Titel: Diversifikation Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Halloween 2014 Erstellt: 27.10.2014 Disclaimer: alles Meins! ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') ('w') Diversifikation Kapitel 1 - Heimsuchung "Dann viel Spaß!" Elia schloss die Pforte mit ihrem Spezialriegel. Er verabschiedete seinen Stiefbruder Merlin und dessen Lebensgefährtin Lotta-Mari, die sich nun mit dem kleinen Koreaner über die steile Anhöhe quälten, bis es zur Anschlussverbindung flott runter zum Ortskern ging. Beide waren zu einem Herbstgrillabend eingeladen, wobei Elia vermutete, dass auch ein Mummenschanz passend gewesen wäre, betrachtete man sich Lotta-Maris Wichtelaufmachung mit Spitzkapuze, Mäntelchen, dicken Wadenwärmern über klobigen Pantinen. Merlin war im langweiligen Alltagsornat aufgebrochen, Bergsteigerstiefel, abgewetzte Jeans (aus ethisch korrekter Produktion), Holzfällerhemd unter einer aufgeplusterten Weste (tierfedernfrei!), zur Krönung das schwarze "Zuhälterhütchen" auf der wirren Frisur mit Tonsuransatz. Elia atmete tief die kalte Abendluft ein, eine Ahnung von frischer Feuchtigkeit transportierend, dann kehrte er in das Haus zurück, um nach einem Kontrollbesuch beim Alten die Stiege hinauf zur Einliegerwohnung zu bewältigen. Schließlich wartete dort undankbar-fummelige Arbeit auf ihn! ('w') "Wir könnten uns die Kosten teilen, weißt du?" Hatte Merlin ihn in bedrohlich aufgekratzter Stimmung bearbeitet. "Lotta-Mari, der Alte, du und ich! Da sparen wir doch eine Menge und haben auch Platz für uns!" Elia, der seit der Scheidung seiner Mutter vom Alten mit ihr in gewohnter Genügsamkeit ein Einzimmer-Appartement bewohnte, konnte sich dieser Argumentation nicht ganz entziehen. Tatsächlich war das Leben in der Stadt um Einiges teurer als im Umland. Zudem fand er, dass er seine Mutter auch endlich von der eigenen Präsenz erleichtern musste. Als Geselle mit ausgezeichnetem Abschluss und einem bombensicheren Arbeitsplatz plus dem fortgeschrittenen Alter von 23 Jahren, da sollte man doch für etwas mehr Privatsphäre empfänglich sein! Außerdem war ja auch der Alte zu bedenken. Der Alte hatte ihn zwar nicht adoptiert, aber für zehn Jahre als Stiefvater figuriert, ihn zumindest nicht allzu sehr mit väterlichen Anwandlungen belästigt. Chancen, als Elternteil einzutreten, bestanden jedoch ohnehin nicht. Elia war, wie er selbst ungeniert zugab, ein ausgeprägtes Muttersöhnchen, und zwar im positiven Sinne, aber hallo! Er liebte seine Mutter uneingeschränkt, beinahe unkritisch und bewunderte sie maßlos. Andere mochten Stars zu Vorbildern erklären, sein Fixstern blieb die Frau Mama! Ohne Zweifel zeichnete sie sich durch einen resoluten Charakter und Löwinnenmut aus, hatte ein großes Herz, einen wachen Verstand und ein integres Wesen. Da konnte man ihr auch nicht verdenken, dass sie Elias biologischem Vater entschieden den Laufpass gab, als sich herausstellte, dass er bereits anderweitig ziemlich verheiratet war, sogar mehrfach. Mit ihrem zweijährigen Sohn hatte sie sich über Glaubensgenossen bis nach Ägypten geflüchtet und dann entschieden, alle Brücken hinter sich abzubrechen, in der Diaspora ihre Zukunft zu finden. Koptische Christen aus Eritrea gab es durchaus in Deutschland, von den politischen Wirren bedroht, in Lebensgefahr. An seine "Heimat" konnte Elia sich nicht mehr erinnern. Für ihn begann alles in einem Flüchtlingsheim, in der schützenden Obhut seiner Mutter, die ihn dazu ermunterte, bei den christlichen Helfern die fremde Sprache aufzuschnappen. Sie selbst lernte auch eifrig, indem sie sich einfach Beschäftigungen suchte, da das Unerträglichste nach der Wartezeit auf die endgültige Entscheidung die erzwungene Tatenlosigkeit darstellte. Warum nicht auf Gemeindeboden kleine Dienste unentgeltlich übernehmen? Hier und da putzen, ältere Gemeindemitglieder nach den Gottesdiensten begleiten, Mahlzeiten zubereiten, Kinder beaufsichtigen? Einer tatendurstigen Frau stellte man sich nicht in den Weg! Dank der Fürsprache der Gemeinde durfte Elia den Kindergarten trotz seines schwebenden Verfahrens besuchen. Er fühlte sich wohl und vergaß all die Fährnisse ihrer Flucht gründlich. Seine Mutter dagegen, die eifrig mit ihm Bilderbücher studierte, ihre schulischen Kenntnisse auffrischte, lernte den Alten kennen. Der suchte eigentlich eine Haushälterin, nicht zu anspruchsvoll, fleißig, reinlich. Und von engelhaftem Gemüt, berücksichtigte man seinen wachsenden Groll gegen ehemalige Familienangehörige und den Rest der Menschheit im Allgemeinen. Anstelle eines Arbeitsvertrags erschien ihm wohl eine Eheschließung günstiger, ein von wechselseitigen Vorteilen geprägter Pakt. Für Elias Mutter rückten die deutsche Staatsbürgerschaft, eine mögliche Berufsausbildung und ein eigenes Heim in Reichweite. Mochte der Alte auch ihren Sohn nicht adoptieren (vor Merlin hatte es in erster Ehe einen weiteren Sohn und eine Tochter gegeben), diese Offerte schlug sie nicht aus! Zunächst funktionierte es auch ganz passabel, da blieb Elia gerecht in seiner Erinnerung, auch wenn der Alte ihm den Spitznamen "Mokka" verpasste, der nun an ihm klebte wie Teer, sich ausschließlich auf Augen- und Haarfarbe beziehen konnte, denn seine Haut, fand Elia, hatte nun definitiv eher einen Sahnekaramell-Ton! Nach acht Jahren, Elia wurde gerade 13, veränderte der Alte sich aber nachhaltiger. Da war nicht nur die Unzufriedenheit mit seinem Rentnerdasein ausschlaggebend, er wurde richtiggehend seltsam. Seine Mutter sollte das Haus nicht mehr verlassen, alles und jedes musste kontrolliert werden, jeden Abend Vorräte und Ausgaben kalkuliert sein! Eine Weile ließen sie sich das gefallen, ausgenommen das Hausgebot, doch dann entschied Elias Mutter wie vor elf Jahren, dass sie ihren Anteil geleistet habe. Immerhin war sie noch jung, sie wollte nicht nur stundenweise arbeiten, sondern eine richtige Berufsausbildung angehen, in der Altenhilfe, denn das hatte offenkundig Zukunft! Also reichte sie die Scheidung ein, was dem Alten zwar nicht gefiel, doch sein Auftreten genügte schon, die Stichhaltigkeit einer Trennung zu belegen. Damals waren sie, mit wenig Hausrat, ihren geliebten zwei Drahteseln (das Fahrradfahren hatten sie zusammen gelernt), Kleidung und zwei Schlafsäcken in das Einzimmerappartement übergesiedelt. Großartigen Unterhalt durften sie nicht erwarten, »denn die verdrehte Zicke«, Ehefrau Nummer 1, »hatte sich zeitlebens geweigert, erneut zu heiraten, um ihn auszunehmen, sodass er gerade genug für sich selbst hatte und nichts abzugeben! Wenigstens die verdammten Balgen waren zu alt, um ihn noch bestehlen zu können!« Für Elia und seine Mutter nur eine gewohnte Herausforderung, das Beste aus der Lage zu machen, sich durch eigene Anstrengung ein Zuhause zu schaffen! Elia hatte die Fachoberschule besucht. Er fand Freunde, nun, zumindest eine Gruppe Jugendliche, die den freiwilligen Verzicht auf die Ausprägungen von Konsumterror zu ihrem Evangelium erklärten. Eigentlich passte er da gar nicht rein, da es keinen Verzicht darstellte, wenn man sich Dinge schlichtweg nicht leisten konnte, aber Eulalie schien von ihm angetan genug, für ihn einzutreten. Elia wiederum war ausreichend verknallt, um seine Zurückhaltung zu überwinden, sich um sie zu bemühen. Sie waren auch miteinander "gegangen", aber nicht in einem besorgniserregenden Ausmaß, dass eine Predigt über unvermuteten Nachwuchs herausgefordert hätte, obwohl Elia durchaus bereit gewesen war, seinen Horizont auch in der entsprechenden Position zu erweitern. Nach dem Schulabschluss zerstreuten sich alle. Er selbst war einer der wenigen, die sich für eine handwerkliche Ausbildung entschieden. Er hatte daran Spaß, auch wenn er seinen Meister vor Herausforderungen stellte, immerhin verfügte Elia nicht über einen Führerschein, sondern pedalierte munter zum Betrieb, bei Wind und Wetter. Dann kamen die Umweltzone, die zahlreichen Kleinaufträge, sodass der Meister entschied, ein umgebautes Lastenfahrrad zu erwerben, um "Mokka" (der Spitzname hielt sich unverwüstlich) allein zur Kundschaft zu schicken. Den beiden Altgesellen wurde angst und bange, da sie gern in den Transportern fuhren, doch eine Zwangsverradlung schloss der Meister aus. Er selbst nahm aber öfter das Fahrrad, denn es tat der Figur ja gar nicht so schlecht und man sparte sich Pickerl, Diskussionen, Strafzettel und lästige Umwege! Nach der Überzeugung des Meisters hatte Elia durchaus das Zeug, "seinen" Meister zu machen und sich dann, etwas später, einen eigenen Sanitärbetrieb aufzubauen. Allein schon durch sein Erscheinungsbild blieb er der Kundschaft in Erinnerung! Außerdem arbeitete Elia sorgfältig, war geduldig, hörte aufmerksam zu und verkörperte das "ehrliche Handwerk" in Konkurrenz zum "Arbeiter-Straßenstrich" in ungekennzeichneten Sprintern. Elia gefiel die Perspektive durchaus, sich nach etwas mehr praktischer Erfahrung auch an den "Meister" zu machen, doch dafür benötigte man ein finanzielles Polster, was sich gar nicht so leicht ausnahm in der Stadt. Da hatte sich Merlin gemeldet, der jüngere Sohn des Alten, dessen Mutter nach dem strengen Urteil des Alten eine "verspinnerte Glaskugeltrine" geworden war, jedoch keinen Anspruch auf Unterhalt erhob, was seine Wertschätzung etwas aufpolierte. Der Alte hatte einen Schlaganfall erlitten und konnte nicht mehr alleine bleiben. Keiner der Ex-Frauen war er jedoch mit seinem frauenfeindlichen Gebaren, das möglicherweise auf Altersstarrsinn beruhte, zuzumuten. Fürs Heim war er trotz Schlaganfall weder klapprig genug, noch konnte er die Unterbringung selbst aufbringen, was nun auf die Kinder zurückfiel, minus Elia, selbstredend. Merlin, Grundschullehrer, tendenziell etwas weltfremder Gemütsmensch, stellte sich die Frage, wie man aus diesem Dilemma das Beste machen konnte. Der Alte war mit einer Gehhilfe noch mobil, sprach aber nicht mehr (wobei niemand zu sagen vermochte, ob er aus freien Stücken schwieg oder sich aus einer psychologischen Blockade heraus nicht mehr äußern konnte). Mit einem einfachen Pflegedienst könnte man da schon was machen, vorausgesetzt, die übrigen Kosten blieben gering. Lotta-Mari, Merlins bessere Hälfte, Lehrerin an einer Schule mit besonderem pädagogischen Profil, hatte von dem umgebauten Hof gehört, den man eigentlich als Ferienpension hatte nutzen wollen. Dort waren die Stallungen abgebrannt. Nur noch das verwinkelte Wohngebäude mit der Einliegerwohnung blieb übrig, in Randlage, vor allem aber auch mit einem neuen, großen Zaun, der einen verwirrten, alten Mann mit Gehhilfe daran hinderte, unbemerkt auszubüchsen. Elia hatte sich überzeugen lassen. Es gab eine Menge guter Argumente für diese Wahl, außerdem verstand er sich mit dem zwölf Jahre älteren Merlin und Lotta-Mari ganz gut. Der Pflegedienst versorgte den Alten dreimal täglich mit Essen, stellte ihn unter die Dusche und zog ihn um. Das konnte aus der Rente gedeckt werden, ebenso der Mietanteil. Er selbst richtete sich bescheiden ein, radelte mit dem Rad bis zur Gemeindegrenze, kettete am Busbahnhof sein treues Ross an und legte mit einem Kurzstrecken-Billett den Weg bis zum Betrieb zurück. Das rechnete sich durchaus. Ganz nett waren auch die relative Ruhe und die frische Brise auf der Anhöhe. Ein unterschätztes Problem stellte jedoch die Nachbarschaft dar, die ihre Neubauten wie bedrohliche Hexenpilze um den alten Hof gesetzt hatten. Gab es in der Stadt ungeschriebene, aber strenge Regeln zur Mülltrennung und zur Reinigung des Treppenhauses, die bei Missachtung bis zur Segregation und Ächtung führen konnten, so herrschte hier eine strenge Diktatur des Vorplatzes zum Hauseingang vor. Erstens: schmuckes, ansprechendes und gepflegtes Grün. Zweitens: eingehauste Mülltonnen. Drittens: jahreszeitlich passender Schmuck von Eingang und Türblatt. Das hätte ja kein Problem sein müssen bei zwei pädagogisch Ausgebildeten, bis Elia herausfand, dass sowohl Merlin als auch Lotta-Mari nicht mal in einer Geisterbahn mit ihren handwerklichen Fähigkeiten eine passende Bühne gefunden hätten! Seufzend hatte er also die Aufgabe übernommen, den bedrohlichen Lynchmob des Nachbarschaftsterrors für ein zweifelhaftes Idyll auf Abstand zu halten. Mehr durch pures Glück als besonderes Geschick gelang es ihm, mit einer einfachen Saatmischung, die man zu Pionierzwecken auf Brachen einsetzte, eine bunte, dichte Wiese hinter dem Zaun sprießen zu lassen. Ein Plattenweg sorgte dafür, dass der Alte am Zaun entlang mit seiner Gehhilfe wandern konnte, bis die Zeitschaltuhr ihn pünktlich alle Stunde mit Radio-Nachrichten wieder ins Haus lockte. Für die Mülltonnen funktionierte er schlichtweg alte Paletten um, die mit Efeu überwachsen zumindest einen Sichtschutz boten. Aber die Werkelei für den Türschmuck, ein Horror! Ausgerüstet mit einem Kinderbastelbuch aus dem Discounter sammelte er nun seit einem halben Jahr selbst gefertigte Dekorationen in Pappschachteln, um dem Nachbarschaftsregime keinen Vorschub zu leisten, klebte, tackerte, schnippelte, flocht, leimte, verdrahtete. So langsam fragte Elia sich, wie er geglaubt haben konnte, das Leben auf dem Land rentiere sich finanziell! "Nun, wenigstens bin ich an der frischen Luft!" Schnaubte er leise, aber der erhoffte Aufbruch als alleinstehender, gar nicht so übel anzusehender, junger Mann schien auf sich warten zu lassen. ('w') Elia hatte es sich angewöhnt, am Abend noch einen kurzen Spaziergang um das Wäldchen herum auf einem Wanderweg zu unternehmen. Da es dort keine Beleuchtung gab, musste er nicht mit viel Konkurrenz rechnen. Die ersten zehn Minuten kreisten seine Gedanken üblicherweise noch um die Begebenheiten des Tages, Erlebnisse, Aufgaben, Termine, Emotionen. Danach jedoch kehrte langsam eine gewisse Stille ein, vertrieb das Brimborium des Alltags aus seinem Kopf. Er konzentrierte sich auf seine Atmung, spazierte forsch, blickte umher, hielt auch mal inne und fühlte sich erfrischt, wenn er nach einer halben Stunde wieder die Gartenpforte entriegelte. In der Stadt war diese mobile Form der inneren Einkehr durchaus schwieriger zu bewältigen. Man musste stets alert sein unter so vielen anderen Menschen. Zwar kannte Elia sich nicht mit den angepriesenen Wanderurlauben aus, die in dieser Region für ein Zubrot sorgen sollten (bis dato hatte er nur einmal in einer Jugendherberge übernachtet und Urlaubsreisen lediglich aus Erzählungen anderer erlebt), doch man konnte nicht in Abrede stellen, dass zumindest dieser Effekt eintrat. Damit auch für eine Stunde nervenzehrender Bastelei entschädigte! Er näherte sich in gebremstem Schaum, da es beachtlich in Neigung bergab ging, dem Hof, als er registrierte, dass dort eine fremde Gestalt auf der Türschwelle stand. Etwa mit dem Alten sprach?! Elia beschleunigte sofort, denn trotz der diskreten Schilder vergaß Besuch gelegentlich, die Pforte wieder richtig zu verschließen. Grundsätzlich stellte sich ihm jetzt aber auch die Frage, was der fremde Besuch vom Alten wollte! "Guten Abend! Hallo!" Trompetete er also im Galopp. Der Unbekannte, Stoffhose, Kapuzenshirt und umgehängte Tasche, zuckte heftig zusammen und gab Fersengeld! "He! Sie da! Stehen bleiben!" Unerschrocken nahm Elia die Verfolgung auf. Lächerlicher Weise hetzte er den scheuen Eindringling einmal rund um den Hof, bevor er mit einem tollkühnen Hechtsprung den Pullover zu fassen bekam. Mit einem wütenden Fauchen wandte sich ein Kopf ihm zu, der Elia veranlasste, verblüfft den Stoff fahren zu lassen. War das eine Faschingsmaske?! Blau-weiß-schwarze Streifen, kleine Hörnerkämme am Haaransatz und eine schwarze Nasenspitze?! "Hey! Jetzt bleib halt stehen!" Brüllte Elia enragiert, denn so eine Maskerade musste ja einer Spitzbuberei Tarnung bieten! Doch der Fremde machte keineswegs Anstalten, sich einer Befragung zu stellen. Durch Elias Zögern hatte er auch einen kleinen Vorsprung. "Na warte, so nicht!" Bellte Elia im Spurt hintendrein, die nächste Hausecke besonders knapp passierend. Sein Flüchtiger beschleunigte ebenfalls, etwas Unverständliches fluchend. Die Umhängetasche schleuderte im Rund, behinderte den Vorwärtsdrang, sorgte unabsichtlich für einen gewissen Drall, weshalb der Fremde uneingeladen Elias neuestes Dekorationsobjekt erlegte. ('w') "So eine Sauerei!" Donnerte Elia und hetzte das Asphaltband hinunter, dem verkleideten Vandalen auf den Fersen, der da so schnöde seinen prallen Kürbis zerstört hatte, Hauptinstallation der Erntedekoration! Auf halber Strecke jedoch, in Haschmich-Reichweite, löste sich der Fremde plötzlich auf, verschwand einfach. Elia musste wild mit den Armen rudern und sich einem alten Speierling an die Borke werfen, um nicht eine Bruchlandung hinzulegen. "Da hol mich doch...!" Rutschte ihm raus, was seiner Mutter gar nicht gefallen hätte, während er sich umsah und seine Atmung beruhigte, aber er konnte kein Anzeichen von dem Fremden mehr entdecken. Als er den Hof erreichte, hatte der Alte sich schon auf sein Bett gesetzt und wartete gewohnt stumm darauf, dass ihm jemand aus dem Bademantel half. ('w') "Ich verstehe." Kommentierte Amber mit gedehnten Silben, um seiner Stimme den vorherrschenden Frost zu nehmen. Er hielt sich strikt an den Blitz-Personal-Management-Kurs, den er absolviert hatte, ein Fünf Punkte-Programm: 1) Ruhe bewahren 2) Ruhe bewahren 3) Ruhe bewahren 4) Ruhe bewahren 5) Verständnis suggerieren. Zugegeben, die Reihenfolge stimmte noch nicht ganz, aber er SUGGERIERTE aus jeder einzelnen, nicht vorhandenen Pore Verständnis. Zumindest bemühte er sich darum. Sein Gegenüber stand mit gesenktem Daimonenhaupt und wirkte nur ein wenig bedröppelt, in der Hauptsache aber empört. Niemand hatte im Vertrag erwähnt, dass man hier um Leib und Leben fürchten musste! Gekko, das Studium der leichten Magie angehend, bewies jedoch Voraussicht und plärrte seinen Protest nicht laut heraus. Er benötigte diesen Teilzeitjob, um beim niedlichsten Daimonenmädchen des gesamten Universums einen guten Eindruck zu wecken. Nun ja, nicht gerade mit DIESEM Job, aber mit dem Salär, versteht sich! Sein Gegenüber, der frühere Engel Amber, vertiefte die kleine Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen und presste die Lippen dünn zusammen. In seinen türkisfarbenen Augen oszillierten bunte Schwaden wie Ölteppiche auf dem Meer. Ein wunderschöner Anblick, gepaart mit dem Grauen vor den Ursachen dieses Farbspiels! "Nur zum eindeutigen Verständnis meinerseits." Artikulierte der Ex-Engel präzise jede Silbe. "Du bist nicht nur von einer anderen Person als dem Kontrakt-Mensch vis-a-vis gesehen worden, du hast auch noch Spuren hinterlassen?" "Der Visor zeigte an, dass der Kontrakt-Mensch sich allein im Haus befand!" Wandte Gekko kläglich zu seiner Verteidigung ein. Wie hätte er auch ahnen können, dass der merkwürdige Mensch nicht mehr sprach?! Sollte er sich denn nicht wirklich davon überzeugen, dass dieser Kontrakt-Mensch den ehemaligen Aufgaben nicht mehr nachkommen würde? Final? "Ich verstehe." Wiederholte Amber in derselben Diktion wie die anderen Male zuvor. Er war SEHR ruhig. Als er vor einem halben Jahr in diese Beschäftigung (Direktion, Geschäftsführung und einzige hauptamtliche Arbeitskraft der "Freundlichen Terminal-Kontrakt-Betreuung") eingeführt wurde, hatte man ganz nebenbei erwähnt, dass es sich um eine eher nachgelagerte, durchaus stressfreie Beschäftigung handele, dass sich aufgrund der Teilzeit- und Aushilfsbeschäftigung in der Mehrzahl unruhige Ruheständige, Exil-Bewohnende und Studierende in der Kartei befanden, nicht die Creme de la creme. Amber hatte diesen Details vor einem halben Jahr keine erhebliche Bedeutung beigemessen. Ihn beruhigte eine gewisse Ähnlichkeit in der Aufgabenbeschreibung mit seiner vorherigen Beschäftigung. "Karriere" war für ihn ein Begriff aus dem Wörterbuch, keine persönliche Wertmarke auf dem Lebens-, vielmehr Existenzweg. Nun jedoch verspürte er erneut dieses seltsame Unwohlsein, einen gesteigerten Unmut, den sein KOK-Offize Gayan als "Frust" klassifizierte: eine profunde Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation. "Ich bedaure, dass ich dich für die Zeit der Untersuchung suspendieren muss. Es wird bis zur Aufklärung der Lage keine Aufträge mehr für dich geben." Amber markierte die Karteikarte mit einem roten Tab. Gekko hatte etwas Derartiges durchaus erwartet, jammerte jedoch pro forma. "Es war nicht meine Schuld! Ich habe mich an die Anweisungen gehalten!" Welche auf ein Faltblatt mit Bildern passten. "Nichtsdestotrotz." Retournierte Amber ungerührt. Das war für ihn ein Punktum, nicht etwa die Einleitung in ein Innuendo der Rechtfertigung seiner Entscheidung. Es dauerte einige Sekunden, bis auch Gekko begriff, dass die Unterhaltung beendet war. Mit betont hängenden Schultern und schleifendem Schritt schlappte er aus dem kleinen Hinterhofbüro in einem aufgebockten Bauwagen. Nachdem er sein Einrad freigekettet hatte und durch den altertümlichen Torbogen auf das Trottoir biegen wollte, stieß er beinahe mit einem sehnigen Daimon in der KOK-Uniform zusammen, der munter in die Gegend strahlend in den Hinterhof gelangen wollte. "Hoppla!" Kommentierte der KOK-Offize launig, fing erstaunlich mühelos Gekkos Trudeln mit beiden Klauen ab und bleckte ein Diamantengebiss, das Unvorsichtige blenden konnte. "Wohin des Wegs, Kamerad?" "Heim." Murmelte Gekko geknickt, alle Streifen Richtung Erdmittelpunkt hängend. "Oha, Kummer?" Mitfühlend legte sich ein Arm um Gekkos schmale Schultern. "Keinen Job abbekommen?" In seiner Stimme lag so viel Wärme und Sympathie, dass der jüngere Daimon kurz schniefte und offenbarte. "Bin suspendiert, obwohl es NICHT meine Schuld war!" "Ach herrje!" Wurde ihm aufrichtige Aufmerksamkeit zuteil. "Dann herrscht da hinten wohl dicke Luft, wie?" Unisono richteten sich ihre Augen auf den Bauwagen. "Weißt du was, Kamerad?" Die Diamanten funkelten in voller Blendstärke. "Gehen wir einen Kurzen zwitschern! Das hebt die Laune! Ich lade dich ein!" In Anbetracht wenig erfreulicher Alternativen für diesen Abend willigte Gekko ein. ('w') "Eine pragmatische Lösung." Stellte Amber für sich selbst fest. Nach Prüfung aller Variablen, Kontrolle des konfiszierten Visors und der Akte des Kontrakt-Menschen hatte er seinen nächsten Schritt sorgfältig erwogen: der Friedensstifter musste zum Zuge kommen! Dabei handelte es sich um einen an ledernem Gurt getragenen Beutel, der zu Selbstverteidigungszwecken in der Menschenwelt genutzt wurde. In seinem Inneren verbarg sich ein Pulver, das das Gedächtnis verwirrte, für Schlaf sorgte und jedwede merkwürdige Begegnung mit Daimonenweltbewohnenden zum wirren Traum reduzierte. Selbstredend durften nicht alle ein solches Präzisionswerkzeug schwingen, oh nein, es gab entsprechende Kurse, eine Prüfung und ein Zertifikat! Für seine Betätigung war als ultima ratio auch ein Friedensstifter reserviert. Das vorgefundene Exemplar hatte sich jedoch als unglaublich vernachlässigt erwiesen: Löcher, gerissener Gurt, ausgerieseltes Pulver, Flecken, grässlich! Amber gehörte nicht zu der Gruppe Neu-Daimonenwelt-Beschäftigten, die ihren ersten Schritt darin sahen, sich zu beschweren. Außerdem hegte er eine heftige, ihm dato unbekannte Abneigung gegen labyrinthische Bürokratie-Marathons, um sich Ersatz zu beschaffen. Zu seiner eigenen Verblüffung unerwartet pragmatisch veranlagt kehrte er das restliche Pulver mit zwei Aktendeckeln auf einen dritten, befüllte damit einen alten Kopfkissenbezug, den er sorgsam zuschnürte und an einem Stück Wäscheleine befestigte. Nun war es also an der Zeit zu überprüfen, ob seine Modifikation ihren Zweck erfüllte! ('w') "Der Trick mit dem Schild wird nicht funktionieren." Brummte Elia missmutig vor sich hin. Er hatte den demolierten Kürbis aus dem Arrangement geborgen, auf den kleinen Klapptisch gesetzt und erwog seine Möglichkeiten. Eine Weile lang hatte er sich die gemeingefährliche Nachbarschaft mit einem Baustellenschild vom Leibe halten können, doch dann gab es wieder Zettelchen, Fotos und andere "nette" Hinweise, sich endlich für eine angemessene Dekoration zu entscheiden! Elia unterdrückte ein kiefersprengendes Gähnen und konkludierte, dass er in der gegenwärtigen Verfassung die Kürbisruine nicht retten konnte. Da hörte er auch schon das charakteristische Ächzen des kleinen Koreaners. Die späten Grill-Gourmets kamen also zurück! ('w') Unweit des ehemaligen Hofes blickte eine schlanke, nicht allzu große Gestalt finster mit einer merklichen Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen auf den Visor. Der verkündete stoisch, was Amber nicht überhören konnte: der mutmaßlich nicht mehr einsatzfähige Kontrakt-Mensch und der ZEUGE bekamen Gesellschaft, was durchaus ärgerlich war und die Situation verschärfte! Man durfte weder riskieren, dass der ZEUGE seine Erkenntnisse unkontrolliert verbreitete, noch durfte der Kreis der ZEUGSCHAFT durch weitere Ungeschicklichkeiten erweitert werden! Angestrengt bemühte der frühere Engel sich um die RICHTIGE Entscheidung. Das nahm sich für ihn nicht einfach aus, denn mit der Welt der Menschen hatte er trotz seiner gegenwärtigen Beschäftigung nicht viel zu tun. Die Laufarbeit erledigten schließlich die anderen! In den Einführungsstunden war ihm bedeutet worden, dass Menschen keine rationalen Geschöpfe waren. Sie misstrauten ihren eigenen Sinnen, durchaus zu unrecht, denn das eigentliche Problem bestand in der grauen Masse im jeweiligen Schädel. Dieses Verarbeitungszentrum verfügte über eine individuelle Zensurbehörde, die Wert darauf legte, dass das, was die Sinne getreu aufzeichneten und weitergaben, für den Rest der Person auch in einem sinnvollen Erleben ihrer Umwelt bestand. Weniger komplex ausgedrückt: was nicht passte, wurde ausgefiltert. Darin bestand auch die Hoffnung, unerwartete Aufeinandertreffen mit Menschen unbeschadet zu überstehen. Weil die das, was nun wirklich nicht in ihre Welt gehörte, einfach im Hirn adaptierten, bis alles wieder zur Zufriedenheit stimmte. Auch wenn diese Interpretation nicht mal in Reichweite der tatsächlichen Umstände geriet. Ohne einen Feldstecher bemühen zu müssen, da seine türkisfarbenen Engelsaugen nicht nur extrem scharf, sondern auch vor Nachtblindheit gefeit waren, konnte Amber erkennen, dass sich zwei eingemummelte Menschen aus einem kleinen Gefährt schälten und ins Haus gingen. Im oberen Stockwerk flammten Lichter auf, in der Einliegerwohnung erlosch die letzte Funzel. "Ärgerlich." Konstatierte Amber. Möglicherweise würde die späte Stunde verhindern, dass der ZEUGE seine Beobachtungen weitertratschte, aber wenn er jetzt die Chance ergriff, sich ihm zu nähern, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er bemerkt wurde. Dabei konnte er nicht umhin festzustellen, dass es wahrscheinlich sinnvoll wäre für zukünftige Probleme, sich mit dem geschickten Einbrechen in fremde Wohnungen zu befassen. Das hatte er bisher versäumt. Mangels Gewohnheit im Äußern deftiger Kraftausdrücke zum Frustrationsabbau schnaubte der frühere Engel lediglich laut und wechselte zurück in die Daimonenwelt. ('w') Als Elia die Stufen hinabstieg, klebte am Türblatt ein Zettel, mit Blockbuchstaben beschriftet. Der Pflegedienst wies freundlich darauf hin, dass man besser den Dreck aus dem Vorgarten zusammenkehrte, wünschte man ihn nicht wie jetzt im Hausflur. Elia knurrte, denn diese Mitteilung bedeutete, dass erstens außer dem Alten seine beiden Mitbewohnenden noch nicht wieder in die Senkrechte gekommen waren, zweitens, dass der Kürbis-Vandale durch seinen Terrorlauf das halbe Beet über weitere Schuhabdrücke ins Haus befördert hatte. "Wunderbar!" Brummte er ärgerlich, stiefelte besonders aufmerksam um die Dreckspuren herum ins Erdgeschoss, wo der Alte artig den Nachrichten am Samstagmorgen lauschte. Elia requirierte Besen und Kehrschaufel, um sich halb gebückt Richtung Haustür zu arbeiten. Die erste Schaufel landete wieder im erbärmlich derangierten Beet, so bar des schönen Schmuckes. Er zog die Tür hinter sich zu, um den Alten nicht zu einem kleinen Spaziergang zu animieren. Ja, so hatte er sich den Samstagmorgen vorgestellt: Dreck schaufeln und Frustration aufbauen! Eigentlich wollte er ja lieber dem Ansturm der Wochenendeinkäufer zuvorkommen und seine Vorräte wieder aufstocken, doch zunächst sah es ganz danach aus, als müsse er hier Fronarbeit ableisten! Elia schrubbte also schwungvoll, um sein Verärgerungslevel durch Energieverlagerung auszuhungern, Dreck über das alte Kopfsteinpflaster, umrundete den kleinen Koreaner. Als er sich aufrichtete, registrierte er eine Bewegung in der Reflexion der Frontscheibe und wischte reflexartig herum, zur Abwehr den Besen schwingend. ('w') Amber benötigte wie die meisten Engel seiner Art wenig Mußestunden zur Regeneration, wenn mal eine Stunde zusammenkam. In der übrigen Zeit war er zum Abwarten verdammt gewesen, da die Ablage wie geschmiert lief, keine Korrespondenz unerledigt harrte und er auch sonst in allen Belangen akkurat auf dem Punkt war. Eigentlich hätte er ein Gefühl der aufreibenden Zermürbung gar nicht empfinden dürfen! Grundsätzlich waren Emotionen nicht vorgesehen, die über eine benötigte Erkenntnis von zwingenden Eingriffsnotwendigkeiten hinausgingen. Nichtsdestotrotz. Also hatte er im kalten Dunst eines klaren Herbstmorgens in der Nähe des alten Hofs ausgeharrt, bis der ZEUGE die Stiege der Einliegerwohnung herunter gestapft war. Um lautlose Annäherung bemüht hatte es Amber durchaus verärgert, dass der ZEUGE ins Haus entwischt war, möglicherweise dort von der Begegnung am Vorabend berichtete, doch aufgrund des plärrenden Radiogeräts konnte er sich in dieser Hinsicht lauschender Weise keine Beruhigung verschaffen. Ausreichend enerviert von all den Umständen, die ihn mit immer neuen Erkenntnissen über die Welt, seine Aufgabe darin und die eigene Beschaffenheit konfrontierten, hatte er im Schatten der Außentreppe ausgeharrt, bis die Wurzel all seiner gegenwärtigen Unzufriedenheit das Haus wieder verließ. Um dann den Friedensstifter, adaptiert, zum Einsatz zu bringen. ('w') Vermutlich war es der Schrecken, der den Lauf der Zeit wie Kaugummi zerdehnte und alles wie in Zeitlupe abspulte: eine seltsame Gestalt in violetten Cargohosen, einer bestickten Bauernbluse und einem türkisfarbenen Chasuble mit quittegelbem Schopf und finsterem Gesichtsausdruck schwang eine Art Wäschebeutel wie einen Morgenstern, mit unzweideutigem Adressaten des Einschlags dieser Waffe! Elia hatte in seiner Schulzeit für eine Weile im Badminton-Team gespielt und dabei gewisse Routinen entwickelt, die sich auch ohne bewusste Entscheidung abspielten. Das Unterbewusstsein wartete deshalb lieber nicht ab, bis das bräsige Bewusstsein mit seiner Zensurbehörde endlich eine Entschließung verlautbarte, nämlich, wie reagiert werden sollte, wenn ein unbekanntes, im Kreisrund geschwungenes Objekt auf Kollisionskurs mit dem eigenen Schädel einzuschlagen drohte. Der Besen zuckte hoch, errechnete den Kurs des gegnerischen Objekts, eilte ihm ballistisch auf derselben Laufbahn ein wenig voraus, um den Schwung geschickt auf den Aggressor zurückzulenken. Minimaler Krafteinsatz bei maximaler Wirkung. Für einen Sekundenbruchteil nur zogen seltsame Schwaden über aufgerissene, türkisfarbene Augen, dann rummste der ominöse Wäschesack mit einem befriedigten Stoffseufzer zentral in eine faltenfreie Stirn. Eine seltsame Wolke pupste matt aus dem Gewebe. Anschließend plumpsten Angriffswaffe und Attentäter ziemlich ungraziös in das ohnehin ruinierte Vorgartenbeet. "Oh du Murks!" Japste Elia überrumpelt, während sich eine leise Stimme in seinem Hinterkopf fragte, wie es möglich war, dass bei einem durchaus großen Hofgut sich alles Ungemach in ein 1x2m großes Beet direkt am Hauseingang entlud. ('w') Kapitel 2 - Völkerverständigung Hatte Elia noch vermutet, dass das ungeplante Aufräumen an diesem Samstagmorgen der Tiefpunkt der Belästigungen sein würde, so sah er sich zu seinem bodenlosen Entsetzen getäuscht. Die fremde Person, mutmaßlich ein junger Mann mit gleichförmigen Gesichtszügen, die beinahe an Mannequins für Schaufenster erinnerten, reagierte nicht auf seine Ansprache. Das wäre ja noch zu verschmerzen gewesen, hätte er nicht weder Atemzüge noch Herzschläge oder einen Puls feststellen können. Eine blutende Wunde konnte er jedoch auch nicht erkennen. War das ein schlechter Scherz?! Mit einem Anflug akuter Übelkeit, von leichtem Schwindel begleitet, stemmte Elia sich wacklig aus der Hocke hoch. Er musste jetzt sofort eine Ambulanz alarmieren! Vermutlich auch gleich eine Polizeistreife, denn eine Leiche im Vorgarten legte eine gewisse Erklärungsnot nahe. "Oh, was für ein Schlamassel!" Bemerkte eine launige, angenehm sonore Stimme neben ihm. Hätte Elia nicht bereits mit einem schockbedingt niedrigem Kreislauf zu kämpfen gehabt, wäre ihm vermutlich das Herz aus der Brust gesprungen. An seiner Seite stand ein sehniger Mann mit einer Komplettüberkronung seiner Zähne und Klauen! Elia brachte eilig durch einen Sprung Distanz zwischen sie, schob sich um den kleinen Koreaner herum. Der Fremde, spitze Ohren, eine polierte Glatze, ein einladendes, aber sehr gefährliches Grinsen mit Diamantglitzer, in einer Art Uniform, zwinkerte und strich über einen beeindruckend gezwirbelten Oberlippenbart. "Verzeihung, mein Lieber, ich habe mich ja gar nicht vorgestellt!" Eine Klaue wanderte grüßend neben ein Spitzohr, in dem eine goldene Kreole steckte. "Gestatten, Gayan! Ich gehöre zum KOK, Komitee organisierter Kreativität. Du bist bestimmt Elia, richtig?" "Ist-ist das ein Scherz?" Elia umklammerte den Besen beklommen. Zierlich-schmale Augenbrauen wanderten nach oben, dann grinste Gayan erneut. "Ach so, verstehe! Schätze, der Friedensstifter hat bei dir nicht funktioniert!" Er ging in die Hocke, um umsichtig den leb- und glücklosen Attentäter auf seine Arme zu betten. Danach erhob er sich mit beängstigender Mühelosigkeit. "Könntest du mir wohl mal eben den Friedensstifter umhängen, ja? Den lassen wir hier besser nicht herumliegen, ist eine lizenzierte Waffe für Fachkundige." Plauderte Gayan völlig unbeeindruckt. Elia schnappte nach Luft und verspürte die Überzeugung, man habe ihn durch zwei dämliche Streiche veralbern wollen. Das kam seiner Courage erheblich zupass, die nun mit hochgekrempelten Ärmeln lospolterte. "Ich glaub, es geht los! Was soll der ganze Quatsch?! Findet ihr das lustig, ja?!" Er drehte er sich wütend im Rund. "Was für blöde Streiche sind das denn?! Guckt mal in den Kalender, Halloween ist erst in vier Wochen, klar?! Der kleine Dämlack mit der Fratzenmaske kann hier zackig antreten, um mir meine Dekoration zu ersetzen!" Gayan blinzelte überrascht, die Augenbrauen wölbten sich noch höher. "Ah!" Bemerkte er schließlich. "Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten, mein Freund." ('w') Bevor Elia empört diesem Ansinnen die Schranken weisen konnte, hörte er zu seinem Schrecken den quietschenden Fensterflügel im Obergeschoss und sogleich auch Lotta-Mari. "Ui, Mokka, du bist aber schon früh fleißig!" Elia wedelte wenig überzeugend mit dem Besen und grinste manisch Richtung Firmament. "Guten Morgen! Ja, hier hat's ein bisschen Dreck gegeben." Aus dem Obergeschoss, in einen völlig verfilzten Pullover mit Raummaßen eines Elefantentransporters gewickelt, grinste die bessere Hälfte seines älteren Stiefbruders herunter. "Gut, dass wir das wegen der Dunkelheit gestern nicht gemerkt haben!" »Klar!« Dachte Elia grimmig, für einen Moment von seiner prekären Lage abgelenkt. »Mit dem Putzen habt ihr's ja auch nicht!« "Willst du nachher mit Einkaufen fahren?" Lotta-Mari sortierte mit einer Hand Strähnen, die ein wildes Eigenleben entwickelt hatten und offenbar ihre Hand einkletten wollten. "Oh, sicher!" Feixte Elia bemüht harmlos zum Fenster hinauf, mutmaßte nicht zu unrecht, dass er langsam einem notorischen Serienmörder im Kintopp ähnelte. "Okay! Bis dann, Mokka!" Quietschend erlöste ihn die Kakophonie von seiner Panik. Elia war so flau, dass er sich auf Besen und Koreaner lehnen musste, um ordentlich durchzuschnaufen. Er ärgerte sich jedoch auch ein wenig über sich selbst. Wieso hatte er den Zwang verspürt, auf keinen Fall die beiden Verrückten vor seinen nicht weniger herausfordernden Mitbewohnenden zu verbergen?! Unterdessen hatte der seltsame Bursche in Uniform bereits die oberste Stufe der Stiege mit seiner Quasi-Leiche erklettert und blitzte mit allen Diamantzähnen. "Mokka, hm?" ('w') Widerwillig gestattete Elia, dass Gayan den Niedergestreckten auf seinem Klappsofa ablegte, sich selbst dort platzierte, als beabsichtige er durchaus, länger zu verweilen. Die Hände grimmig in die Hüften gestützt grollte Elia verstimmt. "Ich brauch jetzt erst mal nen Kaffee!" "Guter Gedanke!" Lobte der uneingeladene Usurpierende. "Darf ich mich anschließen?" Wer hätte da unhöflich eine Weigerung aussprechen können? "Hrmpf!" Brummelte Elia, stapfte zur Küchenzeile, wo er sich mit einer kleinen Gehässigkeit schadlos halten konnte. "Ist aber Gerstenkaffee mit Hafermilch!" "Hervorragend!" Gayan strahlte gleißend bis zur drohenden Erblindung. "Wieso 'Mokka'?" Seufzend startete Elia den Wasserkocher, stellte Henkeltassen auf und bestückte sie, während Dampfblasen blubberten. "Mein Stiefvater fand das wohl witzig. Mein Taufname lautet Elia." "Nun, Elia, freut mich sehr!" Gayan lächelte unvermindert, trotz des gemeingefährlichen Beißwerkzeugs unerklärlich freundlich und vertrauenerweckend wirkend. "Ich muss mir mal den Kopf untersuchen lassen." Diagnostizierte Elia sich selbst kaum hörbar. Er stellte die Tassen auf dem niedrigen Klapptisch ab und reichte Löffel zum Rühren. "Wohlsein!" Wünschte Gayan, nahm einen genießerischen Schluck und seufzte gründlich. "Ahhh!" "Dito!" Elia sackte auf seinem Stapelhocker ein wenig in sich zusammen, gönnte sich kostbare Sekunden Frieden vor dem Wahnsinn seines völlig aus den Fugen geratenen Alltags. "Nun denn!" Gayan klatschte in die imponierenden Klauen, wirkte sehr aufgeräumt. "Ich schulde dir ja einige Erklärungen! Oh, vorneweg natürlich die Tradition!" Elia lupfte automatisch in sehr skeptischer Erwartungshaltung die Augenbrauen. Tief vorgebeugt, als gelte es, ein Staatsgeheimnis zu wahren, wisperte Gayan sonor. "DIES ist kein Traum!" "Ah, ja." Kommentierte Elia nach einigen Herzschlägen gedehnt. Also doch so ein dämlicher Trick?! Unterdessen leerte Gayan mühelos seinen Kaffeebecher, leckte sich mit einer langen, gespaltenen Zunge verstörend aufreizend über die Lippen und zwinkerte. "Ich weiß, sieht verdächtig nach einer Show aus!!" Winkte er lässig mit beiden Klauen. "Wir kennen ja euer Fernsehprogramm! Nein, das hier ist alles echt, Elia. Eigentlich solltest du auch gar nichts davon erfahren." "DAS kann ich mir vorstellen!" Grollte der finster. "Deshalb auch diese Keulenattacke mit dem Klammerbeutel!" "Gut erkannt!" Lobte Gayan aufrichtig, ohne einen Hauch von Ironie. "Das ist übrigens mal ein Friedensstifter gewesen. Sieht aber so aus, als wäre das Modell etwas, nun ja, modifiziert worden. Schätze, Amber wollte sich nicht über die Ausstattung beschweren." "Friedensstifter!" Wiederholte Elia grimmig. Das wurde ja immer besser! Unterdessen wetzte Gayan eine Scharte in Form einer Unterlassungssünde aus. "Oh, wie nachlässig von mir! Darf ich dich mit Amber bekanntmachen? Er ist der Chef der 'Freundlichen Terminal-Kontrakt-Betreuung' und damit Gekkos Boss. Gekko war der wirklich nette Bursche, der gestern hier den Kontrakt-Menschen besucht hat." "Der flüchtige Vandale mit der Maske?!" Elia war nicht geneigt, diese Bande von Verrückten freundlich aufzunehmen. "Keine Maske, alles Mutter Natur. Oder Vater. Ich kenne Gekkos Eltern nicht, er ist zugezogen." Gayan zwinkerte. "Weißt du, er war gestern sehr verstört, denn eigentlich ist das hier ein kleiner Nebenjob, den er nur angenommen hat, weil er in das schönste Daimonenmädel des Universums verknallt ist. So hat er das zumindest formuliert." Noch ein Zwinkern, die Beißer blitzten in unzähligen Karat. "Wie das so ist, wenn man verliebt ist: man will seinem Herzblatt was Besonderes bieten!" "Er hat MEINEN Kürbis zerlegt!" Wies Elia anklagend auf das Opfer des Sturmlaufs am Vortag. "Oh, das sieht ja ziemlich übel aus." Nickte Gayan mitfühlend, rieb sich erst über die polierte Glatze, zwirbelte dann seinen dramatisch frisierten Oberlippenbart. "Ich denke, ich könnte da Hilfe leisten." Ein beunruhigendes Leuchten funkelte in den schwarzen Augen. "Noch mehr von diesem Kaliber?!" Elia erhob sich, um die Tassen einzusammeln. "Ich habe wirklich genug Ärger, danke vielmals! Mir wäre schon damit gedient, wenn die Leiche hier verschwinden würde!" "Oh, Amber ist doch nicht tot!" Schmunzelte Gayan unbeeindruckt von Elias demonstrativem Misstrauen. Seine Klaue strich zärtlich über quittengelbe, fransig geschnittene Strähnen. "Er hat bloß keinen Puls, keinen Herzschlag und atmet nicht, aber das ist völlig normal." "Für eine LEICHE!" Beharrte Elia grimmig, die Hände in die Hüften gestützt. Zudem noch eine Leiche, die sich wie ein Zirkusclown kleidete! "Ja, auch für Leichen, das gebe ich zu." Gayan zwinkerte frech. "Nur, dass die auch noch tot sind. Amber hier ist jedoch ein Ex-Engel. Er ist bloß k.o." "Ex-Engel. Vermutlich auch noch gefallen, wie?" Ätzte Elia, der bei möglichen religiösen Scherzen die Stacheln aufstellte. Das waren keine Themen, die ihm behagten, also wollte er sie auch vermeiden, wenn es sich einrichten ließ. Der spitzohrige Bursche in Uniform blieb unbeeindruckt. "Nö, das glaube ich eher nicht." "Gestürzt?!" Elia konnte es nicht lassen. "Sah mir nicht danach aus." Gayan erwiderte die Herausforderung nonchalant. "Er kam wie alle anderen auch zu Fuß über die Brücke. Ist mein Bezirk, daher habe ich ihn gleich angesprochen. Das Erste, was er zu mir sagt, ist: 'wo bekomme ich eine Schere?! Ich muss diese grässliche Mähne abschneiden und in diesen vollkommen unpraktischen Kittel Gehschlitze!'" In Erinnerung an diese besondere Szene lächelte Gayan zärtlich, kraulte sanft den sehr kurzen Schopf. "Was für ein Entree!" Raunte er leise. Elia seufzte stumm. Unübersehbar war dieser seltsame Gayan in diese Leiche/Pseudo-Jahresendzeiterscheinung verliebt! Wenn man seinen Erzählungen Glauben schenken durfte, was dieser andere Terrorbruder in diesem Zustand angerichtet hatte, dann war hier äußerste Vorsicht geboten! "Soll das etwa bedeuten, dass ihr aus der Hölle kommt?" Hakte Elia nach. Wann beendete jemand diese Farce?! "Hölle? Nö, einfach eine andere Welt, Dimension." Gayan zwirbelte mit der freien Hand seine Oberlippenzier. "Wir sind keine Menschen, wenn dich das beruhigt. In unsere Welt kommen auch Wesen, die in der Menschenwelt keinen Platz mehr haben. Meist werden wir 'Dämonen' genannt, aber es gibt bei uns auch Ex-Göttlichkeiten, frühere Engel, Phantome, Fabeltiere. Eben ein richtiger Gemischtwarenladen!" "Toll!" Grollte Elia. "So eine Art Fantasy-Disneyland?! Was genau wollt ihr dann hier?!" "Richtig!" Gayan nickte beifällig. "Das habe ich ja noch nicht erklärt. Also, Gekko war gestern in seinem Mini-Job hier, um einen Kontrakt-Menschen zu überprüfen, nämlich zu bestätigen, dass der Kontrakt-Mensch nicht mehr einsatzfähig ist. Das ist wichtig für das Management, es gibt da ganz komplizierte Formeln, wie viele Kontrakt-Menschen pro Fläche in welcher Funktion vorhanden sein sollten, um die gesellschaftliche Komponente zu beeinflussen." Elias Unterkiefer hakte sich aus, während sein Gehirn sich einigermaßen verzweifelt bemühte, das Gehörte mit irgendeinem Sinn zu verbinden. Gayan grinste, was den Raum schlagartig erhellte. "Ist gar nicht so schwer." Gestikulierte er beruhigend. "Also, dein Stiefvater ist der Kontrakt-Mensch, jemand, der bestimmte Eigenschaften oder Eigenarten hat. Die werden immer mal wieder gefördert, zum Beispiel durch Fortbildungen, ohne dass die Kontrakt-Menschen das wissen, ist ja klar! Nehmen wir mal an, dass dein Stiefvater ein ziemlicher Stiesel ist. Sein Auftreten sorgt dafür, dass andere sich vornehmen, nicht so wie er zu sein. Das ist die Komponente, von der ich sprach. Im Kern geht es darum, den Wertekompass zu entdecken, regelmäßig aufzupolieren und auf diese Weise als Gesellschaft und Gemeinschaft zu bestehen." Elia blinzelte. "Aber ich verstehe nicht, warum? Warum das alles?" Nun legte Gayan den Kopf schief, zwirbelte gedankenverloren seinen prächtigen Schnurrbart, während er Elia betrachtete. "Tja, der Große M hat sich das nun mal vorgenommen. Menschen sind schon sehr eigenartige Wesen, faszinierend, aber auch gefährlich. Deshalb solltet ihr erhalten bleiben, das bedeutet ihm sehr viel. Unsere Welten sind ja auch eng miteinander verbunden." "Moment mal!" Elia arbeitete sich in ein ihm völlig fremdes Universum mit argwöhnischer Akribie ein. "Wenn ihr euch da so Spezln raussucht für euer Moralverbesserungsprogramm, was für Kroppzeuch habt ihr da angeworben?! Ich denke nur an Kriege, Massenmorde!" Schnaubte er misstrauisch. Gayan, der bis dato sehr lässig auf der Klappcouch residiert hatte, straffte seine sehnige Gestalt und wirkte nun sehr ernst. "Ich werde jetzt nicht vorgeben, diese Andeutungen misszuverstehen." Antwortete er beherrscht. "Deine Annahmen sind jedoch unzutreffend. Wenn Kontrakt-Menschen angeworben werden, dann solche mit kleineren Defiziten." Die schwarzen Augen funkelten so gefährlich, wie es üblicherweise das Diamantengebiss tat. "Des Weiteren habt ihr einen freien Willen. Die Entscheidung jedes Augenblicks liegt bei jedem Menschen selbst." Elia erkannte, dass er eine Grenze überquert hatte, was zu einer deutlichen Missstimmung führte. Er konnte konsequent weiter sticheln und seine Frustration damit austoben oder aber den entscheidenden Schritt zurücktreten und seiner Laune Zügel anlegen. "Also bloß kleine Fische für den täglichen Ego-Kontrollgang?" Wählte er Variante 2. "Genau." Gayan nickte, seine Haltung verlor die beinahe militärische Starre wieder. "Wenn ein Kontrakt-Mensch dann eben nicht mehr einsatzfähig ist, schickt man so Mini-Jobber wie Gekko los, damit sie den finalen Haken unter die Ausmusterungsliste setzen." Seufzend faltete Elia sich auf seinem Hocker zusammen. "Aber wieso tarnt er sich nicht einfach?! Warum erzählst du mir das alles? Damit sie mir später erst recht die Rübe eindellen können?" Der Daimon schmunzelte, es blitzte dezent. "Erstens, die Verhaltensanweisungen verlangen, dass sich niemand in der Nähe befinden darf, wenn der Kontrakt-Mensch inspiziert wird. Der ist ja regelmäßig nicht mehr fähig, irgendwem irgendwas Sinnvolles mitzuteilen. Zweitens, ich glaube nicht, dass du von dieser Episode etwas weitererzählst. Klingt ja doch eher nach Märchen, nicht wahr? Ich würde auch gern vermeiden, dass bei uns diese Geschichte ein Nachspiel hat. Amber musste Gekko ja schon suspendieren, schlimm genug!" Er hob den rechten Arm und studierte kurz eine seltsam verschlungene, farbenprächtige Zeichnung auf seinem Handgelenk. "Tja!" Sich erhebend las er auch gleich Amber auf, ohne erkennbare Mühe. "Ich muss jetzt wieder zurück, Elia. Bist du heute Abend zu Hause?" "Warum?!" Schoss der Argwohn schneller, als Elias Besonnenheit auf die Bremse treten konnte. Gayan grinste nachsichtig. "Weil ich glaube, dass ich jemanden kenne, der das Malheur mit dem Kürbis beheben kann." "Tatsächlich?" Zweifelnd verschränkte Elia die Arme vor der Brust. "Noch so ein Mini-Jobber mit Jahrmarktserscheinung?" "Lass dich überraschen!" Lachte Gayan jovial. Nicht ein Zwinkern später war er mit der vermeintlichen Leiche verschwunden. ('w') Elia wusste nicht, wie er den gewohnt chaotischen Einkaufstrip mit seinen Mitbewohnenden überstanden hatte. Seine Gedanken kreisten um die unwahrscheinliche Begegnung am Vormittag. Schön, akzeptierte man mal, aus rein hypothetischen Gründen, dass Gayan, der uniformierte Daimon, wirklich aus einer anderen Welt stammte: wieso hatte der heimtückische Beutelschwingende im Clownskostüm keine Flügel, wenn der doch einen Engel darstellte? Wenn Daimonen kommen und gehen konnten, wie sie lustig waren, warum war dieser Gekko ums Haus gerannt, anstatt sich eben mal in Luft aufzulösen?! "Ominös!" Knurrte Elia, während er seine Vorräte verstaute und einen kritischen Blick auf die Klappcouch warf, wo sich noch feine Linien als Hinweis auf die Pseudo-Leiche abzeichneten. Energisch schleuderte er das dekorierende Laken aus und glättete es. Nein, da half kein Leugnen, ihn ärgerte nicht nur diese gesamte, verrückte Episode, sondern seine eigene Reaktion, speziell wegen des Samstagabends, weil er da doch ein wenig empfindlich war! Während der Schulzeit hatte sich Ausgehen nicht angeboten, was für den Geldbeutel recht praktisch war. Der Zirkel der Konsumverweigernden traf sich wahlweise in einem durchaus noblen Anwesen, diskutierte, kaute dabei Popcorn und sprudelte Zitronentee mit Natron auf. Von Clubs oder Diskotheken mit überteuertem Zuckergesöff zum debilen Rausch oder gar Rauchware hielt man überhaupt nichts, weitere Rauschmittel in Pillen- oder Pulverform selbstredend eingeschlossen. In seiner Lehrzeit war er dann schon hin und wieder mal eingeladen worden, mit auf Tour zu gehen, doch irgendwie war auf Elia der Funke nicht übergesprungen. Wirre Leuchtinszenierungen verursachten ihm Kopfschmerzen, er hasste den Rauchvorhang an jeder Tür, weil innen striktes Rauchverbot herrschte, die Musik, oder zumindest die Geräuschquellen, waren oft schmerzhaft laut, die Gesprächsfetzen schrill und getrieben. Gelegentlich hatte ihn die Atmosphäre an die von Gladiatoren-Arenen erinnert, nur ein winziger Schritt bis zum kollektiven Wahnsinn. Außerdem wollte er nicht zu viel Geld ausgeben. Er fühlte sich hin und wieder aufgrund seiner Erscheinung deplatziert, selbst wenn ihn kein Türsteher kritisch musterte, ob er zur Risikogruppe gehörte. Dann gab es da ja noch die Frage des Transportes, richtig? In der Stadt konnte er sein Fahrrad nehmen, doch hier, auf dem Land, da fuhr man Auto. Vielmehr raste der Kollege wie eine gesengte Sau! Was Elia nach eigener Überzeugung Lebensmonate kostete, so entsetzt (und abgeschreckt) hatte ihn diese einmalige Erfahrung. Ein anderes, das gewichtigste Argument eigentlich, galt dagegen nur noch eingeschränkt: Elia hatte miterlebt, wie Alkohol die Hemmungen (und auch diverse andere Kontrollinstrumente) außer Kraft setzte. Er wusste nicht genau, wo seine Grenze lag, hatte jedoch keine Intentionen, dies herauszufinden, sich seiner Mutter in angetrunkener oder schlimmerer Verfassung zu präsentieren. Nein, in dieser Hinsicht hegte er keinerlei Zweifel: Betrinken kam nicht in Frage. Seine mangelnden Erfahrungen und gewisse Standards, die er nicht aufzugeben bereit war, sorgten in der Folge jedoch für die etwas beschämende Situation, nur selten an Wochenenden "auf der Piste" zu sein. Es war schlichtweg peinlich, deshalb bemühte er sich zur Wahrung seiner fragilen Würde, nicht allzu konkret zu werden, wenn die Sprache auf Wochenend-Vorhaben kam. Potentielle Angebote bremsten ungenierte Sticheleien aus. Hoffte er. "Aber was kümmert mich auch seine Meinung?!" Versuchte Elia, sich selbst aufzubauen. Genau, wahrscheinlich würde dieser Gayan gar nicht mehr aufkreuzen! Ob der ihn nun für einen hoffnungslosen Einsiedler hielt, das spielte doch keine Rolle, richtig?! ('w') Der Himmel war sehr bunt und kein tatsächlicher Himmel, sondern ein Deckengewölbe. Amber setzte sich ruckartig auf, schlug benommen wieder rücklings auf ein breites, mit Kissen überladenes Bett. "Ah, wieder wach?" Gayan beugte sich über ihn, grinste schelmisch. "Ich fürchte, ich bin defekt." Stellte Amber nach einer Selbstdiagnose fest. Er fühlte sich schwach, was nicht sein konnte. Seine Stirnhaut wirkte gespannt, löste ein Unwohlsein aus. Außerdem sollte er nicht hier sein, nein! Was war aus dem Einsatz in der Menschenwelt geworden?! Eine solide Klaue drückte ihn runter auf die Matratze. "Mach bitte langsam, Amber, der Tabak wirkt vermutlich schon." Der Daimon zwirbelte selbstzufrieden den imposanten Schnurrbart. "Wasserpfeifentabak?!" Zwischen quittegelbe Augenbrauen kerbte sich die warnende Sorgenfalte. Amber verfügte über keinerlei Erfahrungen mit Genussmitteln, er war als Engel geschlüpft, ohne Verdauungssystem oder Sexualorgane, ohne Herz, Lunge oder sonstige Merkmale, die andere Lebensformen auszeichneten. Allerdings hatte er im Schulungsfilm für die Neuankömmlinge gelernt, dass für ehemalige Engel das Wasser hier bei den Daimonen unproblematisch zu verwenden war, sie sich jedoch vor Wasserpfeifentabak hüten sollten, wegen gewisser euphorisierender Wirkungen. "Du wurdest einfach nicht wach, da habe ich es auf den Versuch ankommen lassen." Gayan zwinkerte und hauchte einen Kuss auf Ambers rechten Handrücken. Die Kerbe vertiefte sich, schillernde Schwaden schlingerten über die Türkismeere. "Ich verspüre eine ungewohnte Benommenheit." Bemerkte Amber kritisch. "Überdies scheint es mir angezeigt, eine Beschwerde zur Einsatzfähigkeit des Friedensstifters zu erheben." Gayan, der selbstsicher auf der Bettkante residierte (es handelte sich schließlich um sein eigenes Bett und nicht die Schlafröhre, in die Amber rutschte, wenn er eine Auszeit nahm), spielte vorsichtig mit quittegelben, kurzen Strähnen. "Es liegt mir fern, dir in deine Arbeit reinzureden." Er lächelte liebevoll auf Amber hinunter. "Ich glaube aber, dass diese ganze Geschichte nicht unbedingt publik werden sollte, hinsichtlich des Einsatzes eines Friedensstifters gegen einen unbeteiligten Zeugen, darüber hinaus auch noch erfolglos." In Amber arbeitete es, auch wenn er nicht zu sagen vermochte, ob er über ein organisches Gehirn verfügte. Gayans Argumente wogen schwer. Die schlichte Aufgabe, final die Akte des Kontrakt-Menschen zu schließen, war in eklatanter Weise ausgeufert und hatte Spuren hinterlassen. Wenn ruchbar wurde, welche unrühmliche Rolle er selbst gespielt hatte, wäre eine sofortige Kündigung noch das kleinste Übel. "Was ist passiert?" Ambers Taktik im Umgang mit der ihm noch immer fremden Umwelt bestand in einer Faktensammlung und sich anschließender Analyse, auch wenn er sich wirklich ungewohnt losgelöst fühlte. Gayan schmunzelte über die konzentrierte Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen, die er für sich das 'Grübelgrübchen' getauft hatte. "Nun, ich habe Elia die Situation erklärt, dich und den Friedensstifter eingesammelt und bin hierher gekommen. Ich habe versucht, dich aufzuwecken. Ach ja, heute Abend werde ich einen Bekannten zu Elia bringen, damit er den Schaden, den Gekko angerichtet hat, repariert." Fasziniert verfolgte er das Treiben der schillernden Ölschwaden auf den Türkismeeren. Amber dachte offenkundig sehr angestrengt nach. "Verstehe ich das korrekt?" Der frühere Engel hatte gleich als Erstes in seiner neuen Heimat gelernt, dass es keine Wahrheit (und erst recht nicht absolut) gab, sondern Betrachtungswinkel auf Wahrheiten. "Ein ZEUGE hat alles über uns erfahren und kann mit diesem Wissen in der Menschenwelt ungehindert hausieren gehen?" Ein anderer hätte wohl entsetzt oder zynisch geklungen, doch Amber hielt sich streng an die Fakten. Emotionen waren nicht vorgesehen, auch wenn er gelegentlich an dieser Frustration, die ihn umtrieb, verzweifelte. Im strikt reglementierten Rahmen, selbstverständlich. "Oh, darüber mach dir mal keine Sorgen, Amber!" Gayan zwinkerte frech. "Elia wird nichts erzählen, die Leute würden ihn ja sonst für bekloppt halten! Ich habe den Eindruck, ihm ist viel wichtiger, dass sein Kürbis gerettet wird. Scheint eine sehr wichtige Angelegenheit zu sein." "Ein Kürbis." Amber verstand, als Engel, selbstverständlich alle Sprachen, so, wie Engelszungen auch alles sprechen konnten. Ärgerlicherweise ging das keineswegs mit Begreifen einher. "Ursprünglich eine Gemüsepflanze." Half Gayan aus und skizzierte mit beiden Armen vage Umrisse. "Der Fruchtkörper wird geerntet. Wenn man das Mark auskratzt, kann man die Schale hübsch dekorieren oder zum Beispiel als Laterne nutzen." Amber stemmte mühsam die Ellenbogen in die solide Matratze, von einer zunehmenden Benommenheit beunruhigt. "Ist so etwas üblich, eine tote Pflanze ausstellen?" "Fruchtkörper." Korrigierte Gayan nachsichtig, der durchaus wusste, dass die kleinen Einführungsfilme für Ex-Engel nicht in die Tiefe reichen konnten, was die Vielfalt des Lebens betraf. Er beugte sich vor, um Ambers Schultern sanft wieder herunterzudrücken. Die durchscheinenden Lider flatterten ein wenig. "Im Fruchtkörper verbirgt eine Pflanze häufig ihre Samen, zur Fortpflanzung. Ja, die meisten Lebewesen schmücken sich und ihre Umwelt gern. Gekko hat aber keinen richtigen Kürbis zerdeppert, sondern eine gebastelte Version." Der ehemalige Engel blinzelte verwirrt. "Es entspricht nicht den Vorschriften, einen ZEUGEN zu Erkenntnissen über diese Dimension kommen zu lassen!" »Hinreißend!« Dachte Gayan und zwirbelte seinen prächtigen Schnurrbart, bevor er einen Kuss auf das geliebte, sich vertiefende Grübelgrübchen hauchte. "Das ist doch mehr eine Empfehlung, würde ich sagen. Weißt du, hier kommt es auf die Intuition an. Wenn keine Gefahr besteht, dass nach Zugängen zu unserer Dimension geforscht wird, ist es gar nicht so wichtig, ob jemand darüber Bescheid weiß." Amber blinzelte stärker. Wäre er ein organisches Lebewesen, so hätte er auch schwerer geatmet. Gayan streichelte durch die quittegelben Fransen. "Wenn, und es liegt mir fern, dich zu kritisieren, ich meine es eher allgemein!, also, wenn man es damit belassen hätte, dann würde Elia glauben, dass ein verkleideter Teenie sich einen dummen Scherz mit seinem Stiefvater erlauben wollte, dabei überrascht wurde und ungeschickterweise die Dekoration erlegt hätte. So was kommt eben vor." Der frühere Engel kämpfte mit der ungewohnten Situation, dass sich sein Analysezentrum nur widerwillig an die Arbeit begab, um diese Argumente zu prüfen und in Verbindung zueinander zu setzen. "Das bedeutet, meine Einmischung im Befolgen der Vorschriften hat die Situation erst bewirkt?" Formulierte er verwirrt. "Könnte man so sehen." Gayan streckte sich auf der Bettkante aus, den Kopf in eine Klaue gestützt, während die andere über Ambers Wange streichelte. "Ist jedoch nicht so wichtig. Ich bin ziemlich sicher, dass sich das Problemchen morgen Früh schon erledigt hat." In den Türkismeeren trudelten Ölteppiche schillernd. "Die Motivation erschließt sich mir nicht." Protokollierte Amber schließlich, blinzelnd, ein wenig ärgerlich über sich selbst. "Ich verstehe nicht, wie es sich verhält, dass du in die Menschenwelt gekommen bist und ich mich jetzt hier befinde." Gayan lachte leise. Er war ein erfahrener KOK-Offize, seine Talente fügten sich perfekt in seine Aufgaben ein. Ganz zu schweigen von seinem sehr sonnigen Gemüt. "Gestern bin ich zufällig mit Gekko bekannt geworden, als ich dich besuchen wollte. Tja, da habe ich von dem kleinen Malheur erfahren. Ich habe mich gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn dich bei deinem ersten Besuch in der Menschenwelt jemand begleiten sollte. Leider war ich einen Tick zu spät dran, aber so ist es ja auch in Ordnung." Amber prüfte diese Erklärung, die Kerbe reduzierte sich jedoch nicht. "Dennoch begreife ich nicht: warum?" "Ah!" Gayan eskalierte schmunzelnd in die metaphysische Ebene. "MEINE Motivation? Nun, ich habe es ja gelegentlich, hin und wieder, relativ regelmäßig erwähnt. Den Umstand, dass ich dich liebe. Dieses Gefühl veranlasst mich, stets an deinem Leben teilhaben zu wollen." Was eine sehr zurückhaltende Formulierung für seine intensiven Empfindungen darstellte, aber Gayan verfügte über ein äußerst feinfühliges Gespür, das ihm eingab, Amber nicht zu überfordern. Der rang bereits mit den Naturen organischer Existenzen in erheblichem Maße! "Ich vermute, dass ein Dank angezeigt ist." Die Kerbe vertiefte sich leicht. "Ich bin für deine Unterstützung und die mir erteilten Erklärungen dankbar. Ich werde sie zukünftig berücksichtigen." Üblicherweise hätte Amber sich auch artig aufgesetzt, um das Haupt neigen zu können und den Blick zu senken, doch hier nagelte ihn förmlich eine seltsame Schwere in seinen Gliedern auf die solide Matratze. Er blinzelte, dann analysierte er, ein wenig beunruhigt durch das beeindruckende Funkeln in den schwarzen Daimonenaugen über sich, die letzten Passagen der Konversation erneut. Als Engel war er mit Anweisungen und Befehlen vertraut, es gab dort keinen Subtext, keine unterschwelligen Botschaften oder versteckten Anspielungen. Organische Lebewesen hingegen schienen nur aus widersprüchlichen, verborgenen und unverständlichen Signalen zu bestehen! "Liebe?" Sammelte er schließlich ein Schlüsselwort ein. Er verstand das Wort, hätte es in unzähligen Sprachen nennen können, doch die Bedeutung, den wahren Inhalt, Dimensionen und Assoziationen, die blieben ihm fremd. "Genau." Gayan zwinkerte, die Schnurrbartspitzen tanzten frech. "Ich liebe dich." Die quittegelben Augenbrauen zogen sich konzentriert zusammen, obwohl Amber Mühe hatte, seine Gedanken zu gruppieren. "Ist damit eine seelisch-geistige Verbundenheit gemeint?" Tastete er sich vorsichtig auf unbekannte Gefilde. "Nö." Der uniformierte Daimon richtete sich auf der Bettkante auf, streifte seine Uniformjacke ab und erhob sich, um aus den schneidig-körpernah geschnittenen Beinkleidern zu steigen. Ein Hemd folgte den Socken, dann präsentierte sich eine muskulös-sehnige Gestalt in knappen Unterhosen. "Es handelt sich um die Variante, wo ich absolut hingerissen von dir bin, an dir kleben möchte wie Kaugummi. Dich von oben nach unten ablecken und den Rest meines Lebens damit verbringen will, von dir verzaubert zu sein." Amber blinzelte erneut, was seiner Verwirrung nicht abhalf. Von einem derartigen Konzept hatte er noch nie gehört! Ihm dämmerte jedoch eine befremdliche Viertelstunde "Konzeption von lebenden Organismen", ein Schulungsfilm, der verstörten Ex-Engeln erklärt hatte, wie sich in zahlreichen Variationen organische Lebewesen fortpflanzten. Aus Haftungsgründen schematisch dargestellt. "Ich bin frappiert." Bemühte er sich um mehr Bedenkzeit, denn UNMÖGLICH konnte Gayan, ein zweifelsohne organisches Lebewesen, auf eine PHYSISCHE Fortpflanzungsofferte mit einem anorganischen Wesen anspielen. "Geht es hier um eine verschieden geschlechtliche Vermehrung?" "Zellteilung?" Gayan präsidierte ungeniert auf seiner Bettkante, rutschte näher an Amber heran, dem die ganze Gestalt immer schwerer wurde. "Interessante Idee, aber mir geht es vor allem um Sex. Mit dir." Nun weiteten sich die Türkismeere sichtlich, sämtliche Ölteppiche verschwanden. "Aber das geht nicht." Stellte Amber, den Kopf zu Gayan wendend, der sich das Kopfkissen erobert hatte, hilflos fest. "Ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht über Fortpflanzungsorgane verfüge. Ich habe überhaupt keine Organe, glaube ich." Um sicherzugehen, hätte man selbstredend eine Sektion vornehmen müssen, doch bei Bewusstsein erschien Amber diese Option zur Verifizierung seiner Annahme ein wenig unangenehm. Er vermutete, dass er doch eine Beeinträchtigung spüren würde, wenn man ihm den Leib aufschnitt. "Das ist zum Teil zutreffend." Gayan ließ eine Klaue sanft über einen anmutig geformten Arm gleiten. Ambers Haut war von fleckenloser Reinheit, glatt wie poliert und schimmerte dezent. "Wenn ich über keine notwendigen Organe verfüge, erscheint es mir etwas unbefriedigend, Erwartungen zu hegen, die faktisch nicht in Erfüllung gehen können." Formulierte der Ex-Engel sorgsam. Gayan schnurrte sonor vor Vergnügen, lächelte in die Türkismeere, die nun einen sanften Dunstschleier aufwiesen. "Ja, es wäre sehr traurig, wenn ich dich nur platonisch lieben könnte. Glücklicherweise verfügst du über jede Menge Organe, die uns beiden sehr viel Lust bereiten können." Amber hob den Arm, rieb sich die Augen, doch die Trübung verschwand nicht. "Ich fürchte, ich kann nicht folgen." Murmelte er matter als gewohnt. "Darüber hinaus scheine ich tatsächlich einen Defekt erlitten zu haben." "Das ist bloß die Wirkung des Tabaks." Beruhigte Gayan und streichelte sanft über Ambers Hinterkopf. "Weißt du, mein geliebtes Engelchen, meine Liebe zu dir ist eine sinnliche Erfahrung. Über Sinne verfügst du doch, nicht wahr?" Er stemmte sich hoch, beugte sich über Amber, raunte in rauen, tiefen Tönen. "Deine Augen erkennen mich, deine Ohren lauschen auf meine Stimme." Er küsste eine wohlgeformte Muschel zärtlich. "Deine Stimme spricht zu mir, du erkennst meinen Duft." Er hauchte einen Kuss auf die dünnen Lippen. "Du schmeckst mich. So, wie ich jedem winzigen Fleckchen deines Körpers meine Aufwartung machen möchte, kannst du auch mich mit Händen, Zähnen, Zunge und Lippen erkunden." Unter ihm blinzelte Amber eindeutig hilflos. "Aber-aber ich verspüre keinen Genuss!" Wandte er ein. "Ein Engelskörper ist nicht für Lust geschaffen. Ich werde das gar nicht verarbeiten können." Unbeeindruckt leckte Gayan mit gespaltener Zunge an der Kehle entlang. "Das ist nicht bewiesen." Er richtete sich auf und funkelte in die Türkisaugen, durch den Dunst hindurch. "Lass dich auf mich ein, Amber, finde selbst heraus, wo deine Grenzen sind." ('w') Kapitel 3 - Es braut sich was zusammen Gab es eine Etikette zu wahren? Amber hatte seine geklärten, von Tabak nicht länger verklebten Erinnerungen durchforstet, doch hier zeigte sich eine weitere Lücke in seinen Kenntnissen. Was ihn nicht daran hinderte, dem großen, zerwühlten Bett samt dem leise schnorksenden Daimon darin zu entsteigen, sich anzukleiden und leise die Wohnhöhle zu verlassen. Über Leitern aus dem Massiv zu klettern, bis er wieder auf der Ebene stand, sich der Stadt zuwenden konnte. Der Fußmarsch würde hoffentlich Licht in das Dunkel dieser fremden Erfahrungswelten bringen! Während er einen Fuß vor den anderen setzte, analysierte er die letzten Stunden, Ereignisse und Erkenntnisse. Zunächst musste er sich der Tatsache stellen, dass sein Urteilsvermögen als Personalführung eklatant zu wünschen übrig ließ! Unter anderem deshalb, weil es ihm noch immer am Verständnis für die Verhaltens- und Denkmuster von organischen Lebenswesen gebrach. Sein unvorbereitetes Eingreifen hatte eine unerfreuliche Situation heraufbeschworen. Die Regeln, die LEITPFOSTEN seines Handelns, stellten sich als Empfehlungen, unverbindliche Ratschläge heraus! Ein heftiges Erdbeben hätte nicht größere Erschütterungen auslösen können. Wieder empfand Amber dieses seltsame Gefühl des Unwohlseins, diese Frustration?! Wieso war diese Welt bloß so kompliziert und inkonsequent?! WARUM fiel es allen anderen gar nicht so schwer, damit zurecht zu kommen?! Wie stellten sie das an?! Engel waren nicht dafür vorgesehen, Gefühle zu entwickeln, Neid war ihnen fremd. Praktisch jedoch baute sich eine gewisse Spannung in Amber auf, die verblüffend an Neidgefühle auf den Rest der Welt erinnerte. Besorgniserregend. Auch war es wenig schmeichelhaft, selbst wenn Engel grundsätzlich über keinerlei Eitelkeit verfügen sollten, dass er einen ganzen Tag einfach verschwinden konnte, ohne dass dies auf die Welt selbst oder seine Aufgabe eine Wirkung hatte. Und dann: Gayan. Amber hatte nie begriffen, warum der Daimon, der ihm lachend assistiert hatte, als er diese unerträglich störende Mähne absäbelte und den lächerlichen Kittel zerfetzte, ihm so zugetan war. Ihn vorzog, anders behandelte. Das hatte er, nun, etwas später, selbst registriert. Der joviale Daimon umhegte andere Lebewesen nicht in diesem Maße oder hielt über seine Aufgabe hinaus engen Kontakt mit ihnen. Für einen Engel war alles in dieser Welt neu. Es gab keinen Vergleich, keine Richtschnur, keine Erfahrungswerte. Die Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen vertiefte sich. Vorher, zu einer unbestimmten Zeit, weil es keine gab, hatte er existiert, um die Ambrosia-Bäume zu überwachen, deren harziger Nektar als Ambrosia verwendet wurde. Amber presste in Erinnerung die Lippen schmal. Er wusste nicht zu sagen, was diesen Impuls ausgelöst hatte, doch plötzlich hatte er sich gefragt, worin seine Aufgabe überhaupt bestand! Die Ambrosia-Bäume existierten von allein, es gab nichts zu tun, nicht einzugreifen, zu pflegen oder zu hegen! Der Nektar perlte auch allein in angehängte Schalen! Diese leerten sich nie, liefen nie über. WAS tat ein Engel hier eigentlich?! Damit hatte es angefangen. Dann kamen Gedanken über den Kittel. Warum ein Kittel? Die Temperaturen änderten sich nie, nichts tat sich, nicht Tag, noch Nacht, keine Jahreszeiten, keine Veränderung, kein Nichts! Es GAB keine Zeit. Warum etwas verhüllen, wo es nicht mal etwas zu verhüllen gab?! (Das wusste Amber in diesem Augenblick jedoch noch nicht). Fortan gab es für ihn so etwas wie Zeit, weil sich ein aufrührerischer Gedanke an den nächsten fügte, er diese Unruhe spürte, obwohl er nichts dergleichen empfinden sollte. Dafür waren Engel nicht konzipiert! Schließlich war er einfach gegangen. Er kannte ja nichts außer einer endlosen Anpflanzung von Ambrosia-Bäumen. Nun fand er Pfade und die Brücke am See. Auf der anderen Seite konnte er viele unbekannte Wesen erkennen. Landschaften, Farben, Dinge: wie eine Springflut spülten ihn beinahe Begriffe fort, die in seinen Verstand kamen, übersetzten, was er erblickte. Da bemerkte er, wie unpraktisch diese lächerliche, knielange Haarpracht war, wie schwer und hinderlich, wie lästig der alberne Kittel. Unbedingt, nicht einen Augenblick länger, wollte er diesen Unsinn dulden! Gayan war der Erste gewesen, der ihm entgegenkam, in dieser verwirrenden, wirbelnden, neuen Welt mit unzähligen Eindrücken, die gleichzeitig auf ihn einprasselten. Es gab so viel zu entdecken, zu verstehen, zu lernen! Die Erkenntnisse waren oft bitter. Auch zuvor hatte Amber über ein "Ich" in Abgrenzung zu seiner Umgebung verfügt, doch nun hatte er nicht mal einen Namen, konnte keine Fähigkeiten vorweisen, die ihn auszeichneten. Er war nur ein Gefäß, eine Art Apparat. Zum ersten Mal erfuhr er, dass es unterschiedliche Arten von Engeln gab. Dass er in einer Reihe mit fünf anderen saß, die ihm ähnelten wie ein Ei dem anderen. Es war keine große Mühe auf ihre Gestalt verschwendet worden, das erkannte er mit ungewohntem Verdruss: ein humanoider Körper, praktisch für zu erledigende Arbeiten, EINE Gussform, ohne jedoch den besonderen Inhalt. Er konnte nicht speisen (was er, selbst um den Preis von Verdauung, liebend gern erlernt hätte). Es gab für Engel keine Träume. Maschinen benötigten so etwas wie eine Ruhephasen-Revision nicht, sie hatten Regeln und hielten sich daran. Für ihren Betrieb wurde eine kostengünstige Energiequelle genutzt, ob ihnen das behagte, spielte keine Rolle. Ein paar Mal hatte er es doch getan, von seinem bescheidenen Lohn eine Speise gekauft, sie in den Mund geschoben, um wenigstens auf der ach so wunderbaren Engelszunge zu empfinden, wie die Beschaffenheit war. Wie elend war es dann, alles wieder heimlich auszuspucken, es zu verschwenden! Den Genuss, den er bei anderen beobachten konnte, mit dem eigentlich nicht möglichen Empfinden von Neid, Wut und Frustration zu konterkarieren. »Zaungast.« Dieses seltsame Wort erschloss sich Amber nun in seiner tatsächlichen Bedeutung. Nur zuschauen zu können, abgeschnitten zu sein von dem, was den organischen Lebewesen Freude und Lust bereitete. Wie sollte er mit dieser gefährlichen Emotion umgehen? Engel sollten nicht fühlen können! Wieso registrierte er trotzdem diese Anwandlungen?! Wieso beschied er sich nicht mit der Konsequenz, dass seine körperliche Beschaffenheit derlei Aktionen (Essen, Trinken) nicht bedurfte?! Wollte er denn wirklich anders sein? Atmen, schlucken, ventilieren müssen?! Mit jeder weiteren Information über das komplexe Zusammenwirken aller möglichen Funktionen, die einen organischen Körper am Leben erhielten, wuchs seine Verblüffung darüber, wie es bei ihnen so reibungslos ablief. Wie einförmig-banal im Vergleich sein Engelskörper war, eine schlichte Maschine, ohne Entwicklungspotential, außerdem noch limitiert auf die jeweilige Aufgabe. Es war ernüchternd. Deprimierend. Frustrierend. Was regulär ja gar nicht....! Amber hielt inne und schnaubte. Ein kleines Ventil, das gelegentlich half, auch wenn es keinen Anlass gab, die Atemwege zu reinigen (wobei er ja nicht mal atmete!). Gayan wurde nicht müde, ihm zu versichern, dass er einmalig sei! Dass man ihn niemals mit einem anderen Engel derselben Baureihe verwechseln würde! Dass das Leben prägte, ihn unzweideutig zeichnete. Dass er ihn liebte. ('w') Gayan rollte sich gemächlich auf den Rücken, doch auch ohne haschendes Rudern der kräftigen Arme wusste er, dass er allein seine gemütliche Wohnhöhle behauste. Amber war verschwunden. Er seufzte und rieb sich energisch über das Gesicht, bevor er seinen imposanten Schnurrbart zurecht zwirbelte. Vielleicht half es dem ehemaligen Engel, in Ruhe über diesen Tag und die Ereignisse nachzudenken. Da hatte Amber wohl Einiges zu bewältigen! Die Diamantenreißzähne blitzten, als Gayan zum Deckengewölbe lächelte. Obwohl er durchaus für viele Wesen, denen er begegnete, große Sympathie empfand, hatte noch nie zuvor eine Person derart seine Gedanken an sich gefesselt, ihn fasziniert, verzaubert, begeistert. Amber war nicht nur schön (auf eine etwas belanglose, weil gleichförmig symmetrische Weise galt das schließlich für alle Engel), nein, in seiner Mimik zeigte sich sein Charakter! Das stete Ringen mit einer neuen Welt, anderen Horizonten, der unermüdliche Wille, den Dingen auf den Grund zu gehen und die herzerwärmende Frustration mit der mangelnden Perfektion allen Seins! Als Daimon in den besten Jahren, voll im Saft und übersprudelnd vor nächstenliebender Bereitschaft, diese Empfindung zu teilen, dachte Gayan auch nicht daran, auf Sex zu verzichten. Wozu auch? Wo ein Wille, wo derartig mächtige Gefühle existierten, da würde sich zweifellos auch ein Weg finden! Ja, Amber verfügte nicht über primäre Geschlechtsorgane, das konnte man nicht leugnen. Keine Brustwarzen, kein Bauchnabel, kein Anus. Auch diese erogenen Zonen fehlten. Das musste jedoch keineswegs eine Einschränkung sein! Auch Engel hatten diverse Sinnesorgane und einen bildbaren Verstand! Zwar konnte Ambers Herzschlag nicht beschleunigen, sein Puls nicht rasen, sein Atem fliehen oder seine Wangen sich einfärben, wenn er Lust empfand, doch Wissende (und Geschickte) kamen mit solchen scheinbaren Einschränkungen auch zurecht. Wenn man einen nackten Körper liebkoste, die Sinne berannte, eine Engelszunge das Küssen lehrte, die eigene Ausstattung in Engelhände übergab! Gayan hatte es sehr genossen. Seine Verführungskünste, seine Geduld und seine Einfühlsamkeit hatten sich mehr als ausgezahlt in der ekstatischen Lust, die er ausgelebt hatte! Allein bei der Erinnerung hob sich die dünne Decke an hervorstechender Stelle subäquatorial merklich an. Gayan lächelte eindeutig erregt, schloss die schwarzen Augen und legte selbst noch mal Klaue an. ('w') Es gab nichts zu erledigen. Kein Kontrakt-Mensch bedurfte des Besuchs, keine Mini-Job-Beschäftigten fragten um Aufträge nach. Was Amber im aufgebockten Bauwagen mit seinen Gedanken allein ließ, ohne jede Ablenkung. Wenn er sich korrekt entsann, was die Kopulation von Säugetieren betraf, war ein Eindringen zur Befruchtung der Eier notwendiger Bestandteil vieler Arten. Ohne Ei jedoch kein Eindringen, weshalb auch der Samen ungenutzt verspritzt worden war. Amber erhob sich ruckartig, marschierte exakt drei Schritte, um dann umzukehren, denn die Enge des Bauwagens ließ keine größere Exkursion zu. Das Merkwürdige war, dass er Gayan geschmeckt hatte, gerochen, empfunden hatte auf der Haut, beinahe überall. Die rauen Körperhaare, einzelne Narben, harte Brustwarzen und in seinen Händen dieses erstaunliche Organ, fest und doch pulsierend, heiß, ein wenig feucht, lebendig wie ein separates, kleines Lebewesen! Gayan hatte ihm mit rauer, kehliger Stimme ins Ohr geflüstert, was dieses frappierende Objekt konnte, wo es eingeführt wurde, was er selbst, wenn er es denn wünschte, damit tun dürfe. Aber Ambers Zunge war zu betäubt von den Lektionen im Küssen, dass er diese besondere Geste hätte beanspruchen wollen. So hatte er sich auf seine Hände beschränkt, seine Augen, seine Nase. Dennoch. Wie funktionierte es wirklich? Vage trieb eine Mahnung durch Ambers Verstand, dass gewisse, SEHR organische Vorgänge nur mit ausdrücklicher Warnung an frühere Engel vermittelt wurden, weil die Physis schwer zu verkraften sei. Grimmig wandte sich Amber seinem Schreibtisch zu. Obwohl er keineswegs über einen Magen oder Verdauungsorgane verfügte, grummelte es grollend in ihm, eine übermächtige Empfindung von Frustration. Er WOLLTE Fakten erfahren. Wenn es dazu notwendig wurde, sich entsprechenden Gefahren auszusetzen, dann war er dazu bereit! ('w') Es dämmerte schon, als sich Elia zwecks Frustrationsabbau auf einen kurzen Abendspaziergang begab. Selbstverständlich dröhnte in der Ferne automatisch gesteuert ein Chorus von Kirchenglocken. Ebenso natürlich hatte sich auch mal wieder ein Zettel an der Gartenpforte befunden, der darauf hingewiesen hatte, dass am Sonntag der Erntedank gefeiert wurde. Man würde sich freuen, wenn dem Anlass entsprechend auch ihr Vorgarten ein wenig Respekt zollen würde! Elia knurrte sonor vor sich hin. Er hatte gekehrt, aufgeräumt, die schlimmsten Auswüchse beseitigt, doch eine ärgerliche Empörung über die ständige Gängelei, die Spitzeleien von der NSA wie Kinderkram wirken ließ, kochte gefährlich in ihm auf. Er HATTE ja, um guten Willen zu zeigen, etwas gebastelt! Anschließend war ein liebestoller Trottel aus der Daimonendimension (oder wie auch immer) drüber getrampelt! Konnte man DAS nicht auch als Zeichen betrachten?! Wie wäre es zur Abwechslung mal, wenn der Große Kunstkritiker ein paar Blitze in andere Vorgärten einschlagen lassen würde?! Er spürte ein Zwicken in seinem Ohr, ohne dass seine Mutter in der Nähe war, um derart blasphemische Gedanken zu ahnden. »Konditionierter Reflex!« Seufzte Elia und stapfte weiter durch die Dämmerung. Als er den Aussichtspunkt auf die Gehöfte am Hügel erreicht hatte, wo eine verwitterte Bank nur sehr optimistische Wandernde zur Rast einlud, materialisierten sich plötzlich zwei Wesen aus dem Nichts. Gayan, gewohnt schneidig uniformiert, strahlend, offenbar bester Laune, und, etwas bange, an seinem Oberarm, ein schlanker, junger Mann mit kastanienbraunem Schopf und mahagonifarbenen Augen, mandelförmig, dazu in ein weinrotes Ensemble mit Leggings, geschnürtem Kasack und knielangem Cape mit Kapuze gehüllt. Lediglich die Ahnung spitzer Ohren verriet dem Publikum, dass es sich bei Gayans Begleiter nicht um einen gewöhnlichen Menschen handeln konnte. "Ah, Elia! Hat mich mein Gespür nicht getrogen!" Dröhnte Gayan launig, winkte mit dem freien Arm munter. "Darf ich euch bekannt machen? Das hier ist Chieran, Spezialist für deinen Kürbis! Chieran, das hier ist Elia, von dem ich dir erzählt habe!" Überrumpelt streckte Elia die Hand aus, um höflich die Vorstellung zu besiegeln. Zögerlich schob sich eine schmale, fast feminine Hand in seine, drückte jedoch nach nervösem Abwarten unerwartet kräftig zu. "Elia, freut mich sehr." Stellte er fest und studierte den fremden Mann neugierig. Wo waren die Reißzähne? Klauen gab es auch nicht?! "Hallo. Es ist mir ein Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen." Singsangte Chieran in charmantem Plauderton, einen nervösen Seitenblick auf Gayan werfend. Ein kurzer Wortwechsel schloss sich an. "Nein." Grinste Gayan auf der gesamten Breite seines imposanten Schnurrbarts. "Hier ist es nicht obligatorisch, die Wangen zu küssen, Chieran, aber wenn du nett fragst, hat Elia bestimmt nichts dagegen." Zwinkerte er frech. Elias Augenbrauen wanderten verwirrt hoch. "Oh." Stellte Chieran fest, die hohen Wangenknochen, die seinem Gesicht etwas Exotisches gaben, dezent gerötet. "Das habe ich wohl verwechselt." "Nur keine Scheu, Elia ist ein kapitaler Bursche, absolut honett und vertrauenswürdig!" Verkündete Gayan im Brustton der Überzeugung. Er fädelte unverdrossen Chierans rechten Arm in Elias linke Ellenbeuge. "Dann wünsche ich euch mal gutes Gelingen, ihr beiden! Chieran, morgen Früh hole ich dich wieder ab, wie besprochen!" Noch bevor Elia entschieden nachhaken konnte, wie Gayan sich das vorstellte, ihm einen völlig Fremden über Nacht einzuquartieren, hatte sich der KOK-Offize bereits in Luft aufgelöst. "Verflixt!" Schimpfte Elia. "Wie stellt er das bloß an?!" "Oh, Gayan hat die Qualifikation, jederzeit und überall zwischen den Welten zu wechseln." Chieran tippte mit der Linken auf seinen rechten Handrücken. "Er hat das höchste Siegel." Elia erinnerte sich an das schillernde Objekt und seufzte ärgerlich. "Das ist doch aber keine Art, einfach so zu verduften!" Dann besann er sich jedoch, weil Chieran mit hängenden Schultern auf die Spitzen seiner geschnürten Stiefel starrte. "Na, dem werde ich was erzählen, wenn er wiederkommt! Gehen wir erst mal zum Hof, bevor es ganz dunkel ist, okay?" "Gern!" Lächelte Chieran scheu und ein wenig ermutigt, wie es Elia schien. »Fein!« Dachte er grimmig. »Vielleicht flickt er ja tatsächlich den Kürbis!« Auch wenn er sich wirklich nicht vorstellen konnte, wie ein Daimon aus einer anderen Welt sich mit derlei Dingen auskannte. ('w') "Also, das finde ich ja grandios!" Komplimentierte Chieran, bequem auf einem flachen Kissen vor dem Klapptisch sitzend, betastete neugierig die noch nicht fertiggestellten Socken aus Elias Arbeitskarton. Ja, ein Mann, der stricken, häkeln und nähen konnte, war ein Sonderling! Schon klar! Bloß, Socken trug man schon gern, wenn's kalt wurde, oder?! Löcher in den Hosen waren auch nicht so toll, richtig?! Überhaupt, wer bestimmte, dass Unfähigkeit in Handarbeiten ein Prädikat für Männlichkeit war, hä?! Elia hatte eine Menge gelernt, weil seine Mutter ihm von klein auf seit ihrer gefährlichen Reise eingeschärft hatte, man solle sich um weitere Fähigkeiten bemühen, wenn sich die Gelegenheit bot, sie zu erlernen. Schließlich konnte man ja nie wissen, ob sie einem nicht mal zupass kommen würden! Hätte sich der stieselige Fähnleinführer der Pfadfinder nicht so ekelhaft betragen, wäre Elia wohl auch dieser elitären Gruppe beigetreten. So konnte er jedoch vielfältige Kenntnisse vorweisen: Handarbeiten, Kochen, Feuer machen, Schweißen, Fahrräder pflegen, Vermessungsmarkierungen lesen, Waschmaschinen mit Autobatterien betreiben. Er war kein passionierter Bastler, aber neugierig, und hin und wieder trotzig genug, vermeintliche Barrieren zu überwinden. "Es ist so faszinierend, was man mit schlichten Schlingen alles machen kann, nicht?" Chieran strahlte, während er sich wieder der "Restekiste" widmete, um den Kürbispatienten geduldig und geschickt zu verarzten. "Wir arbeiten mit dampfbetriebenen Webmaschinen, weißt du? Thermische Energiequellen haben wir genug, das bedarf jedoch ständiger Aufmerksamkeit. Ich bin allerdings nicht bei den Kesseln beschäftigt, sondern bei den Webstühlen, arbeite mit den Musterkarten, um verschiedenfarbige Muster einzuweben oder auch plastische Strukturen zu erzeugen. Ihr Menschen seid da ja noch fortgeschrittener, mit diesen Rechenmaschinen und unterschiedlichen Materialien." Chierans begeisterte Rede ebbte unvermutet ab, das Haupt senkte sich tiefer über den Klapptisch. "Oh, du meinst Computer?" Elia kannte sich mit hochmoderner Stofferzeugung nicht wirklich im Detail aus, genoss aber zu seiner Überraschung den munteren Fluss der charmant-samtigen Stimme sehr. "Richtig, Computer." Chieran klang nun eindeutig gedämpft. "Hab ich was Falsches gesagt?" Erkundigte sich Elia vorsichtig, konnte hinter dem dichten Schrägpony jedoch kaum Mimik ausmachen. "Darfst du vielleicht nichts über deine Arbeit erzählen? Keine Angst, ich verrate nichts!" Versprach er entschieden. "Das ist nicht der Grund." Murmelte Chieran, beinahe im Kürbis verschwunden, den er geschickt stützte, um ihn zu stabilisieren. "Dennoch sollte ich meine Beschäftigung lieber nicht erwähnen." "Warum nicht? Ich finde es sehr interessant." Stellte Elia klar. "Nun, es ist keine keine angemessene Profession für einen Hermaphroditen." Wisperte Chieran kläglich. ('w') Kapitel 4 - Grübelstoff Elia betrachtete Chieran versonnen, während er die Neige seines Kakaobechers leerte. Dieser Stärkung hatten sie beide bedurft, nachdem eine intensive Exkursion in eine gar nicht so fremde Welt stattgefunden hatte, mit einem geknickten Reiseführer, der durch den warmen Kakao explosionsartig aufgeblüht war. "Hermaphrodit?" Hatte Elia ungläubig wiederholt und zunächst für sich übersetzt. Ein Zwitter? Wirklich?! "Ein halber Hermaphrodit." Bekannte Chieran so eingeschrumpft, dass er kaum zu verstehen war. Die mahagonifarbenen Mandelaugen hatten sich unerwartet kummervoll auf Elia gerichtet. "Das kommt manchmal vor. Wie man ja sieht." Kläglich skizzierte er mangelnde Kurven. "Ich habe weder eine schöne Hüfte, noch wohlgeformte Brüste oder eine Vagina." Ein elendig-tiefer Stoßseufzer folgte. "Ähm." Rädchen rotierten sichtbar in Elias Verstand. "Bedeutet das denn nicht, dass du ein Mann bist?" Zumindest hätte er die wahrnehmbare Ausstattung seines ungewöhnlichen Gastes so interpretiert. "Oh nein!" Winkte Chieran hastig ab. "Nein, nein, ich bin wie alle anderen auch ein Hermaphrodit! Ausgebildet und examiniert, wirklich! Bloß lediglich zur Hälfte." Es nahm wohl nicht wunder, dass Elia ratlos staunte und weiterer Erklärungen bedurfte. So erfuhr er, dass Hermaphroditen, einer Volksgruppe ähnlich, alle gemeinsamen Kinder kollektiv erzogen. Die Lebensaufgabe der Hermaphroditen war es, sich durch ihre Kunstfertigkeiten hervorzutun, um Patronage zu werben. Man lehrte die Kinder feine Künste, Konversation, eine bestimmte höhere Bildung auf vielen Gebieten, förderte ihre Talente, um später den Patronage-Parteien die Zeit auf besonderem Niveau zu verkürzen: Gesang, Tanz, bildende Kunst, aber auch Beratungstätigkeiten, gesellschaftliche Begleitung, und, selbstverständlich, die besondere Befähigung zur ganzheitlichen, erotischen Erfüllung. Im Gegenzug waren die jeweiligen Patronage-Parteien verpflichtet, für den Unterhalt ihrer Hermaphroditen zu sorgen. In der Folge galt die Verbindung zu derartigen Kunstfertigen als Statussymbol. Für Elia ähnelte diese Konstruktion der Aufgabe von Kurtisanen, was ihn die entschiedenen Beteuerungen, Chieran sei trotz seiner Einschränkung gut ausgebildet, etwas leichter verkraften ließ, denn er erfuhr, dass alle Kinder in Theorie und Praxis gebildet wurden, ab dem 14. Lebensjahr dann um Patronage warben und ab dem 16. Lebensjahr bereits offiziell geschwängert werden durften, was aufgrund der geprägten Fähigkeiten gar nicht so selten vorkam! Neue Angehörige des Hermaphroditen-Clans entstanden jedoch nur, wenn zwei Hermaphroditen sich zu Nachwuchs entschlossen, meist im "gesetzteren" Alter, wenn sie schon eine geraume Zeit in Patronage verbracht hatten und eine gefestigte Stellung bekleideten. "Mir ist es leider nicht gelungen, ein Patronat zu vereinbaren." Chieran ließ die Schultern hängen, während er den mit spinnefeinen Fädchen reparierten Kürbis auf letzte Verbesserungen überprüfte. "Das wird immer schwerer!" Er seufzte erneut. "Der Schönste aus meinem Jahrgang hat sogar drei Patronagen gleichzeitig!" Elia wusste darauf nichts zu antworten, doch Chieran erwartete gar keinen Kommentar. "Allerdings muss ich gestehen, dass er wirklich perfekt ist. Eine umwerfende Figur, ein schönes Gesicht, dazu noch ein absolut liebenswertes Wesen!" Die schlanken Hände beschrieben Konturen in der Luft. "Ein herrliche Mezzosopran und unglaubliches taktisches Geschick in Unternehmensbelangen!" Chieran straffte seine biegsame Gestalt entschieden. "Nein, da kann ich nur Anerkennung zollen! Ich wäre dazu nicht fähig!" Unterdessen knabberte Elia geistig noch an den Erklärungen zuvor. "Verstehe ich das richtig?" Tastete er sich behutsam vor. "Dass da Leute, Interessierte kommen und sich einen von euch aussuchen?" "Oh, ein bisschen mehr ist es schon!" Chieran lächelte zu ihm hoch und setzte sich aufrechter auf sein Kissen. "Es gibt ein begleitetes Gespräch, man unternimmt etwas gemeinsam und steckt so ab, wie man sich in Zukunft verstehen kann. Wir führen auch unsere Fähigkeiten vor. Nun ja, leider habe ich keine besonderen vorzuweisen." Die Schultern sackten wieder ab. "Hast du viele Interessierte?" Schlich Elia wie die Katze um den heißen Brei. Das klang alles so befremdlich! Und, ebenso, nicht weit weg von der eigenen Gesellschaft. "Oh, doch!" Chieran zog die Nase kraus. "Durchaus! Mehrere haben es mit mir versucht, trotz meiner Einschränkung." Er blickte auf den Boden. "Aber eine Patronage ist nie zustande gekommen. Jetzt bin ich schon 19." Sollte das etwa bedeuten...!? Elia hatte Mühe, den Gedanken einzufangen, zu ungeheuerlich schien er ihm, dass verschiedene Interessierte sich an Chieran schadlos gehalten hatten, um ihn dann, nach Gebrauch, zurückzuweisen?! "Ist das denn erlaubt?!" Platzte er heftig heraus. "Dass man so herumtestet und dann einfach einen Rückzieher macht?!" Die Mandelaugen studierten ihn perplex ob der Empörung. "Selbstverständlich. Es kann doch niemand zu einer ernsten Übereinkunft verpflichtet werden, wenn man sich nicht davon überzeugt hat, dass beide Seiten zufrieden sind. Ist es denn hier nicht genauso? Testet man hier nicht auch?" Chieran verstummte erneut, den Kopf gesenkt, doch auf den hohen Wangenknochen lag erneut eine gewisse Röte. Um nicht vorschnell mit einem unqualifizierten Dementi herauszuplatzen, überdachte Elia die erstaunte Antwort auf seine Erregung. »Hoppla!« "Also, nun, wenn man es so betrachtet..." Gab er schließlich kleinlaut zu. Hier zumindest erprobte jedes Pärchen schon, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, ob die Zukunft gemeinsam verlaufen würde. "Ich liege richtig?" Chierans samtige Stimme klang hoffnungsvoll, haschte nach Bestätigung. "In gewisser Weise schon." Gestand Elia betreten ein. "Oh, tatsächlich?!" Die feinen Hände klatschten begeistert ineinander. "Ich war mir nicht sicher, weißt du?" Der halbe Hermaphrodit beugte sich hochgestimmt vor, um sich Elia anzuvertrauen. "Eigentlich habe ich auch ein wenig die Menschenwelt studiert, aber..." Ein melancholischer Blick, von einem traurigen Lächeln begleitet, streifte Elia. Der entschied, noch eine weitere Runde Flüssignahrung zu offerieren. JETZT wollte er noch viel mehr über diese andere Welt erfahren! ('w') "Das ist wunderbar!" Chieran leckte sich verstohlen die Lippen und strahlte Elia ehrfürchtig an. Dem Gastgeber erschloss sich diese Reaktion mittlerweile. Offenbar "belohnten" die Patronage-Parteien ihre Hermaphroditen mit Pralinen und Süßigkeiten, einem kostspieligen Luxus. Chieran war noch nie in den Genuss solch süßer Herrlichkeiten gekommen. Andererseits hatte er mit, wie Elia fand, beinahe verzweifeltem Engagement versucht, seine "Defizite" auszugleichen: seine Stimme war geschult, er war examiniert "belesen", gesellschaftlich gewandt, konnte tanzen, sich dem Anlass entsprechend kleiden und pflegte sich. Auch die physischen Fähigkeiten waren erprobt und zertifiziert worden (zumindest die vorhandene Hälfte). Das genügte jedoch nicht, weshalb er heimlich, durchaus besorgt, als Kostgänger bis zum Ende seiner Tage ohne Patronage durchgeschleppt werden zu müssen, an einer Prüfung teilgenommen hatte, um sich Zugang zur Menschenwelt zu verschaffen. Entgegen Elias erstem Eindruck verfügten nur ganz wenige Begabte wie Gayan über die Erlaubnis, sich nach Belieben in beiden Welten aufzuhalten. Deshalb waren Prüfungen zu absolvieren, um weder sich noch andere zu verletzen, die Existenz beider Welten zu gefährden oder unangemessen aufzufallen. "Ich dachte wirklich, ich wäre gut vorbereitet!" Elia war es gelungen, Chieran vom Boden auf die Klappcouch zu nötigen, wo er nun verlegen die Schnüre seines Kasacks um die eleganten Finger wickelte. "Ich hatte mir eine Geschichte aus eurem Fernsehen ausgesucht, vier Frauen in der großen Stadt, die von ihren Erlebnissen berichteten, die richtige Patronage zu finden!" Elia studierte die mahagonifarbenen Mandelaugen, die schimmerten. Dann hasardierte er. "Meinst du vielleicht 'Sex in the city'? Die amerikanische Serie?" Er hatte sie nie verfolgt und zweifelte angesichts der gelegentlich abgedruckten Bilder der Darstellerinnen ernsthaft daran, wie sie als 'Stil-Ikonen' in der Modebranche gelten konnten, während er häufig vom Eindruck verfolgt wurde, sie hätten einen Altkleidersack geplündert. Vom grässlichen Schuhwerk mal ganz abgesehen! "Oh, ja, genau!" Chieran strahlte. "Das kam mir alles so bekannt vor! Ich habe wirklich gut aufgepasst und eure Sprache gelernt." Woraufhin in einem kurzen, exkursiven Schlenker Elia die Information nahe gebracht wurde, dass außer Engeln keine Bewohnenden der anderen Welt die zahlreichen Menschensprachen auf Anhieb verstand oder gar sprechen konnte. Man lernte, erstaunt bis fassungslos, von dem, was man von der anderen Seite beobachten und seit einigen Jahrzehnten auch empfangen konnte. "Ach du meine Güte." Stellte er trocken fest. Ja, hin und wieder hatte sich mal jemand darüber mokiert, was intelligentes Leben im Universum wohl denken mochte, wenn es mal die Signale entschlüsselte, die von der Erde stammten. Was keineswegs ein besonders positives Bild werfen würde ("Dichter und Denker?! Ha!"). "Bloß..." Chieran löste mit gesenktem Haupt, von dichten, kastanienbraunen Strähnen beschattet, die Knoten in seiner Bekleidung wieder. "In der Prüfung wurden dann Szenen aus einer komischen Siedlung benutzt, die nach irgendeinem Baum benannt war." "'Lindenstraße'." Tippte Elia verständnissinnig und klopfte Chieran spontan, aber sehr behutsam auf die gebeugte Schulter. "Na, da kann ich verstehen, dass das etwas verwirrend war." Chieran schniefte leise, aber sehr manierlich. "Ich bin durchgefallen. Alles war da so anders!" Ja, ein größerer Kontrast schien kaum vorstellbar, nun, ausgenommen Fantasy- und Science Fiction-Serien möglicherweise. "Das heißt, du dürftest gar nicht hier sein?" Folgerte Elia knapp. "Nicht ohne ständige Aufsicht." Führte Chieran aus, seufzte. "Wenn Gayan nicht wäre, hätte ich es nie hierher geschafft." Ein flehentlicher Blick richtete sich auf Elia. "Deshalb, bitte sag niemanden, dass er nicht ständig hier war, ja? Ich möchte nicht, dass er Ärger bekommt, weil er mir geholfen hat!" "Kein Problem!" Elia schnaubte, denn NIEMAND würde ihm so etwas abnehmen, ohne seinen Gesundheitszustand, vor allem den geistigen, zu überprüfen. "Aber ist es nicht eher so, dass DU IHM hilfst?" Damit gestikulierte er auf den wundersam geretteten Kürbis, dank Maisstärke, Zwirn, Papiertaschentüchern und anderer Tricks. "Oh, das mache ich doch gern!" Chieran lächelte. "So habe ich Gayan auch kennengelernt. Wir waren beide in einem Ferienlager für Daimonenkinder. Das härtet ab, da hilft man sich gegenseitig!" Bei dem Gedanken, Gayan als Animateur mit kleineren Ausgaben von Gekko geplagt zu sehen, konnte auch Elia ein Feixen nicht unterdrücken. "Unsere Welten sind sich schon ziemlich ähnlich." Stellte er fest. Nur gab es den "kleinen Grenzverkehr" nicht in beide Richtungen, da Menschen auf der anderen Seite nur tot eintreffen konnten, was einem Austausch auf Augenhöhe doch einen erheblichen Dämpfer versetzte. "Wieso hat Gayan dich einfach so hier abgekippt?" Elia fand, da sie nun doch recht vertraut miteinander plauderten, dass eine Nachfrage nicht unverschämt wäre. "Oh, es war so, dass er heute Morgen seine Schicht getauscht hat." Chieran drehte den Becher in seinen Händen. "Er musste sich um etwas Wichtiges kümmern." "Aha. Vermutlich die Leiche, die angeblich ein Engel sein soll!" Grummelte Elia. Ein prüfender Blick aus mahagonifarbenen Augen richtete sich auf ihn. "Nun, Amber ist tatsächlich ein Engel und auch nicht tot." Chieran schmunzelte. "Ich glaube, dass Gayan sehr in ihn verliebt ist und sich deshalb so aufmerksam um ihn kümmert." "Wie reizend!" Grollte Elia grimmig. "Der Kerl will mir mit einem Wäschesack die Rübe eindellen, und keinen schert's! Stattdessen sind alle GANZ hingerissen von dieser komischen Affäre!" Er fühlte seine persönlichen Bedürfnisse keineswegs ausreichend gewürdigt. "Ich bin sicher, es war nicht böse gemeint!" Chieran mochte Konversation studiert haben, eine gewisse Parteilichkeit ließ er sich aber nicht nehmen. "Die Regeln sind ja auch zum Schutz von allen." "Wie unfein von mir, ein lästiges Problem darzustellen!" Konterte Elia betont eingeschnappt. Er vermochte nicht zu sagen, warum er dieses Geplänkel forcierte. Chieran schenkte ihm einen sehr betroffenen Blick, senkte dann den Kopf, sodass die kastanienbraunen Strähnen sein Gesicht verdeckten und schwieg beklommen, was Elias Gewissen ordentlich kratzte. Eigentlich führte sich nicht mal ein Kleinkind so auf! Außerdem würde Gayan erst am Morgen wieder erscheinen, um Chieran, SEINEN GAST, abzuholen, der nun neben ihm wieder geknickt in sich hineinschrumpfte. "Es tut mir leid." Murmelte Elia kleinlaut. "Ich weiß ja selbst, dass es nur eine Verkettung blöder Umstände ist." "Ich bitte auch um Verzeihung." Chierans samtige Stimme klang gedämpft. "Es stand mir nicht an, ein Urteil zu fällen." DAS konnte Elia nicht so stehen lassen! Es wurmte ihn, wenn der angeregt plaudernde, lebhaft gestikulierende Chieran sich in sich selbst verkroch, entmutigt, eingeschüchtert, zurückgewiesen. SO meinte er es ja gar nicht! "Hör mal!" Sehr leicht strich er mit einer Hand kastanienbraune Strähnen hinter ein spitzes Ohr, um Chieran ins Gesicht blicken zu können. "Was hältst du davon, wenn ich dir mein Bett mache und du dich unter der Dusche aufwärmst? Ich leihe dir einen Pyjama und warme Socken, in Ordnung?" Immerhin war es schon spät, und Gayan würde zweifelsohne in aller Frühe auf der Matte stehen! "Das ist sehr freundlich, vielen Dank." Chieran lächelte scheu, durchaus reserviert. »Na, wenigstens sieht er mich wieder an!« Schickte Elia sich drein und begab sich an die Arbeit. ('w') "Es ist nicht nötig, ein zweites Nachtlager aufzuschlagen." Stellte Chieran höflich fest. Elia, der sich die Klappcouch wohnlich bereiten wollte, blickte sich erstaunt um. Sein Gast stand, vollkommen unbekleidet und dezent schlotternd, im Türbogen. "Was...?! Du holst dir da den Tod!" Schimpfte Elia nach einigen erfolglosen Luftzügen los, warf Chieran die Decke, die er eigentlich für sich auslegen wollte, um die bloßen Schultern. "Verflixt, warum hast du nicht den Pyjama angezogen?!" Energisch rubbelte er über Arme und Schultern, verdrängte den Gedanken an eine definitiv männliche, aber anmutig-schöne Gestalt. Chieran hätte mühelos als Vorbild für Statuen dienen können! "Willst du denn nicht mit mir schlafen?" Chieran blinzelte verwirrt. "Ich nahm an...?" "Oh!" Dämmerte es Elia. "Du hast geglaubt, als ich 'mein Bett' sagte...?" "Wie dumm von mir." Chieran schielte in Richtung seiner nackten Füße. "Kein Wunder, dass ich durchgefallen bin." "Sag das nicht!" Plädierte Elia streng. "Ich hab mich ja auch nicht eindeutig ausgedrückt! Entschuldige, ich habe kaum Gäste über Nacht, deshalb..." »Wunderbar, blamiere dich ruhig weiter!« Seufzte eine Stimme in Elias Hinterkopf auf. »Sorge auch noch gleich für ein schlechtes Gewissen, weil er jetzt denkt, dass er dir Umstände macht!« "Oh, Murks!" Platzte Elia laut heraus, packte Chieran bei den Schultern. "Hör mal, bitte, was ich meine, ist, dass du gern hier übernachten kannst, ja? Es ist für mich keine Mühe! Ich werde dich bestimmt nicht belästigen!" Die mahagonifarbenen Mandelaugen blinzelten. "Also, es wäre auch für mich keine Mühe, wenn wir Sex hätten." Raunte Chieran leise. "Ich weiß ja, dass ich bloß zur Hälfte..., nun ja, und dass ich zu viel rede." "Wärme dich erst mal im Bett wieder auf!" Eilig dirigierte Elia Chieran in sein winziges Schlafzimmer. Sein Bett, eine Matratzenkonstruktion auf geschickt gefalteten Papprahmen, war nicht gerade groß für zwei Personen, aber hauptsächlich wollte er sich Zeit verschaffen, um einem Herzinfarkt aus Nervosität vorzubeugen. ('w') Als Elia nach einer Dusche, selbst im Pyjama, sein Schlafzimmer betrat, hoffte er, dass Chieran von der Wärme verführt, bereits eingeschlummert war. Klar, so eine Offerte hatte er noch nie bekommen! Andererseits widerstrebte es ihm, dass sein Gast sich dazu genötigt sah, mit ihm zu schlafen, um dann mit all den enttäuschten Hoffnungen wie zuvor zu enden. Oder noch schlimmer, gedachte man seines eigenen Erfahrungslevels! Ein Blick verriet ihm, dass Chieran sich an die Wandseite gekuschelt hatte, die Beine vor den Leib gezogen. Na, kein Wunder, hatte der ja doch einige Augenblicke vollkommen blank in der Gegend herumgestanden! "Ich lasse die kleine Laterne hier an, ja?" Elia kannte sich in seinem Reich genügend aus, um alle Lichter zu löschen. Außerdem würde in wenigen Tagen Vollmond sein. Aber für seinen Gast war es dann doch zu schummrig. Die Laterne, eine aufgemöbelte Sturm- und Stallvariante, enthielt gerade so viel Lampenöl, dass sie gegen Morgen von alleine erlosch. "Danke." Murmelte es aus Deckschichten heraus, dann lupfte ein blanker Arm tollkühn die Decke, um Elia einzuladen. Der schob sich rasch darunter, etwas befangen, wie er sich nun verhalten sollte, mit einem nackten, jungen Mann aus einer anderen Dimension in seinem Bett. Er wandte den Kopf, auf dem Rücken liegend. "Frierst du immer noch?" "Bisschen." Klapperten Zähne neben ihm. »Jetzt stell dich nicht so an!« Grummelte seine innere Stimme energisch. »DU hast doch einen Pyjama an! Was soll schon passieren, hm?!« "Ideen hätte ich da schon." Brummte Elia kaum hörbar, drehte sich auf die Seite, um mit dem Ärmel tapfer über Chierans Seite zu schubbern. Der rutschte zu Elias Verblüffung nicht nur näher heran, sondern rollte sich in einer geschmeidigen Bewegung auf ihn, die Arme unter Elias Achseln geschoben, und suchte klappernd gastfreundliche Wärme. "Äh!" Bemerkte Elia eloquent-ausschweifend, aber er brachte es nicht über sich, Chieran wegzuschieben, der ohnehin geknickt genug schien. "Tut mir leid, wir haben hier keine besondere Dämmung." Sah er sich zu einer Entschuldigung herausgefordert. "Soll ich dir nicht doch den Pyjama und die Socken holen?" "Ich verstehe das nicht." Wisperte Chieran rau an seiner Kehle, die dicken Strähnen strichen unerwartet seidig über Elias Haut. "Ist denn nichts von dem, was ich über eure Welt gelernt habe, richtig? Oder bin ich einfach zu dumm?" Man hörte förmlich den Kloß in seiner Kehle. "Du bist ganz sicher nicht dumm!" Widersprach Elia energisch, rubbelte nun mit beiden Ärmeln die nackte Rückenpartie rauf und runter. "Es ist bloß so, dass wir in unserem Fernsehprogramm häufig Geschichten erzählen, weißt du? Alle möglichen Dinge erfinden! Diese Serie da, mit den vier Frauen, also, ernst durfte man das ja nicht wirklich nehmen. So lebt kaum jemand in der Realität." Er spannte seine Glieder an, ein wenig benommen von dem ungewohnten Gewicht auf seinem Körper. "Das kleine Missverständnis eben, das ist hauptsächlich MEINE Trottelei. Ich habe einfach nicht darauf geachtet, was ich da sage." "Ich habe ja auch die falsche Ausstattung." Raunte Chieran keineswegs getröstet, vielmehr angestrengt konziliant. "Das habe ich nicht bedacht. Bitte entschuldige die Umstände, die ich dir bereite." "Das sind keine Umstände!" Feuerte Elia heftig zurück, seufzte dann profund. "Können wir damit aufhören, gegenseitig so BESONDERS höflich zueinander zu sein, ja, bitte? Ich glaube, dass für uns beide in kurzer Zeit eine Menge unerwarteter Dinge passiert sind, die wir einfach mal in Ruhe verarbeiten müssen." "Ein guter Vorschlag." Pflichtete Chieran ihm leise bei, rollte sich geschmeidig ab. "Danke schön fürs Aufwärmen. Jetzt ist mir viel wohler." "Gern geschehen. Gute Nacht, Chieran." Elia wusste nicht, warum er sich nicht nur erleichtert fühlte. "Dir auch eine gute Nacht, Elia." Antwortete Chieran ihm artig, hübsch abgerückt, den Leib der Wand zugedreht. »Du bist so ein VOLLPFOSTEN!« Bescheinigte ihm eine Stimme im Hinterkopf, aber Elia war entschlossen, den Wahrheitsgehalt dieser Zeihung nicht zu ergründen. ('w') Der blöde Köter bellte mal wieder. Elia setzte sich auf, die Laterne funzelte noch ein wenig, rubbelte sich den Schädel und die Dachbegrünung. Am Fußende der Straße hauste ein junges Ehepaar mit einer Handvoll Fell, offenbar neurotisch und deshalb ständig zur Unzeit herumkläffend, in hysterischen Höhen. "Hmm." Brummte Elia, erinnerte sich dann schlagartig seines Gastes und stieg betont behutsam von der Matratze. Er unternahm einen fälligen Abstecher in die Nasszelle, beäugte die jahreszeittypische Dunkelheit und dachte nach. Wenn Gayan kam, um Chieran abzuholen, sollten sie wohl besser angekleidet sein, oder, in seinem Fall, umgezogen. Frühstück wäre auch nicht schlecht, also huschte er zurück in sein Schlafzimmer, angelte alles, was halbwegs als Lack der Zivilisation durchging, schlüpfte hinein und brühte Malzkaffee auf. Was mochte Chieran wohl essen? Moment, hatte der nicht voller Wehmut erzählt, wie die anderen in der Patronage verwöhnt wurden? "Ha!" Triumphierte Elia mit Elan. "DA kann ich auch mithalten!" ('w') "Chieran, aufstehen!" Weckte eine etwas raue Stimme bemüht sanft. Da in dem wabenartigen Einzimmerkomplex niemand seine winzige Unterkunft teilte, schaltete Chierans Verstand sofort in Alarmbereitschaft, erinnerte sich prompt daran, dass es keiner dieser Morgen war, wo er zaghafte Hoffnungen sofort bestatten konnte. Nein, dieses Mal waren seine geschulten Fähigkeiten nicht mal erprobt worden! Die kastanienbraunen Strähnen aus dem Gesicht wischend setzte er sich auf und erschrak über die ungewohnte Kälte, raffte automatisch die Decke hoch. Während seine Wimpern sich noch entwirrten, stieg ein kräftiges Aroma in seine Nase, deren Spitze auch noch durch Dampf umschmeichelt wurde. "Guten Morgen, Elia." Strengte Chieran sich an, seine Manieren zu beweisen, nahm auch artig die Henkeltasse an, die ihm offeriert wurde. "Wärme dich ein bisschen auf, dann zieh dich bitte an, damit wir frühstücken können. Gayan wird dich bestimmt abholen wollen, nicht wahr?" "Richtig." Nach einem wagemutigen Schluck ließ Chieran weitere flüssige Kost folgen. "Selbstverständlich! Ich werde mich sputen." Elia grinste, was seine Haut dunkler wirken ließ aufgrund der prächtig weißen Zähne. Die dunklen Augen funkelten so munter, dass Chieran gar nicht anders konnte, als das Grämen zu verschieben. Außerdem, es war ja beileibe nicht das erste Mal, dass er sich wieder auf dem Boden der unbestrittenen Tatsachen wiederfand, eben doch nicht den gehobenen Ansprüchen zu genügen! ('w') Elia hatte am Bartresen gedeckt und lauerte darauf, was sein Gast wohl sagen würde, denn neben gerösteten Brotscheiben, Margarine, Marmelade und einem Kräuter-Senf-Aufstrich hatte er Apfelscheiben und in hübschen Tassen je einen kleinen Schokoladenkuchen in der Mikrowelle gezaubert. Keine große Sache, wenn man Natron, Essig und Geschick sein Eigen nannte! Chieran, wieder artig gewandet, erkletterte den Hocker und griff nach energischer Aufforderung auch zu. Seine Augen klebten jedoch förmlich an der Tasse, die so verführerisch nach Schokolade duftete. "Was ist das?" Ein tapferes Löffelchen hatte den Weg hinter die Lippen gefunden. "Schoko-Kuchen." Bemerkte Elia mit beabsichtigter Nonchalance, mühsam ein spitzbübisches Grinsen unterdrückend. "Oh!" Mehr war Chieran nicht zu entlocken, aber seine unbedingte Konzentration, das verzückte Mienenspiel, der unverkennbare Genuss: Elia war hochzufrieden mit sich. Umso überraschter reagierte er jedoch, als Chieran seine Rechte in beide Hände nahm, den Handrücken küsste und an die eigene Stirn führte, bevor er sich tief verneigte. "Ich bin nicht würdig, so geehrt zu werden. Bitte empfangt meinen untertänigsten Dank!" Das waren Chierans Worte, doch da er sie nicht in Elias Sprache auszudrücken wusste, blieb er bei seinem eigenen Idiom, was melodisch und zugleich sehr ernst auf seinen Gastgeber wirkte. "Uh, ähm, schön, dass es dir schmeckt." Stolperte Elia durch mutmaßliche Bedeutungen der fremden Worte und brachte vorsichtig seine Hand wieder in Sicherheit. Weia, diese Sache mit den Süßigkeiten nahm sich doch gewichtiger aus, als er angenommen hatte! Draußen waberte in der Senke Dunst, nur eine Ahnung von rötlichem Schimmer oberhalb kündigte den Erntedank-Sonntagmorgen an. "Warte mal!" Befand Elia Chierans Kapuzenumhang für unzureichend, wickelte ihm spontan einen grobmaschig gestrickten, in Herbstfarben gehaltenen Schal um. "Es ist eisig draußen!" Chieran ließ es geschehen, packte aber auch unaufgefordert mit an, als es darum ging, im Vorgarten den geretteten Kürbis auszustellen. "Uff!" Ächzte Elia erleichtert, während er mit der Rechten eifrig die Taste für seine Öko-Taschenlampe bediente. "Damit wäre wohl die Nachbarschaft erst mal abgefertigt!" "Ist es ein wichtiger Brauch?" Chieran wickelte sich zitternd enger in sein Cape. "Nicht wirklich." Seufzte Elia, wandte sich dem Tor zu. "Das ist eher so eine erzwungene Tradition, eine Art Duftmarke. Wer nicht mitmacht, ist gleich suspekt und handelt sich Ärger ein. Gemeinschaftszwang-Terror im Deko-Tarnmodus!" Grummelte er. Gemeinsam verließen sie den Hof, um dem Weg Richtung Anhöhe zu folgen. Chieran, dem das Gelände unbekannt war, stolperte hin und wieder, bis Elia entschied, dass er besser den Arm um die schlanke Taille seines Gastes legte, wenn er nicht wollte, dass der sich unabsichtlich zu Fall brachte und ins Tal rollte! Die ersten Sonnenstrahlen arbeiteten sich über die Dunstschleier in der Höhe an den Flanken der Erhebungen hoch. Trotzdem leuchtete Elia unbeirrt weiter ihren Pfad aus. Unbesucht wartete die marode Sitzbank auf wagemutige Panorama-Betrachtende. "Hier war es, ungefähr." Stellte Elia fest. "Oder?" "Stimmt." Pflichtete ihm Chieran bei, sah sich, an Elia gekuschelt, auch ohne Sturzgefahr, noch einmal im Rund um. "Dann danke ich dir, dass du mir Gesellschaft geleistet und den Kürbis gerettet hast. Es hat Spaß gemacht!" Elia lächelte und blies Kondensfahnen in die Luft. "Ja, es war sehr schön." Murmelte Chieran. Die Kapuze flog auf den Rücken, er packte Elias Schal fest, um den Überrumpelten daran zu hindern, seinem Kuss zu entwischen. Elia stolperte verdattert einen Schritt zurück, da hatte Chieran sich bereits abgewandt. "Leb wohl!" Stieß er hervor, stürzte dem erscheinenden Gayan in die Arme. Der tippte sich an die Mütze und vaporisierte prompt. "Oh." Entrang sich Elia verblüfft. Damit hatte er nicht gerechnet. Auch nicht mit Chierans tieftraurigem Gesichtsausdruck, der ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. ('w') "Und?" Gayan nahm keinen Anstoß daran, dass der Hermaphrodit das Gesicht auf seine Schulter presste und mit beiden Händen den Uniformstoff knitterte. "Hat dir dein erster Ausflug in die Menschenwelt gefallen?" "Schön!" Man konnte es kaum verstehen, weil Chieran um Beherrschung rang. "Kakao, Schokolade und Kuchen." "Er hat dir sogar einen Schal geschenkt!" Hier war seelsorgerische Aufmunterungsarbeit gefragt! "Da habt ihr euch bestimmt gut verstanden." "Nein, oje!" Beschlagene Mandelaugen richteten sich auf Gayans schwarze. "Ich muss ihn zurückgeben!" "Das hat keine Eile, würde ich mal vermuten." Beruhigte Gayan, der längst begriffen hatte. "Aber ich gratuliere dir. Du hast beim ersten Mal gleich mächtig Eindruck gemacht, wenn er dich so verwöhnt hat!" "Nein!" Schluchzte Chieran mutlos. "Er wollte mich nicht! Allerdings bin ich ja auch kein richtiger..." "Scht!" Gebot Gayan lächelnd. "Nur nichts überstürzen, meinst du nicht? Paarungswerbung bei Menschen ist eine harte Nuss, da muss man mit Geduld und Finesse operieren." Diese Tugenden waren nicht nur bei Menschen angezeigt! ('w') Kapitel 5 - Selbst ist der Engel! "Tja!" Stellte Elia ungewohnt grimmig fest. Nur wenige Tage später musste SELBSTREDEND ein Sturzregen seine schöne Dekoration vollkommen verwüsten. Zumindest hatten die Grenzsteine verhindert, dass die Erde weggespült wurde, doch alles andere war nur noch für den Müll zu gebrauchen. "Der schöne Kürbis!" Seufzte Lotta-Mari, die mal wieder wie ein Wichtel gekleidet war, neben ihm. "Glaubst du, wir können ein Foto an den Zaun hängen und damit die Meute auf Abstand halten?" "Ha!" Schnaubte Elia grollend. "Das wird nicht reichen." Aber obwohl er um die Vergänglichkeit dieser Dekoration wusste, wurmte es ihn, dass Chierans Wunderwerk so rasch der Vergangenheit angehörte. Längst bedauerte er, nicht beim Abschied wenigstens eine Einladung ausgesprochen zu haben, ihn zu besuchen. Denn wenn es stimmte, was Gayan ihm erklärt hatte, würden keine Daimonen, Engel oder andere Wesen mehr erscheinen. Der Alte war abgewickelt, was sollte sie sonst reizen, gegen ihre Regeln zu verstoßen? "Ich bin ein Idiot!" Murmelte er leise und ignorierte Lotta-Maris überraschten Seitenblick. ('w') Amber arbeitete. Das tat er fortwährend, wenn gelegentliche Ruhephasen ihn nicht abhielten. Wie eine Maschine, ein Apparat, zweckgebunden, zielgerichtet, effizient. Wenn da nicht dieses Gefühl wäre! Diese nagende Unruhe, Unzufriedenheit, Aufbegehren gegen die geregelte Pflichterfüllung! Was ihn, aus unerfindlichen Gründen, vom Ambrosia-Hain in einen aufgebockten Bauwagen geführt hatte, wo er mühsam etwas kuriosen Wesen vermittelte, wie sie in der Menschenwelt das Verwendungsende von Kontrakt-Menschen überprüften. Bis vor diesem Ereignis hatte das auch reibungslos funktioniert. Nun jedoch war alles anders. Amber stemmte mit Energie den Stuhl zurück und marschierte die winzige Strecke im Bauwagen auf und nieder. Er war unruhig, beinahe fahrig in seinen Gesten! Definitiv ein Novum, möglicherweise seinen Recherchen geschuldet? Aber das war es ja nicht allein! Nein, er fühlte sich unzulänglich und auch ein wenig betrogen. Wie jedoch sollte man diese gefährliche Regung befriedigen? Wo zeichnete sich eine Lösung ab? Darüber musste er unzweifelhaft intensiv nachdenken! ('w') "Ja, hallo, Kamerad!" Begrüßte Gayan jovial den unerwartet hektisch auf seinem Einrad heranrollenden Gekko. "Gayan! Endlich!" Atemlos stürzte der Lehrling leichter Magie aus dem Sattel und schnaufte durch. "Bitte, du musst sofort mitkommen!" "Ist was passiert?" Gayan zwirbelte kritisch seine Oberlippenzier, die Mütze wanderte etwas tiefer auf seinem polierten Schädel. "Amber!" Gekko wisperte keuchend an einem spitzen Ohr. "Er rührt sich nicht!" Gekko, der um einen weiteren Auftrag bitten wollend, den Bauwagen betreten hatte, wusste nicht, ob das minimale Glühen des Energiefeldes um den früheren Engel noch als Lebenszeichen gewertet werden konnte. "Donnerschlag!" Schimpfte Gayan, was sich hauptsächlich gegen die eigene Person richtete. Hatte er es etwa mit seiner 'anregenden Wartezeit' übertrieben?! ('w') Ja, zweifelsohne dasselbe Deckengewölbe. Amber studierte es mit untrüglichen Engelaugen, ohne sofort dem lästig-nagenden Pflichtgefühl zu folgen, sich aufzusetzen und seine Arbeit aufzunehmen. "Wie geht es dir, mein Liebling?" Sonor schnurrte sich eine vertraute Stimme in seine Wahrnehmung. Amber wandte den Kopf, um Gayan zu inspizieren. "Ich bin höchst unzufrieden mit meiner persönlichen Situation." Antwortete er bündig, präzisierte. "Die Einschränkungen meiner Physis sind frustrierend!" Das schlimmste aller vorstellbaren Urteile. "Hast du Schmerzen?" Erkundigte sich Gayan, zum ersten Mal merklich verunsichert, selbst der vornehme Schnurrbart hing traurig herunter. "Ich verspüre ein gewisses Unbehagen, kombiniert mit einer grundsätzlichen Verärgerung." Diagnostizierte Amber entschieden. "Aha. Gibt es etwas, was ich zu deinem Wohlbefinden beitragen könnte?" Tastete sich der KOK-Offize verblüffend vorsichtig vor. Amber zog die quittegelben Augenbrauen zusammen, sodass sich die Kerbe dazwischen vertiefte. "Nun, ich würde eine kurze Erklärung begrüßen, warum ich mich hier befinde." Ölteppiche beschleunigten auf den Türkismeeren. "Anschließend wäre es ausgesprochen hilfreich, mir anzuvertrauen, wie viel von diesem süßlichen Tabak ich gerochen habe!" Gayan rollte die muskulösen Schultern. "Nun ja, Gekko fand dich starr und steif im Büro. Ich erinnerte mich daran, wie du beim letzten Mal aus dieser Lage geweckt werden konntest und habe dich mit zu mir genommen." "Wie viel Tabak?" Wiederholte Amber stur. Seine Glieder waren kaum zu bewegen, er konnte sich nicht ohne Hilfe rühren, wie er konstatierte. "Etwa genauso viel wie zuletzt." Gayan wischte sanft mit einer Klaue über die quittegelben, fransigen Strähnen. "Was hast du bloß angestellt, Schatz? Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht." Offenbarte er seine Seele. "Ich bin KEIN Schatz!" Stellte Amber scharf fest. "Ganz im Gegenteil, ich gehöre zu einer Basisbaureihe mit geringem Nutzwert. Das ist so FRUSTRIEREND!" Als das Echo endlich den Aufprall im Deckengewölbe beendete, ließ auch das Klingeln in Gayans spitzen Ohren nach. "Mein lieber Jolly!" Brummte er frappiert. "Du bist aber enorm angefressen!" Zudem hatte er noch nie erlebt, dass Amber seine Stimme erhob, wie eine gewaltige Glocke dröhnend Laute herausschleuderte. Ohne Lungen oder einen imposanten Resonanzkörper. Unterdessen unterzog Amber seine Erinnerungen einer Revision: eine Erklärung für seinen Systemabsturz war zu finden. "Ich habe recherchiert." Endlich konnte er die Ellenbogen in die Matratze des gewaltigen Betts stemmen und mühsam den Oberkörper lösen. Gayan eilte ihm zu Hilfe, setzte ihn auf und dirigierte auch gleich einige Kissen an seinen Rücken. "Wieso bin ich erneut unbekleidet?" Die Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen wirkte grimmig. "Weil deine Kleider im Bett hinderlich sind." Gayan verzichtete auf Ausflüchte. "Außerdem berühre ich dich gern." Ein sehr scharfer Blick aus Türkisaugen nahm ihn in den Fokus. "Dir ist doch aber als organisches Wesen bewusst, dass ich deinen natürlichen Ansprüchen nicht genügen kann, nicht wahr?" Gayan richtete sich gemütlich neben Amber ein. "Och, mich hat es bisher sehr befriedigt, dir Gesellschaft zu leisten." "Das ist nicht logisch." Widersprach der frühere Engel entschieden. "Ich habe mich ausführlich mit dieser Problematik beschäftigt." Nun hatte er Gayans Aufmerksamkeit doch angestachelt, denn der setzte sich auf, betrachtete ihn ohne jedes prominente Blecken der Diamantzähne oder ein kiefersprengendes Grinsen. "Wie GENAU hast du dich damit beschäftigt?" ('w') Exakt eine Viertelstunde später, allerdings temporär um Jahrhunderte gealtert war Gayan ins Bild gesetzt. Amber war wirklich gründlich. Das Studium anatomischer Beschaffenheiten humanoider, organischer Wesen genügte nicht. Er hatte sich entschlossen in das Meer der Erkenntnisse gestürzt: Genetik, Muskeln, Sehnen, Nervensysteme, Verarbeitung von Signalen im Gehirn, elektrische Reize, all die chemisch-physikalischen Errungenschaften jahrhundertelanger Wissenssuche. Danach war er auf andere Gebiete gewechselt, eher anschaulicher Natur. Vor allem aus der Menschenwelt. Filmische Zeugnisse, die ihn durchaus ob der Akrobatik und dem Einfallsreichtum verblüfft hatten. Schließlich von Weltliteratur über die Dokumentation vorstellbare Beischlafvarianten zu erotischen Erzählungen über das mentale Innenleben der Beteiligten dieser körperlichen Ertüchtigung. Seine knappe, präzise und unverstellte Schilderung dieser Tour de copulatio durch die Geschichte beeindruckte Gayan merklich. Ihm fehlten tatsächlich die Worte. "Deshalb muss ich dich erneut darauf hinweisen, dass meine körperliche Beschaffenheit inadäquat ist." Amber vertiefte die Kerbe zwischen den quittegelben Augenbrauen. "Zudem verfüge ich nicht über die nach Volksmund erforderlichen Organe für Liebe. Wenn ich mich korrekt entsinne, sind zu diesem Zweck ein biologisches Herz und der obere Verdauungstrakt erforderlich." Gayan benötigte einige Gedenksekunden an die passionierten Leitungsstehenden, bis er diese Offenbarung entschlüsselt hatte. "Oh, du meinst, 'Liebe geht durch den Magen', und derlei?" Erkundigte er sich schwach. Amber stellte ohne Zweifel den ungewöhnlichsten früheren Engel dar, den er jemals kennengelernt hatte! "Korrekt." Der ehemalige Engel nickte grimmig. "Außerdem sind Apparate meiner Sorte nicht für Veränderungen oder Innovationen geschaffen!" Was ihn erkennbar verärgerte. Der KOK-Offize lehnte sich vor, um ungehindert einen Kuss auf die gepressten Lippen zu siegeln. "Da wäre ich nicht so sicher, mein Schatz! Immerhin ist dies hier nicht der statische Himmel, sondern eine ständig sich verändernde Umgebung. Alles hat Einfluss auf alles." Seine Klaue streichelte über die fransigen Strähnen. "Außerdem wäre Liebe nicht so grenzenlos und mächtig, wenn sie sich nur in zwei Organen niederlassen könnte! Ich bin da sehr zuversichtlich." Nun strahlten auch endlich wieder die Diamanten in den Rund. Eine quittegelbe Augenbraue wanderte skeptisch nach oben. "Bedeutet das, dass wirklich alles veränderlich ist?" "Konzept des Lebens, Herzchen!" Deklamierte Gayan dröhnend, feixte. "Hast du das nicht während deines Studiums bemerkt?" Die Türkisaugen bezogen sich einen Augenblick stärker, während es in Amber arbeitete. "Kurios." Murmelte er schließlich, warf Gayan dann einen alarmierenden Blick zu. "Da ist noch eine Sache, die mich verwirrt hat: wieso wird der Baum der Erkenntnis da gepflanzt, wo seine Früchte zwangsläufig verspeist werden? Wieso wurden Menschen mit Verdauungsapparat geschaffen, wenn sie doch keine Früchte essen sollten? Das ist so inkonsequent!" Gayan grinste. "Ah, Amber!" Er tippte behutsam auf eine aparte Nasenspitze. "Ich sehe schon, dass in dir ein großer Forscher und Philosoph versteckt ist!" Der ehemalige Engel schnaubte leise. "Ich bin lediglich enttäuscht über die Ineffizienz. Oder möglicherweise auch nicht ausreichend informiert." Grübelte er, unerwartet für Gayan. "Schon möglich." Wandte der Daimon hastig ein. "Jetzt musst du aber mal eine Pause einlegen, in Ordnung? Die Leute machen sich Gedanken, wenn sie das Büro betreten und dich da reglos herumliegend finden. Das ist nicht gut für die Öffentlichkeitsarbeit!" Zu seiner Erleichterung pflichtete Amber ihm bei. "Das kann ich nicht widerlegen. Es wird bestimmt nicht mehr vorkommen." Versicherte er. "Wunderbar!" Schnurrte Gayan sonor und rückte auf seiner Matratze noch näher an Amber heran, funkelte aus den schwarzen Augen unternehmungslustig. "Sag mal, wie wäre es, wenn du mir ein, zwei von diesen erstaunlichen Praktiken näher erläutern würdest, die du gesehen hast?" Ja, es war definitiv Liebe! Wenn man ohne Ungeduld eine ganze Viertelstunde lang technischen Details lauschen konnte und dabei immer noch zu wenig Platz in den oberen Beinkleidern registrierte! ('w') Amber war seine gesamte erinnerliche Existenz mit dem Phänomen "Deja vu" vertraut. Hauptsächlich deshalb, weil sich in seiner ehemaligen Umgebung nichts veränderte. Dass das ein äußerst ungewöhnlicher Umstand war, wurde ihm erst in seiner neuen Heimat bewusst. Auch deshalb bemerkte er kurz, dass er erneut im Begriff war, ein selig-satt-beglückt vor sich hin schnorksenden Gayan im großen Lotterbett zu verlassen, was, wie er der Literatur entnommen hatte, nicht unbedingt der Etikette entsprach, wenn man die betreffende Person wertschätzte und sich nicht in einem kommerziellen Austauschverhältnis befand. Während er in seine Kleider schlüpfte, nicht länger gehindert durch den Wasserpfeifentabak und seine unvermutete Wirkung auf Engelskörper, überdachte er die ihm zur Verfügung stehenden Optionen. Einiges verlangte nach Utensilien, die ihm nicht zu Gebote standen (Lippenstifte, wasserfeste Marker, Handschellen, Krawatten...), also reduzierte er seine Aktion auf einen Kassenbeleg, dessen Rückseite er in gestochen scharfer Handschrift verzierte. [Werter Gayan, meinen Dank für alle geleisteten Dienste. Getroffene Vereinbarungen werde ich einhalten. Mit Hochachtung, Amber.] Zweifelsohne, dessen war sich der ehemalige Engel bewusst, mangelte es seiner Botschaft an lyrischer Raffinesse, doch diese schwierigen Aspekte von feinen Künsten blieben ihm noch immer ein Rätsel. Vielleicht benötigte man Empfindungen, Emotionen und einen organischen Körper, um sie begreifen oder gar verfassen zu können? Die Kerbe zwischen seinen quittegelben Augenbrauen vertiefte sich. Es war nicht akzeptabel, dass sein Verständnis für die Welt durch die unzureichende Gestaltung seines Körpers gehindert wurde! Grimmig, und dank Engelsaugen ungehindert in der Dunkelheit, verließ er Gayans Wohnhöhle. »Hätte Gott nicht gewollt, dass wir Erkenntnis erlangen, hätte er den blöden Baum nicht in Reichweite hingestellt!« Eine ganz perfide Taktik, nach seiner Meinung. ('w') Gayan hatte nicht wirklich damit gerechnet, Amber im süßen Schlummer (nun ja, eher im reglosen Zustand) neben sich zu finden. In einem hinteren Winkel seines Herzens hoffte er dennoch, dass sich diese Situation in absehbarer Zukunft verwirklichen ließ. Während er sich räkelte, dann eine Daimonenwäsche absolvierte und sich ankleidete (gefrühstückt wurde stets auswärts), zwirbelte er nachdenklich seine prächtige Oberlippenzier. Sein geliebter Amber war ohne Zweifel etwas Besonderes! Kein anderer Engel verhielt sich so unvorhersehbar, gehorchte zwar den Arbeitsanweisungen (das war die Forte der Engel), war damit jedoch keineswegs zufrieden. Ja, ihn schien ein unstillbarer Trotz, eine grundsätzliche Frustration mit dem gegenwärtigen Zustand der Welten dazu anzutreiben, mehr herausfinden zu wollen, sprichwörtlich jeden Stein umzukehren, um zu verstehen. Woher rührte dieser Antrieb? Was mochte ihn ausgelöst haben? "Schwierig." Brummte Gayan und schnitt sich im kleinen Spiegel Grimassen, während er seine Uniformmütze auf der polierten Glatze positionierte. Amber selbst schien nicht zu wissen, was diese Entwicklung forciert hatte. Grundsätzlich beabsichtigte Gayan nicht, seinen ungewöhnlichen Liebsten einzuschränken, doch hin und wieder sorgte er sich, dass dessen mangelnde Erfahrung ihn in heikle Lagen manövrieren wurde. Trotz eines messerscharf-analytischen Verstandes kam man in der Welt (oder in allen Welten) nicht sonderlich weit, wenn man nicht den Raum zwischen Null und Eins, zwischen An und Aus, begreifen konnte. Keine Formeln, keine Algorithmen waren in der Lage, die Entwicklung zu berechnen, fehlerlos die Zukunft zu prophezeien. "Schwierig!" Wiederholte Gayan noch mal, während er die Leitern zur Ebene hinunterkletterte. Wie sollte er Amber nahebringen, dass es keine Gewissheiten gab, dass Regeln eher Empfehlungen blieben? Weil es immer, überall, diesen besonderen FAKTOR gab: Fuzzy-Logik. Oder eben 'menschlich-daimonisch'. Weil statische Regeln, unveränderlich, alles umfassend, wider das Lebensprinzip der Natur liefen. ('w') Amber ging erneut eine sehr lange Liste im Geiste durch. Er verabscheute unnötige Fehler und war davon überzeugt, dass die Beachtung aller Details die Möglichkeit unerwarteter Entwicklungen Richtung 'Unwahrscheinlichkeit' verschob. Die zwei Tage nach dem zweiten Aufeinandertreffen intimer Natur mit Gayan waren, da seine Arbeit ihn kaum beanspruchte, entschieden genutzt worden. Der ehemalige Engel wusste nichts über die Beschaffenheit seines Denkapparates, doch das hinderte ihn grundsätzlich nicht daran, diesen unerbittlich und bis zur Belastungsgrenze (die er noch nicht entdeckt hatte) zu nutzen. "Nun denn!" Verkündete er, ein wenig dürftig für ein so außergewöhnliches Unterfangen, das er in Angriff zu nehmen im Begriff stand, aber die Lyrik-Problematik musste sich gedulden. Er verschloss sorgfältig den aufgebockten Bauwagen, nahm den Holm des kleinen Leiterwagens hoch, an dem das Gefährt gezogen wurde, und marschierte energisch los. ('w') Gayan studierte einigermaßen verblüfft das Hinweisschild an der verschlossenen Tür des Bauwagens. Er hatte endlich, nach mehreren Schichten zur Strafe für das unerlaubte Postenverlassen und Herumtauschen zwecks amouröser Beglückung, Feierabend. Er wollte Amber zum Essen einladen (immer eine billige Angelegenheit, da der frühere Engel nichts aß, ihm aber aufmerksam dabei zuschaute). Nun traf er ihn nicht mal an! [Sehr geehrte Mitarbeitende, Aufträge gehen Ihnen per Aero-Flott zu. Die Geschäftsführung] "Was, zum Gneisgnatzer, hat er jetzt angestellt?!" Der KOK-Offize presste das Gesicht (ohne Rücksicht auf seinen imposanten Oberlippenbart) gegen eine Scheibe, erkannte, wie im Inneren eine Lochstreifenmaschine ihr Endlosband über ein merkwürdiges Nagelbrett schob, das immer wieder von einem durch Tropfenriesel betriebenen Scherenschnitt abgeteilt wurde, bei passender Lochung auf dem Nagelbrett eine neue Mitteilung per Lochstreifen zu einem Ticker erzeugte. Alarmiert justierte Gayan seine in den Nacken gerutschte Mütze und eilte zum nächsten Aero-Flott-Büro. Dort rauschten durch das offene Hochdach gefiederte und geschuppte Fledermausdaimonen munter, in verschiedenen Farben bemalt, rein und raus, mit winzigen Nachrichtensäckchen beladen. Fast jeder Haushalt unterhielt Einwurfrohre (mit Schließmechanismus gegen Insekten, Regen oder andere unerwünschte Eindringlinge) auf dem Dachfirst, wo die Säckchen eingeworfen werden konnten und über ein Rohrpostsystem ihre Empfangenden erreichten. Gayan reihte sich in die munter schwatzende Kundschaft ein, die von trillernden Vogelwesen freundlich-aufgedreht bedient wurden. Hier war 'die Kundschaft König', vor allen Dingen, wenn sie statt in Währung in Körnern und Samen bezahlte! Der inoffizielle Kurs wurde sogar extra ausgewiesen. "Gayan! So eine Überraschung! Wie geht es dir?" Kryptkr stellte extra farbenprächtige Schmuckfedern aus und zwinkerte flirtend. Der KOK-Offize tippte sich an den Schirm der Mütze und grinste. "Du gibst wohl nicht auf, wie?" Dabei wussten sie beide, dass außer einem sehr heißen Intermezzo vor einem Jahr keine bindende Fortsetzung im Raum stand. Die gegenseitige Sympathie war geblieben. "Das wäre gegen meine Natur!" Flötete Kryptkr und studierte Gayan eingehend. "Stimmt was nicht? Du wirkst besorgt." Gayan unterdrückte ein missmutiges Grummeln, dass seine Empfindungen sich so leicht von seinem Gesicht ablesen ließen. Möglicherweise war das auch dem Umstand geschuldet, dass er sonst ein breites Grinsen und große Zuversicht in die Welt strahlte? Von seinem Diamantengebiss ganz zu schweigen. "Sag mal, hat ein gutaussehender Engel von der 'Freundlichen Terminal-Kontrakt-Betreuung' bei euch etwas in Auftrag gegeben?" Kam er gleich auf den Punkt. Die schimmernden Lider des Vogelwesens senkten sich für einen Moment. "Nun ja, ist kein Geheimnis." Entschied Kryptkr. "Wir haben den neuen Service für Geschäftskundschaft vereinbart. 'In Deiner Zeit, Unsere Leistung'!" Verkündete er stolz-werbend. Gayan sagte dieses Angebot gar nichts, deshalb hakte er nach. "Was genau ist das?" "Oh!" Leicht gekränkt zuckte Kryptkrs Schnabel. "Du hast wohl unsere Flugzettel nicht gesehen? Nun ja, es bedeutet, dass wir hier Sendungen lagern und erst auf Mitteilung der Kundschaft zustellen, zeitgesteuert eben." "Verstehe ich das richtig?" Gayan formulierte gedehnt. "Dass hier Post liegt, die erst versandt wird, wenn ihr, zum Beispiel per Ticker, eine Aufforderung erhaltet?" "Genau!" Beglückwünschte Kryptkr ihn euphorisch. "Tolles Konzept, oder? Wir hatten ja auch noch etwas Platz übrig." Weil Flugdaimonen nicht gern Kellerräume betraten, sich unter ihren Dependancen jedoch häufig labyrinthische Höhlensysteme gefunden hatten. Es konnten ja nicht alle an passionierte Käsereien oder Pilzzüchtende vermietet werden! "Sehr fortschrittlich!" Bekundete Gayan artig. "Danke, Kryptkr! Das hilft mir schon weiter." "Wirklich? Dann erwarte ich demnächst eine Einladung zum Kricket! Haben wir ewig schon nicht mehr gespielt." Hier bot sich eine Chance, da musste man zugreifen! Gayan grinste so breit, dass er seinem Schnurrbart Konkurrenz bereitete. "Na schön, du willst mich wohl wieder richtig blamieren, wie? Sagen wir, heute in einem Monat? Ich schaue noch mal vorbei, und wir legen's fest, einverstanden?" "Phantastisch!" Jubilierte Kryptkr und fächerte die volle Schönheit seiner Schmuckfedern auf. "Oh, ich werde dich so was von abziehen!" Der KOK-Offize lachte trotz seiner Sorgen laut auf und stieß mit der geballten Klaue gegen eine gefederte. So viel Enthusiasmus konnte ihn immer begeistern! ('w') "Erledigt." Stellte Amber konzentriert fest. Der Leiterwagen wartete in der Ecke, die Höhensonne war ausgerichtet, ein Laken ausgebreitet, der große Tiegel positioniert, die Handlungsanweisung mit einer fossilierten Muschel beschwert. Er streckte sich auf dem Laken aus, seine Kleider ordentlich gefaltet in einer Felsennische deponiert. "Nun denn!" Deklamierte er entschieden, schloss die Türkisaugen. Jetzt galt es, Erkenntnisse und seine besonderen Erinnerungen an Gayan zu aktivieren. ('w') "War schon ein bisschen komisch." Der alte Mann, der die Kurbel-Lastenaufzüge betreute, rieb sich den Hinterkopf, richtete sein verbliebenes Auge auf Gayan. "Aber alles wissen ja, dass du ne Schwäche für den Engel hast." Gayan unterdrückte einen nervösen Schluckauf. Er hatte die halbe Nacht damit verbracht, Amber aufzustöbern, der weder in seiner Schlafeinheit ruhte, noch in einer der Restaurationen, die sie zu besuchen pflegten, eingekehrt war. Nun, müde und ratlos, erfuhr er, dass Amber mit einem Leiterwagen in SEINE Wohnhöhle gezogen war?! Nicht nur das! Sein tadellos korrekter Engel hatte wohl auch die Kunst des geschickten Einbrechens erlernt, denn am Schloss zeigte sich nicht die geringste Spur für ein Eindringen. Der KOK-Offize schnaufte durch, nach dem eiligen Sprint, betrat dann sein Reich. Schnurstracks hielt er auf seine Schlafhöhle zu. Dort lag, nackt aufgebahrt und reglos, sein geliebter Engel auf einer Seite des gewaltigen Bettes unter einer deaktivierten Höhensonne. "Amber? Amber, was ist hier los?!" Gayan stürzte heran und stieß beinahe den demonstrativ aufgestellten Tiegel um. Von Amber kam kein Laut, seine Energieausstrahlung war derart gering, dass sich Gayan die Haare am ganzen Leib vor Entsetzen aufstellten. "Tu mir das nicht an!" Wisperte er erbleichend, beugte sich eilig über die starre Gestalt. "Du darfst nicht sterben, hörst du?!" Der Engel reagierte nicht, blieb steif und still, die glatte Haut kalt. Gayan rang heftig mit hysterischer Panik, die ihm die Kehle hoch kroch. Was sollte er jetzt tun?! Nach einem weiteren Schritt zurück, im Begriff, zum Ausgang zu laufen, um medizinischen Beistand zu alarmieren, stieß er mit der Ferse gegen die Muschel, die üblicherweise in einem Regal präsidierte. Hastig ging er in die Hocke, um den von ihr beschwerten Zettel aufzuklauben. [Werter Gayan, ich habe entschieden, erlangte Erkenntnis zur Veränderung zu nutzen. Eingedenk unserer Vereinbarung wird die Erfüllung meiner Arbeitspflichten davon nicht beeinträchtigt. Ich bitte um die Gunst, mich jeden Tag ganzkörperlich mit anbei positionierter Salbe einzucremen. Dazu sollte pro Tag für zwei Stunden die Höhensonne aktiviert werden. Im Vertrauen auf die von Dir proklamierte Liebe, die ungefragtes und rücksichtsloses Handeln in gewissen Grenzen toleriert, erwarte ich, Dich in einigen Tagen mit den Fortschritten meiner Anstrengungen vertraut zu machen. In Dankbarkeit, Amber.] Mit einknickenden Knien sackte Gayan neben seinem gewaltigen Bett auf den Höhlenboden. "Was hast du vor?" ('w') Kapitel 6 - Drei unfreiwillige Abstürze Die Schonfrist hatte nicht mal eine Woche betragen. Elia riss wütend den eigens eingeschweißten Zettel einer 'besorgten Nachbarin' vom Tor. Er stapfte ärgerlich an seinem Stiefvater vorbei, der innen mit der Gehhilfe die gewohnten Kreise zog, bis es zur Stunde schlug und das Radio ihn ins Innere lockte. "Ich sollte so einen Findling aufstellen!" Knurrte Elia, während er die Stiege zu seiner Einliegerwohnung hochkletterte. "Und Efeu einpflanzen!" Deutlicher hätte man den Fehdehandschuh nicht in den Ring werfen können. Statische Dekorationen waren inakzeptabel, Efeu schlimmer als Unkraut. Frustriert entschied er, nach einem anstrengenden Tag erst mal unter die Dusche zu schlüpfen, um sich aufzuwärmen. Wieder abgetrocknet und warm in einen Flanell-Pyjama gehüllt bereitete er sich Kakao zu, was ihn an Chieran erinnerte. Elia seufzte und nippte melancholisch an der süßen Kalorienbombe. "Du bist ein Idiot." Erinnerte er sich selbst. Warum war er nicht zuvorkommender und aufmerksamer gewesen? Warum so zögerlich?! Wieso wurmte es ihn, dass Chierans letzter Eindruck von ihm so mies gewesen war, dass der ihn zutiefst traurig verlassen hatte?! "Morgen!" Bemühte er sich um andere Gedanken. "Morgen sammel ich einfach was im Wäldchen ein, damit wird dann herumgebastelt. Ist heute ohnehin alles zu nass!" Doch nicht mal der passive Konsum eines albernen Actionfilms in der Glotze konnte ihn wirklich von dem nagenden Gefühl verpasster Chancen ablenken. ('w') Für Gayan war es keine Frage, Ambers Anweisungen buchstabengetreu zu befolgen. Sorgfältig salbte er dessen ganzen Leib, ließ die Höhensonne brennen, sorgte sich während seines Dienstes darum, was wohl mit Amber geschah. Dabei tat sich die ersten beiden Tage rein gar nichts. Kein Grund zur Sorge. Ha! Trotzdem. Es fiel dem KOK-Offize ungewohnt schwer, jovial und kreativ seiner Aufgabe nachzugehen. Er musste sich tatsächlich konzentrieren, dabei pflegten ihm sonst die zündenden Ideen pausenlos zuzufliegen und seine Intuition zu bereichern! Als er an diesem Abend in seine Wohnhöhle trat, die Mütze ablegend, nur marginal gesättigt durch eine kleine Wegzehrung von Medusas Delikatessen, ließ er sich neben Amber auf seinem Bett nieder. "Da bin ich wieder, mein Liebling." Flüsterte er sanft und küsste eine faltenfreie Stirn zärtlich, zupfte das leichte Tuch zurecht, das er über Ambers nackten Leib gebettet hatte. Natürlich antwortete ihm der Engel nicht, zeigte nicht die mindeste Reaktion auf seine Anwesenheit. Seufzend erhob sich Gayan, absolvierte eine kurze Hygieneeinlage, bevor er sich entkleidete und unter seine Decke schlüpfte. Da niemand Einspruch erhob, rutschte er zu Amber hinüber, schmuggelte einen Arm über den makellosen Leib, stutzte, richtete sich alert auf, schnippte mit der Klaue, um eine Laterne zu entzünden. Vorsichtig, wachsam, ungläubig zupfte er das dünne Tuch vom Körper des ehemaligen Engels, staunte fassungslos. "Amber?" Aber er irrte sich nicht: die anmutige Brustpartie schmückten zwei perfekte Brustwarzen. ('w') So rasch konnte sich ein beiläufiger Traum in albtraumhafte Realität verwandeln. Gayan starrte bange auf den leeren Tiegel. Die gesamte Mischung war aufgebraucht, das Rezept nicht bekannt. Nach sechs Tagen in diesem reglosen Zustand wirkte Amber durchscheinend fahl, seltsam eingefallen und ausgedörrt, aber auch verändert, oh ja! Zu den Brustwarzen hatten sich erstaunliche Extras gesellt: einer zunächst nur fingerkuppentiefen Öffnung zwischen den Beinen, von dünner Haut ausgekleidet, echote eine ebensolche, mit hauchzartem Überzug bedeckte Muskelballung. "Amber, das musst du doch nicht tun!" Hatte Gayan verzweifelt plädiert. "Was mein ist, ist auch dein! Wir teilen es uns, hörst du? Bitte, wach wieder auf!" Doch sein Flehen blieb unbeantwortet. Die letzten Reste der Salbe hatten einen modellierten Penis eingehüllt, der einer ebenso dimensionierten Körperöffnung mit sensiblem Muskelmund vorstand, sehr behutsam eingecremt, mit täglich wachsender Sorge auf die fortschreitende Veränderung liebkost. Elend erwog Gayan seine Chancen. Er hatte sich beurlauben lassen, einmalig in seiner gesamten Karriere. Was tun? Wie konnte er diese Entwicklung aufhalten?! Amber war nur noch ein Schatten seiner selbst, hatte ihm keine Anweisung hinterlassen, wie er aufzuwecken sei! Der Wasserpfeifentabak funktionierte nicht mehr! Kurzentschlossen, Tränen wegblinzelnd, wickelte Gayan Amber in das Tuch, hob ihn auf die Arme. Er MUSSTE das Leben seines Engels bewahren! ('w') Der ehemalige Gott mit dem Sopran, seines Zeichens selbständiger Umzugsunternehmer, hatte ihn mit dem Karren in Sichtweite des Sees abgesetzt. Gayan legte Amber auf die Wiese, studierte die Brücke, neutrales Gelände zwischen beiden Welten. Nun musste er nur noch die Courage finden, mit Amber die Brücke zu überqueren, so weit in die verbotene Welt eindringen, wie es ihm möglich war. Es konnte ihn das Leben kosten, doch diesen Preis zu zahlen, das war es ihm wert, weil er nie wieder eine Person so lieben würde wie diesen ungewöhnlichen Engel, ohne ihn nicht mehr sein wollte. "Amber." Sanft strich er mit der Klaue über die quittegelben Fransen. "Wenn du mich hören kannst: ich werde dich so weit tragen, wie es geht, damit du nicht stirbst. Wenn du wieder wach bist, dann wird alles gut." »Was für eine BESCHEUERTE Lüge!« Ätzte eine Stimme panisch in seinem Hinterkopf. "Halt die Schnauze!" Knurrte Gayan unterdrückt, rang mit seiner Fassung, würgte an Tränen, die er nicht vergießen wollte. Es GAB eine Chance, dass sie beide dieses Abenteuer überlebten, also los! Er stemmte sich hoch, den reglosen Leib des Engels auf seinen Armen, marschierte die leichte Anhöhe hinab, um am See entlang zur Brücke zu kommen. Dabei geriet ihm das Tuch unter die Sohle. Ehe er seinen tapferen Gang zum möglichen Schafott abbremsen konnte, stolperte der Daimon beschleunigend zum See und plumpste samt seines geliebten Gefährten in die dato stillen Wasser. ('w') "Gneisgnatzer und Porphyrponore!" Spuckend und um sich schlagend tauchte ein sehr bodenständiger KOK-Offize aus den Fluten, haschte dann hektisch nach dem ehemaligen, selbst modifizierten Engel, der ohne Mühe auf der Oberfläche trieb. "Amber? Alles in Ordnung?" Das war eine reflexartige Frage, die sich nicht um Sinn und Zweck scherte. Türkismeere erschienen, dichte Wimpern blinzelten Tropfen, taumelnd wurden dünne Beine in feuchten Morast gestemmt. "Oh, verflixt!" Stellte der ehemalige Engel ungewohnt empört fest, stützte sich auf Gayans muskulöse Unterarme. Der fühlte selbst, wie sich SEINE Beine in Pudding verwandelten, dennoch riss er Amber in seine Arme und wirbelte ihn im Kreis, vor Erleichterung jubelnd, juchzend und schniefend schluchzend zugleich. "Du lebst! Wirklich, du lebst!" Wiederholte der Daimon nahe der dankbaren Hysterie, bedeckte die ausgezehrten Züge mit salzigen Küssen. "Dem Schicksal sei Dank!" Quittegelbe Augenbrauen kräuselten sich, die Kerbe erschien. "Selbstverständlich lebe ich. Aber ich verstehe nicht." Auf die nackten Fußsohlen gesetzt beäugte der ehemalige Engel seinen Körper. "Oh, verflixt!" Repetierte er ärgerlich. "Wieso bin ich so schwach?! Habe ich das Spektrum der Höhensonne nicht richtig justiert?!" "Ich weiß nicht." Raunte Gayan, der langsam seine Beherrschung wiederfand, schloss Amber gegen dessen Widerstand in die Arme. "Aber ich bin so froh, dass du zurückgekommen bist!" Sein Engel prüfte jedoch Ist-Zustand gegen Soll-Planung und zeigte sich unmissverständlich enragiert. "Wieso hat das nicht richtig funktioniert?! Was ist mir da entgangen?" Entschieden entschlüpfte er Gayans Umarmung, stapfte grimmig, wenn auch wacklig, das Ufer hinauf, um sich dort mit allerlei Verrenkungen selbst zu betrachten. "Nun sieh dir das an!" Klagte er enttäuscht. "Wieso habe ich keine Finger- und Fußnägel entwickelt?! Und irgendwie, ich bin mir sicher, dass dein Penis größer ist!" Er nahm die Eigenkreation in eine schlanke Hand. "Dabei habe ich mir genau gemerkt..." Weiter kam er nicht, da Gayan mit der Urgewalt einer Lawine heranstürzte, ihn einfing und bis zur Atemnot küsste. ('w') Man konnte wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die Gebüsche in der neutralen Zone selten einen Liebesakt von Daimonen und Engeln zu sehen bekamen. Hauptsächlich, weil Engel üblicherweise...,aber dieser Engel war anders. Amber konnte nicht stöhnen, nach Luft schnappen, dennoch spürte er, über seine Sinne, die feinen Nervenenden in jedem Hautpartikel, wie es war, Sex zu haben, einzudringen, und selbst temporär auf intimste Weise mit einem anderen Wesen verbunden zu sein. Es sollte eigentlich nicht funktionieren, das Äußere mühsam zu kopieren (in abgespeckter Form), um vergleichbare Resultate zu erlangen, trotzdem erreichte er diesen ewigen Moment, wo alle Nerven zeitgleich zündeten, das Bewusstsein überluden, Schwerelosigkeit eintrat und er für Augenblicke nicht von dieser Welt (oder einer anderen) war. ('w') Das Tuch, abgefischt aus dem See, trocknete auf einem Busch. Gayan hatte Amber in seine Uniformjacke gewickelt und hielt ihn unbeirrbar in seinen Armen, fest umschlungen. "Ganz erstaunlich!" Bemerkte der ehemalige Engel merklich beeindruckt. Zu seiner Verblüffung begriff er nun die konsumierten, doch bis dato befremdlichen Passagen des inneren Erlebens erotischer Literatur. "DU bist über alle Maßen erstaunlich!" Raunte Gayan mit schmerzender Kehle. Zu oft hatte er nicht nur seine Lust, sondern auch Ambers Namen intoniert. "Oh nein!" Wies der frühere Engel entschieden dieses Etikett zurück, wandte den Kopf, um in die schwarzen Daimonenaugen zu blicken. "Sieh mal, ich habe den organischen Innenaufbau nicht bewältigt! Es ist einfach zu kompliziert! All diese Details, die auch noch miteinander verbunden werden müssen! Dabei wollte ich mich nun wirklich auf das Wesentliche beschränken!" Seufzte Amber. "Bitte forciere das nicht weiter!" Gayan verstärkte seine Umarmung, küsste eine glatte Wange. "Dieses Mal war es wirklich knapp." "Ich muss wohl einsehen, dass die Welt, alles, sehr viel komplizierter ist." Amber tätschelte zögerlich, weil er diesen Impuls noch nie verspürt hatte, einen muskulösen Arm. "Wie ist das bloß entstanden?!" Gayan lachte leise. "Das hat Jahrtausende von Versuch und Irrtum bedurft, mein Herz. Ich bin ziemlich sicher, dass niemand ALLES begreifen kann. Wir lunzen hier und da in winzige Ausschnitte, das ist schon alles. Deshalb sollten wir uns auf das Leben konzentrieren, meinst du nicht?" Amber kontemplierte diese Schlussfolgerung. "Nun!" Er straffte seine schlanke Gestalt, die dank des natürlichen Lichts schon wieder erholter schien. "Zumindest habe ich schon bewiesen, dass ich leben kann und Lust empfinde! Mit dem Essen wird es wohl nichts werden." Er schnaubte. "Aber in gewisser Hinsicht sehe ich mich gut aufgestellt." "Oh ja, sehr gut aufgestellt!" Bekräftigte Gayan zärtlich, löste einen fesselnden Arm, um mit der Klaue sanft über eine glatte Wange zu streicheln. "Auch unser mögliches Aktionsgebiet hat sich dadurch erweitert." Der ehemalige Engel löste sich entschieden aus Gayans Zugriff, drehte sich herum, kniend, die Türkisaugen ohne jeglichen Ölteppich. "Ich möchte daher eine weitere, private Vereinbarung treffen!" "Aha?" Gayan blinzelte und zwirbelte automatisch seinen Schnurrbart. "Tatsächlich ist es in einigen Gesellschaften Brauch, dass man Lebensräume teilt, um flexibler und effektiver die Gelegenheiten zu physischem Austausch zu pflegen." Erläuterte Amber mit erwachendem Eifer. Offenbar wirkte der in die Salbe eingebrachte Wasserpfeifentabak noch nach, denn er registrierte eine viel breitere Spanne an Emotionen. Der KOK-Offize hatte unterdessen die Botschaft dechiffriert und strahlte bis zum letzten Diamantenreißzahn. "Heißt das, du willst bei mir einziehen, damit wir so oft wie möglich Liebe machen können?" Versicherte er sich seiner Erkenntnis. "Exakt!" Amber nickte bekräftigend. "Ich halte es auch für vorteilhaft, dass ich meine pseudo-organische Beschaffenheit an deinen Attributen und Vorlieben ausgerichtet habe! Weitere Angelegenheiten können selbstverständlich auch in die Verhandlungen einbezogen werden." Gayan nahm Ambers Rechte, führte sie an seine Lippen und küsste den Handrücken. "Dann bitte ich dich, mein Engel, mein Liebster, mein Herz, dein Leben mit mir zu teilen. Ich schwöre dir Treue und Beistand, Schutz und Schirm. Meiner Liebe sollst du immer versichert sein, so wie meinem Respekt und meiner Hochachtung." Ein wenig förmlich, ja, doch auch Daimonen hatten Rituale und Regeln. Quittegelbe Augenbrauen wanderten zu fransigen Ponysträhnen, während es (mutmaßlich) hinter der faltenfreien Stirn arbeitete. "Ist das nicht ein Bindungsgelöbnis?" Amber studierte die vertrauten Züge aufmerksam. "Bin ich gehalten, denselben Eid zu sprechen?" "Wenn du es möchtest." Gayan lächelte leicht, betrachtete den ungewöhnlichen Engel in großer Zuneigung. "Ich denke, ich kann diesen Eid leisten." Amber umfasste Gayans rechte Klaue, führte sie artig an die Lippen und hauchte auf den rauen Rücken einen Kuss. Denn ich habe erstaunlicherweise doch einen Ort für meine Liebe entdeckt." Und zwar genau da, wo sich der Antrieb befand, den Himmel zu verlassen. Als ersten Schritt. ('w') Ein Lauffeuer hätte sich nicht schneller durch trockenes Grasland verbreiten können. Vielleicht war es auch der Tatsache geschuldet, dass Amber Gayans Klaue hielt, obwohl sie beide weder der Stütze bedurften, noch zu schwächlich waren, sich allein aufrecht zu halten. Eigentlich unlogisch, aber das galt nur für Wesen, deren Sinne nicht über empfindsame Nerven in Hand-/Klauenflächen verfügten. Nachdem Amber bei Gayan von Uniformjacke und Tuch in seine Kleider gewechselt hatte, trennten sie sich guter Dinge. Während Gayan Leiterwagen und die ineffektive Höhensonne zurückgab, löste Amber seinen Mietvertrag auf und sammelte seine übersichtlichen Habseligkeiten ein. Beider Fortkommen wurde durch zahlreiche Gratulationen und Glückwünsche für die Zukunft behindert. "Ich bin frappiert." Amber richtete sich mit Gayans Unterstützung in der Wohnhöhle ein. "Woher wissen diese Personen von unserem Eid?" Gayan lachte und schwenkte seinen Engel unaufgefordert durch die Höhle. "Na ja, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, wie absolut ich in dich verschossen bin! Das konnte keinem entgehen." "Nun, mir schon." Stellte Amber mit Grübelgrübchen zwischen quittegelben Augenbrauen fest. "Allerdings hätte ich die Bedeutung wohl damals gar nicht begreifen können." Langsam glitt er an Gayans vertrauter Gestalt hinab, bis er wieder auf eigenen Füßen stehen durfte, blickte in die strahlenden, schwarzen Augen des Daimons. "Das ist WIRKLICH erstaunlich." Gab er verspätet Gayans Feststellung recht. "HmmHmm!" Nickte der beiläufig, auf Schmusen verlegt. "Glaubst du, wir könnten im Bett noch ein wenig mehr gemeinsam staunen?" Nicht gerade subtil, aber was konnte man schon erwarten, wenn wesentliche Blutkreisläufe sich auf den subäquatorialen Bereich konzentrierten? Amber, der seinen eigenen Leib aus Neugierde, Verlangen, Empörung, Frustration und einer Prise Neid an Gayans 'Extras' ausgerichtet hatte, lächelte, ebenfalls eine neue Erfahrung. "Unbedingt!" Funkelten Türkise erwartungsfreudig mit Diamantenzähnen um die Wette. ('w') Es war keine Frage zwischen ihnen gewesen, dass sie beide ihrer Erwerbstätigkeit nachgingen, auch wenn Gayan nun sehr viel seltener den Dienstschluss verbummelte, sondern zielstrebig zu Amber eilte, ihn entweder abzuholen oder in ihrer gemeinsamen Unterkunft in die muskulösen Arme zu schließen. Eintönigkeit schien ebenfalls keine Option zu sein, da sein geliebter Engel mit jeder neuen Erkenntnis mindestens ein Dutzend weitere Fragen aufwarf, was Gayan durchaus gefiel, denn Ambers Wissensdurst und Forschungsdrang zogen ihn einfach mit. Vor allem, wenn es um die unerklärlichen, unlogischen, unvorhersehbaren Emotionen und Handlungen von Lebewesen ging. Was für Engel kaum einzuordnen war, fiel ihm, kontaktfreudig, in Körpersprache kundig, wortgewandt und gutherzig-großmütig, leicht. Stolz erfüllte ihn, wenn Amber seine Expertise suchte, um zu begreifen, welche Motive möglicherweise im Spiel waren, wenn er einem (für Engel so kategorisierten) Phänomen auf der Spur war. Alles wussten überdies von ihrer ungewöhnlichen aber berührenden Liebesgeschichte. Er wurde mit Hallo begrüßt, ließ schmunzelnd freche Scherze über sich ergehen und hob den ein oder anderen Kurzen auf ihre gemeinsame Zukunft. Weil es ihm gerade so wunderbar-prächtig ging, war er durchaus geneigt, diese Glückseligkeit auch anderen zuteil werden zu lassen. Zur Mittagszeit seiner Tagesschicht überraschte es ihn, in einem kleinen Imbiss die zusammengesunkene Gestalt von Chieran zu erblicken, was ihn energisch daran erinnerte, dass er noch einige Aufgaben zu erledigen hatte! "Hallo, mein Freund, wie geht's?" »Und warum sitzt du am helllichten Tag hier und arbeitest nicht an schönen Tuchstoffen und neuen Mustern?!« "Oh, Gayan!" Hastig faltete der halbe Hermaphrodit seine Zeitung um, doch das Titelbild hatte Gayan längst registriert. Drei strahlende, wohlhabende, einflussreiche Studienkollegen grienten breit hinter dem schönsten Hermaphroditen von Chierans Jahrgang, der behütend eine sehr gepflegte Hand auf seine gewölbte Körpermitte legte. "Ja, ich habe es noch gar nicht getan, Verzeihung, ich wünsche dir und Amber alles erdenklich Gute!" Chieran stolperte beinahe von seinem Hocker herunter, wollte sich mit der Linken abstützen, die Rechte schon zum Händedruck ausgestreckt, doch mit einem erstickten Wehlaut knickte er dem KOK-Offize entgegen, der den Sturz geschickt abfing. "He, was ist denn los? Bist du verletzt?" Ohne Mühe lupfte Gayan den jungen Daimon auf den Hocker, studierte das für einen Wimpernschlag schmerzverzerrte Gesicht. "Ist, ist nicht schlimm. Ich hatte bloß vergessen..." Gayan wischte sanft mit der Klaue kastanienbraune Strähnen aus der klammen Stirn. "Was ist passiert, hm?" Erkundigte er sich leise. "Nur ein dummer Unfall." Chieran zwang sich zu einem gequälten Lächeln, blinzelte den feuchte Film von seinen mahagonifarbenen Mandelaugen. "Eine Manschette ist geborsten und der Dampfstrahl traf mich am Arm." "Dein Arm ist verbrüht?!" Sehr behutsam inspizierte Gayan den versehrten Körperteil, eingewickelt in schützende Bandagen. "Es ist gar nicht so schlimm, aber ich soll den Arm nicht belasten. Deshalb ist mir für drei Tage ein Arbeitsverbot auferlegt worden." Erläuterte Chieran, was nun auch seine Anwesenheit um diese Uhrzeit begründete. "Das ist aber übel!" Gayan nahm neben ihm Platz und orderte rasch zwei Rachenputzer, aber ohne Alkohol, dazu eine Vespertasche. "Vielleicht war einfach das Muster zu kompliziert." Chieran zerknitterte die Zeitung in seiner Rechten. "Wir wollten ein neues Gewebe testen, besonders strapazierfähig, mit anderen Fasern, damit es wasserabweisende Qualität erreicht. Die Menschen haben so etwas." Seine Schulter sackte auf der rechten Seite herab, links schien die Verletzung seine Sehnen und Muskel verhärtet zu haben. "Das ist ein ausgesprochenes Pech!" Spendete Gayan Trost und schob die frisch ausgeschenkten Rachenputzer zwischen sie. Dabei überdachte er intensiv, wie er Chieran unterstützen konnte. Eine Idee bot sich schon an! ('w') Es war definitiv nicht sein Tag, das konnte Elia mit Bestimmtheit behaupten. Was er JETZT wirklich noch brauchte, war unerwünschte Aufmerksamkeit durch die erweiterte Familie! Dennoch erhob er sich, spuckte den Papierstreifen des letzten Pflasters aus, um den Stiegenstürmenden die Eingangstür zu öffnen. Dank Neumond (und damit notorischer Finsternis, gepaart mit hartnäckigem Abendnebel) erkannte Elia die Silhouette erst korrekt, als er nach dem Stiegenlicht tastete. Dabei hätte er sich ohnehin fragen müssen, wer so tollkühn war, ohne Beleuchtung die Außentreppe hoch zu kraxeln! "Schönen guten Abend, Kamerad!" Dröhnte Gayan aufgekratzt, lupfte die Uniformmütze. "Darf ich näher treten? Oh, was ist denn mit dir passiert?" Das joviale Trompetensolo reduzierte sich auf ein argwöhnisches Grummeln. Elia seufzte tief, trat beiseite und lud Gayan ein, seine Einliegerwohnung zu entern. "Hallo auch." Murmelte er, schloss die rheumatisch-feuchte Kälte aus. "Tja, ich bin heute über den Lenker abgestiegen worden." Der KOK-Offize blinzelte, die Diamantenreißzähne blitzten kurz, zwischen Lächeln und Irritation schwankend. Sein Gastgeber hielt es für angezeigt, die Ereignisse ein wenig verständlicher zu erläutern. "Beim Rückweg von meinem letzten Auftrag war's schon finster und neblig." Elia schlug den Bademantel zu, denn in Boxershorts und T-Shirt, der Versorgung seiner Wunden geschuldet, war es doch ein wenig frisch. "So eine Tante öffnet einfach ohne Blick in den Spiegel die Fahrertür ihres Autos. Ich kann zwar etwas bremsen, aber mit dem Anhänger auf nassem Asphalt hatte ich dann doch zu viel Geschwindigkeit. Rumms, lag ich da." Dass die weibliche Spaßbremse vor lauter Schreck in einen nahezu hysterischen Schockzustand verfallen war, man eine Ambulanz für SIE alarmierte und auch noch eine Fußstreife erschien, um den Unfall mit Personenschaden aufzunehmen, ließ er lieber aus. Wenigstens hatte sein Arbeitgeber ihn und das Lastenfahrrad aufgelesen, kopfschüttelnd die Acht im Vorderrad betrachtet und geseufzt, da wäre man ja jetzt mit den Versicherungen wunderbar beschäftigt, von der Kanzlei ganz zu schweigen. Die auffälligen Schürfwunden an den Händen hatte man behandelt, auch das gestauchte linke Gelenk, aber unter seiner Montur hatte sich dann, beim steifen Ausziehen nach einem sehr viel späteren Feierabend, die farbenprächtige Bescherung erst richtig offenbart. "So ein Schlamassel." Brummte Gayan mitfühlend, wenn auch ein wenig besorgt. Er wollte sich auf der Klappcouch häuslich einrichten, registrierte knisternden Widerstand unter dem Gesäß und pulte die Zellstoff-Auflage hervor. "Ah, 'tschuldige!" Elia schnaubte, kämpfte einhändig mit der Kaffeedose. "Liebesbriefe von meiner Terrornachbarschaft!" Die schon wieder die fehlende Dekoration anmahnte. "Üble Sache!" Kommentierte der KOK-Offize, während er ein farbiges Flugblatt mit gesteigerter Aufmerksamkeit konsultierte. "Ja!" Knurrte Elia in den Wasserdampf, füllte die Becher und rührte nicht nur Zucker, sondern auch Dinkelmilch ein. Puristische Geschmacksverfechtung konnte ihn mal kreuzweise! "Wie geht's eigentlich den anderen, dem Engel und Chieran?" Bemühte sich Elia um einen höflich-beiläufigen Ton, wich Gayans schwarzem Daimonenblick betont geschäftig aus, während er nacheinander die Becher zum Klapptisch transportierte. "Danke schön." Gayan nippte artig, die Oberlippenzier wippte. "Amber und ich sind jetzt fest zusammen. Wie man bei euch sagen würde: im Siebten Himmel, Flitterwochen, etc. Was Chieran betrifft, der Arme hat leider auch eine Pechsträhne." "Pechsträhne? Wieso?!" So fix wurde ihm selten alle Aufmerksamkeit zuteil! Gayan nickte gravitätisch. "Nun, er hatte einen Unfall im Betrieb, hat sich den Arm verbrüht, und..." "Den Arm verbrüht?!" Agierte Elia zum zweiten Mal als Echo, saß trotz seiner schmerzenden Blessuren schlagartig aufrecht. "Ist er im Krankenhaus?! Ich meine, in medizinischer Behandlung? Ihr habt doch so was, oder?!" Schrapnellten seine Fragen um die spitzen Ohren seines Gastes. Der blieb gelassen. "Nein, nicht im Krankenhaus, das wir haben, auch medizinische Expertise." Er grinste besänftigend. "Er hat bloß drei Tage Arbeitsverbot. Und, na ja, dann hat auch noch sein Jahrgangserster publikumswirksam seine Schwangerschaft verkündet." Senkte Gayan dramatisch die Stimme. "Da steht man schon unter gesellschaftlichem Druck, weißt du? Fast so wie bei deiner Nachbarschaft hier." In Elia rotierten Rädchen sichtlich. Seine renitent-aufdringlichen Deko-Manie-Versessenen der Nachbarschaft waren ihm nachgerade schnurz, vor allem, wenn es dauerregnete und er keine Lust hatte, übermäßig in ihren "Schöner Wohnen"-Fimmel zu investieren! Nein, all seine Gedanken konzentrierten sich auf Chieran, dessen trauriges Gesicht sich in seine Erinnerung gebrannt hatte. "Was meinst du mit 'gesellschaftlichem Druck'?" Hakte er besorgt nach. "Tja!" Gayan schlürfte, um die Spannung zu erhöhen, etwas Kaffee. "Chieran hat keine Patronage, er lebt außerhalb des Viertels seiner Leute. Das ist zwar näher zu seiner Arbeitsstätte, aber die ist ja nun nicht gerade en vogue bei seinesgleichen." Ein weiterer, gurgelnder Schluck Kaffee steigerte die Dramatik. "Wenn man dann ein gewisses Alter erreicht, nun, irgendwann ist man dann gezwungen, stündliche Patronage anzunehmen." Elias Kinnlade besuchte kurzzeitig seine lädierten Knie. "Du meinst, verstehe ich das richtig, Prostitution?!" Quäkte er erstickt heraus. "Chieran hat ja einen Job, deshalb kommt er bestimmt leidlich über die Runden." Gayan rollte die muskulösen Schultern. "Aber seine Leute sind auf Gemeinschaft, Gesellschaft geprägt. Isolation ist ziemlich hart." Während Elia mit trockener Kehle diese Enthüllung verarbeitete, wechselte Gayan gelenkig das Thema. "Sag mal, was ich hier lese, dieses 'Halloween', was hat es denn damit auf sich?" Gab er sich wissbegierig. Die Antwort kam auf Autopilot, Elias Psyche knabberte noch an Chierans möglichen, ausgesprochen tristen Perspektiven. "Oh, das ist so eine Art Fasching, bloß in gruselig. Übernächsten Freitag, Mummenschanz, aber statt Alkohol endet es üblicherweise im Zuckerkoma. Eigentlich soll ja den Verstorbenen gedacht werden, aber da geht's um Geister und Monster und all dieses Zeug." Gayan inspizierte das Flugblatt gründlich, dann beugte er sich vertraulich zu Elia hinüber. "Weißt du, ich habe da gerade so eine Idee..." ('w') Kapitel 7 - Jetzt oder nie! Freitagabend. Elia hetzte in seinem kleinen Reich herum, um wirklich alles präsentabel auf Vordermann zu bringen, trotz der aufsässigen Wunden, die sich jetzt richtig bemerkbar machten, weil sich niemand um sie zu scheren schien, aber Elia hatte für derlei Petitessen jetzt keine Zeit! Angespannt lauschte er auf die Stiege hinaus, doch lediglich das asthmatische Keuchen des kleinen Koreaners durchdrang die dämpfende Nebelsuppe kurz. Anschließend jedoch vernahm er das ersehnte Duett von Schritten, drehte die Beleuchtung auf und öffnete eilig die Tür. Gayan grinste so propper und glücklich wie am Vortag (er hatte sich nur kurz von Amber verabschiedet nach Runde 1 ihres Feierabendintermezzos), während Chieran hinter ihm zitternd in dem unzureichenden Kapuzencape schlotterte, da konnte auch Elias Schal nicht viel ausrichten. "Oh, kommt bitte rein, ja?!" Stotterte Elia hastig, gab den Weg frei. Gayan schob jedoch Chieran sanft vor sich, tippte sich an die Schläfe und ordnete an. "Seid nett zueinander, ja, Freunde?" Schon hatte er sich in Luft aufgelöst. "Uh, ja, schön!" Stammelte Elia souverän, verpasste sich eine metaphorische Ohrfeige. "Darf ich dir den Mantel abnehmen?" Chieran nickte, Manieren gingen vor, auch wenn er nun klapperte, sichtbar. »Er wirkt magerer!« Stellte Elia grimmig fest. »Und noch blasser!« Außerdem schien das Lächeln des halben Hermaphroditen doch sehr angestrengt. "Hier!" Elia nahm eine lange Strickjacke auf, kunterbunt, Resteverwertung, half Chieran vorsichtig hinein, der mit seinem linken Arm merklich Schwierigkeiten hatte. "Hast du große Schmerzen?" Erkundigte er sich, strich ungefragt kastanienbraune Strähnen aus dem bleichen Gesicht. "Es geht schon." Was es offenkundig nicht tat. "Ich muss wohl zur Massage, aber solange meine Haut so angegriffen ist." "Verstehe!" Knurrte Elia, dirigierte seinen Gast auf die Klappcouch, löste dann zu dessen Schreck unaufgefordert die Schnüre für die Stiefel und streifte Chieran dicke Socken über die bloßen Füße. Über dessen Beine breitete er eine alte Patchwork-Decke. "Aber Gayan sagte, ich solle dir beim Basteln wegen deiner Nachbarschaft helfen?" Warf Chieran ein. "Später!" Bestimmte Elia entschieden. "Erst mal werden wir uns stärken!" Dann holte er die kurz aufgewärmten Mini-Kuchen mit ihrem flüssigen Schokoladeninnenleben, begleitet von sämig-süßem Eiskaffee mit Krokantsplittern. ('w') Chieran winselte leise vor Glück und ein wenig deshalb, weil sein Magen auf Sparflamme gehalten nun freudig-erregt besondere Köstlichkeiten erwartete. "Gut, hm?" Elia grinste, leckte sich einen Kakaoschnurrbart von der Oberlippe. So langsam hatte sich seine nervöse Anspannung verflüchtigt, weil Chieran so erbarmungswürdig elend wirkte. Im Versorgungs- und Aufmunterungsmodus blieb für kleinmütige Fragen persönlicher Würde einfach kein Platz! "Das ist so wunderbar!" Mit der Rechten trocknete Chieran hastig verdächtige Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln. "Schön." Elia nickte zufrieden. "Ich habe mich ziemlich erschreckt, als Gayan mir gestern erzählte, dass du einen üblen Unfall hattest!" "Oh, das tut mir leid!" Beinahe reflexartig bemühte Chieran sich um eine wegwerfende Geste, die seine Schwierigkeiten als vernachlässigenswert kennzeichnen sollte. "Allerdings war ich besorgt, als er mir erzählte, wie du hier schikaniert wirst! Und dass du mutwillig vom Fahrrad geholt wurdest!" Nun flammte Empörung in den mahagonifarbenen Mandelaugen auf. "Das ist so ungerecht! Diese Leute sollten sich schämen!" Unmöglich, sich ein breites Grinsen zu verkneifen! Weshalb Elia gar nicht erst diesen fruchtlosen Versuch unternahm. "Na ja, sind nur blaue Flecken, ein paar Schrammen und eine lädierte Linke." Wedelte er demonstrativ mit der Hand. "Aber der ganze bürokratische Kram ist viel nervtötender!" Der halbe Hermaphrodit seufzte mitfühlend, setzte sich dann entschieden auf. "Selbstverständlich werde ich dir helfen, etwas herzurichten! Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe, aber sollte es wirklich etwas Gruseliges sein?" "Definitiv!" Elia erhob sich, um seine Restekiste zur Klappcouch zu befördern. "Möglichst blutgefrierend. Solange sie auf der anderen Seite des Gartenzauns umkippen, ist alles erlaubt!" "Wirklich?" Chieran schälte seinen rechten Arm aus dem wollig-wohl-warmen Schichten frei, ein grimmiges Lächeln auf den Lippen. "Da bin ich gerade in der richtigen Stimmung, um dir behilflich zu sein!" Seine Erfahrungen im Ferienlager für delinquente Daimonenkinder würden zweifelsohne von großem Nutzen sein! ('w') "Das ist ohne jeden Irrtum gruselig." Stellte Elia nach einer Stunde kreativer Bastelei fest. Die Vogelscheuche hatte von Chieran ein derart diabolisches Grinsen aufgestickt bekommen (Plastiktüte über Pappteller), dass sie samt der hohlen, schwarz gepinselten Augen, über die peinlichsten Geheimnisse des ahnungslos vorbeikommenden Publikums verfügen musste. "Ja, findest du nicht auch?" Chieran strahlte entschlossene Befriedigung aus. Er musste wohl auch so Einiges kompensieren, vermutete Elia mit einem Seitenblick. Nun hing ihr gemeinsames Werk an einem Nagel und wartete darauf, am nächsten Morgen die aufdringliche Nachbarschaft in die Schranken zu weisen. Die leeren Becher Karamell-Kakao der Spüle anvertrauend, wandte sich Elia um, nötigte sich selbst zur Courage. "Also, wenn ich jetzt sage, dass ich das Bett mache, während du im Bad bist, damit wir es dann gemeinsam benutzen können..." Chieran hing mit aufgerissenen, mahagonifarbenen Mandelaugen wie ein Verdurstender nach einem Rinnsal an seinen Lippen. Nun, metaphorisch. "Also, würdest du es vielleicht so verstehen wollen wie beim letzten Mal?" Stammelte Elia sich hochrot (und da konnte noch so ein kleidsam dunkler Teint nicht tarnen!) durch Worte. Umständlicher hätte man das Gesuch um Beischlaf wohl nicht formulieren können. "Möchtest du es denn?" Chieran umklammerte seine feingliedrigen Hände so angespannt, dass sich die Knöchel abzeichneten. "Dass wir Sex haben?" "Na ja." Elia konnte nur seine Zehenspitzen adressieren, rieb sich verlegen den Nacken. "Ich bin etwas eingerostet." »GLATT GELOGEN!« Schäumte seine Würde cholerisch. »Hör sofort auf, uns unsäglich zu blamieren!!« Eine warme Hand legte sich auf seine Wange, dirigierte seinen Kopf auf die passende Höhe, damit ein prüfender Kuss auf seinen Lippen die elendige Brabbelei beendete. "Ich möchte sehr!" Wisperte Elia endlich heiser, heftig blinzelnd, im Reflex Chierans Kasack beklammernd wie ein Kind die Rockschöße seiner Mutter in alten Zeiten. So viel zum Thema Würde! Chieran lächelte scheu, studierte ihn eingehend. "Sieh es mir nach, bitte, dass ich nur die Hälfte bieten kann." Wie oft hatte er wohl diesen traurigen Satz gesprochen? Ohne Rücksicht auf lädierte Körperpartien schlang Elia die Arme um den schlanken Hermaphroditen. "Das ist NICHT 'nur die Hälfte'!" Begehrte er lautstark auf. "Das sind einhundert Prozent von DIR!" Weil Chieran zur Entgegnung ansetzte, erdreistete er sich tollkühn, seine vernachlässigten Fähigkeiten in Sachen oraler Aufwartung nachdrücklich aufzufrischen. ('w') »Hast du eigentlich IRGENDEINE Idee, was du da gerade tust, hm?!« Elia presste die Zähne aufeinander, was die hysterisch-indignierte Stimme in seinem Hinterkopf selbstverständlich nicht zum Verstummen brachte. Grimmig rubbelte er sich nach einer SEHR GRÜNDLICHEN, um nicht zu sagen peniblen Dusche ab und warf sich einen finsteren Blick im beschlagenen Spiegel zu. Nein, von Idee konnte man nicht sprechen, zugegeben. Geflunkert hatte er auch. Außerdem war der Bammel auch nicht zu verachten, der in seinem Brustkorb randalierte. Trotzdem. Wenn nicht jetzt, mit Chieran, einem PROFI, wann sollte er dann ENDLICH diesen Schritt wagen?! Außerdem, das Küssen und Kuscheln (unter erschwerten, da lädierten Bedingungen) hatte doch ziemlich gut funktioniert, oder?! Immerhin hatte es bis zu Fußzehen und Scheitelkrone bei ihm geprickelt und geblitzt! »Und wie soll das klappen?! Hä?!« Nun gut, theoretische, da in der Anatomie verankerte Möglichkeiten, die kannte er schon, aber man musste ja auch nicht gleich alles...! Überhaupt! Wichtig war doch, dass sie nett zueinander waren, richtig?! Aufgeregt, aber nicht abgeschreckt betrat er sein kleines Schlafzimmer, mit einem Bett, das eigentlich nicht groß genug für zwei Personen war. Chieran lupfte artig die Bettdecke hoch, um ihn einzuladen, sich rasch darunter zu flüchten. Trotz des mageren, wenn auch warmen Scheins der Laterne registrierte Elia unmissverständlich, dass Chieran in glamouröser Unbekleidetheit auf ihn wartete. Tapfer entblätterte er sich eiligst, kroch dann flink unter die warmen Stoffschichten. "Oh, diese Wärmflaschen sind so prima!" Begeisterte sich Chieran, die Mahagoniaugen funkelnd. "Bei uns ist es zwar selten so frisch, aber ich kenne nur die alten Bettpfannen, richtig gefährlich!" "Kann ich mir vorstellen." Murmelte Elia und rückte tollkühn näher. Sofort schmiegte sich ein sehniger, unmissverständlich männlicher Leib an ihn. Er spürte Knochen und Sehnen, seidig glatte Haut, fremde Wärme. Chierans Finger strichen sanft über seine Haare, zärtlich, auch ein wenig neugierig. "Deine Haare sind wirklich erstaunlich." Bemerkte der Daimon schließlich fasziniert. "Elastisch und kräftig und zwirbelig!" "Kraus." Half Elia großzügig aus. "Naturkrause, allerdings etwas schwierig zu pflegen. Hier gibt es nicht so viele Leute wie mich." "Wie meinst du das?" Chieran kraulte ihm sehr zart die Schläfen, die Augenbrauen ein wenig gelupft. Elia erkannte, dass er vielleicht etwas ausholen musste, um seine Bemerkung zu erklären. "Ich bin nicht in diesem Land geboren." Langsam ließ er seine Hände über einen sehr elegant geschwungenen Rücken gleiten. "Mein 'Volk' kommt ursprünglich aus Ostafrika, nahe beim Äquator, deshalb dunkle Haut und krause Haare." Die mahagonifarbenen Mandelaugen blinzelten ein Mal, gemächlich. Er lächelte und spielte seinerseits mit einer kastanienbraunen Strähne. "Sehr heiß, viel sengende Sonne, Trockenheit und über Generationen hinweg hat sich eben der Körper an dieses Klima angepasst." Chieran betrachtete ihn immer noch verwirrt. "Die Leute, die hier leben, auch höher im Norden, die haben eher helle Haut." Elia konnte nicht anders als schmunzeln. "Helle Haare, manchmal ganz glatt oder auch fein wie Seide, flusig. Ihre Augen haben auch mehr Farben, Blau, Grau, Grün, mit Sprenkeln, helles Braun. Menschen gibt's in zahlreichen Geschmackssorten." Beendete er flapsig seinen Vortrag. "Ich habe angenommen, es sei normal." Der Daimon seufzte leise, legte den Kopf auf Elias Schulter ab. "Wie dumm von mir." "Ich wette, bei euch ist es viel bunter!" Elia hauchte einen Kuss auf Chierans Stirn. "Wie Disneyland, nur total schräg! So eine Art Geisterbahn mit Zoo gepaart!" "Disneyland?" "Ein Vergnügungspark." Nun wurde Elia kleinlaut. "Oh, ich meine das nicht beleidigend, wirklich nicht! Ich habe ja keine Ahnung, wie es bei dir aussieht, also hör bitte nicht zu genau hin!!" Ein Zeigefinger tippte auf Elias Oberlippe. "Es ist gar nicht so verschieden." Chieran blinzelte zu ihm hoch, stützte sich dann mit dem rechten Unterarm auf Elias Brustkorb auf, der lädierte linke war wie Totholz längs abgelegt. "Das habe ich zumindest immer gedacht. Bei uns gibt es mehr Lebensformen, nicht nur Menschen." Er schlug die Stirn in Falten. "Es ist ein bisschen vielfältiger. Andererseits kann ich mich auch irren." Um Chieran zur Seite zu springen legte Elia nach. "Gayan hat erwähnt, dass bei euch abgelegte Gottheiten leben und Fabelwesen aus unserer Welt!" "Das ist richtig." Chieran wechselte die Position, rutschte ein wenig höher, um seine Nasenspitze mit Elias zu reiben. "Andererseits gibt es so etwas wie ungeschriebene Regeln. Man lebt gemeinsam, aber nicht immer zusammen." Elia dechiffrierte die Botschaft mühelos. "Ja, da gibt's wohl wenig Unterschiede." Bestätigte er Chierans Eindruck, streichelte dessen aparte Rückenpartie bis hinab zu den einladenden Pobacken. "Ich würde gerne etwas fragen." Chieran rutschte von Elias Brustkorb herunter, rollte sich auf die unversehrte Körperseite. Elia kopierte seine Seitenlage rasch. "Bitte, schieß los!" "Ist es nicht die Regel, dass man sich zu einem Paar zusammentut?" Chieran schenkte Elia einen hilfesuchenden Blick. "Dass man die richtige Person findet?" »Oha!« Dachte Elia prompt, die Metaphysik drohte. "Willst du die kurze Version oder eher die lange hören?" Erkundigte er sich fürsorglich, streichelte behutsam über den eingewickelten Arm. An Chierans Miene konnte man unmissverständlich ablesen, dass ER gern ausführlich unterrichtet werden wollte, aber die Höflichkeit dazu zwang, diese Offerte abzuschlagen. Lächelnd tippte Elia mit dem Zeigefinger auf die gerade Nasenspitze. "Na schön, ich benutze einfach ein paar Abkürzungen, einverstanden?" Eifrig wurde genickt, man war ganz Ohr. "Also, ganz falsch ist dieser Eindruck nicht." Elia rief sich den Schulunterricht in Erinnerung, der reichlich Raum für philosophische Betrachtungen bot. "Zunächst geht es ja immer ums Überleben, dann organisiert und spezialisiert man sich. Wissen und Vermögen werden angehäuft und sollen natürlich gemehrt werden, also verbindet man Männlein und Weiblein unter dieser Prämisse, damit auch gleich für die nächste Generation gesorgt ist. Wenn dann mal das Überleben wirklich gesichert ist, man nicht gerade durch Kriege, Seuchen oder extrem harte körperliche Arbeit vorzeitig den Löffel abgibt, hat man Gelegenheit, sich zu fragen, ob da nicht was fehlt, eine geistige, seelische Verbindung, Gemeinschaft, was auch immer. Ein alter Grieche hat mal die Vorstellung geprägt, wir seien zweigeteilt worden und deshalb suche unsere halbe Seele quasi ihren Gegenpart. Im Bürgertum wollte man dann mehr Gefühl pflegen, nicht nur wirtschaftliche Aspekte, da kam dann die Idee der Liebesheirat ins Spiel. Tja, und dann ist es so, dass hier, in der westlichen Welt, seit Jahrhunderten die Kirchenordnung vorgibt, dass je ein Männlein und je ein Weiblein bis zum jeweiligen Lebensende zusammen zu bleiben haben, wenn sie verheiratet sind. Nimmt man dieses ganze Potpourri mal in Augenschein, scheint es ganz logisch, dass man die richtige Person sucht, wenn's schon bis zum Tod halten soll." Elia betrachtete einen Moment Chierans konzentrierten Gesichtsausdruck und hielt Konzessionen für angebracht. "Damit will ich sagen, dass das Konzept einer Versorgungsbeziehung hier sehr lange Zeit durchaus üblich war, so, wie es diese Patronage bei euch ist. Aber seit dem letzten Jahrhundert hat sich viel getan, unsere Möglichkeiten sind immens gestiegen, durch Reisen, durch Bildung und Wohlstand, natürlich auch durch den Anspruch, sich selbst zu verwirklichen, nicht mehr nur Bestandteil einer bestimmten sozialen Gruppe zu sein, sondern ein Individuum. Wenn die Biographien dann unterschiedlich verlaufen, trennt man sich eben. Der physische Tod ist nicht mehr das Ende der Beziehung. Wir wollen mittlerweile alles optimieren, auch uns selbst und unser Leben. Es soll möglichst perfekt sein, da muss die jeweilige Person zum Lebensabschnitt passen." Chierans Stirn lag in Falten, aber er wirkte noch nicht überfordert. Elia liebkoste mit der Fingerkuppe die 'Denkerwelle'. "Das Paradoxe ist, dass wir, obwohl wir die Realität kennen, uns selbst in den Mittelpunkt stellen, gleichzeitig noch diesem alten, eigentlich unerreichbaren Ideal nachlaufen. In dieser Fernsehserie, da suchen die Frauen ja auch den perfekten Kerl, oder? Aber da sie sich ständig verändern, ihre Umgebung, ihr Leben, ihre Interessen, wie soll da jemand mithalten? Geht gar nicht. Also müsste man Kompromisse schließen, aber dann hole ich ja vielleicht nicht das Beste für mich raus! Ergo weniger Punkte bei der Selbstoptimierung." Nun konnte Elia ein breites Grinsen nicht mehr unterdrücken: Chieran wirkte mehr als verwirrt. "Menschliches Verhalten ist nicht logisch, du musst das nicht verstehen." Tröstete Elia schmunzelnd. "Deshalb haben wir ja unzählige Lieder, Geschichten, Filme und weiß-nicht-was über unsere Beziehungsprobleme und die vermaledeite Liebe." "Das ist schwierig." Murmelte Chieran. "Ich merke, wie wenig ich eigentlich verstanden habe." Elia erkannte die Anflüge von Kleinmut und Melancholie, robbte tollkühn auf Hautkontakt heran und tupfte einen frechen Kuss auf Chierans Lippen. "Zerbrich dir bitte nicht den Kopf, Chieran." Raunte er aufmunternd. "Das Rätsel ist nicht zu lösen. In einigen Gegenden geht es noch so zu wie bei dir in deiner Welt. Das Kollektiv ist wichtiger als das einzige Mitglied." Auch wenn Elia keineswegs in so einer 'Gegend' leben wollte. Chieran schmiegte sich wieder an ihn, leicht eingerollt, damit er auf Elias Brustkorb dessen Herzschlägen lauschen konnte. "Also bist du nicht auf der Suche nach der richtigen Person?" Hasardierte der halbe Hermaphrodit vorsichtig. "Tja!" Schnaubte Elia angesichts des heiklen Themas. "Ehrlich gesagt war ich immer mit 'Überleben' beschäftigt, auch wenn ich nicht am Hungertuch nage. Schule und dann Lehre, das war mir sehr wichtig. Wenn man unter netten Leuten ist, dann vermisst man ja nicht automatisch was. Außerdem weiß ich nicht, ob ich familientauglich bin." Er grimassierte, was Chieran nicht entging, der überrascht den Kopf gehoben hatte. "Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt. Das Zusammenleben mit meinem Stiefvater war erträglich, aber nicht unbedingt erstrebenswert. Bisher war ich eigentlich stets mit meiner Mutter zusammen, eine Mini-Familie. Darin bin ich vermutlich geübt, aber andererseits ist meine Mama auch nachsichtig, was mich betrifft." Ein verschämtes Grinsen schloss sich an. Die mahagonifarbenen Mandelaugen blickten abwägend, doch dann fasste sich Chieran ein Herz. "Wir leben bis zum Ende unserer Ausbildung immer zusammen, dann noch so lange, bis eine Patronage gefunden ist. Oder danach, wenn man älter ist, wieder in Gemeinschaft. Manchmal muss man auch gar nicht zur Patronage-Partei ziehen, das kommt darauf an. Alle sind beisammen, das ist die Regel." Elia nahm das Fettnäpfchen mit Anlauf und Schwung. "Warum bist du dann ausgezogen und lebst allein?" Über Chierans Miene huschte ein trauriges Lächeln, während er mit der rechten Fingerspitze krause Schläfen kraulte. "Ich glaube, ich bin zu anders. Ich wollte so gern ausgewählt werden, ein Patronage bekommen. Aber je länger ich erfolglos blieb, umso schwerer war es, sich zurückzunehmen. Vielleicht habe ich mir ja auch diese 'Selbstoptimierung' eingefangen?" Scherzte er gequält. Elia kämmte kastanienbraune Strähnen beiseite. "Deshalb bist du ganz allein ausgezogen, um nicht ständig mit den anderen verglichen zu werden?" Der Hermaphrodit wandte sich ab, schmiegte eine Wange auf seinen Brustkorb, wollte nicht betrachtet werden. "Es ist nicht angenehm, wenn man sich selbst so wichtig nimmt." Murmelte Chieran gedrückt. "Und sehr schwer abzustellen." Elia rollte sich betont auf die Seite und schüttelte seinen Anschmuser ab. "Weißt du, ich denke, dass du dich nicht ändern solltest! Du bist in Ordnung! Es gibt ja auch noch andere Lebenskonzepte als die Patronage, meinst du nicht? Das ist doch die Überlegung wert, oder?" Chieran blinzelte überrascht, zwang sich ein zögerliches Lächeln auf. "Das ist schon möglich." Nicht gerade die euphorische Begeisterung, die Elia sich erhofft hatte, aber Chieran konnte wohl kaum ein tradiertes Lebenskonzept mal eben über Bord werfen! Ein bisschen Grübelstoff hatte er ihm gegeben, jetzt konnte man nur noch abwarten! Für einige Momente studierten sie einander stumm, so nahe beieinander und doch fremd. Vorsichtig streckte Chieran seine Linke aus, tupfte mit den Fingerspitzen Elias nackte Brust. "Danke. Danke, dass ich so mit dir reden kann. Das ist sonst nicht möglich." Lächelte er schüchtern, mit einer Prise Bedauern gewürzt. Elia nahm behutsam die Hand und küsste den zarten Rücken. "Danke, dass du mit mir über das sprichst, was dich bewegt. Und mir immer hilfst, wenn ich in der Klemme stecke!" Ergänzte er grimmig. Chieran spiegelte das finstere Zähnefletschen gekonnt wider, lachte dann leise. "Dieses Mal werden sie nichts zu meckern haben!" Versprach er amüsiert. Ihre Vogelscheuche gruselte ja heftig. Wieder wurde es still, im gedämpften Licht, Seite an Seite, betrachteten sie einander. "Ich rede zu viel." Chieran zog eine beschämt-gequälte Grimasse. Erotische Spannung konnte so ja wohl nicht aufgebaut werden! Tatsächlich hatte sich Elias Aufregung verflüchtigt, weil sie sich so unangestrengt unterhalten hatten, er eine durchaus freundschaftliche Vertrautheit verspürte. "Das ist in Ordnung." Streichelte er durch kastanienbraune Strähnen und zwinkerte. "So lernen wir uns richtig kennen. Ich bin ja auch neugierig auf dich und deine Welt! Stimmt es denn, dass Menschen dort nicht hinkommen? Oder nur tot?" Chieran runzelte die Stirn. "Zumindest habe ich es so gehört. Das liegt wohl an der Barriere zwischen den Welten. Ohne Gayan könnte ich auch nicht hierher kommen." "Schade!" Seufzte Elia aufrichtig. "Ich hätte schon mal gern Mäuschen gespielt bei euch! Ihr könnt ja wenigstens unser Fernsehen empfangen." Er stutzte und grimassierte. "Wobei das ja eigentlich eher eine Abschreckung sein sollte!" "Nicht wirklich." Chieran grinste verschmitzt. "Wir sind genauso wie die Katzen: sehr neugierig." Nun konnte Elia nicht länger mit seiner Verwunderung hinter dem Berg halten. Er fasste behutsam Chierans Linke. "Was ich wirklich nicht verstehe: du sprichst meine Sprache so gut, verstehst sogar Metaphern und Redewendungen. Wie konnten sie dich durchfallen lassen?! Nur wegen dieser blöden Fernsehserie!" Der halbe Hermaphrodit richtete seine Blicke auf die Matratze, zog seine Hand jedoch nicht aus Elias. "Üblicherweise, nun, da bewegen wir uns unsichtbar in eurer Welt." Die mahagonifarbenen Mandelaugen suchten Elias schwarze. "Ihr nehmt uns nicht richtig wahr. Bloß, nicht allen von uns ist es gegeben, sich für eure Wahrnehmung unsichtbar zu machen. Ich kann das nicht. Weil ich zu viele Fehler gemacht habe, sind sie sehr streng. Wenn ich nicht als einer von euch in jeder Lage durchgehe, könnte mir etwas passieren und vielleicht den anderen, die auch in eurer Welt unterwegs sind." "Woah!" Kommentierte Elia ausschweifend. "Sind ständig Leute aus deiner Welt hier unterwegs?!" Irgendwie fühlte er sich angesichts dieser Vorstellung nicht sonderlich wohl. Chieran entging Elias Unbehagen keineswegs. "Es sind ganz sicher keine Schwärme!" Beschwichtigte er eilig. "Es gibt auch strenge Regeln!" Doch Elias graue Masse kribbelte in Verarbeitungsprozessen. "Wieso war dieser Gekko dann nicht verkleidet? Oder irgendwie getarnt? Ich meine, ich konnte ihn klar erkennen!" "Aber du hättest doch angenommen, dass es ein Mensch mit einer Maske gewesen ist, oder?" Chieran zwinkerte. "Auf die Idee, dass Besuch aus einer fremden Welt kommt, wärst du sicher nicht ernsthaft gekommen, oder?" Das war, Elia konnte es auf seinem Mienenspiel nicht verhehlen, ein gewichtiges Argument. "Außerdem funktioniert üblicherweise das Überwachungsgerät korrekt und zeigt an, ob sich jemand in der Nähe befindet." Chieran drückte tröstend seine Hand. "So, wie ich Gayan verstanden habe, werden Gekko und seine Mitarbeitenden nur dorthin geschickt, wo ohnehin keine Möglichkeit besteht, noch etwas auszuplaudern." "Hmm." Brummelte Elia kritisch, allerdings ohne weitere Einwände. Plausibel, das alles, keine Frage. Nach einigen Augenblicken der Besinnung suchte er festen Boden in einer überraschend erweiterten Sicht auf die Realität oder zumindest EINE Realität. "Aber du bist echt, oder? Das ist keine Verkleidung oder Täuschung, richtig?" Sein Kinn ruckte, um die gesamte Gestalt seines Bettgenossen einzufangen, loslassen wollte er die elegante Hand nämlich auch nicht. Der halbe Hermaphrodit lächelte schief. "Ich sehe tatsächlich so aus. Camouflage-Techniken sind bei meinen Leuten nicht verbreitet." "GottseiDank!" Schnaubte Elia aus den Fußsohlen bis hoch zum Schädel. Man wollte ja doch wissen, mit wem man es zu tun hatte, auch 'verpackungstechnisch'! Chieran grinste amüsiert. "Machst du dir etwa Sorgen?" Schnurrte er neckisch. "Klar!" Hier war ebensolche Kante angezeigt. "Ich meine, wenn ich einen Faschingsschreck wie diesen Gekko küssen würde, wäre mir das doch ziemlich unangenehm!" Vor allem, weil der Bursche nach Fangzähnen und anderen 'Accessoires' aussah, die Elia in Horror-Fantasy-Filmen vermutete. "Das heißt, ich bin gar nicht so übel?" Fischte Chieran schalkhaft nach Komplimenten. "Definitiv nicht übel!" Bescheinigte Elia kategorisch. "Ich hab's einfach nicht so mit diesen ganzen Gruseloutfits! Hauer wie ein Keiler, gespaltene Zungen, überall Tätowierungen, Hörner, Piercings oder faulige Haut bei Zombies, das ist nicht mein Fall!" Man durfte auch Geschmack haben, fand er. Anderen Geschmack! Der Daimon feixte. "Dann ist es vielleicht doch ganz vorteilhaft, dass du nicht in meine Welt kommst. Die Mischung dort ist ziemlich speziell, wenn man deine Vorliebe berücksichtigt." Elia seufzte. "Logisch, jetzt hältst du mich für einen primitiven Spießer und Langweiler!" "Nein, gar nicht!" Beinahe erschrocken verabschiedete sich der halbe Hermaphrodit aus der freundschaftlichen Humor-Ecke, rutschte näher an Elia heran. "Das wollte ich damit bestimmt nicht andeuten!" Schon klang die bange Besorgnis mit, die gelernten Lektionen und die Spielregeln sträflich missachtet zu haben. Anlass für Elia, sich eines technischen Fouls schuldig zu machen, indem er die verringerte Distanz ausnutzte, sich auf den Rücken rollte und gleichzeitig mit dem linken Arm Chierans Körper tunnelte, um diesen auf sich ziehen zu können. Halb herausfordernd, halb trotzig funkelte er hoch in die mahagonifarbenen Mandelaugen. "Ich BIN ein totaler Spießer, der dich sexy findet und sich fragt, ob er irgendwie ein paar Kusslektionen ergattern kann." Proklamierte er tapfer. Chieran lächelte zögerlich, aufgemuntert, zwinkerte routiniert, bevor er sichtlich programmierte Verführungszeilen wieder herunterschluckte, sich offenbar nicht sicher war, ob er auf Autopilot schalten oder waghalsig seinen Instinkten vertrauen sollte. Elia gab Rückenwind, lupfte den Kopf von der Matratze und knurrte vertraulich. "Deine spitzen Elfenohren finde ich super-süß!" Der Daimon kicherte, was die Pose zerstörte, stützte dann seine Ellen neben Elias Kopf auf die Matratze und leckte sich lasziv über die Lippen. "Ich denke, ich könnte dir bei dieser Mission behilflich sein." Schnurrte er übertrieben, ein Zwinkern in den Augenwinkeln tanzend, bevor er sich herabbeugte, Elia engagiert Nachhilfeunterricht offerierte. ('w') »Ganz fair ist das nicht!« Streunte ein einsamer, kritischer Gedanke durch Elias hormongeflutetes Gehirn, denn seine Untertreibung, 'eingerostet zu sein', entsprach nicht dem tatsächlichen Stand der Praxis, konnte zu einem potentiell peinlichen Erwachen führen. Andererseits lief ihm unzweifelhaft die Zeit davon, seine Korrektur zu verbalisieren, denn zwei nackte, junge Männer, die sich orale und manuelle Affektionen zukommen ließen, konnten den natürlichen Spannungsbogen nur bis zu einem gewissen Grad beherrschen, bevor sich eine Explosion anschloss. Außerdem ging ihm aus GENAU den richtigen Gründen die Puste aus! "Chi-Chieran!" Keuchte er also tollkühn, trennte für einen Augenblick ihre Lippen. "Du-du kannst tun, was du magst!" Die mahagonifarbenen Mandelaugen starrten für einen langen Augenblick, ohne jedes Zwinkern, dann leuchteten sie auf wie der berühmte Christbaum. Das Strahlen verbreitete sich radial über das gesamte, schöne, ebenmäßige Gesicht des Daimons. "Ist-ist das wahr?" So ganz traute er, atemlos ob dieser Ankündigung, dieser grenzenlosen Erlaubnis nicht. "Meinst du das ernst?" Elia wurde durchaus, mit Prickeln und Bitzeln in diversen Gliedern, bewusst, dass er sich komplett seinem Bettgenossen auslieferte, ohne genaue Vorstellung, was ihm dieses Zugeständnis zumuten würde, dennoch blieb es undenkbar, kleinmütig von seiner Zusage zurückzutreten. "Ja!" Nickte Elia also konsequent. "Du kannst alles tun, was du möchtest." Der halbe Hermaphrodit richtete sich auf ihm auf, studierte ihn wie das Achte Weltwunder, von Ehrfurcht und Zuneigung embelliert. "Das hat mir noch nie jemand erlaubt." Wisperte Chieran verzückt, von seliger Erwartungsfreude erfüllt. "Aha." Elia grinste schief. Nun, wenn er Erfahrungen kumulieren wollte, dann ja wohl von studierten und examinierten Fachleuten, richtig?! ('w') Da waren einige Schwarze Löcher in seiner Erinnerung, oder er hatte unerwartet Zeitsprünge absolviert. Vage entsann er sich, dass er von der Rückenlage auf den Bauch gewechselt worden war, ein Bein vor den Leib gezogen. Wie angenehm es war, Chieran auf seinem Rücken zu spüren, die zärtlich-aufreizende Massage, die sich paritätisch auf Rückenwirbel und seine Erektion konzentrierte. Ohne Zweifel hätte Chieran auch als Pianist eine grandiose Zukunft, so, wie er seine Klaviatur der Lust beherrschte! Während er sich keuchend von einem ziemlich heftigen Orgasmus erholte, hatte er eine verblüffende, vollkommen neue Erfahrung gemacht. Im Windschatten seiner abklingenden Begeisterung für Chierans kunstvolles Handspiel hatte der sich eines Eingangs angenommen, der grundsätzlich für Elia bloß 'Ausgang' letterte, geschickt, geschmeidig, zielsicher, sodass er, ungläubig, rhythmisch stöhnend, diese unwiderstehliche Melange aus Widerstand, Schmerzreiz und heftiger Lust nicht ablehnen konnte. Buckelnd-wippend vor und zurück die Ministration der Finger forcierte, niemals erwartet hätte, dass ihm dieses seltsame, unbeschreibliche, Sucht erregende Gefühl gefallen würde. Kaum nahm er wahr, dass Chieran in seiner eigenen Sprache anspornende Aufforderungen wisperte, ebenso fiebrig engagiert, längst jenseits aller Lektionen und standardisierten Regeln. Er wollte nicht aufhören, nicht vernünftig sein, sondern das Tempo steigern, ihre Kräfte erproben, in Austausch treten! Für kostbare Augenblicke Ewigkeit, Schwerelosigkeit, absolute Freiheit erlangen! ('w') Hätte Elia noch über Kraftreserven verfügt, so wäre vielleicht eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf mit Energie versorgt worden, um sich darüber zu beklagen, was für ein armseliges Bild er abgab. Wie ein platter Käfer auf dem Rücken liegend, keuchend, schwitzend, bleischwer und federleicht zugleich! Wirklich ein toller Hecht, ja, sehr überzeugend! Doch mangels Kapazitäten ersparte sich Elia diese überkritische Selbstzerfleischung. Dafür stöhnte er genüsslich auf, als sich feuchtwarme Haut auf seine eigene schmiegte/klebte, seidig-schwere Strähnen seine glühende Wange streiften, Chierans Atem auf seinen heißen Lippen kondensierte, leidenschaftlich Küsse ausgeteilt wurden, als gebe es kein Morgen. "Was soll ich für dich tun?" Der halbe Hermaphrodit, selig und dennoch absolut entschlossen, sich für ein einmaliges, bis dato unvorstellbares Erlebnis zu revanchieren, raunte heiser in eine Ohrmuschel. Nun wurde Kreativität verlangt! Alles, was in feuchtesten Träumen jemals sein Unwesen getrieben hatte, konnte nun den Sprung in die Realität wagen! Theoretisch. Praktisch gelang es Elia, sich auf die Seite zu rollen, die Beine in einer halbwegs stabilen Seitenlage positioniert. Er angelte Chieran eng an seinen Leib, verhakte Glieder ineinander, damit er den schönen Daimon küssen und gleichzeitig an der perfekten Hälfte des Hermaphroditen Hand anlegen konnte, und immer wieder, blinzelnd, nach Luft ringend, in die mahagonifarbenen Mandelaugen lächeln konnte. ('w') "Was...?" Schlaftrunken, irritiert, noch auf Automatik, setzte sich Elia in seinem Bett auf, schüttelte die Decke auf die blanken Hüften. Chieran, der bäuchlings neben ihm ruhte, leuchtete, partiell und rhythmisch. Die Augen reibend, skeptisch, beugte sich Elia hinab, studierte die rechte Schulter, auf der ein münzgroßer Fleck pulsierte. War der in der Nacht auch schon dagewesen? "Chieran." Sanft drückte er die Schulter. "Chieran, kannst du bitte aufwachen?" Weia, das klang, als hätte er mit rostigen Nägel gegurgelt! In seinen Hüften, rückwärtiger Bereich, meldete sich nun auch uneingeladen ein Rezeptor für gewisse Befindlichkeiten. Konnte man DA etwa Muskelkater bekommen?! Bevor Elia neue Erfahrungswelten in ihrer Tiefe erkundete, rappelte sich, ebenso unausgeschlafen, der halbe Hermaphrodit hoch, die kastanienbraunen Strähnen wirr. "Da blinkt was auf deiner Schulter." Indizierte Elia rau, räusperte sich dann kollernd. "Entschuldige, guten Morgen!" Nach einem Gedenkmoment an die Nachwirkungen der ereignisreichen Nacht stand Chieran unerwartet senkrecht, bereits in Panik, hektisch im letzten Glimmer der Laterne, die ohne Brennflüssigkeit ihren Betrieb einstellte, nach seinen Kleidern angelnd. "Oh nein! Ich muss zurück!" Krächzte er Elia zu, der sich aufrappelte und ebenfalls ganz unzeremoniell nach seinem Anteil Feigenblätter fahndete. Derangiert stolperten sie beide aus dem Schlafzimmer. Chieran rang mit schmerzverzerrter Miene mit seinen Stiefeln, während Elia eiligst sein Kuchenpaket einpackte. "Müssen wir raus?" Erkundigte er sich, ging dann vor dem halben Hermaphroditen in die Knie, um die Schnürung zu komplettieren. Draußen dräuten dichte Nebelschwaden in morgendlicher Finsternis. "Warte!" Den Hals wollte er sich nicht brechen, außerdem musste es sehr kalt sein, Nebel hin oder her. Er raffte die bunte Strickjacke, wickelte Chieran darin ein, der bereits mit dem Schal rang. Er nahm dessen Rechte in die eigene Hand, in der Rechten gleichzeitig Kuchentüte und eine Stablampe apportierend. Unter dem starken Strahl der Handleuchte hoppelten sie die Stiege herunter, ächzten unter dem eisigen Kniff der Witterung in ungeschützte Wangen und Nasenspitzen. "Aber die Vogelscheuche!" Protestierte Chieran bedauernd. Hatten sie nicht geplant, sie gemeinsam aufzustellen? "Entschuldige!" Elia suchte den Weg außerhalb des Zauns, bedauernd, sich selbst verwünschend, weil er keinen Wecker gestellt hatte. SO sollte der Morgen DANACH bestimmt nicht aussehen! Unvermittelt wuchs ein ungewohnt verlottert wirkender Gayan vor ihm aus dem Boden, nicht mal der eindrucksvolle Schnurrbart war aufgezwirbelt! "Entschuldigt, hab verpennt!" Grollte der KOK-Offize aus heiserer Kehle. Man konnte getrost bezweifeln, dass er die Nacht zu großen Teilen an den Schlaf verschwendet hatte. Rasch fasste er Chieran um die Taille, tippte sich an die Schläfe. "Bitte, komm wieder!" Stammelte Elia, von diesem abrupten Abschied überrumpelt, aber er bezweifelte, dass sein Ruf den Adressaten noch erreichte. ('w') "Sieh an, ein hübsches Jäckchen und sogar lecker Wegzehrung!" Kommentierte Gayan beeindruckt. "Du wirst sehr verwöhnt, mein Freund!" "Oh nein! Das war...!" Chieran bebte die Unterlippe, denn die Strickjacke musste eine Leihgabe sein! Wie hatte es Elia bewältigt, ihm im letzten Augenblick die Tütenhenkel um das Handgelenk zu winden? Ein heftiges Zittern durchlief ihn, verschlug ihm den Atem. Instinktiv rollte er sich zusammen, umklammerte den linken Arm. "Scht, ganz ruhig, Kamerad." Tröstend strich Gayan mit grobem Schwung über die verkrümmte Gestalt, ignorierte morgendliche Flanierende souverän. Der Hermaphrodit zuckte unkontrolliert in seinen Armen, schluchzte erschreckt. "Lass mich raten, Herzchen." Raunte Gayan sanft und instinktsicher in ein spitzes Ohr. "Da gab es gerade so einen komischen Moment, wo die Zeit eingefroren war, alles ausgeblendet wurde außer ihm, du quasi gleichzeitig neben dir standest, dein Herz sich zusammenkrampfte und trotzdem ein unglaubliches Gefühl aus deinem Körper explodierte." Zähne klapperten, Finger krallten sich Halt suchend in sein zerknittertes Uniformhemd. "Hab ich recht?" Behutsam sortierte er kastanienbraune Strähnen, bevor er die Kapuze des nutzlosen Capes schützend über Chierans Kopf klappte. "Bin ich krank?" Tonlos, verängstigt, kindlich. Gayan wiegte seinen Schützling lächelnd, schmunzelte trotz ungestriegelter Oberlippenzier väterlich. "Das ist der Blitzeinschlag der Liebe, mein Freund." Summte er beruhigend. "Sieht so aus, als warte eine spannende Zukunft auf dich." Doch dafür musste er den halben Hermaphroditen erst mal in dessen einsames, winziges Quartier führen, dem schmalen Bett anvertrauen und ihm aufgeben, nach dem Aufwachen darüber nachzudenken, was ER sich für sein Leben wünschte. Danach hieß es, einen fuchsigen Engel zu besänftigen, der seine Ansprüche nicht zu reduzieren gedachte. Nicht, nachdem er herausgefunden hatte, wie viel Spaß man mit einem selbst modellierten Körper haben konnte! ('w') "Ich bin ein Idiot!" Wisperte Elia leise, als er am späten Vormittag endlich, nachdem sich die hartnäckigen Nebelfelder aufgelöst hatten, die Nachbarschaftscheuche aufstellte. Die Herbstsonne konnte ihn nicht locken, nein, er hatte sich in seinem zerwühlten Bett verkrochen, auf Spurensuche nach den unglaublichen Erfahrungen der vergangenen Nacht. Ja, es gab natürlich einiges an Wahrheiten und Erkenntnissen zu verdauen, das leugnete er nicht, doch schwerwiegender als die Tatsache, dass er anal für die Aufwartung eines versierten Könners sehr empfänglich war, nahm sich die grausame Realität aus: er konnte nicht zu Chieran gelangen und der ohne Hilfe nicht zu ihm. "Scheiße!" Murmelte Elia treffend und empfahl eintrainierten Schuldgefühlen ob des Kraftausdrucks, sich gefälligst zu verpissen. ('w') Kapitel 8 - Wir gehen in den Zoo! "Nein, nein, ist bloß das Wetter, das mir aufs Gemüt schlägt!" Beschwichtigte Elia seine Mutter, doch er bezweifelte, dass er länger mit dieser Schutzbehauptung durchkommen würde. Aber man konnte der eigenen Mutter nicht telefonisch erklären, dass man gerade Entzugserscheinungen nach einem halben Hermaphroditen aus einer parallelen Daimonenwelt durchlitt, richtig?! Glücklicherweise ließ sie ihn vom Haken des mütterlichen Bluthundinstinkts, aber das verbesserte die Situation keineswegs. Dunkel, nass, windig! Sollte er vor der Glotze in Trübsinn versinken? Wenigstens die Nachbarschaft hielt sich fern, nachdem er mit Genugtuung registriert hatte, wie manche der selbst ernannten 'Umweltästhetiker' hastig von der Scheuche gewichen waren. Ja, da fühlte man das eigene Kerbholz unter der Lupe! Trotzdem. Elia schnaubte und entschied, den letzten Vorrat Popcornmais einem Topf anzuvertrauen. Etwas zerbeißen, das sorgte für ein kleines Maß an Frustabbau! Als er gerade den Deckel aufsetzte, hörte er dumpf Schritte auf den Stiegen. "Merlin?" Vermutete er in Einschränkung der Möglichkeiten und des Geräusches, marschierte zur Tür und öffnete. Doch nicht sein Stiefbruder klopfte sich Tropfen vom Revers und den Schultern, nein, Gayan glitzerte. "Nanu? Ist etwas passiert?!" Sofort raste Elias Blutdruck gehetzt hoch. Wenn der Daimon allein hier erschien, dann..! Der KOK-Offize grinste blendend mit allen Diamantreißzähnen, zupfte geziert an seinem prächtigen Schnurrbart und antwortete amüsiert. "Guten Abend, Kamerad. Deshalb bin ich ja hier, ich meine, damit etwas passiert." Elia trat beiseite, die Stirn in Falten. "Was denn passieren?" Erkundigte er sich verwirrt, aber leidlich erleichtert, dass ihm nicht gleich eine Katastrophe verkündet wurde. "Oh, darüber sollten wir plaudern." Schmunzelte Gayan und zückte das bunte Flugblatt, das Elia nicht mal vermisst hatte. "Also, ich stehe immer noch auf der Leitung." Elia rieb sich den steifen Nacken und entschied, dass er besser Kaffee aufsetzen sollte. In diesem Moment detonierten die ersten Maiskörner vernehmlich. Gayan warf einen überraschend scharfen Blick in die Runde, um die Ursache für den 'Beschuss' zu identifizieren. "Da explodiert etwas." Stellte er schließlich auffordernd fest. "Popcorn." Nun war es an Elia, die Beißer zu präsentieren. "Warum setzt du dich nicht, und ich kümmere mich um Treibstoff für unsere Plauderei?" ('w') Es musste Schlafmittel gewesen sein. Chieran verspürte eine dezente Übelkeit. Hauptsächlich interpretierte er seinen langen, traumlosen, schweren Schlaf in dieser Richtung. Gayan hatte es vermutlich gutgemeint. Nun schmerzte sein verbrühter Arm jedoch von der teilweisen Lähmung, seine Brust krampfte sich zusammen, und sein Kopf schwirrte. Ihm war elend zumute, und er konnte sich nicht mal vom Bett lösen, um das Kuchenpaket an sich zu bringen. Ein krächzender Hustenanfall trieb ihn jedoch hoch. Er huschte zum Wasserhahn und stillte einen brennenden Durst, mischte Tränen (sicher von den Kopfschmerzen!) unter die Daimonenwäsche seines Gesichts. "Blitzeinschlag der Liebe." Murmelte er halblaut Gayans Diagnose. Nicht unbedingt ein Konzept, das ihm vertraut war, auch wenn er während seines emsigen aber leider erfolglosen Studiums menschlicher Natur anhand einer TV-Serie durchaus von diesem Phänomen erfahren hatte. Bis dato hatte er es unter "korrespondierende Interessenübereinstimmung" verbucht, weil es auch in der ihm vertrauten Logik der Patronage existierte. So ermittelte man schließlich die Konditionen, verband Patronage-Partei und Hermaphrodit! Andererseits trafen hier ja wohl im wortwörtlichen Sinne Welten aufeinander, wenn er sich mit Elia in ein Koordinatenkreuz platzierte! Rein logisch gesehen konnte es nicht funktionieren. "Und im Fernsehen war es auch anders." Chieran kauerte sich auf sein schmales Bett, die Beine eng vor den Leib gezogen, mit dem rechten Arm umklammert. Die Frauen wirkten noch aufgedrehter, taten verrückte Dinge, waren euphorisch! Wieso erlitt er dann ein heulendes Elend?! "Das ist ungerecht!" Stellte der halbe Hermaphrodit fest, legte die Stirn in Falten und angelte entschlossen nach der Strickjacke und dem Kuchenpaket. Selbst wenn er nun daran erstickte: es MUSSTE ein Bissen genommen werden! Grimmig kauend ermahnte er sich mit all den Lektionen, die ihn wieder und wieder nach jeder Absage auf die Beine brachten, es mussten, weil er sonst...! Mit wem hätte er auch sprechen können? Niemand hatte in der Akademie jemals etwas von Liebe erwähnt! Oder Gegenmittel vorgestellt! "Reicht es nicht, dass ich ihn mag?!" Schimpfte Chieran ins Universum generell, wischte sich mit dem Handrücken saftige Krümel vom Mund. "Er mag mich ja wohl auch! Also, warum trifft MICH so ein Fluch?!" Das war wirklich hinterhältig! Doch sein Aufbegehren währte nur kurz, dann rollte er sich schon wieder bis ins Mark frierend in Strickjacke und Bettdecke. Mochte Elia ihn wirklich? Oder war er bloß höflich gewesen? Immerhin hatte er in der Nacht keine Anstalten unternommen, die üblichen Routinen...! Obwohl, von 'eingerostet sein' war schon die Rede gewesen. Andererseits..., und was nutzte es grundsätzlich?! Chieran musste die Rechte fest auf den Mund pressen, um keinen Klagelaut entschlüpfen zu lassen, als ihn ein Gedanke aus dem Hinterhalt erwischte. Was, wenn Elia Frauen vorzog? Wenn er bloß von seinem Wort nicht zurücktreten wollte und deshalb ausgehalten hatte? ('w') Gekko versuchte, möglichst unauffällig zu starren. Was nicht ganz einfach war, wenn man über eine ganze Gruppe von anderen Daimonen hinweg das Objekt aller unmöglichen Zukunftsträume zu beobachten versuchte, aber auf gar keinen Fall die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte! Er schwankte auf seinem Einrad, stützte sich an einem Laternenpfosten ab und reckte den Hals, so sehr, dass die Knorpel knirschten. "Tolle Show!" Kommentierte Gayan und fing Gekko ab, der vor Schreck beinahe eine heftige Bruchlandung hinlegte. Wie schaffte es der KOK-Offize nur, immer so lautlos und vollkommen unvermutet aufzutauchen?! "Ja, schon." Murmelte Gekko und hasste das verräterische Anschwellen der Hörnerkämme auf seiner Stirn. "Feuerschluckerin, hm?" Gayan zwirbelte hintergründig lächelnd seinen prächtigen Schnurrbart. Aber Sülai vermochte viel mehr, wie ihre Straßeneinlage zeigte: sie hatte den kräftig-geschmeidigen Körper einer Akrobatin, beherrschte diverse Kapriolen und Verrenkungen, die einen Schlangenmenschen begeistert hätten. Sie schien mit dem Feuer eine magisch wirkende Verbindung aufzunehmen. Die granatroten Augäpfel glühten fasziniert vom Farbenspiel der Flammen, die in einzelnen Lohen über ihren Körper tanzten, die braune, wilde Mähne aufwehten, die jonglierten Kohlenstücke am höchsten Bogenpunkt entzündeten. Gayan hatte von ihrem außergewöhnlichen Talent gehört, doch eine Kostprobe davon zu sehen beeindruckte ihn durchaus. Ebenso imponierend war ihre Fan-Schar, die gerade genug Freiraum ließ, um die Kreise der Künstlerin nicht zu stören. "Jede Menge Konkurrenz." Bemerkte er kaum hörbar. Gekkos Schultern sackten noch tiefer. Der KOK-Offize lupfte eine Schnurrbartspitze, als sich ein schurkisches Grinsen einschlich. Er richtete seine schwarzen Augen auf Gekko, der nervös blinzelte. "Sag mal, mein Freund, glaubst du, deine Freundin ist abenteuerlustig?" ('w') Elia trat mächtig in die Pedalen, eine halbe Stunde querfeldein, um sein Ziel zu erreichen. Dabei musste die bescheidene Funzel seines Drahtesels ausreichen, ihn vor Stürzen zu bewahren! Der bekieste Parkplatz war hell erleuchtet, damit der zahlreiche Besuch sich nicht bereits dort den Hals brach. Eilig wählte er den vereinsamten Fahrradständer, um seinen treuen Gefährten dort anzuketten, dann justierte er die schlichte Plastikmaske vor seinem Gesicht und kramte eilig nach dem "Familienpaket" der Eintrittskarten. "Ah, wir sind pünktlich!" Gayan, je einen uniformierten Arm um Gekko und Sülai gelegt, materialisierte sich, im perfekten Wichs, auf Hochglanz poliert, geschniegelt, die Diamantenreißzähne gleißend, bester Laune. Hinter ihm erschien Amber, an dessen Ärmel sich mutmaßlich Chieran festhielt. "Hallo." Versuchte es Elia, der für einen Moment nicht sicher war, ob er die angekündigten Gäste auch tatsächlich vor sich hatte. Gut, Gayan war nicht zu verfehlen, doch der Rest der kleinen Truppe hatte sich dem Anlass entsprechend ordentlich in Schale geschmissen. Gekko, den Elia als den flüchtigen Demolisator erkannte, trug sein Lieblingskostüm für die leichte Magie. Er streckte seine Klaue aus und murmelte stockend. "Gekko. Entschuldigung wegen des kaputten Kürbis." Automatisch griff Elia zu, drückte behutsam die Klaue, scharfe Krallen nervös beäugend. "Elia. Sorry, das ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Schwamm drüber, ja?" Sein Gegenüber, mit dieser Metapher überfordert, warf einen panischen Blick zu Gayan, der noch breiter grinste, damit den Fahrradparkplatz schlagartig erhellte und in der vertrauten Daimonensprache übersetzte. Sehr zum Amüsement der anderen atmete Gekko vernehmlich durch und bleckte beeindruckende Reißzähne. "Oh, klar! Alles gut!" An seiner Seite, eine Symphonie in Flammentönen, drängte sich eine Daimonin vor, um Elias Hand ebenfalls zu packen und danach heftig zu schütteln. Für einen Moment hatte er den Eindruck, dass über ihre Schultern kleine Lohen tanzten. "Sülai! Sülai!" Verkündete sie, ein wenig rau, die Granataugen glühend, ebenso beeindruckend im Dentalbereich bestückt wie Gekko. Elia grimassierte. "Freut mich, Sülai. Willkommen bei den Menschen." Gayan übersetzte launig, schob dann Amber vor, der wie eine Wasserleiche wirkte, alles in Fahlbleich, dazu noch ziemlich transparent. Eine sehr attraktive Geistererscheinung. "Das hier ist mein Liebster, Amber, der ganz bestimmt deinen Schädel nicht mehr mit irgendwelchen Objekten torpedieren wird." Der KOK-Offize schnurrte förmlich. "Nun, Hände schütteln, Schatz, das gehört zu den Regeln." Amber musterte Elias Hand kritisch, schob dann seine bleiche hinein. "Das ist alles wirklich reichlich verwirrend und ungeordnet! Wieso reibt man hier nicht die Nasenspitzen? Oder verbeugt sich?!" "Äh." Elia sah sich genötigt, zur Verteidigung der unsortierten, unlogischen, inkonsequenten Menschheit aufzubegehren. "Diversifikation in zahlreichen Bereichen sichert uns das Überleben!" »Ach du....! Was habe ich da denn losgelassen?!« Schoss ihm Sekundenbruchteile in Leuchtfarben durch den Kopf, aber die langen Gespräche mit Gayan MUSSTEN ja Nachwirkungen auf ihn haben! "Tatsächlich?" Eine gebleichte Augenbraue wanderte nach oben, das von Gayan so geliebte Grübelgrübchen erschien. "Das beschränkt sich nicht nur auf die physische Ausstattung?" Dieses Mal klang der seltsame Ex-Engel gar nicht so frostig-distanziert-potentiell missbilligend, sondern verwirrt. "Nö!" Behauptete Elia ausschweifend mit dem Enthusiasmus des Laien, sehr empathisch betont. "Warum diskutieren wir das nicht drinnen?" Gayan legte sich ganz selbstverständlich Ambers Unterarm auf seine Elle, eine altmodisch-galante Geste. "Oh, natürlich, sofort!" Eilig krammte Elia die Eintrittskarten, die nur im Bündel gültig waren, heraus. "Ja, der Eingang ist da vorn!" Er stolperte prompt, weil die dämliche Voodoo-Gerippe-Maske nicht ausreichend Sehschlitze vorhielt. Verlegen deponierte er sie auf dem Hinterkopf, streckte einladend die Hand nach Chieran aus, der fortwährend den Blick auf seine Schuhspitzen richtete, sich hinter seinen Strähnen verbarg. Während Gayan mit Amber majestätisch ausschritt, hopste Sülai energiegeladen hinter ihnen her, kaum von Gekko gefolgt, der nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, direkt in Kontakt mit seiner Angebeteten. "Tolles Kostüm!" Komplimentierte Elia leise, studierte den aus unzähligen Flicken zusammengesetzten Umhang, den spitzen Hexenhut mit breiter Krempe, die zerrissenen Strumpfhosen und das hauteng anliegende Trikot. Chieran wirkte auf ihn, als habe man ihn gezwungen, teilzunehmen. "Danke." Selbst seine sonst so melodisch-samtige Stimme klang scharrtig, matt, beschlagen. "Dann mal hurtig, sonst meutern sie noch!" Mit übertriebener Heiterkeit kaperte Elia einfach eine eiskalte Hand, zerrte Chieran im Laufschritt hinter sich her zum Kassenhäuschen, wo sich viele Kostümierte drängten, um dem Spektakel der Halloween-Nacht im Zoo beizuwohnen. ('w') Gekko beäugte Sülai besorgt, weil sie einfach ausgebüchst war, um sich mit ihnen zu treffen, angelockt von dem Versprechen, einen Zoo in der Menschenwelt sehen zu können, ohne unsichtbar sein zu müssen. Ohne Verkleidung, ohne Verstellung! 'Abenteuerlustig' war definitiv eine vorhandene Charaktereigenschaft! Dann verhielt sich Sülai keineswegs so, wie es von einer höheren Tochter einer einflussreichen, wohlhabenden und noblen Daimonenfamilie erwartet wurde! Sie bestaunte Kostüme, schnitt für kleine Kinder Grimassen, schlug Kapriolen und Salti, komplimentierte besonders aufwändig geschminkte Gesichter in der Daimonensprache, schien nicht die geringsten Befürchtungen zu hegen, man könne sie als das erkennen, was sie tatsächlich waren! Sie amüsierte sich einfach prächtig! ('w') Gayan grinste freimütig, als er beobachtete, wie Gekko gluckenhaft-panisch um Sülai herumschwirrte, die sämtliche Tiere und Menschen gleichermaßen bestaunte, Aufmerksamkeit auf sich zog und mehr als offenkundig großen Spaß bei diesem verbotenen Ausflug hatte. Ambers Miene hingegen verriet ihm, dass es in dessen Oberstübchen, hinter dem aparten Grübelgrübchen, auf Hochtouren arbeitete. 'Tiere' waren ein Konzept, das bis dato in der Existenz des früheren Engels nicht existiert hatte. Den Verkleidungsbrauch konnte Gayan ihm mühelos vermitteln, nachdem Ambers Studien zu "Kostümspielen" bei sexuellen Interaktionen auf Verständnis gestoßen waren ("Geheimnisse, Verborgenes lockt eben besonders"). Doch Zoos, vor allem dieser mit einheimischen Wildtieren, das war kurios. "Man braucht all das für das Leben?" Die Türkisaugen schillerten durch Ölteppiche, eine Geste in dem geisterhaften Hemd umfasste den Rund. "Oh ja, und noch mehr, viel mehr, als wir sehen können." Gayan lächelte und ignorierte gewohnt seine Umgebung, küsste das Grübelgrübchen zärtlich. "Leben ist vielschichtig und sehr komplex." "Aber wie ist es dazu gekommen?!" Amber klang aufrichtig entsetzt. "Das ist ja unbeherrschbar!" Den Kopf leicht neigend schmunzelte Gayan, raunte sanft. "Jedes winzige Teilchen herrscht gleichberechtigt, wie ein unendlicher Schwarm, dynamisch, veränderlich, immer in Bewegung." Eine unfassbare Vorstellungen für einen früheren Himmelsbewohner, jenseits von Zeit und Raum. "Setzen wir uns ein Momentchen." Bot er an und schlang besitzergreifend einen Arm um Ambers knabenhafte Hüften, dirigierte ihn zu einer Bank. Der klappte postwendend neben ihm in eine statueske Pose zusammen, stellte alle unnötigen Körperfunktionen ein, um diese Theorie des Lebens zu überprüfen. »Oh weia!« Gayan drückte eine starre Hand. Er konnte jetzt nur hoffen, dass Amber nicht wieder all seine Reserven verbrauchte und als Pseudo-Leiche für unerwünschte Beachtung sorgte! ('w') »Los doch, rede mit ihm!« Einerlei, so einfach ließ es sich nicht an, wie Elia fand. Plötzliche Verlegenheit, Beklommenheit, Nervosität, wann hatte er sich zum letzten Mal so unzureichend und überfordert mit einer Situation gefühlt? Dann lenkte ihn jedoch seine Gastgeberrolle ab, er kaufte für die beiden Daimonen Popcorn und Zuckerwatte. Sülai schnatterte in ihrer etwas konsonantenreichen Sprache, ließ sich mit Gekko grinsend fotografieren und erschreckte ein paar Jugendliche, die kreischend-begeistert das Weite suchten, in ihrem Windschatten, ganz besorgt-hilflos-bewundernd Gekko. »Du bist allerdings noch eine Ecke peinlicher!« Rief ihn sein Gewissen zur Ordnung. Folglich übergab er eine weitere Zuckerwattenstange an Gayan, der ungeniert versuchte, Amber aus seiner Introspektion zu locken. Eine Aktion, die von Erfolg gekrönt war, denn dieses fluffige Gespinst aus Zuckerfäden konnte sogar ein Ex-Engel verkosten! "Möchtest du lieber etwas Anderes haben?" Elia spähte unter den kastanienbraunen Pony nach den geliebten mahagonifarbenen Mandelaugen, erkannte tiefe Augenringe, eingerissene Mundwinkel. "Hast du Schmerzen im Arm? Sollen wir eine Pause einlegen?" Alle Hemmungen vergessend liebkoste Elia mit der Rechten das bleiche Gesicht. "Was kann ich tun, Chieran?" "Es-es tut mir leid." Stockend stolperten Silben über rissige Lippen. Zum ersten Mal an diesem Abend, mitten im Gewirbel von verkleidetem Besuch, Spektakel und Gedränge, fokussierte sich Chierans Blick auf Elia. "Ich-ich war selbstsüchtig." Fäuste wurden geballt, ein Kloß im Hals wollte sich nicht vertreiben lassen. "Ich habe deine Nachsicht ausgenutzt, und das tut mir leid! Dabei weiß ich doch, dass ich dir nicht die richtige Hälfte bieten kann." Elia, der einigermaßen überrumpelt die Qual in den Mandelaugen identifiziert hatte, begriff plötzlich, was ihm da so gepeinigt gestanden wurde. Prompt erstickte er Chierans Selbstanklagen über eine regelwidrige, unerwünschte Quasi-Vergewaltigung mit einem selbstherrlich-dominanten Kuss, schlang die Arme eng um die schmale Gestalt. Himmel, Chieran zitterte ja, so sehr nahm ihn all das mit! "Hast du etwa die ganze Woche darüber gegrübelt?!" Wisperte Elia in ein spitzes Ohr, nicht willens, Chierans halbherzigen Befreiungsversuchen nachzugeben. "Ich bereue mein Verhalten zutiefst." Krächzte der Hermaphrodit unterdrückt. "Dabei hätte ich wissen müssen, dass ich für dich abstoßend bin." "Hör sofort auf mit dem Blödsinn!" Knurrte Elia und drückte Chieran durchaus grob von sich, um ihn ansehen zu können. Der Daimon kämpfte sichtlich mit Tränen, biss sich auf die ohnehin lädierten Lippen, ein Bild des Jammers. "Was soll dieser Quatsch, hm?" Sanfter gestimmt tupfte Elia salzige Spuren ab. "Sorry, wenn ich dein Makeup ruiniere, aber das muss jetzt geklärt werden!" Weil Taten sehr viel mehr als Worte aussagten, legte er all seine Zungenfertigkeit in den perfekten Kuss. ('w') Sülai kam aus dem Staunen nicht heraus. Was für interessante Tiere es hier gab! Gekko musste ihr jede Schautafel übersetzen, sie wollte nichts verpassen! Und dann diese leckere rosa Luft! Von dem Knurpsen des aufgeplusterten Korns ganz abgesehen! Einfach herrlich! Außerdem schrie niemand hysterisch herum, zeigte mit den Fingern auf sie (da waren ja nicht mal Krallen oder Klauen!), unternahm Anstalten, sie zu attackieren oder mit Steinen zu beschmeißen! So viel also zu den elterlichen Schauermärchen über die böse, andere Seite! Energisch zog sie Gekko hinter sich her zu den beleuchteten Fischteichen. Dort standen auch einige Fackeln, und sie war jetzt in der Stimmung, so richtig ausgelassen ihren Beitrag zu leisten! ('w') Gayan leckte Amber ohne falsche Scham die Mundpartie sauber, um auch wirklich jeden Rest der Zuckerwatte zu tilgen. Niemand nahm daran Anstoß, da die meisten die Geisterbraut für ein weibliches Wesen hielten und die Vorstellung kichernd kommentierten, wie verliebt dieses Gruselpärchen sich gab. Amber verhielt sich ganz ungewohnt still, immer noch über die Tatsache sinnierend, wie gewaltig, komplex und veränderlich das Leben war, wie aussichtslos, es in Regeln, Normen oder Schablonen pressen zu wollen! "Es gibt noch eine Menge Wunder zu entdecken." Der KOK-Offize küsste das Grübelgrübchen zärtlich. "Langweilig wird es uns beiden nicht werden, richtig?" "Absolut. Uneingeschränkt." Der frühere Engel nickte entschieden. "Allerdings behalte ich mir persönliche Freizeit für körperliche, sensorische Erfahrungen vor." Gayan dolmetschte grinsend. "Du meinst, Zeit für unsere privaten, intimen Feldforschungen?" "Selbstverständlich!" Bekannte Amber ohne jeden Anflug falscher Scham. "Wenn überall, in jedem Partikel, kleine Welten verborgen sind, kann ich sie mir auch bei dir aus der Nähe betrachten!" Den Kopf in den Nacken werfend, sodass er beinahe seiner Mütze verlustig ging, konnte Gayan nicht anders, als sich vor dröhnendem Gelächter schütteln. Wahrlich, er hatte den perfekten Liebhaber gefunden, in allen Welten, zu allen Zeiten! ('w') "Ich hab dir was verschwiegen." Elia hielt Chieran erstickend eng in den Armen, ein wenig abseits des Trubels und der Beleuchtung. "Ich bin gar nicht 'eingerostet', sondern, nun ja, ich habe noch nie Sex gehabt. Mit niemanden." Er richtete seine schwarzen Augen auf Gekko, der nervös blinzelte. Außer einem scharfen Lufteinziehen ließ der halbe Hermaphrodit zunächst keinen Kommentar verlauten. "Ich hab's verdrängt, konnte mir das auch nicht vorstellen bei den Leuten, die ich getroffen habe." Elia überließ seiner Courage das Feld, die ihn ermahnte, dass er Nägel mit Köpfen machen wollte. "Aber bei dir war das anders. Ich habe dir vertraut. Ich vertraue dir." Korrigierte er sich. "Weil wir ja auch Freunde sind." Ungezogen, dies einfach ohne Chierans Einwilligung vorauszusetzen! "Und ich ziemlich, also, SEHR, in dich verknallt bin." Meine Güte, da wurden ihm für einen Augenblick sämtliche Extremitäten taub, so sehr rauschte das Blut in seinen Ohren, von tödlicher Beschämung gewaltsam in den Schädel gepumpt! In Chierans Haltung veränderte sich etwas, eine gewisse Spannung bemächtigte sich seiner Gestalt. "Das verstehe ich nicht." Bekannte Chieran langsam, vorsichtig. "Ist es denn nicht so, dass man hier häufig Sex hat?!" Elia grimassierte ins Dunkel. "Ehrlich, Chieran, diese Serie da, so ist das wahre Leben gar nicht! Zumindest für normale Leute wie mich nicht." Stellte er leicht gequält fest. Seine hilflos-ungelenke Liebeserklärung wurde nicht ausreichend gewürdigt, was etwas mehr Blut ins Kreiseln brachte und Prickeln in Zehen und Fingerspitzen verursachte! "Oh." Murmelte der halbe Hermaphrodit hilflos. "Das-das war mir nicht so bewusst." Erneut schrumpfte er in sich zusammen, doch dieses Mal weigerte sich Elia, diese Reaktion zu akzeptieren. Er legte besitzergreifend beide Hände um das kalte Gesicht, zwang Blickkontakt auf und funkelte entschlossen in die mahagonifarbenen Mandelaugen. "Sag mal ehrlich, hat's dir nicht gefallen?" Trieb er die Inquisition voran. "Ich bin zu Übungsstunden absolut bereit! Ich fand's jedenfalls überraschend, aber definitiv scharf und sexy und total befriedigend und...!" Ihm gingen die salonfähigen Attribute aus, dafür der Atem schneller. Klar, mit einer solchen Amateurleistung konnte er einen examinierten Profi nicht beeindrucken, aber Enthusiasmus zählte doch auch, richtig?! "Bitte!" Hoffte er auf eine Antwort, hauchte einen Kuss auf die rissigen Lippen. Ein Funken blitzte in den Mandelaugen, dann sackten Chieran die Beine weg, und er plumpste vor dem überrumpelten Elia auf alle Viere. Sofort ging der vor ihm in die Hocke. "Ist dir nicht gut? Schwindlig?!" Elias Oberarme umklammernd brachte Chieran nur ein Schlüsselwort heraus. "Hunger!" ('w') In seinem Schrecken hatte Elia bei einem der mobilen Verkaufsbuden eine ganze Tüte mit grässlich-süßen, gefüllten Plombenziehern gekauft, die er nun aus ihren Folien wickelte und hastig eins ums andere in Chierans Mund stopfte. Der kaute energisch, die Fäuste geballt, unter dem kastanienbraunen Strähnen die Stirn in angestrengte Falten geworfen. Mit einem Mal, gänzlich unerwartet, hatte sein ungezogener Organismus zurückgeschlagen, ihn schmählich daran erinnert, dass er in seinem Kummer, von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagt, kaum etwas Substantielles gegessen hatte, von erholsamen Schlaf ganz zu schweigen! "Geht's schon besser?" Elia beäugte ihn beunruhigt, streichelte ihm fortwährend über die Fäuste, die Arme, die Schultern, den Rücken. Chieran nickte wortlos, um nicht unschön sabbern zu müssen. Was für eine würdelose, peinliche, bodenlos schlechte Leistung zeigte er hier?! Wenn seine Instrukteure davon Wind bekamen! Ihr weniger trautes als verunsichertes Tete-a-tete wurde von der Rückkehr der beiden jugendlichen Daimonen gestört. Mit sichtlichem Stolz präsentierte Sülai einen Ausdruck, der sie und Gekko als Siegerpärchen der besten Gruselvorstellung der Halloweennacht durch Akklamation der Besuchenden kürte, quasi eine Ehrenurkunde! "Wow! Schade, dass wir eure Vorstellung verpasst haben!" Lenkte Elia eilig von seiner Stopfaktion ab. "Wisst ihr, wo Gayan und Amber abgeblieben sind?" Immerhin ging es auf zwei Uhr in der Früh zu. Er hatte mit dem KOK-Offize nicht darüber gesprochen, wie lange sie in seiner Welt Aufenthalt nehmen konnten. ('w') "Ich möchte jetzt nach Hause." Amber funkelte Gayan unzweideutig an. "Sehr viel weniger Leute und ein großes Bett." "Jawoll!" Salutierte Gayan stramm, der diese klaren Ansagen an seinem Engel vergötterte. "Dann sammle ich mal rasch die beiden Jungspunde ein!" Für die hieß es ja wohl auch Zapfenstreich, nicht wahr? ('w') Zu Elias Verblüffung, nachdem er Chieran auf die Füße geholfen hatte, der durch den übermäßigen Zuckerkonsum recht aufgedreht neben ihm stakste und rastlos wirkte, protestierten weder Sülai noch Gekko quengelig über das Ende ihres Abenteuers in der Menschenwelt. Artig verließ die gesamte Gruppe das Zoogelände, marschierte im Halbdunkel zum Fahrradständer. Ohne Publikum konnte man besser verschwinden. "Ah!" Schauspielerte Gayan ungeniert Vergesslichkeit. "Hier, mein Freund, für dich!" Er warf Elia ein kleines Rohr zu, dessen verplombten Inhalt der nur erhoffen konnte. "Soooo, dann bis später!" Tippte der KOK-Offize sich frech an die Schläfe, packte Sülai und Gekko, während Amber keinerlei Assistenz beim Weltenwechsel bedurfte. Einen Wimpernschlag später stand Elia, ohne seinen Dank auch nur verbalisieren zu können, recht solitär mit Chieran im Halbdunkel herum. "Aber..?!" Der Daimon blinzelte verwirrt. Geschäftig befreite Elia sein treues Ross, wickelte seinen Schal ab, um ihn zu falten und auf den Gepäckträger zu klemmen. "Steig auf." Sein Kinn wies unmissverständlich auf den improvisierten Sozius. "Ich brauche UNBEDINGT deine Hilfe!" Chieran musterte die Sitzgelegenheit kritisch, raffte dann seinen Umhang und fasste Elia um den Leib. "Oh, hat deine Nachbarschaft sich etwa über die Scheuche beschwert?!" "Das auch." Elia lächelte, während er kräftig in die Pedalen trat. Weil er sich anstrengen musste, konnte er auch nicht plaudern und damit seine Überraschung verderben! ('w') "Tja, da wären wir." Verkündete Gayan vorfreudig und wies mit einem markanten Kinn die Straße hoch. "Gekko, du wirst Sülai bestimmt nach Hause begleiten wollen, richtig? Dann schlaft mal gut, ihr verwegenen Heimlichtuenden!" Ohne weitere Sperenzchen, die SEIN Vergnügen verzögerten, vaporisierte er mit Amber, um in seiner Wohnhöhle zu erscheinen. "Öh!" Entfuhr es Gekko hilflos. Er sandte einen verlegenen Seitenblick auf das perfekte Daimonenmädel. "Echt prima Freunde hast du!" Lobte Sülai grinsend, präsentierte das scharfe Gebiss, schnappte dann seine rechte Klaue. "Abmarsch, Kamerad! Ich zeig dir, wo wir wohnen!" Gekko nahm hastig das beschwingt-forsche Tempo auf, um nicht erbärmlich zu stolpern. Selbstredend kannte er die feine Adresse, wo sich die vornehme Stadtvilla befand, aber das war zweifellos kein Ort, wo man ihn vermutete. Wahrscheinlich würde er an der dünnen Luft dieser gehobenen Klasse gnadenlos ersticken! Sülai plagten derlei Sorgen ganz und gar nicht. Sie war noch immer hochgestimmt und auch keineswegs aus dem Takt gebracht, als sie die Türschwelle des imposanten Hauseingangs erreichte und hinter ihnen ihr Vater aus dem Boden wuchs, im Hausmantel, mit Pantinen, 2,30m groß, gebaut wie ein doppeltüriger Kleiderschrank und sehr erbost. "Weißt du eigentlich, wie spät es ist?! Wo kommst du jetzt her?!" Gekko glaubte, dass er JETZT tot auf das feine Pflaster klatschen würde, weil das mindestens der dritte Herzinfarktmoment an diesem Abend war. Erstaunlicherweise stand er aber noch aufrecht, während sich spiegelgleich die Hände in die Hüften gestützt Vater und Tochter eine energiegeladene Diskussion lieferten und ihn selbst auf eine Fußnote reduzierten. "Das kann noch ein ganzes Weilchen dauern." Bemerkte eine elegante, sehr zierliche Dame, was Gekko zu einem Hüpfer und der nächsten Herzgefährdung veranlasste. Sie lächelte und entblößte pfeilspitze Zähne. "Nun, Gekko, richtig? Warum gehen wir nicht rein, und du erzählst mir bei einer Tasse Tee etwas über dich?" Die Großinquisition konnte von Sülais Mutter noch Einiges lernen, stellte Gekko nicht wenige Augenblicke später fest. ('w') "Puh!" Ächzte Gayan atemlos. Er hing halb in seiner Wanne, durch Arme und Beine am Ertrinken gehindert, die er weise über den gewölbten Rand exiliert hatte. Amber stemmte sich mühelos hoch und bot ein durchaus lustförderndes Schauspiel in seiner perfekten Schönheit, die noch vom Umstand akzentuiert wurde, dass Gayans Samen langsam an seinen Oberschenkeln herabglitt. "Ist das alles?" Der frühere Engel runzelte die perfekte Stirn. "Willst du nicht mehr?" Was ihn durchaus frappierte, da er eindeutig präferierte, sich noch mindestens eine weitere Runde auszutoben. Einmal direkt hinter der Türschwelle und dann hier in der Wanne, das konnte doch nicht schon genug sein?! In Gayans vornehmer Oberlippenzier, nun durchnässt und zerzaust, hingen schimmernde Tropfen, durchaus auch der Anstrengung geschuldet. "Ich hätte schon gern eine kleine Pause." Bemühte er sich um Gutwetter. Vor allem wäre es förderlich, wieder seine Extremitäten spüren zu können! "Oh!" Reifte unmissverständlich Erkenntnis in den Türkisaugen, verdrängte die wabernden, oszillierenden Ölteppiche. "Es liegt daran, dass du mehr leisten musst, oder? All diese Atmerei und Verdauung, etc., korrekt?" "Genau! Vollkommen richtig!" Pflichtete Gayan eilig bei, der DIESE Interpretation sehr zu schätzen wusste. Sich mangelnde Ausdauer vorhalten zu lassen, das hätte ihn doch sehr beschämt. "Hmmm!" Kommentierte Amber laut einen Lösungsfindungsprozess. "Ich sehe ein, dass wir zu einem besseren Lastenausgleich kommen müssen. Ist dir irgendwelches Referenzmaterial bekannt?" Der KOK-Offize wagte es, einen Arm in die Wanne zu holen, sich über die polierte Glatze zu streichen und anschließend seinen Schnurrbart zu frisieren. "Ich denke nicht, dass ich schon mal über dieses Problem gestolpert bin." Erfahrungsgemäß gab es recht wenig frühere Engel, die an körperlichen Ertüchtigungen mit anderen Spezies beteiligt waren. "Hmm!" Knurrte Amber, das Grübelgrübchen prägte sich wieder in die perfekte Stirn. "Dann ist es an uns, Pionierarbeit zu leisten! Moment, ich brauche meinen Block und einen Stift!" Hier musste schließlich mit mathematischer Akkuratesse ein perfektes Verhältnis von Masse, Energieeinheiten, Positionen und Abläufen in das Verhältnis zu Raum und Zeit gesetzt werden! Gayan grinste geschafft, als er Ambers Abgang, emsig-konzentriert-entschlossen, verfolgte, legte den Kopf weit zurück gegen den Wannenrand. "Einfach niedlich." ('w') Kapitel 9 - Nützliche Parallelen Chieran hatte auf Nachfragen hinsichtlich der offenbar bösartig-verbohrten Sado-Nachbarschaft verzichtet, weil er erkannte, dass es Elia durchaus Mühe bereitete, querfeldein und ohne zusätzliche Beleuchtung seine wertvolle Fracht zu transportieren. Am Hang schließlich hatten sie gemeinsam das treue Ross geschoben, jeder eine Hand am Lenker. "Das ist wirklich praktisch." Murmelte Chieran und verwünschte das Übermaß an Zucker, denn so aufgedreht, wie er gerade war, fürchtete er den freien Fall in ein tiefes Loch, wenn die aufputschende Wirkung nachließ. "Kannst du auch radfahren?" Elia wandte ihm den Kopf zu, öffnete das Tor zum Hof. Verlegen schüttelte Chieran den Kopf. Wohin hätte er sich auch begeben sollen?. "Ich bring's dir bei!" Bot Elia aufmunternd an. "Ist gar nicht so schwer, wenn man mal den Bogen raushat!" Schweigend, ein wenig ratlos, verstauten sie das treue Gefährt. Elia schnappte tollkühn eine Hand und führte Chieran die Stiege hoch zu seiner Einliegerwohnung. Im gedämpften Licht dirigierte er Chieran zu seiner Klappcouch, wo ein bunter Plätzchenteller wartete, eine kuschlige Decke, die stehenden Fußes gegen das Flickenkostüm getauscht wurde. Elia drückte Chieran auf die Couch und dann das verplombte Kurierrohr in die Hand. "Während du mir hierbei hilfst, mache ich für uns Kakao, ja?" "Sicher." Verwirrt studierte Chieran das Versandstück, öffnete es dann schicksalsergeben, entnahm ein Bündel eng bedruckter, sehr dünner Seiten, spinnefeingeschöpftes Pergament. Mit rasendem Puls hantierte Elia unterdessen an der Mikrowelle, Sojamilch erhitzen, Kakao in die Becher (und nicht darum herum) schütten. Er fegte sofort um die eigene Achse, als er erstickte Wehlaute vernahm- "Chieran?!" Der hatte sich beinahe die Faust in den Mund gestopft, die andere Hand darüber, tränenüberströmt, nach Luft ringend, am ganzen Leib zitternd. "Oh nein!" Konstatierte Elia erschrocken, enterte seine Couch und zog den halben Hermaphroditen unnachgiebig in seine Arme, wiegte ihn und stammelte beschwörende Worte. "Nicht doch! Keine Angst, ja? Ist doch alles gut! Erschrick dich nicht so, bitte? Schhhh Schhhh, halb so schlimm! Wird wieder!" Er hatte wirklich nicht erwartet, dass seine Offerte Chieran einen derart heftigen Schock versetzen würde! ('w') "Tut mir leid." Murmelte Gekko geknickt, Richtung Tor geleitet. "Iwo!" Grinste Sülai selbstsicher. "Mein Pappa ist bloß eingeschnappt, weil ich ihm von meinem heimlichen Ausflug nicht etwas karamellisiertes Popcorn mitgebracht habe!" Was in sich, wie ihr Feixen verriet, ja wohl an absurder Komik nicht zu überbieten war! Überhaupt, warum sollte ein Zoo langweilig sein, wenn's dort keine Rhinozerosse gab?! In Nordeuropa! In der Moderne! Typisch Pappa, immer eine Extrawurst haben wollen! "Aber meinetwegen hast du jetzt eine Woche Hausarrest." Seufzte Gekko. Und Sülais Mutter hatte ihn derart verhört, dass er nun gar nicht mehr wusste, wo noch hinten und vorn war! "Deshalb bist du geknickt?" Sülai lachte frei heraus, kniff ihn frech in die schwarze Nasenspitze. "Du weißt wohl nicht, dass mein Papa und ich absolute Baseballfans sind, oder?! Diese Woche laufen die Katarakt-Spiele, das siegreiche Team erhält den Mephisto-Pokal! Da würde ich mich abends sowieso nicht von der Glotze wegrühren." "Oh." Kommentierte Gekko einfallsreich. Sülai schmunzelte, schnellte vor und küsste eine hübsch blau-weiß-schwarzgestreifte Wange. In ein spitzes Ohr raunte sie gurrend. "Während du jetzt artig auf direktem Weg nach Hause gehst, solltest du gründlich über ein Sprichwort nachdenken, Kamerad: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!" Mit einem kecken Zwinkern flitzte sie zum Haus zurück, während Gekko verdattert seine liebkoste Wange mit einer Klaue abschirmte. Erst nach weiteren, mit wackligen Knien absolvierten hundert Metern fiel der Groschen. Oh du verflixte Grütze! ('w') "Meinst du, schnief, das ernst, schniefschniefschnüff?!" Elia lächelte und stopfte erst einen weiteren Keks nach, bevor er Chieran den abgekühlten Kakao aus dem zweiten Becher an die Lippen setzte. Gerade im Moment bot Chieran keinen bildschönen Anblick, verheult, hektische, rote Flecken auf den aparten Wangenknochen, die kastanienbraunen Strähnen im Gesicht filzig, einen krümeligen Schokooberlippenbart, aber für ihn selbst war diese Version einfach nur herzerwärmend und rührend zugleich. "Absolut und unumkehrbar ernst." Raunte er zärtlich, kraulte den zarten Nacken aufmunternd. Es hatte fast eine halbe Stunde gedauert, bis der Anfall abgeklungen war. Wie sehr musste Chieran unter dem Druck seiner Familie, seiner eigenen Erwartungen und ungerechtfertigten Schuldgefühle gelitten haben! Da erschien es Elia selbst ein Klacks, sich bis auf die Unterhose metaphorisch zu entblößen, um seine Chance der Patronage zu beweisen! Andererseits, Banken, Versicherungen und Schuldauskunfteien verlangten auch nicht weniger private und persönliche Informationen zu sämtlichen Aspekten seines Lebens! Zugegeben, er war nicht wohlhabend, aber noch recht jung, fleißig, ambitioniert, mit regelmäßigem Einkommen, einem Dach über dem Kopf und einer durchaus erträglichen, wenn auch übersichtlichen Verwandtschaft. Das musste doch auch Einiges auf die Waage bringen, oder?! Gayan hatte für ihn nicht nur die Dokumente beschafft, seine eigenen übersetzt und die Gebühr ausgelegt (was Elia damit verrechnete, den Zooeintritt und die Spesen zu übernehmen), nein, der hatte auch gebürgt und eifrig für diese unerwartete Ausnahme vor dem Patronage-Amt argumentiert. Jetzt fehlte nur noch Chierans Einverständnis. "Du hast gar nicht ausgefüllt, was ich tun soll! Oder wie lange." Der halbe Hermaphrodit leckte sich die Oberlippe sauber, blinzelte verklebte Wimpern frei. Das gehörte standardmäßig dazu, verpflichtete Laufzeit der Vereinbarung, inkludiertes Leistungspaket, Bestimmungs- und Verfügungsrecht über regelmäßigen Aufenthaltsort und Beschäftigungen. "Na ja." Elia hauchte einen forschenden Kuss auf die lädierten Lippen. "So lange wir beide zusammen sein wollen. Du kannst tun, was du willst, wohnen, wo du magst, arbeiten, was dir gefällt. Das mache ich ja auch so." Er grinste schief. "Allerdings würde es mir sehr gefallen, wenn wir ziemlich viel Zeit miteinander verbringen könnten." Chieran studierte ihn eindringlich. "Weißt du, so ein Angebot hat noch nie jemand bekommen. Absolut noch nie." Antwortete er schließlich bedächtig. Elia kämmte kastanienbraune Strähnen aus der Sicht und zwinkerte. "Du könntest der Erste sein! Na, Interesse?" Ruckartig löste sich Chieran aus ihrer trauten Kuschelei, fingerte in seinem Ausschnitt herum, bis er an langen Schnüren einen kleinen Beutel produziert hatte. Er rammte einen winzigen Gegenstand gegen seinen linken Daumen und diesen dann mit Nachdruck auf die letzte Seite des Dokumentenbündels. Der mit winzigen Nadeln in einer filigranen Figur gestaltete Stempel hinterließ einen ziselierten Blutabdruck. "Autsch!" Kommentierte Elia verblüfft, während Chieran schon seinen Daumen nuckelte. "Könnt ihr nicht einfach mit Tinte unterschreiben?" Er rappelte sich auf, um eilig aus dem Badezimmer ein Pflaster zu besorgen und Chierans Daumenkuppe zu verarzten. "Also, von mir wurde nicht verlangt, dass ich Herzblut spende!" Wies er stirnrunzelnd auf die Differenz hin. Chieran lächelte, ein wenig blutig, was er rasch mit der Zungenspitze beseitigte. "Das ist bei uns so üblich, immerhin vertraue ich mich deiner Obhut an." "Danke sehr." Elia legte die Hand vor den Leib und verneigte sich höfisch, wenn auch im Sitzen. "Ich bin mir dieser Ehre bewusst und hocherfreut!" Puha, wie schmalzig! Doch sein 'Schützling' in spe lächelte verlegen, beugte sich vor, um einen sanften Kuss auf das schiefe Grinsen zu tupfen. Er schlang die Arme um Elias Nacken, rieb ihre Nasenspitzen aneinander. "Dann möchte ich gern bei dir leben und in meiner Welt arbeiten, wenn es dir recht ist." Flüsterte er aufgeregt. "Prima!" Schnurrte Elia und genoss das freimütige Lächeln, das Chieran so attraktiv machte. Wie lange hatte er es vermissen müssen! Allerdings entging ihm auch nicht, dass Chieran der ganzen Aufregung Tribut zollte, blinzelte, ein wenig in sich hinein schrumpfte. "Komm." Behutsam löste er sich, half Chieran auf. "Katzenwäsche und dann Matratze abhorchen! Vielleicht schaffen wir es ja heute mal, zusammen zu frühstücken!" Außerdem hatte er für Chieran flauschige Pyjamas gekauft! ('w') Einige Stunden später blinzelte eine herbstlich-blasse Sonne in die Einliegerwohnung. Dieses Mal konnten sich die lästigen Nebelschwaden nicht tummeln. Elia erwachte, registrierte die warme Gestalt an seiner Seite wie eine zusätzliche Heizquelle und lächelte erleichtert. Kein Traum, sondern die Realität! Widerstrebend, aber von Beschwerden seines Magens angetrieben, der erklärte, er werde sich gleich lautstark bemerkbar machen, wenn Elia nicht für Futter sorgte, löste er sich aus der liebevollen Bekuschelung. Er huschte hinaus, um sich erst aufzuhübschen, dann ein rurales Frühstück aufzutischen. Elia merkte gar nicht, wie er fröhlich vor sich hin summte und kleine Tanzschritte einbaute. ('w') Chieran benötigte einige Augenblicke, um sich in der ungewohnten Umgebung zu orientieren. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite, doch bereits die gedämpfte Geräuschkulisse verriet ihm, dass sein Patron (in spe) in der Nähe eifrig werkelte. Langsam setzte er sich auf, schüttelte schlafeswarme Glieder aus, die den Schock gut verdaut hatten und gar nicht elend verspannt unliebsame Aufmerksamkeit einforderten. Er schnupperte vorsichtig. Ja, es roch verlockend! Für jemanden, der keine Gelegenheit hatte, Nahrung in dem winzigen Verschlag zuzubereiten, der sich Ein-Zimmer-Appartement schimpfte, eine phantastische Vorstellung, ohne sich ausgehfein machen zu müssen, etwas zu essen zu bekommen! Auf dicken Sockensohlen und damit lautlos pirschte er sich an den Ort der kulinarischen Symphonie heran. Elia registrierte seine Annäherung nicht, schien bestens gelaunt und sehr vergnügt, dekorierte sogar ein wenig! "Guten Morgen." Hielt es Chieran für angezeigt, sich zu erkennen zu geben. Elias Kopf schnellte herum, eine dezente Röte konnte trotz der dunklen Hautfarbe nicht verborgen werden. "Guten Morgen!" Strahlte er freimütig. "Darf ich dich knuddeln?" Verblüfft spiegelte Chieran die geöffneten Arme, ließ sich beschmusen, hoppelte artig mit im Kreis und beäugte fasziniert-ungläubig die Verwandlung seines Liebhabers, der vor Enthusiasmus überzusprudeln schien. "Verzeihung!" Elia rieb sich den Nacken, grinste schief. "Aber mir geht's gerade so GENIAL GUT, dass ich mich einfach nicht beherrschen kann!" Weshalb auch sofort ein Kuss auf Chierans Lippen landete. "Magst du lieber Kaffee oder Tee? Oder Saft? Kakao?" An den Schultern dirigiert wurde Chieran auf den ihm schon bei ihrem ersten Treffen bekannten Hocker befördert, ein prächtiges Frühstücksszenario vor ihm auf dem Bartresen ausgebreitet. "Oh, ist es immer so?" Murmelte er durchaus beeindruckt, denn Elia hatte noch mehr als zuvor aufgefahren. "Na, ich bin noch nicht so firm in den Sachen, die du gern isst, also dachte ich, 'nimm lieber ein bisschen hiervon und davon und finde es raus'!" Zwinkerte Elia, den Wasserkocher apportierend. "Also, was darf es sein?" Chieran votierte, wenig überraschend, für Kakao, obwohl er dem Zucker zumindest für eine Weile einen Riegel vorschieben wollte. Zu viel des Guten war nicht wohlgetan! Ein vertrautes, entspanntes Schweigen breitete sich aus, während sie lächelnd kauten, sich verschwörerische Blicke wie Lausbuben zuwarfen und keineswegs wie ein beinahe frisch getrautes Pärchen wirkten. Gemeinsam wurden die vielfältigen Reste verstaut, das Geschirr gespült (Elia hielt gern Ordnung, was Chieran zupass kam), der sich schon fast zu Hause in seiner neuen Heimat fühlte. Draußen lockte die Sonne mit trügerischem Schein, obwohl es knackig kalt war. Elia entschied, dass das hübsche Flickenkostüm samt Hexenhut bleiben sollte, während er Chieran mit seinem Anorak einmummelte und selbst in den Firmenblouson schlüpfte. Gut gewappnet gegen die Kälte und mit dem Versandrohr samt kostbarem Inhalt spazierten sie gemächlich hinauf auf den Hügel, bei Tageslicht ein für Chieran neuer Anblick. Elia erklärte die Aussicht, wie er das bei seiner Mutter getan hatte, als sie gemeinsam den Hof besuchten, um Merlins Pläne abzuwägen. "Ich weiß nicht genau, wann ich zurückkomme." Chieran umarmte Elia gegen den schneidenden Wind, blinzelte ihn mit roter Nasenspitze an. "Die Registrierung wird vielleicht dauern. In der Fabrik möchte ich nicht fehlen, nachdem ich ja so viel Ärger ausgelöst habe." "War doch nicht dein Verschulden!" Protestierte Elia loyal. "Wenn man was Neues entwickeln will, muss man eben manchmal an die Leistungsgrenze gehen! Sonst könnten es ja alle!" Er knuddelte engagiert zurück, um seine Solidarität unter Beweis zu stellen. Chieran lächelte, hauchte einen Kuss auf die einladend geteilten Lippen. "Du bist so lieb zu mir." Wisperte er erstickt in ein geneigtes Ohr, blinzelte Feuchtigkeit aus den Augen. "Könnte daran liegen, dass ich ziemlich verliebt in dich bin. Hat manchmal solche Nebenwirkungen." Murmelte Elia verlegen. Der halbe Hermaphrodit kicherte. "Immer eine Antwort parat, hmm?" Elia lachte leise. "Ja, meine große Klappe rennt häufig meinem Hirn davon." Er wurde etwas distanziert, auf halbe Armeslänge, damit die Mandelaugen ihn in ihren Fokus nehmen konnten. "Ich habe das nie richtig begriffen, während meiner Studien, aber jetzt bin ich mir sicher." Chieran grimassierte dezent gequält. "Ich liebe dich und ich danke dir sehr, dass du dich meiner annimmst." Ihm gegenüber grinste Elia schief. "Ehrlich, mir geht es absolut genauso. Hundert Prozent! Also, sei bitte so lieb, dich um mich zu kümmern, ja? Ich hab's nötig!" Ergänzte er prahlerisch-bewegt. In ihr gemeinsames Kichern platzte Gayan, der zu ihrer Überraschung ein wenig übernächtigt wirkte. "Guten Morgen, Kameraden! Na, dann wollen wir mal den Endspurt einlegen, wie?" Dröhnte er ein wenig heiser, zwinkerte aber trotz Augenringen tapfer. Widerstrebend löste Elia ihre Umarmung auf, trat einen Schritt zurück. "Ich warte hier auf dich, ja? Bin ganz in der Nähe!" Versicherte er. Chieran streichelte seine Wange. "Geh lieber nach Hause, es könnte dauern. Ich möchte nicht, dass du dich erkältest. Ich komme, sobald ich kann, versprochen!" "Alles klar!" Salutierte Gayan. "Los, ihr Turteltauben, je schneller wir hier durch sind, umso rascher könnt ihr weiter schmusen!" Wahre Worte, gefolgt von der gewohnten Entmaterialisierung. ('w') "Vielen Dank für alles!" Chieran verneigte sich sehr tief vor dem KOK-Offize, dessen Klauen an die Stirn gepresst. "Nicht doch!" Protestierte der gutmütig. "Außerdem wird mein Engel etwas kritisch, wenn ich nicht ab sofort Distanz wahre und ihm Exklusivrechte einräume!" Der halbe Hermaphrodit blinzelte überrascht nach oben. "Er ist eifersüchtig? Ein ENGEL?" Gayan grinste über jeden einzelnen Diamantenreißzahn. "Du wärst überrascht, wie anpassungsfähig er ist. Und auch, wie einfallsreich." Eingedenk der etwas übernächtigten Erscheinung seines Wohltäters bot Chieran an, selbst im Patronage-Amt auf die Registrierung zu warten, doch Gayan winkte ab. "Nein, ich mache keine halben Sachen! Selbstverständlich begleite ich dich!" Verkündete er entschieden. Vor allem, weil ihm durchaus bekannt war, dass es dort gepolsterte Bänke gab, wo ein wackerer Daimon auch mal ein kleines, dringend benötigtes Nickerchen einschieben konnte, um den Ansprüchen seines geliebten Engels gerecht zu werden. ('w') Elia pflügte durch seine vier Wände, schaffte überall Platz für die Habseligkeiten seines neuen Lebenspartners, obwohl er keine Vorstellung davon hatte, wie viel Stauraum benötigt werden würde. Nach Chierans Nebensätzen und Andeutungen hauste der in einer Art Jugendherbergsversion eines Appartementhauses, ein Wasseranschluss im Zimmer, aber Sanitäranlagen auf dem Flur und auch sonst alles eher spartanisch. Die Zeit verging wie im Flug, während Elia sich darum bemühte, es für Chieran so heimelig und schön wie möglich zu machen. ('w') Die Sonne gab den Kampf mit den aufziehenden Nebelschwaden am frühen Nachmittag des ersten Novembersamstags auf. Allerheiligen stand im Kalender, doch wenigstens musste man nicht nasse Füße und Sturmwind fürchten! Elia blies Atemwolken in die Luft, stapfte auf der Stelle und drehte sich zum Hügelkamm um. Dort, ein Blinzeln später, stand Chieran, die Wangen vor Aufregung gerötet, zwei prallgefüllte Taschen in seinem Griff. Kein Sprinter hätte Elia gefährden können, der in Höchstgeschwindigkeit wie ein Dampfross den Aufstieg bewältigte, mit einem heiseren Jubelschrei Chieran von den Füßen lupfte und ohne das erschreckt abgeworfene Gepäck im Kreis wirbelte. "Da bist du ja endlich!" Strahlte er, reduzierte die Umlaufgeschwindigkeit, bis er Chieran wieder artig auf den Boden der Tatsachen stellte. "Ja, weißt du, sie sind sehr gründlich..." Weitere Ausführungen mussten warten, weil Elia seine kalten Lippen bei Chieran aufwärmte. "Lass uns schnell ins Warme gehen!" Elia sammelte ohne Federlesens beide Taschen auf, warf sich eine über den Buckel, damit eine Hand Chierans kapern konnte. "Ich kann auch etwas tragen!" Protestierte dieser leicht, während Elia mit gewaltigen Schritten von der Neigung ins Tal befördert wurde. Der drehte sich halb zu ihm herum, euphorisch lachend. "Aber ich BRAUCHE Bewegung! Mir ist beinahe die Decke auf den Kopf gefallen, weil ich mir allen Blödsinn eingebildet habe, der hätte schiefgehen können!" Nun lächelte Chieran nachsichtig. "Du freust dich so sehr auf mich?" "Aber HALLO!!" Dröhnte Elia. "Ich bin gemeingefährlich glücklich! Das MUSS geteilt werden!" Prustend stolperte der halbe Hermaphrodit hinter seinem beschwingten Liebhaber her, wurde rasch in den Hof geschoben, um sogleich auch zur Wohnung hochsteigen zu können. Doch hier hatten sie in ihrer keineswegs lautlosen Annäherung die Rechnung ohne die liebe Verwandtschaft gemacht. Lotta-Mari, die gerade vertrocknete Zierkürbisse auf den Kompost entsorgen wollte, drehte sich neugierig herum, wie gewohnt ein verpuppter Wichtel, dessen Formen man nur erahnen konnte. "Oh, Mokka, hast du Besuch?! Hallo, ich bin Lotta-Mari!" Winkte sie, hüpfte tatsächlich heran wie ein Schulkind im Kreidekästchenspiel. "Mokka?" Flüsterte Chieran nervös und drückte Elias Hand unwillkürlich fester. "Spitzname." Murmelte der aus dem Mundwinkel, übernahm dann artig die Honneurs. "Lotta-Mari, mein fester Freund Chieran, der heute bei mir einzieht. Chieran, die Lebensgefährtin meines Stiefbruders Merlin, Lotta-Mari." Kalte Hände-Handschuhe wurden geschüttelt, man beäugte sich interessiert (zumindest in Lotta-Maris Fall die winzigen Ausschnitte ihrer Person, die nicht eingepackt waren). "Oh, kommt doch gleich mit rein, ja? Dein Einzug muss gefeiert werden!" Hopsend, die Handschuhe klapsend, ließ Lotta-Mari sich nicht von einer Einladung abhalten. "Machen wir gerne, danke." Übernahm Elia das Ruder. "Lass uns nur erst mal das Gepäck hoch schaffen, ja?" Ihm war keineswegs entgangen, dass Lotta-Mari seinen Anorak an Chierans biegsamer Gestalt identifiziert hatte. Solcherart knapp davongekommen stürmten beide die Stiege, ließen dann die Taschen sinken und atmeten durch. "Entschuldige!" Elia lupfte die Schultern. "Der Sekt wird dir bestimmt nicht schmecken, aber sei bitte tapfer, ja? Die beiden sind ganz nett, und wir leben ja Wand an Wand." "Ich werde mich mustergültig verhalten." Versprach der halbe Hermaphrodit samtig, lächelte funkelnd. "Könnte ich dafür schon ein wenig 'Anzahlung' erhalten?" Da musste die liebe Verwandtschaft eben ein Momentchen warten, wenn geschnäbelt wurde! ('w') Nach einer feuchtfröhlichen Stunde gegenseitigen Beschnupperns durften Elia und Chieran endlich in ihr gemeinsames Domizil aufbrechen. Eilig verstauten sie den kargen Inhalt der beiden Taschen, dann galt es, das Samstagabendprogramm zu besprechen. Das Votum war einstimmig: eine gemeinsame heiße Dusche, dann Flanellpyjamas unter dicken Bademänteln, Bratäpfel und Zuckerbrot zu Kräutertee, Kuscheln auf der Couch und dann vielleicht ein wenig Verdauungsgymnastik. Chieran leckte sich einige Zuckerkrümel von den Fingerspitzen und informierte Elia über Gayans Ratschlag für die Zukunft. "Liebe ist harte Arbeit, man muss ständig im Training bleiben, darf nicht nachlassen!" "Ja, SO sah er auch aus!" Grinste Elia breit, streichelte durch kastanienbraune Strähnen. "Aber ich glaube, wir schaffen das schon. Richtig?" "Richtig!" Bekräftigte Chieran und schmiegte sich an eine einladende Schulter. Er fühlte sich so geborgen und entspannt wie noch nie in seinem Leben. Dabei war er so weit weg von seiner Familie wie kein anderer Hermaphrodit jemals zuvor! "Kannst du das jetzt auch?" Elia zeichnete mit einem forschenden Zeigefinger dezente Muster auf den Bademantel, unter dem sich Chierans Brustkorb verbarg. "Ich meine, jederzeit hin und her wechseln?" "Hmmhmm." Nickte der Daimon unter halb gesenkten, dicht bewimperten Lidern. "Magst du herausfinden, wo ich das Siegel trage?" Seine laszive Stimmlage scheuchte Abertausende Ameisen in Elias Leib auf, die wild herummarschierten. "Unbedingt!" Raunte er und verlegte die Feldforschung ins Schlafzimmer. ('w') "Fein, fein!" Konstatierte Gayan und zwirbelte seinen prächtigen Schnurrbart. Elia und Chieran waren glücklich, davon hatte er sich, heimlich, still und leise, selbst überzeugt. Sogar zu Elias Mutter waren sie am Sonntag gefahren, um sich den überraschten, aber großzügigen Segen zu holen. Auf der nächsten Ausgabe des bekanntesten Magazins lächelte Chierans Konterfei in die Welt, um seine erstaunliche Geschichte zu erzählen. Welch ein Triumph! Die Nachbarschaftsscheuche im Hof bei Elia, Chieran, Merlin und Lotta-Mari trug regelmäßig neue Kleider, und NIEMAND wagte, irgendwelche Dekorationsaufforderungen an den Zaun zu hängen. Ihr Blick konnte Farbe abbeizen und zur Seelenaufpolierung des Publikums nötigen! Gekko, der kleine Magier-Adept, wusste nun mehr über Baseball, als er je im Leben hatte erfahren wollen. Dafür gehörte er jetzt fest zum Clan seiner Angebeteten. Quasi adoptiert! Ob er Chancen hatte, die kräftige Klaue des perfekten Daimonenmädels zu erringen? Nun ja, die Zukunft würde es zeigen! Der KOK-Offize paradierte sehr zufrieden mit seiner Leistung und der Welt über den belebten Platz, suchte nach weiteren Existenzen, die kreativ unterstützt werden mussten, um ihr Glück zu finden. Dass das möglich war, wenn man sich bemühte, dafür war er wohl selbst das beste Beispiel! "JEDE Welt sollte ein Komitee für organisierte Kreativität haben!" Schnurrte er im Selbstgespräch und erwog, ob er seinem Liebsten diese Idee nicht vortragen sollte. Amber hätte bestimmt sehr originelle Einfälle zu diesem Thema! Hoch lebe die Diversifikation! ('w') ENDE ('w') Vielen Dank fürs Lesen! kimera