Titel: Tempus Et Machina Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original Neko-chans Feder-Challenge FSK: ab 12 Kategorie: Phantastik Erstellt: 15.12.2001 Disclaimer: Gaius Julius Caesar (wahlweise "Asterix und Obelix" ^_~) æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ æ~~~ Tempus Et Machina "Wohlan, alea iacta est!" Bekundete der wohlgestaltete Jüngling im maßgeschneiderten Dreiteiler, zupfte energisch an den Manschetten und justierte ein letztes Mal den Zylinder, der auf einer sorgfältig gestutzten, in sanfte Wogen geglätteten schwarzen Mähne thronte. In dem noch leicht gerundeten Gesicht setzten ein gepflegter Schnurr-und Kinnbart Akzente, konnte aber nicht von den strahlend blauen Augen ablenken, in denen jugendlicher Entdeckergeist sich mit wissenschaftlicher Zurückhaltung einen lustvollen Wettstreit lieferte. Samuel Bernard Frederic Maypole strich den Ulster glatt und nickte seinem Spiegelbild zu. Dann griff er in die offene Jacke, zog gewandt an einer goldenen Uhrkette einen handtellergroßen Zeitmesser hervor. Der geschickte Einsatz eines manikürten Daumennagels ließ den fein ziselierten Schutzdeckel aufspringen und entbot ein mehr als ungewöhnliches Zifferblatt. Verschiedene Porzellanknöpfchen an der Flanke warteten auf eine behutsame Einstellung. Final drehte er mit entschlossener Miene auch die Feder auf. "Veni, vidi, vici!" Deklamierte er enthusiastisch und schloss sogleich die Augen. æ~~~ Parsley blätterte gelangweilt im neuesten Rolling Stone und zwirbelte eine blondgefärbte Strähne um einen Finger. Er fühlte den Drang, etwas zu unternehmen, brannte förmlich vor Energie. Das Problem war nur die Zielrichtung. Tiefes Seufzen. Das Magazin trudelte schwerfällig durch die Luft, um mit knisterndem Protest neben einem Haufen schmutziger T-Shirts auf den abgetretenen Teppich zu sacken. Parsley machte es ihm nach, allerdings auf seinem durchgelegenen Sofabett, starrte an die Zimmerdecke, wo sich verblassende Posterreste tummelten. Früher hatte dieses unbändige Prickeln und Kribbeln in seinem ganzen Körper, die schiere Explosion vor Tatendrang ihn dazu getrieben, auf die Straße zu gehen, anschließend mit einigen anderen auf die entsprechende Idee zu stoßen. Die Jugendrichter hatten es Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung und Diebstahl genannt, deswegen war er nun seit zwei Jahren hier Dauergast. Parsley grinste versonnen. Ob sie damals wohl damit gerechnet hatten, dass es ihm hier trotz allem sehr gut gefiel?! Es war warm, er hatte ein eigenes Zimmer, ging regelmäßig zur Schule, es gab genug zu essen. Dies beschwor dunkle, verschwommene Erinnerungen an die Zeit davor herauf, ein winziges Reihenhaus in der typischen Arbeitersiedlung, allerdings verwahrlost und heruntergekommen. Leere Flaschen stapelten sich in der stinkenden Spüle, auf dem Boden, zwischen dem zusammengebrochenen Küchentisch. Parsley setzte sich abrupt mit einem wütenden Knurren auf, rief sich selbst zur Ordnung. Das war vorbei, er würde nie wieder zurückkehren, nie wieder so tief sinken! Bei Gott, er würde es zu etwas bringen, mehr sein als eine Alkoholleiche auf Stütze!! »Vielleicht sollte ich in die Bibliothek und was zum Lesen...?!« Weiter kam Parsley nicht, denn ein heftiger Knall erschütterte die dünnen Wände seiner Dachkammer. æ~~~ Mitten in seinem Zimmer stand ein fremder Mann, aus dem Nichts materialisiert, mit einem Theaterkostüm und einem erwartungsvollen Blick, der sich allerdings rasch trübte und einer offen zur Schau getragenen Enttäuschung Platz machte. "Was... was zur Hölle soll das?! Wer bist du?!" Parsley rollte sich gewandt über den Rücken ab, kam auf die Füße, stellte sich breitbeinig und in kampfbereiter Pose vor dem unerwarteten Besucher auf. Der zwinkerte irritiert und dann merklich nervös, zerrte unter seinem staubbraunen Ulster einen antiken Revolver hervor. Parsley gefror, hob dann langsam die offenen Hände an. "Peace, Kumpel. Ganz ruhig, okay?!" Säuselte er besänftigend und erwog eilig seine Chancen. "Frieden?!" Wiederholte sein Gegenüber verunsichert, straffte sich dann aber. "Ich bin Samuel Bernard Frederic Maypole. Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen habe?" Parsley blinzelte und sortierte das obsolete, jedoch exakt prononcierte Verlangen. Er legte den Kopf schief und ließ die Hände wieder sinken. "Hey, das ist ein Zaubertrick oder ne Theateraufführung, richtig?! Verdammt geiler Auftritt, Mann!" Er streckte die Rechte aus und klopfte damit lobend auf eine schmale Schulter des völlig Überrumpelten. "Ich bin Parsley." Ergänzte er dann grinsend. "Pardon... verzeihen Sie... ich scheine mich verhört zu haben... Sie sagten, Sie seien... Parsley?" Parsley grinste noch breiter. Dieses Wortspiel hatte ihm schon immer ein diebisches Vergnügen bereitet, insbesondere, weil er dunkelgrüne Augen hatte unter einem üblicherweise rostroten, krausen Schopf, der nur eine strähnige Blondierung erfahren hatte. "Das ist mein Name." Stellte er amüsiert klar, zwinkerte in die strahlenden blauen Augen des Fremden. "Übrigens, scharfe Klamotten, ohne Scheiß!" Ungeniert schlug er beidhändig die Revers des Übermantels zurück und begutachtete den Anzug darunter. Ein energischer Schlag auf einen Handrücken ließ ihn überrascht zurückweichen. "Ich muss doch sehr bitten! Solcherlei Vertraulichkeiten sind in meinen Kreisen nicht üblich!" Parsley zuckte mit den Schultern und plumpste in einer katzenhaften Rückwärtsbewegung auf sein Sofabett zurück, das ächzend nachfederte. "Okay, okay, kein Stress. Aber mal ehrlich, Sammy, was soll der Auftritt hier?!" Eine leichte Röte breitete sich in dem Gesicht des so Bezeichneten aus. "Mein Name ist Samuel Bernard Frederic Maypole, Sir! Sie werden die Güte haben und mir die Höflichkeit erweisen, mich mit Mr. Maypole anzusprechen!" Parsley warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. Er funkelte in die blauen Augen. "Na schön, Mr. Maypole, wie alt bist du, hm?! 18? 16?" Die Farbe im Gesicht des anderen dunkelte nach. "Ungeachtet dieser mehr als indignierenden und indiskreten Frage setze ich Sie in Kenntnis, dass ich 21 Jahre zähle!" Ein kaum unterdrücktes Schnauben krönte die Äußerung. "Echt?!" Parsley musterte mit unverhohlener Überraschung den gleichgroßen Mann. Er stützte sich rücklings auf die Ellenbogen auf und zog ein Bein angewinkelt an. "Okay, Sammy, aber warum bist du hier?! Ist das ne Videoshow, oder so was?!" In Parsleys dunkelgrünen Augen funkelte es hintergründig. Dieser Fremde gefiel ihm, auch wenn er mit seiner antiquierten Wortwahl und Aussprache nicht ganz einfach zu verstehen war. »Allein diese Augen!« Die nun wieder aufblitzten und sich um ein besonders gewittriges Erscheinungsbild bemühten. "Es handelt sich um ein Experiment von bedeutender Wichtigkeit und weitreichenden Konsequenzen!" Endlich verschwand der Revolver unter dem Ulster. Stattdessen zauberte Samuel eine schwere Taschenuhr an einer feinen Goldkette hervor und studierte das Zifferblatt mit konzentriert zusammengezogenen Augenbrauen. Parsley stemmte sich mit Schwung hoch und näherte sich unbefangen dem Object d'Art. "Wow, das Ding ist ja der Hammer!" Machte er seiner Verblüffung Luft, was den in Betrachtungen versunkenen Anderen zurückschrecken ließ. Parsley quittierte den hastigen Rückzug mit einem Schnalzen. "Hey, Sammy, was soll das?!" Tadelte er. "Du bist der Typ mit dem Revolver in der Tasche! Ich werde dich schon nicht beißen." Mit einem boshaften Kichern fügte er dann an. "Es sei denn, du bittest mich darum!" Der verwirrte Ausdruck in dem gepflegten Gesicht entschädigte für sämtliche Ängste, die Parsley zuvor tapfer heruntergeschluckt hatte. "Ich-ich verstehe nicht?!" Samuels Kinn zitterte, die blauen Augen beschlugen, dann torkelte er zwei unsichere Schritte zurück, griff sich an die Brust und krümmte sich nach Atem ringend zusammen. Parsley stürzte vor, umfing den Kollabierenden und federte geschickt in die weiche Unterlage seines T-Shirt-Haufens. "Sammy, was ist los?! Brauchst du Medikamente?!" Schweißperlen benetzten das helle Gesicht. Ungehindert löste sich der Zylinder von den schwarzen Wogen, rollte in einem spielerischen Kreisel neben einen Bettpfosten. Parsley umklammerte Samuel fester, schüttelte erschrocken die erstaunlich zerbrechliche Gestalt in seinen Armen. Unter dem dicken Stoff von Ulster und Anzug musste eine sehr fragile Person verborgen sein, folgerte er aus dem engen Kontakt. Samuels manikürte Fingernägel bohrten sich in seinen nackten Unterarm. Die eisige Kälte ließ Parsley erschauern. "Scheiße, Sammy, du kannst hier nicht krepieren, okay?! Komm schon, sag mir, was los ist?!" Ein merkliches Knurren veranlasste Parsley beinahe zu einem schreckhaften Satz in die Höhe. Es folgte eine atemlose Sekunde der Verblüffung. Dann brach er in erleichtertes Gelächter aus. "Was ist denn das, Kumpel?! Hört sich an, als hättest du unter dem feinen Zwirn ein ganzes Rudel hungriger Wölfe eingeschmuggelt!" Samuels Augenlider flatterten, die blauen Augen irrten noch immer umher. Sie fingen sich in Parsleys bezwingend dunkelgrünen Blick. Vorsichtig hob der Samuels Oberkörper an, bestrebt, sich nicht in dem Wollstoff des Ulsters zu verfangen. "Also, ich helfe dir hoch auf mein Bett und besorge dir etwas zu essen. Du erzählst mir, was es mit diesem Experiment auf sich hat." Schlug er vor, lächelte aufmunternd in die bleiche Miene. Mehr als ein schwächliches Nicken war nicht von Samuel zu ernten. Parsley verübelte das nicht, sondern beförderte seine schwankende Last umsichtig auf das Bettsofa. "Bleib einfach ruhig liegen, ich bin gleich wieder da!" Er verließ rasch sein Zimmer. æ~~~ Samuel starrte an die Zimmerdecke, wo sich bunte Papierfetzen übereinander wölbten. »Was für eine blamable Einführung!« Gleichzeitig ein überwältigender Erfolg, an den er insgeheim nicht einmal selbst geglaubt hatte!! Seine klammen Finger bargen verkrampft die Taschenuhr, suchten Rückhalt in dem stabilen Gehäuse. »Ich hätte wirklich etwas zu mir nehmen sollen!« Tadelte er sich selbst, notierte im Geist, die nächste Expedition ins Unbekannte in dieser Hinsicht entsprechend zu gestalten. »Dieser Knabe mit dem seltsamen Namen...« Samuel runzelte die Stirn. Konnte man ihm vertrauen? Er sprach mit einem kaum verständlichen Dialekt. Und dann diese Bekleidung!! Eine Art Unterhemd in schriller Farbe, hauteng sitzende Stoffhosen, ausgefranst und aufgerissen! Selbst ein Bettler besaß einen ausgeprägteren Sinn für Schicklichkeit! »Ich sollte meine Beobachtungen festhalten...« Seine Augenlider senkten sich bleischwer. æ~~~ Parsley tänzelte in der Gemeinschaftsküche vor dem Wandschrank auf und ab, summte vergnügt vor sich hin. Vor ihm schwammen mehrere Teebeutel in einer verschrammten Kanne, während er selbstzufrieden Butterbrote bestrich, und, natürlich!, mit Petersilie und Schnittlauch dekorierte. Dieser Sammy war absolut schnuffig! Wenn seine blauen Augen so hilflos in die Gegend schauten...! Parsley seufzte träumerisch. Ganz gleich, was sich hinter diesem unerwarteten Geschehen verbergen mochte, er war entschlossen, seinen Gast nicht ohne Weiteres ziehen zu lassen. æ~~~ Das Plastiktablett in Erdbeerform geschickt auf einer Handfläche balancierend betrat Parsley sein eigenes Zimmer. Samuel lag ausgestreckt, zwar ohne Hut, doch immer noch im Mantel, auf seinem Bettsofa und atmete gleichmäßig. Parsley grinste hingerissen, als er bemerkte, dass jeder leichte Atemzug lange Wimpern zum Flattern brachte. Er setzte das Tablett auf einem Bücherstapel neben dem Bettpfosten ab, sammelte den Zylinder auf und positionierte ihn auf der abgewetzten Spitze eines nurmehr noch einarmigen Kleiderständers. Dann kniete er sich neben das Bettsofa und musterte die schlummernde Gestalt. Vorsichtig schlug er den dicken Stoff des Ulster auseinander, knöpfte den Anzug samt Weste auf, wobei seine Finger bewundernd mit den Perlmutt-Knöpfchen spielten. Ein steif gebügeltes, extra gestärktes Hemd vibrierte sanft unter jedem Atemzug. Eine kunstvoll verschlungene Seidenkrawatte in Bleu-chinois hielt die harten Kragenspitzen zusammen. Behutsam zupfte er den Knoten auf, fand die winzigen Hemdverschlüsse und löste auch sie. Samuel brummte Unverständliches, erwachte aber nicht. Allein seine düstere Miene kündete von unangenehmen Traumgespinsten. Parsley entführte den Seidenschal, ließ den hauchzarten und changierenden Stoff zwischen den Fingern hindurch gleiten, betrachtete die kunstfertig eingestickten, ineinander verschlungenen Initialen. Samuel Bernard Frederic Maypole. Plötzlich funkte in seinem Langzeitgedächtnis eine versprengte Information. Seine Augen glitten wachsam über den Schlafenden, dann erhob sich Parsley geschmeidig, schob gedankenversunken den Seidenschal in seine hintere Hosentasche und huschte lautlos aus seinem Zimmer. æ~~~ "Parsley!" Der Angesprochene zuckte überrascht zusammen, konnte nur mühsam den Sturz von der zierlichen Leiter vermeiden. "Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht aus deiner Lektüre herausreißen!" Pater Kingston preschte heran, um mit sicherem Griff die trudelnde Aufstiegshilfe zu stabilisieren. Parsley stieß zischend eingehaltene Luft aus. Er war bereits ein Mal von der Leiter gestürzt. Das hatte ihm einen schmerzhaften Armbruch beschert. Die Narben zierten noch immer seinen rechten Unterarm. "Verzeihung." Der Pater schmunzelte und zwinkerte Parsley aufmunternd zu, der, um die eigene, verständliche Schreckhaftigkeit zu kaschieren, die spiegelglatte Glatze des Heimvorstehers tätschelte. Mit der sehnigen, fast wieselartig geschäftigen Gestalt und dem Air eines Telly Savalas des Paters überfiel Parsley die Wirklichkeit wieder schlagartig. "Parsley, mir sind in der letzten Zeit verschiedentlich Lücken in unserem Bestand aufgefallen. Deine Lesefreude in Ehren, aber es wäre eine große Hilfe, wenn du die Bücher wieder ihrem angestammten Platz zuführen könntest." Pater Kingston tippte zwinkernd an seine Hakennase. Parsley nickte ungeduldig, um dann mit erhobenen Händen und funkelnden Augen sein vordringlichstes Anliegen zu formulieren. "Vater, sagen Sie, wir hatten doch mal ein dünnes Band über die Entstehung des Heims und seine Geschichte, oder?! Zum hundertjährigen Jubiläum??" Pater Kingston runzelte die Stirn angestrengt, dann hellte sich unter der angespannten Miene seines Gegenüber sein Gesicht auf. "Es muss dort oben sein!" Deutete er das oberste Regal aus, eine Region, die selten von Lesern heimgesucht wurde. Parsley zerrte die Leiter hinter sich her, um diese mit affenartiger Geschwindigkeit zu entern, die schmalen Bändchen mit den ledernen Einbänden erforschend, bis er ein winziges fand. "Ich habe es!!" Triumphierte er enthusiastisch und verursachte beinahe den nächsten Fall, aber der Pater hatte die Entwicklung vorausgesehen und sich unter seinem eifrigen Schützling positioniert. Mit einem eilig gemurmelten Dank wischte Parsley heraus und ließ einen verwunderten Pater zurück. æ~~~ Samuel blinzelte, schlug die Augen auf, in Erwartung eines dunklen Betthimmels mit vergilbenden, schweren Vorhängen, von gewundenen Kordeln mit Troddeln nur unzureichend zurückgerafft. Stattdessen fand er bunte Papierfetzen, eine Dachschräge.... Ruckartig schoss er in die Höhe und schreckte eine Person auf, die neben ihm auf dem Boden saß und augenscheinlich in einem schmalen Buch schmökerte. Ihre bleichen Gesichter bannten einander für Augenblicke, dann zwinkerten sich die dunkelgrünen Augen frei, und Parsley lächelte schief. "Na, bist du wach?" Samuel wandte den Kopf wild, nahm erneut die ungewöhnliche Umgebung in sich auf, bevor er realisierte, dass er tatsächlich das Wagnis überstanden, die ungeheuerliche Aufgabe gemeistert hatte. Eine Zeitreise! Heftiger Schmerz in seinen Schläfen jagte die Begeisterung jäh in Vergessenheit. Seine Hände schlugen vor das Gesicht, ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. "Sammy?? Alles okay??" Jemand, dieser Junge...Parsley??, schlang die Arme um ihn, flüsterte besorgt auf ihn ein. Jedoch schien es nicht möglich, den fremdartigen Dialekt in Hochsprache aufzulösen, zu dechiffrieren. "Hey, hey, was ist los?" Samuel fand sich an eine warme Brust geborgen und sanft gewiegt, während eine Hand in kräftigen Schwüngen über seinen Rücken wanderte. Langsam verabschiedete sich das enervierende Pochen, hinterließ ein dumpfes Schlagen als Mahnung. Samuel straffte sich und setzte sich steif aufrecht. "Ich bitte um Verzeihung... so ein beschämendes Verhalten... es ist mir unbeschreiblich unangenehm..." Hastig raffte Samuel das offene Hemd mit einer Hand zusammen, wischte schwarze Wogen aus seiner Stirn. Parsley, den Kopf leicht gekippt, bedauerte diese Gesten, wirkte doch der aufgelöste Samuel mehr als anziehend auf ihn, jünger, lebendiger. "Schon okay." Versicherte er und fing eine schmale Hand an den Manschetten ab, die die Haarpracht zu zähmen suchte. Er blickte betont lange und tief in die strahlend blauen Augen, lächelte dabei hingerissen. Samuel zwinkerte verstört, unterließ aber weitere Unternehmungen hinsichtlich seiner optischen Erscheinung. "Du hast sicher Hunger." Parsley gab Samuels Handgelenk frei, drehte sich auf der Bettkante nach dem Bücherstapel um, der als Beistelltisch fungierte. Er hob balancierend das Tablett an, stellte es zwischen sie auf die Tagesdecke. "Kannst du es mal gerade halten, ja?" Geschäftig sammelte er sodann Kissen ein, schleuderte diese an die Wand, um eine Art weiche Palisade vor derselben zu errichten. "Fertig!" Grinste Parsley, sackte bequem rücklings gegen die Kissen und hielt fordernd die Hände ausgestreckt. Samuel blinzelte verwirrt, begriff dann aber und reichte das Tablett weiter, um sich zögerlich und verlegen neben Parsley gegen die Kissenwand zu lehnen. "Na los, greif zu! Ich hab Zucker in den Tee geschmissen. Du siehst aus, als könntest du was Süßes vertragen!" Parsleys Zwinkern war mehr als anzüglich. Samuels hilflose Miene verriet ihm jedoch, dass er möglicherweise unbekanntes Terrain sondierte. Diese Aussicht verhalf Parsleys Herzschlag zu einem jauchzenden Hopser, um dann freudig erregt eine schnellere Taktung zu forcieren. Samuel bedankte sich ausgesucht höflich, nippte vorsichtig an dem zerschrammten Becher, keineswegs die Art von Teegeschirr, das man ihm zu servieren pflegte, beobachtete Parsley aus den Augenwinkeln. Der nahm seinerseits einen herzhaften Schluck, las dann eine Schnitte auf und biss ungeniert hinein, kaute vergnügt. Samuel wählte eine Schnitte, beäugte verwirrt die rötliche Färbung des Aufstrichs, die Dekoration, roch das würzige Aroma. Erneut unterband sein ungehorsamer Magen jeglichen Anschein von Dezenz und Anstand, knurrte hungrig. Parsley nickte ihm mit vollen Backen auffordernd zu. Samuel biss in Todesverachtung in das Gemisch und verkostete. Über seine Miene huschte Verwirrung, Erstaunen und vorsichtige Freude, was Parsley zum Anlass nahm, mit stolzer Pose seine Kreationen zu erläutern. "Also, das hier ist alles selbst gemixter Aufstrich! Einmal Quark mit Schnittlauch und Petersilie, das da ist Curry mit Kichererbsenpüree, Tomatenketchup mit gemahlenen Chips und Röstzwiebeln, hier Maracuja mit Honig und Apfelsplittern. Und natürlich Schokolade mit zerstoßenen Haselnüssen." Samuels Augen traten förmlich aus seinem Kopf, als er die einzelnen Beläge betrachtete. "Curry.... aus der Kolonie? Und Schokolade... auf dem Brot?!" Verwirrung und Neugier lieferten sich in seinem Gesicht einen reizvollen Wettkampf. Parsley grinste, hielt provozierend seine angebissene Schnitte an Samuels Mund. "Versuch's mal, schmeckt klasse!" Lockte er und zwinkerte aufmunternd. Zögerlich, fast verstohlen, beugte sich Samuel herüber und senkte die Zähne tief in die Brotscheibe, wich dann wie ertappt zurück und kaute hinter vorgehaltener Hand. "Na?? Ist gut, oder?!" Parsley grinste breit und stupste ihn mit einem Ellenbogen sanft in die Seite. Samuel nickte eilig, nahm einen Schluck Tee, um seine Verlegenheit zu verbergen. "Sag mal..." Parsley hielt nichts von der Regel, während des Essens die Konversation auf das Minimum zu beschränken. "Ich bin wirklich neugierig, was es mit diesem Experiment von dir auf sich hat. Erzähl doch mal!" Samuel, der vergebens nach einer Serviette Ausschau hielt, sondern mit gelindem Entsetzen feststellte, dass sich Parsley ungezwungen mit dem Handrücken über den Mund wischte und ihn dabei tiefgründig anvisierte, hielt sich an seinem Becher fest. »Was für eine unbeschreibliche Situation!! Derangiert, unschicklich entblößt und in der Manier von Wilden speisend! Dennoch...« Ein nicht zu unterdrückendes Lächeln huschte über seine Miene. Zugegebenermaßen, es bereitete ihm erquickliches Vergnügen. »Oh ja, in der Tat.« Samuel sah auf und lächelte Parsley freundlich an. Dann zog er die Taschenuhr aus der Weste, öffnete den Deckel. Parsley rutschte hautnah an ihn heran. Seine rostrot-blond gesträhnte Mähne streifte Samuels schwarze Wellen. "Es hat den Anschein, eine gewöhnliche Taschenuhr vor sich zu haben, nicht wahr?" Parsleys Finger strichen über das schwere Glas, streiften dabei Samuels gepflegte Fingerkuppen flüchtig. "Dennoch trügt der Schein, wie man sagt. Diese Anzeigen hier, Datum und Uhrzeit, sie halten nicht den tatsächlichen Stand fest, sondern verkörpern die Parameter der Destination." Parsley nickte, gleichzeitig rutschte ihm ein hilfloses "ich versteh kein Wort" heraus. Samuel tippte behutsam auf die Einstellungen. "Sieh mal." Fiel auch er nun in vertraulichen Gesprächston. "Diese Zeit hier kann doch nicht stimmen, oder? Und der Zeiger hier, fällt dir nichts auf?" Parsley musterte die Uhr konzentriert. Er klatschte sich vehement mit der flachen Hand auf die Stirn. "Aber logo!! Der Zeiger läuft rückwärts!" Lob heischend suchte er den Blick der strahlend blauen Augen und erntete ein erfreutes Lächeln. "Richtig. Dies ist, um es laienhaft auszudrücken, ein Mechanismus, der durch Justierung der Zeitparameter eine Wandelung ihres Trägers in den Epochen ermöglicht." Parsley, der kaum ein Wort verstanden, aber das Wesentliche selbst erkannt hatte, platzte heraus. "Eine Zeitmaschine!!" Samuel lehnte sich ein wenig zurück und runzelte nachdenklich die Stirn. "So könnte man es auch formulieren, das ist korrekt." Parsley hockte sich direkt vor ihn und ergriff seine Handgelenke aufgekratzt, schüttelte diese. "Aber wie funktioniert sie?! Aus welcher Zeit genau kommst du?! Und wieso hierher? Wieso zu mir?" Samuel, von den prasselnden Fragen eingeschüchtert, zog ängstlich die Schultern hoch und presste sich tiefer in die Kissenpalisade. Parsley, der wohl bemerkte, dass er seinem Temperament zu ungezügelten Lauf gelassen hatte, sank auf die Fersen zurück, hielt statt der Handgelenke nun behutsam und betont locker Samuels Fingerspitzen in seinen. "Tut mir leid, ich bin ein bisschen aufgeregt. So was Tolles ist mir noch nie passiert." Bekannte er mit einem werbenden Lächeln. Samuels Reaktion bestand in einem verlegenen Reflexgrinsen. Seine Wangen blühten zart aufgrund der körperlichen Intimität, die ihm vollkommen fremd war. "Ich muss gestehen, dass-dass der Mechanismus, obwohl er offenkundig mit jedem Uhrwerk gleichzusetzen ist, ein... blasphemisches Geheimnis birgt." Flüsterte Samuel verlegen. "Du-du wirst mich doch nicht verachten? Ich betrachte mich als Wissenschaftler und in dieser Verantwortung sah ich es als meine Pflicht an..." Samuel verhaspelte sich und schwieg verloren. Parsley, der nicht minder verwirrt von diesen hastigen Ausbrüchen war, strich ihm sanft über die Wange. "Okay, nur noch mal für die Leute, die Naturwissenschaften nie peilen: das Ding hier hat ein normales Uhrwerk, aber man kann damit durch die Zeit reisen, richtig? Und was genau stimmt damit nicht?" Samuel zog seine Hände zurück. Seine Augen klebten förmlich auf den sich nervös verschränkenden Fingern. Die schamhafte Röte der Verlegenheit färbte seine Wangen tief. "Das-das ist eine sehr unangenehme... wie soll ich sagen?! Dieser Bestandteil der Mechanik..." Samuel spannte sich, wagte einen Blick in die dunkelgrünen Augen. "Es verhält sich folgendermaßen: mein Großvater lernte das Handwerk der Anfertigung von Präzisionsuhrwerken. Er hinterließ mir seine gesamten Notizen und Unterlagen. Mein Vater selbst bestimmte für mich die ehrenwerte Laufbahn des Notars. Aber in meiner knapp bemessenen Freizeit studierte ich die alten Aufzeichnungen, in der Hoffnung, das letzte Meisterstück meines Großvaters vollenden zu können." Samuel balancierte die schwere Uhr auf dem Handteller. "Äußerlich eine ungewöhnliche, mechanische Uhr. In ihrem Inneren befindet sich eine Aufzugfeder mit, nun, dubioser Vergangenheit." Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern herab. Parsley beugte sich unwillkürlich vor, um keines der gewisperten Worte seiner Aufmerksamkeit entschlüpfen zu lassen. "Mein Großvater notierte, das Metall, ein Goldblättchen, aus dem die Feder geformt wurde, sei aus einer Reliquie entfernt worden, danach durch viele Hände gegangen. Es werde sogar bei den Aufzeichnungen der Inquisition in Spanien erwähnt! Durch Umwege sei es nach Italien gelangt, wo es ihm ein Händler für ein Vermögen angeboten habe." Parsleys Kinnlade sackte bewundernd hinab. "Und dann?" Hakte er in atemloser Spannung heiser nach. "Mein Großvater besprengte es mit Weihrauch und las eine komplette Messe darüber, natürlich heimlich. Dann fügte er die Feder in das Uhrwerk ein." Parsley entfuhr ein heiserer Pfiff der Anerkennung. "Aber-aber warum hat er es nicht selbst ausprobiert?" Seine Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen. Samuel seufzte leise, wandte den Kopf ab. "Er hätte es mit Sicherheit getan, aber er wurde vorher von einem Blitz erschlagen, als er bei einem Unwetter das Dach abzudichten suchte, um seine wertvollen Erfindungen und Werkzeuge zu schützen." Samuel sah Parsley ernst an. "Das war genau hier, in dieser Dachkammer." Ein eisiger Schauer floh Parsleys Rücken hinab, als sei ein sprichwörtlicher Geist über sein Grab gelaufen. "Verdammt unheimlich!" Bekannte er und rieb sich über die bloßen Unterarme. Samuel strich sich gedankenverloren durch die Haare, verwirrte sie dabei aber, was Parsley trotz seines Unbehagens mit einem hingebungsvollen Lächeln bemerkte. Offenkundig begann sein ungewöhnlicher und hinreißender Gast langsam, aber sicher, sein steifes Gebaren abzulegen und sich wie zu Hause zu fühlen. "Ich habe mir ein kleines Refugium eingerichtet in der Dachkammer meines Großvaters, um dort ungestört meine Forschungen zu verfolgen. Just heute bot sich die günstigste Gelegenheit, das Wagnis zu beschreiten." Parsley wog die Taschenuhr in den Händen, hielt den Blick auf das Zifferblatt gesenkt. "Wann genau... ist heute?" Fragte er heiser. "Der 18. März im Jahr 1889." æ~~~ Nach einem atemlosen Augenblick bedeutungsschweren Schweigens ließ sich Parsley mit ausgebreiteten Armen rückwärts auf die Tagesdecke sinken. "Irre... Wahnsinn... total krass... hammerhart..." Er klappte deutlich hörbar den Mund zu, um nicht weitere Belanglosigkeiten in die Freiheit zu entlassen. In seinem Kopf rotierte die eingespielte Gedankenmaschine auf Hochtouren. Samuel, der ein wenig verschreckt der Reaktion gefolgt war und nun mit Besorgnis Parsleys ungewöhnliche Stille beobachtete, beugte sich schließlich vorsichtig über dessen Kopf. "Ist... bist du wohlauf?" Die strahlend blauen Augen musterten Parsley verunsichert. "Ich bin okay." Beruhigte Parsley langsam. Er rollte sich flink auf die Seite, um mit einem Satz auf die Beine zu kommen und sich gewandt nach Samuel umzudrehen. "Hey, hast du Lust, Edinburgh im Jahr 2001 kennenzulernen?" Ohne eine Gegenrede abzuwarten zog er Samuel schwungvoll an den Händen hoch und strahlte ihn enthusiastisch an, um dann wieder innezuhalten, mitten in seinem Elan gebremst, düstere Wolken in den dunkelgrünen Augen. "Warte mal einen Augenblick! Wie lange-wie lange bleibst du eigentlich?" Samuel, noch immer fest in Parsleys besitzergreifender Obhut, blinzelte. "Ich vermute,wenn die Annahmen meines Großvaters zutreffend sind, nun ja, dann vermutlich entsprechend der Spanne der Gangreserve." Parsley brachte die Frage heiser auf den Punkt. "Wie lange...?!" Unwillkürlich senkte sich ihr beider Blick auf die schwere Taschenuhr, die an der Kette in Höhe ihrer Knie baumelte. Parsley gab eine von Samuels Händen frei und fing den sanft schwingenden Zeitmesser ein. "Es war drei Uhr nachmittags eingestellt." Soufflierte Samuel hilfsbereit. Parsley betrachtete die winzige Markierung eines unscheinbar dünnen Zeigers, der sich nicht von den zurückdrehenden Zeigern beeinflussen ließ. Er stand auf drei Uhr. "Zwölf Stunden?" Samuel nickte stumm, ein wenig melancholisch. Die Kirchturmuhr hatte bereits sechs Uhr geschlagen. Es blieb ihnen nicht mehr allzu viel Zeit. Parsley schnippte energisch mit den Fingern vor Samuels Nase. "Dann sollten wir uns mal ran halten, damit du die Stadt noch bei Tageslicht siehst!" æ~~~ "Schnell jetzt!" Parsley zerrte Samuel eilig hinter sich die enge Stiege hinab und entkam mit jenem ungesehen auf die Straße, wo er sich abrupt gebremst fand. Samuels Finger hatten sich tief in den Ärmel seiner Bomberjacke gegraben, während er stocksteif auf dem Trottoir verharrte, die Augen angstvoll geweitet auf den sich langsam verdunkelnden Himmel gerichtet. Parsley folgte seinem Blick, erkannte aber nichts Ungewöhnliches. Bis ihm aufging, dass Samuel sicherlich noch nie ein Flugzeug am Himmel gesehen haben mochte. Er legte behutsam einen Arm um Samuels Taille und zog ihn weiter, bevor ihr Gebaren die Aufmerksamkeit der spärlich Flanierenden auf sich zog. "Komm, Sammy, kein Grund, sich zu fürchten, das ist ein Flugzeug. Eine Flugmaschine." Ergänzte er ein wenig unbeholfen. Samuels blanker Blick ruhte in seinen dunkelgrünen Augen. "Da-da sitzen Menschen drin?! Dort oben?!" Er flüsterte kaum vernehmbar vor Unglauben und Ehrfurcht. Parsley musste gegen seinen Willen grinsen. "Klar. Wir fliegen sogar in den Weltraum hinaus. Bis auf den Mond." Samuel schnappte bleich nach Luft und schüttelte den Kopf. "Aber-aber das ist nicht möglich! Der Druck... aus welchem Material fertigt man diese... Maschinen?!" Parsley grübelte. "Stahl, glaube ich, und noch anderem Metall... und so." Er zuckte mit den Schultern. Dann griff er kurzerhand Samuels Ärmel und zog diesen hinter sich her. "Schauen wir uns ein wenig die Stadt an, 'kay? Mach einfach, was ich auch tue." Samuel nickte gehorsam, hielt sich aber dicht an Parsleys Seite. Es hatte diesen einige Überredungskunst gekostet, seinen Gast aus der Vergangenheit zu bewegen, Zylinder, Jackett und Weste in seinem Zimmer zu lassen, sich lediglich barhäuptig in Ulster, Hosen und Hemd auf die Straße zu wagen. Das Vorwärtskommen stellte sich als unerwartet einfach heraus. Samuel zuckte zwar vor jedem Geräusch erschrocken zusammen, ob Blindensignal an der Ampel, Autos, Hupen, Mobiltelefonklingeln oder Radio, aber er stockte nicht in seinem Schritt. Parsley bemerkte erleichtert, dass sich Samuels hochgezogene Schultern entspannten, seine Miene gelöster wurde, im gleichen Maß, wie der Wind die Reste der sorgfältig gelegten, schwarzen Wogen verwirbelte und rosige Tönung auf die Wangen blies. Die blauen Augen schienen überzuquellen von all den Neuerungen der Zukunft. Die hastigen Fragen, die er Parsley zuwisperte, kündeten von seiner raschen Auffassungsgabe. Dass Pferdekutschen nun durch so genannte Automobile ersetzt worden waren. Dass man durch die Luft mit dem anderen Ende der Welt sprechen konnte, nicht einmal Kabel notwendig wurden. Dass es bewegte Bilder in Kästen gab, die Geschichten erzählten. Dass man sich auf der Straße nicht mehr grüßte. Parsley fragte sich, was Samuel wohl bekannt vorkommen mochte. Das erinnerte ihn daran, dass jener geradezu unglaublich blauäugig (im wahrsten Sinne des Wortes) auf seine Expedition durch die Zeit gegangen war, indem er einfach in der eigenen Dachkammer gestartet war. Immerhin hätte das Haus ja in der Zwischenzeit zerstört worden sein können, die Erde einem Atomkrieg zum Opfer gefallen sein! Während Samuel von den neuen Eindrücken berauscht immer lebhafter neben ihm spazierte, versank Parsley in bedrückende Nachdenklichkeit. Wenn er sich nicht irrte, glaubte man damals an eine herrliche, alles verbessernde Zukunft, ein Zeitalter der Wissenschaft und Erleuchtung, der Völkerverständigung und des Austausches. »Nun, zumindest in der Alten Welt!« Ergänzte er zynisch. Eine Gesellschaft, trotz aller viktorianischen Zwänge, in Aufbruchstimmung und Erwartung. Was würde Samuel wohl sagen, wenn er erführe, dass es zwei Weltkriege mit Milliarden Toten gegeben hatte, die Welt noch immer am Rande des Untergangs taumelte?! Wenn die Menschen, obwohl sie den Mond betreten hatten, noch immer bereit waren, wegen fadenscheiniger religiöser, ethischer oder wirtschaftlicher Interessen ihrem Nachbarn den Schädel einzuschlagen? Dass der humanistische Gedanke nur eine Utopie war? Durfte er überhaupt Samuel all diese Dinge zeigen?! Wenn dieser doch mit dem Ablauf der Gangreserve der Zauberfeder in seine Zeit zurückkehrte und mit seinem Wissen die Geschichte ändern konnte?! Parsley führte unwillkürlich einen Daumen an den Mund und knabberte daran, achtete nicht mehr auf den Weg, ließ sich von dem begeisterten Samuel weiter ziehen, den Blick auf das Pflaster gesenkt. Hatte er nicht unzählige Filme gesehen mit Zeitreisenden, die durch eine winzige Handlung oder Erkenntnis den Verlauf der Geschichte änderten? Reichte es schon aus, dass Samuel nun wusste, dass es möglich war, Menschen auf den Mond zu schicken?! Wenn nun wirklich jedes Ereignis auf der Welt untrennbar mit allen anderen verbunden war?! Panik wallte in Parsley auf, als ihm mögliche Konsequenzen schier den Atem raubten und vor seinen blinden Augen mit Entsetzen Spiel trieben. Erst, als er über eine hochstehende Platte stolperte, kehrte er in die Realität zurück, um zu bemerken, dass Samuel nicht mehr an seiner Seite war. æ~~~ Samuels Kopf schmerzte vor Anstrengung, wollte er doch keinen Augenblick missen in dieser neuen Welt, alles in sein Gedächtnis bannen, um es hernach aufzuzeichnen. »Was für eine Zukunft!!« Er wagte nicht mehr, Parsley mit Fragen zu bestürmen, hatte doch sein Begleiter einen so abwesenden Ausdruck in den dunkelgrünen Augen gehabt, dass er nicht die Intimität seiner Gedanken stören wollte. Auf der anderen Straßenseite erweckte ein Schaufenster seine Aufmerksamkeit. Bunt blinkende Lichter tanzten um große Kästen herum, in denen Bilder huschten. »Fernsehen.« Die Magie der bewegten Bilder. Allein die Vorstellung ließ Samuel schwindeln. Auf den flachen Schirmen erschienen synchron die Großaufnahmen dreier sehr leicht bekleideter, junger Frauen. Musik schwebte durch die Kakophonie des Verkehrs. Samuel hatte mit Bestürzung festgestellt, dass die weibliche Bevölkerung ebenso wie die männliche sämtliche formelle Schicklichkeit und Dezenz verloren zu haben schien. Ein sittenloses Bild, an die biblischen Schilderungen von Sodom und Gomorrha erinnernd. »Bist du im Land der Römer, lebe wie die Römer.« Mahnte er sich stumm. Aber diese Zauberkästen... Samuel betrat den geweißten Zebrastreifen und visierte mit glänzenden Augen das Schaufenster an. æ~~~ "Sammy!!" Parsley sah Samuel direkt vor sich, zum Greifen nahe und doch zu weit entfernt, den heranrasenden Pkw, der seinen Heimvorteil ausspielen wollte, viel zu schnell fuhr. Ohne Nachzudenken federte Parsley vom Pflaster und warf sich der Länge nach mit aller Kraft und Verzweiflung auf die zerbrechliche Gestalt im Ulster. æ~~~ Samuel wurde abrupt von den Füßen geholt, ein schwerer Schlag in seinen Rücken. Die Welt wirbelte vor seinen Augen, etwas hielt ihn umschlungen, während ohrenbetäubende Geräusche seine Sinne schockgefroren. æ~~~ Parsley umklammerte Samuel, den Kopf eingezogen, in der wahnwitzigen Hoffnung, sein Sprung und das Abrollen hätte sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone katapultiert. Als sich Reifenquietschen und Hupen verloren, der Gestank überhitzten Gummis seine Nase reizte, wagte er einen Blick hoch. Der Pkw stand auf dem Zebrastreifen quer, qualmte leicht, dahinter ein Linienbus, dessen Fahrer sich daran machte, eine Schimpfkanonade auf den Autofahrer loszulassen. Der, ein stiernackiger Bulle von einem Mann, schraubte sich aus seinem Gefährt, mit einem zielsicheren, zornbebenden Blick Samuel und Parsley anvisierend. "Sam!" Parsley stupste Samuel in eine Seite. "Komm schon, wir müssen hier weg, der Typ sieht nach Ärger aus." Parsley schälte sich eilig von Samuel, zerrte diesen auf die Beine, drängte ihn in eine kleine Stichstraße neben dem Geschäft. "Ihr Scheiß-Gören, euch mach ich kalt!!" Fäuste wie Dampframmen rasten durch die Luft. "Fick dich doch selbst, du Arschloch!" Erwiderte Parsley die Herausforderung, verwob seine Finger mit Samuels und setzte zu einem Spurt an. Samuel folgte ihm mehr stolpernd als in vollem Lauf, hielt sich aber tapfer. Ihr Verfolger verlor sich schnell im Labyrinth der Hinterhäuser, Gassen und winzigen Vorgärten. Als Parsley sicher war, dass der Rachedürstende sie verfehlen würde, schob er Samuel dicht in einer Gasse an eine Hauswand und lehnte sich keuchend an ihn. "Alles... alles... okay... bei... dir..?!" Würgte er schließlich hervor, suchte in den blauen Augen nach Spuren von Schock oder Schmerzen. Samuel, ebenso außer Atem, nickte bloß schwächlich, durch den schweren Stoff seines Mantels stark erhitzt. Parsley lächelte leicht, während das Adrenalin sich ein anderes Ventil suchte, knöpfte den Ulster auf und schob beide Arme um Samuels Taille, presste diesen eng an die roh verputzte Hauswand. Samuels Augen weiteten sich verunsichert, aber Parsley verschloss sich vor jedem Zögern, in seinem Kopf tickte unaufhaltsam eine Uhr. Er lächelte selbstvergessen, als er die Augenlider senkte und Samuel auf den leicht geöffneten Mund küsste. æ~~~ Samuel zuckte verwirrt. Eine Flammenwelle raste förmlich durch seinen Leib, als sich die fremde Zunge zwischen seine Lippen schmuggelte. Ihm mangelte es an Worten, die Empfindungen zu beschreiben, die seinen Körper erschütterten, seine gesamte bisherige Erfahrungswelt überwarfen. Er spürte Parsleys Finger auf seinem Rücken hinab wandern, bis sie sich tief in seine Pobacken senkten, sich rhythmisch massierend in den Stoff und die Haut drückten, in der gleichen Bewegung, wie sich auch dessen Hüfte an seiner eigenen rieb. Samuel stöhnte verwirrt und schloss die Augen. »Bist du bei in Rom, handele wie ein Römer.« Wischte der Gedanke durch seinen Kopf. So senkte er kühn die eigenen Hände in die hinteren Hosentaschen von Parsleys Jeans und kopierte dessen Zärtlichkeiten wechselseitig. æ~~~ Eine Uhr in der Nähe schlug und Parsley zog sich widerstrebend von Samuel zurück. Waren sie tatsächlich über drei Stunden durch die Stadt gewandert?! Schon zehn Uhr?! Die Dunkelheit sprach dafür. Parsley sah tief in die strahlend blauen Augen, die nun einen merklich sanfteren Blick angenommen hatten, verträumt wirkten. "Wir sollten zurückgehen." Hauchte er bedauernd auf die rosigen Lippen, versüßte die traurige Kunde mit einem sanften Kuss. Samuel nickte leicht und lächelte Parsley verzaubert an. Der grinste verschmitzt, nahm Samuel an der Hand und schlug den Heimweg ein. æ~~~ "Diese Welt ist einfach unbeschreiblich! Phantastisch! Phänomenal!" Samuel strahlte wieder lebhaft und wanderte in Parsleys Dachkammer auf und ab. "Man führe sich das einmal vor Augen: dieses Haus hat die Jahrhunderte überdauert und nun kann ich mit eigenen Augen sehen, was für eine glorreiche Zukunft uns bevorsteht! Ich übertreffe mit diesem Erlebnis alle menschlichen Lebensspannen!" Samuels euphorischer Monolog wurde von sehr eindeutigen Geräuschen unterbrochen, die durch die dünne Wand aus dem Nachbarraum drangen. Parsley, der mit nachsichtigem und leicht bekümmertem Blick Samuels Paradieren gefolgt war, hämmerte automatisch an die Wand. "Hey, Marlow, stopft euch ne Socke ins Maul!! Da sind ja Schweine leiser!" Samuels verständnisloser Blick streifte ihn. "Darf ich fragen... was es zu bedeuten hat?!" Parsley musterte Samuel ungläubig, nicht sicher, ob der sich einen Scherz erlaubte oder im Ernst sprach. Endlich legte er den Kopf schief und klopfte langsam neben sich auf die Tagesdecke, eine auffordernde Geste, Platz zu nehmen. "Marlow, das ist mein verblödeter Zimmernachbar, besteigt gerade die dusslige Kyra, verstanden?" Samuels blanker Blick, durchaus aufmerksam, aber vollkommen unverständig, traf ihn arglos. Parsley seufzte leise. "Okay... hattest du schon mal eine Freundin? Oder einen Freund?" Samuel runzelte die Stirn. "Selbstverständlich pflege ich mit Personen meines Standes gesellschaftliche Kontakte. Auch wenn ich nicht so frei sein kann, einen unter diesen als wahren Freund bezeichnen zu können." Entgegnete er steif, ein wenig indigniert. Parsley schüttelte den Kopf. "Ich meine, eine Geliebte? Einen Geliebten?" Nun hatte er offensichtlich gewisse, möglicherweise tabuisierte Nerven getroffen, denn Samuel lief dunkelrot an, wandte rasch den Kopf ab. "Großer Gott..." Murmelte er entsetzt. "Ja... und die treiben es stundenlang in der Lautstärke. Kannst du dir vorstellen, wie abtörnend das ist?!" Setzte Parsley gnadenlos nach. Samuel erhob sich steif. "Wäre es möglich, dass ich mich frischmache?" Parsley nickte, stemmte sich ebenfalls in die Höhe. "Einfach den Gang hinunter, die Tür mit dem Pappherzchen drauf. Toilette mit Wasserspülung, einfach am Hebel ziehen." Samuel nickte und entfloh hastig über den spärlich ausgeleuchteten Flur, ungeachtet möglicher technischer Herausforderungen. Parsley sackte auf seinem Bettsofa zusammen und angelte das dünne Bändchen über die Chronik des Heims heraus. Er kannte die kümmerlichen Sätze auswendig und sie brachen ihm das Herz. æ~~~ "Eine wirklich famose Einrichtung, dieses Wasserklosett!" Samuel schlüpfte geschickt hinein, die Wangen vor Begeisterung wieder gerötet, gestikulierte ausschweifend. "All diese Möglichkeiten!! Man wird das gesamte Kanalisationsnetz revolutionieren!! Endlich hygienische Verhältnisse!" Parsley grinste, schob hastig das Buch unter ein Kissen und legte den Finger auf den Mund. Samuel verstummte ertappt. Hatte er seiner Faszination zu laut Luft gemacht?! "Wir haben noch drei Stunden." Bemerkte Parsley leise, melancholisch. Samuel wischte sich eine verwirrte, schwarze Strähne aus dem Gesicht, was ihn in Parsleys Augen einem schwärmerisch verehrten Heathcliff aus Wuthering Heights noch ähnlicher machte. Er winkte Samuel zu sich auf die Tagesdecke, knipste eine kleine Leuchte an, behängte diese mit Samuels Seidentuch, was die Kammer in warmes, blaues Schimmern hüllte. Aus einer überquellenden Pappschachtel angelte er geübt einen Discman, zusammen mit einem Doppelpaar Ohrstöpsel. "Magst du eigentlich Musik?" Erkundigte er sich beiläufig, während er die Kabel entwirrte. Samuels Blick folgte dem blinkenden, metallisch funkelnden Gehäuse neugierig. "Oh, gelegentlich Kammerkonzerte oder Streicher im Club. Mein Vater nahm mich zu seinen Lebzeiten dorthin mit. Allerdings bin ich nicht sehr bewandert auf dem Gebiet der Oper. Sie gilt als ein wenig unschicklich in unseren Kreisen." Erläuterte Samuel freimütig, zog die Beine an die Seite und lehnte sich tiefer zu Parsley hinüber, um das seltsame Objekt in eingehenden Augenschein zu nehmen. Parsley programmierte den Titelspeicher, nahm dann ein paar der winzigen Kopfhörer und befestigte sie behutsam in Samuels Ohrmuscheln, bevor er sich das andere Paar einsetzte. Samuels Augen wurden groß, als das Orchester den "Sommer" der "Vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi intonierte, die Geräusche aus der benachbarten Kammer tilgte. Parsley lächelte sonnig, als er Samuels beglückte Miene las. Dann wandte er sich vorsichtig herum und entzog einem versteckt gelagertem Karton einen Riegel Schokolade. Im Schein der maritimen Atmosphäre wickelte er das gestärkte Papier ab, schob dann ein Ende dem Verblüfften ohne Vorwarnung zwischen die Lippen. Um nicht die Kontrolle über die verlockende Beute zu verlieren, nagte sich Samuel weiter in die bitter-süße Riegelmasse hinein, lutschte überschüssig abtropfende Schokoladenflüssigkeit. Parsley lächelte spitzbübisch und nahm sich das andere Ende vor. Während in ihren Ohren der Sommer seine wahre Pracht entdeckte, noch nicht der flirrenden Hitze frönte, näherten sich ihre mit geschmolzener, brauner Masse bedeckten Lippen einander. Parsley räuberte das verbliebene Stückchen Keks, fand aber eine vorwitzige Zungenspitze beharrlich auf seinem Mund, sich an der Oberfläche schadlos haltend. Parsley kicherte unterdrückt, platzierte das Keksfragment als Präsent auf der Zungenspitze und küsste Samuel mit offenen Mund, ließ die Finger unruhig durch dessen schwarze Strähnen gleiten. Der "Sommer" explodierte vor Leben, Farbigkeit, Kraft, barst in einem wahren Hitzeschauer. Parsley nutzte Samuels Unerfahrenheit, um diesen in die Kissen unter sich zu drücken und ihm hingebungsvoll mit Zärtlichkeiten den Atem zu rauben. Schließlich fand sich weder Schokolade, noch Keks mehr, endete der "Sommer" in Stille. Parsley löste sich behutsam von Samuel, setzte sich auf, ließ diesen aber nicht aus den dunkelgrünen Augen. Er wusste genau, was er jetzt tun wollte, da die Zeit ihm unter den Händen verrann. Sollte er es wagen? Seinen Gast vielleicht verschrecken? »Ich könnte nicht ertragen, wenn sich diese blauen, vertrauensvollen Augen von mir vor Verachtung abwenden...« Parsley drehte sich weg, focht den inneren Kampf zwischen Verlangen und Vorsicht aus, den er viel zu oft zu bestreiten hatte. Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Dann zog Samuel ihn behutsam herum, wie eine zerbrechliche Kostbarkeit, die es mit Samthandschuhen zu behandeln galt. "Ich bin sehr froh, dass ich dich hier angetroffen habe. So viel glückliches Geschick habe ich in meinem bisherigen Leben nicht gekannt." Samuel lächelte aufmunternd. Im Nachbarzimmer brach unterdrücktes Ächzen und Grunzen in die zauberhafte Stille ein. Parsley verdrehte frustriert die Augen, schmetterte die Faust gegen die Wand. Dann warf er wieder einen Blick in Samuels Augen. Der lag nun entspannt neben ihm, das Hemd bis zum Bauchnabel geöffnet, die Wangen attraktiv gerötet. Vielleicht hatten sie noch knapp zwei Stunden... Parsley nahm sich ein Herz. Er zupfte Samuel die Hörer aus den Ohren, legte die eigenen ebenfalls ab, erhob sich dann, um sich von T-Shirt und Jeans zu befreien, die Socken folgten achtlos. Parsley kniete sich neben Samuel, der reglos seiner Entkleidung geharrt hatte, strich ihm das Hemd von der Brust über die Schultern und Arme, zog es unter dem hochgewölbten Rückgrat hervor, öffnete dann die seitlichen Bundverschlüsse der Hosen, streifte diese herab und sah sich mit dem ungewohnten Phänomen von Strumpfhaltern konfrontiert. Die halblangen, gewebten Hosen mit ihrer aparten Knopfleiste entlockten ihm ein amüsiertes Kichern. Dann schob er Samuel, der keinerlei Gegenwehr an den Tag, oder besser gesagt die Nacht gelegt hatte, unter die Bettdecke zwischen die Kissen. "Bestünde wohl die Möglichkeit...erneut die Musik...?!" Parsley zwinkerte verstehend, legte den "Sommer" auf Schleife und die unerbittliche Zeitmaschine neben sie, bevor er sich ganz auf Samuel konzentrierte. æ~~~ "Ausgesprochen bemerkenswert." Murmelte Samuel erschöpft. Seine Finger drehten noch immer die kleine Pastikhülle fasziniert. Parsley, der ihm wechselseitig gegenüber ebenfalls mit untergelegtem Arm döste, zupfte das zerrissene Tütchen weg und wirbelte es achtlos auf den Fußboden. Samuel lächelte müde, setzte sein Geplauder fort. "Und diese... also...ich kann gar nicht glauben, dass man diese herstellt." Seine Wangen glühten in einer Mischung aus Begeisterung und Scham. "Kondome." Ergänzte Parsley, ließ eine Hand über Samuels Taille wandern. "Sind wirklich praktisch, hinterlassen auch nicht so viel Spuren." Kommentierte er ein wenig boshaft. "Wenn man diese... Kondome... produzieren könnte, wäre man ein gemachter Mann!" Schwärmte Samuel. "Allein der Vertrieb in jedem Herrenclub..." "NEIN!" Fauchte Parsley, warf sich über Samuel und drückte diesen fest in die Matratze, fing die schreckhaft zum Schutz hochgerissenen Arme ab und fixierte sie neben Samuels Kopf. "Du darfst niemandem von diesen Dingen erzählen!! Keiner Menschenseele, Sammy!" Beschwor ihn Parsley eindringlich. Samuels Stirn legte sich in Falten der Verwirrung und des Unmuts, doch zu einem Widerspruch kam er nicht, denn Parsley küsste ihn erstickend, auf die gleiche, verlangende Art und Weise, in der sie die letzten Minuten verbracht hatten. "Versprich's mir!! Zu keinem ein Wort!!" Verlangte er mit glühendem Blick. Samuels Augen trotzten beharrlich, ungeachtet der fiebrigen Verführung, die ihm zur Strafe drohte. Doch Parsley setzte nicht etwa zum nächsten Sturmlauf auf Samuels Lippen an, sondern gab dessen Handgelenke frei, umarmte ihn eng. "Verstehst du denn nicht?!" Wisperte er Samuels Ohr. "Du kannst die Zukunft vollkommen verändern! Alles, was du nun weißt oder tust, hat unglaubliche Folgen auf die Zeit danach. Bitte, Sammy!" Parsley regnete Küsse auf Hals und Wangen, liebkoste eindringlich den jungen Mann unter sich, bis dieser endlich auch die Arme um ihn schloss. "Ich werde kein Wort verlieren, Parsley. Ich schwöre es dir." Parsley ließ sofort locker, nickte Samuel zu, streichelte zärtlich Strähnen aus den blauen Augen. "Danke, Sammy. Vielen Dank." Flüsterte er und kämpfte gegen Tränen an. Samuel lächelte versöhnlich und haschte nach seiner Taschenuhr. "Fünf Minuten. Ich sollte mich ankleiden." æ~~~ Samuel richtete den Ulster unter Parsleys trostlosen Blicken, der nur in Jeans auf dem Bettsofa kauerte. Dann schoss er hoch, zog aus einer Schachtel ein Springmesser, ließ die Klinge tanzen und überreichte Samuel stumm eine rot-blonde Locke. "Damit du dich mal an mich erinnerst." Samuel strich sanft über die Strähne, lächelte Parsley intensiv an. "Denkst du wirklich, ich könnte dich auch nur einen Augenblick vergessen?" Parsley zuckte mit den Schultern, wandte den Kopf ab, griff an Samuel vorbei, um das Seidentuch von der Nachtleuchte zu ziehen. Doch der umfasste sein Handgelenk und hinderte ihn. "Es soll dich an mich erinnern!" Er hauchte einen Kuss auf Parsleys Wange. Seine freie Hand umfing die schwere Taschenuhr. Parsley zitterte unter einem inneren Kampf. Tränen wallten in seinen Augen. Er konnte Samuel nicht ansehen. "Es wird Zeit." Flüsterte der mit belegter Stimme. Parsley gab einen tierischen Schmerzlaut von sich, fiel Samuel um den Hals und küsste ihn erstickend, während Tränen über seine Wangen glitten. »Geh nicht!« Flehte die Endlosschleife in seinem Kopf, aber seine zugeschnürte Kehle brachte keinen Ton hervor. Samuel löste behutsam, aber unbarmherzig Parsleys Klammergriff. "Ich muss gehen." Hauchte er, die blauen Augen ebenso beschlagen, das tapfere Lächeln verflogen. Parsley presste eine Hand vor den Mund, um nicht laut zu schluchzen, er wollte nicht verlassen werden. Plötzlich erschien ihm alles unwichtig, zweitrangig, all die guten Vorsätze, wichtigen Diskurse, die er stumm in den letzten Stunden mit sich geführt hatte. "Sammy, du musst unbedingt..." Ein Knall ließ die Wände erbeben. Parsleys Blick fiel ins Leere, während seine heiseren Worte verklangen. "...zu einem Arzt gehen..." æ~~~ "Parsley, mein Junge, du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter!" Pater Kingston klopfte ihm auf den Rücken. Parsley schreckte auf, zuckte dann lustlos mit den Schultern, schob die Frühstücksflocken unangetastet von sich. "Liebeskummer, jede Wette!" Trompetete jemand an unteren Ende des Tisches. "Wusstest du eigentlich, dass dein Ex mittlerweile ne Schnecke aus Cornwall geheiratet hat?" Marlow warf Parsley einen genugtuerischen Blick zu. Der stemmte sich abrupt hoch und verließ Augenblicke später das Haus. æ~~~ Eine Woche. Eine Woche, und der Schmerz ließ nicht nach. Das war kein Liebeskummer. Er kannte Liebeskummer schließlich. Das hier war Verzweiflung, Sehnsucht und Schuldgefühl. Parsley schlich mit gesenktem Kopf in die Bibliothek, stellte die entliehenen Bücher in die Regale. Zum Lesen fehlte ihm jeder Antrieb. Er wollte sich wie die anderen Tage zuvor in seinem Zimmer verkriechen und alles vergessen. "Parsley! Gut, dass ich dich treffe!" Pater Kingston strahlte Freude und Gelassenheit aus. "Ich habe soeben die Zusage bekommen, dass du nach deinem Schulabschluss eine Ausbildungsstelle bei einem Installateur erhalten hast! Was sagst du?!" Parsley nickte schwermütig. "Danke, Vater. Ich werde mich anstrengen." æ~~~ Die Zimmerdecke war so zerfetzt, wie Parsley sich fühlte. Verschlissen, alt, unansehnlich. »Ich sollte mich freuen, habe eine Lehrstelle in Aussicht. Man kann ja nicht erwarten, dass das Leben ein Hollywoodfilm ist.« Parsley drehte sich auf die Seite und boxte ein unförmiges Kissen kraftlos. In diesem trostlosen Augenblick knallte es heftig. Parsley schoss in die Höhe und erstarrte. æ~~~ In seiner Kammer stand Samuel. Ein veränderter Samuel, ohne Bart, die Haare wild zerzaust, einen grobgestrickten Pullover unter dem unverwüstlichen Ulster, Wildlederhosen wie zum Ausritt, darunter hochschaftige Stiefel, beladen mit zwei vollgepackten Umhängetaschen. Sein Gesicht strahlte Lebensfreude, Selbstbewusstsein und Gesundheit aus. "Sa---sa--sammy?!" Parsleys Stimme versagte ungläubig. Samuel deutete eine Verbeugung an, stellte dann pragmatisch sein schweres Gepäck ab. "Ich bin froh, dich wiederzusehen, Parsley." Verkündete er förmlich, um diesen dann fest in die Arme zu schließen. Sie hielten einander wortlos umschlungen, bis sie sich beide wieder gefasst hatten. Dann rückte Parsley einen widerstrebenden Schritt zurück. "Aber-aber... was tust du hier?! Es ist gefährlich!" Samuel hob eine Hand, ballte sie zur Faust, wischte mit der anderen darüber und hielt die Chronik zwischen den Fingern. Parsley versagten die Knie. Er rutschte haltlos auf den Boden, Samuel zu Füßen. Der blinzelte besorgt, ging vor ihm in die Hocke und strich über die bleichen Wangen des anderen. "Ich gestehe, dass ich es gestohlen habe. Und darin gelesen." Parsley zog die Nase hoch, wischte vergeblich Tränen aus seinen Augen. "Ich konnte nicht... wie hätte ich...?!" Schluchzte er zusammenhanglos. Samuel beugte sich vor und leckte die salzigen Spuren auf, hauchte einen Kuss auf die bebenden Lippen. "Du hast es versucht, im letzten Augenblick. Aber ich habe es davor auch gespürt." Parsley löste sich aus seiner Erstarrung. Seine nassen Finger wanderten ziellos über Samuels Gesicht, den Pullover. "Samuel Bernard Frederic Maypole stirbt am ersten Weihnachtstag 1889 an den Folgen einer verschleppten Erkältung. Sein Testament vermacht dieses Haus als Stiftung für mittellose jugendliche Delinquenten." Zitierte er leise, sammelte gleichzeitig mit einer Fingerspitze Tränen aus Parsleys geschwungenen Wimpern. "Tatsächlich bin ich am gestrigen Abend nach einem sehr arbeitsreichen und wunderschönen Sommer beim Schlittschuhlaufen eingebrochen und in das Meer gespült worden." Samuel grinste verschwörerisch. "Damit geht das Erbe wie bisher an die Stiftung. Nur dass ich lebe und nun ein hoffentlich vermögender Mann im Jahr 2001 sein werde, der mit seinem Berater und Freund einer interessanten Zukunft entgegensieht." Parsleys Gehirn verarbeitete langsam die Neuigkeiten. Mühsam sickerte die freudige Botschaft in sein Bewusstsein. Ebenso zögerlich flackerte ein verunsichertes Lächeln auf. "Aber die Uhr...?" Entgegnete er mit geisterhaftem Flüstern. "Ich werde sie zerstören!" Samuels Entschlossenheit ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Ansinnens. "Nein! Du könntest auch sterben!" Parsley umklammerte ihn angstvoll. "Nun, ich habe aber auch kein Leben mehr, in das ich zurückkehren könnte. Es ist meine einzige Chance." Parsley verbarg das Gesicht an seiner Schulter, hielt sich fest. "Ich hab dich so verdammt vermisst... mir tut immer noch alles weh, so sehr hast du mir gefehlt... es ist nicht fair, wenn du mich einfach allein lässt..." Wisperte er tonlos, ängstlich. "Ich bin hier. Und ich will mit dir zusammen in dieser Zeit leben." Samuel streichelte beruhigend über Parsleys Rücken, legte dann die Taschenuhr in dessen Hand, schloss die eigene versiegelnd darum. "Aber damit sich unser Wunsch erfüllen kann, müssen wir das Wagnis eingehen." Bekräftigte er nachdrücklich. Parsleys Blick irrte in den blauen Augen umher, die so viel mehr Selbstvertrauen und Kraft ausstrahlten, als sie bei ihrer ersten Begegnung zu enthalten schienen. Endlich nickte er resignierend. "Danke!" Samuel herzte ihn fröhlich, drehte dann die Taschenuhr in ihrer beider Griff geschickt, das Glas auf den Boden gerichtet. Doch bevor er sie auf diesen schmettern konnte, hielt Parsley ihn auf. Die freie Hand auf Samuels Wange schloss er die Augen und beugte sich vor, um diesen zu küssen, das schmerzlich vermisste Feuer erneut zu entfachen. Samuel empfing ihn liebevoll-enthusiastisch und zerschlug im gleichen Augenblick die Zeitmaschine. æ~~~ Glassplitter übersäten den Fußboden, dazwischen Zahnrädchen, Antriebsrahmen, ein zerbrochenes Zifferblatt und ein Gemisch aus winzigsten Schräubchen und Klammern. Die Zauberfeder prangte in goldenem Schimmer entrollt inmitten des Trümmerfelds. Sie blieb unbeachtet, denn die beiden Liebenden hielten sich an zeitlose, ungemein einprägende Empfindungen. æ~~~ ENDE æ~~~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Wieder eine Challenge von Neko-chan, das Thema lautete Feder.. ich habe es in gewohnter Weise missverstanden und daraus eine Zeitreise gemacht ^_^ Ich weiß nicht, ob Albert Einstein dies für realistisch gehalten hätte, aber das ist ja schließlich auch relativ ^_~ Parsley entstammt dem Konsum diverser britischer und irischer Komödien... und Samuel ist einfach ein Schnuff, der nicht so abtreten sollte, wie eine Zeitlinie das vorsah ^_^