Titel: Heimathafen Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Erstellt: 21.06.2018 Disclaimer: alles Meins, soweit nicht anders erwähnt! +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* +++* Heimathafen Kapitel 1 - Das Verbrechen Es war schon beschämend einfach, fand Krokodil. Andererseits hatte er sich auch akribisch vorbereitet, wollte nichts, nun, zumindest so wenig wie möglich, dem Zufall überlassen. Erprobt hatte er diverse Aktivitäten auch im Rahmen seiner Möglichkeiten: man wollte sich schließlich nicht blamieren, denn immerhin war er im Begriff, Verbrechen zu begehen, die ihm "lebenslänglich" einbringen würden! +++* Leonidas Bartholomy Augustine Faarendorf, keinesfalls "Leo"! Das hatte er sich sofort verbeten, mit seinen berückend veilchenblauen Augen frostig in die Runde gefunkelt. Nicht gerade der perfekte Einstieg in eine neue Klasse, eine neue Schule nach den Winterferien. Zunächst ließ sich niemand davon abschrecken. Was hatte man nicht alles gehört! Die Mutter eine bekannte, ungarische Altsopranistin, zu Hause auf den größten Bühnen der Welt, der Vater, ein renommierter Architekt mit diversen Lehraufträgen, deutsch-argentinischer Abstammung! Ihr Sohn sollte gleich mehrere Sprachen fließend sprechen: Spanisch, Englisch, Französisch, Ungarisch und Deutsch! Kam direkt aus Vancouver, Kanada, hatte aber laut Vita auch schon in Brasilia, Bern und Singapur gelebt. Sein Pass wies verblüffender Weise die amerikanische Staatsbürgerschaft aus. Andererseits keine Überraschung, wenn man während einer Semester-Vortragstätigkeit des Vaters in San Francisco das Licht der Neuen Welt erblickte. Bei so einer bunten Schulbiographie schien ein Test dringend angezeigt, um einstufen zu können, wo man den knapp 17-jährigen "verstauen" könnte, wie sich der Rektor jovial ausdrückte, entzückt von einigen Kostproben des brasilianisch angehauchten Portugiesisch. Jedenfalls zeigten sich alle entschlossen, dem Neuankömmling ein freundliches Willkommen zu verschaffen. Außerdem, das musste man ja nicht verschweigen: ausgesprochen adrett trat er schon auf, dieser Weltenbürger! Begleitet von einem Bekannten aus dem Konsulat, weil, nun ja, man hatte Verständnis, die Eltern noch anderweitig engagiert waren. Allerdings, so ein selbstbewusster, junger Mann, der konnte sich auch durchaus selbst vertreten, kein Zweifel! Leonidas präsentierte sich beherrscht vor seiner neuen Klasse: dunkle Stoffhosen, veilchenblaues Hemd, darüber einen dunklen Sweater, solide, flache Schnürschuhe, sehr schlank, beinahe schon etwas zu mager, mit einer perfekten Schneewittchenhaut und einem gestuften Schnitt, der eine beeindruckende Fülle lackschwarzer, seidig-glatter, schwerer Haare eine Fasson verlieh. Für die Gesamtschule der Kreisstadt quasi ein Hollywoodstar einerseits. Andererseits sehr knapp in der Sprache, distanziert im Gebaren, grundsätzlich kein Kommentar zu seinem Privatleben, persönlichen Interessen, Hobbys. Sobald eine Pause zwischen den Unterrichtseinheiten anstand, legte er die Arme gekreuzt über seine Aktentasche (!), klappte die Kapuze seines Wollmantels über den Schopf, verbarrikadierte sich, schlief. Möglicherweise. Jedenfalls reagierte er auf keine Ansprache, Einladung oder Neckerei. In der Mittagspause wurde es noch skurriler: Leonidas ging nicht etwa in die Kantine, sondern biss mit verächtlichem Ausdruck auf der Miene an einem Riegel herum. Nicht etwa einer der üblichen Verdächtigen, die für die passenden Hüftringe a la Saturn sorgten, sondern die Variante, die Ausdauersportler bevorzugten. So was sah man hier wirklich selten! Im Supermarkt jedenfalls konnte man diese merkwürdigen Dinger nicht kaufen. Irgendjemand spottete, es handle sich trotz der Verpackung um die Körner-Beißstangen für die geflügelten Freunde in Käfighaltung. Aber von einem fröhlichen Singvogel hatte dieser verstockte Leonidas so gar nichts! +++* Es bereitete keine große Mühe. Das altmodische Damenrad mit der unkleidsamen Ummantelung aus farbigem Klebeband (mutmaßlich, um den Rost in Schach zu halten) fungierte ohnehin eher als Rollator-Variante. Krokodil wuchs, wie geplant, aus dem ungepflegten Gebüsch direkt hinter dem Tor des "Pförtnerhäuschen" aus dem Boden. Er zog das Fahrrad an sich, was Leonidas mitriss, der kaum Reflexe zeigte, noch immer die umwickelten Lenkergriffe umklammerte. Das solide Gebüsch fing den Drahtesel, Krokodil sein Opfer. Schneller als jeder Hilfeschrei verstopfte er den Mund mit einem gedrehten, fusselfreien Baumwolltuch. Er schlang einen Arm um den schmächtigen Oberkörper, klemmte Leonidas' Arme effektiv ein, der sich kaum aus dem Trenchcoat winden konnte in dieser Lage. Wie zuvor notiert fand Krokodil die Haustürschlüssel in der linken Hosentasche. Natürlich, denn Leonidas' bevorzugte Hand war die Linke! Rasch zerrte er sein sich ungeschickt windendes Opfer die schlüpfrigen, von Moos überzogenen Platten zum Eingang des Pförtnerhäuschens, drehte den Schlüssel im Schloss. So weit, so gut! +++* Krokodil war eigentlich nicht der Typ, sich in den Vordergrund zu spielen. Das hatte er, zu seinem stillen Leidwesen, gar nicht nötig. Ein bisschen pummelig, ein bisschen langsam, nicht gerade aufgeweckt oder von bübischem Charme. Vorher. Dann kam die Pubertät. Womit man ja aus Erfahrung rechnen konnte. Nicht allerdings mit ihren besonderen, höchst persönlichen Unannehmlichkeiten. Zugegeben, metaphysische Mathematik zählte nicht zu seinen größten Interessensgebieten. Ja, wahrscheinlich (im mathematischen Sinne) musste es bestimmte Konstellationen in einem Universum von Möglichkeiten allein schon statistisch gesehen geben. Das stellte er gar nicht in Abrede. Allerdings, die Eins vor dem Verhältnis nach dem Doppelpunkt, die musste man ja nicht immer einnehmen. Nun, vielleicht bei einem Lottogewinn. Die Welt lebte also vom Ausgleich, bestand aus Möglichkeiten. Hätte man ihn gefragt, so wäre ihm die Möglichkeit sehr genehm gewesen, auf diese schicksalhafte Auszeichnung dankend zu verzichten. Aber gefragt hatte niemand. So fand er sich, ohne dafür in irgendeiner Art verantwortlich zu sein, in einer gar nicht so kleinen Gruppe wieder, für die Pubertät ein quälendes Spießrutenlaufen bedeutete, spiegelnde Flächen und Fotos vermeidend. "Akne" nannte es der Volksmund, wenn ihm nach Höflichkeit war, zumeist jedoch eher rustikal "igitt!", "eklig!", "boah, voll hässlich", "total abartig!" und dergleichen. Keine Bravorufe jedenfalls. Die unerfreuliche Veränderung seiner Haut zeitigte unterschiedliche Behandlungsansätze: Tabletten, Salben, diverse Diäten. Nach zwei Jahren, die festlegten, dass er, abgesehen von einem großen Müllsack als ständige Ganzkörperverhüllung, für den Rest seines Lebens gezeichnet sein würde, eine karmische Lobpreisung. Sozusagen ein Bonus auf dem Existenz-Konto im metaphysischen Kontext. "Mann, sieht scheiße aus, klar, aber stell dir mal vor, du wärst ne Tussi! Da könnste dir gleich die Kugel geben!" Tja, auch ein Ansatz, sich ein wenig als selbstloser Held fühlen, weil man die mathematische Wahrscheinlichkeit auf sich genommen, einem weiblichen Wesen diese lebenslange Entstellung erspart hatte. Ärgerlicherweise bewies jeder Spiegel, dass diese heroische Tat nicht unbedingt ausglich, was sich dem Auge des Publikums bot. Rötlich wirkende, zum Teil verhärtete, Narben gezeichnete Haut: Gesicht, Brustpartie, Schultern. Aber er hatte durch die Diäten wenigstens jeden Anflug vom Pummeligkeit verloren, die Schultern breit, kräftige Arme und Beine. Hätte er sich nicht so abstoßend gefühlt, wäre er zweifelsohne ein rasanter Schwimmer gewesen, aber mangels Neopren-Ganzkörper-Badeanzug schloss sich diese Option aus. Trotzdem, vielleicht wegen der Schuppenpanzer-Qualität einzelner Hautpartien, war der Spitzname an ihm hängen geblieben wie Pech: Krokodil. +++* Von koordinierter Gegenwehr keine Spur, nicht mal beeindruckendes Zappeln. Krokodil folgte dem schmalen Gang des gedrungenen Pförtnerhäuschens, wählte die zweite Tür rechts. Dort fand sich ein unordentliches Sofabett, mit zerwühltem Bettzeug gekrönt, daneben ein offener Reisekoffer. Er legte seine Beute bemüht behutsam auf dem Bauch ab, die Arme darunter eingeklemmt, kniete sich auf die recht harte Unterlage, die das Sofabett bot. Rasch verknotete er das gedrehte Baumwolltuch im Nacken, achtete darauf, keine der dicken, lackschwarzen Strähnen versehentlich einzuklemmen. "Alles am Mann!", lautete eine bekannte Devise, deshalb hatte Krokodil auch seine bewährten Cargo-Hosen entsprechend präpariert. In geübter Präzision barg er vier Schweißarmbänder, aus dem Fundus des Fitnessstudios, in dem er gelegentlich beim Bestücken der Bestände aushalf, daneben das erste Stretchband, nicht mehr en vogue, seit es diese elastischen, viel leichteren Latexbänder gab. Zuerst das dominante linke Handgelenk unter dem Bauch-Kerker geborgen, Schweißarmband übergestreift, beinahe Kinder-Durchmesser, linke Hand unter dem eigenen Knie fixiert, aber ohne Gewichtsbelastung. Rechts dasselbe Manöver, das gewebte Stretchband um beide Handgelenke gewunden, jetzt stabile Seitenlange in geschickter Halbrolle. Atmung kontrollieren. Puls? Pupillen? Krokodil hielt die dünnen Beine zwischen den eigenen, kräftigen Oberschenkeln eingequetscht, ließ sich auf die Hacken sinken, wich dem erschrockenen, flatternden Blick nicht aus. »Ah, Text!« Er entzog einer weiteren Tasche einen gefalteten Zettel, räusperte sich. "Zunächst mal entschuldige bitte den Schreck. Leider lässt sich der wie auch die körperliche Gewalt nicht vermeiden." Krokodil konzentrierte sich mit Stirnfalte über dem Nasenrücken. "Der Ordnung halber weise ich dich darauf hin, dass du jedes Recht hast, dich zur Wehr zu setzen, jede Kooperation zu verweigern. Allerdings bin ich einen Kopf größer, wiege geschätzte 30 Kilo mehr, davon einiges an Muskelmasse." Er sandte einen dunkelbraunen Blick über den Blattrand auf das zerwühlte Laken. "Deshalb ist es ganz unzweifelhaft akzeptabel, wenn du zur Vermeidung unnötiger Schmerzen auf körperlichen Widerstand verzichtest." Er nickte kurz, um sich zu versichern, dass er schon wesentliche Punkte abgehandelt hatte. "Das beeinflusst auch nicht den Strafrahmen, soweit mir bekannt ist." Ergänzte er aufmunternd. "Jedenfalls darf ich dir auch versichern, dass du keinerlei Schuld daran trägst, was ich zu tun beabsichtige. Es handelt sich auch nicht um eine Rache, Revanche oder Ähnliches." Die veilchenblauen Augen bezogen sich mit einem glänzenden Lack aus Tränen. "Es wäre auch sehr entgegenkommend von dir, wenn du der Polizei sagen könntest, dass ich unbewaffnet bin, keinen Widerstand leiste und es nicht nötig ist, die Tür einzuschlagen." Las Krokodil vom unteren Ende des Zettels ab. Damit verstaute er den Zettel wieder in der Hosentasche. Er knöpfte die dunkle Stoffhose auf, um sie samt Unterwäsche von Leonidas mageren Beinen zu pellen, ihn dabei in Höhe der Knie wieder auf den Bauch rollend. Strümpfe tauschten ihren Platz mit den zwei übrigen Schweißarmbändern um die Fußknöchel, die ebenfalls aneinander gebunden wurden. Krokodil drehte Leonidas wieder auf den Rücken, befasste sich nun mit der Oberbekleidung. "Weißt du, ich bin mir der Tragweite meiner Verbrechen durchaus bewusst." Erläuterte er, während er Trenchcoat, Sweater und Hemd aufgeknöpft bis zu den Ellenbogen aufwickelte. "Ich bin nur recht besessen von dir, das muss ich zugeben. Aber wenn ich dafür mindestens dreißig Jahre ins Gefängnis komme, möchte ich, dass es sich auch lohnt." Wieder rollte er Leonidas auf den Bauch, löste das Stretchband um die Schweißarmbänder an den Handgelenken, damit er die komplette Oberbekleidung abstreifen konnte, verband die Handgelenke eng auf der Vorderseite, wickelte quer darüber eine lange Paketkordel, die er um ein Bein des Bettsofas knotete. Vollkommen entblößt zitterte Leonidas, die Arme überstreckt, unfähig, sich von dem Gewicht zu befreien, das ihn kontrollierte. Krokodil fesselte die Fußgelenke mit derselben Methode am entfernten Ende des Bettsofas, zog die Bettdecke über Leonidas' nackten Körper. "Ich habe nicht die Absicht, dir wehzutun." Verkündete Krokodil, sich erhebend. "Allerdings mangelt es mir auch an Übung, sodass ich es nicht ausschließen kann." Er überprüfte die gespannte Qualität seiner Fesselung, nickte zufrieden. "Die gute Nachricht ist aber, dass wir die gesamten Pfingstfeiertage Zeit haben werden, an diesem Manko zu arbeiten." +++* Krokodil hielt sich in der Regel zurück, blieb im Hintergrund. Klar, vorne hätte er auch den Blick blockiert. Von einer "schönen Aussicht" konnte wohl gar keine Rede sein! Das große Wort zu führen lag ihm auch nicht gerade, zumindest nicht, wenn es andere gab, die sich entsprechend betätigten. Beispielsweise seine Mutter: sie redete schnell, viel und mit mehr Gestik als beim Gebärdendolmetschen! Das bedeutete jedoch nicht, dass er sich nicht ausdrücken konnte. In zwangsweiser Isolation bis zur finalen Akzeptanz seiner nicht gerade augenfreundlichen Erscheinung hatte er sich aufs Schmökern verlegt. Das konnte man allein tun, zurückgezogen, dennoch ohne Tadel, wenn man auf die Verwendbarkeit der Lektüre für den Schulunterricht verwies. Also erweiterte er seinen Horizont, notierte sich wichtige Gedanken. Krokodil mochte Worte, Präzision in der Ausdrucksweise. Vages Andeuten blieb ihm ein Gräuel. Außerdem sorgte Ungenauigkeit für Schwierigkeiten. Zum Beispiel bei Bauanleitungen. Mit wachsender Körpergröße fiel es ihm nämlich zu, den Zweipersonenhaushalt entsprechend handwerklich zu bewirtschaften. Wenn er schon gerade dabei war, auch den der betagten Nachbarschaft. Oder mal nach dem elektrischen Rollladen des Getränke- und Gemischtwarenladens gegenüber zu schauen. Krokodil erhielt zum Dank für seine Mühen ein Sammelsurium an Werkzeug, einige Schwielen an den Händen und viel Einsicht in sowohl Technik als auch menschliche Natur. Wenn er sich nützlich machte, vergaßen die meisten Leute seine äußerliche Erscheinung. Wenn er den Dingen auf den Grund ging, staunten sie über seine Geduld und sein Geschick. Eigentlich gar kein schlechtes Dasein, aber schon ein wenig einsam, perspektivisch betrachtet. +++* Krokodil schob das Fahrrad unter die Traufe, befestigte das Vorhängeschloss an einer alten Kette. Es mochte exzentrisch wirken, erschien ihm jedoch eher wie ein Notbehelf. Er räumte sein Gepäck ins Pförtnerhäuschen. Durch einen alten Raumplan, den er in einer dünnen Heimatbroschüre aufgestöbert hatte, war er im Bilde, was der Grundriss bot: rechts, erste Tür Küche, zweite Tür Schlafzimmer, direkt am Ende des Flurs "gute Stube" mit nachträglich angefügter Terrasse. Die "Hygiene-Abteilung" stellte ein Kuriosum dar, denn zu Bauzeiten begnügte man sich mit einem "stillen Örtchen" außerhalb. Zum Waschen blieb das Lavatoire, ein Waschtisch mit Krug, Seife, Handtuch, im Schlafzimmer, selbstredend. Musste mehr gesäubert werden, leistete man sich später eine "Waschbütte", Knie unterm Kinn, zu mehreren das mühsam erhitzte Wasser hintereinander nutzend. Die trüben Reste wurden von zwei kräftigen Personen mit der Waschbütte draußen der Natur anvertraut. Kein Zustand, den man in die Moderne retten wollte. Es würde dementsprechend spannend sein, sich akribisch umzusehen. Zunächst galt es jedoch, sich um Leonidas zu bemühen. Deshalb betrat Krokodil gut ausgerüstet das Schlafzimmer erneut, ließ sich auf dem Sofabett nieder, betrachtete das bleiche Gesicht. "Wenn du es vorziehst, kann ich dir die Augen verbinden." Bot Krokodil höflich an. Leonidas zischte und gurgelte, ohne allzu viel Engagement. Vielmehr flatterten seine Augenlider. "Ist vielleicht besser. Da kommt dir auch das Licht nicht so grell vor." Entschied Krokodil, wählte ein weiteres Tuch aus seinem Vorrat. Es bedurfte keiner größeren Anstrengung, die veilchenblauen Augen zu bedecken, den Knoten auf die Stirn zu platzieren. Immerhin, wäre ja am Hinterkopf ausgesprochen unbequem! Krokodil kontrollierte bei dieser Gelegenheit auch den Sitz des Knebelknotens im Nacken. Das ließ sich akzeptabel an, wenn man das ziemlich lädiert wirkende Kopfkissen aufklopfte und positionierte! Ohne Hast begann er sich zu entkleiden, entourierte in Reichweite all die Artikel, deren Einsatz er für erforderlich oder zumindest möglich hielt. Wie schon eingangs erwähnt: er war im Begriff, Verbrechen zu begehen, die ihm lange Zeit hinter Schwedischen Gardinen einbringen würden (und damit war nicht der Möbelhersteller gemeint). Da sollte man auch das Beste daraus machen! Krokodil beabsichtigte, neben Einbruch, Landfriedensbruch, Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung auch wiederholte Vergewaltigung auf sein Kerbholz zu nehmen. +++* Man war sich rasch einig: Leonidas Bartholomy Augustine Faarendorf mochte aussehen wie ein Vampir-Engel, aber er verhielt sich wie ein Stinkstiefel! Maulfaul, abweisend, arrogant, überheblich, wollte sich einfach nicht an die Klasse anschließen! Klar, teure Klamotten wie ein Elite-Schnösel, pennte aber ständig auf seiner Aktentasche (!) ein! Mümmelte diese dämlichen Riegel, verzog sich sofort nach dem Unterricht auf dem lächerlichen Rad nach Hause, wohin er übrigens noch nie jemanden eingeladen hatte! Dabei schien der doch sturmfreie Bude zu haben. Krokodil fand Leonidas merkwürdig. Natürlich registrierte der ihn nicht mal, und wenn doch, mit einer abschätzigen Schnute. Daran war Krokodil gewöhnt. Was ihn jedoch wie ein Rätsel faszinierte, wie ein defekter Schaltkreis beschäftigte: wieso sackte Leonidas immer wie ein Sack Kartoffeln zusammen, wenn Pause war? Gut, körperlich, das merkte man schnell, erwies sich der schmale Schlaks kaum als belastungsfähig. Kein Wunder, bei der seltsamen Kost! Leonidas mochte Sport ausschließlich, wenn andere ihn betrieben. Er konnte in ermüdender Ausschweifigkeit mit gehässigem Unterton die feinen Verästelungen von Kricket erklären, um sich damit jeden Sport-Enthusiasten vom Hals zu halten. Komplexe Abseitsregel beim Fußball? HA, lächerlich! Im März hatte es diesen Unfall gegeben: Volleyball, Halle eng, Begrenzungslinien nahe an Sitzbank, hoher Ball, umkämpftes Spiel. Leonidas, notorischer Bankdrücker, hatte nicht damit gerechnet, dass ein Sportsmann in diesem Stadium kurz vor dem möglichen Sieg JEDEM Ball folgte, auch im Rückwärtsgang. Resultat: Bank umgekippt, Ball nicht getroffen, zwei fallen, nur einer steht auf. Krokodil bot sich an, im Krankenwagen mitzufahren, den man alarmiert hatte, aus Versicherungsgründen. Gut, nur eine Beule am Hinterkopf, unangenehm, aber es galt unbedingt auszuschließen, dass Komplikationen eintraten. Leonidas, der Zerbeulte, zumindest am Schädel unter dem dichten, längst nicht mehr so artig getrimmten Schopf, schlief, im Krankenwagen auf der Liege, in der Notaufnahme. Selbst bei der Untersuchung schien es kaum möglich, ihn wach zu kriegen. Krokodil katalogisierte diese Reaktion als bemerkenswert. Eine Folge des Schocks, niedriger Blutdruck, Blutzuckerspiegel nicht in Ordnung? Warum, das fragte er auch den Assistenzarzt, warum sackte Leonidas ständig in sich zusammen oder schleppte sich nach dem Unterricht, sobald er außer Sichtweite der Schule war, AUF das Fahrrad gelehnt, nach Hause? Mangelernährung? Leonidas war ein Leichtmatrose, was das Erscheinungsbild betraf, keine Frage. "Psychisch." Tippte der Assistenzarzt, der nach einer sehr langen Schicht froh darüber war, auf den Bildern keine Hinweise auf Einblutungen im Gehirn zu entdecken. Man solle den Hausarzt konsultieren, nicht nur, falls es dem Patienten unerwartet schlechter ginge. Der könne auch Tests veranlassen, denn nach dem, was er hier festzustellen habe, sei der junge Mann zwar leicht lädiert qua Beule, ansonsten aber nicht ernsthaft beeinträchtigt. Krokodil führte Leonidas gedankenverloren schweigend zur Schule zurück. Dieses Rätsel schien ihm mehr als wert, gelöst zu werden! +++* Nur, weil man optisch negativ aus dem Rahmen fiel, bedeutete es, leider, nicht, dass sich gewisse körperliche Reflexe verabschiedeten, selbst wenn zu befürchten stand, dass sie allenfalls eine weitere Plage für ihren ohnehin leidgeprüften Besitzer darstellten. Krokodil war sich über jeden vernünftigen Zweifel hinweg bewusst, dass er auf andere so reizvoll wie Maul- und Klauenseuche wirkte, gepaart mit Flohbiss, Pest und Cholera. Falls ihm selbst dieser Gedanke nicht gekommen sein sollte, half man ihm unverbrämt mit entsprechenden Bemerkungen und Kommentaren aus. Er wusste, dass er nichts zu bestellen hatte. Andererseits ignorierte seine Libido dieses Faktum ungerührt. Wieder mal wurde Krokodil einfach nicht konsultiert. Gut, man konnte dem gelegentlichen, nun ja, recht regelmäßigen, Drang manuell diskret abhelfen. Wäre auch unhöflich bis grausam gewesen, eine zweite Partei zu involvieren. Wenn da nicht, ja, wenn da nicht Leonidas gewesen wäre, der sich erdreistete, auch in seinem Kopf herumzuspuken, sich dort einzunisten, ganz unaufgefordert, immer mehr und mehr Platz zu okkupieren! Krokodil ordnete sich selbst konsterniert als "besessen" ein. Von Verliebtheit wollte er lieber nicht sprechen. Das hätte ja bedeutet, dass er auch ein wenig mehr Persönliches über das Objekt seiner Begierde erfahren hätte. Man musste etwas unternehmen. Die unliebenswürdigen Seiten von Leonidas kannte er ja bereits, was seiner Fixierung leider keinen Abbruch tat. Krokodil entschied konzentriert, er wolle eben alles erfahren! Wenn schon besessen, dann mit Haut und Haaren, Klauen und Zähnen, von großem Zeh bis wirrem Schopf! Und unter Mitnahme von allem, was dazwischen geboten wurde. +++* Krokodil nahm auf dem Sofabett Platz, so blank und bloß, wie Mutter Natur ihn nachdrücklich bis abstoßend ausgezeichnet hatte. Kein Anblick, den er üblicherweise Dritten zumutete, aber Leonidas war fürsorglich abgeschirmt durch die Sichtblende. Da konnte man sich durchaus als umsichtig betrachten. Krokodil schlug die Bettdecke zurück, betrachtete den ausgestreckten Leib: dünn, beinahe zu schlank, mit dieser Schneewittchenhaut, die feine Äderchen blau andeutete wie feinstes Marmor, wenig Körperbehaarung, zumindest sichtbare, deutlich erkennbar Knochen und Sehnen. Er blies sich warm auf die eigenen Handinnenflächen, um sie etwas anzufeuchten durch Atemluftkondensation. Leonidas zuckte heftig zusammen, als Krokodil über die Beine strich. "Verzeihung, die Schwielen sind hartnäckig." Entschuldigte Krokodil sich höflich. Einweichen mit Seifenlauge half nur bedingt. Die Haut unter seinen Handflächen erwies sich als angenehm temperiert, zart, gar nicht wie die Andeutung von hochfeinem Marmor. Leonidas verspannte sich, soweit es die Fesselung zuließ, atmete gepresst, aber Krokodil hatte nicht die Absicht, etwas zu überstürzen. Gründlich erkundete er den gesamten, ihm ausgelieferten Leib: warm, hart unter der dünnen Haut, zerbrechlich, leicht zu zeichnen, als könne jeder zu starke Kontakt unbeabsichtigt Hämatome verursachen. Sehr vorausschauend, die Schweißarmbänder zu verwenden! Krokodil hatte sich um eine umfangreiche Informationssammlung zu seinem Kapitalverbrechen bemüht. Aus dem Biologieunterricht waren ihm gewisse Anatomiekenntnisse vertraut, aber Vererbungspraktiken erläuterte man weiterhin frei nach Mendel an Erbsen. Glücklicherweise bot das Gesundheitszentrum mit diversen Flugblättern in der Auslage Inspiration und Aufklärung vor eher peinlichen Recherchen in der Bibliothek der Kreisstadt. Zum Beispiel pragmatische Hinweise zu "Safer Sex" für die gleichgeschlechtlich Interessierten, verschämt recht weit unten eingeräumt. Anschauungsmaterial blieb selbstredend rar, da hätte man entsprechende Hardware anfordern müssen bei gewissen Versendern, die zweifelsohne Minderjährige in ihren Geschäftsbedingungen ausschlossen. "Pah!" Pflegten seine Klassenkameraden zu spotten. "Bald gibt's alles im Internet! Frei Haus!" Darauf konnte Krokodil erstens nicht warten, zweitens leistete der hauseigene Anschluss über das Festnetz maximal Kriechgeschwindigkeit. Jedenfalls verbaten sich nach seinen Recherchen und gründlicher Vorausplanung grobe Stricke, Kunstfaserstoffe und Wäscheleinen. Er beabsichtigte schließlich nicht, Leonidas zu verletzen oder gar zu entstellen! Ergänzung erfuhr sein Reservoir an Materialien durch einen konzentrierten Marsch im überörtlichen Drogerie-Handel. Verschlossen blieben bloß teure Duftwässerchen, aber was sonst rezeptfrei für Haus und Körper veräußert werden durfte, fand man, samt gesetzlich verordneter Packungsaufschrift über Inhaltsstoffe und richtigem Gebrauch. Leonidas stieß keuchend die angehaltene Luft aus, vom Knebel stark gedämpft. Krokodil beugte sich herunter. Ein tarnender Bart blieb ihm verwehrt, doch das verhinderte jetzt auch unschönes Kratzen von lästigen Bartstoppeln. Er war neugierig, wie es sich wohl anließ, diesen schlanken, weißen Leib zu liebkosen, ihm seinen Atem aufzuhauchen, ihn zu küssen, zu lecken und zu schmecken! +++* Es war schon merkwürdig, dass sich das Kreativen-Ehepaar so gar nicht einfand, Engagements woanders pflegte. Die Wenigsten kümmerte es noch, denn dieser arrogante Penner konnte ihnen gestohlen bleiben! Hielt sich ja für was Besseres, lehnte glattweg jeden Kontakt ab! Krokodil hegte gewisse Zweifel. Mühsame Suche ergab keinen Hinweis darauf, dass die Eltern überhaupt beabsichtigten, hierher überzusiedeln. Nicht mal in Vancouver hatten sie sich gemeinsam stationiert, wenn er die mageren Pressenotizen richtig aus dem Feuilleton gepuzzelt hatte. Die vornehme Adresse des "Pförtnerhäuschens" (er hatte sich in diesem Zusammenhang des hartnäckigen Nachstellens, sprich Stalking, schuldig gemacht) täuschte über die tatsächlichen Verhältnisse: vom ursprünglich weitläufig-vornehmen Herrenhaus samt Gut war nichts mehr übrig. Dort befanden sich neue Mehrfamilienwohnhäuser, adrett ausgerichtet mit privatem Innenhof, säuberlich getrennt vom traurigen Rest des Areals. Wem gehörte es? Krokodil wusste, dass im Grundbuchamt entsprechende Informationen einsehbar waren. Allein, er verfügte nicht über ein "berechtigtes Interesse", was ihm den Zugang verwehrte. Stand das "Pförtnerhäuschen" unter Denkmalschutz? Nach einem vagen Blick durch die dschungelartig-ungepflegte Vegetation vom alten Tor aus eher zweifelhaft. Hatte ein Bekannter der Eltern diese Unterkunft vermittelt? Wäre es nicht besser gewesen, einen Jugendlichen in einer Familie unterzubringen? Alles sehr merkwürdig. +++* Krokodil achtete darauf, Körperkontakt aufzunehmen, ohne allzu viel seines überlegenen Gewichts aufzulegen. Das würde Leonidas vermutlich zerquetschen. Eigentlich ein gesondertes Verbrechen, betrachtete man den Kontrast ihrer Erscheinung: dort diese beinahe makellose Haut, so weiß und zart, hier das rötlich-gruselige Abschreckungsbild mit Narbengeflecht, rau, hart, ledrig. Vielleicht täuschten ihn seine großen Hände, aber Krokodil befand, dass sich seine eigene Haut trotz ihrer optischen Zumutung nicht abstoßend anfühlte. So ohne Sicht dank blendender Verdunkelung sollte doch eigentlich das Ekelgefühl auszuhalten sein, oder nicht? Leonidas wand sich zwar, doch eher fahrig, matt. Er musste wohl wirklich erschöpft sein, in seinen gewohnten "Freeze"-Modus fallen (wie man es spöttisch genannt hatte): Winterschlaf. Aber er atmete beschleunigt, nicht mal der Knebel konnte das Keuchen ganz ersticken. Sah man, wie auf der so berückend weißen Haut sich verschiedene Tönungen abzeichneten, wo Krokodil sich höchstpersönlich bekannt gemacht hatte, schied das "Pausen-Koma" auch aus. Krokodil bestrich den gesamten Leib, Arme und Beine, Füße und Hände, Zehen und Fingerspitzen, glättete die lackschwarzen Strähnen in ihrem doppelten Gefängnis aus Augenbinde und Mundknebel. Er liebkoste die Achselhöhlen, die ihm verrieten, dass dieser junge Mann auch nordamerikanischer Sittenstrenge folgte, mit scharfer Klinge Urwuchs trimmte. Er schnupperte, registrierte keinen Anflug von Schweißgeruch, dafür jedoch ein hektischeres Zappeln mit den Beinen, das entschiedene Zusammenklappen der angewinkelten Arme, weil man kitzlig war, sich darüber ärgerte, wie das Schnauben verkündete. Krokodil lächelte. Er verzichtete auf weitere "Stippvisiten" von Achselhöhlen zu kurzen Rippen, um Leonidas nicht ungebührlich zu verärgern. Immerhin erwies der sich ja als kulant bis kooperativ! Außerdem lockten ihn die Brustwarzen an, klein und erstaunlich dunkel im Kontrast zur Hautfarbe, alert aufgerichtet. Von Grobheiten war Krokodil weit entfernt: kneifen, verdrehen, schnippen, all die dämlichen Scherze präpubertärer Klassenkameraden sagten ihm gar nicht zu. Gut, ihn hatte es nie direkt getroffen, aber was man so hörte: einfach niederträchtig. Wie "Brennnessel" auf der Haut (Quetschen und Verdrehen) oder vorwarnungslos von hinten in die Kniekehlen treten. Diese Form von "Komik" erschloss sich ihm nicht. Er konnte sich auch beim Besten willen nicht vorstellen, dass "Nippel kniepen" bei irgendeinem Eigentümer derselben Sympathien hervorrief. Vielversprechender bot sich doch an, höflich Kavalier zu sein, mit einem sanften Kuss jeweils dem Zwillingspärchen seine Aufwartung zu machen! Leonidas keuchte kommentierend, was sich doch gut anließ. Zumindest interpretierte Krokodil diese Reaktion entsprechend. Synchron glitt er mit den großen Händen über die schlanke Flanke, zeichnete eine Spur hinunter bis zum Bauchnabel, spürte unter seinen Lippen den flatternden Puls, wie einen Trommelwirbel seiner Aktivitäten. Krokodil richtete sich auf, die Fesselung der Fußknöchel zu justieren. Auskeilen oder Treten erwartete er nicht. Zudem hielten seine Hände die merklich exponierten Hüftknochen auf dem Sofabett fixiert. Wenn er mit den Daumen gleichzeitig rechts und links von Becken zum Schritt streichelte, wo die Haut so dünn, so zart schien, hörte er Leonidas stöhnen. Nicht nur das: ebenfalls bemerkenswert dunkel richtete sich ein Geigerzähler seiner Anstrengungen auf. Krokodil schnupperte diskret, doch interessiert, was steigende Körpertemperatur und Disposition zu bieten hatten. Vertraute man den chemischen Prozessen, so konnte er ausschließen, Leonidas NICHT auf dieser Basis ansprechend zu finden! Zwischen die dünnen Beine gedrängt, ein Knöchel noch immer an der Paketschnur zum Pfosten, massierten seine Hände die mageren Pobacken, während er sich an der Front darin befleißigte, rund um Leonidas merkliche Erektion das Terrain zu seinem Wirkungsfeld zu machen. Zarte Haut auch hier, die sich rötete. Wenn man den Kopf drehte, lauschte, konnte man nervöses Gurgeln vernehmen. Nun, unwahrscheinlich, dass Schmetterlinge in der Magengrube flatterten, aber Hormone waren definitiv aufgeschreckt. Allerdings nicht nur bei seinem unruhigen Opfer. Krokodil richtete sich auf, zwangsläufig, die dünnen Beine unter seine Achseln geklemmt, damit die Distanz kommodierte. Ihm stand nicht nur ein Schweißfilm auf der Haut, nein, sein einsamer Freund reckte sich stolz unerwarteter Gesellschaft entgegen. Mit rechts, seiner dominierenden Hand, stellte er die beiden Schwellkörper einander vor. Von Leonidas erntete er dafür ein kehliges Geräusch, die dünnen Beine klemmten ihn wie Schraubzwingen ein. Vergeblich selbstredend. Geübt befleißigte sich Krokodil, die Spannung anzuheizen, mit gezielter Massage gemeinsame Interessen auf einen Punkt zu kulminieren. Ohne bewussten Willen initiierte er dazu eine Pendelbewegung seiner Hüften, die durch unmittelbaren Kontakt auch Leonidas direkt involvierte. Jetzt wäre der reinliche Mensch aufgefordert, die beiden temporären Hauptdarsteller brav zu verpacken: Krokodil verweigerte sich. Dazu war er viel zu interessiert, nein, sogar begierig darauf, Leonidas näher zu kommen. Zum ersten Höhepunkt. +++* Eine gute Vorbereitung und vorausschauendes Denken stellten das A und O für eine erfolgreiche Unternehmung dar. Vor allem, wenn man beabsichtigte, sich auf terra incognita zu begeben. Krokodil hatte, auch wenn es in diesem Zeitalter absolut unvorstellbar erschien, keinen Zugriff auf Pornographie, obwohl er durchaus, aus edukativen Gründen, Interesse an Anschauungsunterricht gehabt hätte. Aber ohne "Erbschaften" von älteren Brüdern oder Onkeln, ohne leistungsfähigen Internetanschluss, ohne entsprechende "Ecken" in Zeitschriftenläden blieb ihm diese Zivilisationserrungenschaft verwehrt. Zudem bestand ja auch, da er das erste Mal einen veritablen Menschen nahetreten wollte, die technische Hürde der Gleichgeschlechtlichkeit. Die Anatomie zumindest war vertraut, die Warnhinweise aus dem Faltblatt ließen bestimmte Praktiken vermuten. Zweifellos konnte man auch ohne Doktortitel nach dem Ausschlussprinzip die Varianten durch schlichtes Nachdenken ermitteln. Dennoch. Dennoch wäre es hilfreich gewesen, diesbezüglich knappe, aber präzise Anleitungen studieren zu können. So hatte Krokodil sich eben eines Bildbandes bedient, der einige Schmuckfresken ostasiatischer Kunst abbildete: Kama Sutra. Allein, die Darstellung rief bei ihm auch gewisse Zweifel hervor. Sein akribischer Verstand hätte eine Schritt-für-Schritt-Anleitung mit entsprechenden Warnhinweisen begrüßt ("Achtung, geht aufs Kreuz" oder "Knie nie ganz durchdrücken!") Was nicht hieß, dass er sich entmutigt gefühlt hätte. So schwierig konnte es ja nicht sein, die rein mechanischen Aspekte zu bewältigen, sonst wäre die Menschheit vermutlich direkt nach dem aufrechten Gang ausgestorben, oder nicht? Jedenfalls hatte er sich aus den einzelnen, bruchstückhaften Quellen, ergänzt um Hörensagen und nach gründlichem Nachdenken Notizen gemacht, was er, unter Einbeziehung von Leonidas, zu erproben wünschte. +++* Krokodil atmete tief durch. Dabei nahm er nicht nur den eigenen Geruch war, sondern die Melange, die mit Leonidas Aroma entstand. Dessen Haupt allerdings war zur Seite gesunken, die angespannten Glieder sämtlich erschlafft. Krokodil beugte sich vor, legte zwei Finger an die Kehle, ertastete den Puls an der Halsschlagader. Ohnmacht oder das übliche Schlaf-Koma? Zumindest jedoch wirkte das rosig getönte Gesicht trotz Knebelung entspannt. Er ließ sich auf die Hacken sinken, studierte das Panorama. Eigentlich sah sein Plan vor, sich direkt nach der Ouvertüre auch dem Rektum vorzustellen. Andererseits, sah man die winzige Tränenspur auf dem Gesicht, brachte er es nicht über sich, Leonidas aufzuschrecken. Immerhin, er hatte ganze drei Tage noch Zeit! Deshalb befleißigte er sich nun damit, mit Toilettenpapier die Spuren ihrer gekoppelten Ergüsse vom jeweiligen Leib abzuwischen. Als er sich vom Bettsofa erhob, zog Leonidas die dünnen Beine an, rollte sich fötal auf einer Seite zusammen, soweit es die Paketschnüre an Hand- und Fußgelenk zuließen. Krokodil betrachtete ihn noch einen Augenblick länger, zupfte behutsam die Bettdecke über die zerbrechlich wirkende Gestalt. +++* Kapitel 2 - Stillschweigen "Was für eine Klafalle." Stellte Krokodil leise, aber vernichtend fest. Wieder bekleidet hatte er sich im "Pförtnerhäuschen" umgesehen, was ihn zu diesem vernichtenden Urteil veranlasste. Ihm missfielen die offenen Rohrleitungen und Elektrokabel, diese dazu noch verdächtig dünn. Der Sicherungskasten spottete jeder Beschreibung, war mit "vorsintflutlich" noch schmeichelhaft kategorisiert. In der "Küche" konnte man das Gruseln bekommen. Der "Kühlschrank" stammte noch aus den Zeiten, als der Eismann mit Haken die Brocken lieferte, die man einzulegen hatte. Der Gasherd war mangels Gasflasche (!) nicht zu gebrauchen, was angesichts seines Zustands auch besser erschien. Das Ausgussbecken erinnerte an hochherrschaftliche Spülsteine in ihren Dimensionen, doch offenbar funktionierten die Armaturen nicht mehr, weshalb sich ein Gartenschlauch dort entlud. Mutmaßlich, die Wäsche zu waschen, weil die Waschmaschine, ein weiterer Dinosaurier aus grauer Vorzeit, ebenfalls verdächtig defekt wirkte. Zumindest sollte eine Trommel nach dem ersten Anschein nicht so schräg im Gehäuse hängen. Einzig die Mikrowelle reagierte auf Krokodils Kontaktaufnahme, was nun erklärte, weshalb sich der Nutzer dieser Kaschemme aus einem gewaltigen Karton mit den seltsamen Riegeln ernährte. Krokodil studierte die Inhaltsstoffe, die Zollaufkleber. Ein Abschiedsgeschenk aus Kanada? Doch wer sandte Sportlerkost an einen Jugendlichen, der Sport in eigener Anwendung rundweg ablehnte? Krokodil löste auch das Rätsel der fehlenden Hygieneeinrichtung. Eine Schiebetür (!) neben dem "Kühlschrank", dem Gartenschlauch folgend, betrat man ein fensterloses Gelass, winziges Handwaschbecken mit fleckigem Spiegel, davor, das Abwasser nutzend, eine Toilette. Unglaublich. Nach diesem Schreck entschied Krokodil, sich gründlich umzusehen. Im Schlafzimmer selbst fanden sich nur der aufgeklappte Reisekoffer (groß, stabil), eine größere Sporttasche und das Sofabett. Kein Kleiderschrank, kein Schreibtisch, kein Stuhl, der Boden gefliest, zum Teil gesprungen. Über die Heizkörper wollte sich Krokodil lieber gar keine Illusionen machen. Zuletzt die "Gute Stube": Blick zur Terrasse, die Tür jedoch derart verzogen, dass man sie gar nicht mehr richtig schließen konnte, was von innen ein Backstein besorgte. Unter Staubdecken Holzmobiliar ohne Bezüge oder Polster, nur noch von Heizwert, nach Krokodils Einschätzung. Und, tatsächlich, unter gespannten Wäscheleinen (!) eine Blechbütte. Kein Fernseher, kein Radio, keine Bücher. Der Elektroofen wirkte ihm auch keineswegs einsatzfähig. Krokodil dachte an sein Marschgepäck, dankte seiner Einsatzplanung, die einem Pfadfinder würdig gewesen wäre. Das hier war kein Heim, kein Zuhause. Wahrscheinlich, er legte den Kopf in den Nacken, studierte die Decke, leckte es sogar durch das Dach! Aber er würde den Teufel tun, nach einer Leiter fahnden, um sich durch das alles bedeckende Efeu schlagen, die grässlichen Details zu ermitteln! Krokodil inspizierte im nachlassenden Licht die aufgehängten Kleidungsstücke. Noch mehr Rätsel. Als er die keineswegs "Gute Stube" verließ, bemerkte er ein gefaltetes Blatt Papier, auf einen herrenlosen Nagel gepinnt. Neugierig pflückte er es ab, entfaltete es. Beschichtetes Papier, von einem Faxgerät? Den kurzen Text allerdings konnte er nicht verstehen. Auch wenn es eine futile Aktion zu sein schien: Krokodil nahm das Fax mit in die Küche, wo er den größeren Teil seiner Ausrüstung verstaut hatte. Er zückte sein Notizbuch im Schein der Taschenlampe, übertrug sorgfältig die teilweise unbekannten Buchstaben. +++* Krokodil erwachte routiniert am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen, die durch das staubige Fenster drangen trotz einer ungewohnten Umgebung oder des Umstandes, dass er sich ein fremdes Sofabett (recht hart) teilte. Rasch richtete er sich auf, kontrollierte Leonidas' Befinden. Der schlief, weniger zusammengerollt als am Abend zuvor, tief und fest. Man hätte, tadelte sich Krokodil, zumindest den Knebel abnehmen können. Sich Beistand herbeizuschreien, das erschien ihm doch eher unwahrscheinlich. Lautlos und flink erhob Krokodil sich, fand den Boden trotz der lädierten Fliesen kühl, zweifelsohne im Winter äußerst unbequem. Er entschied, zunächst die kuriose Schlauchkonstruktion zu nutzen, sich zu waschen. Dabei müsste er sich zumindest nicht in das Gelass quetschen. Anschließend entfernte er den Backstein von der Terrassentür, die prompt aufschwang, trat hinaus. Der Tag versprach sonnig zu werden, soweit es der Dschungel um das Pförtnerhäuschen zuließ. Krokodil machte kehrt, um in der Küche für Frühstück zu sorgen. Er erhitzte Wasser in der Mikrowelle, um Kaffee anzumischen. Ausgerüstet mit Knäckebrot, Aufstrichen, Kaffee und eingeweichten Haferflocken mit Zimt-Zucker-Streusel zog er ins Schlafzimmer ein, verteilte seine Last. Er setzte sich auf das Sofabett, streichelte durch die wirre, lackschwarze Mähne, bis er ihren Besitzer ausreichend aus Morpheus' Umarmung gelockt hatte. Mühsam stemmte sich Leonidas hoch, hustete erstickt in den Knebel. "Guten Morgen. Augenblick, ich nehme das ab." Befleißigte sich Krokodil der Hilfestellung. Leonidas zog die Nase kraus, krächzte statt einer zweifelsohne abschätzigen Bemerkung. "Frühstück." Erläuterte Krokodil höflich. "Allerdings nicht nur Wasser und Brot." "Ha, ha!" Fauchte Leonidas grimmig, hustete erneut, krümmte sich zusammen. "Ich habe hier Kaffee." Stellte Krokodil gelassen in Aussicht. "Ich kann dir aber auch Leitungswasser holen. Ein Tee müsste etwas ziehen." Er konnte an der Körperspannung ablesen, wie Leonidas Optionen erwog. "Kaffee." Murmelte er schließlich. Zuvorkommend blies Krokodil auf die Tasse, hielt sie dann an Leonidas' Lippen. Der nippte, hob die verbundenen Handgelenke, um sie abzustützen. Krokodil nutzte die Gelegenheit, das Büfett vorzustellen, auf Vorlieben zu achten. Leonidas schnaubte verächtlich. "Was soll das hier werden?! Denkst du, dass du mit der Aktion bei mir punkten kannst?!" "Ich sehe mich durchaus in der Verantwortung, für dein leibliches Wohl zu sorgen, solange du dich in meiner Gewalt befindest." Krokodil blieb gelassen. "Allerdings sind mir deine kulinarischen Vorlieben noch nicht bekannt." Sah man mal von dem unsäglichen Trockenfutter in Form der "Knabberstangen"-Sportlerriegel ab. "Rührend!" Zischte Leonidas. "Soll ich noch dankbar sein, ja?!" "Da nicht für." Schnurrte Krokodil sanftmütig, gewohnt höflich. "Überhaupt, was denkst du dir bei diesem Mist hier?!" Schimpfte Leonidas, hustete erneut. "Um Yannick zu zitieren: eine gemeinsame Freizeitaktivität unter dem Slogan 'ficken, fressen, faulenzen'." Krokodil half erneut mit Kaffee aus. "Ich bin diesbezüglich aber ungeübt, wie ich gestern schon erwähnte." Wäre die Sichtblende nicht gewesen, so hätte Krokodil zweifelsohne ein veilchenblauer Bannstrahl getroffen. "...von...von diesem IDIOTEN lässt du dich anleiten?!" Leonidas explodierte mit rauer Kehle. "Der hat nicht mal den Verstand einer Eintagsfliege!" "Aber offenbar ähnliche Vorlieben für seine Freizeitgestaltung." Krokodil lächelte. Das beraubte seinen Gegenüber für mehrere Sekunden der Sprache. "Du bist ja übergeschnappt!" "Ein bisschen." Pflichtete Krokodil bei, zielte mit einem Löffel gesüßtem Haferbrei auf die empört geschürzten Lippen. "Allerdings bin ich eben auch entschlossen. Es besteht natürlich weiterhin keine Notwendigkeit für dich, mir entgegenzukommen. Das wird mich aber nicht aufhalten." "Du~du Mistkerl!" "Dem kann ich nicht widersprechen." Vorsichtshalber rückte Krokodil die Frühstückskomponenten außer Reich- und Trittweite. Leonidas ballte die Fäuste, zerrte an der Paketschnur. "Dass du es weißt: du bist abgrundtief hässlich! Und abstoßend!" "Ist mir hinlänglich bekannt." Krokodil stippte Leonidas gegen die schmalen Schultern, was ihn auf den Rücken beförderte. "Und deine Haut riecht komisch!" Feuerte der nach einer Schrecksekunde die nächste Breitseite ab. "Humor ist das Salz in der Suppe einer erfolgreichen Beziehung." Bemerkte Krokodil, angelte den Knebel heran, während er dank Körpergewicht auf den schlanken Hüften Leonidas effektiv bändigte. Der stutzte, fauchte guttural. Krokodil beugte sich tiefer. "Wenn du darauf beharrst, dieses Geplänkel fortzusetzen, werde ich dich knebeln, damit ich in Ruhe frühstücken kann. Alternativ können wir Auseinandersetzungen auch auf die Zeit nach dem Frühstück verschieben." Leonidas rang sichtlich mit sich, was Krokodil nicht wunderte. Kleinbeigeben, selbst wenn es vernünftig war, bürstete Leonidas gehörig gegen den Strich, stellte dessen Fell auf. "Du bist ein Ungeheuer!" Zischte er schließlich. "Stimmt," Stimmte Krokodil ihm zu. "Willst du vom Haferbrei kosten?" +++* Krokodil war sich des Umstands bewusst, abgesehen von seiner äußeren Erscheinung, als "seltsam" zu gelten. Oder Varianten dieses Attributs. Die optische Qualität seiner Person stach geradezu übermächtig ins Auge des Publikums, doch auch bei anderen Aspekten zeichnete er sich aus, der Wortwahl zum Beispiel. Wenn er denn mal dazu kam (selten in Gegenwart seiner Mutter) oder sich aus eigenem Entschluss ausführlicher äußerte: präzise und höflich, jenseits der sogenannten Jugendsprache. Möglicherweise rührte seine Ausdrucksfähigkeit auch von der ausgedehnten Lektüre seiner ersten Leidenszeit. Er beabsichtigte keineswegs, seine Altersgenossen gegen sich aufzubringen, aber man goutierte es doch selten. Allerdings ohne körperliche Konsequenzen, seiner Statur geschuldet und dem zweifelhaften Ruch, man könne sich ja doch, entgegen jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, mit abstoßender Hässlichkeit infizieren. Krokodil fand Leonidas' Sprachgewalt faszinierend. Zwischen den Schlaf-Koma-Phasen folgte der nämlich konzentriert dem Unterricht, antwortete vergleichbar präzise und eloquent, was unter anderem zu seinem Ruf als "arrogant" und "überheblich" beitrug. Nun stelle man sich vor, dass Leonidas in gleich mehreren Sprachen dieser Fähigkeit frönen konnte! Für Krokodil, der den üblichen Weg zweier Fremdsprachen, Englisch und Französisch, gewählt hatte, ausgesprochen verlockend. Andererseits konnte sich wohl keine Möglichkeit finden, jenseits des Unterrichts ins Gespräch zu kommen, selbst wenn er gewagt hätte, das Wort an Leonidas zu richten. Bedauerlich die Aussicht, ihn knebeln zu müssen! +++* Leonidas leckte sich verstohlen die Lippen nach dem letzten Schluck gesüßten Kräutertees. Krokodil hatte sich nicht detailliert über die Ingredienzien ausgelassen, da er nicht sicher war, ob Leonidas Lunte roch, dass es sich um eine bewährte Mischung handelte, die zu Stimmungsaufhellung und als Einschlafhilfe eingesetzt wurde. Etwas unsportlich, durchaus, aber Krokodil hoffte darauf, dass diese Unterstützung seinem "Forschungsdrang" hilfreich assistierte, indem rabiate Gegenwehr sanft ausgebremst wurde. "Und was soll das jetzt werden?" Leonidas zog die Knie enger vor den nackten Körper. "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du mich die nächsten drei Tage nach Belieben vergewaltigen kannst!" Krokodil sammelte die Reste des Frühstücks zusammen, vertraute sie dem gefliesten Boden an. "Über ein Entgegenkommen deinerseits würde ich mich natürlich sehr freuen." Antwortete er gefasst. "Aber tatsächlich beabsichtige ich genau das zu tun." Der wenig ältere Jugendliche schnaubte verächtlich. "Wie reizend! Weil niemand sich mit dir abgibt, fällst du über mich her?! Bist auch spontan schwul geworden?!" Die letzte Frage hatte Krokodil auch im Laufe der Monate kontempliert. "Eigentlich habe ich mich bisher gar nicht sexuell für andere Menschen interessiert." Gab er zurück. "Also, reale Personen. Attraktivität weiß ich selbstredend auch zu schätzen." Wer würde das nicht? Symmetrie und ausgewogene, ausgeglichene Proportionen, das zog wohl alle an. Sich selbst jedoch als Protagonist eines Mehr-Personen-Intermezzos körperlicher Intimität zu sehen, nein, da hatten ihn jeder Spiegel und sein Realitätssinn abgehalten. Er betrachtete einen Augenblick länger die angespannte, schlanke Gestalt, teils gefesselt und mit Sichtblende gehandicapt. "Du bist die erste Person, die mich dergestalt anzieht." Offenbarte er ruhig. "Und gewiss nicht spontan. Ich habe mich länger vorbereitet." "Du hast geplant, mir das hier anzutun?!" "Wäre wohl ausgesprochen respektlos, aus einer Laune heraus jemanden zu überfallen und ihm zu nahe zu treten." Entgegnete Krokodil ungerührt. Erneut fauchte Leonidas, teils ungläubig, teils aufgebracht. "Oh, herzlichen Dank auch, dass du kostbare Zeit geopfert hast, um mein Leben zu ruinieren! Sehr edelmütig!" Verbitterte Ironie, kombiniert mit einem Versuch, sich zu erheben. Allerdings sackten ihm die Beine weg, was Krokodil dazu veranlasste, ihn abzufangen, eng in die Bettdecke einzuschlagen. "Hör auf! Ich will das nicht!" "Ich weiß." Krokodil nutzte sein Gewicht, die Zappelei auf ein Minimum zu reduzieren. "Ich bin äußerst bemüht, es dir so angenehm wie möglich zu machen." "Lass es einfach bleiben!" Leonidas rang nach Luft. "Nein." Stellte Krokodil ruhig klar. "Willst du dich frischmachen und Zähne putzen, oder soll ich dich gleich knebeln?" +++* Leonidas hatte sich trotzig zur Wehr gesetzt, ebenso ungeschickt wie wirkungslos. In der Konsequenz setzte Krokodil den Knebel wieder ein, ein frisches, fusselfreies Tuch, zog die Paketschnur an einem Fußknöchel straffer. Er kehrte, nachdem er das Frühstücksgeschirr in der Küche abgestellt hatte, mit Handtuch und feuchtem Lappen zurück. Leonidas zuckte beim Kontakt, verspannte sich, stellte jedoch rasch die alerte Haltung ein: seine körperliche Kondition konnte einfach nicht dem zornigen, aufbegehrenden Geist Folge leisten. Krokodil entschloss sich, fortzusetzen, was er am vergangenen Abend begonnen hatte: zunächst den entblößten Leib mit Händen zu liebkosen, an bereits als sensibel kartographierten Stellen Lippen und Zunge einzusetzen, den Unterleib kreisend zu massieren, die Leisten mit den Daumen nachzufahren. Die Ausweichmanöver verstärkten sich in ihrem limitierten Vermögen, aber Krokodil spürte auch anhand dieser Reflexe, dass Leonidas auf seine Ministrationen reagierte. Dieses Mal ließ er die sich stolz aufrichtende Erektion nicht unbemäntelt. Immerhin hatte er auf dem ausgesprochen nützlichen Flugblatt gelesen, man solle sich aus Gründen der Hygiene dieses Schutzes vergewissern, bevor man sich einer oralen Aufwartung befleißigte. Konzentriert, vor dem Sofabett kniend, widmete Krokodil sich dieser selbst gestellten Aufgabe. Der schlanke Leib in seiner Aufmerksamkeit wand sich, er hörte gedämpftes Keuchen und Stöhnen. Leonidas wollte ihm nicht gefällig sein, verständlicherweise, sein Körper jedoch verbat sich solchen sinnlosen Starrsinn. »Erstaunlich!« Konstatierte Krokodil, der sich fokussiert dieser Herausforderung stellte, welche Reaktionen er erntete, wenn er gleichzeitig, über das herausragende Objekt des Interesses, die Nachbarregionen mit Fingerkuppen und Daumen massierte! Sehnen und Muskeln zogen sich zusammen, bildeten einen Spannungsbogen, dem er sich beschleunigt näherte. Schließlich eruptierte Leonidas mit unkontrollierten Spasmen, schwer auf das harte Lager sinkend, der schmächtige Brustkorb heftig um Atem ringend, gezeichnet von körperlicher Erfüllung. Krokodil spülte sich den Mund, um die Ahnung künstlicher Aromen zu vertreiben, lockerte die Kiefermuskulatur. Jetzt, befand er energiegeladen, quasi im Windschatten der gestillten Lust, würde er die Feldforschung fortsetzen, sich dort bekannt zu machen, wo bekanntlich die Sonne nicht schien. +++* Erschöpfung, vielleicht auch die Teemischung bewirkten, dass die Gegenwehr völlig erlahmte. Allerdings verfiel Leonidas auch nach Krokodils Beobachtung nicht in das gewohnte Schlaf-Koma, weil der Knebel unwillkürlich entschlüpfende Laute schluckte, während er, ordnungsgemäß mit Präservativ, sorgsam gestutzten Fingernägeln und großzügiger Spende von Gleitgel den Darmausgang als Eingang explorierte. Es hieß schließlich, dass man über diese Abkürzung die Prostata beehren konnte, was große Lustgefühle auslösen sollte. Vorausgesetzt, man hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, den Dreh heraus. Um welchen er sich bemühte, gleichsam die eigene Standarte ignorierend, auch wenn sie recht hinderlich dabei war, auf dem Sofabett über Leonidas zu kauern. Dessen Knie musste er durch Einsatz seiner breiten Schultern daran hindern, sich schützend vor den Unterleib zu klappen. Allerdings hatte er die Paketschnur gelockert, das Anziehen gestattet. In der Hocke, so konnte man einem Anatomie-Lehrbuch entnehmen, das er konsultiert hatte, reduzierte sich die körpereigene Spannung am Schließmuskel ideal, weshalb man diese Haltung bei der Darmentleerung bevorzugen sollte. Bloß musste er sich Platz zwischen den dünnen Beinen und knochigen Knien erkämpfen, um seine Erkundungen abzuschließen. Leonidas wand sich, warf den Kopf hin und her, atmete heftig, biss sichtbar in den Knebel. Tränen sickerten in den wirren, lackschwarzen Schopf. Krokodil beäugte kritisch den Winkel, stapelte, selbst zischend durch die Zähne atmend, noch ein gefaltetes Handtuch unter. Das genutzte Kondom umgekehrt von den Fingern pellend straffte er seine ohnehin angespannte Gestalt entschieden. Eingepackt hatte er, was er einzuführen wünschte. Noch mal üppig mit Gleitgel einölen! Danach wollte er vorstellig werden, die erstaunliche Hitze hauteng spüren, sich massieren lassen von Schockwellen der Lust und auf sie antworten, so gut er es vermochte. +++* Krokodil unterzog das Innenleben des Pförtnerhäuschens einer weiteren Inspektion: kein Werkzeug, kein ordentliches Putzzeug. Nachdem er händisch Wäsche in der Bütte gewaschen hatte, die getrocknete Wäsche von der Leine sorgsam gefaltet und gestapelt hatte, benötigte er weitere Aufgaben, die die Euphorie auf ein normales Maß abbauten. Immerhin schwelgte er schon eine ganze Weile in einer bis dato unvergleichlichen Erfahrung körperlicher Realitäten. Also, ohne Umschweife: Sex mit einer anderen Person hatte definitiv erfüllende Komponenten! Natürlich musste man sich vorbereiten, Geduld üben, sich abstimmen. Nicht zu vergessen Vor- und Nacharbeiten, auf den Punkt konzentriert sein, wie bei einer orchestralen Aufführung. Die Belohnung glich all diese Anstrengungen jedoch mehr als aus. Weshalb er nun durchaus Verständnis für Metaphern hatte, dass "man auf Wolken schwebte", spontan lostanzen wollte oder lächerliche Schlager aus voller Kehle schmettern! Da ihm diese Aktivitäten eher nicht lagen, suchte er sich handwerkliche Beschäftigung, woran in dieser Klafalle kein Mangel herrschte. Allerdings fehlten ihm erheblich die Mittel, Werkzeug oder Putzzeug eben. In geübter Routine kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Zusammengerollt schlief Leonidas noch immer. Entweder Hunger, Durst oder ein dringender Toilettengang würden ihn vermutlich von selbst aufwecken. Krokodil ließ sich auf dem Sofabett nieder, studierte die Gestalt unter der Bettdecke. Da harrten noch einige Geheimnisse der Aufdeckung. +++* Krokodil spießte kurze, gedrehte Nudeln auf, tippte an Leonidas' Lippen. Der löschte die Ladung, kaute gründlich. Er wirkte noch immer ein wenig benommen. Krokodil hatte ihn zur Toilette tragen müssen, weil ihn die eigenen Gliedmaßen im Stich ließen. Nun aß er ohne Proteste, was Krokodil ihm in kleinen Häppchen anreichte, still, in sich gekehrt, trank artig den Tee. Er sackte langsam auf die Seite, die aneinander gebundenen Handgelenke vors Gesicht gezogen. Krokodil stellte das Geschirr neben sich, streichelte über die lackschwarzen, wirren Haare, ignorierte das Zusammenzucken souverän. "Wenn du es jetzt machst, kommt mir alles wieder hoch." Murmelte Leonidas. Krokodil lockerte die Paketschnur und zupfte die Bettdecke zurecht. "Danke, dass du mich darauf hinweist." Antwortete er ruhig, ohne jede Ironie oder Häme. "Dann verschieben wir es auf später." Leonidas schnaubte leise, rollte sich zusammen. +++* "Du willst das wirklich tun." Krokodil entzündete in der Dämmerung ein Teelicht. "Ja." "Wie es mir dabei geht, spielt keine Rolle." Leonidas saß aufrecht, die Knie vor den Leib gezogen, nur noch eine Silhouette im Schlafzimmer. "Es würde mir sehr helfen, wenn du mir Hinweise gibst, was dir zusagt." Gab Krokodil konzentriert zurück, ließ sich auf der Kante des Sofabetts nieder. Für einige angespannte Atemzüge breitete sich Schweigen aus. "Habe ich dir etwas getan?" Krokodil streifte sich sein Hemd über den Kopf. "Ich fühle mich einfach stark zu dir hingezogen." Erklärte er geduldig. "Du beschäftigst mich, schon eine ganze Weile." "Trotzdem respektierst du mich nicht als Person. Für dich bin ich bloß eine hübsche Matratze!" Leonidas formulierte schärfer, aber mit einer gewissen Resignation. Zweimal hatte Krokodil ihn penetriert, sein rein körperliches Entgegenkommen genutzt. Krokodil dachte über diesen Vorwurf nach. "Du hast recht." Gestand er schließlich ehrlich ein. "Ich fange gerade erst an, ein wenig mehr von dir kennenzulernen." Er erhob sich, stieg aus Hose und Unterwäsche, faltete alles sorgfältig im bescheidenen Glimmen des einsamen Teelichts. "Ich hätte dich auch fragen können, aber ich war mir einer Abfuhr sicher. Auch wenn ich wirklich versucht habe, mich von dieser Fixierung auf dich abzubringen: es hat nicht gefruchtet. Ich will mit dir schlafen, in möglichst vielen Varianten." Leonidas schnaubte matt. "Das Guinessbuch hat daran kein Interesse, und ICH bin kein Sportgerät!" Krokodil nahm wieder Platz, studierte im Zwielicht die kompakte Silhouette: ein Abwehrbollwerk, das keine Chance auf Bestand hatte. "Ich habe mich schon gefragt, ob ein Gefühl der Einsamkeit, der Reue, des Bedauerns aufkommen wird." Bekannte er. "Aber das ist bis jetzt nicht passiert. Vielleicht ist es ja auch eine Fehleinschätzung zu erwarten, dass sexueller Austausch gleich zu einer emotionalen Synchronisation führt. Verbundenheit sollte ja auch nicht so flüchtig sein, nicht wahr?" Er griff zu, löste die Bettdecke um Leonidas' Gestalt. "Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich für dich etwas Positives empfinde nach dieser Aktion!" Grollte Leonidas. Krokodil seufzte, was er selten tat. "Die meisten Erwartungen und Hoffnungen habe ich mir schon abgewöhnt." Er rückte näher heran. "Möchtest du, dass ich dich kneble?" +++* Die urtümliche Weise sollte, folgte man den Andeutungen, recht erfüllend, vor allem zielführend sein. Es galt darauf zu achten, dass die Kniescheiben nicht lädiert wurden. Ah, ein Hohlkreuz konnte auch, bei ungelenker Ausgestaltung, in unerfreulicher Pein entlang der Wirbelsäule münden. Aber beachtete man den geeigneten Winkel, stützte sich umsichtig ab, konzentrierte sich auf das jeweilig gegenseitige Wohlergehen, sollte nichts einer "Sternstunde" im Wege stehen. Weshalb Krokodil diesen Punkt auf seiner Liste couragiert in Angriff nahm. Allzu große Gegenwehr hatte er nicht zu fürchten, vielleicht auch darin begründet, dass der Tee seine Wirkung bewies. Ihm gefiel es jedenfalls außerordentlich, diese einkerkernde Hitze an neuralgischer Stelle zu erfahren, das gedämpfte Keuchen und Stöhnen zu vernehmen, sich tief herabzubeugen, eng an den harten, mageren Leib anzuschmiegen. Aber zur Perfektion fehlte etwas. Leonidas katzbuckelte, bewegte die knochigen Hüften in Ausweichmanövern. Offenkundig, Krokodil bestrich mit der Rechten die zarte Front, mangelte es an der richtigen Würze. Verursachte er Leonidas Schmerzen oder nur Unwohlsein, kombiniert mit dem flehentlichen Wunsch, er möge endlich seine Munition verschießen, sich dann zurückziehen? Keine Diagnose, die Krokodil kaltlassen konnte. Deshalb verfiel er auf die irrwitzige Idee, sich auf die eigenen Hinterbacken zu setzen, ohne Leonidas entschlüpfen zu lassen. Er schob vielmehr beide Hände in dessen Kniekehlen, ließ kein Abstützen mehr zu. Die Schwerkraft besorgte nun, was er zuvor so energiegeladen betrieben hatte: entschiedenes, tiefgründiges Ankoppeln. Leonidas' Kopf flog in den Nacken, der Knebel dämpfte nur unvollkommen fast animalisch anmutende Laute. Wenige Wimpernschläge dauerte der tollkühne Wettstreit an, da verloren sie beide die Kontrolle. Reflexe und das Stammhirn übernahmen. +++* Krokodil saß im Schimmer des nur marginal erkennbaren Nachthimmels mit gekreuzten Beinen auf der Terrasse. »So.« Dachte er sparsam. Ganz erstaunlich. Man wollte sich ja nicht von allzu blumigen Erwartungen in die Irre führen lassen, aber... Alter Schwede. Das war also ein Orgasmus. Höchst bemerkenswert. Obwohl er ja nun wirklich keinen Hang zum Esoterischen hatte: ein wenig "außerkörperlich" hatte er sich aber dennoch gefühlt. Als ob man sich "stofflich" auflösen konnte, zu flüssiger Lava wurde, der Kopf ganz blank, ganz frei, ohne Zügel, ohne Grenzen, ohne Zurückhaltung. Auch jenseits der Ausläufer der Euphorie befand er in einer sehr friedlichen Stimmung, dass es "lebenslänglich", anschließend ein Leben außerhalb der Gesellschaft wert war. Dass seine Verbrechen sich jetzt schon gelohnt hatten. +++* Krokodil hatte das Frühstück vorbereitet, Tee aufgesetzt, Wäsche von den durchsackenden Leinen geborgen und gefaltet. Ungeniert, da Leonidas noch immer fest schlief, filzte er dessen Koffer und Sporttasche gründlich. "Hmm." Stellte er ausschweifend fest. Von draußen drang erheblich gefiltert Glockenläuten an sein Gehör. Glücklicherweise war er nicht gezwungen, sich einer Religion anzuschließen, auch wenn das in seinem Fall möglichen Trost gespendet hätte. Seine Mutter bewies ein entschiedenes Einsehen: wer nicht glauben konnte, weil die eigene Überzeugung sich sträubte, den konnte man nicht zwingen. Außerdem neigte ihr sehr gründlicher Sohn zu derart detaillierten Fragen, dass er selbst die Geduld eines Heiligen überstrapaziert hätte. Krokodil konsultierte seine Notizen und seine Liste, während er Griesbrei mit Marmelade naschte. Eine Reihenfolge in der Versuchsabwicklung aufzustellen erschien ihm jedoch mundan, es hing schließlich von Leonidas' Form ab. Den er nun aufzuwecken beabsichtigte, indem er die Bettdecke zurückschlug, bedächtig über die nackten Gliedmaßen strich. Da er nach dem abendlichen, elysischen Höhepunkt den Knebel entfernt hatte, vernahm er nun ein grämliches Grollen. "Guten Morgen." Störte Krokodil unbeeindruckt die Schläfer-Idylle. "Ich möchte dir das Frühstück servieren." Leonidas brummte unwillig, rollte sich zur anderen Seite herum. Aber auch eine aparte Kehrseite konnte entzücken, weshalb Krokodil sich eingeladen sah, dort mit etwas mehr Nachdruck die Wirbelsäule rechts und links zu erkunden. Ein protestierendes Winseln quittierte seine Handgreiflichkeiten. Trotzig, stemmte Leonidas sich in eine sitzende Haltung. "Du bist wohl dauergeil!" Vermutete er gallig, hustete mit rauem Hals. "Hält sich im üblichen Rahmen pubertären Hormonstaus." Tat Krokodil gelassen seine Einschätzung kund. "Tee?" Leonidas fauchte krächzend, seinem Stolz gehorchend, was Krokodil nicht anfocht, der umsichtig den Becher ansetzte, das artige Schlucken überwachte. Ebenso geduldig stellte er nicht nur die Frühstücksoptionen vor, sondern fütterte Leonidas auch, der langsam und gründlich kaute. "Ich möchte mich waschen." Verlangte der schließlich. "In Ordnung." Krokodil sortierte das Geschirr zusammen, löste die Paketschnüre von den jeweiligen Pfosten. "Augenblick!" Er angelte Leonidas' Slipper heran. Der, blank und bloß, kam etwas wackelig auf die Beine, stand dann aber. Um ihn nicht blind herumtapsen zu lassen, entfernte Krokodil auch die Sichtblende, was ein heftiges Blinzeln auslöste. Das Haupt selbstbewusst hochgereckt stakste Leonidas ein Zimmer weiter in die Küche. "Hast du bemerkt, dass die Schienen für die Schiebetür geborsten sind?" Krokodil, in seinem Fahrwasser, Geschirr apportierend, war im Begriff, sich höchst unbeliebt zu machen. "Oh, danke für den Hinweis!" Grollte Leonidas. "Ich werde es bei meiner nächsten Dinnerparty berücksichtigen!" "Außerdem sind mit Ausnahme der Mikrowelle sämtliche Haushaltsgeräte defekt. Bei der Waschmaschine ist mindestens eine Aufhängung gebrochen..." Leonidas wirbelte herum, die aneinander gebundenen Hände zu Fäusten geballt, die veilchenblauen Augen blitzend. "Für wen hältst du dich, für einen Kritiker von 'Schöner Wohnen'?! Das geht dich nichts an!" Krokodil, das Geschirr den gewaltigen Waschbecken anvertrauend, richtete sich entschlossen auf. "Der Zustand dieses Gemäuers ist miserabel. Du könntest auf dem Campingplatz besser unterkommen. Deshalb erscheint mir ein Mietzins..." "Ich zahle keine Miete, verstanden?!" Bellte Leonidas aufgebracht. "Es ist nur eine vorübergehende Bleibe!" Krokodil studierte ihn schweigend. Eine ganze Menge hätte man entgegen können, pointiert und profund, Beweise anführend, doch er votierte dagegen. Wenn man um etwas wusste, was dem Gegenüber "das Gesicht nahm", schien es manchmal besser, es nicht laut zu formulieren, einen unausgesprochenen Waffenstillstand zu hegen, um sich ohne Worte zu verständigen, eine Basis zu behalten. "Ich hole die Waschbütte." Bemerkte er stattdessen. "Augenblick". Er hegte keine Befürchtungen, dass Leonidas die Gelegenheit nutzte, aus dem Haus zu fliehen. Tatsächlich straffte der seine schlanke Gestalt alert, als er mit der Bütte zurückkehrte, nachdem er sich auf den nutzlosen, abgedeckten Gasherd gestützt hatte. Aufmerksam füllte er die Bütte knöchelhoch mit dem Gartenschlauch. Er befreite Leonidas von den Schweißarmbändern und allen Fesselungen, reichte einen fadenscheinigen Waschlappen und ein Handtuch an. Während sich der wenig Ältere nun in der Bütte hockend erfrischte, spülte er das Geschirr und räumte auf. Leonidas trocknete sich ab, studierte ihn abwartend. Krokodil griff den gereinigten ersten Satz der Schweißarmbänder, schob sie erst über die Handgelenke, dann an die Fußknöchel, Leonidas ausbalancierend. "Was hast du vor?" Die veilchenblauen Augen musterten ihn prüfend. "Kannst du dich auf dem Herd abstützen?" Krokodil faltete Handtücher auf der Schutzplatte ab, die man über die Gasfelder klappen konnte. "Du willst es im Stehen tun?" Leonidas wich zurück, prallte fast gegen den altmodischen "Kühlschrank". Allein Krokodils flinke Reaktion, der ihn abfing, verhinderte blaue Flecken. "In der Tat." Nickte Krokodil entschlossen. "Die Höhe sollte geeignet sein." "Na, was für ein Glück!" Ätzte Leonidas. "Da kann ich ja ganz beruhigt sein!" Was offenkundig gerade nicht der Fall war. Krokodil rückte entschlossen heran, fasste den hastig zurückweichenden Leonidas bei den knochigen Hüften, lupfte ihn mühelos an, setzte ihn auf dem Gasherd ab. "Ich für meinen Teil bin sehr zuversichtlich." Deklarierte er unbeeindruckt, ließ die großen Hände über Bauch und Leisten streichen. Leonidas presste die Lippen zusammen, versuchte reflexartig, die Beine zu schließen, zu spät natürlich. Außerdem brachte Krokodil ihn aus dem Gleichgewicht, sodass er rücklings auf der Herdabdeckung landete. "Etwas Geduld." Bat er sich aus, attackierte mit Lippen und Zunge die reizvoll sich anspannenden Brustwarzen. Zwar klopfte ihm Leonidas mit den wieder verschnürten Handgelenken auf die Schultern, doch wenig zielgerichtet, weil er dessen Aufmerksamkeit auf den Unterleib fokussierte. Wenn er Leonidas oral zuerst dienlich war, lautete sein Kalkül, würde sich der Positionswechsel wohl kommoder bewerkstelligen lassen. +++* Die Höhe mochte zwar passen, wenn Leonidas sich vorbeugte, aber zufriedenstellend war das Zwischenresultat nicht, befand Krokodil, der Leonidas sogar auf die eigenen Fußriste gestellt hatte. Ja, er konnte eindringen, wurde mit Stöhnen und Keuchen angefeuert, jedoch... Jedoch spürte er, dass es für Leonidas noch längst nicht erfüllend war. Kurzentschlossen fasste er dessen rechtes Bein, löste es, um wenigstens partiell den spitzen Winkel anzustreben. Prompt wurde Leonidas lauter, versuchte instinktiv, ihm zu entwischen. Für Krokodil der Hinweis, welche Richtung er einschlagen sollte. Er wölbte sich selbst über den sich windenden Leib, presste die Lippen in den zarten Nacken, der jeden Wirbel erkennen ließ, griff mit der nicht ganz so geübten Linken zu, seine Anstrengungen mit pumpenden Handstreichen zu krönen. +++* Leonidas schlief wie ein Stein in der gewechselten Bettwäsche. Krokodil rollte mit den Schultern. Nach einem kurzen Marsch durch den Dschungel hatte er sich nützlich gemacht, ungefragt und selbst ermächtigt, weil er die nackte Wäschespinne in einem verwilderten Gebüsch, von hartnäckigem Brombeergesträuch durchsetzt, entdeckt hatte. Weshalb er entschied, sie aufzustellen. Allerdings benötigte sie zum einen Leinen, zum anderen eine verlässliche Grundbefestigung. Die Leinen durchzogen nicht mehr die "Gute Stube", einer der wurmstichigen Stühle hatte alle vier Beine "geopfert", um die Wäschespinne im hochverdichteten Boden zu verankern. Krokodil fragte sich, was an dieser Stelle wohl einmal gestanden hatte, aber er konnte keinen hilfreichen Hinweise mehr ermitteln. Wenigstens trocknete nun die Bettwäsche im Freien, die er mühsam per Hand durch Bütte und Waschbecken gezogen hatte. Jetzt fühlte er sich wieder in seinem Element. Nur herumsitzen, also der Part "faulenzen", entsprach nicht seinen Gewohnheiten. Die beiden anderen Vorhaben ließen sich jedoch bewerkstelligen, wobei er die Beteiligung eines Komplizen benötigte, den er aufmerksam betrachtete. So viele Geheimnisse, so vieles, das nicht ausgesprochen wurde. Er beugte sich vor, begann, die wirren, lackschwarzen Strähnen, die längst einen Friseur benötigt hätten, zu streicheln, Leonidas langsam wieder auf diese Seite der Gegenwart zu locken, weg von der Zuflucht, in die der bei jeder Gelegenheit floh. Schließlich setzte der sich seufzend auf. "Schon wieder?" Erkundigte er sich halb spöttisch, halb resigniert. "Wir können auch vorher etwas essen." Bot Krokodil kulant an. Leonidas schüttelte langsam den Kopf. "Ich habe Durst." Brummte er widerwillig. "Aber wenn ich jetzt was esse..." Dann, so deutete die Auslassung an, würde er es wohl prompt wieder von sich geben. Krokodil wandte sich herum, füllte abgekühlten Tee in einen Becher, den er Leonidas an die Lippen setzte. Der schluckte langsam, beäugte ihn betont kritisch aus veilchenblauen, dezent umschatteten Augen. "Und, wie willst du mich jetzt vergewaltigen?" Unbeeindruckt setzte Krokodil den Becher wieder auf den gefliesten Boden, streifte sich das Hemd über den Kopf. "Ich dachte an eine der sportlicheren Übungen." Verkündete er, erhob sich, um auch der Unterbekleidung verlustig zu gehen. Leonidas seufzte übertrieben. "Sportlich." Wiederholte er Augen rollend. "Ich verabscheue Sport!" "Möglicherweise findet diese Aktion ja doch dein Wohlgefallen." Krokodil lächelte zurückhaltend. "Glaub ich kaum." Zweifelte Leonidas grummelnd, verfolgte irritiert, wie Krokodil die enge Verbindung der Handgelenke löste. "Damit du dich besser nach hinten abstützen kannst." Erläuterte Krokodil, der das erforderliche Zubehör in Reichweite vom Boden pflückte, die schlanken Beine des wenig Älteren auseinander schob, sich dazwischen mit ebenso aufgestellten Beinen platzierte. "Das ist keine gute Idee!" Warnte Leonidas ihn nach einem Augenblick nervös. Krokodil ließ sich nicht beirren in seinem Forscher- und Entdeckungsdrang. Außerdem fasste er schneller zu, als Leonidas sich ihm entziehen konnte, an ausgesprochen neuralgischer Stelle, was Leonidas ein kehliges Aufstöhnen entlockte. "Ich werde nichts überstürzen." Versprach Krokodil engagiert. +++* Leonidas keuchte wie ein altes Dampfross bei einem steilen Anstieg, die veilchenblauen Augen waren beschlagen, die dünnen Arme zitterten erbärmlich. "Es...es geht... nicht!" Stieß er hervor, sich auf seine Arme nach hinten abzustützen, um mit aufgestellten Beinen, in das Sofabett gedrückten Fersen zu bestimmen, wie tief er Krokodil in sich eindringen ließ, der spiegelgleich agierte, jedoch ungleich müheloser. Krokodil erkannte, dass Leonidas die Arme einknicken würden. In der Folge stand ein Purzeln auf den Rücken zu erwarten, was den Winkel ihrer aufreizenden Verbindung nachteilig verändern würde. Leonidas kämpfte, rang in schluchzenden Zügen nach Luft. Ihm gegenüber erkannte Krokodil die Tatsachen an: dieser schlanke Körper war dieser Herausforderung nicht länger gewachsen. Deshalb stieß er sich selbst mühelos mit den Armen ab, verlagerte sein Gewicht nach vorne, spreizte die Knie, bis er die Beine anklappen, auf dem Sofabett kauern konnte. Die ihrer Aufgabe ledigen, großen Hände fassten dünne Beine, hoben sie, als Leonidas final das Kräftemessen verlor, nach hinten sackte, über die breiten Schultern, in einem engen, spitzen Winkel. Krokodil beugte sich rund, so tief es ging, schwang die Hüften. Heiße Atemstöße wehten ihm ins Gesicht. Eine Mischung aus Stöhnen und erleichtertem Aufseufzen begleitete seinen Taktikwechsel. Er fädelte unter den aneinander gefesselten Handgelenken mit dem Kopf durch, so viel Hautkontakt wie möglich mit Leonidas, dem er noch immer eng verbunden die Aufwartung machte, erstickte dessen heisere Lustlaute mit dem eigenen Mund. Im Küssen war er ungeübt, aber zuversichtlich, was Verbesserungen betraf. Vor allem, wenn ihm eine ungleich versiertere Zunge Lektionen erteilte. ++++* Es dämmerte. Krokodil saß auf der Terrasse, verfolgte durch Ausschnitte im grünen Dschungel das Farbenspiel am Abendhimmel. Langsam klang auch die Hitze ab, die im kalendarischen Frühling schon hochsommerliche Temperaturen offeriert hatte. Alles, was er im sehr bescheidenen Rahmen hatte erledigen können, war getan. Leonidas schlief noch immer. Beinahe konnte man glauben, dass hier die Zeit stillstand, gedämpft nur die Geräusche von außen, keinerlei Ablenkung von Radio oder Fernsehen. Eigentlich die besten Voraussetzungen für "FFF". Krokodil dachte nach, über all die Indizien und Hinweise. Das Mosaik konnte noch längst nicht als vollständig betrachtet werden, dazu fehlten noch entscheidende Teile, aber eine gewisse Ausrichtung ließ sich erkennen. Er dachte an die Küsse, sich von der Lust davontragen lassen, mitschwimmen, der Laune folgen... Konnte das ausreichend Motivation sein? Erstaunlich schwierig, die Grenzen zu erkennen, von Begierde, von Sympathie, von Zuneigung. Von einer reflexhaften, gegenseitigen Herausforderung, einem unermüdlichen Wettstreit. Für Krokodil nahm es sich sehr diffizil aus, Markierungen abzustecken, denn er konnte sich durchaus vorstellen, dass Verliebte sich so miteinander austauschten, wie sie es getan hatten, nicht bloß Mechanik und Chemie, gepaart mit Konventionen und Pragmatik. Jedenfalls, er straffte die Glieder, musste Leonidas etwas essen, wenn der wieder zu sich kam, weil er nach ihrem Akt einfach in den Schlaf geglitten war. Konnte man süchtig nach Schlaf sein? Man hätte diese Frage beim Assistenzarzt stellen sollen. Allerdings, da konnte Krokodil sich selbst nicht tadeln, war die Situation nicht günstig gewesen. Er erhob sich, betrat die "Gute Stube", die ohne Leinen und Bütte minus einem Stuhl noch stärker an eine Abstellkammer erinnerte. Im Schlafzimmer ließ er sich auf dem Sofabett nieder, erprobte Puls und Atmung. Leonidas stöhnte leise, als die großen Hände über seinen nackten Körper glitten, zog die gefesselten Hände vor den Kopf und die Knie vor den Leib, winselte gequält. "Hast du Schmerzen?" Krokodil beugte sich tief herunter, um keine Silbe zu verpassen. "...mein Kopf..." Murmelte Leonidas rau. "Verstehe. Einen Augenblick!" Demissionierte Krokodil sich in die Küche, Kaffeeextrakt anrühren, stark, mit kaltem Wasser auffüllen, dazu etwas für den Magen, um der Säure Kontra zu geben. Gut ausgerüstet kehrte er ins Schlafzimmer zurück, wo es Leonidas inzwischen bewerkstelligt hatte, sich aufzusetzen, wenn auch krummbucklig eingerollt. Krokodil half beim Trinken, wischte lackschwarze Strähnen beiseite. "Du musst auch etwas essen." Ordnete er an. "Sonst verträgt sich der Kaffee nicht mit deinem Magen." Leonidas seufzte bloß, ließ sich aber ohne Widerspruch füttern, mit der abgekühlten Kaffeevariante versorgen. "Lass uns ein wenig an die Luft gehen. Bewegung hilft." Kommandierte Krokodil. Zudem konnte man bald nur noch Umrisse erahnen, weil es rasch dunkel wurde. Er schob Leonidas' Füße in die Schuhe, zog ihn schwungvoll auf die Beine. Er wickelte ein Laken um dessen nackte Gestalt, fasste ihm um die knochigen Hüften, mit der Rechten die gefesselten Hände haltend. Leonidas schwankte leicht, ging aber artig in kurzen Schritten. Unter freiem Himmel atmeten sie beide tief durch. Ob das Koffein schon wirkte? Krokodil warf einen prüfenden Blick auf seinen nur wenig älteren Begleiter. Der wirkte ein wenig entspannter, bewegte sich nicht mehr so, als könne der Boden unter seinen Füßen jederzeit wegrutschen. "Ich möchte mich noch feucht abreiben, bevor du über mich herfällst." Stellte Leonidas in diesem Moment klar. +++* Krokodil verzichtete auf die Fesselungen, auch wenn die Schweißarmbänder noch ihren Dienst versahen. Er entzündete keine Kerze oder nutzte seine Taschenlampe. Wozu auch? Leonidas befand sich in Reichweite, ließ sich ohne Gegenwehr streicheln, massieren, lecken, kosten, küssen, wehrte sich nicht gegen das Kondom oder die Finger, die sein Rektum vorbereiteten. Krokodil löffelte, teilte mit einem aufgestellt angewinkelten Bein Leonidas', liebkoste mit der Linken ablenkend dessen Front, während die Rechte seiner Erektion den Weg bahnte, langsam, fast gemütlich, in sanften Schwingungen. Er bog Leonidas' Haupt vorsichtig, fasste unter das Kinn, um ihn küssen zu können, die kehligen Laute gleichsam in sich echoen zu lassen, fädelte schließlich seine Finger durch dessen elegantere, damit sie eine gemeinsame, zielgerichtete Bewegung aufnehmen konnten, einen treibenderen Rhythmus ihrer verbundenen Körper, so eng angeschmiegt, wie es die Physis zuließ. Kein überwältigendes Feuerwerk dieses Mal, nein, eher eine alles erfüllende Zufriedenheit, körperlich erschöpft, seelisch befriedet. Krokodil löste sich aus ihrer Umschlingung, im Begriff, die notwendigen Aufräumarbeiten durchzuführen. Leonidas rollte ohne Stütze auf den Rücken, die Unterarme vor den Kopf gekreuzt. "Wie heißt du eigentlich richtig?" Seine Stimme klang heiser, verhalten. Über ihm hielt Krokodil im Halbdunkel inne. "Nach meinem Großvater." Antwortete er endlich. "Donatello." +++* Kapitel 3 - Im Elfenbeinturm Krokodil erwachte gewohnt zeitig. Er setzte sich auf, um seinen Bettgenossen im Morgenlicht zu betrachten, das die staubigen Fenster erfolgreich filterten. Zum ersten Mal hatte er sich nichts übergestreift, sondern blank und bloß neben dem nackten Leonidas genächtigt, der frei von allen Knebeln war, sich zur Wand gerollt hatte, ihm den Rücken bot. Er dachte an all die offenen Fragen, die den Hinweisen und Indizien eine Basis verleihen konnten oder sie als Irrtum kennzeichnen. Aber er durfte nicht fragen, wenn er nicht ihr stummes Übereinkommen zerstören wollte. Krokodil ertappte sich dabei, die Rechte schon gehoben zu haben, um über den knochigen Rücken streicheln zu wollen. Nein. Er erhob sich rasch. Nicht der Versuchung nachgeben. Lieber Katzenwäsche, schickliches Bekleiden und dann Frühstück präparieren! Als er das Schlafzimmer lautlos verließ, fragte er sich , ob er nicht doch die Neigung zur Eintagsfliege ehrenhalber hatte. +++* Leonidas kaute langsam und gründlich. Er hatte sich artig wecken lassen, akzeptierte die Frühstückstafel auf dem Sofabett. Ein vorsichtiges Schweigen herrschte vor. Endlich hob er den Kopf, richtete die veilchenblauen, dezent umschatteten Augen auf Krokodil. "Was sieht dein Plan heute vor?" Es sollte zweifelsohne spöttisch klingen, selbstsicher, doch schwang vor allem Resignation mit. Krokodil betrachtete Leonidas prüfend. "Ich möchte gern, dass du mich reitest." Antwortete er schließlich, unterdrückte die Frage, ob Leonidas dass schon mal... Halt! Nicht mal seiner Miene sollte man diesen Gedanken ansehen können. Unterdessen schnaubte der wenig Ältere. "Sonst noch was? Irgendwelche gymnastischen Verknotungen altertümlicher Grafik-Literatur?" "Das eine oder andere habe ich ausgeschlossen." Gab Krokodil höflich zurück. "Es wirkte doch eher unbequem für Untrainierte." Erneut schnaubte Leonidas, rieb sich mit den Handballen die Schläfen. Wieder legte sich ein gespanntes Schweigen über die Atmosphäre. Schließlich seufzte Leonidas matt. "Gib mir ein bisschen Zeit, ja?" "In Ordnung." Krokodil erhob sich, das Frühstücksgeschirr einzusammeln. Leonidas sank auf die Seite, wandte sich der Wand zu, rollte sich zu einem kompakten Paket zusammen. +++* Krokodil hatte sich bemüht, das Pförtnerhäuschen durchzulüften, denn es versprach recht schwül zu werden. Dabei hatte er noch weiteren Reparaturbedarf entdeckt. Wirklich, wer steckte einen Jugendlichen in so eine Bruchbude?! Aber er zwang sich, diese Impulse zu unterdrücken. Jede Bemerkung in diese Richtung half sicherlich nicht, das ohnehin fragile Gleichgewicht auszubalancieren. Als er das Schlafzimmer nach einer Weile wieder betrat, setzte Leonidas sich auf. Krokodil nahm auf der Kante des Sofabetts Platz. Er hob die Rechte an, strich behutsam über Leonidas' Wange, die lackschwarzen Haare, die gekämmt worden waren. Die nervöse Anspannung registrierte er aufmerksam. »Das wird schon werden.« Munterte er sich selbst auf. Er musste einfach dafür sorgen, dass Leonidas sich ausgesprochen verwöhnt fühlte! +++* Krokodils Plan zeitigte bereits Erfolge, wie er zufrieden, wenn auch atemlos feststellte. Weil es natürlich half, wenn man den Partner an neuralgischer Stelle mit Aufmerksamkeiten so bedachte, dass der gar nicht anders als zu einem Höhepunkt kommen konnte. Jetzt japsend flach wie ein Käfer auf dem Rücken lag, partiell von einer sehr geladenen Spannung entlastet. Krokodil spülte das künstliche Aroma aus seinem Mund, streifte das benutzte Kondom ab, den eigenen Geigerzähler ignorierend. Der hatte gefälligst zu warten, da konnte er noch so sehr die Libido-Skala auf ihrem Zenit anpeilen! Sich auf die Seite sinken lassend setzte Krokodil seine Liebkosungen händisch fort, damit sich Leonidas ihm zuwandte. Wieder ausreichend in die Gegenwart zurückkehrte, um "aufzusteigen". Getarnt durch seine oralen Aufwartungen hatte Krokodil schließlich auch dafür gesorgt, dass dessen aparte Kehrseite für Besuch präpariert war. Tatsächlich stemmte sich Leonidas auf wacklige Arme, hockte sich auf Krokodils Hüften, klappte auf ihn herunter, noch immer benommen. Krokodil strich in Schwüngen über dünne Arme und knochige Schulterblätter, stellte gleichzeitig seine angewinkelten Beine auf, was Leonidas näher Richtung Haupt beförderte, dessen Atem noch immer über seinen Brustkorb fauchte. Unter die Achseln greifend zog Krokodil den temporär gestrandeten Jugendlichen heran, erprobte seine Kussfertigkeiten, massierte gleichzeitig die sehnigen Pobacken. Leonidas stöhnte erstickt, entschlüpfte ihm jedoch nicht. Als er ihn dann freigab, wirkten die veilchenblauen Augen beschlagen, aber nicht unfokussiert. Sich auf dem breiten Brustkorb abstützend hockte Leonidas auf ihm, funkelte entschlossen herunter. Unterkriegen lassen würde er sich nicht! +++* Irgendwie blieben gewisse Übungen hinter den Erwartungen zurück, konstatierte Krokodil. Leonidas hatte sich tapfer der Herausforderung gestellt, in der Hocke, von ihm abgestützt, seine Erektion eingeführt. Doch was ihm selbst durchaus Hochgenuss vergönnte, schien sich für Leonidas gar nicht so angenehm darzustellen, auch wenn der sich sichtlich bemühte. Krokodil zog nach einigen Anstrengungen wie am Tag zuvor die Reißleine. Oder gab vielmehr seine Rückenlage auf, stemmte sich hoch, damit sie ihre Position umkehrten. Leonidas lag, die dünnen Beine im spitzen Winkel angezogen, während er selbst einen raschen Rhythmus aufnahm, die eine, besondere Stelle zu attackieren, die Leonidas einen zweiten Höhepunkt und ihm selbst den größten Lustgewinn gewährte. +++* Nachdem Leonidas wieder bis in den frühen Nachmittag hinein wie ein Toter geschlafen hatte, entschied Krokodil, etwas zu unternehmen. Beispielsweise, den nackten Leib sanft, aber gründlich feucht abzureiben, was gegen Morpheus' nachhaltigen Einfluss final den Erfolg erzielte. Leonidas gähnte verhalten, hustete prompt. Krokodil hatte mit dieser Entwicklung gerechnet, reichte Tee an. Während Leonidas nippte, klappte er die dünnen Beine vor den Körper. "Ich weiß, dass du mich noch mal vergewaltigen willst, aber das schaffe ich nicht mehr." Er konzentrierte seinen Blick auf die Teetasse. "Verstanden." Nickte Krokodil nach einem Augenblick. Er entzog Leonidas das tarnende Bettlaken behutsam, aber bestimmt. Die veilchenblauen Augen fixierten ihn alarmiert, aber Krokodil verteilte unbeeindruckt schlichtes Sonnenblumenkernöl auf seinen Handflächen. Er zog an Leonidas' Fußknöchel, der die Palisadenhaltung aufgeben musste, begann mit Engagement, die Muskeln und Sehnen zu massieren. +++* Als sich Krokodil, durchaus erhitzt, aufrichtete, nachdem er nun zuletzt die Frontpartie gründlich bestrichen und einbalsamiert hatte, kam Leonidas hoch, kletterte ihm einfach auf den Schoß, funkelte ihn an, das Kinn hochgereckt. Krokodil entließ keinen Laut. Er wollte sich schließlich nicht um diese Gunst bringen! Dünne Arme schlangen sich um seinen Nacken. Krokodil senkte die Lider, teilte die Lippen. +++* Behutsam wischte er die Spuren ihrer Ergüsse von Leonidas' Haut, richtete die eigene Bekleidung wieder manierlich. "Hast du Hunger?" Erkundigte sich Krokodil. Leonidas lächelte schief. "Fütter mich!" Verlangte er, trällerte treffsicher eine Passage aus dem Musical "Little shop of horrors". Krokodil, dem dies nicht sonderlich vertraut war, nickte brav. "Aye, aye!" Aber selbst wenn er gewusst hätte, dass eine außerirdische, fleischfressende Pflanze hier Pate stand: es hätte ihn keinen Deut gekümmert! +++* Während Leonidas sich in der Waschbütte rasch abtupfte, bezog Krokodil das Sofabett frisch. Langsam brach die Dämmerung herein. Als er in die Küche trat, unterdrückte Leonidas gerade ein verräterisches Gähnen. Krokodil bemächtigte sich des Handtuchs, stützte Leonidas beim Aufrichten ab, tupfte ihn trocken. Sorgsam wickelte er ihn auch in einen Pyjama, geleitete ihn in das Schlafzimmer zurück. Mit einem erleichterten Seufzer rollte sich Leonidas in das neue Lager. Krokodil nahm auf der Kante des Sofabetts Platz, streichelte sanft über die lackschwarzen Haare, bis Leonidas fest schlief. +++* Die rasch durchgewalkte Wäsche trocknete auf der Wäschespinne. Krokodil richtete Reste für ein Frühstück an, sammelte seine Habseligkeiten zusammen. Er zog behutsam die Haustür hinter sich ins Schloss verließ das Pförtnerhäuschen und den umgebenden Dschungel. Hatte es sich gelohnt, seine Zukunft in die Waagschale zu werfen? Krokodil lächelte mild. Ja. Kein Zweifel. +++* Die verkürzte Woche bot keine Überraschungen, weder höfliche Staatsvertreter, die Krokodil für eine Befragung abzuholen wünschten, noch Überfallkommandos. Leonidas verfiel weiterhin in die Schlaf-Koma-Phasen zwischen den Unterrichtsstunden, kaute die verabscheuungswürdigen Riegel, gab nicht im Mindesten zu erkennen, dass er Krokodils Gegenwart registrierte. »Hm.« Konstatierte Krokodil. Er entschied, seine Gnadenfrist zu nutzen, beispielsweise, um mühsam herauszufinden, welche Botschaft der aufgepinnte Zettel enthielt. Selbstredend wäre es äußerst praktisch gewesen, dies im Internet nachschlagen zu können, doch wie ihnen triumphierend ihr Englischlehrer anhand eines Shakespeareschen Sonettes nachgewiesen hatte: groteske Verdrehungen standen zu erwarten. "Ha! Noch lange sind diese komischen Programme nicht dazu in der Lage, den Menschen zu ersetzen!" Außerdem sollten sie sich bloß nicht entblöden, jeden Mist zu glauben, der da in Bits und Bytes herumgeisterte! Deshalb suchte Krokodil die Bibliothek. Er identifizierte "Ungarisch", verwandte erhebliche Mühen darauf, der Notiz einen Sinn zu verleihen. Außerdem gab es noch weitere Beobachtungen einzuordnen. Vier Tage bis zum Wochenende waren da wirklich knapp bemessen! +++* Krokodil wuchs aus dem Gebüsch hinter der Pforte zum Pförtnerhäuschen. Er musste sich gar nicht der Mühe unterziehen, Leonidas zu überwältigen, denn der kippte ihm samt Fahrrad, das nur als Krücke diente, förmlich entgegen. Krokodil ließ das Fahrrad fallen, konnte Leonidas gerade noch so abfischen. "Ach du Schande." Stellte Krokodil sehr zivil fest. Leonidas glühte förmlich, die Wangen rötlich getönt, was bei dessen Schneewittchen-Teint schon Warnung genug schien. Zu tiefen Schatten um die Augen addierten sich flache, hektische Atemzüge. Das Fahrrad ignorierend gelang es Krokodil, Leonidas unter die Knie und Achseln zu fassen. Er erhob sich, umrundete eilig das Haus, denn die Terrassentür hatte er ja als defekt noch in Erinnerung. Vor allem aber geöffnet, weil er durch sie vor einigen Minuten ins Pförtnerhäuschen eingedrungen war, um sein Gepäck dort zu verstauen. Krokodil legte Leonidas auf dem Sofabett ab, dessen Lager er just frisch bezogen hatte. Er entfernte rasch die allzu warme Bekleidung, eilte in die Küche, um Tücher aufzulesen, mit Wasser getränkt zu apportieren. Stirn, Nacken, Gelenke, alles umwickelt überdachte er die Situation. Das Fieber musste sinken. Schlaf würde helfen. Aber zuvor sollte er Leonidas wohl so viel Flüssigkeit wie möglich verabreichen, der sich wie eine Gliederpuppe manövrieren ließ, an die breite Brust gelehnt, mit Zitronenwasser versorgt. Ein anderer wäre wohl ob der Situation in Aufregung verfallen, doch Krokodil verspürte profunde Entschlossenheit. Immerhin war er gründlich vorbereitet! +++* Leonidas kam am späten Vormittag wieder zu sich, schenkte Krokodil einen verwirrten Blick, während er sich mit zitternden Armen in eine sitzende Haltung beförderte. "Du hast mich nicht angezeigt." Damit schien Krokodil alles erläutert. "Komm." Er legte sich imperativ Leonidas' dünne Arme um die Schultern, fasste unter die Kniekehlen, hob den nackten Jugendlichen hoch, spazierte ohne größere Anstrengung in die Küche. Leonidas keuchte. Er wurde auf dem abgedeckten Gasherd abgesetzt. Krokodil breitete ein sauberes Geschirrtuch über Leonidas' Oberschenkel aus. Er deponierte dort ein Laugenhörnchen, zwei reife Bananen, eine kleine Schüssel mit Nudeln in Gemüsesauce, reichte einen Becher kalten Tee an. "Ich bin gleich wieder da." Mit diesen Worten schnappte er sich den Gartenschlauch und einen groben Lappen, verließ tatendurstig die Küche. +++* Schweigend, in ein sauberes Handtuch gehüllt, verfolgte Leonidas Krokodils Wirken, der mit Energie, Einfallsreichtum und völliger Abwesenheit eines Schuldbewusstseins durch das Pförtnerhäuschen wirbelte. Da waren nicht nur die abgehängten Fensterläden, die ihren Zweck nicht mehr erfüllen konnten, nein! Krokodil arbeitete gründlich. Fenster und die Terrassentür wurden wieder gangbar gemacht, energisch geputzt, was der Kitt gerade noch aushalten konnte. Die geborstene Schiene der Schiebetür in der Küche zum "Gelass" verschwand, ebenso die Tür selbst. Die defekte Waschmaschine wurde abgeklemmt, in eine Ecke verbannt, wo sie weniger störte. Die ehemaligen Möbel, vielmehr ihre hölzernen Reste, die in der "Guten Stube" unter alten Laken ein trauriges Dasein gefristet hatten, wurden zerlegt, die Überreste genutzt, anstelle eines Wischmopps den feuchten Lappen durch alle Räume zu treiben, endlich die Fliesen zu säubern. Mit so viel Energie, dass der Schmutz kleinbeigab. Ein Laken verdeckte nun das Hygienegelass, Lappen, Laken und Wäsche trockneten auf der Wäschespinne. Paketschnur und die Holzreste wurden genutzt, Ersatzstifte zu konstruieren, um die Fensterläden neu zu justieren, Aufhängung zu ermöglichen, wo der Zahn der Zeit sich als Rost durchgenagt hatte. Krokodil verstand sich auf das Improvisieren. Zudem hatte er ja die Missstände in der vorangegangenen Woche gründlich studiert. Jetzt war die "Gute Stube" völlig leer, das Schlafzimmer ließ sich verdunkeln, gesäubert, ordentlich geräumt. Die Küche glich nicht mehr einem Elektronikfriedhof mit angeschlossenem Plumpsklo, auch wenn die Armaturen über dem Spülbecken jenseits aller Rettungsversuche blieben. Krokodil wusch sich gründlich nach getaner Herkulesarbeit, wandte sich Leonidas zu. "Fühlst du dich noch fiebrig? Dann trage ich noch mal Pfefferminzöl auf." Leonidas schüttelte langsam den Kopf. "Du bist tatsächlich total irre." Bescheinigte er Krokodil. "Meine Toleranz für Bruchbuden ist nicht sonderlich groß ausgeprägt." Pflichtete der ihm partiell bei. "Ansonsten halte ich mich aber für durchschnittlich 'irre'." Leonidas beäugte ihn abwartend. "Und jetzt?" Krokodil baute sich vor ihm auf. "Da ich traditionsgemäß an den Ort meines Verbrechens zurückgekehrt bin, beabsichtige ich, mich erneut kriminell zu betätigen." +++* Leonidas rührte sich nicht, die veilchenblauen Augen funkelten jedoch energisch. "Aha. Dir ist nicht in den Sinn gekommen zu fragen, ob mir das auch genehm ist?" Frost zuckerte jede Silbe. Krokodil kontemplierte kurz diesen grimmigen Spott. "Doch, durchaus." Gestand er höflich ein. "Allerdings muss ich ja auch die Umstände einbeziehen." "Umstände, aha." Schnaubte Leonidas, das Kinn noch höher gereckt. "Würde ich fragen, und es bestünde eine positive Einstellung, so würde sie doch nicht geäußert werden können, wollte man sich nicht der vollkommenen Geschmackslosigkeit schuldig machen." Diese gedrechselte Phrase musste erst entwirrt werden. Anschließend zogen sich Leonidas' schwarze Augenbrauen gewittrig zusammen. "Oh, um mir also das moralische Dilemma des Eingeständnisses eines verwerflich schlechten Geschmacks zu ersparen, verzichtest du heldenhaft darauf, ÜBERHAUPT meine Auffassung einzubeziehen! Nobel, wirklich!" Mit der Säure hätte man mühelos Batterien betreiben können. Krokodil legte die großen Hände auf die schlanken Oberschenkel. "Für mich verhält es sich vorteilhaft, alle Gewalt und Verantwortung zu übernehmen." Antwortete er gelassen. Zwischen den Worten schnurrte unsichtbar auch die intendierte Ergänzung: »ebenfalls die Schuld, sodass man alles abladen kann, sich nichts vorzuwerfen hat.« Leonidas fauchte. "Das GLAUBE ich sofort! Sehr edelmütig, sich an mir GANZ UNEIGENNÜTZIG schadlos halten zu wollen!" Krokodil schmunzelte sehr zurückhaltend, um den Furor nicht noch anzuheizen. "Ich möchte auch DICH schadlos halten. Wenn du mir entsprechende Hinweise gibst." Dabei hielt er unvermindert dem veilchenblauen, erbosten Blick stand. Leonidas wandte nach einigen trotzigen Wimpernschlägen abrupt den Kopf zur Seite, ballte die Fäuste, verzog die Lippen grimmig zu einer Schnute. Was Krokodil veranlasste, die kurze Distanz ganz auszumerzen, die ungeschützt präsentierte Wange sanft zu küssen. "Bitte begleite mich." Raunte er in die lackschwarze Mähne, die ein Ohr verdeckte. Ein Knurren später glitt Leonidas vom abgedeckten, stillgelegten Gasherd herunter. +++* Krokodil verabschiedete neue, sportlich-artistische Übungen ebenso wie Knebel. Er wusste auch, dass Leonidas ihm nicht antworten würde. Noch nicht. Aber er benötigte auch keine verbale Bestätigung für das, was er aus unwillkürlichen Reaktionen, der Körpersprache herauslas. Leonidas wehrte ihn nicht ab, ließ sich aufmerksam vom wirren Schopf bis zu den nackten Zehen liebkosen, in erwartungsvolle Stimmung versetzen. Krokodil entschädigte ihn für diese Bereitschaft mit einem manuell-oralen Verwöhnprogramm an prominent hervorstechender Stelle. Im Windschatten der lustvollen Spasmen, noch Stöhnen und Ächzen in den Ohren, präparierte er den Zugang für seine eigene Erektion, berücksichtigte den spitzen Winkel, die bevorzugte Assistenzleistungen, ließ die breiten Schultern bekrallen. Er tauschte in wechselndem Rhythmus ihren gemeinsamen, immer vertrauteren Morsecode aus, bis er sich für den langen Augenblick der Erlösung auf den schlanken Jugendlichen sinken ließ, sich erst auf das Abrollen besinnen musste. Leonidas, von zwei einander allzu rasch folgenden Ergüssen ausgeknockt, führte keine Beschwerde, sondern sank übergangslos in entspannten Schlaf. Krokodil stemmte sich hoch, studierte die schlanke, entblößte Gestalt im gefilterten Sonnenlicht. Nein, das musste er sich eingestehen, seine Besessenheit war noch längst nicht abgeklungen: er wollte Leonidas nahe sein, so häufig wie möglich. +++* Am frühen Nachmittag kam Leonidas wieder langsam zur Besinnung, reckte und streckte sich. Er entschied, dass er sich feucht abreiben wollte unter Krokodils Blicken, der Wäsche gefaltet und sich weiter nützlich gemacht hatte. Allein bei Elektrizität hielt er sich vorsichtig zurück. Nun reichte er kalten Tee weiter, den Leonidas schluckweise verinnerlichte. "Ist das wieder so eine Mischung, die mich handzahm macht?" Die veilchenblauen Augen lauerten. "Nein, einfach Pfefferminz." Krokodil nahm die Herausforderung an. "Dein Kreislauf ist von der Überhitzung gestern noch geschwächt genug, möchte ich meinen." Leonidas schnaubte leise. "Was möchtest du essen?" Krokodil trat nicht nach, sondern konzentrierte sich auf das Wesentliche. Ein Schulterzucken antwortete ihm, nicht verwunderlich, wenn man sich mit "Vogelknabberstangen" aus einem Karton ernährte. Krokodil hatte natürlich in Kenntnis der Situation vorgebaut, stellte vorgekochte Nudeln einer entsprechenden Gemüsesauce vor, die in der Mikrowelle einige Umdrehungen absolvierten, dazu etwas Brot und eine weitere Banane. Leonidas speiste so gründlich, stillvergnügt wie gewohnt, ließ sich nicht von den prüfenden Blicken des etwas Jüngeren stören. Nachdem Krokodil gespült, das Geschirr abgetrocknet hatte, wandte er sich wieder Leonidas zu, der ihn ebenso eindringlich studierte. "Willst du das wirklich wie letzte Woche durchziehen?" Erkundigte der sich schließlich. Krokodil lächelte leicht. "Meinen ungezogenen Hormonen die Zügel schießen lassen?" Er streckte die Hand aus, touchierte mit den Fingerspitzen Leonidas' Schulter hauchzart. "Wie könnte ich diese Chance ausschlagen?" Leonidas funkelte ihn an. "Obwohl nichts dabei herauskommen wird?" Nun vertiefte sich Krokodils Lächeln, bewegte die Furchen und Narben. "Ich habe keinen Grund zur Klage." Schnurrte er provozierend. Ein ärgerliches Schnauben quittierte seine Herausforderung. +++* "Wenn du's übertreibst, kotze ich!" Warnte Leonidas grimmig. Krokodil nickte gravitätisch. "Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst." Bekräftigte er artig. Der wenig Ältere knurrte, wandte den Kopf ab. Für Krokodil, der innerlich schmunzelte, eine Einladung, Wange und Ohr unter der wirren, lackschwarzen Mähne zu erkunden. Außerdem hatte er nicht die Absicht, sofort wieder ungehemmt auf Leonidas loszugehen, sondern wollte es in bedächtiger Steigerung seiner Aufmerksamkeiten langsam, aber zielgerichtet genießen, ihn erobern zu dürfen. Zudem gefiel es ihm, Leonidas auf seinem Schoß zu balancieren, auf Augenhöhe zu sein, wo sie sonst eine Haupteslänge trennte. Er konnte spüren, wie es in Leonidas arbeitete, doch wenn der Fragen stellte, riskierte er gleichsam, mehr über sich preiszugeben, was offenbar nicht genehm war. Allerdings verrieten Zögern, bewusstes Ignorieren geradezu greifbarer Aspekte Krokodil auch viel über seinen Mitschüler. Er war sich darüber im Klaren, dass er die ungeheure Gunst dieser freien Tage und Wochenenden nutzen musste. Selbst wenn nicht zu befürchten stünde, für seine kriminellen Untaten gesiebte Luft atmen zu müssen. +++* Die Glieder ineinander verhakt, auf den richtigen Winkel achtend, tauschten sie Energie und auch Speichel aus. »Beinahe schon zu perfekt!« Trödelte ein verstreuter Gedanke durch Krokodils eigentlich monothematisch beschäftigtes Gehirn. »Könnte einem glatt zu Kopf steigen!« Weil die Dynamik immer geschmeidiger, besser Schwung aufnahm, die Unsicherheiten sich verabschiedeten, die Übung sich auszahlte. Es ihm sehr gefiel, Leonidas' heisere Stimme zu hören, ein Keuchen, guttural-kehliges Stöhnen. Ihn hinderte keine Gegenwehr, ebenso atemlos den attraktiven Jugendlichen mit Küssen zu zuckern. Kurzes Dippen bloß, ein neckendes Tupfen. Selbst ohne Knebel oder finstere Drohungen überließ sich Leonidas ihm rückhaltlos. Man hätte auch eingeschüchtert sein können, nicht aber Krokodil, weil er vor den Konsequenzen seiner Entscheidungen nicht auskniff. +++* Wie zu erwarten fiel Leonidas nach Runde zwei, in Krokodils kraftvollen Armen eingekerkert, von elysischen Höhen in tiefen Schlaf. »Kein Wunder.« Konstatierte Krokodil, der behutsam die Temperatur erkundete. Selbst wenn er die Ernährung temporär verbesserte, konnte er kaum gegen die anderen, nachteiligen Faktoren ankommen. Vorsichtig löste er sich aus der lockeren Umarmung, erhob sich von Sofabett. Glücklicherweise kühlte es mit Einsetzen der Dämmerung ab, was er zum Lüften nutzte. Aller Arbeiten nach einigen Minuten ledig ließ er sich auf der Terrasse nieder. Er lauschte auf die Fauna, bemerkte winzige Schatten, die in halsbrecherischen Manövern durch die einbrechende Nacht jagten. Solange er die Echoortung nicht störte, liefe er wohl kaum Gefahr, eine Kollision zu erleiden. Eigentlich war eine Entscheidung zu treffen, das konnte er nicht von sich weisen. Wie weit er sich noch einlassen wollte, ob er eine Auseinandersetzung zu riskieren bereit war oder noch eine Weile den Dornröschenschlaf teilte. +++* "Uhh." Kommentierte Leonidas den Sonntagmorgen. Krokodil, der auf der Kante des Sofabetts Platz genommen hatte, lächelte. "Guten Morgen." Grüßte er höflich. "Assistenz bei der Katzenwäsche gefällig?" "Ich glaub, ich muss erst was trinken." Murmelte Leonidas, die Fäuste an die Schläfen pressend. Das Stichwort für Krokodil, aufmerksam gesüßten Tee anzureichen. "Ist dir schwindlig? Oder sind es Kopfschmerzen?" Erkundigte er sich aufmerksam. Leonidas hielt sich am Teebecher fest. "Kopfschmerzen." Bekannte er, kniff die Augen zu. "Ich glaube, mir wird schlecht..." Er würgte leicht. Krokodil griff zu, fing Leonidas geübt ab, der sich unangekündigt flach ausgestreckt fand, rollte ihn auf den Bauch. "Augenblick." Erbat er sich Dispens. Leonidas gurgelte bloß. Mit Speiseöl ausgerüstet kehrte Krokodil zurück, kletterte über Leonidas, bereit, gegen die peinigende Verspannung anzukämpfen. Der winselte protestierend auf, stöhnte dann leise. "Gleich wird es besser." Versprach Krokodil, drückte Daumen und Fingerkuppen in Sehnen, zeichnete die Schneewittchenhaut sichtbar, aber er spürte auch schnell, wie Leonidas leichter atmete, sich entkrampfte. "Willst du mich in eine Frühlingsrolle verwandeln?" Erkundigte der wenig Ältere sich schließlich, wirkte aber nicht, als wolle er die Massage ohne Not vorzeitig beenden. Krokodil lachte leise, beugte sich vor, küsste den wirren Schopf zärtlich. "Nun, vernaschen möchte ich dich selbstredend." Konterte er. "Aber es wäre wohl besser, erst mal für eine Basis in Form von Frühstück zu sorgen." "Ja, ja!" Grummelte Leonidas. "Bewahre, dass das FFF-Projekt an meiner profanen Befindlichkeit scheitert!" Sich erhebend gab Krokodil ihn frei, streckte ihm eine große Hand hin. "Ich bin für Vorschläge zur Ausgestaltung der drei F jederzeit zu haben." Schnurrte er herausfordernd. "Pah!" Grollte Leonidas, ließ sich auf die Beine helfen, nackt und bloß, aber geschmeidig durchgewalkt. Krokodil griff sich ein gefaltetes Tuch, wickelte es um Leonidas' schlanke Hüften. Der lupfte in die wirre Mähne eine Augenbraue, schnaubte. "Jedenfalls habe ich Hunger." Verkündete er grimmig. "Hoffentlich gibt dein Menü etwas Ansprechendes her!" Dabei reckte er das Kinn hoch, funkelte aus veilchenblauen Augen provozierend. Krokodil lächelte, verneigte sich aufreizend. "Ich bitte um deine Begleitung." Offerierte er frech eine Armbeuge. Leonidas schnaubte erneut so arrogant wie eine zugeknöpfte Gouvernante am Ende des 19.Jahrhunderts in Korsett und Fischgräten-Miederware, hakte sich jedoch ein. +++* Leonidas präsidierte wie gewohnt auf dem Gasherd, mümmelte verhalten, was Krokodil ihm anbot. "Wie geht's dir jetzt?" Eine große Hand strich über die gerade nach gründlichem Kauen geleerte Wange. "Besser." Schluckend laserten die veilchenblauen Augen Löcher in Krokodils entspannte Miene. "Du bist schon ein komischer Kauz." Stellte Leonidas nach dieser substantiellen Prüfung fest. Krokodil lächelte, baute sich direkt vor dem Gasherd auf, zwischen die nackten, dünnen Beine. "Wie wär's, wenn wir ein paar Schritte gehen? Für den Kreislauf? Noch ist es recht angenehm." Schlug er vor. Leonidas lupfte eine kritische Augenbraue. "Wie bitte? Du fällst nicht gleich über mich her? Schockierend!" Schnurrte er skeptisch. Krokodil fasste Leonidas' Hüften, hob ihn mühelos vom Gasherd auf den am Vortag wieder frisch polierten Fliesenboden. "Ich zehre einfach ein Weilchen von der Erwartung." Antwortete er süffisant. "Pah!" Das Laken auf den korrekten Sitz kontrollierend paradierte Leonidas vorneweg. "Jetzt muss ich mich auch noch anziehen! So viel zu 'faulenzen'!" Zeterte er betont verdrossen. Hinter ihm schmunzelte Krokodil, studierte die verwirrte, lackschwarze Mähne. An einem Kamm würden sie auch noch vorbeigehen müssen. +++* Leonidas kannte sich in seiner Nachbarschaft, ausgenommen den Weg zum Pförtnerhäuschen, nicht aus, wie Krokodil, ohne große Verwunderung, registrierte. Er schlenderte gemütlich, ganz gewiss nicht sein gewohnt zielstrebiger Schritt, aber er wollte Leonidas' Entgegenkommen auch nicht überstrapazieren. Sie wechselten keine Worte, doch das Schweigen empfand er nicht als ungemütlich oder belastend. Nein, es enthielt die Spannung, die immer auf der kritischen Grenze bestand, wenn man sich entscheiden musste, ob man nicht doch etwas preisgab. Sich WIRKLICH einließ, die Parameter tatsächlich veränderte. Nicht übermächtiger Täter-ausgeliefertes Opfer spielte. "Mir ist warm." Murmelte Leonidas leise. "Dann gehen wir zurück." Reagierte Krokodil prompt. "Ich kann dich feucht abreiben?" "Hmm." Leonidas rieb sich fahrig über die Stirn. Aus einem Impuls heraus fasste Krokodil nach Leonidas' Rechte, barg sie in seiner Hand. "Nehmen wir die Stichstraße als Abkürzung." Schlug er vor, rückte näher an den wenig Älteren heran. Von Leonidas kam kein Protest, nicht mal die schmale Hand wurde entzogen. +++* Nach einer gründlichen Infusion mit Zitronenwasser und sanft abgerieben streckte sich Leonidas entspannt auf dem Sofabett aus. Krokodil streifte seine eigenen Kleider ab, begann, den schlanken Körper erneut zu liebkosen, Küsse aufzutupfen. Leonidas seufzte leise, an ein genüssliches Schnurren erinnernd. Krokodil blinzelte prüfend hoch, ob die Lider nicht allzu verdächtig flatterten. Selbst wenn er es bedächtig anging, wollte er doch vermeiden, dass Leonidas ihm einfach einschlief. Deshalb brachte er ein wenig mehr Dynamik ins Spiel. Zu seinem Vergnügen fühlte Leonidas sich herausgefordert, hielt entschlossen mit bzw. dagegen. Bald konnte er ein gefaltetes Handtuch unter die aparte Kehrseite schieben, um das Einrollen abzustützen. Leonidas umklammerte seinen Nacken, stöhnte vor Lust, aber er selbst konnte auch nicht mucksmäuschenstill dieses Vergnügen genießen, sodass eine sehr anregende Melodie aus diesem Duett ihre Kehlen aufraute. +++* Für Krokodil war es selbstverständliche Routine, die Hygiene-Nacharbeiten zu übernehmen, sich nützlich zu machen, Beschäftigung zu suchen und zu finden. Nun saß er wieder auf der Kante des Sofabetts, betrachtete Leonidas. »Wie Dornröschen.« Dachte er melancholisch. Nur floh dieses Dornröschen in den Schlaf, wollte nicht wachgeküsst werden, wenn es nicht der richtige Prinz war. Oder, wie Krokodil vermutete, die richtige Nachricht. »Da hast du ja was angestellt!« Tadelte er sich selbst stumm. Weil es kaum vorstellbar schien, sich einfach von diesen Erlebnissen und Leonidas zu verabschieden. Aber wem hatte er auch etwas vormachen wollen? So nah konnte man sich nicht kommen, ohne ein intimes Interesse zu wecken. Krokodil streckte die Hand aus, streichelte sanft über die wirren Strähnen. Er beugte sich tiefer, raunte sehr leise. "Wenigstens werde ich dir Gesellschaft leisten, bis dein Dornröschenschlaf endet." +++* Kapitel 4 - Glück in der Seifenblase Leonidas betrachtete Krokodil prüfend, der ihn wie am Vortag mit einem sehr späten Mittagessen versorgt hatte. "Bist du so was wie ein Hausmütterchen?" Erkundigte er sich. Krokodil merkte beim Abspülen mittels Gartenschlauch am Spülstein auf. "Hausmütterchen?" Wiederholte er verblüfft. Was für eine sehr altmodische Vokabel! Auf dem Gasherd residierend grummelte Leonidas. "Wie sagt man denn?" "Meinst du vielleicht Hauswirtschafterin?" Schlug Krokodil vor. Ein skeptischer Blick aus den veilchenblauen Augen traf ihn. "Möglicherweise?" Legte Leonidas sich nicht fest. Schmunzelnd beendete Krokodil seine Spül- und Trockenarbeiten. "Für den Hausgebrauch kann ich mich schon ganz anständig versorgen." Antwortete er gutmütig. Ganz im Gegensatz zu einem "Vogelknabberstangen"-Konsumenten, was er nicht aussprach, aber Leonidas offenkundig in der Luft liegend erahnte, ihm deshalb die Zunge rausstreckte. "Wir sind zu Hause nur zwei Personen, meine Mutter und ich. Da teilt man sich die Arbeiten eben auf." Leonidas studierte konzentriert die eigenen, nackten Zehen. "Du bist auch 'der Mann im Haus', wie? Mit Hobbykeller und diesem ganzen Heimwerker-Zeug?" Krokodil lachte amüsiert. "Wenn es darum geht, wer die Hosen anhat, ist das definitiv meine Mutter!" Korrigierte er grinsend. "Einen Hobbykeller habe ich auch nicht. Aber hin und wieder habe ich Werkzeug geschenkt bekommen, was andere ausrangiert haben. Damit ich aushelfen kann." Die nackten Zehen tanzten Menuett in der Luft. "Siehst gar nicht so aus." "So?" Krokodil baute sich vor dem Gasherd und damit Leonidas auf. "Wie sollte ich denn aussehen?" "Na ja..." Leonidas runzelte die Stirn, was die Falte über der Nasenwurzel verriet, da die lackschwarzen Haare als Vorhang fungierten. "So ein bisschen wie Super-Mario?" "Blaumann und Kappe plus Schnurrbart?" Das hatte man Krokodil noch nie vorgeschlagen. "Also, mit einer Latzhose könnte ich mich schon anfreunden, solange sie viele Taschen hat." Gab er sich konziliant. "Aber mit dem Schnurrbart wird das wohl nichts Gescheites." Zumindest nicht, wenn er ohne Theaterkleber und eine umgearbeitete Plüschtier-Raupe auskommen sollte. Leonidas grummelte, sah ihm aber endlich wieder ins Gesicht. "Jedenfalls vermutet niemand solche Fertigkeiten bei dir, so, wie du herumrennst! Wie ein Schläger mit Testosteron-Überdosierung!" Dezente Rötung kolorierte die weißen Wangen. Krokodil runzelte seinerseits die Stirn. "Liegt vielleicht an meinem breiten Kreuz." Vermutete er. "Der Rest ist ein statistischer Gruß von der Evolution." Ihm gegenüber blinzelten die veilchenblauen Augen verwirrt. Die Erläuterung wurde brav geliefert. "Alles, was möglich ist, existiert irgendwo, sonst wäre es ja nicht möglich. Voraussetzung der Logik." Zuckte Krokodil mit den imposanten Schultern. Leonidas reckte das Kinn höher. "Jedenfalls solltest du auch nicht so reden!" Hielt er Krokodil grimmig vor. Herausgefordert pflichtete Krokodil ihm katzenfreundlich bis servil sofort bei. "Oh ja! Hauptwörter stammeln, einsilbig grunzen, Nebensätze vermeiden und Fremdwörter grundsätzlich auslassen." Prompt kassierte er eine linke Faust gegen seinen Brustkorb, fing sie ein, umschloss sie mühelos mit der eigenen, größeren Hand. Er führte sie an die Lippen, küsste sie mit einem Zwinkern. Leonidas' Gesicht wies interessante Flecken auf, Verlegenheit und Empörung. "Du bist so was von unmöglich!" Beklagte er sich im Rückzugsgefecht. "Aber zur Erhaltung der physikalischen Gesetze notwendig." Nickte Krokodil beflissen. "Immer musst du das letzte Wort haben! Das ist so enervierend!" Krokodil lächelte. "Ich bin sicher, du findest einen Weg, mich sprachlos anderweitig zu beschäftigen." Die veilchenblauen Augen schleuderten Blitze. "Sehr subtil!" Zischte Leonidas vernichtend. Ihr stummes Duell währte einige Herzschläge lang. Leonidas entzog ihm seine Linke, senkte den Kopf. Krokodil lehnte sich vor, bis seine Stirn den wirren, lackschwarzen Schopf berührte. "Wünsche werden gern entgegengenommen." Wisperte er. +++* Man musste Leonidas bescheinigen, dass der sich nicht einfach geschlagen gab. Jemanden so langsam wie möglich zu lieben, das schlauchte ganz schön, forderte Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen und Konzentration. Was es nicht zwingend verlangte, war den schönen Bettgenossen im Arm zu halten. so lange sanft über den schlanken Körper zu streicheln, bis Leonidas fest eingeschlafen war. Sehr behutsam machte Krokodil sich frei, küsste den wirren Schopf, zupfte die Bettdecke zurecht. Für ein Frühstück hatte er alles gerichtet, frische Wäsche lag bereit. Lautlos mit seinen Habseligkeiten beladen zog er die Haustür hinter sich ins Schloss. +++* Die Woche war kurz, dem festgelegten Abstand zwischen den auf biblischem Zählmaß ausgerichteten Feiertagen geschuldet. Nach dem Donnerstag bot ein beweglicher Schulfeiertag sich an, ein verlängertes Wochenende zu genießen, sofern man nicht zur arbeitenden Bevölkerung zählte. Krokodil hatte sämtliche Aufgaben und Nachfragen blitzschnell erledigt, seiner Mutter hoch und heilig versichert, dass sein aushäusiges Engagement nichts mit einem Mädchen oder Trinkgelagen zu tun hatte. Wobei wohl nur die "Betriebsblindheit" einer sorgenden Mutter annehmen konnte, dass er mit seinem äußeren Erscheinungsbild für irgendein Mädchen attraktiv war! Krokodil ließ sich gewohnt am Mittwochnachmittag gut ausgerüstet in das Pförtnerhäuschen über die Terrasse ein. Intime Kenntnisse der schlechten Konstruktion mussten genutzt werden. Rasch fegte er durch die spärlich möblierten Räume, Sofabett frisch beziehen, eilig durchwischen, lüften! Er wartete an der Pforte auf Leonidas, der sich reichlich verspätete, mühsam auf das alte Damenrad stützte, schwankte. Krokodil fasste eilig zu, zog Leonidas an sich. "Kopfschmerzen?" Erkundigte er sich knapp, roch auch etwas Galle. "Hast du dich übergeben?" Leonidas winselte, kniff die Augen zusammen, wies schon Tränenspuren in den Augenwinkeln auf. Die lackschwarze Mähne war zerrauft. "Festhalten." Kommandierte Krokodil leise, ging in die Knie, um Leonidas auf die Arme zu nehmen. Dieses Mal würde er nicht mit einer Koffeindosis gegen die Schmerzen ankämpfen, sondern mit der chemischen Keule. Allzeit bereit, das galt auch für ihn! Nachdem er Leonidas auf dem Sofabett abgesetzt hatte, holte er Wasser und die Schachtel mit den Kopfschmerztabletten. Er entkleidete ihn so umsichtig wie möglich, auch wenn ihn das klägliche Winseln erschütterte. "Ich reibe dich ab." Auch die Temperatur musste gesenkt werden! Dazu lehnte er Leonidas wieder an sich, flößte ihm noch mehr Flüssigkeit ein. "Morgen..." Leonidas kämpfte um Haltung. "Morgen...kannst du alles machen...bitte...schlafen..." Krokodil bettete ihn sanft, legte das gezeichnete Gesicht unter dem wirren Mopp lackschwarzer Strähnen frei. "Mach dir darüber keine Gedanken." Er küsste die glühenden Lippen zärtlich, zupfte ein dünnes Laken über Leonidas, ließ ihn in traumloses Vergessen gleiten. +++* Leonidas blinzelte, registrierte sonnige Lichtfinger, die durch die von Krokodil konstruierten Fensterläden in den Raum tasteten. Krokodil lag neben ihm, auf der Seite, das Kinn in eine Hand gestützt, betrachtete ihn. "Wie geht es dir?" Erkundigte der sich leise. Sich auf den Rücken rollend kontemplierte Leonidas die eigene Befindlichkeit. "Besser. Denke ich." Gab er vorsichtig zurück. "Keine Kopfschmerzen mehr? Übelkeit?" Leonidas schüttelte stumm den Kopf. Für einen Moment senkte er die Lider, straffte seine schlanke Gestalt. "Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe dir versprochen...?" Bevor er sich seufzend an den Abschluss dieses Satzes geben konnte, legte ihm Krokodil eine große Hand um die Wange. "Ich möchte gern mit dir frühstücken. Hast du nicht auch etwas Appetit?" Leonidas schnaubte. "Du bist so unerträglich, wenn du nett bist!" Hielt er Krokodil empört vor. Der grinste, rappelte sich in einer geschmeidigen Bewegung auf, blickte auf Leonidas hinunter. "Ich habe Schoko-Croissants mitgebracht." Dagegen war jede Kritik aussichtslos. +++* Leonidas bemerkte selbstverständlich die frisch gewaschene Wäsche, gelüftete Räume, saubere Bodenfliesen. Es gab Lebensmittel statt Vogelknabberstangen. Die eigene, angenehm erfrischte Haut war ein deutlicher Hinweis darauf, dass Krokodil ihn abgerieben haben musste. Sie frühstückten gemeinsam in der Küche, rund um den ausrangierten Gasherd, er selbst bequem sitzend, Krokodil daneben stehend, vertraut und aufmerksam. Er verlor kein Wort darüber, was alles an Vorhaltungen zur Sprache zu bringen wäre. "Leonidas." Geschirr reinigend adressierte Krokodil ihn über eine breite Schulter. "Sag mal, darf ich dir die Haare schneiden?" Leonidas runzelte die Stirn. "Du hast aber nicht vor, mir den Schädel kahl zu scheren, oder?" Erkundigte er sich misstrauisch. Krokodil lachte sonor. "Nein, nein, bloß den Stufenschnitt kürzen, solange man ihn noch erahnen kann." "Hast du so was schon mal gemacht? Oder nur mit der Machete bei Hecken?!" Sich ohne Not entstellen lassen, nein, das wollte Leonidas nicht riskieren! Krokodil zwinkerte, die Hände abtrocknend, Geschirr verstauend. "Ich bin recht zuversichtlich, diese Aufgabe zu meistern." "Großmaul." Grummelte Leonidas, allerdings sehr verhalten. +++* Krokodil fädelte den Kamm durch die angefeuchteten Strähnen, hantierte umsichtig mit der Schere. Nein, als Coiffeur hatte er sich bis dato noch nicht betätigt. Er konnte sich sehr genau an Leonidas' Frisur erinnern, als der in die Schule gekommen war. Das musste als Vorbild ausreichen. Leonidas hielt im Übrigen sehr brav still, die Augen geschlossen, der anfänglich nervösen Spannung ledig. Wenn der dichte Schopf etwas gelichtet wäre, würde sich auch die frühsommerliche Hitze leichter aushalten lassen, hoffte er zumindest. Da konnte man es auch ertragen, dass einem der Kopf veritabel gewaschen wurde! +++* "Gehen wir ein paar Schritte draußen." Bat Krokodil. Leonidas schenkte ihm einen langen, prüfenden Blick. Hemd und Hose, die er trug, entstammten nicht seinem eigenen Reservoir, sehr dünner Stoff, luftig-leicht, angenehm weich auf der Haut. Krokodils Augen gaben jedoch nichts preis. Stumm folgte Leonidas ihm nach draußen. Dort zeigte sich der verwilderte Dschungel erheblich gebändigt, ausgedünnt, zurückgedrängt. "Ich dachte mir, da könnten wir picknicken. Später." Krokodil wies auf ein durch seine harte Arbeit entstandenes, schattig-lauschiges Eckchen. Leonidas trat neben ihn. "Du bist echt unmöglich." Murmelte er kaum hörbar. +++* Eigentlich konnte ein Unterschied nur noch akademischer Natur sein, konstatierte Krokodil flüchtig. Weil sie leidenschaftliche Küsse austauschten, sich einander anvertrauten, sich festhielten. Ohne Worte kommunizierten, wie sich die Erlösung gestalten sollte, aufeinander achteten. Das musste Liebe sein. +++* "Du musst immer übertreiben!" Übertrieb Leonidas mit seinem Vorwurf, funkelte Krokodil betont finster aus veilchenblauen Augen mit dezenten Schatten an. "Vielleicht könntest du es als Vorschuss verbuchen?" Gab der keineswegs kleinmütig zurück. "Du spinnst ja!" Leonidas rammte ihm, ohne nennenswerten Effekt, einen spitzen Ellenbogen in die Seite. "Wir können gern mal tauschen! Da will ich dich mal sehen! Drei Mal hintereinander, wirklich!" Krokodil, der ein Laken ausgebreitet hatte, ihr Picknick organisierte, hielt inne. "Willst du tauschen?" Er presste sofort danach die Lippen ärgerlich aufeinander. Warum musste er ohne Nachzudenken diese dumme Frage stellen?! Leonidas, der assistierte, erstarrte, blickte zu lange auf das Laken. "Entschuldigung." Murmelte Krokodil, ließ sich auf die Fersen sinken. Nach spannungsgeladenen, nervösen Herzschlägen seufzte Leonidas bloß, nahm seine selbst gewählte Aufgabe wieder auf. Krokodil konnte gerade noch einen Stoßseufzer unterdrücken. Bei aller Euphorie durfte er nicht vergessen, dass er noch immer auf einem Drahtseil balancierte. +++* Eigentlich wollte Leonidas bloß mal kurz die Augen ausruhen nach dem üppigen Picknick. Er schlief jedoch fest mit dem geschickt coiffierten Schopf auf Krokodils Schoß ein, der sich daran keinen Deut störte. Vielmehr schätzte er sich glücklich, dass Leonidas den Fauxpas nicht zum Anlass genommen hatte, ihn auszuladen. Der hatte zuvor engagiert mitgehalten, sodass Krokodil ein wenig den Kopf verlor, im Melee. Weil er sich so prächtig fühlte, weil er sich regelrecht austoben konnte, in jede Aktion, Liebkosung, Zuwendung die Gefühle einbringen konnte, die nicht ausgesprochen werden durften! Zumindest dann nicht, wenn er nicht alles ruinieren wollte. Nichts von dem, was er wusste, vermutete, ermittelt und geschlussfolgert hatte, durfte er sich anmerken lassen. Ganz gleich, wie sehr es ihn versuchte. +++* Im Schein einer einzigen Kerze leisteten sie einander Gesellschaft, nackt, auf dem Sofabett, mit gekreuzten Beinen, Leonidas auf Krokodils Oberschenkeln. Zum ersten Mal glitten Leonidas' Hände über Krokodils Torso, forschend, bedächtig. Nach der Klage darüber, dass er ihn viel zu lange habe schlafen lassen, frönten sie nun dem anderen Zeitvertreib, ganz ohne Worte, allein mit Gesten, hastigen Atemzügen, leisem Stöhnen. Krokodil wollte nicht aufhören, Leonidas zu küssen, ihn überhaupt nicht freigeben. +++* Krokodil hatte Leonidas spazieren geführt, weil es einen temporären Stand gab, der noch Erdbeeren verkaufte. Die konnte man naschen, während man promenierte, Seite an Seite. Sich ein wenig dekadent fühlen angesichts der Erwachsenen, die arbeiten mussten. Noch mal das Privileg genießen, nicht unter dem allgegenwärtigen Erwerbsdruck zu stehen. Leonidas schob seine Rechte in Krokodils große Linke. "Lass uns Liebe machen, Donát." +++* Nur mit Unterhosen bekleidet werkelten sie Seite an Seite in der Küche. Schließlich benötigte man nach kräftezehrender, körperlicher Betätigung wieder eine Kalorienzufuhr! Krokodil spürte eine geradezu paradiesische Seligkeiten in seinem Inneren. - Er hatte Leonidas wieder auf seinem Schoß "schweben" lassen, was bisher verlässlich zu Orgasmen geführt hatte. - Leonidas hatte ihm einen Kosenamen verpasst, oder zumindest eine Entsprechung seines bürgerlichen Vornamens. Ungarisch, tippte er. - Sie arbeiteten komplikationslos zusammen, neckten sich allein durch Gesten. - Noch zwei weitere Tage lagen vor ihnen. "Erzähl mir was." Leonidas stippte ihn leicht mit einem Ellenbogen an, knabberte ein Radieschen, bevor es schrumpeln konnte. Krokodil wandte den Kopf. "Was möchtest du hören?" Erkundigte er sich lächelnd. "Nichts über Sport!" Schränkte Leonidas sofort ein. "Das ödet mich TOTAL an!" Grinsend nickte Krokodil artig, verzichtete darauf, Leonidas' gefürchtete Kricket-Attacke zur Sprache zu bringen. "Kein Sport." Grübelte vornehmlich hochkonzentriert laut. "Herrje, das wird schwierig." Leonidas stampfte ihm mit dem nackten Fuß auf den Spann. "Sei nicht albern, du verhinderter Pfadfinder! Erzähl mir~erzähl mir von all deinen tollen Reparatureinsätzen!" +++* Es hatte sich so ergeben, dass sie auf der Terrasse saßen, Krokodil die Arme um Leonidas geschlungen. Sie bewunderten in der Dämmerung die tollkühnen Jäger auf Insektenfang, lauschten auf die vielfältige Kommunikation der Fauna, die die Tageshitze abgewartet hatten. "Erzähl mir was von deiner Familie." Begehrte Leonidas leise zu hören. Krokodil überlegte einen Augenblick. "Tja, also, es ist, zumindest auf der einen Seite, eine sehr große Familie." Er berichtete über die vielen Geschwister der Großeltern, was zu zahlreichen, sehr verwirrenden Verwandtschaftsverhältnissen mit Tanten, Onkeln, Cousins, Cousinen, Großneffen und Schwippschwagern führte. Über seinen Vater verlor Krokodil wenige Worte, denn er konnte sich nicht an ihn erinnern, weil der nach einer eiligen Verlobung, der nicht ganz geplanten Schwangerschaft geschuldet, das Weite gesucht und gefunden hatte. Weshalb seine Mutter schwor, dem Kerl einen Scheitel mit dem Nudelholz zu ziehen, sollte der jemals wieder in ihre Reichweite kommen. Doch selbst die geübte Staatsmacht, die Unterhaltsvorschuss einzutreiben wünschte, konnte ihr da nicht assistieren. Südamerika, so vermutete man, nicht habhaft zu werden. Krokodil bedauerte dies nicht, weil er kein Leben mit "Vater" kannte. Außerdem wollte er immer sein eigener "Mann" sein, nicht nur nach Einsetzen der Pubertät. Weil er sich selbst vertraute, wie es ihm seine energische, unerschrockene, umtriebige Mutter vorlebte. Leonidas schmiegte sich enger an. Dass ihn fror, musste man nicht annehmen. "Tja." Krokodil räusperte sich. "Das ist also meine Familie. Und selbstredend all die anderen Menschen, die mich basteln, reparieren oder aushelfen lassen." In seinen Armen schwieg Leonidas versonnen. »Ja.« Sinnierte Krokodil. »Ich mache optisch gar nichts her, aber das bedeutet nicht, dass mein Leben schlecht ist, dass ich einsam bin.« Gerade im Moment, da er sich durch Leonidas angestoßen all dies vor Augen führte, konnte er nun wirklich überhaupt keine Klage erheben! "Ich bin müde." Leonidas drehte den Kopf leicht, um Krokodils Lippen zu streifen. "Lass uns schlafen gehen, ja?" Krokodil tupfte einen Kuss auf die Nasenspitze. "Gern. Das war heute ein phantastischer Tag." Leonidas widersprach ihm nicht. +++* Krokodil erwachte früh, stand jedoch nicht sofort auf, sondern betrachtete Leonidas. Der schlief, ruhig, ihm zugewandt, die feinen Gesichtszüge nicht länger stets unter überlangen, lackschwarzen Strähnen verborgen. Eine schmale Gestalt, der man jeden Knochen ansehen konnte. Schneewittchenhaut, sich in Mysterien hüllend. Er seufzte lautlos. Die Versuchung war groß, sich gemächlich, aber gründlich über den süßen Schläfer herzumachen. Er konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass seine Offensive wohlwollend aufgenommen wurde. Immerhin mussten sie eine fragile Balance wahren. Widerwillig löste er sich von dem bannenden Anblick, entglitt ihrem recht harten Lager. Katzenwäsche und Frühstück, aber pronto! +++* Krokodil wurde aus seinen Vorbereitungen gerissen, als er ein dumpfes Geräusch vernahm. "Leonidas?" Er verließ die Küche, fand Leonidas im Stichflur auf den Knien, mit einer Hand die Wand abstützend. Rasch ging er neben ihm in die Hocke. "Bist du zu schnell aufgestanden? Ist dir schwindlig?" "...uh..." Kommentierte Leonidas ausschweifend seine Situation, schlang aber artig die dünnen Arme um Krokodils kräftigen Nacken, der sich geschickt aufrichtete, Leonidas dabei um die Hüften hielt. "Immer noch schwummerig?" "...geht jetzt..." Weitere Einlassungen wurden von staubtrockenen Krächzen verschluckt. "Einmal volltanken, verstehe." Bekundete Krokodil betont launig. Mühelos dirigierte er seinen etwas wackligen Trabanten in die Küche, lupfte ihn hoch, auf den Gasherd. "Augenblick!" Verdünnter Saft wurde angereicht. Er baute sich vor Leonidas auf, studierte dessen Erscheinung: gewohnt blass, die veilchenblauen Augen beschlagen. Mit den Fingerspitzen erprobte er die Körpertemperatur, den Puls an der Halsschlagader. Leonidas ließ ihn gewähren, balancierte den Becher mit beiden Händen aus. "Hast du Kopfschmerzen?" Bevor Leonidas sich zu diesem Aspekt persönlicher Disposition einlassen konnte, knurrte sein Magen vernehmlich. Krokodil grinste. "Da ist Nachschub verlangt." Dolmetschte er amüsiert, was Leonidas ein Knurren entlockte. Um ihn ein wenig zu necken, schnellte Krokodil vor, küsste die gerade becherfreien Lippen flink. "Trifft sich gut, ich habe nämlich auch Hunger!" Er zwinkerte, säbelte Brotscheiben in mundfertige Mosaike, die er dekorierte und garnierte. Leonidas erprobte ein Marmeladenschiffchen. "Da fehlt noch was." Brummte er. Krokodil wandte sich ihm fragend zu. Eine schmale Hand packte ihn im Nacken, reduzierte die Distanz auf Null. Stimmt. So ein ausgiebiger Kuss veredelte jeden Happen, keine Frage! +++* Richtiggehend dekadent, das Frühstücksgeschirr im Stich zu lassen. Zurück in das ungemachte Sofabett zu kriechen, die Bekanntschaft mit jedem Fleckchen Haut zu erneuern. Langsam, aber unaufhaltsam in einen Rausch zu verfallen, sich beinahe gierig gegenseitig zu verschlingen, in Besitz zu nehmen. Doch Krokodil schob sämtliche Bedenken beiseite. In diesem Dornröschen-Traum galten die Regeln der Welt draußen nicht. +++* Der Himmel hatte sich bezogen, es roch nach Ozon. Krokodil entschied, lieber die Wäsche von der Spinne zu bergen, da sie ohnehin getrocknet war. Von einem Gewitter hatte er nichts verlautbaren hören, andererseits hätte er gegen einen Landregen nichts einzuwenden, da der den Staub binden würde. Außerdem lechzte die Flora nach flüssigem Nachschub. Überraschend schlangen sich dünne Arme um seinen Torso, schmiegte sich Leonidas an ihn an. "Ausgeruht?" "Hm." "Hunger? Durst?" "Hm." Krokodil lachte leise. Bei dieser ausschweifenden Einlassung auf seine Erkundigungen konnte er sich wohl in freier Interpretation üben! In diesem Moment setzte erst sanft, danach gründlich ein leises Rauschen ein. Unzählige Tropfen nutzten die Gunst der Druckverhältnisse, begannen damit, den Garten zu tränken. Krokodil wand sich vorsichtig in der Umarmung, studierte Leonidas' Miene. "Lass uns rausgehen." Schlug er vor. Eine Augenbraue wanderte kritisch dem lackschwarzen Haaransatz entgegen. Einen Schritt Abstand zwischen sie bringend strippte Krokodil herausfordernd, kehrte sich der Terrasse zu. "Das ist nicht dein Ernst?" Amüsiert zwinkerte Krokodil Leonidas über die Schulter zu, marschierte dann ins Freie. Was konnte besser sein als eine angenehm temperierte Dusche? Man hätte es natürlich dabei belassen können, aber auf dem schlüpfrigen Boden konnte man sich auch wild im Kreis drehen mit einem begeistert kreischenden Leonidas. Sich im nassen Gras wälzen, bald nach Moorbad und Wildkräuter-Packung aussehen, den Partner bei diesem Schlamm-Catchen in den Boden knutschen. Sie spülten sich mit dem Gartenschlauch ab, erhitzt, aufgedreht, vor Energie strotzend. Diese Energie wollte auch kreativ abgebaut werden. Krokodil zog alle Register, von denen er wusste, dass Leonidas sie mit aller Leidenschaft genoss, entzündete Feuerwerke, die bis in die Haarspitzen Explosionen auslösten. +++* Das war das erste Mal, dass er Leonidas so ausgelassen und ungezwungen erlebt hatte, hielt Krokodil für das Protokoll fest. Herumzutoben wie kleine Kinder, sich einzusauen, Haschmich zu spielen... Mit dem abweisend-distanzierten Auftreten des wenig Älteren eigentlich nicht vereinbar, aber es galt eben, eine gewisse Fassade zu wahren. Deshalb konnte man sich durchaus geadelt fühlen, hinter die hohen Mauern des Dornröschen-Turms gelangt zu sein, einen Leonidas kennen zu lernen, der sonst unter Verschluss blieb. Und dann der Sex. Krokodil blies sanft in wirre, lackschwarze Strähnen. Selbstverständlich wollte er selbst jede Möglichkeit als Gunst nutzen, nicht nur, weil er sich selbst in seiner, zugegeben nicht sonderlich ansehnlichen Haut besonders wohlfühlte, sondern auch, da dieser intensive körperliche Austausch ihm Anlass bot, das, was er nicht sagen durfte, zu übermitteln: dass es längst nicht mehr um eine bloße Faszination, eine ungebührliche Neugierde ging, eine gute Gelegenheit, Erfahrungen zu generieren, die vielleicht einmalig sein würden. Nein. Krokodil rückte ein Quäntchen näher, küsste den wirren Schopf. Er liebte Leonidas. +++* "Bist du krank?" Argwöhnisch studierte Leonidas Krokodil, nachdem er sich aufgerichtet, die veilchenblauen Augen kindlich mit den Fäusten gerieben hatte. Der blickte fragend. "Na, sonst rennst du irgendwo herum und hast was um die Hand!" Rechtfertigte Leonidas grummelnd seine Frage. Krokodil grinste. "Ich dachte, ich warte, bis du aufwachst. Wir unternehmen einen Abstecher in die Küche und setzen uns raus." Erklärte er sein beunruhigend abweichendes Gebaren. "Trinken könnte ich bestimmt was." Krächzte Leonidas, ließ sich auf die Beine ziehen. Prompt knickten ihm die Knie ein. Krokodil griff routiniert zu, fasste ihn unter, zog ihn eng an sich. Verlegen-beschämt tönten sich die schneeweißen Wangen sanft rosig. Bevor Leonidas sich zur Gesichtswahrung genötigt sah, ihn ob der Nachwirkungen ihrer gemeinsamen Betätigung auszuzanken, reduzierte Krokodil die Distanz rapid, küsste ihn zärtlich auf die bereits zum Tadel geschürzten Lippen, lächelte auf den wenig Älteren herunter. "Lass uns Kalorien tanken, ja?" +++* Spärlich bekleidet saßen sie in der lauen Dämmerung auf der Terrasse, Krokodil die Beine um Leonidas aufgestützt, die Arme locker um dessen schmale Gestalt gewunden. "Also, ich verstehe mich besser aufs Konsumieren." Bemerkte Leonidas plötzlich. "Von Kochen habe ich keine Ahnung." Was unzweifelhaft übertrieben war, doch Krokodil griff das Thema brav auf. "Ich glaube, ich bin auf beiden Gebieten recht bewandert." Schnurrte er keck in den fragilen Nacken. "Na, beim Füllmaß, das du erhalten musst, kein Wunder!" Konterte Leonidas ebenso herausfordernd wie altmodisch formuliert. Krokodil grinste. "Ich könnte diesbezüglich meine Kenntnisse mit dir teilen?" Lockte er Leonidas aus der Reserve. "Damit ich nicht mehr in meine Kleider passe? Mir den Kopf anrenne? Nein, besten Dank auch!" Man polterte gern. "Ja, das wäre schon eine Umstellung." Gab Krokodil sich konziliant. "Eine neue Garderobe, Helmpflicht in geschlossenen Räumen..." Leonidas knurrte, knuffte ihn mit einem spitzen Ellenbogen in die kurzen Rippen. "Aber es hätte natürlich den Vorteil, dass man leichter an hohe Regale herankommt!" Triezte Krokodil ungeniert weiter. "Und den Nachteil, dass man sich tiefer bücken muss!" Fauchte Leonidas, drehte sich sogar herum, aus veilchenblauen Augen Blitze abzufeuern, obwohl er sichtlich ihre Kabbelei genoss. "Das ist ein Argument." Pflichtete Krokodil ihm amüsiert bei. "Da belassen wir es wohl besser bei der gegenwärtigen Konstellation, nicht wahr?" Leonidas grummelte zufrieden, richtete sich betont in Krokodils Umarmung ein, wie jemand, der ein Kissen zurechtklopfte, die Polster arrangierte, um auch wirklich bequem zu logieren. Eine Weile lauschten sie wieder schweigend der Fauna, die ihr abendliches Konzert inszenierte. "Wie funktioniert das?" Krokodil raunte die Worte leise. "Wie kann man so viele Sprachen beherrschen?" Vor ihm richtete sich Leonidas ein wenig auf. "Na ja, so viele sind es gar nicht." Relativierte er. "Es sind ja keine Exoten darunter." "Das klingt so, als wäre es ganz einfach?" Stippte Krokodil bewusst in ein Fettnäpfchen, den Stolz anzustacheln. Zu seiner Überraschung returnierte Leonidas nicht geübt arrogant-selbstherrlich. "Mit einer gewissen Basis jede Sprache hat eine gewisse Melodie. Eine Haltung. Eine Pose." Er gestikulierte sparsam, zögerte. "Zum Beispiel Deutsch, das ist für mich Bauhaus: klar, exakt, präzise. Eine distanzierte Haltung, korrekt, ordnungsliebend, gehemmt. Professoral." Krokodil lauschte interessiert. "Wenn man sich diese Melodie, diese Haltung einprägt, kann man sich wie ein Chamäleon immer besser anpassen." Leonidas schnaubte kurz. "Beispielsweise Essen im Restaurant bestellen, um nicht zu verhungern." Hinter ihm lachte Krokodil leise, küsste den Schopf am Hinterkopf. "Außerdem gibt es immer jede Menge Leute, die so adretten Jungs wie mir gern ihre Sprache beibringen möchten!" Stichelte Leonidas mit gerecktem Kinn. "Das kann ich nachvollziehen." Leistete Krokodil knochentrocken seinen Beitrag. "Es gehört zum gesellschaftlichen Pli!" Ergänzte Leonidas wichtig. "Wenn man zum Beispiel keine Ahnung hat, was gerade in der Telenovela geschieht, existiert man quasi nicht!" "Ach du Schande!" Flötete Krokodil brav. "Du sagst es!" Leonidas räkelte sich ungeniert. "Man muss sich eben anpassen. Dann klappt es von selbst." Das konnte Krokodil nicht ganz für bare Münze nehmen. Er fragte sich, wie es wohl sein musste, häufig herumzuziehen, mithalten zu wollen und zu müssen. Sich durch Zuhören und Beobachten schnell zu adaptieren. Wie man damit zurechtkam, als Kind ständig unter wechselnden Erwachsenen zu sein, immer wieder aufs Neue entwurzelt. Oder genoss Leonidas vielleicht diese Ungebundenheit, das Unstete, den ständigen Wechsel? "Weißt du, es ist wie mit deinen Heimwerkerfähigkeiten: hat man den Anfang gemeistert, kommt von selbst mehr dazu." Bemerkte der just in diesem Augenblick nachdenklich. Krokodil kontemplierte diese Einlassung einige Augenblicke. "Erstaunlich." Bekannte er neckend, in besonders flachem Tonfall. "Da habe ich ja doch etwas vorzuweisen!" Leonidas knurrte prompt, ließ den spitzen Ellenbogen zwecks Verhaltenskorrektur ausfahren. Krokodil grinste, umschlang ihn ein wenig fester, vertrauter, woraufhin Leonidas bloß geplagt aufseufzte, sich anschmiegte. +++* Krokodil war ausgezogen, frische Backwaren käuflich zu erwerben und Leonidas eine üppige Frühstückstafel zu offerieren. Der stand nun, eilig feucht abgerieben, in der "Guten Stube", wo ein Picknick ihn erwartete, wirkte durchaus verlegen, nicht mehr so gewappnet wie zuvor. "Hast du keinen Hunger?" Lockte Krokodil lächelnd, streckte die Hand aus, damit ein Platz auf gefalteten Handtüchern eingenommen werden konnte. "Nun, schon, aber wenn ich so viel esse, werde ich danach vor Erschöpfung einschlafen!" Stellte Leonidas das Problem heraus. "Wir könnten auch einen Verdauungsspaziergang unternehmen." Bot Krokodil eine Lösung an. "Noch ist es nicht zu schwül." "Hm." Entschied Leonidas ausschweifend, nahm endlich Platz. Krokodil lächelte, schnellte vor, um einen Kuss auf dessen Lippen zu platzieren. Nicht mal getadelt ob dieses Überfalls stellte er Leonidas das Angebot vor. +++* Außer vereinzelter Hunde-Begleitung und zum Kirchengang begegneten ihnen kaum Leute, sodass Krokodil tollkühn ihre kleinen Finger miteinander verhakte. Sie sprachen nicht viel, registrierten beide eine gewisse Anspannung, weil die Welt "draußen" sie dazu anhielt, vorsichtig, wachsam, angepasst zu agieren. Weil sie unerbittlich daran erinnerte, dass ihre gemeinsame Zeit an diesem verlängerten Wochenende verstrich. "Lass uns umkehren." Murmelte Leonidas folgerichtig. Krokodil nickte Konsens. +++* Krokodil hatte sich einfach ebenfalls entblättert, war zu Leonidas unter das dünne Laken auf das Sofabett geklettert. Dessen Lider flatterten wie ein Morsesignal. Mit einem leichten Seufzer gab er der Müdigkeit nach. Krokodil liebkoste sanft mit den Fingerspitzen schlanke Glieder, seidige Strähnen, attraktive Gesichtszüge. Wie wäre es wohl, wenn sie einander nichts vorspielen müssten? Wenn sie über alles sprechen könnten? Wenn sie nicht nur im Augenblick lebten? +++* Leonidas schmiegte sich noch ein wenig intensiver an, seufzte leise. Krokodil kraulte den zarten Nacken, studierte seinen Sofabettgefährten erwartungsvoll. Gegen Kuscheln hatte er sicher nichts einzuwenden, doch ohne textile Hindernisse würde sich eine gewisse Spannung aufbauen. die gern kreativ und gemeinschaftlich in Dynamik umgewandelt werden wollte. Was wäre Leonidas genehm? Durfte er forsch die Initiative ergreifen? "Du willst mich fressen, du Krokodil, oder?" Ein bisschen rau vom Schlaf drang Leonidas' Stimme an Krokodils Ohr. "Mit Haut und Haaren." Bestätigte der artig, schnappte schon mal probeweise ein Ohrläppchen. "Kannibale." Grollte Leonidas, die Lider über den veilchenblauen Augen flatterten. "Gourmet." Konterte Krokodil schmunzelnd. "Wahrscheinlich wirst du aus allen Nähten platzen!" Malte Leonidas eine düstere Zukunft. "Oh, das schreckt mich nicht." Nun leckte Krokodil über eine zarte Wange. "Ich muss Energie sparen!" Verkündete Leonidas trotzig, signalisierte, er werde keinen Finger rühren: die Einladung für Krokodil, ganz nach eigenem Gusto zu operieren. Sich alles zu erlauben, von dem er annahm, es würde ihnen beiden zusagen. Bald wand sich Leonidas unter ihm, keuchte leise, grub die Fingerspitzen in seine Schultern. Krokodil spürte, wie ihn ein rauschhafter Fieberzustand überkam, der keine Distanz zuließ, kein Nachlassen, keine Verschnaufpause. Jedem Flecken Schneewittchenhaut wollte er sein Siegel aufdrücken, den schlanken Körper in seinem Zugriff zum Tanzen bringen, die heisere Melodie in seinen Ohren anfeuern. Je mehr er sich auf diesen Rausch einließ, umso mehr Energie pulste in ihm selbst auf, benötigte dringend ein Ventil. Als könne sein innerer Akku sich überladen, überfließen von dieser Lava, die sich eruptiv verströmen wollte. Vorzugsweise in einen gastfreundlichen Mitspieler. +++* »Lächerlich!« Dachte Krokodil, leicht benommen, in wonniger Hitze, widerwillig elysische Höhen verlassend. Wie hatte er nur annehmen können, dass ein einziges Wochenende ihm genügen würde? Dass es für ein Leben ausreiche? Unwillkürlich zog er Leonidas in seine Arme, der neben ihm noch nach Luft rang. Eigentlich sollte er sich fürchten vor der geradezu beängstigenden Übereinstimmung, die sie gemeinsam erreichten, vor der ungeschminkten Lust. »Aber DER Zug ist längst abgefahren!« Bescheinigte Krokodil sich selbst, kämmte durch feuchte, lackschwarze Strähnen. Niemand könnte dieser Versuchung widerstehen! Jetzt hatte er sich in ihr verloren, ohne Reue, ohne Abschiedsblick, ohne Bedauern. Leonidas' schmale Hände stemmten sich gegen seinen breiten Brustkorb, ein Protest dagegen, vor Liebe erdrückt zu werden. Versöhnend hauchte Krokodil eilig heiße Küsse auf das noch immer rosig überhauchte Gesicht. "Ich fühl mich wie ausgespuckt!" Beklagte sich Leonidas krächzend. Krokodil lupfte fragend eine Augenbraue. Als so feucht hatte er seine Küsse gar nicht eingeschätzt. Etwas fahrig verschaffte Leonidas sich mit spitzen Ellenbogen minimal mehr Bewegungsfreiraum. "Ehrlich, du hast ZU VIEL Energie!" Krokodil ließ ein wenig Abstand zu, beugte sich prüfend über Leonidas, der mal wieder die Handballen gegen die Schläfen presste. "Tut dir was weh?" Erkundigte er sich besorgt. "Mir summt ungefähr jeder einzelne Knochen im Leib." Grummelte Leonidas. "So gut?" Schnurrte Krokodil sonor, erleichtert und darum auch neckend. "Pah!" Seufzte Leonidas an seiner Seite. Krokodil neigte sich noch tiefer herunter, wisperte an ein zugewandtes Ohr unter der verwirrten Mähne. "Was möchtest du, dass ich tue? Wie kann ich deine Huld wiedergewinnen?" Nun endlich boten sich ihm die veilchenblauen Augen, betrachteten ihn kritisch. "Du bist wirklich ein komischer Kauz." Lautete das finale Urteil. "Was beziehungstechnisch kein Nachteil ist." Referierte Krokodil unerschrocken auf seine Theorie zur Bedeutung von Humor auf zwischenmenschlicher Ebene. Leonidas knitterte ein schiefes Grinsen auf seine attraktiven Züge. Er hob eine Hand, glitt mit den Fingerspitzen über Krokodils von Narben gezeichnete Wange. "Wenn du dich loseisen könntest, wäre ich für etwas Trinkbares dankbar." Um mit einer Grimasse einzuschränken. "Im Rahmen vertretbarer Grenzen, klar?" Krokodil grinste. Als ob er ernsthaft erwägen könnte, noch eine vierte Runde in so kurzer Zeitspanne einzulegen! "Rühr dich nicht vom Fleck!" Gurrte er im Bass, küsste Leonidas auf die Lippen. "Scherzkeks!" Fauchte der matt. Aber Krokodil lachte nur befreit heraus, schon auf dem Weg in die Küche. Wenn Liebe einen zum Narren machte, wollte er diese Schellenkappe nie mehr absetzen! +++* Krokodil lehnte gegen die Wand, die kräftigen Arme um Leonidas geschlungen, der sich an ihn und in die Umarmung schmiegte wie in einen gemütlichen Ohrensessel. Auf dem Sofabett fanden sich noch die Reste ihres frugalen Mahls. Man hätte nun diszipliniert aufspringen müssen, Ordnung schaffen, sich feucht abreiben, manierlich ankleiden. Doch Krokodil wollte sich nicht losreißen. Viel lieber strich er abwechselnd über Leonidas' Torso, die dünnen Arme, die gekreuzten Beine. "Ist es schon besser?" Erkundigte er sich, sonor ein Ohr adressierend. "Hmm." Beschied Leonidas episch, hob nicht mal die Lider an. Also setzte Krokodil seine Liebkosungen fort. Er würde auch noch bleiben, bis Leonidas eingeschlafen war, nicht einen kostbaren Augenblick vergeuden. +++* Kapitel 5 - Die Antwort Selbstverständlich erwartete Krokodil nicht, dass Leonidas' Verhalten sich in der Schule änderte, dass der ihre Verbindung in irgendeiner Form offenbar werden ließ. Er versuchte auch nicht, das Pausen-Koma zu unterbinden oder die Vogelknabberstangen durch eigene Menüvorschläge zu verdrängen. Vielmehr hegte er nun eine Vermutung. Ganz gleich, wie sprachgewandt Leonidas auch war: er musste beim Schulstoff mithalten, ohne Fernseher, Radio, Zeitung oder Bücher. Was er nicht in der Ganztagsschule bestritt, das ging verloren. Also musste er auf den Punkt konzentriert alles im ersten Durchgang in sich aufnehmen. Kein Wunder, dass die Pausen dann der "Verarbeitung" dienten, was sich bei der vorherrschenden Sommerhitze umso schwerer gestaltete. In diesen Kleidern... Am Mittwoch fehlte Leonidas unentschuldigt. Krokodil zog Erkundigungen ein, im Lehrerzimmer, im Sekretariat. Man habe ja schon nachgefragt, nur scheine die Rufnummer nicht korrekt zu sein! »Was Wunder, in der Klafalle gibt es keinen Festnetzanschluss!« Dachte Krokodil bei sich. Er entschied kurzerhand, sich von abendlichen Verpflichtungen selbst zu befreien, seiner Mutter mitzuteilen, dass es sich um einen Notfall handele. Eilig machte er sich dann zum Pförtnerhäuschen auf. Das Tor lehnte missmutig an der Pforte, das alte Damenrad rostete unter der Traufe vor sich hin. Krokodil umrundete den Bau, betrat über die Terrasse die spärlichen Räumlichkeiten. Schnurstracks hielt er im Schlafzimmer Einzug, verdunkelt, nur eine vage Gestalt unter der Decke zu erahnen. "Leonidas?" "Geh weg." Krokodil atmete erleichtert auf. Die Stimme klang zwar rau, aber zumindest zeigte sich unter der Decke ein Anzeichen von Leben. Als er das Sofabett erreichte, spürte er unter seinen Sohlen ein Knistern. Er bückte sich, fand im Halbdunkel ein zerknittertes Stück Papier: Thermopapier vom Faxgerät, vorher wohl akkurat gefaltet, damit es beispielsweise in einen Briefkasten passte. "Sie werden nicht kommen, oder? Deine Eltern." Krokodil nahm auf der Kante des Sofabetts Platz. "Werden sie sich auch trennen?" Den Feuilletons war nichts zu entnehmen gewesen, aber andererseits musste man zugute halten, dass das Ehepaar nicht DIESE Art von Prominenz vorweisen konnte. "Verschwinde." "Nein". Unter der Bettdecke konnte er eine gewisse Anspannung registrieren. "Du verstehst davon nichts, also GEH WEG!" Keine Absicht, die Krokodil im Mindesten zusagte. "Du kannst es mir erklären." Hielt er stattdessen stoisch dagegen. "Du sollst GEHEN!" Leonidas explodierte wie ein Schachtelteufelchen, schleuderte die Decke von sich, packte das ohnehin lädierte Kissen, um Krokodil damit zu bepflastern. "Du weißt gar nichts, klar?! Sie sind eben Kunstschaffende! Ständig unterwegs! Das heißt noch lange nicht..." Krokodil unternahm keine Anstrengungen, dem Kissen auszuweichen. "Sie sind schon nicht nach Vancouver gekommen." Stellte er ruhig klar. "Das bedeutet GAR NICHTS!" Schon leicht außer Atem kam Leonidas sogar auf die Knie, um mit beiden Händen Kissenzipfel zu packen, auf ihn einzutrommeln. "Sie suchen nur nach einer Basis, auf der sie ausruhen können! So haben wir das immer gemacht..." Während sich Leonidas' aufgeraute Stimme noch überschlug, gaben die Nähte des Kissens nach. Hässliche Kunststoffbällchen flogen herum. Vor Schreck atmete er auch noch falsch, was einen Schluckauf bewirkte. "Dieses Mal nicht." Korrigierte Krokodil leise. "Hättest du nicht sonst diesen Rodrigo angerufen?" Leonidas würgte nach Atem, schleuderte das final zerstörte Kissen von sich. "Das brauchte ich nicht! Alles ist in Ordnung, klar?! Du weißt ja nicht, wovon du sprichst, also misch dich nicht ein!" Krokodil schnellte vor, packte dünne Oberarme. "Alles in Ordnung? Dass du von Jeffreys Vogelknabberstangen lebst und Jediahs Winterkleider aufträgst?! Dass du in diesem Loch hier haust?!" "Das geht dich nichts an!" Brüllte Leonidas mit überschlagender Stimme. "Hättest du nach Jediah auch mit diesem Rodrigo ins Bett gehen müssen?! Kümmert das auch keinen?!" Zornig und verzweifelt versuchte Leonidas, sich aus der Umklammerung seiner Arme zu befreien, ohne Erfolg. "Du redest nur Unsinn! Was weißt du schon von uns?! Das ist nur eine Phase, wo wir noch nichts gefunden haben..." "Ein ganzes Jahr lang nicht? Unsinn." Beschied Krokodil knapp. "Das wird schon wieder! Es ist bloß gerade schwierig, Engagements..." Krokodil erstickte den Satz, indem er Leonidas eng an sich presste, ihn förmlich in seiner Umklammerung einkerkerte. "Wenn es so wäre, warum bist du dann so unglücklich?" Raunte er in den wirren, verschwitzten Schopf. Leonidas begann, aus tiefster Seele zu schluchzen. +++* Krokodil tauschte das feuchte Tuch aus, das er Leonidas über die Augenpartie legte. Er rutschte neben ihn auf das verwüstete Lager, schloss die Linke um die verkrampften, schmalen Hände. Der Tränenausbruch hatte nicht lange vorgehalten. Dazu hatte sich Leonidas schon viel zu sehr verausgabt, als Krokodil gekommen war. "Wir sind häufig herumgezogen, abhängig von Engagements, Lehraufträgen oder Projekten. Wie bei Kunstschaffende üblich. Freigeister eben." Leonidas krächzte leise, matt in das Halbdunkel des Zimmers. "Ich habe die Basis besetzt, die Stellung gehalten. Wo alle zusammenkommen, sich treffen, essen, feiern, lachen. Freunde und Kollegen." Er seufzte leise. "Spontanität, Improvisation, Gastfreundschaft, immer in Bewegung. Sich der Kunst, der Neugierde, dem Erschaffen hingeben." Krokodil schob seine Finger zwischen die verkrampften Fäuste, bot sich selbst als Anker an in stürmischer See. "So viele unterschiedliche Menschen kann man treffen, es ist laut, fröhlich, unterhaltsam..." Leonidas schluckte, schnaubte dann. "Ich hab das schon mitgekriegt, dieses Gerede über Elite-Internate in der Schweiz und hochherrschaftliche Anwandlungen! Aber Tatsache ist: da gibt es keine Reichtümer, keinen Besitz, kein Vermögen." Leonidas wandte den Kopf leicht, Krokodil zugeneigt. "Erinnerungen, Augenblicke, Freunde, Beziehungen: DAS ist für meine Eltern Reichtum. Kreativ sein zu können, sich immer neue Horizonte zu erschließen. Nicht Geld horten!" Krokodil stützte sich auf, um Leonidas auf die trockenen Lippen zu küssen, zuerst zurückhaltend. Er teilte leidenschaftlich, großzügig den eigenen Speichel, um die raue Kehle anzufeuchten. Unversehens fand er sich jedoch angestoßen, auf den Rücken zu rollen, da kletterte Leonidas schon über ihn, um sich anzuschmiegen wie an eine spezielle Reflexzonen-Matratze. Krokodil bot artig die zusätzliche Massage durch seine kraftvollen Hände an. "Meine Eltern kümmern sich. Sie kennen so viele Leute, die nach mir sehen, mir helfen, alles vorbereiten für..." Leonidas presste das Gesicht gegen Krokodils Brustkorb, schluchzte erstickt. Der kraulte sanft den zarten Nacken. "Bitte entschuldige, dass ich so grob war." Wisperte er leise. "Ha!" Leonidas schnaubte gedämpft, seufzte resigniert. "Ich dachte mir schon, dass du etwas gemerkt hast. Du warst immer zu höflich, zu diplomatisch." Er rangierte, bis er sein Gesicht in Krokodils Halsbeuge ablegen konnte. "Meine Eltern sind eben unkonventionell, künstlerisch, freigeistig. Das heißt nicht, dass sie schlechte Eltern sind, klar?! Ich muss mich eben bemühen, weil ich kein Kunstschaffender bin, verstehst du?" Krokodil kreiste mit einer großen Hand über die knochigen Schulterblätter. "Bist du denn kein Lebenskünstler?" Fragte er sanft, spürte, wie Leonidas stutzte, schließlich brummte. "Nun, vielleicht ein wenig. Aber ich verfüge nun mal nicht über ein schöpferisches Talent, deshalb kann ich ihre Hingabe aber nicht verurteilen. Sie tun, was für sie richtig ist, was sie antreibt. Was sie lieben!" Eine schmale Hand einfangend barg Krokodil sie in seiner eigenen, küsste nacheinander die Fingerspitzen. "Es tut mir leid." Raunte er sonor, tröstend. Er fragte sich, ob sie wussten, dass Leonidas auf sie gewartet hatte, wie in einer Zeitschleife ausgeharrt, Distanz gewahrt, diese Klafalle ertragen, in der Hoffnung, dass sie kämen, dass es nur ein vorübergehendes Provisorium sei. Leonidas seufzte erneut, erschöpft, geschlagen. "Ganz richtig lagst du übrigens nicht." Murmelte er. "Jediah ist Jeffreys Großonkel. Sehr vermögende, einflussreiche Familie. Mehrere Immobilien." Krokodil ermahnte sich, das Kraulen nicht einzustellen, die eingefangene Hand nicht zu sehr zu drücken. "Jeffrey ist ein echter Prachtkerl, sehr sportlich, gut aussehend, athletisch gebaut, ein wahrer Adonis! Dazu noch umgänglich, gastfreundlich und beliebt! Da habe ich richtig luxuriös logiert." »Also das komplette Gegenteil von mir. Er hat Leonidas sogar die teure Garderobe seines Großonkels überlassen.« Krokodil subsumierte schweigend Indizien zu dem unbekannten Mann, dessen Namen er in einer College-Jacke eingestickt entdeckt hatte, während dieser Apollon seinem ehemaligen Logiergast einen Karton Spezialriegel hinterherschickte. Leonidas seufzte. "Der perfekte Traumtyp, umschwärmt, heiß begehrt als Junggeselle. Tja. Allerdings ist der Sex mit dir um Längen besser." So trocken und lakonisch es herauskommen sollte: Krokodil hörte Leonidas' Wehmut. "Ich danke dir für dieses Gütesiegel." Schnurrte er laut, hob den Kopf an, um dem wirren Schopf lackschwarzer Strähnen einen Kuss aufzudrücken. Leonidas drückte seine Hand. "Jeffrey ist kein schlechter Kerl. Ich durfte bei ihm wohnen, er hat mir mit der Schule geholfen, alles bezahlt, mich vielen Leuten vorgestellt." Krokodil kreiste mit der anderen Hand über das knochige Rückgrat, langsam, aber unaufhörlich. "Ich weiß nicht, warum es mit Vancouver nicht geklappt hat." Murmelte Leonidas. "Danach hieß es eben Deutschland: gut vernetzt, viele Angebote, alles nur ein Katzensprung entfernt." Sodass Koffer und Tasche gepackt wurden, mit Winterkleidung aus Kanada, um hierher zu kommen. Wirklich, ein erschreckend bescheidener Lebensstil! Prompt verstärkte er seine Massage ein wenig, hielt die Hand etwas fester. "Wie geht es jetzt weiter?" Die kritische Frage, die er all die Zeit vorher unterdrückt hatte, in der Ahnung, dass er dann den Dornröschenschlaf beenden, den Traum zerstören würde. "Ich weiß nicht." Leonidas seufzte erneut. "Aber ich möchte sie treffen. Vielleicht..." Vielleicht gelänge es doch noch, die Beziehung zu retten. Krokodil hörte die unausgesprochene Hoffnung. "Wie kann ich dir helfen?" Leonidas erstarrte für einen langen Moment, räusperte sich. "Du hast mir schon genug geholfen." Er schnaubte über sich selbst. "Auch wenn ich dir dieses Elend hier eigentlich nicht zeigen wollte, bin ich doch froh, dass du da bist." Krokodil kraulte eine Weile schweigend weiter. Auf ihm rührte Leonidas sich nicht, ließ sich einfach halten. "Wir sollten Licht machen, das Chaos aufräumen." Beschloss Krokodil dann. "Ich bleibe über Nacht." Spät genug war es ohnehin schon. Leonidas richtete sich auf ihm auf, kletterte beiseite. Krokodil erhob sich, streckte Leonidas die Hände hin. "Willst du dich frischmachen? Ich kümmere mich um die Baustelle hier." Bot er an. Die schmalen Hände, die sich in seine großen schoben, zitterten für einen Moment. Ihr Griff wurde fest. "In Ordnung." Leonidas reckte das Kinn im Halbdunkel, entschlossen, seinen Part zu leisten. +++* Krokodil hatte mit ausreichender Beleuchtung nicht nur das havarierte Kissen samt verstreutem Inhalt durch gefaltete Handtücher ersetzt, sondern die Bettwäsche gewechselt, gelüftet und aufgeräumt. Als er sich in die Küche aufmachte, stand Leonidas gerade in der Bütte, sich mit einem feuchten Lappen abreibend. Sich ein Handtuch greifend tupfte Krokodil die Schneewittchenhaut behutsam ab. "Warum diese komischen Knabberstangen?" Erkundigte er sich beiläufig. Leonidas lachte leise auf. "Na ja, Jeffrey ist ein Fitness-Fanatiker, weißt du? Er arbeitet halbtags in einer Vermögensverwaltung, damit er den Rest der Zeit im Studio verbringen kann." Er ließ sich aus der Bütte helfen, sogar von Krokodil wieder ankleiden. "Zeit fürs Essen oder Kochen wollte er nicht verschwenden. Er hat nach einer effektiven Möglichkeit der 'Energieaufnahme' gesucht." Leonidas wischte sich durch die angefeuchteten Haare. "Die Riegel sind seine 'Offenbarung'. Er hat sogar Anteile an der Firma erworben. Als er hörte, dass ich nach Deutschland muss, wollte er wohl verhindern, dass ich aufquelle wie ein Hefekloß." Krokodil warf ihm einen fragenden Blick zu. "Jeffrey hat so seine Vorstellungen von 'Gemütlichkeit' und 'Biergarten', als gäbe es jeden Tag 'Oktoberfest', weißt du?" Das erklärte natürlich das Care-Paket. Sich abwendend kramte Krokodil in seinem Rucksack, produzierte Brotstangen, pflanzliches Zwiebelschmalz im Glas, rasch auf dem Hinweg besorgt. "Du hast doch Hunger, nicht wahr?" Bevor Leonidas noch antworten konnte, meldete sich dessen Magen lautstark. Lächelnd legte Krokodil seine Mitbringsel aus. Zunächst zögerte Leonidas, doch nach einigen Bissen befand er das Zwiebelschmalz ausgesprochen delikat. Krokodil hielt zurückhaltender mit, strich Leonidas immer mal wieder über den Schopf, den Rücken, eine Wange. Es ärgerte ihn, keinen adäquaten Trost spenden zu können. "Mit Rodrigo liegst du übrigens falsch." Leonidas leckte die glänzenden Fingerspitzen manierlich sauber. "Es ist bloß so, dass er sehr umtriebig ist, enthusiastisch, auf alles anspringt, tausend Ideen gleichzeitig hat." Leonidas zuckte mit den Schultern. "Ich mag ihn wirklich gern, aber er hätte... einfach noch mehr Chaos angerichtet." Krokodil schlang unaufgefordert die Arme um Leonidas, zog ihn an sich. "Warum diese Bruchbude hier?" Wenn schon, dann wollte er alles erfahren, jetzt, wo es keinen Grund zur Heimlichtuerei mehr gab. Dünne Arme schlangen sich um sein breites Kreuz, unter seinen Achseln hindurch. "Ein Bekannter hatte die Schlüssel, aber er lebt im Ausland. Die Eigentümer interessieren sich nicht so sehr für dieses 'Anwesen'." Leonidas seufzte. "Ich vermute, der Zustand ist niemandem so richtig bekannt. Es sollte ja auch nur für kurz sein. Ich habe schon unbequemer gewohnt." Was Krokodil veranlasste, einen Kuss auf den lackschwarzen Schopf zu applizieren. "Du warst wirklich tapfer." Raunte er sonor, drückte Leonidas ein wenig fester an sich. Dessen Fingernägel gruben sich schmerzhaft in seine Haut. Aber Leonidas sprach nicht das aus, was sein angespannter Körper Krokodil offenbarte: wäre es doch bloß nicht umsonst gewesen! +++* Es gab nicht viel zu sagen. Schweigend waren sie, einander im Arm haltend, eingeschlafen. Am nächsten Morgen sorgte Krokodil dafür, dass sie beide auf Touren kamen, weckte das rostige Damenrad, hieß Leonidas, auf dem Gepäckträger Platz zu nehmen. Einen Knabberriegel zum Rest des abendlichen Menüs als Frühstück entsprach zwar nicht Krokodils Gusto, aber hin und wieder musste man sich eben arrangieren. In der Schule registrierte man zwar überrascht, dass sie gemeinsam eintrafen, doch niemand hielt Kommentare für angezeigt, auch, weil es rasch auf die Sommerferien zuging, noch letzte Anstrengungen unternommen werden mussten, bevor die Noten feststanden. In der Mittagspause hielt Krokodil Ausschau nach Leonidas. Dass der nicht in der Kantine aß, war bekannt. Krokodil MUSSTE etwas Richtiges essen nach diesem Frühstück! Am gewohnten Ort, zusammengefallen wie ein unzeitig herausgezogenes Soufflee über der Aktentasche, fand er Leonidas nicht. Niemand hatte ihn gesehen oder wusste etwas zu berichten. Krokodil eilte zum Fahrradständer. Die rostige Rosinante darbte unverändert vor sich hin. Wo war Leonidas? Dieses Rätsel musste warten, bis der Schulschluss Krokodil in die Freiheit entließ. +++* Nachdem er das alte Damenrad auch am späten Nachmittag noch vorfand, Leonidas sich aber nicht mehr gezeigt hatte, entschied Krokodil, erneut zum Pförtnerhäuschen zu marschieren. Tor und Terrassentür waren ihm kein Hindernis. Als er das Schlafzimmer betrat, erkannte er sogleich, dass Koffer und Tasche fehlten. In der Küche waren nachlässig Bettzeug und alte Textilien einem großen Müllsack anvertraut worden. Der Karton, seiner Riegel ledig, lag zusammengefaltet darunter. Leonidas war weg, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. +++* In der Schule brachte Krokodil lediglich in Erfahrung, dass Leonidas aus familiären Gründen sein Schuljahr hier vorzeitig beendete. Da er mit den anderen Jugendlichen nie richtig warm geworden war, konnte man ihn auch kaum vermissen. Krokodil hingegen schon. Er durchforstete die Feuilletons auf der Suche nach Nachrichten über Leonidas' Eltern. Gäbe es hier Hinweise, wohin es ihn verschlagen hatte? Nach zwei Wochen erhielt Krokodil eine Postkarte, abgestempelt in Genf, ein grinsendes Krokodil in Häftlingskleidung präsentierend, mit sicherem Federstrich gezeichnet. [Hallo Spießgeselle, jetzt muss ich auch Künstler werden, mich guten Winden anvertrauen! Was ich Dir anfangs an den Kopf geworfen habe: es stimmt nicht. Du bist perfekt Du selbst, bitte bleib Dir treu. Danke für alles. Pass gut auf Dich auf. Dein Freund, Leonidas Bartholomy Augustine Faarendorf] Krokodil saß lange vor der Postkarte, betrachtete sie. Er konnte jetzt weiter dem Katzenjammer frönen oder die Perspektive wechseln. +++* Kapitel 6 - Der Leuchtturm Krokodil vertäute das Lastenfahrrad mit Elektrohilfsantrieb geübt mit mehreren Schlössern, verstaute den Akku an seinem rollenden Werkzeugkoffer. Eine Plane überziehen, das konnte er sich wohl sparen, denn nach einem Schauer sah es nicht aus. Er marschierte durch den Hinterhof, den braven Begleiter im Schlepptau. Krokodil legte viel Wert auf sein eigenes, gepflegtes Werkzeug und natürlich den kleinen Beutel mit Ersatzwäsche und Handtuch. Ein Vorteil als Geselle im Klempner- und Sanitärgeschäft: dass man sich vor dem Heimweg vor Ort noch frisch machen konnte, besonders, wenn man die Baustelle für sich hatte. Krokodil war mit seiner Tagesbilanz durchaus zufrieden, denn nach Setzen und Einrichten hatte er heute auch das Fliesen abgeschlossen. Auf seinem unvermeidlichen Smartphone fanden sich zudem keine Impromptu-Aufträge mehr. Weil sie ein kleiner Betrieb waren, recht neu im Geschäft, nutzten sie den gegenwärtigen Bauboom kombiniert mit Niedrigzinsen, sich zu etablieren, dabei aber auch kleine Reparaturaufträge im Viertel nicht zu vernachlässigen. Krokodil fungierte als Aushängeschild, nicht nur, weil er so versiert auf verschiedenen Gebieten war ungeachtet seines Alters, sondern sich auf flexible Lösungen verstand, besonders bei älterem Bestand, für den Industrienormen noch nicht existiert hatten. "Ein Bastler vor dem Herrn!" Pflegte sein Chef erleichtert auszustoßen. Deshalb hatte Krokodil auch das erste der teuren Lastenräder zum Einsatz übereignet bekommen, unter strengen Auflagen der Versicherung. Zwar konnte man nicht alles damit transportieren, aber Kloschüssel oder Waschbecken, das packte der Lastesel durchaus. Krokodil genoss diesen Luxus, denn so entfiel die häufig nervenzehrende Suche nach Parkraum, ausreichend wendig blieb das Gefährt auch. Weniger Zeit ging verloren. Ausnahmegenehmigungen wurden seitens der Kreisstadt ohnehin nicht mehr erteilt. Bei der hochbrisanten Frage des Schadstoffausstoßes konnte man sich entspannt zurücklehnen. Nun, Feierabend in Aussicht, gerade noch die Stundennachweise und Foto-Dokumentation an die Firma senden, fühlte er sich pudelwohl. Im Hinterhof waren nahezu alle Fensterflügel geöffnet, man hörte schon unverständliche Moderationen. Fußball-Weltmeisterschaft, soviel vermutete Krokodil. Die bei ihnen nicht stattfand, weil seine Mutter erklärte, sie würde sich zu sehr aufregen, wenn sie zusehen müsste, egal, bei wem. Weshalb als Kontrastprogramm gelegentlich seifenopernhafte Spielfilme mit Einschlafgarantie konsumiert wurden. Krokodil kümmerte das nicht sonderlich. Er fand für sich häufig Beschäftigungen, die das Geschehen auf dem Bildschirm auf Hintergrundgeräusche reduzierten. Als er die Stiegen zum Hinterhaus anstrebte. erhob sich neben der eingehausten Mülltonnenparade eine schlanke Gestalt: helle Leinenhosen, ein rosé-farbenes Hemd, geflochtener Borsalino, Sonnenbrille. "Na, endlich siehst du mal nach Handwerker aus! Haust immer noch hier, wie? Übrigens, fürchterlich öder Internet-Auftritt! Von den sozialen Medien ganz zu schweigen!" Krokodil ließ seinen braven Rollkoffer-Begleiter aufsitzen. "Herrje, ich glaube, die Tabletten lassen nach! Jetlag ist übel, aber dieses nach ausgekochten Gummibärchen stinkende Blechdosen-Gesöff konnte ich einfach nicht runterbringen!" Die Sonnenbrille wurde abgenommen, der Knopfleiste des Hemds auf halber Höhe anvertraut, veilchenblaue Augen funkelten. "He, bist du etwa noch gewachsen? Reichlich unverschämt! Auch noch ein Mohawk! Das passt aber gar nicht zu Super-Donatello!" Krokodil fasste schmale Hüften, stemmte sie mühelos hoch, ohne Rücksicht auf Hut oder Sonnenbrille, steuerte die ihn so übersprudelnd kritisierenden Lippen an, wurde keineswegs zurückhaltend-reserviert empfangen, sondern mit einer kaum verhohlenen Gier. Warnendes Knirschen erinnerte sie beide daran, dass zwischen ihnen Sonnenbrille und Latzhosen-Tasche mit Inhalten zerdrückt zu werden drohten. Behutsam setzte Krokodil Leonidas ab, studierte das attraktive Gesicht mit den unverändert faszinierend veilchenblauen Augen. Die lackschwarzen Haare waren in einem Zopf im Nacken zusammengebunden, die Schneewittchenhaut , noch immer perfekt, ließ Adern und markante Knochen erahnen. Neun Jahre. "Deine Mutter ist Zuhause, oder?" Leonidas zerrte die Sonnenbrille achtlos aus seiner Knopfleiste, beugte sich beiläufig nach seinem Hut, ohne die Augen von Krokodil abzuwenden. Noch immer fassungslos, deshalb stumm nickte Krokodil bloß. "Komm!" Leonidas packte seine große Hand energisch, angelte von den ausrangierten Stühlen neben den Mülltonnen einen Seesack heran. Automatisch schnappte Krokodil mit der freien Hand seinen Werkzeugkoffer, ließ sich die Kellertreppe herunterziehen, wo es merklich kühler war. Seines Gepäcks ledig löste Leonidas schlicht den Gürtel, der die hellen Leinenhosen auf seinen Hüften hielt. stieg aus Hosen und knapper Unterwäsche, kramte rasch aus dem Seesack Gleitmittel, Kondome und einen ballförmigen Knebel. Krokodil blinzelte, musste ein Gefühl der Unwirklichkeit abschütteln. Er streifte die Träger seiner Latzhose herunter, folgte Leonidas' Vorbild, darauf achtend, dass er seine Habseligkeiten nicht außerhalb der praktischen Taschen verstreute. Neun Jahre. Neun Jahre geduldiges Warten. Neun Jahre Vorhalten einer spärlichen Webseite mit der Botschaft, dass er noch immer da war. Neun Jahre ohne jede Nachricht. Neun Jahre auf der vergeblichen Suche nach Neuigkeiten über Leonidas Bartholomy Augustine Faarendorf. Krokodil schnellte vor, zog Leonidas eng an sich, küsste ihn begierig, registrierte das Klammern an seiner sehr soliden Gestalt, als wäre er die Rettungsboje für einen Ertrinkenden. Natürlich war es Wahnsinn, was sie im Begriff waren, hier zu veranstalten, strafbar sogar, wenn man sie erwischte, aber der Rausch hinter seinen Schläfen versagte jedes Intervenieren seines Verstands. Nichts konnte wichtiger sein als die Rückkehr seines "Spießgesellen", der ungefiltert Sexappeal verströmte, so sehr nach ihm verlangte. "Ich liebe dich!" Stieß er zwischen leidenschaftlichen Küssen hervor. Endlich. Endlich konnte er diese Worte aussprechen. "Das muss warten!" Fauchte Leonidas zu ihm hoch, die veilchenblauen Augen beschlagen. "Zuerst vögeln!" Krokodil grinste. Bei so einem Notstand musste man selbstverständlich galant Komplizenschaft gewähren! +++* Es hatte nicht gereicht: das Aufstützen auf der Treppenstufe, die zunächst behutsame, dann energische Penetration. Vage wirbelte durch Krokodils Kopf, dass er sich doch mal erkundigen musste, was GENAU Leonidas gegen den Jetlag eingeworfen hatte, aber das hinderte ihn nicht daran, sich auf dem treuen Werkzeugkoffer niederzulassen, den schlanken Mann auf den Schoß zu nehmen, ihn nach sorgsamer Vorbereitung "fliegen" zu lassen. Dünne Arme schlangen sich nach hinten um seinen Nacken. Der Knebel konnte kaum die Laute dämpfen, die Leonidas' Kehle entflohen. Es war wie damals, als sie entdeckten, was diese Konstellation mit ihnen anstellen konnte: Kontrollverlust, orgiastischer Genuss, Erfüllung, überquellende Zuneigung. Dankbarkeit für das gemeinsam erlangte Glück der Augenblicke. Mit zitternden Beinen hielt Krokodil Leonidas nun in den Armen auf seinem Schoß, entführte den Knebel, um unter den fragilen Kiefer zu fassen, ihn zu küssen, wieder und wieder, von Erleichterung durchdrungen. Erlöst von versteckten Zweifeln, mitleidigen Blicken mit der "ewigen Jungfrau", dem bindungslosen Junggesellen. Der ungestillten Sehnsucht, der Sorge, er möge vergessen, wie Leonidas schmeckte, sich anhörte, anfühlte. "Gott!" Stöhnte der gerade an seiner Halsbeuge. "DAS habe ich verdammt gebraucht!" Krokodil konnte nicht anders als auflachen. "Spotte nicht!" Tadelte Leonidas ihn, klemmte mit der dominanten Linken die Nasenspitze ein. "Der Sex mit dir ist eben am Besten!" "Ist das wahr?" Schnurrte Krokodil sonor, rieb seine malträtierte Nasenspitze am lackschwarzen, noch immer seidigen Schopf. "Oh ja!" Bekundete Leonidas grimmig. "Im Gegensatz zu dir habe ich nicht keusch gelebt!" "Glaubst du?" Wagte Krokodil sanft Widerspruch. Leonidas legte ihm die schmale Linke um die Wange, studierte ihn aus veilchenblauen Augen ernst. "Dazu bist du viel zu stur!" Behauptete er entschieden. "Du hast dich schon damals auf mich eingeschossen..." Unwillkürlich verzog er die noch immer rosig überhauchte Miene. "Oje, vergiss diese Formulierung! Mein Anstandsgefühl streunt noch mit meinem Verstand sonst wo herum!" Krokodil lächelte, drückte einen warmen Kuss in die linke Handfläche. "Denkst du, dass wir unsere Unterhaltung etwas ziviler in meinem Zimmer fortsetzen können?" Vielleicht sollten sie doch nicht riskieren, dass Flüssignachschub in der Halbzeitpause aus dem Keller geholt wurde und sie unter anderem die Treppe blockierten. +++* Leonidas konnte diabolisch charmant sein, was, nach Krokodils Erinnerung, in der Schulzeit nicht zum Einsatz kam. Um die Fassade zu wahren, den Status quo, gleich wieder aufbrechen zu können, wenn die geliebten Eltern...! Leonidas schnurrte geradezu beschwingt im Plauderton, als beeindrucke ihn der sehr prüfende Blick der Hausherrin und Mutter gar nicht: alter Schulkamerad, gerade aus den Staaten gekommen, Jetlag, Durcheinander mit dem Arbeitgeber, Koffer schon im "Business-Hotel" an der Autobahnauffahrt... In Hochgeschwindigkeit erfuhr Krokodil auf diese Weise, was Leonidas' Aufenthalt in der temporären "Heimat" bewirkt hatte. Als Trainee bei einem multi-nationalen Dienstleistungsunternehmen beschäftigt landete er, um prompt einen Arbeitsvertrag mit Probezeit vorgesetzt zu bekommen. Fachkräftemangel eben! Das bisschen "Training" würde schon flott von der Hand gehen! Vermutlich ebenso holprig wie der restliche Start, mit fehlendem Dienst-Mobiltelefon, deshalb "Kantinen"-Besuch auf Einladung der "Personal Affairs", dazu gleich, quasi neben dem Tablett, die Frage nach einer lokalen Bankverbindung, weil ein Kreditkartenkonto in Amerika zu umständlich war, zig Autogramme zum Datenschutz, Geheimhaltung... Krokodil klingelten die Ohren. Ein Wasserfall stand im Schatten dieser Silbenflut! Endlich gelang es ihm, ausgerüstet mit verdünntem Eistee auf Zitronenmelisse-Basis, Leonidas in sein Zimmer zu lotsen. "Was genau hast du gegen den Jetlag eingenommen?" Erkundigte er sich, den Seesack artig abstellend, sein Bett als Sitzplatz offerierend. Leonidas runzelte die Stirn kurz. "Ich glaube, hier wäre es rezeptpflichtig. Oder gar nicht zu kaufen." Er zuckte mit den Schultern, setzte seinen Borsalino auf Krokodils schmalen Sekretär, nahm einen kleinen Leuchtturm hoch, aus Gips gefertigt, bemalt und gebrannt. Offenkundig schon abgenutzt, Flohmarktware. "Den gibt's ja tatsächlich!" Stellte er fest, studierte das Dekorationsobjekt. Krokodil schmunzelte. Ja, der kleine Leuchtturm prangte auch als Fotografie auf seiner gescholtenen Webseite. Allerdings juckte Krokodil Kritik diesbezüglich gar nicht, denn die einzige Person, für die er diese Bojen im weltweiten Netz verankert hatte, sollte ihn finden können. Ob andere sich langweilten, über die Belanglosigkeit von Webseite und Profil in den sozialen Medien Beschwerde führten: Krokodil interessierte es nicht. Unterdessen hatte Leonidas den Leuchtturm wieder abgesetzt, leerte durstig sein Glas, studierte dabei ungeniert die sehr altmodische Pinnwand über dem filigranen Sekretär. "Was ist das denn?! Willst du ausziehen? Ist das nicht zu klein für so einen Prachtkerl wie dich?" Krokodil trat hinter Leonidas, gestikulierte sparsam, die aufgesteckten Dokumente zu erläutern. "Das ist ein neues Projekt für Wohnraumerweiterung." Erklärte er. "Man setzt diese kleinen Container auf die Flachdächer der Mehrfamilienwohnhäuser." Er hatte sich als Mieter beworben, auf das Losglück gehofft. "Auf den Wohnblock mit vier Häuserzeilen passen oben je zwei Einheiten. Ein Experiment nach dem 'Tiny House'-Modell." Leonidas beugte sich vor, Grundrisse und Aufnahmen des Prototypen kritisch zu beäugen. "Aus den Staaten kenne ich das. Sieht schon schick aus." Gab er zu. "Habe selbst schon schlechter gehaust. Zwei Monate in einem alten Chevi sag ich nur!" Die muskulösen Arme um Leonidas' schlanke Hüfte windend wollte Krokodil mehr erfahren. "Einem Auto? Chevrolet?" "Hmm!" Leonidas arbeitete sich zur Neige seines zweiten Glases Eistee vor. "Genau. Eine weitere Lektion von 'such die Chance!'." "Ich kann dir nicht ganz folgen?" Bekannte Krokodil höflich, drückte einen Kuss auf den lackschwarzen Schopf. "Motto meines Vaters!" Schnaubte Leonidas, die veilchenblauen Augen verdrehend. "Wenn es mal nicht so läuft, wie man will, soll man die Chance suchen, die Gelegenheit." Er stellte das geleerte Glas ab. "Na ja, eigentlich wäre ich ja mit dem Greyhound zu dem Job gefahren, aber ein Freund schlug mir vor, den alten Chevi zu übernehmen. Was sich als Glück herausstellte." Er knurrte grimmig. "Weil ich nach zwei verdammten Tagen Anreise aus der Mühle rauskroch, um mich dann blöd anbaggern lassen zu müssen! Also, #metoo, da könnte ich auch ganze Balladen singen!" Unwillkürlich umschlang Krokodil Leonidas fester. "Tja, aber so hatte ich wenigstens einen Unterschlupf, konnte nach nem anderem Job Ausschau halten. Systemgastronomie, wie es so schön heißt." Was sich mit einer der zahlreichen Imbiss-Ketten übersetzen ließ. "Aber denk jetzt bloß nicht, dass ich kochen kann!" Wandte sich Leonidas in der Umarmung herum, funkelte hoch. "Ich war im Service!" Krokodil blickte auf ihn herunter. "Erzähl mir, was du gemacht hast." Bat er konzentriert. Immerhin hatte sich Leonidas' Spur trotz virtueller Grenzenlosigkeit vollständig verloren! Der zuckte mit den Schultern, nachlässig, entzog sich der Umarmung, um auf dem Bett Platz zu nehmen. "Verrückt, ich bin das erste Mal in deiner Bude! Sah die damals auch so aus? Du hast ja nicht mal Poster hier!" Krokodil ließ sich neben ihm nieder, den Blick unverwandt auf das schmerzlich vermisste Profil gerichtet. "Ich mag es eher schlicht." Bekannte er, hoffte darauf, dass Leonidas' streunende Konzentration sich auf die erbetene Aufklärung fokussieren würde. "Na, weniger sauber zu halten, das ist mal sicher!" Nickte der gerade gravitätisch, strich sich über den Schopf. "Aber wir waren ja bei damals!" Rief er sich zur Ordnung. "Also, meine Mutter fand kurzfristig eine Mitreisegelegenheit nach Budapest für mich. Familienvereinigung in den Ferien." Leonidas seufzte. "Beinahe zumindest. Danach ganz praktisch, aber definitiv nicht so intendiert!" Er schnaubte. "Also, ich sollte Zeit bei der entfernten Verwandtschaft verbringen, bis sich all die unwichtigen Fragen um meine zukünftige Existenz geklärt hatten. Ich fand das gar nicht so berauschend." Unversehens massierte er die schlanken Hände, einen grimmigen Ausdruck auf der attraktiven Miene. "Ein irgendwie-Cousin, die Verästelungen im Stammbaum habe ich vergessen, machte mir schöne Augen. Vereinigung also, aber nur einmal und nie wieder!" Er grimassierte. "DAS empfanden die übrigen Leutchen auch, obwohl ich mich keineswegs über die lausige Qualität seiner Beischlaf-Fähigkeiten ausgelassen habe. Ich musste also weg, bin in Graz gelandet." Leonidas federte von der Matratze hoch, paradierte die wenigen Schritte entlang der Front Bett-Sekretär. "Also, Graz, ganz okay, Gesellschafter für einen älteren Mann, sah schlecht, hab ihm vorgelesen und so. Dafür Kost, Logis und eben Schulabschluss." Krokodil verfolgte stumm das Auf- und Abgehen, geschmeidig, aber auch getrieben. "Einladung meiner Mutter nach Singapur. Model-Job, obwohl ich eigentlich nicht fotogen bin und normal laufe, nicht wie ein Gockel mit falsch montierten Gelenken!" Eine Fratze schneidend parodierte Leonidas den hüftschwenkenden Staks-Gang ehemaliger Supermodels. "Glaub es oder nicht, für ganze zwei Monate glotzte ich da als Werbegesicht für eine Herren-Gesichtscreme von den Videoleinwänden und Reklame-Modulen." Leonidas flatterte aufreizend mit den Wimpern, schnaubte. "Auftritt Papa, hat wieder ein Engagement, könnte mir ein Studium vermitteln, quasi. Also, Notgroschen in ein Flugticket investiert." Er griff sich in den Nacken, löste den Zopf auf. Die Spange wurde zwischen den Fingern gedreht, Krokodil anvertraut, der sie neugierig studierte. "Alte Brosche, Jugendstil, irgendwie draufgelötet." Die Schultern zuckend verschränkte Leonidas die Hände auf dem Rücken wie ein Scholar, paradierte weiter auf und nieder. "Also, ich komme in den Staaten an. Papa macht die Honneurs, reicher, kultivierter, älterer Mäzen. Ganz hingerissen von mir! Kennt einen Professor, Dozent, der eine Assistenz sucht." Krokodil merkte auf, deponierte die Spange auf seinem Sekretär neben dem Borsalino. "Drollige Sache: ich werde Assistent, was gerade so reicht, die Gebühren fürs Studium zu begleichen. Und du wirst lachen: Kommunikationswissenschaften!" Leonidas seufzte. "Zugegeben, ganz nett, aber als Basis für einen vernünftigen Broterwerb selten nutzlos. Doch so weit waren wir ja noch gar nicht." Er stellte das Tigern ein, lehnte sich mit verschränkten Armen an den Sekretär. "Der vermögende Mäzen und Bewunderer merkt rasch, dass ich gerade so am Existenzminimum herumkrauche. Also, er hat Platz, gern angenehme Gesellschaft..." Krokodil registrierte das kurze Zögern, das Anspannen der Sehnen in dem attraktiven Gesicht. "Bald hatte ich also Kost und Logis in seinem Bett, was ganz akzeptabel war, sowohl Bett als auch Konstellation, denn ein bisschen gehätschelt und bewundert wird man ja gern." Ein schiefes Grinsen begleitete diese lapidare Erklärung. "Selbstredend war das nicht von Dauer. Wir haben uns gut verstanden, er hatte ein bisschen Spaß, aber über mein Studium würde es nicht hinausgehen." Leonidas klatschte in die Hände. "Abwechslung ist das Salz in der Suppe! Sein Motto. Es war ja kaum anzunehmen, dass sein großes Bettchen auskühlen würde." Erneut nahm Leonidas das Paradieren auf. "Also hab ich versucht, mich mit einem dekorativen, aber unnützen Abschluss über Wasser zu halten. Gar nicht so einfach, temporäre Jobs, alles gerade mal Mindestlohn, immer die nächste Chance suchen!" Was, wie Krokodil vermutete, Leonidas durchaus zugesetzt haben musste. "Ich hab als Servicekraft bei einer Party gearbeitet, lauter Hipster, so Silicon Valley-Nerd-Abziehbilder. Da hat mich ein Typ zugetextet, wollte mir weismachen, er könnte mir einen Job beschaffen." Krokodil fing beim nächsten Ein-Mann-Defilee seinen Freund ein, zog ihn auf seine Oberschenkel. "Erzähl mir davon." Raunte er leise, strich mit der Fingerspitze über den Hemdstoff in Leistenhöhe. Darunter hatte er zuvor eine lange, noch frische Narbe bemerkt. Leonidas zappelte ein wenig, fahrig, aufgedreht, lehnte aber die Stirn artig an Krokodils. "Es stellte sich raus, dass der Typ hartnäckig an mir klebte UND mir einen Job verschaffte, bei einem Multi. Gut, Bezahlung so mies wie gewohnt, aber überall auf dem Globus Außenstellen. Meine Chance!" Krokodil wartete. "Dieser Typ, das sollte ich vorausschicken, ist so ein Trend-Victim, weißt du? Muss alles mitmachen, was angesagt ist. Horizont erweitern! Wollte er auch, und zwar mit mir." Das Profil präsentierend leckte Leonidas sich die Lippen, keineswegs aufreizend, sondern nervös, unbehaglich. "Er hat so lange gebettelt und geschmeichelt, bis ich bei ihm eingezogen bin. Ich schuldete ihm ja auch ein bisschen was, wegen des Jobs. Wo hätte ich mich sonst schon nach zwei Wochen auf die Trainee-Liste fürs Ausland setzen können?!" Krokodils Finger glitt über die Narbe. "Also ein Trend-Hechler. Ich passte gerade als dekoratives Accessoire in seine Lebensabschnittsplanung. Hat Geld, ist sophisticated, kennt sich mit diesem ganzen Programmier-Kram aus, für den Job hilfreich." Leonidas ließ zu, dass Krokodil das Hemd anhob, direkt über die Narbe streichelte. "Irgendwie hat sich in seinem Nerd-Genie-Hirn festgesetzt, dass er Bondage a la japonaise ausprobieren wollte. Mir schwante schon Übles, weil er jedes Mal, wenn der Kaffeeautomat brüllte wegen Entkalkung, eine neue Maschine gekauft hat." Er schnaubte. "So was von ungeschickt, du machst dir keine Vorstellung! Na ja, ich habe jedenfalls darauf bestanden, wenn er was anderes als Blümchen-Sex haben will, dann nur, wenn ein Fachmann das Zeug einbaut." Krokodil lupfte fragend eine Augenbraue. Leonidas grinste schief. "Oh, das muss ich wohl erklären: mit Stricken wird man da in eine Roulade verwandelt, am Kanthaken hochgezogen, was sexuelle Gelüste auslösen soll. Mit Knebelungen hatte ich ja schon Erfahrung." Bezeichnend klemmte er Krokodils Nasenspitze kurz ein, ließ aber das beständige Liebkosen seiner Leisten durch die großen Hände unkommentiert. "Es folgt die Slapstick-Nummer: ich muss mich selbst einwickeln, weil er trotz Anleitung nicht klarkommt. Er soll mich hochziehen. Einsatz von Motorkraft, sehr nützlich. Ich baumle also vor mich hin wie ne Schmetterlingsraupe." Nun gestikulierte Leonidas beschreibend. "Mir rieselt Putz auf den Pelz, es knirscht. Ehe ich ihn anschnauzen kann, mich achtkantig runterzulassen, kommt der ganze Mist von der Decke. Mich haut's natürlich auch auf die Planken." Er seufzte. "Bei meinem Glück erlegt mich der ganze Mist. Nicht lebensgefährlich, aber ich blute wie ein Schwein. Mein verhinderter Dominator verfällt in einen hysterischen Schock, ist zu gar nichts zu gebrauchen." Krokodil suchte den veilchenblauen Blick besorgt. "Ich konnte ihm keine kleben, nur so aus medizinischen Gründen." Leonidas schnaubte. "Aber ich hab einen Teil des Kordelkrams abstreifen können, mir ein Taxi gerufen. Halbnackt mit Handtuch-Verband ging's in die Notaufnahme." Die schmalen Schultern sackten unwillkürlich herab. "Während ich also getackert werde, kommt er wieder ein bisschen zu sich, erklärt, es wäre ein Unfall beim Yoga gewesen. Bei dieser Schwebe-Variante, die gerade in Mode kam." Leonidas feixte. "Das kommt wohl öfter vor, weshalb niemand mehr was gefragt hat. Und, das muss man ihm lassen, er hat anstandslos die Behandlungskosten übernommen! Allerdings war die Lage danach ein wenig belastet." Fahrig wischte er sich über die Stirn, verbannte die lackschwarzen Strähnen hinter die Ohren. "Ich schätze, er hat auch hinter den Kulissen ein bisschen mitgeholfen, dass ich auf der Warteliste für einen Trainee-Job an die Spitze gerückt bin. Eigentlich kein schlechter Kerl, aber verkopft und EXTREM handwerklich unterbegabt." Er schnaubte, legte die eleganten Hände auf Krokodils breite Schultern. "Ich rechnete schon damit, an die Luft gesetzt zu werden, hatte mein Zeug gepackt, weil jetzt so Gesundheits-Gurus angesagt sind, da bekomme ich die gute Nachricht! Meine Chance!" Er lächelte Krokodil verschmitzt an. "So, ich lande also artig mit meinem Gelöt, da höre ich doch glatt meinen Namen, galoppiere zum Info-Schalter. Da finde ich ein Bahn-Ticket und den Hinweis, ich solle nicht ins Hauptquartier, sondern hierher kommen!" Krokodil registrierte, dass sich Leonidas zwischenzeitlich einer nicht mehr ganz so hochgestochenen Wortwahl bediente. Wie mochte es dazu gekommen sein? Allerdings musste dieses Rätsel zurückgestellt werden, da er zu erfahren wünschte, was Leonidas nur angedeutet hatte beim Gespräch mit seiner Mutter. "Ich habe meine letzten Kröten in Euro gewechselt, bin zur Bahn gesprintet und hab mich gefreut wie ein Schneekönig! Ich meine, nicht nur der richtige Kontinent, sondern auch das richtige Land und jetzt noch HIER!" Leonidas strahlte Krokodil triumphierend an, bevor er sich demonstrativ räusperte. "Okay, das klingt vielleicht merkwürdig für dich, aber in den Staaten habe ich mich einfach an ganz andere Dimensionen gewöhnt. Ich muss mich hier erst mal wieder umstellen." Die noch immer zarte Schneewittchenhaut unter dem Hemd in Taillenhöhe bis zu den kurzen Rippen liebkosend studierte Krokodil ihn aufmerksam. "Ich habe korrekt verstanden, dass du nicht mehr als Trainee hier bist, sondern einen Arbeitsvertrag unterschrieben hast?" "Genau!" Leonidas klopfte ihm synchron mit beiden Fäusten auf die imposanten Schultern. "Genial, oder?! Mitarbeit bei der Verbesserung der Kundschaft-Kommunikation, aber nicht so ein Call-Center-Zeug, sondern Basteln an Algorithmen und KI. Ich bin ja Nerd-affin, also sollte das schon passen!" Unruhig rutschte er auf Krokodils Oberschenkeln herum. "Aber irgendwie hat mich der Jetlag im Griff! Ich bin hierher gekommen, direkt nach Feierabend. Ich weiß, Voranmeldung ist feiner Stil, aber ohne verdammtes Mobiltelefon und deine Nummer..." Seine Miene verwandelte sich in eine grimmige Grimasse. "Da hat mich auch gleich der lokale Beau angepflaumt! Offenbar haben sie vorab nicht mitgekriegt, dass ich kurzfristig mitmischen soll, obwohl sie um Personalaufstockung gebeten haben." Er knurrte. "Da besitze ich auch noch die Frechheit, nicht in den sozialen Medien vertreten zu sein, tauche ohne Handy auf! Aber wer würde das Ding hierher mitschleppen, wenn ich hier ohnehin einen neuen Vertrag abschließen müsste?!" Kriegerisch funkelte er aus den veilchenblauen Augen in Krokodils amüsiertes Lächeln. "Echt, dieser 'Fabulous Fabian' ist ein richtiges Ekel!" Er stöhnte spöttisch ob des Spitznamens. "Hat ihm auch nicht gepasst, dass mich das Mädel von der Personalstelle zum Essen eingeladen hat." Krokodil gab eine schmale Flanke frei, streichelte mit der Rechten durch die seidig-glatten Strähnen. "Verstehe ich das richtig: alles wird über das Mobiltelefon abgewickelt?" Leonidas nickte. "Firmenmodell, App für die Kantine, App für den Zugang, App für die Automaten, App für die Zeiterfassung. Wenigstens wird noch nicht die Zeit auf dem Klo gestoppt." "Gruselig." Kommentierte Krokodil. "Ha!" Korrigierte Leonidas, wischte wieder unruhig durch die eigenen Haare. "Du müsstest mal das Zeug sehen, das die trinken! Blechdosen mit diesem Energy-Kram, der stinkt wie ein Gummibärchen-Puff! Zu viel Kaffee verträgt mein Magen nicht. Aber wenn ich mir nichts einfallen lasse..." Krokodil fing unversehens die zappeligen Hände in seinem sehr viel größeren ein. "Ich werde dich unterstützen." Versicherte er. "Ich bin sehr froh, dass du hier bist." "Darauf wette ich!" Trompetete Leonidas feixend. "Warst bestimmt ein bisschen untervögelt!" Er runzelte die Stirn ob Krokodils nachsichtigem Lachen. "Heißt das nicht so?! Verflixt, ich habe mich so bemüht, zeitgemäße Formulierungen zu adaptieren!" Das entlockte Krokodil ein weiteres, nur mäßig gedämpftes Prusten. "He!" Leonidas lenkte ihre Hände gegen Krokodils mächtigen Brustkorb. "Verspotte mich nicht, ja?! Ich habe mich immer wieder durch diesen Blog gequält, um auf der Höhe der Zeit zu sein!" "Dumm-Gebabbel für Auswärtige?" Neckte Krokodil herausfordernd. Die veilchenblauen Augen blitzten aufgebracht. "Hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, sich einen Sprachschatz zu bewahren, wenn du ständig in ganz anderen Sprachwolken lebst? Ich habe mich wirklich bemüht!" Krokodil erkannte, dass er besser eine Kehrtwende einleitete. "Bitte entschuldige. Du hast ja recht, ich habe leicht reden. Es klang nur gerade so gar nicht nach dir." "Pff!" Leonidas schnaubte, bot ihm das Profil, das Kinn gereckt, entzog ihm demonstrativ die schmalen Hände, um die dünnen Arme vor der Brust zu verschränken. Abziehbild der beleidigten Leberwurst. Krokodil entschied, nicht eilends beizuspringen, sondern die Gelegenheit zu nutzen, den Freund ausgiebig zu betrachten: schmal und sehnig, die Züge ein wenig prominenter, akzentuierter. Er war ungemein attraktiv, dezent exotisch, Spuren von Erschöpfung und Überdrehtheit unvollkommen verbergend. Deshalb hielt auch die Blockadehaltung nicht lange vor. Leonidas wandte ihm wieder das Gesicht zu, studierte ihn ebenso prüfend. "Es ist schon unverschämt von dir, noch zu wachsen!" Befand er schließlich. "Auch diese Figur: hast du so einen Protein-Pulver-Fimmel entwickelt?" Krokodil lächelte, schob die Hände wieder unter das lose Hemd, um die schlanken Seiten zu liebkosen, mit den Daumen Narbe und Sehnen nachzufahren. "Die Muskeln bringt die Arbeit so mit sich. Fliesen und Bodenplatten haben ordentlich Gewicht." Erklärte er sanftmütig. "So, so." Leonidas leckte sich wieder über die Lippen, wischte durch die eigenen Haare. "Hör mal." Er beugte sich vor. "Ich hab meine Barschaft nahezu in der Drogerie aufgebraucht, um Kondome, Gleitgel und diesen Knebel zu kaufen. Wenn ich leise bin, können wir's noch mal tun?" Krokodil raunte verschwörerisch zurück. "Wenn ich damit unserer mutmaßlichen 'Untervögeltheit' abhelfen kann?" Er erwartete eine geschliffene Retourkutsche für seine Frechheit, doch Leonidas konzentrierte sich auf das Wesentliche, indem er die dünnen Arme um Krokodils Nacken schlang, ihn begierig küsste. +++* Krokodil erlegte seinen Wecker nach dem ersten Muckser geübt und gründlich, registrierte beglückt die angenehme Wärmeabstrahlung der schlanken, vollkommen nackten Gestalt an seiner Seite. Leonidas schlief tief und fest. Nach der verlangten dritten Runde hatte ihn Morpheus entführt, was sich vermutlich als bitter notwendig erwies, berücksichtigte man Zeitverschiebung und die gemeingefährliche Wirkung von den Zaubermittelchen, die Leonidas eingeworfen haben musste. Krokodil schälte die dünne Decke von sich, denn warm war es in seinem kleinen Zimmer im Sommer definitiv ausreichend, um auf gefütterte Bettwaren zu verzichten. Das erste Mal, dass er in seinem Bett aufwachte und Gesellschaft hatte! Einen Veitstanz der Freude verbat er sich jedoch rücksichtsvoll, klaubte seinen Anteil Textilien zusammen, um sich schicklich zu bekleiden. Einen Abstecher im Bad später marschierte er in die kleine Küche. "Guten Morgen." Wünschte er artig. "Morgen." Seine Mutter belauerte den altmodischen Espresso-Kocher, während sie Bananenscheiben auf Brot auslegte. Geübt arrangierten sie sich in der Enge, richtete Krokodil nicht nur für sich Frühstück her, sondern auch zwei Brotzeiten. "Hat sich nicht verabschiedet, dein Schulfreund." Das war keine Frage, sondern die Ouvertüre zur Inquisition, die Krokodil durchaus erwartet hatte. "Nein, Leonidas schläft noch. Der Jetlag setzt ihm wohl ziemlich zu. Ich hoffe, wir haben dich gestern Abend nicht gestört?" Das kritische Stirnrunzeln vertiefte sich. "Das ist doch der Junge, der dir diese Karte geschickt hat? Die mit dem gestreiften Krokodil drauf?" Krokodil verzichtete darauf hinzuweisen, dass das abgebildete Krokodil eine Gefängniskluft trug, nicht etwa einem Zebra nacheiferte. "Stimmt, das ist er." "Sieht ein bisschen ZU gut aus!" Die Daumenschrauben nahmen die Arbeit auf. "Wie ein Model. Oder wie diese komischen Figuren in ganz Schwarz. Definitiv zu hübsch!" Natürlich erkannte Krokodil den Köder an der Angel, trotzdem biss er zu. "Und das ist nur die Verpackung." Zwinkerte er, schlug die Mittagsmahlzeiten in Geschirrtücher ein. "Innen drin ist Leonidas noch viel schöner." Für einen langen Moment hörte man nur das Ticken der Wanduhr, gefolgt vom Knacken des Espresso-Kochers, der die Verriegelung löste, damit man sich nicht die Hände verbrühte, wenn man ihn auseinandernahm, um den Kaffeesatz zu entfernen. "Ich muss mir wohl diesen Namen behalten?" DAS war jetzt die Skorpiongrube. Krokodil löffelte etwas von seinem aufgemotzten Haferbrei, kaute und schluckte. "Das wäre sehr nett." Antwortete er endlich, blickte hoch in die Augen, die seinen so ähnlich waren. Die verschränkten Arme wurden in die Hüften gestützt. Krokodil blieb gelassen. Wie auch immer das Verdikt ausfallen würde, er hatte sich seine Haltung über all die Jahre bewahrt. Seine Mutter seufzte profund, zerraufte seinen Mohawk. "Wenn er dich glücklich macht, Don." Falls das nicht gelang, würde der mütterliche Zorn das Inferno oberhalb der Erdkruste verlegen! Krokodil erhob sich geschmeidig trotz seiner imponierenden Gestalt, hauchte einen Kuss auf die sorgenvoll gefurchte Stirn. "Danke, Mamma. Du wirst sehen, Leonidas ist wunderbar." Das kritische Grummeln ließ er unkommentiert, sondern widmete sich herzhaft seinem Frühstück. Danach würde er noch nach einem Mittel suchen müssen, seinem Dornröschen den Umstieg auf die kontinentalen Zeit- und Raumverhältnisse zu erleichtern. +++* "Tut mir echt leid!" Leonidas lupfte höflich die Sonnenbrille, enthüllte dunkle Schatten um die veilchenblauen Augen, keuchte dezent. "Dieser dämliche Fab!" Er hakte sich einfach bei Krokodil ein, der die Verspätung mit buddhistischer Gelassenheit genommen hatte. "Er WUSSTE, dass ich pünktlich gehen wollte, ich HAB'S ihm extra gesagt! Aber nein, wir müssen uns unbedingt noch über die Auswahl der Schlüsselbegriffe 'briefen'!" Er schnaubte aufgebracht. "Das war so überflüssig wie ein Kropf! Ich wollte dann auch rennen, aber mittlerweile sind meine Beine schwer wie Blei!" Noch ein ärgerliches Schnaufen. "Ich hab alle beiden Dosen dieser dunklen Fliegerschokolade komplett geleert! Aber jetzt geht mir die Energie aus!" Krokodil, den Seesack lässig apportierend, gab mitfühlende Laute von sich, ignorierte souverän verwirrte Blicke des Publikums. In der Kreisstadt entsprach es keineswegs der Norm, wenn zwei Männer untergehakt liefen! Nun, ausgenommen Pflegekräfte. Eine gewisse Überalterung bestimmter Bezirke war nicht zu leugnen. "Wahrscheinlich bin ich auch schwanger." Diese finstere Proklamation brachte selbst Krokodil zum Straucheln. "Pardon?" Äußerte er verblüfft, blickte auf den lackschwarzen Schopf herunter. "Hat das fabelhafte Stinktier herausposaunt!" Leonidas grollte in finsterer Empörung. "Weil mir von dem GESTANK dieser süßen Blechdosen-Plörre übel wurde! Tja, bei DIESER Art von Humor muss er sich nicht wundern, dass man ihm aus dem Weg geht!" Krokodil grummelte, lautlos und inwendig. Es missfiel ihm außerordentlich, wie dieser dubiose Fabian Leonidas zusetzte. Andererseits wollte er sich auch nicht den verdienten Feierabend und die Zeit mit Leonidas durch Ärgernisse verderben lassen. "Nun, falls du schwanger sein solltest, bin ich beglückt, werde selbstverständlich die Hälfte der Erziehungsarbeit übernehmen." Leonidas neben ihm schnaubte, lächelte leicht, aufgemuntert. "Wenn wir Tragedauer und dein zeitliches Engagement ins Verhältnis setzen, ist die Hälfte nicht genug!" Provozierte er betont kritisch. Krokodil grinste, neigte sich zur Seite, küsste den seidigen Schopf. Er beugte sich vertraulich herunter. "Sag mal, wollen wir nicht noch etwas essen, bevor du mir deine Unterkunft vorstellst?" Denn gerade war ihm so richtig nach einer großen Eistüte mit bunten Streuseln drauf! +++* Krokodil lernte in den nächsten Tagen so Einiges. Zunächst mal, dass jahrelange Enthaltsamkeit sich nicht brav abrufen ließ, wenn man in dem möblierten Zimmer das verdammte Bett einfach nicht nutzen konnte, daheim die Intimität etwas zu intim für die Mamma war! Zumindest, wenn man Anstand wahren wollte. Außerdem half selbst großzügig dosierte (im wahrsten Sinne des Wortes) Fliegerschokolade nicht, wenn man die Auswirkungen der segensreichen pharmazeutischen Industrie ausbügeln wollte. Leonidas, nun mit Firmentelefon, schlief beinahe über dem täglichen Bulletin nach Feierabend ein, kam morgens nur mühsam und ohne Zeit zum Frühstücken aus dem Bett. Deshalb ordnete Krokodil selbstherrlich an, ihn des Öfteren als Bettgast einzuquartieren. Aber eben ohne rhythmische Horizontalgymnastik! Darüber hinaus verfügte Leonidas tatsächlich nur über einen stabilen Flugkoffer und den Seesack als Handgepäck, Kleider, persönliche Papiere. Mehr umfasste sein Habe nicht. Hin und wieder, so lapidar wie lakonisch, ließ ihn Leonidas auch in Details seiner Vergangenheit blicken, einer Odyssee auf der Suche nach der nächsten 'Chance', immer knapp an der Mittellosigkeit, ohne Reserven, "auf gute Winde hoffend". Da überkam ihn stets dieser unerträgliche Drang, den wenig älteren, schmalen Mann fest in seine Arme zu schließen, ihn trösten zu wollen für diese strapaziöse, aufreibende, zehrende Zeitspanne. Ohne Heimathafen, ohne Bake auf hoher See. Ihm imponierte, wie tapfer und unerschrocken Leonidas sich den Herausforderungen des wetterwendischen Schicksals gestellt hatte. Der winkte ab, weil ihm ja keine Wahl geblieben war. Krokodil ließ keine Einwände zu, die Leonidas' Leistung abmilderten, umschlang ihn, verbarg ihn förmlich in seinen muskulösen Armen, küsste den lackschwarzen Schopf. JETZT würde der Wind drehen und wenn es dazu notwendig würde, den verdammten Wetterhahn eigenhändig in die kommode Richtung zu drehen! Oder diesem aufgeblasenen Wichtigtuer aus erzieherischen Gründen einen Scheitel zu ziehen. +++* Krokodil blickte sich zufrieden um. Er hatte nicht lange benötigt, alles zu verstauen, was er einer sehr gelungenen Kombination von Schiffs-/Kajütenbau, Wohnmobilen und der Raumfahrt verdankte. Die handgenähten, roten Vorhänge mit den weißen Tupfen zauberten ihm ein Lächeln auf die Lippen. Die Mamma hatte darauf bestanden, dass auch ein kleines Fenster hoch oben nicht blank blieb. Das wirkte sonst schlicht unmanierlich! Krokodil mischte eine erfrischende Schorle an, trat hinaus aus dem Wohncontainer/Tiny house, auf das Dach. Hochsommerlich warm, die Geräusche von Straße und Wohnensemble jedoch hier oben sehr gedämpft. Eine leichte Brise ließ die Sonnensegel flattern. Auch seine Nachbarschaft hatte sich schon eingerichtet: man rückte einen Kugelgrill heraus, winkte. Krokodil hob grüßend die Hand, lächelte. Wenn man einfach mitanpackte, sich kurz vorstellte, vergaßen die Leute schnell, dass er ein abgrundtief hässlicher Koloss war. Sie nannten ihn einfach "Don", tauschten sich mit ihm aus. Für sie alle war es schließlich eine ganz neue Erfahrung, Wohnen auf dem Dach, ein wenig wie Campen, nur, was die Anschlüsse betraf, bequemer. Seine direkte Nachbarschaft auf demselben Dach zog gerade die montierten Wäscheleinen lang. Für sie als neue Mitwohnende war im Waschkeller der Siedlung eine zusätzliche Industriemaschine angeschafft worden. Außerdem arbeitete man mit zwei Versorgungssystemen. Das sogenannte "Grau-Wasser" von Spüle und Dusche wurde für die Toilette verwendet. Die begrünten Dachflächen fungierten auch als Filter. Hinter den Solarpaneelen verbargen sich leichte Zisternen. Das reduzierte die Herausforderungen der Versorgung mit Wasser und Energie. Gegenüber wurden in aufgeschnittene Tetrapaks gepflanzte Küchenkräuter arrangiert, eine Bierzeltgarnitur ausgeklappt. Krokodil wandte sich ab, trat an das umlaufende, hohe Geländer, blickte blinzelnd in die Gegend. Zuversicht erfüllte ihn, auch wenn er einen Stich verspürt hatte, die Tür seines Zimmers in der Hinterhofwohnung final zuzuziehen. Kein Wunder, immerhin hatte er sein ganzes Leben, mehr als ein Vierteljahrhundert, mit seiner Mamma verbracht, eine gelassene Routine und Vertrautheit über die Zeit entwickelt. Ein bisschen Wehmut konnte man sich nicht übelnehmen. Aber er hatte diesen Wechsel gewollt, nach anstrengenden Ausbildungs- und Lehrjahren nun die Gelegenheit gefunden, sich einem weiteren Meilenstein in seinem Leben zu widmen. Der jetzt noch überstrahlt wurde durch Leonidas! Krokodil verzichtete darauf, seine Armbanduhr zu konsultieren. Er konnte sich schon denken, dass der unsägliche Gockel von Teamleiter Leonidas mal wieder aufgehalten hatte. Dabei, das hatte Krokodil sich zumindest erhofft, hätte sein persönlicher Auftritt vor Ort eigentlich den Sticheleien ein Ende setzen sollen. Weshalb er einmal in Latzhose mit Lastenfahrrad, quasi im vollen Ornat, dort aufgekreuzt war, um den Beweis anzutreten, dass Leonidas für diesen dämlichen, seinen Minderwertigkeitskomplexen ausgelieferten Jammerlappen keine Konkurrenz darstellte. »Dafür hätte er auch einen Tunnel bis zum Erdinnern graben müssen, um dieses unterirdische Niveau zu untertreffen!« Grollte Krokodil in Erinnerung verstimmt. Seinem Kalkül zufolge hätte es genügen müssen zu zeigen, dass Leonidas sich der Geschmacklosigkeit schuldig gemacht hatte, einen bloßen Handwerker von grotesker Hässlichkeit zu erwählen. Aber während Krokodil auf ihn gewartet hatte, war er ins Plaudern gekommen. Zunächst mal wegen des Fahrrades, dann der Profession geschuldet. Alle suchten nach guten Handwerkenden, die sich auch für kleinere Aufträge nicht zu schade waren! Prompt hatten diverse Smartphones seine Visitenkarte abgelichtet, schließlich, was man hat, hat man! Zumindest, solange Cloud oder Speicherkarte nicht versagten. Einer der Programmierer, die man dort kasernierte, entpuppte sich als Case-Modder. So unterhielt man sich eben engagiert über die Schwierigkeiten von Wasserkühlung und Zweckentfremdung von Zubehör aus der Aquaristik, sodass, als Leonidas endlich entlassen war, eine rosige Tönung der Schneewittchenhaut seinen unterdrückten Zorn illustrierend, Krokodil schon entouriert war, der stieselige Angeber somit erneut ausgestochen durch den Gefährten seines Rivalen. Krokodil ballte kurz die Fäuste, lockerte die angespannten Schultermuskeln. Nein, über so ein armes Würstchen den Stab zu brechen, das war Zeitverschwendung. Er war entschlossen, Leonidas zu überreden, den Vertrag aufzukündigen, wenn es ihm zu arg wurde. Sie beide zu versorgen, das stellte ihm keine große Mühe dar. Um die Papiere würde er sich auch kümmern, keine Frage! Allerdings, das durfte er nicht außer acht lassen, verfügte Leonidas über einen ausgeprägten Stolz, den er tunlichst nicht verletzte. Verständlich, wer sich neun Jahre lang unter widrigen Umständen durchgeschlagen hatte, wollte sich auch nicht abhängig machen oder aushalten lassen. "Ich bin zu spät!" Es klang nach dem weißen Kaninchen aus Alice im Wunderland von Lewis Carroll, doch die Stimme gehörte eindeutig Leonidas, der gerade seinen Koffer hinter sich her zerrte, den Seesack auf dem Buckel balancierte, atemlos, transpirierend, aufgebracht. "Entschuldige! Mal wieder" Seine zitronige Miene paarte sich mit Ironie. "ABER!" Er ließ den Koffer ausrollen. "Der Vollpfosten wird heute auch nicht pünktlich sein! Hab gehört, dass sein blödes Rennrad einen schleichenden Platten hat. Ha!" Leonidas wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, triumphierte. "Nicht, dass ich damit etwas zu tun hätte! Da kann er aber mal beweisen, dass er auch etwas zustande bringt. Selbst wenn es nur HANDWERKSARBEITEN sind!" Diese Abschätzigkeit schien Leonidas noch immer zu empören. Krokodil kümmerte das nicht sonderlich, denn dieser Einstellung begegnete er durchaus öfter von Leuten, die selbst mit einem Dosenöffner schon überfordert waren und Gefahr liefen, sich selbst zu verstümmeln. Er ignorierte Koffer und Seesack, trat unter das Sonnensegel an ihrer Wohneinheitstür, schloss Leonidas in seine Arme. "Willkommen Zuhause." Raunte er, presste die Lippen auf den lackschwarzen Schopf. "Ich wollte dir helfen, weißt du?! Wirklich!" Beteuerte Leonidas an seiner breiten Brust, atmete dann tief durch. "Alles im Lot." Flüsterte Krokodil sonor, streichelte über den knochigen Rücken, gab nicht einen Millimeter 'Leonidas' ohne Notwendigkeit frei. "Na, gar nicht, leider!" Korrigierte der ihn, die Fingerkuppen in Krokodils T-Shirt grabend. "Eine Anhäufung von Desastern!" Krokodil pflückte die Haarspange ab, schob sie in seine Hosentasche, kraulte mit der freien Hand durch die lackschwarzen Strähnen. "Ein bisschen habe ich es auch selbst vermurkst." Vertraute Leonidas unterdessen seinem breiten Brustkorb an. "Weißt du, ich war so aufgekratzt, dass ich gar nicht richtig geschlafen habe." Er holte tief Luft. "Also wurde ich immer mal ein bisschen müde. Weil der sinistre Fab das Essen am Arbeitsplatz verboten hat, bin ich in die Teeküche gehuscht, wegen der Fliegerschokolade." Deren zweilagige Ecken man diskret dort lutschen konnte, um ein wenig Koffein und Kohlenhydrate zu tanken. "Da hatte er natürlich dauernd was zu nörgeln, obwohl er ja auch zu viel Freizeit hat, wenn er mit der Stoppuhr Strichlisten führt, oder?!" Leonidas grollte empört, presste das Kinn in einen Brustmuskel, funkelte aus dezent umschatteten, veilchenblauen Augen nach oben. "Er hat auch noch eine Verhaltensanweisung angeregt, wegen der 'Essensgerüche'! Wer nicht in der Kantine isst, sondern in der offenen Teeküche, soll das unter der Abzugshaube tun, sonst belästigt man alle anderen!" Was unzweifelhaft auf Leonidas und Krokodils Brotzeit-Pakete abzielte. "Ich hab mich so geärgert, weil der Depp einfach jeden Tag versaut und noch über mein Gepäck lästern musste, dass ich wohl im Zirkus unterwegs war, dass ich..." Krokodil beäugte besorgt Leonidas' abgewandtes Gesicht, der nun auch noch die Wange an seine breite Brustpartie schmiegte. "...also, ich hab alle drei Dosen Fliegerschokolade gegessen." Drang kaum hörbar zu ihm hoch. "Ich konnte nicht mehr einkaufen, obwohl ich für unseren Einzug was besorgen wollte, und...!" Leonidas war eindeutig geknickt, was man nicht nur auf den gebrauchten Tag (bis zu diesem Augenblick) und seine etwas unkonventionellen Ernährungsgewohnheiten zurückführen konnte. Krokodil lupfte behutsam mit der freien Hand das spitze Kinn, lächelte in das abgespannte, beschämte und grollende Gesicht hinunter. "Jetzt bist du zu Hause. Alles in Ordnung. Segel einholen, Anker werfen." Bemühte er nautische Metaphern. "Ich bin sehr froh, dass du hier mit mir anlandest." Eine kritische Augenbraue schob sich Richtung Haaransatz. "Der kleine Leuchtturm hat auf dich abgefärbt, oder?" Aber seine spöttische Bemerkung wurde durch das amüsierte Lächeln konterkariert. Krokodil fasste mit müheloser Leichtigkeit das verlängerte Rückgrat, beugte sich herunter, küsste die einladend angebotenen Lippen liebevoll. Dünne Arme schlangen sich fest um seinen kräftigen Nacken. "Können wir einen Neustart vereinbaren, wenn ich mich gesellschaftsfein gemacht habe?" +++* Während Leonidas rasch duschte, nutzte Krokodil ungeniert die Möglichkeit, dessen Gepäck zu entladen. Viel war es ohnehin nicht. Dank gemeinsamer Vorausplanung anhand der Einrichtungspläne hatte er keine Mühe, alles zu verstauen. Krokodil entführte die gekühlte Schorle aus dem kleinen Unterbaukühlschrank, verteilte Nüsse und Datteln samt Picker auf einem Teller. Unter dem Sonnensegel arrangierte er eine alte Gymnastikmatte, darauf ein Handtuch. Kein Luxus, aber vor neun Jahren residierten sie ja auch auf der Terrasse so schlicht, um eine Besinnungspause einzulegen. Eine Brise wischte vorbei, ließ die aufgefädelte Muschelsammlung am Mobile leise klingen. "Oh, Oberdeck mit Champagner und Appetithäppchen?" Leonidas zwinkerte, die Haare noch feucht, in eine leichte Stoffhose und eine Hemdbluse mit aufgesticktem Drachen gekleidet. Nur jemand mit seinem perfekten Teint konnte sich den Vanillefarbton dieser Aufmachung leisten. Krokodil streckte die großen Hände aus, Leonidas auf den freien Sitzplatz zwischen seinen aufgestellten Beinen einzuladen, die breite Brust als Rückenlehne anzubieten. "Statt Weintrauben gibt es Äpfel." Korrigierte er dabei gelassen, reichte Leonidas ein Glas. Sie stießen, Leonidas ihm zugewandt, die Gläser zu einem Toast vorsichtig aneinander. "Auf unseren Heimathafen." Schlug Krokodil vor. "Und auf uns!" Ergänzte Leonidas herausfordernd. Nach dem ersten Schluck stieß er einen tiefen Seufzer aus. "JETZT fühle ich mich wieder wie ein Mensch!" Krokodil pickte eine Dattel auf, bugsierte sie in Leonidas' Mund. Der kaute begeistert, mit Nachdruck, gründlich, was Krokodil lächeln ließ, einfach glücklich in diesem Augenblick. Nun, da er Leonidas an seiner Seite wusste, würde er sich auch darum bemühen, die Spätfolgen der pharmazeutisch-ausgeprägten Diät auszumerzen. Sollte es notwendig werden, den Stress zu reduzieren, indem er dem Teamleiter-Unsympathen heimleuchtete, bescherte ihm das auch keine Gewissensnöte! Leonidas hingegen hatte neugierig den Blick schweifen lassen, den Fortschritt der anderen Einzüge zu begutachten. "Was tun die da?" Krokodil folgte der Blickrichtung, während er eine weitere Dattel nachschob. "Ah, Public Viewing." Schmunzelte er, denn die neue Nachbarschaft hatte sich mit Klappstühlen, Knabberkram und Getränken eingerichtet, dazu ein Internet-Radiogerät aufgestellt. "Pah!" Brummelte Leonidas, nachdem er die Dattel brav zerkaut hatte. "Öffentliche Aufbahrung! Dieses Denglisch!" "Auf der anderen Seite wohnt so ein Bursche mit einem riesigen Fernseher." Krokodil kraulte das knochige Rückgrat seines Freundes. "Ohne Gardinen. Sport-Fanatiker, zumindest als Zuschauer." Leonidas schaltete schnell. "Soll das heißen, die gucken bei dem Typen mit und lassen das Radio wegen des Tons laufen?!" "Exakt." Bestätigte Krokodil feixend, drückte einen Kuss auf die kritisch gefurchte Stirn. "Kreativ!" Verteilte Leonidas ein Werturteil, schmiegte sich in Krokodils sehr geräumige Figur. Der nutzte die Einladung selbstredend, sanft über jede erreichbare Körperpartie zu streicheln. "Müde?" Erkundigte er sich mitfühlend. "Bisschen." Gestand Leonidas ein. Nach dem ganzen Auf und Ab des Tages auch nicht weiter verwunderlich. "Ich werde morgen einkaufen, ja?" Leonidas straffte seine Haltung merklich. "Morgen klappt es bestimmt! Wenn wir in die Stadt fahren, zu diesem Cornflakes-Laden, lade ich dich ein!" Leonidas brannte darauf, diese erst jüngst eröffnete Lokalität aufzusuchen, um sich dort quer durch das gewaltige, internationale Angebot von Frühstücksflocken jeder Art zu probieren, wobei er zweifelsohne einige der amerikanischen Sorten schon kannte, mit ihnen sein Überleben bestritten hatte. Krokodil grinste, küsste den lackschwarzen Schopf zärtlich. "Kühlschrank und Kammer sind voll. Meine Mamma hegt nämlich die Befürchtung, dass uns so ein Umzug vollkommen entkräftet." Offenbarte er leise. Außerdem verpflichteten die LEIHWEISE überlassenen Dosen, Schachteln und Gläser zur Rückgabe, mithin also zur Stippvisite an der mütterlichen Front. So ganz konnte man den Junior nicht in die gefährlichen Untiefen der Selbständigkeit entlassen. "Oh, das ist aber nett!" Leonidas lächelte, aber Krokodil kannte ihn gut genug, die versteckte Sorge zu registrieren. "Ich habe Mamma auch schon von diesem Laden erzählt. Wir müssen dort unbedingt hin, ihr etwas besonders Verrücktes mitbringen!" Sofort strahlten die veilchenblauen Augen wie poliert, wurde Krokodil erfreut bekuschelt. Als wäre er so ungezogen, Leonidas dieses Abenteuer zu verwehren, nur weil sie sich überlegt hatten, Einkäufe samstags gemeinsam zu absolvieren! "Ich bin nicht ständig so unsortiert, weißt du?" Murmelte Leonidas gerade, vorgeblich eine aufgespießte Dattel inspizierend. Krokodil kraulte den Nacken unter den lackschwarzen Strähnen behutsam. "Du hast gerade viel um die Ohren." Lieferte er eine plausible Erklärung. "Schon, bloß..." Leonidas stopfte schnell die Dattel in den Mund, damit nicht entschlüpfen konnte, was frustriert heraus wollte. "Ich weiß, dass du das Mögliche tust." Versicherte Krokodil aufmunternd. "Für Unmögliches sind wir nicht zuständig." Seine Einlassung reichte jedoch nicht aus, das gesenkte Haupt zu lupfen, ihm einen Blick in die veilchenblauen Augen zu gestatten. "Erzähl's mir." Raunte er deshalb sonor, umfasste mit beiden Händen Leonidas' Kopf, dirigierte ihn in die eigene Blickachse. Der wich dem Sichtkontakt aus, presste die Lippen zu dünnen Strichen zusammen, eine steile Unmutsfalte zwischen den Augenbrauen. Krokodil wartete geduldig, liebkoste mit den Daumenkuppen die zarte Schneewittchenhaut der Wangen. Ein tiefer Atemzug, die Schultern hochgezogen. "Der Mistkerl hat deinen Spitznamen verbreitet, sich lustig gemacht. Ich war so wütend, aber..." Die Fäuste ballten sich. "Ich konnte nichts sagen, weil er gedroht hat, mir eine schlechte Beurteilung der Probezeit zu geben." Krokodil zog scharf die Luft ein. Prompt flog Leonidas' Kopf in den Nacken, flammten die Blitze in den veilchenblauen Augen auf, ließen das früher weniger gebändigte Temperament erkennen. "Das wäre mir ja egal! In den Staaten hätte ich...! Aber hier...!" Hastig drehte er den Kopf zur Seite. Krokodil fing die kleinen Fäuste in seinen großen Händen ein, umschloss sie vertraut. "Ich bezweifle, dass die Meinung dieses erbärmlichen Wichts so viel ausmacht." Formulierte er bedächtig. "Darüber hinaus ist es IHR Verlust, wenn sie dich gehen lassen, nicht deiner." Er hob die Fäuste an, legte sie sich auf die Schultern, um die Distanz zu verkürzen. "Außerdem ist mein Spitzname nicht nur meiner äußerlichen Erscheinung geschuldet." Fuhr er gelassen fort. "Was ich mal geschnappt habe, gebe ich nicht mehr her." Damit ließ er sein wohlgeordnetes Gebiss aufblitzen, zwinkerte Leonidas zu, der kniend einen Blick riskierte. "Ich habe vor, dich in Eisen zu schlagen, Leonidas, wobei ich beim Material durchaus flexibel bin." Lächelte Krokodil. "Solange es deine Schwurhand ziert." Nun wartete Krokodil geduldig die Detonation ab. Die veilchenblauen Augen blinzelten, man rekapitulierte. Eine Augenbraue wanderte zögerlich höher. "Sag mal, machst du mir gerade einen Antrag?!" Krokodil grinste. "In der Tat, mein Gefährte. Auf dass wir gemeinsam Untiefen meistern, immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel haben und den Heimathafen am Horizont nicht aus dem Blick verlieren." Zugegeben, recht großspurig und arg nautisch gewürzt, doch Krokodil meinte es ernst. Leonidas sackte auf seine Hacken, die Arme glitten von Krokodils mächtigen Schultern. Seine Hände wurden ihm jedoch nicht aus den kräftigen des etwas jüngeren Mannes erstattet. "...oh..." Leonidas wirkte zu Krokodils Amüsement weniger entgeistert als hilflos-verlegen. Hatte denn tatsächlich noch niemand versucht, ihn zu kapern?! "Wir können gern eine Probezeit vereinbaren." Gab Krokodil sich kulant. "Ha!" Schnaubte Leonidas, atmete hörbar schneller, wandte eilig den Kopf ab, schniefte verschämt, lupfte sogar eine Schulter, um mit dem Stoff der Hemdbluse verräterische Spuren aus den Augenwinkeln zu tilgen. Krokodil unterlief diese Aktion, indem er Leonidas ruckartig nach vorn zog, rasch die Arme unter die Achseln schob, ihn so fest an sich drückte. "Bist du jetzt sehr erschrocken?" Erkundigte er sich mitfühlend. Offenbar war sein attraktiver 'Spießgeselle' mit den Nerven zu Fuß, ausgelaugt von den Querelen mit dem unsäglichen Drecksack! "Nein! Ja, also..." Leonidas fauchte aufgebracht. "Ich meine...!" Energisch drückte er sich auf bequeme Blickdistanz aus Krokodils Umarmung. "Ich will schon, aber im Moment wäre ich bloß Ballast, ohne Job und als Yankee!" Die Augen nicht abwendend lieferten sie sich ein Duell. "Das sind bloß temporäre Unbequemlichkeiten." Stellte Krokodil entschieden klar. "Die sich in Wohlgefallen auflösen werden. Ich will mit dir mein Leben verbringen, Leonidas Bartholomy Augustine Faarendorf. Du wirst mich nicht los." "Ach ja?! Fängst du mich wieder ein und knebelst mich, oder wie?!" Leonidas kämpfte tapfer auf verlorenem Posten. "Nun, das Fangeisen am Ringfinger würde mir durchaus genügen." Zwinkerte Krokodil herausfordernd. "Dazu noch Autogramme auf dem Standesamt, eine beschleunigte Einbürgerung." Leonidas griff zum letzten Strohhalm. "Und deine Mamma?" Krokodil feixte. "Auch wenn sie nicht davon abzubringen ist, dass du viel zu schön bist, kann sie dich gut leiden. Es würde sie auch sicher beruhigen, wenn du auf mich achtest." An der Unterlippe nagend grummelte Leonidas. "Das ist unfair! Du hast einfach die besseren Argumente! Aber denk dran: du hast es SO gewollt, klar?!" "Glasklar." Bestätigte Krokodil artig. "Darf ich dich jetzt bitte küssen?" In diesem Moment brandete im Hintergrund Jubel auf, ertönten Lärmgeräte aller Art. Offenbar hatte irgendwer etwas vollbracht, was kollektiven Beifall fand. Leonidas verdrehte eindrucksvoll die veilchenblauen Augen. "JETZT wird es surreal!" Schnaubte er, überwand die Distanz, gestattete Krokodil einen sehr ausgiebigen Kuss. Der lächelte ihn an, als sie Atem schöpfen mussten. "Ich liebe dich, Leonidas." Nun hätte eine spritzige Retourkutsche folgen müssen, doch Leonidas studierte Krokodil bloß still, hob die schmalen Hände, um über Krokodils von Narben versehrte Haut zu streicheln. "Donát, ich gebe dir mein Herz und meine Hand." Wisperte er schließlich. "Ich werde beides in Ehren halten." Versprach Krokodil sanft. Leonidas schob die dünnen Arme um Krokodils kräftigen Nacken, schmiegte sich eng an ihn. Beide registrierten überrascht, wie rasant ihr Pulsschlag trommelte. Krokodil brach die Spannung, indem er leise auflachte, ein wenig hin und her wippte, Leonidas gleichsam mitwirbelte. Die Stirn aneinander legend übten sie kichernd Eskimoküsse. Leonidas löste sich aus ihrer lockeren Umarmung, kam auf die Beine, streckte Krokodil die Linke hin. "Wohlan, Matrose, folge mir in die Kajüte, damit wir ein Seebeben auslösen können!" Deklamierte er mit gewaltigem Pathos. Lachend stemmte Krokodil sich hoch, ergriff die ausgestreckte Hand. "Nutzen wir die Chance, solange ich noch halbwegs wach bin." Raunte Leonidas ihm sehr viel bodenständiger zu, als sie ihren Heimathafen betraten. Schmunzelnd angelte Krokodil ein kleines Schild mit Leuchtturm heran, hängte es außen an die Tür, die er sorgsam verschloss. [Psst, begucke mich von innen!], letterte es. Doch bis es soweit für sie beide war, wollte er sich noch ordentlich ins Zeug legen! Immerhin erfüllten sich an diesem Tag all seine Wünsche auf einmal. Leonidas, der sich bereits entkleidet hatte, inspizierte ihre Schlafkammer, stemmte prompt die Hände in die schlanken Hüften. "Du hast das alles geplant!" Konstatierte er vorgeblich empört angesichts der in Reichweite präsentierten Artikel für die gepflegte Wollust. Krokodil lächelte breit. "Seit neun Jahren, mein Schatz!" +++* ENDE +++* Danke fürs Lesen! kimera