Titel: Käpten kapert Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Ereignis: Valentinstag 2010 Erstellt: 01.02.2010 Disclaimer: alles Meins! Was zuvor geschah, kann in "Schatzsuche" nachgelesen werden! =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= =^x^= Käpten kapert Kapitel 1 - Zwei neue Bekannte Dass es verdächtig ruhig war, fiel Jun erst nach geraumer Zeit auf. »Oh, oh!« Dachte er argwöhnisch, erhob sich hastig, um vom kombinierten Arbeits-/Wohnzimmer in sein winziges Schlafzimmer zu wechseln. Dort bot sich ihm ein ungewohntes Bild: Felix lag bäuchlings auf Lauerposten, vollkommen gebannt vom Objekt seiner Beobachtung, mucksmäuschenstill. Ihm gegenüber, ungeniert und unbeeindruckt, widmete sich eine etwas stämmige Katze mit leuchtend orangefarbenen Augen der präzisen Pflege des blau schimmernden Fells. "Wo kommt die Katze her?!" Entfuhr es Jun, bevor er die Indizien (offenes Fenster, zahlreiche Dachvorsprünge) kombinierte. Außerdem erinnerte ihn die nachdrückliche Selbstreinigung daran, was seine Ex-Frau Silvana von Katzenhaaren hielt. "Felix, warum hast du nichts gesagt?" Jun hielt langsam auf die Katze zu, obwohl er noch keine Vorstellung davon hatte, wie er den kompakten Invasoren einfangen und bändigen sollte. "Papa, sie war schon da, als ich reingekommen bin." Antwortete Felix seelenruhig, noch immer auf dem Beobachtungsposten, eindeutig im Vorteil durch zwei Jahre 'Naturkindergarten'. Jun hechtete auf sein Bett. Die Katze verschwand blitzschnell, wobei sie ihm nicht nur elegant auswich, der wie ein Seeelefant schnaufend auf der Matratze notlandete, sondern noch über SEINEN RÜCKEN sprang, um sich zu verbergen. "Dürfen wir sie behalten?" Felix kommentierte den unfreiwilligen Slapstick seines Vaters nicht weiter, sondern kam aus der Bauchlage hoch, um nach der Katze zu fahnden. "Sie ist richtig toll!" Diese Meinung teilte Jun selbstredend nicht. Es sagte ihm noch weniger zu, dass sein eigener Sohn sich nicht um ihn kümmerte, sondern sein gesamtes Interesse an diese Katze heftete!! "Miez~Miez~Miezekatze!" Sang Felix mit der inbrünstigen Begeisterung eines erfolgreichen Absolventen einer besonders progressiven Bildungseinrichtung. "Puss~puss~pussycat!" Jun angelte ein altes Sweatshirt, fest entschlossen, die einmal aufgescheuchte Katze darin einzufangen und eilig zu exilieren. Das war wirklich nichts Persönliches. Allerdings musste jeder Anflug von Tierhaaren vermieden werden, um zornige Szenen und hysterische Wutausbrüche abzuwenden! Er kniete sich vor sein Bett, in der Annahme, dass auf wundersame, aber nicht unglaubwürdige Weise die Katze einen Spalt zwischen den Rollkästen gefunden, sich dort irgendwo verbarrikadiert hatte. Tatsächlich sah er ein aufblitzendes Augenpaar! Bewaffnet mit dem nächstliegenden Accessoire, einer ziemlich lädierten Fliegenklatsche in kreischendem Pink, stocherte er beharrlich unter seinem Bett herum. "Papa, ist es eine Katze oder ein Kater, was meinst du?" Felix robbte neben ihm über das Laminat, studierte amüsiert die hilflosen Arrestierungsversuche. "Ich-hab-keine-Ahnung!" Quetschte Jun angestrengt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er weiter ohne Fortune fischte und wedelte. Kein Eindringling wollte an der Angel anbeißen. "Wenn du ihr Angst machst, kommt sie da nicht raus." Stellte Felix mit der ganzen Souveränität seiner fünf Jahre fest, erhob sich demonstrativ. "Vielleicht macht sie sogar da hin!" Er schnappte sich das kleine Blechflugzeug, derzeit sein erklärtes Lieblingsspielzeug, kreiselte es knatternd und zischend durch die Luft. "Ballastabwurf vor Flucht! Oder Notwasserung!" Damit wiederholte er, ohne sich der unterschwelligen Komik bewusst zu sein, die etwas rustikalen Erläuterungen des 'Zivis', der das Kindergartenpersonal temporär aufstockte. "Uhoh!" Kommentierte Jun. Er besann sich eines Besseren, indem er sich wieder in die Senkrechte schraubte, die Fliegenklatsche beiseite legte. Die Vorstellung, die Katze könne in die Enge getrieben ihre Notdurft unter seinem Bett erledigen, ernüchterte ihn erheblich. "Aber da kann sie nicht bleiben." Brummte er, suchte ratlos den Blick seines Sohnes. Felix zwinkerte spitzbübisch. "Ich passe einfach hier auf. Du kannst ja das Abendessen machen, Papa!" Jun seufzte, warf einen empört-hilflosen Blick auf sein unschuldiges Bett, unter dem sich ein gemeingefährlicher Eindringling verkrochen hatte, folgte der Empfehlung des Experten. Als er die Zimmertür hinter sich in Schloss zog, hörte er Felix schon wieder munter trällern. "Miez~Miez~Miezekatze, puss~puss~pussycat!" =^x^= "Was macht sie denn jetzt?" Erkundigte Jun sich unruhig, als sie beim Abendessen in der winzigen Küche saßen, recht beengt an einem kleinen Tisch mit Klappstühlen. Felix baumelte mit den Beinen, bleckte grinsend von Erdnussbutter verklebte Milchzähne. "Ich hab ihr dein Kopfkissen auf die Fensterbank gelegt. Da hat sie sich eingerollt." »Toll.« Kommentierte Juns innere Stimme ironisch. »Fehlt nur noch, dass die Katzenhaare an dir haften. Silvana wird glauben, du hättest eine Punkerin aufgegabelt!« Er seufzte, was Felix ungerührt ließ, da er sich vollkommen auf seinen Erdnussbuttertoast konzentrierte. Zu Hause, also bei Mami, herrschte ein striktes Erdnussbutter-Verbot. Toast war auch nicht erlaubt. Jun biss ihm gegenüber krachend in seinen trockenen Toast, studierte beiläufig den Inhalt des Erdnussbutterglases. Natürlich hatte er nicht die Absicht, die erzieherischen Grundsätze seiner Ex-Frau zu untergraben. In diesem Fall hielt er eine Ausnahme für zulässig. Silvana hatte eine Allergie gegen Nüsse, also durfte Felix keine Nahrungsmittel essen, die irgendwie nussähnliche Bestandteile enthielten. Da erwies sich Juns eher gedankenlos dahingeworfene Bemerkung, seiner Meinung nach handele es sich bei Erdnüssen um Hülsenfrüchte und keine tatsächlichen Nüsse, als NICHT produktiv! Was den Toast anbetraf, so entsprach er nicht ihren Vorstellungen einer ausgewogenen, ballaststoffreichen Ernährung. Ließ man Toast zu, stopfte sich da Kind als nächstes Schwabbelburgerbrötchen von McDoof in den Wanst! »Komisch.« Sinnierte Jun. Wenn er mit Felix ausnahmsweise mal ein Schnellrestaurant einer Ladenkette aufsuchte, teilten sie sich häufig eine große Menge Pommes Frites mit Ketchup. Felix hatte ihn noch nie um einen Burger ersucht. Letztendlich konnte es auch nicht so tragisch sein, befand er, wenn man mal Toast (immerhin Roggentoast) mit Erdnussbutter aß! Manchmal kleckerten sie sogar Marmelade drauf! Oder Senf! Oder fügten Essiggurkenscheiben dazu! Ganz zu schweigen von den Ananasringen! Man durfte sich bloß nicht erwischen lassen. Das war das wirklich Traurige an dieser Angelegenheit: dass er seinen kleinen Sohn dazu anhalten musste, Geheimnisse vor der eigenen Mutter zu bewahren, Heimlichkeiten hinter ihrem Rücken zu begehen. Impulsiv hob er die Hand, um über Felix' dichtes, kurzgeschorenes Haar zu streicheln. Felix grinste gutmütig, präsentierte wieder die Milchzahnreihen. "Meinst du, Papa, dass sie Hunger hat?" Unwillkürlich wandte er den frisch gekraulten Kopf zur Küchentür. "Dann würde sie bestimmt miauen." Verkündete Jun eilig mit dem falschen Brustton der Überzeugung. Es fehlte ihm gerade noch, ausgerechnet jetzt herausfinden zu müssen, was eine fremde Katze zu vertilgen wünschte! "Was essen Katzen so? Ich meine, richtig?" Felix ließ nicht locker. Das Beinebaumeln wurde energischer, versetzte den kleinen Tisch in Schwingungen. "Na, Katzenfutter!" Jun suchte nach einem rettenden Ufer. "Whiskas und so!" Felix lupfte kritisch eine Augenbraue, was Jun ungeheuer an Silvana erinnerte. Er fühlte sich stets, als sei er mit Pauken und Trompeten durch die Musterung gerauscht. "Weißt du's denn nicht?" Legte Felix ungeniert den Finger in die Wunde der Unkenntnis. "Sollen wir Wiki fragen?" Zunächst hatte Jun gar nicht begriffen, warum Felix einen gewissen "Wiki" zurate ziehen wollte. Handelte es sich vielleicht um diesen Wikingerjungen, den er sich mit ihm auf DVD angeschaut hatte? Er war mit gelupfter Augenbraue darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass "Wiki" im Computer wohnte. »Zu meiner Zeit hatten wir eine ganze Regalreihe voller Konversationslexika!« Seufzte er innerlich. Das war noch gar nicht SO lange her! Heute allerdings sah er sich gehalten, mit Felix auf dem Schoß im Internet, dem Synonym für "Wiki", nachzuschlagen, was den Wissensdurst befriedigen sollte. Felix konnte zwar noch nicht viel lesen, aber Bilder begriff er sehr schnell. "Das geht jetzt nicht, Felix." Jun spülte rasch ihre Teller ab, stellte sie auf das Abtropfbrett. "Da liegen meine ganzen Arbeitsunterlagen." Vielmehr stapelten sie sich dort. Türmten. Wucherten. Felix blickte konsterniert auf die blanke Tischplatte. "Ach so." Seine resignierte Ernüchterung rüttelte Jun auf, der sich noch nie mit Haustierhaltung beschäftigt hatte. Er fahndete daher eilig nach einem Reklamezettel, während sein Gehirn auf Hochtouren rotierte. "Na ja, Gras essen sie, wegen der Haarbälle!" Improvisierte er hastig, blätterte wild nach den verflixten Angeboten für Tiernahrung, gleich neben den Hygieneartikeln. "Ah, hier steht was von Innereien, Huhn, anderes Geflügel, Kaninchen, Leber! Ich habe irgendwo gelesen, dass sie Leber gern essen!" Konzentriert speicherte Felix diese Informationen ab, was sich leicht den Eingeweihten erschloss, da das Beinebaumeln abrupt endete. "Was ist mit Mäusen?" Hakte er kritisch nach. "Katzen fangen doch Mäuse? Wieso ist in den Dosen kein Mäusefleisch drin?" "...Ãähh...." Jun rollte hilflos mit den Schultern. War er als Kind auch so entsetzlich und unerbittlich wissbegierig gewesen?! Nun bedauerte er seine Eltern nachdrücklich. "Na ja..." Eine Wortwahl, die langsam zum Standard in der Unterhaltung mit seinem Sohn zu werden drohte. "Also, ich glaube, das liegt daran, weil Mäuse so klein sind. Wenn man so viele Dosen füllen muss, braucht man doch jede Menge Mäuse. Die müssen ja auch auseinander genommen werden." "Entbeint." Informierte Felix ihn. "Wildtiere muss man aufbrechen, sagt Mirko." Jun war nun in der Stimmung, Mirko für dessen unerträgliche Kommentare mal kräftig vors Schienbein zu treten. Zurück zur Natur, schön und gut, aber SO detailliert sollte sich kein Fünfjähriger anhören! "Mäusefleisch steht hier jedenfalls nirgendwo. Bei mir gibt's auch keine Mäuse." Beschied Jun knapp, verärgert über die eigene Eifersucht auf Mirko, den scheinbar alles wissenden Zivi. Als er bemerkte, wie Felix' Blick zum Küchenfenster wanderte, wo sich einige winzige Töpfchen mit Küchenkräutern tapfer nach ein wenig Tageslicht reckten, griff er sofort ein. "Oh nein, das ist kein Katzengras! Nur weil es grün ist, kann man es nicht einer Katze geben, verstehst du?!" Diesen letzten Satz formulierte er mit ausreichend Nachdruck, um Felix an Experimenten zu hindern. Es fehlte ihm gerade noch, dass der ohnehin mickrige Bestand seiner Wohnungsbegrünung geplündert wurde für ein uneingeladenes Katzenvieh, das sich in seinem Schlafzimmer eingenistet hatte! Vermutlich gerade boshaft ein Kilo Fellhaare auf seinem Kopfkissen drapierte! =^x^= Die Situation hatte sich leicht verändert, nicht aber die Position des invahierenden Katzentiers. Während Jun in der Küche mit seinem Sohn dem Abendessen mit verbotenen Genussmitteln gefrönt hatte, hinterließ seine ehemals Angetraute eine harsche Botschaft auf dem Anrufbeantworter. Er möge Felix über Nacht behalten und am nächsten Morgen in den Kindergarten bringen. Sie sei geschäftlich verhindert, es dauere einfach zu lange. Jun hegte keine Einwände, auch wenn er seinem Sohn kein eigenes Zimmer oder Tonnen von Spielzeug anbieten konnte. Stattdessen gab es ein Reiseklappbett, zwei Garnituren Wechselwäsche, einen Satz Kinderzahnpasta mit -bürste und einige zerlesene Bilderbücher. Allerdings hatte Felix nie Schwierigkeiten, sich selbst zu beschäftigen und seinen Vater damit auf Trab zu halten. Wer brauchte schon Spielzeug, wenn es in der Dachwohnung so viel zu entdecken gab?! "Na fein!" Kommentierte Jun deshalb gleichmütig. "Da haben wir heute wieder einen richtigen Männerabend!" Felix schenkte ihm keinerlei Beachtung. Er lag flach auf Beobachtungsposten, spähte vom Reiseklappbett wie ein Jäger auf der Pirsch zum Fenster hinüber, wo auf dem requirierten Kopfkissen der ungebetene Angehörige der Felidae interessiert aus dem Fenster schaute. Draußen schneegrieselte es schon wieder, obwohl der Januar in den letzten Zügen lag. Unverständlicherweise hatte sich der 100-jährige Bauernkalender nicht geirrt. "Gut." Behauptete Jun tollkühn, dämpfte das Licht in seinem Schlafzimmer, das nun eher einem Feldlager ähnelte, verzog sich der elterlichen Pflichten ledig in sein Arbeits- und Wohnzimmer. Seufzend begab er sich an seine Arbeit. =^x^= Vor einigen Jahren hatte seine Zukunft noch geordnet und übersichtlich ausgesehen. Da hatte er als Steuerberater nach erfolgreich abgeschlossenem, wirtschaftswissenschaftlichem Studium die zusätzlichen Qualifikationen für den Steuerberatenden-Beruf erworben, war in diese freie Berufsgruppe aufgenommen worden, ganz in der Tradition seines Vaters, der sich über die Unterstützung seines einzigen Kindes freute. Überhaupt hätte Jun von sich behauptet, dass er ein unaufgeregtes, geregeltes Leben führte: Schulabschluss, Studium, Qualifikationen, das bündelte seine gesamte Konzentration und erfüllte ihn durchaus mit Zufriedenheit. Vielleicht war er ein wenig zu anspruchslos? Die rapiden, umwälzenden Veränderungen kamen in Gang, als er mit einigen Freunden gelegentlich in der Gruppe ausging, Konzerte, Kino oder mal in ein Restaurant. Stets gemütliche Runden, nicht zu viele Fachgespräche, ein loser Verbund etwa Gleichaltriger, noch nicht an Heim und Herd gefesselt, die für einen amüsanten Abend etwas verabredeten. Es lebten die neuen Kommunikationsmöglichkeiten! Auch Silvana gehörte an einem Abend, an dem Jun sich entschloss, mal den Schreibtisch im Stich zu lassen, zur Gruppe der Verabredeten. Sie war Jun sympathisch, aber er schenkte ihr nicht mehr Beachtung als jeder anderen Frau zuvor. Es dauerte ein gesamtes Jahr, bis sie ihn überzeugt hatte, dass er sie als Ehefrau brauchte. Nach drei gemeinsamen Ehejahren und einem Kind wandelte sich dieses hartnäckige Engagement in die frustrierte Feststellung, dass Jun trotz seiner Lebensjahre (Mitte Dreißig) emotional einfach unterentwickelt sei. Das konnte Jun nicht mal bestreiten. Ihm war eine geraume Zeit gar nicht aufgefallen, dass Silvana sich für ihn interessierte. Er hätte, auch wenn Wahrscheinlichkeit und Statistik etwas anderes vorhersagten, niemals damit gerechnet, Vater zu sein. Er hatte sich simpel auf seinen beruflichen Weg konzentriert, darin Erfüllung gefunden, sich bequem in seinem Leben eingerichtet. Große, emotionale Bindungen an andere Personen außerhalb seiner Familie waren ihm zu aufwändig. Mit guten Freunden schien man doch perfekt ausgerüstet! Da kam Silvana, flink die Heirat, rasch auch Felix, nach Silvanas Meinung die einzige Person, zu der ihr Ex-Mann sofort eine Beziehung aufgebaut hatte. Auch das traf uneingeschränkt zu. Jun wusste, auch wenn das vielleicht nicht empfehlenswert war, dass er seinen kleinen Sohn liebte, von dem verrunzelten, rotgesichtigen Gnom bis zum gewitzten Dreikäsehoch mit dichtem Wuschelschopf. Es wäre schön gewesen, dachte er sich manchmal, wenn er das runde Gesicht mit den roten Backen sah, wenn seine Großmutter, die als junge Frau aus Südkorea gekommen war, um in diesem ihr fremden Land als Krankenschwester zu arbeiten, ihren Ur-Enkel hätte kennenlernen können. Jun selbst war von seinen Eltern in Erinnerung an den Vater seiner Großmutter getauft worden, obwohl er selbst kaum noch "koreanische Spuren" aufwies, sah man von seinem dichten, schwarzen Schopf und dem runden, flächigen Gesicht ab. Nun konnte man wirklich sagen: wie der Vater, so der Sohn. Auch wenn Felix einfach "Felix" hieß und nicht "Jun Nikolaus". Jetzt war er ein geschiedener Vater mit gemeinsamen Sorgerecht, der die väterliche Firma verlassen hatte, um seiner Ex-Frau zu folgen. Der sich seit zwei Jahren als Einzelkämpfer mit den Aufträgen kleiner Firmen und Selbstständiger über Wasser hielt, raus aus dem hübschen Reihenhaus in eine kleine Dachwohnung, immer hart am finanziellen Limit, um die Unterhaltszahlungen leisten zu können. Wenigstens war Silvana keine Frau, die sich allein auf die Erziehung ihres Sohnes konzentrierte. Deshalb hoffte Jun, sie möge bald ihre Fortbildung abschließen und einen Arbeitgeber finden. Wenn man ihn fragte, woran ihre kurze Ehe gescheitert war, so zögerte Jun stets. Ganz sicher war er sich der Ursachen nicht. Vielleicht hätte er sich verändern müssen, nicht einfach wie gewohnt arbeiten und sich dann um Felix bemühen. Möglicherweise hätte er weniger Ernährer und Vater, sondern auch mehr Ehemann sein müssen. Vermutlich waren seine Eigenheiten, die zuvor noch ganz amüsant bis erträglich eingestuft wurden, nun aufreibend und enervierend. Tatsächlich mutmaßte er, dass er sich an seine Frau gewöhnt hatte wie an einen Anstrich im Wohnzimmer, einfach mit der Situation zufrieden war. Ihm fehlte es wohl an ehrgeizigen Zielen, großformatigen Lebensträumen. Spitzfindig hätte man einwenden können, dass dieser Umstand auch vier Jahre vor der Scheidung, bei ihrem ersten Treffen, nicht anders beschaffen war und diese Erkenntnis keineswegs überraschend kam, aber auch in diesen Fällen setzte sich Juns gelassene Gleichmütigkeit durch. Er wollte sich nicht unnötig streiten, wenn offenkundig war, dass Silvana nicht länger mit ihm leben wollte. Alles war in Ordnung, solange er Felix um sich haben konnte. Auch wenn er argwöhnte, sich als Vater nicht gerade auszuzeichnen. Andererseits beklagte sich Felix nicht, oder?! Während er in seiner kleinen Dachwohnung Schuhkartons und Umschläge durchforstete, die ihm überbracht oder an sein Postfach geschickt wurden, um die Buchhaltung und Steuererklärungen aufzustellen, grämte er sich nicht wegen der Vergangenheit. Manchmal konnte es schon ein wenig einsam werden, weil er seit seinem Umzug kaum Gelegenheit hatte, andere Menschen privat kennenzulernen. Dann erinnerte er sich an Felix und an die Arbeit, schob solche vagen Anflüge von Isolation von sich. Alles würde schon wieder leichter werden, munterte er sich auf. Er würde seinen Klientelstamm erweitern, niemand würde mehr pleitegehen und vielleicht könnte er mit Felix in den Sommerferien einige Tage an die Nordsee fahren! =^x^= "In Ordnung!" Jun kontrollierte akribisch, dass die Schalenden sich unterhalb des Anoraks befanden, da die Eltern energisch und heftig darauf hingewiesen worden waren, welche Gefahren von losen Bändeln, Schnüren und Schalenden für die Gesundheit ihrer Kinder ausgingen. Wie viele hatten sich schon versehentlich stranguliert! Also gab es keine Fäustlinge an der Schnur oder Zugbänder zur Regulierung der Weite von Kapuzen oder Säumen. Felix grimassierte ergeben. Er wollte zu den anderen Kindern, hoffte auf einen Ausflug an den Rhein, den Zustand und die Pegelhöhe zu begutachten. "Hör mal, deine Mutter holt dich ab." Jun spulte das übliche Programm herunter. "Also kein Wort über Toast, Erdnussbutter oder die Katze, ja? Geh mit keinem Fremden mit, mach dich nicht unnötig dreckig und hab viel Spaß!" »Typische Elternfloskel!« Felix tätschelte seinem Vater, der vor ihm kauerte, nachlässig den wilden Schopf, der über einem lädierten Fleece-Stretchband in den grauen Himmel ragte. "Arbeite fleißig, Papa!" Damit konnte man alle Erwachsenen in die Flucht schlagen. =^x^= "Papa?" Felix spähte prüfend zwischen den Aktenbergen hindurch auf den gebeugten Kopf seines Vaters, der simultan tippte, notierte, beiläufig kalten Kaffee nippte, automatisch die Miene verzog und die Zungenspitze konzentriert in einen Mundwinkel klemmte. Felix kannte diesen Zustand schon. Seine Mutter pflegte eine grimmige Miene aufzusetzen, um irgendetwas zu Leibe zu rücken. Für ihn immer das letzte Warnsignal, sich tunlichst zu subtrahieren. Offenkundig befand sich sein Vater in Sitzung mit dubiosen Außerirdischen. Zumindest legte das der gewohnte Befehl seiner Mutter nahe, die "Erde an Jun!" bellte, um nachdrücklich dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Felix huschte auf Sockenspitzen zurück ins Schlafzimmer, wo sich der faszinierende Gast im Fellkleid wieder eingeladen hatte, auf dem Kopfkissen präsidierte. Ein Schüsselchen mit Wasser hatte er schon angeboten, was gnädig genutzt worden war. Felix, der selbst Appetit verspürte, fand, dass bloße Flüssignahrung ihn als Gastgeber und Freund nicht besonders auszeichnete. Behutsam kraulte er einen kräftigen Nacken, wurde mit einem gnädigen Schnurren belohnt. Er versprach leise, er werde jetzt kurz weggehen, um etwas zu essen zu besorgen. Quasi lautlos schlich er zur Wohnungstür, nahm seinen Anorak, die kleinen Stiefel und den Rucksack, um hinauszuschlüpfen. Erst auf der Fußmatte, somit außer Hörweite, rüstete er sich sorgsam aus, kletterte die steilen Treppen herunter. Niemand begegnete ihm, was ihn erleichterte. Er stemmte sich energisch gegen die schwere Klinke der Haustür, zwängte sich durch den entstehenden Spalt, trat entschlossen auf den Bürgersteig. =^x^= "Herr von Lauritz! Herr von Lauritz!" Robert blickte auf. Der gedämpft nervöse Tonfall nötigte zu alerter Aufmerksamkeit. Frau Veskovic, seine "Perle" in Beratung und Verkauf, die dunkelrot gefärbte, sorgsam toupierte Lampenschirmfrisur betupfend, materialisierte sich vor ihm, Hilfe suchend. "Womit kann ich Ihnen dienlich sein?" Robert legte Wert auf Manieren und blieb stets höflich, auch wenn ihn die Schreckhaftigkeit seiner Mitarbeiterin gelegentlich entgeisterte. Alles, was nicht der Routine und den von ihm vorgegebenen Anweisungen entsprach, ließ Frau Veskovic in Alarmzustände verfallen. "Können Sie wohl... bitte... nach vorne...?!" Drängte sie besorgt. "Selbstverständlich." Robert ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, klemmte ein Lesezeichen in sein Notizbuch. Er arbeitete durchaus mit dem Computer und einem handlichen Scanner für sein Inventar, doch ein Computer konnte nicht die sinnlichen Eindrücke eines Notizbuches ersetzen, in dem man blätterte und mit Bleistift Memorables festhielt. Er verließ das kleine Büro, betrat den geräumigen Verkaufsraum: niedrige Regale, gläserne Kühlschränke, geflochtene Körbe und polierte Fässchen. Sein Reich. Vor der niedrigen Theke, die die Kasse und eine altmodische Waage krönten, stand ein Kind, offenkundig ohne Begleitung. »Kurios.« Stellte Robert fest. Er hatte keine Kundschaft, die ihre Kinder hierher zu Besorgungen schickte, vor allem nicht nach Sechs, in der Dunkelheit. Er trat hinter die Theke, um sich als Besitzer erkenntlich zu machen, wollte just das Wort an das Wesen unter der Bommel gekrönten Strickmütze richten, als sich ein rundes Gesicht bot, der kleine Kopf in den Nacken gelegt wurde und es rief. "Ein Vampir!" Unwillkürlich blickte Robert hinter sich, bevor er begriff, dass er selbst gemeint war. Irritiert starrte er aus luftigen 1,90m hinunter auf das wichtelartige Kind. "Bedaure." Bemerkte er trocken. "Ich bin kein Vampir. Robert von Lauritz ist mein Name. Wie kann ich dir helfen?" =^x^= Felix studierte den Vampir eindringlich. Riesig groß, ziemlich dünn, schwarze Kleider, ein Schal um den Hals, ein richtig schwarzer, üppiger Haarschopf und definitiv blasse Haut! Wenn man jetzt Sonne hätte, könnte man testen, ob sie irgendwie komisch glänzte und funkelte! Die randlose Brille konnte ja über die Augenfarbe täuschen... Trotzdem wollte Felix nicht feige kneifen. Immerhin hatte er seinem pelzigen Freund ja ein Abendessen versprochen! "Herr Vampir." Er schluckte, drückte das Rückgrat durch. "Herr Vampir, ich möchte Leber kaufen." =^x^= Robert runzelte die ausdrucksstarken Augenbrauen, unterdrückte den Drang, sein Halstuch zu richten. Er hatte nicht unbedingt das Gefühl, Herr der Situation zu sein. Nachdem er dem Kind mühsam die Konzession abgerungen hatte, ihn statt "Herr Vampir" bei seinem Vornamen "Herr Robert" anzusprechen, war er zum Kern der merkwürdigen Geschichte vorgedrungen. Der Junge wollte frische Leber für eine Katze kaufen, weil ein gewisser Wiki das empfohlen hatte und sein Papa im Moment nicht abkömmlich schien wegen einer Konferenz mit Außerirdischen. Frau Veskovic zuckte hilflos und bekräftigend mit den Schultern. Nun wurde ihm ergänzend auseinandergesetzt, warum sein ungewöhnlicher Kunde ausgerechnet auf sein Delikatessengeschäft verfallen war, um sich Leber zu beschaffen: die Frau Mama hatte angedeutet, hier gebe es all das Zeug zu kaufen, was der Supermarkt nicht führe und man auch nicht brauche! Nun ja. "Das tut mir leid." Robert beugte sich nicht herab, um wie ein drohender Schatten über dem Kind zu lauern. Er war schließlich mühevoll dem Vampir-Status entronnen. "Wir führen keine frische Leber. Verarbeitete Produkte ja, aber die sind für Katzen nicht geeignet." In dem Kindergesicht runzelten sich konzentriert die Augenbrauen. "Zum Beispiel gibt es Pasteten mit Leber. Aber die sind natürlich gewürzt, Salz und Pfeffer, was Menschen mögen." Fühlte sich Robert zu einer Erläuterung herausgefordert. "Aber nicht gesund für Katzen!" Beendete er seinen Vortrag nachdrücklich. Diese neuen Informationen wurden verarbeitet, die Augenbrauen zuckten. "Herr V.. Robert..." Verbesserte sich der Wichtel eilig. "Haben Sie nichts, was eine Katze essen kann? Zum Supermarkt darf ich nämlich nicht allein laufen." Robert überlegte, aber keineswegs, ob es etwas in seinem Sortiment gab, dass auch unbedenklich einer Samtpfote kredenzt werden konnte, sondern wie er herausfand, wo sich die Eltern befanden. In diesem Moment erblickte er durch die Rundbögen geschmückten Fenster, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein aufgelöst wirkender Mann in Hausschlappen auf das Trottoir stürzte, wild hin und her blickte. "Einen Moment bitte." Richtete er das Wort an seinen überschaubaren Kunden, hielt mit gemessenen Schritten auf die Ladentür zu. =^x^= Jun kaperte entschlossen eine Hand, atmete tief durch. "Ich werde noch einen Herzinfarkt bekommen, bevor ich Vierzig bin!" Drohte er Felix. "Du darfst doch nicht einfach aus dem Haus laufen!" Sein Sohn senkte den Kopf, schwieg klugerweise. "Wir führen leider keine für Katzen geeignete Nahrung." Erklärte ihm der Geschäftsführer gerade, der ihn auf der Straße höflich, aber insistierend abgefangen hatte. "Das ist auch überhaupt nicht nötig!" Antwortete Jun bestimmt, funkelte auf den vorgeblich demütig gesenkten Schopf seines Sohnes hinab. "Dieser freche Kater treibt sich nämlich im ganzen Haus herum!" Er bemerkte den skeptischen Blick des großgewachsenen Mannes, sah sich zu weiteren Ausführungen gezwungen. Aus irgendeinem Grund wollte er vor diesem Herrn V... von Lauritz nicht wie ein kompletter Idiot dastehen. "Der Kater ist zugelaufen, hat das Haus zu seinem Territorium erklärt!" Gestikulierte er einhändig. "Der ist so clever, dass er sich in jeder Wohnung eingerichtet hat! Hier ein Katzenklo, da gibt's Futter und ausgerechnet bei mir will das Vieh übernachten!" Endete er schließlich in einem Hüsteln. Eine fein gezeichnete, ausdrucksstarke Augenbraue wanderte zum üppigen Haaransatz. Jun spürte, wie ihm Röte die Wangen einfärbte. "Ähm." Verkündete er nachdrücklich und ausschweifend. "Ich bedaure, dass ich Ihrem neuen Hausgefährten nichts Entsprechendes anbieten kann." Bemerkte der Quasi-Vampir höflich, mit einer winzigen Prise Ironie, übergab in geschulter Referenz Visitenkarten. "Ich hoffe jedoch, dass Sie mich einmal beehren, wenn Sie Appetit verspüren." Da! Jun war sich sicher, dass ihm spöttisch zugezwinkert worden war! "Umpf!" Kommentierte er, während Felix aufmerksam die ihm überreichte Visitenkarte studierte. Immerhin war das das erste Exemplar seines Lebens! "Ich komme bestimmt noch mal zum Gucken!" Antwortete er artig. "Es riecht hier nämlich fein, Herr V....Robert." "Danke schön." Vornehm deutete der Vampir-Verdächtige eine Verneigung an, lächelte amüsiert. Es zeigten sich keine spitzen Zähne, aber Felix hatte zwangsläufig dank der Besessenheit seiner Mutter unzählige Stunden Gelegenheit gehabt, Referenzmaterial zu Vampiren zu studieren. Er war deshalb noch längst nicht überzeugt, nicht doch einen heimlichen Blutsauger vor sich zu haben. Immerhin tarnten die sich mittlerweile ja so gut, dass man sie kaum noch identifizieren konnte! Vielleicht nuckelte dieses Exemplar hier auch an Ersatz-Blutkonserven?! "...wir müssen... gehen... jetzt!" Fand Jun die Sprache wieder, schockiert von der Unbekümmertheit, mit der sein Sohn erneut in diesem exklusiven Geschäft einzufallen gedachte. Er hielt sich mit Sonderangeboten aus dem Discounter über Wasser, fürchtete, dass ihn ein hysterischer Anfall überkommen würde, wenn er auch nur mehr als einen bangen Blick auf die sehr diskret ausgezeichneten Preise der Delikatessen warf. "Dann darf ich Ihnen noch einen schönen Abend und einen guten Nachhauseweg wünschen." Schnurrte Herr V...Robert förmlich. Eine so süffisante Bemerkung, dass Jun die Spucke wegblieb und er nur noch eilig grunzend die Stätte seiner Niederlage floh, Felix im Schlepptau. =^x^= Robert verfolgte den Abgang des heftig erröteten Vaters samt seines wichteligen Sohns durchaus amüsiert. Er fragte sich interessiert, warum ihm keine bissige oder schneidende Antwort zuteil geworden war. Sein Gegenüber hatte durchaus den sanften Spott registriert, mit dem er bedacht wurde. »Vielleicht habe ich ihn in Verlegenheit gebracht.« Grübelte Robert, während er sich wieder an seine Buchhaltung begab. »Möglicherweise hatte er Angst davor, etwas kaufen zu müssen, das sein Budget übersteigt?« Es verhielt sich keineswegs so, dass man ein Vermögen für die ausgesuchten Nahrungsmittel aufwenden musste, die Robert in seinem geliebten Delikatessengeschäft anbot. Man musste jedoch in Rechnung stellen, dass es sich oftmals um kleine Betriebe handelte, die eine niedrige Stückzahl produzierten. Da konnte man nicht wie bei den großen Handelsketten mit gewaltigem Abnahmevolumen einen extrem günstigen Preis erwarten, der kaum eine Gewinnspanne für Handel und Herstellung abwarf. Es traf auch nicht zu, dass sich hier nur Wohlsituierte versorgten. Manche kleideten sich eher schäbig bis abgetragen, kamen aber, um sich eine kleine Köstlichkeit zu gönnen. Besonders die älteren Semester, die sonst keine großen Aufwendungen mehr hatten, sah man von den leidigen Gesundheitskosten ab. Aus einer Laune heraus aktivierte Robert seinen Computer, loggte sich im Internet ein, flipperte geschickt über die Suchanfrage, wer wohl der zerzauste Papa aus dem Nachbarhaus sein mochte. Obwohl Robert eine exklusive und weitläufige Altbauwohnung im Hochparterre sein Eigen nannte, kannte er seine Kundschaft besser als seine Hausnachbarschaft. Selbstredend wusste er, wie die vier anderen Parteien in "seinem" Haus hießen. Man grüßte sich, tauschte gelegentlich Allgemeinplätze aus, doch sie waren Mietparteien und er eben Miteigentümer, der sich lediglich mit einer Vermögensverwaltungsgesellschaft auseinanderzusetzen hatte. Von den Nachbarhäusern, die nachträglich in die Baulücken gezwängt worden waren, als man in den Fünfzigern eilig Wohnraum schaffen musste, kannte er nur die Menschen, die sein Geschäft beehrten. "Sieh an." Bemerkte Robert leise, als er den vermuteten Treffer landete. "Haasenkempp, Jun Nikolaus. Staatlich geprüfter Steuerberater." Er malte sich aus, wie sein verlegener Besucher inmitten von Papierbergen herumwühlte, erst nach geraumer Zeit und gerauftem Schopf registrierte, dass ihm sein Sohn abhanden gekommen war. Frau Veskovic blinzelte ungläubig in den kleinen Büroraum, als sie Robert ungewohnt laut lachen hörte. =^x^= "Papa! PAPA!" Felix zupfte und zerrte, schüttelte und rüttelte, doch das leise Schnaufen wechselte nicht mal den Rhythmus! Es war zum Haareausraufen!! Endlich entschied er, dass es keinen Sinn hatte, seinen Vater irgendwie aus dem tief narkotisierten Schlaf wecken zu wollen. Er vermutete stark, dass nicht nur die Schlafmaske und die Ohrenstöpsel das Unterfangen zum Scheitern verurteilten, sondern auch Schlaftabletten im Spiel waren. Felix wusste über die Pillen Bescheid. Erstens waren sie streng verboten. Zweitens kamen sie nur zum Einsatz, wenn sich die Augenringe seines Vaters den Kniekehlen annäherten. Was in den letzten Jahren regelmäßig kurz vor den Steuerterminen geschah, wenn gewaltige Berge 'erledige mich gestern-Belege' den Schreibtisch unter sich zu begraben drohten. »Keine Zeit zum Zaudern!« Ermahnte er sich streng, warf einen besorgten Blick aus dem offenen Fenster. Er musste Hilfe holen, und das schnell! =^x^= "Herr V.. Robert! Herr Robert!" Robert, der gerade behutsam sanft polierte Flaschen edlen Tropfens in den Weinkühlschrank bettete, fuhr auf dem sorgsam gewienerten Absätzen herum, blickte in Richtung Boden. Vor ihm, atemlos, ohne Mütze oder Jacke, in winzige Hausschuhe, die wie plüschige Katzenpfoten aussahen, wuchs der Wichtel aus dem Boden. Wie war der Name noch gleich... Felix? Ja, genau, Felix! "Was kann ich für dich tun, Felix?" Erkundigte er sich höflich, ging neben dem aufgelöst wirkenden Kind in die Knie. "Bitte, Sie müssen helfen! Mitkommen!" Kleine Arme gestikulierten rudernd. "Der Kater steckt fest! Am Hals! Auf dem Dach!" Robert zögerte. Er traute dem Dreikäsehoch nicht zu, ihn anführen zu wollen, aber es schien doch seltsam, dass er ausgerechnet bei ihm auf Unterstützung hoffte. "Wo ist denn dein Vater?" Erkundigte er sich wachsam, richtete sich zu seiner imponierenden Höhe auf. "Bitte!" Drängte Felix, zupfte an seiner Anzugjacke. "Bitte, mein Papa schläft! Er wacht nicht auf! Käpten stirbt!" "Käpten?" Robert runzelte die Stirn. Das war alles nicht ganz geheuer. "Der Kater heißt Käpten!" Felix würgte ein ungeduldiges Schluchzen herunter, weil Erwachsene immer so begriffsstutzig waren! Musste an der dünnen Luft um ihre Schädel liegen! Wie auf dem Himalaya, wo der Yeti wohnte. "In Ordnung." Entschied Robert. "Warte an der Tür auf mich, damit ich abschließen kann." Seufzend drehte er ein edel bedrucktes Schild um, das der geneigten Kundschaft versicherte, er werde in Kürze wieder zurückkehren. Er verriegelte die Eingangstür, aktivierte die unumgängliche Alarmanlage. Wie selbstverständlich schob sich eine kleine Hand, die gereckt werden musste, in Roberts Hand, leitete ihn energisch über die Straße in das Wohnhaus. Die Haustür schnappte nicht richtig ins Schloss, deshalb konnten sie sich ungehindert einlassen. Das Treppenhaus war dunkel, die Stiegen recht steil und eng. Robert hielt inne, ging leicht in die Knie, lupfte, auch wenn es ungewohnt war, Felix unter den Achseln hoch, hob sich den Jungen auf die Hüfte. Er stieg energisch nach oben, während Felix ihm soufflierte, sein Papa wohne unter dem Dach. »Was auch sonst?!« Kommentierte Robert schicksalsergeben, näherte sich aber tapfer und zügig dem letzten Treppenabsatz vor dem Dachboden. Dort hatte Felix das Zuschlagen der Wohnungstür durch den Einsatz seiner Stiefel verhindert, die quer im Türschlag Wache hielten. Robert ließ Felix herunter, trat sich ordentlich die Schuhe auf der Fußmatte ab, folgte seinem ungeduldigen Führer in das bescheidene Reich. Im Schlafzimmer, winzig klein, fand er nicht nur den Wohnungsbesitzer leise schnorksend vor, offenkundig chemisch ausgeknockt, sondern auch ein offenstehendes Fenster, vor dem Felix balancierte, besorgt um die Ecke spähte. Robert folgte seinem Beispiel, um sich einen Überblick zu verschaffen. Unterhalb des Fensters, auf Deckenhöhe des darunterliegenden Geschosses, befand sich ein Sims mit einem halben Meter Breite. Das Sims endete am Eckhaus, das genau um das Dachgeschoss niedriger war. Genau am Ende des Simses kauerte ein kräftiger Kater in einem Gewirr aus aufgedröseltem Maschendraht. Robert blickte nach oben zum Dach, inspizierte das Panorama. Offenkundig hatte die ungewohnte Schneelast zum Jahreswechsel altes Drahtwerk heruntergerissen, das zur Taubenabwehr genutzt worden war. Auch die Dachantenne hing schief in der Verankerung. Was versetzt als Schnee- und Witterungsschutz dienen sollte, wirkte eher, als habe der Zahn der Zeit den letzten Rost weggenagt. "Ich komm nicht dran!" Machte Felix ihn auf die Notlage aufmerksam. Er wollte wohl vermeiden, dass man ihn für einen Feigling hielt, der ausgekniffen war, seinen Freund im Stich ließ. "Gut." Robert klatschte in die Hände, schlüpfte aus seiner Anzugjacke, legte sie ordentlich über dem notorischen Schläfer ab. "Bitte bring mir aus der Küche ein Paar Ofenhandschuhe und zwei Geschirrhandtücher." Felix, der einen Mann der Tat erkannte, wenn er ihn sah, flitzte sofort los, um den Auftrag zu erfüllen. Unterdessen überlegte Robert angestrengt, ob es einen Sinn hatte, irgendwelches Werkzeug ausfindig zu machen, über das bedrückend schmal wirkende Sims zum Pelztier zu befördern. Er entschied sich dagegen. Als Felix strahlend ob der erfolgreichen Suchexpedition wieder ins Zimmer stürzte, band er sich zu dessen Faszination die Geschirrhandtücher um die Kniegelenke, verabschiedete sich innerlich schon stumm von seinen feingestrickten Socken und stopfte sich die Ofenhandschuhe hinten in den Gürtel. Derart ausgerüstet nahm er auf der Fensterbank Platz, schwang die Beine elegant hinaus, drehte sich behutsam herum. Den Oberkörper weit ins Zimmer geneigt rollte er von der Kehrseite bis auf die Hüften, tastete in tadelloser Spannung aller betroffenen Glieder nach dem Sims. Als er es unter seinen Zehenspitzen fand, ließ er sich behutsam hinabgleiten. So weit, so gut. Vorsichtig, immer das Gesicht der Hauswand zugeneigt, schob sich Robert weiter. Obwohl er nicht höhenkrank war oder leicht schwindelig wurde, erfüllte ihn ein mulmiges Unbehagen. Der Drang, sich auf die Knie zu begeben, wurde stärker, doch Robert verbat sich diese Schwäche für den Moment. Auf allen Vieren kriechen mochte stabiler wirken, doch das Aufrichten würde ihm umso schwerer fallen. Als er das Ende des Simses erreicht hatte, atmete er tief durch, drehte sich, bis er sich langsam auf die Knie begeben konnte. Mit der Linken umklammerte er die Simskante, während die Rechte an seinem Rücken nach den Ofenhandschuhen im Gürtel tastete. Er streifte sie über, näherte sich dem Drahtgewirr. Wie es zu dieser unglücklichen Verstrickung gekommen war, konnte Robert nicht mehr rekonstruieren. Er erkannte jedoch schnell, dass der Kater sich verzweifelt zu befreien versucht hatte: die Schlinge, die um seinen Hals lag, hatte sich zugezogen. Ein Teil des Drahtgewirrs hing bereits über der Dachkante, baumelte in die Tiefe. "Herrje!" Brummte Robert verdrossen, beugte sich vor. Er hoffte, das Tier möge erkennen, dass er nicht der Feind sei. Behutsam, mit erzwungener Geduld gelang es ihm, Drahtschlinge um rostige Masche wegzubiegen, bis er, durchaus ein wenig grob, den Katerschädel aus der stählernen Umklammerung gedrückt hatte. Blitzartig wischte der Kater weg, raste mit artistischer Sicherheit die Dachschräge hoch, verschwand hinter einem alten Schornstein. Robert keuchte, versagte sich einen spöttisch-resignierten Kommentar zur Dankbarkeit und betrachtete den Drahtmüll. Beinahe war man versucht, das unnütze Gebilde vollends in den Orkus verschwinden zu lassen, doch da es mittlerweile schon stark dämmerte, konnte er nicht erkennen, was sich unterhalb befand. »Soll sich die Hausvermietung damit herumschlagen!« Entschied er. Er schob sich, leidlich gestützt durch die umwickelten Knie, langsam rückwärts auf dem Sims entlang. Es war ihm unangenehm, irgendwie schleimig-schlüpfrig, weil sich hier natürlich auch das Dach entlud. Man hätte wohl besser ein Gefälle mit Schiene montieren sollen. Allerdings wäre ihm seine Rettungstat nicht gelungen. Als er endlich das Fenster erreichte, wartete Felix bereits auf ihn, hing beinahe über. "Warum ist er weggelaufen? War er verletzt?" Erkundigte sich der Junge bange. "Nur der Schreck." Beruhigte Robert ihn. "Ich glaube, er hat sich nichts getan. Bloß ein bisschen erschrocken." Er wusste, dass er sich aufrichten musste, drehen, nach dem Fensterbrett greifen, sich hochziehen und vornüber ins Schlafzimmer eines fremden Mannes kippen. Einfacher gesagt als getan. Zögerlich, unsicher richtete er sich auf, fühlte sich taub in den Beinen und puddingweich in den Armen. "Hoffentlich falle ich nicht!" Knurrte er. "Da mache ich mir keine Sorgen." Klärte ihn Felix unbekümmert auf. "Ein Vampir kann doch fliegen!" =^x^= Jun rieb sich die Augen, doch das half seinem Begriffsvermögen nicht auf die Sprünge. Zögerlich hob er ein verschmutztes, feuchtes Geschirrhandtuch an einer Ecke hoch, drehte es in Augenhöhe kritisch. Er ließ es zu den anderen "Beweisstücken" sinken. -Zwei Geschirrhandtücher, feucht und dreckig, müffelnd. -Ein Paar Ofenhandschuhe, voller Rostflecken und mit Spuren von Katzenhaaren befellt. -Ein Frotteehandtuch, ebenfalls feucht. Duftete allerdings nach Seife. -Und Felix, Beine baumelnd, sich keiner Schuld bewusst. "Das musst du mir noch mal langsam erklären." Gestand sich Jun schließlich die Niederlage ein. "Wieso hat ein Herr Vampir Käpten gerettet und dazu Handtücher benötigt?" Vage vermutete er, der Kater habe, unzweifelhaft gegen seinen Willen, eine Katzenwäsche über sich ergehen lassen müssen, aber irgendwie ließ sich das nicht ganz mit Felix' knapper Schilderung in Einklang bringen. "Also!" Holte sein Sohn tief Luft, schon seit geraumer Zeit davon überzeugt, dass Erwachsenen jedes Abstraktionsvermögen abging. "Käpten war auf dem Dach mit dem Draht um den Hals." Zu Demonstrationszwecken würgte er sich selbst. "Beinahe schon weggedrosselt!" "Er-drosselt." Korrigierte Jun beiläufig, die Augenbrauen konzentriert zusammengezogen. Er hatte in der Dunkelheit aus dem Fenster nichts erkennen können, was an eine mobile Garotte erinnerte. "Weil du geschlafen hast, habe ich den Herrn Vampir geholt. Der hat Käpten befreit!" »Ganz einfach!« Signalisierte sein Gesichtsausdruck. "Moment mal!" Langsam kam Juns Gehirn auf Touren, ohne den dringend erforderlichen Anschub durch eine massive Dosis Koffein. "Du hast diesen Herrn...Robert aus seinem Geschäft geholt?! Um auf dem Dach herumzuklettern?!" "Sicher." Felix baumelte wieder mit den Beinen. "Er kann doch fliegen. Alle Vampire können das." Jun stützte sich schwer auf die Tischkante. "Felix, ich sag's dir das letzte Mal: es gibt KEINE Vampire. Und nein!" Damit hielt er Felix den Mund zu. "Sie tarnen sich auch nicht oder verheimlichen das! Vampire sind bloß eine Erfindung. So wie Zwerge, Elfen und Einhörner!" Innerlich notierte er sich, mit Silvana ein ernsthaftes Wort über die Folgen ihrer Besessenheit von dieser populären Vampir-Saga zu sprechen. Nichts gegen ihre Vorlieben, aber es sollte ihr doch möglich sein, ihren Sohn von ihrem Konsum auszuschließen! Felix zog ein Mäulchen, entschlüpfte dem Siegel. "Aber er hatte gar keine Angst und hat Käpten geholfen!" "Geflogen ist er aber nicht." Beckmässerte Jun. Felix wollte kein schlechter Verlierer sein. "Einen Teil ist er gelaufen, auf Socken, dann auf Knien. Deshalb die Tücher." Das ergab zumindest für Jun langsam ein Bild, das er begreifen konnte. "Wo ist der Kater jetzt?" Variierte er das Thema. Sein ehemaliges Kopfkissen, nunmehr notgedrungen durch einen Neuerwerb ersetzt, hatte keine Katerspuren aufgewiesen. Er wollte nicht hoffen, dass der Kater nun auch noch den gesamten Rest seiner Wohnung in Anspruch nahm. Reichte ihm nicht das gesamte Haus?! Felix seufzte. "Verschwunden. Herr Robert sagt aber, das wäre bloß der Schreck." Daraus schöpfte er eine felsenfeste Überzeugung, dass Käpten zurückkehren würde. Immerhin hatte Frau Wagenknecht vom Parterre, wo Käpten eine Katzentoilette unterhielt, von der Studentin erzählt, bei der Käpten früher gewohnt hatte. Nur weil das Hinterhaus abgebrannt war, hatte sich der Kater ein neues Refugium gesucht. Das würde er bestimmt nicht so schnell wieder aufgeben! "Bestimmt." Murmelte Jun, verwuschelte tröstend und aufmunternd zugleich Felix' Schopf. "Du sagst mir doch Bescheid, wenn er wieder da ist, ja, Papa?!" Drängte Felix energisch. "Klar!" Sein Vater streifte sich endlich die um den Hals gewickelte Schlafmaske über die zerrauften Haare. "Ich spreche dir auf den Anrufbeantworter." Immerhin müsste Silvana in Kürze klingeln, ihren hoffnungsvollen Sprössling abholen. Es war ja schon spät. =^x^= Robert bereitete sich auf den Geschäftsschluss vor. Er blickte deshalb überrascht auf, als ein sanftes Geräusch späte Kundschaft ankündigte. Jun stand unschlüssig in dem Geschäft, das er eigentlich gar nicht mehr betreten wollte, weil er sich beim letzten Mal wie ein Idiot vorgekommen war. Nun bahnte sich wohl eine beschämende Wiederholung an. "Guten Abend, Herr Haasenkempp." Lächelte Robert freundlich. "Hat sich der Kater schon wieder eingefunden?" Verblüfft stutzte Jun. Hatte er sich schon mal richtig vorgestellt? Sein verwirrter Ausdruck konnte Robert nicht verborgen bleiben, der schmunzelte, neckend eine ausdrucksstarke Augenbraue lupfte. "...Ähm..." Entschlüpfte Jun durcheinander. "Nein, also..noch nicht." Er straffte sich sichtbar, drückte das Kreuz durch. Schließlich war er ja nicht wegen des Katers hergekommen! Gut, mittelbar schon. Er räusperte sich. "Ich möchte mich bedanken, dass Sie meinem Sohn geholfen haben. Und den Kater gerettet. Das war sehr mutig." "Ja, fand ich auch!" Lachte Robert. "Vor allem, weil meine Socken klatschnass wurden." "Die habe ich aber gar nicht gefunden?!" Rutschte Jun raus, bevor sein Verstand einschreiten konnte. "Stimmt." Robert lächelte amüsiert. "Ich hatte sie eingesteckt. Leider musste ich einen Teil Ihrer Küchenutensilien zweckentfremden. Ich hoffe, Sie sehen mir das nach." "Oh, das... kein Problem!" Über Juns Gesicht flackerte ein hilfloses Grinsen. Jedes Mal kam er sich unzulänglich vor diesem Mann vor! »Lächerlich!« Schimpfte er sich selbst aus. »Du bist staatlich geprüfter Steuerberater und Vater eines Sohnes! Kein kleiner Hosenscheißer!« Aber da war ein merkwürdiges, aufstachelndes Funkeln in den dunklen Augen hinter der randlosen Brille. Es machte ihn nervös, kribbelig. Er wollte lieber gar nicht wissen, worauf diese Empfindungen gründeten! "Jedenfalls herzlichen Dank für Ihre Mühe. Ich werde die Socken natürlich ersetzen." Antwortete er steif, betont förmlich. Robert zwinkerte. "Nicht doch, ich besitze mehr als ein Paar. Es war mir ein Vergnügen, behilflich zu sein. Man macht doch selten so grenzwertige Erfahrungen im Leben." Jun schnaubte, zu seiner Beschämung durchaus vernehmlich. Der Kerl amüsierte sich über ihn! Dabei wollte er nichts weiter, als sich bedanken und wieder verschwinden! Erneut musste ihn sein Gesicht verraten haben. Der Pseudo-Vampir verlor die winzigen Lachfältchen in Augen- und Mundwinkeln. "Verzeihung." Robert verkürzte die Distanz zwischen ihnen. "Ich habe Sie in Verlegenheit gebracht. Ich habe gern geholfen. Es ist nicht nötig, mir zu danken." So war Jun gänzlich der Wind aus den Segeln der Empörung genommen. Er wusste nicht, wie er darauf antworten sollte. Ganz zu schweigen von dem aufmerksamen Blick, der auf ihm ruhte! "Ich..." Er zögerte, trat einen halben Schritt zurück. "Ich sollte jetzt besser gehen. Sie möchten sicher schließen, und ich muss ja auch nachsehen, ob der Kater..." "Sagen Sie, haben Sie heute Abend schon etwas vor?" Robert folgte ihm hartnäckig, verkürzte den Abstand wieder. "Möchten Sie mich vielleicht zu einer Soiree begleiten?" =^x^= »Was TUST du denn da?!« Fragte ihn sein Verstand ärgerlich, während sich sein Anstand bereits entsetzt abwandte. Er konnte doch nicht wirklich diesen Mann auf Romans Soiree mitnehmen wollen?! »Warum denn nicht?!« Hielt Robert streng seinem Gewissen entgegen. »Er ist geschieden, erwachsen und hat offenkundig Manschetten vor mir! Was soll schon passieren?!« »Ha!« Schnaubte sein sittenstrenges Gewissen abschätzig. Während seine Libido schnurrte. »Ich finde ihn nieeeedlich!« "Bitte, machen Sie mir doch die Freude." Übertönte Robert laut den inneren Disput. "Eine kleine Gruppe, ungefähr 30 Personen, eine Einführung in die Geheimnisse der Käseherstellung. Anschließend eine Verkostung. Es wird Ihnen bestimmt gefallen!" Warum um alles in der Welt engagierte er sich bloß für diesen Steuerberater?! Robert setzte sein bezauberndstes Lächeln auf. War es dieser ungebärdige, stachelartige Schopf, der geradezu verführte, ihn zu kraulen, zu raufen und zu verwuscheln? Das flächig-runde Gesicht, dem man zu gern über die verlegen errötenden Wangen streicheln wollte? Die angenehme Stimme, die viel besser klingen musste, wenn sie nicht höfliche Phrasen zu drechseln hatte? »Komm schon, gib dir einen Ruck!« Beschwor er Jun hypnotisch. »Begleite mich!« =^x^= Robert verbarg sein Lächeln hinter dezent vorgehaltener Hand am aufgestützten Arm, als das Taxi sie Richtung Heimat kutschierte. Jun lehnte, selig und ziemlich angeheitert, an seiner Schulter. Der Abend war, soweit Robert es beurteilen konnte, ein voller Erfolg gewesen. Zunächst hatte sich Jun sehr zurückgehalten, war distanziert, nervös, befangen, doch es gab nichts, das ein angenehmer Abend unter Gleichgesinnten nicht aufhellen konnte! Einem kurzweiligen Vortrag über die Herstellung von Käse war in einem der seltenen Kellergewölbe der Rheinstadt natürlich eine Verkostung gefolgt, Häppchen und Bissen, dazu Spuren seltener Senfsorten oder exotischer Gelees, begleitet von geistvollen Getränken. Hätte das nicht allein ausgereicht, jedes Eis zu brechen, so bewies der Gastgeber, ein alter Geschäftsfreund Roberts, der sich auf die Organisation und Veranstaltung gastro-kultureller "Events" verstand, bei der Auswahl der Gäste immer ein gutes Händchen. Nicht alle, die sich bewarben, konnten den Anspruch erheben, auch den Eintritt zahlen, sich zur erlesenen Gesellschaft zählen zu dürfen! Unbeschwert, leger aber niveauvoll, abwechslungsreich: so sollte die Atmosphäre sein! So mischten sich auch aus den unterschiedlichsten Sparten die Neugierigen und Genießenden miteinander. Robert hatte sich selbstredend um seinen Begleiter besonders bemüht, ihn mit allen ihm bekannten Gästen ins Gespräch gebracht, unauffällig dafür Sorge getragen, dass Jun sich aus seinem Panzer verängstigter, unsicherer Höflichkeit befreite. Es gefiel ihm, dass Jun unerschrocken Unbekanntes probierte, nicht unentwegt von sich selbst schwatzte oder gar, ganz grässliche Manieren!, Bilder vorzeigte. Sondern aufmerksam zuhörte, keinen Wert darauf legte, sich zu profilieren! Er mochte das fröhliche Funkeln in den dunklen Augen, die von Alkohol, guter Laune und der vorherrschenden Wärme geröteten Wangen. »Komisch.« Sinnierte er nun auf der Heimfahrt. »Wie kann ein erwachsener Mann gleichzeitig niedlich und sexy sein?!« Das passte unbestritten nicht zueinander, insbesondere nicht in derselben Situation! Doch mehr als einmal waren ihm diese Adjektive gleichzeitig durch den Kopf geschossen, wenn er Jun beobachtet hatte. Glücklicherweise hatte sich dessen Abneigung ihm gegenüber verflüchtigt! Wieder zuckte ein Lächeln in Roberts Mundwinkeln, sorgsam von der elegant abgewinkelten Hand abgeschirmt. Selbstredend wusste er um seine gelegentlich einschüchternde Ausstrahlung, sie gehörte quasi zum Geschäft. Sie wurde manchmal sogar erwartet, um sich als einer besonderen, feinsinnigeren Elite angehörig auszuweisen, die es sich nicht nehmen ließ, ein exquisites Delikatessengeschäft mit ihrer Patronage zu beehren. Jun hatte er lediglich ein wenig necken, herausfordern wollen. Schon wieder ein komischer Impuls! Wie kam er dazu, einen möglichen Kunden dezent zu triezen?! »Tsktsk!« Tadelte ihn seine innere Stimme streng und unnachgiebig. »Sag ich dir das nicht STÄNDIG?! Du bist ein unverbesserlicher Flirt!« Was keineswegs als Kompliment gemeint war. Robert nahm es nicht krumm. Er bildete sich durchaus ein, im Laufe seines Lebens die Antenne verfeinert zu haben, die ihm signalisierte, wann ein Gegenüber einen verbalen Schlagtausch voller Esprit und Hintersinn zu schätzen wusste. »Deshalb vielleicht?« Bemühte Robert sich um eine Analyse. Warum hatte er unbedingt bei Jun gut angeschrieben sein wollen? Warum hatte ihn dessen Reaktion gekränkt? »Vor mir muss man doch keine Manschetten haben!« Stellte er nachdrücklich fest, widersprach sich somit selbst. Andererseits hatte er ebenfalls ein wenig Hochprozentiges konsumiert, sah sich gewisse Tiefflüge in die Abgründe der Unlogik generös nach. Sie erreichten ihr Ziel. Robert zahlte den Fahrpreis plus Trinkgeld, half Jun, sich nicht längs auf das Trottoir zu legen, als er beim Aussteigen strauchelte. "Immer langsam mit den jungen Pferden!" Lachte Robert leise. Es war schon spät. Er stabilisierte Jun mit einem besitzergreifenden Arm um dessen Taille. "Ich bringe dich besser hinauf." Entschied Robert nach einem Blick auf das sanft glühende Gesicht mit dem entrückten Blick. "Wo hast du deine Schlüssel, Jun?" Wie beiläufig die intime Ansprache der Vertrautheit ihm über die Lippen ging! Robert wollte es sich nicht nehmen lassen, die Offerte anzunehmen, die Jun ihm leicht trunken unterbreitet hatte. Ständig "Herr Haasenkempp" und "Herr Va.. von Lauritz", das wirkte doch unnötig steif! Jun begann sich, ein wenig schwankend, mit der freien Hand abzutasten, während er sich sicherheitshalber an Roberts Ellenbogen festhielt. "Du erlaubst?" Brach Robert, um Ernst bemüht, den Slapstick-artigen Versuch ab, lehnte Jun sanft gegen die Haustür, spürte den Schlüsseln nach. Wenn sie beide aufrecht standen, ohne Seegang durch Geistvolles, reichte Jun Robert gerade bis an die Schultern, zog man die stachelig-wirren Haarspitzen ab. "Hast du sie in die Hosentaschen gesteckt?" Robert war beim kurzen Wollmantel im Seebärenschnitt nicht fündig geworden, knöpfte ihn nun auf, um besser an die Taschen zu gelangen. Bevor er jedoch ein Abklopfen in Angriff nehmen konnte, schwankte Jun einige Millimeter nach vorne, was ihn irrtümlich einen betrunkenen Sturz vermuten ließ. Hastig fasste Robert nach Juns Oberarmen, wollte ihn aufrütteln. Da landete der auf ihm Not, unerbittlich. Unwillkürlich stöhnte Robert in einen heißen Mund, dessen Zunge ungeniert in seiner Mundhöhle marodierte, als kräftige Hände seine Kehrseite packten, nicht brutal, aber nachdrücklich. Sie massierten, drückten, schmiegten sich an, rieben, kreisten, klopften, während sich ein Becken gegen sein eigenes schob, jedes Ausweichmanöver konterte. Noch nie zuvor, und Robert hatte durchaus Erfahrung, hatte jemand seiner eingestanden aparten Kehrseite derartige Ovationen entboten, ihn quasi synchron oral und podexial verwöhnt! Er neigte den Kopf, um Jun entgegenzukommen, stützte sich am Türrahmen ab, um den Halt in ihrem schwankenden, taumelnden und lustvollen Universum zu bilden. »Was TUST du denn da?!« Jaulte sein Gewissen auf. »Herausfinden, ob das ein Aperitif oder schon das Dessert ist!« =^x^= Kapitel 2 - Überraschende Erkenntnisse Robert stützte den Kopf in die Hand, grub den Ellenbogen stabilisierend in die Matratze, hauchte vorsichtig seinen Atem über die zerwühlte, schwarze Mähne. Es war nicht das erste Mal, dass er in seiner mondänen Altbauwohnung im ersten Stockwerk einen Bettgast über Nacht hatte. Selten fühlte er sich am nächsten Morgen so amüsiert und gelassen. Überhaupt, das gestand Robert offenherzig, siegte bei Gelegenheiten intimer Anbahnung seine "weibliche" Seite. Die verlangte, sich wohlzufühlen, in einer gewohnten Atmosphäre, entspannt und geborgen. Im Augenblick fläzte sich seine Libido schnurrend und genüsslich auf einem sündigen Lotterbett. »Sexy und niedlich.« Robert verfolgte konzentriert, wie seine sanften Atemzüge die dichten, schwarzen Stacheln zum Zittern brachte, wie eine Brise durch hohe Grashalme. Jun gefiel ihm. Er roch gut und schmeckte trotz der kulinarischen Exzesse zuvor sehr lecker. Seine Haut war seidig und straff, die Stacheln genauso borstig und verführerisch, wie sie aussahen. Und dann diese Zungenfertigkeit! MJAMMMMMM! Ganz zu schweigen von seinem Handgriff! Beziehungsweise beiden! Robert spürte Hitze in seinem Unterleib aufwallen, als er sich daran erinnerte, wie Jun seine Kehrseite verwöhnt hatte. Es war ihm entgangen, wie sensibel er dort fühlte, wie begierig er auf diese besondere Liebkosung war. Obwohl Robert wusste, dass er nur für Männer sexuelle Begierde empfand, gab es klar definierte Grenzen. Analverkehr sagte ihm nicht zu, nicht mal in der Imagination, es könne möglicherweise besonders lustvoll mit dem richtigen Partner und ausreichend Übung sein. Nein, die pure Vorstellung ließ ihn schaudern und erstarren. Ebenso vorsichtig verhielt er sich bei Oralverkehr. Es schien ihm unbegreiflich, dass man einerseits Kondome nutzte, um Geschlechtskrankheiten vorzubeugen, gleichzeitig aber ungeschützt eben diese Viren und Bakterien mündlich aufzunehmen riskierte! Außerdem versagte er sich die Jagd nach anonymen Sexualpartnern, suchte weder öffentliche Toiletten, schmuddelige Klappen oder Szene-Bars auf, noch kultivierte er einen Fetisch. Er mochte sein Leben, liebte seine Arbeit, pflegte seine kleinen Spleens und verteidigte sein privates Territorium energisch. Deshalb war es schon eine Sensation, dass er nach dem ersten Stelldichein, das gar nicht unbedingt als solches gedacht worden war, mit einem Bettgast an seiner Seite aufwachte, nicht belästigt oder bereits ungeduldig auf den Aufbruch hoffend. Beinahe beängstigend, wie gut ihr nonverbales Einverständnis funktioniert hatte, über Gesten, Lustäußerungen, ein Wechselspiel von Nachgiebigkeit und Herausforderung. Robert glaubte nicht, dass Jun Erfahrungen mit Männern hatte. Zumindest gab es keine Versuche, ihn zu Analverkehr zu bewegen. Das ersparte Konflikte, beugte nicht erfüllbaren Erwartungen vor. Hatte es zumindest. Versonnen touchierte er behutsam mit der freien Hand Juns Haarspitzen. Sein Moral-Codex sah vor, sich von liierten Männern fernzuhalten. Jun war zwar geschieden, doch mit einem kleinen Sohn konnte kein Mann wirklich frei sein. Außerdem zählte der quasi zu den Novizen gleichgeschlechtlicher Kontakte. »Kann daraus etwas werden?« Er seufzte lautlos. »Was denn werden?« Hielt er sich selbst vor. Eigentlich hatte er hier doch sein Ideal: lebte in bequemer Reichweite, hatte seine eigene Familie und eine fordernde Beschäftigung. Alles perfekt geeignet für eine unkomplizierte Beziehung. So einfach wollte er es sich nicht machen. Man konnte nicht einen unbescholtenen Mann auf neue Gleise führen, aber lediglich "spielen", ohne ernste Absichten oder Perspektiven. »Ach was!« Rief er sich streng zur Ordnung. Lächerliche Idee, so tiefsinnig zu werden! Sie waren sehr ausgelassen gewesen, hatten etwas getrunken und miteinander Zuneigung geteilt. DA musste man nun wirklich nicht übertreiben! Robert ließ den Kopf aus der aufgestützten Hand sinken, rückte ein wenig näher an den süßen Schläfer heran. Melancholie befiel ihn wie Mehltau, tückisch, hartnäckig und vernichtend. Wie würde Jun wohl reagieren, wenn er aufwachte und begriff, wo er sich befand? Was sich ereignet hatte? Würde er ihm aus dem Weg gehen oder ihn offen schneiden? Seinem Blick ausweichen oder sich demonstrativ angewidert abwenden? Robert drehte sich auf die andere Seite, kehrte Jun den Rücken zu. »Nimm dich zusammen!« Herrschte er sich unerbittlich an. Das Leben bestand aus vielen Augenblicken. Der mit Jun war eben vorbei! Höchste Zeit, sich innerlich zu stählen und voranzuschreiten! =^x^= "Uuoohhhhh!" Stöhnte Jun verhalten, rieb sich mit den geballten Fingerknöcheln die Schläfen. Aus irgendeinem Grund war es erstens viel zu hell, zweitens so still, dass er seinen eigenen Puls lärmen hörte und drittens schmeckte er katzenhaarigen Schleim auf der Zunge. Prompt grummelte sein Magen angewidert. Jun entfuhr, vollkommen ungerechtfertigt. "Dieser freche Kater...!" "Bedaure, mit dem kann ich nicht dienen." Hörte er eine sanfte, aber deutlich amüsierte Stimme über sich. "Möglicherweise helfen gegen den ANDEREN Kater ein Glas Wasser und Kopfschmerztabletten?" Jun blinzelte mühsam hoch, zwang die verklebten Lider, sich endgültig zu trennen. Er wartete darauf, dass sein Gehirn die aufgefangenen Bilder entschlüsselte. "...oh..." Entfuhr ihm heiser. Erkenntnis trudelte ein, gemächlich und sorgenfrei. "Bitte." Herr Va.., nein, Robert! ROBERT, ERINNERE DICH!, reichte ihm ein Glas Wasser und offerierte eine Einheit Kopfschmerztabletten. "Danke." Grunzte Jun, unmanierlich. Ihm klebte die Zunge wie ein alter Waschlappen am Gaumen! Er schluckte erst einen ordentlichen Anteil Wasser, bevor er sich großzügig mit chemischem Gegengift versorgte, es im Nachgang wässerte, bis auch die Neige verschwunden war. "Du kannst gern hier duschen." Behutsam zupfte Robert ihm das Bettzeug um die Figur, damit er sich nicht ohne Feigenblatt verkühlte. "In der Zeit mache ich Frühstück. Wenn du magst." Fügte er leise an. Jun musste sich nicht den Anstrengungen unterziehen, das Oberstübchen zur Meinungsbildung zu befragen: sein Magen reagierte laut, vehement und mit euphorischer Begeisterung. "Fein!" Robert grinste lausbübisch. "Ich erwarte dich in meiner Küche." Damit ließ er Jun allein im Schlafzimmer. "...uhoh...!" Stöhnte der leise, zog die Knie erstaunlich beweglich vor die Brust und umarmte sie, damit er die Stirn auf die Kniescheiben legen konnte. Soweit sein Erinnerungsvermögen kooperierte, musste es ein netter Abend gewesen sein. »Bei dem du viel zu viel getrunken hast, Menschenskind!« Leider wahr, obwohl Jun sich gar nicht erklären konnte, was genau ihn derart außer Gefecht gesetzt hatte. Ihm war sein Konsum gar nicht immens erschienen. »Ah nein?! Weshalb wachst du dann hier nackt im Bett eines anderen Mannes auf, hmm?« Seine innere Stimme, die selten Feierabend machte, wenn es ihm nicht gut ging, sondern noch mal rücksichtslos nachtrat, weil er sonst zu einem "phlegmatischen Vollidioten" mutierte, führte ihm unmissverständlich seine Situation vor die trockenen, juckenden, mutmaßlich blutunterlaufenen Augen. Jun raufte sich beidhändig den Schopf, richtete sich auf, ließ die Beine auseinander klappen. Was tun?! Er konnte sich durchaus entsinnen, dass er angefangen hatte, aus einem Impuls heraus den Va... Robert küsste. »Nicht nur das!!« Schäumte seine innere Stimme kurz vor der Tollwut. »Wo hattest du deine Hände?!« Jun zog den Kopf ein wenig tiefer zwischen die Schultern. Möglicherweise musste er sich 75% der Verantwortung zurechnen lassen. Andererseits konnte niemand bestreiten, dass Robert nicht unbeteiligt war! Immerhin hätte der seinen knackigen, prallen, muskulösen, einladenden Hintern ja auch irgendwie tarnen können! Pluderhosen, oder so! »Blödmann!« Konterte sein Gewissen vernichtend. »Jetzt steh endlich auf! Hast du eine Ahnung, wie spät es schon ist?!« Glücklicherweise befand sich auf einer der diskret an dem großflächigen Doppelbett montierten Nachtschränkchen ein Wecker mit altmodischem Zifferblatt. Jun schlug die Decke zurück, ignorierte das Aufheulen seiner alkoholkranken Nervenzellen, schwang die Beine über die Bettkante. Er schraubte sich langsam in die Höhe. Robert wohnte, zumindest nach dem Schlafzimmer zu urteilen, mondän. Altbau, hohe Decken, dezente Stuckrosetten um die herabhängende Deckenbeleuchtung. Kein dekorativer Schnickschnack. Ein Bett, durch Raumteiler geschickt kombiniert ein begehbarer Schrank, ein schmaler, hoher Spiegel und ein altmodischer Herrendiener für die Bekleidung des kommenden Tages. Kein enges Gelass, überquellend mit Restbeständen aus einem gemeinsamen Eheleben, kunterbunt, chaotisch und nicht unbedingt gemütlich wirkend. Splitterfasernackt, da er seine Kleider nicht vorfand, wagte sich Jun auf Zehenspitzen über poliertem Parkett in den Flur. Er fand sogleich das Badezimmer. Wohl eher ein Gemach der sanitären Hygiene! Ein dunkler Boden aus Steinfliesen, warm unter den bloßen Sohlen, wurde mit einer gewaltigen Badewanne auf einem Podest kombiniert, die uralten Modellen ähnelte, inklusive Löwenfüßen und Drachenmaul-Applikationen für die Mischbatterien. Eine gläserne Dusche, ebenerdig, fand sich natürlich auch, mit einer Säule für Massagestrahl und Dampfgebläse. Die Toilette, geschickt verborgen hinter schmalen, langen Kübeln mit dichten, hohen Gräsern, hatte eine angenehme Höhe, wirkte klinisch rein. Das Waschbecken fand ebenfalls Juns Bewunderung, denn es war groß, tief, wies elegante Kurven auf, trug nicht die winzigste Spur von Zahnpasta oder Bartstoppeln! "...meine Fresse..." Murmelte er ergriffen. Robert verfügte also nicht nur über Geld, sondern auch über einen guten Geschmack. »Oder einen cleveren Innenarchitekten!« Brummte sein Magen säuerlich. Der wollte nicht unbedingt duschen, wenn ihn das vom Frühstück fernhielt. Tapfer kletterte Jun in den aufrechten Schneewittchen-Sarg, ließ sich nach kurzem Studium sanft beregnen (Kopfschmerzen hatte er schon, da musste kein Trommelwirbel mehr nachhelfen) und dezent einnebeln. Er angelte nach Einseifen und Abschäumen ein saugstarkes, ausreichend großes Handtuch heran, um sich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Relativ gesehen. Im Spiegel, einem dekorativen Einzelstück, mühte er sich, die elenden Stachel zu bändigen, was ihm wie gewohnt misslang. Er kontrollierte die nicht vorhandenen Bartstoppeln, schnitt sich eine Grimasse. Er wusste nicht, was er tun sollte, vom Frühstücken einmal abgesehen. Überhaupt fühlte er sich gar nicht disponiert, darüber nachzudenken, was es bedeutete, sich an Robert rangeschmissen, festgeknutscht und dann.. hüstel... "Später." Sagte er seinem Spiegelzwilling. "Das entwirren wir später." Wenn sein Blut nicht mehr extrem alkoholverdünnt sein Gehirn vergiftete. =^x^= Robert ärgerte sich über seine Erleichterung. Dabei hatte er nun wirklich nicht SO viele Komödien konsumiert, die den Morgen DANACH persiflierten und Seifenoper-Verwicklungen prognostizierten! Gänzlich ohne den Klischees Rechnung zu tragen hockte Jun, leicht gekrümmt, auf einem bequemen Barhocker in luftiger Höhe, die Stacheln noch feucht glänzend, in den mit Wasserdampf eilig belüfteten Kleidern des Vortags, ließ es sich schmecken. Offenkundig litt er nicht unter einer Unverträglichkeit von Kater, Kopfschmerztabletten und opulentem Dejeuner. Robert frühstückte nämlich ausgiebig, damit er eine gute Basis für einen langen Tag auf den Beinen hatte. Es gab zu diesem Zweck Körnerbrot oder Toast, Knäckebrot oder Aufbackbrötchen, Honig, Marmelade, Käse und Wurst, saure Gurken, eingelegtes Gemüse, geraspelten Salat, dazu Gemüse- oder Obstsaft, Kaffee oder Tee. Manchmal addierte er auch eine Delikatesse aus seinem Geschäft, zu Testzwecken. Am Wochenende gönnte er sich Variationen, Würstchen oder Bacon, Spiegel- oder Rührei, Pasteten oder Müsli, was immer ihm behagte. Frühstück war WICHTIG. "Freut mich, dass es dir schon wieder schmeckt." Neckte er Jun, der ertappt aufsah, von links nach rechts mit Marmelade beschmiert. "Ich hatte schon Sorge, du würdest unter dem späten Essen von gestern leiden." "Oh, nein nein!" Versicherte Jun eilig, schluckte hastig, wollte nicht mit vollem Mund sprechen. "Es war wirklich gut und sehr interessant! Normalerweise trinke ich nicht so viel." Er brach ab, senkte den Blick. "Ich verstehe." Quittierte Robert mit sehr viel größerer Gelassenheit, als er empfand. Ganz gegen seinen festen Entschluss zürnte er Jun und sich selbst. Warum schmerzte es ihn, diese Andeutung zu akzeptieren, zu begreifen, dass gestern vorbei war, sich nicht wiederholen würde?! Zu spät registrierte er, dass Jun ihn beobachtet hatte, sich nun zu einer Erklärung genötigt sah. "Ich meine damit, dass ich mich nicht einfach jemandem an den Hals werfe, weil ich betrunken genug bin." Ein verlegenes, unsicheres Lächeln irrlichterte über Juns Gesicht. Er legte die angebissene Brötchenhälfte auf seinem mit Krümeln übersäten Teller ab, suchte nach den geeigneten Worten. "So etwas ist mir noch nie passiert." Er zog die Schultern hoch, sinnierte, was Robert von einer spitzen Bemerkung abhielt. "Ich war noch nie so betrunken, dass ich ungehemmt... na ja..." Jun zog die Nase beschämt kraus. "Dass ich zur Attacke geschritten wäre. Ich verstehe mich selbst nicht mehr." Diese ehrliche Analyse, schonungslos und offen, überrumpelte Robert. Vorher war er wirklich versucht gewesen, bissig zu returnieren. Nun war ihm der Wind aus den Segeln der spottenden Bitterkeit genommen. "Möchtest du, dass wir es aus unserem Gedächtnis streichen?" Hörte er sich selbst frostig anbieten. Da Jun ihm keine Angriffsfläche offerierte, musste er sich wohl selbst bedienen! Der hob den Blick, überrascht, ein wenig gekränkt. "Aber nein! Mir hat der Abend wirklich viel Spaß gemacht!" "Bloß die Nacht nicht, oder wie?" Robert wusste, nicht was ihn ritt, derart giftig zu kontern. Oder vielmehr, er wusste es zu genau: kleinliche, widerliche, hässliche Eitelkeit der enttäuschten Hoffnungen. Jun starrte ihn an. Robert, eigentlich ein exzellenter Starrer, ausgerüstet mit einem Eisblick und trainierter Blinzelfreiheit, wandte sich zuerst ab, beschämt, auf sich selbst wütend, in definitiv ungenießbarer Stimmung. Abrupt erhob er sich, um benutztes Geschirr in der Spüle zu stapeln. "Ich hatte das Gefühl, wir wären uns sympathisch." Hörte er leise in seinem Rücken, Er wandte sich um, stützte die Arme schwer auf die Einfassung der Spüle hinter sich, funkelte Jun an, der ihn stumm betrachtete. "Sympathisch, ja, keine Frage!" Schnaubte Robert. "Das ist ja wohl nicht Grund genug, mit einem Mann ins Bett zu gehen, oder?! Das ist doch nicht normal für dich, nicht wahr?! So was machst du sonst nie!" »Was redest du da bloß?! Bist du vollkommen neben der Spur?!« Roberts innere Stimme jaulte sich überschlagend eine entsetzte Klage. Jun hob geistesabwesend die Brötchenhälfte, nagte nachdenklich an einer Bisskante, mümmelte konzentriert. "Eigentlich hatte ich nie Gelegenheit dazu." Erklärte er sich dem ungeduldigen, aufgebracht stierenden Robert, brummte. "Ich meine, dass ich nach einem feucht-fröhlichen Abend noch..." Räusperte er sich verlegen. "Amouröse Anwandlungen ausgelebt hätte." Das konnte Robert sich kaum vorstellen. Nein, Unsinn! Gerade, weil er am vorangegangenen Abend einiges von Jun über Jun erfahren hatte, schien es nicht untypisch für ihn, sich artig an die Grenzen des Anstands zu halten, sich niemandem ungefragt aufzudrängen. »Warum hat er gestern...?!« Bevor Robert eine Antwort wagen konnte, drang Juns Stimme in seine aufgewühlten Gedanken. "Warum hast du mich gestern eingeladen? Um dich über mich zu amüsieren?" Robert suchte den forschenden, aber nicht verbitterten Blick seines Gegenüber. Der lutschte an seinem Honig tropfenden Brötchen. "Nein." Vergalt er Ehrlichkeit mit gleicher Münze. "Ich wollte deine Meinung über mich ändern. Es hat mich gestört, dass du mich nicht mochtest, weil ich dich ein wenig geneckt habe." "Verstehe." Murmelte Jun, eine Kopie von Roberts Reaktion zuvor. Der ließ das Geschirr im Stich, nahm wieder auf seinem Barhocker, Jun gegenüber, Platz. "Zugegeben, ich wollte dich beeindrucken." Bekannte er Farbe, studierte eindringlich die dunklen Augen. "Mir hat der Abend wirklich sehr viel Spaß gemacht. Auch die Nacht." Er lächelte bitter. "Ich möchte sie auch nicht missen!" Bekräftigte Jun energisch, drückte das Rückgrat durch. "Tatsächlich?" Robert lupfte eine ausdrucksstarke Augenbraue zweifelnd. "Aber ja!" Nun funkelte Jun kriegerisch. "Sicher?" Sein Gegenüber kräuselte die Mundwinkel. "Hundertprozentig!" Trompetete Jun herausgefordert. "Darf ich dich küssen?" Robert verlangte, die Beweisführung fortzusetzen. "Jetzt?!" Jun rutschte unruhig auf dem Barhocker herum, durchaus überrumpelt. "Jetzt und hier!" Verkündete Robert dramatisch. "Uh... na gut." Juns Courage wurde in Frage gestellt, da konnte er nicht kneifen! Robert glitt elegant von seinem Barhocker, umrundete den Esstisch, baute sich vor Jun auf, der nervös blinzelte. "Du hast da Honig." Tippte Robert hinweisend auf Juns Wange. Der schielte, als seine Zungenspitze reflexartig die klebrigen Spuren vernichten wollte. Über ihm lächelte Robert, hob Juns Kinn an, küsste ihn auf die süßen, halb geöffneten Lippen. =^x^= Es war wie verhext! Ausgerechnet an einem Tag nach einem Morgen, der einem genug Stoff für Überstunden im Nachdenken gab, trödelte nur sporadisch Kundschaft ein, um ihn abzulenken. Robert knurrte einen der speziellen Kühlschränke für Schaumwein an. Er war frustriert, weil er seinen Kopf nicht ausreichend beschäftigen konnte, um NICHT über Jun zu grübeln! Seine Hände, die ihr Handwerk seit Jahren verstanden, benötigten keine Einmischung aus dem Dachstüberl. So eierten Visionen aller Art unrund durch seinen geplagten Schädel. »Warum KANNST du nicht einfach so weiter machen wie bisher?!« Las er sich selbst die Leviten. Es war längst zu spät: das süße Gift der Hoffnung und artverwandter Illusionen hatte sich seiner bemächtigt. Jun hatte sich ja von ihm noch mal küssen lassen, und das nicht zu knapp! Konnte man daraus schließen, dass er an einer Fortsetzung interessiert war? Oder ging es bloß darum, den eigenen Stolz zu wahren? Wenn Fortsetzung, dann in welche Richtung? Gelegenheits-Schmuser oder doch...?? »Sei kein Depp!« Robert sortierte Senfgläser aus einem Karton in Reih und Glied. »Rede dir bloß nicht ein, sich in deinem fortgeschrittenen Alter verliebt zu fühlen!« Ganz frank und frei: Robert hielt nichts von Verliebtheit. Sie dauerte nicht lange an, vernebelte den Verstand. Wenn sich klare Sicht zeigte, hatte man sich selbst in erhebliche Verlegenheiten gestürzt. Verliebt sein war nichts weiter als eine dämliche Selbsthypnose, mit der man sich etwas schmackhaft einzureden bemühte, von dem man eigentlich instinktiv wusste, dass es ein winziges Haltbarkeitsdatum aufwies und einem SEHR SAUER aufstoßen würde. Deshalb verliebte er sich auch nicht. Eine Distanz zu seinen Bettgenossen blieb. Das war durchaus persönlich, allerdings nicht partnerabhängig. Er wollte sich schlicht nicht ausliefern, einer lächerlichen Illusion nachlaufen, die der Realität einfach nicht standhielt. Was sollte auch schon daraus werden? Gut, wenn man Elton John war, konnte man sich ja noch eine eheähnliche Paarbeziehung vorstellen, aber als ganz normaler Mann mit eigenem Leben und bereits reich kolorierter Biographie? Albern! Möglicherweise lag es auch an seiner Weigerung, sich einem anderen unterzuordnen, alles zu opfern für ein verklärtes Ideal, das unablässig Kompromisse und Selbstdisziplin verlangte, und für welchen Lohn? »Eben!« Antwortete er sich selbst grimmig. »Allein schon diese Frage aufzuwerfen ist tabu. Eine Gegenleistung zu erwarten, ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis.« Dennoch blickte er aus diesem Winkel auf die Welt. Selbstlosigkeit erschien ihm verdächtig. Jedes Ablehnen eigener Interessen eher dumm als bewunderungswürdig. Deshalb war er nicht verliebt. Punktum. Andererseits... kribbelte es ungewohnt in seiner Magengrube, wenn er an Jun dachte. Böse Zungen hätten ihm wohl geraten, sich schleunigst einem Test zu unterziehen, ob er sich irgendwelche Krankheiten eingefangen hätte, doch Robert wedelte diese unverblümte Anspielung weg. Jun gefiel ihm. Weil er so viel über ihn, über eine mögliche Zukunft und daraus entstehende Potentiale sinnierte, musste er sich eingestehen, dass es mit Jun anders war als mit allen anderen Liebhabern zuvor. "Und jetzt?" Stellte er sich halblaut die kritische Frage. Konnte es sein, dass er Jun LIEBTE?! =^x^= "Papa! PA-PA!!" Im letzten Moment griff Felix mit gerunzelter Stirn ein, bevor die Cornflakes im Kakao landeten. Sein Vater benahm sich schon den ganzen Abend merkwürdig, wäre beinahe gegen eine Laterne gelaufen, übersah die grüne Ampel und wirkte geistesabwesend-aufgelöst. "Hrmpf." Erntete er auf sein beherztes Einschreiten einsilbig. "Musst du vielleicht an die Luft, Papa?" Erkundigte er sich unerschrocken. Ein verwirrter Blick wanderte über sein Gesicht. "Mama sagt das immer." Sah sich Felix zu einer Verteidigung seines Vorschlags genötigt. "Gehirn auslüften." Soufflierte er nachdrücklich. "Hmmm." Brummte sein Vater, kraulte ihm den Schopf, bevor er laut seufzte. "Ich glaube nicht, dass mir das helfen würde." "Geht's um Außerirdische?" Optionierte Felix behutsam. Immerhin neigten sie dazu, Geistesabwesenheiten auszulösen. "Außerirdische?" Ein verständnisloser Blick streifte ihn, gefolgt von einem Seufzer. "Weißt du, es gibt da jemanden, den ich mag." Wurde ihm bedächtig eröffnet. "Bloß weiß ich nicht, ob die Person es auch tut. Oder wie sehr." "Ach so!" Felix richtete sich erleichtert auf. Mit solchen Problemen kannte er sich aus, immerhin war er schon fünf Jahre alt, ging lange in den Kindergarten! "Frag sie halt!" Riet er im Brustton der Überzeugung. Einen Moment später verdüsterte sich allerdings seine Miene. "Papa, willst du etwa heiraten?" So etwas gab es, das wusste er, neue Mama oder neuen Papa. Ihm gefiel das nicht sonderlich, auch wenn er begriff, dass es besser war, wenn seine Eltern nicht in einem Haus lebten. "Heiraten?!" Echote sein Vater verblüfft, schüttelte energisch den Kopf. "Nein, bestimmt nicht! Wie kommst du darauf?" Felix schnaubte. "Wenn's doch jemanden gibt, den du magst? Obwohl man ja nicht heiraten muss." Verwirrt löffelte er Cornflakes. Tatsächlich waren die Eltern einiger seiner Spielkameraden nicht verheiratet, aber quasi gab's keinen Unterschied. Zumindest hatte er keinen bemerkt. "Ich heirate erst mal nicht wieder." Versprach ihm sein Vater. Zum ersten Mal an diesem Abend, seit er ihn vom Kindergarten abgeholt hatte, hellwach und konzentriert. "Gut!" Bekräftigte er diesen wackeren Entschluss, stieß mit seiner Kakaotasse gegen die seines Vaters. "Ruckzuck, gluckgluck!" Gemeinsam leerten sie ihre Becher, grinsten sich mit Schokoladenbärtchen an und brachen dann in amüsiertes Kichern aus. SO sollte es immer sein! =^x^= Weil es wirklich spät war, trug Jun den fest schlafenden Felix behutsam hinunter zum Wagen seiner ehemaligen Frau. Wie ein gut eingemummeltes Püppchen ließ der sich auch unkompliziert in den Kindersitz rangieren und festzurren. "Am Wochenende ist er bei meinen Eltern." Erklärte ihm Silvana kurz angebunden. "Meine Mutter näht ihm ein Kostüm. Du weißt schon, für den Karneval." Jun nickte, durchaus traurig, weil er nun einige Tage auf Felix' aufmunternde Gegenwart verzichten musste. Ihm fehlte, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, der Kontakt zu anderen Menschen. Zumindest mehr als ein flüchtiger, höflicher Kontakt. "Fahr vorsichtig." Empfahl er, der Gewohnheit geschuldet, winkte dem Wagen nach, obwohl sich niemand nach ihm umkehren würde. Er seufzte, zog die Schultern hoch. Plötzlich fröstelte ihn. "Alles in Ordnung?" Holte ihn eine vertraute, warme Stimme aus der traurigen Versunkenheit blitzartig in die Gegenwart zurück. "OH!" Entschlüpfte ihm verräterisch, während er auf dem Absatz herumwirbelte, die Wangen verlegen erblühend. "Guten Abend." Lächelte Robert. "Möchtest du noch einen Moment hineinkommen? In den Laden." Ergänzte er. "Zum Aufwärmen?" "Ah, du wolltest sicher gerade schließen?" Jun zögerte. Robert vor sich zu sehen erinnerte ihn unmissverständlich daran, was sie miteinander geteilt hatten. An diese seltsame Unruhe, dieses Kribbeln und Flattern in seiner Magengrube! »Reiß dich zusammen! Man könnte meinen, du ständest vor einer Abschlussprüfung!« Die physische Reaktion zumindest schien vergleichbar. Er trippelte auf den Zehenspitzen. "Ich möchte dich nicht aufhalten..." "Das tust du nicht." Robert legte ihm sanft die Hand auf den Unterarm, die Andeutung einer Geste, ihm Geleit anzutragen. Es wäre albern gewesen, sich zu weigern, ganz gleich, wie verwirrt er sich innen fühlte. Deshalb folgte er ihm in dessen Refugium. =^x^= Es kostete Robert keine große Mühe, Jun aufzutauen, bewaffnet mit einer Tasse heißer, süßer, dickflüssiger Trinkschokolade, die Ursache für dessen geknickte Miene zu erfahren. "Was machst du denn sonst, wenn Felix nicht bei dir ist?" Erkundigte er sich beiläufig. "Ich meine, in deiner Freizeit?" Jun zog die Stirn in Falten. Eine krause Welle lief durch das Stachelmeer. "Meistens arbeite ich. Oder räume auf, erledige, was im Haushalt so liegen geblieben ist." Antwortete er schließlich. Diese Feststellung erinnerte ihn wiederum an Roberts Wohnung, sauber, aufgeräumt, ordentlich. Farbe schoss ihm in die Wangen, als er sich bewusst wurde, dass der seine Wohnung auch schon gesehen hatte. Was für ein Kontrast und nicht gerade ein Beleg dafür, dass er sich auf häusliche Tugenden verstand! "Uh... ich bin in letzter Zeit nicht mehr so häufig dazu gekommen." Ergänzte er steif. "Üblicherweise sieht es bei mir besser aus." Endete er in einer lahmen Notlüge. Tatsächlich konnte er sich nicht entsinnen, wann es mal entsprechend seinen Vorstellungen ausgesehen hatte. Möglicherweise direkt nach dem Einzug? "Du könntest auch etwas außerhalb der vier Wände unternehmen. Neue Kraft aus neuen Eindrücken schöpfen." Offerierte ihm Robert eine Möglichkeit. Es klang allerdings wie eine dieser New Age-Kalenderweisheiten. Jun fühlte sich herausgefordert, sein Einsiedlertum ein wenig zu relativieren. "Früher war ich häufiger unterwegs. Aber mit Familie konzentriert man sich eben auf das Wesentliche." Schraubte er einen gestelzten Tonfall hoch. "Und ohne Familie in einer neuen Stadt?" Schoss Robert scharf zurück. Ihm gegenüber verschwand Jun hinter der bauchigen Tasse, um sich vor einer Erwiderung zu drücken, fahndete nach der süßen Neige. Was sollte er auch sagen? Aufgerieben zwischen einem beruflichen Neuanfang und mühsamer Akquise, in der ungewohnten Situation, geschieden und nur noch Teilzeit-Vater zu sein, hatte er einfach nicht mehr die Kraft gehabt, sich auf das Abenteuer der Erkundung neuer Bekannten- und Freundeskreise einzulassen. Besuchte man nicht üblicherweise Volkshochschul- oder Kochkurse, ging zu Veranstaltungen, die Fisch zu Fahrrad oder Irgendwas zu Single-Sonstwie brachten? "Geh mit mir aus!" Mischte sich Robert in seine deprimierenden, resignierenden Gedankengänge. "Wir könnten einen Spaziergang machen. Oder Kino. Was immer du magst. Einfach ein bisschen Zeit miteinander verbringen, bevor wir uns wieder unserem Alltag widmen." Das klang wirklich gut, unverbindlich, locker, unverkrampft. Mal den Kopf auslüften, dazu ein bisschen Gesellschaft, kurzweilig, nicht tiefsinnig oder bedeutungsschwanger. »Haha!« Spottete Juns innere Stimme. »Wen willst du hier verarschen? Du versuchst bloß, dich vor einer Entscheidung zu drücken!« Jun ignorierte sich selbst, nickte Robert entschlossen zu. "Einverstanden. Wann treffen wir uns wo?" Er hatte sich dafür entschieden, jetzt noch gar nichts definitiv zu entscheiden. =^x^= Robert lächelte zufrieden, während er über den Rand der bauchigen Tasse Jun im Blick behielt. Er versuchte gar nicht zu flirten, obwohl neutrale Beobachtung ihn wahrscheinlich der Lüge geziehen hätte. Manches kam ihm einfach spontan über die Lippen, bevor er analysierte, ob unterschwellige Anspielungen enthalten waren. Außerdem, das musste man ihm zugestehen, war Jun tatsächlich, ganz so, wie er ihm selbst erklärt hatte, kein Mann subtiler Verführungskünste. Es schien ihm einfach nicht in den Sinn zu kommen, dass Robert ihn zu verführen trachtete. Spontan hatten sie sich dazu entschlossen, den erst vor kurzem angelaufenen Sherlock Holmes-Film im Kino anzuschauen. Das wiederum führte, als sie das Lichtspielhaus verließen, zu einem angeregten Austausch darüber, welche Versionen ihnen besser zusagten: Basil Rathbone, DER Sherlock Holmes schlechthin? Oder doch eine modernere Version? Was war zum Beispiel mit Rupert Everett? Jun hielt unerschütterlich an der Überzeugung fest, dass der literarische Sherlock Holmes nicht schwul und in seinen Freund Dr. Watson verknallt war, sondern simpel ein zu intelligenter Mann, der ständig einen Widerpart und eine Herausforderung suchte, um seiner Langeweile zu entfliehen. So etwas Profanes wie sexuelle Gelüste konnten einen so hochfliegenden Geist einfach nicht lang genug fesseln! Robert argumentierte nicht gegen diese Auffassung, denn ihm bedeutete es wenig, ob Sherlock Holmes nun schwul oder zynisch oder sonst was war. Ihm gefiel es viel mehr, dass sie beide einen ähnlichen Hintergrund hatten, wenn sie sich nun über Erinnerungen und bekannte Medien austauschten! Eine vergleichbare Sozialisation, nannte man das nicht so ähnlich? In jedem Fall lockte er Jun lächelnd, während sie durch die eisige Kälte stapften und den Heimweg antraten, auf einen anderen Pfad, indem er behauptete, dass Sherlock Holmes und Dr. Watson ein Vorbild für Mr. Spock und den nervtötend impulsiven Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise gewesen seien. Diese angespitzte Andeutung verblüffte Jun derart, dass der einige, dampfende Atemzüge lang verwirrt schwieg, bevor er sein mediales Hintergrundwissen aufmarschieren ließ, diese Behauptung zu widerlegen. Neben ihm, im vornehmen Zwirn unter Kaschmir, grinste Robert spitzbübisch in sich hinein. Hatte er Jun erst mal die Befangenheit genommen, konnte man wundervoll und ungeniert mit ihm plaudern! Mittlerweile, während sie in seiner Wohnung gemütlich dickflüssige Trinkschokolade mit einem geistvollen Schuss verkosteten, wusste er durch geschickte Steilvorlagen und leichtfüßig-elegante Haken über den Rasen der Vergangenheit sehr viel mehr über Juns Biographie. Fatalerweise, »lüg dir doch nicht so in die Tasche!«, passte das Meiste perfekt zu seinem "Beuteschema": Jun war gebildet, clever, ging in seinem Beruf auf und konnte quasi als ledig gelten. »Ganz zu schweigen von seinen Küssen, die du bis in die Zehenspitzen spürst!« Oder von seinen wundervollen Händen....! Robert stützte unversehens den Kopf leicht geneigt in die Hand, die Lider auf Halbmast, seufzte lautlos. Ihm gegenüber bemerkte Jun diese Reaktion, die so gar nicht zu seiner enragierten Schilderung über den Kampf mit einem widerspenstigen Programm bei der angeblich so unkomplizierten Anwendung der Post-Packstationen passen wollte. "Huh?" Hakte er behutsam nach, leckte sich beiläufig über das dezente Schokobärtchen auf der Oberlippe. Auf der anderen Seite des Bartisches improvisierte Robert ungehemmt und beflissen. "Oh, ich dachte nur gerade: warum Vampir?" "Oh." Kommentierte Jun, zeichnete sich durch eine hinreißend verlegene Röte aus, zerwühlte mit einer Hand seine Stacheln. "Oh... ja...hmm..." Diese eloquente Aussage verfehlte ihre Wirkung nicht: Robert langte über den Tisch, eine spontane Attacke, wuschelte wild durch die bereits in Aufruhr versetzte Mähne! "He! Nicht doch!" Im verlorenen Kampf um seine ebenso entglittene Würde setzte sich Jun steif auf, parodierte mit beiden Händen die hilflosen Versuche, die wirre Putzwolle auf seinem Kopf in eine Art manierliche Ordnung zu zwingen. Selbstredend ein hoffnungsloses Unterfangen! Robert feixte, präsentierte ein wohlgepflegtes Gebiss zur Gänze. "Hmm... ja..." Jun murmelte, kreiste die Neige in seinem Jumbo-Becher. "Also, ich vermute, es sind die Haare!" "Die Haare?" Echote Robert wie ein Papagei, jedoch deutlich irritierter. "Was ist denn mit meinen Haaren?" Eine misstrauische Note stahl sich in diese lauernde Rückfrage. "Na ja." Jun bediente sich der Füllwörter und gedehnter Sprechpausen, um Zeit zu gewinnen, wich Roberts funkelndem Blick aus. "Ich nehme es an. Weil der Vampir, also vielmehr einer von ihnen, auch so viele Haare hat. Sehr stylish!" Komplimentierte er ungelenk. "Welcher Vampir denn? Christopher Lee?" Robert konnte sich nun wirklich keine Parallele zur Frisur des hochgewachsenen Briten in der bekannten Dracula-Verfilmung vorstellen! "Nee, nee!" Jun wedelte eifrig mit einer Hand. "Von irgendwas Pattison! Du weißt schon, Edward und Bella! Twilight!" Robert wusste nicht. Vage glaubte er, sich an eine hysterische Fan-Welle zu irgendeiner Buchverfilmung zu erinnern. Für ihn hatte das Ganze verdächtig nach Highschool-Romanze mit kleinen Horror-Anleihen geklungen. "Meine HAARE machen mich zum Vampir?!" Wiederholte er ungläubig, lupfte beide ausdrucksstarken Augenbrauen skeptisch. "Na ja." Flüchtete Jun in eine beredete Erklärung, schielte Hilfe suchend nach der eleganten Mikrowellen-Kanne, mit der Robert die Milch zu erhitzen pflegte. Der verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, unterbrach gnädig das Verhör, um für sie beide eine weitere Runde flüssiges Paradies zu kredenzen. Als er sich wieder auf seinem Barhocker befand, genießerisch das Aroma der sich auflösenden Schokoraspel einsog, wirkte Jun erleichtert. »Zu früh gefreut, mein Lieber!« Robert gab sich entschlossen. Das Mysterium um die Haare musste aufgeklärt werden! "Um noch mal auf diese Vampir-Sache zurückzukommen: seit wann zeichnen Haare einen Vampir aus?" Hetzte er Jun gnadenlos in die Ecke der Erleuchtung. "Uh.. ähm..." Jun schluckte eilig dickflüssiges Hüftgold. Robert argumentierte ungebremst weiter. "Nach meinen Informationen sind es eher die Eigenschaften untot sein, sich verwandeln können, fliegen, spitze Zähne, Blutdurst und gelegentlich Jungfrauenverschleiß, eine Aversion gegen Knoblauch und Tageslicht sowie die Präferenz von Särgen und Heimaterde als Nacht- bzw. Taglager!" "Ahumm." Jun nickte, schüttelte gleichzeitig den Kopf. Was irritierend nach einer der zahlreichen, ungesunden Yoga-Verrenkungen aussah. "Ihre Argumente, Watson?" Robert beließ es bei einer gelupften Augenbraue kombiniert mit einem sezierenden Blick. Jun schnaufte, trennte sich widerwillig vom Schokoladenkonsum, erläuterte seine Theorie. "Also, in diesem neuen Film..." Holte er aus, bevor er missgelaunt einschob. "Den meine Ex-Frau STÄNDIG anschaut! Moment, ich glaube, es sind sogar zwei Filme, bei vier Büchern, oder so..." Er straffte sich, um wieder zum ursprünglichen Faden seiner Behauptung zurückzukehren. "Jedenfalls sind Vampire nicht mehr tageslichtscheu, blecken nicht dauernd die Beißer, trinken kein echtes Blut mehr, außer sie sind böse." Er zählte an den Fingern auf. "Außerdem tarnen sie sich als echte Menschen und leugnen natürlich, Vampire zu sein." "Deshalb erkennt man sie an den Haaren?!" So einen Unsinn wollte Robert nicht glauben! Wo war der ganze gehemmte, verstohlene Sex des Viktorianischen Zeitalters hingekommen?! Wo fand sich die erotisch-hypnotische Anziehungskraft eines Nachtschwärmers mit bannendem Blick? "Der Darsteller hat auch so viele Haare!" Bemühte sich Jun um eine Aufklärung. "Und du hast ja ständig abgestritten, ein Vampir zu sein!" "Weil ich kein Vampir bin!" Robert echauffierte sich. "Wie soll man denn argumentieren?! Soll das heißen, dass es keine glatzköpfigen Vampire gibt? Was ist mit Nosferatu?!" Jun hob beide Hände entwaffnend. "He, ICH sage ja nicht, dass du ein Vampir bist. Oder dass das Ganze logisch ist, irgendwie." "Ich jedenfalls schätze Knoblauch, verstecke keineswegs irgendwelche Fangzähne oder fliege durch die Gegend ohne Hilfsmittel!" Robert warf sich in Pose "Ich hab's Felix auch schon erklärt." Sah sich Jun zur Verteidigung aufgerufen. "Es ist bloß, weil Silvana so vernarrt in diesen Quatsch ist! Felix ist eben klug, er bekommt viel mit!" Ergänzte er stolz. Robert schmunzelte, überwand seine Empörung rasch. "Ja, den Eindruck habe ich auch schon gewonnen. Besucht ihn der verrückte Kater immer noch?" "Ihn?!" Jun grummelte. "Mich! Hat einfach mein Kopfkissen in Besitz genommen und taucht pünktlich jeden Abend auf, um bei mir zu übernachten!" "Sieh an!" Schnurrte Robert anzüglich. "Es gibt einen Rivalen in deinem Bett?" "Das fehlte auch noch!" Jun schnaubte, registrierte die Anspielung nicht mal. "Das Kissen liegt auf der Fensterbank! Katzenhaarbälle im Bett?! IGITT!" "Wie beruhigend. Übrigens neige ich nicht dazu, auf die Bettwaren zu haaren, trotz meiner vampiresken Schopfpracht." Säuselte Robert noch subtiler. Jun blinzelte, analysierte diese Aussage sichtlich verwirrt. "Du bist ja auch keine Katze!" Stellte er streng fest. "Obwohl ich auf dem Dach herumgeklettert bin." Robert konnte es sich nicht verkneifen, ein wenig zu sticheln. Ein konzentrierter Blick traf ihn, die Stirn in krause Falten gelegt. "Ich bin nicht gut darin." Bemerkte Jun ruhig, sachlich. "Ich meine in diesen Flirt-Smalltalk-Dingen. Deshalb ist es mir lieber, du sagst mir direkt, was du meinst und möchtest." WUMMS! Robert hatte deutlich das Gefühl, vor eine Mauer gelaufen zu sein. Er, der virtuose Künstler auf dem Gebiet verbaler Annäherung, sollte hier ohne Waffen auftreten?! Dabei lebte er geradezu davon, mit Esprit und diabolischem Witz auf dem Schlachtfeld der Beziehungskriege Punkte zu sammeln! Jun lächelte. "Ganz so dumm bin ich nicht, weißt du?" Bemerkte er schlicht. Robert spürte, wie IHM Farbe in die Wangen stieg. Was sollte er darauf erwidern? Jun zwinkerte, schlürfte seine Schokolade betont. Es tat ihm unwahrscheinlich gut, zur Abwechslung einmal Robert in Verlegenheit gesetzt zu sehen. =^x^= "Ich finde es gemein!" Protestierte Felix ärgerlich. Seine Miene drückte aus, dass er nicht geneigt war, seine Einstellung zu diesem Punkt zu ändern. Jun seufzte, kraulte die ungebärdige Mähne seines Sohnes. Er war schon froh darüber, dass Silvana nachgegeben hatte, als er auf sein Halbwochenendsrecht gepocht hatte. So konnte er Felix wenigstens am Samstag bei sich haben, musste ihn erst am Sonntag pünktlich abliefern. Er fragte sich besorgt, warum es immer schwieriger wurde, eine Abstimmung darüber zu treffen, wer wann Felix bei sich haben durfte. "Es wird trotzdem schön werden." Bemühte er sich um Aufheiterung des wolkenverhangenen Horizonts. "Du bringst ja dein Kostüm mit! Da sehe ich es dann schon ganz exklusiv!" Silvana beabsichtigte, mit ihren Eltern und OHNE IHN bei den Schull- un Veedelszüch mit Felix mitzulaufen, da auch der Waldkindergarten eine kleine Gruppe stellte. Dabei war er als Ex-Mann NICHT erwünscht. Felix' Stimmung hob das nicht. Er schnaubte verächtlich (eine Geste, die Jun fatal an Silvana erinnerte), verzog sich in das winzige, zugestopfte Schlafzimmer, um Käpten bei der Katerwäsche zu beobachten, immer noch grollend. Jun seufzte erneut. Die Energie, die er am Sonntag bei dem Ausflug mit Robert gewonnen hatte, schien schon Mitte der Woche gnadenlos verpufft. "Ich werde mir was einfallen lassen." Murmelte er entschlossen, um Felix aufzumuntern und Silvanas seltsame Taktik, sie zu entfremden, zu kontern. =^x^= Robert bemerkte an sich selbst eine ungewohnte, unterschwellige Frustration. Was selbstredend lächerlich war! Ehrlicherweise hatte er sich für das erste Stelldichein mit Jun, nachdem sie einander ihre Sympathie bekundeten, nicht erwartet, dass man sich erneut in intimer Leidenschaft austauschen würde. Dazu bestanden zu viele Hürden und Hemmungen. Dass ihn dieser Umstand jedoch wurmte, er sich, ganz gegen seine Gewohnheit, reizbar und unausgeglichen fühlte, so, als habe er den Körperkontakt tatsächlich NÖTIG, DAS ärgerte ihn! "Das kannst du nicht machen!" Rief er sich in seinem kleinen Büro selbst zur Ordnung. "Liebe ist nichts für dich. Haben wir das nicht beschlossen?!" Hatte er, unbestritten. Außerdem konnte so etwas in seiner Situation auch nicht gutgehen, wurde nicht mal erwartet. "Murks!" Brummte er übellaunig, weil er trotz seiner heheren Vorsätze immer Ausschau danach hielt, wenn Jun das Haus verließ, am Nachmittag loshetzte, um Felix abzuholen, ihn dann abends im Auto seiner Mutter verpackte. Und ihn leider, jedes Mal neu, niedlich-sexy fand. Was war da zu tun?! "Ich kann ihn ja nicht bedrängen!" Debattierte er mit sich selbst. »Können schon. Wollen, nein!« Dennoch bezweifelte er, dass er seine aufopferungsvolle Zurückhaltung noch lange würde aufrechterhalten können. =^x^= Jun verfolgte die Fernsehübertragung der Weiberfastnacht, Auftakt der hohen, närrischen Feiertage, damit Beginn der Auszeit in der Stadt. Er summte die ihm noch immer unvertrauten Gassenhauer ungeübt mit, während er Käpten den Nacken kraulte. Ein komisches Paar, das waren sie schon, aber auf unerfindliche Weise arrangierten sie sich ohne große Worte miteinander, zumindest, solange sonst niemand zugegen war. In all dem Frohsinn, der nun aufbrandete, alles lahmlegte, fühlte er selbst sich wie gelähmt. Man konnte dieser Last zwar durch erhöhtes Arbeitsaufkommen abhelfen, doch das hielt nicht ewig an. "Wie habe ich das bloß früher gemacht?" Adressierte er sich selbst. Käpten brummelte, damit sein persönliches Massagegerät nicht etwa wegen trivialer Gedanken fellloser Jungen einen Aussetzer hatte. Vor seiner Ehe, ja, da hatte er oft noch mit seinem Vater über das Tagesgeschehen diskutiert, war gelegentlich mit Freunden ausgegangen, hatte es sich einfach abends gutgehen lassen, gar nicht spektakulär, Schaumbad mit Krimi schmökern, mal einen Film auf Konserve gucken, gemeinsam kochen. Danach war ja Silvana da, die ihn abends erwartete, später Felix. Wie sollte er jetzt weitermachen? Wie früher, mit Schaumbad und Filmen? "Seit wann fühle ich mich einsam?" Jun staunte in die schönen orangefarbenen Augen des Katers. Wann hatte er angefangen, seine eigene Gesellschaft als nicht ausreichend zu betrachten? =^x^= Robert horchte auf, als Frau Veskovic noch mal kehrtmachte, obwohl er sie bereits in das Karnevalsvergnügen verabschiedet hatte. "Das ist aber nett!" Trillerte sie quietschfidel. "Hier hinein bitte!" Jun kannte den Weg durchaus. Mit quasi offizieller Erlaubnis fühlte er sich bedeutend besser, in das Heiligtum einzudringen. "Jun!" Robert kam ihm schon entgegen, zwischen Begeisterung über diesen unerwarteten Besuch und Sorge schwankend. "Ja, hallo." Jun räusperte sich, zwinkerte beredet, mit weiteren Erklärungen zu warten, bis Frau Veskovic auch tatsächlich den Weg aufs Trottoir gefunden hatte. Robert hatte sich unterdessen gefangen, sprach ihn über die Schulter an, leichthin, während er Geschäftsunterlagen sortierte. "Was führt dich hierher?" "Ja, genau!" Jun rückte näher heran. "Ich wollte fragen: hättest du Lust, morgen mit mir und Felix in den Zoo zu gehen?" Seine Hände wrangen sich eindeutig nervös, wie Robert befand. "Unbedingt!" Antwortete er laut, ließ Juns Hände Hände sein und konzentrierte sich auf das erleichterte Strahlen in dem runden Gesicht unter den wilden Stacheln. "Ja, ein Besuch im Zoo, das gefällt mir!" =^x^= Felix' Wangen waren gerötet, als sie am späten Nachmittag zurückkehrten. Nicht nur, dass es eine Menge Tiere zu sehen gab, die stets Objekt seines Interesses waren, auch begeisterte ihn die Erfahrung, hoch über allen anderen auf Herrn Roberts Schultern residieren zu dürfen! Außerdem hatte sein Vater ihm Pommes Frites mit viel Ketchup gekauft und nicht geschimpft, als ein klitzekleines Bisschen auf seinem Anorak gelandet war. Nicht zu vergessen die gebrauchten Funkgeräte, die er hervorgezaubert hatte! Sie mochten zwar etwas klobig sein, funktionierten aber gut und gaben ihm das Gefühl, als Geheimagent unterwegs zu sein! Kurz und gut, ihm ging es prächtig! Jetzt würde er noch auf Käpten warten, dem er all seine Erlebnisse anzuvertrauen wünschte. Schließlich musste er sein Kostüm auch noch vorzeigen! Sein Vater unterdessen warf inspizierende Seitenblicke auf seinen Begleiter. Hatte es Robert wirklich gefallen? Oder war ihm ein Kind schon lästig, ein Familienausflug langweilig? Jun konnte von sich behaupten, viel Spaß gehabt zu haben. Andererseits bestand durchaus die unerfreuliche Möglichkeit, dass Robert sich nur höflich zurückgehalten hatte, seine wahren Gefühle verbarg. "Möchtest du vielleicht mit raufkommen?" Vor der Häuserzeile fasste er Robert impulsiv am Ärmel des feinen Mantels. Unwillkürlich schoss ihm die Farbe ins Gesicht. Dessen Blick hing einen langen Augenblick auf Felix' wirrem Schopf, die Mütze bereits in eine Anoraktasche gestopft, schon im Aufstieg begriffen. Ein wehmütiges Lächeln flackerte für einen Sekundenbruchteil um seine Mundwinkel. Dann hatte er sich wieder im Griff. "Das wäre wohl nicht angemessen. Ich danke dir für diesen herrlichen Ausflug. Ich habe mich prächtig unterhalten." Bemerkte er sanft. Jun öffnete den Mund, klappte ihn ratlos wieder zu, nahm einen wenig enthusiastischen, zweiten Anlauf. "Ja... schön. Wirklich." Er räusperte sich. "Schade. Wir~wir sollten das mal wiederholen." Robert nickte, deutete eine Verbeugung an. "In der Tat. Das sollten wir." Widerstrebend, aber entschlossen entfernten sie sich voneinander. Es dauerte noch lange, bis beide Haustüren zuschlugen. =^x^= Jun löste das Funkgerät behutsam aus Felix' Hand. Nicht mal im Schlaf wollte er von diesem neuen/alten Spielzeug lassen! Nachsichtig streichelte er den wirren Schopf, seinem eigenen so ähnlich, hauchte einen Kuss auf ein rundes Kinderbäckchen. Käpten funkelte mit seinen orangefarbenen Augen von der Fensterbank wachsam herüber. An der Unterlippe nagend betrachtete Jun seinen glücklich schlummernden Sohn. Ihm selbst ging es nicht gut, überhaupt nicht gut. Unruhig und aufgedreht hatte er das Gefühl, die Wände hochgehen zu müssen. Kurz vor der Detonation zu stehen! Ein unerträglicher Impuls trieb ihn an, ließ ihm keine Ruhe, wollte sich nicht artig drein schicken. »Das KANNST du nicht tun!!« Mahnte ihn schrill seine innere Stimme. »Wage es JA NICHT!!« Jun kniff die Augen fest zu, so sehr, dass er bunte Explosionen und goldene Blitzgewitter sah, ballte die Fäuste, bis die Knöchel knirschten, aber gegen diese Sturzflut in seinem Inneren, die sich Bahn brechen wollte, half das nicht. =^x^= Robert stutzte, als er über den leisen Jazz, der seine Melancholie illustrierte, die vornehme Türglocke vernahm. Besuch? Jetzt? Er erhob sich, schlenderte lautlos den Flur entlang, ohne die Beleuchtung anzuwerfen. Er hatte nicht die Absicht, irgendwelchen Strolchen Vorschub zu leisten. Was las man in letzter Zeit nicht alles von Überfällen direkt vor der eigenen Haustür! Also spähte er ohne verräterische Hintergrundbeleuchtung in den Hausflur, verwünschte die nachlässige Person, die die Haustür nicht ordentlich zugedrückt hatte. Nicht einen Atemzug später riss er beinahe die Tür aus den schweren Angeln in Sorge, der unruhig auf seiner Fußmatte herum trippelnde Besucher möge sich in Luft auflösen. Die sparsam getaktete Flurbeleuchtung erlosch, hüllte sie in die Dämmerung einer entfernten Leuchtquelle in Roberts Wohnzimmer. Sie sahen einander an, atmeten beide plötzlich so schwer, in heftigen Stößen, als hätten sie just einen Sprint absolviert. Vergessen war der melodische Jazz, gedämpfte Verkehrsgeräusche von der Straße. Nur noch Pulsschläge wie Donnergrollen, Atemzüge wie Wirbelstürme. Vor Roberts Augen tanzten Sonnensterne auf schwarzem Grund. Er hatte das Gefühl, gleich ersticken zu müssen, niemals genug Luft zu bekommen, als ob ihn ein Ring um die Brust elend einschnürte, ein Panzer ihn einschloss, gefangen hielt! Impulsiv preschte er vor, packte ein entblößtes Handgelenk, zerrte Jun förmlich über die Schwelle. Er zwang ihn in eine Halbdrehung, sodass er selbst die Tür hinter sich ins Schloss werfen, sich dagegen pressen konnte. Ohne Worte, ohne zivile Gesten, manierliche Höflichkeit, standen sie einander gegenüber wie Duellanten, leicht vorgebeugt, die Stirn gesenkt, zum Angriff bereit. Keuchend, über eine fragile Verbindung aneinander gefesselt, Faust um Handgelenk, die Knöchel weiß vor Anspannung. Beinahe gleichzeitig stürzten sie aufeinander los. Keiner wollte den anderen freigeben, die Faust öffnen. Dafür zerrten sie mit der anderen Hand an Kleidungsstücken, drängten sich mit Hüften und Brustkorb gegen Wände oder Türen, stießen vor in gierigen, raubvogelartigen Küssen. So kamen sie nicht weiter, das erwies sich nach einer ausgedehnten Runde Freistilringens. Erhitzt, aufgeputscht, die Haare zerzaust, die Haut gerötet, belauerten sie einander, noch immer bekleidet, wenn auch keineswegs mehr manierlich. Robert machte plötzlich kehrt, in großen, ausgreifenden Schritten, zerrte Jun hinter sich her. Sein Schwung war gewaltig genug, den anderen Mann zu überrumpeln. Er legte genug explosives Tempo vor, um eine ruckartige Pirouette um die eigene Achse zu absolvieren und Jun, der ihm folgen musste, heftig auf sein einladendes Bett zu schleudern. Der rollte sich nach einem verblüfften Protestlaut rasch auf den Rücken, doch Robert setzte seine Attacke nicht fort. Im Gegenteil. Er schloss die Zimmertür hinter sich, wobei er Jun keinen Moment aus den Augen ließ. Wie eine Raubkatze bleckte er unbewusst seine kräftigen Zähne, näherte sich dem Bett auf zwei Schritte, nicht in gerader Linie, sondern in einem ausweichenden Schleichgang. Er streifte sich zuerst den vornehmen Ajour-Pullover über den Kopf, ließ ihn achtlos sinken, löste anschließend die Gürtelschnalle, glitt aus seinen lässig geschnittenen Hosen. Darunter kamen schlichte, burgunderfarbene Unterhosen zum Vorschein, die mit der hellen Haut einen warmen Kontrast bildeten. Langsam, die Augen fest in Juns gesenkt, ging Robert erst in die Hocke, dann auf alle Viere. Seine Miene, konzentriert, alert, verriet nichts mehr von seinem spitzbübischen Charme, dem hintergründigen Schalk. Jun saß breitbeinig auf der Bettkante, sah hinab auf den nahezu unbekleideten Mann vor sich, knapp außer Schlagdistanz. Er spürte die animalische Qualität des sengenden Blicks, der ihn bannte. Sein Herz raste, die Handflächen bedeckte ein feuchter Film. Hypnotisiert begann er damit, sich selbst auszuziehen, ohne Grazie oder Eleganz, vielmehr geprägt von angespannter Erwartung und Lust/Angst. Natürlich hatte er nichts zu fürchten, selbstredend handelte es sich nicht um eine Premiere! Trotzdem war alles wie zum ersten Mal. Als er gerade im Begriff war, sich die Socken abzustreifen, um sie achtlos neben seine Turnschuhe abzuwerfen, attackierte Robert. Nur ein Augenblick der Unaufmerksamkeit genügte. Er glitt förmlich über das Parkett, fasste unter die noch warm besockten Fußsohlen, hebelte sie blitzartig hoch, sodass Jun hintenüber kippte, einen überraschten Laut ausstieß, aber es war zu spät. Robert fiel bereits über ihn her. Gefangene zu machen gehörte nicht zu seinem Plan. =^x^= Jun war benommen, allerdings entschuldbar, da sich trotz horizontaler Lage sein Blut auf eine bestimmte Region unter der Gürtellinie konzentrierte. Vage registrierte er, dass Robert sich mühsam auf die Ellen stemmte, keineswegs elegant auf Juns rechte Seite kippte, auf den Rücken rollte, ebenso in einem großen Bewegungsradius durch knapp über die Knie gerutschte Unterwäsche behindert, noch vollständig besockt. Um Roberts Gewicht erleichtert spürte Jun plötzlich Kälte, weniger körperlich als emotional. Unwillkürlich griff er mit der Rechten nach Roberts Linker, hielt sie fest umklammert. Jetzt spielte es keine Rolle, ob Nervosität zuvor klamme Feuchtigkeit ausgelöst hatte oder die Finger zitterten. Langsam beruhigten sich ihre Atemzüge, während sie im Halbdunkel Schulter an Schulter lagen, ausglühten. Eine Bewegung lenkte Juns Aufmerksamkeit auf den Freund, der sich auf den rechten Ellenbogen stemmte, aufsetzte, Jun behutsam seine Hand entzog. Unter halb gesenkten Lidern, noch ein wenig verträumt, verfolgte er, wie Robert sich vom Bett löste, die Unterwäsche über die Knie abstreifte und auch seine Socken abpflückte. Er verließ leise das Schlafzimmer. Jun sinnierte träge darüber, ob er sich auch der Mühe unterziehen sollte, die knebelnde Unterhose auszuziehen, die Sportsocken zu entfernen. Jedoch verlangte diese Aktion eine konzertierte Anstrengung, die Notwendigkeit, sich erheben zu müssen. Was ihm gerade gar nicht zusagte. Seine Lippen schmeckten nach Robert. Er spürte noch die Ahnung der Beckenknochen, die auf seinen eigenen rieben, während er diese unvergleichlich köstliche Kehrseite im Griff hatte. Er lauschte auf die leichten Schritte, die Roberts Rückkehr ankündigten. Als er den Kopf leicht hob, erblickte er seinen Gastgeber, der ein Handtuch über die Schulter geworfen eine altmodische Schüssel apportierte, vollkommen nackt und wunderschön geschmeidig wie eine zum Leben erweckte griechische Statue. Robert lächelte verhalten, als er sich neben Jun auf die Bettkante setzte, die Schüssel abstellte und ihm dann den Rücken zukehrte, um selbst die hinderlichen Textilien abzustreifen. Wieder Jun zugewandt tupfte er dessen Leib mit einem flauschigen Lappen und warmem Wasser ab, nutzte das Handtuch, die sanften Spuren zu verwischen. Jun schwankte zwischen Rückzug, immerhin musste man ihn doch nicht waschen wie ein hilfloses Kind!, und Hingabe. Dem Verlangen danach, sich vollkommen auszuliefern, alle Visiere zu senken. Es wurde merklich dunkler, als Robert sich über ihn beugte, sein Gesicht mit sanften Küssen markierte, wie eine Landkarte absteckte. Automatisch hob Jun die Hände, streichelte über Roberts Seiten, auf und nieder. Er stöhnte enttäuscht auf, als sich Robert ihm entzog, sich sogar erhob, rückwärts zum Fußende des Bettes entfernte. Jun stemmte sich, deutlich erregt, auf die Ellenbogen. Wohin wollte Robert?! Warum ließ er ihn jetzt so schnöde allein? Es war zu dunkel, um das Funkeln in den Augen zu enthüllen, aber das Zucken in Roberts Mundwinkeln indizierte, dass Jun kein Unrecht widerfahren sollte. Robert ging in die Knie, zwinkerte, bevor er unter der Decke einen Tunnel grub, sich langsam dem Kopfende näherte. Dort fackelte Jun nicht lange, rappelte sich, durchaus äquatorial behindert, eilig auf, um selbst unter die Decke zu schlüpfen. Er wollte Robert höchstpersönlich empfangen, wenn der seine Expedition krönte! =^x^= Ein statisches Knacken und Knirschen schreckte Robert auf. Er, der keinen Radiowecker oder andere, akustische Störenfriede elektronischer Machart in seinem Schlafzimmer duldete, brummte ärgerlich, setzte sich mühsam auf. Die Nachtleuchte wurde aktiviert. Sie warf zackenartige Schatten von der Jun-im-Schlafrock-Rolle neben ihm auf das zweite Kopfkissen. Unwillkürlich grinste Robert, bevor er zärtlich über die wirren Stacheln streichelte. Sie waren das einzige, was gegenwärtig von ihrem Besitzer wahrgenommen werden konnte. Seufzend schlug Robert die Bettdecke zurück, stellte sich auf die nackten Fußsohlen, begab sich auf Lauschgang nach der Störquelle. Rasch entdeckte er sie in Juns Jackentasche: das Funkgerät! Blitzartig vertrieb die Erkenntnis die satte Zufriedenheit einer sehr aufregenden und erfüllenden Liebesnacht: Felix! Ohne größere Rücksichten enterte Robert eilends sein großes Bett, wühlte unter der Jun-Rolle eine Schulter frei, die er energisch schütteln konnte. "Jun! Jun, wach auf! Felix am Funkgerät!" Drängte er alarmiert. Jun klappte, von diesen Stichworten aus den seligen Tiefen angenehmen Schlummers aufgeschreckt, um 90° in Sitzhöhe, rollte die Lider hoch und kommentierte. "Waslos?! Waslos?!" "Hier!" Robert drückte ihm das Funkgerät in die Hand, bog sichernd die Finger darum. "Felix!" Obwohl durchaus noch schlaftrunken gelang es Jun, die wiederholten Anrufe seines munteren Filius' zu beantworten. "Papa, endlich!!" Ohne großartiges Rauschen drang Felix an ihr Ohr. "Wo steckst du denn?!" "Ähm." Jun hasardierte ertappt und hastig. "Bäcker! Genau, Bäckerei! Brötchen holen! Viel los! Lange Schlangen!" Nun gut, im Rheinland gab es keine Schlangen, in denen man sich anstellte, mehr eine Art organisierter Knubbel. Das war geselliger und grenzte sofort Fremde ab, die davon keine Ahnung hatten. >B R A V O!< Formulierte Robert aufrichtiges Lob für diese Ausrede. Jun errötete kleidsam, zwang sich, auf Felix zu hören. "Du weißt doch, Papa, dass ich spätestens um 9 Uhr fertig sein muss?" "Hab ich nicht vergessen!" Behauptete Jun, kreuzte sicherheitshalber zwei Finger. "Hör mal, du kannst den Tisch decken, aber bleib von der Kaffeemaschine weg, ja? Sonst verbrühst du dich!" Felix signalisierte Zustimmung, tat seine Verblüffung darüber kund, wie erstaunlich groß doch die Reichweite des Funkgerätes sei. Das habe er wirklich nicht erwartet. "Ähm... ich auch nicht." Jun fragte sich, ob seine Nase langsam die Metermarke überschritt, wenn er weiterhin so Pinocchios Beispiel folgte. "Wie? Oh... Robert, ja...." Eilig senkte er den Blick auf die Bettdecke. "Ich kann ihn fragen, klar... doch, nette Idee, zu dritt frühstücken..." Mit der Ermahnung versorgt, er möge sich sputen, weil es sonst so ungemütlich hektisch werde, ließ ihn Felix schließlich ziehen. Postwendend plumpste Jun ungebremst wieder rücklings auf die Matratze. "AU weia, au weia!" Rief er gequält aus. Robert schmiegte sich bäuchlings an seine Seite, sichtbar amüsiert. "Was höre ich da? Du lädst mich zum Frühstück ein, hmmmm?" Schnurrte er guttural und sinnlich. Jun drehte den Kopf, betrachtete im Schein der Nachttischleuchte seinen Freund. Er hob die Hand, um mit den Fingerkuppen ganz behutsam die attraktiven Linien nachzufahren. Versunken, still, nachdenklich sahen sie einander an, teilten einen langen Augenblick der gemeinsamen Demut. Ein nervtötender Piepton ließ sie heftig zusammenfahren, wieder das Funkgerät. "Akku leer." Krächzte Jun schließlich verlegen, blinzelte heftig. "So ein Jammer." Konstatierte Robert schamlos verlogen. Jun grinste. Robert bleckte herausfordernd die Zähne. "Sag, erweist du mir die Ehre, mit mir zu frühstücken?" Jun stemmte sich auf eine Seite. Ein so förmlicher Antrag konnte nicht anders, als Roberts Herz stolpern zu lassen. Süffisante, spöttische, geistvolle Repliken? Wie weggeblasen. Er benötigte sie nicht. "Ja." Antwortete er schlicht, schmunzelte darüber, dass er zum ersten Mal in seinem Leben an einem Valentinstag bereits zum Frühstück ein Rendezvous hatte. =^x^= ENDE =^x^= Danke fürs Lesen! kimera {Fortsetzung in "Bonds"}