine Mäßigung. "Du glaubst doch nicht ernsthaft, mit dieser Vogel Strauß-Methode irgendetwas zu erreichen?! Wenn du dich nicht wie ein Idiot aufführen würdest, dann hättest du längst bemerkt, wie viele Jungs sich für dich interessieren! Hast du mal an die Briefe gedacht, die ständig in deinem Postfach sind?! Waren das alles nur Scherze?! Wieso hat dann keiner gelacht?!" Kentarou brachte kein Wort hervor, zitterte allerdings vor Zorn. Hiroki, der von seinem eigenen Ausbruch überrascht worden war, hielt es für das Klügste, sich selbst aus dem Haus zu komplimentieren. Er wollte Kentarou nicht auch noch so provozieren, dass der die Fäuste gegen ihn richtete. ~+~ Natürlich war auch das Erscheinen der beiden Polizeibeamten bei den Nachbarn beim Abendessen Thema. Hiroki schwieg so lange, wie er es vermochte, doch als seine Mutter bemerkte, er solle sich besser eine Weile von Kentarou distanzieren, der offenkundig einen schlechten Umgang hatte, nahm man die letzten Ereignisse zusammen, protestierte Hiroki wütend. "Kentarou hat mit der Sache nichts zu tun! In der Schule werden jeden Tag Schüler aus dem Unterricht geholt und befragt!" "Ja, aber du bist nicht darunter." Entgegnete seine Mutter spitz. Daraufhin hatte Hiroki seinen Stuhl zurückgeschoben und einfach ohne Erlaubnis den Tisch verlassen, um sich in seinem Zimmer einzuschließen. Nun starrte er an die Zimmerdecke. »Was soll ich bloß unternehmen?« Fragte er sich selbst kummervoll. Kentarou weigerte sich, die Realität zu akzeptieren, konnte vielleicht wirklich nicht nachvollziehen, wie sich seine Mitschüler fühlten. »Die Herzensbildung ist bei ihm wohl nicht so fortgeschritten wie der Rest.« Hiroki seufzte laut. Aber konnte er seinen Freund dazu zwingen, sich endlich von seiner beschränkten Wahrnehmung zu lösen? »Und dann?« Plötzliche Besorgnis ließ ihn erschauern. WENN Kentarou akzeptierte, dass Menschen sich nach Sex sehnten, würde der dann so akribisch wie gewohnt das Thema 'abhaken'? Sich um des lieben Friedens Willen eine Freundin zulegen? Hatte ihn Kentarous 'Ignoranz' nicht bisher davor bewahrt, den Platz an dessen Seite zu verlieren?! "Oh verdammt!" Fluchte Hiroki in sein Kopfkissen. Wie sollte er diese Katastrophe bloß verhindern? ~+~ Kapitel 17 - Aufklärungsarbeiten Am nächsten Tag schwebte eine seltsame Atmosphäre über der Schule. Zahlreiche Mutmaßungen und Verdächtigungen wanderten über die Buschtrommel von Mund zu Mund. Gerüchte wurden zu unumstößlichen Wahrheiten, bis die nächste Runde alles wieder ins Gegenteil verkehrte. Tomohiko hielt ein wenig Abstand von den anderen. Den meisten war nicht entgangen, dass man ihn und Seiji aus den Klassen geholt und befragt hatte. Bei Seiji jedoch war nur wenig Zeit verstrichen, während man ihn auf kleiner Flamme bis nach Schulschluss weichgekocht hatte. So hieß es zumindest. Seiji blieb an seiner Seite, blitzte jeden finster an, der auch nur wagte, irgendeine Andeutung zu formulieren. Nach der Mittagspause, vor dem Unterrichtsbeginn am Nachmittag, spazierten sie, Finger in Finger gehakt, über das Schulgelände. "Ich vermute, dass sie dir einige hässliche Dinge über mich gesagt haben." Begann Tomohiko unvermittelt seine Erklärung. "Zum Beispiel, dass es gegen mich eine Anzeige wegen sexueller Nötigung von einem Mädchen gab." Er starrte geradeaus, den Kopf trotzig erhoben. "Die Anzeige ist längst zurückgezogen worden. Damit wollten die Eltern eine Verhandlung verhindern. Das Mädchen hatte mir nämlich nachgestellt. Doch als ich ihr klar und deutlich zu verstehen gab, dass ich überhaupt kein Interesse an ihr hatte, behauptete sie, ich hätte versucht, sie zu vergewaltigen." Tomohiko zog eine bittere Grimasse. "Das Ganze war recht unschön. Ein heulendes Mädchen auf der einen Seite und ich auf der anderen, der seine Unschuld beteuerte. Ich hatte allerdings Glück im Unglück: weil in den Umkleidekabinen der Schule immer wieder Sachen verschwunden waren, hatte man kurze Zeit vorher heimlich eine Kamera montiert. Das war eigentlich verboten, weil es ja die Privat- und Intimsphäre verletzt. Die Aufzeichnung bewies, dass wir einen Streit hatten und ich eindeutig jeden Kontakt abgelehnt hatte. Vor Gericht wäre das kein Beweis gewesen, aber unter dem Eindruck, dass man zumindest inoffiziell ihre Tochter als Lügnerin entlarvt hatte, zogen die Eltern dann die Anzeige zurück. Nur ohne Verhandlung gibt es keinen Freispruch, deshalb bin ich immer verdächtig, bis sie die Eintragung aus meiner Akte löschen müssen." "Das ist ja grauenvoll!" Seiji ballte die Faust. "Was für eine grässliche Ziege! Wie konnte sie dir nur so etwas antun?!" "Tja." Tomohiko lächelte melancholisch. "Ich habe mit meiner Ablehnung wohl ihren Stolz zu hart getroffen." "So ein Miststück!" Seiji schäumte, löste seine Faust, um Tomohiko über die Wange zu streicheln. "Wie kann nur irgendjemand glauben, dass du ein Vergewaltiger sein kannst?!" Tomohiko wusste darauf keine Antwort. Auch damals hatte er keine gefunden. Wichtiger war es jedoch, nicht zu verbittern, sich selbst treu zu bleiben. Er hatte immer daran geglaubt, einem besonderen Menschen zu begegnen, der sein Leben verändern würde. Wenn dafür Geduld angezeigt war, so wollte er sie aufwenden. »Und dann habe ich dich ja getroffen!« Er lächelte, pflückte Seijis Hand ab und hielt sie locker in seiner eigenen. "Das ist Geschichte. Ich habe es nicht getan, ganz gleich, was man dir vielleicht erzählt hat." "Das habe ich auch keinen Augenblick geglaubt!!" Beteuerte Seiji erregt. "Die fiesen Typen wollten mich aufs Kreuz legen mit ihren Lügen!!" Tomohiko strahlte, denn Seijis Feuereifer, ihn von allen Verdächtigungen reinzuwaschen, wärmte ihm das Herz. "Danke, dass du an mich geglaubt hast." Verstohlen hob er Seijis Rechte, um sie sanft auf den Handrücken zu küssen. "He!" Seiji errötete. "Ich bin kein Mädchen!" "Ich weiß." Gab Tomohiko gelassen zurück. Seiji schnaubte, löste seine Rechte, hielt aber wie immer am Zeigefinger mit Tomohiko Kontakt, setzte ihren Verdauungsspaziergang fort. Tomohiko verfolgte, wie sich trotz der Empörung langsam ein Lächeln in Seijis Züge schlich. »Süß!« Dachte er. »Ich könnte ihn stundenlang ansehen.« Dann aber entschloss er sich, lieber reinen Tisch zu machen. "Allerdings ist es nicht ganz falsch, dass ich einigen aufdringlichen Mitschülern geraten habe, dir lieber nicht auf die Pelle zu rücken." Setzte er an, räusperte er sich, fing einen überraschten Seitenblick auf. Seiji schwieg eine Weile, steuerte dann einen Eingang an. "So?" Brummte er endlich. "Das erklärt natürlich, warum alle sich so höflich mir gegenüber zeigen. Du hast nicht zufällig auch noch deine Kampfsportkünste demonstriert, oder?" Tomohiko zwinkerte. "Ertappt." Seiji seufzte übertrieben. "Das war hoffentlich die letzte Eskapade. Sonst bekommen wir doch noch Ärger mit den hässlichen Plattfüßen!" "Versprochen." Versicherte Tomohiko, hauchte Seiji einen flüchtigen Kuss auf den glänzenden Schopf lackschwarzer Strähnen. Er erntete ein perlendes Lachen. Neckend und ein wenig verlegen folgte Seiji zu ihrem Klassenraum. ~+~ Motoki schob mit schleppendem Schritt den Tropf neben sich her, musste mehr als einmal innehalten und sich gegen die Wand lehnen. Wie konnte man innerhalb so kurzer Zeit so entsetzlich schlapp und ungelenk werden?! So schwach?! Aber er wollte auch nicht aufgeben. Man hatte ihm gesagt, dass es im Aufenthaltsraum Zeitungen gab, und Zeitungen benötigte Motoki dringend. »Vielmehr Informationen!« Mit zusammengepressten Lippen bewegte er sich weiter. Warum hatte ihm seine Mutter bei der kurzen Besuchszeit über den Kopf gestreichelt und nachdrücklich geflüstert, dass sie stolz auf ihn sei?! Dass er richtig gehandelt habe?! Um mit Shakespeare zu sprechen: etwas war faul im Staate Dänemark. Endlich hatte er schweißüberströmt sein Ziel erreicht. Üblicherweise hätte er sich hochnotpeinlich beschämt mit einem Tuch eiligst abgerieben, die Haare gerichtet, doch mit Tropf, Infusion und einem kleinen Atemgerät als Begleitung sah Motoki von solch abenteuerlichen Unternehmungen ab. »Zeitungen?« Ohne Brille war es nicht leicht, in der Ferne geschärft die Details zu entdecken. Trotzdem fand er sein Ziel: einen Zeitungsständer, die einzelnen Gazetten ordentlich mit einem Holzstock aufgezogen und eingereiht. So schnell es ihm möglich war, schlängelte er sich schleichend zwischen Stühlen und Tischen hindurch. Ja! Sein unscharfer Blick hatte ihn nicht getrogen: hier fanden sich die Tageszeitungen der letzten Tage. Er musste nicht lange suchen, um den ersten Artikel zu finden. [Mutmaßlicher Sex- und Erpressungsskandal an der M-Oberschule! Schülerpräsident erleidet Zusammenbruch.] Das erklärte dann auch das ausgesprochen befremdlich wirkende Foto. Motoki spürte ein vages Mitgefühl für das Bündel in der Schuluniform, in einer Blutlache zusammengekrümmt, während man gaffend eine Mauer bildete. Aber sich selbst konnte er damit nicht in Verbindung bringen, die starken Emotionen fehlten einfach. Langsam, den Stützverband verwünschend, der für eine gewisse Ruheposition während der Heilungsphase sorgen sollte, sackte Motoki auf einen Stuhl, las mit begehrlicher Fassungslosigkeit. [Unglücklicher Held: der Schülerpräsident schwer erkrankt. Gefahr durch Vertuschung vermutet? Polizei hat Ermittlungen aufgenommen.] Zwei Tage später waren die Spekulationen weniger hysterischen Darstellungen gewichen. Nach der Version der Medien hatte der gerade erst ins Amt gewechselte Schülerpräsident den 'Gentlemen's Club' entdeckt, zum Schutz der potentiellen Opfer sowie zur Gerechtigkeits- und Straffindung seine Enthüllung nicht nur dem Direktorium, sondern auch der lokalen Presse und der Polizei gemeldet. Allerdings war der Stress für den tragischen Helden zu groß, er brach zusammen. Die vorgelegten Beweise enthielten jedoch nicht mehr die Erpressungsgegenstände, sodass die Polizei jeden der mit einem Merkmal versehenen Schüler bzw. früheren Schüler befragte, um Anzeigen zur Anklageerhebung gegen einzelne Täter erstatten zu können. Motoki schüttelte den Kopf langsam, hatte für einen langen Moment Zweifel, welche Version der Wahrheit entsprach. Dann aber verlor sich die surreale Bestürzung. »ICH konnte nicht mal die Datenbank löschen, also, wieso glauben alle, ICH hätte die Veröffentlichung vorgenommen?!« »Ganz einfach!« Motoki senkte die Lider, atmete tief durch. Nicht er selbst hatte das Richtige getan, war ein tragischer Held. »Arashi.« Nur Arashi war in der Lage, in die Datenbank einzudringen. Arashi kannte die Details, die nicht einmal er selbst entdeckt hatte. Und aus irgendeinem Grund hatte Arashi beschlossen, ihn nicht bei den Tätern einzuordnen, sondern vom Benutzerkonto des Schülerpräsidenten aus die Mitteilung verschickt. »Warum?« ~+~ Satoru war zum ersten Mal dankbar, dass sein Stundenplan ihn ganztägig beschäftigte und Mamoru es nicht wagte, ihn in den Pausen anzusprechen. Auch wenn er von den eigenen Mitschülern nun misstrauisch angesehen wurde, weil sie von den Ereignissen des vorangegangenen Tages erfahren hatten, so fühlte er sich doch ausreichend sicher, aber nicht wagemutig genug, Mamorus Aufforderung, ihn nach der Schule zu treffen, Folge zu leisten. Daran wurde er auch gehindert, weil pünktlich zum Schulschluss der Einsatzleiter ihn selbst zu einer erneuten Befragung abfing. Auch dieses Mal wurde ihm zugeredet, er solle gegen seine sempai aussagen. Satoru verwahrte sich jedoch gegen jede Unterstellung, es hätte sie mehr als die übliche Beziehung verbunden und über den Gentlemen's Club konnte er auch keine Aussage machen. Es erleichterte ihn ungemein, dass sein Hinweis, man möge seinen Vater informieren, abgewehrt und er endlich aus dem Verhör entlassen wurde. Beinahe sah es so aus, als wäre sein gefährliches Geheimnis gewahrt. ~+~ Kentarou lief unruhig im Haus auf und ab. Es hatte mit Einsetzen der Dämmerung zu regnen begonnen, sodass er nicht mehr im Garten paradieren konnte. Alle Aufgaben waren erledigt, sein Großvater hörte sich im Radio alte Schlager an. Es GAB einfach nichts zu tun, aber um keinen Preis wollte Kentarou stillsitzen. Dann kamen DIE GEDANKEN wieder. Er WOLLTE sich nicht mit diesen Dingen beschäftigen! Aber etwas in seinem Kopf ließ nicht locker, kümmerte sich nicht um das elende Gefühl in seiner Magengrube, sondern analysierte ganz kühl, was Hiroki angestoßen hatte. »Ich WILL aber nicht, dass er recht hat!!« Protestierte Kentarou verzweifelt, kletterte zum wiederholten Mal die Leiter rauf und runter. Diese ganze Situation war einfach zu bescheuert!! Energie und Zeit auf solchen Blödsinn zu verschwenden!! Natürlich wusste er über Sex Bescheid, schließlich stand die biologische Fortpflanzung ja auf dem Lehrplan. Dann gab es ja auch Manga, die andere herumliegen ließen. »Aber ich interessiere mich nicht für nackte Tussis oder Typen!« Stellte er kategorisch fest. Die schiere Vorstellung, eigene Körperteile in andere Leute zu stopfen, ekelte ihn an. »Außerdem, was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!« Ergänzte er triumphierend. Er wollte keine fremden Zungen, geschweige denn andere Glieder in seinem Körper haben! DAS war ja wohl normal!! Oder? Diese Zweifel ärgerten ihn. Wieso war es ganz natürlich, an fremde Leute anzudocken?! »Ich mag es nicht mal, wenn man mich anfasst, ganz ohne Aufforderung!« Setzte Kentarou die ungelenke Beweisführung fort. Er empfand solche aufgenötigten Kontakte als Einschränkung seiner Freiheit. Und Freiheit war ihm wichtig. Niemand durfte darüber bestimmen, was er wie und wann tat. Außerdem konnte er mit solchen Gesten nichts anfangen. Sie waren bestenfalls lästig. »Aber für andere ist es normal.« Belehrte ihn die zweifelnde Stimme beunruhigt. "Die sind alle bekloppt!" Donnerte Kentarou laut, marschierte über den Dachboden, vor und zurück. »Ist Hiroki auch einer von den Bekloppten?« "Ich brauche diesen Mist nicht!" Versuchte er sich zu beruhigen. Selbst wenn Hiroki auch diese abartigen Anwandlungen hatte, dann KONNTE man die ignorieren! »Außerdem war das vorher auch kein Problem!« Trotzdem. Kentarou stellte das Herumlaufen ein und plumpste auf seinen Futon, zog die Beine an. »Wenn es normal sein SOLLTE, warum...?« Könnte es auch erforderlich werden, dass er sich anpasste? Zumindest VORGAB, auch derartige Anwandlungen zu haben? "WIDERLICH!" Kentarou schüttelte sich heftig. »Es wäre ja auch eine Lüge!« Sammelte er Argumente. Wenn er zum Beispiel vorgäbe, dass er interessiert wäre, obwohl das gar nicht zutraf, dann würde er doch notwendigerweise auch die andere Partei schädigen. Genauso, wie es unmoralisch war zu behaupten, man liebe eine Person, wenn das doch gar nicht der Fall, aber recht nützlich war! Zudem schienen all diese merkwürdigen Gefühle ganz instinktiv zu entstehen, ohne dass man darüber nachdachte und sich dazu entschloss. "Wenn ich das nun mal nicht kann?!" Kentarou klopfte sein Kopfkissen durch. Er war NUN MAL nicht der Typ, der gedankenlos und spontan irgendetwas unternahm. Zugegeben, manchmal ließ er seinem Temperament die Zügel schießen, aber das war schließlich nicht vergleichbar! Gelegentlich WOLLTE er eben NICHT NETT sein!! "Ich nehme mir eben die Freiheit, nicht normal zu sein!" Bestimmte er für sich selbst. Er stand auf, zog den Bambus-Rollo in die Höhe, blickte zu Hirokis Fenster hinüber, eine andere Richtung gab es ja nicht. War sein Freund wirklich einer von DENEN? Der nüchterne Hiroki, der sich nicht für Mädchen interessierte? "Bescheuert!" Das konnte nicht wahr sein! Andererseits hatte Hiroki ihm gegenüber ja selbst zugegeben, dass er solche Gedanken hegte!! Kurzentschlossen kam er auf die Beine, öffnete das Fenster. Hirokis Fenster war offenkundig nur angelehnt, denn die Vorhänge wehten sanft in der regnerischen Brise. "Genug mit dem Unsinn!" Kentarou kletterte auf die andere Seite. Es war Zeit, endlich eine Antwort zu finden. ~+~ Hiroki spürte noch immer die Regenfeuchte auf der Haut, obwohl seine Schuluniform bereits getrocknet war. Er ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. Eigentlich sollte er sich ein heißes Bad gönnen. »Aber jetzt noch nicht.« Langsam knöpfte er mit geschlossenen Augen sein zerknittertes Hemd auf, schlug die Seiten auf. Den Kopf leicht zur Seite gedreht schnupperte er und knurrte. Natürlich roch seine Uniform nach dem aufdringlichen Parfüm, das man zu Werbezwecken versprüht hatte! Brummend rollte sich Hiroki auf die Seite, setzte sich auf und streifte sein Schulhemd ab. Dann kam er auf die Füße, ließ die Uniformhose folgen, bevor er sich auch der Unterhose erledigte. Blank und bloß, gezeichnet von seiner Hautkrankheit, die ihn mit einem seltsamen Tarnfleckmuster ausstattete, bewegte er sich geschmeidig zu seiner Zimmertür, verriegelte sie. Er wollte keinen unerwünschten Besuch erhalten. Er öffnete einen der Wandschränke, fingerte unter einem Brett eine mit Zahlenschloss gesicherte Schachtel heraus. Sie war unversehrt. Er nahm den Inhalt an sich, kehrte zu seinem Bett zurück und machte es sich bequem. Die Kissen wurden aufgeschüttelt und gestapelt, damit er die geeignete Lage einnehmen konnte, um es sich WIRKLICH gemütlich zu machen. Hiroki schloss die Augen, spürte nur noch die leichte, feuchte Brise vom geöffneten Fenster auf seinem entblößten Körper. Seine großen Hände streichelten über den gefleckten Körper, zeichneten glühende Spuren. Vor seinem inneren Auge sah er rote Funken, die auf einem vertrauten Schopf in der Sonne tanzten, ein unwiderstehliches Lächeln in einem Fuchsgesicht, den glitzernden Spott in Katzenaugen, Kentarous gelenkige Schönheit, die kleinen, kräftigen Hände, die unerschöpfliche Energie, die ihn antrieb. Hiroki liebkoste seine Haut, die erwartungsfrohe Erektion, tastete nach dem Kondom, das unerwünschte Flecken verhindern würde. »Ken.« Wisperten seine Lippen stumm, während er hastiger um Atem rang. »Ken!« Wenn ihn nur dessen Wärme erfüllen könnte! So blieben nur die geheimen, verbotenen Filme in seinem Kopf. Wie von allein folgte sein Becken der Bewegung, seine Muskeln waren trainiert, freuten sich auf die Explosion, die sie für ihre Anstrengung belohnen würde. Er stellte die gespreizten Beine an, löste sein Becken von der Matratze. Langsam hob und senkte er seinen Unterleib, wurde geschmeidig, summte unbewusst. Er löste seine Linke, öffnete die Verschlussklappe der Flasche. Die Flüssigkeit lief langsam über seine Finger bis zu den Spitzen. Zuerst war immer ein muskulärer Widerstand zu überwinden, aber auch das erfüllte ihn mit Lust. Reizen, necken, provozieren: es waren seine großen Hände, aber das Gefühl der Erwartung, der Wertschätzung prickelte und glitzerte in seinem Inneren, bedurfte keines Herren. Hiroki wollte sich gut fühlen. Er liebte die erworbene Selbstsicherheit, genau zu wissen, wie er sich selbst Erfüllung bereiten konnte. Sein Atem fegte nun heiß über den Brustkorb, er schmeckte eine Spur von Salz auf seinen Lippen. Kein Wunder, die aufgeheizten Muskeln und Sehnen arbeiteten unter Hochtouren, um seinen Anweisungen Folge zu leisten. Eine letzte Hürde war noch zu nehmen. Die Erfahrung half ihm, sich ohne schmerzhafte Ungeschicklichkeiten auch des letzten Inhalts der geheimnisvollen Schachtel zu bedienen. Mit der Rechten umklammerte er seine pochende, glühend heiße Erektion, hinderte sich selbst daran, zu früh der Versuchung zu erliegen. Mit der Linken dirigierte er den anatomisch ansprechend geformten Kopf behutsam in seinen Unterleib, gönnte sich Verschnaufpausen, um den Genuss noch zu steigern. Den Bauch eingerollt, die Beine gespreizt, die Rechte erwartungsvoll um die eigene Erektion geschlungen, die Linke um die Fernbedienung geschlossen, lächelte Hiroki mit geschlossenen Augen zur Zimmerdecke. In seinen Ohren dröhnte sein eigener Pulsschlag wie Kriegstrommeln, die zu Höchstleistungen aufpeitschen sollten. Vom Fenster her prickelte eine nasse Brise mit unzähligen Nadelspitzen auf seiner bloßen Haut. »OooohhhmmmmmmMMMMMHHHH« Der erste Impuls erreichte das ferngesteuerte Utensil. ~+~ Kentarou umklammerte den Fensterrahmen so fest, dass er seine eigenen Knochen knirschen hörte unter der Belastung. Selbst wenn er gewollt hätte: er KONNTE sich nicht rühren!! Fassungslos, ungläubig starrte er auf die vertraut-fremde Gestalt auf dem gewaltigen Bett, konnte sich nicht abwenden. War er entsetzt? Angewidert? Gegen seinen Willen fasziniert? Erst als die ruckartigen Bewegungen, dieser erotische Lustreigen geendet hatten und ein Blinzeln verriet, dass die flatternden Lider sich bald wieder heben würden, gelang es Kentarou mit steifen, sperrigen Gliedmaßen, sich umzukehren, in sein eigenes Zimmer zurückzuklettern. Er kroch unter seine aufgeschlagene Decke, die Beine vor den Leib gezogen und starrte lange blicklos auf die Nachtleuchte, die er gegen seine Gewohnheit illuminiert hatte. ~+~ "Also, noch mal von vorne." Der Beamte an Motokis Bett zückte erneut seinen Notizblock, doch Motoki WUSSTE, dass auch dieses Mal keine Eintragung erfolgen würde. Trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern. Bald würde die Krankenschwester erscheinen, um beide Verbände zu wechseln. Sie würde auch pflichtbewusst die Werte notieren. "Du hast also die Mitteilung verschickt, nachdem du auf diese Datenbank gestoßen bist. Das Passwort lag versiegelt in einem Umschlag." Motoki nickte knapp. "Warum hast du die Eintragungen hinter den Markierungen gelöscht?! Dir ist doch klar, dass wir diese Daten wiederherstellen können!" »Ich habe zwar keine Ahnung.« Motoki gewann Zeit, indem er sich ungeniert unter seinem Kopfverband kratzte. »Aber ich bin mir sicher, dass ihr die Daten NICHT auftreiben werdet.« Er vertraute Arashi. Der hätte sich nicht der Mühe unterzogen, all die Geheimnisse, die man zur Erpressung genutzt hatte, zu entfernen, wenn man sie so einfach rekonstruieren konnte. »Arashi ist bestimmt ein guter Hacker!« Er funkelte trotzig. "Diese Eintragungen enthielten die intimsten Geheimnisse der Opfer. Sie wurden genutzt, um diese Schüler zu erpressen. Soll ich sie erneut zu Opfern machen, indem das, was sie so verzweifelt geschützt haben, einfach breitgetreten wird? Nein." Motoki wiederholte seine Ansprache gelassen. "Ich möchte es den Opfern überlassen, ob sie Anzeige erstatten und dabei diese Geheimnisse preisgeben. Es ist nicht an mir, diese Entscheidung für die Opfer zu treffen. MEINE Aufgabe bestand darin, diesem entsetzlichen Treiben ein Ende zu machen und zu signalisieren, dass solche Ungeheuerlichkeiten nicht ungesühnt bleiben, wenn man bereit ist, sich zur Wehr zu setzen." "Wer sagt uns denn, dass du nicht selbst als Erpresser tätig werden willst?" Das Notizbuch war noch immer blank. Motoki erwiderte auf diese Provokation gar nichts. Obwohl er sich schämte, MUSSTE er den tragischen Helden geben. Es war nicht SEINE Entscheidung gewesen, auch wenn er sie hätte treffen sollen. Aber mit der Rolle, in die Arashi ihn gedrängt hatte, KONNTE er nicht anders handeln. "Wir können dich in Beugehaft nehmen, wenn du nicht aussagst, was die einzelnen Schüler getan haben!" Drohte der Beamte. "Ich glaube nicht, dass Sie das können. Ich werde kein weiteres Wort mehr dazu sagen." Motoki lächelte der eintretenden Schwester zu. Als die Schwester ihm den Verband am Kopf abnahm, um die Heilung zu begutachten, spürte Motoki, wie die Anspannung von ihm abfiel. Vielleicht würde kein einziges Opfer Anzeige erstatten. Sicherlich bliebe manche Untat aus Scham oder Angst ohne Strafe. Doch Motoki wollte an seine eigenen Worte glauben: dass wenigstens für die Zukunft Erpressung zu Beischlaf nicht mehr organisiert betrieben werden würde. ~+~ Mamoru haderte mit sich. Seit er erfahren hatte, dass man Satoru am vorangegangenen Tag erneut zum Verhör abgefangen hatte, wollte er sich überzeugen, dass es ihm gut ging, ihm versichern, dass er ihn nicht verraten würde. Aber die Spekulationen darüber, dass sie überwacht wurden, hinderten ihn daran, sich einfach direkt an Satoru zu wenden. Würden die Polizisten vielleicht Verdacht schöpfen, wenn sie ihn mit einem jüngeren Mitschüler sahen? Ihm etwas unterstellen? »Ich kann mich nicht mal als kouhai zu erkennen geben!« Seufzte er stumm und frustriert, denn er gehörte nicht zu den Schülern, um die sich Satoru anfangs gekümmert hatte, als Mentor in den ersten Wochen tätig war. Erneut deponierte er eine Nachricht in Satorus Schließfach, hoffte, dass seine Mitteilung unverfänglich genug war. ~+~ Satoru wechselte wie an jedem Schultag die Schuhe, spürte die Anspannung der Ungewissheit, die ihn den gesamten Tag über gequält hatte. Doch wie es aussah, akzeptierte die Polizei endlich, dass er nicht gewillt war, ihre Ermittlungen zu unterstützen oder in verräterischer Weise Kontakt zu seinen sempai aufzunehmen. Als ihm ein gefalteter Zettel in die Hände fiel, nicht weiter ungewöhnlich, weil das Abschalten des hausinternen Kommunikationsnetzes die herkömmliche Weise der Nachrichtenübermittlung erforderlich machte, dachte er sich nichts weiter dabei. »Mamoru! Mist!« Hastig ließ er Seitenblicke schweifen. Warum konnte dieser Hitzkopf ihn nicht einfach in Ruhe lassen?! »Verdammt, ich habe dich erpresst, du dämlicher Kerl, wieso sorgst du dich so um mich?! Du bringst mich noch in Teufels Küche!« Er knüllte den Zettel zusammen und stopfte ihn scheinbar achtlos in eine Hosentasche. Nun musste er sich auch noch eine unverfängliche Antwort einfallen lassen, damit dieser Quälgeist Ruhe gab! ~+~ Hiroki war überrascht, dass ihm Kentarous Großvater selbst die Tür öffnete. Er freute sich darüber, dass der alte Mann offenkundig bester Dinge war und sprach das auch aus. Ein fröhliches Zwinkern erwiderte seine Offenheit, dann wurde er munter zum Tee gebeten, denn der Großvater beabsichtigte, ihn um einen besonderen Gefallen zu ersuchen. Der Hüne warf einen verstohlenen Blick um sich, denn er hatte damit gerechnet, dass wie ein Schachtelteufelchen Kentarou erscheinen würde, um ihn zu maßregeln, doch sein Freund zeigte sich nicht. "Ich habe dir noch gar nicht dafür gedankt, dass du jeden Tag die Kopien für meinen frechen Enkel mitbringst." Eröffnete der alte Mann die Verhandlung. Selbstverständlich handelte es sich um eine Floskel, denn Hiroki wurde ausnahmslos JEDEN TAG Dank erstattet. Er grinste gewinnend, wenn auch ungeübt. "Wie kann ich helfen?" Die Antwort war durchaus simpel: die fortschreitende Jahreszeit hatte dem alten Mann eingegeben, seine Freunde zu einem herbstlichen Zusammensein einzuladen. Schließlich wurde man nicht jünger, und wenn erst die Taifune über das Land zogen, war es zu ungemütlich, um sich abends gemeinsam zu entspannen. Hiroki sagte lachend zu, an nächsten Tag die Einladungen zuzustellen oder dem Briefverkehr anzuvertrauen. Nun kamen sie auch auf die neuesten Gerüchte in der Skandal-Geschichte zu sprechen, da die lokalen Sender auf andere Themen umgeschwenkt waren. Der Hüne wusste vom Hörensagen zu berichten, denn niemand unterhielt sich mit ihm ohne Kentarous Intervention, dass es dem Schülerpräsidenten bereits besser ging. Was nun diese Erpressung anginge, so halte sich hartnäckig die Fama, die hausinterne Kommunikation sei genutzt worden, um erpresserische Informationen zu speichern, damit man Mitschüler gefügig machen konnte. Unter dem Schutzmantel und auch der Lenkung der jeweiligen Schülerpräsidenten!! Die Polizei ermittle noch immer, aber man habe sich wohl aus taktischen Gründen darauf verständigt, nicht preiszugeben, wer Opfer und wer Täter gewesen sei, wer Anzeige erstattet hatte bzw. dazu gedrängt worden sei. "Eine schlimme Geschichte!" Der alte Mann spülte den Abscheu mit Tee herunter. "Die Welt ist wirklich sehr kompliziert geworden." Hiroki widersprach nicht, auch wenn er diese Meinung nicht teilte. Es war immer entweder ganz einfach oder eben sehr kompliziert. "Darf ich aufstehen?" Erkundigte er sich höflich. "Ich möchte Ken gerne die Kopien von heute geben und zu einigen Aufgaben etwas erklären." Ihm wurde Demission erteilt, sodass der Hüne sich auf die kurze Suche nach seinem Freund begab. Schmollte Kentarou etwa wegen ihrer letzten Auseinandersetzung? Obwohl es wahrscheinlicher war, dass sein fuchsgesichtiger Freund eher grollte und tobte. Hiroki fand Kentarou nicht unerwartet in der Küche, wo der eifrig arbeitete, ihn nicht einmal ansah. "Hallo." Hiroki studierte die Anstrengungen. "Ich habe dir die Aufgaben mitgebracht." Ihm wurde weder Blickkontakt, noch eine Antwort zuteil. Müßig lehnte er sich gegen einen alten Schrank, der unverderbliche Vorräte enthielt, verschränkte lässig die Arme vor der Brust. "Bist du auf mich wütend und redest deshalb nicht mit mir?" "Nein!" Schnappte Kentarou, aber seine Aufmerksamkeit schweifte nicht einen Augenblick lang von der Herausforderung, frische Pilze in kleine Würfel zu zerteilen. Hiroki blinzelte. Konnte es sein, dass da wirklich eine Ahnung von Röte Kentarous Wangen einfärbte? Plötzlich begriff er. Der Windhauch, den er am Vorabend gespürt hatte, dieses unbelegbare Gefühl, beobachtet worden zu sein... "Findest du mich jetzt widerlich?" Erkundigte er sich trügerisch beiläufig, auch wenn sein Herz zu galoppieren begann. Für einen Moment schien Kentarou mit sich zu kämpfen. Eine höfliche Lüge wäre nicht verwerflich, in so einer heiklen Situation vor allem, doch sie würden beide WISSEN, dass es eine Lüge zwischen ihnen gab. "Ich wollte nicht spionieren." Antwortete Kentarou schließlich steif, konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Würfel von Gemüse und Pilzgewächsen. "Das habe ich auch nicht angenommen. Muss schockierend gewesen sein." Konnte sich Hiroki eine kleine Spitze nicht verkneifen. Kentarou wischte bedächtig, mit einem beängstigenden Hang zum Mechanischen hin das Küchenmesser ab. "Ich konnte nicht glauben, dass du so etwas tust!" Beinahe klangen schrille Untertöne heraus. "Ich hätte nie gedacht, dass du dir einen blauen Pömpel in den Hintern rammst." Hiroki blinzelte. Kentarou WOLLTE nicht komisch klingen, dazu wirkte sein Freund viel zu irritiert, ja verstört, ABER diese Beschreibung musste die angespannte Atmosphäre mit einem lauthalsen Lachen entkrampfen! Obwohl Hiroki sich die Hand vor den Mund hielt und sich darum bemühte, eine dem ernsten Thema angemessene Haltung zu wahren, brach sein Bass doch hervor. Er lachte so sehr, dass ihm sein Zwerchfell die Rote Karte zeigte, er sich auf einen Hocker sinken lassen musste. "Weiß gar nicht, was daran komisch sein soll!" Zum ersten Mal an diesem Tag streifte den Hünen ein verunsicherter Blick. So hatte er Kentarou wirklich selten gesehen, ratlos und gleichzeitig scheu. Üblicherweise pflegte Kentarou eine unentschlossene Situation durch pure Energie und heftiges Herumwirtschaften einfach zu überrennen, eine Lösung zu forcieren, doch dieses Mal schien er ungewohnt zögerlich. "Und?" Hiroki wischte sich über die Augen. "Verabscheust du mich nun?" Ein scheeler Blick streifte ihn, dann wurde ihm ein Messbecher in die Hand gedrückt. "Koch den Reis!" Hiroki erhob sich, um wie aufgetragen seiner Aufgabe nachzukommen, dennoch erwartete er eine Antwort. Und so, wie er Kentarous brodelnde Ruhe kannte, würde er auch nicht enttäuscht werden. Die Augen auf seine Arbeit gerichtet, nämlich die Würfel zu erhitzen, indem er sie eifrig wendete, bemerkte Kentarou sehr beherrscht. "Natürlich ändert DAS nichts!" »Aha!« Hiroki schmunzelte. Kentarou konnte noch so nüchtern klingen, überzeugend war das nicht. »Bin gespannt, was er ausbrütet.« "Ich verstehe nur nicht..." Kentarou brach ab, zog eine Grimasse und schöpfte Würfel aus der Pfanne ab. Hiroki verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich wieder an den Schrank an. "Warum tust du das?" Kentarou runzelte unwillkürlich die Stirn, sah aber nicht von seiner Arbeit auf. "Ich meine, wieso? Ich verstehe es nicht." »Oje!« Der Hüne studierte das Profil seines Freundes, die angespannte Haltung. "Was genau verstehst du denn nicht?" Bemühte er sich um einen normalen Unterhaltungston. Allmählich bestätigte sich seine Ahnung, dass es gewisse Hindernisse gab, seine Liebe wirklich zu übermitteln. Kentarou deckte die Schüssel zum Warmhalten ab, reinigte sein Kochbesteck. "Wie kommst du darauf?" Endlich sah ihn Kentarou an, durchaus erhitzt, vor allem aber ärgerlich, wütend auf sich selbst. Weil er die Antwort nicht selbst fand. Hiroki betrachtete seinen Freund einen Augenblick, dann streckte er die Hand aus. "Gib sie mir." Er wies auffordernd mit dem Kinn auf Kentarous Rechte. "Die brauche ich noch!" Empörte der sich sofort. "Ich will sie wiederhaben!" Hiroki lächelte über ihren vertrauten Scherz, legte behutsam seine langen, kraftvollen Finger um die kleine Hand. Kentarou musterte ihn misstrauisch, doch Hiroki hielt einfach den Kontakt aufrecht. Er bemerkte schnell, dass Kentarou unruhig wurde, sich verspannte, seine Hand wieder lösen wollte. "Ist es dir unangenehm, wenn ich deine Hand halte?" Hiroki schnurrte beinahe in sonoren Tiefen. "Natürlich nicht!" Schnaubte Kentarou, aber seine Zappelei bewies das Gegenteil, doch Hiroki wusste recht gut, dass es keine persönliche Abneigung war. Während er Kentarous Hand unnachgiebig in Beschlag nahm, bemühte er sich um die Antwort, die sein Freund so gerne ermitteln wollte. "Befriedigst du dich nicht ab und zu selbst?" Eine rhetorische Frage, denn Kentarous Blick bestätigte seine Vermutungen. »Da ist wohl eine Basis-Lektion vonnöten.« Hiroki unterdrückte ein Schmunzeln. Zärtlich streichelte er mit dem Daumen über Kentarous Handrücken, blickte in die Katzenaugen, die so verstört und störrisch funkelten. "Es ist wie eine spontane Lust auf etwas besonders Leckeres. Wenn man dann rein beißt, es schmeckt, dann ist das einfach herrlich. Man fühlt sich wunderbar. Sogar ekstatisch." Hiroki zwinkerte. "Und-und das kommt einfach so?!" Kentarou wirkte ungläubig. Sein Entsetzen erweckte den Eindruck, ihr Gesprächsthema drehe sich um eine heimtückische und lebensbedrohliche Erkrankung, die jederzeit unvermutet ausbrechen konnte. Hiroki umkreiste das Hindernis von einer anderen Seite. "Erinnerst du dich, als dieser Pfannkuchen-Laden neu eröffnet wurde? Wir sind einfach so hineingegangen und haben uns zwei Pfannkuchen gekauft, obwohl wir doch bereits alles für das Abendessen besorgt hatten." Verständnislos funkelten ihn die Katzenaugen an. Der Hüne seufzte. "Warum haben wir das damals gemacht, hmm? Weil wir spontan gewaltige Lust auf Pfannkuchen hatten!" NUN sah Kentarou wirklich entsetzt aus. "Das ist doch nicht dasselbe!!" Kleinlauter wisperte er verwirrt. "Oder??" Er erhoffte sich eine Bestätigung, dass man ihn bloß zum Narren gehalten hatte. "Das Prinzip ist genau gleich: man möchte sich etwas Gutes tun, sich wohlfühlen. Es hat nichts mit Vernunft zu tun oder mit einer Notwendigkeit." Hiroki drückte die kleine, kräftige Hand zärtlich. "Sieh mal, damals hatten wir ja gar nicht so furchtbaren Hunger, dass wir es nicht mehr bis zum Abendessen ausgehalten hätten, richtig? Die Pfannkuchen waren ja auch nicht sonderlich günstig, oder? Und süß! Aber wir haben es trotzdem gemacht, ohne lange zu zaudern, Ken. Weil wir es wollten. Weil wir überwältigend große Lust hatten, uns etwas Gutes zu tun." Kentarou wirkte noch immer verstört, zog die Schultern unbehaglich hoch. Begriff er sich selbst nicht mehr? Beunruhigte es ihn, einer Grille nachgegeben zu haben? "Kann ich meine Hand wiederhaben?" Ungeduldig versuchte er, sie zu einer Faust zu ballen, trippelte von einem Bein auf das andere. "Nein." Antwortete Hiroki sanftmütig, aber bestimmt. Die Basis-Lektion war noch längst nicht beendet. "Weißt du, welches das größte menschliche Sexualorgan ist?" Hiroki überraschte sich selbst, so ruhig zu sprechen. Und auch so viel, obwohl er seinem Freund gegenüber weniger schweigsam war als gegenüber anderen Menschen. Kentarous Blick flackerte, seine nervöse Unruhe steigerte sich merklich. Hiroki war mit dieser Reaktion durchaus vertraut: sein Freund wollte nicht untätig herumstehen, nicht festgehalten werden. Es war nur dessen erschütternder Verwirrung zu verdanken, dass Kentarou nicht zu drastischen Mitteln gegriffen hatte, um sich zu befreien. "Die Haut." Beantwortete Hiroki gelassen seine eigene Frage. "Wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, dann erreiche ich damit deinen Verstand." Er tippte mit dem Zeigefinger der freien Hand behutsam auf Kentarous Stirn. "Aber wenn ich dein Herz erreichen will, wenn ich möchte, dass du WIRKLICH begreifst, wie sehr ich dich liebe, dann muss ich dich berühren." Er hauchte einen Kuss auf seine Fingerspitze, legte sie auf Kentarous Brustkorb. "Damit sich ALLE deine Sinne überzeugen können, wie es um meine Absichten bestellt ist." In den Katzenaugen stand nun ungeschminkte Panik. Der Hüne konnte nicht einmal mehr sicher sein, dass seine Worte den Freund erreichten. "Ken?" Überprüfte er die Reaktionsfähigkeit. "..aber...ABER..." Kentarou sammelte sich sichtlich, versuchte, sein Unbehagen abzuschütteln. "Aber das erklärt nicht, wieso du dir ein Stück blauen Kunststoff in den Hintern rammst!" "Tja." Hiroki seufzte leise, lächelte melancholisch. "Es ist die einzige Alternative. Manchmal muss ich eben nett zu mir sein, weil die Person, die ich liebe, nicht mit mir schlafen will." Obwohl er die Worte bedächtig aussprach, einen beherrschten Tonfall wählte, wusste er doch, dass sie eine Anklage waren, außerdem verschämt verschwieg, dass es noch den Lust-Aspekt gab. Oder die Tatsache, dass sich Sex zu fünfzig Prozent im Kopf abspielte. Bei dem Gedanken spürte Hiroki, wie ihm peinliche Farbe in die Wangen stieg. Langsam gab er die kleine Faust frei, löste sich vom Schrank. Kentarou bebte leicht, den Blick trotzig auf den Boden gerichtet, die Lippen fest aufeinander gepresst. »Ich habe dir wohl genug Stoff zum Nachdenken gegeben.« Beinahe bedauerte der Hüne seinen Freund. "Bis morgen dann." Verabschiedete er sich leise. ~+~ Kapitel 18 - Aufholjagd Kentarou ließ entmutigt seinen Stift sinken, rieb sich die schmerzenden Augen. Es war schon spät in der Nacht und die Funzel, die seine winzige Dachkammer beleuchtete, sicherlich nicht dafür geeignet, dass man in ihrem Schein Hausaufgaben erledigte. Aber Kentarou musste sich geschlagen geben. Er KONNTE sich einfach nicht auf die Übungen konzentrieren. »Das ist allein Hiros Schuld!« Grollte er, streckte die verspannten Glieder. Wieder und wieder kreisten seine Gedanken um dessen Erläuterungen vom Abend. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, dass diese sexuellen Anwandlungen ohne Sinn und Verstand urplötzlich daherkamen, was war dann von den Liebesbeteuerungen zu halten?! Würden die sich auch so eilig verflüchtigen? »Überhaupt, das ist trotzdem nur lästig!!« Grummelte Kentarou stumm, ging langsam auf und ab, schüttelte die Steife aus seinen Gliedern. Wieso erklärte Hiro, sein bester Freund seit Jahrzehnten!!, ihm aus heiterem Himmel, dass er ihn liebe?! Und dann noch dieses Plastikdings! "So was KANN gar nicht gut tun!" Knurrte Kentarou, hütete sich aber, zu laut zu sprechen, denn er wollte seinen Großvater nicht aus dem Schlaf reißen. Er hatte Berichte gelesen von Darmspiegelungen, bei denen Patienten sogar ohnmächtig wurden, als man ihnen den Schlauch einführte. "Und so ein verdammter Gummischlauch ist ja auch nicht viel dünner als diese Handramme!" Hiro musste da irgendwas missverstanden haben! Kentarou gestand sich zwar ein, dass es gewisse biologische Phänomene gab, die ihn auch plagten, doch er behielt sich störrisch vor, sie zu ignorieren und sich so rasch wie möglich ihrer zu entledigen. "Sich aus Spaß an der Freude einen von der Palme wedeln?! Bescheuert!" Urteilte er überzeugt, um wieder unruhig auf und nieder zu laufen. Seltsamerweise schien es 'normal' zu sein, diese Dinge zu tun. "Was ist mit all diesem Schmetterlinge-Blümchen-Zeug?!" Natürlich WUSSTE er, dass Liebe auf den ersten Blick nichts weiter als ein hormoneller Super-GAU war, eine elektrische Explosion der Nerven, die für eine gewisse Zeitspanne die Urteils- und Denkfähigkeit beeinträchtigte, aber nach durchschnittlich einem halben Jahr ließen die Nebenwirkungen nach. War DAS Hiros Anwandlung?! Musste er selbst bloß ein halbes Jahr aussitzen, und sein bester Freund wäre wieder zurechnungsfähig? Kentarou hegte den leisen Verdacht, dass seine logische Analyse an Ungereimtheiten krankte. »Wenn man natürlich Hiro klarmachen könnte, dass er bloß eine Phase totaler geistiger Umnachtung durchmacht...« "Aber woher zum Teufel hat er das vermaledeite Ding?! Wieso dreht er ausgerechnet jetzt total durch?!" Kentarou befand, dass es noch zu viele Lücken in der Beweiskette gab. Er löschte die Funzel, blinzelte einige Male, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann kletterte er aus seinem Dachfenster hinüber in das Nachbarhaus, lauschte einen zögerlichen Moment lang, ob er nicht erneut ein 'Flöten-Solo' störte. Doch wie zu erwarten konnte er lediglich langsame Atemzüge vernehmen, die darauf hinwiesen, dass sein bester Freund fest schlief. Kentarou tastete nach der kleinen Nachttischlampe und aktivierte sie. Er packte Hirokis Schulter fest und schüttelte gnadenlos, bis der Hüne sich zu ihm umdrehte, die Augen rieb und sich endlich aufsetzte. "Wo hast du den blauen Dödel her?" Übergangslos feuerte Kentarou seine Fragen ab. Hiroki blinzelte, versuchte, die letzten Spuren seines Schlafs abzustreifen. "Wie? Oh!" Verständnis dämmerte ihm. Obwohl es nicht allzu häufig vorkam, war er durchaus gewöhnt, zu nachtschlafender Zeit von Kentarou heimgesucht zu werden. "Gekauft natürlich." "Quatsch!" Quittierte Kentarou die Antwort. "So was verkaufen die doch keinem Minderjährigen!" Hiroki schmunzelte. "Mag sein, aber sagst du mir nicht selbst dauernd, dass ich ein großer Junge bin?" Er legte den Kopf ein wenig schief und ergänzte. "Ich war schon vor zwei Jahren ein großer Junge. Deshalb gab es überhaupt kein Problem." Die Katzenaugen weiteten sich. "Was?! Vor ZWEI Jahren?!" Hiroki wischte sich durch die schwarzen, kurzen Haare. "Hast du mal darüber nachgedacht, dass du eigentlich fast zwei Jahre jünger bist als ich?" "Nein!" Folgte die prompte Antwort. "Was spielt das für eine Rolle?!" Der Hüne seufzte nun laut. "Ken, stell dich nicht blöd an. Ich bin dir körperlich zwei Jahre voraus. Ich kann ohne Mühe als Erwachsener durchgehen." Die unschmeichelhafte Wahrheit war, dass seine Größe und die mangelnde Attraktivität für jeden Inhaber von Erotik-Geschäften bereits Erklärung genug darstellten. "Trotzdem!" Beharrte Kentarou ärgerlich. "Wieso hast du dir das Ding gekauft?! Das ist ganz sicher nicht angenehm!" Hiroki wandte sich halb ab, um seine Kissen bequem zu positionieren, hob eine Ecke seiner Decke an. "Dir wird noch kalt, schlüpfe drunter!" Dann, sobald er Kentaoru wenigstens halbwegs warm verpackt wusste, antwortete er gelassen. "Das Ding ist ein Vibrator. Mit ein bisschen Erfahrung und Geschick fühlt es sich wundervoll an. Willst du es mal versuchen?" Er wusste, dass es eine gehässige Gemeinheit war. Andererseits konnte man ihm es wohl kaum verdenken, sich ein wenig schadlos zu halten, wenn er schon aus dem Schlaf gerissen wurde. "Ich ramme mir doch nicht irgendwelche Prügel in den Arsch!" Fauchte Kentarou hitzig. "Auf dem will ich noch jahrelang sitzen!" "Tja!" Wenig beeindruckt, wenngleich auch mit einem Schmunzeln in den Mundwinkeln konterte Hiroki. "Deshalb habe ICH mich ja darauf verlegt." Er hatte erwartet, auch diese Spitze erklären zu müssen, doch dieses Mal überraschte ihn Kentarou. Die Katzenaugen musterten ihn eindringlich, ihr Besitzer schwieg konzentriert. "Wie lange genau planst du diese Sache schon?" Es schwang durchaus Misstrauen in Kentarous Stimme, aber vor allem drang Besorgnis heraus. Diese Frage hatte Hiroki nicht erwartet. Oder zutreffender, er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Kentarou sie stellen würde. Langsam ließ er sich tiefer in seine Kissen sinken, betrachtete seinen Freund, musste erst tief Luft holen, seinen heftig dahinrasenden Puls beruhigen. "Ich glaube, ich habe dich seit dem ersten Augenblick geliebt. Und jeden Tag danach mehr. Selbst wenn wir uns gestritten haben. Für mich stand außer Zweifel, dass ich immer, mein ganzes Leben lang, mit dir zusammen sein wollte." Er senkte den Blick, studierte seine Hände, die sich aneinander festhielten. "Als ich so etwa elf war, bemerkte ich, dass ich auch körperlich auf dich reagierte." Langsam leckte er sich über die Lippen, plötzlich war ihm die Kehle eng, der Mund wie ausgetrocknet. Warum musste Kentarou ihm so konzentriert und schweigsam lauschen?! Doch was half alles Klagen?! "Zuerst habe ich mich gehasst und dafür geschämt, aber das half natürlich nicht. Dann habe ich mich eben dafür entschieden, dass ich der passive Partner sein werde. Gerade weil ich ein großer Junge bin, habe ich mir Referenzliteratur besorgt und dafür trainiert. Fünfzig Prozent Kopf, die andere Hälfte der Körper." Ein trauriges Lächeln irrlichterte über seine angespannten Züge. Hiroki blickte auf. "Nur attraktiv konnte ich nicht werden. Entschuldige." Kentarou starrte ihn an. Der Hüne senkte zuerst den Blick, verwünschte bekümmert den kläglichen Scherz. "Du willst sagen, dass du all diese Dinge tust in der Erwartung, dass wir ein Liebespaar werden?" Kentarous Stimme klang brüchig und seltsam fremd. Hiroki seufzte erstickt. "So formuliert klingt es natürlich ein wenig anmaßend." "Wieso jetzt?" Kentarou klang beinahe beherrscht und sachlich, aber Hiroki hatte den Eindruck, dass nicht mehr viel fehlte, um seinen Freund vollkommen aus der Bahn zu werfen. Er legte den Kopf in den Nacken, rieb sich mit beiden Händen die Augen. "Torschlusspanik." Brummte er resigniert. "Mir läuft die Zeit weg. Die Konkurrenz wird immer besser und zahlreicher. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte, damit du bei mir bleibst." "Bescheuert." Kommentierte Kentarou geistesabwesend, eine automatische Replik ohne den gewohnten Pfeffer. Er schälte sich aus der Decke, erhob sich. Hiroki blickte ihn nervös an. Kentarous Ruhe machte ihm Angst. "Danke für deine Erklärungen. Schlaf gut." Kentarou unternahm Anstalten, wieder aus dem Fenster zu steigen. "Ken!" Hiroki richtete sich auf, zögerte einen Augenblick. Ermutigt durch die Silhouette, die inne hielt, noch nicht im Nachbarhaus verschwand. "Sind wir noch Freunde?" Für einen langen Moment blieb es still, Hiroki wagte nicht einmal, Luft zu holen. "Wir sind Freunde." Hörte er Kentarous Stimme rau. Dann huschte der Schatten davon. Hiroki sank schwer auf sein Bett zurück und atmete tief durch. Auch wenn es ihn erleichterte, sich endlich offenbart zu haben, fragte er sich doch beklommen, wie Kentarou die 'Enthüllung' verarbeiten würde. ~+~ Mamoru öffnete sein Schließfach, bemerkte sofort den Zettel, der in seinem rechten Schuh gelandet war. Für einen kurzen Augenblick meinte er, eine Ahnung von Vanille wahrzunehmen, was ihn an Satoru erinnerte. Satoru musste entweder ein Duschgel oder eine Körperlotion benutzen, die dezent nach Vanille duftete. Die Botschaft, unverfänglich gehalten, was die Vermutung bestätigte, der Ältere fühle sich noch immer verfolgt, gab Mamoru unmissverständlich zu verstehen, dass ein Treffen nicht in Frage kam. [Bedauerlicherweise habe ich keine Zeit, um dir Nachhilfe bei der englischen Aussprache zu geben. Warum hörst du dir nicht entsprechende Popsongs an?] »Gemein!« Mamoru schob den Zettel in seine Hosentasche. »Mich interessiert niemand anders als du!« Als er an der Bahnstation im Gewühl der Pendler stand, musste er doch lächeln. »Ganz schön gehässig!« Er würde sich entsprechend revanchieren, soviel stand fest! ~+~ Mit gemischten Gefühlen und durchaus nervös strebte Hiroki am letzten Schultag der ereignisreichen Woche das alte Haus seiner Nachbarn an. Um sich wie gewohnt eine 'Entschuldigung' zu verschaffen, hatte er zuvor auf dem Heimweg frisches Gemüse und eine der saisonalen Teesorten gekauft, da zweifellos die Vorräte der Miwas unter dem strengen Hausarrest reduziert worden sein mussten. Außerdem brauchte der Mensch etwas Frisches! Wenn seine Mutter es auch keineswegs begrüßte, dass er nicht einmal zuerst im Elternhaus Station nahm, so schien im Augenblick ein fragiler 'Waffenstillstand' zu wirken, der ihn von den üblichen Ermahnungen ausnahm. Die Schiebetür war nicht geschlossen, sodass Hiroki sich selbst herein ließ, die Schuhe gegen Pantoffel tauschte und nach Kentarou rief. An dessen Stelle antwortete ihm der Großvater, bat ihn, zu ihm zu kommen. Folgsam gehorchte der Hüne der Aufforderung, präsentierte seine Einkäufe artig und ließ sich von Kentarous Großvater ins Vertrauen ziehen. Ob sie immer noch stritten? Oder in der Schule etwas vorgefallen war, dass seinen umtriebigen Enkel beschäftigte? Gab es etwa neue Entwicklungen im Skandal? Hiroki runzelte verwirrt die Stirn, hätte am Liebsten sofort den Kotatsu verlassen, um nach seinem besten Freund zu sehen, doch seine Manieren zwangen ihn, sich nicht zu rühren und sich selbst um Auskunft zu bemühen. "Ich verstehe nicht ganz. Was ist denn mit Ken los?" Der alte Mann lehnte sich näher heran und wisperte heiser. "Er redet nicht! Sonst plappert er immer vor sich hin oder summt wenigstens! Aber er hat heute den ganzen Tag die Zähne nicht auseinander bekommen! Und starrt Löcher in die Gegend!" Sein Gegenüber staunte Bauklötze, weniger über die Vorstellung, dass Kentarou dazu neigte, sich mit sich selbst zu unterhalten, als dass sein Freund SUMMTE!! Er hatte Kentarou bisher nur als den standhaftesten Verweigerer von Karaoke kennengelernt, der sich darüber hinaus als absolut und unheilbar unmusikalisch bezeichnete und jede Anstrengung zum Beweis kategorisch ablehnte. Da ihn der alte Mann so begehrlich ansah, war zunächst eine Beruhigung angesagt. "Wir haben uns nicht gestritten." Antwortete er wahrheitsgemäß, jedoch unter Auslassung einiger wesentlicher Aspekte. Das schien einen einigermaßen besänftigenden Einfluss auf die Sorge des Großvaters zu haben. "Vielleicht ist es dann dieser Skandal? Gibt es neue Erkenntnisse?" So sehr sich Hiroki gewünscht hatte, die Frage würde nicht aufkommen, denn sie hinderte ihn daran, sich gleich nach Kentarou umzusehen, so konnte er niemandem verdenken, sich aus erster Hand informieren zu wollen. "Nun, es gehen viele Gerüchte herum. Wie es scheint, hat der Schülerpräsident nicht verraten, wer wen mit was erpresst hat, sodass die Polizei bei ihren Ermittlungen auf Anzeigen angewiesen ist." "Es ist sehr nobel, dass er die Opfer nicht verraten will." Bekundete Kentarous Großvater die vorherrschende Meinung. Hiroki behielt sich eine zwiespältige Einschätzung vor. Wenn die Opfer nicht aus eigenem Antrieb die Untaten anzeigten, dann würden einige Täter ungestraft davonkommen. Andererseits musste man wohl akzeptieren, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg fand, um mit solchen Traumata leben zu lernen. Bevor der Großvater eine tiefere Erkundung in die bekannten Schlechtigkeiten der Menschheit, zumindest der medial verbreiteten, unternehmen konnte, entschuldigte sich Hiroki eilig, er wolle mal rasch das Gemüse Kentarou anvertrauen. Er fand seinen Freund im winzigen Garten, ungewohnt still, auf einem größeren Stein hockend, ohne jede offenkundige Beschäftigung. DAS war wirklich beunruhigend. Hatte Kentarou nichts mehr gefunden, das erledigt werden konnte?! Als Stillleben hatte er seinen agilen Freund noch nie gesehen. Behutsam umrundete Hiroki die reglose Gestalt und ging vor Kentarou in die Hocke, studierte die Katzenaugen, die sich erst nach einem langen Augenblick auf ihn fokussierten. "Hallo." Kentarou legte den Kopf ein wenig schief, wirkte erschöpft. "Hiro?" Herausgefordert von der Hürde, die Konversation zu bestreiten, lupfte Hiroki die Einkaufstüte. "Hab frisches Gemüse mitgebracht." Mit Verzögerung löste sich Kentarous Haltung, er beugte sich vor, um die Erwerbungen in Augenschein zu nehmen. "Danke." Hiroki musterte Kentarou und entschied sich tapfer dagegen, die Hand auszustrecken, über den wirren Schopf zu streicheln, der einem nachlässigen Haarband entkommen war. Kentarou blickte unterdessen wieder konzentriert, mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen ins Leere. Welcher innere Prozess auch hinter den Katzenaugen abgespult wurde, Hiroki wollte sich einbringen. Er hatte das Gefühl, dass es immens wichtig war. "Dein Großvater sagt, dass du dich vor dich hingesummt hast." Bemerkte er also tollkühn in leichtem, neckenden Tonfall. In den Katzenaugen blitzte es. "Sieht so aus, als könntest du doch einen Tick musikalisch sein." Nun triezte er Kentarou offenkundig, üblicherweise eine Einladung, eine Tirade abzufeuern. "Ich weiß nicht." Kentarou antwortete bedächtig, ungewöhnlich beherrscht. "Ich habe mir nicht zugehört." Hiroki studierte die Katzenaugen, die ihm nicht auswichen. »Was habe ich bloß angestellt?!« Fragte er sich selbst schockiert. War das wirklich Kentarou, der wie ein Schachtelteufelchen in die Luft gehen konnte?! Wo war dieser Funken, diese züngelnde Luntenschnur kurz vor der Explosion?! Der Hüne ließ die Tüte mit den Einkäufen neben sich sinken, umfasste rasch die kleinen, kräftigen Hände seines Freundes. "Ken? Was ist los?" "Hmmm." Brummte der bloß, zog die Nase kraus. "Ich habe nachgedacht." »Wirklich?!« Hiroki hatte sich gut in der Gewalt, um nicht gedankenlos herauszuplatzen, aber seinem Gesicht konnte Kentarou wohl die freche Bemerkung ablesen. "Pass auf!" Knurrte er bissig. "Du bist zwar größer, aber ich kann dir doch den Arsch verhauen! Da komme ich locker dran!" Diese grässliche Drohung hatte Hiroki schon zu oft gehört, um sich zu fürchten. Kentarou hatte ihn noch nie geschlagen. "Ich habe nachgedacht!" Setzte Kentarou würdevoll erneut an. Hiroki spürte, wie seine großen Hände energisch gedrückt wurden, als ob eine Aufforderung notwendig war, dass es nun ernst wurde und keine Unterbrechungen erwünscht waren. "Das ist nicht einfach." War Kentarous Einleitung; seine Hände zuckten in Hirokis Griff, mussten stillhalten, konnten sich nicht mit einer Beschäftigung ablenken. Die Katzenaugen blickten ernst, ja, ein wenig gequält, verrieten Erschöpfung. "Ich verstehe Einiges von dem, was du mir in dieser Woche alles gesagt hast. Das ist die Sache mit dem Verstand." Er zog eine Grimasse. "Aber dann!" Kentarou holte tief Luft. "Dann gibt es da ja auch den ganzen Rest. Und der bereitet mir Kopfzerbrechen." »Oje!« Hiroki staunte voller Mitgefühl. "Ich meine, erst mal dieser blaue Plastikdödel! Das KANN ich einfach nicht begreifen! Mich hat noch nie der Impuls überfallen, mir irgendwelche Kunststoffdinger in den Hintern zu rammen!" Nun klang Kentarou so hitzig und enragiert wie gewohnt. "Zugegeben, ich wollte mir noch nie etwas in die Kehrseite bohren, aber lassen wir das!" Die Haare flogen. "Es geht ja noch weiter! Zum Beispiel, wieso du erst jetzt mit der Sprache herausrückst!" DAS klang vorwurfsvoll. "Du treibst seit JAHREN so was, und sagst mir nichts! Ja, wie komme ich mir denn da vor?!" Die Hände zuckten, aber Hiroki hielt dagegen. Kentarou musste sich also auf seine Rede besinnen. "Überhaupt, diese ganze Sex-Geschichte!" Nun verlor er deutlich an Fahrt. "Die gefällt mir gar nicht." »Oha!« DIESE Entwicklung fand Hiroki gar nicht mehr Glück verheißend, dann bemerkte er jedoch, dass sich Kentarous Wangen leicht gerötet hatten. Aber dessen Gesichtsausdruck war nicht schamhaft erfreut. "Auch wenn ich das Ganze theoretisch verstehe, dann reicht das noch lange nicht." Kentarou seufzte leise, seine Schultern sackten. Seine Katzenaugen suchten Hirokis Blick. "Eigentlich SOLLTE ich doch genauso sein, oder? Ich müsste doch auch so fühlen, richtig? Ich meine, ich sollte doch auch das Bedürfnis haben, Leute anzufassen, ein Mädchen küssen zu wollen oder an Sex zu denken? Oder?!" Hiroki spürte, wie er sich auf die Unterlippe biss. Eingestandenermaßen hatte ihn Kentarous 'stoische' Reaktion durchaus irritiert. Andererseits gab es ja mögliche Erklärungen. »Und ich würde ihn auch nicht zwingen!« Kentarou seufzte, betrachtete ihre Hände, die sich verkrampft hielten. "Ich weiß nicht, wie das ist, sich zu verlieben. Klar habe ich darüber gehört und gelesen, all diese dämlichen Geschichten über Schmetterlinge und akute Gehirnaussetzer, Herzrasen und Fieberschübe." Er schnaubte verächtlich. "Manches klang so wie Sodbrennen. In jedem Fall eine vorübergehende Übelkeit, die keine Substanz hat. Ehrlich gesagt klingt es für mich immer noch überhaupt nicht reizvoll, verliebt zu sein." Die Katzenaugen bohrten sich in Hirokis schwarze. "Außerdem mag ich es nicht, wenn man andere wie Eigentum betrachtet und behandelt. Ich könnte es nicht aushalten, wenn einer ständig an mir herumfingert und ich nicht mal protestieren könnte, weil das ja dazu gehört, wenn man verliebt ist!" Gegen seinen Willen und dem ernsten Thema unangemessen musste Hiroki grinsen. Kentarous Fratze des Abscheus war einfach zu niedlich. Der nahm keinen Anstoß an Hirokis nonverbalem Kommentar, sondern setzte seinen Monolog fort. "All diese Sex- und Liebe-Geschichten haben nie etwas mit MIR zu tun gehabt. Ich hab's verstanden, aber nicht begriffen. Das ist wie eine dieser komplizierten mathematischen Formeln: wenn's einem erklärt wird, erscheint es logisch. Aber mit dem eigenen Leben hat es nichts zu tun, und man wüsste auch gar nicht, wozu es einem nützlich sein könnte." Kentarou seufzte erneut leise, blickte wieder auf ihre Hände. "Aber theoretisch geht es bei Liebe ja auch überhaupt nicht um Nutzen, richtig? Ich kann diesen ganzen Ideen aber einfach nicht folgen!" Das Fuchsgesicht wurde sichtbar, die Züge froren ein, wirkten fremd. "Ich brauche niemanden, der mich anfasst. Ich habe keinen Bedarf an fremdem Schlabber in meinem Mund und an Fingerabdrücken überall auf meinem 'größten' Sexualorgan. Aber das müsste ich eigentlich, oder? 'Normal' wäre es doch, wenn ich mich danach VERZEHREN würde, richtig?" Diese Frage war ein flehentliches Plädoyer, ihm seine Zweifel zu nehmen. Hiroki glitt mit den Daumen über die Handrücken, langsam und besänftigend. "Was da oft geschrieben wird über Liebe, ist ausgemachter Quark. Das funktioniert nur, wenn man felsenfest daran glaubt. Tatsache ist, dass viele Dinge im Leben erlernt werden müssen und dass man sich an eine Menge gewöhnen kann." Der Hüne lächelte aufmunternd. Kentarou staunte ihn an, wirkte hellwach und elektrisiert. "Du meinst, man kann lieben lernen? Dass es nicht sofort 'da' sein muss?!" "Genau." Der Hüne schmunzelte über die deutlich sichtbare Erleichterung seines Freundes. "Ich glaube, Liebe auf den ersten Blick ist bloß EIN Merkmal, ob man überhaupt zueinander passt, so auf chemischer Ebene." Sein Freund nickte so eifrig, dass Hiroki damit rechnete, ihm würde das Genick ausleiern. "Aber es gibt da noch so viel mehr, was man abstimmen muss." Setzte er bedächtig seine Gedanken fort. "Am Schwierigsten ist doch der Alltag. Dass man dem anderen seine Macken und Schwächen nicht übelnimmt. Dass man gemeinsame Ziele hat. Ich bin davon überzeugt, dass man immer lernen muss, einen anderen zu lieben. Das ist anstrengend und hört nie auf, aber es gibt immer gute Gründe dafür, nicht aufzugeben, nicht nachzulassen." "Und diese Sex-Sache?!" Kentarou war von den emotionalen Aspekten offenkundig überzeugt worden, aber noch waren nicht alle offenen Fragen beantwortet. Hiroki wusste, dass er sich auf heiklem Gebiet bewegte. Aber es GAB gute Gründe, nicht zurückzuweichen. "Das kann man auch lernen." Versicherte er ruhig. "Ja, man muss es sogar üben, damit es gut funktioniert. Ich kann mir vorstellen, warum es dir schwer fällt, dich mit der Vorstellung anzufreunden." "Und warum?" Ein leiser Misston schwang in Kentarous Stimme. War er vielleicht doch nicht 'normal'? Hiroki seufzte nun seinerseits, blickte auf ihre Hände, antwortete durchaus verlegen. "Sieh mal, als ich klein war, hat meine Mutter mich ständig herumgetragen. Sie hatte Angst, weil ich nicht geweint habe, kaum etwas gesprochen. Wenn mir etwas passiert wäre, hätte ich vielleicht nicht mal nach ihr rufen können." Er hob den Kopf an, um Kentarou anzusehen. "Dann, später, als das mit meiner Haut begann, da musste sie mich auch ständig berühren. Eincremen, Verbände wechseln, trösten, wenn ich beim Arzt war. Als ich mir selbst helfen konnte, habe ich es manchmal vermisst. Dass jemand mich in den Arm nimmt und mir versichert, dass es gut wird. Dass ich trotz meines Aussehens gemocht werde." Er schluckte und blinzelte, lächelte beschämt, weil ihm etwas herausgerutscht war, was man als peinliche Schwäche verstehen konnte. "Deshalb also..." Kentarous Stimme klang flach, abwesend, seine Katzenaugen blickten konzentriert ins Leere. Dann kehrte er wieder in die Gegenwart zurück. "Ich nehme an, man vermisst nichts, was man nicht gewöhnt ist, oder?" Seine Stimme klang sachlich, betont nüchtern. Hiroki würgte an dem Kloß in seinem Hals, als er antworten wollte, jedoch nicht mehr als nicken konnte. Hatte es ihn gequält, mit einem Körper zu hadern, der ihn zum Außenseiter stempelte, so musste es für Kentarou noch schwieriger sein, dessen Körper war 'unsichtbar' gewesen, weil niemand ihn mehr als flüchtig berührte. "Deshalb hast du auch nach meiner Kindheit gefragt. Verstehe." Kentarou lachte freudlos auf. "Du hast es längst vermutet, nicht wahr? Bloß ich habe es nicht kapiert." »Wie auch?« Hiroki presste die Lippen aufeinander. »Du schuftest, wenn du wach bist, ohne Pause von früh bis spät. Du hast doch kaum Zeit für dich selbst. Wie sollst du wissen, was DU willst und was dir fehlt?« "Es ist wahrscheinlich eine überflüssige Frage, aber ich nehme an, dass du immer noch entschlossen bist, in mich verliebt zu bleiben, oder?" Kentarou zog eine Grimasse ob der Lästigkeit. Hiroki drückte die kleinen, kräftigen Hände. "Ganz recht. Ich liebe dich und will mein Leben mit dir verbringen." Daran war nichts Schwärmerisches oder Naives. Der Hüne war sich der Hindernisse und Schwierigkeiten durchaus bewusst. Andererseits gab es keine Alternative. Es war schließlich SEIN Leben und SEINE Wahl. "Was ist mit Frau und Kindern?" Kentarou klang eher wie ein strenger Schwiegervater in spe. Sein bester Freund grinste. "Habe ich nicht und möchte ich auch nicht. Meine Absichten sind durch und durch ehrenhaft, wenn auch nicht gänzlich jugendfrei." Kentarou seufzte laut. "Wäre es denn nicht unfair, wenn ich...?" Er brach ab, kaute an seiner Oberlippe. "Findest du es denn in Ordnung, wenn ich nicht sofort in dich verliebt bin, und so weiter?!" »Wie kannst du mich so etwas fragen?« Hiroki unterdrückte mannhaft ein Auflachen. Der unwillige Ernst in dem Fuchsgesicht, die sicherlich verdammte Ehrlichkeit, die dazu zwang, ritterlich diese Frage zu stellen, die kraus gezogene Nase, die Anstrengung, ihn nicht zu übervorteilen: Kentarou war einfach zu liebenswert!! "Ja." Antwortete er endlich lächelnd. "Ja, Ken, es IST in Ordnung. Ich wäre überglücklich, wenn du mich auch liebst. Der Start ist dabei nicht wichtig, sondern das Ende: dass wir uns beide lieben." "Gegenseitig." Ergänzte Kentarou grübelnd, was Hiroki veranlasste, leise aufzulachen. Kentarou legte den Kopf schief, funkelte temperamentvoll aus großen Katzenaugen. "Aber glaub ja nicht, dass ich deinen Vorsprung so schnell einhole, klar? Und ich will nicht, dass irgendwas in meine Kehrseite gerammt wird! Weder Plastikdödel, noch den Prügel, den du zwischen den Beinen schwingst, verstanden?!" "Aye, aye!" Hiroki nickte gefällig, er hatte auch nichts anderes erwartet. "Und!" Diktierte Kentarou mit gerecktem Kinn weiter. "Ich will gefragt werden. Kein Abgeschlecke und Herumgegrapsche ohne Ankündigung! Ich muss mich nämlich mental darauf vorbereiten." Ergänzte er betont wichtig. Daran war, wie Hiroki bemerkte, durchaus nichts auszusetzen. Wenn Kentarou das Bedürfnis lernen musste, von jemandem berührt und gehalten zu werden, wäre es nur begreiflich, dass er dazu erst in eine passende Stimmung versetzt werden musste. "Ich werde es mir merken." Versprach Hiroki artig. "Diese fünfzig Prozent Kopf, die werden vielleicht etwas schneller gehen. Autosuggestion, und so weiter. Aber gewöhne dir allzu perverse Gedanken über mich gleich ab!" Kentarou regulierte die 'Daumenschrauben'. Hiroki würdigte diese erzieherische Drohung keiner Antwort. Er kannte seine Wunschträume gut genug, um sicher zu sein, dass sie höchst gewöhnlich und durchschnittlich waren. Höflich wartete er ab, ob Kentarou noch weitere Bedingungen und Einwände vorbringen wollte, die er zu entkräften hatte, doch sein Freund wirkte nun erschöpft und ungewohnt zögerlich. "Glaubst du, dass ich das schaffe?" "WIR schaffen es. Bis jetzt haben wir doch alles gemeinsam vollbracht, oder?" Hiroki beugte sich vor, tippte ihre Nasenspitzen neckend aneinander. Er wusste, dass sich wahrscheinlich nichts daran ändern würde, dass Kentarou vorausstürmte und er ihm folgte. Dass sein beinahe zwei Jahre jüngerer Freund den Drang hatte, sich um ihn zu kümmern, pragmatisch und erdverbunden zu sein, den 'älteren' Bruder zu mimen. Doch das störte ihn keineswegs. Sein Freund BRAUCHTE jemanden, um den er sich kümmern konnte, auch wenn ihm dieses Bedürfnis vermutlich gar nicht bewusst war. »Wir passen gut zueinander, da bin ich sicher.« Der Hüne hob die kleinen Hände an, um sich mit Kentarou aufzurichten. Dessen Katzenaugen weiteten sich merklich. "Verdammt!" Hörte er ihn leise fluchen. "Wieso bist du plötzlich so groß?!" "Das täuscht nur." Zwinkerte Hiroki, überging die Verunsicherung seines Freundes, beugte sich hinab und lächelte, fragte artig. "Darf ich dich bitte küssen?" Kentarou tippelte von einem Fuß auf den anderen. "Jetzt? Na ja, gut, aber ohne Sabber und Mandeln polieren!" "Natürlich nicht." Schmunzelte Hiroki, registrierte die flatternden Lider der rasch geschlossenen Augen, bevor er zielte, einen sanften, zärtlichen Kuss auf die zusammengepressten Lippen siegelte. "Ich liebe dich." Raunte er mit warmem Atem, wiederholte seine Liebkosung, damit Kentarou sich überzeugte, dass es gar nicht so schlimm war. "Na?" Neckte Hiroki, richtete sich auf. "Hat doch gar nicht weh getan, oder?" "HRMPF!" Kommentierte Kentarou mit einem vernichtenden Blick aus den Katzenaugen, bevor er sich abwandte, seine Hände freischüttelte und das Gemüse mit der Tüte aufsammelte. "Genug geturtelt, zurück an die Arbeit!" Hiroki folgte ihm schmunzelnd, mit genau einem Schritt Abstand. ~+~ Kentarous Großvater war sichtlich erleichtert, dass sein Enkel wieder zur gewohnten Form auflief und die Zubereitung des Abendessens wie ein Feldwebel kommandierte. Nachdem sich der alte Mann zur Nacht zurückgezogen hatte, wie immer ermahnt, die Handglocke in Reichweite zu halten, folgte Hiroki Kentarou auf der Leiter in dessen Kammer unter dem Dach. "Was hast du morgen vor?" Erkundigte er sich und achtete darauf, den Kopf einzuziehen, um sich keine Kopfschmerzen zu verabreichen. "Erstmal muss ich wohl rasch die dämlichen Aufgaben erledigen!" Kentarou verdrehte die Katzenaugen und zählte an den Fingern auf. "Dann habe ich noch Einiges für den Nachmittag vorzubereiten, bis die Gäste kommen, die Laternen müssen auch noch aufgestellt werden, dann muss ich die Gäste betreuen und sie auch noch nach Hause bringen." "Ich sollte den Rasen mähen." Hiroki setzte sich neben Kentarou auf den Futon. "Aber es sieht nach Regen aus. Vielleicht komme ich ja davon. Könnte ich dir helfen?" "Willst du denn?" Kentarou lupfte kritisch eine Augenbraue. "Natürlich will ich." Sein Freund lächelte vergnügt. Zeit mit Kentarou zu verbringen stand auf seiner Prioritätenliste IMMER ganz oben. "Oh, na gut, wenn du magst." Kentarou zuckte mit den Schultern, sortierte das Bettzeug. "Lust, hier zu übernachten? Dann hops rüber und putz dir die Zähne!" Selbstverständlich kam Hiroki dieser vertrauten Einladung nach. Er ließ sich gerade mal im Wohnzimmer blicken, um seinen Eltern einen schönen Abend zu wünschen, bevor er sich wieder in den oberen Stock verzog, artig die Beißer polierte und in einen Pyjama schlüpfte. Gewandt und seine scheinbar plumpe Größe Lügen strafend kletterte er durch die Fenster zurück, wo Kentarou bereits die Funzel aktiviert hatte, die Futons ausgebreitet und aufgedeckt. Er trug einen verschossenen Pyjama, der gerade noch für den Sommer geeignet war. Hiroki kniete sich neben ihn, fasste behutsam nach einer Hand. "Bevor wir einschlafen: darf ich dir einen Gute Nacht-Kuss geben?" Kentarou hopste drollig in der Hocke zu ihm herum, was Hiroki den feierlichen Ernst vergessen ließ. Er lachte leise, sonor. Kentarou legte den Kopf schief. "Wenn es kein Gesabber gibt und du mir keine Zunge in den Hals hängst, dann geht das in Ordnung." Verkündete er großzügig. "Versprochen." Sicherte Hiroki zu. Es war besser, am Anfang nichts zu übertreiben, vor allem, wenn man seiner eigenen Libido nicht ganz trauen konnte, dass sie sich manierlich und gehorsam verhielt. Er legte die freie Hand um Kentarous Wange, raunte sanft. "Augen zu." Er beugte sich herunter, um die dargebotenen Lippen zärtlich zu küssen. Der sanfte Druck, der ihm antwortete, war Beweis genug, dass Kentarou entschlossen war, die notwendige Praxis zu lernen. "Gute Nacht, Ken." Flüsterte er lächelnd in das vertraute Fuchsgesicht, trollte sich dann artig auf seinen Futon. Aufgestützt auf einem Ellenbogen verfolgte er, wie Kentarou das Licht löschte, sich neben ihn auf die Matratze sinken ließ, gerade noch die Decke hochzog und beinahe augenblicklich einschlief. "Ich liebe dich." Wisperte Hiroki in die Dunkelheit, rückte ein wenig näher an die blitzartig weggedämmerte Gestalt heran, bis er einen langen Arm sehr behutsam ablegen konnte. Irgendwann, schwor er sich, würde er sich wie die Mondsichel um Kentarou biegen, seinen besonderen Stern im Schlaf beschützen. ~+~ Am folgenden Tag, dem Sonntag, musste Hiroki kleinere Rückschläge in Kauf nehmen: zunächst wurde er, als er gerade in das Elternhaus schlüpfte, von seiner Mutter an den Frühstückstisch zitiert. Es ginge nicht an, dass er ständig durch die Nachbarschaft zigeunere und sich bei den Miwas zum Kostgänger entwickle!! Solcherart gemaßregelt musste Hiroki Buße tun, indem er den Rasen unter Aufsicht seines Vaters mähte, der sich auch von Nieselregen nicht beeindrucken ließ. Kentarou schien sich nicht um ihn zu sorgen, was Hiroki ein wenig enttäuschte. Dann jedoch rief er sich in Erinnerung, dass Kentarou ihm einfach rückhaltlos vertraute. Wahrscheinlich wäre sein Freund nie auf die Idee gekommen, dass er ihn hängen ließ! Als er nach dem Mittagessen endlich der elterlichen Aufsicht entfliehen durfte, hatte Kentarou gewohnt eifrig bereits die Aufgaben erledigt, die zahlreichen Vorbereitungen in Angriff genommen, sodass Hiroki sich lediglich als Laternenputzer und -aufsteller betätigen konnte. Dann trafen bereits die ersten Gäste ein, zumeist ältere Damen und Herren. Sitzkissen wurden ausgelegt, der Blick auf den kleinen Garten mit den Lampen freigegeben, die Kohlebecken angeheizt. Während eifrig Erinnerungen ausgetauscht wurden, Anekdoten erzählt, gelacht und auch gesungen, wirbelte Kentarou aufmerksam umher, schenkte Tee nach, reichte kleine, warme und kalte Häppchen, eilte in die Küche und achtete darauf, dass im Badezimmer ausreichend Papier und trockene Handtücher auf die Besucher warteten. Hiroki hielt sich im Hintergrund, ein stiller Beobachter der munteren Runde und seines Freundes. Kentarou hätte es zweifellos nicht ausgehalten, einfach nur stillzusitzen und zuzuhören, er MUSSTE einfach etwas tun. »Nützlich sein«. Der Hüne fragte sich stumm, ob das vielleicht auch ein Ergebnis der frühen Kindheit war. Ob Kentarou unbewusst glaubte, dass er nur einen Wert besaß, wenn er arbeitete, dass DAS die Garantie dafür war, dass man ihn nicht verlassen würde. Er konnte nachvollziehen, warum die Dinge sich so abgespielt hatten und es war auch unangebracht, Vorwürfe zu erheben. Trotzdem wünschte er sich, dass Kentarou sich seiner selbst bewusster wurde. Das würde es auch erleichtern, ihm Liebe verständlich und begreiflich zu machen. »Worte sind eben nicht genug.« Gegen Abend begleiteten sie getrennt einige der Gäste zurück zu ihren Häusern, ganz altmodisch mit einer Laterne als Kundschafterin, obwohl es weder zu dunkel war, noch die Straßenbeleuchtung versagte. Taxen wurden geordert, bis auch der letzte Gast wohlversorgt den Heimweg angetreten hatte. Kentarou brachte seinen glücklichen Großvater zu Bett, während Hiroki langsam die Laternen löschte, die Kissen einsammelte und die Trennwände einsetzte, die sie entfernt hatten, um den Blick auf den Garten zu ermöglichen. Die Kohlebecken verbannte er vor die Tür, wo sie im nächtlichen Nieselregen leise knackten und zischten, bis ihre Hitze verflogen war. "Vielen Dank für die Unterstützung!" Kentarou fegte auf leichten Sohlen heran, zögerte einen Augenblick merklich, um dann ansatzlos in die Luft zu springen und die Arme um Hirokis Nacken zu schlingen. Ein Augenblick der Verblüffung verstrich, dann neigte sich Hiroki ausreichend herunter, dass sein Freund nicht auf Zehenspitzen balancieren musste, erwiderte die ungeübte Umarmung. "Nichts zu danken. Es war mir ein Vergnügen." Raunte er zärtlich in die braunen Strähnen, die im Licht der letzten Zimmerlaterne rötlich funkelten. Kentarou wich ausreichend zurück, dass er Hiroki ansehen konnte. "Ich wollte noch sagen...also, du bist vollkommen in Ordnung, so, wie du bist! Wer etwas anderes sagt, ist ein Idiot! Und auf Idioten legen WIR keinen Wert!" Stieß er kämpferisch hervor. Hiroki lächelte, vergaß seine guten Vorsätze und küsste Kentarou sanft auf die Lippen. "Danke, Ken." Als ihm sein Fauxpas bewusst wurde, brummte er eilig. "Entschuldige, ich habe nicht gefragt." "Macht nichts." Versicherte Kentarou unbekümmert, studierte Hiroki dann konzentriert. "Ich kann nicht bei dir schlafen, weil ich sonst die Glocke überhöre, aber heute will ich noch etwas lernen." "Lernen?" Echote Hiroki perplex. "Genau." Kentarou ließ Hiroki los, wand sich gelenkig aus dessen loser Umarmung, zog den groß gewachsenen Freund an der Hand hinter sich her. Die letzte Zimmerlaterne wurde gelöscht, dann ging es die Leiter hinauf. "Hinsetzen." Kommandierte Kentarou streng, dirigierte Hiroki in den Schneidersitz. Anschließend kletterte Kentarou nach einem Augenblick Überlegung auf dessen Schoß, durch die muskulösen Oberschenkel genau in der richtigen Höhe, um Hiroki ohne bemerkenswerten Größenunterschied ins Gesicht sehen zu können. "Ich bin es nicht gewohnt, umarmt zu werden." Ohne Umschweife kam Kentarou zum Thema der gewünschten Lektion. "Also sollte ich das wohl schleunigst lernen." "In Ordnung." Summte Hiroki sonor, eine einzige Bassmelodie. Zunächst legte er einfach die Arme um Kentarous Schultern, staunte, wie leicht er seinen Freund mit der Armeslänge umfassen konnte. Dann entschied er sich, die linke Hand auf Kentarous Hinterkopf zu platzieren, während die Rechte tiefer um dessen Hüften rutschte. Kentarou wirkte eingangs angespannt, verlor die Nervosität jedoch rapide. Seine Arme wickelten sich um Hirokis Nacken, die beste Möglichkeit, den Größenunterschied zu überbrücken. So konnte er auf die Stirn an Hirokis legen, ihre Nasenspitzen immer wieder auf Tuchfühlung bringen. "Weißt du, ich schaffe das.! Vertraute er Hiroki lächelnd an. "Vielleicht weiß ich noch nicht genau, in welcher Situation ich was einsetzen sollte, ABER ich kriege das hin. GAR kein Problem!" Er zwinkerte. Hiroki schmunzelte, dippte keck einen Kuss auf Kentarous Nasenspitze. "Du machst das wirklich gut." "Immer doch!" Verkündete Kentarou großspurig, kuschelte dann eine Wange an Hirokis Halsbeuge ein, ließ sich zärtlich wiegen und ganz sanft über den Rücken streicheln, während der Hüne leise summte, dumpfe, dunkle Basstöne, die durch ihre Körper vibrierten. Erst eine ganze Weile später tauschten sie ihren Gute Nacht-Kuss, bevor sich Hiroki in sein eigenes Bett zurückzog. ~+~ Satoru hatte die Stunden gezählt und wider jede Vernunft gehofft, DIESER Anruf würde nicht kommen, doch kurz nach dem Abendessen hörte er seinen Namen in der Lautsprecheranlage des Wohnheims. Sehr bleich und zittrig verließ er sein Zimmer, trat auf den Gang und marschierte wie aufgezogen zu der kleinen Kabine, in der er den Anruf entgegennehmen musste. Sein Vater hielt sich nicht lange mit Grußworten oder Floskeln auf. SOFORT wolle er erfahren, was das für ein widerlicher Skandal an der Schule sei und ob er etwa damit in Verbindung stehe. Bevor Satoru sich räuspern konnte, die Finger in den Kunststoff des Hörers gekrallt, die andere Hand zur Faust geballt, stocksteif angespannt, schwadronierte sein Vater lautstark weiter. Wäre er nicht bereits in der zweiten Oberstufenklasse, dann hätte er sofort veranlasst, dass sein Sohn diese unglaubliche Schule verlassen und auf die Militärakademie wechseln würde! Aber das käme eben dabei heraus, wenn man Kinder in einem Wohnheim leben ließ! Satoru kam nicht zu Wort, schwitzte Blut und Wasser. Die letzte, barsche Ermahnung seines Vaters lautete, er möge wenigstens einen herausragenden Abschluss machen, sonst könnte er sich gleich ein Studium abschminken! Es wäre schon peinlich genug, sich vor den Nachbarn zu rechtfertigen, die vielleicht vermuten könnten, ihr Sohn sei auch so ein abartiger Perverser! Da war nur noch ein Rauschen in Satorus Ohren, selbst als der Anruf, der mehr einem Stuben-Appell glich, längst abrupt beendet worden war. Er konnte sich nur mit der Gewissheit trösten, dass die Polizei noch keinen Kontakt mit seinem Vater aufgenommen hatte. Bittere Galle stieg ihm hoch, plötzlich hatte er das Gefühl, sein Kopf wäre in einen Schraubstock eingespannt worden. Die Schmerzen waren beinahe unerträglich. Schwankend schleppte er sich zum Heimleiter und bat um starke Kopfschmerztabletten. ~+~ Kapitel 19 - Antriebskräfte "Hiro?" Kentarou balancierte morgens nie auf dem Geländer der Fußgängerbrücke. Wahrscheinlich, wie Hiroki vermutete, weil Kentarou im Geist die zu erledigenden Dinge im Kopf durchging, und wie er Kentarou kannte, so waren das eine große Menge. "Hmm?" Brummte der Hüne gewohnt eloquent. Es wäre nicht einmal nötig gewesen, überhaupt eine Reaktion zu zeigen. Er hörte Kentarou IMMER zu. "Ich weiß ja, dass ich gesagt habe, dass ich dieses ganze Zeug lernen will, aber können wir diesen Händchenhalten- und Knutschkram in der Schule vielleicht auslassen?" Eine beredete Grimasse wurde Hiroki geboten, bevor Kentarou ihm wieder das Profil zeigte. Hiroki schmunzelte. "Peinlich?" Verkürzte er seine Frage. "Na ja." Kentarou verschaffte sich Zeit, indem er seine Tasche am Tragegriff zwischen die Zähne klemmte, um seine Haare zu einem kleinen Zopf zusammenzufassen, der ihm ohne Zweifel wieder einen Tadel einbringen würde. Vorausgesetzt, ein Lehrer war tapfer genug, sich mit Kleinigkeiten zu belasten, während über ihnen das Damokles-Schwert des Skandals hing. Die sich sanft lockenden Strähnen waren eingefangen. "Ich finde es ehrlich gesagt ein bisschen lästig, sich ohne Not oder großes Gedränge ständig an der Leine zu halten." Dass er dabei zu Hiroki hochschielte, um dessen Reaktion nicht zu verpassen, rührte den Hünen. Er KONNTE darauf bestehen, dass sie Händchen hielten, das wusste er. Kentarou signalisierte ungewohnt scheu Kompromissbereitschaft. "Kein Problem." Lächelte er in das besorgte Fuchsgesicht hinunter. Er MUSSTE nicht nach außen demonstrieren, dass sie zusammengehörten. In dieser Hinsicht konnte er sich auf Kentarou absolut verlassen: sein quecksilbriger Freund würde niemals illoyal sein oder ihn betrügen. "Gut!" Kentarou strahlte erleichtert. "Sag mal, was willst du heute Abend essen?" »Wie beruhigend.« Hiroki schmunzelte. »Dass sich manche Dinge nicht geändert haben!« ~+~ Genau sieben Tage nach seiner Einlieferung wurde Motoki nach Hause entlassen, mit der Auflage, regelmäßig vorstellig zu werden, bis die Verbände nicht mehr benötigt wurden. Im Handgepäck hatte er außerdem einen Ernährungsplan, der helfen sollte, seinen Körper wieder ins Lot zu bringen. "Dieses Mal bist du noch mit einem blauen Auge davon gekommen. Betrachte es als letzte Warnung." Hatte der behandelnde Arzt ihm eingeschärft. Motoki hatte es nicht sonderlich eilig, wieder in die Schule zurückzukehren und begrüßte es, dass er eine Woche zu Hause bleiben sollte, bevor er sich wieder in den Schulalltag stürzen konnte. Nun leistete der Großvater ihm Gesellschaft. Sie sprachen nicht viel, vor allem nicht über ES, aber Motoki hatte den Eindruck, dass seine Familie nicht aus Pflichtgefühl zu ihm hielt, sondern beinahe überrascht war, dass er solchen Mut bewiesen hatte. »Wenn ich das wenigstens getan hätte!« Motoki haderte noch immer mit seinem Status als 'Held'. Helden hatten die unangenehme Eigenschaft, tot zu sein. Er jedoch war lebendig, fürchtete sich vor der Höhe der Behandlungskosten und einer Zukunft, die sich erledigt hatte. »Außerdem werde ich mich wohl daran gewöhnen müssen, ein Paria zu sein.« Seufzend blätterte er in den Kopien, die jeden Tag in einem dicken Umschlag im Briefkasten hinterlegt wurden. Keiner der Lehrer klingelte oder sprach vor. Motoki vermutete, dass sie sich nicht anders als die Nachbarn verhalten würden. Höfliche Distanz wahren und ihm aus dem Weg gehen, denn einer, der so tollkühn war, seine eigene Zukunft und den Ruf einer ganzen Schule zu ruinieren, weil er sich zum Rächer der Enterbten ernannte, weil er tatsächlich unvernünftig ehrlich und 'aufrecht' sein wollte: SO einer war gefährlich. Mit SO einer Überzeugung balancierte man nahe am Abgrund zum Terroristen oder Sektierer. Leute, die so wenig Selbsterhaltungstrieb hatten und die notwendige 'Dynamik' im zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen Miteinander ignorierten, von denen musste man sich fernhalten. Auf eine ernüchternde Weise verstand Motoki dieses Verhalten vollkommen. Er gestand sich ein, vielleicht auch genauso reagiert zu haben, wäre er in der umgekehrten Position. »Ich werde wohl weggehen müssen.« Konstatierte er stumm, warf einen Seitenblick auf seinen Großvater. Er KONNTE seiner Familie nicht gestehen, dass er nicht selbst den Mut gehabt hatte, diese furchtbaren Vorgänge anzuprangern. Wenn er aber nach dem Abschluss wegging, würde sich vielleicht für seine Familie alles zum Alten wandeln. Die Nachbarn würden es 'vergessen', weil niemand mehr da war, sie daran zu erinnern. Er konnte sich selbst damit beweisen, dass er nicht völlig rückgratlos war, sondern wenigstens den Mut besaß, ohne Familie in der Fremde neu anzufangen. Dass er die Konsequenzen so tragen würde, als hätte er selbst die Entscheidung getroffen! Die Zimmertür öffnete sich, Motokis Mutter, eine kleine, dralle Frau, trat hinein. "Es gibt auch gleich Abendessen." Erinnerte sie, drückte Motoki ZWEI Pakete in die Hand. Ein praller Umschlag trug den Aufdruck der Schule, die tägliche Dosis an Lernpensum. Der andere Umschlag jedoch enthielt keinen Stapel Papier, sondern ein Album. Ratlos studierte Motoki die Verpackung, doch außer seinem Namen fand er keinen Hinweis auf den Absender. Zögerlich, weil sein Herz plötzlich wie wild schlug, blätterte er das gebundene Album auf. Die rechte Seite war vollständig von einem Schwarzweiß-Foto eingenommen, in der Art, wie man sie bei Totenfeiern aufstellte. Das Porträt zeigte einen jungen Mann mit gleichmäßigen Zügen. Das Gesicht wirkte ein wenig schmal, die Augen blickten traurig, widersprachen dem Lächeln. Auf der linken Seite standen Geburts- und Sterbedatum. Der junge Mann war offenkundig seit mehr als einem Jahr tot. In liebevoller Kalligraphie hatte jemand den Namen festgehalten: Watanabe, Shinichi. Darunter stand in goldenen Zeichen: ich werde Rache üben. ~+~ [Ich habe deinen Brief erhalten. Du bittest mich um Verzeihung. Du weißt, dass ich dir niemals etwas abschlagen würde, ganz gleich, worum du mich bittest. Ich verzeihe dir. Aber ich verstehe es nicht. Wie kann ein ganzes Leben in drei Worten eingeschlossen sein? Wir haben uns etwas versprochen, und ich bin mir sicher, dass du es nicht vergessen hast. Du hast verstanden, wie viel du mir bedeutest. Darum kann ich dich noch nicht gehen lassen. Ich muss erfahren, was geschehen ist. Dies ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Verzeih mir, dass ich mein Versprechen brechen werde.] [Drei Tage sind vergangen. Niemand will mir etwas sagen. Mit dem Alten hatte ich gleich Zoff, immerhin musste ich deinen Brief aus dem Müll fischen. Wenn er noch einmal die Klappe aufreißt, werde ich mich nicht mehr bremsen. Er hat Glück, dass ich noch nicht am Ziel bin. Deine Eltern wollten mir nichts sagen. Es ist ihnen zu peinlich, dass ihr Sohn Selbstmord begangen hat. Alle schweigen, wollen deinen Tod wie ein lästiges Insekt abstreifen, bloß schnell vergessen. Also werde ich im Dreck wühlen. All das, was sie nicht hören wollen, was ihnen Angst macht, das werde ich hervorholen. Es ist mir gleich, ob ich mir Feinde mache, ihr Ruf zum Teufel geht. Sie haben mich immer einen Schandfleck, einen Nichtsnutz, eine überflüssige Existenz genannt. Jetzt werde ich meinem Ruf gerecht werden.] [Eigentlich wollte ich dir schon aus der Hauptstadt schreiben. Aber der verdammte Alte hat mir die Bullen auf den Hals gehetzt, als ich per Anhalter abhauen wollte. Ich hätte auch lieber den Zug genommen, aber du weißt ja, wie das ist: kein Geld und keiner, der mir einen Job geben würde. Sie haben mich fast den ganzen Tag festgehalten, sich darüber amüsiert, dass ich wie ein Gammler aussehe, aber sie haben sich nicht getraut, mich zu verprügeln. Schätze, sie haben noch Schiss. Das hält mich nicht auf. Ich werde schon einen Weg finden. Da ich weiß, dass du dir immer Gedanken um meine Zensuren machst: es ist zwar jetzt nicht mehr von Bedeutung, aber ich stehe zu meinem Wort und werde einen ordentlichen Abschluss machen. Deshalb habe ich meinem Lehrer Bescheid gesagt, dass ich vielleicht für ein paar Tage weg muss. Vorbildlich, findest du nicht? Nur noch ein wenig Geduld, Shin.] [Ich habe meinem Ruf als Taugenichts Ehre gemacht. Mit dem Essensgeld für eine Woche und einer Räuber-Tour durch den Kühlschrank habe ich mir eine Matte umgehangen und bin in der Nacht losgezogen. War gar nicht so schlimm, gutes Wetter und ein strammer Marsch. Vielleicht hast du mir doch einen Gefallen getan, als du mich genötigt hast, das Rauchen aufzugeben. Ich habe es per Anhalter hierher geschafft und mich in das Studentenwohnheim eingeschlichen. Im Heizungskeller ist das Schloss einfach zu knacken. Dein Mitbewohner hat mir einen Karton gegeben. Sie haben nicht mal deine Bücher abgeholt. Es ist seltsam, ein halbes Jahr hast du in diesem kleinen Zimmer gewohnt, doch dein Kommilitone konnte mir nichts über dich sagen. Nicht mal deine Studienfächer wusste er noch. Das ist surreal. Als wärst du nur ein Geist. Morgen werde ich deine Professoren aufsuchen.] [Es regnet, ein Taifun fegt gerade über uns weg. Die Kurse wurden also für heute abgesagt, sodass ich darauf verzichtet habe, nach deinen Professoren zu suchen. Wahrscheinlich wäre ohnehin keiner gekommen. Bisher hat mich noch niemand entdeckt, und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Ich werde mir deine Bücher vornehmen. Warum haben deine Leute nicht alles mitgenommen?] [Ich habe schlecht geschlafen, und so langsam muss ich mir Gedanken um meinen Proviant machen. Der ist nämlich in Kürze aufgezehrt. Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich elend fühle. Hast du es nicht gemerkt? Oder war es schon nicht mehr von Bedeutung? Als ich durch die Bücher blätterte, bemerkte ich, dass sich ein Zettel hinter einem Buchrücken verkeilt hatte. Kein Notizzettel, sondern ein Rezept für eine Apotheke. Ich habe mich gefragt, ob du krank warst, bin heimlich in die Bibliothek eingestiegen, um dort nachzuschlagen, was man dir verordnet hat. Anti-Depressiva? Schlafmittel? Beruhigungstabletten? Shin, gab es wirklich niemanden, mit dem du reden konntest?!] [Die verdammte Farbe ist verwischt, und ich werde dir nicht erzählen, dass mir zufällig eine Wimper ins Auge geflogen ist. Nein, ich hocke hier in diesem staubigen Keller und heule. Tue mir selbst leid, was ich zum Kotzen finde. Typisch egoistischer Nichtsnutz, denkt immer nur an sich selbst! Ich wünschte, ich hätte einen Job bekommen. Dann hätte ich mir ein Telefon kaufen können. Du hättest mich jederzeit anrufen können. Wir hätten reden können. Ich weiß noch nicht, was passiert ist. Aber mir ist übel bei dem Gedanken, dass du geglaubt hast, du wärst ganz allein und könntest dich niemandem anvertrauen. Du brichst mir das Herz.] [Ich habe mit der Flennerei Schluss gemacht. Erstens gehen mir die Taschentücher aus und zweitens bin ich lieber wütend. Das macht stark. Ich bin auch auf dich sauer, Shin! Wieso musst du ausgerechnet in dieser Situation das einzige Mal in deinem Leben egoistisch sein?! Wenn du jetzt hier wärst, würde ich dir den Hintern versohlen. Na ja, wahrscheinlich würde ich dich bloß kneifen. Komisch, mir fällt gerade auf, dass du wirklich der einzige Mensch bist, der auf mich wütend sein konnte, ohne mich zu verprügeln. Aber du warst ja auch der einzige, der mich umarmt hat. Ich vermisse dein Lachen. Ich habe Angst, dass ich bald den Klang deiner Stimme aus dem Ohr verliere. Es ist unfair. Du bist das einzige auf dieser Welt, das ich nicht vergessen will.] [Deine Professoren haben mich alle abgewiesen. 'Keine Zeit, kenne ich nicht, blablaba.' Aber ich war nicht untätig. Ich kann nicht weitermachen, wenn ich nicht weiß, warum du mich verlassen hast. Warum der Tod besser als die Alternative war. Offiziell war es zwar ein Unfall, aber niemand zieht seine Schuhe aus und stellt sie ordentlich auf, wenn er besoffen oder unter Drogen auf dem Dach herumspaziert. Du bist absichtlich gesprungen. Und ich will wissen, warum. Ich habe also die Gelegenheit genutzt, bei der Apotheke nachzufragen. Habe das Blaue vom Himmel gelogen, um herauszufinden, ob sie dich kennen, sich vielleicht jemand erinnert. Shin, wie kommt es, dass du seit drei Jahren so starke Medikamente nimmst?! Durften wir uns deshalb nicht treffen? Hattest du Angst, ich würde es bemerken? Weißt du, ich glaube, dass ich meine Zelte hier abbrechen sollte. Das Ganze hat vorher angefangen, nicht wahr? In der Oberschule.] [Das Schulgelände ist tagsüber abgeschlossen, also wollte ich nachts einsteigen. Sag nichts, ich weiß, das ist nicht in Ordnung. Aber erinnere dich, ich bin eine unwerte Existenz, also gibt es für mich keine Tabus! Es war nicht sonderlich schwer, nachdem ich ein defektes Fenster gefunden hatte, in die Bude einzusteigen. Im Sekretariat habe ich mir deine Schülerakte angesehen. Wieso hast du so oft in der Krankenstation gelegen? Keinen Sport mehr gemacht? Ich habe ein Jahrgangsalbum mitgehen lassen. Und die Kontaktadressen deiner Mitschüler kopiert. Nette Vorbereitung für das nächste Klassentreffen! Mein Plan sieht vor, deine Ex-Kameraden auf Herz und Nieren abzuklopfen. Irgendwas ist passiert. Etwas, das du niemandem in der Familie gesagt hast. Das du mir nicht anvertrauen konntest. Jemand muss etwas wissen.] [Du siehst es vielleicht an den Blättern, die ich eingelegt habe: ich bin zurück. Der Alte hat mich gleich wieder vor die Tür gesetzt, drei Wochen Abwesenheit waren ihm wohl zu wenig. Egal. Ich werde im alten Tempel schlafen. Und wenn meine ehrenwerten Erzeuger nicht auf der Lauer liegen, leere ich ihren Kühlschrank. Ganz einfach. Erstaunlicherweise hat mein Klassenlehrer meine Rückkehr ganz gelassen aufgenommen. Ich habe nicht viel verpasst, weil ich ja während der Rückreise per Anhalter immer mal in die Bücher reingeschaut habe, die ich in meine Tasche stopfen konnte. Alle habe ich nicht mitgenommen, du weißt ja, ich muss mit leichtem Gepäck reisen. Die Kiste ist also gut versteckt, damit ich sie holen kann, wenn ich in das Wohnheim ziehe. Du hättest sicher nicht gedacht, dass ich jeden deiner Ex-Kameraden kontaktiere, oder? War ganz gut, dass ich beim Pachinko gewonnen habe, nicht wahr? Die, die sich mit mir unterhalten haben, konnte ich schon streichen. Dann gab es die, die mich abgewimmelt haben und offenkundig wussten, dass du gestorben bist. Wer ist dieser Jun, Shin? Auf dem Foto wirkt er wie ein aufgeblasener Affe, ein totaler Blender. Ist das wirklich ein Freund von dir gewesen? Kann ich kaum glauben. Und was hat es mit diesem geheimnisvollen 'Gentlemen's Club' auf sich? Im Jahrbuch wird er ständig erwähnt, doch niemand scheint Mitglied zu sein. Offiziell war der Club auch nicht. Ich bin nahe an der Wahrheit dran, oder, Shin? Es gibt da etwas, das einigen Angst macht. Ich merke es genau an der Art, wie sie reagieren, wie sie über etwas NICHT sprechen, wie sie ausweichen. Es ist gut, dass ich mich mit falschen Namen vorgestellt habe. Wenn sie nicht ständig Kontakt miteinander halten, werden sie nicht herausfinden, dass es sich nur um eine Person handelt. Aber was auch immer das war, das dich in den Tod getrieben hat, Shin, ich finde es heraus. Und wer dir das angetan hat.] [Ich stecke mal wieder in der Klemme, Shin. Aus lauter Wut darüber, dass ich noch nicht verreckt bin, ist der Alte in der Schule aufgetaucht und hat erklärt, er werde für mich keinen Yen mehr rausrücken. Aus der Traum von der Oberschule und dem Wohnheim! Oder auch nicht. Eigentlich wollte ich dir das als Überraschung erzählen, wenn wir uns treffen. Um ganz sicher zu gehen, dass der Alte mir nichts vermasselt, hatte ich schon Anfang des Jahres nach Möglichkeiten für ein Stipendium gesucht. Das Bildungsministerium hatte damals zu einem Wettbewerb aufgerufen, Thema Lernen für die Zukunft. Na ja, ich habe mein Talent genutzt für MEINE Zukunft und eine kleine Plattform zusammengebaut, die dabei helfen soll, Gelerntes auf neue Fragestellungen zu transferieren. So originell war das gar nicht, einen Teil der Werkzeuge konnte ich aus dem Internet besorgen, aber der Rest war nett geschrieben und ich hatte ein hübsches Foto beigelegt. Mit anderen Worten, als mein Alter nun sein Ass präsentierte, hatte ich einen Royal Flush in Form eines Stipendiums! Eigentlich wollte ich mir die Befriedigung seines doofen Gesichts bis zum Ende des Schuljahrs aufheben, aber erstens kommt es anders...du weißt Bescheid. Ich werde mich nun auf die Prüfungen konzentrieren, aber keine Sorge, Shin: ich habe meine wahre Aufgabe nicht vergessen. Es ist komisch, dass der Schulcomputer nicht mit dem Internet verbunden ist. Wusstest du das? Ich habe versucht, über das Netz einzusteigen, aber Fehlanzeige. Obwohl im Sekretariat und in der Bibliothek Terminals standen. Hmmmm, schätze, ich werde mich in die Computer AG einschreiben, wenn ich mein neues Leben in der Oberschule beginne. Ach, Shin...Es ist lange her, und ich bin schon verdammt groß, aber ich habe dich lieb.] [Na, was hältst du davon? Ist das ein sauberer Schnitt, oder was? Lächerlich, aber ich freue mich trotzdem, dass ich so gut abgeschnitten habe. Ab morgen werde ich von hier verschwinden. Und was du da als Umriss siehst, ist eine Fahrkarte. Das Abschiedsgeschenk meines Klassenlehrers. Vielleicht gibt es doch ZWEI Menschen, die mich nicht für einen Taugenichts halten. Verleiht mir tatsächlich Flügel. Gepackt habe ich schon, werde sicher heute Nacht kaum schlafen können. Endlich geht es los!] [Also, da bin ich. Das Wohnheim ist wirklich nicht gerade modern, entspricht genau dem, was du mir damals erzählt hast. Noch ist kaum jemand da, aber das ist mir egal. Mein Zimmernachbar hat Manschetten vor mir, verschwindet meistens oder kriecht auf sein Bett und zieht die Vorhänge zu. Ich schätze, er hält mich für einen Gangster oder sonst was. Passt mir aber ganz gut, ich will nicht, dass jemand in meinen Sachen herumschnüffelt. Denn schließlich: wem kann ich hier trauen? Es ist zwar ein Jahr her seit deinem Abschluss, aber die alten 'Verbindungen' könnten noch funktionieren. Ich will bloß keinen vorwarnen. Wie ich vermutet habe, steht der Netzwerk-Rechner in der Schule. Ein abgeschlossenes System, kein Außenkontakt, kein Netzzugang und an den Terminals keine Möglichkeit, andere Geräte anzuschließen. Hat mich natürlich nicht gehindert, wie du dir denken kannst. Ich bin einfach in den Technikraum eingestiegen und habe den Server ausgehorcht. Etwas Großes liegt da drin, das viel mehr Platz benötigt als die läppische Korrespondenz! Ich tippe auf eine Datenbank. Eine gewaltige Datenbank. Und da es ganz sicher nicht die elektronischen Schülerakten sein können, werde ich versuchen, mich mit Hilfsmitteln auszustatten, um mal unter die Haube zu gucken.] [Es ist schwieriger als gedacht. Ganz schön frustrierend. Ansonsten fühle ich mich schon gleich wie zu Hause nach zwei Wochen Schule: alle gehen mir aus dem Weg, niemand spricht mich an. Ich bin zu groß, zu finster, zu unheimlich. Irgendwas ist es immer. Macht aber nichts, so kann mir keiner hinterher spionieren. Ich habe mit Müh und Not herausbekommen, wie diese merkwürdige Konstruktion aufgebaut ist. Jeder Schüler hat ein eigenes Benutzerkonto, loggt sich ein und kann dann das primitive Nachrichtensystem benutzen. So wie die Lehrer übrigens auch. Um jedoch an die riesigen Datenmengen zu gelangen, die versteckt sind, muss es einen anderen Zugang geben. Ich werde morgen noch mal in den Technikraum einsteigen, um ein Programm aufzuspielen, damit ich den Zugriff auch über einen normalen Terminal vornehmen kann. Langsam wird es zu gefährlich, immer wieder einzubrechen.] [Ich habe den Zugang gefunden. Zuerst dachte ich, ich hätte bloß eine Kopie von der Startseite erwischt, aber dann sah ich den Unterschied bei den Porträts: farbige Markierungen! Aber was bedeuten sie? Ich muss ein aktives Benutzerkonto hacken, um weiterzukommen.] [Der Code ist geknackt. War gar nicht so schwer. Erstaunlicherweise zeigen mir meine Überwachungsprogramme nur minimale Zugriffe an, hauptsächlich von Benutzern aus der zweiten und dritten Stufe. Die Anfragen landen alle bei einem Administrationskonto. Den Zugriffscode nehme ich mir als nächsten vor.] [Heute ist der letzte Schultag vor den Sommerferien. Ich habe einen Job ergattert, kann also heute noch mal eine Attacke auf das Administrationskonto fahren. Dann wird es wohl ein bisschen diffizil, sich in die Schule einzuschleichen, um die Dateien zu knacken.] [Morgen habe ich frei, also werde ich heute Nacht in der Schule fleißig sein. Hast du mein Sparbuch gesehen, Shin? So viel Geld habe ich noch nie gehabt! Eigentlich sollte ich mir ein paar bessere Kleider kaufen, aber ich kann mich nicht überwinden. Immerhin brauche ich ja für die Schule bloß die Uniform und für die Arbeit den Overall! Es macht Spaß, hier zu arbeiten. Irgendwie verrückt, dass ich wirklich zu leben anfange.] [Es ist jetzt fünf Uhr in der Frühe. Mir ist eisig kalt. Ich werde den Scheißkerl umbringen.] Langsam ließ Motoki das Album sinken. Ein Tagebuch, verziert, geschmückt, sorgfältig in Plastik eingeschlagen. Das Protokoll einer besessenen Suche nach der Wahrheit. Ein Dialog mit dem Menschen, der Arashi am nächsten stand. Seine Augen schmerzten, es war schon tief in der Nacht, doch er hatte die Welt um sich herum vergessen, war in den Sog dieser fiebrigen Jagd geraten. »An diesem Punkt hat Arashi es herausgefunden.« Motoki bemühte sich, das Bild auf der ersten Seite des Albums mit einem der Opfer in Verbindung zu bringen. Vergebens. Es waren zu viele gewesen. Und er hatte sie nicht alle gekannt, im Gegenteil. »Wie lange...?« Aber die Antwort wollte er gar nicht erfahren. Arashis Cousin hatte also seinem Leben aus Verzweiflung über die Untaten, die er erleiden musste, ein Ende gesetzt. Er blätterte um, doch die letzten Seiten des Albums waren blank. Hatte er den Übeltäter erwischt? Wie war es weitergegangen? Und warum hatte er sich entschlossen, einen Schülerpräsidenten von seinem Rachefeldzug auszunehmen? »Ob er mir antworten wird?« Zwar erfüllte ihn der Gedanke an Rückkehr an seine Schule nicht gerade mit freudiger Erwartung, ganz im Gegenteil, doch Motoki wollte hoffen. Vielleicht würde Arashi ihm ja doch antworten. ~+~ Satoru bewegte sich wie in einem Nebel. Er zitterte, Hände und Füße eiskalt, während sein Kopf glühte. Noch immer waren die Ermittler an der Schule, und er unternahm verzweifelte Anstrengungen, ihnen aus dem Weg zu gehen. In seinem gegenwärtigen Zustand wäre er ein zu leichtes Opfer. Satoru fühlte sich elend, duckte sich in den Grüppchen seiner Mitschüler, wurde zu einem Lemming, in der Hoffnung, dass man ihn so leichter übersah. Als er wie seine Klassenkameraden bei den Schließfächern angeschwemmt wurde, eine quirlige, laute Horde, die den ersten Schultag der Woche hinter sich gebracht hatten, fand er natürlich in seinem Schließfach eine Nachricht von Mamoru. Das trug nicht gerade zu seiner ohnehin schlechten Konstitution bei. [Halte deine Verabredung ein.] Satoru lehnte sich mit der Stirn an die kühle Front der Schließfächer, schloss die Augen. »Wie soll ich das bloß überstehen?« ~+~ Die Ausläufer eines Taifuns lagen noch immer über dem weitläufigen Stadtgebiet, ließen einen Schauer auf den nächsten folgen. Obwohl sie beide durchscheinende Plastikumhänge übergestreift hatten, waren Kentarou und Hiroki tropfnass, als sie mit den Einkäufen im Haus der Miwas eintrafen. "Es wäre besser, du würdest zuerst zu dir gehen." Merkte Kentarou kritisch an. "Ich habe zwar große Badehandtücher, aber keine trockenen Kleider in deiner Größe." Hiroki seufzte, das Dilemma war nicht neu. Er wäre tatsächlich besser beraten, schleunigst seiner Mutter unter die Augen zu treten, bevor sie erneut auf den Kriegspfad ging, weil er sich so sehr an Kentarou hängte. "Darf ich wenigstens zum Abendessen reinschlüpfen?" Suchte er Kompensation für die schnöde Trennung. "Klar doch." Kentarou warf ihm einen tadelnden Blick zu als wäre es töricht, überhaupt noch zu fragen. Kentarou fand es grundsätzlich NIE bemerkenswert, dass sein Freund sich bei den Mahlzeiten einfand oder bei ihm übernachtete. "Dann bis später!" Hiroki wandte sich um, hielt dann inne, um unversehens die Hand auszustrecken und durch Kentarous feuchte Haare zu streicheln. Wenn die Luftfeuchtigkeit zunahm, drehten sie sich leicht auf, wirkten wie eine braune Wolke, die rote Funken sprühen konnte. Kentarou ließ die Liebkosung über sich ergehen, die Katzenaugen ein wenig geschlossen, die Stirn konzentriert gerunzelt. "Willst du mich vielleicht küssen?" Bot er an, im Tonfall eines Forschers, der fremde Sitten und Gebräuche erkundete. "Liebend gern." Raunte Hiroki, nutzte die Stufe, die den Eingangsbereich vom Hausinneren trennte und es ihm erleichterte, sich nicht allzu tief bücken zu müssen. Wohlerzogen verharrte er noch einen Augenblick, falls Kentarou eine explizite Erlaubnis erteilen wollte, doch die Lider hatten sich bereits über die Katzenaugen gesenkt. Sanft küsste er die weichen, vom Regen feuchten Lippen, spürte eine Ahnung von Ozon, mischte seinen warmen Atem dazu. Wagemutig bis halsbrecherisch kühn strich er mit der Zungenspitze über die abgekühlte Haut, bevor er mit einem besänftigenden Kuss Kentarous Mund siegelte. Sein Freund blinzelte, die Wangen leicht gerötet. Hirokis Herz setzte den bereits gewohnten Schlag aus, bevor es mit erhöhtem Tempo das Versäumnis aufholen wollte. Kentarou sah einfach wunderschön aus, verführerisch und gleichzeitig arglos. Der Hüne war sich sicher, dass er einen besonders stupiden Ausdruck zur Schau stellte und fühlte Dankbarkeit, dass er sich selbst in diesen intimen Momenten nicht beobachten konnte. "Na los!" Kentarou hatte sich erholt, zog die Nase kraus. "Mach dich ab, bevor deine Mutter dich auf die Suchlisten setzt!" Hiroki schmunzelte, schlüpfte in seine übergroße Plastiktüte, klappte sie über die frisch gestutzten, dichten Borsten und huschte in den Regen hinaus. Kentarou eilte ins Badezimmer, denn er wollte nicht im ganzen Haus aufwischen müssen. "Bin wieder da, Großvater!" Verkündete er betont munter. Dann ließ er sich auf dem Hocker nieder, den er sich mit seinem Großvater zum Einseifen teilte. Presste die Hand auf seine linke Brust. »Verflixt und zugenäht!« Er keuchte atemlos, ein wenig perplex. »WO kommt das auf einmal her?!« ~+~ "Das war die letzte Vokabel." Brummte Hiroki heiser, räusperte sich. "Endlich!" Brachte Kentarou ihre gemeinsamen Empfindungen auf den Punkt. »Verdammte Vokabeltests!« Kentarou kam gelenkig auf die Beine, äugte aus seinem kleinen Dachfenster. "Regnet noch immer." Verkündete er sachlich. Nicht, dass sie beide das sanfte Rauschen überhört hätten. "Willst du hier schlafen?" Er wandte sich um, fuhr sich mit aufgefächerten Fingern durch die verdrehten Strähnen. »Müssten mal gestutzt werden!« Seufzte er inwendig. Es fehlte bloß die Zeit. "Bist du schon so müde?" Hiroki lehnte an der Wand, zwinkerte gemächlich. "So schlimm ist es noch nicht!" Blaffte Kentarou beleidigt zurück, wies jeden Zweifel an seinem Durchhaltevermögen weit von sich. Er spürte Hirokis ruhigen Blick auf sich. "Also, was willst DU tun?" Ohne große Umschweife räumte Kentarou das Vokabelheft in seine Schultasche, kletterte zu Hiroki auf den Futon. Dessen Lider sanken auf Halbmast, schätzten ihn ab. Kentarou zog eine Augenbraue hoch, goutierte diese Musterung nicht. "Hast du Taschentücher hier?" Hiroki blickte sich um in dem spartanischen Raum. Kentarou erhob sich agil, produzierte die übliche Spenderbox aus einem der winzigen Wandschränke. »Nun?!« Schien seine bewegliche Augenbraue zu fragen. "Lass uns die Funzel anmachen." Entschied der Hüne leise, seine sonore Stimme nur noch Basstöne. Das blendend helle Neonlicht der kleinen Leselampe, die Kentarou zum Lernen nutzte, zerstörte jede Atmosphäre. Wortlos wechselte Kentarou die Beleuchtungsquellen, bevor er sich vor Hiroki wieder in die Hocke begab. "Und was nun?" Beinahe kriegerisch drängelte seine Ungeduld. "Komm her, bitte." Höflich wie immer raunte Hiroki seine Aufforderung im trüben Licht, streckte beide Arme nach Kentarou aus. Er hob mühelos seinen Freund auf die Oberschenkel, kreuzte die Beine leicht, bevor er seine Hände unter dessen Achseln löste. Vage konnte er das Unbehagen in Kentarous Gesicht erkennen, das mit der Erkenntnis einherging, wie problemlos er seinen Freund anheben konnte. »Seltsam, nicht?« Stumm schmunzelte Hiroki. »Dass Frankensteins Monster unter all den Nähten so viele Muskeln versteckt?« "Und was..." Hiroki bremste Kentarous ungeduldige Frage mit den Fingerspitzen auf dessen Mund aus. Seine Fingerspitzen glitten langsam über die weiche Haut des Fuchsgesichts. Kentarou würde wohl niemals zu übertriebener Gesichtsbehaarung neigen. Hiroki beugte sich vor, die Hände behutsam um Kentarous Kopf gelegt, hauchte warme Küsse auf die zarte Haut. Stirn, Schläfen, Nasenrücken, Amorbogen, Wangenknochen, Nasenwurzel, festes Kinn, Augenlider, er wollte kein Fleckchen auslassen. Er spürte, wie sich die abstrahlende Hitze unter seinen Lippen verstärkte. Errötete Kentarou? Zu gern hätte sich Hiroki ein wenig zurückgezogen, um seinen Freund zu betrachten, aber das hätte eine Unterbrechung bedeutet. Und im Augenblick schien sich Kentarou noch nicht belagert zu fühlen. Wagemutig zeichnete Hiroki mit der Zungenspitze die leicht geöffneten Lippen nach. "Hiro" Ächzte es heiser an seinen Lippen. "Hmmm?" Brummte Hiroki sonor, streichelte mit den Daumen über Kentarous Schläfen. "Zungenkuss?" Murmelte jemand betäubt. Es musste Kentarou sein, aber es KLANG nicht nach ihm, sondern aufreizend, sexy. Hiroki entschloss sich die Frage als Befehl dezent umzudeuten, tippte sanft mit der Zungenspitze zwischen Kentarous Lippen an die Unterkante der Schneidezähne. Um wenige Grade veränderte er seine Kopfhaltung, küsste Kentarou erneut auf die Lippen, bevor er den zweiten Vorstoß wagte. Dieses Mal schien Kentarou die Absicht verstanden zu haben, denn er bot den Kontakt mit der eigenen Zungenspitze an. Ein minimales Berühren, eine ungewohnte, feuchte Sensation: Hiroki spürte, wie Kentarou erschauerte. Ihm selbst ging es nicht anders, denn bisher hatte er ebenfalls keine Gelegenheit gehabt, einen anderen Menschen auf diese Weise zu küssen. Er verlagerte seine Hände von Kentarous Wangen auf Nacken und untere Lendenwirbel, wo er mit leichten Druck dirigieren beziehungsweise beruhigende Kreise ziehen konnte. In seinen Ohren rauschte das Blut, die hitzigen Atemstöße vernahm er weniger, als dass er sie fühlte. Tollkühn, berauscht von den Herzschlägen, die wie Kriegstrommeln sein Adrenalin anfeuerten, drängte Hiroki seine Zungenspitze zwischen Kentarous Lippen, fand dessen Zunge, die erst erschrocken zuckte, sich dann aber umschmeicheln und bestreichen ließ. Kentarous Fingerspitzen gruben sich in Hirokis Schultern. »Mehr!« Drängte die jahrelang streng kasernierte Libido gierig. »Noch mehr!« Folgerichtig presste er Kentarous Leib so eng an sich, dass er dessen rasenden Herzschlag spüren konnte, blitzartig sich die Körperwärme verdoppelte, während er Kentarou auf eine Weise küsste, von der er bisher nur geträumt hatte: hungrig und intim. Er konnte nicht genug schmecken, nicht genug berühren, nicht genug flirten! Als sie beide nach Atem ringend von einander zurückwichen, zuckte Hiroki wieder nach vorne, leckte über Kentarous Kinn, die Mundwinkel, bevor er seinen Freund erneut leidenschaftlich küsste. Hiroki war sich bewusst, dass Kentarou in Kürze reagieren musste, einfach, weil es sich in dieser intimen Distanz nicht vermeiden ließ, gewisse Erregungszustände subäquatorial wahrzunehmen. Mit anderen Worten: der 'Prügel' drückte sich nicht nur an Hirokis Hosenstoff. Später als erwartet und nicht sehr viel früher als erhofft wich Kentarou tatsächlich zurück. Nun atmeten sie beide schwer, schnappten wie Fische auf dem Trockenen nach Luft. "Lass...lass mich...weiter...weitermachen!" Brachte Hiroki endlich ächzend hervor. Vor seinen Augen tanzten Sterne, er sah sich außerstande, JETZT einfach brav Gute Nacht zu sagen. »Ich könnte nicht mal GEHEN!« Bemerkte seine innere Stimme aufrichtig. "Steck ihn nicht rein!" Kentarou blinzelte, umklammerte noch immer mit beiden Armen Hirokis Nacken. "Nein, versprochen." Hiroki lehnte seine Stirn an Kentarous ebenso fiebrige. DAS würde alles zerstören. Wieder küsste er Kentarou gierig, glitt mit den Händen unter dessen altes Sweat-Shirt, um es am Saum aufzurollen. Kentarou begriff, löste widerstrebend seinen Klammergriff, um sich mit geschlossenen Augen Arm um Arm aus dem Stoff schälen zu lassen. Ein Speichelfaden zog sich in die Länge, als sie voneinander ließen, damit das lästige Sweat-Shirt über den verwüsteten Schopf geschoben und achtlos abgeworfen werden konnte. Bodenständig wischte sich Kentarou mit dem Handrücken über den Mund. Er schauderte leicht, als ihn eine kühle Brise vom offenen Fenster streifte. Hiroki wickelte sich den eigenen Pullover über den Kopf und knöpfte vorausschauend seine Jeans auf, zog den Reißverschluss herunter. Er wollte sich nicht die Blutzirkulation an wesentlichen Körperorganen abschneiden. »Komm!« Luden seine muskulösen, langen Arme ein, versprachen verschwenderische Wärme und Schutz vor der tückischen Zugluft. Kentarou zog nicht mal eine Grimasse, sondern ließ sich in die Arme wickeln, mit aufgefächerten Fingern über den nackten Rücken streicheln. Er seufzte leise, entspannte sich, als die Kälte abgewehrt wurde, ließ sich sogar von den Fersen auf die Knie verlagern. Den Zweck dieses Balance-Akts erfuhr er sogleich, als Hiroki sich bequemer vorbeugen konnte, mit der Zunge die linke Brustwarze umkreiste. Ihn berauschte der deutlich spürbare Herzschlag unter seinen Lippen, aber auch Kentarous spontanes Keuchen. Nun würde ihn nichts mehr halten können, das wusste Hiroki. Es war keine Phantasie mehr, Kentarou zu küssen, ihn im Arm zu halten! Auch wenn er den Druck verspürte, so war er sich sicher, noch eine Weile lang tapfer Beherrschung üben zu können. »Wie gut, dass ich so lange trainiert habe!« Zischte ein ironischer Gedanke in seinem Kopf umher, bevor er von Hormonen weggespült wurde. Hiroki leckte über Kentarous nackte Brust, die Wirbel und Rippenbögen, spielte und neckte die Brustwarzen, bis Kentarous Fingernägel in seiner Kopfhaut ihn mahnten, dass er nicht allein war. Also presste er Kentarou wieder an sich, verteilte seinen Speichel auf diese Weise demokratisch, während er artig Zungenküsse trainierte. Kentarous Finger in seinen gestutzten Borsten zuckten unwillkürlich, in seiner Kehle erstickten Laute, die Kentarou nicht unterdrücken konnte und irgendetwas Erfreuliches presste sich gegen seinen Bauchnabel. Widerwillig löste sich Hiroki aus ihrem Kuss, ließ es zu, dass Kentarou auf die eigenen Fersen sackte. Die Katzenaugen blickten verschleiert, ihr Besitzer musste sich an Hirokis Ellenbogen festhalten. Der Hüne versicherte sich der Zellstofftücher in Reichweite, dippte einen zärtlichen Kuss auf die Lippen seines attraktiv erblühten Freundes, während er nach der Unterhose tastete. Würde es reichen, einfach die Dehnbarkeit des Hosengummis zu strapazieren? Als er unversehens über Kentarous Schritt strich, nach der Kordel für die Freizeithose fahndete, schreckte der zusammen, stieß einen kehligen Laut aus, um deutlich sichtbar dunkel anzulaufen. "Entschuldigung!" Hastig wickelte Hiroki beide Arme um Kentarous Hüften, wollte seinen Freund nicht in Panik versetzen. "Habe ich dir weh getan?" Natürlich wusste er, dass es Kentarou peinlich war, Laute des Verlangens entkommen zu lassen, aber sie hatten beide ihren Stolz, der gewahrt werden sollte. Die Katzenaugen blinzelten, Kentarou rang um Atem. "Wir..." Kentarou lehnte seine Stirn gegen Hirokis, umschlang dessen Nacken, suchte Halt und konnte gleichzeitig dem besorgt-leidenschaftlichen Blick ausweichen. "Aus-ausziehen!" Das war eindeutig die bessere Lösung, erkannte auch Hiroki an. Er gab Kentarou frei, damit der sich selbst aus Freizeithose und Unterwäsche befreien konnte, während er sich aus Jeans und Jockeys schälte. Hiroki beeilte sich, damit kein störender Augenblick der Verlegenheit sich einschleichen konnte, streckte die Arme nach Kentarou aus, um ihn wieder auf seine gekreuzten Beine zu ziehen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass Kentarou einen langen Blick auf seinen Unterleib unternahm. Ein Ächzen entwich den verlockenden Lippen, die Hiroki so leidenschaftlich anzogen. »Bloß nicht nachdenken!« Kreischte seine Libido alarmiert, nutzte die Muskelkraft, um Kentarou einfach hauteng an seinen Torso zu schmiegen. Ein zweites Mal hörte er seinen Freund stöhnen. Ja, sie waren BEIDE ungeheuer heiß. Kein Wunder, bei der Menge Blut, die dort kreiste und die Muskeln zusammenballte! Hirokis Linke nistete sich mit aufgefächerten Fingern besitzergreifend auf Kentarous Rückgrat ein, während seine Rechte den zarten Nacken okkupierte, die bebenden Lippen auf seinen Mund dirigierte. Wenn er Kentarou nur leidenschaftlich genug küsste, ihm den Atem raubte, dann würde alles Zögern, alle Verlegenheit vergessen sein! Hiroki gab nicht nach, bis sich Kentarous Arme wieder um seinen Nacken wickelten. Langsam begann er die Hüfte zu wiegen, die Oberschenkelmuskeln rhythmisch anzuspannen. Schweißperlen traten auf seine Haut, weil er sich konzentrieren musste, nicht davonzutreiben. Er löste die Rechte von Kentarous Hinterkopf, streichelte über die mageren Pobacken, bevor er seinen Freund wieder entschieden auf die Knie bugsierte. So war es leichter, Kentarous Hals mit Zärtlichkeiten zu bedecken, während er mit der freien Hand in dessen Schritt spazieren ging. Früher als erhofft zuckte Kentarou zurück, drückte mit beiden Händen gegen Hirokis Oberarme. Er brachte kein Wort hervor, keuchend, erhitzt, schüttelte bloß den Kopf. »Aber der Abstand ist perfekt!« Hiroki konnte nicht widerstehen. Er ließ eine aufgefächerte Hand von der Brust über den zuckenden Bauch bis zu Kentarous Schritt nach unten gleiten. Mit ausreichend Druck, dass sich Sekunden danach noch die Haut von seinen Fingern gezeichnet zeigte. Kentarou winselte unwillkürlich, krümmte sich zusammen, um dem Kontakt zu entwischen. Hiroki machte in diesem Augenblick eine bedeutsame Entdeckung: sein Freund reagierte besonders heftig darauf, wenn er mit seinen großen Händen über dessen Bauch und zwischen den Schenkeln streichelte. "Willst du kommen?" Brachte er trotzdem fürsorglich, wenn auch rau, über die Lippen. Immerhin war es Kentarous erstes Mal, da konnte man keinen Marathon einlegen! Sein Freund zitterte bereits, bemühte sich um Selbstkontrolle, wirkte überrannt. "Komm!" Raunte Hiroki zärtlich, wickelte einen Arm um Kentarous Taille, zog ihn so eng an sich, dass er gerade noch ihre Erektionen mit der anderen Hand umschließen konnte. Kentarou umarmte ihn, presste die Stirn gegen Hirokis Schlüsselbein, atmete zischend durch die Zähne hindurch. Hiroki lehnte sich vorsichtig zurück gegen die Wand, schloss die Augen. Mit dieser 'Handarbeit' kannte er sich aus. Trotzdem raste sein Herz wie verrückt, weil es Gesellschaft hatte. Nicht zu vergessen die hastigen, glühenden Atemstöße! Geschickt und umsichtig steigerte er seine massierenden Liebkosungen, lauschte auf das Anspannen der Muskeln, die unwillkürlichen Äußerungen der Ekstase, die Kentarou trotz aller Bemühungen entflohen, bevor er sie erlöste. Glühend heiße Flüssigkeit schoss auf ihre Haut, ließ sie beide zusammenzucken, peitschte weitere Wellen der Leidenschaft hoch. Schwer atmend, klebrig-feucht und leicht orientierungslos, hielten sie sich wie Schiffbrüchige aneinander fest. Hiroki fasste sich als erster, strich mit der freien Hand behutsam Kentarous Rückgrat auf und nieder. Er hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Nun wurde ihm erst die Anspannung bewusst, die sich jetzt verflüchtigte. Es war kein Traum gewesen. Und auch keine Katastrophe eingetreten. Er hauchte einen Kuss auf Kentarous wirren Schopf, dann angelte er nach den Papiertaschentüchern. Zu seiner Überraschung löste sich Kentarou von ihm, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und fischte seinerseits nach den Taschentüchern. Ein wenig linkisch tupften sie einander die Samenflüssigkeit ab, knüllten die Papiertaschentücher zusammen und verbannten sie auf die Tatami neben den Futon. Kentarou löste sich von den Fersen, richtete sich auf und umarmte Hiroki eng, presste die Wange an Hirokis. "Alles in Ordnung?" Flüsterte Hiroki kehlig in das zugewandte Ohr. "Hmmm!" Brummte Kentarou, was alles heißen konnte. Hiroki umschlang ihn mit beiden langen Armen, hielt ihn warm. Nach langen Augenblicken, in denen sich ihr Herzschlag allmählich wieder besänftigte, gaben sie einander langsam frei. Hiroki war froh, dass die Katzenaugen ihn unerschrocken anblickten. Sie betrachteten sich, dann nistete sich ein freches Zwinkern in Hirokis Mundwinkel ein. "Ich werde mich heute NICHT mehr waschen!" Verkündete er halb trotzig, halb verwegen. Kentarou zog die Nase kraus. "und Zähne putzen willst du wohl auch nicht, wie? Ferkel!" Hiroki lachte nun gedämpft, küsste Kentarou ungefragt auf den Mund. "Morgen Früh." Versprach er. "Brav." Lobte Kentarou übertrieben, kletterte von Hirokis Schoß herunter und fischte seinen Pyjama aus dem Wandschrank. Das ermunterte Hiroki zu einem liebevollen Lächeln. Kentarou hatte also auch nicht vor, sich die Spuren ihres ersten Mals einfach schnöde von der Haut zu spülen! Seufzend erhob er sich ebenfalls, schlüpfte wieder in seine Kleider, sammelte die benutzten Taschentücher ein, um sie dem Abfallkorb anzuvertrauen. "Dann sage ich jetzt besser gute Nacht." Raunte er Kentarou lächelnd zu. "Yupp." Kentarou packte Hiroki vorne am Pullover, zog ihn zu sich herunter, um den versprochenen Gute Nacht-Kuss auszutauschen. Sie zwinkerten einander an, dann stieg Hiroki durch das Fenster hinüber in sein eigenes Zimmer. Kentarou wartete, bis er sah, wie die Vorhänge zugezogen wurden. Er wandte sich ab, holte aus dem Wandschrank sein Bettzeug, breitete es auf dem Futon aus. Obwohl er sich ausstreckte, schlief er nicht sofort ein, sondern dachte an seinen besten Freund. Er war zuversichtlich, die ihm fremden Dinge zu lernen. »Und es fühlt sich gut an.« ~+~ Hiroki wartete am nächsten Morgen trotz Dauerregen und ungemütlicher Kälte lächelnd auf Kentarou, der wie immer durch das alte Haus fegte und noch zahlreiche Dinge erledigte, bevor er zur Schule aufbrechen konnte. "Guten Morgen." Begrüßte Hiroki ihn amüsiert. Kentarou zog eine Grimasse. "Von wegen! Die Batterien vom Wecker haben ihren Geist aufgegeben, eine Glühbirne ist durchgebrannt, und ich habe das Reis-Omelette angesengt!" Der Hüne ersparte sich eine laute Bekundung des Mitgefühls, verwuschelte aber Kentarous wirren Schopf. "Och nö!" Quäkte Kentarou geplagt. "Ich habe den verdammten Zopfgummi vergessen!" "Ich habe hier eine Kordel, die könnte genügen." Hiroki hielt an, streifte seinem Freund die Kapuze des durchscheinenden Plastikumhangs ab, um mit Geschick die wirren Strähnen durchzukämmen, zusammenzufassen und mit der Kordel zu bändigen. "Danke schön!" Kentarou strahlte erleichtert, denn er wollte sich nicht gleich wieder eine Rüge einhandeln. Hiroki zwinkerte, schnappte sich dann Kentarous freie Hand und stopfte sie zu sich in seinen langen Plastikärmel. Heute hatte er wirklich überwältigend große Lust, Händchen zu halten, auch wenn sie nur gegen die Fluten, nicht gegen Gedränge ankämpfen mussten. Kentarou schnaubte und marschierte voran, aber er forderte seine Hand nicht zurück. ~+~ Kapitel 20 - In der Falle! Mamoru beobachtete seine Umgebung genau, denn es schien mehr als nur ein Verdacht zu sein, dass die Polizisten noch immer nach einer 'Lücke' suchten, um Beweise zu sammeln. Seiji und Tomohiko ließen sie allerdings außen vor, auch wenn die beiden offenkundig eine innige Freundschaft pflegten. Wahrscheinlich hatte der Skandal, dass Tomohiko geschlagen worden war und dessen Eltern Anzeige erstattet hatten, für eine gewisse Zurückhaltung gesorgt. »Allerdings nicht bei Satoru.« Mamoru zog die Augenbrauen zusammen, was ihn verwunderte. Dessen Eltern waren zwar nicht hier, aber es stand doch sicher zu erwarten, dass er sie informiert hatte?! Er zog sich in den Schatten einer Säule zurück, als er Satoru erblickte, der mit zittrigen Fingern seine Schuhe aus dem Schließfach holen wollte, sie aber nicht festhalten konnte und fallen ließ, auf die Knie fiel und fahrig aufzulesen versuchte, was mit den Schuhen auf dem Boden gelandet war und sich natürlich überall verteilt hatte. Darunter lag auch seine Nachricht. Satoru faltete sie auf wie die anderen Blätter, die er zusammensuchte. Sein fahles Gesicht wurde noch bleicher, die Lippen wurden aufeinander gepresst. Beinahe bedauerte Mamoru seine knappe Botschaft, da sie so einen verheerenden Effekt auf den Älteren auslöste. [Wenn du mich versetzt, muss ich unser Geheimnis preisgeben.] Um sich vom Boden zu erheben, musste Satoru sich an den Schließfächern hochziehen. Er sah nun tatsächlich angeschlagen aus, verängstigt und kränklich. »Ich mache es wieder gut.« Versprach Mamoru ihm stumm, zuckte zusammen, als er beobachtete, wie Satoru im Strom der Schüler, die sich auf den Rückweg zum Wohnheim begaben, mehrere harte Ellenbogenstöße einfing. Gab es denn keinen, der sich um ihn kümmerte, ihn begleitete? Hatte er keine Freunde? ~+~ Satoru wischte sich erneut die feuchten Handflächen an der Uniformhose ab. Er WOLLTE nicht diesen Gang hinunterschleichen, überhaupt hier sein! Elend war für seinen Zustand nur eine unzureichende Untertreibung. Die dunklen Ringe unter seinen Augen, die Schatten in seinen Wangen, die raue Haut um seine Mundwinkel verkündeten eine deutliche Botschaft. Das Schulhemd klebte unangenehm an seiner Haut, er bewegte sich steif. In seinem Kopf, fiebrig und erneut mit Kopfschmerztabletten konditioniert, rotierten die zerstreuten Gedanken um seine Möglichkeiten, Mamoru in die Schranken zu verweisen. Würde es ausreichen, mit Mamorus Geheimnis zu drohen? Dass man es leicht publik machen könnte? Mit einer erneut feuchten Hand wischte sich Satoru die langen Strähnen aus dem Gesicht, um den Kopf zu drehen, was sie postwendend in dieselbe Position zurückbeförderte. Leider drängte sich ihm der beunruhigende Eindruck auf, dass sein 'Druckmittel' nicht die gewünschte Wirkung auf Mamoru ausüben konnte. Was aber tun?! »Vor allem dafür sorgen, dass er nichts ausplaudert!« Ermahnte sich Satoru matt. Wenn Mamoru rachsüchtig enthüllte, was sie getan hatten, würde nur noch sein Wort gegen Mamorus stehen. Das mochte vielleicht bei der Polizei ausreichen, die sich zweimal an ihm die Zähne ausgebissen hatte, doch wenn sein Vater von dieser Eskapade erfuhr, dann war alles aus. »Allerdings ahnt er nichts davon. Hoffentlich!« Versuchte Satoru sich zu beruhigen. Er sah sich erneut um, eine beinahe paranoide Angewohnheit seit dem ersten Verhör durch die Polizisten. Wirklich SICHER war er sich nicht, dass sie aufgegeben hatten, doch niemand folgte ihm. Er blieb stehen und lauschte auf Schritte, hörte aber nichts Verräterisches. Satoru atmete tief durch, nahm seine wacklig-steife Bewegung wieder auf und bog in den nächsten Gang ab. »Wenn alles nichts hilft, musst du ihm eben klarmachen, wie gefährlich es ist, auf diesen Treffen zu beharren!« Redete er sich ein. »Betteln, flehen, jammern, irgendwas MUSS funktionieren!« Er hielt den trüben Blick auf den Kellereingang Nummer Drei gerichtet, bemerkte dann, wie sich der Schattenwurf veränderte, weil Mamoru sich vorbeugte. Unwillkürlich wurde Satoru langsamer, verkrampfte sich. In seinem Magen brodelte und grummelte es nervös. Mamoru trat auf den Gang, die Schultasche lässig über eine Schulter gehängt. Satoru blieb stehen. Er hätte am liebsten sofort kehrtgemacht und wäre weggelaufen, aber das wagte er nicht. Einen langen Augenblick starrten sie sich an, dann tat Mamoru drei lange Schritte, packte Satoru beim Handgelenk und zog ihn eilig hinter sich her. Beiläufig bemerkte der Ältere, dass der Kellereingang bereits aufgeschlossen worden war, die Tür angelehnt auf die Besucher wartete. Mamoru schlug die Tür hinter ihnen zu, drehte den Vierkantschlüssel herum, dirigierte Satoru die Stufen hinab. "Wir können uns nicht mehr treffen, es ist viel zu gefährlich! Überhaupt, ich will Schluss machen, das wollte ich schon letzte Woche!" Stieß der Ältere hastig hervor. Dunkelbraune, beschlagene Augen trafen auf schwarze, große Augen, Kontaktlinsen blinzelten in die entspiegelten Gläser einer randlosen Brille. "Ich habe nicht die Absicht, mich von dir zu trennen." Mamoru wandte sich Satoru zu, streichelte mit der freien Hand über dessen Wange, die Schultasche achtlos zu den Füßen fallen gelassen. "Hör auf damit!" Fauchte Satoru heiser. "Kapierst du nicht, dass wir in katastrophalen Schwierigkeiten stecken, wenn irgendjemand uns erwischt?!" Er versuchte vergeblich, sein Handgelenk aus Mamorus verblüffend starkem Griff zu befreien. "Lass mich auf der Stelle los! Ich WILL nicht mehr mit dir zusammen sein!" "Nein." Satoru starrte Mamoru an, die kalligraphierten Augenbrauen zogen sich zu einer ärgerlichen Linie zusammen, wurden aber von dem bleichen, verängstigten Ausdruck konterkariert. "Sei kein Idiot! Oder willst du, dass ich allen verrate, was für ein Geheimnis du hütest?!" Mamoru lächelte, streichelte behutsam über Satorus blutleere Lippen. "Willst du riskieren, dass ich erzähle, was wir hier tun? Ich vermute, im Augenblick würde man mir sehr aufmerksam zuhören." Raunte er sanft. Diese Worte waren wie Giftpfeile, trafen Satoru ins Mark. "Das-das würdest du nicht wagen!" Wisperte er tonlos. "Warum nicht?" Der Jüngere zeichnete Satorus Kinnlinie nach, fasste dann dessen Hand, hielt sie bekräftigend. Plötzlich erschien sein Blick glühend, wie eine Beschwörung. "Satoru!" Tiefes Durchatmen, denn zum ersten Mal sprach er ihn so informell und äußerst intim an. "Satoru, ich habe dich wirklich sehr gern. Ich WILL mich nicht von dir trennen, auf gar keinen Fall!" Satoru starrte, blinzelte, rang nach Luft. "Idiotisch! Das ist idiotisch!" Schnappte er rau. "Begreifst du nicht, dass das hier bloß ein Zeitvertreib ist?! Nimm das gefälligst nicht so ernst!" Trotz heftigen Zerrens widerstand Mamoru dem Versuch, sich zu befreien. "So hat es vielleicht angefangen, aber das ist jetzt anders." Bewahrte er die Ruhe. "Ich werde dein Geheimnis aufdecken!" Satoru zitterte vor Empörung und Hilflosigkeit. "Das kannst du tun." Beantwortete Mamoru die Herausforderung gelassen. "Es kümmert mich nicht." Dann, für Satoru vollkommen unerwartet, gab er ihn frei, trat einen Schritt zurück und ließ vor ihm die Hosen herunter. "Ich trage schon lange keine Inkontinenz-Windeln mehr. Die meiste Zeit nicht mal mehr Unterwäsche." Er lächelte Satoru an. Satoru ballte krampfhaft die Fäuste, öffnete sie wieder. Der letzte Trumpf war verloren. Ihn schwindelte vor Anflügen von Panik. Was sollte er jetzt tun?! "Ich-ich will gehen. Lass mich raus!" Satoru presste seine Schultasche wie einen Schild vor den Leib, wich zur Treppe zurück. Mamoru schwieg, studierte ihn. Dann seufzte er tief und schüttelte den Kopf. "Nein, Satoru." Formulierte er langsam. "Wenn ich dich gehen lasse, dann gibst du mich auf. Ich KANN das nicht tun." Der Ältere schluckte krampfhaft, zwang sich zur Beherrschung, warb mit beschwörender, leider brechender Stimme. "Bitte, du MUSST das doch verstehen! Wir können nicht weitermachen!" Tollkühn legte er seine Schultasche ab, kniete sich vor Mamoru auf die Fliesen. "Ich bitte dich um Verzeihung, bitte sieh mir meine Verfehlungen nach!" Die Stirn untertänig auf die kalten Fliesen gepresst wartete Satoru bange auf eine Reaktion, wagte nicht, den Kopf zu heben. »Was noch?! Was kann ich noch sagen?! Was?!« Ein Schatten warf sich über ihn, gefolgt von einer Hand, die zärtlich über seine wirren, feuchten Strähnen streichelte. "Es fällt mir nicht leicht, aber ich kann nicht anders, als deine Bitte abzulehnen." Mamorus Stimme drang gepresst zu Satoru vor, er war mutmaßlich in die Hocke gegangen. "Ich will mich nicht von dir trennen." "Aber-aber..." Satoru stammelte, suchte fieberhaft nach Argumenten, die das Wunder vollbringen sollten. "Du-du weißt doch, dass es bloß Sex war! Du kannst bestimmt einen besseren Partner finden! Oder eine Freundin! Du MUSST es nicht mit einem Kerl treiben!" Satoru richtete sich hastig auf, die Augen glänzend von einem Tränenfilm der Verzweiflung, die Haut klebrig von kaltem Schweiß. "Du kannst doch ein Mädchen kennenlernen!" Warb er flehend. "Du siehst gut aus und hast einen ordentlichen Charakter! Du musst doch nicht..." Er wurde unterbrochen, weil Mamoru, der tatsächlich vor ihm elegant in der Hocke balancierte, leise zu lachen begann. "Wirklich!" Schmunzelte er amüsiert. "Deine Komplimente sind ernüchternd!" Neckte er Satoru, der für diesen sanften Spott gar keine Verwendung hatte. WARUM nahm ihn dieser dämliche Grünschnabel nicht ernst?! Außer sich vor Verzweiflung und Angst tat Satoru etwas, was er nie zuvor in seinem Leben gewagt hatte: er schnellte hoch trotz tauber Knie und warf sich auf den überraschten Mamoru. Ineinander verkeilt rollten sie über die harten Fliesen, Satorus Finger krallten sich in die Aufschläge von Mamorus Schuljacke, der seinerseits versuchte, dessen Griff zu lösen. Dann änderte er blitzartig die Taktik, ließ Satorus Hände unbehelligt, schlang stattdessen die Arme eng um den Älteren, presste ihn erstickend an sich und setzte all sein Geschick ein, Satoru unter sich zu halten. Der schluchzte bald, weil er kaum Luft zum Atmen bekam, außerdem tränten ihm die Augen und er erkannte, dass er sich in einer ausweglosen Situation befand. Wollte er wirklich wie ein trotziges Kleinkind brüllend um sich schlagen?! Nicht, dass er die Freiheit dazu besessen hätte. "Satoru! Satoru, bitte beruhige dich, ja? Komm schon, ich bin es doch!" Mamoru redete ihm zu wie einem kranken Tier, eindringlich und nachsichtig zugleich. Endlich gab sich der Ältere geschlagen. Er hatte keine Kraft mehr, die Glieder schmerzten, vor seinen Augen tanzten Schwarze Löcher. In ein solches hatte sich sein Leben seit der letzten Woche verwandelt. "He." Mamoru löste seine Hände unter Satoru, die sich hinter dessen unterem Lendenwirbel verschränkt hatten, um nicht von der Blutzufuhr abgeschnitten zu werden. "Ich werde dich nicht verraten, keine Angst." Satoru schnaubte abschätzig, drehte den Kopf zur Seite, schloss die Augen, weil er es seinem Stolz schuldete, nicht vor diesem miesen Erpresser zu weinen! Der Jüngere setzte sich auf, rittlings über Satoru gekauert, fischte in einer Hosentasche nach Papiertaschentüchern. Sie waren zwar zerdrückt, aber noch einsatzfähig. Ohne viel Federlesen umfasste er mit der Rechten Satorus Unterkiefer, tupfte mit der anderen Hand behutsam die Tränen aus dessen Augenwinkeln. Dabei sprach er leise vor sich hin, als wäre er mit sich allein, ohne die Person, um die seine Gedanken seit geraumer Zeit kreisten. "Ich wusste nichts von diesem Gentlemen's Club. Dass die beiden Polizisten dich verprügelt haben, hat mich wirklich auf die Palme gebracht. Ich kam mir so hilflos und unnütz vor, als ich ins Sekretariat gelaufen bin und dir nicht helfen konnte. Selbst wenn es die richtige Entscheidung war." Mamoru seufzte laut, lächelte dann versonnen auf Satoru herunter. "Es gibt so viele Dinge, die ich dir erzählen muss und andere, die ich dir gern erzählen möchte. Du kannst das jetzt nicht verstehen, aber du bedeutest mir so viel, dass ich dich nicht gehen lassen kann. Dass ich dich nicht gehen lassen werde." Seine Rechte wärmte dessen Wange zärtlich. Satoru konstatierte zum ersten Mal, dass Mamoru tatsächlich nur in Socken, Hemd und Uniformjacke auf seinem Schoß ritt. Farbe schoss ihm in die Wangen. Er ballte die Fäuste, hörte den Stoff der Uniformjacke unter der Belastung knirschen. "Wie stellst du dir das vor, hm?! Selbst wenn ich mit dir weitermachen wollte, glaubst du ernsthaft, niemand wird uns entdecken?!" Seine Betonung sollte deutlich signalisieren, dass das AUF GAR KEINEN FALL eine Option darstellte. "Warum sollten sie?" Mamoru knöpfte Satorus Hemd gelassen auf, bevor sein Blick messerscharf in Satorus Pupillen fuhr. "Sie haben es doch all die Jahre vorher auch nicht, oder?!" Das Blut rauschte in seinem Kopf, Satoru musste sich abwenden. Ohne Zweifel wusste Mamoru etwas. Oder vermutete es. "Ich will nicht mit dir schlafen." Wisperte er tonlos. Das ganze Kartenhaus seines Selbstbewusstseins war eingestürzt, all die Lügen, die er sich selbst erzählt hatte, die er sich zu glauben gezwungen hatte, sie kamen nun wie Bumerangs zurückgeflogen. "Oh, das ist in Ordnung." Versicherte Mamoru ihm frech. "Ich wollte schon immer mal tauschen. Ich schlafe gern mit dir." Satoru senkte die Lider, sparte sich das vergebliche 'SO war das nicht gemeint'. Vielleicht wäre es gut, wenn Mamoru... Er legte den Unterarm über seine Augen, spürte das heftige Pochen der Adern gegen die Haut. »Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Irrer im Manga, als hätte ich Krampfadern im Gesicht!« Trudelte ihm ein bizarrer Gedanken durch die aufgewühlte Seele. Wenn er jetzt nur schlafen könnte, ohne Träume, einfach nur Dunkelheit...eine Auszeit nehmen! Bloß lange genug, um sich etwas einfallen zu lassen, einen Ausweg zu finden! Jedoch diese Flucht wurde ihm versagt: Mamoru umfasste Satorus Handgelenke, entfernte sie höflich, aber bestimmt von dessen Gesicht, betrachtete den Älteren. "Ich kümmere mich um dich, bis es dir wieder besser geht." Versprach Mamoru aufrichtig. "Alles kommt ins Lot." Warme, sanfte Küsse tropften auf Satorus Gesicht, vertrieben die widerliche Kälte des Notschweißes, der sich klamm wie Mehltau eingenistet hatte. Er ließ zu, dass Mamoru ihn auch auf den Mund küsste, erst liebevoll, dann leidenschaftlicher. Fühlte der sich denn jetzt nicht angeekelt?! Satoru selbst gestand sich ein, dass er zweifellos nicht attraktiv aussah und überdies vermutlich roch und widerlich schmeckte. Dem Jüngeren allerdings schienen diese Impressionen abzugehen. »Beinahe schmeichelhaft.« Satoru wandte den Kopf, rang um Atem. »Aber es ist bloß Sex. Bilde dir nichts darauf ein!« Mamoru unterdessen beschäftigte sich weiter südlich. Während er Satorus Brustwarzen eine Aufwartung machte, die für alerte Aufmerksamkeit sorgte, öffnete er dessen Hose, streifte Unterwäsche und Uniformhose über dessen Hüften. Sein Glied reagierte bereits auf Satorus Nähe, den Geruch und Geschmack, da wollte er nicht riskieren, sich unnötig an Reißverschlüssen zu verletzen. Er beugte sich wieder über Satorus Ohr, raunte begehrlich. "Bitte, lass mich mit dir schlafen!" Satoru zog eine Grimasse, versuchte sich auf die Seite zu drehen, gehindert durch seine Bekleidung. »Als ob ich dich davon abhalten könnte!« Giftete er bitter und stumm. »Aber so einfach ist das nicht!« Zumindest konnte man davon ausgehen, dass Mamoru unerfahren war und es deshalb mit Sicherheit zu ungeschickter Fummelei mit unbefriedigendem Ausgang kommen würde. Viel zu schnell für seinen Geschmack wurde Satoru jedoch auf die Knie gehoben, aus Hemd und Uniformjacke geschält, von Unterwäsche, Uniformhosen und nutzlosen Socken befreit. Als er sich fröstelnd herumwandte, auszukundschaften versuchte, warum die emsigen und doch angenehm warmen Hände ihn so schnöde der Kälte überließen, bemerkte er beinahe erschrocken, wie sehr sich Mamoru verändert hatte, ohne dass ihm dies bisher in aller Deutlichkeit bewusst geworden war.Der junge Mann, und längst kein Junge mehr!, der dort aufrecht stand, Kondome und Gleitmittel aufgelesen hatte, war sehnig-muskulös, keineswegs eingeschüchtert von der Premiere, zeigte unterhalb des Anhängers, den Satoru ihm auf den Leib befohlen hatte, eine derart beeindruckende Begeisterung für das Vorhaben, dass Satoru schwindlig wurde. »Mit dem Hammer bringt er mich um!« Schoss ihm panisch durch den Kopf. »Er wird mich zerreißen!« Ungelenk stemmte er sich auf die Füße hoch. "Ich kann das NICHT!" Bloß weg von hier! Mamoru lachte amüsiert, keineswegs spöttisch. "Glaubst du, dass du in dem Zustand weit kommst?" "Du findest wohl alles komisch!" Klagte ihn Satoru an, blinzelte die lästigen Tränen weg, krümmte sich unter den erneut einsetzenden, heftigen Kopfschmerzen. "He, was ist los?" Sofort war Mamoru bei ihm, ließ sich nicht von der 'kalten Schulter' abschrecken, presste selbst die Fingerspitzen gegen Satorus Schläfen und bemühte sich mit kreisenden Bewegungen, Linderung zu bringen. Der Ältere stand nun direkt zwischen Mamorus Armen, konnte nicht fassen, dass sein ehemals verschüchtertes Opfer ihn sogar um einige Zentimeter überragte. Wollte sich eigentlich lieber entziehen, konnte aber der ausstrahlenden Wärme der leicht gebräunten Haut nicht widerstehen. "Warum tust du mir das an?!" Schluchzte Satoru heiser. Es ging ihm wirklich nicht gut, warum hatte Mamoru kein Einsehen?! "Weil ich dich liebe." Flüsterte der Jüngere rau. Satoru wollte protestieren, diese Replik als momentane Geistesverirrung abtun, sich dagegen verwahren, mit so einem billigen Spruch umworben zu werden! Allein, ihm fehlte die Kraft. Die Knie waren weich, er zitterte vor Kälte, während sein Kopf glühte, wollte sich nur noch in irgendein Schwarzes Loch verkriechen, verschwinden und in einer anderen Galaxie aufwachen. War es die Hand zwischen seinen Schulterblättern, die sanft drückte? Oder die verlockende Hitze? Mamorus Stimme, die heiser versicherte, er möge sich an ihm festhalten, alles komme in Ordnung? Die Augen fest zusammengepresst, sodass ihm die Tränen über die dichten Wimpern perlten, schlang Satoru die Arme um Mamorus Nacken, stützte sich auf Zehenspitzen mit seinem gesamten Gewicht auf ihn. »Ich fühle mich so elend!« Diktierte er über den Körperkontakt. »Was soll ich nur tun?!« "Gut so, halt dich fest." Lobte Mamoru an seinem Ohr, küsste ihn auf das Ohrläppchen, bevor er Satorus unwillkürlicher Regung folgte und auch langsam in die Knie brach. Der keuchte unterdessen laut, fühlte sich schwindlig und in Atemnot. "Vertrau auf mich." Mamoru raunte Beschwörungen. "Ich wärme dich auf. Ich sorge dafür, dass du dich wieder gut fühlst." Eine zumindest ungewohnte Maßnahme bestand darin, mit beiden Händen sehr kräftig über Satorus Rückgrat zu streichen, eine Rubbelmassage, die auch die Schultern und die aparte Kehrseite einschloss. Satoru winselte leise, vermutete, dass seine helle, recht empfindliche Haut schon unkleidsam gerötet sein musste. Allerdings spürte er die Reibungshitze, was durchaus die von der Verkrampfung ausgelösten Schmerzen linderte. "Gut, so ist es schon ein wenig besser, nicht wahr?" Mamoru redete ihm gut zu, freundlich und unangestrengt, glitt selbst von den Knien in den Schneidersitz, aus nachvollziehbaren Gründen. Ehe Satoru sich versah, waren seine Arme von Mamorus Nacken gepflückt worden, dafür die Hüften angehoben, damit er selbst eine 180 Grad Drehung absolvierte. Wimpernschläge später fand er sich an Mamorus Brust gezogen, eng genug, um die harten Brustwarzen wie Dornen in seinem Rücken zu spüren. Auch an der Front wurde ihm nun Mamorus Spezialmassage zuteil. Den Kopf gesenkt, die Fäuste geballt, weil er sich ungern nachgiebig zeigte, ließ Satoru sich mit kräftigen Strichen liebkosen. Er unterdrückte auch jeden Protest, als Mamoru sich erst seine Brustwarzen und dann weiter südlich seine schutzlose Erektion vorknöpfte. Seine erschöpften Sinne votierten mittlerweile mehrheitlich dafür, Mamoru dessen Willen zu lassen, es einfach zu akzeptieren und nutzlose Gegenwehr einzustellen. Dass der seine Ankündigung durchaus ernst gemeint hatte, wurde Satoru bewusst, als sich eine Hand löste, nicht länger wechselseitig mit dem Handrücken seine Wangen beschmuste, sondern zielgerichtet erst Gleitmittel aufnahm, sich dann zu seinem Schritt bewegte. Satoru zuckte zusammen, wollte hastig die Beine schließen, fand sich aber von Mamorus im Schneidersitz ausgestellten Knien daran gehindert. "Keine Angst." Raunte Mamoru an Satorus Hals, küsste Spuren über den Nacken. "Ich bin vorsichtig." Satoru schossen eine Menge Dinge gleichzeitig durch den Kopf, wie ein Hurrikan von Erinnerungsfetzen. Mamoru war offenkundig entschlossen, mit ihm zu schlafen. Es wäre also in seinem eigenen Interesse, dem Jüngeren zu helfen, um sich selbst Pein zu ersparen. Schicksalsergeben redete der Ältere sich ein, dass ES ihm vielleicht helfen würde, diesen lächerlichen Schüttelfrost loszuwerden, dass er sich entspannen könnte. Er folgte also artig Mamorus Bewegung, der sich nach hinten lehnte, damit sich ihre Hüften hoben, das Becken kippte, half der Hand, die zunächst bloß seine Genitalien mit Gleitmittel erfreut hatte, den richtigen Zugang zu seinem Körper zu finden. Satoru platzierte seine eigene Rechte auf Mamorus, dirigierte dessen Annäherung mit geschlossenen Augen, den Kopf abgewandt auf dessen Schulter ruhend. Er konnte spüren, wie der Jüngere innehielt, sich erst an diese fremde Umgebung gewöhnen musste. Wie er sich bemühte, seinem Partner dienlich zu sein, sich darauf konzentrierte, wünschenswerte Reaktionen zu provozieren. Laut atmend ließ Satoru sich inwendig streicheln, übte leichten Druck aus, um Mamoru vorzubereiten. Es überraschte ihn vollkommen, dass Mamoru ihn gleichzeitig küsste, synchron Zunge und zwei Finger agieren ließ. Das war zu viel, um es einfach zu kompensieren: Satoru stöhnte laut, wand sich in der halben Umarmung. Er blinzelte, wollte eigentlich ein warnendes Funkeln absetzen, erschrak aber angesichts der ungefilterten Leidenschaft in den großen, schwarzen Augen, die ihm so nahe waren. Das resultierte, sehr zu seinem Unbehagen, in einem Schluckauf. Mamoru lachte, streichelte mit der freien Hand über Satorus Bauch, küsste ihn auf den Schopf, weil sich der Ältere hochrot und peinlich berührt abrupt abwandte. Wieso musste das alles so demütigend sein?! Vor lauter Wut über diese empfundene Erniedrigung und Ungerechtigkeit des Schicksals trieb er die Fingernägel so hart in das Fleisch von Mamorus sehnigen Oberschenkeln, dass er meinte, es müsse gleich Blut fließen. Der Jüngere, in dessen Umarmung er lehnte, verspannte sich, holte zischend Luft. Nach einem langen Schweigen, ohne das mitfühlende Lachen, ohne die kreisenden Zärtlichkeiten, die Finger reglos in seinem Unterleib, besann sich Satoru. Schlimmer noch als der Schluckauf war es für einen anständigen Menschen, jemanden absichtlich für eine eingebildete Beleidigung zu verletzen. Und er hatte sich immer für einen anständigen Charakter gehalten! "Du tust mir weh, Satoru." Hörte er Mamorus ruhige Stimme an seinem Ohr, so souverän und beherrscht, dass es seinem schlechten Gewissen und der Scham noch Nachschub verlieh. "Entschuldigung." Murmelte Satoru kaum hörbar, senkte den Kopf und ballte die Fäuste. "Ist nicht tragisch." Tröstete ihn der Jüngere sanft. "Außerdem ist der Frosch in deinem Hals auch verschwunden." »Dass du jetzt auch noch nett zu mir bist, macht es bloß schlimmer!« Beklagte sich Satoru stumm und verdammte sofort die eigene Wehleidigkeit. Es entsetzte ihn durchaus, dass er ohne den schützenden Schildkrötenpanzer, unter den er sich immer wieder zurückgezogen hatte, gar nicht so selbstbewusst und großzügig war, so weltgewandt und umgänglich. Aus diesen wahrhaft deprimierenden Gedanken riss ihn Mamorus nächste Aufmerksamkeit. Der hatte nämlich das geknickte Schweigen entsprechend gedeutet und festgestellt, dass er die Gelegenheit nutzen konnte, um die Kondome zum Einsatz zu bringen. Beim Abrollen löste er mit seinen warmen Händen heftige Schauer in Satoru aus. Die Finger, die sich diensteifrig in seinem Unterleib krümmten, taten ein Übriges, um ihn eiligst die Hände auf den Mund pressen zu lassen. "Kannst du dich nach vorne beugen, hm?" Mamorus Stimme, aufgeraut von Verlangen, löste Turbulenzen in seinem Inneren aus. Satoru WOLLTE das nicht, lieber einen Rückzieher machen, denn er hatte das unbestimmte Gefühl, dass etwas gar nicht nach Plan lief, doch Mamoru hatte bereits die Finger aus seinem Leib gelöst, ihn zärtlich um die Taille gefasst und sich selbst nach vorne gebeugt, sodass ihm gar keine andere Wahl blieb, als sich auf alle Viere zu begeben! Da waren sie wieder, die Finger, die in seinem Körper marodierten, Explosionen auslösten, kleine Sprengladungen, die in seinem Unterleib detonierten und einen Vorgeschmack dafür gaben, was passieren konnte, wenn Mamoru zufällig die 'Hauptader' entdeckte! Mamoru hatte die Ablenkung genutzt, um mit der freien Hand ausgesprochen geübt seine eigene, jämmerlich vernachlässigte Erektion in Latex einzuschlagen. Das Gleitmittel folgte, großzügig verteilt, von zusammengepressten Lippen begleitet. Erst dann wagte er sich an Satorus Erektion zurück, streichelte sie aufreizend immer zum Körper hin, als handle es sich um Katzenfell, das man statisch aufladen wollte. Satoru keuchte, bemerkte kaum die glühenden Küsse, die seinen Rücken versengten. "Tu...tu...das... nicht..!" Würgte er keuchend hervor, tropfte Tränen auf die kalten Fliesen unter sich. Mamoru, dieses gnadenlose Ungeheuer, ließ sich einfach zu viel Zeit! Wieso konnte der Verrückte nicht einfach rammeln wie jeder andere auch?! Dem Älteren knickten die Ellenbogen ein, er musste sich auf die Ellen sinken lassen, schluchzte wütend bei dem Gedanken, wie demütigend es sich ausnahm, den Hintern so devot anbieten zu müssen. Für derart merkwürdige Gedanken hatte Mamoru keine Zeit. Er vergaß sich beinahe im Spiel der Muskeln und Sehnen unter der hellen Haut, den einzelnen Rückenwirbeln, die sich abzeichneten, jeder winzigen Bewegung, die er erntete, wenn er sich in Satorus Leib bewegte. Schweißperlen bedeckten nun seinen ganzen Körper, er hatte das Gefühl, stundenlang in gewaltiger Hitze gearbeitet zu haben. Gleichzeitig aber strotzte er vor Energie, vermeinte, er sei so leicht wie Luft. Unerwartet erfüllten ihn Ruhe und Zuversicht. Er würde es richtig machen. So gut und so einfühlsam, dass er Satoru weder ein Leid zufügen, noch ihm die Erfüllung versagen würde. Satoru war von dieser ausgeglichenen Selbstzufriedenheit wahre Ewigkeiten entfernt. Er hatte Mühe zu atmen, der Pulsschlag dröhnte wie eine gewaltige Trommel in seinem Kopf, das Blut schoss ihm ins Gesicht und dann-dann war da dieser Punkt, diese Stelle in seinem Körper, die ihn zu Verrenkungen zwang, damit Mamoru sie kein zweites Mal touchierte! Aber hier half weder Baucheinziehen, noch Luftanhalten, er war in seinem eigenen Körper gefangen und Mamorus Gnade ausgeliefert. Oder vielmehr der Hoffnung, dass der nicht ein weiteres Mal diesen Ort fand, wo Satoru glaubte, sich selbst aufzulösen. Das Schwarze Loch, in das er sich gern verkrochen hätte, konnte sich unmöglich IN seinem Körper befinden! Er musste jedoch befürchten, dass er sich irrte, dass in seinem Inneren eine gesetzlose, anarchische Region existierte, die in einem gewaltigen, unausweichlichen Wirbel alles einsog, was ihn selbst ausmachte. Mamoru lächelte unbewusst, als er die Schlangentänze in seinem Zugriff registrierte. Sein Brustkorb schien sich in die Unendlichkeit zu weiten, so stark erfüllte und überflutete ihn die Liebe zu Satoru, der so tapfer war, so verzweifelt um den Eispanzer kämpfte, gleichzeitig bemüht, ritterlich und aufrichtig zu bleiben. »Und schön, atemberaubend schön!« Impulsiv zog er Satoru hoch, sodass dessen Ellen den Kontakt mit den Fliesen verloren, küsste ihn auf den gestreckten Nacken. Dann zeigte sich, dass Madame Fortuna Satorus wilde Hoffnung nicht erfüllte. Der Ältere sprühte in einem gutturalen Aufschrei Speichel, zuckte wie unter Strom gesetzt, das Rückgrat wurde zu einer Peitsche. Mamoru gab ihm Gelegenheit, keuchend um Luft zu ringen, zog die Finger zurück. Er kannte nun das Ziel, brauchte nicht einmal mehr die Augen zu öffnen. Während er ablenkend Satorus Hoden kraulte, beinahe neckend, drängte er seine Erektion durch den zuckenden Muskelring. Satoru schluchzte auf, zitterte. Mamoru wartete, zwang sich selbst, die tanzenden Flecken vor seinen Augen zu ignorieren, tief und konzentriert zu atmen. Es bestand keinerlei Notwendigkeit, ungeduldig vorzupreschen, wie eine Dampframme einzudringen. "Satoru..." Flüsterte er sanft, beinahe ein raues Liebeslied. "Satoru..." Dessen Atemzüge wurden wieder tiefer und länger, nicht mehr das asthmatische Hecheln. Unendlich behutsam nutzte Mamoru, an Satorus Rücken wie eine zweite Haut geschmiegt, mit Wange und Ohr auf dessen Herzschlag lauschend, jede winzige Entspannung, um tiefer in Satorus Unterleib vorzudringen. Die Hitze erschien ihm ungeheuer, der Druck nahezu unerträglich, doch das Ziel, das er sich gesetzt hatte, überstimmte alle kleinlichen Vorbehalte. Satoru katzbuckelte nun, unbewusst bemüht, ihm auszuweichen. Mamoru liebkoste die pulsierende Erektion zärtlich, wagte aber nicht, den Kopf anzuheben, um erneut Küsse zwischen die Schulterblätter zu platzieren. Wenn er Satoru dazu verführen könnte, das Becken zu kippen, ein leichtes Hohlkreuz anzunehmen, dann wusste er sich am Ziel. Folgerichtig umschloss er Satorus Glied am Ansatzpunkt, presste die Fingerspitzen in die Wurzel und zog leicht nach unten. Unwillkürlich reagierte Satoru, stellte die aparte Kehrseite aus. DAS Signal für Mamoru, der minimal Schwung holte und nach vorne stieß. Erneut hörte er, wie Satoru laut stöhnend jeden Kontakt begleitete, ächzte, mit kehligen Lauten vor ihm davon zu kriechen versuchte, sogar eine Hand löste, um sich selbst zu befriedigen, bevor die sich aufbauende, innere Spannung unerträglich wurde. Doch Mamorus Linke verhinderte die Erlösung auf halber Strecke. Er steigerte sein Tempo, jagte einen elektrischen Stoß nach dem nächsten in den Fixpunkt von Satorus Empfindungen, gab nicht mehr nach. Noch bevor er selbst seinen Höhepunkt erreichte, ballte sich eine gewaltige Detonation in Satoru zusammen. In unkontrollierten Spasmen zuckte und wand sich der Ältere unter ihm, erlag so heftigen Kontraktionen, dass Mamoru selbst in einen Orgasmus gezogen wurde, den er bisher noch nicht so heftig erlebt hatte. ~+~ Mit blankem Blick blinzelte Mamoru vor sich hin, sah noch immer Sterne. Er hatte große Mühe, Luft zu holen, fühlte sich schwach und zittrig, als habe ihm ein Vampir alle Kraft abgesaugt. Als sich seine Sicht endlich klärte, wurde ihm bewusst, dass er noch immer intim mit Satoru verbunden war. Der Ältere rührte sich nicht, was Mamoru nicht Wunder nahm, da er auf ihn gesunken war. Behutsam spreizte er die von Schweiß und Gleitmittel nassen Oberschenkel, zog sein erschlafftes Glied aus Satorus Unterleib. Träge folgte durchsichtige Flüssigkeit, sickerte auf die kalten Fliesen. "Satoru?" Besorgt verbannte Mamoru die Etikette des Säuberns auf einen späteren Zeitpunkt, legte die Rechte auf Satorus Rücken. Da waren ein Herzschlag und auch Atemzüge. Erleichtert sackte Mamoru auf die Fersen. Der Ältere musste wohl ohnmächtig geworden sein. »Los doch!« Trieb sich Mamoru zur Eile an, fischte die Papiertaschentücher heran, um Gleitmittel abzuwischen und das eigene Kondom zu entfernen. Anschließend, mit durchaus wackligen Knien, holte er ein Handtuch herbei, breitete es aus. Er kniete sich neben Satoru auf die Fliesen, inzwischen äußert beunruhigt, dass der sich immer noch nicht erholt hatte. Vorsichtig drehte er Satoru wie beim Erste Hilfe-Kurs auf die Seite, wischte feuchte Strähnen aus dem entspannten Gesicht. "Satoru? He, mein Prinz, wach bitte auf." Flüsterte er drängend, streichelte die rosig erblühten Wangen. Mit einem Papiertaschentuch entfernte er das Kondom, erhob sich dann eilig, um Wasser aus dem Wandanschluss auf einen Waschlappen zu träufeln. Angespannt betupfte er Satorus Gesicht, überlegte fieberhaft, ob er etwas mit sich führte, das an frühere Riechfläschchen heranreichte. Mangels solcher Utensilien folgte er dem zweitbesten Impuls: er zog Satoru gegen seine Brust, stützte ihn unter den Achseln mit einem Arm, während er mit der anderen Hand Satorus Unterkiefer dirigierte, um den Älteren zu beatmen. Nach drei langen Atemzügen, die Mamoru in Schwindel versetzten, zuckte Satoru, hustete und krampfte sich zusammen. Mamoru verzichtete auf weitere 'Lebensküsse', presste Satoru an sich und klopfte ihm wie einem Säugling beim Aufstoßen auf den Rücken. "Alles in Ordnung." Versicherte er immer wieder. "Es ist alles gut, Satoru!" Satoru dagegen begriff nach einer gefühlten Ewigkeit, wo er sich befand und was mit ihm geschehen war. Sein Herzschlag begann zu rasen, er bekam keine Luft mehr, kalter Schweiß trat auf seine Haut. Die Zähne klapperten aufeinander, sein Magen rebellierte, die Augen tränten. Für Mamoru, der perplex die Verwandlung verfolgte, bot sich zuerst das Bild eines hyperventilierenden, dann hysterisch schluchzenden Satoru, der am ganzen Leib so heftig zitterte, dass er ihn selbst mit aller Kraft kaum festzuhalten vermochte. "Satoru! He, ich bin's doch! Bitte beruhige dich, ja? Satoru, es ist doch alles in Ordnung!" Mamoru predigte gegen ihrer beider Panik an. Es wühlte ihn auf, dass Satoru nach diesem Erlebnis offenkundig unter Schock stand. »Aber das kann nicht sein!« Heulte es in Mamorus Hinterkopf auf. »Wieso tut er das?! Spielt er nur, oder...?!« Doch für Schauspielerei war diese Reaktion zu mächtig, beängstigend sogar, wie sich Satoru die eigenen Lippen blutig schlug, weil seine Zähne lautstark aufeinander trafen. Mamoru trat Satorus Versuchen, sich wie ein flügellahmes Küken zusammenzufalten, beherzt entgegen, brachte den Älteren soweit, dass der wenigstens saß, die Beine an den Knien zu beiden Seiten abgeknickt, die Ellenbogen vor den Leib gepresst. Er kauerte sich vor Satoru hin, zwang mit beiden Händen um Satorus Kopf Blickkontakt auf. "Satoru, hör mir zu, ja? Nein, nein, sieh mich an und hör mir zu! Lass die Augen auf!" Herrschte er den Älteren verzweifelt an. "Bleib schön bei mir! Ich wasche dich jetzt und ziehe dich an, verstanden? Ja? Alles ist gut, hab keine Angst, in Ordnung?!" Satoru gab atemlose, winselnde Laute von sich, die an einen gequälten Welpen erinnerten. "Das habe ich nicht gewollt!" Fluchte Mamoru vor sich hin. "Ich verstehe das nicht! Was habe ich falsch gemacht?!" Natürlich half es nichts, sich Vorwürfe zu machen, das wusste er selbst. Außerdem war es schon reichlich spät. Er zog also den Schlauch heran, holte Duschgel und schäumte den zitternden, winselnden Satoru ein, tupfte ihn trocken. Doch schon das Aufstehen stellte Mamoru vor neue Probleme: Satoru knickte immer wieder ein! "Ist gut, ist gut!" Bbesänftigte Mamoru sie beide, gab das Unternehmen zunächst auf, wickelte Satoru ein Handtuch um, damit der Ältere nicht fror. Nachdem er sich selbst rasch abgespült hatte, zog sich Mamoru an, packte die Habseligkeiten zusammen, die sie nicht mehr benötigen würden. Er kniete sich vor Satoru, musste energisch die Arme biegen und aus der Schutzhaltung zerren, um Schulhemd und Uniformjacke anzupassen. Es gelang ihm, Satoru auf den Hintern zu dirigieren, damit er die Füße in die Unterwäsche und die Uniformhose fädeln, die unnützen Socken überstreifen konnte. Nun zog er Satoru an sich, zupfte und angelte solange an den Hosenbünden herum, bis es ihm gelungen war, sie über Knie und Hüften an ihren Bestimmungsort zu bugsieren. Mamoru rang nach dieser Anstrengung um Atem, wischte sich über die Stirn. Er glühte und schwitzte. "Satoru." Behutsam hielt er den Älteren um die Taille geschlungen, streichelte beruhigend mit der anderen Hand über dessen Rücken. "Wir stehen jetzt auf, in Ordnung? Einfach nur aufstehen." Da Satoru noch immer heftig zitterte, sein Blick glasig wirkte, sammelte Mamoru den notwendigen Mut für diese Aktion, indem er die zerbissenen Lippen zärtlich küsste. Erstaunlicherweise schien dies den Älteren ein wenig zu beruhigen, die flachen, harschen Atemzüge legten sich. Mit sanfter Ermutigung gelang es Mamoru tatsächlich, Satoru auf die Füße zu ziehen. Nun, dessen Ellen gegen die Brust gepresst, fragte sich Mamoru, wie es weitergehen sollte. Er KONNTE Satoru nicht in diesem Zustand allein lassen. Wahrscheinlich käme der nicht mal bis zum Wohnheim. Während er Satoru zärtlich in den Armen hin und her wiegte, entwickelte er einen Plan. "Ich kann dich so nicht allein lassen, mein Prinz. Ausgeschlossen." Ein Kuss benetzte Satorus malträtierte Lippen. "Ich werde dich einfach mit nach Hause nehmen. Da rufe ich dann im Wohnheim an und sage, du wärst krank geworden. Satoru, du kommst mit zu mir, in Ordnung?" Mamoru vermochte nicht zu sagen, ob Satoru seine Worte überhaupt begriffen hatte, aber das war nun zweitrangig. Einen Arm fest um dessen Hüfte gelegt sammelte er ihre Schultaschen ein, verband sie miteinander. Dann kontrollierte er seine Uhr. Seit dem offiziellen Schulschluss war eine Viertelstunde vergangen. Mit ein wenig Glück waren die meisten anderen bereits auf dem Heimweg. "Wir könnten es also ungesehen zu den Schließfächern schaffen." Kalkulierte er halblaut. Satoru zitterte in seinem Arm, lehnte die Stirn gegen seine Wange. Mamoru musste sich eingestehen, dass es vielleicht nicht nur ein Schock war, der den Älteren so erschreckend verwandelt hatte: Satorus Stirn glühte vor Hitze. "Du bist krank." Stellte er besorgt fest, küsste die fiebernde Stirn. "Bleib dicht bei mir, ja? Alles kommt in Ordnung, Satoru, das verspreche ich dir." ~+~ Die Gänge waren menschenleer, auch bei den Schließfächern hielt sich niemand mehr auf. Mamoru hatte inzwischen einen Rhythmus gefunden, der es ihnen ermöglichte, koordiniert zu laufen, obwohl sie an der Hüfte zusammengewachsen schienen, weil er Satoru so eng an sich hielt. Er tauschte die Schulschlappen gegen ihre Straßenschuhe aus, wischte Satoru besorgt über die klamm-glühende Stirn. Der klapperte noch immer mit den Zähnen, während ihn unregelmäßig heftige Schauder durchliefen. Also knöpfte ihm Mamoru die Uniformjacke zu, klappte Kragen und Revers hoch. Satorus glasige Augen irrten über Mamorus Gesicht, blinzelten träge. "Gleich geht's los." Verkündete Mamoru, packte ihre zusammengebundenen Schultaschen, dirigierte sie zum Ausgang. Sie erreichten wie erwartet problemlos, wenn auch langsam die Bahnstation. Noch immer drängten sich dort Menschen, wenn auch nicht mehr ganz so viele, dass man Quetschungen befürchten musste, dennoch fühlte Mamoru sich ein wenig unbehaglich, weil man sie natürlich neugierig anstarrte. Kein Wunder, so eng, wie er Satoru hielt, der immer wieder den Kopf auf seine Schulter senkte, sich schwer anlehnte. Mamoru neigte sich trotzig Satoru zu, raunte beruhigende Versicherungen, dass sie bald zu Hause wären, es nicht mehr lange dauern würde. Er hatte nun ernsthaft Sorge, dass Satoru wirklich krank war und er lediglich die letzte Schutzbarriere niedergerissen hatte, bevor sich der schlechte Allgemeinzustand durchgesetzt hatte. Ihr Zug fuhr ein. Energisch bahnte sich Mamoru einen Weg, zog Satoru hinter sich her, benutzte ihre Taschen als Stoßfänger. Kaum, dass er einen Platz für sie erkämpft hatte, schlang Satoru zu seiner Überraschung beide Arme um seine Taille, bettete den Kopf auf seiner Schulter. Auf diese Distanz konnte Mamoru das Fieber spüren, vermutete, dass Satoru vor Erschöpfung die Augen geschlossen hatte. "Nur drei Stationen." Besänftigte er Satoru leise, kreiselte mit der flachen Hand beruhigend über dessen Rücken. Er überhörte die gezischten Bemerkungen über 'Perverse', stellte die Schultern aus und hielt sich betont aufrecht. Endlich fuhren sie in die Station ein. Mamoru wartete, um sich den letzten Aussteigenden anzuschließen, damit er nicht von Satoru im Gedränge getrennt wurde. Der hielt sich an ihm wie an einer Boje in stürmischer See fest, schwankte. "Es ist nicht mehr weit, Satoru. Nur noch ein bisschen durchhalten, in Ordnung?" Entschlossen hakte er den Älteren unter, setzte sich energisch in Marsch. Satoru stolperte neben ihm her, hielt sich aber tapfer. Sogar im Aufzug hoch in den zwölften Stock, wo Mamoru lebte, knickten ihm die Knie nur einmal ein, doch er richtete sich aus eigener Kraft wieder auf. "Du machst das gut, Satoru, einfach klasse! Ich mache dir was Leckeres zu essen und lasse dir heißes Wasser ein, ja?" Lobte Mamoru unentwegt, doch er wusste bereits, dass der Ältere nur noch automatisch agierte, ihn gar nicht mehr hörte. Mamoru schloss die Tür auf, schob ihn vor sich hinein und dirigierte ihn auf die niedrige Stufe neben das Schuhregal. Satoru senkte sofort die Lider, sackte in sich zusammen, als hätte er kein Rückgrat. Eilig zupfte Mamoru ihnen die Schuhe von den Füßen, hockte sich vor Satoru hin, um dessen Arme zu entführen, sich um den Nacken zu legen und mit einiger Anstrengung seinen Gast auf die Beine zu stemmen. Stolpernd und ächzend erreichte er sein Zimmer, stieß die Tür auf, um nach wenigen Schritten Satoru auf seinem Bett abzulegen. Er fiel daneben auf die Knie, keuchte und schüttelte eine gewisse Benommenheit ab. Jetzt war keine Zeit für große Verschnaufpausen! Mamoru erhob sich, wechselte in die Wohnküche hinüber, setzte in sauberer Handschrift einige Zeichen auf die Tafel. Dann nahm er das Telefon auf, blätterte in einem Verzeichnis, das von der Schule anlässlich des ersten Tags an die Erstklässler ausgegeben worden war. Er wählte die Nummer des Wohnheims und wartete geduldig darauf, dass jemand den Anruf entgegen nahm. Der gequält klingende Heimleiter gab sich mit der Erklärung zufrieden, dass bei der Nachhilfestunde, die Satoru Mamoru zu Hause gab, aufgrund einer verschleppten Erkältung der Zweitklässler zusammengebrochen sei und gepflegt werden müsse. Leichthin versicherte Mamoru, dass seine Mutter eine entsprechende, schriftliche Erklärung erteilen würde, die Satoru dann morgen dem Heimleiter übergeben könne. Zufrieden, dass eine der ersten Hürden bereits im Galopp genommen worden war, verfasste Mamoru wieselflink die gewünschte Erklärung, fälschte dann das Namenszeichen seiner Mutter und brachte den Ersatznamensstempel zum Einsatz, den er bereits vor einiger Zeit an sich gebracht hatte. Dann kehrte er in sein kleines Zimmer zurück, setzte sich neben Satoru auf die Bettkante. Der hatte sich zur Wand gerollt, zitterte wieder heftig. "So kann ich dich nicht einschlafen lassen." Brummte Mamoru mitfühlend. Ein heißes Bad und Abendessen wären wohl nur unter ungeheurem Krafteinsatz noch zu verwirklichen, aber es sprach nichts dagegen, Satoru behutsam zu entkleiden, die klamme Haut abzutupfen und dann eine Yukata überzustreifen. Emsig begab sich Mamoru an seine selbst gestellte Aufgabe. Satoru wehrte sich zwar zunächst dagegen, herumgedreht und gewendet zu werden, um Knöpfe und Reißverschlüsse zu öffnen, Glieder aus Ärmeln und Hosenbeinen zu fädeln, doch die Aussicht darauf, in einem warmen Bett zu liegen, schien ihn milde zu stimmen. Nachlässig in eine verschlissene Yukata gewickelt rollte er sich wieder zur Wand hin, klapperte leise mit den Zähnen und döste vor sich hin. Mamoru löschte die Deckenlampe und steckte ein winziges Nachtlicht ein, bevor er sein Zimmer verließ. In der Wohnküche wärmte er sich ein wenig Reis aus dem Kocher auf, schaufelte heißhungrig die Portion mit einer Würzsauce in sich hinein. Wie jeden Abend spülte er das benutzte Geschirr ab, legte für das Frühstück alles zurecht und studierte die Mitteilung auf der Tafel. Sein Hinweis war mit kantigen Zeichen kommentiert worden, aber Mamoru ignorierte die zornige Frustration, die zwischen den Zeilen anklagte. Er ließ sich unter der Dusche noch einmal aufwärmen, deponierte die Schmutzwäsche in der bescheidenen Maschine und stellte den Zeitanzeige ein. Für den nächsten Tag müsste es wohl reichen, Satorus Uniform auszulüften. Alles andere konnte er frisch und sauber zur Verfügung stellen. Nur vom Nachtlicht beleuchtet kehrte er in sein Zimmer zurück. Als er unter die Bettdecke kroch, registrierte er, dass Satoru wider Erwarten noch nicht vor Erschöpfung eingeschlafen war, sondern noch immer leicht zitterte. "Alles wird gut, das kommt wieder in Ordnung." Versicherte Mamoru leise, streichelte über den gekrümmten Rücken. "Hab keine Angst mehr. Wenn du ausgeschlafen hast, sieht alles ganz anders aus." Aber es dauerte noch einige Zeit, bis das Zähneklappern und die schluchzenden Atemzüge verstummten und tiefem Schlaf wichen. ~+~ Hiroki nistete sich bei Kentarou die folgenden Tage abends zum Lernen ein. Es hatte sich eine Routine entwickelt, dass sie nach dem Zubettgehen des alten Herren in Kentarous Dachkammer noch die Lektionen durchgingen, Hiroki mit einem Kissen im Rücken an die Wand gelehnt, Kentarou direkt vor ihm sitzend, die Arme des Hünen um seinen Leib geschlungen. Es störte Kentarou nicht, dass Hiroki mit ihm nach getaner Arbeit schmuste, ihm den Nacken küsste, an seinem Ohrläppchen knabberte. Vielmehr gewöhnte er sich an die körperliche Nähe und spürte, wie sich Hiroki in seiner Gegenwart entspannte. Zuvor war ihm nie aufgefallen, dass sein bester Freund nicht gelassen war, wenn sie einander Gesellschaft leisteten. "Müde?" Hiroki hauchte ihm seinen Atem in den Nacken. "Sollen wir gute Nacht sagen?" "Nein, nein!" Wimmelte Kentarou eilig ab, sah sich bei abschweifenden Gedanken ertappt. Hiroki löste eine große Hand, um eine überlange Strähne des braunen Haars spielerisch einzudrehen. "Sag mal, wie wär's, wenn ich dir morgen die Haare schneide? Darf ich?" "Oh, prima!" Kentarou nahm die Ablenkung mit Begeisterung auf. "Ich komme einfach nicht dazu!" "Also abgemacht." Hiroki streichelte Kentarous Schopf. "Dann gehen wir ausnahmsweise morgen zu mir." "Klingt schlüpfrig, wenn du das so sagst!" Tadelte Kentarou streng, beugte sich vor, um in Hirokis Schultasche zu kramen. "Du liest zu viele Hentai-Manga!" "Gar nicht wahr!" Protestierte Hiroki lachend. Kentarou richtete sich wieder auf, blätterte durch die Anthologie, die er an sich gebracht hatte. "Worum geht es da? Ist das ein Schreiner?" Hiroki ließ seinen Freund blättern, las über dessen Schulter mit. "Ich denke, ich sollte es vielleicht damit versuchen." Vertraute er Kentarou leise an. "Du willst nicht studieren?!" Perplex schreckte der hoch, wandte den Kopf. "Ich weiß es nicht." Hiroki seufzte. Seine Beweggründe waren nicht unbedingt lauter zu nennen. Er musste eine Möglichkeit finden, wie er jeden Tag mit Kentarou zusammenarbeiten konnte, doch dessen Begabung konnte er nicht für sich beanspruchen. Er spürte, wie die Katzenaugen ihn eindringlich musterten. "Du versuchst doch nicht gerade etwas Dusseliges zu tun, oder? Damit wir ständig zusammen sein können?" Forschte er misstrauisch nach. Hiroki spürte, wie sich ein beschämendes Grinsen auf seinem Gesicht breitmachte. "Du solltest studieren!" Empfahl Kentarou ernsthaft. "Du bist klug und fleißig. Wir werden schon das Richtige für dich finden." Verkündete er im Brustton der Überzeugung. "Na gut." Gab Hiroki schließlich nach. "Wenn du darauf bestehst!" "Tue ich!" Bekräftigte Kentarou energisch, küsste Hiroki auf eine Wange. "Lass uns jetzt schlafen gehen, ja?" Er erhob sich, kletterte zuerst geschmeidig die Leiter herab. Hiroki folgte ihm, apportierte seine Schultasche. Der Hüne wartete an der Tür auf seinen Freund, der noch mal nach seinem Großvater sah, dann verabschiedeten sie sich voneinander mit einem langen Kuss. ~+~ Kapitel 21 - Auf Kollisionskurs Satoru erwachte, rieb sich die verklebten Augen und erlebte einen langen Moment vollkommener Desorientierung. »Wieso bin ich nicht in meinem Zimmer?! Was ist das für ein komisches Licht?« Mühsam stemmte er sich auf die Ellenbogen, blinzelte und stellte zusätzlich fest, dass er noch immer seine Kontaktlinsen trug. »Aber wieso...?!« Er zuckte zusammen, als sich neben ihm ein Schattenwurf regte. Blitzartig stellten sich die Erinnerungen ein, die ihm zuvor wie ein Fiebertraum vorgekommen waren: das hier war Mamorus Zimmer!! Satoru schnappte nach Luft und spürte, wie er erneut zu zittern begann. Neben ihm, ein großes Hindernis im Fluchtweg, setzte sich Mamoru auf, angelte nach der Brille, die er neben dem Bett auf dem Boden deponiert hatte. "Uuhhh...guten Morgen. Schon wach?" Die Bettdecke rutschte von Mamorus Schultern, als er sich reckte, um nach der Kordel zu fischen, die die Deckenlampe betätigte. Er bemerkte nicht, dass Satoru neben ihm zur Salzsäule erstarrte, fassungslos darüber, dass Mamoru neben ihm vollkommen nackt geschlafen hatte! "He." Mamoru wandte sich zu ihm herum, lächelte aufmunternd. "Geht es dir schon etwas besser? Was macht der Kopf?" Die Hand ausgestreckt wollte er über Satorus Schläfe streichen, doch der zuckte hektisch zurück, presste sich gegen die Wand. "Was...?!" Die großen, schwarzen Augen wurden zusammengekniffen. "Was ist los? Hast du Angst, ich würde dir etwas tun?" Satoru hörte über seinen lautstark hämmernden Pulsschlag die Silben kaum, konnte nur aus Mamorus Miene schließen, dass seine Reaktion nicht wohlwollend aufgenommen worden war, sondern für Irritation sorgte. "Na schön." Mamoru seufzte, schlug betont gemächlich die Bettdecke zurück und kletterte aus der Lagerstatt. "Wenn du lieber ein wenig Abstand von mir haben willst, werde ich dir entgegenkommen." Er drehte sich zu einem Wecker, stöhnte leise. "Du liebe Güte, über eine halbe Stunde vor dem Weckruf! Kein Wunder, dass ich noch müde bin!" Satoru zog die Knie vor den Leib, umarmte sie, wiegte sich vor und zurück, wollte mit wachsender Verzweiflung eine Lösung für seine verzwickte Lage finden. "Wenn du wütend auf mich bist, dann sag es mir." Mamoru streifte eine schwarze Lederhose über. Er bemerkte Satorus faszinierten Blick und grinste. "Steht mir gut, oder? Ist so geändert worden, dass sie wie eine zweite Haut sitzt." Sein Stolz über dieses Kleidungsstück war nicht zu überhören. Dem Älteren stieg Röte in die Wangen. In der Tat, eine zweite Haut war noch untertrieben! "Wenn ich hier stehen bleibe, sagst du mir dann, wie es dir geht? Hast du Schmerzen? Fieber?" Verlegte sich Mamoru auf das Verhandeln. Warm eingewickelt in die Bettdecke erforschte Satoru seine eigene Kondition. Er fühlte sich ein wenig matt, etwas angestrengt, aber ohne ernstzunehmende Beschwerden. Dann erinnerte er sich an die seltsame Schock-Attacke des Vorabends und schauderte. Mamoru schien den Gedanken aufgefangen zu haben, denn er erklärte leise. "Ich wollte dir bestimmt nicht weh tun. War das vielleicht ein allergischer Schock? Ist dir das schon mal passiert?" Satoru presste die Stirn gegen die Knie, kuschelte sich tiefer in die wohlig-warme Bettdecke. Nun, da sein Kopf einigermaßen frei war, kein Polizist ihn heimlich beobachten konnte, gut und weich verpackt, wusste er nur zu genau, WAS ihn so mitgenommen hatte. Aus der Versenkung wurde er jäh geweckt, weil Mamoru ebenfalls unter die Decke schlüpfte. "Entschuldige, aber mir wird es zu kalt. Ich behalte meine Hände auch artig bei mir." Das bedeutete allerdings nicht, dass er Satoru nicht aufmerksam studierte, auf die Seite gerollt, den Kopf in eine Hand gestützt. Der Ältere atmete tief durch. Tapfer erwiderte er den aufmerksamen Blick aus den großen, schwarzen Augen. "Du wirst nicht aufgeben, oder? Du willst noch immer mit mir zusammen sein?" Mamoru lächelte verschmitzt. "Du hast es erfasst." Seufzend streckte sich Satoru unter der Bettdecke aus, kroch bis zu den Ohrläppchen darunter, rutschte unruhig auf dem Laken hin und her. Endlich zufrieden oder auch nur resignierend mit seiner Lage drehte er den Kopf und riskierte einen Seitenblick auf den Jüngeren, der dem Manöver amüsiert zugesehen hatte. "Ich war im Gentlemen's Club." Eine geraume Weile blieb es still. Dann kommentierte Mamoru beherrscht. "Ich habe so etwas schon vermutet." Satoru schnaubte, aber weniger vorwurfsvoll-zweifelnd als traurig. "Ich würde sagen, dass du dir keine Vorstellung machst, wenn ich nicht mit dir genau das getan hätte, was beste Club-Tradition war." Er kaute an seiner Unterlippe, blinzelte an die Decke. "Hast du meine Tasche mitgebracht? Ich muss unbedingt die Kontaktlinsen herausnehmen!" Ruckartig setzte er sich auf. "Deine Tasche steht hinter der Tür. Aber wir können im Augenblick nicht ins Bad, meine Mutter ist dort." Mamoru kreuzte die Arme hinter dem Kopf. "Deine Mutter?!" Satoru schreckte hoch. "Habe ich sie gestern begrüßt?! Was hat sie gesagt?! Ist sie sehr wütend?!" Hochnotpeinlich wurde ihm bewusst, welchen Eindruck er auf die unbekannte Frau gemacht haben musste. "Keine Sorge." Mamoru lächelte auf eine merkwürdige Weise. "Sie weiß, dass du hier bist und wird dir sicherlich nicht über den Weg laufen." Satoru blinzelte ihn verständnislos an. "Ich verstehe nicht ganz..." Formulierte er schließlich konsterniert, denn er konnte doch nur annehmen, dass Mamoru ihn für nicht gesellschaftsfähig hielt! Der Jüngere seufzte laut, schloss die Augen. "Ich erkläre es dir ein anderes Mal, versprochen. Es ist alles ein wenig kompliziert." Satoru erinnerte sich seiner brennenden Augen und kletterte aus dem Bett, hielt ein wenig steif auf seine Schultasche zu und kramte darin herum. Die klobige, unkleidsame Brille musste her, dazu noch die kleine Schachtel mit der Reinigungsflüssigkeit in jedem der beiden, kleinen Töpfchen. "Kann ich dir helfen?" Mamoru saß aufrecht im Bett, stopfte Kissen an das Kopfende. "Danke, nein." Satoru rollte die Augen. "Das irritiert mich bloß. Ich bin nicht sonderlich geschickt beim Wechseln." Und nun umso dankbarer, dass er ohne Spiegel und Unfälle die Linsen ihrem Töpfchen anvertrauen konnte. "Komm wieder ins Bett, du erkältest dich sonst noch!" Mahnte Mamoru streng. Satoru wandte den Kopf, zögerte, schob die Brille dann wieder in seine Schultasche. Sie würde nur hinderlich sein, wenn er sich noch ein wenig ausruhte. Er tastete sich linkisch zurück an seinen Platz an der Wand, entspannte sich langsam in der Wärme. "Es ist also wahr." Nahm er, sich räuspernd, die Konversation wieder auf. "Du trägst wirklich keine Unterwäsche mehr?" Mamoru neben ihm lachte leise. "Es stimmt. Die Uniformhose ist natürlich unpraktisch und überhaupt nicht bequem, aber in der Lederhose funktioniert es gut." Er schnurrte genüsslich. "Ich mag dieses Gefühl auf der Haut. Leder ist noch besser als dieser Latex-Stoff. Obwohl ich dein Geschenk wirklich toll finde." Satoru zog die Schultern hoch, leckte sich über die aufgerissenen Lippen. Plötzlich kamen ihm seine Aktionen vor den Sommerferien befremdlich vor. Warum hatte er das damals getan?! "Tut es weh? Möchtest du Balsam haben?" Ein Zeigefinger streichelte hauchzart über seinen Mund. Der Ältere zog eine Grimasse, was prompt dafür sorgte, dass ein besonders tiefer Riss in der empfindlichen Haut aufplatzte und sich mit Blut füllte. "Mifft!" Lispelte er ärgerlich, tastete mit der Zungenspitze nach der Wunde. "Ich kümmere mich darum." Bot Mamoru an, schlüpfte unter der warmen Decke hervor und kramte in seiner Schultasche herum. Mit einem Papiertaschentuch und einem Lippenpflegestift kehrte er zurück, kniete sich neben Satoru auf die Matratze. Das Papiertaschentuch über die Fingerspitze gewickelt und mit dem Balsam eingefettet tupfte er sanft über Satorus Lippen. "Keine Angst." Die großen, schwarzen Augen konzentrierten sich auf Satorus Mund. "Ich habe keinen Herpes, du bist also nicht in Gefahr." "Hrmpf!" Kommentierte Satoru diese Offenbarung. Die Warnung wäre ohnehin zu spät gekommen angesichts der leidenschaftlichen Küsse, die sie ausgetauscht hatten. Nachdem die heikle Operation abgeschlossen war, rollte sich Mamoru wieder neben ihm auf den Rücken, drehte ihm aber den Kopf zu. "Du hast wohl nicht zufällig gerade Lust, auch ein wenig zu kuscheln?" Schmückte er seine Werbung mit einem charmant-schurkischen Grinsen. Satoru wurde sich erneut bewusst, dass er unglaublich kurzsichtig gewesen sein musste, diesen Jungen neben sich für verhuscht und schüchtern gehalten zu haben. "Ohne küssen, grapschen oder fummeln, klar?" Antwortete er betont barsch. Mamoru überging diese Provokation, rückte einfach sehr nahe heran, bis er den Kopf auf das von Satoru belegte Kissen betten konnte, streichelte dann mit der Hand über dessen Wange, spielte mit einzelnen Strähnen und kreiste sanft über Satorus unteren Lendenwirbeln. Der konnte nicht anders, als ebenfalls den aufrichtigen, unverwandten Blick zu erwidern. Das war eine unglaubliche Anstrengung, ohne Zweifel, denn nun war er SICHER, dass Mamoru über einige unschmeichelhafte Dinge Bescheid wusste, ihn ganz sicher nicht mehr als 'Herr und Gebieter' ansah. Da konnte man nur noch zum Angriff blasen! Um das Blickduell nicht zu verlieren, rollte sich Satoru kurzerhand auf Mamoru, schmiegte den Kopf in dessen Halsbeuge und senkte die Lider entschlossen. Er ignorierte großmütig das leise Lachen, ließ sich halten und verdammte seine Sinne, die ihm mitteilten, dass das Leder auf Mamorus Haut nicht nur erotisch aussah, sondern auch extrem aufreizend duftete. Der Jüngere jedoch hielt sich treu an Satorus Einschränkungen: ausgenommen die leichten Kreise auf der Wirbelsäule unternahm er keine Anstalten, die Intimitäten zu forcieren. Satoru dagegen schmiegte sich in die Wärme, lauschte den erhöhten Herzschlag und wünschte sich, dass er die traurige Wahrheit nicht preisgeben müsste. Sie dösten eine Weile gemeinsam, hingen ihren Gedanken nach, bis der Wecker mit einem Alarmton die Kontemplation unterbrach. "Tja!" Mamoru räkelte sich unter Satoru. "Möchtest du zusammen mit mir ins Bad oder lieber noch ein wenig ruhen? Ich würde dir dann Bescheid sagen, damit du duschen kannst, während ich das Frühstück zubereite." Der Ältere setzte sich auf, wischte blinzelnd hartnäckige Strähnen aus den Wimpern und überlegte. Die Versuchung war zu groß. "Ich dusche mit dir und helfe dir beim Frühstück." Entschied Satoru, überhörte geflissentlich die Warnungen seiner Ratio. "Fein!" Strahlte Mamoru begeistert, kam mit Schwung in die Senkrechte und zog Satoru an der Hand hinter sich her. "Du bekommst eines meiner Schulhemden und Unterwäsche. Socken habe ich auch." Verkündete er aufgeräumt. "Danke schön." Murmelte Satoru und bemerkte einen Schatten, der gerade in das Zimmer wischte, an das er keine Erinnerungen besaß. Handelte es sich um Mamorus Mutter? »Ich frage mich, was für eine Person sie wohl ist?« Grübelte er stumm. Würde der Jüngere ihm über die Familiengeschichte etwas erzählen? Unterdessen legte Mamoru im Badezimmer die Wäsche bereit, kontrollierte die ausgelüfteten Schuluniformen. "Wird schon gehen." Befand er, drehte sich zu Satoru um. Der bemerkte viel zu spät, dass er noch immer fasziniert auf Mamorus Lederhosen starrte. Mit einem Raubtierlächeln reduzierte Mamoru die Distanz, zwinkerte ebenso kurzsichtig wie Satoru in dessen dunkelbraune Augen. "Willst du mir vielleicht die Hose aufmachen?" Samtig aufgeraut hauchte er auf die Lippen, die er vor kurzem erst sanft einbalsamiert hatte. Satoru wagte nicht, den Blick zu senken, tastete sich mit Fingerspitzen am Reißverschluss entlang, spürte die Wärme der Haut unter dem Leder. Seine gepflegten Fingernägel tanzten über die langsam getrennten Reißverschlusszähne, glitten über den Anhänger, der direkt über dem Glied auf der Haut ruhte. Er musste die Augen schließen, hörte sich selbst keuchen, die Wangen attraktiv errötet, doch das hinderte die Vorstellungen von Mamoru nicht, sich vor seinem inneren Auge zu manifestieren. Mamoru studierte wechselseitig verzaubert die Veränderung, die Satorus Gesicht erblühen ließ. »So sexy!« Seufzte er hingerissen. »Verdammt noch mal, da hilft nicht mal Gefrierbrand!« Warum auch widerstehen?! Kurzentschlossen teilte er mit beiden Händen die Yukata in Hüfthöhe, schob sie nach hinten und presste Satoru an sich, umfasste mit gespreizten Fingern dessen aparte Kehrseite, massierte sie synchron mit dem leichten Hüftschwung, den er Elvis verdankte. Satoru stöhnte kehlig auf, zuckte zusammen, die Lider flatterten, doch Mamoru wählte die älteste Taktik gegen verbalen Protest: er versiegelte Satorus Lippen mit seinen eigenen. Die Leidenschaft, die sie sich verweigert hatten, kehrte wie eine Springflut zurück. Schwankend, taumelnd, sich aneinander klammernd raubten sie sich den Atem, kosteten den anderen wie eine exotische Frucht, die man vielleicht nur einmal im Leben genießen durfte. Mamoru löste eine Hand, navigierte sie zwischen ihre Lenden, um die Erektionen zu umfassen. Mit der anderen Hand streifte er Satoru die Yukata von den Schultern, büchste aus, um Schlüsselbein und Kehle seine orale Aufwartung zu machen. Satoru umklammerte mit weichen Knien Mamorus Nacken, sah erneut Supernovae und zwang den Jüngeren, ihm Atem zu spenden. So sehr er sich auch um Haltung, um eine letzte Reserve bemühte: er verlor den ungleichen Kampf. Einen heiseren Seufzer später entlud er seine Leidenschaft auf ihre Oberkörper. Mamoru folgte ihm ohne Zeitverzögerung, hielt Satoru eng umschlungen, den Rücken gegen die Eingangstür gelehnt. Für lange Augenblicke standen sie da, rangen nach Atem, wärmten sich gegenseitig, wagten nicht, einander in die Augen zu sehen. Schließlich übernahm Satoru die Initiative, schüttelte die offene Yukata von den Ellenbogen und hängte sie an einen Haken. Dann ging er vor Mamoru in die Hocke, rollte langsam die geöffnete Lederhose von dessen Beinen. "Ich glaube, sie hat nichts abbekommen." Murmelte er heiser, schwankte leicht, als er sich wieder aufrichtete. Mamoru, der sich die Hand einfach am blanken Hintern abgewischt hatte, grinste befreit. "Danke schön. Und...DANKE SCHÖN!" Satorus Gesicht leuchtete erhitzt auf. Hastig drehte er den Kopf weg. "Komm, duschen wir schnell, sonst müssen wir uns beim Frühstück so beeilen!" Umschiffte Mamoru den kritischen Punkt der einsetzenden Verlegenheit, stellte den Älteren unter den großen Brausekopf und justierte den Thermostat, bevor er den Befehl 'Wasser marsch!' gab. Sie legten beide den Kopf in den Nacken und ließen sich abspülen. Anschließend, ein wenig abgekühlt und mit reduziertem Pulsschlag, schäumten sie sich gegenseitig mit Duschgel ein. Zu diesem Zweck zog Mamoru Satoru ungezwungen in seine Arme, behauptete, auf diese Weise am Besten dessen Rücken einseifen zu können. Ohne Kommentar ließ Satoru es geschehen, senkte die Lider, nicht in Furcht vor dem Schaum. Es kostete ihn vielmehr große Anstrengungen, nicht der lockenden Versuchung zu verfallen und Mamoru aufzufordern, mit ihm zu schlafen. So blieb es bei einem engen Schieber unter der Brause. Ein wenig linkisch lösten sie sich schließlich voneinander, trockneten sich ab und kleideten sich ein. Die Köpfe in Handtuch-Turbane gehüllt führte Mamoru seinen Gast in die Wohnküche, wo er die letzte Meldung an der Wand studierte, dann routiniert Brühe und Reis mit eingelegtem Gemüse zubereitete. Satoru klopfte noch immer das Herz wild. Er konnte nicht glauben, wie sehr es ihn danach verlangte, Mamoru zu küssen, dessen Speichel zu schmecken, zu trinken, diesen glühenden Atem in seine Kehle gleiten zu lassen wie flüssiges Feuer. Hastig hielt er sich zur Konzentration auf das Frühstück an, bannte den eigenen Blick auf das Geschirr und die kleine Theke, an der sie saßen. Mamoru beobachtete Satoru unter gesenkten Lidern. Er hatte das sichere Gefühl, dass Satoru wirklich Lust gehabt hatte, mit ihm zu schlafen, aber aus Vernunftgründen verzichtet hatte. »Oder war es doch Angst?!« Er konnte nur hoffen, dass sie eine Gelegenheit fanden, endlich einmal miteinander zu sprechen. ~+~ Ohne Mamorus Mutter einmal zu Gesicht bekommen zu haben verließen sie die Wohnung. Ungeachtet der missbilligenden Blicke und des Kicherns von Schulmädchen hielt Mamoru Satoru an der Hand, lief voran. Auch in der Bahn, zusammengequetscht wie Sardinen in der Dose, gab er den Kontakt nicht auf, schlang den freien Arm um Satorus Taille. "Ich habe die Entschuldigung für deinen Heimleiter schon in deine Schultasche gepackt." Raunte er Satoru ins Ohr, schwieg aber sonst. Als sie die Bahnstation verließen, riss sich Satoru unerwartet los und schlängelte sich durch die anderen Reisenden, rannte davon. Mamoru ignorierte den unwillkürlichen Stich in seinem Herzen, zwang sich, dem Älteren nicht nachzuhechten. »Es ist nur zur Sicherheit. Damit niemand uns zusammen sieht.« Redete er sich ein, auch wenn es eine vernünftige Erklärung für ein gemeinsames Eintreffen gegeben hätte. Aber er musste sich nur in Erinnerung rufen, wie verschreckt und ängstlich der Ältere auf die Polizisten reagiert hatte, um diese egoistischen Gedanken wegzuschieben. Wichtig war jetzt doch einzig und allein, dass Satoru ihn nicht aufgeben wollte! ~+~ Satoru kaute am Daumen, strengte sich an, dem Frontalunterricht zu folgen, aber immer wieder kreisten seine Gedanken um Mamoru. Ihre Beziehung zu beenden, das konnte er sich einfach nicht mehr vorstellen. Schlimmer noch, eine wahnwitzige Hoffnung nagte an seinem Nervenkostüm: sich ihm anzuvertrauen! »Das ist vollkommen widersinnig!« Satoru stützte den Kopf in die Hand, damit er sich nicht den Daumen abnagte. Allerdings würde er über kurz oder lang nachgeben, einfach nicht mehr standhalten können, wenn Mamoru in seiner Nähe war. »Du weißt aber gar nicht, ob er nicht bloß glaubt, er sei verliebt in dich, weil er gern Sex mit dir hat!« Sein Verstand gab nicht klein bei. Diese Möglichkeit ließ Satoru nicht außer Acht. Liebe war eine Empfindung, die ihn mit Misstrauen erfüllte. Vertrauen konnte er nur in unangenehme Dinge, die hatten leider Bestand und waren verlässlich. Alles andere, wie Liebe auf Ewigkeit, gehörte in das Reich der Phantasie. »Aber...« Schon wieder begann dieses Zittern! Hastig spannte Satoru alle Glieder an, verkeilte die Zähne ineinander. Kalter Schweiß benetzte seine Haut. Satoru unterdrückte ein asthmatisches Röcheln, schloss die Augen. Konnte es wirklich noch schlimmer kommen? ~+~ Mamoru schob den Zettel hastig in seine Hosentasche, schob die Turnschuhe wieder in das Regal und machte kehrt. Aufmerksam blickte er sich um, ob ihm niemand folgte oder ihn beobachtete, doch keiner der Mitschüler schien sich für ihn besonders zu interessieren, immerhin war endlich der Schulschluss erreicht, das Abendessen winkte. Über einige Umwege, im Laufschritt absolviert, damit er unwahrscheinliche Verfolger abhängen konnte, erreichte er endlich den Kellergang. Satoru spitzte nervös aus dem Eingang, trat dann auf den Gang. Mamoru lächelte aufmunternd, sah sich aber überrascht, denn Satoru stürzte sich förmlich auf ihn, schlang ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn hingebungsvoll. Beinahe schien es dem Jüngeren, dass seine Zunge auf Nimmerwiedersehen verschwinden sollte! Bei der ersten, dringend erforderlichen Atempause stemmte Mamoru die Stirn gegen Satorus, wiegte ihn leicht. "He, was ist los? Was ist passiert?" Doch der antwortete ihm nicht, schmiegte bloß das Gesicht in Mamorus Halsbeuge. So konnte Mamoru nicht umhin zu bemerken, dass Satoru wieder am ganzen Leib zitterte. »Eine Panik-Attacke?! Aber warum?« Er strich mit groben Schwüngen über Satorus Rücken. "Satoru, wovor hast du solche Angst? Was ist geschehen?" Der Ältere schüttelte bloß kaum merklich den Kopf, schrumpfte in sich zusammen, verkroch sich beinahe in Mamorus Gestalt. "Schon gut." Akzeptierte der Jüngere die partielle Niederlage. "Alles in Ordnung. Ich werde dich nicht drängen!" Er rückte mit Satoru in den Türschatten, hielt ihn noch lange in den Armen und küsste ihn auf Wange, Schläfe und Ohrläppchen. Dann begleitete er Satoru bis zum Eingang des Wohnheims, versicherte sich, dass die Panik-Attacke abgeklungen war. Konzentriert zog er die Augenbrauen zusammen. »Sieht so aus, als müsste ich ein ganzer Kerl sein!« ~+~ Wie zugesagt fand sich Kentarou am Abend nach getaner Arbeit im Haus der Mirunos ein, wurde nachlässig gegrüßt, da gerade eine lautstarke Quizsendung im Fernsehen lief und folgte seinem Freund in das Badezimmer der Familie. Artig ließ er sich auf einem Hocker nieder, ein Handtuch über die Schultern gelegt und harrte mit geschlossenen Augen den Dingen, die da kommen würden. Hiroki, der sich zum ersten Mal als Friseur versuchte, zeigte sich seiner Aufgabe durchaus gewachsen. Zunächst befeuchtete er die Haare seines Freundes, bis sie sich leicht lockten und eindrehten, dann säbelte er mit einer für diesen Zweck requirierten Papierschere Strähne für Strähne die Spitze ab, gerade genug, dass kein Schulkodex Kentarou in Schwierigkeiten bringen konnte. Auch im grellen Licht der Badezimmerlampen tanzten die verzaubernden, roten Funken in dem wirren Schopf. Endlich löste sich Hiroki, richtete sich auf. Seine Kehle war wie ausgedörrt, obwohl er es eigentlich gewohnt war, lange zu schweigen und konzentriert zu arbeiten. "Fertig." Verkündete er, griff nach Schaufel und Besen, fegte die Haare zusammen. "Vielen Dank!" Grinsend drehte Kentarou den Kopf, schleuderte seine Mähne aus. Hiroki schmunzelte, fasste sich dann. "Willst du etwas trinken? Meine Zunge fühlt sich an wie Schmirgelpapier." Bot er seinem Freund an. "Oh, das wäre klasse. Verstehe auch nicht, warum ich das Gefühl habe, auf meinem Leckbrett einen Pelz zu züchten!" Kentarou zog eine angeekelte Grimasse. Er unternahm Anstalten, Hiroki zur Tür zu folgen, doch der hielt inne, wandte sich nach ihm um. "Sag mal, wollen wir nicht zusammen baden? Hier ist genug Platz." Viele hastige Herzschläge verstrichen, bevor Kentarou den Kopf leicht neigte, die Katzenaugen ein wenig schloss. "Du hast doch nicht etwas Unanständiges vor, oder?" Lauerte in seiner Stimme Misstrauen. Der Hüne spürte sein ertapptes Grinsen, sorgte sich aber nicht um sein zweifellos entsetzliches Erscheinungsbild, sondern gab der Ehrlichkeit den Vorzug. "Doch." "Oh." Kentarou zog die Nase kraus. "Na gut." Hiroki presste die Lippen fest zusammen, bis er sich in der Küche sicher wähnte, prustete dann in den geöffneten Kühlschrank. Kentarous nüchterne Art konnte in einigen Situationen wirklich entwaffnend sein! »Von urkomisch gar nicht zu reden!« Sein Zwerchfell sympathisierte mit ihm. »Ich hoffe nur, er tut das nicht alles, weil...« Aber Hiroki verbat sich, diesen deprimierenden Gedanken weiterzuverfolgen. NIEMAND konnte Kentarou zu etwas nötigen, das der nicht in irgendeiner Form billigte! Zu befürchten, sein Freund könne sich um seinetwillen zwingen, mit ihm intim zu werden, war kleingläubig und idiotisch! Bewaffnet mit dem eigenen Pyjama und einer Yukata, zwei kleine Flaschen Kokosmilch apportierend kehrte Hiroki in das Badezimmer zurück. Er musste keine Sorge tragen, von seinen Eltern gestört zu werden: das Fernsehprogramm hielt das Ehepaar in seinen Bann geschlagen. Kentarou hatte sich wie immer nützlich gemacht, einfach das Bad aufgeräumt, das Handtuch ausgeklopft, sich dann vor dem Spiegel positioniert und damit begonnen, sich selbst Grimassen zu schneiden. Damit endete er nicht, als Hiroki eintrat und die Tür hinter sich verriegelte. "DAS soll angeblich das Leben verlängern! Gesichtsgymnastik!" Kentarou rollte wild mit den Augen und zog ein Gesicht, als leide er unter Gallensteinen. Hiroki grunzte vor unterdrücktem Lachen. "Blöde, was?" Nun lächelte Kentarou wieder auf seine wild-charmante Weise. "Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das die ganzen Runzeln in Schach halten soll. Andererseits, besser ein paar Furchen rund um den Gesichtserker als mit Eigenfett und Gift aufgespritzte Grusel-Visagen!" "Stimmt." Bemerkte Hiroki übermütig mit seiner sonoren Stimme. "Bei mancher aufgespritzten Schnute bekommt 'leck' mich am Arsch' eine ganz neue Bedeutung." Kentarou lachte schallend, stellte sich auf die Zehenspitzen, um Hirokis Bürstenschnitt lobend zu kraulen. Gut gelaunt und aufgekratzt stießen sie auf Kentarous neue Frisur mit der Kokosmilch an, bevor sie sich wie Grundschüler übermütig aus ihren Kleidern pellten und darum wetteiferten, wer den größten Schaumteppich auf der Haut produzieren konnte. Ohne besondere Absprache wusch und massierte Hiroki seinem Freund zuerst den Rücken, bevor der die Gunst erwiderte, nicht, ohne sich neckend darüber zu beklagen, dass er aufgrund der Quadratmeter die doppelte Arbeit zu leisten habe. Inzwischen lockte das aufgeheizte, klare Wasser in der großen Wanne, sich niederzulassen und alle Sorgen für eine Viertelstunde zu verbannen. Umsichtig stellte der Hüne den Wecker, kletterte in die hohe Wanne, bevor er die Hände nach Kentarou ausstreckte, ihm hineinhalf. Früher hatten sie die großen Dimensionen der gewaltigen Wanne genutzt, einander gegenüber oder Schulter an Schulter gesessen. Nun umarmte Hiroki Kentarou, bot seine breite Brust als Kopfkissen an, achtete darauf, dass sein Freund nicht unter die Wasseroberfläche rutschte. Für lange Augenblicke teilten sie ein vertrautes, beruhigendes Schweigen, doch bevor sich der transzendente Zustand der Meditation einschleichen konnte, löste sich Kentarou, drehte sich zu Hiroki herum. Dessen schwarze Augen lasen in den funkelnden Katzenaugen das Placet, das bereits zuvor verkündet worden war. Folglich assistierte der Hüne seinem Freund, auf seinen Schoß zu klettern, während sich dessen Arme um seinen Nacken schlangen. Gemächliche, lässige Küsse reihten sich aneinander, Nasenspitzen duellierten sich, Kondenswasserperlen wurden aus Wimpern geblinzelt. Schließlich fasste Hiroki Kentarou inmitten eines leidenschaftlich-trägen Kusses unter der Kehrseite und richtete sich, Kaskaden Wasser herabstürzend, zu seiner imponierenden Größe auf. Ohne Verzögerung setzte er seinen Freund auf dem abgerundeten Wannenrand ab, behielt ihre intime Nähe aber bei. Zwischen Kentarous ausgestellten Beinen kniend konnte er sich von den weichen Lippen an der Kehle entlang tiefer vorarbeiten, ihn mit festem Griff halten und streicheln, während er an der Front seine Aufwartung machte. Bald wand sich Kentarou keuchend, die Zunge gegen den Gaumen gepresst, um sich nicht zu verraten. Brustwarzen, ja, die Kehle bis zum Nabel, mussten deutlich Hirokis Spuren tragen! Dem pochte mit aller Gewalt das Blut im Kopf, überdröhnte rauschend jedes andere Geräusch. Er hätte vor Dankbarkeit beinahe geschluchzt, als Kentarou sich tollkühn vom Wannenrand nach vorne rutschen ließ, sicher auf den Oberschenkeln des Freundes aufgefangen wurde und hautnah an dessen Torso gleiten konnte. Nun war es nicht mehr als eine Frage der Friktion. Synchron mit den alles offenbarenden Küssen schmiegten sich zwei Fronten aneinander, wollten verschmelzen. Die Gluthitze, die sie trotz des Badewassers verströmten, half sicherlich dabei. Es war Kentarou, der einen Arm von Hirokis Nacken löste, seine kleine Hand zwischen ihre Körper zwängte, um seine Fingerfertigkeit zu erproben, doch allzu energischer Ermutigung hätten ihre stolzen Standarten gar nicht bedurft, die Referenz erwiesen sie einander schnell und unter ekstatischen Zuckungen. Ermattet sanken sie zusammen, Hiroki die Finger in den Wannenrand gepresst, Kentarou über seiner Schulter wie ein übermüdetes Kleinkind. Es währte eine ganze Weile, bis sie sich wacklig auf die Beine stemmen konnten, einander aus der Wanne halfen, sich, Hocker neben Hocker, angezählt abtrockneten. Sie tauschten einen Seitenblick und lachten unisono über ihre kindliche Irritation. Wer hätte gedacht, dass ein Orgasmus pro Nase in diesem feucht-heißen Klima derart kräftezehrend sein würde?! Kentarou wickelte sich zuerst, leidlich abgetrocknet, in die Yukata. "Ich kann nicht bei dir übernachten." Schickte er jeder Anfrage voraus. "Ich höre sonst die Glocke nicht." Hiroki, der sich den Pyjama überstreifte, brummte Verständnis. Er streichelte über den frisch gestutzten, noch feuchten Schopf, erfreute sich an den roten Funken, bevor er sich drein schickte, mit seinem Freund das Badezimmer verließ, um ihn mit einem zärtlichen Gute Nacht-Kuss für diesen Abend zu entlassen. ~+~ Satoru hatte die Nacht damit verbracht, sich hin und her zu werfen, geplagt von seinen Ängsten und der Scham darüber, wie er sich Mamoru gezeigt hatte. Einer Lösung war er nicht näher gekommen, was seinem Nervenkostüm gar nicht gut tat. So ließ er gleich seine Schuhe fallen, als er entdeckte, dass ein grüner Notizzettel in seinem Schließfach auf ihn wartete. Mit heftig klopfendem Herzen faltete er die Nachricht auseinander. Sie war kurz und bündig. [Satoru, ich habe im Sekretariat einen Umschlag für dich hinterlegt. Er enthält die Erlaubnis, dass du morgen bei mir übernachten darfst. Bitte leite sie an deinen Heimleiter weiter. Ich habe gestern mit ihm am Telefon gesprochen und gesagt, dass du mir Nachhilfe in Englisch gibst. Lass den Kopf nicht hängen.] Hastig schob Satoru seine Straßenschuhe wieder in sein Schließfach, zerdrückte die Nachricht in seiner Hand, als er zum Sekretariat lief. Sein Puls trommelte vor Erwartung und wilder Hoffnung. Hatte Mamoru vielleicht die Antwort auf seine Sorgen gefunden? ~+~ "Na endlich!" Hiroki hielt am nächsten Tag das kleine Paket in den großen Händen, ignorierte die neugierigen Blicke seiner Mutter. Rasch eilte er nach oben in sein Zimmer, um den Inhalt in Ruhe zu inspizieren. Er wagte einen Test und stellte erfreut fest, dass die Funktionsfähigkeit nichts durch den Gebrauch eingebüßt hatte. Zwar würde er sich mit einem größeren Paket und Geschenken für die Rangen revanchieren müssen, doch die Vorteile überwogen den Aufwand. Der Hüne wechselte rasch seine Schuluniform gegen Jeans und Sweatshirt, packte einen Teil der technischen Ausrüstung in eine Plastiktüte und machte sich wieder auf den Weg nach unten. "Ich nehme an, du wirst uns nicht die Ehre deiner Anwesenheit beim Abendessen geben?" Bemerkte seine Mutter durchaus giftig. "Ich helfe Ken und darf bei ihnen essen." Antwortete Hiroki unbeeindruckt und schlüpfte in seine Turnschuhe. Er wusste, dass seine Mutter die ständigen Besuche missbilligte, sah aber keine Möglichkeit, ihren Ärger zu beschwichtigen. Er verließ das Haus, um sich bei den Miwas durch die Schiebetür selbst hineinzulassen. "Guten Tag." Grüßte er Kentarous Großvater freundlich, assistierte dem alten Mann dabei, seine Werkzeuge wegzupacken, während Kentarou bereits das Abendessen zubereitete. Nachdem sie gemeinsam gespeist hatten, ließen sie Kentarous Großvater in der trauten Obhut des Radios, wo er Liedern aus seiner Jugend lauschen und seinen Tee dazu schlürfen konnte. "Immer mehr blöde Tests!" Beklagte sich Kentarou, wischte durch seine neue Frisur. "Wozu haben wir den ganzen verdammten Tag Schule, wenn wir doch noch lernen müssen?!" Hiroki klappte die langen Beine ein, um sich auf dem Futon einzurichten, ersparte sich eine Antwort. Natürlich gab es am Nachmittag bis zum Schulschluss Zeit, die Lektionen zu vertiefen, aber gelegentlich schien ein Nickerchen oder ein anregendes Gespräch mit den Klassenkameraden einfach verlockender. "Was hast du da mitgebracht?" Neugierig kletterte Kentarou an Hirokis Seite, äugte nach einer freundlichen Geste in die Tüte. Kentarou zog die Stirn kraus. "Was genau ist denn das? Ein Lautsprecher?" Hiroki verteilte den Inhalt der Tüte auf der Futon-Matratze. "Das sind die Sendeeinheiten des Babyphons meiner Schwester. Es funktioniert noch, und sie braucht es nicht mehr, ihre Kinder toben ja jetzt durch das ganze Haus." Er lächelte zögerlich in Kentarous Fuchsgesicht, das ihn auffordernd anblickte. "Tja, ich dachte mir, wir können die Sendeeinheit bei deinem Großvater ins Zimmer stellen. So können wir ihn nicht überhören." Er holte tief Luft, brummte in Basstönen. "Wenn wir bei mir sind." Obwohl er sich alle Mühe gab, sich zu beherrschen, glühten Hirokis Ohren verdächtig rot. Kentarou studierte das kleine Gehäuse aufmerksam und bemerkte beiläufig. "Ich übernachte bei dir, wenn ich sicher bin, dass es zuverlässig ist." Unbefangen angelte er sich Hirokis Notizheft heran, um es aufzuschlagen. "Zuerst lernen." Verkündete er. "Dann Geräuschtest." Der Hüne strahlte und schob alle Unsicherheit von sich. ~+~ "Die Reichweite stimmt auch." Beruhigte Hiroki Kentarou, hielt ihm die Empfangseinheit ans Ohr, damit er den ruhigen Atemzügen seines Großvaters lauschen konnte. Sein Freund nagte an der Unterlippe, durchaus nervös. "Wenn es dir lieber ist, dann schlafe eine Nacht mit der Einheit in deinem Zimmer, in Ordnung?" Hiroki gab großmütig nach. Kentarou blickte zu ihm auf, den Kopf zur Seite geneigt, die Katzenaugen zusammengekniffen. "Bist du enttäuscht?" Bei einem anderen hätte es kokett geklungen, doch Hiroki konnte erkennen, dass sein Freund sich bemühte, seine Stimmung zu erkennen, um richtig zu reagieren. "Ich bin nicht enttäuscht." Antwortete Hiroki durchaus wahrheitsgemäß. "Darf ich denn bei dir schlafen?" Er hielt nichts davon, allzu rasch Fortschritte anzustreben, denn man konnte wohl kaum so einfach Jahre aufholen, die Kentarou geprägt hatten. "Natürlich kannst du hier übernachten!" Das Fuchsgesicht grimassierte, die Augen wurden gerollt, als sei es eine überaus überflüssige Frage. Hiroki schmunzelte, hob eine große Hand, um sanft durch den leicht gelockten Schopf zu streicheln. War Ken denn nicht verlegen? Oder irritiert? »Er behandelt mich immer noch wie seinen besten Freund.« Diese Feststellung hätte Hiroki nicht überraschen dürfen, aber er verspürte eine gewisse Unruhe. Nahm Ken etwa ihre Intimitäten hin, weil er glaubte, es zu müssen? Gab es da nicht doch einen Funken in ihm, der sich elektrisiert fühlte? Er schreckte aus seinen Überlegungen hoch, als Kentarou ihn recht grob in die Nase kniff. "Du musst mir schon erklären, was du erwartest!" Ermahnte er streng. "Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht aus." Eigentlich hätte es Hiroki schwerfallen müssen, seine vagen Erwartungen auszusprechen, hielt er sich doch stets schweigend im Hintergrund. In Kentarous Gegenwart jedoch wagte er sich an ausführliche Reden heran. Er spielte mit einer von Kentarous längeren Strähnen, wickelte sie sich vorsichtig um den Finger, während er langsam formulierte. "Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe gedacht, dass sich etwas ändern würde, wenn wir mehr als Freunde werden." "Und was genau?" Wie ein wissbegieriges Kätzchen studierte Kentarou den Hünen aufmerksam. "Tja." Hiroki brummte ratlos. "Vielleicht habe ich zu viele Manga gelesen." "Meinst du?" Kentarou schielte, um die verdrehte Locke zu beäugen. "Was sollen wir denn machen?" "Definitiv nicht den Manga nacheifern!" Brummte Hiroki, lächelte dann wieder. "Keine Ahnung, warum, aber ich habe angenommen, dass wir plötzlich romantisch werden. Oder lüstern." Ergänzte er aufrichtig, aber selbstironisch. "Ich weiß nicht, ob ich das hinkriege." Gab Kentaoru konzentriert zurück. "Willst du vielleicht TURTELN?" Das wurde in einem derart entsetzten Tonfall hervorgebracht, dass Hiroki gegen jede ernsthafte Anwandlung zu lachen begann. "Keine Ahnung!" Er hatte Mühe, sich zu beruhigen. "Vielleicht habe ich mir das vorgestellt, aber du hast recht, das sähe idiotisch aus." Kentarou rieb sich die Katzenaugen. "Idiotisch vielleicht nicht." Bemerkte er nachdenklich. "Aber ich weiß nicht, ob ich mich darauf einstellen kann. Ich weiß einfach nicht, was ich da tun soll." Hiroki entrollte seinen Finger aus der gastfreundlichen Strähne, fasste nach Kentarous Händen, um sie sanft festzuhalten und zu streicheln. "Bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als selbst herauszufinden, wie wir vorgehen, hm?" Zwinkerte er geschlagen. Er sah sich überrascht, als Kentarou scheu lächelte, sich nach vorn beugte und ihn sanft auf die Lippen küsste. "Wird schon!" Ermutigte er Hiroki. Der erkannte seine Niederlage an, drückte die kleinen Hände kurz und grummelte sonor. "Dann heißt es jetzt wohl Beißerchen putzen und ab ins Bett." "Genau." Gelenkig kam Kentarou auf die Beine, zog seinen Freund unter gruseligen Grimassen hoch. Hiroki lächelte noch, als er sich neben Kentaoru auf den Futon quetschte. Auch wenn sein Freund wie gewohnt sofort eingeschlafen war, als er sich in der Horizontalen befand, so konnte er doch einen Erfolg verbuchen: zwar schlief Kentarou noch immer eingerollt wie ein Kätzchen, doch nun ihm zugewandt, sodass er, auf den Ellenbogen gestützt, mit der freien Hand zärtlich über dessen Schopf und die Wange streicheln konnte. "Ich liebe dich." Vertraute er der nächtlichen Stille an. Wer brauchte schon Romantik?! ~+~ "Endlich ist die Woche um!" Kentarou streckte sich, sprang auf das Brückengeländer und spazierte energisch weiter, während eine herbstliche Sonne die winzigen Wellen des Flusses unter ihnen zum Strahlen und Glitzern brachte. Hiroki, mit einem Schritt Abstand, stimmte stumm zu. Er war selbst überrascht, wieso ihm diese Woche so endlos vorgekommen war. Vielleicht lag es daran, dass sich ihre Beziehung zueinander so unverhofft geändert hatte? Er bot wie gewohnt seine Schulter an, damit Kentarou elegant vom Geländer springen konnte. "Ich werde noch rasch Ginseng einkaufen." Informierte ihn Kentarou, pirouettierte einmal um die eigene Achse, damit er seinem Freund ins Gesicht blicken konnte, wenn er mit ihm sprach, bevor er voranlief, in ein Lebensmittelgeschäft stürmte. Gemächlich folgte ihm Hiroki, beobachtete zu seiner Überraschung gelassen, wie sich die jungen Frauen darum bemühten, mit Kentarou zu flirten. Ein einseitiger Kampf, denn Kentarou blieb höflich, zeigte aber nicht das mindeste Interesse und ließ sich auf keinen frivolen Scherz ein. Dass er Einladungen ausschlug, schien sich bereits herumgesprochen zu haben. "Sie mögen dich." Bemerkte der Hüne schmunzelnd, als er in Kentarous Kielwasser den Heimweg fortsetzte. "Beruht nicht auf Gegenseitigkeit!" Krähte Kentarou, das Fuchsgesicht verzogen. "Die gackern wie die Hühner, alle gleichzeitig und durcheinander! Grauenvoll!" Hiroki fragte sich, ob Kentarou im präpubertären Stadium des Abscheus vor dem anderen Geschlecht steckengeblieben war oder tatsächlich eine enorme Abneigung dagegen hegte, zugetextet zu werden, und zwar im Chor. "Lach nicht!" Warnte ihn sein agiler Begleiter scharf vor. "Ich weiß GENAU, was du denkst!" Hiroki blickte ohne Regung in das erboste Gesicht vor sich, fasziniert vom Geschick seines Freundes, rückwärts zu laufen, ohne jemals mit einem Hindernis zu kollidieren. "JA, genau!" Kentarou bedurfte keines skeptischen Blicks, um eine Herausforderung anzunehmen. "Du denkst, ich bin ein Kleinkind, das ungezogen herumplärrt und sich zu einem Weiberhasser und Frauenfeind entwickelt! Stimmt aber nicht! Mir geht ihre Anmache bloß ganz entsetzlich auf den Keks! Wenn das Kerle wären, würde mich die dämliche Anbaggerei genauso nerven!" "Ich könnte dich im Laden küssen." Offerierte Hiroki uneigennützig. "Ach, Quark!" Kentarou winkte ab. "Das glauben die doch nie! Und das Gequietsche wäre auch nicht auszuhalten!" "Dann kaufe ich ein paar Ringe für uns." Hiroki wusste, dass seine tiefe Stimme einen Tick zu rau klang, seine nonchalant dahingeworfenen Worte Lügen strafte. "Bloß nicht!" Der braune Schopf mit den roten Funken flog energisch durch die Luft. "Ringe sind absolut hinderlich! Bleibt man überall hängen, lässt sie beim Händewaschen irgendwo herumliegen und so weiter." Innerlich seufzend steckte Hiroki die Schlappe ein. Kentarou und Romantik, das waren offenkundig verschiedene Welten. "Ich ignoriere sie einfach, dann kapieren sie es vielleicht mal." Kentarou marschierte unbekümmert weiter. "Wenn ich sie beachte, werde ich sie nie los. Das ist wie mit Streunern." Ergänzte er weise. Der Vergleich kitzelte Hirokis Humorzentrum heftig. Er musste sich hinter einem Hüsteln tarnen. Das Funkeln in den Katzenaugen verriet ihm, dass Kentarou nicht dahingeplappert hatte, sondern ihn offenkundig aufheitern wollte. Hiroki lächelte und wünschte sich, er könnte Kentarous Hand halten, einfach nur so, um die wohlige Wärme zu teilen, die ihn erfüllte. Sie verabschiedeten sich auf der Straße, denn Hiroki hatte seinen Eltern versprochen, mit ihnen zu Abend zu essen. Kentarou betrat das alte Haus, schlüpfte aus den Schulslippern, angelte seine Hausschlappen heran und brachte seine Einkäufe in die Küche. Er wollte eine besondere Brühe herstellen, denn er hatte den Eindruck, dass sein Großvater unter einer leichten Erkältung litt. Der alte Mann blickte wie gewohnt kurz von seiner Arbeit auf, richtete die extrem vergrößerten Augen hinter den Lupengläsern auf seinen Enkel und lächelte freundlich. Vergnügt frönte jeder der beiden seiner Beschäftigung. Kentarou erledigte noch ausstehende Hausarbeiten, bewachte die köchelnde Brühe und füllte den Reiskocher auf, als er sich unerwartet Hiroki gegenüber sah. "Nanu, ich dachte, ihr esst schon?" Unbeeindruckt schöpfte er Schaum von der Brühe und wirbelte in der Küche umher. "Tja, meine Eltern haben sich spontan entschlossen, für eine Nacht zu den heißen Quellen zu fahren und sich verwöhnen zu lassen." "Und jetzt?" Kentarou trocknete sich die Hände ab, musterte Hiroki besorgt. "Jetzt habe ich einen Gutschein für McDonalds und soll mich dort verköstigen." Der Hüne lächelte nachsichtig. "Uärgks!" Kommentierte sein Freund die großzügige Spende des Ehepaars. "Du isst bei uns und keine Widerrede!" Hiroki hatte dieses Angebot natürlich erwartet und tupfte einen zärtlichen Kuss auf Kentarous Schopf. "Ich danke dir. Kann ich helfen?" "Yepp!" Geschäftig nahm Kentarou seine Arbeit wieder auf. "Du kannst Kissen auslegen und vielleicht noch ein Kohlebecken aufstellen, wenn der Kotatsu nicht reicht. Großvater müsste auch langsam mal seine Arbeit wegpacken." Mit diesen Missionen betraut machte Hiroki dem alten Mann seine Aufwartung und sorgte dafür, dass sie gemütlich zu dritt zu Abend essen konnten. Anschließend beharrte Kentarou darauf, dass sein Großvater, der Anzeichen von Müdigkeit gezeigt hatte, sich ins Bett begab, um das leichte Unwohlsein zu bekämpfen. Nachdem alle anderen Arbeiten erledigt worden waren, kletterten die beiden Freunde ins Obergeschoss in Kentarous kleines Reich. "Hast du für morgen schon Pläne?" Erkundigte sich der Hüne, verbannte Notizbücher aus der Sicht. "Sieht nach Regen aus." Kentarou klopfte gastfreundlich das Kissen aus, das sein Freund sich in den Rücken schieben sollte. "Ich könnte die Fliesen im Bad noch mal einwachsen." Hiroki streckte eine große Hand aus, nahm Kentarous Rechte und hielt sie sanft umfasst. "Sag mal, willst du nicht bei mir schlafen?" Er blickte in die Katzenaugen nach oben, denn Kentarou stand noch vor ihm, während er sich schon auf dem Futon lümmelte, »Immerhin hat das Babyphon doch funktioniert.« Setzte er in Gedanken eilig hinzu. »Mein Bett ist groß, wir können uns auch noch einen Anime anschauen und...« "Du willst mit mir schlafen, oder?" Kentarous direkte Frage, unverbrämt und forschend, brachte Hiroki tatsächlich aus dem Konzept. Er spürte, wie ihm förmlich die Röte in den Wangen explodierte, seine Ohren in Brand setzte. "Hab ich was Falsches gesagt?" Alarmiert musterte Kentarou ihn, erwog, ob er vielleicht angesichts der veränderten Situation gegenüber seinem besten Freund förmlicher sein sollte. "Nein." Beruhigte ihn Hiroki endlich, lächelte amüsiert und überwand seine Verlegenheit. "Du hast recht. Ich habe mich nur nicht getraut, es dir zu sagen." "Warum nicht?!" Kentarou klang nicht nur perplex, auch das Fuchsgesicht trug Unverständnis zur Schau. "Blöd, nicht wahr?" Hiroki spielte mit Kentarous Hand, küsste schließlich den Handrücken. "Ich bin immer noch ein wenig verlegen. Dabei ist es ganz normal." "Nur keine Scheu!" Versicherte Kentarou ihm, kraulte Hirokis schwarzen Bürstenschnitt großmütig. "Denk dran, du musst mir das ganze Liebes-Zeug erklären." "Richtig." Pflichtete Hiroki artig bei, zog dann mit einem kräftigen Ruck an Kentarous Arm und fing ihn lachend auf, kuschelte ihn an sich. Sein Freund protestierte gegen die Grobheit, ließ sich aber die Umarmung durchaus gefallen. "Ich möchte gerne mit dir schlafen." Flüsterte Hiroki nun sein Anliegen in ein geneigtes Ohr. "Übernachtest du bitte bei mir?" "In Ordnung." Stimmte Kentarou unerschrocken zu. "Aber denk dran, ich will nicht, dass du mir was in den Hintern rammst! Vor allem nicht deinen Knüppel!! Oder dieses blaue Dings!" Ein strenger Blick spießte Hiroki auf. "Versprochen." Versicherte Hiroki ohne Bedauern. Er bat Kentarou, sich noch einen Pyjama zu schnappen, bevor sie mit dem Empfangsteil des Babyphons bewaffnet über die Fenster-Brücke in das Nachbarhaus einstiegen. Hiroki sortierte eilig sein Bettzeug, denn er hatte nicht mit seinem Glück gerechnet, kramte die gesicherte Schachtel aus dem Wandschrank, um ihr das Zubehör zu entnehmen. Unterdessen testete Kentarou konzentriert die Empfangseinheit des Babyphons und lächelte unwillkürlich, als er die ruhigen Atemzüge seines Großvaters hören konnte. Da sich draußen auch ein hässliches Gewitter aufbaute, erwartete er nicht, dass sich ungebetener Besuch herumtreiben würde. Tropfen trommelten an die Hauswände und auf das Dach, zogen im Licht der Nachttischlampe lange, bunt schillernde Spuren über das Fenster. Hiroki schob sich lautlos hinter seinen Freund, legte die Arme um ihn und betrachtete schweigend die Nacht. Eine merkwürdige Melancholie mischte sich in seine Euphorie, erneut mit Kentarou schlafen zu können. "Kalt!" Stellte der knapp fest, was den Hünen veranlasste, einen Arm um die Schultern seines Freundes gelegt, ihn vom Fenster zu seinem gewaltigen Bett zu führen. "Wir können auch zuerst duschen." Schlug Kentarou höflich vor. Hiroki spürte erneut die Röte der Verlegenheit in seinem Gesicht. »Natürlich! Dusche vorher, unbedingt!« Schüttelte sein Kritikzentrum metaphorisch den Kopf. »Nun reiß dich aber mal zusammen!« "Sicher, gehen wir, bevor du dir noch einen Enten-Parka holst!" Eilig umschloss er Kentarous Rechte und zog den Freund hinter sich zum Badezimmer. Dieses Mal verbannte er allerdings die Schemel, sondern bedeutete Kentarou, der sich ohne jede Scheu entkleidet hatte, dass sie einander gegenseitig einschäumen sollten. "Bück dich mal!" Mit leichtem Gerangel, da jeder den anderen zuerst mit einer glitzernden Seifenschicht bedecken wollte, beschwerte sich Kentarou über das Handikap. Kurzerhand ließ sich Hiroki auf die Knie sinken, denn so konnte er nicht nur ihren Größenunterschied ausgleichen, sondern auch liebevoll seine Aufmerksamkeit auf Kentarous Brustwarzen konzentrieren. Wie immer konnte er nicht anders als die Schönheit seines jüngeren Freundes zu bewundern, eine makellose Haut, eine biegsame, agile Gestalt. Und eine sehr kräftige, kleine Faust, die gerade auf seinem Kopf einschlug, weil er selbstvergessen an Kentarous Brustwarze gesaugt hatte! "Nicht hier!" Schnaufte Kentarou ärgerlich, aber die rosigen Blüten auf seinen Wangen verrieten, dass sein Zorn sich lediglich daran entzündete, zu früh für seinen eigenen Stolz erregt zu sein. Hiroki nahm den Verweis demütig an, kam wieder auf die Beine und kämmte zärtlich den Schaum aus Kentarous langen Strähnen. Wie herrlich doch die roten Funken im Deckenlicht tanzten! Unwillkürlich entschlüpfte ihm ein tiefes Lachen, als ihm bewusst wurde, dass Kentarou möglicherweise DOCH viel von einem Fuchsgeist hatte: verführerisch und kokett, spielerisch und trickreich. Vor allem aber so faszinierend und zauberhaft, dass man ihm niemals böse sein konnte! "Was gibt's da zu kichern?" Misstrauisch musterten ihn die Katzenaugen, wurde die Nase kraus gezogen. Der Hüne schüttelte andeutungsweise den Kopf. Er konnte seinem Freund solche Gedanken nicht erklären, denn Kentarou echauffierte sich stets lautstark, wenn die Leute dieses Urteil über ihn fällten. Es GAB einen wunden Punkt, den er nicht offenbaren wollte. Hiroki beugte sich herunter, um Kentarous Gesicht sanft mit den großen Händen einzufangen und ihn zu küssen. »Aber, Ken, es ist gleich, ob Großonkel und Nichte deine Eltern sind: du bist vollkommen in Ordnung und sehr liebenswert.« Nach einem langen Kuss, der sie beide atemlos zurückließ, sich gegenseitig an den Ellenbogen stützend, trockneten sie sich ohne weitere Worte ab und gingen, bar und bloß, Hand in Hand in Hirokis Zimmer zurück. Hiroki reduzierte die Lichtstärke und kroch zu seinem Freund unter die Bettdecke. Sie kuschelten sich zunächst bloß aneinander und machten es sich bequem. Kentarou kletterte unversehens auf Hirokis Hüften, der vor Überraschung keuchte. "Geht nicht anders." Beschied ihm sein jüngerer Freund bestimmt. "Du bist so groß, dass wir uns aufsetzen müssten. Und dann würden wir uns beide den Arsch abfrieren." Weshalb Kentarou sich jetzt auf ihn legte, die Unterarme um Hirokis Kopf aufgestützt, bevor er mit einem frechen Zwinkern den Kopf senkte und den Hünen küsste. Hiroki erholte sich rasch von seiner Verwunderung, streichelte mit aufgefächerten Fingern über Kentarous Rücken, den sehnigen Hintern, die Oberschenkel. Er lächelte über vereinzelte Strähnen, die über sein Gesicht wischten, genoss den trommelnden Herzschlag, der ein Echo zu seinem eigenen bildete. Wenn Kentarou sich so unbekümmert in das Unbekannte stürzte, dann konnte er beinahe die vage Befürchtung vergessen, dass sein frecher Freund all dies nur tat, um ihm einen Gefallen zu erweisen, weil der glaubte, er müsse es tun, um ihre Freundschaft nicht zu beenden. Doch solche Bedanken wurden hinweggespült von den Küssen, die sie austauschten. Bald schon wurde offenbar, dass die Latexhüllen zum Einsatz kommen mussten, wollten sie aufschlussreiche Spuren auf der Bettwäsche verhindern. Da Kentarou sich weigerte, die Bettdecke aufzuschlagen, die ihre Körperwärme von der frischen Atmosphäre um sich herum abschirmte, gereichte ihre gegenseitige Hilfestellung, die erhitzten und alerten Erektionen anständig zu verpacken, zu einer Slapstick-Nummer. Lachend, um die eigene Achse kugelnd und keuchend vor Erregung benötigten sie einige Zeit, bis endlich die Kondome abgerollt waren. Hiroki überraschte Kentarou, indem er seine überlegene Körperkraft einsetzte, den Freund unter den Achseln über sich hochzog und erneut den Brustwarzen seine Aufwartung machte. Obwohl der eigene Pulsschlag in seinen Ohren donnerte, konnte er hören, wie der Jüngere über ihm stöhnte, seinen Namen atemlos hervorstieß. Kentarou hatte in der Tat Mühe, an sich zu halten. Den Rücken durchgebogen wie eine Sichel spürte er GENAU, wie Hiroki seinen Unterleib gegen dessen Bauchdecke presste, nicht zuließ, dass die Reibung abnahm, die Brustwarzen abwechselnd in seinen beinahe unerträglich heißen Mund einführte, leckte, küsste, saugte und vorsichtig biss. Die Lider fest geschlossen, auf zitternde Ellenbogen gestützt, wusste Kentarou sich keinen Ausweg. Alle Gedanken waren weggeblasen, sein ganzer Körper forderte alles ein, widersetzte sich seinem Willen, zuckte und bebte. Kurz bevor Kentarou ernsthaft befürchten musste, dass das Feuerwerk vor seinen geschlossenen Augen sich in ohnmächtige Schwärze verwandelte, gab Hiroki nach, drückte Kentarou an den Schultern tiefer, damit sie einander wieder küssen konnten. Schluchzend vor Atemnot grub Kentarou die Fingerspitzen in die muskulösen Schultern seines Freundes, flehte ohne Worte darum, ihm die Erlösung zu gewähren. Hiroki, dessen große Hände über den Körper seines geliebten Freundes glitten, fest und doch zärtlich, hatte ein Einsehen. Er KONNTE diesen Lauten, der ächzenden Melodie, die seinen Namen trug, nicht länger widerstehen. Kaum, dass er die Rechte um Kentarous Erektion geschlossen hatte, bäumte sich der Jüngere auf, sprühte mit einem heiseren Schrei Speicheltröpfchen und ergoss sich in der schützenden Hülle. Die Augen weit geöffnet, um keinen Augenblick zu verlieren, schob Hiroki die eigene Befriedigung beiseite. Kentarou so zu sehen war unendlich besser als jede Phantasie. Heftig keuchend, eine glühende Wange mit klebrigen Strähnen auf Hirokis Brust gelegt kam Kentarou zur Ruhe. Allerdings nicht allzu lange, denn er spürte deutlich, dass 'der Knüppel' keineswegs schon aus dem Sack gekommen war. Blinzelnd, erschöpft und gleichzeitig wie elektrisiert richtete sich Kentarou auf, studierte mit zusammengezogenen Augen seinen Freund. Den Vorwurf in seinen Katzenaugen musste er gar nicht aussprechen. Das vertraute Gesicht war gezeichnet von ihren Eskapaden, bot mit dem zärtlichen Lächeln aber vor allem einen Eindruck: eine schüchterne, verzweifelte Bitte. »Aber ich KANN das nicht!« Hätte Kentarou am Liebsten protestiert. Doch mittlerweile war ihm durchaus bewusst, dass es weniger das Können als das Wollen war, das ihn hinderte. »Stell dich nicht an!« Dröhnte eine tadelnde Stimme in seinem Bewusstsein. »Genau!« Pflichtete er sich selbst bei. Wenn Hiroki so viel Vergnügen und Leidenschaft dabei empfand, wenn er rektal animiert wurde, dann, verdammt noch mal, würde er seinem Freund eben diesen Dienst erweisen!! Leicht schwindlig, aber fiebrig entschlossen entschlüpfte Kentarou der leichten Umarmung, die ihn auf Hirokis großgewachsenen Leib hielt, glitt zwischen dessen Beine und setzte sich auf seine Fersen. Der 'Knüppel' war gewaltig und konnte im Moment sicherlich als Baseballschläger fungieren. "Ken?" Die raue Stimme riss ihn aus seiner Konzentration, Hiroki richtete sich auf. "Das Glibberzeug ist in der Schachtel?" Kentarou angelte sich die Hilfsmittel heran, tödlich entschlossen, seinen Freund AUF ALLE FÄLLE absolut zu befriedigen. "...du musst das nicht tun..." Hiroki krächzte, versuchte, sich aufzurichten. "Papperlapapp!" Antwortete Kentarou unverblümt. "Leg deinen Kopf auf ein Kissen und gib Laut, wenn ich was falsch mache." Er konnte nicht sehen, wie Hiroki erhitzt schmunzelte, als er den Gesichtsausdruck seines Freundes klassifizierte: so sah jemand aus, der eine Bauanleitung studierte. Grimmig, aber unbeeindruckt. Während Hiroki sich mühsam ein Kissen unter den Kopf legte, die Augen schloss und die Hände langsam über seinen Brustkorb streichen ließ, kämpfte Kentarou mit der Tücke des Objekts. Das Kondom war zu groß für nur einen Finger, und irgendwie musste er die Ränder ja festhalten, falls er zu tief...und der Glibberkram musste ja auch drauf geschmiert werden! Trotz der Widrigkeiten gelang es ihm schließlich, einen Kundschafter eingeölt auszusenden, mit hilfsbereit untergeschobenem Taschentuch. "Verdammte Hacke!" Bemerkte er perplex, Hiroki war nicht nur überraschend eng, sondern nach der widerwilligen Passage auch unerwartet heiß. Als Kentarou einen kritischen Blick auf den Freund warf, bemerkte er, dass der nicht nur die Lippen blutleer aufeinander presste, sondern auch mit einer Hand die eigene Erektion so fest umklammerte, dass es bereits schmerzhaft sein musste. "Ich kann das!" Versicherte sich Kentarou energisch, rief sich ins Gedächtnis, dass da irgendwo in den höllisch glühenden Tiefen ein besonderer Punkt sein musste, der mit ein wenig Kraulen einen Orgasmus auslöste. Entschlossen krümmte er den Finger, konzentrierte sich auf das Blähen der Nasenflügel, Hirokis Körpersprache. "AHA!" Triumphierte Kentarou. »Zielobjekt gefunden!« Feuereifrig und nach 'Lehrbuch' bemühte er sich, die richtigen Liebkosungen anzubringen, deshalb schreckte er auch zusammen, als Hiroki winselnd Einhalt gebot. "Was ist?! Tut es weh?! War das nicht richtig?!" Kentarou stellte sofort alle Bemühungen ein, zog eilends den gummibewehrten Finger von der Front ab. Hiroki rang nach Atem, die Augenwinkel feucht von den Tränen, die seine verzweifelte Entschlossenheit bekundeten, NOCH NICHT nachzugeben. "Was soll ich tun?" Kentarou kletterte über ihn, wollte die Bettdecke wie ein Cape offenkundig nicht verlieren, weil sie sonst der Kältetod ereilte. »Warum kapierst du nicht?!« Für einen Augenblick war Hiroki außer sich vor Wut, ganz irrational, weil es empörend war, wie wenig Feingefühl und Spürsinn sein Freund an den Tag legte. Aber seine sanfte, nachsichtige Natur gewann rasch die Oberhand, verschaffte ihm auch ein wenig mehr Atemluft. Kentarou kannte sich nicht aus, hatte diese Empfindungen noch nie erlebt. Es wäre ungerecht, ihn zu tadeln. Außerdem verließ er sich ja darauf, dass man ihm sagte, was er tun soll! Hiroki bleckte die Zähne, zischte angestrengt. "...dich...in...mir...!!" "Was?" Kentarou wirkte irritiert, dann aber sickerte die Übersetzung durch. "Oh." Murmelte er, wollte gerade dazu ansetzen, dass das 'Einfädeln' etwas schwierig werden könnte, als Hiroki blitzartig zugriff, den Penis, noch mit Kondom bewaffnet, umklammerte. Er konnte sehen, wie die Katzenaugen glasig wurden, Kentarous ganze Körpersprache sich veränderte. Hiroki spielte seine Erfahrung aus, benötigte nur eine kurze Massage, bevor er sicher sein konnte, dass Kentarou jeden Eispickel in den Schatten stellte. Die Katzenaugen nahmen ihn ins Visier, etwas unfokussiert, aber entschlossen. »Du kannst das, Ken, deshalb...bitte!« Hiroki hatte Mühe, bei Besinnung zu bleiben. Er fürchtete, sich an seinem besten Stück die Blutzufuhr abgeschnürt zu haben. Kentarou löste sich, musste sich an Hirokis Knien festhalten, bevor er sich auf seine Fersen hocken konnte. Ob das wohl gut ging? Auch wenn er das Kondom nun mit Gleitcreme einbalsamierte, die eigene Hitze wie einen Glühstab spürte, so war er doch im Zweifel. Konnte er Hirokis besonderen Punkt auf diese Weise kraulen? Die Zähne in die Unterlippe eingegraben zwängte er erst zwei Finger in Hirokis Unterleib, dirigierte dann ächzend und bebend die eigene Erektion dazwischen. Er vernahm kaum die Atemstöße, die Hiroki entwichen, weil der verzweifelt versuchte, nicht zu kommen und sich nicht reflexartig zu verspannen. Als die enge Passage genommen war, hielt Kentarou inne, spürte, dass auf seinem ganzen Körper Schweißperlen standen, sein Puls unkontrolliert flatterte. Es war so verdammt heiß!! Und eng! Ein natürlicher Reflex ließ ihn zurückzucken, doch Hirokis Körper gab ihn nicht mehr frei. Vage erinnerte sich sein Unterbewusstsein daran, dass er die Hüften bewegen musste, sich dadurch Erleichterung verschaffen konnte. In diesem Moment löste Hiroki die freie Hand, mit der er das Kissen umklammert hatte, langte nach unten, um Kentarous aparte Kehrseite fest zu packen. Er hörte den Aufschrei seines Freundes, erwiderte die ungelenke Stoßbewegung, gab endlich die eigene Erektion frei und umfasste auch die andere Pobacke. Kentarou gab unartikulierte Geräusche von sich, verlor die Kontrolle und schlug, ohne sich dessen bewusst zu sein, auf Hirokis Bauchdecke, glitt ab und umklammerte die Taille des Hünen. Hiroki dagegen war für irdische Details nicht empfänglich. Nach wenigen Versuchen hatte er Kentarou zu dem Punkt gelotst, an dem er dessen Erektion am Liebsten spüren wollte. Und jetzt sollte es kein Halten mehr geben! Er ließ erst locker, als er spürte, wie Kentarou auf ihm zusammensackte. ~+~ Kapitel 22 - Freistil-Übungen Kentarou rappelte sich mühsam auf, wischte mit den Handrücken über Augen und Mund, wedelte klebrige Strähnen weg. Dann bemühte er sich abzudocken, angelte blind nach Taschentüchern und befleißigte sich der Hygiene. Seine Finger zitterten, was ihn ärgerte. Wieso war er so beeindruckt?! "Ken?" Hirokis Stimme klang unvertraut hell und unsicher. Kentarou nahm die Hand, die sich ihm suchend entgegenstreckte, kletterte dann unbeholfen wieder über seinen großen Freund. Bevor er eine Bemerkung machen konnte, schlangen sich die muskulösen Arme um seinen Leib und hielten ihn fest. Er hörte die Herzschläge unter seinem Ohr, spürte die Feuchtigkeit auf der Haut. "...Hiro?" Piepte er eingeschüchtert. "Alles in Ordnung?" "Hmm Hmmm!" Brummte es sonor unter ihm, die Vibrationen echoten in Kentarous Körper wie eine aufreizende Liebkosung. Er wagte es schließlich, sich von Hiroki abzudrücken, auf dessen Kopf hinunter zu blinzeln. So hatte er seinen Freund noch nie gesehen. Befremdlich, wie erwachsen Hiroki plötzlich wirkte. So anders. Wie seine Augen glühten! Gebannt von diesem ungewohnten Anblick traf es Kentarou gänzlich überraschend, dass Hiroki ihn umschlang und sich herumrollte, ihre Finger miteinander verwob und ihn leidenschaftlich küsste. Kentarou hatte nicht genug Luft, um zu protestieren, die Hitze und Enge als belastend zu empfinden. Hiroki war wie entfesselt, bedeckte seinen jüngeren Freund mit Küssen, bevor er wieder auf dessen Mund zurückkehrte, ihm den Atem raubte. Erst, als es Kentarou gelang, mit einer Ferse heftig auf die Matratze zu schlagen, besann sich Hiroki langsam, ließ sich auf den Rücken sinken, die Hände auf das Gesicht gelegt. »Toll!« Grollte der Hüne innerlich. »Klasse Idee, sich wie ein brünftiger Seeelefant auf ihn zu stürzen!« Er spürte, wie sich Kentarou neben ihm aufsetzte, die Bettdecke abstreifte. "Mann, ist mir heiß!" Ächzte sein Freund, erhob sich, kramte herum. Hiroki ließ die Hände von seinem Gesicht sinken, gruppierte seine Arme locker um das gebeutelte Kissen, starrte an die Zimmerdecke. »Ist er wütend? Angeekelt?« "So!" Aufgeräumt kehrte Kentarou an seine Seite zurück. "Die Gummis sind weg. Soll ich auch deine Schachtel wieder in den Schrank packen?" Der Hüne hatte Mühe, eine Grimasse zu unterdrücken. »Von wegen, er ist so forsch wie immer!« Was einigermaßen deprimierend war. Nur so konnte sich Hiroki erklären, warum ihm die Quengelei entschlüpfte. "Kannst du nicht einfach mit mir kuscheln und knutschen?!" "Hu?" Kentarous Fuchsgesicht schwebte über ihm. "Tut mir leid." Brummte Hiroki eilig, wollte seine gewohnte Beherrschung zurückgewinnen. "Quatsch." Stellte Kentarou gelassen fest. "Ich glänze bloß mit Instinktlosigkeit. Und nein!" Gebieterisch legte er eine Hand auf Hirokis Mund. "Keine Widerrede, Hiro, ich weiß, dass ich unsensibel bin." Er rollte sich auf Hiroki, streckte sich aus und schmiegte eine Wange an dessen Brust. "Ich habe dich noch nie so gesehen." Offenbarte er leise. "So grauenerregend?" Scherzte Hiroki beklommen. "Doofie!" Eine rächende Hand kniff Hiroki in die Nase. "Aber ich fange an zu begreifen, warum Sex so beliebt ist." Diese Feststellung, so trocken und nüchtern hervorgebracht, reizte Hiroki zu einem heiseren Lachanfall. Er drehte sich auf die Seite, Kentarou im Arm und schob ihn höher, damit er in die faszinierenden Katzenaugen sehen konnte. "Ich liebe dich." Raunte Hiroki Kentarou zärtlich zu, streichelte mit seiner großen Hand über dessen Wange. Kentarou lächelte verschmitzt. "Yepp, kommt mir auch so vor." "Naseweis." Hiroki zupfte neckend an Kentarous Ohr, bevor er ihn an sich zog und die Bettdecke über sie ausbreitete. "Hiro?" "Hmm?" "Kriege ich keinen Gute Nacht-Kuss?" Hiroki grinste, bevor er Kentarou liebevoll küsste. »Ken hat doch was von einem Fuchsgeist an sich!« ~+~ Satoru trödelte so lange an seinem Schließfach herum, bis Mamoru selbst kam, um ihn abzuholen. Er erhob nicht mal Widerspruch, als Mamoru seine Hand nahm, ihn im Zug eng an sich zog, das Gedränge als Tarnung nutzte. "Das wird schon." Raunte er ihm sanft ins Ohr. Spürte er die klamme Feuchtigkeit auf Satorus Handflächen? Das nervöse Zittern? Der Ältere war erleichtert, als sie den Zug verlassen konnten, atmete die kühle Luft ein, obwohl es leicht nieselte. "Wenn wir zu Hause sind, dann mache ich erst mal Abendessen, ja?" Mamoru warf einen scharfen Seitenblick auf Satoru, der neben ihm lief. "Hat deine Mutter wirklich erlaubt, dass ich bei dir übernachten kann?" Platzte der Ältere mit unkleidsam schriller Stimme heraus. »Oh weia!« Konstatierte Mamoru. »Panik-Attacke im Anflug!« Er drückte Satorus Hand sanft. "Sie weiß, dass du kommst, aber die Erklärung habe ich selbstverständlich gefälscht." Seine durchaus entwaffnende Erläuterung der Umstände brachten ihm einen perplexen Seitenblick ein. Mamoru lächelte schief. "Ich erkläre dir alles, wenn wir gegessen haben, in Ordnung?" Satoru blinzelte bloß, heftete seinen Blick dann auf das Pflaster unter ihnen. Ohne ein Gespräch zu forcieren erreichten sie die Wohnung, schüttelten die Schuhe von den Füßen. Mamoru warf einen Blick auf die Notiztafel, unterdrückte ein amüsiert-resigniertes Schnauben und fasste nach Satorus Hand. "Komm, ziehen wir erst mal die Uniformen aus! Du hast hoffentlich bequeme Sachen eingepackt?" Der Ältere nickte, wirkte eingeschüchtert und nervös. In seinem Zimmer angekommen, das klein wirkte, wenn sie sich beide dort bewegten, drückte er Satoru einen Kleiderbügel in die Hand. "Los, runter mit dem ollen Zwirn und rein in die Wohlfühlklamotten!" Er selbst kehrte Satoru höflich den Rücken, schlüpfte in die geliebte, schwarze Lederhose und einen grobgestrickten Wollpullover mit Lochmusterung, der kaum bis zur Taille reichte, überlange Ärmel aufwies und das Kragenbündchen verloren hatte. Satoru, in einem dunkelgrauen Trainingsanzug, wirkte blass und unvorteilhaft gekleidet. "Hast du diesen Sack extra für mich eingepackt?" Mamoru zwinkerte, um den Worten die Schärfe zu nehmen, bot Satoru neckend den Arm. Zu seiner Überraschung lief der Ältere dunkelrot an, senkte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches. "He." Mamoru hielt in der Wohnküche inne, legte sanft die warmen Hände um die vor Scham glühenden Wangen Satorus. "Es tut mir leid. Das war eine absolut unnötige und dämliche Bemerkung. Bitte sei mir nicht böse, ja?" Statt einer Antwort löste sich Satoru, schlang die Arme um Mamorus Nacken und hielt sich fest. So konnte der Jüngere spüren, wie sehr sich Satoru anstrengte, das beängstigende Zittern zu unterdrücken. "Alles ist gut." Flüsterte er sanft, hielt ihn in seinem Armen. "Hier sind nur wir beide. Kein Grund, sich Sorgen zu machen." Aber er musste sich eingestehen, dass er Satorus Reaktion als beunruhigend empfand. Warum hatte der solche Angst? Vor ihm? Oder wovor? Mamoru verlegte sich darauf, seinen Gast an die kleine Theke zu setzen und ihm die anstehende Mahlzeit vorzustellen. Gedünstetes Gemüse, Reis, Nudelsuppe, Teriyaki auf dem kleinen elektrischen Tischgrill: das MUSSTE doch Satorus Herz gewinnen! Auch wenn der Umweg über den Magen führte. Zu seiner Erleichterung langte Satoru ordentlich zu, lächelte sogar und lobte die Anstrengungen seines Gastgebers. "Magst du noch etwas naschen?" Mamoru räumte das benutzte Geschirr in die winzige Spüle, drehte die Brause auf. "Reis-Kekse oder lieber etwas Süßes?" Satoru, der sich zum Abtrocknen meldete, gab den Reis-Keksen den Vorzug. Man konnte sie auch prima mit ins Zimmer nehmen, wo Mamoru einige Kerzen anzündete und die allzu helle Deckenleuchte löschte. Er verteilte die Kissen an der Wand auf seinem Bett, nickte Satoru zu, es sich bequem zu machen und die Bettdecke über die Beine zu ziehen. Kalte Füße waren schließlich ein Gräuel! "Es gibt da so Einiges, was ich dir erklären muss." Eröffnete Mamoru ruhig, eroberte sich Satorus Hand und streichelte sie sinnierend. "Ich habe dich sehr, sehr gern." Er lächelte mit gesenktem Blick. "Ich will unbedingt mit dir zusammen sein." Er wandte den Kopf, um Satoru anzusehen, der unruhig neben ihm herumrutschte. "Nicht nur, weil du mein Leben gerettet hast. Aber diese Tatsache gehört zu den Dingen, die ich dir erklären will, damit du mir glaubst, dass ich ernsthaft an dir interessiert bin und nicht nur dem Sex nachjage." Trotz des gedämpften, wenn auch warmen Kerzenlichts konnte Mamoru deutlich erkennen, wie Satoru errötete. »Ja.« Pflichtete er seinem Freund stumm bei. »Es wäre schon sehr merkwürdig gewesen, wenn du dir diese Fragen nicht auch gestellt hättest.« "Dazu muss ich ein wenig ausholen, bitte hab ein wenig Geduld mit mir, ja?" Er schenkte Satoru ein werbend-neckendes Lächeln. Mamoru richtete den Blick wieder auf die elegante Hand, die er Satoru abgewonnen hatte. "Kurz nach meiner Geburt hat mein Vater meine Mutter verlassen. Ich selbst habe ihn nie kennengelernt. Meine Mutter war enttäuscht und äußerst verbittert. Sie begann, Männer grundsätzlich zu verabscheuen. Triebhafte, untreue, grobe und verlogene Kerle, alle miteinander." Er seufzte leise. "Mit den Jahren wurde es immer massiver. Sie meidet Männer. Verabscheut sie und misstraut ihnen, egal, um wen es sich handelt. Ich bin damit aufgewachsen. Mit der Vorstellung, dass es furchtbar ist, ein Mann zu sein. Absolut verwerflich." Die großen, schwarzen Augen hinter der randlosen Brille richteten sich auf Satorus verwirrtes Gesicht. "Ich wollte natürlich nicht zum Erzfeind meiner Mutter werden. Aber ich bin weiter gewachsen, älter geworden, ganz egal, was ich auch angestellt habe." Er lächelte, als er in den dunkelbraunen Augen las, wie sich Satoru nun die Notwendigkeit der Rasuren erklärte. "Andererseits war da dieser Reiz in mir, der sich kaum noch beherrschen ließ. Es lockte mich, ein Mann zu sein. Was ich aber nicht sein durfte, wenn ich meine Mutter nicht verlieren wollte." Mamoru lächelte verzerrt, drückte Satorus Hand stärker, hielt sich an ihr fest. "Ich konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen und bekam das Gefühl, dass ich meine Körperfunktionen nicht mehr unter Kontrolle hätte. Also musste ich die Inkontinenz-Windeln tragen, denn es war mir schier unerträglich, einmal DIESE Katastrophe erleben zu müssen." Mit einem selbstironischen Lachen hauchte er einen Kuss auf Satorus Handrücken. "Das Drollige ist, dass ich tatsächlich niemals in die Hose gemacht habe. Die Kontrolle war immer da. Aber ich habe mich vollkommen verrückt gemacht, ständig auf der Toilette gehockt! Absurd, oder?" Satoru sah ihn stumm an, mitfühlend und ängstlich zugleich. »Ja.« Mamoru zwinkerte, entspannte sich. »Du verstehst es, nicht wahr? Du kümmerst dich um deine Mitmenschen, hast ein feines Gespür.« "Ich war also kurz davor, entweder in der Psychiatrie zu landen oder mich umzubringen, weil ich kein kleiner Junge bleiben konnte, aber kein Mann werden durfte, ohne meinen einzigen Angehörigen zu verlieren." Mamoru fasste anschließend betont nüchtern seine Lage zusammen. Seine Stimme wurde samtig weich, das Lächeln warm. "Dann hast du mir das Leben gerettet. Du bist nicht zurückgeschreckt, sondern hast mir gezeigt, wie viel Lebenslust ich als Kerl haben kann." Nun stand wirklich Fassungslosigkeit in Satorus Gesicht. Er protestierte, ungeachtet seiner Vorsätze, sich manierlich und bescheiden zu benehmen. "Aber das ist doch gar nicht wahr! Ich habe dich erpresst und vergewaltigt! Das ist ja wohl das absolute Gegenteil von einer Lebensrettung!" Mamoru wischte mit der freien Hand zärtlich die langen Strähnen auf die Seite, die vom Scheitel ins Gesicht geweht waren, den stürmischen Einspruch untermalt hatten. "Ich bin sicher, dass du niemals mein schreckliches Geheimnis verbreitet hättest." Hielt er Satoru unverblümt vor. "Außerdem glaube ich auch nicht, dass du es über dich gebracht hättest, mir Gewalt anzutun, wenn ich dich heulend um Gnade angefleht hätte." Satoru presste die Lippen zu einem dünnen Strich des Vorwurfs aufeinander, konnte aber nicht widersprechen. Mamoru legte Satorus Hand auf sein Herz. "Damals habe ich genau gemerkt, wie nachsichtig und behutsam du mit mir umgegangen bist. Auch wenn du es nicht gewusst hast: du hast mir so sehr geholfen, dass ich dir niemals dankbar genug sein kann." "Willst du etwa deshalb...?" Satoru konnte den Satz nicht beenden, weil Mamoru ihn einfach küsste, dann wieder den Abstand einnahm. "Nein." Antwortete er auf die unausgeführte Frage. "Das ist nicht nur Dankbarkeit. Wir beide zusammen sind etwas Besonderes. Ich glaube, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und ähnliche Überzeugungen teilen." Er zwinkerte frech. "Mit anderen Worten gesprochen: ich habe sehr ernsthafte Absichten, mein Leben mit dir zu verbringen." Nun konnte er ungefiltert verfolgen, wie alle Farbe aus Satorus Gesicht wich, der Ältere leichenblass wurde. "Nein! Das geht nicht!" Unerwartet heftig machte sich Satoru los, kam auf die Knie und schleuderte die Decke von sich. "Das ist ausgeschlossen! Absolut unmöglich!" Er sprang von der Matratze, stürmte zum Fenster, umklammerte die schmale Fensterbank so sehr, dass sich die Knöchel seiner Finger weiß abzeichneten. Obwohl das Fenster geschlossen war, schien der Blick hinaus in die Tiefe ihn ein wenig zu beruhigen. Mamoru wartete, ignorierte den dröhnenden Pulsschlag in seinen Ohren. Er hielt es nicht für ratsam, sich Satoru jetzt zu nähern, der sich offenkundig bereits in die Enge getrieben fühlte. "Du verstehst das alles nicht richtig!" Wurde er mit einen heftigen Vorwurf bedacht, aber Satoru wagte es zumindest nicht, ihn dabei anzusehen. Den Kopf gesenkt, an die Fensterbank geklammert, sprudelte er krächzend seine Anschuldigungen hervor. "Du verdrehst alles, weil du glaubst, ich sei ein netter Mensch und hätte dir etwas Gutes getan! Aber das ist nicht wahr! Du willst einfach nicht begreifen, worum es hier geht!" "Ich mache mir also etwas vor?" Mamoru zwang sich zu einem ruhigen, neutralen Tonfall. »Nur Geduld!« Mahnte er sich angespannt. »Lass ihn reden! Sonst kommen wir keinen Schritt weiter.« "Richtig!" Bestätigte Satoru unterdessen vehement. "Das ist bloß ein Selbstschutzreflex! Ganz normal, zweifellos, aber dennoch verfälscht es die Lage!" "Dann erkläre sie mir bitte." Mamoru umklammerte die Bettdecke. »Rede!« Sandte er feurige Gedanken aus. »Komm schon, Satoru, bitte rede!« "Worum es geht, ist Stressabbau und Kompensation. Darauf basiert der Gentlemen's Club." Der Ältere sammelte sich, legte einen ungeschickten Versuch hin, blasiert zu klingen. "Keine emotionalen Bindungen, selbstverständlich nicht, sondern die Erfüllung von Bedürfnissen für eine gewisse Zeit, in der Alternativen nicht geboten sind." "Also Sex mit Mitschülern aus unteren Klassen, weil man keine Muße hat, sich eine Freundin zuzulegen?" Hakte Mamoru überspitzt nach. "Ge-genau! Ja!" Beinahe würgte es ihn, wie erleichtert ihm Satoru beipflichtete. "Deshalb hat das alles auch keine Bedeutung und keine Zukunft, weil wir ja nach dem Schulabschluss nicht mehr 'allein unter Männern' sind und auf diesen 'Notbehelf' verzichten können, oder wie?" Mamoru legte noch einen Scheit dazu. Wenn das Feuer richtig loderte, dann WÜRDE Satoru dem Druck nicht mehr standhalten können. "Natürlich!" Der Ältere zitterte nun sichtbar am ganzen Leib, trotz aller Anstrengung, es zu unterdrücken. "Alles ist wieder normal, gar keine Frage!" Mamoru wartete schweigend. Es tat ihm zwar weh, Satoru zu martern, indem er ihn dessen Kopfkino überließ, dennoch hielt er es für die bessere Alternative. "Ich-ich habe nur nach den Club-Regeln gehandelt!" Platzte Satoru heraus, konnte die Stille nicht mehr ertragen. "Ich kenne diese Regeln nicht." Gab Mamoru im Plauderton zurück. "Ich kann das nicht beurteilen." "Eben deshalb bist du ja der unzutreffenden Auffassung, dass ich dir geholfen hätte!" Satoru haspelte sich weiter mit überschlagender Stimme durch seinen Argumentationsparcours. "Ich erkläre es dir!" »Darauf wären wohl auch die Herren Polizisten sehr gespannt.« Dachte Mamoru und hoffte, Satoru würde sich nicht zu ihm umdrehen, denn er konnte nicht ausschließen, dass man seinem Gesicht ansah, was er über diese so genannten Gentlemen dachte. "Der Gentlemen's Club ist eine versteckte Oberfläche hinter der Offiziellen des Schul-Intranets." Dozierte Satoru gerade. "Mit einem Passwort kann man sich Zugang verschaffen. Zu jedem Schüler gibt es einen Verfügbarkeitsstatus und weitere Informationen. Nur die Schülerpräsidenten bestimmen, wer ein Passwort erhält." Satoru plapperte nun ungebremst weiter, schrill und hektisch. "Die Regeln sind denkbar einfach: Handelsgut sind Geheimnisse von Mitschülern. Ich biete ein Geheimnis an, natürlich mit entsprechenden Beweisen wie Fotos oder Schriftstücken. Dann darf ich zu einem Mitschüler meiner Wahl, der verfügbar ist, das Geheimnis einsehen und benutzen. Selbstverständlich darf niemand um Geld oder Hausaufgaben erpresst werden, denn das verstieße gegen die Regeln, weil es zu einer raschen Aufdeckung führen würde." Mamoru ballte die Fäuste, atmete zischend zwischen den Zähnen hindurch. Wer dachte sich so etwas aus?! Wer zog einen Erpresser- und Sex-Ring in einer Schule auf?! "Ich dachte, dass der Schülerpräsident nichts von dem Ring wusste. Wer hat ihn denn dann betreut?" Er kontrollierte seine Stimme erneut, um ruhig zu klingen. "Oh, ich glaube, dass seit Beginn dieses Schuljahres nichts mehr gelaufen ist, denn als ich auf deinen Namen geklickt habe, konnte ich überhaupt keine Informationen abrufen." Brabbelte Satoru heraus. Er würde, wie Mamoru annahm, sich um Kopf und Kragen reden, einfach, weil die Situation so surreal war, dass er am Rande eines hysterischen Zusammenbruchs stand. "Du hast also selbst diese Bilder von mir in der Toilettenkabine gemacht? Mit einer kleinen Kamera?" Stieß er Satoru noch ein wenig näher an den Abgrund. "Ja! Genau! Nicht originell, aber effektiv, nicht wahr?" Satorus Stimme überschlug sich grell, das künstliche Kichern echote hohl im Zimmer. "All die Mühe nur, weil du keine Zeit für eine Freundin hast!" Seufzte der Jüngere triefend vor falschem Mitgefühl. Satoru zuckte zusammen, als habe man ihm mit einer Peitsche einen Schlag versetzt. "Ich glaube, diese Club-Regeln würden meiner Mutter gefallen." Säuselte Mamoru giftig-süßlich. "Sie entsprechen genau ihrem Bild von Männern. SO sind also Gentlemen, tatsächlich." Der Ältere antwortete ihm auf die süffisant vorgebrachte Provokation nicht mehr. "Was mich aber wundert: wenn alles doch so flüchtig und furchtbar normal ist, warum hast du so viel Angst?!" Mamoru schnurrte beinahe. "Die-die Polizei?" Stotterte Satoru, suchte nach einem plausiblen Grund, fahrig und überaus nervös. "Die mussten dich doch laufen lassen." Versetzte Mamoru streng. "Wenn der Club doch nicht mehr im Betrieb war, dann musst du dir meinetwegen wohl keine Sorgen machen, oder?!" Satoru schwieg nun, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, hielt die Fensterbank umklammert, schwankte unruhig von einem Fuß auf den anderen. "Ich fürchte, das wirst du mir doch erklären müssen." Mamoru erhob sich gemächlich. Sein Gegenüber schrumpfte stärker ein, rückte entlang dem Fenster ab, wollte Distanz zwischen sie bringen. "Du würdest es nicht verstehen!" Piepste er schließlich tonlos. Mamoru stemmte die Hände in die Hüften. "Ich würde also nicht verstehen, warum man private Geheimnisse eines anderen mit Gleichgesinnten tauscht, um jemanden zum Sex zu zwingen?!" Formulierte er bissig. "Das ist nicht so..." Satoru bemühte sich um eine hilflose Beschwichtigung, aber Mamoru war nicht mehr geneigt, Ausflüchte gelten zu lassen. "Fein, dann lassen wir diesen Punkt mal beiseite!" Energisch trieb er Satoru in die Ecke. "Wenn diese Sache doch ausgestanden ist, warum hast du jetzt solche Angst?! Befürchtest du, dass man deine Familie befragen könnte, oder wie?!" Dem Älteren entrang sich ein erstickter Laut des Entsetzens. "Ist doch kein Grund zur Aufregung, sie haben sicherlich die Pressemeldungen verfolgt und sind im Bilde." Kaltblütig goss Mamoru Öl auf das Feuer. Satoru zitterte nun so sehr, dass er in die Knie sank, die Finger schmerzhaft um die Fensterbank gebogen. Mamoru hörte das herzzerreißende Zähneklappern, schluckte heftig. »Jetzt bloß nicht nachgeben!« Hielt er sich im Zaum. »Sonst hört es nicht auf!« "D-du v-ver-versst-stehst d-d-asss nichttt!" Stotterte der Ältere, rang pfeifend nach Luft. "Wenn alles so perfekt in Ordnung ist, warum geht es dir dann so schlecht?!" Mamoru hielt es nicht länger aus, fasste Satoru an der Schulter an. Ungelenk kippte Satoru auf die Seite, ließ die rettende Fensterbank los, schlang die Arme um sich und keuchte, als erlitte er einen Erstickungsanfall. "He! Satoru, beruhige dich!" Der Jüngere fiel hinter Satoru auf die Knie, zog den Älteren an sich und streichelte beruhigend über den gekrümmten Rücken. Er spürte, wie angestrengt Satoru mit dem ganzen Körper nach Luft rang, heftig zitterte, keine Kontrolle mehr über seine Glieder hatte. »Verdammt, verdammt, verdammt!« Mamoru zwängte einen Arm zwischen Satorus Oberschenkel und dessen Brustpartie, richtete ihn auf diese Weise auf und presste ihn an sich, damit der die zusammengerollte Haltung nicht wieder einnehmen konnte. Er packte Satoru unnachgiebig am Kinn, dirigierte ihn so, dass er seinen warmen Atem erst auf die Lippen hauchen, dann in Satorus Luftröhre blasen konnte. Satoru klapperte noch immer mit den Zähnen, was Mamoru einen blutigen Biss einbrachte, aber er spürte, dass seine Nähe, massiv und warm, bereits Wirkung zeigte. "Ganz ruhig." Redete er ihm zu. "Ich tue dir nichts. Hab keine Angst." Endlich konnte er es wagen, Satoru ein wenig Abstand zu gönnen. Der bemerkte die blutig gebissene Lippe, blinzelte weitere Tränen aus seinen Wimpern und winselte heisere Entschuldigungen wie eine Litanei. »Nicht gut!« Stellte Mamoru ernüchtert fest. »Das läuft überhaupt nicht wie vorgesehen!« "Schon gut." Er löste eine Hand, um über die nassen Wangen zu wischen, lächelte aufmunternd, was leider keinen positiven Effekt hatte, da das Blut auch seine Zähne eingefärbt hatte. Am Schaudern seines Gegenüber konnte er deutlich erkennen, dass seine Bemühungen zur Entspannung nicht besonders erfolgreich verliefen. "Bitte sag mir doch, was los ist." Warb er eindringlich um Satorus Vertrauen. "Ich helfe dir, ganz bestimmt!" Satoru schüttelte den Kopf so heftig, als wolle er die Tränen selbst aus seinen Wimpern schleudern, schniefte und schluchzte zugleich, weil seine Kehle die Misshandlung übelnahm. "Ich verspreche dir, dass ich niemandem etwas sage!" Flehentlich streichelte der Jüngere über Satorus wirre Strähnen, die tränenbetropfte Trainingsjacke. "Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich dir nicht schaden werde!" Mit dieser Formulierung musste er einen Nerv getroffen haben, denn Satoru stieß ein gequältes Lachen aus, um dann ernsthaft und verzweifelt zu weinen. Mamoru wiegte ihn ratlos und erschrocken. Er war mit wütenden Schimpftiraden, mit Gebrüll oder strafendem Schweigen vertraut, doch noch nie hatte er erlebt, dass jemand so völlig aufgelöst in seinem Unglück ertrank. Für einen so souverän wirkenden, beherrschten jungen Mann wie Satoru undenkbar. »Trotzdem!« Er schlang die Arme um Satoru, bot seine Schulter als Zuflucht. »Es geschieht wirklich! Das ist die Realität! Verdammt, unternimm etwas, sonst verliert ER den Verstand!« Zunächst musste er allerdings Geduld aufbringen, bis das gequälte Schluchzen in ein heiseres Ächzen überging. "Satoru." Raunte er sanft, wiegte den Älteren behutsam. "Ich werde uns Tee machen, in Ordnung? In der Zeit legst du dich ein wenig hin." Ohne Protest gelang es ihm tatsächlich, Satoru unter die Bettdecke zu schieben, dann entschied er, dass zuerst ein gekühltes, feuchtes Tuch für die verquollenen Augen beschafft werden musste. In der Wohnküche bereitete er den Tee und konzentrierte sich auf die nächsten Schritte. Es war bereits sehr spät, die Nacht lag erstaunlich still über dem gewaltigen Wohnhaus. Er fühlte sich plötzlich klein und einsam, isoliert in einer fremden Welt. Wie sollte er vorgehen?! Was war die richtige Methode, um Satoru zu helfen? Wieso war niemand da, den er um Hilfe bitten konnte?! Dieser Gedanke setzte sich fest und breitete sich aus, wucherte in seinem Inneren. Oft hatte er sich gefragt, warum Satoru ausgerechnet ihn ausgewählt hatte. Weil er so verschüchtert und ohne Freunde war? Weil es so einfach schien, ihn zu erpressen? »Oder weil er so einsam war, dass er gehofft hat, ich würde ihn verstehen?« Mamoru bewaffnete sich mit dem kleinen Teetablett und kehrte in sein Zimmer zurück. Er war erleichtert, Satoru noch warm eingepackt im Bett zu finden, die Augen unter dem kühlenden Tuch verborgen. Der dampfende, aromatische Tee wurde ausgeschenkt, dann ließ er sich auf der Bettkante nieder und legte behutsam eine Hand auf Satorus Schulter. "Ich habe den Tee hier. Es ist wohl besser, du setzt dich auf." Mit Verzögerung kam der Ältere der Aufforderung nach, ließ sich sogar ein Kissen hinter den Rücken stopfen, zerdrückte das Tuch in seinen Händen. Wortlos reichte ihm Mamoru den henkellosen Teebecher, behielt die Distanz bei. Selten hatte ihm Tee so gut getan wie jetzt. Er hatte den Eindruck, als würde eine Last von ihm gelöst werden, das Atmen leichter fallen, die Kehle nicht mehr so schmerzen. Ob es Satoru wohl ähnlich erging? Der starrte im Kerzenschein in seinen Teebecher, wärmte sich beide Hände, halb hinter den langen Strähnen verborgen. "Ich erzähle dir, wie es wirklich war." Wisperte er rau und kaum hörbar. Mamoru saß aufrecht, hielt sogar die Luft an. Satorus Blick ging an ihm vorbei auf die Zimmertür, sein Gesicht wirkte durch die Tränenspuren im warmen, weichen Licht jünger und sehr verletzlich. "Meine Familie lebt im Norden, in einer Kleinstadt." Mit jedem Wort, bedächtig zusammengesucht, schien das Sprechen Satoru leichter zu fallen. Oder vielleicht erschien es ihm auch wie eine Geschichte, die er erzählte. Die Geschichte eines anderen. "Alles dort ist so-so klein und geordnet! Ich habe meinen Vater überredet, mich auf diese Schule gehen zu lassen. Die Idee mit dem Wohnheim hat ihm überhaupt nicht gefallen, aber er hat nachgegeben, weil meine Mutter ihm vorgehalten hat, dass man als Junge unter lauter Jungen weniger Schwierigkeiten hat, wenn man später ins Berufsleben eintritt, denn dann kennt man schon die Regeln unter Männern. Außerdem gerät man nicht in delikate Situationen." Mamoru unterdrückte tapfer eine Grimasse. Koedukation als Sündenbabel?! "Ich wollte bloß weg, endlich leben. Erwachsen werden! Aber als ich hier ankam, war ich der einzige aus meiner Region. Ich hatte von vielen Dingen überhaupt keine Ahnung. Im Wohnheim gibt es viele, die bereits in der Mittelschule nicht bei ihren Eltern gelebt haben, die sich mit dem Alltag auskennen." Satoru seufzte leise, nippte an seinem Tee. Auf seinem Gesicht erschien ein fahles Leuchten, der grausige Wiedergänger eines Lächelns. "Ich wollte unbedingt erwachsen sein, also habe ich mir fest vorgenommen, wie die anderen auch unabhängig zu werden. Es allein zu schaffen!" Mit dem Handrücken wischte er sich über die Augen, schniefte leise. Ein entschlossener Zug setzte sich in seinen Mundwinkeln fest. "Ich habe keinen Zimmergenossen gefunden, weil ja niemand aus meiner Region im Wohnheim lebte. Darum musste ich mir also Gedanken machen, wie ich Freunde finde und Leute, die mir das beibringen, was ich noch lernen musste. Da blieb mir zuerst nichts anderes übrig, als beobachten und Fehler vermeiden. Meinem Vater habe ich natürlich gesagt, dass alles ganz hervorragend ist." Eine Weile verstrich, in der sie beide nur Tee tranken und schwiegen. Dann nahm Satoru einen neuen Anlauf, straffte die Schultern, kämmte Strähnen aus dem Gesicht. "In der zweiten Schulwoche..." Er brach ab, räusperte sich. "In der zweiten Schulwoche hat mich einer aus der Dritten auf der Toilette abgefangen. Ich habe zuerst gar nicht begriffen, was er wollte." Satoru lächelte bitter über sein naives Ich. "Als ich dann verstand, war es längst zu spät, um sich zu wehren. Es hätte auch nichts geholfen, er war stärker und erfahren." Er presste die Lippen aufeinander, seine Kiefer mahlten deutlich sichtbar, schloss die Augen, zwang sich zu einem tiefen Atemzug. "Ich habe mir gesagt, dass ich ebenso gut auch mitmachen kann. Erwachsene tun es ja auch ständig. Keine große Sache." Mamoru starrte Satoru an, spürte, wie ihm langsam das Blut gefror, sich eine Eisschicht auf seine Haut legte. In seinem Magen bildete sich ein harter Knoten. "Ein paar Tage später lernte ich dann den Gentlemen's Club kennen." Satoru räusperte sich erneut, grimassierte, als wolle er sich über die eigene Verletzlichkeit mokieren. "Der Typ hatte eine Kamera versteckt und die Aufnahmen angeboten. Zwei andere aus der Dritten interessierten sich für mich. Sie zeigten mir die Bilder und drohten damit, sie an meine Familie zu senden. Wenn wir uns nicht gütlich einigen könnten." Ein geisterhaftes Grinsen zuckte über seine bleichen Züge. "'Gütlich einigen' war wirklich brillant formuliert! Keiner wollte verzichten, also habe ich mich abwechselnd mit ihnen in der Schule getroffen. Im Wohnheim passen sie nämlich sehr streng auf, dass es keine sexuellen Eskapaden gibt." Satoru spülte den bitter-galligen Geschmack auf seiner Zunge mit Tee runter, drehte den leeren Becher in seinen Händen. "Einer erzählte mir dann, wie der Club funktioniert. Daher auch meine glorreiche Idee, dich zu erpressen." Ein Seitenblick streifte Mamoru, doch der selbstironische Tonfall wirkte wie das Pfeifen im dunklen Wald. "Sie haben mir beide gesagt, dass es bloß wegen der Prüfungen sei, dem ganzen Stress. So hat es auch nicht allzu lange gedauert." Wortlos schenkte Mamoru Tee nach, wunderte sich, dass seine Hände so ruhig waren. "Du verstehst jetzt also, dass es bloß ein Zeitvertreib ist, nicht wahr? So was machen Erwachsene eben..." Satoru brach ab, der betont leichte, muntere Ton wollte ihm nicht gelingen. Mamoru nippte an seinem Becher, starrte in die dunkle Flüssigkeit. Ohne den Kopf anzuheben, fragte er sehr leise. "Hast du sie gemocht?" Satoru erstarrte. Sehr langsam drehte der Jüngere den Kopf, um ihn anzusehen. Die großen, schwarzen Augen wirkten wie Untiefen, die ihn einsaugen konnten. "Nein." Satoru wisperte gequält. "Nein, ich mochte sie nicht besonders." "Ich verstehe." Antwortete Mamoru geistesabwesend. Er stellte seinen Becher ab, streckte den Arm aus, um Satoru über die Wange zu streichen, ignorierte das schreckhafte Zurückweichen ohne ein Wimpernzucken. "Darum also." Murmelte er laut, an sich selbst gewandt. "Na ja." Satoru hob die Schultern, grinste kläglich. "Siehst du, so ist eben das Leben als Erwachsener." Mamoru beugte sich vor, zwang die dunkelbraunen, rot eingefärbten Augen, ihm nicht auszuweichen, seinem Bannstrahl nicht zu entkommen. "Glaubst du das tatsächlich?" Satoru kämpfte tapfer, aber vergeblich um Beherrschung. Tränen verschmierten seine Sicht, der Kloß in seinem Hals konnte nicht länger mit Tee getränkt werden. Der Becher wurde ihm aus der Hand genommen, bevor er sich mit verschüttetem Tee verbrühen konnte, dann kroch Mamoru heran, ließ keine Flucht mehr zu, hielt Satoru in einer festen, beinahe schmerzhaft intensiven Umarmung. "Wie konnten sie nur so etwas tun?!" Stieß er rau an Satorus Ohr hervor. "Wie konnten sie dich so quälen?!" Seine Hand lag auf Satorus Hinterkopf, hielt ihn wie ein kleines Kind, das noch nicht über eine ausreichend starke Nackenmuskulatur verfügte. Der Ältere ließ sich wiegen, auf den Schopf küssen, trösten und wärmen. Die Tränen waren versiegt, seine Kehle noch rau, aber er erhob keinen Einspruch gegen Mamorus Verhalten. Der kämpfte noch immer mit heftiger Empörung. Was waren das für gewissenlose Kerle?! Erst vergewaltigte einer den völlig unerfahrenen Satoru, dann verschacherte er ihn an zwei Kumpane, die Satoru als Druckauslassventil benutzten! Nun erklärte sich auf bedrückende Weise auch, wieso Satoru so rücksichtsvoll und zärtlich mit ihm umgegangen war. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie Satorus 'erstes Mal' geendet hatte! "Es tut mir leid." Raunte er dem Älteren traurig ins Ohr. "Es tut mir so leid, dass dir so etwas Furchtbares passiert ist." Satoru krächzte erstickt, was Mamoru erst verspätet als ein Auflachen diagnostizierte. "Wie kannst du so etwas sagen? Ich habe dich genauso behandelt, sogar noch schlimmer! Ich habe dich immerhin zu einem Piercing gezwungen!" Energisch schob Mamoru den Älteren auf Armlänge von sich, funkelte kämpferisch in die verquollenen Augen. "Nun mach mal halblang, Satoru! Du weißt, dass ich es wollte! Im Gegensatz zu dem, was du dir einreden musstest, habe ich mich darauf gefreut, dass wir uns sehen und miteinander schlafen!" Er reckte das Kinn und schnaubte. "Außerdem MAG ich dieses Piercing! Es ist cool, es sieht extrem heiß aus und es fühlt sich scharf an, wenn es gegen das Leder reibt." Sein Gegenüber blickte zur Seite. "Aber das ist bloß Sex. Ich habe dich bedroht und benutzt, sieh das doch endlich ein!" "Nein!" Mamoru dirigierte mit einer festen Hand Satorus Gesicht zurück. "DU hast mir geholfen! Du hast mich angesehen, mich beachtet! Du hast mich in den Arm genommen und mir das Gefühl gegeben, dass ich etwas wert bin! Dass das Leben lebenswert ist!" "Davon habe ich nichts gewusst, also zählt es nicht!" Beharrte Satoru stur auf seinem Standpunkt. Mamoru seufzte ärgerlich, musste dann aber lächeln. Er löste seinen Griff, streichelte hauchzart mit den Fingerspitzen über Satorus Lippen. "Weißt du denn nicht, wie schön es ist, wenn man nicht mehr einsam ist? Wenn man einen Freund gefunden hat?" Er wusste, dass er Satoru tief getroffen hatte. Der öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor, blinzelte heftig, als gäbe es noch Tränen, schluckte dann erstickt. "Genau." Mamoru zwinkerte. "Du WEISST genau, was ich meine." Dann beugte er sich vor, um Satoru zu küssen, sanft und zurückhaltend. Aufmunternd lächelte er den Älteren an, sammelte dann erneut ihre Teebecher ein. "Trinken wir auf unsere Freundschaft!" Schlug er vor. Satoru erwiderte sein Lächeln zaghaft, schluckte den Tee beinahe gierig. Das war besser als Galle und Tränen! "Ich schlage vor, dass wir noch rasch duschen und dann Schäfchen zählen. Ist schon ziemlich spät, und ich muss morgen auch noch arbeiten." Mamoru rollte mit den Schultern. "Das-das wusste ich nicht." Rutschte es Satoru heraus, der sich gleich darauf einen Idioten schalt, denn was genau wusste er schon wirklich über Mamoru?! "Weil ich es dir noch nicht erzählen konnte." Mamoru zwinkerte, fasste Satoru bei der Hand. "Also, wollen wir?" Satoru wollte. Er wollte sich auch sanft einschäumen lassen, warm abspülen und noch für eine kurze Zeit in das aufgeheizte Badewasser klettern. "Wird-wird deine Mutter sehr wütend sein, weil wir so spät auf sind?" Erkundigte er sich zögerlich, drehte den Kopf leicht, denn Mamoru hatte darauf bestanden, hinter ihm in der Wanne Platz zu nehmen. "Iwo!" Der Jüngere bleckte die Zähne. "Sie IST stocksauer. Aber der Zustand ist schon einige Wochen alt und hat nichts mit dir zu tun. Wir haben derzeit einen Waffenstillstand. Wir reden nicht miteinander, sondern benutzen die Tafel in der Wohnküche." "Oh." Murmelte Satoru betreten. Er hatte kaum in die Richtung zu sehen gewagt, weil ihn die schriftliche Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn entsetzte. "In ihren Augen bin ich genau wie mein Vater, ein wüster Herumtreiber, der jetzt sogar einfach Fremde mitbringt. Der sich um nichts schert und tut, was er will." Mamoru schmiegte die Wange an Satorus, wischte sich über die Cornrows. "Weißt du, dass du mein erster Gast bist? Ich habe nie gewagt, irgendjemanden hierher mitzubringen, um bloß nicht das Missfallen meiner Mutter zu erwecken." "Ich wusste nicht, dass dein Leben so schwierig ist." Murmelte Satoru betreten. "Sonst was?" Neckte ihn Mamoru, zupfte mit den Lippen an Satorus Ohrläppchen. "Hättest du mich nicht gerettet? Mein Prinz, das bricht mir das Herz!" "Ich bin kein Prinz!" Beschwerte sich Satoru energisch, wurde dann aber wieder nachdenklich. "Aber ich glaube, ich hätte zu viel Angst gehabt, mich in eine Familie einzumischen." »Darauf wette ich!« Stellte Mamoru schweigend fest. »Denn was du mir über deine Familie anvertraut hast, finde ich auch zum Gruseln. Glücklicherweise bin ich verrückt genug, mich in DEIN Leben und DEINE Familie einzumischen!« Laut antwortete er. "Satoru, du bist mein Prinz und daran wird sich nie etwas ändern. Du hast einen noblen, mitfühlenden Charakter. Daran haben nicht mal diese verdammten Vergewaltiger etwas ändern können." Satoru brachte kein Wort hervor, aber er lehnte sich enger in Mamorus Umarmung. Nach dem Bad schlüpfte Satoru in einen Pyjama, während Mamoru einfach die Lederhose überstreifte und grinsend erklärte, das sei lediglich das Feigenblatt für den Weg zu seinem Zimmer. Er schien gelöst und aufgeräumt, sodass es Satoru wieder diese seltsame Verlegenheit empfinden ließ: war er nicht der Ältere, der Erfahrene? Wieso fühlte es sich dann so an, als sei Mamoru stärker und souveräner? Tatsächlich streifte Mamoru in seinem Zimmer die geliebte 'zweite Haut' geübt ab, schlug die Bettdecke zurück und blickte Satoru auffordernd an. "Möchtest du lieber die Seite an der Wand oder hier zum Boden hin?" Satoru räusperte sich, verwünschte die Röte in seinen Wangen. "Du willst nicht mit mir schlafen?" Mamoru zog eine gequälte Grimasse. "Herrje, selbstverständlich möchte ich gern mit dir schlafen! Aber nur, wenn du es auch möchtest." Schärfer ergänzte er. "Ich bin zwar ein Kerl, doch das bedeutet nicht, dass ich dich als Spielzeug für meinen Druckabbau benutze!" "So habe ich das nicht gemeint!" Beschwichtigte Satoru eilig, bestürzt über den finsteren Ausdruck in Mamorus Gesicht. Der neigte den Kopf ein wenig auf eine Seite, musterte ihn schweigend. "Warum hast du Angst vor mir? Es besteht keinen Grund, mir nach dem Mund zu reden oder förmlich zu sein. So kann ich DICH nicht kennenlernen, und das verletzt mich, Satoru." Formulierte er schließlich. "Oh." Entschlüpfte es dem Älteren verräterisch, bevor er eilig den Blick auf den Boden heftete, die Finger ineinander verkrallte, verlegen wie ein gescholtener Schuljunge bei der Tür stand. Mamoru ließ sich auf seinem Bett nieder und klopfte gebieterisch auf die Matratze, eine eindeutige Aufforderung, an seiner Seite Platz zu nehmen. Ohne Blickkontakt leistete Satoru Folge, knetete und verknotete nervös seine Finger. Der Jüngere legte die Hände über die klammernden Finger, hielt sie wie in einem warmen Kokon geborgen. "Ich gebe offen zu, dass es nicht nett war, dich zu erpressen." Mamoru klang bedrückt. "Es war auch nicht nett, so über dich herzufallen. Das widerspricht vermutlich meinen ernsthaften Absichten." Er atmete tief durch, hob seine Hände mit Satorus verkrampften Fingern darin hoch. "Bitte, sag mir doch, was ich getan habe, dass du solche Angst vor mir hast. Ich verspreche dir, ich werde niemals gegen deinen Willen mit dir schlafen, Ehrenwort!" Satoru blickte auf ihre Hände, den Kontrast zwischen dem Pyjamastoff und Mamorus nackter Haut, die merkwürdige Konstellation, in der sie hier saßen, auf den Anhänger, den er Mamoru zum Geschenk gemacht hatte. "Ich-ich sage es dir, wenn du mit mir geschlafen hast!" Brachte er endlich über die Lippen. Mamoru zog die Augenbrauen kritisch zusammen, studierte den Älteren, der ihm nicht ins Gesicht sehen wollte. Was war von diesem Angebot zu halten? Gab er nach, würde ihn das als triebgesteuert und egoistisch brandmarken? Lehnte er ab, wäre er dann prinzipientreu oder bloß stur? Die Stirn sanft an Satorus Schläfe gelehnt raunte er eine Gegenfrage. "Willst du jetzt wirklich mit mir schlafen?" "Ja." Wisperte der Ältere, löste den Knoten der Finger. "Ich will es jetzt tun!" Mamoru hielt Satorus Hände fest, senkte die Lider und küsste den Älteren zärtlich. Der erwiderte die Liebkosung mit unerwartetem Nachdruck, steigerte sie zu einem langen, sehr leidenschaftlichen Kuss. Keuchend zog sich Mamoru schließlich zurück, grinste über die eigenen beschlagenen Brillengläser und erhob sich, ein wenig steif. "Ich hole nur das Arbeitsmaterial." Entschuldigte er sich für die Unterbrechung. Satoru nutzte sie, um aus seinem Pyjama zu schlüpfen und sich unter die Bettdecke zu kuscheln. Unterdessen löschte Mamoru noch zwei weitere Kerzen, hüllte sein Zimmer in ein dämmriges Licht. Er glitt zu Satoru unter die Decke, nachdem er Kondome, Papiertaschentücher und das Gleitmittel in Reichweite neben das Bett aufgestellt hatte, rückte eng an den Älteren heran. "Tschuldige." Zwinkerte er frech. "Aber ohne Brille sehe ich so schlecht." Keck drängte er ein Bein zwischen Satorus, schmiegte ihre Lenden aneinander, während seine freie Hand über dessen Kehrseite kreiste. "Dreister Bursche!" Wisperte der Ältere, rollte sich auf Mamoru, fing dessen Kopf mit beiden Händen ein und vertiefte sich in lange, atemraubende, Verstand entleerende Küsse. Mamoru senkte die Lider, rieb synchron sein Becken gegen Satorus, verhinderte mit einem aufgestellten Bein jeden Fluchtversuch. Seine Hände wiederholten den kreisenden 'Hüftschwung' auf jeder Pobacke. Satoru merkte rasch, dass er einen Nachteil hatte, weil er sich auf den Ellen abstützen musste, um nicht mit seinem Gewicht zu stark auf Mamoru zu lasten. Der konnte ihm ganz ungeniert zwischen den Beinen herumstreicheln, sich unter ihm winden und wenden wie ein schlüpfriger Aal, sodass nicht nur dessen glühende Erektion, sondern auch das Schmuckstück dem Älteren aufreizend die Lust versüßten. Darum gab er schließlich nach, ließ eine Rolle geschehen, um auf diese Weise Mamorus Aufmerksamkeiten mit gleicher Münze heimzuzahlen. Der entwischte ihm, robbte energisch tiefer, was Satoru ein kehliges Aufstöhnen entlockte, rasch gefolgt von harschen, fliegenden Atemzügen, denn Mamoru liebte es, an den zarten Brustwarzen des Älteren zu saugen. Sie waren einfach ein zu herrliches Spielzeug! Die Haut zart, warm, nach dem Duschgel duftend, ohne einen lästigen Pelz, der die Lippen aufkratzte! Dass er selbst einen aufreibenden Effekt auf Satorus Unterleib hatte, weil er sich nicht mehr täglich rasierte, ließ er außer Acht. Satoru jedoch spürte die harten Brustwarzen, die krausen, winzigen Löckchen. Und dann roch Mamoru nach dem Leder seiner Hose! Mit aufgefächerten Fingern zog er breite Schneisen über Mamorus Rücken, bog sich jeder Liebkosung entgegen, keuchte und stöhnte unterdrückt. "Es ist so heiß!" Beklagte er sich heiser, wandte den Kopf hin und her. "Ohne Decke...ist es...zu kalt!" Auch Mamoru atmete stoßweise, knabberte sich an Satorus Brustbein entlang tiefer. "Ich habe...es noch... nie in einem...einem Bett gemacht." Der Ältere bäumte sich auf und versuchte eilig, Mamorus gefährlichen Händen zu entgehen. Sie wussten viel zu gut, was ihm gefiel! Den brachte dieses Bekenntnis für einen Augenblick aus dem Takt. »Immer nur auf den harten Fliesen?!« Die Vorstellung war entsetzlich! Er richtete sich auf, um Maß zu nehmen, Satoru erneut lange zu küssen. Es tat beinahe weh, wie bereit er schon war! Der Ältere nahm eine kurze Verschnaufpause zum Anlass, sich unter Mamoru hervorzuwinden und auf die Knie zu gleiten. Er glühte, glaubte, dass er vor Hitze umkommen würde, noch bevor es RICHTIG heiß wurde. "Du wirst frieren." Prophezeite Mamoru keuchend, schlang wärmend die Arme um den Hals des Älteren. Der schmiegte sich heftig atmend an, raunte Mamoru aber in ein Ohr. "Die Gummis, schnell, bitte!" In der Tat war es höchste Zeit, sie unterbrachen die gegenseitigen Hilfeleistungen jedoch immer wieder, um sich ausführlich und intensiv zu küssen. Dann kletterte Satoru mit gespreizten Beinen auf Mamorus Schoß, umklammerte dessen Nacken. Der Jüngere verstand die Aufforderung ohne Worte, senkte sich mit Satoru ausreichend zur Seite, um das Gleitmittel vom Fußboden zu klauben. Den Inhalt erst in einer Hand anzuwärmen, bevor er Satorus Körper präparierte, immer getarnt von intensiven Küssen. Satoru schluckte den mit Zahncreme aromatisierten Speichel, lehnte die feuchte Stirn an Mamorus Oberkopf, atmete den Geruch des Pflegeöls ein, das Mamoru für seine krausen Haare und die Cornrows benötigte. Ihn schwindelte bereits, er glaubte, dass all seine Hitze, sein gesamtes Blut sich zwischen seinen Beinen bewegte. Mamoru leckte dem Älteren unter dem Kinn entlang bis zur Unterlippe hoch, löste den zweiten Arm, der Satorus Hüfte wie ein Reifen umschlungen hatte. "Dreh dich." Brachte er heiser, mehrfach schluckend, heraus, blinzelte. Satoru mit der warmen, weichen, leicht sonnengebräunten Haut, dieser gelenkigen Gestalt und den seidigen Haaren musste der schönste Mensch auf Erden sein! Der hatte gerade wacker die Drehung um die eigene Achse vollendet, stützte sich vornüber auf seine Hände, hielt den Kopf gesenkt. Er verlagerte sein Gewicht, um die Kehrseite von der Matratze zu lösen. Mamoru rutschte näher heran, dirigierte seine gespreizten Oberschenkel zwischen Satorus, hielt mit einer Hand behutsam den Eingang zum Leib des Älteren geöffnet. "HaaHHHH!" Den Kopf in den Nacken geworfen kommentierte Satoru den ersten Kontakt, überließ dann seinen routinierten Muskeln die Arbeit, schöpfte tief Atem. Der Jüngere lauschte, den Kopf auf die Brust gesunken, den freien Arm um Satorus Mitte geschlungen, mit rauschendem Pulsschlag auf jede Regung. Nur nicht zu schnell, nicht die empfindliche Haut reizen! Behutsam agierte er in ihrem intimen Tanz, ein wenig vor, ein wenig zurück, immer bereit zu einer Verschnaufpause. Sobald er sicher die Hälfte zurückgelegt hatte, erlaubte er seiner anderen Hand ebenfalls, sich nach vorne zu bewegen, synchron mit ihren gemeinsamen Anstrengungen über Satorus Erektion zu streichen. Dem Älteren zitterten die Knie, Speichel sickerte aus seinen Mundwinkeln, in den Wimpern hingen Tränen. Nicht etwa, weil er Schmerzen litt, sondern die Anspannung so hartnäckige Rückzugsgefechte lieferte! Ob Mamoru auch spürte, wie sich sein Körper zusammenballte, auf einen heftigen Schlag wartete?! Als sich Mamorus Erektion in seinem Inneren dem kritischen Punkt näherte, krümmte sich Satoru, beugte sich nach vorne, wollte der Konfrontation ausweichen. Mamoru kannte jedoch seinen Lageplan genau. Während die Linke recht grob über Satorus Brustwarzen rieb und sich nicht wegziehen ließ, schraubte die Rechte in entsprechend energischer Bewegung das Tempo hoch. Der feste Griff jedoch verhinderte, dass Satoru vorzeitig zum Erguss kommen konnte. Kaum verständlich zwischen ächzenden Atemzügen und unartikulierten Lauten der Lust hörte Mamoru seinen Namen, von flehentlichen Bitten abgewechselt. Aber nun war er nicht mehr Verstand, sondern nur noch Herz und Lust. Sein Instinkt trieb ihn an, tief in Satorus Leib vorzudringen, diesen Punkt in dessen Inneren immer wieder und wieder zu bestreichen. Nicht den ersten Schockwellen nachzugeben, sondern bis an die Grenze des Unerträglichen durchzuhalten. Er hätte nicht sagen können, ob Satoru schrie, weil seine eigenen Sinne überflutet wurden, doch um keinen Preis gab er den plötzlich heftig und konvulsivisch zuckenden Leib in seiner Umklammerung frei, hob und senkte sich mit jedem Wellenkamm der flutenden Leidenschaft. Mamoru schmiegte sich eng an den glühenden Körper, vor den geschlossenen Augen explodierende Sternhaufen, jagte mit aller Kraft, jeder angespannten Sehne, jedem verfügbaren Muskel diesen überwältigenden Empfindungen nach. Detonation um Detonation folgte, nicht nur die eigene Reaktion, sondern auch die seines Partners beflügelte ihn weiter, steigerte die Energie, bis der Höhepunkt zur Erlösung wurde, sie überwältigte. Es gelang Mamoru gerade noch, sich mit Satoru auf die Seite sinken zu lassen, dann rangen sie beide in einem privaten Universum heftig keuchend nach Luft, unfähig, sich voneinander zu lösen. In den Gliedern zuckten noch immer Nachwehen der elektrischen Explosionen in den Nervenenden, der Körper verlangte die höchste Aufmerksamkeit, bevor er widerwillig dem Verstand einen Anteil gewährte. Eine feuchte, glühende Hand auf Satorus Hüftknochen gelegt mühte sich Mamoru, so behutsam wie möglich seine erschlaffende Erektion zu befreien. Ungelenk ruderte er herum, bis er sich zur Bettkante gerollt hatte, nach den Papiertaschentüchern fahnden konnte. War es ihm noch relativ problemlos möglich, sich selbst zu säubern und das Kondom abzustreifen, so zögerte er, sich Satoru zuzuwenden. Zu seiner Erleichterung schien der Ältere dieses Mal nicht das Bewusstsein verloren zu haben, dennoch konnte man unschwer erkennen, dass nicht viel gefehlt hatte. Mamoru setzte sich auf, drehte Satoru sanft auf den Rücken und spreizte dessen Beine, um die Reste des Gleitmittels aufzunehmen. Satoru stöhnte leise, wehrte sich aber nicht. Auch das Kondom ließ er sich abstreifen, wirkte nun erstaunlich entspannt, ja, beinahe gelöst. "Alles in Ordnung?" Mamoru fischte die Bettdecke wieder heran, legte sich neben Satoru auf die Seite, den Kopf in eine Hand gestützt, während er mit der anderen zärtlich über Satorus Gesicht streichelte. Er fragte sich für einen flüchtigen Moment, ob er auch so mutig gewesen wäre, vollkommen alle Kontrolle fahren zu lassen und sich dem anderen anzuvertrauen. Satoru hob mühsam, als würden sie Tonnen wiegen, die Hände auf das glühende Gesicht. Er versuchte, das resignierte Schluchzen zu unterdrücken, aber seine Kräfte reichten längst nicht mehr. Der Jüngere neben ihm setzte sich abrupt auf, beugte sich tief über ihn, berührte Schultern und Schopf, verlangte mit rauer, erschrockener Stimme Aufklärung. "He, was ist los? Wo tut es weh? Satoru? Bitte, Satoru, sag mir, was los ist! Was habe ich denn falsch gemacht?!" Er ließ nicht zu, dass Satoru sich auf die Seite zusammenrollte, wie ein Fötus die Glieder vor den Leib zog, sondern umschlang den Älteren, wiegte ihn auf dem eigenen Leib, flüsterte beruhigende Worte. "Ist ja gut, alles in Ordnung. Ich bin hier, Satoru. Niemand tut dir etwas. Alles okay, ganz ruhig." Die Tränen versiegten nach einer Weile, dann forderte die Erschöpfung ihren Tribut und Satoru schlief ein. Mamoru starrte aber im flackernden Schein der erlöschenden Kerzenstummel an die Zimmerdecke und fragte sich, wie er Satoru lieben konnte, ohne dass er seinem Freund solchen Kummer bereitete. ~+~ Kapitel 23 - Unglück Als Satoru erwachte, ohne Kontaktlinsen in der Dunkelheit orientierungslos und furchtbar durstig, staunte er über sich selbst, dass er nicht erschrak, weil neben ihm warm jemand in tiefem Schlaf atmete. Richtig, er war in Mamorus Zimmer! Er erwog, lieber eine Weile stillzuliegen und den plagenden Durst seiner aufgerauten Kehle zu ignorieren. Die seltsame Beziehung zwischen Mutter und Sohn ließ es nicht gerade ratsam erscheinen, einfach in die Wohnküche zu schlüpfen und dort ein Glas Wasser hinunterzustürzen. Außerdem musste er ja vorher noch den Pyjama finden, ohne gegen die Möbel zu stoßen oder Mamoru aufzuwecken! Satoru seufzte leise, verschluckte sich und konnte den Hustenreiz nicht unterdrücken. "Oh...guten Morgen." Mamoru neben ihm rollte sich vom Rücken auf den Bauch. "Schon wach?" Die Stimme blieb rau und belegt. "Entschuldigung." Satoru hustete heftig, blinzelte Tränen weg. "Ich wollte dich nicht wecken!" "Das macht nichts." Eine Hand streichelte über Satorus ungekämmten Schopf, dann wurde sein Kinn energisch fixiert und Mamoru küsste ihn lange. Der Hustenreiz gab sich beeindruckt geschlagen und verschwand. "Du möchtest sicher etwas trinken und frühstücken, nicht wahr?" Mamoru gähnte unterdrückt. "Gib mir nur einen Augenblick, damit ich wach werde." "Ist schon gut." Beeilte sich Satoru zu versichern. "Du musst nicht meinetwegen jetzt schon aufstehen! Es ist ja Sonntag und..." "He!" Ein mahnender Finger siegelte Satorus Lippen neckend. "So ein schlechter Gastgeber bin ich auch nicht, dass ich meinen Prinzen hier hungrig und durstig darben lasse!" Er schüttelte die Decke ab und setzte sich auf. "Na ja, außerdem muss ich heute auch noch arbeiten." Nachdem er ein Leselicht aktiviert hatte, wandte er sich wieder Satoru zu. "Wie geht es dir denn?" Erkundigte er sich zärtlich, aber auch besorgt. Der Ältere spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, aber er konnte auch nicht den großen, schwarzen Augen hinter der randlosen Brille ausweichen, die ihn so aufrichtig und vertrauensvoll anblickten. "Alles in Ordnung." Antwortete er rasch. "Willst du mir nicht verraten, was ich falsch gemacht habe?" Mamoru beugte sich herunter, küsste Satoru auf die Stirn. Der biss sich auf die Unterlippe, umklammerte die gesteppte Bettdecke. "Du hast nichts falsch gemacht." Antwortete er leise, seufzte dann resigniert und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder aufschlug, schimmerten Tränen darin, konterkarierten das schwache Lächeln, das auf seinem blassen Gesicht irrlichterte. "Im Gegenteil." Wisperte er gequält. "Du hast alles richtig gemacht." Mamorus Stirn warf unmerkliche Falten. Er nahm Satorus Hände in seine eigenen. "Ich habe alles richtig gemacht, und das ist nicht in Ordnung?" Erkundigte er sich mit einem Anflug von Verwirrung. "Genau." Presste Satoru hervor, lächelte und verwünschte die lästigen Tränen, die ihm langsam aus den Augenwinkeln über die Schläfen liefen. Der Jüngere betrachtete das attraktive Gesicht, die traurig-resignierte Miene. "Ich möchte, dass du mir das erklärst." Stellte er schließlich fest, gab eine Hand frei, um wieder zu Satoru unter die Bettdecke zu schlüpfen. Er ließ Satorus dunkelbraune, leicht gerötete Augen nicht frei, liebkoste mit den Fingerspitzen dessen Gesicht, kämmte die Strähnen aus den Wimpern, rückte vor, um sanfte Küsse zu verteilen. In Satoru kam endlich Bewegung: er schlang die Arme um Mamorus Nacken, rollte sich auf den Jüngeren. Sehr leise, beinahe unhörbar wisperte er in Mamorus Ohr. "Ich habe Angst, weil-weil es vorher nie so war. Ich-ich konnte mir immer einreden, dass die sempai recht hatten. Dass es nichts bedeutet. Aber-aber das geht nicht mehr. Deinetwegen." Mamoru streichelte sanft über Satorus Rücken, spürte, wie der tiefe Seufzer den Älteren entspannte. »Oh...wow!« Konstatierte Mamoru und registrierte die Hitze in seinen eigenen Wangen. Er holte Luft. "Dann ist es meine Schuld? Weil es so gut mit uns klappt?" Satoru schniefte leise. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass-dass es so gut sein würde." "Wow!" Bemerkte Mamoru nun laut. "Also ich für meinen Teil bin sehr froh, dass es SO GUT ist!" Um seinen Hals verstärkte sich die Umklammerung. "War es denn vorher nur unerfreulich?" Mamoru wagte sich auf trügerischen Grund. Satoru zögerte, rieb die Wange an Mamorus. "Es-es war erträglich. Ich habe-ich habe mit der Hand nachgeholfen." Mamoru seufzte, lauter als er beabsichtigt hatte. "Schade!" Bemerkte er bissig. "Dass ich kein riesiger Judo-Kämpfer bin, denn ich habe unheimlich große Lust, diesen Mistkerlen eine Abreibung zu verpassen!" "Sehr galant." Wisperte der Ältere, halb lachend, halb schniefend. "Also gut." Mamoru drückte einen Kuss auf Satorus Ohrläppchen. "Was kann ich tun, damit du keine Angst mehr hast?" "Ich weiß nicht." Satoru begann zu zittern. "Wovor fürchtest du dich?" Mamoru verstärkte die Umarmung. "Satoru, ich werde mir wirklich Mühe geben! Ich bin treu und lernfähig! Ich habe dich sehr gern! Ich lass mir etwas einfallen, versprochen!" Der Ältere seufzte erstickt. "Es ist nicht deine Schuld!" Erklärte er bebend. "Das Problem-das Problem liegt bei mir." Er verkroch sich beinahe in Mamorus Gestalt, atmete tief durch. "Ich habe mir eingeredet, dass es keine Bedeutung hat." Satoru räusperte sich. "Aber-aber das ist nicht wahr. Ich habe Angst davor, schwul zu sein." Mamoru holte tief Luft. "Ist das nicht ein bisschen voreilig? Ich meine, du musst ja nicht schwul sein, weil du bisher nur mit Männern zu tun hattest." Satoru löste sich von ihm, starrte in die großen, schwarzen Augen. Er grimassierte nachsichtig, aber auch gequält. "Mamoru, wenn ich nur einen richtigen Orgasmus bei Analsex bekomme, ist das wohl eindeutig, oder?" "Gut." Brummte der Jüngere kleinlaut. "Das ist ein ziemlich starkes Indiz." Seine zerknirschte Miene entlockte Satoru das erste Lächeln. Dann senkte Satoru den Kopf wieder auf Mamorus Brust, streichelte über dessen Bauch. "Hör mal." Mamoru spielte mit Satorus Strähnen, drehte Locken hinein. "Wir sind einfach beide schwul, dann ist es doch nicht mehr so schlimm, oder?" Satoru seufzte, zitterte aber noch immer. "Das ist nett." Antwortete er heiser. "Aber..." "Aber?" Mamoru kraulte den verspannten Nacken. Der Ältere räusperte sich heftig. "Wenn-wenn mein Vater erfährt, dass ich schwul bin, schlägt er mich tot." Mamoru erstarrte. »Oha!« In seinem Kopf herrschte akute Stille. Dann lächelte er grimmig. "Kein Problem." Versicherte er Satoru laut. "Die Lösung ist ganz einfach: du bist doch ein guter Schüler, also wirst du auch einen guten Abschluss machen, richtig? Du besorgst dir einfach hier einen Studienplatz und gehst nicht nach Hause zurück! Dann ziehen wir zusammen! Ich kann arbeiten, ich werde fleißig sein, also kommen wir bestimmt einigermaßen über die Runden! Und dann bleibst du einfach hier." Satoru wickelte sich aus Mamorus Armen, starrte in die großen, schwarzen Augen. "Ganz so einfach wird das wohl nicht funktionieren." Erhob er Einwände, doch in seinem Gesicht schimmerte Hoffnung. "Ich habe keine Angst." Verkündete Mamoru entschlossen. "Ich kann zwar meine Mutter nicht überzeugen, dass ich kein mieser Kerl bin, aber ich verspreche dir, dass ich absolut treu bin und mir ganz viel Mühe geben werde!" Als er Satorus Zögern bemerkte, verlegte er sich auf Bitten. "Hör mal, ich bin wirklich sehr verliebt in dich und auch nicht wankelmütig! Können wir es nicht wenigstens versuchen?! Hmm?! Bitte?!" Über ihm blickte Satoru ernst, forschend in sein Gesicht, die kalligraphierten Augenbrauen zusammengezogen, die dunkelbraunen Augen ein wenig zusammengekniffen, da die Sehhilfen fehlten. Endlich antwortete er Mamoru, der vor Unruhe schon zapplig wurde. "Vorerst sollte niemand davon erfahren, einverstanden? Es sollte nicht offiziell sein." Mamoru lupfte eine Augenbraue. "Das heißt, wir gehen miteinander, aber heimlich? Darf ich dich dann in der Schule ansprechen, oder soll es so wie bisher laufen?" Satoru löste sich von ihm, setzte sich auf die Fersen. "Es kränkt dich, nicht wahr?" Er seufzte leise. "Ich verstehe schon, dass es toll wäre, wenn man überall offen auftreten könnte, aber..." Auch der Jüngere rappelte sich nun auf, streichelte Satoru sanft über die Wange. "He, das ist kein Problem. Ich MUSS ja nicht Händchen halten oder so etwas. Wie wäre es damit: wir verhalten uns in der Schule wie Freunde, treffen uns weiter heimlich am Mittwoch, und ich bemühe mich, dass du öfter bei mir übernachten darfst! Niemand würde doch was anders vermuten, als dass du mir ein bisschen Nachhilfe gibst, weil wir Freunde sind, oder?" Er zupfte in seinem Eifer an Satorus Fingern, die er eingefangen hatte. Der musste lächeln ob des Enthusiasmus seines Freundes: immer das Positive sehen, nicht lange Zeit mit Jammern verschwenden, sondern eine andere Lösung finden! "Das hört sich gut an." Lächelte er, beugte sich vor, um Mamoru zärtlich zu küssen. Der rutschte nahe heran, legte die Arme auf Satorus nackte Schultern, berührte dessen Stirn mit der eigenen. "Dann hast du jetzt nicht mehr so viel Angst, ja?" "Ich habe nicht mehr so viel Angst." Bestätigte Satoru schmunzelnd. Mamoru hatte einen derart entwaffnenden Charme, dass er nicht widerstehen konnte. »Außerdem will ich ihm vertrauen! Vielleicht passen wir wirklich sehr gut zusammen!« Mamoru kletterte aus dem Bett, streckte Satoru einladend die Hand hin. "Wollen wir dann duschen und frühstücken? Hast du Lust?" "Mit dem größten Vergnügen." Strahlte Satoru unternehmungslustig und ließ sich artig helfen. Frech-frivol unterließen sie es, sich für den kurzen Weg zum Bad zu bekleiden, apportierten lediglich das Laken für die Wäsche. Beim Duschen alberten sie leise, aber munter miteinander, dankbar dafür, dass die zerstörerische Spannung gewichen war. Während Mamoru anschließend in der Wohnküche das Frühstück zu bereitete, studierte Satoru die schriftliche Konversation auf der Tafel. "Erstaunlich, welche Schimpfworte sie kennt, was?" Mamoru schien keineswegs peinlich berührt davon, dass seine Mutter die Vorgänge der letzten Nacht kommentiert hatte. "Sie wird mich wohl nicht als Schwiegersohn willkommen heißen, oder?" Bemerkte Satoru leise. Der Jüngere trat hinter ihn, schlang ihm die Arme um den Leib und küsste ihn auf die Wange. "Ich kann sie nicht retten." Erklärte er sachlich, wenn auch traurig. "Sie will in ihrer Welt bleiben. Und da ist kein Platz mehr für mich." Satoru legte die Hände auf Mamorus, streichelte sie sanft. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie einsam Mamoru gewesen sein musste. Hatte er ihn deshalb impulsiv ausgewählt? Weil sie beide ganz allein in ihrer Welt gefangen waren und sich verändern wollten? "Na komm!" Ein weiterer Kuss landete auf Satorus Schopf. "Schlagen wir uns den Bauch voll! Ich muss leider arbeiten, aber vielleicht kann ich mir nächsten Sonntag freinehmen! Dann haben wir unsere erste Verabredung als Paar!" Der Gedanke stimmte ihn derart euphorisch, dass er im Wiegeschritt mit Satoru zur Theke tänzelte, während des Frühstücks vor sich hinsummte. Wenig später verließen sie, noch recht früh für einen Sonntag, die Wohnung, nebeneinander, aber ohne sich an den Händen zu halten. Am Bahnhof trennten sie sich, damit Mamoru nicht zu spät seine Arbeit antrat. Satoru, der zum Ende des Frühstücks im Wohnheim eintraf, holte sich Schal und Schiebermütze, bevor er mit einem Block auf das Dach kletterte. Dort begann er in erstaunlicher Leichtigkeit, Zeichen um Zeichen untereinander zu reihen. ~+~ Kein Wecker, der sie unsanft aus dem Schlaf riss, kein Hochschrecken aus angenehmen Träumen. Nein, langsam, gemächlich verabschiedete sich der Schlaf, bis die Entscheidung fiel, die Augen aufzuschlagen und die Lage zu sondieren, in aller Ruhe, ohne Hast. Hiroki blinzelte, lokalisierte seine Gliedmaßen und nutzte die wieder entdeckte Rechte, um Kentarou durch den zerwühlten Schopf zu streicheln. "Guten Morgen." Schmunzelte er in das Fuchsgesicht, tippte einen Kuss auf die kraus gezogene Nasenspitze. "Morgen." Grummelte Kentarou heiser. "Geht's dir gut?" Der Hüne lächelte. "Bestens. Was meinst du, duschen und frühstücken?" "Guter Plan." Stimmte Kentarou zu. "Duschen bei dir, frühstücken bei uns!" Sie rappelten sich hoch, schleuderten die schwere Bettdecke, die in der Nacht wie eine Dampfglocke über ihnen geherrscht hatte, aufgedreht beiseite. Nackt wie am Abend zuvor, jedoch in der freien Hand den verschmähten Pyjama marschierten sie Händchen haltend ins Badezimmer. Das Einseifen und Duschen an diesem Morgen verlief so, als hätte sich nie etwas zwischen ihnen geändert: vertraut, freundschaftlich und herumalbernd. "Ich gehe schon mal vor." Verkündete Kentarou aufgekratzt und überließ es seinem Freund, etwaige Überreste der letzten Nacht zu beseitigen, das Zimmer aufzuräumen und zu belüften. Hiroki schmunzelte, als er beobachtete, wie Kentarou gelenkig im Pyjama in das alte Haus kletterte. Man musste wirklich dankbar sein, dass die Nachbarn keinen Einblick in ihre private Version des 'Fensterlns' hatten! Kentarou stieg in sein Zimmer im Dachgeschoss ein, schlüpfte rasch in alte Stoffhosen und ein ausgeleiertes Sweatshirt, bevor er gewohnt agil die Leiter herunterturnte. "Großvater?" Behutsam öffnete er die Schiebetür, ein wenig verwundert, dass der alte Mann noch immer ruhte. Andererseits hatte er sich ja am Vorabend leicht unwohl gefühlt, und es war auch Sonntag! "Guten Morgen, Großvater." Er kniete sich auf die Tatami neben den Futon, wartete auf eine Antwort. Als sie ausblieb, runzelte Kentarou irritiert die Stirn. "Großvater?" Zögerlich legte er eine Hand auf die knochige Schulter des alten Mannes. "Großvater, hörst du mich?!" »Oh nein....oh nein...« Eine Welle der nackten Panik überflutete sein Inneres. Eisige Kälte rieselte in seine Glieder, als er hektisch nach der Kordel des Deckenfluters griff. Grelles Licht erleuchtete den Raum, warf scharfe Silhouetten schwarz an die Wände. "Großvater?" Bange legte Kentarou die Fingerspitzen auf eine eingefallene Wange. Im nächsten Augenblick verdunkelte Hirokis Schatten den Raum, als er sich unter dem grellen Pegel der Deckenlampe über ihn beugte, außer Atem und sehr hastig bekleidet. Ohne Zögern ging er neben Kentarou in die Hocke, tastete nach dem Puls, dann nach einem Herzschlag. Die ausstrahlende Kälte des Körpers ergänzte seinen ersten Eindruck: der alte Mann lebte nicht mehr. Obwohl er sich bemühte, konnte Hiroki kein Wort herausbringen, die Kehle war ihm zugeschnürt, seine Brust schmerzte. Er konnte Kentarou nicht ansehen, floh lieber stolpernd zum Telefon, um den Notruf zu tätigen. Vielleicht irrte er sich ja! Möglicherweise gab es doch noch Hoffnung... Als er tapfer zu Kentarou zurückkehrte, hatte sich sein Freund noch immer nicht gerührt, saß wie erstarrt neben seinem Großvater. "Ich..." Hiroki krächzte, verwünschte den Kloß in seiner Kehle. "Ich gehe raus, damit der Krankenwagen....damit er das Haus... schnell findet..." Er hasste seine eigene Feigheit, gerade jetzt wegzulaufen, sich lieber in den nieselnden Regen zu stellen, als bei Kentarou zu bleiben. Immer wieder wischte er sich über die Augen, hustete und schluckte bitter. Warum? Warum hatte DAS ausgerechnet jetzt passieren müssen?! Im selben Augenblick schämte er sich für seine selbstsüchtige Anwandlung, ballte die Fäuste und verwünschte das Schicksal. ~+~ Gefühlte Ewigkeiten später traf ein Rettungswagen ein. Die grellen Lichter tanzten im kleinen Tal zwischen den Wohnhäusern wie Derwische, das Alarmsignal vertrieb jeden Frieden des grauen Herbsttags. Hiroki war inzwischen vom Nieselregen durchtränkt und fror, als er die Sanitäter ins Haus bat. Er wartete tropfend und stumm im Eingang, beobachtete, wie der begleitende Arzt nach Vitalfunktionen suchte. Wenn ihn Kentarous erstarrte Gestalt störte, so ließ er sich nichts davon anmerken. Nach langen Augenblicken zog der Arzt die Bettdecke höher, bat mit gedämpfter Stimme um ein Tuch. Mit hängenden Schultern suchte Hiroki ein weißes Stofftuch heraus, wusste, dass es über das Gesicht des alten Mannes ausgebreitet werden würde. Die Sanitäter zogen sich bereits zurück, während der Arzt ihn befragte, einen Erziehungsberechtigten sprechen wollte. Den Verantwortlichen. Einen erwachsenen Familienangehörigen. Hiroki fühlte sich vollkommen hilflos. Seine Eltern waren nicht da, er wusste nicht, wen er um Unterstützung bitten konnte, wie es jetzt weitergehen sollte. »Ich bin schließlich auch noch ein Kind!« Protestierte er innerlich gequält. Warum musste seine Körpergröße und seine gesamte Erscheinung bloß suggerieren, dass er älter und in allen unangenehmen Dingen kompetent war?! In seiner Not bat er Meister Hagiwara telefonisch um Beistand, hörte selbst, wie unsicher und schrill seine Stimme klang. Eine Viertelstunde später, in der Hiroki Tee ausschenkte und vorsichtig eine Decke um Kentarous ausgekühlte Gestalt wickelte, erschien Hagiwara gemeinsam mit dem Priester des Tempels. "Vielen Dank!" Hiroki klapperten nun die Zähne. "Bitte entschuldigen Sie die frühe Störung. Ich habe einfach nicht mehr..." Er brach ab, kämpfte um Beherrschung. Neugierige Nachbarn standen mit Regenschirmen in kleinen Gruppen vor dem Haus. Jeder schien zu erwarten, dass etwas getan wurde, doch er wusste einfach nicht, was und wie! "Schon gut, mein Junge. Mein alter Freund hat mir Instruktionen hinterlassen." Auch Meister Hagiwara wirkte schwer getroffen von der traurigen Gewissheit. Gemeinsam mit dem Priester besprach er Einzelheiten und erklärte, er sei von Kentarous Großvater bevollmächtigt worden, dessen letzte Angelegenheiten zu klären, sollte der vor Erreichen der Volljährigkeit seines Enkels sterben. Nachdem nun ein Verantwortlicher ausgedeutet worden war, konnten sich der Arzt und die Sanitäter verabschieden. Nun galt es, den Leichnam einer Pietät anzuvertrauen, denn der Großvater hatte verfügt, dass er rasch verbrannt werden wollte. Die Totenfeier sollte im Tempel abgehalten werden, mit seiner Asche, keinem offenen Sarg. Etwa eine Stunde später trafen auch die diskreten Herren der Pietät ein, offenkundig bereits vertraut mit den letzten Wünschen des alten Mannes. Respektvoll und beinahe geräuschlos betteten sie ihn in einen neutralen Sarg, der den Transport erleichterte. Auch sie kommentierten Kentarous reglose Haltung nicht, obwohl er ein Hindernis in ihrem Weg bildete. Hiroki wünschte verzweifelt, seine Eltern mochten endlich von ihrer Kurzreise zurückkehren. Er hatte keinerlei Erfahrungen mit den Formalitäten eines Todesfalls und fürchtete sich vor Kentarous Reaktion. Als er wieder ins Haus trat, das sich geleert hatte, denn Meister Hagiwara war mit dem Priester gegangen, um seine Instruktionen durch entsprechende schriftliche Anweisungen von Kentarous Großvater zu verifizieren, saß Kentarou allein und verlassen neben dem Futon. Hiroki hörte, wie sich die Atemzüge seines Freundes veränderten, schneller und harscher wurden. Setzte nun etwa ein Schock ein?! Würde Kentarou hyperventilieren?! Der Hüne ließ sich auf die Knie fallen, ignorierte die kauernde Haltung seines Freundes, nutzte seine überlegene Körperkraft, um Kentarou auf seinen Schoß zu ziehen, ihn fest in die Arme zu nehmen. Das Zittern verstärkte sich noch, schüttelte ihn sogar selbst durch, so hielt es den sehnigen Körper seines Freundes gefangen. Noch nie war ihm Kentarou so entfernt, so unerreichbar vorgekommen! Die Katzenaugen völlig blank, das Fuchsgesicht leichenblass und ohne Ausdruck. Überwältigt von der eigenen Hilflosigkeit und Trauer begann Hiroki zu weinen, presste seinen Freund wie ein übergroßes Stofftier an sich und wiegte sie beide schluchzend. Warum musste DAS passieren?! ~+~ Wie viel Zeit vergangen war, konnte Hiroki nicht sagen, aber er war durchgefroren und unendlich dankbar, als seine Eltern eintrafen, ihren vermissten Sohn im Nachbarhaus aufstöberten. Mühsam gelang es Hiroki, die fehlenden Einzelheiten zu berichten. Er fühlte sich nun fiebrig und ausgelaugt, registrierte das Fehlen zweier Mahlzeiten als körperliche Schwäche. Es musste also etwas unternommen werden. Langsam klappte er die steifen Glieder aus, kam auf die Beine. Kentarou dagegen sackte wieder in seine kauernde Haltung zurück, den Blick auf den leeren Futon gerichtet, wenn auch unfokussiert. "Ken." Hiroki schluckte schwer, beugte sich herunter, weil er seinen Knien nicht traute. "Komm mit zu uns." Sein Freund zeigte keinerlei sichtbare Reaktion. Die Ratlosigkeit und wachsende Irritation seiner Eltern im Nacken versuchte es Hiroki noch einmal, drängender. "Komm, eine heiße Dusche und etwas essen, ja?" "Vielleicht möchte dein Freund ein wenig allein sein?" Schlug seine Mutter vor, doch Hiroki wischte diese Vorstellung beiseite. Kentarou WAR jetzt allein. Und DAS war ein Zustand, der ihm ganz sicher nicht gefiel. Mit grimmiger Entschlossenheit pellte Hiroki Kentarou aus der Decke, bog die steifen Arme auseinander, damit er sie sich selbst um den Nacken legen konnte, zwang dann die starren Beine, sich um seine Hüften zu wickeln. Wie ein Kind hob er Kentarou auf, eine Hand unter dessen Kehrseite, die andere auf dessen Rücken, hielt ihn eng an sich gepresst. "Wir gehen nur zu mir." Raunte er Kentarou ins Ohr. "Wir wärmen uns auf und essen etwas. Ich lasse dich nicht allein, Ken." Als er mit Kentarou über die Schwelle stieg, sich umdrehte, um die Schiebetür zu schließen, spürte er, wie heiße Tränen über sein Schlüsselbein glitten. Kentarou weinte lautlos an seiner Schulter. ~+~ Es gelang Hiroki zwar, die bedrückende Starre aus Kentarous Körper zu vertreiben, doch gegen den großen Kummer konnte er kein Mittel finden. Kentarou weinte lautlos, stumm, die Katzenaugen ins Leere gerichtet. Wenn man ihm nicht die Tasse an die Lippen führte oder ihn fütterte, aß er nichts. All die quecksilbrige Energie, die seinen agilen Freund antrieb, schien verpufft zu sein. Während es zu dämmern begann, wusste Hiroki sich keinen Rat mehr. Was sollte nun mit Kentarou geschehen? Meister Hagiwara meldete sich telefonisch in der Zuversicht, dass sich die jahrelangen Nachbarn des Waisen angenommen hatten und teilte mit, er habe die Formalitäten bereits zum großen Teil geklärt. Die Totenfeier könne am nächsten Sonntag abgehalten werden. Er werde als Vormund Kentarous eintreten und auch den einzigen Sohn, Kentarous Onkel, informieren, der ja im Ausland lebte. Da Hiroki nicht selbst mit Meister Hagiwara sprechen durfte, schließlich war es eine Angelegenheit der Erwachsenen, konnte er nicht fragen, was nun aus Kentarou werden sollte. Dem schien alles gleich, doch die Dunkelheit weckte auch eine nervöse Unruhe. "Ich möchte nach Hause gehen." Verkündete er leise, vollkommen unerwartet, da er bisher kein einziges Wort herausgebracht hatte. "Da bist du ganz allein. Übernachte doch hier bei uns." Hirokis Mutter bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. "Vielen Dank, aber ich möchte nach Hause." Hiroki wusste, dass rationale Argumente keinen Einfluss haben würden. Kentarou wollte an einen Ort, den er liebte. Menschen waren für ihn keine Stütze in Zeiten der Not. "Dann komme ich mit dir." Verkündete er kriegerisch. "Ich packe nur eben noch meine Schuluniform und die Tasche zusammen." Er konnte genau sehen, dass seine Eltern nicht einverstanden waren, aber sich vor Kentarou scheuten, ihrem Sohn die Leviten zu lesen. Einige Minuten später verließen sie gemeinsam Hirokis Elternhaus, um überzusiedeln. Kentarou steuerte wieder das Zimmer seines Großvaters an, starrte auf den leeren Futon. Hiroki entschloss sich, ihn zunächst dort zu lassen, sich um ihre Unterbringung zu kümmern. Er schleppte die beiden Futons vom Obergeschoss über die Leiter in den Wohnraum, hängte ihre Schuluniformen auf. Dann füllte er den Reiskocher auf, erhitzte Wasser, um Tee zuzubereiten. Erst danach kehrte er zu Kentarou zurück, der neben dem Futon kauerte. "Ken." Er kniete sich neben den Freund, legte ihm die Arme um die Schultern. "Bitte zieh dich um, dann trinken wir Tee und essen noch etwas." Kentarou reagierte nicht. Hiroki unterdrückte ein Seufzen, sammelte Kentarou einfach auf und hob ihn hoch. "Ken, sei mir nicht böse." Brummte er bedrückt. Sein Freund wehrte sich nicht gegen die Eigenmächtigkeit, antwortete ihm aber auch nicht. Mit Kentarou auf den Armen kehrte Hiroki in den Wohnraum zurück, setzte ihn auf einem Kissen ab und begann, ihn aus den übergroßen Kleidern zu schälen, in die man ihn gewickelt hatte. Er streifte ihm wie einer Gliederpuppe sanft einen frischen Pyjama über, wickelte ihn in eine Jacke ein und fädelte dicke Socken auf die nackten Füße. So konnte er sicherstellen, dass sein Freund wenigstens nicht mehr so erbärmlich fror. Auch die Nahrungsaufnahme folgte demselben Schema: Hiroki dirigierte Teetasse und Schälchen vor Kentarou, drückte ihm die Essstäbchen in die Hand. Die Automatik half ihm dabei. »Es wäre leichter, wenn er losheulen würde!« Seufzte Hiroki und streichelte behutsam über den wirren Schopf. Obwohl er sich der Anwandlung schämte, hoffte er inständig, dass Kentarou sich nicht selbst einen Vorwurf machte, in dieser Nacht nicht im Haus übernachtet zu haben. »Was hätten wir auch tun können? Das Babyphon war in Ordnung, sonst hätte ich Ken ja nicht gehört!« Argumentierte der Hüne mit sich selbst, doch das war keine rationale Frage. In beklommener Stimmung wickelte er sich nach dem Abendessen selbst in seinen Pyjama und kroch mit Kentarou unter die Decke auf die Futons. Scheu streckte er eine Hand aus, suchte Kentarous Rechte, der Anstalten unternahm, sich wie früher zusammenzurollen, mit dem Rücken von der Wand weg. "Gute Nacht-Kuss!" Verlangte Hiroki mit belegter Stimme. Ihm war auch danach, sich irgendwo zu verkriechen und zu trauern. Es überraschte ihn vollkommen, dass Kentarou die Hand ausstreckte, ihm sanft über den Kopf streichelte. Hiroki spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er schniefte, rutschte näher an Kentarou heran, würgte erstickt. Kentarou rollte sich auf den Rücken, ließ Hiroki gewähren, der das Gesicht in seine Halsbeuge legte und die Arme um ihn wickelte. Der Hüne schluchzte bitterlich, hielt nichts mehr zurück. Kentarou aber blieb stumm, schlief vor Erschöpfung ein. ~+~ »So lebt es sich also als Held.« Motoki fischte unwillkürlich in seiner Hosentasche, bevor er sich ermahnte und die Hand wieder zurückzog. Keine Tabletten, keine Dragees. Alle Augen ruhten auf ihm, in gespannter Erwartung. War er früher beinahe unsichtbar gewesen, so konnte er sich jetzt als definitiv sichtbar betrachten. Man behielt ihn im Auge, um einen großen Bogen um ihn schlagen zu können. Selbst die Lehrer schienen auf der Hut, beäugten ihn misstrauisch. Diese Reaktion bewirkte bei Motoki ein ungewohntes Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit. Trotzdem gab er dem Übermut nicht nach, wollte nicht eruieren, wie weit seine Narrenfreiheit schon reichte. Als er die Schuhe tauschte, fand er eine handschriftliche Nachricht des Direktoriums in seinem Fach. Für das nächste Jahr, ganz außerhalb des gewohnten Turnus, sollten Neuwahlen für einen Schülerpräsidenten stattfinden. Das überraschte Motoki nicht sonderlich. Alle würden zweifelsohne erleichtert sein, wenn er nach seinem Abschluss auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Er nahm seine Tasche hoch, machte sich langsam auf den Weg zu seinem Klassenraum. ~+~ Hiroki warf einen besorgten Seitenblick auf Kentarou hinunter. Sein Freund lief zwar artig an seiner Hand, war aber sonst stumm. Die Katzenaugen waren fokussiert, doch leblos, kein frech-neckendes Funkeln leuchtete mehr. Sie waren spät dran, nicht verwunderlich, aber er hätte am Liebsten auf den Schulbesuch verzichtet. Mit Kentarou MUSSTE etwas nicht in Ordnung sein, vollkommen verständlich angesichts der Umstände, aber wem konnte er das mitteilen? Wer würde verstehen, dass Kentarou auf eine andere Art trauerte? Er hielt an, ignorierte die ärgerlichen Leute, die in ihrem Lauf gehindert wurden. "Ken." Erklärte er eindringlich. "Wenn du dich nicht gut fühlst, sag es mir sofort, ja? Dann gehen wir heim!" Kentarou erwiderte seinen Blick ohne Reaktion. "In Ordnung?" Erzwang Hiroki besorgt eine Antwort. "Ja." Wisperte Kentarou schließlich tonlos, ein falsches Lächeln zuckte wie ein Irrlicht über sein Gesicht. "Gut." Hiroki wollte nicht darauf beharren, eine Konversation zu führen. Es stimmte ihn schon bange genug, dass Kentarou nicht vor ihm lief. ~+~ Eine frische Brise jagte bauchige Wolken über den Spätsommerhimmel. Motoki lehnte sich gegen die dicken Maschen des Zauns, der drei Meter in die Höhe ragte und das komplette Schuldach umspannte. Auf ärztliche Anweisung hin war an Leibesertüchtigung noch nicht zu denken, zumindest nicht in der Schule, also betrachtete er die Aktivitäten seiner Klassenkameraden von diesem Adlerhorst aus, atmete immer wieder tief durch. Natürlich spürte er die Verspannung, die seinen Körper erfasste, mit jeder verstreichenden Stunde zunahm. Er WOLLTE nicht wie ein wildes Tier misstrauisch beäugt und geschnitten werden! »Früher hatte ich wenigstens die Hoffnung, dass man mich toleriert.« Schnitt er sich selbst eine müde Grimasse. Motoki war keineswegs überzeugt, dass er bis zum Schulabschluss als Paria durchhalten konnte. Dafür musste man jegliche Nerven und Sensibilität abtöten. Der Wind umbrauste ihn heulend, verzerrte die Geräuschkulisse des Sportunterrichts zu seinen Füßen. Eigentlich hätte er auch schon heimgehen können, doch als Schülerpräsident wollte er seine Arbeit ganz sicher nicht vernachlässigen! »Ob sie auch in meinem Büro herumgeschnüffelt haben?« Motoki bemühte sich um die Erinnerung an den letzten Abend dort, aber er konnte sich partout nicht mehr entsinnen, ob er die anonymen Drohungen und all die Schmähungen damals weggeworfen hatte. Kein Wunder, hatten sich doch ganz andere Erfahrungswelten aufgetan! Er senkte die Stirn gegen die Maschen, lächelte versonnen vor sich hin. War es nur der böige Wind, der ihm eingab zu fiebern? Oder hatte er sich übernommen an diesem ersten Schultag? Urplötzlich wurde er von hinten gepackt. Eine Hand drängte sich rücksichtslos unter sein Schulhemd, die andere bog seinen Kopf hart herum. Bevor Motoki überrumpelt schreien konnte, erstickte ihn ein leidenschaftlicher Kuss. ~+~ Motoki hielt die Augen geschlossen, seine Finger bogen sich um die Drahtmaschen. Er verspürte keine Furcht, nicht einmal mehr den Wind, der gegen seinen Rücken peitschte. "Arashi." Wisperte er heiser, drückte die Zunge gegen den Gaumen, um nicht vor Lust zu stöhnen. Es war ihm gleich, ob man ihn vielleicht von unten sehen konnte, das Schulhemd offen flatternd, darunter nackt, den Leib gegen Arashis Gesicht gepresst, Finger in seinem Anus. »Frei!« Wischte der berauschte Gedanke durch seinen fiebrigen Kopf. »Frei!« Als könne er gleich abheben. Glücksgefühle durchströmten ihn und sie hatten nicht samt und sonders ihren Ursprung darin, dass Arashi ihn oral und anal befriedigte. Die Gewissheit, dass der Jüngere aus freien Stücken seine Nähe suchte, musste doch wohl bedeuten, dass der ihm seine zahlreichen Schwächen verzieh! ~+~ Arashi wich keinen Millimeter, als er spürte, dass Motoki über ihm die Kontrolle verlor, sich zusammenkrümmte. Erstens verhinderte das Kondom unangenehme Begleiterscheinungen und zweitens war er noch längst nicht auf der Zielgeraden. Motoki knickten die Beine ein. Mit geschlossenen Augen, die Lider hinter der Brille flatternd, sackte er herunter, direkt in Arashis Arme. Wie einfach war es, Motoki abzulegen, das Hemd aufgeschlagen, die Beine leicht aufgestellt! Arashi krächzte, befeuchtete sich erneut die Lippen, bevor er endlich die Silben hervorbrachte. "Haru-chan...Haru-chan..." Er konnte nicht anders, als in diesen vertrauten Körper einzutauchen, die heiße, köstliche Enge zu begrüßen, die unwillkürlichen Regungen zu genießen, sich die Arme um den Nacken zu winden und dann langsam aufzurichten, seinen Namen geseufzt, gestöhnt, gewispert, geraunt zu hören, im oder gegen den Rhythmus, wenn er sein Becken auf und nieder stoßen hieß, mit einem kraftvollen Arm den Älteren sicherte. Er lächelte hungrig in den winzigen Sprühregen aus Speichel, als er das Tempo beschleunigte, Motoki keinen Spielraum mehr überließ, kein Entweichen mehr gestattete. »Ich will es so sehr!« Überraschte ihn die Erkenntnis, doch sie verflog, als er seinem Liebhaber folgen musste, in spasmischen Kontraktionen eingekerkert. ~+~ Arashis Finger zitterten noch immer, als es ihm endlich gelang, die eigene Hose zu schließen. Er war stets überzeugt gewesen, dass es kaum etwas gab, das ihn aus der Bahn werfen konnte. Motoki belehrte ihn eines Besseren. Allein der Anblick, den der Ältere ihm absichtslos bot, schlug Arashi bereits in einen beängstigenden Bann. Entblößt, lediglich das Schulhemd aufgeschlagen und über die Schultern gerutscht lag Motoki auf dem Betonboden, von ihren Intimitäten gezeichnet. Der Brustkorb hob und senkte sich noch immer rapide, der Kopf war zur Seite gewandt. In den schwarzen, gestuften Strähnen glitzerten vereinzelte Schweißperlen. Die dichten Wimpern flattern, hinter den Lidern zuckte es, als erlebe ihr Besitzer noch immer köstliche Nachwehen. Motoki erschien ihm auf eine Weise wehrlos, die jeden Übergriff verhinderte, so mächtig trumpfte sie auf. Arashi beugte sich über ihn, schluckte schwer, bevor er damit begann, das Kondom zu entfernen und die gröbsten Spuren mit Taschentüchern abzutupfen. Weniger einfach erwies es sich, Motokis erschöpftem Leib die Unterhose aufzunötigen, dann die Schulhose anzuschließen. Für einen wahnwitzigen Moment fühlte sich Arashi daran erinnert, wie man Säuglinge bekleidete, den Stoff raffen und einer flinken Bewegung ausrollen! Auch die groben Socken, die sich grundsätzlich in Wellen um die Knöchel sammelten und ein lästiges Eigenleben entwickelten, wurden an ihren angestammten Platz verwiesen, bevor Arashi sich erhob, Motokis Schultasche und die Uniformjacke aufpickte und zu einer der einfachen Holzbänke trug. Er machte kehrt, kniete sich neben Motoki und beugte sich tief, um sich Motokis Arme um den Nacken zu drapieren. Glücklicherweise war der Ältere nicht bewusstlos, lediglich überwältigt, sodass gewisse Reflexe Arashi zur Hilfe kamen. Konzentriert stemmte er sich in die Höhe, Motoki auf den Armen. Sehr vorsichtig drehte er sich um die eigene Achse, ermahnte sich, gerade zu stehen, bevor er sich in Bewegung setzte und der Bank zustrebte. Dort legte Arashi Motoki behutsam ab, nahm selbst Platz, um sich dann Motokis Kopf auf den Schoß zu betten, die Uniformjacke über dessen Leib. Er schmuggelte eine Hand darunter, fand Motokis weichen Bauch und streichelte in langsamen, konzentrischen Bewegungen über die Haut. Ja, da war die Operationswunde, noch längst nicht vollkommen vernarbt, aber erstaunlich winzig, berücksichtigte man, welche Arbeit geleistet worden war. »Schlüssellochtechnik.« Mit der freien Hand liebkoste Arashis Motokis glühende Wangen, studierte das entspannte Gesicht unter sich. Noch immer spürte er eine Mischung aus Erregung und Furcht, wenn er Motoki studierte. Nicht zum ersten Mal. Denn es WAR beängstigend, wenn man Druck auf jemanden ausüben wollte, der nicht die geringsten Anstalten zum Widerstand traf, der so rückhaltlos vertraute, dass ihm keine Gewalt angetan werde. Nein, Motoki hatte nie rebelliert, niemals zurückgehalten, was er empfand. »Vielleicht ist es das?« Gedankenverloren zog Arashi die Kreise, wärmte den Ausgestreckten zärtlich. Zugegeben, Motokis Weigerung, alles zu enthüllen, hatte ihn zur Weißglut getrieben, doch er hatte auf einer ganz anderen Ebene verstanden, warum der Ältere einfach keinen Rückzieher machen konnte, was seine Wut nur noch verstärkt hatte, potenziert durch eine gewisse Hilflosigkeit. Er wollte Motokis Grenzen austesten, denn zweifelsohne würde der sich weigern MÜSSEN, doch... »Er hat es nie getan.« Im Gegenteil. Obwohl Motoki doch Angst haben MUSSTE, von Abscheu und Widerwillen erfüllt, hatte es nicht die geringste Ablehnung gegeben, wenn er ihm seine Launen aufgezwungen hatte. »Vor allem nicht beim Sex.« Arashi zeichnete mit der Fingerspitze die leicht geteilten Lippen behutsam nach. Analverkehr hatte per se schmerzhaft, tabu-belastet und ungeschickt zu sein!! Doch Motoki reagierte kein einziges Mal auf diese Weise. Das irritierte Arashi enorm. Wieso lehnte sich nicht wenigstens Motokis Körper auf, der sonst sensibel auf jede Kleinigkeit reagierte? Wieso entspannte sich Motoki, verschaffte sich ohne größere Anstrengung Vergnügen?! »Schätze, er ist einfach gut im Sex!« Verdrängte Arashi erneut aufkeimende, trügerische Hoffnung. Wahrscheinlich war es gar nichts Persönliches! Immerhin schloss Motoki ja die Augen, konnte also gut sein, dass er sich jemand anders vorstellte. "Es tut mir sehr leid um deinen Cousin." Hörte er eine leise, heisere Stimme und schreckte aus seinen Gedanken hoch. Sein Blick fiel rasch auf Motoki, der blinzelte, offenkundig die Brille vermisste, die Arashi sich in die Brusttasche seines offenen Hemds geschoben hatte. "Ja." Brummte er nach einer Weile, kraulte Motoki wie ein Tier hinter einem Ohr. "Ich habe dein Album mitgebracht." Nahm Motoki einen weiteren Anlauf zur Konversation. "Hmm." Knurrte Arashi sonor, packte Motoki unerwartet kräftig unter Achsel und Schulterblättern, um ihn aufzurichten und auf seinen Schoß zu setzen. Halt suchend klammerte sich Motoki an Arashis offenes Hemd, zwinkerte nervös. »Er glaubt wohl, dass ich wütend auf ihn bin.« Gegen seinen Willen musste Arashi seufzen. "Ich tu dir nix!" Grollte er laut. "Nein." Motoki lachte leise, versonnen. "Das weiß ich doch." Er schlang die Arme um Arashis Nacken, schmiegte sich eng an dessen Leib. "Du hast mich zum Helden gemacht. Warum?" Arashi lupfte kritisch eine Augenbraue. "FÜHLST du dich heldenhaft?" Nun seufzte Motoki, senkte den Blick auf seinen Schoß. "Ich habe mir vorgestellt, dass es schön wäre, wenn mich die anderen nicht mehr wie Luft behandeln würden." Formulierte er gewohnt vorsichtig. "Aber nun wünsche ich mir doch, dass sie mich nicht gar so sehr beachten." Sie schwiegen beide, versunken in ihre eigenen Gedanken, während eine Brise ihre offenen Hemden aufwehte, Wolken hin und wieder die Sonne verdeckten. "Warum hast du mich geschützt?" Endlich war sie heraus, die Frage, die Motoki so sehr beschäftigt hatte, leise, ein wenig atemlos hervorgestoßen. Beinahe erwartete er, dass Arashi die Arme löste, die er um Motoki gelegt hatte, als sei ein Absturz von seinem Schoß zu befürchten. Vorsichtig hob er den Kopf an, betrachtete Arashis Profil, der unverwandt nach vorn sah, hochaufgerichtet, angespannt. Die zotteligen Strähnen, der Dreitagebart, der versteckte Ohrring: Arashi wirkte keinesfalls wie ein durchschnittlicher Oberstüfler. Dann verzog sich das Gesicht zu einem bösen, bitteren Grinsen, die Mundwinkel zuckten. Allein die schwarzen Mandelaugen blickten traurig. Motoki hielt vor Spannung den Atem an. Ob Arashi ihm tatsächlich die wahren Beweggründe anvertrauen würde? ~+~ "Ich wollte diesen Scheißkerl umbringen." Arashi blickte in die Ferne, auf einen betonierten Horizont, hart, grau, abweisend. "Wie, darüber war ich mit mir noch uneins. Abstechen? Erwürgen? Tot prügeln?" Seine Stimme klang bitter, belegt mit frustrierter Enttäuschung und Selbsthass. "Also musste ich bloß seine aktuelle Adresse ausfindig machen und ihm dort auflauern. Er kannte mich ja nicht, also würde ich keine Schwierigkeiten haben, in seine Nähe zu gelangen." Geistesabwesend leckte sich Arashi über die trockenen Lippen, verstärkte für einen Moment seinen sichernden Griff um Motokis Hüfte. "Ich rufe also an und erfahre von seiner Mutter, dass der Bastard tot ist. Einfach so. Mit seinem Motorrad unter einen LKW geraten. Platsch, wumm, weg." Er schüttelte den Kopf, grimassierte gallig. "Da quält dieser Abschaum meinen Shin drei Jahre lang und krepiert dann blitzartig? Ist DAS fair?" Noch immer konzentrierte er sich auf die Ferne. "Um sicherzugehen, bin ich sogar auf den Friedhof gefahren. Der Mistkerl war tatsächlich einfach gestorben! Bevor ich ihn erwischen konnte!" Arashi lachte bitter auf. "Aber das konnte doch nicht alles sein, oder? Immerhin hat er Shin auf dem Gewissen, er hat den einzigen Menschen auf der Welt zu Tode gemartert, dem es etwas bedeutet hat, dass ich lebe. Er hat meine Chance auf ein neues Leben auch zerstört. Einfach alles." Er bleckte die Zähne, zischte. "Das kann ich doch nicht einfach so auf sich beruhen lassen, nur weil der Mistkerl tot ist!" Arashi warf einen raschen Blick auf Motokis blasses Gesicht, bevor er sich wieder nach vorne wandte. "Tja, dachte ich mir, dann muss wohl die ganze Welt zum Teufel gehen. Wie stelle ich das an? Indem ich alle, die dieses widerwärtige System aufgebaut, es unterstützt oder toleriert haben, aus ihren Verstecken zerre. Alles veröffentliche, was ich finden kann, damit alle wissen, was sie getan haben. Und damit sie wissen, dass sie niemals mit ihren Untaten ungestraft davonkommen." Aber eine Person hatte er ausgelassen, sein Vorhaben geändert. "Du hast mich wirklich stinksauer gemacht. Du wolltest mir nicht helfen, du hast dich aber auch nicht gewehrt..." Arashi betrachtete Motokis Gesicht, das vor allem Mitgefühl transportierte. Mitgefühl mit dem Kerl, der ihn sexuell genötigt und vergewaltigt hatte! "Ich KONNTE nicht einfach alles auf sich beruhen lassen!" Nun umklammerte Arashi Motoki beinahe erstickend. "Aber DU hast niemandem etwas getan." Motoki seufzte, setzte sein fahles Lächeln auf. "Ich habe geschwiegen. Das ist auch eine böse Tat." Arashi streichelte ihm über eine Wange, dirigierte Motokis Kopf auf seine Schulter. "Darin bist du Shin sehr ähnlich. Ihr seid zu sanft, zu mitfühlend. Allen wohl und keinem weh." "Ich habe dich sehr enttäuscht." Motoki schielte von seinem Ruheplatz nach oben, schlang die Arme um Arashis Leibmitte. "Ich bin zu feige, um das Richtige zu tun." "Nein." Widersprach Arashi, drückte Motoki überraschend einen Kuss auf die Stirn. "Du bist zu rücksichtsvoll. Du weißt, dass du etwas zu verlieren hast. ICH hatte nichts mehr zu verlieren." Motoki schwieg, betrachtete Arashis versteinerte Gesichtszüge. Ja, der Rachefeldzug war nun zu Ende, doch was sollte aus ihm werden? Fühlte er sich nun wie damals, als er erkannte, dass sein Erzfeind bereits außerhalb seiner Reichweite war? Er löste eine Hand, legte sie auf Arashis Wange, dirigierte dessen Kopf. "Danke." Sprach Motoki laut, hielt dem forschenden Blick aus den schwarzen Mandelaugen unverwandt stand. Eine weitere Weile verstrich, in der sie einander schweigend studierten, angespannt und zugleich offen, unverblümt. "Warum bist du so nett zu mir?" Arashi brach den stummen Diskurs ab. "Nett?" Motoki blinzelte. "Hast du nicht gesagt, dass ich dich zur Weißglut getrieben habe?" "Du weißt, was ich meine!" Arashi begleitete seine Worte, indem er mit einer Hand kurz über Motokis Schritt streichelte. Der spürte, wie sich glühende Hitze blitzartig in seinem Gesicht ausbreitete, ihm keine Rückzugsmöglichkeiten offerierte. "Oh!" Murmelte er, gab seinen komfortablen Sitz auf, schlang die Arme um Arashis Nacken und presste das fiebrige Gesicht in dessen Halsbeuge. Sein Herz raste, der Pulsschlag dröhnte in seinen Ohren. "Könnte es sein, dass du eine Schwäche für mich hast?" Klang Arashis Stimme wirklich ein wenig unsicher, gar nicht so keck, wie die Wortwahl vermuten ließ? Motoki ließ sich umhalsen, schloss die Augen. "Ich hab dich gern." Flüsterte er verlegen in die zotteligen Strähnen, wo er ein Ohr vermutete. Arashi erwiderte nichts, aber die Arme, die Motoki fest umschlungen hielten, pressten ihn noch enger an Arashis groß gewachsene Figur. Als wollten sie ihn um keinen Preis entschlüpfen lassen. ~+~ Kapitel 24 - Entschlossene Pläne Arashi ging voran, ihre beiden Schultaschen lässig über die Schulter geworfen. An der anderen Hand hielt er Motoki, der ihm eng folgte, ohne Brille im Nachteil, aber vertrauensvoll. Sie erreichten das kleine Büro, ohne dass sie auf andere Schüler stießen. Wie gewohnt beugte sich Arashi unter dem Türsturz hindurch, führte Motoki hinein und schloss die Tür hinter ihnen. Natürlich war das Büro verändert worden. Irgend jemand hatte nicht besonders ordentlich durch die Dokumente geblättert, zweifelsohne auch den Schubladeninhalt inspiziert. Ein spöttisches Grinsen zuckte in Arashis Mundwinkeln. NATÜRLICH hatte er keine Spuren hinterlassen, die für ihn oder Motoki kritisch werden konnten. Lässig stellte er ihre Taschen ab, ließ sich dann auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder, fläzte sich bequem. Motoki stand vor ihm, noch immer an einer Hand verbunden. Er blickte sich um. "Seltsam, aber ich glaube, der Raum hier wird mir fehlen." Bemühte er sich um einen leichten Ton, doch Arashi konnte er nicht täuschen. "Neuwahlen?" Über den schwarzen Mandelaugen konnte man zusammengezogene Augenbrauen hinter zotteligen Strähnen vermuten. "Nun ja." Motoki lächelte melancholisch. "Verständlich, dass das Direktorium einen Neuanfang wünscht. Man hat mich schriftlich in Kenntnis gesetzt." "Hmpf." Brummte Arashi kritisch, stellte die Beine ein wenig enger, bevor er Motoki nötigte, sich rittlings darauf niederzulassen. "Was willst du jetzt tun?" Behutsam strich er mit dem Zeigefinger über Motokis Haaransatz. Der wich seinem inquisitorischen Blick aus, nestelte an Arashis Hemdschößen herum. "Tja..." Verschaffte er sich Zeit, räusperte sich umständlich. "Ich werde den Abschluss machen und hoffen, dass ich eine Universität finde, die mich aufnimmt. Vielleicht in der Provinz irgendwo." Er seufzte leise. "Auf jeden Fall werde ich weggehen müssen, damit wieder Ruhe einkehrt, auch für meine Familie. Das ist gar nicht so einfach." Er zuckte verlegen mit den Schultern. Arashi hob Motokis Kinn an, forcierte Blickkontakt. "Ich werde dir folgen." Erklärte er ruhig und beobachtete, wie in Motokis Gesicht Emotionen einander rasch folgten: Verwirrung, Unglauben, Freude, Trauer, Nachdenklichkeit, wie wohl höflich die Offerte abgelehnt werden musste, Hoffnung... "Mach dir keine Gedanken." Arashis Finger versiegelte Motokis Lippen gebieterisch. "Das ist kein Vorschlag, sondern eine Tatsache. Ein Jahr müssen wir zwar überbrücken, aber das geht schnell vorbei. Ich werde dich nicht allein lassen." "Warum?" Motoki stützte die Unterarme auf Arashis breite Schultern, richtete sich auf. "Warum willst du das tun?" "Zunächst mal bin ich ja für dieses Schlamassel verantwortlich." Arashi blies sich auf, nahm eine ähnlich aufrechte Haltung wie der Ältere an. "Ich WEISS, dass ich dein Ziel, auf eine gute Universität zu gehen, für das du Jahre gepaukt und eine Menge an Mist von anderen geschluckt hast, zerstört habe." Er hob die Stimme, um Widerspruch zu verhindern. "Ich KANN das nicht wiedergutmachen." Eine Hand zog langsame Kreise über Motokis Rücken. "Aber ich werde dir beistehen. Wenn man es altmodisch formuliere möchte: dein Schicksal ist auch mein Schicksal. Punkt." Er zog eine verlegene Grimasse. Motoki legte den Kopf ein wenig schief, musterte Arashi eingehend. Selbstverständlich klang dessen Vorhaben unvernünftig, jung, ahnungslos, naiv, schwärmerisch... Doch wenn er in die schwarzen Mandelaugen sah, die strengen Linien des vertrauten Gesichts betrachtete, dann WUSSTE er einfach, dass Arashi zu seiner Entscheidung stehen würde. Sie war getroffen, und damit basta. Er beugte sich vor, lehnte die Stirn an Arashis und rieb vorwitzig ihre Nasenspitzen einander. "Ich glaube, ich sollte dir jetzt alles ausreden und auf deine Unterstützung heroisch verzichten." Ganz sanft küsste er die sich zum Protest bereits spitzenden Lippen. "Das werde ich NICHT tun. Ich bin sehr froh, dass du mich begleiten wirst, auch wenn ich nicht weiß, wohin unsere Reise geht." Arashi seufzte schwer, so sehr, dass sie beinahe einen Zentimeter tiefer sackten. "Du bist einfach ZU NETT!" Warf er Motoki tadelnd vor. "Eigentlich solltest du feilschen, noch mehr Zugeständnisse heraushandeln! Zum Beispiel, dass ich für dich kochen muss! Oder dir abends die Füße massieren!" "Wirklich?" Motoki verschränkte die Hände hinter Arashis Nacken, ehrlich verblüfft. "Oje!" Arashi verdrehte eindrucksvoll die Augen in komischer Verzweiflung. "Du lernst es wohl nie! Das wird kein Zuckerschlecken, Haru-chan, wenn du mit einem notorischen Nichtsnutz zusammenlebst! Du musst dringend lernen, dich gegen mich durchzusetzen!" Motoki lächelte. "Haru-chan." Wisperte er leise. "Haru-chan, das gefällt mir. Sag es bitte noch mal." "Haru-chan." Arashi schnaubte. "Hast du mir überhaupt zugehört?" "Hmmm." Schnurrte Motoki, der sich selbst kaum wiedererkannte, kuschelte sich an Arashi, rieb eine Wange an dessen Halsbeuge. "Du bist bloß kein Nichtsnutz, also muss ich mich auch nicht sorgen." "Klar bin ich das!" Eine Hand in Motokis Nacken pflückte ihn von seinem gerade gewählten Ruheplatz. "Denkst du, sonst wäre jemand zu so etwas fähig?!" "Arashi." Motoki ließ artig die Hände auf den Schoß sinken, blickte fest in die schwarzen Mandelaugen. "Ganz gleich, was andere gesagt haben oder was du selbst befürchtest: du bist KEIN Taugenichts. ICH bin froh, dass du lebst. Shin ist nicht die einzige Person, der du sehr viel bedeutest." Mit den letzten Silben spürte Motoki deutlich, wie ihm Farbe ins Gesicht schoss, die Wangen dunkler tönte. Arashi schwieg, die Arme locker um Motokis Hüften gelegt, um im Falle eines Absturzes schnell zugreifen zu können. Nach langen Augenblicken wisperte er ungewohnt kleinlaut und zögerlich. "Trotzdem begreife ich nicht, warum du mich magst." Motoki kniff Arashi tadelnd in die Nasenspitze. "Warum magst du mich, obwohl ich dich wahlweise enttäuscht oder zur Weißglut getrieben habe?!" Hastig wandte sich Arashi ab, presste die Lippen fest aufeinander, damit kein verräterisches Wort entschlüpfen konnte. Da waren so viele Emotionen, Erinnerungen, Impulse, man konnte sie nicht in wenige Worte einsperren! Lediglich das Fazit war offenkundig: er HATTE definitiv eine Schwäche für Motoki. "Du glaubst mir jetzt auch, dass es mir genauso mit dir geht, nicht wahr?" Motoki lehnte mit wissendem Lächeln seine Stirn gegen Arashis Wangenknochen. Der wandte den Kopf, spürte die seidigen Haare an seinem Hals, als sich Motoki wieder bequem einkuschelte, wie ein Kind die Arme um Arashis Leib schlang und freudig seufzte. Eine Hand auf Motokis Hinterkopf, die andere auf dessen unteren Lendenwirbeln fand Arashi auch den Mut, eine unbequeme Frage zu stellen, die ihn seit geraumer Zeit beschäftigte. "Haru-chan, habe ich dir weh getan? Heute und beim letzten Mal?" Er spürte, wie Motoki innehielt, von einer Spannung erfasst wurde. »Verdammt!« Dachte Arashi grimmig und schalt sich einen Toren, etwas anderes erwartet zu haben. Motoki löste sich aus seiner Halsbeuge, setzte sich auf, legte dann die Handflächen auf Arashis Wangen, die von einem Dreitagebart gesäumt wurden. Es blitzte in Motokis Augen, wie Arashi bemerkte, bevor sich die schimmernden Lider senkten. Ein Kuss fing ihn ein, verlangte herrisch, dass man den Botschafter einließ und legte sich anschließend keinerlei Zurückhaltung auf. Arashi beteiligte sich in den Küssen, die tiefer, leidenschaftlicher, gieriger wurden, vor Körperwärme dampften, einander bedingten, süchtig nach immer weiteren Avancen machten. Er presste Motoki an sich, eine Hand auf dessen Hinterteil, die andere zwischen dessen Schulterblättern gelegt, konnte sich nicht überwinden, nachzugeben und Abstand zu suchen. Was kümmerte ihn, dass er schwindelte, die Lungen protestierten?! So offen, so begehrlich hatten sie einander noch nie geküsst, ihr Verlangen preisgegeben, aber auch die Bemühung, den anderen zu verwöhnen, ihm Gutes zu tun. Trotzdem trieb der Wahnwitz Arashi, sich eine Antwort zu erzwingen. Folglich warf er den Kopf ruckartig in den Nacken, ächzte hörbar nach Sauerstoff und bemerkte lakonisch. "Du versucht nicht gerade, meine Gefühle zu schonen, indem du mich ablenkst, oder?" Auf seinem Schoß, unwillkürlich wippend vor Erregung, begann Motoki zu lachen. Schließlich musste er sogar eine Hand von Arashis Rücken lösen und sich den Handrücken unter die Nase pressen, um dem Lachanfall zu gebieten. Wie lange war es her, dass er so fröhlich gelacht hatte? So oft und lange gelächelt? Motoki wusste es nicht zu sagen, aber in Arashis Gesellschaft fühlte er sich leicht und beschwingt. "SO komisch ist das auch nicht." Brummte Arashi vorgeblich verstimmt, aber seine funkelnden Augen verrieten ihn. Der Ältere hielt sich die freie Hand hoch vor die Brust in einer verschmitzten Geste der Entschuldigung, kniff ein Auge zu, grinste jedoch noch immer breit. Wie konnte Arashi bloß so etwas Dummes fragen? Dessen Ausdruck veränderte sich plötzlich, indizierte, dass sich unerwartet ein Einfall eingenistet hatte. "Haru-chan, wie wird man Schülerpräsident?" Ein konzentrierter Ausdruck bemächtigte sich Arashis Gesicht. "Du möchtest Schülerpräsident werden?" Motoki staunte, kämmte zottelige Strähnen hinter die Ohren, zwirbelte sie um die eigenen Finger. "Das muss ich!" Stellte Arashi fest. "Sonst verlieren wir doch diesen Raum!" "Oh!" Entfuhr es Motoki bestürzt. Wie wahr! Wo sollten sie sonst ungestört zusammen sein? "Hör mal, das ist mein Vorschlag!" Eifrig wippte Arashi Motoki auf seinem Schoß. "Du hilfst mir dabei, der neue Schülerpräsident zu werden, und ich sorge für weiterhin sehr befriedigenden Sex!" Wie zu vermuten stand, lief Motoki rot an, ließ seine Verlegenheit aber bald hinter sich. "Gegenvorschlag: wir haben IMMER phantastischen Sex, und ich unterstütze dich bei deinen Vorhaben, ganz gleich, welche das sein werden." Arashi zwinkerte anerkennend. "Sieht so aus, als könntest du doch handeln. Abgemacht! Jetzt bringe ich dich besser zur Bahnstation, sonst werden wir noch als vermisst gemeldet." ~+~ Hiroki legte die Einkaufstüten ab, versuchte vergeblich, die Anspannung zu lösen. Natürlich hatte sich in der Schule herumgesprochen, dass mit Kentarou etwas geschehen war. Dass Meister Hagiwara eintraf, um auch dort seine vorläufige Vormundschaft anzuzeigen, verfehlte die Wirkung nicht. Die Lehrer behandelten Kentarou wie ein exotisches Wesen, das man besser ignorierte. So blieb dessen Schweigen unbeachtet. Aber Hiroki sorgte sich zunehmend. Er wollte nicht, dass sich Kentarou vollends in dessen Inneren vergrub, weil sein Freund nicht wusste, wie man trauerte. Doch wie sollte er er diesen Impuls geben? "Ken." Sprach er ihn an, ignorierte verzweifelt die stille Gestalt, die reglos in der Küche stand. "Du musst mir jetzt helfen. Ich kann nicht richtig kochen." Demonstrativ breitete er die Lebensmittel aus, funkelte Kentarou an. »Komm schon, Ken, bitte wach auf!« Ein Zittern lief durch Kentarou, wie eine Initialzündung bei einer Maschine, dann begann er automatisch, das Gemüse zu putzen und zu zerteilen. Wie aufgezogen kochte er, während Hiroki ihn ängstlich beobachtete. Er richtete den Wohnraum her, verteilte die Sitzkissen und kontrollierte den Kotatsu, dann breitete er die Briefe aus. Kondolenzschreiben. Als das Telefon sich bemerkbar machte, nahm Hiroki die Zerstreuung dankbar an und den Anruf entgegen. Meister Hagiwara meldete sich, um für den nächsten Tag eine Besprechung anzuzeigen, immerhin musste Kentarous Zukunft geklärt werden. "Wir können uns nach der Schule treffen." Antwortete er. "In Ihrem Büro? Sind Unterlagen mitzubringen?" Meister Hagiwara hielt das nicht für erforderlich und bestätigte den Vorschlag. Er bat Hiroki darum, Kentarou ein wenig im Auge zu behalten, da dessen Zustand ihn auch sorgte. Das konnte Hiroki guten Gewissens zusagen, denn er hatte nicht die Absicht, seinen Freund jemals allein zu lassen. Kentarou hatte unterdessen die frisch zubereitete Mahlzeit angerichtet und hockte geistesabwesend auf dem Sitzkissen, wartete auf Hiroki. "Meister Hagiwara wird uns morgen in seinem Büro empfangen. Er wird ja jetzt dein Vormund werden." Berichtete Hiroki und ließ sich nieder. Mit dem formellen Gruß läutete er das Abendessen ein und rief sich ins Gedächtnis, dass er wohl vor dem Schlafengehen wenigstens noch einmal Präsenz in seinem Elternhaus zeigen musste, um es sich nicht mit dem Wohlwollen seiner Eltern zu verscherzen. Kentarou aß weniger als sonst, aber Hiroki hielt das nicht für allzu bemerkenswert. Die Umstände konnten wohl jedem den Appetit nehmen. Nachdem sie das Geschirr gemeinsam gespült und abgetrocknet hatten, fasste der Hüne seinen jüngeren Freund behutsam an den Schultern. "Ken, ich muss für ein paar Minuten rüber zu meinen Eltern, in Ordnung? Dauert auch nicht lang!" Kentarou nickte bloß. "Du kannst schon mal duschen, ja? Ich komme nach, versprochen!" Versicherte der Hüne hastig. Er beeilte sich, tauschte die Wäsche aus, erklärte seinen Eltern, dass er dem verehrten Meister Hagiwara versprochen habe, Kentarou Gesellschaft zu leisten, und der wolle verständlicherweise lieber in seiner gewohnten Umgebung bleiben. Sein Vater kümmerte sich nicht sonderlich um die Angelegenheit, aber Hiroki registrierte genau, dass seine Mutter die Vorstellung nicht mochte, dass er nun ständig bei Kentarou übernachtete. Aber ihre Verstimmung musste hintanstehen, wenn es um Kentarou ging. Rasch wechselte er in das alte Haus, kam gerade rechtzeitig, um Kentarou unter der Dusche abzulösen. Das war recht unbequem, denn dieses Badezimmer war nicht für Leute wie ihn geeignet, die das normale Maß sprengten. Noch duschfeucht kehrte er in den Wohnraum zurück, wo Kentarou im Schein einer der alten Laternen sehr leise dem Radio lauschte. Musik, die der alte Mann sehr geschätzt hatte. Hiroki rückte neben Kentarou, wickelte den Freund in die Bettdecke, bevor er begann, Platz für die Futons zu schaffen. Er ließ sich endlich neben ihm nieder, legte den Arm um die schmalen Schultern und hoffte, dass seine Gegenwart Kentarou ein wenig Trost bot. ~+~ Motokis reflexartiges Lächeln verwandelte sich in ein verblüfftes Strahlen, als er am Schultor Arashi erblickte. Der lehnte, groß gewachsen, die Strähnen wild, nachlässig rasiert, an der Mauer, löste sich aber, als Motoki die Schwelle des Tors überschritt. "Guten Morgen." Begrüßte Motoki den Jüngeren freudig. "Guten Morgen, Haru-chan." Schnurrte Arashi sonor, legte wie selbstverständlich einen Arm um Motokis Schultern, besitzergreifend und fürsorglich zugleich, führte den Älteren zu den Schließfächern. "Sehe ich dich heute beim Mittagessen?" "Ich möchte sehr gern mit dir essen." Antwortete Motoki lächelnd, registrierte beiläufig die fassungslosen Blicke der Mitschüler. Ausgerechnet der rücksichtslose Schülerpräsident, der ihre Schule in Verruf gebracht hatte, tat sich mit einem jüngeren Rabauken zusammen?! Arashi dagegen, der oft so desinteressiert und finster blickte, bedachte den Älteren mit einem Kosenamen und lächelte zu ihm herunter?! Ihn jedoch kümmerte das Gezische und Geflüstere hinter ihrem Rücken nicht. Zum ersten Mal seit Shins Aufbruch in diese Stadt gab es jemanden, der sich ehrlich freute, ihn zu sehen, der ihn anlächelte, ihm vertraute. Das war ein Gefühl, mit dem man mühelos Bäume ausreißen und Berge versetzen konnte! ~+~ Hiroki sammelte seinen Mut, um dann mit Kentarou das mondäne Büro von Meister Hagiwara zu betreten. Die Mitarbeiter, die Empfangsdame, sie alle erkannten Kentarou wohl, mussten aber instruiert worden sein, den Jungen nicht zu bestürmen oder ihn mit Beileidsbekundungen aufzuhalten. Trotzdem spürte Hiroki die neugierigen Blicke, das plötzlich einsetzende Schweigen. »Reiß dich zusammen!« Ermahnte er sich streng, immerhin SAH er ja wie ein Erwachsener aus, da konnte er schon für Eindruck sorgen. »Zumindest, solange ich nicht viel reden muss.« Dann wäre seine Unsicherheit wohl nicht mehr zu bemänteln. Auch an diesem Tag hielt er Kentarou lieber an der Hand, von einer merkwürdigen Furcht angetrieben, dessen schweigsame Gegenwart könnte sich so verändern, dass sein Freund sich in Luft auflösen würde. Meister Hagiwara ließ sie sofort eintreten, servierte persönlich Tee und Gebäck, um die gedrückte Atmosphäre ein wenig zu heben. Obwohl sich Hiroki ein wenig als Eindringling fühlte, wollte er doch um keinen Preis draußen warten. Hagiwara eröffnete ohne weitere Umschweife das Gespräch. Kentarou könne im alten Haus seines Großvaters weiter leben, solange nicht der überlebende Sohn und Kentarous ältere Schwester Ansprüche zur Aufteilung des Erbes erheben würden. Der Großvater hatte mit eisernem Sparen dafür gesorgt, dass die psychiatrische Behandlung seiner Enkelin gesichert war, aber ohne die Einkünfte des Handwerks und der kleinen Rente würde es für Kentarou gerade zum Leben reichen. Hiroki legte die Kondolenzschreiben auf den Tisch. Man würde antworten müssen, auf die Totenfeier aufmerksam machen, den wenigen Kunden ihre Wertsachen zurückerstatten mit einer Erklärung, warum sie nicht repariert werden würden. Und dann auch noch die Trauerfeier! Die Gedenkfeier sieben Tage später! Doch Meister Hagiwara hatte bereits auf jedes Problem eine Antwort, denn Kentarous Großvater hatte ihn entsprechend instruiert. Eine Nachricht an den im Ausland lebenden Sohn war bereits abgeschickt, nicht nur eine Bitte, zur Totenfeier einzufliegen, sondern auch die Verantwortung für den Neffen zu übertragen. Abgesehen von den verpflichtenden Gedenktagen hatte sich der alte Mann wenig ausbedungen, das als zeremoniell verstanden werden konnte, sogar säuberlich aufgelistet, welche Finanzmittel er seinem Enkel hinterlassen würde und wie weit die täglichen Ausgaben damit gedeckt werden konnten. Hiroki war beeindruckt. Er hatte nicht erwartet, Kentarous ungewöhnliche Nüchternheit bei seinem Großvater ebenfalls festzustellen. »Vielleicht hast du wie alle anderen einfach nur vorausgesetzt, dass Ken analytisch und gefühlsarm ist, weil er ohne Eltern aufgewachsen ist und immer den Haushalt geführt hat!« Schoss es ihm durch den Kopf. Keine schmeichelhafte Selbsterkenntnis. "Ich nehme an, Hajime wird sich bei mir melden." Erklärte Hagiwara gerade. "Ich werde für ein Hotelzimmer sorgen, denn ihn im Haus unterzubringen..." Bedeutungsschwanger ließ er den Satz in der Luft hängen. Kentarou nahm diese Anspielung offenkundig nicht wahr, denn er starrte unverändert auf die polierte Tischplatte, beteiligte sich nicht an der Erörterung. "Und-und Kentarous Schwester?" Bemühte sich Hiroki hastig, das Gespräch im Gang zu halten. Er war nicht sicher, ob es Hagiwara nicht doch beleidigte, dass sein Engagement von Kentarou so wenig gewürdigt wurde. Hagiwara stützte die Ellenbogen auf, bildete ein Dreieck mit gespreizten Fingern. "Nun, ich habe heute auch mit der Leitung des Instituts gesprochen, wo sie betreut wird. Sie halten ihren Zustand für zu labil, um einen Ortswechsel zu gestatten." »Es wäre vielleicht auch ein Schock, wenn sie ihren Onkel und ihren Sohn wiedersehen würde.« Ergänzte Hiroki stumm und fragte sich, ob der alte Mann Hagiwara auch in das Familiengeheimnis eingeweiht hatte. "Wir können also Folgendes tun: wir bringen die letzten Werkstücke zu den Besitzern zurück und versuchen, das Haus für Kondolenzbesuche herzurichten. Sonst noch etwas?" Fasste er entschlossen zusammen. Hagiwara warf einen Blick auf Kentarou. "Lasst mir die Kondolenzbriefe hier, die Antworten werden gerade gedruckt, und meine Mitarbeiter verschicken sie dann. Vielleicht kannst du herausfinden, ob für Sonntag entsprechende Kleidung vorhanden ist?" Hiroki bedankte sich für die Unterstützung und versprach, sein Bestes zu tun. Er wusste nicht, ob Kentarou über einen entsprechenden Kimono verfügte, wie man ihn zu offiziellen Ereignissen trug, hoffte aber, in der Not Entsprechendes ausleihen zu können. Sanft drückte er Kentarous Hand, erhob sich und zog seinen regungslosen Freund ebenfalls auf die Beine. Dessen apathischer Zustand erfüllte ihn mit Sorge. Auch Hagiwara wirkte irritiert, signalisierte dem Hünen aber stumm, dass es ohne Zweifel nicht hilfreich wäre, Kentarou zu bedrängen. Ein frostiger Wind pfiff durch die Straßen, als sie das Büro verließen. Die meisten Werktätigen befanden sich bereits auf dem Heimweg, die Restaurants und Imbisse waren gefüllt. Hiroki führte Kentarou an der Hand rasch weg von den grellen Lichtern und Leuchtreklamen, wollte das alte Haus erreichen und dort Zuflucht suchen. "Morgen, da teilen wir uns einfach die Arbeit auf." Raunte er Kentarou zu. "Ich liefere die Werkstücke mit dem Fahrrad aus, du nimmst die nähere Umgebung. Dann sind wir auch schnell fertig." Er erhielt keine Antwort. Kentarou stolperte aufgezogen hinter ihm her, hochaufgerichtet, aber nicht in dieser Welt präsent. Hiroki forcierte kein Gespräch, ließ Kentarou die Routine des Essenzubereitens absolvieren, drängte ihn unter die Dusche und dann auf den Futon. Er selbst erstellte anhand der Notizen des alten Mannes ihre Routen für den nächsten Abend und kletterte in das Obergeschoss, um in Kentarous Wandschrank und dann in einer alten Truhe nach einem Kimono zu suchen. Er wurde tatsächlich fündig, vermutete, dass es sich um Kleidungsstücke des Onkels handelte. Mit seiner Beute kehrte er in den Wohnraum zurück, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Während er den Kimono sorgsam auf eine Wäschestange auffädelte, bemerkte er, dass Kentarou zwar flach lag, aber mit offenen Augen die Zimmerdecke anstarrte. Das Herz krampfte sich ihm zusammen angesichts des katatonischen Zustands. Er konnte nur hoffen, dass sein Gute Nacht-Kuss wie ein Zauber den Schlaf beschwor und Kentarou von dessen Kummer erlöste. ~+~ "Ich glaube, wir sind nicht die einzigen." Mamoru hatte sich geschickt einen Platz neben Satoru in der Mensa besorgt und sprach vertraulich mit ihm. Bisher hatte noch niemand ihrer Freundschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt, was sie beide positiv stimmte. Satoru warf ihm einen überraschten Blick zu, wurde dann mit einer minimalen Geste auf den Schülerpräsidenten hingewiesen, der einige Tische weiter recht isoliert saß. "Wer ist das?" Erkundigte sich Satoru flüsternd, schaufelte zur Tarnung etwas Reis in seinen Mund. Seine dunkelbraunen Augen richteten sich auf den groß gewachsenen Erstklässler, der dem Schülerpräsidenten gegenüber saß und ungeniert eine Süßspeise mit ihm teilte. Es war nicht unbedingt ein Turteln, aber jede Geste drückte eine intime Nähe und Vertrautheit aus, die andere einfach ausschloss, in den Hintergrund rücken ließ. "Ich kenne ihn nicht gut." Antwortete Mamoru. "Er geht nicht in meine Klasse. Sieht aus wie ein Yakuza oder ein Rowdy, nicht wahr?" Satoru schob Mamoru unauffällig die Omelette-Röllchen zu, die er nicht mehr essen konnte. "Könnte man wohl annehmen." Antwortete er versonnen. Allerdings, würde ein mutmaßlicher Unruhestifter einen anderen Jungen so intensiv ansehen? Auf diese Weise anlächeln? "Er muss verrückt sein, um sich ausgerechnet jetzt mit dem Schülerpräsidenten einzulassen!" Stellte Mamoru fest, doch es klang eher bewundernd als abschätzig. "Vielleicht sind sie ja ineinander verliebt?" Murmelte Satoru kaum hörbar. Obwohl er mit dem Schülerpräsidenten Haruno nicht näher bekannt war, hielt er es doch für ausgesprochen tapfer, sich mit dem Gentlemen's Club anzulegen, allein gegen eine ganze Schule zu stehen. "Wohnt dieser Typ nicht auch in deinem Wohnheim?" Mamoru mümmelte die Reste von Satoru, konzentrierte seine großen, schwarzen Augen auf dessen gedankenverlorenes Gesicht. "Ja, ich glaube schon." Der Ältere zog die Stirn in Falten. "Was hast du denn vor?" "Ich?" Mamoru stapelte ihr Geschirr. "Nichts weiter. Könnte aber ganz interessant sein, die beiden mal kennenzulernen, oder?" Satoru folgte seinem Beispiel und erhob sich. "Wir würden dann selbst ins Rampenlicht geraten!" Warnte er. "Ja." Bedauerte Mamoru versonnen. "Das ist natürlich schade." ~+~ Seiji und Tomohiko steckten die Köpfe während der letzten Stunde des Selbststudiums zusammen. Sie konnten gut lernen, also gab es keinen Grund für ihre Mitschüler, diese enge Freundschaft misstrauisch zu betrachten, obwohl einige mutmaßten, dass Tomohiko mehr als nur ein 'Freund' sein wollte. Warum hätte er sonst mit Prügeln drohen sollen? "Jetzt bin ich hier auch als böser Bube angeschrieben." Tomohiko zwinkerte Seiji zu und krakelte eine Frage auf seinen Block, schob ihn zu Seiji hinüber. [Wollen wir am Sonntag wieder bei mir essen, spazieren gehen und abends ins alte Badehaus?] Das Programm hatten sie zwar am vergangenen Sonntag auch abgespult, doch Seiji malte sofort ein grinsendes Gesicht unter die Frage. Bei Tomohikos Familie fühlte er sich sehr wohl und geborgen. Außerdem beruhigte es seine Eltern nach den hässlichen Medienmeldungen, dass er ausnahmsweise nicht vom dem unsäglichen Skandal betroffen war. Tomohiko stützte das Kinn in die Hand und betrachtete Seiji unverhohlen. Mit jedem Tag, so hatte er das Gefühl, wuchs seine Liebe mehr. Er wollte sein Bestes geben, um Seiji der richtige Freund zu sein, die eigenen Schwächen überwinden, ein besserer Mensch werden. "Tomo?" Die Nase kraus gezogen musterte Seiji den träumerischen Ausdruck auf Tomohikos Gesicht irritiert. "Ja?" Ohne Scham, weil er seine Hingabe und Faszination nicht verbergen konnte, erwiderte er den fragenden Blick. "Bring mich nicht in Verlegenheit mit solchen Blicken!" Knurrte Seiji finstersten Gesichtsausdrucks. "Entschuldigung." Der Freund neigte demütig das Haupt, zwinkerte aber keck. "Ich habe daran gedacht, dass ich unbedingt mal mit dir im Frühling zur Kirschblüte zu den heißen Quellen fahren will." "So, so." Grummelte Seiji, konzentrierte sich scheinbar auf das aufgeschlagene Lehrbuch, doch seine freudig geröteten Wangen verkündeten eine andere Sprache. ~+~ Als Mamoru vom Laufen errötet und außer Atem im Kellereingang Nummer Drei stand, hatte Satoru bereits zu Füßen der Treppe ein Handtuch ausgebreitet, die kleine Toilettentasche mit den Utensilien in Reichweite deponiert und sich selbst entkleidet. Mamoru schloss eilig die Tür hinter sich ab, eilte die Stufen hinunter. "Entschuldige die Verspätung!" Keuchte er, streifte sich im Galopp bereits die Uniformjacke von den Schultern. Er ließ sie achtlos auf seine Schultasche fallen, ging dann vor Satoru in die Hocke, der nackt auf dem Handtuch kniete. Mit beiden Händen strich er heftig über Satorus Arme, den Rücken, dann kreiste er vorsichtiger über dessen Wangen. "Du hast ja einen Entenparka! Wenn du dich bloß nicht erkältest!" Tadelte er besorgt. "Verdammt, und ich bin verantwortlich, weil ich nicht früher abzischen konnte!" "Ma-macht do-doch ni-iichtsss!" Versicherte Satoru mit klappernden Zähnen, in den dunkelbraunen Augen blitzte allerdings ein Feuer. "Von wegen!" Mamoru zog den Älteren in seine Arme, rubbelte und rieb energisch. "Erst musst du dich aufwärmen!" Er konnte allerdings nicht verhehlen, dass sein Körper bereits ungeniert auf den höchst appetitlichen Anblick reagierte, ganz zu schweigen vom Gefühl der harten Brustwarzen unter seinen kreisenden Handtellern! "Die Beine noch!" Kommandierte er, dirigierte Satoru auf den Rücken, der artig die Glieder spreizte und auf Mamorus Schultern legte, sie nacheinander massieren ließ, während er selbstvergessen über seinen Schritt streichelte. "Satoruuuuuu!!" Jaulte der Jüngere gequält, wie konnte Satoru ihm das antun?! Mit diesem gepflegten Fingerspitzen an diesen neuralgischen Orten spazieren gehen, ihn unter halb gesenkten Lidern förmlich mit Blicken versengen?! "Beuge dich vor." Wisperte Satoru kehlig. "Dann helfe ich dir." Als Mamoru der Aufforderung nachkam, nicht mehr auf seinen Fersen kniete, fasste er zwischen seine weit gespreizten Beine hindurch nach Mamorus Uniformhose, knöpfte sie auf und zog den Reißverschluss hinunter. Sofort ragte ein sehr eifriger Kundschafter neugierig hervor. "...nein!" Schritt Mamoru ein, bevor der Ältere seine Erektion liebkosen konnte. Das ginge zu schnell, und Satoru war noch nicht präpariert. »Ich kann mich beherrschen! Ich halte das aus!« Redete er sich ein, wiederholte es ununterbrochen. Währenddessen benetzten sich seine bebenden Finger mit Gleitmittel, erneuerten die Bekanntschaft mit Satorus Unterleib. Dessen Wimpern flatterten, er stöhnte genießerisch und wand sich, als wolle er allein durch die forschenden Finger den Höhepunkt erreichen. Ihre Hände waren feucht und wie statisch aufgeladen, als sie sich gegenseitig die Kondome überstreiften. Mamoru, nahezu vollständig bekleidet, sah man von einer blanken Kehrseite ab, angelte nach seiner Uniformjacke und bugsierte sie unter Satorus Hinterkopf. Er beugte sich tief über den Älteren, überließ es dessen Geschicklichkeit, seine Erektion in dessen Leib zu dirigieren. Nachdem die Spitze bereits in die verschwenderisch Hitze verströmende Körperöffnung eingeführt war, verließ Mamoru sich allein auf die Muskelkraft seiner Beine, um einen Sturz auf die Nase zu verhindern. Seine Hände nämlich legte er unter Satorus Kehrseite, hob dessen Becken dann an, um nicht nur sein Glied tief in den Unterleib des Älteren zu versenken, sondern auch perfekt den Reizpunkt zu treffen, wo Satorus Nerven sich bündelten. Satoru schlang die Arme um Mamorus Nacken, atmete stoßweise und rollte den Unterbauch ein, damit Mamoru sich leichter tat. Endlich, blinzelnd, nach Luft schnappend, hatten sie ihren gemeinsamen Rhythmus gefunden. Vage meinte er, seinen Namen zu hören, mehr als einmal, doch im Augenblick zählte nur die Explosion, auf die sie unweigerlich zusteuerten. Mit jedem inneren Volltreffer, aneinander geklammert, wie eine einzige, gewaltige Dampfmaschine unter Vollleistung, der Heizkessel kurz vor der Detonation. Eine Weile später, gelöst und aufgekratzt-heiter kuschelten sie eng, nackt in das Handtuch eingewickelt, küssten sich unentwegt. "Ich bin so froh, dass wir uns hier begegnet sind!" Vertraute Mamoru seinem Freund an. "Ohne dich ist das Leben öde und grau." "Schmeichler!" Neckte Satoru, verlegte sich auf Eskimoküsse, blinzelte in die großen, schwarzen Augen. Aber er war ebenfalls dem glücklichen Geschick dankbar, das sie vereint hatte. Mit Mamorus großzügiger Erlaubnis erneuerte er dessen Cornrows, streichelte das krause Haar und versicherte dem Jüngeren erneut, dass überhaupt keine Notwendigkeit bestand, sich wieder wie früher zu rasieren. Nein, ganz im Gegenteil! Der nach Leder duftende Mamoru mit seinem martialischen Haarschnitt und dem eindrucksvoll sehnig-muskulösen Körper eines Mannes sprach alle seine Sinne an! Mamoru wiederum beschloss, dass er Satoru unbedingt am Sonntag ausführen musste. Er wollte dem Älteren Gelegenheit geben, ihn näher kennenzulernen. Nicht nur bis auf die Haut und Knochen. ~+~ "Hast du noch Schmerzen?" Arashi streichelte über die verheilende Narbe in Motokis Leib. "Aber nein." Versicherte der amtierende Schülerpräsident lächelnd, schmiegte sich in die Umarmung. Nie hätte er sich vorstellen können, wie wundervoll es war, auf dem Schoß eines jüngeren, beängstigend finster aussehenden Schülers zu sitzen, mit geöffneter Hose und aufgeknöpftem Schulhemd. Er liebte die Zärtlichkeiten, mit denen Arashi ihn bedachte, auch wenn es ihn durchaus ein wenig enttäuschte, dass sie am vorherigen Tag und auch heute nicht miteinander geschlafen hatten. Fürchtete sich Arashi etwa davor, ihn zu verletzen? Besorgt drehte er den Kopf auf Arashis Schulter, blickte zu ihm hoch, auf die struppigen Strähnen, die Koteletten, den Dreitagebart. Arashi schien in Gedanken versunken, auf die Ferne konzentriert. Motoki hob eine Hand, legte sie behutsam auf Arashis Wange. Fragend blickte er in die schwarzen Mandelaugen unter den fein gezogenen Augenbrauen. "Bist du sauer auf mich?" Die sonore Stimme so nahe an seinem Rückgrat vibrierte köstlich durch Motokis gesamten Körper, von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Er erschauerte vor Verlangen. "Ich bin nicht wütend." Antwortete er, beachtete die Röte nicht, die sich ohne Zweifel auf seinen Wangen zeigen musste. "Aber du willst wissen, warum ich nicht wie ein brünftiger Ochse auf dich draufspringe." Sprach Arashi sehr bodenständig und direkt Motokis Gedanken aus. Seine muskulösen Arme schlossen sich enger um dessen Oberkörper, er senkte den Kopf auf Motokis Schulter, küsste eine entblößte Stelle am Hals. "Ich möchte mich zurückhalten, damit wir uns auch mal unterhalten können. Wirft nicht gerade ein gutes Licht auf mich, wenn ich bloß mit dem Schwanz denke, oder?" Seine zerknirscht-schurkische Miene entlockte Motoki ein Lachen. "Ich habe bestimmt nicht so eine einseitige Meinung von dir." Antwortete er keck, dirigierte Arashis Linke auf seinen Schritt. Der Jüngere seufzte, bog die Finger leicht, was Motoki ein Keuchen entlockte. "Ich schätze, ich sehne mich nach dem Unmöglichen. Ich würde gern einen ganzen Tag damit verbringen, dich zu lieben, ohne Hektik, ohne unbequeme Notbehelfe." Nun konnte Motoki nicht mehr leugnen, dass seine Wangen dunkelrot erglühten. Arashi beachtete das mutmaßlich nicht, denn er fuhr bedauernd fort. "Aber solange wir nicht zusammenleben oder ohne Probleme in ein Love-Hotel gehen können, sind die Chancen dafür wohl nicht gerade gut, wie?" Der Schülerpräsident schwieg, die Lippen aufeinander gepresst. Arashis beiläufiges Kraulen seiner Genitalien tendierte dazu, die Gedanken zerstoben zu lassen, bevor sie überhaupt eine Form annehmen konnten. "Haru-chan." Mit der freien Hand dirigierte Arashi das Kinn des Älteren, um ihn mit sanften Küssen zu verführen, die Lippen doch zu teilen. Bald konnte Motoki diesem Sirenenruf nicht widerstehen, stöhnte vernehmlich und erstarrte für einen Augenblick. "Keine Angst." Arashi streichelte über die vor Verlegenheit glühende Wange. "Es ist niemand mehr da, der uns hören könnte." "...wenn-wenn ich..." Motoki blinzelte, hatte Mühe, sich zu fokussieren. "Wenn ich eine Decke mitbringe...und vielleicht ein Kissen...?" Arashi lupfte eine der fein gezeichneten Augenbrauen über den schwarzen Mandelaugen, zeigte sein charmant-schurkisches Lächeln mit den kräftigen Zähnen. "Ich wusste gar nicht, dass du so sehr auf mich stehst!" Neckte er Motoki. Der revanchierte sich, indem er erst in Arashis Unterlippe biss, dann darüber leckte. "Jetzt weißt du es." "In Ordnung." Grollte der Jüngere sonor, gab Motoki frei, um ihn an den Hüften zu fassen und auf die Beine zu stellen. Anschließend drehte er Motoki um die eigene Achse, damit er ihn wieder mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß ziehen konnte. "Die Handarbeit überlasse ich dir." Zwinkerte er frech, doch das konnte Motoki keineswegs schrecken. Das Gefühl, Arashi zu spüren, die abstrahlende Körperwärme wie einen Schutzschild zu empfangen, ihn so leidenschaftlich zu küssen, dass die Hände unter seinem Hinterteil sich verkrampften, waren Motoki Ansporn genug. »Beinahe erschreckend, wie sehr ich von dir geliebt werden will!« Funkte er unter halb gesenkten Lidern in die schwarzen Mandelaugen. Arashi lächelte, ungewohnt scheu und gar nicht selbstsicher. Wieder einmal überraschte er sich selbst dabei, dass er bei dem Gedanken schlucken musste, sein Leben mit diesem sanften, rücksichtsvollen Menschen zu verbringen. »Ich werde für dich kein Nichtsnutz sein!« Versprach er erneut stumm, küsste Motoki hingebungsvoll. Shin hätte seinen Haru-chan sicherlich sehr liebenswert gefunden! ~+~ Zwei Tage später hatte sich Kentarous Zustand nicht verändert. Er tat, was man ihm sagte, brachte aber kein Wort mehr über die Lippen. Die Hausarbeiten wurden wie früher erledigt, effizient und geschickt, doch ohne die munteren Selbstgespräche, mit denen ihn sein Freund früher unterhalten hatte. Hiroki fragte sich, was wohl die Kunden gedacht haben mochten, als Kentarou ihnen am Vorabend schweigend ihre unvollendeten, nicht reparierten Gegenstände zurückerstattet hatte. Er konnte nur hoffen, dass sie bereits um die näheren Umstände wussten und Verständnis für seinen Freund hegten. Es nieselte leicht, ein dünner Regenfilm, als sie sich auf den Heimweg machten. Der Herbst zeigte sich übellaunig, doch weitere Taifune waren bisher nicht über die Stadt gezogen, sodass man sich wohl nicht beklagen konnte. »Trotzdem!« Schnaubte Hiroki. Er konnte die Plastikumhänge nicht leiden, weil er sich wie in einem Treibhaus fühlte. Sie rochen es, bevor sie in ihre Straße einbogen. Hiroki spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. In seinem Magen ballte sich ein eisiger Klumpen zusammen, wurde immer schwerer. Dünne Rauchschwaden kreiselten träge, ölig in den bleigrauen, verhangenen Himmel. »Bitte nicht! Bitte, BITTE NICHT!« Flehte er stumm, umklammerte Kentarous Hand mit aller Kraft. Dennoch gelang es ihm nicht, seinen Freund festzuhalten, der sich losriss, die Tasche fallen ließ und davonpreschte. "Ken! KEN!" Hiroki brüllte hinter ihm her, nahm die Verfolgung auf. Doch obwohl er mit seinen langen Beinen weit ausgreifend rannte, konnte er den trainierten Läufer Kentarou nicht einholen. Kentarou hielt erst inne, als er den Grundstücksrand erreichte. Einige Nachbarn, die sich in kleinen Gruppen unter Regenschirmen versammelt hatten, wichen beiseite, als er schwankend zum Stehen kam, auf die rauchenden, von Löschwasser und Nieselregen durchtränkten Überbleibsel seines Elternhauses starrte. Überall Ruß, abgebrochene Holzbalken vom Druck des Einsturzes zersplittert, beißender Qualm von schwelenden Glutherden unter den Trümmern, die man wegen der Einsturzgefahr nicht löschen konnte. Hiroki erreichte Kentarou, der blind für die Gefahren und den erstickenden Geruch über die Trümmer stieg. "Ken! Ken, komm zurück!" Zögernd hielt er inne, wusste, dass er zu schwer und ungelenk war, um seinem Freund einfach zu folgen. Er fuhr wie alle anderen zusammen, als Kentarou zu schreien begann, unartikulierte, gepeinigte Laute, durchdringend bis ins Mark, erschütternd und aufwühlend. Die archaische Klage seines Freundes wurde von den Häuserwänden zurückgeworfen, erzeugte ein unheimliches Echo. Inmitten der rauchenden Trümmer stand Kentarou, tränenüberströmt und außer sich, schrie sich die Kehle wund, wirkte mit seinen verzerrten Gesichtszügen kaum noch menschlich. Hass spiegelte sich in seiner Miene, unbändige, zerreißende Wut, Schmerz und gewaltige Energie. Hiroki warf seine Angst beiseite, kletterte Kentarou nach, ignorierte den Ruß, der sich schmierig auf Kleidung und Haut festsetzte. Er wusste genau, was Kentarou vermuten musste: Matsushita und seine Spießgesellen hatten die Gunst der Stunde genutzt und das Haus angezündet, Kentarous geliebtes, altes Wohnhaus, seine Heimat. Der Hüne erreichte seinen Freund, doch dieses Mal ließ sich Kentarou weder beruhigen, noch anfassen. Hiroki musste Tritte und Schläge einstecken, gefährlichen Kopfstößen ausweichen, bis er mit der Verzweiflung des Liebenden Kentarou auskonterte und ihm hart in den Solarplexus schlug. Kentarou sackte bewusstlos in seine Arme. Der Hüne blinzelte, ihm schwindelte selbst, weil er kaum Atem bekam. Die Qual, seinen Liebsten besinnungslos prügeln zu müssen, trieb ihm bittere Tränen in die Augen, was der Gestank um ihn herum noch verstärkte. Mit Kentarou auf den Armen kletterte er schluchzend und zittrig über die Trümmer an den Straßenrand, wo er in die Knie brach. Die Anspannung war zu groß, um tapfer Haltung zu bewahren. Wie eine Puppe drückte er Kentarou an sich, wiegte ihn wie ein Kind und weinte dabei hemmungslos. Erst die Ohrfeigen seines Vaters brachten ihn wieder zu Verstand. Langsam und schwankend kam Hiroki wieder auf die Beine. Er war dankbar dafür, dass Kentarou offenkundig wieder das Bewusstsein erlangt hatte und nun förmlich an ihm klebte, die Arme um seinen Nacken geschlungen, die Beine wie Zangen um Hirokis Körpermitte. Stumm ließ er sich von seinen Eltern ins Haus führen, trug Kentarou in das Badezimmer. Der Schmutz musste runter, ihre durchgefrorenen Glieder aufgetaut werden. Kentarou zitterte am ganzen Leib und schluchzte unaufhörlich, mit der Vehemenz eines kleinen Kindes. Da war kein Trotz, kein Wille, nur Unverständnis und ungefilterter Schmerz. Sein Leid war so leidenschaftlich, so herzzerreißend, dass es beinahe unerträglich war, in seiner Nähe zu bleiben. Hiroki bot dem unsäglichen Gram tapfer die Stirn. Ganz gleich, wie schwach und hilflos er sich fühlte, für Kentarou musste er stark sein. Wen hatte sein Freund denn sonst noch?! Wie eine überfürsorgliche Mutter ließ er Kentarou nicht los, nahm ihn in oder auf die Arme, ob beim Einseifen oder in der tiefen Wanne, die ihre Glieder abtaute. Er brummte und summte mit schmerzender Kehle, streichelte und klopfte beruhigend auf den gramgebeugten Rücken, spendete so viel Trost, wie es ihm möglich war. Es gelang ihm sogar, Kentarou ein wenig heiße Brühe einzuflößen, bevor der auf dem großen Bett in sich zusammenfiel und einschlief. Hiroki saß lange auf seinem Bett, streichelte durch den wirren Schopf und studierte unglücklich seinen Freund. Er fürchtete sich vor dem Augenblick, da Kentarou erwachen und das Ungeheuerliche erneut erfassen würde. ~+~ Hiroki erwachte am nächsten Morgen, weil er ein vages Gefühl drohenden Unheils verspürte. Das bestätigte sich schnell, denn der Platz an seiner Seite war leer. Hastig warf er die Bettdecken zurück, kletterte aus seinem Bett. Die Zimmertür war geschlossen, keine Spur von Kentarou. Einem Impuls folgend stürzte er an sein Fenster und erblickte eine einsame Gestalt in einem übergroßen Pyjama mit aufgerollten Ärmeln und Hosenbeinen, die vor der Ruine im Schmutz kauerte. Ohne zu zögern stürzte Hiroki die Treppe hinunter, warf sich einen Mantel über und rannte ins Freie. Es war noch immer dunkel, früh am Morgen. Der Regen hatte sich verabschiedet, doch in der Luft lag der schwere Geruch des Brands. Kentarou kniete barfüßig im rußigen Dreck, weinte vor sich hin, ohne Hoffnung. "Ken." Hiroki ging neben seinem Freund in die Hocke, legte die großen Hände auf die zuckenden Schultern. "Ken, bitte, lass uns reingehen. Es ist zu nass hier." Er verstand zuerst die unzusammenhängenden Silben nicht, die zwischen tiefen Schluchzern hervorgestoßen wurden, doch dann begriff er die Bedeutung. "Ich will nach Hause." Hiroki presste die Lippen so fest aufeinander, dass sein Kiefer knackte. Das alte Haus war Kentarous Anker gewesen, seine Heimat, die Zuflucht. Der Ort, wo alles gut war. »Ich verstehe.« Würgte er die bittere Wahrheit herunter und spürte einen beinahe unerträglichen Hass in sich aufsteigen, auf die Personen, die den Brand gelegt hatten. "Komm, Ken." Raunte er beruhigend, löste die dünnen Arme von den spitzen Knien, legte sie sich um den Nacken. "Halte dich an mir fest." "Ich will nach Hause!" Wie hell und verloren klang Kentarou an seinem Ohr! Plötzlich war Hiroki von einer großen Ruhe erfüllt. Er spürte, wie die Spannung von ihm abfiel. Es war ganz einfach. Vorsichtig richtete er sich auf, streichelte mit einer Hand über Kentarous filzigen Schopf, während er mit dem anderen Arm seinen Griff stabilisierte. "Ich weiß, dass du nach Hause möchtest." Tröstete er Kentarou zärtlich. "Nicht mehr weinen, ja? Ich verspreche dir, dass wir dein Haus wieder aufbauen. Ich werde dir helfen. In Ordnung, Ken? Werden wir dein Haus wieder aufbauen?" Zum ersten Mal seit Tagen blickten die Katzenaugen nicht durch Hiroki hindurch. Rot geädert und von dunklen Ringen umgeben wirkten sie entzündet, doch ihre Erfassung war scharf gestellt. "Wollen wir das tun?" Wiederholte Hiroki sanft seine Frage. Kentarou liefen zwar noch immer die Tränen aus den Augen, aber er schluchzte nicht mehr, zitterte weniger, schniefte nicht. "In Ordnung." Krächzte er schließlich heiser, legte die Stirn an Hirokis. "Fein. Wir schaffen das." Verkündete Hiroki mit grimmiger Entschlossenheit. Kentarou in seinen Armen wurde schwer, offenkundig von der Erschöpfung übermannt. Hiroki nutzte also die Gelegenheit, wieder in sein Elternhaus einzutreten, ignorierte die Schmutzspur, die sie bis zum Badezimmer zogen. Erstmal musste Kentarou wieder aufgepäppelt werden. ~+~ Kapitel 25 - Zuversicht Mamoru rannte beinahe den Schülerpräsidenten am Schultor über den Haufen, so eilig hatte er es, zu Satoru zu kommen. "Noch brennt die Hütte nicht!" Eine strenge Hand fischte ihn am Kragen und bremste seinen Schwung wirkungsvoll aus. "Ja, tut mir leid, Verzeihung, ich muss jemanden sprechen!" Sprudelte Mamoru ungeduldig hervor, zappelte in dem kräftigen Zugriff, funkelte angriffslustig in die schwarzen Mandelaugen eines Erstklässlers, der verdächtig nach Yakuza und Ärger aussah. "Alles klar." Ein unerwartetes Zwinkern veränderte das finstere Gesicht, enthüllte einen werbenden Charme. "Aber vergiss nicht: in den Gängen kein Scherzen oder Necken!" "Aye, aye!" Salutierte Mamoru frech, registrierte überrascht, dass der Schülerpräsident neben dem mutmaßlichen Gangster stehen blieb, ebenfalls lächelte. Für einen sempai, den man gerade, versehentlich zwar, angestoßen hatte, eine unglaubliche Reaktion! "Entschuldigung!" Mamoru neigte artig das Haupt. "Es ist wirklich wichtig!" "Das verstehe ich. Viel Erfolg." Wünschte der Schülerpräsident, ließ sich erstaunlich bereitwillig von dem Yakuza den freien Arm um die Schultern legen. "Haru-chan, du bist einfach zu nett!" Drang noch an sein Ohr, dann war er bereits in die Fluchtrichtung gestellt und mit Schwung weiterbefördert worden. »Die sind doch unter Garantie ein Paar!« Frohlockte es in seinem Hinterkopf. »Wenn es bei ihnen klappt, warum dann auch nicht bei uns?« Er fing Satoru hechelnd und erhitzt bei dessen Schließfach ab, widerstand mannhaft der Versuchung, ihn zu herzen und zu küssen. "Hier!" Schwenkte er eilig einen Umschlag. "Das musst du unbedingt deinem Heimleiter geben! Du übernachtest morgen bei mir, und Sonntag gehen wir aus!" Blitzartig färbte Röte das Gesicht des Älteren. Wie konnte Mamoru so einfach alles ausposaunen?! "Mann, hast du es gut!" Maulte ein Mitschüler neben Satoru. "Ich hätte auch Lust, einen draufzumachen, aber ich kenne keinen, der hier wohnt! Geht ihr auch zur Einkaufsmeile? Oder ins Kino?" "Weder noch!" Grinste Mamoru frech. "Es ist eine Überraschung!" Damit machte er kehrt, um vor dem ersten Gongschlag noch seine Straßenschuhe gegen die Schulschlappen zu tauschen. Satoru atmete tief durch. Warum war Mamoru so unvorsichtig? Hatte wirklich niemand seiner Mitschüler etwas bemerkt? »Ich MUSS mit ihm ein Hühnchen rupfen!« Nahm er sich grimmig vor. ~+~ Am späten Nachmittag, Hiroki hatte gerade erneut nach Kentarou gesehen, der wie ein Murmeltier schlief, sprach Meister Hagiwara vor. Seiner erschütterten Miene war anzusehen, dass auch ihn der Anblick der Ruine mitgenommen hatte. Hiroki bat ihn in das Wohnzimmer und übersah geflissentlich die ärgerlichen Blicke seiner Mutter. "Eine furchtbare Sache." Hagiwara schüttelte bekümmert den Kopf. "Ich gehe jede Wette ein, dass dieser Matsushita dahintersteckt. Er kann aber Kentarou nicht zum Verkauf zwingen, oder?" Hiroki konzentrierte sich auf sein Vorhaben mit kriegerischer Unbarmherzigkeit. Aufgeben kam definitiv nicht in Frage. "Das nicht, aber irgendwo wird Kentarou leben müssen." Hagiwara nippte an seinem Tee, tupfte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. "Könnte er vielleicht Kentarous Onkel überreden?" Hiroki überdachte alle Möglichkeiten. Wer erbte das Haus? Wer durfte über das Grundstück verfügen? "Wenn Kentarou das Grundstück nutzen sollte, müsste er seinen Onkel und seine Schwester entsprechend entschädigen." Antwortete Hagiwara matt. "Man müsste den Onkel darum bitten, auf gar keinen Fall einem Verkauf zuzustimmen und den Erhalt der Entschädigung zu verschieben" Hiroki notierte auf einem Notizblock mit. "Aber welchen Sinn hat das noch?" Hagiwara seufzte. "Das Haus ist zerstört. Der Junge hat nicht mehr als seine Schuluniform! Was nützt ihm da eine Ruine?" "Im Gegenteil!" Widersprach Hiroki heftig, die Augenbrauen zusammengezogen. "Er liebt das Grundstück und das Haus! Es ist SEIN Haus! Wir müssen es wieder aufbauen." "Ach, und wie?" Sein Gegenüber zog eine bittere Grimasse. Hiroki ließ sich nicht entmutigen. "Kentarou ist klug, und er kennt sich aus. Wenn es einer vermag, dann er! Vielleicht kann man noch Überreste retten. Alles weitere wird sich zeigen. Ich werde Ken helfen. Auch wenn es Jahre dauert, WIR BAUEN DAS HAUS AUF." Seine heftige Antwort sorgte dafür, dass seine Mutter mahnend im Türrahmen erschien, ihn zur Mäßigung anhielt. Hagiwara schwieg, nachdenklich. "Das Haus hier bedeutet Ken alles!" Plädierte Hiroki nun eindringlich. "Es IST wichtig! Wir müssen jetzt eine Durststrecke überbrücken, aber wenn wir unseren Schulabschluss haben, können wir auch arbeiten und Geld sparen! Bitte, Meister Hagiwara, als Kentarous Vormund, lassen Sie nicht zu, dass ein erpresserischer Brandstifter gewinnt!" "Du solltest besser solche Behauptungen unterlassen." Hagiwara tadelte zwar, doch ohne Schärfe. "Ich habe noch nicht gehört, dass man die Brandstiftung beweisen kann." Hiroki ließ sich nicht ablenken. Wichtig war jetzt, dass der Architekt begriff, wie viel dieses Haus seinem Freund bedeutete. Dass sie nicht aufgeben durften! Hagiwara erhob sich schwerfällig. "Ich werde noch kurz mit deiner Mutter sprechen. Auf die Schnelle werde ich für Kentarou keine Unterkunft finden. Bitte kümmere dich gut um ihn." Hiroki kam ebenfalls hoch, mahnte sich streng zur Geduld. Er durfte keine Antwort forcieren, sonst würde sie sich vielleicht gegenteilig auswirken. "Werdet ihr beiden morgen zur Schule gehen können?" Hagiwara wandte sich im Türrahmen um. "Ich denke schon." Gab Hiroki vorsichtig zurück. Zwar hatte seine Mutter angesichts der frühmorgendlichen Aktivitäten darauf verzichtet, ihn zur Schule zu schicken, doch er prophezeite, dass ihre Nachsicht nicht ewig andauern würde. "Sag Kentarou bitte, dass ich für übermorgen einen Kimono besorgen werde." Hiroki nickte und bedankte sich höflich. Er hoffte, dass Kentarou ausreichend wiederhergestellt war, um die Totenfeier zu überstehen. ~+~ Obwohl sich Satoru fest vorgenommen hatte, Mamoru ob dessen ungenierten Auftritts streng die Leviten zu lesen, spürte er doch, dass sein Elan dazu sich verabschiedet hatte. So lehnte er nun mit dem Rücken an den Schließfächern, wartete auf den Jüngeren, umklammerte die Tragegriffe seiner Reisetasche. Mamoru fegte stürmisch heran, strahlte erleichtert. "Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen!" Unaufgefordert packte er einen Tragegriff und zog Satoru förmlich hinter sich her, atmete hinter dem Schultor tief die feuchte, kühle Herbstluft ein. "ENDLICH! Ich kann es gar nicht erwarten!" "Pscht!" Mahnte Satoru hastig. Sie waren zwar die letzten Schüler, aber eben noch längst nicht völlig allein. Der Jüngere wandte den Kopf, lächelte versöhnlich. "Du hast ja recht. Ich sollte meine Glücksgefühle wirklich besser unter Kontrolle bekommen." Satoru schwieg betreten. Eigentlich wollte er Mamoru keinen Vorwurf machen, denn dessen ungekünstelte Begeisterung darüber, mit ihm seine Zeit verbringen zu können, war herzerwärmend und schmeichelhaft. "Ich-ich mache mir einfach Sorgen." Murmelte er schließlich. Es bestand ja immer die Möglichkeit, dass jemand redete, dass das Gerede an seinen Vater herangetragen wurde. "Es tut mir leid." Mamoru war stehen geblieben, blickte ernsthaft in die dunkelbraunen Augen des Älteren. "Ich werde besser aufpassen." Versicherte er. "Ach, ist ja nichts passiert." Wiegelte Satoru hastig ab. Er wollte auf keinen Fall das Wochenende verderben, von dem er doch vermuten musste, dass sich Mamoru sehr viel davon versprach. Der Jüngere lächelte freimütig. "Ich schaffe das schon, bestimmt!" Dann nahm er wieder Tempo auf, zog Satoru zur Bahnstation. Im Gedränge der Pendler konnte er Satoru an sich ziehen, den Arm um dessen Taille legen und ihm leise zuflüstern, dass er überzeugt war, der Schülerpräsident und der finstere Yakuza-Typ aus der Ersten seien ein Paar. "Wir sind gar nicht so allein." Zwinkerte er Satoru zu. Der hob in einer elegant-ratlosen Geste die Schultern. Vielleicht waren die Eltern der beiden weniger konservativ eingestellt und überließen ihren Söhnen die Entscheidung über deren Lebensführung. Dann erinnerte er sich daran, dass der Schülerpräsident über ihn Bescheid wissen musste. Wenn der den Gentlemen's Club gesprengt hatte, dann sicherlich nicht, ohne sich über die Erpressungstatbestände zu erkundigen. Ihn schwindelte vor Entsetzen, er musste sich stärker an Mamoru lehnen, der ihn überrascht stützte. "Geht es dir nicht gut? Bekommst du keine Luft mehr?" Sofort löste der Jüngere auch den weiten Griff um die Haltestange, umarmte Satoru beruhigend. Der wisperte an seinem Ohr verkrampft. "Er...der Schülerpräsident...er weiß Bescheid. Über mich." Mamoru bemerkte, dass sie bereits ihre Station erreicht hatten. Das verschaffte ihm Zeit, sich eine Replik zu überlegen, während er ihre Taschen aufsammelte, sie als Prellbock benutzte, um ihnen einen Weg zu bahnen. Er führte Satoru zu einer Reihe festmontierter Sitzschalen, ging vor ihm in die Hocke. "Warum sollte er dich verraten?" Er hielt Satorus klamme Hände fest, streichelte mit den Daumen über die Handrücken. "Er hat zwar den Gentlemen's Club aufgedeckt, aber keine Details preisgegeben. Sonst müsste die Polizei ja nicht auf Anzeigen der Opfer dringen. Ich glaube, er wollte den Opfern helfen. Warum sollte er sie erpressen?" "Ich weiß nicht." Auf Satorus Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Konnte es nicht auch sein, dass seine Mitschüler etwas vermuteten? Gegen die drei Drittklässler hätten sie sicher nicht gewagt, etwas zu unternehmen, doch jetzt fehlte der Druck von oben! "He. He, Satoru!" Mamoru löste seine Hände, um dem Älteren energisch über die Wangen zu reiben. "Keine Panik, ja?! Niemand wird dir etwas tun! Sollte einer etwas versuchen, dann finden wir einen Weg, ihn auszuschalten, in Ordnung?" "Ich weiß nicht." Wiederholte Satoru tonlos. Er fühlte sich von Fallstricken umzingelt, nun, da er sich nicht mehr einreden konnte, dass es bestimmte Regeln gab, die alle kontrollierten, ihnen bestimmte Verhaltensweisen aufzwangen. "Keine Angst, mein Prinz!" Mamorus betont neckende Ansprache nötigte ihn, in die großen, schwarzen Augen zu blicken. "Was kann schon passieren? Du hast mich! Ich finde schon einen Platz für uns zwei. Sieh mal hier!" Er löste eine Hand, kramte in seiner Schultasche herum und produzierte eine kleine Dose. "Haarspray." Erklärte er aufgeräumt. "Allerdings eine Spezialmischung. Mein Chef hat sie mir von einem Freund besorgt. Falls uns dein Vater oder irgendein anderer steifnackiger Gorilla überfallen sollte, erlebt er eine böse Überraschung." Er sah ernst in die dunkelbraunen Augen, streichelte mit der anderen Hand über die aparten Wangenknochen. "Wir schaffen das, Satoru. Gemeinsam gelingt uns das bestimmt. Nur Mut!" Satoru fühlte, wie sich entgegen seinem mulmigen Gefühl ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Nach einigen tiefen Atemzügen erhob er sich. "Wir gehen besser, bevor es anfängt zu regnen." Er sammelte seine Reisetasche auf. Mamoru tat es ihm gleich, warf ihm einen Seitenblick zu. "Fühlst du dich etwas besser?" Der Ältere senkte den Kopf, lächelte verschämt, bevor er sich zu Mamoru umwandte. "Ich glaube, wir sind quitt. Du rettest mein Leben." Für einen langen Moment, der zehn Meter Weg zurücklegte, schwieg der Jüngere, dann bleckte er kämpferisch die Zähne. "Kann schon sein." Formulierte er bedächtig. "Du weißt ja, was man darüber sagt, wenn man jemandem das Leben rettet: man ist für ihn verantwortlich!" Der Blick aus den großen, schwarzen Augen konzentrierte sich auf die Ferne. "Ich werde das bestimmt nicht vergessen!" ~+~ Motoki hatte einige Mühe, die Decke mit dem verblassten Muster aus seinem Schließfach zu zerren. Als es endlich gelungen war, machte er sich eilig zu seinem Büro auf, die Tüte mit der Decke wie einen kostbaren Schatz vor den Leib gepresst. Am Tag zuvor hatte er zwei alte Sitzkissen dort deponiert, ebenfalls in Plastiktüten versteckt. Vielleicht könnte er heute den unerwartet standhaften Arashi überzeugen, dass es ausreichend gemütlich war! Immerhin würden sie sich am morgigen Tag nicht sehen können. Er hätte den Jüngeren zwar gern eingeladen, ihn bei seinen Eltern zu besuchen, aber Arashi arbeitete sonntags, wenn sich die Gelegenheit bot. Da Motoki über die finanzielle Situation seines jüngeren Freundes im Bilde war, konnte er nicht wagen, seine eigenen Wünsche anzubringen. Es hätte Arashi zweifellos in Gewissensnot versetzt! Er schob die Tür auf, ein wenig ungelenk dank der Decke, lächelte unwillkürlich, als er Arashi erblickte, der am Fenster stand, sich aber zu ihm umdrehte. "Sieh an." Raunte er sonor, schloss hinter Motoki die Schiebetür ab. "Leider..." Motoki atmete tief durch. "Leider kann ich nicht mehr entbehren." "Mein Beitrag ist auch nicht gerade üppig." Arashi rollte eine mitgenommene Matte auf dem Boden neben dem Tisch aus und kniete sich darauf. Aus seiner Tasche holte er zwei Teelichter in Plastikbechern, die Sorte, die man in den 100-Yen-Läden bekam. Motoki kniete sich neben ihn, strich mit einer Hand über die Matte. Vermutlich war es die, die Arashi benutzt hatte, als er vor einem Jahr hergekommen war, um die Wahrheit über Shins Tod herauszufinden. Als sie die beiden Kissen und die Decke verteilt hatten, klägliche Flammen in den buntbedruckten Plastikbechern zuckten, umarmte Arashi Motoki von hinten. "Sieht aus wie ein Lager für die Hochzeitsnacht." Raunte er sonor. "Es ist schön." Stellte Motoki sanft fest. Besonders die Kerzen gefielen ihm. Es war romantisch, sie neben ihrem Lager zu wissen und zu begreifen, dass sie Arashis Idee waren. Langsam entkleideten sie sich in der Semi-Dunkelheit, fassten sich an der Hand, als sie über die Decke stiegen, um sich darunter zu kuscheln. Arashi prüfte rasch, ob er auch Kondome und Gleitmittel erreichen konnte, konzentrierte sich dann auf Motoki. Er stützte sich mit den Knien auf, die Beine zwischen Motokis geschoben, verflocht ihre Finger miteinander. So viel Körperkontakt, wie er wagen konnte, ohne den Älteren zu erdrücken, zärtliche Küsse auf jede erreichbare Stelle. Immer wieder hob er den Kopf an, um Motoki unter sich im Kerzenschein zu betrachten. Jeden Herzschlag konnte er sich erneut in das gelöste Lächeln verlieben, die attraktive Leidenschaft bewundern, die Motoki verwandelte, aus dem blassen, etwas schüchternen Oberschüler einen strahlenden Engel machte, dessen Wärme und Güte sogar das körperliche Verlangen auf die hinteren Plätze verwies. "Arashi?" Der Ältere beendete einen der langsamen, Verstand raubenden Küsse. "Ich kann nicht mehr viel länger aushalten." Über ihm errötete der Jüngere, wurde sich des nachdrücklichen Botschafters bewusst, der gegen seinen Leib rieb. "Entschuldige, ich habe geträumt." Gab er sonor zu, löste eine Hand, um nach den Kondomen zu angeln. Motoki nutzte die kurze Ablenkung, um die freie Hand zwischen sie zu schieben und Arashis Erektion zu umschließen. "Hoffentlich von mir!" Neckte er kokett, goutierte die weit geöffneten Mandelaugen über sich. Auf eine charmant-schurkische Weise war Arashi so sexy, dass er am Liebsten das zärtlich-langsame Tempo angefeuert hätte, um sich wie wild mit ihm über den Boden zu wälzen. Mit einem heftigen Schauer gelang es Arashi, sich aufzusetzen. Die Decke glitt von seinen Schultern, sammelte sich um die Hüften, blieb an Motokis aufgestellten Knien hängen. Sein rasender Puls torpedierte die Konzentration, die erforderlich war, beide Erektionen mit einer Latexschutzschicht zu versehen. Motoki keuchte allein unter den glühenden Blicken, die Arashi ihm zuwarf, über seinen nackten Körper wandern ließ. Er beugte sich über ihn, um ein Kissen sanft unter Motokis Hinterkopf zu schieben, in eine ordentliche Position zu knuffen, zog die aufgestellten Beine näher an den Leib, um sich leichter mit dem Becken von der Matte lösen zu können. Motokis Bauchdecke zitterte vor Erwartung, denn zweifellos würde Arashi gleich mit geschickten Fingern das Gleitmittel verteilen. Der Jüngere jedoch zwinkerte ihm zu und positionierte zunächst das zweite Kissen unter Motokis Lendenwirbeln. Auf den eigenen Fersen hockend dirigierte er die mit Gleitmittel und Kondom bewehrten Finger in Motokis Körper, bereits von ersten Kontraktionen empfangen. Motoki legte den Kopf weit in den Nacken, schloss die Augen und kam Arashis Fingern entgegen. Bar und entblößt, auf verwundbarste Weise ausgeliefert spürte er, wie wahrhaft berauschend absolutes Vertrauen sein konnte. Seine Fingerspitzen tasteten nach Arashis Knien, streichelten sie fahrig. Der hatte Mühe, regelmäßig zu atmen. Er hörte seinen Namen von Motokis Lippen geflüstert, ein Lockruf, eine Aufforderung, konnte nicht widerstehen, sich nach vorne zu neigen, den Älteren im Gleichtakt seiner Liebkosungen zu küssen, mit der gelenkigen Zunge zu spielen. Arme schlangen sich kraftvoll um seine Schultern, hielten ihn fest, zogen ihn auf den bebenden Brustkorb hinunter. »Verflixt!« Kommentierte Arashi die Entwicklung. Er musste die Finger eilig aus den sich zusammenballenden Muskeln entführen, um zu verhindern, dass sein eigener Körper vorzeitig Erlösung fand. Feinfühlig gab Motoki die Schultern des Jüngeren frei, sank keuchend auf die Matte zurück. Blinzelnd, da er die Wimpern erst trennen musste, funkelte er zu Arashi hoch. Der zitterte noch unter dem Eindruck der knapp verhinderten Einzelaktion, hob erst dann den Kopf. "..Arashi..." Eine Hand streckte sich ihm entgegen, wollte gedrückt werden. Der Jüngere nahm sie, führte sie an den Mund und küsste den Handteller zärtlich. »Zum Teufel mit der Romantik!« Deklarierte er seine Absichten stumm, aufgestachelt durch das eindeutig mutwillige Lächeln auf Motokis Gesicht. Vorsichtig, aber entschlossen drang er in Motokis Leib ein, beugte sich tief genug, damit dessen Arme sich um seinen Nacken schlingen konnten. Sie waren beide bemüht, den letzten Rest Selbstkontrolle darauf zu verwenden, es dem anderen angenehm zu machen. Ein tollkühner Stoß von Arashi beendete allerdings rasch die gegenseitige Rücksichtnahme. Mit diesem Impuls nahm die vertraute und heiß ersehnte Kettenreaktion ihren Lauf, verschweißte sie miteinander, mischte ihre Empfindungen, als wären sie eine einzige Person. Atemlos und schwindlig schmiegten sie sich im Kerzenschein aneinander, vergaßen die Zeit. ~+~ "Ist deine Mutter auch da?" Satoru streifte sich die Straßenschuhe von den Füßen, riskierte einen vorsichtigen Blick. "Bestimmt in ihrem Zimmer." Gab Mamoru gleichmütig zurück, streckte Satoru die Hand hin, während er mit der anderen alle Taschen einsammelte. "Keine Sorge, sie weiß, dass du hier bist. Natürlich ist sie empört, aber das gibt ihr auch mal wieder einen Anlass, sich über etwas anderes aufzuregen." "Wird sie nicht irgendwann einmal etwas unternehmen?" Der Ältere ließ sich zwar führen, war aber noch nicht beruhigt. "Nein." Versicherte Mamoru knapp, drückte Satoru einen raschen Kuss auf die Wange. "Denn wem sollte sie etwas sagen? Einem MANN??" "Oh." Murmelte Satoru beschwichtigt. "Nun ja, du wirst sie am Besten kennen." Mamoru befand es für notwendig, dieses unerquickliche Thema zu beenden. "Ziehen wir uns rasch um, dann Abendessen, oder?" Während er die Schuluniform abstreifte und die geliebte Lederhose sowie ein ausgefranstes Sweatshirt überstreifte, wechselte Satoru ebenfalls in legere Bekleidung: eine bordeauxfarbene, changierende Samthose zu einem schwarzen Rollkragenpullover mit eingewebtem Muster. Der Effekt war beeindruckend: Haare und Augen schienen dunkler, leuchtender, die Haut ein wenig dunkler als gewohnt. Der Jüngere jedenfalls starrte mit offenem Mund. "Du-du siehst aus wie ein Star!" Brachte er schließlich stotternd hervor. "Ach was." Murmelte Satoru verlegen. Diese Kleider nahm er niemals mit nach Hause, sondern versteckte sie in seinem Schrank im Wohnheim. Er gefiel sich selbst in der Aufmachung, weil sie ihn elegant und schlank wirken ließ und er hatte sich ja vorgenommen, für seine Verabredung mit Mamoru schick auszusehen. "Das steht dir jedenfalls wundervoll!" Bekräftigte Mamoru mit offener Bewunderung. "Du könntest bestimmt jeden dieser Visual Kei-Stars in den Schatten stellen!" Ein schmeichelhaftes Lob, natürlich, aber es freute Satoru doch, der sich nur klammheimlich für Mode interessieren durfte. Mamoru fasste den Älteren bei der Hand, um mit ihn die Wohnküche hinüberzuwechseln. "Das Menü sieht Reis, Eieromelett, gedünstetes Gemüse und Suppe vor. Wir haben auch noch Süßkartoffeln." Offerierte der Jüngere lächelnd. "Lecker!" Erklärte Satoru leicht eingeschüchtert. "Wie kann ich denn helfen?" Mamoru, der nicht zu unrecht vermutete, dass Satoru nicht sonderlich viel Erfahrung im Kochen hatte, küsste den Älteren sanft auf die Wange. "Du kannst die Suppe erhitzen und den Reis im Kocher betreuen. Das Gemüse muss bloß gedünstet werden, das geht nebenher. Ich kümmere mich um das Omelett und die Süßkartoffeln." Artig wollte sich Satoru an die Arbeit machen, wurde jedoch um die Taille gefasst und ausgebremst. "Warte einen Moment, ich binde dir die Schürze um." Verlegen ließ sich der Ältere ausstaffieren und bemerkte, wie gleichmütig sich Mamoru selbst ein langes Tuch um die Hüften wickelte, bevor er geübt zu Werke ging. Obwohl sie nicht viel sprachen, hatte Satoru den Eindruck, Mamoru sehr viel besser kennenzulernen. Tatsächlich fehlte die überschwängliche Freude, die ihm Sorgen bereitete, der Jüngere könne seine Befürchtungen nicht ernst nehmen. Im Gegenteil, Mamoru agierte konzentriert und methodisch, lächelte ihm aufmunternd zu und deckte sogar noch rasch den Tisch. Als dann dampfend die kleinen Schälchen und Teller vor ihnen standen, eine Kerze angezündet den Mittelpunkt bildete, hatte Satoru das Gefühl, man könne selbst in einem Sterne-Restaurant nicht besser tafeln. Sie aßen beide mit gutem Appetit, gönnten sich eine kurze Verschnaufpause, bevor sie zum Ausgleich das Geschirr abspülten und wegräumten. "Wir sind ein gutes Team." Stellte Mamoru anerkennend fest und befreite den Älteren von der Küchenschürze. "Das klappt alles wie am Schnürchen." "Sollten wir...?" Satoru zögerte. Er wollte natürlich mit Mamoru schlafen, erwartete, dass sein Freund denselben Gedanken hatte. Also wäre es wohl angebracht, zuerst eine Dusche zu nehmen. "Oh!" Mamoru schaltete ohne Erläuterungen. "Duschen? Tja, nach der Uhr ist das Bad jetzt Territorium meiner Mutter, also werden wir uns noch ein wenig Zeit lassen müssen." Mit Satoru an der Hand kehrte er in sein Zimmer zurück. "Warum unterhalten wir uns nicht ein wenig? Glaubst du, wir sollten unsere Lieblings-Dingsda austauschen?" Frappiert ließ sich Satoru auf das Bett ziehen. "Lieblings-Dingsda?" "Na ja, ich habe gelesen, dass man wissen sollte, was der Partner gern mag. So was wie Lieblingsspeisen, Lieblingsfarbe, Lieblingsmarke und so weiter. Oder auch genau die Sternzeichen, die Blutgruppe und welche Seite im Bett bevorzugt wird." "Pardon?" Murmelte der Ältere noch immer perplex. Ein solches Gespräch hatte er noch nie geführt, musste sich aber eingestehen, dass er trotz der Flucht aus dem Elternhaus nur selten lange, persönliche Gespräche absolviert hatte. Er fühlte sich ein wenig unter Druck gesetzt, in dieser ihm fremden Welt die ersten Schritte zu tun. "Aber kein Problem!" Mamoru rutschte neben ihn, legte einen Arm um Satorus Schulter. "Eine Freundin von meinem Chef hat mir ein Magazin geschenkt, dass sie schon gelesen hat. Da sind zwar ihre Antworten angekreuzt, aber das können wir ja ignorieren." Er blätterte mit der freien Hand flink über die bunten Seiten, fand den Fragebogen, der sich mit über 100 Fragen als 'größter Beziehungstester' selbst lobpreiste und las die erste Frage vor. Nach anfänglichem Zögern und einer gewissen Skepsis, da alle wussten, wie leicht diese Testfragen zu manipulieren waren, um später das gewünschte Ergebnis bei der Beurteilung zu bekommen, zog Satoru amüsiert mit. Sie zählten gar keine Punkte, sondern wählten eine der Antworten oder gaben ihre eigenen bekannt. Weil das Sitzen bald zu unbequem wurde, legten sie sich nebeneinander auf das Bett, blätterten und diskutierten eifrig. Es war wirklich unterhaltend und verhinderte, dass verlegene Gesprächspausen aufkamen, weil sie noch nicht wussten, wie sie im Alltag Banales miteinander austauschen konnten. "Das war eine gute Idee!" Lobte Satoru schließlich den Jüngeren, rollte sich auf den Rücken. "Ich hätte nie gedacht, dass diese stupiden Tests so viel Spaß machen können!" "Ich hätte NIE gedacht, dass du auf Superkitsch wie High School Musical stehst!!" Gab Mamoru in gespieltem Entsetzen zurück, schob dabei frech eine Hand unter Satorus Hemd. "Du bist gemein!" Versetzte Satoru und hielt die Hand unter seinem Hemd in Höhe der Brustwarzen fest, funkelte in die großen, schwarzen Augen. "Ich mag Musicals eben grundsätzlich! Dafür werde ich mit dir bestimmt keinen Horrorfilm angucken!" "Schade!" Mamoru zog eine verzweifelte Miene. "Ich hatte mich schon darauf gefreut, dass du dich an mich klammerst und ich mit beruhigendem Sex Erste Hilfe leisten kann!" "Beruhigendem Sex?!" Schnaubte Satoru empört. "SO klapprig bin ich noch nicht, dass du mir nur noch mit narkotischem Sex kommen kannst!" "Das ist guuuuut zu wissen!" Schnurrte Mamoru kehlig, schob sich über Satoru und küsste ihn lange. Als sie sich trennten, durchaus widerwillig, aber bereits schwindlig, murmelte der Ältere matt. "Wie lange noch, bis wir ins Bad dürfen?!" Mamoru grinste, rollte Satorus Hemd hoch und leckte über dessen Brustwarzen. "Vergiss das Bad. Danach ist auch noch Zeit." Satoru hatte keine Mühe, dieser Aufforderung Folge zu leisten. ~+~ Mamoru erwachte in Gewohnheit recht früh, obwohl er wenig Schlaf bekommen hatte. Er aktivierte das Leselicht, drehte es aber so, dass der Schein Satoru nicht aufwecken konnte. Er betrachtete das Gesicht des Älteren, der ihm zugekehrt auf der Seite lag, die Strähnen wild auf dem Kissen verteilt. Satoru war wirklich schön, da gab es keinen Zweifel. Ohne Übertreibung, fand Mamoru, könnte sein Freund wirklich die Idols, die man zur Zeit sah, in den Schatten stellen. Das Wohnheim und die Schule waren die einzige Erklärung, warum Satoru nicht bereits von Bewerbern beiderlei Geschlechts umschwärmt wurde. »Ich werde mir Einiges einfallen lassen müssen, damit er sich für mich entscheidet!« Stellte Mamoru einmal mehr fest. Es war sicherlich ein Vorteil, dass sie phantastischen Sex hatten und dass er kochen konnte. »Geld und eine tolle Wohnung wären wohl auch nicht schlecht.« Sinnierte er, doch das war nicht in nächster Zukunft zu erwarten. »Aber ich habe einen Vorsprung!« Munterte er sich selbst auf. Und dann war da natürlich noch seine Überraschung... ~+~ "Was ist denn das?!" Platzte Seiji verblüfft heraus, als Tomohiko mit dem Fahrrad bei der Pension eintraf, um ihn abzuholen. "Guten Morgen, Seiji." Tomohiko schmunzelte ein wenig gequält. "Hast du gut geschlafen?" "JETZT bin ich in jedem Fall wach." Versetzte Seiji scharf und umkreiste misstrauisch das Fahrrad. Im Korb vorne lugten zwei große, triefende Augen lethargisch über den Rand. "WAS ist das?!" Anklagend zupfte Seiji an Tomohikos Windjacke. "DAS ist Daalingu." Er seufzte. "Daalingu?" Seiji benötigte einen Augenblick, bis er die Mitteilung dechiffriert hatte. "Darling?!" "Genau. Ein Mops, wie man unserer Nachbarin versichert hat." Tomohiko beäugte seinen Passagier ebenfalls kritisch. "Aha." Rutschte es Seiji trocken heraus. "Warum kutschierst du diesen unförmigen Klops herum?" Der Mops furzte vernehmlich. Tomohiko stellte mit tadellos neutralem Gesichtsausdruck fest. "Ich glaube, er mag es nicht, wenn du abschätzig von ihm sprichst." "Er stinkt!" Seiji, durchaus vertraut mit Tieren, konnte dieses überfütterte, übellaunig dreinblickende Vieh nicht ausstehen! "Wir müssen ihn leider auf unserem Spaziergang mitnehmen." Verkündete Tomohiko die traurige Botschaft. "Dafür essen wir aber mit meinen Eltern. Als Entschädigung." "Hrmpf!" Knurrte Seiji ärgerlich und kletterte auf den mit dem gewohnten Kissen ausgepolsterten Gepäckträger. "Ich wette, der fette Flohsack bewegt sich keinen Meter! Aber ICH werde ihn nicht schleppen!" In Tomohikos Gelächter ging ein weiterer, die feinen Empfindungen beleidigender Kommentar des Mopses unter. ~+~ Da Kentarou in der Nacht zum Samstag Fieber und Schüttelfrost bekam, stand es für Hiroki ebenfalls außer Diskussion, ohne den Freund in die Schule zu gehen. Was waren schon zwei versäumte Tage angesichts der Tragödien?! Hiroki gelang es, Kentarou am Sonntag zu einem leichten Frühstück zu überreden, denn sein Freund bekundete, es sei ihm unerträglich, etwas zu schlucken, so schmerze der Hals. Da Kentarou in den letzten Tagen stark abgebaut hatte, durfte man mit Medikamenten nicht allzu viel riskieren, wollte man nicht, dass er bei der Totenfeier des Großvaters zusammenbrach. Hand in Hand gingen sie zum Tempel, langsam, immer wieder innehaltend. Als sie die Halle betraten, in der aufgrund des großen Andrangs die Zeremonie stattfand, erlebte Hiroki eine Überraschung: Kentarous Onkel war bereits eingetroffen. Auch ihn hatte Meister Hagiwara mit einem Kimono ausgestattet, sodass Onkel und Neffe, oder vielmehr Vater und Sohn gleich gewandet waren. Hiroki führte Kentarou an den Platz an der Kopfseite, vor das große Porträt. Er konnte kaum glauben, wie ähnlich sich Vater und Sohn sahen. Eigentlich hätte es jedermann ins Auge springen müssen, dass Kentarou unmöglich der Sohn von Michiko und ihrem Mann war! Beide Männer waren sehnig-schlank und attraktiv, jedoch wirkte Hajime fahrig und unentschlossen. Offenkundig erfüllte ihn Nervosität, aber Hiroki registrierte auch, dass es zwischen Vater und Sohn keinen Kontakt gab. Man tauschte zwar ein paar Floskeln aus, doch eine Intimität erwuchs daraus nicht. Obwohl seine Eltern es nicht gern sahen, blieb Hiroki den ganzen Tag in der Halle, hielt sich im Hintergrund, denn ihm kam natürlich nicht der Status eines Familienmitglieds oder Vormunds zu. Aber er durfte Kentarou immer wieder vom Sitzkissen auf die Beine helfen, einige Schritte mit ihm gehen und ihm etwas zu essen aufnötigen. So konnte er wenigstens sicherstellen, dass sich dessen schlechter Gesundheitszustand nicht noch verschlimmerte. Endlich waren alle Bekannten und Freunde, Kunden und Nachbarn entlassen worden, konnte der Altar abgebaut werden. Kentarous Onkel erklärte, er müsse wieder nach Hause fliegen, zu seiner Arbeit und der Familie, sodass er nicht zum Sieben Tage-Gedächtnis bleiben könne. Hagiwara signalisierte Verständnis, auch der Großvater hatte in seinen Instruktionen damit gerechnet und verfügt, dass seine Asche nun ohne weiteres Aufheben bestattet werden sollte. Ein Tag großer Trauer war ausreichend. Hiroki nahm Kentarou Huckepack, verabschiedete sich von Hagiwara und dem Priester, der die Zeremonie umsichtig geleitet hatte. "Wir haben es geschafft." Raunte er Kentarou zu, der das Gesicht in seiner Halsbeuge verborgen hatte. "Nur noch duschen und schlafen." Er spürte anhand der kalten Lippen, dass Kentarou etwas sagte, hörte es jedoch nicht. "Wie war das?" Erkundigte er sich sanft. "Du lässt mich nicht allein, oder?" Wie zerbrechlich hohl klang Kentarous Stimme! "Ich lasse dich nicht allein, ganz bestimmt nicht!" Versicherte Hiroki feurig. "Ich bleibe bei dir. Schließlich bauen wir doch das Haus zusammen auf!" Hiroki spürte den warmen Hauch eines Seufzers. Kentarou antwortete ihm zwar nicht, aber der Druck der Arme um seinen Nacken verstärkte sich. Der Hüne schwor sich stumm, dass er nichts unversucht lassen würde, die Lebensgeister seines Freundes wieder anzufachen. ~+~ Nach einem ausgiebigen Frühstück hielt es Mamoru nicht länger in den eigenen vier Wänden. Er hakte Satoru unter und warf sich einen Rucksack über den Rücken. Der staunte nicht schlecht über die Verwandlung, die sich vor seinen Augen vollzog: Lederhosen, keine Unterwäsche, aber ein verfärbtes Hemd über einem Netztop, ein kunterbunter, überlanger Strickschal zu einer Fliegerjacke, die mit allerlei klapperndem Metall geschmückt worden war. Mamoru grinste, sich seiner Wirkung durchaus bewusst. Satoru dagegen, in einer einfachen Dufflecoat mit Kapuze über seiner geliebten Kombination kam sich banal und unauffällig vor. Er hatte keine Vorstellung, dass der elegante Seitenscheitel mit den langen Ponyfransen, seine anmutige Haltung und die klassische Schönheit nur noch durch die simple Kostümierung betont wurden. Gut vorbereitet führte Mamoru seinen Gast zunächst durch das allgemeine Vergnügungsviertel, wo nicht nur Spielhallen und Karaoke-Läden geboten wurden, sondern auch jede Menge Unterhaltung auf dem Bürgersteig. Wie auf dem Laufsteg wurden hier eigene Kreationen präsentiert, man tanzte in Formation zu den unterschiedlichsten Klängen oder produzierte sich selbst als Sänger. Sie stöberten in den Seitengassen durch Second Hand-Läden und Flohmärkte. Mamoru nötigte Satoru sogar, sich in ein pseudo-viktorianisches Kostüm zu hüllen, Pantalons zu Gehrock mit Weste, tailliertem Mantel und Hemden mit Spitzengeriesel an Handgelenken und der Brust, vervollständigt durch ein besonders kunstvoll geschlungenes Halstuch. Die Betreiber waren derart begeistert, dass sie unzählige Bilder schossen und im Gegenzug für die Erlaubnis, in ihrem Laden mit Satorus Posen zu werben, dem Älteren den taillierten Mantel zu einem Spottpreis überließen. Der Jüngere konnte sich ein zärtliches Grinsen nicht verkneifen, als er bemerkte, wie innig Satoru seinen neuen Besitz in einer Tüte umklammerte. "Und jetzt zeige ich dir, wo ich mich sonst herumtreibe." Verkündete er nach einem Imbiss. Er nötigte Satoru, die Dufflecoat gegen den taillierten Mantel einzutauschen, denn nun war es wichtig, nicht für Minderjährige oder gar Oberstufenschüler gehalten zu werden. Mamoru nahm Satorus Hand, blickte ernsthaft in die dunkelbraunen Augen, bewunderte einen Moment die attraktiv geröteten Wangen, die vom Vergnügen kündeten, das Satoru empfand. "Hör mal, mein Prinz." Er zwinkerte, damit Satoru keinen Protest erhob. "Es ist wichtig, dass wir zusammen bleiben. Lass mich also bitte nicht los, ja?" Satoru nickte, ein wenig verwundert. "Dann geht es jetzt los!" Mamoru strahlte, durchaus kriegerisch, denn er wählte mit Satoru im Schlepptau ein paar Schleichwege durch enge Hintergassen, um das Ziel zu erreichen: das Vergnügungsviertel für die Erwachsenen. Sex-Shops, Love Hotels, Bars, Hosts und Hostessen, Koberer, Anwerber, zwielichtige Gestalten, Pärchen und Gruppen, die herumzogen, sich den beginnenden Abend vertreiben wollten. Unwillkürlich rückte Satoru näher an Mamoru heran. Wie konnte der so verrückt sein, hier zu flanieren?! Wenn man sie hier erwischte, das würde unvorstellbaren Ärger geben! Der Jüngere kannte jedoch keine Berührungsängste. Er wedelte die Angebote ab, funkelte die beutegierigen Männer an, die es offenkundig auf Satoru abgesehen hatten, sich als Produzenten ausgaben oder für Werbeaufnahmen neue Modelle suchten. Stattdessen grüßte er freundlich einige Bekanntschaften, die er öfter sah, erklärte Satoru, was sich hinter welcher Front so verbarg. Dem schwindelten bald die Sinne. So tief hatte er sich nie offen und ungeniert in ein Vergnügungsviertel gewagt. Dieses hier, wo sie sich bewegten, war nicht nur gewaltig und vielfältig, sondern verfügte auch über Abzweigungen, wo sich Gleichgesinnte gleichen Geschlechts trafen. Außerdem waren hier Touristen und Ausländer, grimmig blickende Moralapostel, die nach Minderjährigen suchten, um sie auf die nächste Polizeistation zu zwingen. Aber es gab auch Drogenhändler, schmierige Gestalten und die diskrete Aufsicht der Yakuza. "Das ist gefährlich!" Raunte er Mamoru zu. "Wenn uns hier jemand sieht!" "Hier sehen uns eine Menge Leute." Stellte der Jüngere gelassen fest. "Aber wie wir sind sie viel zu sehr mit ihrem Vergnügen beschäftigt, um es anderen zu neiden. Ich kenne ein paar Leute hier, die helfen uns, wenn wir wirklich in Not geraten." Satoru riskierte einen Seitenblick auf Mamoru. War es sein Einfluss gewesen, der Mamoru so verändert hatte?! Musste er sich die Verantwortung zurechnen, weil er in einem Anfall von Übermut den Jüngeren in ein Rotlichtviertel geschleppt hatte, um ihn piercen zu lassen?! Mamoru hielt an einem unscheinbaren Kellereingang inne. "Weißt du was? Wir sagen gerade mal Dandy Hallo!" Ohne einen Widerspruch abzuwarten führte er Satoru die Kellertreppe hinunter, wo ein diskret ausgeleuchtetes Schild 'Herrenschneider' verkündete. Den Kopf leicht angehoben lachte Mamoru in eine der Überwachungskameras. "He, Dandy, lass mich rein, guten Abend sagen!" Tatsächlich öffnete sich die elegante, aber durchaus massive Tür ohne ein Geräusch. Dahinter verbarg sich, in dunkle Rottöne und mit Altgold abgesetzt ein Salon wie aus einem anderen Jahrhundert. Ein schallschluckender, weicher Teppich, gepolsterte Sessel und Ottomanen, diskrete Raumteiler, die offenkundig mit Seide bespannt waren, anmutige Vasen mit Grünpflanzen. Es duftete anregend, melancholische Kaffeehausmusik schwebte im Raum. Hinter einem Tresen, mit geschmackvollen Holzeinlegearbeiten verziert, löste sich ein schlanker Mann unbestimmbaren Alters aus seiner Pose des Beobachters. Dandy trug entgegen seinem Spitznamen kein entsprechendes Kostüm, sondern gerade geschnittene Hosen, eine Weste und ein Hemd, formvollendet elegant und auf den Leib geschneidert. "Guten Abend, Dandy!" Mamoru verneigte sich lässig, zwinkerte. "Ich habe meinen Freund Satoru mitgebracht." Satoru folgte Mamorus Beispiel ein wenig förmlicher, ergriff dann perplex die gepflegte Hand, die ihm geboten wurde. "Es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen." Auch die Stimme entsprach der eines vornehmen, gebildeten Mannes, der Manieren zu einer Kunstform erhoben hatte. "Ich freue mich, Sie kennenzulernen." Murmelte Satoru, von dieser Initiative durchaus verschreckt. Er war es nicht gewöhnt, Hände zu schütteln und der forschende Blick aus den blaugefärbten Kontaktlinsen schüchterte ihn ein. "Ein Juwel." Bemerkte Dandy distinguiert. "Wahrhaftig ein äußerst seltener Edelstein. Ich darf dir meine Eifersucht versichern!" Er nickte Mamoru zu. Der grinste triumphierend. "Ja, Glück muss der Mensch eben haben!" Er nahm Satorus Hand und tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger der freien Hand grüßend an die Stirn. "Wir ziehen dann mal weiter. Lass es dir gut gehen!" Als sie wieder an der Oberfläche waren, Satoru nun eng bei Mamoru eingehakt, erläuterte er schmunzelnd. "Dandy ist wirklich ein Schneider, sogar ein exzellenter! Allerdings hat er sich auf Spezialbekleidung spezialisiert." Satoru zog die kalligraphierten Augenbrauen zusammen. "Na, Latex, Leder, eben Spielanzüge für Erwachsene. Würde man bei seinem Ambiente gar nicht vermuten, oder?" Mamoru lachte über die gelungene Überraschung. "Aber gehen wir weiter! Ich möchte, dass du auch meinen Chef kennenlernst!" Der Ältere benötigte einige Meter durch das Gedränge der Vergnügungssüchtigen, bis er den Gedanken tatsächlich auch formulieren konnte. "Du arbeitest HIER?!" "Yepp!" Bestätigte Mamoru gut gelaunt. "Es ist klasse! Hier gibt es eine Menge netter Leute. Natürlich kann man eine Menge über die menschliche Natur lernen." Zwinkerte er Satoru zu. Der ließ sich fortan lieber stumm durch das Gewimmel leiten, eng an Mamorus Seite geschmiegt. Dessen Arbeitsplatz befand sich im dritten Stock eines schmalen Gebäudes, das mit einem Massagesalon, einem Love-Hotel und einem kleinen Supermarkt bis zum Bersten ausgelastet war. Das Geschäft, in das Satoru nun umsichtig geführt wurde, war nicht allzu grell beleuchtet, denn hier gab es alles für das lustvolle Vergnügen, Bückware ohne verschämtes Verstecken: Bücher, Magazine, Filme, Kondome aller Art, Gleitmittel, obskure potenzsteigernde Hilfsmittel, Sex-Spielzeug, Spezialbekleidung, Kostüme und hunderterlei andere Artikel. Satoru trocknete der Mund aus, er konnte gar nicht glauben, was er hier sah. Mamoru dagegen steuerte die Verkaufstheke an, umarmte einen Mann mittleren Alters, der eine polierte Glatze zu einem gewaltigen Schnurrbart ausstellte. "Kuma-chan, das ist mein Freund Satoru!" Präsentierte er stolz den Älteren, der noch immer desorientiert in dem gewaltigen Laden herumblickte. Vom Boden bis zur Decke fanden sich so viele Dinge, deren Zweck er nicht einmal andeutungsweise einzuordnen vermochte, dass ihm ganz blümerant vor Augen wurde. "Meine Fresse!" Bemerkte Kuma-chan in einem rauen Bass, der stark an die Kansai-Region erinnerte. "Ich dachte, du flunkerst mir was vor! Lass dich mal ansehen, mein Schmuckstück!" Satoru reagierte zu spät, wurde an den Schultern gefasst und neugierig gemustert. Er warf einen hilflos-bangen Blick zu Mamoru hinüber, der jedoch signalisierte, es sei alles in Ordnung. "Meine Fresse!" Wiederholte Mamorus Chef beeindruckt. "Wenn das mal kein Prinz ist!" Abrupt wandte er sich zu Mamoru um. "Du wirst gut auf ihn achtgeben, klar? Da draußen lecken sich eine Menge schräger Typen die Finger nach so einem Prachtexemplar wie deinem Schatz hier!" Mamoru salutierte, das Gesicht durchaus ernst und entschlossen. "Keine Angst, Boss, ich verteidige ihn mit meinem Leben." "Aufschneider!" Brummte Kuma-chan. "Hoffen wir mal, dass das nicht nötig sein wird. Hast du das Spray dabei?!" Mamoru klopfte auf seine Jackentasche, die Seite, die von Satoru abgewandt war. "Allzeit bereit!" "Besser ist das." Antwortete Kuma-chan. "Es lohnt sich wenigstens, dass ich dir heute freigegeben habe." Dabei zwinkerte er Satoru zu, dem deutlich einige Takte in dieser Unterhaltung fehlten. Er konnte nicht glauben, dass Mamoru HIER arbeitete. "Kannst du vielleicht deinen Bekannten anrufen?" Mamoru hing halb über dem Tresen. "Da wollen wir hin, bevor es zu spät wird. Ich muss Satoru nämlich ins Wohnheim zurückbringen wegen der dämlichen Regel. Nicht mehr als einmal hintereinander auswärts übernachten!" Er verzog die Miene zu einer gequälten Grimasse. "Schon klar, du Früchtchen!" Eine gewaltige Hand wischte über Mamorus Cornrows, dann suchte Kuma-chan in einer Rollkartei nach der passenden Visitenkarte. Er telefonierte kurz, während er gleichzeitig in einer Schublade kramte und Satoru einige in goldene Verpackungen eingeschweißte Kondome überreichte. "Besonderer Geschmack, nach Champagner." Flüsterte er ihm zu, bevor er das Telefonat mit einem fröhlichen Abschiedsgruß beendete. Satoru, dunkelrot und reichlich verlegen, bedankte sich, aber Mamorus Arbeitgeber lächelte bloß amüsiert. Er ermahnte Mamoru noch mal, vorsichtig zu sein und dann auch wie versprochen in der Woche die ausstehenden Arbeiten nachzuholen. Satoru wartete, bis sie wieder auf der Straße waren, wo ein eisiger Wind daran erinnerte, dass es bereits Herbst war und Stürme nur noch eine Frage der Zeit. "Was genau arbeitest du da eigentlich?" "Ich nehme die Lieferungen entgegen, hole auch mal Bestellungen ab." Mamoru zog Satoru enger an sich, spähte konzentriert in das Gewühl, um den Weg nicht zu verfehlen. "Dann räume ich die Regale ein, ich preise aus, betreue das Lager und so weiter. Kuma-chan steht meistens an der Kasse oder berät, falls sich mal ein Polizist oder einer dieser Moralwächter hinein verirrt." "Er hat mir Kondome geschenkt!" Platzte Satoru fassungslos heraus. "Nett, oder?" Mamoru strahlte, küsste Satoru auf die kalte Nasenspitze. "Wir waren uns sofort sympathisch. Ich glaube, er fühlt sich wie ein großer Bruder für mich." "Aber wie-aber wie...?!" Satoru musste beinahe schreien im Gedränge und vertagte die Frage, bis sie sich durch das Gewimmel in einen etwas ruhigeren Seitenbereich der Hauptachse freigeschwommen hatten. "Aber wie hast du ihn denn kennengelernt?!" Mamoru fasste Satoru um die Taille, behielt einige fragwürdige Gestalten im Auge, während er forschen Schritts ihr Ziel ansteuerte. "Ich bin hier in den Sommerferien herumgestreunt und war in einem Café drüben, wo hauptsächlich Schwule sich treffen. Eigentlich wollte ich dort als Küchenhelfer anfangen, aber sie haben mich abgelehnt, fanden, ich würde Ärger geradezu herausfordern, weil ich so exotisch aussehe." Er rollte mit den großen, schwarzen Augen, die in Kombination mit den krausen Haaren und der milchig-weißen, nicht sonderlich gebräunten Haut in der Tat einen erstaunlichen Kontrast boten. "Kuma-chan hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ihm abends und am Sonntag zur Hand zu gehen, nicht viel Arbeit und keine hohe Entlohnung, aber immerhin ein Job." Er zog Satoru blitzartig in einen Hauseingang und wartete mit der freien Hand auf dem Auslöser der Spraydose, bis zwei schrill aufgemachte Männer in billigen Anzügen und einer Duftwolke aufdringlichen Aftershaves an ihnen vorbeigezogen waren. In Satorus Ohr wisperte er leise. "Ich habe ihm in den Sommerferien dann auch beim Renovieren geholfen, weil ich ja tagsüber viel Zeit hatte, wenn ich die Hausarbeiten erledigt hatte. Er hätte mich ja nach den Ferien kündigen können, weil ich bloß ein, zwei Stunden in der Woche helfen kann und eben sonntags, aber das hat er nicht getan. Unser Bär ist eben ein richtig netter Papa Bär." Satoru lächelte, auch wenn es in seiner Magengrube nervös grummelte. Mamoru war sehr viel mutiger und entschlossener, als er ihm in Kredit gestellt hatte, das wurde ihm nun klar. Hinter dem aufgeweckten Auftreten stand kein naiver, übermütiger Junge, sondern ein durchaus wachsamer, entschlossener, junger Mann. "So, wir huschen jetzt mal bei Hide durch den Hintereingang." Dirigierte er Satoru quer über die Straße in den Eingang eines Sex-Kinos. Der Kassierer, ein alter Mann, der eine Uniform und weiße Handschuhe trug, nickte einem riesigen Mann zu, der wohl einmal als Sumotori gearbeitet haben musste. "Onkel Hide, ich bin's, Mamoru." Sicherheitshalber hielt Mamoru inne, positionierte sich vor Satoru. "Können wir durch den Hintereingang raus? Da sind uns zwei Typen auf den Fersen!" "Kumas kleiner Helfer?" Eine Brille mit enormen Gläsern wurde kritisch gezückt und justiert. Die Inspektion brachte Erfolg. "So was, hast ja einen hübschen Bengel bei dir. Los, Gorou, lass die beiden durch. Kennst ja den Weg, frecher Hüpfer!" "Vielen Dank, Onkel Hide!" Strahlte Mamoru überdeutlich, denn das gewaltige Spekuliereisen war bereits wieder verschwunden. Er zog Satoru rasch über einen Gang zu einem Vorhang, der den Hinterausgang im Halbdunkel verbarg. "Puh!" Kommentierte Mamoru die Ereignisse, wandte sich zum blassen Satoru um. "Keine Sorge, wir haben sie abgehängt. Manchmal zahlt es sich aus, ein bisschen vorsichtiger zu sein." "Ich glaube, mir bekommt so viel Vergnügen auf einmal nicht besonders gut." Satoru würgte leicht. Mamoru betrachtete ihn erschrocken, streichelte über die wirren Strähnen. "So schlimm? Kannst du nicht mehr?" Kurzentschlossen zog er den Älteren in eine feste Umarmung, rieb energisch über dessen Rücken und die Oberarme. "Tut mir leid." Versicherte er leise. "Ich dachte, es wäre lustig. Mir kommt es immer wie ein Abenteuer vor, aber du hast schon recht. Es ist bestimmt nicht komisch, wenn uns diese Typen auf die Figur rücken." Satoru umklammerte die Fliegerjacke, atmete den unverwechselbaren Geruch ein, den Mamoru verströmte: nach Leder und nach einem leicht würzigen Aroma, das an eine Speise erinnerte, die Satoru nicht einordnen konnte. Sein Herz schlug schneller, die Übelkeit verflog. "Geht es dir etwas besser?" Erkundigte sich Mamoru gerade, küsste ihn auf die Wange. "Ja." Satoru löste sich und lächelte, ermahnte sich selbst, nicht so leicht einzuknicken, vor jeder kleinen Komplikation zu scheuen. "Gut, dann habe ich jetzt eine Überraschung für dich!" Mamoru strahlte, durchaus erleichtert, dass Satoru offenbar wiederhergestellt war. Zwei Stichstraßen später führte er Satoru in ein Geschäft, das mit Tätowierungen, exotischen Frisuren und Haarfarben sowie mit Schmuckstücken warb. "Aha!" Begrüßte sie eine schlanke, unglaublich große Frau am Eingang, bleckte ein strahlendes Gebiss, das auf jedem Zahn einen Schmuckstein trug. "Du bist Kumas Schützling." Nach dieser Feststellung ließ sie Mamoru und Satoru passieren, kettenrasselnd, da neben einem knappen Leder- und Latexdress hauptsächlich Metallobjekte aller Art ihren Körper verhüllten. "He, Aya, sind die beiden endlich da?!" Drang eine erstaunlich helle Stimme aus einem der kleinen Zimmer hinter dem Eingang. Satoru erkannte, dass es sich weniger um ein Ladengeschäft, als um eine umfunktionierte Wohnung handeln musste. Eine massige Frau, in erblindendes Pink gewandet, das Rüschen und Plissee zur Schau stellte, blockierte ihren Weg. "Ah, du bist sicher Mamoru." Sie studierte ihn aufmerksam, der fasziniert von der Dehnbarkeit von Stretch zurückgrinste, "Und das ist der Prinz." Sie fasste Satoru am Kinn, drehte dessen Kopf nach rechts und links, was er vor Überraschung perplex, ohne Abwehr geschehen ließ. "RrrrrrRRRRRRR!" Schnurrte sie schrill. "Wenn ich keine hohen moralischen Grundsätze hätte, würde ich dich glatt in mein Boudoir schaffen und mit dir spielen!" Die Diva in Pink wandte sich wieder an Mamoru. "Ich habe das, was du wolltest. Mei wird sich um dich kümmern." Die vollständig beringten Hände wurden heftig geklatscht, dann erschien ein junger Mann in einem klassischen, chinesischen Kostüm, glatte, schwarze Haare waren zu einem hüftlangen Zopf geflochten, der über einer Schulter lag. Eine gepflegte Hand hielt einen Blindenstock. "Mei, das hier sind Mamoru und sein Prinz. Wir haben über den Auftrag gesprochen, du weißt also Bescheid." "Sehr wohl, Madame." Antwortete Mei mit einer weichen Stimme, verneigte sich höflich nach Gehör und wies mit einer einladenden Geste den Weg. "Bitte folgen Sie mir freundlicherweise." Satoru umklammerte Mamorus Hand schmerzhaft. "Was ist hier los?" Flüsterte er nervös in Mamorus Ohr. "Alles in Ordnung." Versicherte der Jüngere beruhigend. "Es wird dir gefallen!" Den Eindruck hatte Satoru keineswegs. Mei, ihr blinder Führer, bat sie in ein kleines Zimmer, wo sich außer einem dreiteiligen Spiegelkabinett lediglich ein ominös aussehender Stuhl befand, der Satoru eher an Zahnarztbehandlungen erinnerte. Die Wände waren bedeckt mit Zeichnungen, die er im gedämpften Licht nicht genau einordnen konnte. Waren es Tätowierungen oder aufgespießte Schmetterlinge? »Es könnte alles mögliche sein!« Jammerte sein Verstand kleinlaut. "Bitte nehmen Sie freundlicherweise Platz." Mei wies auf den gewaltigen Stuhl mit den abgestellten Armen und Beinen. "Sehr verehrter Herr Begleiter, für Sie steht eine Sitzbank dort bereit." Satoru schüttelte stumm den Kopf, er wollte nicht, dass Mamoru sich von ihm entfernte. "Keine Angst, ich bleibe in Reichweite." Lächelte Mamoru, zog den Älteren rasch an sich und küsste ihn auf den Mund. Die Stirn an Satorus gelehnt raunte er auf dessen Lippen. "Vertrau mir, es geschieht dir bestimmt kein Übel." Die Zähne aufeinander gebissen kletterte Satoru also gezwungenermaßen tapfer auf den Behandlungsstuhl. Er beobachtete nervös, wie Mei sich mit einem fahrbaren Beistelltischchen und einem Hocker neben ihm niederließ. "Bitte haben Sie keine Angst." Die blinden Augen blickten ins Leere. "Versuchen Sie, sich zu entspannen." Satoru umklammerte die Armlehnen angespannt, als Mei sich über ihn beugte. Er wusste nicht, was ihn hier erwartete, und das tat seinem Nervenkostüm überhaupt nicht gut. "Mei?" Meldete sich Mamoru zu Wort. "Ist es in Ordnung, wenn ich zu Satoru gehe?" "Selbstverständlich." Mei war es unterdessen gelungen, Satorus neuen Mantel aufzuknöpfen. Mamoru erhob sich, trat auf die andere Seite neben den Stuhl und streichelte Satoru über den Kopf, der bereits gegen Tränen ankämpfte, weil er sich gegen seinen festen Willen fürchtete. "Keine Angst." Raunte er sanft, küsste Satorus Handrücken. "Es wird dir gefallen!" Dann wählte er Satorus bebende Lippen zum Ziel, bedachte ihn so leidenschaftlich mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit, dass Satoru nicht nur Mei vergaß, sondern auch beide Hände von den Lehnen löste, um sie in die Fliegerjacke zu graben. Als Mamoru sich ein wenig zurückzog, mit einem aufmunternden Lächeln, hatte Mei bereits Satorus Hose geöffnet, das Hemd ausreichend hochgerollt und Eisspray auf dessen Unterleib gesprüht. Satoru betrachtete seine nackte Haut fassungslos. Die eleganten Hände streichelten über Satorus Haut, doch er spürte keine Berührung. "Ich-ich kann nichts fühlen!" Wisperte er besorgt. "Bitte beunruhigen Sie sich nicht." Mei lächelte. "Auf diese Weise können wir rasch und ohne Beeinträchtigungen den Ring durch die oberen Hautschichten stoßen." Nun endlich begriff Satoru: Mamoru wollte ihn ebenfalls mit einem Piercing versorgen! Er warf rasch einen Seitenblick auf den Jüngeren, der noch immer seine Hand hielt und ihm zärtlich zulächelte. Satoru errötete, weil ihm bewusst wurde, dass er im Gegensatz zu Mamoru recht furchtsam und kindlich reagiert hatte. Der Gedanke wurde allerdings verdrängt von der Entwicklung südlich seines Bauchnabels. Mit großem Geschick tasteten sich Meis Finger zielsicher an die gewünschte Stelle, verankerten einen Ring aus Chirurgenstahl in der Haut und befestigten einen ungewöhnlich geformten Anhänger beim Schließen. "Eine ausgezeichnete Wahl." Erklärte Mei höflich. "Dieser spezielle Kunststoff ist sehr langlebig, verträgt Wasser und Seifenlösungen, enthält keine allergischen Inhaltsstoffe und verändert seine Oberflächenstruktur nicht." Er berührte Satoru an einem Arm, auf eine höfliche, distanzierte Weise. "Bitte bleiben Sie noch einen Moment liegen." Mei verneigte sich noch einmal, verließ dann ohne Zögern den kleinen Raum. Mamoru rutschte neben Satoru auf den Behandlungsstuhl. "Alles in Ordnung?" Streichelte er Satoru über die Wangen. "Eine Blüte." Stellte der fasziniert fest, schob den Zeigefinger unter den Anhänger. "Ja." Bestätigte Mamoru. "Eine besondere Petunienart. In der Sprache der Blumen steht die Petunie für unverzagten Mut und Zuversicht." Satoru errötete heftig. Es beschämte ihn, wie sehr es ihm an Mut gebrach. "Victorian yellow ist die Farbe." Mamoru schien seine Verlegenheit gar nicht zu beachten. "Die Farbe passt am Besten zu deiner Haut, finde ich." Er lächelte auf Satoru hinab. "Wir können vielleicht keine Ringe tragen, aber das hier wird uns verbinden, meinst du nicht?" Der Ältere rollte die Lippen ein, schniefte leise, Tränen in den Wimpern. Mamoru meinte es wirklich ernst! Der beugte sich über Satoru, küsste sanft die Tränen weg. "Ich weiß, dass es unverschämt von mir ist, dich in so eine Lage zu bringen, wo du aufpassen musst, dass niemand etwas bemerkt." Er setzte sich wieder auf, um in die dunkelbraunen, schimmernden Augen sehen zu können. "Trotzdem, bitte, bitte trage die Blume. Vertraue auf mich." Satoru blinzelte, wischte sich dann mit einem Handrücken wütend die Tränen weg. Ja, wenn sein Vater ihn mit einem Piercing an dieser Stelle erwischte, würde er Prügel bekommen, die ihresgleichen suchten. Andererseits, und das überraschte ihn selbst, fand er sich so schön, fühlte sich so geliebt durch Mamorus Geschenk, dass er fest entschlossen war, es zu verteidigen. "Versprich mir etwas!" Flüsterte er mit aufgerauter Kehle. Mamoru senkte demütig das Haupt, offenbar in Erwartung eines Tadels. "Versprich mir, dass du mich immer an der Stelle rasieren wirst." Satoru biss sanft in Mamorus Ohrläppchen. Nicht, dass es sich um eine sonderliche Anstrengung handelte, da es sich um die Grenze des Schamhaarbewuchses handelte. "Versprochen." Raunte Mamoru kehlig zurück, umarmte Satoru. Als Mei zurückkehrte, um erfreut festzustellen, dass keine Komplikationen zu erwarten waren, hielten sie einander an der Hand fest. Der Jüngere selbst richtete Satorus Bekleidung, opferte wie vereinbart einen großen Teil seines Ersparten, um die Inhaberin zu entlohnen. Sie traten gemeinsam auf die Straße. Ein eisiger Wind pfiff, wirbelte herrenloses Papier auf. Satoru lächelte, spürte die Kälte nicht. Sie sprachen zwar kein Wort mehr, bis Mamoru ihn vor dem Wohnheim pünktlich ablieferte, aber das war auch nicht nötig, denn er hielt Mamorus Hand fest, kümmerte sich nicht mehr ängstlich darum, ob man es bemerkte oder nicht. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr, und erstaunlicherweise fühlte er sich bei dieser Erkenntnis wie befreit. ~+~ Kapitel 26 - Wunder wirken Seiji lehnte an Tomohikos muskulöser Schulter, sah auf den kleinen Garten hinaus und bewegte träge die Zehen im warmen Wasser. Ausgenommen den widerlichen Mops hatte er den Sonntag mit Tomohiko und dessen Familie wirklich sehr genossen. So langsam, das gestand er sich selbst ein, war er keineswegs mehr abgeneigt, eine dauerhafte Verbindung einzugehen. »Obwohl mir 'Schwiegertochter' gar nicht gefällt!« "Tomo?" Seine Stimme durchbrach die einmütige, meditative Stille im alten Bad. "Seiji?" Schnurrte Tomohiko samtig, zwinkerte neckend. Der klappte die Beine vor den Leib, umarmte sie schützend. "Bist du nicht frustriert, weil ich den Sex-Kram nicht auf die Reihe bekomme?" Erkundigte er sich betont schnodderig. Das Thema war ihm ausgesprochen peinlich, aber es beschäftigte ihn. Er wollte Tomohiko gegenüber nicht ungerecht sein, dessen Langmut überstrapazieren. Die schwarzen Falkenaugen studierten ihn neugierig. "Wie kommst du darauf?" "Na ja!" Unwirsch trommelte Seiji mit den Hacken abwechselnd auf den Steinboden. "Es ist wohl nicht üblich, so lange zu warten, bevor man endlich in die Kiste springt." Tomohiko schmunzelte, rieb sich nachdenklich über die gewaltige Narbe auf seinem Kinn. "Mir war nicht bewusst, dass ich dich in dieser Hinsicht enttäusche." "Doofie!" Schnaubte Seiji und versetzte Tomohiko einen Stoß, den der gutmütig überging. "Ich MUSS es nicht tun!" "Und ich muss es tun?" Stellte Tomohiko Seijis Überzeugung in Frage. "Weißnicht." Knurrte der, blickte betont konzentriert auf seine nackten Zehen. Gemächlich erhob sich Tomohiko, ließ gelassen Wasser hinabrinnen, trat näher an den Rand des Beckens, um in den kleinen Garten zu sehen. "Ehrlich gesagt habe ich es nicht so eilig. Ich bin unerfahren und wünsche mir, dass wir beide den geeigneten Moment finden, wenn es nicht mehr so wichtig ist. Ich glaube, dass Sex gar nicht so wichtig ist, sondern Vertrauen und Treue viel mehr zählen." Über die Schulter zwinkerte er Seiji zu. "Allerdings maße ich mir ein Urteil an über etwas, dass ich nicht aus erster Hand kenne." Seiji betrachtete Tomohiko, eine mittlerweile vertraute Gestalt, auch bar und bloß. Konnte er sich vorstellen, diesen Körper zu streicheln? »Definitiv.« Seufzte Seiji innerlich. Aber etwas zu tun, was darüber hinausging, mehr war als Küssen und Liebkosen, das stand einfach nicht zur Debatte! Er rappelte sich auf, trat neben Tomohiko und schob seinen Zeigefinger leicht gekrümmt in Tomohikos. "Ich sage nicht, dass nie was daraus wird." Verkündete er trotzig-verschämt. "Aber im Augenblick will ich keinen Sex. Und nach den Regeln müsste ich die Beine breitmachen, was ich total widerlich finde!" Tomohiko schenkte ihm einen amüsierten Blick aus den schwarzen Falkenaugen. "Seit wann gelten für uns die Regeln anderer Leute?" Seiji grinste erleichtert. "Gar nicht! Ha!" Ein sanfter Kuss landete auf seinem Schopf. "Ich werde dich in Kenntnis setzen, wenn ich den unerträglichen Drang verspüre, sexuell tätig zu werden." Raunte Tomohiko scherzend. Seiji lehnte sich an dessen Schulter, schmunzelte. "Pass bloß auf, du! Ich kann kneifen wie eine Beißzange!" Aber er bezweifelte, dass er jemals Tomohikos empfindliche Körperpartien mit derart brutalen Methoden behandeln musste. Mit dem Erwachsenwerden konnten sie sich ruhig Zeit lassen! ~+~ Hiroki hatte das bedrückende Gefühl, eine menschliche Puppe zu betreuen. Er konnte Kentarou wecken, auf die Beine stellen, waschen, füttern, anziehen und an der Hand zur Schule geleiten, doch die leeren Katzenaugen, das fahle Gesicht, die kalten Glieder: sie signalisierten ihm deutlich, dass er nur eine Hülle vor sich hatte. Kentarou war nicht anwesend. "Hoffentlich gelingt es Meister Hagiwara, den Onkel zu überreden!" Versuchte er sich abzulenken, nicht immer auf Kentarou vor sich in der Bank zu schielen. Wenn nur diese Hürde genommen war, stand dem Plan theoretisch bloß noch Geldmangel im Wege. Doch solange Matsushita keinen Erfolg hatte, das Grundstück nicht verloren war, wollte Hiroki nicht aufgeben. Er bemerkte, wie sie mitfühlende Blicke streiften. Offenkundig hatte sich schon das Gerücht verbreitet, dass Kentarou nicht nur allein auf der Welt stand, sondern nicht einmal mehr als seine Schuluniform besaß. Unruhig malte er Kringel in sein Notizheft. Wenn es bloß Hagiwara gelang, das Grundstück zu halten! Und wenn er nur Einblick in die Vermögensverhältnisse des Großvaters nehmen könnte! »Dann könnte ich mir ein Bild machen, wie dringend Bargeld benötigt wird.« Denn es musste ja nicht nur Kentarous Onkel entschädigt, sondern auch die ältere 'Schwester' versorgt werden. Aber gegen die Ungewissheit gab es kein anderes Mittel, als abzuwarten und auf den älteren Mann, der nun für eine längere Zeit Kentarous Vormund sein würde, zu vertrauen. Endlich kam das Signal zur Mittagspause. Da Kentarou keine Anstalten unternahm, seinen katatonischen Zustand zu beenden und aus eigener Kraft von seinem Stuhl aufzustehen, hob Hiroki ihn sanft unter den Achseln auf die Füße und dirigierte ihn an den Schultern in die Mensa. Um nicht in das Gedränge zu geraten, gehörten sie zu den Nachzüglern. Eine Hand auf Kentarous Schulter balancierte Hiroki das vollbeladene Tablett und hielt nach freien Plätzen Ausschau.Resigniert, aber entschlossen, sich nicht von den Widrigkeiten des Alltags beeindrucken zu lassen, steuerte er den 'Tisch der Außenseiter' an. Dort hockten zumeist die Schüler ohne Freunde, die Schüchternen oder Unbeliebten. Und auch, wie er gerade feststellte, der Schülerpräsident mit seinem finster wirkenden Begleiter aus der Ersten. Hiroki lenkte Kentarou auf den freien Platz neben dem vermeintlichen Yakuza, damit er sich neben den Schülerpräsidenten setzen konnte und den groß gewachsenen Erstklässler mit den schwarzen Mandelaugen im Blick behielt. "Miwa, nicht wahr?" Unerwartet richtete der Schülerpräsident das Wort leise an Kentarou. "Ich habe von deinem Großvater gehört. Mein aufrichtiges Beileid. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, lass es mich bitte wissen." Kentarou reagierte gar nicht, starrte ins Leere. "Es geht ihm nicht gut." Sprang Hiroki seinem Freund zur Seite. "Er ist aber dankbar für die Anteilnahme." Um eine unbehagliche Pause zu verhindern begann der Hüne die Schüsseln zu verteilen, damit sie essen konnten. Dabei musste man wenigstens keine Unterhaltung führen! Erfreut stellte er fest, dass Kentarou selbständig die Stäbchen aufnahm und sie zum Nudelfischen benutzte. Ihm entging aber nicht, dass der Schülerpräsident einen bedrückten Blick mit seinem Begleiter wechselte. Der teilte mit einem schurkischen Lächeln einige frittierte Süßkartoffeln, deponierte Bruchstücke auf Motokis Teller. "Machen wir beim Nachtisch halbe-halbe? Karamellpudding gegen Melonensorbet?" Hiroki beobachtete die beiden und kam zu dem Schluss, dass sie mindestens sehr gute Freunde sein mussten. Was ihn ein wenig überraschte, denn er hatte den Eindruck, dass sie Anfangs des Schuljahrs noch nicht miteinander bekannt gewesen waren. Da kippte Kentarou einfach zur Seite, langsam, aber ungebremst. "Ich habe ihn!" Verkündete Arashi, als Hiroki in die Höhe schoss, über den Tisch langte. Vorsichtig drehte er Kentarou leicht, damit er ihn besser unterfassen und auf seinen Schoß ziehen konnte. Keinen Wimpernschlag später stand Hiroki neben ihm, streckte die Hände aus. "Ich nehme ihn!" "Am Besten bringen wir ihn in die Krankenstation." Stellte Motoki ruhig fest, überließ es Arashis Einfühlungsvermögen, behutsam den Ohnmächtigen an Hiroki weiterzureichen. Der war mittlerweile schmerzlich geübt darin, Kentarou auf seinen Armen zu balancieren. "Ich gehe voraus." Motoki machte den Anfang, warf seinem Freund einen Blick zu. Der nickte unmerklich, sagte stumm zu, sich um den Tisch zu kümmern und das Geschirr abzuräumen. Obwohl Hiroki das Aufsehen, das sie erregten, nicht sonderlich schätzte, war er doch dankbar, dass der Schülerpräsident ihm den Weg wies. Bisher hatten sie es beide noch nicht nötig gehabt, die Krankenstation aufzusuchen. Auch hier galt die Mittagspause, lediglich der Zugang zu den Liegen war geöffnet. Der Hüne bettete seinen Freund umsichtig auf das aufgeschlagene Rollbett, ließ zu, dass Motoki die Decke wieder feststopfte. "Er-er ist sicher nur übermüdet." Suchte Hiroki mit rauer Kehle nach einer Erklärung. Es machte ihm Angst, wie zerbrechlich Kentarou geworden war. "Ich gehe ins Sekretariat und lasse den Arzt ausrufen." Motoki berührte Hiroki sanft am Ärmel. "Bleib du hier und achte auf ihn." Damit ließ er die beiden allein. Hiroki sackte langsam neben Kentarou auf einen Schemel, beugte sich hinüber, um über die kalte Stirn zu streichen. Musste es wirklich noch schlimmer kommen, bevor es wieder besser wurde?! ~+~ "Wie sieht es aus?" Arashi wartete bereits im Büro des Schülerpräsidenten, sortierte die spärliche Post. Er wusste, dass Motoki keinen Anstoß daran nahm, denn geteilte Arbeit erledigte sich in der Hälfte der Zeit, sodass man die Freizeit nach eigenen Vorstellungen gestalten konnte. "Schlafmangel, allgemeine Erschöpfung." Motoki seufzte. "Miruno hat ihn auf dem Rücken nach Hause getragen." "Armes Kerlchen." Bemerkte Arashi mitfühlend, aber sein Blick konzentrierte sich auf Motoki, der selbst bekümmert wirkte. Kurzerhand fasste er den Älteren am Handgelenk und beförderte ihn auf seinen Schoß, schloss ihn in die Arme. "Man müsste etwas tun." Äußerte Motoki leise, schmiegte den Kopf in Arashis Halsbeuge. "Vielleicht eine Benefiz-Aktion? Er wird nicht für ewig bei seinem Freund unterschlüpfen können." "Wir sollten besser fragen, bevor wir eine Spendenaktion starten." Gab Arashi zu bedenken, schob wie gewohnt eine Hand unter Motokis Schulhemd, um sanft über die Narbe zu streicheln. "Vielleicht ist es der Familie nicht recht." "Ja, du hast recht." Pflichtete ihm der Ältere bei, drehte sich, um beide Arme um den Nacken zu schlingen. Vernunft konnte eben Mitgefühl nicht so einfach aus dem Rennen schlagen! Arashi lächelte zärtlich, erwiderte die enge Umarmung, wippte Motoki tröstend auf seinen Oberschenkeln. "Fragen kostet ja nichts. Entweder diesen Miruno oder Miwas Vormund." "Arashi?" "Hmm?" Motoki löste sich aus der Umschlingung weit genug, dass er in die schwarzen Mandelaugen sehen konnte. "Schließe bitte die Tür ab und lösche das Licht." "Ist gut." Arashi küsste Motoki nachsichtig, hob ihn von seinem Schoß. Er musste sich an der Tür nicht umsehen, um zu wissen, dass der Ältere bereits die Matte am Boden ausrollte, Kissen und Decke aus den Tüten beförderte. Der hitzige, beinahe gierige Austausch von Verlangen und Lust würde den Kummer in Schach halten. ~+~ "Hiro?" So leise, wie diese Stimme auch seinen Namen wisperte, löste sie in dem Hünen doch einen heftigen Schauer aus, alarmierte ihn, als hätten alle Sirenen zugleich losgelärmt. "Ken? Was ist los?!" Hastig drehte er den Kopf, um über die eigene Schultern zu spähen. "Mir ist nicht gut." Murmelte es erstickt an seinem Rücken. "Verstanden!" Rasch ging Hiroki in die Hocke, senkte die Arme, damit Kentarou wieder Bodenberührung aufnehmen konnte. Der stützte sich mit einer Hand auf Hirokis Rücken, schwankte leicht. Hiroki drehte sich vorsichtig, eine Hand bereits sichernd ausgestreckt, damit er Kentarou abfangen konnte. Kentarou hielt sich die freie Hand vor den Mund, war bleich und kämpfte gegen einen heftigen Würgereiz an. Offenkundig löste der Transport auf Hirokis Rücken Reisekrankheit aus. "Hier rüber." Behutsam, aber flink legte er den Arm um Kentarous Schultern, dirigierte ihn eilig zu einem Gully. Dort übergab sich Kentarou heftig, brach in die Knie, von Schweißperlen benetzt. Mit einem Papiertaschentuch wischte ihm Hiroki über Mund und Kinn, tupfte dann mit einem weiteren Tuch über Kentarous wachsbleiches Gesicht. Er schrak zusammen, als sich eine ältere Frau näherte. "Ist dir nicht gut? Setz dich hierher, ich bringe dir Tee, dann fühlst du dich gleich besser." "Danke schön." Hiroki lächelte dankbar in das runzlige Gesicht unter einer enormen Perücke, half seinem Freund in den kleinen Laden für Handarbeitsartikel. Dort wurde Kentarou in einen kleinen Regiestuhl genötigt, bekam eine dampfende Tasse Tee aus einer gewaltigen Thermoskanne ausgeschenkt. "Ich habe eine Gießkanne hier." Die alte Frau nickte Hiroki zu, der den Hinweis begriff, sich bedankte und vor der Tür den Gully abspülte. Als er den Laden wieder betrat, saß die alte Frau auf einem Hocker neben Kentarou, tätschelte dessen Hand und zählte die Hausmittel auf, denen sie ihr Wohlbefinden bei Busreisen anvertraute. Hiroki bedankte sich erneut, führte Kentarou an der Hand, der sich tapfer auf den Beinen hielt. Mit guten Wünschen ausgestattet setzten sie ihren Heimweg fort. Der Hüne bemerkte schnell, dass nicht nur seine Eltern bereits zu Hause waren, sondern offenkundig auch Besuch hatten. Er half Kentarou aus den Schuhen, wickelte ihm sanft eigene Socken über die lästigen Schulsocken, die für seinen Freund zu Kniestrümpfen wurden. "Willst du dich eine Weile hinlegen?" Hiroki beugte sich hinunter, blickte in die trauerumflorten Katzenaugen. "Ja, bitte." Matt und kaum vernehmlich antwortete Kentarou, umklammerte aus eigenem Antrieb Hirokis muskulösen Unterarm. Der fackelte nicht lange, sondern hob den Freund auf die Arme, barg dessen Kopf auf seiner Schulter. "Schön festhalten, Ken." Raunte er leise. "Gleich kannst du dich ausruhen." Geschwind transportierte er Kentarou in sein Zimmer, legte ihn auf seinem Bett ab und breitete eine leichte Decke über ihn. "Schlafe ein bisschen." Tollkühn küsste er ihn auf die Stirn, bevor er leise den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Durch einige Wortfetzen hatte er den Besucher bereits akustisch einordnen können: Meister Hagiwara. Das bedeutete, es musste Neuigkeiten geben! Als er das Wohnzimmer betrat, saßen seine Eltern und Hagiwara auf der Couch-Kombination, streng choreographiert. Hiroki vermutete sofort, dass das Gespräch mit betonter Höflichkeit geführt worden war, was nichts Gutes verhieß. Er mahnte sich selbst zur Vorsicht und begrüßte Hagiwara angemessen, bevor er sich seinen Eltern zuwandte. Seine Mutter beschied ihm knapp, dass Meister Hagiwara mit ihm ein paar Worte zu wechseln wünschte, gab somit das Signal, dass die beiden sich zur ungestörten Konversation auf die Veranda begeben konnten, wo die gläsernen Schiebetüren den Eindruck eines schmalen Wintergartens erweckten. Hiroki ging voran, um Hagiwara den Platz in einem der geflochtenen Stühle anzubieten. Die anstrengten Züge im Gesicht des alten Fuchses warnten ihn vor unbedachten Bemerkungen. "Kentarou geht es gerade nicht so gut." Erklärte er ohne Vorgeplänkel. "Er ist heute in der Mensa ohnmächtig geworden und hat den Nachmittag auf der Krankenstation am Tropf verbracht. Eben hat er sich übergeben müssen, aber das lag wohl eher daran, dass ich ihn auf dem Rücken getragen habe." Hagiwara faltete die Hände, blickte auf den gepflegten, wenn auch eintönigen Garten hinaus. "Dann darf ich mich darauf verlassen, dass du ihm alles erklären wirst, was ich dir nun sage?" Fragte er. "Ich muss nämlich für einige Tage geschäftlich die Stadt verlassen und kann nicht warten, bis er soweit wiederhergestellt ist, dass ich mit ihm spreche." Scharfe Furchen pflügten Erfahrungen des Lebens in Hagiwaras Gesicht. "Ohne großes Gerede: ich bin mit deinen Eltern übereingekommen, dass Kentarou für die Dauer meiner Abwesenheit und die Organisation seiner neuen Unterkunft noch hier als Gast bleiben darf." Hiroki schnappte hörbar nach Luft, ballte dann wütend die Fäuste, von einem gewaltigen Ingrimm überrascht. Seine Eltern wollten Kentarou nicht hier haben?! Obwohl sie ihn seit Jahren kannten, er ihr Nachbar war, der beste Freund ihres Sohnes?! Und sich in einer solchen Notlage befand?! Doch bevor er auch nur eine Silbe über seine immense Empörung verlautbaren konnte, schnitt ihm Hagiwara brüsk das Wort ab. "Nein, sprich es nicht aus! Es hätte keinen Sinn, wäre sogar kontraproduktiv! Ich kann den Jungen nicht zu mir nehmen, da wäre er viel zu oft allein und sich selbst überlassen. Er MUSS jetzt unter Menschen sein, damit er nicht zum Einsiedler wird. Daher habe ich mit der Leitung dieses Wohnheims, das zu eurer Schule gehört, Kontakt aufgenommen. Ich hoffe, dass ich ihn dort unterbringen kann." Es fiel Hiroki unsäglich schwer, seine Gefühle zu kontrollieren, nicht der Versuchung zu erliegen, sich körperlich Erleichterung zu verschaffen, indem er wild um sich schlug. "Ich kann nicht verstehen, warum er so schnell hier weg soll." Presste er zwischen den Zähnen hindurch. "Ich schon." Bemerkte Hagiwara spitz, bürstete Hiroki scharf ab. "Deine Eltern haben den gewaltigen Einfluss, den Kentarou auf dich hat, ins Feld geführt." Hiroki erwiderte trotzig den strengen Blick. "Das ist nicht Kentarous Schuld. Es ist allein MEINE Entscheidung." "Das ist richtig." Pflichtete ihm Hagiwara kühl bei. "Aber ihr seid beide noch Kinder, und die Welt da draußen hat einige sehr hässliche Seiten, denen ihr ohne Unterstützung nicht begegnen könnt. Da ist der direkte, der ungeduldige Weg nicht die beste Option." Er betonte die Silben, hob eine Hand, um eine Replik zu verhindern, lehnte sich näher zu Hiroki. "Deine Eltern mögen es für eine Art Heldenverehrung halten, ICH bin jedoch nicht blind." Stellte er ruhig fest. Mit einer gewissen Genugtuung registrierte Hiroki, dass ihm nicht blutrot die Farbe in die Wangen stieg, weil er die Andeutung genau verstanden hatte. Hagiwara sackte tiefer in den Stuhl, seufzte laut, den Blick in die Ferne gerichtet. "Du machst dir keine Vorstellung davon, was für ein Kampf uns noch bevorsteht." Murmelte er. Einen Griff in die Innentasche seines Sakkos später produzierte er ein Bündel Geldscheine. "Hier, ich vertraue dir das Geld an. Bitte besorge mit Kentarou Kleidung, Hygieneartikel, Büromaterial, was er eben so benötigt. Und eine Reisetasche." Hiroki starrte auf die Summe. Sollte er jetzt Details erfragen, oder lieber warten, um den älteren Mann nicht zu provozieren? Der rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel, die Augen müde geschlossen. "Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, die Bank zu überzeugen, dass sie auch ohne die verbrannten Sparbücher und Unterlagen eine Auskunft über die Vermögensverhältnisse erteilen." Er schlug die Augen wieder auf, nahm Hiroki ins Visier. "Die Situation stellt sich so dar: ich konnte, auf deine eindringliche Bitte hin, Kentarous Onkel überzeugen, das Grundstück noch nicht zu veräußern. Er hat mir schriftlich die Verantwortung übertragen, das Grundstück als Vormund von Kentarou zu bewirtschaften, solange die finanzielle Situation den Verkauf nicht verlangt. Seine besondere Bedingung betraf Kentarous ältere Schwester im Heim. Sie muss bis zu ihrem Lebensende gut versorgt sein." Hiroki atmete erleichtert aus. Das war doch ein Teilsieg, oder nicht?! "Freue dich nicht zu früh!" Warnte Meister Hagiwara strikt. "Solange die feuerpolizeilichen Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, wäre ein Verkauf ohnehin nicht möglich gewesen. Das Ende wollte er aber nicht abwarten, sondern wieder zu seiner Familie zurückfliegen, deshalb die für uns positive Entscheidung. Das heißt aber nicht, dass es nicht doch zum Verkauf kommen wird." Hagiwara setzte eine distanzierte Miene auf. "Bis zum Schulabschluss wird die Waisenrente von Kentarous Eltern noch ausgezahlt. Damit kann er sehr bescheiden über die Runden kommen, wenn ich die Kontoauszüge richtig eingeschätzt habe. Für die ältere Schwester ist eine Leibrente eingerichtet, die aus dem Vermögen meines alten Freundes finanziert wird. Aber diese Mittel werden nicht ewig ausreichen. Und das Grundstück hier ist lukrativ. Wenn es nur irgendeinen Anlass gibt, kann ein Zwangsverkauf sehr schnell bei der Hand sein. Das habe ich selbst erlebt." Grimmig blickte Hiroki auf seine großen Hände, die einander umklammerten, bis die Knöchel bleich durch die Haut schimmerten. Abgesehen von der Tatsache, dass Kentarou mit dem Schulabschluss vielleicht mittellos war, blieb für ihn noch die Frage offen, ob Kentarous Großvater seinem langjährigen Freund wohl anvertraut hatte, dass es sich bei Kentarou nicht um seinen Enkel, sondern um den Urenkel handelte. Könnte man die Wahrheit aufklären, wäre Kentarou fast zwei Jahre jünger und hätte damit länger Anspruch auf eine Versorgung... Doch, Moment, wäre er dann überhaupt noch berechtigt, die Waisenrente zu erhalten?! "Ich verstehe." Antwortete Hiroki schließlich gedankenverloren, hob den Kopf an. "Was geschieht nach dem Abschluss? Kann er noch studieren?" Hagiwara plusterte sich auf. "SELBSTVERSTÄNDLICH! Er wird ein Student, er arbeitet für mich! Ich bezahle ihm so viel wie allen anderen meiner Assistenten! Er MUSS studieren, alles andere wäre eine unerträgliche Verschwendung seines Talents!" »Na, wenigstens DIE Sorge ist von uns genommen. Auf die Eitelkeit des alten Fuchses ist Verlass.« Dachte Hiroki sarkastisch. "Ich werde Ken alles erzählen." Versprach er. "Und morgen mit ihm alles Nötige einkaufen, was er für den Umzug in das Wohnheim braucht." Er erhob sich wie Hagiwara auch, der deutlich erleichtert schien, dieses Gespräch hinter sich gebracht zu haben. "Es tut mir leid, dass unsere Gastfreundschaft so begrenzt ist." DAS war eine Gemeinheit, aber er hatte das Gefühl, sonst an seinen Gefühlen zu ersticken. Auch wenn er nicht mehr als ein Kostgänger seiner Eltern war, so konnte er doch die Scham und Wut darüber nicht unterdrücken, wie kleingläubig seine Eltern reagierten. Hagiwara beließ es bei einem warnenden Blick, verabschiedete sich dann höflich von Hirokis Eltern. Hiroki ging in den Garten, ignorierte den Nieselregen, holte tief Luft. Noch immer roch man den Ruß der Brandruine, die vor seinen Augen schwarz wie eine schwärende Wunde lag. Jemand hatte das Grundstück mit Flatterband abgesteckt, mutmaßlich für die Ermittlungen. »Ganz gleich, was ihr auch tut und sagt, es ändert nichts an meiner Entscheidung." Hielt er stumm eine Rede an seine Eltern. »Ich werde Ken folgen, ihn lieben und hoffen, dass er meine Gefühle erwidert. Was die Welt, was die Nachbarn dazu sagen, ist mir gleich. Ich habe nicht Kens Talent, aber ich werde ihn unterstützen. Ich WERDE mit ihm sein Haus aufbauen.« Plötzlich, wie ein einziger Sonnenstrahl durch eine dichte Wolkendecke, kam ihm eine wundervolle Idee. ~+~ Kentarou lehnte eine Brühe ab, die Hiroki ihm spätabends anbot, hörte sich aber aufmerksam an, was sein neuer Vormund Hagiwara zu berichten gehabt hatte. Er kroch schweigend aus Hirokis Bett, tapste in Hirokis Sweatshirt, das eher einem Kleid ähnelte, zum Fenster, um auf die Ruine zu starren. Vereinzelte Warnlichter blinkten in die neblige Nacht, drangen durch die nassen, herbstlichen Schwaden. Hiroki folgte ihm, schlang unaufgefordert die Arme um Kentarou. "Wir bauen das Haus zusammen auf, ganz bestimmt." Versicherte er in kernigem Bass. Das Fuchsgesicht seines Freundes spiegelte sich in der Fensterscheibe, eine Maske der Trauer. "Noch ist es nicht tot." Wisperte Hiroki, einer Eingebung folgend. "Wir dürfen es nicht aufgeben! Wenn die Inspektoren weg sind, dann wecken wir es wieder auf!" Kentarou legte den Kopf in den Nacken, gegen Hirokis Brustkorb gelehnt, studierte ihn mit den müden Katzenaugen kritisch. »Ob er mich wohl für verrückt oder überspannt hält?« Spekulierte Hiroki aufgekratzt. Dann huschte ein Lächeln über Kentarous bleiche Züge. "Du hast einen Plan." Stellte er leise fest. "Das ist gut." Für Hiroki unerwartet drehte er sich um die eigene Achse, schmiegte sich an die Front des Hünen. Der beugte sich eilig hinab, erwiderte die Umarmung und strich zärtlich über den knochigen Rücken. "Vertrau mir, Ken, es klappt bestimmt!" ~+~ "Was ist das?" Arashi lehnte sich über Motokis Schulter, der offenkundig gefesselt einen handgeschriebenen Brief studierte. "Du wirst es nicht glauben." Motoki schmunzelte, streichelte die Hand, die sich in den Ausschnitt seines Schulhemds schob, um seine Brustwarzen zu liebkosen. Er lehnte den Kopf nach hinten, beobachtete die Miene des Jüngeren bei der Lektüre. "Das ist wirklich gerissen!" Ein anerkennendes Grinsen leuchtete endlich auf. "Hätte nicht gedacht, dass der Riese so clever ist. Wir müssen jemanden auftreiben, der sich mit Pflanzen auskennt!" Mit sanftem Druck scheuchte er Motoki vom Stuhl, um sich selbst niederzulassen und den Älteren auf seinen Schoß zu ziehen. "Dann lass uns die Schülerakten durchblättern!" Schlug der Schülerpräsident vor, dirigierte Arashis Rechte auf seinen Schritt. Jede harte Arbeit benötigte schließlich eine Stimulanz, um sie mit Lust anzugehen! ~+~ Hiroki, der ohnehin das Einkaufen von Bekleidung aufgrund seiner Größe und Erscheinung für eine unerträgliche Quälerei hielt, konnte dem Einkaufsbummel nach Schulschluss nichts abgewinnen. Es war bereits dunkel, regnete in Strömen und wehte böig. Kentarou dagegen schien mit dem Aufwachen wieder zur alten Form aufzulaufen. Obwohl es ihm sichtlich widerstrebte, den Haushalt Hirokis Mutter zu überlassen, die offenkundig einen Groll gegen ihn hegte, weil Hiroki ständig bei den Nachbarn zum Essen geblieben war, hielt er sich seine guten Manieren vor und bewies Größe. Mochte er es auch ein wenig kleinlich finden, ihm die Unterbringung nur für einige Tage noch zu gestatten, so ließ er sich das nicht anmerken. Er langte ordentlich zu, marschierte stramm neben Hiroki her in die Schule und beteiligte sich wieder am Unterricht. Während der Mittagspause beratschlagte er mit Hiroki, welche Geschäfte direkt nach der Schule angesteuert werden mussten. Der Hüne staunte kaum, als er die Liste erblickte, ordentlich sortiert und kalkuliert. Das war typisch Ken! Sein Freund kümmerte sich nicht um Markennamen oder Moden, strapazierfähig und von guter Qualität, sogar gebraucht, das waren die Maximen. Kentarou hatte auch zuvor bereits mit kleinem Geldbeutel wirtschaften müssen, sodass er mit der Situation durchaus vertraut war. Eine Sache hatte sich allerdings tatsächlich verändert, wie Hiroki beim Einkaufen bemerkte: Kentarou lief nicht mehr exakt einen Schritt voraus. Enge Passagen ausgenommen gingen sie Seite an Seite, die Arme streiften einander, hielten Kontakt. Immer wieder tanzte auf dem schönen Fuchsgesicht seines Freundes ein kämpferisches Lächeln. Kentarou hatte sich nicht aufgegeben! Als sie die stille Straße betraten, die zu ihren Häusern führte, bemerkten sie beide, schwer bepackt, dass sich etwas verändert hatte. Die markierenden Lichter und die Flatterbänder fehlten. Die Ruine war vom Staat freigegeben worden. ~+~ Tomohiko sortierte gerade ihr benutztes Geschirr auf ein Tablett, als hinter ihm jemand stehen blieb. Über den Tisch hinweg konnte er sehen, wie Seijis Gesicht einen erschrockenen Ausdruck annahm. Ansatzlos drehte er sich auf dem Absatz herum, benutzte das Tablett wie eine Barriere. »Das ist doch dieser finstere Typ aus der Ersten!« An dessen Namen er sich spontan nicht erinnern konnte. "Hast du einen Moment Zeit, Nishikawa?" Arashi zwinkerte Tomohiko diabolisch zu, eine Faust auf dem Tisch aufgestützt. "Sicher." Murmelte Seiji, kam misstrauisch in die Höhe, spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen. Was konnte dieser finstere Typ von ihm wollen?! "Gehen wir auf dem Hof ein paar Schritte." Arashi verneigte sich spöttisch, machte eine einladende Geste. "Es dauert nicht lange." Seiji schwieg, beäugte ihn kritisch, hielt ausreichend Abstand, um notfalls entwischen zu können. Täuschte er sich, oder hatte der Geräuschpegel in der Mensa erheblich abgenommen? Tomohiko ermahnte sich zur Ruhe, transportierte zunächst das Geschirr zum Rollband, dann nahm er, mit nonchalanter Miene, die Verfolgung auf. Mittlerweile war ihm eingefallen, wer dieser schräge Kerl war: Kitamura, der ständig mit dem Schülerpräsidenten durch die Gegend spazierte, als wären sie an der Hüfte zusammengewachsen! An der frischen Luft im Hof zog Seiji derweil die Schultern hoch, rieb sich über die Oberarme. Die Uniformjacke war nicht gefüttert, sodass der Kontrast zwischen dem beheizten Gebäude und der Außenwelt sich unangenehm bemerkbar machte. "Ich habe mit Motoki die Schülerakten durchgesehen, weil wir jemanden um Hilfe bitten wollen, der sich auf Pflanzen und Gärten versteht." Arashi verlor keine Zeit. Er bemerkte Seijis verwirrten Blick und schmunzelte über sich selbst. "Motoki ist Haruno, unser Schülerpräsident." Sorgte er für Aufklärung. "Was hat das mit mir zu tun?" Wagte Seiji Einspruch. "In deiner Akte steht, dass deine Eltern Kunsthandwerkende sind und dass du in der Mittelschule in einem Kurs fürs Blumenarrangieren warst. Außerdem lebst du auf dem Land, sodass ihr wahrscheinlich einen Garten habt, oder?" Die schwarzen Mandelaugen funkelten gefährlich. "Das-das stimmt." Seiji sah sich außerstande, diese Fakten abzustreiten, immerhin konnte man sie in seinen Zeugnissen und dem Bewerbungsbogen nachlesen. "Perfekt!" Arashi blieb stehen, warf abrupt einen Blick hinter sich, wo er nicht zu unrecht Tomohiko vermutete. "Ist wohl besser, dein Freund beteiligt sich an der Unterhaltung, dann sparen wir uns unnötige Aufregung!" Stellte er feixend und laut genug fest, dass auch der Dritte im Bunde es nicht ignorieren konnte. Als Tomohiko nun dazu kam, den Zeigefinger mit Seijis verhakte, lächelte Arashi gewinnend. "Fein, also, ihr habt doch sicher von Miwas Unglück gehört, oder? Erst ist sein Großvater gestorben, jetzt ist auch noch das Haus abgebrannt. Wir wollen ihm helfen, damit das Grundstück nicht an Spekulanten verkauft werden muss. Dazu benötigen wir jemanden, der sich mit Pflanzen auskennt. Wenn auf dem Grundstück noch etwas vom Garten zu retten ist, wollen wir das tun. Also, wie sieht's aus, bist du am Sonntag unser Mann für ein Wunder?" Seiji zog konzentriert die Augenbrauen zusammen. "Ich glaube, das musst du uns genauer erklären." Antwortete er bedächtig und ließ seine Hand vollständig in Tomohikos gleiten. ~+~ Mamoru grinste unverblümt, als Satoru beinahe ungebremst in den Kellereingang fegte, ihm die Arme um den Hals warf und einen stürmischen Kuss landete. "Hui!" Raunte er an Satorus Lippen. "Du stehst ja in Flammen." "Wenn du nicht gleich die Tür aufschließt, reiße ich mir hier die Kleider vom Leib!" Drohte der Ältere atemlos, schmiegte sich an Mamoru. "..." Der schluckte jede neckende Replik herunter und kurbelte mit dem Vierkant am Schloss, ließ sich von Satoru förmlich die Treppe hinabzerren. »Konversation fällt heute wohl aus!« Resignierte sein Verstand, während die Libido einen Limbo aufführte. Wer brauchte schon Unterhaltung, wenn sich Satoru blitzartig aus der Uniform schälte, unter dem schönen Anhänger bereits ein Salut geboten wurde?! Mamoru hatte es gerade noch bewerkstelligt, die Uniformhose auf die Knöchel sinken zu lassen, bevor Satoru splitternackt vor ihm kniete, ein Kondom bereit, um allein schon durch seinen glühenden Atem für freudige Erregung zu sorgen. Seine Zunge spielte mit Mamorus Anhänger, die Fingerspitzen zogen mysteriöse Muster in die empfindliche Haut der Genitalien. Dem Jüngeren gelang es, an den Treppenaufgang gelehnt, sich Hemd und Jacke von den Schultern zu schütteln. Er brachte nur unverständliche Laute heraus, konnte gar nicht glauben, wie schnell er auf Satorus gezielte Verführung reagierte. Oder dass der tatsächlich den Champagnergeschmack aus dem Kunststoff saugen wollte! Auf Satorus Schultern gestützt stieß er eine Warnung aus, doch zu spät, denn der unternahm nicht die geringsten Anstalten, Mamorus Erektion freizugeben, bis der sich mit einem heftigen Schauer Erleichterung verschaffte. Satoru wischte sich mit dem Handrücken Speichel ab, leckte sich die Lippen. Der Champagnergeschmack war ein wenig fade für sein Empfinden, aber so ein Geschenk lehnte man natürlich nicht ab. Er schmunzelte erhitzt, als Mamoru sich mit halb gesenkten Lidern und glühenden Wangen rücklings an der Wand auf den Boden hinunterließ, um Atem rang. »Perfekt!« Urteilte er, drehte sich auf allen Vieren, um aus seiner Tasche weitere Kondome, Taschentücher und das Gleitmittel zu bergen. Die letzten drei Tage hatte er das Gefühl gehabt, zu frieren, zu schweben, zu viel Zucker im Blut zu haben, eben grundsätzlich nicht auf allzu engem Kontakt mit der traurigen Realität zu stehen. Ihm wurde heiß und kalt, wenn er heimlich auf der Toilette über den Ring mit dem Schmuckanhänger strich, er sich daran erinnerte, wie es sich anfühlte, wenn sein Freund mit ihm schlief. Besagter Freund, durchaus angenehm überrascht von der Leidenschaft, die ihm zugedacht war, schmiegte sich an Satorus Rücken, spreizte dessen Beine, indem er die eigenen Knie dazwischenschob. Auch wenn er es bevorzugte, Satoru anzusehen, wenn sie intim wurden, konnte er doch nicht ignorieren, dass diese Position Satoru am Meisten zusagte. "Beuge dich vor." Raunte er in Satorus Ohr, knabberte kurz am Ohrläppchen, bevor er sanft, aber bestimmt Satorus Nacken herunterdrückte. Mit Kondom und Gleitmittel bereitete er dessen Körper auf die bevorstehende Invasion vor, während er mit der freien Hand Satorus Erektion massierte. An den Älteren geschmiegt genoss er die leisen Wohllaute, ächzend und kehlig hervorgestoßen. Er wollte den perfekten Moment finden, den Augenblick, wenn Satoru warm und geschmeidig nur noch darauf wartete, dass er in ihm diesen einen Punkt zum Schwingen brachte, damit alles auslöschte, den Alltag, die Sorgen und Befürchtungen, die Einsamkeit, den Lern- und Prüfungsdruck. ~+~ "Sie machen mit." Arashi spazierte mit leichter Verspätung in das Büro des Schülerpräsidenten. Motoki lächelte zu ihm hoch, schob einige Dokumente zusammen zu einem ordentlichen Stapel. "Das ist gut. Vielen Dank, dass du mir diese Arbeit abgenommen hast." Er stand auf und küsste den Jüngeren sanft auf den Mund, strahlte in die Mandelaugen hinauf. "Ja, zwei Freiwillige haben wir schon." Arashi ließ alle Zähne aufblenden, öffnete gleichzeitig Motokis Uniformhose, um das Schulhemd herauszuziehen. Den Blick nicht abwendend knöpfte er es auf. "Wie ich mir gedacht habe, ist sein Freund Nagaki mit von der Partie. Passt wie ein Luchs auf, dass niemand sich an Nishikawa heranmacht." "Je mehr, je besser." Beschied Motoki, schlug seinerseits Arashis Schulhemd auf. Seine Hände streichelten über die Brust, berauschten sich am rauen Gefühl der Körperbehaarung. In seinen Augen sah Arashi einfach wie der Idealtyp eines Mannes aus. Er hätte zweifellos als Modell arbeiten können! "Stehst du auf Pelz?" Neckte ihn Arashi kehlig, massierte Motokis Kehrseite. Der rieb die Wange an Arashis, errötete ein wenig über seine Phantasie. Er mochte auch den Dreitagebart, die zottelig wirkenden Strähnen. "Magst du das? Den 'Wilden Mann'-Stil?" Der Jüngere leckte ihm sonor knurrend vom Kinn bis zur Schläfe. Auch wenn Motoki es nicht wagte, seine erotischen Träume in Worte zu fassen, so war er doch tollkühn genug, seinen nackten Oberkörper an Arashis zu reiben. Der konnte wohl kaum die Reaktionen ignorieren, die sein 'Pelz' auslöste! "Lass mich die Decke holen." Arashi musste sich auf die Silben konzentrieren, mehrfach schlucken. Er konnte Motoki nicht ansehen, weil er sonst jede Hemmung verloren hätte. Wie konnte so ein scheuer, sanfter Mensch bloß solche heftigen Reaktionen in ihm auslösen?! Manchmal war es erschreckend, wie sehr er den Sex wollte, wie stark seine Gedanken sich auf ihre täglichen Treffen konzentrierten! "Wir brauchen keine Decke." Flüsterte Motoki ihm ins Ohr. "Zieh mir bitte die Hose runter." Zu diesem Zweck musste Arashi langsam in die Knie gehen, konnte die Gelegenheit nutzen, Motokis Brustwarzen zu verwöhnen, während er mit dem Gummiband der Unterhose kämpfte. Hatte er erst mal die Knie passiert, half ihm die Schwerkraft aus. "Du kommst doch an die Schublade?" Lächelte Motoki becircend, eine seltsame Mischung aus Unschuld und Lust. "HmmHmm." Der Jüngere blinzelte, plötzlich war sein Mund trocken. Es gab nur eine Quelle, die seinen Durst stillen konnte. Er hob Motoki auf die Tischplatte, wurde sofort von dessen nackten Beinen in eine Zwinge eingeschraubt, während sich Arme wie Tentakel um seinen Nacken schlangen. Jeder Kuss, den sie teilten, war nicht nur Ausdruck eines körperlichen Verlangens, das beinahe verzweifelt stark nach Erlösung suchte, sondern auch eine Versicherung. »Das hier ist kein Traum. Wir sind zusammen hier. Es ist wahr.« Arashi tastete hormonblind nach der Schublade, wo sich das Zubehör befand. Es gab sehr wenig, an das er glaubte, aber einen Vorgeschmack des Himmels zu erhalten, wenn er mit Motoki schlief, das erschien ihm mehr als glaubwürdig. ~+~ "Ich kann gar nicht glauben, dass es schon so spät ist!" Seufzte Mamoru, stopfte gut getarnt durch die Kälte und das hohe Menschenaufkommen Satorus Hand in seine Jackentasche. Sein Chef würde sicherlich über eine kleine Verspätung hinwegsehen, wenn er das Pensum ordentlich erledigte. Es erstaunte ihn aber, wie schnell die Zeit verflog, wenn er sich mit Satoru auf der Treppe niederließ, quasi schon bereit zum Aufbruch, um bloß noch ein wenig zu knutschen. "Tut mir leid." Wisperte Satoru mit geröteten Wangen. Er fühlte sich besser und empfand keineswegs Bedauern darüber, dass Mamoru ihm so viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Die Unannehmlichkeiten einer Verspätung musste er natürlich auf seine Kappe nehmen. Aber in diesem Moment, noch fiebrig erhitzt und von einer inneren Wärme erfüllt, die er sich so gewünscht hatte, wog diese Kleinigkeit beinahe nichts! "Lügner!" Stellte Mamoru grinsend fest und drückte Satorus Hand in seiner Jackentasche leicht. Auch wenn es ihm an Vergleichsmöglichkeiten gebrach, so konnte er doch von den Zehenspitzen bis in die letzte Haarsträhne mit Brief und Siegel bestätigen, dass Satoru wie ein begnadeter Virtuose küssen konnte. "Ah, da ist schon mein Zug." Mamoru zog eine Grimasse, so schnöde musste er seinen Liebsten verlassen! Diesem Schicksal musste getrotzt werden! Da sich alle Reisenden bloß auf die Eingänge des Zugs konzentrierten, den gestörten Blick von Lemmingen auf der Klippe zur Schau trugen, fasste er Satoru voller Schwung um die Taille und küsste ihn herzhaft auf die vom Wind gekühlten Lippen. "Bis morgen dann, mein Prinz!" Satoru musste sich die langen Ponysträhnen aus dem Gesicht wischen, lächelte dann aber über die liebevolle Frechheit des Jüngeren und sandte ihm zwinkernd einen Kuss via Luftbrücke zu. Noch immer vor sich hinstrahlend, beinahe von Glück beseelt machte er sich auf den Heimweg, fädelte sich geduldig in den Menschenstrom ein. Unerwartet rannte er förmlich in ein stationäres Hindernis, das in seinem Orbit viel zu spät mit einer Warnung versehen wurde. Satoru blickte überrascht hoch, um zu prüfen, wer ihm den Weg blockierte. Sofort wurde ihm flau in der Magengrube, seine Glieder begannen zu zittern. ~+~ "Ich dachte doch gleich, dass ich unsere Uniformjacke erkannt habe." Arashi studierte die attraktive Miene, die sich von seliger Entrückung zu blankem Entsetzen verwandelte. "Tanaka, richtig? Zweite Klasse." Er neigte den Kopf ein wenig, prüfte seinen älteren Gegenüber. Der ausgesprochen schöne Mitschüler wirkte, als wolle er gleich in Ohnmacht fallen. »Und keineswegs aus Begeisterung.« "Komm, wir haben ja denselben Weg." Aufgeräumt bog sich Arashi Satorus Arm zum Unterhaken, lenkte ihre Schritte sicher durch den Menschenstrom. Selbst durch den Stoff spürte er, wie der andere zitterte, seltsam steif lief. "Du musst keine Angst haben, Tanaka." Seufzte er grummelnd. "Ich habe nicht vor, dich und deinen Freund bloßzustellen. Also entspanne dich doch bitte, sonst lande ich noch auf dem Revier, weil man glaubt, ich wollte dir was tun!" Ein sehr verunsicherter Blick hinter verwehten Ponysträhnen streifte ihn bange. "Wie heißt der Kleine?" Arashi grübelte konzentriert. "Ich weiß noch, dass er früher ständig zu den Toiletten gewetzt ist. Hat sich klasse herausgemacht." Ein anerkennendes Funkeln blitzte in den schwarzen Mandelaugen auf. "Du scheinst einen sehr guten Einfluss auf ihn zu haben." Satoru brachte kein Wort über die Lippen. Sein Herz raste, in seinen Ohren dröhnte sein Puls wie Paukenschläge. Er hatte bisher immer einen großen Bogen um diesen Yakuza-Typen gemacht, der im Wohnheim innerhalb von zwei Wochen ohne jede Schwierigkeiten ohne Mitbewohner war. NIEMAND wollte sich mit ihm ein Zimmer teilen! »Bitte nicht!« Flehte er stumm. »N?Bitte nicht schon wieder!« Musste er Schweigen erkaufen? Erneut? "Warte mal bitte einen Moment." Arashi hielt inne, flipperte an einem der Automaten zwei Dosen mit grünem Tee. Eine reichte er an Satoru, der sie perplex entgegennahm. "Hör mal, Tanaka." Er winkte den Älteren zu einer einfachen Bank. "Sieh mich nicht so an, als wollte ich dich fressen, ja?" Er schlürfte seinen Tee und murmelte scheinbar ärgerlich vor sich hin. "Ich weiß wirklich nicht, warum alle auf mich so panisch reagieren! Sehe ich vielleicht wie ein Schläger aus?!" »Genau DAS!« Dachte Satoru, erkannte dann das ironische Zucken in Arashis Mundwinkeln. Der machte sich glatt über ihn lustig! Aufsteigender Ärger vertrieb das beschämende Zittern. Satoru nahm einen großen Schluck Tee und blickte finster vor sich auf den Asphalt. "Du musst wirklich keine Angst haben." Nun klang Arashi gelassen und ohne Spott. "Ich habe nicht vor, dich und deinen Freund zu verraten. Ich war am Bahnhof, um Haru-chan in den Zug zu setzen." Satoru warf einen ratlosen Seitenblick auf den Jüngeren. Der rollte mit den Augen. "Haruno. Motoki Haruno, Schülerpräsident." Erläuterte er, lächelte Satoru dann an, auf eine Weise, die ihm das Herz stocken ließ. Du liebe Güte, selbst dieser raubeinige Yakuza-Doppelgänger verfügte über einen Charme, der die Knie aufweichte! Mit hochroten Wangen sah Satoru hastig weg, umklammerte die Dose. "Ich bin mit Haru-chan zusammen, also nur keine falschen Vorstellungen." Arashi grinste schurkisch. Nicht ganz zu unrecht hatte er vermutet, dass Satoru mit einem plumpen Annäherungsversuch rechnete und sich nun überrascht fand. "Ich-ich möchte nicht, dass es jeder weiß." Würgte der Ältere leise heraus. Auch wenn er darauf hoffen konnte, dass der Erstklässler nicht an ihm interessiert war und unwahrscheinlicher Weise wirklich nur freundlich sein wollte, musste er es wagen. "Man wird blind sein müssen, nach der Art zu urteilen, wie dich dein Freund ansieht." Lautete Arashis trockene Replik. Er erhob sich, vertraute seine leere Dose dem Rücknahmeautomaten an und bot Satoru die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. "Ich werde nichts sagen. Aber wenn du mal Hilfe brauchst, dann weißt du, dass du nicht allein bist." Satoru erstarrte in der Bewegung, staunte in die schwarzen Mandelaugen. Erst jetzt begriff er die Bedeutung dessen, was sich ihm zunächst wie eine frivole Angeberei dargestellt hatte: dieser Typ und der Schülerpräsident waren ein Paar! Hatte der etwa seinem Freund von den Dingen erzählt, die er im Netzwerk des Gentlemen's Club gesehen hatte?! Er brachte kein Wort heraus, den Mund halb geöffnet. "Schon gut!" Arashi überging die beklemmende Stille, legte vertraulich den Arm um Satorus Schultern. "Machen wir uns wieder auf die Socken." Die Mandelaugen scharf auf die Ferne gerichtet führte er Satoru ruhig zum Wohnheim zurück. Der war noch immer sehr blass, als sie an der Pforte anlangten. "Du willst sicher lieber mit deinen Klassenkameraden zu Abend essen." Arashi wechselte die Schuhe. "Daher verabschiede ich mich besser jetzt schon." Er zwinkerte Satoru zu, der ihn ängstlich musterte. "Meine Zimmernummer hängt am Brett." Arashi tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Stirn. "Denk daran: ich bin KEIN Gentleman!" Damit ließ er einen vollends verwirrten Satoru zurück. ~+~ Kapitel 27 - Ein Bündnis Hiroki bahnte sich mit seinem Tablett einen Weg durch die Mensa, wusste Kentarou direkt hinter sich. Wieder einmal war es zu voll, was daran lag, dass der Klassenlehrer sie noch aufgehalten hatte. Es gab eine Nachricht von der Heimleitung, das Sekretariat hatte die Vormundschaft anerkannt und so weiter. Mit grimmigem Gesicht steuerte der Hüne die freien Plätze am Tisch der Außenseiter an. Man durfte manchmal eben nicht zimperlich sein! "Hallo." Begrüßte Motoki sie mit einem erfreuten Lächeln. "Geht es dir besser, Miwa?" Kentarou nickte aufgeräumt. "Mir fehlte bloß Schlaf. Jetzt bin ich wieder in Form!" Das entsprach in Teilen sogar der Wahrheit. Er hatte nämlich den gestrigen Tag, sah man von der hinderlichen Schulzeit ab, nahezu vollständig in tiefem Schlaf verbracht. Sogar in der großen Wanne hatte Hiroki ihn abfischen müssen, um ein peinliches Ertrinken zu verhindern. Die Form allerdings ließ noch zu wünschen übrig. Die Ereignisse hatten zu stark an seiner Substanz gezehrt, um ihn nicht zu zeichnen. "Miruno." Arashi stibitzte sich von Motokis Teller einen Rest gegrillten Fisch. "Wir haben den Experten aufgetrieben, vielleicht sogar ein paar Gartengeräte auf Leihbasis. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass es am Sonntag nicht regnet." Hiroki neigte den Kopf. "Vielen Dank." Dann versank er in dumpfes Brüten. Kentarou warf einen irritierten Blick in die Runde. Wurde hier in Rätseln gesprochen?! Aber auch zwischen Arashi und Motoki flog ein stummer Gedankenaustausch hin und her. "Was ist los, Miruno? Neue Schwierigkeiten?" Arashi ließ sein schurkisches Lächeln aufblitzen, kniff die schwarzen Mandelaugen ein wenig zusammen. "Kann ich vielleicht auch erfahren, um was es hier geht?!" Mmischte sich Kentarou ärgerlich ein. Seine Katzenaugen funkelten ungemütlich. Er spürte, dass es bei den Rätseln um ihn ging! "Wir benötigen Hilfe, um das Grundstück zu retten!" Donnerte Hiroki ungewohnt barsch, senkte den Blick wieder auf den Tisch, ohne die Stäbchen zu ergreifen. "Was-was soll das heißen?" Kentarou erhob sich halb, starrte den Freund über den trennenden Tisch hinweg an. "Hagiwara hat doch gesagt, dass mein Onkel nicht verkaufen wird!" "Wenn ein Grundstück zu lange brachliegt, dann kann man zwangsenteignet werden. DAS soll es heißen!" Giftete Hiroki dröhnend. Er erhob sich abrupt und stürmte mit gewaltigen Schritten aus der Mensa. Arashi ergriff die Initiative und beförderte Kentarou an dessen Hosenbund wieder auf den Stuhl. "Nur keine Aufregung." Mahnte er leise, aber scharf. "Sonst können wir gleich einen Aushang am Schwarzen Brett machen." Widerwillig gehorchte Kentarou, die Katzenaugen wütend zusammengekniffen. Warum war Hiro so sauer auf ihn?! Motoki schob mit einem freundlich-bittenden Lächeln Kentarou dessen Tablett näher heran, damit der zu essen anfing. "Wir haben deinem Freund ein wenig geholfen, nach Freiwilligen zu suchen, die mithelfen wollen, euer Grundstück wieder herzurichten." Arashi übernahm den Spielball geschickt. "Wenn es nämlich Beschwerden über Ratten oder anderes Ungeziefer gibt, hat dieser Spekulant, von dem dein Freund uns erzählt hat, einen großen Vorteil. Vor Gericht kann er bewirken, dass alles geräumt werden muss und wenn ihr das notwendige Geld nicht aufwenden könnt, ist für eine Zwangsenteignung der Weg bereitet." "Selbstverständlich geht das nicht so schnell." Motoki bemühte sich um einen beruhigenden Ton angesichts des bodenlosen Entsetzens, das sich auf Kentarous Gesicht zeigte. "Aber dein Freund hat auch recht damit, dass Zeit gewonnen werden muss. Es kostet eine Menge Geld, ein normales Haus aufzubauen, von einer solchen Antiquität ganz zu schweigen." Kentarou ballte die Fäuste unter dem Tisch, atmete tief durch. "Das-das war mir nicht bewusst. Die Zwangsenteignung." Ergänzte er zum besseren Verständnis. "Jetzt iss erst mal was!" Drängte Arashi brüderlich. "Ich gehe jede Wette ein, dass dein Freund sich nicht deswegen so aufgeregt hat." "Nein." Kentarou mümmelte widerwillig. "Gerade eben haben wir die Zustimmung der Heimleitung bekommen. Ich muss am Samstag in das Wohnheim einziehen." »Oha!« Synchron trafen Motoki und Arashi diese Feststellung. "Wenn du möchtest, kann ich dir beim Einzug helfen." Erbot sich Arashi generös. "Ich wohne auch da." "Danke." Kentarou richtete sich auf, riss sich sichtbar am Riemen. "Ich glaube, so viele Sachen habe ich gar nicht. Es ist ja alles verbrannt." Das sorgte für eine mitfühlend-ratlose Stille. Arashi erhob sich, übereignete seinen Pudding Motoki. "Wir sehen uns nachher." Motoki lächelte hoch in die schwarzen Mandelaugen. "Danke schön." Zwinkerte er und bezog sich keineswegs auf den Pudding. In der Tat erwies sich Motokis Einschätzung richtig: Arashi strebte nicht etwa schon dem Klassenzimmer zu, um dort die verbleibende Zeit bis zum Beginn des Nachmittagsunterrichts abzuwarten, sondern begab sich auf die Spur von Hiroki. Der stand wie ein Fels in der Brandung im Nieselregen, die Fäuste geballt, ein wahrer Titan. »Na herrlich!« Brummte Arashi innerlich und schlug den Kragen der Uniformjacke hoch. "Beruhigt?" Erkundigte er sich frech und baute sich vor dem Hünen auf. Ein weißglühender Blick ungefilterter Wut auf die ganze Welt bohrte sich in seine Augen. "Machst du dir Sorgen, weil er ins Wohnheim muss?" Arashi hielt nichts von Geplänkel. Hiroki wirkte auf ihn nicht wie einer, dem leicht das Temperament durchging. Da musste man auch nicht schonend auf Zehenspitzen herumtapsen und um den heißen Brei herumschleichen. Hiroki ersparte sich eine Antwort, blinzelte Regentropfen aus den Wimpern. Allein der Gedanke, nun bis zum Abschluss von Kentarou getrennt zu sein, nicht einfach zu ihm ins Haus wechseln zu können oder ihn unter seiner Bettdecke zu finden, schnürte ihm die Luft ab, kochte erneut die brodelnde Wut in ihm auf. Warum wollten seine Eltern kein Einsehen haben?! "Weißt du schon, zu wem er ins Zimmer kommt?" Erkundigte sich Arashi unerschrocken. Er hatte zuvor kein sonderliches Interesse an den anderen Erstklässlern an den Tag gelegt, konnte aber erkennen, dass diese unzertrennlichen Freunde aufgrund der letzten Ereignisse eine besonders enge Beziehung verband. Außerdem, wer schleuderte schon eine Kugel über eine enorme Distanz, um seinem Freund aus der Patsche zu helfen? Sprang aus dem zweiten Stock, um sich abkanzeln zu lassen? Da Hiroki ihn keiner Antwort würdigte, wischte sich Arashi durch die nassen Strähnen und grinste bei dem flüchtigen Gedanken, wie aufreizend Motoki das finden würde. Tatsächlich schien sein sanftmütiger, ehrenhafter Freund eine große Schwäche für Schurken zu haben, die wie ein ungemachtes Bett auftraten! "Also gut." Plauderte er ungezwungen weiter. "Warum sagst du nicht einfach, dass du Angst hast, er könnte im Wohnheim belästigt werden?" Nun HATTE er definitiv Hirokis Aufmerksamkeit. In dessen Gesicht arbeiteten Sehnen und Muskeln so stark, dass sie sich deutlich unter der seltsam gemusterten Haut abzeichneten. »Der Schöne und das Biest, hm?« Arashi lächelte liebenswürdig. Auch wenn Hiroki ihn noch überragte, hatte er keine Angst vor einer gewalttätigen Replik. Seufzend gab Arashi nach, ihm wurde es langsam zu feucht hier. "Hör mal, im Wohnheim wird streng aufgepasst, dass es keine Übergriffe gibt. Dort gab es keine Dependance des Gentlemen's Club!" Fügte er ätzend hinzu. Hiroki senkte die Lider, wischte sich durch die nassen Haare. "Wie offensichtlich ist es?" Erkundigte er sich leise. Gab es denn wirklich jemanden, der nicht den Großen Bruder oder den anhänglichen Freund in ihm vermutete, sondern einen im Augenblick verzweifelten Liebhaber? Vor ihm zwinkerte der abgerissen und gleichzeitig aufrührerisch wirkende Halbstarke aufmunternd. "Es ist die Art, wie er auf DICH reagiert." Nun musste Hiroki in die schwarzen Mandelaugen sehen. Er seufzte leise, zuckte mit den Schultern resigniert. "Auch wenn er sich große Mühe gibt: Ken geht es noch längst nicht wieder gut. Er will immer alles mit sich selbst ausmachen, aber dieses Mal wird das nicht gehen." Wisperte er sonor. "Verstehe." Pflichtete Arashi mit verfinsterter Miene bei. "Ich kenne noch jemanden, der dazu neigt. Gut, wie wär's damit: er kann mit mir das Zimmer teilen. Ich gehe auch in die erste Klasse, also wäre es der einzige Umzug bis zum Abschluss. Ich kann ein Auge auf ihn haben." Hiroki musterte Arashi prüfend, eindringlich. "Es ist nicht so einfach." Antwortete er. "Ken mag es nicht besonders, wenn man sich ihm aufdrängt." Arashi grinste freimütig. "Na hör mal! Ich werde ihm bestimmt nicht auf die Pelle rücken!" Ernsthafter fügte er hinzu. "Wie inzwischen wohl jeder gemerkt hat, der etwas darauf gibt, bin ich mit Haru-chan...Motoki zusammen. Glücklich und ausgesprochen treu liiert." "Herzlichen Glückwunsch!" Rutschte es Hiroki säuerlich heraus, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte. Wieso hatte der Kerl bloß so ein Glück?! Die schwarzen Mandelaugen funkelten vergnügt, eine spöttische Verbeugung schloss sich an. "Vielen Dank!" Der erste Gong dröhnte dumpf durch die nassen Nebelschwaden. "Kannst mir noch Bescheid sagen." Arashi klopfte Hiroki aufmunternd auf die Schulter, wandte sich zum Gehen. "Ich schätze, Haru-chan hat deinem Freund den Vorschlag schon unterbreitet." Hiroki wartete noch einen Moment, sah diesem merkwürdigen Yakuza nach, der ungeniert in andere Angelegenheiten eingriff. Zugegeben, ER hatte zuerst um Hilfe gebeten, aber nicht damit gerechnet, dass ihm so problemlos andere Mitschüler zur Seite sprangen. »Die Frage ist: kann ich ihm Ken anvertrauen?« Er rollte die Schultern, schüttelte dann energisch die losen Regentropfen ab. Vermutlich würde ihnen keine andere Wahl bleiben. ~+~ [Schon was gefunden?] Seiji rollte rasch den kleinen Papierfetzen mit der Botschaft zusammen. Eigentlich sollte er sich auf seine Studien konzentrieren, doch unter seiner Bank suchte er nach Informationen. »Eigentlich sollte das funktionieren.« Dachte er und prägte sich Stichworte ein. Wenn sie Glück hatten! »Und wenn Tomo endlich aufhört, diese Papierkugeln zu werfen!« ~+~ Mamoru flitzte, sich immer wieder umblickend, ob man ihn auch nicht verfolgte, zu den Toiletten. Aber die wenigen, die bei Schulschluss noch mal die Toilette aufsuchten mussten, wählten die Toiletten im Erdgeschoss, sodass er ungesehen sein Ziel erreichte. Sein Herz raste vor Nervosität, denn die Nachricht, die er am Morgen in seinem Schließfach gefunden hatte, klang nach Ärger. Er drückte die Tür zu seiner früher favorisierten Kabine ein, wurde sofort hineingezogen, die Tür verriegelt, bevor sich Satoru in seine Arme warf und "Gott sei Dank!" schluchzte. "Was ist denn los?!" Mamoru ließ sich umhalsen, streichelte besänftigend über den zitternden Rücken. "Er weiß es!" Dechiffrierte er zwischen den atemlosen Schluchzern. "Dieser fiese Kitamura!" »Kitamura, Kitamura?!« Angestrengt versuchte Mamoru, dem Namen ein Gesicht zuzuordnen. Er gab es auf. "Was will er? Dich erpressen?" Nun musste er Satoru doch mit sanfter Gewalt von sich ziehen, damit er ihn ansehen konnte. "Er hat gesagt, dass er es nicht will, aber er weiß Bescheid über-über mich!" Satoru schniefte, wollte in den Arm genommen werden, getröstet und wieder aufgewärmt. Mamoru atmete tief durch. "Also gut." Erklärte er ernsthaft. "Ich werde morgen mit ihm reden. Wenn er die Klappe hält, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, finden wir heraus, was er will und überlegen uns dann etwas." Satorus Kinnlade sackte sichtlich herunter. Die Vorstellung, dass Mamoru diesen finsteren Typen einfach zur Rede stellen und über dessen Absichten befragen wollte, erschütterte ihn zutiefst. "Das-das kannst du nicht machen! Der Typ sieht aus wie ein Yakuza!" Protestierte er besorgt. "Warte mal!" Bei Mamoru rotierten einige Rädchen. "Ist das dieser komische Kerl aus der Ersten, der neuerdings mit dem Schülerpräsidenten durch die Gegend spaziert? Zottelige Haare, Dreitagebart?" "Genau!" Satoru hielt Mamoru eng am Nacken umschlungen. "Der ist gefährlich! Ich will nicht, dass dir etwas passiert!" Mamoru lächelte, küsste den Älteren zärtlich auf den Mund. "ICH will nicht, dass DIR etwas passiert. Du musst dir keine Sorgen machen. Was soll er schon anstellen, wenn wir uns hier in der Schule unterhalten?" Satoru schwieg, schmiegte sich an Mamoru an. Das WAREN natürlich vernünftige Argumente, doch seine Angst ließ sich nicht so einfach überzeugen. "Wann hat er dich denn angesprochen?" Erkundigte sich Mamoru leise, kraulte den Älteren neckend im Nacken. "Gestern, am Bahnhof." Satoru seufzte leise, entspannte sich unter den Liebkosungen. "Er hat mir Tee spendiert." Sein Freund konnte ein Glucksen nicht unterdrücken. "Der finstere Yakuza hat dir Tee gekauft? So, so, du lässt dich also von anderen Männern zum Tee einladen!" Satoru versteifte sich. "SO war das nicht! Ehrlich, ich würde dich nie betrügen! Ganz bestimmt nicht!" Plädierte er erschrocken am Mamorus Nachsicht. Der fasste Satoru ungeniert um die Kehrseite, presste ihre Hüften aneinander. "Das habe ich auch nicht angenommen. Ich rede morgen mit ihm, und alles kommt wieder ins Lot." Versprach er schmunzelnd. Für einen langen Augenblick, während ihr Herzschlag einen Sprint ansetzte, sahen sie sich einfach unverwandt an. Schließlich wisperte Satoru heiser. "Musst du sofort gehen?" Mamoru biss sich auf die Unterlippe. "Das geht nicht." Murmelte er unterdrückt. "Ich habe weder Gummis, noch Gleitmittel hier." Satoru löste seine Hände, fahndete in seinen Taschen, präsentierte hastig die Kondome mit dem Champagnergeschmack. "Trotzdem..." Wollte Mamoru einwenden, denn ohne Gleitmittel riskierte er, Satoru zu verletzen, von der Enge der Kabine ganz zu schweigen! "Es geht, bestimmt!" Versicherte ihm Satoru fiebrig, küsste ihn leidenschaftlich. "Gib mir deine Hand!" Während er über Mamorus Zeige- und Mittelfinger ein Kondom abrollte, öffnete er mit der anderen Hand seine Hose, ließ sie auf die Knöchel sinken, um herauszusteigen. "Meine Unterwäsche!" Forderte er Mamoru auf, behielt aber dessen Hand, schob sich dessen eingepackte Finger in den Mund, saugte hingebungsvoll an ihnen und verteilte seinen Speichel. Mamoru, der in die Knie gegangen war, um mit einer Hand die Unterhose zu entfernen, rächte sich, indem er mit der Zunge den Ring unter Satorus Bauchnabel neckte, am Anhänger zupfte. Schneller als vermutet konnte er über Satorus Erektion ein Kondom abrollen, was sich gar nicht so einfach anließ mit nur einer Hand. Außerdem war da ein heftiges Kribbeln in seinen Nerven, denn Satorus virtuose Künste zeigten deutliche Wirkung. Er richtete sich auf und begrüßte einmal mehr die Entscheidung, keine Unterwäsche zu tragen. So konnte er seine Uniformhose ungehindert auf die Knöchel sinken lassen, Satoru gegen die Kabinentür schieben und ihre Unterleibe aneinanderreiben. "Verdammt!" Raunte er atemlos an Satorus Ohr, musste sich anlehnen. "Du solltest nicht so aussehen!" So aufreizend und verführerisch, unwiderstehlich, zum Vernaschen! Obwohl es sich lediglich um eine künstliche Nachahmung des Champagnergeschmacks handelte, fühlte sich Satoru wie berauscht. Wenn er mit Mamoru zusammen war, bereits in Vorfreude auf den Höhepunkt, vergaß er seine Angst und Einsamkeit, die aufkommende Panik bei der Vorstellung, jemand möge über seine sexuelle Orientierung Kenntnis erlangen. Mamoru drängte ihn, auch dessen Erektion einzutüten, bevor sie eindeutige Spuren auf dem Boden hinterließen. Satoru gab dessen Finger nun frei, schlang die Arme um Mamorus Nacken und küsste ihn. Er wusste, dass es keiner Aufforderung bedurfte, damit Mamorus Arm sich um seine Taille schlängelte und den Hintereingang ansteuerte. Sein erregtes Stöhnen beim Eindringen wurde von ihrem Kuss erstickt. Auf den Zehenspitzen begann Satoru sich zu bewegen. Soweit er noch einen koordinierten Gedanken hegen konnte, war ihm klar, dass er es nicht mehr aushalten würde, bis er auch Mamorus Erektion mit Speichel eingedeckt hatte. Die Sehnsucht nach der explodierenden Hitze in seinem Inneren war schon zu mächtig. Mit einem Ellenbogenstoß gegen Mamorus Arm zwang er ihn zum Rückzug, drehte sich um und beugte sich leicht vor, die Stirn auf die gefalteten Hände gelegt, die Ellen an der Kabinentür aufgestützt. Er spürte Mamorus heißen Atem in seinem Nacken, den Windzug, als der Jüngere sich das Kondom von den Fingern zerrte, Satoru an den Hüftknochen fasste. "Sag mir...wenn es...nicht geht!" Keuchte er angestrengt. Vor seinen Augen tanzten seltsame Punkte, er hatte Mühe, sich zu bremsen. Aber das WAR notwendig, um Satoru keine Schmerzen zuzufügen! In seinen Ohren rauschte sein Puls wie eine Sturzflut, er konnte nur hoffen, dass seine Rechte, die Satorus Erektion massierte, genug Ablenkung war, um den initiierenden Schmerzimpuls zu überstimmen. Satoru verspannte sich einen Augenblick, rang mit dem gesamten Leib nach Luft. Dann gab sein Körper nach, ließ Mamoru ein, schmiegte sich enger an den Usurpator. Mamoru küsste Satorus Nacken versengend, leckte über die angespannten Sehnen, die Augen zugekniffen, auf der Reise zum Zielpunkt. Mit einer gegenläufigen Bewegung, die Knie eingeknickt, kam Satoru ihm entgegen, beschleunigte den Zusammenstoß. Dann verabschiedete sich der Verstand, war überflüssig. Unzertrennlich verbunden, umschlungen, in einem einzigen bebenden Rhythmus pulsierend folgten sie einander zum Höhepunkt. ~+~ "Kannst du wohl einen Moment warten?" Hiroki, der mit Kentarou seit dem Ausbruch in der Mensa keine drei Worte gewechselt hatte, dirigierte ihn in eine Nische neben Automaten, wo der Regen nicht allzu lästig war, drückte ihm seine Schultasche in die freie Hand. Kentarous Katzenaugen, klar, aber von dunklen Ringen umgeben, die bewiesen, wie weit er noch von einer vollständigen Erholung entfernt war, richteten sich auf ihn, betrachteten ihn beunruhigt. Aus einem Impuls heraus beugte sich Hiroki vor, küsste Kentarou sanft auf die Lippen. "Alles wird gut." Er drehte sich rasch um, wollte sich einen Vorwurf oder das verärgerte Abwischen des Mundes ersparen, steuerte eine der einsamen Telefonsäulen an. So verpasste er, wie Kentarou sich über die Lippen leckte und fröstelnd die Schultern hochzog. Ungeduldig trommelte Hiroki auf die Säule, hoffte auf eine schnelle Verbindung. Diese dämlichen Säulen waren einfach zu niedrig für ihn! Jedes Mal musste er sich verbiegen und einrollen, um unter das einfache Glasdach zu passen! Zu seiner Erleichterung wurde er schnell verbunden, erreichte den Priester des Tempels. Hastig sprudelte er seine Bitte heraus, beschrieb die Ruine, bat darum, den Geist des alten, traditionellen Haus zu segnen. Obwohl skeptisch sagte der alte Mann schließlich zu, ihn zu unterstützen. Hiroki bedankte sich höflich, so erleichtert, dass er sich auf die Säule stützen musste. "Ist alles in Ordnung?" Kentarou wuchs neben ihm aus dem Boden, fasste ihn ungewohnt scheu an einem Arm. Der Hüne lächelte, wischte behutsam durch Kentarous nasse Haare. "Ich glaube, ich kann für ein Wunder sorgen." Er fasste Kentarou an der Hand. Kentarou zog fragend die Augenbrauen hoch. "Das siehst du am Sonntag." Verkündete Hiroki und warf sich ihre Schultaschen über den Rücken. "Jetzt gehen wir erst mal nach Hause." Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her, dann nieste Kentarou und schniefte verächtlich. "Sag mal, glaubst du, ich könnte bei euch eine Suppe machen?" Sah er zu Hiroki auf. Hiroki schmunzelte. "Ich lenke meine Mutter ab, und du schleichst dich in die Küche. Wenn wir meinen Vater kosten lassen, sind wir in der Überzahl!" "GUUUTER Plan!" Stimmte Kentarou begeistert zu, forcierte das Tempo. ~+~ "Kannst du aufstehen?" Mamoru küsste Satoru auf das Ohrläppchen, zog seufzend die Hand aus dessen Unterhose, wo er mit dem Anhänger gespielt hatte. Satoru, der auf seinem Schoß in der Toilettenkabine saß, stützte sich auf dessen Schultern ab und stellte sich auf die Beine. "Und laufen?" Die großen, schwarzen Augen hinter der randlosen Brille richteten sich auf den Älteren, der auf der Stelle lief, zwinkerte. "Los, mach mir die Hose zu." Kommandierte er Mamoru, streichelte zärtlich über die Cornrows. "Aye, aye!" Seufzte Mamoru, richtete Satorus Bekleidung artig. "Schätze, Kuma-chan hatte recht: ich kann dir einfach nicht widerstehen." Über ihm schmunzelte Satoru. "Sag ihm, dass es ein Notfall war." Mamoru erhob sich ebenfalls, umarmte Satoru. "Geht es dir denn jetzt besser?" "Sehr viel besser, vielen Dank!" Schnurrte der Ältere und kuschelte. "Fein." Mamoru grinste becirct. "Ich liefere dich sicher beim Wohnheim ab, dann lasse ich mir von Kuma-chan die Leviten lesen!" "Du bist mein Held!" Gurrte Satoru amüsiert, hielt Mamoru an der Hand, als sie die Toilettenkabine verließen. ~+~ "Was ist das?" Arashi spähte über Motokis Schulter, der eine Notiz aus seinen Schulschlappen fischte. Sie waren beide etwas spät dran und mussten sich eigentlich auf den Weg zu ihren Klassenräumen machen. "Sieht so aus als hättest du einen neuen Mitbewohner!" Motoki wandte sich lächelnd herum. "Ob er mir seine Stimme gibt, wenn ich mich als Schülerpräsident bewerbe?" Arashi zwinkerte. "Dann sehen wir uns in der Mittagspause!" ~+~ Arashi steuerte gerade auf Motoki zu, der am Eingang der Mensa auf ihn wartete, als jemand ihm auf die Schulter tippte. "Entschuldigung?" Große, schwarze Augen hinter einer randlosen Brille richteten sich ernsthaft auf ihn. "Hast du einen kleinen Moment Zeit?" Hinter dem Erstklässler stand Arashis Bekanntschaft vom Bahnhof. "Können wir vielleicht beim Essen reden? Ich bin verabredet." Arashi rieb sich über den Dreitagebart und warf einen entschuldigenden Blick zu Motoki hinüber, der ihn überrascht ansah. "Sicher, warum nicht! Ich bin übrigens Taki." Mamoru gab sich nicht beeindruckt. "Satoru, was magst du essen?" Arashi pflügte durch die Menge der Mitschüler voran zur Ausgabe, seine Trabanten im Schlepptau. "Ist das wirklich eine gute Idee?" Hörte er Tanaka hinter sich wispern. "Warum sollen wir nicht zusammen essen?" Dieser Taki klang keineswegs besorgt. Motoki begrüßte ihn überrascht. "Ist alles in Ordnung?" Mit einem schurkischen Grinsen drückte ihm Arashi ein Tablett in die Hand. "Sieht so aus, als würde unser Tisch bald richtig populär." "Oh." Kommentierte Motoki die Entwicklung gelassen und lehnte sich in der Enge der Schlange vertraut an Arashis Front. Dass sein Freund so unverschämt sein würde, Taki und Tanaka für Sonntag zum Arbeiten für die gute Sache einzuspannen, hatte er da noch nicht geahnt. ~+~ "Ist das alles?" Hiroki sah sich um. Die Reisetasche war mit Bekleidung gefüllt, eine große, strapazierfähige Kunststofftasche mit Büromaterial, Hygieneartikeln und dem übrigen Kleinkram. Konnte das wirklich alles sein, was sein Freund an irdischem Besitz hatte?! "Ja, wir sind fertig." Verkündete Kentarou aufgeräumt. Ihm war jedenfalls nicht anzumerken, dass ihn diese traurige Tatsache deprimierte. »Oder dass wir heute zum letzten Mal in meinem Bett zusammen schlafen.« Hiroki unterdrückte tapfer einen Seufzer. "Ich nehme das Rad morgen in die Schule mit, da können wir alles aufladen." Bot er an. "Danke, guter Vorschlag!" Kentarou rieb sich die Katzenaugen, streckte und räkelte sich. Auch wenn er es nicht aussprechen würde, war er doch beinahe erleichtert, aus diesem Haus herauszukommen. Nicht etwa, weil er gegenüber Hiroki verunsichert war, nein, dessen Eltern waren das Problem: er spürte genau, dass ihn besonders Hirokis Mutter nicht leiden konnte. Gerade, weil sie sich krampfhaft bemühte, ihre Antipathie zu verbergen. "Darf ich zuerst unter die Dusche?" Er wandte sich seinem hünenhaften Freund zu, der zerstreut auf dem Schreibtisch Papier hin und her rückte. "Natürlich. Warte, ich leihe dir ein Sweatshirt und Boxershorts mit Kordelzug!" Hiroki kramte in seinem Wandschrank herum. Kentarou nahm die Leihgaben munter entgegen, offenkundig erfreut, sich nach der Dusche ins Bett zu kuscheln und in den komatösen Schlaf zu fallen, der in den letzten Tagen wieder Einzug gehalten hatte. Hiroki lud sich die beiden Taschen auf und stapfte durch das Treppenhaus bis zum Eingang hinunter, wo er die Ladung für den morgigen Tag deponierte. Seine Eltern hatten sich bereits höflich von Kentarou verabschiedet, da er mit ihm am nächsten Morgen als erster aufbrechen würde. »Heuchler!« Dachte er grimmig und erinnerte sich an den erleichterten Gesichtsausdruck seiner Mutter. Sie glaubte vermutlich, dass es ausreichte, wenn Kentarou nicht mehr in Reichweite war, aber Hiroki würde sie eines Besseren belehren: seine Liebe war nicht flüchtig oder leicht zu erschüttern! Er fand das Badezimmer bereits verlassen vor und schlüpfte selbst hinein. Duschen, den Pyjama überstreifen und einschlafen, irgendwie. Bloß nicht daran denken, dass es die letzte Nacht war! Um keinen Preis sentimental werden! Als er sein Zimmer wieder betrat, brannte nur eine Leuchte auf dem Schreibtisch noch. Neben dem Bett, ordentlich aufgestapelt und gefaltet, lagen das Sweatshirt und die Boxershorts. Kentarou blickte ihn an, die Kissen im Rücken arrangiert, die Knie angezogen. Seltsam losgelöst bemerkte Hiroki, dass unter der Decke offenkundig Zehen nervös bewegt wurden. "Du musst das nicht tun." Raunte er gerührt, aber heldenhaft entschlossen, nicht die Situation auszunutzen. "Im Wohnheim haben wir keine Chance, und ich habe den Eindruck, dass deine Eltern nicht oft zustimmen werden, mich hier über Nacht aufzunehmen." Erklärte Kentarou gewohnt unumwunden. Hiroki hatte Pudding in den Knien, zumindest fühlte es sich zu an. Er sackte auf seinem Bett zusammen und betrachtete Kentarou. "Willst du das wirklich?" Fragte er noch einmal. "Oh!" Auf Kentarous Gesicht mischten sich Erkenntnis und Verlegenheit. "Du magst nicht? Wir müssen natürlich nicht, wenn..." Er ließ das Satzende ausfransen. Auf der Bettkante verpasste sich Hiroki einen durchaus heftigen Schwinger. »Blödmann! Hohlkopf! Dumpfbirne!« Verlieh er sich selbst ärgerlich Auszeichnungen. »Willst du etwa, dass Ken, der dir schon gesagt hat, dass er sich mit Gefühlen schwer tut, für alle Zeiten jede Initiative aufgibt?! WIE BLÖD KANNST DU EIGENTLICH SEIN?!« "Was machst du denn da?!" Kentarou warf die Decke ab, rollte sich auf die Knie und überwand die Distanz. "Das tut doch weh!" "Selbsterkenntnis IST schmerzhaft" Brummte Hiroki und schüttelte die leichte Benommenheit ab. Er drehte den Kopf und sah Kentarou an, nackt, ein wenig verwirrt und so liebenswert bodenständig, dass er ihn am liebsten in die Arme gerissen und wie ein Stofftier geknuddelt hätte. Es war bloß damit zu rechnen, dass Kentarou ihm eine Abreibung verpasst hätte. "Ich glaube, ich kann mich noch an alles erinnern." Der zog jedoch gerade die Nase kraus, einen komisch-konzentrierten Ausdruck auf dem Gesicht. Hiroki streckte also die große Hand aus, streichelte Kentarous Lippen mit dem Daumen. "Ich glaube, ich will. Ziemlich sicher sogar. Unbedingt, wenn ich es recht bedenke." Murmelte Hiroki endlich. Kentarou grinste. "Ich schätze, ich sollte jetzt an deinem Daumen nuckeln, aber ich glaube nicht, dass mir das gefällt." Der Hüne schmunzelte. "Das glaube ich auch nicht." Er zog seine Hand zurück und entkleidete sich. Unterdessen hatte Kentarou die Bettdecke zurückgeschlagen und wartete artig, dass er sich neben ihm in die Kissen kuschelte. Er zog mit verschmitzter Miene unter einem Kissen Hirokis Geheimkiste hervor, die die notwendigen Utensilien enthielt. Hiroki streichelte langsam durch Kentarous schulterlange Haare, glitt mit den Fingerspitzen die Schlüsselbeine entlang, den Blick tief in die blitzenden Katzenaugen gerichtet. "Was denkst du, darf ich oben sein?" Die Stirn in leichten Falten grübelte Kentarou einen Augenblick, zwinkerte dann. "Also gut. Aber ich warne dich: wenn ich keine Luft mehr bekomme, kneife ich dich in den Hintern!" "Autsch!" Hiroki verzog das Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse. "Ich werde mich hüten!" Er stützte sich auf alle Viere, damit sich Kentarou mit breitem Grinsen unter ihm bequem einrichten konnte. Dann glitt er mit den Händen über dessen Körper, vom Kopf bis zu den Zehen, streichelte die Haut, bevor er den Kopf senkte, seine Spuren mit Zunge und Mund erneuerte. Kentarou ließ ihn ruhig gewähren, streichelte lediglich mit den Händen seine Arme langsam auf und ab, zuckte manchmal und verstärkte den Griff unwillkürlich. Hiroki konzentrierte sich auf Kentarous Unterleib, während seine großen Hände Kentarous Brustwarzen zwischen Mittel- und Ringfinger einsperrten, die sehnigen Muskeln massierten. "Genug!" Protestierte der schließlich keuchend. "Komm hoch!" Brav ließ sich Hiroki kommandieren, tauschte Küsse aus, bis er einen eindeutigen Griff um seine Erektion spürte. Er blickte in die Katzenaugen, ein wenig verschleiert. "Gib Gummi...!" Buchstabierte Kentarou mühsam. Hiroki lächelte, küsste das Fuchsgesicht unter sich wild, bevor er ihre Erektionen verpackte. Unbewusst lächelte er noch hingerissen, als Kentarou ihn abstützte, während er sich langsam auf dessen Unterleib bewegte. ~+~ "Das wär's dann." Hiroki warf einen Seitenblick auf Kentarou, setzte sein Fahrrad in Bewegung. Gepäckträger und Frontkorb waren mit Kentarous Habseligkeiten vollbeladen. Kentarou drehte sich um, doch sein Blick galt nicht Hirokis Elternhaus, sondern der stummen Ruine, in der er so lange glücklich gelebt hatte. "Morgen." Hiroki räusperte sich mit belegter Stimme. "Morgen kommen wir wieder. Wir bauen es wieder auf." "Ja!" Kentarou war grimmig-entschlossen. "Komm!" Er marschierte voran. "Lass uns herausfinden, wie dieser komische Arashi haust!" ~+~ Hiroki sah sich um, fand die Unterbringung zwar klein, aber nicht allzu übel. Für Kentarou musste es ein Fortschritt sein, denn hier hatte er nicht nur ein richtiges Bett, sondern auch einen Schreibtisch. Arashi faltete gerade die große Kunststofftasche zusammen. "Tja, willkommen im neuen Domizil. Hoffentlich schnarchst du nicht." Kentarou runzelte die Stirn, wandte sich dann Hiroki zu. "Schnarche ich?" Das brachte Arashi zum Lachen, während Hiroki errötend den Kopf schüttelte. "Leute, ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das MUSS der Beginn einer wundervollen Freundschaft werden!" ~+~ "He, warte doch mal!" Arashi winkte nach Satoru, der ertappt erstarrte und ihn erschrocken ansah. Das hinderte Arashi aber nicht daran, Kentarou zuzunicken. "Tanaka, das ist Miwa, mein neuer Mitbewohner. Kannst du ihn mit ins Wohnheim nehmen? Ich habe noch mit Haru-chan was zu erledigen." "Ja, sicher." Murmelte Satoru überrumpelt, starrte den Erstklässler mit den Katzenaugen überrascht an. "Ich heiße Kentarou." Übernahm der die Führung, wandte sich kurz nach einem wahren Hünen um, der einen erstaunlich deprimierten Eindruck machte. "Wir sehen uns dann morgen, ja?" "Ja, sicher." Selbst der Bass des Riesen klang in Moll. "Nun guck doch nicht so bedröppelt!" Wurde er streng zur Ordnung gerufen. "Ist doch bloß ein Tag!" Ein Klaps auf die Kehrseite unterstrich die Aufforderung energisch. Der Riese brummte Unverständliches, schoss dann pfeilschnell heran, um einen Kuss auf die Stirn zu platzieren und die rötlich schimmernden Haare zu zerraufen. "HE!" Protestierte Kentarou. "Na warte!" Satoru warf einen verwirrten Blick auf Arashi, der angesichts der freundschaftlichen Balgerei bloß grinste, Mamoru auf die Schulter klopfte und sich verabschiedete. "Ist ja niedlich!" Stellte Mamoru ungezwungen fest, drückte Satoru verschwörerisch die Hand und verabschiedete sich von einer Begleitung zum Bahnhof. "Dann sehen wir uns auch morgen, mein Prinz." Schicksalsergeben wartete Satoru, bis Kentarou erhitzt, aber triumphierend zu ihm zurückkehrte. Er warf Satoru einen kritischen Blick zu. "Sag mal, kannst du mir vielleicht das Haus zeigen? Bis Arashi zurückkommt, will ich nicht untätig herumsitzen." "Gern." Satoru wagte ein freundliches Lächeln. "Ist es wirklich wahr, dass wir morgen deinen Garten aufmöbeln?" "Tun wir?" Kentarou blinzelte perplex. ~+~ Arashi betrat nonchalant das Büro des Schülerpräsidenten, lächelte Motoki zu. "Jetzt haben wir insgesamt vier Freiwillige." Langsam beugte er sich über seinen Freund, betrachtete die dort ausgebreiteten Unterlagen. "Hebe das Zeug für die nächste Woche auf." "Musst du dich um deinen neuen Mitbewohner kümmern?" Motoki nickte verständnisvoll, doch Arashi konnte in der Körpersprache des Älteren gut lesen. Die sagte ihm, dass Motoki es bedauerte, ihn einfach verabschieden zu müssen. "Ich habe Satoru gebeten, mich zu vertreten." Arashi küsste Motokis Nacken, streichelte dessen Seiten. "Aber ich möchte heute keinen Papierkram mehr sehen. Morgen werden wir hart genug arbeiten müssen, lass uns jetzt 'nett zueinander' sein, ja?" Der Ältere streichelte über die Hände, die ihn durch den Stoff liebkosten. "Darf ich mir etwas wünschen?" Erkundigte er sich leise. "Ja, wünsche dir was." Raunte Arashi an seinem Ohr, suchte mit den Fingerspitzen nach der Narbe auf Motokis Leib. "Lass mich aufstehen, bitte." Wisperte der, teilte gleichzeitig die Papierstapel in zwei Türme auf, die er an die äußeren Enden des Tisches verlagerte. "Ist es das, was du möchtest?" Arashi schmiegte sich wie eine zweite Haut von hinten an ihn. "Office love?" Motoki wandte den Kopf leicht, formte stumm eine Bestätigung. "Soll ich ein Taifun sein oder eine sanfte Sommerbrise?" Arashi fand offenkundig Gefallen daran, das Szenario zu skizzieren. "Taifun." Flüsterte der Ältere, lehnte sich einen langen Augenblick in die warme Umarmung zurück, die ihn hielt. Er ließ sich leise seufzend die Hosen herunterziehen, Jacke und Hemd von den Schultern zerren, genoss es, sich an der Tischkante festzuklammern, während heißer Atem über seinen Rücken wehte, bevor sich Arashi an ihn schmiegte, eine unwiderstehliche Reibung erzeugte. Die Beine gespreizt, leicht in den Knien gebeugt goutierte er den raschen, druckvollen Austausch mit Arashi, stöhnte genießerisch dessen Namen, bis er vornüber sackte, beinahe unter den Tisch gerutscht wäre. Doch Arashi fing ihn ab, ließ sich selbst schwer auf den Stuhl sinken, barg keuchend den Älteren auf seinem Schoß. Vertraut und erfüllt hielten sie einander fest, bis sich ihr Puls wieder beruhigt hatte. Wie gewohnt begleitete Arashi Motoki zum Bahnhof. "Ich will, dass du dir über etwas im Klaren bist." Unterbrach Arashi plötzlich ihr intimes Schweigen. "Ich werde dir nach dem Abschluss einen Heiratsantrag machen, also bereite dich schon mal seelisch darauf vor." Motoki lächelte, schmiegte sich ein wenig enger in den Arm, der wie gemacht für seine Schulter schien. "Dann darf ich davon ausgehen, dass wir verlobt sind?" "Selbstverständlich." Das charmant-schurkische Grinsen bestrahlte ihn. "Ich bin ein Ehrenmann!" "Wenn du das nächste Mal nicht arbeiten musst, dann möchte ich dich auch meiner Familie vorstellen. Ich würde mich freuen, wenn du irgendwann meinen Namen trägst." Motoki studierte die Mandelaugen über sich offen. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte er Arashi nicht nur errötet, sondern vollkommen sprachlos erleben. Zufrieden genoss er die abstrahlende Wärme des Jüngeren. Nun erfüllte ihn die Zukunft mit Zuversicht. ~+~ Arashi wurde durch die Unruhe seines neuen Mitbewohners geweckt, nahm das aber gelassen hin. Er hatte das Gefühl, dass er sich mit dem kleinen Energiebündel gut verstehen würde. Nach einem eiligen Frühstück trafen sie sich mit Satoru in der Eingangshalle, der sie begleitete. Vor der Schule wartete bereits Mamoru, der die Gunst der Gesellschaft nutzte, um Satoru an die Hand zu nehmen, während Kentarou voraus marschierte. Als sie ihr Ziel erreichten, warteten Seiji, Tomohiko und Hiroki bereits vor Hirokis Elternhaus. Respektvoll ließen sie Kentarou den Vortritt, der äußerst beherrscht das Grundstück betrat und mit Gesten erklärte, wo welches Zimmer gewesen war. Hiroki nickte den freiwilligen Helfern zu. "Ich habe Werkzeug leihen können und ein paar Overalls. Später können wir bei mir essen und duschen." Zögerlich und vorsichtig betraten sie das geschwärzte Ruinenfeld. Kentarou kämpfte mit den Tränen, hielt sich ein wenig abseits. "Der Plan sieht vor, dass wir das, was man noch benutzen kann, also beispielsweise die Balken hier oder die Matten, als Einfriedung verwenden, damit niemand das Grundstück einfach betreten kann." Erläuterte Hiroki. Seiji hob die Hand. "Ich bin wegen der Pflanzen hier." Sah sich suchend um. Die Umgebung stimmte ihn nicht gerade hoffnungsfroh. Allerdings hatte er in einer Tüte auf dem Gepäckträger von Tomohiko wertvolle 'Schützenhilfe' transportiert. Für den Fall, dass man dem 'Wunder' nachhelfen musste. Kentarou wischte sich mit einem Ärmel über das Gesicht. "Ich zeige dir den Garten." Seiji folgte ihm schweigend, spürte Tomohikos Blicke auf sich ruhen. Er war ein wenig ratlos, wie er das Eis brechen sollte, denn Kentarou war verständlicherweise zutiefst getroffen vom verheerenden Zustand des Grundstücks. Mutig verlegte er sich einfach darauf, schweigend Pflanzen von Ruß abzubürsten, die Erde umzugraben, Setzlinge, die er mitgebracht hatte, einzubuddeln. Kentarou hockte sich neben ihm, und so, wie die beiden die Köpfe zusammensteckten, konnte man bald davon ausgehen, dass sie sich auf eine Art verstanden, die keiner großen Worte bedurfte. Nachdem die Aufgaben an die übrigen verteilt worden waren, schlüpften sie in die Overalls, bedienten sich an den Werkzeugen, um das Grundstück wieder herzurichten. Sobald Seiji strahlend verkündet hatte, dass nach seiner Einschätzung der rote Zierahorn und der alte, gelb blühende Ginkgo die Feuersbrunst überstanden hätten und nicht einzugehen drohten, stieg die Stimmung merklich an. Hiroki und Arashi ließen ihre Muskeln spielen, um gemeinsam Begrenzungspfähle in den Boden zu rammen, während Satoru und Tomohiko Überreste der Trümmer sortierten. Gegen Mittag, als eine müde Sonne durch die Wolken blinzelte, versammelte sich die kleine Gruppe im Garten, schmutzig, aber gut gelaunt. Vor allem Kentarou strahlte, denn der Garten lebte noch. Das bedeutete, dass der Geist seiner Heimat, seines Zuhauses nicht verloren war. Auch Hiroki lächelte entspannt, denn er konnte bereits nach dem Picknick inmitten des Gartens dem Priester telefonisch mitteilen, dass sie sehr viele Zeichen gefunden hatten, die eine Zeremonie zur Reinigung und Segnung rechtfertigten. Wenn erst mal für alle sichtbar ausgewiesen war, dass sich hier besondere Naturgeister manifestierten, die sogar einem Feuer standgehalten hatten, würde es niemand so schnell wagen, sie unter Druck zu setzen! "Meine Herren!" Arashi hob seinen Teebecher an. "Ich glaube, wir sollten einen Club gründen." Die anderen betrachteten ihn teils skeptisch, teils besorgt. "Den Club der gentle men. Der Männer von Ehre. Die respektvoll mit ihren Mitmenschen umgehen und ihren Lieben treu zur Seite stehen." Hiroki brach als erster die Stille. "Darauf trinke ich." Mamoru schmunzelte. "Yepp, ich bin dabei. Gott sei Dank sind wir keine Gentlemen, sondern gentle men!" Arashi lächelte frech in die Runde. "Dann, meine Freunde und Clubmitglieder, darf ich doch hoffen, dass ihr mich als nächsten Schülerpräsidenten unterstützt? Ich habe bereits den Beistand meines Vorgängers!" Er nahm Motokis Hand und führte sie mit einer Verbeugung an die Lippen. "Na, irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Zeit bis zum Abschluss noch richtig spannend wird. Brauchen wir nicht noch einen Wahlspruch? Einer für alle, alle für einen?" Brummte Kentarou. Darauf konnten sich die ersten acht Mitglieder des Clubs der gentle men durchaus verständigen. Es war höchste Zeit für eine neue Ära von wahrhaftigen Ehrenmännern. ~+~ ENDE ~+~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera ~+~ PRODUKTIONSNOTIZEN ~+~ # Ideen/Inspiration: Die Diskussion, ob ein Verbot von Mobiltelefonen an Schulen unsägliche Mobbingattacken wie 'Happy Bashing' oder Erpressungen mit Bildern aus Toilettenkabinen, etc. verhindern würde. Aufnahmerituale an weiterführenden Schulen spielten auch eine Rolle. # Szenerie: obwohl es in einer japanischen Großstadt angesiedelt ist, handelt es sich um ein Phantasie-Japan, also keine Verbindung zur japanischen Realität, sondern eben Manga: es wird passend gemacht ^_~ # Der Gentleman: der Begriff wurde hauptsächlich in England aufgebracht für Angehörige des Adels oder für Familien mit sehr langer Tradition. Daraus folgte ein gewisser Verhaltenskodex, der aber nur der eigenen Gesellschaftsschicht galt. Besonders im 19. Jahrhundert wandelte sich der Begriff, was mit den Ausschweifungen der Adelssprösslinge zu tun hatte. Die Gentlemen's Clubs waren Orte der männlichen Adligen, an denen sie ungestört ihren Vergnügungen nachgehen konnten, also Spielhöllen, Wettclubs und Bordelle. Im Deutschen wird ein Gentleman als ein Mann von Charakter und Lebensart, als ein Ehrenmann verstanden. # Technik: als sich die Idee zu vier unterschiedlichen Paarungen manifestiert hatte, habe ich sie mir einzeln über eine Zeitschiene vorgeknöpft und später die Teile zusammengesetzt und an den Übergängen gefeilt. Dass das Ganze von der ursprünglichen Idee her so gewaltig ausgeufert ist, habe ich allerdings nicht erwartet ^.^° # Danksagung: an Terry Pratchett, der in "The Fifth Elefant" Lady Sybil über ihren bemerkenswerten Gatten Samuel Vimes sagen lässt: "he was the most civilized man she'd ever met. Not a gentleman, thank goodness, but a gentle man." Eines der schönsten, treffendsten und pointiertesten Komplimente überhaupt. # Entschuldigung: an alle, die zu Halloween 2007 eine der gewohnten, kurzen Gruselgeschichten erwartet haben. Ich habe es leider nicht mehr geschafft. Aber die Haare können sich auch hier sträuben 7_7