Titel: Köder für die Bestie Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Halloween 2006 Erstellt: 31.10.2006 Disclaimer: »Ein Köder für die Bestie« ist der deutsche Titel des amerikanischen Spielfilms »Cape Fear« von 1962, hat mit dieser Geschichte aber nichts zu tun. Der Text zu »Der Streit zwischen Phoebus und Pan« wurde von Christian Friedrich Henrici, Künstlername Picander, nach den Metamorphosen von Ovid verfasst, vertont in der Kantate »Geschwinde, ihr wirbelnden Winde«, BWV Nr. 201 von Johann Sebastian Bach. Anmerkung: mehr zum Ort der Handlung kann in "Oh Du Gruselige" und "Der Geist des Kürbis" nachgelesen werden. #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> #~~~~~> Köder für die Bestie Kapitel 1 - Eine fatale Begegnung Sie waren nicht gerade im besten Zustand: durch die Sonneneinstrahlung aufgedunsen, rasch für eine Viertelstunde in den Kühlschrank verbannt, um nun als Proviant in seinen klammen Händen zu enden. Michael warf einen mitfühlenden Blick auf die Gummibärchen, die so blass, unförmig und bedauerlich abgenutzt wirkten in ihrer zerknitterten, abgeschabten, ausgebleichten Tüte. Er fühlte sich genauso. Um sich abzulenken, warf er einen Blick aus dem zerkratzten Fenster, ignorierte das stete Klappern eines in der Führung verklemmten Segments, das im wahrsten Sinne des Wortes Zugluft verursachte. Jenseits des Waggons zogen gemischte Laubwälder vorbei, bereits in ein dichtes, grünes Gewand gehüllt. Für ihn, der den größten Teil seines Lebens in einer Großstadt verbracht hatte, wirkte dieses endlose Band an Vegetation beinahe einschüchternd. Natur war keine Erfahrung seines täglichen Lebens, sah man von den übersichtlichen Erscheinungsformen des urbanen Dschungels ab. Seine Linke juckte. Er stopfte die bedauernswerten Gummibärchen in ihrem Tütengefängnis in eine Jackentasche, um mit der Rechten einen flachen Eisstiel unter den Gips zu schieben. Natürlich erreichte er die juckende Stelle nicht. Aber, so tröstete er sich, wenigstens lenkte das Schaben des Holzstäbchens über der eingemauerten Haut ab. Ablenkung war etwas, das er dringend benötigte. Leider erinnerte ihn der Wunsch nach Zerstreuung daran, dass er vergessen wollte, ES doch leider zu genau vor Augen hatte. Er zog die Schultern zusammen, umarmte seinen vollgestopften Rucksack ungelenk, blickte aus dem zerkratzten Fenster ins Leere. »Sie hat sich nicht verabschiedet.« Der Schmerz über diesen Gedanken huschte mit eisiger Klaue über seinen gesamten Körper, löste eine lähmende Verspannung aus. Bis zuletzt hatte er ausgeharrt, gehofft, die Gardine am Fenster im fünften Stock angestarrt, mit seinen Blicken förmlich versengt. Sich so sehr fixiert, dass ihm der Kopfschmerz Wasser in die Augen trieb. Meike hatte ihm nicht nachgesehen, kein Wort mit ihm gesprochen. Michael lehnte den Kopf gegen die unbequem robust gepolsterte Rückwand, ließ sich vom Stakkato der Schienen durchrütteln. »Nicht nur mein Arm ist gebrochen.« Dachte er apathisch. »Auch mein Herz.« Ein Herz, das sich schwer und taub zugleich anfühlte, als wäre es schockgefroren worden, nicht mehr als ein gewaltiger Block aus Eis. Seine Mutter hatte ihn natürlich abzulenken versucht, auf ihre lebhafte, unruhige Art und Weise. Sie klapperte mit dem Schlüsselbund, löste ständig die ferngesteuerte Verriegelung aus, klopfte mit der versehrten Gummibärchentüte gegen ihren Oberschenkel, trat von einem Bein auf das andere. Wie gewohnt hatte sie ihn zur Eile angetrieben, immer auf dem schmalen Grat zwischen "letzte Minute" und "zu spät" balancierend. Er fuhr nicht gern mit ihr im Auto ohne Meike. Sie war hinter dem Steuer hektisch, redete pausenlos, während ständig der Radiosender wechselte, bremste zu stark, suchte die schmalsten Lücken, gestikulierte wild, drehte den Kopf, als müsse sie sich einen Panoramablick verschaffen. Michael konnte seine Nervosität selten unterdrücken. Darum hatte er gewöhnlich neben Meike auf der Rückbank gesessen. Ihre Hand hielt seine vertraulich fest, während dieses herausfordernd-spöttische Lächeln auf ihren Lippen tanzte. Es hätte ihn nicht gekümmert, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, solange sie bei ihm saß, seine Hand hielt. Diese Rettungsleine war durchtrennt, so, als hätte es sie nie gegeben. Nun schwamm er richtungs- und steuerungslos in einem Ozean des Ungewissen, wusste sich keinen Rat mehr. Oder einen Grund, warum er überhaupt diese Qual auf sich nahm. "Es wird bestimmt prima da!" Die Worte seine Mutter schossen ihm durch den Kopf, als er sich auf das Ziel seiner Reise besann. "Das Geld haben wir schließlich auch aufgebracht! Den Führerschein wirst du ohnehin erst mal verschieben müssen, also ist es eine gute Investition." Die Finger seiner Linken zuckten. Es spielte keine Rolle mehr. Er hätte ohnehin nicht Auto fahren wollen. Es gab keinen Ort, an den es ihn zog. Unter dem Gips juckte es wieder. Michael zog den Ärmel länger über die blanke, weiße Oberfläche, bis er das Bündchen in der zusammengekrümmten Hand klammern konnte, schloss die Augen. #~~~~~> Kurz vor Weihnachten. Meike hängte sich bei Michael ein, lenkte ihre Schritte lachend im Pulk ihrer Freunde zu einer weiteren Bude. Michael wandte den Kopf, zwinkerte verschwörerisch. Der Geruch von gebrannten Mandeln stieg ihm in die Nase. Er wusste nur zu gut, dass seine knapp ein Jahr ältere Schwester unmöglich an dieser Bude vorbeigehen konnte, ohne nicht mindestens eine Tüte zu kaufen. Sie feixte frech, wischte sich mit einem bunt geringelten Handschuh die weich fallenden, dunkelblonden Locken aus dem Gesicht, präsentierte die von Freude und Gewürzpunsch geröteten Wangen. Vor einem Monat hatten sie ihren achtzehnten Geburtstag in einem Saal des Sportvereins gefeiert. Seit diesem Zeitpunkt durfte sie offiziell Alkohol trinken, mit Billigung ihrer Mutter, dem strengen Maß aller Dinge. Michael, der sich noch unter der magischen Datumsgrenze bewegte, fühlte sich weniger ausgeschlossen im Kreis von Meikes Freunden, wenn er beobachten konnte, wie sie nun begeistert mit den anderen mithielt. Es war nicht einfach, zwei Kinder allein zu erziehen, das hatten sie beide begriffen. Dass es deshalb eine Anzahl fester Regeln gab, schließlich auch. Hinzu kam, dass nicht nur der Liebe Gott alles sah, sondern auch ihre Mutter, zusätzlich noch mit einem Gespür für Verbotenes ausgestattet wie ein Bluthund. Nun endlich, volljährig und erwachsen, konnte Meike sich also in das Abenteuer Leben stürzen. Mit gelockertem Vollzug mütterlicherseits, was die Ausgangs- und Verabredungsregeln betraf. Wenn Michael Meike begleitete, schien an dieser Front ohnehin wenig Gefahr zu bestehen. Sie wollte ihm kein schlechtes Gewissen verursachen, indem sie ihn zum Mitwisser bei Verstößen gegen die Hausregeln machte. Dieser erste Weihnachtsmarktbesuch ohne strenge Auflagen gefiel ihm sehr. Alle amüsierten sich, scherzten, freuten sich auf die bevorstehenden Ferien. Michael blieb immer in Meikes Nähe. Ihre Freunde hatten ihn wie eine Art Maskottchen adoptiert, nach anfänglichen Zweifeln akzeptiert, dass er immer dabei war, auch wenn er zu einem anderen Jahrgang gehörte. Außerdem tendierte er ohnehin zum stillen Genießer, sorgte auf diese Weise dafür, dass sich andere wohlfühlten. Im Festzelt beschloss die Clique einstimmig, bis zur elterlichen Sperrstunde noch eine kleine Mahlzeit anzuhängen, um dem Alkohol Konkurrenz zu bereiten. Man konnte auch auf dem Tanzboden überschüssige Euphorie abbauen, Einkäufe präsentieren, sich warm schunkeln. Michael kaute an einer großen Brezel, während Meike ihm gegenüber saß und Lebkuchen naschte. Er bemerkte, dass ihr Blick über seine Schulter ging, sich auf etwas, oder jemanden?, konzentrierte. "Woah, was für ein Typ!" Wisperte sie Michael zu, darauf bedacht, die Konkurrenz nicht zu alarmieren. "Wo?" Michael lehnte sich vertraulich über den Tisch. "Zwei Bänke hinter dir! Schwarzer Mantel, blonde Haare!" Zischte Meike, richtete sich dann eilig wieder auf, um rasch potentielle Lebkuchenkrümel vom Kinn zu fegen. Michael wandte sich scheinbar beiläufig um, ließ den Blick schweifen, um das Objekt des schwesterlichen Interesses in Augenschein zu nehmen. Er fand den Mann, der Meike so gut gefiel, in einen schwarzen Webmantel gehüllt, von sehnig-schlanker Statur. Die blonden Haare waren in einem modernen Stufen-Wuschel-Schnitt um das klassisch schöne Gesicht gezupft. Sie betonten die erstaunlich dunklen, beinahe schwarz wirkenden Augen und den weich geschwungenen Mund. Michael entschied für sich, dass der Fremde mit dem markanten Kinn und der hellen Haut eine Art Modell sein musste. Ein Blick traf ihn. Der Fremde lächelte so direkt, als spiele die Distanz von zwei vollbesetzten Bänken keine Rolle. Unwillkürlich erwiderte Michael die freundliche Geste. Er wandte sich zu seiner Schwester um. "Ich glaube, er hat uns bemerkt. Er lächelt." Ergänzte er rasch. "Was nun?" "Geh mit mir zur Tanzfläche!" Kommandierte Meike, erhob sich bereits, vertraute ihre Erwerbungen der benachbarten Freundin an. Michael nahm die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. Er vermutete, dass Meike hoffte, der Fremde würde sie unkompliziert auf der Tanzfläche auffordern. Das erforderte weniger Courage, als sich vor einen ganzen Tisch der Oberstufe aufzubauen, vielleicht Spott zu ernten. Sie musste auch nicht fürchten, dass man sie und ihren wenig jüngeren Bruder als ein Liebespaar begriff: sie ähnelten einander so sehr, dass man sie manchmal für Zwillinge hielt. Beide waren durchschnittlich groß, neigten zu einem athletischen Körperbau, nicht übermäßig schlank oder schlaksig. Die dunkelblonden Locken fielen bei beiden bis auf die Schultern, sanfte Wellen und Kurven, keine dichte Krause. Sommersprossen streuselten über ihre helle, rosige Haut, setzten freche Akzente, Stupsnasen und volle Lippen, zarte Augenbrauen und dichte, kurze Wimpern komplettierten ihre Erscheinung. Wenn sich kein Spiegel in Reichweite fand, mussten sie nur in das Gesicht des anderen blicken, um sich zu erkennen. Auch ihre Gesten, das Wegstreichen der Locken zum Beispiel, ähnelten sich auffallend. Ein Tanz genügte, vertrautes Gefühl, neckendes Zwinkern in den Augen, gebleckte Zungen. Da stand er, lächelte Michael an, legte eine Hand auf seine, die auf Meikes linker Schulter ruhte. "Darf ich?" Die sonore Stimme eines Erwachsenen, kombiniert mit dem elektrisierenden Schnurren eines V-8-Motors. Michael lächelte Meike an, die sichtbar erstrahlte, verzog sich zufrieden in den Hintergrund. Er schlängelte sich durch die Paare, kehrte an ihren Tisch zurück. Es war nicht so einfach, die beiden von diesem Platz aus zu beobachten, aber er sorgte sich nicht sonderlich. Wie es schien, hatte es auch bei dem Fremden gefunkt, also wartete er geduldig, bis Meike mit dem schönen Unbekannten im Schlepptau an ihren Tisch kam. So lernte er Desmond kennen. #~~~~~> Obwohl der fast zehn Jahre älter war, entwickelte sich zwischen ihnen eine große Sympathie. Meike ließ keine Gelegenheit verstreichen, Desmond zu treffen. Gemeinsam in der Clique der Freunde konnte man ihr kaum Vorhaltungen machen. Michael, der Meikes erste Liebe nach Kräften unterstützen wollte, freundete sich schnell mit Desmond an. Der nahm keinen Anstoß daran, dass Michael eher schüchtern und schweigsam war. Er behandelte ihn wie einen eigenen, jüngeren Bruder. Zum Valentinstag plante die Oberstufe eine Schulparty. Ehrensache, dass Meike auch Desmond einlud, sie zu begleiten. Michael freute sich wie seine Schwester. Beide warteten darauf, dass Desmond endlich den entscheidenden Schritt tat. Meike hatte einen Teil ihres Ersparten in ein Cocktailkleid investiert, das ihr, wie Michael bewundernd komplimentierte, hervorragend stand. Die Locken in eine Hochsteckfrisur gewunden, einen langen Mantel gegen die Winterkälte von ihrer Mutter geliehen, wirkte sie auf ihn wie eine andere Person, geheimnisvoll, verlockend und elegant zugleich. Er lächelte, schritt besonders aufrecht aus, wünschte sich, er hätte einen Smoking, um ihr passendes Gegenstück darzustellen. So musste er sich damit begnügen, ihr den Arm zu reichen, unter dem Parka in einem aufgebügelten Leinenanzug gehüllt. Die Freiwilligen des Festkomitees hatten sich große Mühe gegeben. Nicht nur die Aula war dezent geschmückt und geschickt farbig ausgeleuchtet, um ihr die gewohnt nüchterne Atmosphäre zu nehmen, auch die angrenzenden Räume waren dekoriert, um den unterschiedlichen Bedürfnissen zu dienen. Es gab eine Garderobe mit Pfandzeichen, eine Bar, zwei Räume mit Tischen und Sitzgelegenheiten. Weitere Räume dienten zum Atemschöpfen, Kuscheln und Ausruhen, abgedunkelt, mit Kissen bestückt und von verschiedenen Matten ausgepolstert. Außerdem konnte man Lose für eine Tombola der Einsamen Herzen erwerben, bei denen Pärchen gezogen werden würden, die sich dann unterhaltsamen Aufgaben zu stellen hatten. Zwei DJs sorgten bis zu diesem Höhepunkt abwechselnd für die musikalische Untermalung. Michael lehnte sich an eine Wand. Er war weit von einem Mauerblümchen-Dasein entfernt, zumindest schätzte er selbst seine Situation nicht so ein. Von dieser Position aus konnte er nämlich Meike und Desmond beobachten. Seine Schwester tanzte gern, trotz des ungewohnten Schuhwerks ausdauernd. Dass Desmond ihren Anforderungen ohne sichtbare Mühe gerecht wurde, signalisierte Michael, dass die beiden wirklich gut zueinander passten. Ihre Harmonie gefiel ihm so sehr, dass sich die Spannung löste, die sie beide den ganzen Tag über elektrisiert hatte: wann endlich würde Desmond ES aussprechen? #~~~~~> War es die Hitze? Oder die nachlassende Aufregung? Die späte Stunde? Michael lächelte über seinen tapfer kämpfenden Verstand, der die sanfte, wohlige Müdigkeit in Schach hielt. Gegen ein Uhr in der Nacht konnte man sich durchaus eine kleine Siesta gönnen, befand er. Sich einfach gegen eines der mit Kunststoffbällen gefüllten Kissen lehnen, bequem auf einer Matte lagern und die müden Augenlider ausruhen. Hier war es ruhig, abgedunkelt. Nur Schemen von einer motorbetriebenen Lampe krochen langsam über die Decke und die Zimmerwände. Er sank auf die Seite, im Vertrauen darauf, dass Meike ihn zweifellos finden, wecken würde, wenn sie gehen wollte. Es sah nicht so aus, als würde sie von Desmond weichen wollen... Michael schienen lediglich einige Herzschläge vergangen, da spürte er eine Hand auf seinem Knie. "Michael?" Das konnte nur Desmond sein, mit diesem sonoren Schnurren in der Stimme. Mit einem Lächeln blinzelte Michael hoch, fand Desmond vor sich, in der Hocke. "Müde?" Desmond erwiderte sein Lächeln, stützte sich mit den Fingerspitzen auf Michaels Oberschenkeln ab. "Nur eine kleine Pause." Wisperte Michael. Trug Desmond den kleinen Weihnachtsstern, den Meike für ihn gekauft hatte, schon? "Darf ich?" Mit dem Kinn wies Desmond auf den Platz neben Michael, der Zustimmung signalisierte. "Warm hier." Stellte er fest, lehnte sich hinüber, um in den geöffneten Kragen von Michaels Hemd zu pusten. Michael lachte leise, nickte wortlos. Keine Frage, er wirkte nicht mehr sonderlich formell mit den zerknitterten Hosen und dem aufgeknöpften Hemd, das zu weit aus dem Hosenbund gerutscht war, als er sich bequem angekuschelt hatte. Unaufgefordert lehnte Desmond den Kopf auf Michaels Schulter. "Mir fehlt ein Kaffee in meiner Tagesration." Seine Rechte ruhte auf Michaels Oberschenkel, beiläufig und so vertraut, als seien sie schon sehr lange befreundet. »Nett.« Dachte Michael. Gut, dass Desmond so unkompliziert war. Erwachsene neigten wenigstens nicht dazu, sich ständig profilieren zu wollen. Desmond zumindest nicht. Er trat nicht belehrend auf, forderte ihn auch nicht ständig heraus, doch 'mal die Zähne auseinander zu kriegen', wie es andere taten. So schien es gar nicht so beängstigend, dass ein Dritter ihrem Duett eine neue Melodie hinzufügte. »Mit ihm kann ich mich wirklich gut verstehen.« Lächelnd senkte Michael wieder die Lider hinab. Es war angenehm dunkel, schön warm und aufrichtig vertraut mit einem guten Freund in dieser Nacht. #~~~~~> Michael starrte aus dem zerkratzten Fenster. Wie es schien, nahm dieser Zug jeden Heuschober zum Anlass, um einen Halt einzulegen. Nicht, dass es ihm eilte. Einige Tropfen verirrten sich, rutschten und stockten, kletterten und glitschten durch die eingeätzten Schneisen im Glas Richtung Gleiskörper. Wie eine müde Woge Mattigkeit wirkte das Panorama mit diesem bescheidenen Tropfenfilter, eine müßige Ablenkung, die schon bald vergessen sein würde. »Melancholie.« Dachte Michael. »Mein Aggregatzustand.« Sie hatten es auch Antriebsschwäche genannt, Apathie, Lethargie, Trägheit. Seine Linke zuckte. Er senkte den Blick, studierte die Finger, die zitterten, ohne dass er einen bewussten Befehl gegeben hatte. Dieser Tic war nicht angeboren, sondern das Ergebnis der Ereignisse seit dem Valentinstag. Ein elektrischer Impuls, der herrenlos dort zuschlug, wo er sich nicht wehren konnte. Michael lehnte den Kopf gegen die Waggonwand. Das Zucken schmerzte nicht. Die Blicke von Passanten und Gleichaltrigen, die es bemerkten, schon. Andererseits hatte er mittlerweile eine Panzerhaut gezüchtet, die zu unempfindlich war, um rote Flecke der Verlegenheit zu entzünden. Blicke allein brachten ihn nicht mehr aus der Ruhe. »Scheintod.« Ergänzte seine innere Stimme bissig. »Von wegen Ruhe.« Er schloss die Augen. Die Fahrt würde noch eine Weile dauern. Wenn er sich schon dem Chaos seiner Erinnerungen stellte, musste er diesen Schwindel nicht mit offenen Augen erdulden. #~~~~~> Michael war am Morgen nach dem Valentinstag nicht zu Hause in seinem Bett aufgewacht, mit einem Lächeln auf den Lippen, von angenehmen Ereignissen erfreut. Als er die Augen aufschlug, blickten sie auf eine weiße Zimmerdecke, vor der verschiedene Vorrichtungen schwebten, an denen man allerlei medikamentöse und medizinische Gegenstände befestigen konnte. Er setzte sich auf, die Ellenbogen in eine stabile Matratze gestemmt, sah sich um in dem dezent geschmückten Mehrbettzimmer. Die anderen drei Betten waren gerichtet, ihre Besitzer jedoch außer Sicht. Allein in diesem unbekannten Raum spürte Michael, wie sich langsam profunde Sorge und ein Anflug von Panik über seinen nackten Rücken hoch zu seinem Genick schlichen, wo sie eine ganzkörperliche Verspannung auslösten. Wo befand er sich? Wie war er hierher gekommen? Aus welchem Grund? Sehr vorsichtig schwang er die Beine über die Bettkante, erprobte, ob sie ihn auch tragen würden. Er fühlte sich unerklärlich schwach, gleichzeitig betäubt. Wenn er sich in einem Krankenhaus befand, daran lies der Augenschein keinen Zweifel zu, musste etwas vorgefallen sein. Er konnte an seinem Körper keine Verletzung erkennen. Außerdem spürte er abgesehen von der körperlichen Schwäche und Betäubung keine Schmerzen. Da es ihm unhöflich erschien, den Rufknopf zu betätigen, wickelte sich Michael nach bestem Vermögen in den gestellten Kittel, schlüpfte in die einfachen Puschen, die neben seinem Bett standen, betrat den Flur. Bunte Linien auf dem Linoleum führten den Besuch. Freundliche Bilder lockerten die Atmosphäre auf. Niemand nahm besondere Notiz von ihm, als er den Pfeilen folgte, die einen Notausgang indizierten. Michael vermutete, dass sich am Ende zweifellos auch ein Treppenhaus, ein Aufzug, damit auch ein Empfang oder ein Zimmer fürs medizinische Personal befinden mussten. Er wollte rasch erfahren, wo er sich befand und warum, ob Meike etwas geschehen war oder Desmond. Wie viel Zeit vergangen war, nachdem er sich in das Kissen gekuschelt hatte. #~~~~~> "Ein Neuer? Heute?" Eine Spur von Seifenblasen tanzte munter durch die frische Frühlingsluft, ließ sich wagemutig vom Wind entführen. "Ich habe es auch erst heute Morgen erfahren. Möchtest du mich begleiten?" "Natürlich! Sag schon, ist es ein Junge oder ein Mädchen? Und welche Klasse?" "Ein Junge. Für unseren Schlafsaal." Ein leises Lachen begleitete die wissbegierigen Erkundigungen. "Wirklich?! Das ist aber seltsam, so kurz vor dem Abschluss zu wechseln. Weißt du, warum? Oder was er kann?" "Nein, leider nicht. Aber vielleicht erzählt er es uns ja?" "Möglich." Weitere Seifenblasen stiegen zum Himmel auf. Sie schimmerten regenbogenfarbig im Sonnenlicht. #~~~~~> Wenn man sagt, dass es Tage gibt, an denen einfach alles ausnahmslos schiefgeht, so kann man darin auch die Hoffnung lesen, dass Tage auch enden und die damit verbundene Pechsträhne versiegt. Für Michael hatte es einen Tag gegeben, der beinahe perfekt gewesen war. Danach folgte eine hoffnungslose Spirale des Unglücks, die die Aussicht, dass ein Tag auf den vergangenen kam, wie eine zusätzliche Grausamkeit erscheinen ließ. Im Nachhinein betrachtet hätte er wohl noch einen Augenblick länger in dem fremden Bett verweilen können. Sich an seine letzte bewusste Erinnerung anschmiegen wie an ein wärmendes, heimeliges Kaminfeuer bei eisigem Frost. Es hätte das Unglück ein wenig verzögert. Seine Linke zuckte wieder. Michael wartete darauf, dass der Tic sich beruhigte. Beinahe ein ganzer Tag fehlte in seinen Erinnerungen. Wenn er versuchte, die Bruchstücke, die fremde Erinnerungen ausmachten, wie ein Mosaik zusammenzusetzen, ergab sich noch immer kein schlüssiges Bild. Außerdem durfte man getrost zweifeln an der absoluten Wahrheit fremder Wahrnehmungen, vor allem, wenn sie so unverständlich erschienen. »Aber ich weiß nicht, ob und was ich glauben soll. Oder will.« Er war in einem Krankenhaus erwacht, weil die Putzkolonne am späten Vormittag vergeblich versuchte hatte, ihn aufzuwecken. Sie befürchteten schließlich, er könne sich in ein Koma getrunken haben oder an Drogenüberdosierung sterben. Seine Reflexe waren schwach, seine Lebenszeichen kaum festzustellen. Es schien so, als habe ihn eine ungewöhnlich tiefe Ohnmacht erfasst, die seine Körperfunktionen erheblich reduzierte. Die ersten Tests zur Ursachenforschung zeigten keine erfreulichen Resultate: ihm war weder Alkohol- noch Drogenkonsum nachzuweisen. Organische Fehlfunktionen? Negativ. Im Zustand seiner Bewusstlosigkeit hatte man ihn geröntgt, Blut abgenommen, seine Mutter informiert, um mögliche Krankheiten zu ermitteln: ohne Erfolg. Sein Allgemeinzustand wurde schließlich, als er aus eigenem Antrieb erwacht war, als bedenklich schwach testiert, ohne eine Antwort auf die merkwürdige Ohnmacht zu finden. Michael verstand nicht, wieso er von der Putzkolonne gefunden worden war. Was war mit Meike geschehen? Und Desmond? #~~~~~> Es war eine Fingerübung. Nun, nicht nur 'Finger', zugegeben. An und für sich, man konnte das nicht abstreiten, handelte es sich, streng genommen, um eine illegale Aktion. Andererseits hinderte ihn das nicht daran, seine Fähigkeiten zu trainieren. In modernen Zeiten zählte nicht das Geld, sondern die Information. Sie war die Währung, die alles bestimmte. »Deshalb werde ich nun mein Portfolio ein wenig ergänzen.« Lächelte er vergnügt. #~~~~~> In knapp zwei Monaten konnte eine Menge geschehen. Jeder Tag konnte sich zu einer Ewigkeiten dehnen. Immer neue Abgründe ließen die Vorstellung von tausenden, unterschiedlichen Höllen durchaus möglich erscheinen. Michael hatte im Krankenhaus auf seine Mutter gewartet. Sie hatte in vermeintlich gerechtem Zorn keinen Anlass gesehen, ihre Arbeit zu unterbrechen, wenn ihr einziger Sohn sich dem Vollrausch ergab. Exkulpiert von diesem Vorwurf erfuhr Michael, was vorgefallen war. Oder das, was andere gesehen zu haben glaubten. Dass er sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Beifahrersitz befand, unzureichend geschützt durch einen Sicherheitsgurt und stummes Flehen zu unsichtbaren Göttern, trug nicht sonderlich zu seiner Genesung bei. Zur körperlichen Schwäche gesellte sich eine zunächst ungläubige, erstickende, innere Mattigkeit. Seine Mutter chauffierte und echauffierte sich, während sie laut redete, den Sender nervös antippte und hastig rauchte. Nach einem Lamento darüber, dass sie sich den ganzen Tag über ihre Unzuverlässigkeit geärgert habe, folgte endlich der Part, der Michael die größte Unruhe bereitete: auch Meike war nicht wie verabredet nach Hause gekommen. Sie hatte sich am späten Vormittag aus der Wohnung einer Freundin gemeldet, so kurz angebunden, dass ihre Mutter, der Bluthund, sofort Lunte gerochen hatte. Die augenblickliche Situation stellte sich so dar: sie wollte bei einer Freundin für einige Tage bleiben, um den Schock zu verdauen und in dieser Zeit Michael nicht sehen und nicht sprechen. Aus welchem Grund? Ein Seitenblick streifte Michael, der nicht begriff. Was war bloß geschehen in dieser Nacht? Wieso konnte er sich nicht entsinnen? Da Meike kein weiteres Wort mehr zu entlocken war, hatte der mütterliche Bluthund skrupellos die Freundin ausgefragt. Die schwang sich zu gerechter Empörung auf, brachte vorgeblich Licht in die finstere Angelegenheit: man habe Michael dabei überrascht, wie er mit dem Freund seiner Schwester Intimitäten ausgetauscht habe! Michael spürte Blei in seinen Gliedern, als habe sich die Schwerkraft unerklärlich erhöht, ziehe ihn nun in das glühende Erdinnere. Er und Desmond...sollten...?! »Unmöglich!« Dröhnte es in seinen Ohren. »Unmöglich.« Sie waren Freunde, vertraut miteinander. Sie liebten beide Meike. Niemals würde er etwas unternehmen, dass seine Schwester derart verletzen würde. Zu welchem Zweck auch?! Er interessierte sich nicht für Männer. Auch sexuelle Anziehung schien ihm noch befremdlich. Ein Spätzünder, zweifellos. Er hörte nicht mehr, was seine Mutter wie ein Maschinengewehr herausschoss, die Silben und scharfen Konsonanten, die geschnaubten Nikotinwolken. Niemals hätte er seine Schwester so verletzt. #~~~~~> Sie wollte nicht reden. Nicht am nächsten Tag, nicht am folgenden oder dem darauf. Als sie zurückkehrte, blickte sie bei unvermeidbaren Begegnungen, es waren derer wenige, strikt an ihm vorbei. Michael konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Er suchte nach Augenzeugen, nach Hinweisen, verbrachte eine ganze Stunde vor dem Spiegel auf der Suche nach Spuren. Vergeblich. In der Schule jedoch machte eine Legende die Runde. Alle wussten etwas beizutragen, um noch ein wenig farbiger auszugestalten, was Michael unglaublich blieb: dass er selbst ohne Zögern den Freund seiner Schwester verführt hatte. Er suchte nach Desmond. Der musste schließlich wissen, was geschehen war. Konnte vielleicht eine Szene unglücklich missverstanden worden sein? Doch Desmond schien der Erdboden verschluckt zu haben. Da sie niemals in seine Wohnung eingeladen worden waren, lediglich seine Mobiltelefonnummer kannten, stand Michael bald vor großen Hindernissen. Es gab keinen Eintrag in den Telefonbüchern. Recherchen im Internet brachten keine Erkenntnisse. Der Arbeitgeber, den Desmond genannt hatte, beschäftigte niemanden, auf den seine Beschreibung passte. Desmond war zu einem Phantom geworden. Ausgegrenzt und angeschwiegen erlebte Michael eine Zeit der stummen Verwirrung. Er schien unsichtbar zu sein. Man berührte ihn nicht, redete und sah an ihm vorbei, sprach ihn nicht an, ließ ihn aus, wenn es Kopien zu verteilen galt, rief ihn nicht auf, wählte ihn nicht in ein Team, teilte ihn keiner Arbeitsgruppe zu. Die Stille in seinem Kopf dröhnte. Er litt unter starken Kopfschmerzen und hartnäckigen Verspannungen. Wenn er zu Hause in der stillen Wohnung saß, lediglich dumpf den Verkehr und lauter das Rauschen seines Pulses in seinen Ohren hörte, zusammengekauert auf die Teppichmusterung starrte, fragte er sich, wie er seine Unschuld beweisen konnte, wenn niemand ihm zuhören wollte, alle sich brüsk wegdrehten. Außerdem fühlte er sich schwach. Viel zu oft schwindelte ihn. Er konnte sich kaum konzentrieren, seine Gedanken wurden zu klebrig-zähem Brei, der ihn in Ratlosigkeit erstarren ließ. Es bereitete ihm körperliche Schmerzen, dass Meike ihn aus ihrem Leben tilgte, nicht mehr um ihn war wie all die Jahre zuvor. Als hätte man ihm die Glieder abgetrennt, die Sinnesorgane entfernt, die Nervenenden ausgebrannt. Nicht mehr als einen stumpfen Schmerz zurückgelassen, wo einmal ein Herz geschlagen hatte. Damals dachte er, dass dies die Hölle sei, ein Tiefpunkt, der nicht mehr unterschritten werden konnte. Er irrte. #~~~~~> "Ich muss dich sprechen. Es ist wichtig!" "Natürlich. Wenn ihr mich einen Augenblick entschuldigen wollt..." "Die anderen warten schon." "Die anderen?" "Ich erkläre alles, wenn wir da sind. Beeilen wir uns!" #~~~~~> Aufgrund seiner Appetitlosigkeit und allgemeinen Antriebsschwäche bestand seine Mutter darauf, dass er sich noch einmal gründlich untersuchen ließ. Niemand konnte sich diese seltsame Ohnmacht erklären. Zwei Wochen später wies sein Blutbild merkwürdige Veränderungen auf. Es zeigte sich zähflüssig. Ungewöhnlich viele weiße Blutkörperchen konnten nachgewiesen werden. Doch welche Infektion bekämpften sie? Wie sollte man Michael behandeln? Bestand schon Lebensgefahr? Immerhin konnten sich wichtige Blutbahnen verstopfen, einen Infarkt auslösen. Michael selbst wusste sich nicht mehr zu helfen. Wenn er sich matt fühlte, die Schwäche ihn zu übermannen drohte, legte er sich hin, rollte sich zusammen, ließ sich treiben. Da dies oft am Morgen geschah, hatte er schon einige Unterrichtsstunden versäumt und seine Mutter in Sorge gestürzt. Sie absolvierte Kontrollanrufe, ob er sich bereits auf dem Schulweg befand oder zu Hause ausharrte. Welcher Natur auch immer die unbekannte Infektion war, sie verursachte Kopfzerbrechen. Das behandelnde medizinische Personal wusste keinen Rat. Michaels Mutter rotierte nervös. Der Lehrkörper zeigte sich ungehalten, weil er nicht wussten, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. War Michael krank oder lenkte er nur von seiner Verfehlung ab? Für Michael wurde das Leben einfacher und komplizierter zugleich. Die Schwäche sorgte dafür, dass sein Tagesrhythmus sich vollkommen verwirrte. Er konnte nicht mehr beim Aufwachen auf Anhieb sagen, welcher Wochentag ihn erwartete. Sein Gedächtnis litt dementsprechend. Die Medikamente, die die übermäßige Blutgerinnung verhindern sollten, brachten Nebenwirkungen, die ihn ebenfalls belasteten. Wenn er den Weg in die Schule fand, so glich er eher einem Geist. Er verlor den Appetit, vergaß oft auch, ausreichend zu trinken. Er wirkte ausgezehrt. Aber er löste auch eine andere Reaktion aus bei seinen Mitmenschen. Hatte man ihn, vor allem in der Schulgemeinschaft, zunächst noch ausgegrenzt und mit Missachtung gestraft, so änderte sich das Verhalten nun merklich. Die Menschen in seiner Umgebung wurden unruhig, gereizt und aggressiv. Michael war sich keiner Schuld bewusst. Er schwamm zu diesem Zeitpunkt in einem uferlosen See aus Ungewissheiten, hätte gern Tatsachen erfahren. Er konnte sich nicht entsinnen. Desmond, der einzige, zuverlässige Zeuge blieb vom Erdboden verschluckt. So begegnete er den Anfeindungen mit Verwirrung und Unverständnis. Er konnte einfach nicht glauben, dass man ihn so sehr verabscheute, sogar hasste, dass man ihn attackierte. Er reagierte gewohnt zurückhaltend, als man ihn aus seiner Schulbank drängte, ein dichter Pulk seiner Klassenkameraden, ignorierte die Schimpfworte, die ihm um die Ohren flogen. Aber sie kamen ihm körperlich zu nah, was Michael irritierte. Sie schlossen ihn ein, rüttelten an seinem Stuhl, am Tisch. Wie eine Palisade ragten sie rings um ihn in die Höhe, ablehnend, zornig, aufgeputscht, jenseits von gut gemeinten Worten. Michael erhob sich schwankend, fasste nach seinem Schulrucksack. Der schmerzende Knoten in seinem Magen riet ihm, lieber die Klasse zu verlassen, diese Auseinandersetzung zu vermeiden. Sie waren zu viele, trieben sich gegenseitig an, entledigten sich ihres Verstandes. Er hatte Angst. Dieses Mal reichte es jedoch nicht, dass er sich hastig durch den Pulk drängte, den Rückzug antrat. In einer dichten Traube folgten sie ihm, hingen an seinen Fersen. Ihn schwindelte. Eine Hand an der Wand entlang stolperte er über den Flur zum Treppenhaus. Fliehen, ja, aber würden sie aufgeben? Wieso ließen sie ihn nicht laufen? Es gelang ihm, den Treppenabsatz zu erreichen, da stieß man ihn an. Er taumelte. Als habe diese erste Attacke jede Hemmschwelle gesenkt, zerrten fremde Hände an ihm, seinem T-Shirt, der Jeans, stießen ihn von sich, trieben ihn wie einen Ball in ihrem Netz hin und her. Michael zitterte, schwitzte kalt, war überwältigt von Panik. Was geschähe, wenn er in die Knie brach?! Würden sie ihn treten? Zusammenschlagen? Warum wollten sie ihn berühren und zugleich von sich stoßen?! Fremde Arme umschlangen ihn, andere zerrten an seinen Kleidern, den Schuhen. Er verlor den Boden unter den Füßen, wedelte ungelenk mit den Armen wie eine Windmühle, wollte sich freikämpfen, weil die Angst ihn anfeuerte. Bei so vielen Beteiligten entwickelte sich naturgemäß ein grobes Gerangel, ein wogendes Vor und Zurück, ein Schieben und Stoßen, Fluchen und Schreien. Als Michael für einen Moment lang freikam, fand sich kein Boden mehr unter seinen Füßen. Er stürzte die Treppen hinab. #~~~~~> Noch immer wurde Michael eiskalt, wenn er sich an diesen schier endlosen Augenblick erinnerte. Diese wenigen, ewigen Sekunden, in denen er frei von der Schwerkraft schien, Gesichter ihn ohne Mitgefühl anblickten, eine Mauer der Ablehnung bildeten, während er schwebte, dann fiel. Zuerst das Geschrei, danach die Stille und sein Aufprall. Das Geräusch hatte ihn selbst so sehr erschreckt, dass er tief Luft holte und schrie. Nicht nach seiner Mutter, sondern nach Meike. #~~~~~> Kapitel 2 - Fünf unheilige Schutzengel Nach diesem Zwischenfall, der im Abtransport in einem Krankenwagen endete, wurde Michaels Mutter nahegelegt, von einem Schulbesuch abzusehen, bis die Situation geklärt sei. Ein Schulwechsel beispielsweise wäre von ungeheurem Vorteil. Michael sprach nun kaum noch etwas. Er hatte Glück gehabt, sich nur den Arm zu brechen. Der Gips, der weiß schimmerte, erinnerte ihn daran, dass er sich selbst in vergleichbarer Situation befand: erstickend eng eingekerkert, nach außen sauber und adrett, doch darunter... Er fühlte sich bleischwer und matt. Jede Bewegung kostete ihn große Anstrengung. Die Medikamente, die gegen seine seltsamen Symptome helfen sollten, verfehlten ihre Wirkung. Es musste etwas geschehen, bevor die Lage eskalierte. So kurz vor dem Ende des ersten Schulhalbjahres zu wechseln war ungewöhnlich, aber niemand konnte sich der Realität verschließen: Michael erregte Anstoß, und das nicht nur bei Personen, die von den Gerüchten wussten. Wenn er seine Mutter begleitete oder alleine Besorgungen erledigte, sich im Schulsekretariat Kopien und Aufgaben abholte, starrten Fremde ihn an. Manche rückten unangenehm nahe, als wollten sie ihn gleich anfassen. Andere bedrohten ihn, blickten finster, spuckten sogar vor ihm aus. Selbst in der behandelnden Praxis ließ sich der Arzt von einer Kollegin ablösen. Er wollte Michael nicht mehr betreuen. »Ich verstehe das nicht.« Stumm, bis ins Mark erschüttert kauerte Michael in seinem Zimmer, hoffte stets darauf, dass der Albtraum ein Ende nahm. Er WUSSTE, dass er nichts Unrechtes getan hatte. Aber es schien, als wäre eine fürchterliche Anklage auf seine Stirn geschrieben, die alle Menschen um ihn herum in Aufregung versetzte. Beinahe dankbar lauschte er eine Woche nach seinem "unglücklichen Treppensturz" den hastigen Worten seiner Mutter, die übersprudelte von guten Neuigkeiten. Sie habe durch die Vermittlung der Schulbehörde ein Internat gefunden, das bereit und qualifiziert sei, ihn aufzunehmen, die sogar zugesagt hatten, seine unerklärliche Mattigkeit behandeln zu wollen! Natürlich koste das Geld, immerhin sei es ein Elite-Institut. Deshalb habe sie sein Sparkonto für den Führerschein auch plündern müssen, um das Schulgeld aufzubringen, denn ihre Ersparnisse haben nicht ausgereicht. Michael akzeptierte diese Entscheidung emotionslos. Er wusste ohnehin, dass bei seinem Befund das Führen eines PKW, selbst Fahrrad fahren, ausgeschlossen war. So hieß es, eine Reisetasche und den Rucksack packen, seinem alten Leben Lebewohl sagen und auf das Land fahren, in ein idyllischen Städtchen mit einer großen Lehranstalt. Er konnte nur hoffen, dass man ihn dort nicht ebenfalls erledigen wollte. #~~~~~> Obwohl sie einen gemeinsamen Schlafsaal hatten, häufig dieselben Kurse besuchten, sah man die Fünf selten alle zusammen. Auch jetzt bemerkten recht wenige Angehörige der Schulgemeinschaft die rare Versammlung. Sie fand in einem kleinen Abstellraum statt. "...das ist doch ein Scherz?" Blätter wurden herumgereicht. "Nein, völliger Ernst. Deshalb müssen wir etwas tun." "Etwas tun?! Was denn zum Beispiel?!" "Warum hast du den da angeschleppt?!" "Immer mit der Ruhe. Wir haben noch eine Stunde, um uns zu verständigen. Dann ist er hier." "...und ICH habe einen Plan. Hört zu..." #~~~~~> Michael sammelte seine Habseligkeiten auf. Man hatte den nächsten Bahnhof angekündigt, sein Ziel. Da er mit der Linken nichts Schweres heben durfte, stolperte er, von der unförmig vollgepackten Reisetasche behindert, den Gang entlang zu einer Tür. Glücklicherweise waren nur wenige andere Reisende im Zug, die ihn mit finsteren Blicken bedenken konnten. Er kletterte unbeholfen die zwei Stufen hinunter, wich hastig aus, als man ihn beinahe umstieß, blickte sich um. Zwei Bahnsteige, zwei Gleiskörper, ein hübscher, bunt mit Blumen geschmückter Bahnhof. Sollte er nicht abgeholt werden? Auch wenn das Städtchen größer als ein Dorf war, wollte er nicht bis an die Grenze marschieren müssen, um den Schulkomplex zu erreichen. Da stürzte jemand aus dem Bahnhof, ein goldblonder Schopf glänzte in der Frühlingssonne. Wie ein Schatten folgte ihm eine zweite Person, hielt Händchen. Michael wartete. Er kannte sich nicht aus, deshalb schien es das Vernünftigste zu sein. Nun erspähte ihn das Pärchen. Beide trugen dunkle Dufflecoats und dunkle Jeans, was sie seltsam uniformiert wirken ließ. Die bunten, offenkundig handgestrickten Schals allerdings konnten zu keiner Uniform dieser Welt gehören. Sie näherten sich ihm im Laufschritt. Begleitet von einer dünnen Spur Seifenblasen? Er blinzelte, blickte hoch. Da waren sie wirklich! Als er den Kopf senkte, standen sie bereits vor ihm, außer Atem, lächelnd. Ein hochgewachsener, junger Mann mit einer goldblonden Mähne, deren Locken sich in den Wimpern verfingen und sein Begleiter, mit schwarzen, seltsam feucht wirkenden Strähnen, die nahelegten, dass ihr Besitzer vermutlich aus der Dusche gezerrt worden war. Michael starrte in tiefviolette Augen und sah die Seifenblasen. Er blinzelte erneut. "Hallo, bist du Michael? So ein Glück, wir hatten leider Verspätung mit dem Bus. Ich stelle uns aber erst mal vor!" Sanft und freundlich hüllte ihn eine Wolke von Silben ein, sodass er sich wieder auf den Goldblonden konzentrierte. "Das ist mein Freund Nereus. Ich bin Aeolus, der Schulsprecher. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen!" Eine gepflegte Hand streckte sich nach Michaels Rechter aus, drückte sie unaufdringlich. Michael bemerkte, wie die Miene seines Gegenüber sich veränderte. Hastig wich er einen Schritt zurück, verhinderte gerade noch, dass er über seine eigene Reisetasche stolperte. "Freut mich auch." Murmelte er, hoffte, dass er sich diese Veränderung nur eingebildet hatte. "Was ist?" Zum ersten Mal hörte er Nereus sprechen. Dessen Stimme war ein wenig verwaschen, erstaunlich tief. Die Sorge galt offenkundig seinem Freund. Zur Sicherheit wich Michael noch einen Schritt zurück. »Ich habe euch nichts getan!« Jammerte eine panische Stimme in seinem Kopf. Sie bestätigte, was er sich nicht eingestehen wollte: Aeolus, der Schulsprecher seiner neuen Heimat, sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an. Der goldblonde, junge Mann streckte Michael die Rechte hin. Zögerlich erwiderte Michael die Geste, legte behutsam seine Fingerspitzen auf die Fingerkuppen des Schulsprechers. "Du musst keine Angst haben." Kam nach langen Augenblicken endlich eine leise Replik. Nereus wechselte verwirrt zwischen ihnen hin und her. Er bemerkte, wie Aeolus sehr langsam, vorsichtig die Hand um Michaels schloss, sie hielt. "Was ist hier eigentlich los?" Erkundigte er sich gezwungen ruhig, aber deutlich alarmiert. "Wir müssen zum Bus." Auf Aeolus' Gesicht erkämpfte sich ein Lächeln den Vortritt vor Sorgen. Er löste seine Hand, nahm einen Trageriemen der Reisetasche. Michael wählte den anderen, beobachtete seine Begleiter aus den Augenwinkeln. Hoffentlich glaubte Nereus nicht, dass er ihm etwa in die Parade fahren wollte! »Das hätte mir gerade noch gefehlt! Wenn sie nun schon etwas über mich gehört haben?! Die beiden sind ja offenkundig... und wenn sie nun glauben, ich sei...?!« "...Schule?" Er zuckte zusammen. "Entschuldigung, kannst du die Frage noch mal wiederholen? Ich war abgelenkt." Haspelte er eilig, warf Aeolus einen zerknirschten Blick zu, während sie sich zwischen den altmodischen Drehkreuzen hindurch zwängten. "Ich habe gefragt, was du schon über unsere Schule weißt." Repetierte der Schulsprecher nachsichtig. Michael überlegte. "Ein Internat. Gemischt. Elite-Schule." »Kostet mich meine Führerschein-Ersparnisse.« Ergänzte eine nörgelige Stimme in seinem Hinterkopf. Er bemerkte, wie seine Begleiter bezeichnende Blicke austauschten, während sie auf einen kleinen Vorplatz traten, ein wenig abseits der wenigen Reisenden die Ankunft des nächsten Busses erwarteten. "Das ist richtig." Bestätigte Aeolus schließlich. "Wir sind allerdings auch eine Schule für Menschen mit besonderen Begabungen. Ungewöhnlichen Talenten." Nereus seufzte, blickte nach rechts und links. Michael verfolgte ungläubig, wie Nereus mit den Händen Figuren aus Seifenblasen zusammensetzte, aus Mund und Nasenlöchern Seifenblasen austraten. "Ist das ein Zaubertrick? Wie~wie machst du das?" Sprudelte er schließlich heraus, ließ einen dickbäuchigen Schneemann auf seinem Gips landen, bevor dieser langsam zerplatzte. "Das ist mein Talent. Es ist angeboren." Schnaubte Nereus. Michael hörte der Stimme an, dass Nereus diese besondere Fähigkeit mit zwiespältigen Gefühlen erlebte. "Ich bin ein Empath." Ergänzte Aeolus. "Das heißt, ich kann Gefühle anderer spüren und erkennen. Durch Berührung oder auch bloße Nähe." Michael spürte, wie brennende Röte in seine Wangen stieg. Hatte Aeolus dann seine Gefühle bereits gelesen?! Hielt er deshalb am Bahnsteig seine Hand so lange?! "Du musst keine Angst haben." Aeolus lächelte beruhigend. "Ich lese Gefühle, aber ich befolge wie die meisten empathisch Begabten einen Ehrenkodex. Ich werde nicht darüber mit anderen sprechen, was ich gelesen habe. Aber wenn DU mit MIR sprechen möchtest, werde ich das sehr gern tun." »Wo bleibt der Bus?!« Jaulte sein Stolz, der gern die Farbe aus den Wangen vertrieben hätte. Michael spürte die seltsame Mattigkeit, taumelte leicht, ließ sich eilig schwer auf seine Reisetasche sinken. "Ist dir nicht gut?! Brauchst du deine Medikamente?" Sofort sank Aeolus vor ihm in die Hocke, wischte hinderliche Locken aus Michaels Gesicht. "...nur müde..." Log er mit schwerer Zunge. Nereus fischte ein Mobiltelefon, in eine Art Beutel gehüllt, aus seiner Manteltasche. "Ich rufe im Sekretariat an. Lassen wir uns besser abholen." »Oh nein! Das wird ein toller Einstand in der neuen Schule!« Schoss es Michael durch den Kopf, bevor alles schwarz wurde. #~~~~~> Aeolus hockte auf der unförmigen Reisetasche, hielt Michael im Arm, der schlief, so tief und fest, dass er nicht aufzuwecken war, aber merkwürdigerweise kaum atmete. "Wie bei einem Reptil." Brummte Nereus. Er mochte den Anblick gar nicht. Aeolus sah seinem Freund in die tiefvioletten Augen. "Er kann nichts dafür. Es geht ihm wirklich schlecht." Nereus seufzte, blickte zur Seite. Er wusste, dass Aeolus ihn nicht belog und dass er nicht fragen sollte, was sein Freund in den Gefühlen des Neuen gelesen hatte. Aeolus würde ihm nicht antworten dürfen. "Nereus?" Eine elegante Hand streichelte über seine feuchte Wange, glitt durch die nassen, schwarzen Strähnen. Sie glänzten seifig, tropften aber kaum. Er wandte sich Aeolus wieder zu, lächelte schief. Die Miene seines Freundes blieb ernst. "Sei ihm nicht böse. Er hat ein Talent, das wirklich sehr gefährlich ist." Nereus schluckte, warf einen Blick auf das blasse Gesicht, den nackten Gips, den nicht ein einziger Genesungswunsch zierte. "Hmm." Brummte er laut, blies Seifenblasen in den Frühlingshimmel. #~~~~~> Michael seufzte, als sich seine Augen fokussiert hatten. Er kannte diese Zimmerdecke nicht. Eine kurze Durchsicht seiner letzten Erinnerungen legte den Schluss nahe, dass er am Bahnhof umgekippt war, jetzt vermutlich auf der Krankenstation des Internats lag. »Oh Mann!« Seufzte er noch einmal innerlich, legte sich die Rechte auf die Augen. In seinem Schädel dröhnte ein Vorschlaghammer. Er hatte furchtbaren Durst. "Bist du wach?" Die Frage forderte geradezu heraus, sie mit "NEIN!" zu beantworten. Allerdings klang die dazugehörige Stimme freundlich, ein wenig hilflos, aber betont engagiert, aus allem das Beste zu machen. Michael fürchtete solche Stimmen. Ihre Klangkörper neigten dazu, gut gemeinte Katastrophen auszulösen. Trotzdem schlug er die Augen auf, linste zwischen seinen Fingern hindurch. Über ihn beugte sich ein Mann, dunkelhäutig, mit gewaltigen Dreadlocks. Sein Lächeln strahlte wie seine Stimme: offen, freundlich, ein wenig ratlos, aber engagiert. Die dunkelbraunen Augen zwinkerten. "Oh, da bin ich aber erleichtert! Warte, du hast sicher Durst, nicht wahr? Ich hole gleich mal Wasser!" Schon entfernten sich gedämpfte Schritte. Michael nutzte die Gelegenheit, um sich vorsichtig aufzusetzen. »Wenigstens ist mir nicht schwindlig.« Mahnte er sich zu positivem Denken. Oder auch nur Zynismus. Er starrte seinen Gastgeber an, staunte. Mochte die Krankenstation, drei Betten, zurückgezogene Vorhänge, Rollwagen mit allerlei technischem Zubehör, durchaus gewöhnlich sein: der Mann war es nicht. Zu den Dreadlocks und der Richtung Noisette tendierenden Hautfarbe fügten sich ein Kilt, flauschige Kniestrümpfe, eine Kochschürze und dicke, giftgrüne Puschen mit kleinen Plüschbommeln auf der Spitze. »Du~meine~Güte.« Stotterte Michaels Gehirn. »Transvestit? Oder ist sein Talent völlige Geschmacklosigkeit?« "Ah, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt!" Strahlte der Mann, hielt einen Becher Wasser artig ausgestreckt. "Mein Name ist Garfield, ich bin Lehrer für Hauswirtschaftslehre und Sport, arbeite seit drei Jahren an der SSA." Michaels Zynismus dolmetschte: »ich war schon mindestens in einer anonymen Gruppe mit Zehn-Punkte-Plan, bin ein verkapptes Hausmütterchen und seit drei Jahren zur Sicherheit der Gesellschaft aus dem Verkehr gezogen.« »Du meine Güte.« Murmelte der Rest in seinem Kopf einstimmig. »Wo bin ich hier nur gelandet?« Trotzdem nahm er den Becher an, nippte. Wasser, leicht gekühlt, dezent mit Kohlensäure versetzt. "Wie fühlst du dich denn?" Vertraulich hockte sich Garfield, gibt es keine Nachnamen an dieser Schule?!, auf Michaels Bettkante. Michael sondierte einen Augenblick, votierte vorsichtig für "besser", fügte eilig ein "danke der Nachfrage" an. "Gut, gut!" Strahlte Garfield sonnig, klopfte zur Betonung noch auf die Bettdecke. "Fein! Ich werde dann gleich mal, ja, also gleich..." Während er unter der Kochschürze herumkramte, endlich, zu Michaels Erleichterung, ein Mobiltelefon herauszog. "A-HA! Da habe ich das Ding gehabt! Nun gut, Nummer..." Konzentriert blickte der seltsame Hauswirtschaftslehrer auf den winzigen Bildschirm, manövrierte im Menü, presste das Mobiltelefon in den Urwuchs der Dreadlocks, lächelte Michael an. "Wir haben hier keinen richtigen ärztlichen Dienst, aber Ausgebildete für Sanitätsdienst und Erste Hilfe. Ich werde rasch Herrn Calculus anrufen." »Das ist ein Traum.« Murmelte eine fassungslose Stimme in Michaels Kopf. »Entweder ein Traum oder ein Irrenhaus. Ich bin in einer Klapsmühle gelandet!« Offenkundig hielt sich Herr Calculus nicht mit Präliminarien auf. Er wusste, wer angerufen hatte und um was es ging. Eine rasche Antwort reichte aus, um sofort das Gespräch zu beenden. Garfield grinste ratlos, verstaute das Mobiltelefon unterhalb der Schürze. In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen, als breche eine Horde wilder Paviane hinein. Tatsächlich handelte es sich aber um einen Mann mit weißblonden, fisselig dünnen, langen Strähnen, wasserblauen Augen, einem blasiert-ärgerlich wirkenden Gesicht und sehr heller Haut, gekleidet in einen blütenweißen Laborkittel. "Wieso dauert das hier so lange?! Wenn ich noch EINE EINZIGE MINUTE LÄNGER diese Horde verdammter BÄLGER mit ihrem DÄMLICHEN FUSSBALL bändigen muss, dann, bei allen Göttern, stimme ich DAS HOHE C AN!!" Brüllte der Mann als Entree. Michael erstarrte, hoffte, dass die Tarnung gelang. Garfield hingegen sprang eilig auf die grünen Plüsch-Puschen, hob beide Arme in einer beschwichtigenden Geste. "Herr Calculus ist auf dem Weg! Bestimmt gleich hier! Ah, außerdem kannst du unseren neuen Schüler kennenlernen, nicht wahr?! Oh, was ist mit meiner Trillerpfeife passiert?" "Ich habe REINGEBISSEN!" Der Weißblonde zischte wie ein Kessel unter Hochdruck. "Äh...ja. Nun ja. Sicher ein...anregendes Spiel. Ja. Bestimmt. Nun...ah, also, das hier ist Michael, Herr Siegfried. Hier mein geschätzter Kollege Herr Siegfried, zuständig für das Sprachlabor. Fremdsprachen und Literatur." Ein frostiger Blick traf Michael, der sich gar nicht unsichtbar fühlte. Siegfried zog Garfield am verstärkten Brustteil der Schürze heran und küsste ihn hart auf den Mund. Während Garfield verlegen-hilflos mit den Armen wedelte, ließ die unterkühlte Leidenschaft des Laborkittelträgers nicht an Deutlichkeit zu wünschen übrig. "Jetzt gehe ich da raus, gebe den verdammten Rangen Saures." Er löste sich schließlich, klapste Garfield auf den Hintern. "Du hast fünf Minuten!" Die Finger signalisierten. "Um ein Ständchen zu verhindern." Damit dreht er sich auf dem Absatz herum, marschierte beschwingt hinaus. Michael blinzelte. Die beiden waren schwul?! Waren hier alle schwul?! »Das ist genau DER Ort, wo ich NICHT sein sollte!« Schoss ihm durch den Kopf. Diese Erkenntnis überraschte ihn, so sehr, dass er gar nicht bemerkte, wie seine Linke zu zucken begann. Warum sollte er sich vor Jungs respektive Männern fürchten? Er hatte schließlich nichts getan oder jemals Interesse gehabt, etwas zu tun. Aber sie reagierten auf ihn. Auch ohne das Gerücht gehört zu haben. »Dabei bin ich nicht mal attraktiv!« Michael seufzte lautlos, schloss für einen Augenblick die Augen. »Ich verstehe das einfach nicht.« Nein, er konnte nicht begreifen, warum so etwas geschah. Oder warum es ausgerechnet ihn traf. Spätzünder war noch eine euphemistische Umschreibung dafür, dass er keinerlei sexuell geprägtes Interesse an seinen Mitmenschen hegte. Jemanden körperlich zu begehren erschien ihm befremdlich und beängstigend. Die Vorstellung, sich über die körperlichen Hemmschwellen und die persönliche Sphäre eines anderen Menschen hinwegzusetzen, verstörte ihn. Es war so gewalttätig. Egoistisch. Rücksichtslos. »Ich will nach Hause.« Oder in ein Loch, wo er sich verkriechen konnte, die Wunden lecken und herausfinden, warum das Universum sich grundsätzlich diametral zu seinen Vorstellungen verhielt. Während Garfield noch nach Luft schnappte, die Wangen eine interessante Tönung aufwiesen, Zartbitterschokolade, öffnete sich die Tür erneut. Zweifellos, das musste Herr Calculus sein. Er trug KEINEN Arztkittel, sondern ein Muscle-Shirt, ärmellos, dazu Hotpants und Badeschlappen. Seine Hautfarbe changierte zwischen currywurstrot und senfgelb. Die Glatze, auf Hochglanz poliert, blendete das unvorbereitete Publikum. Hinter der futuristischen Sonnenbrille, die in den vorderen Part des Muscle-Shirts eingehängt wurde, verbargen sich wache, graue Augen, die von Garfield zu Michael wanderten. "Ich schätze, du gehst mal unserem verkappten Goldkehlchen nach, bevor ich hier eine Schicht schieben muss." Grinste Calculus, präsentierte mit Gold überkronte Eckzähne. Michael bemerkte außerdem, dass Calculus in jedem Ohrläppchen drei winzige Ohrstecker trug, die möglicherweise wasserklare Diamanten waren. »Das ist doch niemals ein Lehrer! Für was auch, rhythmische Sportgymnastik?!« "Hallo Patient Michael." Eine Hand drückte unaufgefordert seine Rechte. "Ich bin Ersthelfer, Sanitäter, Mathematik-Professor und Chemielehrer an der SSA. Meine Hobbys sind Experimente mit biologisch abbaubaren Sonnencremes und speziellen Chili-Saucen. Ich bin verheiratet, habe zu Hause ein Flughörnchen in einer großen Voliere, weil ich Vögel nur als Broiler mag. Ach ja, zwei Kinder, Teufelsbraten, beides Mädchen, drei und vier Jahre alt." Michael staunte. Spulte hier jeder seinen Lebenslauf ab oder war das auch ein Kandidat irgendeiner modernen Gruppe/Sekte/Arbeitsgemeinschaft?! "Ah...ja, freut mich." Murmelte er schließlich, kurbelte seine Gehirnzellen wieder an. Demnach waren einige Personen in seiner nächsten Umgebung schon mal nicht schwul. Calculus wirkte nicht so, als wolle er ihm gleich den Schädel einschlagen. Das war ein Fortschritt. "Du bist also der Neue. Interessante Werte, deine ärztlichen Ergebnisse." Calculus kramte in einem Rollwagen herum. Bis er eine Schachtel Zigaretten herausholte?! »Der wird hier doch nicht rauchen?! Ich bin schließlich krank!« In der Tat öffnete Calculus die Schachtel, schüttelte eine Zigarette heraus, fischte nach einem Feuerzeug. Er bemerkte Michaels vernichtenden Blick, grinste, sodass die blendenden Goldkronen aufblitzten. "Nu kai Schdresch!" Feixte er an der Zigarette hervor, illuminierte sie, atmete tief ein. Produzierte keine Rauchwolke?! "Das ist eine Spezialanfertigung." Die Zigarette wanderte zur besseren Verständigung in die Rechte zwischen Zeige- und Mittelfinger. "Kein Nikotin, kein Rauch und kein Gestank. Ich habe mal geraucht, aber meine Frau mochte das nicht. Aufhören und dabei bleiben ist leichter, wenn man dem Gehirn suggeriert, dass es was zu rauchen gibt. Auch wenn das Suchtgift fehlt." Er tippte sich an die Stirn. Michael bemerkte, dass er leicht überfordert war. »Suchtgift?!« Die freie Linke klopfte auf die Bettdecke. "Dir ging's in der letzten Zeit ziemlich dreckig, richtig? Ich habe mir die Werte schon mal angeschaut, im Kollegium diskutiert. Einige unserer Ehemaligen sind auf medizinischem Gebiet sehr bewandert." Calculus schraubte sich hoch, zog erneut an der Placebo-Zigarette, deaktivierte eine Maschine, während er weiter sprach. "Unsere Diagnose lautet: in deinem Stoffwechsel und deinem Hormonhaushalt ist etwas durcheinander geraten. In deiner Umgebung wird das bemerkt, ganz unbewusst." Er wandte sich zu Michael herum, deutete mit der Kippe auf ihn. "Also haben wir zunächst eine Infusion entwickelt, die deinen Stoffwechsel wieder regulieren sollte. Theoretisch. Wir haben das ja vorher noch nicht getestet. Scheint aber zu funktionieren." Er grinste, die Goldzähne blendeten. Michael starrte. Eine Infusion reichte aus, damit er wieder wie vorher wurde? "Du hast schon eine Probe intus. Deine Werte sahen danach gleich ein bisschen besser aus. Wir müssen das beobachten. Du wirst hier also Stammgast, bis wir die richtige Dosierung haben und die Verabreichungsform ändern können. Infusion ist nicht für die Ewigkeit." »Stimmt!« Fauchte eine zynische Stimme in Michaels Kopf, der immer noch an dieser Enthüllung zu knabbern hatte. »Die Letzte Ölung ist für die Ewigkeit.« »Moment mal, heißt das, die probieren hier an mir aus, wie sie mich behandeln können? Warum weiß niemand, was mir genau fehlt?! Und Infusionen?! Wie lange liege ich hier denn schon?!« Sein Mund klinkte sich aus der inneren Diskussion aus, sondierte. "Herr...Calculus, wie lange bin ich schon hier?" "Hmm." Die Kippe wurde in einem Ascher ausgedrückt, während der Herr über die Krankenstation seine Uhr konsultierte. "Ungefähr acht Stunden. Das Abendessen ist in einer Viertelstunde." »Oh...je...« "Na gut!" Calculus klatschte unternehmungslustig in die Hände. "Mal raus aus der Kiste! Mach dich gerade ein bisschen frisch! Ich sehe zu, dass ich den alten Schwerenöter noch auftreibe." Michael blinzelte. »Wie bitte?!« "Der Direktor." Dolmetschte Calculus ungezwungen. "Zwitschert abends immer einen. Oder mehrere. Du solltest ihn wenigstens einmal gesehen haben. Er hat auch deinen Namen unter Verschluss." »Das ist wirklich eine Klapse hier!« Michael kletterte aus dem Bett. Er fühlte sich schon etwas besser. Bisher hatte ihn niemand schlecht behandelt. Außerdem hatte er keine Wahl. #~~~~~> "Geht es dir besser?" Michael blinzelte, nahm Aeolus wahr, der ihn am Arm berührte, offenkundig das Geleit zum Speisesaal. Er nickte betäubt. Der Direktor dieser Irrenanstalt war ein weiterer Schock gewesen. Er hatte ununterbrochen geredet, ein dahin gesülzter Monolog, der endlich darin gipfelte, dass Michael einen neuen Namen erhielt, weil alle an dieser Schule einen neuen Namen erhielten. Michael seufzte. Aeolus, der neben ihm ging, fasste nach seiner Rechten, nahm ihn wie ein Kind an der Hand. "Der erste Tag ist immer ein wenig schwierig." Bestätigte er mitfühlend. "Wir helfen dir beim Eingewöhnen. Es wird alles leichter." Michael nickte der Form halber. Obwohl er sich besser fühlte, ausgeruhter, nicht mehr so matt wie gewöhnlich, war er doch verwirrt. Da waren Fragen, mussten Fragen sein, die er nicht gestellt hatte, die er hätte stellen müssen, denn etwas war nicht in Ordnung! So wie die Infusion nur Symptome bekämpfte, konnte ihn dieses Internat auch nicht von seinen Problemen befreien. "Ich heiße jetzt Hyakinthos." Murmelte er, um einen Gesprächsbeitrag zu leisten. "Sehr hübsch. Ein schöner Name. Hyakinthos, das bedeutet Hyazinth, nicht wahr? Wie die Blume." Aeolus lächelte aufmunternd. Michael, beziehungsweise fortan Hyakinthos, seufzte. Er MUSSTE außerdem herausfinden, warum der alte Trunkenbold von einem Lustgreis ihm diesen Namen verpasst hatte! #~~~~~> Der Speisesaal war schon ordentlich gefüllt. Wie gewöhnlich war die Stufenvertretung dafür verantwortlich, dass alle pünktlich und vollzählig eintrafen. Danach ging man geordnet stufenweise vor, um aufzutragen, wenn man den entsprechenden Dienst hatte. In dieser Woche hatte die erste Klasse, eine überschaubare Gruppe, Tischdienst. Mit großer Sorgfalt deckten sie auf, warteten nun aufgeregt, wann endlich das Essen wirklich begann. Hyakinthos, der erfreut war zu hören, dass Aeolus und Nereus auch zu seiner Stufe gehörten, staunte nicht schlecht. Fünf-, Sechs- und Siebenjährige lebten schon in einem Internat, von ihren Eltern getrennt?! Wenn er sich, vorsichtig natürlich, umblickte, so erschienen ihm die anderen Kinder und Jugendlichen ganz normal. Eine Schuluniform als solche gab es nicht. Allerdings trugen alle zumindest ein Kleidungsstück, das dem dunklen Blauton entsprach, in den die Dufflecoats seiner beiden neuen Klassenkameraden gefärbt worden waren. Nachdem alle Tischdienste absolviert waren, legte sich das fröhliche Plaudern der versammelten Schulgemeinschaft. Am Tisch der ersten Klasse erhob sich die kleine Stufenvertretung, dankte für die Gesellschaft, die Gesundheit und die Speisen. »Nett.« Dachte Hyakinthos. »Nicht religiös, aber verbindend.« Aeolus wandte sich ihm zu. "Kann ich dir helfen? Ich meine, wenn es mit der Linken nicht so gut geht?" Bot er aufmerksam an. Hyakinthos spürte Röte in seinen Wangen. "Danke, ich schaffe das schon." Um gar keinen Preis hätte er Speisen gewählt, bei denen er Assistenz benötigte. Auch wenn augenscheinlich niemand auf ihn mit mehr als erwartungsvoller Neugierde reagierte, wusste sein Überlebensinstinkt doch, was sich verbat. "Ich stelle dich nachher den Jungs vor." Aeolus gab nicht auf. "Morgen den Mädchen. Nach dem Abendessen gibt es unter der Woche keine gemeinsamen Unternehmungen mehr." Mit einem Nicken signalisierte Hyakinthos eine Kenntnis, über die er nicht verfügte. Mittlerweile wusste er aber, dass es für jede Stufe einen eigenen Schlafsaal gab, nicht zu groß, da die Anzahl überschaubar waren. Außerdem getrennte Häuser für Mädchen und Jungen. Er fragte sich, was die anderen wohl dachten, wenn sie >Hyakinthos< hörten. »Warum dieser Name?!« Das beschäftigte ihn durchaus. Wenigstens die Chance wollte er haben, sich eine clevere Antwort auszudenken, wenn man ihn verspottete. #~~~~~> Obwohl man ihn beim Abendessen beobachtet hatte, unternahm niemand seiner Stufe Anstalten, ihn einfach anzusprechen, mit Fragen zu überfallen. Er bemerkte freundliches Interesse, wenn er es wagte, direkt in ein Gesicht zu blicken. Das war eine erstaunliche Abwechslung zur Reaktion in der letzten Zeit. Möglicherweise funktionierte diese Infusion tatsächlich. Als Aeolus bei ihm untergehakt Hyakinthos zum Schlafsaal geleitete, während an seiner Rechten Nereus ging, der erschöpft wirkte, trat ihm ein großgewachsener Mitschüler in den Weg. Nicht bedrohlich, keineswegs, jedoch seine athletische Statur, die Körpergröße und sein Auftreten wirkten wie ein Halteschild. "Entschuldigung, aber wir möchten uns kurz mit...Hyakinthos..." Die dunkle Stimme hob sich fragend an, um sicher fortzufahren. "Mit Hyakinthos unterhalten. Es dauert nicht lange." Hyankinthos erstarrte, grub die Finger reflexartig in Aeolus' Unterarm. Seine Linke zuckte unkontrolliert im Gipsverband. Der großgewachsene Schüler bemerkte seine Reaktion, wandte sich Aeolus zu, hielt ihm die rechte Hand hin. "Wir haben keine bösen Absichten." Langsam ergriff Aeolus mit der Linken die Hand. »Ein Lügendetektor für Gefühle? Oder wie?« Auch Hyakinthos ließ den linken Arm nicht fahren. ER hatte Angst. "Das ist in Ordnung, Hyakinthos. Die Stufenvertretung der letzten Klasse, Artaios, passt schon auf dich auf." Der Riese namens Artaios nickte. Er entzog Aeolus seine Hand, streckte sie Hyakinthos hin. Die hellblauen Augen blickten ernst, das Gesicht, in klassischer Schönheit, blieb gefasst, aber auch aufmunternd. »Neben ihm müssen sich alle klein und unbedeutend fühlen!« Schoss es Hyakinthos durch den Kopf. Zögerlich, resignierend, da er keine Wahl hatte, legte er seine Hand in die wohlgeformte, große von Artaios. Der lächelte, ein sanftes, behutsames Lächeln. "Lass uns gehen." Er führte Hyakinthos fort, einen Gang entlang, der von den Schlafsälen wegführte. Eine reduzierte Beleuchtung wies ihnen den Weg. "Ich habe gehört, dass es dir nicht besonders gut ging heute Morgen." Artaios bewegte sich geräuschlos, trotz seiner Größe, der Breite seiner Schultern und so elegant wie ein Tänzer. Hyakinthos schwieg. Was sollte er auch erwidern, um die Peinlichkeit zu überspielen? "Aeolus hat es schon gesagt: ich bin die Stufenvertretung der Abschlussklasse. Er hat dir sicher auch gesagt, dass alle in unserer Schule eine besondere Begabung haben, nicht wahr?" Ein Nicken schien angebracht, also bewegte Hyakinthos den Kopf knapp. Seine Linke wollte nicht aufhören zu zucken. Artaios blickte nach vorne. "Mein besonderes Talent ist Körperkraft. Eine ungewöhnlich große Körperkraft." Ergänzte er, beinahe verlegen, als sei es selbstverständlich, bei seiner Größe ein entsprechendes Äquivalent zu erwarten. Für Hyakinthos unerwartet hielt er plötzlich inne, drehte sich zu ihm herum. "Ich weiß, dass du Angst hast und keine Ahnung, was los ist." Die dunkle Stimme war erstaunlich sanft für einen Riesen. "Aber du bist nicht allein. Wir sind hier alle auf die eine oder andere Art anders als alle anderen Menschen. Deshalb halten wir zusammen, finden einen Weg, wie wir leben können. Du kannst auf uns vertrauen." »Eine merkwürdige Ansprache.« In Hyakinthos' Hinterkopf bimmelten Alarmsignale wie losgelöst. Andererseits spürte er instinktiv, dass er Artaios vertrauen konnte, dass ihm der Riese sympathisch war. Der nun ihren Weg fortsetzte, bis sie einen Raum erreichten, unter dessen Tür Licht in den Flur drang. Artaios öffnete die Tür, ließ Hyakinthos aber nicht los. Der zog die Schultern wie ein Schildkröte schützend hoch, wünschte sich einen Panzer. Im Inneren des Abstellraums, zwischen Regalen und säuberlich gestapelten Kisten, warteten vier weitere junge Männer. Da Hyakinthos sie nicht an seinem Tisch bemerkt hatte, gehörten sie vermutlich auch zur Abschlussklasse. "He, zuerst fischen ist nicht erlaubt!" Stellte einer fest. Artaios' Arm wanderte beinahe schützend um Hyakinthos hochgezogene Schultern. "Wir sollten uns zunächst miteinander bekannt machen." Eine gewisse Schärfe lag in seiner Stimme, bevor er im ruhigen Ton die Anwesenden vorstellte. "Caratacus hier ist Schatzmeister der Schülervertretung, sozusagen unser Finanzminister." Ein vorsichtiger Händedruck wurde ausgetauscht, während Hyakinthos Caratacus musterte: drahtig gebaut, sonnengebräunt, krause, schwarze Locken mit einigen Silberfäden. Die Augen waren so hell und klar, dass sie fast durchscheinend wirkten. »Er sieht eher wie ein Gärtner aus.« Stellte Hyakinthos fest. "Hallo." Caratacus nickte. "Das ist Taliesin." Artaios wanderte weiter. Hyakinthos spürte, wie ihm Röte in die Wangen stieg, als der schlanke Mann lange Glieder entfaltete, sich anmutig erhob, einen höfischen Kratzfuß vor ihm absolvierte. »Er ist schön!« Wisperte es andächtig in seinem Hinterkopf. Ja, Taliesin war tatsächlich so schön, als sei er einem Märchenbuch entsprungen. Seine hellbraunen Haare schimmerten rötlich wie Herbstblätter. Die braunen Augen wurden von langen Wimpern beschattet. Das spitze Gesicht und die Augenbrauen erinnerten an einen Fuchs. "Gestatten?" Er zwinkerte, lud Hyakinthos zu einem kleinen Tanzschritt ein. Seine Stimme tanzte mit einem fremdem Akzent, melodiös, verführerisch, leicht mokierend, wie eine kleine, neckende Herausforderung, ein Flirt. "Ich vertrete die musikalischen Ambitionen unserer Schule. Das heißt NICHT, dass ich der bedeutendste Kunstschaffende bin." Er lächelte zwinkernd. "Ich muss lediglich all den Beschwernissen unserer musischen Seelen lauschen!" Die anderen lachten über seinen kläglich-musikalischen Jammerton. Für Hyakinthos war jedoch klar, dass Taliesin aufgrund seiner äußeren Erscheinung und seines Auftretens Gewicht in der Schulgemeinschaft haben musste. Niemand konnte einen so faszinierenden Menschen nicht beachten. "Alocer." Der Dritte bleckte ein weißes, starkes Gebiss auf in einem Gesicht, das markant jeden Knochen in Szene setzte. "Ich bin dabei, weil mich der Teufel auf Tasten reitet. Ich hole dir die Sterne vom Himmel und erfülle Wünsche." Hyakinthos wich zurück. Dieser Alocer gab sich diabolisch und wirkte auch so. Er war groß, schlank bis mager, wie eine Sprungfeder unter einer steten Spannung, konnte in seiner schwarzen Aufmachung sowohl als Beatnik wie auch als Anhänger dubioser Kulte durchgehen. Ein sorgsam gestutzter Kinn- und Schnurrbart, der an vornehme Herren in Mantel- und Degen-Filmen erinnerte, vervollständigte seinen Auftritt als freigeistiger Zyniker. "Ich werde dich bestimmt auch Sterne sehen lassen." Wisperte Alocer spitzzüngig, drehte unaufgefordert den Finger in eine dunkelblonde Locke. "Ach ja? Wer sagt, dass du als erster ran darfst?" Knurrte eine übellaunige Stimme aus dem Hintergrund. Langsam erhob sich auch ihr Besitzer. Von ihm ging eine stille, unterschwellige, aber massive Bedrohung aus. Schwarze Haare stachelten wie elektrisiert in die Luft. Über den Ohren und im Nacken wichen sie einem einrasierten Wellenmuster. Dunkle Augen musterten Hyakinthos mitleidlos. Der nahm lediglich die zerrissenen Hosen, die hohen Schnürstiefel, ein enges, dunkelblaues Ringertrikot und ein kariertes Hemd wahr, das um die schlanken Hüften gebunden baumelte. Ein Band mit silbernen Dornen lag eng um den Hals, ergänzte eine ganze Parade von Metallanhängern, die an unterschiedlichen Stellen durch die Haut gebohrt worden waren. »Punk? Dark Metal? Gothic?« Hyakinthos war ratlos, aber klug genug, zu erstarren, als sich der noch Unbekannte leicht beugte, um ihm finster in die Augen zu funkeln. "Wir haben etwas vereinbart!" Artaios klang ermahnend, kritisch. Der Arm um Hyakinthos' Schultern zog ihn enger heran. Ein Lächeln tanzte auf den durchstochenen Lippen, während die schwarzen Augen Hyakinthos nicht aus ihrem Bann entließen. "Hi, Lustknabe. Mich haben sie Erebos getauft. Ich bin nur hier, weil ich der Krawallbruder in diesem Hort der Seligen bin. DAS ist meine Qualifikation." Artaios mischte sich ein. "Das genügt jetzt sicher für den ersten Tag. Es ist schon spät. Wir sollten unser Gespräch..." »Ich wusste, dass etwas nicht stimmt!« In Hyakinthos rebellierte es. »Es kann ja auch nicht wahr sein, dass es einen Ort gibt, wo ich keinen Ärger habe! Sie wissen Bescheid!« Er unterbrach Artaios einfach. "Warum Lustknabe?" Er starrte Erebos an. Der lächelte, leckte sich mit der Zungenspitze über die Zähne. Sie trug einen Stecker. "So!" Erebos schnurrte beinahe, ignorierte Artaios, der den Kopf schüttelte. "Schätze, du weißt noch nicht, dass wir dich alle durchvögeln werden." #~~~~~> Es war zu dunkel. Er kannte sich nicht aus. Außerdem war er müde, verwirrt und körperlich auch nicht auf der Höhe, alles erhebliche Hindernisse. Trotzdem rannte Hyakinthos, der sofort wieder zu Michael werden wollte, so schnell er konnte. Die Infusion wirkte nicht, so viel war klar! Hier wollten sie ihn nicht verprügeln, sondern vergewaltigen! Während er keuchte, seine Lungen sich quälten, ihn alles schmerzte, was seinen Körper ausmachte, hoffte er, dass sich irgendwo der Weg zu Aeolus fand. Der würde ihm helfen. Auch gegen fünf? »Lauf!« Trieb ihn sein Ur-Instinkt an. »Lauf um dein Leben!« "Falsche Richtung." Hyakinthos prallte gegen eine Gestalt, die sich förmlich aus dem Nichts materialisierte. »Erebos!« Sofort begann er zu zappeln, aber der Griff um seinen Oberkörper wurde lediglich ein wenig fester. Leise Schritte näherten sich in rapidem Tempo. "Bitte, lass ihn los. Wir werden alles in Ruhe erklären." Artaios klang verärgert und verbindlich zugleich. "Ich schreie!" Innerlich verwünschte sich Hyakinthos für diese Theatralik. Besser gleich loslegen, als Zeit zu verschwenden! "Nein, das tust du nicht." Versicherte Erebos selbstsicher, presste eine Hand auf Hyakinthos' Mund. "Du wirst nicht schreien, sondern brav tun, worum dich unser glorreicher Anführer gebeten hat." "Lass ihn los." Artaios' Hand fasste nach dem Handgelenk. "Deine Ringe werden ihm noch die Lippen aufreißen." Behutsam griff er nach Hyakinthos' Rechter. "Bitte, ich erkläre dir alles. Niemand wird Hand an dich legen!" "Zumindest noch nicht." Erebos schien es großen Spaß zu machen, Artaios' Bemühungen zu sabotieren. "Ich werde Aeolus herbitten." Taliesin trat hinzu, begleitet von Caratacus, der brummte. "Alocer hat sich schon verzogen zu seinen Sternguckern. Mir reicht's auch für heute." Artaios holte tief Luft. "Ist gut. Taliesin, wenn du so freundlich wärst?" Er wandte sich wieder Erebos zu. "Bitte, lass ihn jetzt los." Dieses Mal klang er so, als müsse er angestrengt die Contenance wahren. Erebos lachte, guttural und dunkel. "Du wirst noch deinen Ruf ruinieren, ruhmreicher Anführer!" Aber er ließ in pathetischer Gestik Hyakinthos tatsächlich frei. #~~~~~> Hyakinthos' erster Gedanke galt der Flucht. »Bloß weg von hier!« Aber sein Verstand trat die Bremse. Wohin wollte er auch fliehen? Es war dunkel, die Internatsschule abgelegen, nach Hause konnte er auch nicht. Er ließ die Schultern hängen, atmete tief durch. »Diese Schule ist wirklich von allen guten Geistern verlassen!« Grollte eine Stimme in seinem Hinterkopf in Anspielung auf ihren Namen, Sacred Spirits Acre. "Hyakinthos." Erstaunlich leicht ging dem Riesen sein Name über die Lippen. "Du hast mein Wort, dass wir dir kein Leid zufügen wollen." Er seufzte leise, wirkte auf eine Weise attraktiv, die Hyakinthos an Abziehbilder amerikanischer Helden erinnerte, eine Art Schnittmenge aus J.F.K. und Superman. "Allerdings gibt es einige Dinge, die du unbedingt erfahren musst. Nicht nur zu deinem Schutz, sondern auch zu dem aller anderen hier." Er fasste Hyakinthos sehr sanft, hauchzart bei den Fingerspitzen der Rechten. "Bitte, ich bitte dich, hör mich an, lass mich alles erklären. Wenn Aeolus dabei ist, wird er dir bestätigen, dass ich die Wahrheit spreche." "Unser ruhmreicher Anführer aus dem Reich der maskulinen Tugend würde niemals etwas so Ehrabschneidendes tun wie lügen!" Erebos spottete, zerrte einen Lutscher aus seiner Hosentasche, schob ihn zwischen die gepiercten Lippen. Trotz der Semi-Dunkelheit konnte Hyakinthos erkennen, dass Artaios für einen Moment die Augen schloss, als habe er Mühe, nicht ausfallend zu werden. Taliesin kehrte mit Aeolus zurück, der beunruhigt die Älteren musterte. Selbstverständlich spürte er, dass etwas vorgefallen war. "Gehen wir doch ins Lager." Mit einer höflichen Geste wies Artaios den Weg, nickte dem schönen Taliesin zu. "Vielen Dank für deine Hilfe." Taliesin lächelte, die schulterlangen Strähnen wehten in einer flammenden Woge auf, als er kokett das Haupt neigte, um sich zu verabschieden. Aeolus hielt Hyakinthos bei der Rechten, beobachtete besorgt, wie die Fingerspitzen der Linken, die aus dem Gips ragten, unkontrolliert zuckten. "Hab keine Angst." Wisperte er vertraulich, rückte näher heran, als könne seine Körperwärme Zuversicht verströmen. Artaios ließ sich auf einer der Kisten nieder, schwerfällig und langsam, als lagere das Gewicht der Welt auf seinen breiten Schultern. Er streckte die Rechte als Schwurhand zu Aeolus hin, der sie ergriff. Der Riese hob den Kopf, sah Hyakinthos direkt in die Augen. "Das, was ich dir jetzt erzähle, klingt verrückt. Aber du hast ja selbst schon gesehen, dass wir hier in einer erweiterten Realität leben. Wir vermögen Dinge zu tun, etwas zu sein, was über das Begriffsvermögen durchschnittlicher Menschen hinausgeht. Du bist nun auch einer von uns." #~~~~~> Natürlich war es besser, vor dem Schlafengehen zu erfahren, was des Pudels Kern war. Das bot den Vorteil, dass man sich die Nacht über zwar mit Albträumen, aber nicht mehr mit übertriebenen Ungewissheiten quälen musste. Hyakinthos wusste nicht, ob ihn Albträume heimsuchen würden, weil er noch keine genaue Vorstellung von dem hatte, was ihm anvertraut worden war. Es war absurd, spinnert, vollkommen unsinnig. Er zog die Beine unter den Leib, rollte sich fester in seine Decke. Obwohl er die Vorhänge zugezogen hatte, sichtbare Grenze seiner Privatsphäre, fühlte er sich ungeschützt. »Aber ich kann mich ohnehin nirgends sicher fühlen.« Stellte seine innere Stimme säuerlich fest. »Vielleicht wirkt die Infusion ja doch!« Versuchte er sich aufzumuntern, aber das war nur ein geringer Trost. Die Infusion half lediglich gegen die körperliche Mattigkeit, nicht gegen die andere "Sache". Vor seinen geschlossenen Augen ließ er seine >Schutzengel< Revue passieren: Artaios, der attraktive Riese, Caratacus, der Gärtner, Alocer, der Sternengucker und Taliesin, der schöne Künstler. »Vergiss Erebos nicht!« Gruselte sich sein Inneres. Er war zu erschöpft, zu müde, um wirklich panische Angst zu empfinden. Zweifellos würde das noch kommen. »Ich MUSS mich erinnern! Sonst kann ich nicht sicher sein...!« Aber Sicherheit gab es nicht. #~~~~~> Kapitel 3 - Ein Geheimnis und eine sehr limitierte Zukunft "Konntest du ein bisschen schlafen?" Aeolus begleitete Hyakinthos am nächsten Morgen zum Krankenzimmer, bevor der Unterricht begann. Hyakinthos wusste, dass er nicht sonderlich gut aussah. Schlaflose Nächte, Sorgen um die eigene Gesundheit, allgemeine Lebensunlust: sie hinterließen Spuren. Er zuckte mit den Schultern, entzog sich einer Antwort. Die wäre auch gar nicht erforderlich gewesen, wie seine innere Stimme ihn grantig erinnerte: Aeolus konnte seine Gefühle lesen. "Na, wie fühlen wir uns heute?" Jovial mit der grässlichsten aller Klischeefragen begrüßte sie Calculus, der Herr über die Infusionen. Er hielt sich auch nicht mit einer Antwort auf, sondern bedeutete Hyakinthos, auf der Liege Platz zu nehmen. "So~oo, gleich geht's rund!" Verkündete Calculus aufgekratzt, zündete einen seiner Pseudo-Sargnägel an, balancierte ihn im Mundwinkel, während er in atemberaubender Geschwindigkeit eine Blutprobe nahm, Blutdruck maß, die Herzfrequenz ermittelte und laut überlegte, ob eine Urinprobe erforderlich sei. "Gut~gut~gut!" Murmelte er selbstvergessen, legte eine neue Infusion, die er einfach oberhalb auf Hyakinthos' Schlüsselbein klebte. "Sehr formschön!" Lobte er sich selbst. "Keine Angst, die Pflaster halten eine Menge aus. Ach ja, kleine Erfindung von mir, das mit der Mini-Pumpe." Hyakinthos schwankte, ob er wirklich fragen sollte. Die Frage aller Fragen. »Wirkt diese Infusion wirklich? Ist sie schon erfolgreich angewandt worden?« Er schwieg. Calculus blätterte in Unterlagen, klopfte auf den Gips. "Der könnte sicher auch bald runter, oder?" Aeolus brachte sich höflich in Erinnerung. "Herr Calculus, der Unterricht beginnt in Kürze." "Ja, die Tragik meines Lebens! Der Spaß muss immer hintanstehen!" Mit einem Klaps auf den Hintern scheuchte der Herr über die Krankenstation Hyakinthos hinaus. Er bemerkte nicht, wie der fahl-weiß wurde, zu zittern begann. #~~~~~> »Das ist nur Einbildung!« Wisperte seine innere Stimme herrisch. »Du bist bloß überreizt. Zu wenig Schlaf, ein verdammter Plastikbeutel angeklebt, in einem Irrenhaus einquartiert. Das gibt sich schon wieder.« »Aber ich kann nicht sicher sein, nicht wahr?« Debattierte Hyakinthos mit sich selbst. Nein, er konnte nicht sicher sein. Vielleicht starrten sie ihn wirklich an. Vielleicht sahen sie weg, wenn er sich umwandte. »Vielleicht bist du schon paranoid!« Grollte seine Ratio verdrießlich. Er versuchte sich zur Abwechslung auf den Unterricht zu konzentrieren. Lehrkräfte zogen an ihm vorbei, die samt und sonders wie Herr Calculus wirkten: auf eine gewisse Weise sehr merkwürdig. Außerdem musste er bald erkennen, dass es harter Anstrengungen bedurfte, wenn er hier in einem Jahr seinen Abschluss erreichen wollte. Die Lehrpläne erwiesen sich als erheblich anspruchsvoller als an seiner vorherigen Schule. »Noch mehr Stoff für schlaflose Nächte, Magengeschwüre und Kopfschmerzen.« Resignierte er innerlich. »He, wenigstens sind diese fünf Spinner nicht in der Nähe.« Versuchte er einen positiven Aspekt seines neuen Lebens zu sehen. Merkwürdigerweise unternahmen seine neuen Klassenkameraden aber keine Anstalten, sich mit ihm vertraut zu machen. Nicht etwa, dass sie ihn ablehnten, ihm auswichen oder unfreundlich waren, nein, sie waren lediglich vorsichtig. Sehr vorsichtig. Die Mädchen waren weniger gehemmt, bestürmten ihn mit neugierigen Fragen, um eine Art Steckbrief seiner Vita zu erhalten. Darüber hinaus hielt sich ihr Interesse in Grenzen. Hyakinthos kannte den Grund: für Mädchen war er schlicht zu fade. In seiner ehemaligen Klasse hatte ihm ein Mädchen einmal direkt auf den Kopf zugesagt, dass er der "geborene jüngere Bruder" sei: nett zum Aufziehen, necken, aber ohne jeglichen Anflug von männlichem Sexappeal. »Nicht, dass ich jemals Ambitionen gehegt hätte!« Sein Kopf schmerzte. Ohne männliche Vorbilder, ohne ein besonderes Objekt des Interesses, für das sich die "Verwandlung" gelohnt hätte, war er glücklich durch das Leben gezogen. Nun musste er sich die unangenehme Frage stellen, ob er nicht insgeheim...? "Mittagspause." Nereus riss ihn aus seinen Erwägungen. Hyakinthos bemerkte, dass Nereus sich von niemandem berühren ließ, ausgenommen Aeolus. Der griff bei jeder Gelegenheit nach einer Hand des ständig feucht wirkenden Jugendlichen, flüsterte vertraulich mit ihm, lächelte hingerissen. »Total verknallt.« Lautete Hyakinthos' Diagnose. Zügig verließen die Kinder und Jugendlichen nach Stufen ihre Räume, um im Speisesaal zusammenzukommen. Hyakinthos massierte verstohlen den harten Knoten in seinem Magen. Dieses Mal bildete er sich nichts ein: die fünf Schutzengel der Abschlussklasse beobachteten ihn wachsam. #~~~~~> Als die letzte Unterrichtsstunde an Hyakinthos vorbeigezogen war, zweifelte er nicht mehr an der absurdesten Erklärung, die er jemals gehört hatte. Aus einem einfachen Grund: sein Schädel drohte zu platzen. Nicht nur eine ausgewachsene Migräne, die ihm Tränen in die Augen trieb, auch sein Magen schien sich in einem gewaltigen Knoten zu verdrehen. Da waren die Blicke, die Ausweichmanöver, als hätte sich eine gewisse Nachricht rasch verbreitet: niemand rührt den Neuen an! Er verabschiedete sich folgerichtig von Aeolus, der zum ersten Mal keine Anstalten unternahm, die Distanz zu überwinden. »Mein Leben als Paria.« Dachte Hyakinthos verkniffen, würgte an aufsteigender Galle. »Oder vielmehr...« Er trat auf die geistige Bremse. Er WOLLTE diesem Zustand keinen Namen geben. »Mach dir keine Gedanken, das werden andere schon für dich erledigen!« Zischte eine bittere Stimme in seinem Hinterkopf. In der Krankenstation wartete er ungeduldig auf Herrn Calculus. Mit jeder Minute schien sich sein Zustand zu verschlimmern. Er umklammerte seinen Oberkörper, wiegte sich vor und zurück, lenkte sich ab. »Sie haben recht.« Dachte er mit aufeinander gepressten Lippen. »Und wenn sie damit recht haben, dann...« Er seufzte. Dann musste er auch den ganzen Rest der unglaublichen Erklärung akzeptieren. "Ah, wie fühlen wir uns?!" Herr Calculus stürmte herein, auf seiner Glatze eine gewaltige Sonnenbrille balancierend. Er warf einen Blick auf Hyakinthos, hielt inne. "Du siehst ziemlich abgewrackt aus." Stellte er feinfühlig fest. Hyakinthos grimassierte. "Hmm." Brummte Calculus, zog eine Schublade auf, um sein Instrumentarium an Diagnoseverfahren zum Einsatz zu bringen. Hyakinthos ließ es über sich ergehen in der vagen Hoffnung, die bittere Pille, die man ihm gestern aufgenötigt hatte, sei doch nicht die letzte Möglichkeit. "Na, so was." Murmelte der glatzköpfige Mann, wiederholte diese überraschte Äußerung immer wieder, murmelte sie selbstvergessen vor sich hin. Seinem Patienten gefiel das gar nicht. Es hatte etwas sehr Beunruhigendes an sich. "Na gut!" Stellte Calculus schließlich nach eingehender Studie der Ergebnisse fest. Das klang tatkräftig. Es brachte Hyakinthos eine Spritze ein. "Sie haben eine Lösung?" Hoffte er laut. Calculus blinzelte, zog eine Schnute, grübelte. »Oh, ich sehe schon, wie sich die guten Zeichen häufen!« Schnaubte eine Stimme in Hyakinthos' Hinterkopf. "Na ja." Eine vage Geste folgte, eingeschlossen ein schiefes Grinsen. "Na ja." »Oh toll. So ausführlich hätte es gar nicht ausfallen müssen!« Grollte die fuchsige Stimme innerlich, wunderte sich darüber, dass sie so giftig sein konnte. Hyakinthos erhob sich langsam. Nicht nur sein Körper litt. Nein, das musste er endlich akzeptieren: mit ihm selbst geschah etwas. Als ob seine Sinne sich schärften, härter wurden, unsichtbare Stacheln sich aufstellten. Er hatte bis zu diesem vermaledeiten Valentinstag niemals boshaft oder gemein werden müssen, gehässig, unleidlich. »Aber jetzt bin ich es. Ich kann es nicht abstellen. Als ob man über-nüchtern ist, zu viel Koffein intus hat. Zu wach. Zu aufmerksam.« Mit der Linken presste er unauffällig den Gips vor den Magen. Die Übelkeit paarte sich mit dem nervösen Knoten aus Angst. "Guten Abend." Artaios stand im Türrahmen. Er lächelte gewinnend. Die Finger der linken Hand zuckten, sodass Hyakinthos sie schnell hinter seinem Rücken außer Sicht brachte. Für einen langen Augenblick spürte er seinen Körper nicht mehr, schwindelte. Eine erstaunlich wohlgeformte Hand hielt seine klamme Rechte. "Ich begleite dich zu deinem Schlafsaal." Artaios lächelte aufmunternd zu ihm herab. Wie aufgezogen setzte sich Hyakinthos in Bewegung. »Das DARF alles nicht wahr sein.« #~~~~~> "Hast du mit ihm gesprochen?" Taliesin ließ die Fingerspitzen anmutig über eine kleine Harfe gleiten. Die sanfte, harmonische Melodie wirkte entspannend. Artaios setzte sich langsam, elegant und kraftvoll zugleich. "Er fürchtet sich. Und baut sehr schnell ab." Flüsterte er betroffen. Die Verschwörer schwiegen für einen langen Moment. "Also, wann?!" Erebos glitt von der Fensterbank herunter, streifte sich die Kapuze vom Kopf. Sein Ton war ungeduldig-gehässig genug, um Einladung zu einem Streit zu bieten, aber Artaios ging nicht darauf ein. "Wir können am Samstag ein Picknick unternehmen. Nachtwanderung zurück. Ich habe die Erlaubnis bereits erhalten." Seine Augen suchten Widerstand im Rund. Caratacus nickte knapp. Er hielt sich gern im Freien auf. Alocer zog spöttisch eine Augenbraue hoch. Taliesin lächelte rätselhaft. Erebos schlug mit der flachen Hand vor Artaios auf den Tisch. "Schön, oh glorreicher Anführer! Ich spendiere die Lose. Wir wollen doch nicht, dass es Gedränge gibt, nicht wahr?!" Artaios wusste, dass drei Augenpaare ihn abwartend musterten. Erebos provozierte, mal wieder, in ätzendem Tonfall, herausfordernd, unverschämt. Er hob langsam den Blick, sah in die dunklen Augen. "Vielen Dank." Es war sachlich, verbindlich, signalisierte, dass hier und heute kein Streit mehr vom Zaun gebrochen werden konnte. Erebos beugte sich tiefer über den Tisch, fixierte Artaios' hellblaue Augen unverwandt. "Wird er so lange aushalten?" "Oder werden wir so lange genug Einfluss haben?" Alocer ließ eine kalte, weiße Flamme auf einer Fingerspitze tanzen. Sie ließ seine Gesichtszüge noch strenger erscheinen. Ein Akkord löste die Spannung. Taliesin erhob sich. "Ich schlage vor, wir halten uns Optionen offen, wenn sich bis Samstag die Situation verschlechtern sollte. Für heute ist es genug." Erebos starrte noch einen Moment länger, wandte sich dann mit katzenhafter Gewandtheit ab, verließ den Schlafsaal. Artaios nickte langsam. »Jeden Tag für sich. Einen nach dem anderen.« #~~~~~> Hyakinthos wickelte sich aus seinem Bettzeug. Er hatte schlecht bis gar nicht geschlafen, zu viel Zeit darauf verwandt, sich hin und her zu wälzen, Schreckensvisionen auszuweichen. Es war noch immer früh, aber er nutzte die Gelegenheit, sein mattes Ich zu den Waschräumen zu schleppen. Wie bei vielen anderen Angelegenheiten gab es auch hier Schichtpläne. Wollte man nicht mit der Masse hineindrängen, Schlange stehen, musste man früher als die anderen aufstehen. Er wich demonstrativ jeder spiegelnden Fläche aus, steuerte die Toilettenkabinen an. In einem Haushalt mit Frauen gab es nur Sitzplätze und heruntergeklappte Toilettenbrillen. Ihn störte das nicht, alles eine Sache der Gewohnheit. Außerdem konnte er einhändig leichter auf diese Weise agieren. Wie immer, wenn der Körper sich selbst beschäftigte, flogen die Gedanken müßig dahin. Auch wenn man ein Schlafdefizit hatte, einen harten Knoten im Magen, sich generell wie dreimal Hauptschleudergang mit Gehirn-Weichspüler fühlte. Sie hatten recht, das konnte Hyakinthos nicht leugnen. Alle Zeichen sprachen dafür. »Es gibt für mich keinen Ausweg, denn das Problem bin ICH.« Er ballte die Rechte. Natürlich hatte er Angst. Wer hätte die nicht? Zwischen Hölle und Pestilenz wählen zu müssen trug nicht gerade zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Hyakinthos stützte den Kopf auf die Rechte, rieb sich massierend über die Augen- und Schläfenpartie. »Wie geht es weiter?« Hakte eine innere Stimme leise nach. »Keine Ahnung.« Antwortete er sich selbst gallig. Kein Scherz konnte bitter genug sein, um sich nicht potentiell in grausige Wahrheit zu verwandeln. »Samstag, hat er gesagt.« Zählte er stumm, um sich ein wenig abzulenken. »Das sind heute eingeschlossen noch drei Tage.« Lange genug, um sich verrückt zu machen. Vielleicht zu lange, wenn die Infusionen nicht bessere Wirkung zeigten. Hyakinthos schreckte auf, als er leise Schritte vernahm. Er presste die Rechte auf seinen Mund. »Jetzt nur keinen Laut! Nicht mal laut atmen!« Konnte es sein, dass man ihn suchte? Hatte ihn jemand beobachtet?! Oder vielleicht...? Er hörte, wie die Schritte verstummten. Einen langen Augenblick nichts mehr, bis eindeutige Geräusche verrieten, dass sich die andere Person an den Urinalen erleichterte. »Bitte lass ihn nichts bemerken!« Flehte Hyakinthos stumm, steif gefroren auf seinem Thron des kleinen Mannes. Die Schritte wendeten sich den Waschbecken zu, erneut lief Wasser. Sie verließen den Waschraum. Vor Erleichterung flau und schwindlig lehnte sich Hyakinthos an die Kabinenwand. »Du wirst noch paranoid hier!« Tadelte er sich selbst erleichtert. Langsam erhob er sich, reinigte sich, zog die Spülung. Als er aus der Kabine trat, erschrak er: sein Handtuch hing deutlich sichtbar an einem Waschbecken! Hatte es der andere vielleicht gesehen? Wartete er draußen auf ihn? Sein konditionierter Körper beschäftigte sich unterdessen mit der Routine: wusch die Hände, trocknete sie sorgfältig. Mit klopfendem Herzen, das Handtuch verkrampft in der Rechten, lauschte Hyakinthos auf den Flur hinaus. Konnte der andere sich vielleicht im Waschraum verborgen haben oder wartete neben dem Türsturz auf dem Flur? »Du kannst hier nicht zelten!« Drängte ihn seine Verzweiflung streng. »Bilde dir nicht so viel ein! Du drehst sonst noch durch! Geh jetzt raus! Kannst ja schreien, wenn etwas ist!« Er holte tief Luft, öffnete die Tür, trat hinaus in den kleinen Vorraum, der zum Flur und zu den Waschräumen führte. Aber niemand lauerte dort, auch nicht im Flur. Erleichtert schob sich Hyakinthos an der Wand zum Schlafsaal seiner Stufe zurück, als er jemanden bemerkte. »Frühsport?« Volontierte sein Gehirn. Er drückte sich an die Wand, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Abschlussklasse.« Schloss sein Gehirn. Nur aus diesem Schlafsaal konnte der andere getreten sein. »Artaios.« Bot es eine Vermutung an. Niemand erreichte dessen unverwechselbare Statur. »Warum schleicht der sich morgens zum Sport raus?« Die Paranoia begrüßte eine selbstmörderische Neugierde als Spießgesellen. Es gab schließlich jeden Tag Sport in der Schule. »Vielleicht ein heimliches Rendezvous.« Seine innere Stimme gewöhnte sich langsam an Boshaftigkeit. »Immerhin muss er ja nicht nur in eine Richtung ausschwenken, richtig?« Hyakinthos wollte darüber lieber nicht nachdenken, auch wenn er das sichere Gefühl entwickelte, dass er überstimmt werden würde. Ohne sich bewusst dazu zu entschließen folgte er Artaios durch das Treppenhaus ins Freie. #~~~~~> Aeolus hatte ihn schon am Vortag kurz über das Gelände geführt, ihm erklärt, was es mit dem Irrgarten auf sich hatte. Dass man sich besser in den Garten- und Beetanlagen auf den Wegen hielt. Doch so weitläufig das Gelände zwischen den Schulgebäuden auch erschien, Artaios strebte weder die Grünanlagen noch die Sportgelegenheiten an. Er hielt auf einen hohen Zaun zu, überkletterte ihn mühelos, folgte einem Pfad. Hyakinthos seufzte. Wie sollte er über den Zaun steigen? Mit nur einer Hand konnte er sich nicht hochziehen. Er tigerte am Zaun entlang, bis er zu einem Tor kam. Probeweise drückte er den Schließer. Zu seiner Überraschung öffnete sich die Tür ohne Klage. »Raus ja, aber rein?« Doch Hyakinthos war entschlossen, Artaios' Geheimnis auf die Spur zu kommen. Warum auch nicht? Er hatte ohnehin nichts Besseres vor! Nachdem er nun das Hindernis überwunden hatte, suchte er nach dem Pfad. Der mündete in einem asphaltierten Weg. Von Artaios keine Spur. Hyakinthos nutzte seine 50%-ige Chance, folgte dem Weg bergauf. Bald kam er an eine Gabelung. Der Weg führte zu einigen Wohnhäusern, eine Schotterpiste in den Wald hinein. »Ein Wanderweg.« Er inspizierte die Zeichnungen an einem Baum. »Ein Geländegänger!« Jammerte sein Körper überfordert. Wenn Artaios jetzt wirklich einen Geländemarsch als Frühsport absolvierte, hatte sich Hyakinthos mit seiner Neugierde in ein Schlamassel hineinmanövriert. "Ich kann ja fünf Minuten laufen und nachsehen, wohin dieser Waldpfad führt. Danach wieder umkehren, geht ja bergab!" Sprach er sich selbst Mut zu. Über das Problem mit der Pforte wollte er jetzt lieber nicht nachdenken. Der Schotter wurde schnell von Kieselspuren abgelöst, die zwischen Morgentau-feuchtem Gras und einem Teppich modrig-glibberiger Blätter schimmerten. Wenn es Sand gegeben hatte, um den fauligen Morast des letzten Herbstes zu binden, so schien der ins Tal hinab gespült worden zu sein. Hyakinthos bewegte sich vorsichtig. Die Sohlen seiner Turnschuhe mochten das feuchte Gras nicht sonderlich, neigten zum Abgleiten. Außerdem wollte er nicht unversehens in Artaios hineinlaufen. Nach fünf Minuten exakt piepte seine Armbanduhr ihre Stoppzeit. Er hielt inne, richtete sich auf, sah sich um. Der Wanderweg führte in langen Serpentinen den Hausberg hoch. Der war nicht etwa gewaltig, schützte aber mit seinen umgebenden Kollegen die Kleinstadt mit ihrer großen Schule. "Tja, und nun?" Hyakinthos atmete tief durch. Sollte er dem Wanderweg folgen oder in die Schule zurückkehren? Ein Blick hinunter bestärkte seinen Entschluss: zweifellos würde er sich am dritten Tag seines Aufenthalts Ärger mit dieser Aktion aufhalsen. Warum es also beschleunigen? »Außerdem bist du hier weit von anderen Menschen weg.« Stellte seine innere Stimme fest. Das war gut, weil er sich im Augenblick allein sicherer fühlte. Folgerichtig stieg er weiter den Wanderweg hoch, bis er eine kleine Lichtung an der Spitze erreichte. Er hatte zwanzig Minuten benötigt, um den Gipfel zu ersteigen. Natürlich gab es auch einen Aussichtspunkt. Eine kleine Tafel wies daraufhin, dass hier im Mittelalter ein Signalturm gestanden hatte, um mit den anderen Anhöhen zu kommunizieren. Hyakinthos folgte dem gewundenen Pfad durch hohe Sträucher, zwischen knorrige Bäume hindurch, die dem scharfen Wind hier oben Rechnung trugen. Von dem Signalturm waren lediglich verwitterte Grundmauern geblieben. Auf der niedrigen Mauer stand Artaios. Hyakinthos verbarg sich hinter einem Gebüsch, beobachtete den Riesen verwundert. »Was treibt er denn da?« Artaios stand auf der Mauer, den Blick offenkundig in die Tiefe gerichtet. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Der~der wird doch nicht?!« Unwillkürlich schob sich Hyakinthos durch die Büsche. Er hörte Artaios wispern, so gepresst, als müsse er jede Silbe durch zusammengebissene Zähne zwängen. "Eierpfannkuchen mit Pflaumenmus. Und...und..." Er stockte. »Okay, ich gehe jetzt!« Verabschiedete sich Hyakinthos' Gehirn zynisch. Offenkundig war das wieder so eine merkwürdige Eigenart dieser Klapsmühlen-Einsitzenden! Aber Hyakinthos hatte kein gutes Gefühl. Artaios wirkte angespannt bis in die Haarspitzen, stand auf einer Mauer über einem mutmaßlichen Abgrund. »Aber wenn ich ihn jetzt nun anspreche, erschreckt er sich vielleicht und...« Die Vorstellung, er könne eine Katastrophe auslösen, indem er falsch reagierte, lähmte Hyakinthos. »Was tun, was tun, was tun?!« Dröhnte in seinem Schädel ein Innuendo. Glücklicherweise zeigte sich die lokale Fauna von diesen Sorgen befreit. Ein Vogel flatterte zwitschernd auf, veranlasste Artaios, den Kopf zu drehen. »Jetzt!« Trieb Adrenalin Hyakinthos vorwärts, sodass er aus seinem Versteck trat, leise Artaios' Namen wisperte. Der fuhr herum, so elegant und leichtfüßig, dass es mit einem Hünen seiner Statur unvereinbar schien. Hyakinthos konnte tiefen Kummer und Verzweiflung in dem attraktiven Gesicht lesen. Automatisch hob er den rechten Arm, streckte die Hand aus, die offene Handfläche einladend ausgerichtet. Artaios stand zunächst unbeweglich, bequemte sich, mit sackenden Schultern von der niedrigen Mauer zu steigen. "Wie lange bist du schon hier?" Seine Stimme klang gepresst, würgte an einem Kloß im Hals. Sehr vorsichtig fasste Hyakinthos die Linke, hielt den Stufensprecher fest. "Geht es dir nicht gut?" Erkundigte er sich scheu. Hätte sich selbst im gleichen Moment für die naive Frage ohrfeigen können. Artaios reagierte jedoch nicht beleidigt oder aggressiv, lehnte jede Sorge ab. Nein, er ließ sich auf die niedrige Mauer nieder, strich mit dem Daumen über Hyakinthos' Handrücken. "Du bist sicher erschrocken. Das tut mir leid." Er hob den Kopf, ein fahles Lächeln auf die Gesichtszüge gezwungen. Über seine Schulter hinweg wagte Hyakinthos einen Blick hinunter. Ihn schauderte. In der Tat, diese Abkürzung ins Tal würde für einen langen Fall und einen harten Klatsch sorgen. "Ich~ich werde dich nicht verraten." Versicherte er, grimassierte verlegen. Artaios lächelte, traurig, müde, aber aufrichtig. "Danke." Antwortete er schlicht. Um die nervöse Unruhe zu kontrollieren, ließ sich Hyakinthos neben Artaios nieder. Obwohl er dem Abgrund den Rücken zukehrte, spürte er doch das Unbehagen, dass der auslöste. Ein kurzer Fall und alle Probleme waren verflogen. "Hast du etwas besser geschlafen?" Hyakinthos merkte, dass der Hüne wieder auf seinen normalen Konversationston umschaltete, aufmerksam, freundlich, angenehm. "Nicht besonders." Murmelte er, fühlte sich plötzlich sehr erschöpft. Er wusste sich schließlich keinen Rat. Es gab niemandem, dem er von seinem Dilemma etwas erzählen konnte, weil die meisten das einfach nicht...! Hyakinthos hob den Kopf. »Die meisten würden es vielleicht nicht glauben, aber er...!« "Ich habe Angst." Er holte tief Luft, kämpfte gegen die erstickende Scham an. "Also, vor Samstag. Und... na ja." Er ließ den Satz in der kühlen Morgenluft baumeln. "Wir werden dir nicht wehtun, ich verspreche es." Gewohnt fürsorglich und beschützend wandte sich ihm Artaios zu. Sein eigener Kummer schien verschwunden zu sein. Hyakinthos spürte, wie ihm Farbe ins Gesicht schoss. Glücklicherweise enthielt sich seine innere Stimme jeden Kommentars. "Ich habe noch nie..." Er zuckte mit den Schultern, glaubte, dass unter seinen Locken seine Ohren in Flammen standen. "Ich verstehe." Beruhigend strich eine schöne Hand über seinen Rücken. "Hab keine Angst. Wir werden alle vorsichtig sein." Mit einer Grimasse räusperte sich Hyakinthos, warf einen scheuen Seitenblick auf den Hünen. "Danke." Die Hand, die über seinen Rücken gestrichen hatte, wanderte zur Seite, zog ihn in eine freundschaftliche Umarmung. "Keine Angst, Hyakinthos. Wir helfen dir. Es wird alles gut, bestimmt." Hyakinthos lächelte wider Willen. Selbst wenn die Worte nicht mehr als Schall und Rauch waren im Angesicht der Unwägbarkeiten des Lebens, er hörte sie gern. Sie machten ihm Mut. #~~~~~> »Das Angenehme mit ihm ist, dass man nicht reden muss.« Dachte Hyakinthos, als er neben Artaios den Weg zurück zur Schule nahm. Sie konnten schweigend nebeneinander bergab stapfen, ohne dass ein unbehagliches Gefühl aufstieg, das zu sinnlosem Plappern oder zum Pfeifen im dunklen Wald verführte. Der Wald übrigens zeigte sich noch licht, noch nicht vollständig von neuem Blattwerk gekrönt. Die energische Frühlingssonne wärmte sie gemütlich auf. "Gleich gibt es Frühstück." Erinnerte ihn Artaios, als er ihn mühelos über den hohen Zaun hob, ihm signalisierte, sich auszubalancieren, bevor er selbst gelenkig über den Zaun stieg, ihm hinab half. »Wie ein großer Bruder.« Schoss es Hyakinthos durch den Kopf. Er fragte sich, ob Artaios vielleicht wirklich Geschwister hatte. »Es wäre nett, auch mal andere Menschen näher kennenzulernen.« Erinnerte ihn seine innere Stimme streng. »Ja.« Seufzte Hyakinthos stumm. »Ohne Meike...« Ohne sie war er wirklich gezwungen, sich mit dem Rest der Welt auseinanderzusetzen. #~~~~~> Das Frühstück lief wie die Mahlzeiten zuvor. Hyakinthos fühlte sich beäugt, aus sicherer Distanz. Niemand war unfreundlich, wenn er um etwas bat, wurde es ihm gereicht, aber... Aber er blieb ausgeschlossen, wie ein potentiell gefährliches Tier. »Das bin ich wohl auch.« Er nagte an seinem halben Frühstücksbrötchen. Der Spaziergang hatte ihm erstaunlich gut getan, zumindest verspürte er wieder Appetit. Möglicherweise konnte die Infusion ja auch noch ein wenig helfen. Alles würde sicher besser, wenn er die Mattigkeit in die Flucht schlagen könnte. #~~~~~> "Tut mir leid." Alocer reichte die Mappe mürrisch zurück. "Das übersteigt meine Fähigkeiten." Artaios zögerte, das Gesicht ernst und entschlossen. "Kannst du nicht etwas finden? Anhaltspunkte? Verbesserungen?" So leicht gab er nicht auf. "Verdammt!" Der hagere Mann schob seinen Stuhl heftig zurück, kam in die Senkrechte. "Ich HABE mich umgehört. Ich HABE alle Programme ausprobiert. Ich HABE analysiert!" Mit einer heftigen Geste strich er sich über den Spitzbart, funkelte in die hellblauen Augen. "Ich BIN ratlos. In Ordnung?! Ich kenne die Lösung nicht." Grob schob er sich an Artaios vorbei, stürmte mit ausholenden Schritten zur Tür, schlug sie lauter als notwendig hinter sich zu. Der Hüne seufzte leise, unbeobachtet. Jemand musste sich doch einen Reim machen können. Es MUSSTE doch Hilfe oder zumindest Linderung geben. »Vielleicht...« Er schloss die Augen. Sie hatten etwas versprochen. Je mehr ihm über die Umstände bekannt wurden, die ihren Schützling hierher geführt hatten, umso unerträglicher wurde es ihm, nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Aber noch hatte er nicht ALLES unternommen. #~~~~~> "Kommst du mal bitte?" Caratacus tippte Hyakinthos höflich auf die Schulter. Vor Überraschung, so unerwartet berührt zu werden, zuckte Hyakinthos heftig zurück, lief in der Folge, da sich nahezu jedes Augenpaar im Studienraum der Stufe auf ihn heftete, dunkelrot an. Hastig raffte er seine Schulsachen zusammen, packte sie in die Schachtel, um sie in den Regalboxen zu verstauen. "Wohin gehen wir?" Wie piepsig seine Stimme klang! "Zur Krankenstation." Caratacus hielt sich nicht mit großen Worten auf. Er war nicht unfreundlich, keineswegs, lediglich sachlich, wie ein Forscher, der ein perplexes System studiert, dass sich Menschheit nennt. Obwohl er, wie Hyakinthos beobachtet hatte, am Liebsten in den Gartenanlagen unterwegs war, Pflanzen pflegte, sie betrachtete, erforschte. Wenn Hyakinthos daran dachte, was am Samstag...dann fühlte er sich eingeschüchtert. Mit Caratacus war Schweigen nicht verbrüdernd, sondern von der Vorsicht zweier Fremder bestimmt, die sich nicht sicher waren, ob es überhaupt eine Form der Verständigung zwischen ihnen GAB. In der Krankenstation wartete Artaios, gewohnt attraktiv und tatkräftigen Charme ausstrahlend. Zu Hyakinthos' Überraschung fehlten aber Alocer und Taliesin. Erebos hockte auf dem Tresen, in Badeschlappen, zerlumpten Cordhosen, einem zerrissenen T-Shirt und bordeauxfarbenen Feinrippunterhosen, wie man deutlich erkennen konnte. Er bleckte die von einem Lutscher blau verfärbte Zunge, strich sich mit giftgrün lackierten, sorgsam geschnittenen Nägeln durch die Stachelfrisur. "Hallo." Murmelte Hyakinthos. "Komm her, Schnuckelchen!" Mit gekrümmten Finger lockte Erebos, ließ mit der anderen Hand den Lutscher wie bei einem Münz-Trick zwischen den Fingern wandern. Hyakinthos zögerte. War die Aufforderung nur ein Scherz oder meinte es der schräge Vogel ernst? "Na, komm schon!" Die zweite Aufforderung erfolgte etwas ungeduldiger. Hyakinthos überwand nach einem hastigen Seitenblick zu Artaios die Distanz. "Weißt du, was das ist?" In Hockstellung auf dem Tresen wedelte Erebos Blätter auf. Ratlos studierte Hyakinthos sie: Tabellen, Skalen, Fieberkurven, Werte, Abkürzungen, Buchstaben, Formeln. Eine Hand mit einem halbfingrigen Lederhandschuh legte sich in seinen Nacken. "Keine Ahnung, wie?" Erebos saugte schmatzend an seinem Lutscher, bevor er ihn in einer Backe verstaute, den Stiel in den rechten Mundwinkel parkte und wohlartikuliert loslegte. "Das sind Ergebnisse der Tests, die unser Meister Propper mit dir gemacht hat. Er hat die Ist-Werte verglichen mit anderen Werten, um herauszufinden, was mit dir los ist und wie man deinen Zustand verbessern kann." Erebos wies auf eine Punktsammlung, die an einen verschütteten Tintenklecks mit Spritzern erinnerte. "Hier, das zum Beispiel ist ein Ergebnis deiner Blutwerte. Ähnelt ein bisschen einer Infektion, die vom Körper bekämpft wird." Hyakinthos hörte nur 'Infektion' und keuchte. "Aber...dann kann ich die Infektionen bekämpfen und bin sie los?!" Mit einem lauten Klatschen landeten die Badelatschen samt ihrem Besitzer auf dem Boden, bevor sich Erebos wieder blitzartig in die Senkrechte schraubte. "Du hast es anscheinend noch immer nicht verstanden." Stellte er finster fest. Bevor Hyakinthos noch weichen konnte, hielt er ihn am Oberarm fest, in einem sehr nachdrücklichen Griff. "Jungs, warum geht ihr nicht mal ne Runde um den Block?" Seine schwarzen Augen ließen Hyakinthos nicht einen Wimpernschlag aus ihrem Fokus. "Wir müssen uns mal unter vier Augen unterhalten." Caratacus, der offenkundig nicht gern in der Krankenstation war, marschierte beschwingt hinaus. Artaios dagegen zögerte in der Tür, warf einen Blick auf das ungleiche Paar. "Nur keine Angst, glorreicher Anführer." Flüsterte Erebos schnippisch, aber er ließ Hyakinthos nicht los, bis sich die Tür leise hinter Artaios geschlossen hatte. "Hör mal, du Posaunenengel!" Erebos wickelte sich ungeniert eine dunkelblonde Locke um den Finger, studierte den Kontrast zwischen Nagellack und Haar. "Du verlierst wertvolle Zeit, wenn du dir Illusionen machst. Artaios hat dir doch gesagt, was mit dir los ist." Hyakinthos presste die Lippen zusammen. Wie konnten sie ihn mit diesem selbst proklamierten Krawallbruder einfach allein lassen?! "He, sieh mich an!" Erebos umfasste sein Kinn, ließ kein Ausrücken mehr zu. Die schwarzen Augen funkelten. Hyakinthos wusste, dass er eine Schnute zog. Aber wie sonst hätte er seinen Protest zum Ausdruck bringen sollen?! Er starrte wütend zurück. "So ist schon besser!" Erebos lächelte, enthüllte die von der Süßigkeit auch noch blau gefärbten Zähne. »Uärgks!« Kommentierte Hyakinthos' Sinn für Ästhetik. Weitere Kommentare wurden unterbunden, weil Erebos ihn blitzartig herumdrehte, wie ein Kind unter den Achseln fasste, seitlich auf den Tresen hob. Er schob sich zwischen Hyakinthos' Beine, legte ihm einen Arm besitzergreifend um die Schulter, tippte mit der freien Hand auf das Blatt mit den Punktgestöber. "Das hier sind deine Werte, Schmusepüppchen. Sie sehen schlecht aus. Wenn wir nicht etwas unternehmen, wird es ein elendes Ende mit dir nehmen." Hyakinthos blinzelte. War das ein Scherz? Aber Erebos hatte den Blick auf die Tresenoberfläche gerichtet, zupfte in dem Chaos Seiten heraus. "Artaios wollte dir keine Angst machen. Er drückt sich nicht drastisch aus, wenn es nicht nötig ist." Nun starrte Hyakinthos doch in die schwarzen Augen, die keinen Anflug von verdrehtem Humor offenbarten. "Ich bin nicht so zartfühlend, deshalb sage ich dir jetzt klipp und klar: es wird nie wieder so sein wie vorher. Du wirst nicht mehr der alte Michael sein können. Tatsächlich steckst du im Augenblick bis zur Oberlippe in der Scheiße." Hyakinthos schluckte. So plakativ wollte er seine Lage nicht aufgezeigt bekommen! Seufzend wischte Erebos die Seiten zusammen, drehte ihn zu sich herum, legte beide Arme locker um seine Hüften. "Hör mal, Lockenköpfchen, wir können dir nur begrenzt helfen. Ich kann nur zu einem geringen Teil entschlüsseln, warum dein Körper so abbaut. Mit ein paar Hinweisen kann unser Meister Propper die Infusion vielleicht so abmischen, dass du eine gute Chance hast, dich einigermaßen über Wasser zu halten. DAS ist alles, was wir tun können." Hyakinthos schluckte noch mal heftig. Er wollte so gern verdrängen, was Artaios ihm erzählt hatte, sich wenigstens eine Hoffnung lassen. "Was ist dein Talent?" Würgte er hastig hervor. "Talent?" Erebos stutzte, grinste bläulich. "Ah, du meinst, meine BEGABUNG!" Er absolvierte einige Kniebeugen, ohne die Arme von Hyakinthos zu lösen. "Meine BEGABUNG." Schmunzelte er. "Weißt du, Erebos ist der Gott der Finsternis. Entsprungen aus dem Ur-Chaos." Er zwinkerte. "Aber, wie man sieht, nicht weit genug." Erebos hob die Rechte, streichelte Hyakinthos über eine blasse Wange. "Ich verstehe mich auf das Chaos, mein Zuckerschnäuzchen. Darin bin ich wirklich gut." Er drehte eine erstaunlich professionelle Pirouette trotz Badelatschen. "Allerdings ist das für den Alltag nicht gerade eine sonderlich imposante Gabe. Ich könnte natürlich rasch die verschwundenen Socken wiederfinden, die die Waschmaschine verschluckt hat, aber..." Er grinste breit. "Das ist doch nett." Hyakinthos bemühte sich um einen Gesprächsbeitrag, aber ihm wurde wieder flau. Ließ die Wirkung der Infusion vom Morgen nach oder hatte er zu wenig gegessen? Überrascht spürte er warme Arme, die ihn beruhigend festhielten, roch das Aroma künstlicher Blaubeeren. "Langsam, bleib ruhig, ich hab dich!" Erstaunlich schnell schraubte sich Erebos wieder auf den Tresen, lagerte Hyakinthos mit dem Kopf auf seinem Schoß. "Stütz die Beine da an der Wand ab." Gab er Anweisungen, wischte sanft dunkelblonde Locken aus dem Gesicht. Hyakinthos bemerkte, dass er schwitzte. Kalt. "Bleib schön bei mir!" Die Hände umfingen sein Gesicht wärmend, tröstend. Schwarze Augen bannten seinen irrenden Blick. "Komm, Engelchen, ruhig atmen! Sieh mich an! Nein, Augen auf!" Eine Hand massierte mit den Fingerknöcheln sein Brustbein. Hyakinthos blinzelte, aber er spürte, wie sich die Schwäche langsam wieder verkroch. "...was..." Gurgelte er, schluckte Speichel. "Was passiert mit anderen?" "In deiner Situation?" Erebos sortierte mit der freien Hand wollige Locken, wandte den Kopf ab, nagte an dem Ring in seiner Unterlippe, um endlich wieder hinunterzublicken. "Sie sterben." #~~~~~> Kapitel 4 - Köder für die Bestie Man konnte nicht sagen, dass die von Erebos verbesserte Infusion nicht half. Es war nur so, dass eine leichte Benommenheit mit ihr einherging. Zwar fühlte sich Hyakinthos nun nicht mehr ganz so schwach, musste sich zusammenrollen, wenn ihn Schübe überkamen, aber sein Gehirn mutierte zu Brei. Nach einem Tag unseliger Benommenheit, die erst gegen Morgen nachließ, wenn vor dem Unterrichtsbeginn ein neuer Beutel aufgeklebt wurde, konnte Hyakinthos am Freitagmorgen wieder einigermaßen geradeaus denken. Dafür beschloss er, den Aussichtspunkt auf dem Hausberg zu ersteigen. Die Frühlingssonne blinzelte zwar schläfrig, aber er nahm ihre angestrengten Versuche, einen Sommer herbeizuzaubern, als Ansporn. Als er sich durch die Büsche schob, stand Artaios wieder auf der Mauer. Er konnte nicht hören, was der dem Abgrund entgegen schleuderte, aber es schien ausreichend, um wieder von der Mauer zu steigen. Heute war kein guter Tag für einen Abflug ohne Rückkehr. "Guten Morgen." Ein wenig heiser, die Stimme noch rau, begrüßte Hyakinthos die Stufenvertretung der Abschlussklasse. "Guten Morgen." Artaios lächelte, sammelte sich, erhöhte die Watt-Zahl. "Hast du gut geschlafen? Geht es dir jetzt besser?" Besorgt wie ein älterer Bruder hieß er Hyakinthos neben sich Platz nehmen, legte ihm einen Arm um die Schulter. "Na ja." Hyakinthos zuckte mit den Schultern. Er war wach. Sein Gehirn glich noch nicht einem Griespudding. Das würde sich zweifellos bald ändern. "Hast du nach mir gesucht?" Artaios schlüpfte aus seiner Trainingsjacke, um sie überfürsorglich um Hyakinthos zu winden. "Ich wollte ein bisschen nachdenken." "Möchtest du lieber allein sein?" Gewohnt zuvorkommend stand Artaios schon, bevor Hyakinthos überhaupt das Wort an ihn richten konnte. "Nein!" Wehrte der entsprechend hastig ab. "Bitte bleib hier." Artaios lächelte, nahm wieder Platz, schwieg. »Gut.« Hyakinthos lehnte sich ein klein wenig an einen starken Oberarm. »Gut, dass ich nicht allein bin.« #~~~~~> »Der letzte Tag vorher.« Dachte Hyakinthos. Er ließ den Blick über das sich verdichtende Grün der Büsche und Sträucher wandern. »Nun, morgen natürlich auch.« Korrigierte er sich, zum ersten Mal dankbar dafür, dass hier an sechs Tagen in der Woche Unterricht stattfand. Das erlaubte auch, die schulische Regellaufbahn nach zwölf Jahren abzuschließen. »Wird mich ablenken.« Er war sich sehr sicher, dass er die Infusion und den Gedankenbrei morgen Willkommen heißen würde. Artaios hatte es ihm erklärt, sanft, mitfühlend, ohne Umschweife, hatte seine Hand gehalten, als wäre auch er in der Lage, wie Aeolus an Gefühlen die Wahrheit zu ermessen. Der Druck der starken, wohlgeformten Hand wirkte wie eine Sicherungsleine zur Realität. »Ich frage mich, ob du lachst, Desmond.« Richtete er seinen inneren Monolog aus. »Hat es dich amüsiert, ausgerechnet mich auszuwählen? Mochtest du mich überhaupt leiden? Hast du dir eine Vorstellung davon gemacht, was du uns angetan hast?« Er wollte glauben, dass Desmond (»wenn das überhaupt sein richtiger Name war!«) aus einer Notsituation heraus so gehandelt hatte. Andererseits war es nicht mehr von sonderlicher Bedeutung. Artaios hatte ihm gesagt, dass der Prozess nicht umgekehrt werden konnte. Erebos hatte es ihm sogar auf Diagrammen gezeigt, aber Hyakinthos gestand sich ein, dass er nicht genug verstand, um dessen Bemühungen wertschätzen zu können. Fakt blieb: sein Leben hing an einem sehr dünnen Faden. Alles, was ihm einmal etwas bedeutet hatte, was seine moralische Verhaltensrichtschnur ausmachte, musste revidiert werden. Zwangsläufig, wollte er sich nicht selbst zum Scheitern verurteilen. Er dachte an Taliesin, der ihm die Bedeutung der Namensänderung erklärt hatte. Sie alle hier waren außergewöhnlich, Außenstehende von Geburt, Freaks. Sie mussten sich schützen, mit einer eigenen Identität, die ihnen Halt gab in einer Welt, die ihresgleichen mit Unglauben, Argwohn oder Schrecken begegnete. Artaios, der so stark war, dass man die Grenzen seiner Kraft nicht erproben wollte, um ihn nicht zu gefährden. Caratacus, der mathematisch hochbegabt war, ein genialer Stratege, der sich am Liebsten in der Natur aufhielt, um 'ihre' Strategie zu entschlüsseln. Alocer, unschlagbar im elektronischen Dschungel, Verschlüsselungs- und Kodierungsexperte, Mathematiker, in die Sterne verliebt, nach dem Großherzog der Unterwelt benannt, weil er der Astronomie seine Leidenschaft widmete, in der Lage war, weißes Feuer zu entfachen. Taliesin, überirdisch schöner Mann, listig wie ein Fuchs, verführerisch, sirenenhaft, verfügte über eine wundervolle Singstimme, das absolute Gehör und die Gabe, Bilder, Stimmungen, aber auch Gegenstände in Musik zu verwandeln. Und Erebos, Gott der Finsternis, Herr des Ur-Chaos. Hyakinthos seufzte leise. Er wusste nun, welchen Namen er trug. Vom schönen Gott der Wissenschaften und feinen Künste geliebt, zu einem frühen Tod in einem Eifersuchtsdrama bestimmt. »Leider bist du weder ungewöhnlich schön, noch hat dich ein Gott geliebt.« Stellte er selbstkritisch fest, empfand es als durchaus ungerecht, dass er jung sterben sollte, ohne wenigstens die Vorteile erlebt zu haben. »Andererseits, einen Teil der verbundenen Vorteile wirst du zwangsläufig doch erleben.« Sein Herz schlug Kapriolen. Oder, um es mit Erebos' zotigen Worten auszudrücken:'man kann sich auch jemanden schön-bumsen.' Hyakinthos zog die Beine vor den Bauch, umarmte sie, links etwas ungelenk, da der Gips ihn hinderte. Er musste einen Krieg an zwei Fronten schlagen. An einer Front ging es darum, seinen Körper zu retten. An einer anderen Front, seine Seele nicht in der Dunkelheit und Verzweiflung zu verlieren. "Du bist nicht allein." Artaios' ruhige Stimme wärmte ihn in seiner Versunkenheit. Hyakinthos lächelte unsicher. "Wir müssen nun los." Der Riese an seiner Seite erhob sich, streckte ihm assistierend die Hand entgegen. "Kann ich dich morgen auch hier treffen?" Hyakinthos hielt die wohlgeformte Hand länger als notwendig. Die Stufenvertretung der Abschlussklasse lächelte ernst. "Natürlich." #~~~~~> Hyakinthos lag in seinem Bett, die Vorhänge zugezogen, lauschte der Musik, die über Ohrstöpsel in sein Gehör flutete. Er wollte nicht unbedingt hören, wie die anderen seiner Stufe tuschelten. Sie wussten nichts Genaues, fanden es aber durchaus merkwürdig, dass er sich so gut mit den fünf einflussreichsten Schülern der Abschlussklasse verstand. Niemand wagte, ihn direkt darauf anzusprechen. Deshalb war er auch nicht gezwungen, mit einer Notlüge zu reagieren. Er war unruhig, konnte nicht einschlafen. Obwohl die Wirkung der Infusion noch immer betäubend war, schien sie doch heute schneller abzubauen. Gedanken wirbelten durch seien Kopf wie Blütenblätter im Frühlingswind. Wie es sein würde, was er tun müsste. Ob sie den Mut hatten, sie alle. Wie lange die Wirkung anhielt. Er senkte die Lider. Artaios hatte es ihm erklärt, was wahrscheinlich geschehen war in jener Valentinstagnacht. Wie 'Michael' starb und ein anderer geboren wurde. #~~~~~> Desmond lächelte. Endlich konnte er sich aus dem Getümmel der Jugendlichen herauslösen! Sie waren niedlich, die Mädchen, keine Frage, aber dann doch ein wenig zu jung für seinen Geschmack. Noch nicht selbstsicher genug, noch nicht verzweifelt genug. Er sah, wie Michael sich in die mit Kunststoffbällchen gefüllten Kissen schmiegte, arglos in einen neuen Tag hineinschlummerte. »Lange genug.« Dachte Desmond. »Verdammt lange hat es gedauert!« Als er sich neben den Jungen setzte. Der bemerkte ihn kaum, ließ sich vertrauensselig den Arm um die Schultern legen, mit sanften Worten einlullen. Er mochte den Kleinen. Michael sah niedlich aus, die Sorte von Attraktivität, die bei Frauen Beschützerinstinkte auslöste, die sie unvorsichtig werden ließ. »Außerdem ist er eine ganz erträgliche Gesellschaft.« Was für Desmond nicht unerheblich war. Sie würden sich schon verstehen. Michael war kein Typ, der sich auflehnte, gegen Windmühlen anstürmte. Ihm fehlte eine Vaterfigur. Er suchte jemanden, der ihm zeigte, was es hieß, ein Mann zu sein. Desmond streichelte durch die dunkelblonden, weichen Locken. Obwohl die Beleuchtung stark reduziert worden war, konnte er die dichten, kurzen Wimpern erkennen, jede einzelne Sommersprosse in dem friedlichen Gesicht. Er beugte sich hinunter, lehnte sich an den Jüngeren. Der wies ihn nicht zurück. »Natürlich nicht.« Desmond lächelte. Dafür sorgte das leichte Schlafmittel, dass er Michael verabreicht hatte. Es machte schläfrig, was seinen Plänen zupass kam. Er lauschte auf die langsamen Herzschläge, den ruhigen Atem, wandte dann den Kopf, um einen sanften Kuss auf eine Wange zu setzen. Michael reagierte nicht. Desmond rutschte ein wenig tiefer, gab sich den Anschein, als wolle er sich auf der Schulter des Jüngeren bequem einrichten, konnte den Kopf drehen, die Wärme der Halsbeuge auf den Lippen spüren. Er lächelte, teilte die Lippen, zog sie ein wenig zurück. Es würde gut sein. Sehr gut. #~~~~~> Artaios hatte es ihm so schonend wie möglich beigebracht, dass Desmond ihn benutzt hatte. Oder es zumindest versuchen wollte. »Zum Teil hat es ja geklappt.« Hyankinthos rieb sich über die Augen. Er WAR nun ein Köder. Der Köder für die Bestie. #~~~~~> Artaios stand auf der niedrigen Mauer, sah dem Abgrund in seinen tiefen Schlund. Die Antwort des heutigen Tages war einfach, hielt seine Hand. Hyakinthos wartete neben der Mauer. Wenn er einen Grund suchte, diesen Tag in Angriff zu nehmen, so behielt er ihn für sich. Metaphysische Erwägungen mussten ohnehin warten, denn nach Schulschluss dräute die größte Herausforderung seines Lebens, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Artaios atmete tief durch, lächelte, stieg von der niedrigen Mauer herunter. Behutsam ließen sie sich auf den Boden sinken, lehnten sich an das Gestein. Der Tag versprach erfreulich heiter und sonnig zu werden. Beste Voraussetzungen für einen Campingausflug mit Nachtwanderung zurück. »Nur, dass wir nicht sehr viel wandern werden.« Hyakinthos wagte einen hastigen Seitenblick. "Keine Angst." Der Hüne legte ihm vertraulich den Arm um die Schultern. "Wir halten uns an die Regeln. Wenn Alocers Recherchen korrekt sind, wirst du auch positiv disponiert sein." Hyakinthos seufzte, zog schützend die Schultern hoch. Natürlich klang alles überzeugend, aber er war nicht sicher, ob das einen nervösen Rückzieher ausschloss. Außerdem war alles sehr persönlich. Intim. "Ich wünschte nur, es wäre nicht wahr." Murmelte er kaum vernehmlich. Artaios' Griff wurde fester, die Hand strich über seinen Oberarm. "Ich weiß." Flüsterte der Riese mitfühlend. "Ich weiß." #~~~~~> Er war dankbar, dass Erebos nicht versuchte, ihn zu provozieren, ein Kräftemessen durchzusetzen. Es lief ohnehin nicht so gut, wie er sich erhofft hatte. Der Junge wirkte jünger als siebzehn, müde und verschreckt. Außerdem war er am Bahnhof zusammengebrochen. Artaios bemerkte auch den blanken Gips. "Ein Unfall." Hatte Aeolus ihm anvertraut, in einem Tonfall, der ganz andere Bände sprach. "Bitte, hör mir zu." Er lächelte, warb um Vertrauen. "Ich erkläre dir alles. Und es ist wirklich kein Scherz, ganz gleich, wie unwahrscheinlich es sich anhört." Das reichte natürlich nicht, die Arme blieben eng um den Körper gewunden, der Hals kaum zu sehen zwischen den hochgezogenen Schultern. »Es hilft nichts.« Er setzte sich auf, ignorierte den großen Abstand, den der Junge zum ihm hielt, aber Aeolus' Anwesenheit schien eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben. "Wie ich schon sagte, wir sind hier eine Schule für besondere Begabungen oder auch körperlicher Dispositionen. Du gehörst zur zweiten Kategorie." Ihm entging nicht, dass Hyakinthos näher an Aeolus heranrückte. "Was heißt körperliche Disposition?" Misstrauen schwang in der leisen Stimme. »Wenigstens spricht er noch mit mir.« Artaios lächelte erfreut. Nach Erebos' Bemerkung grenzte das angesichts der scheuen Haltung des Jüngeren schon an ein Wunder. Allerdings wurde das Thema nun sehr persönlich, um nicht zu sagen intim. Artaios erhob sich, betont gemächlich, um Hyakinthos nicht zu verschrecken, trat zu einem Schrank. Er öffnete die Türen kurz, um zu präsentieren, wie vollgestopft der Schrank war, ein überquellendes Monster ohne verfügbaren Stauraum. Er verschloss die Türen sorgfältig, legte die Arme um die geschlossene Front, hob den Schrank so mühelos an, als wiege der nicht etliche Zentner. Hinter ihm ächzte Hyakinthos. Sehr vorsichtig ließ Artaios den Schrank wieder herunter, nahm seinen Platz ein. "Du siehst, dass wir alle hier besondere Fähigkeiten haben. Viele sind körperlich außergewöhnlich disponiert." Er lächelte beruhigend, konnte in der blassen Miene mit dem Sommersprossen-Muster lesen, dass seine Demonstration einen zwiespältigen Erfolg erntete: auch wenn er Hyakinthos beeindruckt hatte, so wirkte der Junge noch immer verängstigt und misstrauisch. »Oder zumindest so misstrauisch, wie ein ausgesetzter Welpe sein kann.« Seufzte er stumm. Hyakinthos war seiner Einschätzung nach nicht der Typ, der seinen Mitmenschen Übles unterstellte. Er schien auf das Gute zu hoffen, arglos und naiv zu sein. "Reden wir darüber, warum du hier bist." Kam Artaios deshalb zum Punkt. "Wenn ich richtig informiert bin, geht es dir körperlich sehr schlecht. Du bist erschöpft, hast keine Kraft, brichst zusammen. Außerdem begegnen dir andere Menschen anders als vorher." Artaios suchte nach einer passenden Beschreibung. Unmerklich wanderten die Schultern noch höher, rollte sich Hyakinthos in sich ein. Er verfügte über keinen schützenden Panzer. Artaios lehnte sich vor, stützte die Unterarme auf seine Oberschenkel, gestikulierte auf diese Weise nur mit den Händen, das sehr sparsam. "Du hast vorhin schon meine Kollegen kennengelernt." Schonend wollte er sich an das heikle Thema herantasten. "Wir sind alle in besonderen, einflussreichen Positionen an der Schule. Natürlich sind wir immer neugierig, wenn ein Neuankömmling kommt. Du kannst also davon ausgehen, dass wir uns informiert haben. Dein Fall allerdings ist so besonders, dass wir uns zusammengeschlossen haben." Er stand auf, hielt aber Abstand zu Hyakinthos, der zu schrumpfen versuchte. Als sei er in Gedanken, lief Artaios wenige Schritte hin und her in dem Abstellraum, die Hände betont lässig in den Hosentaschen versenkt. "Was wir wissen, ist, dass du eine merkwürdige Krankheit zu haben scheinst." Er holte Luft, richtete die hellblauen Augen direkt auf Hyakinthos aus. "Was wir herausgefunden haben, ist, dass du von einem Vampir gebissen worden bist." Es war sehr still. Aeolus, der die ganze Zeit stumm Gesellschaft geleistet hatte, schloss die Augen. Artaios wartete, hoffte, dass sich kein hysterisches Gelächter oder panischer Protest anschließen würde. Schließlich krächzte Hyakinthos stockend. "...ich kann mich nicht erinnern. Das kann doch nicht sein..." Hilflos brach er ab. »Nein, das kann nicht sein. Aber es IST so.« Mitleidig näherte sich Artaios, ging vor dem Jüngeren in die Hocke, suchte unter den dunkelblonden, wirren Locken die erschöpften Augen. "Ich weiß, dass es unglaublich klingt. Alle wissen schließlich, dass Vampire nur eine Erfindung sind, richtig?" Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen über die zuckenden Fingerkuppen der linken Hand, die aus dem Gips ragten. "Die Vampire wissen das auch." Hyakinthos schluckte, für Artaios ein weiteres Indiz dafür, dass der Jüngere um Fassung rang. Er wusste natürlich selbst, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung war. »Aber eine andere Erklärung wäre sicher besser gewesen.« Artaios nahm die Fingerspitzen, legte vorsichtig die eigenen Finger darum. "Wir wissen nicht so viel über Vampire. Aber es gibt Berichte darüber, was für Folgen es haben kann, wenn man von ihnen gebissen wird." "Ich verstehe das nicht..." Hyakinthos schüttelte den Kopf langsam. "Ich verstehe das nicht..." "Komm her." Artaios konnte nicht anders handeln, es war Teil seiner Natur: mühelos hob er Hyakinthos an, nahm selbst Platz, justierte den Jüngeren auf seinen Oberschenkeln, umarmte ihn tröstend. Es war außerdem leichter, den Rest seiner Erklärung abzuspulen, wenn er nicht gleichzeitig den Eindruck haben musste, einen kleinen Welpen zu treten. "In diesen Berichten gibt es auch Beschreibungen über die Auswirkungen. Medizinische Aufzeichnungen. Deshalb hat das Direktorium deiner Familie auch angeboten, dich hier aufzunehmen. Deine Befunde stimmen mit den bekannten Indizien für einen Vampirbiss überein." Beruhigend strich er über den verkrümmten Rücken, spürte die bebende Spannung in dem verkrampften Leib. »Er wehrt sich nicht, weil er es nicht mehr kann. Armes Kerlchen!« "Dieser Vampirbiss." Er seufzte leise, aber es gab keinen Ausweg. "Dieser Vampirbiss hat besondere Auswirkungen. Ein Vampir setzt ihn dazu ein, um einen Menschen zu versklaven. Er verändert den Menschen auch." Hyakinthos weinte nun, das spürte er. »Wie ein getretenes Hundchen!« Artaios streichelte durch die Locken, hielt den Jüngeren beschützend fest. Er konnte in Aeolus' steinerner Miene lesen, dass sie beide den Gedanken teilten: der Junge war am Ende. Das machte sie beide elend. "Da sich Vampire nicht darüber auslassen, gibt es eine Vermutung, was passiert, wenn man gebissen wird. Möglicherweise wird eine Art Gift injiziert. Dieses Gift sorgt dafür, dass der Körper süchtig nach dem Vampir-Gift wird. Also herbeisehnt, erneut gebissen zu werden." Hyakinthos zitterte nun stärker. Vielleicht konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was geschehen war. Sein Unterbewusstsein schon. "Der andere Aspekt." Artaios holte tief Luft, drückte den Jüngeren versichernd an sich. "Der andere Aspekt ist das, was als Köderfunktion bezeichnet wird." Erstaunlicherweise ebbte das leise Weinen ab. Hyakinthos wurde still, unheimlich still. Zwei Augenpaare beäugten angespannt den Neuankömmling. Üblicherweise erwartete man Schock, Leugnung, Ablehnung, Protest, aber dafür war Hyakinthos nun viel zu ruhig. "Was heißt das, Köderfunktion?" Seine Stimme war belegt, die Aussprache jedoch klar. Artaios atmete tief durch. "Das bedeutet, dass manche Vampire ihre Menschensklaven als Köder einsetzen. Sie sollen die wahren Opfer anlocken und ablenken, während der Vampir sich bedient." "Mit anderen Worten, der Vampir verändert seine Sklaven so, dass sie auf die Opfer attraktiv wirken." Erebos' Stimme ergänzte scharf und unverbrämt, Artaios schreckte auf. Er hatte nicht bemerkt, dass Erebos eingetreten war, dass er nun ein Häufchen Elend auf dem Schoß balancierte. "Schätze, dass bei dir etwas schiefgegangen ist." Versetzte Erebos ungerührt. "Du solltest für den Reißzahn wohl die Mädels klarmachen. Aber bei den Reaktionen, die DU auslöst, haben sich deine Hormone wohl in die falsche Richtung entwickelt." "Erebos, wirklich..." Artaios wurde unterbrochen. "Was meinst du damit?" Hyakinthos wandte sich zu Erebos um, wischte sich mit der Rechten über das Gesicht. "Ganz einfach." Der Herr über das Chaos ging vor ihm in die Hocke, blickte ungerührt. "Deine Pheromone machen Typen geil." Hyakinthos blinzelte. Sein Verstand weigerte sich, diese Information zu verarbeiten, sein antrainierter Sinn für Manieren verabscheute die Ausdrucksweise. "Begreifst du nicht?" Erebos kannte offenkundig keine Gnade. "Typen werden bei dir notgeil. Rattig. Scharf. Bumsfreudig. Kapiert?" Hyakinthos blinzelte wieder, presste die Lippen fest aufeinander. Artaios hielt ihn so fest, wie ein großer Bruder seinen Jüngeren beschützte. Er konnte Erebos nicht korrigieren. Leider hatte der Mann mit dem Punkhaarschnitt recht. "Deshalb haben wir lieblichen Fünf uns hier zusammengetan, um zu verhindern, dass ein Krieg ausbricht." Erebos tippte Hyakinthos ungeniert auf die Stirn. "Wenn wir fünf dich regelmäßig vögeln, läufst du nicht Gefahr, wahllos vergewaltigt zu werden. Die Schule bleibt schön ruhig und sauber." Erebos grinste, ohne jeden Humor. Artaios durchbrach die schockierte Stille eilig. "Wir werden dir nicht wehtun. Bitte, du brauchst keine Angst zu haben..." "Genau." Erebos wirkte nun diabolisch. "Wir springen dich nicht an, zerren dich nicht in finstere Ecken, reißen dir nicht die Hosen runter und rammeln dich, bis du Sterne siehst. Oder tun andere hässliche Dinge, wenn wir geil sind." "Das REICHT jetzt!" Artaios erhob selten die Stimme. Wenn er es tat, nahm sie sich aus wie seine besondere Körperkraft: sie war sonor, durchdringend und GEBOT Gehorsam. Erebos stemmte sich aus der Hocke. Ohne ein Abschiedswort verließ er die Kammer. Hyakinthos starrte auf den Boden. "Es ist besser..." Artaios seufzte laut. "Aeolus, bitte bring ihn doch in euren Schlafsaal. Für heute war das schockierend genug." Aeolus erhob sich, fasste Hyakinthos sehr vorsichtig an einer Schulter. Der wich hastig zurück, stellte sich auf die wackligen eigenen Füße. Artaios beobachtete mitleidig, wie Aeolus voranging, unglücklich über den Abstand, den Hyakinthos hielt. Er senkte den Kopf in die aufgestützten Hände. #~~~~~> Sie erhoben sich. Zeit, zum Frühstück zurück in die Schule zu wandern. Scheu fasste Hyakinthos nach einer Hand des Hünen. Artaios war stets freundlich, sanft im Umgang, rücksichtsvoll. »Vielleicht...« "Keine Angst." Artaios lächelte, ein wenig fahl. "Wir halten uns an die Regeln. Niemand wird dir wehtun." "Kannst du...?" Hyakinthos senkte den Blick, hasste die flammende Röte, die ihm in die Wangen stieg, seine Ohren in Brand steckte. Aber wenn er jetzt nicht Klartext redete, dann...! "Kannst du bitte..." Er musste sich räuspern, zitterte schon. "Kannst du der Erste sein? Bitte?" Artaios nickte. Impulsiv zog er Hyakinthos in seine Arme, wiegte ihn behütend. "Keine Angst!" Hörte Hyakinthos ihn wispern. "Alles wird gut. Wir passen auf dich auf. Niemand wird dir wehtun." Hyakinthos schniefte leise. "Es ist nur..." Murmelte er kaum vernehmlich. "Ich habe noch nie..." "Es tut mir leid." Ein Kuss landete auf seinen Locken. Die gepflegten Hände bestrichen seinen Rücken kräftig. »Artaios ist ein Romantiker.« Piepste eine traurige Stimme in Hyakinthos' Hinterkopf. »Alle würden gern das erste Mal... mit jemandem, den man liebt!« Schnaubte sie vorgeblich tapfer. »Aber das ist noch besser als die Alternative.« Hyakinthos presste das Gesicht fest an den athletischen Oberkörper der Stufenvertretung. Selbst wenn er die Augen schloss: er konnte sich nicht vor seinem Schicksal verkriechen. #~~~~~> Obwohl der Beutel mit der verbesserten Infusion gewohnt eifrig sein Werk tat und artig festgeklebt ein beinahe beruhigendes Gewicht auf Hyakinthos' Schlüsselbein darstellte, fühlte er sich schrecklich. »Die verdammte Betäubung setzt nicht ein!« In panischen Wellen schäumte die Magensäure in seinem Bauch, gluckerte vernehmlich. Ausgerechnet jetzt, heute, wo er dringend der leichten Benommenheit bedurfte, auf sie gebaut hatte! Noch während Herr Calculus die Abschiedsworte sprach, um seine Schäfchen in den freien Samstagnachmittag zu entlassen, stolperte Hyakinthos zur Tür raus, suchte sich eilends den Weg zu den Toiletten. Was seine Kehle brennend und gallig hochstieg, sprach von seiner Nervosität, stank. Kein Wunder, dass ihm die Tränen in die Augen traten, nicht wahr? Schwierig, sich abzustützen, wenn ein Arm eingegipst war, der Kopf dröhnte, die Knie zitterten! "Ich hole dir Wasser." Mehrere Lagen feuchter Papiertücher kühlten seinen Nacken schon, bevor Artaios sich nach einem Becher oder Glas umsah. »Sie sorgen sich wirklich.« Dachte Hyakinthos. Gleichzeitig fühlte er sich auch verunsichert. Galt die Sorge denn tatsächlich ihm? Oder waren das die verdammten Pheromone, die alle in seiner näheren Umgebung verhexten?! Sorgten sie sich vielleicht bloß darum, dass ihren Mitschülern nichts geschah? »Immerhin kann man keinem einen Vorwurf machen, wenn er mich vergewaltigen sollte, weil ich es ja provoziert habe. Damit die guten Jungs zu bösen verführe, ihnen Untaten geradezu aufzwinge!« Der Geist der zynischen Aufsässigkeit, der sich neuerdings in Hyakinthos' Hinterkopf eingeschlichen hatte, mischte sich wieder ein. "Bitte!" Artaios berührte seine verkrampften Schultern, reichte Wasser in einem Glas an. Von akutem Durst übermannt schluckte Hyakinthos so hastig, dass ihm Rinnsale über das Kinn liefen. »Ich kann DAS nicht! Das wird nichts! Ich will es nicht!« Hysterisch brüllte er in seinem Inneren gegen die Schicksalsmaschinerie an, die ihn eingespannt hatte. "Kannst du aufstehen?" Der Hüne drängte sich in den anstehenden Nervenzusammenbruch, hob Hyakinthos mühelos unter den Achseln an, um ihn auf die Füße zu stellen. "Ich kann das nicht!" Wisperte der Jüngere ängstlich. Artaios drehte ihn herum, ging leicht in die Knie, um das sanft angehobene Kinn nicht überzustrapazieren. "Ich weiß, dass du Angst hast. Wir sind alle unruhig. Aber wenn wir..." Der Satz hing in der Luft, letterte das Verhängnis unausgesprochen. »Wenn wir nichts unternehmen, WIRD unser Einfluss nicht mehr reichen, für deine körperliche Unversehrtheit Sorge zu tragen.« Irgendein armer Mitschüler wird hormongesteuert die Schuld auf sich laden, der erste zu sein. »Und ich möchte nicht, dass...« Hyakinthos senkte die Lider. Es GAB keine Alternative. "Gehen wir hinaus, ja? Hier, möchtest du? Pfefferminz oder Waldbeeren?" Artaios bot mit ruhiger Stimme Bonbons an. »Und löst gleichzeitig noch mein Geruchsproblem!« Schnaubte der Zynismus in Hyakinthos' Hinterkopf, erhielt allerdings einen mentalen Tritt vor das imaginäre Schienbein. Artaios war rücksichtsvoll, zeigte Verständnis, obwohl es ihm selbst schwerfallen musste, in direkter, körperlicher Nähe zu agieren. »Ich kann spüren, wie er es unterdrückt.« Hyakinthos ließ den Kopf hängen. Er wollte jemandem, den er so sympathisch fand, keinen Ärger bereiten oder ihn vor ein moralisches Dilemma stellen. "Ich wechsle nur meine Kleider, hole meinen Rucksack." Wisperte er resignierend. »Ich kann das aushalten. Es wird schon gehen. Irgendwie.« #~~~~~> Kapitel 5 - Ausflug zur Initiation Das gute Wetter hielt an, auch wenn es noch frühsommerlich frisch war. Die Sonne begleitete sie auf dem Wanderpfad bis zu einer Wetterhütte, die ausschließlich zu Fuß zu erreichen war, deshalb einen guten Zustand aufwies. Die sechs Wanderer lüfteten durch, kehrten aus, reinigten mit Wasser aus einer kleinen Quelle in der Nähe den Holzboden und das spärliche Mobiliar, bevor sie den bescheidenen Grillplatz in Beschlag nahmen. Hyakinthos atmete tief durch. Er wusste, dass die anderen sich ablenkten, das Grillgut beaufsichtigten, die Flammen bewachten, sich laut unterhielten. Weil ER jetzt in die Hütte gehen musste, die Isomatten und Decken auslegen, sich dann ausziehen. Er fror schon bei dem Gedanken daran. Die Finger seiner Linken zuckten im Gips. "Ist dir kalt?" Unaufgefordert strich ihm Artaios kräftig über die Oberarme, die Schultern, den Rücken. So war es auch einfach, ihn beiläufig in die Wetterhütte zu geleiten, die Tür hinter sich zu schließen. Der Hüne setzte seinen Wanderrucksack auf den Boden ab, rollte ganz selbstverständlich die beigesteuerten Isomatten aus. "Kannst du mir bitte helfen?" Aus der Hocke wandte er sich Hyakinthos zu, der zögerlich einen Zipfel der Decke fasste, sie gemeinsam ausbreitete. Der Decke folgte ein Handtuch. Hyakinthos musste sich auf die Holzbank setzen, weil ihm flau wurde. Sein Magen stülpte sich um, enthielt aber nicht genug, um einen Alarm in der Kehle auszulösen, dass in Kürze mit ungebetenem Besuch zu rechnen war. Noch eine Decke, ein aufblasbares Kopfkissen, Taschentücher, ein Abfallbeutel. Hyakinthos umklammerte seinen Oberkörper, ignorierte das Knirschen des Gipsverbandes. Umsichtig wie gewohnt verhängte Artaios das einzige Fenster mit seiner Wetterjacke, streifte sich auch gleich den Pullover über den Kopf, um ihn ordentlich an einen Haken zu hängen. Die Hose folgte. Er kniete sich auf das improvisierte Lager. "Es ist doch ziemlich frisch. Darf ich meine Strümpfe anlassen?" Erkundigte er sich höflich. Hyakinthos klapperte mit den Zähnen. Er verspürte den Drang, sich umzudrehen und wegzulaufen, aber er konnte sich auch nicht mehr rühren, weil ihm vor Angst schwindlig war. "Komm her, ich wärme dich auf." Artaios streckte einladend eine Hand nach ihm aus. Die Aufforderung verfehlte ihre Wirkung. Folgerichtig erhob sich der Hüne wieder, baute sich vor Hyakinthos auf, begann damit, um die verschränkten Arme herum den Reißverschluss der Jacke zu öffnen. Anschließend rieb er kräftig über die Oberarme, rubbelte über den Stoff wie bei einem Kleinkind, clownesk, um die Spannung zu lockern. Obwohl Hyakinthos schwankte, gelang es doch, ihn wieder auf die Beine zu stellen, um in gebotener Eile, bevor die Kälte die Oberhand gewann, Pullover, Unterhemd, Jeans und Schnürstiefel zu entfernen. Hyakinthos genierte sich, im weißen Feinripp-Slip, den karierten Strümpfen, die seine Mutter gegen alle Bitten immer wieder besorgte. Wenn er Artaios betrachtete, der einen geradezu vorbildlich modellierten Körperbau besaß, sich offenkundig gut pflegte, nicht zu Hautirritationen neigte, fühlte er sich unzulänglich und abstoßend hässlich. Da schien es wirklich die bessere Wahl zu sein, unter der verbergenden Decke zu verschwinden. Artaios setzte sich auf, lud sich Hyakinthos ohne Mühe auf den Schneidersitz, schlang die Decke um sie, bevor er begann, Leben in Hyakinthos' Finger und die rechte Hand zu massieren. Die Fürsorglichkeit trotz der intimen Distanz, die Artaios sicherlich Mühe bereitete, ließ die letzten Barrieren brechen: Hyakinthos schluchzte auf. Der Hüne klappte die Beine des Jüngeren herum, um ihn an sich zu ziehen, zu umarmen und sanft zu wiegen, sanfte Küsse auf die zerzausten Locken zu drücken, unermüdlich leise zu versichern, dass alles gut werde. Endlich ließ die Anspannung nach, was zeitgleich mit der Sorge einherging, dass Hyakinthos sicher kein gutes Bild mehr bot, das Gesicht verquollen, die Augen verheult. "Ist nicht so schlimm." Aufmunternd trocknete Artaios mit einem Papiertaschentuch feuchte Stellen, lächelte beruhigend. »Tolle Stimmung, wie auf einer Beerdigung!« Giftete Hyakinthos' innere Stimme vorgeblich unbeeindruckt. Er selbst fragte sich, wie hier Lust und erotische Spannung aufkommen sollte. Andererseits saß er auf Artaios' Schoß, roch die Mischung aus Seife, Rasierwasser und einem Hauch von Schweiß, bemerkte die sorgsam ausgeführte Rasur, die Andeutung winziger Fältchen in den Augenwinkeln, einen winzigen Leberfleck auf einem Ohrläppchen, die hellblauen Augen, die ihm Sympathie entgegenbrachten, ihm beistehen wollten. "Weißt du was? Machen wir ein kleines Geschicklichkeitsspiel! Die Hosen müssen runter, aber nur mit einem Fuß!" Artaios zwinkerte. Hyakinthos wusste natürlich, dass es ihn ablenken sollte, die nervöse Anspannung vertreiben, dennoch nickte er. Da sie beide kooperieren mussten, die Strümpfe an ihrem angestammten Ort bleiben sollten, begann in der Folge unter der Decke eine wüste Verknotung von Körpergliedern, von Anweisungen, Verdrehungen und leisem Gelächter. Schließlich, mit triumphierenden Grinsen, lagen sie bäuchlings nebeneinander auf dem Boden, bis auf die Fußbekleidung entblößt. Artaios drehte sich auf die Seite, stützte einen Ellenbogen und den Kopf auf, strich mit der freien Hand verirrte Locken aus Hyakinthos' Gesicht. "Bereit?" Erkundigte er sich leise. Hyakinthos schluckte beklommen, nickte aber. "Gut." Artaios stützte sich auf beiden Händen auf. "Du sagst mir, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Und auch, wenn dir etwas gefällt." Er beugte sich zu Hyakinthos hinunter, küsste ihn zärtlich auf die Nasenspitze. "Ich möchte nämlich nichts falsch machen. Einverstanden?" Ein zögerliches Nicken musste genügen. Enthusiasmus stand zweifellos nicht zu erwarten. Artaios verschwand unter der Decke. Klopfenden Herzens verfolgte Hyakinthos, wie sich der fremde Atem auf seiner Haut niederschlug, die gepflegten Hände über seinen Körper streichelten. Der erste Kuss, auf eine Brustwarze platziert, entlockte ihm ein erschrecktes Keuchen. Sofort presste er die Rechte auf den Mund, zog reflexartig die Beine an, was Artaios auf Distanz hielt. Der Hüne hob die Decke ein wenig an, betrachtete das vor Scham erglühende Gesicht unter sich. Wortlos griff er in dem geschickt platzierten Rucksack nach einem kleinen Handtuch, faltete es. "Damit wird niemand etwas hören." Flüsterte er sanft, hob Hyakinthos' Rechte vom Mund, legte es hinein, streichelte über den lockigen Schopf. "Halte dich bitte nicht meinetwegen zurück. Ich werde sonst noch nervöser." Hyakinthos blinzelte. Es war ihm natürlich klar, dass es für seine fünf Beschützer auch eine neue Erfahrung sein musste, mit einem relativ unbekannten Jungen intim zu werden. Er hatte nicht erwartet, dass es ihnen ähnlich beklommen zumute war wie ihm selbst. Seine Selbstsucht beschämte ihn, sodass er hastig das Handtuch in die Mundwinkel klemmte, scheu 'Daumen hoch' signalisierte. "Danke." Artaios küsste ihn erneut, dieses Mal auf die Stirn, bevor er wieder unter dem Deckenfirmament abtauchte. Hyakinthos schloss die Augen. Er wollte sich entspannen, keine Angst mehr haben. Hatte Artaios ihm nicht erzählt, dass vermutlich sein Körper selbsttätig reagieren würde? Dass die Veränderung ihn darauf eichte, Lust zu empfinden? Warum sollte das nicht stimmen? Es wäre nur logisch, weil das zur Anziehungskraft des 'Köders' gehörte. Er keuchte in das Flanell, als Artaios' Liebkosungen sich konzentrierten, zwang sich, die Beine aufzustellen und zu teilen. Mit geschlossenen Augen konnte er sich davonträumen, träumen, ein anderer zu sein. Ein erfahrener Anderer, der sich verwöhnen ließ. »Heißt es nicht, dass Sex zu fünfzig Prozent eine Kopfsache ist?« Drängte sich seine innere Stimme in seinen Monolog. »Stell dir vor, wie gut es ist. Merk dir die Gefühle, die Erwartung, den Genuss!« Andererseits beschämte ihn die simple Vorstellung, für allzu empfänglich, zu willig gehalten zu werden. Fingerspitzen tasteten über seine Rippenbögen unterhalb der Arme. Es kitzelte. Hyakinthos wand sich unruhig, vergaß den Tumult in seinem Kopf. Hellblaue Augen erschienen über ihm, zwinkerten. Die Ablenkung tat wohl Not, denn ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er sich zu sehr verkrampft. Mit der Rechten streichelte er zögerlich über Artaios' Seite, wischte langsam durch die blonden Strähnen. Er spürte die Muskeln, die glatte Haut unter seinen Fingern, atmete durch die Nase, senkte die Lider wieder. »Ich fühle mich gut. Das ist alles in Ordnung. Ich brauche keine Angst zu haben.« Außerdem war Artaios so sanft, dass er beinahe wegdösen könnte. Nicht, wenn die Ministrationen in seiner Lendengegend fortfuhren! Der Hüne beugte sich über ihn, warmer Atem beschlug auf seinem Gesicht. Er raunte in Hyakinthos' Ohr. "Hilf mir ein wenig, ja?" Die Zielrichtung stellte sich unmissverständlich dar, beziehungsweise auf. Hyakinthos löste die Rechte aus der Decke, wo sein Klammergriff bestimmt schon Spuren hinterlassen haben musste, streichelte panisch über den Unterbauch. Seine Fingerspitzen ertasteten Schambehaarung, da wusste er sich am bereits verhüllten Objekt. »Uhoh!« Er schluckte. »Jetzt nicht kneifen.« Eine große Hand schob sich über seine, leitete ihn sanft an. Hyakinthos hatte das Gefühl, sämtliches Blut würde in seinem Kopf detonieren. "Hmmmm!" Schnurrte es kehlig über ihm, erstes Anzeichen dafür, dass Artaios zufrieden mit der Entwicklung war. Synchronisiert steigerte sich die Massage, bis sich weitere Körperregionen mit arhythmischen Stößen anschlossen. Er hörte, wie Artaios stöhnte, schließlich seine Hand einfing, einen Kuss auf den Handrücken platzierte. "Einen Augenblick." Flüsterte Artaios. In Hyakinthos' Kopf pochte eine Ader heftig, pulsierte mit der Erregung, die noch keine Erlösung gefunden hatte. Er biss in das Handtuch, als Artaios über seine Hoden strich, von einer Flüssigkeit begleitet, die Hyakinthos signalisierte, dass es ernst wurde. »Beinahe zu flüssig!« Dachte er, bevor er um Atem rang. Sein Körper schien den Eindringling gar nicht mehr ziehen lassen zu wollen. Bevor ihn die Scham erstarren lassen konnte, folgte er unwillkürlich der Bewegung, grub die beschäftigungslosen Finger wieder in die Decke. Da war ein Punkt, eine Stelle, die wollte massiert werden, sogar sehr. Die Gleitcreme, die die Bewegungen in seinem Anus geschmeidig machte, verstärkte den Effekt noch. Er versuchte, sich eine Notiz zu machen, künftig diese unverzichtbaren Utensilien bei sich zu tragen, doch der Gedanke wurde weggespült. Artaios wisperte an seinem Ohr. "Bist du bereit?" Hyakinthos konnte nicht mehr als heftig nicken. Die Finger fehlten ihm, in seinem Leib pochte es wie Donnerschläge, schnell, hart, ohrenbetäubend. Er hechelte in das Handtuch, hoffte auf Erlösung. "Gut." Artaios küsste ihn auf die Stirn, fasste mit der Linken unter Hyakinthos' Kehrseite, dirigierte die Beine, bis der Eintrittswinkel ohne unverhältnismäßige Verrenkungen erreicht war. Zunächst schien der Druck auf den Muskelring ungemein größer als zuvor, doch als Hyakinthos nicht mehr länger die Luft anhalten konnte, ächzend ein- und seufzend ausatmete, nutzte Artaios die Chance, tiefer einzudringen. Beiden perlte Schweiß und kondensierende Atemluft auf der Haut. Hyakinthos winselte erstickt. Sollte das etwa so bleiben? Die mächtige Erektion einfach in seinem zusammengerollten Unterleib?! "Ich~ich bewege mich jetzt." Artaios rang ebenfalls um Atem. Er musste an sich halten, wollte den Jüngeren schließlich nicht verletzen. Vorsorglich fügte er noch mehr Gleitcreme hinzu, fasste die Hüften fester, um sie auf seinen Oberschenkeln bewegen zu können. Es war nicht sonderlich bequem, eingestandenermaßen, aber nicht so unpersönlich wie eine andere Position. Artaios spürte, wie Hyakinthos sich anpasste, die beinahe zangenartige Umklammerung sich veränderte, wie die Muskeln aktiv wurden, ihm deutliche Schweißperlen auf die Stirn trieben. Auch wenn Hyakinthos keine Erfahrung hatte: er zeigte ungeheuer viel Talent. Er beugte sich hinunter, keuchte auf das gerötete Gesicht mit den zerzausten Locken. "Halt dich fest!" Stützte beide Hände hart auf den Boden. Hyakinthos blinzelte. In den dichten, kurzen Wimpern klebten Tränen, die seine Sicht verschleierten, aber er reagierte, legte umständlich die Arme um den Nacken des Älteren. Mühelos, schwindelerregend hurtig, fand er sich aufrecht, weniger auf dem Schoß reitend als in rollenden Bewegungen auf und nieder pulsierend. Artaios hielt ihn eng an sich gedrückt, beschützend warm, die Augen geschlossen, während er die Stoßgeschwindigkeit steigerte. Das genügte bereits, um Hyakinthos letzte Barrieren zu überwinden. Das Handtuch erstickte sein Aufstöhnen, der Körper folgte dem orgiastischen Impulsgewitter, zuckte unkontrolliert, bis er matt in sich zusammensank, nur beiläufig die weiteren Stöße registrierte, bis auch Artaios seinen Höhepunkt erreichte. Keuchend, einander umklammernd, schwankend verharrten sie flackernde Herzschläge lang, bis Artaios sich leicht aufrichtete, behutsam vorbeugte, seine Last langsam abrollte, sich gleichzeitig aus dem gastlichen Körper verabschiedete. Er lehnte sich über Hyakinthos, wartete, bis sein Atem nicht mehr so schnell flog, wischte mit der Rechten sanft die Tränenspuren von dem sommersprossigen Gesicht, entfernte das dämpfende Handtuch. "Wie fühlst du dich?" Seine Fingerkuppen glitten über die Wangenknochen. Hyakinthos blinzelte, lächelte schief, signalisierte mit der Rechten wieder 'Daumen hoch'. Auf seiner Zunge lagerte ein ganzer Pelz, zumindest fühlte es sich so an. Aber abgesehen von einem gewaltigen Durst fühlte er sich gar nicht schlecht. Artaios ließ sich neben ihm nieder, produzierte aufmerksam eine Thermoskanne mit Pfefferminztee, füllte den Becher für Hyakinthos, der sich ungelenk aufrappelte. "Hast du Schmerzen?" Diskret wandte sich der Hüne ab, um mit Taschentüchereinsatz Kondom und Gleitcreme von seinem Körper zu entfernen. "Nein. Es ist ungewohnt." Hyakinthos spürte, dass er nicht mehr erröten konnte, weil er vermutlich schon alles Blut wieder im Gesicht hatte. "Aber... nicht übel." Die Stufenvertretung kehrte sich wieder zu ihm um, lupfte lächelnd eine kritische Augenbraue. "Ich fasse das als Kompliment auf." Er verfolgte amüsiert, wie Hyakinthos' Gesichtsfarbe sich einen Deut verdunkelte, der Jüngere sich auf die Knie hockte. "So war das nicht gemeint! Ich wollte damit bestimmt nicht...!" Artaios bremste die hastige Erklärung mit einem siegelnden Finger. "Ich habe schon verstanden." Er kämmte einige Locken aus dem Gesicht. Keine Frage, die Pheromone leisteten gute Arbeit, aber Hyakinthos verfügte auch über eine natürliche Anziehungskraft, die das Herz schneller schlagen ließ. "Vielen Dank." Wisperte der Jüngere gerade verlegen. "Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen." Galant küsste Artaios ihm den Handrücken, erhob sich. "Ich werde mich frischmachen. Wenn du bereit bist, sag mir Bescheid, dann gehe ich nach draußen." Hyakinthos verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, setzte sich auf, spreizte die Beine, um sich rasch selbst zu reinigen und das Kondom in die Mülltüte zu entfernen. »Frische Handtücher?« Der Gips war ihm nun doch hinderlich, um das Lager neu zu richten, aber wieder war Artaios an seiner Seite, half diskret aus. Umsichtig wie immer hatte er nicht nur das 'Material' besorgt, sondern auch einen ganzen Stapel frischer Handtücher in einer Plastiktüte transportiert. "Danke schön." Murmelte Hyakinthos beschämt. Obwohl er fast eine ganze Woche Zeit gehabt hatte, sich auf das augenscheinlich Unvermeidliche einzurichten, mangelte es ihm offenkundig an Basiswissen! Artaios ging vor ihm in die Hocke, legte ihm die Decke um die Schultern, streichelte durch die feuchten Locken. "Du machst das gut. Folge einfach weiter deiner Intuition." Hyakinthos lächelte unwillkürlich, setzte sich ein wenig aufrechter. Lob und Anerkennung, auch wenn sich die Situation bizarr ausnahm, das tat immer gut. "Und nun? Bereit für die zweite Runde?" Artaios zwinkerte aufmunternd. Mit einem Nicken signalisierte Hyakinthos, dass er entschlossen war, sich der Herausforderung zu stellen. Er wusste, dass Artaios mit den anderen Verschwörern gesprochen hatte, deshalb das Auslosen der Reihenfolge ohne ihn erfolgt war. Hyakinthos fragte sich, den Blick auf die athletische Gestalt des Hünen gerichtet, der die Hütte verließ, ob sie alle eine heterosexuelle Präferenz hatten. Oder vielleicht sogar eine Freundin? Artaios hatte nichts dergleichen erwähnt, aber das musste nicht heißen, dass es nicht doch Geliebte gab. Möglicherweise enthielten sie ihm die Informationen vor, um ihn nicht zu verunsichern. Er zog die Beine vor die Brust, schrammte nachdenklich mit dem Gips über das linke Knie. »Würde ich soweit gehen, meine Freundin zu betrügen, um das Wohl der Schule und eines Einzelnen zu schützen?« Akademische Frage natürlich, er hatte schließlich noch nie eine Freundin gehabt. »Woher wissen sie, wie drastisch die Auswirkungen werden können?« Diese Frage beschäftigte ihn schon eine geraume Weile. Erebos hatte in seiner direkten Art düster geflüstert, dass er sich auf ein Leben gefasst machen musste, wo er täglich angefallen und vergewaltigt werden würde. Die Erinnerung daran ließ Hyakinthos schaudern. Beinahe erleichtert hob er den Kopf, als Caratacus eintrat. "Alles in Ordnung?" Der sonnengebräunte Schatzmeister wirkte wie ein Waldgeist, freundlich, aber eher einsilbig. Definitiv kein Mann großer oder zahlreicher Worte. Hyakinthos nickte, rutschte tiefer unter die Decke, beobachtete, wie sich Caratacus seiner Kleidung entledigte, sie sorgsam zusammenfaltete. Er schien keine Scham darüber zu empfinden, vollkommen nackt unter die Decke zu schlüpfen. "Ah." Bemerkte er gleichmütig. "Kalte Füße?" "Nicht metaphorisch." Murmelte Hyakinthos mit einem schiefen Grinsen. Zu seiner Überraschung grinste Caratacus, raufte sich die krausen Locken. "Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich es gern von hinten machen." Schon saß er wieder aufrecht, die Beine untergeschlagen "Äh, natürlich, in Ordnung." Hyakinthos spürte wieder die Röte auf seinen Wangen. Selbstverständlich wollte nicht jeder beim intimen Akt auch noch persönlich werden. "Gut." Caratacus nickte befriedigt, begann ohne Scheu mit der Masturbation. Reflexartig wandte Hyakinthos den Kopf ab, rang verkrampft um Luft. »Ich sollte wohl besser auch...!« Verdrängte er gewaltsam die knebelnde Scham. Aber direkt in Gesellschaft eines relativ Unbekannten, dazu noch gehandikapt durch den Gips, sodass er sich nicht gut aufstützen konnte...! Caratacus legte ihm die flache Hand auf die Brust, drückte ihn sanft auf die Matte. Die hellen, fast durchsichtig wirkenden Augen waren ruhig, ruhten in einem freundlichen Krähennest. Er spürte, dass Caratacus ihm helfen würde, was der auch tat, die Decke über ihre beiden Köpfe gezogen. So konnte Hyakinthos sich leichter entspannen, fühlte sich nicht so ungeschützt. Ohne Aufforderung rollte er sich herum, begab sich auf die Knie, hoffte, dass Caratacus auch hier einen Moment auf das manuelle Vorspiel verwandte. Hyakinthos wurde nicht enttäuscht. Als er jedoch die kräftigen, von Schwielen gezeichneten Hände auf den Hüften spürte, die flammende Wärme von Caratacus direkt an Oberschenkelrückseite und Hinterteil, zuckte er unwillkürlich zusammen. Hier würde es keine sanften Worte geben, keine Streicheleinheiten: Caratacus schlief mit ihm, weil er eine Verpflichtung erfüllte. »Ich kann das!« Erinnerte sich Hyakinthos energisch, atmete tief durch, fischte eilig nach dem Handtuch, das verräterische Laute knebeln sollte. Der Schatzmeister war vorsichtig, aber nicht unsicher. Mit Geduld und Gleitcreme grub er sich den Weg in Hyakinthos' Körper. Der wunderte sich über sich selbst. Nach den ersten Zusammenzucken regierten offenkundig die Hormone. Die mochten Sex, freuten sich auf die explosive Entspannung, den Kraftaustausch. Hyakinthos keuchte in das Handtuch, balancierte sich aus. Der Gips störte. Caratacus legte ihm die Arme um die Taille, zog ihn vom Boden weg. Nun nahm ihre vereinte Bewegung an Schwungkraft auf. Mit geschlossenen Augen beobachtete Hyakinthos flirrende Punkte, roch den Duft von Grillkohle, frischem Grün und Sonne, der von Caratacus' Haut ausging, sorgte mit der Rechten dafür, dass er mit Caratacus Schritt halten konnte. Es ging schnell, ohne nennenswerte Kollisionen oder Stürze, dennoch lagen sie beide schwer atmend auf dem provisorischen Lager, blinzelten Richtung Decke. "Geht...'s...dir...gut?" Eine schwielige Hand tastete nach Hyakinthos' Oberarm, tätschelte ihn. "Und... selbst?" Scherzte er tollkühn, wandte den Kopf. Caratacus schmunzelte. So lagen sie einfach nebeneinander, warteten, bis der Puls sich wieder beruhigte, das Dröhnen unter der Schädeldecke verschwand. Der Schatzmeister setzte sich auf, mit der gleichen sehnigen Gelenkigkeit, die ihn üblicherweise auszeichnete. Ohne falsche Scham entfernte er das Kondom, säuberte sich, trocknete sich die Haut ab, kramte in seinem Rucksack nach einem Päckchen Feuchtigkeitstücher und seinem Deodorant. Hyakinthos konnte den Blick nicht abwenden, mit welcher Selbstverständlichkeit Caratacus sich wieder gesellschaftsfähig machte. Er hatte bisher in seinem Leben stets die Intimität eines Badezimmers genossen, die eigene Gesellschaft. Die Waschräume und das Gedränge, der Geräuschpegel und das Gewusel seiner Mitschüler irritierten ihn auch nach einer Woche stark. Selbst wenn niemand ihn tatsächlich beobachtete, fühlte er sich stets bedrängt und eingeschränkt in seiner Freiheit. »Ich werde wohl oder übel lernen müssen, mich auch in Gesellschaft zu entspannen!« Seufzte er stumm, drehte sich auf die Seite, um selbst im Schutz der Decke die Spuren der Aktivitäten zu beseitigen. "Was isst du gern?" Caratacus sammelte seine Habseligkeiten ein, wischte sich durch die krausen Löckchen. "Bratwurst? Oder einen Maiskolben? Kartoffel?" Der Jüngere blinzelte, schaltete in den richtigen Gang. »Genau, Grillen, Abendbrot!« "Ich hätte gern etwas von dem Maiskolben." Antwortete er leicht verlegen über seine verzögerte Reaktion. Caratacus schien sich jedoch daran nicht gestört zu haben. "Geht in Ordnung. Wir haben genug eingepackt, auch für Bärenhunger." Wieder zwinkerte er verschwörerisch. Hyakinthos vermutete, dass daher die Krähennester stammen mussten. Der Schatzmeister sprach zwar nicht viel, aber er verfügte durchaus über einen pantomimischen Witz. "Danke schön." Hyakinthos nickte, hoffte, dass Caratacus begriff, wie weit sein Dank reichte. "Möchtest du eine Pause, oder soll ich Alocer gleich rein lassen?" Abwartend stand der drahtige Mann in der Tür. »Alocer...« In Hyakinthos' Magen zog sich ein Knoten zusammen. Er mochte Artaios sehr, vertraute ihm, weil der Hüne sanft und rücksichtsvoll war, ihm sehr freundlich und geduldig begegnete. Zu Caratacus hatte er keine besondere Meinung, sie kamen miteinander aus. Taliesin, ja, da waren wirklich weiche Knie angesagt, bei einem so schönen Menschen. Aber Alocer und Erebos, das waren die beiden 'Beschützer', vor denen er sich fürchtete. Nicht, dass sie ihm Gewalt antaten, dennoch fühlte er sich zutiefst verunsichert in ihrer Gegenwart. Alocer haftete etwas Bitteres, Grimmiges an, eine verborgene, unterschwellige Aggression, vielleicht auch eine Unzufriedenheit. »Nicht gerade ein Typ zum Kuscheln!« Rollte sich die Stimme in seinem Hinterkopf zusammen. Und Erebos? Der wirkte wie ein Gegenentwurf zu Artaios. Jedoch, etwas stimmte an diesem Bild nicht. Alle taten zwar so, als handele es sich bei beiden um Gegenpole, doch Hyakinthos hegte Zweifel. Möglicherweise lag es daran, dass Erebos hilfsbereiter, verständnisvoller und gelassener war, als er es hätte sein dürfen. Hyakinthos spürte unter seiner Haut, dass da etwas vorging, aber noch konnte er es nicht ergründen. Er wusste schlicht und ergreifend nicht, woran er mit dem merkwürdigen Rebellen war. Caratacus stand noch immer in der Tür, wartete geduldig auf Antwort. »Oh!« Errötend huschte ein schräges Grinsen über Hyakinthos' Gesicht, als ihm seine Gedankenversunkenheit bewusst wurde. »Also, Alocer ist der Nächste? Na gut...das schaffe ich.« "Ich bin in Ordnung." Versicherte er dem Schatzmeister laut, der noch einen Moment den Blick schweifen ließ, aus der Hütte trat. Hyakinthos atmete tief durch. Ihm war vor Angst und Unsicherheit flau, aber das musste er jetzt in den Griff bekommen. Wenn er Artaios' Erklärungen richtig verstanden hatte, sorgten seine Pheromone als Lockstoffe dafür, dass sich jeder sexuell angezogen fühlte, schon aus diesem Grund in Erregung versetzt wurde. Selbst moralische oder sittliche Bedenken und Tabus traten in den Hintergrund. Folgerichtig musste er dafür Sorge tragen, ausreichend präpariert zu sein, um die Situation in den Griff zu bekommen. Also erregende Phantasien, Entspannung (»keine Angst haben!«) und eine zuverlässige Technik! »Bei der ich gerade Quantensprünge erlebe.« Seufzte Hyakinthos und legte das Kinn auf die angezogenen Knie. Er hatte durchaus eine gewisse Vorstellung davon, wie er sich selbst in Erregung versetzen konnte und was ihm gefiel, aber das war eher mit einer körperlichen Erleichterung zu vergleichen. Mit einem anderen intim zu werden, DAS bewegte sich auf einem gänzlich anderen Niveau! Außerdem war es vor allem für seine 'Beschützer' wichtig, die dünne Trennlinie nicht zu übertreten, die Bedürfnisbefriedigung zur Gefahrenabwehr von verliebten Gefühlen separierte. Bevor sich Hyakinthos darüber den Kopf zerbrechen konnte, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass einer seiner Beschützer sich in ihn verliebte, platzte Alocer herein. Zu großspurig und weit öffnete er die Tür, zu selbstbewusst stolzierte er herein. Artaios hatte angedeutet, dass es Alocer nicht gelungen war, die ärztlichen Befunde ausreichend zu analysieren, um die Zusammensetzung der Infusion besser auszusteuern. Erst Erebos hatte die Verbesserung bewirkt. Das nagte gewaltig an dem Hobby-Astronomen. "Und?" Alocer streifte sich den unvermeidlich schwarzen Rollkragenpullover über den Kopf, enthüllte seinen schlanken, beinahe knochigen Oberkörper. "Bekomme ich keine Show?" Hyakinthos blinzelte. Er war noch zu weit entfernt, aber er glaubte zu bemerken, dass Alocer sich die Brustpartie rasierte? »Liebe Güte!« Dachte er erstaunt. »Ich dachte, das gibt es nur im Film...« "He, was ist nun?" In provozierender Pose, den schwarzen Slip als letzte Bastion, starrte Alocer auf ihn herunter. "Show?" Erstaunlich geistesgegenwärtig wiederholte Hyakinthos' Selbsterhaltungstrieb das letzte Stichwort. "Du denkst doch nicht, dass du draußen so leicht davonkommst?" Ein Finger hob Hyakinthos' Kinn an, bog es so hoch, dass dem Jüngeren der Nacken schmerzte. Alocer grinste, beinahe schon hämisch, als er an Hyakinthos' Gesichtsausdruck ablesen konnte, dass der noch immer nicht begriff, in welche Richtung seine Frage gezielt hatte. Er beugte sich demzufolge hinunter, hauchte in das Gesicht des Jüngeren. "Da draußen springen Typen einfach auf dich drauf. Du kannst das mit Schmerzen und Panik hinter dich bringen oder du machst bereitwillig die Beine breit. Also, zeig mir, wie du dich schnell genug auf Touren bringst, um auch Spaß zu haben." Hyakinthos schluckte gegen den Kloß in seinem Hals. Der Hobby-Astronom klang so boshaft und niederträchtig, dass das zarte Pflänzlein seines gerade gewonnenen Selbstbewusstseins sofort einging. Der Ältere erwartete doch nicht wirklich von ihm, sich hier selbst zu erregen?! "Na los!" Fauchte Alocer, strich sich manieriert mit Daumen und Zeigefinger über seinen gepflegten Schnurr- und Spitzbart. "Denk daran, da draußen hast du gerade so viel Zeit, wie der oder die anderen benötigen, um dir die Hose vom Arsch zu ziehen!" »Danke. Den Hinweis hätte ich wirklich nicht benötigt!« Schnaubte der jüngst entdeckte Widerspruchsgeist in Hyakinthos' Hinterkopf. Aber an den Fakten konnte er nichts ändern: Alocer hatte leider recht. Auch wenn die Hormone und Lockstoffe sämtliche körperlichen Hemmungen austricksten, funktionierte noch der Teil des Unterbewusstseins, der seinen potentiellen Vergewaltigern ins Gedächtnis rief, dass das, was sie gerade taten, verwerflich und widerlich war. Folgerichtig konnten sie dazu geneigt sein, sich möglichst schnell dieser Last zu entledigen. »Aber wie soll ich...?! Und dann auch noch vor ihm?! Der so verdammt selbstgerecht feixt?!« Hyakinthos schauderte. Er entdeckte definitiv in sich einen Geist der Aufsässigkeit, den er zuvor noch nicht erlebt hatte. »Reiß dich zusammen!« Ermahnte er sich. »Wir zeigen's dem eingebildeten Pinsel! Los doch!« Er kniete sich auf die Matte, die Beine gespreizt, lagerte bequem auf den Fersen. »Schließ die Augen.« Wies er sich selbst an. »Erinnerst du dich an Artaios' Hände? Genau, wie sie über die Brust fuhren, das war doch sehr prickelnd, oder?« Den Kopf gesenkt, weil es den Nacken entspannte, glitt er mit seiner Rechten wie der Hüne zuvor über seinen Brustkorb, sehr langsam, in konzentrischen Kreisen. Er reduzierte die Berührung auf die Ahnung eines Streichelns, spürte die winzige Spannung, wenn er nur Millimeter über der Haut schwebte. Obwohl er wusste, dass er sich selbst berührte, konnte er doch die sich aufbauende Erregung spüren, die erwartungsvolle Vorahnung einer Liebkosung, die eine erotische Spannung erzeugte. Er wanderte tiefer, schmeichelte seinem Bauch, der die sanften Runden um den Nabel besonders genossen hatte. »Okay, den Rest schaffst du schon allein!« Sein Stolz verabschiedete sich zu einem kurzen Gang um den Block, offenkundig befriedigt darüber, dass er sich nicht unterkriegen ließ. Hyakinthos ließ jeden Gedanken beiseite, wie es wohl aussehen mochte, wenn er sich selbst erregte. Er streichelte seine erwartungsfrohe Erektion, wanderte zwischen die Beine, neckte mit einer Fingerspitze sanft die zarte Hautpartie nach den Hoden und vor dem Anus. »Guuuuuuut!« Schnurrte es rollig in seinem Hinterkopf, teilte selbsttätig seine Lippen, um den heftigeren Atemzügen kein Hindernis zu bieten. Sie waren zu trocken, deshalb entführte er den frisch produzierten Speichel mit der Zunge nach draußen. "Nimm den Gummi und das Gleitmittel!" Klang Alocer wirklich heiser? Angespannter? Ohne die Augen zu öffnen tastete Hyakinthos nach den Hilfsmitteln. Caratacus hatte sich einmal mehr als stiller, aufmerksamer Partner erwiesen: die Tube war nicht fest zugedreht, sodass Hyainthos sie auch einhändig wieder öffnen konnte. "Kondom." Er keuchte, fühlte sich mehr als merkwürdig, sich selbst einen Finger einzuführen, fürchtete, vornüber zu fallen. Momente später strichen lange dünne Finger über seine Erektion, wurde ihm das Kondom übergestreift. Unmöglich, die Verpackung mit geschlossenen Augen und einer Hand zu öffnen. "Leg dich hin." Alocers Stimme klang galvanisiert, wie ein Frosthauch. Hyakinthos schauderte, ließ sich aber gehorsam auf den Bauch sinken. Ein wenig störte die Position seine Erektion, doch er hielt sich schadlos, indem er nicht reglos lag, sondern sich leicht bewegte, Reibungshitze mit der ausgebreiteten Decke erzeugte. Er stöhnte auf, als Alocers Finger sich in seine Pobacken gruben, sie massierten. Artig spreizte er die Beine ein wenig weiter, atmete tief durch, als Alocer die mit Gel beschmierten Finger in seinen Körper schob.Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er Alocer fürchtete: man musste es als Training betrachten. Außerdem war es eine verbotene Erregung, eine Phantasie, sich völlig hinzugeben. »Das ist neu.« Mühsam drängte sich der Gedanke durch die vielschichtigen Informationen anderer Nerven. »So habe ich früher nie empfunden.« "Komm mir ein bisschen entgegen!" Keuchte Alocer tatsächlich? Seine Stimme hörte sich ungewohnt an, so als würde bei ihm sexuelle Erregung jede Wärme gefrieren. Die langen, dünnen Finger legten sich um Hyakinthos' Hüften, zogen ihn vom Boden, um den Winkel einzurichten, in dem ein Eindringen sich am Einfachsten gestaltete. Hyakinthos dachte an die Hitze. Artaios' sanfte Freundlichkeit. Caratacus' sicheren Griff. Und hörte er nicht Taliesin singen? Er presste das Gesicht auf die Decken, um ein lautes Stöhnen zu dämpfen, als Alocer in ihn eindrang, nicht behutsam oder gemächlich, sondern so, wie er es boshaft beschrieben hatte: wie ein Typ, der von dem bis dato unbekannten Verlangen überwältigt wurde, einen Jungen zu vergewaltigen. Mit der Rechten zerdrückte er die Decke, stemmte die Ellenbogen in den Boden, justierte sein Becken, um sich weniger Schmerz als Lust zu bereiten. Alocer war nicht besonders gut. Möglicherweise lag es auch an der Position. Vielleicht tat er es auch zum erstem Mal auf diese Weise. Die Stöße kamen schnell, aber ohne richtigen Rhythmus, nahmen keine Rücksicht auf den Partner. Offenkundig wollte Alocer nur Befriedigung erfahren, nichts weiter. Nichts Persönliches. »Aber ich...« Hyakinthos hielt die Augen geschlossen, nutzte die gerade gewonnenen Erfahrungen. Nicht nur körperlich konnte er das Geschehen ein wenig lenken, auf die Reflexe bauen, die nun für Kontraktionen sorgten. Auch geistig entkam er der ausweglosen Situation, indem er sich angenehm-erregende Erinnerungen ins Gedächtnis rief. Derart in einem privaten Nirvana geschützt registrierte er kaum, wie Alocer mit besonders ungelenken Stößen kam. Sein Körper folgte mit Verspätung, bescherte ihm ein weiteres Mal eine Menge Fussel auf dem Mund. Während er sich wacklig mit der Rechten über die Lippen wischte, sich selbst einen Nachschlag aus Artaios' Thermosflasche versprach, stand Alocer bereits wieder, trocknete sich ab, stieg in seine verstreuten Kleider. Hyakinthos griff nach den Taschentüchern, setzte sich auf die Seite, um die Decke über seinen Unterleib drapieren zu können. Diskretion bei der Hygiene gehörte zum guten Stil, davon war er überzeugt. Alocer kämmte sich mit den Fingern durch die Haare, bürstete imaginäre Fussel von seinem Pullover, ging zur Tür. Bevor er hinaustrat, wandte er sich über die Schulter Hyakinthos zu. "Du hast dich ja erstaunlich schnell angepasst. So geil darauf zu sein, von hinten gefickt zu werden: ob das wirklich alles nur hormonell bedingt ist?" Als Hyakinthos sich umwandte, ein Handtuch in der Rechten, um sich abzutrocknen, fassungslos, schloss sich die Tür bereits wieder. Ihm wurde flau. Der Knoten in seinem Magen funkte Alarmsignale. »...gemein. Gemein! GEMEIN!« Sein Kopf rebellierte auch. »Wie kann dieser eingebildete Fatzke so was sagen?! Denkt der, mir macht das SPASS?!« Natürlich passte sich sein Körper an! Selbstverständlich reagierte er auf die Stimulanz! »Ich habe schließlich keine andere Wahl! Ich könnte auch darauf verzichten! Ich meine, WENN ich könnte!« Aber der Stachel saß zu tief. »Wirke ich zu willig? Wehre ich mich nicht genug? Wie soll ich denn reagieren?« Unwillkürlich duckte er sich, zog die Schultern hoch, die Beine an, wurde klein und kompakt. »Wenn ich nicht wenigstens so tue, als ob es mir gefällt, wie soll ich das aushalten?! Ich habe schon genug Angst! Ich mag es nicht mal, wenn man mich nackt sieht, ich hasse die offenen Duschen hier, all die Blicke, die Vergleiche! WIE soll ich das machen?!« #~~~~~> Er zuckte zusammen, als sich die Tür schloss. Taliesin lehnte sich an das Türblatt, die Wangen attraktiv gerötet, die rötlich schimmernden Haare zerzaust. Er lächelte so lange, bis er Hyakinthos' Haltung bemerkte. "Was ist passiert?" Die melodische Stimme war leise, aber sehr besorgt. Hyakinthos versuchte sich an einem schiefen Grinsen, wollte beiläufig mit den Schultern zucken, so als sei seine Pose keiner Aufmerksamkeit wert, doch Taliesin ließ sich nicht täuschen. In der katzenhaften Grazie, die seine Bewegungen bestimmte, näherte er sich geschmeidig, ging hinter Hyakinthos auf die Knie, umarmte ihn, zog das kompakte Paket, zu dem Hyakinthos sich zusammengefaltet hatte, heran. "Du bist ganz ausgekühlt!" Stellte er mitleidig fest, begann damit, Hyakinthos kräftig über die Arme zu rubbeln, den Rücken mit den Fingerknöcheln auf und nieder zu fahren. Diese grobe Zärtlichkeit lenkte Hyakinthos ein wenig von seinem Kummer ab. Dennoch presste er die Lippen fest aufeinander und würgte an dem bitteren Kloß in seinem Hals. »Alocer ist, auch wenn er recht hat, ein blödes Stinktier!« Schnüffelte er innerlich. "Besser jetzt?" Taliesin kniete vor ihm, lächelte ihm direkt ins Gesicht. Es war unwiderstehlich schön und herausfordernd. Wie ein Kind nickte Hyakinthos stumm, schob unwillkürlich die Unterlippe vor. Er wollte noch ein wenig getröstet werden, ohne gleich den Anlass preisgeben zu müssen. "Weißt du was? Ich husche gleich mit drunter! Mir ist nämlich noch ordentlich warm!" Taliesin streifte sich rasch die Kleider ab, kroch zu Hyakinthos unter die Decke. "Wir haben nämlich einen Reel getanzt, draußen." Er zog auf faszinierende Weise die Nase kraus. "Na ja, den heheren Versuch unternommen. Ich war ganz außer Puste. Eigentlich sollte ich ja singen, aber ich musste so lachen!" Er lächelte keck, stieß Hyakinthos sanft mit einem Ellenbogen in die Rippen. "Du glaubst gar nicht, wie verrückt Erebos sich verrenken kann!" Er kicherte hinter vorgehaltener Hand, was so niedlich wirkte, dass Hyakinthos selbst ein Grinsen nicht unterdrückte. Trotz seiner atemberaubenden Schönheit war Taliesin offensichtlich nicht unnahbar. "Puh, merkst du's? Ich glühe noch immer!" Beinahe verlegen lupfte der Barde die Schultern, lehnte sich vertraulich zu Hyakinthos hinüber, hob eine Hand zum verschwörerischen Flüstern in dessen Ohr. "Stell dir vor, ich habe zwei große Bataten verputzt!" Hyakinthos wandte den Kopf, woraufhin sich Taliesin sehr aufrecht setzte, betont gravitätisch nickte, mit den schönen Fingern 'Zwei' signalisierte. "Ähm." Hyakinthos spürte verlegene Röte den Weg in sein Gesicht antreten. "Was sind denn Bataten?" "Oh!" Taliesin zwinkerte. "Das sind Süßkartoffeln. Caratacus hat sie mitgebracht. Ich weiß nicht, woher er sie hat." Ein verschwörerisches Zwinkern begleitete diese Äußerung. "Sie waren mariniert und in Alufolie eingewickelt. Schmeckten sehr lecker." Übertrieben wanderte die Zunge über den Mund, verdrehten sich die Augen. Der Jüngere lächelte. Taliesin war wirklich bezaubernd! "Und, wie fühlst du dich?" Aber auch sehr hartnäckig. Hyakinthos zuckte mit den Schultern, starrte auf seine nackten Zehen, die unter der Decke herausguckten. Der Gips störte doch dabei, wenn man die Arme um die angezogenen Beine schlingen, das Kinn auf den Knien ablegen wollte. "Hm." Nachdenklich kopierte Taliesin neben ihm seine Haltung, beobachtete konzentriert die eigenen Zehen, die er nacheinander anhob und senkte. Es wirkte so gelenkig, so geschmeidig, als spiele er eine Tonleiter. "Du erinnerst dich daran, was wir vereinbart haben, nicht wahr? Dass du jederzeit 'stopp!' sagen kannst?" Taliesin legte den Kopf auf die Seite, die Arme bequem um die schlanken Beine geschlungen. Selbst seine Knie mussten perfekt für eine solche Pose sein! Für eine Weile schwiegen sie beide. Talisien streckte die Hand aus, zupfte spielerisch an einer dunkelblonden Locke, drehte sie auf, wanderte mit der Hand tiefer, um Hyakinthos über die Wange zu streicheln. "Du bist ganz angespannt." Wisperte er leise. Ohne sich bremsen zu können zog Hyakinthos eine Grimasse. Aber er WOLLTE nicht ausgerechnet an Taliesin seinen Kummer auslassen, obwohl der an ihm nagte, obwohl er in dieser Stimmung ganz sicher nicht intim werden konnte, ohne Schmerzen zu leiden! "Möchtest du lieber mit einem anderen zusammen sein?" Taliesin streichelte nun über den gekrümmten Rücken. "Ich kann das verstehen. Ich bin dir auch nicht böse. Ich bin kein Telepath, deshalb musst du mir sagen, was du möchtest." Hyakinthos zog die Schultern hoch. Es war gemein, dass Taliesin so nett war! dass man sich so unbeschwert in seiner Gegenwart fühlte, dass er so schön aussah, dass man sich in eine Zauberwelt versetzt fühlte! »Dass er so listig wie Reineke Fuchs ist, erleichtert die Situation auch nicht.« Seufzte Hyakinthos' innere Stimme. »Warte mal!« Das Stichwort 'schön' letterte nun in Leuchtbuchstaben in seinem Kopf, verlangte Aufmerksamkeit. »Taliesin hat doch sicher viele Verehrerinnen! Manche mag er vielleicht auch nicht! Also kann er doch sicher auch damit umgehen, wenn er mal nett sein muss, aber die Person gar nicht mag, oder?! Auf schöne Menschen sind doch viele Leute neidisch, richtig?! Die unterstellen ihm doch sicher auch, er wäre leicht rumzukriegen!« »Genau wie du selbst gerade!« Rüffelte Selbstkritik. Aber der Gedanke, Taliesin möge verstehen, wie er sich gerade fühlte, richtete Hyakinthos auf. Er wandte den Kopf, studierte das schöne, ein wenig fuchsartig wirkende Gesicht. "Alocer hat etwas zu dir gesagt, nicht wahr?" Taliesin sah selbst ernst einfach berückend attraktiv aus. Wieder streichelten die Finger über Hyakinthos' Wange. "Ich will nicht indiskret sein, aber wir kennen Alocer schon recht lange. Er ist ein Kontroll-Freak, kann ziemlich beleidigend werden." Setzte Taliesin düster hinzu. "Er hat gesagt, dass ich geil darauf bin, gefickt zu werden. Mich ja sehr schnell angepasst hätte." Wiederholte Hyakinthos leise, grinste unglücklich. Taliesin betrachtete ihn, beide Arme wieder um die angezogenen Beine geschlungen. Er fragte leise. "Hat er recht?" Hyakinthos presste die Lippen zusammen. Das war eine unzulässige Frage, er wollte schließlich getröstet werden, unterstützt! Andererseits tat Taliesin auch genau das Richtige: er gab ihm Gelegenheit, sich auszusprechen, ging nicht einfach mit Mitgefühl über das Problem hinweg, sondern bot sich selbst als Zielscheibe für etwaige Proteste an. Er holte tief Luft. Es war nicht einfach, Worte zu finden, etwas auszusprechen, wenn man Jahre lang darauf vertrauen konnte, dass die liebste Person im Leben ohne große Erklärungen verstand, oft genug das Reden übernahm. »Dahin kann ich nicht mehr zurück.« Hämmerte Gram in sein Gedächtnis. "Ich weiß nicht, was ich machen soll." Setzte er endlich an, ballte die Rechte zur Faust. Das zumindest fühlte sich gut an, nämlich nach gerechter Wut. "Alle sagen mir, dass ich mit diesen Lockstoffen sämtliche Männer in meiner Umgebung verrückt mache. Dass man jederzeit über mich herfallen wird, um mich zu vergewaltigen. Dass ich dafür verantwortlich bin, dass andere gegen ihr Gewissen handeln!" Nun spürte er zum ersten Mal, dass er auch laut werden konnte, sogar brüllen, wenn er wollte. Hyakinthos richtete sich auf, kreuzte die Beine übereinander, wandte sich Taliesin direkt zu. "Ich WILL auch nicht gefickt werden! Ich WILL nicht, dass andere meinetwegen etwas tun, was sie unter normalen Umständen nie tun würden! Aber die Infusionen helfen nicht dagegen! Herr Calculus hat mir gesagt, dass es nicht mal was bringen würde, wenn ich mich ununterbrochen selbst befriedigen würde." Er fauchte nun. "Weil sich nämlich der Lockstoff nur reduziert, wenn ich Körperkontakt zu anderen Männern habe! Jede Menge Hautkontakt!" Er musste nach Luft schnappen, die Rage trieb ihn an. "Ich HABE keine Wahl! Ich muss Sex mit anderen haben! Was soll ich denn tun?! Wenn ich nicht irgendwie locker werde, ist DAS nicht auszuhalten! Ich habe mir auch nicht vorgestellt, dass ich Sex haben muss, ohne verliebt zu sein. Oder überhaupt positive Gefühle! Er tut gerade so, als wäre es einfach!" Hyakinthos räusperte sich nun heiser. "Ich bin nicht tot! Ich merke auch, wenn einer feuchte Hände hat, unangenehm riecht, sich die Fingernägel nicht schneidet oder überall Pickel hat! Aber ICH kann es mir nicht aussuchen! Ich kann mich nicht mal richtig wehren!" Der Gips wanderte nach oben zu Demonstrationszwecken. "Soll ich mich vielleicht besaufen? Bekiffen?! Und das dann rund um die Uhr, oder wie?! Denkt er vielleicht, dass es toll ist, mit dem Gesicht nach unten zu knien, einem anderen den blanken Arsch hin zu halten?! Muss ich mich dann noch mit solchen Sprüchen demütigen lassen?!" Hyakinthos wischte sich mit dem Handrücken der Rechten über die feuchten Augen. Sein Herz raste, seine Kehle brannte, der Mund war ausgetrocknet, aber er fühlte sich definitiv besser. Der Kloß in seiner Kehle hatte sich verabschiedet. Taliesin lächelte wie ein Sphinx, griff hinter sich zur Thermosflasche, schenkte Hyakinthos eine Tasse Tee aus, reichte sie ihm. Verlegen nahm der sie entgegen, trank in kleinen Schlucken. Eine Hand streichelte ihm dabei verdrehte Locken aus der Stirn. "Ich denke, dass du sehr mutig bist." Taliesin nahm die Tasse, stellte sie zur Seite, fasste Hyakinthos' Rechte, drückte sie. "Jedenfalls mutiger als ich." »Huh?« Hyakinthos blinzelte. Hatte er sich verhört? Taliesin zwinkerte, winkte ihn mit der Linken näher heran. Also rutschte er näher, kniete direkt vor dem Barden, der ihm beide Hände um das Ohr legte, wisperte. "Ich habe nämlich Angst, dir zu sagen, dass du mit dreimal Sex führst." Hyakinthos' Kopf fuhr herum. Er konnte nur staunen. »Das muss ich missverstanden haben! Er meint doch sicher Sex mit Männern, oder?« Der Barde hockte nun im Schneidersitz, die Hände zusammengefaltet. "Ich hatte auch nicht den Mut, Artaios darauf hinzuweisen, dass mir die Erfahrung fehlt, als er uns um Hilfe gebeten hat." Gestand er mit einem schrägen Grinsen ein. "Also...?" Hyakinthos beugte sich vor, studierte die braunen Augen verunsichert. "Du hast noch nie...?" Taliesin erröten zu sehen war auch die übelste Auseinandersetzung mit Alocer wert, befand er wenige Augenblicke später. "Ich fürchte, ich bin ein wenig schüchtern." Der Barde wich seinem Blick nicht aus, blinzelte aber vermehrt. "Da ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, jemandem so nahe zu kommen..." Er seufzte leise. "Weißt du, die meisten himmeln mich entweder an oder verachten mich sofort. Über den schönen Schein sehen nur wenige hinaus." Er zog eine Grimasse. "So eitel, wie ich leider bin, wünsche ich mir doch tatsächlich, dass jemand MICH liebt." Er zerrte sich selbst tadelnd an einem Ohr. "Und ich ganz furchtbar verliebt bin." Nun tanzte wieder sein listig-verzauberndes Lächeln auf den Lippen. "So verrückt vor Liebe, dass ich einfach genug Mut habe, um die höheren Weihen der Lust zu erreichen." Das wirkte nun derart pompös, dass sie beide losprusteten. "Uuuuhhhhh!" Ansatzlos rollte sich Taliesin auf den Rücken, breitete die Arme aus. "Was für eine Schande! Ich habe mich geoutet!" Hyakinthos grinste. Man konnte Taliesin wirklich nur schwer anmerken, dass er mehr als ein Komödiant, ein musikalischer Zauberer, ein schöner Mann war, weil es in seinem Wesen lag, die Tiefe, den Ernst und die Tragik zu verbergen. "Jetzt bin ich deprimiert." Verkündete der Barde mit ausdrucksstarkem Mienenspiel. "Sogar unser Fürst der Finsternis hat mir etwas voraus! Oh weh, wie soll ich leben mit dieser Schande?!" Deklamierte er klagend. Lachend beugte sich Hyakinthos über ihn, begann blitzartig, mit der Rechten neuralgische Punkte anzusteuern, Taliesin zu kitzeln. Der reagierte bereitwillig, wälzte und rollte sich, zog die Beine an, verdrehte die Glieder, ließ die Augäpfel rotieren, ächzte, keuchte und kicherte, als ginge es ihm an den Kragen. Endlich wich er einer Attacke aus, schlang die Arme um Hyakinthos, um ihn auf sich zu ziehen, sich mit ihm herum zu rollen, ihn festzuhalten. Dieser Trost fühlte sich wahrhaftig gut an! Lachend, außer Atem, aufgewärmt und erleichtert lagen sie nebeneinander auf der Seite, beobachteten sich verschwörerisch. Ein wenig Herumbalgen tat gut. Es sah nicht so aus, als würde ihnen sonst jemand dieses Vergnügen bereiten oder gar zutrauen. Taliesin setzte sich auf, streckte die Hand aus. "Bitte." Forderte er Hyakinthos auf, es ihm gleichzutun. Kniend saßen sie einander gegenüber, nahe genug, um die abstrahlende Körperwärme des anderen zu spüren. Taliesin lächelte, hielt Hyakinthos' Rechte und die Fingerspitzen der Linken wie bei einem höfischen, mittelalterlichen Tanz: nur eine zarte Geste der Berührung, ein Anlehnen auf den eigenen Fingerkuppen. Er sang, ohne Räuspern, ohne jegliche Mühe, als könne seine Stimme mühelos jede Gestalt, jede Melodie, jede Tonlage annehmen. "Mit Verlangen Drück ich deine zarten Wangen Holder, schöner Hyazinth. Und dein Augen küss ich gerne, Weil sie meine Morgensterne Und der Seele Sonne sind." #~~~~~> Kapitel 6 - Der Streit zwischen Phoebus und Pan Hyakinthos lauschte atemlos, blinzelte, spürte flammende Röte. Der Barde hob Hyakinthos' Rechte an seine Lippen, küsste den Handrücken sanft. "Nun schau nicht so erschrocken." Wisperte er amüsiert. "Das ist eine Arie von Bach. Nett, hm?" Schnurrte er, zwinkerte. "Oh." Murmelte Hyakinthos verlegen. Gehörte das zur Allgemeinbildung? Außerdem, Johann Sebastian Bach?! Der würde doch nicht so was...?! Oder?! "Möchtest du die Kantate hören? Ich singe auch leise." Taliesin feixte nun. Da Hyakinthos zögerte, setzte sich Taliesin bequem hin, klopfte betont vor seinen Beinen auf den Boden. Artig krabbelte Hyakinthos näher, ließ sich in eine leichte Umarmung ziehen, während Taliesin ein Bein locker hinter ihm aufstellte, das andere bequem anwinkelte. Über die eigene Nachlässigkeit tadelnd die Zunge schnalzte, die Decke um sie legte, Hyakinthos wieder parodierend exakt in eine Umarmung dirigierte. "Gut, gut!" Piepste er aufgeräumt, trällerte frech eine Tonleiter, gurgelte trocken, grimassierte so sehr, dass Hyakinthos eine Hand vor den Mund schlagen musste, um nicht laut herauszulachen. "Also!" Nun sprach eine Bassstimme. "Der Streit zwischen Phoebus und Pan!" Deklamierte/sang Taliesin, um sich selbst hastig zu unterbrechen. "Also, eigentlich ist Phoebus der Gott Apollo, griechisch, sehr musikalisch. Leider nicht besonders geschickt in sportlichen Dingen!" Seine Stimme wechselte mühelos in den Tonfall eines dienstbeflissenen, besserwisserischen Kleingeistes, um noch einmal eine vollkommene Veränderung zu erfahren: das lyrisch angehauchte, sanfte Säuseln eines offenkundig kunstverliebten Regisseurs, "Griechenland! Arkadien! Götter! Idylle! Schöne Menschen!" Hyakinthos konnte nicht länger an sich halten: er rollte sich vor Lachen zusammen, unterbrach die Sondervorstellung. "Na, na!" Taliesin klang wie ein strenger Oberlehrer aus viktorianischen Zeiten. "Junger Mann, fassen Sie sich! Haltung! Disziplin!" Schnäuzelte er in näselndem Ton, was zu einem weiteren Ausbruch an Heiterkeit führte. "Oje!" Die schönen, braunen Augen blickten kummervoll. "Ein SCHWIERIGES Publikum! Oj, oj, oj!" Klagte er nun jämmerlich, schlug die Hände auf die Wangen. "Oj, oj, oj!" Die Arme, die sich um seinen Nacken schlangen, erstickten weitere Abschweifungen vom Thema, aber er genoss die Umarmung offenkundig, erwiderte sie herzlich. Endlich wieder bei Atem, ohne unwiderstehlichen Lachreiz, saß Hyakinthos auch wieder artig, wollte wie ein aufmerksamer Schüler lauschen. "Nun denn, auf ein Neues!" Taliesin trällerte, um wie eine Naive zu säuseln, dabei lispelnd. "Griechenland! Ach, die Zonne! Die zönen Männer! Zo herrlich grün! Da!" Er wies auf einen unsichtbaren Fleck, klemmte die Zungenspitze in einen Mundwinkel. "Männer! Zie ztreiten! Warum?!" Ein strenger Blick traf Hyakinthos, der bereits gegen eine weitere Welle mit dem Kunstgenuss unvereinbarer Heiterkeit ankämpfte. "Zieh doch! Ez izt Phoebuz! Und Pan, der Hirtengott! Ein Zängerwettztreit!" Taliesin zog nun Grimassen. "Ez zind als Richter geladen: Momuz, der Zalk. Mercuriuz, der Gott der Kaufleute. Timoluz, ein Berggott. Und Midaz, der Ezel mit der goldenen Hand!" Hyakinthos staunte. Ein tadelnder Seitenblick traf ihn. Aus dem Mundwinkel raunte Taliesin wie Kermit, der Frosch. "Applaus, Applaus, Applaus!" "Oh!" Hastig bemühte sich Hyakinthos zu klatschen, was ein wenig dumpf ausfiel, weil der Gips nicht sonderlich viel Echo warf. "Gut!" Lobte Taliesin, blickte wieder gestreng. "Geschwinde, geschwinde, Ihr wirbelnden Winde, auf einmal zusammen zur Höhle hinein! Dass das Hin- und Wiederschallen selbst dem Echo mag gefallen und den Lüften lieblich sein!" Er legte die Hände so übereinander, dass sie eine Kugel formten, in die er mit klagendem Ton hineinblasen konnte, öffnete sie, bildete mit jeder Hand eine Figur ab, indem er Daumen gegen Mittel- und Ringfinger drückte, während er Zeige- und kleinen Finger abknickte und nach oben spreizte. Fuchsartige Köpfe standen einander gegenüber. "Und du bist so unverschämt und frei, mir in das Angesicht zu sagen, dass dein Gesang viel herrlicher als meiner sei?!" Taliesin beugte sich vertraulich zu Hyakinthos hinüber, den Blick starr nach vorne auf seine Hände gerichtet, so, als sei er ein Zuschauer in einer Aufführung, wisperte. "Ah, das ist Phoebus, also Apollo." Er sah unter sich, als studiere er ein Programm. "Singt in h-Moll. Der andere Bursche ist Pan. A-Dur." Vielsagendes Nicken des interessierten Laien. Unwillkürlich nickte Hyakinthos, blinzelte. Verdammt, Taliesin war wirklich umwerfend! Unterdessen setzten die beiden Hände ihren Sängerwettstreit fort. "Wie kannst du doch so lange fragen? Der ganze Wald bewundert meinen Klang! Das Nymphenchor, das mein von mir erfundenes Rohr von sieben wohlgesetzten Stufen zu tanzen öfters aufgerufen, wird dir von selbsten zugestehn: Pan singt VOR allen andern schön!" Wieder neigte sich Taliesin als Zuschauer der eigenen Darbietung. "Aha! Panflöten, die Plagen der Innenstädte! Daher kommt auch der Ausspruch 'auf dem letzten Loch pfeifen'. Schlimmer als Straßenmusik mit umgehängtem Teppich geht ja wohl nicht." Hyakinthos lachte laut auf, spürte einen betont verärgerten Blick, rückte tollkühn näher heran. "Wie schlimm ist denn 'Teilnahme bei Superstar-Shows'?" Nun musste auch Taliesin grinsen, fasste sich aber rasch wieder. Schließlich wollte Phoebus/Apollo seinem Gegner Pan gerade einen reinwürgen! "Vor Nymphen bist du recht, allein, die Götter zu vergnügen, ist deine Flöte viel zu schlecht!" Die Phoebus-Hand reckte den Schnabel hochmütig in die Luft. Ihr Pan-Pendant klappte berauscht von den eigenen Fähigkeiten den Schnabel eilig auf und zu. "Sobald MEIN Ton die Luft erfüllt, so hüpfen die Berge, so tanzet das Wild, so müssen sich die Zweige biegen! Und unter den Sternen geht ein entzücktes Springen für: die Vögel setzen sich zu mir und wollen von MIR singen lernen!" Aus dem scheinbaren Off, mit listig-boshaftem Gesichtsausdruck kommentierte eine andere Stimme. "Ei! Hört mir doch den Pan, den GROSSEN Meistersänger an!" Hyakinthos beobachtete, -wie die beiden Hände, die sich umdrehten-, diese neue Person, die nun mit kecken Blicken rechts und links in die Darbietung drängte. "Patron, das macht der Wind! Dass man prahlt und hat kein Geld, dass man für Wahrheit hält, was nur in die Augen fällt, dass die Toren weise sind, dass das Glücke selber blind, Patron, DAS macht der WIND!" Taliesins Gesichtsausdruck änderte sich, während er den Kopf wandte, scheinbar auf eine andere Person blickte. Er rieb die Hände, die Daumen über Zeige- und Mittelfingerkuppen. Ganz klar, diese Figur hatte Geld im Sinn! "Was braucht ihr euch zu zanken? Ihr weichet doch einander nicht! Nach meinen wenigen Gedanken so wähle sich ein jedes einen Mann, der zwischen euch das Urteil spricht! Lasst sehn, wer fällt euch ein?" Die Hände wurden eilig wieder zu den fuchsartigen Köpfen. "Der Timolus soll MEIN Richter sein!" "Und Midas auf MEINER Seite!" Der Barde neigte sich wieder wispernd aus dem Mundwinkel. "Clever, Phoebus wählt den dämlichen Berggott! Dem geht das Gepfeife sicher schwer auf den Keks! Und Pan den ollen Midas! Der wird doch schon rattig, wenn nur irgendwo Gold glänzt! Der ist doch käuflich!" Hyakinthos lächelte, wandte sich artig wieder den beiden Händen zu, die sich scheinbar anfunkelten. Nun aber rieben wieder die Daumen über Zeige- und Mittelfingerkuppen: aha, noch sprach Mercurius! "So tretet her, ihr lieben Leute, hört alles fleißig an und merket, wer das Beste kann!" Die Phoebus-Hand warf sich in Pose, reckte den Schnabel. "Mit Verlangen drück ich deine zarten Wangen, holder, schöner Hyazinth. Und dein Augen küss ich gerne, weil sie meine Morgensterne und der Seele Sonne sind!" Die Hand verneigte sich, während Hyakinthos hastig applaudierte. Aus den Reihen der Schiedsrichter erschien wieder Momus, sodass Taliesin spitzbübisch eine Augenbraue lupfte. "Pan, rück deine Kehle nun in wohlgestimmte Falten!" Die andere Hand stolzierte in den Vordergrund. "Ich will mein Bestes tun. Und mich noch herrlicher als Phoebus halten!" Sie begann mit Einsatz der Arie zu tanzen und zu springen. "Zu Tanze, zu Sprunge, so wackelt das Herz! Wenn der Ton zu mühsam klingt, und der Mund gebunden singt, so erweckt es keinen Scherz!" Hyakinthos wartete einen Moment, aber offenkundig war Pan damit schon zum Ende gelangt, also applaudierte er erneut. Die Hand hopste ein wenig zurück, um für die typischen Gesten des Geldzählens Platz zu machen, Mercurius, der zweifellos gern wieder zur Tagesordnung übergehen wollte. "Nunmehro Richter herbei!" Auf Taliesins Gesicht erschien ein Ausdruck, der zwischen schläfrig und geistlos schwankte. Die Schultern rollten, als bewege sich eine schwere, eher träge, aber massige Person heran: Timolus, der Berggott, der über Phoebus richten sollte. "Das Urteil fällt mir gar nicht schwer, die Wahrheit wird es selber sagen, dass Phoebus hier den Preis davongetragen. Pan singt vor dem Wald, die Nymphen kann er wohl ergötzen, jedoch, so schön als Phoebus' Klang erschallt, ist SEINE Flöte nicht zu schätzen." Der Barde rollte mit den Augen, wirkte so, als müsse Timolus sich erst besinnen, wie man sang. "Phoebus, deine Melodei hat die Anmut selbst geboren. Aber wer die Kunst versteht, wie dein Ton verwundernd geht, wird dabei aus sich verloren." »Weia...« Einen schwärmerisch-anhimmelnden Berggott, der nun in Zeitlupe zwinkerte, um mit der Phoebus-Hand zu flirten! Hyakinthos rollte die Oberlippe ein, klemmte sie mit der Unterlippe fest, um nicht herauszuprusten. Auf der 'Bühne' ging das Geschehen jedoch weiter: die Pan-Hand drängte sich in den Vordergrund. "Komm, Midas, sage du nun an, was ICH getan!" Hyakinthos wandte den Kopf, um auf gar keinen Fall zu verpassen, wie Taliesin Midas darstellte: mit vorgewölbtem Oberkiefer, der mutmaßlich Hasenzähne beherbergte, einem wackelnden Kopf wie bei einem Greis und ein dumm-dreistes Grinsen. Unglaublich, wie ein so schönes Gesicht sich so verändern konnte!! Und so tuntig flöten, dass man die Kriechspur des Einschleimers förmlich vor sich sah! "Ach, Pan! Wie hast du mich gestärkt! Dein Lied hat mir so wohl geklungen, dass ich es mir auf einmal gleich gemerkt! Nun geh ich hier im Grünen auf und nieder und lern es denen Bäumen wieder! Der Phoebus macht es gar ZU bunt, allein, DEIN allerliebster Mund sang leicht und ungezwungen!" Der Barde verdrehte die Augen. Nun musste Midas singen. "Pan ist Meister, lasst ihn gehn! Phoebus hat das Spiel verloren, denn nach meinen Ohren singt er unvergleichlich schön!" Hyakinthos vergaß zu applaudieren, hielt sich unwillkürlich die Rechte vor den Mund. Wenn er die griechischen Götter richtig in Erinnerung hatte, konnten sie es partout nicht ausstehen, zu verlieren. Das bedeutete, dass jemand gleich großen Ärger bekam! Die Zuschauer mischten sich ein, voran Momus mit der listigen Augenbraue. "Wie, Midas, bist du toll?!" Sogar Mercurius stellte für einen Moment die Geldscheinzählerei ein. "Wer hat dir den Verstand verrückt?!" Timolus, der träge Berggott, grummelte vor sich hin. "Das dachte ich wohl, dass du so ungeschickt!" Die Phoebus-Hand rückte nun näher an Taliesin, der den Midas gab mit eingeklemmter Speichelleckerzunge und irrendem Blick. "Sprich, was ich mit DIR machen soll! Verkehr ich dich in Raben, soll ich dich schinden oder schaben?!" Midas jammerte los, wackelte noch heftiger mit dem Kopf. "Ach! Plaget mich doch nicht so sehre, es fiel mir ja also in mein Gehöre." Nun schnappte die Phoebus-Hand bissig zu! "Sieh da, so sollst du ESELSOHREN haben!" Mercurius zählte wieder Geldscheine, selbstzufrieden und mitleidlos. "Das ist der Lohn der tollen Ehrbegierigkeit." Während die Phoebus-Hand nach hinten wanderte, um die sprießenden Eselsohren zu demonstrieren, rollte Taliesin die Augen hoch, als könne er gar nicht glauben, dass Phoebus ihm, Midas, wirklich Eselsohren aufgesetzt habe! Die Pan-Hand war auch nicht freundlicher. "Ei! Warum hast du diesen Streit auf leichte Schultern übernommen?!" Midas jaulte nun, weil die Hasenohren fest auf seinem Hinterkopf saßen. "Wie ist mir die Kommission so schlecht bekommen!" Der Barde wandelte wieder das Gesicht, zählte die Scheine, wirkte unbeeindruckt, denn Mercurius sang nun, weil er Musik zur klingenden Münze schätzte. "Aufgeblasene Hitze, aber wenig Grütze, kriegt die Schellenmütze endlich aufgesetzt! Wer das Schiffen nicht versteht und DOCH an das Ruder geht, ertrinket mit Schaden und Schanden zuletzt!" Zufrieden, weil Midas ordentlich einen aufs Dach, bzw. den Kopf, bekommen hatte, trollte er sich. Die Augenbraue gelupft, die Hände so gefaltet, dass sich die Fingerspitzen berührten, kam Momus herbei, grinste scheinbar mitleidig. "Du GUTER Midas, geh nun hin und lege dich in deinen Walde nieder, doch tröste dich in deinem Sinn, du hast noch mehr dergleichen Brüder! Der Unverstand und Unvernunft will jetzt der Weisheit Nachbar sein, man urteilt in den Tag hinein, und die so tun, gehören all in deine Zunft. Ergreife, Phoebus, nun die Leier wieder, es ist nichts lieblicher als deine Lieder." Abmarsch der beiden Hand-Götter in den Hintergrund. Taliesin warf sich nun in Pose, eine Hand vor die Brust gelegt, die andere wies am ausgestreckten Arm pathetisch zur Decke. "Labt das Herz, ihr holden Saiten, stimmet Kunst und Anmut an! Lasst euch meistern, lasst euch! Sind doch euren süßen Tönen selbst die Götter zugetan!" Sein Kopf sank ruckartig nieder. Dieses Mal begriff Hyakinthos rasch, applaudierte enthusiastisch. "Danke! Danke schön!" Taliesin verneigte sich mit ernstem Gesicht, küsste seine Fingerspitzen, winkte, piepste. "Ich liebe euch alle!" "Das war Wahnsinn!" Hyakinthos schlang die Arme um Taliesins Nacken, lehnte die Stirn an die des Barden. "Du bist einfach klasse!" "So, so." Taliesin lächelte, rieb die Nasenspitze an Hyakinthos'. "Dann hilf mir jetzt auch, auf einem anderen Gebiet 'klasse' zu sein." Hyakinthos studierte die braunen Augen aufmerksam. Der Barde wich ihm nicht aus, aber er konnte spüren, dass die mühelose Leichtigkeit, mit der Taliesin sein Singspiel aufgeführt hatte, sich nicht einfand, wenn es um DIESES Thema ging. "Okay." Nickte er. "Abgemacht." Wie bei einem Handel. Jetzt, nachdem er so viel gelacht hatte, fühlte er sich selbst beschwingt und mutig. Wenn er Taliesin zeigte, wie sie miteinander schlafen konnten, würde er auch nicht so ausgeliefert sein. Das war ein ganz neuer, angenehmer Aspekt. »Du kannst ihn überall anfassen!« Schmuggelte sich ein beinahe lästerlicher Gedanke ein. Ja, damit wäre er Taliesin näher als alle anderen! Er verwünschte den hinderlichen Gips, sodass ihm nur eine Hand blieb, über die makellose Haut zu streicheln, den anmutigen Leib zu liebkosen. Taliesin wirkte nicht bedrohlich, nicht übermenschlich stark, sehnig oder grob. Es war angenehm, vor ihm zu sitzen, die Knie angewinkelt um seine Kehrseite zu schlingen, ihm über den ganzen Körper zu streichen, zarte Küsse auf die Wangen, die Nasenspitze, den Hals zu setzen. "Jetzt schließ die Augen." Kommandierte Hyakinthos leise. Er hob Taliesins Linke an, dirigierte sie über seinen Körper. Sie konnten tun, was ihnen gefiel, jede Stelle berühren, ein wenig schwanken, weil sie einander näher kommen wollten. Wagemutig glitt er eine Ohrmuschel mit der Zunge entlang. Dass Taliesin an diesem Punkt derart sensibel sein würde, erwartete er jedoch nicht, sodass das vernehmliche Aufstöhnen sie beide überraschte. Der Barde schlug die Augen auf, wirkte erschrocken. Ein gefährlicher Moment, erkannte Hyakinthos, schlang sofort die Arme um den Nacken, schmiegte sich eng an Taliesin, rieb ihre Nasenspitzen aneinander. "Du darfst dich fallen lassen und so laut sein, wie du magst. Hab keine Angst." Versicherte er aufmunternd. Bei Taliesin hoffte er sogar, ganz sündig und egoistisch, dessen Stimme zu hören, wenn sie intim wurden, weil es vermutlich eine der wenigen Gelegenheiten war, dessen 'wahre' Stimme kennenzulernen. Taliesin atmete tief durch, lehnte die Stirn an. "Entschuldige, ich bin so unbeherrscht." Die seinerseits angewinkelten Beine waren angespannt, wie Hyakinthos bemerkte. "Du bist ja auch nicht der Fürst der Finsternis." Raunte er ihm durchaus boshaft zu, drückte den Barden dann auf den Boden. Die braunen Augen blickten ratlos zu ihm hoch. "Alles wird gut." Versprach Hyakinthos lächelnd. Er fühlte sich TATSÄCHLICH Herr der Lage, nicht nur, weil er nun auf Taliesins Oberschenkeln saß, sondern weil sich der schöne, junge Mann wirklich seiner Führung anvertraute. Mit heftig klopfendem Herzen, aber tapfer genug. »Er soll ein schönes Erstes Mal haben!« Nahm er sich vor. Folgerichtig tauchte er unter der Decke ab, um erogene Zonen oberhalb der Gürtellinie ausfindig zu machen. Taliesin mochte es offenkundig, wenn er mit der Zungenspitze um seine Brustwarzen kreiste. Es gefiel ihm, gemessen am Grad der Erregung, auch, wenn Hyakinthos oberhalb des Bauchnabels die Haut ansaugte, bis ihn schwindelte, dann losließ. Unter der Decke herrschte nun große Hitze. Hyakinthos spürte Transpiration auf seiner Stirn, aber er wusste, dass er noch nicht so weit war. Der Barde hatte einen Handrücken vor den Mund gepresst, während die freie Hand den Trageriemen eines Rucksacks oberhalb seines Kopfes umklammerte. Die aufgestellten Beine, die hochgezogenen Zehenspitzen: Taliesin bemühte sich, der Erregung standzuhalten. Hyakinthos beugte sich über ihn hinab, schüttelte die Decke von sich. Er küsste Taliesins Kinn, flüsterte. "Gib mir jetzt die Gummis und die Tube, bitte." Dafür musste Taliesin allerdings den Rucksackriemen loslassen. Blindlings tastete er herum, bekam die gewünschten Gegenstände zu fassen, reichte sie mit zitterndem Arm weiter nach unten zu seinen aufgestellten Beinen. Für Hyakinthos stellte es keine große Schwierigkeit mehr dar, sich selbst ein Kondom überzustreifen. »Langsam bekomme ich Übung.« Dachte er erleichtert. Taliesin allerdings wand sich unter ihm. »Sehr empfindlich.« Beruhigend streichelte er über die weichen Innenseiten der Oberschenkel, saugte blubbernd die Bauchdecke an, um dem Barden ein ersticktes Kichern zu entlocken. »Er ist es nicht gewöhnt.« Er seufzte, denn Taliesin roch angenehm nach einem fruchtigen Duschgel, war nicht ausgeprägt 'drahthaarig', neigte auch nicht dazu, ihn im Reflex zwischen seinen Beinen einzukerkern. Hyakinthos liebkoste mit den Fingerspitzen die Hautpartien rund um das Genital, neckte hier und dort, lediglich minimale Berührungen, die in ihrem Effekt viel stärker wirkten. Taliesin keuchte, bohrte die Finger in die Matte, stöhnte immer wieder auf. Auch Hyakinthos holte tief Luft. »Noch zwei Schritte, dann...« Der nächste Schritt bestand darin, das Gleitgel zu verteilen. Er ging großzügig vor, salbte sich selbst zwischen den Beinen hindurch ein, bevor er das erste Mal in seinen rektalen Eingang eindrang. Aber da half keine Scheu, keine falsche Scham: der Muskelring musste vorbereitet werden, wenn er sich nicht wehtun und Taliesin erschrecken wollte. Der hatte den Kopf angehoben, blinzelte ihn an. Hyakinthos lächelte zögerlich, begann einfach, ihre beiden Erektionen von der Wurzel bis zur Spitze in einer gleitenden Bewegung zu massieren. »Der blöde Gips!« Fluchte er innerlich. »Mit beiden Händen könnte ich gleichzeitig...!« Versuchsweise spannte er die Schließmuskeln an, ließ wieder locker. Das wärmte seine Muskelpartien auf. Es regte an. »Weil mein Hormon-besoffener Körper weiß, was kommt. Und es gefällt ihm!« Hyakinthos konnte nicht zu verärgert über diesen Verrat sein. Seine Rechte war beinahe schon glitschig zu nennen, demnach ausreichend Gleitmittel verteilt. »Der letzte Schritt.« Ungelenk kippte Hyakinthos nach vorn, fing sich gerade noch ab. "Hilf mir." Keuchte er drängend auf Taliesin hinab, der ihm schon mit den Hüften folgen wollte. Die braunen Augen blickten verschleiert, die Lippen waren beschlagen von fliehenden Atemzügen. "Halte meine Hüften." Anweisungen funktionierten grundsätzlich besser als Telepathie, stellte Hyakinthos fest. Gehorsam legte Taliesin die schlanken Hände auf seine Hüftknochen, stützte ihn. Heftig atmend vor Konzentration ließ sich Hyakinthos auf die Fersen hinab, sehr langsam. Er wollte Taliesins Erektion in sich aufnehmen. Deshalb musste er einhändig nach hinten greifen, konnte sich nicht abfangen, wenn ihn die Kräfte verlassen sollten. Taliesin jedoch hielt seine Hüften sicher. Sein Körper, der vor Verlangen pochte, WOLLTE das feucht-geschmeidige Hindernis einverleiben. "A Dhuw!" Der Barde bäumte sich förmlich auf, trieb die Hacken in die Matte, sprühte Speichel. "Alles...okay..." Schweiß tropfte Hyakinthos von der Stirn, glänzte in den Locken, aber sein bebender, rechter Arm stützte sich nach vorne ab. Der Winkel WAR gut. Jedenfalls hatte er jetzt schon das Gefühl, dass er explodieren konnte. Taliesin zitterte, den Kopf angehoben, Tränen in den Augenwinkeln. "Die...Beine...hoch!" Ordnete Hyakinthos an, leckte sich Speichel von den Lippen. Wenn er nach vorne gebeugt hockte, konnte er sich leichter auf und nieder bewegen, konsultierte ihn sein Körper. Seine Libido jubilierte, feuerte ihn an. Erstaunlich ungelenk für den sonst so katzenhaft gewandten Mann stellte Taliesin die angewinkelten Beine näher auf. Nun war es nur noch eine Frage der Muskelkraft, der Reibung, der Instinkte. Hyakinthos schloss die Augen. SEINE Reflexe wussten ganz genau, was sie wollten. Noch mehrmals hörte er Taliesin stöhnen, die fremden Worte "a dhuw!" aufschreien. Danach verlor er das Bewusstsein. #~~~~~> Es war unangenehm frisch. Kühl. Haare hingen in seinen Wimpern, ungeachtet ihrer Kürze. Diese Feststellungen gereichten Hyakinthos dazu, zögerlich zu zwinkern. "Geht es dir gut?!" Die Frage klang erschreckend schrill und ansatzweise panisch, aufgeregt genug, um seine Sinne einigermaßen wachzurütteln. Als er die Lider nach oben zwang, blinzelte, erkannte er Taliesins schönes Gesicht über sich, noch gerötet in Erregung, aber auch angespannt. Ächzend schob sich Hyakinthos auf den rechten Ellenbogen, der mal wieder die ganze Arbeit allein leisten musste, verwünschte im stummen Reflex den Gips am anderen Arm. "Alles in Ordnung." Brummte er ausgetrocknet, rekapitulierte eilig. »Uhoh!« Lautete das Fazit. »Uhoh!« Es sah ganz so aus, betrachtete man seine ausgestreckte Rückenlage, die drapierte Decke, den neben ihm kauernden Barden, als sei er ohnmächtig geworden. »O-R-G-A-S-M-U-S.« Dolmetschte seine innere Stimme zur Verdeutlichung. Er hob den Kopf, lächelte wacklig. "Wirklich, alles in Ordnung." Taliesin starrte ihn an, noch immer sichtlich verunsichert. "Du hast dich gar nicht mehr gerührt. Zuerst diese..." Schmeichelnde Röte zeichnete seine Wangen. "Zuerst diese Zuckungen und dann...!" Rötlich schimmernde Strähnen wurden aus dem Gesicht verbannt. "Ich KONNTE es einfach nicht aufhalten! Ich habe es versucht, aber...!!" Hyakinthos begriff, was die übersprudelnden Worte erläutern sollten: Taliesin glaubte sich verantwortlich, hatte sich ohne Zweifel sehr erschrocken. »Hätte ich mich auch, wenn ich wie ein Stein auf mich heruntergesackt wäre!« Seufzte er innerlich. »So viel zu den guten Vorsätzen.« Es gab einen einfachen Weg, den erlittenen Schreck und die Sorge zu lindern: er kam auf die Knie, schlang die Arme (mit dem hinderlichen Gips) um Taliesins Nacken, umarmte ihn innig, streichelte mit der Rechten großflächig über dessen nackten Rücken. Er wisperte in ein geneigtes Ohr. "Du warst einfach zu gut. ICH konnte mich nicht länger beherrschen." "Schmeichler!" Raunte der Barde, unternahm aber keine Anstalten, sich aus der Umarmung zu lösen. "Tut mir leid, dass du dich erschreckt hast. Ich wollte dir keine Angst machen!" Hyakinthos fühlte sich nun ein wenig kleinlaut. Das Hochgefühl, das ihn über die Bewusstseinsgrenze katapultiert hatte, wich nun der Hilflosigkeit. Er seufzte laut, schob Taliesin behutsam von sich, starrte unter sich, während er murmelte. "Der Gummi sollte auch runter." "Oh." Der Barde errötete erneut. "Oh, das habe ich doch glatt..." "He." Hyakinthos legte den Kopf schief, krümmte den Zeigefinger lockend. Artig rutschte Taliesin wieder näher. Sie tauschten einen Eskimokuss aus, ließen die Stirn aneinander gelegt. "Wie geht es DIR?" Erkundigte sich Hyakinthos leise. "Hmm." Taliesin ließ sich mit der Antwort Zeit. "Ich fürchte, ich bin beim Sex gar nicht souverän." Seine Stimme senkte sich, wurde zu einem kaum wahrnehmbaren Hauch. "Ich glaube, ich war ziemlich laut. Und zapplig." Hyakinthos wollte etwas erwidern, bemerkte aber in den schönen, braunen Augen das fuchsartige Glitzern. Folgerichtig schwieg er, denn Taliesin richtete sich auf, strahlte ihn an, breitete theatralisch die Arme aus, rief triumphierend. "Aber ich habe es überstanden! Ich lebe noch! Die Premiere ist geglückt!" Der Jüngere grinste. So schrecklich konnte es demnach doch nicht für den schönen Mann gewesen sein. Tadelnd kniff er Taliesin mit der Rechten in die Nasenspitze. "Los jetzt! Gummi runter! Machen wir uns frisch!" Taliesin salutierte gekonnt, wandte ihm den Rücken zu. Persönliche Hygiene verlangte nach Privatsphäre. Kaum manierlich, dem Müllbeutel erneut eine Lage Taschentücher hinzugefügt, ein weiteres Handtuch feucht zur Schmutzwäsche-Sammlung sortiert, noch einen bescheidenen Becher des Tees getrunken, rollte sich Hyakinthos wieder auf das Lager. Er spürte zwar ein wenig die ungewöhnlich beanspruchten Muskeln, aber viel stärker fühlte er eine große Mattigkeit. Verflog nun die Wirkung der Infusion? Konnte die ungewohnte, körperliche Betriebsamkeit den Stoffwechsel beschleunigt haben? "Du hast sicher Hunger!" Taliesin schlüpfte gerade wieder in seine Kleider. "Ich bringe dir was, ja? Oder möchtest du Schluss machen?" Er kniete neben dem Lager, in vertrauter Nähe über Hyakinthos gebeugt. »Erebos. Der letzte auf der Liste.« Soufflierte sich Hyakinthos selbst. Hatte er Hunger? Er müsste eigentlich großen Appetit haben! Gerade jetzt fühlte er sich wohlig warm, entspannt und wie benebelt, ausreichend betäubt, um ohne große Panikattacke auch den Letzten zu überstehen. »Wenn ich jetzt aber etwas esse, da könnte mir schlecht werden. Und direkt nach dem Essen Sex?« »Lieber nicht.« Folgte er seinem Instinkt. "Wenn du genug hast..." Taliesin streichelte ihm sanft über das Gesicht. "Das ist in Ordnung. Bestimmt!" Hyakinthos lächelte hoch. »Ich habe tatsächlich mit ihm geschlafen. Mit dem schönsten Menschen an unserer Schule. Unglaublich!« Dieser eitle, von sich selbst besoffene Gedanke brachte ihn zum Kichern. Um Missverständnissen vorzubeugen, hob er die Hand, streichelte wechselseitig über die glatten Wangen des Barden. "Ich ruhe mich nur einen Moment aus. Dann geht es weiter." Taliesin zog die Augenbrauen zusammen, nickte, stopfte wie eine eifrige Mutter die Decke zurecht, beugte sich über Hyakinthos, küsste ihn auf die Stirn, die Augenlider und zuletzt, ganz zart, auf den Mund. "Danke." "Dito." Flüsterte Hyakinthos zurück, lächelte unter geschlossenen Lidern. #~~~~~> Er musste doch eingeschlafen sein. Wie sonst erklärte es sich, dass Erebos neben ihm saß, ein Handtuch umgeschlungen, das Kinn in die Hände gestützt, die auf den Kniescheiben balancierten. Bevor er hastig hochschrecken konnte, die verklebten Augen reiben, drückte ihn eine Hand herunter. Erstaunlicherweise trug Erebos keine Ringe, Armbänder oder Ketten. Andererseits fiel dieser Mangel nicht ins Gewicht, wenn man die vielen Metallstecker betrachtete, die seinen gesamten Leib perforierten. "Du bist erschöpft." Das war keine Frage, sondern eine sachliche Feststellung. Die schwarzen Augen funkelten. Erebos wechselte auf die Knie, ließ achtlos das Handtuch sinken. »Du meine Güte...« Abgelenkt von der üblicherweise einschüchternden Gegenwart des so geschimpften Krawallbruders und Chaoten starrte Hyakinthos den nackten Leib an. Erebos war ein eher sehniger Typ, der leicht zur Muskelbildung neigte. Die helle Haut allerdings war gespickt mit Metallsteckern. Die meisten waren schmal und kurz, mit zwei kegelförmigen Endverschlüssen, die aus der Haut ragten. "Auch wenn sie dich stören, ich ziehe sie nicht aus." DAS war auch eine Feststellung. "Tut~tut das denn nicht weh?!" Hyakinthos rollte sich mühsam über die rechte Seite nach oben. Er fühlte einen leichten Schwindel, schluckte eilig. Vielleicht war er doch müde. "Kaum." Erebos beobachtete ihn scharf, legte ihm eine Hand unter das Kinn, um in Hyakinthos' Augen zu sehen. "Du weißt, dass du es nicht tun musst. Auch nicht mit mir." Hyakinthos zog eine Grimasse. Er hatte keine Wahl, solange seine Lockstoffe noch wie Drogen auf unbescholtene Mitmenschen wirkten. »Möglicherweise...?!« Er leckte sich nervös über die Lippen. "Ich weiß. Könnte es sein, dass die Wirkung schon...?" Erebos leckte sich nun auch über die Lippen. Allerdings trug seine Zungenspitze einen Stecker, brachte den Ring in der Unterlippe zum Schwingen. "Nein." Gab er schließlich zurück. "Noch wirkt es." "Oh." Murmelte Hyakinthos, zerzauste sich die eigenen Locken. Er fühlte sich nicht müde, nur irgendwie abgehoben und betäubt zugleich. »Wie bei einer Droge, sagt man nicht so?« Mangels praktischer Erfahrung konnte er lediglich diagnostizieren, dass Denkprozesse einem Marathon durch Brei glichen, er den Drang verspürte, sinnlos zu kichern und sich alles sehr amüsant ausnahm. Erebos musterte ihn mit einem durchdringenden Blick. Unerwartet flink legte er Hyakinthos die Hand auf die Stirn. »Huh?« Hinter selbiger streunten die Gehirnzellen müßig umher. Die Hand löste sich, kämmte einige besonders hartnäckige Locken hinter die Ohren. "Ich hole Artaios." Hyakinthos blinzelte, als sich Erebos erhob, im Adamskostüm zur Tür marschierte. »Huh?« #~~~~~> »Der hat sogar auf dem Rücken Piercings.« Hyakinthos war zur Seite gerutscht, blinzelte wie eine Glühbirne auf der Letzten Leuchtstrecke gegen die verlockende Müdigkeit an. Erebos wirkte wie ein Freizeit-Fakir mit mobilem Brett: alles schon auf die Figur genagelt. Die Arme vor der Brust verschränkt, gänzlich unbeeinflusst von der Tatsache, dass er nicht den winzigsten Fetzen Stoff am Leib trug, konferierte er mit dem Hünen. Artaios wirkte ungewohnt unentschlossen. Für Hyakinthos nahm es ausgesprochen schwierig aus, dem Gespräch zu folgen, obwohl er noch über alle seine Sinne verfügte. Sie reagierten lediglich mit großer Verzögerung. Erebos warf einen Seitenblick zu ihm herunter, wandte sich wieder seinem Klassenkameraden zu. "Du merkst selbst, dass eine Runde mindestens noch sein muss, aber durch die Nebenwirkung der Infusion ist er total weggetreten." Er ließ die Zähne aufblitzen, tanzte mit dem Zungenstecker über die gepflegte Front. "MICH ficht das natürlich nicht an, aber die TECHNISCHEN Hürden sind zu groß." Artaios drehte den Kopf weg. "Was ist jetzt?!" Erebos warf sich in trotzig-ungeduldige Pose. "Ich verlange ja keinen Flotten Dreier, oh glorreicher Anführer. Du brauchst ihn nur zu halten, mehr nicht." Die Stufenvertretung rührte sich nicht. "Auch gut!" Scheinbar gleichgültig warf Erebos die Arme hoch. "Zieh dann bloß keinen Flunsch, wenn ihn einer unserer geschätzten Mitschüler an- und bespringt!" Er drehte nur wenige Grade ab, da legte sich Artaios' gepflegte Hand auf seine Schulter. Ein kurzer Blickwechsel genügte: welche inneren Kämpfe er auch ausgefochten haben mochte, die Wahl war getroffen. Hyakinthos nahm dies gelassen hin, weil ihm der Antrieb fehlte, sich größere Sorgen zu machen. Etwas pochte in seinem Schädel, rhythmisch, angeregt, weniger störend als ungewohnt. WOLLTE sein Körper jetzt vielleicht Sex? Schließlich reduzierte die Infusion lediglich das so genannte Vampir-Gift, nicht aber die seltsame Veränderung mit all ihren Ausprägungen als Köder. Erebos kehrte zu ihm zurück, kniete sich neben ihn. "Artaios wird dir helfen." Erklärte er bündig. "Die Regeln lauten: wenn einer was nicht mag, gibt er Laut oder Zeichen, und der andere stoppt sofort." Nach einem kritischen Blick in Hyakinthos' entrücktes Lächeln ergänzte er. "Das gilt auch für dich. Ich sage es gleich: Küssen auf den Mund, Lutschen an den Steckern und Kneifen in Arsch oder Schwanz sind bei mir tabu! Klar?" Sein Partner in spe lächelte benommen. Es war nicht anzunehmen, dass die Botschaft ihre Bestimmung erreicht hatte. Allerdings bezweifelte Erebos, dass jemand in diesem Zustand noch übertrieben aktiv werden konnte. Artaios hockte sich neben ihn, erneut entblößt. Er streichelte über Hyakinthos' wirren Lockenschopf. "Wir dürfen ihn nicht verletzen." Erinnerte er, ungewohnt nervös. "Das werden wir nicht." Geschäftsmäßig arrangierte Erebos das unverzichtbare Zubehör, begann vollkommen unbeeindruckt vom Publikum seinen Penis zu massieren. Mit Gleitmittel funktionierte das noch schneller, zeugte von Erfahrung und Selbstsicherheit. "Gut." Keuchte er, nachdem auf das Kondom aufgepfropft war. "Lehne ihn gegen dich. Benutze deine Hände für seine Erektion, ich kümmere mich um den unteren Part." Artaios kniete also, Hyakinthos vor sich zwischen seinen gespreizten Beinen. Der Jüngere lehnte an seiner Brust, atmete schneller, drehte den Kopf hin und her, entrückt und offenkundig entspannt genug, die erotische Massage zu genießen. Kein Vergleich mehr mit dem verschüchterten Jugendlichen am Vormittag. Da Hyakinthos mit aufgestellten Beinen, artig gespreizt, schwer gegen ihn sank, musste Artaios sich auf seine Aufgabe konzentrieren, seine eigenen Phantasien zügeln. Auch sein Körper zeigte enthusiastische Bereitschaft, aus dem Duett ein Trio zu machen. Erebos hingegen rutschte hautnah heran, streichelte, massierte und beschmeichelte Hyakinthos' Unterleib und die rückwärtige Partie. Die Nebenwirkungen der Infusion hatten auch Vorteile: Hyakinthos' Körper reagierte rasch auf die Handreichungen. "Gut, es geht los!" Erebos krächzte heiser, legte sich Hyakinthos' Waden auf die Schultern, warf einen erhitzten Blick auf Artaios. "Stütze ihn ab." Mehr sollte Artaios ohnehin nicht unternehmen, auch wenn er selbst erregt war: lediglich assistieren. Schließlich waren sie nicht zum Vergnügen hier! Das Eindringen gelang dank Umsicht und konzentrierter Ruhe ohne größere Umstände. Erebos kauerte, nach vorn gebeugt, überließ seiner Hüfte den richtigen Schwung, um nach unten zu stoßen, DEN Punkt zu treffen, der die arhythmischen Kontraktionen zu einem unkontrollierten Zucken des Orgasmus wandeln würde. Schnell und sauber, hatte er sich vorgenommen, keine Tändeleien, keine Schmuse- oder Kuscheleien, nur ran-rein-raus, ohne Peinlichkeiten, unerwünschte Vertraulichkeit und unnötige Intimität. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass die Zusammenarbeit von Hyakinthos' Unterbewusstsein, seinem Körper und dem Ködergift derart umwerfend funktionierte. Hyakinthos räkelte sich in Lust, die Lider flatterten, wand sich im Tanz ihrer Vereinigung, schlang Artaios die Arme um den Nacken, stöhnte und seufzte so engagiert, dass beide 'Beschützer' sich geschlagen geben mussten: das erotische Potential war zu gewaltig, um standzuhalten, ganz gleich, wie sich sexuelle Präferenzen oder moralische Grundsätze ausnahmen. Ohne Worte zu wechseln war zugesichert, dass diese Gemeinschaftsaktion nicht erwähnt werden würde. Dass besondere Umstände gestatteten, die gegenseitige Befriedigung zu beschleunigen, weil Hyakinthos erstaunliches Durchhaltevermögen bewies. Endlich gelang es Erebos, in einem trommelnden Dauerfeuer, die Mauern des Widerstandes niederzureißen. Er eruptierte so heftig in den Jüngeren, dass die Kontraktionen ihn selbst nach vorne sinken ließen. Artaios, das Fundament des Menschenknäuels, bewahrte die Ruhe, auch wenn sein Atem hastig dahinflog. Ein weiser Entschluss, selbst ein Kondom überzustreifen. Nicht auszudenken, wie Hyakinthos reagieren mochte, wenn ihm fremdes Sperma den Rücken hinaufschoss! Als sich beide Männer sortiert und gefasst hatten, von einer ungewohnten Leidenschaft gezeichnet, ließ Erebos die flache Hand über Hyakinthos gleiten. "Nur ohnmächtig." Konstatierte er laut, nahm mit einem Nicken ein Handtuch zur Hygiene entgegen. "Allerdings erschöpft. Mehr ist nicht drin." Artaios, der sich bereits ankleidete, hielt inne. "Er hat noch nichts zu Abend gegessen." "Hm." Erebos erhob sich, las die unordentlich verstreuten Kleidungsstücke vom Boden auf. "Wäre besser, wenn er noch etwas in den Magen bekommt. Die Infusion morgen Früh wird sonst zu stark sein." "Man sollte auch einige Proben..." Der Hüne ließ den Satz in der Luft hängen. Es war nicht nötig, den Gedanken auszuspinnen, da Erebos bereits Zustimmung signalisierte. "Gut." Er rieb sich grinsend die Hände. "Trichtern wir unserem Loverboy noch ein bisschen Futter ein!" #~~~~~> Hyakinthos lächelte ziellos. Er fühlte sich schwerelos und wohlig matt zugleich. Außerdem war es sehr angenehm, von Artaios gefüttert zu werden, während die Beschützer Taliesins lebhaftem Vortrag lauschten. Der Barde gab Moritaten zum Besten, mit ausreichend Pomp und morbidem Grusel, um jede Spukgeschichte zu übertreffen. Sicher geborgen in starken Armen, warm eingepackt gegen die nächtliche Kühle, konnte Hyakinthos diese Darbietung ohne Furcht genießen. "Wir sollten aufbrechen." Caratacus, der sich ohne große Mühe in der Dunkelheit bewegte, räumte ihre Habseligkeiten bereits zusammen. Besonders der Grillplatz musste in einen ordnungsgemäßen Zustand zurückversetzt werden, um niemanden zu gefährden. Die starken Leuchten, von denen eine am Grill gestanden, die andere die Hütte illuminiert hatte, wurden an den Trupp verteilt: Caratacus, der voranging, und Erebos als Schlusslicht. Alocer weigerte sich, eine Lampe zu tragen, weil er lieber stolpern wollte, als sich den Blick auf den Sternenhimmel zu überblenden. Artaios half Hyakinthos auf die Beine. Der stand zwar, schwankte und taumelte jedoch so unsicher, dass an einen geordneten Marsch zurück durch den Wald nicht zu denken war. "Ich nehme ihn Huckepack." Für den Hünen keine Schwierigkeit. Erebos übernahm ohne Kommentar noch einige Tüten von Artaios' Last. Schweigend leuchtete er den Pfad für den Riesen aus, damit kein Sturz geschehen konnte. Vor ihnen, unbeeindruckt von Alocers Unruhe, reihte Taliesin weitere Moritaten aneinander, die in den zuckenden Schatten, dem Rascheln und Knistern besonderes Gewicht bekamen. Sie erreichten ohne Zwischenfälle das Internat. Herr Garfield, mal wieder nicht rasch genug einer unliebsamen Pflicht entkommen, wartete am Tor auf sie, heillos verstrickt in ein Fadengewirr. Äußerst verlegen ließ er sich von Caratacus freischneiden, betrachtete betrübt die traurigen Fadenreste. "Ich verstehe das nicht! Ich habe mich genau nach Anleitung verhalten. Die Gewichte stimmen auch." Erebos inspizierte die Anleitung, 'Klöppeln für Dummies'. "Vielleicht sollten Sie es zuerst mit Weben versuchen." Schlug er grinsend vor. Es wäre zweifellos eine Gaudi zu sehen, wie sich der unbedarfte Lehrer mit den Dreadlocks in einem Webstuhl verhedderte und sein Mitbewohner/heimlicher Liebhaber, Herr Siegfried, mit elektrisiertem Schopf schimpfend wie Rumpelstilzchen um ihn herumspringen würde! "Ja." Gedankenverloren stopfte Herr Garfield die kläglichen Trümmer in einen Beutel, der von gefährlichen Batik-Versuchen kündete, bürstete Fussel von seinem Kilt. Erebos feixte. "Nun, danke schön, Jungs! Dann geht mal rauf, nicht wahr? Husch~husch, ins Körbchen!" Herr Garfield bleckte sein strahlendes Gebiss auf, wieder unbekümmert heiter, scheuchte sie ins Gebäude hinein. "Was ist mit dem Kleinen?" Erebos wartete umsichtig, bis Herr Garfield außer Hörweite war. "Er kann bei uns schlafen." Artaios hatte keine Mühe, Hyakinthos und ihr gemeinsames Gepäck zu schultern. "Es würde zu viel Unruhe entstehen, wenn wir ihn in seinem Schlafsaal abgeben." Taliesin, der zu Artaios' Linker die Stufen stieg, streichelte sanft über die wirren, dunkelblonden Locken. Hyakinthos schlief fest wie ein Baby. "Wie lange wird es wirken?" Flüsterte er melodisch. Artaios ließ sich mit der Antwort Zeit, die Augenbrauen zusammengezogen. "Vielleicht einen Monat. Möglicherweise auch nur die Hälfte. Wir werden es wohl abwarten und beobachten müssen." In nachdenklichem Schweigen versunken bewältigten sie die restlichen Stufen bis zu ihrem Schlafsaal. #~~~~~> Hyakinthos ließ sich artig wie eine Aufziehpuppe aus seinem Schlummer wecken, entkleiden, unter der Dusche abbrausen, trocken rubbeln, in einen Pyjama stecken und die Leiter zu einem üblicherweise unbenutzten Bett hochschieben. Kaum, dass er die Matratze berührte, senkten sich seine Lider bereits wieder. Artaios, der hinter ihm auf der Steigleiter stand, stopfte die Bettdecke fest. Zu seiner Überraschung hielt ihm Erebos etwas entgegen, das er noch ablegen sollte: einen arg zerrupften Teddybären. Der Hüne kommentierte die Gabe nicht etwa, sondern setzte das Stofftier auf dem Kopfkissen ab. »Laren und Penaten.« Schutzgötter für Haus und Familie. Er erinnerte sich daran, dass Alocer Erebos verspottet hatte, weil der den zerschlissenen Teddybären auf sein Bett gesetzt hatte, aber Erebos hatte Alocer ignoriert, was den zur Weißglut getrieben hatte. Artaios vermutete im Stillen, dass Erebos Alocer nicht schätzte, deshalb kein Interesse an dessen Meinung zeigte. Er selbst war gelegentlich versucht, es ihm gleichzutun, doch als Stufenvertretung verbot sich solcher Eigenwille. Noch einen Moment länger stand er vor dem Hochbett, starrte auf die zugezogenen Vorhänge, ballte die Fäuste. Dieses letzte halbe Jahr bis zum Abschluss würde sehr hart werden. #~~~~~> Kapitel 7 - Hoffnungsschimmer Hyakinthos erwachte, weil er von einem Erdbeben träumte. Oder hohem Seegang. Tatsächlich jedoch kauerte Artaios über ihm, schüttelte ihn sanft, aber nachdrücklich an den Schultern. "Hmmm?" Grummelte Hyakinthos schläfrig, blinzelte den Schlaf aus den Augen. Mittlerweile hatte er gelernt, sich nicht mehr mit der Linken die Augen zu reiben: der Gips kratzte schmerzhaft. "Na endlich!" Der Hüne lächelte erleichtert. "Guten Morgen. Du hast ja wirklich einen gesunden Schlaf." »Wie bitte?!« Hyakinthos rollte sich über die Seite in eine Sitzhaltung. Er hatte seit Monaten nicht mehr richtig durchgeschlafen, schreckte bei leisen Geräuschen hoch, ganz zu schweigen von der ungewohnten Erfahrung in einem Schlafsaal! Auch wenn die vorgezogenen, kurzen Vorhänge ausgesprochen schall- und blickdicht waren. "Wie fühlst du dich?" Artaios glitt auf die Leiter zurück, um ihm mehr Raum zu lassen. "Gut. Denke ich." Zögerte Hyakinthos. Er war selbst überrascht, dass ihn weder Schmerzen, noch die gewohnte Mattigkeit plagten. "Ich habe dich bei Aeolus entschuldigt, weil heute ja eigentlich der Tischdienst deiner Stufe beginnt, aber wir müssen zuerst in die Krankenstation." Auf den unausgesprochenen Wink reagierte Hyakinthos automatisch: er kletterte die Leiter herunter, wo Artaios ihn aufmerksam bewachte. "Hier." Unaufgefordert wurde er in eine Clubjacke gewickelt, die ihrem Besitzer sicherlich schmeichelte. Allerdings hing sie an Hyakinthos wie ein nasser Sack herunter. Aber sie hielt warm. Morgens war es nur in einen geliehenen Pyjama gehüllt empfindlich kühl. "Ist denn Herr Calculus da?" Vertraulich fasste Hyakinthos nach der Hand des Hünen. Der legte eine solche Großer Bruder-Präsenz an den Tag, dass es ihm ganz natürlich schien, sich seiner Führung anzuvertrauen. "Nein, das nicht." Artaios lächelte aufmunternd. "Am Wochenende ist er bei seiner Familie. Erebos ist Ersthelfer, kennt sich gut mit den Geräten aus. Wir haben vereinbart, mit dir auch heute einige Messungen durchzuführen, damit wir die Entwicklung beobachten können." Hyakinthos nickte, während er innerlich eine Augenbraue lupfte, sich über sein Misstrauen wunderte. Warum befand es Artaios für nötig, ihm so viel zu erklären? Ihn kümmerten die Messungen nicht mehr sonderlich, da sich eine gewisse Routine eingespielt hatte. »Vielleicht ist er auch nervös, weil er mit Erebos zusammenarbeiten muss?« Überlegte er nach einem Seitenblick. Erebos wartete bereits auf sie. Er wirkte so ungewohnt in einem blendend weißen Kittel, dass Hyakinthos über seine eigenen Füße stolperte, Artaios in den Rücken fiel. "Na, wie fühlen wir uns heute?" Erfüllte Erebos breit grinsend die Konventionen, wischte sich durch die schwarzen Stacheln, öffnete seinen Kittel, unter dem lediglich eine Jogginghose und ein Unterhemd zum Vorschein kamen. Hyakinthos starrte, halb hinter Artaios verborgen. Wollte er wirklich Erebos mit spitzen Gegenständen in seiner Nähe wissen? "Na komm, kriegst danach auch einen Lolli!" Streckte Erebos die Hand nach ihm aus, zwinkerte frech. "Dann hole ich euch später ab." Artaios zog sich rasch zurück, suchte das Weite. Hyakinthos umklammerte nervös seinen eingegipsten Arm. "Du bist wirklich ein Ersthelfer?" Wagte er tollkühn einen Vorstoß. Der Ältere leckte sich mit der gepiercten Zunge provozierend über die Lippen, klingelte mit dem Ring in der Unterlippe. "Besonders gut verstehe ich mich auf Leibesvisitationen." Schnurrte er boshaft. "Aha." Murmelte Hyakinthos, spürte verräterische Röte in seine Wangen steigen. Er konnte sich zwar entsinnen, dass er nicht mit Erebos allein gewesen war, aber Details... "Los, los!" Erebos klopfte auf die mit Papier bestückte Liege. "Der Thron harrt seines Herrschers!" Ein wenig unbehaglich, da er sich angestrengt bemühte, fehlende Erinnerungen herauszukitzeln, rutschte Hyakinthos auf die Liege. "Wie immer." Erebos zog einen Rollcontainer heran. "Blutabnahme, Blutdruckmessung und Temperatur." Hyakinthos erwartete eigentlich, dass Erebos vorsichtig, zögernd die Aufgaben erfüllte, doch der zeigte keine Unsicherheit. Mit Übung und gezielten Handgriffen arbeitete er sich an der Aufgabenliste herunter, notierte die Ergebnisse im Laptop. Anschließend nahm er ohne sichtbare Mühe den Gips ab, bestrich die ausgesprochen ungesund wirkende Haut mit einer deckenden Schicht Salbe. "Bewegungstest." Kommandierte er, bog die Gelenke, drehte die Hand, zupfte und rüttelte an jedem Finger. Artig wiederholte Hyakinthos danach die Übungen. Die Muskeln waren schwach, aber er konnte erfreut verzeichnen, dass ihm sein linker Arm wieder gehorchte. "Wie fühlst DU dich?" Hakte Erebos gelassen nach. "Okay?" Hyakinthos zog die Schultern hoch, wich ein wenig zurück. "Wirklich?" Erebos fasste ihn am Kinn, stellte nachdrücklich Blickkontakt her. "Wir sind hier beim Onkel Doktor. Sei also ehrlich!" Hyakinthos schluckte. Die schwarzen Augen hatten etwas Bezwingendes an sich, forderten ihn heraus. Er hatte nicht den Eindruck, dass Erebos sich über ihn lustig machen wollte. "Gilt für dich auch die Schweigepflicht?" Krächzte er, zu seinem Leidwesen sehr piepsig. "Natürlich." Erebos grinste. "Außerdem bin ich nicht gerade der Kommunikativste, also sind Geheimnisse bei mir gut aufgehoben." Hyakinthos holte tief Luft. "Alocer war grässlich!" Er sackte in sich zusammen, stieß Atem aus. Es war nicht nett, über Abwesende ein harsches Urteil zu fällen, aber es fühlte sich unerwartet befreiend an, überhaupt das Thema anschneiden zu können, nicht die ganze Angelegenheit wie ein fürchterliches Geheimnis totzuschweigen. "Hast du Schmerzen?" Erebos plumpste neben ihm auf die Liege, baumelte mit den Beinen. Seine Füße steckten in Hirtenschuhen. "Nö." Der Jüngere schüttelte den Kopf, schloss sich dem Baumeln an. "Eigentlich fühle ich mich ganz gut. Bisschen klapprig, aber die Infusion fehlt ja auch noch." Erebos legte ihm locker einen Arm um die Schultern. "Hast dich tapfer geschlagen. Wenn es so läuft, wie ich es mir vorstelle, können wir von der Infusion auch auf Kapseln umsteigen." "Wirklich?" Hyakinthos drehte erfreut den Kopf. Den lästigen Beutel los sein, das wäre wirklich klasse! "Jau! Deshalb machen wir ja die vielen Messungen." Erebos kreuzte die Arme hinter seinem Kopf, lehnte sich gegen die Wand. "Weißt du, die meisten Ehemaligen halten auch nach dem Abschluss engen Kontakt mit der Schule, bleiben in Verbindung. Einige von ihnen helfen auch bei der Analyse der Daten." "Da habe ich ja richtig gute Chancen, nicht wahr? Dass es besser wird!" Hyakinthos streichelte vorsichtig über seinen linken Arm. Die Creme war endlich in die Haut eingezogen. Erebos stellte die Baumelei ein, wandte den Kopf. "Willst du die Weichspüler-Version hören, oder reden wir jetzt Klartext?" Er hob die Hände. "Ich weiß, dass Artaios der beste Kandidat für vertrauliche Gespräche mit heiklem Inhalt ist. Aber versuch's trotzdem mal mit mir." Hyakinthos überlegte. Half es etwas, sich für kurze Zeit in trügerischer Unkenntnis zu wiegen, sich Sicherheit vorzugaukeln? »Nein.« Schüttelte er den Kopf innerlich. »Ich habe den gestrigen Abend überstanden, da schaffe ich das hier auch.« "Ich wähle den Klartext." Entschied er laut, musterte Erebos' Profil mit dem einrasierten Wellenmuster. Der drehte den Kopf, blickte ihn ernst an. "Wir haben kaum Erkenntnisse, was Lockvögel von Vampiren betrifft. Das kommt vermutlich nicht häufig genug vor. Oder wird nicht protokolliert." Er leckte sich nachdenklich mit der gepiercten Zungenspitze über die Unterlippe. "Tatsache ist, dass sich deine Werte verändern. Um konkret zu werden: deine Körperbestandteile mutieren. Wir können im Augenblick noch nicht abschätzen, wohin die Reise geht. Du bist also auch ein Versuchskaninchen." Hyakinthos schluckte, versuchte zu grinsen. "Ich könnte so wie Spiderman werden! Aber nicht wie Hulk, grün ist nicht mein Fall." Erebos lächelte, rieb über den Stecker, der genau über seiner Nasenwurzel in der Haut saß. "Weißt du, ich bin leider etwas langsam." Hyakinthos massierte die Finger seiner Linken, die nervös zu zucken begonnen hatten. "Ich glaube, dass ich wahrscheinlich ein Wrack sein sollte, na ja, wegen gestern, aber es fühlt sich einfach noch nicht real an. Ich meine, sollte es nicht schlimm sein? Aber ich empfinde es nicht so." Bevor er ins Plappern verfallen konnte, presste er hastig die Lippen aufeinander. Erebos fasste nach Hyakinthos' Linker, fing sie zwischen seinen Händen ein, begann mit einer routinierten Massage. Er spürte genau, dass Hyakinthos angespannt war. Dessen Körper registrierte den emotionalen Stress durchaus. Hyakinthos starrte auf seine Knie. "Ich weiß auch nicht." Murmelte er. "Das war gestern auch mein Erstes Mal. Und gleich fünf Mal. Es fühlt sich unwirklich an. Ich meine, SO etwas würde ich nie tun, das ist mir absolut fremd. Es sind vielleicht auch diese mutierten Hormone, wer weiß." Erebos stoppte seinen Redefluss, indem er ihn einfach in eine Umarmung zog, ihn nur hielt. "Das Herz braucht manchmal ein wenig länger." Erebos streichelte über die ungekämmten, dunkelblonden Locken. "Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Du stehst jetzt wie wir anderen auch außerhalb der Normen. Du entscheidest, was für dich maßgeblich ist." Auf seiner Schulter schnüffelte es leise. Hyakinthos richtete sich wieder auf. "Das werde ich mir merken. Vielleicht hat es auch Vorteile, etwas Besonderes zu sein." Grinste er schief. Erebos lächelte. Es war nicht das herausfordernd-freche Grinsen oder die mokierende Grimasse, mit der er sonst andere auf Distanz hielt. Keine dieser beinahe zu perfekt einstudierten Posen des ewigen Rebellen. "Wenn es Probleme gibt, kannst du immer zu uns kommen." Wiederholte er ernst. "Du musst dich nicht fürchten. Wir haben dich ja quasi adoptiert." Er zwinkerte wieder keck. Hyakinthos grinste schief. Möglicherweise sah seine Zukunft ja doch ein wenig rosiger aus? "Okay!" Erebos glitt kraftvoll von der Liege, landete lautlos auf den flachen Sohlen. "Jetzt kommt der Beutel, danach liefere ich dich bei eurem Schlafsaal ab. Waschen und Anziehen, mein Sohn!" Parodierte er einen strengen Vater-Tonfall. Da er lediglich stillzuhalten hatte, nutzte Hyakinthos die Gelegenheit, Erebos aus der Nähe zu betrachten. Wieso erinnerte er sich bloß nicht mehr an die Details?! Er war sich ziemlich sicher, dass er auch mit Erebos... »Warum er wohl diese Stecker trägt?« Wanderten seine Gedanken ab, während Erebos den Infusionsbeutel festklebte. »Und so viele! Ist er vielleicht ein Schmuck-Fan? Ob ich mal fragen darf?« Er entschied sich dagegen. Auch wenn Erebos keineswegs so furchterregend im Zwiegespräch war, konnte es durchaus sein, dass er mit seiner Frage indiskret war, auf besondere Fähigkeiten anspielte, die nicht alle an der Schule herausposaunen wollten. So viel hatte Nereus ihm nämlich bereits eingetrichtert: es gab auch Fähigkeiten, die man lieber für sich behielt. Nicht umsonst galt an dieser Schule auch, dass man sich mit einem Pseudonym ansprach, Schulfremden nicht anvertraute, was man erfahren oder gesehen hatte. Viele der Ehemaligen nahmen nach ihrem Abschluss in der Gesellschaft angesehene und hohe Positionen ein. "Fertig." Zu Hyakinthos' Überraschung fummelte Erebos tatsächlich zwei kleine Lutscher aus einer Tasche seines Arztkittels. Er zwinkerte, entblätterte seinen Lolli, leckte mit obszöner Gründlichkeit über den kugelrunden Kopf der Süßigkeit. "Abmarsch!" Donnerte er grollend, klapste Hyakinthos auf die Kehrseite, der eilig mit seiner Kalorienbombe das Weite suchte. Er fühlte sich nicht mehr so durcheinander wie zuvor. #~~~~~> Gerade rechtzeitig zum Frühstück traf Hyakinthos im Speisesaal ein. Er spürte, wie ihn neugierige Blicke streiften. Immerhin hatte er mit den einflussreichsten Schülern des Internats einen ganzen Abend verbracht und das als absoluter Neuling! Um von dieser denkwürdigen Begebenheit abzulenken, lupfte er den linken Arm, hielt den Ärmel fest, demonstrierte auf diese Weise, dass er wieder voll einsatzfähig war. Einige aus seiner Klasse grinsten. Der erste Kontakt ohne die besondere Vorsicht, die die Warnungen seiner Beschützer ausgelöst hatte. Rasch ordnete er sich in die Reihe ein, wisperte einen freundlichen Gruß. Aeolus, der ihm einen Platz zu seiner Linken freigehalten hatte, neigte sich ihm zu, flüsterte. "Kannst du uns beim Tischdienst helfen ?" Hyakinthos nickte. Noch nie hatte er sich so über eine Haushaltspflicht gefreut. Endlich konnte er ohne Angst die anderen kennenlernen. #~~~~~> Hyakinthos' Sonntag war nichts fürs Faulenzen. Dank der Infusion war er so gut aufgestellt, dass er keinen Bedarf verspürte, sich von den körperlichen Strapazen des Abends zuvor zu erholen. »Vielleicht auch ein Effekt dieses dämlichen Vampir-Gifts?!« Mutmaßte er. Andererseits hatte er wenig Zeit zum Kontemplieren. Der Tischdienst nahm ihn in Anspruch. Sein linker Arm bedurfte noch einer gewissen Unterstützung, da sich die Muskeln zurückgebildet hatten in ihrer zwangsweisen Ruhephase im Gipsgerüst. Außerdem wagten es nun die anderen, sich mit ihm zu unterhalten. Einige, die Aeolus angesprochen hatte, versprachen auch, ihm Nachhilfe zu geben. »Das habe ich leider sehr dringend nötig!« Stellte Hyakinthos ernüchtert fest. Nach eingehendem Studium der Lehrpläne musste er erkennen, dass seine bisherige Schullaufbahn ihn definitiv nicht darauf vorbereitet hatte, mit den anderen hier Schritt zu halten. »Oh weia!« Seufzte er am Nachmittag. »Was mache ich bloß? Wenn ich nun sitzen bleibe? So kurz vor dem Abschluss?« Er verdrängte die Sorge, schob die Stapel an Lehrbüchern aus seiner Sicht. Im Lesesaal, einer großen Halle, hielten sich viele auf, die nicht das angenehme Frühlingswetter nutzten, draußen Sport und Spiel betrieben. Hier konnte man nicht nur an zahlreichen Tischen lesen, lernen, mit den Laptops Hausaufgaben erledigen, sondern sich auch in so genannten Ruheinseln zum Lesen, Musik hören oder DVD ansehen zurückziehen. Vor der müßigen Bequemlichkeit eines kuscheligen Sessels stand noch die Pflicht: Hyakinthos musste sich bei seiner Familie melden. Da er nicht die geringste Lust verspürte, den Anrufbeantworter zu besprechen, entschied er sich für die altmodische Variante eines Briefs. »Mit ein bisschen Glück ist Meike neugierig genug.« Hoffte er im Stillen. Dann konnte er vielleicht wieder auf ein Wort von ihr warten. [Liebe Mama, liebe Meike] Er schüttelte den Kopf über seine ungelenke Handschrift. Tastaturen zu bedienen half offenkundig nicht dabei, sich leserlich auszudrücken. [Ich hoffe, es geht euch gut! Ich bin jetzt seit einer Woche hier im Internat. Es liegt ziemlich weit weg in einer Senke im Grünen. Es ist ganz schön still hier. In meinem Schlafsaal sind fünfzehn Jungs untergebracht, in Hochbetten, aber ich habe mich schon daran gewöhnt. Die älteren Jungs kümmern sich gut um mich. Ich habe schon Freunde gefunden. Leider muss ich ziemlich viel nachholen. Einige wollen mir Nachhilfe geben. Im Augenblick bekomme ich jeden Tag eine Infusion. Die macht mich gegen Abend ein wenig müde, aber tagsüber fühle ich mich besser. Heute ist mein Gips abgenommen worden. Mit den Messwerten, die jeden Tag erstellt werden, kann ich sogar bald auf Kapseln umsteigen. Ich melde mich bald wieder. Liebe Grüße, Michael] Er rieb sich über die Stirn. Es war sicherlich ganz gut, dass er nicht erwähnt hatte, wie man ihn hier nannte. Das legendäre Vorbild hätte zweifelsohne nicht dazu beigetragen, das Misstrauen seiner Familie zu reduzieren. Hyakinthos tippte sich gedankenverloren mit dem Füller gegen die Unterlippe. Wieso hatte der verrückte Direktor ihm diesen Namen gegeben? »Ich bin nun wirklich kein 'bildhübscher Knabe'.« Brummte seine innere Stimme. »Außerdem bin ich NICHT schwul.« Er seufzte leise. »Obwohl das vielleicht nicht schaden könnte.« Andererseits war er bis Freitag gar nicht an Sex interessiert gewesen. So, wie sich seine Zukunft im Augenblick darstellte, konnte er nicht darauf hoffen, eine Freundin zu finden. Nicht, wenn er in regelmäßigen Abständen Sex mit Männern haben musste. "Alles in Ordnung?" Aeolus, leicht außer Atem, attraktiv errötet durch ein Volleyball-Spiel an der frischen Luft, legte ihm die Hand auf die Schulter. Hyakinthos zwang sich zu einem Lächeln. »Es hilft nichts, wenn ich versuche, darüber nachzudenken.« Resignierte er innerlich. Er hatte bisher in seinem Leben nichts geplant, sich einfach treiben lassen. Es sah nicht danach aus, als wäre noch Raum für Pläne. Also stemmte er sich hoch, nahm den zugeklebten Brief und seine Habseligkeiten an sich. "Wie kann ich hier Briefmarken bekommen?" #~~~~~> Trotz der düsteren Gedanken, die immer wieder wie dunkle Wolken am Horizont dräuten, hob sich Hyakinthos' Stimmung im Lauf der Woche. Er konnte sich nicht erinnern, dass man ihn jemals so freundlich und hilfsbereit aufgenommen hatte. Da er nicht mehr die gefährlichen Sexuallockstoffe verströmte, bewegte er sich mit wachsender Sicherheit im Kreis seiner Klasse. Er bemerkte, dass sie alle auch auf die ein oder andere Art außergewöhnlich waren. Das führte zweifellos zu einer gewissen Toleranz, wenn man selbst nicht ausgegrenzt werden wollte. Sein Tagesablauf war angefüllt mit Tischdienst, Unterricht, Nachhilfe und erschöpftem Schlaf. Am Mittwoch überraschte ihn Erebos tatsächlich mit Kapseln. Dreimal am Tag zu schlucken, damit sie über den Tag verteilt ihre Wirkung ausüben konnten. Weg mit dem lästigen Infusionsbeutel! Auch wenn er weiterhin zu Messungen erscheinen musste, konnte er viel befreiter in den Tag starten. Duschen wurde einfach, die Kleidung passte wieder richtig, nichts juckte und drückte! Und Sport! Endlich mal wieder herumtoben, bis einem das Herz raste und die Lungen protestierten! Hyakinthos fühlte sich wirklich gut. Er konnte wieder lachen. #~~~~~> Die Abschlussklasse hatte derweil ein hartes Pensum zu absolvieren. Man hatte zwar die schriftlichen Prüfungen schon hinter sich gebracht, aber die normalen Arbeiten mussten noch geschrieben werden. Zudem standen die mündlichen Prüfungen an. So konnten die fünf Beschützer nur aus der Ferne beobachten, wie sich ihr Schützling machte. Sie hatten selbst viel zu tun. Drei Wochen vergingen. Der Frühling prahlte nun mit vielen Farben, einem frischen, grünen Kleid und einer sich jeden Tag in der Intensität steigernden Sonne. Es schien wie in jedem Jahr, als explodiere nicht nur die Natur in Erwartung und unbändiger Energie, sondern auch die Menschen. Auch Hormone liebten den Frühling. Hyakinthos igelte sich mit einem Stapel Lehrbücher in einer Ecke des Lesesaals ein. Er spürte die Blicke, die ihn heimlich verfolgten. »Sie können nichts dafür!« Ermahnte er sich, aber sein Magen verknotete sich erneut. Er hatte Angst. Angst davor, dass die Jungs, die mit ihm vertraut gealbert hatten, ihm Nachhilfe gaben, zu nahe an ihn heranrückten. Angst davor, aus den Augenwinkeln zu registrieren, dass ihre Blicke zu lange auf ihm lagen. »Niemand von ihnen weiß ES!« Versuchte er sich zu beruhigen. Würde es sie hindern, ihn zu überfallen, wenn sich der Druck als zu groß erwies? Hyakinthos zog die Schultern hoch, rieb sich über die Augen. Er schlief auch nicht mehr gut. Die Angst hatte ihn wieder eingeholt. #~~~~~> Artaios erstarrte, als er einen Schatten neben dem Tor bemerkte, entspannte sich ein wenig. Hyakinthos wirkte so verschüchtert, dass man sich unmöglich vor ihm fürchten konnte. Als er das blasse Gesicht betrachtete, spürte er ES. Ohne ein Wort trat er an das Tor heran, nickte Hyakinthos zu, während er eine Räuberleiter bildete, schluckte Selbstvorwürfe herunter. #~~~~~> Die Sonne strahlte warm auf die beiden einsamen Wanderer, die den Gipfel mit seinem verschwiegenen Aussichtspunkt erklommen. Artaios hielt Hyakinthos' Hand, sprach aber nicht. Es schien unnötig, Worte zu verlieren. Hier wollten sie sich nur auf ihren Körper konzentrieren, die Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenke, die alle Arbeit erledigten. Nicht denken, nicht von Sorgen erdrücken lassen. Wie gewohnt stellte sich Artaios auf die Mauer, blickte in den Abgrund hinab, sondierte. Hyakinthos wartete in einiger Entfernung. Er verstand nicht genau, was Artaios da tat, was er in den Abgrund rief oder warum er jeden Morgen auf diesen Gipfel stieg. War es vielleicht eine Mutprobe? Eine Art Konzentrationsübung? Was auch immer der Anlass war, Artaios wirkte befreiter, wenn er von der niedrigen Mauer sprang, leichtfüßig landete. »Vielleicht ist es auch gar nicht so einfach, Artaios zu sein?« Sinnierte er. »Er ist immer für alle anderen da. Aber wer ist für ihn da?« Er schreckte aus seinen beunruhigenden Gedanken hoch, als Artaios neben ihm Platz nahm. "Ich werde etwas arrangieren." Erklärte er ohne Einleitung, nahm genauso beiläufig Hyakinthos' Hand, hielt sie fest in seiner wohlgeformten. "Versuch bitte, bis zum Wochenende durchzuhalten. Unter der Woche ist es beinahe unmöglich." Artaios wirkte nun gequält. "Wir haben zu viele Arbeiten zu schreiben." Hyakinthos nickte eilig. Vielen Dank! Bis zum Wochenende, das schaffe ich bestimmt!" Versicherte er, ein wenig zu eifrig. Artaios studierte ihn mit seinen hellblauen Augen eindringlich. "Du kannst immer zu uns kommen, wenn..." Er zögerte. "Wenn du dich bedroht fühlst. Wir finden eine Lösung." Mit einem tapferen Grinsen wischte sich Hyakinthos Locken aus dem Gesicht. "Ich weiß. Das wird schon klappen!" Er ließ die Schultern sinken, studierte den Boden vor sich. "Tut mir leid, dass ich euch so eine Mühe bereite." Der Hüne wandte den Kopf, kam auf die Knie, hockte sich direkt vor ihn, hob mit der freien Hand sein Kinn an, damit Hyakinthos dem Blick nicht ausweichen konnte. "Das ist für uns keine Mühe. Du fällst uns auch nicht zur Last. Verstanden?" Hyakinthos nickte hastig. Artaios wirkte ungewohnt grimmig, nicht ganz so ausgeglichen und moderat wie sonst. "Freunde helfen Freunden." Betonte der Riese energisch. "Wir sind deine Freunde. Du kannst dich auf uns verlassen." Wieder nickte Hyakinthos eilig. »Ob er wütend ist? Habe ich etwas Falsches gesagt? Oder ihn beleidigt? Glaubt er vielleicht, dass ich ihnen nicht zutraue, das Versprechen auch zu halten?« Er fühlte sich unbehaglich. Plötzlich schien der Umgang mit Artaios gar nicht mehr so vertraut und einfach. Der Hüne seufzte, senkte den Kopf. "Ich entschuldige mich. Ich habe dir Angst gemacht. Das war nicht meine Absicht." Murmelte er. »Ist Artaios gestresst?« Hyakinthos blinzelte. "Schon gut." Antwortete er laut. "Ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann. Ich wünschte nur, ich müsste euch nicht auch noch das bisschen Freizeit abknapsen, das ihr habt." Ergänzte er erklärend. Artaios hob den Kopf, lächelte ihn sanft an, ein vertrautes, warmes Lächeln. Die Hand wanderte von Hyakinthos' Kinn zu seiner Wange, streichelte behutsam über sie. "Du bist wirklich sehr nett." Raunte er, ohne jeden Anflug von Ironie oder Spott. Dieses Kompliment sorgte bei Hyakinthos für rote Ohren. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, aber Artaios schien auch keine Antwort zu erwarten. "Gehen wir." Mühelos erhob sich der Riese, zog Hyakinthos mit beiden Händen hoch. Während sie den Abstieg bewältigten, fragte sich Hyakinthos besorgt, ob es ihm nicht zu denken geben sollte, dass Artaios seine Hand nicht einen Augenblick losgelassen hatte. #~~~~~> Am nächsten Morgen wartete statt Herrn Calculus Erebos in der Krankenstation auf Hyakinthos. Er schien sich zu spät von seinem Bett getrennt zu haben, denn unter dem Arztkittel zeigte sich nur eine Boxershorts. Hyakinthos konnte sich nicht helfen: er MUSSTE den halbnackten, jungen Mann anstarren. Erebos hielt bei der Blutabnahme inne, glotzte betont an sich herunter. Von dieser offenkundigen Kritik eingeschüchtert wagte Hyakinthos nicht mehr, den Kopf vom Boden zu heben. "He!" Eine Hand ergriff sein Kinn, dirigierte seinen Kopf zur Seite, damit die schwarzen Augen ihn in ihren Fokus nehmen konnten. "Tu nicht so, als würde ich dir gleich den Kopf abreißen." Sselbst Erebos' Stimme klang verwaschen, tief, guttural, als habe sie ihre Morgentoilette noch nicht hinter sich gebracht. "Tut mir leid." Haspelte Hyakinthos eilig, blinzelte heftig. Der Schraubzwingengriff um sein Kinn löste sich. Erebos nahm neben ihm auf der Liege Platz. "Ich nehme an, dass Artaios es dir nicht gesagt hat. Also werde ich das tun." Er fixierte seinen Blick auf Hyakinthos, der die Hände zu ängstlichen Fäusten verkrampfte. "Du kannst andere nicht so anstarren. Zumindest nicht, wenn du die Pheromone wie ein Wilder verströmst." Als sich die Bedeutung in seinem Verstand einnistete, lief Hyakinthos dunkelrot an, sprang eilig von der Liege. Erebos regte sich nicht. Die schwarzen Augen folgten Hyakinthos wie ein Jäger seiner Beute. "Du hast mir gesagt, dass du keine Erfahrung hast. Ich habe auch den Eindruck, dass du noch unschuldig bist." Er glitt in einer lässigen Bewegung von der Liege herunter, stopfte die Hände in die Taschen seines Arztkittels. "Wir sind das nicht mehr. Wir haben alle schon mit dir geschlafen. Wenn du mich auf diese Weise ansiehst, reagiere ich darauf, ob ich will oder nicht." Hyakinthos zuckte zusammen, als Erebos eine Hand nach ihm ausstreckte, aber die Hand streichelte lediglich über seinen wirren Lockenschopf. "Ich habe Artaios versprochen, dass wir nur alle zusammen, wenn jeder den anderen kontrollieren kann, mit dir intim werden, damit du NICHT Gewalt und Missbrauch erleiden musst. Bitte mach es mir nicht so schwer, mein Wort zu halten." Die Lippen fest aufeinander gebissen, weil er nicht schluchzen wollte, nickte Hyakinthos stumm, machte auf dem Absatz kehrt, verließ überstürzt das Zimmer. Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augenwinkel. Er MOCHTE seine Beschützer. Nun ja, Alocer ausgenommen. WARUM musste er sie belästigen, obwohl er das gar nicht WOLLTE?! Warum verriet ihn sein eigener Körper?! Hyakinthos spürte die Wellen der Übelkeit wie eine gewaltige Sturmflut. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die Toiletten. Warum dauerte es so lange bis zum Samstag?! #~~~~~> Hyakinthos kauerte sich in einem Lesesessel zusammen, den er an den Rand geschoben hatte, nahe genug, dass andere, vor allem Mädchen, ihn sehen konnten, er sich in trügerischer Sicherheit wähnte. Weit genug weg, damit er niemanden belästigte. »Ich fühle mich wie ein Stinktier!« Der Kloß in seinem Hals ließ sich nicht vertreiben, trieb ihm immer wieder peinliche Tränen in die Augen. »Wie Pierre, der Skunk!« Dachte er, erinnerte sich an die Cartoons. Er wollte nicht allein sein, hatte aber Angst davor, bei den anderen zu sein, weil er sie gegen seinen Willen verleiten würde, etwas zu tun, was sie niemals in Erwägung ziehen würden. »Wenn ich nicht diese verdammten Pheromone absondern würde!« "He." Unerwartet gesellte sich Taliesin zu ihm, glitt einfach auf eine der Lehnen, legte ihm die Arme um die Schultern, drückte ihn an sich. Für einen langen Augenblick gab sich Hyakinthos dem Luxus hin, schloss die Augen, ließ sich halten. Er fasste sich wieder, zog sich zurück. "Musst du nicht lernen?" Erkundigte er sich heiser, viel zu grob für seinen eigenen Geschmack. "Ich gönne mir eine Pause." Taliesin zuckte anmutig mit den Schultern, lächelte warm mit seinem Fuchsgesicht. Ihn schien der Leistungsdruck nur noch schöner zu machen. "Du~du solltest lieber ein wenig zurückweichen." Würgte Hyakinthos. Der Barde lächelte, dieses Mal mit einem definitiv spöttischen Ausdruck in den feinen Zügen. "Ja, ich darf auch nicht mit dir allein sein. Ich weiß." Setzte er hinzu, um Hyakinthos die Locken zu zausen. "Andererseits kann ich mein Verlangen auch kompensieren UND dir Gesellschaft leisten." Er ließ die Zungenspitze über die Lippe tänzeln, zwinkerte, erhob sich von der Lehne, um sich direkt über Hyakinthos zu beugen, beide Hände auf den Lehnen aufgestützt. Nur Wimpernschläge von dessen Lippen entfernt wisperte Taliesin. "Lauf nicht weg, 'm anwylyd!" Weit davon entfernt, sich rühren zu können, vor allem, da er sich nun als Zentrum aller Aufmerksamkeit wusste, erstarrte Hyakinthos. Es verstrich wenig Zeit, da stand Taliesin wieder vor ihm, eine akustische Gitarre an ihrem Hals haltend. Er nahm hoheitsvoll seinen Platz auf der verwaisten Lehne ein, strich leichthin über die Saiten. Hyakinthos konnte es nicht glauben, aber Taliesin saß wirklich auf seiner Sessellehne und sang! Was eine natürliche Einladung war, sich ringsum zu versammeln, ihm zu lauschen und miteinzustimmen, denn Taliesin wählte Lieder, die bekannt genug waren, zu rhythmischen Klatschen ermutigten. Vage war sich Hyakinthos bewusst, dass Taliesin zu ihm herunter lächelte, frech zwinkerte. Er entspannte sich, fühlte sich geborgen, trotz der Aufmerksamkeit. #~~~~~> Artaios hatte für Samstag wieder einen Ausflug ins Grüne geplant, mit Picknick. Unerwartet jedoch ließ sie der Frühsommer im Stich. Auch Anfang Mai konnte es noch unwetterartig schütten, dass man glaubte, eine neue Sintflut stehe an. Hyakinthos starrte fassungslos aus dem Fenster. Er traute sich nicht weg, weil dort die Mädchen seiner Klasse lachten und schwatzten. Sie waren sein Schutzwall. Aber nach zwei weiteren Stunden wäre auch der Nachmittagsunterricht zu Ende und dann? Ein Picknick bei diesem Wolkenbruch?! Er schlang die Arme enger um den Oberleib, lehnte die glühende Stirn gegen das kühle Fensterglas. Die Tropfen wirkten wie Tränen, verschmierten seine Sicht. #~~~~~> "Was jetzt?!" Alocer tippte ungeduldig mit einer Stiefelspitze auf den Boden. "In diese verdammte Nässe marschiere ich nicht raus!" Caratacus lehnte an der Wand, ignorierte den Ausbruch. "Wo ist unser glorreicher Anführer?! Wie lautet sein Plan?!" Alocer steigerte seine aggressive Tonlage um einige Dezibel. Hyakinthos wünschte sich, die Wand würde ihn verschlucken. Auch Taliesin und Erebos fehlten noch. Wenn Caratacus sich nicht an diesem Disput beteiligte, war es nur eine Frage von Sekunden, bis Alocer ihn ins Visier nahm, seinen Frust an ihm ausließ. Sie wandten die Köpfe, als sie das feuchte Quietschen von Sohlen vernahmen. Erebos bog in den Stichflur ein, schüttelte von seinem schwarzen Langmantel aus glänzendem Kunststoff Tropfen. Sein Hahnenkamm glitzerte nass. "Wo ist Artaios?!" Alocer hielt sich nicht mit Förmlichkeiten auf. "Kann er neuerdings die Uhr nicht mehr lesen, oder was? Ich habe noch mehr zu tun, als hier auf Seine Hoheit zu warten!" Erebos marschierte einfach weiter, hielt erst Millimeter vor Alocer inne, funkelte ihn wortlos an. "Was ist?! Suchst du Streit, oder was?!" Alocer stellte die schmalen Schultern aus, ballte die Fäuste. Sein Gegenüber schwieg unbeeindruckt, ließ eine lange Minute verstreichen. Dann wandte Erebos den Kopf zu Caratacus. "Gehen wir." #~~~~~> Das Ausweichquartier befand sich direkt unter dem Dach. Der Dachstuhl wurde offenkundig als Lager genutzt. Dieser abgeschiedene Bereich schien nicht in Gebrauch zu sein. Jemand hatte Vorbereitungen getroffen. Zwischen mannshohen Stapeln von Kisten und Kartons war ein schmaler Durchgang geschaffen worden. Eine gespannte Schnur mit einem Laken ersetzte die Tür und den Sichtschutz. "Ich bin zuerst dran!" Alocer fasste Hyakinthos grob am Ellenbogen, dirigierte ihn durch die improvisierte Tür. Hyakinthos schluckte. »Ausgerechnet er!« Er begann aber, sich wie in Trance zu entkleiden, hatte keine Wahl. Alocer kehrte ihm den Rücken zu, als er sich eilig die Kleider abstreifte. "Komm her!" Winkte er Hyakinthos heran. "Mach dich nützlich." Er klang nicht mehr ganz so unfreundlich. So, als habe sich sein Zorn inzwischen gelegt. Als Hyakinthos nackt, verlegen und ratlos vor Alocer stand, schnalzte der tadelnd mit der Zunge, fasste Hyakinthos' Hände an den Gelenken. "Na los, das kannst du doch sicher." Hyakinthos zitterte. Nicht nur, weil er fror. Er hatte keine Übung in manueller Stimulation. Er konnte ausgerechnet Alocer doch nicht sagen, dass er DAS nicht gewöhnt war! Alocer seufzte theatralisch. "Meine Güte, du bist wirklich ein Spätzünder, was?" Bemerkte er giftig, um dann konzilianter fortzufahren. "Schon gut, fang nicht an zu heulen. Komm her!" Ohne Federlesen verteilte Alocer zwei Handtücher auf dem Boden, kniete sich auf eins, spreizte die Beine. Er zog Hyakinthos am Arm herunter, bedeutete ihm, sich spiegelgleich vor ihn zu knien. "Gut, jetzt siehst du mich einfach an und lässt deine Hände machen, was ich bei dir tue, klar?" Gehorsam, wenn auch eingeschüchtert und gar nicht in der richtigen Stimmung, gehorchte Hyakinthos der Anweisung, starrte in Alocers Augen, wiederholte, was die fremden Hände an seinem Unterleib unternahmen. "Jetzt schließ die Augen!" Kommandierte Alocer knapp, steigerte seine Handreichungen. Hyakinthos bemerkte nicht, dass er schwankte, sich die nervöse Spannung verabschiedete. Für sie war schlicht und ergreifend kein Raum mehr. "Gut." Hörte er Alocer heiser raunen. "Steh jetzt auf." Dabei musste er ihm allerdings behilflich sein, denn Hyakinthos zitterten die Knie. "Gummis!" Alocer zischte die Silben durch die Zähne, gab das Material aus. Diese Aufgabe zumindest konnte Hyakinthos mittlerweile mühelos erledigen. Es war an ihm, möglichst rasch das Gleitmittel zu verteilen. Alocer wirkte nicht, als wolle er sich noch lange aufhalten lassen. Mit rasendem Herzschlag griff Hyakinthos um sich herum, bestrich neuralgische Stellen in der Hoffnung, es möge ausreichen. "Jetzt dreh dich um!" Alocer fasste ihn am Ellenbogen, dirigierte ihn zu einem Kartonstapel, der in Hüfthöhe endete, mit einer schützenden Plastikplane abgedeckt worden war. Seine Hände spreizten Hyakinthos' Beine weiter. Geistesgegenwärtig angelte sich Hyakinthos ein Handtuch, klemmte es zwischen die Lippen. Als er den Rand der Kisten umklammerte, drang Alocer bereits in seinen Anus ein. Hyakinthos schloss hastig die Augen, ließ die Tränen in seinen kurzen Wimpern hängen. Seine Kieferknochen zerdrückten den Handtuchstoff. Es tat weh. Natürlich. Dass er immer noch fror, half nicht gerade, sich zu entspannen. »Bittebittebitte!« Flehte er innerlich. »Entspann dich! Denk an schöne Dinge!« Er wollte seinem Körper ja die Tortur ersparen, doch er KONNTE es nicht. Es gab keine andere Lösung. Er musste sich an den Hüften halten lassen, Rammstöße akzeptieren, mitschwingen, wenn er nicht ausschließlich Schmerzen spüren wollte. »Es wird besser!« Tröstete er sich verzweifelt. »Gleich wird es besser!« Seine Fingerkuppen leuchteten weiß in der trüben Atmosphäre. #~~~~~> Kapitel 8 - Hilfsmaßnahmen "Alles in Ordnung?" Caratacus kniete sich neben ihn, musterte ihn besorgt. Hyakinthos nickte, grinste zittrig, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Er konnte einfach nicht aufstehen. Seine Knie wollten ihn nicht tragen, knickten immer wieder ein. Alocer hatte mit solchem Unsinn keine Geduld. "Du bist ganz ausgekühlt." Caratacus enthielt sich jeden Urteils, begann aber, über Hyakinthos' Arme und seinen Rücken zu rubbeln. Er ließ erst von ihm ab, als die Haut sich rötlich-emsig durchblutet zeigte. "Zieh am Besten dein T-Shirt wieder an." Riet er. "Und die Socken. Ich werde Erebos bitten, dir seinen Mantel zu überlassen. Du erkältest dich sonst noch." "Danke schön." Würgte Hyakinthos erstickt. Während er sich partiell bekleidete, legte Caratacus Laken und Handtücher auf dem Boden aus, studierte konzentriert sein Werk. Er streifte sich selbst alle Bekleidung ab, kletterte auf das Lager, warf sich ein großes Handtuch über. "Komm hier drunter. Ich wärme dich noch ein bisschen auf." Das ließ sich Hyakinthos nicht zweimal sagen. Auch wenn Caratacus ihn nicht explizit in den Arm nahm, so tröstete doch die warme Ausstrahlung seiner Haut, die beruhigende Selbstsicherheit des Älteren. »Er riecht nach nasser Erde. Und frischem Gras.« Hyakinthos wandte den Kopf. Caratacus roch immer nach Natur. "Glaubst du, es geht schon wieder?" Caratacus massierte ihm die Schultern. Hyakinthos nickte. Wohlig warm war es unter dem Handtuch zwar nicht, aber die Fürsorge und Aufmerksamkeit des anderen heizte seine Seele wieder auf. "Leg dich bitte auf den Bauch, ja?" Caratacus lehnte sich zur Seite, um nach der Gleitcreme zu greifen. Er schien niemals daran Anstoß zu nehmen, Hyakinthos diesen Gefallen zu tun. Mit geschlossenen Augen, entspannt, den Kopf auf einem Arm abgelegt, ließ er es zu, dass Caratacus ihn präparierte. Dieses Mal weigerten sich seine Knie auch nicht, ihn zu tragen, als er sich hoch stemmte. Caratacus griff um seine Hüften herum, streifte ihm das Kondom über. "Möchtest du lieber stehen?" Fürsorglich fragte der Ältere nach. Hyakinthos schüttelte den Kopf. Unter dem Handtuch und Caratacus würde es warm sein. Er würde sich beschützt fühlen, konnte sich auf den Unterarmen abstützen. "Gut." Caratacus klang, als würde er lächeln. "Es geht los." Hyakinthos holte tief Luft, atmete langsam aus, senkte die Lider. Zu spät erinnerte er sich daran, dass er kein Handtuch hatte, um etwaige Laute zu ersticken, aber das spielte keine Rolle mehr. Caratacus ging methodisch wie beim ersten Mal vor, gab ihm ausreichend Gelegenheit, die zielgerichteten Zärtlichkeiten zu genießen, sich zu entspannen und vorzubereiten, ES zu begrüßen. Weil ihn jemand fest in den Armen hielt, mit ihm im Gleichtakt nach Atem rang, sich und alle Kontrolle verlor. #~~~~~> "Danke schön." Hyakinthos lächelte befreit. Caratacus zwinkerte, entsorgte das letzte Feuchttuch in die Mülltüte. "Behalte Erebos' Mantel an." Ermahnte er sanft, schob das trennende Laken zur Seite, um aus der Nische zu treten. Hyakinthos setzte sich auf, zog die Beine vor den Leib. Er hatte das vage Gefühl, dass Caratacus Frauen vorzog, nur aus Höflichkeit Artaios' Bitte entsprochen hatte. »Wahrscheinlich wird er deshalb nicht so richtig leidenschaftlich.« Schoss es ihm durch den Kopf, bevor er den Gedanken verbannen konnte. »So etwas wäre mir früher nie eingefallen!« Erschrak er über sich selbst. »Aber es stimmt schließlich!« Verteidigte sich seine innere Stimme. »Er lässt sich nicht VÖLLIG gehen!« »Nein.« Pflichtete Hyakinthos sich selbst bei. »Vielleicht reserviert er das für jemanden, den er wirklich liebt.« Was nur zu verständlich war. Er sah hoch, als ein Luftzug seine Locken zauste. Taliesin hängte Erebos' schwarzen Mantel über einen Kistenstapel, ließ sich vor Hyakinthos auf die Knie fallen, umarmte ihn impulsiv, drückte ihn fest an sich. "Entschuldige die Verspätung! Heute läuft bei mir einfach alles schief!" Der Barde grimassierte gequält, benötigte ohne Zweifel selbst eine tröstende Umarmung. Hyakinthos hielt Taliesin also fest, rieb ihm über den Rücken. "Es ist alles in Ordnung." Versicherte er. "Wirklich?" Zweifelnd lupfte der Barde eine Augenbraue. "Ich habe gehört, dass Alocer dich ziemlich grob behandelt hat?" "Das..." Hyakinthos suchte fieberhaft nach den passenden Worten. "Das war nicht so schlimm." Ratlos zuckte er mit den Schultern. "Ich glaube, er würde gern darauf verzichten." Taliesin schnaubte melodisch. "Er müsste bloß den Schnabel aufmachen! Ich denke, wir könnten ihn auch gut vertreten!" Hyakinthos musste ganz gegen das Sujet kichern. Taliesin wirkte so empört und kämpferisch, dass es ihn ganz kribbelig vor Freude machte. "JETZT ist alles gut!" Schlang er wieder die Arme um Taliesins Nacken. "Schön." Wisperte der Barde zärtlich, hauchte einen Kuss auf Hyakinthos' Ohrläppchen. Widerwillig löste er sich schließlich aus der Umarmung. "Ich muss mich ausziehen." Erklärte er das Offenkundige, schüttelte lachend den Kopf über sich selbst. Auch Hyakinthos grinste, assistierte Taliesin, wobei er keine Gelegenheit ausließ, den schönen Mann zu triezen und zu kitzeln. "Na warte!" Drohte Taliesin spielerisch, drückte Hyakinthos auf den Boden. "Meine Rache wird ganz furchtbar sein!" Er wischte sich lose Strähnen auf die nackten Schultern, runzelte übertrieben die Stirn. "Zumindest wird das der Fall sein, wenn ich mich nicht richtig daran erinnere, was du mir beim letzten Mal beigebracht hast." Seine Miene wirkte komisch-verzweifelt, bevor er imaginäre Ärmel hoch schob, umkrempelte. "Mach dich auf was gefasst!" Hyakinthos legte die Hände auf den Mund, aber das Kichern war wie ein kochender Wasserkessel: es musste einfach ausbrechen. "OH! Du lachst mich aus?! Wie GEMEIN!" Beschwerte sich Taliesin, strahlte dabei, tauchte unter dem Handtuch ab. Hyakinthos ließ ihn gewähren, streichelte durch die glatten Strähnen, genoss die spielerischen Zärtlichkeiten. Er beschloss, Taliesin genau zu zeigen, was ihm gefiel, damit der Barde sich nicht unsicher fühlte. Er führte die schlanken Hände über seinen Leib, bis Taliesin ihn mahnend in die Nase kniff. "Schatz, ICH habe im Augenblick das Ruder." Ergeben drapierte Hyakinthos seine Arme über dem Kopf, hakte die Finger ineinander. Er keuchte, als Taliesins Zähne seine Brustwarze streiften. Dessen schönes Gesicht erschien über ihm, so dicht, dass ihr Atem sich vermischte. "Ich mache ernst." Flüsterte Taliesin, von einer attraktiven Röte erhitzt. Hyakinthos lächelte hoch. Er erinnerte sich daran, wie Taliesin beim ersten Mal fremde Silben ausgestoßen, sich an ihn geklammert hatte. Das schien ihm ein gerechter 'Austausch', weil er nicht auf die Gnade seines Partners angewiesen war. Taliesin war ebenso nervös gewesen. Er schloss die Augen. Mit Taliesin würde es schön werden und turbulent, lustig, weil sie beide kitzelig waren. Weil sich schon mal Glieder und Handtuch verwickelten. Weil es nicht perfekt sein musste, aber perfekt enden würde. "Du bist süß." Hörte er Taliesin an seinem Ohr flüstern, bevor er die Arme um den Älteren schlang. Hyakinthos war sich sicher, mit Körper, Herz und Seele: er wollte mit Taliesin schlafen. #~~~~~> Hyakinthos unterdrückte den Hustenreiz, aber er verlor. Er krümmte sich mit vorgehaltener Hand zusammen, drehte sich auf die Seite. Er MUSSTE etwas trinken. Als er sich aufsetzte, warf er einen Blick auf Taliesin neben sich. Der schöne Mann atmete noch immer schnell und heftig. Hyakinthos spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte, wie sich unerwünschte Erregung in ihm aufbaute. »Mit Taliesin WILL ich wirklich...« Hastig wandte er sich ab, kroch auf allen Vieren zur Seite, wo eine aufmerksame Hand einen Rucksack unter dem trennenden Laken hindurchgeschoben hatte. Er rechnete mit Tee, fand eine Flasche. Eine Tasse aus der Thermosflasche genügte, um das Rabengekrächze zu ersticken. Er wandte sich um, schenkte eine weitere Tasse aus, wollte gar nicht wissen, warum er so heiser war. Er konnte es sich denken. "Taliesin?" Zögernd streichelte er über die warmen Wangen. Die Lider flatterten, ihn blickten verschleierte, braune Augen an. "Geht es dir gut?" Hyakinthos kam sich dusselig vor mit der Teetasse in der Rechten und der Linken in den feuchten Locken. Verlegen zog er eine Grimasse. Taliesin lächelte zu ihm hoch, streckte einen Arm aus, um Hyakinthos' Locken ordentlich zu zausen. Er schloss die Augen wieder. "Lass mich einfach noch ein Momentchen liegen, ja?" Flüsterte er sanft. "Sicher." Unwillkürlich senkte Hyakinthos die Stimme zu einem Wispern, streckte sich neben Taliesin aus, rollte sich auf die Seite, um den schönen Mann zu betrachten. Hatte er Taliesin wehgetan? Oder ihm zu viel abverlangt? War es vielleicht zu anstrengend? Immerhin reagierte sein Körper automatisch, zuckte unkontrolliert mit Muskeln, die eine sehr empfindliche Körperpartie umschlossen. Hyakinthos schauderte, ließ den Kopf auf den untergelegten Arm sinken. Er hatte keinen Vergleich, keine Erfahrung. Er konnte nicht wissen, welchen Effekt er hatte, wie es sich auf der 'anderen Seite' anfühlte. "Kannst du mich in den Arm nehmen?" Taliesin öffnete die Augen nicht. Besorgt, weil er nicht sicher war, ob es Taliesin auch WIRKLICH gut ging, fädelte Hyakinthos einen Arm um den Barden, zog ihn auf sich, hielt ihn mit beiden Armen umschlungen. "Geht es dir gut?" Wiederholte er ängstlich seine Frage. "Hm." Schnurrte Taliesin melodisch, rieb den Kopf an seiner Halsbeuge, schmiegte sich an ihn. "Ich möchte noch ein bisschen verwöhnt werden." Hyakinthos zog eine hilflos-amüsierte Grimasse. Wer könnte Taliesin wohl widerstehen? Wer würde ihn nicht verwöhnen wollen? Er schmuste bereitwillig mit Taliesin, streichelte ihm über den glatten Schopf, hauchte tollkühn keusche Küsse auf die Stirn. Widerwillig löste sich der Ältere schließlich von ihm, stemmte sich hoch, sackte auf die Fersen, kämmte sich die Haare aus den Augen. "Tut mir leid, dass ich so aufdringlich bin." Er zuckte anmutig-verlegen mit den Schultern. "Du bist so nett, dass ich einfach frech werden MUSS." Hyakinthos lachte. Er hatte keine Wahl. Taliesins herausfordernd-neckende Miene, die ihm doch glatt die Verantwortung in die Schuhe schob, war unwiderstehlich! Bezaubernd! Er streckte einen Arm nach oben aus, streichelte über eine Wange. "Ich bin gern nett zu dir." Gestand er mit geröteten Wangen. Taliesin legte eine elegante Hand auf Hyakinthos', hielt sie auf seiner Wange fest, beugte sich vor, um ihn auf die Nasenspitze zu küssen. "Danke schön." Die Silben tanzten melodisch von seinen Lippen. Hyakinthos krächzte. "Dito." Er zwinkerte. Sie würden sich den Tee teilen müssen. #~~~~~> Artaios wirkte angespannt, das bemerkte Hyakinthos sofort. Und verwirrt. Er begriff nicht, warum der Hüne ihn so fassungslos angestarrt hatte, als er halb bekleidet in den Mantel gewickelt auf dem improvisierten Lager hockte. Hyakinthos wollte auch der knappen Entschuldigung für die schlechte Organisation nicht lauschen, weil Artaios abwesend klang und gequält. »Etwas ist nicht in Ordnung. Er wirkt so bedrückt!« Hyakinthos musterte den Hünen ratlos. Konnte er fragen? Durfte er fragen? Er entschied sich dagegen, als er bemerkte, wie Artaios eine tapfere Miene auf seine angenehmen Züge zwang, ein deutliches Signal, dass keine Fragen erwünscht waren. "Möchtest du noch etwas warten?" Erkundigte er sich höflich. Hyakinthos schüttelte automatisch den Kopf. Es schien ihm, als könne er die Hoffnung auf eine negative Antwort beinahe von Artaios' Stirn pflücken. »Ich könnte ihn auch ein wenig verwöhnen.« Ein mitleidiger Gedanke weckte ihn aus seiner Ratlosigkeit. »Ein bisschen die Führungsrolle übernehmen. Ihn ablenken?« Dank Alocers 'Vorarbeit' wusste er ja inzwischen, wie er vorgehen konnte. Außerdem war es sicherlich gut, sich auf sein 'Handwerk' zu konzentrieren. Das lenkte von Spekulationen ab. Artaios nahm seine Initiative positiv auf, lächelte sogar wieder wie sonst, entspannte sich, hob sich Hyakinthos schließlich auf den Schoß, umarmte ihn von hinten. "Es tut mir wirklich leid." Wisperte er, küsste ein Schulterblatt. Hyakinthos erschauerte vor Erregung, hob einen Arm über den Kopf, streichelte durch Artaios' Haare. Konnte es wirklich wahr sein, dass Artaios Erebos 'ausgeschimpft' hatte? Taliesin hatte ihm anvertraut, dass es wohl einen Streit gegeben hatte, weil Erebos nach Artaios' Meinung nicht ausreichend bekleidet sein Amt als Ersthelfer ausübte. Unvorstellbar für Hyakinthos, dass der sanfte, stets zurückhaltende, höfliche Artaios sich mit jemandem stritt. Auch noch so, dass andere von diesem Streit erfuhren. »Andererseits...« Andererseits war Artaios auch nur ein Mensch. Manchmal konnte ihm auch Stress zusetzen. Er umklammerte die Arme, hielt sie um seinen Oberkörper geschlungen, rieb seine Kehrseite an Artaios' Unterleib. »Genug Gedanken!« Fegte er seinen Verstand leer, drehte den Kopf, um Artaios über die Wange zu lecken. Jetzt wollte er nur noch fühlen. #~~~~~> Er konnte kaum glauben, dass seine Füße über dem Boden schwebten, auch wenn er die Augen aufgerissen hatte. Dass Artaios stand, die Knie ein wenig gebeugt, den Rücken leicht gekrümmt, ihn fest in seinen Armen vor sich hielt, in schnellen, harten Stößen den Höhepunkt jagte. Hyakinthos rang um Atem, hörte seine Kehle krächzen. Wie konnte Artaios ihn so festhalten, als wiege er nicht mehr als eine Feder? Wenn seine Arme ihn fahren ließen, würde er frontal auf den Boden stürzen! Artaios, der sich in lustvollen Krämpfen wand, war nicht mehr zu erreichen. Nichts konnte ihn mehr halten. #~~~~~> Hyakinthos kniete hinter dem Hünen, schlang die Arme um dessen Nacken. "Das ist unverantwortlich gewesen." Artaios war offenkundig geknickt, weil er Hyakinthos wie ein Stofftier vor sich geschlungen hatte. "Gar nicht!" Protestierte Hyakinthos eilig, rieb eine Wange an Artaios, spürte einen Hauch von Bartstoppeln. "Du bist so stark, dass ich gar keine Angst hatte!" Das zumindest war eine höfliche Lüge. Andererseits war Hyakinthos ehrlich genug, sich einzugestehen, dass die Position auch erregend gewesen war, reizvoll, seinen Herzschlag beschleunigend. "Trotzdem hätte ich mich erkundigen müssen. Ich bin rücksichtslos und egoistisch gewesen." Artaios geißelte sich selbst. Hinter seinem Rücken seufzte Hyakinthos ratlos. Er konnte nicht verstehen, warum sich der Hüne derartig über diese kleine Episode echauffierte, auf eine leise, gequälte, selbstzerstörerische Art. "Artaios, ich fand es GUT!" Hyakinthos raffte seinen Mut zusammen. "Ich bin sogar zuerst gekommen. Wenn du so redest, habe ich das Gefühl, ICH hätte etwas Falsches gemacht." DAS war definitiv niederträchtig, Hyakinthos WUSSTE es. Es war unfein, ein Schlag unter der Gürtellinie. Er tat es, weil er sich sicher war, dass Artaios' Reflexe das Denken übernehmen würden. Nicht zulassen konnten, dass sich ein anderer schlecht fühlte. Automatisch den Ausgleich suchten, beschwichtigten, trösteten. Sein Instinkt trog ihn nicht: Artaios verrenkte sich, um ihn zu haschen, auf seinen Schoß zu ziehen, in seinen Armen zu wiegen, ihm leise zu versichern, dass er SELBSTVERSTÄNDLICH nichts Falsches gemacht habe, dass es ganz sicher nicht verwerflich war, es auf diese Weise zu genießen. Hyakinthos erwiderte die Umarmung, küsste Artaios auf die Wange. "Nicht mehr traurig sein." Hauchte er wagemutig in die Ohrmuschel. Weil Artaios wie ein großer Bruder für alle war, verfiel er in die Rolle des Älteren, Erwachsenen, der solche kindlich klingenden, zu anderen Anlässen peinlichen Äußerungen nicht verspottete, sondern ernst nahm, ihn im Arm hielt und zuließ, dass er umarmt wurde. #~~~~~> Erebos nickte Hyakinthos zu, als er das Laken beiseite schlug, sich streckte, räkelte. "Keine Ahnung, warum ich immer als Letzter drankomme!" Bemerkte er brummend, beugte sich vor, um die schweren Stiefel zu öffnen. Hyakinthos schwieg, starrte auf den Boden. Immerhin sollte er Erebos ja nicht anglotzen! Wenn der sich nun aber auszog, konnte er ja nicht anders, außer eben den Fußboden beäugen. »Der Mantel!« Schoss ihm durch den Kopf. Hastig wollte er sich die Leihgabe von den Armen streifen, doch eine Hand auf seinem Kopf hielt ihn auf. Erebos ging vor ihm in die Hocke, splitternackt, von zahlreichen Steckern perforiert. "Behalte ihn ruhig an." Die schwarzen Augen funkelten in der einsetzenden Dämmerung unter dem Dach. Hyakinthos drehte eilig den Kopf weg. Er hörte Erebos lachen, leise, guttural. "Also JETZT kannst du mich ruhig angucken." Zog ihn der Ältere auf. Hyakinthos' Reaktion bestand in einem tiefen Erröten. Außerdem fischte Erebos nun auch noch das T-Shirt und die Socken auf, die er vor dem Sex mit Taliesin abgestreift hatte! »Er verspottet mich!« Hyakinthos klemmte die Oberlippe ein, verweigerte jeden Blickkontakt. "Nicht mehr in Stimmung?" Erebos reizte ihn ungerührt weiter, stemmte sich auf den hüfthohen Kistenstapel, erprobte offenkundig die Belastungsgrenzen. Aus einem Impuls heraus knurrte Hyakinthos. "Stimmt es, dass du mit Artaios Streit hattest?" "Streit?" Erebos ließ sich nicht provozieren, antwortete leichthin. "Das war kein Streit. Ich bin darüber LEKTIONIERT worden, nicht mehr halbnackt die Visite abzunehmen, damit du mich nicht bespringst." "WAS?!" Hyakinthos wandte den Kopf. "Das ist nicht wahr!" Er hatte nicht bemerkt, dass sich Erebos herangeschlichen hatte, ihn einfach unter den Achseln packte, auf die Beine stellte, an sich presste. Hyakinthos keuchte erschrocken, hörte sich zum eigenen Entsetzen stöhnen. Sie klebten förmlich aneinander. Erebos lächelte mit gebleckten Zähnen. "Ätsch!" Grinste er neckend. Blitzartig schoss Hyakinthos Blut in die Wangen, brachte seine Ohren zum Glühen. Erebos war zu nahe, zu direkt und zu intensiv. Er stemmte die Hände gegen die sehnig-muskulösen Oberarme, wollte sich losmachen, weigerte sich, in das Gesicht, in diese unheimlichen schwarzen Augen zu sehen. "He, mein Sahnehäubchen, was ist los?" Erebos hauchte ihm kehlig die Silben in ein Ohr, senkte die Zähne in den oberen Rand seiner Ohrmuschel. Hyakinthos zuckte zusammen, als hätte er sich einen elektrischen Schlag eingefangen. Nun geriet er wirklich in Panik. Erebos stellte irgendwas mit seinem Körper an, überwand einfach die Barrieren! "Lass mich los!" Hyakinthos zappelte, hasste den hysterischen Unterton in seiner sich überschlagenden Stimme. Zu seiner Überraschung kam er augenblicklich frei, konnte sich mit zwei hastigen Schritten außer Reichweite bringen, den schwarzen Mantel schützend um sich schlingen. "Was ist los?" Erebos klang so ruhig und gelassen wie in der Krankenstation, ohne Ironie, ohne Spitznamen. Hyakinthos brach in die Knie, kauerte sich in der Hocke zusammen. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, obwohl er verzweifelt keuchte. Sein Herz raste. Je mehr er sich zu beruhigen versuchte, umso schlimmer wurde der Druck um seinen Brustkorb. "Verdammt!" Durch das Hämmern seines Pulsschlags in seinen Ohren hörte er Erebos sehr sachlich fluchen. Der Ältere kniete neben ihm, zog ihn in seine Arme, drehte ihm das Gesicht, sodass er sich in die Halsbeuge schmiegen konnte. "Es ist alles in Ordnung." Wiederholte Erebos, streichelte ihm über den verkrümmten Rücken, umklammerte ihn mit aller Kraft. Hyakinthos spürte, wie sein Körper gegen diese stählernen Bande andrängte, sich austobte, bis keine Kraft mehr blieb. Matt sank er gegen Erebos, ließ sich fallen. #~~~~~> "Du hast hyperventiliert." Stellte Erebos die Diagnose, lagerte bequem neben ihm auf dem Boden. "Aber...warum?" Hyakinthos blinzelte ängstlich. Er fürchtete sich vor der Antwort und vor Erebos. Aber...WARUM?! Erebos stellte ein Bein auf, legte lässig den angewinkelten Arm auf das Knie, studierte einen Kistenstapel. Hyakinthos konnte dieser Pose gar nicht glauben: Erebos hatte nicht die geringsten Hemmung, splitternackt so ungeschützt herum zu lümmeln? So ungeschminkt seinen Körper zu zeigen! Der Ältere seufzte, blickte wieder zu ihm herunter. "Hör mal, wenn du Angst hast, mich anzusehen wegen der Sache mit den Steckern..." Eine Falte zeigte sich auf der Stirn. "Das war nicht ernst gemeint, okay? Ich bin nicht so unbeherrscht, dass ich auf dich losgehe, ganz gleich, wie scharf ich bin." "Warum..." Hyakinthos schluckte hastig, räusperte sich. "Warum trägst du so viele Stecker?" Jetzt war es ohnehin egal, ob Erebos auf ihn wütend wurde. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen, glaubte er zumindest. Erebos wischte sich durch die schwarzen Stacheln, kehrte ihm das Profil zu. Hyakinthos studierte die einrasierten Wellenmuster. Wenn man unvoreingenommen war, konnte man Erebos wirklich für attraktiv halten, auf eine martialische Art. "Die Stecker helfen mir." Erklärte er schließlich. "Ich kann mich besser fokussieren." Er wandte den Kopf Hyakinthos zu. "Ich mag es aber nicht, wenn jemand daran herumspielt." "Tut mir leid." Murmelte Hyakinthos, grub die Finger in das Handtuch, das ihn bedeckte, auch wenn er noch gar keinen Kontakt mit den Steckern aufgenommen hatte. Aber wie sollte er Erebos denn auch anfassen?! ÜBERALL ragten diese Stecker aus dessen Haut heraus! Erebos lachte leise, lächelte. "Du hast doch gar nichts angestellt, Herzchen." Neckte er Hyakinthos, um sofort wieder ernst zu werden. "Wann genau hast du Panik bekommen?" Hyakinthos presste die Lippen aufeinander. »Als du deinen Penis so einfach an meinen gepresst hast? Und dann in mein Ohr gebissen?!« Schamrot wandte er sich ab. Das konnte er nicht sagen. Es klang zu willig, so, als WOLLTE er ES unbedingt! Erebos lehnte sich über ihn, stützte beide Arme neben seinen Schultern auf. "Wenn du mir nicht sagst, wo das Problem liegt, kann das Gleiche wieder passieren. ICH kann mich nicht anders verhalten, wenn ich nicht weiß, was los ist." Stellte er ungeduldig fest. "Egal, was du von anderen vielleicht gehört hast: ich vögle nicht herum, springe alles an, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist. Das hier ist für mich auch intim und persönlich. Ich will mich nicht ständig fragen, ob dies oder jenes erlaubt ist, nur weil du Manschetten hast, klar? Los, rede mit mir!" Hyakinthos blinzelte. Erebos war wütend. Trotz des einsetzenden Zwielichts konnte er das Funkeln in den schwarzen Augen erkennen. Mit einem Seufzer wandte sich Erebos ab. Nein, täuschte dies nur vor! Fingerspitzen stippten in Hyakinthos' Seiten, fanden sofort empfängliche Partien, die es liebten, gekitzelt zu werden. Quiekend und quietschend rollte sich Hyakinthos herum, aber er entkam seinem Foltermeister nicht. "Ich ergebe mich!" Kreischte er schließlich schrill, um Atem schöpfen zu können. "Gut." Befriedigt lehnte sich Erebos zurück, zog die Beine an, umarmte sie locker. Hyakinthos starrte in den Dachstuhl. Bald war es so dunkel, dass er nur noch Schatten erkennen konnte. Wenn man die Details nicht so gut sah, fiel es fast ein wenig zu leicht, sich auszusprechen. "Du...warst zu nahe." Suchte er einen Anfang, bremste sich abrupt aus. Das klang zu sehr nach einem Vorwurf. Aber wenn Erebos mit ihm schlafen sollte, MUSSTEN sie sich schließlich berühren! Er schloss die Augen. "Es ist mir peinlich, das zu sagen." Murmelte er leise. "Ich kann mich nicht kontrollieren, wenn du mich gleich so anfasst. Es geht einfach zu schnell. Ich weiß auch nicht..." "Aha." Erebos klang gedämpft, so, als säße er viel weiter entfernt. "Mit anderen Worten, du hast Angst, dass du dich bei mir richtig gehen lassen könntest." Hyakinthos überlegte stumm, drehte die Worte in seinem Kopf. Hatte er nicht den Sex mit Taliesin genossen? Warum hatte er bei ihm so ein Problem nicht gehabt? "Vielleicht bin ich dein Typ." Erebos' Stimme wisperte so nahe, als liege er direkt neben ihm. Hastig rollte sich Hyakinthos auf die Seite, zog die Beine vor die Brust. Er war nicht in Erebos verliebt, aber sein Körper...! sein Körper verlangte nach Erebos, überstimmte sein Herz einfach, wollte den SEX. Ohne tiefere Gefühle. »Das ist so erniedrigend!« Hyakinthos krümmte sich zusammen. "He." Eine Hand streichelte über sein Rückgrat. "Lass uns einen Pakt schließen." Beinahe ängstlich wartete Hyakinthos auf die Konditionen. Erebos streckte sich neben ihm aus, tippte ihm mit dem Zeigefinger in den Rücken. "Komm schon, guck wenigstens in meine Richtung, wenn wir uns unterhalten, ja?" Widerwillig rollte sich Hyakinthos auf die andere Seite, behielt zur Sicherheit die Knie aber vor den Leib gezogen. Er konnte Erebos nur noch wie eine Silhouette wahrnehmen. "Wenn wir zusammen sind, lassen wir die Masken fallen." Erebos' Stimme raunte gedämpft in gutturalen Tönen. "Keiner muss sich zurückhalten, ausgenommen, der andere möchte etwas nicht tun. Wir reden mit niemandem darüber. Das bleibt eine Sache nur zwischen uns beiden." Hyakinthos überlegte. Erebos' Hand legte sich warm auf seine Wange, streichelte mit dem Daumen über seine Wangenknochen. "Einverstanden?" Flüsterte er hauchzart. "Ja." Wisperte Hyakinthos. Er WOLLTE diese Hand spüren, das drängte ihm sein Körper auf. Erebos war vertrauenswürdig, soufflierte er eilig weiter, nicht gewalttätig oder brutal. »Du kannst dich gehen lassen.« Erebos fällte auch kein Urteil wie Alocer. "Versuchen wir es noch mal." Neckend tippte Erebos ihm auf die Nasenspitze. Er schauderte, als Erebos das Handtuch von ihm zog, zur Seite legte. Reflexartig zog er die Beine vor die Brust, wollte sich bedecken, aber Erebos hielt das nicht auf. Er nahm sich einfach die Beine vor, wanderte mit den Fingerspitzen über das Schienbein bis zu den Füßen hinunter, ließ unter der Fußsohle seine Fingernägel hauchzarte Spuren ziehen. Hyakinthos keuchte. Er wusste nicht, wie empfindlich er an dieser Stelle war. In Selbstverteidigung presste er die Fußsohlen auf den Boden, ließ sich über die Kniescheiben lecken, mit der flachen Hand von den Beckenknochen hoch bis zu den Knien über die Oberschenkel streichen. Das war angenehm und zärtlich, selbst die Daumen, die neben seinen Beckenknochen die Muskeln und Sehnen bis zum Schambereich nachzogen. Schließlich gab er nach, teilte die Beine. Es war kühl, seine Haut prickelte, nur die Stellen, die Erebos wärmte, glühten. Er wollte mehr DAVON. Hyakinthos schlang die Arme um die Schultern des Älteren, drängte sich den forschenden Händen entgegen, die seinen Torso erkundeten. Er musste die Lippen aufeinander pressen, um Erebos nicht laut aufzufordern, noch mehr zu tun, nicht ganz so vorsichtig zu sein. Erebos arbeitete in seinem eigenen Tempo und Rhythmus weiter. Zu den Händen gesellte sich sein Mund, die agile Zunge, die Zähne. Es gab so viele Stellen, die empfänglich waren, die nicht nur gekitzelt werden mochten. Hyakinthos blinzelte in die Semi-Dunkelheit, räkelte sich unbewusst, präsentierte die Körperpartien, die Aufmerksamkeit einfordern wollten. Nun, da ihm warm war, er sich entspannte, fürchtete er gar nichts mehr. Es erregte ihn, sich Erebos vorzustellen, der über ihm kauerte, ihn berührte, mit seinem Atem wärmte, Speichelspuren hinterließ. Er genoss das Privileg, durch die schwarzen Stacheln zu kämmen, der einzige Bereich, der keinen Stecker trug. Er WOLLTE sogar, dass Erebos ihm zu nahe kam, sich ihre Erektionen berührten, löste kurzerhand seinen Hintern vom Boden, rieb den Unterleib an Erebos'. "Noch nicht." Hörte er den Älteren kehlig raunen. Ohne große Ankündigung rollte Erebos ihn auf die Seite, hievte ihn schließlich auf alle Viere, wölbte sich über ihn, um Hyakinthos' Rückenpartie mit Zärtlichkeiten einzudecken, ihn zu streicheln. Hyakinthos bockte und bäumte sich auf wie ein Wildpferd. So einfach still halten, das wollte er nicht mehr. Wenn Erebos mit ihm schlafen wollte, sollte er sich gefälligst anstrengen! Ohne diese ungewohnten Impulse zu analysieren schmiegte er sich aufreizend an der Front des Älteren, achtete darauf, besonders die empfindliche Spitze der Erektion zu necken. Erebos knurrte, atmete aber hörbar schneller. Er zog Hyakinthos auf seine gespreizten Oberschenkel, fischte nach den Kondomen. Hyakinthos, der in der Dunkelheit nur blinzelte, wunderte sich müßig darüber, wie gut Erebos in dem Zwielicht zu sehen vermochte. War das vielleicht auch Teil seiner Gabe? Wie auch immer, Hyakinthos wandte den Kopf, leckte Erebos über den Hals, die Wange, nagte am Kieferknochen. Er stöhnte guttural, als der Ältere begann, ihre Erektionen zusammen zu massieren, schloss ebenfalls die Hände um die Muskelstränge. Wie im Fieber rieb er mit den Daumen über die empfindliche Spitze, suchte sich darunter das zarte Hautbändchen, das Sterne vor seine Augen zauberte. Es war viel zu gut, sich auf diese Weise zu quälen, immer wieder kurz vor dem Punkt ohne Wiederkehr innezuhalten! "Hör nicht auf!" Keuchte Erebos an seinem Ohr, angelte das Gleitmittel heran. Wenn sie sich die 'Arbeit' teilten, würde der Höhepunkt nicht mehr lange dauern. So, wie Hyakinthos' Körper seine Finger einsaugte, sie umklammerte, das Becken zuckte, waren sie auch beide kurz davor. Er schob Hyakinthos die Kondome zwischen die Finger, überließ es dem Jüngeren, sie zu schützen, drückte Hyakinthos vor sich auf alle Viere. Er stand auf, wacklig, beugte sich vor, um Hyakinthos um die Taille zu packen, ebenfalls auf die Beine zu stellen. "...was...? In Trance, heftig atmend, wandte sich Hyakinthos zu ihm um, blind in der tiefen Dämmerung, aber Erebos wollte nicht mehr sprechen. Es wäre ohnehin nur ein Grunzen geworden. Er drehte Hyakinthos an den Schultern herum, ging in die Knie, um die Arme tief um Hyakinthos zu schlingen, ihn auf seine Hüften zu heben. Instinktiv umklammerten ihn Hyakinthos' Beine wie eine Zange, sodass er ihn eng an sich pressen konnte, zum hüfthohen Kistenstapel stolpern. Hyakinthos winselte, presste das Gesicht in seine Halsbeuge, die Arme um seinen Nacken geschlungen. Erebos streichelte den verkrümmten Rücken, setzte Hyakinthos ab, ließ seine Hände flach über dessen Oberschenkel bis zu den Knien wandern, die auf seinen Hüften lagerten. Endlich konnte er dieser Erregung, die seine Sicht mit dunklen Punkten versah, teilen, sich an der Hitze berauschen, dem Widerstand. Dem Hunger. Hyakinthos' Körper empfing ihn ungeduldig, sehnsüchtig, gierig. Erebos lächelte unwillkürlich befreit. #~~~~~> »Gut!« Funkte Hyakinthos' Körper. »Gut! Gut! Gut!« Mit jedem Stoß, mit jeder Berührung. Er lauschte der Symphonie aus hastigen Atemzügen, unwillkürlichen Lauten, dem Trommeln der Herzen, dem Rauschen des Pulses. Hyakinthos schlug die Augen auf, ließ sich zurückfallen aus der engen Umarmung, die ihn umschlang, spürte die Härte der Kisten unter seinen Schulterblättern. Leicht verzögert folgte ihm Erebos, von dieser Unterbrechung überrumpelt. Hyakinthos lächelte atemlos, schlug die Augen auf. Er blinzelte ungläubig: um jeden Stecker herum wirbelte ein weiß glühender Energiering. Er verschluckte sich, krümmte sich zusammen, rang nach Luft, suchte Erebos' Augen. Natürlich sollte er kaum die Silhouette des Älteren erkennen können, allerdings war dies gar nicht nötig. In den schwarzen Augen funkte und blitzte, wirbelte und tanzte das gleiche weiß flirrende Feuerwerk. »Was...was...?« Seine Gedanken verwirbelten. Erebos zog ihn wieder hoch, stemmte die Füße hart in den Boden, bewegte sich in einer senkrecht-kreisenden Bewegung. Er wollte nicht mehr länger warten. #~~~~~> Kapitel 9 - Zephyr Es war hell, beinahe grell. Das Licht, das durch seine Augenlider drang, störte definitiv. »...was...?« Sein Gehirn versuchte, Erinnerungsfetzen zu sortieren. Dies wurde allerdings von einem lautstarken Streit erheblich behindert. Wenn man es Streit nennen konnte. Im Augenblick brüllte nämlich Artaios. »Artaios...brüllt?!« Blitzartig schlug Hyakinthos die Augen auf, ignorierte die Feuchtigkeit in seinen kurzen Wimpern. Er hatte Mühe, sich aufzusetzen, nicht nur, weil er sah, wie gefährlich knapp die Fläche auf dem Kistenstapel war, auf dem er lag. Die beiden anderen bemerkten ihn nicht. Artaios wirkte wie ein Fremder: das Gesicht mit roten Flecken verunziert, die Fäuste geballt, so angespannt, als könne er sich nur mühsam zurückhalten, auf Erebos einzuprügeln. Der hatte den Kopf abgewandt, die Arme vor der Brust verschränkt, wirkte betont abweisend. "...was denkst du dir eigentlich?! Wieso hat er so geschrien?! Was hast du mit ihm gemacht?!" Erebos erwiderte scharf. "Das, was du gesehen hast, als du wie ein wild gewordener Wasserbüffel hier reingeplatzt bist!" "Komm mir nicht mit Ausreden! Du hast versprochen, ihm nicht wehzutun! Wieso habe ich nur geglaubt, du würdest dein Wort halten?!" Nun hatte Artaios Erebos' ungeteilte Aufmerksamkeit. "Was willst du damit sagen?!" Zischte der eisig. "Na los, spuck es schon aus!" "Er hätte kaum geschrien, wenn du ihm nicht etwas angetan hättest! Er hatte Angst!" Artaios zitterte vor Wut, die aus ihm herauszuplatzen drohte. "Ich HABE ihm nichts getan!" Erebos rückte einen halben Schritt näher an Artaios heran, wisperte finster in dessen Gesicht. "Also unterstell mir nicht, ich hätte mein Wort gebrochen!" "Ähem!" Mischte sich Hyakinthos eilig ein. "Mir...geht es gut?" In Zeitlupe wandte Artaios ihm den Kopf zu. "Dann hättest du nicht so geschrien. Was hat ER getan?" Hyakinthos spürte, wie ihm Farbe ins Gesicht schoss. Er erinnerte sich an ihren Pakt. "Das kann ich nicht sagen." Murmelte er kleinlaut. "Was hast du mit ihm gemacht?!" Artaios packte Erebos bei den Oberarmen. "Dass er sich nicht mal traut, es auszusprechen?! Du LÜGNER!" "Ich bin kein Lügner." Erebos knurrte guttural, stellte die Schultern aus, sodass die Stecker tanzten. "Jetzt LASS mich los!" "Hey, bitte, es geht mir gut! Wirklich!" In Panik, weil er befürchtete, dass sich die beiden gleich prügeln würden, sprang Hyakinthos vom Kistenstapel herunter, streckte die Hand nach Artaios aus. Noch bevor seine Fingerspitzen Artaios streifen konnten, stieß der Erebos heftig von sich. "Verschwinde!" Zischte er hitzig. Erebos schwieg, stieß sich vom Kistenstapel in seinem Rücken ab, streifte betont langsam das Kondom ab, klaubte ein Handtuch vom Boden, um sich abzutrocknen, zog sich an. Grußlos verließ er den Dachstuhl. Hyakinthos zog die Schultern hoch. Warum hatte er sich nicht getraut, für Erebos einzutreten?! Der hatte ihm nun doch wirklich nicht wehgetan! »Aber warum habe ich geschrien?« »Dumme Frage!« Seufzte er über sich selbst. »Vermutlich, weil es so gut war.« Blöd nur, dass er nicht mit Sicherheit sagen konnte, was genau geschehen war. Weil sein Körper das Blut nicht im Gehirn benötigt hatte. »Oje, was für ein Schlamassel!« #~~~~~> Als hätte der stumme, würdevolle Abgang von Erebos ihm alle Kraft ausgesaugt, sackte Artaios auf den Boden, stützte den Kopf in die Hände. Hyakinthos kleidete sich eilig an. Je mehr Zeit verstrich, umso schwieriger schien es, das Schweigen zu brechen. »Aber ich MUSS etwas tun.« Hyakinthos hatte alles erledigt, was zu tun war im Schein der grellen Deckenleuchten. Die Handtücher waren in einem Wäschesack verstaut, die Mülltüte zugeknotet. Artaios hockte noch immer stumm auf dem Boden. Hyakinthos ging neben ihm in die Hocke, legte die Arme um den Hünen. Er wisperte einfach, was ihm durch den Kopf ging, um die erstickende Stille zu durchbrechen. "Hör mal, Artaios, ich habe wirklich die Wahrheit gesagt. Erebos hat mir nicht wehgetan. Ich weiß nicht, was ich geschrien habe." Er holte tief Luft. "Es war bestimmt nicht, weil ich Schmerzen hatte. Erebos würde mir nichts antun. Bitte glaub mir das, ja?" Nach langen Augenblicken nickte Artaios schließlich. "Lass uns wieder gehen, ja? Gleich gibt es Abendessen." Drängte Hyakinthos zur Eile, strengte sich an, Artaios auf die Beine zu ziehen. "Du kannst es mir nicht sagen, oder? Was er getan hat." Artaios starrte ins Leere. Hyakinthos schüttelte den Kopf. Er hatte sein Wort gegeben. "Verstehe." Murmelte der Hüne, ohne dass er zu erkennen gab, was genau er damit meinte. Er straffte seine hochgewachsene, athletische Gestalt, rieb sich heftig mit beiden Händen über das Gesicht. "Machen wir uns frisch, damit wir das Abendessen nicht verpassen. Überlass die beiden Säcke mir, ich kümmere mich darum." Hyakinthos folgte dem Riesen, der mühelos seine Last schulterte, voranging. »DAS läuft gar nicht gut.« Seufzte er innerlich. #~~~~~> Als er zum Abendessen eilte, stellte Hyakinthos fest, dass es sehr schwierig sein würde, dieses Missverständnis aufzuklären. Unter anderem deshalb, weil Artaios und Erebos so weit voneinander entfernt saßen, wie es nur irgend möglich war. Am Sonntagmorgen hoffte Hyakinthos darauf, beim obligatorischen Messen mit Erebos zu sprechen, vielleicht ihr Versprechen zu lösen, um Artaios zu überzeugen. Um ihm zu beweisen, dass hinter dem Schweigen keine üble Absicht stand. Aber zu seiner Enttäuschung stolperte mit geringer Verspätung Garfield heran, den Kilt verschoben, einen deutlichen Knutschfleck auf dem Hals. »Erebos weicht mir also aus. Warum?! Wir haben doch nichts getan!« Hyakinthos nutzte jede Möglichkeit, sich bei der Abschlussstufe herumzutreiben, allerdings ohne Erfolg. Erebos war untergetaucht, ohne den andere zu sagen, wohin er sich verkroch, um zu lernen. Artaios wirkte auf den ersten Blick so gelassen und freundlich wie gewohnt. Bei genauerem Hinsehen erkannte Hyakinthos, dass der Hüne nur angestrengt die Fassade aufrechterhielt. Taliesin traf sich mit ihm im Lesesaal. "Hör mal." Er legte den Arm vertraulich um Hyakinthos' Schultern. "Was ist da gestern passiert? Artaios benimmt sich seltsam, Erebos macht sich absolut rar. Haben die beiden sich etwa gestritten?" Hyakinthos nickte stumm, zog die Schultern hoch. "Meinetwegen. Artaios glaubt, dass Erebos grob zu mir war." Flüsterte er Taliesin zu, um die Finger in dessen Hemd zu graben. "Ich MUSS mit ihnen sprechen, damit sie sich wieder vertragen! Kannst du mir nicht helfen?!" Der Barde nickte aufmunternd, drückte Hyakinthos keck einen Kuss auf die Locken. "Klar doch! Suchen wir unsere Stufenvertretung!" Betont munter zog Taliesin ihn zum Schlafsaal der Abschlussklasse. Gewöhnlich oblag es der Stufenvertretung, darauf zu achten, dass keine Angehörige des anderen Geschlechts sich dort ohne Anlass aufhielten oder Jugendlich anderer Jahrgänge. Nicht etwa, weil man Unlauteres unterstellte, vielmehr, weil die Schlafsäle in der Tat räumlich knapp bemessen waren und keine Lehrkraft Aufsicht führte. Im Schlafsaal schlief man nur oder wechselte die Kleidung. Hyakinthos, der sein Hochbett direkt in einer Nische, eingezwängt zwischen zwei alten Pfeilern hatte, eine düstere und tendenziell klamme Ecke, unterdrückte einen Anflug von Neid, als er Artaios' Hochbett sah. Es stand im rechten Winkel zu einem großen Fenster, wurde von Sonnenflecken verziert. Artaios selbst saß auf dem Hocker vor den winzigen Tisch unterhalb des Hochbettes, notierte aus Büchern in einem Heft. "Hallo." Hyakinthos verdrehte innerlich die Augen über seine piepsige Begrüßung. Sie waren so schnell hierher gelaufen, dass all die wohlgesetzten Worte aus seinem Kopf geweht worden waren. So konnte es nicht verwundern, dass er gleich mit der Tür ins Haus platzte. "Bitte vertrag dich wieder mit Erebos, ja? Er hat nichts falsch gemacht!" Die Miene des Hünen zeigte höfliches Interesse. "Das hast du mir bereits gesagt." Stellte er sachlich fest. Hyakinthos blinzelte perplex. War DAS Artaios?! Nahm der wirklich einfach seine Worte zur Kenntnis, tat danach nichts?! "Warum glaubst du mir nicht?!" Wehrte er sich gegen die misstrauischen Einflüsterungen seiner inneren Stimme, die seit der Begegnung mit Desmond ausgesprochen bissig werden konnte. "Wieso vertraust du mir nicht mehr?! Wenn ich dir doch sage, dass alles in Ordnung ist?" Er spürte, wie Taliesin ihn am Arm fasste. Vermutlich hatte er mit seinem Ausbruch den Barden erschreckt. Wenn er jetzt wich, offerierte er Artaios die Gelegenheit, ihm einfach aus dem Weg zu gehen, sich an seine verdrehte Wahrnehmung der Ereignisse zu klammern. "Ich habe nicht gesagt, dass ich dir nicht glaube." Artaios klang beinahe salbungsvoll, sein Tonfall monoton. "Zweifellos bist du davon überzeugt, dass er nichts getan hat." »Aha! Aber für dich ist meine Meinung unmaßgeblich, richtig?!« Die innere Stimme brüllte nun gegen Hyakinthos' üblicherweise sehr konziliantes Wesen an, wollte ihn aufpeitschen. »Ist das, weil du glaubst, wir Huren phantasieren uns alles schön, oder was?!« Glücklicherweise kamen ihm diese Worte nicht über die Lippen. Es erstickte Hyakinthos beinahe, jemandem, dem er sich anvertraut hatte, den Rücken zuzukehren, mit der GEWISSHEIT, dass er ohne diesen Freund einen unerträglichen Stand haben würde. Er holte tief Luft, ballte unbewusst die Fäuste. "Nur weil ich mit anderen Sex haben MUSS, bin ich noch nicht völlig abgestumpft und merke nicht mehr, wer mir etwas Gutes oder Schlechtes tut. Ich habe gehofft, dass DU mich nicht so einfach aufgibst." Damit drehte er sich auf dem Absatz um, marschierte wie aufgezogen zur Tür. Er wünschte sich, dass Artaios nach ihm rufen, ihn aufhalten würde, doch statt des Hünen war es Taliesin, der Hyakinthos im Flur einholte, in einen Säulenschatten zog, tröstend umarmte. "Er ist nicht er selbst." Seufzte der Barde melodisch. "Ich fürchte, du warst bloß der Anlass für etwas, was schon lange zwischen den beiden schwelt. Bitte, nimm es dir nicht so zu Herzen, ja?" Taliesin küsste ihn auf die Stirn, rubbelte ihm über den Rücken. "Du hast ja auch noch mich, nicht wahr?" Hyakinthos' Miene verzog sich zu einem schiefen Grinsen. "Ja, ich hab dich ja noch. Danke schön." Er hauchte einen zarten Kuss auf die Lippen des Barden, löste sich langsam. "Ich denke, ich sollte auch die Gelegenheit nutzen, um meine Nachhilfe wieder anzugehen." Seine Fingerspitzen streiften noch ein wenig länger die des Barden, bevor er sich zum Lesesaal aufmachte. #~~~~~> Soweit Hyakinthos feststellen konnte, nachdem er tollkühn einige Klassenkameradinnen befragt hatte, die sich angeblich in kleine Nagetiere verwandeln konnten, glaubten die anderen, dass er eine periodisch auftretende Erkrankung hatte. Dass sie aus diesem Grund von ihm Abstand halten sollten, um ihm seine Situation nicht noch zu erschweren. Angesichts der merkwürdigsten Fähigkeiten und Talente, die man in einer Schullaufbahn hier erleben konnte, war das nichts Außergewöhnliches. Hyakinthos konnte darauf bauen, dass seine willigen Nachhilfelehrkräfte die 'krankheitsbedingten' Unterbrechungen nicht persönlich nahmen, einfach dort wieder anknüpften, wo sie stehen geblieben waren. Er hatte zu seinem Leidwesen eine ganze Menge in kurzer Zeit aufzuholen! Auch wenn ihm das Zerwürfnis zwischen Artaios und Erebos nicht aus dem Kopf ging, konzentrierte er seine Gedanken auf den Unterricht und die Nachhilfe. Das war besser, als jeden Morgen vergebens nach Erebos in der Krankenstation Ausschau zu halten. Eine Woche verstrich, in der alle fleißig lernten, Prüfungen absolvierten und den Frühsommer genossen, indem sie sich bei jeder Gelegenheit draußen tummelten, um zum Geist auch den Körper zu pflegen. Hyakinthos, der nie in der Natur gelernt hatte, gewöhnte sich daran, Krabbel- und Flugtiere zu ignorieren, eine Plastiktüte zur Abwehr von Grasflecken unterzulegen und sich nicht vom lautstarken Spiel der anderen ablenken zu lassen. Seine fünf 'Beschützer' machten sich in dieser Woche rar. Für sie stand der Endspurt bevor, Zielpunkt Ende August, wenn die Abschlussurkunden überreicht wurden. »Da kann ich nicht egoistisch erwarten, dass sie mich ständig bemuttern.« Rief er sich selbst zur Ordnung. Außerdem war es höchste Zeit, eigene Freundschaften zu schließen, sich nicht einfach mitziehen zu lassen. Von Meike. Oder Aeolus. Oder Artaios. Am Samstag nutzte er das Angebot einer Wanderung entlang eines Naturlehrpfads. Brotzeit im Freien, Spiele, Unbekanntes und Kurioses aus der Region: er hatte so viel Spaß, dass ihn die Mattigkeit am Abend wie eine Keule traf. Obwohl Calculus jeden Morgen seine Messdaten auswertete, schien die Wirkung der Kapseln nachzulassen. Die Müdigkeit nahm zu, wenn er sich einen Augenblick hinsetzte, nicht bewegte, als lauere sie nur darauf, ihn untätig zu erwischen. Hyakinthos seufzte. Er konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sein Leben VORHER gewesen war, so frei von Komplikationen. #~~~~~> Hyakinthos behielt Calculus genau im Auge, als der zwei Tage später am Morgen die Testwerte in den Computer eingab. Er konnte an der Miene des Lehrers ablesen, dass sich seine körperliche Disposition nicht verbessert hatte. Calculus schien nicht willens, ihm seine Erkenntnisse anzuvertrauen. "So, wir sind für heute auch fertig. Ab mit dir, Hyakinthos. Ich muss noch aufräumen, gleich kommt nämlich ein neuer Schüler zur ersten Untersuchung." Scheuchte ihn Calculus aus der Krankenstation. »Ein neuer Schüler? So spät im zweiten Halbjahr?« Wunderte sich Hyakinthos, verwarf den Gedanken aber wieder. An diesem Morgen sollte es Crêpes mit Bananencreme geben. DAS wollte er auf keinen Fall verpassen! #~~~~~> Den Kopf angefüllt mit Meilensteinen der jüngeren Geschichte strebte Hyakinthos in der kleineren Pause am Vormittag den Toiletten zu. Er wollte sich lieber noch mal seine Notizen durchlesen, aber der Ruf der Natur drängte sich rücksichtslos vor. Während er die Augen auf die weiße Kachelwand richtete, unaufmerksam für seine Umgebung, sagte er stumm seinen Text auf. Er bemerkte den Schatten viel zu spät, der seinen eigenen auf der Kachelwand verwischte. Bevor seine Sinne erschrocken Alarm schlagen konnten, griff der Schatten hinter ihm zu. Hyakinthos stieß einen panischen Laut aus, wollte die Ellenbogen einsetzen, sich befreien, vor allem aber schnell genug sein, um...! Der Gedanke verschwamm, als die Hand um seinen Penis die empfindlichsten Stellen gezielt reizte. "Loslassen!" Winselte Hyakinthos, drehte sich. Sein anonymer Angreifer jedoch schien diese Reaktion erwartet zu haben. Der Protest, den Hyakinthos erheben wollte, wurde erstickt. Hyakinthos' Herz stolperte, seine Augen weiteten sich fassungslos: dieser Fremde küsste ihn leidenschaftlich, Zunge, Speichel, Sehnen, Muskelspiel! So war er noch nie geküsst worden. Oder auf eine Weise, wo fremde Zunge und Hand synchron arbeiteten. Halb in den Körper des Unbekannten gedreht konnte er sich nicht mehr wehren. Sein Körper WOLLTE nicht. Sein Verstand schrillte vor Wut über diese Erniedrigung, aber der unbekannte Vergewaltiger/Verführer ließ kein Ausweichen zu, steigerte seine Bemühungen ohne eine Pause, ohne jedes Zögern, bis Hyakinthos die Knie einbrachen, sein Erguss Hand und Sanitärbereich befleckte. Atemlos, feucht-abkühlenden Speichel auf den Lippen, im Mundwinkel, auf dem Kinn, überkam Hyakinthos sofort Reue und Angst. "Das war gar nicht übel." Die fremde Stimme war dunkel und spöttisch. "Für den Anfang." Schwankend umklammerte Hyakinthos eine Armatur, starrte auf die Rückseite. »Wer~wer ist das?!« Braune Haare mit blonden Strähnen, eine Frisur aus halblangen, verfilzten Strähnen, die an ein Krähennest erinnerte. Dunkelblauer Blazer, schwarze Jeans, mittelgroß. Kannte er diesen Schüler?! Adrenalin jagte durch seinen geschwächten Leib, als er die Worte im Geist wiederholte. »Für den Anfang?!« Sofort stiegen ihm die Ermahnungen in den Sinn, begleitet von Schreckensszenarien. »Der will mich vergewaltigen!« Sein Angreifer wusch sich gelassen die Hände, kehrte ihm den Rücken zu. "Machen wir gleich weiter?" Eine Uhr wurde konsultiert. "Wir haben noch genau acht Minuten." Hyakinthos angelte sich an der Wand entlang hastig zur Tür. Wieso musste niemand sonst auf die Toilette?! Wo waren die anderen alle?! Warum, verdammt noch mal, war er nicht wie sonst in eine Kabine gegangen?! Die Minute hätte er auch... "Na, Lämmchen, wo willst du denn hin?" Hyakinthos stieß einen schrillen Schrei aus, als der Fremde plötzlich vor ihm stand, als könne er sich beliebig schnell bewegen. Dunkelbraune Augen funkelten unter feinen Augenbrauen in einem leicht gebräunten Gesicht, das eher rundlich geformt war. Warm durchblutete, schimmernde Lippen formten ein mokierendes Lächeln. "Komm, lass uns ficken." Säuselte die dunkle Stimme lasziv-spottend. Hyakinthos geriet in Panik. Die aufgestaute Angst, die Nervosität vor der Prüfung, die erlittene Demütigung, alles detonierte in einer gewaltigen Explosion. Ohne Vorankündigung jagte ihn sein Verstand davon, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. Er schlug die Hand, die nach seinem Hosenschlitz greifen wollte, weg, schleuderte auf der Ferse herum, rannte zur Tür, riss sie auf, stürzte in den Flur. Hyakinthos konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er wusste nur, dass sein schlimmster Albtraum wahr zu werden drohte. Dass er vor Angst den Verstand verlor. So übersah er auch eine Tür, die sich in den Flur öffnete. #~~~~~> "Wie geht es ihm?" Taliesin stellte sich Erebos tollkühn in den Weg. Auch die finsterste Miene konnte seine Sorge nicht übertreffen. Erebos musterte den Barden einen Augenblick wortlos, knurrte kurz. "Gehirnerschütterung. Nichts Ernstes. Wenn er Ruhe hat, ist er bald wieder fit." Er trat betont um Taliesin herum, um sich mit großen Schritten zu entfernen. Taliesin seufzte erleichtert. Solche Unfälle kamen immer mal wieder vor. #~~~~~> Erebos studierte das bleiche Gesicht. Hyakinthos' fahler Teint unterschied sich nicht von den weißen Laken, was nicht auf eine gesunde Verfassung schließen ließ. Andererseits sah man mit einer leichten Gehirnerschütterung, die von einer anschwellenden Beule gekrönt wurde, selten gut aus. Er beugte sich über Hyakinthos, streichelte mit dem Handrücken sanft so lange über die Wangen, bis er ihn aus seinem Schlaf gelockt hatte. Zuerst blinzelte Hyakinthos nur, vermutlich geblendet, ein weiterer Aspekt der Gehirnerschütterung. "Ich bin hier." Erebos wischte dunkelblonde Locken beiseite. "Weißt du, wo du bist?" "...Krankenstation..." Gurgelte Hyakinthos undeutlich. "Gut." Ohne Ekel wischte Erebos Speichel vom Kinn. "Kannst du dich erinnern, wie du hierher gekommen bist?" Kopfschütteln, sehr vorsichtig. Offenkundig hatte Hyakinthos Probleme mit der Orientierung und litt an Schwindelgefühlen. "Ich habe gehört, du bist aus der Toilette wie ein Verrückter gerannt und ungebremst in die Tür gelaufen." In Erebos' Stimme schwang nicht der geringste Anflug von Humor. Wie ein Habicht beobachtete er die Reaktionen des Jüngeren, den Versuch, sich zu erinnern. Das Sortieren von Erinnerungen. Den Schreck. In diesem Stadium angelangt begann Hyakinthos zu wimmern, sich zusammenzurollen, unter die Decke zu verkriechen. Erebos neigte sich so tief, dass er die Arme um die zusammengekauerte Gestalt auf die Matratze legen konnte. "Du bist jetzt sicher." Erklärte er laut. "Hörst du, Michael? Alles ist in Ordnung, kein Grund zur Angst. Ich lasse nicht zu, dass dir jemand etwas tut." Erebos streichelte über den Rücken, der von Erschütterungen durchgerüttelt wurde. Hyakinthos weinte so verängstigt wie ein kleines Kind. Erebos' Miene verdüsterte sich. Irgendjemand hatte Hyakinthos derart in Angst und Schrecken versetzt, dass der Hals über Kopf geflohen war. "Hörst du, was ich sage? Michael, es ist alles in Ordnung. Niemand tut dir etwas hier. Komm, sieh mich mal an!" Mit Kommandoton erhoffte er sich, das jämmerliche Heulen einzudämmen. In diesem kritischen Augenblick klickte die altmodische Sprechanlage. "Erebos, Sie sind aufgefordert, sich in Ihrer Klasse einzufinden. Ich wiederhole, gehen Sie zum Unterricht." Erebos fluchte laut, aber die alte Gorgone duldete keinen Widerspruch. Also streichelte er über das Häufchen Elend unter dem Laken. "Michael, ich muss jetzt raus. Aber du brauchst keine Angst zu haben." Übertönte er das eine Oktave höher wimmernde Winseln. "Ich schließe die Tür ab, okay? Du kannst raus, aber niemand kann zu dir rein, klar?" Ein Schnauben beendete das Wimmern. Hyakinthos blieb unsichtbar unter dem schützenden Laken. "Also gut, ich verschwinde jetzt. Ich lege den Rufknopf für den Alarm direkt neben dich. Wenn etwas nicht stimmt, kannst du mich sofort anpiepsen." Mit einem letzten Abschiedsblick verließ Erebos die Krankenstation. #~~~~~> "Das war ein sehr netter Wumms! Filmreifer Stunt, wie du frontal in die Tür gedonnert bist. Hätte ich nicht erwartet." Hyakinthos blinzelte. Sein Körper reagierte schneller als der Verstand, erkannte die Stimme, auch wenn er sie noch nicht zu oft vernommen hatte. Unsicher, mit dröhnenden Kopfschmerzen und Schwindelgefühl, das ihm den Magen umdrehte, wollte Hyakinthos sich zur Seite drehen, den Rufknopf drücken. Eine Hand umklammerte sein Handgelenk unnachgiebig. "Das möchtest du nicht tun, mein Lämmchen. Oder stehst du auf Publikum, wenn wir es treiben?" Die Stimme tadelte von oben herab, betont selbstsicher. "Üble Beule übrigens." Ein Finger touchierte die angeschwollene Partie, trieb Hyakinthos Tränen in die Augen. Er weigerte sich zu glauben, dass das wirklich geschah, dass er schwach vor Übelkeit und Schwindel in der Krankenstation lag, während nonchalant ein Unbekannter ihm ankündigte, er werde ihn vergewaltigen. Das konnte nur ein Albtraum sein! "Geh weg." Quietschte er würgend, sabberte Speichel, hob die Arme, um unbeholfen nach dem Fremden zu schlagen. "Nachdem ich mich hier so geschickt eingeschlichen habe? Sicher nicht." Lachte der ihn aus, stieg auf das Bett, legte sich auf Hyakinthos, drückte dessen Handgelenke in die Matratze. Hyakinthos blinzelte, Tränen sickerten aus seinen Augenwinkeln zu seinen Schläfen. Er fühlte sich so schlecht, dass er sich kaum auf etwas konzentrieren konnte. Jetzt wollte dieser...dieser...! Die braunen Augen studierten ihn aufmerksam, nachdenklich. "Warum machst du so einen Zirkus? Ich habe gehört, dass du es mit fünf Typen aus der Abschlussklasse gleichzeitig treibst. Also, wo liegt das Problem?" Der Fremde zog die Nase kraus. "Das...is...nich...wahr!" Hyakinthos schluckte, gurgelte, würgte an Speichel. Sein Magen revoltierte. Er fühlte sich, als habe er einen ganzen Eimer Seife getrunken. "Bist du vielleicht wählerisch?" Sein Gegenüber leckte sich kritisch über die Lippen. "Dabei sollen die Vampir-Schlampen doch jedem ihren Hintern hinhalten. Wo liegt das Problem?" Wiederholte er, nun ungeduldiger. "Bett, mein Schwanz, dein Arsch. Ganz einfache Arithmetik." Hyakinthos schluchzte, weil er zu viel Speichel schluckte, falsch atmete, nicht husten konnte, da der Fremde ja auf ihm lag, ihn in die Matratze drückte. Woher wusste dieser Typ Bescheid? War das etwa der Neue, von dem Calculus gesprochen hatte?! Wo war Erebos?! Der hatte ihm doch versprochen, die Tür abzuschließen! Vor Wut und Verzweiflung begann er zu weinen. Wie sollte er sich wehren, wie Hilfe rufen?! Sie hatten ihm doch versprochen, dass so etwas nicht geschehen würde! Wieso funktionierte es nicht bei diesem miesen Dreckschwein?! "Geh weg!" Hyakinthos sprühte Speichel. "Lass mich in Ruhe! Ich will das nicht! Hau ab!" "SO machst du dir keine Freunde." Ein Zeigefinger tippte belehrend auf Hyakinthos' Nasenspitze. "Möchtest du vielleicht, dass ich allen anderen erzähle, was genau du bist? Dein Hintern wird sicher sehr gefragt sein." Hyakinthos erstarrte. Dieser Mistkerl erpresste ihn! Konnte er mit Artaios, Erebos und den anderen drei drohen?! Der Fremde schien seine Gedanken zu lesen. "Ich habe mir schon gedacht, dass deine fünf Stecher einflussreiche Typen sind, die nicht gerne teilen. Aber mir können sie keine Angst machen." Er grinste genüsslich. "Ich habe extrem gute Beziehungen. Sehr, SEHR gute Beziehungen. Verstehst du?" Hyakinthos hustete, keuchte. Stimmte das? Oder war es nur ein Bluff? War der Rufknopf wirklich unerreichbar? Konnte er diesen Drecksack vielleicht abschütteln? Aber jeder körperliche Widerstand schien zwecklos. Die eigene Schwäche lähmte ihn, hinderte an kohärenten Gedanken, lieferte ihn schutzlos aus. "Ah!" Der Fremde fädelte unaufgefordert seine Finger zwischen Hyakinthos', lehnte sich tief über ihn, lächelte. "Wie nachlässig von mir! Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt." Hyakinthos presste die Lippen aufeinander, konnte dies aber nicht durchhalten, da er durch die Nase kaum Luft bekam. Der Unbekannte zwinkerte. "Gestatten: Zephyr. Weil ich ein ganz fixer Bursche bin!" Damit küsste er Hyakinthos so lange und erstickend, bis der das Bewusstsein verlor. #~~~~~> Kapitel 10 - Heimlichkeiten Als Hyakinthos zu sich kam, benötigte er erstaunlich wenig Zeit, sich zu orientieren. »Krankenstation.« Identifizierte er die Zimmerdecke, drehte den Kopf sehr vorsichtig von rechts nach links. »Allein hier.« Bestätigte er sein Gefühl. »Kopf tut weh.« Er konzentrierte sich auf seine Rechte, erwartete eigentlich, dass es mühsam sein würde, sie von der Bettdecke zu heben. Sein Arm strafte ihn jedoch Lügen, erhob sich mühelos, berührte den Fixpunkt des Übels. "AUTSCH!" Beklagte Hyakinthos sich, diagnostizierte »Beule«. Sein Arm legte sich anmutig zurück auf die Bettdecke, ohne ungelenkes Aufplumpsen. Das forderte zu einem weiteren Test heraus. Also rollte sich Hyakinthos bedächtig auf eine Seite. »So weit, so gut.« Konstatierte er, stemmte den Ellenbogen in die Matratze, setzte sich auf. »Oh.« Stellte er fest. Dieses stumme Resümee beinhaltete eine ganze Reihe von erstaunlichen Entdeckungen: sein Atem ging nicht schwer, er bekam gut Luft, ihm war nicht schwindlig oder übel, er fühlte sich wach, klar, trotz der Beule. Nachdem sein Körper überraschend guter Dinge war, drängten sich andere Aspekte in seine Gedanken, wollten die ungewohnte Situation ausnutzen. Hauptsächlich Fragen. »Wie spät ist es?« Die digitale Anzeige informierte ihn darüber, dass in einer Viertelstunde das Abendessen serviert wurde. »Das...ich habe seit zehn Uhr hier geschlafen?!« Hyakinthos' Augen weiteten sich. »Na gut.« Setzte er seinen inneren Dialog fort. »Das hat mir scheinbar nicht geschadet. Apropos, WIESO fühle ich mich gut?!« Hyakinthos verzog die Miene. Abgesehen davon, dass er aufgrund der Wirkung seiner Medikamente gegen Abend zu einer profunden Mattigkeit tendierte, SOLLTE er sich mies fühlen! »Weil ich von diesem Stinktier geknutscht worden bin!« Aber in seinem Mund stellte sich kein Geschmack nach alten Socken, gammligem Käse oder rückwärts geschluckter Pizza ein. Eine andere Erinnerung gurgelte aus dem Abgrund unerfreulicher Reminiszenzen hoch: wollte dieser Zephyr nicht mit ihm schlafen? »Du meinst wohl, dich vergewaltigen!« Korrigierte er sich selbst bissig. Sein Körper fühlte sich nicht so an, als wäre das geschehen. »Wobei wir ja nicht wissen, wie weit die Mutation geht.« Erinnerte ihn sein innerer Widerpart angeekelt. Konnte es sein, dass sein Körper schon darauf konditioniert worden war, Sex so sehr zu benötigen, dass hässliche Nebenwirkungen wie eine Vergewaltigung einfach nicht mehr wahrgenommen wurden?! Zögerlich lupfte er die Bettdecke. »Unterwäsche.« Stellte er fest. Das war auch zu erwarten. »Wenn ich mich vergewaltigen würde, würde ich mir danach wieder die Unterwäsche anziehen?« Überlegte er hilflos. Das schien eine unnötige Mühe, weshalb er dazu tendierte, sich zunächst als nicht vergewaltigt zu betrachten. Sein Magen knurrte. Hyakinthos setzte sich aufrechter, kraulte die klagende Partie mit konzentriertem Gesichtsausdruck. »Ich muss nach Hinweisen suchen!« Drängte ihn sein Verstand. Wenn er vergewaltigt worden war, mussten doch irgendwo Taschentücher und benutzte Kondome entsorgt worden sein! »Außer, er hat alles eingesteckt, um seine Spuren zu verwischen.« Gab seine innere Stimme zu bedenken. »Obwohl der nicht so wirkt, als würde es ihn kümmern!« Schnaubte Hyakinthos abschätzig. Außerdem wollte er sich die Tür ansehen. Erebos hatte ihm versprochen, die Tür abzuschließen. War es wirklich möglich, dass er das vergessen hatte? Traf es nicht zu, dass die Türen zur Krankenstation und zum Behandlungszimmer besonders gesichert waren wegen der dort aufbewahrten Medikamente? Hyakinthos erinnerte sich daran, dass Calculus ihm einmal davon erzählt hatte. Dass er immer anwesend sein musste, wenn die Mitarbeiterin der Apotheke des Kreiskrankenhauses einmal im Monat die Vorräte prüfte und Medikamente austauschte, die zu verfallen drohten, weil sie nur für Notfälle vorgehalten wurden. "Wie ist der Saukerl reingekommen?" Wagemutig und entschlossen legte er die Beine frei, schwenkte sie über die Bettkante zur Seite, stellte sich hin. Er schwankte nicht, die Knie brachen nicht ein, ihm wurde nicht flau. »Sieh an!« Stellte Hyakinthos ungewohnt grimmig fest. »Haben mir wirklich nur ein ausgedehntes Nickerchen und eine gewaltige Beule gefehlt?« Das konnte er nicht glauben. Auf Socken bewegte er sich langsam zur Tür. Das Panikschloss blickte ihm unerschrocken entgegen. Von innen konnte man nicht feststellen, ob die Tür verriegelt war. Der Fluchtweg versperrte sich ja nicht. »Man müsste jemanden rufen.« Hyakinthos drehte eine Runde. Der Abfalleimer enthielt außer Papierstreifen von Pflastern und zerdrückten Wattepads nichts Bemerkenswertes. Hyakinthos steuerte die Toilette an, streifte seine Unterhose herunter, nahm sicherheitshalber Platz. »Welche Spuren erwartest du denn?!« Schnaubte ihm schamhaft-ärgerlich seine innere Stimme zu. »Mit Gummi wirst du wohl kaum...!« »Vielleicht Spuren von Gleitgel.« Belehrte er sich selbst zuversichtlicher, als er tatsächlich war. »Ohne Gleitgel trockene, wundgeriebene Hautstellen.« Er atmete tief durch, erforschte mit zusammengepressten Lippen das Areal. Feuchtes und trockenes Klopapier folgten, bevor er sich sehr gründlich die Finger einseifte und abwusch. »Nichts.« Stellte er gedankenverloren fest. Hatte Zephyr vielleicht aufgegeben, als er das Bewusstsein verloren hatte? »Aufgeschoben, nicht aufgehoben.« Warnte seine innere Stimme besorgt. Hyakinthos ballte die Fäuste. Der Gedanke traf höchstwahrscheinlich zu. Aber wie sollte er sich verhalten? Er ging zum Bett zurück, setzte sich auf die Bettkante, rutschte weiter auf der Matratze, bis er mit den Beinen baumeln konnte. Wenn er Zephyr abwies, würde der allen erzählen, worin genau seine 'Krankheit' bestand? War sein Einfluss wirklich so groß, dass die anderen ihn nicht mundtot machen konnten? Hyakinthos schlang sich die Bettdecke um die Schultern. Plötzlich fror er. So, wie er Artaios verstanden hatte, waren sie keine Wunschgemeinschaft, sondern Verschwörer, die zusammenarbeiten mussten. Drei von ihnen aus gutem Willen und Mitgefühl, weil sie Einfluss hatten, Vorbilder und Idole waren. Einer, weil er zur Elite gehörte, misstrauisch geworden wäre, wenn man ihn nicht beteiligt hätte. Und einer, weil er klug genug war, um die Verschwörung aufzudecken und kaltblütig genug, gegen ihren Einfluss anzugehen. »Also beruht mein Schutz tatsächlich bloß auf einer Fiktion.« Resümierte seine innere Stimme säuerlich. Weil die Schulgemeinschaft diesen Fünf vertraute, sie bewunderte oder fürchtete, würde niemand gegen ihre Wünsche handeln. »Wenn sich aber herausstellt, dass sie ein Monopol unterhalten, mit dir Sex zu haben...« Nun pochte die Schwellung an seiner Stirn doch heftig. »Da ist ihr Schutz nicht mehr viel wert. So, wie der widerliche Kerl gesagt hat: ich bin Freiwild für jeden, der es tun will.« Was aber JETZT tun?! Konnte dieser Zephyr wirklich so einflussreich sein?! »Wie ist er hier reingekommen?!« Ätzte seine innere Stimme unnachgiebig. "Ich habe keine Wahl." Murmelte Hyakinthos vernehmlich. Wenn er sich Zephyr verweigerte und der die Lügengeschichte um seine angebliche 'Krankheit' öffentlich aufdeckte, war alles aus. Man würde seinen 'Beschützern' nichts mehr glauben. »Vielleicht schmeißen sie mich aber auch raus.« Unwillkürlich rieb er sich mit den Händen über die Oberarme. Wenn man schon keine heterosexuellen Beziehungen dulden wollte, stand völlig außer Frage, wie die Akzeptanz eines 'homosexuellen' Vampir-Köders aussehen würde. »Und dann?« Er zog die Knie an, wiegte sich beruhigend. Er war auf ärztliche Betreuung angewiesen, konnte nicht nach Hause zurück. Seine Mutter hatte nicht annähernd genug Mittel, um ihn zu unterstützen. »Da kann ich gleich hier vom Berg springen.« Hyakinthos zwang sich, tief Luft zu holen und langsam auszuatmen. Er wiederholte diese Übung einige Male, um sich wieder zu fassen. Die Lösung war offenkundig: er musste sich Zephyr fügen. Vielleicht würde es dem bald langweilig, wenn er sich nicht sonderlich einbrachte. Möglicherweise war der Mistkerl einfach nur neugierig auf Sex mit einem Jungen. »Außerdem schläfst du auch mit Alocer.« Verzweifelt versuchte sein Verstand, ihn davon zu überzeugen, dass die Entscheidung richtig und wohlbegründet war. »Den magst du auch nicht. Es macht keinen Spaß, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Die paar Mal hältst du schon aus.« Hyakinthos seufzte laut. Sein Magen knurrte ärgerlich. Die Zeit bis zum Abendessen verstrich unwiederbringlich. Blieb vorerst noch eine Frage zu klären: sollte er den anderen erzählen, dass Zephyr...? Vielleicht könnten sie mehr über ihn herausfinden, vielleicht sogar genug, damit er selbst schweigen musste, weil sonst Enthüllungen über ihn an den Tag kämen? Seine Schultern sackten wieder herab. Nein, vermutlich würde das den selbstsicheren, eitlen Typen nicht mal abschrecken. »Wenn ich ihnen von der Sache erzähle, UND sie können nicht helfen, dann fühlen sie sich schlecht, weil sie ihr Wort nicht halten können. Oder sie ziehen sich sogar ganz von mir zurück, weil ich dann ja mit jedem...!« Er seufzte erneut. Außerdem standen sie unter großem Stress aufgrund der zahlreichen Prüfungen und Arbeiten zum Schulabschluss. Eine weitere Belastung täte ihnen sicher auch nicht gut, würde sie vielleicht vom Lernen abhalten, negativ beeinflussen. »Tja.« Tätschelte er sich selbst innerlich den Schopf. »Es bleibt keine Wahl. Da muss ich durch.« Er löste sich aus der Decke, glitt vom Bett herunter, nahm seine Kleider aus einem Fach, streifte sie über. »Jetzt muss ich mir nur noch für Erebos eine Lüge ausdenken.« #~~~~~> Auf den letzten Drücker schlüpfte Hyakinthos in den Speisesaal. Er fühlte sich stark genug, der Welt die verbeulte Stirn zu bieten, ganz einfach, weil er für sich beschlossen hatte, aus seiner Situation das Beste zu machen, sich nicht wieder auf die Unterstützung anderer zu verlassen. Natürlich erwartete ihn sofort die erste Prüfung seiner neuen Entschlossenheit: nur neben Aeolus war noch ein Platz frei. Ausgerechnet gegenüber hatte sich Zephyr niedergelassen. "Darfst du schon aufstehen? Wie geht es dir denn?" Aelos erhob sich, streckte ihm die Hand entgegen, als drohe Hyakinthos zu stürzen. "Danke, es geht mir wieder gut." Lächelte der erfreut. Aeolus hatte sich um ihn gesorgt? Das war wirklich nett von ihm. »Dumm nur, dass er Empath ist!« Erinnerte ihn seine innere Stimme grimmig. »Sorge besser dafür, dass du nicht lügen musst!« »Au Backe!« Seufzte sein Stolz. Aeolus besann sich selbstredend umgehend auf seine gute Kinderstube, stellte ihm Zephyr vor. "Du hast Zephyr, unseren neuen Klassenkameraden noch nicht kennengelernt, nicht wahr? Zephyr, das ist Hyakinthos. Er ist auch erst seit kurzer Zeit bei uns." Aeolus reichte einfach Hyakinthos' Hand weiter. Hyakinthos kämpfte mit sich. Sollte er wirklich 'sehr erfreut' sagen? Aeolus müsste DIE Lüge doch aus zehn Kilometern Entfernung noch mühelos bemerken! Zepyhr griff jedoch nicht nach seiner Hand, sondern wischte einfach frech einige Locken aus Hyakinthos' Stirn, schnalzte mitfühlend mit der Zunge. "Sieht übel aus, aber ich schätze, ich sollte erst mal die Tür sehen, wie?" Er grinste frech zu Hyakinthos über die Breite des Tisches hinüber. Der zog sich steif zurück. "Es wird NICHT besser, wenn man es anfasst!" Fauchte er gouvernantenhaft, nahm Platz. Zephyr lachte, amüsiert, unbeeindruckt. »Ich werde jetzt essen.« Kochte Wut über die Demütigung in Hyakinthos' Seele. »ESSEN, und nichts anderes!« Sollte der Angeber bloß wagen, ihn anzusprechen! #~~~~~> Als schließlich das Signal zum allgemeinen Aufbruch gegeben wurde, hatte sich Hyakinthos wieder beruhigt. Ja, die ausgelassenen Mahlzeiten konnten einem wirklich die Laune verderben, diagnostizierte er seinen Stimmungsumschwung. Um eine weitere Konfrontation mit Zephyr zur vermeiden, der seine Tischnachbarn mit müßiger Plauderei erfreut hatte, entschied er sich, direkt zu Erebos zu gehen, bevor der wieder das Weite suchen konnte. Er hatte nämlich einen Plan. Weder narrensicher, noch besonders brillant: er wollte lügen. Darin war er, wie er selbst wusste, nicht sonderlich befähigt. In der letzten Zeit hatte er jedoch eine ganze Menge neuer Dinge lernen müssen. Die meisten waren unangenehm, moralisch bedenklich oder anstößig gewesen. »Da kommt es auf ein Pfund auch nicht mehr an!« Dachte er. Energisch schob er sich durch die Gruppen, die geordnet die Tische verließen. Eigentlich sollte er warten, bis seine Stufe sich anschließen konnte, aber mit einem Frühstart sollte es gelingen, den jungen Mann mit der Igelfrisur noch zu erwischen. Bevor er mit dem Strom schwimmen konnte, legte sich ein Arm um seine Taille. "Oh du meine Güte, was für ein Horn!" Taliesin drückte ihn an sich, seufzte mitfühlend. "Wie geht es dir denn? Ich habe mich furchtbar erschrocken, als ich davon hörte!" Hyakinthos lächelte unwillkürlich, erwiderte die Umarmung. "Alles wieder in Ordnung. Die Beule sieht schlimmer aus, als ich mich fühle." "Du machst aber auch Sachen!" Der Barde schüttelte den Kopf, hakte sich unter. "Erebos wird sich freuen zu sehen, dass du wieder auf den Beinen bist." Er neigte sich vertraulich zu Hyakinthos, wisperte in ein geneigtes Ohr. "Er war ziemlich blass, als er wieder in den Unterricht kam." »Uhoh!« Dachte Hyakinthos beschämt. Plötzlich fühlte er sich gar nicht mehr so stark. Sollte er wirklich jemanden, der ihm geholfen, sich um ihn gesorgt hatte, belügen? "Stell dir vor, er hat dich sogar ganz allein in die Krankenstation geschafft. Wie ein Romanheld, auf den Armen!" Taliesin schmunzelte. Obwohl Hyakinthos wusste, dass Taliesin ihn nur neckte, lief er rot an, machte sich los. "Ich wollte mich ohnehin bei ihm bedanken! Aber wenn ich mich nicht beeile, verschwindet er wieder!" "Hach, da sieht man's mal wieder: mein Charisma leckt! Jetzt muss ich mich sogar Erebos geschlagen geben!" Seufzte der Barde in gespielter Verzweiflung so melodisch, dass auch einige andere aufmerksam wurden, sich nur zu bereitwillig anboten, ihm Gesellschaft zu leisten. Taliesin zwinkerte Hyakinthos zu, gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, er möge loslaufen. Hyakinthos nahm artig Tempo auf, hielt Ausschau nach den schwarzen Igelspitzen über dem Meer der Häupter. Da sich die Gruppen trennten, wurde das Gedränge lichter. "Erebos!" Rief er, schob sich an Erstaunten vorbei. "Nur einen Augenblick!" Der wandte sich um, streckte ihm wie ein Staffelläufer eine Hand entgegen, zog ihn mit Schwung im Laufschritt fort. Der Spurt führte sie in halsbrecherischem Tempo einige Treppenfluchten hinunter, hinaus über das Gelände bis zum Eingang des legendären Irrgartens. Die letzten Strahlen der Sonne glühten auf den das Tal umschließenden Bergen, es dämmerte stark. Hyakinthos keuchte, hustete, weil er nicht so schnell Luft holen konnte, wie er wollte. Er musste sich vornüberbeugen, die Hände auf den Oberschenkeln aufgestützt, um wieder zu Atem zu kommen. Erebos ging vor ihm in die Hocke, legte eine Hand auf Hyakinthos' Wange, dirigierte dessen Gesicht, bis er es eingehend studieren konnte. "Ist wirklich alles mit dir in Ordnung?" Es klang beinahe ungläubig. Hyakinthos nickte, räusperte sich krächzend. "Mir geht es wieder gut. Tut mir wirklich leid, dass ich dir so viel Ärger und Mühe bereitet habe." Entschuldigte er sich, setzte ein betont zerknirschtes Grinsen auf. Erebos ließ sich nicht so einfach täuschen. "Vor wem bist du weggelaufen?" Hakte er aus heiterem Himmel scharf nach. »Wie kommt er darauf?! Mist, warum ist er bloß so fix!« Hyakinthos zögerte, hoffte, dass Erebos dies nicht als panisches Suchen nach einer plausiblen Ausrede einstufte. "Das ist mir peinlich." Rasch wich er Erebos' schwarzen Augen aus, starrte auf seine Schuhspitzen. "Erinnerst du dich an den Dachboden?" »Gut!« Lobte sich Hyakinthos, als er beobachtete, wie Erebos' Züge den strengen Ausdruck verloren. Vielleicht würde der Ältere seine Lüge schlucken. "Weißt du, ich sollte gleich geprüft werden. Ich hatte schon vorher Bammel, weshalb ich ja zur Toilette musste. Ich wollte da noch mal schnell alles durchgehen." Hyakinthos seufzte laut. "Ich hatte aber plötzlich einen totalen Blackout. Da bin ich in Panik geraten." Er zuckte verlegen mit den Schultern, grinste betont dämlich. "Na ja, und dann hatte ich noch einen Blackout." Erebos verzog die Miene, stemmte sich aber aus der Hocke. "Lass sehen." Seine Rechte hielt Hyakinthos' Kinn, während die Linke Locken von der Beule wischte. Leidlich zufriedengestellt nahm er Hyakinthos' Hand, lenkte ihre Schritte wieder zurück zum Flügel der Jungen. "Hör mal, du musst dich nicht so sehr unter Stress setzen. Kein Mensch kann erwarten, dass du in so kurzer Zeit so viel aufholst. Immerhin hast du bisher eine Schule mit dreizehn Schuljahren besucht, warst vor dem Wechsel länger krank. Es ist absolut keine Schande, wenn du hier erst in zwei Jahren den Abschluss machst." Aus den Augenwinkeln behielt Hyakinthos Erebos im Fokus, während er darauf achtete, nicht zu stolpern. "Das stimmt schon." Antwortete er laut, während er innerlich erleichtert aufatmete. Wie es schien, hatte Erebos keinen Verdacht geschöpft. "Aber?" Erebos hörte leider viel zu gut hin, wie Hyakinthos beschämt bemerkte. "Na ja." Suchte er nach einer passenden Formulierung, entschloss sich endlich für die Wahrheit. "Es ist für meine Mutter sehr schwer, das Schulgeld aufzubringen. Deshalb wäre es gut, wenn ich regulär den Abschluss hier schaffe. Sonst muss ich wohl wieder wechseln." Erebos schnaubte. "Das ist keine gute Idee, solange wir keinen Weg finden, dich stabil auf Medikamente einzustellen." »Vollkommen richtig.« Seufzte Hyakinthos. »Nur eine weitere Komplikation in meinem Leben. Aber die muss warten.« Denn jetzt musste er in seinen eigenen Schlafsaal, wo das Ungeheuer namens Zephyr lauerte. #~~~~~> Während Hyakinthos die Treppen stieg, arbeitete er seine Strategie aus. Zuerst musste er die Gelegenheit nutzen, mit einer möglichst großen Gruppe anderer Jungs in die Duschen zu gehen. Das würde das Stinktier hoffentlich von Zudringlichkeiten abhalten. Danach würde er sich von Aeolus und einigen anderen die Notizen und Aufgaben erbitten, die er durch seinen Stunt versäumt hatte. Weil es im Pyjama frisch war, würde er in sein Bett kriechen, dort lernen, sodass ihn niemand über die Schulter anquatschen konnte. Zumindest war das der Plan. Allerdings schien Zephyr so etwas erwartet zu haben. Als Hyakinthos eilig zu den Duschen strebte, in der Hoffnung, Zephyr zuvorzukommen, stand der dort, seifte sich ein, während er so vertraut mit den anderen alberte, als seien sie schon seit Jahren beste Freunde. »Kotz!« Hyakinthos musste an sich halten, um nicht eine Grimasse des Abscheus zu offenbaren. Wieder wunderte er sich über diese Veränderung: früher hatte er sich nie so abschätzig anderen gegenüber verhalten. Allerdings hatte er sich früher auch nicht sonderlich um andere geschert. »Duschen!« Kommandierte er sich, suchte sich die Duscheinheit, die von Zephyr am Weitesten entfernt vorgehalten wurde. Angespannt und nervös, weil er liebend gern Augen im Hinterkopf gehabt hätte, der Ruhe nicht traute, seifte er sich rasch ein, spülte den Schaum ab und wickelte sich schleunigst in zwei Handtücher. Dass der Turban dabei seine Beule wie ein besonders ausgefallenes Schmuckstück in Szene setzte, übersah er geflissentlich. Nicht aber Zephyr, der ein Hochbett nahe der Tür des Schlafsaals zugeteilt bekommen hatte. "Na, gehst du immer mit dem Kopf durch die Wand?" Bemerkte er lässig, zwinkerte Hyakinthos zu. »Aha, ziehen wir eine Show für das Publikum ab?!« Schnaubte der innerlich. »Verlier bloß keine Zeit, dich bei allen einzuschleimen!« "Es war eine TÜR." Beschied er knapp, wischte an Zephyr vorbei. "Und sie war mir im WEG!" "Da ist es wohl empfehlenswert, dich im Auge zu behalten, nicht wahr?" Wie er diese mokante, betont laszive Stimme hasste! Die anderen lachten. Hyakinthos ballte die Fäuste, kletterte eilig über die Leiter in sein Hochbett, drückte sogar einen Buchdeckel mit seinen Fingerkuppen ein, so zornig war er. Wie subtil, ihm hier zu drohen! »Aber noch hast du nicht gewonnen!« Schwor sich Hyakinthos, verteilte Bücher und Hefte grimmig. »Du denkst zwar, dass du alle Trümpfe hast, aber ich gebe mich nicht geschlagen!« #~~~~~> Nach einer erstaunlich erholsamen Nacht gut ausgeschlafen und bereit, dem Schicksal verächtlich ins Gesicht zu spucken, sofern es ihm mal wieder den Schwarzen Peter zuschob, bat Hyakinthos am nächsten Tag um eine Wiederholung seiner ausgefallenen mündlichen Prüfung. Er wollte so viel wie möglich durch Hausarbeiten, mündliche Prüfungen und zusätzliche Tests ausgleichen, um sich einigermaßen gute Noten für das Abschlusszeugnis des vorletzten Jahrgangs zu sichern. Nicht, dass sie so herausragend sein würden, für Bewerbungen ein besonders gutes Licht auf ihn zu werfen, wie sie das bei seinen Klassenkameraden tun würden, aber er verdrängte die Gedanken an ein Leben nach der Schulzeit energisch. Überleben war im Augenblick schwer genug. Am Nachmittag stand gemeinsamer Sport auf dem Tagesplan. Hyakinthos fühlte sich eigentlich gut disponiert, um ebenfalls teilzunehmen, aber Frau Artemis, die ihren Jagdinstinkt beim Fitnesstraining ihrer Schutzbefohlenen auslebte, verwies ihn auf die Ersatzbank. Während Hyakinthos die Gelegenheit nutzte, Verpasstes nachzuholen, bemerkte er verdrossen, wie populär Zephyr war. Bereits am zweiten Schultag kannten ihn alle. Wie sein Name schon sagte: er war ungeheuer schnell und flink. Wie der Westwind wischte er über das Spielfeld, ließ sich nicht haschen oder treffen. Selbst Frau Artemis schien beeindruckt. Dabei lachte er immer freundlich, neckte die anderen, alberte herum, nahm sich selbst nicht so ernst. Hyakinthos gefiel die Situation überhaupt nicht. Warum hatte man ausgerechnet diesem Sittenstrolch einen Namen gegeben, der mythisch bedingt wirklich Anlass zur Sorge geben musste?! Hieß es nicht, dass Zephyr am Liebsten junge Mädchen schwängerte? »Abgesehen davon, dass er dem mythischen Hyakinthos hinterhersteigt und dafür sorgt, dass der von Apolls Diskus tödlich getroffen wird!« Grollte er verstimmt. »Ha!« Schnaubte seine innere Stimme vernichtend. »Bei dir hat er damit ja auch schon beinahe Erfolg gehabt. Statt fliegendem Geschirr tut es auch eine Tür!« Grimmig rieb er sich über die Beule, die langsam das Farbspektrum eines Hämatoms zeigte. »Wenigstens ist er zu beschäftigt damit, sich bei allen einzuschleimen, um mir an die Wäsche zu gehen!« Summierte er den positiven Effekt. Aber das würde sicher nicht lange anhalten. #~~~~~> Hyakinthos stellte Bücher in die Regale in der Bibliothek zurück. Weil das Wetter bereits an den bevorstehenden Hochsommer erinnerte, drängten sich die meisten draußen. So war es im Lesesaal angenehm ruhig und wenig bevölkert. Man konnte sich entspannen. "Ich dachte schon, die lassen mich nie mehr weg." Raunte es in seinem Nacken. Er fuhr erschrocken herum, während Adrenalin durch seinen Kreislauf raste. Zephyr stand vor ihm, gerade mal einen Hauch entfernt, mitten in seiner persönlichen Sphäre, lächelte süffisant über den gelungen Coup. Die Wangen waren leicht gerötet von den sportlichen Aktivitäten. Nichts verriet, wie er es so schnell und lautlos geschafft hatte, sich hier einzuschleichen! Hyakinthos wollte sich an ihm vorbei drängen, doch Zephyr war schneller, wirbelte ihn in einem eleganten Tanzschritt um die eigene Achse, lachte dabei leise. "Hast du es so eilig, Lämmchen? Aber mir geht es nicht anders, immerhin ist es unser Honeymoon." "WAS?!" Zischte Hyakinthos, strengte sich an, der Umarmung zu entschlüpfen. "Tu nicht so, als wären wir Freunde!" Zephyr zog einen Flunsch. "Wir sind doch Freunde!" Er stieß Hyakinthos gegen die Schultern, drängte ihn gegen ein Regal. "Wenn wir keine Freunde wären, hätte ich keinen Grund, dein kleines Geheimnis zu bewahren, oder?" Raunte er leise in Hyakinthos' Ohr, der das Gesicht von ihm drehte, "Mistkerl!" Flüsterte Hyakinthos, presste die Lippen aufeinander. Reichte es nicht, dass er sich vergewaltigen lassen musste?! Konnte dieser arrogante Drecksack sich den Spott nicht einfach verkneifen?! "Keine Angst, mein Lämmchen." Perfid blies Zephyr in Hyakinthos' Ohr, genoss den Schauder, bevor er ihn mit der Zunge vom Hals hoch bis zur Schläfe ableckte. "Ich werde dich gut behandeln." Hyakinthos schloss die Augen, ballte die Fäuste im stummen Protest. Er wollte nicht DAFÜR dankbar sein müssen. #~~~~~> "Hier." Zephyr zog ihn an der Hand hinter sich her, hielt vor einer Tür inne, die zu einem kleinen Lagerraum führte. Hier wurden alte Landkarten, Globen, Atlanten, Ausstellungs- und Lehrstücke aufbewahrt, die nicht mehr den modernen Anforderungen entsprachen. Üblicherweise konnte man das Lager lediglich betreten, wenn man den Zahlencode korrekt in den Block am Schloss eintippte. »Wie MACHT er das?!« Hyakinthos runzelte die Stirn. Wie konnte dieser Kerl so einfach die Tür öffnen?! Dabei noch so prahlerisch herumfuchteln, als führe er einen Zaubertrick vor?! »Wieso kennt er sich besser an der Schule aus als ich?! Obwohl ich schon länger hier bin?!« Hyakinthos löste seine Hand energisch, rieb sich betont die Finger. »Ich kann dich nicht AUSSTEHEN!« Fauchte sein Blick, doch Zephyr überging seine Reaktion einfach gönnerhaft. "Riechst du die Patina der Geschichte?" Verkündete er pathetisch, drehte sich im Kreis. "Staub." Stellte Hyakinthos fest. "Es müffelt." Zephyr beendete seine Drehung in einer eleganten Schrittfolge, absolvierte vor Hyakinthos einen Kratzfuß. "Sehr gut beobachtet, mein Lämmchen." Mit einem Lächeln offerierte er eine Reihe zusammengerollter Karten. "Welchen Kontinent soll ich dir zu Füßen legen? Magst du es lieber von vorn oder von hinten? Am Honeymoon entscheidest du!" "Du bist so...!!" Hyakinthos ballte die Fäuste, knirschte mit den Zähnen, kochte vor Wut. Eine ganz neue Erfahrung für ihn. So hielt er auch trotzig stand, als Zephyr heranrückte, ihm durch die dunkelblonden Locken strich. "Es ist mir ernst." Die dunkelbraunen Augen funkelten. Hyakinthos schluckte, ein Reflex, weil er sich bedroht fühlte, unter Druck gesetzt. Weil Zephyr offensichtlich Gefallen daran fand, in seine Intimsphäre einzudringen, keinerlei Distanz zu wahren. "Sag es mir." Flüsterte Zephyr, jede Silbe ein Hauch auf Hyakinthos' Lippen. "Ich will dich verwöhnen." Hyakinthos lief rot an, wandte hastig den Kopf zur Seite. So sollte das nicht laufen! War das irgend so ein Psycho-Spielchen, das vor der Vergewaltigung stattfand?! Zephyr schlang blitzartig die Arme um seine Hüften, zog ihn an sich, beregnete seine zugewandte Gesichtshälfte mit leichten Küssen. "Wir können es auch mehrmals machen, wenn du dich nicht entscheiden kannst." Lächelte der Mistkerl etwa amüsiert über ihn?! "Mach dich nicht lustig!" Hyakinthos stieß Zephyr mit beiden Händen vor die Brust. "Das ist schäbig! Nur weil ich mich fügen muss, gibt dir das noch lange nicht das Recht, mich zu verspotten!" Es blitzte und gewitterte in die dunkelbraunen Augen, die ihn aufmerksam studierten. »Zumindest das Grinsen hat sich aus den Mundwinkeln verabschiedet!« Triumphierte er aufgebracht. Zephyr seufzte theatralisch, lächelte wieder sonnig. "Dein Mangel an Vertrauen ist wirklich beklagenswert, hat man dir das schon mal gesagt? Nur weil dich ein Typ betrogen hat, darfst du doch nicht alle über einen Kamm scheren." Hyakinthos presste die Lippen aufeinander. »Was weißt du schon? Überhaupt, WOHER weißt du davon?! Oder ist das auch nur wieder ein Schuss ins Blaue?!« "Willst du wirklich nicht entscheiden?" Zepyhr zwinkerte ihm zu. "Möchtest du, dass ich die Wahl treffe?" "Tu, was du willst." Knurrte Hyakinthos übellaunig, verweigerte sich der hastigen Alarmrufe seines gesunden Menschenverstandes, der solche Phrasen als potentiell selbstmörderisch einstufte. "Oh, wie lieb von dir, mein Lämmchen!" Blitzschnell drückte ihm Zephyr einen keuschen Kuss auf die verkniffenen Lippen. "Dann nichts wie los!" Hyakinthos mochte seinen Augen kaum trauen. Zephyr wählte tatsächlich eine verschlissene Sternenkarte aus, rollte sie auf einem zerkratzten, alten Kartentisch aus und winkte ihn heran. "Setz dich bitte." Klopfte er auffordernd mit der Hand auf die Tischplatte. Widerwillig gehorchte Hyakinthos, baumelte bockig mit den Beinen, bis Zephyr so nahe vor ihm stand, dass dessen Beine seine eigenen einklemmten. »Was nun?« Hyakinthos zuckte irritiert zurück, als Zephyr sich vorbeugte. Eigentlich erwartete er, dass der rasch zur Sache kommen würde, ihm die Hosen runterriss oder so etwas. Zephyr tat nichts dergleichen. Er wölbte die Handflächen um Hyakinthos' Kopf, streichelte mit den Daumen über die Wangenknochen, lächelte ihn unverwandt an. Er reduzierte die Distanz, bis ihre Nasenspitzen sich berührten. "Das IST der Anfang einer wundervollen Freundschaft." Raunte er samtig, bevor er begann, Hyakinthos zu küssen. #~~~~~> »Das ist NICHT normal!« Protestierte Hyakinthos innerlich. Warum reagierte sein verwünschter Körper so willig? Wieso konnte er nicht genug bekommen von diesen Küssen? Warum schrie alles in ihm danach, dass Zephyr den nächsten Schritt tat?! »Das ist so erniedrigend!« Jammerte sein Stolz auf verlorenem Posten. Es war sogar noch schlimmer. Weil Zephyr ihn nicht gierig küsste, sondern abwechselnd zärtlich, neckend, sanft und leidenschaftlich. Weil er sich nicht auf seinen Mund beschränkte, sondern seinen gesamten Kopf, den Hals, seinen Torso einbezog. »Weil er sich so verhält, als wollte er wirklich...!« Hyakinthos wagte in den Turbulenzen in seinem Kopf nicht, den Gedanken zu formulieren. Konnte es wirklich sein, dass Zephyr...?! »Warte ab, wenn er tiefer geht. Da hört der Zauber bestimmt auf!« Mischte sich seine innere Stimme grimmig ein. Hyakinthos glaubte nicht mehr daran. Das Fieber, das in seinem Blut kochte, seine Glieder schmolz, ihn zu Wachs zerlaufen ließ, spürte, dass Zephyr bereits gewonnen hatte. #~~~~~> »Das kann nicht sein!« Stöhnte sein Verstand kläglich. Zephyr hatte ihn derartig mit Streicheleinheiten eindeckt, ihn so sanft und zartfühlend entkleidet, dass es ihn gar nicht mehr störte, mit dem Rücken zu ihm zu stehen, sich über die alte Sternenkarte zu beugen. "Was denkst du, wollen wir Sterne abschießen?" Zephyr hielt ihn von hinten umschlungen, ebenfalls vollkommen nackt, flüsterte in sein Ohr. Seine Lippen wärmten Hyakinthos' Ohrläppchen aufreizend. Es dauerte einige Sekunden, bis Hyakinthos die Bedeutung dieses frechen Vorschlags dechiffriert hatte. "Tu es." Er drehte den Kopf, suchte die Lippen. »Durst!« Funkte es in seinem Kopf. Auch wenn es deprimierend war: er gestand sich ein, dass Zephyr so kunstfertig küssen konnte, dass er Sterne sah, es von den Fußsohlen bis in die Haarspitzen spürte. Er wollte nicht, dass es aufhörte, wenn er kurz vor dem Höhepunkt war, in dieser Lust ertrinken konnte. »Außerdem schmeckt er gut.« Wie peinlich, solch ein Urteil! Doch die Hormone rauften sich zusammen, prügelten den Verstand raus. Er wurde nicht gebraucht. #~~~~~> Hyakinthos taumelte, fiebertrunken vor Leidenschaft. Nicht nur, dass er weiter "geschossen" hatte als Zephyr, nein, er WOLLTE nicht mehr warten, sein Körper schrie nach SEX. Nicht mehr bloße Berührungen. Das reichte nicht! »Ich will viel mehr! Gib mir mehr, verdammt! MEHR!« Aber er musste die Worte nicht aussprechen. Zephyr, die Rechte mit Gleitmittel beschmiert, küsste ihn hitzig in den Nacken. "Los geht's." Wisperte er heiser, ging leicht in die Knie, um sich einen Weg in Hyakinthos' Körper zu bahnen. #~~~~~> Es war so einfach. Natürlich. Bedurfte keiner einzigen Überlegung. Sich wie eine verschworene Einheit zu bewegen, die Ellen auf die Sternenkarte zu pressen, die Lippen auf einem Handrücken zu versiegeln. Warm. Nein, heiß. Gut. Geschmeidig. Hyakinthos' Gedanken blieben einsilbig, stellten keine tieferen Überlegungen an. Jetzt schien es gar nicht mehr so furchtbar, wie gut das Vampir-Gift seinen Körper konditioniert hatte. Er konnte sich revanchieren. »Gute Muskelarbeit!« Keuchte er befriedigt, lauschte auf die harschen Atemzüge in seinem Nacken, auf seinem Rücken. Es war zwar höchst unfair, dass Zephyr nicht zu Ur-Lauten und Stöhnen neigte, aber zumindest sein Atem ging hörbar schneller. Hyakinthos saugte sich an seinem Handrücken fest. Das war die einzige Zuflucht, sonst... Zephyrs Hände blieben nie untätig. Wenn sie nicht synchron über seine Oberschenkel, die Hüften oder Taille strichen, seine Erektion umschlossen, massierten, einfingen, neckten, hielten sie ihn, streichelten über seinen Rücken, durch seine Locken, legten sich wie ein Heizkissen in seinen Nacken. Es war wirklich angenehm, dass Zephyr nicht schwitzte. Selbstredend hob das die eigene Disposition hervor, aber Hyakinthos hatte sich von Minderwertigkeitsgefühlen verabschiedet. Dank der Pheromone musste er für alle Männer attraktiv und perfekt aussehen, ganz gleich, wie unbeeinflusstes Publikum das einschätzen würde. »Komm!« Lockten seine Muskeln. »Lassen wir es raus.« Zephyr versuchte nicht einmal, ihm auszuweichen, beugte sich tief über ihn, zog ihn an den Schultern hoch, was Hyakinthos ächzen hieß. Nicht lange, eine Hand legte sich auf seine Wange, drehte seinen Kopf, sodass ein leidenschaftlicher Kuss alle Empörung ersticken konnte. Eine Hand auf Zephyrs Nacken erwog Hyakinthos in diesem endlosen, gierigen Kuss süße Rache, doch sein Körper votierte dagegen. Er riss ruckartig den Kopf in den Nacken und zuckte konvulsivisch, als sich alle Spannung in einer Explosion entlud. #~~~~~> Hyakinthos kehrte Zephyr den Rücken zu, stützte sich mit beiden Armen auf dem alten Kartentisch ab. Er war aus der Puste, fühlte sich aber erstaunlich erfrischt. Zephyr, der ruhig und offenkundig zufrieden mit sich die Kondome in ein Taschentuch wickelte, feuchte Toilettentücher zum Einsatz brachte, um das Gleitgel zu entfernen, schien sich an dieser Pose nicht zu stören. Er schlang schließlich die Arme um Hyakinthos, wisperte in dessen Nacken. "Lämmchen, DAS sollten wir unbedingt wiederholen." Ärgerlich stellte Hyakinthos die Ellenbogen aus, wollte sich aus der Umklammerung befreien. Zephyr war schneller, ließ die Drehbewegung zu, um Hyakinthos vor ein überbordendes Regal zu drängen, direkt neben die traurigen Überreste eines Schau-Skeletts. Der Seitenblick ließ Hyakinthos zusammenzucken; dieser Nachbar war ihm nicht geheuer. Zephyr lächelte keck, nutzte seine Chance, Hyakinthos erneut zu küssen, leidenschaftlich, zärtlicher, mit unzähligen Tupfern auf das Gesicht, den Hals und die Schlüsselbeine. Hyakinthos drückte schließlich in Notwehr die Fingernägel in Zephyrs Ellenbogen. Sie waren beide nackt, aneinander geschmiegt, in einem Kussreigen versunken: da würde das eine wieder zum EINEN führen. "Das reicht jetzt." Bestimmte Hyakinthos streng. Zu seiner Überraschung fügte sich Zephyr mit einer scherzhaften Verbeugung, kaperte blitzschnell Hyakinthos' Rechte, um einen neckenden Kuss auf den Handrücken zu pflanzen. "Stets in Diensten Eurer Libido." Säuselte er frech. "Phh!" Schnaubte Hyakinthos ärgerlich, schob sich vorbei. Während er rasch in seine Kleider stieg, nutzte er die Tatsache, dass sein Kopf einmal nicht von der störenden Mattigkeit blockiert wurde. So, wie es den Anschein hatte, war es nicht damit getan, Zephyr EINMAL die Erfahrung zu verschaffen, mit einem Mann zu schlafen. Außerdem musste man den Eindruck gewinnen, dass Zephyr es genoss, mit ihm zu spielen, ihn nämlich wie einen Liebhaber zu behandeln. »Komische Type!« Resümierte Hyakinthos. "Sag mal, du bist nicht zufällig schwul?!" Erhob er misstrauisch die Stimme. Zephyr neigte den Kopf ein wenig, legte sich den Zeigefinger auf die Wange, als wolle er geziert seinen Schädel stützen, verdrehte die Augen Richtung Decke, gab intensive Grübelei vor. Er schüttelte sich frei, grinste süffisant. "Würde es dafür Bonuspunkte geben?" "Depp!" Schnaubte Hyakinthos hitzig, strebte der Tür zu. »Jetzt eine Dusche, danach Abendessen!« Soufflierte er sich. »Bloß weg von diesem aufgeblasenen Wichtigtuer!« #~~~~~> Hyakinthos lehnte am nächsten Abend gegen eine verwitterte Figur, die im Irrgarten von der Zeit vergessen wurde. Ein sehr ereignisreicher Tag voller Fleißarbeiten lag hinter ihm. Seine Absicht, seinen Notendurchschnitt anzuheben, aus diesem Grund besonders viel zu lernen, um die verlorene Zeit zu ersetzen, forderte ihm großen Einsatz ab. Er schlang die Arme um die angezogenen Knie, beobachtete, wie sich der Himmel mit Abendrot färbte. Der Sommer stand vor der Tür, kein Zweifel. 'Zweifel' erinnerte ihn an Calculus' Reaktion am frühen Morgen. Offenkundig mutierte sein Körper noch immer, was die Auswertung der Testergebnisse zu einer mühseligen Angelegenheit machte, schlimmer noch die Zusammensetzung der Wirkstoffe in den Kapseln. Hyakinthos fragte sich, ob Erebos wirklich noch mithalf oder ob der Streit mit Artaios auch ihre Verbindung zueinander gekappt hatte. Er seufzte leise. Eigentlich hatte er beabsichtigt, den Hünen erneut anzusprechen. Er wollte nicht, dass die beiden seinetwegen in Fehde lagen. Aber für die Abschlussklasse wurde es nun wirklich ernst. Anfang Juni würden die Themen der mündlichen Prüfungen bekanntgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war damit zu rechnen, dass seine fünf 'Beschützer' nur noch wenig freie Zeit hatten. Außerdem musste er sich eingestehen, dass er sich auch vor Artaios schämte. Wie konnte er ihm Vorhaltungen machen, mangelndes Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit vorwerfen, wenn sein Körper so bereitwillig Zephyr akzeptierte?! Wenn er Erebos belügen musste?! »Warum bin ich nur so ein Hasenfuß?!« Hyakinthos rieb sich über die Stirn. Die Beule verabschiedete sich ungewöhnlich schnell. Er weinte ihr keine Träne nach. »War ich früher auch so? Bin ich wirklich jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen?!« Er fragte sich, ob es etwas damit zu tun hatte, allein mit zwei Frauen aufzuwachsen, die ihm einfach keine Gelegenheit zu Reibereien gegeben hatten. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals über etwas heftig gestritten hatten. »Wahrscheinlich bin ich wirklich ein Hasenfuß.« Hyakinthos seufzte erneut, lächelte über sich selbst. Streit wirkte manchmal so absurd, so lächerlich, dass man nur den Kopf schütteln konnte. Wie zum Beispiel das Zerwürfnis zwischen Artaios und Erebos. »Sie kämen bestimmt gut miteinander aus, wenn sie nur versuchen würden, einander zu vertrauen.« Dazu würde er einen Beitrag leisten müssen, wenn er nicht gänzlich der eigenen Selbstachtung verlustig gehen wollte. Hyakinthos hörte das Signal zum Abendessen, erhob sich, klopfte sich den Hosenboden ab. Jetzt wollte er sich auf seine Prüfungen konzentrieren und diesen Wichtigtuer an der langen Leine halten. #~~~~~> Weil er sich erstaunlich gut fühlte, zögerte Hyakinthos nicht, sich seinen Tagesablauf mit Aktivitäten vollzupacken. Er wusste, dass er nicht ungebührlich anziehend auf seine Mitschüler wirkte, sodass er sich Nachhilfe geben lassen konnte. Außerdem musste er auch Prüfungen nachholen, sich grundsätzlich beschäftigen, um nicht in Gefahr zu geraten. Ihm war durchaus bewusst, dass Zephyr ihn immer im Auge behielt. Er hatte ja genug Erklärungen, warum er nie alleine blieb, sich von früh bis spät in Trab hielt: seine kostbare Zeit, nicht matt oder Pheromone schleudernd, musste genutzt werden. Niemand wusste schließlich zu sagen, wie lange dieser Zustand anhalten mochte. Von seinen fünf Beschützern sah er nur wenig. Caratacus hielt sich zur Entspannung nun am Liebsten draußen auf, arbeitete in den Grünanlagen, ohne große Worte zu machen, stetig, selbstzufrieden. Artaios kam seinen Pflichten nach. Als Stufenvertretung oblag es ihm auch, zu diesem Zeitpunkt bereits Planungen für die Abschlussfeier anzustellen, Arbeitsgruppen vorzustehen und Freiwillige zusammenzuführen, damit auch dieser Jahrgang sich würdig verabschieden konnte. Alocer und Erebos hielten sich im Hintergrund, sodass Hyakinthos sie gar nicht zu Gesicht bekam. Bei Alocer stellte das keine besonders betrübliche Erkenntnis dar, da man vermutete, er bereite sich auf die Prüfungen vor, indem er in der kleinen Sternwarte des Internats in den Himmel starrte. Mit Erebos hätte sich Hyakinthos gern noch einmal unterhalten. Wenn er bei Artaios auf Granit gebissen hatte, so bestand die Möglichkeit, dass sich der junge Mann mit den Igelstacheln vernünftiger zeigte. Taliesin konnte er zwar nicht sehen, aber sehr oft hören, wenn der sich den Druck von der Seele sang. Es schien beinahe, als infizierten die heiteren Melodien, die sich der Barde aussuchte, alle, ließen sie ruhiger und freundlicher miteinander umgehen. »Das ist mal ein guter Zauber, eine segensreiche Magie.« Seufzte Hyakinthos still. »Keine lästigen, manipulierenden Pheromone, die den Verstand außer Gefecht setzten und den Körper besoffen vor Verlangen machten.« Er warf von der Bibliothek, ein Regal im Rücken zur Sicherheit gegen Jäger auf der Pirsch, einen Blick auf die Grünanlagen. »Ha!« Triumphierte er beruhigt, als er Zephyr entdeckte. Diametral zu seinem offenkundig obsessiv-perversen Charakter lockte sein Charme viele Neugierige an. Gerade spielte er eine Art Rasentennis, wobei ein Softball und viel Gelächter zum Einsatz kamen. Ein Dutzend Eifrige tummelten sich, trugen alle einen Zögling aus den ersten beiden Jahrgangsstufen auf den Schultern oder dem Rücken. Wie die Kleinen effektiv den Schläger schwingen sollten, konnte Hyakinthos nicht erkennen, aber allein das Unterfangen löste große Heiterkeit aus. »Die haben ihn ja alle gleich adoptiert!« Er wandte sich ab, um anhand einer Liste nach Lehrstoff zwischen Buchdeckeln zu suchen. »Warum hängt er sich ausgerechnet an mich?« Die Frage plagte ihn seit ihrer ersten Begegnung. Zephyr wusste, WAS er war. Er kannte deshalb auch die Wirkung des Lockstoffs. Warum aber wollte er ausgerechnet mit ihm schlafen? Ihm musste doch klar sein, dass es keine realen Gefühle gab, alles nur eine Illusion war, die elektro-chemische Reize in seinem Nervensystem ansprach. »Ob er vielleicht wirklich schwul ist?« Kontemplierte Hyakinthos nachdenklich. »Was tatsächlich keine Rolle spielt.« »Einerlei!« Wischte er diese Frage weg. »Wenn ich einigermaßen stabil bin, wieso reagiert er auf mich? Warum will er Sex, wenn meine Pheromone unter Kontrolle sind?« Das war beunruhigend. Nicht, dass es besonders erfreulich war, aufgrund von manipulierten Lockstoffen Sex haben zu müssen, aber das jemand es auch ohne diesen Zwang tun wollte: DAS irritierte Hyakinthos. War es ein Machtspiel? Oder wollte Zephyr ihn demütigen? War er möglicherweise sexsüchtig? Selbst wenn er über seinen Schatten sprang und ihn fragte: konnte er sicher sein, dass Zephyr seine eigenen Motive kannte? »Vielleicht ist es ja nur eine Laune gewesen.« Hoffte Hyakinthos. »Er hat möglicherweise gar nicht stillgehalten, sondern schon die Nase voll.« Hyakinthos lächelte spitzbübisch vor sich hin, als er seine Lektüre an die Brust presste, sich davonstahl. Er würde sich den lästigen 'Westwind' schon vom Hals zu halten wissen! #~~~~~> Kapitel 11 - Umworben "Möchtest du nicht mitkommen?" Aeolus hängte sich bei Hyakinthos ein, strahlte unternehmungslustig. Weil eine Vorprüfung stattfand, wurden Unterrichtsaktivitäten nach draußen oder in Räume verlagert, die sich in schallgedämpfter Entfernung befanden. Hyakinthos sah sich um. »Ha!« Zephyr war dem Zugriff von Calculus nicht entschlüpft, der die unerwartete Detonation eines Hefegebäcks nicht beseitigen wollte. Nach dem Vergnügen kam bekanntlich die Pflicht, zumindest, wenn man im Chemielabor experimentierte. "Gern!" Hyakinthos lächelte Aeolus breit an, zwinkerte auch Nereus zu, der zwischen feucht angeklatschten, schwarzen Ponysträhnen blinzelte. Sie eilten rasch in den Schlafsaal, lasen ihre Badesachen zusammen, um sich an der Pforte wieder zu sammeln. Frau Artemis würde die Aufsicht führen. Außerdem wurden alle als Pärchen eingeteilt, damit man sich gegenseitig im Auge behielt. Hyakinthos zögerte, als seine Partnerin, ein Mädchen mit steinern wirkender Haut, seine Hand ergriff. Er kannte mittlerweile alle vom Sehen, aber er hatte keine Ahnung, wie er mit der Drittklässlerin umgehen sollte, welches Sujet für Smalltalk angemessen war. Seine kleine Begleiterin schien an Konversation nicht interessiert zu sein. Viel wichtiger war seine Seite, hinter die sie sich schieben konnte, wenn sie auf zu Fuß Gehende trafen bei ihrer Wanderung zum nahegelegenen Walderholungsbad. Es würde ohne Zweifel aufgrund der sonnigen Witterung gut besucht sein. »Wahrscheinlich sorgt sie sich.« Dachte er mitleidig. »Sie kann sich nicht verstecken, ihre Haut ist schließlich überall« Grau, schuppig, als handle es sich um tektonisch wandernde Platten, zauselig-dünne Zöpfchen, die an zerrupfte Wollfäden erinnerten. "Sag mal, kannst du schwimmen?" Setzte er tollkühn zu einer Frage an. Staubgraue Augen blickten zu ihm hoch. Die Miene blieb unbewegt, aber auch als sie antwortete, wirkte ihr Gesicht steinern. Sie konnte nicht schwimmen, zumindest nicht an der Oberfläche. Steine gingen meist unter, so wie sie. "Oh." Hyakinthos seufzte. »Prima, genau das Fettnäpfchen getroffen!« Etwas kollerte in Höhe seiner Hüften. Erstaunt blickte er hinunter. Sie lachte? Tatsächlich wirkte das kleine Steingesicht immer noch unverändert, doch die Augen blitzten amüsiert. "Na gut!" Hyakinthos beschloss, das Spiel verloren zu geben. Einem Pokergesicht wie ihrem war er nicht gewachsen. "Wir treffen uns einfach bei dem Kinderbecken, ja?" Sie nickte minimal. »Ich MUSS ja auch nicht schwimmen. Herumplantschen ist doch auch ganz nett.« Beschloss Hyakinthos. »Vor allem, wenn niemand glotzt oder grapscht!« #~~~~~> In dem kleinen Becken, das für die Kleinsten und Fußbäder angelegt worden war, blieb Hyakinthos nicht allein. Als er seine Partnerin von den bescheidenen Umkleiden für Frauen abholte, liefen Nereus und Aeolus vor ihm, steuerten dasselbe Ziel an. Nereus ließ sich im Becken nieder, Aeolus hinter ihm, die Arme um den Freund geschlungen. Der Seifenblasenzauber begann. Die beiden waren wirklich ein perfektes Team, konnten zusammen wunderliche Figuren formen, kleine Geschichten darstellen, sich gegenseitig mit Blasenperücken und Schaumbärten schmücken und ungeniert flirten. Wenig verwunderlich, dass sich nicht nur die kleinen Internatszöglinge um die beiden scharten, sondern auch andere kleine Gäste. Staunend, lachend, fasziniert verfolgten sie die Darbietung. Niemand nahm Anlass, die zum Teil exotisch wirkenden Internatszöglinge anzustarren, sie auszugrenzen. »Ich wünschte, Taliesin wäre hier!« Hyakinthos grinste, als er eine Schaumkrone erhielt. »Musikalische Begleitung wäre wirklich der letzte Punkt zur Perfektion.« So blieb es ein schöner Nachmittag im Walderholungsbad ohne unerfreuliche Ereignisse. #~~~~~> "Ich habe gehört, du betrügst mich." Zephyr materialisierte sich ungeladen neben Hyakinthos' Sessel im Lesesaal. Hyakinthos lupfte irritiert eine Augenbraue. Worauf wollte Zephyr hinaus? Warum spielte er nicht bei seinem Minigolf-Team mit? Stand heute nicht die Generalprobe des selbst gebauten Parcours an? "Kaum lasse ich dir ein bisschen Leine, da lachst du dir schon fremde Frauen an!" Beschuldigte ihn der Dunkelhaarige, ging vor Hyakinthos in die Hocke. "Frauen? Leine?" Schnaubte der reserviert. Er begriff nicht, in welche Richtung diese Unterhaltung gehen sollte. Gerade hatte er sich in stochastische Untiefen versenkt, von denen er glaubte, sie beinahe verstanden zu haben. Leider verflüchtigte sich die Erkenntnis mit Zephyrs penetranter Aufmerksamkeit. "So kurz." Zephyr streckte die Hand hoch. "Pokerface, trägt einen rosa Badeanzug mit einem Pudel drauf. Habe ich mir zumindest sagen lassen." Hyakinthos verdrehte die Augen demonstrativ. "Wolltest du etwas Bestimmtes, oder kann ich jetzt wieder lernen? Ich habe einen Test morgen." Die letzten Worte waren giftig. »Eigentlich gar nicht meine Art.« Resignierte Hyakinthos über sich selbst. In der letzten Zeit hatte er akzeptieren müssen, dass nicht nur sein Körper durch die Mutation Schaden erlitten hatte. Auch seine Seele und sein Charakter trugen dunkle Prägungen. "Oh!" Zephyr strahlte euphorisch. "Das MUSS Telepathie sein! Ich möchte tatsächlich etwas Bestimmtes: dir etwas zeigen." Mit einem Seufzen klappte Hyakinthos sein Buch zu. "Es ist nicht zufällig eine Briefmarkensammlung? Oder etwas Ähnliches?" Zephyr grinste nun anerkennend. "Nicht ganz. Aber es wird dir gefallen, das kann ich dir versprechen." Hyakinthos starrte in die braunen Augen. Sollte er es wagen? Wäre es etwas Sexuelles, Anzügliches? "Habe ich es schon mal gesehen?" Hakte er argwöhnisch nach. Zephyrs Hände lagen nun auf Hyakinthos' Knien. "Nein, ich bin recht sicher, dass du es noch nicht gesehen hast." "Dir ist aufgefallen, dass ich hier eigentlich in meine Studien vertieft bin?" Hyakinthos gab sich nicht leicht geschlagen. "Durchaus." Nickte Zephyr unbeeindruckt, hob eine Hand, um über Hyakinthos' einfaches T-Shirt zu streichen, wobei er perfid Kreise um die Brustwarzen vorsah. "Allerdings bin ich überzeugt, dass ich dich mit einem intensiven Kuss umstimmen kann." Hyakinthos zuckte automatisch zurück. Sein Gesicht verdüsterte sich. "Bist du übergeschnappt?! Wir sind hier nicht allein! Nimm die Hände da weg!" Zephyr präsentierte strahlend weiße Zähne, neigte sich näher heran, raunte. "Weißt du, Lämmchen, MICH stört Publikum überhaupt nicht." "Blöder Kerl!" Fauchte Hyakinthos erbost, erhob sich rasch, um Zephyr wie eine lästige Zecke abzustreifen. "Wag es nicht, mich hier zu befummeln, verstanden? Na los, zeig mir, was auch immer es ist, damit ich es hinter mir habe. Ich muss noch eine Menge nachholen, klar?!" Federnd schnellte Zephyr aus der Hocke in die Höhe, strahlte ungetrübt. "Du bekommst bei mir garantiert Bestnoten!" »Idiot!« Zerquetschte Hyakinthos zwischen zusammengepressten Lippen, sammelte seine Unterlagen ein, marschierte forsch voran zu den Schließfächern am Eingang des Lesesaals. Er konnte nur hoffen, dass dieser eitle, verwöhnte, arrogante, unerträgliche Geck schnell machte! #~~~~~> Obwohl Hyakinthos ihn mehr als einmal schmerzhaft in den Handrücken kniff, ließ es sich Zephyr nicht nehmen, ihn an der Hand nach draußen zu führen. Als Hyakinthos das Ziel ihrer Wanderung erkannte, stemmte er energisch die Fersen in den Boden. "Bist du verrückt?! Das ist der Mädchen-Flügel! Da können wir nicht einfach rein!" Zumindest nicht, ohne an einer Aufsicht vorbeizukommen, die Grund und Anlass erfahren würden wollte. Zephyr warf den Kopf in den Nacken, lachte lauthals. "Das ist nicht witzig!" Hyakinthos zerrte an seiner Hand, wollte sich losmachen. Bei Zephyr musste mindestens eine Schraube locker sitzen! "Du bist so niedlich, wenn du bockig sein willst, Lämmchen!" Adressierte Zepyhr ihn mit einem zweifelhaften Kompliment, wischte ihm unaufgefordert mit der freien Hand durch die dunkelblonden Locken. "Keine Sorge, niemand wird uns bemerken." Er zwinkerte keck. Ohne weitere Erklärungen führte er Hyakinthos am Gebäudeflügel entlang, vorbei am Eingang, wo ein weiblicher Zerberus über die Moral der anvertrauten Schützlinge wachte. Einige Gebäudemeter weiter fand sich ein gedrehter Turm. Einen Eingang konnte man vermuten, jedoch vergeblich suchen. Zephyr hielt bei einem dornigen Gebüsch inne, das zwei Meter vom Turm entfernt vor sich hin wucherte. "Komm." Raunte er Hyakinthos vertraulich zu, gestikulierte mit dem Kopf, es ihm nachzutun, sich nämlich flach mit dem Gesicht auf die Wand zu pressen, in kleinen Schritten in das Gebüsch zu rücken. Äste und Blätter streiften ihnen über den Hinterkopf, den Rücken, den Hintern, die Waden, ohne jedoch einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Im tiefen Schatten des Gebüschs fand sich ein Eingang. Die Schwelle lag etwas oberhalb der Erde, um Wasser ablaufen zu lassen. Die Tür, von ihren Jahren gezeichnet, war so dunkel, dass sie fast versteinert wirkte. Zephyr legte eine Hand um einen senkrecht montierten Griff, presste die andere auf die Tür, wo er ein Schloss vermutete. »Druck und Gegendruck?!« Hyakinthos, mit zugewandtem Kopf, staunte. Die Tür war wohl nicht verschlossen, ließ sich mit Geschick nach innen öffnen. Zögerlich folgte er der Hand, die seine wieder hielt, tappte in die Dunkelheit. Das Gebüsch filterte das Sonnenlicht so gut, dass kaum ein Strahl sich in diese vergessene Ödnis verirrte. "Keine Angst, ich finde den Weg. Ist nicht mehr weit." Beruhigte ihn Zephyr gelassen. Den Geräuschen nach zu urteilen, trafen sie nach einigen Schritten auf eine weitere Tür. Sie führte, wie Hyakinthos sogleich feststellen konnte, in das gewundene Innere des gedrehten Turms. Nun hörte er auch Stimmen. Weibliche Stimmen, die munter plauderten, deren Schall von den Wänden zurückgeworfen wurde. Ein giftig-vorwurfsvoller Blick traf Zephyr, der die Tür schloss, um ihren Rückweg zu blockieren. "Du brauchst keine Angst zu haben." Wisperte er Hyakinthos zu, der die Arme vor der Brust verschränkte. "Sie benutzen den Turm nur als Abkürzung zwischen den Stockwerken, wenn sie müssen." "Wie kommt's, dass du dich hier so gut auskennst?" Hakte Hyakinthos misstrauisch nach. Immerhin befanden sie sich hier in einem 'Sperrgebiet' für die männliche Population. Zephyr grinste herausfordernd, legte einen Zeigefinger auf seine Lippen, zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Ärgerlich drehte Hyakinthos den Kopf zur Seite. Natürlich, der Charmebolzen Zephyr hatte überall Zugang! Kein Schloss, das ihn aufhalten konnte! »Wahrscheinlich haben sie ihn sogar absichtlich eingeschmuggelt.« Das erinnerte ihn an etwas. Sagte man nicht, dass Vampire nur Zutritt bekamen, wenn man sie einlud? »Haben wir Desmond eingeladen?« Er starrte gedankenverloren auf seine Füße. »Ist er deshalb nie mit zu uns nach Hause gekommen? Oder ist das bloß eine Erfindung?« "He!" Zephyr beugte sich, wieder viel zu nah!, zu ihm, studierte seine Augen, während seine Rechte durch Hyakinthos' Locken strich. Ertappt, darüber beschämt wischte Hyakinthos eilig die liebkosende Hand weg, drehte den Körper zur Seite. "Was ist jetzt?!" Es klang aggressiv-quengelig. Genau die Reaktion, für die man sich verwünschte! Unter anderem auch deshalb, weil Zepyhr so frech war, leise zu lachen. Er übernahm die Führung die gewundene Treppe hinauf. Als sie im zweiten Stock über sich laute Stimmen und eilige Schritte hörten, erstarrte Hyakinthos. Was nun?! Zephyr verlor keine Zeit, fasste ihn bei der Hand, zog ihn mit lautlosen Sprüngen, die Hyakinthos' Herzschlag vor Entsetzen aussetzen ließen, eine halbe Etage tiefer, presste ihn an die Wand, sich selbst davor wie einen Sichtschutz. »Das reicht doch nicht, du Depp!« Wütete es in Hyakinthos. »Wenn die nun in den ersten Stock wollen...!!« Zephyr hatte sich nicht verschätzt. Dafür nutzte er schamlos die Situation aus. Hyakinthos, die Lippen geteilt, weil er vor Aufregung heftig um Luft rang, das Herz raste, der Pulsschlag in seinen Ohren trommelte, die Augen aufgerissen den gerade noch einsehbaren oberen Treppenabsatz fokussierten, war eine wehrlose Beute. Zu verlockend mit den leicht geröteten Wangen, den zerstrubbelten Locken, die schon lange jede Fasson verloren hatten, dem offenen Hemdkragen, der den Blick auf das delikate Schlüsselbein bot! Viel zu verführerisch, um nicht dem Verlangen nachzugeben, ihn zu küssen, mit der Zunge die elegante Linie der Knochen nachzufahren. Hyakinthos grub die Fingernägel in den halben Ärmel von Zephyrs Poloshirt, aber er wagte nicht zu protestieren. Innerlich tobte er allerdings, wütend auf sich selbst. Damit hätte er rechnen müssen, dass dieser blöde Kerl ihn wieder betatschen würde! So ein durchsichtiges Manöver! Eine andere Stimme in seinem Inneren, ruhiger und auch resignierender, argumentierte, dass es keinen Zweck hatte, sich zu echauffieren. Sein Geschick lag in Zephyrs Hand oder vielmehr dessen Verschwiegenheit. Was hatte er schon entgegenzusetzen? »Ich würde zu viel verlieren.« Nämlich Freundschaften, eine Gemeinschaft, eine Heimat. Eine Zuflucht, das Vertrauen der anderen. Lieber mit einer kleinen Notlüge leben, als wieder so isoliert und unsichtbar in der Wohnung eingesperrt zu bleiben. Nachdem die Schritte und aufgeregten Mädchenstimmen verklungen waren, zwinkerte Zephyr wieder, fasste Hyakinthos' Rechte, führte ihn erneut Richtung Turmspitze. Von seinen letzten Gedanken mattgesetzt schwieg Hyakinthos nun. Es dauerte eine Weile, bis sie das obere Ende der sich schraubenden Treppe erreicht hatten. Auch hier wartete eine Tür, allerdings mit einem Vorhängeschloss gesichert. Hyakinthos, der Atem zu schöpfen hatte, beobachtete, wie Zephyr beide Hände um das Schloss legte, scheinbar ohne Methodik drückte und rüttelte. Danach hielt er es offen in der Hand. »Einfach unglaublich!« Hyakinthos staunte, vergaß seinen Stolz sogar so weit, dass er die Hand ausstreckte, mit den Fingerspitzen über das Schloss strich. »Ein gewöhnliches Vorhängeschloss.« Stellte er ratlos fest. »Ich habe nicht gesehen, wie er es ohne den Schlüssel geöffnet hat! Das muss ein Trick sein!« "Gehen wir." Zephyr lächelte ihn unverwandt an, drückte die Klinke, zog die Tür ins Treppenhaus. Damit unterschied sie sich von allen anderen Zugängen bisher, die in das Gebäude schwangen. Ein kleiner, nur von einem winzigen Fensterchen erhellter, schmuckloser Raum bot sich. An seinem Ende führte eine kleine, freitragende Metallleiter zu einer weiteren Tür. Hyakinthos wartete, dass Zephyr die Tür zum Treppenhaus schloss, die vier Stufen erstieg, die mit einem altmodischen Riegel versehene Tür öffnete. Sofort blies ihm warme Sommerluft direkt ins Gesicht, strich durch seine Locken. Zephyr streckte ihm einladend die Hand entgegen, zog Hyakinthos die wenigen Stufen hinaus. Mit seinem Körper als Stütze blockierte er die Tür, sodass sie nicht ausgesperrt werden konnten, während Hyakinthos staunend unter einem kleinen Wettervordach hervortrat. Ein winziger Balkon, so schien es, schwebte über den Dächern, mit einem schmiedeeisernen Gitter gesichert. "Für die Wartungsarbeiten." Erklärte Zephyr, wies auf die eisernen Haken hin, die eine sichere Passage über das Dach bis zu den Schornsteinen bot. Hyakinthos war abgelenkt, stand mit fliegenden Locken und flatterndem T-Shirt an der Brüstung, genoss mit geöffnetem Mund die herrliche Sommerbrise, die Aussicht, das Gefühl, über allem zu schweben. Er löste die Arme, breitete sie aus, klemmte die Füße in die Zwischenräume der Streben, beugte sich vor, lachte übermütig. Von oben sah die Welt doch gleich anders aus! Die roten Schindeln, das kräftige Grün, darüber der sommerlich blaue Himmel, die Sonne auf seinen Armen, diese wohlig-energische Brise, die ihn wie aus unzähligen Düsen umwehte: einfach herrlich! Um nicht zu sagen himmlisch! "Schön?" Zephyr grinste. "Ich wusste, dass es dir gefällt!" Hyakinthos vergaß für einen Augenblick, dass er Zephyr ja eigentlich nicht ausstehen können wollte, wandte den Kopf zu ihm, nickte begeistert. Hier war es viel zu phantastisch, um die Zeit mit sinnlosem Ärger zu vergeuden. #~~~~~> Hyakinthos hatte die Arme auf die Brüstung gefaltet, studierte die Aussicht schweigend. Obwohl er selbst bei den Wanderungen und dem Spaziergang mit Artaios oft genug Gelegenheit gehabt hatte, von einem erhöhten Punkt aus einen Blick auf seine temporäre Heimat zu werfen, so war sie ihm noch nie so zauberhaft erschienen, so idyllisch. Als könne hier das Leben geregelt, freundlich und ruhig verlaufen, man mit der Nachbarschaft in Frieden leben, dem Tagewerk geruhsam ohne Hektik nachgehen, sich mit simplen Dingen beschäftigen und amüsieren. »Ein Frieden, der nur im Herzen wohnen kann.« Seufzte seine innere Stimme bedauernd. Nicht für die Realität geschaffen. Melancholisch zog er die Schultern hoch, als Zephyr die Arme um ihn schlang, sich an seinen Rücken schmiegte. "Wir können so oft hierher kommen, wie du möchtest." Wisperte er in Hyakinthos' Ohr. Hyakinthos senkte die Lider, konzentrierte sich auf seine anderen Sinne. »Bedränge mich nicht, bitte. Nur einen Augenblick noch möchte ich hier verweilen. Ein wenig von dieser Heiterkeit in meinem Herzen einschließen.« Er musste nicht sprechen. Zephyr hielt ihn bloß warm an sich gezogen in seinen Armen, legte seine Wange an Hyakinthos', schwieg mit ihm gemeinsam. #~~~~~> Als Zephyr die Tür zum Dach wieder schloss, fiel der Riegel automatisch in seine Ruheposition zurück. Hyakinthos reckte sich auf die Zehenspitzen, um durch das winzige Fensterchen einen Blick auf die Umgebung zu erhaschen. Alles, was er erblicken konnte, war der sommerblaue Himmel. Zephyrs Hand, die langsam über sein Rückgrat strich, erinnerte ihn daran, dass er Konventionen zu folgen hatte. "Ich nehme an, dass ich nicht sofort wieder zum Lernen kommen werde." Versetzte er leise. An seinen Nacken zwirbelte sich ein aufgerautes Lachen hoch, bevor Zephyr ihn umschlang. "Hängt davon ab, WIE du Lernen definierst." Neckte der ihn. Hyakinthos starrte auf die kahle, unverputzte Wand. "Hast du kein schlechtes Gewissen dabei, mich davon abzuhalten?" Er klang nicht einmal giftig, das wusste er selbst. Oder aggressiv-bissig. Nein, noch immer wirkte die seltsame Ruhe in ihm, der Frieden in seinem Herzen. Er wollte nicht streiten, nur begreifen, verstehen, warum Zephyr nicht von ihm abließ, ihn erpresste, aber nicht misshandelte. Zephyr küsste ihn zärtlich entlang der Ohrmuschel, zupfte mit den Lippen am Ohrläppchen, pustete sich widerspenstige Locken aus dem Weg. "Nein." Erwiderte er schließlich amüsiert. "Ich fürchte, auf mein Gewissen ist kein Verlass. Ich habe mich einige Tage zurückgehalten, weil du so eifrig und emsig gelernt hast, aber ich bin jung, stehe in vollem Saft!" Er beugte einen Arm prahlerisch. Hyakinthos grummelte stumm. »Macho.« Trotzdem ließ er sich widerstandslos um die eigene Achse drehen, erneut in eine enge Umarmung ziehen, bevor Zephyr ihn allein an den Hüften hielt. "Ich WILL nicht mehr warten." Wisperte Zephyr heiser, wechselte von Hyakinthos' Augen zu dessen Lippen, hin und her. "Was sind schon diese leeren Daten gegen wahre Gefühle? Wer kann sich schon wirklich lebendig fühlen, wenn er nur zwischen Buchseiten klebt?!" Man konnte durchaus dagegen halten, dass Buchseiten sich lediglich mit kleinen Ritzern in die Haut wehrten, das Leben jenseits jedoch sehr viel drastischere Methoden kannte. Hyakinthos schwieg, vielleicht, weil Zephyr so ehrlich, so überzeugt von seiner eigenen Wahrheit wirkte. »Weil er MICH ansieht.« Zuckte es erschreckend heftig in seinem Kopf. »Weil ich so gern glauben möchte, dass jemand mich liebt.« Nicht nur benutzte, sich Erleichterung verschaffte, weil der eigene Körper von fremdem Pheromonen vergiftet sich gegen seine Gewohnheiten verhielt, seinen Besitzer verriet. Hyakinthos wehrte sich nicht gegen die sanften Küsse. Wie ein warmer Regen begleiteten sie seine Melancholie, wärmten, bildeten einen Kontrast zu der kalten, unverputzten Mauer in seinem Rücken. Spürte Zephyr sein Unbehagen oder gefiel ihm die kleine Treppe einfach nur besser? Er wusste es nicht zu sagen, ließ sich aber artig dirigieren, auf der obersten Stufe Platz zu nehmen, während Zephyr vor ihm zwei Stufen tiefer kniete, ihn mit wachsender Leidenschaft küsste, zielstrebiger, fiebriger in seinen Aktionen wurde, Hyakinthos das T-Shirt über den Kopf und die Arme strich. "Ist~das~nicht~unbequem?" Die Stufen waren wohl kaum komfortabel zu nennen. Das hinderte Zephyr nicht, der sich selbst das Polo-Shirt abstreifte, beide Kleidungsstücke Hyakinthos zum Sitzpolster anbot. »Er will wirklich hier...!« Protestierte sein Verstand, bemerkte die erregte Ausbeulung in Zephyrs Hose. Hyakinthos presste hastig die Lippen zusammen. Durch die Tür zog eine stetige Brise, die seinen Rücken hinunter strich. Er reagierte darauf. Zephyr kam die unwillkürliche Reaktion nur zupass. Er liebte es offenkundig, Hyakinthos' Brustwarzen zu necken, mit ihnen zu spielen, sie zu liebkosen und mit der Zungenspitze eng zu umkreisen. Seine Hände strichen gleichzeitig unentwegt über Hyakinthos' Beine, seine Hüften, unter seinen Hintern. "Ist dir kalt?" Erkundigte er sich gedämpft bei Hyakinthos, der mit einer Hand eine Stufe, mit der anderen den Treppenlauf über sich umklammerte. "Bisschen." Gestand Hyakinthos heiser ein, drehte hastig den Kopf, weil er wusste, dass seine Wangen erhitzt glühten. "Ich wärme dich." Versprach Zephyr rau an seinem Ohr, wanderte dann tiefer, um Hyakinthos' Hose zu öffnen. Der musste sich zurücklehnen, damit Zephyr die Finger in den Bund schieben konnte, Millimeter um Millimeter den Stoff nach unten streichen. Es wäre natürlich sehr viel weniger umständlich gewesen, wenn Hyakinthos sich hätte von seiner Sitzfläche erheben können. Offenkundig gehörte das nicht zu Zephyrs Plan. Hyakinthos ließ es sich noch mit zusammengepressten Lippen gefallen, dass Zephyr über die minimalen Druckstellen des Gummibundes der Unterhose in seiner Haut leckte, über seine Schenkel mit der Zunge glitt. Aber die Zähne durch die Unterhose um seine Erektion zu schließen!! Er stieß ein heiseres Stöhnen aus, schlug vor Scham beide Hände über den Mund, verspannte sich augenblicklich. Zephyr löste sich, kniete sich aufrecht, eine Hand ausgestreckt, streichelte über Hyakinthos' Wange, blickte ihn beruhigend an, bis der zögernd die Hände vom Mund nahm, sich küssen ließ. Versöhnlich. Zärtlich. Leidenschaftlich. Mit glühenden Wangen, die Lippen feucht von Zephyrs Speichel, blinzelte er unter halb gesenkten Lidern hervor, lehnte sich zurück, ließ sich die Hose von den Beinen ziehen, bevor Zephyr sich von den Knöcheln nach oben arbeitete, ihm über die Schienbeine leckte, obwohl sie durchaus behaart waren, seine Kniekehlen küsste, während Hyakinthos ob der gymnastischen Anstrengung keuchte. Die Innenseiten der Oberschenkel wurden beknabbert, mit feuchten Mustern geschmückt, ihre Außenseiten zärtlich bestrichen. Zephyr erhob sich, um die eigene Hose abzustreifen, auf die Stufe zu legen, wo er kniete. Langsam, sehr vorsichtig, strich er Hyakinthos die Unterhose vom Leib. Eine heikle Situation, zweifellos, denn es war taghell. Zephyr ließ sich Zeit, konnte jedes Detail ausgiebig studieren. Hyakinthos glaubte, dass ihm vor Scham und Verlangen der Kopf zerspringen wollte. Gänzlich unvorbereitet traf ihn, dass Zephyr den Kopf zwischen seine Beine senkte, die unverhüllte Haut dort zu ergründen suchte. Erschrocken löste er eine Hand von der Stufe, fasste nach Zephyrs wüstem Schopf. "Nicht!" Bettelte er ängstlich. Hände waren akzeptabel, mussten sich ja irgendwie den Weg bahnen, aber... Zephyr richtete sich auf, neigte sich ihm zu, liebkoste mit dem Handrücken seine Wange, sah ihm unbeirrt in die Augen. "Hab keine Angst." Flüsterte er kaum hörbar, hypnotisierend zärtlich. Hyakinthos presste die Finger der anderen Hand so hart in den Treppenlauf, dass sie alle Farbe verloren. Er hatte keine Angst! Es war nur furchtbar peinlich! Und unangenehm, weil es sich schließlich um eine Tabu-Zone handelte! Zephyr öffnete Hyakinthos' Hand, die nach seinem Schopf gelangt hatte, küsste den Handteller, ohne die braunen Augen von Hyakinthos zu wenden, verschränkte seine Finger mit Hyakinthos'. Er tauchte wieder zwischen dessen Schenkeln ab. Hyakinthos schloss die Augen, drückte Zephyrs Hand. Nein, es war nicht unangenehm. Vielmehr trieb es Explosionen in seinem Körper voran, so, als fänden sich ausgerechnet an diesem verbotenen Ort besonders viele, sehr sensible Nerven. Er bemerkte, dass seine Beine unkontrolliert zuckten, seine Hüfte sich kaum auf der Stufe halten ließ. Es gab nichts, das er tun konnte. Sein Körper übernahm die Regie, überstimmte den Verstand. Vage, unter halb gesenkten Lidern, um Atem ringend, registrierte er, wie sich Zephyr mit einiger Mühe die eigene Unterhose vom Leib schälte, eine bemerkenswert stramme Erektion zeigte, bevor er sich wieder auf die unterste Stufe kniete. »Beneidenswert.« Trudelte ein verstreuter Gedanke durch Hyakinthos' in Lust getränktes Gehirn. »Er geniert sich nicht«. Er genoss die Wärme, als Zephyrs Hände ihm zärtlich das Kondom aufschmeichelten, das Gleitmittel sich mit den trocknenden Speichelspuren in seinem Schritt vereinigte. Allein die Brise, dieser perfide Luftzug, der über seinen Rücken strich, ihn erregte! Aber auch hier bewies Zephyr geradezu verbotenes Einfühlungsvermögen, indem er sich hinunterbeugte, abwechselnd mit heißem Atem auf Hyakinthos' Brustwarzen hauchte. Hyakinthos spreizte die Beine weit, ließ seine Oberschenkel über Zephyrs Seite in Taillenhöhe streichen. Ob es die Pheromone waren, oder er selbst danach verlangte: er WOLLTE Zephyrs Glut in sich spüren, die Hitze, die ihn ganzkörperlich erfüllte. Hastige Atemzüge wirbelten zwischen ihnen, als Zephyr die Unterarme unter Hyakinthos' Kniekehlen schob, darauf vertraute, dass seine Erektion vom Gleitmittel ausreichend geschmeidig ohne weitere Anleitung den Weg in Hyakinthos' Inneres fand. Hyakinthos keuchte, stöhnte unterdrückt. Es sollte schneller sein, nein, halt, langsamer, viel langsamer! Zu schnell würde es vorbei sein, jeder Nanometer sollte ausgekostet werden! Der Spannungsschmerz, die Hitze, sein rasender Puls, das trommelnde Herz, sie wollten Beschleunigung, fürchteten Überlastung und Ohnmacht. Er umklammerte den Treppenlauf mit beiden Händen, verrenkte sich, presste die Lippen aufeinander, bis sie nicht mehr als Striche waren, kniff die Augen zusammen. Widerstreitende Emotionen, explodierende Nervenenden, sein Körper im Ausnahmezustand, der Verstand geflohen. Zephyr umklammerte das eigene Handgelenk über Hyakinthos' unteren Lendenwirbeln, wagte tollkühn, sich ein wenig aufzurichten, um ihn von seiner Zuflucht zu locken. Jede minimale Regung touchierte erwartungsvolle, aufs Höchste erregte Nerven in Hyakinthos' Leib, der schließlich aufgab, beide Arme um Zephyrs Nacken schlang. Nicht Gewalt, nicht übermäßige Kraft bezwang seinen Widerstand, sondern Zephyrs Zärtlichkeiten. Trotz der Anstrengung, des nach außen gewölbten Rückgrats, der Belastung auf den beiden Knien seine Wange zu küssen, ihm über den Kieferknochen zu lecken. Hyakinthos schluchzte vor Verlangen, vor Unsicherheit. Er würde sich verlieren, wenn Zephyr ihm derart zusetzte, ihn wiegte, dem Muskelwiderstand trotzig die Stirn bot, Reibungshitze entfachte, sein Gesicht mit Küssen bedeckte, hörbar um Atem rang. Das unkontrollierte Flattern seiner Bauchdecke, dieses Gefühl von Schwerelosigkeit in seinem Magen: Hyakinthos wusste, dass er geschlagen war, alle Hemmungen fahren lassen würde. Schreien, keuchen, Fingernägel eingraben, sabbern, winseln, ächzen, um sich schlagen, epileptisch zucken, den Kopf in den Nacken werfen, die Augen aufgerissen nichts mehr als Feuerwerke sehen würde. #~~~~~> Er spürte betäubt, wie Zephyr die Hände unter seinen Hintern schob, tief einatmete, um ihn ein wenig anzuheben, mit seinem Penis aus der Körperöffnung zu gleiten. Er setzte Hyakinthos wieder ab, hielt ihn eng an sich gepresst, die Arme um den Rücken geschlungen. Hyakinthos fühlte sich benommen, schwindelig. Er wollte nicht von Zephyr lassen, hielt sich an dessen Nacken fest, das Gesicht auf den eigenen Oberarm gepresst. Wenn er nur ausreichend Atem schöpfen könnte, so würde es sich sicher bessern, diese Unsicherheit! Zephyrs Rechte landete auf seinem Hinterkopf, hielt ihn fest, streichelte durch feuchte Locken mit dem Daumen. Die Linke strich beruhigend über Hyakinthos' untere Lendenwirbel. Küsse benetzten seine Schulter, die Wange, das Ohr, die Schläfe, wollten seine Lippen locken. »Wieso hast du mich schreien lassen?!« Irrationale Wut köchelte in Hyakinthos auf. »Warum bist du selbst so still?!« Er schluckte, spürte die Trockenheit in seiner Kehle, hustete, rang um Atem. Zephyr linderte die Qual, teilte generös Speichel und Leidenschaft, endete die karitative Attacke mit linden Kusstupfern auf dem gesamten Gesicht. Hyakinthos senkte den Kopf, lehnte die Stirn an Zephyrs Kinn, rollte sich zusammen. Schon schämte er sich seiner Anwandlung von Neid. Ob man ihn wohl gehört hatte? Wäre er besser vorbereitet gewesen, so hätte er sich selbst etwas zwischen die Zähne klemmen können! »Ich MUSS endlich die Initiative ergreifen!« Ermahnte er sich selbst. Es ging nicht an, dass er halbherzig Kondome und Gleitmittel mit sich führte, aber an andere Dinge einfach nicht dachte. »Stell dir vor, sie überfallen dich wirklich!« Drohte seine innere Stimme aufgebracht. Unwillkürlich winselte Hyakinthos leise, als müsse er Schlägen ausweichen. Wie ein Kind wollte er sich unter der Decke verstecken. Hoffen, wenn er nichts unternahm, würde auch das Unglück nicht auf ihn aufmerksam. »Vogel Strauß!« Schimpfte seine innere Stimme unversöhnlich. Eine Hand hob sein Kinn sanft an. Zephyr küsste ihn liebevoll auf die verkniffenen Lippen, löste sich mit einem Lächeln, um nach seiner Hose zu fischen, ein Paket Taschentücher an sich zu bringen. Die Distanz, der kühle Luftzug, die dunklere Tönung des Firmaments durch das winzige Fensterchen brachten Hyakinthos wie eine kalte Dusche zur Besinnung. "Wie spät ist es?!" Er stemmte sich auf die wackligen Beine. "Willst du schon gehen?" Zephyr lupfte eine Augenbraue, setzte eine unglückliche Grimasse auf. "Einmal ist kein Mal, weißt du?" "Quark!" Hyakinthos setzte sich lieber, bevor ihm die Knie einbrachen, er die Treppe hinunterfiel, angelte hastig nach seiner Unterwäsche. "Taschentuch." Bot Zephyr lächelnd an, wies mit dem Kopf auf Hyakinthos' Unterleib, der immer noch einen artifiziellen Schmuck trug. "Danke." Murmelte der verlegen, kehrte sich halb zur Seite. "Und, wie spät ist es?" "Eine halbe Stunde bis zum Abendessen." Antwortete Zephyr bedächtig, streckte die Hand aus, um über Hyakinthos' Locken zu streichen. "Wir müssen uns nicht beeilen." "Oh doch!" In sicherer Wehr der Unterhose, ein Bein in der Jeans, wandte sich Hyakinthos herum. "ICH muss noch duschen und mich umziehen!" Sein Tonfall legte nahe, dass Zephyr offenkundig nicht mit diesen Standards vertraut war. Der grinste spöttisch. "Also doch! Einmal ist kein Mal!" Er schlang die Arme um Hyakinthos' Hüften, der auf der Stufe schwankte, protestierend auf seine Schultern trommelte. "Kommt nicht in Frage!! Lass mich gefälligst los, ich will mich anziehen!" "Was für eine Verschwendung!" Jammerte Zephyr boshaft in höchsten Tönen, rieb eine Wange an Hyakinthos' Schulter. "Lass mich dich noch einmal vernaschen!" "Du dämlicher Kerl!" Hyakinthos stemmte die Arme, um sich aus der krakenartigen Umarmung zu befreien. Gerade, als er angefangen hatte, Zephyr doch ein wenig zu mögen, erinnerte der ihn wieder daran, warum er ihn nicht ausstehen können wollte! Als er sich endlich befreit hatte, schnappte er hastig sein T-Shirt, stürzte durch die Tür das Treppenhaus hinunter. Er erstarrte, als er Stimmen hörte. Woher kamen sie?! Sollte er nach oben oder nach unten fliehen?! Zephyr fing ihn ein wie die Schlange das hypnotisierte Kaninchen, zog ihn auf eine Stufe, hieß ihn, Platz zu nehmen und mucksmäuschenstill abzuwarten. Natürlich galten für Zephyr nicht die gleichen Konditionen: er saß zwar auch, aber nur, weil es so viel bequemer war, Hyakinthos eng an sich zu ziehen und dessen Protest mit Küssen zu knebeln. Hyakinthos gab nach. Auch wenn sein Körper sich erstaunlich energiegeladen fühlte, sein Herz hatte genug Aufregung für einen Tag ertragen! Dass er trotzdem sicher zum Schlafsaal gelangte, unbehelligt duschen konnte, überraschte ihn beinahe so sehr wie Zephyrs geheimer Forst über dem Schuldach. An diesem Abend versprühte Zephyr seinen Charme nur noch bei den Klassenkameraden, sodass Hyakinthos tatsächlich lernen konnte. #~~~~~> Kapitel 12 - Den Schrecken erschrecken! Am nächsten Tag herrschte eine nervöse Spannung in der Schulgemeinschaft. Am Vormittag erfuhr die Abschlussstufe endlich die Themen, die für ihre mündlichen Prüfungen ausgewählt worden waren. So verabschiedete sich die Ungewissheit, um konkreteren Sorgen und Klagen Platz zu machen. Hyakinthos hoffte, vor dem Abendessen zumindest einen seiner fünf Beschützer abzupassen, um zu erfahren, wie sie mit ihren Prüfungsthemen zufrieden waren. Die gesamte Abschlussstufe machte sich rar. Der Lesesaal wurde gesperrt, damit sie sich mit ausreichend Lektüre versorgen konnten, um eine Panik zu vermeiden, da alle danach trachteten, auf schnellstem Wege das Ausmaß der erforderlichen Anstrengungen auszuloten. Immerhin galt es auch weiterhin, bis zu den Tagen der mündlichen Prüfungen täglich schriftliche Arbeiten zu bewältigen. Also nahm sich Hyakinthos aus Mitgefühl vor, ebenfalls seine Konzentration auf die eigenen Noten zu richten, sich selbst noch mal richtig anzustrengen. Er ignorierte geflissentlich Calculus' gerunzelte Stirn, wenn der am Morgen seine Testergebnisse in den Computer eintrug, sich dabei gedankenverloren über die blank polierte Glatze fuhr. Hyakinthos fühlte sich wohl, belastbar und aufgeweckt, mit Energie aufgeladen, was unbedingt ausgenutzt werden sollte. Dank Zephyrs aufdringlicher Leidenschaft musste er auch nicht fürchten, von verlockenden Pheromonen überzuquellen. Zwei Tage nach der Verkündung der Prüfungsthemen, als er im Schatten eines großen Baums auf einer Bank eifrig lernte, rutschte Taliesin an seine Seite. Hocherfreut, den Freund endlich einmal nicht nur flüchtig zu Gesicht zu bekommen, klappte Hyakinthos sein Buch zu. "Taliesin! Wie geht es dir? Und den anderen?" Sprudelte er über, fasste vertraulich nach der Hand, die anmutig einen Landeplatz auf seinem Oberschenkel gewählt hatte. Der Barde lächelte sonnig, zwinkerte, wirkte an diesem sommerlichen Tag, wo das Laubdach wie verzaubert das Licht filterte, noch mehr wie eine Figur aus einem Märchen, von unmenschlicher Schönheit und fuchsartiger Gewitztheit. "Oh, ich sage dir, mir brummt vielleicht der Schädel!" Deklamierte er stöhnend, ein keckes Lächeln auf den Lippen. "Sag, kannst du nicht durch meine Augen sehen, wie da Formeln und Daten und dies und jenes hin und her fliegen?! Ich fühle mich gerade so, als hätte sich ein lärmender Hornissenschwarm unter meinem Schopf eingenistet!" Die klägliche Miene, die verzweifelt-komische Ausdrucksweise in Stimme und Worten, die theatralisch gewrungenen Hände, die endlich die Fäuste gegen die Schläfen drückten: Hyakinthos brach in lautes Gelächter aus. "Kennst du gar kein Erbarmen?!" Säuselte Taliesin, gab vor, sich Tränen aus den Augen zu wischen. "Spottest du meinem Unglück?! Weh mir, wo ich doch ohnehin solche Plage dulden muss!" Er schnüffelte so niedlich-klagend, dass Hyakinthos Mühe hatte, sich nicht den Bauch zu halten, weil sein Zwerchfell vor Vergnügen tanzte. "Ei~ei~ei!" Streichelte Hyakinthos schließlich, um Atem ringend, über den gekrümmten Rücken, kämpfte gegen das wilde Grinsen an, das sein Gesicht spaltete. "Ist es wirklich so schlimm?" Flüsterte er behutsam in die rötlich schimmernden Strähnen, den Arm um Taliesins Schultern gelegt. Der richtete sich wieder auf, schmiegte die Wange an Hyakinthos', beide Arme so innig um ihn geschlungen, als halte er einen geliebten Teddybären. "Ich wollte nur ein bisschen verwöhnt und bemitleidet werden." Bekannte er, blinkerte lächelnd mit den langen Wimpern. Artig erfüllte Hyakinthos die Bitte, streichelte über eine Wange, knuddelte den Barden. "Ei~ei~ei. Ei~ei~ei. Jetzt ein bisschen besser?" "Hmh, hmh." Schnurrte Taliesin zufrieden. "Oh, lass dich nicht unterbrechen! Hier könnte ich noch ein Portiönchen Mitgefühl vertragen." Zwitscherte er süßlich, ließ sich an der Nasenspitze neckend kneifen. Hyakinthos strahlte. Wer sonst war so vertraut mit Taliesin wie er? "Hast du gute Themen bekommen?" Erkundigte er sich wissbegierig, da der erste Kummer offensichtlich gestillt worden war. "Hmh~hmh." Schnurrte der Barde genießerisch. "Ich denke, ich werde ganz gut abschneiden können, wenn ich mich ein wenig konzentriere." Wieder zwinkerte er. "Und die anderen? Außerhalb der Mahlzeiten bekommt man euch kaum noch zu Gesicht." Beklagte sich Hyakinthos. Taliesin setzte sich aufrechter, schlang einen Arm um Hyakinthos. "Von Caratacus weiß ich, dass er ganz zufrieden ist." Er wandte sich Hyakinthos' Ohr zu, wisperte vertraulich. "Er ist runter in die Lehrgärten verschwunden und hat gesummt. Untrügliches Zeichen." Unwillkürlich nickte Hyakinthos als mitverschworener Geheimnisträger. "Bei Alocer bin ich nicht so sicher." Taliesin verzog das Gesicht zu einer anmutigen Maske komischer Verzweiflung. "Weißt du, er hört sich ununterbrochen über Kopfhörer Zwölfton-Musik an, gar nicht mein Fall, aber er behauptet steif und fest, es helfe ihm bei der Konzentration." "Aha." Reagierte Hyakinthos in dem Tonfall, der besagte, dass er keine Vorstellung hatte, aber bereit war, leben und leben zu lassen. "Artaios arbeitet wie ein Besessener." Der Barde runzelte die Stirn, während sich um seine Mundwinkel ein ungewohnt angestrengter Ausdruck eingrub. "Ich weiß gar nicht, wann er eigentlich schläft. Lernen, die Vorbereitungen für die Abschlussfeier treffen, seine Nachfolgenden einarbeiten...ich wundere mich, dass er noch nicht zusammengebrochen ist." Mit einem Seufzen ergänzte er. "Allerdings wissen wir nicht wirklich, WIE stark er ist. Möglicherweise ist es für ihn gar nicht so belastend, wie es auf alle anderen wirkt." Besorgt suchte Hyakinthos Taliesins Blick. "Hat er sich mit Erebos wieder vertragen?" Taliesin wandte den Kopf, stützte die Unterarme auf seine Oberschenkel, faltete die Hände zusammen. "Ich kann nicht sagen, dass ich davon wüsste. Ich glaube, Erebos geht ihm aus dem Weg, um Streit zu vermeiden. Da Artaios nahezu überall herumwirbelt, ist es sehr schwer, Erebos überhaupt zu Gesicht zu bekommen." "Oje!" Murmelte Hyakinthos beklommen, richtete den Blick auf den Boden. Lag es nicht in seiner Verantwortung, die beiden wieder zu versöhnen? "Willst du ein Geheimnis wissen?" Vertraulich löste Taliesin seine Hände, legte Hyakinthos wieder einen Arm um die Schulter. Der nickte. Besser, als in unglücklichen Gedanken unterzugehen! Taliesin lächelte. "Caratacus wird NICHT an die Universität gehen, die sein Vater vorgesehen hat." Hyakinthos blinzelte. Das Strahlen auf Taliesins Gesicht bedeutete ihm, dass es sich um eine erfreuliche Neuigkeit handelte, aber er verstand nicht, sie einzuordnen. "Oh, du weißt ja nicht...!" Taliesin kniff sich selbst tadelnd in eine Wange. "Ich erkläre dir, warum das so schön ist." Seine braunen Augen funkelten vor Vergnügen, als er mit melodischer Stimme das Geheimnis teilte. "Weißt du, sein Vater ist ein Professor für Wirtschaftswissenschaften. Er wünscht sich, dass Caratacus seine mathematische Begabung durch ein entsprechendes Studium nutzt. Aber Caratacus hat, wie wir ja wissen, eine andere Leidenschaft." Taliesin zwinkerte. "Ein Verwandter mütterlicherseits hat ihm angeboten, bei ihm in seinem Betrieb für Garten- und Landschaftspflege zu arbeiten. Nicht allzu weit entfernt gibt es auch eine Universität, allerdings nicht so renommiert oder groß." Hyakinthos runzelte die Stirn, weil er sich auf unbekanntem Terrain bewegte. "Wird sein Vater nicht enttäuscht sein?" Taliesin spielte mit einer dunkelblonden Locke, zwirbelte sie um einen eleganten Finger. "Ich glaube, er sollte sich selbst mal ansehen, wie glücklich Caratacus im Freien ist, wenn er Pflanzen pflegen kann. Da wird er sicher verstehen, warum das die bessere Wahl für Caratacus ist." Hyakinthos nickte beipflichtend. Sie alle hier wussten, dass Caratacus für die Arbeit in der Natur geboren schien, sich mit Pflanzen, Wuchsbedingungen, Schnitttechniken und auch den mannigfaltigen Nütz- und Schädlingen hervorragend auskannte. Der Barde zerstrubbelte Hyakinthos' Locken neckend. "Alocer hat herumgetönt, dass er bei der NASA ein Praktikum machen darf. Vielleicht schießen sie ihn ja dort versehentlich mal zu den Sternen." Hyakinthos stimmte in Taliesins Lachen ein. Es reichte schon, wenn sie Alocer mal auf den Mond schießen würden. Das könnte seine Unzufriedenheit mit der Welt ein wenig lindern. "Ich habe gehört, dass Artaios' Familie mehrfach angerufen hat. Weißt du, seine gesamte Familie ist sehr reich, hat viele Verbindungen. Wenn jemand auf Erfolg und Karriere programmiert ist, dann Artaios." Taliesins Stimme klang in Hyakinthos' Ohren so, als hege sie Zweifel. Als wäre diese Gewissheit nicht ein glückliches Geschick, sondern etwas, das man zu fürchten hatte. "Was ist mit Erebos?" Lenkte er von der unbehaglichen Stille gemeinsamer Sorgen ab. "Erebos." Wiederholte Taliesin gedankenverloren. "Das ist wirklich schwierig zu sagen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nichts über seine Familie. Oder seine Zukunftsvorstellungen. Er redet weniger als dass er zuhört." Taliesin zuckte beschämt mit den Schultern. "Hm." Brummte Hyakinthos, lehnte sich an den Barden, hielt dessen freie Hand wie ein Spielzeug in seinen Händen, streichelte die anmutigen Formen. "Und du?" "Ich?" Taliesin trällerte keck. "Wie ein Narr lasse ich mich treiben, wirble mit dem Wind, mal hier, mal dort!" Hyakinthos warf einen irritierten Blick auf den Freund. "Willst du denn nicht Sänger werden? Musik studieren? Oder Schauspieler?" Er erwartete nicht, dass Taliesin leise seufzte, den Kopf senkte, auf ihre verschlungenen Hände blickte. Seine Stimme, sonst so munter, so leicht, so ausdrucksstark, klang nun flach, beinahe erstickt. "Ich glaube nicht, dass das mein Weg ist." "Aber~aber warum denn nicht?" Hyakinthos setzte sich aufrecht, entschlüpfte der Umarmung, drehte sich herum, fing sich Taliesins Hände ein, sprudelte auf ihn ein. "Du singst herrlich! Alle lieben es, dich zu sehen, dir zuzuhören! Du kannst wundervoll erzählen! Wenn du einen Raum betrittst, steigt sofort die Stimmung! Willst du wirklich dieses Talent nicht allen zeigen?!" Taliesin hob den Kopf, so mühsam, als hingen Wackersteine um seinen Hals. In den braunen Augen glänzten Tränen. Die Lippen trugen das unglücklichste Lächeln der Welt. "Du bist so lieb." Wisperte er heiser, rang erstickt um Worte. "Ich muss mich schämen." Taliesin holte tief Luft. Es rasselte in seiner Brust, als die Steine sich rührten. "Dass ich hier so singen kann, so erzählen, das ist nur möglich, weil ich mich hier geborgen fühle, eine Heimat habe." Er blinzelte Tränen aus seinen Wimpern, ließ sie auf seine Oberschenkel stürzen. "Ein Sänger zu sein, ein Schauspieler, das ist Stress. Streit. Auseinandersetzungen. Umherziehen, von Hotelzimmer zu Hotelzimmer. Einem festen Plan zu folgen, ganz gleich, wie es um das Herz bestellt ist. Von Freude zu singen und Trauer zu tragen." Taliesin schniefte leise. "Das KANN ich nicht. Ich habe nicht die Kraft, unter solchem Druck zu leben." Beschämt zog er die Schultern hoch, senkte den Kopf wieder. Hyakinthos schwieg verdattert. Der muntere, wunderschöne, heitere Taliesin war unglücklich?! Ohne Pläne für seine Zukunft?! Sah sich nicht als Star im Rampenlicht, umjubelt und verehrt?! Instinktiv erkannte er, dass Worte hier nicht halfen. Er schlang die Arme um Taliesin, zog ihn an sich, wiegte ihn beschützend. "Nicht weinen, ja? Du musst nicht tun, was du nicht möchtest! Hab keine Angst, es gibt bestimmt eine gute Lösung!" Taliesin hielt sich fest, gab keinen Laut von sich. Allein die Tränen, die Hyakinthos' Schulter tränkten, kündeten von seinem Leid. "Ich hab dich lieb, Taliesin." Flüsterte der. "Gemeinsam schaffen wir das. Mach dir keine Sorgen, hörst du? Alles wird gut." Die Worte waren nicht wichtig, nur das Gefühl, hoffte Hyakinthos, dem selbst nach Katzenjammer zumute war. #~~~~~> »Welche Möglichkeiten habe ich denn?!« Fragte sich Hyakinthos zum wiederholten Mal. Wenn er nicht gerade damit befasst war, seinen Kopf mit Wissen zu malträtieren, dachte er über Taliesins Kummer nach. Der schöne Barde wirkte so unbekümmert, dass vermutlich niemand wusste, wie es um ihn tatsächlich bestellt war. Sollte er den Freund etwa im Stich lassen?! Auf keinen Fall! Doch was tun?! Wenn er mit Artaios sprechen könnte, der sicherlich verschwiegen war, würde der nicht Rat wissen? Allerdings schien es nahezu unmöglich, ihn allein zu sprechen, ständig entouriert von anderen, unermüdlich arbeitend. Wen aber sonst zurate ziehen? Er seufzte, hielt sich den schmerzenden Kopf. War Taliesin die eigene Familie keine Heimat? Konnte er sich nicht dort geborgen genug fühlen, um ausgelassen und munter zu sein? "Liebeskummer?" Drängte sich gänzlich unerwünscht Zephyrs Stimme in seine kreiselnden Gedanken. Die Hand, die auf seiner Schulter lag, war schon gleich unwillkommen! Also schüttelte er sie grob ab, setzte rücksichtslos den Stuhl zurück, sammelte seine Unterlagen ein. "Was kümmert's dich?!" Zischte er schnippisch, konnte diese Annäherung doch nur eine Bedeutung haben: er sollte Zephyr wieder zu Willen sein. "Warum so abweisend?" Tanzte da etwa ein Schmunzeln in Zephyrs Mundwinkeln? Hyakinthos spürte gärende Wut, umklammerte seine Bücher wie einen Schutzschild, schenkte Zephyr einen finsteren Blick. "Lass mich in Ruhe." Er marschierte an ihm vorbei. Er hatte wirklich andere Sorgen, als sich um die Launen dieses Kerls zu kümmern! #~~~~~> Es war ein Tag, an dem sich wirklich alles gegen ihn verschworen zu haben schien. Als er am Morgen erwachte, nach einer unruhigen Nacht, in der Albträume sich jagten, dröhnte ihm der Kopf so sehr, dass er heimlich eine Kopfschmerztablette schluckte, obwohl Calculus ihn stets warnte, mit den Kapseln keine andere Arznei einzunehmen. Man wusste schließlich nicht, wie sie sich vertragen würden! Da er sich matt fühlte, ihm die Zähne schmerzten, der ganze Nacken gar, hatte er wenig Lust, sich beim Frühstück anzustrengen, verzichtete also auf Nahrung, die erst mühsam gekaut werden wollte. Die Sommerwärme, die Besitz vom Gebäude nahm, sich mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein beliebt machte, focht ihn nicht an. Obgleich sein Kopf ihn marterte, gelang es, gleich zwei aufeinander folgende, schriftliche Prüfungen zu bewältigen. Das löste den Druck ein wenig, der ihm auf der Seele lag. Er massierte sich mit Pfefferminzöl die Schläfen, blendete das muntere Treiben der anderen aus dem Bewusstsein, suchte nach Entspannung. Beim Mittagessen ging es schon leidlich besser. Der Magen knurrte ihm ausreichend genug, die schmerzenden Muskeln zu überstimmen, damit er ordentlich zulangen konnte. Für den Nachmittag sah sein Pensum noch eine mündliche Prüfung vor. Wenn er sie überstanden hatte, rief die Bibliothek, damit er seine Lektüre tauschte, eine Hausarbeit dort verfasste. Die Sonne blinzelte ihm zu, als er glücklich über das glimpfliche Ende eines Schultages durch den Gang lief. Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte er sich inkliniert zurückzuzwinkern. Er betrat die Toilettenräume, wählte aus bitterer Erfahrung eine Kabine, erleichterte sich. So ruhig und friedlich war es hier, sauber von energischen Beschäftigten gehalten, die Wert auf Hygiene und Manieren legten. Für einen Augenblick nur ausruhen, das dezente Aroma von anregender Zitrone riechen, sich sammeln... Aus dieser Kontemplation wurde nichts. Schritte erklangen. Still seufzend erhob sich Hyakinthos, begab sich daran, seine Kleidung wieder zu richten. Er stutzte, da er kein Wasser laufen hörte. Hatte eine Kabinentür geschwungen? Unschlüssig hing seine Rechte über dem Riegel. Sollte er heraustreten? Oder lieber still warten, bis der andere die Toilette verlassen hatte?! "Du kannst dich nicht verstecken." Wisperte es über ihm. Als Hyakinthos erschrocken von der Tür wich, den Kopf in den Nacken warf, kletterte Zephyr bereits behände über die Kabinenwand, landete federleicht vor ihm auf den Fliesen. "Was soll das?!" Hyakinthos erkannte zu spät, dass er besser die Flucht nach vorne angetreten hätte, da Zephyr die Tür siegessicher lächelnd blockierte. "Ich habe dich vermisst, mein Lämmchen." Glitzerte es da triumphierend in den braunen Augen?! "Oh nein! Nein!" Hyakinthos schüttelte den Kopf. "Lass mich sofort raus!" "Ich denke gar nicht daran." Versetzte Zephyr gelassen, ohne jeden Spott. "Du hast mich lange genug auf Distanz gehalten. Ich WILL nicht mehr warten." "Ich muss in die Bibliothek!" Hyakinthos verwies auf seine Bücher, die auf dem Wasserkasten lagerten. "Eine Hausarbeit schreiben!" Zephyrs Miene verdüsterte sich. NUN funkelte Spott in seinen Augen. "Hatte ich nicht schon meinen Mangel an Gewissen erwähnt?" Raunte er bedrohlich. Hyakinthos presste sich tiefer in die enge Nische, die Arme um den Leib geschlungen. Wenn er keinen Fluchtweg hatte, so sollte Zephyr erst mal versuchen, ihn hier rauszuziehen! Der unternahm keine Anstalten, Hyakinthos mit Gewalt an sich zu zerren. Vielmehr kniete er sich einfach, um die hinderliche Distanz zu überbrücken, auf den Toilettendeckel, stützte die Arme auf Hyakinthos' verschränkte, öffnete mit den Zähnen die Knöpfe von dessen Polo-Shirt, leckte über die Haut darunter, schnappte nach Hyakinthos' Hals, versenkte endlich die Zähne in die zarte Haut am Brustbein, wo die Knopfleiste sich geschlagen gegeben hatte. "Nein!" Winselte Hyakinthos mit trommelndem Herz. Zephyr würde Spuren hinterlassen! Einen Knutschfleck! Von Panik übermannt stieß er Zephyr heftig von sich, stürzte hastig zur Tür, aber Zephyr war schnell. Der Schnellste. Nun hatte er Hyakinthos auch aus seiner rettenden Ecke gelockt, konnte ihn gegen die Tür pressen, die Arme um seine Taille schlingen, zielgerichtet den Hosenschlitz attackieren, der ohne den Schutz der eigenen Hände hilflos dem Angriff ausgesetzt war. Während hitzige Küsse seinen Nacken, seinen Hals versengten, Atem über seine Schultern floh, fremde Hüften ihn an der Tür fixierten, unterdrückte Hyakinthos ein Schluchzen. Längst spürte er die eigene Erektion in kundigen Händen, ungehorsam wie der Körper selbst, der sich nicht um Stolz scherte, wenn Verlangen ihn bedrängte. "Lauf nicht vor mir weg!" Raunte Zephyr in sein Ohr, leckte über die Ohrmuschel, löste Knopf und Reißverschluss, trieb Hyakinthos' Hose dem Boden zu. Was konnte der tun?! Die Hände zu Fäusten ballen, hilflos gegen die Tür pressen. Die Zähne in die Lippen treiben, damit ihm kein Laut entschlüpfte. Heiß-kalt zuckte sein Unterleib, als auch die Unterhose folgte, Zephyr ihm derart zusetzte, dass er an Flucht nicht mehr denken konnte, weil ihm die Knie zitterten, geschweige denn ein koordinierter Gang noch möglich war. Ohne Ankündigung wirbelte Zephyr ihn herum, funkelte in die verschleierten Augen, presste Hyakinthos' Fäuste mit den eigenen Händen gegen das Türblatt, während er dessen Gesicht mit hungrigen Küssen bedeckte. Keuchend wandte Hyakinthos den Kopf ab, rechts oder links, ganz gleich, solange er nicht Zephyr zu Willen war. Die Knopfleiste, die perfid gegen seinen Unterleib rieb, hart und grob war, ließ ihm die Tränen aus den Augen rinnen. So war es also, wenn man wirklich vergewaltigt wurde! Erst die Einschüchterung, dann die brutale Attacke, die unversöhnliche Grausamkeit, die drohenden Schmerzen. Zephyr wich Millimeter, sich selbst Hose und Unterwäsche von den Hüften zu streichen, bevor er sich wieder an Hyakinthos schmiegte, dessen Kopf in seinen Händen fing, ihn leidenschaftlich küsste. Hyakinthos schluchzte in die Küsse. Auch wenn sein Körper ihn verriet, er WOLLTE keine Schmerzen erleiden. Er würde sich fügen, wenn Zephyr ihm keine Gewalt antat. "...nicht weh!" Flehte er, von einem hektischen Schluckauf unterbrochen. "Tu mir nicht weh!" "Nein." Drang kehlig die samtige Stimme an sein Ohr, legten sich die Arme um seinen Rücken, zogen ihn beinahe erstickend eng an. "Keine Angst." Zephyrs Lippen, seine Zunge und die Zähne wanderten seinen Leib hinab, hinterließen überall Spuren, während Hyakinthos sich die Hände über den Mund legte, Tränen aus den kurzen Wimpern blinzelte. Zepyhr machte Station in Höhe seiner Genitalien, fädelte seine zitternden Beine aus Hose und Unterwäsche, küsste, leckte aufreizend an der sich rapide erhitzenden Haut. Aus der eigenen Hose fischte er ein Kondom, zerriss die Verpackung, um die schützende Hülle langsam abzurollen. Dabei blickte er nach oben, wo Hyakinthos mit zusammengekniffenen Augen jede Äußerung hinter beiden Händen gefangen hielt, mit bebenden Nasenflügeln um Luft rang. Zephyr erhob sich, drapierte Hyakinthos' Wäsche an einen Haken, lehnte sich wieder an ihn, um ihn zu küssen, während seine Hände die eigene Erektion mit dem zweiten Kondom versahen. Hyakinthos schmeckte nach Tränen, nach dem strengen Geschmack von galliger Angst. Er nahm ihn in die Arme, streichelte über seinen Rücken, wiegte ihn tröstend, bevor er erneut die bebenden Lippen küsste, mit der Zunge über die Augenwinkel leckte. "Komm." Raunte er kehlig, ließ sich auf die Toilettenbrille sinken, ignorierte die Bücher in seinem Nacken auf dem Wasserkasten. Hyakinthos, den er an einer Hand hielt, rang um Luft, schwankte. Unter dem Saum seines Poloshirts ragte stolz seine Erektion, zwang ihn zu Kooperation. Sanft zog Zephyr an seiner Hand, hieß ihn, sich auf seine Knie zu setzen, bevor er selbst Hyakinthos nach vorne drehte. "Stütz dich auf meine Knie." Wisperte er in Hyakinthos' Rücken, dirigierte dessen Hände auf seine eigenen Knie. Mit einem erstickten Schluchzen beugte sich Hyakinthos vor, verlagerte sein Gewicht, hob die Fersen vom Fliesenboden. Er spürte, wie Zephyr seiner Bewegung folgte, in der Hosentasche fahndete. Erfolgreich lehnte er sich anschließend zurück. Die Finger mit Gleitmittel bestrichen fasste er vorne zwischen Hyakinthos' Beine, massierte Genitalien und bereitete das Rektum für seine eigene Erektion vor. Hyakinthos' aufgestützte Arme zitterten, während er unwillkürlich zuckte, sich zusammenrollte, zischend Atem durch die Zähne einsog. Als seine Hüften selbsttätig Schwingung aufnahmen, die Schließmuskeln an Zephyrs Fingern saugten, entschied Zephyr, dass genug getan war, den Höhepunkt zu präparieren. Zephyr umfasste Hyakinthos' Hüften, zog sie näher an sich heran, hob sie an, wobei er Unterstützung erfuhr durch Hyakinthos' aufgestellte Zehen. Er dirigierte seine Erektion in Hyakinthos' Leib. Aufmerksam lauschte er auf Hyakinthos' Laute, die zwischen winselndem Ächzen und gutturalem Stöhnen wechselten. Dessen Arme zitterten so sehr, dass sich das Beben auf Zephyrs Kniescheiben übertrug, auch seine Beine ansteckte. Er keuchte, hielt Hyakinthos' Hüften, hob sie ein wenig, ließ sie sinken, mehr bedurfte es nicht. Hyakinthos stöhnte heiser, gurgelte Speichel, der ihm über das Kinn sickerte. Hechelnd beugte er sich tiefer über Zephyrs Knie, knickte die zitternden Arme ein, rollte sich zusammen, nahm die Zehenspitzen zur Hilfe. Da Zephyr nun die Gelegenheit fühlte, die Hände von Hyakinthos' Hüften zu nehmen, legt er die Rechte um dessen Erektion, während die Linke über Hyakinthos' Lippen wischte. "So gut!" Raunte er zärtlich, streichelte mit dem rechten Daumen über die empfindliche Spitze. In diesem Augenblick öffnete jemand die Tür zum Toilettenraum. Blitzschnell versiegelte Zephyr Hyakinthos' Mund mit der Linken, umschloss dessen Erektion fest. Er spürte, wie Hyakinthos' Bauchdecke zuckte, der sich krümmte, weil sein Höhepunkt bevorstand. Hyakinthos' Fingernägel gruben sich tief in seine Haut, als der mühsam die Beine vom Boden zog, die Knie beugte und gleichzeitig die Muskeln einsetzte, die Zephyrs Erektion eng umschlossen. Er wollte wohl verhindern, dass der Schulkamerad, wie es viele ohne dringendes Bedürfnis zu tun pflegten, einen Blick auf die Front der Kabinentüren warf. Da die nicht mit dem Boden abschlossen, durfte auf keinen Fall ein zweites Paar Beine zu sehen sein! Unter seinen Finger spürte Zephyr, welche Anstrengung es Hyakinthos kostete, den Schein zu wahren, wie die Lippen bebten, zuckten. Er selbst musste an sich halten, konnte nur zischend atmen, während sich Hyakinthos' Knie langsam beugten. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis das Geräusch der Wasserspülung erklang, Schritte sich entfernten, das Waschbecken artig konsultiert wurde, dann endlich die Tür ins Schloss fiel. Zephyr gab sofort mit der Rechten Hyakinthos' pulsierende Erektion frei. Das Zittern der Bauchdecke hatte sich verabschiedet. Mit einem würgenden Laut holte Hyakinthos Luft, sein Körper wurde vor und zurück geschleudert. Zephyr hatte Mühe, einen Kopfstoß zu vermeiden, während Hyakinthos unkontrolliert auf seinem Schoß einen Orgasmus erlitt. Er selbst ließ sich fallen, presste das Gesicht an Hyakinthos' Nacken, schmiegte sich an, um nicht doch noch Opfer eines Zufallstreffers zu werden, wurde davongetragen von den Schockwellen, die Hyakinthos erschütterten. Blinzelnd, keuchend kam er zu Atem. Ein zweites Mal hörte er ihn bewusst, diesen röchelnden, kehligen Laut. Hyakinthos begann zu weinen. Obwohl er beide Hände vor den Mund presste, drangen die Laute hindurch. Auch musste er Luft holen, da seine Nase verstopft war. "Hyakinthos? Hyakinthos?!" Zephyr umklammerte ihn. Das erbärmliche, laute Heulen steigerte sich nur noch. Es klang entsetzt, vollkommen verstört und hemmungslos. Zephyr gelang es, Hyakinthos so weit zu manövrieren, dass er sich aus seinem Leib befreien konnte. Nicht nur das, Hyakinthos rutschte ihm sogar von den Beinen auf den Boden, rollte sich zusammen, presste Arme und Gesicht auf die Fliesen, um das Heulen zu ersticken. Zephyr bemühte sich, auf die Beine zu kommen, was nicht leicht fiel, da ihn die Hose um die eigenen Knöchel hinderte. Endlich hatte er sie hochgezogen, konnte den Toilettendeckel herunterklappen. Sein Ziel bestand darin, den halbnackten Hyakinthos von den Fliesen zu klauben, ihn zu beruhigen. So intensiv sein Empfinden auch gewesen war, so ohne Vergleich, er konnte nur ahnen, dass Hyakinthos nicht dasselbe verspürt hatte. Nach zwei Anläufen, in denen er Mühe hatte, den zusammengekauerten, um Luft ringenden Jungen, der hysterisch weinte, unter die Achseln zu packen, kauerte der schließlich auf der Toilette. Zephyr kniete sich vor ihn, streichelte über den Rücken, bis es ihm gelang, Hyakinthos aufzurichten, sodass er ihn an seine Brust ziehen, in seinen Armen bergen konnte. Das dämpfte das Heulen, die kollernden Atemzüge ein wenig, sorgte endlich dafür, dass Hyakinthos ruhiger wurde, Schluchzen und Schluckauf sich abwechselten, während Zephyr bemerkte, dass sich sein T-Shirt sichtbar mit Flüssigkeiten tränkte. War es ein Schock, der Hyakinthos lähmte? Zephyr war sich dessen nicht sicher, aber er ergriff die Gelegenheit, ihn mit Klopapier zu säubern, das Kondom zu entfernen, Rotz, Tränen und Speichel abzuwischen, auch auf dem Boden zu suchen, durchaus beklommen. Fand sich dort Blut? Aber nein, nur Reste des Gleitmittels, die er mit Toilettenpapier verdeckte, sie aufsaugen ließ. Hyakinthos' Augen blieben blank. Unvermittelt raste ein Zucken durch seinen gesamten Körper, danach hielt er wieder still, als habe er sich in eine Salzsäule verwandelt. Zephyr strich ihm über die Wangen, küsste ihn auf die Lippen, wisperte seinen Namen, ohne Reaktion. Weil sie nicht länger hier bleiben konnten, wollten sie nicht Gefahr laufen, ertappt zu werden, bekleidete er Hyakinthos eilig, schob sich dessen Bücher vor die Brust, die ärgsten Flecken auf dem T-Shirt zu tarnen, nahm ihn dann bei der Hand. Wenn sie liefen, recht schnell, würde es wohl gelingen, den Schlafsaal zu erreichen. Es stand nicht zu erwarten, dass ihre Kameraden dort verweilten, wo die Sonne doch lockte. Wer konnte schon schneller als Zephyr laufen? Hyakinthos im Schlepptau, dessen Beine gegen die Verkrampfung kämpften, nahmen die Bewegung, die sie wieder geschmeidig erhitzte, gerne auf. Sie benötigten keinen Verstand, sich auszusteuern. Es gelang. Zephyr ließ Hyakinthos' Hand auf der Türschwelle des Schlafsaals fahren, flitzte zu dessen Bett, um die Bücher auf dem kleinen Bord darunter abzulegen, sich aus dem Schrank Handtuch und Bademantel zu schnappen, bevor er zur Tür zurückkehrte, wo unweit sein eigenes Bett wartete. Auch hier wählte er wenige Utensilien, lud sie sich auf, um erneut Hyakinthos' Hand zu ergreifen, ihn zu den Duschen zu führen. Rasch platzierte er ihre Bademäntel auf den Bänken, warf sich die Handtücher über die Schulter, in der Linken Duschgel, in der Rechten Hyakinthos' Hand. Im Duschraum drehte er alle Stationen auf, sodass sich schnell ein feiner, warmer Nebel ausbreitete. So konnte er Hyakinthos erst taufen, ihm dann die klatschnassen Kleider vom Leib ziehen, ohne dass der sich verkühlte. Teilnahmslos ließ Hyakinthos geschehen, was Zephyr plante, der sich selbst von dieser Prozedur nicht ausnahm. Er trat neben Hyakinthos, nahm ihn in die Arme und wiegte ihn. "Das habe ich nicht gewollt." Versicherte er im säuselnden Zischen der warmen Tropfen. "Aber jetzt ist alles gut." Zumindest hoffte er darauf, als er Hyakinthos einseifte, sich selbst anschloss, anschließend den Schaum abspülte, nacheinander alle Hähne schloss, bis gluckernd der letzte Tropfen im Ausguss verschwand. Den Kopf gesenkt, das Gesicht von nassen Locken verdeckt, die Arme um den eigenen Oberleib geschlungen, wartete Hyakinthos stumm. Zephyr trat vor ihn hin, wischte behutsam mit beiden Händen die durchtränkten Strähnen beiseite, studierte das von der Wärme erglühte Gesicht. "Es wird wieder gut." Wiederholte er wie einen Zauberspruch, ein Raunen, das mit Echo von den Wänden flüsterte. Er küsste Hyakinthos auf den Mund, der einzigen Stelle, wo sie sich berührten. Er war erleichtert, als Hyakinthos sich an ihn lehnte, zu weinen begann. #~~~~~> "Ich werde dir etwas vom Abendessen mitbringen." Versprach Zephyr, lehnte tief in das Hochbett hinein. Hyakinthos, fürsorglich in eine leichte Decke gehüllt, zog die Beine an, rollte sich ein. "Ich will nur schlafen." Krächzte er heiser, schloss die Augen. "Und ich bringe auch deine Bücher zurück." Versicherte Zephyr leise, aber Hyakinthos reagierte nicht mehr. So blieb ihm nichts weiter zu tun, als den Vorhang über der Leiter zuzuziehen, Hyakinthos allein zu lassen. #~~~~~> Hyakinthos starrte auf das Aufgabenblatt, noch blank, das bereits seit zehn Minuten vor ihm wartete. Er konnte die Hand nicht heben, sich überwinden, den ersten Eintrag vorzunehmen. Diese Lähmung war nicht die erste, die er erfuhr, wenn alles still stand, selbst das Atmen zu einer unerträglichen Last wurde. Seit zwei Tagen, seit dem Ereignis auf der Toilette, plagte ihn dieser Fluch. Dabei trug niemand Schuld daran, nicht der Unbekannte, der ahnungslos die Katastrophe auslöste, nicht Zephyr, weil er nun einmal gierig war wie gewohnt, oder er selbst, weil er nachgegeben hatte. Hyakinthos hatte das Gefühl, sein Herz würde nicht mehr schlagen. Er konnte nicht die Hand heben, sie auf die Brust legen, sich selbst überzeugen, dass er sich irrte. Irrte er sich denn?! Vor seinen Augen schwammen die Konturen, in seinen Ohren dröhnte es. Angst schwappte in Wellen über, erfasste ihn, spülte ihn fort. #~~~~~> "Was ist passiert?" Erebos warf Zephyr einen distanzierten Blick zu. Es sollte verboten sein, dass Lehrkörper sich einen freien Tag nahmen! Zumindest dann, wenn man sich um einen Jüngeren kümmern musste, mit dem man eine recht ungewöhnliche Beziehung unterhielt. »Ganz zu schweigen von seiner körperlichen Konditionierung.« "Er hat nichts gesagt, lediglich angefangen zu keuchen. Es sah beinahe wie ein Asthma-Anfall aus." Schilderte Zephyr die letzten Ereignisse. "Wir haben ihn auf den Boden gelegt, damit er besser Luft holen kann. Das hat nicht geholfen." Erebos bemerkte, dass Zephyr immer wieder über Hyakinthos' ungekämmte und recht ungepflegt wirkende Locken streichelte, als sei der Jüngere gewohnt, Hyakinthos auf diese Weise zu necken. "Ihr habt gerade einen Test geschrieben? War der unangekündigt?" Erebos wollte sämtliche erheblichen Informationen sammeln. "Nein." Zephyr schüttelte den Kopf. "Ich weiß, dass er dafür am Vortag gelernt hat. Es war auch kein besonders schwerer Test." Fügte er hinzu. Was konnte den Schock ausgelöst haben? Eine Erschütterung, so stark, dass Erebos ihm ein krampflösendes Mittel spritzen musste? "Ist dir irgendetwas an Hyakinthos aufgefallen in letzter Zeit? War er verändert, hat er sich vor etwas gefürchtet?" Erebos hielt eine Hand. Sie war warm, nicht klamm, zeigte keine Auffälligkeiten. Zephyr ließ sich mit der Antwort Zeit. "Kopfschmerzen." Gab er schließlich zurück. "Er hatte in letzter Zeit immer mal wieder morgens Kopfschmerzen." »Die Kapsel?! Muss die Zusammensetzung geändert werden?« Erebos nickte beiläufig. "Danke. Du kannst wieder in den Unterricht gehen." "Kann ich nicht bei ihm bleiben?" Zephyr unternahm keine Anstalten, sich zu erheben. Erebos wandte sich um, sah ihn zum ersten Mal aufmerksam an. "Du kannst nichts tun. Er wird schlafen. Wenn er aufwacht, werde ich mit ihm sprechen. Also GEH jetzt bitte." Formulierte er scharf. Ein ebenso durchdringender Blick tauchte in seine schwarzen Augen ein. Zephyr erhob sich wortlos, verließ die Krankenstation. »Ich werde mich über ihn informieren müssen!« Beschloss Erebos mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Das ist kein guter Umgang für Hyakinthos.« #~~~~~> Als Hyakinthos erwachte, zunächst ohne Orientierung war, saß Erebos an seiner Seite. Unter dem offenen Arztkittel trug er nur farbenprächtige Bermudas. "Wie fühlst du dich?" Eine Hand zählte seinen Puls, die andere strich ihm Locken aus dem Gesicht. "Durst." Krächzte Hyakinthos nach einer ersten Bestandsaufnahme. Als er sich mühsam aufsetzte, um den Becher Wasser hinunterzustürzen, den ihm Erebos reichte, kehrte seine Erinnerung zurück. "Oh nein!" Keuchte er heiser. "Der Test!" Beinahe wäre ihm der Becher entglitten. Erebos griff ein, drängte ihn zu trinken. "Der Test ist längst vorbei. Sicher darfst du ihn nachholen." Plauderte er scheinbar müßig, während seine Hände über Hyakinthos' Stirn, den Brustkorb glitten. Ein verstörter Blick traf ihn. Erebos nahm wieder Platz, blickte ernst zurück. "Kannst du dich daran erinnern, was passiert ist, bevor du in deinem Klassenzimmer ohnmächtig wurdest?" Hyakinthos schloss die Augen, senkte den Kopf. "...ich dachte... ich wäre gelähmt. Ich habe keine Luft mehr bekommen..." Wisperte er schließlich erstickt. Er konnte spüren, wie die Angst ihn wieder packte. Eine warme Hand, die sein Kinn anhob, vertrieb das eisige Gefühl der Ohnmacht. "Ich werde dir mal sagen, was ich vermute." Erebos' schwarze Augen funkelten. Hyakinthos hatte sie schon einmal in dieser Verfassung gesehen. Es musste sich um eines von Erebos' unbekannten Talenten handeln. "Du bist körperlich vollkommen in Ordnung. Aber mit deinem Kopf stimmt was nicht." Er klopfte mit einem Knöchel gegen Hyakinthos' Stirn. Hyakinthos wurde blass. Erebos war jedoch noch nicht fertig mit seiner Diagnose. "Es ist etwas passiert, was dir große Angst eingejagt hat. Du redest dir ein, dass du keine Angst HAST, dass es nicht so schlimm war. Mit anderen Worten: du verdrängst deine Angst. Aber die wartet nur darauf, sich bemerkbar zu machen. Solange du dich nicht damit auseinandersetzt, wirst du keine Ruhe haben." Mit bebender Unterlippe lauschte Hyakinthos dem Urteil. Es würde also so weitergehen, möglicherweise noch schlimmer?! Er wollte nicht weinen, nicht schon wieder, aber die Angst war zu stark. Was kümmerte sie dummer Stolz?! Hyakinthos schlug die Hände vor das Gesicht, schluchzte. Erebos rutschte auf die Kante der Liege, legte die Arme um ihn, zog ihn an sich. "Du musst nicht mit mir sprechen." Raunte er in die verfilzten Locken. "Aber DU musst für dich etwas tun. Weglaufen nützt nichts, weil du diese Angst immer in dir trägst. Stell dich. Wehr dich." Er spürte, wie Hyakinthos nickte, sich an ihn schmiegte. »Armes Kerlchen!« Dachte Erebos grimmig. »Armes, kleines Kerlchen.« #~~~~~> Das Gesicht gewaschen, die filzigen Locken hinter die Ohren in einen einfachen Gummi für Aktenbündel gezwungen, machte sich Hyakinthos auf die Suche nach seiner Nemesis. Aufgeputscht mit einer Überdosis Traubenzucker, um die kurze Zeit bis zum Abendessen zu überbrücken, einen von Erebos' Steckern als Geschenk in seiner Haut verankert, fühlte sich Hyakinthos stark genug, um sich selbst zu kämpfen. Er fand Zephyr im Lesesaal, auf ein Buch starrend, das eindeutig verkehrt herum vor ihm lag. "Wie geht es dir?" Sofort fasste er Hyakinthos bei beiden Händen, kümmerte sich nicht darum, ob man sie sehen mochte. "Hilf mir." Hyakinthos schmeckte die Zuckerrückstände in seinem Mund. Statt einer Antwort nickte Zephyr bloß. Hand in Hand gingen sie in das Stockwerk, wo sie üblicherweise Unterricht erhielten. Hyakinthos' Herz klopfte zum Zerspringen, als er die Toilette betrat. Langsam, Schritt um Schritt, steuerte er die Kabine an, drückte die Tür nach innen, zog Zephyr mit sich, schloss die Kabinentür. Sein Herz raste nun, er rang nach Luft. Waren da Schritte?! Konnte es sein, dass noch einige Arbeitsgruppen hier lernten? Nicht unwahrscheinlich, besonders in der Abschlussstufe, die sich über das Haus verteilte, freie Räume wählte. Hyakinthos lehnte sich gegen die Tür. Ihm war flau, seine Handflächen schweißnass. Wenn nun einer käme...da, pochte es nicht wie Schritte?! Er konnte kaum etwas hören, so dröhnte es in seinen Ohren! Zephyr stand vor ihm, das zweite Paar Beine. Ihn schwindelte. Er ballte die feuchten Hände zu Fäusten. Selbst wenn er jetzt schrie, würde er sich selbst nicht hören, so laut lärmte es in seinem geplagten Kopf. Vor den Augen flackerte es, schwarze Ränder, Punkte. »Ich werde ohnmächtig!« Dachte Hyakinthos. Er zwang sich, die zuckenden Lider nicht zu senken. Was er in Zephyrs Gesicht las, lenkte ihn ab: Sorge, Erschrecken, Reue. Kein spöttisches Lächeln, kein charmantes Grinsen, kein spitzbübisches Zwinkern. Er spürte die Arme kaum, die sich um ihn legten. Ihn schwindelte, weil er sich bewegte, ohne selbst etwas dazu beizutragen, aber er sah, wie Zephyr die Distanz überwand, ihn küsste. #~~~~~> Es war still. Hyakinthos staunte mit aufgerissenen Augen. Mit dem Kuss, der nicht enden wollte, verabschiedete sich der Spuk. Sein Herz schlug schneller, natürlich, in seiner Magengrube flatterte etwas erwartungsvoll. Er keuchte, zog sich zurück, um Luft zu holen. Sein Blick war klar, keine Ränder, keine Flecken. Kein Flimmern, kein Flackern. Er spürte seinen Körper, von der Schädeldecke bis zu den Fußsohlen. Keine Taubheit. Hyakinthos holte sehr tief Luft, so tief, als wolle er bei den Zehen beginnen und damit bis in die Haarspitzen reichen. Er hörte wirklich Schritte. Zephyr zog ihn reflexartig an sich, küsste ihn auf die Wange, wisperte in sein Ohr. "Ich gestehe, wenn man uns erwischt. Ich sage, dass ich dich angemacht habe." Die Schritte hielten nicht inne, sondern verschwanden ein wenig entfernt in der Damentoilette. Hyakinthos lachte leise, immer lauter, musste sich an Zephyrs Schultern festhalten. Einfach lächerlich, dass er sich fürchtete vor einer solchen Kleinigkeit! So furchtbare Angst ausgestanden hatte, von den Schmerzen ganz zu schweigen! Er lachte noch, als Zephyr vor ihm auf die Knie ging, seine Hose öffnete, selbstlos für die erlittene Qual entschädigte. #~~~~~> "Ich kann nicht glauben, dass du das gemacht hast!" Hastig eilten sie zum Speisesaal. Es würde ein Eintreffen mit Glockenschlag sein. Zephyr lächelte, rieb sich demonstrativ in einer kreisenden Bewegung über den Bauch. "Eiweiß soll gesund sein." "Depp!" Murmelte Hyakinthos mit geröteten Wangen. Er hatte das sichere Gefühl, dass die Angst eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. #~~~~~> Hyakinthos suchte nach Taliesin. Er wollte sich versichern, dass es seinem Freund gut ging. Dass der ihn nicht etwa mied, weil ihm ihre letzte Unterhaltung unangenehm war. Man hatte ihm gesagt, dass Taliesin in einem der Klassenräume, die nicht mehr für den Unterricht genutzt wurden, da die letzten Stunden bereits beendet waren, singen wollte. »Ich müsste ihn doch hören?!« Hyakinthos spähte in jeden Raum, öffnete jede Tür, störte einige der Studiengruppen. Als er seine Suche schon entmutigt aufgeben wollte, vermutete, einer Ente aufgesessen zu sein, hörte er Stimmen. Eine kultivierte Stimme, die mit einer anderen, sehr ungewöhnlichen Stimme disputierte. Da die Tür nur angelehnt war, konnte er einen Blick in den Raum werfen, ohne sich gleich zu entdecken zu geben. Ein schlanker Mann in anmutiger Haltung, in einen vornehmen Anzug gekleidet, modisch-elegant frisiert, sprach mit der kultivierten Stimme, die nahelegte, dass ihr Besitzer NIE stritt. Solcherart Auseinandersetzungen waren unter seinem Niveau. Sein Gegenüber war groß, breitschultrig, von dunkler Haut, wirkte in seinem Anzug, einem Sakko mit Hahnentrittmuster und überlangen Stoffhosen, denkbar unglücklich. Die schwarzen Haare entflohen bereits dem verzweifelten Versuch, sie artig nach hinten auf den Schädel zu kämmen. Das kantige Gesicht trug Bartschatten. Das Bemerkenswerteste an dem Fremden war jedoch seine Stimme. Sie war heiser und vollkommen tonlos, als habe er sich einmal am Kehlkopf verletzt und die Stimmbänder beschädigt. "...selbstverständlich werden WIR ihn fördern. Mit einem exklusiven Vertrag bauen wir Robert langsam auf, sorgen für eine hervorragende Ausbildung und buchen Auftritte auf den besten Bühnen der Welt. Das ist eine einmalige Gelegenheit, das verstehen Sie doch wohl?" »Robert?« Hyakinthos staunte. »ROBERT?! DAS ist Taliesins Vorname?!« Taliesin wirkte nicht glücklich. Er kauerte auf dem Fensterbrett, starrte hinaus. Seine Miene war so blank, dass Hyakinthos am Liebsten sofort hineingestürzt wäre, die beiden Streithähne am Kragen hinausbefördert hätte. Allerdings krächzte nun der zweite Mann. "Ich entscheide nicht. Das steht mir nicht zu. Ich bin hier, um Edward zu vertreten. Bitte akzeptieren Sie eine Bedenkzeit bis zum Abschluss. Sie verlieren doch nichts dabei und Sie können sicher sein, dass es ein reiflich überdachter Entschluss ist." Der Elegante schwieg, las dann seinen feinen Mantel auf, den er lässig über einen Tisch geworfen hatte. "Ich erwarte dann deine Antwort zum Ende dieses Schuljahrs, Robert." Äußerte er unterkühlt, nickte grußlos zu dem breitschultrigen Mann. Hyakinthos gelang es gerade noch, in einen anderen Eingang zu schlüpfen, bevor der Mann mit knappen Schritten über den Flur davonging. Im Klassenzimmer blieb es still. Der Fremde streifte sich das Sakko ab, offenbarte ein Hemd, das feuchte Flecken verunzierte. "Dein Bruder wird bestimmt das nächste Mal kommen können." Krächzte er mit tonloser Stimme. Taliesin reagierte nicht. Der Fremde drehte das Sakko in seinen Händen, wandte sich der Tür zu. "Schade, dass ich dich nicht singen hören kann. Es ist eine schöne Gabe." Erneut huschte Hyakinthos eilig weg. Zu seiner Überraschung hörte er Taliesin etwas flüstern. Wollte er dem Fremden doch den Gefallen erweisen? Hyakinthos konnte es kaum glauben, als er die Worte identifizierte: >help me< von den Beatles?! Aber es klang nicht nach Taliesin. Seine Stimme stockte, verfehlte die Töne, würgte an Worten. »Was ist los?!« Erschrocken schoss Hyakinthos aus seinem Versteck. Als er in den Klassenraum stürmte, stand der dunkle Fremde vor Taliesin, tupfte mit einem sorgfältig gebügelten Stofftaschentuch Tränen von dessen Gesicht. "Taliesin?" Piepste Hyakinthos erschrocken. Der Barde erblickte ihn, zwang sich ein Lächeln auf das Gesicht. "Ah, Hyakinthos..." Der Fremde hob einen Arm, streckte die Hand aus. Hyakinthos ergriff sie sehr vorsichtig. Es war eine Hand, in der sich viel Kraft verbergen konnte. Trotz der dunklen Haut, die einen durchaus merkwürdigen Farbton hatte, der Bartschatten und der dichten Augenbrauen wirkte der Hüne freundlich. In den braunen Augen schimmerte ein rotes Leuchten, das Hyakinthos verwirrte. Er starrte, gegen seinen Willen, auf die gewaltige, gezackte Narbe, die den gesamten Hals des Fremden entstellte, zuckte zusammen, als die tonlose Stimme krächzte. "Ich heiße Arnd." "Angenehm." Stotterte Hyakinthos. "Mein Name ist..." "Hyakinthos." Sprang Taliesin ein. Arnd lächelte vorsichtig. Es schien Hyakinthos, dass der Mann sich überhaupt sehr bedächtig und behutsam bewegte. "Ist alles in Ordnung?" Hyakinthos drehte den Kopf, studierte Taliesin besorgt. Der zuckte mit den Schultern, grimassierte verloren. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Arnd in einer Hosentasche fingerte, eine Visitenkarte produzierte. So umsichtig wie vorher legte er sie vor Taliesin auf einen Tisch. "Ruf mich an." Er nickte, nahm sein Sakko auf, verließ den Raum. "Du liebe Güte!" Murmelte Hyakinthos. "WER ist das denn?" Tröstend legte er einen Arm um Taliesins Schultern. Der fischte die Visitenkarte heran. "Hausverwaltungsdienst." Las er halblaut vor, lehnte den Kopf gegen Hyakinthos. "Er hat gesagt, mein dämlicher Bruder habe ihn gebeten, für ihn einzuspringen. Der hat den ganzen MIST hier nämlich verbockt!" Hyakinthos konnte nicht anders, als den Kopf zu wenden und Taliesin verblüfft anzustarren. Taliesin dagegen fauchte wütend. "Er musste ja unbedingt ein Video von unserer letzten Weihnachtsfeier an diesen Lackaffen schicken! Damit aus mir ein toller Sänger wird!" Zischte er bitter. Hyakinthos erschrak über sich selbst, galoppierte tollkühn weiter. "Das klang allerdings nicht besonders gut." Der Barde sackte wieder unglücklich in sich zusammen, als habe man ihm die Luft rausgelassen. "Ich KANN nicht so einfach auf Befehl irgendwas singen." Rechtfertigte er sich leise. "Ich weiß auch nicht, was ich machen soll! Alle scheinen fest davon auszugehen, dass ich Sänger werden will! Wenn ich zweifle, glauben sie, ich sei zu bescheiden! Oder fische nach Komplimenten! Oder veralbere sie!" Hyakinthos beschloss, dass eine Umarmung DRINGEND benötigt wurde. Er verabreichte sie sofort, wiegte Taliesin ein wenig. "Du hast doch Zeit." Flüsterte er beruhigend. "Bis zum Ende des Schuljahrs. Dann kann man immer noch eine Lösung finden." Er drückte Taliesin einen Kuss auf die Wange. "Also, ich bin der Meinung, dass du NICHT Sänger sein MUSST. Mir ist viel wichtiger, dass es dir gut geht und du lachst. Caratacus ist ja auch mit Grünzeug viel glücklicher als mit Mathe, obwohl er darin genial ist." Dem war nichts weiter hinzuzufügen. Taliesin lächelte wieder, hakte sich bei Hyakinthos unter, schlug vor, sich vor dem Abendessen noch eine gesunde Grundlage zu verschaffen, indem sie sich eine sorgsam gehütete Tafel Schokolade teilten. #~~~~~> Kapitel 13 - Auf Leben und Tod Hyakinthos trocknete sich die Haare. »Das war ein richtig schöner Sonntag.« Resümierte er zufrieden. Seit drei Tagen rückte ihm Zephyr nicht mehr auf den Pelz, seine Noten hatten sich gebessert. Die Kopfschmerzen waren nicht zurückgekommen, es gab keine Panik-Attacken mehr. Außerdem war es ihm tatsächlich gelungen, Erebos mit ins Naturfreibad zu schleifen. Das stellte wahrhaftig eine erinnerungswürdige Leistung dar! Zusammen mit Taliesin hatte er Erebos aufgespürt, abgepasst, so lange beschallt mit Bitten und Betteln, bis der schließlich entnervt aufgegeben hatte. Sein Unbehagen war durchaus verständlich. Zum ersten Mal sahen alle anderen Leute Erebos so, wie ihn nur seine Klassenkameraden und Hyakinthos bisher erblickt hatten: in seinem Körper staken unzählige Metallstecker. Trotzig ließ er sich beglotzen, ignorierte die scheelen Seitenblicke. Die Kinder, die beobachteten, wie er sich mit Artaios die Aufgabe teilte, sich blitzschnell im Kreis zu drehen, um Hand und Fuß frei zu geben, das Opfer spritzend eintauchen zu lassen, kannten keine solche Scheu. Für sie zählte, dass Erebos mit ihnen tauchte, sie in Schlepptau nahm, herumspritzte und den beliebten Kreisel spielte. Hyakinthos glaubte sogar einmal gesehen zu haben, wie Artaios Erebos beobachtete, dabei lächelte. Das war nur ein kurzer Augenblick, er konnte nicht sicher sein, sich nicht getäuscht zu haben. Es war laut, lustig und turbulent zugegangen, sodass beim Abendessen einige bereits sehr müde und andere überdreht waren. Mit frisch gestutzten Locken, die nicht länger wie ein gestrandetes Vogelnest wirkten, fühlte sich Hyakinthos auch sehr viel besser. Er trug zum ersten Mal die Locken bis über die Schultern lang, damit er sie im Nacken zusammenfassten konnte, um die Hitze erträglicher zu gestalten, die im Sommer drohte. Hyakinthos war nicht sicher, ob ihm diese Frisur stand. Zumindest blieb im Augenblick kein grobzinkiger Kamm mehr rettungslos in seinem Haar hängen. Er kletterte in sein Hochbett, hängte das Handtuch über die begrenzenden Streben, zog die Vorhänge zu. Diese Nacht würde sicher erholsamen Schlaf bringen. Auf das allgemeine Signal hin wurden die Lichter gelöscht. Hyakinthos rollte sich auf den Rücken, schloss die Augen, dämmerte langsam weg. Umso verwirrter war er, als jemand über seine Wange strich! Hastig tastete er nach dem kleinen Licht, doch eine Hand fing seine ein. "Kein Licht." Raunte die Stimme viel zu nahe an seinen Lippen. "Zephyr?!" Hyakinthos zischte die Silben, flüsterte wütend. "Bist du irre? Ich will schlafen, verschwinde sofort wieder!" "Das geht nicht." Raunte Zephyr an seinem Hals, küsste ihn auf eine Wange. "Ich brauche Schäfchen zum Zählen. Da kommst du ins Spiel, mein Lämmchen." "Depp!" Knurrte Hyakinthos leise, wollte nicht, dass man sie hörte. "Tickst du noch ganz richtig?! Hier schlafen fast zwanzig Leute! Die werden uns hören! MÖCHTEST du, dass man uns erwischt?" Für einen langen Augenblick blieb es ruhig, während Hyakinthos sich in der Dunkelheit zu sortieren suchte. Wie war es Zephyr bloß gelungen, ohne Licht lautlos zu ihm zu schleichen?! »Hoffentlich erinnert er sich an die Sache im Klo!« Dachte er empört. Wieso musste Zephyr ihm auch einen perfekten Tag verderben wollen?! Dessen dunkle Stimme raunte schließlich an Hyakinthos' Lippen. "Ich will dich spüren, Hyakinthos. Ich kann nicht mehr warten." Ein Schauer huschte über Hyakinthos. Zephyr sprach ihn selten mit seinem Namen an, noch weniger in einem so ernsten, ungefiltert leidenschaftlichen Tonfall. Er suchte hastig nach einer Ablenkung. "Das geht nicht! Die anderen werden uns hören." "Ich versiegle deine Lippen." Versprach Zephyr unbeeindruckt, fing die Hände ein, die ihn abwehren wollten, bevor er Hyakinthos begierig küsste. Hyakinthos wusste, dass er keine Chance hatte. Die eigene Decke hielt ihn gefangen, sein Körper, bereits träge vom Schlaf und wohlig warm, reagierte erfreut auf die unerwartete Gesellschaft. Selbst wenn es ihm gelänge, Zephyr an die Luft zu setzen, musste er anschließend erst die Erregung abbauen. Knurrend schob er Zephyr ein wenig von sich, wickelte sich aus der Decke. "Aber schnell und leise, verstanden?" Flüsterte er streng, angelte nach seinem Handtuch. Es würde als Knebel herhalten müssen. Obwohl Zephyr Anstalten unternahm, ihm beim Entkleiden zu helfen, wehrte er die Hände ab, schlüpfte rasch selbst aus seinem Pyjama. »Bloß keine unnötigen Aktionen!« Ermahnte er sich. »Sonst schlägt er hier noch seine Zelte auf. Und ich WILL schlafen!« Eigentlich beabsichtigte Hyakinthos, sich auf alle Viere zu begeben, das Handtuch zwischen die Lippen geklemmt, um rasch wieder in angenehme Träume zu fliehen. Zephyr hegte andere Vorstellungen. Zum Beispiel die, Hyakinthos immer wieder zu küssen, seinen Leib von Kopf bis Fuß zu bestreichen, feuchte Spuren zu hinterlassen. Hyakinthos ballte die Fäuste, keuchte, stopfte sich hastig das Handtuch zwischen die Zähne. Es war unerwartet erregend, nicht mehr als einen Schatten zu sehen, nur zu fühlen, ohne genau zu wissen, wo Zephyr als nächstes Kontakt aufnehmen würde. Seinem Körper gefiel es. Zephyr legte sich Hyakinthos' Beine um die Taille, küsste ihn auf die Stirn, entführte mitleidlos den Knebel. Aufsteigender Protest erstickte in seiner Kehle, während er seinen Speichel teilte. Er legte sich Hyakinthos' Arme um die Schultern, intensivierte seine Küsse, während er ihre Erektionen aneinander rieb. Hyakinthos drehte den Kopf auf die Seite, keuchte kehlig. "Kondom!" Seine Wangen glühten, auch aus Scham, weil sein Körper so bereitwillig reagierte. "Du bist so süß." Hörte er Zephyr wispern, ein amüsiertes Kichern eingeschlossen. »Blöder Kerl!« Zürnte Hyakinthos halbherzig, schnappte nach Zephyrs Nasenspitze, bekam aber nur Luft zu schmecken. Andererseits war es doch erstaunlich, wie geschickt Zephyr in der Finsternis hantierte, ihm über die Wange leckte, während er gleichzeitig die Präservative überstreifte. "Gleitmittel?" Raunte der in Hyakinthos' Ohr, der ihm den Rücken zukehrte. "Oh." Murmelte Hyakinthos, rollte sich umständlich herum, unterdrückte das Keuchen, als er sich aufsetzte, bemühte, nach dem winzigen Bord zu tasten. "Ah!" Zephyr fing seine Hand ein, bevor Hyakinthos sich schmerzhaft die Finger anstoßen konnte. "Hab es." Hyakinthos blinzelte ungläubig. Man konnte man nicht die Hand vor Augen sehen! Er ließ sich aber bereitwillig wieder auf den Rücken sinken, legte den Unterarm über das Gesicht. Er spürte Zephyrs Rechte, die seinen Körper mittlerweile viel zu gut kannte, saugte nach kurzem Zögern an Zeige- und Ringfinger der linken Hand, die über seine Lippen strichen, zunächst wohl verhindern sollten, dass er zu laut sein Wohlbehagen kundtat. Es dauerte nicht lange, bis Zephyr seine Hand zurückzog, offenkundig eifersüchtig Hyakinthos' Mund verschloss. Hyakinthos hob die Beine hoch, stemmte die Füße kurzerhand gegen die Decke des Hochbettes. Glücklicherweise zeigte sich, dass die Hochbetten mit eingebautem Schrank und kleinem Schreibtisch sehr stabil ausgelegt waren. Kein verräterisches Ächzen oder Quietschen ertönte, als Zephyr seine Bewegungen verstärkte, von Hyakinthos eng umklammert wurde, zumindest, soweit es die Anatomie zuließ. Schwer atmend sackten sie nach wenigen Augenblicken auf die Matratze. Hyakinthos rollte sich auf den Rücken, blinzelte in die Dunkelheit. »Es ist also wahr.« Dachte er benommen. »Mein Körper mutiert wirklich. Ich bin wahrscheinlich sexsüchtig.« Mühsam versuchte er mit dem Fuß, nach seinem Pyjama zu angeln, der in dieser ungefähren Richtung verlustig gegangen war. "Nicht." Zephyr schmiegte sich an seine Seite, legte besitzergreifend einen Arm um ihn. "Du brauchst den nicht mehr." "Huh?" Entwischte Hyakinthos matt. Sein Gehirn stand noch immer unter dem Einfluss von euphorischen Glückshormonen. Zephyrs Nasenspitze rieb über seine Wange. Der wisperte leise. "Lohnt sich nicht, Lämmchen. Ich komme jede Nacht zu dir." "Uhhhh!" Stöhnte Hyakinthos, rollte sich auf die Seite, füßelte nach seiner Decke. Er war zu müde und zufrieden, um "notgeiler Sexprotz" zu schimpfen. Als ihm die Lider zufielen, bemerkte er, wie Zephyr sich aufrichtete, sie beide in die Decke hüllte, eng angeschmiegt einkuschelte. #~~~~~> Am Morgen fand Hyakinthos sich allein in seinem Bett, zwar nackt, was durchaus gewöhnungsbedürftig für ihn war, aber wenigstens nicht in elementaren Erklärungsnöten. Hatte Zephyr das ernst gemeint? Wollte er wirklich jede Nacht bei und mit ihm schlafen? Hyakinthos wankte, körperlich erholt, aber geistig noch bettwarm, zu den Duschen. Während unzählige Tropfen ihn liebkosten, fragte er sich, ob man seinen Testwerten wohl ansah, dass seine Mutation voranschritt. #~~~~~> Hyakinthos lag auf dem Rücken, visierte die Decke an. »Stockdunkel.« Stellte er fest. Wie konnte Zephyr sich so zielsicher bewegen?! Hatte er vielleicht unsichtbare Schnurrhaare? Einen eingebauten Radar? Sein Herz klopfte unruhig, in seinem Magen gärte es nervös. Natürlich trug er seinen Pyjama. Nackt ins Bett zu kriechen, das war wirklich zu verrucht, zumindest nach seiner Auffassung! Außerdem sollte dieser eingebildete Kerl nicht glauben, dass er so leichtes Spiel hatte! Er spürte die minimalen Erschütterungen, als Zephyr die Leiter hoch glitt, aber er hörte ihn nicht. Zephyr musste JETZT die Vorhänge teilen...aber selbst da zeichnete sich nicht mehr als eine Silhouette ab. Hyakinthos ließ zu, dass Zephyr die Decke beiseite schlug, mit den Händen über seinen Körper glitt. »Stoff!« Streckte er in der sicheren Dunkelheit die Zunge raus. »Haste wohl nicht mit gerechnet, was?« Andererseits gestand er sich nach einigen Momenten ein, dass er möglicherweise ein wenig voreilig gewesen war. Wenn Zephyr ihn auszog, geschah das nicht etwa geschäftsmäßig und schnell. Es war eher ein Striptease, ein langgezogenes Vorspiel, weil er ihn küsste, streichelte, jedes befreite Stückchen Haut persönlich begrüßte. Schon das Aufknöpfen und über die Schultern hinunter auf die Handknöchel Streichen des Oberteils brachte Hyakinthos an den Rand der Selbstbeherrschung. Er hörte sich selbst keuchen, spürte, wie seine Bauchdecke flatterte. Zephyr war noch längst nicht mit ihm fertig. Millimeter um Millimeter musste die Pyjamahose mit chirurgischer Präzision entfernt werden. Auf die Ellen gestützt, die Beine aufgestellt und weit gespreizt, weil er schon bunte Flecken vor Augen hatte, sah Hyakinthos nicht die geringste Veranlassung, sich zurückzunehmen. Er konnte es gar nicht. Sein Körper glühte, seine Hüften zuckten von allein. Er verlagerte sein Gewicht auf einen Arm, streckte die Hand aus, um über Zephyrs Erektion zu streicheln. Seine Finger zitterten vor unterdrückter Lust zu stark, um das Kondom überzustreifen. Wenigstens konnte er Gleitmittel einigermaßen hilfreich applizieren. Zephyr war kein Sadist, kein grausamer Egozentriker. Er ließ Hyakinthos nicht warten. Wenn sich dessen Beine teilten, die Arme um seinen Rücken bogen, er die Zunge in Hyakinthos' Mund einführen konnte, synchron mit seinen Bewegungen unter dem Äquator, tat er das. Anschließend legte er die Arme um Hyakinthos, wenn sie glühend um Luft rangen, wiegte und hätschelte ihn. Er blieb bei ihm zum Schlafen, bis der Morgen anbrach. #~~~~~> »Er meint es wirklich ernst.« Dachte Hyakinthos, als er wartete, dass das Licht gelöscht wurde. »Die siebte Nacht in Folge.« Er lächelte mit geschlossenen Augen. Mittlerweile streifte er seine sommerlichen Boxershorts gleich ab, wenn er die Vorhänge zugezogen hatte. Es war auch vertraut, vollkommen nackt zu schlafen, verschlungen mit Zephyrs Gliedern. Am Morgen wachte er zwar immer allein auf, aber beim Einschlafen wurde er immer gehalten, umarmt, geküsst. »Und er wird mich NICHT verraten!« Triumphierte Hyakinthos stumm. Dafür war Zephyr dann doch zu eifersüchtig. Hyakinthos spürte es, wenn Zephyrs Finger, seine Zunge über den Stecker glitten, den Erebos unterhalb seines Bauchnabels durch seine Haut getrieben hatte. Es war ein besonderer Punkt, sollte ihm helfen, sich zu fokussieren. Für Zephyr stellte es wohl einen WUNDEN Punkt dar. Der war sich nicht GANZ sicher, ob er nicht doch Konkurrenz zu fürchten hatte. »Wenn er mich verraten würde, könnte er auch nicht mehr damit rechnen, dass mein Bett leer ist, wenn er hineinklettert!« Grinste Hyakinthos. Immerhin würde ja jeder potentiell...richtig? Es fühlte sich gut an, nicht ausgeliefert zu sein, eine kleine Schwäche entdeckt zu haben, die man im Notfall einsetzen konnte. »Weiterer Vorteil: die anderen brauchen sich nicht zu bemühen.« Zählte Hyakinthos in der einsetzenden Dunkelheit auf. Die mündlichen Prüfungen näherten sich mit großen Schritten. Der Pegel der angespannten Nervosität stieg ständig. »Einziges Problem: Calculus.« Runzelte er die Stirn, schlug die Augen auf. Der Lehrer stellte nicht exakt das Problem dar. SEINE Messergebnisse waren es, die langsam kritisch wurden. »Nicht, dass ich darin lesen könnte.« Hyakinthos seufzte leise. Er verstand die Notizen nicht, wie sollte er auch. Was er aber bemerkte, war der Ausdruck auf Calculus' Gesicht. Der sagte deutlich, dass jemand vor einem Rätsel stand. Möglicherweise war seine Mutation beendet? Oder zeichnete sich an den Werten ab, dass er jeden Tag Sex mit Zephyr hatte? Beschleunigte diese Tatsache etwas anderes, dass man nur als fachtechnisch bewanderte Person erkennen konnte? Flinke Finger strichen hauchzart über seine Fußsohlen. Hyakinthos zog reflexartig die Beine an, keuchte leise. Auch seine Fußsohlen waren empfänglich für Zephyrs Schabernack. Er spürte, wie Zephyr zu ihm glitt, sich über ihn beugte. Zuerst seine Beine auseinander drückte, ihre Unterleibe in Kontakt brachte, bevor er sich langsam herabließ, um seinen Atem auf ihn zu hauchen, ihn endlich zu küssen. Zuerst immer ein sanfter, höflicher Kuss, eine Begrüßung. Danach wurde es rasch animalischer, hungriger. Zephyr legte nicht einfach Lippen auf Lippen, er erforschte, bestrich, lockte, saugte, neckte, bedachte ihn mit Speichel und Atem. Mit anderen Worten: Zephyr küsste ihn so, als wäre es die einzige Möglichkeit, mit ihm wirklich intim zu sein. »Glücklicherweise mag ich Zephyrs Geschmack.« Dachte Hyakinthos. Um nicht zu sagen, dass es ihn erregte, auf diese Weise geküsst zu werden. Er glitt mit den Händen über Zephyrs Rücken, dessen Hintern, streichelte die Falte, wo sich die Oberschenkel anschlossen. Sie waren so vertraut, dass es beinahe schon unheimlich war, fand er, hob ein aufgestelltes Bein an, um mit der Fußsohle über Zephyrs Oberschenkel und dessen Hintern zu gleiten. Zephyr schob sich von ihm herunter auf die Seite. Willig folgte Hyakinthos der Bewegung, kehrte ihm den Rücken zu. Gestern, als er wirklich todmüde gewesen war, hatte Zephyr einfach seinen Oberschenkel hochgehalten, um mit ihm zu schlafen. Es war gar nicht nötig, wie mit einer Dampframme Schwung zu holen, wenn man sich so gut kannte. Heute war Hyakinthos allerdings noch längst nicht müde. Zu viele Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Er hoffte, dass Zephyr ihnen für diese Nacht die Energie entziehen würde, damit er sich auf Morgen vertagen konnte. "Wenn du wirklich jede Nacht kommst, gehen mir bald die Gummis aus." Wisperte Hyakinthos, begleitete Zephyrs Hand, die in großen Kreisen über seinen Torso strich. Ein Kuss streifte seine Ohrmuschel. Zephyr lachte leise. "Ich habe noch genug, keine Sorge. Und, KOMME ich nicht jede Nacht?" Ergänzte er anzüglich. "Depp!" Murmelte Hyakinthos, dirigierte Zephyrs Hand auf seine Erektion. Er wollte nicht lange warten, nicht Zeit mit Flirten verschwenden. Zephyr hegte, natürlich!, andere Ansichten. Er drehte ihn wieder auf den Rücken, bedeckte ihn mit Küssen, tummelte sich bei seinen Brustwarzen so lange, bis Hyakinthos ihn warnend an den Ohren ziehen musste. Hyakinthos rollte sich auf die Knie, kehrte Zephyr den Rücken zu. Ein wenig ungelenk ließ er sich nach vorne auf seine Ellen fallen, hob den Hintern an und spreizte die Beine. Zephyr erwartete nie, dass er selbst die Vorbereitungen traf, sich mit Gleitmittel versorgte. Er keuchte auf seine Handgelenke, wartete, dass sich Zephyrs Körper wie eine zweite Haut an seine Rückseite schmiegte, von den Knien bis zum Nacken, wo ihn Küsse ablenkten, wenn Zephyr in ihn eindrang. Hyakinthos hörte sich leise seufzen, voller Genuss. Das war beschämend, allerdings nicht mehr sonderlich. Dafür fühlte es sich einfach zu gut an. Zephyrs Hände glitten seine Arme hinab, streichelten seine Achselhöhlen, wanderten über seine Seiten tiefer, bis sie sich um seine Erektion kümmern konnten. Dieses Mal jedoch umschlangen ihn Zephyrs Arme in Brusthöhe, um ihn dann langsam aufzurichten. Überrascht, doch willig folgte Hyakinthos der Einladung, auf Zephyrs Schoß zu sitzen, wo die Schwerkraft ihm ein würdiger Gegner sein würde. Außerdem konnte er nun gut kontern, indem er die Knie anzog, seine Schließmuskeln spannte. Dann war es Zephyr, denn man scharf durch die Zähne Atem einholen hörte. Aber Hyakinthos hatte nicht die Absicht, sich oder Zephyr zu quälen. Dazu hätte es kohärenter Aktionen bedurft. Hier führte allein seine Libido Regie. Die hieß die Beine sich spreizen, die Muskeln, nicht gar so streng zu sein, während Hyakinthos den Kopf drehte, von einer Hand geleitet, damit Zephyr ihre Kussorgie weiterführen konnte. Ihre jeweils andere Hand traf sich auf Hyakinthos' Unterleib, streichelte Kreise, spielte mit dem Stecker, bis endlich das Pulsieren von Hyakinthos' Erektion der größte Anziehungspunkt wurde. Hyakinthos' Hand wollte beschleunigen, Zephyrs dagegen verzögern. Zepyhr wippte leicht, spannte die Oberschenkelmuskeln an, als wolle er sich erheben. Hyakinthos konterte. Ihr Kräftemessen beschleunigte sich. Hyakinthos musste schließlich beide Hände lösen, sie gegen die Decke des Hochbettes pressen, um nicht in der Aufzug-artigen Bewegung mit dem Kopf dagegen zu stoßen. Zephyr verschloss ihm den Mund, mal mit Kuss, mal mit einer Hand, sodass außer seinem Atem, dem leisen Ächzen des Lakens und Hyakinthos' gedämpften Lauten nichts zu hören war. Kein einziger Laut von den Explosionen, die sie erzeugten. #~~~~~> Hyakinthos fing den streunenden Arm ein, legte eine Hand auf Zephyrs, damit der nicht wieder über den Stecker in seinem Unterleib streichelte. Es erregte ihn nämlich. Für heute Nacht hatten sie genug Bewegung gehabt, wenn sie noch schlafen wollten. Zephyr küsste seine Schulter, schmiegte das Gesicht in seinen Nacken, auf die dunkelblonden Locken. Sie lagen so eng, dass eine Decke Verschwendung erschien, weil ihre Körperwärme sich gegenseitig durchdrang. "Kannst du nicht schlafen?" Erkundigte sich Zephyr raunend. "Hm." Murmelte Hyakinthos. Da sein Körper befriedigt war, übernahm sein Verstand wieder die Regie. Der summierte die Angelegenheiten, bei denen Hyakinthos Hilfe zugesagt, aber noch nicht geleistet hatte. Es war noch immer nicht gelungen, Erebos und Artaios zu versöhnen. Zumindest hatte ER nichts dazu beigetragen. Außerdem nagte Taliesins Kummer an ihm. Er rollte sich auf die andere Seite, legte den Kopf auf Zephyrs Schulter, streichelte über dessen Seite. Zephyr umfasste sein Kinn, hob seinen Kopf an, um ihn zärtlich zu küssen. "Was ist los?" Auch Zephyr gab nicht so einfach auf. Hyakinthos fädelte sein Bein zwischen Zephyrs ein, schmiegte sich enger an ihn. "Sag mal, weißt du schon, was du nach dem Abschluss machen willst?" Flüsterte er leise. Für einen langen Augenblick blieb es still. Hyakinthos lauschte Zephyrs Herzschlag, senkte die Lider. Er konnte in der Dunkelheit ohnehin nichts erkennen. "Was muss man studieren, um Heuschrecke zu werden?" Erkundigte sich Zephyr endlich in süffisantem Ton. "Hm?" Hyakinthos blinzelte irritiert, wurde an Zephyr gedrückt, bevor er sich aufsetzen konnte. "Du weißt schon, Feind der Gesellschaft, skrupelloser Manager, Finanzhai, Firmenzerstörer." Referierte Zephyr leise, bis er spürte, dass Hyakinthos begriff. "Depp!" Grummelte der verärgert. Wieso nahm Zephyr sein Frage nicht ernst?! "Oh nein!" Hörte er ihn mit ungewöhnlich heller Stimme piepen. "Willst du mir sagen, dass du schwanger bist? Müssen wir heiraten?" Noch bevor Hyakinthos sich von ihm rollen konnte, umklammerte Zephyr ihn eisern. "Keine Angst!" Verkündete er in tiefen Basstönen. "Ich werde zu meiner Verantwortung stehen, Liebes. Ich werde unsere kleine Familie nicht verhungern lassen!" "Du bist so ein Idiot!" Schnaubte Hyakinthos leise, pflückte die Hand ab, die seinen GANZ sicher NICHT schwangeren Bauch bestrich. Er wollte sich auf die andere Seite drehen, Zephyr den Rücken kehren, aber Zephyr ließ ihm seinen Willen nicht, sondern fixierte ihn auf der Matratze. Seine Stimme klang gar nicht mehr leichthin und amüsiert. "Um wen geht es? Den Riesen? Oder das Goldkehlchen? Den Metall-Freak?" Hyakinthos starrte nach oben, auch wenn er dort nichts erkennen konnte. Nur Zephyrs Atem verriet, dass er sich über ihn beugte. "Bist du eifersüchtig?" Zischte er zurück. Man konnte eben nicht immer ein netter Junge sein! "Ja." Hyakinthos spürte, wie sein Herz stockte. Zephyrs Antwort war direkt, schlicht und mutmaßlich ehrlich. Er hob einen Arm an, soweit es der Druck auf seiner Schulter zuließ, berührte Zephyrs Seite. "Das sind meine Freunde." Stellte er leise richtig. "Ich dachte, dass wir uns auch unterhalten können. Mein Fehler." Er drehte den Kopf zur Seite. Es lag an Zephyr, ob der bockig blieb oder erkannte, dass man Vertrauen auch schnell wieder verlieren konnte, wenn man sich wie ein Idiot aufführte! Hyakinthos spürte, wie Zephyr sich aufsetzte, die Hände von seinen Schultern nahm, wo er ihn in die Matratze gedrückt hatte. Langsam begann er, über Hyakinthos' Torso zu streichen, seine Wange, die Locken, streckte sich endlich neben ihm aus, schmiegte sich an seinen Rücken, legte eine Hand auf Hyakinthos' Leib, als könne sich wirklich darunter ein Kind befinden. "Ich verspreche dir, ich stehe dir bei." Raunte Zephyr in Hyakinthos' Nacken, dem das Herz bis zum Hals klopfte, völlig ohne Grund! Hyakinthos entließ eingehaltenen Atem, was zu seiner Überraschung wie ein Seufzer klang. #~~~~~> Calculus trommelte mit den Fingern auf eine Anrichte, tippte auf den Bildschirm, um Hyakinthos Daten zu zeigen. Die sagten dem allerdings nichts. "Irgendetwas vorgefallen in den letzten Tagen?" Erkundigte sich der Lehrer irritiert. "Nein." Antwortete Hyakinthos nicht ganz wahrheitsgemäß, in der sicheren Überzeugung, dass es nicht ratsam war, von seinen nächtlichen Eskapaden zu berichten. Ohne Not Sex zu haben war sicherlich kein Anlass zur Beruhigung. "Also gut." Calculus klappte den Deckel des Laptops herunter. "Ich habe die Mischung leicht verändert. Anhand der Simulation müssten wir damit alle Probleme in den Griff kriegen: Kopfschmerzen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Magenprobleme." Er reichte Hyakinthos die Kapseln in einem Schraubbecher, wie immer ordentlich etikettiert. "Danke schön." Hyakinthos rutschte erleichtert von der Liege. Zum ersten Mal war er an diesem Morgen in Zephyrs Armen aufgewacht. Der schlief selbstverständlich nicht, sondern betrachtete ihn. Was Hyakinthos, mit verklebten Augen, zerzaustem Lockenschopf und Knitterfalten vom Laken auf dem nackten Leib überhaupt nicht GALANT fand. »Allerdings an die Küsse könnte ich mich gewöhnen.« Seufzte er beschämt. Seltsamerweise schmeckte Zephyr immer gut, auch am frühen Morgen, wenn der Gipfel des Genusses vermutlich in alter Socke mit Flusenbefall auf der Zunge bestand. Er huschte in den Waschraum, schob eine Kapsel in eine Backe, senkte den Kopf unter den Wasserhahn, schluckte sie runter. #~~~~~> Hyakinthos umklammerte seinen Tisch mit beiden Händen. Er schwitzte, spürte, wie ihm sein T-Shirt am Leib klebte. So übel war ihm noch nie gewesen! Beim Frühstück war doch alles in Ordnung?! Außerdem hatte er Mühe, Luft zu holen. War es vielleicht eine Sommergrippe? Warum dröhnte ihm morgens der Kopf?! Sein Körper wollte ihm nicht mehr gehorchen. Kaum konnte er den Kopf drehen, zu Zephyr blicken. Dessen Gesichtsausdruck wirkte außerordentlich erschrocken. »Hilf mir!« Wollte Hyakinthos bitten, aber dafür fehlte ihm die Kraft. #~~~~~> "Was ist los?!" Erebos schoss nach dem ersten Alarm als Ersthelfer herein, drängte sich zwischen ängstliche und ratlose Jugendlich. Irgendjemand war klug genug gewesen, Hyakinthos auf die Seite zu drehen, damit er nicht ersticken konnte, hatte ihm den Kopf im Nacken überdehnt. Schaumiger Speichel tropfte von seinem Mund. Jeder rasselnde Atemzug beförderte eine neue Ladung. "Ruft einen Rettungswagen!" Gab er Anweisungen, ließ die Hände über Hyakinthos' Körper schweben. "Sie sollen sich beeilen. Sein Kreislauf versagt!" "Holt eine Trage!" Erteilte er Anweisungen, starrte Calculus an, der auf Badelatschen hereingeflogen kann. "Wir brauchen Sauerstoff, schnell!" Außerdem mussten sie rasch absaugen, was da durch die Luftröhre hochstieg. "Was hat er gegessen?! Hat das jemand gesehen?!" Puls sehr schwach, Herzschlag unregelmäßig, überhöhte Körpertemperatur. "Die Kapseln!" Erebos wandte den Kopf zur Seite, starrte Zephyr an, der Hyakinthos' Hand umklammerte. "Es sind die Kapseln." Erebos überlegte. "Aber die nimmt er doch immer?!" Da störte ihn das Eintreffen der Trage. Aus der Ferne dröhnte das Martinshorn. Sie hatten keine Zeit zu verlieren: Hyakinthos musste auf schnellstem Weg in ein Krankenhaus gebracht werden. #~~~~~> Erebos tippte sich mit einem Stift gegen den Ring in seiner Unterlippe. Eigentlich sollte er zu seinem Unterricht zurückkehren, aber nach der Mittagspause hatte er sich selbst befreit. Von Hyakinthos wusste man nur, dass er mit multiplen Organversagen auf der Intensivstation lag. Ob es ein Virus war? Oder eine Vergiftung? Die Untersuchungen liefen noch. Im Augenblick war sein Zustand lebensgefährlich, aber stabil. Erebos starrte auf die Werte. Sie HATTEN sich verändert. An einigen Tagen wirkte Hyaktinhos' Allgemeinzustand erstaunlich gut. Man konnte sogar davon sprechen, dass er gesund war, in etwas ungewöhnlichen Parametern. Calculus hatte die neue Mischung in den Kapseln auf die Werte abgestimmt. Jede einzelne Simulation, auch die der schlechteren Tage, zeigte, dass sie zumindest keinesfalls schädlich auf Hyakinthos' Organismus wirken würde. »Warum liegt er dann auf der Intensivstation?!« Erebos spielte mit der Zungenspitze und dem Ring in seiner Unterlippe. Er zuckte zusammen, als ein Schatten auf seinem Monitor erschien, fuhr herum. »Zephyr!« "Was machst du hier?! Wie bist du hereingekommen?!" Erebos kam auf die Beine. "Dafür ist jetzt keine Zeit!" Wirkte der ungezogene Bengel nicht ein wenig blass? Erebos setzte zu einer bissigen Replik an, aber Zephyr schob sich schon an ihm vorbei, starrte auf die Patientenakte auf dem Bildschirm. "So kann das nicht funktionieren!" Hörte er Zephyr zornig flüstern. Der packte ihn am Handgelenk. "Du musst mir helfen!" Drängte er. "Jetzt mach mal halblang!" Erebos schüttelte die Hand ab. "Wir sorgen uns alle um Hyakinthos, aber er ist in den besten Händen..." "DAS REICHT NICHT AUS!" Der Wutschrei trieb Erebos einen Schritt zurück. Zephyr wandte hastig den Kopf ab, atmete tief durch. Er funkelte in die schwarzen Augen des Älteren, wies mit einem Finger anklagend auf das Display. "Der verdammte Computer hilft uns hier nicht! Es reicht nicht, bloß Messwerte zu analysieren! Wir wissen BEIDE, dass Hyakinthos kein normaler Mensch mehr ist." Erebos' Augenbrauen zogen sich zusammen. "Hat er dir davon erzählt?" Zephyr wich ihm nicht aus. "Nein, ich habe Erkundigungen eingezogen. Ich WEISS, was Hyakinthos jetzt ist. Das medizinische Personal im Krankenhaus weiß das nicht. Sie KÖNNEN ihm nicht helfen. Aber ICH!" "Ach was?" Bemerkte Erebos spöttisch, verschränkte die Arme vor der Brust. Er war leider überzeugt, dass Zephyr genau spürte, dass diese Sicherheit auf tönernen Füßen stand. Zephyr ließ sich nicht ablenken. "Er wird sterben, Erebos. Dort hat er keine Chance. Wenn du mir hilfst, kann ich ihn retten!" Erebos beugte sich vor, klappte den Laptop zu. "Wie willst du das anstellen?" "Wir gehen ins Krankenhaus." Zephyr drehte sich bereits zur Tür um. "Du stehst in der Intensivstation Schmiere. Ich brauche etwa fünfzehn Minuten." "Moment mal!" Erebos rührte sich nicht. "WIE GENAU willst du Hyakinthos helfen?" Zephyr warf ihm einen unleserlichen Blick über die Schulter zu. "DAS ist mein Geheimnis." Damit verließ er die Krankenstation. Erebos zögerte. »Ich muss die Tür mal überprüfen!« Nahm er sich abgelenkt vor, gab sich einen Ruck. Auch wenn Zephyr zweifellos ein unerträglich verzogener Lümmel war, es kam nicht in Frage, eine Chance auszulassen! Das sagte Erebos SEIN Talent. #~~~~~> So, wie sie waren, verließen sie das Schulgelände. Ohne sich abzumelden, mit zwei Fahrrädern, die sie ungefragt aus dem Lager entfernten. Das versprach erheblichen Ärger, wenn man sie dabei erwischte. Erebos fuhr voran, er kannte den Weg besser. Es war nicht ganz ungefährlich, da es keine ausgewiesenen Radwege gab, manche Motorisierten sich offenkundig als Royalität der Landstraße fühlten. Als sie das Krankenhaus erreichten, einigermaßen außer Puste von der Anstrengung und der sommerlichen Hitze, erklärte Zephyr, in T-Shirt und Jeans formal gekleidet, seinen Plan. "Wenn wir in der Intensivstation sind, werden sie uns sicher nicht zu ihm reinlassen. Deine Aufgabe ist es, anwesendes Personal abzulenken und Schmiere zu stehen. Ich schleiche mich in Hyakinthos' Zimmer, lege los." Er wischte sich durch das Vogelnest, das seine Haare darstellten. "Denk dran, ich muss etwa fünfzehn Minuten ungestört sein. Das sollte reichen." "Und wenn es schiefgeht?" Erebos steckte die Hände in die tiefen Taschen seiner Lederhose. Dass er unter den Trägern ein pinkfarbenes Unterhemd trug, auf dem skizzierte Ausschnitte des Kama Sutra zur Anleitung für das tägliche Leben zu sehen waren, gab der Gesamtkomposition einen gewissen Reiz. "Das darf es nicht!" Entgegnete Zephyr scharf. Erebos kramte in seiner Hosentasche nach einem Lutscher. Er würde ihn brauchen. #~~~~~> Es war weniger kompliziert als erwartet, vielleicht, weil das Kreiskrankenhaus nicht mit einem perfiden Angriff aus dem Inneren rechnete. Mühelos erreichten sie die Intensivstation. Während Erebos sich vor dem Empfang aufbaute, jeden Blick blockierte, nach Hyakinthos fragte, durch sein Erscheinungsbild das Personal verstörte, huschte Zephyr blitzschnell und lautlos zur Schleusentür. Natürlich war sie gesichert, um unbefugtes Eintreten zu verhindern. Er kannte diese Art von elektronischem Schloss. Es zu öffnen war einfach. Glück zu haben, dass ihn niemand auf dem kurzen Flur entdeckte, ein Bonus. Zephyr wischte wie ein Schatten über den Gang, fand die richtige Tür. Hier war noch nicht jeder Bereich verglast, sodass die Intimsphäre der Schwerverletzten gewahrt wurde. Hatten sie die günstigste Zeit erwischt? Während der Besuchszeiten wurden üblicherweise keine Untersuchungen durchgeführt. Hier, in der Intensivstation, galten vermutlich andere Regelungen. Zephyr bezweifelte, dass er die kleine Papiertröte, die Erebos als Signal benutzen sollte, hören würde. Es war doch eine Menge Mauerwerk und Isolierung zu durchdringen. Es war keine Zeit für Zweifel! Er glitt zu Hyakinthos, studierte die Installationen, das Bett. Hyakinthos war grau im Gesicht, die Züge angestrengt, eingefallen. Eine Sauerstoffmaske versorgte ihn mit Atemluft, Elektroden klebten auf seinem Körper, von der Stirn bis zum Torso. Zephyr hob die Sauerstoffmaske an, beugte sich hinunter, küsste die trockenen Lippen, bog mit einer Hand den Unterkiefer, um sich Einlass zu verschaffen. Er spürte, wie Hyakinthos unter ihm zuckte. Er richtete sich wieder auf, justierte die Atemmaske. Hyakinthos war nicht richtig wach, nicht ansprechbar, aber sein Körper hatte ihn erkannt. »Dreizehn Minuten.« Stoppte er die Zeit, streifte sich die Jeans und die Unterhose vom Leib. Gelenkig kletterte er auf das große Bett. Es wurde heikel. Er durfte auf keinen Fall eine der Elektroden abreißen, um nicht sofort einen Alarm auszulösen. Er durfte sich nicht zu heftig bewegen, auch wenn das Bett stabil verankert schien. Zephyr schloss die Augen. Erinnerungen, Gefühle, Bilder und Berührungen. Er verdrängte den Zeitdruck, den Zwang, die unausweichliche Gewalttat. Es war nicht nötig, sich selbst zu befriedigen, wenn er Hyakinthos jede Nacht lieben konnte. Trotzdem kannte er sich gut genug, um schnell den gewünschten Effekt zu erreichen. Er krümmte sich mit pulsierender, ungeduldiger Erektion über Hyakinthos. Ein weiteres Mal musste die Sauerstoffmaske weichen. Er zögerte, als Hyakinthos den Kopf auf die Seite drehte, ein erbärmliches Röcheln aus seinem Brustkorb nach oben wanderte. Der Körper kämpfte gegen die menschliche Hilfe und die Medikamente. Das 'Vampir-Gift' war nicht zimperlich. Zephyr legte die Hände um Hyakinthos' Kopf, richtete ihn wieder aus. Die bläulich-dunklen Lider flatterten. Zur Sicherheit beschwerte Zephyr mit seinen Füßen die Oberarme, kniete unbequem. Er musste mit Gegenwehr rechnen, wenn er auf alles vorbereitet sein wollte. Seine Daumen drängten sich in Hyakinthos' Mundwinkel, stemmten dessen Kiefer auseinander. Er musste nur noch ein wenig tiefer sinken, mit einer Hand die Nasenflügel blockieren, den richtigen Punkt antippen, am Bändchen, wo er besonders empfänglich für die kleinste Berührung war. Und Hyakinthos musste artig schlucken. #~~~~~> Es lief nicht so, wie sich Zephyr es erhofft hatte. Hyakinthos kam zu sich. Das erkannte er an dem Blick, der ihn traf, die Augen noch verhangen, aber so entsetzt, dass Zephyr WUSSTE, dass Hyakinthos begriff. Aber er konnte nicht aufhören, sich nicht hinter moralischen Bedenken verschanzen, wenn er Hyakinthos helfen wollte. Er zuckte, entlud sich hastig, zog sich zurück, unterdrückte ein angestrengtes Keuchen, presste die Hand auf Hyakinthos' Mund und den Kiefer, damit der keine Wahl hatte, außer zu schlucken. Hyakinthos bäumte sich unter ihm auf, wollte dem Zugriff entfliehen, hatte aber alle Kraft im Kampf gegen den Tod aufgebraucht. Der Krieg in seinem Körper ließ keine Reserven mehr, seine Würde zu bewahren. Wacklig kletterte Zephyr herunter, zwang sich, auf seine Uhr zu blicken. »Sieben Minuten.« Er leckte sich über die Lippen. Das war sehr knapp! Er befestigte die Atemmaske wieder, ignorierte das lautlose Winseln. Er schlug die leichte Bettdecke zurück, schob den einfachen Kittel so hoch, dass er damit Hyakinthos' Unterleib freilegte. Klettern, erneut konzentrieren und massieren. Er spuckte auf seine Handflächen, rieb mit der einen Hand über Hyakinthos' Penis, während er mit der anderen versuchte, dessen rektalen Eingang vorzubereiten. Zephyr konnte nur hoffen, dass Hyakinthos' Disposition ihm zur Hilfe kam, sonst würde er ihn unweigerlich verletzen. Hyakinthos stieß ein heiseres Krächzen aus, klopfte mit den Händen auf die dünne Matratze. Zephyr schloss die Augen. Das war nicht die Zeit, Schuldgefühle zu entwickeln! Er hob Hyakinthos' Unterleib ein wenig an, bohrte sich hastig in dessen Leib, stieß und zuckte, heftig und unnachgiebig, bis sein Körper sich in unkontrollierten Spasmen ein zweites Mal entlud. Ihm schwindelte. Er musste sich nach vorne beugen, um Luft ringen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass sein Limit beinahe abgelaufen war. Zittrig rutschte er von dem Bett, streifte sich seine Kleider wieder über, deckte Hyakinthos zu, um die Aktivitäten zu verstecken. Als er sich über Hyakinthos beugte, bemerkte er, dass der ohnmächtig geworden war, zu schwach, den Reflexen seines Körpers standzuhalten. Zephyr verließ eilig das Krankenzimmer. #~~~~~> Kapitel 14 - Außer Konkurrenz Die Rückfahrt verlief schweigend. Immer wieder fiel Zephyr zurück, musste eine Pause einlegen. Erebos wartete, mit wachsender Ungeduld. Er hatte geflirtet, Geschichten erzählt, Mitleid geweckt, abgelenkt. Fünfzehn Minuten waren eine Ewigkeit. Während er immer wieder warten musste, hatte er genug Zeit gehabt, über einige Dinge nachzudenken. Eine Menge Dinge. Messdaten. Gute und schlechte Tage. Hyakinthos' Zusammenprall mit der Tür. Erstaunlich große Zeitabstände. Und Zephyr. Er nahm seine Aufgabe als Beschützer ernst und er mochte Hyakinthos. Das Bild, das sich in seinem Kopf zusammensetzte, war bruchstückhaft, gefiel ihm aber überhaupt nicht. Als sie bei der Schule eintrafen, warteten die anderen vier auf ihn. Zephyr hinter ihm bremste lauter als notwendig. "Sieh an." Hörte Erebos ihn spöttisch bemerken. Er stieg ab, stellte sein Fahrrad im Lagerschuppen ab, wartete darauf, dass Zephyr es ihm nachtat. "Wir haben zu reden." Stellte Artaios knapp fest. Seiner Miene nach zu urteilen, würde es keine erfreuliche Unterhaltung werden. "Ah." Zephyr gab sich unbeeindruckt, spazierte lässig mit auf dem Rücken verschränkten Händen hinter ihnen her. "Wie nett. Ein Gespräch unter Freunden." Sein Tonfall wies daraufhin, dass er nicht klein beigeben würde. Sie versammelten sich an einer niedrigen Mauer, außer Sicht- und Hörweite von anderen Jugendlichen. "Woher weißt du, was mit Hyakinthos los ist?" Eröffnete Erebos den Reigen. Zephyr spielte mit einem Grasstängel. "Genau genommen geht dich das gar nichts an. Ich nehme an, du möchtest wissen, ob er es mir selbst gesagt hat, richtig? Die Antwort lautet: nein." "Sei nicht so großkotzig, du Wichtigtuer!" Alocer mischte sich ein. "Alle wissen hier, dass Hyakinthos tabu ist!" Zephyr lächelte kalt und abweisend. "Tabu wie 'nur ihr fünf dürft ihn ficken', dieses 'tabu'? Sonst übt ihr Druck aus? Na, wie demokratisch finde ich denn das?!" "Du hast mit ihm geschlafen?!" Taliesin klang aufrichtig schockiert. Zephyr seufzte übertrieben, verknotete den Grasstängel. "Sicher. Warum auch nicht? Habt ihr doch auch. Wo liegt da das Problem? Sollen wir einen Stundenplan ausarbeiten?" "Du hast ihm gedroht, nicht wahr?" Erebos blieb sehr ruhig. "Als er gegen die Tür gelaufen ist, da warst du nicht in der Klasse, oder? Er ist vor dir weggelaufen." Braune Augen trafen schwarze, lieferten sich ein stummes Duell. "Ich konnte nicht ahnen, dass er gegen eine Tür läuft." Entgegnete Zephyr endlich laut. "Ist das wahr?" Zephyr blickte auf, als Artaios sich vor ihm aufbaute, ein gewaltiger, massiver Schatten, mit geballten Fäusten. "Du hast ihn erpresst? Und..." Seine heisere Stimme brach ab. "Vergewaltigt." Ergänzte Zephyr hilfsbereit. "Wolltest du das sagen?" Es war nur Erebos zu verdanken, dass Artaios' Fäuste ihn nicht gegen die Mauer schmetterten. Artaios brüllte nicht etwa unkontrolliert, nein, auf eine stille, unaufhaltsame Art wirkte er noch schlimmer mit den tanzenden Muskeln, dem Hass, den riesigen Fäusten. Sie alle sahen, wie unter Erebos' Haut die Muskeln und Sehnen verzweifelt einen ungleichen Kampf bestritten, während ihr Besitzer ächzend an die Vernunft appellierte. "Beruhige dich, das bringt nichts! Komm wieder zu dir!" Artaios gewann seine Beherrschung wieder, allerdings in einem Ausbruch von ungezügelter Wut. Er schleuderte Erebos von sich, der hart gegen die Mauer flog, stöhnend auf dem Boden landete. Für einen langen Augenblick hielten alle den Atem an, ausnahmslos. Artaios wandte sich ab, stolperte stocksteif davon. Caratacus eilte zu Erebos, half ihm, sich aufzusetzen. "Verdammt!" Erebos spuckte Blut aus, weil er sich vor Überraschung auf die Lippe gebissen hatte. "Der Kerl hat wirklich Idiotenkräfte!" Zephyr betrachtete Taliesin, der wirkte, als wolle er gleich in Tränen ausbrechen vor Konfusion. Hyakinthos' Freund. Er lehnte sich zurück, studierte die restlichen 'Beschützer' kühl. Ihm war nicht mehr nach Spielchen. "Reden wir nicht lange herum." Erklärte er knapp. "Ja, ich schlafe mit Hyakinthos seit meiner Ankunft hier. Er schweigt, weil er nicht will, dass ihr euch um ihn Sorgen macht. Es gibt nichts, GAR NICHTS, was ihr tun könnt, um mich daran zu hindern. Nicht wahr, Alocer?" Blickte er sich scharf um. Alocer zischte etwas Unflätiges, verschränkte die Arme vor der Brust. "Es IST doch so, dass du in meinen Akten nichts finden kannst, nicht wahr?" Zephyr fühlte sich besser, wenn er austeilen konnte. Es lenkte ihn ab. "Außerdem habe ich wirklich gute Beziehungen, um nicht zu sagen außergewöhnlich gute Beziehungen. Ihr könnt mich nicht erpressen, nicht für einen Rausschmiss sorgen, mir Angst machen, oder was sonst noch so üblich ist." Vier Augenpaare musterten ihn in unterschiedlichen Graden der Vorsicht und des Schreckens. "Ihr habt nichts in der Hand. Hyakinthos weiß das auch, also macht ihm keine Vorwürfe, weil er euch nicht von der Konkurrenz erzählt hat." Er tippte sich auf die Nasenspitze. "Noch eins, über das ihr Menschenfreunde mal nachdenken solltet: in ein paar Wochen seit ihr hier weg. Wer kümmert sich dann um ihn? Soll er auf den Strich gehen? Oder 'vererbt' ihr euer Herrenrecht an eure Nachfolger?" Zephyr erhob sich, klopfte sich die Hosenbeine ab. "Ihr habt eine Menge zu verlieren, so kurz vor dem Abschluss. Also legt euch nicht mit mir an." Damit verließ er den Kampfplatz. #~~~~~> Alocer ergriff zuerst das Wort. "Wir sind wohl überflüssig. Seine Argumente sind nicht zu widerlegen, auch wenn er ein ekelhafter, eingebildeter Mistkerl ist. Ich für meinen Teil steige jetzt aus." "Das kannst du nicht machen!" Protestierte Taliesin bleich. "Wir haben versprochen, dass wir Hyakinthos helfen!" Alocer lachte verächtlich. "Hast du nicht zugehört?! Was Hyakinthos braucht, ist Sex. Den bekommt er. Wir können das nicht verhindern. So ungern ich das zugebe: gegen diesen kleinen Wichtigtuer kommen wir nicht an. Ich habe keine Lust, mir den Abschluss zu versauen für eine Sache, die ohnehin verloren ist." Erebos signalisierte Taliesin, nicht weiter auf Alocer einzureden, sondern ihn ziehen zu lassen. "Was machen wir nun?" Caratacus klang müde. "Hat er wirklich recht?" Taliesin wandte sich Erebos zu, der sich ächzend auf die Beine stellte. "Ich weiß es auch nicht." Antwortete Erebos aufrichtig. "Wenn Alocer nichts finden kann, haben wir wirklich nichts gegen Zephyr in der Hand." "Aber wir können doch nicht einfach zusehen, wie er Hyakinthos...!" Taliesin brachte das letzte Wort nicht über die Lippen. Erebos rieb sich den Nacken. Sein Rückgrat dröhnte noch immer vom Aufprall. "Erinnerst du dich? Er hat nicht zugegeben, dass er Hyakinthos Gewalt antut." Streckte er Taliesin die Hand hin, fasste dessen kalte. "Viel Gewalt braucht es auch nicht." Brummte Caratacus leise. "Wenn man ihm androht, sein Geheimnis zu verraten." Erebos legte einen Arm um Taliesins Schultern, die verdächtig zuckten. "Ich bin ziemlich sicher, dass er Hyakinthos körperlich nicht misshandelt. Wir werden ihn selbst fragen müssen, wenn er zurückkommt." Schweigepflicht hin oder her! Caratacus massierte sich die eigenen Finger, sprach ein wenig zögerlich. "Wieso glaubt er eigentlich, dass er Hyakinthos helfen kann?" Erebos seufzte leise. "Er hat gesagt, es sei sein Geheimnis. Wir bekommen nicht heraus, was das genau ist. Wir können nur hoffen, dass es wirkt." #~~~~~> Zwei Tage später durften Taliesin und Artaios zum Krankenhaus fahren, um dort Hyakinthos abzuholen. Man hatte sich zwischenzeitlich auf ein aggressives Virus geeinigt, um für die Akten eine Erklärung zu haben. Außerdem ging es dem Patienten ja wieder gut. Ein wenig blass wartete Hyakinthos auf die beiden Älteren. Taliesin fiel ihm um den Hals, drückte ihn an sich, lachte und schluchzte zugleich. Hyakinthos spürte die Anspannung in der Luft. Im Bus hielt jeder der beiden eine seiner Hände. Sie schwiegen, weil es nicht der rechte Platz war, sich zu unterhalten. Hyakinthos fühlte sich zum ersten Mal unbehaglich in Gegenwart der beiden Älteren. Artaios war grau im Gesicht, seine sonst so attraktiven Gesichtszüge eingefroren, die Haltung steif. Waren das die Auswirkungen des Stresses der letzten Wochen? Taliesin sah nicht viel besser aus, bleich, zittrig, verunsichert. Sofort fühlte sich Hyakinthos verantwortlich. Sie hatten sich alle Sorgen um ihn gemacht! Kein Wunder, dass es ihnen nicht gut ging! Als sie den Bus verließen, kamen ihnen Erebos und Caratacus entgegen. Nun fühlte sich Hyakinthos wirklich eingeschüchtert. "Was ist los?" Erkundigte er sich ängstlich, umklammerte Taliesins Hand stärker. "Wir müssen mit dir reden." Erklärte Erebos. Hyakinthos bemerkte, dass unter dem offenen Hawaii-Hemd eine Art Stützverband seinen Oberkörper hielt. "Oh." Wisperte Hyakinthos, starrte auf seine Schuhspitzen, während er vor sich hin stolperte. »Sie haben es rausgekriegt. Sie wissen Bescheid.« Plötzlich war ihm nach Heulen zumute. #~~~~~> Das kleine Rondell im Irrgarten war verwaist, da ein leichter Sommerregen einsetzte. Hier waren sie ungestört, das dichte Blätterdach ausreichender Schutz. "Wir hatten eine Unterhaltung mit Zephyr." Zu Hyakinthos' Erstaunen ergriff Erebos zuerst das Wort. Taliesin, der neben ihm saß, schlang sofort beschützend einen Arm um seine Schultern. Artaios stand abseits, die Arme vor der Brust verschränkt. Caratacus lehnte an eine schlanke Säule. "Er hat gesagt, dass er dich erpresst, mit ihm zu schlafen. Ist das wahr?" Hyakinthos schluckte schwer. Er senkte den Kopf, nickte mechanisch. Jetzt wusste Erebos sicher auch, dass er ihn getäuscht hatte, sich ihm nicht anvertraut hatte, obwohl sie sich etwas versprochen hatten. "Seit er hier an der Schule ist?" Erebos klang ruhig, nicht aufgebracht. Das machte es für Hyakinthos noch ein wenig schlimmer. Wieder nickte er beschämt, umklammerte die eigenen Hände. Erebos seufzte. "UNS hat er gesagt, dass wir nichts tun können, um ihn daran zu hindern. Im Gegenteil, weil wir ja alle unseren Abschluss machen wollen, stecken wir eher in Schwierigkeiten als er, wenn wir uns mit ihm anlegen." "Also, mir ist das egal!" Protestierte Taliesin kämpferisch. "Ich werde NICHT schweigen, wenn er dir etwas tut. Was ist da schon ein dämlicher Abschluss?!" "Sei nicht so töricht." Artaios klang fremd, beinahe monoton. "Ist es nicht so, dass wir alle in Kürze nicht mehr hier sein werden? Wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, was aus Hyakinthos wird, wenn wir gehen." Die Anklage galt für sie alle, vernichtend und beschämend. Hyakinthos zwang sich, den Kopf zu heben, Taliesin anzusehen. Hier konnte er auf Sympathie hoffen. "Ich wollte euch keine Sorgen machen, deshalb habe ich nichts gesagt. Ich möchte nicht Schuld daran tragen, wenn ihr beim Abschluss Schwierigkeiten habt." "Denkst du denn, es fällt uns leicht, wenn wir wissen, dass er dir etwas antut?" Taliesin schluchzte. "ICH finde das furchtbar! Ich WILL nicht nichts tun können!" Nun zögerte Hyakinthos. Zephyr HATTE ihm etwas angetan. Aber vorher, vor dieser 'Sache', hatte er sich da nicht an ihn gewöhnt? Freiwillig mit ihm geschlafen? Obwohl er seinem Körper nicht trauen konnte, war er jedenfalls nicht misshandelt worden. Er legte die Arme um Taliesin, drückte ihn an sich. JETZT war es wieder Zeit für eine kleine Lüge. "Wenn Zephyr behauptet hat, dass er mich vergewaltigt, dann lügt er." Hyakinthos holte tief Luft. "Es ist nicht wahr. Auch wenn er manchmal wirklich boshaft sein kann, ist er nett zu mir." Er suchte Erebos' schwarze Augen. "Es ist in Ordnung, wenn er sich um mich kümmert." "Sagst du das jetzt nur, um uns zu beruhigen?" Erebos lächelte aber. Hyakinthos grinste zittrig. "Nein, tue ich nicht. Er ist wirklich ganz in Ordnung." Er streichelte über Taliesins Wangen, trocknete die Tränen. "Mir geht es wieder gut, siehst du? Mach dir keine Sorgen um mich, ja?" Taliesin schniefte, nickte artig. "Ist unser Pakt damit gelöst?" Caratacus mischte sich nun auch ein. Hyakinthos wandte sich um, suchte die Blicke seiner 'Beschützer'. "Ich habe nichts dagegen." Erklärte er offen. Jetzt war es an ihm, Verantwortung zu übernehmen. "Wir stehen dir trotzdem zur Seite!" Schnüffelte Taliesin entschlossen. Erebos nickte, Caratacus lächelte, nur Artaios wandte sich ab, verließ stumm das Rondell. Hyakinthos biss sich auf die Unterlippe. "Ich wollte ihn nicht beleidigen." Murmelte er verstört. Erebos schüttelte den Kopf. "Das hat nichts mit dir zu tun." Er blickte Artaios nach. Caratacus trat in den Nieselregen hinaus. "Habt ihr Lust auf saure Gurken? Ich habe zwei Tüten, Zitrone und Waldmeister." Der Einladung konnte niemand widerstehen. Außerdem galt es, eine wunderbare Genesung zu feiern. #~~~~~> Hyakinthos musste sich schließlich aufraffen. Er konnte nicht länger seinen eigenen Schlafsaal vermeiden. Außerdem wollte er nicht ausgerechnet beim Abendessen vor Publikum das erste Mal wieder mit Zephyr sprechen. Er kehrte in seinen Schlafsaal zurück, fand ihn verlassen vor. Eine Dusche und frische Kleider vor dem Abendessen waren eine gute Alternative zu einem Gespräch, von dem er gar nicht wusste, WIE er es führen sollte. Hyakinthos wählte eine Jogginghose, ein T-Shirt und Unterwäsche, schlüpfte in Espandrillas, hängte sich sein Handtuch um, suchte nach Duschgel. Er zuckte zusammen, als Zephyr unmittelbar hinter ihm raunte. "Du kannst meins haben." Unwillkürlich wich Hyakinthos erschrocken zurück. Zephyr rückte nicht nach, sah ihn bloß an. Hyakinthos umklammerte seine Kleidung zum Wechseln wie einen Schutzschild vor sich. "Sag was." Raunte Zephyr schließlich. Trotzig schüttelte Hyakinthos den Kopf, kam sich dabei lächerlich vor. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte nicht begreifen, was er gesehen zu haben glaubte. Zephyr streckte den Arm aus, streichelte über Hyakinthos' Locken. "Ich hol dir mein Duschgel." Murmelte er. Beklommen folgte Hyakinthos ihm. Er nahm das Duschgel entgegen, warf Zephyr einen ratlosen Blick zu, entschied, dass er die Aufklärung lieber aufschob. »Erstmal waschen und den Magen füllen!« Beschloss er, huschte eilig aus dem Schlafsaal. #~~~~~> Hyakinthos war zugegebenermaßen überrascht, dass Zephyr nicht im Schlafsaal auf ihn wartete. Auch beim Abendessen, wo alle sich zu Hyakinthos' Verlegenheit freuten, ihn wiederzusehen, hielt er sich diplomatisch zurück. Nach dem Essen boten ihm alle an, ihm den Stoff, den er verpasst hatte, zu zeigen und zu erklären. Ohne triftigen Grund konnte Hyakinthos dieses Ersuchen nicht ablehnen. Bis zum allgemeinen Lichtlöschen war er das Zentrum von Aufmerksamkeit, sodass er tatsächlich sehr erschöpft war, als er auf sein Hochbett krabbelte. Er wartete zwar darauf, trotzig in Boxershorts gewandet, dass Zephyr wie gewohnt zu ihm schlüpfte, doch der erschien nicht. Endlich siegte die Müdigkeit. Hyakinthos fiel in erholsamen Schlaf. #~~~~~> Erst der zweite Weckruf scheuchte Hyakinthos hoch. Er erinnerte sich an seine morgendliche Untersuchung, eilte hastig in den Waschraum, zurück in den Schlafsaal, anschließend zur Krankenstation. Dort wartete Calculus auf ihn. Der Lehrer sah nicht glücklich aus. "Setz dich bitte." Hyakinthos blinzelte beunruhigt, kletterte auf die Liege, umklammerte seine Hände. Calculus seufzte schwer, richtete sich auf, drehte sich zu Hyakinthos herum. "Ich habe mit vielen erfahrenen Leuten versucht, eine Medizin gegen die Auswirkungen zu entwickeln, die deinen Körper in Mitleidenschaft ziehen." Begann er verklausuliert. "Eigentlich sollte die letzte Version hervorragend wirken." Hyakinthos presste die Lippen zusammen. Er war dankbar dafür, dass er sich nicht mehr an Details erinnerte. Er wusste, dass es nicht die Wirkung war, die sich alle erhofft hatten. "Leider gab es Komplikationen, die sich niemand von uns erklären kann." Hyakinthos hatte Mitgefühl mit dem Lehrer. Der wirkte ratlos, frustriert und außerdem von Schulgefühlen gezeichnet. "Niemand hat mit so etwas gerechnet. Du hättest sterben können." Hyakinthos lauschte schweigend. Wenn Artaios richtig informiert war, konnte er jederzeit sterben, ganz einfach, weil sein Körper mit dem 'Vampir-Gift' nicht kooperierte. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit gewesen. "Jedenfalls werden wir erst mal nur noch Messungen vornehmen, OHNE dass du Medikamente bekommst. Vorläufig natürlich nur." Calculus zog eine Grimasse. Hyakinthos nickte. Er kannte sich schließlich nicht aus, musste sich auf das Urteil von Fachleuten verlassen. "Dann legen wir mal wieder los! Richtig!" Calculus lächelte ermutigend. Hyakinthos nickte. "Ich mache niemandem Vorwürfe." Erklärte er laut. Er hatte den Eindruck, dass es wichtig war, seinem Lehrer und ärztlichen Beistand dies zu sagen. "Alle haben ihr Bestes gegeben. Mir geht es ja wieder gut." Womit für alle das Kapitel abgeschlossen sein sollte. Ausgenommen Zephyr. #~~~~~> "Kannst du mal mitkommen?" Zephyr fasste nach Hyakinthos' Hand, der gerade über nachzuholenden Aufgaben brütete. "Wird es lange dauern?" Erkundigte sich Hyakinthos ein wenig kühl. Wenn Zephyr ihm aus dem Weg ging, konnte der ja wohl nicht erwarten, dass er gleich sprang, oder?! "Ja." Zephyr wartete. Hyakinthos fand es unheimlich, wie still und geduldig Zephyr sich verhielt. Keine dummen Kommentare, keine Anzüglichkeiten, kein spöttisches Lächeln. Er räumte seine Schulsachen zusammen, verstaute sie in einem der Schließfächer, als sie den Lesesaal verließen. Zephyr nahm seine Hand, kümmerte sich offenbar nicht darum, ob man sie so sah. "Wohin gehen wir?" Erkundigte sich Hyakinthos unbehaglich. "Zur Krankenstation." Antwortete Zephyr höflich. "Um die Zeit ist da niemand mehr!" Warf Hyakinthos ein. Zephyr sandte ihm einen Blick über die Schulter zu, der "eben!" signalisierte. "Ich möchte keinen Ärger bekommen." Hyakinthos verlangsamte seine Schritte. Zephyr blieb stehen, sah ihn aber nicht an. "Wirst du nicht. Ich muss dir nur etwas zeigen." DAS kam Hyakinthos bekannt vor. "Wird es mir gefallen?" Erkundigte er sich schnippisch. Ein Augenblick verstrich, bevor Zephyr antwortete. "Das weiß ich nicht." Das klang gar nicht beruhigend. #~~~~~> Zephyr öffnete das Schloss, so einfach wie bei einem Zaubertrick. Hyakinthos konnte nicht erkennen, wie er das tat, nur sehen, dass die Tür das Freigabesignal erteilte. Konnte man wegen Einbruch Ärger bekommen, wenn die Tür einen hereinließ? Hyakinthos blieb stehen, wollte zunächst beobachten, was Zephyr vorhatte. Der öffnete einen üblicherweise verschlossenen Aktenschrank, griff eine Patientenakte heraus. Er nahm einige der Messgeräte, an die Calculus Hyakinthos zum Test anschloss, in Betrieb. "Komm her, bitte." Winkte Zephyr Hyakinthos heran. Zögerlich leistete der der Bitte Folge, starrte auf die Auswertungen seiner eigenen Akte. "Hier, kannst du das sehen?" Zephyr tippte auf die Gipfel einer Fieberkurve. "Da unten kann man die Daten ablesen. Hohe Werte bedeuten einen guten Zustand." Hyakinthos beugte sich tiefer, studierte die Auswertungen. Was sollten sie ihm sagen? Er versuchte, die Kalenderdaten mit Wochentagen, bestimmten Ereignissen zu verbinden. "Setz dich." Zephyr schob Hyakinthos auf die Liege, die er gerade mit frischem Papier bedeckt hatte. Er befestigte einen Pulsmesser an Hyakinthos' Handgelenk, stach ihn mit dem kleinen Blutmessgerät in den Finger, lupfte ihm das T-Shirt um den Hals, sodass er einige Elektroden auf Hyakinthos' Brustkorb befestigen konnte. "Sieh her, das sind deine Werte jetzt." Er präsentierte Hyakinthos die Anzeigen, las laut die Werte ab, nahm neben ihm Platz, wandte sich ihm zu. "Ich weiß, dass du mir bestimmt gern Eine kleben würdest, weil ich etwas mit dir gemacht habe, was du nicht magst, als du dich nicht mal wehren konntest." Hyainthos keuchte. Also war es keine Einbildung gewesen?! "...du hast wirklich...?!" Krächzte er fassungslos. Zephyr lächelte nicht. Die braunen Augen wirkten seltsam glanzlos, stumpf. "Du wärst jetzt tot, wenn ich das nicht getan hätte. Aber das lässt sich leicht behaupten, nicht wahr?" Er klang nun angestrengt sachlich. "Wenn du so gesund und munter hier sitzt. Darum werde ich es dir beweisen." "...aber...was hast du vor?!" Hyakinthos setzte sich auf, fühlte sich gar nicht mehr disponiert, bequem auf der Liege zu lagern. "Keine Angst." Zephyr zwinkerte. "Ich nehme sogar die Hände auf den Rücken. Ich tue dir nicht weh, versprochen." Hyakinthos zögerte, entspannte sich nicht sonderlich, als er sah, wie Zephyr tatsächlich die Hände auf dem Rücken verschränkte, sich neben die Liege stellte. Der beugte sich hinab, küsste Hyakinthos ganz leicht auf die geschlossenen Lippen. "Sieh jetzt auf die Anzeigen." Raunte er Hyakinthos sanft zu. Die Werte waren etwas gestiegen. Hyakinthos suchte Zephyrs Blick. "Und?" "Jetzt kommt der Beweis." Flüsterte Zephyr leise, küsste Hyakinthos erneut, aber dieses Mal leidenschaftlich, intensiv, lang, fast schon gierig. Sie waren beide außer Atem, mit Speichelspuren bedeckt, als Zephyr den Kuss abbrach. Hyakinthos blinzelte. "Sieh~auf~den~Monitor." Zephyr lehnte die Stirn an Hyakinthos' Schläfe. "Oh..." Hyakinthos wischte sich über die Augen. Das änderte nichts daran. Seine Werte waren sprunghaft besser geworden. "Sie sind beinahe so hoch wie in den Aufzeichnungen." Wisperte Zephyr. "...ich verstehe das nicht..." Hyakinthos formulierte bedächtig. "Ist das nur bei dir so, oder...?" Widerwillig beugte sich Zephyr vor, fischte die Papierunterlagen heran. Hyakinthos studierte die Daten noch mal. "...gut." Murmelte er. "Jetzt erkläre mir das bitte ausführlich." #~~~~~> Hyakinthos löste nachdenklich die Elektroden. Zephyr verstaute inzwischen die Unterlagen und die Messgeräte. "Du hast mir also mit deinem Sperma das Leben gerettet." Wiederholte Hyakinthos die Essenz der Erklärung. Zephyr drehte sich um. "Ich hatte keine Zeit. Für den Effekt hätten wir sehr viel länger knutschen müssen." Rettete er sich in Komik. "Aha." Murmelte Hyakinthos, baumelte mit den Beinen, starrte auf seine nackten Füße. "Weißt du, dass ich die anderen von ihrem Versprechen entbunden habe? Ich meine, dass sie mit mir schlafen, damit ich nicht alle mit Pheromonen verrückt mache?" Zephyr glitt neben ihm auf die Liege, schloss sich dem Beinebaumeln an. "Taliesin hat mir erzählt, dass du eine ziemlich fiese Ansprache gehalten hast. Du hast vorgegeben, du würdest mich vergewaltigen." Nun musterte Hyakinthos Zephyrs Profil. "Ich hab dir gesagt, dass ich eifersüchtig bin!" Fauchte Zephyr unerwartet heftig, in einem kindlich-trotzigen Tonfall. Hyakinthos grinste. Er ließ sich auf die Seite sinken, murmelte. "Wenn ich jetzt von dir schwanger bin, kümmerst du dich um mich?" Zephyr wandte den Kopf, lächelte. "Ich kümmere mich um dich, auch wenn du nicht schwanger bist." Erklärte er grinsend. "Versprichst du es?" Hyakinthos legte hinter Zephyr die Beine auf die Liege. Zephyr legte den Kopf ein wenig auf die Seite. "Du hast mein Wort." Er zog die Nase kraus. "Sag mal, versuchst du mich zu verführen?" Hyakinthos seufzte. "Funktioniert nicht, oder? Ich habe keine Übung." Er rollte sich auf die Seite, um sich aufzusetzen. "Das habe ich nicht gesagt." Zephyr bremste ihn, beugte sich herunter, um ihn sanft auf die Nase zu küssen. Hyakinthos streckte die Hand aus, streichelte sehr vorsichtig über Zephyrs Wange. "Willst du mit mir schlafen?" "Sehr gern." Raunte Zephyr. "Ich mache das, was du magst." "Du denkst, ich bin böse auf dich." Behauptete Hyakinthos. "Bin ich aber nicht." Er klappte den ausgestreckten Arm ein, seufzte leise. "Das sind die Pheromone und die Mutation." "Mutation?" Wiederholte Zephyr, streifte sich sein T-Shirt über den Kopf. "Was meinst du damit?" Den Kopf abgewandt murmelte Hyakinthos. "Ich bin sexsüchtig." Er spürte, wie Zephyr ihn anstarrte. Also sah er sich zu einer weiteren Ausführung gezwungen. "Na ja, deshalb tun andere Leute Sachen, die sie normalerweise nicht tun würden. Da kann ich schlecht böse auf sie sein, wenn ich doch dafür verantwortlich bin." "Du willst mir wohl sagen, ich sollte nicht so nett zu dir sein, weil es mir leid tut, was im Krankenhaus passiert ist. Weil du mich ja eigentlich mit deinen Pheromonen total eingenebelt hast?" Resümierte Zephyr spöttisch. "So ungefähr." Brummte Hyakinthos kleinlaut. Zephyr fasste Hyakinthos an den Hüften, zog ihn näher an sich heran, beugte sich über ihn. "Willst du wirklich, dass ich mit dir schlafe? Oder bist DU nur nett zu mir?" Hyakinthos drehte den Kopf, blinzelte Zephyr an. Hier, wo die Sonne hereinschien, konnte er ihn aus nächster Nähe betrachten. Sein Herz klopfte schneller. Natürlich wollte sein Körper Sex. Zephyrs Arme um sich zu spüren, seine Nähe und Wärme zu genießen, das ging über Sex weit hinaus. Über ihm lächelte Zephyr, arrangierte dunkelblonde Locken. "MIR macht es nichts aus, wenn du nett zu mir sein willst!" Behauptete er frech. Hyakinthos errötete leicht, wandte hastig den Kopf zur Seite. "Soll ich dir sagen, was du gerade denkst?" Zephyrs Atem verfing sich in den Locken, kitzelte Hyakinthos. "Gerade denkst du: wenn ich sage, dass ich ihn ein bisschen mag, wird er denken, ich angle mir bequem einen Freund. Stimmt's?" Hyakinthos' Kopf flog so schnell herum, dass es in seinem Nacken knackte. Zepyhr seufzte übertrieben. "Weißt du, es ist schon erbärmlich einfach, in deinem Gesicht zu lesen." Er tauchte ab, küsste den Perplexen auf die Lippen. "Magst du mich wirklich ein bisschen?" Hyakinthos schlang die Arme um seinen Rücken. "Bisschen schon." Gab er verlegen zu. "Gut." Grinste Zephyr. "Jetzt geht's nämlich los!" #~~~~~> Zephyr staunte, ein angenehmes, sogar hocherfreutes Staunen. Es war das erste Mal, dass Hyakinthos nicht nur reagierte. Dass er lächelte, wenn er gestreichelt wurde, es genoss. Längst war die Papierunterlage zerrissen, zerwühlten Hyakinthos' Finger seine Haare. Er küsste Hyakinthos lange, hob ihre verschlungenen Körper an, zog ihn an sich. Der bewegte sich fast schlangenförmig auf seinem Schoß, den Kopf in den Nacken gelegt, seufzte in ihrem Rhythmus, die Arme um Zephyrs Nacken geschlungen. Zepyhr taumelte, gab einfach nach, umarmte Hyakinthos fest, der auf seinem Schoß hin und her zuckte, endlich keuchend das Gesicht in seine Haare presste. Mit etwas ruhigerem Puls beugte sich Zephyr vor, legte Hyakinthos ab. »Nicht verführerisch.« Schoss es ihm durch den Kopf. »Von wegen!« Die halb aufgestellten Beine, die sanft geröteten Wangen, zerzauste Locken, die bebende Bauchdecke, ja, sogar der Stecker: Zephyr schmiegte sich an Hyakinthos' Seite, legte besitzergreifend einen Arm um ihn. "Hmmm!" Schnurrte Hyakinthos leise, wandte ihm das Gesicht zu, kuschelte sich an. »Und er lächelt.« Dachte Zephyr. »Eins muss man diesem dämlichen Desmond lassen: er hat Geschmack. Keinen Funken Verstand, aber ein Auge für erotische Schönheit.« Er hauchte Hyakinthos einen Kuss auf die Lippen. »Ich mag dich auch. Ein bisschen.« #~~~~~> Zephyr richtete sich auf. Weit kam er nicht, denn Hyakinthos schlang ihm die Arme um die Brust. "Wir haben nur noch eine Viertelstunde bis zum Abendessen." Lächelte er, streichelte über Hyakinthos' Hände. Der schmiegte sich an ihn, flüsterte. "Bitte noch mal." Zephyr wandte den Kopf, grinste. "Aha, sexsüchtig?" "Hmm." Murmelte Hyakinthos, kuschelte sich an seinen Rücken. "Was möchtest du denn tun?" Zephyr streichelte über die Beine, die ihn zusätzlich im Klammergriff hielten. "Ich zeig es dir." Wisperte Hyakinthos, legte eine Kussspur Zephyrs Rückgrat hinab. #~~~~~> Zephyr blinzelte, bemerkte Hyakinthos, der auf der Kante der Liege saß, behutsam über seine Wange streichelte. "Es tut mir leid." Wisperte Hyakinthos, sah dabei angemessen zerknirscht aus. "Uhoh!" Stöhnte Zephyr übertrieben. "Es ist schon dunkel!" "Entschuldige!" Hyakinthos küsste ihn auf die nackte Schulter. Er rutschte von der Liege herunter, kniete sich neben sie, um die Arme aufzulegen und Zephyr anzusehen. Zephyr zwinkerte. "Hilf mir wenigstens auf die Beine!" Ordnete er streng an. "Ja, sicher!" Eifrig kam Hyakinthos der Aufforderung nach, beinahe schon zu energiegeladen. "Wir duschen auch noch!" Warnte er Hyakinthos, der seine Beine schon über die Kante rangierte, ihm einen Arm um die Schultern legte, um ihn aufzusetzen. "Fünfmal." Seufzte Zephyr. "Du bist wirklich gnadenlos." Hyakinthos hielt inne, warf ihm einen beschämten Blick zu. "Tut mir leid." "Dummerchen!" Zephyr fasste Hyakinthos' Hände. "Ich bin bloß überrascht. So was habe ich nicht erwartet." Er zog Hyakinthos näher an sich heran, streichelte ihm über die Brust, den Hals und die Wangen. Hyakinthos beugte sich zu ihm runter, küsste ihn auf den Mund, lächelte. Zephyr gab nach. Das bedeutete, sich beim Anziehen assistieren zu lassen, an Hyakinthos' Hand zum Schlafsaal zu tappen. #~~~~~> Kapitel 15 - Der Prinz und der Frosch "Hast du schon gehört?" Hyakinthos wandte den Kopf, als Taliesin heranstürzte, ein wenig zurückzuckte, als er Zephyr bemerkte. "Was denn?" Hyakinthos fragte erschrocken. Der Barde zögerte. Hyakinthos zupfte schon an seinem weiten Hemd. "Was ist passiert?" "Artaios hat eine Prüfung geschmissen!" Taliesin senkte die Stimme. "Du weißt ja, wir müssen noch einige Tests schreiben. Er ist plötzlich rausgestürzt. Hat es gerade noch bis zur Toilette geschafft. Erebos musste ihn auf die Krankenstation bringen!" Hyakinthos hob unwillkürlich eine Hand vor den Mund, erstickte einen erschrockenen Laut. "Wie geht es ihm denn jetzt?!" Taliesin seufzte. "Er hat Erebos weggeschickt und behauptet, sich den Magen verdorben zu haben, aber das stimmt nicht." "Warum nicht?" Zephyr klang argwöhnisch, gab sich auch keine Mühe, das zu verbergen. Es überraschte ihn nicht, dass Taliesins Wangen sich dunkler färbten. "Ich habe zufällig mitgehört, wie er telefoniert hat." Murmelte der Barde. Bevor Zephyr von seiner Eifersucht verleitet noch mal nachhaken konnte, warf ihm Hyakinthos einen ruhigen Blick zu. "Komm." Fasste er Taliesin bei der Hand. "Erzähl mir den Rest auch noch, ja?" Der Barde zögerte. Auf seinem fuchsartigen Gesicht lag ein bekümmerter Ausdruck. "Geht das denn? Ist er nicht sauer?" Sein Blick streifte Zephyr. "Das kann er schon ertragen." Bemerkte Hyakinthos trocken. "Was hast du gehört?" Er führte Taliesin in den Irrgarten, streichelte ihm über den Handrücken. "Es ist bestimmt wichtig!" Taliesin atmete tief durch. "Sag mal, erinnerst du dich noch an Arnd? Damals, als der Lackaffe von der Produktionsfirma hier war?" Als Hyakinthos nickte, fuhr Taliesin rasch fort. "Ich schreibe mir mit ihm E-Mails, weil er nicht so gut bei Stimme ist." Taliesin zuckte verlegen mit der Schulter. "Ich glaube, Artaios hat mich nicht bemerkt. Ich konnte nur hören, dass er einen Anruf von seiner Familie angenommen hat." Hyakinthos hakte sich bei Taliesin unter. "Das war kein schöner Anruf. Seine Stimme war ganz leise, immer nur 'ja' und 'nein', wie bei einem Befehlsempfänger." "Mit dem Essen kann es nichts zu tun haben?" Hyakinthos wollte alle Möglichkeiten abklopfen. "Wohl kaum." Der Barde zog eine Grimasse. "Artaios bringt seit Tagen nichts mehr runter." »Bald kommen die mündlichen Prüfungen!« Seufzte Hyakinthos in Gedanken. Spontan zog er Taliesin in die Arme. "Danke, dass du mir davon erzählt hast. Ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, wie wir helfen können." Er lächelte Taliesin aufmunternd an. "Das wird schon!" #~~~~~> Als Hyakinthos zurückkehrte, wo er mit Zephyr auf einer ausgebreiteten Picknickdecke gelernt hatte, konnte er schon an der Haltung erkennen, dass Zephyr nicht amüsiert war. Trotzdem ließ er sich zunächst nonchalant nieder, nahm die unterbrochene Lektüre auf. Zephyr ignorierte ihn beleidigt. Hyakinthos hatte das sichere Gefühl, dass er nur ein wenig abwarten müsste, bis ein bissiger Kommentar oder eine andere Reaktion folgen würde. "Bist du vielleicht verknallt in das Goldkehlchen?!" Zephyr trommelte auf einem Buchdeckel herum. "Nein." Antwortete Hyakinthos ihm gelassen, setzte seine Lektüre fort. "Warum turtelst du immer mit ihm herum?!" Zephyr baute sich vor Hyakinthos auf, funkelte ihn an. "Wir sind Freunde." Hyakinthos legte den Kopf in den Nacken, blinzelte gegen die Sonne an. "Ich mag Taliesin. Er hat mir geholfen." "ICH habe dir auch geholfen!" Zephyr klang wirklich wie ein verzogenes Gör. "Das ist kein Wettstreit." Hyakinthos klappte sein Buch zu. "Es gibt keinen Grund für dich, eifersüchtig zu sein." "Das sagst DU!" Zephyr gingen die Argumente aus. "Du bist schließlich hier der Vampir-Köder!" Hyakinthos kam auf die Beine. "DU hast doch bloß Angst, dass ich nur mit dir zusammen bin, weil du mich erpresst!" Zephyr erstarrte. Er wandte sich auf dem Absatz herum, lief weg. Hyakinthos sackte auf der Picknickdecke zusammen. »Das war unter der Gürtellinie. Verdammt.« #~~~~~> Zephyr starrte auf das Gelände aus seinem geheimen Aussichtspunkt. »Ich hab ihn unterschätzt!« Dachte er wütend. Aber er konnte nicht eine Entscheidung finden, die er anders getroffen hätte. »Es sieht auch nicht so aus, als würde sich etwas ändern.« Das lockte gegen seinen Willen ein Lächeln hervor. »Da hab ich wohl nicht aufgepasst!« #~~~~~> "Hm?" Verschlafen blinzelte Hyakinthos, als ein Kuss seine Stirn siegelte. "So was!" Zephyr raunte sanft in ein Ohr, wärmte ihn mit seinem Atem. "Einfach in einem fremden Bett einnicken?" "Hm!" Brummte Hyakinthos, drehte sich auf den Rücken, fing Zephyr ein, zog ihn fest auf sich. Zephyr lachte leise, knabberte an einem Ohrläppchen in Reichweite. "Gleich gibt es Abendessen. Wir müssen los." Hyakinthos brummte. "Du riechst so frisch!" Er schnupperte ein paar Mal. "Ich war auf dem Turm." Gab Zephyr bereitwillig Auskunft. "Will ich auch!" Seufzte Hyakinthos schläfrig, rieb sich über die Augen. "Morgen vielleicht." Zephyr wich Ellenbogen aus, schob eine Hand unter Hyakinthos' T-Shirt, zog zärtliche Kreise über dessen Bauchdecke. "Steh jetzt auf, damit wir was essen gehen können." "Hm." Brummte Hyakinthos, fing Zephyrs Nacken ein, küsste ihn hungrig. "Heute Nacht schlafe ich bei dir." Wisperte er Zephyr zu. "Weil du es willst?" Zephyr konnte nicht anders, er musste an der offenen Wunde rühren. Hyakinthos sackte zurück, blinzelte ihn an, die Arme locker um den Kopf gelegt. "Wenn du mich verrätst, wirst du mich mit zahllosen anderen teilen müssen, die mir vielleicht weh tun." Zephyr schüttelte, schon bevor er sich bewusst bremsen konnte, hastig den Kopf. "Das mach ich nicht!" Es blieb einen Augenblick still. Hyakinthos zwinkerte frech hoch. "DAS wusste ich!" Er lachte noch, als Zephyr sich auf ihn stürzte, um ihn durchzukitzeln. #~~~~~> Zephyr streichelte über Hyakinthos' nackte Haut. Er wusste, dass ihnen beiden das gefiel, einfach zusammen zu liegen, Haut an Haut, aneinander geschmiegt. Natürlich wollte er auch SEX, aber das konnte warten. Damit hatte es wirklich keine Eile. Hyakinthos seufzte leise. Wenn er eine Katze wäre, so hätte er geschnurrt. Über ihm lächelte Zephyr, weil Hyakinthos nicht wusste, dass er ihn trotz der Finsternis gut sehen konnte. Dieses entrückte Lächeln, das leichte Flattern der Wimpern. Er drehte sich, streckte sich neben Hyakinthos aus, fädelte ihre Beine ineinander, streichelte durch die dunkelblonden Locken, tupfte neckende Küsse auf das warme Gesicht. Unter seinen Lippen konnte er genau spüren, wo die Haut stärker durchblutet war, weil Hyakinthos in der Dunkelheit errötete. Hyakinthos zog ihn näher heran, streichelte mit aufgefächerten Fingern über seinen Rücken, seinen Hintern bis zur Gesäßfalte. Zephyr konterte mit leidenschaftlichen Küssen, etwas, das wie Katzenminze auf Hyakinthos wirkte, wie er bereits bewiesen hatte. Er sackte wieder auf die Seite, von Hyakinthos herunter, nahm ein wenig die Spannung heraus. Hyakinthos kuschelte sich an, wisperte ihm leise ins Ohr. "Kannst du mich morgen bitte gegen halb Sechs wecken? Ja?" Zephyr studierte sein Gesicht. "Warum?" Drehte er Locken auf seine Finger. Hyakinthos leckte ihm langsam über das Brustbein bis zum Bauchnabel. "Es ist sehr wichtig." Sein sanfter Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass es keine weiteren Erklärungen geben würde. Zephyr konnte zustimmen oder ablehnen. "Gut." Er zauste die Lockenmähne ein wenig, um sich nicht allzu bereitwillig zu geben. "Danke." Hyakinthos streichelte über seinen Schritt, sanft, ohne Druck, ohne Eile. Zephyr ließ sich rücklings niedersinken, verschränkte die Hände unter dem Hinterkopf, stellte die Beine auf. Er würde nur ein kleines Weilchen warten müssen. Wenn er ganz vorsichtig über Hyakinthos' Fußsohlen strich, die Hand auf dessen Bauchdecke legte, würde er sie so stark flattern und zucken fühlen, als tobe ein Orkan. #~~~~~> Hyakinthos erwachte, weil jemand beharrlich an seiner Nasenspitze zupfte. Die Augen vom Schlaf verklebt stöhnte er benommen leise, versuchte sich aufzurichten. "Dein Weckruf." Zephyr hob ihn unter den Achseln in eine aufrechte Sitzhaltung, wischte ihm mit einem Tuch über das Gesicht. "Hm." Keuchte Hyakinthos, lehnte sich an Zephyrs Seite, den Kopf auf dessen Schulter abgelegt. "Was ist so wichtig, dass ich dich jetzt wecken muss?" Zephyr klang nicht nur unverschämt wach, sondern auch ungeduldig. Seine Neugierde kannte keine Ruhezeit. Hyakinthos fischte blind nach seinen Boxershorts und dem T-Shirt vom Vortag. Sie mussten ja irgendwo sein. "Leg dich hin!" Zephyr drückte ihn wieder auf die Matratze, kletterte wie ein Affe flink herum, um ihn wie eine Puppe anzukleiden. Auch beim Abstieg über die Leiter hielt er zur Sicherheit Hyakinthos' Hüften. "Und jetzt?" Ein Abstecher in den Waschraum ließ sich nicht vermeiden. Hyakinthos fasste Zephyrs Hand, taumelte/eilte über den Gang. An einem der Fenster hielt er inne, spähte hinaus. Zephyr folgte seinem Blick, die Augenbrauen zogen sich zusammen. "Komm!" Hyakinthos zog ihn drängend an der Hand weiter. "Du kannst doch wie eine Katze schleichen! Bitte weck Erebos auf, ja? Sag ihm, es ist ein Notfall!" Er konnte an Zephyrs Miene lesen, dass der den Auftrag mit Argwohn betrachtete. "Bitte!" Hyakinthos krächzte heiser. "Bitte! Ich schaffe das nicht ohne dich!" Mit einem ärgerlichen Schnauben schlüpfte Zephyr lautlos in den Schlafsaal der Abschlussstufe. Einige Augenblicke später torkelte ein ungewöhnlich zerzauster Erebos hinter ihm her, blinzelte. "Notfall?" Gab er das Stichwort. Hyakinthos packte ihn am Handgelenk, schob ihn zum Waschraum, während er Zephyr über den Rücken zurief. "Er braucht eine Hose! Und ein Hemd! Turnschuhe!" #~~~~~> Erebos wischte sich mit der Hand durch seine unordentlichen Stachel, während er über den Zaun kletterte. Es war bereits warm, dank der frühen Stunde noch nicht schweißtreibend. »Gnade dir Gott, wenn das KEIN Notfall ist!« Knurrte er stumm, suchte vergeblich nach einem Lutscher in den Taschen des ärmellosen Ostfriesennerzes. Trotzdem steigerte er das Tempo, als er die Anhöhe erklomm, dem Wanderpfad folgte. #~~~~~> Zephyr starrte Hyakinthos betont durchdringend an, während der aus dem Fenster blickte, verfolgte, wie Erebos das Schulgelände verließ. "Sag mal, können wir wohl für einen Moment in deinen Turm gehen?" Wandte er den Kopf Zephyr zu, der demonstrativ die nackten Arme vor der Brust verschränkte. "Hrmpf." Brummte Zephyr verärgert. Er wollte eine schlüssige Erklärung, aber OHNE darum bitten zu müssen. "Willst du nicht?" Hyakinthos klang ein wenig enttäuscht, lächelte, als sei es nicht so wichtig. "Schon gut, schon gut!" Schnaubte Zephyr, zerrte Hyakinthos am Handgelenk hinter sich her. Zu dieser frühen Stunde war es kein Problem, in den Turm zu steigen, ohne jemandem über den Weg zu laufen. Hyakinthos strahlte in die aufgehende Sonne, streckte die Arme weit aus, atmete tief die Luft ein, die in dieser Höhe noch frisch war. "Hach!" Seufzte er glücklich. "Gerade habe ich das Gefühl, alles wird gut!" Er drehte sich zu Zephyr herum, der immer noch schmollte, dabei gar nicht so souverän wie gewohnt wirkte. Hyakinthos lächelte bloß sonnig, lehnte die verschränkten Arme auf die Brüstung, wippte auf den Zehenspitzen hoch und nieder. Zephyr gab sich einen Ruck, legte die Arme um Hyakinthos' Taille, pflanzte sein Kinn auf dessen Schulter. Er spürte, wie sich Hyakinthos an ihn anschmiegte, die Wange an seiner rieb. "Sag mir, was du ausgeheckt hast." Raunte er in Hyakinthos' Ohr. "Hm." Summte Hyakinthos munter. "Ich glaube, ich habe endlich etwas gemerkt, was eigentlich offensichtlich ist." Zephyr verstand nicht. Das war ihm auch gar nicht mehr so wichtig. Es gefiel ihm, wie heiter und sorgenfrei Hyakinthos in den Tag lachte. Sie schmusten eine Weile, da wandte Hyakinthos den Kopf. "Hast du Lust, mit mir zu schlafen?" Zephyr antwortete mit einem langen Kuss, lehnte die Stirn an Hyakinthos', grinste. "Zu mir oder zu dir?" Hyakinthos kicherte, entschlüpfte seinen Armen, flitzte zum Treppenhaus. Zephyr musste seinem Namen alle Ehre machen, damit er ihn einfing, bevor ihre überschwänglich gute Laune die anderen vorzeitig aufweckte. #~~~~~> Erebos wischte sich über die Stirn, kniff die Augen suchend zusammen. Es war schon eine Weile her, seit er das letzte Mal den Aussichtspunkt besucht hatte. Glücklicherweise konnte man den Pfad kaum verfehlen. »Ein Notfall?« Dachte er. »Was hast du da ausgeheckt, Hyakinthos?« Er schob überstehende Äste beiseite, bemühte sich, nicht zu viel Geräusch zu entwickeln. »Und warum ausgerechnet ich?« Aber er vertraute auf Hyakinthos' Urteil. Es musste wichtig sein und er selbst die geeignete Person. Durch die Blätter erkannte er einen bunten Schatten, bunt in Form eines leichten Jogginganzugs, geschmackvoll, aus edlem Stoff. Erebos erstarrte, als er sah, wie die vertraute Figur auf der niedrigen Brüstung balancierte. Nicht selbstsicher oder spielerisch, sondern verkrampft, angespannt von den Haarspitzen bis zu den Zehen. Die Muskeln zuckten so sehr, dass man die Bewegung für ein übermütiges Wippen am Abgrund halten konnte. Sehr behutsam näherte sich Erebos, atmete flach, um seinen Puls zu beruhigen. Außerdem wollte er Artaios nicht erschrecken. Die Aktion, die sich vor ihm abspielte, sah alles andere als sicher aus. Als er in Reichweite war, schoss Erebos vor, umklammerte mit aller Kraft ein Handgelenk der Stufenvertretung. "Guten Morgen." Sprach er ihn laut an. "Frühsport? Netter Ausblick in den Abgrund übrigens." Artaios' Blick war glasig, seine Lippen blutleer. "Was genau gibt es denn da unten zu sehen?" Erebos kletterte auch auf die niedrige Mauer aus Bruchsteinen, deren Fugenmaterial schon längst von allerlei Moosen ersetzt worden war. "Lass mich los." Das war nur ein Hauch, so angestrengt, als koste es Artaios große Mühe, die Silben zu formen. "Nein, mein glorreicher Anführer!" Erebos trällerte scheinbar unbekümmert. "Kommt gar nicht in Frage, dass du allen Spaß für dich allein behältst." Er sah aus den Augenwinkeln, wie sich Artaios' Knöchel weiß färbten. Unter seinen Fingern spürte er, wie der Hüne seine Kraft sammelte. Ein aussichtsloser Kampf, wenn Artaios beschloss, ihn von sich zu schleudern. "Stell dir vor, da reißt mich doch heute der Freund deines kleinen Schützlings aus angenehmen Träumen, erklärt mir, ich müsse ganz schnell zu einem Notfall aufbrechen!" Plauderte er weiter, um Artaios' Konzentration zu stören, wandte den Blick von der verlockenden, hypnotisierenden Tiefe ab. "Ich rase also los wie ein Feuerwehrmann. Jetzt kann ich deine Frühsportübung hier begucken! Na warte, wenn ich die beiden Bengel zu fassen kriege!" Artaios neben ihm reagierte gar nicht. "Hör mal." Erebos überließ seinem Mund die Regie, während er fieberhaft überlegte, wie er die Situation entschärfen konnte. "Worin besteht genau der Zweck dieser Übung?" Eins war klar: Artaios war nicht er selbst. Das Handgelenk, das er umklammerte, ließ ihn in ein Universum aus chaotischen Empfindungen blicken. Er erhielt noch immer keine Antwort. Eine andere Strategie musste her. "Oh, so ist das also!" Erebos klang betont giftig. "Du redest nicht mit mir. Klar, ich bin ja auch der Böse! Der Chaot! Ewiger Unruhestifter! Schon klar, da muss man nicht mal höflich sein. Manieren behält man sich da für die eigene Gesellschaftsschicht vor, richtig!" In Artaios' Gesicht zuckte ein Nerv. »Treffer!« Jubelte Erebos innerlich, goss noch ein wenig mehr Öl in das Feuer. "Prima. Hervorragend. Schließe mich ruhig aus, das ist für mich ja nichts Neues! Muss wirklich bequem sein, wenn man genau weiß, wer passend und wer unpassend ist. Wer der richtige Umgang und wer bloß Dreck unter den Fußsohlen ist!" "Sei still!" Artaios' Stimme war heiser, unangenehm tonlos. "Ach, willst du mir jetzt auch noch das Wort verbieten?" Erebos ritt auf der Welle, hoffte, dass sie ihn an rettende Gestade tragen würde. "Zu deiner Information: das ist ein freies Land. Ich kann also hier so lange stehen, wie ich will, reden, was ich will und so lange, wie ich will!" Neben ihm knirschten Zähne. "Ich könnte natürlich auch aufhören." Säuselte Erebos betont jovial weiter. "Zum Beispiel, wenn du mir sagst, was du hier oben treibst, oh glorreicher Anführer! Eventuell würde ich zu der Überzeugung gelangen, dass ich in meinem warmen Bett besser aufgehoben wäre." »Subtil wie ein Schlag vor den Kopf!« Dachte Erebos angespannt. »Beiß' endlich an, verdammt!« "Wenn ich dir sage, was ich tue, gehst du?" Artaios' Stimme schien ernsthaft Schaden genommen zu haben. Sie klang wie ein Gespensterhauch. "Klar." Erebos grinste. »Dein Fehler, mein Bester, nicht genau zu spezifizieren, WANN ich gehen soll.« Artaios starrte unverwandt in den Abgrund vor ihren Zehenspitzen, wisperte flach. "Ich suche einen Grund, warum ich nicht springen soll." Erebos stieß angehaltene Luft aus. »Das ist kein Scherz.« Meldeten ihm seine Sinne. »Weiß ich.« Antwortete er sich selbst. "Na, das ist ja nicht gerade eine spannende Beschäftigung." Gab er sich gleichgültig. "Also ich wüsste auf Anhieb mindestens ein halbes Dutzend!" Um Artaios abzulenken, legte er munter los. "Zum Beispiel wäre es blöd, ausgerechnet jetzt den Abgang zu machen, wenn ich die meisten Prüfungen hinter mich gebracht habe! VORHER könnte ich ja noch verstehen, da spart man sich die Lernerei und den Stress, aber hinterher?! Doof!" Er zählte mit der freien Hand an den Fingern auf. "Es wäre auch blöd, weil es heute Mittag Cannelloni gibt. Das DARF man einfach nicht verpassen! Weiterer Grund: ich habe meinem Opa versprochen, den verdammten, alten Amboss aus dem Haus zu schaffen." Nun legte Erebos richtig los, schwadronierte, als sei es sein täglich Brot, ununterbrochen seine Umgebung zu beschallen. "Weißt du, so ein richtig altes, schweres Ding. Mein Opa wohnt nämlich in einer alten Schmiede. Sie haben die Scheune damals um den Amboss gebaut, danach umgebaut, ausgebaut, also den ganzen üblichen Zirkus. Nun soll der Amboss raus, weil er da stört, wo er steht." Erebos gestikulierte. "Blöderweise ist das Ding zu groß für die Türen, zu schwer für jeden normalen Menschen und das Dach kann ich ja auch nicht einfach abreißen, oder?!" Mit einem Seitenblick zu Artaios jagte er weiter durch seinen Monolog. "Natürlich wäre das für einen Kraftprotz wie dich ein Klacks, aber unsereins hat da ganz schön zu kämpfen. Noch ein Grund: ich will mit meinem Opa noch mal eine Kanaltour machen. Da mietet man ein kleines Hausboot, schippert ganz ruhig durch die Gegend. Sehr gemächlich, alles ganz ruhig und friedlich." Er holte Luft, spürte, wie ihm der Mund austrocknete, weil er ununterbrochen reden musste. "Wusstet du, dass mein Opa Goldschmied ist? Ich meine, unter anderem. Er hat schon eine Menge Berufe gelernt. Er fertigt mir die ganzen Stecker an. Sticht mir auch mal ein Loch, wenn ich nicht selbst drankomme." "Hach!" Krächzte er laut. "Weitere Gründe!" Er neigte sich in vorgeblicher Vertraulichkeit zu Artaios hinüber. "Ich will auch meine kleine Halbschwester mal kennenlernen. Meine Mutter ist natürlich dagegen, denkt vermutlich, die Kleine kriegt nen Herzkasper, wenn sie so einen wie mich sieht! Aber ich schleich mich einfach ran und gucke, ob sie nicht doch ein bisschen nach mir kommt." Erebos spürte, ohne hinsehen zu müssen, dass Artaios langsam den Kopf wandte. Von seiner kleinen Halbschwester wusste hier niemand. "Okay, weitere Gründe, nicht hier die Abkürzung zum Tal zu nehmen: ich will unbedingt rausfinden, wie Jack Sparrow, pardon!, Captain Jack Sparrow den Leviathan filetiert!" Artaios neben ihm reagierte, eher aus einem Reflex heraus. "Das ist ein Film!" "Ja und?!" Provozierend stemmte Erebos die freie Hand auf die Hüfte. "Ich mag die Serie! Außerdem reden wir hier über MEINE Gründe, nicht wahr? Ich halte das für einen SEHR guten Grund!" Artaios neben ihm wandte sich wieder ab. »Mist!« Erebos überlegte fieberhaft. "Gut, nun zu dir!" Sprudelte er weiter, als rase ihm nicht der Herzschlag. "Nenn mir einen Grund, warum du springen solltest!" Unter seinen Fingern verhärteten sich die Muskeln augenblicklich. "Ach!" Erebos klammerte sich an Boshaftigkeit. "Wenn du springst, wird dir sowieso niemand glauben, dass du Selbstmord begangen hast. Ph!" Theatralisch schnaubte er. "Die werden sagen, dass ich dich mitgezogen hätte! Die werden mir nen Mord anhängen! Daran bist DU schuld!" Es war riskant, Artaios mit dem Zeigefinger gegen den Oberarm zu tippen, auf dem schmalen Grat zu balancieren. Es gab zu viel zu verlieren, um es nicht zu wagen. "Das ist mir egal." Murmelte Artaios. Erebos holte tief Luft. "Aha. Egal. Wie nett. Sind wir doch wieder beim Thema. Hauptsache, der feine Herr hat seinen Willen durchgesetzt. So einem wie mir kann man ja alles anhängen, nicht wahr? Ist der Ruf erst ruiniert, kann man auch locker ins Gras beißen mit dem Gedanken daran, dass man so einen wie mich auch post mortem verleumdet." "Hör auf." Artaios war zumindest nicht vollkommen teilnahmslos. "Ich denke nicht daran!" Brüllte Erebos, was dank der Anspannung nicht schwerfiel. "Wenn du mich hier abmurksen willst, weil ich dich ganz sicher nicht loslassen werde!, mache ich so lange weiter, wie ich will, verstanden?! Ich haue nicht feige ab, ich gebe nicht einfach so auf! Ich kämpfe!" Der Angriff kam blitzartig, in jedem Fall zu schnell für Erebos, der zwar mit einer Reaktion rechnete, aber ihre gezielte Kraft unterschätzt hatte. Von einem Moment zum nächsten schleuderte er durch die Luft auf den spärlichen Rasen, wo ein Busch seinen Flug abbremste. Da er geistesgegenwärtig Artaios' Handgelenk umklammerte, wurde der von der kreiselnden Bewegung ebenfalls bewegt, sprang von der niedrigen Mauer. Der Busch knickte ein, was die Äste hergaben. Artaios rappelte sich auf, wollte Erebos' Hand von seinem Handgelenk entfernen, zog mit der anderen daran. Erebos biss auf die Zähne, wehrte sich, zappelte, warf sich mit seinem gesamten Gewicht auf den Hünen, um ihn zu Fall zu bringen. "Sag mir, verdammt noch mal, warum du diesen Scheiß hier machst!" Schrie er dabei aus Leibeskräften, schöpfte mit jeder Wiederholung weitere Energie, um den ungleichen Kampf aufzunehmen. Endlich gab Artaios auf. Wer nicht mehr weiter wusste, sah auch keinen Sinn in einem Kampf. Er sackte auf den Boden, zog die Beine vor die Brust, legte die Arme um sie, starrte blicklos ins Leere. "Hau jetzt nicht ab!" Erebos kniete neben ihm, schüttelte wieder Gefühl in seine Hand, während die andere Artaios ansatzlos ohrfeigte. "Verdammt, Sandy, ich prügle dich windelweich, wenn du nicht gleich mit der Sprache rausrückst!" Nun hatte er Artaios' Aufmerksamkeit. Ein winziges Licht blinzelte wieder in den blauen Augen. "Komm schon!" Erebos legte die Hände um Artaios' Wangen, spürte die Turbulenzen im Körper seines Mitschülers. "Erzähl es mir. Bitte!" Er konnte sehen, wie der Widerstand sich auflöste, die körperliche Spannung zu viel wurde, die Muskeln und Sehnen zu zittern begannen. Wie der geisterhafte Abglanz eines Lächelns auf Artaios' Zügen entgleiste. "Sandy." Wisperte Erebos sanft. "Was ist denn los? Willst du nicht, dass ich dir helfe? Sind wir keine Freunde mehr?" Artaios presste die Lippen aufeinander, zog den Kopf wie eine Schildkröte ein. Erebos folgte ihm in sein Schneckenhaus, indem er einfach die Arme um ihn schlang, Artaios wie ein Kind wiegte, über den Rücken streichelte, beruhigende Silben summte. Er konnte hören, wie Artaios weinte, ganz leise und resigniert. "Sag's mir." Flüsterte Erebos unnachgiebig. "Sandy, du musst mir sagen, was los ist, damit ich dir helfen kann!" Artaios wischte sich über das Gesicht, schniefte vornehm, hustete kurz. Für einen Augenblick befürchtete Erebos, dass sein Plan misslungen war, dass Artaios sich vorgeblich gefangen hatte, aber eigentlich nur eine Maske aufsetzte, um sich vor ihm zu verstecken. "Du willst wissen, warum ich hier bin?" Die heisere Frage war rhetorisch, aber Erebos war schon froh, Emotionen zu hören. "Dein kleiner Freund hat dir nicht gesagt, dass ich jeden Tag hierher komme, oder?" Artaios lachte auf, aber es klang wie ein Schrei. "Ich stehe jeden Morgen hier, gucke runter. Frage mich, warum ich NICHT springen soll. JEDEN Morgen! Ich suche Gründe, gute und schlechte, JEDEN Tag!" Artaios richtete sich auf, umklammerte die eigenen Hände mit aller Kraft, als könne sie das vor dem Zittern bewahren. "Aber mir fällt nichts mehr ein." Er drehte den Kopf zu Erebos, die Stimme zu schrill, um Amüsement auszudrücken, das Grinsen zu entsetzlich, um als humorvoll und selbstironisch zu gelten. "Mir fällt einfach nichts mehr ein." "Deine Familie? Dein Abschluss? Führerschein? Neues Auto?" Erebos zuckte mit den Achseln. "Sichere Karriere? Erfolg?" Artaios schnaubte verächtlich, wandte sich ab. "Ja, all diese tollen Dinge!" Ätzte er. "Meine Familie wird außer sich vor Freude über meinen Abschluss sein. Ich werde ein einflussreicher Mann, verkehre in den besten Kreisen, setze mich auch für das Allgemeinwohl ein." Er befreite eine Hand aus dem Knoten seiner Finger, rieb sich manisch über die Stirn, heftig und unkontrolliert. "Das ist DER Sohn, den sie haben wollen." Erebos kniete sich neben ihn, fing die Hand ein, bevor sich Artaios ernsthaft die Stirn aufreißen konnte. Er drückte die Hand. "Wer willst DU sein?" Er hörte, wie Artaios nach Atem rang, versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. "Komm schon." Erebos klopfte behutsam auf das breite Kreuz. "Mir kannst du es doch sagen, oder, Sandy?" Artaios gab ein Geräusch von sich, das wie eine Paarung zwischen Schnauben und Lachen klang. "Ehrlich, du bist der einzige, der mich so nennt." "Ehrlich." Erebos legte die freie Hand auf Artaios' Schulter. "Wenn ich dich Sanford rufen müsste, würden sich mir die Zehennägel einrollen." Er zwinkerte. Artaios grinste schwächlich. "Und?" Erebos lächelte aufmunternd, überrascht, dass die blauen Augen nicht von ihm wegsahen, dass Artaios unerwartet ruhig wirkte. War er zu einer Entscheidung gekommen? "Der, den sie sich wünschen, ist nicht der, der ich wirklich bin." In Artaios' Mundwinkeln verunglückte ein schiefes Lächeln. "Sag mir, wer du bist." Erebos wurde ernst. Plötzlich seufzte Artaios vernehmlich, sah an Erebos vorbei zur Mauer. Sein Profil wirkte gewohnt attraktiv, willensstark, entschlossen. Ein Mann, den man zum Präsidenten, zum Anführer wählen würde. Der tief Luft holte. "Ich bin schwul." Erebos blinzelte, schwieg aber, weil Artaios noch nicht am Ende seiner Offenbarung angelangt war. "Ich bin verliebt in jemanden, der weder standesgemäß ist, noch in das Bild passt, was sich alle von mir machen." Artaios zupfte mit der freien Hand Gräser aus. "Ich will nicht ständig stark sein, für alle die heißen Kartoffeln aus den Kohlen holen, immer korrekt und zurückhaltend." Er lachte leise über sich selbst. "Du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man davon träumt, einmal in den Arm genommen zu werden. Jemanden zu haben, der sich nicht abstützen will, sondern mich beschützt. Verwöhnt." Als wolle er nun auch die letzten Barrikaden niederreißen, wandte Artaios den Kopf, sah Erebos an. "Ich wünsche mir, dass dieser Jemand mit mir schläft, dass er stark ist, souverän, damit ich mich fallen lassen kann. Ich WILL passiv sein, verhätschelt werden. Immer stark sein, immer kontrolliert, das ist so verdammt BESCHISSEN!" Erebos blinzelte, in seinen Ohren klingelte es. Theoretisch wusste er, dass Artaios auch ungehemmt brüllen konnte. Nun hatte er das zum ersten Mal aus nächster Nähe erlebt. "Ooookay." Murmelte er. "Wenn du den Löffel abgibst, wie willst du dann Sex haben? Ist das nicht ein wenig übereilt?" Artaios zuckte matt mit den Schultern. "Wenn ich ich bin, sind alle enttäuscht, die auf mich bauen. Wenn ich das bin, was alle wollen, stehe ich hier und weiß keinen einzigen verdammten Grund, warum ich das auf mich nehmen soll." "Hm." Erebos zupfte an seinen Igelstacheln, grübelte. "Der, in den du verliebt bist, der nicht ins Bild passt, hat er dich abgewiesen, oder was?" Als Artaios stumm den Kopf schüttelte, packte er ihn an der Schulter. "Mensch, was tust du dann hier?! Nutz doch die Chance! Vielleicht können deine Leute mit deinem Schatz doch auskommen! Gib den Leuten eine Chance, ihre Vorurteile zu überkommen! Na los doch, ich helfe dir auch! Bei Alocer lag so ein schwülstiger Gedichtband herum!" Mit Feuereifer engagierte er sich in der Sache, vor allem, weil er so erleichtert war, die unmittelbare Gefahr abgewandt zu haben. "Er mag keine schwülstigen Gedichte." Bremste Artaios leise. "Du hast ihm schon gesagt, dass du ihn liebst, oder?" Erebos sondierte noch immer in vollem Flug. "Wir suchen eben eine andere Möglichkeit!" In seine Gedanken von Rendezvous, Abendessen bei Kerzenschein, wahlweise Schlamm-Catchen oder Go-Kart-Fahren drang Artaios' leise Replik kaum durch. "Ich habe es ihm nicht gesagt." "Hä?" Entgegnete Erebos unfein, als sein Gehirn in die Bremsen trat. "Warum denn nicht?! Du willst doch nicht einfach abkratzen, ohne es wenigstens versucht zu haben, oder?!" Artaios seufzte. "Meine Güte!" Erebos wurde energisch. "Du machst mich echt wahnsinnig! Erst muss ich auf diese verdammte Mauer klettern, obwohl ich nicht schwindelfrei bin und Höhenangst habe! Jetzt kommst du mir mit so was?! Komm hoch!" Er zerrte an Artaios' Arm. "Wir finden deinen Traumprinz, du machst ihm einen Antrag, und alles ist in Butter!" Artaios rührte sich nicht von der Stelle. "Verdammt, mach dich nicht so schwer!" Erebos zerrte und zog. Der alte Amboss war nichts dagegen. "Erinnerst du dich an unseren ersten Schultag?" Artaios lächelte melancholisch. "Klar. Oh ja!" Nun klang Erebos ärgerlich. "Du lässt das blöde Tablett vor mir fallen. Nachher musste ICH eine Woche Putzdienst extra übernehmen! Weil ICH natürlich daran schuld war! Der böse Krawall-Prolet! Wie konnte ich auch nur einfach so herumstehen!" Artaios seufzte. "Von dem Putzdienst wusste ich nichts. Du hättest es mir sagen können." "Klar!" Grummelte Erebos, gab es auf, Artaios von der Stelle bewegen zu wollen, sackte neben ihm ins Gras. "Da hätte die Alte behauptet, dass ich dich bedroht hätte oder sonst was. Die hatte mich ohnehin auf dem Kieker." Er musterte Artaios' Profil, der unverwandt geradeaus starrte. "Weißt du, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich vollkommen schwach gefühlt habe." Flüsterte der. "So leicht, als könnte mich ein Windzug davontragen." Erebos runzelte die Stirn. "Komm schon, SO furchterregend war ich nun auch nicht!" Artaios drehte sich zu ihm um. "Ich hatte keine Angst." Lächelte er traurig. "Ich habe mich auf den ersten Blick in dich verliebt." #~~~~~> Erebos starrte in den Sommerhimmel über sich. »Sonne und Wolken oben, Erde und Gras unten. Gut.« Ihm war schwindlig, dabei war er weit genug vom Abgrund entfernt. Artaios saß artig neben ihm, hielt höflichen Abstand. "Okay." Erebos räusperte sich. "ICH bin dein Traumprinz?!" Er kiekste vor Unglauben. Blaue Augen erscheinen vor ihm, schwebten wie der Sommerhimmel eine Weile in seiner Sicht. Artaios lächelte scheu. "Genau." "Meine Güte." Murmelte Erebos. "Ich fühl mich wirklich komisch." »Ich MUSS blind gewesen sein!« Tobte sich in ihm ein Sturm aus. »Die ganze Zeit...hätte er nicht mal was sagen können?! In ein paar Wochen ist hier Schluss für uns!« Von gerechtem Zorn erfüllt holte er auch laut zur Attacke aus. "Wieso sagst du mir das jetzt erst?! Du schubst mich herum, gehst mir aus dem Weg, unterstellst mir, ich hätte Hyakinthos was getan! Was SOLLTE das, verdammt?!" Artaios seufzte leise. "Ich HABE versucht, das Richtige zu tun." "Das Richtige?!" Erebos stemmte sich hoch, schluckte ein paar Mal, weil ihm wirklich mulmig war. "Das Richtige ist also, mich wie einen Depp ahnungslos herumlaufen zu lassen, während du hier existentielle Fragen auf der Mauer mit dir selbst diskutierst?!" "Wenn du es so pointiert formulierst..." Artaios grinste schief. Erebos grub die Finger Artaios' Ärmel. "Hör mal, mir ist wirklich flau zumute. Mir hat noch nie einer einfach so gesagt, dass er mich liebt. Ich glaube, ich vertrage das nicht auf nüchternem Magen." Artaios legte erschrocken den Arm um ihn, stützte seinen Rücken. "Ist es die Höhe? Nachwirkungen vielleicht?" "Ich weiß nicht." Erebos lehnte sich an. "Mein Herz rast. Total verrückt!" Er spürte Feuchtigkeit auf seinen Handflächen. "Sag mal, wenn ich ein Traumprinz bin und du mich küsst, werde ich dann zum Frosch? DU bist ja schließlich der offizielle Traumprinz!" Warme Hände umfingen seine Wangen, streichelten mit den Daumen über seine Ohrmuscheln. "Ich glaube, ich erkenne die Symptome." Artaios klang so nahe, dass Erebos erschreckt keuchte. "Und ich weiß auch ein Heilmittel." Er küsste Erebos zuerst sehr sanft auf die Lippen. Als könne er gar nicht glauben, dass es wirklich geschah, legte Artaios seine ganze, lange unterdrückte Leidenschaft in den nächsten Kuss. Nicht einen Augenblick ließ er Erebos los, als er sich auf dem Rücken sinken ließ, ihn auf sich zog. #~~~~~> Erebos stützte sich auf einem Ellenbogen auf. "Quak~quak?" Artaios lächelte hoch. "Nein." Zwinkerte er. "Du bist definitiv noch mein Traumprinz." "Oje!" Erebos streichelte mit der freien Hand über Artaios stets untadeligen Schopf. "Schätze, ich werde dich wohl heiraten müssen, wie? Du hast hoffentlich keine Metallallergie, sonst haben wir ein Problem." "Das können wir gleich rausfinden." Artaios' Hände wanderten ungeniert tiefer. "He!" Erebos biss sich auf die Unterlippe. "Komm schon, hier!? Wir sind ohnehin schon spät dran, und..." "Das ist mir egal." Wisperte Artaios rau, weil er Erebos an einer neuralgischen Stelle erwischt hatte. "Ich sage einfach, ich hätte mir den Knöchel umgeknickt. Du musstest mir beim Abstieg helfen." Erebos stöhnte leise. "Das geht nicht, Sandy, wir brauchen..." "Ein Pfadfinder ist ALLZEIT bereit!" Artaios zwinkerte träge unter halb gesenkten Lidern. "Ich will sehen, was du Hyakinthos gezeigt hast. Du musst nicht vorsichtig sein." Über ihm seufzte Erebos. "Hör mal, ich bin kein Böser. Zumindest nicht im Bett." Artaios lächelte perfid, während seine Finger über die Stecker tanzten. "Quak~quak!" #~~~~~> Kapitel 16 - Das Geheimnis des Westwindes Natürlich war die zerrupfte Rückkehr der beiden das Tagesgespräch. Noch wunderlicher wurde es, als man die beiden im Irrgarten entdeckte, wo sie aneinander geschmiegt verlorenen Schlaf nachholten. Ausgerechnet die beiden ein Paar?! Hyakinthos strahlte den ganzen Tag vor Freude. Zephyr ließ sogar unkommentiert, dass Taliesin Hyakinthos dankbar um den Hals fiel. #~~~~~> Die mündlichen Prüfungen kamen und mit ihnen schließlich auch der Abschluss. Die gesamte Schule feierte das traditionelle Abschiedsfest im Freien, mit Feuerwerk und vielen Gästen. Taliesin verabschiedete sich am frühen Abend von seinen Freunden und Hyakinthos. Arnd war gekommen, um ihn abzuholen, bevor sich der Agent einfinden konnte. "Ich werde dich sehr vermissen!" Hyakinthos umarmte den Barden erneut, ließ sich über den Rücken streicheln. "Ich schreibe dir." Versprach Taliesin. "Wir halten Kontakt. Wer weiß, vielleicht komme ich mal wieder zu Besuch und singe dir ein Ständchen!" Hyakinthos löste sich widerstrebend, wischte sich über die Augenwinkel. Er fühlte sich, als würde er einen geliebten Bruder verlieren. "Nicht traurig sein, ja? Ich ruf dich morgen Abend an und erzähl dir, was ich auf der Fahrt alles erlebt habe!" Taliesin war viel zu aufgekratzt, um Abschiedsschmerz zu empfinden. "Gut." Tapfer nickte Hyakinthos, hielt sich an Zephyrs Hand fest, als sich der unscheinbare Lieferwagen entfernte. Er war dankbar, dass Zephyr nichts sagte, sondern ihm einfach den Arm um die Schultern legte, eine Weile mit ihm in der Dunkelheit stand, die Sterne betrachtete. #~~~~~> Am nächsten Morgen trafen weitere Eltern und Geschwister ein. Legionen wollten ihre Kinder einsammeln. Caratacus stieg mit einigen der Älteren, die eine Abholung nicht für nötig befanden, in den Bus. Ihr Abschied war herzlich, ohne große Worte. Artaios und Erebos hockten mit ihrem Gepäck am Tor. Ihr Abholer ließ auf sich warten, was die beiden nicht sonderlich störte. Hyakinthos leistete ihnen Gesellschaft. "Ich bin gespannt, was er sich dieses Mal für eine Schaukel ausgeliehen hat." Erebos grinste, drehte einen Lutscher in seinem Mund herum. "Einmal hat er einen alten Opel Kapitän aufgetrieben." Er drückte Artaios einen klebrigen Kuss auf die Wange, zwinkerte. Artaios blinzelte, leckte ihm der Länge nach über die Wange. "Quak~quak." Rief er spöttisch. "Was werdet ihr jetzt machen?" Hyakinthos verstand diese Geheimsprache zwar nicht, aber dass die beiden so gelöst wirkten, machte ihm Hoffnung. Wenn man es genau betrachtete, waren sie nämlich gar nicht so unterschiedlich. In der Not, wenn es hektisch wurde, war auf sie beide Verlass. "Wir machen ein bisschen Urlaub mit meinem Opa. Ich werde Sandy heiraten und die Mitgift verprassen!" Erebos grinste. "Welche Mitgift?" Artaios kniff ihn in die Seite. "Das vergiss mal schnell. Ich werde arbeiten gehen müssen, damit wir uns einen kleinen Teich leisten können!" "Hach!" Erebos seufzte schwer. "Ich WUSSTE ja, das nimmt mit mir ein schräges Ende!" Hyakinthos lachte mit den beiden, als sich ein gewaltiger Traktor den Weg hinauf bahnte. "DAS ist bestimmt mein Opa!" Erebos sprang elastisch von seinem Gepäck, winkte wild. Der Mann hinter dem Steuer drückte das Signalhorn der Erntemaschine, lupfte eine Strickmütze, strahlte. "Komm!" Erebos schulterte sein Gepäck, fasste Artaios an der Hand. "Los geht's! Das Abenteuer wartet!" #~~~~~> Hyakinthos saß im Irrgarten auf einer alten Bank, beobachtete, wie sich die Sonne langsam zurückzog. Lautlos trat Zephyr an seine Seite, legte ihm die Arme um die Schultern, hielt ihn fest. "Ich habe nachgedacht." Hyakinthos bemühte sich um einen munteren Ton. "Du musst nicht meinetwegen die Ferien hier verbringen, weißt du? Ich kann drei Wochen aushalten, ohne dass die Pheromone zu stark werden. Zur Not fahre ich einfach in die Stadt..." "Was redest du da für einen Quatsch?!" Zephyr klang eisig. Hyakinthos schob seine Arme von den Schultern, stand auf, drehte sich zu ihm um. "Der Effekt lässt nach, wenn man sich entfernt." Erklärte er mit gezwungenem Lächeln. "Ich will nicht, dass du hier versauerst. Willst du nicht auch wissen, ob du mich ohne die blöden Pheromone überhaupt magst?" Zephyr seufzte übertrieben. "Du redest Blödsinn! Ich bin bei dir, weil ich es will, Punkt." "Nein!" Beharrte Hyakinthos. "Du GLAUBST, dass du es willst, aber dieses Vampir-Gift manipuliert jeden! Es wäre total egoistisch, wenn ich dich hier bei mir festhalte! Warum sollst du keine schönen Ferien haben?!" Er bemerkte, dass seine Hände so wie seine Stimme zitterten, versteckte sie rasch hinter seinem Rücken. Zephyr musterte ihn stumm, griff um Hyakinthos herum, packte eine seiner Hände. "Komm mal mit." "Wohin?" Hyakinthos sträubte sich. "Wohin gehen wir denn?" Ohne anzuhalten zog ihn Zephyr weiter, antwortete über die Schulter. "Wir gehen dahin, wo es noch hell ist." Sie erreichten eine freie Fläche hinter dem Irrgarten. Da die Schule nahezu ausgestorben war, mussten sie nicht befürchten, entdeckt zu werden. "Gut." Zephyr legte Hyakinthos die Hände auf die Schulter, holte tief Luft. "Es gibt da etwas, das ich dir noch nicht von mir erzählt habe." Dafür, dass er Hyakinthos eigentlich kaum etwas erzählt hatte, war es eine schamlose Untertreibung. Fest sah er in Hyakinthos' Augen. "Deine Pheromone wirken bei mir nicht." Hyakinthos blinzelte. Unglauben wechselte zu leichter Verärgerung, wandelte sich in Nachsicht. "Weißt du, das denkst du, aber die Pheromone sind heimtückisch, die wirken unterschwellig..." Zephyr stoppte die Erklärung mit seiner Rechten auf Hyakinthos' Lippen. "Lämmchen, es ist WAHR. Deine Pheromone haben keine Wirkung auf mich." Er seufzte laut. "Ich kann das auch beweisen." Hyakinthos legte ihm die Hände auf die Taille. "Zephyr, ich glaube dir ja..." "Nein." Zephyr schüttelte den Kopf. "Das kannst du nicht, deshalb muss ich es dir ja beweisen." Er zog eine Grimasse. "Das klingt wieder pathetisch!" Er rollte die braunen Augen. "Na gut. Hyakinthos, deine Pheromone wirken nicht bei mir, weil ich ein Vampir bin." Hyakinthos reagierte zuerst gar nicht. Dann presste er wütend die Lippen zusammen. "Zephyr, das ist ein blöder Scherz!" "Nein. Bedaure." Wisperte der, schlug blitzartig die verborgenen Fänge in Hyakinthos' Hals. #~~~~~> Hyakinthos blinzelte. Aber der Himmel über ihm zeigte Abendrot, ganz klar und deutlich. "Süß." Hörte er Zephyr leise lachen. "Du bist ohnmächtig geworden." Ruckartig setzte sich Hyakinthos auf, tastete nach seinem Hals, wandte sich zu Zephyr um, der neben ihm kniete. "Was~was ist passiert?" Zephyr kämmte ihm eine Locke aus der Stirn, erfreut, dass Hyakinthos nicht zuckte. "Ich habe dich gebissen." Informierte er ihn ruhig. "Aber~aber ich VERSTEHE das nicht!" Hyakinthos rappelte sich auf, wedelte mit den Armen gestikulierend in der Luft, funkelte auf Zephyr herunter. "Was soll das heißen?!" Zephyr sah sich auch gezwungen aufzustehen, nach Hyakinthos' Händen zu haschen. "Ganz einfach: weil ich ein Vampir bin, kann dein Lockstoff nicht auf mich wirken." "Ach ja?!" Hyakinthos richtete anklagend einen Finger auf Zephyr. "Warum bist du mit mir zusammen, hä?! Wenn es doch nicht wirkt! Du lügst mich an, richtig?! Das ist nur ein Scherz, oder?!" Zephyr war schnell, nutzte sein Tempo, um die Arme um Hyakinthos zu schlingen, bevor der einen hysterischen Wutanfall austoben konnte vor Verwirrung. Er presste Hyakinthos' Arme an dessen Leib, legte die Wange an seine, um ihn zu beruhigen. "Lämmchen, ich lüge dich nicht an!" Hyakinthos zitterte nun merklich. "Ich bin wirklich ein Vampir. Allerdings kein menschlicher wie dieser Desmond." Er wiegte Hyakinthos zärtlich. "Ich tue dir nichts an, verstehst du? Bitte beruhige dich wieder, ja? Tief durchatmen!" Es dauerte einige Minuten, bis Hyakinthos sich gefasst hatte. Trotzdem war ihm so zittrig zumute, dass er sich auf den Rasen setzen musste. "Ich verstehe das alles nicht." Wisperte er fassungslos. "Warum bist du ein Vampir?" Zepyhr konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er im Singsang antwortete. "Weil mein Papa Vampir meine Mama Vampir ganz doll lieb hatte?" Hyakinthos schniefte. "Mach dich nicht lustig! Das ist gemein!" Er war wirklich vollkommen durcheinander. Viel zu viele Gedanken wirbelten auf, ohne dass er sie in eine logische Reihenfolge bringen konnte. "Tut mir leid." Zephyr kniete sich neben ihn, streichelte ihm über die Wangen. "Entschuldige. Lass mich einfach die Sache erklären, ja? Du verstehst es bestimmt!" Das zumindest hoffte Zephyr. "Sieh mal, als du hierher kommen solltest, hat das Kollegium bei Ehemaligen auch um Hilfe gebeten, weil dein körperlicher Zustand ja sehr schlecht war." Zephyr nahm Hyakinthos in die Arme. "Ich hatte gerade meinen Abschluss gemacht und keine rechte Idee, was ich als nächstes tun sollte. Als ich von der Geschichte hörte, dachte ich, dass du schon längst tot sein müsstest." Zephyr unterbrach sich, um Hyakinthos auf die Stirn zu küssen als Entschuldigung. "Normalerweise überlebt kein Köder von menschlichen Vampiren so lange. Aber du lebtest noch. Ich wurde neugierig, wollte dich aus der Nähe studieren." Er zog eine Grimasse. "Ich meldete mich hier einfach an. Gleich am ersten Tag hörte ich, dass du es mit fünf Schülern gleichzeitig treiben würdest." Er korrigierte sich. "Ich vermutete das, weil man mir sagte, fünf Jungs würden sich besonders um dich kümmern." Er seufzte leise. "Deshalb dachte ich mir, das ist ja ein Früchtchen! Und bin dir auf die Toilette gefolgt." Mit einer Hand unter Hyakinthos' Kinn dirigierte er dessen Gesicht, sodass ihm Hyakinthos nicht ausweichen konnte. "Ich dachte, du wärst ein ziemlich loser Vogel, gleich fünf auf einmal! Darum hab ich dich provoziert." Zephyr wurde still, nagte an seiner Oberlippe. Sehr leise fuhr er fort. "Du warst überhaupt nicht so, wie ich vermutet hatte. Vollkommen verängstigt und verschreckt. Ich war nicht mal sicher, dass ich den Richtigen vor mir hatte. Dass du gegen die Tür gelaufen bist, tut mir wirklich leid. Das wollte ich nicht." Ohne es zu bemerken drückte er Hyakinthos ein wenig fester an sich. "Ich war einfach nicht sicher und ziemlich sauer, weil du dich immer anders verhalten hast, als ich mir das gedacht habe. Ich hab dich provoziert und erpresst." Ein weiterer Kuss landete auf Hyakinthos' Stirn. "Aber warum?" Piepste Hyakinthos verstört. "Wenn du doch gar nicht auf die Pheromone reagierst, warum bist du nicht weggegangen?!" Er richtete sich auf, fädelte eine Hand aus der Umarmung heraus, legte sie auf Zephyrs Wange. "Warum bist du hier?" Zephyr hielt seinem Blick stand. "Weil du einfach unmöglich bist!" Hyakinthos zuckte zurück aufgrund der heftigen Antwort. Zephyr knurrte laut. "Du bringst mich echt auf die Palme! Du bist selbst dann noch nett zu mir, wenn ich dich ärgere! Du wehrst dich nicht mal! Du hast deinen Freunden nicht erzählt, dass ich dich erpresse! Du bist einfach so~so lieb! So schrecklich sanftmütig!" Er konnte erkennen, dass Hyakinthos die Vorwürfe nicht verstand. "Kapierst du nicht?!" Er packte Hyakinthos' Hände. "Du BRAUCHTEST keine Pheromone, damit ich bei dir bleibe! Ich bin so schon verliebt genug!" "Was?" Ächzte Hyakinthos, sackte in die Knie. "Was?!" Zephyr hielt seine Hände noch immer fest, sah auf ihn herunter. Er war heiser und verlegen, als er ruhig wiederholte. "Ich bin verliebt in dich, Michael. So verliebt, dass ich nur noch dein Blut trinke und dich unter keinen Umständen sterben lassen werde." Hyakinthos schnappte nach Luft, krümmte sich leicht zusammen. Sofort ging Zephyr neben ihm auf die Knie, stützte ihn. "He, ganz ruhig, ja? Alles ist gut, ich bin bei dir!" Er streichelte in groben Schwüngen über Hyakinthos' Rücken. Den Rest würde er sich wohl bis nach dem Abendessen aufheben müssen. #~~~~~> Hyakinthos lag neben Zephyr in dessen Hochbett. Die Vorhänge waren aufgezogen, weil sie den Schlafsaal für sich allein hatten. "Geht es dir besser?" Zephyr streichelte sanft über Hyakinthos' Bauchdecke. "Hm." Seufzte der leise, lächelte schon wieder unbeschwert, wiederholte artig die Lektionen. "Du brauchst immer nur ganz wenig Blut und hinterlässt gar keine Wunde. Davon wird auch niemand ein Vampir." "Weil?" Kontrollierte Zephyr streng den Erfolg seiner Erklärungen. "Weil kleine Vampire wie kleine Menschen entstehen." Hyakinthos lächelte, umfasste Zephyrs Nacken, zog ihn für einen langen Kuss zu sich herunter. "Und wenn ich bei dir bleibe...?" Zephyr lehnte die Stirn an Hyakinthos'. "Dann geht es mir gut, weil du dafür sorgst, dass die Mutationen aufhören." Hyakinthos plapperte eifrig weiter. Enttäuscht schmollte er, als Zephyr sich aufsetzte, die Streicheleinheiten einstellte. "Da gibt es noch was." Er klang tatsächlich verlegen. "Ich hab dir ja gesagt, dass ich ein Vampir bin. Aber ich bin kein Mensch. Wir nennen uns Lamia. Humanoide Gestalt, aber nicht menschlich." "Und?" Hyakinthos ließ seine Finger Zephyrs Rückgrat erklimmen. Zephyr holte Luft. "Das hier ist nicht meine wahre Gestalt." Hyakinthos hielt inne, musterte ihn stumm. "Okay." Stemmte er sich auf die Ellenbogen. "WAS ist deine wahre Gestalt?" Zephyr zögerte. "Vielleicht solltest du für einen Augenblick wegsehen. Ich will nicht, dass du wieder ohnmächtig wirst, auch wenn das vorhin echt süß war." "Ich werde NICHT weggucken!" Bestimmte Hyakinthos stur, tippte Zephyr mit einem nackten Zeh an. "Mach schon! Langsam habe ich von dem ganzen Durcheinander nämlich wirklich die Nase voll!" "Auf deine Verantwortung." Brummte Zephyr verstimmt, beruhigte sich aber sofort wieder. Er blickte Hyakinthos unverwandt an, um in dessen Gesicht die Reaktionen ablesen zu können. Aber, wie hätte es auch anders sein können!, Hyakinthos überraschte ihn erneut. Er setzte sich auf, betrachtete ihn lange. Sehr lange. Dann streckte er eine Hand aus, um sehr vorsichtig über Zephyrs Haut zu streichen, seine Haare zu berühren. "Du~du bist so schön!" Das klang fast entsetzt! "Entschuldigung, ich habe mir das nicht ausgesucht!" Grollte Zephyr schnippisch. Hyakinthos lächelte. "Wenn ich deine Stimme höre, kann ich es glauben. Deine Augen..." Er seufzte. "Du bist wirklich so schön..." "Hrmpf." Zephyr drehte den Kopf weg. "Stimmt gar nicht. Wenn du genau hinsiehst, kannst du sehen, dass wir Lamia keine Mimik wie Menschen haben. Alles starr!" Hyakinthos streichelte über seine Wange. "Das ist anders, stimmt. Aber nicht hässlich." Bevor Zephyr überhaupt damit rechnen konnte, stieß Hyakinthos ihn um, zog das T-Shirt hoch, die Bermudas runter. "Was soll das?!" Zephyr versuchte reflexartig, seine Blöße zu bedecken. "Menschlich genug." Stellte Hyakinthos lachend fest, warf sich auf Zephyr. "Entschuldige, das war gemein, aber ich konnte nicht widerstehen! Wenn wir allein sind, zeigst du mir deine wahre Gestalt, ja? Bitte?!" Feuchte Küsse regneten auf Zephyrs Haut. "Schon gut, ist in Ordnung!" Verlegen und glücklich zugleich fing er Hyakinthos ein, küsste ihn mit steigender Leidenschaft. "Hast du keine Angst vor mir?" Hakte er leise nach. Er wusste, dass er auf Menschen unglaublich schön, aber auch furchterregend wirken konnte, mit der weißen, vollkommen haarlosen Haut, den rabenschwarzen, glatten Strähnen, die weniger mit Haaren als mit seidigem Draht gemein hatten und mit seinen dunkelroten Augäpfeln ohne eine Pupille. Hyakinthos lachte glucksend. "Bestimmt nicht! Ich weiß nämlich, wo du kitzlig bist!" #~~~~~> Zephyr lümmelte, den Kopf bequem auf Hyakinthos' Schulter abgelegt, auf der mitgenommenen Sitzbank. Unter ihnen ratterte und ruckelte der Zug über die Schienen. Er lutschte für Hyakinthos Gummibärchen vor, obwohl das eigentlich nicht notwendig war, weil sie bis zur Abfahrt in der Bahnhofshalle geknutscht hatten. Hyakinthos hielt seine Hand, sah aus dem Fenster. "Nervös?" Zephyr küsste Hyakinthos auf die Wange, gab nach intensiven, oralen Verhandlungen das Gummibärchen weiter. Hyakinthos nickte. "Vergiss nicht, dass du mich bei meinem richtigen Namen rufen musst." Lenkte Zephyr ab. "Nein, Ivoire, das vergesse ich bestimmt nicht." Hyakinthos grinste. Obwohl Zephyr seinen eigenen Namen ganz fürchterlich fand, mochte er ihn, vor allem, weil er wusste, wie Zephyr reagierte, wenn er ihn in seine Ohren flüsterte, als Racheakt dafür, dass Zephyr ihm über die Fußsohlen strich. "Ich hoffe, dass sie mir glaubt." Hyakinthos rückte näher an Zephyr heran. Manchmal war das Bedürfnis, sich die Kleider vom Leib zu reißen und nackt an ihn zu schmiegen, beinahe übermächtig, gerade jetzt, wo sein Magen rumorte, weil er an Meike dachte. Wenn die Fahrt zu Ende war, würde er seine Schwester endlich wiedersehen. Ob sie ihm glaubte, wenn er ihr erzählte, was sich in der Nacht am Valentinstag ereignet hatte? Zephyr streichelte ihm über die Bauchdecke, eine vertraute Neckerei und Zärtlichkeit zugleich. Hyakinthos platzierte seinen Kopf auf Zephyrs Schulter, kuschelte sich an. "Ich hab dich lieb." Lächelte er schläfrig. Über ihm verdrehte Zephyr die Augen. Für einen Moment waren sie nicht mehr als flammend rote Augäpfel. Er lächelte aber. "Ich werde auf tieffliegendes Geschirr achten." Schmunzelte Zephyr zwinkernd. »Nein.« Dachte er, schob sich ein Gummibärchen in den Mund. »Ich würde keine Entscheidung anders treffen.« Mit der Zunge liebkoste er die eingezogenen Fänge in seinem Gaumen. »Ich werde eine Kerze für dich anzünden, Desmond. Guter Geschmack, aber nicht für zehn Cent An- oder Verstand.« Es war die richtige Entscheidung gewesen, den menschlichen Vampir von seinem Elend zu erlösen. Er streichelte über Hyakinthos' dunkelblonde Locken. »Wirklich, ein Köder für die Bestie!« Lächelte er. #~~~~~> ENDE #~~~~~ > (Fortsetzung in [Traumprinzen! Frösche! Und!]) Vielen Dank fürs Lesen! kimera