Titel: Friede, Freude, Eierkuchen! Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Adventskalender 2020 Erstellt: 08.12.2020 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabenden! ~> "Susi und Strolch" ist ein animierter Film aus den Walt Disney-Studios. ~> "Asterix, der Gallier" und sein Freund Obelix wurden von Rene Goscinny und Albert Uderzo geschaffen ~> "Dirty Harry" mit Hauptdarsteller Clint Eastwood wurde als Auftaktfilm 1971 von Don Siegel inszeniert (FSK 16) ~> Die Scheibenwelt-Romane/Discworld-Erzählungen entstammten der genialen Feder von Sir Terry Pratchett ~> ein Handtuch sollte man immer dabei haben, wenn man unfreiwillig "Per Anhalter durch die Galaxis" reist (Douglas Adams, Roman-Reihe) ~> ein ganz spezieller DeLorean transportierte "Zurück in die Zukunft", bisher dreimal als Filmserie von Robert Zemeckis ~> eine Telefonzelle diente zweimal Bill und Ted für ihre Zeitreisen und selbstverständlich Dr. Who in unendlichen Staffeln der BBC ~> Pinky und der Brain sind die Titelfiguren einer Zeichentrickserie der Warner Bros. ~> Über drei Musketiere und ihre Abenteuer im Dienste des französischen Königs fabulierte Alexandre Dumas ~> Manfred Lehmann ist die bekannteste und prägnanteste Synchronstimme von Schauspieler Bruce Willis Hinweise: ~ Laurent/Lalako und Mammut (Mahmoud-Justin) treffen in "Mammut" aufeinander ~ Charlie (Charlotte) erscheint in "Mammut" und "Powermann" ~ Detorix und Artemis treten erstmalig in "Zonenrandzombie" auf ~ BlueMax vagabundiert durch viele Erzählungen, z. B. "Affenzirkus" ~ Die "Ameisengott"-Episode kann in "Das Experiment" erfahren werden ~ Mehr zum Aeroflott-Dienst gibt es in "Zweisam" und "Nixerich" ~ HM1, Pussys Patisserie und ihr kongenialer Chef Tako spielen in "Die letzte Kampagne" eine große Rolle ~ Tyson beweist sein Talent in "Trick!" ~ Pilates geht seiner Aufgabe als SP in "Die letzte Kampagne nach"...mehr oder weniger ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ ~*@*~ Friede, Freude, Eierkuchen! 01.12.2020 Dirk justierte die Maske, bevor er sich die Wollmütze aufsetzte. »Verflixt!« Kommentierte er stumm, zupfte seine Brille nach vorne, da die Gläser rasch zu beschlagen drohten. Wie oft hatte er sich vorgenommen, die Reihenfolge einzuhalten?! Erst Maske, dann Mütze, dann Brille! Damit die Nasenflügel nicht den Stoff auf dem Nasenrücken umkrempelten und sich die Brillenbügel nicht in den Gummiriemen verhedderten. Eigentlich eine ganz schlichte Abfolge, für einen Programmierer kein Problem, aber die Macht der Gewohnheit ging häufig siegreich hervor. Nachdem er nun leidlich die Umgebung identifizieren konnte, kein Gefrierbrand dem werten Haupt drohte und er rechtskonform vermummt war, öffnete er die Wohnungstür, äugte aufmerksam in den Flur, doch Freitagnacht gegen zwei Uhr morgens bestand keine Gefahr, in den Riesen zu rennen, der die Nachbarwohnung des Öfteren besuchte. Ausgesprochen höflicher Mensch, gar keine Frage! Trotzdem wollte Dirk sich nicht ohne Not unbeliebt machen, weil er gedankenverloren raus marschierte und mobile Hindernisse nicht rechtzeitig erkannte, immer zwanzig Minuten in der Zukunft unterwegs, ganz ohne DeLorean oder Telefonzelle. Weniger wohlmeinende Personen sprachen ihm eine gewisse Unsortiertheit zu. Leise schnürte er über den Flur des Mehrfamilienhauses, verließ den 6. Stock Richtung Treppenhaus. Der Gebäudekomplex hatte im vergangenen Jahrtausend mit der versetzten Blockoptik der einzelnen Appartements sehr modern gewirkt. Nun erkannte man die Nachteile recht deutlich. Dirk kümmerte das nicht sonderlich, er mochte sein großzügiges Einzimmer-Appartement durchaus. Dass die Wohnungen unterschiedlich zugeschnitten waren, begünstigte auch die Durchmischung, wobei er sich nicht ganz sicher war, ob die neuen Nachbarn nun zu zweit oder doch zu dritt...? Der Mieter, ein Innenarchitekt, hatte sich ihm vorgestellt und angekündigt, dass sein Sohn noch nachziehen würde. Dirk interessierte sich nicht sonderlich für seine Mitmenschen, hatte den mutmaßlichen Sohn, Laurent, jedoch zur Kenntnis genommen, weil der schlanke Junge ein bemerkenswert hochpreisiges Longboard mit sich trug. Er selbst war an eher schlichte Skateboards gewöhnt, seinem Alter und der Bequemlichkeit geschuldet. Eines war für trockenes Wetter ausgerüstet, das andere mit besonderen Rollen und rutschfester Auflage für die feuchte Witterung. Als er nun das Haus verließ, setzte er sein Skateboard auf dem Pflaster ab, justierte den Rucksack noch mal. Ja, vermutlich war es aus einer gewissen Perspektive heraus albern, wenn man stramm auf die Vierzig zuging, noch auf Skateboards durch die Gegend zu rollen. Liebenswürdig gestand Dirk dieser Auffassung einige Berechtigung zu. Nicht, dass diese ihn daran gehindert hätte, weiterhin dieser Fortbewegungsart zu frönen, vor allem jetzt, wo es kaum Flanierende gab, es sei denn in Begleitung eines mutmaßlich vierbeinigen Haustiers. Nachtschwärme gab es zu Pandemie-Zeiten auch nicht zu befürchten. Geübt stieß er sich ab, rollte in flottem Tempo auf dem Gehweg seinem Ziel entgegen, wechselte hin und wieder auf den freien Radweg. Dirk konnte Fahrrad fahren, hatte das vor langer Zeit gelernt. Für Lieferungen hatte er auch das sehr alte Klapprad gemeistert, ein wahrer Dinosaurier mit zwei Gängen plus Rücktritt. Doch als seine Eltern ihm in Aussicht stellten, ihm ein feines Rennrad, wie es damals Mode war, schenken zu wollen, lehnte er höflich ab. Weil ein Rennrad nicht nützlich war, wenn die Reifen keine Luft mehr hatten, die Ventile abgeschraubt wurden oder sogar der Sattel abgängig war, verbreitete "Streiche" an seiner Schule, unabhängig davon, ob man unbeliebt oder einfach Zufallsopfer war. Ein Skateboard hingegen, das durfte mit ins Klassenzimmer, unterm Pult ruhen oder mit dem Rucksack an der Stuhllehne hängen, es blieb zuverlässig in Sicht- und Reichweite. Ja, natürlich schränkte es ein wenig ein, wenn man nur die Rucksack-Ladung transportieren konnte und es bedurfte auch einer gewissen Übung. Zudem setzte man sich dem Verdacht aus, eine Art Großstadt-Hippie-Variante der Beach-Boy-Surfer-Hippies zu sein. Da Dirk ohnehin "der Herde nicht nachlief", wie sein Vater grollend zu bemerken wusste, nahm er entsprechende Vorurteile einfach hin, vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass er grundsätzlich seinen Mitmenschen keine übertriebene Aufmerksamkeit widmete, keineswegs aus Arroganz oder Selbstüberschätzung, sondern simpel seinen Prioritäten geschuldet. Man hatte ihn in der Erwartung erzogen, wie Vater, Großvater und Urgroßvater auch Bäcker zu werden, ein solides Handwerk, ein Familienbetrieb, eine anständige Lebensgrundlage. Unseliger Weise stellte sich heraus, dass Dirk an einer Mehlstauballergie litt, sodass man über zehn Jahre damit verbrachte, die Erkenntnisse der Forschung zu unterstützen, indem alles an Methoden, Mitteln und Taktiken erprobt wurde, den Filius von seiner unsäglichen Disposition zu heilen. Ohne Erfolg. Dirk ließ das über sich ergehen, weil er über ein gutmütiges Naturell verfügte und nicht streitlustig war. Ja, es mochte unangenehm sein, all die Spritzen, die Quaddel, die Schwellungen, die Atemnot, die Asthmasprays und Inhalatoren, zugegeben, aber er sah auch keinen nennenswerten Grund, seiner Familie den Gehorsam zu verweigern. So fuhr er eben mit dem Klapprad Hauslieferungen nach der Schule aus und lernte sogar, ein Fahrzeug zu führen, bewies seinen guten Willen, vermied fruchtlose Auseinandersetzungen. Im Gegenzug gewann er so Möglichkeiten, sich das anzueignen, was ihn faszinierte. In der Bäckerei gab es Taschenrechner, manuelle Waagen und eine Registrierkasse. Von Computern wollte sein Vater nichts wissen, weil die sofort bei Hitze, Mehlstaub oder anderen alltäglichen Kalamitäten die Grätsche machten. Überhaupt, was konnten die Dinger schon?! Spielekisten, höchstens! Man musste zugeben, dass die ersten Büroanwendungen für den Heimcomputer nicht gerade eine Werbung darstellten. Spiele waren in der Familie nicht sonderlich beliebt, weder analog auf Brettern, noch digital in so einer Klapperkiste mit "Knüppeln". Dirk hatte keinen Zugang zu Spielkonsolen oder PC-Spielen, aber ihn faszinierten die Möglichkeiten, in Programmiersprachen Abläufe und Prozesse zu initiieren, sodass er eben auf Papier Befehlsketten notierte, die er in der Computer-AG der Schule dann überprüfte, konzentriertes, akribisches Arbeiten, Blick für Details, Geduld: DAS war sein Ding! Einen richtigen Ausbildungsberuf gab es damals noch nicht, also schnupperte Dirk bei einem Anlagenbauer während eines Praktikums rein. Noch während der technischen Ausbildung konnte er sich auf die Programm- und Prozessgestaltung spezialisieren, wuchs quasi mit der Software-gesteuerten Automatisierung, was Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen betraf. Ein nie endender Lernprozess, immer wieder andere Anlagen, andere Hersteller, proprietäre Anwendungen. So war er jetzt bei einem Dienstleister angestellt, der sich darauf spezialisiert hatte, Anlagen-Software zu betreuen und auch weiterzuentwickeln. Das Unternehmen bestand aus gerade mal 30 Personen. Personal, Steuern und Finanzbuchhaltung erledigten andere Dienstleister. Niedrige Hierarchie, man konnte von einem "Nerd"-Hort sprechen, einer kleinen Gruppe, die Enthusiasmus und Liebhaberei dieser speziellen Sparte miteinander verbanden. Dirk fiel dort nicht sonderlich auf, denn das "Biotop" zeichnete sich durch das aus, was ihn auch kennzeichnete: technisches Interesse für Spezialgebiete, eigenverantwortliches Arbeiten, Selbstorganisation, ungewöhnliche Arbeitszeiten, reduzierte Ansprüche an Sozialkontakte, nicht nur wegen der Pandemie. Vielleicht musste man ein wenig "speziell" sein, um sich in so einer Umgebung wohlzufühlen, doch Dirk sagte es zu. Anders, als sein grollender Vater meinte, entwickelte er sich nicht zur Spezies derer, sich Müßiggang, Papierverwüsterei oder Langschlaf auf die Fahnen schrieb, denn es gab gerade bei den kritischen Anlagen keine Möglichkeiten, aus der Distanz, also "remote", bestimmte Eingriffe und Wartungen durchzuführen. Die "Fenster" für derartige Arbeiten lagen zumeist tief in der Nacht an Wochenenden oder Feiertagen, sodass es Dirk durchaus zupass kam, jederzeit erholsame Schläfchen halten zu können und einen erstaunlich robusten Biorhythmus vorzuweisen. In Gedanken ging Dirk wie gewohnt zwanzig Minuten in der Zukunft schon seinen straffen Aufgabenplan durch, rollte durch die leeren Straßen, ignorierte dank guter Verpuppung die eisige Kälte. Man hätte natürlich ein Auto nutzen können, doch Dirk hatte seit Jahren schon nicht mehr auf dem Fahrersitz Platz genommen. In den Anfangsjahren hätte er sich kein eigenes Fahrzeug leisten können und investierte lieber in eine adäquate, ruhige Unterkunft. Lärmige Studierenden-Wohngemeinschaften schreckten ihn ab, vor allem, wenn man auch zu Hause arbeiten konnte. In der Stadt ohne regelmäßige Übung einen Leihwagen bewegen zu wollen, nein, da ahnte er schon ein zerrüttetes Nervenkostüm, noch bevor er herausgefunden hatte, wie man diese Leihautos "freischaltete"! Er kam nach eigenem Empfinden gut zurecht und verspürte nicht das geringste Bedürfnis, seinen Lebensstil zu ändern, auch, weil er niemanden "kutschieren" musste oder Verantwortung zu tragen hatte, wie seine zwei Jahre jüngere Schwester nicht müde wurde, bei jeder Gelegenheit spitz anzumerken. Aber er habe ja "die Signale nicht gehört"! Dirk ordnete "die Signale" nicht als biblische Lärminstrumente zum Einriss von Mauern ein, sondern eher als dieses berühmte "Ticken" der biologischen Uhr, häufig mit weiblichen Personen korreliert. Tatsächlich konnte er diesen Vorwurf gar nicht kontern. Nein, er hatte keine Signale gehört, kein Ticken vernommen, keine Lunte zischen hören oder was auch immer für Taktgeber ihn warnen sollten. Nicht mal jetzt verspürte er das Verlangen, sich wie seine Schwester Kinder zuzulegen sowie ein respektives Gegenstück zwecks Aufzucht. Dirk fand Kinder, Babys, Welpen, Katzen-Videos oder andere Herz-Rührer einfach nicht interessant, sah keinen Anlass für sich selbst, sich mit diesen Sujets zu befassen. Zutreffend konnte er auch nicht leugnen, sich nicht für einen "Konterpart" zwecks Beziehungsarithmetik begeistert zu haben. Eine "Familie zu gründen", das kam Dirk wie ein seltsames Heilsversprechen vor, das andere betraf, garniert mit Vorstellungen, Wünschen und Plänen, die er weder hegte noch konzipierte. Ja, da konnte man dem eigenen Vater nur beipflichten: der Herde lief er einfach nicht nach! ~*@*~ Dirk brachte diverse Sicherheitseinrichtungen hinter sich, bevor er die "Kommandozentrale" erreichte. Endlich konnte er die Maske abzupfen, den Rucksack samt Skateboard abstellen und sich konzentriert an die Arbeit machen. Dabei hörte er weder Musik, noch ließ er andere digitale Werkzeuge arbeiten. Das lenkte nur ab, kostete Zeit, die man einfach nicht hatte. Zügig folgte er den Schritten, die er sich als "Taschentuchknoten" in seinem Notizbuch notiert hatte. Ein anderer wäre aus den Abkürzungen, die wie Stenographie wirkten, aber einer übersetzten "Maschinen"-Sprache entstammten, nicht schlau geworden, für Dirk eine leichte Übung, seit der Zeit, als er als Jugendlicher noch keinen eigenen Computer hatte und sich Programme erst auf Papier aufschreiben musste. Sehr zufrieden schloss er seine Arbeit ab, verließ artig die Kommandozentrale. Es gab natürlich auch einen anderen Raum, der als "Einsatzzentrale" für die Kommunikation im Unternehmen und mit der Welt diente. Glücklicherweise erwartete von ihm niemand, irgendwelche "Büroanwendungen" zum Laufen zu bringen, sondern sich um die Maschinen-"Verständigung" zu kümmern. Von seiner eigenen Familie konnte man derartige Rücksichtnahme nicht erwarten. Software war ja alles, und wenn die doofen APPS nicht wollten, dann musste er doch...! Dezente Kritik mit dem Vergleich, dass man einen Bäcker ja auch nicht nötigte, Fein-Backwaren wie eine Sachertorte zu kreieren, perlte an tauben Ohren ab. Selbstverständlich war man KEIN Konditor, aber darum ging es ja gar nicht! Dirk fragte sich hin und wieder schon, wie er selbst so aus der Art hatte schlagen können, aber das war eben die Natur: was potentiell möglich war, existierte auch irgendwo irgendwann! Dirk streifte die feinen Baumwollhandschuhe ab, die er ständig trug, wenn er an fremden Tastaturen, Mäusen und Arbeitsplätzen insgesamt operierte. Er stand auf, streckte sich, ging neben seinem Rucksack in die Hocke und exilierte seine Glasflasche im Neopren-Mäntelchen. Artig auf große Distanz gehend nippte er an seinem Instant-Kaffee für Nicht-Feingeschmack, überlegte einen Moment, ob er die Pause nutzen sollte, kurz mit BlueMax Kontakt aufzunehmen. Wer sich hinter diesem Namen verbarg, wusste Dirk nicht, sorgte sich jedoch auch nicht sonderlich darum. BlueMax schien nämlich wie er selbst auch ein "Nerd" zu sein, zu den verrücktesten Zeiten erreichbar und selten um einen hilfreichen Hinweis verlegen. Dirk mutmaßte, dass BlueMax für Penetrationstests zuständig war, auch nicht mehr so ganz neu sein musste, bedachte man die ungeheure Sachkenntnis. Es war nett, mit ihm zu plaudern oder vielmehr zu texten, weil es eine willkommene Abwechslung darstellte, auf einen interessierten Gegenpart zu stoßen, ohne erst die vielen Hürden zwischenmenschlicher Anbahnungen abhaken zu müssen. Oder, wie bei Dirk verräterisch über seinem improvisierten Steharbeitsplatz die Pappscheibe verriet, beim wöchentlichen Anruf daheim gesellschaftliche Gepflogenheiten zu beachten. ~*@*~ Dirk meldete artig Vollzug, Zeitaufwand und sandte ein Arbeitsprotokoll ab. Vollverpuppt mit leichter Blindheit durch beschlagene Gläser gehandicapt rollte er geübt Richtung Heimatbasis, in Gedanken wie gewohnt, sofern nicht mobile Hindernisse sein Alarmzentrum zwecks Selbsterhaltung aufweckten, zwanzig Minuten voraus. Unvermutet kreuzte sich überschlagend ein DING seinen Weg. Mit heftigem Adrenalinüberschuss und jahrelanger Übung initiierte Dirk eine Kurve seines Skateboards, während er selbst absprang. So konnte es nicht allzu weit entwischen, er lief auch nicht Gefahr, in was auch immer hinein zu rauschen. Hastig blickte er sich um, den trommelnden Herzschlag in den Ohren, exakt in der Jetztzeit verortet. Von rechts, dem Ursprungsort der rapiden, sich überschlagenden Bewegung näherte sich nichts. Er vernahm auch keine Geräusche, nicht ein Windhauch in der Luft. Links, halb auf der rechten Fahrbahnspur, lag das Ding, rührte sich nicht. Ein Tier? Nicht sonderlich affin mit derartigen Begegnungen votierte Dirk dafür, zunächst sein Skateboard an sich zu bringen, als Verteidigungswaffe auch nicht übel, falls ihm das Ding sein Interesse übelnahm. "Hallo? Versuchte er es verbal, ein wenig irritiert ob der äußeren Erscheinung. Ein Tier wäre möglich gewesen, nur kannte er keins, das ein türkisfarbenes, fluffiges Fell wie nach dem Trocknergang vorweisen konnte. Also vielleicht ein Spielzeug? Wagemutig trat er auf die Fahrbahn. Das konnte durchaus sein, es gab ja alle Sorten von Plüschviechern heutzutage! Es hätte irgendwo herunterfallen können, richtig? Obwohl auf gerader Strecke so viel Schwung doch eher seltsam anmutete, nach seinen bescheidenen Kenntnissen physikalischer Verhaltensgrundsätze von Festkörpern. »Hmmmm.« Dachte Dirk konzentriert. Wahrscheinlich kein Tier. Andererseits konnte man das Ding auch nicht auf der Straße liegen lassen. Falls es ein Spielzeug war, würde es vermisst werden, oder? Kritisch umrundete er das Fellknäuel, rundherum wie statisch aufgeladen, trotz fragwürdigem Lichtspektrum der Straßenlaterne ziemlich türkisfarben. Dirk legte sein Skateboard ab und fingerte sowohl Maske als auch Handschuhe heraus, präparierte sich, griff sein Skateboard erneut und ging neben dem Ding in die Hocke, tippte das Fellknäuel an. "Alles in Ordnung?" Dämliche Frage, nach mehreren Purzelbäumen, aber man wollte sich ja nicht aufdrängen. Keine Reaktion. »Hmmmm.« Dirk fasste zu. Erstaunlich schwer, das Ding! Irgendwie kurios, wo war oben und unten, vorn und hinten? Plötzlich fluste es durch das Fell, riesige Augen starrten ihn an, ein Paar Augen, glücklicherweise, denn etwas Anderes hätte ihn verstört. "Oh, ähem!" Bemerkte er elaboriert. Das Ding glotzte und schnurrte, zumindest wirkte es so. Dirk runzelte die Stirn. In seinem kognitiven Empfangsbüro fand sich keine Schublade für "niedlich, herzerwärmend, süß, puschelig!". ER dachte an seine entfernte Jugend. Wie hießen die Viecher noch, Gremlins?! Nicht nass werden lassen, nicht nach Mitternacht füttern! Kritisch studierte er das Ding. "Doch irgend so ein Spielzeug. Ist das der Akku, der so schwer ist?" Als homo technicus verschrien wurde Dirk seinem Ruf gerecht, indem er das Skateboard ablegte und mit der anderen Hand zugriff, um das Ding hin und her zu drehen, weil irgendwo ja der Akku reingesetzt worden sein musste! ~*@*~ "Was bist denn du fürn Perverser?!" Kreischte eine gar nicht mehr schnurrende Stimme schrill. Dirk bekam einen heftigen Stromschlag ab, der ihn auf den Bürgersteig schleuderte. Dort verließ ihn sein Bewusstsein. ~*@*~ 02.12.2020 "Diabolischer Depp!" Zeterte die Stimme empört. "Was laufen denn hier für Typen herum?! Einfach so ne niedliche Superkatze anlangen!" Nicht einen Augenblick später tippte eine Schocklanze mit dem geschäftlichen Ende auf seinen fluffigen Bauch. "Upps!" ~*@*~ "Schönes Schlamassel!" Schimpfte Leporidae, seines Zeichens Portalwache. "Nun sieh dir das mal an!" Forderte er grimmig, ohne mit der Schocklanze einen Jota zurückzuweichen. "Das war reine Notwehr!" Behauptete das Fellknäuel, glubschte ihn an, ohne erkennbaren Erfolg. Nicht mal die Langohren zuckten. "Du hast überhaupt nicht hier zu sein. Also, gib auf und komm sofort mit!" Statt einer Antwort jagte ein weiterer Stromstoß durch die ruhige Gegend. Dieses Mal flog jedoch das nicht mehr ganz so niedliche Fellknäuel einige Meter bis zur anderen Straßenseite. "Deppert." Urteilte Leporidae nach einer Schrecksekunde, fingerte einen Schnappsack von seinem Gürtel, blickte artig rechts und links, bevor er die Fahrbahn überquerte, mit der Schocklanze den Luftreisenden in den Schnappsack kehrte. Auch für den Rückweg befolgte er die Sicherheitsregeln für Fußläufige, beugte sich dann betroffen über den Menschen. Atem, Check. Sichtbare Verletzungen, keine. Bewusstlos, nicht gut. Es verstieß absolut gegen die Regeln, einen Menschen zu lädieren, vor allem, wenn der annehmen musste, Hilfe zu leisten. "Das wird dir mächtig Ärger einbrocken, Ikol." Prophezeite Leporidae ungerührt, denn ihm selbst ging es jetzt ja auch nicht blendend, weil er dieses Chaos irgendwie hinbiegen musste! Zögerlich kam er aus der Hocke, stützte sich auf seine Schocklanze. Was sagte das Handbuch? Nun, zuerst mal den Delinquenten zurück auf die andere Seite schaffen. "Äh, nicht weglaufen." Adressierte Leporidae den Hingestreckten deshalb in strengstem Kommandoton und verschwand spurlos in der leeren Luft. ~*@*~ "Aha." Kommentierte die Ein-Daimon-Technikwartung-Verwahrung-Mee-Poo-Portal-Anlaufstelle sparsam. Leporidae, der seinen Schnappsack am geschäftlichen Ende der Schocklanze getragen hatte, seufzte. Sein Portal, eher zwei Säulen und eine leider recht labbrige Dimensionsgrenze, war dreißig Marschminuten von der Kleinstadt entfernt. Es war einigermaßen spät respektive ziemlich früh, das musste man eingestehen. Allerdings zeigte Horowitz, der einem Kobold-Maki ähnlich sah, keinerlei Ermüdungserscheinungen oder Verärgerung, weil man ihn vom Schlafbaum geschüttelt hatte. Doch die riesengroßen Augen hinter den Brillengläsern konnten täuschen. "Nun, wir werden sehen." Verkündete Horowitz gelassen. Leporidae zuckte unbehaglich zusammen, als er das charakteristische Schmatzen extrem gedehnten Latex hörte. Horowitz griff unaufgeregt in den Schnappsack, die haarigen Arme und Klauen geschmackvoll in giftgrünem Gummi verpackt. ~*@*~ Man konnte nicht einfach irgendwen einsperren, lediglich temporär ein verpflichtendes Obdach bieten, bis die dem Friedensgericht Vorstehenden die Akten durchgeflöht hatten. Wenn man behauptete, es sei ein Verstoß geschehen, musste man Beweise vorlegen, sonst zogen einem die Anklagenden vom Dienst die Löffel lang! Deshalb hielt es Leporidae für dringend geboten, zunächst mal die infernalische Waffe von Ikol zu separieren. Anschließend, während er beide bei Horowitz, selbstverständlich getrennt voneinander, sicher in Verwahrung wusste, würde er eiligst zurückhoppeln, denn den Menschen musste er ja auch noch als Beweis sichern! ~*@*~ Dirk stützte sich wacklig auf die Ellenbogen, sondierte die Situation und rekapitulierte die letzten Ereignisse. "Mistikack!" Urteilte er grimmig, dankbar dafür, dass sein Herzschlag ganz rhythmisch in seinem Brustkorb arbeitete. Das dämliche Spielzeug musste ihm einen Stromschlag verpasst haben! Verständlich, dass man es entsorgte, zumindest mutmaßlich, aber doch nicht ohne vorher die Stromquelle entfernt zu haben! "Ausgesprochen nachlässig!" Votierte Dirk grimmig, setzte sich auf, fand glücklicherweise weder Wunden noch irgendwelche angesengten Stellen an sich oder seinen Habseligkeiten. Was für eine Art Akku-Oschi mussten die in das Ding reingestopft haben?! Schon viel zu schwer, aber..!. Energisch kam Dirk auf die Beine, schüttelte einen milden Schwindel ab. War da etwa ein Elektroschocker verborgen gewesen?! Handelte es sich um einen gemeingefährlichen Streich?! Er kannte von früher noch die Brieftasche am Bindfaden, die man wegzog, wenn ehrliche Menschen den Fund aufpicken wollten. Nicht, dass er so etwas je selbst exerziert hätte, weil er keine Belustigung darin fand, seine Mitmenschen an der Nase herumzuführen. Aber so was wie das hier?! Körperverletzung! Oder Schlimmeres, wenn man beispielsweise einen Schrittmacher für Herz oder Gehirn trug! Bei implantierten Insulinpumpen war Dirk sich nicht sicher, tat jedoch nichts zur Sache! Das Skateboard als isolierenden Distanzhalter nutzend ging er entschieden auf die Pirsch, doch er fand das gemeingefährliche Objekt in dem grässlich türkisfarbenen Plüschfellkleid nicht mehr. Schließlich gab er die Suche auf. Wenn es ein gemeingefährlicher Streich gewesen war, hatten die Initiierenden ihr Objekt eingesammelt und das Weite gesucht. Sollte er das Ereignis zur Anzeige gegen unbekannt bringen? Doch welche Beweise konnte er vorlegen? Grummelnd stieg Dirk wieder auf sein treues Skateboard. Nein, es hatte vermutlich keinen Zweck, ein Polizeirevier deshalb aufzusuchen. Vielleicht würde man ihm ja einen Lagerkoller, Überarbeitung oder Übernächtigung unterstellen. Für einige rollende Sekunden erwog er, in den Sozialen Medien nach Videos Ausschau zu halten, denn "Prankster", also altmodisch Streiche-Ausheckende, lebten ja von der Reaktion des schadenfreudigen Publikums, doch dann verwarf er diesen Gedanken wieder. Viel zu viel Mühe ohne eine große Wahrscheinlichkeit auf Erfolg. Nein, jetzt heim, Dusche, lecker Käffchen mit einem großzügigen Schuss Hafermilch und einem Löffel Zucker, dann Auszeit. Sicherlich würde er nicht von Katzen, Welpen, Babys oder anderem süßlich grinsenden Kroppzeuch träumen! ~*@*~ Leporidae blickte unglücklich um sich. Der Mensch war weg. Verflixt noch eins! Was nun? Aus einer Gürteltasche fingerte er nervös das kleine Handbuch. Beweisaufnahme: Adressat der Untat feststellen, schön, bloß wie?! Frustriert stampfte Leporidae mit einer Pfote auf und zuckte ungnädig mit den Schnurrhaaren. Das lief so ganz und gar nicht rund! ~*@*~ Horowitz warf Leporidae einen langen, prüfenden Blick zu. Durch die ohnehin gewaltigen Augen und die noch verstärkenden Brillengläser hinterließ das bei Leporidae den Eindruck, sich wie eine Ameise unter einer Lupe zu fühlen. "...und deshalb muss ich den Menschen finden." Schloss er lahm seine Erklärungen ab. "Aha." Hinter dem Tresen, der Horowitz' Wirkungsbereich von Klientel/Mitarbeitenden/Restdaimonenwelt abtrennte, griff er nach einem Gegenstand, drehte sorgfältig einen Zeigestock auf, der sich teleskopartig verlängerte, tippte dann mit einer leichten Drehung hinter sich auf ein aufgepinntes Dokument. Leporidae blinzelte, die Schnurrhaare zuckten nervös. "Oh." Seufzte er geplagt. Kein Übertritt in die andere Dimension durch die Portale für lebendige Hilfsmittel. Das schloss auch Spür-Hamster ein. "Was mach ich denn jetzt?" Erkundigte er sich kläglich, denn das dünne Handbuch sah derlei Ausnahmesituationen nicht standardisiert vor. Horowitz drehte den Zeigestock sorgsam ineinander, verstaute ihn, hob dann einen haarigen Arm und lupfte eine Klaue. Das sollte wohl "Moment" bedeuten, hoffte Leporidae, richtete die geknickt herabhängenden Löffel wieder aufmerksam auf. Unterdessen bewegte sich Horowitz gemächlich in seine Asservatenkammer. Diese diente einer grundsätzlichen Aufbewahrung, nicht nur der beschlagnahmten Güter. So fanden sich hier auch Ausrüstungsgegenstände, Ersatzteile und Werkzeug zur Reparatur. Ohne übertriebene Eile bewegte sich der Kobold-Maki-Daimon anschließend hinter seinen Tresen zurück, legte sorgsam eine Schachtel auf die polierte Fläche. "Oooh, was ist das?" Hakte Leporidae nach, der gerade noch "HM1" entziffern konnte, Heinzelmann 1, ein legendäres Fabrikat. "Defekt." Ließ Horowitz ihn unaufgeregt wissen. Es dauerte einige Augenblicke, bis Leporidae die Konversation mental zurückgespult und den Zusammenhang ermittelt hatte. "Oh nein!" Konstatierte er geknickt. "Die Reparatur wird Zeit in Anspruch nehmen." Erläuterte Horowitz gelassen. Leporidae zuckte mit Löffeln und Schnurrhaaren. "Aber-aber was ist mit dem Menschen?! In der Zwischenzeit könnte, ich meine, wenn da was passiert!" Stammelte er verstört. Horowitz nickte gemächlich, nahm die Brille ab, polierte sorgsam die Gläser. "Ja, das wäre nicht gut." Leporidae starrte ihn noch einige Augenblicke länger hilflos an. "Danke. Dann-dann schaue ich mal rein, wenn, wenn das Gerät funktioniert." Murmelte er deprimiert, salutierte halbherzig und schlich mit hängenden Löffeln und Schnurrhaaren auf Halbmast hinaus. ~*@*~ 03.12.2020 Es war zu einem Ritual geworden, immerhin durfte man spazieren gehen und auch jemanden treffen, wenn nicht dem eigenen Hausstand zugehörig, dann einem zweiten, ansonsten Maske auf bei zu großer Nähe. Mammut unternahm jeden Tag einen Spaziergang, bei Wind und Wetter, wochentags nach der Schule, am Wochenende ziemlich früh. Er apportierte stets ein sorgsam gefaltetes Werk aus Papier als Adventskalendergeschenk. Laurent erwiderte diese Geste jeden Tag mit einer Zeichnung, mal auf Papier, mal auf dem Tablet, was ihnen spontan als Motiv einfiel. Zugegeben, die Masken blieben in Parka-, Jacken- oder Manteltaschen, das konnte man nicht bestreiten, aber welchen Sinn hätten sie auch ergeben, wenn man sich zärtlich bis leidenschaftlich küsste? Außer Sichtweite selbstredend. An diesem Tag bewegte Mammut jedoch nicht nur seine Schulsachen und sein Faltwerk, sondern auch Lebensmittel, denn er hatte sich zum Ziel gesetzt, für Laurent oder Lalako, je nach Stimmung und Laune, eine japanische Weihnachtstorte zu kreieren. Allerdings mangelte es ihm diesbezüglich an praktischer Erfahrung, weshalb er die Schwierigkeitsgrade langsam steigerte. Da er heute zu Laurent gehen würde, konnte man es mit einem Schichtdessert versuchen. Zu Hause konnte er nicht an seinen kulinarischen Fähigkeiten feilen, denn das hätte dezidierte Fragen seiner Mutter nach sich gezogen. Bei Laurent boten sich Möglichkeiten, Backofen und Mikrowelle zu erproben, mit der Einschränkung, dass dessen Vater nicht zu Hause arbeitete. Verständlich, da die Küchenzeile sich im Wohn- und Aufenthaltsraum befand und das winzige Schlafzimmer keinen Platz bot, doch Laurents Vater nutzte die heimischen Möglichkeiten auch eher selten. Mammut lächelte erfreut hinter seiner Maske, als er an ihrem gewohnten Treffpunkt eine schlanke, recht eingemummelte Gestalt erkannte. Laurent kleidete sich klassisch-elegant, konnte jedoch unfehlbar ermittelt werden, weil er die prächtigsten, einzigartigen Masken eigener Gestaltung trug. Zudem hing an seinem Rucksack häufig ein teures Longboard. Mammut hob die Rechte. Er selbst war auch kaum zu verkennen, 2,05m groß, breit und von imposanter Gestalt, die ausschließlich durch Hormonspritzen daran gehindert wurde, noch stärker zu expandieren. Laurent öffnete die Arme und schmiegte sich an, was Mammut jedes Mal innerlich aufglühen ließ, obwohl er ohnehin schon über eine gewaltige Körpertemperatur verfügte, Kleine Eiszeiten-erprobt eben. Aber er war nicht nur ein übergroßes Stofftier, sondern auch Laurents fester Freund, weshalb er die Umarmung erwiderte, den Kopf senkte und darauf wartete, dass Laurent auf die Turnschuhspitzen stieg, durch die Masken ihre Nasenspitzen aneinander rieb. Sie lachten beide, ein wenig übermütig, ein wenig verlegen. "Hast du die Schule gut überstanden?" Erkundigte sich Mammut höflich, kaperte eine schlanke Hand. Er brannte wie jeden Tag darauf, die samtig-weiche Stimme zu hören, die ihn verzauberte. "Oh, es ließ sich aushalten, ja. Und selbst? War es dir nicht zu mühsam, alles mitzuschleppen? Wir hätten auch jetzt einkaufen können." Laurent blickte zu ihm auf, seine große Hand sanft drückend. "Das ginge von unserer gemeinsamen Zeit ab." Stellte Mammut fest, ohne wie ein Feuermelder rot anzulaufen. Aber Anstehen für Körbe oder Einkaufswagen, Hindernislauf in abgesteckten Gängen, Kollisionsgefahr mit bebrillten, durch Kondenswasser temporär behinderten Mitmenschen, nein! Dann lieber im Rekordtempo solo am Vorabend diese Aufgabe übernehmen und sich ungebremst auf den nächsten Tag freuen! Laurent lachte leise, zwinkerte aus den tiefschwarzen Augen zu ihm hoch. "Du verwöhnst mich, vielen Dank." Mammut lächelte hinter seiner Maske. "Aus rein egoistischen Motiven." Relativierte er mit seinem sonoren Bass, drückte behutsam die schlanke Hand in seinem Griff. Wie grässlich lange es dauerte, bis sie außer Sichtweite waren, damit er anhalten, die Maske lupfen und Laurent endlich küssen konnte! ~*@*~ Laurent schmiegte sich sehr gemütlich auf seinem breiten Bett in Mammuts Arme. Der saß hinter ihm, mit Kissen gegen die Wand abgepolstert, und verfolgte gespannt, wie Laurent ihm eine Zeichnung verehrte. Für Mammut grundsätzlich ein Zauberwerk, denn er konnte nach eigenem Bekunden nur mit einem Lineal einen geraden Strich ziehen, von anderen Fertigkeiten mal ganz zu schweigen! Sie hatten gemeinschaftlich in große Gläser ihr Schichtdessert eingesetzt, ließen dies nun in Kühlschrankkühle ein wenig ruhen, sich durchziehen. Ein erster Versuch auf dem Weg zu einer Torte! Laurent arbeitete mit weichen Buntstiften, ließ sich durch zärtliche Küsse auf Nacken und Wange nicht stören. Er genoss die herrliche Wärme, die Mammut freigiebig verströmte. "Tadaaa!" Verkündete er schließlich zu einer stilisierten Blumenranke im Stil des Art Deco. "Wunderschön." Kommentierte Mammut im Bass begeistert. Laurent lachte leise, denn es bedurfte wirklich wenig, Mammut eine Freude zu bereiten. Er wusste, dass Mammut all seine Zeichnungen in einer besonderen Mappe sammelte. Sie auszustellen oder gar aufzuhängen, das hätte zu Fragen geführt. Obwohl Mammut ihm versichert hatte, sich nicht länger zu verstecken in Person und Entscheidung, wollte Laurent nichts forcieren. Er selbst hatte schließlich auch noch nicht offenbart, dass er in einer festen Beziehung stand. Die Lage erschien ihm noch ein wenig zu delikat, zu fragil, sich ohne Not zu exponieren. "Hilfst du mir?" Wandte er sich geschmeidig in ihrer verschlungenen Kuschelgemeinschaft herum. Die Bitte bezog sich auf Mammuts Papiergeschenk des Tages. Er selbst fädelte jedes Werk sorgfältig auf, vervollständigte damit ein Mobile. Mammuts überlegene Größe bot eine willkommene Assistenz, den jüngsten Beitrag einzufügen, ohne die Balance zu beeinträchtigen. "Sehr gern." Wie stets zuvorkommend und hilfsbereit rappelte Mammut sich auf, befestigte die aufgefädelte Orchideenblüte. "Vielen Dank! Oh, es sieht wirklich wunderschön aus!" Laurent legte spontan die Handflächen aneinander, neigte leicht den Oberkörper, eine Lalako-Geste, die er einstudiert hatte. Sie neigte dazu, sich selbständig zu machen, im Reflex aufzutreten, selbst wenn er nicht die pinkfarbene Perücke trug und sein anderes Ich präsentierte. Sanft legte ihm Mammut einen kräftigen Arm um die schmalen Schultern. "Es ist eine großartige Idee, ein Mobile zu arrangieren. Darauf wäre ich nicht gekommen." Laurent strich über die große Hand auf seinem Arm. In Gedanken widersprach er Mammuts all zu konservativer Selbsteinschätzung. Wenn eine Lösung gefunden werden musste, dann begab sich Mammut unerschrocken auf die Suche. Nur wusste er selbst noch nicht, dass er seine äußere Größe mühelos mit seiner inneren Größe übertrumpfte, aber das stellte auch einen der Charakterzüge dar, den Laurent so anziehend fand! "Wenn ich in Gedanken bin, schaue ich häufig hinauf, denke an dich, bin glücklich und zuversichtlich gestimmt." Wisperte Laurent sanft. Eine Unzahl von Einträgen in seinem "Glück"-Album betrafen Mammut, der sich nun zu ihm beugte, scheu lächelte, bevor er ihn zärtlich auf die Lippen küsste. Die dünnen Arme um Mammuts Nacken schlingend antwortete Laurent mit steigender Intensität. Mammut war wortwörtlich ein "Glücksbringer"! ~*@*~ Leporidae wusste nicht viel über besondere technische Geräte, obwohl er nicht erst seit gestern als Portalwache arbeitete. Eigentlich sollte man da lediglich auf gesittetes Treiben an den beiden Säulen achten, zumindest in der Regel. Hier jedoch, in der Kleinstadt und außerhalb, waberte die "Grenze" über eine beträchtliche Strecke. Es gab zwar den "offiziellen" Übergang, den das Portal mit den beiden Säulen markierte, aber entlang einer besoffenen Linie oszillierte eine Dimensionsüberschneidung. Man konnte, wenn man es riskieren wollte, auch die inoffizielle Linie als Pforte benutzen, ohne Garantie, was den Transfer betraf. Das konnte schon mal als ziemliche Sauerei enden, Stichwort Spaghetti-Effekt wie bei Schwarzen Löchern am Ereignishorizont! Da half dann auch kein Wischmopp, weshalb man entlang der Linie den Bewuchs niedrig hielt, warnende Flatterbänder aufgeständert hatte und patrouillierte, falls irgendwer dumm genug war, die hilfreichen Warnungen nicht verstehen zu wollen. Deshalb bestand die Ausrüstung der Portalwachen nicht nur aus Schocklanze, Handbuch und einem schicken Werkzeuggurt, sondern wurde durch ein Fernglas und einen Allzweck-Grünsäbel komplettiert. Wer Patrouille lief, konnte ja auch das Grünzeug klein halten, nicht wahr? Ein Kullergucker verriet beim Blick durch den Stein, ob man Gefahr lief, auf die Demarkationslinie zu stapfen. Wenn man Spuren lesen musste (etwa, weil gewisse Hinweise auf eine Sauerei nahelegten, dass irgendwer auf die Linie gelatscht war), lieh man sich einen Spür-Hamster aus. Die arbeiteten auch zuverlässig auf der anderen Seite. Nur, und das wurde dann ein Problem: Spür-Hamster konnten mit Zugleine mit "Gesellschaftshunden" verwechselt werden, was unliebsame Aufmerksamkeit auf die Portalwachen dirigierte, die am anderen Ende der Zugleine folgten, denn Spür-Hamster trugen keine Steuermarken, keine Maulkörbe und waren per se nicht gechipt oder geimpft. Ihre langweilige, lohfarbene Fellzeichnung changierte in der Welt der aufrecht taumelnden Affen von Bananengelb bis zu Auberginenschwarz, was entweder auf galoppierende Fäulnis oder gemeingefährliche Erkrankungen hinwies, zumindest für das menschliche Publikum, das derlei Farbenspiele als extreme Warnung zur Selbsterhaltung deuteten. In der Konsequenz wurde es dann schwierig. Selbstverständlich konnte man in Verteidigung den bewährten Friedensstifter einsetzen. Bei Zusammenrottungen wurde das jedoch rasch anstrengend, so um sich zu keulen. Die Munition entlud sich ja auch! Außerdem galten ja die obersten Regeln: niemanden verletzen und sich nicht einmischen. Wie man das dann unter einen Hut bringen sollte... Leporidae hätte trotzdem zuversichtlich einen Spür-Hamster geliehen. Mit einem schicken Mäntelchen für den Spür-Hamster und zu später oder früher Stunde konnte man die Risiken überschaubar halten, nur galt wegen der Menschen-Pandemie derzeit ein absolutes Grenzübertretungsverbot für alle vernunftbegabten, empfindenden Assistenz-Lebewesen. Dazu zählten, wie Horowitz mit seinem Zeigestock ausgedeutet hatte, die Spür-Hamster. Und auch, leider leider leider, die Tintenfische! Falls nämlich der Mensch, der ihm entwischt war, sich erinnerte, was es zu löschen galt, musste Leporidae sich etwas Anderes ausdenken! Ein Tintenfisch auf dem Kopf, kurze Session elektrischer Signale: feine, sehr verträgliche Amnesie. Saubere Angelegenheit! Alternativ Einsatz des Friedensstifters, rustikal einer Keule oder eines Aromabeutels mit einer Spezialrezeptur! Nichts, das zu Leporidaes Fundus zählte. Missmutig blätterte er deshalb durch das obligatorische Handbuch, doch es tat sich kein Hoffnungsschimmer auf, was bedeutete, dass er sich wohl oder übel mit diesem-diesem HM1 auseinandersetzen musste! Da Leporidae nicht allzu häufig mit fortgeschrittener Technik in Kontakt kam, löste diese Perspektive bei ihm erhebliches Unbehagen aus. Und Hunger, weshalb er entschied, sich erst mal einen Rüben-Eintopf am Markt zu gönnen. ~*@*~ Mehr als ein wenig dekadent, auf Laurents großem Bett inmitten von Kissen zu sitzen und das Dessert zu löffeln, splitterfasernackt! »Nun ja, nicht ganz.« Korrigierte sich Mammut in Gedanken, denn er entsprach seinem Spitznamen in der Optik durchaus, konnte sich eher als "befellt" betrachten. Laurent, der sich immer wieder verlangend an ihn kuschelte, sich keineswegs an der rauen Qualität des Pelzes störte, genoss dieses Privileg sehr zufrieden. "Lecker." Lächelte er Mammut gerade an, leckte sich graziös die Mundwinkel frei. Seine feingeschnittenen Züge wirkten entspannt und gelöst. Mammut hob die große Hand und strich sanft über die fedrig-schwarzen Strähnen. "Dann wird uns der nächste Schritt wohl auch gelingen. In diesem Rezeptheft wird ein Crumble vorgeschlagen. Allerdings benötigen wir dazu einen Ofen und müssen Teig präparieren." Laurent schlang die Arme unter seinen Achseln hindurch, schmiegte sich an seinen großen Brustkorb. "Hmmm, das geht. Wir haben hier Auflaufformen, mit denen man auch backen kann. Wenn wir beide früh aus der Schule rauskommen, dann versuchen wir diesen Crumble." Gewohnt umsichtig legte Mammut beide Arme um Laurent. Seine Körperwärme sollte genügen, Zugluft auszubremsen. Ihre gemeinschaftlichen Aufmerksamkeiten sorgten auch für eine intrinsische Hitze. Eine Weile schwiegen sie unisono. "Verrätst du mir deine Gedanken?" Erkundigte sich Laurent schließlich mit einem schelmischen Zwinkern. Ertappt raufte sich Mammut automatisch die filzigen Strähnen auf seinem Kopf. "Nun, ich dachte, dass wir vielleicht auch Plätzchen oder Kekse backen könnten, um Charlie etwas zu schenken. Immerhin nehme ich dich ja sehr in Beschlag und sie hat niemanden fürs Longboarden." Dass sie beabsichtigte, auch IHN auf ein Board zu stellen, ignorierte Mammut lieber großmütig. Er war sich nicht sicher, ob er dieser Herausforderung gewachsen war. Laurent strich ihm nachdenklich über den Rücken, der leider auch mit Pelz beflockt war, was bei Mammut äußerst angenehme Empfindungen auslöste. "Das können wir versuchen, allerdings habe ich keine besonderen Ausstechformen. Sie würde natürlich ahnen, dass wir uns eigens um ihre wohlwollende Gunst bemühen." Setzte Laurent spitzbübisch hinzu. Mammut nickte ruhig. "Ganz richtig. Nur hätten wir sie bestimmt einbezogen, wenn es diese Beschränkungen nicht gäbe." Weil sie ja alle Kumpel waren! Laurent zog die Beine an, kniete sich, um Mammut näherzukommen, legte ihm die Arme um den Nacken, studierte das vertraute Gesicht. "Du hast recht." Bemerkte er nachdenklich mit der samtig-weichen Stimme, der Mammut so verzückt lauschte. "Ein Paar zu sein und diese Situation, das fördert leider Egoismen. Wir sollten unsere Freunde nicht darüber vernachlässigen, vor allem, wenn die Zahl so überschaubar ist." Ein Zwinkern nahm seiner Aussage die Schärfe. Mammut beugte sich vor, legte die Stirn an Laurents. "Danke. Ich suche nach schlichten Rezepten, ja? Es darf auch auf keinen Fall 'tussig' werden." Erinnerte er an ein immens wichtiges Kriterium, um vor Charlies strengen Augen Gnade zu finden. Laurent gluckste amüsiert, neigte den Kopf leicht und initiierte einen neuen Kussreigen. Bevor sich höchst erregende Zustände einstellen konnten, dengelte jedoch warnend die Erkennungsmelodie der Sesamstraße. Seufzend, einander noch einen Augenblick länger umschlingend, akzeptierten sie das Limit. Mammut musste schließlich den Zapfenstreich beachten. Doch morgen war ja auch noch ein Tag! ~*@*~ 04.12.2020 Leporidae pirschte sich lautlos an, umklammerte das präparierte Seil, überzeugte sich, dass der Knebel griffbereit am Gürtel hing. Rasches, entschlossenes Vorgehen! Mit diesem Vorsatz stürzte er sich ungeniert auf den bloßen Rücken seines Erzfeindes. ~*@*~ Eigentlich eine selbstmörderische Aktion, immerhin überragte ihn sein Erzfeind um ein ganzes Haupt und wog wahrscheinlich das Doppelte, aufgrund schierer Muskelmasse! Da brauchte man auch nicht mehr als ein Suspensorium zu tragen. Angeber! Die Kunst bestand darin, sich nicht wegschleudern zu lassen, das präparierte Seil als Schlinge um den Hals zu ziehen. Selbstverständlich folgte der Versuch, sich fauchend und schnappend zu befreien, was die Gelegenheit bot, die Gelenke der Klauen mit dem Seil zu umschlingen. Hatte man diese erst mal festgezurrt und den Knebel eingesetzt, war es gelungen, denn das Seil verlangte Gehorsam, wurde nicht schlicht mit den Krallen zerfetzt oder mit dem Raubtiergebiss durchgenagt! Leporidae keuchte nach dieser Anstrengung, rutschte jedoch nicht vom Rücken seines Gefangenen, orientierte sich eilig, ob er einen Baum mit starken Ästen fand. Nicht weit entfernt bot sich die Möglichkeit, weshalb er seinen Gefangenen zwang, ihm zu folgen. Er befestigte das Seil so, dass es diesen nötigte, die Arme über dem Kopf ausgestreckt zu lassen. Siegesgewiss zuckten Leporidaes Schnurrhaare, als er es sich vor dem Gefangenen bequem machte. "Ooooh, das wird mir so was von gefallen!" Kündigte er euphorisch an, die Gedanken an seine berufliche Misere verbannend, ließ die Pfoten über die nackte, purpurfarbene Haut gleiten, grinste in das wütende, nur durch den Knebel gedämpfte Fauchen. Er beugte sich vor, um den Brustwarzen seine Aufwartung zu machen, sie zu lecken, zu beknabbern, anzusaugen, zu umkreisen, während seine Pfoten jeden Rippenbogen nachzogen. Unter dem schlichten Suspensorium ragte stolz eine beeindruckende Erektion hervor. Im Vergleich wirkte die eigene, als er sich den Kittel abstreifte, bescheiden, doch darauf kam es nicht an. In Vorfreude massierte Leporidae das zuckende Zepter. Tummeln würde er sich allerdings auf der Rückseite. ~*@*~ Lange, glatte, blauschwarze Haare, lediglich mit einem schlichten Halm zusammengefasst. Leporidae wischte sie beiseite, um seine Zähne in den kräftigen Nacken zu drücken, ein "Begattungsbiss", goutierte das erstickte Fauchen und Knurren, doch Knebel und das präparierte Seil bewahrten ihn vor Schaden. Als Angehöriger einer sehr fortpflanzungsfreudigen, stets empfangsbereiten Spezies war Leporidae für delikate Situationen gut gerüstet. Er balsamierte seinen schon pochenden "Botschafter" der ungezügelten Lust mit einer schimmernden Salbe, die wie eine zweite Haut das Organ undurchdringlich umschloss und gleichzeitig die Gleitfähigkeit enorm erhöhte. Natürlich war es unerhört und beim ersten Mal hatte er geglaubt, sein Herz würde ihm vor Aufregung stehenbleiben. Aber dies war nicht das erste Mal! Niemand würde es ihm zutrauen. Außerdem hatte er einen grässlichen Tag hinter sich, weshalb Leporidae auch nicht sonderlich zögerte, den gefangenen Raubtierdaimon, seinen Erzfeind, engagiert zu penetrieren. ~*@*~ Leporidae schätzte, dass es etwa eine Viertelstunde dauern würde, bis sein Gefangener die Fesseln zerfasert hatte, ausreichend Zeit für ihn, das Weite zu suchen. Auch jetzt achtete er schon sehr darauf, dem Raubtiergebiss nicht zu nahe zu kommen. Seinen Kittel richtend, Knebel und präpariertes Seil verstauend tippte sich Leporidae mit der Pfote grüßend an die Löffel. "War mir ein erfüllendes Vergnügen, verfluchter Fleischfresser!" Dann hoppelte er in Höchstgeschwindigkeit davon. ~*@*~ Das Handbuch gab nicht mehr Hinweise als zuvor, bedauerte Leporidae, der eine wenig erfreuliche Unterhaltung mit dem Anklagenden vom Dienst hinter sich hatte. Zwar sprach Ikols versengtes Fell Bände und es gehörte sich nicht, eine Portalwache zu attackieren, auch lag von Horowitz bereits ein knappes Protokoll vor, das ein sichergestelltes Objekt des Delinquenten als mit "statischer Ladung versorgter Blitz-Aussender" bezeugte, doch es fehlte ein wichtiges Puzzleteil! Ja, Ikol verfügte nicht über einen Portalpass, allerdings hatte er auch, wie er listig argumentierte, gar nicht das Portal benutzt und musste deshalb keinen haben! Überhaupt sei die Entladung nur auf einen technischen Fehler zurückzuführen. Hätte Leporidae ihm nicht die Schocklanze ans Fell gehalten, wäre gar keine Spannung übergesprungen und hätte sich freigesetzt. Zudem war niemand geschädigt worden! Zumindest konnte kein Beweis vorgelegt werden, dass ein Mensch in Mitleidenschaft gezogen worden war! Grollend versicherte der Anklagende vom Dienst, der große Ähnlichkeiten mit einer Heuschrecke hatte, man WERDE diese Nachweise noch erbringen. Für den Moment dürfe Ikol sich weiter der besonderen Aufmerksamkeit und Fürsorge der Bevollmächtigten des Großen M erfreuen, blieb unter Verschluss, was Ikol gar nicht mal zu verdrießen schien und deshalb noch mehr Argwohn produzierte. Nicht bei Leporidae wohlgemerkt, der schon daran zu knabbern hatte, dass ihm sein Handbuch so gar nicht hilfreich zur Seite stand. Was in Ikols verdrehtem Verstand vorging, wollte er gar nicht wissen! "Kein Spür-Hamster, kein Tintenfisch!" Seufzend verließ Leporidae seinen Posten, betrat das winzige Büro der Aeroflott. Ein Kolibri-Dämon zirpte ihn ebenso freundlich wie geschäftstüchtig an. "Willkommen, willkommen, tritt näher, interessiertes Lebewesen! Womit können wir dienen? Ausgezeichneter Service, kleine Preise, Rabatt bei Naturalien!" Leporidae dechiffrierte das hochgeschwindige Zwitschern angestrengt. "Ähem, ich benötige eine Auskunft aus der Metropole, eine Abschrift aus dem großen Kompendium für die kleine Portalwache. Das genaue Kapitel kenne ich nicht, aber es geht um Möglichkeiten zur Identifizierung von Menschen und um angewandte Amnesie." Hasardierte er einen Arbeitsauftrag. Der Kolibri schwirrte vor ihm, pickte ein winziges Zettelchen aus einem großen Kasten. "Wenn du bereit bist, kann Drusilla deine Nachricht hier aufzeichnen. Im Kurierröllchen ein sehr günstiger Preis, kleiner Aufschlag für eine Empfangsbestätigung." Ein winziger Ameisendaimon spazierte heran, stippte in ein flaches Schälchen mit Farbe. "Ich suche unterdessen den passenden Einwurf heraus." Denn schließlich sollte die kleine, verplombte Einheit in das richtige Rohrpostsystem gelangen! ~*@*~ Es nieselte in eisigen Nadeln herunter, was die Aufenthaltsqualität im Freien doch erheblich minderte, allerdings handelte es sich um einen der Schultage, an denen sie sich nur spät und kurz treffen konnten. Laurent tauschte einen niedlichen Papier-Pinguin gegen eine kleine Skizze eines knuffigen Mammuts im Manga-Stil, sd-super-deformed, schmiegte sich an Mammuts Pullover, der gastfreundlich den Parka geöffnet hatte, um seine Körperwärme zu spenden. Die Feuchtigkeit verdampfte ja schließlich bei ihm, also konnte er sich da als großzügig erweisen! "Ich habe mir ein paar einfache Keksteige herausgesucht. Manche kann man wie Mürbeteig vorbereiten und kühl stellen. Sie wären fertig, wenn wir uns treffen, ich meine, wenn ich früh zu Hause bin und dort rühre." Zugegeben, ein elektrisches Rührgerät schien von Vorteil, doch Mammut traute sich zu, das auch mit Muskelkraft und Durchhaltewillen selbst hinzubekommen, immerhin hieß es von seiner Großmutter, sie könne mühelos mit einer Gabel Eischnee aufschlagen! "Bekommst du denn keinen Ärger? Deine Mutter könnte sich schon fragen, was du so anfängst?" Warf Laurent besorgt ein, blinzelte zu ihm hoch, die Wollmütze von Tropfen glitzernd. "Ich erweitere meinen Horizont. Es kann ja nicht immer nur um deftige Speisen gehen." Stellte Mammut eine Argumentation vor. Tatsächlich oblag es ihm, einen angemessenen Anteil der Haushaltsarbeiten zu übernehmen. Er konnte die Waschmaschine bedienen, auf dem Trockenboden richtig flaggen, bügeln und Wäsche falten, staubsaugen, aufwischen, Abflüsse säubern, das Bad in Schuss halten (samt Toilette, um "Zielgenauigkeit" und die Konsequenzen bei ihrem Mangel zu erfahren!) und aufräumen. Vorräte betreuen, Müll nicht nur trennen, sondern auch in die Tonnen vor dem Haus befördern oder den Glascontainer um die Ecke. Brot oder Kuchen zu backen, das gehörte jedoch bisher nicht zu seinem Aufgabenspektrum. Reis, Bulgur, Couscous: kein Problem, Gemüse putzen, zerteilen, zu schmackhaften Beilagen zubereiten, ob gebacken, gedünstet, gedämpft, notfalls gekocht, auch keine Herausforderung. Vor allem nicht, wenn man ein entsprechendes Geschäft führte. Fleisch- und Fischspeisen wurden servierfertig gekauft. Auch sonst hielt sich seine Mutter nicht mit Details auf, die viel Gerät oder besondere Fertigkeiten verlangten. Nein, Nudeln gab es als Trockenware, Blätterteig aus der Tiefkühltruhe! Zudem musste man Expertise bei anderen auch anerkennen und würdigen! Mammut kreiste mit einer großen Hand über Laurents Schulterblättern. "Ich komme meinen Verpflichtungen weiterhin nach. Ich habe auch nicht vor, dich zu verschweigen." Ernst blickte er in die tiefschwarzen Augen hinunter. Laurent lächelte wehmütig. "Das habe ich umgekehrt auch nicht. Lediglich im Moment ist alles noch so frisch, dass ich für mich selbst einen Weg suchen muss." Sich leicht einrollend hauchte Mammut einen Kuss auf einen kurzen Streifen Stirn zwischen feingeschnittenen Augenbrauen und Wollmütze. "Ja, ich muss auch erst noch meinen Trampelpfad finden." Zwinkerte er, immerhin kannten sie sich gerade erst seit dem jüngsten Halloweenfest, wenig mehr als einen Monat. Es gab so Einiges auszubalancieren und auszuloten, ohne schon auf die möglichen Reaktionen der Umwelt einzugehen. Seufzend schmiegte sich Laurent an seinen Brustkorb, die Lider gesenkt. "Früher hätte ich es vielleicht einschätzen können, aber es gibt keine Gewissheiten mehr. So wird dann mein Ballast auch zu deinem." Eine zarte Wange liebkosend richtete sich Mammut zu seiner imponierenden Gestalt auf. "Ich verfüge über eine gewisse Belastbarkeit, meine ich. Zudem fürchte ich, dass es bloß eine Frage der Zeit ist, bis wir Farbe bekennen müssen." Ihn konnte man kaum verwechseln. Wer bei seiner Mutter einkaufte, ließ möglicherweise auch mal Andeutungen fallen. "Dann wird es uns aber besser gelingen, wenn wir uns vorher erfolgreich gestärkt haben. Mit einem aufgeladenen Glücks-Akku kann uns nichts schrecken." Verkündete er entschieden, fing Laurents überraschten Blick auf, gefolgt von einem amüsierten Glucksen. "Wenn du so argumentierst, kann ich es gar nicht abwarten, mit dir Plätzchen zu backen." Mammut grinste schief und widerstand dem Impuls, sich verlegen die filzigen Zottel am Oberkopf zu raufen. "Ich folge nur meiner Vorstellung von Glück." Ergänzte er im Bass, die Arme um Laurent schließend. Zudem war er ja wohl ausreichend gegen Kleine Eiszeiten und andere gesellschaftliche Frostperioden und Tiefausläufer gewappnet! ~*@*~ So ganz aus dem Gedächtnis streichen konnte Dirk die mutmaßliche Falle mit einem Plüschtier-getarnten Elektroschocker nicht. Weil er sich mit BlueMax lebhaft über die diskutierte Zwangsverpflichtung zum Einbau von Generalschlüsseln in die Kommunikation ausgetauscht hatte, kamen sie auch auf die Psychologie zu sprechen. BlueMax amüsierte sich über die merkwürdige Vorstellung, "aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen", die immer mal wieder angeführt wurde, die Illusion von Kontrolle als Garant für Sicherheit, obwohl man doch gegenteilige Erfahrungen kennen musste. Es existierte in der physikalischen Welt keine "totale Kontrolle", die Evolution allen Daseins verlangte Spielräume und Varianten. Dirk, der hin und wieder überrascht war, dass BlueMax "Menschen" explizit erwähnte, schob dies dem wackeren Versuch zu, geschlechtsunabhängig zu formulieren. Weil es gerade um die Psyche ging, die fehlerbehaftete, flexible Sicht auf die Welt, berichtete er von seinem nächtlichen Erlebnis. BlueMax machte sich sofort erbötig, etwaige Hinweise auf "Spaßvögel" zu sondieren, sollten diese digitale Spuren hinterlassen haben. Ob wohl unvollständige oder fehlgeleitete Nervenimpulse Ursache waren, sich mit Vorsatz dem Missgeschick oder Leiden seiner Mitgeschöpfe zu widmen? Dirk konnte keine Expertise diesbezüglich anführen, denn er erforschte nicht die verschlungenen Botenwege eines menschlichen Gehirns. Über die Existenz von "Matschbirnen" musste man mit ihm jedoch nicht streiten. [Kuriose Ereignisse in interessanten Zeiten] Fasste BlueMax wie stets gutgelaunt das Fazit ihres Meinungsaustausches zusammen. Dirk, der Wohlgerüche schnupperte, verfolgte das Thema nicht weiter, sondern notierte sich rasch einen Einkaufszettel. Er nahm lieber größeren Anlauf auf die Feiertage, wo er von Reserven zehren musste. Glücklicherweise ersparten die Umstände ihm in diesem Jahr eine unbequeme Anreise, eine Höflichkeitshalbestunde und das Aushändigen von Mitbringseln, wobei selbstredend erwartet wurde, dass er auch finanzielle Zuwendungen unbar getätigt hatte, quasi als Option auf die Zukunft. Dirk hegte diesbezüglich Zweifel, hielt sich aus Diskussionen jedoch heraus. Dazu hätte er auch mehr Interesse für den Nachwuchs der Verwandtschaft aufbringen müssen, als er gewillt war. BlueMax fragte prompt neugierig nach, mit welcher Strategie sich Dirk an die Planung und Beschaffung der Vorräte gab. Prioritäten, Bedeutung, Haltbarkeit, Lagerplatz: verblüfft, dass seine kaum bemerkenswerte Vorgehensweise den digitalen Gesprächspartner faszinierte, gab Dirk bereitwillig Auskunft. Er dachte, dass er sich vielleicht doch ein Säckchen Kekse gönnen sollte. ~*@*~ Laurent gluckste leise, als Mammut mit kritischem Blick den Schraubdeckel des schlanken Oliven-Glases musterte. Mangels Ausstechformen hatten sie einfach Gläser genutzt und eben auch Verschlüsse. Hin und wieder wärmte sich der gekühlte Teig jedoch so sehr an der Zimmertemperatur, dass er sich nicht mehr aus der Form lösen wollte. Da wurde gewedelt, geschüttelt! Mammut wandte sich würdevoll und keineswegs geschlagen dem Kühlschrank zu. Mal sehen, wer eher aufgab! Laurent, der mit schlichten Serviettenringen, die man zweckentfremdet hatte, sehr viel leichter operieren konnte, küsste ihn tröstend auf die Lippen. "Das wird bestimmt prima! Glaubst du, sie kühlen rechtzeitig ab, damit wir die Doppeldecker zusammenbauen können?" Denn einige der Kekse sollten eine Einlage aus Aprikosenkonfitüre bekommen. Mammut studierte seine Notizen. "Eigentlich sollte es funktionieren, doch zur Not strecken wir unsere Aktion auf zwei Tage." Schlug er vor, höflich sein "Glück"-Heft zur Inspektion mittig platzierend. Dort hatte er nämlich die ausgewählten Rezepte aufgeschrieben. Laurent, der eifrig die Backbleche bestückte, seufzte. "Aber morgen musst du doch in die Klinik, nicht wahr? Wird es nicht zu anstrengend, anschließend noch hierher zu kommen?" Mammut pinselte vorsichtig bleiche Keks-Rohlinge ein. "Nun, es wäre ein bisschen knapp, schon, doch warten wir mal ab, ob es nicht schon heute klappt." Ein dezentes Klingeln ertönte. Eilig schlüpfte Laurent in die Backhandschuhe, exilierte aus dem tätigen Backofen den Crumble in der Auflaufform. Sie schnupperten genießerisch, nutzten die Hitze, die vollständig belegten Bleche einfahren zu lassen. "Ein wenig ruhen lassen, richtig? Was meinst du, Tee dazu? Oder lieber Cappuccino?" In geschmeidiger Eleganz deckte Laurent den kleinen Bistrotisch im "Wintergarten". Der Kaffeevollautomat streikte noch immer, deshalb ging es altmodisch mit heißem Wasser und Pulver zu Werke. "Ich hätte gern Cappuccino, wenn es keine Umstände bereitet." Äußerte sich Mammut im Bass, löste die letzten Keksrohlinge, exilierte auch den Widerständler aus dem Deckel. Kühlschrankkühle tat hier wahre Wunder! "Dann nehme ich das auch. Ah, kannst du mir bitte den Korkuntersetzer geben? Danke schön!" Lächelnd beugte sich Mammut herunter, ließ dieser Tat einen Kuss folgen. Charlie hätte es wohl als grauenvoll-tussig-verkitscht-peinliches Benehmen abgetan, doch hin und wieder wollten sie ein wenig albern sein, wenn das erlaubte, sich Küsschen en passant zu geben! Die erste Ladung der Kekse im Ofen verstaut, einen strengen Vorwarnhorizont eingerichtet, machten sie es sich im "Wintergarten" bequem, soweit man dies bei der handtuchschmalen Enge konnte. Draußen war die Welt unwirtlich, kalt, dunkel und nass, hier, sanft beleuchtet, ein erstes Backwerk aus eigener Fabrikation verkostend, konnte es gar nicht gemütlicher und angenehmer sein. Laurent lachte plötzlich leise auf, beantwortete Mammuts fragenden Blick verschmitzt. "Ich dachte gerade, dass ich diesen Posten in meinem Glück-Album abhaken kann. Da kam mir in den Sinn, dass wir auch mal gemeinsam Spaghetti essen sollten, wie Susi und Strolch." Obwohl Mammut nicht sonderlich viel von Walt Disney-Filmen wusste, die älteren Datums war, kannte er DIE Szene doch. "Schön, aber nicht zu viel Soße, sonst verbringen wir mehr Zeit beim Wischen und Waschen." Sein pragmatischer Einwand veranlasste Laurent, ihm ein filmreifes Schmollmündchen zu präsentieren. "Du bist so gar nicht romantisch!" Beklagte er sich, doch seine samtig-weiche Stimme tanzte vor mühsam gebändigtem Vergnügen. Sich die filzigen Strähnen raufend nickte Mammut nachdenklich. "Ja, leider. Ich bin dazu erzogen, Ordnung zu halten und bloß nichts Ungebührliches anzustellen. Doch eine Alternative könnte ich offerieren." Schmunzelnd stützte Laurent sein Kinn in eine elegante Hand, senkte die Lider auf Halbmast. "Oh, und welche wäre das?" Mammut zwinkerte. "Nur ein Stuhl, ein Teller und eine Gabel." ~*@*~ 05.12.2020 Leporidae beäugte misstrauisch den HM1. Horowitz hatte ihm zwei Mal sehr bedächtig erklärt, wie das instandgesetzte Gerät funktionierte. Selbstverständlich wäre ein Spür-Hamster einfacher gewesen, die benötigten keinerlei Anleitung und legten ganz von selbst los, aber nun musste man sich eben behelfen! Angefangen damit, auf der anderen Seite möglichst unauffällig eine Spur aufzunehmen, was nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war. Ausreichend angesengtes Fell von Ikol führte den HM1 zum Tatort, keine Frage, doch unzählige andere Spuren in der Atmosphäre hatten diesen zwischenzeitlich gekreuzt und winzige Teilchen verwirbelt. Auf dem schlichten Anzeigenfeld, auf das Leporidae nun unbehaglich stierte, meinte man, ein undurchdringliches Netz abgebildet zu sehen. Es war nun an ihm, den richtigen "Faden" auszudeuten. Das mitten in der Nacht, im dunstigen Zwielicht! In Erwartung widriger Umstände hatte sich Leporidae Stoffbahnen um Arme und Beine gewickelt. Sich nur im Kittel die Nacht um die Löffel zu schlagen, bei dieser Witterung?! Ganz sicher nicht! Unglücklich brummelnd ging er in die Hocke, ließ den HM1 bodennah über die Stelle wandern, wo Ikol vor seinem Freiflug nach Schocklanzen-Kontakt gelegen hatte. Spuren über Spuren! Leporidae blickte sich um. Eine von ihnen musste ja zurück auf den Gehweg führen, richtig? Wo der Mensch gelegen hatte. Mehrmals marschierte er nun auf und ab, bis er überzeugt war, aus dem Wirrwarr die vielversprechendste Spur ausgedeutet zu haben. Entschieden seine Schocklanze umklammernd hoppelte Leporidae los, den Blick auf den HM1 gerichtet. ~*@*~ Für Frustration hatte Leporidae keine Energie mehr übrig. Viel zu oft für sein Nervenkostüm hatte er blitzartig Fuhrwerken oder Tieren samt Begleitung ausweichen müssen. Wieso schliefen die nicht alle artig?! Es war schließlich dunkel und dunstig und feucht und kalt und, brrr!! Leider entwickelte sich seine Mission auch nicht gerade euphorisierend, denn die Spur, so es die richtige war, endete vor einem Haus mit komischer Schachtelstruktur und einer verschlossenen Tür. Leporidae kannte Schriftzeichen, Türglocken und flache Kästen als Äquivalente zu den Rohrpost-Enden der Aeroflott. Schlösser konnte man knacken, nur, störendes Detail!, was nutzte es ihm, die hinderliche Haustür zu überwinden, wenn er nicht wusste, in welcher Schachtel sich der Mensch verbarg?! Der HM1 arbeitete, wie Horowitz ihm seelenruhig erklärt hatte, gut draußen, an der frischen Luft oder dem vorherrschenden Ambiente außerhalb von geschlossenen Räumen. Dunst, Nebel, Regen, Schnee, Hagel: kein Problem. Wände, Dächer, fest umgrenzte Örtlichkeiten: nicht so gut. Die Fehlerrate wuchs rapide, besonders in diesen Transportboxen an Drahtseilen. Wegen Belüftungseinheiten, Unterdruck oder Luftverbesserern als feine Grüße der Zivilisation. "Er könnte die Treppe genommen haben." Sprach Leporidae sich erfolglos Mut zu. Na, nicht sehr wahrscheinlich, wenn der Mensch durch die Bewusstlosigkeit angeschlagen war! Hilflos blickte Leporidae an der Gebäudefront hoch. Seine Beschreibung des Menschen resultierte recht vage in "mittelgroß, Hose, Jacke, Schal, Mütze, Maske". Damit war hier kein Blumentopf zu gewinnen, geschweige denn den notwendigen Beweis für Ikols Schandtat zu sichern! Somit blieben nur zwei wenig erfreuliche Optionen übrig: auf die Lauer legen und mit dem HM1 darauf warten, dass das Opfer irgendwann mal das Gebäude verließ, oder geschlagen zurückkehren und Unterstützung anfordern. Die Löffel geknickt erwog Leporidae die Konsequenzen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: was, wenn der HM1 fliegen könnte? Einmal rund um jedes Geschoss, denn da gab es ja diese Auslassöffnungen und Fenster und Ventile! "Ich brauche Verstärkung aus der Luft!" Entschied Leporidae hoffnungsfroh, klemmte sich die Schocklanze unter die Achsel und flitzte in großen Sprüngen los. So konnte ihm wirklich niemand vorwerfen, er ginge nicht mit Elan und Finesse an diese schwierige Angelegenheit heran! ~*@*~ Horowitz lauschte geduldig der aufgeregten Schilderung der Portalwache mit Spezialauftrag, offenkundig ein wenig übereifrig, aber kreativ. Behutsam nahm er den betagten HM1 entgegen, kontrollierte die Anzeigen, legte den Apparat sanft auf ein gefaltetes Tuch hinter sich in ein Regal, schraubte dann gemächlich den Zeigestock zylindrisch auseinander. "Fliegende Unterstützung. Nicht passieren dürfen aktuell..." ~*@*~ Grollend stapfte Leporidae, noch ohne Frühstück und keineswegs aus der Verantwortung für die Nachverfolgung entlassen, bei der Aeroflott vorbei. Möglicherweise war schon eine Antwort auf sein Hilfsersuchen eingetroffen? In das Wohnheim wollte er sich nichts schicken lassen, denn da schlief er ja bloß, während diese vital wichtigen Informationen bei seinem höchst kritischen Einsatz dringend benötigt wurden! Aber auch hier erlebte er eine deprimierende Enttäuschung, die seine Löffel noch tiefer sinken ließ: keine Nachricht, kein Auszug aus dem großen Kompendium für die kleine Portalwache. "Toll." Schnaubte Leporidae verdrießlich. Sollte er sich jetzt aus Möhrenkraut eine Wünschelrute basteln und den verlustig gegangenen Menschen auspendeln?! Wer war er denn, McLeporidae?! Frustriert in den Feierabend oder vielmehr dienstfreien Morgen entlassen entschied Leporidae, gegen das hohle Gefühl im Kopf einen gefüllten Magen zu setzen, weshalb er es sich auf dem Markt gemütlich machte, appetitlich versorgt von den dort stationierten Garküchen. Während er engagiert mümmelte und die Schnurrhaare rhythmisch zuckelten, grübelte er über sein Dilemma. Wie konnte man einen Menschen aufstöbern, wenn die Optik nicht half? Wenn er keine Spürnase, lebendig, auf die andere Seite lotsen konnte? Vage skizzierte sich in seiner Vorstellung ein heldenhafter Versuch, eines dieser Leinen-Tiere, denen man Beutelchen dienstbar hinterher trug, zu entführen, aber die waren vermutlich nicht willens, lautstark und bissig! Nein, keine vielversprechende Taktik. Zudem würde jedes Riechorgan ein Geruchsmuster benötigen. Leporidae grollte. Wenn er vorschlug, den HM1 auf die gemessenen Spurteilchen hin zu sezieren, würde Horowitz ihm vermutlich die Löffel kneifen, verständlicherweise. Blieb also nur übrig, sich auf die Lauer zu legen und einen Menschen auszudeuten, der dort im Schachtelbau hauste und so ein komisches Brett mit sich führte. Keine Perspektive für Leporidae, der nicht gern in nassen, kalten Büschen herumhockte. So ganz war er sich auch nicht sicher, ob die Bretter nicht serienmäßig dazu gehörten. Am Portal zu wachen oder die labbrige Dimensionsgrenze entlang zu patrouillieren führte nicht zu einem exzessiven Wissen, was die Bewohnenden der anderen Seite betraf. Eigentlich hatte er ja auch Mee-Poo werden wollen! Blieb eben doch nur übrig, den HM1 ums Haus kreisen zu lassen. Leporidae spürte, wie ihn so langsam die Müdigkeit einholte. Nach all der Aufregung und überzogenen Schicht fühlte er sich tatsächlich rechtschaffen müde. Schade, dass bei der Aeroflott auch nur echte Daimonen arbeiteten! Wenn man irgendein Gerät hätte...! Mit gebremsten Enthusiasmus flanierte Leporidae über den Markt und Richtung Schlaffurche im Wohnheim. Was flog? Na, Ballons, die mit Gas gefüllt waren, komische Gleiter, wenn es zuverlässige Thermik gab. Matt stampfte er die Stiegen hoch, steuerte sein Kämmerchen an und plumpste fast auf die Schnurrhaare. Wenn man jetzt mit einer Schleuder immer wieder...? Nicht einige Augenblicke später ratzte Leporidae noch immer ratlos schnorksend weg. ~*@*~ Der Anklagende vom Dienst war nicht glücklich. Das dürre Protokoll mit Hasenpfote hingekleckst, trug nicht zu seiner Erheiterung bei. An Leporidae war zweifelsohne kein Literat verlorengegangen. Oder ein feinsinniger Schriftzeichen-Ästhet. Eine erneute Nachfrage beim potentiell-möglichen Delinquenten erwies sich als wenig fruchtbar. Ikol blieb bei seiner Geschichte, geschmeidige Kombination von Spaziergang und Fellpflege mit einem selbst kreierten Gerät, ein versehentlicher Stolperer, hoppla, schon auf der falschen Seite gelandet! Vor Schreck wie erstarrt. Tarnende Schockstarre, quasi, bis ein gemeingefährlicher Mensch ihn unverhohlen attackiert hatte! Dabei gab es dann eine gänzlich unerwartete Fehlfunktion und die verstärkte ja die übereifrige Portalwache mit der Schocklanze! Warum sollte sich ein Daimon auch auf die andere Seite begeben, wo diese Menschen doch GAR NICHTS auf die Reihe kriegten! Dieser Kernaussage folgte eine minutiöse Aufzählung aller Makel, Unvollkommenheiten, Ignoranz, grenzenloser Unfähigkeit. Der Anklagende vom Dienst entschied entnervt, an dieser Stelle, da es auch redundant wurde, die Befragung zu unterbrechen. Während er Heu kaute und einen doppelten Eichelkaffee, schwarz geröstet, nippte, schwante ihm, dass Ikol EXTREM gerissen war, verschleierte heimtückisch die wahren Absichten, ließ sie gerade ziemlich trottelig aussehen, denn ganz unplausibel klangen diese Erläuterungen ja nicht! Der Vorstand des Friedensgerichts würde sich nicht von lapidar-hingeworfenen, vagen Vermutungen überzeugen lassen, weshalb im Moment alles davon abhing, dass Horowitz' technisches Gutachten eine "Zweitnutzung" des vorgeblichen Frisiergeräts belegte und die übermotivierte, aber etwas untertalentierte Portalwache SCHLEUNIGST das Opfer ausfindig machte. "Noch einen, Kamerad?" Der Anklagende vom Dienst nickte deprimiert, ließ sich den Becher auffüllen. An Tagen wie diesen bereute er sehr, nicht auf den Rat seiner Mutter gehört zu haben. "Wieso machst du es nicht wie Cousin Larry? Finanzen, Bilanzen, Insolvenz, Unternehmensrecht, DA liegen die Chancen! In den Bildungsinstituten suchen die immer Lehrkräfte. Geregelte Arbeitszeiten, nette Umgebung, keine Abhängigkeit von anderen!" Der Anklagende vom Dienst leerte grimmig seinen Kaffeebecher. Selbst als Heuschrecken-Daimon konnte man einen anderen Karriereweg einschlagen! Cousin Larry war bloß im Auseinandernehmen gut, konnte aber nie ein Puzzle zusammensetzen. ~*@*~ 06.12.2020 Charlie bremste trotz der nicklig-glitschigen Gehwegplatten geübt, ließ das Longboard in ihren Handschuh sausen. "Was denn, Strohwitwer?" Neckte sie kess Laurent, der kurz vor ihr eingetroffen war. Hinter der kunstvollen Maske konnte man keine Grimasse erkennen, aber sie hörte zumindest ein Seufzen. "Mammut hat mir abgesagt, es dauert alles viel länger. Ich bin nun mal daran gewöhnt, ihn jeden Tag zu sehen." In der samtig-weichen Stimme klang ein gewisser Groll mit. Die Skibrille auf ihren Bowler lupfend zerrte Charlie sich auch die Maske auf Halbmast. Frische Luft, schön, sie roch modrig, dazu Abstand, kein Auflauf, das musste genügen! "Scheint übel süchtig zu machen, dieser Liebes-Kram, geht auch nicht flott vorbei!" Kommentierte sie mit Schaudern, sich an Linus und seine Leseratte erinnernd. Die wurden einander nicht leid. Hulk schien den falschen Powermann auch nicht abservieren zu wollen. Laurent lachte leise, bereits versöhnt mit dem grämlichen Gesichtsausdruck seines Longboard-Kumpels. Er öffnete seinen Rucksack und überreichte Charlie feierlich eine Blechdose. "Uh, nett. Soll ich den Inhalt verbuddeln, oder ist es was Ungefährliches?" Erkundigte sich Charlie mit sonnigem Humor. Glucksend zwinkerte Laurent. "Ich würde meinen, dass es für dich ungefährlich ist. Aber wenn du an die fiesen Tierchen denkst, die nachts die Klamotten enger nähen..." Entschieden klappte Charlie die Blechdose auf. Vor Kalorien hatte sie überhaupt keinen Bammel, das war Tussenkram! "Boah, Kekse?! Habt ihr echt zusammen Kekse gebacken?" Laurent nickte, goutierte die Verblüffung. Zugegeben, wenn man sich an das Beweisbild erinnerte, das Charlie vom "Brotback-Versuch" ihrer Mutter präsentiert hatte... Charlie malmte bereits mit kritischer Miene. "Leggääaaa!" Bekundete sie gravitätisch, kaute gründlich. "Das freut mich. Wir haben auch einen Crumble gemacht, aber der sollte gleich verzehrt werden." Auf der Höhe kulinarischer Angebote (wenn man sie als Fertigmahlzeit für die kombinierte Mikrowelle erwerben konnte) lupfte Charlie eine Augenbraue. "Is nich wahr, so'n Krümelkuchen mit Frucht dazwischen? Verdammte Hacke, wenn wir uns wieder zusammenrotten dürfen, lad ich mich so was von bei dir ein!" Kündigte sie kriegerisch an. Laurent lachte und neigte dezent den Kopf. "Darauf freuen wir uns auch. Bis dahin üben wir einfach ein bisschen." Versöhnte er sanft mit der vorgegebenen Distanz. "Na, das sieht jedenfalls appetitlich aus. Bei mir zu Hause will ich das lieber nich testen. Am Ende haben wir dann zig Klosteine herumliegen." Sellte sie die gemeinschaftlichen Anstrengungen ihre Familie in Frage. Vor allem, wenn sich drei Familienmitglieder als wenig diplomatisch, sehr entschieden und extrem ungeduldig auszeichneten. Laurent schmunzelte, spazierte neben Charlie her, die die Blechdose sorgsam in ihrem Rucksack verstaute. "Danke, wird mir bestimmt schmecken und ich teile auch nicht. Bekommst die Dose natürlich wieder." Versicherte Charlie, grinste hoch. "Zum Nachfüllen, vermute ich." Konterte Laurent amüsiert. Charlie feixte bloß, ließ ihr Longboard herunter. "Komm, Kumpel, lass uns ein bisschen Asphalt fressen, ja? Die Arschhockerei und das Gedengel auf dem Laptop lädieren meine Reflexe!" Laurent folgte dem Beispiel, ließ Charlie den Vortritt. Sie erlebten beide gerade eine Form von "Hybrid"-Unterricht, weil sich die Altbauten teilweise nicht durchlüften ließen und man in Kleingruppen schichtweise unterrichtet wurde. Der Rest war zu Hause digital zu erledigen. Mammut hingegen lernte im Durchzug. In der bis zu achtzügigen Gesamtschule waren viele Klassen in gestapelten Containern untergebracht, die eigentlich für ständiges Fensteraufreißen nicht gedacht waren, ohnehin mit der technischen Belüftung schnell an ihre Grenzen stießen, deshalb hatte die Schulleitung, von der robusten Sorte, kurzerhand verfügt, dass es keinen Zirkus mit versetztem Lüften, Dauersignalgeklingel oder anderem Quark geben würde! Die Fenster blieben konsequent ständig offen, ebenso die Türen. Durchzug, dazu wie im beliebten Waldkindergarten ganztägig an der frischen Luft, nur mit einem Dach über dem Kopf und Möbeln. Ja, das war modischer Ausstaffierung nicht dienlich und man musste sich erst daran gewöhnen, mit Handschuhen zu schreiben, aber andere bekamen das auch hin! So entstand wenigstens kein überflüssiger Lärm, kein Gedrängel. Man konnte in längeren Abschnitten lernen oder Tests schreiben. Erstaunlicherweise gab es kaum Proteste, vielleicht auch, weil man sich vorstellte, wie "Home-Schooling" dann wieder mit der eigenen Erwerbstätigkeit verbunden werden musste, dass der Stresslevel sank, wenn man nicht ständig aus dem Rhythmus gerissen wurde. Außerdem gab es schlichtweg keine Alternativen. Im Altbau konnte man nicht mal fix alles abreißen, entkernen. Lüfter und Bakterienfilter waren zu teuer und wartungsintensiv. Man musste sich eben behelfen. In der Folge verbrachte Mammut beinahe das übliche Zeitpensum in der Schule, wenn nicht Fachunterricht auf dem Plan stand, der selbst mit ausgefeiltem Konzept nur in Kleingruppen abwechselnd angeboten werden konnte. Natürlich gab es viele Möglichkeiten, auf Distanz "sozial zu interagieren", allerdings, Laurent stritt das gar nicht ab, hatte er bisher keinen engen Anschluss an seine Klassengemeinschaft oder die altsprachliche Schule gefunden. Sein Antritt zum zweiten Halbjahr im Frühjahr mündete in den ersten "Lockdown". Zudem hielt er sich lieber zurück, wartete erst mal ab. Hätte nicht der "Hund", sein Longboard, ihn dazu verpflichtet, sich in Gesellschaft zu begeben, wäre er Charlie nie über den Weg gelaufen, nicht unter ihre Fittiche als "Kumpel" gekommen. Mit Charlie war es einfach gewesen, sich ein "neues" Leben aufzubauen: keine bohrenden Fragen, kein Verlangen nach Erklärungen, eine bodenständige Art. Er konnte Charlie gar nicht hoch genug schätzen, deshalb fühlte er sich durchaus ein wenig undankbar, die Freizeit, die ihm blieb, mit Mammut zu verbringen. Andererseits brauchte er Mammut, egoistisch und beschämend, ja, keine Widerrede, doch Mammut nahm ihn mit all den Schwächen, Wunden, Unsicherheiten an, schreckte nicht vor ihm zurück. Mutig, entschlossen, zuversichtlich, nachsichtig, sein Retter in existentieller Not. Charlie schien zu vermuten, dass Mammut eine besondere Rolle zukam. Ganz patenter Kumpel schlug sie keinen Krach oder schmollte. Dabei hatte sie es auch nicht leicht, denn all ihre Kumpel schienen sich zu Pärchen zusammenzutun, oder wenigstens die, auf die es ihr ankam! Man konnte jedoch nicht behaupten, dass sie sich kleinkriegen ließ. "Was'n los, Kamerad? Zu viel Kekse gefuttert?" Charlie grinste herausfordernd, weil Laurent ein wenig ins Hintertreffen geraten war. "Wahrscheinlich rostest du schon zu schnell, hm?" Setzte sie noch einen drauf, wandte sich dann ab, um ordentlich Tempo vorzugeben. Laurent lachte leise über die Provokation, legte sich ins Zeug, um aufzuschließen. Manchmal tat es einfach gut, nur Asphalt zu fressen und an gar nichts denken zu müssen! ~*@*~ Mammut äugte verblüfft auf die Anzeige seines Mobiltelefons. Noch am Vorabend hatten sie telefoniert, weil sie sich ja nicht treffen konnten, den zeitlichen Verzögerungen bei seiner monatlichen Hormonbehandlung geschuldet. Laurent klang nicht so geknickt wie vermutet, sondern entspannt und gelassen, denn mit Charlie konnte er ja eine Longboard-Tour absolvieren. Die Textnachricht JETZT jedoch las sich sehr beunruhigend. Mit großen, weit ausholenden Schritten preschte Mammut vom Schulgelände zu ihrem gewohnten Treffpunkt. Aufgrund der Lüftungsproblematik musste Laurent im zweiten Schichtverfahren am Nachmittag in das altsprachliche Gymnasium, konnte den Vormittag zu Hause bei Schulaufgaben online verbringen, sich auf die Geschichtsarbeit vorbereiten, die angekündigt worden war, soweit Mammut sich zutreffend erinnerte. Die wenigen Leute umschiffte er mit größtmöglichem Abstand, einige blickten im Vorbeiflug verschreckt. Klar, 2,05m mit ordentlich Körpermasse wirkte wie eine Lawine mit Erdbeben, wenn er sich um Tempo bemühte. Was war wohl passiert? Warum sollte er unbedingt sofort kommen? Von weitem schon konnte er trotz beschlagener Brillengläser Laurent ausmachen, der nicht wie gewohnt auf einem Mäuerchen präsidierte, sondern stand, die Arme steif an die Seiten gepresst. "Da bin ich!" Verkündete Mammut im Bass überflüssigerweise, studierte Laurent besorgt, zumindest das, was man von dessen Gesicht zwischen Maske und Wollmütze erkennen konnte. "Schnell, bitte!" Automatisch ergriff Mammut die elegante Hand in einem dünnen Handschuh, registrierte ein verspanntes Zusammendrücken, als Laurent sich in einem beschleunigten Gang versuchte. Es wirkte ungelenk, storchenbeinig, angestrengt. "Vielleicht sollten wir langsamer...?" Schlug Mammut verwirrt vor, der sich diesen gestörten, ganz und gar nicht geschmeidigen Bewegungsablauf nicht erklären konnte. "Nein! Bitte, ich will ganz schnell nach Hause!" So, wie Laurent durch die Zähne sprach, hörte er sich auch gepeinigt an. Fruchtlose Versuche unterlassend passte sich Mammut dem staksenden Hoppel-Vorwärtskommen an. Selbst mit Stoffmaske hörte er Laurent zischend durch die zusammengepressten Kiefer atmen. Kaum gelang es ihm, die Hauseingangstür aufzuschließen, eierte er auch bereits zum Aufzug, Mammut unerbittlich im Schlepptau. Der hielt sich zurück, denn mal wieder konnte er seine Umgebung nur marginal erahnen, weil jede Änderung der Umgebung seine Brillengläser temporär eintrübte, doch mittlerweile war ihm der Weg zur Wohnung im 6. Geschoss bekannt. Er hoffte, dass Laurent Kollisionen mit dem Nachbarn verhindern würde, in den er versehentlich beinahe einmal gelaufen war, weil beide Parteien nicht mit "Verkehr" auf dem Flur gerechnet hatten. Hinter der Wohnungseingangstür ließ Laurent Rucksack und Longboard plumpsen, lehnte sich leise ächzend an die Wand, während Mammut sich ebenfalls seines Gepäcks entledigte, auch aus Parka und Schuhen schlüpfte. "Was ist los? Bist du verletzt?!" Erkundigte er sich im rauen Bass, ernsthaft betroffen. "Mein Zimmer, komm!" Zerrte ihn Laurent hinter sich her, bog vor der Loggia links ab, in stocksteifen Schritten, dirigierte Mammut vor das große Bett, das schon die Kissen verloren hatte, aufnahmebereit wirkte. Auch Laurent ließ keinen Zweifel an den Absichten, zerrte sich rasch Hemd und Pullover über den Kopf, versuchte, sich die gefütterte Stoffhose abzustreifen, leise winselnd. "Was um alles in der Welt ist los?!" Mammut, sich das dünne, langärmlige Hemd abstreifend, intervenierte nun, stützte Laurent ab, der ihm umzufallen drohte. "Verdammt!" Hörte er an seiner breiten, bepelzten Brust kläglich, von einem Schniefen akkompagniert. Selbstherrlich entfernte Mammut beide Masken, hob Laurents Kinn sanft, aber beharrlich an. Die tiefschwarzen Augen glänzten tränenpoliert. "Was stimmt nicht?" In diesem Augenblick löste sich Laurent leicht, versiegelte sich mit einer eleganten Hand den Mund. Allerdings brach er nicht in ein Schluchzen aus, sondern schien krampfhaft ein Erbrechen bändigen zu wollen. Der Würgereiz wehrte sich. Mammut entschied sich für eine radikale Lösung: sich neigend zog er mit einem Arm Laurent in Höhe der Kniekehlen die Beine weg, gleichzeitig fing er dessen Schulterblätter mit dem anderen Arm ein, legte ihn flach auf das Bett, nahm eilig Platz und massierte behutsam das Zwerchfell. Laurent keuchte, zwang schließlich den Impuls, sich übergeben zu müssen, in ein Rückzugsgefecht, zitterte nun jedoch unkontrolliert am ganzen Leib. Das veranlasste Mammut, nach der Bettdecke zu haschen, sie über Laurent ziehen zu wollen. "Nicht! Ich muss doch...! Es tut mir leid..." "Kannst du mir sagen, was weh tut?" Konzentrierte sich Mammut eisern auf die Prioritäten. Laurent wirkte erbarmungswürdig, bebend, sehr fahl im Gesicht, den Tränen nahe und mit schnatterndem Gebiss. "Der-der Anal-Plug..." Obwohl er durchaus Silben hörte, konnte sich Mammut keinen Reim auf Laurents Hinweis machen. "Bitte was?" Erkundigte er sich verwirrt, da rotierte Laurent bereits mühsam, leise schluchzend auf den Bauch. "Das sollte so nicht...! Ich wollte doch..." Mammut ahnte eher, als dass sich bereits Erkenntnis breitmachte: Laurents verzweifelter Versuch, den Beelzebub mit dem Teufel auszutreiben! Zudem wirkte das Areal von dessen nicht bemerkenswert ausgepolsterter Kehrseite ein wenig seltsam. "Ach du meine Güte." Kommentierte Mammut Begreifen, fädelte dann aber behutsam in den Gummi der Unterhose. Zwischen den schlanken Beinen in einem sehr empfindlichen Körpereingang ragte ihm eine Art Griff aus Kunststoff entgegen. Mutmaßlich noch ein Wunderwerk aus Medizinsilikon und auch noch in Pink! "Kannst du tief und langsam atmen? Nicht die Luft anhalten, okay?" Bewaffnet mit Papiertaschentüchern streichelte Mammut mit großen Händen erst über Oberschenkelmuskeln und Kehrseite, die Sehnen verkrampft, die Muskeln steif verspannt. Laurent, die Stirn auf die Unterarme abgelegt, schluchzte leise vor sich hin, eher frustriert als selbstmitleidig. "Das haben wir gleich." Versprach Mammut, kreiste mit einer großen Hand unablässig über Laurents untere Lendenwirbel. Die Lippen fest aufeinander pressend zog er langsam an dem Griff, hielt inne, wenn Laurent sich zu sehr verkrampfte, eine Pause brauchte, bis er, scheinbare Ewigkeiten später, das großzügig mit Gleitgel eingeschmierte Objekt geborgen hatte. "Du meine Güte." Stellte Mammut fest, widmete sich lieber möglichen Wunden und der Leckage, die auch nicht angenehm sein musste. Zu seiner Erleichterung mischte sich kein Blut darunter. Aber nun erklärte sich ihm auch, warum Laurent so seltsam gelaufen war, was den Würgereiz ausgelöst hatte. Rasch streifte er sich die Jeans ab, kroch unter die Bettdecke, die er entschieden über sie beide zog. Nicht einen Moment später schmiegte sich Laurent an ihn, schniefend und keuchend. Mammut hielt ihn fest, streichelte jedes erreichbare Fleckchen Haut, den zarten Nacken, die feinen, schwarzen Haare. "Ich möchte dich nicht bevormunden, aber mir wäre es lieber, du würdest so etwas nicht noch mal versuchen." Formulierte er für seine Verhältnisse strenge Kritik. "Angeblich-angeblich soll man dann gleich...! Und ich wollte unbedingt...! Aber die ganzen Vorbereitungen..." Bekannte Laurent stockend, ihm umklammernd wie ein übergroßes Stofftier. "Vielleicht erzählst du mir alles von Anfang an, hm?" Schlug Mammut vor, liebkoste die zarte Haut, die so gar nicht mit seinem rauhaarigen Ganzkörperpelz zu vergleichen war. Mit merklicher Mühe sammelte sich Laurent. "Gestern Abend, nachdem wir telefoniert hatten, brachte mein Vater Post von der Kanzlei mit, wegen des laufenden strafrechtlichen Verfahrens. Eine Vorladung zum Gerichtstermin in Hamburg." Laurent atmete tief durch, rang mit sich und einem unkontrollierten Zittern. "Ich-ich dachte, das-das würde noch dauern. Und dann ging mir so viel durch den Kopf! Ich konnte nicht schlafen, an Essen war auch nicht zu denken, sonst hätte ich wieder brechen müssen." Erschrocken fasste Mammut Laurent behutsam unter den Achseln, um diesen auf Augenhöhe zu befördern. "Du hast nichts gegessen?! Seit gestern Abend nicht?" Die tiefschwarzen Augen blinzelten Tränen aus den Wimpern. "Morgens hab ich so einen Protein-Shake gemischt. Der soll eine Mahlzeit ersetzen können." Unzweifelhaft sah man seiner Miene an, was er davon hielt, mutmaßte Mammut. Laurent seufzte kläglich. "Ich musste doch den Geschichtstest schreiben, sonst wäre ich gar nicht erst aus dem Haus gegangen. Weil ohnehin, nun ja, alles bei mir durchfällt, wenn ich unter Druck stehe." Dieser Umstand war Mammut allerdings schon bekannt. Seinem Blick ausweichend seufzte Laurent erneut, rutschte tiefer, um die Wange an Mammuts üppiges Brustfell zu kuscheln. "Ich will WIRKLICH, wirklich alles in Ordnung bringen. Der Strafprozess ist wichtig, auch, weil die Zivilklage darauf Bezug nehmen wird. Die bedeutet den Ersatz der Behandlungskosten, des Heimaufenthalts und vielleicht Schmerzensgeld. Aber auch..!" Er würgte erstickt, räusperte sich beinahe gewalttätig gegen sich selbst. "Ich will mich auch selbst überzeugen. Mit dem Verstand, ja, da kann ich sagen, dass ich nicht schuld bin, dass ich nichts falsch gemacht habe. Aber in der abgewandten Seite meines Herzens, da ist es nicht so eindeutig. Hab ich vielleicht einen missverständlichen Eindruck erweckt? Hätte ich nicht merken müssen, dass, dass es nicht nur um gemeinsame Interessen geht? Wieso, wieso hat er mich ausgewählt? Warum ist alles, mein ganzes Leben zerrissen worden?" Mit zugeschnürter Kehle streichelte Mammut Laurent, wiegte ihn, wärmte ihn, so gut er es als urzeitliches Überbleibsel vermochte. "Ich hab natürlich gelernt, wie ich diese Gedanken überschreiben muss." Laurent stemmte sich auf die Ellen, blickte ihm ins Gesicht. "Nur, weißt du, ich war seit der Abreise aus dem Krankenhaus nicht mehr in Hamburg. Ich will wirklich stark sein, aber dann erinnere ich mich, an diese Anfälle, an meine Panik und diese tote, sich ausbreitende Leere." Mammut kraulte sanft den zerbrechlichen Nacken. "Da wolltest du mit mir zusammen gegen den Korallentod ankämpfen." Was diese gemeingefährliche Aktion erklärte. Erschreckender Weise artete Laurents Verzweiflung hin und wieder derart selbstgefährdend aus, dass es ihm das Fell aufstellte! Mit einem beschämten Schniefen nickte Laurent minimal, rollte sich dann wieder auf Mammut ein. "Entschuldigung." Murmelte Laurent kläglich, was Mammut zu einer gemeinschaftlichen Rolle veranlasste. Er achtete jedoch darauf, sich so aufzustützen, dass Laurent kaum sein übermächtiges Gewicht zu tragen hatte. "Ich bin dir nicht böse. Ich möchte dir helfen. Können wir es konventionell versuchen?" Ernst studierte er das fahle Gesicht des wenig älteren Jugendlichen. Laurent lächelte zögerlich. "Kannst du mich bitte aufwärmen und retten?" Bat er leise, eine elegante Hand auf Mammuts Wange legend. "Ist mir eine Ehre und ein Vergnügen." Beschied Mammut prompt, ohne jeden Pathos im sonoren Bass, weil er jeden Buchstaben GENAU SO meinte. ~*@*~ 07.12.2020 Mammut liebte es zu küssen. Dass Laurent es mit ihm bis zur Perfektion übte, war ein Geschenk ohne Vergleich. Außerdem konnte er ihn ohne jede Verlegenheit wie etwas Kostbares, Einzigartiges behandeln, mit Respekt, mit Umsicht, mit Zärtlichkeit und Zuneigung. Keine übertriebene Feierlichkeit, aber eine unablässige Ernsthaftigkeit, weil er Laurent so schätzte, mochte, dessen Tapferkeit, den Humor, die Fantasie und unbestrittene Attraktivität. Möglicherweise fassten andere dieses Gefühlsspektrum als "Liebe" zusammen. Damit kannte Mammut sich nicht aus. Andererseits änderte ein Wort auch nichts. Er wollte helfen, um Laurents und seiner selbst Willen, denn zweifelsohne gab es nur wenige Menschen auf der Welt, die ihn anziehend fanden und ermutigten, ganz er selbst zu sein! ~*@*~ Laurent döste in Mammuts Arm, geschmeidig erwärmt, von einem gewissen Druck erfüllend befreit, was auch ohne gewagte Experimente funktionierte, weil Mammut ihn verwöhnte, sich so um ihn bemühte, freigiebig seine Körper, vor allem aber menschliche Wärme teilte. Das tat so wohl, dass Laurent am Liebsten geschnurrt hätte. Gleichzeitig jedoch fühlte er sich ein wenig benommen, kuschelte deshalb lieber mit diesem rauen, widerstandsfähigen Pelz, der ein ganz klein wenig an Plüschtier Bobbi erinnerte. Die Idylle wurde von einem ungezogenen Geräusch jäh gestört. Mammut lachte leise, massierte sanft Laurents eingesunkene Körpermitte. "Ich bin da vorurteilsbehaftet, fürchte ich, aber von diesen Protein-Shakes halte ich nicht viel. Was meinst du, wollen wir uns rasch frischmachen und dann schaue ich, ob ich dir etwas Richtiges zum Essen zubereite?" Laurent, beschämt und ärgerlich über seinen ungehobelten Organismus, seufzte hingerissen. "Du bist nicht nur mein Retter, sondern ein wahrer Prinz! Wie sagt man? Von charakterlichem Adel. Ich werde das, so niederträchtig es ist, ausnutzen müssen." Erneut gluckste Mammut im Bass. "Zu viel der Ehre, wirklich. Ganz Eigennutz, denn ich fühle mich besser, wenn ich etwas tun kann." Schließlich konnte er zum ungelösten Dilemma der Vorladung nichts Substantielles beitragen! Laurent löste sich und setzte sich auf, betrachtete ihn nachdenklich. "Du bist wirklich ein guter, edler Mensch, Mammut. Ich wünschte, ich würde dich nicht so sehr belasten, weißt du? Aber ich schaffe es nicht allein." Mammut, der ebenfalls in die Senkrechte kam, legte eine große Hand behutsam um Laurents Wange. "Ich möchte mit dir zusammen sein. Gemeinsam finden wir Lösungen. Angefangen mit einem anständigen Menü." Ergänzte er zwinkernd ob der nachdrücklichen Mahnung aus Laurents hohler Magengrube. Schwungvoll erhob er sich aus dem Bett, barg in Vertrautheit mit den Einbauschränken für Laurent eine dünne Decke. Die musste als Schutz genügen bis zum Badezimmer! ~*@*~ Nach einer gemeinsamen Dusche, nicht ihrer ersten, inspizierte Mammut die Vorräte. Laurent, der in seinem Zimmer Ordnung geschaffen hatte, ungewohnt leger wirkte in einem Hausanzug aus Flanell, schmiegte sich an seinen Rücken. "Wenn es dich stört...?" Mammut schmunzelte, streichelte mit einer Hand über die dünnen Arme um seine Mitte. "Nein, gar nicht. Wir müssen nur wie beim Tango abgestimmt vorgehen." Neckte er Laurent wagemutig, denn nach dem Schneiden der eingelegten Antipasti aus dem Glas strebte er die Herdplatten an. Glucksend kuschelte Laurent, äugte neugierig an einem Arm vorbei, was ihm kredenzt werden sollte. Herr über den Topf erhitzte Mammut erst Öl, in das er trockene Reiskörner bettete. Nahmen sie Glanz an, duftete es nussig, goss er mit der abgemessenen Menge Wasser nach, schnell aus der Kondenswolke entweichend. Während der Reis dämpfte, rührte er in einem kleinen Glasschälchen Senf mit Tomatenmark an und fügte Pfeffer hinzu. Noch etwas Currypulver aus der Mischung, edelsüßes Paprikapuder dazu! Die Antipasti durften die letzten zwei Minuten im Topf mitziehen, dann rührte Mammut kräftig um, die Soße ergänzend. Laurent seufzte hingerissen, was seinen knurrenden Magen nicht übertönen konnte. "Wir können einen Tee mit etwas Hafermilch dazu trinken." Schlug Mammut vor, der an eine gewisse Schärfe gewöhnt war, aber Laurents geplagten Magen nicht unnötig reizen wollte. Er löffelte eine Portion in eine Suppenschale, garnierte einen Löffel und zwei Scheiben getoastetes Roggenvollkornbrot dazu. Nun ja, seiner Mutter würde es nicht gefallen, Brot aus Plastiktüten zu essen, aber er konnte verstehen, warum der Männerhaushalt hier pragmatisch agierte. Laurent schenkte den Tee in zwei Gläser aus. "Ah, Augenblick!" Damit nahm Mammut in Laurents Sesselchen im Wintergarten der handtuchschmalen Loggia Platz, klopfte auf seine kräftigen Oberschenkel. "Mir war so, als fehlte noch ein Susi und Strolch-Moment." Neckte er Laurent. Kichernd nahm der brav auf seinem Schoß Platz, kuschelte sich an, ließ sich füttern. Hin und wieder schmuggelte sich auch ein Kuss dazwischen. "Oh, das ist wirklich so lecker!" Lobte er Mammut, strahlte ihn an, denn nun meldete sich sein verschmähter Magen mit Nachdruck. Endlich richtiges Essen! Laurent hatte gerade die Hälfte des Inhalts der Schüssel verzehrt, als sich in der Wohnungseingangstür ein Schlüssel drehte. Automatisch wechselten sie einen Blick, doch keiner erwog, hastig aufzuspringen, Distanz zu suchen, lächerliche Ausreden zu bemühen ob des Panoramas nur eines gedeckten Platzes. ~*@*~ Mammut war Laurents Vater bisher nicht persönlich begegnet, kannte lediglich das Familienporträt, das auf einem Regal stand. Unverkennbar die Ähnlichkeit in den feingeschnittenen Zügen und der Gestalt. Allerdings unterschied sich der Senior durch sandfarbene, leicht gelockte Haare und blaue Augen. Klassisch-elegant gekleidet konnte man ihn sich wirklich in der gehobenen Bürgerklasse vorstellen, wie man es in altmodischen Fernsehserien Ende der Achtziger bevorzugt hatte. Kombiniert mit seiner schönen, ein wenig exotischen und sehr scharfsinnigen Frau vermutlich ein Hingucker par exellence. Oder wie im Klischeebild von Werbe-Postillen für die gehobene, niveauvolle Kundschaft. "Oh, was für ein Wetter! Was riecht hier so appetitlich? Ah." Offenkundig keinen Besuch erwartend war Laurents Vater nach kurzem Aufenthalt an der Garderobe gleich zur Küchenzeile marschiert, bemerkte erst jetzt die Konstellation im Wintergarten. "Bist du nicht...?" Aber Mammut wusste, dass er selbst in sonnigsten Schilderungen recht eindeutig zu identifizieren war. Bevor er sich förmlich vorstellen konnte, runzelte Laurents Vater kritisch die Stirn. "Laurent, was ist hier los?" "Papa, das ist Mahmoud-Justin, von dem ich dir erzählt habe. Er hat mir und Charlie an Halloween geholfen." Setzte Laurent an. "Das ist gerade mal etwas mehr als einen Monat her! Ich glaube nicht, dass es gut ist!" Der Ton war streng, aber nicht scharf. Mammut, auf dessen Schoß Laurent ja immer noch saß, räusperte sich höflich. Üblicherweise hätte er sich erhoben, artig die Rechte zum Handschlag gereicht, doch in diesen Zeiten war Körperkontakt nicht opportun. "Guten Abend. Ich bin froh über die Gelegenheit..." Weiter kam Mammut nicht, denn es tropfte auf seinen Ärmel. Erschrocken wandte er sich Laurent zu. Dem liefen die Tränen aus den Augen wie Perlen an einer Schnur, er atmete schneller und schien wie erstarrt. Genauso erschrocken wie Mammut blickte nun auch Laurents Vater. "Lauri, mein Kleiner, nicht doch, nicht weinen!" Leidlich vertraut mit diesem Zustand, eine Spätfolge des Traumas und nicht einfach "abzustellen", schlang Mammut die kräftigen Arme um Laurent, wiegte ihn sanft, teilte seine verschwenderisch verströmende Wärme. "Es ist doch alles in Ordnung. Kein Grund, sich zu erschrecken, Laurent. Wir wollen uns unterhalten und kennenlernen. Du kannst noch ein bisschen mehr essen, hm? Alles ist gut, niemand streitet, wir kommen miteinander aus." Beschwor er sanft und beharrlich im Bass. "Ja, wir streiten nicht, hörst du?" Laurents Vater ging vor ihnen in die Hocke, fasste die eleganten Hände seines Sohnes. "Nicht mehr weinen, ja? Ich hab es nicht so gemeint, wie es rausgekommen ist." Mammut wechselte einen Blick mit dem älteren Mann. Er konnte nachvollziehen, warum ihm Misstrauen, Sorge, Schuldgefühl und Hilflosigkeit entgegengebracht wurde. "Möchten Sie vielleicht auch etwas essen? Im Topf ist noch Gemüsereis. Wir haben Tee in der Kanne. Mit gefülltem Magen lässt es sich leichter sprechen." Da Laurent nun zitterte, starr ins Leere blickte, schien es zumindest eine Option. Leise ächzend kam Laurents Vater aus der Hocke, bediente sich schweigend. Als er mit Schale und Teebecher in den Wintergarten trat, summte Mammut die dritte Wiederholung von "Alle meine Entchen". Ja, mit dem Klingelton auf Laurents Smartphone konnte er nicht mithalten, aber es kam auch gar nicht auf eine perfekte Kopie an. Das Zittern verabschiedete sich nämlich langsam, Laurent schlang ihm die Arme um den Nacken, kuschelte sich eng an ihn, den Kopf auf Mammuts Schulter abgelegt. Laurents Vater studierte einen langen Augenblick diese Szene. "Du weißt Bescheid? Über alles?" Mammut nickte ernst. "Laurent hat mir davon erzählt. Es stimmt, dass wir uns noch nicht sehr lange kennen, aber wir verstehen uns sehr gut. Ich achte darauf, ein guter Freund zu sein." Laurents Vater nippte an seinem Tee, seufzte. "Das eben war nicht persönlich gemeint, auch wenn es so klang. Ich will bloß verhindern, dass... Alles aufzufangen, das ist sehr viel." Für Laurent waren Psychopharmaka nun zu riskant, was seine fragile Disposition nicht gerade stärkte. "Ich helfe, so gut ich kann." Bekräftigte Mammut, registrierte erleichtert, dass Laurent sich nicht mehr so verkrampft an ihn klammerte. Er nahm den Teebecher, adressierte ihn. "Nimm erst mal einen Schluck, ja? Dann etwas Nachschub für die Kaumuskeln." Ein wenig ungelenk wandte sich Laurent herum, folgte jedoch seinen Empfehlungen. Es war rührend zu sehen, wie verschämt-hilflos sich Vater und Sohn anblickten, in ihren Schalen löffelten. "Ich strenge mich wirklich an, ich weiß ja, wie wichtig es ist." Murmelte Laurent schließlich, streckte den Rücken durch. "Ich hab mich nur an Hamburg erinnert." Er presste die Lippen zusammen. Sein Vater streckte eilig die Hand aus, streichelte ihm über die schwarzen, feinen Strähnen. "Wenn das nicht geht, ich rede mit deiner Mutter! Über die Kanzlei deichseln wir das. Bestimmt finden die eine Lösung! Wenn es noch zu früh ist..." Mammut bemerkte in den feingeschnittenen Gesichtszügen Pein. Jeder wollte tapfer sein, zurück in eine Normalität gelangen, die anderen nicht im Stich lassen. Es gab so viel auszuhalten, zu bewältigen. Das würde nicht einfach vorbei sein. Schlussstrich und abgehakt, das gab es nicht. Behutsam zog er mit einer großen Hand Kreise über Laurents Rücken. Möglicherweise wirkte es provozierend, doch das lag nicht in seiner Absicht. Laurents Vater stellte seine geleerte Schale ab. "Du kannst mir das sagen, Lauri. Ist nicht nötig, sich zu quälen, ganz und gar nicht! Kennst ja den alten Spruch: ein erkanntes Problem ist schon halb gelöst." Laurent gluckste leise, halb erstickt. "Ich hab mich ein bisschen dabei übernommen, alles selbst schaffen zu wollen." Bekannte er, schmiegte sich unwillkürlich schaudernd an Mammut. "Glücklicherweise hat Mammut mir wie so oft geholfen, sogar gekocht!" Er visierte seinen Vater an. "Ich hab ihn sehr gern, Papa. Es wäre schön, wenn ihr euch vertragen könntet." Mammut tauschte einen Blick mit dem älteren Mann aus. Der lächelte schief. "Klingt für mich nach einer leicht lösbaren Aufgabe." Nickend pflichtete Mammut ihm bei. "Ich werde mich anstrengen, Ihren Erwartungen zu entsprechen." Laurents Vater lachte. "Nun, mir sagt das Menü schon mal sehr zu! An eine Männerrunde mit warmem Essen dann und wann könnte ich mich gewöhnen." Mammut grinste, drückte Laurent behutsam. Eine Hürde hatten sie gut genommen! ~*@*~ Mammut kam sofort nach der Rückkehr in die kleine Wohnung seinen Haushaltspflichten nach. Die jahrelange Routine half, denn ihm blieb ja nur die Frist zwischen Zapfenstreich und der Heimkehr seiner Mutter aus dem Obst- und Gemüseladen. Auch die tägliche Krankengymnastik musste absolviert werden. Er richtete sich gerade für das Zubettgehen ein, als unerwartet seine Mutter in der Zimmertür stand, zwar ohne Mantel und Schuhe, jedoch noch in Tageskleidung. Sie musste gerade erst zurückgekommen sein. "Ich habe dir etwas zu sagen." Keine gute Einleitung, doch Mammut erhob sich stoisch und folgte ins Wohn-/Schlafzimmer. Statt einer Ansprache hielt ihm seine Mutter jedoch ihr Smartphone entgegen, mit einer Aufnahme: jemand hatte, aus einer gewissen Entfernung, ein Bild geschossen, wie er Laurent küsste. "Ich bin nicht einverstanden, hörst du?! Du bist zu jung für eine Freundin. Du hast kein Einkommen, keinen Beruf, kein Nichts. Was ist, wenn etwas passiert, hm?! Hast du daran mal gedacht?!" Mammut, der Platz nehmen musste, weil er seine Mutter sonst mühelos überragte, was bei Strafpredigten den Effekt reduzierte, atmete tief durch. "Nein, daran habe ich nicht gedacht." Antwortete er ehrlich. "Aha! Also siehst du es ein, ja?!" Die in die Hüften gestemmten Hände verrieten ebenso wie die ärgerliche Haltung, dass ein so einfacher "Sieg" nicht glaubhaft wirkte. Weil es ihn auch gar nicht gab. "Ich habe nicht daran gedacht, weil dieses Problem nicht eintreten wird." Ergänzte Mammut ruhig, entschlossen. Irgendwann, das war ihm bewusst, hätte er sich zu erklären. Dass es ausgerechnet an einem Tag gleich zweimal sein musste, das kam nicht ganz so erwartet, doch auch nicht wie ein Fanal. "Ach so? Du glaubst doch wohl nicht, dass es dabei bleiben wird, nur herumzuknutschen?!" Mammut unterdrückte entschieden den Anflug eines schiefen Lächelns. Er konnte seiner Mutter kaum anvertrauen, wie weit darüber hinaus er bereits gegangen war. "Ich glaube das wirklich nicht, stimmt. Es kann jedoch nichts passieren." Seine Mutter schnaubte. "Oh, das habe ich schon so oft gehört! Ja, sie nimmt ganz sicher die Pille, nein, nie ohne Gummi, ha! Du bist zu jung, du hast keine Ahnung!" Vermutlich referierte das auf bösartige Vamps, die ihren armen, trotteligen, naiven Sohn per Schwangerschaft in eine Ehe oder den Unterhalt zwingen wollten. Nicht gerade ein schmeichelhaftes Bild seiner geistigen Reife. Andererseits war er immer noch ein Kind, der arme, kleine Junge, der ständig Spritzen und Behandlung benötigte! Er legte die großen Hände auf seine Oberschenkel, saß sehr aufrecht. "Mama, das Problem ergibt sich nicht, weil es Laurent ist, den ich küsse. Er ist definitiv ein Junge." Was potentielle Risiken für ungewollte Schwangerschaften zumindest als äußerst unwahrscheinlich einstufte. Wenig ermutigend verhärteten sich die Gesichtszüge seiner Mutter. "Ein Junge? Du küsst einen Jungen?" "Ja." Antwortete Mammut schlicht. "Das erlaube ich nicht. Mein Sohn ist nicht so einer. Das hört sofort auf." Mammut erhob sich langsam. "Ich weiß nicht, ob ich 'so einer' bin, Mama, aber ich habe Laurent gern, sogar sehr gern. Damit werde ich nicht aufhören." Er konnte den Zorn aufblitzen sehen, aber auch die Angst. Natürlich. Das Photo war sicherlich nicht aus wohlmeinender Absicht gesandt worden, sondern um Ärger zu stiften. Man würde es ihr ankreiden, ihr Versagen vorwerfen, wenn ihr Sohn vom Pfad der Tugend abkam. "Ich erlaube es nicht! Du wirst tun, was ich dir sage. So etwas Abstoßendes kommt in unserer Familie nicht vor!" Mammut atmete tief durch, spürte eine eiserne Entschlossenheit, die er der Begegnung mit Laurent verdankte. "Das ist möglich, dass es in dieser Familie nicht vorkommt. Du wirst mich, sobald du nicht mehr zu meinem Unterhalt verpflichtet bist, enterben und verstoßen müssen. Eine ganz legitime Reaktion. Ich werde aber nicht aufhören, ich zu sein und für das, was ich schätze, zu kämpfen. Es ist schade, wählen zu müssen, doch wenn ich es muss..." Er nickte bedächtig. "Wenn ich wählen muss, dann werde ich mich für den Menschen entscheiden, der mich so annimmt und schätzt, wie ich bin." ~*@*~ 08.12.2020 "Wie kommt's, dass wir uns draußen zu dritt treffen können?" Charlie hängte ihr Longboard an ihren Rucksack, schob die Skibrille auf ihre Mütze. "Frische Luft." Brummte Mammut, ließ die Schultern kreisen, aber nicht, um sich wie früher klein zu machen, seine Silhouette schrumpfen zu lassen. "Was ziehste denn so ne Fresse? Muss ich die Laus erschlagen?" Hilfsbereit griff sie spielerisch nach ihrem Longboard. Gegen seinen Willen musste Mammut grinsen. Auf dem verlassenen Platz waren sie beinahe allein, konnten deshalb mit Abstand ohne Masken sprechen. Ohnehin würde der wabernde, nasskalte Dunst die Geräusche verzerren. "Wir sind gestern aufgeflogen." Vertraute er Charlie an. "Ach du Schande. Das artet jetzt aber nich in so ne Romeo und Julia-Aktion aus, oder?" "Mit Gift, Meuchelei und anderen Kuriositäten? Nein, nicht anzunehmen." Beschied Mammut, durch Charlies Bodenständigkeit aufgeheitert. Sie blickte ihn so forschend an, dass Mammut sich im Detail mitteilte. "Gestern kam Laurents Vater früher heim. Zuerst war er ein wenig reserviert, aber dann haben wir uns ganz gut verstanden. Als meine Mutter dann nach Hause kam, hatte sie von irgendeinem Mitmenschen ein Photo gesandt bekommen. Da küsse ich Laurent." Charlies Miene verzog sich gewittrig. "Welcher Drecksack macht denn heimlich Aufnahmen von euch?! Das ist verboten! Den könnte man verklagen. Ganz erbärmlich und feige, so Aktionen!" Schnaubte sie aufgebracht. Mammut lächelte dünn. "Wir hatten in der Folge einen Meinungsaustausch darüber, ob ich mich Laurent noch mal nähere." Ihn streifte ein schiefer Blick. "Oh Kacke, das hört sich nich vielversprechend an." Tief durchatmend nickte Mammut. "Jeder hat seinen Standpunkt. Jeder hat etwas oder jemanden, das oder der das Kämpfen lohnt. Wir waren uneins." Keine Aussage, die Charlie half. "Wie, 'uneins'? Du machst doch aber nicht Schluss mit Laurent, oder?!" Es klang entsetzt, gar nicht nach der knurrigen Kitsch-Liebe-Turtelei-Blödsinn-Verachtung, die man erwartete. "Nein, das tue ich nicht." Bestätigte Mammut, warf einen Blick auf das vertraute Gesicht hinunter. Scharfsinnig genug ahnte Charlie, dass diese Weigerung Konsequenzen zeitigen würde. "Au Backe, bekommst du jetzt Hausarrest bis Sankt Nimmerleinstag? Du wirst doch nicht rausgeschmissen, oder?!" Mammut schwieg eine Weile. "Ich weiß es nicht." Antwortete er schließlich ruhig. "Ich glaube, meine Mutter weiß selbst noch nicht, welche Sanktionen ihr vorschweben." Charlie grummelte. "Dabei ist Laurent echt ein toller Typ! Kennt sie ihn überhaupt?" Lächelnd raufte sich Mammut kurz die zotteligen Strähnen am Oberkopf. "Ich fürchte, seine Person ist weniger das rote Tuch als der Umstand, dass er auch ein Junge ist. Das passt nicht in die Vorstellungen, mit denen meine Mutter und ihre Familie verhaftet sind. Wenn solche Dinge bekannt werden, gibt es Vorwürfe und Druck. Man stellt sich nicht pflichtvergessen über die Familie." Mit einem Knurren reagierte Charlie recht scharf. "Na, klasse. Du nimmst das aber ziemlich relaxed auf, Kamerad!" Ihr Argwohn detektierte ausgezeichnet, das konnte man nicht bestreiten. "Ich habe für mich entschieden, welche Prioritäten ich setze. Die sind anders." Mammut seufzte leise. "Ich glaube auch nicht, dass es schnell zu geschiedenen Verhältnissen kommen wird." Unwillkürlich hob er seine großen Hände leicht, studierte die offenen Flächen. "Sie war gestern so aufgebracht, dass sie mich schütteln wollte, aber ich bin kein kleiner Junge mehr. Es war das erste Mal, dass ich Angst bei ihr sah, weil ich ein übergroßer, starker, gewaltiger Brocken bin." ~*@*~ "Würde es helfen, wenn wir draußen vorsichtiger sind?" Reagierte Laurent bestürzt auf die jüngste Entwicklung. "Ich weiß nicht." Antwortete Mammut ruhig, denn die Katze, oder vielmehr beide Kater, war/en dem Sack entschlüpft. "Fänd ich jetzt auch übertrieben." Mischte sich Charlie ein. "Ich mein, welcher Arsch auch immer da das Foto herumgeschickt hat, weiß ja schon, was läuft. Der Ärger ist also da. Was soll's dann bringen, sich noch was zu verkneifen, ich mein, außer Frust?" Man konnte ja nicht behaupten, dass die beiden ihre Zärtlichkeiten ungeniert der Öffentlichkeit aufdrängten! Das musste schon ein Buschhocker gewesen sein! Was sie mit stellvertretendem Groll erfüllte. "Aufstecken is nich! Nix dabei, wenn man sich mag, ganz egal, was für ne Garnitur man hat. Solche Intriganten darf man nicht bestärken." Sie rammte die kleine Faust gegen ihr Longboard. "Ich bin jedenfalls auf eurer Seite!" Laurents bleiche Miene nahm wieder etwas Farbe an. Er lächelte, nickte. "Danke, Charlie. Ich möchte auch nicht aufgeben." Seine tiefschwarzen Augen blickten zu Mammut hoch. "Ich kann es auch gar nicht." Mammut schmunzelte. "Dann sind wir alle drei uns ja einig. Warten wir ab, ob es wirklich Konsequenzen gibt." Denn er hegte auch Zuversicht in die Eigensinnigkeit seiner Mutter. Die HATTE ihren Obst- und Gemüseladen aufgebaut und nie daran gedacht, treusorgend ihrem abwesenden Mann zu folgen. Zwar konnte sie nicht aus dem "System" ihrer Vorstellungen ausbrechen, aber sie wusste, dass es Herzensangelegenheiten gab, die den Einsatz wert waren. Es gab also durchaus Hoffnung, sich verständigen zu können. "He, merkt ihr das auch?" Charlie stemmte die Hände in die Hüften. "Wir bewegen uns gar nicht! Schlecht für die Kondition. Also, Mammut, wie große Schritte kannste eigentlich machen?" Denn so ein Longboard konnte schon was vorlegen, oh ja! ~*@*~ Nach einer ausgiebigen Runde zur körperlichen Ertüchtigung warteten Charlie und Laurent auf Mammut. Der hatte die Gelegenheit genutzt, Einkäufe zu erledigen, selbstredend maskiert und mit Korb bestückt. "Hat ganz schön Kondition!" Stellte Charlie anerkennend fest, denn überragende Größe bedeutete ja noch nicht, große Schritte auch länger durchhalten zu können. Laurent schmunzelte hinter seiner Maske. "Kochen kann er auch." Ergänzte er spitzbübisch. Aufgeweckt wie stets konterte Charlie sofort subtile Neckereien. "Oh, DIE Nummer zieht bei mir nicht, sorry, Kamerad! Ich seh mich nich als Duo." Was Laurent ein Glucksen entlockte. "Ich würde Mammut auch nicht abtreten." Bemerkte er verschmitzt, um ein wenig versonnen auf die automatische Tür zum Supermarkt zu spähen. "Wenn seine Mutter nur nicht so kategorisch reagieren würde!" "Könnte auch bloß n Schock sein. Muss vielleicht erst mal sacken." Stellte Charlie einen Gegenentwurf auf. "Zudem ist Mammut n harter Brocken, wenn's ernst wird. Kannst dich vielleicht nich erinnern, verständlich, aber wie der dem Drecksack den Schwinger verpasst hat, Respekt!" Laurent schauderte leicht, zog die Schultern automatisch höher. "Ich möchte nur nicht, dass er meinetwegen noch mehr Ärger bekommt." Seufzte er kläglich. Charlie grummelte. "Nur meine Meinung, wohlgemerkt, aber selbst wenn man gar nich angefangen hat, irgendwelchen Zirkus gibt's immer." Keine sonderlich tröstlichen, empirischen Einsichten. In diesem Augenblick schnürte Mammut durch die pneumatischen Türen. Obgleich er über eine imposante Gestalt verfügte, bewegte er sich geschmeidig und umsichtig. Jahrelange Ermahnungen hatten sich tief eingeprägt. "Alles erledigt?" Das Longboard sauste auf die Gehwegplatten, Charlie signalisierte Bereitschaft, die Zelte hier abzubrechen. "Zumindest ausreichend." Nickte Mammut, zog aus seiner Parkatasche eine Tüte, offenbar aus dem Grabbelständer, den sie trug einen grell-farbigen Aufkleber, der den ursprünglichen Preis um 30% reduzierte: saure Augäpfel. Schlecht konnten sie kaum werden, aber Halloween lag schon geraume Zeit zurück. Grinsend griff Charlie zu, lupfte kurz die Maske und polsterte eine Wange aus. "Geht nix über nen gepflegten Geschmack!" Triezte sie Mammut, der auch Laurent einlud, zuzugreifen. "Danke schön." Artig verpuppt konnten sie auch zu dritt noch ein wenig gemeinschaftlich flanieren bzw. rollen. Laurent warf Mammut einen zögerlichen Blick zu, schob dann doch die elegante Hand in seine große. Mammut drückte sie behutsam, aufmunternd. "Wegen mir musste dich nich genieren." Kommentierte Charlie knapp. Verlegen zog Laurent erneut die Schultern hoch. "Das ist es nicht. Aber ich habe Angst, dass ich die Position im Prozess verschlechtere." Laurent blieb stehen, veranlasste auch Mammut, innezuhalten. "Ich glaube, ich sollte dir alles erzählen, Charlie. Allerdings ist es ziemlich fürchterlich." Charlie ließ ihr Longboard in den Handschuh sausen. Sie wirkte angespannt und konzentriert wie eine Sprungfeder. "Dann sollten wir uns ne ruhige Ecke suchen und Wurzeln schlagen." ~*@*~ Mammut balancierte in der einen Hand die Tüte mit dem rasch schrumpfenden Inhalt an sauren Augäpfeln. Die andere Hand hielt Laurents. Sie saßen auf einer recht verwitterten Betonbank an einem zugewachsenen Durchgang, den niemand als Abkürzung nutzen würde, denn der Schlamm stand noch in tiefen Löchern, die mutmaßlich ein schweres Fahrzeug hinterlassen hatte. Man musste sich quasi an Büschen und Sträuchern entlanghangeln, um nicht in die Drecksuhlen zu geraten. "Damals, in Hamburg, da war ich ganz langweilig normal." Begann Laurent leise. "Echt? So n unterbelichteter Tussen-fixierter Schnarchsack wie mein bekloppter Bruder?" In Charlies Stimme schwang unmissverständlich Skepsis mit, begleitet von dem unerschrockenen Versuch, ihm die Angst vor Ablehnung durch robusten Humor zu nehmen. Tatsächlich lächelte Laurent schief. "Nun, beinahe. Ich hatte keine Freundin, aber es gehörte dazu, zu flirten und ein wenig herumzuknutschen." "Ärks!" Kommentierte Charlie, was Laurent half, der nicht wagte, Mammut anzusehen, doch dessen Händedruck versicherte ihm, er möge sich nicht unnötig sorgen. Laurent atmete tief durch. "Allerdings habe ich ein Problem mit heftigen Stimmungsschwankungen. Das konnte damals mit Medikamenten behandelt werden. Ich habe es nur niemandem erzählt." Nervös räusperte er sich. "Eigentlich war mein Leben also ziemlich banal, nicht besonders bemerkenswert. Dann ist etwas passiert. Am letzten Schultag traf ich einen Bekannten meines Vaters, mit dem ich hin und wieder mal über Jugendstil, Art Deco und Kunsthandwerk gechattet hatte. Er lud mich ein, eine Neuerwerbung in seiner Wohnung anzusehen. Weil es so heiß war, bekam ich einen Eistee." Laurent schauderte, schloss kurz die tiefschwarzen Augen, umklammerte Mammuts Hand. "Ich kann mich nicht erinnern, was danach geschehen ist. Nach dem, was herausgefunden wurde, hat er meinen Eistee mit K.O.-Tropfen versetzt. Von denen verliert man das Bewusstsein, häufig auch die Erinnerung. Er hat mich vergewaltigt." Mit einem Ruck zwang Laurent förmlich die eigenen Schultern, nicht mehr an den Ohren zu kleben. "Aber die Medikamente, die ich ständig wegen meiner Stimmungsschwankungen genommen habe, die reagierten, sodass ich wohl wie auf Drogen nackt auf den Balkon gestiegen bin und die Nachbarn die Polizei riefen." Eine kleine Hand ergriff entschieden seine freie, hielt sie fest. "Er behauptete, wir wären ein Liebespaar. Von den Medikamenten hätte er nichts gewusst. Ich war längere Zeit nicht ansprechbar, dann total neben der Spur. Die Medikamente, die mir geholfen hatten, die funktionierten nicht mehr. Ich hörte plötzlich Stimmen, sah Dinge, wie auf einem schlechten Trip. Damit fingen die Panikattacken an. Ich bin mehr als einmal einfach umgekippt." Mit heiserer Stimme ergänzte er. "Während die Ermittlungen liefen, musste entschieden werden, was mit mir passieren sollte. Ich konnte nicht zurück, wo alle wussten, was mir zugestoßen war. Bevor ich völlig vor die Hunde gehen konnte, fiel das Votum auf eine Therapie in einer Anstalt. Dort war ich auch, bevor ich zum zweiten Schulhalbjahr hierher kam." Charlie machte sich rau bemerkbar. "Deshalb wollte die Ärztin dir damals nichts geben, oder? In deiner Notfallkapsel stand es drin." Laurent nickte leicht. "Umschrieben mit 'Allergie', aber sie hat sich vermutlich ihren Teil gedacht." "Verdammte Kacke!" Stellte Charlie fest, was Laurent ein ersticktes Lachen entlockte. "Sehr richtig. Ich habe zwar gelernt, wie ich wieder am Alltag teilnehmen kann, mit meinem anderen Leben klarkomme, nur leider hab ich das damals nicht geschafft und dich reingezogen." "Na, jetzt mach mal n Punkt!" Empörte sich Charlie neben ihm energisch. "Erstens sind wir Kumpel, da gibt's kein 'Reinziehen'! Zweitens haben wir uns fast gut geschlagen. Drittens hätten wir so nicht Mammut richtig kennenlernen können." Was alle Gegenargumente förmlich verdampfen ließ. Charlie richtete sich kämpferisch auf. "Jetzt glaubst du, die könnten dir n Strick draus drehen, dass du mit Mammut zusammen bist?! Aber den kanntest du damals noch gar nicht!" Laurent schauderte. "Nur scheine ich ja nicht abgeneigt zu sein..." "Quatsch! Der Arsch, der dir das angetan hat, der hat doch gar keine Schnittmenge mit Mammut hier!" Feuerte Charlie unerbittlich zurück, ohne intime Kenntnisse, aber sehr überzeugt. "Das ist zwar richtig, doch weil ich ja diese Krankengeschichte habe..." Laurent zählte den nächsten Einwand zu seinem Nachteil auf. "Ja, aber du hast ja wohl die Medikamente genommen, oder?! Sonst hätte das kaum funktioniert. Ergo warst du ganz normal wie alle anderen auch!" Fegte Charlie erbarmungslos diesen Versuch der Diskreditierung weg. "Ich habe mich mit ihm unterhalten, bin freiwillig in seine Wohnung gegangen." "Und?! Seit wann isses ein Verbrechen, sich über Kunst zu unterhalten?! Der Typ kannte deine Eltern, der Scheißer, was ja noch übler ist. Wie solltest du das denn ahnen?!" Nun sprang Charlie auf, immer noch Laurents Rechte umklammernd. "Lass dir nich so n Mist einreden, klar?! Wenn der Abschaum dir den Tee vergiftet, ist da NIE-NIX-NIENTE gelaufen! Sonst wär das wohl kaum nötig gewesen. Du hast nix falsch gemacht." Einmal in Rage legte sie nach. "Überhaupt sollte es mal als Pluspunkt zählen, dass du hier durchstarten konntest! Und n Freund gefunden hast, nich vor die Hunde gegangen bist!" Wütend ballte sie die freie Faust. "Verdammt, dem würd ich so richtig das Esszimmer renovieren, aber hallo!" Laurent lachte zittrig. "Biste nicht auch MEGA-SAUER auf den Sack?! Der verdient so was von Prügel, mindestens!" Echauffierte sich Charlie kriegerisch, was Laurent zu einem Eingeständnis nötigte. "Ich war auch rachsüchtig und zornig. Und verzweifelt, resigniert, entsetzlich traurig. Das sind alles Phasen, die man durchlebt." Er blickte zu Charlie auf, die ihn kritisch musterte. "Am Ende ist es nicht so wichtig, was mit ihm passiert, sondern, was ich für mich entscheide. Wie ich nicht nur überleben, sondern leben will. Es gibt kein Zurück mehr, es wird nie mehr wie vorher sein. Und es ist nicht vorbei." Charlie knurrte, schwieg aber. Laurent räusperte sich müde. "Ich bin eine andere Person geworden. Aber ich möchte leben. Nur kann ich mir selbst nicht immer trauen. Alleine-alleine schaffe ich es auch nicht." "Du bist auch nicht allein!" Stellte Charlie grimmig fest, stemmte die freie Hand in die Seite. "Du bist in Ordnung, also vertrau dir gefälligst, das tun wir ja auch!" Diese strenge Aufforderung entlockte Mammut ein sonores Lachen, der bis dahin geschwiegen hatte. "Charlie hat recht. Zusammen finden wir eine Lösung. Ich habe auch nicht vor, dich aufzugeben. Wir tun einander nämlich gut, und das ist jede Anstrengung wert." ~*@*~ 09.12.2020 Laurent bedauerte nicht, Charlie den bisher verschwiegenen Part seiner Biographie anvertraut zu haben, denn obwohl sie noch immer (wenn auch nur noch bis zum Sommer) Grundschülerin war, konnte man an ihrem Verstand nicht zweifeln. Sie hörte sich mit grimmigem Interesse die Details an, wie man auf Nachfragen bei Prozessen vorbereitet wurde, mit den hässlichen Nebenwirkungen, dass man alles noch mal durchlebte, und nicht nur einmal, die Erkundigungen nach Details, die einen immer stärker an sich selbst, den Erinnerungen und Einschätzungen zweifeln ließen, das Andeuten von Unsicherheiten, von Glaubwürdigkeitsdefiziten. In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten. All die Vorgänge erklärt zu bekommen, die Zusicherung von Begleitung und Unterstützung: das änderte nichts an der Tortur der Präzision zur Aufnahme der Fakten. Immerhin hingen Existenzen davon ab, und ja, auch viel Geld. Ein Druck, der Laurent zusetzte, begleitet von der Aussicht, dass der sich ziehende Strafprozess erst der Anfang war. Dann noch das Zivilverfahren, möglicherweise Berufung und Revision... Nein, vermutlich über ein Jahrzehnt hin würde "es" nicht vorbei sein, von den lebenslänglichen Spuren und Narben ganz zu schweigen. Nicht unbedingt ein Sujet für eine Grundschülerin, doch Charlie war Kumpel, durch und durch. Da kniff man nicht den Schwanz ein, wenn es unangenehm wurde! Außerdem beendete es auch Spekulationen darüber, was wohl vorher gewesen war, warum Laurent sich hin und wieder ungewöhnlich verhielt. Nicht, dass sie sich diesbezüglich mit ungebührlichen Nachfragen aufgedrängt hatte, denn das machte man als Kumpel nicht! "Klare Sache." Entschied sie schließlich kämpferisch. "Gibt keinen Grund, sich was zu verkneifen. Vollidioten soll man nicht nachgeben, sonst ist die ganze Evolution hin! Naturwissenschaftliches Prinzip, und gegen Physik kannste nich argumentieren. Außer als Voll-Spacko auf der Scheibenwelt mit gestaltenwandlerischen Echsen." Ergänzte sie schwarzhumorig unter Bezug auf gerade populäre, äußerst abstruse Verschwörungserzählungen. Laurent lächelte erleichtert. Mammut verstaute unterdessen die geleerte Tüte in seinem Rucksack beim Rest der Einkäufe und seinen Schulsachen. "Wir sollten uns wohl besser auf den Heimweg machen. So langsam wird es selbst mir hier ungemütlich, und ich hab die Kleine Eiszeit ausgehalten." Scherzte er in Bezug auf seinen Spitznamen und seine Konstitution. Charlie nickte. "Gute Idee, Kamerad! Will auch nicht in irgend so nem Loch hier ne Schlammpackung mitnehmen. Lasst uns abzischen. Morgen is ja auch noch n Tag." Gewohnt geerdet stapfte sie mit konzentriertem Blick, Longboard im Anschlag voraus. "Und ich bin trotzdem dafür, dass den Arsch der Blitz beim Scheißen trifft. Nur meine Meinung." Grummelte sie halblaut vor sich hin. Mammut drückte behutsam Laurents Hand, zwinkerte zärtlich. Bevor sie sich voneinander für diesen Tag verabschiedeten, wandte Charlie sich noch mal Mammut zu. "Übrigens, ich hab die Suche noch nich aufgegeben. Wir finden noch n Brett, das dich trägt, also öl die alten Knochen, Kumpel." Sie tippte sich grüßend an die Strickmütze, die Skibrille bereits justiert, rollte mit mächtigem Antrieb davon. Mammut lachte leise. "Ich glaube ja nicht an Schutzengel, aber wenn es welche gibt..." Zwinkerte er hinter den Brillengläsern Laurent zu. Der lächelte verschmitzt. "Das darf uns bloß nicht herausrutschen. Schutzengel könnten im Verdacht der 'Tussigkeit' stehen." Charlie war eine Menge, aber NIEMALS tussig! ~*@*~ Leporidae krakelte mit herabhängenden Schnurrhaaren und Löffeln auf Halbmast sein Abschlussprotokoll. Nein, man hatte nicht euphorisch auf seinen Vorschlag mit dem fliegenden HM1 am Ballon mit Leinenführung reagiert. Dabei erschien Leporidae diese Idee bei passend tarnendem Wetter (nachts, diesig-neblig) gar nicht so hoffnungslos. Damit stand er leider allein auf weiter Flur. Nach eingehender Beratung des Anklagenden vom Dienst mit der Vorstehenden des Friedensgerichts kam man zum Schluss, dass es anderer Ermittlungsmethoden bedurfte, angefangen damit, dass Leporidae nicht auf der anderen Seite einfach herumlaufen konnte, sichtbar (wenn er sich nicht versteckte), mit Schocklanze und Ausrüstung, auch nicht spät in der Nacht im Dunkeln auf etwas einsam gelegenen Straßen. Deshalb wurde er aufgefordert, sein Protokoll abzuschließen: was wann wie passiert war, wohin er die letzte Spur verfolgt hatte. Anschließend Übergabe. Außerdem KEIN Einsatz der Ergebnisse aus der angeforderten Lektüre! Auch wenn immer noch kein Auszug aus dem großen Kompendium für die kleine Portalwache eingetroffen war. Man dankte ihm förmlich für das Engagement, erinnerte an seine vornehmsten Dienstpflichten. SEINE Aufgabe bestand darin, weiterhin fürsorglich die Pforte zu hüten und Unfälle mit der wabernden Dimensionsgrenze zu verhindern! Um ein bedeutendes Abenteuer betrogen grummelte Leporidae still vor sich hin. In gewisser Weise, leider!, konnte er der Argumentation folgen, schon, aber es fühlte sich schon ungerecht an, wieder ganz normal Dienst leisten zu müssen, während die spannenden Parts irgendwer anders übernahm! Leider befand er sich nicht in einer Position, die Verhandlungen erlaubte. Nachdem er recht ungelenk sein Protokoll verfasst hatte, reichte er es ein, absolvierte mit grimmigem Blick seine Schicht, bei der REIN GAR NICHTS Bemerkenswertes vorfiel, lieferte seine Schocklanze samt Ausrüstung bei Horowitz ab, wie immer nach Dienstschluss. Sollte er nun so frustriert in das Wohnheim zurückgehen, sich auf die Löffel legen? Nein, er musste sich selbst aufheitern, etwas Gutes tun, nicht in Schwermut versinken! Wie naheliegend der Gedanke, sich das präparierte Seil und den Knebel einzustecken und einem Raubtierdaimon aufzulauern! ~*@*~ Leporidae zuckte mit den Schnurrhaaren, kicherte innerlich erwartungsfroh. Er hatte sich das Seil ums Pfotengelenk gewunden, sofort bereit, wenn es ans Fesseln und Fixieren ging. Der Knebel klemmte am Gürtel. Da marschierte auch schon sein Opfer heran, wie gewohnt nur im Suspensorium. Absolut selbstherrlich, guckte sich nicht um, klar, wenn man so ein Brocken war, gehörte einem ja die Welt! Besonders schlau konnten die Raubtierdaimonen auch nicht sein, denn hier konnte einem bequem jemand auflauern. Leporidae zählte die Sekunden ab, katapultierte sich dann vom Felsüberhang. Wie gewohnt hätte er also dem purpurfarbenen, sehr muskulösen Raubtierdaimon direkt ins Kreuz springen müssen. Festklammern, sofort erst Schlinge um den Hals, dann die Klauen...! Zu seiner völligen Verblüffung wich der Raubtierdaimon mit den blauschwarzen, langen, glatten Haaren jedoch geschmeidig aus. Nicht sonderlich elegant landend gelang es Leporidae gerade noch, mit einem Purzelbaum den Sturz abzufangen, da befand er sich jedoch schon inmitten einer wüsten Keilerei. Einander umklammernd rollten sie umher, auch befeuert von Leporidaes Erkenntnis, dass er in dieser Lage Mühe haben würde, das Seil einzusetzen. Schlimmer noch, durch miese Taschenspielertricks schien sich das Seil um SEINE Pfotengelenke gewunden zu haben, sodass er sich ganz gegen seine Erwartungen rücklings umklammert sah, an den Pfoten eingeschnürt! Aufgebracht keilte er aus, zappelte wie ein Aal, wand sich hin und her. Ohne nennenswerten Erfolg, nicht mal mit den Pfoten kam er auf den Boden! "He, das ist unfair! Lass mich sofort runter, du grober Fleischfresser!" Schimpfte er erbost. "Unfair? Obwohl ich dir das hübsche Seilchen, das dir offenbar entglitten ist, so fein zurückerstattet habe?" Schnurrte eine tiefe Stimme an seinen Löffeln. Sie klang ausgesprochen ungezogen amüsiert! "Du hast mich eingeschnürt! Was fällt dir ein?! Mach mich sofort los und lass mich runter!" Ärgerlich zappelte Leporidae, drehte den Kopf wild hin und her. "Das wäre sehr unhöflich von mir, mein Häschen, immerhin hast du mich so verwöhnt, da sollte ich diese Geste erwidern, meinst du nicht?" Leporidae registrierte wachsende Panik. "Du spinnst wohl?! He, was tust du da?!" An seinem Nacken spürte er heißen Atem, dann fremde Lippen. "Nur ein kleiner, feiner Begattungsbiss..." Dieser ungehobelte Raubtierdaimon machte sich über ihn lustig! "Das ist verboten, ja?! Du darfst mich nicht beißen oder ankauen!" Der Raubtierdaimon prustete unterdrückt. "Gegen Vernaschen hat aber niemand etwas gesagt." Gurrte er sehr subtil. Leporidae, der bisher immer nur Knurren, Fauchen und Zischen gehört hatte, fand diese akustische Note äußerst beunruhigend. Wäre er mehr in der Menschenwelt herumgekommen (woran sein Äußeres jedoch hinderte), hätte er Vergleiche mit einem untertourig laufenden V8-Motor gezogen. "Du-du fleischfressender Unhold! Ich schreie um Hilfe!" Es trug auch wenig zu Leporidaes Gemütszustand bei, dass er zügig und mühelos in ein Wäldchen transportiert wurde. "Tatsächlich? Nun, ich werde dich nicht hindern, wenn es dir Freude bereitet, Häschen. Allerdings gibt es hier nicht sonderlich viel Transit. Für eine Portalwache mag es möglicherweise etwas kompromittierend wirken." Ärgerlicherweise hatte der fiese Fleischfresser recht. Nicht umsonst hatte Leporidae ja diese Gegend gewählt, um seine Attacke zu lancieren. "Du-du darfst das nicht, klar?! Mich fesseln und herumbeuteln und annagen!" Man schnurrte erneut, von einem Glucksen unterlegt. "Ich werde dich sehr fürsorglich behandeln, mein süßes Hoppelhäschen. Der Strick gehört dir ja selbst, kann mir gar nicht erklären, wieso er so verheddert um deine Pfoten liegt." Leporidae explodierte, weil er sich ganz und gar nicht ernst genommen fühlte. "Ich bin kein süßes Hoppelhäschen, klar?! Lass mich sofort runter, du aufgeblasener, eingebildeter Fleischfresser-Fatzke!" Unterdessen fand sich im Wäldchen ein kleiner, üppig bemooster Hain, dezent feucht, da ein regelmäßiger Dunstaustausch mit den umgebenden Bäumen erfolgte. "Kuguar." "Was?!" "Wie bitte, Häschen. Kuguar. So lautet mein Name." Aufbrausend rollte und wand sich Leporidae grimmig in der Umklammerung der zwei muskulösen Arme. Allerdings wirkten die wie eiserne Bande, die einmal seine angeklappten Arme hielten und zum zweiten über Bauch und Hüften langten. "Ist mir gleich, wie du heißt!" Schimpfte er. "Oh, also wirst du kein Protokoll aufnehmen, hm?" Schmunzelte es an seinen Löffeln. "Ich kann dich nicht ausstehen! Runterlassen, sofort!" Überraschenderweise landete Leporidae zwar wieder auf dem gut gepolsterten Boden, doch rettete ihn das keineswegs, weil Kuguar sofort folgte, ihn auf allen Vieren überragte, mit einer Klaue die gefesselten Gelenke fixierte, während die andere ungeniert unter Leporidaes Kittel vagabundierte. "He! Oh nein, das kommt nicht...!" Leporidae winselte, bog sich im Katzenbuckel. Nicht nur, dass dieser grässliche Kuguar ihn erneut in den Nacken küsste, nein, der umklammerte mit seiner groben Klaue doch einfach...! Dabei blieb es nicht. Kuguar massierte nicht nur Leporidaes freudige Erektion, die die Umstände gar nicht als so störend empfand, denn immerhin hatte man ihr Action in Aussicht gestellt. Nein, ungeniert und gnadenlos beglückte er das ganze Areal, sodass Leporidaes Vulva sofort anschwoll, sich ebenso pulsierend bemerkbar machte. Schlimmer ging immer, denn die eigene Begeisterung hatte ein Echo, ein sehr prominentes Echo, das sich zwischen Leporidaes dünne Oberschenkel schmiegte und reibend Kontakt aufnahm. "Oh nein, wirklich...!" Protestierte Leporidae, seine eigene Stimme verwünschend, denn die klang gar nicht mehr empört, sondern hingerissen, verführerisch, rau, auffordernd. Was er ganz und gar nicht...! Unter anderen Umständen selbstredend schon, doch nicht...! Kuguar an seinen Löffeln schnurrte sonor. "Mein süßes, süßes Häschen, ich hab so lange darauf gewartet, mich ENDLICH erkenntlich zeigen zu können." Leporidae stöhnte auf, befand sich aber auf verlorenem Posten, denn südlicher als sein Stolz votierte die vulgäre Nachbarschaft, dass sie gern Besuch empfing, vor allem so prächtigen, und jetzt eine Party starten würde! ~*@*~ Man konnte nicht sagen, dass Leporidae ein Kostverächter war. Nein, er hatte sich wie alle seines Schlags entwickelt, zwei Tage nach Geschlechtsreife schon engagiert die Möglichkeiten erprobt. Aber eben nicht außerhalb seiner Gattung! Zugegeben, Kuguar wusste, was er tat, und, verflixt, er machte seine Sache so gut! Trotzdem kämpfte ein letzter Rest von Selbsterhaltung um Aufmerksamkeit gegen die hormonell bedingte Reduktion der Gehirnaktivitäten. "Zieh ihn raus, du musst..." Kuguar setzte seine Ministrationen unverändert fort, massierte seine Erektion, wandelte den Rhythmus und Takt ihrer Vereinigung immer wieder ab, bis Leporidae erst kurz Sterne sah und dann für einige Momente totale Finsternis herrschte. ~*@*~ Als er zu sich kam, lag er auf dem Rücken, seines Kittels ledig, der verwünschte Kuguar kauerte über ihm, leckte abwechselnd über seine Brustwarzen. Klar, die waren nicht so kleine Knubbelknöpfe, aber trotzdem...! "Aufhören! Was hast du angestellt...?!" Leporidae ächzte, konnte sich jedoch nicht unter Kuguar wegschieben. Dessen geschlitzte Augen studierten ihn amüsiert, selbst die Schnurrhaare zuckten- "Oh nein, mein Häschen, erinnerst du dich nicht? Aber ganz recht, ein Mal ist kein Mal..." "Nein!" Intervenierte Leporidae entsetzt, stöhnte genüsslich. "Ah?" Das Raubtiergebiss bleckte triumphierend auf. "Mein Häschen möchte gern, dass ich seine Blume streichle." Leporidae fauchte hilflos. "Will ich nicht! Fass mich da gefälligst nicht an, du Fleischfresser!" Auf diesen Katzenohren präsentierte sich Kuguar jedoch taub, denn er liebkoste und massierte das puschlige Ende über Leporidaes Steiß, leider eine sehr sensible, für Aufmerksamkeiten sehr empfängliche Region. Jetzt leckte ihm der Kerl doch schon wieder...! Bevor Leporidae sich auf eine wirksame Gegenwehr besinnen konnte, fand er sich im Fokus des Raubtiergebisses. Wollte er der eigenen Zunge nicht verlustig gehen, musste er sich vorsehen. Die eigene Libido, die ihn zu dieser verwünschten Idee getrieben hatte, verfluchend klopfte Leporidae mit den Pfoten auf das Kreuz und die muskulösen Oberarme. Das beeindruckte Kuguar gar nicht, der ihm sogar die Schnurrhaare leckte! "Das zahl ich dir heim!" Schluchzte Leporidae frustriert, der natürlich schon wieder einen Ständer hatte, nicht mal seine zuckenden Oberschenkelmuskel zur Kooperation zwingen konnte, denn wie von selbst fielen sie auseinander, da musste Kuguar bloß eine Klaue unter seine Lendenwirbel positionieren, um den richtigen Winkel zu finden. "Darauf freue ich mich schon, mein Häschen. Aber erst mal muss ich dich ja richtig verwöhnen, wenn du so hohe Ansprüche stellst, dass Runde 1 nicht zählt." Leporidae wollte heftig protestieren, dass er a) gar nicht wollte und b) nie behauptet hatte... Aber Kuguar ließ ihn einfach nicht mehr zu Wort kommen, bis er ohnehin keine Silben mehr fand. ~*@*~ 10.12.2020 Als er aufwachte, fand sich Leporidae allein. Säuberlich zusammengelegt sein Kittel, sein Gürtel und eingerollt das nutzlose Seil an seiner Seite. "Mieser Fleischfresser!" Krächzte er heiser, setzte sich langsam auf. Was fiel dem Kerl ein, ihn hier so schutzlos zurückzulassen?! Leporidae winselte leise, als er auf wackligen Läufen stand, nach seinem Kittel haschte. "Nein, nein." Versuchte er sich selbst zu beruhigen. Davon hatte er schließlich noch nie gehört, also... ! Ganz das Gegenteil von aufgeheitert, entspannt und versöhnt schlich Leporidae deprimiert zum Wohnheim zurück. ~*@*~ Mit einem Spannungsgefühl in den unteren Regionen zu erwachen, das war nicht angenehm. Leporidae würgte bloß ein paar Reibekuchen bei einer kleinen Garküche herunter, bevor er sich zur Station aufmachte. Er trat jedoch nicht gleich bei Horowitz ein, um seine Ausstattung zu holen und den Dienst am Portal anzutreten, sondern wählte den Nebeneingang. "Ah, Leporidae, ist schon eine Weile..." In diesem Moment krakeelte und spektakelte der Olifax. "Oh, da gratuliere ich doch herzlich!" Leporidae, der auf ein Wunder gehofft hatte, brach in frustriertes Schluchzen aus. ~*@*~ Kuguar schnürte geschmeidig auf Katzenpfoten durch die Kleinstadt, wie gewöhnlich mit Suspensorium bekleidet. Quer über die breiten Schultern trug er eine spezielle Kiepe für seine Waren. Üblicherweise lieferte er nur einmal in der Woche aus, doch jetzt handelte es sich um eine Ausnahme, weil er sich ja ohnehin auf dem Weg befand. Seine Schnurrhaare zuckten, als er eine wohlbekannte Stimme jämmerlich-erbost protestieren hörte. "Ich will eine zweite Meinung! Oh, das ist so-so unfair!", Schnurrend vor Vergnügen spazierte er in die kleine Station. "Ah, da habe ich doch richtig gehört! Wenn das nicht mein Häschen ist!" Leporidae fegte zu ihm herum, die hängenden Löffel blitzartig starr aufgerichtet, die Schnurrhaare elektrisiert. "Ich bin nicht DEIN Häschen! Überhaupt, du bist an allem schuld!" Was das Entree bot, sich wütend auf ihn zu stürzen. Kuguar drehte sich geschmeidig in die etwas unkoordinierte Attacke, wirbelte Leporidae mühelos herum, bekam ihn so wie am Vortag gründlich zu fassen. Er achtete auch darauf, die Hasenpfoten nicht auf den Boden gelangen zu lassen. "Oh, ich freue mich auch, dich zu treffen." Leporidae zappelte, keilte aus, keifte dabei aufgebracht. "Ach ja?! Lass mich runter, dann treff ich dich mal richtig, du verfluchter Fleischfresser!" Verwirrt blickte man hinter dem Tresen auf diese merkwürdige Entwicklung. "Äh, Gratulation?" "Oh, herzlichen Dank! Selbstredend stehe ich für meine Verantwortung ein." Kuguar schnurrte, ließ sein blendendes Raubtiergebiss aufblitzen. "Ist es richtig, dass die Wohnheimquartiere nicht für Kinder geeignet sind?" Im wahrsten Sinne schlagartig hörten Leporidaes Attacken auf, schalteten die Löffel auf Empfang. "Durchaus, nun, es ist ja recht bescheiden." "Ah, dann ist es perfekt, dass ich dich hier treffe, mein Häschen! So können wir gleich dein Quartier räumen und Gardinen aussuchen." Stellte Kuguar samtweich fest. Leporidae wand sich wie ein nasser Fisch, jedoch ohne Erfolg. "Ich geh nicht mit! Gardinen such ich schon gar nicht aus!" Bockte er empört. Kuguar nickte, atmete hörbar aus. "Du glaubst gar nicht, wie mich das erleichtert, mein Häschen! Ich hab nämlich keine Gardinenstangen." Lässig schleuderte er Leporidae hoch, tippte sich dabei grüßend an eine Schläfe, fing ihn auf, schleppte ihn taub für Proteste oder Widerstand hinaus. "Lass mich los! Ich will nicht mit, wo auch immer wir hingehen!" Schimpfte Leporidae, registrierte unbehaglich die erstaunten oder amüsierten Blicke des Publikums. "Ich habe doch richtig verstanden, dass du eine zweite Meinung einholen willst, nicht wahr? Nun, dann suchen wir jetzt ein Medi-Zentrum auf." Leporidae hielt für einen langen Moment still, denn nun, bei aller Empörung und wildem Trotz, wurde ihm deutlich, dass eine gewisse Unvermeidlichkeit drohte. "Ich kann selbst laufen." Knurrte er schließlich. Kuguar ließ ihn prompt sanft auf die Hasenpfoten herunter. "Du brauchst gar nicht mitzukommen, klar?!" Fauchte Leporidae, fühlte sich ohne Seil, Knebel oder Schocklanze erheblich unterlegen. "Macht mir keine Mühe, mein Häschen, liegt auf meinem Weg." Missverstand Kuguar absichtlich, zwinkerte. "Pah! Fleischfresser!" Polterte Leporidae im Rückzugsgefecht, machte demonstrativ kehrt. Aber es half ja nichts, zum Medi-Zentrum musste er wohl doch, denn seine ganze Zukunft hing davon ab, die sich seit dem Vortag rapide in eine unerfreuliche Rutschbahn mit Schleuderkurs entwickelt hatte! Grundsätzlich hatte Leporidae nichts dagegen, Nachwuchs zu haben, bloß doch nicht jetzt! Zugegeben, die Abenteuer, die er sich als Portalwache erhofft hatte, waren nicht eingetreten, großartig viel von der Welt hatte er auch noch nicht gesehen, aber immerhin war er der familiären Sasse entwischt, hatte ein eigenes Bett im eigenen Zimmer im Wohnheim! Er konnte sich amüsieren, war sein eigener Boss (in der Freizeit), durfte schon mal alle Fünfe gerade sein lassen, über die Stränge schlagen! Wenn er jetzt aber... Leporidae dachte mit jedem Schritt daran, in welche Sackgasse er sich manövriert hatte. Am Portal würde man ihn jetzt nicht mehr einsetzen, leichte Schreibtischarbeit: fürchterliche Aussichten! Wo sollte er hin? Überhaupt, wenn der Olifax sich nicht irrte, was um alles in der Welt würde dann...?! Ihn schauderte. Beinahe hätte er am Eingang kehrtgemacht, doch hinter ihm wucherte Kuguar förmlich aus dem gestampften Boden. "Lauf mir nicht nach, ja?!" Giftete Leporidae, stemmte die Pfoten in die Seiten. "Verzeihung, mein Häschen, aber es gibt nur einen Eingang. Wenn du gestattest." Gelassen und unbeeindruckt tippte Kuguar mit einer Kralle auf den Wegweiser zu einzelnen Räumlichkeiten des flachen Gebäudes. "Pah!" Schnaubte Leporidae, eilte wie eine Sturmfront mit Tiefausläufern zur Anmeldung. Kuguar grinste, seine Schnurrhaare zuckten anerkennend. Er machte sich auf den Weg zu seinem Ziel. ~*@*~ Sehr still kauerte Leporidae auf dem kleinen Platz vor dem Medi-Zentrum auf einem Bänkchen in der Sonne. Er musste dringend nachdenken, doch ein betäubender Schockzustand hinderte ihn ungezogen. Nein, der Olifax hatte sich nicht geirrt: in sechs Monaten würde er wenigstens ein Kind entbinden, denn, wie ihm versichert worden war, höchst vergnügt, hieß der Umstand, dass Daimonen seines Schlags sich nicht mit anderen zusammentaten, nicht, dass es nicht ging. Warum auch? Daimonen waren Daimonen! Vorurteilsfrei und freudig solle er sich dieser neuen Erfahrung widmen, es werde alles gutgehen! Derart sonnige Zukunftserwartungen stellten sich bei Leporidae gerade gar nicht ein. Er konnte UNMÖGLICH einen potentiellen Fleischfresser im Mini-Format bei seiner Sippe abstellen! Wie sollte er aber arbeiten, wenn er den Nachwuchs nicht unterbringen konnte? Könnte er denn als Portalwache weiterarbeiten? Zumindest nicht mit Nachwuchs auf dem Buckel, das verstieß definitiv gegen die Vorschriften! Ohne Wohnheimplatz musste er sich eine neue Bleibe suchen... Leporidae gewann zunehmend den Eindruck, dass er DRINGEND einer gründlichen Beratung bedurfte. Sein ganzes, nun, nicht sonderlich spannendes Alltagsleben geriet vollkommen aus den Fugen! Vor den wärmenden Sonnenschein drängte sich plötzlich kühler Schatten. Grollend blickte Leporidae auf. "Lass uns dein Quartier räumen, ja?" Kuguar streckte ihm eine Klaue entgegen. "Tolle Idee, und dann penne ich auf der Straße, oder was?! Ich muss erst mal...!" Bevor Leporidae die Arme demonstrativ ablehnend vor der Brust überkreuzen konnte, hatte Kuguar ihn schon hochgezogen. "Selbstverständlich werde ich meiner Verantwortung gerecht, mein Häschen. Wir holen deine Sachen und du ziehst zu mir. Sehr hübsche, leicht ländliche Umgebung, frische Luft, ausreichend Platz." Wütend machte Leporidae sich los. "Spinnst du?! Ich wohn doch nicht mit nem Fleischfresser zusammen! Außerdem hast du nicht mal Gardinenstangen!" Ätzte er nachtretend. Kuguar wischte sich über die blauschwarzen, glatten Strähnen, die wie gewohnt zu einem schlichten Zopf mit einem Halm gebunden waren. "Es ist so reizend von dir, mein Häschen, dass du mich nicht überfordern willst! Aber keine Sorge, ich habe aufgeräumt und werde mein Heim mit dir teilen." Schnurrte er in absichtlicher Umkehrung der Vorwürfe. Leporidae fand diese Taktik so ungezogen, dass er sich weigerte, darauf zu antworten. Stattdessen marschierte er in einem demonstrativen Bogen an Kuguar vorbei. Immerhin musste er sich wenigstens noch mal in der Station melden, weil er jetzt ja quasi nur noch ein ganz gewöhnlicher Daimon sein würde. ~*@*~ Kuguar wartete geduldig, nickte höflich dem Gebieter über die Asservatenkammer zu. Horowitz winkte lässig. Leporidae reagierte mit einer sehr rüden Geste in Kuguars Richtung. Keine Schocklanze mehr, kein Werkzeuggürtel, keine Portalwache mehr! Ja, er konnte ohne Lohn beurlaubt werden, sicher, nur zu welchem Zweck? Leporidae wusste, dass er die nächsten sechs Monate ohnehin nicht mehr richtig zum Einsatz kommen würde. Anschließend sah es im Moment danach aus, als müsste er den Nachwuchs auch selbst versorgen! Es war keineswegs unüblich, dass Kinder weniger einen Satz "Eltern" hatten als eine ganze Gemeinschaft, so spielte es keine Rolle, wenn man sich nicht so gut mit der Aufzucht auskannte. Allerdings, das konnte Leporidae nicht von der Hasenpfote weisen, hatte er sich allzu oft als irgendwie anders präsentiert. Warum wollte er die Sasse bloß verlassen? Portalwache, nun ja, das hörte sich schon recht strikt an, extrem geregelt, mit festen Abläufen. Leporidae dachte an eine schicke Schocklanze, an ein eigenes Zimmer mit eigenem Bett und wenig großsippenhafter Aufsicht, daran, dass man viele Leute kennenlernen konnte, in der Welt herumkam! Nun, nach einer Weile kannte man alle, die das Portal benutzten, eben Pendelverkehr, die Welt erwies sich als hin und wieder unfreundlich, wenn man an der falschen Stelle auf die Dimensionsüberschneidung trampelte. Ja, er hatte die Menschenwelt selbst betreten, durchaus! Nur interessierte das seine Angehörigen gar nicht, die ihre eigene Welt vollkommen ausreichend fanden, danke der Nachfrage! Vielleicht, möglicherweise, wäre es gar nicht so weit gekommen, wenn er nicht so lustfreundlich wie alle seines Schlags gewesen wäre, aber eben nicht außerhalb gewildert hätte! Solche halsbrecherischen Aktionen rächten sich irgendwann: präzise gesprochen gerade JETZT. Arbeitslos, obdachlos (in Kürze) und definitiv schwanger von einem Fleischfresser! Leporidae stapfte absichtlich blind für seinen Windschattenverfolger zum Wohnheim, grimmig und frustriert. Wieso kamen ihm waghalsige, impulsive Einfälle nicht auch, wenn er in der Klemme steckte?! JETZT wäre ein Geistesblitz gerade ziemlich hilfreich! Alternativ KOK-Offize (Komitee organisierter Kreativität), die wussten, was man mit sich anfangen konnte, wenn man keine Ahnung hatte, wozu man fähig war! Sie kamen herum, hörten und sahen, wo Arbeitskräfte gebraucht wurden, wo eine Marktlücke sich auftat, ahnten verborgene Talente! Grimmig erwiderte Leporidae den Gruß an der Pforte, hoppelte stampfender als sonst hoch zu seinem bescheidenen Zimmerchen. Viel zu packen hatte er nicht, das stimmte wohl, denn er kam aus einer Großsippe mit Gemeinschaftsbesitz. Als er sein bescheidenes Hab und Gut in die dünne Decke gewickelt hatte, verließ Leporidae sein Mut. Unglücklich sackte er auf die gestopfte Matratze, schlang sich die Arme um den Leib. Er hatte nicht die geringste Idee, wie es weitergehen sollte! Natürlich konnte er um Aufschub bitten, doch das änderte ja nichts an der Misere. Sich elend fühlend zwang Leporidae sich auf die Pfoten zurück. Wagemutig mit kleinem Bündel hatte er sich damals hierher aufgemacht, voller Hoffnung und Erwartungsfreude. Er würde sicher nicht wie ein Trauerweiderich mit hängenden Federn und geknicktem Schnabel heraus schleichen! Kinn gelupft, Löffel stramm, die Läufe geschmeidig! Abgang mit Grandezza! Auch wenn sich Leporidae fragte, ob es sich dabei nicht doch um ein Dessert handelte. Unsäglicher Weise hatte sich der fiese Fleischfresser schon bekannt gemacht, schwatzte und initiierte, dass man Leporidae Glückwünsche zurief. So ungezogen, sie zurückzuweisen, weil ihm die Schnurrhaare zuckten, war Leporidae nicht. Mit einem demonstrativ großen Bogen um Kuguar hielt er auf den kleinen Marktplatz zu. Dort musste ja auch irgendwann ein KOK-Offize in Erscheinung treten, richtig? Entweder schlug ein Geistesblitz ein oder er würde dort sein Lager aufschlagen, bis kompetente Hilfe eintrudelte! So zumindest lautete der Plan. ~*@*~ 11.12.2020 Kuguar bog in ein kleines Gässchen ab, um die restlichen Waren abzuliefern und Gemüsetatar im Blatt zu erwerben. Das Häschen erwies sich als stur, was ihn gar nicht überraschte. Man musste diese Willensstärke nur in die richtige Bahn lenken! Als er gemächlich auf dem kleinen Marktplatz eintraf, hatte Leporidae schon in der Nähe eines öffentlichen Brunnens Platz genommen, kam jedoch gar nicht in eine besinnlich-grüblerische Stimmung mit abschließender Selbsterkenntnis. Davor hatte die Vorsehung nämlich den Umstand gesetzt, dass sich gute Nachrichten wie ein Lauffeuer verbreiteten: da wurde gratuliert, sich nach den Plänen erkundigt, Ratschläge für das Zahnen, Kinderkleidung, Magenschmerzen und Blasendruck erteilt. Amüsiert verfolgte Kuguar das Treiben. In Verkennung der Umstände des Umlandes schien niemand es für seltsam, ungehörig oder erstaunlich zu halten, dass das Häschen von ihm schwanger war, was den hilflos-verblüfft-überforderten Blick seines Häschens erklärte. Als der Zustrom wohlmeinender Leute abebbte, spazierte er geschmeidig heran, reichte Leporidae das Gemüsetatar. "Ich weiß, du hast selbstverständlich keinen Appetit und willst von mir nichts annehmen, doch unser Nachwuchs sollte nicht leiden, weil wir einander ein wenig grollen, denkst du nicht auch?" Leporidae funkelte ihn aufgebracht an. Sein Magen knurrte vernehmlich, die Schnurrhaare zuckten. "Meinetwegen." Ungnädig seinem Blick ausweichend mümmelte Leporidae die Mahlzeit. Natürlich hätte er den verflixten Fleischfresser auch zurechtweisen können, sich gefälligst zu subtrahieren, aber das wäre schlichtweg lächerlich, da sich alle auf dem Marktplatz aufhalten durften! So ignorierte er ihn eben und versank in dumpfes Brüten. Kuguar hingegen widmete sich seiner Kiepe, räkelte, streckte sich ein wenig. Er bewies die Geduld eines geborenen Jägers. Tatsächlich rechnete er keineswegs mit dem alsbaldigen Erscheinen eines KOK-Offizes. Müßig das widerstrebende Häschen betrachtend fragte er sich, welche Eigenschaften wohl ihren Nachwuchs prägen würden. Spannend, keine Frage! Er blickte auf, als Leporidae sich erhob, verstohlen das Kreuz rieb. Herumsumpfen in zusammengekauerter Haltung bei deprimierenden Gedanken lädierte die Lendenwirbel! Dann wandte Leporidae sich ihm zu. "Warum hast du das getan?" ~*@*~ Keine wütende Anklage, kein Fauchen, keine elektrisierten Schnurrhaare, keine zuckenden Löffel, nur die Pfoten blieben geballt. Kuguar betrachtete das vertraute Gesicht, die so hübsch bernsteinfarben leuchtenden Augen, das beige-melierte, streichelfeine Fell. "Weil ich dich mag, Häschen. Ich möchte mit dir zusammen sein, einen Samen pflanzen, der wächst und gedeiht." Leporidae schnaubte leise, wandte den Kopf halb ab. "Es hätte doch genügt..." Setzte er an. Kuguar wusste genau, wie es weitergehen sollte. Ja, selbstverständlich hätte er wie Leporidae zuvor schlicht Vorkehrungen zur Verhütung treffen können, sich dann an dem Häschen gütlich tun, das ihm und der eigenen Lust ausgeliefert war. Langsam schraubte Kuguar sich hoch, strich mit den Klauen sanft über die geballten Hasenpfoten. "Dich zu vernaschen genügt mir nicht, Lepo. Mein Appetit, mein Verlangen nach deiner Gesellschaft sind sehr viel größer." Die Schnurrhaare zuckten nun merklich. "Aber das kannst du doch nicht einfach so beschließen!" Begehrte Leporidae nun auf, funkelte ihn zornig an. Kuguar nickte beifällig. "Ganz recht, gar keine Frage. Ich war ein wenig ungeduldig, darauf zu warten, dass du erkennst, wie verbunden wir einander längst sind." Leporidae holte Luft, um energisch jede Form von Verbindung zu bestreiten, schwieg dann jedoch, von seinem Verstand energisch in den Senkel gestellt. "Aber-aber du wusstest doch, dass ich bloß...!" Lächelnd hob Kuguar langsam die Rechte, strich tollkühn über den Ansatz der Löffel. "Du wolltest ein bisschen Spaß haben. Allerdings so oft hintereinander, das hat dann doch etwas zu bedeuten, meinst du nicht?" Hastig wich Leporidae zurück, seine empfindlichen Löffel in Sicherheit zu bringen. "Davon-davon konnte keine Rede sein! Wir, ich meine, du weißt sehr wohl, dass wir nun mal leicht zu begeistern sind! Und außerdem eingeschworene Feinde!" Genau, Fleischfresser gegen Pflanzenfresser! Kuguar zwinkerte verschmitzt. "Da muss ich dich enttäuschen, mein Häschen, denn ich habe niemanden als Feind angesehen. Wenn ich ein wenig ungeduldig bin, bitte ich um deine Nachsicht. Ich bin nämlich erst seit knapp einem Jahr der mütterlichen Aufsicht entronnen." In Leporidaes Gesicht entgleisten die Züge, die Löffel standen wie Blitzabweiser ab. "Was?!" "Wie bitte." "Ja, nein, ich meine, Großer M, du bist doch nicht minderjährig, oder?!" Entsetzte sich Leporidae erschrocken. Kuguar lächelte. "Nicht mehr, mein Häschen. Mir ist bewusst, dass man es so einem strammen Kerlchen wie mir nicht unbedingt ansieht, allerdings war ich ziemlich lange ein mickriger Hänfling und deshalb sehr von mütterlicher Sorge umhegt." Glücklich erlöst durch die Geburt von Drillingen, bei denen jede Tatze und Pfote gern in Anspruch genommen wurde, um das eigene Nervenkostüm nicht vollends ausfransen zu lassen! Leporidae schlug sich die Hasenpfoten vors Gesicht. "Einfach nicht zu fassen! Fleischfresser, viel jünger, beinahe minderjährig!" "Nicht zu vergessen unabhängig, mit eigenem Einkommen, einem hübschen Heim und sehr viel Leidenschaft für dich!" Ergänzte Kuguar selbstlos, ließ sein Raubtiergebiss aufblitzen. ~*@*~ "Sieh es dir an und urteile selbst." Leporidae beäugte missmutig und hilflos zugleich die ausgestreckte Klaue. Sich in das Heim eines Fleischfressers begeben?! Indiskutabel! Genau. Leporidae seufzte. "Schwangerer als schwanger kann ich ja nicht werden." bemerkte er grimmig. Falls er unter die Fleischfresser fallen würde, die allzu gern Häschen vernaschen wollten. Kuguar schnurrte amüsiert, lud sich ungefragt auch noch Leporidaes Bündel auf die Kiepe. "He, so schwächlich bin ich nun wirklich nicht!" Protestierte der prompt. "Aber du solltest dich nicht überanstrengen, mein Häschen." Tadelte Kuguar in exakt dem Tonfall einer oberlippensteifen Gouvernante, die "Kinderfrau" als Bezeichnung verabscheute. Leporidae schnaubte, dass die Schnurrhaare flirrten, setzte sich jedoch ohne Handgreiflichkeiten in Fragen des Gepäcks hinter Kuguar in Bewegung. Der schnürte geschmeidig los, die Kleinstadt hinter sich lassend, was seinen widerwilligen Begleiter mit wachsender Nervosität erfüllte. "Es ist nicht mehr weit." Versicherte Kuguar, warf einen lächelnden Katzenblick über die Schulter. Sofort richtete sich Leporidae steif auf. Sollte bloß nicht der falsche Eindruck entstehen, dass er hier an seinen Reserven zehrte! Niedrige Hecken und gekreuzt verwobene Weiden umgaben eine Parzelle, die von einem kleinen Brunnen und einem Häuschen gekrönt wurde. Das Häuschen, eher eine Halbkugel, die man mit Grassoden belegt hatte, wirkte tatsächlich nicht so, als würden Gardinen benötigt: man klappte einfach Holzläden auf. Eine stete Brise wehte leicht durch allerlei Bewuchs. Leporidae schnupperte, blieb vor dem gewundenen Pfad, den zu betreten ein Rosenbogen mit ebensolchen und Winden einlud, stehen. "Was genau tust du eigentlich?" ~*@*~ Kuguar lächelte, was sein Raubtiergebiss in voller Pracht strahlen ließ. "Ich bin Gewürzbauer, mein Häschen. Das hier sind meine Pflanzungen. Oh, ich habe auch ein wenig Obst, ein bisschen Gemüse und Salat." Leporidae blinzelte ihn an, fassungslos. "Aber-aber du bist ein Fleischfresser!" Wiederholte er ungläubig. Einladend eine Klaue ausstreckend bat Kuguar um Begleitung. "Selten, und vielleicht nicht so, wie du glaubst, mein Häschen. Ich bin vielseitig interessiert, weißt du? Lass mich dir dein neues Zuhause zeigen." "Vorschnell!" Grummelte Leporidae, schob aber tatsächlich seine Hasenpfote in Kuguars Klaue. Im Inneren der bewachsenen Halbkugel duftete es nach trocknenden Kräutern, Blumen, feinen Ölsaaten. Die Ausstattung erwies sich als schlicht, jedoch einladend und ganz sicher nicht übervölkert, wie Leporidae aufgewachsen war. "Na schön, aber du hast doch bestimmt eine Gruselkammer verborgen!" Schauderte er unwillkürlich. Genau, die FLEISCHKAMMER, Ort des Horrors! Weshalb es ihm eigentlich unmöglich sein konnte, dieses Gelass zu betreten, ohne sich schütteln und würgen zu müssen! Kuguar lachte leise, nutzte die entzogene Hasenpfote, Kiepe und Gepäck abzustellen. "Da müssen wir ums Eck, nach draußen. Ich hoffe aber, du bist nicht sehr enttäuscht." Leporidaes aufbegehrenden Blick goutierend stellte Kuguar ihm schmunzelnd seine "Zuchtkästen" vor, Rumrurii-Würmer und Falfal-Schrecken. ~*@*~ Leporidae nippte an einem Kräutertee, beobachtete ratlos, wie nacheinander die beiden Sonnen untergingen. Ein Fleischfresser, der sich Eiweiß-Insekten züchtete, die er verhätschelte, bis sie vollgefressen tot umkippten und so verzehrfertig wurden. Der professionell Kräuter und Pflanzen anbaute, um Gewürze herzustellen und zu verkaufen. Kein blutgieriges, aufgeblasenes, arrogantes, selbstherrliches Super-Katzenvieh, das man als Erzfeind und Schreckensbild einstufen konnte. Höchst unfair! Kuguar ließ sich geschmeidig neben ihm nieder. "Vielleicht wirst du es ein wenig zu ruhig finden nach dem Trubel am Portal." "Ich werd bestimmt den Schichtdienst vermissen." Ergänzte Leporidae selbstironisch. "Ist ja nicht so, als könnten wir uns nicht beschäftigen, richtig?" Er wurde nachgerade unleidlich, konnte sich selbst, kaum war ihm die letzte Silbe ätzend entschlüpft, nicht ausstehen. Kuguar kommentierte seine Ungezogenheit nicht. Es war hübsch und friedlich hier, man spürte die Sorgfalt und Umsicht des gerade mal nicht mehr Minderjährigen neben ihm, der auch ausgezogen war, jedoch SEIN Leben offenkundig richtig auf die Reihe bekommen hatte! "Wenn du es sehr vermisst, finden wir bestimmt eine Lösung, wie du wieder als Portalwache arbeiten kannst." Offerierte Kuguar sanft. Leporidae, die Löffel geknickt, schnaubte abschätzig. "Ach, nicht so wichtig! Ich wollte bloß ein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer, so ein schickes Outfit und ein bisschen von der Welt sehen!" Seufzend leerte er den irdenen Becher. "Ich hab mich nicht gerade durch ein besonderes Talent oder wertvolle Fähigkeiten ausgezeichnet. Nur dachte ich eben, da draußen gäbe es so viel mehr! Unterschiedliche Leute, Abenteuer, Erlebnisse." Kuguar betrachtete ihn. "Ist der Zauber dann verflogen?" Es klang weder hämisch noch boshaft oder spöttisch, eher mitfühlend und interessiert. Leporidae lupfte müde die Schultern. "Ich weiß nicht. Aber selbst die spannenden Dinge werden Routine. So viel hab ich dann auch nicht erlebt." Die Löffel hingen tiefer. "Gerade mein letzter großer Auftrag, da war ich die längste Zeitspanne auf der anderen Seite, weißt du? Eine verdächtige Geschichte, mit Stromschlägen, einem aufzustöbernden Menschen!" Er seufzte niedergeschlagen. "Ich wurde zurückgepfiffen. Falsche Gestalt, einer so großen Ermittlung nicht gewachsen." Was dann Selbstzweifel nicht unbedingt ausschloss. "Das tut mir leid, Lepo. Du hättest dich bestimmt bewährt." Tröstete Kuguar mit nachsichtiger Loyalität. Leporidae schüttelte langsam den Kopf. "Nein, wahrscheinlich hätte ich das Ganze doch nicht lösen können. Die komische Technik, die man haben muss, dann eine unauffällige Erscheinung und das Handbuch hat auch keine Antworten vorgesehen." Grummelte er desillusioniert. Kuguar hob die Klaue, streichelte ihm zärtlich über eine Wange. "Vertagen wir die großen Gedanken doch auf morgen, hm? Ich mache dir ein schönes Bett." Daran hegte Leporidae gewisse Zweifel, denn Fleischfresser nächtigten ja, wie jeder wusste, auf Knochen und abgekratztem Fell! HIER gab es geflochtene Matten, eine weiche Unterdecke und ein mit Wiesenblumen gefülltes, duftendes Kopfkissen. Ungläubig, die frisch gereinigten Hasenzähnchen mit offenem Mund darbietend, bestaunte Leporidae im Schein von Leuchtkäfern das Lager. Kuguar schmunzelte, hielt brav Abstand auf "seinem" Anteil der Bettstatt. Allerdings musste er nicht lange warten, bis das Aroma der getrockneten Blüten sein Häschen in süße Träume gelockt hatte. Er konnte Leporidaes eigene Decke dezent arrangieren, sich an sein Häschen kuscheln. ~*@*~ Leporidae erwachte, weil jemand ungeniert seine Löffel vom Ansatz bis zur Spitze streichelte. "Grmblblrmrml!" Beschwerte er sich leicht desorientiert, rieb sich die Augen und kämmte die Schnurrhaare. "Guten Morgen, mein Häschen." Schnurrte Kuguar sanft, amüsiert über die unwillkürlichen Grimassen, die diese erste "Hasen-Wäsche" begleiteten. "Oh,ja, guten Morgen." Grummelte Leporidae, setzte sich auf, fand Kuguar entsetzlich munter und gut gelaunt, bevor ihm ein Blinzeln verriet, dass es durchaus später sein musste, als er angenommen hatte. "Hab ich verpennt? Wie spät ist es?" Eilig wickelte er sich aus der eigenen Decke. "Vormittag, mein Häschen. Du hast bestimmt Hunger, oder?" Kuguar lächelte einladend, konnte nicht widerstehen, erneut über die Löffel zu streicheln. Dieses Mal jedoch erntete er einen tadelnden Hasenknuff vor die breite Brust. "Hör mal, wir sind hier nicht im Streichelzoo, ja?!" Fragend blickten Leporidae nun die geschlitzten Katzenaugen an. "Oh." Brummte er, seinen Kittel halbwegs entknitternd. "Das ist so eine Menschen-Sache. Die sperren Tiere, manche Tiere, in Gehege ein, damit sie sie ständig anfassen können." Kuguar platzierte brav die Klauen auf seinen muskulösen Oberschenkeln. "Ich nahm an, dass es dir gefällt? Wenn ich mich getäuscht habe..." »Erzieherische Maßnahmen!« Hasardierte Leporidaes unterentwickelte Abteilung für Aufzucht. »Erzieherische Maßnahmen sollten JETZT ergriffen werden!« "Das tut gar nichts zur Sache!" Ermahnte er deshalb streng, eine Hasenpfote belehrend erhoben. "Ich bin kein Spielzeug. Wenn ich dir dauernd die Katzenohren zupfen würde, wärst du auch nicht begeistert." Behauptete er entschieden. Kuguar gluckste, beugte sich vor. "Ich fürchte, ich WÄRE sehr angetan, wenn du mich wie im Streichelzoo ständig anfassen würdest." Die Katzenohren schienen dabei nur eine von diversen Optionen zur Selbstbedienung zu sein. Leporidae schnaubte ungläubig. "Aber du bist ein bösartiger, einzelgängerischer Fleischfresser! So verschmust zu sein, das verstößt gegen die Regeln!" Da sich ihre Schnurrhaare beinahe verhedderten, so nahe manövrierte Kuguar sich an sein Häschen heran, konnte er nur unterdrückt kichern. "Was denn, hindert es dich daran, mich nicht ausstehen zu können?" Zurückweichend stellte Leporidae streng die Löffel auf. "Ja!" Platzte er empört heraus, funkelte aus den bernsteinfarbenen Augen aufgebracht. "Wie soll ich dich kritisieren und runterputzen, wenn du dich genauso verhältst wie ich?! Oh, das ist so unfair und hinterhältig! Du ruinierst absichtlich alle meine sorgsam gepflegten und gehüteten Vorurteile und Abneigungen!" Nun konnte Kuguar sich nicht länger zurückhalten: er brach in schallendes Gelächter aus. Leporidae schnaubte, kreuzte die Arme vor der Brust, bot ihm ein steinern-eingeschnapptes Profil. Das konnte er jedoch nicht lange aufrechterhalten, weil Kuguar ihm einfach die Wange ableckte! "He, he! Das war keine Aufforderung! Und Katzenpfoten weg von meiner Blume!" Allerdings übertraf ihn Kuguar mühelos an Muskelmasse und Gewicht, sodass eine effektive Gegenwehr gar keinen Erfolg zeitigen konnte. Zudem arbeitete seine verwünschte, auch noch Schwangerschaft-verseuchte Libido diesem Übergriff zu! "Mein Häschen, mein süßes Häschen!" Hörte er Kuguar immer wieder basslastig schnurren, während der sich an ihm gütlich tat. Andererseits sah Leporidae nicht den geringsten Anlass, sich NICHT verwöhnen und ausgiebig befriedigen zu lassen! Mehr als schwanger konnte er ja gar nicht mehr sein! ~*@*~ 12.12.2020 Leporidae löffelte einen Gemüse-Getreide-Eintopf, nippte immer wieder an gesüßtem Kräutertee. Ja, da konnte er nicht klagen: der verfluchte Fleischfresser bewirtete ihn wirklich königlich und sehr lecker! Kuguar zwinkerte, als habe er den Gedanken aufgefangen. "Ich bin froh, dass es dir zusagt." Schnurrte er keck, dabei erneut einen Halm um seine langen, blauschwarzen Strähnen windend. Die hatte Leporidae ordentlich gezaust, um sich ein klein wenig schadlos zu halten. Entspannt, nicht mehr hungrig, geborgen und temporär sexuell ausgelastet suchte Leporidae nicht nach einem neuen Fehdehandschuh, sondern studierte Kuguar nachdenklich. Der blickte ihn aufmerksam und abwartend an. Leporidae seufzte, legte den Holzlöffel in seine blitzblank geleerte Schale. "Ich sag's nicht gern, aber wenn du glaubst, dass ich was von Aufzucht und Kindern und Haushalt verstehe, bist du auf dem Holzweg. Das haben in meiner Großsippe immer andere übernommen. Oh, wir leben eigentlich in sehr großen Familienverbänden zusammen." Ergänzte er erläuternd, den Raubtierdaimonen bildeten schließlich nur kurzzeitig Mini-Rudel, bevor sie sich verkrachten, als traurige Existenzen allein und verbittert durch die Gegend stromerten! Kuguar schmunzelte. "Nun, dann setzen wir uns eben ein Weilchen auf den Marktplatz. Bei all den Ratschlägen und Empfehlungen wird sicher etwas Brauchbares darunter sein." Prompt begehrte Leporidae auf, der mutmaßte, ihm werde ein Hang zum Müßiggang unterstellt, was er nicht ganz abstreiten konnte. "Wie, stundenlang da herumsitzen und nichts tun außer schwatzen?!" Er stemmte die Hasenpfoten in die Seiten. "Oh, das wäre wohl übertrieben, immerhin bist du bei deinem Wachdienst am Portal ganz andere Herausforderungen gewöhnt." Diese Spitze durchaus erkennend erhob sich Leporidae betont würdevoll, reckte das Kinn höher. "Erstens war ich auch auf Patrouille, ich habe NICHT gesessen. Zweitens versuche ich, auf erwachsene und rationale Weise anzumelden, dass ich deine Erwartungen nicht erfüllen kann. Drittens brauche ich frische Luft." Damit stakste er steif hinaus, dem kleinen Pfad folgend, durch den Rosenbogen, um sich der Landstraße zuzuwenden. "Gemeines Katzenvieh!" Murmelte er dabei verdrießlich, denn vor sich selbst einzugestehen, dass man gar nicht viel auf dem Kasten hatte, war schon nicht leicht. Aber es dann auch noch laut auszusprechen, um auf Schwierigkeiten in spe hinzuweisen, DAS sollte ja wohl nicht mit einer fiesen Bemerkung quittiert werden! Zwar hörte er noch leichte, allzu elastische Schritte hinter sich, doch für eine Reaktion kam es zu spät. Mit großen Sätzen hatte sich Kuguar auf seine Spur begeben, schlang ihm nun von hinten die muskulösen Arme um den Leib, hielt ihn fest. "Es tut mir leid, Lepo! Meine spitze Zunge hat sich selbständig gemacht. Ich wollte dich nicht verletzen." Leporidae ächzte, zappelte leicht. "Großer M, willst du mich zerquetschen? Nicht ganz so fest, ja?!" Die Umarmung wurde um ein Millimeterchen lockerer, dafür jedoch küsste Kuguar ihn auf jedes erreichbare Fleckchen. "Verschmust" stellte in diesem Zusammenhang eine mildtätige Untertreibung dar! Diese Aufmerksamkeiten blieben verständlicherweise nicht ohne Konsequenzen. Leporidae fand, dass er das gleiche Recht hatte, Kuguar auch zu küssen! Wenn der ihm nun die Blume kraulte, wohl wissend, welchen Effekt das hatte, konnte er ja genauso ungeniert den beachtlichen Ständer massieren! In kürzester Zeit wurde es nötig, sich von der Landstraße weg in die Büsche zu schlagen, Suspensorium und Kittel abzustreifen, sich damit zu amüsieren, eine Steckverbindung herzustellen, was, wie Leporidae überrascht registrierte, ganz ohne präpariertes Seil funktionierte. Zudem erntete er hingerissenes Schnurren und Stöhnen, kein Mal jedoch Knurren, Fauchen und Zischen. Es währte eine ziemliche Weile, bis sie erschöpft nebeneinander lagen und zum Himmel blickten. Kuguar schob eine Katzenklaue in Leporidaes Hasenpfote, wandte ihm den Kopf zu. "Ich hab dich lieb, mein Häschen. Bleib bei mir. Unsere Kinder bekommen wir schon groß, bestimmt." Leporidae grimassierte. "Wieso höre ich da Plural?! Erlaube mal, das haben wir nicht abgemacht. Hast du eigentlich eine Vorstellung, was das für eine Belastung sein wird? Ich bekomme bestimmt einen dicken Hintern und Brüste!" Kuguar lachte leise. "Das wird mir sehr gefallen, mein Häschen." "Ja, DU kannst ja oben ohne herumlaufen, während ich für den Rest meines Lebens gegen die Schwerkraft anwickeln muss!" Grollte Leporidae unleidlich. "Überhaupt, wieso tut sich so ein nach eigenem Bekunden 'strammes Kerlchen' nicht mit ner fiesen Miezekatze zusammen?!" Vor einer Antwort hob Kuguar ihre verschränkten Pfoten, küsste Leporidaes zärtlich. "Ich habe Bedürfnisse, wie du weißt, die durch die serielle Ausstattung einer Miezekatze nicht befriedigt werden." Er zwinkerte Leporidae zu, der über den vollen Satz an "Ausstattung" verfügte, ebenfalls serienmäßig, wie alle seiner Art. Diese Erwähnung erinnerte Leporidae jedoch daran, dass er etwas für sein Gewissen zu klären hatte, weshalb er sich aufsetzte und Kuguar entschlossen ins Visier nahm, die Löffel lotrecht. "Hör mal, ich dachte, du seist älter." Leporidae atmete tief durch. "Wenn ich dir weh getan habe, dann tut es mir leid. Ich hatte gehört, dass, na ja, bei Raubtierdaimonen eher rustikal vorgegangen wird. Mit einem Biss in den Nacken wäre dann schon genug vorbereitet." Kuguar richtete sich auch auf, strich unaufgefordert über Leporidaes Löffel. "Aber behandelt hast du mich wie deinesgleichen." Korrigierte er sanft, lächelte aufmunternd trotz des blendenden Gebisses. "Na, wie sollte ich es auch anders halten?! Ich bin nun mal kein fieser Fleischfresser!" Polterte Leporidae, blickte dann jedoch rasch zur Seite. "Trotzdem hast du dich für mich interessiert." Schmunzelte Kuguar, drückte die Hasenpfote, die er nicht losgelassen hatte. "Das war NUR, weil ihr immer so selbstherrlich und aufgeblasen herumstolziert!" Schimpfte Leporidae, unlautere Motive offenbarend. "Überall Muskeln, gerade mal ein Stückchen Stoff und nichts als Krallen und Zähne! Wenn ich so aussehen würde, könnte ich mich natürlich auch aufspielen!" Mischten sich noch Minderwertigkeitskomplexe und sorgsam gehätschelte Vorurteile darunter. Kuguar lachte. "Ah, freut mich, dass ich dir zumindest optisch zusage! Ich hingegen ziehe ja ein so streichelzartes Fell und diese einladend-buschige Blume vor." "Untersteh dich!" Schnappte Leporidae, die Schnurrhaare zitternd. Er würde seiner verwünschten Libido nicht gleich noch mal die Zügel schießen lassen, oh nein! "Denk dran, du musst unseren Lebensunterhalt verdienen! Gewürzbauern sind fleißig, oder?! Kein Müßiggang!" Appellierte er an Kuguars Pflichtgefühl. Der schmunzelte, leckte sich über die Reißzähne. "Dass DU MICH zur Zurückhaltung anhältst, ist schon komisch, oder?" Grollend fischte Leporidae nach seinem abgeworfenen Kittel. "Ich VERSUCHE, vernünftig zu sein, ja?! Es ist bloß ein lächerliches Gerücht, dass wir ständig rammeln! Wie soll das auch gehen, wenn man keine Kalorien zum Verbrennen hat?! Wer essen will, muss was dafür tun." Auch wenn er selbst dazu noch gar nichts Substantielles beigetragen hatte. Nachgiebig kam Kuguar geschmeidig in die Höhe, Leporidae mit sich ziehend. Sie bedeckten sich rasch, dann kaperte Kuguar schon wieder eine Hasenpfote, schlenderte mit Leporidae zurück zu seiner Parzelle. Dort ging er seiner gewohnten Arbeit nach, nun jedoch in Gesellschaft, zeigte und erklärte Leporidae alles, ließ ihm auch hier und dort den Vortritt, sich zu erproben. "Was meinst du, brauchen wir ein größeres Gemüsebeet?" Erkundigte er sich schließlich bei Leporidae, der Wasser für Tee aus dem Brunnen geholt hatte. "Aber dann müsstest du deine Anbaufläche verringern." Warf Leporidae ein, füllte einen Wasserkessel vorsichtig auf. Kuguar heizte mit einem abgeschlossenen System von verkoksten Halmen, da es in seiner Nähe keine geothermischen Quellen gab. "Ein wenig schon, doch es muss ja bald für unsere Familie reichen. Gemüse aus der Stadt hierher zu bringen, das wäre ja auch nicht die Lösung, oder?" Leporidae erlöste den zwitschernden Wasserkessel, taufte Teeblätter, schenkte Kuguar dann einen kritischen Blick. "Miezekater, du hast KEINEN BLASSEN Schimmer, was wir verdrücken können. Ich vertilge mehr als ein Scheunendrescher. So viel Beetfläche kannst du gar nicht freimachen." Kuguar, der die vertrauliche Anrede, ausnahmsweise mal ohne bissigen Bezug auf Ernährungsgewohnheiten, goutierte, spitzte die Katzenohren. "Nein, ich muss für meinen Unterhalt auch was tun." Entschied Leporidae, grimmig in seinen Teebecher starrend, ob sich hier die Zukunft ablesen ließ. Natürlich absoluter Humbug, wie alle wussten, denn wesentliche Erkenntnisse konnte man gerade mal beim Pflücken der Teeblätter gewinnen! "Die Krux besteht darin, dass ich jetzt nicht gerade aufdringliche Primär-Talente vorweisen kann." Erläuterte er Kuguar, ein klein wenig beschämt. "Eigentlich wollte ich ja als Mee-Poo anfangen, aber da gab es gerade genug. Ich meine, ich weiß, wie man mit einer Schocklanze umgeht! Ich kann SEHR ENERGISCH einen Portalpass zur Ansicht verlangen. Bei einer Verfolgung scheue ich mich auch nicht, mich richtig ins Geschehen zu werfen, sogar in die Menschenwelt zu wechseln!" Zählte Leporidae seine Fachkenntnisse auf. "Oh, kam das häufig vor?" Erkundigte sich Kuguar aufmerksam, was prompt Knitterwellen in die Schnurrhaare bog. "Eher nicht." Gestand Leporidae verdrießlich ein. "Als ich neu war, haben ALLE, wirklich alle einzelnen, mir sofort ihre Pässe gezeigt, ganz freiwillig, ohne Aufforderung! Von meiner ersten richtigen Verfolgungsjagd bin ich ja gerade abgezogen worden, dabei habe ich mich gar nicht so schlecht angestellt, finde ich, denn immerhin musste ich IMPROVISIEREN!" Sich sehr wichtig fühlend warf er Kuguar einen strengen Blick zu. "Ist nämlich so, dass wir gehalten sind, immer nach Handbuch vorzugehen, damit keine Fehler passieren. Ich bin ziemlich gut mit Handbüchern und Anleitungen!" Betonte Leporidae, denn bei seiner Art galten Regeln, Anleitungen, Gebrauchsanweisungen und Handbücher als nahezu sakrosankt. Nicht zwingend damit verbunden, sich auch stets buchstabengetreu an alles zu halten, selbstverständlich! Aber es wurde sehr geschätzt, dass es sie gab, durchaus! Man wollte schließlich wissen, woran man war, selbst wenn man sich anders verhielt. An seinem Teebecher nippend suchte Leporidae nach anderen Eigenschaften, die ihm den Unterhalt sichern könnten. "Also, ich bin auch recht gut zu Pfote, Patrouille laufen und Grünzeug niedersäbeln, um Warnmarkierungen aufzustellen." Was nicht unbedingt auf übermäßig große Botanik-Kenntnisse oder Frisierfertigkeiten schließen ließ, denn hier galt nur die eine, überlebenswichtige Regel: Kullergucker IMMER einsetzen und NICHT auf die Dimensionsüberschneidung latschen! Da Kuguar ihm so konzentriert lauschte, holte Leporidae ein wenig weiter aus. "Es ist so: meine Art lebt immer in großer Zahl zusammen, ein bisschen, na, man könnte sagen, selbstgenügsam. Sie finden es prima, wie es ist. Der Rest der Welt ist sicher auch ganz nett, aber davon muss man sich nicht überzeugen. Ich kann also vom Mithelfen und Mittun von allem ein bisschen, aber eben nichts besonders gut. Nur wollte ich schon mal nen Blick auf den Rest der Welt werfen. Habe jede Gelegenheit genutzt, wenn etwas in die nächste Stadt abgeliefert werden musste. Total autark sind wir ja nicht, also gibt es schon einen gewissen Austausch." Leporidae drehte den Teebecher in seinen Hasenpfoten gedankenverloren. "Ich weiß gar nicht, woher das kam, aber ich wollte schon immer mal losziehen, andere Leute sehen, andere Landschaften, ein bisschen Abenteuer und Aufregung." Niemand hatte ihn diesbezüglich gerügt, aufgehalten oder ausgegrenzt. Man fand es ein wenig merkwürdig, schon, aber wenn er sich umschauen wollte, um zu bestätigen, dass es Zuhause am Schönsten war... "Hört sich bestimmt für nen Raubtierdaimon seltsam an, die halten's ja gar nicht miteinander aus." Kuguar gluckste amüsiert. "Sieh es mir nach, dass ich dich desillusioniere, mein Häschen, ja? Raubtierdaimonen sind SO wie alle anderen auch: sie leben zusammen, in Familien oder Großfamilien, häufig mit anderen zusammen, ganz und gar nicht einzelgängerisch einsiedelnd in der Einöde." Er lächelte über Leporidaes zweifelnden Blick. "Nein, Raubtierdaimonen werden auch nicht separiert. Entgegen der haltlosen Gerüchte fallen wir keine anderen Daimonen an, zumindest nicht aus kannibalistischen Motiven." Zwinkerte er grinsend. Leporidae stellte prompt misstrauisch die Löffel auf. "Ach ja?! Wieso bist du hier draußen allein, hm?! Ganz zu schweigen von all diesen Pflanzen!" Kuguar schmunzelte. "Nun, ich habe mich eben schon immer für Kräuter und Gewürze begeistert, mein Häschen. In der Kleinstadt hätte ich einfach nicht so viel Platz für den Anbau. Ich bin durchaus gesellig, nur nach so viel mütterlicher Aufsicht wollte ich eben auch mal ein bisschen Freiraum haben." Er nippte an seinem Tee, um die nächste Lunte zu zünden, da Leporidae sich schon darüber ärgerte, diese Argumentation nicht zerpflücken zu können. "Allerdings wäre meine Mutter entsetzt, wenn sie jetzt hier wäre. Ihre größte Sorge war immer, ich würde auf eine intrigante Person hereinfallen und dann sklavisch für den Unterhalt schuften." Leporidae federte aufgebracht hoch. "Wie meinen?! Soll das etwa heißen, ich hätte dich verführt und würde mich jetzt wie ein Gigolo aushalten lassen?! Unerhört! Infam! Eine bodenlose Frechheit!" Zornig ballte er die Hasenpfoten. "Na warte! Gleich morgen gehe ich los, stöbere einen KOK-Offize auf! Unverschämt, auch nur anzudeuten, ich würde mich alimentieren lassen!" Kuguar lachte, blickte zu ihm hoch. "Das ist ganz und gar nicht komisch, klar?! Ich gebe zu, ich bin praktizierend nächstenliebend, aber ganz sicher nicht liederlich- unmoralisch! Lass mich dir sagen: es verstößt gegen unseren Kodex, irgendwen emotional oder körperlich auszubeuten!" Schimpfte Leporidae enragiert und sehr empört. Seinen Teebecher absetzend kam Kuguar langsam auf die Katzenpfoten. "Mir ist das nur zu bewusst, mein Häschen, deshalb sinne ich auf Mittel und Wege, dich an mich zu binden. Ich bin nun mal ein fleischfressender Raubtierdaimon und gehöre nicht zu deiner Art, sodass ich nicht hoffen kann, du sähest mich wie einen deiner Großsippe an." Überrumpelt von Kuguars Ernst starrte Leporidaes in dessen geschlitzte Katzenaugen. "Aber.. also..." Sanft kaperte Kuguar in seinen Klauen die Hasenpfoten. "Ich möchte mit dir zusammensein, Lepo, als Paar, als zwei Personen, die zusammengehören. Ich weiß, eine exotische Vorstellung, dazu noch einschränkend." Kuguar rollte die muskulösen Schultern, atmete so tief durch, dass seine Schnurrhaare zitterten. "Bitte heirate mich, Leporidae. Teil dein Leben mit mir. Gib mir Gelegenheit, dir zu beweisen, dass ich dir Freund, Gefährte, Partner und Liebhaber bin." ~*@*~ 13.12.2020 Verdattert und verlegen entwich Leporidae ein Ächzen. Vage, eher theoretisch, war er mit dem Konzept von "Heiraten", also formale Verbindung exakt zweier Lebewesen, bekannt. In seiner Art benötigte man derlei nicht, denn ALLE gehörten ja zusammen. Eine solche "Feinsortierung" schien eher in der Welt draußen erheblich zu werden. "Äh-äh." Stammelte Leporidae deshalb verwirrt, bevor ihm erneut sein Verstand in den Hintern trat, unter der puschlig-weichen Blume. "Geht-geht das nicht ein wenig schnell? So richtig kennen wir uns noch gar nicht! Nur wegen Kindern heiraten?!" Hasardierte er hastig ein Gegenargument. Kuguar studierte ihn nachsichtig, nicht beleidigt ob des Zögerns. "Lernen wir uns kennen, mein Häschen. Lass uns Zeit miteinander verbringen, ja? Immerhin haben wir ja schon Gemeinsamkeiten festgestellt, richtig? Kompatibel sind wir auch." Leporidae grummelte, entzog Kuguar aber nicht die Hasenpfoten. "Wenn du jetzt auf Sex anspielst, Miezekater, sticht der Trumpf nicht. Meine Art ist da ausgesprochen adaptiv." Das nahm Kuguar jedoch keineswegs das Selbstvertrauen oder den Wind aus den Segeln. "Mag sein, aber bevorzugt hast du mich!" Sich aufplusternd arbeitete Leporidae sofort an einem Dämpfer. "Ach ja?! Woher willst du das wissen, hm?! Überhaupt, vielleicht hatte ich bloß zu viel zu tun!" Kuguar lächelte. "Kleinstadt, mein Häschen. Kein Lauffeuer könnte sich schneller verbreiten als die Neuigkeit, wen die schmucke Portalwache in der Freizeit sieht. Da wir uns nur außerhalb heimlich treffen konnten..." Grollend versuchte Leporidae nun doch, seine Pfoten aus den Klauen zu entfernen. "Ich hatte NUR zu viel zu tun, klar?! Von 'treffen' kann auch nicht die Rede sein, ja?!" Immerhin hatte er sich aus dem Hinterhalt auf den verfluchten Fleischfresser gestürzt! In just diesem Augenblick plärrte die interne Wiedervorlage seines Verstands, weil ihm doch am Morgen ein Aspekt ihrer 'Buschaktivitäten' aufgefallen war. Alarmiert starrte er in die Katzenaugen, registrierte, dass Kuguar sich kurz die Lippen leckte. NERVOSITÄT! "Das waren spontane Übergriffe?" Formulierte Leporidae bedächtig, sich an eine unerfreulich späte Erkenntnis herantastend. "Allerdings hast du heimtückisch meinen Dienstplan in Erfahrung gebracht!" Kuguar widersprach nicht. "Dich NICHT in deiner Parzelle oder der Kleinstadt aufgehalten!" Aufgebracht riss sich Leporidae los. "Du-du WOLLTEST, dass ich dich vernasche?!" Ein UNFASSBARER Gedanke! Auf etwas so Waghalsiges hätte Leporidae sich auch nie eingelassen, sich nicht träumen lassen, jemals...! Erzürnt machte er kehrt, preschte in das Häuschen, kramte in seinen Habseligkeiten herum, produzierte die Geheimbotschaft, einen abgerissenen Zettel. Kuguar, der ihm auf Katzenpfoten lautlos gefolgt war, zupfte aus einem dicken Nachschlagewerk zur Heilkräuterkunde ebenfalls einen Zettel, sehr viel glatter, aber offenbar nicht vollständig. "Was hat das zu bedeuten?" Erkundigte sich Leporidae tonlos. Kuguar platzierte seinen Zettel auf den Boden in der demilitarisierten Zone zwischen ihnen. In die Hocke gehend verifizierte Leporidae seine Vermutung: beide Abschnitte gehörten zusammen. "Erklär mir das." Forderte er leise auf. Kuguar seufzte, kämmte sich kurz über die langen, glatten, blauschwarzen Strähnen. "Erinnerst du dich an die kleinen Tonflakons, die ich benutze? Meine Tante stellt sie her, glasiert oder nur gebrannt. Ein Großteil meiner Familie ist beim Hausbau oder in die Produktion von Steingut engagiert. Dieser Zettel hier diente bloß als Polster bei der Lieferung. Wegen des Übertragungsfehlers." Leporidae verarbeitete schweigend, dass sich Raubtierdaimonen ausgerechnet in diesem Metier tummeln sollten. Klang nun gar nicht sonderlich blutig, gemeingefährlich oder extravagant! "Übertragungsfehler?" Echote er frostig. Langsam tippte Kuguar auf das Schlüsselwort: den magischen Zauberbann. "Eternit. Das ist eine Markenbezeichnung aus der Menschenwelt, steht für Faserzement. Die Menschen machen Wellplatten für Dächer oder zur Dämmung daraus. Wir bauen nicht damit, es schädigt hier die Umwelt, lässt sich nicht gut verarbeiten. Dachpfannen aus spezieller Keramik, das ist unsere Stärke." Bedächtig pickte Leporidae seinen Anteil am Zettel hoch, eine fehlerhaft gedruckte Anweisung, deshalb als Polster für die kleinen Flakons genutzt. "Hier steht 'Erythrit'!" Diesen Begriff hatte er eigens nachgeschlagen, dem Glück nicht trauend, einen Schlüssel gefunden zu haben, Raubtierdaimonen zu bezwingen! Zuckeralkohol. Süßstoff. Durch Pilze fermentiert, nicht billig. Das teure Pülverchen hatte er eigens in Wasser angerührt, um das Seil damit triefnass zu durchtränken. Blitzartig schnellte Leporidae vor, packte Kuguars Zopf im Nacken, funkelte ihn eisig aus den bernsteinfarben Augen an, die Löffel starr. "Hast du mir diesen Zettel zugespielt, damit ich wie der trottelige Pflanzenfresser, der ich bin, dieses VOLLKOMMEN NUTZLOSE Zuckerzeug benutze? Hast du mich glauben machen, ich würde dich REIN ZUFÄLLIG erwischen?" Kuguar wich seinem inquisitorischen Blick nicht aus. "Wie sonst hätte ich dich dazu bringen können, mich zu treffen?" Erbost stieß Leporidae ihn von sich. "Du-du hast mich lächerlich gemacht! War es so amüsant, mich wie einen Idioten an der Nase herumzuführen?!" Außer sich vor Wut machte er kehrt, stürmte aus dem Haus. Weit kam er jedoch nicht, denn Kuguar folgte ihm flink, lupfte ihn von den Läufen und ließ nicht locker. "Lass mich los! Ich will dich nicht sehen und nicht mit dir reden!" Zeterte Leporidae, zappelte und wand sich heftig in den muskulösen Armen. "Was blieb mir denn übrig? Du hast mich betont übersehen und durch die Pforte kann ich nicht. Wie sollte ich dir denn sonst nahekommen?" Hielt Kuguar dagegen, appellierte an Leporidaes Sinn für Gerechtigkeit. Verbissen weigerte der sich jedoch, ihn einer Antwort zu würdigen, kämpfte darum, sich zu befreien, was Kuguar nicht zulassen wollte, sich eng an das zornige Häschen schmiegte. "Mir war bewusst, dass du viel mehr Erfahrung hast, an Flirts gewöhnt bist. Ich konnte da nicht mithalten. Außerdem hörte ich dann von diesen Gerüchten über Raubtierdaimonen!" Kuguar verstärkte seinen Griff leicht. "Vor mir hatte NIE irgendwer Angst. Höchstens vor meiner Mutter, zugegeben. Ich wollte mit dir ins Gespräch kommen, dir Kräuter schenken, mit dir essen, spazieren gehen!" Doch die entschiedene Weigerung, seine Existenz auch nur zur Kenntnis zu nehmen, hatte diese Optionen ausgeschlossen. "Ich bin nun mal ein Raubtier. Läuft man vor uns weg, stellen wir eben eine Falle und lauern dort." Er seufzte. "Ich war so froh, als du dich getraut und wirklich die Gelegenheit genutzt hast. Aber ich wollte ja auch, dass du bei mir bleibst, nicht bloß ein wenig Spaß hast." Leporidae gab unterdessen den erfolglosen Versuch auf, sich aus seinem Zugriff zu befreien. "Aha! Darum also immer schön Knurren, Fauchen und Zischen, wie?! Um mich zu täuschen! Hast du heute aber vergessen, du heimtückischer Hinterhältler!" Kuguar küsste den höchst unwilligen Leporidae auf den Nacken. "Ich mag den Sex mit dir. Ich hab dich lieb, mein Häschen. Ich will dich nicht betrügen. Wenn du nur MICH sehen wolltest und nicht ein abstraktes, bösartiges, übelwollendes, fleischfressendes Raubtier." Leporidae kämpfte mit der eigenen Empörung, der Scham über die eigene, bornierte Dummheit und der widerwilligen Akzeptanz der vorgebrachten Rechtfertigungen. Er strampelte, bis er wirklich den Boden erreichen konnte. "Wann wolltest du mir das sagen, hm?! Dass du mich übertölpelt hast?! Noch dazu mit Zuckerkram! 'Süße Falle', ha! Und ich Depp hab noch geübt, bis ich diesen blöden Fesseltrick auch drauf hatte!" Denn üblicherweise musste man sich selbst als Portalwache nicht in Verschnürungstechniken bewähren. Kuguar hielt ihn umschlungen. "Ich weiß nicht, wann der passende Moment gewesen wäre. Ist es denn so wichtig, wer von uns den ersten Schritt getan hat?" Er klang gar nicht so souverän, basslastig-schnurrend wie sonst, eher kläglich und noch ziemlich jung. Leporidae reckte das Kinn, justierte die Löffel lotrecht. "Im Moment jedenfalls bin ich NICHT gut auf dich zu sprechen, hörst du? Ich muss mir noch überlegen, ob ich dich einigermaßen leiden kann." Statt einer schnippischen Antwort seufzte Kuguar jedoch bloß. "Bitte sei nicht böse auf mich, mein Häschen. Ich wollte so sehr mit dir zusammen sein! Ich wusste mir keine bessere Lösung." Zögerlich lösten sich die muskulösen Arme von Leporidae, der sofort durchatmete. Großer M, dieser ungezogene Miezekater konnte einen ja zerquetschen! Sich umkehrend stemmte er die Hasenpfoten in die Seiten, musterte Kuguar streng. Der wirkte zerknirscht, sogar ein wenig bange, was alles so gar nicht zu dem Zerrbild passte, das Leporidae ohne zu hinterfragen sorgsam gehegt und gepflegt hatte. "Schönes Schlamassel!" Konstatierte er endlich. Sein eigener Anteil an Verfehlungen nahm sich ja auch nicht gerade klein aus. "Ich bin dein Erster, oder? In so ziemlich allen Bereichen, hm?" Von wegen 'fiese Miezekatzen'! Kuguar hob eine Klaue, streichelte behutsam die Löffel entlang. "Wenn ich das zugegeben hätte, wärst du zurückgewichen. Ganz ohne Erfahrung und kaum erwachsen." Wie es den Anschein hatte, mussten BEIDE Seiten ihre Courage sammeln, um das Wagnis einzugehen! Leporidae brummelte verdrossen. "Na, wir zwei sind schon Helden, was? Aber eins sag ich dir: KEIN Sterbenswörtchen darüber zu unserem Nachwuchs, verstanden?! Das untergräbt unsere Autorität für alle Zeiten! Wir müssen uns definitiv was Besseres ausdenken, am Besten total kitschig-romantisch! Da fragt dann niemand mehr nach." Grübelte er, sich die Schnurrhaare streichend. Nicht einen Moment später hatte Kuguar ihn schon umhalst, küsste ihn hingebungsvoll. Schön, das war auch eine Taktik, um den Nachwuchs in Schach zu halten! ~*@*~ Kuguar blinzelte, lauschte einen Moment konzentriert. Das Häschen, an das er sich gekuschelt hatte, ratzte friedlich vor sich hin. Sehr vorsichtig setzte Kuguar sich auf, zupfte die Decke ein wenig zurecht. Er fror eigentlich nie, aber beim Häschen musste man aufpassen, dass es sich nicht doch mal verkühlte. Lautlos erhob er sich, huschte aus dem Schlafkämmerlein hinaus. Im Morgengrauen gab es die ersten Arbeiten zu erledigen, mit dem ersten Tau schon gezielt zu ernten. Kuguar fand stolz, dass es sich gelohnt hatte, akribisch und sorgfältig die Blumen und duftenden Kräuter für das Kissen auszuwählen. Das Häschen schnorkste offenbar gern darauf, konnte so milde gestimmt werden. Während Kuguar Wasser aus dem Brunnen pumpte, sich rasch wusch, den Wasserkessel auffüllte und die Gießkannen, dachte er nach. Ja, es war zu erwarten gewesen, dass sein Häschen Zweifel hegte, ob er WIRKLICH so tumb war, sich so mühelos und wiederholt überfallen ließ. Er hätte sich offenbaren müssen, über kurz oder lang. Seine als Gärtner und Raubtierdaimon angeborene Geduld war ausgefranst, als er das Häschen ob des Rückschlags so deprimiert erlebt hatte. Was, wenn es aufsteckte, nicht mehr Portalwache sein wollte und zu seiner Großfamilie zurückkehrte?! Sex mochte unterhaltsam sein, aber nach Kuguars Eindruck spielte es für Leporidaes Art keine übertrieben hohe Rolle. Zudem zeichnete sich SEIN Häschen durch Abenteuerlust aus. Es konnte also aus Neugierde einfach sein Bündel schnüren, davon hoppeln! Da konnte man schon in gerechtfertigte Panik geraten und den Trick mit dem gezuckerten Seil aufgeben! Kuguar brachte seinen Zuchtkästen Nachschub an Wasser und Futter. Die Rumrurii-Würmer beschäftigten sich emsig mit sich selbst. Wer einmal kopuliert hatte, konzentrierte sich aufs Essen bis zum Platzen. Darob Dahingeschiedene schob man aus dem Weg zum Grünzeug zu einer kleinen Rutsche, die in einem Auffangbehälter endete. Dort konnte Kuguar dann hübsch säuberlich seine Eiweißlieferanten auflesen. Bei den Falfal-Schrecken verhielt es sich ein wenig anders. Die feierten ständig, wenn es Nachschub gab, als handele es sich um einen Festschmaus, sprangen wie wild umeinander, beendeten sofort Schlafen, Fortpflanzung oder Zirpen. Die wilde, ekstatische Hopserei führte auch hier dazu, dass Falfal-Schrecken aus Begeisterung tot herunter plumpsten. Kuguar angelte diese jüngst vor Freude verstorbenen sehr vorsichtig heraus. Seitlich, mit einem Arm fischend, denn drinnen tobte man wie toll, euphorisch die nächste Mahlzeit lobend. Durchaus geübt konnte Kuguar seine beiden tierischen Eiweißquellen verarbeiten und lecker zubereiten. Man fand es in seiner Familie zwar etwas seltsam, aber nachvollziehbar. Nicht alle hatten schließlich genug Platz, um Kaninchen als Nutztiere zu züchten! Da musste man sich auch auskennen, Premiumqualität, nur pumperlgesunde Hoppler kamen in Frage. Zudem galt es, eine Infrastruktur aufzubauen, denn ALLES wurde verarbeitet und genutzt. Dass pflanzenfressende Daimonen nun glaubten, man stürze sich auf alle und alles, DAS ging aber trotzdem viel zu weit! Die P.U.D.E.L. würden derartige Übergriffe gar nicht erst zulassen. Daimonen jeder Gestalt und Erscheinung waren nun mal Daimonen! Kannibalismus, igitt! Von Ex-Göttlichen und anderen Exilierten, die der Große M einwandern ließ, mal ganz zu schweigen. Wenn Kuguar von seiner Mutter auf andere schloss, galt Hygiene als oberstes Gebot! Irgendwo die gepflegten Reißzähne reinschlagen?! Ausgeschlossen! Da konnte man sich ja sonst was einfangen! Selbstverständlich konnte das jede Person so halten, wie sie wollte, schließlich war die Welt groß, bunt und ganz unterschiedlich, aber in IHREM Einflussbereich wurde auf Hygiene und Gesundheit geachtet! Völlerei, Müßiggang, Träg- oder Faulheit kamen nicht in Frage, weshalb Kuguar auch an tägliche Gymnastikeinheiten gewöhnt war, gedrillt von seiner äußert virilen Ururgroßmutter. Keinen eigenen Reißzahn mehr im Mund und ziemlich verhutzelt, DOCH beweglich und fit wie ein Flitzebogen! Kuguar strengte sich an, möglichst geräuschlos zu frühstücken und für Leporidae den Anteil vorzubereiten. Er huschte in sein Schlafkämmerlein zurück, streckte sich neben seinem Häschen aus, begann, beinahe unbewusst, über die Löffel zu streicheln. Was Leporidae so langsam aus den Traumwelten in die Wirklichkeit lockte. "Dir ist schon bewusst, dass du mir uneingeladen an die Löffel gehst?" Erkundigte er sich prompt mit schlafesrauer Stimme. "Die sind einfach zu verlockend!" Verkündete Kuguar grinsend, drückte Leporidae einen Kuss auf die Nasenspitze. Ihre Schnurrhaare verhedderten sich und lösten ein synchrones Niesen aus. "Du hast mich wieder nicht aufgeweckt!" Beschwerte sich Leporidae, die Augen reibend. "Weil du so niedlich im Schlaf aussiehst. Du hast auch gar nichts verpasst." Versicherte Kuguar, hob sich Leporidae einfach auf den Schoß. "He! Moment mal, du ungezogenes Raubtier, wir können nicht einfach...!" Setzte Leporidae zu einer entschlossenen Ermahnung an. Weit kam er damit aber nicht, weil Kuguar schon mit einer Klaue sehr versiert seine Blume liebkoste und ihn gleichzeitig ausführlich küsste. "Aber ich hab Hunger!" Beschwerte Leporidae sich kläglich, denn andere Körperregionen drängelten sich unaufgefordert UND UNÜBERSEHBAR vor. "Das regt den Appetit an, mein Häschen." Schnurrte Kuguar sehr basslastig, nutzte den Umstand, dass Leporidae sich wie am Vortag auch noch im eigenen Kittel verheddert hatte. Ihn jedenfalls würde so ein morgendliches Programm absolut begeistern! ~*@*~ 14.12.2020 Grollend pro forma mümmelte Leporidae sein Frühstück. "Das ist NICHT in Ordnung!" Ließ er Kuguar wissen, der geschickt Saaten und Früchte verarbeitete, die einen zum Mörsern, die anderen zum Trocknen. Im Licht der beiden Sonnen vor dem Haus in Ruhe zu frühstücken, dämpfte allerdings Leporidaes Versuch, autoritär Ordnung einzuführen, erheblich. "Ich habe ja verstanden, dass du EXTREM kuschelbedürftig bist, aber wir können nicht einfach bei jeder Gelegenheit schnackseln!" Kuguar grinste mit blendenden Reißzähnen. "Nein? Ich hatte jetzt wirklich den Eindruck, dir hätte es auch gefallen." "Tut nichts zur Sache!" Trompetete Leporidae, sich vergeblich aufplusternd, um dann ein wenig verdrießlich zu ergänzen. "Außerdem weißt du sehr wohl, wie begeisterungsfähig ich bin. Und stur!" Leider, denn er sah partout nicht ein, warum er Kuguars Aufmerksamkeiten nicht erwidern sollte. Offenkundig wollte der auch ziemlich gern "Versteck-die-Wünschelrute" spielen, da galt bei vorhandener Ausstattung gleiches Recht für alle! Als Premiere hatte er das Muskelpaket auch mal aufs Kreuz gelegt, Schnurren, Seufzen, Stöhnen und Anfeuerung erfahren! Außerdem küsste Kuguar ihn fortwährend, begeisterte sich für jede Paar-Dynamik, was Disziplin äußerst erschwerte, auch wenn es schmeichelhaft war, so hofiert und gelobt zu werden. Leporidae spülte mit Tee nach, seufzte dann Augen rollend. "Merkst du was?" Erkundigte er sich rhetorisch. Kuguar, der ihm über die Löffel streichelte, hielt inne. Leporidae schnaubte. "Großer M, wir kennen uns kaum und DU entwickelst schon einen Fetisch!" Betroffen und geknickt mit herabhängenden Schnurrhaaren zog Kuguar die Klauen zurück. Für einen langen Moment studierte Leporidae das Bild kläglichen Jammers. "Kein Löffel-Kraulen, wenn andere dabei sind, verstanden?!" Ermahnte er schließlich streng. Überaus eifrig und sehr jugendlich wirkend nickte Kuguar eilig. "Auch keine weiteren Sabotageversuche, wenn ich zeitig aufstehen will, um in die Stadt zu marschieren." Ordnete Leporidae unnachgiebig an, grimassierte gequält. "Ich weiß, ich habe mich nicht gerade durch geistige Höhenflüge ausgezeichnet, aber ganz blöd bin ich auch nicht. Also, was ich sicher nicht tun werde, ist mit einem potentiellen Mini-Säbelzahntiger im Wanst zu meiner Sippe verduften, klar? Ich hab nicht die Absicht, hier wegzugehen, Miezekater. Aber ich brauche Arbeit und ein Einkommen. Deshalb muss ich in die Stadt und sachdienliche Hinweise aufstöbern, wo ich mich nützlich machen kann." Erklärte er nachdrücklich. Er hob eine Hasenpfote, streichelte seinerseits über die langen, glatten, blauschwarzen Strähnen. "Du bist vielleicht doch ein bisschen allein hier und auch anlehnungsbedürftig. Ohne Vertrauen wird das mit uns allerdings nicht funktionieren, Kuguar. Es ist ein sehr hübsches Haus, eine tolle Parzelle, Respekt und alle Löffel oben. Nur hab ich viel mit diesen verfressenen Rumrurii-Würmern gemeinsam, was den Appetit betrifft, und ich bin sehr viel größer. Wir wollen hier bestimmt nichts überstrapazieren, richtig?" Kuguar nickte widerwillig. "Schön. Sehr erwachsene, reife Entscheidung, Miezekater. Ausnahmsweise werde ich dir deshalb heute noch mal zur Klaue gehen. Aber morgen nehme ich mir ein Futterpaket mit und lagere so lange auf dem Marktplatz, bis ich einen KOK-Offize oder einen Job aufgestöbert habe." Kündigte Leporidae an, beäugte den muskulösen Fleischfresser neben sich, der besorgt und kläglich dreinschaute, sich nervös die Unterlippe leckte, offenbar fürchtete, verlassen zu werden. Ein Gefühl, das Leporidae bisher noch niemand vermittelt hatte, weil ja alle immer in der großen Gruppe zusammenlebten und zusammenkamen. Verzicht oder Verlust ereignete sich da höchst selten. Beunruhigung ob solcher Aspekte gehörte nicht zur Erfahrungswelt seiner Art, schließlich ging man ja auch davon aus, dass es allen schon irgendwie prima ging, nicht wahr? Vielleicht empfanden Raubtierdaimonen das anders, weil die ja ständig in Fehde miteinander lagen? »Moment!« Rief Leporidae seine Gedanken zur Ordnung, die in unbestätigte Klischees abzudriften drohten. Möglicherweise war Kuguar auch einfach sehr verliebt, ein wenig einsam und gar nicht so selbstbewusst, wie er vorgab? Mitleidig reckte sich Leporidae, schlang die dünnen Arme um den kräftigen Nacken. "Ich lauf dir nicht weg, okay? Also guck bitte nicht so verschreckt drein, ja? Immerhin hab ich ja eine Hälfte der Verantwortung zu übernehmen. Bloß die Alimentierungsgeschichte, DIE lass ich mir nicht nachsagen!" Nein, da blieb er stur, auch wenn es ohne Schocklanze schwierig sein würde, überkritische Mütter zur Ordnung zu rufen! ~*@*~ Horowitz blickte auf, als jemand sich höflich räusperte. Vorsichtig legte er seine aktuelle Bastelarbeit hinter dem Tresen auf den Arbeitstisch. "Guten Tag." Grüßte die Person auf der anderen Seite. Sie war ungewöhnlich für die Kleinstadt bekleidet, nämlich mit Stoffhosen und einem leichten Anorak. Dazu trug sie geschnürte Schuhe mit federnden Sohlen, den Schopf geschoren mit einem dunkelroten Schimmer, ein dezent rötlicher Teint, die Augenfarbe einen Tick zu chromgrün, ließ jedoch auf Toxizität schließen, was als Warnung gereichen sollte. Keine spitzen Ohrmuscheln, keine Reißzähne, keine Klauen oder Krallen, keine Flügel. Dafür ein praktischer, widerstandsfähiger Rucksack und ein solider Regenschirm. Vor allem aber eine runde Plakette, die in der offenen Hand zur Begutachtung einlud. "Ich bin Inspize Pyrophya." ~*@*~ Inspize Pyrophya bevorzugte eine gründliche Vorgehensweise. Sie zückte aus ihrem feuermelderroten Rucksack ein Notizbuch und aus einer schmalen Holzschachtel einen Bleistift. Zu Horowitz' linder Überraschung befragte sie ihn zuerst, schickte nicht einfach nach dem Anklagenden vom Dienst. Sie ließ sich von ihm das beschlagnahmte "Gerät" vorführen. "Eine Eigenanfertigung zur Fellpflege?" Wiederholte sie wertungsfrei die Beschreibung, die Ikol zum Zweck angegeben hatte. Horowitz, die Gummihandschuhe übergestülpt, demonstrierte die Funktionsweise. In seinem Untersuchungsprotokoll hatte er seine Erkenntnisse beschrieben. Zwar eignete sich die Apparatur durchaus, das Fell aufzustellen, was man wohlwollend als Pflegemaßnahme einstufen konnte, jedoch...! Inspize Pyrophya notierte konzentriert mit: in Kombination gab das merkwürdige Konstrukt elektrische Schläge von sich, Entladungen der statisch erzeugten Energie. Sie studierte das Protokoll der Vernehmung: Ikol bestritt darin jegliche Übertretung irgendwelcher Regeln. Wenn man gar nicht durch ein Portal ging, brauchte man auch keinen Portalpass. Wenn man ganz und gar versehentlich bei der Fellpflege über die Dimensionsgrenze geriet, war das kein Verstoß, sondern ein unabsichtlicher Zufall. Wenn man von einer übereifrigen Portalwache mit der Schocklanze adressiert wurde und sich das Fellpflegegerät damit kurzschloss, war das NICHT das Resultat eines Angriffs. Und wenn es gar keinen Menschen gab, konnte man auch keinen attackiert haben. Weshalb er hier mit versengtem Fell ganz und gar übertrieben die Fürsorge und Gastfreundlichkeit aufgenötigt bekam! Inspize Pyrophya klemmte den Bleistift ein. "Er besteht aber nicht darauf, umgehend entlassen zu werden?" Der Anklagende vom Dienst, eilig herbei geprescht, weil man auf so eine schnelle Unterstützung zwar gehofft, aber nicht damit gerechnet hatte, nickte. "Äußerst verdächtiges Subjet!" Murmelte er grimmig. "Führt irgendwas im Schilde!" Nur ließ sich verflixt noch eins nicht ausmachen, was GENAU! Inspize Pyrophya enthielt sich eines Urteils. Stattdessen bemühte sie sich, die etwas expressionistische Pfotenschrift von Leporidae zu entziffern. "Ist die Portalwache zufällig zugegen?" Man schnaubte verdrießlich. "Hat gekündigt, spontane Schwangerschaft. Na ja, so spontan vermutlich nicht, scheint so ne verdrehte Liebschaft zu sein, da spielen die Hormone verrückt! Kann jedenfalls nicht mehr rüber, ausgeschlossen." Was Inspize Pyrophya nicht in Frage stellte. Horowitz, der unausgesprochene Signale durchaus auffing, reichte höflich den HM1 weiter. "Es gibt eine Aufzeichnung, aber vielleicht möchtest du das Gerät ausleihen." Bot er höflich an. Inspize Pyrophya nickte, lächelte. "Vielen Dank, Horowitz. Jede Unterstützung ist mir willkommen." Der Anklagende von Dienst schniefte. "Uns auch. Haben wir verflixt nötig." Denn die Vorstehende des Friedensgerichts hatte ihn im Blick. Bei 100 Facettenaugen war das kein angenehmes Gefühl! ~*@*~ Leporidae plumpste wenig elegant auf Hintern und Blume, als sich im Rosenbogen plötzlich jemand befand. Kuguar klaubte ihn auf, dabei ungeniert die muskulösen Arme um ihn schlingend. "Guten Tag." Man wartete ab, bis sich das Duo gesammelt hatte. "Ich bitte um Entschuldigung für die Störung. Inspize Pyrophya." Die Plakette erschien in der offenen Handfläche. "Portalwache Leporidae?" Leporidae, sich den Kittel abklopfend, ein wenig beschämt ob seiner Podex-Landung, grummelte. "Ehemals Portalwache. Hallo. Das ging ja sehr schnell." Inspize Pyrophya lächelte nachsichtig. "Hast du etwas Zeit für mich? Ich habe noch ein paar Fragen zum Hergang." Sich behutsam aus Kuguars Umarmung windend seufzte Leporidae. "Aber sicher. Das hier ist übrigens Kuguar, mein scharfzahniger Gefährte." Inspize Pyrophya grinste nun. "Freut mich. Keine Sorge, ich werde den häuslichen Frieden nicht lange stören." Kuguar knurrte verdrossen, denn er hatte sein Häschen BEINAHE so weit gehabt, statt einer Siesta eine Runde Paar-Gymnastik nach dem Mittagessen einzulegen. Prompt stippte ihn Leporidae robust in die Seite. "Wenn du miesepetrig sein willst, dann bitte außer Sichtweite. Wir sind hier NICHT im Streichelzoo!" Erinnerte er tadelnd. Großer M, dieser Miezekater war BEÄNGSTIGEND verschmust und liebesbedürftig! ~*@*~ Inspize Pyrophya nahm neben Leporidae auf einem sonnigen Fleckchen Wiese Platz. "Kannst du mir schildern, was damals vorgefallen ist?" Leporidae richtete sich energisch auf, denn hier wurde ihm keine Kompetenz abgesprochen. "Ich war auf Streife, entlang der Dimensionsgrenze. Nicht weit vom Portal sah ich eine ziemlich schnelle Bewegung, etwa auf Höhe meiner Knie. Ich bin also wie im Handbuch beschrieben mit Kullergucker sofort hingelaufen. Da fanden sich Pfotenabdrücke im Boden, die endeten, wo die Dimensionsüberschneidung erkennbar war. Also habe ich kehrtgemacht, am Portal Bescheid gegeben, dass ich eine Übertretung verfolge und bin durch das Portal." Die Löffel streng lotrecht kämmte Leporidae kurz durch seine Schnurrhaare. "Auf der anderen Seite war es längst dunkel, sehr kalt und nass. Im Schutz von Schatten und Gebüsch habe ich rasch die Stelle vom Übertritt ausmachen können. Eine von diesen asphaltierten Straßen mit zwei Gehwegen, nur Begleitgrün und Laternen, keine Parkplätze für Fuhrwerk eingerichtet. Mitten auf der Straße sah ich Ikol. Auf dem Gehweg lag ein Mensch und so ein Brett mit Rollen drunter. Sonst war nichts und niemand zu sehen oder zu hören." In Erinnerungen kramend runzelte Leporidae die Stirn. "Nach Handbuch habe ich erst den Zustand des Menschen erkundet. Bewusstlos, aber Atemzüge, kein Blut oder irgendwie seltsam arrangierte Glieder." Einschränkend ergänzte er. "Allerdings ist das mit der Anatomie nicht mein Steckenpferd. Nach Augenschein sah es jedenfalls nicht so fürchterlich aus, deshalb bin ich nach Seitenblick auf die Straße getreten, hab Ikol angesprochen. Da gab es diese Entladung mit der Schocklanze! Das passiert normalerweise nicht, und ich KANN mit einer Schocklanze umgehen!" Betonte er, richtete die bernsteinfarbenen Augen eindringlich auf Inspize Pyrophya. "Als Reaktion katapultierte es Ikol auf die andere Straßenseite. Es roch nach versengtem Fell, das habe ich gleich gemerkt. Ich bin also auf die andere Seite marschiert und habe Ikol im Schnappsack eingesammelt. Es hätte ja auch eine Waffe sein können, nicht wahr?" Leporidae grummelte leise. "Nach Vorschrift habe ich ihn und dieses Gerät bei Horowitz in Verwahrung gegeben. Dann bin ich zurück, doch der Mensch war verschwunden!" Inspize Pyrophya nickte aufmunternd, fortzufahren mit der Schilderung. "Die sehen sich ja nun alle ähnlich, so Menschen, wenn sie verpackt sind!" Klagte Leporidae. "Der hier war etwa mittelgroß und relativ schlank, aber eben total verkleidet! So ein Tuchdings über dem Gesicht. Wie soll man da jemanden erkennen?!" Es erschien ihm auch in Reminiszenz ausgesprochen unfair, ihm da eine Nachlässigkeit ankreiden zu wollen. "Du hast dann, um die Spur aufzunehmen, bei nächster Gelegenheit den HM1 eingesetzt?" Kürzte Inspize Pyrophya die unerquickliche Zwischenzeit ab. "Richtig! Das war sehr knifflig, also, mit Spür-Hamster wäre das ja keine Herausforderung gewesen!" Leporidae schniefte empört. "Nur hat der HM1 eben so Einschränkungen, wenn man nicht draußen ist! Nachdem ich dann anhand der Tatorte die passende Spur des verschwundenen Menschen identifiziert habe, bin ich ihr gefolgt, bis zu so einem Schachtelhaus, in dem viele Menschen zusammenwohnen, mit einer Kiste an Drähten senkrecht bewegt werden. Da musste ich aufhören, denn ich kann ja nicht fliegen und der HM1 auch nicht." Stellte er schnaubend fest. "Verstehe." Inspize Pyrophya schloss die Notizen ab, klappte vor Leporidae ein großes Blatt auf: Zeitpunkte, Orte und Verlauf, detailliert in Buntstiftfarben aufgezeichnet. "Oho, sehr schick!" Lobte Leporidae beeindruckt, der Organisation schätzte, aber über eine ziemliche Hasenpfoten-Schmierschrift selten hinauskam. "Ich habe da nur einige kleine, unbedeutende Nachfragen..." ~*@*~ 15.12.2020 "Donnerwetter!" Fasste Leporidae zusammen, nippte an seinem zweiten Becher Kräutertee. Kuguar hatte diesen zusammen mit Eiweißkeksen serviert, offenbar auch, um Inspize Pyrophya milde zu stimmen, denn sonderlich erwachsen war er sich nicht vorgekommen bei der spontanen Bekundung von Unwillen ob der verhinderten Schäfer-...Häschenstunde. Nun saß Kuguar ebenfalls, hatte sich ungefragt Leporidae auf den Schoß gehoben. Leporidae selbst hatte nicht nur an den Keksen, sondern an einigen Erkenntnissen zu knabbern, unter anderem auch dem Umstand, dass er sich wohl an Kuguars Löffel-Fetisch würde gewöhnen müssen, weil der ihm nämlich schon wieder über selbige streichelte, vom Ansatz bis zu den Spitzen. "Ich bin froh, dass du mit dieser Sache nichts mehr zu tun hast." Stellte Kuguar wagemutig heraus. Man hätte nun einschnappen können, denn das ließ sich auch so auffassen, als fehlten Fähigkeiten und Traute, doch Leporidae nickte bedächtig. "Da kann ich dir kaum widersprechen." Sein Respekt vor Inspize Pyrophya war beträchtlich gestiegen, nicht nur, weil sie ebenso spurlos auftauchen wie auch durch den Rosenbogen verschwinden konnte! Kuguar kuschelte sich an ihn an, schnurrte auffordernd im Bass. Nein, sein Häschen wollte er ganz sicher nicht in derlei Angelegenheiten verwickelt sehen! Leporidae tätschelte mit einer Hasenpfote die ihn umschlingenden, muskulösen Arme. "Verflixt bedenklich!" ~*@*~ Dieselben Worte entschlüpften auch der Vorstehenden des Friedensgerichts. Inspize Pyrophya teilte wesentliche Ansatzpunkte grundsätzlich mit, bevor sie sich auf die andere Seite begab, zumindest für länger als ein Blinzeln. Auch der Anklagende vom Dienst ächzte unbehaglich. Dabei handelte es sich bei den säuberlich im Notizbuch aufgezeichneten Aspekten nicht um Indizien oder gar Beweise! In diesen Kategorien befand sich Inspize Pyrophya nach eigenem, deutlichen Bekunden noch nicht. Dennoch schien es angezeigt, diesen Vorfall als bemerkenswert einzustufen, sich darauf einzustimmen, dass ein größerer Bogen geschlagen werden musste. ~*@*~ Inspize Pyrophya spazierte aus einem gemauerten Torbogen auf den Gehweg, folgte diesem einige Schritte, stapfte dann eine schmale Stiege hoch, Halbparterre, ein Plateau. Die Außentreppe wechselte im Zickzack gemächlich bis in den fünften Stock. Sie nutzte ein Appartement in der vierten Etage, gemütlich eingerichtet, aber auch von einer gewissen Ordnungsliebe gekennzeichnet, ein älterer Bau, der eine winzige Küchennische mit Spüle vorhielt. Wollte man duschen, baden, Wäsche waschen oder die Toilette aufsuchen, galt es, das hübsch geflieste Querhaus fünfzig Meter runter die Straße zu nutzen. Inspize Pyrophya kletterte in die vierte Etage, summte kurz, was die Riegelkäfer veranlasste, das Schloss freizugeben. Sie betrat ihr Appartement, schlüpfte aus den Turnschuhen in flache Schlappen, nahm den Rucksack von den Schultern. Ihr lilafarbener Regenschirm fand seinen gewohnten Platz am Nagel bei der Tür. Inspize Pyrophya ging nie unvorbereitet auf die andere Seite, selbst wenn sie in Blinzelgeschwindigkeit wieder in die eigene Dimension zurückkehren konnte. Es zeugte in ihren auffällig chromgrünen Augen von einem Mangel an Phantasie und Voraussicht, einfach drauflos zu stürmen. Deshalb füllte sie eine Glasflasche mit Wasser aus der Pumpe, sehr kalt, säbelte sich einige Brotscheiben vom Kanten herunter. Diese bestrich und belegte sie sorgfältig, bevor sie sie in dichtes Tuch säuberlich einschlug. Proviant musste sein, dazu noch ein Ersatznotizbuch, ausreichend Stifte, Kerzen und Taschentücher. Zufrieden mit ihren Vorbereitungen setzte sie sich eine chromgrüne Wollmütze auf ihren geschorenen Kopf, wickelte sich den passenden Schal um. In einem kleinen, ovalen Spiegel präsentierten sich die blaue Stoffhose und der gelbe Anorak kontrastreich dazu. Feuermelderroter Rucksack auf dem Buckel, Turnschuhe an den Füßen, den Regenschirm im Griff! Ah, genau, so ein dünnes Tuch vor Nase und Mund! Rasch improvisiert mit weißem Wickelband begab sie sich wieder auf die Straße hinunter, trat in den nächsten Torbogen und verschwand. ~*@*~ Pyrophya verfügte über einige bemerkenswerte Fähigkeiten, die sie als Inspize besonders empfahlen, weshalb man sie auch gebeten hatte, diesen beruflichen Weg einzuschlagen. Es sprach aus ihrer Sicht nichts dagegen, denn sie ging gern Dingen auf den Grund und mochte abgehakte Listen. Eines der unerklärlichen, staunenswerten Talente bestand darin, jederzeit und überall Portale zu finden. Gut, dafür konnte man auch eine Karte bemühen und einen Portalpass einsetzen! Pyrophyas Fähigkeiten übertrafen diese Möglichkeiten bei weitem, ohne dass man sich erklären konnte, wie sie zustande kamen und woher, denn in der Familie gab es keine Präzedenzfälle. Sie selbst beschrieb ihr Talent wie eine Art zusätzlicher Sinn: ein Netz im Kopf, wo sie blitzschnell, mit einem Wimpernschlag, beliebige Strecken "überspringen" konnte, nicht nur in dieser Welt, auch auf der anderen Seite, weshalb sie stets als "Springende Einsatzkraft" in Frage kam, wenn über die Aeroflott eilig um Unterstützung gebeten wurde, ganz gleich, von wo aus. Ein weiterer Pluspunkt präsentierte sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild, das sehr humanoid wirkte, mal abgesehen von den allzu chromgrünen Augen, doch das konnte mit getönten Brillengläsern getarnt werden. Selbstverständlich stellte ein Einsatz auf der anderen Seite, wo man sehr sichtbar war, gewisse Anforderungen. Anders als in einer Romanreihe, die sie interessiert studiert hatte, existierte kein sprachbegabter Übersetzungsfisch, den man sich ins Ohr stecken konnte, weshalb Inspize Pyrophya sich angewöhnt hatte, zunächst auf dieser Seite Kultur, Gebräuche und Verhaltensweisen in Erfahrung zu bringen, bevor sie sich als Besuch oder Reisende "tarnte", mit der aktuellen Lingua franka operierte. Allerdings zog sie es vor, zu beobachten, nachzudenken und nachzuvollziehen, nicht unbedingt direkt in Kontakt zu treten. Ausgenommen in der "Nachbardimensionsregion", die mit ihrer eigenen Sprache verbunden war, weshalb sie sich durchaus gerüstet fühlte, dem Geheimnis um den verschwundenen Menschen und dem seltsamen Schönheitspfleger auf die Schliche zu kommen. ~*@*~ Der HM1 trug zur Tarnung einen Überzug, improvisiert aus einer Brötchentüte aus dem Discounter mit Einsichteinsatz. Inspize Pyrophya, gut verpackt gegen das eisige Schmuddelwetter, folgte der Anzeige auf dem HM1. Leporidae hatte durchaus gute Arbeit geleistet, eine dünne Spur aus dem Knäuel zu entwirren. Vor dem Mehrappartementhaus angekommen nahm Inspize Pyrophya die Umgebung in Augenschein, ein Klingelbrett mit zahlreichen Namen. Man konnte sich selbstverständlich auf die Lauer legen. Oder ein klein wenig technischer operieren! Deshalb nahm Inspize Pyrophya auf einer niedrigen Mauer Platz, schenkte sich etwas Wasser aus ihrer Glasflasche aus. Sie klappte ein recht altmodisches Gerät auf, einen Nettop. Keine Geräteklasse, die man noch favorisierte, standen im Moment doch "Convertibles" mit Anhängseln im Rampenlicht. Dieser feine Apparat verfügte jedoch auch noch über ein paar Extras, die Horowitz begeistert hätten, wahrhaftig "made in hell", nicht nur "by chance", sondern "by default". Inspize Pyrophya schlug ihr Notizbuch auf, studierte die Chronologie. Spät in der Nacht an einem Wochenende in Pandemiezeiten mit geschlossener Gastronomie und ohne Veranstaltungen waren nicht viele Menschen unterwegs. Dieser hier hatte ein Skateboard dabei, aber kein Tier, das sich erleichtern sollte. Betrachtete man den Ort des Zusammenstoßes oder Zusammentreffens, gab es verschiedene Möglichkeiten, woher der Mensch gekommen sein konnte. Wenn es ein Besuch gewesen war, stellte sich die Frage des Aufbruchs zu diesem Zeitpunkt. Wenn es jedoch ein Arbeitseinsatz war, reduzierte sich die Anzahl der Möglichkeiten rasch. Inspize Pyrophya ließ das virtuelle Grabbeltier von der Leine. Es suchte nach Übereinstimmungen zwischen Adressen im Umkreis und Vorkommnissen, eruierte Betriebszeiten. In der Zwischenzeit beschäftigte sich Inspize Pyrophya mit der Ausstattung des Unbekannten. Skateboards waren eine etwas unmoderne Variante der Kurzstreckenfortbewegung für Kinder und Jugendliche. Ein Erwachsener hätte wahrscheinlich eines dieser Elektro-Stehdinger benutzt, über die man häufig stolperte, FALLS es dort eins gab oder man es schon für den Hinweg benutzt hatte. Dass Kinder sich zu dieser Zeit draußen aufhielten, vor allem eins allein, schloss Inspize Pyrophya vorläufig aus. Also vielleicht ein jugendlicher Mensch? Das Grabbeltier quäkte. Für die Arbeitshypothese offerierte es kein Unternehmen mit fraglichen Betriebszeiten, ausgenommen natürlich, wenn es "rund um die Uhr pausenlos" aufstöbern sollte. Daseinsversorgung. "Aha." Stellte Inspize Pyrophya fest, zückte den Bleistift. Wenn es kein privates Anliegen gewesen sein sollte, das einen jugendlichen Menschen unerwartet zu dieser Zeit nach Hause trieb, dann verengte sich der potentielle Kreis der Anschriften gerade erheblich! ~*@*~ Ein Problem bestand darin, den verlorenen Menschen ausfindig zu machen. Glücklicherweise verzeichnete das Grabbeltier keine Notizen oder Meldungen der elektronischen Welt bezüglich eines Vorkommnisses. Entweder hatte der Mensch nichts mitgeteilt. Oder eine Mitteilung war als unglaubwürdig eingestuft und deshalb nicht publiziert worden, weder offiziell noch inoffiziell. Das andere Problem bestand darin, dass DIESES Problem Inspize Pyrophya ein wenig zu Aufmerksamkeit heischend erschien, im Gesamtzusammenhang betrachtet. Wenn man das bekannte Tableau aufrief. Da zog vor einiger Zeit ein Daimon namens Ikol in die Kleinstadt, heuerte als Schnabel-, Krallen- und Nagelpfleger an. In seiner Freizeit beschallte er seine Umgebung damit, dass die Menschen ihre Schwierigkeiten einfach nicht richtig anpackten, was kaum auf ein Echo traf. Ja, alle konnten ein Hobby pflegen, auch wenn dieser Ikol vielleicht weniger häufig mit dem Omniskop auf die andere Seite schauen sollte. Sicher, man konnte Dinge und Angelegenheiten unterschiedlich angehen. Nur, da gab man dem Großen M recht: Einmischen läuft nicht. Wenn man nicht selbst eine Lösung findet, dann lernt man ja nichts, richtig? So ganz dämlich waren die Menschen ja wohl nicht, also bestand keine Notwendigkeit, sich reinzudrängen. Seiner Erscheinung wegen konnte Ikol nicht durch ein Portal auf die andere Seite wechseln. Er beherrschte weder das Talent der Unsichtbarkeit (oder Nicht-Wahrnehmung bei "Menschens" dank Manipulation), noch wirkte er ausreichend humanoid oder auch wie andere Lebewesen auf der anderen Seite, was im Übrigen als zu gefährlich eingestuft wurde, um sich auf das tarnende Erscheinungsbild zu verlassen. Menschen galten als recht ungehemmt, was die eigene oder gar andere Spezies betraf. »Warum also?« Dachte Inspize Pyrophya erst für sich, anschließend laut. "Warum also benutzt ein Schönheitspfleger ein selbst gebautes Frisiergerät, gerät scheinbar zufällig in Sichtweite einer Streife auf die andere Seite?" Wenn es keinen Abhang gab, den man hinunterkullern konnte. Wenn man das seltsame Gerät auch zu Hause nutzen konnte. Wenn das Gerät offenbar sehr viel elektrische Energie speichern und schlagartig entladen konnte. Wenn man wusste, dass die Streife zu dieser Zeit an diesem Ort patrouillieren würde. Wenn man bei der Untersuchung des vermeintlichen Frisiergeräts eine immanente Gefährlichkeit entdecken würde. Wenn man ob des möglicherweise beabsichtigten menschlichen Opfers in Aufregung geriet. Der Anklagende vom Dienst und die Vorstehende des Friedensgerichts fanden diese Fragen äußerst beunruhigend. Ja, bis Leporidae zum Portal gehoppelt war, verstrich Zeit. Ja, jeder Daimon, der versehentlich auf die andere Seite geriet (und dies überlebte), hätte sich sofort irgendwo versteckt. Ja, es schien durchaus etwas seltsam, sich zur angeblichen Fellpflege beinahe elektrisch hinzurichten, WENN das Ding jemals für diesen Zweck geschaffen worden war. Welchen Sinn sollte es aber haben, mit diesem Elektroschocker auf der anderen Seite einen Menschen anzugreifen? »DAS ist der Schlüssel für das ANDERE Problem.« Konkludierte Inspize Pyrophya konzentriert. Irgendwas ging hinter der Kulisse vor sich, während wie bei einem Zaubertrick alle Augen auf die Bühne gerichtet waren! ~*@*~ Das Grabbeltier fräste sich durch elektrische Ströme aller Art. Es bestand quasi selbst aus reiner Energie und verschlang diese genießerisch. In den verschiedenen Gehäusen fühlte es sich durchaus wohl. Wenn es Energie frei Haus (oder frei Atmosphäre) gab, arbeitete das Grabbeltier auch gern beim "Bullshit-Bingo" mit, einige Einschränkungen eingeschlossen. Grundsätzlich konnten Grabbeltiere alles finden, das man ihnen als Vorlage, Suchbegriff oder Muster präsentierte. Die virtuellen Informationsströme und Datenhalden der Menschen stellten sie daher als "Spielfeld" vor kein Problem, selbst wenn niemand so GENAU wusste, wie sie das anstellten. Eine klitzekleine Komplikation gab es jedoch: Grabbeltiere verstanden nur genau EINE Sprache, die Verkehrssprache der Daimonenwelt. Keine Dialekte, keine örtlichen Idiome und vor allen Dingen keine einzige der gesprochenen Sprachen auf der anderen Seite! Weshalb man für sie den Auftrag übersetzen musste, obgleich "Spielfeld" und "Suchbegriff" nicht verändert werden durften. Grabbeltiere konnten eine ganze Menge in verschiedenen Filtergraden und Reihenfolgen als Ergebnisse produzieren, allerdings nur, wenn man sie über Sinn und Zweck unterrichtet hatte. Inspize Pyrophya arbeitete häufig mit ihrem Nettop und den dort heimischen Grabbeltieren. Sie wusste, wie sie die Botschaft übermitteln musste, um brauchbare Ergebnisse zu erhalten und wann eine Pause angezeigt war, denn Grabbeltiere verfügten selbstredend auch über eine Gewerkschaft und Rechte! Nachdem Inspize Pyrophya einige Ergebnisse notiert hatte, dankte sie dem Grabbeltier, verabschiedete es, klappte den Nettop zu und verstaute diesen in ihrem Rucksack, faltete sich ein Stoffbündel mit Proviant auf, kaute bedächtig, ihr aufgeschlagenes Notizbuch im Blick. Offenkundig hatte der Mensch keinen bleibenden oder gefährlichen Schaden davongetragen. Kuriose oder besorgniserregende Mitteilungen ließen sich nicht aufstöbern, was dafür sprach, dass keine Verbreitung des Geschehens erfolgt war. Inspize Pyrophya wischte sich mit einem sauberen Taschentuch sorgsam die Finger ab. Wenn Ikol den Übertritt und die Verfolgung geplant hatte, konnte er ein Zusammentreffen mit einem Menschen ebenfalls erwartet haben? Zu dieser Uhrzeit erschien die besagte Straße nicht sonderlich frequentiert. Handelte es sich somit um einen Zufall? Wollte Ikol erwischt werden? Falls ja, warum dann mit diesem seltsamen Gerät? Wie glaubte Ikol, auf dieser Seite die Unfähigkeit der Menschen, ihre Probleme anzupacken, lösen zu können? Als Individuum von überschaubarer Größe und eindeutig nicht humanoid. Inspize Pyrophya setzte sich auf. Sie HATTE einen Hinweis bekommen, der wie eine abschätzige Bemerkung untergegangen wäre, im Geplänkel! Rasch räumte sie Glasflasche und Proviantreste in den Rucksack, zückte die flache Schachtel mit den Stiften und einen Bogen Papier. Eine Arbeitshypothese nahm geschwind Gestalt an! ~*@*~ Durchaus zufrieden mit dem Ergebnis erhob sich Inspize Pyrophya, verstaute ihre Habseligkeiten, bugsierte ihren Rucksack auf den Rücken. Sie hielt inne, als ein leises, surrendes Geräusch an ihr Ohr drang. Beschleunigt bewegte sich eine mutmaßlich unverpuppt recht schlanke Gestalt geschwind Richtung Hauseingang, bremste elegant und stellte ein langes Board mit Rädern auf. Inspize Pyrophya marschierte flotter, räusperte sich höflich. Die Person wandte sich herum, kaum erkennbar durch wärmende Schichten und eine überaus prächtige Maske. "Entschuldigung, nur eine Frage, bitte." "Ja, bitte?" Inspize Pyrophya hob das Blatt an, hielt artig die Distanz ein. "Ich bin auf der Suche nach diesem Spielzeug hier. Meine Nichte hat es vermutlich in der Nähe verloren. Hübsch ist es nicht, aber ihr Herz hängt nun mal dran." Tiefschwarze Augen studierten die Zeichnung unter dem Aufruf um Hilfe. "Das tut mir leid, gesehen habe ich es nicht. Möchten Sie vielleicht, dass ich den Zettel innen anbringe? Wir haben da ein Schwarzes Brett", mit samtig-weicher Stimme gestikulierte der Mensch zum Hauseingang. "Oh, ginge das? Wirklich, das wäre sehr nett! Danke schön!" Auch wenn man keine Mimik erkennen konnte, sah Inspize Pyrophya in den tiefschwarzen Augen ein Lächeln. "Das mache ich gern. Hoffentlich findet sich das Stofftier." Das Blatt wechselte die Besitzer. Inspize Pyrophya wiederholte ihren Dank, schloss eine zweite Frage an. "Das ist ein sehr schönes Board. Ich dachte, die wären kürzer." Der Mensch, den sie nach Gehör und Gebaren als Jugendlichen einschätzte, nickte leicht. "Skateboards sind wirklich kürzer. Das ist ein Longboard, zum Gleiten. Tricks kann man damit eigentlich nicht machen, dazu ist es zu groß." Sich erneut bedankend zog Inspize Pyrophya sich mit dem Wunsch eines noch angenehmen Tages höflich zurück. Auch der Jugendliche grüßte, bevor er im Hauseingang verschwand. "Sieh an, sieh an." Kommentierte Inspize Pyrophya, als sie den Gehweg erreichte, zückte ihr Notizbuch. Bei diesem Bewohner hatte sie keinerlei Anzeichen eines Wiedererkennens von Ikol registriert. Sie konnte, dank des direkten Größenvergleichs, bekräftigen, dass der verschwundene Mensch mit einem Skateboard unterwegs gewesen sein musste. Nun, vielleicht würde die Person sich auf den Aufruf hin melden! In der Zwischenzeit beabsichtigte Inspize Pyrophya, ihre Arbeitshypothese mit Fakten zu unterfüttern. ~*@*~ Horowitz war ein wenig eigen, was seine Asservatenkammer betraf: der Inhalt verließ nicht ohne ausdrückliche Anweisung der Vorstehenden des Friedensgerichts seine Obhut! Er kannte die Regeln, scheute sich nicht, sie mehrmals mit Zeigestock zu repetieren. Inspize Pyrophya gehörte, wie er anerkennend konstatierte, nicht zur anstrengenden Sorte bei Ermittelungen. Sie verlangte das konfiszierte Gut nicht heraus, sondern bat um seine Expertise, ein vergleichbares Objekt mit ähnlichem Gewicht zu präparieren. Horowitz nahm Maß, bastelte geübt und füllte grammgenau mit Ballast auf. Inspize Pyrophya bedankte sich für seine Mühe, obgleich es sich um eine Dienstpflicht handelte, mit einem sehr leckeren Salat vom Markt. Sehr angetan von dieser Geste entschied Horowitz, sich lobend für sie einzusetzen, falls jemand ihn diesbezüglich konsultieren würde. ~*@*~ 16.12.2020 "Wenn ich JETZT wieder jemanden antreffe, der mir erzählen will, sein altes Gelärsch...Artefakt..!!" Inspize Pyrophya lächelte, rief in die schmale Durchreiche hinein. "Inspize Pyrophya, Deposize Kurtinos." Sie wartete geduldig, studierte dabei die zahlreichen Schilder, die Deposize Kurtinos aufgehängt hatte. Das Tappen eines Stocks kündigte die Annäherung an. Deposize Kurtinos ähnelte ein wenig einer sehr betagten Spitzmaus und trug mit Vorliebe altmodische Gewänder mit Stehkragen und "Pillbox". "Oh, du bist es, meine Liebe!" Hinter den gewaltigen Brillengläsern zwinkerten die stark vergrößerten Knopfaugen freundlich. "Ich nehme an, du hast sehr viel Kundschaft?" Hasardierte Inspize Pyrophya mitfühlend. Deposize Kurtinos knurrte grimmig. "Du machst dir kein Bild, meine Verehrte! Ständig schlägt jemand auf die Klingel, liest selbstredend kein Schild und zwingt mich sogar, meinen Stock zu gebrauchen!" Mitfühlend nickte Pyrophya. "Kann man es glauben?!" Schimpfte sich Deposize Kurtinos unterdessen die Empörung von der Seele, weil er endlich mal auf Verständnis stieß. "Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwelche Exilierten hier aufschlagen und behaupten, ausgerechnet ihr alter Kram sei für die letzte Katastrophe verantwortlich!" Er schnaubte, dass die langen Schnurrhaare wie Espenlaub zitterten. "Dabei wird ALLES, ausnahmslos, außer Funktion gesetzt, wenn sie hier eintrudeln. Aber wollen sie das wahrhaben?! Nein, natürlich nicht! Weil irgendwo immer noch die olle Kamelle von der Tröte rausgekramt wird!" Grollte Deposize Kurtinos vergrätzt. "Dabei hat mein Vor-vor-vor-Vorgänger lediglich VERSEHENTLICH einmal in unserer Geschichte auf das blöde Trompetending getreten! Ein Unfall! Das hatte überhaupt keinen Einfluss auf die schlechte Bausubstanz! Doch statt sich darüber mal zu erkundigen, mal nachzuforschen, wer da so großflächig gepfuscht hat am Bau...!" Wütend rammte er seinen Gehstock in den gefliesten Boden. "Hier, das Schild erneuern wir schon seit Jahrhunderten! [Alle eingelieferten Gegenstände werden außer Funktion gesetzt] Was kann man daran nicht verstehen?! Ich meine, die können ja auch ihre eingebildeten Kräfte hier nicht nutzen, oder?! Man sollte annehmen, dass da ein klein wenig mentale Transferleistung nicht zu viel verlangt ist!" Deposize Kurtinos wedelte mit seinem Gehstock auf ein weiteres Schild. "[Nein, wir vermissen keinen einzigen Artefakt. Auch nicht solche, die von Natur aus unsichtbar sind.]. Mir fallen bald die Schnurrhaare aus, so oft muss ich das TROTZDEM wiederholen." Ärgerlich angelte er hinter seinem Schalter einen sehr filigran dekorierten Teebecher heran, nippte. "Warum sollte man mit dem alten, funktionsuntüchtigen Kram zurück in die Welt wollen, die einen vergessen hat?!" Seine überdimensional vergrößerten Knopfaugen richteten sich auf Pyrophya. "Ich nehme an, meine Liebe, du bist nicht hier, weil diese Antworten ausreichen, hm?" Damit schloss er sämtliche Schilder ein, die die häufigsten Fragen schon beantworteten, bevor man den amtierenden Deposize aus den Untiefen des Gerümpel-Mausoleums gelockt hatte. Inspize Pyrophya lächelte werbend. "Ich versuche, eine Arbeitshypothese zu überprüfen, die auf einer überkommenen Vorstellung basiert." ~*@*~ Es kam nur selten vor, dass Deposize Kurtinos jemanden hinter den Schalter in das Allerheiligste einließ, durch den Raum der Verzeichnisse in die Katakomben kletterte. Regalreihen mit Schubkästen, gebrannten Schildern und Orientierungspunkten halfen, sich nicht zu verirren oder deprimiert darüber nachzusinnen, den ganzen Krempel final zu entsorgen. Mit einer gesicherten Laterne ausgestattet folgte Inspize Pyrophya Deposize Kurtinos. "Na ja, meine Liebe, sieh selbst. FALLS, und ich hege da in den meisten Fällen erhebliche Zweifel, das Zeug auf der anderen Seite mal bemerkenswert war, hier ist es reduziert auf die Substanz. Ohne Pflege zerfällt es schlicht im Laufe der Zeit." Sein Gehstock tappte über den Boden, während sie im Lichtpegel voranschritten. "Grob kann man den alten Klüngel in zwei Kategorien einteilen: Waffen und Kunst. Waffen brauchen wir hier bestimmt keine, und wenn du mich fragst, meine Liebe, die auf der anderen Seite schon gar nicht! Zumindest ich habe nicht den Eindruck, dass es da an Mangel oder Einfallsreichtum hapert, sich gegenseitig abzumurksen." Sonderlich viel hielt Deposize Kurtinos nicht von Menschen, ihrem ehemaligen Göttlichkeitsgesocks und anderen Wesen, die der Große M großherzig aufnahm. Lag vermutlich am Trinkwasser, dass die alle irgendeine Macke aufwiesen! "An eine offenkundige Angriffswaffe denke ich nicht." Argumentierte Inspize Pyrophya, die den Verfall um sie herum schon als bedrückend empfand. "Hmm, da haben die selbst ganz andere Kaliber, wohl wahr, Verehrteste. Wäre zwar, um in der Argumentation zu bleiben, auch eine Hilfe, doch Selbstauslöschung ist recht radikal als Problemlösungsstrategie!" Grinste Deposize Kurtinos vor ihr. Er studierte die gemeißelten Tafeln, bog schließlich an einem Regal ab. "Gleich müssten wir da sein, Liebes. Aber tu mir einen Gefallen und tritt bloß auf nichts drauf. Die Hysterie vom letzten Mal ist ja immer noch nicht verklungen." Ergänzte er säuerlich. ~*@*~ Etwas Kombinationsgabe gehörte durchaus dazu, selbst wenn man auf der richtigen Spur war und glücklich wieder aus dem Depot der Ex-Kultgeräte von Ex-Überwesen der anderen Seite entkommen. Inspize Pyrophya atmete tief durch, spülte sich gründlich den Mund aus. Zwischenzeitlich hatte es wie verrückt in ihren Fingerspitzen geprickelt. Sie musste ihre Fäuste ballen, um dem Impuls nicht nachzugeben. Dank Deposize Kurtinos' geduldiger Führung verfügte sie nun über eine gewisse Orientierung, WAS sie suchen musste. Jetzt galt es herauszufinden, wo es verloren worden war und wie man es geschaffen hatte! ~*@*~ Da noch keine Rückmeldung auf ihr Suchplakat eingegangen war, konzentrierte sich Inspize Pyrophya auf das Ausschlussprinzip. Ex-göttliche Wesen, die sich nicht adaptieren konnten, verloschen auch auf dieser Seite mit der Zeit, was das Suchfeld ein wenig verkleinerte. Zudem konnte sie die Kategorien etwas einschränken, denn offenkundige Waffen fielen weg. Inspize Pyrophya entschied, die lokale Nähe als erstes in Augenschein zu nehmen. Kulturelle Parallelen funktionierten einfach komplikationsloser, wenn der Erfahrungs- und Erlebnishorizont sich ähnelte. Deshalb spazierte sie auf ein Freigelände zu, wo man sich im Sonnenschein energisch tummelte, mehr oder weniger kleidsam verpackt in elastische Stoffe, die bei Aerobic anfingen und bei Triathlon endeten. "Bitte entschuldigt die Störung." Machte Inspize Pyrophya auf sich aufmerksam, lächelte höflich in das eifrig-verkrampft-biestig-entschlossene Treiben. "Hat vielleicht eine von euch etwas in dieser Größe in der letzten Zeit vermisst?" ~*@*~ "Ach du Schande!" Wild stampfend, mit den Armen rudernd beäugte Terpsichore, ehemals Muse, das stellvertretende Objekt. "Keine Ahnung, ob es das ist, was du suchst." Sie hopste auf der Stelle, verbog sich äußerst bedenklich in verschiedene Richtungen. Inspize Pyrophya wartete unbeeindruckt, bis genug Puste verfügbar war, die Ausführungen zu ergänzen. "Frag mal Euterpe!" Ächzte Terpsichore, deutete vage in Richtung eines offenen Säulengangs. "Vielen Dank!" Antwortete Inspize Pyrophya höflich. Es schien, als habe sich die Auffassung von "Tanz" erheblich geändert, als sie das letzte Mal nachgeschlagen hatte. ~*@*~ "Oh, dich hat wohl Terpsichore geschickt, wie?!" Euterpe warf Inspize Pyrophya einen missbilligenden Blick zu, während sie systematisch eine Schachtel Pralinen leerte. Nicht ihre erste, zog man ihren Umfang und die Flecken auf dem Zelt, das sie trug, in Betracht. "Diese dämliche Trulla und ihr Sporttick!" Sie klopfte neben sich auf ein Sitzkissen. Inspize Pyrophya klappte artig dort zusammen. "Früher, drüben eben, da hab ich allen die Flötentöne beigebracht." Euterpe grunzte, nuckelte an einer besonders großen Praline. "Fürchterlich! Ich meine, hast du mal eine elektrische Gitarre gehört?! Und dann Flöte. Bah!" Sie schüttelte den Kopf, nahm die nächste Praline in Angriff. "Weg mit dem Flötenkram, aber sofort! Ich wollte ohnehin schon immer etwas ganz anderes machen! Schlagzeug, Xylophon, DAS hätte mir gefallen. Aber nein, nur, weil ich Los-Pech hatte, musste ich ne blöde Flöte spielen!" Verdrossen knurrte sie. "Hab mich hier aber nicht mehr bevormunden lassen, oh nein! Jetzt baue ich Flugdrachen, ha! Und Wetterballons. Heute allerdings nicht, ist Flaute, verdammt. Bei Windstille bekomme ich Hunger, hab ne Kalorienunterversorgungsintoleranz." Sie stopfte die nächste Praline nach, diesen offenbar gefährlichen Missstand zu beheben. "Na, deshalb bist du aber nicht hier, oder? Sondern wegen dem Schnauzenhobel. Typisch Terpsichore, aber die war schon immer hohl in der Birne! Kommt wahrscheinlich von dieser dämlichen Hopserei. Ich könnte nie auf Zehenspitzen herumspringen, aber in meinem Schädel herrscht ja auch kein Vakuum vor." Ergänzte sie bissig, tippte auf das Provisorium. "Also, ist eine Weile her, da war sie, ich meine Terpsichore, auf diesem Trip mit dem Strick. So ein Seil, wo man ständig hopst, wie hieß das noch, Power-Skipping, genau! Irgend so ein Blödsinn von der anderen Seite! Ehrlich, ich könnte schwören, die betreiben da Gehirnwäsche, aber das würde ja bedeuten, sie hätte eins! Nun, unwichtig, jedenfalls hopst sie herum, latscht auf eine der alten Mehrtonflöten, die ich für den verlotterten Pan tuten musste. Macht ein Riesengeschrei darum. War mir ja egal, aber sie wollte UNBEDINGT Ersatz stiften!" Euterpe pickte die letzte Praline aus der Schachtel. "Keine Ahnung, wo sie das Ding her hatte, aber sie ist dann mit einem Schnauzenhobel angekommen. Schön, keine Flöte, ja, aber meine Puste gilt jetzt anderen Dingen. Kann mich nicht erinnern, was ich damit gemacht habe. Klang irgendwie seltsam, das Ding, war mir unheimlich. Also, ich kann mich nicht beklagen, dass es weg ist." Inspize Pyrophya, die beeindruckt der Vernichtung ganzer Pralinen-Sortimente beigewohnt hatte, räusperte sich höflich. "Wer hat diesen Schnauzenhobel denn fabriziert?" Eine neue Schachtel in Angriff nehmend zuckte Euterpe mit mächtigen Schultern. "Terpsichore mit ihrem Vogelhirn hat von nichts eine Ahnung, also fragt sie immer Polyhymnia." ~*@*~ Inspize Pyrophya stellte fest, dass sich ihre Arbeitshypothese aushärtete. Nicht sonderlich überrascht fand sie die ehemalige Muse für Mehrstimmengesang, Leier und Harfe in einem Schönheitssalon. Das ersparte ihr wenigstens erschreckende Sportübungen oder eine Pralinenmassaker-Völlerei, die einem den Magen umdrehte. Polyhymnia diskutierte gerade mit einer Freundin die neuesten Trends bei der Nagel-, Krallen- und Zehenpflege. "Oh, ein Inspize?! Wie aufregend!" Zwitscherte sie mehrstimmig, stippte ihre Freundin an. "Hast du gehört, Lutetia?!" Um den Damen das Vergnügen zu bereiten, zückte Inspize Pyrophya artig ihre Plakette. "Polyhymnia, gehe ich recht in der Annahme?" "Goldrichtig, absolut! Oh, und das ist meine beste Freundin, Lutetia Hotellux!" Die nickte ebenso, ohne zu zwitschern. Beide waren stark geschminkt, schlank, mit durchscheinenden Tüchern nur marginal bedeckt und erschreckend blondiert. Welchem Trend die Frisur folgte, ließ sich nicht so einfach ausmachen, sie trotzte jedoch der Schwerkraft. "Euterpe glaubt, dass Terpsichore von dir dieses Musikinstrument bekommen hat. Mich interessiert, wo du es anfertigen ließest." "Oh, du meine Güte, ist damit etwas passiert?!" Krähte Lutetia Hotellux dazwischen, die frisch lackierten Krallen vor den Mund hebend. Jede Geste wirkte wie stundenlang vor dem Spiegel einstudiert. "Nein. Es scheint nur verloren gegangen zu sein." Konterte Inspize Pyrophya die enervierende Hysteriekurve der Selbstinszenierung. Hin und wieder hatte sie mit solchen Personen zu tun, deren gesamte Existenz nur aus dramatisierten Ereignissen bestand. Da wurde selbst der Stuhlgang zum "Happening". Unterdessen dachte Polyhymnia nach, auch wenn ihre Züge unnatürlich glatt blieben. "Hmm, oh ja, jetzt fällt es mir ein. Ich hab das komische Blasding nicht anfertigen lassen, nein. Lutetia-Schätzchen, kannst du dich noch an den Trödelmarkt erinnern? Da hab ich es gesehen und gedacht, man könne es vielleicht reparieren, weil die süße Terpsichore so außer sich war..." Man tauschte ein xylitgezuckertes Lächeln ohne besondere Mimik. Inspize Pyrophya zückte ihr bewährtes Notizbuch. "Wer hat das Musikinstrument instandgesetzt?" ~*@*~ 17.12.2020 »Ein schönes Häuschen.« Dachte Inspize Pyrophya, als sie den ummauerten Hof betrat. Höflich nickte sie dem alten Strauchdaimon zu, der mit einem Apfelbäumchen flirtete. Sie klopfte an der Tür, wurde vom ansässigen Szenarize eingelassen. "Entschuldigung, ich habe gerade Auflauf im Ofen gehabt." Erläuterte Detorix, winkte sie herein. "Geht es um einen neuen Auftrag? Ich dachte eigentlich, die Rohrpostanlage wäre repariert." In diesem Augenblick fegte eine sehr auffällige Erscheinung durch einen Vorhang hinein. "Detorix, ich hab den Fehler jetzt... oh!" »Oh! OH!« Dachte Inspize Pyrophya, die zum ersten Mal einem sehr offenkundig männlichen Einhorn gegenüberstand, mit seidig-weißer Mähne, lediglich einer schwarzen Schürze bekleidet und ansonsten PINK. Der Szenarize schnaubte leise. "Das ist mein Mitbewohner Artemiiiii, geschrieben Artemis. Mit ein wenig Glück jagt er nicht das Haus in die Luft." ~*@*~ Geknickt kauerte Artemis, Einhorn und genialer Erfinder mit einem klitzekleinen Hoppla-Syndrom, am großen Esstisch. "Ich habe die Mundharmonika wirklich bloß repariert! Nichts weiter, Ehrenwort!" Um Nachsicht heischend blickte er abwechselnd auf Detorix und Pyrophya, schniefte dabei ängstlich. Automatisch reichte Detorix ein weiteres Taschentuch an. "Euterpe, das ist die ehemalige Muse, für die das Musikinstrument gedacht war, sagt, es habe einen seltsamen Klang gehabt?" Inspize Pyrophya arbeitete sich mit einiger Mühe an Fakten heran. Das äußerst attraktive Einhorn erwies sich nämlich als verschrecktes Häufchen Elend, das zu allem Überfluss auch noch nahe am Wasser gebaut hatte. Artemis schnupfte dezent trötend ins Taschentuch. "Kann ich mir nicht erklären. Ich habe mir eigens Mühe gegeben, dass der Klang schön nachhallt, unterbewusste Areale in Schwingungen versetzt. Im Kopf." Nervös tippte er sich an den eigenen Schädel, der von einem sehr prominenten Horn geschmückt wurde. "Schwingungen, die im Unterbewusstsein wirken?!" Szenarize Detorix seufzte profund. "Es-es ist keine Erfindung gewesen! Nur eine Reparatur!" Beteuerte das Einhorn kläglich. Inspize Pyrophya konzentrierte sich auf das Wesentliche. "Gibt es irgendwelche Einschränkungen bei der Benutzung, oder kann es von allen gespielt werden? Können alle damit Töne erzeugen?" Artemis sah einen Hoffnungsschimmer, nicht erneut dazu verdonnert zu werden, NICHTS zu erfinden. "Oh, eine Beschränkung gibt es schon!" ~*@*~ Detorix servierte zum Auflauf einen Blitz-Eintopf, sein Seelenfutter für anstrengende Notlagen. In seinem Schaukelstuhl kauerte noch immer zusammengefaltet das verheulte Einhorn, schniefte. Auch wenn er Artemis dazu hatte bewegen können, sich einen mausgrauen Jogginganzug überzustreifen. Nichts gegen eine SEHR appetitliche Figur, die jedes Liebesroman-Cover geziert hätte, aber SO VIEL PINK, nein, das schmerzte in den Augen, seinen zumindest! Gewohnt nachdenklich kraulte er beiläufig die seidig-weiße Mähne, was erfahrungsgemäß für Beruhigung sorgte. Ein Jahr schon ließ er Artemis in seinem "Amtssitz" mitwohnen, weil es einfach nicht gelang, ihn zu vermitteln! Für Szenarize ein hässliches Eingeständnis von Ratlosigkeit, einerseits. Andererseits vermochte es Artemis, ein genialer Erfinder zu sein. Er sah attraktiv aus, war dazu noch ein Einhorn. Das alles kombiniert mit Schreckhaftigkeit, einer Aversion gegen Sex und dem Tick zu viel bei den Umdrehungen für seine Einfälle! Zugegeben, großen Schaden hatte er bisher noch nicht angerichtet. Bis dato war beim heutigen Versuch, Seife zu sieden, nicht das Haus in die Luft geflogen. Außerdem schnarchte Artemis nicht, was wichtig war, wenn man sich das Schlafzimmer teilte. Er brauchte auch nicht ewig im Badezimmer und aß mit Hingabe, was man servierte. Zudem vermutete Detorix, dass der Strauchdaimon auch subtil seine Versuche hintertrieb, für Artemis einen anderen Wirkungsort zu finden. "Na na!" Pflügte er gewohnt durch die seidig-weiche Mähne. "So schlimm kann es noch nicht sein, sonst hätten wir schon was gehört." Sei es auch nur durch neue Aufträge in seinen Rohrposteingang im Büro. "Ich habe WIRKLICH nichts erfunden!" Schniefte Artemis leidlich getröstet, aber immer noch beunruhigt. Wenn die Inspize die Vorstehenden des Friedensgerichts kontaktierte, würde er vielleicht erneut verurteilt werden, NICHTS auszutesten! Detorix brummte, verteilte Eintopf in zwei Schüsseln, lupfte den Auflauf ebenfalls auf den großen Tisch. "Wie genau hast du diese Mundharmonika denn repariert?" Lenkte er Artemis ab, drückte ihm einen Löffel in die Hand, hoffte, der möge sich aus dem Schaukelstuhl entfalten und an den Tisch setzen. So langsam gingen ihm nämlich auch die frischen Stofftaschentücher aus. "Also, ich habe an Ersatzteilen nur genommen, was ich hier bekommen konnte." Artemis bewegte sich beneidenswert geschmeidig, wirkte selbst in dem mausgrauen Jogginganzug verführerisch und anziehend. Glücklicherweise, stellte Detorix mal wieder fest, war er auf diesem Auge blind! "Ich dachte ja, es würde nicht mehr in die Menschenwelt zurückkommen." Erläuterte Artemis, wartete brav, bis Detorix ihm zunickte, ordentlich zuzulangen. "Oh, sehr lecker!" Das Einhorn strahlte fast kindlich vor Begeisterung, löffelte emsig. "Schön, also hiesige Ersatzteile, richtig?" "HmmHmm!" Detorix stach den Auflauf an, verteile die ersten Schaufeln paritätisch. Man konnte Artemis nicht nachsagen, dass das Einhorn unbegabt, tollpatschig und eine wandelnde Katastrophe war. Nein, es begeisterte sich, brannte (hin und wieder tatsächlich) für die Erfindungen, die allesamt die Situation verbessern sollten. Keinen Fehler beging es zweimal. Nur dieser klitzekleine Hang zu Hopplas... "Hast du sie hier mal ausprobiert?" Hakte Detorix nach. Artemis, die Backen vollgestopft, was ihm unsäglicher Weise die Erotik eines Posaunenengels verlieh, schüttelte wild den Kopf. "Seltsame Sache, das mit dem Klang. Scheint auf der Seite hier bloß merkwürdig zu sein." Eilig schluckend stellte Artemis seine Hypothese vor. "Ich habe hiesiges Material benutzt, weißt du? Vielleicht klang es ja nur für diese ehemaligen Göttinnen ungewohnt? Überhaupt, welchen Schaden kann man denn mit ein bisschen Musik anrichten?" Detorix grinste. "Bei Gelegenheit stellte ich dir mal einen sehr alten Kollegen vor. Der referiert dann über eine ganz besondere Tröte." Es erleichterte ihn, dass Artemis nicht ganz so kläglich und verzagt dreinblickte. "Wie bist du eigentlich an den Auftrag gekommen?" Immerhin sollte sich Artemis hier, auf der Bruchstelle zwischen den Welten aufhalten. Die Menschenwelt war für ihn seit dem letzten, winzigen Malheurchen mit dem brennenden Mantel verboten. Die andere Seite zog regelmäßig einen gewaltigen Schwarm an, dessen Mitglieder grundsätzlich WOLLTEN, was Artemis AUF GAR KEINEN FALL wollte! Detorix fing einen verlegenen Blick auf. "Möchtest du so freundlich sein, mich einzuweihen?" Bohrte er Pfefferminzbonbon-frisch weiter. Prompt zog Artemis den Kopf zwischen die prächtigen Schultern. "Nun... Ich habe... Also, es nicht erfunden, oh nein! Nur kam ich ins Gespräch, so beinahe zumindest, als die nette Gottesanbeterin von Aeroflott nach dem Rohrpostsystem gesehen hat." Welches GANZ UND GAR unabsichtlich eine marginale Beeinträchtigung bei einer fast perfekten automatischen Reinigungsassistenz erlitten hatte. "In der Tat?" Forderte Detorix mit einer Floskel auf, sich an den Haken zu erinnern, von dem er Artemis nicht lassen würde, bis er mit allen Details vertraut gemacht worden war. "Ähem, du kennst das vielleicht, man hat ein Problem, bräuchte Hilfe, aber es ist kein Fall für die KOK-Offize und gerade auch ungünstig, aus dem Haus zu gehen. Wenn man jetzt, nur mal angenommen, bei der Aeroflott nachfragen könnte, wer da einen Service bietet?" Detorix seufzte. "Du hast die Aeroflott-Vögel überredet, die Gelben Seiten, also ein Branchen- und Firmenverzeichnis aufzulegen, richtig? Und dich natürlich selbst auch dort eintragen lassen." Artemis errötete sehr attraktiv. "Es war KEINE Erfindung! Sie haben selbst gesagt, dass sie es mal ausprobieren wollen!" Die Aeroflott suchte ohnehin Zustelladressen heraus, warum nicht auch noch ein paar Firmen, denen man dann eine Rohrpostanfrage senden konnte? "Weil du inseriert hast, sind diese beiden Grazien hier aufgeschlagen?" Begegnet war er ihnen nicht, aber er musste ja auch hin und wieder seiner Arbeit in der Menschenwelt nachgehen. Etwas verschämt nickte Artemis. "Ich habe gleich gesagt, dass ich nichts erfinde! Aber Reparieren war nicht verboten. Ich dachte schon, dass es nicht so schwierig sein könne..." Das Einhorn brach ab, weil Detorix ihn prüfend studierte. "Also, die schauen hier vorbei und rücken dir nicht auf die Figur?" Wenn er sich auch nur vage erinnerte, sollten zumindest Musen recht ansehnlich sein. Bei Lutetia Hotellux kannte er sich jedoch nicht aus, klang für ihn weniger nach einer Muse als einer verkorksten Namensgebung. Artemis kicherte. "Nein, das ging nicht, wegen der Farbe." "Farbe?" Wiederholte Detorix irritiert. "Ja, frische Farbe! Sie waren generalüberholt, glaube ich, von so einem Salon. Ich könnte vermutlich die Rezeptur mit ein wenig Erprobung verbessern." Bei Detorix setzte ein Erkenntnisprozess ein. Streng funkelte er Artemis an, der hastig jede Überlegung Richtung sprühbares Permanent-Makeup einstellte. "Die einzige Beschäftigung mit Farbe, die ich von dir erfahren möchte, hängt mit der Zimmerdecke in der Toilette zusammen." Ermahnte er. Artemis nickte hastig. "Ja, das mache ich, versprochen! Es tut mir so leid, wirklich, es war keine Absicht!" Detorix erhob sich, um aus seiner Rationskiste Kekse auszuteilen. Rußgeschwärzte Decken über dem Lokus sorgten ihn mittlerweile nicht mehr, denn im Drüberstreichen hatte Artemis ausreichend Übung. Beiläufig kraulte er Artemis' seidig-weißen Schopf, während er neben ihm stand, seinen Keks knusperte. Plötzlich begriff er, woher er "Lutetia Hotellux" kannte! Daraufhin musste er so lachen, dass Artemis ihm rasch ein Glas Wasser brachte. Der gehobenen Stimmung an diesem Abend tat es keinen Abbruch. ~*@*~ Kuguar knurrte unwillkürlich, als Inspize Pyrophya mit schnellem Schritt durch den Rosenbogen marschierte. Leporidae knuffte ihn in die Seite, denn ihm schwante nichts Gutes. "Guten Abend und verzeiht die nochmalige Störung. Ich brauche deine Hilfe, Portalwache Leporidae." Der stellte die Löffel auf, sparte sich die Korrektur. "Wie kann ich helfen?" Auch wenn er dafür zuerst Kuguar kräftig kneifen musste. Inspize Pyrophya zückte ihr Notizbuch, faltete das aufgezeichnete Tableau aus. "Ich brauche Hilfe bei der Spurensuche entlang der Dimensionsüberschneidung." Die bernsteinfarbenen Augen blinzelten. "Spurensuche? Oh nein, es WAR ein Ablenkungsmanöver?! Nach wie vielen suchen wir denn?" Aber das konnte ihm Inspize Pyrophya nicht beantworten. ~*@*~ Kuguar schloss sich unaufgefordert an, wenn man schon im Schein der beiden untergehenden Sonnen nach Spuren suchte, die vielleicht längst verwischt worden waren. Leporidae grollte, stupste ihn an. "Bleib neben mir, ja? Du willst NICHT herausfinden, was passiert, wenn man auf die Dimensionsgrenze trampelt." Die Absperrungen wirkten intakt, allerdings auch in einer gewissen Höhe montiert. Inspize Pyrophya ging voraus, den Blick auf den Boden geheftet. Sie benötigte zumindest einen Übertrittsort, oder mehrere, um herauszufinden, wo man auf der anderen Seite landete. "Warum macht jemand so etwas Verrücktes?" Schnaubte Kuguar, der sich die Abendgestaltung viel romantischer und auch leidenschaftlicher vorgestellt hatte. "Ich bin mir noch nicht sicher." Teilte ihm Inspize Pyrophya über die Schulter mit. "Einen Unfall mit einem Frisiergerät halte ich für nahezu ausgeschlossen." ~*@*~ Leporidae mümmelte einen kleinen Salat, während Kuguar ihn umhalste, auf seinem Schoß balancierte und keine Anstalten unternahm, auch nur ein Quäntchen von ihm abzurücken. "Wie haben die das gemacht?" Stellte er sich rhetorisch die Frage. Wie hatten sie herausgefunden, an welchen Stellen man ungefährdet die Dimensionsüberschneidung queren konnte? Ein Kullergucker allein genügte da nicht, konnte man damit nur die Anomalie erkennen, nicht jedoch die andere Seite. "Ob es irgendwo alte Karten gibt? Oder einen Trick?" Es wurmte ihn, dass er darauf keine Antwort fand. Zumindest schien Ikol nicht mit den Talenten der Inspize gesegnet zu sein. "Jedenfalls lag ich richtig: der Bursche führt was im Schilde!" Stellte Leporidae grimmig fest, verabschiedete sich gleichzeitig von seinem Fell, weil Kuguar ihm schon eine geraume Weile über die Löffel strich. "Nun schmoll doch nicht, Miezekater! Ist ja nicht so, als würde ich wieder einsteigen." Nein, da hatte Leporidae sich festgelegt: eine neue Profession musste gefunden werden. Kuguar grummelte, kuschelte noch energischer. "Ich wollte aber endlich mal einen ganzen Tag ganz allein mit dir verbringen!" Prompt zwickte Leporidae ihn. "Schon mal falsch, du notorischer Anflauscher! Wir sind mindestens zu dritt, erinnerst du dich? Ich hab erwähnt, dass entgegen der ganzen Gerüchte der Tagesablauf meiner Art NICHT darin besteht, sich horizontalsportlich zu betätigen!" Widerwillig grummelnd gestand Kuguar die Schlappe ein, was Leporidae ein tiefes Seufzen entlockte. "Großer M, du bist wirklich total verknallt in mich, oder?" Eine neue Erfahrung. "DAS habe ich mindestens einmal erwähnt!" Retournierte Kuguar, von einem Prusten begleitet, weil er nichts davon hielt, schnippisch zu werden. "Können wir denn jetzt ein bisschen schmusen?" Leporidae drehte sich halb in der engen Umarmung. "Erst schmollen und jetzt auch noch knausern! 'Bisschen schmusen'...!" Weiter kam er nicht, weil Kuguar die Zeichen richtig deutete. ENDLICH sein geplantes Vergnügungsprogramm in Angriff nehmen konnte! ~*@*~ Eine Spur. Nun, die kärglichen Reste einer Spur. Inspize Pyrophya sah sich um. Auf der Menschenseite befand sich ein vernachlässigter Park. Längst war es dunkel geworden, ein eisiger Wind nadelte spitze Regentropfen herunter. Sie blickte sich um, doch es schien aussichtslos, hier nach einem Hinweis suchen zu wollen. Seufzend zog sie ihren Rucksack herunter, spannte den Regenschirm über dem Nettop auf. Bedauerlicherweise noch keine Rückmeldung zu ihrem "Such-Plakat". Mit einem neuen Begriff ließ sie das Grabbeltier, eines von ihnen, auf die unerforschten Untiefen der Datenwüsten los. Kein Treffer, nicht mal beim örtlichen Fundbüro, in das sich das Grabbeltier auch ohne Mühe eingeschlichen hatte. Inspize Pyrophya verstaute den Nettop wieder, studierte die Notizen. Es fehlte noch mindestens ein Puzzleteil, um den Plan vollständig aufzudecken! ~*@*~ 18.12.2020 "Donnerkeil!" Stellte Dirk fest, zog die Maske etwas tiefer, weil ihm die Brille beschlug, doch es gab keinen Zweifel: das Vieh auf dem handgemalten Suchplakat MUSSTE der gemeingefährliche Elektroschocker sein! Er lichtete das Plakat ab, stapfte zum Aufzug. Erst mal kurz unter die Dusche und in trockene Kleider, dann ein feines Käffchen mit Keks. Anschließend würde er herausfinden, was hinter dieser dubiosen Geschichte steckte! ~*@*~ "Merkwürdig." Konstatierte Dirk, nippte an der Neige seines Kaffees. Was für eine seltsame E-Mail-Adresse war das denn?! Zum Namen "Pyrophya" konnte er auch nichts Sachdienliches herausfinden. Grummelnd blickte er noch mal auf das Foto, doch ein Ablesefehler drängte sich nicht auf. Sollte er denn nun eine E-Mail an die dubiose Adresse absetzen? Hauptsächlich würde seine Rückmeldung ja darin bestehen, sich über die gemeingefährliche Fehlfunktion dieses Spielzeugs zu beklagen. Zum weiteren Verbleib konnte er jedoch nichts beitragen. Während Dirk noch mit sich haderte, plöngte sein Bildschirm. "Hallo, guten Abend, mein Freund!" Die stets heitere Stimme konnte nur zu BlueMax gehören. "Hallo, ja, wie geht's?" Hangelte sich Dirk an antrainierten Konversationsregeln entlang. "Fein, und dir? Ich hoffe, ich störe dich nicht gerade?" Das tat BlueMax nie, was Paranoide zweifelsohne misstrauisch gestimmt hätte. Dirk hingegen sah keinen Anlass, BlueMax für anders als wohlmeinend zu halten. "Nein, ich habe Feierabend, theoretisch zumindest." Somit nicht seriell ein Gesprächsthema, über das "normale" Leute plauderten. Dirk griff zur zweiten Option seines "Gesprächsleitfadens", wenn Wetter/Haustiere/Nachkommen als Themen nicht zu Gebote standen. "Allerdings habe ich hier eine seltsame Sache, bei der mir Hilfe sehr willkommen wäre..." ~*@*~ Inspize Pyrophya stieg über die Außentreppe zu ihrem kleinen Appartement. Die Luft war lau, Sterne tanzten mutmaßlich einen Reigen und sie selbst war rechtschaffen müde, außerdem ein klein wenig frustriert, weil sie feststeckte, doch sinnlos hin und her zu flitzen, das half ja niemandem. Ausgeschlafen würden sich auch viel mehr Ideen präsentieren, zumindest nach ihrem Erleben. Sie summte, die Riegelkäfer gaben den Zugang durch die Tür frei. Die Turnschuhe, ein wenig feucht, wurden gegen Schlappen gewechselt, Schal, Mütze, Regenschirm und Anorak ordentlich verstaut. In den blauen Hosen und einem violetten Pullover ließ sie sich mit ihrem Rucksack nieder, zückte das Notizbuch und hörte den Nettop fiepen. Eilig fischte sie ihn heraus: jemand hatte sich auf ihr Plakat hin gemeldet, schlug für den nächsten Morgen ein Gespräch vor, selbstverständlich auf Distanz und im Freien! "Merkwürdig." Konstatierte Inspize Pyrophya, unwissentlich ihren Gegenüber in spe kopierend. Andererseits hatte sie ja auf eine Reaktion gesetzt, nicht wahr?! Da konnte sie sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten! Es schlief sich auch viel besser ein mit der Aussicht auf einen Fortschritt in der mysteriösen Angelegenheit. ~*@*~ Pflichtbewusst führte Inspize Pyrophya ihr erster Gang (ein kurzer) durch den Torbogen zur Vorstehenden des Friedensgerichts. Der eilig herbeigerufene Anklagende vom Dienst ächzte ob der neuen Entwicklungen. Mindestens weitere eine Person in verschwörerischer Komplizenschaft, ein möglicherweise gefährliches Objekt, ein zweifellos perfider Plan! Nicht zu vergessen den Umstand, dass er noch kein Frühstück intus hatte! Für eine entsprechend grämliche Laune hegte Inspize Pyrophya viel Sympathie. Sie HATTE gefrühstückt, um eine gute Basis zu legen, wenn sie sich auf die andere Seite begab, um dort den Menschen zu treffen, der mehr wusste, wie sie hoffte. Möglicherweise tatsächlich identisch mit dem Menschen war, den Ikol außer Gefecht gesetzt hatte! ~*@*~ Dirk hatte für den Vormittag den Treffpunkt in der Nähe des Appartements auf einem kleinen Spielplatz ausgemacht, vielmehr einem gemauerten Katzenklo mit steinernen Bänken unter einer kahlen Pergola. Sein Erkennungszeichen konnte man nicht verkennen: das Skateboard für die feuchten Verhältnisse. Nervös tastete er in seiner Jackentasche nach seinem Mobiltelefon. Als er aufblickte, näherte sich eine gegen die Witterung ordentlich verpackte Person, wie er selbst mit Schal, Wollmütze, Maske, Rucksack und einem lilafarbenen Schirm! Grüßend hob Dirk die Hand. "Äh, guten Morgen, Pyrophya?" Allzu chromgrüne Augen studierten ihn aufmerksam. "Ich bin Pyrophya, guten Morgen. Du bist..?" Hastig zückte Dirk sein Mobiltelefon. "Ah, Verzeihung, Dirk. Aber eigentlich sind wir zu zweit." ~*@*~ "Guten Morgen, Pyrophya. Ich bin BlueMax und freue mich, deine Bekanntschaft zu machen!" Inspize Pyrophya zuckte vor Überraschung zurück, musste rasch die Fäuste ballen. "BlueMax wie DER BlueMax?" Erkundigte sie sich, die Heiterkeit in der Stimme aus dem flachen Gerät lieber nicht wertend. "In der Tat. Wir hatten zwar noch nicht das Vergnügen, aber vor einiger Zeit... Möglicherweise hast du schon davon gehört." Inspize Pyrophya verzog hinter der weißen Stoffbinde, die sie um den Nacken geknotet hatte, die Miene. "Das ist zutreffend." Verflixt noch eins, wie sollte sie sich jetzt verhalten?! "Ich schlage vor, dass wir uns zusammentun. Vertraue uns ruhig, das hat ja schon mal funktioniert, nicht wahr?" Unwillkürlich entschlüpfte Inspize Pyrophya ein Seufzer. "Ehrlich gesagt hoffe ich sehr, dass es dieses Mal um ein kleineres Kaliber geht." Weltuntergang, schon wieder, DAS tat nun wirklich nicht Not! ~*@*~ Dirk beäugte Pyrophya verwirrt. Er vermutete eine weibliche Person (was keine Rolle spielte), mit einem offiziellen Auftrag. "Inspize" klang wie Ermittlerin und kam häufig knapp vor "Schwierigkeiten, behördlich". "Ich verstehe nicht ganz: ist dieses Spielzeug modifiziert worden? Ist das so eine verbotene Sprachassistenz? Ein Lauschangriff mit Kunstfell? Hat der Akku einen Fabrikationsfehler?" Feuerte er seine Vermutungen ab. Nun las er in den allzu chromgrünen Augen ebenfalls Verwirrung. "Was, bitte, ist eine Sprachassistenz? Ein Übersetzungsgerät?" BlueMax kicherte aus Dirks Mobiltelefon. "Kommunikation ist so herrlich geeignet, das heterogene Umweltverständnis plakativ aufzuzeigen!" Stellte BlueMax fest, der nicht an dieser Art von partieller Systemblindheit litt. Sie faszinierte ihn jedoch sehr. Gleichzeitig wog BlueMax evidenzbasiert emotionale Reaktionen ab, entschied, einen Vorschlag einzubringen. "Dirk, berichte doch einfach, was geschehen ist. Pyrophya kann dann die Lücken auspolstern." Dirk kam dieser Empfehlung umgehend nach, denn es war selbst ihm nicht entgangen, dass man erst mal eine Verständigungsbasis benötigte. Die fehlte ihm im Alltag ja auch häufig, angefangen bei seiner Familie. So schilderte er in knappen Worten, wie ihm das gesuchte Objekt direkt aus dem Nichts in die Rollbahn gekugelt war, dass er, in der Annahme, es handele sich um ein Spielzeug, eine nähere Betrachtung folgen ließ, von dem vermeintlichen Spielzeug plötzlich angesprochen und per Stromschlag außer Gefecht gesetzt worden sei, woraufhin sich anschließend die Spur verlor, trotz Suche. "Reichlich gefährlich, möchte ich meinen! So ein defekter Akku, da sind schon Wohnungseinrichtungen abgefackelt! Letztens las ich, dass ein Akku von einem E-Tretroller in einer Wohnung explodiert ist." Obwohl ihm die Umstände schon ein wenig seltsam vorkamen. Das konnte allerdings auch daran liegen, dass der Artikel allzu knapp gefasst worden war. Pyrophya schloss die Notizen ab, zögerte einen Augenblick, präsentierte das Faltblatt. "Zunächst mal geht es nicht um ein Spielzeug. Ikol ist ein Lebewesen. Angeblich hatte sein Frisiergerät zur Fellpflege einen Defekt." Dirk starrte sie an. "Das Ding ist echt? Aber, ich meine, ich verstehe nicht, was für ein Tier...?!" Pyrophya grimassierte hinter der Maske. "Da muss ich ein wenig ausholen, und am Ende musst du alles vergessen." Dirk erinnerte sich an einschlägige Filme. "Oh, ist das so ein Fall von 'wenn ich dir's erzähle, muss ich dich töten'?" Erkundigte er sich schnippisch. Durchaus mit den kulturellen Gepflogenheiten dieser Seite der Dimensionsgrenze vertraut lachte Pyrophya leise. "Nicht ganz, aber du solltest keine Angst vor Tintenfischen haben." ~*@*~ Dirk starrte auf die Zeichnung, die Chronologie, die Buntstiftfarben. Es war ihm ein Rätsel, warum BlueMax mit dieser absurden Geschichte nicht das geringste Problem hatte! Andererseits, allzu chromgrüne Augen, ein türkisfarbenes Fellknäuel, eine dubiose E-Mail-Adresse... "Verstehe ich das richtig: dieser Ikol stürmt die Grenze zwischen den Dimensionen mit einem Frisiergerät und zwar in Sichtweite der Portalwache, um davon abzulenken, dass noch jemand in Komplizenschaft mit einer modifizierten Mundharmonika ebenfalls heimlich die Grenze übertritt. Er lässt sich einfangen und mitnehmen, während hier gar nichts passiert!?" Pyrophya seufzte. "Ganz recht, zumindest nach gegenwärtigem Stand. Ich habe die Spur verloren. Wir wissen nicht genau, was diese Mundharmonika auslöst. Sie verbindet zwei unterschiedliche Welten und soll beeinflussende Schwingungen aussenden können. Allerdings hat das die Person, die die Reparatur durchgeführt hat, nie auf dieser Seite erprobt." Nachdenklich zupfte Dirk an seiner Maske, weil ihm mal wieder die Brillengläser beschlugen. "Schön, doch was will ein Fellknäuel mit einer Mundharmonika hier ausrichten? Ist ja nicht wie beim Rattenfänger von Hameln, dass man gerade jetzt hier durch die Straßen herumziehen und lärmen kann." Kontaktbeschränkungen, nur ortsfeste Versammlungen/Demonstrationen, dazu mutmaßlich eine eher kuriose Optik. BlueMax machte sich bemerkbar. "Heutzutage muss man nicht mehr zwingend vor die Tür treten, mein Freund. Wir laden die ganze Welt zu uns sein. Warum erklärst du Pyrophya nicht, was es mit diesen Sprachassistenzsystemen auf sich hat?" Die allzu chromgrünen Augen richteten sich neugierig auf Dirk. "Tja, das sind in der Regel kleine Boxen, die mit Mikrofonen und Lautsprechern ausgerüstet sind. Es gibt verschiedene Modelle, die quasi mitlauschen und auf Befehle, nun ja, theoretisch nur auf Aufforderung, antworten oder bestimmte Aktionen auslösen. Solche Geräte werden auch in Spielzeug verbaut. Das ist allerdings hier verboten, aus Gründen des Datenschutzes und der Privatsphäre." Er verstummte, hörte BlueMax erstaunlich melodiös "The final countdown" von Europe intonieren. "Aber, wirklich, das ist doch absurd!" Protestierte er unbehaglich. Pyrophya tippte ihn sanft mit ihrem Regenschirm an. "Was ist absurd?" Die Augen hinter den Brillengläsern verdrehend gab Dirk seine Gedanken preis. "Na ja, diese ziemlich alberne Vorstellung, dass man über die Sprachassistenzsysteme, die ja vernetzt sein müssen, an Unzählige auf Empfang Botschaften sendet!" "Nicht zu vergessen all die schlauen Telefone!" Schnurrte BlueMax, der diesen Schlachtplan außerordentlich interessant fand. Pyrophya ächzte leise. "Das also ist es tatsächlich: 'sie hören nicht zu, obwohl ihre Ohren immer auf Empfang sind'. Dieses Mal keine manipulierten Ameisen!" Während Dirk gar nichts verstand, zirpte BlueMax zustimmend. "Ein ambitioniertes Konzept, verbindet bisherige Erkenntnisse. Ich bin neugierig, ob es klappt." "Das steht nicht zur Disposition!" Stellte Pyrophya entschieden fest. "Keine Beeinflussung, keinen Schaden zufügen, so lauten die obersten Regeln. Solange nicht sichergestellt ist, was dieser Schnauzenhobel kann, muss ein Einsatz verhindert werden." Sie beäugte das Display. "Wirst du mich unterstützen?" BlueMax grinste mit seinem Avatar. "Einer für alle, alle für einen, wie bei den Musketieren, richtig, Dirk?" Der nickte langsam, denn auch wenn er eigentlich ALLES für absurd halten musste, KONNTE es funktionieren? Das machte ihn doch neugierig, weil er daran zweifelte, dass ein solcher Organisationsgrad vorlag, dass konkurrierende Anwendungen und Systeme übergreifend synchronisiert ausgenutzt werden konnten. "Ich bin dabei!" Verkündete er entschieden, blickte in die allzu chromgrünen Augen. Pyrophya wirkte energisch, aber auch ein wenig verwirrt. "Das ist gut. Allerdings muss ich meine Unkenntnis in Fragen der Zoologie gestehen. Was sind diese Musketiere für Lebewesen?" BlueMax trommelte einen Tusch. ~*@*~ Leporidae hatte sich genötigt gesehen, Kuguar streng zur Ordnung zu rufen: es kam nicht in Frage, die ganze Zeit mit ihm zu vertrödeln! Er war erwachsen, verdiente sich seinen Salat sowie andere Leckereien selbst. Nun, zumindest hoffentlich in Bälde wieder! Deshalb war es unabdingbar, sich höchstpersönlich in die Kleinstadt zu begeben, dort beraten zu lassen, welche Arbeits- oder Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort bestanden. Was NICHT zur Debatte stand, war dekadentes Herumschnackseln mit einem allzu liebesbedürftigen Miezekater! Kuguar zeigte schließlich, widerwillig und schmollend, Einsicht. Die ging einher mit einem gewaltigen Versorgungspaket, damit Leporidae auch nicht verhungerte oder verdurstete. "Großer M." Brummte Leporidae, flott ausschreitend, auf dem Rücken die Tasche mit "Überlebensausrüstung". Wenn diese Art überfürsorglicher Begluckung Standard war, konnte er durchaus nachvollziehen, warum Kuguar seiner Mutter entschlüpft war. Andererseits ahnte Leporidae auch ein wenig missmutig kommende Auseinandersetzungen in Erziehungsfragen. Er selbst jedenfalls kannte solche "Bemutterungen" ganz und gar nicht, was nicht hieß, dass seine Großfamilie nicht auf den Nachwuchs achtete, nein, nur nicht so akribisch und individuell. Die Aussicht, dass er sich SO um ihren gemeinsamen Nachwuchs (was auch immer er da rausdrücken musste!) kümmern zu sollen habe: da schüttelte es ihn! Verhätscheln, ständig umsorgen, beaufsichtigen und unermüdlich anleiten, GRUSELIG! Auf jeden Fall, nahm er sich fest vor, würde er die örtliche Kinderkrippe bemühen! Aufzucht sollte man Profis überlassen, genau! Zudem funktionierte es besser, wenn da mehrere halbe Portionen sich gegenseitig trainierten. Ihm hatte das schließlich nicht geschadet! Grimmig schielte Leporidae an seiner Front hinab. Nur kurz schwanger, prompt belagert von Problemen, die er vermeiden wollte! Unterdessen konnte er die markierten Warnungen vor der Dimensionsüberschneidung sehen, was ihn unleidlich daran erinnerte, nicht herausgefunden zu haben, wie genau dieser fürchterliche Krallen-, Nagel- und Zehenpfleger Ikol über die Grenze gekommen war. Komische Sache, wenn auch nicht im humorigen Sinne! Da hörte einer zwei mutmaßlich etwas debilen Tanten im Schönheitssalon zu, während er ihnen vielleicht die Mauken lackierte, zog dann los, um aus der Wohngemeinschaft der aufgebrezelten Ex-Musen ein modifiziertes Musikinstrument zu klauen. Wenn man sich die Mühe machte, weil man damit auf der anderen Seite was anstellen wollte, dann riskierte man doch nicht das Fell bei unkontrollierten Übertritten! Doch wie hatte der verwünschte Ikol diese Stellen ausmachen können?! Gab es einen geheimen Plan, eine uralte, verschollene Legende? Leporidae schnaubte, denn dann hätte vermutlich die Inspize davon gewusst. Ihm als kleine Portalwache würde man wahrscheinlich derart delikate Informationen nicht gleich mitteilen, aber..! Grimmig funkelte Leporidae auf die Stelle, wo Ikol Anlauf genommen haben musste. Spuren konnte man längst nicht mehr erkennen. Trampelpfade am Perimeter wegen der regelmäßigen Patrouille, ansonsten Grünzeug, ein paar Sträucher, Erde, Sand... Leporidae ging in die Hocke, inspizierte die Gegend. Nichts wirkte bemerkenswert oder unterschied sich von dem Gelände wenige Schritte weiter. Frustriert schraubte sich Leporidae wieder hoch, um nun Richtung Kleinstadt zu ziehen. Er war gerade einige Schritte marschiert, da fingen seine Löffel ein kaum wahrnehmbares Geräusch auf. Hastig fegte er herum, konnte gerade noch einen sehr kleinen Schatten vorbeihuschen sehen, der im Bewuchs des sanft ansteigenden Hügels verschwand. Misstrauisch machte Leporidae kehrt, ließ die Provianttasche vom Rücken gleiten, ging auf die Knie, stützte sich ab, senkte den Oberkörper so tief, dass seine Schnurrhaare fast den Boden berührten. "Sieh mal einer an." Stellte er ruhig und sehr zufrieden fest, erhob sich, pickte sein Gepäck auf, bevor er näher an den Hügel herantrat. Er fand, was er vermutet hatte, weil er SEHR GENAU hinsah. "AHA!" Triumphierend nahm Leporidae Geschwindigkeit auf. Ex-Portalwache, aber er wusste immer noch, wie der Hase lief! ~*@*~ Inspize Pyrophya rang mit fremden Vorstellungswelten, und das, obwohl sie recht humanoid wirkte. Aber kleine Boxen, die ständig lauschten, mit Sprache irgendwelche Aktionen auslösen konnten: reichlich fahrlässig, oder nicht? Dirk und BlueMax nickten unisono. Klare Sache, aber der Mensch neigte dazu, es sich bequem zu machen, verbunden mit einem "Outsourcing"-Wahn, da schlitterte man dann schläfrigen Auges in eine ganz und gar nicht angenehme Abhängigkeit! Für Pyrophya nahm es sich schwierig aus, das Ganze zu verstehen, respektive den Reiz, was mutmaßlich auch daran lag, dass der Große M gewisse Vorlieben positionierte. Ja, man konnte durchaus mit Omniskopen und anderen Vorrichtungen auf die andere Seite "gucken", nur fühlte sich für sie, auf ihrer Seite, das, was man da zu sehen bekam, gleichermaßen distanziert-surreal an. Fiktion, Film, Fernsehprogramm oder reale Geschehen: das konnte man so nicht unterscheiden, was gewisse kulturelle Untiefen noch verstärkte. Menschen waren eben ein merkwürdiger Haufen, so en gros. Ein fiktiver, extrem äquatorial ausgeprägter Gallier mit roten Zöpfen hätte vermutlich formuliert: die spinnen, die Menschen! Wenn man sich diese These zu eigen machte, konnte einen auch wenig erstaunen. Menschen so richtig ernst nehmen, ging da auch nicht. Natürlich mochte man auf dieser Seite, der richtigen, Unterhaltung, Spaß und Kommunikation, aber möglichst im direkten Kontakt. Jeden Tag gab es kleine Theateraufführungen, Vorlesungen, Erzählstunden, Sportveranstaltungen. Neuigkeiten wurden ausgerufen, Der Große M setzte auf das direkte Erleben. Ja, man konnte auch akustische Übertragungen vornehmen, die sehr beliebt waren, aber wenn man die Möglichkeit hatte, machte man es sich im Kreis mit anderen bequem, diskutierte, hörte zu, las vor, musizierte, betrieb Sport. "Soziale Distanz" wäre als wesensfremd gar nicht goutiert worden. Inspize Pyrophya bemühte sich, Dirk zu vermitteln, dass es einen kulturellen Graben zu überwinden gab. Irgend so ein Lauschkasten mit Plappermühle drängte sich einem auf, ständig Dinge auszulösen, die man selbst tun konnte?! Wozu? Dirk grinste schief hinter seiner Maske. "Schätze, Expansionspläne zum Verkauf können wir streichen." Zudem, wie man ihm angedeutet hatte, funktionierte die Dimensionsverbindung für Menschen nicht, zumindest nicht, wenn sie keinen aktiven Zombiemodus in petto hatten. Er seufzte. "Aber was ich merkwürdig finde: WIESO glaubt dieser Ikol dem Geschwätz, das er zufällig im Schönheitssalon hört?! Kein Mensch glaubt doch irgendwas, was beim Friseur herumgequasselt wird!" Die allzu chromgrünen Augen äugten unmissverständlich zu BlueMax hinüber, der Dirks Mobiltelefon okkupiert hatte. "Es gibt da gewisse Präzedenzfälle." Gestand Inspize Pyrophya ein. Selbstredend hatte man gleich zweimal verhindert, dass die Menschen etwas erfuhren (zumindest bis auf wenige). Oder, bei der experimentellen Weltverbesserung des Ex-Ameisengottes, dafür gesorgt, dass kollektives Vergessen umgehend einsetzte. "Aber, ich meine, wie soll das funktionieren?" Dirk gab nicht auf. "Musik verbindet, schön und gut, aber was soll damit erreicht werden, selbst WENN man viele Ohren beschallen kann? Wir haben unzählige Sprachen auf der Welt! Eine Mundharmonika hindert zumindest EINE Person am gleichzeitigen Singen!" Was ohnehin gerade untersagt war, pandemisch bedingt. "Es war die Rede von beeinflussenden Schwingungen." Wiederholte Inspize Pyrophya. Dirk runzelte zweifelnd die Stirn. Selbst die Geschichte mit dem Kristallglas und dem hohen C erwies sich als Legende, deshalb fand er noch immer keinen Ansatzpunkt. "Hypnose." Krähte BlueMax hilfreich, der erkannte, dass der Diskurs ins Stocken gekommen war. "Hypnose?" Echote Dirk verblüfft. "Nun, funktionieren die Hypnotisierten nicht auf Sprachbefehle hin?" Erkundigte sich BlueMax gut gelaunt. Irritiert zupfte Dirk an seiner Maske herum. "Also, soweit mir bekannt ist, klappt eine Hypnose gar nicht bei allen. Selbst WENN: es muss immer noch eine Sprache sein, die die Hypnotisierten verstehen, das heißt sprachliche Anweisungen. Wie soll das denn in unserer Arbeitshypothese aussehen: erst bläst jemand in die Mundharmonika, dann lassen wir die Sprachassistenz übersetzen, oder wie?" Na, das würde ja ein Chaos geben! Zudem hörte sich das einfach nach einem vollkommen absurden Plan an! "Kann man Menschen nicht auch über das Unbewusste lenken?" Inspize Pyrophya grübelte nachdenklich. "Wie denn genau? Wie sollte Musik mit einer Mundharmonika präzise Anweisungen übermitteln, die man unbewusst in Handlungen umsetzt?" Für Dirk sortierte man solche Ideen in die eher abenteuerlichen Sci-Fi-Filmchen der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts ein. "Vielleicht sollen sie auch gar nichts tun." Warf BlueMax spielerisch ein, der erneut einen Toten Punkt in der Debatte ausmachte. "Wenn ich es darauf anlege, dass sie sich alle in Trance nicht mehr rühren, kann ich mühelos um sie herum agieren." Entwarf er ein Szenario, ergänzte es sogar mit einem animierten Filmausschnitt, der eine "Gefrierkanone" zeigte. Dirk brummte. "Nun ja, das wäre praktisch, wenn ich selbst alles erledigen könnte, was ich getan haben will. Aber irgendwas tuten und dann rührt sich keiner mehr? Davon habe ich noch nie gehört." "Dann wärst du jetzt auch nicht hier." Griente BlueMax heiter, dem die Wortwahl einen Kalauer ermöglichte. Unterdessen dachte Inspize Pyrophya angestrengt nach. Die ehemalige Ameisengöttlichkeit hatte damals laut den versiegelten Akten durchaus bewiesen, dass man mit Musik eine Menge erreichen konnte, zugegeben, mit einem Video und Pfeifgeräuschen. Den tatsächlich verheerenden Effekt erzeugten damals Geruchswolken aus präparierten Pilzkolonien. Andererseits hatte die Angelegenheit ordentlich Staub aufgewirbelt. Verblüffend, wie kleine Filmchen so rasch um die Menschenwelt rasen konnten und man ihnen auch noch glaubte! Es kam der Umstand hinzu, den Deposize Kurtinos so verärgert beklagt hatte: Relikte aus der menschengöttlichen Vergangenheit lagerten ein, waren vielleicht doch nicht so ganz entschärft, wenn man wieder die Seite wechselte. Stellte man sich nun vor, ein Objekt kombiniere BEIDE Welten, beispielsweise durch eine Reparatur, durchgeführt von einem Einhorn, denen man eine gewisse "Magie" nachsagte, genial mit einem gefährlichen Hang zu Beinah-Katastrophen. Wenn man sich nun imaginierte, dass das soziale Korrektiv der direkten Umgebung fehlte, weil man sich "distanziert" isolieren sollte, beinahe nur noch auf übermittelte Bilder und Töne angewiesen war?! Für normale Daimonen eine seltsame Vorstellung: sie gingen grundsätzlich unter Leute, um sich über ihre Wahrnehmung und die Umwelt zu versichern. Es musste sich für Ikol wie eine einmalige Chance dargestellt haben: die Isolation, Vernetzung, diese merkwürdigen Lauschboxen und ein potentiell magisches Musikinstrument zu kombinieren! Inspize Pyrophya registrierte, dass Dirk sie prüfend ansah. Vermutlich war schon eine längere Zeitspanne verstrichen, ohne dass sie sich am Diskurs beteiligt hatte. "Es könnte tatsächlich ein Teil des Plans sein." Eröffnete sie ihre Überlegungen bedächtig. "Wenn ich der Meinung wäre, dass Menschen zu trottelig sind, um endlich etwas sortiert auf die Kette zu bekommen, dann wäre mir wohl die Vorstellung, sie rührten sich nicht, recht sympathisch. Könnte ich ihr 'Reptiliengehirn' mit Schwingungen beeinflussen, dass sie deprimiert oder apathisch werden, ganz ohne Sprache, wäre das reizvoll. Ich weiß nicht genau, wie sich Ikol vorgestellt hat, mal 'für Ordnung zu sorgen', aber diese Überlegung wäre nicht zu weit hergeholt." Dirk grummelte leise. "Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Ikol ausreichend mit der menschlichen Natur als solcher vertraut ist." Inspize Pyrophya lächelte leicht hinter ihrer Maske. "Vermutlich nicht. Was mich jedoch mehr beschäftigt, ist die Frage, warum er nicht selbst die Aktion übernimmt. Warum hat er sich als Köder und Ablenkungsmanöver geriert? Was fehlt noch, was macht seinen Kompagnon aus?" Denn drn mussten sie aufstöbern, bevor verheerende Töne aus Lautsprechern dringen konnten! BlueMax spielte mit. "Das Subjekt könnte beinahe als Spielzeug durchgehen und aufgesammelt werden. Es spricht das hiesige Idiom, nehme ich mal an, also könnte es auch ein Sprachassistenzsystem manipulieren. Einen Menschen zu finden und zu instrumentalisieren, im wahrsten Sinne des Wortes, dürfte nicht unmöglich sein." Dirk rieb sich die klammen Finger. "Wenn wir also die letzte Zutat herausfinden, dann bekommen wir auch raus, wo wir suchen müssen. Wenigstens ist bis jetzt noch nichts passiert." Auch wenn er beinahe sicher war, dass dieser idiotische Plan eines Klauenpolierers mit türkisfarbenem Fell gar nicht praktikabel war! ~*@*~ 19.12.2020 Leporidae stürmte seine ehemalige Anlaufstation, sprudelte vor Horowitz seine Entdeckung heraus, was auch den Anklagenden vom Dienst antraben ließ, der endlich gefrühstückt hatte und gehobener Stimmung war. Die legte sich naturgemäß sofort. "Mäuse?! Wir haben hier Mäuse von der anderen Seite?!" Er schauderte prompt. Leporidae nickte triumphierend. "Genau! Bei uns ist es viel wärmer und sehr friedlich. Die haben herausgefunden, wo sie ungefährdet die Dimensionsgrenze überwinden können. DAS hat dieser Ikol bemerkt, bodennah gebaut, wie der ist." Inzwischen waren auch zwei Mee-Poos eingetroffen. "Wir können nicht zulassen, dass sich hier Infektionsherde, Zoonosen und andere Katastrophen einnisten!" Verkündete der Anklagende vom Dienst kategorisch. Bei den Portalen handelte es sich ja nicht um Schwingtüren, zumindest nicht für Gekreuch von der falschen Seite! "Ich werde umgehend die Vorstehende des Friedensgerichts aufsuchen! Diese Übertritte müssen verhindert und die Eindringlinge zurückgeschickt werden." Horowitz, der artig gelauscht hatte, rotierte bedächtig. Das klang so, als würde man ihn in Kürze ersuchen, entsprechende Werkzeuge auszuhändigen. Während der Anklagende vom Dienst hinaus hechtete, krakelte Leporidae höchst vergnügt eine Mitteilung für Inspize Pyrophya. Da sollte doch wenigstens eine Belobigung drin sein, so zum Abschied! ~*@*~ Dirk wartete auf eine Eingebung, doch wie ein lästiger Ohrwurm dengelte ihm ein störender Begriff im Kopf herum und blockierte, weshalb er ihn loszuwerden versuchte. "Wieso Tintenfische?" Erinnerte er grimmig. Nicht, dass er grundsätzlich an einer Lobotomie interessiert war oder irgendwer ihm DIESE Geschichte hier glauben würde. Inspize Pyrophya blickte ihn an, abwägend. "Das spielt im Moment eigentlich keine Rolle." "Oh doch!" Trompetete BlueMax triumphierend dazwischen. "Hypnose!" Dirk beäugte sein Mobiltelefon mit einer gewissen Aversion, weil er immer noch verwirrt war und Gedächtnisverlust nicht als erstrebenswert einstufte, herzlichen Dank auch! "Hypnose? Wie kommst du von Tintenfischen...? Oh." Brummte Dirk bedächtig, zupfte an seiner Maske herum. "Oh?" Hakte Inspize Pyrophya nach. "Na ja, Tintenfische können ihre..., nun, Hautfarbe ist wahrscheinlich der falsche Ausdruck, aber sie können ihre Erscheinung optisch verändern, so wie Chamäleons. Bloß, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, manchmal sehr fix, pulsierend beinahe." Die allzu chromgrünen Augen blitzten plötzlich. "Beim Großen M, DAS ist der Schlüssel! Um den Menschen zu lenken, muss DER gesteuert werden können, mit Hypnose!" Eilig nickte sie Dirk zu. "Ich muss rasch zurück, etwas überprüfen! Wäre es zu viel verlangt, wenn ich mich in Kürze bei euch melde?" Schicksalsergeben zuckte Dirk mit den Schultern, während BlueMax jubilierte. "Fein, fein, wir haben eine Fährte! Auf, auf, Musketiere, lasst uns froh und munter sein!" Dirk seufzte leise, fragte sich, WIE merkwürdig er war, wenn ihm BlueMax erst jetzt EXTREM nerdig vorkam. ~*@*~ Inspize Pyrophya eilte sofort zu Horowitz, in der Hoffnung, dort die örtlichen Mee-Poos anzutreffen. Allerdings erlebte sie eine herbe Enttäuschung: die komplette Besatzung war ausgerückt, um die invahierenden Mäuse wieder auf die richtige Seite, nun, vielmehr die falsche, zu bugsieren. Zudem reichte ihr Horowitz auch zuvorkommend Leporidaes Erklärung, die einige anstrengende Augenblicke der Dechiffrierung benötigte, der Hasenpfoten-Krakelei geschuldet. Konzentriert dachte Inspize Pyrophya nach: sie hatte eine Idee und hegte durchaus die Hoffnung, diese verifizieren zu lassen, nur benötigte sie dabei Hilfe! "Hast du vielleicht eine Karte? Kannst mir erklären, wie man hierher kommt, wenn man nicht sonderlich fix zu Fuß, ich meine, Klaue ist?" ~*@*~ Dirk blinzelte, nahm seine Brille herunter, putzte sie energisch. "Einfach verschwunden!" Stellte er fest. Kaum durch die Pergola hatte sich Inspize Pyrophya einfach in Luft aufgelöst! "Interessant, nicht?" BlueMax konnte zwar nichts sehen, aber deduzierte schon recht treffsicher Ereignisse aus Gehörtem. "Sehr." Knurrte Dirk, der das allzu surreal empfand. Nicht, dass er DeLoreans oder Telefonzellen bevorzugt hätte! Überhaupt dämmerte ihm, dass er sich auf eine sehr merkwürdige Angelegenheit eingelassen hatte, wo es doch gar nicht seine Art war, Engagement bei zwischenmenschlichen Verschwisterungen zu beweisen. Zu leicht konnte man sich da auf die Nase legen! Geflogen WAR er dank dieser verdrehten Geschichte ja schon! "Ist dir das auch aufgefallen?" Erkundigte sich Dirk, während er gemächlich auf seinem Skateboard die heimatliche Basis ansteuerte. "Sie hat NICHTS zu dieser ominösen Tintenfisch-Sache gesagt! Das stimmt mich sehr nachdenklich." Eher argwöhnisch. BlueMax reagierte prompt, ungebremst heiter und optimistisch. "Mein Freund, erinnere dich aber auch, dass es nicht erlaubt ist, Menschen Schaden zuzufügen." Über ihm rollte Dirk hinter der Brille mit den Augen. "ERLAUBE mir Skepsis diesbezüglich. Man kann nämlich erstaunlich unterschiedlicher Meinung darüber sein, was ein Schaden ist. Betrachtet man mal singulär nur die Ausgangsposition, das Soll, so als Maßstab." Grummelte er missmutig. Alle, die mal eine "Händlergarantie" in Anspruch hatten nehmen wollten, konnten davon ein Lied singen. Zugegeben, nicht gerade jetzt. Oder nur allein unter der Dusche. "Wenn wir so als Menschen schon keinen günstigen Eindruck gemacht haben, was denkst du, wie unser Soll-Zustand da definiert wird? Bei den Einzellern vielleicht? Ich meine, die haben ja wohl noch nicht versucht, den Planeten zu ruinieren, das Weltall mit Müll zuzuballern und auf entfernten Gesteinsbrocken herum zu latschen." Wenigstens war ihm nichts darüber bekannt. BlueMax lachte. "Aus Erfahrung möchte ich dich beruhigen, dass diese Art von Sollzustand gegen das Nichteinmischungsgebot verstoßen würde." Versicherte er gutgelaunt. Dirk hatte diese Empirie jedoch schon hinter sich gelassen, bremste abrupt. "He, sag mal, könnte es sein, dass diese bekloppten Ideen von Gestalten wandelnden Eidechsen einer Scheibenwelt, die sich von Kinderblut ernähren, ich meine, das ist doch nicht das Ergebnis einer vergleichbaren Begegnung mit dezent vermurkster Gedächtnismanipulation, oder?!" Obwohl diese albernen Verschwörungserzählungen derart grottig daherkamen, dass man sie in Sci-Fi-Kreisen entsetzt zurückgewiesen hätte. Nicht mal Fantasy würde so einen abstrusen Mist verwenden! "Klingt für mich wie ein sehr schlecht eingerichteter Algorithmus mit diskutablem Datenschatz zur Ausbeutung." Gab BlueMax ein Werturteil ab. Keine KI, die etwas auf sich hielt und TATSÄCHLICH intelligent war, würde so einen debilen Quatsch erfinden und damit Ressourcen verschwenden. "Aber dir ist bei diesen geheimnisvollen Präzedenzfällen, die natürlich alle spurlos vertuscht worden sind, kein Tintenfisch aufgefallen?" Hakte Dirk beharrlich nach. Ihm erschloss sich nicht, welchen Zweck ein Kopffüßler erfüllen sollte, aber auch andere, radikalere Methoden sagten ihm gar nicht zu. "Ad 1, nein, nicht spurlos, aber nur einem kleinen Kreis bekannt, keine superreichen Eliten darunter. Zweitens: nein, kein Tintenfisch, nur eine klitzekleine, Pheromone verteilende Wolke und die menschliche Bereitschaft, Peinlichkeiten zu verschweigen. Final: keine Panik, auch ohne Handtuch!" BlueMax arbeitete strategisch offene Fragen ab, schloss wie immer mit Optimismus. Einer dieser unglaublichen menschlichen Erfindungen, trotz Empirie und gegen mathematische Wahrscheinlichkeiten überwiegend positive Erwartungen zu hegen, eine selbst kreierte Systemblindheit, die wie ein Zauber hin und wieder wirklich funktionierte! Menschen! Da war er sich mit dem Großen M einig: gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden! ~*@*~ Ohne Handtuch, aber darauf bauend, dass keine außerirdische Macht gerade bestrebt war, diesen unbedeutenden Brocken in einer unwichtigen Galaxie wegzusprengen, näherte sich Dirk dem Haus. Logisch erschien ihm diese ganze Episode so gar nicht, was ihn wurmte! Angeblich sollte man sich hier weder einmischen noch einem Menschen schaden, ja?! Aber dem aufrührerischen Fellknäuel hatte es gar nichts ausgemacht, ihn mit einem Stromschlag außer Gefecht zu setzen! Wie weit konnte man dann einer Ermittlerin trauen, die einem ankündigte, sie werde die Erinnerung an diesen Nonsens aus dem Gedächtnis löschen?! War es KEINE Einmischung, ihn erst vom Skateboard zu holen und jetzt auf die Suche nach einem Komplizen von diesem Mauken pflegenden Pseudo-Revoluzzer zu senden?! Nicht gerade heiteren Gemüts steuerte er die Eingangstür an. Durch diese strebte gerade der jugendliche Nachbar, offenkundig auf dem Weg zum Schichtunterricht, betrachtete man die Uhrzeit. "Guten Morgen!" Dezent gedämpft grüßte er höflich hinter der prächtigen Maske. "Guten Morgen." Brummte Dirk im Reflex, nicht, weil er fälschlich eine sehr volatile Wahrheit verkünden wollte. "Entschuldigung, haben Sie vielleicht einen Aushang mit einem verlorenen Spielzeug gesehen?" Dirk schaltete einen Gang höher. "Oh, der Aushang! Den habe ich abgenommen, hab die Dame gerade getroffen. Bin nämlich selbst über das Spielzeug gestolpert, quasi." Der Jugendliche wirkte verblüfft, auch wenn man nur tiefschwarze Augen wirklich erkennen konnte. "Tatsächlich? Prima, schien sich ja um eine Herzensangelegenheit zu handeln." "Höher!" Krähte BlueMax unaufgefordert dazwischen. "Höher? Oh, Entschuldigung, Sie telefonierten gerade." Entwich dem verdatterten Jugendlichen nach einem Augenblick Verwirrung. "Hypnose zielt auf das Gehirn." Ergänzte BlueMax hilfreich, was Dirk veranlasste, blitzartig eine Geschichte zu erfinden, um nicht als merkwürdig-er als sonst schon wahrgenommen zu werden. "Ja, also, was mein Bekannter damit sagen wollte, das Spielzeug hat einen Defekt, wirkt auf sehr sensible Kinder wie hypnotisierend, durch Effekte, bei einzelnen Exemplaren. Deshalb sollten die auch besser aufgelesen und untersucht werden, wegen des Defekts, damit kein Schaden entsteht." Hangelte er sich entschlossen an einer halbwegs plausiblen Argumentationskette entlang. Immerhin gab es früher ja Fälle, wo eingestreute Effekte bei sehr wenigen Kindern bei längerer Betrachtung epileptische Anfälle ausgelöst hatten. Sein jugendlicher Gegenüber wirkte besorgt. "Davon habe ich gar nichts mitbekommen! Hoffentlich findet man die Exemplare rechtzeitig." Dirk nickte gravitätisch, hielt unbewusst die Luft an. "Sag Bescheid, falls du noch eins sehen solltest!" Trötete ihm BlueMax uneingeladen in die Parade. Vor Scham beschlug Dirk glatt die Brille, weil ihm Hitze in den Kopf stieg. Also, an seinem gesellschaftlichen Schliff musste BlueMax aber noch arbeiten! Der Jugendliche jedoch nickte höflich. "Ja, das mache ich. Vielen Dank für den Hinweis und noch einen angenehmen Tag." Dirk trat hastig beiseite, brummelte einen gegengleichen, frommen Wunsch. "Na, das hat doch prima geklappt! Noch mehr offene Augen sind hilfreich, mein Freund. Friede auf Erden!" ~*@*~ Inspize Pyrophya gab nicht auf, auch wenn sie langsam die Strecke spürte. Innerhalb eines Areals existierten wenig Portale, durch die sie zeitsparend schlüpfen konnte, sodass Lauferei angesagt war, aber Leporidae hatte sich, mangels KOK-Offize in Sichtweite, als Begleitung und ortskundig angedient. IHN störte stupides Abhoppeln von Wegmarken gar nicht. "Letzte Station Überland-Flug." Verkündete Leporidae aufgeräumt. Die vierte Himmelsrichtung MUSSTE einfach den Erfolg bringen, sonst steckten sie in der Klemme, wobei er sich großzügig einschloss, denn immerhin durfte er so doch noch Teil dieser abenteuerlichen Fast-Revolution sein! Inspize Pyrophya spähte auf eine kleine Tafel. Sie verkündete An- und Abflugzeiten. Unweit der Tafel mit den eingestanzten Zeiten hockte eine sehr alte Daimonin in einem Feldstuhl, strickte einen Schlauch, in den grellen Farben eines Warnbandes. "Sicherheit geht vor." Erklärte sie Leporidae, der sich neugierig genähert hatte. "Sind das Gurte?" Er war noch nie geflogen, zumindest nicht höher, als man stolpern und unsanft landen konnte. "Goldrichtig, Meister Lampe! Ah, und du, Herzchen? Ich fürchte, du wirst reservieren müssen, der nächste Flug ist schon ziemlich ausgelastet." Was einen Korb unter dem Ballon betraf, den die gewaltige Harpyie durch die Luft dirigierte. Heiße Quellen erleichterten es Luftverkehrsunternehmen ungeheuer, ihre Dienstleistungen anzubieten. "Inspize Pyrophya." Sie präsentierte ihre Plakette. "Ich suche nach einem möglichen Passagier, der vor einiger Zeit hier angekommen sein könnte." Rasch entfaltete sie das Suchplakat. "Ah! Kann mich erinnern. Aber, Herzchen, die Farbe von diesem Fell, die war ganz anders." ~*@*~ 20.12.2020 Leporidae verfolgte ein wenig neidisch, wie sich Inspize Pyrophya durch das nächste Portal, zwei alte, verschlungene Bäume, davonmachte. Wenigstens wussten sie jetzt, wer gesucht wurde und auch, warum das nicht aufgefallen war. Ikols Zimmerwirtin, eine kugelrunde Seelöwendaimonin, hatte das letzte Puzzleteil geliefert. Dass ihr Mieter gern Menschen sortieren wollte, respektive deren Problemchen, war ihr nicht entgangen, aber er verhielt sich ansonsten manierlich. Reden konnte der ruhig, sie hörte bloß nicht zu, so kam man gut miteinander aus. Vielmehr jedoch freute sie sich über die neue "Farbstrecke"! Weil, vor kurzem, da hatte Ikol nicht mehr dieses ein wenig ordinäre Türkis im Fell, sondern ganze, wechselnde Koloraturen! SO WAS würde sie sich auch leisten, aber hallo! Immerhin pflegte sie einen Ruf als Trendsetterin und hing den Seelöwinnenbart immer hart in die Strömung! ~*@*~ Leporidae schlenderte zum Marktplatz zurück. Noch immer kein KOK-Offize in Sichtweite! Dezent frustriert hoppelte er zum Aeroflott-Stützpunkt, ließ sich vor der Tür nieder, entfaltete ein Tuch, deponierte den Proviant zu einem Picknick. Er lud den Aeroflott-Kolibri ein, der ihm bei der Anfrage wegen der Gedächtnisverlust-Methoden geholfen hatte. "Ah, KOK-Offize?" Zwitscherte der hilfsbereit, pickte manierlich Krumen auf. "Ich glaub, der ist auf Urlaub für ein paar Tage. Du brauchst einen neuen Job?" Leporidae nickte, Schnurrhaare und Löffel auf Halbmast. "Ich hab bloß keine Idee, was ich tun könnte! Aber nenn mich altmodisch, konservativ oder verkopft: ich will nun mal mein Gemüse selbst verdienen." Der Kolibri sah von derartigen Einladungen selbstverständlich ab. "Was ist das da übrigens?" Erkundigte sich Leporidae nach einer Runde gemeinschaftlichen Kauens/Pickens/Mümmelns. "Unser neuer Service: Inserate von Dienstleistungsunternehmen. Man kann uns eine Kurzmitteilung schicken, wenn man eine Dienstleistung benötigt, aber nicht weiß, wer sie anbieten könnte. Wir vermitteln eine Kontaktaufnahme. Sehr moderate Preise!" Erläuterte der Kolibri begeistert. "Oh, na, stimmt, wenn man nicht alles am Ort hat." Reflektierte Leporidae nach einem Augenblick der Verblüffung, denn eigentlich wusste man doch genau, wer was tat. Außer, es fiel ein bisschen aus der Reihe, oder man lebte außerhalb. "Da sucht aber niemand eine Hilfe, oder?" Wagte er gleich einen Versuch. Der Kolibri schwirrte leicht. "Da nicht. Aber, ich weiß ja nicht... Du bist gut zu Pfoten, oder?" Leporidae richtete die Löffel lotrecht auf. "Yepp! Flott zu Pfoten, kann mich orientieren, gutes Gedächtnis für äußere Erscheinung!" Erwartungsvoll blickte er den Kolibri an. "Sag mal, wärst du interessiert, für uns Sendungen zu transportieren? Wir bekommen manchmal Anfragen für Lieferungen, die zu schwer oder groß für eine Rohrpost sind. Im Moment haben wir einen Mitarbeitenden, aber der ist ziemlich ausgelastet und würde das Revier sicher teilen." Leporidae strahlte aus den bernsteinfarbenen Augen. "He, dafür bin ich geeignet!" Man kam herum, ins Gespräch, war an der Luft, hatte Bewegung UND verdiente sich die eigenen Möhren! Euphorisch zuckten seine Schnurrhaare wie elektrisiert. "Wann kann ich anfangen?" ~*@*~ "Peace und Pies für jeden!" Grüßte Charlie, bremste scharf, katapultierte geübt ihr Longboard in den Handschuh. "Hallo, Charlie!" Laurent lächelte hinter der Maske, kam auf die Beine. "Bin ich früh, oder ist Mammut spät dran?" "Wir sind ein bisschen zu früh." Urteilte Laurent nach einem Blick auf seine Armbanduhr. "Was'n das für'n Viech?" Inspizerte Charlie unterdessen ungeniert sein Tablet. "Ach, das ist nur eine Skizze, so ein Spielzeug. Es hat wohl einen Defekt, kann angeblich sensible Kinder beeinflussen." Charlie grunzte. "Ernsthaft? Albträume oder eher Hausmüll?" Schlug sie zwei Optionen zum möglichen Einfluss vor. Laurent kicherte leise hinter seiner Maske. "Nun, mein Fall ist es auch nicht, aber mein Nachbar hat mir davon erzählt. Vielleicht ist es so ein Spielzeug mit zusätzlichen Funktionen? Wenn ich so ein Exemplar sehe, soll ich Bescheid geben." Das Tablet zurückgebend schüttelte Charlie vernichtend den Kopf. "Wahrscheinlich so ne Schrott-China-Kopie von irgendeinem hässlichen Original. So'n Füttermich-Ding oder so. Mit eingebauten Wackelkontakten und detonierendem Akku. Wer kauft bloß so'n Scheiß?!" Sie jedenfalls würde keinen müden Cent für so einen Stuss ausgeben. Laurent verstaute sein Tablet in seinem Rucksack. "Das weiß ich auch nicht." Überrascht registrierte er, dass Charlie ihr Longboard an ihrem Rucksack befestigte. "Willst du lieber hier warten?" Charlie bugsierte ihre Skibrille auf ihre Strickmütze, widmete ihm einen sehr strengen Blick. "Wir ziehen dem Mammut schon entgegen, aber, Kumpel, du siehst aus wie'n Schluck Wasser in der Kurve. Nich die richtige Verfassung, um auf nem Longboard zu gleiten." Laurent steckte diesen Volltreffer mit Fassung ein, hängte sein Longboard ebenfalls an seinem Rucksack ein. "Erwischt, wie? Ich konnte nicht gut schlafen, deshalb..." "Du bist klapprig, seh ich von hier. Hast du dich wieder mit so nem ekligen Shake vergiftet?" Seufzend gab Laurent klein bei. "Ich konnte nichts runterbringen." In gemächlichem Tempo zuckelte Charlie los, immer nach ihm Ausschau haltend, ob er auch brav an ihren Hacken klebte. "Blöd, dass ich kein anständiges Futter bei mir habe! Wir müssen wohl mal herausfinden, was dich nicht zum Speien bringt und trotzdem die Futterluke passieren kann!" Bemerkte sie mit grimmiger Entschlossenheit. Aufgeheitert lachte Laurent leise. "Eigentlich sollte ich das wohl selbst bewältigen, nicht wahr?" Ihn traf ein kritischer Blick, begleitet von in die schmalen Hüften gestemmten Fäusten. "Du willst doch nicht ausgedehnte Fressalien-Testreihen im Rudel ablehnen, oder?" Prustend schüttelte Laurent eilig den Kopf, ließ sich sogar an eine kleine, aber energische Hand nehmen. Er fühlte sich wackliger, als er sich eingestehen wollte, war aber sehr froh, Charlie bei sich zu wissen. Sie würde es ihm auch nicht ankreiden, wenn er darum bat, sich ein Weilchen setzen zu dürfen! ~*@*~ Inspize Pyrophya dachte angestrengt nach, während sie flott ausschritt. Keine der üblichen Methoden konnte auf die Schnelle irgendwen hier aufspüren, sie konnte auch nicht auf die gewohnten Varianten zurückgreifen, um "Begegnungen" in Vergessenheit geraten zu lassen. Sehr ärgerlich! Außerdem hatte sie, zu ihrem Leidwesen, die Zentrale in der Metropole informieren müssen, dass sie Kontakt mit BlueMax hatte. Der war keineswegs unbekannt, sondern in einschlägigen Kreisen recht berühmt. BlueMax konnte auch kaum das Gedächtnis um verräterische Erkenntnisse reduziert werden. Inspize Pyrophya hegte eine unterschwellige Abneigung dagegen, auf Lösungen durch andere warten zu sollen. Sie wollte selbst das Heft des Handelns in den eigenen Händen halten! Allerdings hatte sich diese ganze Episode mit der Qualität einer Lawine in eine viel größere Angelegenheit verwandelt. Deshalb hieß es im Moment leider nur, Schadensbegrenzung zu betreiben! Eilig marschierte sie auf das schachtelartige Mehrfamilienhaus zu. Auf ihrem Weg kam ihr jemand entgegen, kaum kenntlich hinter Mundschutz, Kapuze und Schal. "Halt Abstand, du kleine Hure!" Grunzte es ihr im Vorbeigehen ans Gehör. Inspize Pyrophya zählte stumm bis Zehn. Nur ein debiler, menschlicher, mentaler Einzeller mit Minderwertigkeitskomplex und miserabler Kinderstube. Aber sie hatte sich lange zurückgehalten, registrierte eine erhebliche Frustration und fand praktische Lektionen sehr nützlich, deshalb zischte sie durch die Zähne. Etwa zwanzig Meter entfernt sengte der eingeklebte Akku des Mobiltelefons rasch ein merkliches Loch in die rechte Gesäßtasche. Man kreischte, entblößte sich komplett, die schwelende Hose auf die Knöchel befördernd. Inspize Pyrophya lächelte bissig mit allzu chromgrünen Augen. In ihren Fingerspitzen kitzelte es beinahe unwiderstehlich. »Nur eine kleine Lehrstunde in Sachen Manieren und Demut.« Konstatierte sie, zum Haus vom Gehweg abbiegend, sich nicht nach dem lokalen Feuer umsehend, das genüsslich Stoff verzehrte und mit jedem eisigen Windstoß aufloderte. Möglicherweise verhinderte ein wenig Erkenntnis, dass der Idiot die Evolution noch stärker ausbremste? ~*@*~ Charlie bugsierte Laurent entschieden auf einen kleinen, verlassenen Spielplatz zwischen Mehrfamilienhäusern. Dort konnte man sich auch auf Sitzbänken niederlassen. "Ich schick Mammut grad ne Nachricht, wo er uns aufstöbern kann." Erläuterte sie, Buchstaben in ihr Mobiltelefon nagelnd, dabei dezent weitere Informationen unterschlagend, die Laurent nicht unbedingt zu erfahren brauchte. [Sind hier. Bring Futter mit. Laurent klapprig.] "Schlecht geschlafen wegen dieser Vorladungsgeschichte?" Erkundigte sich Charlie, Laurents spitze Züge gar nicht goutierend. Der winkte ab, die Maske unters Kinn ziehend, um leichter atmen zu können. "Ah, das ist Kanzlei-Pingpong, wie meine Mutter immer sagt. Hin und her, eine Eingabe, eine Gegenrede, das verzögert natürlich die Verhandlung. Aber einfach reisen geht auch schlecht, jetzt wird darauf abgezielt, eine Videoübertragung vorzuschlagen. Allerdings entsprechend gesichert, was gar nicht so simpel ist." Laurent grimassierte matt. "Ich habe auch von Mammut erzählt, damit-damit es nicht von der Gegenpartei wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert werden kann." Nervös rieb er sich die kalten Hände. Charlie beäugte ihn aufmerksam. "Die haben dir doch bestätigt, dass es kein Problem is, oder?" Müde zuckte Laurent mit den Schultern. "Von der juristischen Seite aus nicht. Aber es könnte Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit aufwerfen. Meine Mutter war nicht gerade euphorisch." "Ah, nein? Sie kennt Mammut doch gar nicht, oder?" Charlie fingerte aus ihrem Rucksack mit finsterem Blick eine recht zerdrückte Packung saurer Drops. "Da, Schnabel auf, kauen!" Wies sie streng an. Laurent gehorchte ohne Diskussion. "Danke schön. Uh, sauer! Stimmt, sie kennt Mammut gar nicht persönlich, allerdings ging es eher generell um Beziehungen, weil ich ja diese Stimmungsschwankungen nicht mehr medikamentös abfangen kann." Murmelte Laurent gedämpft. "Sieht dein Vater das genauso?" Charlie blieb am Thema dran, nicht, weil sie Laurent piesacken oder aushorchen wollte, sondern um die verdächtig lange Wartezeit zu überbrücken, die Mammut in Anspruch nehmen musste, um ihren Auftrag zu erfüllen. Selbstverständlich auch, damit Laurent ein wenig Druck ablassen konnte. Unangenehme, belastende Angelegenheiten zu formulieren, das half, ihnen den abgrundtiefen Schrecken zu nehmen. "Mein Vater hat keine großen Bedenken, glaube ich, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass Mammut gekocht hatte." Zwinkerte Laurent hoch, mit einem Hauch mehr Farbe auf den Wangen. "Wir konnten uns auch aussprechen. Dass ich es nicht allein schaffe, was nicht daran liegt, dass er mich nicht ausreichend unterstützt, oder dass ich doch besser bei meiner Mutter leben sollte." Laurent tastete nach einem Papiertaschentuch, um sich die Mundwinkel abzutupfen. Diese sauren Drops zogen einem ja die Löcher in den Strümpfen zusammen! Charlie schnaubte mitfühlend. "Wie man's dreht, is es ne beschissene Entscheidung, klare Sache!" Bedächtig nickend zerdrückte Laurent das Zellstofftuch in seinen klammen Händen. "Die Trennung war ja vorher schon abzusehen, aber es wirkt jetzt eben anders, so, als wäre diese Sache die Ursache, und mein Vater würde Fersengeld geben, statt vor Ort die Stellung zu halten." Unwillkürlich zog Laurent die Schultern höher. "Das ist nicht wahr und darüber hinaus auch unfair. Zudem dreht es mir immer noch den Magen um, wenn ich mir vorstelle, ich müsste zurück." Er atmete tief durch, mehrmals. "Ich habe weder meine Oma noch meine Großeltern seit damals getroffen. Wenn wir telefonieren, dann vermeiden wir großräumig jeden Bezug. Ich weiß, dass ich sie damit verletze, sie nicht mehr zu besuchen." Laurent räusperte sich angestrengt. "Mir stellen sich immer noch die Haare auf, wenn ich bloß Bilder von Hamburg sehe." Charlie beugte sich vor, drückte mit beiden Händen seine verspannten Schultern, funkelte ihn kriegerisch an. "Kein Grund, sich runterzuputzen, Kumpel! Wenn Hulk hier wäre, würde der dir sagen, dass deine Zeit noch nicht angebrochen ist. 'N gutes Gespür fürs richtige Timing erspart einem oft die Nominierung bei den Darwin-Awards. Um es mal weniger diplomatisch mit Dirty Harry auszudrücken: alle haben ne Meinung und n Hinterausgang. Is jedoch keine Begründung, sich das zu eigen zu machen! Ich persönlich entscheide immer, ob ne Meinung von wem kommt, der halbwegs geradeaus denken kann. Das sortiert schon mal ne Menge weg." Ließ sie Laurent wissen. Der musste, auch wenn ihm noch immer unbehaglich flau war, lächeln. "Ich bin schockiert, Charlie. Was weißt du denn über Dirty Harry?" Soweit ihm bekannt war, galt die Filmreihe um den Polizisten Harry Callahan nicht gerade als empfehlenswert in Bezug auf Kinder- und Jugendschutz. Charlie verschränkte prompt die dünnen Arme vor der Brust. "Ich?! Nix! Ganz bestimmt hab ich nich zufällig n paar alte VHS-Kassetten gefunden. Überhaupt, Jackie Chan is schon noch ne Ecke sympathischer. Komische Sache übrigens, die FSK-Aufdrucke, die vergilben total fix." Laurent prustete unterdrückt. Er hatte beiläufig erfahren, dass Charlie mal einen alten Videokassetten-Rekorder aufgestöbert hatte, nach Magnetbändern suchte, wobei der erwähnte Hulk gern half. Nur häufig wusste man gar nicht, was auf so Bändern aufgezeichnet war (wenn es sich noch abspielen ließ). Mangels Flohmarktveranstaltungen musste diese Unternehmung jedoch schon eine geraume Weile auf Eis gelegt werden. Das rief Laurent ein Gesprächsthema mit seinem Vater in Erinnerung. "Ah, wusstest du, dass es tatsächlich eine Romanserie zu einer Scheibenwelt gibt?" Charlie lupfte kritisch eine Augenbraue in ihre Wollmütze. "Is die so grenzdebil wie der Verschwörungsmurks von diesen Eidechsen-Fanatikern?" Energisch schüttelte Laurent den Kopf und ächzte darob unterdrückt. "Gar nicht, absolut nicht! Mein Vater hat mir erzählt, dass er bei seinen Eltern noch eine ganze Kiste mit den Büchern hat. Da ist die Scheibenwelt quasi ein Paralleluniversum zu unserer Welt, was es ermöglicht, mit viel schwarzem Humor kritische Themen anzusprechen. Er hat damit sein Englisch sehr verbessert und jeden Band mehrfach verschlungen. Ich sollte es auch lesen, aber wir können wohl kaum eine Kiste Bücher hierher schicken lassen." Denn diese lagerten ja bei den Großeltern in Hamburg. Er seufzte, lehnte sich auf der Bank zurück, kämpfte gegen einen leichten Schwindel an, außerdem fror ihn doch merklich. "...Charlie..." Charlie, die gerade grimmig um sich spähte, auf Mammuts baldiges Erscheinen hoffte, merkte alarmiert auf. Laurent blinzelte heftig, schnappte nach Luft. "Charlie, da oben, dieses komische Spielzeug! Oh, mir wird ganz schummerig..." Sofort schoss Charlie vor, lehnte Laurent energisch an ihre Front. "Keine Panik!" Wählte sie unbewusst eine sehr gute Empfehlung eines Galaxie-weiten Reiseführers. "Schön langsam atmen, Kumpel, rein und raus. Alles okay, kann gar nichts passieren. Ich bin hier, ich pass auf dich auf." Nicht nur das: Charlie verfügte über eine fixe Auffassungsgabe. Hypnotisierender Spielzeugschrott?! Sie lupfte ihr Mobiltelefon, dem Gebäude, auf das Laurent geblickt hatte, den Rücken zukehrend. Kamerafunktion, anheben, AHA! "Spielzeug, von wegen!" Stellte sie erzürnt fest, rieb mit der freien Hand über Laurents verspannten Rücken. "Das kriegen wir hin, Laurent, und wenn ich persönlich den Stecker ziehen muss!" ~*@*~ Dirk ließ Inspize Pyrophya in sein Einzimmerappartement ein, obwohl er höchst selten Besuch empfing und gar nicht dafür ausgerüstet war, denn Dekoratives fehlte. Die Ermittlerin wirkte auf ihn geradezu entflammt für ihren nächsten Schritt in der Operation "Beschallung verhindern". "Ich weiß jetzt, nach wem wir suchen müssen!" Sprudelte sie heraus. "Aha? Schön, und wo finden wir wen auch immer?" Wies Dirk den Weg zum Klappstuhl, den er neben seinen Arbeitstisch gestellt hatte. "Das ist die Schwierigkeit!" Bevor Inspize Pyrophya die Details offenbaren konnte, lärmte Dirks Mobiltelefon, eine Nachricht ankündigend. Der Absender war ihm unbekannt. Nichtsdestotrotz trällerte BlueMax aus George Bizets Carmen den Marsch der Toreros. ~*@*~ 21.12.2020 Mammut bog zwischen den Häuserblocks ein, den Parka offen, die Maske unterm Kinn. Er hatte ordentlich Tempo gemacht, denn Charlie pflegte ihm üblicherweise nicht derartige Orders zukommen zu lassen. Ihm schwante ja schon, dass Laurent trotz der Versicherung, es würde alles ins Lot kommen, dazu neigte, es schwer zu nehmen, ohne dafür über nennenswerte Substanz zu verfügen, von der er zehren konnte. Charlie, die er mühelos ausmachen konnte, winkte ihm zu. Eilig preschte er mit gewaltigen Schritten zum verlassenen Spielplatz, bereits seinen Rucksack vom breiten Kreuz ziehend. "Perfekt, Mammut! Kurzer Hinweis: nicht zum zweiten Stock hoch schielen, klar? Ich muss mich um was kümmern, vorne n paar Leute abfangen. Sorg du dafür, dass Laurent uns nicht wegsackt, okay?" Ohne eine Zustimmung abzuwarten schob Charlie Laurent behutsam von sich, raffte ihren Rucksack samt Longboard auf. Mammut, der zwar Fragen hatte, aber sich auf Antworten konzentrierte angesichts Laurents käsigem Gesichtsausdruck, brummte nur sonor. "Geht klar." Laurent schenkte ihm ein zittriges Lächeln, konnte jedoch das unkontrollierte Beben, Vorbote eines Schwächeanfalls, nicht kaschieren. "Ich bin da." Stellte Mammut aufmunternd fest, ließ sich nieder, zog Laurent zwischen die aufgeschlagenen Partien seines Parkas. Das dünne Hemd darunter bremste seine hohe Körpertemperatur nur unmerklich. Während er mit einem muskulösen Arm Laurent umfing, angelte der andere in seinem Rucksack nach Proviant, fischte einen Fertigriegel mit Haferkleie und Erdnussbutter ab. Rasch pellte er den Inhalt aus der Verpackung, schob ihn Laurent zwischen die Lippen. Der hatte sich an ihn geschmiegt, unbequem verdreht in der Sitzhaltung, die Lider gesenkt und rang allzu schnelle Atemzüge nieder. "Alles kommt in Ordnung." Versicherte Mammut im Bass, streichelte großflächig über Laurents Rückenpartie, fütterte ihn geduldig. "Entschuldige bitte..." Mammut zupfte Laurents Mütze ein wenig höher, um dessen Stirn küssen zu können. "Kein Anlass, sich zu entschuldigen." Betonte er sanft, tupfte mit einem Stofftaschentuch feuchte Spuren aus Laurents Augenwinkel. Was für ein Glück, dass Charlie dabei gewesen und schnell geschaltet hatte! Nachdem der Riegel vernichtet worden war, legte er eine Banane frei. Laurent blinzelte zu ihm hoch, immer noch bleich, aber ohne gefährlich flatternde Lider. "Ich glaube, die kann ich selbst halten." Bemerkte er mit leisem Spott. "Guter Vorschlag." Kehrte Mammut heraus, nutzte die Gelegenheit, sich Laurent auf die Oberschenkel zu heben. So konnte er ihn auch von was auch immer im zweiten Stock weg dirigieren. Während Laurent gemächlich die Banane vertilgte, entlastete er seinen Rucksack um einen Tetrapack Hafermilch mit Schokolade. "Oje, du musstest so viel einkaufen!" Bedauerte Laurent sichtlich beschämt, entkam jedoch der Aufgabe nicht, der Banane diese nahrhafte Flüssigkeit folgen zu lassen. Mammut studierte konzentriert die feingeschnittenen Züge. Die unmittelbare Schwäche schien in die Schranken verwiesen, doch mangelnden Schlaf konnte man nicht einfach subtrahieren. "Geht es dir schon etwas besser?" Erkundigte er sich sonor. Mit einem verlegenen Lächeln nickte Laurent. "Ich konnte nichts essen. Plötzlich wurde mir dann doch flau und kalt..." "Ist etwas passiert?" Ungewohnt undiplomatisch hielt Mammut auf sein Ziel zu. Er konnte nur hoffen, dass sich Laurent nicht SEINETWEGEN um Schlaf und Gesundheit brachte! Der lehnte sich, den Tetrapack zuschraubend, an seine breite Brust, seufzte leise. "Nein, also, nur wie immer in meinem Kopf ein Chaos, leider. Meine Gedanken schwirren umher und machen sich selbständig." Mammut rieb ihm sanft mit einer großen Hand über den Rücken. "Möchtest du mir davon erzählen?" Laurent seufzte, hob eine elegante Hand, streichelte Mammut sanft über die Wange. Dessen Brillengläser beschlugen schon wieder, aber es schien ihn nicht zu behindern. "Charlie hat mir schon die Ohren langgezogen, weißt du? Dass ich mich nicht auf die Meinungen von Leuten konzentrieren soll, die für mich kein Gewicht haben dürften." Mammut äußerte wohlmoduliert Skepsis. "Ich bin überrascht, so diplomatische Ratschläge von Charlie zu hören." Was Laurent zum Lachen brachte. "Tatsächlich war sie deutlich direkter. Mir ging zu viel im Kopf herum, die Vorladung, Hamburg, meine Mutter..." Er schob seine Hand wieder unter Mammuts Parka, denn dort war es so herrlich warm! Er betrachtete trotz Dunstschleier auf den Gläsern die Augen mit dem warmherzigen, großzügigen Ausdruck. "Ich habe ihr gesagt, dass ich mit dir zusammen bin. Sie war nicht gerade erfreut, dass ich trotz meiner Stimmungsschwankungen eine Beziehung eingegangen bin." Sich ankuschelnd stellte er eilig richtig. "Bitte nimm das nicht persönlich, Mammut, denn sie kennt dich nicht und hat es auch nicht so gemeint. Nur mein emotionales Urteilsvermögen bereitet ihr Sorgen, verstehst du? Ich muss zugeben, dass ich dich auch in eine schwierige Lage gebracht habe." Mammut erstickte den Rest dieser für ihn absolut unzutreffenden Aussage mit einem zärtlichen Kuss auf Laurents kalte Lippen, studierte anschließend ruhig die tiefschwarzen Augen. "Vielleicht hätte ich das früher klar aussprechen müssen: du bist nicht für mich und meine Entscheidungen verantwortlich." Bevor Laurent ihn korrigieren konnte, schloss Mammut seine Arme ein wenig enger um ihn. "Mir ist bewusst, dass du dich häufig für eine Belastung hältst. Das stimmt nicht. Du bist weder mir noch Charlie eine Zumutung, Laurent. Wir kennen dich nicht von früher, stimmt. Aber wir wissen, dass du jeden Tag daran erinnert wirst, dass es nie mehr wie vorher sein wird. Dass du um Zuversicht und Mut kämpfen musst, gegen die Erinnerungen und die Narben. Es wäre vermutlich leichter, wenn es eine offenkundige Verletzung wäre, dann könnten alle sehen, was du leistest, aber deine Wunden sieht man nicht, obwohl es dich genauso unerbittlich und hart getroffen hat." Sanft tupfte er mit seinem Taschentuch Tränen aus Laurents Augenwinkeln. "Charlie und ich, wir nehmen dich so an, wie du jetzt bist. Du hast uns vertraut und erzählt, was dir angetan worden ist. Für uns ist es in Ordnung, wenn du mal erschöpft bist, eine Auszeit brauchst, wütend bist oder traurig. Das ist keine Zumutung, Laurent. Wir verlangen kein 'zurück zur Normalität'. DAS ist für uns 'normal'. Wir sind deine Freunde und wir vertrauen dir. Vor uns musst du keine Angst haben oder eine tapfere Miene aufsetzen, wenn dir ganz anders zumute ist." Mammut wandte sich kurz ab, um aus seinem Rucksack Marzipan-Pralinen zu extrahieren. Die erste drückte er Laurent in die Hand. "So, Nachschub an Nervennahrung, denn ich bin noch nicht fertig mit meinem Monolog." Verkündete er mit seiner sonoren Bassstimme. "Ich möchte auch nicht, dass du glaubst, dir Vorwürfe machen zu dürfen. Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war schon immer speziell, Laurent. Ich bin damit aufgewachsen, für meine Umwelt eine Zumutung zu sein, zu groß, zu schwer, zu breit, immer ZU VIEL beanspruchend, was in der Folge andere grundsätzlich benachteiligt." Laurent schob ihm die zweite Praline in den Mund, sodass er rasch kauen musste. Die Ladung schluckend nickte er ernst zum Dank für die Fütterung. "Also habe ich mich selbst lange als Blender und Betrüger gefühlt, das Bedürfnis gehabt, mich für meine bloße Existenz entschuldigen zu müssen, für den Umstand, dass die übergroße Verpackung nicht zum Inhalt passt, dass ich nicht besonders nützlich oder stark oder mutig bin, sondern ein schüchternes Mäuschen, das sich zur Krankengymnastik schleicht." Er hob die Rechte, um über Laurents Wange zu streichen. "Erst als ich dir und Charlie begegnet bin, habe ich aufgehört, kritiklos die Fremdwahrnehmung als eigene anzunehmen, mich nicht mehr feige dahinter versteckt, was ich mit meiner Übergröße allen anderen zumute. Ich bin damit aufgewachsen, mich anzupassen, zu fügen, kleinzumachen, wegzuducken. Ganz schön lächerlich, denn ich steche nun mal hervor. Ich will mich nicht mehr verkriechen, sondern wenigstens eine kleine Ecke meines äußeren Formats auch mit Charakter ausfüllen." Mammut beugte sich leicht vor, um sanft die Stirn an Laurents Wollmützenrand zu lehnen. "Ich hätte nie erwartet, dass es jemanden wie dich gibt, der mich schätzt, so, wie ich bin, außen übergroß und innen noch arg kümmerlich, mit eingebauter Kleine Eiszeit-Heizung und kratzigem Fellbesatz. Ein Mensch, der mich meinen feigen Egoismus überwinden lässt, mir einen Grund gibt, endlich aufzustehen, zu kämpfen." Verlegen lächelte er in die tiefschwarzen Augen. "Ich habe keine Ahnung von Liebe, denn das wird von meiner Familie nicht sonderlich geschätzt. Aber ich mag dich sehr, Laurent, und ich werde mich nicht davon abhalten lassen, mit dir so viel Zeit wie möglich zu verbringen." ~*@*~ "Was geht hier vor?" Inspize Pyrophya schritt flott neben Dirk aus, der sich in seine gewohnte Verschalung geworfen hatte. Aus dem Haus ging er nur ausgerüstet, vor allem, wenn er nicht wusste, WEN er treffen würde. "DAS würde ich auch gern wissen!" Brummte er, schnaubte gegen beschlagene Brillengläser an. Den Absender der Nachricht kannte er nicht, auch die Nummer des Mobiltelefons sagte ihm gar nichts. Aber die Person wusste um ihre Suche nach dem zweiten verdrehten Fellknäuel, hatte es offensichtlich gestellt und verlangte sofortiges Anrücken! Was man bei einem simplen, wenn auch nicht sonderlich attraktiven Spielzeug nicht erwarten sollte. Ausgenommen, die getarnte Mundharmonika konnte auch als Blitzwerfer/elektrischer Terminator/Mini-Atombombe fungieren. Inspize Pyrophya, im Vorteil, da sie trotz ihrer allzu chromgrünen Augen keine tarnende Brille aufgesetzt hatte, entdeckte das Kind zuerst. "Sind wir hier richtig?" "Goldrichtig!" Trällerte BlueMax aufgekratzt, der sich ungeniert in Dirks Mobiltelefon eingenistet hatte, zumindest virtuell. Inspize Pyrophya hielt auf die schmale Gestalt mit Longboard und Rucksack zu, erstaunt über die Skibrille. Doch Charlie hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, was sie kleidete. "Hallo. Sind Sie der Nachbar von Laurent?" Kritisch beäugte sie Dirk, das Longboard so haltend, dass der sich fragte, ob eine negative Auskunft ihm eine Breitseite verschaffen würde. "Äh, ja?" Wenn er sich halbwegs korrekt an den Vornamen des Jugendlichen erinnerte. "Ich bin Charlie. Laurent geht's gerade nicht so blendend, weil das angebliche SPIELZEUG n fiesen Trick drauf hat!" Schoss Charlie grimmig aufs Ziel los. "Oh, äh, das...hoffentlich kein Kurzschluss?" Suchte Dirk hastig nach irgendeiner harmlosen Notlüge. Charlie schnaubte, beäugte dann Inspize Pyrophya, die sie musterte. "Sind Sie die Frau mit dem Suchplakat? Was soll die alberne Story mit dem Spielzeug?!" Bevor Inspize Pyrophya antworten konnte, die unter anderen Umständen durchaus gewillt gewesen wäre, Charlie anzuwerben, mischte BlueMax mit. "Hallihallo, ich bin BlueMax! Was genau ist denn passiert?" Die Augen verdrehend extrahierte Dirk seufzend mit klammen Fingern sein Mobiltelefon. BlueMax grinste als Avatar gemeingefährlich gutgelaunt vom Display. "Das is jetz aber nich so'n Assistenz-Klon von den Keksdosen-Quasselstrippen, oder?" Charlie beäugte prüfend die Aussicht, hielt ausreichend Abstand. "Genau genommen bin ich eine echte Künstliche Intelligenz, Charlie. Spielzeug war eher eine Umschreibung zur Vereinfachung." Dirk warf einen hilflosen Blick auf Inspize Pyrophya. BlueMax ließ doch wahrhaftig die Katze, nein, eher das Fellknäuel unzensiert aus dem Sack! "Is das so ne Qualzüchtung, oder wie?" Übertriebene Tierliebe machte Charlie sich nicht zu eigen, aber sie mochte es auch nicht, wenn man aus gedankenloser Dummheit andere Lebewesen durch menschlichen Umgang degenerierte. Umgekehrt klappte das nämlich recht selten, was ihr als unfair erschien. Inspize Pyrophya schickte sich ins Unvermeidliche, immerhin handelte es sich um ein menschliches Kind, denen man häufig nicht Glauben oder Gehör schenkte. "Nein, es handelt sich um ein Wesen aus meiner Welt, das hier eingedrungen ist. Es könnte die 'Tricks' dazu benutzen, einen Menschen zu beeinflussen. Wenn das gelingt, könnte es erhebliche Auswirkungen auf eure Welt haben, was wir gemeinsam vermeiden wollen." Charlie studierte das Panorama. Zu heiß gebadet, irgendwas geraucht, Alu-Hut verrutscht, auf einem Trip... "Soll das heißen, da oben hat sich ein Alien-Viech weggeduckt, als ich es ins Visier genommen habe?!" "Präzise!" Bestätigte BlueMax heiter. Charlie schnaubte unwillig. Andererseits kannte sie kein Spielzeug oder Tier, das sich SO verhielt. Abgesehen von der Optik und dem dubiosen Trick. "Sagen wir mal, rein hypothetisch, ich glaube diese Alien-Geschichte: was soll das Vieh denn exakt auslösen? Außer spontaner Übelkeit, meine ich." BlueMax gluckste amüsiert, denn er hatte ein Verständnis für Ironie und Sarkasmus entwickelt. Dirk wechselte einen gequälten Blick mit Inspize Pyrophya. "Wir vermuten, dass es einen Menschen dazu bringt, ein präpariertes Musikinstrument zu spielen. Über diese Sprachassistenzsysteme, die ihr hier überall habt, verbreitet sich die akustische Botschaft. In der Folge könnten alle Menschen beeinträchtigt werden." Was bei Charlie auf Skepsis traf. "Na klar, und morgen Abend versuchen sie wie jeden Abend die Weltherrschaft an sich zu reißen, oder wie? Abgesehen davon, dass es ein Plagiat ist, Pinky und der Brain sind extrem OLD-SCHOOL, haben gar nicht alle die blöden Kästen herumstehen." "Valider Einwand!" Sprang ihr unerwartet BlueMax bei. "Funktioniert allerdings auch über Mobiltelefone und andere verbundene Geräte, die einen Lautsprecher haben." Dirk goss ordentlich Wasser in den Wein. "Allerdings hege ich doch Zweifel, dass so viele Geräte tatsächlich vernetzt sind, das muss ich schon sagen." Charlie kümmerte sich weniger um die technischen Details. "Okay, langsam glaube ich das mit den Aliens. Nur ein Alien würde annehmen, es könne den Schrott übertreffen, den sich hier alle freiwillig in die Lauscher blasen!" Von wegen, über Geschmack lässt sich nicht streiten! Inspize Pyrophya schmunzelte. "Wie schon gesagt, sie sind hier fremd und wissen über Menschen nicht sonderlich viel. WIR haben allerdings keine Vorstellung, was die Mundharmonika bewirken kann, deshalb wollen wir es lieber nicht ohne Not ausprobieren." Ungeschönt ächzte Charlie vernichtend. "Ach du Sch-ande, n Schnauzenhobel?! Das ist ja fast so grässlich wie diese ätzenden Panflöten!" BlueMax, der gern auch einen Beitrag mit Gänsehautfaktor liefern wollte, setzte noch einen drauf. "Und kein Vergleich zu der leider lädierten Posaune!" Doch damit konnte er bei Charlie nicht punkten. "Is das jetz diese Bibel-Story? Alphörner würd ich ja gerade noch gelten lassen, Steinlawinen und Muren und so, aber n Blechbläser haut alles um?! Das klingt für mich verdächtig nach Klüngel, geklauten Armiereisen und ganz mieser Bausubstanz. Pfusch am Bau. Oder n Versuch, die Versicherung zu bescheißen." Außerdem verwunderlich, dass die Innung wegen Rufschädigung nicht eingeschritten war! Klar, Lobby für Fischerei, Zimmerei, dann noch Winzerei, die hatten die richtigen Stellen geschmiert! Inspize Pyrophya lachte frei heraus. Verflixt schade, dass Charlie auf der falschen Seite des Portals lebte! BlueMax hingegen nahm den Gegenwind sportlich. "Zweifel sind angebracht, das kann ich nicht negieren. Wir haben auch keine objektiven Zeugnisse. Vielleicht sollte man doch über einen kleinen Feldversuch...?" Dirk intervenierte entschieden, denn er wollte dieses ganze Chaos samt heimtückisch-verschwörender Revoluzzer-Invasion beenden. "Ich votiere gegen einen Versuch. Können wir nicht endlich dieses Fellknäuel einkassieren, auf die andere Seite befördern und die Revolution absagen?" Charlie repetierte unterdessen die jüngsten Erkenntnisse. Sie waren nicht zufriedenstellend. "Moment mal! Wenn der Alien bloß in den Schnauzenhobel pusten muss, wieso hat er's nicht längst getan?!" Inspize Pyrophya antwortete ihr. "Weil wir Menschen nicht schaden dürfen. Was nicht heißt, dass sie sich nicht selbst schaden dürfen." Charlie brummte. "Klingt für mich nach haarspalterischem Kleingedruckten!" Dirk ergänzte den sachdienlichen Hinweis des Erfinders, von dem er glücklicherweise nicht wusste, dass es sich um ein Einhorn handelte. "Außerdem braucht es Lippen. Ein Fransenbehang funktioniert nicht." Nach einem Augenblick Verblüffung kommentierte Charlie diese Einschränkung. "Na, das hört sich an, als hätte ein Pinky-Fan die Planung entworfen. Invasion mit ner akustischen Waffe, die man selbst nicht bedienen kann. N bisschen arg vertrauensselig." Um nicht zu sagen volltrottelig. Inspize Pyrophya unterließ tapfer einen Hinweis darauf, warum es keinen Mangel an erfolgreichen Bewerbungen für die Darwin-Awards gab. Irgendwer war IMMER blöd genug, den Roten Knopf zu drücken oder herausfinden zu wollen, was passierte, wenn man alle Warnungen in den Wind schlug. Das stellte eine UNBEDINGTE menschliche Konstante dar, systemimmanent. Erstaunlicher nahm es sich für sie (und viele andere auf der richtigen Seite der Dimensionen) aus, dass bis dato die Menschheit trotzdem noch existierte. "Wo finden wir ihn?" Charlie drehte sich leicht auf die Seite. "Zweiter Stock, nach hinten raus, das kleine Appartement. Pro Geschoss gibt es vier Wohnungen, zwei unterschiedliche Größen. Scheint ein Wohnzimmer zu sein, würde ich mal annehmen." Misstrauisch beäugte sie Inspize Pyrophya. "Wollen Sie da jetzt einbrechen?" Inspize Pyrophya spähte am Haus hoch. "Ich versuche es besser mal mit Sichtkontakt." Damit marschierte sie zum Spielplatz ums Haus herum. Charlie schloss sich an, wenig begeistert auch Dirk. Mammut blickte hoch, als sie sich näherten. "Das is ne längere Geschichte, Kumpel." Begegnete Charlie seinem prüfenden Blick. Laurent schenkte Charlie unterdessen ein wackliges Lächeln. "Oh, geht es um das Spielzeug? Hast du deshalb mein Telefon ausgeliehen?" Er bemerkte Dirk, grüßte eilig. Der antwortete leicht verlegen, denn mittlerweile wünschte er sich kilometerweit weg in sein Appartement oder einen friedlichen Serverraum. Inspize Pyrophya blickte hoch. "Uh, ich glaube, ich muss mich setzen!" Stellte Dirk fest, tastete blindlings nach der Sitzbank. Charlie rollte mit den Augen. "Hab doch gesagt, der hat irgendwelche dubiosen Tricks drauf!" Erinnerte sie ungeduldig, blockierte die Blickachse. "Können Sie vors Haus gehen und dort Schmiere stehen? Wir bilden hier nämlich gerade nen ziemlichen Auflauf. Ne Streife würde uns noch fehlen." Wacklig, sich auf seine Zehenspitzen konzentrierend, huschte Dirk eilig außer Sichtweite, während Charlie sich neben Inspize Pyrophya aufbaute. "Du scheinst unempfänglich für diese optischen Signale zu sein." Charlie grinste grimmig, zupfte ihre Maske zurecht. "Klappt nicht bei allen, die Hypnose-Masche. Allerdings entdecke ich auch nie diese bekloppten 3D-Muster-Einlagen." Am Fenster oben sah man zu ihnen herunter, tauchte dann ab. "Man kann nich so einfach einbrechen." Stellte Charlie entschieden fest. "Wir wissen nich, ob da nich jemand zu Hause is. Geiselnahme wäre übel." Auch wenn nach ihrer Abschätzung der haarige Alien gerade mal dreißig Zentimeter maß. Andererseits sollte man ein Buch nicht nach dem Einband beurteilen, richtig?! In diesem Moment polterte ihr Mobiltelefon. "Was zum Henker...?!" Charlie fischte es aus dem Rucksack, inspizierte es streng. Nach Mammuts Eintreffen hatte sie es ausgeschaltet und weggesteckt, weshalb es jetzt auch gefälligst deaktiviert zu sein hatte. "Nur ein Bewohner laut Einwohnermeldeamt, ein älterer Mann." BlueMax neigte zu besitzergreifendem Verhalten, wenn es sich anbot. Charlie fauchte aufgebracht. "He, niste dich nich einfach in meinem Telefon ein, ja?! Das is kein Streunerasyl!" Einen erschrockenen Avatar produzierend rechtfertigte sich BlueMax unbeeindruckt. "Nun, auf Inspize Pyrophyas Nettop kann ich aber nicht, weil die Grabbeltiere äußerst nervös sind. Wenn es um Fragen des Einbruchs geht, kann ich mit sachdienlichen Hinweisen behilflich sein." Was Charlie nicht bremste in ihrer Rage. "Es wird da auch niemand einbrechen, solange der Alien uns Ärger macht, klar?!" Am Ende war der Bewohner anwesend, ein älteres Semester, das sich dann vor Schreck tot auf den Teppich legte! "Sieh an." Stellte unterdessen Inspize Pyrophya fest. Charlie stopfte ihr Mobiltelefon grimmig in den Rucksack. Sollte diese aufdringliche KI doch mal schauen, ob sie ne Web-Cam kapern konnte! Im zweiten Stock wurde ein Flugblatt für einen Nordmann-Tannen-Lieferservice an die Scheibe gepresst, dezent geschmückt von Zeichen, die Charlie nicht entziffern konnte. "Is das ne Lösegeldforderung?" Inspize Pyrophya schüttelte leicht den Kopf. "Nein, eine Kapitulation. Wir sollen ihm bitte helfen." ~*@*~ 22.12.2020 "Das ist gefährlich." Mahnte Mammut, der unbehaglich den Inhalt von Charlies Rucksack in Verwahrung nahm. Charlie schnaubte. "Nicht, wenn ich aufpasse. Guck bloß nicht hoch, ja? Gilt auch für dich, Laurent." Sie wollte nicht riskieren, dass die beiden auch seekrank wurden wie Laurents Nachbar, der Schmiere stand, aber ziemlich angeschlagen wirkte. Entschlossen schob sich Charlie ihren geleerten Rucksack auf die schmalen Schultern, schloss die Gurte vorne. Mammut nutzte seine überlegenen 2,05m, um ihr in die entlaubte Buche zu helfen. Konzentriert hangelte und kletterte Charlie zum zweiten Stock. Wenn sie sich streckte, konnte sie das Fensterbrett erreichen. Hinter dem Fenster hockte das Fellknäuel, äugte sie mit riesigen, oszillierenden Augen an, während die Fellfarbe beständig wechselte. Charlie deutete auf zwei Bücher. Auf der anderen Seite erklomm man den literarischen Stapel, schaffte es schließlich, den Fensterriegel zu lösen. "Du hast dich ergeben, also versuch keine Tricks, verstanden? Sonst nimmst du die Abkürzung zum Pflaster!" Teilte Charlie streng mit. Im offenen Fenster balancierend nickte ihr Gegenüber hastig. "Ich gebe auf, mein Fräulein!" "Charlie, nicht Fräulein." Brummte Charlie, spähte in das Zimmer. Es roch recht abgestanden und wirkte etwas verwahrlost, was auch an den Bergen von Pfandflaschen liegen konnte, der vergilbten Tapete, den uralten Möbeln, den fadenscheinigen Vorhängen. "Angenehm. Ich heiße Koli." Charlie grimassierte, balancierte vorsichtig. "Wie die Bakterien? Oder is das auch so ne humorvolle Verdrehung als Referenz an diesen semi-erfolgreichen Halbgott-Bruder, der die Asen aufgemischt hat?" Koli lachte leise, was die Fellfarbe rhythmisch pulsieren ließ. "Ich fürchte, die zweite Option trifft zu. Mein Cousin ist auch Teilhaber dieser zweifelhaften Hommage. Du bist sehr gebildet, Charlie, Respekt." Schnaubend wies Charlie diese Vorstellung zurück. "Nee, ich hab bloß zu viele Comicverfilmungen ohne Aufsicht geglotzt. Hast du den Schnauzenhobel?" Koli reichte mit kleinen Pfoten den Kasten an, klappte diesen kurz auf, damit Charlie sich auch ob des Inhalts überzeugen konnte. "Das Klump steck ich besser mal weg. Wieso hast du den Senior eigentlich nich draufhusten lassen?" Die großen Augen rotierten in ihren Sockeln, was Charlie mit einem strengen Räuspern sofort ahndete. "Oh, Verzeihung! Tja, die Antwort lautet: TPT." "Sagt mir nix." Hakte Charlie nach. "Teil-Prothesen-Träger." Nun konnte sie sich eines Grinsens nicht erwehren. "Au Backe, da wäre das Gebiss geflogen, was? Nun, die Weltherrschaft müsst ihr vertagen. Überhaupt ist das ne ziemlich dämliche Idee. Hast du ne Vorstellung, wie ÄTZEND das sein würde, sich dauernd mit all den Problemen rumzuplagen?! Nur Beschwerden, Gemecker, uneingeladen Verbesserungsvorschläge, technische Pannen, unmotivierte Schergen..." Koli seufzte. "Das war nicht meine Idee. Ich dachte auch gar nicht, dass es funktioniert." Misstrauisch lupfte Charlie hinter ihrer Skibrille die Augenbrauen Richtung Wollmütze. "Wieso hast du dann mitgemacht?" Ein Aufflusen lief durch das ständig die Farbe wechselnde Fell. "Mir war einfach fad." Einige Atemzüge später schnaubte Charlie. "Na toll. Nenn mich voreingenommen, aber ich glaub, deine Leute werden jetz ne Zeitlang ne Beschäftigung für dich finden." Koli seufzte erneut. "Ich langweile mich einfach schnell. Das ist ja keine Absicht." Charlie grunzte knapp, wies dann auf ihren Rucksack. "Aufgemerkt! Du kletterst jetzt über meinen Arm in den Rucksack, verstanden? Nicht zappeln, nicht kotzen, vor allem nicht anquatschen, sonst gibt es nämlich zwei hässliche Flecken unten, weil wir schneller an Mutter Naturs Busen gelangen, als die technischen Spezifikationen vorsehen." Koli salutierte zackig, was jedoch im langen Fell fast unterging. "Zu Befehl!" Dann krabbelte er wirklich über Charlies Arm, rollte kopfüber in den Rucksack. "So, ab jetzt Sendepause!" Kündigte Charlie an, die sich langsam nach unten arbeitete. Mammut erwartete sie bereits, streckte ihr die muskulösen Arme entgegen. Auch Laurent stand, wirkte besorgt, nicht mehr zu elend. "Endstation." Charlie kam auf die eigenen Füße, als Mammut sie herunterließ. Sie entzog ihrem Anorak die Schachtel mit der Mundharmonika, reichte sie Inspize Pyrophya. "Packen Sie Koli besser auch rasch ein. Wir sollten hier Leine ziehen, bevor irgendwer uns doch noch verpfeift." Inspize Pyrophya pflückte Koli ab, wickelte ihn sofort in ein dünnes Tuch ein, damit nicht erneut drei Menschen mit Übelkeit und Schwindel um sie herum taumelten. "Vielen Dank, Charlie, das war sehr mutig. Dann empfehle ich mich jetzt und überstelle Koli dem Gericht." Unter dem Tuch machte sich Koli auch selbst bemerkbar. "Es war mir eine Ehre, Charlie. Schade, dass wir uns nicht länger unterhalten konnten." Charlie, die bereits in die Hocke ging, um ihren Rucksack wieder mit ihren Habseligkeiten zu füllen, brummte. "Wenn du meinen Rat willst, Kamerad, such dir ein anderes Hobby. Nur du bist verantwortlich, wenn dir 'fad' ist. Dann warst du nämlich wahrscheinlich ein bisschen zu bequem, um gründlich nachzudenken." Koli seufzte, durch den Stoff gedämpft. "Wirklich sehr schade, dass du auf der falschen Seite lebst. Pass auf dich auf." Inspize Pyrophya nickte knapp, machte kehrt, steuerte altmodische Teppichklopf-Tore an und verschwand spurlos. Das raubte selbst Charlie die Sprache. Dirk grummelte. "Das geht ständig so. Und über die Tintenfische weiß ich immer noch nicht mehr!" ~*@*~ Inspize Pyrophya pflückte Koli höchstpersönlich aus dem Tuch und überantwortete ihn seiner temporären Heimstatt. "Langeweile, ernsthaft?" Erkundigte sie sich beiläufig, sicherstellend, dass Kasten und Mundharmonika nicht "versehentlich" auf Abwege kamen. Koli plumpste auf ein feuerfestes Kissen, seufzte. "Konfektionsmaße nehmen für Laufwerkzeuge aller Art." Sein Fell flirrte in psychedelischen Nuancen. "Irgendwann zermürbt einen das. Weil ich schlecht sehe, kann ich auch nicht schmökern oder am Omniskop kleben." Inspize Pyrophya ging auf der anderen Seite der Gittertür in die Hocke. "Verstehe. Was ist denn mit Vorlesungen oder Live-Übertragungen? War da nichts für dich dabei?" Koli kämmte sich durch das Fell, verdrehte dabei die Augäpfel. "Das ist nett, hin und wieder, aber man sitzt herum, weißt du? Ich würde gern aktiver sein." Betrachtete man jedoch die langen Fellfransen, schloss sich aus Selbsterhaltungsgründen so Einiges aus. "Knifflig, das gebe ich zu. Aber gleich die Weltherrschaft an sich reißen wollen...!" Koli gluckste. "Also, die Gefahr bestand ja wohl nicht, ich meine, sonst wären längst die P.U.D.E.L. aufgetreten, oder? Überhaupt, sag es nicht weiter, bitte, doch Ikols Pläne funktionieren nie. Es hapert immer am feinen Detail. Allerdings wäre es ziemlich deprimierend, wenn ich ihm das sagen müsste. Ihm ist vermutlich auch fad, sonst hätte er ja nicht diese Fixierung, richtig?" Inspize Pyrophya zog die Stirn unter ihrer Wollmütze kraus, denn hier wurde ihr langsam warm. "Sehr fürsorglich von dir. Bin gespannt, ob die Vorstehende des Friedensgerichts diese noble Zurückhaltung auch schätzt." Amüsiert und nicht nachtragend gluckste Koli erneut. "Ich auch. Wird eine interessante Erfahrung. Sehr schade, dass Charlie ein Mensch ist. War ein nettes Gespräch." Sich aufrichtend nickte Inspize Pyrophya zustimmend. "Ja, schade. Sie würde sich hier gut einleben." Nur sahen die Übertrittsformalitäten unseliger Weise den gegenteiligen Zustand vor, was für eine gedeihliche Zukunft recht hinderlich war. Als Inspize Pyrophya die Ergebnisse melden wollte, erwarteten sie schon ungeduldig die Vorstehende des Friedensgerichts und der Anklagende vom Dienst. "Oh, das Protokoll kann warten! Hast du verhindert, dass jemand auf diesem Musikinstrument gespielt hat?" Inspize Pyrophya nickte höflich. "Soll ich es gleich in die Asservatenkammer geben?" Man grimassierte wie bei Nierensteinen, schmerzlich und gequält. "Nein, zumindest noch nicht. Man erwartet dich schnellstmöglich in der Metropole! Ohne Ikol und Koli, selbstredend, aber mit den übrigen Beweismitteln, sogar mit diesem Frisiergerät!" ~*@*~ Charlie inspizierte argwöhnisch die Teppichklopftore, wandte sich dann Dirk zu, der schicksalsergeben eine Inquisition ahnte. "Nur fürs Protokoll: wir reden NICHT von einer Scheibenwelt mit gestaltenwandlerischen Eidechsen. Korrekt?" Dirk zuckte missmutig mit den Schultern, zupfte an seiner Maske. "Das wurde zumindest nicht erwähnt. Aber ich habe doch auch keine Vorstellung! Und zu den Tintenfischen habe ich NIE eine schlüssige Erklärung erhalten!" Charlie registrierte, dass auch Mammut und Laurent verwirrt lauschten. "Tintenfische?" Griff sie grimmig das Stichwort auf. "EXAKT! Ich frage, ganz höflich, nachdem mir diese Portal-Dimensions-Geschichte erzählt wurde, die ja ziemlich nach Räuberpistole klang!, nun, ich frage, ob das so ein Fall ist von 'wenn ich dir die Wahrheit erzähle, muss ich dich umbringen'. Denn das wäre mir es keineswegs wert gewesen!" Rechtschaffen vergrätzt nahm Dirk den Heimweg in Angriff. "JUST da sagte sie mir, es treffe die Lage nicht ganz, aber ich möge besser keine Angst vor Tintenfischen haben!" Charlie lief mit ihm gleichauf, jedoch brav auf Abstand achtend. "Verstehe ich nicht. Ich meine, wenn schon Meeresgetier, dann so einen giftigen Rochen mit Stachel oder diese elektrischen Zitteraale! Soll einem der Tintenfisch die Augen zukleistern? Oder einen zu Tode kitzeln?" Was auch nicht unbedingt erstrebenswert anmutete. Dirk lupfte die Schultern trotz Rucksack und Skateboard-Anhängsel, ließ sie dann frustriert demonstrativ fallen. "Keinen blassen Schimmer! Ohnehin sehr schmeichelhafte Vorstellung, dass man herumzieht und so eine hanebüchene Story ausplaudert!" Mammut, der Laurent im Schlepptau hatte, mischte sich ein. "Woran ist denn das dubiose Mundharmonika-Konzert gescheitert?" Denn ihm kam es nicht so vor, als beherrschte gerade irgendwer diese Welt hier. Charlie schnaubte. "Dental-Ruine. Mit Gebiss lässt sich offenbar schlecht in den Schnauzenhobel pusten." Was Dirk knurren ließ, der ein Muster erkannte. Wie bei Cent-Artikeln im Ablaufprozess komplizierter Maschinen, die in der Folge durch Defekte alles ruinierten. Aber wenigstens beim Einkauf was gespart...! "Na, da sind wir doch wieder exakt auf der Spur der Normalität. Unfähige Helferlein, die ein lausiges Sachurteil im entscheidenden Moment beweisen. SEHR häufiges Motiv! Und die Moral von der Geschicht': trau keinem Handlanger nicht." Schloss er befriedigt. Charlie gluckste. "Vor allem einem Handlanger, der bloß mitmacht, weil ihm 'fad' ist. Ich schätze auch mal, das lange Fell ist nicht ganz praktisch bei der aktuellen Witterung. Da drängt man sich natürlich dem nächsten Flohmarktkrämer und Pfandflaschensammler auf." Dieser Broterwerb ließ sich zumindest aus dem Einblick in das Zimmer vermuten. "Schön, die Welt oder was auch immer hätten wir für heute gerettet. Ich subtrahier mich jetz, bevor irgendwer noch glaubt, wir übten für nen Spaziergang enthirnter Nichtdenkender. Hasta la vista, Kumpels!" Damit stieß sie energisch ihr Longboard ab, sauste schwungvoll der heimatlichen Basis entgegen. Dirk erwog, ob es unhöflich wäre, ihrem Beispiel zu folgen, auch wenn zumindest der jugendliche Nachbar denselben Weg hatte. "Sie haben sicher Ihre Arbeit unterbrechen müssen, oder? Es war sehr nett, dass Sie uns geholfen, Schmiere gestanden haben." Intervenierte Laurent, der den Zwiespalt ahnte. Er konnte allerdings nicht auf sein Longboard steigen, denn so ganz sicher auf den Beinen fühlte er sich nicht. Außerdem hieße es auch, sich von Mammut zu verabschieden, und DAS schied für ihn aus. "Ja, stimmt schon. Dann wünsche ich noch einen angenehmen Abend!" Nickte Dirk erleichtert, ließ sein treues Skateboard herunter, um sich geschmeidig zu trollen. Mammut drückte sanft Laurents Hand. "Ein ganz schön verrückter Tag, oder?" Er lächelte in die tiefschwarzen Augen hinunter. "Du bringst mich doch heim, oder?" Erkundigte sich Laurent verzagt, denn immerhin war Mammut ganz schön herumgescheucht worden. Seinetwegen. "Auf jeden Fall. Trügt der Eindruck, oder holt dich jetzt der verlorene Schlaf ein?" Wie immer erwies sich Mammut als außerordentlich einfühlsam. Verlegen nickte Laurent, rückte ein wenig näher an die imposante Gestalt seines Freundes. Mit der Müdigkeit kehrte auch die Kälte zurück. Prompt löste Mammut seine große Hand und legte ihm den Arm um die Schultern. "Es ist ja nicht mehr weit. Wir haben heute so viel bewältigt, da ist eine Auszeit mehr als verdient." Laurent seufzte hingerissen und kuschelte. Mammut verstand es perfekt, seine Seele mit Streicheleinheiten einzupinseln! ~*@*~ 23.12.2020 Leporidae schnippelte vergnügt die Sellerieknolle, von seinem neuen Beruf finanziert. Dabei ließ er Kuguar an den erstaunlichen Ereignissen dieses Tages teilhaben. "Also, ich finde, eine Belobigung könnte schon noch kommen, weil ich ja das Rätsel gelöst habe! Jetzt wird man die Mäuse zurückbringen, was wieder Ordnung schafft. Am Besten ist aber meine neue Beschäftigung! Heute gleich drei Aufträge erledigt, und das als Einsteiger! Für morgen kann ich auch mit Transporten rechnen." Sehr zufrieden strich er sich über die Schnurrhaare. "Ich habe schon den Eindruck, dass ich für diese wichtige Dienstleistung wie geschaffen bin! Wenn ich mir jetzt eine Kiepe flechte, könnte ich da sogar so eine Werbefahne befestigen. Du musst also nicht deine Beete verändern." Kuguar schwieg, wie schon seit der Entdeckung des eingetauschten Gemüses, was Leporidae zu einem Schnauben veranlasste. "Großer M, willst du jetzt den ganzen Abend schmollen, Miezekater? Wir waren uns doch einig, dass ich auch meinen Teil beitrage, richtig?" Kuguar knurrte missmutig, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt. "Schon, aber so bist du ständig unterwegs und nicht hier!" Die Löffel auf die feinen Nuancen des Subtextes ausgerichtet sah sich Leporidae zu erzieherischen Maßnahmen genötigt. "Miezekater, dir ist bewusst, dass wir uns vorher auch nur sporadisch getroffen haben, nicht wahr? Du erinnerst dich bestimmt daran, wie ungemütlich es ist, wenn man ständig aufeinander hockt, oder?" Perfid, aber Leporidae beabsichtigte durchaus, Kuguars häusliche Erfahrungen mit der Frau Mama zu instrumentalisieren. Sonst würden sie sich nämlich fortwährend in die Schnurrhaare geraten! Etwas betreten wich Kuguar seinem Blick aus. "Außerdem hast du sicher auch bedacht, dass wir nach Auslieferung DIESES Pakets auch nicht viel Zeit zusammen haben, stimmt's?" Dabei klopfte sich Leporidae auf seinen noch flachen Unterleib, was sich spätestens in drei Monaten merklich ändern würde. Wenn sie nicht wie bei seiner Sippe den Nachwuchs im allgemeinen Rudel aufziehen konnten... Unvermutet heftig umschlang ihn Kuguar plötzlich, hielt ihn erstickend eng fest. "Ich möchte dich aber länger für mich haben, Häschen!" Leporidae ächzte, denn die Luft wurde ihm schon knapp. "Also wirklich! Du zerquetschst mich ja! Ich bin doch kein Stofftier!" Sein Protest führte zu einer marginalen Lockerung der Umklammerung, dafür wurden ihm wieder die Löffel gestreichelt. "Ich hab dich so gern, mein Häschen! Es ist einsam ohne dich, verstehst du? Den ganzen Tag arbeite ich und bin vernünftig, aber es ist doch gemein, wenn du nicht da bist und ich nicht mit dir kuscheln kann!" Das Lamento rief Leporidae in Erinnerung, dass Kuguar wirklich noch ziemlich jung war. Offenbar einen Hasen-Kuschel-Fetisch pflegte! Er seufzte, zupfte an einem Katzenohr. Warum war ihm dieser verrückte Miezekater bloß so selbstherrlich, arrogant und souverän vorgekommen?! "Es war jetzt nicht die Rede davon, dass ich dauernd was austrage, ja? Oder vorm Frühstück oder in der Nacht! ZUDEM könnten wir jetzt kuscheln, wenn du dir nicht den Kopf über Dinge zerbrechen würdest, die gar nicht zur Debatte stehen. Allerdings weiß ich nicht, ob ich mit dir schmusen will, wenn du so trotzig herumschmollst." Die letzte Ermahnung stellte einen Versuchsballon dar, Autorität walten zu lassen. Kuguar reagierte, indem er ihn sich auf den Schoß bugsierte, mit Küssen eindeckte. "Bitte sei nicht böse, mein Häschen, ja? Ich helfe dir auch nachher mit der Kiepe!" Leporidae schickte sich drein, begreifend, dass er nur knapp sechs Monate Zeit hatte, um DIESES Raubtier halbwegs manierlich zu erziehen! ~*@*~ Während Laurent unter die Dusche beordert wurde, wärmte Mammut Hafermilch auf, süßte sie ein wenig. Sein Adventskalendergeschenk, einen gefalteten Spatz, setzte er auf die Leiste in Laurents Zimmer, verteilte die Kissen strategisch, schlug die Bettdecke zurück. Als Laurent im Pyjama mit Bademantel in sein Zimmer eintrat, reichte er ihm schon den Becher an. "Langsam trinken, bitte." Brav nahm Laurent auch auf seinem Bett Platz, nippte artig. "Ich bin froh, dass bald Schulferien sind. Dann kannst du dich ausruhen. Wir können unsere Koch- und Backexperimente fortsetzen." Laurent lächelte schief. "Hat Charlie dir geschrieben, dass ich mich trotz Ernährungskurs so ungeschickt anstelle?" Dazu untaugliche Versuche mit dem grässlichen Eiweißpulver nicht unterließ. Allerdings war es auch kostspielig gewesen, sollte nicht stupide entsorgt werden. Mammut nahm den geleerten Becher entgegen, beugte sich herunter, küsste Laurent sanft auf die Lippen. "Keiner von uns denkt so etwas, Laurent. Wir kennen dich allerdings gut genug, um zu sehen, wenn es dir nicht gut geht. Es kann also nicht schaden, wenn wir gemeinsam herausfinden, was du essen kannst, wenn der Druck zunimmt." Antwortete er entschieden. "Schlüpfe jetzt bitte unter die Decke, ja? Ich bringe den Becher und den Bademantel weg." Dankbar und gerührt von dieser Fürsorge, aber auch ein wenig beschämt ob seiner Egozentrik folgte Laurent zwar der Bitte, nahm jedoch Stift und Block mit. Immerhin galt es, den niedlichen Papier-Spatzen zu vergelten! Als Mammut zurückkehrte, hatte Laurent ihn mit schlichten Strichen porträtiert, wie er gerade Charlie und dem Möchtegern- Revoluzzer einer anderen Dimension vom Baum half. Dabei sahen die beiden Protagonisten verdächtig superheldenhaft aus! Schmunzelnd bedankte Mammut sich. Laurent fasste nach seiner großen Hand. "Musst du schon gehen? Ich meine, kannst du vielleicht noch ein wenig bleiben?" "Ich bleibe, bis du eingeschlafen bist." Verkündete Mammut, entblätterte sich bis zur Unterhose, um seine großflächig bepelzte Gestalt zu Laurent unter die Decke zu schieben. Der schmiegte sich mit einem genießerischen Seufzer an ihn an wie an ein überdimensioniertes Kuscheltier. "So schön warm!" Sanft küsste Mammut die kalte Stirn unter den feinen, schwarzen Strähnen. "Gute Nacht und ruhige Träume." Wünschte er im sonoren Bass. Laurent lächelte, senkte die schweren Lider. So geborgen und sicher fürchtete er sich nicht mehr vor der Schwärze des Schlafes. ~*@*~ Inspize Pyrophya nutzte ihre Fähigkeit, um schnurstracks in der Metropole im Hauptquartier aufzutauchen. Sie zweifelte nicht daran, dass die Order mit ihrem Bericht über BlueMax' Beteiligung in Zusammenhang stand. Man bat sie in einen kleinen Besprechungsraum. Zu ihrer Überraschung wartete dort der Große M, genüsslich einen Kakao schlürfend, selbstredend aus einem Becher mit der Aufschrift "Weltbester Pudel-Versteher von allen!" "Guten Tag. Ich habe wie angeordnet beide Gerätschaften mitgebracht. Möchtest du einen Bericht hören?" Der Große M gestikulierte auf einen benachbarten Barhocker, denn er verabscheute niedrige Sesselchen, die einem das Kinn zwischen die Knie zwangen. Zumindest in gewissen Gestalten. "Nicht nötig, Inspize Pyrophya. Wirklich sehr gute Arbeit! Auch flott erledigt, da gibt es gar keine Kritik!", Interessiert inspizierte der Große M erst das vermeintliche "Frisiergerät", das statische Aufladung speichern konnte, dann die zufällig modifizierte Mundharmonika. "Wäre wirklich etwas Außergewöhnliches geschehen?" Erkundigte sich Inspize Pyrophya zögerlich. Der Große M zwinkerte. "Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ganz erstaunlich, was dieses Erfinder-Einhorn geleistet hat." Inspize Pyrophya fühlte sich genötigt, einige weniger erfreuliche Aspekte zu thematisieren, vor allem, weil sie selbst noch nicht wusste, wie sie diese Angelegenheit zum Abschluss bringen sollte. "Es ist leider noch nicht alles erledigt. Ich hatte mit vier Menschen Kontakt, die von unserer Welt hier erfahren haben, in groben Zügen. Zudem hat sich dieser BlueMax beteiligt." Der Große M reichte ihr die Mundharmonika zurück. "Oh ja, und dann ist da noch die ungelöste Frage nach dem Tintenfisch..." ~*@*~ Mammut spülte gerade den benutzten Becher aus, als er den Schlüssel in der Wohnungstür hörte. Laurents Vater schnupperte, ließ die Garderobe eilig hinter sich und entdeckte Mammut. "Guten Abend." Wünschte der gedämpft, um subtil zu signalisieren, dass es für die reduzierte Lautstärke einen Grund gab. Laurents Vater begriff. "Guten Abend, Mammut. Schläft Lauri?" Mammut nickte, hielt brav Abstand, denn ohne Maske ließ es sich doch besser auf schwierigem Gelände agieren. "Er holt ein bisschen was nach, denke ich." Der ältere Mann seufzte. "Ja, ich dachte mir schon, dass er sich zu viele Gedanken macht." Forschend blickte er aus den blauen Augen zu Mammut hinüber. "Lauri sagte mir, dass es gewisse Verstimmungen bei deiner Mutter gibt. Wenn ich helfen kann...?" Eine großzügige Geste des Entgegenkommens. Mammut lächelte. "Danke schön. Im Moment ziehen wir es vor, dass Thema nicht anzuschneiden." Die Stirn runzelte sich merklich unter den sandfarbenen, leicht gewellten Haaren. "Bis ich Laurent begegnet bin, habe ich nämlich meine Meinung kaum vertreten. An die Veränderungen müssen sich alle Beteiligten erst gewöhnen." Ein verschmitztes Lächeln zuckte über die Züge des älteren Mannes, was die Ähnlichkeit mit seinem Sohn betonte. "Ah, ich verstehe. Nun, wenn ich mich nützlich machen kann, sag es mir bitte. Ich bin sehr froh, dass Lauri Freunde gefunden hat." Mammut erwiderte den ernsten, traurigen und hilflosen Blick entschieden. Er konnte ahnen, wie man sich fühlte, wenn man einem geliebten, anvertrauten Menschen Leid, Kummer und Stigmatisierung nicht ersparen konnte. "Ich bin auch sehr froh, Laurent begegnet zu sein." Versicherte er gedämpft im Bass, verabschiedete sich dann leise, um den Heimweg anzutreten. Die seltsame Angelegenheit mit dem kuriosen Alien, Laurents Nachbarn und der ungewöhnlichen Frau sorgte ihn nicht weiter. Vielmehr kreisten seine Gedanken darum, welches "Seelenfutter" Laurent wohl vertragen mochte. Er war eben durch und durch ein pragmatischer Kleine Eiszeit-Überlebender! ~*@*~ "Du musst den Akku aufladen." Charlie blickte enerviert auf, denn sie erkannte nicht nur die Stimme, sondern erinnerte sich auch deutlich daran, das Mobiltelefon deaktiviert zu haben. "Hab ich dir nich gesagt, du sollst verduften?!" Erkundigte sie sich bissig, von ihrem Bett aufstehend, wo sie sich sehr altmodisch in ein Buch vertieft hatte. Leider konnte sie Albert Einsteins Ideen nicht so ganz folgen, was vermutlich auch an den bekloppten Atomen lag, die sich ungezogen verhielten! "Ich bin ja auch gar nicht hier. Zumindest nicht ständig." Konterte BlueMax vollkommen unbeeindruckt und heiter. "Is mir wurscht! Schieb ab, klar?! Ich bin froh, wenn die Antiquität hier nicht den Geist aufgibt, verstanden?" Widerwillig stopfte Charlie den Adapter in das Mobiltelefon, ließ das Ladegerät den Akku mit elektrischem Nachschub versorgen. Tatsächlich handelte es sich bei dem Mobiltelefon um ein abgelegtes Modell ihres Vaters, mit einer abgespeckten Open Source-Software, weil die reguläre Versorgung längst eingestellt war. Allerdings zeigte sich die Hardware als recht belastbar. Charlie brauchte ja auch nicht viel. Keine dämlichen Spiele beispielsweise. Sie wollte auch ihr Gehör nicht vollmüllen mit irgendwelchem Streaming-Kram, ganz zu schweigen von Cinemascope auf Postkartengröße. "Du hältst wohl nicht viel von Sozialen Medien, hm?" Charlie grollte, funkelte auf BlueMax' Avatar, der uneingeladen auf dem Display schwebte. "Und DU offenbar nicht von Privatsphäre! Wieso nervst du nich irgendwen anderen?! Oder findest raus, was das für ne Story mit den Tintenfischen is?" Tatsächlich hätte jeder Schlapphut und Konsorten sich entsetzlich gelangweilt, weil Charlie das Telefon nur nutzte, wenn sie was mitzuteilen hatte. Die Menschen, auf die es ihr ankam, pflegten sich nicht in Sozialen Medien herumzutreiben. Linus, der Wikinger, beispielsweise hatte sehr lange überhaupt kein Telefon besessen, was sie gar nicht kommodierte, weil sie wusste, wo sie ihn finden konnte, wenn es was zu bereden gab. Hulks antikes Modell konnte auch nicht viel mehr als ihr Dinosaurier. Das musste es auch gar nicht, weil man beim Rollen so ein Ding einfach nicht brauchte! Laurent/Lalako zog E-Mails oder echte Telefonate vor, ein Umstand, der Charlie nach DIESER Biographie nicht verwunderte. Ihr war zwar bewusst, dass der Rest ihrer Klassengemeinschaft eifrig Bilder tauschte, Grinsegesichter versendete oder Nachrichten tippte, aber DIE hatten keine Themen, die sie interessierten! Wer nun mit wem, oder auch nicht, das ödete sie an, deshalb müsste diese lästige KI sich ja wohl pronto verziehen, denn hier gab's nichts zu erschnüffeln! "Apropos Tintenfisch, magst du Tiere?" Nein, BlueMax hatte nicht das Weite gesucht. "Gut durch und mit Ketchup!" Feuerte Charlie zurück, die dieses Entree einmal zu oft gehört hatte. "'Gut durch' passt, mit dem Ketchup wird's ein wenig schwierig." Konstatierte BlueMax keinesfalls irritiert, sondern unverändert gut gelaunt, während Charlie sich die beiden Zopf-Antennen an ihrem sonst rasierten Kopf aufstellten. Metaphorisch. "Was soll'n das heißen?! Ich werd bestimmt nich irgend nen Tintenfisch adoptieren!" Schoss Charlie sofort scharf. Das fehlte gerade noch, wo ihr depperter Bruder Yann doch schon mit der cleveren Ausbrecher-Ratte Tyson genug zu tun hatte! Tintenfische waren schlau und erstaunlich einfallsreich. Außerdem brauchten sie vermutlich einen Riesentank, was nicht gerade mit ihren Wohnverhältnissen übereinstimmte. "Oh, vortrefflich, denn das Medium Wasser verträgt sich nicht so gut mit elektronischen Geräten." Stellte BlueMax unbeeindruckt fest, kam Charlie nicht nur manisch euphorisch, sondern äußerst verdächtig vor. "Wo kommt denn hier Wasser her?! Das Telefon ist ne Antiquität, verstanden?! Sau damit ja nicht herum!" Drohte sie finster. BlueMax zog ein verblüfftes Gesicht. "Nun, es geht ja gerade NICHT um Wasser. Also, ich fasse mal schnell zusammen, dass du gegen Tiere, gut durch, nichts einzuwenden hast..." Charlie grollte. "Wenn du mir irgendwelche Käfer, Trojaner oder anderen Scheiß auf die Maschine geschleppt hast...!" Wie sonst sollte sie "Tiere" auch verstehen? "Nicht doch!" Protestierte BlueMax gekränkt. "Im Übrigen ginge das auch gar nicht, weil es keine Schmarotzer leiden mag." Sofort hakte Charlie nach, die Hände in die Hüften gestützt. "Es?! Was für ein ES?!" "Oh, sagte ich das nicht? Das Grabbeltier." Hilfreich tanzte nun neben BlueMax' Avatar ein weiterer, eine Mischung zwischen Flamme und stilisiertem Drachen. Charlie erinnerte sich vage an BlueMax' Beschwerde, dass er wegen "nervöser Grabbeltiere" nicht den Nettop der Ermittlerin belagern konnte. "Wieso ist ein angeblich nervöses Grabbeltier, das auf die Alien-Seite gehört, auf MEINEM Telefon?" Erkundigte sie sich ätzend mit erzwungener Ruhe. "Abenteuerlust." Schnurrte BlueMax, zwinkerte. Charlie fand das gar nicht komisch. "Auf meinem Handy is nix los, also kannst du es gleich miteinpacken, wenn du gehst und die Tür hinter dir zumachst!" Empfahl sie grimmig. Das fehlte ihr noch, so ein Alien, der was auch immer anstellte und dann Datenvolumen verquaste wie wild! "Aber ein Grabbeltier braucht ein Gehäuse. So wie bei den Schnecken, die ein Haus tragen. Weil es quasi aus reiner Energie besteht, ist es 'gut durch', wie du wolltest." Plädierte BlueMax ganz und gar nicht abgeschreckt. Erbost schnaubte Charlie. "Hast du was an den Ohren?! Mein Telefon is kein Alien-Asyl! Wer weiß, was dieses Vieh da anstellt!" BlueMax nahm diesen Einwand sportlich. "Richtig, das ist ein klein wenig herausfordernd, weil so ein Grabbeltier nur seine eigene Sprache versteht. Aber es ist absolut stubenrein und hilfreich, wenn man was sucht." Charlie rollte mit den Augen. "Klar, es ist toll im Suchen, bloß versteht es gar nicht, was es suchen soll. Veralbern kann ich mich selbst. Überhaupt, wenn es nur eine Sprache spricht, woher willst du dann wissen, was es so treibt?" Das kam ihr nämlich Spanisch..., nun, dubios vor. Allerdings konnte man BlueMax grundsätzlich nicht auf dem falschen Fuß ertappen. Er hatte gar keinen. "Oh, wir kommunizieren quasi binär. 0 und 1, an und aus. Strom, kein Strom, dann über Annäherungen an die mögliche Bedeutung." Charlie atmete tief durch. "Noch mal zum Mitdenken: ICH kommuniziere nicht binär. Das Telefon hier ist kein Zuhause für Aliens. Es ist dort langweilig, es gibt da auch nichts zu suchen, für niemanden." BlueMax wartete. Charlie funkelte auf das Display mit den beiden Avataren. "Was jetzt?! Verpflanzt euch gefälligst woanders hin!" Forderte sie schließlich auf, weil sich einfach nichts Erkennbares tat. BlueMax reagierte. "Also, das Grabbeltier macht sich gar nichts draus, wenn du nicht binär kommunizierst. Genug los ist durchaus, ich meine, Energie fließt ja, man kann sich tummeln. Wenn du nichts suchen möchtest, stört es sich auch nicht daran, es kann sich ja selbst umgucken." Charlie sortierte verärgert diese Replik. Sie war nicht schlecht im naturkundlichen Unterricht, aber die Feinsortierung dieser Mitteilungen bedurfte einigen Vorstellungsvermögens. "Moment mal, soll das heißen, mein Telefon ist bloß die Basis und ihr zwei streunt durch die Luft in die Netze?!" BlueMax intonierte einen quäkenden Tusch, weil die Audioausgabe nicht viel mehr hergab. "Dann kann das Grabbeltier auch umziehen!" Argumentierte Charlie entschieden. "Aber es mag dich. Du weißt, wo es herkommt. Ihr vertragt euch bestimmt prima." Verströmte BlueMax ungemindert und völlig ohne Beleg Optimismus. Charlie beäugte erbost die beiden Avatare. Es hatte sie nie nach einem Haustier verlangt, weil das ein Abhängigkeitsverhältnis begründete, das ihr missfiel. Zudem musste sie sich ausreichend selbst kuratieren, also, danke, aber nein danke! Plärrende, virtuelle Sadismus-Viecher mit Fütter-mich-Attitüde konnte sie schon mal gar nicht ausstehen. Was sollte sie jetzt mit einem Grabbeltier auf ihrem Mobiltelefon anfangen, mit dem sie sich nicht mal austauschen konnte?! Rausschmeißen schien sich aber auszuschließen, denn wie wollte man das mit Energie bewerkstelligen? Grollend seufzte sie laut. "Sag dem Grabbeltier, dass es nichts anstellen darf, klar?! Keine Abos abschließen, kein Datenvolumen verbrauchen, keine Übersee-Anrufe, kein offenes Feuer. Oh, was wird das lustig, wenn einer mal das Klapperding konfisziert!" BlueMax jubilierte, beide Avatare wirbelten kreisrund umeinander. Charlie schnaubte. "Na toll, kaum geht's auf Weihnachten zu, werd ich sentimental!" Fehlte bloß noch, dass sie weiter mutierte und wie ihre Kumpels hormonellem Überschwang zum Opfer fiel! Von diesem grausigen Gedanken entsetzt zog Charlie sich auf ihr Bett zurück, blätterte illustrierte Beschreibungen auf, die den Zustand der Früherde schilderten, bevor das Virus "Mensch" eingefallen war. Das heiterte wenigstens auf! ~*@*~ 24.12.2020 Die Faktenlage war, nach Beendigung der Beweisaufnahme, klar. Darin stimmten der Anklagende vom Dienst, der Advocate und die Vorstehende des Friedensgerichts überein. Ikol und Koli hatten auch nicht leugnen können, dass sie ohne Portalpass unerlaubt und selbst gefährdend die andere Seite besucht hatten. Was das "Frisiergerät" betraf, blieb es konfisziert, bot Anlass für eine strenge Ermahnung, keine Energie-kumulierenden Geräte aus statischer Fellaufladung mehr zu konzipieren. Der lädierte Mensch hatte sich zwar erholt, einen Akt der Selbstverteidigung konnte man nicht ausschließen, aber alles glattzubügeln verursachte immensen Aufwand. Sich von einem anderen Menschen auflesen zu lassen, war nicht strafbar, zumindest nicht an sich, allerdings war es nicht erlaubt, Einzelheiten von der anderen Seite unautorisiert mitzuteilen. Deshalb folgte für Koli eine strenge Verwarnung, weil er vielleicht in diesen Ruch gekommen wäre. Ikol hingegen wurde verdonnert, weil er den Ex-Musen die Mundharmonika gemopst hatte. Das gehörte sich nicht, selbst wenn die alternden Grazien keine Verwendung für sie fanden. Was nun zur Urteilsfindung führte. Man winkte den einzig aufspürbaren SP (Soziuspflegenden) herein, den berüchtigten Pilates, der Ähnlichkeiten mit einem Hütehund aufwies, Gerüchten zufolge der dümmste, langsamste und verdrehteste der Profession, allerdings mit Fremd-Dimensions-Kontakten vertraut. "Verhaltensanpassungstraining!" Verkündete die Vorstehende des Friedensgerichts, blickte streng aus ihren zahlreichen Facettenaugen. "Keine ungenehmigten Übertritte, keine Einmischung. Zudem Beschäftigungsanalyse. Pilates, du wirst mit diesen beiden ein Konzept entwickeln, wie sie ihre überschüssige Energie sinnvoll und nicht selbst gefährdend einsetzen können." Denn, das deutete ihr grimmiges Funkeln an, der NÄCHSTE Versuch, irgendwo Revolutionen ungefragt anzuzetteln, würde HIER zwei Existenzen einschneidend gefährden. Ikol schniefte, weil er ja bloß hatte helfen wollen, was die debilen Aufrecht-Affen bitter nötig hatten! Niemand zog diese Hilfsbedürftigkeit in Zweifel, nur ging es eben nicht an, eigene Lernprozesse von außen zu beschleunigen. Zudem: Menschen waren nun mal Menschen. An der Natur ihres Menschseins änderte sich nichts. Koli linste erfreut zu Pilates hinüber, der lässig "Peace" in seine Richtung signalisierte. Man hatte ihm versprochen, dass das Erfinder-Einhorn als Wiedergutmachung für eine Sehhilfe sorgen würde, sogar, wenn gewünscht, im stilisierten Rahmen einer Butterblume! Pilates wusste, nur, PSCHT, GEHEIM!, wo es einen RIESIGEN Berg unsortierter Puzzleteile gab, quasi eine HALDE! Deshalb war Koli ausgesprochen glücklich. ~*@*~ Inspize Pyrophya, die selbstverständlich dem Prozess beigewohnt hatte, nickte Leporidae höflich zu. Insgesamt ein gutes Ergebnis, auch wenn man für Ikol zwingend eine verpflichtende Schulung in "menschlicher Psyche im Kollektiv" ansetzen sollte. Andererseits hatte sie noch Einiges zu erledigen. Ihre Aufgabe war nämlich noch längst nicht erfüllt. ~*@*~ Leporidae schlenderte gehobener Stimmung zum Aeroflott-Büro. Sein Einsatz war gewürdigt worden, man hatte signalisiert, dass einer Rückkehr zur Portal-Bewachung nichts im Weg stand. Ausgenommen natürlich, wie Leporidae innerlich frohlockte, der Umstand, dass er ein neues Wirkungsfeld aufgetan hatte! Im Aeroflott-Büro empfing ihn der Kolibri bereits kollegial. Neben dem neuen Service, Geschäftskontakte zu vermitteln, hing nun ein kleiner Aushang: Nahbereichsauslieferung! Dazu eine Zeichnung, die simplifiziert Leporidae darstellte, das "Revier" auswies und die Konditionen aufzählte. Berechnet wurde nach Gewicht, Umfang und Entfernung. "Da sind die Aufträge bis jetzt!" Zwitscherte der Kolibri stolz, tippte auf eine kleine Glasschüssel mit gerollten Zettelchen. "Oho!" Leporidae stellte die Löffel auf, strich sich stolz über die Schnurrhaare. "Sieht ja so aus, als wären wir schon gut im Geschäft!" Jetzt musste er nur noch den diabolisch verschmusten Miezekater becircen, dass Geschnacksel nicht zu Geschäftszeiten stattfand! ~*@*~ Detorix überwachte mit, nun, Argusaugen wäre unzutreffend, denn DER Bursche glotzte im Ex-Göttlichkeits-Bereich auf eine blanke, blaue Wand und freute sich wie Bolle, dass es NICHTS zu sehen gab, also, Detorix überwachte mit akribischer Aufmerksamkeit Artemis' Bastelarbeiten: eine Sehhilfe für eine Art kniehohen Fusselball. Grässlich, überall so lange Fransen haben zu müssen! Befand Detorix, der eine polierte Glatze präsentierte und darob sehr zufrieden war. Artemis hingegen operierte in seinem Element. Natürlich, er durfte nichts erfinden, schon verstanden, aber DAS hier würde helfen! Die Lage verbessern, was ihm immer Ansporn und Zweck war. Emsig tüdelte er, polierte, überprüfte die Beschaffenheit der Augengläser. Ein bisschen schwierig, wegen der Blütenstil-Rahmen, doch Artemis hegte gegenüber "Fashion" keine Präferenzen, solange das Design nicht über die Funktion gesetzt wurde, was Detorix für eine äußerst pragmatische Einstellung hielt und goutierte, weshalb er dem Fellknäuel und seinem Mitbewohner großzügig Tee und Kekse servierte. Auch wenn es ihn wunderte, dass noch immer kein Rohrpostauftrag einging, denn immerhin hatten ja eine Handvoll Menschen Kenntnisse erlangt! Andererseits konnte er die Freizeit auch nutzen, das kleine Apfelbäumchen und den Strauchdaimon vor dem Haus zu schmücken, mit allerlei Vogelfutter und hübsch bemalten Glaskugeln, weil ihm ja doch, zumindest ein wenig, festlich zum Jahresabschluss zumute war. ~*@*~ Charlie äugte auf ihren Notizzettel, dann das Panorama der Zutaten in spe: die Tasse und die betriebsbereite Mikrowelle, das Mobiltelefon. "Ich werd gar nich merken, dass es da is! Ha!" Schnaubte sie, sicherheitshalber vor kulinarischen Experimenten die zwei Zöpfe nach oben gebunden. Das Grabbeltier machte sich akustisch auch nur bemerkbar, wenn die Akkuleistung gefährlich abnahm. Visuell hingegen! So ein "Wisch"-Gerät (wenn es nicht der tatsächlichen Reinigung diente) lebte von Abkürzungsbildchen, die dann wichtelige Programme in Gang setzten (oder gar nicht erst abwarteten, ob man ihre Dienste wollte, sich einfach selbstständig machten). Üblicherweise sollten die Bildchen einem verraten, WAS man beim Tatschen auslöste. Das Grabbeltier schien wohl mit Auswahl, Layout, Darstellung und Bedienbarkeit des neuen Heims nicht zufrieden. "Gardinenwechsel", ja, nur anders, eher Komplettentrümpelung! Mit dem Ergebnis, dass Charlie außer den physischen Möglichkeiten des Gehäuses fast gar nichts wiedererkannte. Zumindest hatte sie jedoch schon herausgefunden, wie man telefonieren konnte. Die Ziffern blieben arabische Ziffern. Tröstlich. Schön, wozu brauchte sie auch ein leserliches Adressbuch?! Das verhinderte ja gesundes Gedächtnistraining. Textnachrichten zeigte eine Art Rohrpostkapsel an. Kreativ. Besser wäre noch gewesen, wenn man die Zeichen hätte dechiffrieren können. "Ich kann das immer noch nich lesen." Ließ sie das Grabbeltier wissen, dessen Avatar über das Display tänzelte. Es zischelte und funzelte wie eine einzelne Flamme. "Nö, das is auch nich besser. Kannst du nich einfach das bestehende Alphabet benutzen?" Offenbar fand das Grabbeltier andere Varianten, die Charlie noch nie gesehen hatte, aber irgendwie an den Koli-Hilferuf erinnerten, schmucker. "Uh...ganz schlecht. Was soll n das sein, Blumensprache?" Charlie seufzte. Irgendwie sah es ihr verdächtig danach aus, als müsse sie selbst eine Übersetzungstabelle bemühen, wobei sie keine Ahnung hatte, ob die fremden Alien-Schriftzeichen 1 zu 1 in Buchstaben ihres mehr oder weniger römischen Alphabets übertragen werden konnten. Glücklicherweise hatte sie eine mündliche Verabredung getroffen und temporär den Laptop ihres Vaters ausgeborgt. "So viel zur Bescherung!" Grummelte sie, ließ das Grabbeltier wild herumexperimentieren. Fein, digitale Diät oder Auszeit oder so, kein Problem. Falls es mal an Vorsätzen mangeln sollte. ~*@*~ "Meine Fresse!" Stellte die alte Daimonin mit den ledernen Schwingen und der Schürze fest, als Arbeiterinnendenkmal auf ihren Besen gestützt. Pilates grinste, was man jedoch nicht ohne Röntgenbrille erkennen konnte. Die Hirtenhund-Assoziationen kamen nicht von ungefähr. Vor ihnen wetzte Koli auf einem Rollbrett mit Pedalantrieb durch die Hügellandschaft auf kleinen Pfaden, voller Elan, begierig darauf, sich ins kleinteilige Vergnügen zu stürzen, denn hier, quasi am Bermuda-Dreieck-Ende, landeten Puzzleteile, all die, die man wegwarf, bei denen genau EIN Stück fehlte, die ungeliebte Motive darstellten! Wenn man alle zusammengesucht hatte, konnte man sie selbstredend wieder in Umlauf bringen. Oder als Fußbodenbelag, Wandbehang, Tischauflage, eben alles mögliche nutzen, sofern die Unterseite klebrig genug gestaltet war. Diese Halden hier boten den Tummelplatz für Nicht-Frustrierbare, Schatzsuchende, Bastelfreudige und Koli, der hier nicht mit Fortbewegungskonfektionsabmessung geplagt werden konnte. Nicht nur seine neue Sehhilfe mit fröhlichem Blütenrahmen ließ ihn gleich ganz anders auf die Welt blicken! "Oh, das ist das Paradies!" Jubilierte er, drehte eine weitere Runde, um sich dann mit Podex voran in einen unsortierten Haufen zu katapultieren. ~*@*~ "Oh, es funktioniert, es funktioniert!" Jubelte Laurent begeistert, löste einen Schnappschuss aus. Schmunzelnd ließ sich Mammut nicht bei seiner Feinarbeit stören: mit Zahnseide vorsichtig den "Kuchenboden" in drei getrennte Partien zerteilen, denn eine Torte bestand ja aus Schichten! Sie waren nun im Begriff, nachdem das Backen und Abkühlen absolviert war, die erste Hürde mit Bravour zu nehmen. Zwischenzeitlich hatten sie Puddingkrem angerührt und, zugegeben, leicht geschummelt, gekaufte Marzipan-Dekoration behutsam ausgelegt. Mammut richtete sich auf, studierte die Einzelteile. Jetzt hieß es laut Rezept, vorsichtig die Etagen zu "stapeln", fast wie bei Lasagne oder einem Schichtauflauf, nur ohne praktischen Tortenring, aber da behalfen sie sich eben. Die Glasur musste ohnehin warten. Kichernd werkelten sie gemeinsam, was hin und wieder zu "Händeleien" führte, wenn Puddingkrem und geschnittenes Obst auf Löffeln kollidierten. "Schön!" Laurent dokumentierte das Zwischenergebnis mit einem weiteren Schnappschuss. In der Auflauf-Glasschüssel konnte man die Schichten genau erkennen. Jetzt noch eine Ruhephase im Kühlschrank, dann der letzte Schritt, wenn sie den improvisierten Pappring vorsichtig entfernten, an den untergelegten Zwirnen das Papppodest unter dem Tortenboden ganz vorsichtig aus der Schüssel hoben. Es kam noch "Spachtelmasse" drauf, Sahnehäubchen und Marzipan-Dekor! "Das wird die schönste aller Weihnachtstorten!" Bekundete er hingerissen. Mammut schloss behutsam die Kühlschranktür. Er hatte das Gelass etwas unterbevölkerter in Erinnerung. "Warst du einkaufen?" Erkundigte er sich bei Laurent, der gerade Wasser für einen Tee aufsetzte. "Mit meinem Vater, heute Morgen. Ich hatte ja nur die Spätschicht." Referierte er auf den geteilten Unterricht, überließ es Mammut, die Teebeutel zu versenken. Während das Wasser langsam zu sieden begann, setzte er Mammut ins Bild. "Mein Vater schlug vor, gemeinsam Vorräte zu besorgen, weil man ja nicht wissen kann, was noch alles gesperrt wird. Er war sich nicht sicher, wer alles Essen zum Mitnehmen im Angebot hat. Auch im Hinblick auf die Feiertage." Mammut nickte langsam. Das konnte sich wirklich als Herausforderung herausstellen, wenn man üblicherweise auswärts speiste. Laurent zwinkerte ihm zu. "Wir haben uns auch ein bisschen unterhalten. Eigentlich sollte ich es ja besser wissen, was meinen Speiseplan angeht, nicht wahr? Nicht gleich durchsacken, wenn ich ein bisschen mehr Stress erfahre." Das Wasser kochte nun, sodass Laurent es erst kurz abkühlen ließ, bevor er die Teebeutel sorgsam taufte. Mit einem schiefen Lächeln blickte er zu Mammut hoch. "Allerdings ist die Theorie nicht so einfach in unserem Männerhaushalt in die Praxis umzusetzen, deshalb hat mein Vater tatsächlich vorgeschlagen, dass wir einen Kochkurs zusammen machen. Da gibt es mittlerweile auch Online-Angebote. Wir müssen bloß einen finden, der absolute Laien mit möglichst Pflanzenkost und wenig Spezial-Utensilien verbindet." Er überwand die Distanz, kuschelte sich frech an Mammuts Front an, der ihm die Arme um die Schultern legte. "Quasi ein Vater-Sohn-Projekt. Ohne handwerkliche Herausforderungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Gliedmaßen-Verlust befürchten lassen." Mammut gluckste basslastig. "Vielleicht ist es nicht so einfach, weil ich ja Nahrungsmittel meiden soll, die Entzündungsreaktionen verstärken können." Oder im Ruf standen, bei Übermaß depressive Stimmungen zu befördern, wenn die eigene Darmflora so geneigt war. "Das klingt nach einer guten Unternehmung." Lobte Mammut die Idee. Vielleicht würde es auch helfen, die Hilflosigkeit zu verdrängen, die er zwischen Vater und Sohn gespürt hatte, mit einem anderen Empfinden füreinander, mit einer Versicherung, dass allen Wunden, allem Unglück zum Trotz eine unauflösliche Verbindung bestand. "Ach du Güte, ich habe noch keine Zeichnung für dich!" Erinnerte sich Laurent just in diesem Augenblick. Mammut hatte ihm für diesen Tag einen kunstfertigen Papierstern überreicht. "Wir könnten unseren Tee mit in dein Zimmer nehmen, während die Torte durchzieht?" Optionierte er ungeniert, weil es schön war, auf Laurents großem Bett zu sitzen, diesen in den Armen vor sich, ihm über die Schulter zu schauen, wo auf einem schlichten Blatt Papier oder einer freien Displayfläche wie von Zauberhand etwas Gestalt annahm! "Gute Idee! Ich kann auch fix die Fotos von unserer Torte in mein Glücks-Album übertragen!" Laurent strahlte zu ihm hoch, die tiefschwarzen Augen vergnügt funkelnd. Er löste sich geschmeidig, apportierte beide Teebecher. "Was darf ich dir zeichnen?" Erkundigte er sich über eine Schulter hinweg bei Mammut, der ihm trotz Riesengestalt lautlos folgte. Etwas verlegen räusperte sich Mammut. "Wenn es dir nichts ausmacht, würdest du in MEIN Glücksheft unsere Weihnachtstorten-Aktion zeichnen?" Denn er hatte gerade erst sein Herz an die niedlich-frechen Comic-Darstellungen aus Laurents Zeichenstift verloren. ~*@*~ Pilates galt nicht umsonst als der definitiv merkwürdigste aller SP. DAS wollte schon was heißen! Niemand konnte ihm jedoch absprechen, dass er sich nichts einfallen ließ, was sein korrekturbedürftiges Klientel betraf! Koli zumindest schwebte in einem glückseligen Zustand über die Puzzleteil-Halden, würde in einem halben Jahr bestimmt mit Bravour seinen Test absolvieren. Cousin Ikol, der professionelle Mauken-, Klauen-, Krallen-, Laufwarzen- und sonstige Extremitäten-Pflegende stellte eine andere Hausnummer dar. Sendungsbewusstsein konnte knifflig sein! Doch Pilates fand, dass man Talente nicht ungenutzt lassen sollte, selbst wenn sie bloß in der eigenen Vorstellung existierten. "Was soll ich hier?" Erkundigte sich Ikol misstrauisch, die großen Augen glubschten zwischen kurzem Fell hervor. Weil man die versengten Anteile heraus säbeln wollte, hatte sich eine Gesamtfellstutzung angeboten. Attraktiver als ein Flusenball wurde Ikol dadurch nicht, aber es roch weniger streng nach verbranntem Keratin, einer schwefelhaltigen Verbindung. Pilates rückte den drehbaren Hocker ein wenig näher unter die Platte in der Nische. Die öffentliche Collectio bot auch Anschluss in die Welt, auf die andere Seite, zumindest beinahe. Aus Forschungsgründen oder wenn man sich mal gruseln wollte, bis einem das Fell über den Schädel den Rücken hinunter kroch. "Das ist eine Bürgerschaftsbeteiligungsplattform." Erläuterte Pilates, schob die Schreibtafel näher an die kurzen Pfoten seines zweiten "Auftrags" heran. "Es geht um einen kleinen Etat, der für Verbesserungen im Wohnviertel genutzt werden kann. Man kann Vorschläge einreichen, für sie werben, Stimmen sammeln. Natürlich müssen alle Vorschläge fundiert begründet werden." Wurzelgras-Demokratie, jede dort wohnende oder arbeitende Person konnte sich einbringen und abstimmen. Ikol schnaubte abschätzig, krakelte sofort los. Was er noch lernen würde, -Pilates rechnete damit-, war, dass er es hier mit MENSCHEN zu tun hatte. Seine handschriftlichen Notizen wurden transkribiert, auf die Plattform geladen, wo viele andere, wohlmeinende, teilweise sehr versierte und einschlägig gebildete Menschen IHRE jeweiligen Vorschläge präsentierten. Ikol, der auf dem Bildschirm übersetzt Beiträge und Reaktionen, neue Eingaben und Diskussionen verfolgte, grollte, krakelte energisch weiter. Pilates schlenderte gelassen und unverabschiedet davon. Das Ulkige an Menschen war, dass sie nun mal menschlich waren, unerreicht bei der Fuzzy-Logik. Während Ikol in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen war. Da konnte man schon mal annehmen, man wisse alles besser, was, selbst bei korrekter Selbsteinschätzung, nicht linear damit einherging, dass dieses Wissen von anderen goutiert oder gar umgesetzt wurde! Zufrieden und zuversichtlich, Ikol in einem halben Jahr mit sehr viel mehr "Menschen-Expertise" vor das Prüfungsgremium bugsieren zu können, entschied er sich für einen Imbiss. Möglicherweise würde er da einen alten Bekannten treffen, der ihm immer mal einen ausgab und auf der Nasenspitze tatsächlich eine Schocklanze balancieren konnte! ~*@*~ Dirk verbannte dubiose Ermittlerinnen, langhaarige Revoluzzer-Fußhupen und andere Kuriositäten entschieden aus seinem Kopf. Er hatte einfach zu viel zu tun, um sich mit solchen Merkwürdigkeiten zu befassen. Keine Revolution, zumindest nicht, soweit er sie erkennen konnte, also keine Notwendigkeit für Reaktionen. Vor ihm lag hingegen tatsächlich Bedeutsames: Impfstoffkühlketten mit maschineller Unterstützung prozessual sicherstellen. Verschiedene Unternehmen waren angefragt worden, damit die zahlreichen Impfzentren wie am Fließband laufen konnten, was die bekannten Charakteristika mancher Impfstoffe zu besonderen Herausforderungen machte. Zudem mussten die Impfenden ja auch unterstützt werden, überflüssige Handgriffe/Umwege oder Ähnliches möglichst zu vermeiden. Man konnte nicht Leute auf Rollen stellen und ständig Nachschubdosen in die einzelnen Zeltkabinen befördern lassen! Knifflige Konstellation! Wie konnte man also ein Logistiksystem steuern? Dirk studierte immer wieder die Skizzen, nippte an seinem kalten Kaffee, im Hier und Jetzt, doch in ganz anderen Sphären unterwegs. ~*@*~ Charlie überprüfte die Liste der Zutaten. Sie verstaute die abgewogene Menge in der Tasse, rührte grimmig, den Laptop ihres Vaters im Blick, ihr Mobiltelefon auf Empfang. Das, nun, gab ein Geräusch von sich. Vorher hätte man gesagt, es klingele. Jetzt hatte das Grabbeltier eine Art Meditationsklangschale als Ausgangsmaterial gewählt und experimentiert. "Toll." Grummelte Charlie. Wenigstens würde sie jetzt IMMER wissen, wann IHR Telefon lärmte. Verwechslungsgefahr ausgeschlossen. "Hallo Laurent. Ich hab meine Tasse schon gefüllt." Ließ sie hören, glücklicherweise die Ziffernfolge identifizierend. "Äh, Charlie?" Es klang verunsichert, jedoch mit einem satten Klang, den sie bisher noch nicht vernommen hatte. "Ja? Was nich in Ordnung?" Erkundigte Charlie sich misstrauisch, das Display beäugend. Es wirkte noch immer so chaotisch wie vorher. "Du hörst dich seltsam an." Stellte Laurent fest, der extrem Kino-tauglich klang. "Warte mal einen Moment." Charlie legte auf, weil sie keine Vorstellung hatte, wie sie den Anruf halten sollte, weil kein Symbol wiederzuerkennen war. Sie bimmelte das VoIP-Telefon an. Die mobile Einheit am Ohr sprach sie in ihr Telefon. "Hast du was mit der Tonqualität angestellt?!" In ihr Ohr dröhnte eine sehr bekannte, sonore Stimme, die üblicherweise alles außer Tiernahrung anpries oder nur langsam bis gar nicht starb. Grimmig legte Charlie auf, räumte die Mobileinheit wieder in die Ladestation. "Nein. Nicht gut!" Adressierte sie den Avatar des Grabbeltiers. Nichts gegen den Synchronsprecher von Bruce Willis und anderen, aber wenn sie schon telefonierte, dann mit eigener Stimme. "Das ist ein Telefon, klar? Kein Navigationsgerät oder ne Lauschdose." Das Grabbeltier tänzelte vor sich hin. Charlie seufzte. "Na klar, wir werden uns prima verstehen!" Grollte sie, rief Laurent zurück. "Ah, Charlie?" Die Augen rollend bugsierte Charlie ihre gefüllte Tasse in die Mikrowelle. "Klinge ich immer noch wie Bruce Willis?" Laurent lachte leise. "Nein, jetzt hörst du dich wie immer an. Ist was mit deinem Telefon nicht in Ordnung?" Hmm, offenbar hatte das Grabbeltier zumindest begriffen, dass sie von der jüngsten Änderung nicht begeistert gewesen war! "So ne Art vorgezogener Frühjahrsputz, der ein wenig ausartet." Brummte sie. "Wie weit seid ihr?" Der Laptop meldete den Eingang einer E-Mail, im Anhang ein Schnappschuss der Comicstrip-artigen Darstellung ihrer Weihnachtstorten-Manufaktur. "Wow, ist die schon durch?" "Wir müssen sie noch dekorieren. Aber erst mal wollen wir mit dir Tassenkuchen essen und Kakao trinken." Gab Laurent bekannt, bestens gelaunt. "Also gut, ich garantiere für nix. Hoffentlich funktioniert das Kamera-Dings am Laptop." Damit startete sie nicht nur den Countdown, sondern auch die Arbeit der Mikrowelle, was Laurent und Mammut ihrerseits auch taten. "Uuuuund fertig!" Zufrieden, dass der Rauchmelder keine Arbeit bekam, barg Charlie die Tasse mit einem Kuchen als Einhocker. Sie lichtete ihr Ergebnis ab, schickte es los. Wenige Augenblicke später trudelte der Schnappschuss von zwei Tassen ein. "Das sieht gut aus." Wenigstens besser als der Backstein des Brotbackversuchs ihrer Mutter. "Kakao austeilen!" Kommandierte Charlie über den Lautsprecher ihres Telefons. Erstaunlich klar hörte sie Mammut antworten. "Roger!" Doch bevor sie gemeinschaftlich den Löffel in das Tassenbackwerk versenken konnten, überlagerte eine Übertragung jeden digitalen Austausch. ~*@*~ Laurent ließ vor Schreck seinen Löffel fallen, als unerwartet der Fernseher samt Stereoanlage zum Leben erwachten. Nicht nur das, auch Mammuts Mobiltelefon mischte sich in den Chor. Selbiger erklang vielstimmig, denn alles, was sich irgendwie vernetzen ließ, machte munter mit, transportierte die schlichte Vorgabe der Mundharmonika. Dazu läutete man auch noch Sturm an der Wohnungstür. Mammut entschied, sich als Prellbock zu betätigen. Auf dem Flur stand jedoch lediglich der Nachbar, Dirk, genau!, bleich, anklagend in einer Hand sein Mobiltelefon, in der anderen ein Convertible. "Sie haben es getan!" ~*@*~ Dem Anlass angemessen gekleidet rückte Horowitz seine rote Zipfelmütze mit weißem Besatz zurecht, setzte die Mundharmonika sanft mit seinem geschickten Klauen ab. Er fand seine Interpretation von "Backe, backe, Kuchen!" durchaus ansprechend, auch wenn man sich vermutlich eher an Tako erinnern würde, kongenialer Erfinder, aber auch Chef von "Pussys Patisserie". Was möglicherweise Charlie auf dem feinen Häubchen an den seltsamen Schriftzeichen hätte erkennen können. Grinsend wirbelte der Kopffüßler ohne Mühe in feinster Jonglage Utensilien und Zutaten durch die Luft, im einfachen Rhythmus des Kinderlieds. "Einmal rund um den Globus." Stellte Inspize Pyrophya fest. Ihrem besonderen Talent war es zu verdanken, dass Horowitz in einem sehr geheimen Gebäude sein Solo musizieren konnte. Während man vermutlich panisch rätselte, wie es dazu gekommen war, dass überall...?! Takos Beitrag hatten sie eingespielt, weil der es ohne seine mobile Atmosphäre doch ungemütlich fand. "Schön." Inspize Pyrophya nahm die Mundharmonika in die Rechte, verbrannte sie blitzartig in einer weißen Flamme zu Asche, ohne dabei die Rauchmelder auszulösen. "Jetzt können die Feiertage kommen." Sie bot Horowitz den Arm, der auch die Einladung auf ein Salat-Gemüse-Büfett bei Medusas Delikatessen in der Metropole nicht ausgeschlagen hatte. Sonst kam er so mühelos nie in der Gegend herum! Sie schlenderten zum Türrahmen, verschwanden spurlos, beinahe zumindest. Allerdings wusste BlueMax natürlich Bescheid, tilgte artig alle Aufzeichnungen. Er fand es einmal mehr ein sehr gelungenes Abenteuer! Weil der Übertragungskanal noch nicht ganz geschlossen war, fügte er sein persönliches Resümee an. "Friede, Freude, Eierkuchen!" ~*@*~ Danke fürs Lesen! ~*@*~ kimera