Titel: Die letzte Kampagne Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Valentinstag 2014 Erstellt: 05.02.2014 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen. Für Split! v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v v*-*v Die letzte Kampagne Kapitel 1 - Verkaufsfördernde Maßnahmen "Besinnungsgruppe, aufgepasst!" Kalong hob die Stimme nach einem dezenten Hüsteln und funkelte auf seine versammelte Mannschaft. Sie war, nun, ganz zweifellos nicht die Creme de la creme, aber mit Klagen hielt er sich nicht auf. "Letzte Kontrolle!" Intonierte er melodisch. "Hat jeder seinen HM1? Ja?!" Der Heinzelmann Version 1, neckisch abgekürzt, diente des Arbeitsnachweises, als Orientierungshilfe, Ortungssystem und Zeitmesser, eine nützliche Eigenentwicklung, um effizient den vorgegebenen Aufgaben im knappen Pensum nachzugehen. "Gut!" Ermutigte Kalong den heterogenen Haufen von Daimonen und anderem Gelichter. "Wie werden wir uns verhalten?!" "Achtsam und würdig!" Plärrte es ihm kakophonisch entgegen. "Schön, und wir werden immer daran denken, dass die Menschen uns nicht sehen können! Wir machen einen Bogen um ihre Maschinen und größere Tiere! Wir erinnern uns unserer besonderen Aufgabe und erfüllen sie mit freudiger Hingabe und strahlendem Lächeln!" Selbstredend hatte er nicht darauf bestanden, dass die Verhaltensmaßregeln im Chor geschmettert wurden. Er war schon dankbar dafür, dass die meisten seiner Schützlinge sie einigermaßen im Kopf behielten. "Nun denn, viel Erfolg! Auf, auf, die Zeit steht nicht still!" Mit energischem Klatschen gab er den Startschuss. Seine Mitarbeitenden, von vielen nur als die "hoffnungslose Horde" bezeichnet, glätteten letzte Falten, sammelten ihre Habseligkeiten ein und verschwanden artig auf die andere Seite, um dort für jede Menge Besinnung zu sorgen. v*-*v "Na, mein Hundeschnäuzchen, so fleißig unterwegs?" Kalong verdrehte die großen Augen und faltete unwillkürlich seine ledrigen Schwingen enger, während er den wie stets herumlungernden Daimonen belauerte. "Einige von uns tragen durch tätige Arbeit zu ihrem Lebensunterhalt bei!" Ätzte er arrogant und hob das spitze Kinn ein wenig höher, paradierte energisch an der Säule vorbei, die zu einer der zahlreichen Pforten gehörte, um in die andere Welt zu wechseln. "Uhuhuh!" Stöhnte der eigentlich als Frontschwein, Wache, Zoll-Spezi, grenz- und nervenbelastungsprüfend beschäftigte Daimon genießerisch. "Mach mich rund, ja, beschimpf mich, gib mir Tiernamen!" Dabei richtete er sich zu einer durchaus imponierenden Größe auf, kompakter Körperbau, eher quadratisch, schwarzbraunes, glänzendes Fell mit einer blendend weißen Blesse bis zum Bauchnabel. Die einfache Lederrüstung verbarg recht wenig vor Betrachtenden, das musste man zugeben. "Pah, bleib bloß weg von mir!" Fauchte Kalong bissig und ließ seine eng anliegenden Schwingen flattern, was ein knatternd-bedrohliches Geräusch erzeugte. "WAG es nicht, mich anzuhauchen! Du Pestatmer!" Sein Gegenüber presste betroffen Krallen vor die modellierte Brustpartie und winselte vernehmlich-kokett. "Wie gemein! Dabei habe ich extra für dich Aftershave übergekippt und Mundwasser gesoffen!" "Unglaublich!" Kalong rümpfte seine sehr aparte Nase missbilligend. "Im Übrigen rasierst du dich gar nicht. Aftershave trägt man auf! Mit Mundwasser wird gegurgelt, der Mund ausgespült! Überkippen, saufen, tsktsktsk!" Manche Daimonen zeichneten sich wirklich durch einen eklatanten Mangel an Kultur aus! "Die Beißer habe ich auch poliert, willst du mal sehen?" Keineswegs beeindruckt von der unversöhnlichen Kritik sperrte der Daimon sein Maul auf, dass der Rachen Besuch bekam. In der Tat glänzten und glitzerten die Reißzähne blendend, vor allem aber bewiesen sie, dass hier ein Daimon stand, der mühelos Fleisch, Sehnen und Knochen zerteilen konnte, wenn er gerade mal nicht wählerisch bei der nächsten Mahlzeit war. "Vade retro!" Schimpfte Kalong, verdeckte sein Gesicht halb hinter einer Schwinge. "Sacrophilos, du WIDERST mich an!" "Für den Anfang schon mal besser als gar keine Reaktion!" Antwortete ihm der Daimon feixend, bevor er mahnend eine Klaue anhob. "Ich habe dir doch gesagt, du kannst mich Phil nennen." Kalong stand nun seine rotbraune Mähne vom Kopf, während er auf Zehenspitzen balancierte, um den Größenunterschied zu Sacrophilos einigermaßen wettzumachen. "DAS würde ich allenfalls in Erwägung ziehen, wärst du ein Murmeltier mit meteorologisch-prognostischen Fähigkeiten!" "Oh, wenn du SO was gern hast" Sacrophilos grinste mit komplettem Gebiss, was zur Erblindung führen konnte. "Das kann ich dir gern besorgen! Vielleicht ein bisschen lädiert, aber beinahe frisch und mit Gekröse..." "Widerwärtig! Du bist einfach EKELHAFT!" Explodierte Kalong, preschte an Sacrophilos außerhalb dessen Reichweite vorbei. "Du, du abstoßender FLEISCHFRESSER!" Mit dieser letzten, in seinen Augen vernichtenden Zeihung, wechselte er auf die andere Seite. v*-*v Man erhielt nicht einfach so die Leitung der Besinnungsgruppe, nein, obwohl Kalong noch ein durchaus junger Daimon war, konnte er bereits eine geraume Zeit der Erwerbstätigkeit vorweisen und hatte große Erfahrung, vor allem mit dem Kultivieren von Pflanzen, was man eigentlich nicht erwarten sollte. Angefangen hatte alles damit, dass er von Sciurusi gefunden wurde, auf einer Reise verloren gegangen, mutmaßlich. Die Sciurusi waren keine tiefsinnig Denkenden und stets emsig, also rammte man einen Pfosten in den Boden, befestigte dort eine Windel, die Kalong markiert hatte (durch sein jugendliches Alter entschuldigt) und einen Hinweis, wo man das verlorene Bündel auflesen konnte, dann packte man ihn ein, zog weiter, um überall zu buddeln, zu verstecken, zu verteilen, und hauptsächlich zu vergessen, wo man was verbuddelt, versteckt oder verteilt hatte. Auf diese kreativ-eifrige Weise existierte eine intakte Landschaft mit vielen Bäumen, Gräsern, fruchttragenden Sträuchern und jede Menge veganes Leben. Für Kalong zumindest ein Glücksfall, denn er verzehrte am Liebsten Obst aller Art und er lernte rasch, wie man ein ziemlich guter Sciurus wurde, abgesehen von der chromosomonal-eingerichteten Vergesslichkeit. Natürlich konnte niemandem entgehen, dass Kalong ein wenig anders aussah, aber wer war schon perfekt? Gut, dann konnte er eben mit diesen ledrigen Dingern da vom Boden abheben, doch auf Bäume zu klettern, DAS stellte eine wahre Kunst dar! Da niemand erschien, um Kalong einzufordern, führte er eine ganze Weile ein sehr arbeitsames, aber geborgenes Leben. Blöderweise kam er dann in die unvermeidliche Pubertät, und wie das universell gleich angelegt ist: man wacht irgendwann auf und stellt fest, dass es SO nicht weitergehen kann, man zweifellos das einzige Alien unter lauter verständnislosen Erwachsenen ist, die garantiert zu einer anderen Spezies gehören! Zugegeben, die Sache mit der Spezies war in Kalongs Fall partiell eine zutreffende Einschätzung, möglicherweise hätte er auch auf Dauer bei den Sciurusi nicht sein Glück machen können, denn die gesamte Wirrköpfigkeit seiner Umgebung ging ihm unheimlich auf den Trichter. Folglich schnürte sich Kalong ein Bündel, verabschiedete sich von seinen Zieheltern, die darüber verblüfft waren, dass er noch wusste, wo er seine Habseligkeiten verstaut hatte und marschierte entschlossen in die nächste Siedlung. Während er sich noch orientierte, überwältigt von den Möglichkeiten, schnappte ihn zielsicher ein Mee-Poo, nicht die Auffassung pflegend, dass sich Daimonenkinder zu dieser Uhrzeit außerhalb einer Gehirnerweichungs-, äh, Bildungsanstalt befinden sollten. So lernte Kalong nicht nur die Metropolitan Polis kennen, sondern eine Daimonenschule von innen. Mangels Platz und seiner etwas speziellen Vita (er hielt sich ja noch für einen absonderlich behinderten Sciurus), wurde er ins Zentrum des Daimonenreichs/Hölle/Zweite Heimat verschickt. Er lernte unter der strengen Ägide vom legendären Instrukteur Isidor von Spangenburg die Welt, was sie zusammenhält, wie man sie trennt und welche Gefahren die dämliche Menschheit für arglose Daimonen bereithielt, kennen. Solchermaßen "feuer- und menschenfest" bewarb er sich für einen Posten im Organisationsmanagement, denn wenn Kalong eine besondere Stärke hatte, dann präzises, analytisches, planvolles Vorgehen! Dass niemand sich sonst um die Vakanz bemühte, hätte ihn selbstredend warnen müssen, doch eine der größeren Schwächen der Sciurusi war nahtlos auf ihn übergesprungen: auf dem Beziehungsohr war er ziemlich taub. v*-*v "Kesser Typ!" Stellte Sacrophilos' Partner an der Pforte fest, während er sich mit einem Kunststoff-Zahnstocher (pinkfarben, mit Herzchen am Ende) im mächtigen Gebiss zierlich die dentale Zukunft erhielt. Man musste schon ziemlich unerschrocken (oder aber gefährlich blöd) sein, um sich mit einem von ihrem Schlag anzulegen. Sacrophilos grinste breit und lehnte sich auf seine Schocklanze, den verträumten Blick auf das Nichts gerichtet, das zwischen den Pfortenpfosten die Welten trennte. "Ich find ihn einfach schnuckelig!" Gurrte er guttural. Dieses niedliche Schnäuzchen und diese aparte Mähne! Dazu knuddelige Öhrchen und diese vornehm-süffisante Art, ihn immer wieder in den Senkel zu stellen! Es war wirklich schade, dass sie nicht mehr Zeit miteinander verbringen konnten, weil sich Kalong ständig in einer "Kampagne" zu befinden schien. v*-*v "Kampagne" war nicht als Session der Fünften Jahreszeit zu verstehen, obwohl die Umstände auch halbwegs vernünftige Daimonen närrisch machen konnten, nein, es handelte sich um die Variante, die man mit Werbung in Verbindung brachte. Ursprünglich hatte der berüchtigte Isidor von Spangenburg mit einer seiner vernichtenden Erklärung zur Natur des Menschen die Initialzündung geliefert. Menschen (vor Jahrhundert war er auch mal einer gewesen, hatte diesen Zustand aber daimonischerweise überwunden) waren ziemlich simpel konstruiert: man nehme Affen mit aufrechtem Gang und einer fehlerhaften Software im Oberstübchen, die ständig dem Betriebssystem in die Quere kam. Zynisch gesprochen konnte man auch, wie Isidor dies gerne tat, von einer systemimmanenten Notaus-Funktion sprechen, denn wer weiß, wo die Welt hinkäme, wenn das Betriebssystem zur erfolgreichen Lebenserhaltung ohne dämliche Interventionen sonst fähig gewesen wäre?! Um die abstrakte Ebene zu verlassen: die meisten der aufrecht stolpernden Affen verfügten neben dem Unterbewusstsein auch noch über ein Bewusstsein. Das verfrühstückte den Großteil der Energie damit, aufgrund unzureichender Interpretation aller Umstände dem eigenen Unterbewusstsein (Rumpfmannschaft aka Betriebssystem) ins Handwerk zu pfuschen. Der Mensch "dachte", nun ja, er versuchte vielmehr das, was ihm seine Sinne pflichtgemäß meldeten, mittels Brägen in ein unvollständiges, fehlerbehaftetes und alles in allem unrund laufendes Regalsystem samt klemmenden Schubladen einzuordnen, immer auf der Suche nach einer passenden Schablone. Beispielsweise würde ein Hund als Katze durchgehen, wenn man das Gehirn bloß ließe und ihm die entsprechende Schablone verpasste! Da konnten die Augen (Kamera), die Nase, der Mund und die Haut (Sensoren) noch so energisch melden, dass es sich um einen Kaniden handelte! Wenn das Gehirn, das angeblich "dachte", aber eigentlich nur nach bekannten Mustern suchte, um sich die imaginären Finger in den Kommoden im Oberstübchen einzuklemmen, die Summe aller Meldung unter "Katze" verbuchte, blieb für Besitzende des energiefressenden Graue Zellen-Schwamms nur eine logische Schlussfolgerung übrig: das ist eine Felidae! Ein Fehler in der selbstgestrickten Software, und schon konnte man sich auf zerkratzte Hände, lädierte Hosenbeine und vollgepinkelte Schuhe freuen. Positiv gesehen war die Software sehr fortschrittlich, sie konnte lernen, mehr Schablonen finden und weniger Blutzoll entrichten, vorausgesetzt, die vorangegangenen Fehleinschätzungen waren nicht gleich tödlich. Trotzdem. Konstruktionstechnisch, energetisch und evolutionär ein Flop! Da waren Bakterien (in Seniorität) locker überlegen, um nur ein Beispiel zu bemühen. Trotzdem. Momentan, bis auf Weiteres, wenn es nicht gelang, sich selbst versehentlich erfolgreich in Gänze auszuradieren, waren Menschen ein notwendiges Übel, mit dem man rechnen musste, ernährungstechnisch zumindest. Die meisten Daimonen verzehrten gern menschliche Energie, die diese achtlos wie Abwärme ausstrahlten und verpulverten, aber Daimonen verschwenden schließlich nichts, sie sind Meister in der Wiederverwertung! Von wegen "thermische Endlösung als Antwort auf alles"! Auch ein Inferno bedeutete jede Menge Arbeit und Fürsorge. Zu Isidor von Spangenburgs (genialer Instrukteur) Leidwesen fixierten sich Daimonen nicht nur aufgrund ihrer Diät auf Menschen, oh nein! Kein Blödsinn, den sich irgendein mit der "lernfähigen Software" ausgestatteter Mensch jemals ausdenken konnte, wurde unterlassen! Zwischen "A" wie Atombombe und "Z" wie Zappen von unzähligen Fernsehkanälen war unendlicher Raum für Zerstreuung aller Art, was Daimonen neugierig anzog wie Katzen der Vogelkäfig. Man konnte gar nicht glauben, dass irgendwer etwas so Dämliches unternahm, aber wenn schon, dann wollte man in der ersten Reihe sitzen und zugucken! Jedoch waren Menschen nicht nur zu Unterhaltungs- und Ernährungszwecken nützlich, nein, sie wurden auch von anderen Bewohnenden der Hölle geschätzt, ebenfalls aus existenziellen Gründen, womit sich der Kreis von "fehlkonstruierten, aufrechten Affen" zu Kalongs beruflicher Tätigkeit schloss. Nachdem Isidor von Spangenburgs Einschätzungen der menschlichen Natur wohlbekannt waren, kamen einige der Neu-Bewohnenden, die in gewisser Weise ebenfalls fehlkonstruiert waren, auf einen bestechenden Gedanken: wenn man nach der Zwangsräumung als Göttlichkeit in der Hölle Aufnahme gefunden hatte und nicht verdampfen wollte in der Vergessenheit, dann benötigte man Anhängende, Anbetende, fanatisch Verehrende und Bekloppte mit monothematischen Gedankengängen! Göttlichkeiten entstanden, weil man sie sich ausdachte, bloß, wenn kein Mensch mehr dachte, dann war's auch rasch mit der Göttlichkeit vorbei! Was aber tun, wenn man keinen Tempel mehr vorweisen konnte, niemand opferte und der eigene Titel nicht mal bei Schimpftiraden mehr Verwendung fand?! Ganz zu schweigen von der Daimonenschaft, die trübsinnig herumsumpfende Ex-Göttlichkeiten im fortschreitenden Zustand der Selbstauflösung ganz bestimmt nicht goutieren würde? Natürlich waren es weibliche Ex-Göttlichkeiten, die in seltener Eintracht das Heft des Handelns in die gepflegten Extremitäten nahmen. Die Menschen konnten sich, nach Isidor von Spangenburgs Vortrag, nicht in ihrer Natur ändern, folglich musste es in jedem Oberstübchen, und sei es noch so funzelig ausgeleuchtet, eine Schablone für "Göttlichkeit-Verehren!" geben. Und wo gingen Menschen hin, wenn sie etwas glühend verehrten? In Paläste aus Glas und Stahl, schwenkten begierig Plastikkärtchen oder buntbedruckte Papierbündel, aufgekratzt, angespannt, eifernd, hysterisch, überschwänglich, ungeduldig! Der bestechend logische Schluss folgte rasch: Menschen konsumieren gern, je mehr, je lieber. Warum ihnen dann nicht ausreichend Gelegenheiten dazu geben? Mit viel Geschäftssinn wurden Ketten aller Art aufgebaut, Beteiligungen verflochten, Franchise-Modelle ersonnen und Bedürfnisse geweckt. Das spülte Geld in die Schatztruhen, beschäftigte eine Menge Ex-Göttlichkeiten, Daimonen sowie anderes Gekreuch und hob gleich die Stimmung. Weil Menschen aber systemimmanent ein wenig bräsig waren und der "normalen" Werbung mit Poster/PopUp/-App/Spam/Trailern/Jingles nicht ausreichend vertraut werden konnte ("wer hat's schließlich erfunden?"), musste man direkte Botschaften am Bewusstsein vorbei ins Unterbewusstsein schleusen. Immerhin, im Notfallmodus war ja das Betriebssystem ausschlaggebend, warum sich also bloß auf die latent dilettierende Software beschränken? Nun kamen die Kampagnen ins Spiel: wenn man unterbewusst Werbung machen wollte, musste man ja die unterschiedlichsten Anlässe berücksichtigen! Das musste alles organisiert werden! Botschaften mussten passen, das bräsige Menschengehirn jedoch nicht überfordert werden! Ganz schön viel auf einmal?! In der Tat, und außerdem ein undankbarer Job, was alle bestätigen können, die schon mal mit Ex-Göttlichkeiten zu tun hatten: ständige Eifersüchteleien, Gezänk, der Einsatz von überdimensioniertem Besteck! Dafür musste man schon stocktaub auf der Beziehungsebene sein, sodass Kalong einfach perfekt auf die Stellenbeschreibung passte! v*-*v Aus pragmatischen Gründen hatte man den menschlichen Kalender (oder zumindest den, der aktuell dominierte), als Referenz für den Zeitablauf eingeführt. Kalongs Jahr begann mit dem Hürdenlauf zur ersten Kampagne, die sich "Liebes-, Pflanzen- und Süßkram-Feier" schimpfte und global anlässlich des "Valentinstags" ihren Höhepunkt fand. Mehrere, zumeist weibliche Ex-Göttlichkeiten mussten zu diesem Zweck zu Waffenstillständen verpflichtet werden, damit sich auch ja niemand benachteiligt fühlte. Es blieben nur fünf Wochen bis zur nächsten Kampagne, dem Frühlingsanfang! Kalong war unermüdliches, stetes Arbeiten gewöhnt, er war perfektionistisch in seinem Anspruch und immer auf dem Sprung. Seine gesamte Existenz drehte sich seit Jahren um seine Aufgabe, die ihre Belohnung (neben einem bescheidenen Salär, den er kaum ausgeben konnte, weil ihm die Zeit dafür fehlte) darin fand, dass keine kriegerischen Handlungen in den "Heimatsiedlungen" von Ex-Göttlichkeiten ausbrachen. Solange die Kassen bei allen Beteiligten klingelten und an sie über ihre Labels/Marken/Brandings "geglaubt" wurde, ihr Image angebetet und eifernd verteidigt, man Schlange stand, des Nächtens ausharrte, so lange flog er auf einer Welle der Euphorie immer über den Horizont. Als Perfektionist galt also auch für ihn, wenn er wieder die passenden Bildbotschaften für das menschliche Unterbewusstsein entworfen, auf T-Shirts, Schilder, Fahnen und Regenschirme applizieren ließ, dass er selbst darüber wachte, seine Besinnungstruppe auch bei der Stange, oder vielmehr dem HM1 zu halten. Daimonen waren nämlich durchaus ein schwieriges Personal, oh ja! Sie neigten dazu, sich von ihrer Neugierde steuern zu lassen, zu lange zu vespern, sich zu verirren, nicht rechtzeitig größeren Tieren auszuweichen oder fälschlich davon auszugehen, dass man schon bremsen würde, auch wenn man sie nicht sah. Vorbildlich mit T-Shirt bekleidet, das das Abbild einer gewaltigen Praline zierte (Motto: "Kalorien, ja, aber lecker! Und warum nicht mal Blumen verschenken? Dann klappt's auch beim interdisziplinären, gemeinschaftlichen Kalorienverbrennen gleich besser!"), mit dem Heinzelmann-Master in der einen Hand, seinem Notfallbeutel in der anderen, zog Kalong nun los, um seine "Horde" abzuklappern. Er war das Auftreten in der Menschenwelt gewöhnt. Man sah ihn zwar deutlich, aber das Bewusstsein verweigerte entschieden aus schablonentechnischen Gründen seine Existenz. Man wich ihm aus (das Betriebssystem hielt Kollisionen für potentiell unzuträglich und lenkte den Körper zumeist erfolgreich), während er auch das Unterbewusstsein mit Bildern beglückte, die die Basisgrundbedürfnisbefriedigung lenken sollten. Große Tiere waren ein Risiko, doch nichts, was ihn abhielt, denn er konnte sowohl abheben als auch darauf achten, nicht Hochspannungsleitungen oder Verkehrseinrichtungen aller Art zu streifen. Abgesehen von dem ärgerlichen Geplänkel mit diesem unerträglich aufdringlichen FLEISCHFRESSER hatte sich sein Arbeitstag wirklich gut angelassen. Das lag auch daran, dass ein Großteil seiner "Horde" nicht zum ersten Mal derartige Auftritte absolvierte, aber es waren immer mal wieder welche dazwischen, Neulinge, Trottel, idiotische Naive, um die man sich zwecks Vermeiden von Katastrophen kümmern musste. Kalong wollte sich gar nicht vorstellen, was etwa passieren würde, wenn wegen eines Versagens der Umsatz einbrach und eine Meute durchgedrehter, hysterischer, blutrünstiger Ex-Göttlichkeiten über ihn herfiel! Am frühen Nachmittag, nachdem wirklich jeder an die gewerkschaftlich vereinbarte Pausenregel erinnert worden war (und ihre feste Dauer), hatte Kalong ein zufriedenes Lächeln für die Welt übrig. Dass es entschieden ignoriert wurde, weil so etwas wie er gar nicht existieren konnte, wenn man nicht deutlich einen in der Krone hatte, bedeutete ihm wenig. "Hmmm!" Brummte er zu einer Anzeige, die sich schon eine geraume Weile nicht mehr bewegt hatte. Aufgrund der sehr präzisen Auflösung musste sich Lycaena, ein Neuling, entweder auf dem Pflaster festgeklebt haben oder eingeschlafen sein! "Na warte, Burschi!" Entschied Kalong und entfaltete seine ledernen Schwingen. Hier war Super-Vision angesagt, definitiv von oben! Ausschauen würde der komische Falter danach bestimmt nicht mehr so gut! v*-*v Ein wenig vertraut war ihm die Menschenwelt ja durchaus, sodass der neue Job ihm eigentlich keine Probleme bereiten sollte. Theoretisch. Praktisch konnte Lycaena nicht vor der Erkenntnis flüchten, dass seine notorische Schreckhaftigkeit ein ernstzunehmendes Hindernis bei seiner Karriereplanung darstellte. Plötzliche Bewegungen, Geräusche, ja, sogar eine kräftigere Brise: sofort wollte er sich in die Luft erheben! Das jedoch stand im Widerspruch zu seiner Arbeit, da die wenigsten Menschen sich den Hals verrenkten, um Schilder, Shirts und Schirme zu studieren, die hoch über ihnen in der Luft tanzten, getragen von einem Wesen, das sie nicht wahrzunehmen gedachten, ganz gleich, was ihnen da das Unterbewusstsein vorgaukeln wollte! Bodenhaftung, leichter gesagt als getan! Und immer diese gemeinen Hunde! Da konnte man glatt einen Herzschlag erleiden! Etwas trübsinnig gestimmt entschied Lycaena seine Pause weg von der tückischen Erde zu verbringen und hockte sich bequem auf ein breites Sims. Es wehte gar nicht arg, vom Dach her zog aus der Abluft ein aromatisch-süßlicher Geruch und trocken blieb es auch. Er stützte den Kopf in die Hände und seufzte laut. Die Berufsberatung hatte ihm zwar nach seinem Abschluss unbedingt empfohlen, einen herausfordernden Job zu übernehmen, aber nun fragte er sich doch, ob es da nicht ein kleines Missverständnis gegeben hatte. "Hallo, du! Was machst du da?" Eine Stimme ließ ihn panisch herumfahren, die Hände um das Sims klammern. Hinter ihm, durch ein gekipptes Fenster getrennt, stand ein Mensch, ein eigentümlicher Mensch mit einem gewaltigen Turban auf dem Kopf und einem komischen Gewand. "Ichbingarnichtda! Hiergibtsnichtszusehen!" Winselte Lycaena entsetzt, denn Menschen konnten ihn doch gar nicht ernsthaft wahrnehmen! Sie glaubten sich doch nicht, was ihre Augen meldeten! Wieso hielt dieser Mensch sich nicht an die Regeln?! "Also, ich kann dich hören." Stellte der Mensch lachend fest, öffnete einfach den Fensterflügel und lehnte sich hinaus. "Komisch, wie bist du denn da hingekommen? Ist da noch ein Sims?" Befühlte mit beiden Händen die äußere Fensterbank, die Lycaena als Sitzgelegenheit gedient hatte. "Was machst du da, hm?" Dunkelbraune Augen richteten sich auf ihn. Der ganze Mensch schien zu lauschen, die Hände nun halb angehoben, mit den Handflächen senkrecht auf Brusthöhe. "Ichbinnichtda!" Wisperte Lycaena nervös. "Oh, hast du Angst, ich würde dich verpetzen?" Der Mensch lachte. "Keine Angst, ich werde sagen, ich habe dich nicht gesehen, und das ist die absolute Wahrheit!" Bei Lycaena, dessen Herz raste, setzte nun endlich ein Erkenntnisprozess ein. Bange streckte er einen Arm aus und wedelte hastig vor den dunkelbraunen Augen hin und her. Unvermittelt wurde sie jedoch blitzschnell eingefangen, hielt ihn der Mensch am Handgelenk fest. "He, du bist aber zierlich gebaut! Leistest du mir ein bisschen Gesellschaft, ja? Ich bin übrigens Malcolm, du darfst aber gern Mal sagen." "Ich-ich darf mich nicht mit dir unterhalten!" Bekannte Lycaena verschreckt und bemühte sich, sein Handgelenk zu befreien. Seine Flügel tanzten hektisch in der Luft. "Oh." Murmelte Malcolm bedrückt. "Warum nicht? Hab ich was angestellt?" "Also-also!" Stotterte Lycaena, der sich ja nicht unterhalten durfte, dies aber schon seit geraumer Zeit tat. "Na, du dürftest mich gar nicht sehen können! Ich meine, wahrnehmen!" "Na, ich sehe dich ja auch nicht!" Grinste Malcolm amüsiert. "Warum solltest du für mich unsichtbar sein? Ich kann dich anfassen, deine Stimme höre ich auch! Und ich glaube, du riechst richtig lecker, ein wenig süß, hattest du so was zum Mittagessen?" "Uh!" Etwas beschämt zappelte Lycaena herum. "Na ja, Nektar und Fruchtmus." "Oh, bist du vielleicht Vegetarier?" Malcolm ließ sich von gar nichts abschrecken, im Gegenteil! Ein Handgelenk in Gewahrsam, da konnte die freie Hand nach Lycaena haschen, der an seinem Handgelenk verständlicherweise hing und sich nicht allzu weit entfernen konnte. Malcolm ruderte lachend energischer, lehnte sich weit über die Fensterbank. "He, nicht weglaufen! Willst du mir nicht deinen Namen sagen, bitte?" Wäre in Sichtweite des Zauns nicht der Wachdienst mit seinem übellaunigen Dobermann vorbeigekommen, der ein zorniges Blaffen entließ, hätte Lycaena nicht einen Satz in der Luft gemacht und dabei, ganz ohne Absicht, Malcolm von der Fensterbank befördert. v*-*v "Bin ich tot?" Erkundigte sich ein sichtlich blasser Malcolm, dem die Knie auf der Rasenfläche einbrachen. Lycaena, der unvermittelt sehr viel größeres Gewicht abzufangen hatte, keuchte vor Schreck und Verunsicherung, kauerte neben ihm. Das Geräusch schien zu genügen, dass sich die blinden Augen wieder täuschend wahrnehmungssicher auf Lycaena richteten. "Bist du da? Ist dir was passiert?" Erkundigte sich Malcolm besorgt, tastete suchend nach erhaschbaren Körperteilen. "Wieso-wieso machst du das?!" Schimpfte Lycaena sehr piepsig und in abklingender Panik. "Das ist doch gefährlich! Du hättest tot sein können!" "Nicht beim dritten Stock." Urteilte Malcolm fachmännisch. "Ich hatte also doch recht: da ist überhaupt kein Sims!" "Idiot!" Urteilte Lycaena aufgebracht. Dieser Mensch war vollkommen irre! Wieso hatte man ihn nicht vor so einem Mutanten gewarnt, der seinem Unterbewusstsein glaubte?! "Fies!" Kommentierte Malcolm dieses harsche Urteil und wertete mit seinem speziellen räumlichen Vorstellungsvermögen Geräusche und Wahrnehmungen aus, dann warf er sich im Vertrauen auf seine Fähigkeiten auf den überraschten Lycaena, der zu Rasen ging und unversehens auf diesem niedergedrückt wurde. "Auauau!" Beklagte er sich empört, zappelte und zuckte, doch auf dem Rücken liegend, die dünnen Flügel reflexartig an den Leib gefaltet, gab es unter dem größeren Gewicht des Menschen kein Entkommen. "Jetzt verrate mir doch wenigstens deinen Namen, nachdem ich beinahe zu Tode gestürzt wäre, um dir näher zu kommen!" Appellierte Malcolm ungeniert an Gewissen und Ehrgefühl. Dabei beugte er sich tief hinab und schnupperte. Hmmm, seine neue Bekannte roch wirklich sehr appetitlich! "Ich hab dich nicht aufgefordert!" Stellte Lycaena fürs Protokoll richtig und wand den Kopf hin und her, denn nun fürchtete er, der Mensch würde ihn vielleicht beißen! Die fraßen doch alles, wie man hörte! Erneut funkte das gehässig-infernalische Geschick ihm ins Werk: wild den Kopf drehend touchierte er in einer Fehleinschätzung Malcolms Nasenspitze mit einem Fühler und die waren, wie jeder wusste, äußerst sensibel. Sofort entrang sich Lycaena ein entsetztes Stöhnen. "Wow!" Murmelte Malcolm über ihm. "Ich weiß nicht, wo ich dich berührt habe, aber das scheint dir mächtig zu gefallen! Ich tu's gern wieder und so lange, bis du mir deinen Namen verrätst!" v*-*v Lycaena keuchte, schluchzte leise, wimmerte und dann beugte sich Malcolm noch tiefer, ihre Handteller miteinander verschweißt, küsste ihn, schob ihm seine Zunge zwischen die Lippen. Wenigstens hatte er die Fühler von seiner Kontaktaufnahme ausgenommen, aber diese zuckten zu Lycaenas Verwirrung ganz ohne Kontakt heftig, aufgeladen mit unterschiedlichsten Empfindungen. "Du bist so süß!" Raunte Malcolm mit aufgerauter Stimme an seinem winzigen Ohr. "Ly, ich bin total in dich verknallt!" "Das-das geht nicht!" Jammerte Lycaena hilflos, denn einem Teil von ihm gefiel sehr, was Malcolm so tat. "Wieso nicht?" Küsse tanzten auf Lycaenas Gesicht. "Weil ich blind bin? Wegen des Tumors? Sie sagen, sie hätten alles erwischt." Malcolm blieb beharrlich. "Magst du mich nicht ein bisschen?" Was für eine perfide Frage! "Schon." Gab Lycaena widerwillig zu, blinzelte hilflos mit seinen mandelförmig geschnittenen Facettenaugen. "Aber...!" "Ich mag dich sehr, Ly! Hab dich zum Fressen gern!" Verkündete Malcolm entschlossen, und weil er beinahe dem Tod entronnen war (schon wieder), fühlte er sich euphorisch genug, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ihm bot. Da konnte man auch mal das überdimensionierte T-Shirt mit den Zähnen packen, hochziehen und ein wenig schmusen! "Hey! Du bist ja ein Junge!" v*-*v Kapitel 2 - Mitarbeitendenführung und ihre Tücken "Ich bin sehr ENTTÄUSCHT!" Kalong las Leviten, streng, distanziert, mit Frostbeulen an den Konsonanten und gar finsterem Gesichtsausdruck. "Wir haben Regeln. Was tun wir auf keinen Fall auf der anderen Seite, Lycaena?" Der antwortete mit gesenktem Haupt, ein Bild des Katzenjammers. "Mit Menschen interagieren." "A-HA! Und folglich?!" "Wird es nicht mehr vorkommen, Herr Kalong." Versprach Lycaena mit dünnem Stimmchen, die Hände ringend, gedemütigt und unglücklich. "Hrmpf!" Donnerte Kalong, um den Regeln zu entsprechen. Eigentlich hätte er die sofortige Entfernung aus der Besinnungsgruppe veranlassen müssen, ein Rausschmiss, achtkantig, aber hallo! Doch in Anbetracht der glaubhaft geschilderten Umstände, die er selbst gesehen hatte, fühlte er sich genötigt, hier Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Ein Mensch, der sie nicht sah, aber wahrnahm UND sich selbst glaubte, das war schon perfid! Und dann Anstalten unternahm, einen Daimonen aufzufressen!! Glücklicherweise hatte Lycaena sich ja geistesgegenwärtig mit einem geschickten Kniestoß befreien und entfliehen können. "Ich erwarte ab sofort VORBILDLICHE und BUCHSTABENGETREUE Arbeitserledigung!" Ermahnte er Lycaena gebieterisch. Dann würde er auch sicherlich diese unerfreuliche Episode bald vergessen haben. v*-*v Die nächsten zwei Tage stand Lycaena unter strenger Überwachung, was ihm wohl bewusst war. Ein mattes Lächeln auf sein Lärvchen gezwungen hielt er sich artig an jede einzelne Vorgabe, achtete auch sorgfältig darauf, den Sperrbezirk, zu dem das Klinikgelände erklärt worden war, nicht zu betreten. Der strenge Herr Kalong schien zufrieden, aber trotzdem schmeckte Lycaena sein Nektar immer noch bitter. Auf eine ihm nicht ganz erklärliche Weise fühlte er sich enttäuscht und gekränkt. Wieso hatte Malcolm, nein, dieser Mensch! ihm all diese honigsüßen Neckereien zugeraunt, sich an ihn geschmiegt, war auf Tuchfühlung, dann auch darunter, gegangen, um festzustellen, dass er das absolut falsche Geschlecht hatte?! "Gemein!" Murmelte Lycaena sehr leise. Er war schon oft als ungeschickt, zu langsam, zu verträumt, zu schreckhaft und generell zu ungeeignet für irgendwas bezeichnet worden, doch seine simple Existenz abzulehnen (und er war ja nun mal ein Junge!), das hatte ihm noch niemand angetan! Ein wenig stachelte diese bodenlose Beleidigung auch seinen rudimentär vorhandenen Trotz an. Warum sollte er sich allein so mies fühlen?! Wahrscheinlich glaubte sich Malcolm sogar im Recht und war beleidigt! Dieser Mensch! Aufgeheizt genug durch diese schicksalhafte Ungerechtigkeit entschied Lycaena im jugendlichen Leichtsinn/Überschwang, in seiner Pause für ein ausgeglichenes Karma-Konto zu sorgen! v*-*v "Ly? Bist du da?" Malcolm richtete sich auf, obwohl ihn das noch stärker den Windböen auf dem Flachdach des Klinikgebäudes aussetzte. Hier oben war ein bescheidener Kiesgarten eingerichtet worden, doch bei den Wetterbedingungen mit sich jagenden Regenwolken konnte er nicht auf Gesellschaft hoffen. "Ly? Du bist doch da, oder?" Malcolm schnupperte, und anders als die beiden verstrichenen Tage glaubte er ziemlich sicher, dass er seinen flüchtigen Bekannten roch, irgendwie süß-würzig und sehr verlockend! "Ly, hör mal!" Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen, ohne seinen Stab durchaus gehemmt. "Es tut mir echt leid, ja? Ich war bloß überrascht, weil ich dachte, du wärst ein Mädchen, ich meine, du bist keins, und ich hab damit bestimmt kein Problem, bin ja auch kein Mädchen." Seufzend unterbrach er sein beschämendes Gestammel, atmete tief durch, schnupperte, drehte den Kopf nach hier, nach da. "Bitte, sei mir nicht mehr böse. Ich mag dich sehr, und, na ja, ich hab dich vermisst." "Du warst garstig zu mir!" Lycaena kämpfte gegen die Böen an, die an seinen Schwingen zerrten. Er wollte streng, unversöhnlich und gemein klingen, um sich zu revanchieren, doch seine finsteren Absichten zerstoben einfach! Ja, Malcolm sah wirklich zerknirscht aus und ziemlich elend. "Das wollte ich nicht sein, ehrlich! Können wir uns wieder vertragen? Bitte?!" Entschieden marschierte Malcolm in die Richtung, in der sich Lycaena aufhalten musste. "Uh, Vorsicht!" Warnte ihn der eilig, weil der Steingarten einen Schnörkel einlegte und das dezent gespannte Band Malcolm zu Fall hätte bringen können. Der griff jedoch sofort zu, als die kleinen Hände ihn ausbremsen wollten, drückte sie. "Geh nicht weg, ja? Können wir uns nicht unterhalten?" Plädierte er verzweifelt an Lycaenas Mitgefühl. "Uh, eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein." Überrumpelt zögerte der, hielt die kalten Hände ebenso fest. "Ich darf meine Mittagspause nicht überziehen, sonst bekomme ich mächtig Ärger!" "Oh, das tut mir leid." Malcolm ließ den Kopf hängen, selbst der Turban sackte ab. "Also, ein bisschen Zeit hab ich noch." Lycaena konnte nicht anders. Er bedauerte Malcolms Niedergeschlagenheit, fühlte seine Verlorenheit mit, hatte das Gefühl, dass es diesem tatsächlich ernst war, seine gemeine Scharte wieder auszuwetzen. In diesem Moment mischte sich eine mächtige Böe ein, faltete Lycaenas Flügel auf, der vor Schreck quietschte und Malcolm förmlich in die Arme flog. Den legte es sauber auf die Planken, doch nach einem Ächzen lachte er leise. "Du bist wirklich umwerfend, Ly! Und ich glaube, du musst mir doch mal erklären, wer du bist." Denn seine Hände glitten interessiert über die leuchtend orangefarbenen Flügel an Lycaenas Rücken. v*-*v "Tja, und dann haben sie eine Spezialbestrahlung versucht." Malcolm saß bequem auf einer Bank, Lycaena auf seinem Schoß, der ihm ganz kläglich eine Hand hielt. Die andere war frech um Lycaenas Hüften geschlungen, unter den eingefalteten Flügeln hindurch. "Und jetzt bist du gesund?" Piepste Lycaena bange, studierte aus nächster Nähe die zutraulichen Augen, die seit frühester Kindheit gelernt hatten, sich auf Geräuschquellen zu richten, obwohl sie kein Bild ans Gehirn liefern konnten. Ein Gefälligkeitsdienst für die Betrachtenden, die es angenehmer fanden, wie Malcolm ihm erläutert hatte. "Vorläufig schon." Malcolm lächelte und schnupperte den verlockenden Duft, der seinem Ly wie ein unsichtbares Gewand anzuhängen schien. "Blöd nur, dass die Chemotherapie meine Schädeldecke so lädiert hat. Sieht fies aus, hat man mir gesagt, irgendwie hat meine Kopfhaut es mir da besonders übel genommen." "Das ist schlimm." Mitfühlend tätschelte Lycaena die große Hand. "Eine richtig fiese Sache!" Diese kindlich-aufrichtige Feststellung entlockte Malcolm ein Auflachen, dann rieb er behutsam seine Nasenspitze an Lycaenas. "Du bist echt süß, Ly." "Eigentlich ist das der Nektar, weißt du?" Setzte Lycaena korrigierend zu einer weiteren Erläuterung seiner Existenz als Daimon in Schmetterlingsgestalt an, doch Malcolm stand der Sinn nach Körperkontakt. Er küsste Lycaena sehr zärtlich, immer wieder, fasziniert von dem Bild, das vor seinem inneren Auge entstand. Gern hätte er mit seinen Händen die gesamte Erscheinung abgetastet, doch angesichts der letzten Episode musste hier Geduld bewiesen werden, nicht unbedingt seine größte Stärke, wie er Lycaena offen gestanden hatte. Wenn man jedoch in einer Lebensspanne von gerade 19 Jahren mehr als ein Dutzend Mal für in Kürze tot erklärt wurde, dann hielt man sich ungern mit Warten auf, und die Perspektive war auch stark limitiert. Er hatte es zwar zur Realschulreife gebracht, doch selbst in der Betreuungseinrichtung, in der er lebte, rechnete man durchaus damit, seinen Platz bald wieder vergeben zu können, nicht aus Bosheit, sondern schlichtweg pragmatisch, den mathematischen Wahrscheinlichkeiten geschuldet. Die Warterei konnte ja auch jeden vernünftigen Menschen zermürben! Seine Eltern beispielsweise hatten sich getrennt, weil der Druck zu groß wurde. Er hatte dafür vollstes Verständnis und wollte auch lieber für sich leben, nun ja, für einen gesetzten, mutmaßlich sehr kurzen Anteil Leben! Gerade im Moment jedoch lief es wirklich prächtig, denn er konnte ein wunderbares, wohlriechendes, zärtliches und mitfühlendes Wesen unermüdlich küssen, auf dem Schoß balancieren und das unwillkürliche minimale Aufflattern der Flügel bei jedem Kuss registrieren! "Bitte bleib bei mir!" Raunte er Lycaena in ein zierliches Ohr, schmiegte die Wange an das hübsche Lärvchen an. "Ich möchte noch so viel mehr von dir wissen!" Lycaena wusste zwar, dass er theoretisch gar nichts verraten durfte und schon viel zu viel offenbart hatte, doch wenn sich hier eine Person endlich mal schmeichelhafterweise für IHN interessierte, dann war es entschieden zu viel verlangt, sich an die Regeln zu halten! v*-*v "Ich bin dann wie alle anderen auch in eine Wabe gezogen, weißt du? So nennen wir unsere Einzimmerappartements in einem Wohnblock. Das ist ganz nett, aber ehrlich gesagt habe ich noch keine Freunde gefunden wegen meines Jobs." Lycaena lehnte sich ungeniert um Mitgefühl heischend enger in die warme Umarmung. "Aber das ist doch ein prima Job, oder?" Malcolm runzelte die Stirn. "Du bist in der Menschenwelt, du arbeitest quasi als Model, kannst dich frei bewegen, sollten dich die anderen da nicht beneiden?" Der Schmetterlingsdaimon schüttelte den Kopf und erinnerte sich daran, dass Malcolm ihn ja nicht sehen konnte. "Nein, eigentlich, also, unter uns gesagt: es ist ein Deppen-Job." E seufzte leise. "Schilder halten, herumstehen, von allen ignoriert werden, das ist ja keine Kunst, jeder Laternenmast kann das! Bloß bin ich zu nichts anderem zu gebrauchen, hat man mir zu verstehen gegeben." Er seufzte noch einmal tief und lehnte den Kopf auf Malcolms Schulter. "Also, das ist ja Quatsch!" Versetzte der ebenso energisch wie empört, legte die Streichelhand um Lycaenas spitzes Kinn, "Ly, ich finde, du bist ziemlich clever! Du kannst während deines Jobs drüber nachdenken, was du wirklich machen willst! Du könntest sogar nebenher lernen! Es gibt jede Menge Hörbücher! Du kannst machen, was du willst!" Ihn jedenfalls schien die gegenwärtige Beschäftigung durchaus zu begeistern. "Schon." Gab Lycaena nachgiebig zu. "Bloß hab ich einfach keine Idee, was ich machen will. Ein bisschen einsam ist es auch." Dieses Geständnis fiel ihm nicht sonderlich leicht, aber als zwei Jahre Jüngerer (in Menschenjahren umgerechnet) konnte er es sich durchaus in Malcolms Gegenwart leisten. "Sieh es mal so!" Der küsste ihn neckend auf die Nasenspitze. "Hättest du diesen Job nicht, wären wir uns nicht begegnet. Jetzt bist du nicht mehr so einsam und könntest ja mit mir überlegen, was du als nächstes tun willst!" Dabei grinste er schurkisch-gewinnend in Lycaenas Gesicht. "Das-das stimmt!" Der konnte diese Argumentation nicht widerlegen. Bloß... "Mal, was wirst du denn machen?" Lycaena stotterte leise und blickte verlegen unter sich, konnte die Hände jedoch nicht im Schoß wringen, weil Malcolm sie zu gern hielt. "Ich meine, wie geht's mit dir weiter?" "Tja, das weiß ich nicht." Malcolm richtete sich auf, die Miene strenger, härter. "Eine Weile wird noch getestet, ob es funktioniert hat, mit der Tumorentfernung, ob er wirklich nicht gestreut hat, verstehst du? Dann werde ich wohl zurück ins Heim kommen." "Oh." Murmelte Lycaena, der zwar keine Vorstellung davon hatte, was es bedurfte, um einen ständigen Pass für die Portale zu erhalten, aber nicht zu unrecht vermutete, dass ER nicht gerade zur Gruppe der Begünstigten gehören würde. "He!" Malcolm tippte ihm einen Kuss auf die Stirn. "Dann denken wir uns eben was aus, ja? Kann man nicht Daimonen auf Rezept bekommen? Oder vielleicht kann ich dich als persönlichen Schutzengel engagieren, damit du darüber wachst, dass ich auch ein pflegeleichter, artiger Bürger bin?" "Ähm." Lycaena warf die Stirn in skeptische Falten. "Ich bin nicht sicher, ob so etwas funktioniert." "Das heißt bloß, dass du es noch nicht herausgefunden hast!" Schnurrte Malcolm, von seiner Idee angetan. "Du wärst bestimmt perfekt dafür geeignet, mich auf dem richtigen Pfad zu halten!" Lycaena zögerte. "Also, ich hab zwar Flügel, aber ich bin kein Engel, zumindest glaub ich das nicht." Er war noch niemals Engeln wirklich begegnet, auch nicht im Neutralen Gebiet, und Ex-Engel, die es durchaus in der Daimonenwelt aka Hölle aka Inferno gab, waren vielleicht nicht mehr so wie vorher? Andererseits fiel es ihm gar nicht so leicht, Malcolm zu erklären, was Daimonen waren und wie sie sich profund von Menschen unterschieden, denn gerade während ihrer Unterhaltung war ihm aufgegangen, dass sie einander ziemlich ähnlich in ihrem Alltag waren! "Wen müssten wir denn fragen?" Malcolm begeisterte sich sichtlich für seine Vision. "Wer ist da zuständig? Kannst du nicht einfach hier bleiben? Hier leben?" "Nein, das geht nicht!" Zumindest zu diesem Aspekt WUSSTE Lycaena definitiv etwas beizutragen. "Wir haben immer nur eine begrenzte Aufenthaltszeit hier, dann werden wir zurückgeholt. Ich muss ja auch was essen! Ich glaube nicht, dass ich Menschennahrung zu mir nehmen kann. Eure Energie...!" Hastig hielt sich Lycaena die Hand vor den Mund, weil er im Begriff war, das größte Geheimnis der Daimonen überhaupt auszuplaudern! "Seelen, meinst du das? Dass ihr Seelen verschlingt?" Malcolm entsann sich vage diverser Volksglauben zum Thema. "Wir fressen doch keine Seelen!" Dementierte Lycaena empört, sogar seine Flügel falteten sich aufgebracht auf! "Nicht?" Malcolm staunte. "Das ist aber komisch! Es heißt immer, dass sich Dämonen und der Teufel und so der Seelen der Menschen bemächtigen wollen." "Was für ein Unsinn!" Verächtlich schnaubend entzog der Schmetterlingsdaimon Malcolm seine Hände und kreuzte die Arme vor der schmächtigen Brust. "wie soll das denn funktionieren, hä?! Wo sind denn eure Seelen, bitte schön? Der Große M interessiert sich da bestimmt nicht für, ha! Der könnte bloß Hackfleisch aus euch machen, wenn ihr Pudel quält!" "Pudel?" Malcolm verlor die Übersicht. "Wieso Pudel?" "Äh, nicht so wichtig!" Haspelte Lycaena nervös heraus, denn man sollte über den Großen M besser keine dämlichen Scherze machen oder leichtfertige Reden führen! Er war als durchaus langmütig bekannt, konnte aber EXTREM persönlich werden, wenn man ihm blöd kam. Dann sah mal als letztes auf der Welt die P.U.D.E.L., und das war kein erfreulicher Anblick! Während Lycaena noch schauderte, grübelte Malcolm unerbittlich über die lästigen Hindernisse, die seine Zukunftsvision zu torpedieren drohten. Er hob den Kopf und strahlte Lycaena gewinnend an. "Wie wäre es, wenn du tagsüber auf der anderen Seite bei euch arbeitest, danach bei mir die Nacht verbringst? Und die Wochenenden? Ihr habt doch Wochenenden, oder?" Hakte er argwöhnisch nach. "Also, ich weiß nicht." Lycaena nagte an der eigenen Unterlippe. "Ich bräuchte dann ja immer noch einen Portalpass, um bei dir zu sein." Malcolm grummelte, seufzte dann profund. "Nun ja, an den Details können wir ja noch ein wenig feilen! Hauptsache, wir sind zusammen, oder?" Lycaena schlang ihm lieber die Arme um den Hals und schmiegte sich an. Er kam sich nicht gerade sehr souverän vor, weil er auf diverse Fragen einfach keine Antwort kannte. "Ich glaube, dass wir das hinkriegen!" Raunte ihm Malcolm zärtlich ins kleine Ohr. "Wir haben ja schon dieses HM1-Dingsda ausgetrickst." v*-*v Kalong hatte KEINEN guten Tag, nein, dieser hier war definitiv gebraucht, nicht recycelt und ganz offenkundig dazu gedacht, sein Karma tief in die Miesen zu rücken! Die Umsätze waren nicht so, wie sie sein sollten, da interessierte es auch nicht, dass die Wirtschaftslage gerade mal nicht so günstig war und man nicht ständig konsumieren konnte! Man suchte sich gern einen Sündenbock, der dafür verantwortlich sein könnte, am Besten jemanden, den man ungestraft nach Herzenslust zusammenfalten durfte, lautstark, vor Publikum und gänzlich ungehemmt. »Hysterisches Weibsvolk!« Dachte Kalong mit festgefrorenen Gesichtszügen. Er durfte bloß nicht seinen Impulsen nachgeben, er war ein methodisch denkender, kühl kalkulierender Profi. Gegen Ex-Göttlichkeiten würde er ohnehin den Kürzeren ziehen, also hieß es, stumm schlucken, Haltung bewahren und AUF GAR KEINEN FALL reagieren! Weil dieser Ärger noch nicht ausreichte, um ihn zu demoralisieren, hatten sich auch noch Gewerkschaftsvertretende eingefunden, die ihm eine ganze Schriftrolle an Klagen, Eingaben und Drohungen vorzutragen wünschten. Die meisten Punkte waren Kalong bekannt, sie gehörten zum üblichen Katalog, aber es stimmte ihn gar nicht froh. Da kamen Streikdrohungen GENAU zum richtigen Zeitpunkt, wenn seine verdrehten Auftraggebenden ihm ebenfalls verpflichteten, die Hälfte seines unfähigen Packs rauszuschmeißen, um die Kosten zu senken! Zur Krönung versagte auch noch sein HM1-Master. Höllenprodukt, selbstredend, doch jeder Reklamationsversuch scheiterte schon an der "Hotline", die offenkundig die fortgeschrittenen Inferno-Lehrgänge mit Bravour gemeistert hatte. Mit anderen Worten: Kalong drehte am Rad, als der Nachmittag anbrach. Außerdem hatte er kein Mittagessen gehabt. v*-*v "Hallo, ihr heißen Bräute!" Sacrophilos, gehobener Laune angesichts des Feierabends, tippte sich grüßend an die Schläfe und betrat "Medusas Delikatessen". Hier war man durchaus seine freche Art gewöhnt und reagierte prompt. "Na, du unverschämter Teufelsbraten, endlich weg vom Pfosten?!" "Treffer!" Sacrophilos grinste und kraulte mit einer Klaue ungeniert ein Schlangenköpfchen aus dem Bündel, das ihn anzwinkerte. "War mein süßes Hundeschnäuzchen schon hier?" Denn so oft es ging, pflegte er Kalong hier abzupassen, mit ihm zu speisen, was sich nicht vermeiden ließ, da Medusas Spezialitätenrestaurant regelmäßig proppenvoll war und man sich seine Sitzgesellschaft selten aussuchen konnte. "Nee, heute nicht." Der kleine Schlangenkopf ringelte näher, während seine Besitzerin, die Brille auf die Nasenspitze gerutscht, eifrig weiter werkelte und die übrigen Schlangen auf ihrem Haupt dem Multi-Tasking-Geschick einer Kali keineswegs nachstanden. "Üble Geschichte, das!" Der Wachdaimon zog die Augenbrauen zusammen. "Was ist denn los?" "Dein Süßer hat mächtig Ärger mit dem Präsidium!" Flüsterte der Schlangenkopf verschwörerisch. "Ich hab gehört, dass sich am Odeon die Gewerkschaft sammelt, um ihn mit seiner Besinnungstruppe am Portal zu empfangen." Sacrophilos fluchte nicht druckreif, aber sehr leise, weil Medusa derartige Bekundungen unter ihrem Dach nicht duldete. "Ist besser, wenn ich ihn finde!" Murmelte der Daimon finsteren Blicks. "Er hat nicht mal was gefuttert heute, jede Wette!" Was eine grauenvoll schlechte Laune auszulösen pflegte, soweit er sich erinnern konnte. Bloß, wie sollte er Kalong auf der anderen Seite aufstöbern? Da kam ihm eine Idee, und er beugte sich vertraulich zum grinsenden Schlangenkopf. "He, meine Schönste, kannst du mir ein Fresspaket für unterwegs fertigmachen, ja? Weißt du zufällig, wo ich Ptarmus finde?" v*-*v Ptarmus, knapp einen Meter groß, wenn er jemals aufrecht stand, hielt eine Schrifttafel hoch, während es ihn mal wieder quer durch seine Werkstatt trieb. Kanonenschlagähnliche Niesanfälle gehörten zu seinem Charakteristikum. Man hörte ihn nie sprechen, weil er sich sonst möglicherweise die Zunge abgebissen hätte. Ein anderes Merkmal wurde ihm ebenfalls zugerechnet: er war nicht nur Zwerg, sondern auch Schöpfer diverser Artikel mit Original-Hölle-Signet, unter anderem auch Erfinder des legendären Heinzelmann 1. Sacrophilos seinerseits, mit Schocklanze und seinem charmant-kriegerischen Wesen ausgerüstet, war fest davon überzeugt, dass es eine Möglichkeit geben musste, Besitzende eines Heinzelmann-Masters auf der anderen Seite ausfindig zu machen. Für Ptarmus wäre es sehr viel zuträglicher, sich dieser Meinung anzuschließen, wollte er nicht das spitze Ende von Sacrophilos' Arbeitswerkzeug kennenlernen! v*-*v Kalong kochte vor Wut. Innerlich. »Wichtige Dinge zuerst!« Das hatte er früh bei seiner Ziehfamilie gelernt. Alles andere konnte man getrost vergessen, was dann ja auch regelmäßig geschah. Bevor er sich dem durchgedrehten Ex-Göttlichkeiten-Rudel widmete oder den Gewerkschaftsfuzzis den Marsch blies, wollte er seiner Tätigkeit nachgehen, eben die Besetzung seiner Besinnungsgruppe abklappern, was jedoch aktuell an dem bockigen HM1-Master scheiterte! Aber Kalong wäre nicht Kalong gewesen, wenn er nicht eine Lösung gefunden hätte, die ihn nicht frustriert an der Kundschaftabwehr-Bollwerk-Hotline scheitern ließ: er besuchte einfach einen nahe seines bescheidenen Appartements liegenden Daimonenkindergarten. Dort dressierte Buggy gerade die ungebärdige Schar seiner Schützlinge. "Oh, Kalong, hast du etwa frei?" Wurde er gleichmütig begrüßt. "Nicht wirklich." Grummelte Kalong und ließ den HM1-Master demonstrativ in Buggys Schoß plumpsen. "Das blöde Ding verweigert die Arbeit!" Buggy blinzelte. Kalong rekapitulierte seine letzte Aussage und setzte korrigierend erneut an. "Papputt!! Buggy ganz machen!" v*-*v »Dämonenkinder-Betreuende!« Dachte Kalong wenige Augenblicke später sehr zufrieden, während er die Anzeigen studierte. Es gab nichts, was sie nicht wieder zum Laufen brachten! Das musste wohl der Einfluss der kleinen Kundschaft sein! Hin und wieder war es zwar ein wenig lästig, dass man sich bestimmter Codewörter bedienen musste, um zum WAHREN WESEN hinter der etwas skurrilen Aufmachung zu gelangen, doch Buggy ließ niemanden im Stich, nicht, wenn man sich auf einen Dreikäsehoch mit Rotznase und Heulbojenstimme reduzierte! v*-*v "Dieser ungezogene, verdrehte, undankbare Motten-Bengel!" Zischte Kalong eine knappe Viertelstunde nach seinem Übertritt in die Menschenwelt. Natürlich hatte es ihn ein wenig verwundert, mit welchem Tempo ein HM1-Sender da muntere Kreise zog, doch er war ja schließlich nicht von gestern! Und wenn dieser...!!! Ihn reinzulegen, da musste der aber JAHRHUNDERTE früher aufstehen! Kurze Zeit später, von den Menschen ignoriert, kletterte Kalong unbehelligt auf eine Schwelle der Straßenbahn, um von den Wischblättern den HM1 abzupflücken, der dort unermüdlich seine Runden gedreht hatte. "Na warte!" Knurrte Kalong übelst gelaunt. Da hatte er diesem BETRÜGER nur die Gelbe Karte gezeigt, Gnade vor Recht, und dann WAGTE der, ihn zu hintergehen?! Jetzt würde er dem geistigen Einzeller so richtig heimleuchten, aber Hallo!! v*-*v Sacrophilos studierte die piepende Anzeige konzentriert, seine Schocklanze unter einen Arm geklemmt. Niemand war tollkühn genug, IHN tatsächlich wahrzunehmen, deshalb konnte er sich recht unbeteiligt durch die zu Fuß Gehenden schieben und gerade noch einen Blick auf Kalong erhaschen, der rasch einen Mast erklommen und sich dann elegant mit seinen ledrigen Schwingen emporgeschwungen hatte, um fortzufliegen. "Aha!" Grinste er und nahm am Boden die Verfolgung seines Hundeschnäuzchens auf. v*-*v Es gab zwei Optionen, wie Kalong feststellte, der einen Blick auf das Dach von einem ausgelichteten Baumwipfel warf und mit Abscheu registrierte, dass dieser verlogene Motterich sich schon wieder ausgiebig anknabbern ließ: erstens, rübersegeln und Lycaena vorwarnen, der ihm entwischen konnte, wenn er die Luftbewegung bemerkte oder, zweitens, mit dem Aufzug aufs Dach, ganz wie ein normaler Mensch, anpirschen, quasi als lautlos flanierend, um Lycaena die Tracht Prügel seines Lebens zu verpassen! Kalong votierte für die zweite Alternative, da der Wind auffrischte und er sich nicht unnötiger Probleme beim Manövrieren aussetzen wollte. Gelenkig, wie man es ihn gelehrt hatte, stieg er den Baum herab. "Hallo, mein Wunderwauzi!" Trällerte Sacrophilos begeistert, strahlte ihn mit seinem gleißenden Raubtiergebiss an. "Was-was tust du hier?!" Schimpfte Kalong empört. "Lauf mir bloß nicht nach, ja?! Überhaupt, du hast hier nichts zu schaffen!" "Stimmt gar nicht!" Widersprach Sacrophilos und breitete die Arme aus, nur für den Fall, dass Kalong auf eine Gelegenheit wartete, sich in sie zu stürzen. "Ich hab frei und dachte, he, lass uns hier picknicken!" "Spinnst du?!" Fauchte Kalong sehr ungalant. "Ich arbeite hier! Verzieh dich, aber flott!" "Nö." Beschied Sacrophilos grinsend. "Ist hier frei für alle zugänglich!" Dann wechselte er jedoch zu einem ernsteren Thema. "Übrigens solltest du wissen, dass sich zu Hause gleich zwei Mobs auf deine Rückkehr vorbereiten." "Darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen!" Schnaubte Kalong verächtlich. "Erst werde ich diesem verlogenen Flatter-Bengel einen Einlauf verpassen! Also hinweg, auf Nimmerwiedersehen!" Damit marschierte er an Sacrophilos vorbei zum Hauptgebäude des Klinikums. v*-*v "Hmmm, hmmm, du schmeckst so süß, Ly!" Stöhnte Malcolm genüsslich, der entschieden hatte, dass die Detailplanung ihrer gemeinsamen Zukunft für eine Weile hinter den schönen Bedürfnissen der Gegenwart zurücktreten musste, küsste den Schmetterlingsdaimon verlangend und streichelte über jede erreichbare Stelle (die Fühler ausgenommen, da blieb Lycaena unerbittlich). Jener fühlte sich wie verwandelt, bloß ganz anders. Nach der Verpuppung jedenfalls hatte er so etwas noch nicht erlebt, dieses Prickeln und Glitzern in seinem gesamten Körper, wie kleine Feuerwerke, die einfach kein Ende nehmen wollten, was für ihn vollkommen in Ordnung ging, da er nicht die Absicht hatte, es genug sein zu lassen. Nicht, wenn Mal so liebenswürdig-zuvorkommend einfach fortfuhr, ihn zu liebkosen! "DAS IST JA WOHL DIE HÖHE!" Das spitze Gebrüll im Kasernenhofton ließ beide heftig zusammenzucken, doch Kalong hatte Lycaena bereits an einem Flügel gepackt und energisch aus der Umarmung gezerrt. Seine Augen funkelten bitterböse Vergeltung in die großen Facettenaugen. "Das wird ein Nachspiel haben!" Malcolm haschte nach Lycaena und plädierte, in durchaus korrekter Vermutung, wer da so lautlos ihr Tete-a-tete störte. "Bitte, Herr Kalong, das ist nicht Lys Schuld! Ich hab ihn gebeten zu bleiben, weil ich doch so krank bin!" Kalong fauchte Unverständliches, denn offenkundig hatte dieser verrückte Motterich sogar Details über die andere Welt an diesen gemeingefährlichen Mensch-Mutanten verraten! "Dafür trägst du die Verantwortung!" Herrschte er Lycaena an, der bange in seinem Griff zappelte, bevor Kalong mit der anderen Hand den Friedensstifter schwang und Malcolm perfekt an der Stirn traf. v*-*v "Er-er hat nichts getan! Er wird auch nichts verraten!" Beteuerte Lycaena schniefend, während sich das Pulver verdünnisierte. "Oh, na klar, sicher!" Ätzte Kalong. "Deshalb musste ich ihn jetzt auch narkotisieren! Was hast du dir dabei gedacht?! Nein, warte, ich will's gar nicht wissen! Du wirst dich für diesen Schlamassel verantworten und danach bist du gefeuert!" "Ähem!" Räusperte sich Sacrophilos hinter ihnen höflich. Er war selbstredend Kalong auf den Fersen geblieben. "Bitte, wir führen hier eine geschäftliche Diskussion!" Schnauzte Kalong, der schon ahnte, was ihm dräute, wenn sich herumsprach, dass einer seiner "Horde" in der Menschenwelt herumzog und die geheimsten Geheimnisse der Daimonenwelt unbedarft herausplapperte! "Ich denke aber doch, du solltest dich für einen Moment loseisen, mein Lumpi-lein." Sacrophilos seufzte. "Könnte durchaus von Bedeutung sein, dass der Mensch hin ist." v*-*v Kapitel 3 - Wie man's recht macht... Lycaena heulte ungehemmt und zupfte an Malcolms Windjacke. Kalong, der zutiefst entsetzt den Friedensstifter fallen gelassen hatte, starrte totenbleich und schockgefroren ins Leere. Der Beutel mit dem Allzweckpulver war zur Verteidigung gedacht und enthielt ein Schlafmittel, das sofort einsetzte und jedwede Erinnerung an merkwürdige Begegnungen mit oder Sichtungen von Daimonen als Traum erscheinen ließ. Aber der Mensch atmete nicht mehr, sein Herz stand still. »Ich habe einen Menschen getötet!« Lief ein unendliches Spruchband durch Kalongs aussetzenden Verstand. Ein schlimmeres Verbrechen war nicht vorstellbar. "Amateurhaft." Murmelte Sacrophilos kopfschüttelnd, legte seine Tasche mit dem Fresspaket ab und schob Lycaena beiseite. "Lass mich mal probieren!" Verkündete er unbeeindruckt, klemmte Malcolm mit Zeigefinger und Daumen die Nase zu, hauchte ihm entschieden zwei gewaltige Lungenflügel voll Atem ein. Und jagte ihm die Schocklanze in die Brust. v*-*v Der dem Friedensgericht vorstehende Daimon Heinrich Clan Zündfunken war nicht sonderlich erfreut, als er sich seitlich durch die unvorteilhaft schmale Tür (zumindest für seine expandierende Persönlichkeit) zwängte, einen kritischen Blick auf seinen Arbeitsplatz warf, bevor er sich in seinen breiten Stuhl quetschte. Gerade mal eine halbe Stunde Kaffeepause am Nachmittag, bevor es (üblicherweise) zum Endspurt Richtung Feierabend ging, UND er war sich sicher, dass sein Pult aktenfrei gewesen war, doch nun stapelte sich dort unerfreulich zusammengetüdelt zwischen Pappdeckeln ein ganzer BERG von Seiten! Er warf einen grimmigen Blick in den Schützengraben, wo Lydia, ihres Zeichens Gerichts-Typse und Harpyie, sich energisch räusperte und mit einer Stimme wie Schleifpapier verkündete. "Bitte erheben Sie sich, der Ehrenwerte Vorstehende des Friedensgerichts Heinrich Clan Zündfunken leitet die Verhandlungen!" Allenthalben wurde in den Bänken gelüftet, was als Gesäß, Hinterpartie oder Ähnliches fungierte. Der Chef im Ring der Gerechtigkeit seufzte und brummte. "Is recht, hoggt eusch erstemal, mir leschen gleisch los!" Dann winkte er eilig den Anklagenden vom Dienst herbei, einen Zentaur, der trübsinnig antrabte, während eine überdimensionierte Krawatte noch die Spuren der letzten Mahlzeit aufwies. "Rüüdischer!" Wisperte der Vorstehende des Friedensgerichts und wälzte seine Massen bedenklich über das Pult Richtung Schützengraben. "Ei, was isn da los?!" Seine überraschend langen Finger wiesen vorwurfsvoll auf den Piz Papier auf dem Pult. "Äh, ja." Rüdiger Haflinger, der keineswegs zugkräftig wirkte, zerbiss ein weiteres Hustenbonbon knirschend. "Des is, wie soll isch sage, alls e bissi knifflisch." Diese Einlassung führte nicht dazu, seinen alten Kameraden auf dem Schlachtfeld der Friedensbewahrung zu besänftigen. "Horsch emal, Rüüdischer, isch komm grad vom Kaffee, und vor der Dür tobt n Mob! Des find isch arsch bedenklisch!" "Ja~haaa." Murmelte der Anklagende beipflichtend. Auch die Phalanx von Mee-Poos, die das Getümmel vor dem Eingang im Auge behielten, waren dort keineswegs alltäglich. Da kam man schon mal ins Grübeln. "Heinz, des is e ernste Sach, isch will dir nix vormache!" Wechselte er in ihr gemeinsames Idiom und rückte noch näher an das Pult heran. "Es dreht sisch um Mocht! Un des annere Zeusch is Arbeitsrescht!" Damit meinte er die zwei riesigen Bergabschnitte im Papierstapel unter der sehr dünnen Mappe, sehr viel weniger beliebt als die Kategorie 1. "Mocht?!" Der Vorstehende des Friedensgerichts setzte sich aufrecht, denn so etwas kam sehr selten vor. Außerdem musste ein solcher Prozess sorgsam vorbereitet werden! "Ei, isch sach dir, des is e ganz verwickelt Aaangeleschenheit!" Raunte der Anklagende hoch. "Der Beschuldischde weischert sisch, en Advocate zu nehme! Und wie isch grad hör, will der Pillades mitmische!" Nun traten Heinrich Clan Zündfunken beinahe die Augen aus den Höhlen vor Fassungslosigkeit. Beide Daimonen warfen unisono einen kritischen Blick auf die gemischte Gesellschaft hinter dem Trenngatter. Der Vorstehende des Friedensgerichts kramte seinen Nasenklemmer hervor und justierte ihn auf der Knollennase, tauschte einen tiefsinnigen Blick mit seinem Kampfgenossen aus. »Ausgereschned der Pillades!!« Dachten sie beide. Pilates galt, vollkommen unbestritten und niemals herausgefordert, als der dümmste, langsamste und bekloppteste SP von allen "langhaarischen Bombeläschern", die sich in der Kantine herumzutreiben pflegten. Die SP, korrekt Sozius-Pflegende, wurden als Betreuende bestellt, um zu assistieren, dass sich delinquente Daimonen wieder ordentlich in die Gemeinschaft einfügten, oder, im Versagensfall, neue Wirkungskreise kennenlernten, die gar nicht sehr gemütlich waren. Die übrigen SP verfügten über einen gewissen Instinkt, sich blitzartig in Luft aufzulösen, wenn Arbeit dräute, Pilates hingegen, der sehr stark an einen haarenden Hütehund mit seinen Flokati-Zauseln erinnerte und grundsätzlich eine Umdrehung zu langsam für seine Umgebung agierte, musste wohl wieder die Zeichen der Zeit verpasst haben. Der Vorstehende des Friedensgerichts seufzte tief, fischte sich die dünnste Mappe ab und blätterte sie auf. Wenigstens das "personelle Inventar" bei dieser "Mocht-Sache" wollte er überflogen haben, bevor er geziert das Hämmerchen schwang und die Verhandlung eröffnete. Tiefe Falten gruben sich in seine Stirn, während die spinnenbeinartigen Finger dünnes Recyclingpapier dressierten, um flink hin und her blättern zu können. "Rüüdischer!" Er warf einen strengen Blick auf den Anklagenden, der schon wusste, was kommen würde und sich für einige ungehaltene Worte rüstete. "Isch hab den Eindrugg, dess misch aaner verkackeiern will?!" "Des is jetz e bissi stak formulierd." Der Anklagende kramte nach einen weiteren Bonbon in seinem Halfter. "Heinz, wenn de grad mal in die annere Sache neiguckst, deswesche sin nämlisch die Mobs da drauße uffgezooche!" "Dunnerkeil!" Stellte der Vorstehende des Friedensgerichts beeindruckt fest. "Alles wesche dem eine flieschende Bello?!" So langsam formte sich vor seinem inneren Auge ein Panorama, und es gefiel ihm gar nicht. "Hrmpf!" Räusperte er sich und warf einen Blick in den Schützengraben, wo Lydia gerade in einer Zeitschrift blätterte. "Lyddja, mer fange aa!" Sofort wurden die Unterhaltungsartikel verstaut, die Gliedmaßen schwebten über dem Hackbrett, um das Protokoll aufzunehmen. "Uffgepasst!" Donnerte Heinrich Clan Zündfunken und justierte den Nasenklemmer höher. "Mer eröffne jetz die Verhandlung!" Das Gemurmel legte sich artig. "Lyddja, weißt Bescheid." Gab er für das Protokoll das Signal des Übersetzens in Bürokratisch. "Des erste Wocht had der Aanklaagende Rüüdischer Haflinger!" Der Zentaur nickte, drehte sich vorsichtig dem Publikum zu, hustete kollernd und eröffnete seine Ansprache. "Es wird Anklage erhoben gegen den hier anwesenden Kalong, auf der anderen Seite mittels des dem Gericht noch zu präsentierenden Friedensstifters einen Menschen vom Leben zum Tode befördert zu haben." "Is der Beschuldischde aanwese?!" Erkundigte sich der Vorstehende des Friedensgerichts. In der Box hinter dem Trenngatter kam Kalong steif auf die Beine. "Das bin ich, Euer Ehren. Ich bekenne mich schuldig." "Haldhaldhaldhaldhald!" Bremste Heinrich Clan Zündfunken energisch. "Dabei simmer noch nedd! Rüüdischer!" Der Anklagende nickte. "Zur Beweisaufnahme bringen wir Item A) den Friedensstifter!" Damit legte er behutsam den an ledernem Gurt befestigten Beutel vor, den der Vorstehende des Friedensgerichts studierte, beschnupperte und zurückreichte, damit man das mutmaßliche Mordwerkzeug auf einen Klapptisch hinter das Schildchen "A" platzieren konnte. "Eine Spontan-Analyse durch das Forensische Institut (direkt neben dem nächsten Daimonenkindergarten gelegen und ebenso von Spezialisierten bevölkert) hat ergeben, dass es sich um das handelsübliche Gemisch an Schlaf- und Vergiss-Pulver handelt. Manipulationen waren nicht festzustellen." "Hammer des, Lyddja?" Erkundigte sich der Vorstehende des Friedensgerichts aufmerksam, während sich in unfassbarer Geschwindigkeit der Protokollstreifen herunterrollte. "Item B!" Rüdiger Haflinger, Anklagender und Kummer gewohnt, unterdrückte zentaurenhaft einen Stoßseufzer. "Das Mordopfer." Er wies damit auf eine Bank hinter dem Trenngatter. "Äh, muss ich mich jetzt auf den Tisch legen?" v*-*v Nach gründlicher Vernehmung der Zeugen, die artig schilderten, was sich ereignet hatte, trommelte Heinrich Clan Zündfunken auf seinem Pult mit den langen Fingern. "Jetz hammer alles gehörd, denk isch, komme mer zu den Pleedojeees!" Der Anklagende zerbiss eilig ein weiteres Bonbon und krächzte. "Schuldig am Tod eines Menschen!" Das sah zumindest der Kodex vor. "Un jetz der Aangeklagde, Herr Kalong!" Kalong erhob sich matt und wisperte kaum hörbar. "Ich bekenne mich schuldig." Der Vorstehende des Friedensgerichts wälzte seine Massen geschäftig auf. "So, des is nodierd! Bevor isch des Urteil fälle, wer n mer auch grad noch des annere Zeusch hier verhandle, weil's ja denselbe betriffd!" Er tippte angewidert die Papierberge an. Das Stichwort für Rüdiger Haflinger, der hoffte, man müsse nicht alle Punkte beider Beschuldigungen nach Arbeitsrecht vortragen. "Die Anklage legt zur Beweisaufnahme den Arbeitsvertrag des Beschuldigten für die Kampagnen von Ex-Göttlichkeiten vor, des Weiteren ebenfalls der Arbeitsvertrag und dazu gesammelte Zeugenaussagen der Gewerkschaft 'Hölle Für Uns'. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, die im Arbeitsvertrag aufgeführten Leistungen nicht oder nur unzureichend erbracht zu haben, was den erwarteten Umsatz betrifft. Ihm wird weiterhin vorgeworfen, seinen Arbeitsvertrag bezüglich der Mitarbeitendenführung buchstabengetreu eingehalten zu haben. Von Seiten der Gewerkschaft werden Vorwürfe erhoben, durch die Einhaltung des Arbeitsvertrags die Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeitenden in unzulässiger Weise gefährdet zu haben. Und..." "Isch denk, isch bin im Bilde!" Grollte der Vorstehende des Friedensgerichts streng. Er konnte Mobs vor SEINEM Gericht nicht leiden und hatte eine sehr entschiedene Meinung zu Arbeitsverträgen. "Herr Kalong, Sie dürfe sisch äußere!" Forderte er den Flughunddaimonen auf. Kalong kam wieder auf die Beine, mit jedem Mal ungelenker, schwächlicher. "Ich weise diese Anschuldigungen zurück." Wisperte er erschöpft. "Ich habe die Geschäftsführung und das Präsidium mehrfach auf die wirtschaftliche Situation in der Menschenwelt hingewiesen. Unser Ziel ist die Aktivierung des Unterbewusstseins, frei vom Bewusstsein. Dieses Unterbewusstsein nimmt unsere Botschaften auf, unterliegt jedoch immer noch einem Abwägungsprozess, wie das Überleben des Organismus sicherzustellen ist. Es kann nicht verkannt werden, dass Süßigkeiten, Blumengebinde, Schmuck und dergleichen nicht den gleichen Stellenwert erfahren wie Temperaturzufuhr, Grundnahrungsmittel und schützende Bekleidung!" Er räusperte sich heiser. "Was die angeblichen Pflichtverletzungen gegenüber den Mitarbeitenden der Besinnungsgruppe betrifft, lege ich die Aufzeichnungen des HM1-Masters dem Gericht vor. Ich habe niemanden ausgebeutet und exakt die Vorgaben der gewerkschaftlichen Rechte eingehalten!" "Hammer des aach, Lyddja?" Der Vorstehende des Friedensgerichts signalisierte Kalong mit einer wedelnden Bewegung, er möge sich wieder setzen. So sackte der wie ein Häufchen Elend in sich zusammen. Sein Leben war vorbei, alles verloren. Und zu recht! Unterdessen erhob sich Heinrich Clan Zündfunken, was einige der Anwesenden veranlasste, ebenfalls die hinteren Hälften zu lüften. "Nedd nöödisch, bleibt hogge! Des Gerischt zieht sisch emol zerügg, um des Urdeill zu berate! Herr Pillades, Rüüdischer, in mei Hinnerzimmer, wenn isch bidde derf!" v*-*v Malcolm, der, wie Heinrich Clan Zündfunken bereits bei der Vernehmung verkündet hatte, "e arsch lebendische Leische" abgab, ließ sich nicht zweimal bitten, als Sacrophilos das Picknick auspackte und zum Zugreifen anbot, immerhin verdankte er dessen "Letzter Hilfe" seine gegenwärtige Existenz! Lycaena richtete die großen Facettenaugen beklommen auf die Box, in der Kalong kauerte, das Gesicht in den Händen geborgen, ein Bild des Elends. Was man ja hätte vermeiden können, wenn der bloß nicht so stur...!! "Ly, kannst du mir helfen?" Malcolm spürte die Anspannung seines Liebsten und suchte Assistenz bei der Nahrungsaufnahme. "Oh, natürlich!" Murmelte Lycaena und ließ sich unauffällig drücken, pickte Einzelteile heraus, die er Malcolm reichen konnte. Ihm selbst wäre jeder Bissen im Halse stecken geblieben. "Och, Kinder, guckt nicht so gescheckt!" Sacrophilos blendete seine Reißzähne auf, sehr gelassen und gemütlich gestimmt. "Kein Grund, sich die Petersilie verhageln zu lassen!" Zur Unterhaltung sprang er elastisch auf die Beine und führte vor, dass er seine Schocklanze mühelos auf der Nasenspitze balancieren konnte. Er hätte auch noch den Beweis angetreten, dass ein gezielter Hauch sämtliche Fensterscheiben im Saal dauerhaft geblendet hätte, doch darauf wollte sich lieber niemand einlassen. Dann quietschte die kleine Seitentür hinter dem Richterpult, und die drei Koryphäen des Friedensgerichts wobbelten/trabten/schlappten an ihre jeweiligen Plätze. Nur wer genau hinsah, konnte erkennen, dass Pilates Sacrophilos lässig ein Signal gab. v*-*v "Bitte erheben Sie sich zur Urteilsverkündung!" Erteilte Lydia den Befehl zur Gymnastik, dann plumpsten Körperteile wieder mehr oder weniger bequem Richtung Erdmittelpunkt, lediglich Kalong ersparte sich die Mühe. Er schluckte schwer und wappnete sich dafür, seine Strafe zu erhalten. Man tötete nicht, Sciurusi hegten und pflegten. Vorsätzlich letalen Schaden zu verüben kam in ihren geistigen Schaltkreisen einfach nicht vor. Kalong war dies in Fleisch, Lederhaut und Knochen übergegangen. "Isch verkünd jetz des Urdeill!" Sorgte Heinrich Clan Zündfunken für gesteigerte Aufmerksamkeit. "Un zwar fer alle heud vorgebrachte Aanschuldischunge gege den hier aanwesende Kalong!" Er räusperte sich staatstragend und wechselte in Bürokratisch. "Der anwesende Kalong wird für schuldig befunden, einen Menschen im Zuge eines Unfalls zu Tode gebracht zu haben. Das Gericht erkennt keine Anhaltspunkte für Mord oder Totschlag, ebenso wenig für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln. Aufgrund von Vorerkrankungen des Menschen geht das Gericht von einer Verkettung unglücklicher Umstände aus, die schicksalhaft den Tod auslösten. Die Verantwortung liegt qua definitionem zu einem geringen Teil beim Angeklagten. Des Weiteren erkennt das Gericht strafmildernd an, dass der vormalige Mensch sich durch den geistesgegenwärtigen Einsatz eines Zeugen einer neuen Existenz als Daimon erfreut und um Aufnahme in unsere Gesellschaft ersucht hat. Die Anschuldigungen, die aus dem Arbeitsverhältnis sowohl von der Geschäftsleitung als auch von Gewerkschaftsvertretenden vorgelegt worden sind, werden vom Gericht wie folgt eingeschätzt: - der anwesende Kalong hat seine Fürsorgepflichten gegenüber der so genannten Besinnungsgruppe qua Arbeitsbeschreibung nicht vernachlässigt, - in Einhaltung seines Arbeitsvertrags hat der anwesende Kalong die geforderten Leistungen bezüglich der Umsatzerwartung nicht erfüllt. Das Gericht erkennt eine diametrale Ausrichtung der vorgegebenen Arbeitsziele. In Anbetracht dieser Erkenntnisse wird folgendes Urteil über den anwesenden Kalong verhängt: entsprechend den Forderungen der Geschäftsleitung wird das Arbeitsverhältnis sofort beendet. Ausstehende Lohnforderungen sind sofort zu begleichen. Der anwesende Kalong wird verurteilt, die Aufwendungen für das Szenario zu zwei Dritteln zu tragen. Darüber hinaus hat er dem Gericht den erfolgreichen Abschluss eines 'Verhaltensanpassungskursus' innerhalb eines halben Jahres nachzuweisen. Das Urteil wird sofort rechtskräftig." Das Hämmerchen nagelte Schläge ins Pult und der Vorstehende des Friedensgerichts Heinrich Clan Zündfunken sackte sehr zufrieden mit sich in seinen breiten Stuhl, während vor der Tür der Mob sich maulend verlief. v*-*v Sacrophilos schlenderte sehr gut gelaunt nach Dienstende zu "Pussys Patisserie", eigentlich kein Ort, der jemanden wie ihn oder Daimonen mit empfindlichem Verdauungstrakt anzog, doch das war VORHER gewesen! Nun, um den geringen Preis zweier großzügig bemessener Mahlzeiten, die den enorm expansiven Magen eines SP gefüllt hatten, glänzte ihm jeder neue Tag wie poliert und strahlend schön! "Pussys Patisserie" befand sich in einem verklinkerten, eingeschossigen Ladengebäude, mit einer großen Schaufensterfront zur Straße hin und hinten dem Lieferanteneingang samt "Schlaraffenland-Werkstatt". Muntere Dampfwölkchen pufften fröhlich aus dem Schornstein Richtung Firmament, während drinnen im Ladengeschäft eilig zwei Satyrinnen auf Rollschuhen mit Tabletts hin und her flitzten. Sie waren keine Kundschaft gewöhnt und dementsprechend außer Form. "Hallo, meine Grazien!" Grüßte Sacrophilos munter über Köpfe und Anstehende hinweg, die eifrig Getränke schlürften, sie schwindlig rührten und sich Backen, Schnäbel oder Mäuler vollstopften. "Teufel auch!" Grinste Malcolm an der Registrierkasse in seine Richtung. "Schon wieder hier, Phil?" Er sah in seiner hübschen Schürze mit dem dazu passenden Turban sehr adrett aus und hatte keinerlei Schwierigkeiten, Speisen und Getränke gegen Wertmittel auszugeben. Keine zwei Wochen im Betrieb, und schon wirkte er, als habe er niemals auf der anderen Seite gelebt! Das Szenario war auch perfekt gelungen, das konnte man nicht leugnen! Für die Familie gab's ein Postfach und regelmäßige Lebenszeichen, während sich seine tatsächliche Existenz nun im Daimonenreich abspielte. Die losen Enden seines abrupten "Umzugs" auf die andere Seite waren gekonnt verknotet worden, einer fröhlichen, emsigen und erlebnisreichen Zukunft stand nichts im Wege! Sacrophilos erwiderte das Grinsen und den kecken Spruch, bleckte sein Raubtiergebiss. "Feierabend und ein Rendezvous, Kamerad, was kann es Besseres geben?" Wobei sich Teil 2 seines persönlichen Glücks noch in der Realisierungsphase befand. Er schob einige Münzen zur Kasse, die Malcolm schmunzelnd verbuchte und ihn an sich vorbei ins Heiligste ließ, wo gezaubert wurde, was hier vorne reißenden Absatz fand. "He, Pussy, alter Kopffüßler!" Sacrophilos ließ sich von seinem alten Sportsfreund mit zwei Tentakeln drücken. Tako blubberte ein hocherfreutes Lachen in seiner selbst konstruierten mobilen Sphäre, die ihn mit einem praktischen Wasserfilm umgab und vage Ähnlichkeiten mit einer sehr flexiblen Seifenblase aufwies, da alle Gliedmaßen ständig in Bewegung waren. Sie kannten sich schon eine Weile vom Dreizackwerfen, denn Sacrophilos hielt sich nicht mit Berührungsängsten auf. Natürlich wusste er, dass Tako als Genie galt, unermüdlich Maschinen und Werkzeug und alles Mögliche erfand und konstruierte. Er empfand es auch keineswegs als eine dämliche Schnapsidee, dass ein Kopffüßler unbedingt eine Bäckerei eröffnen wollte, weil er den Geruch so mochte und das Knirschen frisch gebackenen Brotes. Zugegeben, die Wahl des Personals hatte sich als ein wenig unvorteilhaft herausgestellt, denn Delphine mochten ja kunstfertig sein, aber mit Backwaren hatten sie nichts am Hut. Das konnten auch die genialsten Erfindungen nicht korrigieren, weshalb es hin und wieder annehmbar gerochen hatte, man aber tunlichst nicht die durchweichten Ergebnisse verzehren sollte, die ein schlafwandlerischer Service mit der Eleganz einer Schlammlawine abkippte. Zudem nervte das ständige Gezwitscher der Delphine tierisch! Der arme Pussy war ganz verzweifelt gewesen, als sie sich alle auf einen Schlag in Synchronmutterschaft verabschiedet hatten, doch Sacrophilos hielt das für einen Glücksfall und gerade zur richtigen Zeit. "Brummt, dein Laden!" Stellte er laut fest und zwinkerte frech. Tako gab das Äquivalent eines sehr zufriedenen Lachens von sich und knuddelte Sacrophilos behutsam. Mochten andere Leute auf Distanz zu diesem Tasmanischen Teufelsdaimon gehen: er fand ihn SPITZENKLASSE! Dann wurde Sacrophilos aus der freundschaftlichen Umarmung entlassen und durfte in die Schlaraffenland-Werkstatt eintreten. Zunächst besuchte er Lycaena, der ebenfalls eine adrette Schürze trug, die großen Flügel hygienisch eingepackt in eine überdimensionierte Klarsichttüte und um den Kopf gewunden den Ehrentitel auf einem Band "Chef de Pudding"! Er beugte sich hochkonzentriert über diverse Schlüsseln mit Krem, Creme, Pudding, Glasuren, Marmeladen, Aufstrichen und Spritzmassen. "Hast was Neues erfunden, hm, Ly?" Sacrophilos war wie immer im Bilde und notierte schmunzelnd die eifrig zuckenden Fühler. "Ja, etwas für den Frühling!" Strahlte der Schmetterlingsdaimon eifrig und ließ ihn auch gleich kosten, denn immerhin war es Sacrophilos zu verdanken, dass er nicht nur einen neuen Job und SEINE Berufung gefunden, sondern auch Malcolm behalten hatte, ganz ohne Portalpass und andere Kalamitäten! "Mjammm!" Komplimentierte Sacrophilos überzeugt. "Scheea guuuud!" Lycaena steigerte sein Lächeln noch um mehrere Grade, zwinkerte dann vertraulich, weil Sacrophilos sich von einem Tablett ein Obsttörtchen nahm, recht verstohlen, denn nun galt es, sich dem Objekt seiner Sehnsucht anzunähern, was keineswegs einfach war, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass Kalong sehr wohl seine Anwesenheit registriert hatte. v*-*v »Der schon wieder!« Verzweifelte Kalong und legte noch an Tempo zu, wieselte eilig zwischen den Stationen der verschiedenen Maschinen, Backstraßen und Tablettwagen hin und her, schwang die hitzefesten Backhandschuhe energisch. Er WOLLTE Sacrophilos nicht registrieren müssen! Dumm nur, dass daran wohl kein Weg vorbeiführte, weil dieser aufdringliche, großspurige, unermüdliche FLEISCHFRESSER seine mörderischen Klauen in seinem gegenwärtigen Geschick hatte! Zugegeben, ja, der hatte Malcolm gerettet, was ihn in der Folge vor dem ewigen Aufenthalt in einer Senkgrube bewahrte. Selbst wenn es nicht aus dem Dummbatz von SP herauszukitzeln war: er musste mit dem dämlichen Pilates schon vorab ausgehandelt haben, dass der beim Friedensgericht die Sanktionen vorbrachte! Zusätzlich dazu war dieser unerträgliche Teufelsdaimon auch noch mit seinem gegenwärtigen Boss innig bekannt, weil sie irgendeinem zweifellos unnützen Sport nachgingen, bei dem spitze Mordwerkzeuge durch die Gegend katapultiert wurden! Kalong wich jedem Blickkontakt entschieden aus, zupfte an seiner Schürze, die ledrigen Schwingen ebenfalls ordnungsgemäß eingetütet und eng an den Körper gebunden. Ja, es hatte ihn schon ein winziges Bisschen amüsiert, bei genau DEN Gewerkschaftsvertretenden seine Anmeldung zu verlangen, die ihm zuvor das Fell über die Ohren ziehen wollten, doch das hätte er ja wohl auch ohne Sacrophilos hingekriegt! Überhaupt, wieso tauchte der Kerl hier ständig auf?! Redete von Freizeit, Feierabend, Ausspannen, Begriffe, die in Kalongs Wortschatz nur als theoretische, recht abenteuerliche Vorstellung vorkamen. Im wachen Zustand hatte er sein gesamtes Leben mit der Arbeit verbracht, vor allem die letzten Jahre, nach dem Motto "die Kampagne ist vorbei, es lebe die Kampagne!". Urlaub, Pausen, Auszeiten?! Pah, das waren ihm Böhmische Dörfer und außerirdische Konzepte! Bloß, wie sollte er sich, wenn er nun diesen Phänomenen ausgeliefert war, diesen lästigen Burschen vom Leib halten?! Unterdessen, die Klauen auf dem Rücken, um das Obsttörtchen zu verbergen, schlenderte Sacrophilos heran. "Hallo, mein allerliebstes Hundeschnäuzchen!" "Ich bin nicht allerliebst und Dein sowieso nicht!" Giftete Kalong prompt. "Was willst du schon wieder hier?! Hast du nichts zu arbeiten?!" "Feierabend!" Trällerte Sacrophilos nicht im Geringsten abgeschreckt. "Da dachte ich mir, ich hol dich ab!" "Ich arbeite!" Versetzte Kalong gallig, ihm demonstrativ den Rücken kehrend. "Ja, aber nicht mehr lange!" Triumphierte Sacrophilos feixend. "Du weißt ja, die Gewerkschaft!" Außerdem würde sein alter Kumpel Pussy niemals in den Ruch kommen wollen, seine Belegschaft auszubeuten! Da sorgte er schon eigententaklig dafür, dass alle pünktlich kamen und gingen! Kalong stieß ein missmutiges Knurren aus, denn von Gewerkschaften hatte er ein für alle Mal sein zugegebenermaßen hübsches Schnäuzchen voll. Wenn nur sein Boss nicht so korrekt wäre!! Der Blick auf die Uhr dräute mit dem unausweichlichen Rausschmiss. Wie nun sollte er es anstellen, diesem aufdringlichen Daimonen jetzt zu entwischen?! Kalong setzte auf abschätzige Beleidigung. "Solltest du nicht irgendwo anders sein, FLEISCHFRESSER?! Muss dir doch übel aufstoßen!" Ätzte er herausfordernd, die Hände in die schlanken Hüften gestemmt. Sacrophilos grinste und wippte vor Vorfreude schon von den Ballen auf die Fersen. "Och, so einseitig ist unser Speiseplan ja auch nicht!" Antwortete er gemütlich. Hier und da mal ein Karnickel auf der anderen Seite, er war kein pingeliger Esser! "Aber wenn du gern meine Diät aufwerten willst: ich will dich vernaschen!" Bot Sacrophilos selbstlos an. Der Wink mit dem Zaunpfahl, was SOFORT Empörung auslöste. "Kannibale! Ungeheuer! Bestie!" Zeterte Kalong aufgebracht, schwang in einer wenig beeindruckenden Manier die Fäuste in den Backhandschuhen. "Wie widerwärtig! FLEISCHFRESSER! Allesamt ekelhaft!" Sacrophilos kannte sich aus und verzichtete auf Rechtfertigungen oder Konter, denn jede/r/s war eben so konzeptioniert, wie er/sie/es nun mal konstruiert waren! Er persönlich verspürte keinerlei Wunsch, aus Gefälligkeit auszusterben! Er lächelte in die funkelnden Augen, bewunderte die rotbraune Mähne, die zierlichen Öhrchen, hübsch verpackt unter einem Häubchen, die tänzerisch anmutenden Schritte, die nichts mit einem tatsächlichen Faustkampf im Ring gemein hatten. Kalong war einfach süß! Wer hätte da widerstehen können?! Vor allem, wenn man um die Natur der Sciurusi wusste? Der Tasmanische Teufelsdaimon bemühte eine kleine Körpertäuschung, ließ das Obsttörtchen Richtung verächtlich geschürztem Mäulchen fliegen und setzte zu einer intimen Umklammerung an. Kalong, dem in die Seele geprägt das ABSOLUTE Vermeiden sinnloser Verschwendung von Obst war, konnte gar nicht anders reagieren, als so viel fliegendes Obst vertilgen, wie ihm möglich war! Dass sich ungenierter Weise Sacrophilos mit frecher Schnauze und sehr gelenkiger Zunge einfach anschloss, ließ sich nicht verhindern! Da klopften dumpf Backhandschuhfäustchen auf muskulöse Oberarme, während Kalong rasch begriff, dass diese Disziplin, die ihm bisher vollkommen fremd gewesen war, eine gewaltige Herausforderung darstellte und über seine Kräfte ging. Glücklicherweise hatte Sacrophilos ein Einsehen, lupfte den Flughunddaimon aber vorausschauend vom Boden, denn so konnte er den konditionierten Kletter-/Klammerreflex ausnutzen, vor allem, da die ledrigen Schwingen sicher verpackt blieben und eine Flucht unmöglich machten. "Da-dafür--dafür--wirst-wirst du-be-bezahlen!" Keuchte Kalong außer Atem, blinzelnd, obwohl ein zornbebendes Funkeln beabsichtigt war. "Hab ich schon!" Trällerte Sacrophilos vergnügt und leckte frech Tortenbodenkrümel vom geliebten Hundeschnäuzchen, das er zu Seinem zu machen gedachte. Kalongs Augenbrauen schlugen missmutige Wellen. "Das-das--wirst-du-bü-büßen!" Zappelte er zornig. "Ehrlich?" Unbeeindruckt lächelte Sacrophilos. "Oh, gut! Dann kann ich ja noch ordentlich sündigen, damit es sich lohnt!" Argumentierte er in seiner eigenen Logik. In Kalongs Augen flackerte nun Panik. Er quietschte hastig. "Herr Tako! Herr Tako!" "Feierabend!" Blubberte der Oktopus munter. "Viel Vergnügen, ihr beiden!" Damit expedierte er sie durch den Hintereingang hinaus, denn er wollte wirklich keine Händel, äh, Tentakeleien mit der Gewerkschaft austragen müssen! Sacrophilos dagegen schwenkte Kalong fröhlich im Kreis und wirbelte ihn hoch in die Luft, um ihn sicher wieder aufzufangen. "Komm, Kalong, lass uns einen Obstsaft nehmen!" Kalong rang mit Schürze und Flügelvertütung. "Von wegen! Du willst mich doch bloß in deinen Bau verschleppen!" "Das können wir ja anschließend diskutieren." Assistierte Sacrophilos mit gleißendem Raubtiergebiss bei der Verwandlung in einen Zivilisten. "Sag mal, magst du eigentlich Glasnudeln mit Chutney a la Medusa?" Der Flughunddaimon zögerte, ein dezentes Knurren ertönte. Verlegen errötend blickte Kalong unter sich und ging prompt mangels Wachsamkeit einer Hand verlustig, die Sacrophilos kaperte. "Ich lad dich ein, ja?" Lächelte er freundschaftlich. "Wenn du magst, ignorieren wir, dass heute Valentinstag ist und ich unsterblich in dich verliebt bin!" Kalong lupfte eine Augenbraue, rieb seinen vorlauten Magen mit der freien Hand und brummte. "Perfid. Wirklich perfid." Sacrophilos lachte und setzte sich beschwingt in Bewegung, Kalong anführend, der grollend aufholte, um auch ja auf derselben Höhe zu spazieren! Na schön, SO schlecht klang es gar nicht, um diesen vermaledeiten Valentinstag ausklingen zu lassen! Vielleicht wäre es ja auch ganz nett herauszufinden, wie ein Feierabend tatsächlich funktionierte, wenn man nicht notorisch im Kampagnenmodus arbeitete. Der Tasmanische Teufelsdaimon schmunzelte nach einem Seitenblick auf seinen Begleiter. Er hatte so eine Ahnung, dass ein wenig hochprozentiger Fruchtnektar genügen würde, um Kalongs Scheu für eine Weile außer Gefecht zu setzen. Natürlich mit absolut ehrenhaften Absichten, und einer kleinen, aber feinen und sehr sündigen Abkürzung dahin! v*-*v ENDE v*-*v Danke fürs Lesen! kimera