Titel: Der rote Faden Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction "Fake" von Sanami Matoh FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Ereignis: Valentinstag 2014 Erstellt: 11.02.2014 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen. Hinweis: zur ersten Begegnung bitte "Szenen" lesen. Für Vegeta! *~~~~~~># *~~~~~~>#* ~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># *~~~~~~># Der rote Faden Es war einer dieser Tage, von denen es seit dem Jahreswechsel eine ganze Reihe gegeben hatte. Das Wetter spielte verrückt, am Wochenende T-Shirt-taugliche 20°C, dann Mitte der Woche der nächste Blizzard, nichts ging mehr, was nicht hieß, dass es auf dem 27. Polizeirevier von New York City nichts zu tun gäbe. Jamie Jay Adams, von allen nur JJ gerufen, Scharfschütze und Ermittler in Zivil, fühlte sich todmüde und aufgedreht zugleich. Die Ereignisse des Tages ließen sich nicht einfach nach Dienstschluss respektive überzogenem Ende seiner Einsatzschicht abschalten und irgendwo im Hinterkopf verstauen, das Adrenalin kreiste noch, auch wenn schon längst die weiße Flagge gehisst wurde und er sich eigentlich in seinem Bett regenerieren sollte, um nicht wie ein Zombie zu agieren. Manchmal ging er an solchen Tagen mit den Kollegen noch in eine Bar oder ein Diner, um ein bisschen Dampf abzulassen, zu reden, etwas zu trinken, einfach in Gesellschaft zu sein. Um runterzukommen. Heute jedoch waren alle froh gewesen, nach Hause zu kommen, zumindest so lange noch, wie nicht der Wintersturm an Schwung zulegte, U-Bahn- und Fährverkehr eingestellt wurden und die allgegenwärtigen Taxis stecken blieben. Deshalb hatte sich JJ in eine Sportbar gekämpft, im Windfang seinen Dufflecoat sorgsam abgeklopft, die Fellmütze mit den Ohrklappen und den Schal ausgeprügelt, die schweren Stiefel, die so gar nicht zu seinem gewohnten dreiteiligen Anzug passen wollten, mit der auffordernd aufgestellten Kleiderbürste von Eis, Schnee und Streugut befreit. Hier heizte man auch, damit die Leitungsrohre nicht barsten, also fühlte er sich leidlich aufgetaut, selbst wenn man trotz der großzügigen Scheiben keinen Blick auf die Straße werfen konnte, denn alles war beschlagen. Passenderweise wurde auf dem Bildschirm ein Eishockeyspiel übertragen, was JJ nicht verfolgte, sondern nur generell in die Richtung blickte und genießerisch an seiner Bierflasche nippte. Das Servieren in der Flasche mochte rustikal wirken, doch hier diente es als Qualitätsmerkmal: man bekam genau das, was man bestellte und selbst mit einem satten Plopp öffnete: nach Deutschem Reinheitsgebot gebraut, wintertypisch mit höherem Malzanteil, keinesfalls vermurkst mit Geschmacksnuancen, die in einem "richtigen" Bier nichts zu suchen hatten! JJ war in dieser Hinsicht Purist: Karamellgeschmack oder Zitronenlimonade im Bier?! IGITT!! Irgendwo musste man eine Grenze ziehen! Zudem trieben sich in seiner Ahnentafel auch irgendwo deutsche Ausgewanderte herum, wie bei so vielen in diesem Bundesstaat, sodass er eine gewisse stolze Verpflichtung fühlte, dieses Erbe rücksichtsvoll zu wahren. Er spürte, wie die Anspannung langsam aus seinen Gliedern wich, die Mattigkeit sich vorsichtig vorwagte, das Karussell seiner Gedanken den Elan verlor, die Umdrehungen reduzierte. Manchmal kam er sich wirklich wie der berühmte Hamster im Rad vor, in einem anspruchsvollen, sich überschlagenden Alltag, der ihm keine Gelegenheit bot, innezuhalten, sich zu besinnen, über sein Dasein nachzudenken. Jetzt, wo er eine seltene Chance dazu hatte, war er selbstredend zu ausgelaugt, um tiefsinnig zu grübeln! Ironie des Schicksals! Neben ihm glitt ein junger Mann, ebenfalls in einen dreiteiligen Anzug gehüllt, auch wenn er einen teuren Wollmantel apportierte, auf den freien Barhocker. Er orderte ebenfalls ein Malzbier, nahm es entgegen, schnalzte das "Siegel" ab und schluckte genießerisch die erste Runde Labsal, dann seufzte er aus tiefster Seele, was JJ ein Schmunzeln entlockte, der EXAKT diese Empfindungen auch durchlaufen hatte. Sein Sitznachbar zwinkerte, das Gesicht von der Kälte noch gerötet. JJ lächelte freundlich zurück und griff nach seiner Bierflasche. Dabei kam ein geflochtenes Lederband zum Vorschein, das üblicherweise unter seinem Ärmel versteckt blieb. "Oh!" Bemerkte sein Nachbar aufmerksam, beugte sich interessiert hinüber. "Mohawk, oder?" JJ nickte, ein wenig befangen. Das Band war derart eng um sein Handgelenk gebunden worden, dass er es mit einem Messer hätte durchsäbeln müssen, um es zu entfernen, was er bis dato noch nicht getan hatte. "Ja, diese Perlen und die Knochenstückchen, das ist ganz typisch!" Nickte sein Sitznachbar erfreut, dass er mit seiner Einschätzung richtig gelegen hatte. "Nicht, dass ich ein Experte für Mohawk-Kunstgegenstände wäre, aber mein Ex hat mir auch mal so ein Armband verehrt." "Tatsächlich?" JJ saß ein wenig aufrechter. "Oh ja!" Sein Nachbar leckte sich nach einem genießerischen Schluck unwillkürlich die Oberlippe ab, justierte die randlose Brille auf der Nasenspitze. "Das war damals schon ein bisschen klischeehaft." Er lächelte schief. "Er war ein echter Mohawk und arbeitete auch noch bei den Höhenrettern im FDNY! Das ist hier ganz in der Nähe." Ergänzte er. "Von dem besonderen Talent habe ich schon gehört." Ließ sich JJ sehr wachsam auf die Unterhaltung ein. "Oh, in seinem Fall stimmte das absolut! Schwindelfrei, nie höhenkrank und auch genau nach dem Motto der Truppe: immer alert auf dem Punkt! Eben die Tapfersten und Besten!" Der junge Mann räusperte sich keck. JJ begriff und nippte zur Tarnung an seiner Flasche. Keine gute Idee, sich zu tief auf dieses Thema einzulassen, aber dazu war es nun zu spät, seine Neugierde größer als sein Unbehagen. Vorsichtig legte er die Angel aus und wartete, ob der Fisch den Köder schluckte. "Stell ich mir schwierig vor, mit jemandem zusammen zu sein, der so einen Job hat! Immer im Einsatz und so." "Tja!" Sein Sitznachbar seufzte in melancholischer Zustimmung. "Sein Job war nicht wirklich das Problem, warum ich Schluss gemacht habe. Ich wollte eine richtige Beziehung, jemanden für den Alltag, so richtig kitschig und altmodisch. Wenn wir uns aber mal getroffen haben, ging's immer ratz-fatz zur Sache, was ich in meiner Collegezeit wirklich superb gefunden hätte." Er sandte JJ einen ernsten Blick, lupfte die Schultern kurz. "Doch jetzt...! Am Ende des Tages wollen wir doch alle jemanden, der ganz bei uns ist und das war leider nicht sein Fall." *~~~~~~># JJ war länger in der Sportbar geblieben als ursprünglich beabsichtigt, denn er hatte sich mit "Oggy" ("eigentlich August, aber so nennt mich nur meine Mutter!") und seinen später eingetroffenen Freunden gut unterhalten, über nichts Tiefschürfendes, nein, einfach nur alltägliche Themen wie das Wetter, die steigenden Mieten, wo es wirklich gutes Essen in der Nähe gab und was für ein Desaster der letzte Superbowl gewesen war. Banale Dinge, unwichtige Sujets. Er war nach dem Kampf zu seinem Appartement durch den Schnee seltsam schwerelos ins Bett gesunken, in traumfreien Schlaf gefallen (nun, zumindest konnte er sich keines Traums entsinnen). Einige Gewissheiten hatten sich jedoch wie Widerhaken in seinem Hinterkopf festgesetzt, da er an seinem Schreibtisch saß und für seinen Bericht auf Informationen wartete. Erstens war er ziemlich sicher, dass Oggys Ex jener Seneca Mohawk Whitman war, mit dem ihn auch, ja, was eigentlich?, verband. Nach kurzem Nachdenken konnte JJ bestimmen, dass sie sich ein halbes Dutzend-mal persönlich begegnet waren, wobei sich Oggys Einschätzung als durchaus zutreffend erwies: wie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen war Mohawk auf den Punkt konzentriert. Der bedeutete Sex, intensiv, anstrengend, an die Grenzen (zumindest JJs) reichend. Ja, da konnte er keine tatsächliche Klage führen (seinen Stolz einmal ausgenommen): solchen Sex hatte er nie zuvor gehabt. Mohawk war unglaublich versiert und untrüglich instinktsicher, ihn zur Ekstase und darüber hinaus zu bringen. So peinlich es sich ausnahm: JJ hatte von sich selbst nicht gewusst, wie heftig er auf derlei Aufmerksamkeit ansprang! Natürlich war es nicht einfach, sich überhaupt zu verabreden, denn sie hatten beide Schichtdienst, mussten auf Notrufe reagieren und Bereitschaft ableisten. Wenn es dann doch mal klappte, landeten sie aufgrund der räumlichen Nähe in JJs Appartement, zweimal nicht im Bett, weil Mohawk ihn schon kurz hinter der Türschwelle überwältigte. Bei einem Pfadfinder hätte man wohl lobend erwähnt, er sei allzeit bereit und entsprechend ausgerüstet, in JJ keimten jedoch erhebliche Zweifel. Ja, sie hatten Sex und danach kam entweder ein Alarmruf oder der nächste Dienst dräute. Sie waren nicht zusammen, nein, sie absolvierten gymnastische Übungen zur gegenseitigen Erleichterung. Ein vernichtendes Urteil, doch JJ akzeptierte es als korrekt. Eigentlich wusste er überhaupt nichts über Mohawk, sie unterhielten sich auch nicht wirklich, dafür war ja keine Zeit. Oder fand sich nicht. »Wir sind auch nicht zusammen.« Resümierte er im Vergleich zu Oggys Wertung. »Wir vögeln bloß hin und wieder.« Nun überkam ihn schleichend das Bedürfnis nach mehr, nach einer Partnerschaft. Vielleicht beruhte das auf den Erfahrungen in ihrem Team, wenn er sah, wie Ryo gelegentlich Dee auszankte, weil der mal wieder vergessen hatte, Toilettenpapier mitzubringen und wenn Dee dann später, ganz verstohlen, Ryo heimlich dessen geliebte Krapfen mit roter Bohnenmus-Füllung über den Schreibtisch schob, als Versöhnungsangebot/Aufmunterung/Liebesbeweis. Er selbst konnte selbstverständlich nicht darauf hoffen, mit seinem Lebenspartner, so sich jemals einer fände, in einem Team zu arbeiten, doch darum ging es gar nicht. Diese beiden waren zusammen, vertraut miteinander, sich nahe, nicht nur körperlich, sondern auch emotional, das spürte jeder, nicht aufdringlich oder unangenehm, es war einfach eine zärtliche, freundschaftliche, liebevolle Verbindung, die da schwang. Ryo hatte ihm einmal vom roten Faden des Schicksals berichtet, eine Vorstellung, die seine japanischen Vorfahren wohl hegten. Sein roter Faden war mit Dees kleinem Finger verbunden und umgekehrt. Vielleicht konnte man es nicht sehen, nicht messen, nicht dokumentieren, aber spüren, das konnte man es! JJ beäugte knapp seinen kleinen Finger, der ihm nicht das Geheimnis des roten Fadens preisgeben wollte, oder wer da möglicherweise am anderen Ende wartete. *~~~~~~># Dee starrte missmutig auf den Bildschirm, während er verbissen im Adler-Suchsystem auf die Tasten hackte. JJ trat beiläufig an seine Seite, denn er wusste wohl, dass Dees verkniffene Miene nichts mit ihrem gerade abgeschlossenen Fall zu tun hatte. "Wenn du willst, können wir am Freitag tauschen." Adressierte er Dee, seinen ehemaligen Studienkollegen von der Polizeiakademie und langjährigen Schwarm. Der schwarzhaarige Mann mit dem faszinierend grünen Augen stutzte, zog dann die ausdrucksstarken Augenbrauen zusammen und funkelte prüfend zu JJ hoch. "Ist das dein Ernst? He, hat dich etwa ein Alien übernommen und sitzt jetzt an der Fernsteuerung?" JJ streckte ihm die Zunge raus und schnickte sich eine kastanienbraune Locke aus der Stirn. "Bitte, wenn du nicht willst, dann hast du eben schon!" Er wandte sich ab, doch schneller, als ein Knallkrebs unter Wasser Explosionen auslösen konnte, packte ihn eine Hand am Ellenbogen. "Willst du wirklich tauschen?!" Mit einem schiefen Grinsen zwinkerte JJ über die Schulter. "Bist du also doch interessiert?" "Unbedingt!" Dee nickte heftig, die grünen Augen sehr ernst. "Dann hast du was bei mir gut!" "Ich werde dich dran erinnern!" Drohte JJ spielerisch, klopfte Dee beiläufig auf die Schulter. "Keine große Sache, Dee." "Danke, JJ!" Antwortete ihm der schwarzhaarige Ermittler aufrichtig. "Das ist wirklich nett von dir." "Wie gesagt, keine große Sache, Dee." JJ schluckte entschieden den Kloß herunter, denn, so schmachvoll es sich auch ausnahm, JJ hatte noch nie an einem Valentinstag eine Verabredung gehabt, nicht mal in der Highschool. Warum sollte er es dann anderen, die es besser getroffen hatten, nicht gönnen, sich einen romantischen Abend zu machen? *~~~~~~># Samstag in der Früh, Schneegriesel blies durch die Straßen. JJ war müde, als er sich gegen den Sturmwind stemmte, dick eingemummelt. Möglicherweise war es doch gut, niemals an einem Valentinstag in einer Beziehung gewesen zu sein, dachte er matt, aber sein Beruf diente nun auch nicht gerade dazu, in die besseren Eigenschaften der Menschen zu vertrauen, das stimmte wohl auch. Jetzt wollte er bloß noch in sein Bett, nicht mehr über sinnlose Gewalttaten nachdenken, es bedauern, dass das Tier "Mensch" keinen Instinkt, sondern ein angeblich überlegenes Bewusstsein sein Eigen nannte. Langsam erklomm er die Treppen hoch zu seinem Appartement. Es lag in einem fünfstöckigen, sehr gepflegten Wohnblock des vergangenen Jahrhunderts, als man sich noch auf solide Bauweisen bei ausreichend Mitteln verstand, nämlich Backstein und nur sehr wenig Holz, teuer, aber hochwertig. Auf seinem Flur befanden sich auch nur vier Parteien, von denen er keineswegs erwartete, dass ein Besucher dort ausharrte, deshalb konnte die Silhouette, die in einem älteren Polsterstuhl beim Fenster saß, nur auf seine Rückkehr hoffen. Abrupt blieb er stehen, als sich der späte/frühe Besucher auf die Beine stemmte. "Mohawk?" Flüsterte JJ scharf. "Was tust du hier?!" Die Frage war schneller heraus, als er sich eines Besseren besinnen konnte. Andererseits war der Flur um diese Uhrzeit auch nicht der passende Ort für Diskussionen oder Gespräche allgemein. "Fröhlichen Valentinstag." Wisperte Mohawk, der ihn um einen halben Kopf und sehr viel mehr sehnige Muskelmasse überragte. "Dachte, ich schaff es noch gerade rechtzeitig, weil du ja eigentlich frei haben solltest." "Hab mit einem Kollegen getauscht, der fest liiert ist." Mit verkniffenem Gesicht, das man glücklicherweise in der sparsamen Beleuchtung nicht erkennen konnte, murmelte JJ bissig. Das war schon der zweite verbale Tritt vors Schienbein, er konnte es nicht leugnen. Hastig entriegelte er seine Wohnungseingangstür und gestikulierte resigniert. "Komm erst mal rein." Auf keinen Fall aber würde er sich auf Mohawks übliche Taktik einlassen, der ihn quasi noch auf der Grenzlinie abfing und sofort seine gesamte Technik in Sachen Horizontal-Tango aufbot, um ihn schachmatt zu setzen! Demonstrativ kehrte er ihm den Rücken zu, um sich aus seinen wärmenden Schutzschichten zu pellen, wankte dann, als Mohawk es ihm höflich gleichtat, knapp außerhalb dessen Reichweite zu seinem Pantry, um Wasser aufzusetzen. Keinesfalls aber Kaffee, das konnte sich sein unangemeldeter Besucher abschminken! Stattdessen schüttete er ohne Nachfrage ein Pulvergemisch in zwei Henkelbecher, rührte es mit Sojamilch glatt und verdünnte die schäumende Krem mit Wasser, eine Art Kakaogetränk, mit kleinen Stückchen Krokant und Karamellbröckchen. Nicht die feine Englische Art, nein, vermutlich global nicht gerade eine exquisite Wahl, aber das kümmerte JJ in diesem Moment nicht. Er war verdient müde, ausgekühlt und ausgelaugt von einer strapaziösen Schicht, wollte bloß noch in warmes, süßes Vergessen sinken und nicht auf einen anderen Rücksicht nehmen müssen, Manieren beweisen, nicht seinen niedrigen Instinkten die Zügel schießen lassen. Was ihm jedoch bereits zweimal auf der Türschwelle unterlaufen war! Leise ächzend erkletterte er einen der Barhocker, schob die Henkelbecher über die fleckenfreie Arbeitsplatte. Die Deckenspots leuchteten in warmen Tönen diesen nicht allzu häufig genutzten Platz in seinem Appartement aus und enthüllten, dass Mohawk ihn aufmerksam musterte. Die betonte Distanz konnte jener also nicht ignorieren. "War ein harter Tag, hm?" Der athletische Mann mit den markanten Gesichtszügen glitt anmutig auf den Barhocker und nahm einen vorsichtigen Schluck aus seinem Becher. JJ verspürte einen spontanen Unwillen, den Tag, den er einfach nur noch abhaken wollte, zu kommentieren oder Smalltalk abspulen zu müssen. Er massierte sich mit einer Hand die Nasenwurzel und wischte ärgerlich die widerspenstige Lockensträhne aus der Stirn. "Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bin todmüde und habe, fürchte ich, auch meine schlechteren Charaktereigenschaften nicht mehr vollständig im Griff." Nahm er Mohawk in den Fokus, eine unmissverständliche Aufforderung, rasch das Weite zu suchen und das Feld zu räumen. Mohawk studierte ihn knapp, dann antwortete er. "Wenn du wütend bist, weil ich hier unangemeldet aufkreuze: tut mir leid, ich habe wirklich angenommen, du hättest heute frei. Ich wollte dich überraschen, Valentinstag, Freitagnacht, Wochenende." Seine schwielige Hand wedelte erläuternd. Auch seine Hoffnungen waren enttäuscht worden. JJ gab sich nicht mal mehr Mühe, sein Seufzen zu kaschieren. Den Blick auf die Arbeitsplatte geheftet rang er mit seinem Temperament, das ihn schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte. "Mohawk, es ist leider der falsche Zeitpunkt, aber ich will das Thema jetzt auch nicht mehr vertagen." JJ hob den Kopf und fing die tiefschwarzen Augen ein. "Ich möchte diese Treffen zum Sex beenden." Er konnte lediglich ein minimales Blitzen wahrnehmen, Mohawks Züge veränderten sich jedoch nicht. Andererseits schien der ohnehin nicht der Typ zu sein, dem man seine Gefühlsregungen leicht ansehen konnte. "Du willst Schluss machen?" Wiederholte der Höhenretter mit rauer Stimme, saß sehr aufrecht, den rasierten Kamm stolz hochragend, den langen, geflochtenen Zopf auf den Rücken geworfen. Der Polizist seufzte erneut, durchaus ungeduldig. "Mal ehrlich, wir haben doch nicht mal was angefangen! Mir geht's auch nicht um Schuld oder sonst was!" Grollte er schnaubend, die Augen verdrehend. "Hin und wieder Sex, darauf habe ich keine Lust mehr. Nenn's Midlifecrisis." Wobei er entschieden übersah, dass in dieser gefürchteten, legendären Lebensphase genau gegenteiliges Verhalten typisch gewesen wäre. "Was willst du denn dann, JJ?" Mohawk klang nicht vorwurfsvoll, eher still, getroffen, ratlos. Ablenkend mit einer Hand wedelnd feuchtete der Polizist sich die Kehle mit seiner Spezialmischung an. "Tja, ich habe da diese lächerliche Vorstellung, wo ich mit jemandem zusammen bin, ganz banal, wo wir uns wegen Zahnpastatuben kabbeln, gemeinsam doofe Sitcoms auf der Couch glotzen und Käseflips futtern, bis uns übel wird. Nichts Besonderes, nur jemand, der da ist, der mir nahe ist. Dem ein großer Platz in meinem Herz gehört." Ätzte er selbstironisch. JA, das klang geradezu Brechreiz erregend kitschig! Andererseits stolperten sie gerade noch in die nächtlichen Ausläufer vom Valentinstag, oder?! "Das ist mit mir nicht möglich?" Mohawk griff blitzartig über die Arbeitsplatte hinweg und kaperte JJs Linke. "Warum nicht?" JJ spürte bleierne Müdigkeit und verwünschte sein unseliges Temperament, denn einer profunden Diskussion war er keineswegs mehr gewachsen. "Hör mal, ich kenne dich doch gar nicht, also liegt es nicht an dir, ja? Ich hab eben andere Vorstellungen, das ist mir in der letzten Zeit klar geworden." "Also soll ich es bitte nicht persönlich nehmen, hm?" Schnurrte Mohawk sarkastisch, eine durchaus neue Erfahrung für JJ, der nur noch mit seinen schweren Schultern zuckte. Der athletische Mann studierte für eine halbe Ewigkeit, wie es dem Ermittler schien, ihre Hände, eine die andere umklammernd. "Ich hab dich gern, JJ, sehr sogar." Mohawk hielt den Blick gesenkt. "Wenn es dir wichtig ist, können wir auch über Zahnpastatuben zanken, Sitcoms gucken und ich würde sogar Käseflips herunterwürgen. Bitte hake mich nicht so einfach ab, ohne mir wenigstens eine Chance zu geben. Wenn du mich kennenlernst, könnte ich ein Kandidat für den Platz in deinem Herzen sein. Wenn du nicht in jemand anderen verliebt bist, dann versuch es bitte mit mir!" Wer hätte dieses Plädoyer so einfach abschmettern können? JJ hing ohnehin wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf seinem Barhocker, kaum zu einem zusammenhängenden Gedanken mehr fähig. Im Grunde genommen hatte er ja nichts gegen Mohawk, dazu kannte er ihn viel zu wenig. Eigentlich wollte er ihm ja auch nicht etwas vormachen (denn der hatte wohl wirklich angenommen, sie wären ein Paar!), weshalb er ja beabsichtigt hatte, die Reißleine zu ziehen. "Also gut." Schwankend kam er auf die Beine, hielt sich mit der freien Hand an der Arbeitsplatte aufrecht, blinzelte heftig, da sich unerbittlich der Vorhang vor seinen Augen senken wollte. "Aber jetz muss ch ins Bett." Wie er den Weg dahin gemeistert hatte, konnte er sich nicht mehr entsinnen. Erstmalig in Mohawks Gegenwart schloss sich jedoch ein Infight aus. *~~~~~~># Als JJ erwachte, von seinem Piepser aufgeschreckt, befand er sich allein in seinem Bett. Die Knitterfalten im benachbarten Laken verrieten ihm jedoch, dass Mohawk zumindest einen Teil der verbliebenen Nacht sein Lager geteilt hatte. Mit klebrigen Augenlidern identifizierte JJ die Nachricht und seufzte. Der Wetterbericht drohte mit heftigen Kapriolen, weshalb eine Krisenbesprechung angesetzt wurde. Gut, dass zumindest der Piepser funktionierte, denn sonst hätte er wohl bis in den Frühling ungehindert durchgeratzt, weil er es versäumt hatte, den Alarm seines Weckers zu aktivieren! JJ stapfte im Pyjama mit dicken Socken zum Pantry, um sich den filzigen Belag von der Zunge zu beizen. Überrascht registrierte er auf der vereinsamten Arbeitsplatte eine Papptüte mit der Andeutung fettiger Flecken. Verwundert spähte er in ihr bauchiges Inneres und erkannte Pastrami-Brote, Alleinstellungsmerkmal des Deli an der Straßenecke. War Mohawk etwa bei dem Wetter rausgegangen, um einzukaufen und dann noch mal hierher zurückgekehrt, um ihm dieses Frühstück (eher Mittagessen) zu verehren? JJ wischte sich durch die wirren Locken in seiner Stirn und seufzte. Das war wirklich eine sehr nette Geste, dennoch zweifelte er daran, dass Mohawk wirklich begriff, was er sich wünschte. *~~~~~~># »Wie haben unsere Altvorderen das bloß hingekriegt?!« JJ musste sich eingestehen, dass er selbst kein leuchtendes Beispiel für einen Beziehungsanwärter abgab. Wie gelang es, Nähe zu erzeugen, wenn sie sich berufsbedingt nicht häufig treffen konnten? Gut, ein Toter Briefkasten wie zu seiner Kinderzeit musste nicht bemüht werden, doch wesentlich unterschieden sich die Methoden nicht: per Mobiltelefon kommunizierte man schriftlich. Das war nicht so frustrierend, wie dauernd auf ein virtuelles Band zu brabbeln, der moderne Hausdiener in Bit-Uniform! Eigentlich lernte man sich doch durch gemeinsam gemeisterte Erlebnisse kennen, nicht wahr? Gleichzeitig zusammen in Raum und Zeit, was sich nicht gerade simpel realisieren ließ. Ted kam ihm zur Hilfe, ohne dies jedoch zu erfahren. Er beklagte sich nämlich über seine bessere Hälfte, die gerade der neuesten Mode hinterherhechelte und auch unbedingt eine "Glückskeks-App" haben wollte. Man konnte so herrlich über die schrägen Sprüche lästern! DAS kam von der Frau, die Horoskop-Leserinnen für trübe Tassen hielt! *~~~~~~># Mohawk betrat die weitläufige Dinner-Bar und zog durchaus Blicke auf sich, denn er verfügte über eine imponierend athletische und hochgewachsene Gestalt, kombiniert mit einem markant geschnittenen Gesicht, einem angenehm dunklen Teint und der seltsamen Kamm-Zopf-Frisur. Seine tiefschwarzen Augen konzentrierten sich sofort auf JJ, der sich eine winzige Nische erobert hatte und ihm engagiert winkte. Der Feuerwehrmann schälte sich aus seinem Parka, darunter wie stets ein Sweatshirt mit dem Wappen des FDNY, schlängelte sich elegant durch die schmalen Gassen zwischen Stühlen und Tischen und glitt dann auf seinen Platz, JJ gegenüber, der auf der langen Sitzbank am Kopfende residierte und sehr emsig wirkte, vor sich einen Collegeblock, der mit Notizen übersät war. "Tut mir leid, es ist später geworden." Begrüßte Mohawk ihn zurückhaltend, musterte ihn aufmerksam. "Oh, kein Problem!" JJ wischte diese Erklärung beiseite, denn er wollte ENDLICH, nachdem er seine Stenokürzel farbig gruppiert hatte, zur Sache kommen. Mit dem ihm typischen Elan, gepaart mit spitzbübischem Charme und entwaffnender Chuzpe legte er los. "Also, wie ich dir ja schon aufs Band gequatscht habe, gehe ich mal, trotz meiner umnebelten Erinnerung, davon aus, dass wir uns zusammentun wollen." Er schnaubte. "Nachdem wir die Reihenfolge laut Dating-Regeln meiner Quellen absolut vermurkst haben! Korrekt?" Mohawk unterdrückte ein Grinsen bei diesem systematischen Verhör. Er nickte einfach, befreite eine kräftige Bedienung von einer Flasche Bier gegen Bares und stieß sie gegen JJs, an der sich bereits deutlich Kondenswasser absetzte, doch JJ befand sich im Arbeitsmodus und entwickelte die Qualitäten eines führerlosen Dampfzugs: er machte für gar nichts Halt! "Na schön!" Seine abstrakte Notizenlandschaft konsultierend dozierte er. "Zunächst mal werden wir uns gegenseitig den Lebenslauf vorstellen, dann sollten wir ein gemeinsames Ritual entwickeln. Herausfinden, ob wir denselben Sinn für Humor haben, sonst ist die Sache ohnehin verloren! Jeder darf die gleiche Anzahl Spleens pflegen, ohne dass der andere darüber herzieht! Wenn einer einen Jungsabend mit seinen Kumpeln absolviert, lässt ihn der andere das ohne Diskussion tun. Respektive Weiberabend, aber das tut sich ja nicht viel." JJ kniff die Augen zusammen und beugte sich tiefer über seine Rechercheergebnisse, die vielleicht doch ein wenig sehr ineinander schnörkelten. "Ist das deine übliche Vorgehensweise?" Erkundigte sich Mohawk nachdenklich und nippte an seiner Flasche. "Wie, übliche Vorgehensweise?!" Konterte der Polizist verschnupft. "Sehe ich etwa aus, als müsste ich so einen Zirkus dauernd machen?! Dann bräuchte ich ja auch nicht die gesammelten Werke hier!" Anklagend wedelte er die Seiten seines Collegeblocks auf. "Nur zu deiner Information: die wenigen Male, wo ich es in eine Beziehung geschafft habe, lief alles schön synchron mit den bekannten Dating-Regeln ab!" Ergänzte er polterig. Was möglicherweise auch daran lag, dass Frauen sich viel besser auf die komplizierten Balzriten verstanden, das ließ JJ durchaus gelten. Mohawk schwieg, wischte mit einer schwieligen Hand Kondenskreise über die Tischplatte. JJ blieb im Arbeitsmodus. "Fein, bevor wir zum Lebenslauf kommen: meine längste Beziehung dauerte ein halbes Jahr. Kannst du das toppen?!" Denn dann würde er sich hier bestimmt nicht so abkaspern, sondern die Arbeit an Mohawk weiterreichen, der nicht gerade den emsigsten Eindruck erweckte! Ein stiller Blick aus den tiefschwarzen Augen traf ihn. "Nein, das kann ich nicht übertreffen. Da immer mit mir Schluss gemacht wurde, werde ich mich deinem Urteil unterwerfen." JJ kräuselte ärgerlich die sinnlichen Lippen. "Das klingt mir arg auswendig gelernt, Kamerad! Hast du wenigstens darüber nachgedacht, was aus uns werden soll, was du von mir willst?!" Man konnte diese Retourkutsche durchaus als beleidigend empfinden. Mohawk wirkte alerter in seiner Körpersprache, zeigte jedoch keine äußerlichen Anzeichen von Verärgerung oder Empörung. "Ich will mit dir zusammen sein, Jamie." JJ zuckte unwillkürlich zusammen, weil dieser scheinbar schlichte Wunsch so selbstverständlich und unprätentiös vorgebracht wurde, ganz zu schweigen von der Art, wie Mohawk seinen Vornamen schnurrte. "Also, nun, also das, passt zumindest schon mal zu den Grundvoraussetzungen auf der Liste hier!" Fing er sich hastig wieder. In diesem Moment trat die Bedienung auf den Plan, nachdem sie sich die Wand entlang gekämpft hatte, und wieder musste der Auftakt mit dem Vergleich der Lebensläufe ins zweite Glied zurückweichen, denn über nichts ließ sich so trefflich streiten wie über die kulinarischen Vorlieben! *~~~~~~># Die Ergebnisse der engagierten Analyse anhand allerlei Ratschlägen wäre ernüchternd gewesen, hätte JJ nicht seinem inneren Schweinehund nachgegeben und sich ein Schokoladenhupferl bestellt: mächtiger Brownie-Teig außen, drinnen samtig dunkle, dickflüssige Schokolade, duftend und jede Sünde wert! Mohawk, der nicht untypisch für seine Familie eine Glutenunverträglichkeit entwickelt hatte, kaute gesalzenes Popcorn aus einer Schale und studierte JJ, der mit sichtlichem Genuss der Kalorienbombe den Garaus machte. Ja, es war ihm nicht entgangen, dass sie aus gegensätzlichen Ecken des Universums kamen. Vor ihm saß ein eloquenter, adretter, attraktiver junger Mann, gebildet und studiert, aus gutbürgerlichem Hause, mit ordentlichem Hintergrund, finanzieller Absicherung, wohlerzogen, aufgeschlossen, charmant und temperamentvoll. Er selbst dagegen! Aber gerade weil JJ so viel in sich vereinigte, was er selbst nicht für sich verbuchen konnte, zog dieser ihn unwiderstehlich an. Deshalb hatte er damals seine Chance genutzt, nicht lange gefackelt, gezögert, abgewogen! Nein, er hatte in der Körpersprache des vollkommen erledigten Polizisten das gelesen, was er dort zu finden hoffte und agiert, weil er unbestritten ein Mann der Tat, der Physis war. Inzwischen hatte JJ aufmerksam ihr benutztes Geschirr aufeinandergestapelt, um es der Bedienung zu erleichtern, die vermutlich in einigen Minuten wieder in ihren Orbit trudeln würde. Sein konzentrierter Blick aus Haselnussaugen heftete sich auf seine verschlungenen Notizen, dieses expressionistische Gewirr von farbigen Kreiseln, Pfeilen, Wolken, hübsch nach dem Metaplan-Verfahren gestaltet. »Tja!« Dachte er und folgte damit unwissentlich Mohawks Überlegungen. Bis zum Witzeerzählen zwecks Auslotung gemeinsamer Humorvorlieben waren sie noch nicht gelangt, aber ihr unterschiedlicher Horizont stimmte ihn versonnen. Während er seine Biographie eher als banal-langweilig und ziemlich stringent auffasste, wusste er nun sehr viel mehr über den muskulös-sehnigen Mann auf dem Bistrostuhl gegenüber. Ein Kämpfer, ein Wanderer, manchmal ein Suchender, jemand, der seinem eigenen Pfad folgte, immer wieder auf sich selbst zurückfiel. Konnte Mohawk überhaupt Nähe zulassen, wenn sein Leben ihn das bisher nicht gelehrt hatte? Er blickte auf, als Mohawk selbstvergessen JJs vorwitzige Stirnlocke um den schwieligen Zeigefinger kringelte. Unter den tiefschwarzen Augen, die unverwandt in seinen eigenen ruhten, wurde ihm plötzlich die Kehle eng, konnte er kaum schlucken. »Das sollte NICHT funktionieren!« Jammerte sein rationales Analysezentrum empört, aber JJ wusste es besser. Der Mensch mochte einen Verstand haben, doch der arbeitete nicht logisch-konsequent! *~~~~~~># Mohawk fand alles an seinem Liebhaber perfekt: die gesprenkelte, helle Haut, der dezente Duft der Speisen, die sie verzehrt hatten, die wilden Lockensträngen, die ihrer Akkuratesse entkamen, die rauen Laute, die er dem sehnig-schlanken Körper entlockte. "Jamie...Jamie..." Raunte er immer wieder kehlig in den wirren Wuschel, ließ keine Option aus, den Mann in seinen Armen zur Ekstase zu treiben. Wild, intensiv, ungebändigt, frei von allen Fesseln und Regeln wollte er JJ völlig erfüllen, das Einzige in dessen Universum sein, so, wie er selbst nur noch seinen Jamie wahrnahm. *~~~~~~># JJ ächzte leise, rollte sich mühsam auf den Rücken und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht, trennte verklettete Locken von verhudelten Wimpern. Er fühlte sich wie nach einem Marathonlauf, vollkommen erledigt und tonnenschwer. Trotzdem erwartete die Welt jetzt ungeniert von ihm, dass er sich pflichtgemäß erhob und zur Arbeit antrat! "Dieser rücksichtslose, total ungehemmte...!" Schimpfte er leise, ohne rechte Würze. Ja, da biss die Maus keinen Faden ab: wenn Mohawk loslegte, dann blieb er ungeschlagener Champion der rhythmischen Paargymnastik. Man konnte auch nicht behaupten, dass entschiedene Gegenwehr geleistet worden war, nicht mal von JJs Kleidung. Er seufzte, sortierte Gliedmaßen, in deren Knochen noch die Leidenschaft nachhallte, die Mohawk entfacht hatte, stemmte sich in eine sitzende Haltung. Wie, zum Geier, sollte das mit ihnen jemals funktionieren, wenn sie dauernd wieder beim Sex landeten?! "Und ich bin nicht mal verliebt!" Beschwerte er sich heiser beim arbeitsscheuen Logikzentrum des Universums. Andererseits, hier blieb JJ gnadenlos ehrlich mit sich selbst, war er noch nie tatsächlich "verliebt" gewesen. Begeistert, hingerissen, auch fasziniert, ja, das schon, aber verliebt?! Nein! "Hilft alles nichts!" Er quälte sich aus dem Bett und sondierte die senkrechte Körperhaltung. "Wir müssen wohl weiter am Raum-Zeit-Problem arbeiten!" Was bedeutete, dass sie sich verstärkt zur selben Zeit am selben Ort aufhalten mussten, um noch eine gemeinsame Zukunft zu haben. Zumindest laut seinen übereinstimmenden Quellen! *~~~~~~># Mohawk studierte die zerknitterten Blätter, übersät mit bunten Markierungen und Schnörkeln, die einander in die Quere kamen. Er konnte nichts entziffern, hatte keine Kurzschrift gelernt. Es mutete auch durchaus anachronistisch an, im Zeitalter des digitalen Datenbetriebs, dass es jüngere Menschen gab, die mit gespitztem Bleistift und Block tatsächlich händisch etwas notierten! Nicht tippten, wischten oder in Mikrophone quäkten. Aber JJ verfügte über diese besondere Klasse, nicht nur ein sehr schneidig-sexy Auftreten im dreiteiligen Anzug, für den man die richtige Figur (oder einen sehr versierten Schneider) haben musste, nein, ihm haftete auch die Souveränität an, zeitlos zu sein, über Modeströmungen zu stehen. Mohawk wusste nicht zu sagen, warum er beim lautlosen Verlassen des wohnlichen Appartements die Seiten eingesteckt hatte, wenn ihm doch die Fachkenntnisse fehlten, sie zu dechiffrieren! JJ hatte auch darauf verzichtet, ihre jeweiligen Antworten aufzuzeichnen. Diese Kunstwerke stellten den Entwurf eines gemeinsamen Fahrplans in die Zukunft dar, aus pseudowissenschaftlicher Sicht, gespeist von Ratschlägen, Mutmaßungen und Erfahrungswerten unbeteiligter Dritter. "Abstrakte Kunst?" Ein Kollege beugte sich über seine Schulter, grinste. "Wusste nicht, dass du Kinder hast!" Mohawk lächelte. "Ich sollte sie vielleicht rahmen lassen, meinst du nicht?" "Neee!" Eine kräftige Faust klopfte auf seine stabile Schulter. "Lass sie einschweißen mit Laminierfolie. Machen die in den Copy-Läden." "Gute Idee! Danke, Kollege!" Mohawk schraubte sich hoch und schlug in gewohnter Manier vor die Brust seines Gegenüber. Wäre es ein gutes Omen, JJs Pläne zu konservieren? Wo sollte man sie ausstellen? Der Höhenretter wischte sich gedankenschwer über den borstigen Kamm. Er hatte keinerlei Erfahrung darin, ein "Nest" zu bauen, tiefe Wurzeln zu schlagen. Oder darin, sich von ständigen Solo-Flügen zu verabschieden. *~~~~~~># "Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue!" Murmelte JJ selbstironisch-verdrossen, während er ungeübt mit den Daumen die kreischend pinkfarbene Spielkonsole betätigte. Ein gebrauchtes Modell, durchaus, aber nur ein richtiger Mann zögerte nicht, sich Herausforderungen zu stellen! Auch wenn ihm die Augen tränten und die Daumen schmerzten. Mohawks Ausgabe war angeblich giftgrün und ziemlich zerkratzt, wie er über die digitalen Kanäle erfahren hatte, aber es zählte ja auch nicht das Werkzeug, sondern der Inhalt, der darin bestand, in einer kitschig-niedlich-kunterbunten, virtuellen Welt ein Haus auszustatten, sogar mit Garten, einen simulierten Alltag zu teilen und Spaß zu haben. »Ha, ha!« Dachte JJ grimmig, denn hier zeichnete sich ja ab, was ihre erste Analyse schon angedeutet hatte: sie waren grundverschieden, ja, gegensätzlich sogar! Ihre Spielfiguren, die gemeinsam ein Budget verwalten wollten, schwebten häufig untätig herum, weil sie nie zur selben Zeit dieser "Lektion" beiwohnen konnten. Die Ausstattung nahm sich minimalistisch aus, immer der kleinste, gemeinsame Nenner. Da ging es um Lebensmittel, die eine kleine Schnittmenge gemeinsamer Vorlieben entlarvten, um Möbel und Interieur, was Mohawk tendenziell gar nicht interessierte, JJ aber fuchste, weil er sich unkleidsam diktatorisch vorkam, wenn er allein alles aussuchte. Mohawk wollte gern die Bowlingbahn besuchen, was JJ wegen der Leihschuhe nicht behagte. Warum nicht eine Broadway-Komödie anschauen? Das wiederum gefiel Mohawk nicht so sehr, weil er ungern längere Zeit in geschlossenen Räumen in engen Stuhlreihen verbrachte. "Blödes Spiel!" Murmelte JJ und stapfte mit seiner dauergrinsenden Figur durch den Garten, der ihm als Landschaft mit englischen Flair eher zusagte als Mohawks Variante im Bauerngartenstil. Nicht mal zünftig prügeln konnte er sich hier, obwohl es ihn manchmal unwiderstehlich danach gelüstete, aber diese kleinen Stellvertreter hier waren unerträglich heiter, moppelig und beschwingt...! Was ihm leider einmal mehr bedeutete, wie gering seine eigene Toleranz war, wie selbstverständlich er das Ruder übernahm und sich über jede kleine Andeutung einer Kurskorrektur ärgerte, alles in Frage stellte. Sollte er nicht begeistert sein über Mohawks Beitrag zu ihrer Beziehung, die kreative Note stärker würdigen?! JJ ließ die Konsole sinken und seufzte leise. Nicht Mohawk war beziehungsunfähig, nein, er SELBST entwickelte sich zu einem nörgelnden Solisten! *~~~~~~># [Ist alles, was uns verbindet, der Streit über unsere Gegensätze?], Mohawk starrte auf die Nachricht, die sein Mobiltelefon artig aufblätterte. Er fürchtete nicht zu unrecht, dass JJ in resignierender Stimmung die Flinte ins Korn zu werfen beabsichtigte. Ein erdbebenfestes Fundament, eine unerschütterliche Wahrheit, das musste her, um die massiven Zweifel abzuwehren! Der Höhenretter tat das, was er seit frühester Kindheit in prekären Situationen zu tun pflegte: er suchte sich ein hohes Dach, nur den Himmel noch über sich, frei von fremden Augen, dem Tosen und Pfeifen des Windes ausgesetzt. Mühsam, die Finger klamm, tippte er entschieden, Buchstaben um Buchstaben, eine endlose Kette. [Ich Liebe Dich Vermisse Dich Denk An Dich Sehne Mich Grüble Über Dich Bist Bei Mir Überall Sehe Dich Höre Dich Begleitest Mich Vertraue Dir Will Dich Noch Mehr Bei Dir Sein Nehme Dich Mit Ein Teil Von Mir Schenke Dir Mein Herz Ruhe Mich Bei Dir Aus Mein Anker Meine Heimat Jamie Sei Mein Bitte] *~~~~~~># "Alles in Ordnung?" Dee warf einen argwöhnischen Blick zu seinem Kollegen, der hochrot von seinem Bürostuhl aufsprang, eine Hand vor den Mund gepresst, davoneilte. "He!" Beugte er sich zu Ryo hinüber, der konzentriert tippte, wisperte eindringlich. "Findest du nicht auch, dass JJ sich in letzter Zeit ziemlich merkwürdig verhält?" "Hmm?" Ryo schenkte ihm einen zerstreuten Blick. "Oh, ist das nicht normal? Ist er nicht verliebt?" Dabei wanderten seine Augen bereits wieder über den Bildschirm. "Bei mir hat er sich nie so aufgeführt!" Stellte Dee betont fest, der seine Befürchtungen nicht ausreichend gewürdigt fand. Ryo lächelte dezent. "Da kannst du mal sehen, was für ein Glück du hast, hm?" "Öh, na ja, so gesehen." Murmelte Dee überrumpelt, dem die Konsequenzen nur zu deutlich vor den Augen schwebten. Außerdem warnte ihn sein Überlebensinstinkt, dass sein Liebster zwar ein geduldiger und zurückhaltender Mann war, jedoch erstaunlich eifersüchtig werden konnte. Um des häuslichen Friedens Willen tat er wohl besser daran, JJs dubioses Verhalten nicht mehr zu kommentieren. *~~~~~~># »Wie kann er nur?! Wer schreibt denn so was?!« JJ taufte sich mit eisig kaltem Wasser und schimpfte stumm mit sich selbst. Wieso hatte ihn dieser Wortsalat bloß derartig unvorbereitet erwischt, dass ihm das Herz raste, der Schweiß ausbrach, seine Pulsfrequenz Techno-Jünger begeistert hätte?! "Du WEISST, dass das nicht funktionieren kann!" Zischte er sich selbst im Spiegel zu, stützte sich schwer auf das Becken. Nach keiner Regel konnte es klappen, langfristig, da mochten jetzt auch die Funken stieben wie verrückt!! Gegensätze zogen sich an (in ihrem Fall häufiger aus), aber wenn's halten sollte, waren Gemeinsamkeiten viel verlässlicher! Es war dämlich, total dämlich. Er würde sich vermeidbares Leid zufügen. Vollkommen idiotisch. »Andererseits!« Stellte sein Ermittler-Ich gelassen fest. »Andererseits hast du dich noch NIE so sehr mit einer anderen Person beschäftigt. Ich erinnere mich noch genau an deine Besessenheit von Dee.« "Verdammte Hacke!" Fluchte JJ rau. Er musste etwas unternehmen, sonst würde sein randalierendes Herz ihn bestimmt in Kürze dahinraffen. *~~~~~~># "He, Mohawk!" Der diensthabende Beamte des Reviers, mit dem sich die Höhenrettung das Gebäude teilte, winkte ihn heran. "Hier, das hat jemand für dich abgegeben! Hast du schon wieder die Pension gewechselt?" Mohawk verzog keine Miene, auch wenn er innerlich überrascht den Umschlag entgegennahm. Er lebte mit sehr wenig Gepäck meist in möblierten Einzimmerwohnungen oder Pensionen, hatte nichts, was einem eigenen Hausstand wirklich entsprach, deshalb ließ er sich wichtige Post des Öfteren mit Einverständnis seiner Vorgesetzten an die Feuerwache leiten. Er öffnete den kleinen Umschlag rasch und hielt einen Spezialschlüssel eines recht teuren Schließsystems in der Hand. "Oho!" Grinste der ältere Polizist hinter seiner Theke. "Wenn das mal keine Einladung für handfeste Romantik nach Feierabend ist!" Mohawk lächelte, denn er zweifelte nicht daran, dass sein Gegenüber GOLDRICHTIG mit der Interpretation lag. Jamie wollte ihn bei sich haben! *~~~~~~># "Wir müssen trotzdem über einen Plan B nachdenken." JJ räusperte sich mit aufgerauter Kehle, aber zu gesättigt, um sich aufzusetzen und nach der Wasserflasche zu angeln. Mohawk rollte sich auf die Seite, stützte den Kopf in eine Hand, den Arm angewinkelt, während er mit der freien Hand sanft Locken sortierte und über attraktiv gerötete Wangen streichelte. "Plan B?" Wiederholte er fragend. "Ja!" JJ blinzelte und fixierte die entfernte Zimmerdecke über sich streng. "Machen wir uns nichts vor: dreißig Jahre in der Zukunft werden wir uns nicht mehr die Zeit mit Paargymnastik vertreiben können!" "Hmmm." Mohawk war gewillt, diese Perspektive zumindest theoretisch anzuerkennen. Neben ihm seufzte JJ leise, hustete unterdrückt und verzog widerwillig das Gesicht, denn er kam nicht darum herum, sich aus dem wohlig-warmen Nest pellen und auch noch AUFRICHTEN zu müssen, um zur Wasserquelle zu gelangen. Es war jedoch Mohawk, der die Initiative ergriff, sich über ihn beugte, ihn nachdrücklich und freigiebig küsste, dann der Kälte trotzte, um die Wasserflasche herbeizuschaffen. JJ befeuchtete sich zusätzlich zu Mohawks selbstloser Speichelgabe die Kehle, rutschte dann weniger unauffällig, als er beabsichtigt hatte, näher an dessen athletischen Leib herab, der köstliche Wärme verströmte. "Also, ich könnte mich mit Puzzeln anfreunden." Optionierte er wenig begeistert. "Oder Boule." "In Ordnung." Mohawk war sofort einverstanden, denn solange sie es zusammen unternahmen, hegte er keine Einwände, welche Pläne quer durch das Alphabet JJ auch entwerfen mochte. Ihn traf aus dezent verschleierten Haselnussaugen ein kritischer Blick. "Wenn du weiterhin so katzenpfotig mit allem einverstanden bist, was mir gerade so einfällt, werden wir SEHR heftig aneinander geraten!" "Wir haben Streit, weil ich deiner Meinung bin?" Sondierte Mohawk, die Mundwinkel sanft gekräuselt vor Amüsement. "Oh JA!" Betonte JJ energisch und zupfte an einem Ohr. "Ich habe nicht die Absicht, mir mein Karma-Konto zu versauen, weil du meinem inneren Schweinehund beispringst!" "Aber wenn ich nicht deiner Meinung bin, streiten wir doch auch?" Wies Mohawk schmunzelnd auf eine wesentliche Konsequenz hin. "Das ist etwas GANZ anderes!" Behauptete JJ entschieden. "Da muss ich mich ja nicht zurückhalten! Gelegentlich tue ich das nämlich." Versetzte er hoheitsvoll auf das Funkeln in den tiefschwarzen Augen hin. Mohawk lächelte still auf das vertraute Gesicht hinab. Prompt wurde JJ unruhig, zappelte ein wenig, grummelte und suchte nach einem Fluchtpunkt für seine Blickrichtung. Wie günstig, sie einfach schließen zu können, weil Mohawk ihn erneut küsste. "Ich liebe dich, Jamie." Raunte Mohawk schnurrend in ein leicht gerötetes Ohr. "Dann-dann besteht ja noch Hoffnung für deinen Geschmack!" Stotterte der Ermittler unter ihm hochrot und zog sich die Decke über das verstrubbelte Haupt. Der Höhenretter nahm das nicht krumm, löffelte geschmeidig und atmete tief ein, zufrieden und glücklich. Eine Hand legte sich auf seine, verschränkte ihre Finger ineinander, das Lederarmband rieb über sein Handgelenk. "Nachher können wir deine Sachen verstauen." Drang es dumpf aus Deckenschichten zu ihm hoch. "Danke schön." Antwortete Mohawk höflich. Seine Finger wurden fester gedrückt. "Danke auch, dass du bei mir bist." Flüsterte JJ kaum hörbar, aber tapfer. Nun kuschelte Mohawk vehementer, drückte einen Kuss in den heißen, verlockenden Nacken. Niemand würde es leugnen können: sie hatten auch ihren roten Faden, der eben ein geschmücktes Lederarmband war! *~~~~~~># Ende *~~~~~~># Vielen Dank fürs Lesen! kimera