Titel: Kiss You All Over Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Erstellt: 05.08.2004 Disclaimer: der Song »Kiss me all over« wurde von Michael Chapman und Nicholas Chinn geschrieben. ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ ~+#@#+~ Kiss You All Over "Ahhhhhh!" Mit einem wohligen Seufzer nahm Naomi auf ihrem geliebten, körpergeformten Sessel Platz, streifte die plüschigen Puschen ab und legte die Beine auf die Ablage, ließ sich pneumatisch in eine 45° Position senken. Die Arme locker über den Kopf gehoben schloss sie die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Visualisierte ihren Atem wie einen abgeschlossenen Hauch, der ihren Körper bis tief in das Becken durchwanderte, prickelnde Ausläufer von Zehenspitzen bis gesplissten Haarenden aussandte. »Endlich Feierabend, endlich Zuhause!« Die Anspannung und der Stress ihrer Schicht ballte sich in den verkrampften Schultern, die wie eine stete Abwehrhaltung gekrümmt und hochgezogen den vorzeitlichen Schildkrötenpanzer ersetzten. Aber nun, in diesem seligen Augenblick des Friedens, konnte sie die Last abschütteln,-zugegeben, es bedurfte schon einiger weiterer Anstrengungen. Die darin bestanden, eine vitalisierende Dusche unter den Massagestrahlen zu absolvieren, die Duftampel in Betrieb zu nehmen, einen erfrischenden Shake zusammenzustellen und sich in einem leichten Pyjama ihrem Sessel anzuvertrauen. Entspannung, das höchste Gebot. Keinen Gedanken mehr verschwenden auf endlose Diskussionen mit unzufriedenem Klientel, aufsässigen Mitarbeitern, streitsüchtigen Zeitgenossen, ungebärdiger Software! Den allwöchentlichen Disput ausblenden, der eine Familie zusammenhielt. »Kind, wieso gehst du nicht öfter aus? Du hast uns noch keinen deiner Verehrer vorgestellt!« Das 'Muttertier' in quengelnder Sorge um das Wohlergehen der schon 'überreifen' Tochter. "Mutti, ich habe keine Verehrer und ausgehen möchte ich bestimmt nicht, wenn ich mich bereits halbtot von der Schicht nach Hause schleppe. Außerdem ist Ausgehen was für Cliquen, und ich bin im Augenblick nicht an Gruppenzwang interessiert." Die Tochter, seit einer geraumen Ewigkeit Single und ohne Freundeskreis, von Bekannten dagegen stets mit wohlmeinenden Ratschlägen und Empfehlungen bombardiert. Hegte erstaunlich freigeistige, wenn nicht sogar egoistische Vorstellungen von der eigenen Zukunft, die nicht dem Baukasten 'Mann-Kind-Hund-Haus' entsprachen. "Nun lass sie doch. Bei den Scheidungsraten heute würde ich mir auch keinen von denen Burschen anlachen! Nimm lieber einen knackigen Rentner, der bringt Geld und wird nicht lange lästig." Liebevolle Mahnung der Großmutter, rüstig und vom aktuellen Tagesgeschehen so fasziniert, dass keine Lifestyle-Magazin am Mittag-Report-Sendung ausgelassen wurde. »Ich lebe in einem Horrorfilm des täglichen Wahnsinns«, repetierte Naomi gebetsmühlenartig ihre persönliche Sutra, blendete die liebe Familie aus. Es war schon unverzeihlich genug, mit einem Namen gestraft zu werden, der regelmäßig und sehr originell in "Na-Omi?" umgewandelt wurde, da konnten weitere Hinweise auf das rapid heranrückende Klimakterium doch wirklich unterbleiben. Außerdem hatte sie sich in ihrem Leben ganz gut eingerichtet, da fehlte keineswegs ein Mann,-vielen Dank! Man musste Prioritäten setzen, in der neuen schönen Welt, die von der 'Zeit-ist-Geld'-Maxime beherrscht wurde, schnellen Konsum zum Marschtakt vorgab. Und eine solche Varianz an Möglichkeiten der Lebensführung bot, dass man sich lieber resignierend in ein sicheres Eckchen verkroch, 'Cocooning' betrieb. »Und das ist auch gut so!«, stellte Naomi kriegerisch fest, aktivierte die Lampe, die in unterschiedlichen Farben beruhigende Muster an Wand und Decke projizierte. Halb liegend, entspannt, tippte sie über das Touchpad Anweisungen ein, deren Fortschreiten in bequemer Höhe auf dem oberen Ende ihrer Wand abgebildet wurden. Ein Blick in das elektronische Postfach, dazu ein genießerischer Zug am extra dicken Strohhalm aus dem hohem Shakerglas, -was konnte es Besseres geben? Sie schob sich die Kopfhörer jeweils über eine Ohrmuschel, ergonomisch geformt und in drahtloser Verbindung zur verborgenen Hightech-Zentrale, die jede Wohnung beherrschte. Loggte sich bei einem Internet-Dienst ein, der gegen einen entsprechenden Obolus eine besondere Form der Freizeitentspannung versprach. Sofort rieselte sanfte, unaufdringliche Musik in Naomis Ohren, begleitete sie durch das Menü, in dem sie ihre heutige Stimmung und ihre Erwartungen festlegte. "1001 Phantasien" hieß der deutsche Ableger einer Online-Gesellschaft, die romantische, entspannende Orte und Räume anbot, in welchen man sich virtuell unterhalten konnte. Jedoch handelte es sich keineswegs um einen gewöhnlichen Chatroom. Nein, hier konnte man 1001 feuchten Kuss in hawaiianischen Höhlen erleben, unter den Niagarafällen eintauchen, über einen einsamen Karibikstrand in einer Lagune spazieren oder im Prunkbett von Ludwig XIV ruhen. Virtuelle Welten mit passender musikalischer Untermalung, ob einem realen Vorbild nachempfunden oder aus vielen Phantasien kreiert, rund um den Globus und darüber hinaus. Perfektionierte, dreidimensionale Bilder, die eine Flucht ermöglichten. Naomi erwog kurz ihre heutige Stimmung und entschied sich für >kommunikativ, sehnsüchtig und intim<, ihre Gesprächspartner sollten diesem Suchmuster entsprechen und möglichst weiblich sein. Der Vorteil dieser Dienstleistung lag für sie auf der Hand. Als "Nana" (eingedenk einer kleinen Kopie auf ihrem Schreibtisch) konnte sie ohne Verpflichtungen Gesprächsthemen und ihre Stimmung vorgeben, nach welcher dann alle eingeloggten "Mitspieler" durchforstet wurden. Mit der möglicherweise ernüchternden Realität hatte dies wenig zu tun. Wenn ihr danach war, polterte sie auch als "Mann" los, schwadronierte mit Gleichgesinnten, um angestaute Aggressionen abzubauen. »Heute bin ich allerdings schmusekatzig«, lächelte sie das Logo an, wartete auf Vorschläge. [Tricolor88] "Nein, bloß nicht, der Kerl ist so nervtötend!" Naomi streckte der Flamme, die den jeweiligen >User< anzeigte, die Zunge heraus. [Susu] Informationen wurden eingeblendet, doch Naomi sagte die knappe Selbstdarstellung nicht zu. [Lavieenrose] "Hmmmm", kommentierte Naomi laut, "mal sehen, ob sie an einem Gespräch interessiert ist." Die einfachste Möglichkeit, ein erstes Einschätzen nach den frei wählbaren Informationen (die keineswegs zutreffend sein mussten) zu treffen, bestand darin, einen Treffpunkt vorzuschlagen. ~Nana: Hallo Lavieenrose, hast Du Lust auf ein Gespräch?~ ~Lavieenrose: Hallo Nana, gerne. Wo wollen wir uns treffen?~ ~Nana: Ich schlage die "Pleiaden" vor, "Maias Traum". Einverstanden?~ ~Lavieenrose: Okay, bis gleich~ Der virtuelle Assistent veränderte das Bild, schon erschien eine phantastische Landschaft, eine gewaltige Höhle aus Obsidian, die einen herrlichen Ausblick auf ein sternenbevölkertes All bot. >Maias Traum<, eine der sieben Töchter des Atlas, an den Himmel gebannt, der griechischen Mythologie entlehnt. Auch die Musik veränderte sich, sanfte Klangsymphonien schwollen und legten sich wie künstliche Gezeiten wellenförmig auf das Gemüt. ~Nana: Lavieenrose, bist Du gut angekommen?~ ~Lavieenrose: Ich bin hier. Was möchtest Du tun?~ Naomi lächelte hintergründig, zog an ihrem Shake. ~Nana: Ich möchte mich entspannen, ein wenig ankuscheln. Was ist mit Dir?~ ~Lavieenrose: Hört sich gut an. Ich halte Deine Hand.~ »Oho, sie versteht zumindest die Spielregeln«, kommentierte Naomi, das kündigte eine interessante Entwicklung an. ~Nana: Gefällt es Dir hier? In die Sterne zu sehen?~ ~Lavieenrose: Ja. Es ist so friedvoll. Und ohne Hektik. Darf ich mich anlehnen?~ ~Nana: Sicher. Ich werde einen Arm um Deine Schulter legen, dann sitzt es sich doch bequemer.~ Vor Naomis innerem Auge baute sich ein mosaikförmiges Bild auf. Die wahre Kunst, einen Chat dieser Kategorie zu betreiben, bestand nicht in unablässiger Quasselei, sondern der emotionalen Verbindung. Eine Beziehung herzustellen. Und dafür war es erforderlich, sich Details einzuprägen, zwischen den Zeilen zu lesen. ~Lavieenrose: Kannst Du Dir vorstellen, auf einem Stern allein dahin zu treiben?~ Naomi lächelte. »Wer kann das nicht?« ~Nana: Ja. Öfter, als mir lieb ist. Mit einem Aufprallschutz, damit man nicht mit anderen Sternen in Kontakt kommt.~ »Wie wird [Lavieenrose] reagieren?« ~Lavieenrose: Ich bin froh, dass wir hier zu zweit sind. Heute will ich nicht allein sein.~ »Ohoh, hoffentlich keine Depressionen oder Post-Beziehungsende-Klagen!« ~Nana: Bist Du traurig? Oder einsam?~ Für einige Augenblicke blieb die Musik die einzige Bewegung, eine Antwort ließ auf sich warten. Dann stellte sich wieder die künstliche Stimme ein, weiblich, ohne Akzent, ein wenig heiser. Das Pendant zu Naomis. Die Zeichen tanzten über das Sternenfeld. ~Lavieenrose: Ich bin einsam und darüber traurig. Ich bin nicht allein, aber doch einsam. Ich möchte Nähe, ein wenig Zuversicht.~ Naomi saugte nachdenklich an ihrem Strohhalm, melancholische Momente kannte sie genug. Was ließ sich aus diesen Zeilen lesen? War Lavieenrose mit jemandem zusammen, fühlte sich aber isoliert, ohne enge emotionale Bindung? ~Nana: Ich kenne das Gefühl. Ich bin hier, halte Dich im Arm. Sag mir, woran Du denkst.~ »Mui Macho, aber vielleicht...?« ~Lavieenrose: Ich denke, dass Du Dich gut anfühlst, weich und doch solide. Wie warm und beschützt ich mich fühle. Ich schließe die Augen und lausche Deinem Herzschlag. Erzähl mir etwas.~ Naomi leckte sich über die Lippen. »Etwas erzählen, aber was?« ~Nana: Also gut. Ich erzähle Dir, warum ich gerne hier sitze und die Sterne betrachte.~ »Also, warum sitze ich hier?« ~Nana: Wenn man sich das All so ansieht, besteht es doch hauptsächlich aus Dunkelheit. Grenzenloser Nacht. Und es ist lautlos. Findest Du das nicht beängstigend?~ ~Lavieenrose: Doch. Sehr. Ich habe Gänsehaut. Brrrrr.~ Naomi unterdrückte ein Kichern, die künstliche Stimme schnurrte das Frösteln. ~Nana: Dann kuschle ich mich noch ein wenig enger an Dich, okay?~ ~Lavieenrose: Oh ja, sehr schön.~ Dieses Mal konnte man ein wohliges Seufzen entnehmen. »Sie kennt sich gut mit den Kontrollen aus, soviel ist sicher«, stellte Naomi bewundernd fest. ~Nana: Und in dieser absoluten Nacht existieren Sterne. Das ist das Licht der Hoffnung. Ganz gleich wie finster es ist, wie unendlich, wie stumm,-es gibt Hoffnung. Deshalb sehe ich mir hier gern die Sterne an.~ Ein gemeinschaftliches Seufzen, synchron. Naomi schauerte leicht. »Wow, sie IST gut.« ~Lavieenrose: Das hast Du schön formuliert. Ich fühle mich gleich besser. Und sieht es nicht so aus, als würden sie tanzen?~ ~Nana: Doch. Sind ja auch mindestens sieben Sterne, nicht eingeschlossen die vielen anderen hier. Was sollen sieben Schwestern auch anderes machen, wenn nicht tanzen?~ Ein Lachen schmiegte sich in Naomis Ohren. ~Lavieenrose: Oh, mir fiele durchaus noch etwas anderes ein.~ »Wahooooo!« Naomi rieb sich über die leicht erhitzten Wangen, vielleicht hatte Lavieenrose das Stichwort >intim< doch ein wenig missverstanden...andererseits konnte es sich auch bloß um eine frivole Neckerei handeln. ~Nana: Möchtest Du denn tanzen? Dann müssten wir aufstehen.~ ~Lavieenrose: Nein, ich lasse mich lieber von Dir umarmen. Ich würde sonst frieren. Ein Negligee ist im All recht frisch.~ ~Nana: Du trägst ein Negligee? Aus Seide, etwa mit Spitzenbesatz?~ Sie grinste. War Lavieenrose etwa eines dieser Modepüppchen mit Perlenkette und pastellfarbener Garderobe? ~Lavieenrose: Kunstseide, allerdings sehr viel Spitze. Giftgrün und keine Schleifen.~ »Ach du Güte.... was ist das denn für ein Modell?« ~Nana: Das hört sich ziemlich ausgefallen an?~ ~Lavieenrose: Aber es steht mir. Auf den Leib geschneidert, sozusagen.~ Neugierde geweckt, konnte Naomi nicht lockerlassen. ~Nana: Hast Du es selbst genäht?~ ~Lavieenrose: Richtig. Möchtest Du es anfassen?~ »Ooooookaaaaay, das wurde langsam tatsächlich 'intim'.« ~Nana: Es fühlt sich gut an. Du hast wirklich Talent.~ In ihre Ohren drang ein weiteres Lachen, amüsiert, zärtlich. ~Lavieenrose: Aber es ist gut, dass Du etwas anderes trägst und mich warmhältst.~ »Na klar... was trage ich doch gleich?« ~Nana: Ein hautenger Overall aus Pima-Baumwolle gefällt Dir also?~ »Gut gerettet... hoffentlich.« ~Lavieenrose: Ich mag besonders diese Polster an den Gelenken. Du machst eine sehr gute Figur darin.~ "Tu ich?!", keuchte Naomi laut, grinste vergnügt. In Wahrheit würde jeder, der nicht über die ausgehungerten Maße eines Supermodells verfügte, wie ein aufgeblasenes Michelinmännchen aussehen. ~Nana: Freut mich, dass Du Dich wohlfühlst.~ ~Lavieenrose: Ich würde gern auf Deinem Schoß sitzen und die Arme um Deinen Nacken legen. Ist das okay?~ ~Nana: Natürlich. Dann kann ich Dich auch besser umarmen.~ ~Lavieenrose: Ich mag es, mich an Dich anzuschmiegen. Meinen Kopf auf Deine Schulter zu legen.~ ~Nana: Dann schauen wir in dieselbe Richtung. Können uns ein wenig ausruhen.~ ~Lavieenrose: Ja. Möchtest Du die Musik ändern?~ ~Nana: Ein wenig.~ »Etwas, das langsamen Herzschlägen entspricht, sanftmütig...« Naomi gab dem virtuellen Musikspeicher die Anweisungen weiter, erhielt die Meldung, dass [Lavieenrose] eine Freigabe für die Musikeinspielung erteilt hatte. Damit sie die gleiche Melodie hörten. Naomi schloss die Augen, richtete sich bequem ein. Rasch konnte sie Herztöne herausfiltern, die unter dem Klangteppich schlugen, eine Ahnung von Atmung. Es war intim. Sich vorzustellen, dass eine Frau auf ihrem Schoß saß, die Arme um ihren Nacken gelegt hatte, spärlich mit einem Negligee bekleidet war... »Wie eine Schwester oder eine enge Freundin.... man musste ja nicht ständig reden.« Naomi döste hinweg, wurde nach einiger Zeit aber von einem leichten Seufzer aufgeweckt. Sie schlug die Augen auf, um den Silben an ihrem Ohr ein Bild zu geben. ~Lavieenrose: Nana, ich muss gehen. Entschuldige.~ ~Nana: Ist schon in Ordnung. Ich hoffe, ich treffe Dich mal wieder.~ »Das hoffe ich wirklich. Sie kennt sich aus.« ~Lavieenrose: Ich halte nach Dir Ausschau. Versprochen. Und küsse Dich auf die Wange. Pass auf Dich auf, Nana.~ ~Nana: Du auch, Lavieenrose. Bis bald.~ Naomi lehnte sich zurück und betrachtete den Weltraum. Sie war nicht in der Stimmung, eine Freigabe zu erteilen und erneut Kontakte zu knüpfen. »Schade«, dachte sie. Aber man konnte ja im Bett weiterträumen. ~+#@#+~ Es verstrichen genau vier Tage bis Naomi erneut die Anwesenheit von Lavieenrose registrierte. Vielmehr tat dies der virtuelle Assistent. Naomi schwankte zwischen Verärgerung und Erleichterung. Sie verbrachte nahezu jeden Abend für wenigstens eine Viertelstunde bei >1001 Phantasien< , hatte jedoch mit Erstaunen ihre wachsende Ungeduld bemerkt, wenn der Assistent nur andere Bekannte aufzählte. Sollte sie Lavieenrose ansprechen? »Zunächst mal«, rief sich Naomi zur Ordnung, »sollte ich meine Stimmung eingeben und herausfinden, ob wir heute überhaupt miteinander was anfangen können.« Frustration und Ankuscheln trafen sich selten gut. Wie bereits befürchtet, führte der Assistent Lavieenrose nicht bei potentiellen Gesprächspartnern auf. »Auch gut«, schnaubte Naomi, rieb sich den verspannten Nacken, gab ihren Zielort an. >Hell's Kitchen<, nicht der New Yorker Stadtteil, sondern eine brodelnde, blutigrot gefärbte Vulkanlandschaft mit Höhlen und Erdlöchern, in denen Magma kochte. Heiß, explosiv, ungezähmt. Die Geräuschuntermalung passte sich der Stimmung an, dynamisch, düster, aufpeitschend. Man konnte sich durchaus vorstellen, im heimischen Wohnzimmer im Veitstanz herumzutollen, von dieser Phantasie eingenommen. Naomi jedoch wollte ihren Sessel nicht verlassen, aber die Ur-Schrei-Therapie hatte auch viel Befreiendes. Ihre virtuelle Existenz brüllte unartikuliert Zorn in das tosende Vulkangebiet, Echi schallten in ihren Ohren. Naomi atmete freier, als hätte sie selbst sich die Seele aus dem Körper geschrien, die Verkrampfungen gelöst. »Vielleicht sollte ich mir jetzt einen Gladiatorenkampf ansehen?«, erwog sie ihre Möglichkeiten. Zwei Phantasiegestalten, die einander verdroschen, eine tobende Zuschauerkulisse... das putschte auf und ermüdete auch entsprechend. Mit grimmiger Entschlossenheit alarmierte sie ihren Assistenten... und hielt inne. Was tat wohl Lavieenrose gerade? War sie noch immer auf der Suche? Naomi ließ die Suchroutine laufen. Das Resultat verschlug ihr den Atem. Lavieenrose war im >Schattenreich der Lüste< eingetragen, einem Ort, der nur für erwachsene Mitglieder zugänglich war. Naomi wechselte hinein, blockierte aber sofort die Kontaktmöglichkeiten. »Ich will nur nach Lavieenrose sehen, nichts weiter...« Ein offener Raum, der >Zuschauer< akzeptierte, zu denen sich Naomi gesellte. Unbehaglich, mit klopfendem Herz. Die Optik entsprach einem Schauerroman des vergangenen Jahrhunderts, grelle Farben wie bei Illustrationen zu Schundheftchen, eine von Kerzen illuminierte Gruft, Särge, allerlei religiöse Symbole. Die Musik gruselte mit Orgelläufen, hastigen Atemzügen, aufbauender Spannung und man trat in das Geschehen ein. Anders als bei anderen Räumen boten die der Erwachsenen noch weitere Möglichkeiten, deren man sich hier bediente. Lavieenrose war nicht länger ein Name, sondern hatte die Gestalt einer jungen Frau in einem einfachen, weißen Nachthemd, barfüßig, die blonden Haare mit einem Haarband aus der Stirn gebunden. Der zweite Mitspieler, mit einem Pseudonym aus Zahlen, gab einen Vampir. Allerdings nicht die hochherrschaftliche, vornehme, menschliche Variante, sondern die eines mutierten Ungeheuers mit dem Air einer Fledermaus, fahlledriger Haut, Schwingen, Krallen, einer Wolfsschnauze....ein veritabler Albtraum. Naomi schluckte nervös, nagte an ihrem Strohhalm. In ihren Ohren gellten die Abwehrversuche der jungen Frau, das lustgierige Keuchen der Bestie, dann wechselten die Bilder zu einem Tanz der Raserei. Die Bestie zerriss das Nachthemd, biss und vergewaltigte die junge Frau, zerrte Fleischfetzen aus ihrem Körper. Und jede Perspektive wurde präsentiert in einem Stakkato an Aufnahmen, zwischen der Opfer-, Täter- und Kameraposition wechselnd. Die Geräuschkulisse entsprach dieser Orgie des Grauens. Als sich das Ungeheuer anschickte, sein Opfer das zweite Mal von hinten zu nehmen, loggte sich Naomi aus, unterdrückte Brechreiz und hastete in die Küche, um ein Glas Wasser hinunterzustürzen. "Einfach widerlich!", spuckte sie in das Spülbecken aus. »Wie kann sie bei so etwas mitmachen? Sie lenkt ihre Figur schließlich, lässt sie schreien, hat sie designt....?!« An diesem Abend verkroch sich Naomi in ihr Bett und blätterte zur Ablenkung in einem virtuellen Möbelkatalog. ~+#@#+~ Langjährige Gewohnheiten sterben nur langsam, und so war es wenig verwunderlich, dass Naomi sich auch am nächsten Abend wieder in >1001 Phantasien< einloggte. »Freitagabend-Stimmung fehlt in der Menü-Auswahl«, stellte sie fest, denn sie fühlte sich entsprechend. Ein wenig aufgekratzt, unternehmungslustig, voller Erwartung. Mit dem Ziel des Amüsements, eines überschaubaren Risikos, abenteuerlustiger Gesellschaft. "Mal sehen, wer sich heute findet", lächelte sie den Assistenten an, der ungerührt die 'freien' Kontakte aufzählte. »Sie ist da.« Naomi zögerte.. sollte sie Lavieenrose ansprechen? »Lieber nicht«, entschied sie trotzig, »ich will mich heute amüsieren!« Sie ließ sich in das >Chuck-Berry-Café< transferieren, wo man Rock'n'Roll der ersten Stunde auflegte, "flotte Bienen" auf Rollschuhen Menüs an Oldtimer lieferten, Shakes, Petticoats und Geltollen Standard waren. Hier ging es unbeschwert zu, ohne die desillusionierte Kunstfertigkeit der Disco-Zeit, die kühle Neonatmosphäre der Achtziger oder den tranceartigen Hippiekult. Naomi kletterte auf einen Barhocker und bestellte, sah sich um. Genug Kontaktwillige gab es in jedem Fall, als sich eine Nachricht einblendete. ~Lavieenrose: Nana, darf ich mich neben Dich setzen?~ »Sicher, ist ja ein freies Land...« ~Nana: Hallo. Natürlich.~ ~Lavieenrose: Ich habe Dich gestern gesehen. Bist Du wütend auf mich?~ "Wütend?!", Naomi schnaubte, "so gut kennen wir uns ja wohl nicht!" ~Nana: Ich bin nicht wütend auf Dich. Ich mag aber diese Spiele nicht.~ ~Lavieenrose: Ich verstehe. Tut mir leid.~ "Warum entschuldigst du dich? Kannst doch tun und lassen, was du willst! Geht mich doch nichts an!", echauffierte sich Naomi grimmig. ~Nana: Dazu besteht kein Grund. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.~ »Wumms! Voll auf die Zwölf!« Für Augenblicke summten nur die Jukeboxen, glitten die Rollschuhe über Asphalt, drangen Gesprächsfetzen an Naomis Ohr. Sie konzentrierte sich auf die hellen Flaschenfronten hinter der Bar, gespiegelt und von klassischen Reklametafeln unterbrochen. »Damals war die Zukunft noch voller Hoffnung...« ~Lavieenrose: Ich war wütend und wollte meinen Hass ausleben.~ »Ich hab dich nicht um eine Erklärung gebeten. Und wie kann man den eigenen Hass ausleben, indem man sich virtuell vergewaltigen und töten lässt?!« ~Lavieenrose: Gestern war kein guter Tag. ~ ~Lavieenrose: Können wir trotzdem miteinander reden?~ Naomi seufzte. Die virtuelle Lavieenrose klang so besonnen und freundlich in ihren Ohren, andererseits... »könnte es sich auch um einen Perversen handeln, der ein neues Jagdgebiet erkundet!« ~Nana: Ich will mich heute amüsieren, Lavieenrose.~ ~Lavieenrose: Worauf hast Du denn Lust? Wollen wir gemeinsam auf Flirtsuche gehen?~ Naomi erwog diese Option. ~Nana: Also gut. Autoskooter?~ ~Lavieenrose: Einverstanden! Ich freue mich.~ Mit einer schiefen Grimasse folgte Naomi dem Standortwechsel. ~+#@#+~ Ihre Bauchmuskeln schmerzten vor Lachen, während sie virtuell an Lavieenroses Schulter lehnte. Die beiden Flirtpartner, die sie angesprochen hatten, begleiteten sie seit fast zwei Stunden durch die Geisterbahn, in das Karussell und über einen Jahrmarkt. Lavieenrose war wirklich gut aufgelegt, kokettierte, scherzte, und die beiden anderen Mitspieler erwiderten die Herausforderung auf der Suche nach dem dämlichsten Witz und der grässlichsten Anekdote aus gescheiterten Flirtversuchen. Sie lachten über sich selbst und miteinander, experimentierten mit Kostümen und Akzenten, servierten sich Musikvorschläge. Langsam erschöpfte sich aber die Aufnahmebereitschaft und mit freundlichen Küssen verabschiedeten sich ihre beiden Mitspieler. ließen Naomi und Lavieenrose zurück, die in der Lounge eines Nachtclubs zu den Klängen Frank Sinatras ein Resümee des Abends zogen. ~Lavieenrose: Das war wirklich klasse, oder?~ ~Nana: Ja, hat mir gut gefallen. Mir tut das Zwerchfell vor Lachen weh.~ ~Lavieenrose: Soll ich Dich massieren? Hier ist es dunkel genug.~ »Oh lala«, dachte Naomi, »sie geht ran... oder ist sie nur hilfsbereit?« ~Nana: Das würde die Pailletten auf meinem Abendkleid ruinieren. Aber danke für das Angebot.~ ~Lavieenrose: Wir könnten auch in ein Separee gehen?~ »Das ist nun eindeutig!« ~Nana: Ich glaube, ich werde mich lieber hinlegen, ich bin doch müde von dieser unterhaltsamen Nacht.~ ~Lavieenrose: Schade, aber Du hast Recht. Kann ich Dich wiedersehen?~ Naomi lachte und übertrug dies auf ihr virtuelles Ich. ~Nana: Natürlich kannst Du. Ich bin sehr oft hier.~ ~Lavieenrose: Gut. Ich werde nach Dir suchen.~ ~Lavieenrose: Nana, darf ich Dich küssen?~ »Aber hallo... wer bist du, Lavieenrose?« ~Nana: Wenn Du möchtest?~ »Ich kokettiere einfach mal ein bisschen.« ~Lavieenrose: Ich will Dich küssen. Auf den Mund.~ »Uhiiiii« ~Nana: Mein Lippenstift ist nicht kussecht.~ »Eat this!«, grinste Naomi frech, triumphierend. ~Lavieenrose: Das stört mich nicht.~ »Oooooookaaaay....« ~Nana: Aber keine Zunge.~ ~Lavieenrose: Keine Zunge... also gut.~ In Naomis Ohren reduzierte sich die Musik, ein gedämpftes Schnurren mit wohligem Genuss überlagerte die Geräusche. »So also hört sich dein Kuss an...« ~Lavieenrose: Schlaf gut, Nana. Ich werde auf Dich warten.~ ~Nana: Dito. Bis hoffentlich bald.~ Naomi unterbrach die Verbindung mit klopfendem Herzen, ein wenig errötet. "Wahhooooooooouuuuuuuuu!" ~+#@#+~ Ihre Finger schwebten über dem Touchpad, dennoch wählte Naomi keine Option an, nagte gedankenverloren an ihrem Daumen. Sie wusste, wie sie sich fühlte und wenn nun Lavieenrose zufällig ebenso empfand... »dann müssen wir in die Erwachsenen-Sektion.« Allerdings boten solcherlei virtuelle Aktivitäten regelmäßig Enttäuschungen, obwohl Naomi noch nie mit einer Frau (oder einer virtuellen Persönlichkeit, die sich als weiblich eingetragen hatte) eine derartige Unternehmung gewagt hatte. Und Lavieenrose kannte sie nun wirklich erst seit.. einigen Tagen? Andererseits lief die virtuelle Zeit deutlich abweichend von der realen. Hindernisse wie Höflichkeitsfloskeln, gesellschaftliche Konventionen etc. entfielen. Eine Nachricht erwartete sie bereits, als sie sich einloggte. ~Lavieenrose: Ich bin im >AngelDust< in Chicago. Bitte komm. Ich brauche Dich.~ "Liebe Güte", murmelte Naomi. Plötzlich erschien ihr der leichte Baumwollpyjama unangenehm warm auf der Haut. »Also gut...« Ihr Herz beschleunigte. ~+#@#+~ Das >AngelDust< war eine der Flüsterkneipen im Chicago vor dem zweiten Weltkrieg. Und sie hatte eine Sektion für Erwachsene, in der Lavieenrose wartete. Naomi nutzte die Zeit, um sich entsprechend den Gepflogenheiten eine Figur auszuwählen, Bekleidung, Sprache, Stimme. Sie wusste nicht, wie sich wohl Lavieenrose entschieden hatte, wählte aber eine Latina mit dickem dunkelbraunem Haar, apart gekürztem Pony, dazu große, dunkle Augen, einen dunklen Teint und eine weibliche Figur in einem schlichten Kostüm. Die Bar mit dem dämmrigen Licht weniger Gaslampen betretend erkannte sie eine Gestalt, die ihrer ähnelte, sah man von der Farbe des Kostüms und der Haare ab. ~Nana: Hallo, Lavieenrose. Wie geht es Dir?~ Eine erstaunliche Kombination, flammend rote Haare zu einem marineblauen Kostüm. ~Lavieenrose: Guten Abend, Nana.~ »Sie weicht meiner Frage aus... aber ihre Stimme klingt... schwül«, befand Nana. Wandte sich herum, studierte die einfachen Holzstühle und -tische, die schwermütigen Ventilatoren an der Decke, deren Umdrehungen vage Bewegung in das Schattenspiel an den Wänden warf. »Seltsam, ich fühle mich trotz der Farben wie in einem Schwarzweißfilm...« ~Lavieenrose: Was möchtest Du trinken?~ ~Nana: Einen Gin tonic~ »Was hat sie vor? Ich sollte besser mal ihre Stimmung ausloten...« Naomi aktivierte den Assistenten mit der entsprechenden Aufforderung. Die Antwort war so eindeutig, dass Naomi nach Luft schnappte. Sie fuhr zusammen, als Lavieenrose ihre Frage wiederholte, mit einem akzentfreien, rauen Lächeln in den Silben. ~Lavieenrose: Ist Dir nicht auch heiß, Nana? Es ist so stickig hier.~ Naomi brummte Unverständliches, zog an ihrem Shake, der keine Ähnlichkeiten zu einem Gin tonic aufwies. »Soll ich es wagen?«, haderte sie mit sich, spürte neben ihrem animiert schlagenden Herz einen prickelnden Schauer der ungewissen Erwartung. ~Nana: Mir klebt der Stoff auf der Haut.~ ~Lavieenrose: Man wird träge, nicht wahr? Die Gedanken vagabundieren so vor sich hin.~ »Definitiv«, bestätigte Naomi, »definitiv.« ~Lavieenrose: Ich habe eine Wohnung in der Nähe. Wollen wir?~ ~Nana: Okay. Die Szenerie wechselte, Straßen im Licht der Gaslaternen, Backsteinbauten mit Feuerleitern, müde in der schwülen, stickigen Nachtluft wehende Vorhänge, hochglanzpolierte Oldtimer, einsame Straßen. Ihre hohen Absätze hämmerten Stakkato, in der Ferne ratterte eine Hochbahn über die Gleise. Die virtuelle Lavieenrose, eine Latina mit flammend rotem Haar in einfacher Frisur wie Lauren Bacall, fischte aus ihrer Bügelhandtasche einen Schlüssel. Im Treppenhaus funktionierte das Licht nicht, allein der zwielichtige Schein der Glasfenster wies den Weg in die Schwarzweißwelt. Naomi folgte ihr, betrat das schmale Appartement, eine Zwei-Raum-Kombination. Bad und Toilette abgetrennt bildete der Eingangsbereich, durch Schränke und eine aufgespannte Fransengardine die einzige Einteilung des Erkerzimmers. Im Erker selbst, unter herabgezogenen Jalousien, wartete ein aufgeschlagenes Bett mit seidigen Laken. An der Decke drehte ein Ventilator einsame Runden. Über das Sofa und die beiden niedrigen Sessel waren Kleidungsstücke achtlos drapiert, in der Küchenzeile stapelte sich benutztes Geschirr. Das Appartement eines Singles, der sich bei den vorherrschenden Temperaturen keiner unnötigen Anstrengung aussetzen wollte. Lavieenrose streifte ihre Pumps ab, entfernte die Klammern, die den kleinen Hut auf ihren Haaren hielt, öffnete ihre Kostümjacke. ~Lavieenrose: Mach es Dir bequem, Nana.~ Das virtuelle Menü an Naomis Wand veränderte sich nun, nicht nur Spracheingabe stand ihr zur Verfügung, sondern auch Szenen, Bewegungsabläufe, Geräusche. In rascher Folge tippte sie Befehle ein, ihr virtuelle Latina entstieg folgsam den hochhackigen Schuhen, legte das kecke Käppchen mit dem Netz ab, streifte die Kostümjacke ab, glättete die halbärmlige Bluse darunter. ~Nana: Du hältst nicht viel von Ordnung, wie?~ »Irgendwie niedlich, dieser Akzent...« Lavieenroses virtuelle Figur lachte kehlig in Naomis Ohren, wandte ihr den Kopf zu, zwinkerte herausfordernd. ~Lavieenrose: Ich ziehe kreatives Chaos vor.~ Sie hatte auf eine Bluse verzichtet und trug unter dem Kostümrock lediglich das obligatorische Unterkleid aus einem seidigen Stoff in elfenbeinfarbigem Glanz. Lavieenrose füllte zwei hohe Gläser mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. ~Lavieenrose: Kannst Du bitte das Eis aus dem Schrank nehmen?~ Naomi wandte sich um mit ihrer Figur, entdeckte den Kühlschrank, öffnete das Eisfach und begab sich daran, mit einem Eispickel Splitter freizuschlagen. ~Lavieenrose: Einfach, aber gut, richtig?~ Lavieenroses Lachen streichelte durch Naomis Körper, ließ sie einstimmen. ~Lavieenrose: Kannst Du mir wohl mal den Reißverschluss öffnen? Es ist einfach zu heiß.~ »Jede Wette«, murmelte Naomi, drehte ihre Figur, hieß sie, das Longdrinkglas abzustellen und den marineblauen Kostümrock zu öffnen. Lavieenrose schüttelte ihn mit einer kreisenden Beckenbewegung ab, stieg aus dem gefallenen Stück Stoff und schwenkte ihr Glas. Presste die kondensierende Fläche an ihre Stirn, die Wangen, zwischen die Brüste auf den dünnen Stoff. ~Lavieenrose: Ich mach's mir auf dem Bett bequem.~ Ihre laszive Stimme elektrisierte Naomi, mehr noch aber das Detail, das aufgeblendet wurde, nämlich die sich erregt unter dem dünnen Unterkleid abzeichnenden Brustwarzen. »Meine Güte...« ~Nana: Ich komme gleich.~ Ein Lachen prickelte in Naomis Ohren, und sie lief dunkelrot an... »oh, verdammt!« ~Lavieenrose: Das ist schön, Nana. Wirklich.~ »Was Du nicht sagst, Klugscheißerin.« Lavieenrose drapierte sich auf das Bett mit den zerwühlten Seidenlaken, arrangierte Kissen in ihrem Rücken, stellte nachlässig ein Bein auf, streckte das andere aus, um langsam an ihrem Longdrink zu nuckeln. »Das ist hier eine Männerphantasie, definitiv«, Naomi starrte, immerhin bewegte sich Lavieenrose nach den vorgegebenen Optionen. Trotzdem verstrichen einige Augenblicke, in denen Naomi das helle Unterkleid fixierte, die sich abzeichnenden Strumpfhalter, den Schattenwurf unterhalb des Kleidersaums. Im Hintergrund ächzte leise der Deckenventilator, irgendwo spielte ein Radio gedämpften Jazz. »Wie klassisch...« Naomi wanderte mit ihrem Whisky zum Bett hinüber, ließ sich auf der Kante nieder, studierte durch die nicht ganz herabgezogenen Jalousien den Ausschnitt des Trottoirs, der chromglänzenden Automobile. ~Lavieenrose: Ist Dir nicht zu warm in Deinem Kostüm, Nana?~ Einige Atemzüge verstrichen, Naomi betrachtete die Straße, dann wechselte sie die Perspektive, sah Lavieenroses Spielfigur an. Wie in einem Spiegel, doch dieser Gedanke verlor mehr und mehr an Substanz, da sie sich selbst nicht mehr als Gesamtheit betrachten konnte. ~Nana: Hilf mir bitte beim Ausziehen.~ Da sie sittsam auf der Bettkante Platz genommen hatte, konnte sie nur durch Kopfdrehen erkennen, wie Lavieenrose reagierte. Diese stellte ihr Glas auf der Fensterbank ab, begab sich auf die Knie, lehnte sich an Naomis Rücken und knöpfte unter Naomis Armen hindurch die Bluse auf. Langsam und sorgfältig. Streifte ihr den Stoff von den Schultern, zog den Reißverschluss von Naomis Kostümrock herunter, um die Bluse endgültig zu verbannen. Wie Lavieenrose auch trug Naomis Spielfigur ein Unterkleid, allerdings hatte sie sich für strahlendes Weiß entschieden, weil es den getönten Teint noch besser zur Geltung brachte. Naomi erhob sich, entstieg ihrem eigenen Rock, löste dann die Strumpfhalterungen. ~Lavieenrose: Das steht Dir wirklich gut, Nana. Du siehst blendend aus.~ »Finde ich auch«, lächelte Naomi ein wenig atemlos. ~Nana: Danke.~ ~Lavieenrose: Es ist beinahe eine Schande, es Dir auszuziehen.~ Naomi keuchte laut. Aber Lavieenrose hielt sich nicht lange auf, kam frontal auf sie zu, auf allen Vieren, einen sehr deutlichen Einblick in ihr Dekolletee offerierend, bevor sie sich vor Naomi auf die Hacken setzte. Naomis Perspektive wechselte nun, studierte gepflegte Hände mit lackierten Nägeln, die über getönte Haut strichen, dünne Seidenträger herunterfädelten, während große, dunkle Augen und ein verlockender Mund immer näher an sie heranschwebten. ~Lavieenrose: Ich möchte Dich küssen, Nana. Leidenschaftlich.~ Ohne Einverständnis oder Reaktion abzuwarten beschattete sich Naomis Blickwinkel, als senkten sich ihre eigenen Augenlider, auf ihren Ohren stöhnte Lavieenrose in ihrem Kuss, Finger streichelten in detaillierter Genauigkeit feuchte Spuren. Lavieenroses Mund glänzte, tauchte hinab, die Welt drehte sich und Naomi begriff, dass sie auf dem Rücken lag. »Guter Gott...« Ihre Finger reagierten, wählten Optionen auf dem Touchpad. Sie sah ihre Finger über die bloßen Arme der anderen Spielfigur streichen, die flammend roten Haare zerwühlen. Lavieenroses Kopf wanderte unterdessen tiefer, zog das Unterkleid mit sich, das nun Naomis Aktionsradius wegen der knebelnden Träger einschränkte. Hitzewellen schauerten über ihre Haut hinweg, bald klebte der Pyjamastoff, während an der Wand dunkle Augen funkelten, bevor sich ein kirschrot geschminkter Mund um eine Brustwarze schloss. Eine Zungenspitze die Haut beleckte, aus einer Perspektive, die Naomi nur zu real erschien. Mit klopfendem Herz knöpfte sie mit der freien Hand ihren Pyjama auf, streifte beide Seiten auseinander. Sie war erregt, und nun spielte es keine Rolle mehr, ob sie sich treiben ließ oder schamhaft abbrach. Dem virtuellen Vorbild folgend leckte sie über die Fingerspitzen ihrer freien Hand, feuchtete ihre Brustwarze an, verteilte den Speichel, rieb die sich dunkel tönende Spitze. Lavieenrose stöhnte in ihrem Ohr lustvoll... war es ein virtuelles Geräusch, oder hatte Lavieenrose auf das Mikrophon umgeschaltet? Naomi keuchte leise, strich sich über das Brustbein bis hinab zum Nabel, wo ihre virtuelle Gestalt mit feuchten Küssen stimuliert wurde. Sie streifte rasch ihrer Mitspielerin das Unterkleid über den Kopf, zerwühlte die Haare, massierte mit den Handinnenflächen Lavieenroses Brüste. Man konnte die Haut erkennen wie bei einem veritablen Menschen, feinporig, mit leichten Feuchtigkeitsfilm versehen, winzige Härchen tanzten im Zwielicht. »Oh mein Gott...«, murmelte Naomi, steigerte ihre Bemühungen an den eigenen Brüsten. »Du musst eine Hand freilassen«, trieb eine Empfehlung durch ihren Kopf. Lavieenrose küsste sie, die Decke wurde dunkel, als schließe Naomi selbst die Augen, doch die Geräuschkulisse verließ sie nicht. »Mikrophon«, befand Naomi, aktivierte die Option. Nun würde "Nana" mit künstlicher Stimme Naomis Äußerungen übertragen. Sie streichelte über Lavieenroses Hüften, ihren prallen Po, atmete heftig in das leicht gerötete Gesicht, las das Verlangen in den großen, dunklen Augen. Die Zunge, die über die glänzenden Lippen strich, mit ihrem unverwüstlichen Lippenstift. Lavieenrose lächelte hungrig, entfernte sich dann langsam von Naomi, öffnete mit den Zähnen das Mieder oberhalb der Unterhose, bevor sie diese langsam über Naomis Beine hinunterstrich. Naomis Beine anwinkelte, die eigenen flammend roten Haare hinter die Ohren mit den Perlsteckern kämmte. Die Lippen zu einem perfekten O formte, zwinkerte und in Naomis Schritt hauchte. "Ahhhh!", entfuhr es Naomi unwillkürlich und in ihren Ohren echote ihre Reaktion. »Sie wird doch nicht...?!« Doch Lavieenrose tat. Sie senkte den Kopf zwischen Naomis Beine, bewegte diesen in eindeutiger Weise, die nur zu genau beschrieben, was sich darunter tat. Dass sie mit ihrem kirschroten Lippenstift und der gelenkigen Zunge über Naomis Schamlippen strich, dann ein neues Ziel in Angriff nahm. Naomi stöhnte von heftigen Schauern zitternd, streifte mit einer Hand ihre Pyjamahose hastig herunter, stellte das linke Bein auf der Armlehne ihres Sessels auf. Vor ihren Augen tanzte die Zimmerdecke in Chicago, das Schattenspiel unter dem Ventilator, gleichzeitig ihre eigene Zimmerdecke, der flammendrote Schopf. Sie musste ihre Finger nicht benetzen, um selbst Hand anzulegen, mit der Fingerspitze die empfindliche Klitoris zu bestreichen. In ihren Ohren hörte sie Lavieenrose erstickt lecken, sie selbst aber keuchte und stöhnte, wand sich, als die Wellen der Erregung stärker wurden. Ihre Beine auseinander drückten, anschwellendes Fleisch ringförmige Spasmen aussandte, ihren Körper schlangengleich katapultierte, sie durchzuckte. Naomi atmete heftig, blinzelte aus halb geschlossenen Augen. Es kostete sie Kraft, den Kopf, den sie auf eine Schulter gewandt hatte, wieder der Wand zuzukehren. Zwischen ihren Beinen trocknete Flüssigkeit, doch die Schauer der Erregung hatten sich noch nicht lange verabschiedet. Lavieenrose küsste ihre virtuelle Spielfigur, wischte klebrige Ponysträhnen aus der Stirn. ~Lavieenrose: Lass uns jetzt nicht aufhören, Nana.~ Blinzelnd schluckte Naomi mehrfach. Hatte Lavieenrose eigentlich begriffen, was gerade geschehen war? »Verdammt, bin ich wirklich so einsam...?« Sie spreizte die Beine ein wenig weiter, um die leichte Erregung des abkühlenden Sekrets zu genießen. ~Nana: Sag mir, was Du Dir wünschst.~ Ihre Stimme war belegt, die ihres virtuellen Pendants lasziv, säuselnd. »Auf diese Weise scheint Cunnilingus geradezu unkompliziert und schamfrei...« Auf der Wand kehrte sich Lavieenrose ab, das Unterkleid hing auf ihren Hüften, die Brüste schwangen leicht, als sie sich wieder herumdrehte. Einen nicht besonders zeitgemäßen Vibrator vorzeigte. ~Lavieenrose: Würdest Du?~ Naomi seufzte leise, »hoffentlich gibt es Menühilfen, ohne dass alles zu einer klinischen Bedürfnisbefriedigung mutiert.« Sie hob der kindlich vor ihr mit ausgestellten Beinen knienden Lavieenrose das Unterkleid über den Kopf, befreite sie von Strumpfhaltern, Strümpfen und der Miederhose. »Wirklich hübsch gestaltet«, komplimentierte sie die Dienstleister, die Schattierung der Haut, die gelockte Behaarung, nicht zu naturalisierend, nicht zu stilisiert. Naomi wies ihre virtuelle Persönlichkeit an, Lavieenrose auf die Kissen zu betten, dann begann sie, die gesamte Gestalt mit Küssen zu bedecken. Es hieß nun zu ersinnen, was ihr selbst behagte, was sie sich wünschte, sie erregte,-und zu hoffen, dass Lavieenrose ebenso empfand. ~Nana: Du bist wunderschön, und Du riechst so verführerisch.~ Ihre Spielstimme intonierte diese Worte zärtlich, liebevoll. Es war so anders, in dieser Perspektive über einen Körper zu gleiten, so viele Erhöhungen und Vertiefungen zu erfahren. Naomi wies den Assistenten an, ihre Hand stützend um eine Brust zu legen, bevor sie an dieser zu saugen begann, was geschickt durch sich hebende Hautpartien transferiert wurde. Lavieenrose stöhnte im Rhythmus ihrer Saugtätigkeit an ihr Ohr, stellte jede Reaktion ein. »Jetzt höre ich nicht auf...« Rauschhaft verschmolz sie mit der virtuellen Realität auf der Zimmerwand, rieb mit den Fingerspitzen in Lavieenroses Schritt, während sie die andere Brust in Angriff nahm. Die Laute in ihren Ohren waren nun eindeutig und nicht mehr computergeneriert. »Gleich hab ich sie..« Aber wie den Vibrator ins Spiel bringen, ohne die Atmosphäre zu zerstören? Naomi leckte sich die Lippen, küsste den Bauchnabel, drängte dann mit den Schultern Lavieenroses Beine weit auseinander. Wählte den Vibrator an, der ihre Finger ersetzen sollte, studierte mit Herzklopfen die Optionen. "Manuelle Stimulation." »Lass es funktionieren...« Auf der Wand konnte sie Lavieenroses Spielfigur erkennen, die in den Kissen lag, die Augen geschlossen, heftig atmend, zerwühlte Haare und Hände, die sich in die Kissen klammerten. Der richtige Rhythmus... Naomi legte eine Hand auf die Option des Touchpads, begann dann, sich selbst zu streicheln, erneut die Regionen zwischen ihren Beinen zu erregen. Es ging schneller als beim ersten Mal, weil sie nun die Augen schloss, sich von allen Hemmungen befreite. Im Rhythmus, der immer schneller ihren Körper durchzuckte, auf die Option "manuelle Stimulation" presste, den eigenen Impuls weitergab. Lavieenroses Lustschreie mischten sich mit ihren, dann glaubte sie, ein leichtes Summen zu vernehmen, lächelte fiebrig bevor sie entschlossen ihren eigenen Orgasmus betrieb. Ermattet, klebrig, sich sündig und gleichzeitig grandios fühlend, lehnte Naomi in ihrem Sessel. Ließ ein Bein müßig über der Lehne baumeln. »Beim nächsten Mal Taschentücher«, ermahnte sie sich feixend. Auch Lavieenrose war still, hatte wohl das Mikrophon vergessen, denn ihre Atemzüge wehten durch Naomis Kopf. »Und sie hatte wirklich einen Vibrator...« Naomis Wangen färbten sich ein. ~Nana: Geht es Dir gut?~ Es währte einige Augenblicke, bis das Mikrophon ausgeschaltet war und die Reaktion erfolgte. ~Lavieenrose: Das war einfach atemberaubend.~ ~Nana: So hat es sich auch angehört.~ Sie studierte die Spielfigur, die ihrer eigenen nun gegenüberlag, nackt, lächelnd, malerisch dahingegossen. ~Lavieenrose: Lass es uns wieder tun, Nana.~ Naomi lächelte, wedelte sich mit der freien Hand Luft zu. ~Nana: Aber nicht mehr heute. Ich brauche eine Dusche.~ ~Lavieenrose: Wirst Du morgen da sein?~ ~Nana: Das werde ich.~ ~+#@#+~ Von dieser denkwürdigen Nacht an veränderte sich Naomis Betrachtungswinkel auf die Welt. Es erschien ihr keineswegs anstößig, auf diese Weise Befriedigung zu finden. Zudem fieberte sie jedem Treffen mit Lavieenrose entgegen, erwog neue Orte und Möglichkeiten. Hatte jede Nacht...Sex? Langsam verschoben sich die Grenzen. Naomi erwähnte mit reizvollem Prickeln, dass sie meist nackt auf ihrem Sessel auf Lavieenrose wartete. Erfuhr von ihrer Partnerin, dass diese sich in das Wohnzimmer zurückzog, entkleidete und auf der geerbten Couch ihrer Eltern 'spielte'. Beiläufig ergaben sich Augen- und Haarfarbe, Vorlieben bei Bekleidung und Zeitvertreib. »Beinahe so, als wären wir Freundinnen«, doch Naomi wusste nur zu gut, dass es eine Illusion war. Aber eine bestimmende, hartnäckige. Viereinhalb Wochen ohne Unterlass. ~+#@#+~ Naomi wartete. Mit wachsender Unruhe. Sie fröstelte leicht nach einem anstrengenden Tag und hätte gerne eine wärmende Umarmung sexuellen Aktivitäten vorgeschaltet, doch von Lavieenrose gab es keine Spur. »Wo bist du? Warum kommst du nicht?« Nach einer Stunde hinterließ sie, enttäuscht und zusammengekauert, eine Nachricht. ~+#@#+~ »Sieben ganze Tage...« Naomi saß mit angezogenen Beinen auf ihrem Sessel. Sie hatte sich an Lavieenroses Stimme gewöhnt, ihre Ideen, die kurzen Gespräche, die übereinstimmenden Sehnsüchte. Nun hatte sie ein ganzes Kaleidoskop von Empfindungen durchlaufen, die eine matte, erschöpfte Frau zurückließen. Zorn. Ignorieren der Situation. Verweigerung. Trauer mit Heulkrämpfen. Zwanghafte Fröhlichkeit. Hektische Betriebsamkeit. Hysterische Suche. Aber wie sollte sie jemanden finden, der nicht mehr als eine virtuelle Existenz war? Sie hatte keine Nummer, keine Adresse. Keinen Namen. Die Suche in Foren, die möglicherweise Lavieenroses Interesse gegolten haben konnte, sogar der Kontakt zu dem >Ungeheuer<: ohne Ergebnis. Heute wollte sie nicht reden, nur der Musik lauschen, auf eine Tanzfläche starren und sich ausgeschlossen, missachtet und ungerecht behandelt fühlen. »Dumme Kuh, du führst dich auf wie in einer Seifenoper! Als ob man dich verlassen hätte, dabei war alles nur ein Spiel. Ein Spiel, begreif das endlich! Nicht REAL!!« Natürlich nur ein Spiel, mit zwei Akteuren, die Figuren bewegten. Doch die emotionale Bindung war nicht von der Hand zu weisen. »Und wenn ihr etwas zugestoßen ist?« »Dann kannst du auch nichts tun«, beschied der vernünftige Teil von Naomis Persönlichkeit. »Außerdem wird es höchste Zeit, dass du dich von dieser Besessenheit verabschiedest.« Aber wohin? Das Spiel der >1001 Phantasien< hatte sich in ihrer Wahrnehmung verändert, der Kitzel der unbegrenzten Möglichkeiten und Abenteuer seinen Reiz verloren. Und was sollte sie nun mit sich anfangen? Auf die 'liebe Familie' hören und in der realen Welt den verminten Hindernisparcours bis zu einer weiteren Beziehung beschreiten, die auch an der Unvereinbarkeit von Lebenserwartungen scheiterte? Naomi tippte eine letzte Nachricht. ~Nana: Ich will Dich treffen. Im RL. Melde Dich.~ ~+#@#+~ Zwei Wochen später, noch im Schatten der verlorenen Seelenverwandten, loggte sich Naomi wie gewohnt ein. Sie hatte eine virtuelle Verabredung mit einem Bekannten, der sich angeboten hatte, ein winziges Ferienappartement zu vermitteln. »Einfach mal ausspannen und weg von dieser traurigen Angelegenheit!« In einem der unzähligen Clubs konnte man sich unterhalten, Nachrichten und Daten austauschen. Naomi kaute gesalzene Erdnüsse, wartete auf ihren Kontakt. Dann erhob sie sich, wechselte in die kleine Küche, füllte ein Glas mit Apfelwein, kehrte zurück. An ihrer Wand prangte eine eingekreiste Botschaft. ~Lavieenrose: Ich will Dich auch sehen. Aber ich habe Angst. Ich schäme mich. Was soll ich tun?~ Naomi hetzte zu ihrem Sessel, tippte eilig. ~Nana; Das geht mir nicht anders. Trotzdem. Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende.~ »Sehr feinfühlig«, kritisierte sie sich selbst, in der Eile mangelte es ihr jedoch an passenderen Worten. ~Nana: Also, in welcher Stadt treffen wir uns?~ ~Lavieenrose: In K.~ ~Nana: Einverstanden. Am kommenden Samstag kann ich.~ ~Lavieenrose: Samstag, gegen Mittag?~ ~Nana: Und wo?~ ~Lavieenrose: Ich schicke Dir einen Stadtplan.~ ~Nana: Ich werde eine rote Umhängetasche mit grauen Elefanten tragen.~ »Scheußliches Ding, aber ein Unikat.« ~Lavieenrose: Dann sehen wir uns. Bis dann, Nana.~ "Hey!!" ~Nana: Warte doch!!~ Ungerührt meldete der Assistent Lavieenroses Ausloggen mit der Hinterlassenschaft einer Datei. Missmutig dirigierte Naomi sie an ihren persönlichen Organisator, notierte die Terminabsprache gleich mit. Dass sie ihr Kontakt versetzte, bedeutete ihr nicht mehr sonderlich viel. ~+#@#+~ Die verstreichenden Tage erwiesen sich so dehnbar und klebrig wie Kaugummi. Mit jedem Augenblick steigerte sich Naomis nervöse Spannung. Sicher würde sie Stresspickel entwickeln, aufgehen wie ein Hefeteig, ihre Haare mal wieder ein Stachelschwein beschämen. Dreimal sortierte sie andere Kleider aus, packte um, suchte nach dem Ticket, nagte an ihrem Daumen. Schließlich konnte sie aufbrechen, in der Aufmachung, die sie regelmäßig zur Arbeit trug, die Tasche als Erkennungszeichen umgehängt. Die Zugfahrt würde einige Zeit in Anspruch nehmen, also stöpselte sie die Einwegkopfhörer ein, wählte Musik und schloss die Augen. ~+#@#+~ »Kiss You All Over« (Michael Chapman/Nicholas Chinn) When you get home babe, gonna light your fire All day I've been thinking about you babe you're my one desire Gonna wrap my arms around you and hold you next to me Oh, baby wanna taste your lips I wanna be your fantasy Yeah I don't know what I'd do without you babe don't know where I'd be You're not just another lover no you're everything to me Every time I'm with you baby can't believe it's true When you're laying in my arms and you do the things you do You can see it in my eyes I can feel it in your touch You don't have to say a thing just let me show how much Love you Need you Yeah babe I wanna kiss you all over, all over again I wanna kiss you all over Till the night closes in, till the night closes in Stay with me, lay with me, holding me, loving me baby Here with me, near with me, feeling you close to me baby So show me, show me everything you do Cause baby no one does it quite like you Love you Need you Yeah babe I wanna kiss you all over, all over again I wanna kiss you all over Till the night closes in Till the night closes in Till the night closes in ~+#@#+~ Der Song grub sich mit Widerhaken in ihrem Kopf ein, als Naomi den Zug verließ, den Wegweiser in ihrem persönlichen Organisator aktivierte und sich dirigieren ließ. Sie hatte diese Stadt vor einigen Jahren einmal besucht, ohne dass sich nennenswerte Erinnerungen damit verbanden. Der Treffpunkt stellte sich als öffentlicher Park mit einigen Statuen heraus, bevölkert von Studenten, Pärchen und Familien mit Kindern. Es war laut, lebendig und auch voll. »Gute Kulisse, um bei Nichtgefallen sofort unterzutauchen.« Naomi konsultierte ihre Uhr. Musste Lavieenrose auch anreisen? Wie würde sie wohl aussehen? Sie behielt die Frauen ihrer Umgebung im Auge, hoffte, Lavieenrose genauso rasch zu erkennen wie diese sie. »Am Schreck vermutlich.« »Danke, liebes Selbstbewusstsein, mir ist schon latent übel!« Als Naomi sich umwandte, die Arme vor der Brust verschränkt, sprach sie jemand von hinten an. Leise, zögerlich. "Entschuldigung... Nana?" Naomi fegte herum, lief dunkelrot an, krächzte. "Äh...Lavieenrose?" Vor ihr stand eine zierliche Frau mit einem einfallslosen Pagenschnitt, einem fahlen Blümchenkostüm zu halbhohen Pumps. Müde Augen, ein blasser Teint, Lipgloss auf aufgesprungenen Lippen. »Du liebe Güte....« "Hallo", wohlerzogen streckte Naomi die Hand aus, drückte die kleine Hand behutsam. "Können wir uns bitte setzen? Ich fühle mich nicht so gut." »Das ist nicht zu übersehen.« Naomi übernahm, ohne bewusste Entscheidung, die Führung, hängte sich bei Lavieenrose unter, steuerte eine Bank an, die aufgrund des dichten Gebüschs nicht frequentiert wurde. "Ist es die Hitze? Kreislaufprobleme?", erkundigte sie sich mitfühlend. »Das ist meine feurige, wilde Liebhaberin? Du liebe Güte...« Lavieenrose setzte sich, legte den Kopf auf die Knie, atmete konzentriert. Unwillkürlich legte Naomi die Hand auf den schmalen Rücken, streichelte beruhigend darüber. "Verdammt", drang es vernehmlich an ihre Ohren. Naomi blinzelte. "Was ist?", erkundigte sie sich. "Ich schäme mich", erklang gedämpft von unten. »Prima«, Naomi summte besänftigend, starrte in die umtriebige Landschaft voller quirliger Menschen. "Wofür denn?", erkundigte sie sich höflich. Lavieenrose tauchte aus der horizontalen Versenkung auf, lehnte sich zurück gegen die Lehne der Parkbank, schlüpfte aus ihren Pumps. "Ich habe die ganze letzte Woche seit unserem Gespräch Magen-Darm-Grippe gehabt. Dann einen Panikschub, woraufhin ich diese Klamotten aus dem Secondhandladen gekauft habe. Ich weiß auch nicht..." "Ich schon", stellte Naomi fest, fischte ein Taschentuch aus ihrer Umhängetasche, umfasste diktatorisch Lavieenroses Kinn, um energisch den Lipgloss zu vertreiben. "Entschuldige, aber das konnte ich einfach nicht tolerieren", erläuterte sie bündig. Lavieenrose blinzelte. Dann lachte sie, so, wie Naomi es bereits kannte, ein wenig rau, kehlig. "Warum hast du dich nicht angezogen wie sonst auch?" Erleichterung löste den Ring der Anspannung um Naomis Brustkorb. "Ich dachte, es wäre zu flippig. Ich meine, ich bin Mitte Dreißig und..." Lavieenrose hielt inne, als sie Naomis herabsinkenden Unterkiefer registrierte. "Wirklich?!" "Na ja, heute sehe ich wohl aus wie neunzig, aber..." Lavieenrose zuckte verlegen die Schultern, "ich schätze, ich wollte dich nicht gleich abschrecken." Inzwischen hatte Naomi sich wieder gefasst. "Mich hat erschreckt, dass du dich nicht mehr gemeldet hast", versetzte sie spitz. Lavieenrose seufzte neben ihr, legte die Hände auf die Knie. "Ich weiß ja", gestand sie ihre Verfehlung ein. "Also?!", schnaubte Naomi empört, eine Erklärung würde ja wohl nicht versagt bleiben. Lavieenrose musterte sie von der Seite stumm, aber eingehend. "Ich war nicht sicher, ob ich mich an Männer oder Frauen halten soll. Das war zu verwirrend, was ich einfach in meinem Alter nicht erwartet habe." Die schmalen Schultern zuckten verlegen hoch. "Ach ja?!", explodierte Naomi, schraubte sich in die Höhe, die Fäuste geballt, "denkst du, für mich war das ein Spaziergang durch den Park?!" Lavieenrose zog zwar den Kopf ein, wich jedoch der Anklage nicht aus. "Tut mir leid", entschuldigte sie sich ruhig. "Na klasse", Naomi plumpste ungraziös auf die Bank zurück. "Und warum wolltest du mich sehen?", nun erwies sich Lavieenrose als Bluthund. Naomi befand, dass ein wenig Realität in groben Portionen angemessen war, sogar dringend erforderlich. "Ich wollte endlich Gewissheit haben. Wenn ich schon abserviert werde, dann bitte persönlich, damit ich es hinter mich bringen kann." "Ich wollte dich gar nicht abservieren!", nun begehrte Lavieenrose auf. "Denkst du denn, dass das ewig so weitergehen kann?", zischte Naomi ihre Replik. "Ist ja auch lächerlich, unter Millionen Menschen den passenden in einem Chat zu finden! Ich meine, wir wissen ja gar nichts von einander! Ich habe keine Ahnung, wie du aussiehst", ereiferte sich Naomi. "Ich sitze doch neben dir." "Dann kenne ich deinen Namen nicht", Naomi war in Fahrt, nichts würde sie nun aufhalten. »Reiner Tisch, pronto!« "Ich heiße Liza." "Beruf, Familienstand, Zukunftsaussichten, Lieblingsspeise, Träume", Naomi tippte Fingerspitzen an, während Liza neben ihr beinebaumelnd den Ausbruch verfolgte. "Rechtspflegerin, geschieden, mau, Makaroniauflauf, Reihenhäuschen am Stadtrand", half sie aus. Naomi schnaubte, das tat alles nichts zur Sache. "Außerdem hat jeder seinen eigenen Lebensmittelpunkt, da, wo er respektive sie gerade lebt. Und sicherlich ganz eigene Vorstellungen von einem Partner,- oder Partnerin", setzte sie empört hinzu. Liza seufzte, reichte ihr Zugticket weiter und lupfte den Pagenschnitt. Eine Perücke, unter welcher ein hübsch geformter Schädel mit einer aparten Drachentätowierung zum Vorschein kam. Mit einem Ächzen entglitt Naomi die Zugkarte. "Ach du Scheiße", entfuhr es ihr fassungslos. "Nein, eine seltene Stoffwechselkrankheit", korrigierte Liza ungerührt, stopfte die Perücke in ihre Handtasche und fischte Naomis Zugticket heraus. "Sieh mal einer an... wir sind fast Nachbarn", stellte sie leise fest. Dann hob sie den Blick, lächelte Naomi an. "Ist das nun dein Ende mit Schrecken?", erkundigte sie sich mit wehmütiger Ironie. Naomi zögerte. Ihre rechte Hand zuckte. "Darf ich?", schon wagte sie sich aus der Deckung. Liza blinzelte, nickte dann, "mal anfassen? Sicher." "Wow", murmelte Naomi, strich über die seidig glatte Haut, "wow." "Darf ich auch?" In Lizas Augen blitzte der Schalk. "Was denn?", ein irritiertes Augenbrauenlupfen. Doch Liza wartete keine Einwände ab, platzierte ihre Lippen hauchzart auf Naomis. Um sich höflich wieder zurückzuziehen. "Ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt", erklärte sie. "Und das ist alles?!", nun wechselte sich Empörung mit Scham ab, "das ist deine Entscheidungsgrundlage? Du willst mir doch nicht erklären, dass das ein Kuss war?!" Naomi beugte sich hinüber, die Hände auf Lizas Schultern, »so nun aber nicht, junge Dame! Ehre, wem Ehre gebührt!« Es währte eine Weile, bis sie sich zurückzog. Lizas Hände lagen auf ihren Oberarmen. Sie musterten sich erhitzt, verlegen, stumm. "Das Kleid ist grässlich!", platzte Naomi zeitgleich heraus, während Liza bemerkte, "deine Hose sitzt zu eng." Beide schnaubten. "Wenn wir uns nun im Halbdunkel ausziehen würden, hätten wir eine Chance? Rein akademisch betrachtet natürlich?", ergriff Naomi das Wort, zupfte an der Hose herum. »So ein Mist.. sie hat Recht...« "Definitiv", Liza erhob sich, wischte an dem rettungslosen Kleid herum. "Da ist ein Café, und ich brauche jetzt etwas Eiskaltes", erklärte Naomi entschlossen, schritt energisch aus. Sie wusste, dass Liza ihr folgen würde. Ihre Neugierde war noch nicht gestillt und vielleicht würde ja ein Funken überspringen? ~+#@#+~ Liza löffelte an ihrem Eisbecher herum, leckte über die Schöpffläche. Beobachtete Naomi, deren Gesicht eine dunklere Tönung aufwies, während sie hastig aus dem Fenster starrte. "Entschuldige mich einen Moment", murmelte Naomi, floh zur Toilette. Ließ dort Wasser über ihre Handgelenke laufen. »Du bist so eine blöde Nuss!«, tadelte sie sich selbst, »starrst sie an wie ein Hornvieh!« »Sie hat mich provoziert«, sprang die Verteidigung in die Bresche, »ich meine, die Art, wie sie den Löffel abgeleckt hat und dann mit der Zunge über die Lippen...« In Naomis Unterleib zuckte es verräterisch. "Scheiße", murmelte sie leise. Vor ihrem inneren Auge konnte sie sich nur zu gut die von der Kühle rötlich gefärbten, feuchten Lippen vorstellen, die über ihre Brustwarzen kreisten, saugten... Sie zuckte zusammen, als sich im Spiegel Liza hinter ihr materialisierte. An der Hand gefasst schob sie Naomi in eine der Kabinen, verriegelte die Tür. »Das können wir doch nicht...« Aber die Lokalität war nicht sonderlich frequentiert, das Licht gedämpft. Liza zog Naomi zu einem leidenschaftlichen Kuss heran, während ihre Finger Naomis Hose öffneten, sich in den Schritt schoben. Mit einem Keuchen wich diese zurück. "Setz dich", wisperte Liza heiser, zerrte die Miederhose herunter, die einen wesentlichen Teil von Naomis Figur bändigte. Naomi sackte auf die Toilettenbrille, einfach, weil ihre Knie bereits weich waren, Ameisen mit Eisbeinen in ihrem Körper randalierten. Sie atmete schneller, als Liza ihr Kleid hochschob, den Tanga darunter aufknöpfte. »Liebe Güte, es gibt wirklich jemanden, der die Dinger trägt?« Weiter kam Naomi nicht, denn Schneeschmelze flutete gestandene Gedanken hinweg. Mit einer Hand fasste sie um Liza herum, zwischen ihren Beinen hindurch, rieb über die Pofalte, während ihre Finger nach vorne vordrangen. Liza stöhnte und winselte lustvoll in Naomis Mund, die die Geräuschkulisse dämpfte, sich kreisend bewegte, zurücklehnte, Lizas Arme um ihre Schultern gewunden, während sie selbst ihre Muskeln spielen ließ. Mit geschlossenen Augen ihren Orgasmus vorantrieb, geübt und befreit. Ihre Umgebung trat in den Hintergrund, mögliche Ohrenzeugen, Scham und Unsicherheit. ~+#@#+~ Sie saßen nebeneinander im Zug, Lizas Kopf ruhte auf Naomis Schulter. Leise Geräusche drangen hinüber, kündeten von dringend erforderlicher Erholung. Naomi klappte ihren persönlichen Organisator auf, tippte unter das Tagesdatum. [Das war das Verrückteste, Frivolste, Geilste, was ich jemals gemacht habe. Mir auf einer Toilette von einer anderen Frau einen Orgasmus verschaffen zu lassen. Männer machen so was ja angeblich ständig. Jetzt verstehe ich auch, warum.] Es war noch nicht sicher, wann sie Liza wiedertreffen würde. Ob zuerst im virtuellen Raum oder im realen Leben. Das Risiko jedoch war es wert. ~+#@#+~ Game OVER ~+#@#+~ Danke für's Lesen! kimera