Titel: Mens X-Mas Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original Helloween Tricksters-Serie (siehe Informationen), Teil 5 FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Erstellt: 24.12.2004 Ereignis: Weihnachten 2004 Disclaimer: "The Christmas Carol" wurde von Charles Dickens verfasst. @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ @~ Mens X-Mas Kapitel 1 - Geisterjagd "Geh mal eben die Markise ausschütten, Mira!" Dröhnte Josefa, die Matrone mit der menopausenrot gefärbten Papua-Bombe, saugte verdrossen an ihrer besonders dünnen und ausgesprochen widerlich riechenden Zigarette. Mira, ihres Zeichens Studentin an einer Privatakademie und ohne große finanzielle Reserven Teilzeit-Mitarbeiterin des Bistro-Cafés "Josefa" griff schicksalsergeben, wie man es von einer Leibeigenen erwartete, nach dem Schrubber. Sie schulterte ihn geübt, trat in das von Nebelschleiern und Regenvorhängen ausgestattete Dezemberwetter hinaus. Josefa bestand in der ihr eigenen schrillen und unnachgiebigen Entschlossenheit darauf, dass die Markisen bei jedem Wetter ausgefahren wurden, damit die Fenster nicht so oft zu putzen waren. Ihre einzige Angestellte zweifelte zwar an dem Realitätsgehalt dieser Vorstellung, hütete jedoch wohlweislich ihre Zunge. In der kleinen Universitätsstadt, in der sie gerade lebte, gab es nicht sonderlich viele Aushilfsjobs. Sie benötigte das Geld dringend. "Soll ich dir helfen, Schatz?" Raunte eine kehlige, lasziv-dunkle Stimme an Miras Ohr, bevor ein imposanter Schatten sie in Dunkelheit hüllte, während zwei muskulöse Arme den Schrubber aus ihrem Griff entführten. Mira, selbst nicht gerade ein Streichholz im Wind, fuhr auf den Fuß-freundlich flachen Absätzen herum, lächelte erleichtert. "Hallo, Sax! Danke für die Hilfe!" Zwinkerte sie hoch in die schwefelgelben Augen eines der merkwürdigsten Männer, denen sie je begegnet war. In der Tat bot Sax einen imposanten, wenn auch verwirrenden Eindruck. Lange, schwarze Zotteln standen elektrisiert wie ein Hahnenkamm nach allen Seiten von seinem Kopf ab. Die kraftvoll-athletische Gestalt verströmte ungefilterte Hitze, die es Sax erlaubte, abgesehen von hautengen Lederhosen nur einen dünnen Trenchcoat über seinem Metallschmuck zu tragen. Wie ein flexibler Panzer schwangen Ketten, Anhänger, Fischköder und weitere Gegenstände um den Hals und den breiten Brustkorb des Anführers der Helloween Tricksters. Seine dunkle Haut glühte lebendig in der fahlen Atmosphäre. Die weichen, fast schwarz getönten Lippen verzogen sich zu einem aufmunternden Grinsen, das ein veritables Raubtiergebiss enthüllte. "Aufgepasst!" Schnurrte der Trickster rollig, zwinkerte warnend, um mit ausgezirkeltem Schwung den Schrubber kräftig unter die von Wassermassen durchgebogenen Stoffbahnen zu rammen. Der Impuls löste eine Woge aus, ein Schwall ergoss sich über die Haltestange der Markise auf das Trottoir, während die beiden Freunde prustend in die sichere Nähe des Fensters sprangen. "Was tust du denn hier?" Erkundigte sich Mira, die den Gedanken an noch zu verfassende Hausarbeiten mit schmerzlicher Grimasse verdrängte. Sax zuckte mit den Schultern, was ein trügerisch unschuldiges Klirren und Klingeln auslöste. "Wie wäre es mit einem Kaffee mit Zimt, Sax?" Mira hakte sich bei dem Hünen unter, genoss die Gluthitze, die in unsichtbaren Wellen von ihm abstrahlte. "Sehr gute Idee." Nickte Sax, schulterte in müheloser Eleganz den Schrubber, öffnete zuvorkommen die Eingangstür. Üblicherweise hätte Josefa Motorradrocker oder Unruhestifter von Sax' Kaliber nicht in ihrem 'Tempel' geduldet, doch Sax war die Ausnahme. Ein Mann, der wirklich alles wieder in Gang setzen konnte, was einen Motor oder Zahnräder sein Eigen nannte, war Gold wert. Der Trickster schwang seine athletische Gestalt mit katzenhafter Grazie auf einen Barhocker an der Theke. Er verfolgte mit aufgestütztem Kinn, wie Mira seinen Kaffee aus der obszön stöhnenden und ächzenden Maschine zauberte, streifte beiläufig die obligatorischen Lederhandschuhe ab. Zum Vorschein traten schwarze Krallen an kräftigen Händen, die davon kündeten, dass ihr Besitzer ein kontaktfreudiges Wesen hatte. Mira riskierte einen inquisitorischen Seitenblick auf ihre Arbeitgeberin, die gerade einem Damenkränzchen die Vorteile eines 'Saug-/Stoßverfahrens' auf dem Sektor der Fußbodenreinigung beschrieb, hängte sich vertraulich über die hohe Theke, visierte Sax an. "Was führt dich hierher?" Flüsterte sie grinsend, goutierte das komplimentierende Blitzen in den schwefelgelben Augen, die ihre neueste Erwerbung, einen heruntergesetzten BH in exklusivem Kanarienvogelgelb, kommentierten. Aufdringlichkeiten waren von Sax nicht zu befürchten, wusste Mira, denn Sax' einzige, überwältigende, geradezu titanische Liebe galt seinem Partner, Freund und Gegenpart Aurelius, der zweifelsohne die Ursache für Sax' ungewöhnliches Erscheinen zu dieser Tageszeit sein musste. "Atmosphärische Störungen." Erklärte der Trickster grollend, mit einer Ahnung des Vibrato, das das Rückgrat hinauflief, eine verheerende Bresche eisiger Erschütterung in jedem Selbstbewusstsein hinterließ. "Aha?" Nickte die Studentin mitfühlend, warf einige dünne Zöpfe von den Schultern auf den Rücken, richtete die in Quecksilberton wechselnden, mandelförmigen Augen auf ihren Gegenüber. Sax malte mit einer Kralle unsichtbare Formeln auf die makellos gewienerte Thekenoberfläche, legte den Kopf schief, sodass die elektrisierte Mähne in Neigung kam. Er leckte sich nachdenklich über die Lippen. Dass dabei seine kräftigen, scharfen und spitzen Zähne bedrohlich aufblitzten, schien ihm nicht bewusst zu sein. Eilig richtete sich Mira auf, zupfte an dem Knoten des kleinen Stoffdreiecks, das zwecks Manierlichkeit ihre dünnen Zöpfe bändigte. "Ich denke, dass der vierte Stromkreis ein wenig zu groß geraten ist." Verkündete Sax gedehnt, eine schnurrende Herausforderung. Mira blinzelte exakt zwei Mal, zog die Nase kraus, die Augenbrauen kritisch zusammen. "Der vierte Stromkreis." Repetierte sie trocken, signalisierte angespanntes Unverständnis. In diesem kritischen Augenblick der potentiellen Enthüllung überschlug sich die vornehme Türglocke, als ein junger Mann durchnässt, doch von diesem Umstand wenig beeindruckt, hineinstürmte. "Zzo ein Mizztwetter!" Zischte es mit scharfem Lispeln unter einer filzigen Strähne hervor. Helle Falkenaugen richteten sich in einem beunruhigenden Bernsteinton auf die Anwesenden. "Guten Abend, die Damen!" Verehrungsvoll in opulenter Gestik verneigte sich der Neuankömmling formvollendet, schlüpfte aus seiner Reptilienhautjacke, bewegte sich mit müheloser Eleganz auf die Theke zu. "Ola, Mira, Sax." Lächelte Mauro Lisard konspirativ, nahm unaufgefordert zu Sax' Linker Platz. "Por favor, eine Zimtschnecke und einen Milchkaffee." Orderte der von seinen Freunden und Feinden nur mit 'Lizard' betitelte, streifte galant-vertraulich Miras Handrücken. "Kommt sofort." Nickte die Studentin geschäftstüchtig, verfolgte die nonverbale Kommunikation der beiden Männer aus den Augenwinkeln neugierig. Auch wenn sie noch nicht zu den Begünstigten gehört hatte, die die feudale Residenz der Tricksters in Augenschein nehmen durfte, wusste sie doch über einige Details Bescheid. In dem umgebauten Backsteingebäude einer ehemaligen Fabrikhalle befand sich nicht nur Sax' Werkstatt für Reparaturen aller Art, sondern auch die Quartiere der Trickster. Ausgenommen Lizard. Der lebte, wie alle Studierenden, im Wohntrakt der Akademie, wenn er nicht gerade virtuell auf mysteriöse Wanderschaften ging. "Also, Sax?!" Beladen mit Zimtschnecke und Milchkaffee gab Mira die Richtung vor. Sie war nicht willens, sich ablenken zu lassen. "Hast du Aurelius wieder geärgert?" Neckte Lizard feixend, schnippte die filzige Strähne aus seinen Falkenaugen, strich sich danach über die Hakennase, die seinem Gesicht einen exotisch-herben Air verlieh. "Er ist 'ungehalten'." Formulierte Sax knurrend, um ein funkelndes, gleißendes Grinsen seines Raubtiergebisses hinterherzusenden. Nach jedem Disput pflegten sich die beiden Männer intensiv und ausdauernd zu versöhnen, was ihrer Nachbarschaft Blitzschläge, Wetterleuchten und Störungen in der Energieversorgung bescherte. Wenn nicht gerade Fenster aus den Leibungen gerissen wurden. "Was ist denn nun mit dem vierten Stromkreis?!" Ungeduldig tänzelte Mira auf einem Bein, während das andere die bestrumpfte Wade mit der Schuhspitze massierte, außer Reibungshitze auch ein helles Kunststoffknirschen auslöste. Sax ließ sich viel Zeit, sein Publikum, das wissbegierig an den dunklen Lippen klebte, durch ausgedehnte Folter in die richtige Stimmung zu versetzen. "Nun ja, bis zum vierten Stromkreis ging noch alles gut. Da habe ich den letzten Strang angeschlossen." Eine theatralische Pause sorgte für Atemnot. "Danach sind die Sicherungen durchgebrannt." "Alle?!" Platzte Mira heraus, während Lizard mitfühlend lachte, eine breite Schulter tröstend klopfte. "Aber das war doch nicht so schlimm?" Angesichts zweier sehr interessierter, sehr ruhiger Augenpaare verstummte Mira, hob in Verlegenheit schmollend das Kinn an. "Sind doch nur ein paar Sicherungen!" "Stimmt." Bleckte der Anführer der Trickster nachsichtig. "Etwa 100 Stück. Sie sind durchgeschmort." In der Folge bedeutete es, dass das mondäne Domizil der Tricksters in Dunkelheit und Kälte lag. Mangels finanzieller Spielräume war es noch nicht zu dem geplanten Kauf eines Notstromaggregats in Form eines Dieselmotors gekommen. "Es ist eher unwahrscheinlich, dass Aurelius im Kerzenschein ein gutes Buch liest, wie? Obwohl ihm die Temperaturen doch zusagen müssten." Bemühte sich Lizard angestrengt um die Vorzüge des Desasters, enthielt sich wie stets in Gesellschaft von Freunden seines Sprachfehlers. Sax zuckte mit den Schultern, ließ dabei aparte Melodien in Blech-Moll erklingen. "Sag mal, was GENAU hast du alles angeschlossen, hmm?" Miras Neugierde erwies sich als unbezähmbar und erschreckend instinktsicher. Die Anthrazit-Augen frästen sich mit der Beharrlichkeit eines Lasers in die schwefelgelben Untiefen des Hünen, der seine dichten Wimpern flattern ließ. "Es handelte sich um ein Lichtkonzept." Erklärte er großspurig und nichtssagend. "Eine Illumination zu einem besonderen Anlass." Lizard presste die Hand auf den schmalen Mund, um nicht seinen Milchkaffee als Sprühregen auf die Theke zu verteilen, während Miras Augenbrauen kriegerische Denkfalten nach sich zogen. "Du willst mir doch nicht gerade durch die Blume erklären, dass du eure gesamte Energieversorgung lahmgelegt hast, weil du Weihnachtslichter anzünden wolltest?!" Erkundigte sie sich misstrauisch. Der Trickster grinste, zuckte die Schultern mit melodischer Begleitung. Mira umklammerte die Theke. "Wie viele Lichter genau sind nötig, um 100 Sicherungen verschmoren zu lassen?" Brachte sie im Spaziertempo mit dem Akzent auf jeder Silbe hervor. "Ich frage aus rein akademischen Interesse." Setzte sie trocken hinzu. Lizard ertränkte derweil sehr geschäftig die Zimtschnecke in seinem Milchkaffee. Die zuckenden Mundwinkel konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich ungeniert und königlich amüsierte. Sax' Selbstbewusstsein trübte die Reaktion seiner Freunde nicht im Geringsten. "Ich habe etwa zwei Kilometer Leuchtbirnen an Kabeln verlegt, noch 100 Sterne, mehrere Leuchtschilder, eine von diesen Discokugeln, diverse Bewegungsmelder, eine Nebelmaschine." Zählte der hünenhafte Trickster zu Demonstrationszwecken an den Krallen auf. "Abgesehen von der gesamten Datenverarbeitungsanlage, dem Whirlpool, dem Lastkran, der Alarmanlage, diesem Massage-Ding, das Aurelius im Experimentierstadium entworfen hat, der Garagentüren und den elektrischen Rollläden." Lizards keineswegs nur hilfsbereite Aufzählung wurde von Sax' abschneidender Handbewegung unterbrochen. Mira schüttelte sehr langsam, sich versichernd, nahezu bedächtig, den Kopf. "Warum, wenn die Frage erlaubt ist, warum hast du die Beleuchtung so ausgebaut?" Erkundigte sie sich ausgesucht höflich. "Vielleicht erwarten wir ja Besuch aus der Luft? Die wissen so genau, wo sie landen müssen." Witzelte Lizard, schlürfte genüsslich seinen Milchkaffee, während seine Falkenaugen hintergründig funkelten. "Nur ein festlicher Schmuck." Verteidigte sich Sax gelassen, der es wohlweislich unterließ zu erwähnen, dass für Wimpernschläge sich ein solch gleißendes Licht auf seine Netzhaut gebrannt hatte, dass es selbst ihm den Atem verschlug. "Nun liegt alles friedlich und still, aber es herrscht finstere Nacht?" Mira schüttelte die langen, dünnen Zöpfe bekümmert, wischte gedankenverloren die Theke sauber. Ihr Gegenüber, Lizard, bemerkte die melancholische Grundstimmung, die das Malheur seines 'Kollegen' ausgelöst hatte, auch ohne die entlarvende Tönung der Augen zu inspizieren. "Was wirst du an Weihnachten unternehmen, Mira?" Fragte er sanft, streichelte behutsam über einen Handrücken in Reichweite. "Oh, na ja." Die Studentin straffte ihre Gestalt energisch. "Ich werde wohl mit einem guten Buch im Bett Unmengen von Leckereien den Garaus machen, mir rechtzeitig für den Sommer noch einen Rettungsring anzüchten." Erklärte sie zynisch. "Du fährst nicht nach Hause?" Nun merkte auch Sax auf. Die Schwefelaugen zogen sich interessiert zusammen. Mit einem leisen Seufzer füllte Mira in geübter Automatik Salz-, Zucker- und Pfefferstreuer auf. "Das Geld reicht einfach nicht. Die Bahnfahrt ist so teuer geworden. Die Festtage liegen auch so ungünstig, dass es sich gar nicht lohnt." Ein weiterer, profunder Seufzer entfloh ihr, bevor sie ein Lächeln forcierte. "Meine Mutter wird also mit den Rabauken allein ihr Vergnügen haben." Ergänzte sie schmunzelnd, erklärte für Sax die Familienverhältnisse. "Weißt du, ich habe noch zwei jüngere Brüder und eine kleine Schwester. Die Rasselbande hält meine Mutter bestimmt auf Trab, wenn sie sich nicht innerhalb der letzten Monate geändert haben." Sax legte den Kopf schief, spielte mit den entblößten Krallen in seiner wilden, elektrisiert abstehenden Mähne. "Und Melody?" Lizard ertränkte den letzten Bissen Zimtschnecke gründlich. "Wen beehrt die Königin des Campus mit ihrer unvergleichlichen Erscheinung?" Nun wandelten sich die Quecksilberaugen in ein veritables Sturmtief. Die Streuer zuckten hektisch, als Mira mit mühsam gezähmten Energieüberschuss Besteck sortierte, in einer Geräuschkulisse, die selbst Sax' gewohnten akustischen Auftritt in Schatten stellte. "Willst du einen Auszug oder gleich die vier Seiten lange Fassung hören?" Erkundigte sie sich giftig. Sax und Lizard wechselten wachsame Blicke, beäugten die sich weiß unter der karamelfarbenen Haut abzeichnenden Fingerknöchel. "Vielleicht eine kurze Zusammenfassung?" Optionierte der angehende Informatiker vorsichtig, schnickte die filzige Strähne aus seinen Falkenaugen. "Oh, sie hat ja aus bekannten Gründen keinen Familienauftritt." Mira schnaubte. "Dafür verbringt sie schon seit WOCHEN jeden freien Augenblick mit irgendwelchen Komitees, Wohltätigkeitsvereinen und anderen humanitären Hilfsorganisationen. Die ruhen oder rasten natürlich auch an den Feiertagen nicht, tun ihren Mitmenschen Gutes." Die letzten vier Worte klangen aus Miras Mund wie eine Verwünschung. "Wenigstens hat sie vorausschauend noch ein paar Toilettenpausen eingeplant." Fauchte sie enragiert, donnerte Aschenbecher in ein Regal, sodass man unwillkürlich auf erlösendes Splittern wartete. "Die wird sie auch brauchen, bei dem ganzen Kaffee-und Kekschen-Spektakel!" Lizard schnalzte mit der Zunge. "Sieht wohl so aus, als feiere niemand mehr Weihnachten. Ioannes ist von seinem Mutterdrachen und dem Stiefstecher auch einbestellt worden, aber ohne unschickliche Lebensabschnittbegleiter." Er wies referierend auf die eigene Brust." "Ich wette, er hat dir auch schon erzählt, welche Bedeutung Weihnachten für unsere geliebten oberen Zehntausend hat, nicht wahr?" Mira, ungewöhnlich heftig in ihrer verbitterten Empörung, wartete weder Zustimmung noch Ablehnung ab, sondern legte ungebremst, die Hände in die Hüften gestützt, los. Dabei imitierte sie den süffisant-arroganten Tonfall ihrer Liebsten erschreckend treffsicher. "Oh, Schätzchen, weißt du, Weihnachten ist lediglich ein gesellschaftliches Ereignis, das tatsächlich einer Leistungsschau entspricht. Alle präsentieren, was sie haben. Deshalb findet die Bescherung natürlich auch vor dem Kirchgang statt, damit der Laufsteg sich lohnt. Danach gibt es einen Abgleich der Speisekarte sowie der Gästeliste und Attraktionen. Das Motto, dem wir huldigen, lautet: ich konsumiere, also bin ich. Teuer, exklusiv und möglichst überflüssiger Luxus. Das belegt unsere wahre Bedeutung im sozialen Gefüge." Doch ebenso rasch, wie der Orkan der Emotionen aufgefrischt war, legte er sich auch wieder, arbeitete sich das melancholische Quecksilber an die Oberfläche. Mira lehnte sich mit gekreuzten Armen auf die Theke, studierte in der polierten Arbeitsplatte ihre Züge: die breite Narbenspur der Akne, die ihrem Erscheinungsbild etwas Martialisches gaben. "Wir haben die Weihnachtsgeschichte gelesen, aus buntem Papier Gutscheine gebastelt und an den Baum gehängt. Es gab Bratäpfel zusammen mit Keksen im Backofen. Ganz spät, wenn alle Sterne zu sehen waren, sind wir gemeinsam durch die Straßen gelaufen, Hand in Hand." Mit einem sehnsüchtigen Lächeln kämmte sie dünne Perlstränge hinter die Ohren. "Weihnachten ist für mich kein Geschenkerausch, sondern dieses Gefühl der Geborgenheit und des Zusammenhalts. Es geht nicht um Wünsche und Erwartungen. Aber es scheint so, als stehe ich damit allein." Betont kraftvoll wirbelte sie ein feuchtes Geschirrtuch durch die Luft, zog eine Grimasse. Ihre beiden Gegenüber blieben stumm, gedankenversunken, bevor sie einen knappen, verschwörerischen Seitenblick austauschten. Sax bleckte das imponierende Gebiss hinter den dunkel getönten Lippen zu einem gewinnenden Funkeln. "Sag mal, wie denkst du über Geisterbeschwörungen?" Raunte er samtig. @~ Ioannes rotierte zwischen Druckerbatterie, seinem Zimmer und der Bibliothek, lief einen hektischen Slalom um Studierende und andere mobile Hindernisse in seiner Flugbahn. Eine 'Deadline' jagte die nächste, dazu noch die Bücherrückgabe, der renitente Massendrucker: sein Herz klopfte bereits zum Zerreißen. Mehr als einmal schon hatte er den Inhalator bemühen müssen, doch der eiserne Wille des jungen, sehr schlanken Mannes mit den dunkelbraunen, exakt getrimmten Locken dominierte über jede Widrigkeit. Dass er dieses hohe Pensum bereuen würde, ignorierte er geflissentlich. Die erdrückende Last hielt ihn davon ab, einem unlösbaren Problem seine Aufwartung zu machen. Er wollte partout nicht allein in den trauten Kreis der Familie zurückkehren, deren gesellschaftliche Anforderungen (Empfänge, Arbeitsessen, Dinners, etc.) ihn ein Vielfaches an Energie und Nervenstärke kosteten als selbst das anstrengende Studium an der privaten Akademie. Es verhielt sich nicht so, dass Ioannes seine Mutter und den Stiefvater nicht schätzte, nicht bereit war, in der Familientradition das eigene Unternehmen fortzuführen, nein. Doch die ihm schier unerträglichen Erwartungen an seine 'private' Person lähmten ihn. Außerdem zweifelte er daran, dass seine Mutter nach der Erkenntnis, dass ihr einziger Sohn einem exotischen Kommilitonen zugetan war, ihre vielfältigen 'Kuppelversuche' einstellen würde. »In dieser Hinsicht weist sie die gleiche kühl-kalkulierende Rationalität wie Melody auf.« Wehte ein versprengter Gedanke durch Ioannes' fiebrig heißen Kopf. Seinen Schutz und Schirm, Melody, konnte er nicht mehr führen. Sie war in Ungnade der Verdammten gefallen. Er selbst würde sich ohne Zweifel bald mit seiner Neigung zum Ausgestoßenen befördern. Rosige Aussichten für ein Familienfest! Deshalb sah Ioannes es als durchaus gerechtfertigt an, nicht über die Feiertage, die anberaumte Heimreise, seine Familie oder seinen Liebhaber nachzudenken, sondern sich mit jedem Quäntchen seiner selbst der Arbeit zu verschreiben. Die stellte wenigstens keine gesellschaftlichen Ansprüche an ihn! @~ Hätte Ioannes einen Augenblick aufwenden können, seine Situation zu besprechen, so hätte er in seinem Kommilitonen Hans-Heinrich, genannt HaHa, einen aufmerksamen und mitfühlenden Gesprächspartner gefunden. Der massige Hüne fürchtete Weihnachten, ging deshalb mit dem verzweifelten Mut eines zum Scheitern Verurteilten frontal auf die sich bietenden Gelegenheiten zur Selbst-Demontage zu, rannte sie förmlich nieder. Galt es, Smalltalk zu absolvieren, stand er in Rekordzeit allein auf weiter Flur. Sollte ein Flurschaden unter Beteiligung von wertvollem Geschirr oder erlesenen Speisen angerichtet werden: HaHa erfüllte die Erwartungen mit Bravour. Kein Fettnäpfchen endete jungfräulich. Dieses Jahr jedoch fürchtete HaHa noch größeres Ungemach, denn da war ja...haaaaacchhhhhhh.... Surprise. Wie ein verheißungsvolles Flüstern, ein sehnsüchtiges Seufzen führte er ihren Namen auf den Lippen. Seine wunderschöne Verlobte. Eine wonnige Lockenpracht um ein herzförmiges Gesicht, kluge, große Augen, ein liebreizendes Lispeln hinter kirschroten Lippen, eine elfenhaft zarte Gestalt: HaHa war mehr als entschlossen, seine Herzdame sofort und stehenden Fußes zu ehelichen. Vorgestellt hatte er seine Angebetete bereits, allerdings wohlweislich eine gewisse, in seinen Augen vernachlässigbare Tatsache unterschlagen. Nicht, dass ihn etwa auch nur das Geringste an seiner verehrungswürdigen Liebsten gestört hätte, keine Frage, mit Haut, Haaren und seinem gewaltigen Körperumfang war er ihr verfallen! »Aber...« HaHa seufzte profund, starrte temporär unglücklich in die eisige Winterlandschaft, zog schauernd die massigen Schultern hoch. Schlanke Arme, mit winzigen Glöckchen an filigranen Bändern bewehrt, schlangen sich um seinen kräftigen Nacken, eine sanfte, melodiöse Stimme lispelte zärtlich an seinem Ohr. "Mein Großer, lässt du mich hier übernachten? Bei uns ist der Strom ausgefallen." HaHa fasste sehr behutsam mit seinen großen Händen nach hinten, streichelte den gepflegten Lockenschopf liebevoll. "Natürlich, Surprise." Um dann unruhig hinzuzufügen. "Glaubst du nicht auch, dass es an Weihnachten grässlich schneien wird?" Zumindest hoffte er das inständig. @~ Mira lag matt auf ihrem Bett, visierte die Zimmerdecke an, die nicht mehr als ein trübsinniges Schattenspiel bot. Ihr Rücken schmerzte trotz der angeblich haltungsfreundlichen Schuhsohlen. Außerdem ging ihr die Unterhaltung im Bistro nach. »Bin ich denn wirklich der einzige Mensch, der nicht emsig herumwirtschaftet, sondern sich ein wenig besinnen möchte, einen Gang zurückschalten will?!« Haderte sie mit ihrer Umgebung. Sie angelte ächzend ein Kopfkissen heran, umarmte es trotzig. »Und Mel ist nicht mehr als eine Ahnung von Parfüm!« Seufzte sie selbstmitleidig, fühlte sich vernachlässigt. Natürlich war alles besser als die grauenvolle Erfahrung des Weihnachtsfestes zuvor, sodass sie ihrer geliebten Sirene jede Ablenkung von Herzen gönnen wollte. "Allerdings wäre ich froh, wenn ICH die Ablenkung sein dürfte." Brummte Mira, kniff das Kopfkissen in die Daunen. Wie sollte es nur weitergehen, wenn sich ihre Freundin in Arbeit vergrub, auf ihre extrovertierte Weise selbst zu einer öffentlichen Institution wurde?! Für Mira, die nicht gerne das Zentrum von Aufmerksamkeit darstellte, eine Horrorvision. Schaudernd setzte sie sich auf, rieb sich massierend den Nacken. "DAS reicht jetzt an Trübsal!" Bestimmte sie laut, erhob sich, um einige Duftkerzen zu illuminieren. Weihnachten allein im Bett mit einem guten Buch?! Ganz bestimmt nicht!! @~ Der Anführer der Trickster legte den Kopf in den Nacken, wirbelte die ungezähmten, statisch knisternden Strähnen in der eisigen Luft herum. Über ihm trieben vereinzelte Wolken, während der langsam einfrierende Hochspannungsmast, in dessen Krone er residierte, metallisch knackte. Es schien Sax noch immer angeraten, nicht in die frostige Aura konzentrierter Verärgerung seines Liebhabers einzutauchen, auch wenn es eine Versuchung darstellte, den marmorweißen Mann mit dem blau-schwarzen, durchgestuften Schopf zu reizen. Konnte man mit Erregung rechnen? Andererseits, zu seinem Bedauern verfügte der Hüne über ein erstaunlich ausgeprägtes Verantwortungsgefühl, gab es eine Menge zu bedenken. So viele fremde Kulturen und Auffassungen er auch studiert hatte: die wahrlich bedeutenden Erkenntnisse erfuhren die Menschen allein unter offenem Himmel, wenn der Geist vom Wind umschlungen seine irdischen, stofflichen Fesseln vergaß. So viele Sorgen und Ungelegenheiten knebelten und quälten seine Gefährten und Freunde, ja, es erschien Sax sogar zutreffend, dass sich durch die Saison Probleme noch zuspitzten!! Doch Sax wäre nicht Sax gewesen, wenn er nicht mit wolfsartigem Geheul der erdrückenden Misere den Kampf angekündigt hätte. Er bleckte das kräftige Gebiss, kratzte mit den schwarzen Krallen Eisblumen vom Stahl, leckte sich vergnügt über die Klauen, verschwendete einen lüsternen Gedanken an den kühlen Liebhaber, der sein einziger Stern war. Anschließend begab sich der Anführer der Trickster daran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. @~ Claudius Cameron der Dritte, genannt CC III, küsste galant den Handrücken seiner Begleiterin, schätzte gleichzeitig den Gesamtwert ihres Schmucks ab. Natalie lächelte mit korrigiertem Gebiss stolz in die Runde mit dem Selbstbewusstsein der Siegerin, die den schönsten Mann ihr Eigen nennen konnte. Tatsächlich trug die seriös-mondäne Erscheinung des Tricksters gepaart mit apart-melierten Schläfen zu seinem unwidersprochenen Erfolg bei. Eine planvolle Attraktivität, die einem nüchternen, analytischen Geist entsprang, der es sich zur Aufgabe erkoren hatte, die Welt zu erobern. Doch nicht zum 'Untertan' wollte er sie sich machen, sondern dringend erforderliche Optimierungsmaßnahmen in der menschlichen Zivilisation einleiten. Ein Unternehmen, das große Kenntnis der menschlichen Natur, ihrer Verhaltensweisen und dem, 'was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält', erforderte. Außerdem oblag es CC III, die Finanzen der Tricksters zu verwalten, durch seine Kontakte mit der Haute Volee zu verbessern. Er nahm das knappe Signal wahr, das eine Nachricht auf dem hochmodernen Multi-Funktionsgerät ankündigte, schenkte seiner Begleiterin aufmerksam Wein nach, während er die Ablenkung nutzte, die hochverdichtete Nachricht zu dechiffrieren. Dies wäre einem Menschen nicht gelungen, stellte dem Trickster jedoch keine Herausforderung dar. Was man von dem Inhalt nicht behaupten konnte. Gedankenverloren zuckte ein Lächeln über die gewohnt unleserlichen Züge des Tricksters. Er widmete sich wieder seiner 'besten Partie'. Es gab nur eine Sache, die eine höhere Priorität genoss, seine Pläne zur Eroberung der Welt übertraf: das Geschick seiner Gefährten. @~ Lizard lehnte lässig gegen eine Wand im Flur, verfolgte mit erzwungener Ruhe, wie sein Liebhaber gehetzt Ausfertigungen druckte, vervielfältigte, die Bindemaschine zur Kooperation nötigte, kurzum kreiselte, als wolle er damit eine Schallmauer durchbrechen. Wie der Trickster nicht völlig zu unrecht vermutete, trug sich Ioannes mit der wilden Hoffnung, ein Zusammenbruch würde ihm ausreichend Argument sein, um den Dispens von der Fron an der Heimat zu erlangen. Ein Befreiungsschlag um diesen hohen Preis wollte Lizard dagegen nicht klaglos akzeptieren. Hatte er nicht mehr als deutlich seinen Anspruch auf diesen sich bis zur völligen Erschöpfung ausbeutenden Mann bekundet?! Konnte er wirklich zulassen, dass Ioannes selbst ihm durch sein Verhalten widersprach?! Die Fäuste ballend erwog Lizard seine Optionen. Als Ioannes ein weiteres Mal mit ausgreifenden Schritten keuchend an ihm vorbeieilte, stellte sich der Trickster in seinen Weg, erstickte den Protest mit leidenschaftlichen Küssen, die den ohnehin atemlosen Liebhaber knebelten. Mit seiner nicht-menschlichen Kraft konnte Lizard Ioannes mühelos umklammern, Widerstand an sich abprallen lassen, in diesem streitbaren Pas de deux Ioannes' Zimmer in Beschlag nehmen. Er ließ seine süße Last betont kräftig auf die Matratze fallen, wandte sich um, verschloss die Zimmertür, blockierte jeden Fluchtweg. Unterdessen hatte sich Ioannes wieder in die Senkrechte gekämpft, rannte gegen ihn an. "Öffne sofort! Du weißt, dass ich zu arbeiten habe!!" Verlangte er energisch, trommelte zwecks Demonstration der Bedeutsamkeit sogar gegen die Brust seines Liebhabers. Der hob mit ungewohnt zornigem Blick aus den Falkenaugen die Hakennase kriegerisch an. "No! Keine Chance, ich öffne nicht. Du hast jetzt Pause, verstanden?!" Zischte der Trickster ohne jeden Sprachfehler zurück, versetzte seinem Liebhaber einen lehrreichen Stoß, der ihn zum Bett dirigierte. "Das kannst du nicht machen, Mauro!" Fauchte Ioannes zurück, die Fäuste geballt, in kampfbereiter Pose, hätte er nicht so bemitleidenswert fragil und angeschlagen ausgesehen. Der Trickster entledigte sich seiner Reptilienhautjacke, schlüpfte aus den zweifarbigen Eintänzerschuhen, streifte sich das glänzende Satinhemd von den Schultern. "Du hast jetzt PAUSE." Buchstabierte er drohend. "Also gib Ruhe!" "Bist du verrückt geworden?!" Nun war es an Ioannes, in frostiger Abneigung zurückzuweichen, die Arme vor der Brust zu verschränken. "Willst du mir deinen Willen aufzwingen?! Für wen hältst du dich?!" Lizard stand bereits vor ihm, lauernd und agil, wie das Fabeltier, das seinen Rücken zierte, bereit, sich geschmeidig in die Luft zu schwingen und seine Feinde zu jagen. "Ich halte mich für deinen Freund." Flüsterte er ebenso kühl. "Wenn du schon zusammenbrechen willst, dann kannst du das auch in meinen Armen. Klar?!" Ioannes' Gesicht, ohnehin bereits fahl, von den Schatten der Anstrengungen gezeichnet, verlor jede Farbe, da er sich entdeckt sah. Mit abgewandtem Kopf zischte er. "Ich bin wirklich nicht in Stimmung für deine frivolen Scherze." Er ballte die Fäuste. "Das ist mir egal." Betonte der Trickster jede Silbe, das Gesicht verschlossen, während er Ioannes ohne viel Federlesens packte, schwungvoll auf die wippende Matratze beförderte. Er überhörte den Protest, wischte abwehrende Hände wie lästige Insekten weg, zerrte grob textile Hindernisse von der abgemagerten Gestalt, schluckte Mitgefühl, Sorge und Harmoniebedürfnis herunter, um fortfahren zu können. Bald schon wehten harsche Atemzüge durch den sich aufheizenden Raum, folgten zwei unbekleidete Körper einem archaischen Rhythmus. Lizard wusste genau einzuschätzen, wie weit er gehen konnte, wie 'hart' es werden dufte, um Ioannes das zu geben, nachdem er stumm geschrien hatte: eine temporäre Erlösung aus seiner Zwickmühle. Was nicht bedeutete, dass dem Trickster das Herz nicht blutete, seinem Liebhaber so zuzusetzen, bis der in seinen Armen kollabierte. Er rollte sich auf den Rücken, Ioannes ohne Bewusstsein in seinen Armen, legte einen nackten Unterarm über die brennenden Augen und blendete die gierige, mitleidlose Welt aus. @~ Mira rieb sich die Augen, unterdrückte ein Gähnen, lauschte betäubt dem Wortgeklingel, das sie zu dieser unchristlichen Stunde aus einem recht angenehmen Schlaf gerissen hatte. Melody, die gefallene Königin und noch immer aufreizendste Blondine mit dem babyblauen Unschuldsblick und dem Jagdinstinkt eines Weißen Hais, bügelte eine Bluse, während sie gleichzeitig Stichworte auf einen Zettel notierte, die eine Rede begleiten sollten. Damit nicht genug, erläuterte sie ihrer Freundin die Ereignisse des Tages sowie die Planungen für die nächsten Stunden. Mit einem Seufzen sackte Mira zurück in die Kissen, wandte der Geräuschquelle den Rücken zu. "Ich schlafe eigentlich." Informierte sie ihre Geliebte nuschelnd. "Hat das nicht alles bis Morgen Zeit?" "Es ist bereits Morgen, respektive Heute." Lautete die nachsichtige Replik in dem gewohnt geschäftstüchtigen Tonfall, der Mira stets das ungute Gefühl vermittelte, sie sei auch nicht mehr als ein Termin auf Melodys expansivem Kalender. Ein Ruck beförderte sie in die Sitzhöhe, die Zöpfe flogen energisch auf die Schultern, während sich Finger in die Bettdecke gruben. "Mel." Mira bemühte sich angestrengt, jedes Zittern, jeden Anflug von Hysterie aus ihrer Stimme zu verbannen. "Ich habe wirklich keine Lust, mir anzuhören, was andere Leute für tolle Vorhaben planen, welche Aktionen sie anleiern wollen, oder sonst was. Ich bin müde. Ich will schlafen." Eine unnachahmlich hochgezogene Augenbraue vermittelte ihr den Eindruck, sich wie ein trotziges Kind zu gebärden, doch Mira hielt stand. "Fein, entschuldige, Liebste, dass ich dich belästigt habe." Mit jedem Zoll Haltung sammelte Melody ihre Arbeitsunterlagen ein, die halb gebügelte Bluse sorgsam auf einen Kleiderbügel, Notizblock, Stifte... Mira legte die Stirn auf die angezogenen Knie. »Schon wieder habe ich es verdorben.« Dröhnte es in ihrem Kopf. Ein altbekannter Vorwurf, den sie in diesem Augenblick für ungerecht und unzutreffend hielt. Die Zimmertür schloss sich gesittet leise hinter Melody. "Ach, verdammt!" Mira seufzte, rollte sich zu einem kompakten Paket zusammen, verkroch sich tief in ihrem Bett. @~ Aurelius setzte die letzte neue Sicherung ein, überprüfte in seiner ein wenig steif anmutenden Sorgsamkeit die Funktion, bevor er beschloss, sich zur Ruhe zu begeben. Er hielt an einer breiten Fensterfront inne, warf einen forschenden Blick in die eisige Nacht hinaus. Sax war noch immer nicht zurückgekehrt. Auch die anderen Trickster hatten ihr Quartier aushäusig genommen. Der kühle Mann mit den kaleidoskopierenden Augen löschte die letzten Lichter, schlüpfte aus dem auf Figur geschnittenen, weißen Hausanzug, hängte ihn akkurat in einen begehbaren Schrank. Die gewaltige Fabrikhalle, ein Backsteinbau aus dem vorigen Jahrhundert, besaß eine Menge von ihnen konstruierte und liebevoll eingerichtete Besonderheiten. Die durch den Stromausfall verursachte Kälte hatte dem Ersten der Trickster kein Unbehagen bereitet, eher im Gegenteil seinen Arbeitseifer potenziert. Andererseits galt es an die vorhandenen Maschinen und Einbauten zu denken, die Temperaturstürze nicht sonderlich goutierten. Die Abwesenheit seines ungestümen Liebhabers bekümmerte Aurelius nicht sonderlich. Immerhin hatte sich Sax zum Haus begeben, um die Sicherungen als erstes Versöhnungsgeschenk abzulegen. Es stand außer Frage, dass der ungezähmte, dunkle Mann mit der Raubtiermähne zu ihm zurückkehren würde. Aurelius glitt in das umgewidmete Wasserbassin, das ihm und Sax als Bett diente, wickelte sich in eine seidige Decke. Sämtliche unter Strom oder Spannung stehenden Geräte sowie brennbare Güter waren entfernt worden. Eine Notwendigkeit angesichts der Intensität ihrer Beziehung. Ein minimales Lächeln huschte über seine Züge, als er sich müßig fragte, wie wohl Sax' neuestes Bittgesuch um Vergebung ausfallen würde. @~ Aurelius kontrollierte die schweren Rollläden, hielt an einem inne, den ein ihm unbekannter Zettel schmückte. In groben Lettern richtete eine ihm wohlbekannte Klaue eine kryptische Frage an die Welt. [Wo wohnt der Geist der Weihnacht?] Der schlanke Mann lächelte hintergründig, formulierte mit ein wenig steif anmutender Eleganz seinen Teil der Antwort. @~ CC III lächelte höflich, arbeitete dabei konzentriert an einem interessanten Projekt, das verschiedene Verkehrsunternehmen und einige Chemikalienfabrikanten vor gewisse Erklärungsnöte stellen würde. Natalie, die neben ihm hoch aufgerichtet die schwierige Frage erwog, welches Skigebiet in dieser Saison auf keinen Fall ausgelassen werden konnte, bemerkte die Fingerfertigkeit ihres 'Verlobten' nicht, geschweige denn, dass sie eine Vorstellung davon hatte, zu was CC III fähig und willens war. @~ "Heiligabend, und es schneit kein bisschen!" HaHa klebte förmlich frontal an der Fensterscheibe, von kläglicher Enttäuschung gebeutelt. Diesen Monolog führte er seit den frühen Morgenstunden mit wachsender Hysterie. Surprise, die sich die Haare aufgedreht hatte, tauchte unter dem Handtuch auf, tänzelte von einem Fuß auf den anderen. Der seelische Zustand des tapferen Recken bekümmerte die zierliche Person, zeigte sich HaHa doch gewöhnlich trotz aller Ungemach unerschrocken und kühn. Sie lehnte sich an die imposante Gestalt, ließ die zierlichen Hände in die großen Pranken gleiten. "Ich wüsste eine mögliche Lösung." Lispelte Surprise vertraulich. Ungläubig schnellte HaHa seine gewaltige Körpermasse auf dem Absatz herum. "Wirklich?!" Staunte er großäugig. Surprise zwinkerte mit grünen Augen zärtlich. "Gehen wir?" Offerierte sie eine schmale Hand lockend. @~ Ioannes verstaute die Fahrkarte in einer Innentasche, kontrollierte die Ladung seines Mobiltelefons, wagte einen zögerlichen Blick in die Fensterscheibe. Es wollte nicht hell werden an diesem Tag. Eine trübe Nebelsuppe verschluckte jede Ahnung von Licht, absorbierte den Glanz der festlichen Beleuchtung, aber auch die regennassen Spiegel von Fassaden und Straßen. Entgegen blickte ihm sein eigener Zwilling, ein überschlanker Mann mit sorgsam getrimmten Locken in einem Smoking, mit polierten Schuhen, einem konservativ dunklem Kaschmirschal und einem halblangen Wintermantel in seriösem Marineton. Der Verzicht auf jegliches Gepäck fiel Ioannes leicht, wusste er sich doch überreichlich versorgt am Ziel seiner Reise, seinem Elternhaus. »Wenn doch nur Mauro...« Ioannes presste stumm die Lippen aufeinander, wandte sich ab. Er trug die Spuren der vergangenen Nacht noch am ganzen Leib, wie sichtbare Zeugnisse eines Bannes, dessen mächtigem Schutzschild er bedurfte. »Er versteht es einfach nicht!« Huschte ein erboster Gedanke durch Ioannes' Kopf. Um sofort gekontert zu werden. »Im Gegenteil, er versteht nur zu gut! Dass du einfach zu schwach bist, um zu ihm zu stehen, einen deutlichen Trennungsstrich zu ziehen!« Ioannes sackte auf der Bettkante nieder, stützte den Kopf schwer in seine Hände. »Fürwahr, eine verfahrene Situation.« Er kontrollierte den Fortgang der Zeit auf seiner Armbanduhr, löschte das Licht, verließ sein Zimmer, verschloss die Tür mit der Codekarte. Er seufzte leise, wandte sich ab. »Ich wünschte, ich hätte dich heute sehen können.« @~ Der Himmel zeigte keine Sterne, verhüllte sich hinter dichten, tiefhängenden Wolken. Ein unangenehm frischer Wind heulte durch die leergefegten Straßen, verzerrte den Ruf der Glocken, die die Messe anzeigten. Mira stapelte Stühle, wischte mit grimmiger Energie den Boden frisch auf, bevor sie die Beleuchtung reduzierte, ein letztes Mal die Türen und Fenster kontrollierte. Sie trat in die Küche. Josefa, die einige Verwandte besuchte, hatte das geliebte Bistro Miras Obhut überlassen. Die Studentin nahm diese Verantwortung sehr ernst. Müßige Gedanken verscheuchte sie entschlossen mit Arbeit, doch nun zeigte sich, dass Heiligabend erreicht war, sie letztendlich jeder Aufgabe ledig. Auf der Arbeitsplatte fand sich eine große Plastiktüte mit Keksen und Gebäck, das sie nicht mehr hatte verkaufen können. Mira schulterte sie, lachte leise. "Ho ho ho!" Probte sie zum eigenen Vergnügen. Bevor man Unverkäufliches in den Abfall entsorgte, bot Josefa es üblicherweise wie viele andere Unternehmer auch einer wohltätigen Tafel für Arme an, aber in diesem Jahr fehlte es weniger an Gaben als an dem Transport, sodass es Mira überlassen blieb, sich selbst für die Feiertage den Bauch vollzuschlagen. Oder alles in die Mülltonnen zu befördern. Sie warf sich ihren Parka über, wickelte einen Schal um den Hals, nahm den Beutel in Verwahrung. Obwohl sie sich ein wenig derangiert vorkam in der Servierschürze und Turnschuhen, gar nicht wie ein Weihnachtsengel, war sie fest entschlossen, eine Bescherung vorzunehmen. Und wenn es Laufmaschen auslöste! @~ CC III schloss wie gebeten die zierlichen Haken an dem Galakleid, hauchte taktisch klug einen Kuss auf den entblößten Nacken. Er komplimentierte mit leiser Stimme die Erscheinung seiner Begleiterin. Selbst bot er naturgemäß ein atemberaubendes Bild von einem Mann dar, im Abendanzug, die melierten Schläfen akkurat getrimmt. Keine Spur zeugte von der emsigen Aktivität der letzten Stunden auf seinem Gesicht, sah man von einem winzigen Lächeln der Zufriedenheit ab. Mit einem lässigen Daumendruck entsandte er das letzte Signal zur Initialzündung, bot galant seinen Arm. "Ich hoffe, die Gans ist dieses Jahr nicht so grässlich zäh." Brummte Natalie, bevor sie ein maskenhaftes Lächeln aufsetzte. CC III enthielt sich weise eines Kommentars, sonderte stattdessen ein weiteres Lob für die stilvolle Frisur seiner Gefährtin ab. Sofort strahlte Natalie in höchster Wattzahl. CC III, der sich noch immer um die Geheimnisse weiblicher Psyche bemühte als Rüstzeug für die Welteroberung, hakte einen weiteren Punkt auf seiner persönlichen Liste ab. @~ Kapitel 2 - Geisterbeschwörung "Sollten wir uns nicht auf den Weg machen?" Lispelte Surprise neckend, stellte sich graziös auf die Zehenspitzen ihrer Stiefelchen, um HaHas Wange zu kneifen. Der seufzte lautstark, legte sehr behutsam einen Arm um die schmalen Schultern, straffte die ausufernde Kinnpartie. "Wieso schneit es bloß nicht?!" Brummte er schicksalsergeben, hob in nahezu vernichteter Hoffnung die Jalousie an. Wurzelte umgehend auf der Stelle fest. "Es~es schneit!" Wisperte HaHa ungläubig. Surprise tätschelte besitzergreifend eine sehr ausgeprägte Pobacke. "Sieh an, sieh an." Lächelte sie zirpend. Aber es schneite nicht nur still und leise vor sich hin, nein, gewaltige Flockenheere warfen sich ungestüm Richtung Erde, tanzten wild umeinander. "Da haben sich einige Wetterfrösche wohl geirrt, hmm?" Schnurrte die zierliche Tricksterin, sandte einen stummen Dank an CC III. »Saubere Arbeit.« "Tjaaaaa!" HaHa rieb sich die gewaltigen Pranken. "Ich rufe besser mal an und sage, dass wir heute nicht fahren können, nicht wahr?" Sein Strahlen stellte das Kunstlicht mühelos in den Schatten. Federleicht tänzelte er zum Telefon. Surprise zwinkerte nachsichtig. "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben." Allein, HaHas Elan konnte dies nicht trüben. Er flötete erleichtert in die Muschel, ignorierte die schnippische Replik seiner Mutter unbekümmert. "Ich ziehe mir mal etwas Angemesseneres an." Surprise ließ achtlos ihren Zweiteiler fallen, spazierte im Adamskostüm in HaHas Studentenzimmer umher, lieh sich aus seinem Schrank ein weiches Flanellhemd, das ihr als Kleid dienen konnte, entnahm ihrem praktischen Matchbeutel eine Strumpfhose. HaHa verfolgte ihre selbstvergessenen Aktivitäten verzaubert. "Komm." Streckte sich ihm eine zarte Hand entgegen. "Heute ist eine besondere Nacht." @~ Ioannes lehnte schwer in den Polstern, die müden Augen geschlossen. Sollte der Zug nicht längst fahren? Wie lange währte die Verzögerung noch? Eine Hand berührte seine Schulter, der Student schreckte hoch. "Entschuldigung." Die freundliche Zugbegleiterin lächelte Ioannes hilflos an. "Wir müssen leider den Zug räumen. Es ist kein Durchkommen mehr. Außerdem ist das Rechenzentrum ausgefallen. Ich fürchte, wir können bis Morgen keine Abfahrt mehr durchführen." Ioannes blinzelte, verarbeitete die Nachricht, um sich langsam zu erheben. "Vielen Dank und ein frohes Fest." Wünschte er leise, ungläubig, einer erdrückenden Pflicht durch das Eingreifen höherer Mächte ledig. Doch wohin sich nun wenden? Mit dem gewaltigen Ruck, den die Erleichterung auslöste, strömten seine Lebensgeister zurück, wollten sich natürlich nicht geziemend verhalten, sondern tobten ungebärdig in seinem Innersten. Allein in das verlassene Studierendenwohnheim zurücklaufen, um dort eine einsame Nacht zu verbringen?! Er trat auf den Bahnsteig hinaus, schlenderte langsam in das Herz des Bahnhofs hinein, beobachtete müßig die gehetzt eilenden Mitreisenden, die sich rasch zerstreuten. Ein Taxi zu ergattern stünde wohl angesichts des Aufkommens nicht zur Debatte, doch Ioannes fühlte sich ungewohnt leicht, beinahe übermütig, lächelte stillvergnügt vor sich hin, von ungewohnter Freizeit ohne strenges Diktat umhüllt wie einer wonnig-weichen Wolke verlockender Verheißungen. Pflichtschuldig zückte er sein Mobiltelefon, wartete artig, bis endlich sein Anruf angenommen wurde, erklärte die Situation. Seine Mutter zürnte ungläubig, wie konnte es ausgerechnet jetzt so schneien?! Niemand hatte ernsthafte Wetterbehinderungen vorausgesagt. Ioannes schmunzelte, studierte den dicken, flauschigen Teppich jungfräulichen Schnees, der die Geräuschkulisse dämpfte, die munter kreisenden, dicht tanzenden Flocken. "Es ist immerhin eine besondere Nacht." Bemerkte er amüsiert, überhörte geflissentlich die wenig druckreife Antwort, bestellte seine guten Wünsche, beendete das Gespräch. Die Hände tief in die Manteltaschen versenkt drehte er sich langsam im Kreis, goutierte das Panorama, atmete die frische schneereiche Luft tief ein, beinahe schwindlig durch ihre beißende Klarheit. Als könne jeder Atemzug tatsächlich drückende Lasten, knebelnde Sorgen und gereizte Stimmung vertreiben, ihn reinwaschen von allem Ungemach! Er wandte sich um, der Lobby und dem Ausgang entgegen zu spazieren, da stand in einiger Entfernung eine gebückte Gestalt, heftig keuchend, nass von schmelzenden Flocken in den braunen Haaren, die sandfarbene Haut von Kälte und Anstrengung rosig gefärbt, die hellen Falkenaugen klar und direkt. Ioannes öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor. Langsam, mit wachsender Beschleunigung hielt Lizard auf ihn zu, die Reptilienhautjacke schwang offen, enthüllte das aufgeknöpfte Satinhemd und die glatte Haut darunter. "Mi curazon!" Ungebremst mit aufwehenden Hemdschößen schloss der Trickster Ioannes in seine Arme, hielt ihn eng umschlungen. Ioannes erwiderte die Intensität der Liebkosung, lehnte sich an Lizard, lachte leise in die warme Halsbeuge, die ihn vor der Welt verbarg. Sie verharrten eine Weile stumm in der versichernden Umarmung. Ioannes zog sich ein wenig zurück, studierte die hellen Falkenaugen über der scharfen Hakennase. "Du hast mich vermisst." Stellte er, ein wenig beschämt von der unverhüllten Wahrheit in den ungewöhnlichen Augen, fest, schnickte zum Ausgleich neckend die filzige Strähne hoch. Lizard funkelte herausfordernd zurück. "Mit diesem Gefühl stehe ich nicht allein!" Er presste einen Kuss auf Ioannes' kalte Stirn. "Was fangen wir jetzt an?" Erkundigte der sich, genoss ungeniert die Wärme, die Lizard verschwenderisch verströmte. Mit einer leichten Drehung löste Lizard einen Arm, der andere hielt Ioannes sicher. "Wir gehen zu meiner Familie." Bestimmte Lizard triumphierend. "Dort werden wir zusammen akzeptiert." Die Spitze entging Ioannes keineswegs, allerdings fühlte er sich zu beschwingt, um Kontra zu geben, denn sein Liebhaber hatte den wunden Punkt treffsicher getroffen. "Das geht nicht." Bemerkte Ioannes jedoch zu Lizards nicht geringer Überraschung, stemmte die Fersen energisch in die Steinplatten unter ihren Füßen. "Ah nein?" Pointiert wanderten Augenbrauen in die Höhe. "Weshalb nicht?" Ein verschmitztes Grinsen tanzte auf Ioannes' sonst so angestrengten und ausgemergelten Zügen. Seine Augen wiesen bezeichnend zum gewaltigen Kuppeldach der Bahnhofshalle. "Deshalb." Indizierte er einen kunstvoll arrangierten Bund Misteln, schlang einen Arm um Lizards Nacken, küsste ihn ohne Zögern leidenschaftlich auf den Mund. Geraume, hastige Herzschläge später lehnte sich der Trickster betont schwer auf seinen Begleiter, grinste frivol. "Ola, wer hätte das gedacht?! Jetzt habe ich Knie wie Pudding, mi querido." Ioannes lachte frei heraus, küsste im Schlendergang Lizards Wange. "Du wirst sehen, Mauro, ich werde noch lernen zu fliegen." Verkündete er entschlossen, tauchte in den dichten Schauer daunenweicher Flocken ein. @~ "So was!" Brummte Mira seufzend, hielt auf den nächsten Hauseingang zu, den letzten auf ihrem Weg zum Hauptquartier der Tricksters am Siedlungsrand. So niedlich die Schneeflocken auch wirkten, sie waren anhänglich, entwickelten in ihrer Konzentration doch ein gewisses Gewicht. "Buhaaa!" Schüttelte sie sich energisch, erntete ein Niesen. Erschrocken wandte sich die Studentin herum. Ihr gegenüber nutzte eine zweite Person den Hauseingang als temporären Unterstand, nun allerdings nicht weniger bezuckert und in Kürze nass als ohne schützendes Dach. "Oh, Entschuldigung, ich habe Sie..." Mira kniff die grauen Mandelaugen blinzelnd zusammen. Die schwache Eingangsfunzel trug nicht gerade zu guten Sichtverhältnissen bei. "Ich habe ja immer gewusst, dass der Geruch all dieser Leckereien deine Sinne vernebelt." Spöttelte eine wohlbekannte Sirene, lupfte einen eleganten Winterhut, um die blonde Lockenmähne, weihnachtlich gekringelt, aufzulockern. "Melody?!" Blökte Mira ungläubig, stemmte ärgerlich die kalten Hände in die Hüften, nur marginal von ihrem Gebäck-Beutel behindert. "Was tust du hier?!" "Im Augenblick friere ich mir den Arsch ab, weil es saukalt ist. Meine Zehen kann ich bestimmt abschreiben! Ansonsten wollte ich ein paar Freunde besuchen, die ihre verdammte Hütte ausgerechnet am Ende der Zivilisation bezogen haben." Beschied die liebreizende Stimme im Konversationston. Kornblumenblaue Augen richteten sich auf Mira. "Was führt dich hierher, meine Liebe?" Für Wimpernschläge war Mira in der großen Versuchung, einen Schneeball zu formen, ohne Vorwarnung in das geliebte Gesicht ihrer Sirene zu feuern, kräftig zu reiben, den Rest der 'Packung' den Kragen hinab zu schmuggeln. "Hast du nicht gesagt, du hast so viel zu tun?! Ich meine, die ganze Welt muss schließlich beglückt werden! Da kann man sich ja wohl kaum mit einer Handvoll Freaks aufhalten! Wo ist dein Pflichtgefühl geblieben?! Gibt es nicht noch irgendwen, der Hilfe und Unterstützung nötig hat, hm?!" Herrschte sie ihre Freundin bitter an. Melody legte den Kopf schief, die sorgfältig gezupften Augenbrauen in Konzentration zusammengezogen, wie stets adrett und attraktiv zugleich. Ihr 'offizielles' Erscheinungsbild. "Doch, so jemanden gibt es tatsächlich." Erklärte sie gelassen, knöpfte ohne Hast ihren vornehmen Wintermantel auf, enthüllte das klassische Kostüm darunter, das die Farbe ihrer Augen betonte, stärker noch ihre kurvenreiche Traumfigur. Wie gewohnt verfehlte der Anblick seine Wirkung nicht. Mira schluckte, reckte trotzig das Kinn. Sie wich sogar einen zögerlichen Schritt zurück, als Melody auf sie zu trat, die perfekt lackierten Fingernägel erst den Reißverschluss des Parka herunter-, danach mit erstaunlicher Kraft Miras widerstrebende Gestalt hauteng heranzogen. Wintergraue Stürme lieferten sich mit quecksilbriger Wehmut einen harten Kampf vor kornblumenblauer Inspektion. "Hast du wirklich geglaubt, dass ich dich vergesse?" Hauchte die Sirene lasziv an Miras bebenden Lippen, die sich verzweifelt wünschte, einmal wenigstens der Versuchung widerstehen zu können. Doch warum ausgerechnet in dieser Nacht mit der Tradition brechen? "Dummerchen." Tadelte Melody mit einem neckenden Biss in Miras Nasenspitze, die reflexartig eine Hand lupfte, schmollend die unsichtbare Wunde bestrich. "Du bist wirklich verfressen!" Schnaubte sie betont heftig. "Definitiv richtig!" Ihre geliebte Ex-Königin des Campus feixte ungeniert, bar jeder trainierten Haltung, leckte über die malträtierte Stelle, bevor sie Mira gegen die Hauswand dirigierte, jeden Protest versiert versiegelte. @~ Sax rieb sich die Hände, legte den Kopf in den Nacken, bleckte selbstzufrieden sein Raubtiergebiss. Die Nacht strahlte durch den glänzenden Vorhang unerwarteter, aber rechtzeitig in Auftrag gegebener Schneeflocken, die kein Ende zu nehmen schienen. Noch einmal kontrollierte er den verstärkten Hering, das schwere Seil, justierte den einsamen Scheinwerfer. Bis zum Morgen würde die Energie reichen, die ihn versorgte. "Es werde Licht!" Verkündete er mit einem rauen Lachen. Wie ein Laserstrahl schnitt der helle Pegel des Scheinwerfers in den Vorhang der Schneeflocken, visierte den Himmel an, traf den Wetterballon hoch über Sax' Kopf. Der erstrahlte geheimnisvoll. "You are my lucky star." Summte der Anführer der Trickster in Vorfreude, stapfte über das freie Feld durch Schneewehen nach Hause. @~ "Sieh doch mal!" Melody zog Mira noch ein wenig enger heran, obwohl sie bereits untergehakt liefen, sich gegen die Schneeflocken durchsetzten. "Wow!" Staunte auch Mira, blieb stehen. "Was ist das?!" "Ein Stern." Stellte Melody fest, blinzelte Schneeflocken weg, die sich mit Vorliebe auf ihren langen, geschwungenen Wimpern festsetzen. "Unglaublich!" "Ein einziger Stern bei diesem Schneetreiben?!" Skeptisch runzelte Mira die Stirn, rieb sich inklusive Beutel die Narben auf ihren Wangen. "Einerlei!" Melody drängte forsch vorwärts. "Ein schöner Stern in dieser Nacht. Mehr müssen wir doch nicht wissen." Mit einem erstaunten Seitenblick kommentierte Mira wortlos die seltsame Anwandlung ihrer Geliebten, die sich so gar nicht disponiert zeigte, Ratio über den Zauber des Augenblicks zu stellen, wie sie es gewöhnlich tat. "Da vorne ist es!" Gemeinsam stapften die beiden Frauen, unzureichend gegen die Witterung gewappnet, auf das große Backsteingebäude zu. Kein Licht drang nach draußen, als Melody energisch die Klingel eindrückte, kein Geräusch belohnte ihre Bemühungen. "Ist sie kaputt?!" Schnalzte sie mit der Zunge, während Mira neben ihr auf der Stelle hopste. "Dann eben auf die traditionelle Weise!" Eine schwere Türglocke schwang hin und her, als sie den langen Glockenstrang kräftig zog. Augenblicke später öffnete sich die Pforte. Köstliche Wärme strömte ihnen entgegen. "Guten Abend." Aurelius trat auf die Seite, nahm zuvorkommend die Gebäcktüte ab, als beide Frauen hineinstürzten, sich ächzend ausschüttelten. "So ein Schneetreiben hätte ich nicht erwartet." Kommentierte er trocken, wies dann den Weg zur Garderobe, einer ausrangierten Aufzugkabine mit Spiegel, lederbezogener Bank und umlaufender Stange mit Hakenleiste. "Oh, wunderschön!" Staunte Mira leise, fasste nach Melodys Hand, als sie ihrem wie gewohnt in blendendem Weiß gekleideten Führer in das Herz des Gebäudes folgten. Mit wenigen Mitteln hatte es der Erste der Trickster verstanden, der gewaltigen Halle Atmosphäre zu verleihen. Girlanden aus Erdnüssen wanden sich um Säulen, Mandarinen und Orangen lagerten in Hängekörben, wenige geschickt drapierte Stoffe verdeckten den kahlen Backstein. Kerzen verströmten warmes Licht und Aroma, hinter buntem Papier oder Glas in ein Kaleidoskop von Regenbogenfarben getaucht. Im Hintergrund perlte Musik unaufdringlich, wechselte zwischen barocker Klassik und Barjazz. "Wirklich wunderschön." Murmelte Mira ergriffen, lächelte ein wenig eingeschüchtert zu Aurelius über die Breite der Küchenzeile hinweg. Der zwinkerte aufmunternd, antwortete mit nordisch anmutendem Akzent. "Vielen Dank. Bitte, machen Sie es sich doch bequem. Ich werde Ihnen gleich meine Variante eines Weihnachtspunsch servieren." "Prima!" Strahlte Melody direkt. "Ich spüre meine Zehen nämlich nicht mehr!" Bar der üblichen gesetzten Reserve ließ sie sich auf den liebevoll aufbereiteten Polstern eines gewaltigen Sofarunds nieder, schlüpfte aus den Pumps, umarmte eines der unzähligen Kissen, die Aurelius mit Stoffresten aller Art zu beziehen pflegte. "Dieses hier ist ja klasse! Was ist das? Latex?" Erkundigte sie sich unverbrämt, boxte das Objekt des Interesse prüfend in seine gefüllte Mitte. "In der Tat." Bestätigte Aurelius ruhig, beobachtete die beiden jungen Frauen eingehend. Mira, die sich sehr viel gehemmter setzte, in ihrer Servierschürze und den Turnschuhen gar nicht festlich wirkte, presste die Lippen zusammen, einmal mehr verärgert von ihren Hemmungen. "Das hier fühlt sich toll an." Melody kniete neben ihr, ohne Rücksicht auf ihr kostspieliges Kostüm, reichte ein anderes Kissen rüber. "Wie Stofftierflausch!" Schwärmte sie begeistert. Zögerlich nahm Mira das gute Stück entgegen, auch zwei bestrumpfte Füße. "Mira, Schatz, könntest du bitte mal rausfinden, ob ich in Zukunft eine Schuhgröße weniger brauche?" Ein becircender Augenaufschlag begleitete das Ersuchen. Kopfschüttelnd machte sich Mira an die Arbeit, massierte behutsam Leben in die veritablen 'Eisbeine', zählte die intakten Zehen laut nach. "Sieht nicht so aus, als müsstest du deinen Schuhschrank ausmisten." Brummte sie trocken. "Oh, guuuuut!" Schnurrte die Sirene genüsslich, lang ausgestreckt, die blonde Lockenpracht ausgebreitet. "Nicht aufhören." Gurrte sie. "Sehr wohl, deine ergebene Sklavin." Murmelte Mira, massierte artig weiter, mit geröteten Wangen angesichts der Laute, die sie ihrer Freundin entlockte. Aurelius servierte den zugesagten Punsch, ließ sich gewohnt hoch aufgerichtet neben Melodys Kopf nieder. "Befinden Sie sich wohl, meine Liebe?" Erkundigte er sich. Melody schlug die Augen auf, studierte den Mann mit den kaleidoskopierenden Augen still, streckte eine Hand hoch, um sie federleicht auf eine marmorweiße Wange zu legen. "Ich habe meine Ziele noch nicht erreicht, doch dank deiner Hilfe kann ich mein Studium ungefährdet beenden." Lächelte sie ernst in die nunmehr ozeangrünen Augen hinauf. "Es war mir ein Vergnügen." Versicherte Aurelius, flackernde Blitze in den violetten Sturmtiefen seiner unvergleichlichen Augen. In diesem Augenblick stiller Verständigung lärmte die Türglocke. Als Gastgeber entschuldigte sich Aurelius elegant, wandte sich dem Eingang zu, um die nächsten Gäste einzulassen. Nur wenig später gesellten sich, ein wenig feucht, Lizard und Ioannes zu den beiden Frauen. "Du bist hier?!" Melody schraubte sich in die Senkrechte, klopfte besitzergreifend auf das Polster neben sich. "Ich dachte, du wärst auf dem Weg zu deinem Mutterdrachen?!" Ioannes zog die Augenbrauen hoch. "Mutterdrachen?!" Wiederholte er ungläubig. War das wirklich DIE Melody, die er kannte?! "Die Züge können wegen irgendwelcher elektronischen Probleme in der Zentrale nicht abfahren." Verteidigte Ioannes seine Anwesenheit, nahm misstrauisch neben dem unbekannten Wesen namens Melody Platz. Sie umarmte ihn unangekündigt, wisperte in sein Ohr. "Du hättest nicht ohne Lizard fahren sollen." Überrascht staunte Ioannes in die kornblumenblauen Augen seiner Weggefährtin durch die Untiefen des gesellschaftlichen Lebens der oberen Zehntausend. Melody grinste bodenständig. "Manchmal bist du wirklich eine Schnecke!" Ein Klaps auf den Hinterkopf folgte diesem zärtlichen Tadel. "Gar nicht wahr!" Grummelte Ioannes beschämt, sah sich suchend nach Lizard um, der mit Aurelius einen kurzen Austausch an der Küchenzeile hielt. "Tsk, tsk, du hast doch nicht etwa Angst vor mir?" Tadelnd stieß ihm die Sirene einen Ellenbogen in die Seite. "Ich werde dich schon nicht bespringen." Ioannes' Unterkiefer sackte zwischen die Kniekehlen, offerierte einem dental interessierten Menschen tiefere Einblicke in seine Biographie. "Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, was?" Mischte sich Mira, die langsam ihre Befangenheit ablegte, zwinkernd ein. Der Student nickte automatisch, dann noch einmal mit Nachdruck. "Hey, was soll das denn heißen?!" Melody stand sofort, besockt, die Hände in die Hüften gestützt, funkelte agitiert in die überschaubare Menge ihrer sich duckenden Untertanen. Sie lachte laut heraus, den Kopf in den Nacken gelegt. "Ich weiß schon!" Hob sie abwehrend die Hände, noch immer amüsiert, streckte die Hand nach Ioannes aus. "Komm, einen Tanz, ja?" Ioannes löste sich von den Polstern. Seine Erziehung ließ keine Ablehnung dieser Bitte zu. Außerdem hatte er Melody eingestandenermaßen eine Menge zu verdanken. "Aber der letzte Tanz..." Begann er, von einem siegelnden Finger gestoppt. "Denkst du, ich weiß das nicht?" Schmunzelte sie über seine Verlegenheit. Sie drehten sich in der vertrauten Sicherheit zweier Menschen, die aus gesellschaftlicher Notwendigkeit diese Kunstfertigkeit erworben hatten, einander vertrauten und Fehltritte vermieden. "Ioannes?" Drang Melodys Stimme leise an sein Ohr, während er die anmutige Gestalt sicher hielt. "Du weißt, dass ich dir immer beistehen werde, egal, was mit meiner Familie passiert, nicht wahr?" Selbsttätig strich seine Hand über die rückwärtige Partie seiner Tanzpartnerin. "Natürlich weiß ich das, Dummerchen." Konterte er neckend, suchte den kornblumenblauen Blick. "Wir sind doch so gut wie Geschwister. Daran wird nichts etwas verändern." Bestimmte der Student entschlossen. "So, so." Flüsterte Melody lächelnd, die Augen von einem Tränenfilm in Glanz getaucht, streichelte die getrimmten Locken zausend, ließ sich umarmen. "Darf ich?" Materialisierte sich Lizard neben ihnen, wählte zu Ioannes' Überraschung aber Melodys Hand. Mira hielt sich unterdessen an den Punsch, die Füße von den Turnschuhen befreit unter einem Kissen verborgen. Aurelius nahm neben ihr Platz, überging ihre Verlegenheit. "Sie hatten heute sicherlich einen anstrengenden Tag, nicht wahr?" Erkundigte er sich ausgesucht höflich, studierte die Symphonie der Gegensätze, die sich ihm bot. Quecksilbrige Mandelaugen über narbengezeichneten Wangen, karamellfarbener Hautton, dünne, braune Zöpfe, eine eher kräftige Figur in dem Habitus einer Serviererin. Mira zuckte verlegen mit den Schultern, komplimentierte eilig Aurelius' Arbeit. "Die Dekoration und überhaupt alles ist wirklich wunderschön." Er nickte gravitätisch, bedankte sich gewohnt zurückhaltend. Sax hatte ihm von dieser Frau berichtet, die er erst einmal aus der Nähe gesehen hatte, bei einem weniger erfreulichen Anlass. "Darf ich Sie um einen Gefallen ersuchen, meine Liebe?" Er erhob sich, streckte eine Hand aus, um auch Mira auf die Beine zu helfen. "Sicher doch." Befangen folgte sie dem schlanken, in strahlendes Weiß gekleideten Mann. Aurelius führte sie zu seinem Atelier. "Hätten Sie die Freundlichkeit, es anzuprobieren?" Er wählte eine aparte Kombination aus, weichen Babycord in Nuancen von Anthrazit: eine geschnürte Hose, die einer Amazone angemessen gewesen wäre, mit goldfarbener Runen-Stickerei, dazu eine Corsage mit Taftbesätzen, die bis zur Hälfte des Oberschenkels Hemdschöße darstellten, ebenso flatternde Ärmel, die in Trompetenbündchen endeten. "Das kann ich doch nicht!" Doch als Mira ihren Blick von der Kreation hob, hatte sich der Gastgeber in Luft aufgelöst, ließ sie mit der Versuchung und ihren widerstreitenden Gefühlen allein. Den Zweifeln, zu der Elite dazuzugehören, als Stipendiatin, gleichzeitig aber ausgegrenzt zu werden, gesellschaftlich zwischen allen Stühlen zu sitzen. »Außerdem habe ich die falsche Hautfarbe und liebe eine Frau.« Kriegerisch zogen sich Falten der Konzentration über Miras Stirn. "Zur Hölle!" Trieb sie sich selbst fluchend an, huschte hinter eine spanische Wand, wagte die erbetene Anprobe. Tatsächlich! Wie angegossen schmiegte sich der streichelzarte Babycord an ihre nackte Haut, harmonierte perfekt mit dem Karamellton. "Wow..." Murmelte Mira ungläubig, studierte ihr Erscheinungsbild im Spiegel. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, mit all den 'Prinzessinnen' mithalten zu können, auf ihre höchst eigene Weise. "Granatenscharf." Raunte es kehlig hinter ihr, legte sich vertraulich eine krallenbewehrte Klaue auf ihre Schulter. "Sax!" Mira lachte erleichtert auf. Mit dem furchteinflößenden Hünen konnte sie unbeschwerter agieren als den anderen Angehörigen dieser merkwürdigen Familie. "Guten Abend." Knurrte der Anführer der Trickster, schüttelte seine nasse Mähne wild aus, grinste sein Raubtierlächeln. "Und das ist ein Versprechen." Flüsterte er samtig. @~ Sicher an Sax' Hand marschierte Mira barfüßig zurück, ließ die angeregte Unterhaltung der Studenten verstummen. "Umwerfend!" Lizard klatschte Beifall, Ioannes nickte bekräftigend, folgte seinem Beispiel, während Aurelius einen langen Blick mit Sax austauschte, der sich von Mira mit einer Verbeugung löste, vor seinen eisigen Geliebten trat, das Haupt neigte, verehrungsvoll einen kühlen, marmorweißen Handrücken mit seinen dunklen Lippen küsste. "Eine wunderschöne Arbeit." Schnurrte der Anführer der Trickster, schwefelte Flammen in die kaleidoskopierenden Augen, warb direkt und unerschrocken um die Gunst seines Liebhabers und Schöpfers. Aurelius nickte, akzeptierte das Kompliment, wandte den Kopf Mira zu, die einen Schwung dünner Zöpfe auf den Rücken verbannte. "Erlaube mir, es dir zum Geschenk zu machen. Als Zeichen der Freundschaft." Mira lief dunkelrot an, rang nach Atem, blinzelte vor Überraschung heftig. "Sie will." Erklärte Melody an ihrer Stelle, bestrich begierig das streichelweiche Material. "Versprich mir, dass du das Kostüm nicht mehr ausziehst, ja?!" "D~d~danke schön." Stotterte Mira endlich verlegen, streckte eine Hand aus, um Aurelius' freie zu drücken, der gelassen nickte. "Hey, rieche ich Gebäck?!" Sax lenkte die Aufmerksamkeit auf Miras Mitbringsel. "Hat denn niemand außer mir Hunger?!" Lizard hob sofort eine Hand. "Ich! Und Ioannes auch!" Lupfte er ungefragt einen Arm seines Geliebten. "Dann lasst uns mal die Tafel decken!" Sax übernahm die Führung, darauf vertrauend, dass Aurelius sie vorausschauend schon geschmückt hatte. Melody blieb mit Mira zurück, ließ die Finger spielerisch über den Stoff der Kreation gleiten, besonders über die gesamte Front und die rückwärtige Partie. Mira senkte den Kopf, legte die Hände auf die Ellenbogen ihrer Sirene. "Nicht." Warnte sie bedauernd, die Augen geschlossen. "Warum nicht?" Raunten weiche Lippen an ihrem Ohr. "Wir tanzen doch nur." Wobei es sich um das Ausbalancieren auf der Stelle handelte. Eine gelenkige Zunge eroberte ein Ohrläppchen, spielte neckend damit. Kontaktfreudige Lippen saugten sich fest, hießen Mira, die Fingerspitzen tiefer in Melodys Rücken zu graben. "Du bist so schön, dass ich nicht widerstehen kann." Flüsterte die blonde Sirene frech, ohne feststellbare Reue, küsste flammende Botschaften auf den Hals, die Wangen, das Kinn, die narbenversehrte Wange. Fast gewaltsam drängte sich Mira aus der engen Umarmung, hielt Melody auf Armdistanz entfernt, keuchte mit gesenktem Kopf. "Ich hab dir doch gesagt...!" Beklagte sie sich, wurde aber von einem leidenschaftlichen Kuss überrumpelt, stürzte rücklings taumelnde Schritte, bis sie sich auf den kissenbewehrten Polstern der Sofarunde wiederfand. "Auf dem Ohr bin ich taub. Stocktaub." Versicherte Melody nachdrücklich, umfing das rosig erblühte Gesicht mit beiden Handflächen, hielt den konzentrierten Blick aufrecht. Sie setzte sich bequem auf Miras Hüften, rollte den Rock ihres Kostüms auf. "Zerreiß meine Strumpfhose." Wies sie Mira an. Die verblüfft blinzelte. "Wie bitte?" Ein ungeduldiges Knurren entwich der gefallenen Königin des Campus. Sie schob Miras Hände höchstselbst in den rückwärtigen Bund der Strumpfhose. "Nun zerreiß sie. Bitte!" Verwirrt, aber gehorsam zerfetzte Mira mit einem gewaltigen Ruck das dünne, elastische Kleidungsstück, streifte die Überreste langsam die wohlgeformten Beine bis zu den Knien, wo sich Polster und Schwerkraft als Hindernisse erwiesen. "Okay, das reicht schon." Ohne Hemmungen fasste sich Melody zwischen die Beine, presste konzentriert die Lippen zusammen, riss energisch, zog die geschlossene Faust triumphierend wieder zurück, um sich erleichtert mit einem sphinxenhaften Lächeln auf Miras Hüften sinken zu lassen. "Ich weiß, dass ich eine konservative Spießerin bin." Eröffnete sie ihr Plädoyer, streichelte mit der freien Hand gedankenverloren über die Corsage aus Babycord, was Miras Konzentration erheblich beeinträchtigte. "Ich habe so ziemlich alles falsch gemacht, was man in einer Beziehung versauen kann." Mira zuckte zusammen, fokussierte ihren Blick in die großen Augen. Sie wollte einfach nicht begreifen, zu viele Eindrücke zerstreuten sie, die Fingerspitzen, die über ihre Brüste streichelten, der kirschrote Mund mit seinen vollen, weichen Lippen, die dunkle, zärtliche Stimme, die sie umschmeichelte, kornblumenblaue Augen voller Ernst, goldblonde Engelslocken auf sanft gebräunter Haut, der leichte Geruch von Vanille. »Ich sterbe gleich. Oder etwas anderes, extrem Peinliches passiert.« Schoss es ihr durch den Kopf. Melody beendete ihren Vortrag gerade. "Aber trotz allem..." Sie holte tief Luft, beugte sich direkt über Mira. "Ich liebe dich." Stolperte es ungeübt über die glänzenden Lippen in Miras unvorbereitetes Gemüt. Für Augenblicke hielt die Welt den Atem an, so schien es Mira. Ihre Hände die sich nicht in intellektuellen Erwägungen aufhalten mussten, fanden die beiden perfekt gerundeten Pobacken, fassten kräftig zu und kippten ihre Eigentümerin schwungvoll nach vorne auf hungrige Lippen, die sich schadlos halten wollten. Melody fing einen härteren Aufprall im letzten Moment ab, ließ sich liebkosen, konzentrierte sich auf die einander umschlingenden Zungenspitzen. Als ihnen die Luft ausblieb, richtete sich die blonde Sirene auf, wischte mit der freien Hand Locken hinter die Ohren, grinste mit geröteten Wangen. "Hat ja gar nicht wehgetan!" "Was bin ich, dein Zahnarzt?!" Schnaubte Mira mit geröteten Wangen zurück, blitzte aus anthrazitfarbenen Untiefen. Die blonde Sirene lächelte, ließ den Einwurf von sich abperlen, wischte mit der Fingerspitze dünne Zöpfe aus Miras Gesicht. Sie pflückte eine Hand von ihrer Taille, enthüllte das Geheimnis, das sie in der geschlossenen Hand vor Mira verborgen hatte. Nur Wimpernschläge später streifte sie einen schlichten Ring aus Titan über Miras Ringfinger, drückte das Pendant in die bebende Handfläche. "Wenn du dann so freundlich wärst?" Wisperte sie, doch nun zitterte ihre Stimme merklich, strafte die provokanten Worte Lügen. Mira stemmte sich hoch, starrte fassungslos auf den Ring an ihrem Finger und den zweiten in ihrer offenen Handfläche. Ihre Blicke irrten zwischen Melodys Gesicht und den eigenen Händen hin und her. "Das... ist nicht dein Ernst..." Brabbelte sie wiederholt, schüttelte den Kopf. Mit einem Knurren kniff Melody kräftig eine Wange, übertönte den Schmerzensruf. "Ich habe gesagt, dass ich dich liebe, das hast du doch gehört?! Also los, steck mir auch den Ring an den Finger, damit ich noch ein paar Kekse ergattern kann!" Trieb sie Mira energisch zur Eile, die eigenen Wangen trotzig gerötet. Verunsichert kam Mira automatisch dem Kommando nach, umschlang Melodys Taille eng, umarmte sie so fest, dass es ihnen beiden den Atem verschlug. "Ich kann's gar nicht glauben!" Schluchzte sie leise in die blonde Lockenpracht, die ihrer Fasson entkommen war, woraufhin Melody pragmatisch eine Pobacke kniff. "Hilft das vielleicht?" Erkundigte sie sich zuckersüß. Mira fauchte verhalten, studierte durch einen feuchten Film die vertrauten Züge ihrer Geliebten. »Sie meint es wirklich ernst. Sie liebt mich. Sie liebt mich!« Dieser Gedanke schien nach vielen Höhen und Tiefen kaum zu fassen. Melody streichelte Zöpfe aus den tränennassen Gesicht, küsste behutsam die zitternden Lippen, die mit jedem schluchzenden Atemzug erbebten. "Es tut mir wirklich leid, dass ich dich so lange habe warten lassen." Raunte sie zärtlich. "Mit diesen Ring verspreche ich dir Liebe und Treue, in guten wie in schlechten Tagen. Niemand wird trennen, was uns beide verbindet." Beendete sie ihre Ansprache, blinzelte verräterische Tränen weg. "Verdammt, jetzt verläuft gleich der blöde Kajal!" Unwillkürlich musste Mira lachen. »So typisch Melody!« Die Anspannung löste sich, beide fielen zwischen die Kissen. "Warum musste ich deine Strumpfhose zerreißen?" Erkundigte sich Mira atemlos, schmiegte sich an Melody. Die erläuterte gestikulierend. "Eigentlich wollte ich sie auf ein Strumpfband auffädeln, mich dann bei passender Gelegenheit von dir vernaschen lassen, aber das blöde Ding hatte keinen Verschluss. Also habe ich einen Faden genommen. Den musste ich aber ganz oben am Oberschenkel anbinden, hier!" Führte sie Miras Hände zwischen ihre Beine, grinste dabei frivol, um wieder in den Klageton einer mit der Unvollkommenheit ihrer Umgebung Gestraften zu wechseln. "Die dämliche Strumpfhose klebte an mir! Also wirklich, dieses Gemisch mit Kaschmiranteil ist ein solcher Schrott!" Mira beendete die Beschwerde mit einem intensiven Kuss. "Das ist das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe." Erklärte sie, erntete einen mahnenden Nasenstüber. "Du wirst doch nicht wieder anfangen zu heulen, oder? Das schlägt mir auf den Magen, der übrigens noch immer leer ist!" "Wirklich subtil." Knurrte Mira keineswegs beleidigt. "Wie gut, dass du deine Prioritäten immer so im Blick hast." Stichelte sie keck. Melody zog eine Grimasse, näherte sich Mira auf Herzschlagentfernung an. "Davor und danach habe ich immer Hunger, wie du weißt." Schnurrte sie trügerisch harmlos. Ihr Blick allerdings hätte keine FSK-Freigabe erhalten. "Zu 'davor' sind wir noch gar nicht gekommen." Warf Mira leise ein, küsste die verlockenden Lippen tröstend. "Dann weißt du ja, dass dir die doppelte Portion blüht." Feixte die blonde Sirene ungeniert, erhob sich, streifte verächtlich den Rock herunter, justierte den Sitz der Kostümjacke, bevor sie Mira die Hand hinstreckte. "Gehen wir?" Lächelte sie kämpferisch hinab. Mira ließ sich aufhelfen, gab die Hand aber nicht mehr frei. »Nie wieder!« Tanzte ihr Herz sonnenstrahlhell und überglücklich. @~ Sax pellte mit ungeheurem Geschick unter Einsatz seiner krallenbewehrten Klauen Orangen, während Aurelius das Gebäck ordentlich drapierte. Aus den Augenwinkeln verfolgten die beiden Trickster, wie Lizard mit Ioannes Hasch-Mich um die gedeckte Tafel betrieb, seinen Geliebten endlich einfing, zärtlich mit ihm schmuste. Es läutete abermals, vielmehr überschlug sich die Türglocke. Aurelius wandte sich dem Eingang zu, weitere Gäste einzulassen. HaHas gewaltiger Schatten blockierte die Tür. Surprise schob sich an ihm vorbei, zwinkerte Aurelius zu. "Überraschung!" "Ich freue mich, Sie willkommen zu heißen." Förmlich reichte Aurelius HaHa die Hand, doch Surprise fing beide ab. "Lass uns rasch zu den anderen gehen, ja?" Lispelte sie sanft, aber nachdrücklich. "Wir haben etwas zu verkünden." Beide Männer im Schlepptau hielt sie grazil auf die Tafel zu, wo sich inzwischen auch Mira und Melody eingefunden hatten. "Hallo zusammen!" Surprise erfasste die Anwesenden mit ihren Katzenaugen und dem unleserlichen Lächeln, wandte den Kopf, um HaHa einen aufmunternden Blick zu schenken. "Ähm, ja." Räusperte sich der Riese, während ein verunsichertes Lächeln über sein Gesicht geisterte. Ein merklicher Ruck ging durch seine Körpermassen. "Wir haben heute die Lebenspartnerschaft geschlossen." Verkündete er mit sichtlichem Stolz, präsentierte die Ringe an den Fingern, erwiderte den zärtlichen Blick seiner wundersamen Elfe. Glückwünsche wurden ausgetauscht, Umarmungen folgten, Hände mit Ringen und ohne wurden geschüttelt. Sax fasste Surprise um die Taille, schwenkte sie wie ein kleines Kind herum, bevor er inne hielt, vertraulich in die grünen Katzenaugen in dem herzförmigen Gesicht sah. "Bist du glücklich?" Erkundigte er sich rau. Surprise lächelte. "Das bin ich!" Sie lehnte sich auf den Anführer der Trickster. "Er ist der Richtige." "Gut." Sax setzte die zierliche Person ab, zerwühlte neckend den gelockten Schopf. Endlich nahmen alle an der vernachlässigten Tafel Platz. Ohne großes Zeremoniell wurde gespeist, getrunken, viel berichtet und noch mehr gelacht. Mit einem Grinsen spielte Sax anschließend eine Botschaft von CC III ab, der nicht in ihrer Mitte weilen konnte, aber maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass sich Witterung und Verkehrsunternehmen den Wünschen der drei 'Weihnachtsgeister' angepasst hatten. Melody, HaHa und Ioannes wechselten ungläubige Blicke. Sax sandte spielerische Handküsse zu Mira und Lizard. "Wir haben uns versprochen, den Geist der Weihnacht zu beschwören. Es bedurfte einiger Tricks, um den Schnee zu erzeugen und den ganzen Rest zu arrangieren, aber es hat funktioniert." Der Trickster zwinkerte. Mira räusperte sich. "Wir haben uns gewünscht, dass uns nicht Konsum und Stress blenden, wenn wir für einen Abend ein besonderes Gefühl hervorrufen wollen." Lizard ergänzte mit einer leichten Verbeugung. "Das Gefühl ist die Verbindung in Liebe und Freundschaft zwischen uns allen hier. Was auch immer geschieht, so sind wir sicher, dass wir es gemeinsam und zusammen überstehen werden. Das ist der wahre Geist von Weihnachten. Unser Versprechen." Aurelius erhob sich als Erster, streckte seinen beiden Tischnachbarn die marmorweißen Hände hin. "Dann wollen wir uns dies versprechen." Verkündete er ruhig. Alle folgten seinem Beispiel, hielten sich in der Runde an den Händen, sahen einander offen und ohne Scheu in die Augen. "Freundschaft." Begann Aurelius. Sax ergänzte Zähne bleckend. "Und Liebe." @~ Mitternacht war längst überschritten, als sich ein verlegener HaHa mit Surprise zurückzog. "Wohin gehen wir denn?" Erkundigte er sich, staunte mit offenem Mund, als er eine aufgebockte Yacht erblickte. "Sax überholt sie für den Besitzer." Erklärte Surprise lächelnd. "Das ist unser Quartier für die Nacht." Die Hochzeitsnacht. HaHa verlor kein Wort über die vorausschauender Planung seiner 'Braut' und ihrer ungewöhnlichen Familie. Er kletterte tapfer in das luxuriöse Schiff. In der Kabine warteten dezenter Blumenschmuck, seidige Bettwäsche, dezente Beleuchtung und Nachthupferl auf das frisch getraute Paar. "Na, komm her, mein Recke!" Lockte Surprise lasziv mit dem Finger, räkelte sich reizvoll auf den schimmernden Laken. Selbstredend war HaHa seiner Surprise dienlich, fürchtete angesichts der beiden Versprechen dieses Tages auch die mögliche Ablehnung seiner Eltern nicht mehr. Surprise war Sein, in ihrer Einzigartigkeit und Schönheit. Er wusste nicht, dass Sax in weiser Voraussicht die Yacht so aufgebockt hatte, dass sie einen gewissen Wellengang mühelos auch auf dem Trockenen kompensieren konnte. Wogen der Leidenschaft würden in dieser Nacht sicher hochschlagen. @~ Ioannes unterdrückte mannhaft ein Gähnen. Er staunte noch immer über Melodys Mut, Mira endlich ihre Liebe gestanden, eine gemeinsame Zukunft versprochen zu haben. Er wusste, dass die ehemalige Königin des Campus ihr Wort in Ehren halten würde. »Sie hat ihre alte Weltanschauung ohne Abschiedsblick über Bord geworfen.« "Lass uns zu Bett gehen, mi querido." Lizard zog Ioannes an einem Ellenbogen hoch. "Okay." Lächelte der in die Runde. "Frohe Weihnachten und gute Nacht." Ein Arm schlang sich sichernd um seine Taille, als der Trickster ihn geleitete, streichelte über den Kummerbund des Smoking. "Du siehst so elegant aus." Wisperte Lizard begehrlich, erntete ein müdes Lächeln. "Danke, Mauro." Auch für dieses Paar hatte Aurelius ein Quartier hergerichtet, allerdings in fünf Metern Höhe, aus quer gespannten Kunststoffbahnen. Ioannes zögerte. Allein der Aufstieg über eine Steigleiter hatte ihn schon Überwindung gekostet, doch ein sanft schwingendes Lager in dieser Höhe?! Mit ausgestreckter Hand wartete Lizard, barfüßig und federnd. "Hast du nicht gesagt, du kannst nun auch fliegen?" Neckte er Ioannes, der langsam seine Schuhe abstreifte, die Strümpfe ordentlich faltete, sich bis auf die Unterwäsche entkleidete. "Fliegen ja, aber Fallen mag ich noch immer nicht." Brummte der überschlanke Mann besorgt, wagte sich aber mutig auf den nachgiebigen Grund. Lizard riss Ioannes überraschend heftig in seine Arme, fiel nach hintenüber. Die gespannten Bahnen federten sie elastisch wie Sprungtücher auf und nieder, lösten Rufe des Erschreckens mit solchen kindlicher Begeisterung ab. Außer Atem rollten die beiden Männer schließlich in das bescheidene Nest aus Decken und Kissen auf einer Matratze, hielten sich umschlungen, sahen einander an, während langsam Kerze für Kerze gelöscht wurde. "Ihr seid keine Menschen, nicht wahr?" Hakte Ioannes in intimer Distanz nach, fasste Lizards Hände, um sie über seine nackte Brust gleiten zu lassen. "Nein." Gab der leise zurück, liebkoste den jungen Mann hungrig. Einige Minuten intensiver Leidenschaft folgten, durch den nachfedernden Grund eher gehindert, bis Ioannes erneut den Dialog suchte. "Mauro?" Er streichelte über das Gefieder, dass nur er auf dem Rücken seines Liebhabers ertasten konnte. "Wirst du mich begleiten? In die Firma?" Der Trickster wischte seine filzige Strähne aus den Augen, konzentrierte seine ausgezeichnete Sicht trotz der Dunkelheit auf das schmale Gesicht seines Liebhabers. "Ich habe dich verflucht." Erinnerte er leise. "Da muss ich wohl, mi angel." "Willst du auch?" Blieb Ioannes störrisch. Ein tadelndes Schnalzen antwortete ihm. "Wie kannst du so was nur fragen?" Mokierte sich der Trickster leise lachend. "Du weißt doch, was ich fühle." "Hmm." Genießerisch seufzend schmiegte sich Ioannes an ihn. "Und ich weiß, was ICH fühle." Nach einer Pause ergänzte er trocken. "Vielleicht sollte ich auch so ein 'Fangeisen' besorgen. Bei den anderen scheint das zu funktionieren." Lizard wälzte sich lachend mit ihm herum, bis Ioannes atemlos protestierte. "Warum nicht? Feiern wir eben noch eine Hochzeit, das hält die Familie zusammen!" Verkündete er fröhlich. "Ich wüsste noch was, was uns JETZT zusammenhalten könnte." Murmelte der Student mit geröteten Wangen, wisperte seinen Vorschlag in Lizards aufmerksame Ohren. "Lass uns fliegen, mi curazon." Stimmte der Trickster zu, richtete sich zwischen Ioannes' Beinen ein. @~ "Ein Campingzelt?" Mira schob Melody einfach an. "Das ist ja wie in der Bibel, nur etwas zeitgemäßer...uff!" Erstickte ihr Kommentar in einem Kissen. Mira streifte sich die Kombination vom Leib, streckte sich, rollte sich eilig in die warmen Decken ein. "Ich bin so müde." Gähnte sie matt. Melody, die achtlos Kostümteile und den Rest ihrer Bekleidung verteilte, kroch unter die Decke, drängte sich an die Freundin. "Hach, du bist schön warm!" Hielt sie sich schadlos, hauchte einen sanften Kuss auf Miras Lippen. "Schlaf gut, Süße." Wnschte sie nachsichtig. "Hmm, hmmm, Mel." Brummte es leise, ein Arm schlang sich um Melodys Taille, hielt sie fest. "Morgen mehr." Versprach Mira an ihrem Ohr, schmiegte sich an die geliebten Kurven, senkte endgültig die Lider herab. Melody lächelte in der Dunkelheit des Campingzelts, genoss die vertraute Sicherheit der Umarmung. Sie stöhnte überrascht auf, als kundige Fingerspitzen zwischen ihre Beine glitten, wohlbekannte Pfade erneuerten. "Das ist ein Traum." Raunte Mira leise an ihrem Ohr. "Genieß ihn einfach." Doch Melody kannte die Wahrheit. Sie spürte den Ring an den geschickten Fingern, die ihr Ekstase schenkten. @~ Aurelius hatte sich lediglich einen breiten Stoffschal um Schultern und Kopf geschlungen, als er nun mit Sax langsam durch den Schnee schritt. Es schneite noch immer in gewaltigen Flockenmengen. Ein Vorhang aus einzigartigen Eiskristallen tanzte und wirbelte um sie herum. Sax hielt seine Hand, weniger besitzergreifend als galant, die dunkle Gestalt nahezu vollständig bezuckert. Er führte seinen Geliebten zu der Installation, die wie ein Leuchtfeuer die chaotische Szenerie sauber zerschnitt. Einen Stern als Markierung. Mit gebotenem Ernst studierte Aurelius die Kombination des Wetterballons mit dem Scheinwerfer, schlug den Schal zurück, um mit weit in den Nacken gelegten Kopf zu Füßen des Ballons seine Betrachtung fortzusetzen. "Was glänzt da oben?" Erkundigte er sich schließlich reserviert. Statt einer Antwort holte Sax mit Geschick mehrere Meter des Taus ein, das den Wetterballon hielt. Ein gewaltiger Eiskristall in Form eines vielzackigen Sterns hing in einer stählernen Schlaufe. "Für dich." Erklärte der Anführer der Trickster. "Mein Stern." Ohne große Worte wusste Aurelius, dass sein dunkler, wilder Gefährte ihm Dank zollte für die Erkenntnis, dass dieses Fest nicht aus einem Superlativ an Beleuchtung bestand, sondern aus dem einzigen entscheidenden Licht, das man nur in sich selbst entzünden konnte. Vorsichtig löste der marmorweiße Mann den Sternkristall, störte sich nicht an der eisigen Beschaffenheit, die seiner eigenen so ähnlich war. Ein Wunder, dass Eis solche Strahlkraft besaß, dass ein Stern, leblose Materie, doch das Licht einer Sonne erzeugen konnte. Sax studierte die wechselnden Farben in den kaleidoskopierenden Augen. Wie ein magnetischer Sturm tanzten sie durcheinander, vermischten sich, veränderten sich unentwegt. Sie hatten ihren Liebesschwur schon vor geraumer Zeit besiegelt, doch Sax befand, dass er nicht oft genug seine Gefühle beweisen konnte, die solche Leidenschaft in die mysteriösen Augen dieses kühlen Mannes zauberten. "Lass los, bitte." Ordnete Aurelius an, sodass Sax langsam den Wetterballon wieder in eisige Höhen entließ. Der Erste der Trickster streifte sich den Schal von den Schultern, wischte ebenso beiläufig Sax' schwere Lederjacke, dann den unzähligen Metallschmuck von der athletischen Gestalt. Es bedurfte keiner Aufforderung mehr. Schon dampfte die Luft in gewaltigen Strömen, schmolz Schnee und Eis, zuckten blaue und rote Energieblitze, luden die Luft elektrisch auf, Explosionen von Ladung warfen Lichtfunken wie Feuerwerk. Als am Morgen die blässliche Sonne ihren Lauf begann, dampfte die Wiese bar jeden Schnees warm. In ihrer Mitte nahe eines Wetterballons lagen zwei Männer, gegensätzlicher als Tag und Nacht, Wärme und Kälte, Licht und Dunkelheit, in enger Umarmung. Durch den einen Geist untrennbar verbunden, der jedes Hindernis zu überwinden vermag. @~ ENDE @~ Danke fürs Lesen! kimera