Titel: Der Vertrag Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Halloween 2015 Erstellt: 28.10.2015 Disclaimer: alles Meins! ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* ~~~~~>* Der Vertrag Tomoya vergewisserte sich, dass durch den Schutzschild der Decke kein verräterischer Laut aus dem Zimmer drang. Die Anzeige seines Mobiltelefons beleuchtete sein konzentriertes Gesicht. Selbstkontrolle, das musste jetzt das oberste Gebot sein, und oh, wie hatte er die gelernt, oh ja! Nichts durfte untunlich seinen Pulsschlag erhöhen, damit die dämliche Hightech-Uhr, die er gezwungen war zu tragen, an seine "Betreuer" (Sklavenaufseher) kein alarmierendes Signal sendete, denn nicht Wimpernschläge später würden sie durch die Tür stürmen, die er niemals verschließen durfte. Seine unversehrte Existenz war überaus wertvoll, ein volatiler Wert zwar, aber das kannte man auch von Aktien und viele besaßen Anteilsscheine an seinem Leben. Ihm gehörte gar nichts, und das seit seinem sechsten Lebensmonat. Ein grimmiger Zug spielte um seine Mundwinkel. Nun ja, ihm gehörte fast nichts mehr, aber diesen letzten Rest, den war er bereit zu opfern, um sich aus seiner Versklavung zu befreien! ~~~~~>* "Ich sag dir, es ist das Bevölkerungswachstum!" Dröhnte Ge-Yo und warf sich die Kopftentakel schwungvoll auf den Rücken. Sha-Xi, der ihm gegenüber hockte, leckte sich über das Raubtiergebiss und wischte mit der Klaue Krümel eines äußerst delikaten Gebäcks aus den Mundwinkeln. "Könnte schon sein." Gab er zu, zwinkerte. "Ist doch aber herrlich bescheuert, oder?" Mu-Ze grinste ebenfalls und kurbelte am Omniskop herum, während seine spitzen, mit feinen Pinseln geschmückten Ohren aufgeregt zuckten. Sie waren seit frühester Kindheit die besten Freunde, auch wenn sie wirklich nicht unterschiedlicher hätten sein können. Demzufolge teilten sie sich auch gemeinsame Interessen. Eins bestand darin, zu den verrückten Kostümfesten der Menschen gemeinsam vor dem beim Trödler gekauften Omniskop zu hocken, Süß-und Salzkram zu verputzen und sich dabei köstlich über die Menschen zu amüsieren. Daimonen kleideten sich zumeist wie es ihnen konvenierte und niemand verlor darüber große Worte, auch gab es keine "Filme" wie bei den Menschen. Der Große M unterstützte Theateraufführungen, weil sie unmittelbar und unvergleichlich waren, ein nicht konservierbares Erlebnis, es sei denn, man erzählte sich davon, holte sie aus dem Gedächtnis und verbreitete so ihre Botschaft. Was ja nicht schlecht war, nein, bloß.... Junge Daimonen wollten auch Spaß haben, den ihre Eltern nicht ganz so nachzuvollziehen gewillt waren. "Von der Glotzerei rüber werdet ihr noch blöd im Kopf!" Solche Sprüche gab es durchaus öfter zu hören, aber die drei Freunde sorgten sich nicht darum. So viel konnte schließlich bei ihnen nicht verdorben werden, oder? Zu den Genies ihrer Klassen gehörten sie jedenfalls nicht. Außerdem konnte ja ein Apfel auch nicht weit vom Birnbaum landen, richtig?! (Letzte Anspielung sorgte regelmäßig für Kopfnüsse bzw. Tentakelzieher, aus rein erzieherischen Gründen). "Ich steh da trotzdem nicht so drauf." Stellte Sha-Xi fest. Menschen waren 'in', ihre Populärkultur angesagt, keine Frage, immerhin war er jung, knackig und voller Tatendrang, trotzdem konnte man ja wohl Präferenzen äußern! Die gerade vorherrschende Mode mit Zombies, Ghoulen, menschenfressenden Titanen, die war nicht nach seinem Geschmack! "Mir hat der Zombiewalk vor zwei Wochen gefallen!" Mu-Ze strahlte über das ganze pelzige Gesicht, die feinen Schnurrhaare zuckten agitiert. "Echt geniale Aufmachungen dabei!" "Vor allem die, die viel Haut zeigten!" Dröhnte Ge-Yo herausfordernd und rammte einen ziemlich robusten Tentakel in Mu-Zes Seite. Der knurrte spielerisch, stopfte sich aber eine Klaue voll frittierter Rriii-Fliegen ins Maul und kaute mit prallen Hamsterbacken. "Besser jedenfalls als das öde Vampir-Zeug!" Ge-Yo schauderte. Er war der Einzige in der Runde, der sich rühmen konnte, eine Freundin zu haben. Glücklicherweise wollte sie mit ihren Freundinnen allein eine Marathonsitzung mit allen Folgen der grässlich verschnarchten Vampir-Werwolf-Filmreihe ansehen. Alle nicht bekennend weiblichen Daimonen waren ausgeschlossen. "Echter Horror!" Nickte Sha-Xi verständnisvoll. Da kamen selbst die von ihm verabscheuten Splatterfilme nicht heran! Man musste aus Überlebensgründen und Höflichkeit wenigstens vorgeben, es halbwegs ertragen zu können, da trennten sich talentierte Schauspieler von normalen Typen ab! "Was woll'n wir guck'n?" Mu-Ze malmte geräuschvoll. Er glaubte ebenfalls, dass der aktuelle Trend mit Menschenfleisch fressenden Untoten eine unbewusste Reaktion auf die Probleme der Zeit waren. Angst vor Wanderungsbewegungen, Überbevölkerung, Kriege um Nahrungsmittel und Angst-Lust am eigenen Untergang. Sie hatten das sogar ausführlich diskutiert mit ihrem Lehrer Isidor von Spangenburg (sehr heimlich und niemals in seiner Hörweite "Easy" genannt), der ihnen brüsk bescheinigte, dass es zwar durchaus hin und wieder in mehr oder weniger bedauerlichen Einzelfällen dazu kam, dass Menschen sich gegenseitig verzehrten, es sich jedoch keineswegs um einen wachsenden Trend handelte! Überhaupt, bei der heutzutage existierenden Schadstoffbelastung und Fehlernährung konnte man ganz zweifellos bekömmlichere Speisen finden! Allein der Gedanke, wo sich manche herumgetrieben hätten, igitt!! "Irgendwas mit mutierten Insekten!" Plädierte Sha-Xi für sein persönliches Lieblingsgenre. Er mochte die Schwarzweiß-Welt nach den Atombombentests, wo sich die Angst der Menschen vor den Strahlungen und ihrer (damals durchaus verleugneten) Gefährlichkeit manifestiert hatte. Riesenspinnen, Riesenameisen, ja, sogar King Kong, einfach klasse! "Ich will lieber was mit Godzilla sehen!" Ge-Yo stand auf große Kaliber und das Plattmachen von Kulissen, je dilettantischer getrickst, umso besser. Da konnte er sich so richtig beömmeln! "Neee, lieber was Gruseliges, ist doch Halloween!" Mu-Ze klingelten regelmäßig die feinen Ohren, wenn Ge-Yo mit seinen Lachanfällen die ganze Landschaft bedröhnte. Während die drei Freunde sich noch darüber kabbelten, wie das Programm ihrer Freizeitgestaltung aussehen sollte, knirschte und knatterte das Omniskop, bevor der Filmempfang unterbrochen wurde. "So eine Pleite!" Jammerte Mu-Ze untröstlich, während Sha-Xi vorsichtig am Frequenzpeiler operierte. "Fies!" Pflichtete ihm Ge-Yo aus tiefstem Herzensgrund bei. Wahrscheinlich hatte wieder irgendwo eine besorgte (nervtötende, spielverderbende) Elternorganisation ein Störmanöver gefahren und blockierte nun die Empfangsmöglichkeiten! Ausgerechnet heute, wo sie sich doch so perfekt amüsieren konnten! "Hmmm." Brummte Sha-Xi und studierte das Bild. Man konnte, in nicht allzu berauschender Qualität, Straßenbilder sehen, auf denen kostümierte Menschen herumzogen, Parolen skandierten und an Häusern, die ebenfalls geschmückt waren, läuteten, um medizinischen Fachkräften aller Art in einigen Monaten ein größeres Einkommen zu bescheren. Außerdem schienen Toilettenpapierrollen und mit Farbe gefüllte und verplombte Eier eine bedeutende Rolle zu spielen. Er kurbelte behutsam weiter. Sein Schwanz, der in einer Pfeilspitze auslief, beschrieb konzentrierte Schleifen in der Luft. "Wird's irgendwo besser?" Mu-Ze lugte ihm über die Schulter, mümmelte, die Ohren auf Halbmast. "Was machen wir denn jetzt?" Ge-Yo rollte Tentakel auf und zu, gar nicht mehr hochgestimmt. "Uh!" Bemerkte Sha-Xi verblüfft, dann grinste er mit seinem Raubtiergebiss breit. "Das ist ja richtig nostalgisch!" Er blickte in die Runde seiner Freunde und zwinkerte. "Was meint ihr, wollen wir uns einen kleinen Spaß machen?" ~~~~~>* "!!!" Tomoya presste beide Hände auf den Mund und zwang sich sofort zu einer kontrollierten Atmung, damit seine Aufregung nicht das tolerierte Limit der dämlichen Überwachungsuhr überschritt. "Pscht!" Er nickte und blinzelte, studierte den Teufel, der unvermittelt auf seinem Bett aufgetaucht war. Gedrechselte Hörner, ein Schwanz mit Pfeilspitze, rote Augen mit schwarzem Linsenschlitz, Raubtiergebiss, Klauen, athletische Gestalt in engen Hosen und einem losen, offenen Hemd, bloß die Elvis-Tolle und die Koteletten irritierten ihn ein wenig. »Aber auf Äußerlichkeiten kommt es nicht an!« Ermahnte er sich streng. "Verstehst du meine Sprache?" Erkundigte er sich flüsternd, auf das unerwartet humanoide Gesicht konzentriert. "Wär ja blöd, wenn nich, oder?" Feixte der Teufel und präsentierte ein imposantes Raubtiergebiss. "In Ordnung." Nickte Tomoya bedächtig. "Ich wollte mich lediglich vergewissern. Ich bin nicht vertraut mit diesen Dingen, daher, gibt es bestimmte Regeln zu beachten?" Der Teufel runzelte leicht die Stirn. "Nich, dass ich wüsste. Also, was ist dein Begehr, du lecker Menschlein?" Dabei grinste er so herausfordernd, dass Tomoya für einen Augenblick glaubte, ihm würde hier (und vor Zuschauenden) ein Streich gespielt. Allerdings, wie sollte das vonstatten gehen, wenn doch niemand ohne seine Wachhunde in seine Nähe kam? Albern! "Ich will frei sein, dafür bekommst du meine Seele. Einverstanden?" ~~~~~>* Sha-Xi kniff sich in die Seite, um den nötigen Ernst zu wahren. Ehrlich, wer glaubte heutzutage denn noch an den Schmarrn mit dem Teufelspakt?! Aber drollig war es schon, deshalb musste er sich jetzt ein wenig zusammennehmen, um nicht frühzeitig aus der Rolle zu fallen. "Fürs Protokoll brauch ich erst mal deinen Namen!" Gab er sich amtlich und dienstbeflissen. Der junge Mann, ein ausgesprochen attraktives Exemplar, wie ihm seine filmgeschulten Erfahrungen verrieten, setzte sich in eine formal-steife Haltung auf, verneigte sich dann höflich. "Saito, Tomoya. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bitte höflich um Ihre Anleitung und Unterstützung." "Tomoya, klingt ja süß! Hallo, ich bin Sha-Xi." Offerierte er eine Klaue, seine Rolle vernachlässigend. Der junge Mann studierte sie einen sehr langen Augenblick, dann schob er die Rechte hinein und erwiderte den Klauendruck sehr vorsichtig. Sha-Xi schüttelte ungeniert und beugte sich vor, um im Schein des seltsamen Klein-Computer-Kommunikationsgerätes seinen Gastgeber zu studieren. "Bist eine ziemliche Sahneschnitte, oder?" Erkundigte er sich, knurrte, korrigierte. "Ich meine, ein echt scharfer Typ! Heißes Gerät! Toller Hengst...?!" Feine, schwarze Augenbrauen unter einer dezent gelockerten Föhnfrisur zogen sich kritisch zusammen, bevor der junge Mann antwortete. "Ich bin nicht ganz überzeugt, dass wir dieselbe Sprache sprechen, aber, nun, ich bin ein Star, mit sehr hohem Marktwert, steigender Tendenz, lohnendes Renditeobjekt." Sha-Xi verstand nur Bahnhof und Zug abgefahren. "Uh, also, ja." Stammelte er, um sich dann hastig zu sammeln, weil Ge-Yo und Mu-Ze sich wahrscheinlich die Bäuche hielten über seine talentfreie Vorstellung. "Also, wo wir gerade vom Geschäft reden, du willst also frei sein. Wie frei?" "Du weißt gar nichts über mich, oder?" Der junge Mann, von sehniger Gestalt, wirkte nun konsterniert. "Ich habe angenommen, dass es Dossiers gibt, Akten. Demnach bin ich kein potentielles Vertragsobjekt?" Nun ruderte Sha-Xi tatsächlich mit den muskulösen Armen. "Jetzt hör mal, Tomoya, du rufst aus dem Blauen heraus an, nach Dienstschluss, in Ordnung?! Was hast du denn erwartet, dass hier so n Bürokrat reinwanzt und deine ganze Lebensgeschichte auswendig herunterbetet?!" Irgendwie fühlte er sich als vorgeblicher Teufel nicht sonderlich respektiert und gefürchtet! ~~~~~>* Tomoya revidierte seine Vorstellungen vom Verlauf der Verhandlungen. Möglicherweise war er von Geschichten und Filmen in die Irre geführt worden? »Ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verprellen!« Ermahnte er sich. Folgerichtig verbeugte er sich tief, beide Hände auf die Matratze gelegt. "Ich bitte um Verzeihung, verehrter Teufel Sha-Xi, wenn ich Sie beleidigt oder nicht in der gebotenen Ehrfurcht angesprochen habe!" "Öh, schon gut, kein Schweiß, Kamerad!" Eine Klaue tätschelte seine Schulter. Tomoya richtete sich wieder auf und betrachtete den Teufel. Besonders furchteinflößend wirkte der nicht gerade, eher wie ein verkleideter Schauspieler. Aufwändig verkleidet und geschminkt, keine Frage, aber nicht wie ein Höllenfürst, brutal, gerissen, gewissenlos. Andererseits wäre das ja auch kontraproduktiv, bevor der Vertrag abgeschlossen war, richtig? "Aaaalsoo..." Der Teufel rieb seine Klauen geschäftig. "Jetzt erklär mir noch mal, was genau du willst, ja? Ich meine, 'frei sein', wie genau? Und von was?" Dabei wirkte er äußerst tatendurstig und nickte aufmunternd, offenbar ganz Ohr für jegliches Bekenntnis. »Der hat wirklich nicht den geringsten Schimmer, wer ich bin!« Ein ganz klein wenig fühlte sich Tomoya gegen den Strich gebürstet. »Bekommst wohl nicht genug Bauchpinselei, wie?!« Fauchte eine verbitterte Stimme in seinem Hinterkopf. Sie grollte mit wachsender Inbrunst und unverhohlenem Hass gegen seine Lebensumstände, trieb ihn an, keinen Rückzieher zu machen, koste es, was es wolle und sei es seine Seele! ~~~~~>* Hin und wieder passierte es, dass das Omniskop aus unerklärlichen Gründen (aber es war eben gebraucht und mühsam zusammengeflickt worden) nicht etwa die Signale von Filmvorführungen aller Art auffing, sondern solche von diesen seltsamen Mini-Rechnern, wenn diese filmten. Man sah quasi wie durch einen Spiegel auf die andere Seite, was noch vom Effekt der Annäherung der Dimensionen zu bestimmten Tagen gefördert wurde. Zu Halloween, Samhain, dem Geisterfest, da konnte man sich schon mal einen kleinen Jux erlauben! Fand Sha-Xi, eigentlich, doch je länger er der trocken-zynisch vorgetragenen Kurzfassung einer gar nicht so glamourösen Biographie lauschte, umso spurloser verabschiedete sich sein Übermut. ~~~~~>* Tomoya sah keinen Anlass, etwas zu beschönigen, die Fakten aufzuhübschen, nicht bei einem Teufel, der ohnehin Lügen zu durchschauen wusste, zumindest nahm er das an. Expertise auf diesem Gebiet fehlte in seinem persönlichen Erfahrungsrepertoire noch. "Ich werde mich kurz fassen." Läutete er deshalb knapp seine Erklärung ein. "Meine unverheiratete Mutter ist noch vor meiner Geburt von meinem biologischen Vater, den sie stets als das 'rückgratlose, verlogene Arschloch' bezeichnete, im Stich gelassen worden. Da sie über kein Einkommen verfügte und ich temporär ihre Figur ruiniert habe, hat sie mich für verschiedene Castings angemeldet. Ich wurde ausgewählt, es kam etwas Geld in die Kasse, und dann vereinbarte sie einen Model-Vertrag mit einer Agentur. Ein geringer Anteil der Erträge wird auf einem Sparkonto für mich eingezahlt, dafür erledige ich alle Aufträge, die die Agentur für mich auftreiben kann." Tomoya unterdrückte ein verbittertes Schnauben. "Ich hatte Erfolg. Weder Stimmbruch noch Pubertät haben die Auftragslage beeinträchtigt. Ich bin mehrere Male von einer Agentur zur nächsten verkauft worden, gleiche Konditionen, gleiche Verpflichtungen. Mein Körper, meine Zeit, mein gesamtes Leben gehört der Agentur. Sie sorgt selbstverständlich auch für ihr Produkt, ich durfte die Abschlussprüfungen ablegen, Tanz- und Gesangskurse absolvieren. Ich habe ein striktes Sport- und Ernährungsprogramm zu beachten und einen strengen Verhaltenscodex einzuhalten. Hin und wieder bin ich sogar gezwungen, beim Sex Wohlgefühle und Befriedigung vorzutäuschen." Der ungläubige Blick aus den geschlitzten Pupillen irritierte Tomoya ein wenig, ebenso die herabhängende Kinnlade. Wunderte sich der Teufel etwa über die Geschäftsbedingungen im Idol- und Star-Business? "Sollte ich mich weigern, also nicht aufgrund von Krankheit oder äußerer Gewalt daran gehindert sein, meinen Vertrag zu erfüllen, muss ich immense Schadenersatzleistungen überweisen, was ich nicht kann, da mein mickriges Gehalt ja auf einem Firmenkonto 'zu meinem Wohl treuhänderisch' verwaltet wird." "Boah, was für ne fiese Abzocke!" Empörte sich der Teufel grimmig. Eine winzige Flamme zündete sogar zwischen den gedrechselten Hörnerspitzen. "Nicht!" Warnte Tomoya und schleuderte seine Bettdecke über den Teufel, denn die Rauchmelder galten als sehr empfindlich. Prompt piepte auch die lästige Überwachungsuhr! Er zwang sich zu einer besonders tiefen Atmung, um seinen Pulsschlag zu verlangsamen. Unter der Decke, nun etwas zerzaust, tauchte der Teufel wieder auf. "Was sollte das denn?!" Erkundigte der sich grantig, die spitzen Eckzähne gleißten im Licht des Mobiltelefons. "Die Rauchmelder." Deutete Tomoya Richtung Zimmerdecke. "Bitte etwas mehr Vorsicht, Herr Teufel." "Sha-Xi." Korrigierte der Teufel, schlug die Beine unter und rollte seine Tolle zurecht. "Wieso verbrennst du den blöden Vertrag nicht einfach?" Tomoya unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen, doch seine Augenbrauen zogen sich verräterisch zusammen. "Das wäre eine Möglichkeit." Antwortete er betont höflich. "Allerdings müsste ich dazu exakt wissen, wo sich das Schriftstück befindet und es müsste für mich erreichbar sein. Darüber hinaus gäbe es so viele Zeugen von dieser seit Jahren bestehenden Fron, dass ich sie wohl kaum vor Gericht bestreiten könnte." "Hmmm." Die Klaue massierte das Kinn. "Wie hast du dir gedacht, dass es laufen soll? Alle Figuren bekommen Spontan-Amnesie und das Papierding verkokelt in seinem Safe?" Nun runzelte Tomoya unverhohlen die Stirn. Er fühlte sich durchaus nicht ernst genommen von diesem so lässig dahinschwadronierenden Teufel, der bei näherer Betrachtung keineswegs furchteinflößend wirkte. "Nun, ich nahm an, dass meine Seele ein wenig Anstrengung von Ihrer Seite wert sei." Antwortete er spitz. Der Teufel verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und grummelte, denn der dezent verächtliche Tonfall war seinem geübten Gehör nicht entgangen. "So nich, Kamerad!" Warnte er. "Ich bin nich so n Dschinn-Typ aus der Flasche, der ganz scharf darauf is, irgendwelche depperten Wünsche zu erfüllen!" "Soll heißen, Sie sind gar nicht in der Lage, mir meine Freiheit zu beschaffen?" Unerschrocken konterte Tomoya. "Klar kann ich dich befreien!" Donnerte Sha-Xi empört ob der geäußerten Zweifel zurück. "Ich kann zum Beispiel einfach das blöde Fenster da aufmachen und dich rausschmeißen! Aufm Gehsteig haste dann die totale Freiheit von allem erreicht!" "Und meine Seele?" Tomoya beäugte den aufgebrachten Teufel besonders aufmerksam. "Is mir doch egal! Kann doch keiner was mit anfangen! Ehrlich, wer glaubt bloß an dieses Märchen...!" Eine Dimension weiter stöhnten Mu-Ze und Ge-Yo unisono auf. Sha-Xi und seine verflixte Impulsivität! ~~~~~>* "Du bist überhaupt kein Teufel." Konstatierte Tomoya frostig. "Einen Pakt schließen kannst du wohl auch nicht." Verächtlich schnalzte er mit der Zunge. "Wenn du dich ausreichend über meine persönliche Leidensgeschichte amüsiert hast, wäre ich dir verbunden, wenn du mein Bett und mein Zimmer verlassen könntest." ~~~~~>* Sha-Xi reckte das Kinn vor, die Arme vor der Brust verschränkt. Er wusste sehr wohl, dass seine Maskerade gescheitert war, weil er, mal wieder, seinen Gefühlen die Zügel hatte schießen lassen. Das brachte ihm nicht zum ersten Mal Schwierigkeiten ein. "Ich geh nich!" Verkündete er trotzig. "Du hast mich ja wohl gerufen, oder nich?!" "Ich habe einen Teufel gerufen, der mit mir um den Preis meiner Seele einen Pakt schließt, mich zu befreien." Stellte Tomoya eisig fest. "So was gibt's doch gar nich!" Konterte Sha-Xi energisch. "Keiner interessiert sich für Seelen! Das ist bloß Bauernfängerei, Klamauk!" "Ach, und wieso bist du dann hier, wenn sich doch niemand für Seelen interessiert?!" Tomoya hakte unerbittlich nach. Wenn ihm schon der letzte, verzweifelte Ausweg versperrt war, dann wollte er sich (im Rahmen der blöden Aufpasser-Uhr) ein wenig schadlos halten! "Weil das Omniskop eben dein Signal aufgefangen hat!" Sha-Xi, im Streitmodus, redete sich um Zunge, Hörner und Schwanz. Wie immer. "Omniskop." Wiederholte Tomoya abschätzig, packte dann blitzschnell ein Horn. "Sind die überhaupt echt?!" "Lass los!" Eine Klaue umklammerte ein schmales Handgelenk. "Spinnst du, oder was?! Klar sind die echt!" "Warum sollten die echt sein, wenn du nicht mal ein Teufel bist?!" Tomoya gab das Horn nicht frei. Es fühlte sich erstaunlich warm in seiner Hand an, die Drechselungen glatt und poliert. "Ich bin ein Inkubus, sieht man doch!" Fauchte Sha-Xi herausgefordert. "Hörner und Schwanz! Teufel gibt's nirgends, du Ignorant!" "Ignorant?! Du hast ja wohl keine Ahnung, wenn du dich einfach in eine Teufelsbeschwörung einmischst!" Feuerte Tomoya zurück, der an dieser Auseinandersetzung durchaus Gefallen fand. Wenn die dämliche Uhr ihn nicht ständig zur Contenance zwingen würde! "Ach ja?! Ich weiß wenigstens, was ein Omniskop ist, bätsch!" Entrollte Sha-Xi eine gespaltene, recht lange Zunge, bleckte sie unmanierlich. "Teufel gibt's nich, klar?!" "Nur, weil du noch keinen gesehen hast!" Wollte Tomoya die nächste Runde im Streit auf Kleinkinderniveau einläuten, da piepte erneut warnend die perfide Hightech-Fessel an seinem Handgelenk. "Was hat das nervige Ding denn dauernd?!" Knurrte Sha-Xi und schnappte mit der freien Klaue Tomoyas Handgelenk. "Vorsicht!" Tomoya zwang sich erneut zu Kontemplation, zischte dann durch die Zähne. "Die Uhr misst meine Körpertemperatur und meinen Puls. Wenn das Limit überschritten ist, alarmiert sie meine Aufpasser, persönlichen Assistenten." Der Ganz-sicher-kein-Teufel starrte ihn ungläubig an, musterte dann mit großer Wachsamkeit die Uhr an seinem Handgelenk. "Und wenn du das Ding abschnallst?" Schlug er vor. "Dann schlägt sie Alarm, weil die Temperatur im Raum zu niedrig ist und mein Pulsschlag fehlt." Erteilte Tomoya dieser billigen Flucht eine Absage. "Kacke!" Kommentierte Sha-Xi treffend. Tomoya studierte den selbst proklamierten Inkubus eindringlich. "Ich möchte ja nicht unhöflich sein." Obwohl er genau dies vorhatte. "Aber wie alt GENAU bist du in Menschenjahren?" ~~~~~>* "Dann fasse ich mal zusammen!" Tomoya, trotz Pyjama sehr formell wirkend, kniete aufrecht in seinem Bett, zählte an den manikürten Fingerspitzen ab. "Du, ein Inkubus, 16 Jahre jung, SCHÜLER, sitzt mit deinen beiden Freunden herum, um Halloween zu feiern. Weil der Frequenzpeiler eures Omniskops gestört wird, seht ihr mich. Aus einer LAUNE heraus beschließt du, zur Gaudi deiner Freunde in diese Dimension zu wechseln, um mich als lächerlichen Satansbeschwörer vorzuführen, korrekt?!" "Ich konnte ja nicht ahnen, dass du wirklich in der Klemme steckst." Murmelte Sha-Xi in Verteidigungsposition. Dass er umgerechnet drei Jahre jünger war, schien diesem Tomoya das Recht einzuräumen, ihn herunterzuputzen, was ihm gar nicht behagte. "Na, prächtig!" Schnurrte der gerade bissig. "Zufälligerweise kennst du keinen Dschinn, der eventuell mit seiner Flasche oder Lampe mehr auf dem Kasten hat als du?" "Nee, tu ich nich, die sind alle in Rente!" Knurrte Sha-Xi und richtete sich auf die Hinterbeine auf. "Außerdem solltest du mir nich in dem Ton kommen, klar?! Ich bin nämlich nich verantwortlich dafür, dass DU keinen Plan hast, wie du aus dem Schlamassel rauskommst!" "Ach, willst du mir drohen?" Tomoya lachte spöttisch auf. "So wie vorhin? Aus dem Fenster werfen? Oh, nur zu!" Er breitete einladend die Arme aus. "Ich sollte dich aber fairerweise darauf aufmerksam machen, dass wir uns in einem nahezu erdbebensicheren Hochhaus der höchsten Sicherheitsstufe befinden. Die Fenster lassen sich definitiv nicht öffnen, doch wenn du es selbst erproben möchtest, tu dir keinen Zwang an." "Pah!" Sha-Xi bot verärgert sein Profil. "Spring doch selbst! Bin nich dein Handlanger!" "Wenn's so einfach wäre!" Tomoya ließ sich wieder auf die Hacken sinken. "Denkst du nicht, ich hätte das nicht längst versucht?" Nun bündelte sich die Aufmerksamkeit des Inkubus wieder auf ihn, die geschlitzten Pupillen nahmen ihn argwöhnisch-beunruhigt ins Visier. Tomoya lächelte schwach. "Vor etwa einem Jahr wollte ich während eines Filmdrehs die Gelegenheit nutzen, lieber tot als weiterhin willfähiges Fleisch, aber zu schnell war da ein Sprungkissen, alles wurde als Probe zu einer neuen Actionserie verkauft, die ich dann auch noch drehen musste." Sha-Xi schwieg beklommen. Auch wenn dieser Tomoya unerträglicher Weise den Älteren heraushängen ließ, musste er doch anerkennen, dass er sich dieser Situation nicht gewachsen fühlte. Was sollte er zum Trost sagen? Tun? Er beugte sich vor und berührte mit einer Klaue behutsam einen Unterarm. "Ich würde dir ja schon helfen, aber wie wollen wir's anstellen?" Für einen Augenblick durchaus verblüfft schwieg Tomoya, dann lächelte er schief. "Danke, aber ich kann es dir ja nicht mal vergelten, denn außer meiner Seele ist nichts mehr übrig. Eigentlich habe ich auch nicht daran geglaubt, dass es eine Lösung gibt, höchstens ein Wunder." Er lachte kläglich auf. "Die Hoffnung, selbst bei Wahnwitz, stirbt eben zuletzt." Sha-Xis Schwanz peitschte unbehaglich durch die Luft, dann gab sich der Inkubus einen Ruck, krabbelte auf Tomoyas Seite und legte ihm verlegen einen muskulösen Arm um die schmalen Schultern. "Irgendwas wird uns schon einfallen!" Bemühte er sich um Optimismus. "Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann stecke ich mit meinen Freunden die Köpfe zusammen. Und Patsch!" Die freie Klaue rammte schwungvoll die Matratze. "Schon schlägt ein Geistesblitz ein!" Tomoya, von der vertraulichen Geste überrascht, wandte den Kopf, um das Profil des Daimonen aus der anderen Dimension zu studieren. "Ich habe leider keine Freunde." Wies er auf ein persönliches Manko hin. "Na, ICH bin doch hier!" Protestierte Sha-Xi gekränkt. "Oder hast du was gegen mich?!" Nun konnte Tomoya ein Kichern nicht unterdrücken. "Nein, nein, gar nicht! Ich hatte nur angenommen, dass du mir ein wenig grollst, weil ich deine Echtheit angezweifelt habe." "He!" Sha-Xi tippte Tomoya mit einer Kralle auf die Nasenspitze. "So'n eingebildeter Stiesel bin ich nich! Ich mein, du hast offenkundig keine Ahnung von meiner Dimension oder Daimonen, da kann so was schon mal passieren." "Außerdem ist Halloween." Nickte Tomoya verständig, bevor er die nächste Breitseite abfeuerte. "Dir ist aber schon bewusst, dass sich hier die Leute nicht verkleiden und um die Häuser ziehen? Du würdest, wenn du nur einen Fuß vor die Tür setztest, einen Aufruhr provozieren." "Oh." Murmelte der Inkubus mit gewonnener Erkenntnis. "Hoppla." "Hoppla." Pflichtete Tomoya ihm lächelnd bei. Irgendwie hatte sich der gruselige Ersteindruck fundamental gewandelt, stellte ihm Sha-Xi nun als einen gutmütigen, impulsiven, aber liebenswerten Teenager vor, der ihm ans Herz wachsen konnte. ~~~~~>* »Verrückt!« Dachte Tomoya beiläufig. »Komplett und ultimativ plemplem!« Trotzdem gefiel es ihm, gemeinsam unter der Decke mit einem Inkubus (mit Hörnern, Schwanz, Raubtiergebiss etc.) zu stecken und dessen munterem Geplauder über seinen Alltag in der anderen Dimension zu lauschen. Was er da hörte, entsprach durchaus der Lebenswelt anderer Jugendlicher. Es gab nervtötende, furchteinflößende Mütter mit Bluthundinstinkt für all die Dinge, die man ihnen nicht anvertrauen wollte, langweilige Lehrer, miese Prüfungen, beste Freunde, kleine Streiche, Musik, Sport, Kabbeleien, Klamotten, ungesundes "Futter", Liebeleien, es hörte sich so normal an! Wie in den täglichen Seifenopern, in denen er selbst auch schon Rollen übernommen hatte. "Und was machst du so? Ich mein, wenn du nich gerade nen Teufel beschwören willst?" Sha-Xi grinste gemütlich, auf der Seite lagernd, während sein Schwanz (exiliert von der Deckenhülle) animierte Zeichnungen in die Luft beschwor, vom Schein des Mobiltelefons beleuchtet. "Tja." Tomoya grimassierte. "Mein Tag ist durchgetaktet wie ein Uhrwerk und genauso muss ich auch funktionieren. Mahlzeiten, Aufträge, Interviews, Aufzeichnungen, Präsentationen, ich habe das Privileg, nichts selbst tun zu müssen, wie es so schön heißt." Er verzog die Miene säuerlich. "Mit anderen Worten, ich darf gar nichts selbst tun. Was und wie viel ich esse, ist vorgegeben. Ein Stylist kümmert sich um meinen Körper, eine andere Assistentin um die Bekleidung. Was ich sage, wird mir vorgelegt, damit ich es artig nachbeten kann. Ich stehe permanent unter Aufsicht." "Gruselig." Murmelte Sha-Xi betroffen und leckte sich mit der langen, gespaltenen Zunge über die trockenen Lippen. Da grauste es ihn ja bis in die Tolle! "Stimmt." Tomoya seufzte leise. "Weißt du, es ist ja nicht so, als hätte ich mir keine Gedanken gemacht, aber meine Bewegungsfreiheit ist quasi nicht existent. Die dämliche Uhr hat ein Ortungssystem, mein Gesicht prangt von allen Plakatwänden. Ich habe kein Geld und meine Papiere sind ebenfalls streng verwahrt. Außerdem belauert mich jeder, weil von mir ja ihre Jobs und ihr Einkommen abhängen. Wenn ich nicht jedes Jahr Gewinne einfahre, werden die Aktionäre unruhig, sie haben investiert und wollen Rendite sehen, da versteht keiner Spaß." Er schnaubte verächtlich. "Somit bin ich nichts weiter als eine mit Fleisch überzogene Maschine, eine menschliche Puppe, die den Gewinn maximieren soll. Und deshalb so ARG KOSTBAR." "..." Sha-Xi fehlten die Worte. Impulsiv streckte er eine Klaue aus und drückte die elegante Hand, die ihr (eigentlicher) Besitzer nicht mal selbst pflegen durfte. Tatsächlich, Tomoya gehörte gar nichts, er war ein Leibeigener ohne Rechte! "Ich helf dir!" Verkündete Sha-Xi grimmig, setzte sich auf, schüttelte dabei die Bettdecke ab. "Ehrenwort, ich befrei dich! So was Niederträchtiges darf nicht weiterlaufen!" Tomoya lächelte durchaus gerührt hoch in das kantig-entschlossene Gesicht. "Danke schön." Er zwinkerte milde. "Jetzt fehlt nur noch ein Plan, hm?" "Genau!" Sha-Xi ignorierte souverän die dezente Ironie. "Da fällt uns schon was ein! Ich frag meine Freunde, ja? Wir knobeln was aus, garantiert! Wenn das nächste Mal die Dimensionen nahe sind, dann komm ich wieder und hau dich raus! Ehrensache!" Dabei schlug er sich mit der geballten Faust vor den Brustkorb. "Wann wird das sein?" Tomoya zweifelte die Ernsthaftigkeit seines (in Menschenjahren) jüngeren Bettgenossen nicht an, widerstand aber der Versuchung, sich große Hoffnungen zu machen. "Hmmm." Sha-Xi zählte an den Krallen ab. Er hatte offen zugegeben, dass Mathematik über Grundrechenarten und den Alltagsgebrauch hinaus nicht zu seinen Stärken zählte, aber die Vorwürfe seiner Mutter waren erheblich zurückgegangen, nachdem er den alten Drachen getroffen hatte, der SIE damals unterrichtet hatte. Er brummte. "Schätze, das ist die Wintersonnenwende." Hastig packte er Tomoyas Hand. "Das ist jetzt nicht gerade nächste Woche, aber trotzdem, stell nichts zwischendrin an, ja? Wir wuppen das bestimmt, garantiert!" Lächelnd erwiderte Tomoya den Klauendruck. "Also schön, ich verlasse mich auf dich!" Versprach er. Sha-Xi streckte sich deutlich erleichtert feixend wieder neben ihm aus, dann quäkte das Mobiltelefon warnend. "Was hat das komische Teil jetzt?" Erkundigte er sich neugierig. Tomoya nahm das Gerät auf, drückte dann auf der berührungsempfindlichen Oberfläche die gebotenen Optionen, was den Raum in Dunkelheit versinken ließ bis auf ein bescheidenes, blaues Flämmchen zwischen Sha-Xis Hörnern, einem Elmsfeuer gleich. "Der Akku ist alle." Tomoya dechiffrierte mehr durch Ahnung als Sicht die Verständnislosigkeit in den Daimonenaugen und lächelte, während er dolmetschte. "Das bedeutet, die gespeicherte elektrische Energie ist aufgebraucht. Ich muss es aufladen." "Oh, verstehe." Murmelte Sha-Xi, verstärkte sehr vorsichtig die Leuchtkraft seiner Flamme, damit Tomoya sich nicht im Dunkeln verletzte, während er das Mobiltelefon der Ladestation anvertraute. "Sehen dich deine Freunde jetzt nicht mehr?" Erkundigte Tomoya sich, während er wieder unter die einladend offerierte Bettdecke schlüpfte. "Wahrscheinlich. Aber ich komm schon klar, das wissen sie." Versicherte Sha-Xi treuherzig. Dabei unterschlug er großzügig den Umstand, dass sie regelmäßig nervös wurden, wenn er auf sich allein gestellt auf seine eigenen Einfälle vertraute. "Und jetzt?" Tomoya blinzelte müde. "Leistest du mir bis zum Morgen Gesellschaft?" "Klar!" Trompetete Sha-Xi ungeniert hinaus, bevor er sich an den Rest von Manieren erinnerte. "Ich mein, wenn's dir recht ist." Tomoya schmunzelte in der Dunkelheit. "Solange du mich weckst, bevor du gehst, damit ich das alles nicht für einen experimentellen Traum halte." "Abgemacht!" Zur Bekräftigung rammte Sha-Xi eine Faust in die Matratze. Die Ruhe hielt jedoch nicht lange vor, was Tomoya an den vagen Bewegungen des sehr agilen Schwanzes erkannte, der wie ein Stimmungsmetronom Auskunft über die Seelenlage seines Besitzers gab, den offenbar etwas beschäftigte. Nachhaltig. "Worüber denkst du nach?" Half Tomoya liebenswürdig aus. "Also." Nahm Sha-Xi Anlauf, räusperte sich. "Vorhin, da sagtest du etwas über Sex, 'Wohlgefühle und Befriedigung vortäuschen', glaub ich." Zitierte er so vorsichtig wie ein Tänzer auf dem Drahtseil über einer Krokodil-Farm zur Fütterungszeit. "Stimmt." Tomoyas Mundwinkel kräuselten sich amüsiert. Typisch Teenie, auf so was anzuspringen! "Das kapier ich nich." Schnodderte Sha-Xi unverblümt heraus. "Ich mein, Sex ist doch für Spaß und Erholung da! Interaktive Kommunikation, und so!" Sein menschlicher Bettnachbar stutzte. "Möglicherweise in deiner Dimension." Gab der schließlich angesäuert zurück. "Mein Erleben besteht in Zwang, Schmerzen, lächerlichen Verrenkungen, entwürdigenden Positionen und Schwitzerei." "Äh, reden wir von derselben Sache?" Sha-Xi richtete sich auf, stützte sich auf beide Ellen, während das Feuer zwischen seinen Hörnern einige Grade stärker ihre Umgebung illuminierte. "Vollkörperkontakt." Präzisierte Tomoya gnadenlos. "Andocken primärer Geschlechtsorgane in diversen Körperöffnungen, ruckartige Bewegungen, Entladung von Körperflüssigkeiten." Der Inkubus blinzelte perplex. Technisch betrachtet HANDELTE es sich um eine übereinstimmende Beschreibung gewisser Praktiken. "Möglicherweise is da was verkehrt gelaufen?" Optionierte er wachsam auf unwegsamen Gelände, immerhin drehte es sich ja um eine fremde Dimensionen. Vielleicht waren die Riten doch etwas anders als in den Filmen, die er konsumiert hatte. "Kann ich mir nicht vorstellen!" Zischte Tomoya knapp, "zumindest ein Beteiligter hat Befriedigung aus der lächerlichen Quälerei gezogen." "Wie, einer? Nur einer?!" Verdutzt setzte sich Sha-Xi auf, studierte kaum merklich gespannte Sehnen in dem attraktiven Gesicht neben sich. "Das kann doch nich sein!" "Dann lüge ich also?" Fauchte Tomoya scharf zurück. "Das sag ich gar nich!" Verteidigte sich Sha-Xi verblüfft über den bitter-aggressiven Tonfall, hob beide Klauen besänftigend an. "Aber da stimmt doch was nich! Sex is doch für alle da, alle fühlen sich gut! Entspannt und befriedigt und so!" Verwirrt studierte er den verächtlich-abweisenden Gesichtsausdruck seines Gastgebers. "Das mag ja für deine Dimension und deinesgleichen gelten." Ätzte Tomoya, doch Sha-Xi fiel ihm energisch ins Wort. "Überhaupt nich! Das is ein Universalprinzip! Sonst könnte man's ja gleich lassen!" Argumentierte er schlüssig und nickte bekräftigend. Tomoya schnaubte und verdrehte die Augen. "Ich würde es SEHR GERN lassen!" Leider hatte er auch hier keinerlei Verfügungsgewalt über seinen Körper. "Bloß nich!" Hastig beugte sich Sha-Xi über ihn. "Das wär echt furchtbar! Nich zu schnackseln, das is ja pervers! Wenn man sich doch so gut fühlen kann!" "Pervers?!" Wiederholte Tomoya grimmig. "Pervers ist es, sich zur eigenen Befriedigung einem anderen aufzuzwingen! Zeitverschwendung! Als ob man nicht alleine gut existieren könnte!" "Aber zusammen ist viel schöner als allein!" Wetterte Sha-Xi unerbittlich dagegen. "Überhaupt, ich glaub, du hast da nich die richtige Erfahrung..." Weiter kam er nicht (zu seinem eigenen Wohlergehen), weil Tomoya ihm die Rechte auf den Mund legte. "Kein weiteres Wort!" Wisperte er eisig, funkelte in die Daimonenaugen mit ihren geschlitzten Pupillen. "Ich bin mehrfach gequält worden. Stell das nicht in Abrede, ich warne dich!" Sha-Xi blinzelte, dann pflückte er die Hand von seinen Lippen. "Das geht gegen meine Ehre!" Raunte er sehr viel erwachsener als zuvor, in gespannt-aufrechter Haltung neben Tomoya. Der Schwanz stand stockstill, zwischen den Hörnern tanzte die seltsame Flamme nicht mehr. "Ich bin ein Inkubus." Wiederholte er. "Uns ist es in die Wiege gelegt, jedem anderen Wesen in Form von körperlicher Kommunikation Wohlgefühle zu vermitteln." Er funkelte, das Raubtiergebiss bleckend, auf Tomoya herab. "Ich lasse nicht zu, dass irgendein lausiger, menschlicher Amateur dein Leben ruiniert." Tomoya überlief ein nervöser Schauder. ~~~~~>* Sha-Xi war Profi, das gehörte zu seinem Selbstverständnis. Viele Inkubi arbeiteten im Bereich Massage, Therapie, Sozialbegleitung, Mode, Kunst aller Art oder Kulinarik, was auch immer das leibliche Wohl betraf: hier zeigte sich ihre Exzellenz. Es mutete unerträglich an, dass Tomoya in seinem attraktiven Körper, mit seinem liebenswert-bissigen Charakter, so verzweifelt auf Hilfe hoffend, ohne physischen Kontakt verwaiste! Ja, er würde versteinern, vergiftet von dieser grauenvollen Ausbeutungsatmosphäre, dazu noch misshandelt und malträtiert! Sha-Xi knirschte mit seinen kräftigen Kiefern. Niemals! ~~~~~>* Die nachgiebig-gutmütige Haltung des Daimonen hatte Tomoya beängstigend getäuscht, wie er verschreckt erkannte, denn mühelos konnte der ihn auf der Matratze halten, die Krallen zwischen seine Finger gefädelt, um mit glühenden Lippen und einer feucht-heißen Zunge seine Haut zu markieren! Tomoya keuchte, versuchte zu entschlüpfen (natürlich erfolglos), wechselte die Taktik, um nach Sha-Xi zu schnappen. Der nutzte die Gelegenheit, seine lange und kräftige, gespaltene Zunge in den einladend (zum Biss) geöffneten Mund zu schieben. Hmmm, das schmeckte ungewohnt (Zahnpasta mit Pfefferminz war ihm nicht geläufig)! Aber die Mundhöhle selbst erwies sich als äußerst sensibel und die bescheidene Menschenzunge darin als scheu und ungeübt, sich einem Duell auf "Augenhöhe" zu stellen. Hastig rammte Tomoya in Panik sein Knie in den Oberschenkel des Inkubus. "Uhr!" Stammelte er. Sha-Xi funkelte aus lodernden Augen und schien für einen Moment versucht, das verwünschte Ding zu zerquetschen, dann, für Tomoya unerwartet, löste er seine Klauen aus dessen Händen, richtete sich rittlings auf ihm auf und löste von seinem Hosenbund einen kleinen Stoffbeutel. "Gib sie mir mal." Nickte er Tomoya zu. "Das könnte klappen!" Ungeachtet seiner konzentrierten Bereitschaft, ihm auf JEDEN FALL absolute Liebeswonnen und sexuelle Höhenflüge in perfektem Genuss aufzunötigen, grinste er so breit und unbeschwert wie ein Teenie. Mit zittrigen Fingern gelang es Tomoya schließlich, das Armband zu lösen. Der Alarm konnte ihn retten, aber er brachte es trotz seiner Angst nicht über das Herz, Sha-Xis entschlossenen Liebesbeweis zu torpedieren. Der deponierte die tyrannisierende Uhr auf der Ablage, stupste dann mit einer Kralle gegen den kleinen Stoffbeutel. Eine Art pelzige Raupe, der man weder Kopf noch Hinterteil ansehen konnte, schob sich mit Ziehharmonikabewegungen auf die Uhr, rollte sich dort zu einer Spirale zusammen und tat nichts weiter. "Funktioniert!" Triumphierte Sha-Xi begeistert, reckte die geballte Klaue als Sieger über die hinderlichen Nickligkeiten des Schicksals in die Höhe. "Was ist das?" Tomoya gab den Versuch auf, sich aus seiner eingeklemmten Lage hinauszumanövrieren. "Das ist ein Jammer." Sha-Xi entknöpfte geübt Tomoyas Pyjamaoberteil. "Aber nicht irgendeiner, oh nein!" Stolz strahlte er über das ganze Gesicht, die Tolle wippte agitiert. "Mruff ist ein Champion! Unheimlich fix! Er hat gegen alle Jammer im Herbstturnier gewonnen!" Tomoya verstand nicht, registrierte aber, dass aus unerfindlichen Gründen kein Alarm ausgelöst wurde. Offenbar konnte der rekordverdächtige Jammer die richtige Temperatur und eine Art Puls vorhalten. Über ihm wickelte der Inkubus geschickt den Pyjama ab und exilierte ihn achtlos neben das Bett. "Wir lassen sie rennen oder vielmehr kriechen. Das mögen sie gern, wenn am Ende der Bahn ein Leckerli wartet." Dann beugte er sich tief über Tomoya, die Zähne bleckend, weniger einschüchternd-bedrohlich als hocherfreut. "Soooo, und jetzt lassen wir es uns richtig gut gehen!" ~~~~~>* Tomoya wünschte sich lediglich wenig Schmerzen, zumindest erträgliche Pein. In der Vergangenheit hatte er stillhalten müssen. Obwohl sein Umfeld wusste, was ihm blühte, konnte er nicht auf Hilfe hoffen, Image war alles, Reinheit, Keuschheit. Was nicht sein durfte, geschah schlicht nicht. Man musste es nicht mal ignorieren, weil es ja gar nicht passieren konnte. Es gab bestimmte Atemtechniken, die hin und wieder die Qual beherrschbar machten. Manchmal konnte er sich auch ins innere Exil zurückziehen, den geschändeten Körper im Stich lassen, in einen Winkel seiner Seele fliehen, der gegen die Welt abgeschottet war. Irgendwann ging schließlich alles vorbei. Man musste nur warten, durchhalten. ~~~~~>* Sha-Xi spürte Verspannungen, Angst, einen vor erwartetem Martyrium vollkommen verkrampften Körper. Das schreckte ihn nicht ab, auch wenn er bisher nicht mit einem derartigem Partner konfrontiert worden war. Mit seinem ganzen Leib konnte er empfangen, wo die "Mauern" durchlässiger, weniger massiv waren. »Von wegen, nur einer hat was davon!« Knurrte seine innere Stimme aufgebracht. Was für ein Sakrileg! ~~~~~>* Es bizzelte und buzzelte bis in die Zehenspitzen und gleichzeitig erfüllte Tomoya eine unglaubliche Wärme, wie ein von Sonnenschein durchflutetes Zimmer voller Frieden und Harmonie. Die Krallen streichelten so sanft durch seine leicht verschwitzten Strähnen, dass es sich wie die Liebkosung eines Sommerwinds anfühlte. Sha-Xi lächelte auf ihn herab, bequem auf der Seite lagernd, sichtlich zufrieden mit sich selbst. Die Flamme zwischen seinen gedrechselten Hörnern schimmerte in einem warmen Goldton. "..." Tomoya brachte keine Worte hervor. Vage registrierte er feuchte Spuren in seinen Augenwinkeln, dass sich mühsam sein Arm ein wenig lupfte, um nach einer Klaue zu fassen, die seine Absicht erkannte, ihm die Hand hielt, damit er nicht etwa davonfliegen konnte. Losgelöst genug fühlte er sich jedenfalls. Sha-Xi küsste sanft eine temporär sorgenfrei entknitterte Stirn. Er war nicht der Typ, um "hab's dir ja gesagt" oder "hatte ich jetzt recht, oder was!" zu proklamieren. "Träum was Schönes, bis ich dich wecke." Raunte er zärtlich in eine dezent glühende Ohrmuschel. Er spürte, wie sich Tomoyas Leib entspannte, in tiefen Schlaf glitt, erschöpft, doch glücklich und geschmeidig wie die Flamme zwischen seinen Hörnern. Vielleicht hatte er noch keine Lösung für Tomoyas Problem, aber eine kleine Wenigkeit, das fand er zumindest, leistete er doch zu dessen Wohlergehen! ~~~~~>* Die Dimensionen entfernten sich wieder voneinander, das spürte Sha-Xi natürlich und für ihn bedeutete es, aufbrechen zu müssen. Sanft bestrich er die weiche Haut, die über Wangen- und Kieferknochen spannte, studierte im Schein seiner melancholisch grün schimmernden Flamme Tomoyas Gesicht. Es behagte ihm gar nicht, dass er keine praktikable Lösung vorzuweisen hatte, um ihn aus seinem Elend zu befreien, aber, da half kein Vertun, er war nun mal kein überragender Denker! Ungefragt schien sich diese wichtige Fähigkeit 'outgescourct' zu haben, mit anderen Worten, er benötigte dringend Unterstützung von cleveren Leuten, die nicht schnell den Überblick verloren. "Mhmm." Murmelte Tomoya unterdessen, die dichten Wimpern trennten sich zögerlich. Man blinzelte in den ungewohnten Schimmer des Daimonenfeuers, setzte zu einem höflichen Morgengruß an und hustete krächzend. Sha-Xi, der ähnliche Reaktionen von sich selbst kannte, angelte diensteifrig die Wasserflasche vom Bord heran, fädelte seinen rechten Arm ungehindert unter nackte Achseln hindurch und lupfte Tomoya mühelos in eine aufrecht sitzende Haltung. "Guten Morgen." Antwortete der Inkubus auf den vermuteten Beitrag zu Uhrzeit und Gelegenheit, reichte die Flasche, um Flusenbälle und Staubteppiche von Gaumen und Leckbrett zu spülen, was Tomoya tat, überrascht über die eigene Gelassenheit, splitterfasernackt in den einladenden Arm eines athletischen Jugendlichen einer anderen Dimension geschmiegt in den Tag zu starten. "Ich muss leider los." Bekannte besagter Raum-Zeit-Reisender geknickt. "Echt blöd!" "Aber du kommst wieder, nicht wahr? Versprochen ist versprochen!" Erinnerte Tomoya streng. "Ehrenwort!" Nickte Sha-Xi eifrig, tippte dann sanft mit einer Kralle auf Tomoyas Nasenspitze. "Sag mal, fühlst du dich ein wenig besser?" Seine gespannt-hoffnungsvoll-lobheischende Miene verriet sein jugendliches Alter und ein offenherzig-liebenswertes Naturell. Tomoya lächelte bereitwillig (und auch aufrichtig), legte eine Hand auf die kantige Wange, studierte die Glutaugen mit den geschlitzten Pupillen. "Ich fühle mich phantastisch." Bekannte er ehrlich. "Danke, Sha-Xi." Sofort bleckte der Inkubus sein prächtiges Raubtiergebiss, saß noch einige Grade aufrechter, strahlte geschmeichelt. "Prima! Ich bin zwar natürlicher Profi, aber trotzdem, freut mich, dass du dich gut fühlst!" Das klang keineswegs eingebildet, sondern stolz, dem offenbaren Ruf seiner Spezies gerecht worden zu sein. Tomoya belohnte die unerschrockene Aufwartung mit einem sanften Kuss auf die Lippen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass andere Menschen so selbstlos (und auch selbstverständlich) körperliche Zuneigung und Leidenschaft erwiesen. "Du wirst, während ich weg bin, nichts Gefährliches tun, ja?" Ein wenig nervös pendelte der Schwanz hinter Sha-Xi hin und her, Metronom seiner Gefühlslage. "Werde ich nicht, versprochen!" Versicherte Tomoya, schlang dann impulsiv beide Arme um die Schultern des Inkubus, hielt ihn bekräftigend fest, die ausgestrahlte Wärme genießend. "Ich warte auf dich. Und du passt auch auf dich auf, ja?" Hauchte er in eine geneigte Ohrmuschel. Sha-Xi, der die Umarmung ebenso energisch erwiderte, antwortete prompt. "Klar! Gemeinsam kriegen wir das hin!" Sie hielten sich noch für einige hastige Herzschläge fest, unausgesprochen verblüfft darüber, wie gut sie einander trotz der kurzen Zeitspanne ihrer Bekanntschaft verstanden, dann löste sich Sha-Xi widerwillig. Sorgsam drapierte er die Bettdecke um Tomoyas blanke Schultern, bevor er sich nachlässig in Hemd und Hose warf. (Unterwäsche schien bei Daimonen nicht obligatorisch zu sein, wie Tomoya amüsiert festgestellt hatte). Er beugte sich vor, eine Klaue unter Tomoyas Kinn, küsste ihn sanft auf die einladend geschürzten Lippen, leckte sie anschließend siegelnd mit seiner beeindruckenden, gespaltenen Zunge. "Wintersonnenwende!" Erinnerte er, straffte seine hochgewachsene Gestalt, die Tomoya um einen Kopf überragte (ohne Berücksichtigung der gedrechselten Hörner), ballte die Klauen zu Fäusten, die Daumenkrallen hochgereckt. "Cremig bleiben, ja?!" "Werde ich." Tomoyas Kehle schnürte sich plötzlich zu. Was für eine lächerliche Farce, sich artig tapfer zu geben! Sha-Xi zwinkerte, ebenso wenig überzeugend wie Tomoyas exaltierte Kusshand, dann, von einem Wimpernschlag zum nächsten, war er verschwunden. ~~~~~>* Tomoya stieß eingehaltene Luft aus. Es klang wie ein Seufzer. In diesem Moment plärrte seine tyrannische Uhr das Wecksignal in die idyllische Morgenstille. Für einen Sekundenbruchteil war der Impuls übermächtig, das vermaledeite Werkzeug des Terrors gegen die nächste Zimmerwand zu schleudern, doch es befand sich knapp außer Tomoyas Reichweite. Er aktivierte, ein Grummeln mannhaft unterdrückend, die Nachtleuchte, bevor das lästige Wecksignal die zweite Runde absolvieren konnte, bemerkte dann das kleine Stoffsäckchen und den Jammer, der sich noch immer auf der Uhr einrollte. "He." Behutsam stupste er das (vermutliche) Tierchen mit einer Fingerspitze. Der Jammer rollte sich ziehharmonikaartig zusammen und trollte sich in seinen Stoffsack. Tomoya deaktivierte das Wecksignal, beäugte anschließend den kleinen Beutel. Hatte Sha-Xi ihn schlichtweg vergessen? Seinen Champion-Jammer? Den schnellsten Flitzer? "Süß!" Murmelte Tomoya schmunzelnd. Wie es schien, lockerte Sha-Xi ihm bereits die Ketten ein wenig, fest entschlossen, ihn zu retten. "Na fein!" Tomoya schlüpfte eilig in seinen abgeworfenen Pyjama, nahm das Säckchen auf. "Leider hat dein Herrchen mir nicht verraten, was du gerne isst. Wir werden also herausfinden müssen, was von meinen Rationen deinem Geschmack entspricht." Mit ein wenig Glück würde der Jammer seinem Champion-Status gerecht werden und unauffällig über den Tisch robben, wenn etwas als 'Leckerli' lockte! "Auf ins Gefecht!" Tomoya kontrollierte seine Gesichtszüge, um sich nicht zu verraten, streifte die lästige Hightech-Uhr über das Handgelenk und verstaute Mruff im Beutel an seiner Person. ~~~~~>* Sha-Xi befand sich schon mitten im Gefecht und zwar in just jenem Augenblick, als er sich in seiner heimatlichen Dimension materialisierte. Ein Rückzugsgefecht wäre besser gewesen, zumindest für seinen Hinterkopf. "Was hast du dir dabei gedacht?! Ist dein bisschen Verstand jetzt vollkommen abgeraucht?!" Sha-Xi rieb sich verstohlen die wachsende Beule am Schädel. Seine Mutter hatte eine Klauenschrift wie eine Dampframme. Ge-Yo und Mu-Ze, die ihm gegenüber hockten, wirkten eindeutig bedröppelt und keineswegs glücklich, sich ausgerechnet hier und jetzt zu befinden. Gleiches konnte man fraglos auch vom Omniskop behaupten. Der kugelartige Aufsatz, der die Bilder projizierte, war in abertausende Bruchstücke zersplittert, nicht freiwillig. "Ich kann das erklären!" Setzte Sha-Xi zur gebräuchlichsten, aber wirkungslosesten Eröffnung in prekären Zwangslagen an. "Da bin ich mir SICHER!" Donnerte seine Mutter grimmig, packte nun sein Ohr in gnadenlosem Griff. "Du dämlicher Hosenscheißer! Hast du irgendeine Vorstellung, was die mit uns anstellen?! Komm mir bloß nicht mit diesem Maskerade-Unsinn!" "Aber es ist Halloween!" Wandte Sha-Xi bockig ein. "Außerdem sind das olle Kamellen!" Ge-Yo und Mu-Ze seufzten im Chor. Sha-Xi hob mal wieder äußerst zuvorkommend und unbelehrbar von empirischen Erfahrungswerten vorangegangener Auseinandersetzungen das eigene Grab aus. "Olle Kamellen, ach ja?" Trügerisch sanft säuselte die Stimme, die mühelos Mauern zum Einsturz bringen konnte. "Nun, wegen dieser 'ollen Kamellen' haben wir Verbote und Spielregeln eingeführt, ist es nicht so, die Herren?!" Die beiden Mee-Poos (Metropolitan Polis) wirkten ebenso unglücklich wie Sha-Xis beste Freunde, Zeugen dieser mütterlichen Strafpredigt zu sein. "Nun ja, Vorsicht ist besser als Nachsicht." Murmelte der Dienstältere geschlagen, weil ihn ein auffordernd-strenger Blick des Mutterdaimons förmlich aufspießte. Selbstredend hatte Sha-Xi nichts alleine auf der anderen Seite verloren, solange er nicht einen entsprechenden Abschluss nach einer Prüfung vorweisen konnte, andererseits war ja nichts passiert, und bei den Kostümfesten fiel er auch nicht sonderlich auf. Diese zum Vorteil des Delinquenten geeigneten Argumente blieben aber tunlichst unausgesprochen, wollten sie zeitnah dem Bannstrahl entfliehen. "Wir müssen dann auch mal!" Schon rückten sie wie ein Mann zur Tür, Dienst war schließlich Dienst, und das hoffentlich woanders. Weit weg. "Du hast Hausarrest!" Verkündete die gnadenlose Richterin, die Klauen in die breiten Hüften gestemmt. "Und zwar so lange, bis mir was Passendes einfällt, um dein bisschen Verstand auf Trab zu bringen!" Sha-Xi öffnete den Mund, zweifellos, um sein Verdikt herunterzuhandeln, doch Mu-Ze zwickte entschieden in den vor Empörung stocksteifen Schwanz. Sie saßen schon tief genug in der Patsche! ~~~~~>* "Verflixt!" Murmelte Sha-Xi gedämpft. Seit zwei Tagen bemühte er sich schon vergeblich um das erheblich beschädigte Omniskop. Es beschämte ihn auch vor seinen Freunden, dass seine Mutter ursächlich für die Demolierung zeichnete. "Ja." Pflichtete Mu-Ze vorsichtig bei und beäugte seinen Freund unbehaglich. Er hatte es nämlich übernommen, Informationen zu beschaffen, weil Sha-Xi quasi nur zur Schule und wieder in die häusliche Obhut pendeln durfte. Was er herausgefunden hatte, diente nicht gerade als positive Erkenntnis. Ge-Yo paradierte hinein, wedelte mit den mächtigen Tentakeln und grummelte, keineswegs in besserer Laune als seine beiden Freunde. "Aussichtslos!" Ließ er gleich die Katze aus dem Sack. "Hab mit jedem einzelnen Dschinn gesprochen. Bist du raus aus der Menschenwelt, ist Essig mit Wünschen! Das ist wie mit den Ex-Göttlichkeiten!" Er plumpste geräuschvoll auf den Boden und kramte die zerdrückten Reste einer Tüte heraus. 'Pussys Patisserie' letterte es mit einem munter winkenden Kopffüßler, dem Eigentümer des berühmten Schlaraffenlandes für Gebäck und Spezereien aller Art. Großzügig verteilte Ge-Yo die Reste unter seinen beiden Freunden, auch wenn Sha-Xi ungewohnt zerstreut wirkte und kaum zulangte. "Also!" Berichtete er weiter und wedelte mit kräftigen Tentakeln. "Wie ich auf dem Rückweg war, bin ich zufällig einem alten Bekannten meines Vaters über den Weg gelaufen. Dessen Sohn gestaltet Szenarien." Mit einer Gesprächspause ließ er die Bedeutung dieser Nachricht in die schwermütigen Gedanken seines Publikums sinken. Zögerlich richteten sich seine Kameraden auf, studierten ihn angespannt, nun ganz Ohr. Ge-Yo streckte ob seiner Wichtigkeit die Brust imponierend heraus. "Ich komme so lässig ins Gespräch, flechte ganz nebenbei in der Unterhaltung mit dem Junior unser kleines Problem ein, so quasi als Test, ob die Idee mit dem Doppelgänger-Wettbewerb überhaupt funktionieren würde." Auf diesen Einfall, diversen, eher banalen Unterhaltungsfilmchen geschuldet, war Ge-Yo stolz. Wenn es gelänge, einen solchen Wettbewerb aufzuziehen, könnte man selbst einen vermutlich recht bekannten Burschen wie diesen Tomoya verschwinden lassen, zumindest ausreichend lange, um ihn in Sicherheit zu bringen! "Und?" Hakte Mu-Ze mit elektrisierten Schnurrhaaren nach. Möglicherweise musste er seine schlechten Nachrichten gar nicht an den Mann bzw. Inkubus bringen! "Tja, technisch gesehen ist es möglich, bloß..." Ge-Yo seufzte und entrollte einen Tentakel. Auf diesem war eine beeindruckende Ziffernfolge notiert. "Ich wusste gar nicht, dass es so große Zahlen gibt." Murmelte Mu-Ze schließlich in die bleierne Stille. "So viel Geld bekomme ich nie zusammen!" Wisperte auch Sha-Xi geknickt. Ge-Yo seufzte noch mal und sackte sichtlich in sich zusammen. "Ehrlich, tut mir wirklich leid, aber mehr habe ich nicht herausfinden können. Unbehaglich schrubbte er über den beschrifteten Tentakel. "Außerdem ist es wohl so, dass bei derartigen Aktionen, also, wo man Szenarien benötigt, von oberster Stelle die Erlaubnis eingeholt werden muss." Was ein ernst zu nehmendes Problem darstellte, denn üblicherweise galt das eiserne Gebot, sich nicht einzumischen. Bedrückt zerpflückten sie die krümeligen Reste des Gebäcks. "Und?" Ge-Yo mümmelte verdrossen. "Was hast du so rausgekriegt?" Mu-Ze winselte leise. Genau DIESE Frage hatte er zu vermeiden gehofft. ~~~~~>* "Versteh ich das richtig?" Ge-Yo dröhnte grimmig jede einzelne Silbe in Sha-Xis kleines Zimmer. "Das Juris-Gesocks, die schmierigen Agentur-Horden und das ganze Verkaufsvolk sind als jahrgangsbeste Absolvierende UNSERER Ex-Uni angeheuert worden?!" Mu-Ze ließ die Schnurrhaare hängen. Er konnte es nicht beschönigen. "Prächtig!" Donnerte Ge-Yo erbost. "Einfach PRÄCHTIG!" Man musste es keineswegs näher ausführen, dass die Lehranstalten, die der Große M als Servicedienstleister zur optionalen Besserung der Menschheit eingerichtet hatte (um Versuchungen besser widerstehen zu können), als die strengsten, härtesten und gnadenlosesten Einrichtungen galten, die auf dem hochpreisigen Dienstleistungssektor existierten. Je verzwickter und anspruchsvoller die Situation, umso bedeutender und gewaltiger die Möglichkeit, einfachen, selbstsüchtigen, gemeinwohlschädlichen Ausflüchten zu widerstehen. Es sollte den Charakter formen, aber diese Entscheidung oblag final den einzelnen Absolvierenden selbst. In jedem Augenblick des Lebens. In die aufgeheizte, von Ratlosigkeit und ohnmächtiger Wut gegen das niederträchtige Schicksal geprägte Stimmung hinein rollte Mu-Ze behutsam ein größeres Stück Papier aus. Auf den ersten Blick meinte man, abstrakte Kunst oder einen sehr verschlungenen Netzplan der Verkehrsverbindungen einer Metropole zu sehen, doch bei genauerer Betrachtung hatte Mu-Ze sich bemüht, ein Beteiligungsgeflecht abzubilden. "Oje." Ge-Yo rollte die Tentakel ein. "Ja." Pflichtete Mu-Ze ihm bei, auch die Pinsel an den Ohren hingen Halbmast. Selbst wenn es ihnen gelänge, durch ein wahres Wunder die Phantastilliarden aufzutreiben, die für das Doppelgänger-Wettbewerb-Szenario angesetzt waren, würde es kein glückliches Ende nehmen, weil der Große M, in artiger Absicherung der vielen Sozialleistungen seiner Mit-Daimonen, immigrierten Ex-Göttlichkeiten und anderer Fabel- und Wunderwesen sowie einer stetig steigenden Ex-Engel-Schar, dem Prinzip des vorausschauenden, nachhaltigen Wirtschaftens durch Unternehmensbeteiligungen in Form von Anteilscheinen gehorcht hatte und über diverse, durchaus verschlungene Wege einen erklecklichen Part am Konglomerat der Agenturen, Veranstaltenden, Produzierenden, Vermarktenden, Filmverleihs, Studios etc. besaß, das von der eierlegenden Wollmilchsau namens Tomoya Saito profitierte! Ausgesprochen unwahrscheinlich, dass irgendjemand die Flucht des goldenen Kalbs ohne HEFTIGE Reaktionen zuließ. Sha-Xi zog die Beine vor den Leib und rollte sich kompakt zusammen, die Tolle verstrubbelt, die Flamme zwischen den Hörnern nicht mehr als eine gräuliche Rauchfahne. Seine Freunde wechselten betroffene Blicke. So niedergeschlagen kannten sie ihn gar nicht, den unerschütterlichen Optimisten! Nachdem Mu-Ze wortlos seinen Plan mit der Unternehmensspinne zusammengerollt hatte, schob er scheu ein dickes Album zu Sha-Xis krallenbewehrten Füßen hinüber. Ge-Yo reagierte jedoch zuerst, beugte sich hinüber, um das Werk zu studieren. "Wo hast du das denn her?" Erkundigte er sich verblüfft. "Es gibt da einen Fanclub." Erläuterte Mu-Ze gedämpft. "Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, ein paar Informationen zu sammeln." Sha-Xi entrollte sich und klappte die Beine zum Schneidersitz auseinander, nahm das imposante Buch auf den Schoß und blätterte langsam. "Das war sicher teuer. Wie viel hat es gekostet?" Selbstredend wollte er Mu-Ze die Auslagen erstatten. Ein ganzes Kompendium über Tomoyas Karriere, akribisch zusammengetragen und kommentiert, dazu Kupferstichzeichnungen von Fotografien und Filmplakaten, transkribierte Interviews, Kommentare, Besprechungen! Ihm war gar nicht bewusst gewesen, WIE berühmt und bedeutend der junge Mann war, mit dem er das Lager geteilt hatte. "Hat nichts gekostet, hab getauscht." Nuschelte Mu-Ze unterdessen in seine Schnurrhaare, rieb sich verlegen das pelzige Kinn. Konnte es NOCH unangenehmer werden?! "Getauscht gegen was?!" Ge-Yo trampelte auf seinem Zartgefühl mit Betonschuhen herum. "Autogramm von Shrigarr." Murmelte Mu-Ze kaum hörbar. "Shrigarr?! SHRIGARR?! Du hattest ein Autogramm von Shrigarr?!" Ge-Yo explodierte in dröhnenden Gelächter, wirbelte die mächtigen Tentakel durch die Luft. "Das gibt's ja gar nicht!!" Mu-Ze sprang auf die Tatzen, funkelte agitiert, die Schnurrhaare gesträubt, die Pfoten geballt. "He, ich war FÜNF, okay?! Und meine Eltern haben mich mitgeschleppt!!" Nichts konnte schließlich peinlicher und beschämender sein, als sich als Liebhaber des größten Schlagerkitschsängers der gesamten Daimonenwelt zu entlarven! Sha-Xi verhinderte weitere Lachsalven und neckenden Bosheiten zu Mu-Zes Nachteil, indem er sich erhob, den Freund umarmte, fest drückte und in ein pelziges Ohr vernehmlich raunte. "Vielen Dank. Wirklich, danke schön, Mu-Ze." Auch Ge-Yo fasste sich wieder und tätschelte besänftigend den peitschenden Schwanz mit dem dreifarbigen Fell. "He, jedenfalls hast du einen verdammt GENIALEN Tausch gemacht! Bestimmt hilft uns das weiter!" Selbst wenn keiner von ihnen eine zündende Idee hatte, wie sie all diese übermächtigen Hindernisse umgehen konnten. ~~~~~>* Tomoya ließ den Pyjama zu einem seidigen Häufchen neben das Hotelbett sinken, streifte sich die lästige Versklavungsuhr vom Handgelenk und sah erfreut dabei zu, wie Mruff sich aus dem Säckchen auf den Kontakten zusammenrollte. Der Jammer leistete zuverlässige Arbeit und schien mit Tomoyas Rationen gelierten Fruchtmuses zum leiblichen Wohl auch zufrieden zu sein. Man hatte zwar für einen Wimpernschlag konsterniert reagiert, als Tomoya Mruff als vermeintliches Stofftier und Glücksbringer/Talisman mit sich zu tragen verlangte, doch dann entschieden, dass es weder seinen Leistungen noch dem Außenbild, das er zu verkörpern hatte, schadete. Nackt, wie er es von Sha-Xi abgeschaut hatte, schlüpfte Tomoya unter die Bettdecke, genoss die seidige Beschaffenheit des Bezugsstoffes auf seiner Haut. Wenn er vom Trubel seines langen Arbeitstages nicht zu sehr erschöpft war, gönnte er sich (dank Mruffs Hilfe) diese Flucht in Erinnerungen an die Nacht mit seinem zeit- und raumreisenden Inkubus. Vermochte auch die Liebkosung durch die eigenen Hände nicht annähernd ekstatische Lust und beseelende Befriedigung hervorzurufen, wie es Sha-Xi so mühelos und kunstfertig vollbracht hatte, so konnte er sich wenigstens mit dieser persönlichen, heimlichen Freiheit berauschen, sich geliebt fühlen von einem Wesen, das er kaum kannte, und das ihm dennoch versprochen hatte, ihm zu helfen, ganz ohne persönlichen Vorteil oder einen geforderten Preis. ~~~~~>* "Das is nich gut!" Raunte Ge-Yo zu Mu-Ze runter, der diese Einschätzung zu hundert Prozent teilte. Sha-Xi ging es schlecht, sogar sehr schlecht. Wenn sie nicht gerade im Unterricht saßen, rollte er sich irgendwo zitternd (trotz mehrerer Schichten Bekleidung) zusammen und fiel in fast komatösen Schlaf. Sein Gesicht war eingefallen, der Teint fahl, nicht mal die Flamme zwischen seinen stumpfen Hörnern zündete noch, völlig in sich gekehrt, ohne muntere Worte, schlichtweg ein Bild des Elends. Über die Ursache dieser dramatischen Veränderung mussten sie nicht spekulieren. "Ich klapper noch mal den Schrotthandel ab!" Verkündete Ge-Yo leise. "Irgendwo muss es ja wohl noch eine Kugel geben!" Dann könnten sie vielleicht das Omniskop wieder in Gang bringen, mit dem Sha-Xi seinen Tomoya wenigstens sehen könnte. "Ich rede mit seiner Mutter." Antwortete Mu-Ze tapfer. Hausarrest hin oder her, aber wenn Sha-Xi derartig litt, musste sie doch ein Einsehen haben! Ein Inkubus ohne positive, körperliche Kommunikation, das konnte böse enden! ~~~~~>* Tomoya lächelte noch, als er die begehbare Dusche verließ, umhüllt von einem SEHR lebendigen Traum, in dem Sha-Xi ihn so hingebungsvoll und leidenschaftlich verwöhnt hatte, dass selbst die Erinnerung seine Wangen attraktiv einfärbte. Er legte die rechte Hand auf sein wild pochendes Herz und war einmal mehr sehr dankbar für Mruffs untadeligen Einsatz. Allzu lange durfte er sich aber nicht in diesem wild-verruchten privaten Idyll ergehen, sonst würde man sich ungebeten einladen und ihn für den Tag präparieren (selbst das eigenständige Duschen hatte er sich ertrotzen müssen!). Als er sich dem Spiegel zuwandte, um mit der (verordneten) elektrischen Zahnbürste die perfekten Beißer zu polieren, stutzte er, rückte näher an seinen seitenverkehrten Zwilling heran, ja, kniff sogar die Augen zusammen, obwohl er gut genug sah. Tatsächlich! Auf seiner Brust, direkt über dem Herzen, beinahe handtellergroß, zeichneten sich in einem verschlungenen Ornament feine Linien ab, nur eine Nuance über seinem Hautton, wie ziselierte Narben, nur von immenser Kunstfertigkeit, dezent seidig schimmernd. "Unglaublich." Flüsterte Tomoya ehrfürchtig und streichelte mit einer zitternden Fingerspitze das komplexe Muster nach. Konnte es etwa sein, dass...?! ~~~~~>* "So ein Kuscheltreffen, das täte ihm bestimmt gut!" Plädierte Mu-Ze unerschrocken. Er konnte Sha-Xis Mutter ansehen, dass ihr der bedrohliche Verfall ihres Sohnes nicht entgangen war. "Es wäre ja nur ein Stündchen, unter Aufsicht!" Legte er weitere Bausteine der Argumentation in die goldene Brücke, die er für Sha-Xi zu bauen beabsichtigte. Bevor sich der Mutterdaimon jedoch zu Konzessionen entschließen konnte, unterbrach sie Ge-Yos verstörter Hilferuf. "He, Sha-Xi! Was ist los mit dir?!" ~~~~~>* Gefühlstaub, gab es dieses Wort? Den Zustand jedenfalls kannte Sha-Xi mittlerweile viel zu gut, auch wenn es ihn langsam nicht mal mehr kümmerte. Alles verlor an Bedeutung, an Dringlichkeit, an Wesensgehalt. Er wollte nicht mehr sein, dem Elend entfliehen, dem dumpf nagenden Schmerz von Wortbrüchigkeit, von Ausweglosigkeit. Dennoch. Lästig. Brannte etwas in seiner Brust. Sha-Xi wand sich aus seiner zusammengekauerten Haltung auf seinem Bett, zerrte und riss Stoffbahnen auseinander, weil es so JUCKTE! Weil es ihn quälte und in den Wahnsinn trieb! Vage hörte er Ge-Yo, der ihn in seinem manischen Winden zu bremsen versuchte, noch "uoh" murmeln, dann wurde es schwarz. ~~~~~>* Tomoya keuchte überrumpelt, als Sha-Xi aus dem leeren Raum auf seiner Matratze erschien, schwer wie ein Sandsack nach vorne kippte und auf seinem Schoß landete. "Es hat geklappt!" Wisperte er heiser, beugte sich eilig nieder. "Sha-Xi? Alles in Ordnung?!" War der Inkubus vielleicht ohnmächtig geworden? Oder gar krank?! Mit aller Kraft zog und zerrte Tomoya an den muskulösen Oberarmen, um Sha-Xi wenigstens auf die Seite drehen zu können, ohne dass sie beide von der Bettkante kegelten. "Sha-Xi?! Sag was, bitte!" Erschrocken streichelte er über die eingefallenen Wangen, weit weg von der beinahe euphorischen Erwartung, seinen zeit- und raumreisenden Freund zu sich rufen zu können. "Bitte mach die Augen auf!" Flehte er besorgt, mannhaft hysterische Panik unterdrückend. "Was fehlt dir denn?!" Weil er sich nicht sicher war, ob Sha-Xi tatsächlich noch atmete, der still und stumm schwer halb auf seinem Schoß lag, kauerte er sich über ihn und entschied, lebensrettenden Odem zu spenden. ~~~~~>* "Entschuldige! Entschuldige bitte, ja? Tut mir so leid!" Wiederholte Sha-Xi hastig und unaufhörlich, während seine Klauen pausenlos über jedes erreichbare Fleckchen nackter Haut streichelten. Tomoya keuchte ausgepumpt, konnte aber ein mattes Lächeln auf sein glühendes Gesicht zaubern. "Alles okay." Mühevoll klappte er einen Unterarm hoch und signalisierte 'Daumen hoch'. "Weißtdu,eswardieserSchock!UnddieganzeZeit,also,sowasistmirnochniepassiert,wirklich,ehrlichTutmirsoleid!" Brabbelte Sha-Xi in Hochgeschwindigkeit, bevor er (ohne die Klauen von Tomoya zu nehmen) hastig hervorsprudelte, was sie alles erwogen hatten, um ihn zu retten, und welche Hindernisse, Alltagskatastrophen, seine Mutter und das Schicksal insgesamt ihnen so NIEDERTRÄCHTIG in die Suppe gespuckt hatten. Und weil ihm so elend, so furchtbar elend zumute war, er so ausgehungert... "Bin froh, dass du hier bist!" Unterbrach Tomoya krächzend den Silbenschwall, der ihn wegzuspülen drohte. Gewissermaßen hatte er schon, trotz des in südlicheren Gefilden kreisenden Bluts, begriffen, was sich ereignet hatte. Außerdem konnte man es Sha-Xi ansehen, der wie das blühende Leben, wenn auch mit belämmert-beschämter Miene, neben ihm hockte. Um einer weiteren Runde von Entschuldigungen zu entkommen, klopfte er behutsam mit den Fingerknöcheln auf Sha-Xis Brust, wo sich in goldenen Linien sehr markant das verschlungene Ornament abzeichnete, das auch seine eigene Brust zierte. "Sind das Schriftzeichen?" Erkundigte er sich, wollte sich aufrichten, doch die Ellenbogen knickten ihm ein. Peinlich! Sha-Xi, der maßgeblich für die (durchaus wohlig-befriedigte) Mattigkeit verantwortlich war, fasste rasch zu und lehnte Tomoya komfortabel in seine Arme und an seine Brust. "Ideogramme." Erläuterte der Inkubus leise, streichelte ihn unablässig weiter, liebkoste ihn, als wäre es das einzige Mittel, sein Leben zu bewahren. "Dann haben wir doch einen Vertrag abgeschlossen, oder?" Tomoya, der sich nun einigermaßen gesammelt hatte, lächelte verschmitzt. "Eigentlich sollte so was gar nicht funktionieren." Bekannte Sha-Xi durchaus ratlos, bevor sich seine gesunde Gesichtsfarbe kurzzeitig verabschiedete und er aufstöhnte. "Was ist?!" Alarmiert richtete Tomoya sich auf, küsste die Lippen, die ihn am ganzen Leib gebrandmarkt hatten. "Ich werd so was von Hausarrest bekommen!" Winselte Sha-Xi kläglich. "Eine Millionen Jahre! Mindestens!" Selbst sein agiler Schwanz schlug verzweifelt auf die Matratze. Tomoya grinste spitzbübisch. "So schlimm ist das doch gar nicht." Sha-Xis geschlitzte Pupillen verengten sich ein wenig. Worauf wollte Tomoya hinaus? Neckend tupfte Tomoya sanfte Küsse auf das stutzende Gesicht. "Sieh mal, es muss ja nicht DEIN Haus und DEIN Zimmer sein, oder?" "Oh." Senkte sich langsam Erkenntnis in Sha-Xis lebhafte Züge. "Genau." Flüsterte Tomoya zärtlich. "Oh." ~~~~~>* "Glaubst du, es klappt? Heute Abend, selbe Zeit?" Tomoya hing um Sha-Xis Nacken, tauschte Eskimoküsse mit dessen Nasenspitze. Er wollte sich nicht trennen, auch wenn in Kürze sein blöder Überwachungswecker lärmen würde. "Ich werd mit meiner Mutter reden!" Versprach der Inkubus tollkühn. "Sie wird's verstehen. Hoffentlich." Ein wenig nervös machte ihn die Aussicht auf die Auseinandersetzung doch. "Danke!" Flüsterte Tomoya sanft. "Danke, dass du mich gerettet hast, Sha-Xi." "Ah, nich doch!" Wehrte der Daimon verlegen ab. "Noch ist mir ja nichts Cleveres eingefallen!" Tomoya verzichtete auf einen Widerspruch, verlegte sich lieber darauf, die eindrucksvolle, gespaltene Zunge noch einmal in seinen Mund zu locken. Er konnte kaum glauben, wie glücklich, ja, selig ihn der fortwährende Körperkontakt mit Sha-Xi machte! Der wiederum hielt seinen Schicksalsgefährten fest in den muskulösen Armen und fühlte sich, als könne er es tatsächlich erfolgreich mit seiner furchteinflößenden Mutter aufnehmen! ~~~~~>* "So was sollte gar nicht funktionieren!" Wiederholte sie konsterniert. Sha-Xi, oben ohne, warf seinen beiden besten Freunden, die erneut als Mitverschwörer auf dem Sünderbänkchen hockten, einen hilflosen Blick zu. Die beiden Mee-Poos, die aufmarschiert waren, weil da jemand jenseits aller gewöhnlichen Dimensionsreisetage und OHNE offizielle Lizenz in die andere Welt wechselte, wirkten ebenso unglücklich und ratlos. "Tja." Stellte einer schließlich geplagt fest. Das Ideogramm war echt, keine Farbe, keine Tätowierung, kein Nichts, das auf eine Manipulation schließen ließ. Wie auch immer dieser Mensch es geschafft hatte, durch die Kraft seiner Gedanken, seines Sehnens, der Vertrag war geschlossen und sorgte dafür, dass sich Sha-Xi, obwohl er als Inkubus generell nicht einfach auf die andere Seite wechseln durfte wegen seiner äußeren Erscheinung, mühelos jenseits aller öffentlichen Portale durch die Dimensionen bewegen konnte. Hier brauchte man sich nicht der Anstrengung zu unterziehen, etwas zu legalisieren, was sich gar nicht beeinflussen ließ. "Jedenfalls, lies dir die Regeln durch, klar? Schönen Tag noch zusammen!" Verkündete der jüngere Mee-Poo in Erwartung des Schichtendes aufgeräumt. Einen Gruß an die Schläfe getippt, dann hasteten die beiden hinaus. Bloß eilig Feierabend machen, bevor diese verrückte Inkubussippe sich noch mal einfallen ließ, sie aufzuschrecken! "Man muss es positiv sehen." Ge-Yo verließ sich auf seine imposante Gestalt. "Dieser Tomoya Saito ist ein bekannter und berühmter Star! Also gar kein schlechter Vertragspartner, möchte ich meinen!" Schloss er staatstragend. "Bis jetzt hat sie auch keiner entdeckt." Wies Mu-Ze tapfer auf einen weiteren, positiven Umstand hin. Sha-Xi streckte die Klaue aus und drückte die seiner Mutter. Entschlossen blickte er in ihre Glutaugen. "Ich mag ihn. Sogar sehr." Verkündete er leise. "Er ist besonders. Bitte, lass mich nachts bei ihm sein, ja?" "Pah!" Schnaubte sie ärgerlich, den Blick abwendend, wie ein trotziges Kind die Unterlippe vorschiebend. "Kann ich dich hindern?!" Dennoch hielt sie seine Klaue fest. "Tagsüber, da wirst du dich hier aber ordentlich ins Zeug legen, verstanden?! Mein Sohn ist kein DJII-GOLLO!" Knurrte sie schließlich streng. "Gigolo." Korrigierte Mu-Ze kaum hörbar, was jedoch in einem gemeinsamen, erleichterten Seufzer unterging. ~~~~~>* "Leider ist mir noch nichts eingefallen!" Entschuldigte sich Sha-Xi, während er Tomoya auf seinem ausgestrecktem Leib balancierte. Der bestaunte fasziniert die oszillierende Flamme zwischen den auf Hochglanz polierten, gedrechselten Hörnern, verschmitzt lächelnd. "Vielleicht muss es das auch gar nicht." Antwortete er spitzbübisch zwinkernd, fädelte seine gepflegten Finger zwischen Sha-Xis Krallen, schnurrte leise vor Wohlbehagen, in eine Wolke aus Liebe gehüllt. "...?" Sha-Xi warf ihm im Schimmer seiner Flamme einen verwirrten Blick zu. Er war wirklich froh, dass Tomoya offenkundig zu den cleveren Leuten gehörte. SEINE Stärken lagen definitiv woanders. Tomoya schmiegte sich aufreizend an und lachte leise. "Du befreist mich wirklich, Sha-Xi." Raunte er kehlig, richtete sich für einen Moment auf, um die fragend geschürzten Lippen zu küssen, mit ausreichend Energie, dass der Inkubus die ausbleibende Aufklärung vergaß. Nicht tragisch, befand Tomoya sehr zufrieden mit seiner Situation. Am Morgen konnte er Sha-Xi ja immer noch berichten, dass verschiedene Aufträge zurückgezogen worden waren, er vom Star zur unnahbaren Ikone wurde, alles einer exponentiell wachsenden, sinnlichen Ausstrahlung zu verdanken, die jeden Annäherungsversuch als Sakrileg einstufte. Seine Szenen in Filmen, Serien oder in der Werbung konnten deshalb nur noch zu später Stunde oder mit expliziten Hinweisen gesendet werden. »Mehr Zeit für dich und mich!« Triumphierte Tomoya und kuschelte gelöst. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sein daimonischer Vertragspartner für die dramatische Veränderung in der Qualität seiner Erscheinung verantwortlich war. Sha-Xi betrachtete unterdessen glücklich das selig-übermütige Lächeln auf den attraktiven Zügen, streichelte zärtlich über die helle, nackte Haut in Reichweite seiner Klauen. Mit Seelen kannte er sich zwar gar nicht aus, aber er befand, dass er überreichlich entlohnt wurde für seine sehr befriedigende Rolle als Retter aus niederträchtiger Versklavung. "Ist dir aufgefallen, dass wir kein Blut oder komische Rituale oder so was gebraucht haben?" Brummelte er bedächtig, rezipierte einschlägige Kintopp-Streifen. "Bloß Hausarrest und ein altes Omniskop." Tomoya lachte leise. "Stimmt, kurios ist das schon." Er stützte sich auf, ballte die rechte Faust, um demonstrativ mit dem kleinen Finger zu winken. "Wahrscheinlich sind wir mit einem roten Schicksalsfaden verbunden!" Spielte er amüsiert auf eine nationale Eigentümlichkeit an. Stirnrunzelnd studierte Sha-Xi seine Kralle, grinste dann entspannt. "Ich bin jedenfalls sehr gern mit dir verbandelt!" "Geht mir genauso!" Raunte Tomoya, funkelte mit halb gesenkten Lidern in die geschlitzten Pupillen des Inkubus. "Lass uns herausfinden, ob wir nicht noch andere Verbindungen eingehen können..." Die Glutaugen loderten auf, das Raubtiergebiss gleißte in voller Pracht, dann begab sich Sha-Xi erneut sehr engagiert an seine neue Mission. ~~~~~>* Ende ~~~~~>* Danke fürs Lesen! kimera