Titel: Zyklon Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original Helloween Tricksters-Serie (siehe Informationen), Teil 5 FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Erstellt: 09.-14.02.2003 Ereignis: Valentinstag 2003 Disclaimer: die Songs gehören ihren Autoren/Interpreten wie zitiert. ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ ~?~ Zyklon Kapitel 1 - Aus der Bahn geworfen "Mira, Süße, füllst du mal die Streuer auf, ja?" Mira warf die perlschnurartigen, braunen Zöpfe aus dem Gesicht, lächelte die ältere Matrone an, die gleichzeitig ihre Arbeitgeberin war. "Geht klar, Josefa." Nickte sie Konsens, sammelte mittels Tablett diverse Glasgefäße ein, um ihnen hinter der Anrichte mit Trichter und Vorteilspackung die abgemagerten Bäuche auszupolstern. "Ihr habt jetzt Winterferien?" Erkundigte sich Josefa, die sorgfältig die kirschrot ondulierten Locken durch ungezählte Kämme justierte, während sie ein kritisches Auge auf die Durchreiche zur Küche warf, wo ihre einfältige Schwester selbstvergessen Plätzchen mittels Spritzpistole verzierte. "Richtig, erst Weihnachtsferien, dann zwei Wochen für die Abgabe der Semesterarbeiten und nochmal Winterferien, damit die hochwohlgeborenen Herrschaften beim Skifahren ihre wertvollen Kontakte pflegen können." Ätzte Mira Gift, würgte einen hilflosen Zuckerstreuer. "Also, wenn du mich fragst..." Was Mira unterlassen hatte, da sie dieses Thema bevorzugt vermied. "Ich halte nichts von diesem Ski-Zeug. Ich frage dich, was ist der Sinn, ne Leiter hochzuklettern, um dann runterzuspringen? Oder mit so einem klapprigen Dingsda hochzuschaukeln, dafür drei Stunden anzustehen, um dann mit blauen Flecken ne Viertelstunde später wieder im Tal zu sein?! Was is das denn für ne Beschäftigung für erwachsene Leute?!" Achselzuckend wich Mira einer möglichen Deutung dieses scheinbar unfasslichen Phänomens aus, was ihr durch das Eintreffen eines Gastes erleichtert wurde. "Zalve, Mira!" Lizard tippte sich an die vorwitzig filzige Strähne, die einen Schatten auf seine Hakennase warf, die Bernsteinaugen im Kontrast hell schimmern ließ. "Hallo Lizard! Was treibt dich denn so früh vor die Tür?" Erkundigte sie sich mit einem Grinsen, brühte eine duftende Tasse Kaffee mit Vanille-Zimt-Mischung auf, während sie mit der Gebäckzange ein noch warmes Honighörnchen auf einem Teller deponierte. "Uh, ich wollte vermeiden, dazz mir die Decke auf den Kopf fällt." Lizard grinste Zahnspangen-bewehrt, wischte sich mit beiden Händen durch die Haarmasse, die in der öligen Manier eines Eintänzers zurückgekämmt war. Er schlüpfte aus dem ungewohnt konservativen Dufflecoat, legte ihn auf den benachbarten Barhocker, sog genießerisch das Aroma seines Kaffees ein. "Ioannes nicht da?" Mira verteilte die Streuer wieder im Gastbereich, glättete die mit Rüschen gesäumte Schürze. "Nein." Eine offensiv unglückliche Grimasse nötigte ihr ein Lächeln ab. "St. Moritz, mit Mutterdrachen und Stiefstecher." Josefa hustete lautstark, die Missbilligung über derlei Wortwahl höflich transportierend. Mira feixte, lehnte sich neben Lizard an die Theke, visierte die Straßenfront zwischen Ziergardinen und Bepflanzung an. "Bei dir zu Hause ist noch immer Renovierung angesagt?" Füllte sie die Gesprächslücke, richtete einen mitfühlenden Blick auf den nun Honighörnchen vertilgenden Kommilitonen. "Hmmmm." Der verdrehte die beunruhigend glimmenden Bernsteinaugen. "Dieses Mal haben die Fenster gehalten." Die Ursache der Belastung dezent aussparend fuhr er kauend fort. "Dafür sind sie samt den Rahmen aus den Leibungen geflogen, rund ums Haus. Was nicht so tragisch wäre, wenn Sax nicht Aurelius' Lieblingsspiegel zertrümmert hätte. Da herrscht seit zwei Stunden Funkstille." Er zuckte mit den Schultern unbehaglich. "Das ist komisch." Mischte sich Josefa in ihre Unterhaltung, einen versonnenen Blick hinter der halbglasigen Lesebrille an der Sicherheitskette in Szene setzend. "Gestern Nacht gab's wieder dieses unheimliche Lichtspektakel!" Sie beugte sich tief über die Theke. "Ich sage euch: das sind Außerirdische. Bestimmt." Mit definitivem wie auch verschwörerischem Nicken wanderte sie in die Küche. Lizard verkniff sich ein Grinsen, ertränkte es im Kaffee. "Du verbringst die vierzehn Tage hier?" Wechselte er das Thema, lächelte zu Mira hoch, die sich mit einem Handrücken über die Akne-tätowierten Wangen strich. Die grauen Mandelaugen trugen das Quecksilber der Melancholie. "Ich war Weihnachten daheim, das reicht erst mal. Ich muss das Geld für das nächste Semester verdienen." Lizard quittierte diese Replik mit nachdenklichem Konsens. Ein geringer Teil der Studierenden der kleinen, aber exquisiten Privatuniversität, die sie gemeinsam besuchten, profitierte von Stipendien. Dazu kamen wenige 'gewöhnliche' Sterbliche, die allein durch ihre Leistungen in den Olymp Zugang erhalten hatten. Was seinen eigenen Status betraf, nun, er hatte nicht umsonst ein Faible für Informationstechniken. "Sag mal, wann hast du Melody eigentlich das letzte Mal gesehen?" Seine Bernsteinaugen konzentrierten sich auf das Profil der jungen Frau neben ihm, ihren karamellfarbenen Teint im exotischen Kontrast zu den Mandelaugen. "Keine Ahnung, kurz vor Weihnachten, glaube ich." Eine gleichgültige Handbewegung, betont beiläufiges Abkehren. Mira wienerte über die Theke, als glänze sie nicht bereits fleckenlos. "Die Königin des Campus ist ja nun als Solo-Star ständig unterwegs. Neben ihren vielen sozialen Verpflichtungen und den lästigen Studienanforderungen müssen ja auch die Kontakte gepflegt werden." Ihre Stimme zitterte vor Galle. "Wie war das doch gleich? Weihnachten bei den lieben Verwandten, Silvester auf den Seychellen, Skifahren in St. Moritz?! Was man eben so tut als künftige Präsidentin von diesem oder jenem!" Ihr Gesprächspartner verdunkelte unbemerkt die Augen, runzelte getarnt hinter der filzigen Strähne die aparte Stirn, sondierte die Situation still. Ohne sich zu einer verbalen Conclusio hinreißen zu lassen, platzierte er Münzen auf der Theke, erhob sich, drückte einen sanften Kuss auf Miras Wange. "Wird schon wieder." Versicherte er, bar jeden Zischelns, schlüpfte in den Dufflecoat, wechselte in den trüben Wintermorgen hinaus. ~?~ Sax starrte trübsinnig, mit wachsendem Zorn, der seine wilden, schwarzen Zotteln elektrisierte und sengende Lohen aussandte, zu der offenen Küchenarbeitszeile hinüber, die von einer schlanken, hoch aufgerichteten Gestalt in Beschlag genommen wurde. Arktisches Weiß schmückte hauteng einen marmornen Mann mit blau-schwarzem, durchgestuftem Haarschnitt und kaleidoskopierenden Augen, die allerdings die vergangenen Stunden auf einem schwarz-grünlichem Sturmtief gestanden hatten. »Nicht, dass er mir nicht immer die kalte Schulter zeigen würde!« Kalauerte der selbsternannte Anführer der Tricksters kehlig. Wenn Aurelius verärgert war, das war er zweifelsohne!, resultierte das in demonstrativer Nichtbeachtung und völliger Unterdrückung seiner zauberhaften Präsenz. »Eine unsichtbare und massive Mauer des Nichts!« Das, wo sein ihn liebender, titanisch verehrender Gefährte derartig seiner Aufmerksamkeiten bedurfte, um nicht in frustrierter Zerstörungswut ganze Landstriche zu verwüsten!? »Nun ja.« Hielt sich Sax zugute, dieser Option hatte er bisher heldenhaft entsagt, aber lange würde seine Selbstdisziplin nicht mehr währen. Zugegeben, es war eine ausgemachte Eselei gewesen, mitten in flagranti coiti eine feuernde Salve von Energieblitzen detonieren zu lassen, eingedenk der früheren Bilanz geschmolzener Lampen, angesengter Kabel und verschmorter Elektronik. Gut, die Fensterscheiben hatten dank seiner genialen Erfindung dem Druck standgehalten, auch wenn sie nun den spärlichen Rasen zierten. Mit dem alten Kran würde es wenig Zeit in Anspruch nehmen, sie wieder einzusetzen. »Ja, ja, das Problem der Leibung stand noch ungelöst im Raum.« Er seufzte, beendete die innere Diskussion. Aurelius nahm die Zerstörung seines Spiegels persönlich. Die schwarzen Krallen durch die ungebändigt abstehenden Zotteln zerrend stöhnte Sax. Er fletschte die Reißzähne seines Wolfsgebisses, streckte die schwärzliche Zunge über die ebenso kolorierten Lippen. Er stieg in seinen aus einzelnen Lederfetzen liebevoll zusammengetackerten Mantel, bedeckte Augen und Finger. Danach rauschte er aus der verlassenen Fabrik, schmetterte das gewaltige Tor lautstark über die Schiene wieder in die Halterung. Aurelius warf einen frostigen Blick zur Quelle des ungebührlichen Tumults, kräuselte die Lippen. Obgleich ihr Naturell sich nicht gegensätzlicher ausnehmen konnte, hegte er ein unheilvolles Faible für den wilden Mann. An dessen Manieren und Gedankenlosigkeiten musste allerdings noch in erheblichem Maße gefeilt werden. ~?~ Surprise lenkte den massigen Daimler Benz mit erstaunlichem Geschick. Ihre Katzenaugen wanderten prüfend über die Passagiere im Fond, die in unterschiedlicher Dezibelstärke Ermattung Rechnung trugen. Ein Lächeln zierte ihren rosigen Mund in dem herzförmigen Gesicht, als HaHa, der einem gekenterten Eisberg gleich schwer gegen eine Scheibe lehnte, offenen Mundes ihren Namen grummelte, von einem verzückten Grinsen erleuchtet. Passagier zwei schlief stumm und bleich, nahezu unkenntlich unter einer zerwühlten Haarmasse. Eine Kaugummiblase formend zwinkerte Surprise einem LKW-Fahrer zu, summte leise vor sich hin. ~?~ "Catch My Fall" (Billy Idol) I have the time so I will sing yeah I'm just a boy but I will win yeah Lost song of lovers fellow travelers yeah Leave me sad and hollow out of words It could happen to you so think for yourself If I should stumble Catch my fall yeah If I should stumble Catch my fall Catch my fall If I should stumble Catch my fall If I should stumble I've traveled and unwound my own truth yeah I've laid my head on the rock of youth yeah I've trusted and then broken my own word Just to keep me free in this mad, mad word It could happen to you so think for youreself If I should stumble Catch my fall yeah If I should stumble Catch my fall Catch my fall It could happen to you so think for yourself If I should stumble won't you catch my fall yeah If I should stumble catch my fall yeah If I should stumble would you catch my fall If I should stumble catch my fall ~?~ "Hallo CC III, schon wieder hier?" Lizard warf einen irritierten Blick auf den stets distinguiert gekleideten Kollegen, der mit einem majestätischem Kopfnicken den Gruß erwiderte. "Meine zukünftig Angetraute wollte sich mit weiteren Begleiterinnen auf einen Schaufensterbummel begeben. Diesem höchst zweifelhaften Vergnügen habe ich mich entzogen, um an unserem Fortkommen zu arbeiten." Lizard nickte verständnisvoll. Keine amüsante Aussicht! "Sax nicht da?" Erkundigte er sich knapp, streifte den Dufflecoat von den Schultern und zwirbelte seine Strähne. CC III lupfte sparsam eine Augenbraue. "Glücklicherweise nicht, sonst wäre ich noch immer mit Reparaturtätigkeiten beschäftigt." Wies er pointiert auf die gewohnten Auswirkungen amouröser Begegnungen der beiden hin. "Aurelius arbeitet an einer verstärkten Fensterleibung. Er wünscht, nicht gestört zu werden, wenn es sich einrichten lässt." CC III warf Lizard einen kryptischen Blick zu. "Gestatte mir die Frage, warum wir mit deiner Anwesenheit gesegnet werden?" Der Angesprochene zwinkerte. "Ich will telefonieren." Gab er seine Motive preis. Ein Vorhaben, das im Wohnheim zu horrenden Rechnungen führte, in ihrem Stützpunkt dank technischer Raffinessen jedoch gratis erfolgen konnte. "Nun denn." Erteilte CC III Demission, vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Lizard schleuderte den Dufflecoat in einer eleganten Drehung auf seinen Rücken, sammelte das schnurlose Telefon auf, verzog sich mittels Wendeltreppe auf das Dach. Dort streckte er sich auf einer ausrangierten, von Aurelius jedoch liebevoll restaurierten Hollywood-Schaukel bequem aus. Er tippte konzentriert eine Nummernfolge ein, die die Station im Gebäude chiffrierte, kreuzte einen Arm unter seinem Nacken, studierte den fahlen Himmel, während er auf den Verbindungsaufbau wartete. Am anderen Ende erkundigte sich eine heisere Stimme sehr vorsichtig. "Hallo?" "Ioannezzzz." Schnurrte Lizard rollig in den Hörer, ein maliziöses Lächeln auf den schmalen Lippen, die Augen Bernstein-funkelnd. "Mauro?!" Drang es verunsichert, ungläubig an sein Ohr, von einem asthmatischen Keuchen abrupt unterbrochen. "Ola, mi querido, was ist los? Du klingst nicht gut!" Anspannung zeichnete die Augenbrauen scharf. Unsichtbares Gefieder sträubte sich. "Ach." Eiliges Räuspern. "Eine Erkältung, nicht weiter tragisch." Beschwichtigte Ioannes, derzeit in St. Moritz zu einem mehr oder weniger unfreiwilligen Familienausflug genötigt. Lizard atmete hörbar in das Mikrophon aus. "Wie geht's sonst? Was tust du gerade?" Bemühte er sich, eine gemeinsame Perspektive zu schaffen. Seufzen auf der anderen Seite. "Ich bin permanent damit befasst, meiner geliebten Mutter und meinem Stiefvater auszuweichen. Sie hegen die Vorstellung, dass ich mich als verkappter Ski-Sportler bei den hier anwesenden Damen beliebt machen könnte. Dabei kostet es mich bereits erhebliche Mühe, die Skier unfallfrei in den Lift zu deponieren. Ich wäre wirklich gern an einem anderen Ort." "Ich wünschte, du wärst hier, bei mir, mi curazon!" Lizard raunte lockend, blinzelte in den Himmel. Ein Stoßseufzer antwortete ihm. "Ich würde dich langsam, Stück für Stück, ausziehen." Wisperte er lasziv, knurrte spielerisch. "Anschließend unter viele Decken packen, direkt unter dem Himmel." "Oh ja!" Stimmte Ioannes sehnsüchtig zu. "Endlich mal ausschlafen. Keine Kontrollanrufe, keine tatschenden Verehrerinnen, keine beschämenden Aufklärungslektionen." Ein Schauder beendete die traumatische Aufzählung. Lizard saß blitzartig aufrecht. Seine Fingernägel gruben sich in die Kunststoffverschalung des Telefons. "Diese Frau weiß einfach nicht, wann Schluss ist." Grollte er bösartig. "Wem sagst du das." Kommentierte Ioannes trocken, von einem seltsamen Trillern untermalt. "Was ist das denn?" Erkundigte sich Lizard irritiert, von einer unangenehmen Vorahnung erfasst. "Ein anderer Anruf, garantiert meine Mutter." Ioannes stöhnte leise. "Sie gibt keine Ruhe. Ich kann mich ja nicht hinter Melody verschanzen." Auf der anderen Seite der Leitung rotierten Informationen umeinander, wirbelten zu einem sich verdichtenden Netz von Wahrscheinlichkeiten. "Melody ist nicht bei dir? Und ihre Eltern?" In Lizards Ohren nahm der enervierende Klopfton des konkurrierenden Anrufs diabolische Ausmaße an. "Nein." Auch Ioannes geriet ins Grübeln. "Sie ist nicht eingetroffen. Ihre Eltern sind, wenn ich es recht bedenke, auch ungewöhnlich kurzfristig abgereist. Ist da etwas nicht in Ordnung?" Schloss er alarmiert seinen Gedankengang ab. "Ich bin nicht sicher. Ioannes, halte durch, mi angel, ich melde mich wieder bei dir." Versprach Lizard besänftigend, blies einen Kuss in das Mikrophon. Ioannes seufzte erneut, starrte trostlos auf das Display des schnittigen Telefonapparats, bevor er pflichtbewusst den quälenden, zweiten Anruf entgegennahm. "Ja, bitte?" Erkundigte er sich ausgesucht höflich. "Nein, ich habe es nicht vergessen, Mutter." Die Augen verdrehend, eine Freiheit, die er sich zuvor nicht gestattet hatte. "Natürlich werde ich angemessen gekleidet erscheinen." "Nein, ich habe sie nicht versetzt. Wir müssen uns am Lift verfehlt haben. Ausgesprochen bedauerlich." Seine freie Linke zeichnete kleine Teufelsfratzen auf das Laken. "Oh, sie vergaß nicht zu erwähnen, welche Vermögenswerte in ihrer Familie vorhanden sind. Ich bin sogar überzeugt, diese mittlerweile fehlerlos repetieren zu können, da sie unablässig davon sprach." "Nein, ich bin nicht sarkastisch, ich gebe dir lediglich eine Übersicht über den Verlauf unserer Konversation." Mit einer harschen Ermahnung bedacht wurde er schnöde aus der fernmündlichen Aufsicht entlassen. Rücklings auf das verschwenderische Doppelbett sinkend studierte er erschöpft die Zimmerdecke. »Ach, Mauro...« ~?~ Nach der langen Fahrt schien es zunächst wie eine Erlösung, sich in der kalten Winterluft bewegen zu können. Allein, dieser kontrastierende Reiz verlor bald seine Anziehung mit der arktischen Kälte, die ihren Leib invahierte, in schleichender Geduld Glied für Glied in Besitz nahm, bis der starre Frost sich ihrer bemächtigt hatte. Blind und taub für die Gefahr, die durch diese Achtlosigkeit drohte, schlang sie beide gefühllosen Arme um den Oberleib, eine verkrümmte, einsame Gestalt vor einer von schwärzlichen Vegetationsmahnmalen gezierten Wiese. Kein Blatt fror hier, klagend reckten sich dürre Äste schutzlos in den nun bleiernen Himmel, der sich auf die Erde zu stürzen dräute, trostlos und unbeklagt. Seltsam, wie still es war. Oder bildete sie sich diese Ruhe nur ein? Gelegentlich kreuzten Fahrzeuge die Ader, die das verlorene Winterschlachtfeld von der Häuserzeile trennte, reduziert zu Störungen in ihrer Wahrnehmung, die sich spurlos auflösten. Sinnentleert, hier zu stehen, und doch, wider Vernunft und Stolz, wollte sie an keinem anderen Ort sein, als unendlich entfernt durch dieses asphaltgraue Band, nicht mehr als Augen, aufgerissen in melancholischem Schmerz. Einfach nur zuschauen, nichts mehr, vom desertierten Ufer hin zum pulsierenden Leben. ~?~ "Mira, Herzchen, Telefon für dich!" Die Angesprochene lächelte sparsam einem Kränzchen älterer Damen zu, die mit gezierten Bewegungen und chirurgischer Präzision ihren soeben frisch servierten Tortenstücken an die Kremfüllung rückten. Sie empfing nach eiligen Schritten den Hörer aus der klobig beringten Hand ihrer Arbeitgeberin. Wer mochte sie hier anrufen?! Vage Befürchtungen fluteten durch ihre Gedanken. Sie rief sich zur Ruhe, nahm in gewohnter Zurückhaltung das Gespräch entgegen. "Mira hier...Lizard?!" Mit gerunzelter Stirn sortierte sie, den Hörer zwischen Schulter und Kopf eingeklemmt, das benutzte Besteck in die vorgesehenen Schütten, während sie der kehligen Stimme lauschte. "Was soll das heißen, sie war nicht in St. Moritz?! Dann eben in einem anderen dieser mondänen Schickimicki-Käffer..." "WAS?!" Ihr erregter Ruf weckte auch das Damenquartett, das mit indignierten Blicken die Dame des Hauses vorwurfsvoll in das Visier nahmen angesichts dieser ungebührlichen Störung ihrer kontemplativen Versenkung. Mira ignorierte ihre Umwelt derweil vollkommen, einzig ihre silbrig-grauen Augen wanderten eilends über Garnituren, Meublement und Gäste hinweg, bis sie den winzigen Streifen zwischen Vorhangvolants und üppiger Kübelvegetation erspähte. Einen Fluch zerbeißend, der sämtlichen Anwesenden die sorgfältig coiffierten Haare aufgestellt hätte, fauchte sie einen hastigen Abschiedsgruß in den Hörer, schmetterte ihn auf die Gabel, stürzte wortlos aus dem Café. Ihr energischer Sturmschritt nötigte einen gemächlich chauffierenden Privatier zu einer abrupten Kontaktpflege mit dem Bremspedal, was sie mit einer rüden Geste quittierte, ohne ihr Tempo zu reduzieren. Aufbäumende, wild dahinstürzende Gedanken kreisten raubvogelartig um die schmale Gestalt in einem der Witterung vollkommen unangemessenen Halbmantel, mit einer überdimensionierten Sonnenbrille und einem kostspieligen Halstuch über der Haarpracht in divenhafter Unkenntlichkeit maskiert. "Was soll dieser Mist?! Was willst du hier, hmm?!" Mira grub in zähnefletschender Manier ihre Fingernägel rücksichtslos in die Oberarme ihres Gegenüber. Ohne eine Reaktion abzuwarten entlud sie ihren ungebändigten Zorn in lautstarkem Monolog. "Das ist wieder so typisch! Du denkst doch nicht, dass dein pathetischer Auftritt hier alles wieder einrenkt, oder?! Glaubst du, dass ich begeistert bin, dich hier zu sehen, bei meinem Arbeitsplatz, den ich so dringend brauche, während du eine Show abziehst?! Soll ich jetzt vor Freude im Dreieck springen, weil die Königin des Campus mich mit ihrer Gegenwart beehrt?!" Ein regloses Staunen blieb die einzige Replik. Mira löste sich, schnaubte verächtlich. "Was ist los, hat es dir die Sprache verschlagen?! Hast du wirklich geglaubt, ich bin so bescheuert, mich nochmal einwickeln zu lassen?" Sie kehrte sich ab, stützte die Hände in die Hüften. Unter der Witterung schauernd fasste sie sich langsam, setzte ihre Worte ruhiger. "Du könntest wenigstens die Höflichkeit besitzen, diese hässliche Brille abzunehmen, wenn du mich schon keines Wortes würdigst." Bemerkte sie vorwurfsvoll, Zöpfe aus ihrer Stirn vertreibend. Als sie sich umwandte, blickten Mira die stumpfsten, blauen Augen entgegen, deren sie jemals gewärtig worden war. Ein scharfes Luftschnappen, erschrocken, verunsichert. "He!" Bemühte sie sich um ein flackerndes Grinsen, wischte eine klebrige Blondsträhne unter das Kopftuch. "Melody, was ist passiert? Du siehst furchtbar aus!" Wisperte sie heiser, des geplanten Scherzes verlustig. Ein weiteres Mal blieb sie ohne Antwort. Es schien, als könne ihr Gegenüber keine Verbindung mehr finden, um sich zu artikulieren, zu kommunizieren. Wirkte gelähmt von Ereignissen, Gefühlen, Befindlichkeiten, die zu erdrückend lasteten, als dass man ihnen ausdrückliche Gestalt verleihen konnte. »Das kann nicht sein!« Raste in verzweifeltem Unglauben durch ihr Bewusstsein. »Unmöglich, dass ich sie so sehe!« Ihre Fingerspitzen zitterten ungezielt, als sie die fahlen Wangen streifte, sich im Stoff des Tuchs verfing, flehentlich stockend um ein Zugeständnis bat, das den Schreck mildern sollte. "Mel... sag was... bitte...Mel...du machst mir Angst... bitte..." Nichts wollte fruchten, sodass sie in letzter Instanz sich ihrem Instinkt überantwortete, die ausgekühlte, starre Gestalt fest in die Arme schloss, Koseworte wisperte, die ihr der scharfe Winterwind von den Lippen riss. ~?~ "Es tut mir leid, Liebchen." HaHa faltete seine imposante Gestalt, die einem Schwertransporter Respekt abgenötigt hätte, auf Taschentuchgröße. Zumindest bemühte er sich angestrengt darum. Surprise, die in nunmehr routinierter Sicherheit den schweren Boliden pilotierte, tätschelte beruhigend seine feiste Wange, zwinkerte aufmunternd. "Ich bin sicher, wir finden sie." Lispelte sie sanft, innerlich lächelnd über die Reaktion, die die vage Befürchtung, ihren Unmut geweckt zu haben, ausgelöst hatte. Sie neigte nicht dazu, über Vergangenes tiefsinnig und Schuld zuweisend zu brüten, es galt das Hier und Jetzt. Das augenblicklich darin bestand, einen gestürzten Engel wiederzufinden. ~?~ Sax streifte durch unbesiedeltes Gelände, verschreckte die spärlichen Spazierenden samt zwangsweise ausgeführten Hunden, die keinen Riesen von 1,90m Lebensgröße erwarteten, der mehrere Pfund Metallgehänge in nachlässiger Eleganz präsentierte, wenn unartige Böen seinen Mantel aufwehten. Angesichts stets erhöhter Körpertemperatur bedurfte er keiner wärmenden Bekleidung, sodass der sehr lose indianischem Schmuck nachempfundene Panzer seine warme Haut ungehindert liebkosen konnte. Seine Umgebung vernachlässigend sinnierte der Anführer der Tricksters, die Krallen tief in die Taschen grabend über eine Lösung für sein vordringlichstes Problem: seinen eiskalten Geliebten aufzutauen. Es musste etwas Überwältigendes, Beeindruckendes sein, das die Zerstörung des Spiegels ausmerzte, ihrer einzigartigen Beziehung würdig! Allerdings engten diese Ansprüche seinen Handlungshorizont erheblich ein. Dennoch war er zuversichtlich, diese Schwierigkeit mit ein wenig Phantasie überwinden zu können. ~?~ Mit jedem verstreichenden Augenblick schien der frostige Wind ein weiteres Stück aus ihrem Leib zu beißen. Auch die sonst so tröstliche Nähe in den Armen eines anderen Menschen versagte kläglich gegen diese gefühllose Attacke. Mira wiegte Melody zögerlich, hoffte, mit der minimalen Bewegung das Blut in ihrer beider Kreislauf wieder zu beschleunigter Umdrehung animieren zu können, rechnete sich aber wenig Erfolg aus. Ein Tränenfilm, den bitteren Böen geschuldet, schmierte unwirkliche Schlieren über ihre Augen, verwischte das neugierige Publikum hinter den wärmenden Mauern des Cafés, ebenso die wuchtigen Linien des kraftvollen Chassis, das nun zu einem kontrollierten Stand neben ihnen kam. Eine gewaltige Masse quoll aus dem Beifahrersitz, hüstelte in jovialem Ungeschick, bevor eine Stimme bar jeden Lispelns sie aufforderte, in den Fond einzusteigen. Zögerlich reinigte Mira mit dem Handrücken ihre Sicht, sortierte Sprecher und Erscheinung bekannten Größen zu. "HaHa? Surprise?" Ihr Unglauben korrespondierte mit der belegten, aufgerauten Kehle. "Dieselben. Kriech rein, sonst holt ihr euch noch den Tod in der Kälte!" Kommandierte die blondlockige Elfe, funkelte bezeichnend. Ungelenk und veritabel steif gefroren folgte Mira dieser Anweisung, dirigierte die Freundin vor sich her, die duldsam wie eine Marionette jegliche Handlung geschehen ließ. Trotz erheblicher Masseverschiebungen sich umwendend drapierte HaHa gastfreundlich eine vorausschauend deponierte Reisedecke um die zusammengekauerten Frauen, das warnende Knacken seiner überdehnten Glieder mit Atem schöpfendem Ächzen kaschierend. "Wird schon wieder." Zwinkerte er nervös. Mira vergrub das Gesicht hinter den Händen. Mit jeder weiteren Versicherung fürchtete sie die Zukunft mehr. ~?~ Der Abend brach früh hinein. Verirrte Flocken trieben ziellos über den schwärzlichen Himmel, zu gering in ihrer Zahl, um zu bleiben, doch ausreichend vertreten, die Temperatur in die Minusgrade herunterzuschrauben und die Sicht zu beeinträchtigen. Die seifige Konsistenz der Straße mühelos meisternd steuerte Surprise das Wohnheim an, parkte den Wagen auf dem vereinsamten Areal vor dem Gebäude. "Ich bringe sie auf ihr Zimmer." Mira hielt ihre verstummte, jenseitige Freundin in einem energischen Klammergriff, bemühte sich um die gewohnte, stoische Haltung. "Wir begleiten dich." Entschied Surprise knapp, hakte sich in tänzerischer Anmut bei HaHa ein, der rudernd und sehr angestrengt den Boden sondierte, der seinen glatten Ledersohlen schlüpfriges Gelände bot. Gleichzeitig apportierte er als wohlerzogener Kavalier eine schmucklose Ledertasche, die einem exklusiven Reiseset anzugehören schien, somit fraglos Melody zugeordnet werden konnte. Die kleine Gruppe erreichte ohne Stürze die heiligen Hallen der Studierendenunterkunft, von einem in gemütlicher Wärme selbstzufrieden lächelnden Pförtner empfangen. Der offenbarte ihnen sogleich freudig, dass die Witterung den Sicherungskästen der Aufzüge zugesetzt hatte, sie sich außer Betrieb befanden. Zu erschöpft, die entsprechende Entgegnung ohne Prosa zu formulieren, kämpfte sich das Quartett in das Stockwerk, das Melodys Zimmer beherbergte. "Die Karte... Mel, wo hast du deine Karte?" Mira beließ es von der Eiseskälte erschüttert bei einer raschen Feldforschung. Sie beraubte HaHa seiner Last, fand im Gepäck das gewünschte Objekt, die Sicherheitskarte zum Türschloss. Sie brachte diese neuartige Errungenschaft der Universität zum Einsatz. Allein, die Dioden wollten partout nicht das erlösende Grün illuminieren. "Das gibt es doch nicht!!" Mit einer profunden Frustration studierte HaHa endlich das Objekt der Zurückweisung. Die Karte glänzte weiterhin unschuldig in der gedimmten Flurbeleuchtung. "Nimm sie mit zu dir!" Riet Surprise, duellierte das Silbergrau der Katzenaugen mit ihren mandelförmigen. "Es ist sinnlos, hier herumzustehen." Eine Botschaft, die Mira nicht zu dechiffrieren vermochte, schwang unterschwellig in den knappen Worten. Gewöhnlicherweise hätte sie sich trotzig jeder Aufforderung widersetzt, doch angesichts ihrer Lage hätte dies kindlichem Starrsinn entsprochen. "Okay." Seufzte sie, führte die kleine Gruppe zu einem weiteren Kraftakt, bis ihre eigene Unterkunft erreicht war. Diese Pforte schwang mühelos unter Abtasten des Kontrollstreifens der Karte nach innen, offenbarte ein farbenfroh und gemütlich eingerichtetes Reich. Artig deponierte HaHa die Reisetasche unweit der Zimmertür, tippelte unschlüssig im Schatten seiner geliebten Surprise, die in sanftem Nachdruck das Regiment führte. "Vielleicht solltet ihr eine heiße Dusche nehmen, euch erst mal auftauen. Wir verabschieden uns einstweilen. Wenn du möchtest, richte ich Mauro aus, dass wir sie gefunden haben?" Mira nickte matt. "Danke, Leute." Mit einem Tritt der Ferse beschleunigt rastete die Tür ein. Mira hielt auf ihr Bett zu, sackte mit der schweigenden Gefährtin in die nachgiebigen Textilschichten, federte leicht nach. "Mel, was ist bloß geschehen?!" Flüsterte sie tonlos, erwartete keine Antwort. ~?~ In der Dunkelheit streifte eine hochgewachsene Gestalt mit wuchtigem Schatten über das unwegsame Gelände, von einem wilden Lachen und triumphierendem Geheul begleitet. Ein tollkühner Gedanke hatte sich eingefunden. Er bedurfte nun sorgfältiger Planung. Und einem speziellen Organisationstalent! ~?~ HaHa studierte das Profil seiner über alles geliebten Freundin, seufzte lautlos. Ungeachtet seiner demonstrativen, verzweifelten Jovialität konnte er noch immer nicht glauben, dass dieses außergewöhnliche, zweifellos sogar einzigartige Geschöpf sein Leben teilte. Nicht nur von elfenhafter Schönheit, Grazie und Anmut, nein, auch Herz und Verstand, was man ihrem äußeren Erscheinungsbild trügerischer Weise absprechen mochte! Es gab nichts, was er ernsthaft zu bemängeln wusste. Das beunruhigte ihn. War er zu kompromissbereit, eine Eigenschaft, die seiner eigenen Biographie geschuldet war, oder übersah er den berühmten Elefanten im Zimmer? Surprise schenkte ihm ein verschmitztes Zwinkern, als habe sie seine Gedanken vernommen. Das wurde unwillkürlich von einem hingerissenen Gaffen seinerseits quittiert. Dieses Wesen war Katzenminze für einen Kater, Honig für den Bären, vierblättriger Klee für den Stier! Er stockte, feixte, streckte eine gewaltige Pranke aus, um sehr behutsam sich eng kräuselnde Löckchen in einem delikaten Nacken zu streicheln. "Wohin führst du uns, mein Engelchen?" Erkundigte er sich sanftmütig. Kleine, perlenartige Zähnchen blitzten hinter den verlockenden Lippen auf. "Ich dachte, wir besuchen deine Eltern, bringen den Wagen zurück." Plauderte sie leichthin, ein winziges Zungentippen in liebreizender Art ihren gewohnten Sprachduktus verzierend. HaHa richtete den Blick nach vorn, die Stirn kraus. "Sie sind nicht so." Versicherte er nachdrücklich, ungefragt. Zugegebenermaßen begegnete seine walkürenhafte und dominante Mutter Surprise mit einem gewissen Misstrauen, fürchtete sie doch mörderische Schwiegertöchter, die den geliebten, aber vertrauensseligen Sohn in das Unglück stürzen konnten, aber HaHa hegte die Zuversicht, dass sie seiner Wahl keine bemerkenswerten Widerstände entgegensetzen würden. Nicht, dass er gewählt hätte. Er war erwählt worden, ohne den Grund zu kennen. Er lächelte still, beugte seine mächtige Gestalt zu seiner zierlichen Begleiterin hinunter, hauchte einen Kuss auf ihre Wange. "Sie werden dich lieben." Versprach er mit belegter Stimme. Surprise neigte den Lockenkopf, schürte die vollen Lippen, wirbelte einen Tusch mit den langen Wimpern, die Katzenaugen funkelten. »Natürlich werden sie das, mein sanfter Recke. Oh ja.« ~?~ Mira löste sich widerstrebend von der Heimeligkeit ihrer Bettstatt, setzte sich auf. Mit einem betonten Schnalzen des Unmuts befreite sie sich von der Schürze, die ihre Arbeitskleidung darstellte, rieb energisch über die Kälte prickelnde Haut von Armen und Beinen. Eine Dusche stellte nicht nur eine vernünftige Option, sondern auch eine große Verlockung dar, der bedenkenlos nachgegeben werden konnte, da ihr Flurbereich durch die Ferienzeit regelrecht entvölkert war. "Melody." Sie unterdrückte Koseworte, die mütterlichem Gluckentrieb entstammten. "Wir sollten uns abbrausen, okay? Danach ziehen wir uns was Warmes über, sehen mal nach, was meine magere Vorratskammer zu bieten hat." Die Angesprochene ruhte reglos neben ihr, die Augen aufgeschlagen, blicklos zur Decke gerichtet, steif und starr, wie eine Marionette ohne Fäden. Um nicht erneut von erstickender Hilflosigkeit befallen zu werden, zwang sich Mira energisch auf die Beine. Sie wählte eilends flauschige Nachtwäsche aus, die auf den dezent glucksenden Heizkörpern platziert wurde. Anschließend unterzog sie ungefragt Melodys Reisetasche einer Inspektion, reihte entsprechende Widerparts neben die eigenen auf. Die Hände reibend unterdrückte sie ein lästiges Zittern, baute sich vor der Dahingestreckten auf, studierte Pose und Ausdruck eingehend. Die Königin des Campus und Zäheste aller Ambitionierten sah furchteinflößend aus in ihrem desolaten Zustand. Was auch immer sie nun beschloss zu tun, es schien nicht wahrscheinlich, dass es dem Unglück der blonden Sirene einen weiteren Teil hinzufügte. "Komm, Mel, die Dusche ruft!" Mit knappen, rauen Tonfall schob sie, sich hinunter beugend, einen Arm unter die knochigen Schultern, stellte die Freundin ebenfalls auf die Beine. Das wurde ihr erleichtert, da Melody in Automatismus die kalten Arme um ihren Nacken legte, sich artig der Führung unterordnete. Diese erste Hürde bewältigt verausgabte sich Mira erheblich, die textilen Hindernisse zu beseitigen, bis sie Melody in ein gewaltiges Badetuch gewickelt hatte, bereit, den kurzen Gang über den Flur zu anzutreten. Durch die Anstrengung erhitzt fiel es ihr nun weniger schwer, sich selbst zu entkleiden, gleichsam eine Toga um ihre steife Figur zu drapieren, die Freundin an der Hand zu fassen. "Na los, sagen wir den Schaben 'Hallo', richtig?" Munterte sie sich diszipliniert auf, dirigierte Melody auf den Gang, deponierte die Schlüsselkarte in ihrem Ausschnitt. Hastig den klammen Korridor überquert verschafften sie sich unter Einsatz des Codes Zutritt zum Vorraum, lagerten die Handtücher sorgsam in den vereinsamten Regalen, um der gekachelten Spur in die Gemeinschaftsdusche zu folgen. In schmeichelnden Lagunentönen gehalten bot der sanitäre Raum verchromte Mischbatterien und terrinenartige Duschköpfe sowie in die Wände eingelassene Ablageflächen für Körperpflegemittel. In eine solche Nische parkte Mira ihr handgemischtes Allround-Fläschchen, das sowohl Shampoo als auch Duschgel und Conditioner enthielt. Melody stand neben ihr wie ein verschüchtertes Kind, gesenkten Hauptes, die Arme schützend vor Brust und Unterleib gekreuzt. Wenn es nicht bereits erschütternd gewesen war, die Freundin in derart befremdlichen Zustand vor dem Café zu erblicken, so gab diese vollkommen uncharakteristische Haltung den Ausschlag, sämtliche Barrieren der Zuversicht niederzureißen. Mit zusammengepressten Lippen drehte Mira beidhändig, Tränen gewaltsam niederkämpfend, das Wasser auf. Sie tauchte in den ersten, stockenden, gurgelnden Schwall ein, wusste, ohne sich umkehren zu müssen, dass Melody noch immer unverändert wartete, eines eigenen Entschlusses nicht fähig, durch etwas Unerklärliches separiert. Mira drehte sich im klar schimmernden Tropfenregen, streckte Mira die Arme aus, zog die vertraut-fremde Gestalt an sich. Sie begann in hilfloser Zärtlichkeit den ausgekühlten Leib zu streicheln, mit jedem Kontakt wieder Leben in die erstarrte Hülle zu zaubern. Ihre Bemühungen endeten erst, als die Zeitschaltuhr nach einer dreiviertel Stunde den Warmwasserzustrom versiegen ließ. ~?~ Lizard tigerte unruhig hinter Aurelius auf und nieder, der sich in konzentrierter Selbstversunkenheit mit diversen chemischen Prozessen beschäftigte, die gewöhnlicherweise wenig mit der Präparation einer Mahlzeit gemein hatten. Nach Surprises bündigem Anruf wusste der sehnige Mann um Melodys Zustand, der besorgniserregend genug war. Ganz zu schweigen von dem Mangel an Information, der ausgerechnet HaHa, Surprise und Melody zu Verbündeten gemacht hatte. Seine Befürchtungen, diese Entwicklung mochte ungeahnte Kreise ziehen, auch Ioannes erfassen, expandierten mit jedem verstreichenden Augenblick. Er fühlte sich längst nicht mehr einem simplen Telefonat gewachsen, konnte ihn doch sein Temperament verraten. Wiederholt schnippte er die filzige Strähne aus den Bernsteinaugen, nagte an einer schmalen Unterlippe, ließ jeden Fingerknochen einzeln knackend in das Gelenk einrasten. In den sparsamen, ein wenig steif wirkenden Bewegungen, die Aurelius charakterisierten, schob der reserviert einen Umschlag über die Arbeitsplatte, wartete jedoch die Reaktion seines Gegenüber nicht ab, von seiner eigenen Tätigkeit absorbiert. Mit hochgezogenen Augenbrauen nahm Lizard den unbeschrifteten Umschlag entgegen, einen knappen Seitenblick auf den unterkühlten Mann riskierend, der der Älteste ihrer Art war. In einem Mysterium eingefroren, das nicht einmal Sax zu enthüllen befähigt schien. Seine Augen strahlten goldgelb, ein Jubelschrei entrang sich seiner Kehle. Für Sekundenbruchteile drohte sein Gefühlsüberschwang dem anderen Mann körperliche Dankesbekundung an, allein die kaleidoskopierenden Augen geboten unmissverständlich Distanz. "Aurelius... vielen Dank. Vielen herzlichen Dank!! Ich erstatte es, bestimmt!" Blitzartig kehrtmachend stürmte der junge Student davon, im ausgreifenden Lauf den Dufflecoat greifend, berührte kaum den Boden in seiner Erwartungsfreude. Der schwarzhaarige Mann mit dem eiskalten Teint lächelte minimal, die großen Augen glühten in Sterne berstendem Violett. Fürwahr, die Liebe verlieh Flügel. ~?~ Kapitel 2 - Vereinte Kräfte Mira seufzte laut, dehnte und streckte ihren Rücken katzenartig, von der Hitze der Dusche wohlig erwärmt. Sie hatte sich selbst einem ausrangierten Sweatshirt und Boxershorts anvertraut, die glühende Hitze des Heizkörpers einkalkulierend, sodass unterhalb der mehrschichtigen Bettdecken, die sie ausgebreitet hatte, ein kuscheliges Nest entstanden war. Melody hatte bereits den ihr zugewiesenen Platz eingenommen. Die nackten Beine eng an den Körper gezogen und von den Armen umklammert kauerte sie in einem seidigen Negligee am Kopfende von Miras Bett. "Hast du Hunger?" Erkundigte sich Mira wenig hoffnungsfroh, notierte das Trance-artige Kopfschütteln mit unterdrückter Bitterkeit. Es musste schlimm stehen, wenn ihre geliebte Sirene mit den Kornblumenaugen und den aufreizenden Kurven nicht mehr aß! Dass dieser Zustand kein vorübergehender war, konnte sie an dem äußeren Erscheinungsbild der Freundin ermessen, den hervorstehenden Knochen, der gespannten, trockenen Haut, den strähnigen Haaren und der ungesunden Blässe. Sie räumte dieses Schlachtfeld zunächst, kroch unter die Decken, streckte sich seitlich aus. Einen Ellenbogen aufstützend studierte sie im anheimelnden, goldenen Schimmer diverser Lampen die Frau an ihrer Seite, eingehend und unverwandt. Vor einigen Monaten noch hätte sich zweifellos ein intimer Wettkampf entzündet, da die Melody, die sie kannte und heillos liebte, keine Gelegenheit ausließ, ihre starke Persönlichkeit unter Beweis zu stellen. Der Schatten, der nun in ihrem Bett Asyl gesucht hatte, wich jedem Blickkontakt aus, starrte in stumpfer Geistesabsenz auf knochige Kniescheiben. "Mel." Mira streckte die freie Hand aus, ließ die Fingerspitzen herausfordernd über die nackten Beine streifen, ignorierte jedes Zittern mit energischer Selbstbeherrschung. "Ich habe nicht die Absicht, dich auszuhorchen, aber ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn du mir erzählst, was geschehen ist." Die gesetzte Haltung ihrer Worte erstaunte sie selbst, stand sie doch innerlich nur unweit vor einer flehentlichen, schlimmer noch, tränenreichen Bitte, endlich dieser Ungewissheit ein Ende zu bereiten und eine Möglichkeit der Hilfe aufzuzeigen. »Sag was!« Forderten ihre Finger, die beharrlich über die kalten Hände strichen, den abgesplitterten Nagellack und die raue Haut ertasteten. Ihre Geduld wurde belohnt, als Melody die Glieder aus der Umklammerung entließ, sich neben ihr ausstreckte, noch immer jeglichen Körperkontakt mied. Sie richtete den Blick auf die Zimmerdecke, während die Arme stocksteif neben dem Leib ruhten. Mira wählte die Initiative, rechtfertigte die eigene Grausamkeit mit der Sorge um das Wohlergehen der Freundin, rückte hautnah heran. Den Kopf noch immer auf stützend wanderte ihre freie Hand über den seidig glatten Stoff des Negligees. Ihre Fingerspitzen zeichneten den Haaransatz nach, drehten ausgeleierten Löckchen neue Spannung ein. Ihre Anthrazit-Augen wanderten ruhig über jede Facette der Frau an ihrer Seite, in Intensität nicht zu übertreffend, intimer als jede tatsächliche Berührung. Melody war schön. Selbst in ihrem gegenwärtigen Zustand, abgemagert und von Unglück gezeichnet, konnte man ihren unbezwingbaren Charme, ihre Ausstrahlung spüren. Es schimmerte durch die blonden, gewöhnlich weichen Strähnen, die rosige, sanft gebräunte Haut, verbarg sich in der anmutigen Linie der Wangenknochen, dem energischen Kinn, ihre geschwungenen Lippen, voll und lockend, der klassisch geformte Nase und den großen, dicht bewimperten Augen, die den Himmel greifbar machten. Mira schmolz dahin mit jedem verstreichenden Augenblick. Sie wusste, dass ihr Gesicht vermutlich den geistlosen Ausdruck rettungslosen Verliebtseins trug, anbetend und hingerissen zugleich, doch sie konnte sich dieser Emotionen nicht erwehren. Als ihr Blick, zögerlich, unwillig, von dem anziehenden Kontrast zwischen warmer Hautfarbe und Stoff in feuriger Glut zurückkehrte, fing sie Melodys wachen Bannstrahl auf, der sich wie eine Leuchtspur über sie legte. "Willst du wirklich hören, was passiert ist?" Brach sich kehlig, ausgetrocknet die sonst so laszive Stimme, rieb eine Zunge reibeisenrau über die vernachlässigten Lippen. Ein Schauer huschte geduckt in eisiger Kälte über Miras Rücken hinab. Sie zwang sich, den Blickkontakt nicht abreißen zu lassen, ungeachtet der Unheil verkündenden Warnung. Doch wem half Leugnen?! Es war offenkundig, dass sie nicht von ihrer sirenenhaften Freundin lassen konnte, unkontrollierbare Gefühle Stolz und Vernunft überrannten, sie zu verzeihen bereit war. "Erzähl es mir." Gab sie ohne Bitterkeit oder Ironie zurück, beobachtete angespannt, wie sich Melody aufsetzte, das Negligee raffte, um die entblößten Beine leichter an den Leib ziehen zu können. Die Kornblumenaugen wechselten die Nuance, ein kaltes Babyblau aufblendend, das ignoranten oder arglosen Gemütern den Eindruck vermittelte, die blonde Versuchung entspräche in intellektueller Hinsicht dem populären Vorurteil. Allein die straffe Haltung, der unbedingte Wille und die Disziplin, mit der Melody sich nun dem Richtspruch stellte, verrieten die Maskerade. "Ich werde von vorne beginnen." Eine hochgezogene Augenbraue sprühte die gallige Ironie. "Da, wo das Ende seinen Anfang nahm." Mira wickelte sich enger in die Deckenschicht, konzentrierte sich auf die Rolle des passiven Auditoriums, was ihr, wie sie befürchtete, keine leichte Aufgabe werden würde, da sie unter der Enttäuschung ihrer Hoffnungen noch immer litt. Eine knappe Geste bannte unbotmäßige Locken. Melody eröffnete den Report über die Ereignisse. "Nach den Ferien wollte ich mich, wie du dich sicherlich entsinnst eingedenk des Auftritts auf dem Fest stärker auf mein Studium konzentrieren, in der festen Überzeugung, dass ich nun zum Paria geworden war." Melody repetierte in dem scharfen, präzisen Tonfall, der ihrer Arbeitsweise entsprach, wenn sie die lästigen Honneurs verabschiedet hatte. "Unerwarteterweise schienen einige Personen dennoch der Meinung zu sein, dass meine Kenntnisse und mein Engagement weiterhin von Nutzen sein konnten. Sie ersuchten mich zu partizipieren, was ich auch tat. Mit der Zeit setzte sich der Eindruck durch, dass ich damals lediglich eine Provokation als Antwort auf Karolys ehrloses Betragen inszeniert hatte. Dass man nun dies aus der Distanz als einen gelungenen Scherz betrachtete." Mira schluckte. Ihr war nicht nach Scherzen. Sie hatte es stets ernsthaft gemeint und danach gehandelt. Was die knappe Darstellung der öffentlichen Ansichten nun schmerzhaft in Frage stellte. "Ich enthielt mich derartiger Debatten, brandmarkte sie als müßig, überging jeden Kommentar diesbezüglich." Ein bitteres Lächeln zuckte über die vollen Lippen. "Du siehst, ich war feige." Die Augen auf die entfernte Wand richtend fuhr Melody fort, ohne Ausflüchte oder Rechtfertigungen. "Je mehr Arbeit ich investierte, umso attraktiver wurde ich für andere. Man lud mich ein, weitere Projekte voranzutreiben, auf Symposien zu sprechen, Abhandlungen zu verfassen, Veranstaltungen zu organisieren." Ein versonnenes Lächeln wärmte ihre kontrollierten Züge, glomm in den blauen Augen. "Es ist ein Spiel, eine Jonglage, ein Karussell. Je mehr man sich vornimmt, umso schneller wirbelt alles. Es kommt immer noch was dazu. Aber man schafft es, ein Pensum, unter dem andere zusammenbrechen. Man erkennt Verbindungen, zieht Parallelen." Melody wandte sich Mira zu, ihr träumerisches, losgelöstes Timbre wie eine prickelnde, heiß-kalte Vibration. "Ein Rausch. Eine Droge. Eine Sucht." Sie bleckte in humorloser Grimasse die Zähne. "Es potenziert sich. Die Anerkennung, die vielen Menschen, die einem zujubeln, die gefeierten Erfolge. Der Boden ist plötzlich sehr weit weg. Man glaubt, man könne ewig so fliegen, weil man diesen Run hat, eine absurde Glückssträhne, die entgegen jeder Wahrscheinlichkeit einfach nicht abreißen will." In den Mandelaugen dunkelte Quecksilber zu Graphit, ein Widerstreit zwischen Mitgefühl und verletztem Zorn. "Ja." Wisperte Melody leise, ohne Verteidigungshaltung. "Ich habe es genossen, ich wollte mich hochleben lassen, weil es so wunderbar lief. Alles war gut." Ihre Stimme troff von Sarkasmus. Sie kreiselte die Schultern aus, schüttelte eine Anspannung ab, die sich unbemerkt eingenistet hatte. "Natürlich ging es nicht so weiter." Kehrte sie sachlich zu ihrer lakonischen Erzählweise zurück. "Kurz vor Weihnachten, als so ziemlich jede Aufgabe, die ich mir gestellt hatte oder andere mir stellten, erledigt war, war ich es auch. Ich dachte mir, ich fahre wie all die anderen zu den Feiertagen nach Hause." Sie knirschte mit den Zähnen, die Augenbrauen kriegerisch zusammengezogen. "Kehre in den liebenden Schoß meiner Familie zurück und erhole mich." Ein Schnauben kommentierte diese vorgeblich einfältige Idee. "Der Höflichkeit zu Gebote hatte ich meinen verehrten Eltern avisiert, dass ich ohne Begleitung eintreffen würde. Das führte kurzsichtiger Weise dazu, dass man mir eilends einen Verehrer offerierte. Ich traf am Weihnachtsabend ein, froh, der üblichen Geschenkeumverteil-Orgie im Rahmen der Studierendenschaft entronnen zu sein und fand einen herausgeputzten Kerl vor dem heimischen Kamin, in trauter Unterhaltung mit meinem Vater." Mira verbarg die Augen hinter den beperlten Zopfsträngen, erlegte sich Zurückhaltung auf. Melodys Verachtung für das saisonale Austauschen kleiner Geschenke war ihr bis dato unbekannt gewesen, hatte sich die Gefährtin doch bis zu dieser Offenbarung in öffentlicher Aufmerksamkeit immer wieder wirkungsvoll traditionell in Szene gesetzt. Alles nur eine Scharade? Unterdessen setzte Melody ihren Bericht fort. "Der Sohn eines Bekannten, reich, gut erzogen, willig, lenkbar, optisch stromlinienförmig aufgeputzt und gewohnt, stumm zu lauschen, wenn er nicht gerade wie aufgezogen die indoktrinierten Weisheiten seines Altvorderen zu Gehör brachte. Der perfekte Schwiegersohn." Überlange Fingernägel bohrten sich in Oberarme, pressten die angezogenen Beine noch enger an den Leib. "Ich war müde, gleichgültig und wollte keine Gesellschaft." Sie warf Mira einen Blick voll Selbstekel zu. "Ganz so, wie ein egoistisches Miststück sich eben verhält. Der Goldjunge war bereits vorbereitet, belagerte mich den ganzen Abend mit seinen öden Aufzählungen von Dingen, die mein Vater als besonders wertvoll für eine gute Partnerschaft erachtete. Der Junge hatte, soweit ich mich entsinne, keinen einzigen eigenen Gedanken." Sie zog eine Grimasse. "Allerdings könnte ich das nicht beschwören, da ich mich systematisch und in voller Absicht betrunken habe." Ein Blick streifte Mira, sondierte, welche Reaktion sie bot. "Für eine Weile ist es ja auch DIE Lösung, so schön warm, so leicht, gedankenfrei, entspannt. Erst der Morgen, beziehungsweise Mittag danach stellt ein unangenehmes Manko dar." Ungeachtet der spöttischen Miene und des aufgezwungenen Grinsens wirkte Melody nun verzweifelter, vereinsamter. "Ich erwachte also, mit dem dringenden Bedürfnis, eine große Anzahl Produkte der pharmazeutischen Industrie herunterzuwürgen und meinen Schädel gegen eine Wand zu schlagen. Allerdings fand ich mich, vollkommen nackt, neben dem Goldjungen wieder, der ebenfalls wenig bis gar nichts trug. Nachdem ich mich halbwegs ertränkt und etwas übergezogen hatte, erwachte zu meiner größten Verärgerung der Knabe, hing mir seinen aromatischen Atem in das Gesicht, um mich darüber zu informieren, dass ich der beste Fick seines Lebens gewesen sei und das gleich dreimal, was man einen Hattrick nennen könnte." Melodys Gesicht schwanke nun zwischen indignierter Komik und abgründigem Entsetzen, das sie hinter lakonischen Worten zu verstecken suchte. "Glücklicherweise konnte ich mich nicht erinnern." Sie holte tief Luft. "Ich riet dem verfluchten, notgeilen Scheißkerl, entschuldige, meine Liebe, er solle seine Gliedmaßen besser bei sich behalten, sonst könne er sich nach orthopädischem Ersatz erkundigen." Ein knappes, humorloses Lächeln flatterte über ihre Lippen. Mira lag stocksteif, ungläubig und mit wachsender Bestürzung an der Seite ihrer Freundin, die mit angestrengt distanzierter Sachlichkeit in mokierender Wortwahl ihr Schicksal schilderte. "Ich war bemüht, mich den Semesterarbeiten zu widmen und dankbar, dass meine Eltern sich des lästigen..." Sie unterdrückte zähneknirschend eine nähere Ausführung. "...annahmen, um dann zu erfahren, dass der herzallerliebste Junge mit uns auf die Seychellen und Skifahren würde, sprich, die gesamte Tournee. Als Schwiegersohn in spe." Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. "Hinter meiner Arbeit gut verschanzt absolvierte ich die gewohnten Aufwartungen im Bekanntenkreis, hatte diese 'Person' stets im Schlepptau, mich begrapschend und sich unentwegt einmischend." Sie atmete tief durch, die Kornblumenaugen in stürmischer Dunkelheit. "Das wäre noch zu tolerieren gewesen, doch dann entblödete sich diese Schmeißfliege nicht, meine Arbeit zu verniedlichen, sich meine Meriten anzustecken. Alles für sein 'liebes Frauchen'!" Fauchte sie Gift und Verderben. "Ich sagte meine Teilnahme an der Familientournee mit Hinweis auf ausstehende Arbeiten und Verpflichtungen ab. Daraufhin zitierten meine Eltern mich herbei und machten mir unmissverständlich klar, dass sie den perfekten Schwiegersohn gefunden hätten. Dass ich in Kürze sicherlich mein Studium vernachlässigen würde, wenn ich mich um unsere Hochzeit und die Geburt des ersten Kindes zu kümmern hätte." Das Schweigen, das die letzte, hitzig hervorgestoßene Äußerung hervorrief, währte lange Herzschläge, unter angehaltenem Atem. Melody senkte das Kinn auf die Knie, kauerte sich zu einem kompakten Paket zusammen, bar jeder kühlen Betrachtung. "Ich habe keine Ahnung, wie es mir gelungen ist, sie zu überzeugen, mich hierher abreisen zu lassen, damit ich meine Arbeiten erledigen konnte, einen Tag nach Silvester. Ich habe nur noch recherchiert, geschrieben und Aufgaben erfüllt, als stünde mein letztes Stündlein bevor." Sie lächelte fahl, ein wenig tadelnd, über derart naive Anwandlungen. "Die Abschlussarbeiten wollte ich unbedingt abgeben. Sie sollten perfekt sein, für sehr gute Noten sorgen. Ich musste beweisen, dass ich alles, was ich mir vorgenommen habe, erreichen konnte: die Beste von allen sein." Auf ihre Zehen starrend verharrte sie in rhetorischer Pause, wippte auf der nachgiebigen Matratze leicht, tröstend. "Als sich alle lautstark in die Semesterferien verabschiedeten und ich eigentlich auf dem Weg nach St. Moritz sein sollte, ging ich zu meinem Arzt und holte mir die Bestätigung, dass ich tatsächlich schwanger von dem Goldjungen war." Sie lächelte unter Tränen, das Schicksal in seiner profunden Infernalität anklagend. Langsam, die Glieder von einer Taubheit befreiend, kämpfte sich Mira in eine aufrechte Position, die Arme zwanghaft durchgestreckt als Stütze auf die Matratze gestemmt, die Knie unter ihren Leib ziehend. Melodys Blick wich ihrem fassungslosen aus, konzentrierte sich auf das nunmehr verdrehte Laken. "Ich habe gewartet, bis gegen Nachmittag kaum noch jemand im Haus war. Ich bin in die Bibliothek gegangen, habe über das Internet eine Abtreibungsklinik gesucht. Ich habe mich angemeldet, das Geld überwiesen, eine Fahrkarte gekauft, meine Sachen gepackt und auf den nächsten Morgen gewartet." Mit jedem Wort verlor sich die heisere, bange Stimme in leiserem Flüstern, bis sie kaum noch verständlich die von Trockenheit gezeichneten Lippen verließ. Melody räusperte sich. "Als sie fertig waren, wollte ich die Rückfahrt buchen, aber meine Karten waren bereits gesperrt. Ich hatte nicht mehr genug Geld, um wieder hierher zu kommen. Ich rief bei Lizard an, weil ich wusste, dass er nicht verreist sein würde. Aber die Freundin von HaHa, Surprise, nahm das Gespräch entgegen. Als ich ihr schilderte, was für ein Problem ich hatte, versprach sie mir, mich abzuholen." Mit einem forcierten Grinsen wedelte sie ungelenkig in der Luft, streifte unabsichtlich die Decke von ihren Schultern. "Das erklärt wohl auch, warum die Karte bei meiner Tür nicht mehr funktioniert." Mira starrte stumm, reglos. "Und, wie waren deine Ferien bis jetzt?" Erkundigte sich Melody, in betontem Plauderton, beiläufig, zu hastig. "Ach, du hast wohl recht, muss ich eingestehen, dass ich leider dazu neige, deine Gesellschaft zu suchen, wenn ich in Schwierigkeiten..." "Hör auf." Melody blinzelte, glättete manieriert die Seide des Negligees. "Ich verstehe nicht?" Zwitscherte sie. "HÖR AUF!" Miras Mandelaugen glommen in schmutzigem Blei, ihre Kehle war heiser und zugeschnürt, in mühsamer Beherrschung. "Ich..." Weiter kam Melody nicht, als eine flache Hand sie blitzartig und hart im Gesicht traf. Im Reflex glitt ihre eigene auf malträtierte Wange. Ihre Lider flatterten im Unglauben, als Mira auf sie zukroch, die Zähne ineinander verkeilt, von einer archetypischen Wut besessen. Finger krallten sich in ihre nackten Oberarme, Mira schüttelte sie, mit stetig wachsender Vehemenz, bis Melodys Zähne hart aufeinander schlugen, ihre Sicht sich trübte. Nur vage verstand sie die Vorwürfe, die im Stakkato hervorgestoßen wurden. "Hör endlich auf damit, verdammt!! Ich hab genug von dieser Scheiße, ich will nichts mehr hören!! Wieso kannst du nicht einmal ehrlich sein?!" Melody gab nach, sackte der Länge nach hin, um nun gegen die Matratze geschleudert zu werden, mit einer schier unerschöpflichen Energie, von gutturalen Lauten der Verzweiflung und Wut begleitet. "Es-reicht-jetzt-ich- habe- genug- und-ich-hasse-dich- hasse- dich-hörst-du-ich- HASSE-DICH!!" Das Auf- und Niederschmettern endete abrupt, von heftigen Schluchzern eingeleitet. Mira kauerte über ihren Hüften, die Fäuste geballt. "Ist okay." Melodys Fingerspitzen strichen scheu über einen nackten Oberschenkel, wurden davon gefegt. Die Mandelaugen glommen Anthrazit. "Okay?! Es ist OKAY?! Du blöde Kuh!" Melody zuckte, als beide Fäuste an ihrem Kopf vorbeisausten, sich in die ausgebreiteten Locken bohrten. "Nichts ist okay, überhaupt nichts!" Ein Handrücken wischte trotzig Tränen von den Augen, die Nase schniefte energisch. "Du lässt dich von irgendeinem Mistkerl schwängern, nachdem du mich wortlos hängen gelassen hast und entscheidest mal eben, eine Abtreibung durchzuziehen?! Rufst dann ausgerechnet nach Lizard, den du nicht ausstehen kannst?! Du erzählst Surprise, die du nicht mal angucken würdest, weil SIE ein ER ist, von der ganzen Sache und bittest sie um Hilfe?!" Mira beugte sich bedrohlich herab, zornfunkelnd und zutiefst verletzt. "Was, bitte schön, Liebste, "ist daran OKAY?!" Sie spie die Worte förmlich aus. Ungerührt von dem Zittern, das Melody befiel, ihren ineinander verkrallten Fingern, richtete sich Mira auf, kalt, zwangsweise beherrscht, kämmte Zöpfe aus ihrem Gesicht. "Du hast mir wirklich schon oft sehr wehgetan, Melody, aber die Tatsache, dass du selbst diesen Leuten mehr vertraut hast als mir..." Sie wandte den Kopf, presste die Lippen zusammen, schluckte hart. Sehr leise drang Melodys Stimme an ihr umwölktes Bewusstsein, bahnte sich einen Weg durch die lähmende Enttäuschung und Trauer. "Nichts davon war geplant, gar nichts. Ich wollte es allein schaffen, niemand sollte davon wissen. Aber es hat nicht geklappt." Ein ersticktes Aufschluchzen entrang sich Melody. "Dieses Mal wollte ich es wirklich richtig machen, ich allein, ohne irgend einen Kerl, ohne Randgruppen-Bonus!" Miras Aufmerksamkeit fokussierte sich wieder auf die Freundin. "...Was?" Die Kornblumenaugen glitzerten in Tränen und Wut. "Du hast schon verstanden! Ich wollte nicht die Vorzeige-Lesbe sein oder die konservative Feministin, oder sonst etwas! Ich will nicht danach definiert werden, mit wem ich ins Bett gehe, ich will für alle Themen kompetent sein!" "Mit mir wärst du das nicht, richtig?" Bemerkte Mira langsam, rhetorisch. Melody wandte den Kopf zur Seite, presste einen Handrücken auf ihre wunden Lippen. "Ich bin nicht so wie du." Wisperte sie endlich, mit schmerzender Kehle. "Ich will nicht ausgegrenzt werden. Ich will mitten im Geschehen sein, ich will die Richtung vorgeben, viele Dinge verändern." Sie sah Mira nun wieder direkt in die Augen. "Ich habe keine Stimme, wenn ich nicht kompatibel bin. Niemand wird mich anhören oder teilhaben lassen. Ich kann mich nicht einfach festlegen, das geht nicht." "Ha!" Mira lachte auf, knapp, verbittert. "So ist das also! Wenn es aber ein Kerl gewesen wäre, hättest du dich festgelegt, oder nicht?" Sie fing Melodys Handgelenke ein, rammte sie neben den Lockenschopf in die Matratze, studierte die Freundin. "Warum hast du es trotzdem verpatzt?" ~?~ Melody zog scharf die Luft ein. Für Augenblicke hatte sie sich zuversichtlich gefühlt, in Aggression umgewandelt, was säurebitter in ihrer Kehle staute, doch Miras ruhige Replik raubte ihr die Basis für das Kartenhaus, das sie tarnend aufgebaut hatte. Unmöglich, in die quecksilberfarbenen Mandelaugen zu sehen, das Leid in dem vertrauten Gesicht zu lesen. "Na los, sag's mir!" Perlen streiften ihre Wange, warmer Atem wirbelte in ihren Locken, Miras Schatten hüllte sie schützend ein. Melody rang mit sich, nagte an ihrer Unterlippe, wand sich unruhig unter Mira, die noch immer über ihr kniete, sie auf der Matratze fixierte. Sie atmete tief durch, konzentrierte sich einmal mehr, beherrscht und willensstark. Melody nahm wieder Kontakt mit dem inquisitorischen Blick auf, der abwartend und laserscharf eine Antwort einforderte. "Ich habe es nicht verpatzt, jedenfalls nicht nach meinen Vorstellungen." Begann sie, um sachliche Distanz bemüht. "Ich wollte den Kerl niemals heiraten! Ich wollte ganz sicher kein Kind von ihm oder gerade jetzt! Ich will niemals das Anhängsel für irgendeinen Idioten geben. Ich weiß, dass ich früher gedacht habe, es sei der einfachste, weil direkte, traditionelle Weg, aber durch deine Freundschaft habe ich begriffen, dass ich es auch alleine schaffe." Ein Lächeln wärmte ihre Züge kurzzeitig, brach an Miras unbewegter Front. "Willst du wissen, warum ich dich nicht angerufen habe?" Sie knirschte mit den Zähnen, nahm die schwierigste Hürde in Angriff. "Ich habe mich geschämt. Ich wollte nicht, dass du von dieser Sache erfährst. Ich wollte es geheim halten." Mira schnaubte. "Danke, das tut wirklich gut." Melody fauchte zurück. "Was willst du denn hören, verdammt?!" "Was ich hören will?! Darum geht's nicht! Ich will, dass du, verdammt noch mal, endlich aussprichst, was wirklich mit dir los ist! Ich will, dass du heulst und um dich schlägst, wenn es sein muss, aber mir nicht diesen kalten Mist auftischst!!" "Welchen Sinn hätte das, hmmm?! Vielleicht habe ich keine Lust, so ein Spektakel aus mir zu machen!" Schnappte Melody wütend. "Nein, du sperrst ja lieber alles Persönliche aus! Wunderst dich, warum du deine Erfolge allein feierst, wenn du mal einen Augenblick Muße hast!" Gab Mira in kalkulierter Grausamkeit zur Antwort. Melody blinzelte, überrumpelt und zu ihrem Entsetzen getroffen. Was den Quecksilberaugen nicht entging. "Ich kenne dich besser, als du glaubst." Ein melancholisches Lächeln zuckerte Miras Lippen. Melody senkte den Blick auf das Logo des Sweatshirts, ballte die Fäuste in Miras Zugriff. "Was hätte ich tun sollen?" Wisperte sie rhetorisch, von einem unkontrollierten Zittern befallen. "Du hast doch meine Abwesenheit nur akzeptiert, weil du wusstest, dass ich dich nicht betrüge. Wie sollte ich das erklären? Wie sollte ich dir sagen, dass wir nicht miteinander schlafen können, weil ich auf die Testergebnisse warten muss, ob der Scheißkerl mir irgendein Souvenir angehängt hat? Oder dass ich schwanger bin?" Ihre Kornblumenaugen schwammen kristallklar, fingen Miras Augen ein. "Du bist die Einzige, die mich geliebt und nicht gevögelt hat. Das wollte ich nicht verlieren." Nun rannen die Tränen, die Mira heraufbeschworen hatte, frei über die eingefallenen Wangen, brach sich die Verzweiflung und Unsicherheit ihre Bahn. So sanft es ihr möglich war, ließ sich Mira auf Melodys unter der Gewalt ihres Kummers erschütterten Leib hinab, leckte die salzigen Spuren auf, während sich Finger schmerzhaft in ihren Rücken bohrten. "Ich liebe dich immer noch." Raunte sie leise in die blonde Mähne, bot den Halt, den die Freundin benötigte. ~?~ Daddy said that I'm a good boy Caus I always did his will But I can't remember, was it me - how did I feel I call'em family, but in the heart of hearts I know There's something wrong with me, what can I do? Mother said that I'm a good girl I was always dressed to kill But I can't remember, was it me - how did I feel Now this is long ago But Today I'm really sure I don't wanna crawl no more No I don't want to I want to be all alone (to be all alone) (leave me all alone) (I'm so lonely) Sometimes I don't know what I prefer to be That's all that I can see So I burnt down the house of hate The key to close the door What a nice September I found out it's not too late It happened yesterday But today I'm really sure I don't wanna crawl no more No I don't want to Sometimes by And One ~?~ Mira erwachte, die verklebten Augen reflexartig reibend, mit dem beunruhigenden Gefühl, dass ihre Aufmerksamkeit sofort in Gang zu springen hatte, wollte sie nicht etwas Bedeutsames verpassen. Sich umsehend entdeckte sie Melody, die ziellos in der Reisetasche kramte, noch immer in das Negligee und damit unzureichend angesichts der Kälte gehüllt. "Willst du gehen?" Erkundigte sie sich matt, unwillkürlich die Beine anziehend. Melody strich verirrte Locken hinter die Ohren, straffte sich, weiterhin abgewandt. "Ich muss wohl, Showdown im Schoße der Familie." "Ich werde dich begleiten." Bot sich Mira sofort an. "Nein." Melody kehrte zurück, ließ die Reisetasche in unsortiertem Zustand desertiert, kroch unter die wärmende Decke, raffte das Negligee. "Du musst heute arbeiten, schon vergessen? Es reicht, dass ich dir gestern eine Szene gemacht habe." Ein säuerliches Grimassieren verunzierte die attraktiven Züge. "Du musst nicht alles allein durchstehen!" Mira wollte sich nicht von Vernunftserwägungen schlagen lassen, studierte eindringlich die Kornblumenaugen. "Hab ich auch nicht vor." Melody pflückte einen Zopf aus Miras Wimpern, ließ ihn um den Finger kreiseln. "Ich werde Lizard fragen, ob er mich fährt." Augenbrauen wanderten in die Höhe, von Argwohn beflügelt. "Du kannst ihn wohl doch leiden?" Die gefallene Königin des Campus schmunzelte. "So ungern ich das zugebe, aber er kümmert sich wirklich um Ioannes. Das zählt." Mira seufzte theatralisch, um sich über die Bettkante sinken zu lassen, unterhalb des Gestells auf Suche zu gehen. Im Auftauchen barg sie eine lackierte Schachtel, drückte sie unzeremoniell in Melodys Hände. "Da. Ich weiß, du magst keine Weihnachtsgeschenke, aber nun ist es eben eins zum Valentinstag." Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust, um jegliche Rückgabe zu sabotieren. Von Neugier ergriffen öffnete Melody die Schatulle, entnahm ihrem Inneren eine mehrgliedrige Kette, diverse Perlen in der Farbe ihrer Augen auf einen speziellen Kunststofffaden gezogen, der auf der Haut durchscheinend seine Existenz verleugnete. Die geöffneten Enden vertraute sie Miras Fingern an, rutschte auf den Knien herum, bis die ihr das Gebinde um den Hals legen konnte, den Verschluss siegelte. "Vielen Dank." Ein scheuer Kuss landete auf Miras Wange. Die Wärme aus Melodys Stimme verlor sich, wich der kühlen Lakonie. "Ich kann dein Geschenk leider nicht vorweisen." Affektiertes Gebaren untermalte die bittere Pose. "Eigentlich wollte ich ja mein Seychellen-Ticket veräußern, um uns einen kurzen Ferientrip zu finanzieren, doch unglücklicherweise musste ich den Erlös anderweitig einsetzen." "Möchtest du darüber sprechen?" Bot Mira, nach einer Sammlungspause, an, verbarg jedoch ihre Erleichterung nicht, als Melody wortlos Ablehnung signalisierte. "Wie geht es weiter?" Erkundigte sie sich besorgt. Die Freundin zuckte mit den Schultern, eine Geste, die nicht über ihre profunde Verunsicherung hinwegtäuschen konnte. "Ich weiß es nicht. Vermutlich muss ich nun herausfinden, wie weit ich ohne Kerl und ohne Beziehungen komme, nur mit meiner gloriosen Persönlichkeit." Verspottete sie sich selbst. "Versprich mir, dass du zu mir zurückkommen wirst, ganz gleich, was passiert. Vertrau auf mich." Mira näherte sich an, befreite das geliebte Antlitz von invahierenden Locken, liebkoste die warme Haut. So verführerisch es schien, mit einer saloppen Bemerkung den absichtsvollen Ernst in Miras Worten zu demontieren: Melody entsagte. Eindringlich betrachtete sie ihre Freundin, prägte sich jede Nuance ihres Erscheinungsbildes ein, die liebevolle Nachsicht mit ihren Schwächen, die Entschlossenheit, ihrem Herzen zu folgen, ihre Offenheit. "Ich komme zurück." Erfüllte sie die Erwartung feierlich. "So, wie ich dich gestern unbedingt sehen musste." Weil sie ebenso mit dem Herzen entschieden hatte, trotz aller Zweifel und Gewissenspein. ~?~ Aurelius warf einen kryptischen Blick auf das Display, auf einen aktiven Monitor und entschied, das Telefonat entgegenzunehmen. "Ja, bitte?" Meldete er sich knapp, höflich. Eine ihm unbekannte Frauenstimme, in gleicher Zurückhaltung, die nach Lizard fragte. Der schlanke, in reinem Weiß gekleidete Mann lauschte aufmerksam, die großen Augen in Tiefseegrün getaucht. "Bedauerlicherweise ist er abgereist, doch wenn Sie gestatten, werde ich an seiner Statt Ihnen Beistand leisten." Ein minimales Lächeln formte seine Lippen, als er in der Gesprächspause die nonverbalen Erwägungen am anderen Ende der Verbindung abwartete. Schließlich fand seine Offerte Zustimmung. Den Hörer sehr sanft auflegend studierte er diverse Aufzeichnungen. »Welch unerwartet glückliche Fügung.« ~?~ "Er ist nicht da?" Suchte Mira die Bestätigung des Vermuteten, studierte die konzentrierten Züge der Freundin. "Nein. Vermutlich ist er abgereist, um Ioannes beizustehen." Ein verschwörerisches Zwinkern erhellte Melodys Gesicht. "Mit wem hast du dann gesprochen?" Mira nagte auf einem Zopf, Anzeichen gewisser Nervosität. "Ich denke, dass es der Mann war, den Lizard Aurelius nennt." Gab ihre Bettgenossin langsam zurück. "Ich glaube, ich habe ihn einmal gesehen, sehr schlank, sehr blass, schwarze Haare, sehr mysteriöse Augen." Mit einer Grimasse wischte sie Besorgnis und Zweifel weg. "Egal, es ist gesagt und wird getan." "Apropos tun!" Brachte sich Mira in die Konversation ein. "Wie denkst du über Frühstück? Ich für meinen Teil habe Hunger." "Ist die Mensa nicht geschlossen?" Melody entzog den Zopf den Zähnen, drapierte ihn hinter Miras Ohr. Mit einem breiten Grinsen tauchte die erneut unter ihrem Bett ab, tauchte mit einigen Nahrungsmitteln aus der Versenkung auf. "Ich habe allerdings nicht besonders viel: Brownies, Haferkekse, Streichschokolade, Erdnussbutter, Honig und eine Flasche Kinderpunsch." Melodys malerische Augenbrauen näherten sich der Stirn an. "Kinderpunsch?" Echote sie fragend. Ein Schulterzucken war ihr Antwort, da das Etikett selbsterklärend von silvestrigen Wünschen kündete. Die Parade des verfügbaren Angebots beiseite wischend überwand Melody den Abstand zwischen ihnen, legte die Hände sanft um Miras Gesicht, hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. "Es tut mir wirklich sehr leid." Wisperte sie ernst, bevor Mira sie eng an sich zog, sich nach hinten fallen ließ. "Du hast mir gefehlt." Würgte die erstickt hervor, die Mandelaugen von quecksilbrigen Tränen überquellend. "Ich mache es wieder gut, ich verspreche es." Linderte Melody den Liebesschmerz, setzte sich auf, streifte den feuerroten Stoff von ihrem Leib, bevor sie sich in Miras Arme begab. ~?~ Ioannes stöhnte leise auf, als ihn ein weiterer achtloser Rippenstoß traf. Er hastete, soweit es ihm möglich war, aus der festgestampften Spur der Emsigen, die den Sessellift verließen, um schnurstracks die Skier in die Bindungen einrasten zu lassen und sich schwungvoll dem Tal entgegen zu stürzen. Die eigenen Skier entglitten seinen tauben Armen, fielen in den pulvrigen Schnee, der in der kalten Wintersonne verführerisch glitzerte, in trügerischem Lockruf an ein wohliges, daunenweiches Bett gemahnte. Er stützte sich schwer auf die eingerammten Skistöcke, schlug die behandschuhten Hände mehrfach aneinander, doch es gab eine Kälte, die der dickste Stoff nicht zu vertreiben vermochte. Mit hochgezogenen Schultern erwartete er in stummer Agonie den enervierenden Aufruf einer Verehrerin oder schlimmer noch, seiner Mutter! Die in sportlicher Eleganz samt Schwiegervater über die Pisten rauschte, seinen mangelnden Enthusiasmus nicht tolerierte. »Vielleicht habe ich Glück, mich trifft der Schlag auf dem Weg nach unten und ich sause unter einem Fangzaun hindurch. Dann habe ich endlich mal Ruhe.« Dachte er matt. Wieso konnte man nicht einfach in der Sonne sitzen, stillvergnügt vor sich hin atmen und schweigen?! Er kehrte sich demonstrativ ab vom Farb- und Menschengewimmel an den Sesselliften, dem Hochschlagen der Sicherheitsbügel, dem Sprachengewirr und den anfeuernden Rufen. Es gab keinen Grund, sich dieser Tortur auszusetzen. Lediglich seine eigene Feigheit. »Wenn ich ihr nur verständlich machen könnte, dass dieses Unterfangen aussichtslos ist, mich diese Frauen nicht interessieren, dieser gesamte Zirkus hier!« Er seufzte tief. Wie hatte er nur so blauäugig sein können zu glauben, dass das Überspringen eines Semesters wegen hervorragender Leistungen ihn von derlei Verpflichtungen befreien würde? Im Vorjahr hatte ihn wenigstens Melody geschützt, um deren Geschick er sich auch nun zu sorgen hatte. Ein Schatten in seinem Rücken entzog die tröstende Wärme. Arme schlangen sich um seine Taille, verlagerten sein Gleichgewicht, sodass er gegen eine Daunen gepolsterte Brust sank, ein glühender Atemhauch seinen erschrockenen Ausruf umschmeichelte, bevor er intensiv geküsst wurde. Vor seinen aufgerissenen Augen tanzten goldene Funken in ungewöhnlich hellen Bernsteinaugen, schimmerte warme Haut, von einer filzigen Strähne konstrastiert. Ioannes ergab sich vollkommen der Liebesbekundung, stöhnte vernehmlich in den verlangenden Mund. Lizard grinste Speichelspuren tilgend, lehnte ihre Stirn aneinander, die Arme noch immer eng um den schmalen Freund geschlungen. "Ola, mi querido." Raunte er in vertraulich dunklem Timbre, neckte Ioannes' Nasenspitze mit der eigenen. "Oh, Mauro!" Ein erstickter Seufzer, Ioannes' Gewicht lastete erdrückend auf ihm, doch einen Trickster konnte das nicht ins Wanken bringen. "Du bist so blass, mi curazon!" Beklagte er sich besorgt, den nunmehr zitternden Leib eng haltend. "Solltest du hier nicht knackig-braun werden und dich erholen?" Seine ätzende Ironie hieß Ioannes, sich langsam aufzurichten, die eigene Haltung zu straffen. Mit linder Verwunderung registrierte er, dass der Geliebte trotz der intensiven Sonnenstrahlung keiner verdunkelnden Brille bedurfte, in einer weiteren Hinsicht aus der Menge herausstach. "Warum bist du hierher gekommen?" Erkundigte er sich verwirrt, schlang die Arme um den Nacken. "Tsstss!" Schnalzte der Trickster, verwirbelte zärtlich schwarze, exakt gelegte Locken. "Was glaubst du wohl?! Um sicherzugehen, dass es dir gut geht natürlich." Ioannes lächelte. Lizard neigte erneut seine Stirn Ioannes' zu. "Geht es dir gut?" "Jetzt ja." Seine Hakennase wurde mit einem knappen Kuss bedacht. "Willst du weiter hier stehen, oder sollen wir es uns gemütlich machen?" Reizte Lizard mit einem diabolischen Ausdruck trügerischer Unschuld. "Meine Mutter wird mich umbringen, wenn ich nicht artig Ski fahre und den Damen ritterlich zur Seite stehe." Brachte Ioannes in verzweifelter Grimasse die Hinderungsgründe zur Sprache. Lizard löste sich aus seinen Armen, sammelte Skistöcke und -bretter auf. Er transportierte sie in müheloser Leichtigkeit, während er Ioannes' Hand fasste. "Mit deinem verehrten Mutterdrachen werde ich fertig, mi amor. Lass uns runterfahren." Ioannes ließ sich widerstandslos führen, bewunderte stolz, wie der Mann in dem grässlichen Kanarienvogelgelb unter Einsatz eines furchteinflößenden Grinsens bar jeder Freundlichkeit seinen Weg zum Lift bahnte. Dort bugsierte er ihn mit liebevoller Behutsamkeit in den Sessel, brachte die lästigen Skiutensilien unter und hielt ihn im Arm, während sie über dem glitzernden Schnee und sanft gekrönten Nadelbäumen in das Tal schwebten. ~?~ Melody rieb sich die Oberarme, bis Mira hinter sie trat, sie eng in die altmodische, unförmig gepolsterte Jacke zog. "Lass mich dir ein paar Sachen leihen, wenigstens für unten drunter." Bat sie, einen Kuss auf ein Ohrläppchen unterhalb des Lockenwusts bannend. "Wenn mir zu warm wird, werde ich zu gutmütig und nachlässig. Das kann ich mir heute nicht leisten." Gab Melody bündig zurück, schmiegte sich in die Umarmung, leise seufzend. "Ich verwandele mich in Pudding, wenn du so weitermachst!" Warnte sie, halb kriegerisch, halb verlockend. Mira lachte leise, knabberte an einer Ohrmuschel. "Vermutlich Vanille-Pudding mit Sahnehäubchen." Scherzte sie mit funkelnden Augen. Beide verstummten, als sich ein älteres Mercedes-Modell, chromblitzend und gepflegt, jedoch angesichts des Alters ungewöhnlich leise im Laufgeräusch über die Auffahrt schob. Melody löste sich behutsam aus der Wärme und Umarmung, trat einige begrüßende Schritte vor, als ein schlanker, in einen einteiligen exotischen Anzug gehüllter Mann dem Boliden entstieg, ihn sorgsam verschloss, sich straffte und ozeanblaue Augen in einem porzellanartig weißem Gesicht auf sie richtete. Beide Frauen schauerten, von einer arktischen Ausstrahlung erfasst, die nur von der weißgekleideten Gestalt mit dem ätherischen Erscheinungsbild stammen konnte. "Ich bin Aurelius." Eine sehr präzise Diktion mit leicht nordischem Akzent vereinte sich mit einer Brise. Melody entsagte ihrer Erstarrung, schüttelte betont freundschaftlich eine weiße Hand. "Guten Morgen und vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich bin Melody und das ist meine Freundin Mira." Mira, ihre Hand eher zögerlich der porzellanhaften anvertrauend, nickte im stummen Gruß, eingeschüchtert durch die profunde Ruhe, die der Unbekannte verströmte. "Wenn Sie meine Freiheit entschuldigen möchten, würde ich raten, sich noch einer weiteren Bekleidungsschicht anzuvertrauen." Aurelius fokussierte seine Aufmerksamkeit kühl auf Melody. Mira grinste unkontrolliert, während sich die Angesprochene in ungewohnter Offenheit säuerlich zeigte. "Tja, Aurelius, ich würde wirklich gern etwas anderes tragen. Leider ist der Zugriff zu meinem Zimmer verwehrt." Sie wedelte mit der nutzlosen Schlüsselkarte. In den kaleidoskopierenden Augen, die verstörender Weise nun ein dunkles Grün blitzen ließen, funkelte es nachsichtig. "Sie erlauben, dass ich assistiere?" Er ergriff die Karte, wartete in geübter Höflichkeit, dass Bewegung in ihre kleine Gruppe kam, man ihn zu Melodys Zimmer geleitete. ~?~ Lizards Hand kreiste im Schutze blendend weißer Frotteehüllen zärtlich über dem flachen Bauch seines Partners, der auf ihm lag und ermattet schlief. Ioannes wog erschreckend wenig, wie er befand. So konnte er sich allzu oft nicht davon abhalten, den schlanken Mann enger an sich zu ziehen, um sich zu versichern, dass der tatsächlich real war. Er hauchte einen Kuss auf eine gelockte Schläfe, ignorierte die starre Unbequemlichkeit der Sonnenbrille. Seine Sinne sondierten ihre Umgebung, doch er konnte keinerlei Feindseligkeiten wahrnehmen. Auf der Sonnenterrasse fanden sich um diese Uhrzeit nur die Sonderlinge, wie er festgestellt hatte, auf sich selbst fokussiert, ihrer Umgebung gegenüber herzlich gleichgültig. Niemanden kümmerte es, wenn er einen Liegestuhl heranzog, mehrere Schichten überlanger Handtücher ausbreitete, sich nahezu unbekleidet ausstreckte und seinen erschöpften Liebhaber auf sich zog, sie sorgfältig einwickelte. Er war keineswegs ein gewöhnlicher Mitmensch, angefangen von dem Tattoo, das seine rückwärtige Partie schmückte! »Umso besser!« Schnurrte er, hielt Ioannes behaglich, genoss die vertraute Nähe der mageren Pobacken an seinem pulsierenden Unterleib. Strahlende Sonne, jungfräulicher Schnee auf unberührten Dächern, glitzernde Eiskristalle und -tropfen: Lizard bleckte die Zähne und sandte einen stummen Gruß an seine Kollegen. ~?~ Aurelius erwartete von dem Türschloss, einem gewöhnlichen Magnetstreifenkartensystem, keine größeren Widerstände, befleißigte sich aber einer höflichen Bitte, den Korridor zu kontrollieren, um die beiden Frauen aus seiner unmittelbaren Nähe zu entfernen. Er hatte nicht die Absicht, sie zu Publikum zu machen, wenn er seine Kräfte einsetzte, um die elektrischen Ströme zu manipulieren. Die Tür öffnete sich ungehindert. Er ließ Melody den Vortritt, die ihr Zimmer mit konzentriertem Blick in Augenschein nahm. "Wir sollten deine Sachen zu mir schaffen." Meldete sich Mira zu Wort. In präziser Arbeit wurden die persönlichen Habseligkeiten gesammelt und in mehreren Gängen transferiert. "Du wirst dir nicht wehtun lassen, okay?" Beschwor Mira sie, knöpfte den wärmenden Mantel zu, die Mandelaugen in besorgtes Asphaltgrau getaucht. Melody, die nur Wimpernschläge entfernt vor ihr stand, lächelte, ein wenig fahl. "Nein." Nickte sie artig, wehrte eine Packung Kekse ab, die Mira ihr zustecken wollte. "Danke, Süße, aber ich bringe wirklich nichts runter." "Ich bin hier und warte auf dich." Versicherte Mira zum ungezählten Mal, richtete unruhig Locken, während ihr Blick über Melodys Gesicht flackerte. "Okay." Lächelte sie aufmunternd, erstickte weitere Ermahnungen mit einem siegelnden Finger auf Miras Lippen, küsste sie intensiv und lange. Sie verließ ohne Abschied das Zimmer, stieg einige Stockwerke tiefer in den restaurierten Mercedes. Aurelius hob den Blick, bemerkte die einsame Gestalt am Fenster, als er die Tür an der Beifahrerseite in ihr Schloss drückte. Seinen scharfen, ungewöhnlichen Augen entging keine der Emotionen, die dort lesbar wirbelten, einem Zyklon gleich. Er kannte diesen Ausdruck, allerdings in schwefelgelben Nuancen gehalten. Mit einem knappen Lächeln der Sympathie wechselte er hinüber, glitt anmutig auf den Fahrersitz. Ein Eissturm erwartete ihn. Seine Siliciumseele jubilierte. ~?~ Kapitel 3 - Aufwartungen HaHa lauschte mit halbem Ohr der Lektion, die seine Mutter für notwendig erachtete, während ihr Finger immer wieder anklagend auf das Bouquet wies, das der großformatige Mann jüngst erworben hatte. Der Tradition entsprechend hatte es aus roten Rosen zu bestehen, nicht aus der seltsamen Zusammenstellung, die er in seinem Unverstand geordert hatte!! Artig Konsens nickend, den er weder sah, noch für erforderlich hielt, wartete HaHa geduldig auf seine Demission. Sie wurde mit dem üblichen Stoßseufzer hinsichtlich seiner chronischen Unfähigkeit erteilt. Er rettete den farbenprächtigen Strauß, den er zu überreichen gedachte, suchte nach seiner geliebten Surprise. Sie spazierte ungezwungen eingehakt mit seinem Vater, einer ebenfalls imposanten Persönlichkeit, durch die technischen Anlagen der Fabrik, die den Grundstock des familiären Wohlstandes bildete. Ihr schmollmundiges Lächeln und das aufmerksame Lauschen der endlosen Ausführungen des älteren Mannes verhehlten in Perfektion die gelassene Souveränität über derlei menschliche Schwächen. "Da ist ja auch mein Stammhalter!" Posaunte der Senior, versetzte seinem Sohn einen harten Rippenstoß und gebot, 'es bloß nicht zu vermasseln'. Die malträtierte Seite verstohlen massierend marschierte HaHa neben Surprise her, die dem jahreszeitbedingt lichten Bauerngarten hinter dem Wohngebäude zustrebte. Im Schutze eines dort zentral gepflanzten und keineswegs üblichen Apfelbaums reckte sie sich auf die Zehenspitzen, umhalste HaHa, küsste ihn intensiv. Dem gewaltigen Recken entglitten beinahe die geschmähten Blumen, doch Surprise beendete die Vertraulichkeit in vorausschauender Abwägung. "Zum Valentinstag." Strahlte ihr Verehrer sehnsüchtig, präsentierte das Konzentrat seiner Hingabe und Bemühung. Surprise lächelte, zwitscherte einen Dank und umarmte das gewaltige Bouquet. HaHa hatte seine Auswahl allein nach den Farben getroffen. So fand sich sonniges Gelb, wärmendes Orange und frisches Grün, vereinte unvoreingenommen Schnittblumen aller Art und Gattung. Es duftete ungewöhnlich und somit anregend, was goldene Sprenkel in den Katzenaugen entzündete. Zu ihrer linden Überraschung begab sich unterdessen HaHa schnaufend auf die Knie, entzog eine Schatulle seiner Hosentasche, klappte sie auf. "Surprise." Er haspelte nervös. "Willst du diesen Ring als Zeichen meiner aufrichtigen und ernsthaften Absichten annehmen, meine Liebste werden?" Aus den mit Samt bemäntelten Tiefen des kleinen Kästchens funkelte dezent ein geschliffener Diamant, krönte einen schmalen Goldreif. Surprise assistierte nach einem Moment der gespannten Ruhe, den Ring aus seiner Hülle zu befreien. Sie platzierte ihn zwischen HaHas zitternde Finger, damit er ihn in weltläufiger Geste ihrem feingliedrigen Ringfinger anvertrauen konnte. "Komm her, mein Großer!" Lispelte sie lasziv, becircend, fasste kräftig den blendend karierten Schal, bemächtigte sich zur Belohnung des Atem pfeifenden Mundes. Sie ließ sich wie ein Kind an den Hüften anheben, ohne die intime Verbindung zu unterbrechen, lockte mit gelenkiger Zunge Laute der Verzückung aus dem kräftigen Mann hervor. "Ich liebe dich!" Stotterte man unablässig, vor Glück taumelnd an ihren Lippen, von warmen Wolken begleitet, die ihre Locken zausten. "Ich weiß." Versicherte Surprise in samtigem Timbre, umschlang den gewaltigen Nacken enger. Sie hatte einen guten Fang gemacht, einen sehr guten sogar. Einen Mann, der sie verehrte, ihr Mysterium nicht zu ergründen suchte. Der sich von Vorurteilen befreite. Sie akzeptierte, wie sie war. "Du bist mein Mann." Stellte sie besitzergreifend fest, um HaHa den Atem zu rauben. Daran würde auch die Walküre nichts ändern. ~?~ Ioannes schmiegte sich an seine Brust wie ein Säugling, den Kopf auf das Schlüsselbein gepresst, als sei es unerträglich, sich der Realität stellen zu müssen. Lizard, der seinen schlanken Liebhaber ohne Rücksicht auf eventuelle Animositäten anderer Gäste auf den Armen trug, steuerte dessen Hotelzimmer an, balancierte die Schlüsselkarte zwischen den Zähnen. Behutsam stellte er Ioannes auf die eigenen Strumpf-besockten Füße, verschaffte sich Zugang, zog seinen schläfrigen Partner hinter sich hinein. "Ich wäre gern noch geblieben." Klagte der ohne Elan, was ihm einen neckenden Klaps auf den Hintern einbrachte. "Mi querido, die Sonne ist weitergewandert, wir hätten gefroren." "Hmmm." Brummte Ioannes widerwillige Zustimmung, schob sich an Lizard vorbei, um in das eigene Bett zu klettern, sich unterhalb der Decken zusammenzurollen. Lizard nahm auf der Bettkante Platz, streifte die zweifarbigen, Witterungsverhältnissen und lokalen Gegebenheiten äußerst unpassenden Schuhe ab. Seine Hand wanderte streichelnd über eine fahle Stirn, von der Sonne leidlich erhitzt. "Komm rein." Nörgelte Ioannes ungewohnt bodenständig, schickte einen Hand als Kundschafter aus. Sie ziepte am Gummi der Boxershorts. Leise lachend verwuschelte Lizard die Locken. "Das wäre gefährlich, mi curazon, weil ich die Hände nicht von dir lassen könnte." Bedauerte er. Ioannes streckte sich rücklings aus, musterte den Freund eingehend. "Ich kann auch danach schlafen." Bot er ruhig an. Sie studierten die wechselseitige Entschlossenheit, bis Lizard sich erhob, die Boxershorts abstreifte, unter die eilends gelupfte Decke schlüpfte. Er schob sich zwischen Ioannes' aufgestellte Beine, stützte sich mit den Ellenbogen ab, um den zierlichen Partner nicht zu erdrücken. Der lächelte befreit, ließ die Fingerspitzen über den gewölbten Rückgrat streifen, der sich wie fremdartiges Gefieder anfühlte. Mit einem hingerissenen Seufzen schloss Ioannes die Augen, sehnte den Augenblick herbei, in dem die goldene Schlange wie ein Drachen zum Flug ansetzen würde und ihr heilbringender Kuss ihn verwandelte. ~?~ Aurelius lenkte den Wagen sicher über die mit Kies bestreute Einfahrt vor die geräumige Garage, zog den Zündschlüssel ab. Er half Melody, die wohlerzogen wartete, als gelernter Kavalier aus dem Mercedes. Die doppelflüglige Haustür abweisend verschlossen bot das Herrenhaus-artige Gebäude einen erdrückend sterilen Anblick, glich der Kulisse für Seifenopern. Aurelius hielt gemessenen Schritts auf das Portal zu, bot artig den Arm zum Geleit. "Das könnte jetzt einigermaßen unerfreulich werden." Brachte Melody heiser hervor, von der schweigend absolvierten, langen Fahrt der gewohnten Fülle ihrer Stimme beraubt. "Um nicht zu sagen sogar sehr hitzig." Fügte sie an, riskierte einen Seitenblick auf ihren Begleiter, der in seinem hochgeschlossenen Anzug eine selbstsichere Würde ausstrahlte. "Ich kann Sie beruhigen." Sorgfältig manikürte, perlmuttschimmernde Fingerspitzen touchierten ihre Hand. "Nach Meinung meines Partners bin ich besonders befähigt, für einen kühlen Kopf zu sorgen." Die großen Augen wirbelten im Violett sterbender Galaxien. Melody lächelte unwillkürlich, erleichtert, sich der Auseinandersetzung nicht allein stellen zu müssen, auch wenn sie dem Mann an ihrer Seite nicht anvertraut hatte, welch delikate Thematik zur Sprache kommen konnte. Die Hausdame, in ein marineblau gehaltenes Kostüm gewandet, öffnete, bat sie mit gesetzter Distanz in den Salon, wo man ihrer bereits harrte. Die Flügeltüren aufstoßend meldete die Frau sie an, um sogleich lautlos ihren Abschied zu nehmen. Aurelius' eisiger Blick glitt über die drei Anwesenden hinweg, studierte die Bücherwand, das knackende Feuer des Kamins, die schweren, ledernen Mehrsitzer, die altertümliche Standuhr, die befransten Lampenschirme. "Vater, Mutter." Melody nickte einen Gruß, ließ den Dritten im Bunde aus. "Ich bin hier, um eine Einigung zu treffen." "Einigung?!" Der Mann, der nach Aurelius' zutreffender Einschätzung Melodys Vater sein musste, nahm man Kinn und Stirn zum Vergleich, erhob sich aus seinem Fauteuil, eine in rustikalem britischen Landlook gekleidete kräftige Gestalt. Die eisblauen Augen blitzten vor Zorn. "Wenn es um Familieninterna geht, solltest du wohl deinen Bekannten ersuchen, uns allein zu lassen." Ein abschätziger Blick streifte Aurelius. Melody straffte ihre verführerische Gestalt, reckte das willensstarke Kinn. "Ebenso wenig wird Aurelius diesen Raum verlassen, wie diese Person deine Seite räumt." Sie gestikulierte sparsam. "Es handelt sich um deinen Verlobten!" Wies Melodys Mutter, eine dralle, in schmückendes Magenta gezwungene Frau mit korrigierten Gesichtszügen, scharf zurecht. "Ich bin nicht verlobt." Setzte Melody entgegen, bemühte sich um Ruhe und Abgeklärtheit. "Weder mit ihm, noch mit einem anderen. Nun möchte ich zur Sache kommen: hebt die Sperrung meiner Konten auf und überweist die fällige Rate für das Semester. Des Weiteren werde ich meine Kleider und diverse Habseligkeiten mitnehmen." "Deine Konten?! Deine Kleider?! Höre ich richtig?!" Melodys Vater hielt auf sie zu. "Was hast du denn beigetragen, hmm?? Es sind meine Konten und meine Kleider, denn ich habe sie bezahlt! Wenn du Deins haben willst, gehst du mit nacktem Arsch hier raus!" Scharfes Atemeinholen, allerdings von der Dame in Magenta, dümmliches Kichern der männlichen Buchstütze. Aurelius funkelte arktisch. "Ach?" Schnaubte Melody in vergleichbarer Agitation zurück. "Was willst du damit anfangen? Willst du meine Kleider tragen?! Du weißt verdammt genau, dass du damit nicht durchkommst! Ich habe ein Recht auf diese Ausbildung und Unterhalt!" "Ein Recht?! Scheißdreck!" Eine Faust ballte sich vor den blonden Locken. "Du willst mir drohen, du heruntergekommene Schlampe?! Du hast mich bereits bloßgestellt und in den Schmutz gezogen mit deinen Allüren! Wir sind Gesprächsthema Nummer eins in den Klatschpostillen, in unseren Clubs, auf der Straße und sonst wo, und du entblödest dich nicht, mir hier frech zu kommen?!" Ebenfalls die Fäuste ballend gab Melody, in kleidsame Röte des Zorns getaucht, Kontra. "Das ist allein auf deinem Mist gewachsen, Vater! Du hast mir diesen Idioten ins Bett gesetzt, mich von ihm vögeln lassen! Wenn du ihn so toll findest, adoptiere ihn doch!" "Melody!" Entrüsteter Mahnschrei der Mutter. "Du undankbares Balg hast alles vermasselt! Nichts kannst du richtig machen! Aber das Kind abzutreiben, das war die Krönung, dafür werde ich dich enterben, du Hure!" In Melodys Augen glitzerten Tränen. Sie rang nach Worten, während ihr Vater in ungestillter Grausamkeit eine Hand in die Locken schob, sie zu schütteln drohte. Aurelius' Finger legten sich beiläufig um das Handgelenk, brachen mit kalkulierter Präzision Knochen mit einem unschönen Begleitgeräusch, bevor er den älteren Mann zurückschob. Fassungslosigkeit zeichnete sämtliche Anwesenden. Seine Augen zündeten nächtlichstes Blau. "Wir werden jetzt die Verhandlungen abschließen und uns auf das Ergebnis konzentrieren. Diktierte er unbeeindruckt. "Sie werden Ihrer Tochter weiterhin den Unterhalt bestreiten, jedes Semester bis zum Abschluss finanzieren. Sie wird das Haus mit mir unbehelligt und in Besitz all ihrer Habseligkeiten verlassen. Habe ich mich verständlich gemacht?" "Dich Psychopath bringe ich hinter Gitter!" Blökte Melodys Vater, den verwundeten Arm umklammernd, mit einem herrischen Kopfnicken einen zweiten Angreifer in Gang setzend. Aurelius erledigte den ungestümen Tollpatsch mit einer Handbewegung, die den Sturmlauf gegen die in seinen Augen erschreckend geschmacklose, nunmehr außer Funktion gesetzte Standuhr lenkte. "Ich werde mich nicht wiederholen." Bemerkte er kalt. "Wenn Sie darauf bestehen, diese Angelegenheit unter Einbeziehung der Staatsmacht und diverser Gerichte regeln zu wollen, seien Sie versichert, dass Ihre Beteiligung nicht unerwähnt bleiben wird." Mit einer raschen Bewegung erhob sich Melodys Mutter, hielt auf ein Lesepult zu, ein Mobiltelefon von der Ablage aufhebend. "Ja, ich bin es. Hebe sofort die Sperrung der Konten auf. Leite das Geld für das Semester wieder zurück." Grußlos beendete sie das Telefonat, einen abfälligen Blick auf ihre Tochter werfend. "Hol dein Zeug und verschwinde. Dir ist hoffentlich klar, dass du deine Zukunft zerstört hast und aller Wahrscheinlichkeit nach in der Hölle enden wirst, Kindermörderin." Aurelius lächelte. Ein weißer Blitz fror die Lippen der älteren Frau ein. "Wir verabschieden uns jetzt." Er fasste Melody sanft um die Taille. "Es war kein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben und dennoch sehr lehrreich." Wie nicht anders zu erwarten standen bereits drei Koffer einer Serie im Foyer. Daneben lehnten zwei Umzugskartons, von kundigen Händen sorgfältig verpackt. Lediglich die Aufschrift eines Wohltätigkeitsunternehmens störte die gefällige Harmonie. ~?~ Lizard schreckte aus angenehmem Schlummer hoch, als eine zu verwünschende Person mit Vehemenz das drapierte Schild mit der Aufforderung, nicht zu stören, übersah, begleitet von einer rauchigen, dominanten Stimme. Ioannes an seiner Seite stöhnte im Halbschlaf, suchte in seiner Körperwärme Schutz. Die schlanke Gestalt sicher in die Decken hüllend verabschiedete sich Lizard mit einem zärtlichen Kuss auf eine Wange, hielt knurrend auf die Tür zu. In glorreicher Unbekleidetheit riss er sie auf, starrte die Störerin an. Die hielt konsterniert in ihrem fortwährenden Trommelsolo auf dem Türblatt inne. "Wir haben Sie laut und deutlich vernommen, Madame. Wie vermutlich auch sämtliche Menschen auf diesem Flur." Er rückte näher an Ioannes' Mutter heran, deren angetrauter Gatte bereits auf Abstand ging. "Wir hatten gerade drei Stunden sehr heißen und ausgiebigen Sex. Jetzt werden wir uns ausruhen." Seine Hand wies Richtung Aufzugschacht. "Sie werden jetzt die Güte besitzen, Ioannes und mich in Ruhe zu lassen. Sonst werde ich sehr ungemütlich." Die dunklen Augen funkelten kriegerisch in seine bernsteinfarbenen. Beringte Hände stützten eine Wespentaille. Ein hochtoupierter Mopp kolorierter Locken dräute drohend. "IOANNES!" Deklamierte sie in höchsten Tönen wie eine Alarmsirene, in ihrem Vormarsch durch Lizards ausgestreckten Arm auf dem Türrahmen gebremst. "Sie nehmen Ihre schmutzigen Hände da weg, Sie Perverser! Ioannes, auf der Stelle wirst du hierher kommen!" Tatsächlich näherte sich in diverse Decken gehüllt eine schwankende Gestalt, ließ sich gegen Lizards Seite fallen. "Mutter, bitte beende doch dieses Spektakel" Ioannes kämpfte gegen schwere Lider, weniger energisch als enerviert. "Du wirst sofort mit mir kommen und diese Person hier aus deinem Zimmer verweisen lassen!" Fingernägel bohrten sich in Ioannes' Arm, der überrumpelt von dieser Attacke einen erschrockenen Schrei absonderte. Lizards Rechte legte sich eisern um die Kehle der Frau. Die Bernsteinaugen schwefelten, die filzige Strähne zwirbelte sich wie unter Strom. Hastig kam Ioannes frei. Seine Mutter rieb sich die malträtierten Sehnen, belauerte Lizard in neuer Vorsicht. Der blieb sehr ruhig, den Geliebten an sich ziehend. "Mutter." Ioannes fasste behutsam nach einer Hand, hielt sie zögerlich, unschlüssig, einer unbekannten Geste folgend. "Bitte versteh doch: ich will keines dieser Mädchen. Ich will nicht mit diesen Leuten hier oberflächliches Reviergebalze ausüben. Ich arbeite hart für die Firma. Du weißt, dass ich mein Studium vorzeitig abschließen kann. Seine Augen spiegelten die seiner Mutter wider. "Aber nur, weil Mauro bei mir ist. Ich kann mich nicht von ihm trennen. Ganz ausgeschlossen." Ein stummes Duell wurde ausgetragen, bis die verzweifelte Bitte um Akzeptanz gegen die kalkulierte Zukunftsperspektive einen knappen Sieg davontrug, Ioannes Mutter einen Schritt zurückwich, ihre Finger seinem Zugriff entzog. "Wenn du schon schwul sein musst, warum suchst du dir dann niemanden mit Geld und Einfluss?" Fauchte sie in verärgertem Rückzugsgefecht Ihrem schwungvollen Abgang folgten zwei sehr unterschiedliche Augenpaare stumm, bevor sie einander wiederfanden, in lautes Gelächter ausbrachen. ~?~ Aurelius hielt den Wagen bei konstanter Geschwindigkeit, einen kontrollierenden Blick auf seine Beifahrerin werfend. Sie schluckte noch immer an Tränen, die sie zu unterdrücken wünschte, was aber nicht zu gelingen vermochte. "Bereust du deine Entscheidung?" Erkundigte er sich in familiärer Anrede. Melody schniefte sehr undamenhaft, studierte die eisigen Züge ihres Mitstreiters eingehend. "Ich habe nicht gedacht, dass sie tatsächlich von dem überzeugt sind, was sie predigen." Bemerkte sie, kaschierte ihre fundamentale Enttäuschung mit einem Schulterzucken. "Ich hielt es bisher für eine opportunistische Maskerade. Ich wusste nicht, dass es ihnen damit ernst war." Aurelius ließ geduldig Markierungsstreifen um Markierungsstreifen neben dem dahingleitenden Automobil vorüberziehen, bis Melody ihre Kontemplation beendete. "Nein." Stellte sie fest. "Ich revidiere meine Entscheidung nicht. Ich hätte es nicht ertragen können, mit diesem Einfaltspinsel zu leben. Auch noch ein Kind in diese Situation zu setzen? Nein, nein, das wäre unverantwortlich gewesen." "Dann gibt es auch keinen Anlass zur Reue." Summierte der erste der Trickster gelassen, präsentierte ein winziges Lächeln. ~?~ Mira hetzte atemlos die Stufen hinauf, wechselte auf den Flur, die Kälte und die ungewohnt zahlreichen Gäste verwünschend, die das kleine Café bis über die Öffnungszeiten hinaus bevölkert hatten. Vor ihrer Zimmertür hockte auf einer dreiteiligen Pyramide diverser Koffer Melody, entouriert von Pappschachteln, Papiertüten und ebensolchen Bechern. "Hey, gut, dass du kommst, ich habe dir noch was übrig gelassen." Verkündete ein Ketchup geziertes Mäulchen, ein frittiertes Kartoffelstäbchen genüsslich zerbeißend. Langsam, als hinge unsichtbares Bleigewicht an ihren Füßen, hielt Mira auf die ehemalige Königin des Campus zu, ging vor ihr in die Hocke, das geliebte Gesicht eindringlich studierend. "Geht es dir gut?" Erkundigte sie sich besorgt, aufgeraut von Wetter und schnellem Lauf. Melody lächelte kornblumenblau. "Küss mich, ich bin ein verzauberter Doppelwhopper DeLuxe!" Kicherte sie, schlang die Arme um Miras Nacken, zog sie auf sich, bevor sie ihre freundliche Wärme mit ihr teilte. ~?~ Aurelius stellte den Wagen in der Remise ab. Er entsiegelte geübt die schwere Schiebetür zu ihrem Domizil. Die gewaltige Fabrikhalle war in Dunkelheit gehüllt, was ihn nicht verwunderte, musste doch CC III seine Freundin hofieren. Er wähnte Lizard in amourösen Angelegenheiten in St. Moritz und Surprise bei ihrem Verlobten. Sicher die Finsternis durchquerend hielt der schlanke Mann inne, als sich zu seinen Füßen eine gewundene Spur entzündete, ein Hinweispfad aus züngelnden Flammen. Neugierig, doch mit unbewegten Zügen, folgte er dem stummen Wegweiser, die Wendeltreppe zum Dach hinauf und erstarrte. Auf dem Dach funkelten Abertausende Kristalle gefrorenen Wassers, Eiszeit-Tränen, gefallene Sterne, aufgereiht auf Maschendraht und anderen Gebilden. Ein arktischer Garten, so vergänglich wie der Augenblick. In dessen Mitte eine Gestalt kauerte, ein Bein aufgestützt, den Kopf gesenkt, in verehrender Referenz. Schritt für Schritt, in die Aura des Eises eingehüllt, verringerte Aurelius den Abstand, legte seine Porzellanhände auf die breiten Schultern unterhalb der wilden, abstehenden Mähne. "Es tut mir leid, dass ich deinen Spiegel zerschlagen habe." Raunten die Reißzähne des Wolfsgebisses kehlig, funkelten die beunruhigenden Augen schweflig. "Dafür hast du mir die Sterne vom Himmel geholt?" Erkundigte sich der Angesprochene in sanfter Ironie, stellte Sax auf seine Füße. Sax' Krallen liebkosten das durchgestufte, schwarze Haar, hauchten gierige Atemstöße auf die bläulich lockenden Lippen. Aurelius konnte in Sax' Augen das ungefilterte, urtümliche Verlangen lesen, seine überwältigende Bereitschaft, dieser Liebe alles unterzuordnen, sodass es keine Anstrengung schien, in übermenschlichem Fleiß diese Zauberlandschaft zu errichten, sie zu gefrieren. Mit einem Körper, der vor glühender Hitze zu eruptieren drohte. Einen besonders verwilderten Strang der Zotteln umfassend verringerte Aurelius den Abstand, blies seinerseits Eisblumen in die flirrende Atmosphäre. "Verschmelze mit mir." Gebot er mit kaleidoskopierenden Augen, Funken stiebend. ~?~ Surprise betrachtete das sich brechende Mondlicht im Kristall ihres Diamanten, neben ihr, selig, schnarchte HaHa, Traum beglückt. "Alles wird gut." Lispelte sie mokant. ~?~ ENDE ~?~ ~~> Fortsetzung in "Mens X-Mas" Vielen Dank fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Eine weitere Episode aus dem Zyklus der Helloween Trickster, dieses Mal zum Valentinstag, mit Überraschungen, Streitereien und much ado about nothing ^_^ Obwohl ich diese organisierte und verkitschte Festivität nicht goutiere, ist es doch sehr launig, den Verrenkungen Dritter zuzuschauen. Was Melody betrifft: sie ist ein "tough chick" und charakterstark, über ihre Entscheidungen diskutiert sie nicht, auch nicht mit mir ^-^