Titel: Le Cors De La Vie (Un Cachos Nova) Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Spannung Erstellt: 15.11.2005 Hinweis: Es werden einige Begriffe benutzt, die heute nicht mehr gebräuchlich sind und als veraltet gelten sowie einige "Brocken" Okzitanisch, daher gibt es ein Glossar. Wie immer ist alles frei erfunden, keine Parallelen mit Personen oder Ereignissen. Ich habe die Geschichte über drei Jahre aufgezeichnet (mit Unterbrechungen), obwohl sie mir in einem Traum perfekt von Anfang bis Ende erschien ^_^° Nun aber ist es endlich vollbracht! ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ Jede Erzählung birgt einen Kern Wahrheit. Diesen zu erkennen, erweist sich als wahre Kunst. ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ Le Cors De La Vie ~ Un Cachos Nova ~ Kapitel 1 - Reisebefehl Die Fidelklänge tanzten lebhaft über den fröhlichen Schlägen der Trommeln und Schellenringe, sich verstärkter Unterstützung der Zikaden erfreuend. Noch immer drehte sich der muntere Reigen im Schein der Fackeln um Tische und Bänke, reichte man sich wechselseitig die Hände, eine möbiale Kette bildend, deren Glieder nicht stillstanden. Das junge Paar, eine just erblühte Jungfrau, die Wangen rosig vor Freude und Erschöpfung, da sie sich im Zentrum der Aufmerksamkeit wusste, lehnte vertraulich an der Seite ihres Bräutigams, der nur über wenige Monde zusätzlicher Lebenserfahrung verfügte. Der Senher, der sie nicht nur Kraft seines Asempre vermählt hatte vor den Augen Gottes und der Welt, richtete ihnen in seiner Großzügigkeit dieses Fest aus. Und diesen glücklichen Tag teilte das gesamte Gesinde wie auch die Bevölkerung des nahegelegenen Fleckens Sant Argo. So nahm es sich wenig verwunderlich aus, dass man nicht nur das junge Paar hochleben ließ, sondern den verehrten Senher Jaime da Solador lobpreiste. Der sich wacker mit ihnen im Kreise drehte und launige Scherzworte einstreute, die den Spielleuten, die er bemüht hatte, die treffenden Stichworte eingaben. Der hochgewachsene Mann, aus der Corsage von Jackett und Dreispitz befreit, löste sich, -das Gilet entknöpft-, aus dem Reigen und neigte grüßend das ebenholzfarbene Lockenhaupt vor dem jungvermählten Paar. Zu ihm, einem Schatten gleich, gesellte sich sein Majordomus Gaspard, der dem kleinen Gefolge seinen Abschluss gab, als man sich dem eingeschossigen Herrenhaus näherte. Gemessenen Schritts, höflich plaudernd, geleitete Jaime Braut und Bräutigam, noch immer in Hochstimmung trunken, in das eigens geschmückte Zimmer der Hochzeitsnacht, bevor die Eheleute die kleine Kammer im Gesindehaus beziehen würden. Seine schwarzen Augen unter den langen Wimpern funkelten Vertrauen werbend, als er einen höfischen Kratzfuß vollendete und die Lippen in der vorgeschriebenen Distanz über dem Handrücken der jungen Braut schweben ließ. Bevor sich jedoch Verlegenheit angesichts dieser Gestik der Anwesenden bemächtigen konnte, nahm er die derben Hände der jungen Magd in seine geschmeidig-kräftigen, lächelte zärtlich und hauchte warme Küsse auf Wangen und Stirn. Wie ein Vater, der die geliebte Tochter übergibt, ungeachtet der wenigen Jahre, die sie beide trennten. Gaspard, von einschüchternd bulliger Gestalt, die er geschickt zu verbergen wusste, nahm sich der jungen Braut an, mit der ruhigen Selbstgewissheit, die keinen Raum für Furcht ließ. Sodann schloss sich die massive Eichentür hinter dem ungleichen Paar, während Jaime den Jungvermählten in Augenschein nahm. Die weit auseinander liegenden Augen unter dem rötlich-braunen Haar, a la mode in einem lockigen Zopf gebändigt, erwiderten seinen inspizierenden Blick ohne Zögern, vertrauend und aufgeschlossen. Die Hand reichend nahm sich Jaime der Führung an, akkompagnierte seinen nächtlichen Gast, dem er eine neue Welt zu erschließen gedachte, in sein eigenes Gemach. Entzündete eine gewaltige, gedrehte Kerze aus duftendem Bienenwachs, bevor er sich der unschlüssig abwartenden Gestalt widmete. Jaime wölbte die Handflächen blütengleich um die frischen Wangen, haschte den verschämt-neugierigen Blick, bis dieser sich aus flackernder Unruhe still in seinen eigenen senkte und setzte einen samtweichen Kuss auf die erwartungsvollen Lippen. Kostete die Speisen der Nacht in ihrer Ahnung auf der glatten Haut, den Geruch des Jünglings, komponiert aus hitzigem Leib und rauchendem Fackelruß. Wie leicht fiel es seinen geschickten Fingern, die hinderlichen Stoffhüllen von dem reifenden Körper zu streifen, die frische Haut zu erkunden! Zögerlich, um Vergebung bittend, erwiderte der Jüngling die Aufmerksamkeit, bewunderte die straffen Muskeln der gebräunten Haut, ihre sehnige Kraft, die Entschlossenheit und Männlichkeit in jedem Zoll zu tragen versprach. Sein Herz beschleunigte den beschwingten Takt. Es lag ihm fern, sich mit dem verehrten Senher zu messen, denn im höchsten Maß erstrebenswert schien ihm die Verheißung dieser Gestalt. Ein außerordentliches Privileg, das er in dieser Nacht erfahren durfte. Mit allen Sinnen und ohne Einschränkung, wie der schwarzäugige Blick versprach, der lockende Mund stumm kündete. Der Jüngling entbrannte in glühender Hingabe. Was ihm auch auferlegt werden mochte, er würde es wagen! Dem Senher zu Diensten zu sein, der in unermesslicher Großzügigkeit seine Kenntnisse teilte... Seine Knie drohten nachzugeben, hätte Jaime ihn nicht sicher und behutsam gehalten. Das durchscheinende Tuch, aus dünnstem Seidenfaden gesponnen, war zurückgeschlagen, um das breite Bett unter dem hochragenden Himmel zu offerieren. Gleichermaßen im Adamskostüm, so verwunderlich ähnlich, suchte der Jüngling eilends die Nähe des Älteren. Unerwartete Scheu bemächtigte sich seiner. Wie konnte er wagen, ihre Gestalt zu vergleichen, getrennt durch Rang und Geburt?! Doch sein Senher maßregelte nicht, löste unterdessen die lederne Schnur, die die rotbraunen Haare hielt und bestrich mit kühlen Handflächen in anmutigen Schwüngen die unentdeckte Haut des Jüngeren, entlockte ahnungsvolle Seufzer. Jaimes Lächeln vertiefte sich wissend, warb um Geduld und um Vertrauen, das der Bräutigam rückhaltlos gewährte. Der ließ sich liebkosen, wärmen, betrachten, erkunden mit allen Sinnen und erkannte in der Sorgfalt, die hingebungsvoll jede Aufmerksamkeit durchdrang, seine eigene Berufung wieder. Der Jüngling verstand ohne Worte, was dieser herrliche Körper ihn zu lehren vermochte. Vergaß alle Zweifel in der leibhaftigen Realität, die sich seiner Berührung nicht entzog, ihm den natürlichen Lauf der Dinge aufwies, der leidlich bekannt, doch nie zuvor auf die eigene Person und Sehnsucht konzipiert worden war. Davon treibend in hitzigem Galopp und sanftmütigem Trab, hoch aufgerichtet oder schützend in sich selbst geborgen, -er hielt nichts zurück, was ihm an Freude und Lust gespendet wurde, um dem verehrten Senher seine Großmut zu vergelten. So wie die Liebe und Dankbarkeit für den Boden und das Leben ihn durchwehten, so wollte er fortan seiner Liebsten begegnen, um zu bezeugen, was er in dieser Nacht erfahren hatte. ~*~ "Bonjorn, mi Senher." Gaspard neigte knapp den krauslockigen Kopf. Seine scharfen, schwarzen Augen ließen jedoch nicht von der entspannten Miene seines Gegenüber. "Bonjorn, Gaspard." Jaime tupfte sich in anmutiger Selbstverständlichkeit mit dem Mundtuch die Lippen, bat den Vertrauten, sich an seiner Seite an der freistehenden Tafel niederzulassen. Diese bot, abgesehen von einem rustikalen Mahl bestehend aus gesalzenem Fisch, gekochten Eiern und eingelegtem Gemüse, einem gewaltigen Laib dunklen Brotes und Honigwein, den herrlichen Ausblick auf die sich langsam dem Zenit nähernde Sonnenscheibe. Ihre hochsommerliche Strahlkraft minderte ein vorgespanntes, schweres Tuch, das einem Segel gleich an den Giebel und die Pfosten gespannt worden war. "Habt Ihr eine angenehme Nacht verbracht, Gaspard?" Die sanfte Stimme mit dem rauchigen Timbre und dem Akzent der Mantanha kleidete sich in liebevollen Spott. Die geschwungenen Wimpern referierten neckend auf gewisse Anzeichen von Schlafmangel in den schweren Zügen des bulligen Mannes. Dieser bleckte in bäuerlicher Manier die Zähne knapp, strich gedankenverloren über die Narbe, die eine Augenbraue entzweite. "Mir will scheinen, Ihr selbst, mi Senher, habt die Eure genossen", retournierte er die ungebührliche Wissbegierde bezeichnend und erntete ein funkelndes Lächeln in Freimut. Unaufgefordert trennte Gaspard eine weitere Scheibe des körnigen, dunklen Brotes ab, reichte sie dem Jüngeren, um sich danach selbst sparsam aufzulegen. "Eine gesegnete Ehe." Der Mantanhol streute eine Prise Salz über die Schulter, nickte gravitätisch und verkostete bedächtig seine Mahlzeit. "Ich hege keinerlei Zweifel in dieser Hinsicht." Jaime platzierte das Mundtuch in nachlässiger Anmut neben die wertvollen Porzellanteller. "Der Knecht verfügt über ausreichend Phantasie und Hingabe..." Ein laszives Lächeln bemäntelte die sich spöttelnd kräuselnden Lippen. ~*~ "Das ist infam!! Eine Ungeheuerlichkeit!" Richard d'Aire marschierte in stakkatoartigem Rhythmus über die mit Intarsien versehenen Parkettbohlen, vom Alter auf Hochglanz poliert und ebenmäßig bis zur kleinsten Fuge. Die Schnallenschuhe mit ihren schweren Absätzen interpunktierten jede Rezitation der Ausrufe mit trockenem Knall. Hießen den Jüngling, der hoch aufgerichtet auf der äußersten Kante des gepolsterten Stuhls wartete, unwillkürlich zusammenfahren. "Man kann uns nicht derartig abaissieren!" Einmütiges, taktierendes Beipflichten, ungeordnetes Hintergrundrauschen zu echauffierten Gemütern. "Wir", der weißhaarige, großgewachsene Mann ballte die bleiche, von Altersflecken gezeichnete Hand, "sind die Luminnier." Zustimmung brandete auf wie die Gezeiten, stürmisch, sich selbst erhöhend, bevor sie sich in diversen Wirbeln wieder reduzierte und verlief. "Germain, Pierre!" Der verkniffene Mund bellte förmlich, und in korrespondierender Wachsamkeit entourierten Richard d'Aire sogleich zwei hoffnungsvolle Söhne. "Wir werden uns zu wehren wissen!" Wasserblaue klare Augen erforschten den Rund sezierend. "Ich", die bleiche Hand legte sich auf das kunstvoll gefältete und gerüschte Jabot, "ich werde meine ältesten Söhne nach Albion entsenden. Sie", jede Hand lehnte nun stolz auf der geraden Schulter eines Sohnes, "sind die Zukunft unserer Dynastien, unserer Traditionen und Werte." Nach einigen Augenblicken des Innehaltens in angespanntem Schweigen erhob sich eine bedachte Stimme. "Werter Freund, korrigiert mich, sollte ich einem Irrtum unterliegen, doch hat nicht der König selbst ein Edikt erlassen, das uns auferlegt, einen Erben in die Provinzen zu exilieren?" "In der Tat." Die kalten Augen glitzerten in verächtlichem Abscheu. "Diese Person erließ ein entsprechendes Schandstück. Doch bedenkt, meine Freunde, wir sind frei in der Entscheidung, welcher unserer Erben diese Erniedrigung erfahren muss." Eine wirkungsvolle Pause senkte die Bedeutsamkeit der unpräzisen Formulierung des Ediktes in die erhitzten Gemüter. In kürzester Zeit verschworen sich Blicke. "Ich selbst, Richard d'Aire, werde meinen jüngsten Sohn Sebastien der Verfügungsgewalt dieser Person und ihrer Claqueure und Intriganten überlassen." Einige Augenpaare streiften den bleichen Jüngling, der nun hoch aufgerichtet und emotionslos den Blick des Vaters erwiderte. "Wir erfüllen seine Edikte, wie es Rechtschaffenen wohlan steht, doch!", erneut ballten sich die bleichen Fäuste, "doch hindert dies uns nicht, in den Augen der Welt offenzulegen, wie schändlich und ehrlos das Gebaren dieser Person ist!" In der rückhaltlosen, dennoch sittsam artikulierten Zustimmung der Anwesenden vermochte der trübe Blick des Jünglings kein Echo auszumachen, das ihm Trost spendete. ~*~ "Auf Geheiß Seiner verehrungswürdigen Majestät! Sebastien d'Aire, Sohn des Richard d'Aire, Domäne Beausage! In Seiner göttlichen Gnade werdet Ihr in die südliche Provinz Le Cel de la Lona reisen und Euch dort um die geschuldete Treue eines loyalen Untertanen verdient machen. Ausgefertigt am 15. Tage des Herrn im 2. Mond des Civadat." Sebastien empfing die Nachricht seiner Exilierung mit unbewegter Miene, traf sie ihn doch wenig überraschend. Er nickte knapp, erwiderte den Gruß des Administrativen und zog sich aus dem Empfangssalon in sein eigenes, bescheidenes Gemach im ersten Obergeschoss des weitläufigen Sitzes der d'Aire zurück. Sein Vater hatte ihn angewiesen, sich auf das Fassungsvermögen eines ledernen Schulterbeutels zu beschränken, was seine zukünftige Habe betraf, und die Auswahl wog dem Jüngling schwer. Nie zuvor war es ihm gestattet worden, die väterliche Domäne zu verlassen, sodass sich seine vage Imagination von Reisen auf vereinzelte Schilderungen Dritter in den Folianten beliefen. Beausage zu verlassen verursachte ihm Pein und Erleichterung zugleich. Die letztgenannte Empfindung galt es jedoch sorgsam zu verbergen, um sich nicht dem unterkühlten Unmut des Vaters auszusetzen. Zwanzig Reisetage quer durch den zivilisierten Norden, dann über die Berge bis in die entlegenen und unbotmäßig aufsässigen südlichen Provinzen... Ihn schauderte angesichts der zu bewältigenden Anstrengungen, der Unbequemlichkeiten und des Mangels an Kultur und feiner Gesinnung. Ein aufmunterndes Tirilieren ließ ihn aufhorchen. Seine zarten, wohlgepflegten Finger wanderten neckend über das vergoldete Gehäuse des Vogelbauers, das dem gefiederten Sänger Obdach bot. Einem unverständlichen Impuls folgend hakte Sebastien den Verschluss der verzierten Tür auf, lockte den fröhlichen Zimmergenossen ins Freie. "Wenigstens Ihr, mein Kamerad, sollt Euch Eurer Freiheit erfreuen können", beschloss der Jüngling melancholisch. Er entließ den Vogel durch das geöffnete Flügelfenster, begleitet von guten Wünschen und Hoffnungen. ~*~ Der lederne Sack wog schwer, doch erdrückender noch schnürte Bangigkeit die Kehle des jungen Mannes zu. Als er in seinen besten Gehrock und Pelerine gekleidet, die Kniehosen sorgsam gebunden, die Schnallenschuhe auf Hochglanz poliert, von seiner Familie Abschied nahm. Sebastien empfing den väterlichen Segen über dem gebeugten Scheitel, bevor er den Dreispitz justierte und sich die lange Auffahrt für die Kutschen hinabbegab. Es hieß nunmehr, die Überlandroute zu bereisen mit einem veritablen Ungeheuer, kaum abgefedert und von unzähligen Passagieren gezeichnet. Kein Vergleich zu den väterlichen Karossen. Als Sebastien die schweren Torflügel passierte, schmiedeeiserne Begrenzung der unlauteren Welt, bemerkte er die traurigen Reste seines gefiederten Kameraden. Die Freiheit zu bewältigen war diesem wohl nicht vergönnt gewesen. Sebastien wickelte sich enger in den steifen Filz seines schweren Übermantels. ~*~ Hatte es sich zunächst unerwartet agreabel ausgenommen, in Gesellschaft diverser, ebenfalls deportierter Luminnier zu reisen ungeachtet der Unzulänglichkeiten des Transportmittels, so änderte sich dies bei Erreichen der Berge. Sebastien war bis dato reserviert, in gemessener Höflichkeit adressiert worden. In seiner Befangenheit, mit den älteren, bereits weltläufigen Reisegefährten eine anspruchsvolle Konversation zu führen, hatte er sich zu bald in bescheidenes Schweigen geflüchtet. Getreu der Ermahnung seines Vaters, dass 'zu schweigen habe, wer nichts zu sagen wisse'. In einer beunruhigenden Trance spiegelten sich die Tage und Nächte. Die eintönige, rumpelnde Überlandreise lediglich unterbrochen vom unausweichlichen Wechseln der Pferde, das den Passagieren kaum Zeit zur Erfrischung und Erleichterung ließ. Nun aber zerriss der betäubende Schleier, im gleichen Maße, in dem die kahlen Berge schneidend durch dünne Bewölkungsbänder fuhren. Sebastien, dessen Lebenserfahrung sich auf das väterliche Gut in seiner Weitläufigkeit beschränkte, verspürte den Drang, den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen, derartig erdrückend nahm sich die schiere Masse des Granitgesteins aus. Die Landschaft verlor ihren lieblichen Charakter, und mit der sich reduzierenden Vegetation in steigender Höhe bemächtigte sie sich eines bedrohlichen Airs, karg und abweisend. Der Jüngling stieg bedächtig die zwei schweren Stiegen auf den felsigen Boden hinab, um sich zu seiner Reisegesellschaft zu begeben. Ihn fröstelte noch immer und die vage Furcht, es vermochte in den Bergen, die nun zu durchqueren anstanden, noch erheblich kühler zugehen, hieß ihn, die Kiefer starr aufeinander pressen. Angespannte Mienen verfolgten, wie sich statt der Kutsche eine Karawane Maultiere in ihre Richtung bewegte, von den gutturalen Rufen und Schnalztönen zweier Bergführer angetrieben. "Strauchdiebe", wisperte ein stutzerhaft zurechtgemachter Mann an Sebastiens Seite, das Spitzen besetzte Taschentuch indigniert vor die feinen Lippen hebend, die weiten Manschetten in reinstem Weiß schimmernd. Sebastien enthielt sich eines Kommentars, auch wenn er nicht umhin konnte, gewisse Vorbehalte gegen ihre Führer zu addieren. Schwere Schnauzbärte, ungewichst und kraus, die flachen, kreisrunden Hüte aus Filz nachlässig auf dem Hinterkopf balancierend, strotzten ihre flächigen, jovialen Gesichter vor rotwangigem Amüsement über die gestrandete Gesellschaft. Die Galoschen abgetragen und die Schafsfell gefütterten Wamse speckig vor Abnutzung hing ihnen der durchdringende Gestank Gebirgsgetiers und Hornvieh an. Sebastien rümpfte in bemühter Unauffälligkeit die Nase. Er hoffte inständig, der schneidende Bergwind möge sie antreiben und nicht frontal bewehen. Mit simpler Gestik und unverständlichen Grunzlauten, die gleichwohl auch eine Eigentümlichkeit des hiesigen Dialekts darstellen konnten, bedeutete man den Herrschaften, es sich auf den durchgescheuerten groben Wolldecken bequem zu machen. Da diese auf dem breiten Rücken der geduldigen Maultiere lagen, bedurfte es einiger Hilfestellung, bis Passagier und Muli sich auf ein Miteinander verständigten. Unbehaglich das wenig Nutzen stiftende Zügelband umklammernd studierte Sebastien seine Umgebung. In der Tat nahm mit jedem gewonnenen Höhenmeter die Adaption der tierischen Ausdünstungen zu, die seine Nase bedrängten, obgleich die Kälte und der schneidende Wind sich zu starker Konkurrenz auswuchsen. Als sich der steinige Pfad von den kärglichen Resten niedrigen Grünbewuchses verabschiedete und zwischen mannshohen Felstrümmern hindurchschlängelte, setzte ein leichter Nieselregen ein. Die Pelerine, durch die Staubwolken der Landstraße bereits gezeichnet und ihrer ursprünglichen Pracht beraubt, erwies sich erneut als wertloser Ballast, saugte sich doch der Stoff mit der spärlichen Nässe voll und speicherte sie. Sodass nicht nur das Muli roch, sondern auch Sebastien bald einen äußerst unangenehmen Odeur verströmte, der ihn selbst hochnotpeinlich den Kopf senken ließ. Es dunkelte bereits, als man ein Hochplateau erreichte, auf dessen Rücken eine einfache Holzhütte auf Wanderer wartete. Empörung und Protest brandeten auf, als den Reisenden bedeutet wurde, dass dieser Unterstand geteilt zu werden hatte. Und zwar nicht nur miteinander, sondern auch mit den Grautieren, die auf solcherart geäußertes Missfallen mit Langmut reagierten. Desgleichen die Führer, wettergegerbt und mit der Geduld der Berganrainer gesegnet. Sebastien, von Müdigkeit gezeichnet und ausreichend enerviert durch die unglückliche Geruchsnote, die ihn umgab, assoziierte sich nicht mit den Beschwerdeführern, sondern wählte sich ein geschütztes Eckchen. Dankbar für die relative Distanz zu seinem Reittier. Kaum dass er der durchnässten Pelerine verlustig gegangen war, fiel er zusammengekauert in erschöpften Schlaf. ~*~ Der folgende Morgen versprach ein desagreables Erwachen... und er hielt sich getreu an seine Prophezeiung. Sebastien konstatierte neben einer ganzkörperlichen Steifheit dumpfe Hungergefühle und diverse Beeinträchtigungen seiner Motorik. Die ihn mehr als einmal mit den ebenfalls übernächtigten Reisegefährten kollidieren ließen, bevor man sich zerschlagen daran begab, den ersten Tag in luftiger Höhe zu konfrontieren. Ein karges Frühstück bestehend aus porösem Ziegenkäse und sehr groben Laiben dunkelsten Brotes, ergänzt durch die spärliche Beigabe Wassers aus Lederschläuchen musste als erste Zehrung reichen. Dann geruhte man wieder auf den Maultieren Platz zu nehmen und leistete, der allgegenwärtigen Erschöpfung zu danken, schweigsam den Vorgaben der kundigen Führer Folge. Diese erklärten entgegen ihrem Hang zu vielsagender, lautloser Kommunikation, dass sich gegen Mittag die Wende ihrer Exkursion aufzeigen werde, ein Ansporn, der zur launigen Intonation von gottgefälligen Lobliedern führte. Was die beiden Bergführer jedoch verschwiegen, zeichnete sich ab, als es hieß, die Maultiere von ihrer Last zu befreien. Während die Horntiere selbsttätig und in gewohntem Langmut die Futterkrippen ansteuerten, zog sich der Weg nun Richtung Tal durch Geröllabgänge von Lawinen, in dichten Bodennebel gehüllt ungeachtet des zenitären Sonnenstandes. Inkommodiertes Nachfragen resultierte in der gleichmütigen Erwiderung, dass von dieser exponierten Stelle aus nur auf Schusters Rappen gereist werden konnte, was den Unwettern des vergangenen Frühjahrs zu Lasten gelegt wurde. Sebastien, seit Stunden stumm, da er Bedeutsamkeit der Rationierung seiner Wasservorräte erkannt hatte, erwog, sich dem fruchtlosen Protest anzuschließen, entschied sich jedoch nach einer Revision seiner Beweggründe dagegen. Noch eine Nacht in den unwirtlichen Bergen, die ihre Bedrohlichkeit und Massivität auch in Höhe der Gipfel nicht verloren hatten? Nein, dies war eine ausgesprochen irrationale Anwandlung kindlichen Trotzes, die seine Reisegefährten an den Tag legten. Er wollte die Gelegenheit nutzen, eine auf seinem eigenen Verstand gründende Überzeugung auch nach außen zu transportieren. Immerhin hatte er sich nun selbst zu verantworten, ohne Hoffnung auf Beistand oder Protektion. Und so akzeptierte er auch in artigem Dank den langen Stock, den einer der Bergführer ihm reichte, wickelte die Pelerine enger um seinen schlanken Leib und schulterte seinen ledernen Reisesack. Der verwinkelte Pfad hinunter in das Tal, -die transmontanischen Provinzen-, erwies sich als tückisch. Immer wieder lösten sich kieselartige Abgänge, hielten die beiden Wanderer in respektvoller Aufmerksamkeit. Es dämmerte, als sie sich endlich dem Fuß näherten. Die neblige Dunstglocke zerfaserte bereits in der Nacht. Sebastien befleißigte sich in seinem zerschlagenen Zustand nicht der Inspektion seiner Umgebung, nein, sein Fluchtpunkt kristallisierte sich in einer warmen Unterbringung und traumlosem Schlaf. ~*~ Der kleine Bergbauernhof, -als solcher war er zu kategorisieren, bewirtschaftete man doch umliegende Tennen und lebte von Ziegenherden-, stand unter der Ägide einer sonnenverbrannten Witwe. Die ihren Unmut über die Unzuverlässigkeit der angekündigten Reisegesellschaft nicht verborgen hielt. Sebastien suchte eingeschüchtert die vehement mit dem Schicksal hadernde Frau zu meiden und schlang eilends sein karges Frühstück hinunter, das sich nicht von den vorangegangenen, spartanischen Mahlzeiten unterschied. Der Bergführer machte sich in Gemütsruhe auf, um die vermutlich nach einer weiteren Nacht auf dem Hochplateau in ihrem Widerstand gebrochene Reisegruppe abzuholen. Er klopfte Sebastien kräftig auf die schmerzende Schulter und nickte in die südliche Richtung. In Worten gesprochen sollte dieser sich also zur Sonne hinbewegen und zwar vollkommen allein, es sei, er bevorzugte es zu warten, bis seine Schicksalsgenossen sich einfanden. Sebastien, von der plumpen Vertraulichkeit, die ihn unvorbereitet getroffen hatte, degoutiert, verabschiedete sich rasch mit wohlgesetzten Phrasen. Allein, die mitleidigen Mienen der Mantanhol kündeten davon, dass man ihm kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in Kredit stellte. Sich zur Haltung ermahnend ignorierte Sebastien diesen Umstand und marschierte, den Wanderstock schwungvoll ausschlagend, der Sonne entgegen. ~*~ Jaime studierte mit zusammengekniffenen Augen angesichts des Sonnenstandes die trügerisch grünen Graslandschaften, regungslos die karge Peripherie bis zum Horizont in sich aufnehmend. Dankbar lächelte er mit geschlossenen Augen, den Kopf weit in den Nacken gelegt, auf dem Perlen von der Temperatur kündeten, in den Himmel. Segnete den Umstand, dass sich die gefürchteten Mückenschwärme zu diesem Zeitpunkt nicht auf ihr Opfer stürzten. Dann, in geschmeidiger Eleganz, machte er kehrt, um dem sandigen Pfad zu folgen, der an einer Gruppe steinalter Erlen eine Abzweigung erfuhr. Im Schatten der spärlichen Baumkrone wartete geduldig ein Rappe mit auffälliger Zeichnung auf der Blesse. Lediglich ein leichtes Tänzeln deutete die Erwartung an, die die Rückkehr des Reiters auslöste. "Komm, Asard, gehen wir nach Hause, eh?" Seine Hand touchierte die Flanke, und der Rappe folgte ohne weitere Aufforderung, suchte wiederholt schnaubend die Wange des hochgewachsenen Mannes, der mit amüsiertem Zwinkern Zärtlichkeiten erwies. Der Weg, dem sie einmütig folgten, weitete sich zu einer aufgeschütteten Sandspur, die in Folge auch ein Wäldchen mit Hainbuchen durchschnitt. Jaime genoss die erfrischende Kühle, die das dichte Laubdach spendete. Auch Asard spazierte beschwingter aus, als sei es ihm erträglicher, die vertrauliche Enge der Bäume zu akzeptieren, als der sengenden Sonne ausgesetzt zu sein. Seine Ohren drehten sich aufmerksam, das Schnauben unterblieb warnend, und Jaime legte die Hand an die lederne Gürtelschnalle, die dem erprobten Jagdmesser benachbart schwer und glühend auf seiner Körpermitte ruhte. Die schwarzen Augen durchdrangen ohne unziemliche Eile, doch zielgenau und instinktsicher die Büsche, Gewächse und verrottenden Äste nach der Ursache für die Störung. Dann entspannte sich der Mantanhol sichtbar, lächelte hintergründig und bedeutete, mit der flachen Hand sanft die Flanke tätschelnd, sein vierbeiniger Begleiter möge unbesorgt sein. Sie tauchten tiefer in die kondensierende Atmosphäre des urwüchsigen Herzens der Anpflanzung ein, und Jaimes erwartungsvolle Ohren vernahmen das dezente Murmeln eines Wasseraustrittes. Zwischen einigen zum Schutz vor den organischen Fäulnisstoffen aufgerichteten Feldsteinen quoll kristallklar ein Rinnsal aus der sandigen Erde, die hier verborgene Schichten offenbarte, die auch den gewaltigen Hainbuchen sicheren Stand gewährte. Jaime ging in die Hocke, schöpfte Wasser mit gewölbten Händen, um dieses, sich geschmeidig aufrichtend, Asard zuzugedenken, dessen Wachsamkeit nicht nachgelassen hatte. Er lächelte in die klugen Augen seines Begleiters und raunte leise Kehllaute, ein intimes Zwiegespräch, dessen samtiges Timbre allein gereichte, den Rappen zu beruhigen. Dann entfernte sich Jaime einige Schritte, ließ sich nieder, den dünnen Hemdrücken des einfachen Bauerngewandes gegen einen der Feldsteine lehnend, zupfte den Saum aus seinem Hosenbund und lockerte die Gürtelschnalle. Er bot die Impression eines erschöpften Wanderers, der sich eine wohlverdiente Intermission zu gönnen gedachte. Die dichten Wimpern sanken schwer auf die sanft glühenden Wangen, ebenholzfarbene Locken schmiegten sich behaglich an Wange, Hals und Schlüsselbein, während die Arme locker auf den angenehm gewinkelten Beinen lagerten. Es verstrichen auf diese Weise einige Minuten, bis ein Schatten in geduckter, vorsichtiger Annäherung dem Schlafenden seine Aufwartung machte. In Atemreichweite auf alle Viere sank, eine schmutzige Klaue ausstreckte und der gebräunten Wange Liebkosungen erwies. Jaime schlug die Augen auf und lächelte mit geschlossenem Mund, um den erschrocken Zurückweichenden von seiner Ungefährlichkeit zu überzeugen. "Bonjorn, Roux." Reglos hielt er die freundliche Miene aufrecht, studierte dabei prüfend die hellblauen Augen unter einer wahren Flut vollkommen verfilzten Haars in kastanienroter Farbe. Der Jüngling, der nun abwägend vor ihm hockte, die zu Klauen deformierten Hände abwehrend erhoben und bis auf einige Fetzen verlumpter Bekleidung nackt, wenn auch in seiner ursprünglichen Hautfarbe dank diverser Tönungen durch eingetrockneten Schlamm und Morast kaum kenntlich, zog die Nase hoch, witterte. Die Augen irrten flink umher, verloren ihren Fokus jedoch nicht einen Wimpernschlag. Jaime übte sich in langmütiger Geduld, wartete, bis sein wilder Besucher sich ausreichend überzeugt fühlte, dass sein Instinkt gestattete, er möge sich erneut dem hochgewachsenen Mann nähern. Dann preschte Roux in überraschender Beschleunigung, von einem hellen Kläffen begleitet, auf Jaime zu. Die Klauen mit ihren überlangen, schmutzigen Nägeln gruben sich in ebenholzfarbene Locken, während sich von Gebrauch geschärfte Zähne mit vernichtender Genauigkeit in die Kehle senkten. Und jede Regung belauerten. Die in eine nicht zu erwartende Richtung erfolgte, denn Jaime behielt seine passive Haltung bei, intonierte stattdessen eine beruhigende Tonfolge. Ließ die Modulation der Klänge, die sich zu einem Schlaflied formten, durch Zähne und Lippen des Rothaarigen gleiten. Dieser hielt inne, erstarrt, um dann in entsprechender Vehemenz, die seine Attacke eingeleitet hatte, das Hemd ungestüm von Jaimes Schultern zu zerren. Jaime assistierte, löste die Gürtelschnalle, die mit knurrendem Abscheu verächtlich auf die Seite geschleudert wurde, von einigen Erdklumpen gefolgt. Dann trat auch die lederne Hose diesen Weg an, die Stiefel und Strümpfe vervollständigten das Bild. Roux gestikulierte mit kehligen Lauten, preschte in eine Lücke im dichten Bewuchs, sodass Jaime, der dieses Verhalten als Einladung summierte, gezwungen war, seinem ungebärdigen Gefährten nachzueilen. Ein Unternehmen, das das Dickicht in enervierender Weise zu hindern suchte, mit Stolperfallen und tückischen Wurzellöchern aufwartete. Schwer atmend und von einem feinen Film Schweißes bedeckt erreichte Jaime den Rothaarigen endlich, der unter aufgeregtem Auf- und Niederlaufen seiner harrte. Die Entdeckung, die er zu teilen gedachte, ein großherziges Geschenk, wie Jaime sogleich erkannte, bestand in einem durchlässigen Blätterdach, das einer Lichtung glich, die es ermöglichte, ausreichend Sonne anzulocken. Um einem wahren Gestrüpp an Brombeerranken eine Heimat zu bieten. Feixend und gestikulierend bedeutete Roux Jaime, sich an seinem Mahl zu beteiligen, was dieser auch tat, allerdings weniger gierig und hastig. Einen mächtigen Baumstamm als Ruheplatz wählend lagerte sich Jaime bequem und wartete geduldig, dass der wilde Jüngling seine Nahrungsaufnahme abschloss und ihm Gesellschaft leistete. Roux kroch tatsächlich in einer verblüffenden Ähnlichkeit mit vierbeinigen Waldbewohnern angriffslustigen Naturells zu ihm, die Fänge bleckend, bis er Jaimes Handgelenke umklammern und eingehend inspizieren konnte. Die Musterung weitete sich auf den freigelegten Torso aus, sondierte die gebräunte Haut und vereinzelte Narben als Zeugen der Zeit, dann die markanten Gesichtszüge des Mantanhol. Jaime nutzte die intensive Beschäftigung mit seinem Leib, um Roux einen Freundschaftsdienst zu erweisen und dessen verfilzte Mähne von den gröbsten Fremdeinwirkungen zu befreien, Gräser, Blätter und kleine Zweige herauszulösen. Dabei suchten seine schwarzen Augen aufmerksam die sehnige, überschlanke Gestalt nach Veränderungen ab, nach jüngeren Kennzeichen eines entbehrungsreichen Lebens in den Wäldern. Roux verkostete unter leisem Knurren Jaimes Locken, seidenweich und elastisch, die eine unstillbare Faszination auf ihn ausübten, sich dem lockenden Spiel seiner Zunge widersetzten. Unter nachsichtigem Lachen, tief in seiner Leibmitte vibrierend, dirigierte Jaime Roux' eigene Mähne in ihrer unbotmäßigen Konsistenz aus dem vom Leben scharf gezeichneten Gesicht und bemühte sich, die Aufmerksamkeit der hellblauen Augen zu fokussieren. Diese in höchstem Maße zivilisierte Anwandlung reizte den Wildfang, der von einer weiteren Erkundung der ebenholzfarbenen Verlockung absah und Jaime mit unerwartet imponierenden Kräftereserven zu Boden drängte, Unterwerfung einforderte. Jaime folgte der Bewegung widerstandslos, enthielt sich aber jeder anderen Geste der Referenz, sprach in ihm doch das Wissen, dass Roux ihn nicht wirklich zu bezwingen gedachte. Ihre gegenseitige Musterung verlief in vertraulichem Schweigen, unverwandt, intim. Dann bohrten sich die Klauen in rapider Beschleunigung in Jaimes Unterbekleidung, eine Maßanfertigung in unerhörter Frivolität angesichts des feinen Baumwollstoffs, der knappen Passform und der Schnittweise bar jeder Knopfleisten. Die seidige Schleife lösend, half er dem konzentriert wütenden Jüngling, seine vollkommene Entblößung zu vollenden, lagerte sich auf dem sonnenerwärmten Gras und versiegelte die Augen. Die filzige Mähne streifte über seinen Unterleib, reizte in ihrer kratzenden Ausprägung seine glatte Haut, während sich seine akustischen Sinne auf das angestrengte Wittern des Jünglings kaprizierten. Die verformten Klauen suchten ihre Rast auf Jaimes Beckenknochen. Ihre überlangen, verbogenen Nägel stanzten unregelmäßige Musterungen in das weiche Fleisch seiner Lenden. Mit einem genießerischen Lächeln ergab sich Jaime den tanzenden Sonnenstrahlen, schnurrte leise, bemühte die Region, über der Roux' Mähne abschirmend die Temperatur mit seinem Atem erhöhte. Ein Schauer durchlief ihn, als zwei gegensätzliche Muskelstränge ihre Bekanntschaft erneuerten, einer von ihnen erwartungsvoll anschwellend, der andere in gelenkiger Feuchtigkeit die freudig erregte Aufwartung in ihrer Beschaffenheit erkundend. Um den pulsierenden Ausleger schützend in die Obhut der Zähne bewehrten Höhle zu bergen, die Beute eingehend in ihren Ausmaßen kennzeichnend. Jaime stöhnte guttural, forderte mit kehligen Lustlauten seinen rothaarigen Gefährten heraus, der auf diese Begeisterung mit glucksendem, gedämpftem Kläffen reagierte. In Kürze verlor sich die reglose Ruhe des ebenholzfarben gelockten Mannes, gewannen instinktgesteuerte Nervenimpulse die Oberhand über den Verstand. Zuckte er in beschleunigtem Rhythmus, die Finger in die rostrote Mähne vergraben, die reizvoll Unterleib und Oberschenkel touchierte. Seine Hände verfingen sich Halt suchend im verfilzten Geflecht, als sich Erleichterung eruptierend in die dunkle Höhle entlud, von einem animalischem Stöhnen akkompagniert. Jaime versank in erschöpfender Entspannung, löste seinen Griff und schlug die verschleierten Augen in träger Langsamkeit auf. Roux kniete auf allen Vieren über ihm, sich die Lippen leckend, eines zufriedenen Lächelns unkundig, doch die hellblauen Augen funkelten in Triumph. Ein aufforderndes Bellen, knapp und laut, dann sprengte der Jüngling in die schützende Barriere des dichten Bewuchses. Sein sehniger Leib erzeugte nur wenige Geräusche, bevor er sich aus der Wahrnehmung des Dahingestreckten verabschiedete. Jaime lächelte verträumt und schloss die Augen, während die Sonne seine Glieder sorgsam trocknete. ~*~ Sebastien unterdrückte mannhaft ein enerviertes Seufzen, als der stämmige Bauer ihn verständnislos musterte, dann zahnlückig den Strohhut lupfte. "Le Cel de la Lona", repetierte er laut, jede Silbe einzeln prononcierend. Seit zwei Nächten bewegte er sich per pedes in die südliche Richtung, wo sich nach seinen spärlichen Informationen die unbotmäßige Provinz befinden sollte. Allein, es mutete einer Verschwörung an, dass keiner der sich in den ersten Erntearbeiten befindenden Männer, an die er das Wort richtete, über nähere Kenntnis verfügte. Oder ihm wenigstens eine Bestätigung der korrekten Bewegungsrichtung geben wollte. Möglicherweise, wie er sich eingestehen musste, krankte seine Kommunikation ebenso an der Unverständlichkeit der Antworten, die in einem ihm vollkommen fremden und sich kaum erschließenden Idiom gehalten waren. Man erwies ihm zu seinem Unmut lediglich nachlässigen Respekt. Bedauerlicherweise mangelte es seiner augenblicklichen Erscheinung an Eleganz nach Nächten unter freiem Himmel in Ermangelung einer Unterkunft sowie der Zumutung, sich in Wasserläufen reinigen zu müssen. Einige der Aussagen über die Gegend, in die es ihn auf königliches Geheiß verschlagen hatte, trafen nach seinem ersten Eindruck somit zu: dass man offenkundig diverse Mängel an Kultur und Höflichkeit zu konstatieren habe. Desgleichen der geschuldeten Achtung an die Obrigkeit entsagte. Der Bauer, dem zweirädrigen Karren ein Muli vorgespannt, studierte den fremden Jüngling ohne Anzeichen von Scheu. Staubig und erschöpft, einem Pilger ähnlich, doch ohne die Kennzeichen einer heiligen Mission, in der Aufmachung vornehmer Senher der Transmontana. Ohne Geleit, ohne Reitpferd und ohne Insignien einer offiziellen Bestallung, die den Ansässigen Repressalien aufnötigte. Mit dem Daumen gestikulierte der Bauer brummend auf die Ladefläche seines Holzkarrens, die sich bei jedem Halt dem Boden entgegen senkte, wie es Einachser zu tun pflegten, derzeit mit gebundenen Ähren beladen. Es erschien ihm müßig, dem müden Reisenden, der mutmaßlich in die Irre gelaufen war, eine verbale Erläuterung zukommen zu lassen, da dieser jede vorangegangene Äußerung mit verständnislosem Lupfen der Augenbrauen quittiert hatte. Sebastien folgte nach einem Augenblick der Abwägung der Einladung, die ihm verständlich war und nahm auf der Ladefläche Platz. Eine Ungeheuerlichkeit, die ihn einen Monat zuvor noch als ein Ereignis bar jeder Plausibilität mit Verachtung erfüllt hätte. Er besänftigte seine rebellierenden Sinne für Anstand und Moral mit der Ankündigung, dass mit Erreichen der verwünschten Provinz sich bald sein Schicksal wenden würde. Immerhin reiste er auf Geheiß seiner Majestät. ~*~ "Mi Senher." Gaspard reichte Jaime Bürste und grobes Tuch, als dieser, über die übliche Zeit seiner Rückkehr hinaus und bereits unruhig erwartet, Asard im Stall abzureiben begann. "Gaspard, mir sind Eure Anmerkungen", der Tonfall indizierte deutlich, dass es sich bei diesen inhaltlich stärker um Maßregelungen handelte, "wohlbekannt, und ich bedaure, mich verspätet zu haben." Jaime tätschelte sanft die Flanke, sandte dabei ein verschwörerisches Lächeln in das charakterstarke Gesicht seines Verwalters aus, zugleich jungenhaft und insistierend. Mit einem knappen Schnalzen unterbrach der ältere Mann den Blickkontakt, entfernte in betonter Grobheit Blätter und Gräser aus Locken und Bekleidung. "Ich war so frei, Wasser für ein Bad anheizen zu lassen", verkündete Gaspard langmütig, während er die Hemdbluse mit einer akkuraten Schleife schloss, die Spuren feuchten Erdreichs verbarg. "Mabioline erwartet mich?" Die pointiert geschnittenen Augenbrauen wanderten hoch, studierten die wachsamen Augen oberhalb des durch einen Bruch eingekerbten Nasenrückens eingehend. "Die Senhora ersucht Eure Gesellschaft in dieser Nacht", vermittelte Gaspard die Nachricht in entsprechender Codierung. "Ich habe mich daher bemüht, eine Auswahl ansprechender Bekleidung in Eurem Gemach auszulegen." Jaime wandte den Kopf, wischte sich durch die losen Locken. "Wir disponieren unsere Besprechung somit auf den morgigen Tag um", gab er in ruhigem Tonfall zurück. Kehrte sich dem bulligen Mann zu, der in unverwandter Aufmerksamkeit die hochgewachsene Gestalt betrachtete. "Grandmerce, Gaspard." Eine schlanke Hand zeichnete die von einer Narbe entzweite Augenbraue nach, glitt über die ausgeprägten Wangenknochen hinunter, um die Kieferlinie zu umfangen. Der Ältere lächelte leicht und nickte unmerklich. ~*~ Sebastien lehnte sich schwer auf den zum wertvollen Begleiter gewandelten Reisestab, betrachtete nachdenklich die sternprangende Nacht. Ein angenehm kühlendes Lüftchen hob die ausgefransten Borten seiner Pelerine, wirbelte winzige Staubkörner über den unregelmäßig gepflasterten Boden der Überlandstraße, ein Relikt aus grauer Vorzeit, das seine Erbauer überdauert hatte. Tief hatten sich die parallel verlaufenden Spuren eisenbeschlagener Wagenräder eingegraben, kündeten von der Bedeutung des dunklen Bandes, das die Landschaft durchschnitt. Der dritte Tag neigte sich dem Ende zu, und Sebastien verlor rapide das Vertrauen in seine Bestimmung und Fertigkeiten. In diesem ungastlichen Land hielt man es nicht für nötig, dem Ortsunkundigen durch Wegweiser Zuversicht zu vermitteln, geschweige denn, dass sich eine Person fand, die die Hochsprache verstand! Er seufzte mutlos und erschöpft. Seine Geldbörse, wohlverborgen, verfügte über wenig Nutzwert, wenn sich niemand bot, der seine Anfragen begriff, und so blieb er auf sich allein gestellt, ein Kuriosum der ansässigen Landbevölkerung, die ihn wie ein exotisches Tier bestaunte. Sebastien sehnte sich in verzweifeltem Maße nach der Sicherheit in Beausage, dem Landsitz der d'Aires, der unterkühlten Gesellschaft der anderen Luminniers. Eine Umkehr stand jedoch außer Frage, sodass ihm nichts blieb, als bis zum Erreichen seiner Destination den Widrigkeiten die Stirn zu bieten. Oder scheiternd unterzugehen. ~*~ "Ein Senher aus dem Ubac!" Der staubbedeckte, aufgeweckte Knabe eilte gestikulierend durch die Gassen von Sant Argo, die Wangen gerötet in der Importanz seiner Entdeckung, die ihm einen gewichtigen Namen verschaffen würde. In Kürze sammelte sich die nicht auf den Feldern wirtschaftende Bevölkerung auf dem Platz vor der kleinen Kirche, lagerte sich müßig um den Brunnen. Wo nunmehr der Wäsche besondere Aufmerksamkeit zugemessen wurde, bis die erwartungsvolle Anspannung sich schweigsam über das Publikum senkte. Von der beherrschenden Temperatur in unsichere Schlieren zerfließend näherte sich in der Tat eine Gestalt, in dunkles Tuch hochgeschlossen gekleidet, von einem Dreispitz gekrönt und auf einen Wanderstab gestützt. Gelassen hütete man sich, ungebührliches Interesse zur Schau zu stellen, wartete ab, bis der unbekannte Senher den freien Platz im Herzen von Sant Argo erreicht hatte. Das schwere Tuch der Pelerine staubbedeckt, die Kniebundhosen zerknittert, Strümpfe, Manschetten und hervorblitzendes Jabot von einem Grauschleier verunziert, bot der junge Herr mit dem von Erschöpfung und ungewohnter Sonneneinstrahlung gezeichneten Gesicht eine Maske der Ablehnung. Zupfte in abgezirkelter Bewegung die Handschuhe von den schlanken, weißen Händen, um zum Spektakel der Anwesenden Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen und zu trinken. Sebastiens Selbstekel vor dieser Erniedrigung hinderten das sprudelnde Nass beinahe am Abstieg, drängte sich doch Galle entgegen. Jedes Augenpaar, das sensationsgierig auf ihm ruhte, verursachte ihm körperliches Unbehagen, das sich zu einer brodelnden Mischung von Zorn und Abscheu fügte. Welche Ursache hatten diese Leute, ihn derartig zu inkommodieren?! Verfügten sie über keinerlei feinsinniges Gespür für Schamgefühl und Diskretion?! ~*~ In seinem Ohren klangen noch die kehligen Laute nach, das raue Gelächter, die mitleidigen Blicke, die ihn entourierten, bis er sich trotz wachsender Erschöpfung spornstreichs und hoch aufgerichtet in die angewiesene Richtung aufmachte. Entsprechend seinen düsteren Erwartungen hatte sich zunächst niemand der Hochsprache gewachsen gezeigt. Dann aber hatte man einen untersetzten Mann in speckiger Soutane ausgedeutet. Der, die schmalen Hände wringend und diese dann unentwegt an einer Schürze abwischend, die ihn neben seiner geistlichen Tätigkeit als den Bader des Dorfes auswies, sich der Gesprächsführung angenommen hatte. Sebastien gelang es, diesem würdelosen Gottesvertreter verständlich zu machen, dass er nicht nur die Bestätigung suchte, sich hier in der südlichen Provinz "Le Cel de la Lona" zu befinden. Sondern auch eine Empfehlung hinsichtlich der Entfernung zur benachbartesten Residenz des Statthalters seiner Majestät zu erhalten. Nachdem der Vorsteher dieser armseligen Gemeinde Sebastiens Anliegen in seine Gedankenwelt transkribiert hatte, begann er, herzlich zu lachen. Und in Wortfetzen mit unangenehm gutturaler Unterlegung den erwartungsvollen Umstehenden wiederzugeben, was der fremde Senher zu wissen begehrte. Angesichts dieses ungeheuerlichen Affronts war Sebastien versucht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und den mehr als detestablen Possenreißer samt seiner sensationslüsternen Gesellschaft ohne weitere Entgegnung stehen zu lassen. Doch verachtenswerter Kleinmut hielt ihn ab. Nachdem sich die verabscheuenswerte Erheiterung gelegt hatte, erklärte man ihm in nahezu unverständlicher Diktion, dass er sich seit ungefähr zwei Tagen in besagter Provinz befand. Jedoch die Bezeichnung "Le Cel de la Lona" lediglich bei den Senher aus dem Ubac in Gebrauch war. Hier rechnete man sich den einzelnen Gemeinden, ihrem Senher und seiner Mainada zu. Somit nahm er seinen derzeitigen Aufenthalt in Sant Argo unter dem Patronat der da Solador. Was nun den Repräsentanten Seiner Majestät aus dem Ubac, jener befremdlichen Welt der Transmontana, betraf.... Dieser hatte seine Unterkunft in der Weinschenke einer lebenslustigen Witwe gefunden, und wie man höre, sei es ausgesprochen diffizil, eine offizielle Audienz zu erlangen. Das höhnische Gelächter deutete Sebastien unverständliche Subtilitäten an. Er vermutete jedoch nicht zu Unrecht, dass es ihm wohl kaum gelingen mochte, diesen Herrn allzu leicht um seine Angelegenheit zu bemühen. Allein, er trug die Aufforderung Seiner Majestät bei sich, somit zwang ihn dieser Umstand, dem Gouverneur seine Aufwartung zu machen. Man beschrieb ihm auf das höfliche Ersuchen, die nähere Dependance zu kartographieren, einen verschlungenen Weg. Der sich hauptsächlich in Abzweigungen hinsichtlich der wohlmeinenden Warnungen verlor, man möge doch besser zunächst dem Senher da Solador einen Besuch abstatten. Sebastien misstraute dieser nachdrücklichen Empfehlung in gleichem Maße, in dem ihn Unbehagen beschlich angesichts der unerwarteten Auskunftsfreudigkeit dieser Bewohner, war man ihm doch zuvor stets in Schweigen begegnet. Endlich erweichte er das Herz des fragwürdigen Gottesmannes, der ihm als Anlaufstelle den Ort "Della Caissonne" benannte, unter dem Patronat der Mainada Jehaune. Zwei Tagesreisen mit einem launigen Reittier entfernt, wie ihm süffisant bedeutet wurde. Selbstredend stand es einem Wanderer um einiges unbequemer und zeitraubender an. Indigniert folgte Sebastien nun einer antiken, nachlässig ausgebesserten Pflasterung und zog lästerlich die Bedeutung diese Mission auf Geheiß Seiner Majestät in immense Zweifel. Hatte man ihn nicht gewarnt vor den unzivilisierten Barbaren, die keinerlei Respekt vor ihrem gottgewollten Herrscher hatten und sich detestablen Sitten hingaben?! Nun hieß man ihn, durch diese sengende Einöde ziehen auf der Suche nach dem Repräsentanten Seiner hochwohlgeborenen Majestät, der sich als mutmaßlicher Adulter entpuppte, empörender Weise zusätzlich noch dem Trunk ergeben?! In Sebastiens Leib braute sich eine unverdauliche Verärgerung zusammen, die ihm körperliche Schmerzen bereitete. Doch er gestattete sich nicht, ein Indiz seiner innerlichen Agitation nach außen dringen zu lassen. Er würde in striktem Gehorsam weitergehen, bis seine Beine den Dienst verweigerten. Jedem stupiden Befehl Seiner Majestät in Erfüllung desselben die innewohnende Lächerlichkeit dekuvrieren. In solcherart selbstgerechte Frustration gehüllt unterließ es der erhitzte Jüngling, seiner Umgebung die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen. Dies gipfelte darin, dass er die Abschrift des königlichen Ediktes in einer Hand von einem ungestümen Reiter, der aus einem verborgenen Pfad auf die Straße sprengte, umgestoßen und in einen sumpfigen Graben katapultiert wurde. ~*~ Kapitel 2 - Die Mainada da Solador Garamer scheute schnaubend, wuchtete sein nicht unbeträchtliches Gewicht auf die Hinterhufe und schlug nach vorne aus. Ebenso erschrocken wie sein Reiter, der von dem unerwarteten Hindernis lediglich einen dunklen Schemen wahrgenommen hatte. Während Jaime sich nun bemühte, den Kaltblüter zu beruhigen und seine eigene Besorgnis hintanzustellen, drängte sich eine tropfende, mit diversen schlammigen Grüngeflechten und fauligen Blättern bedeckte Gestalt aus dem Graben an die Oberfläche. "Condemnas enfern!!" Jaime saltierte von der einfachen Webdecke, die einen Sattel ersetzte und näherte sich wachsam dem Wesen, das sich in mühsam unterdrücktem Abscheu einzelner Stängel und Morastnester entledigte. "Perdonanca, mi Amigar, erlaubt, dass ich Euch assistiere!" In flinker Geschicklichkeit pflückte der Mantanhol weitere Souvenirs aus den Untiefen der Straßenentwässerung von dem Unbekannten, der sich als formell gekleideter Senher aus dem Ubac demaskierte. »Kein Maradoier wäre retardiert genug, sich bei derartigen Temperaturen der Tortur dunkler Wolle in vollem Ornat zu auszusetzen!« Eilfertig barg Jaime den träge auf den schlammigen Wogen treibenden Dreispitz, wedelte diesen trocknend aus. "Euer Bad gereicht Euch zu einem unschätzbaren Vorteil, mi Amigar: Ihr seid nun leidlich erfrischt und der Staub Eurer zweifellos langwierigen Reise wird sich mühelos abschlagen lassen. Wenn Ihr geruht, Eure Bekleidung in der Sonne trocknen zu lassen", versetzte er in aimablem Plauderton. Seine unfreiwillige Bekanntschaft schnaubte nun hörbar, Verachtung in jedem Atemzug. Strich grob nasse Strähnen aus dem Gesicht und bedachte ihren Samariter mit einem funkelnden Blick tiefsten Abscheus. "Wie könnt Ihr es wagen, Ihr einfältiger Bauerntölpel?! Hat man Euch nicht mehr Verstand eingegeben, dass Ihr mit Eurem infernalischen Geschöpf Obacht gebt?!" Jaime lächelte hingerissen, goutierte die grünen Augen mit braunen Sprenkeln, die ihn mit blitzenden Explosionen förmlich zu zerreißen drohten. Während einst elegante Handschuhe nun ruiniert ein bleiches, von gewissen Spuren kindlicher Polsterung nicht ganz befreites Gesicht enthüllten. Er verneigte sich achtungsvoll vor der derangierten Gestalt, brach jedoch mit den guten Sitten, indem er nicht den Kopf baissierte, sondern unverwandt die verdammenden Augen fokussierte. "Un meri Calinhaire...", flüsterte er angetan, in den Mundwinkeln ein mokierendes Zucken. Sein Gegenüber jedoch schien keineswegs die Sympathien zu teilen. In arroganter Geste zupfte er einen Handschuh von einer schlanken, sehr hellen Hand. Um diesen energisch zu umfassen und Jaime voller Abscheu ins Gesicht zu schlagen. "Wärt Ihr ein Mann von Stand, Ihr erbarmungswürdiger Tropf, so würde ich Satisfaktion fordern", ließ er Jaime wissen. Bevor er diesem abrupt den Rücken zukehrte, die tropfende Pelerine von den Schultern schälte, um seinen Weg hoch aufgerichtet fortzusetzen. Jaime reinigte seine Wange mit dem Handrücken von etwaigen Spuren dieser feuchten Herausforderung, während er der sich entfernenden Gestalt nachblickte. »Fürwahr, ein Calinhaire... aus dem Ubac, von Hagestolz erfüllt, steif und distanziert.« Was brachte einen Jüngling wie ihn in die Transmontana zu den Maradoier? ~*~ Die gepflasterte Landzunge schien sich endlos durch ein Meer wogender Grashalme und feuchter Wiesenbegrünung zu schlängeln. Sebastien spürte, wie die Perlen des Schweißes sich zu langen Schnüren zusammenfanden, die ihn ganzkörperlich bedeckten und der noch immer ekelerregend klammen Bekleidung einen weiteren Aspekt persönlicher Unannehmlichkeit hinzufügten. In seinen Schnallenschuhen musste förmlich das Wasser stehen, doch traf er keinerlei Anstalten, diese Vermutung zu verifizieren. Das Einzige, das ihn aufrecht hielt, war die vage Hoffnung, dass der ihm unbekannte Senher Ehrenmann genug sein würde, -zumindest im Rahmen dieses erbärmlichen Landes-, ihn zu empfangen und die Möglichkeit zur Erfrischung zu bieten. Eine kniehohe, von fugenlos aufgeschichteten Steinen gebildete Begrenzungsmauer gereichte ihm als erstes Anzeichen eines Landguts. Es vergingen noch einige Augenblicke angestrengten Marsches, bis sich ein von zerriebenen Steinen bestreuter Weg von der gepflasterten Straße trennte und in Sichtweite übermannshohe Mauern erreichte. Ein gewaltiges Holztor teilte seine Flügel einladend, während der kalkweiße Verputz diverse Risse und Placken aufwies, was in Sebastiens Augen für einen bedauerlichen Mangel an Ästhetik und Haushaltsführung sprach. Als er das gewaltige Tor durchschritt, musste er in entsprechender Indignation feststellen, dass sich hier kein Pförtner oder Aufsichtsführender fand. Im Gegenteil, jedermann schien der Eintritt gestattet! Im Unterschied zum Herrenhaus seiner Väter in Beausage erwiesen sich die Unterkünfte samt und sonders ebenerdig, sah man von diversen Scheunen mit einem Dachgeschoss ab. Langgestreckte Behausungen, kalkweiß eingefasst, mit gebrannten Schindeln gedeckt, die stützenden und tragenden Bauelemente aus altersdunklem Holz, offenkundig Buche oder Erle. Zur optischen Gefälligkeit fanden sich in irdenen Töpfen wilde Blumen und wogende Schilfgräser. Ein massiver Brunnen bildete das Forum der Besiedelung, augenblicklich im Schattenwurf eines steinernen Turms, der offenkundig der Wasserversorgung dienen sollte. Fortschrittlich, fürwahr, jedoch in Summa bedauerlich rückständig und ohne erkennbare Anzeichen für eine Ausrichtung an ein höheres Level der kultivierten Lebensgestaltung. Auch hier entourierten diverse Frauen und einige Kinder den Brunnenrund, um in geschickt abgetrennten Trögen und Zubern die Wäsche zu reinigen, die an aufgesteckten Stangen munter in der glühenden Brise flog. Sebastiens Erscheinen rief nachlässige Aufmerksamkeit hervor. Nach kurzem Disput, den er erfreulicherweise nicht verstehen konnte, da dieser in allen Einzelheiten seine Aufmachung und die darunter verborgene körperliche Beschaffenheit beurteilte, huschte eine junge Frau mit gerafften Röcken auf eine der flachen Behausungen zu. Sebastien unterdrückte ein indigniertes Schnalzen. Wohlan, es waren einfache Menschen, Bauernvolk, da war es vermessen, von diesen Unglücklichen den richtigen Sinn für Schicklichkeit zu erwarten. Aus dem Inneren des Flachbaus, der als einziger eine Rauchfahne durch den Kamin absonderte, drang kehliges Lachen. Dann trat, die Hände an einer den matronenhaften Leib umspannenden Schürze abwischend, eine ältere Frau ins Freie, gefolgt vom Ensemble des Küchenpersonals. "Bonjorn, Senher d'Ubac!" Sie entbot Sebastien den Gruß, der ihm hier als übliche Anrede bereits vertraut ins Repertoire seiner fremdartigen Sprachkenntnisse übereignet worden war. "Auch Ihnen einen guten Tag, Madame. Darf ich Sie bemühen, mich Ihrem hochverehrten Senher da Solador zu melden?" Sebastien bemühte höfliche Ansprache und Wertschätzung, denn offenkundig hatte die Frau eine angesehene Stelle inne in der Gesindeschaft. Ein indiskreter Blick entlang seiner mehr als derangierten Person trieb ihm die Farbe aus dem Gesicht. Gekrönt von einem mitleidigen Schnalzen, das einem Gossenjungen besser gestanden hätte. "Ihr solltet in der Sonne bleiben, damit man den Schlamm aus dero vornehmen Kleidern schlagen kann. Ich werde dem Senher Bescheid geben." Solcherart brüskiert, aber zu erschöpft, um mit dem Personal einen Händel auszufechten, leistete Sebastien mit betont arrogantem Gesichtsausdruck der Aufforderung Folge, hielt sich abseits der neugierig musternden Blicke. Ohne sputenswerte Eile bewegte sich die ältere Frau in eine weitere flache Behausung. Dieses Mal jedoch folgte der Anmeldung seines Erscheinens kein unflätiges Gelächter. Ein bulliger Mann mit stechend schwarzen Augen und einer gebrochenen Nase, lediglich mit ledernem Kamisol und einer unmodisch knöchellangen Hose angetan, näherte sich ihm in Strohsandalen. "Ihr wünscht, mi Senher?" Selbst seine dunkle Stimme, in einem unbekannten Akzent moduliert, drückte unverhohlenes Misstrauen und Abwehr aus. "Ihr seid der Senher da Solador?" Sebastien wollte seinen Augen nicht trauen, ungeachtet der Einflüsterungen, die ihm erneut darlegten, in welch gottverlassener Umgebung er sich befand. Hatte er tatsächlich einen veritablen Ehrenmann von Stand erwartet?! Töricht. "Wer seid Ihr?", blaffte sein Gegenüber kurzangebunden und despektierlich. Sebastien bezwang die wachsende Übelkeit, die mit den finsteren Augen einherging, entließ ein borniertes Lächeln bar jeder Emotion. "Man bedeutete mir in diesem Flecken Sant Argo, dass es die Höflichkeit gebietet, dem hiesigen Senher da Solador die Aufwartung zu machen, wenn man sich in Mission Seiner Majestät nach Della Caissonne befindet." Sein Gegenüber schnaubte abschätzig, unterzog Sebastien einer inkriminierenden Betrachtung, um dann mit knapper Geste auf den Brunnenrund zu weisen. "Ihr wartet hier, bis der Senher eintrifft. Dann wird sich finden, was es mit Euren Phantastereien auf sich hat." Sebastien fehlten die Worte, diesem Affront zu begegnen. Man bezichtigte ihn der Lüge, kommandierte ihn wie einen Untergebenen umher und entblödete sich nicht, Seine Majestät in seiner eigenen Person zu beleidigen?! Jedoch, bevor er noch seiner Empörung Ausdruck und Form verleihen konnte, sprengte ein Reiter heran, Sand unter den beschlagenen Hufen aufspritzend, von kehligen Grüßen empfangen. Sebastien fuhr herum, in schmerzlicher Erinnerung an die letzte Begegnung mit der Kombination Ross und Reiter. In geschmeidiger Eleganz entfernte sich sein rüpelhafter Angreifer vom Pferderücken, tätschelte die Flanke und reichte dem bulligen Wortführer die Zügel. "Ihr!!", brach es anklagend aus Sebastien heraus. Sein erhitzter Gegenüber lächelte spöttelnd, verbeugte sich mit vollendetem höfischen Kratzfuß, senkte dabei den Kopf lediglich minimal, um Sebastien unverschämterweise zuzuzwinkern. "Ihr wolltet doch den Senher sprechen, hier ist er." Die Stimme des Bulligen implizierte in schneidender Kälte, dass ein Griff zu dem in Mitleidenschaft gezogenen Bandelier samt Degen Sebastien sehr viel Verdruss einbringen konnte. Eingeleitet von der langen Jagdklinge, auf deren Griff eine kräftige, dichtbehaarte Pranke ruhte. Sebastien nahm von physischen Reparationen der erlittenen Schmach zunächst Abstand, fasste den ihm als solchen ausgewiesenen Senher ins Auge. Dieser stoffelige Strauchdieb sollte der Besitzer des Landguts, Patron und Oberhaupt der da Solador sein?! Es ließ sich wohl besser an, sofort nach Della Caissonne aufzubrechen. "Erlaubt, mich vorzustellen? Jaime da Solador." Ohne Aufforderung pflückte dieser Sebastiens malträtierten Dreispitz von seinem Haupt, um ihn achtlos auf dem gemauerten Brunnenrand zu deponieren. "Und ich habe nun die ausgesprochene Ehre mit...?", lud er Sebastien zur Selbstvorstellung ein. "Sebastien d'Aire, auf Geheiß Seiner Majestät bereise ich die südliche Provinz Le Cel de la Lona. Man bedeutete mir, der Repräsentant Seiner Majestät sei in Della Caissonne anzutreffen." Ungeachtet seiner derangierten Aufmachung gelang es Sebastien, die seiner Bestimmung gereichende Arroganz und Förmlichkeit zu verkörpern. Sein Gegenüber zeigte sich jedoch wenig beeindruckt. "Soso... auf Geheiß Seiner Majestät... demnach ein Emissär? Oder etwa ein Agent provocateur?" Das unverminderte Lächeln nahm einen diabolischen Zug an. "Ah, verzeiht, ich schulde Euch noch eine Revanche... Satisfaktion, nicht wahr?" Sebastien musterte Jaime in kühler Distanz. Die ebenholzfarbenen Locken, ungebunden und verwirrt um das ihm bereits bekannte Gesicht drapiert, das offene Bauernhemd, längst der Einfassung des Gürtels entkommen. Die unmodisch langen Hosen aus grobem Stoff, mit seitlichen Schlitzen, deren Funktion Sebastien unbekannt war. Goldene Kreolen blitzten in der gleißenden Sonne. Eine ungeheure Infamie, ein Senher, der sich wie ein Zigeuner kostümierte?! Solch eine frivole Zurschaustellung, zu viel Haut, keinerlei Schamgefühl und sonnenverbrannt wie ein Bauer... Satisfaktion von dieser Person?! Man musste mutmaßen, dass dieser ungehobelte Bonvivant nicht einmal mit den elementarsten Regeln des Ablaufs von Händeln unter Ehrenmännern vertraut war, was selbst in Sebastiens unerfahrenem Wesen diverse Alarmsignale auslöste. Es stand zu befürchten, dass unerwartetes und illegitimes Agieren seines Gegenüber ihn mit einem tödlichen Nachteil konfrontierte. Während Sebastien sich nun der Arithmetik einer tadellosen Entscheidung hingab, studierte ihn Jaime mit Interesse. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen: unter der unappetitlichen und kasernierenden Bekleidung in fadem Schwarz verbarg sich zweifellos ein Calinhaire, wie er noch nie zuvor einem begegnet war. Dass jener aus dem Ubac stammte, überheblich auf seiner Sprache für die Gesprächsführung beharrte und erfüllt von bornierter Arroganz ihm den Respekt verweigerte, der über das niedrigste Niveau von Höflichkeit hinausging: Jaime gereichte dies lediglich zum Ansporn. Er beabsichtigte nicht, sich von derlei Banalitäten aufhalten zu lassen. Vielmehr fesselte seine Aufmerksamkeit die erfolgversprechendste Taktik in der Entkleidung des bleichen Jünglings. Sebastien verkündete derweil gravitätisch die sorgfältig erwogene Entscheidung, den Dreispitz an sich nehmend. "Ich denke, eine angemessene Entschuldigung von Eurer Seite genügt der Satisfaktion", beschied er großmütig. Jaime unterdrückte ein wölfisches Grinsen. In seinen schwarzen Augen flackerte mutwilliges Feuer. "Verzeiht, dass es mir nicht möglich war, Euch in Eurem düsteren Erscheinungsbild von einem Schatten zu unterscheiden, Senher d'Aire. Eine so anmutige Erscheinung wie die Eure verdiente hellere Farben, wenn ich so kühn sein darf, Euch zu raten", bemerkte er spottend. In Sebastiens Wangen sammelte sich sanfte Rötung, in Konkurrenz mit der Sonneneinstrahlung tretend. "Eures Ratschlags bedarf ich keineswegs!", zischte er verächtlich. Sich mehr als profund bewusst, dass der barbarische Tölpel die ungewöhnlich respektlose Frechheit besaß, eine scheinbare Entschuldigung in einen gegenteiligen Vorwurf zu wandeln und ihm die Verantwortung für den Zusammenstoß zuschanzte. "Euch beliebt es wohl, mich fortwährend zu brüskieren, einen Affront auf den nächsten folgen zu lassen?! Ich bedarf weder Eurer geistlosen Ungezogenheiten noch Eurer impertinenten Gesellschaft. Gehabt Euch wohl!" Mit diesem lediglich die Form wahrenden Gruß, frei von guten Wünschen an den Adressaten, neigte Sebastien das Haupt denkbar knapp. Beschrieb einen eleganten Bogen mit seinem versehrten Dreispitz, den höfischen Kratzfuß sparsamst ausführend, um sich abrupt abzuwenden und gestochenen Schritts dem gewaltigen Tor zuzustreben. Stille legte sich bleiern über das Anwesen, prickelte Kälte schauernd über seinen in höfischer Corsage erstarrten Rücken. Wie würden die Barbaren wohl zu reagieren pflegen, nachdem er ihren unbotmäßigen Rädelsführer in seine Schranken verwiesen hatte? »Es soll mir gleich sein«, mahnte sich Sebastien mit gepresstem Unterkiefer, »ich handele nach der Ehre jedes vornehmen Mannes edler Abkunft.« Und nun hieß es, die Gedanken auf seine nächste Destination zu fokussieren, Della Caissonne, wo sich der Repräsentant Seiner Majestät befinden sollte. Sebastien hoffe inständig, dass dieser entgegen aller Ondits nicht in der Weinschenke einer Witwe logierte, sondern seinem Status entsprechend einen ländlichen Besitz bewohnte. Sich als kapabel erwies, dieser Farce ein Ende zu bereiten. ~*~ Jaime verfolgte den sich entfernenden Jüngling in seinen abgezirkelten Bewegungen, die vermuten ließen, jener habe die Aufmaßstäbe seines Couturiers versehentlich in seinen Rock und die vornehme Kniehose einnähen lassen. Lautlos dank der ledernen Sohlen hielt er sich im Windschatten, ein geschulter Jäger, geduldig den Moment erwartend, der ihm den größten Vorteil bieten würde. Deutlich war ihm die Aufmerksamkeit seines Gesindes bewusst, die erwartungsvoll seinen Richtspruch über diesen hoffärtigen Knaben einforderte. Er löste geschickt den Gürtel aus den einfachen Schlaufen der Hose, umfasste das Ende sicher, um zielgenau mit der schweren Schnalle gegen den Riemen zu schlagen, der den Reisesack auf Sebastiens Schulter ruhen ließ. Reflexartig entglitt diesem sein Habe. Er schnellte herum, die freie Hand auf den Degengriff in seinem Bandelier legend. Jaime beugte sich vor, die Schultern breit ausgestellt. Ein angriffslustiges Lächeln krönte seine amüsierten Züge. Es bereitete ihm ungeheures Vergnügen, den hitzköpfigen Bauerntölpel zu geben. Wie würde der meri Calinhaire reagieren? Würde er seiner Wut die Zügel schießen lassen und blankziehen? Oder dressierte man ihn ausreichend, dass Emotionen ihn nicht hinreißen konnten, seine Empörung in abschätzigem Ignorieren des Unwerten resultierte? Wie stand es um seine Fähigkeiten als Kombattant? Oder Duellant? Jaime entbrannte in dem Verlangen, sich die Antworten auf diese Fragen zu verschaffen. Sebastien seinerseits nahm Zuflucht in unterkühlter Maßregelung. "Glaubt Ihr etwa, mittels dieser primitiven Attacken", seine freie Hand beschrieb einen wegwerfenden Bogen, "mein Interesse für Eure Malicen zu wecken?! Phhh, Ihr überschätzt Euch maßlos. Gegen einen Mann ohne den geringsten Sinn für Courtoisie wäre es eine Debaissierung, die Klinge zu erheben." "Gestattet mir nun, Euch zu korrigieren, werter Senher aus dem Ubac!" Jaimes Zähne blitzten gleißend im sengenden Sonnenschein. "Mich dünkt, Ihr leidet unter der schrecklichen Blindheit, die Euresgleichen stets bei Überquerung der Berge befällt." Sebastien unterdrückte den aufkeimenden Impuls, barsch eine detailliertere Erklärung einzufordern. Das freimütige Funkeln in den schwarzen Augen versprach weitere abgeschmackte Weisheiten, auf deren Mitteilung er geradewegs zu verzichten gedachte. "Ihr seid doch tatsächlich der irrigen Auffassung, mi Amigar, einen Senher auf seinem eigenen Boden in infamster Weise düpieren zu können, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen..." Jaimes Mundwinkel zuckten mokierend, seine Stimme mit dem Akzent der Mantanha schnurrte in bedrohlich-dunklem Timbre. Das Jagdmesser zuckte übergangslos in seine Linke, sein Lächeln vertiefte sich verlangend. Sebastien zog nun auch blank, mit einer scharfen Waffe konfrontiert. Allein, die bisher nicht erfahrene Tatsache, dass ein Gegner sich der schlechten, der linken Hand bediente, versetzte ihn in Unruhe. Der Boden, Arena ihres Duells, weich und nachgiebig aus Moosgeflecht bestehend, bevorteilte seinen Gegner. Die Schnallenschuhe gaben nach, forderten einen Teil seiner Konzentration auf die gleitenden Schritte im Rund ab. Jaime verneigte sich in der ihm eigenen Weise formvollendet, doch von Spott gezeichnet, um dann, blitzartig, seine Attacke zu forcieren. Sebastien hielt dagegen. Es schien jedoch unmöglich zu sein, die Klinge auf die partiell entblößte Brust zu dirigieren. Windschnittig und wieselflink bot ihm sein Opponent stets die Flanke, während dessen Messerschneide mühelos die kunstvolle Borte samt der Manschette abtrennte. Zurückweichend erfasste Sebastien Furcht. Der Degen verkörperte Eleganz und seine Länge distanzierende Sicherheit, indessen reüssierte sein impertinenter Angreifer mit einem profanen Jagdmesser?! Er kombinierte eine Parade mit Ausfallschritt. Der Boden allerdings erwies sich erneut als hinderlich, und Jaime unterlief geschmeidig die kunstfertige Attacke, schlug in resoluter Vehemenz den Schaft seines Jagdmessers auf Sebastiens Handgelenk. Der unter einem erschrockenen Aufschrei den Degen fahren ließ. Noch bevor er sich außer Reichweite bewegen konnte, wählte Jaime die Offensive, brachte unter geschicktem Einsatz eines Fußhebels seinen Gegner zu Fall. Um in graziöser wie demonstrativer Siegessicherheit mit einer gleitenden Bewegung sämtliche Knöpfe des Rocks und Gilets von Kehle bis Unterleib abzutrennen. Sebastiens Wahrnehmung gefror. Die Augen schreckensweit aufgerissen konnte er sich keines Parts des Ehrencodex entsinnen, der seine Lebensspanne verlängerte. ~*~ Jaime genoss die kristalline Brillanz der grünen Augen in ihrer elfenbeinfarbenen Einfassung reiner Haut. Erregung durchlief ihn wie das verheißungsvolle Wispern des Windes die Baumkronen der vereinzelten Kastanien, hatte er sich doch in intime Nähe zu seinem streitbaren Gegenüber begeben. Der die körperliche Vertrautheit offenkundig weder gewöhnt war, noch diese innovative Erfahrung zu schätzen wusste. Es war ihm ein Leichtes, die im grellen Sonnenlicht gleißende Klinge unter die zarte Haut des Kiefers zu legen, fasziniert zu verfolgen, wie sich winzige Perlen auf ihr sammelten, die auf das schiere Entsetzen seines unterlegenen Gegners hinwiesen. Dieser war nicht einmal imstande, die Hände zu heben, ganz gleich, wie futil diese Geste sich ausgenommen hätte. Jaime ließ seine Zungenspitze provozierend über die Lippen tänzeln, goutierte die makellose, bleiche Haut, die ihm aus den entzweiten Hälften des Gilet und Gehrocks entgegen blitzte. Selbstredend stand es außer Frage, dass die Senher des Ubac sich wie das gemeine Gesinde der sengenden Sonne aussetzten. Und diese zarte Gestalt besaß noch die unberührte Unschuld eines Neugeborenen. Es drängte ihn, Vertraulichkeit zu schaffen, zu liebkosen, was ihm so verschwenderisch dargeboten wurde, allein, die kindliche, verständnislose Angst in den schönen Augen hinderte ihn nachdrücklich. Der Calinhaire verfügte über keinerlei sinnliche Erfahrungen, die ihn anleiteten, was in Jaimes Absichten zu erwarten stand. Und er dankte es wohl nur einer glücklichen Fügung des Schicksals, dass sich niemand seiner bemächtigt hatte, der weniger Feingefühl oder Ehre besaß. "Akzeptiert Eure Niederlage", raunte Jaime sanftmütiger, als einem Kämpfer zustand, in das fahl-bleiche Gesicht, nickte knapp eine Aufforderung. Sein Blick wurde ohne Reaktion absorbiert, -hatte der Jüngling vor Schreck die Sprache verloren?!-, dann trübte sich das köstliche Grün rapide. Achtlos trotz der scharfen Schneide sackte das Haupt auf die Seite ab, flatterten die Lider schwächlich, bevor sie sich schwer niedersenkten. "Caitiu Calinhaire!" Jaime barg das Messer wieder in seiner angestammten Scheide, bevor er sich neben den Dahingestreckten kniete und beide Arme unter Schultern und Kniekehlen schob, um sich in gleitender Anmut zu erheben. Gaspard trat hinzu. Seine Gesicht, unbewegt, inspizierte das Mienenspiel seines Senher. Nach angemessener Studie beugte er sich, den verlorenen Degen aufzusammeln, um Anweisungen in gutturalem Klang zu erteilen. Jaime balancierte unterdessen mit seiner ohnmächtigen Begleitung auf sein Herrenhaus zu, mitleidig erwägend, welche Belastung wohl die unkleidsamen, massigen Stoffe für den graziösen Körper seines Epheben bedeutet hatten. Gaspard, der ihm in lautloser Aufmerksamkeit die hölzernen Flügeltüren öffnete, die dünnen Vorhänge beiseite strich, brummte unter seinem Atem betont neutral, "Ihr wollt ihn behalten?" So, als handele es sich um einen zugelaufenen Hund. Jaime zwinkerte nonchalant. Der Schalk in seinen Augen schlug Kapriolen. "Ach Gaspard, Ihr kennt doch meine Unrast, wenn die Civadat beendet ist..." Bevor er Sebastien auf einer rot-samtenen, gepolsterten Chaiselongue ablegte und die flachen Atemzüge kontrollierte. "Seid so gut, mi Amigar, sendet die Bonne zu mir. Mein werter Gast bedarf der weiblichen Fürsorge." Gaspard nickte knapp, erkannte in den schwarzen Augen ein absichtsvolles Blitzen. "Ich erwarte, dass der Senher Sebastien d'Aire heute Abend beim Fest des Erntemondes eine Bereicherung unserer Gesellschaft sein wird." ~*~ Sebastien fand sich kaum aus den morastigen Untiefen eines schwärzlichen Nachtmahrs wieder an die Gestade eines realen Albdrucks gespült: die ältere Frau aus dem Gesinde, die man aus der Küche gerufen hatte, musterte ihn ungnädig. Während sie grob mit einem rauen Lumpen über seine Brust rieb. In plötzlichem Entsetzen, das mit der Erkenntnis einherging, dass er vollkommen unbekleidet war in Gegenwart einer Frau, schreckte Sebastien hoch, um eiligst die Enden eines Plumeaus zu ergreifen und sich bis unter die Nasenspitze darin einzuhüllen. "Senhora, ich muss Euch bitten, mich augenblicklich allein zu lassen!", bemühte er seine flatternde Stimme um Festigkeit. Die Bonne stutzte und warf dann den Kopf in den Nacken. Die kräftigen Hände klatschten lautstark ineinander, während ihr kehliges Gelächter Echi gegen die Zimmerwände warf. Indigniert sandte Sebastien giftige Blicke aus, doch beeindruckte dies die Matrone wenig. Endlich aber schien sie der Ausgelassenheit müde und erfüllte seinen Wunsch mit derartig spottendem Knicks, dass Sebastien sich ertappte, schmollend die Unterlippe vorgeschoben zu haben. Eine solche Impertinenz war ihm noch nie zuvor zugemutet worden! Es stand jedoch zu befürchten, dass sich ähnliche Affronts in diesem Haushalt, der zweifellos dem ungebärdigen und ehrlosen Senher da Solador gehörte, aneinanderreihten. Da empfahl es sich mehr als ratsam, eine rasche Inventur seiner gegenwärtigen Lage vorzunehmen und sämtliche Möglichkeiten zu prüfen, die ein Verweilen auf die minimalste Dauer reduzieren konnten. Sebastiens Blick schweifte demgemäß durch sein Quartier, einen in linden Pastelltönen gehaltenen Raum, in dessen Zentrum, -einem schmiedeeisernen, filigran wirkenden Himmelbett-, er residierte. Eine anmutig gedrechselte Kirschbaumholzkommode mit einem Spiegel warf sein fahles Antlitz zurück. Ein Schrank komplettierte das Ensemble, flankiert von einem hochlehnigen Stuhl mit Polsterung und einer Chaiselongue im südlichen Stil. Wenn es sich um ein Gästegemach handelte, so diente es angesichts der zarten Beschaffenheit und des sanften Arrangements weiblichen Besucherinnen. Eine weitere, wohlkalkulierte Bosheit?! Sebastien vermochte dies nicht mit Sicherheit zu behaupten, ein Umstand, der ihn erboste, verweigerte dieser sich doch seinem Wunsch, ein Weiteres an Munition gegen den unerträglich brüskierenden Senher da Solador zu sammeln. Wie ihm in diesem Augenblick wachsender Feindschaft zudem bewusst wurde, fand sich seine Bekleidung nicht, desgleichen seine Reisetasche. Hatte man ihn auf diese demütigende Weise arrestieren wollen?! Zähneknirschend grub Sebastien die Fingernägel in die zierlich bestickten Laken. Welch Unverfrorenheit!! Da er annehmen musste, im Wohntrakt der weiblichen Hausangehörigen zu logieren, konnte er das Wagnis nicht in Angriff nehmen, lediglich in ein Tuch gehüllt die Herausgabe seines Besitzes zu fordern. Immerhin konnte sein anstößiges Auftreten eine der Damen indignieren. "Gebrauche deinen Verstand!", zischte er sich selbst zu, eine makellose Kopie des eigenen Vaters, der zahllose Male diese Ermahnung in das Gesicht seines jüngsten Sohnes gespien hatte. Die feine Textur des Lakens berücksichtigend raffte Sebastien dieses um seine schlanke Gestalt und kletterte ungelenk von seinem Lager. Eifrig darauf bedacht, keinen Zollbreit unschicklichen Anblick zu bieten, was ihn in seinem Fortkommen allerdings erheblich behinderte. Glücklich den Schrank erreichend, der mit feinen Intarsien eine Blätterkrone stilisierte, die die weich gerundeten Flügeltüren überdachte, atmete er unbewusst tief ein, präparierte sich auf eine Enttäuschung seiner davonfliegenden Hoffnungen. Die Oberarme eng an den Körper pressend löste er seine Hände, um die anmutig geschwungenen Griffe behutsam zu umfassen und zeitgleich beide Flügel zu öffnen. Eine aromatisierte Wolke schmeichelte sich in seine Nase, eine verspielte Mischung aus Zitrus und Hölzern. Dann erreichte die leuchtende Farbenpracht der sorgsam deponierten Kleidungsstücke auch seine anderen Sinne. Verschwenderisch buhlten kostbare Stoffe in erlesenem Schnitt und aparten Mustern um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Sebastien war von dieser Vielfalt derartig eingenommen, dass er sich Halt suchend an den Flügelgriffen stützen musste. Sein Laken schwebte ungehindert dem parkettierten Boden entgegen. Seine Lippen teilten sich, doch fanden sich keine Worte ein, die seine Empfindungen transportieren konnten. ~*~ Jaime lächelte verschmitzt, als er den Vorteil der Windstille nutzend durch die gläsernen Flügeltüren von der überdachten Veranda trat, die pastellfarbenen Vorhänge lautlos beiseiteschob, um in ihrem Schutz einen Blick auf seinen unwilligen Gast zu werfen. Und diesen nun in der Schönheit, die ihm die Natur zum Geschenk dargereicht hatte, vor dem Kleiderschrank fand, mit dem unschätzbar anrührenden Ausdruck eines staunenden Kindes auf dem feingeschnittenen Gesicht. »Kaum verwunderlich«, resümierte Jaime mitfühlend, »eingedenk dieser grässlich faden Aufmachung aus kratzendem Wollstoff in tristestem Schwarz...« Seine Augen wanderten ohne Hast über den schlanken Leib. Eine Haut, so blass, dass zu vermuten stand, sie habe niemals die Liebkosung von Sonnenstrahlen erfahren. Auf den Schultern ruhten, vom Schlaf aus ihrer rigiden Einschnürung befreit, Haare im appetitlichsten Karamellton, sich ineinander schmiegend, da sie keine Konvention hinderte. Jaime schätzte seinen Gast auf etwa siebzehn Jahre, noch nicht ganz der Kindheit entflohen, doch bereits aufgebrochen in die Gestalt eines erwachsenen Mannes von einer bemerkenswerten Zartheit. Die ihm bestätigte, was er zuvor erahnt hatte: der Jüngling verfügte nicht über die körperliche Robustheit, um die gewöhnlichen Händel zwischen Männern zu bestehen. Man hatte ihn zwar, wiewohl aus Pflichterfüllung und den gesellschaftlichen Erwartungen geschuldet, in der vornehmen Kunst des Duellierens mittels Degen eingeführt, allein, mehr als ein formalistischer Zeitvertreib konnte dies nicht gewesen sein. Jaime verabschiedete sich mit einer schmerzlichen Anwandlung von Bedauern von dem reizvollen Anblick, räusperte sich leise. "Wählt, was Euch kommodiert, Senher d'Aire." Der Angesprochene wirbelte herum, erkannte geistesgegenwärtig, dass er sich keineswegs präsentabel darbot, brach in die Knie, um die gefallene Hülle hastig um seinen bloßen Leib zu winden. Sodann richtete Sebastien sich würdevoll auf, glättete das Laken, als handele es sich um einen Gehrock teuersten Tuchs. "Ich habe nicht die Absicht, Eure Gastfreundschaft derart in Anspruch zu nehmen. Wenn Ihr mir verbindlichster Weise den Ort benennen könntet, an dem sich meine Besitztümer befinden, so befreie ich Euch von meiner Anwesenheit." »Feindseligkeit, in höflichen Worten maskiert.« Jaime fühlte das maliziöse Kräuseln seiner Mundwinkeln erregend, bevor er noch die verunsicherte Verärgerung in der Miene des Jünglings las. "Zu meinem größten Bedauern kann ich Euch diesen Wunsch nicht erfüllen, mi Amigar, da sich Eure Habseligkeiten in bedauernswertem Zustand befinden." Seine geschmeidige Gestik verkündete beredet die beeinträchtigende Belästigung, die ihm dieser Umstand bereitete, allein, die schwarzen Augen in ihrem Funkeln sprühten diebisches Vergnügen aus. "Nicht einmal Eure Depesche betreffs der Mission, die Euch in unsere ländliche Provinz führt, hat den feuchten Sturz in den Graben überstanden..." Seine Stimme spottete dem trauernden Tonfall, der einem Pfaffen zu Gesichte gestanden hätte. Sebastiens angespannte Züge entfärbten sich rapide. "Nein! Das kann nicht..." Eilig fing er seine überhastete Erwiderung ein, disponierte seinen Ausdruck in kühle Distanzierung. "Wenn Ihr so zuvorkommend wäret, mir den Weg zu weisen, ich würde mich gern selbst von dem Zustand meines Eigentums überzeugen." Sein Misstrauen konterkarierte das Angebot der Gastfreundschaft in impertinenter Weise. Jaime lächelte ungerührt. Einen Affront dieser Art hatte er erwartet, entsprach es doch dem Auftreten des Jünglings aus dem Ubac. "Selbstverständlich, mi Amigar, seid mein Gast. Ihr findet mich auf der Veranda, wenn Ihr eine Auswahl getroffen habt, was Eure Einkleidung angeht." In der Tür umkehrend, sodass Sebastien hastig das schützende Laken erneut unter die Kinnspitze zerrte, ergänzte Jaime, lasziv zwinkernd. "Im Übrigen, Senher d'Aire, geben wir am heutigen Abend eine informelle Festivität zu Ehren des Erntemondes. Eure geschätzte Anwesenheit würde unserem intimen Souper Glanz verleihen." ~*~ Sebastien verharrte prüfend einige Wimpernschläge länger, studierte das sanfte Schwingen der Vorhänge, bis er leidlich überzeugt war, sein detestabler Gastgeber würde nicht erneut mit fadenscheinigen Bemerkungen in das Gemach stürzen. Konnte es wirklich sein, dass das Edikt zerstört worden war? Hatte er es nicht sorgsam in seiner ledernen Reisetasche aufbewahrt? Die Augen schließend suchte Sebastien sich zu erinnern, was geschehen war, bevor dieser impertinente Bauerntölpel ihn niedergeritten hatte... Zu seinem nicht geringen Erschrecken resultierte dieser Erkundung darin, dass er sich entsann, die Abschrift studiert zu haben, da ihm ernstliche Zweifel über seine Bestimmung nach den Auskünften der Bewohner von Sant Argo gekommen waren. Somit konnte sich bewahrheiten, was dieser abscheuliche Senher da Soldador mit süffisantem Grinsen angedeutet hatte: die Abschrift war ruiniert, seine Mission ohne manifestierte Protektion. Würde allein sein Wort ausreichen, dass ihn der Gouverneur aufnahm?! Sebastien sackte schwer auf der Chaiselongue darnieder, dem äußersten Ende selbstredend, denn dieses Meublement galt als frivol. Er konnte per königlichem Kurier um eine Abschrift ersuchen. Fraglich jedoch, ob man ihm dies gestattete. Immerhin diente dieser Nachrichtentransport weitaus bedeutenderen Angelegenheiten. Zudem hielt Sebastien es nicht für ratsam, das Augenmerk der königlichen Beamtenschaft auf die Luminnier zu lenken. Ein Einfall heiterte ihn sogleich auf. Sicherlich hatte man auch Aufstellungen verbreitet, um zu überprüfen, dass das königliche Edikt erfüllt wurde! Gleichsam bedeutend, dass der ihm noch unbekannte Gouverneur eine Abschrift besitzen musste samt dem Verzeichnis der Luminnier in seiner Verwaltungsprovinz. Es musste doch ausreichen, wenn er seine Identität zweifelsfrei belegen konnte, um den Verlust seiner Abschrift zu kompensieren?! Diese Überlegung entließ Sebastien aus seinem unmittelbaren Dilemma, half ihm, mit Schwung auf die Beine zu kommen und den Schrank mit seinem überreichen Inhalt zu erforschen. Seine schlanken Finger tasteten scheu über die glatten, sehr fein gewebten und gewirkten Stoffe, ihre pulsierenden, lebendigen Farben, die Schnittmuster a la mode und doch verspielt, ja, sogar gewagt. Mutlosigkeit erfüllte ihn. Er verfügte über keinerlei Erfahrung, welche Farben zu dieser Jahreszeit schicklich getragen werden durften, welche Kombinationen sich agreabel für den Betrachter ausnahmen. Das strenge Schwarz, das ihn seit seiner frühesten Jugend begleitete, von blitzendem Weiß abgesetzter Jabots und Manschetten kontrastiert, benötigte derlei Kenntnis nicht. Für einen verzweifelten Augenblick lang, hingerissen zwischen dem Drang, dieser unerwünschten Gastfreundschaft zu entkommen und dem Stolz, sich weltgewandt und gelassen zu geben, erwog er, Jaime bei der Auswahl um Hilfe zu ersuchen. Nein. Die Fäuste ballend und sich energisch antreibend glitt Sebastien in die Senkrechte. Welche Rolle spielte es, wenn er sich an diesem Abend in Gesellschaft dieser primitiven Landbewohner in seinem Auftreten durch eine unpassende Kleiderwahl beschädigte?! Für seine Gesellschaft und sein Leben besaßen sie keine Bedeutung. Und morgen, in seinen eigenen Habseligkeiten, wäre der Spuk nichts weiter als eine blamable Erinnerung, die man in den Untiefen seiner Memoiren verwahrte. ~*~ "Ihr haltet das für eine vielversprechende Idee?" Gaspards dunkle Stimme, kehlig gezeichnet durch den Akzent der Mantanha, bekleidete seine Missbilligung lediglich marginal. Jaime fletschte seine strahlenden, kräftigen Zähne der Abendsonne entgegen, während er seine ebenholzfarbenen Locken mit einem seidigen Band zu bändigen suchte. "Das Asempre eines Senher bedeutet mir, meinesgleichen mit ausgesuchter Höflichkeit als Gäste zu beherbergen", dozierte er in dem hochgestochenen Tonfall, dessen sich Sebastien befleißigt hatte, um ihn zu maßregeln. Er lachte samtig, senkte den Kopf, um unter den langen, dichten Wimpern einen entflammenden Blick auf seinen Verwalter abzufeuern. "Zudem ist gegen ein Amüsement nichts einzuwenden. Immerhin zelebrieren wir den Erntemond. Und meine Senhora erfreut sich zweifellos der famosen Neuigkeiten aus der Transmontana." Ihre schwarzen Augen funkelten lautlosen Austausch. Fraglos interessierte sich Mabioline keineswegs für die Belanglosigkeiten der mondänen Gesellschaft im Ubac. Mit einem veritablen Calinhaire zu soupieren stellte dagegen eine willkommene Abwechslung dar. In diesem Augenblick trat Sebastien auf die Veranda, hielt inne, als er die beiden Männer bemerkte, die konspirativ vertrauliche Nähe pflegten. "Verzeihung, ich hatte nicht die Absicht..." Seine steife Haltung verkündete in Fraktur, dass er derlei Gebaren für detestabel erachtete und aus diesem Grund keinen Wert auf die Zeugenschaft legte. Jaime löste sich, neigte grüßend das Haupt, um mit ausschweifender Geste den Weg zu weisen. "Wenn Ihr mir zu folgen beliebt, verehrter Senher d'Aire", schnurrte der Mantanhol samtpfotig. Sein Lächeln funkelte in der Dämmerung. Der Calinhaire hatte in der Tat die Kleidungsstücke gewählt, denen Jaime an seiner Gestalt den Vorzug gegeben hätte. Einen nachtblauen Gehrock, ein himmelblaues Gilet aus Seidenstoff mit den passenden Strümpfen, Kniehose und Gamaschen in glänzendem Schwarz. Nicht die leichten Farben, die ihm zweifelsohne becircend gestanden hätten, nein, schwer und dunkel, eintönig, so, wie man es ihn gelehrt hatte. Dass er einem zerbrechlichen Schemen aus einer fremden Welt glich, musste ihm entgangen sein. Und seine Unschuld verhinderte, dass er die Wirkung erkannte, die ätherische Fragilität auf geborene Jäger ausübte. ~*~ Sebastien betrat einen weiteren der Flachbauten, der Küche benachbart, somit handelte es sich wohl um den Salon, der dem Diner diente. Schwere Vorhänge verkleideten die Flügeltüren zur Veranda. Zwei weitere Eingänge wiesen auf einen Flur hinaus, über den Küchenpersonal eilte, Speisen auflud, die letzten Vorbereitungen traf, dem Souper seinen Glanz zu verleihen. Der langgezogene Tisch, mit einem strahlend weißen Tuch eingedeckt, bot vier Personen wertvolles Service: rosig getöntes Porzellan mit silbernem Bestecksatz und mundgeblasene Kelche in farbigem Glas. Die Pracht ließ Sebastien erschauern, staunend und verabscheuend zugleich. Pomp stand der strengen Gesinnung der Luminnier diametral entgegen. Sie verurteilte rücksichtslose, verachtenswerte Verschwendungssucht und Geschmacklosigkeit. Jaime trat an ihm vorbei, touchierte in höflicher Gestik zart Sebastiens Ellenbogen, um ihm seinen Platz zuzuweisen, zur Rechten des Oberhauptes, wie es dem Ehrengast gebührte. Steif und steinern akzeptierte Sebastien diese Geste, ließ sich nieder und senkte den Kopf, demonstrierte beharrlich, dass er einer Konversation abgeneigt war. Dass sich ihm gegenüber Gaspard platzierte, verstärkte seine Ablehnung. Die bohrenden schwarzen Augen in dem versehrten Gesicht missfielen ihm ebenso wie die geringschätzige Aufmerksamkeit, die ihm dieser schenkte. Eine glockenhelle Frauenstimme ließ sie aufhorchen. Dann näherte sich ein zarter Schritt in leichter Absatzbetonung, und durch die Vorhänge, -als teilte sich das Meer-, betrat eine junge Frau den Salon. Artig erhob man sich, und Sebastien rückte rasch den Stuhl zurecht, als ihm gewahr wurde, dass die himmlische Erscheinung seine Tischdame sein würde. Nachdem der Reifrock gerichtet worden war, übernahm Jaime jovial die Honneurs. "Mabioline, an unserer Tafel begrüßen wir heute Abend den weit gereisten, in königlichem Auftrag unser Land besuchenden Senher Sebastien d'Aire aus dem Ubac. Senher d'Aire, meine Gemahlin, Mabioline da Solador, die exquisiteste Erscheinung auf Erden." "Es ist mir eine Ehre und ein ausgesprochenes Vergnügen, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen." Sebastien nahm artig die zarte Hand und deutete den förmlichen Kuss an. In der Tat handelte es sich bei Jaimes ausschweifender und prahlender Vorstellung, die den Konventionen besitzender Ehemänner entsprach, keineswegs um eine schönfärberische Übertreibung. Die junge Frau zu Sebastiens Rechter reichte ihm kaum an die Schultern, wenn sie stand. Ihre zarte Gestalt wies unter den Stoffbahnen, die sie schmeichelnd umspielten, wenig weibliche Formen auf. Dies wurde jedoch von ihrem herzförmigen Gesicht mehr als wettgemacht. Von elegant hochgesteckten, unzähligen blauschwarzen Locken in zarten Kringeln eingefasst strahlten Aquamarine von bodenloser Klarheit dem Betrachter entgegen. Der über eine kleine, klassische Nase seine Flucht suchte, um dem Zauber auf den anmutig geschwungenen, kirschroten Lippen zu erliegen. Die helle Haut, für die südlichen Provinzen uncharakteristisch, zeigte sich glatt und makellos, dezent geädert wie teuerstes Porzellan. Sebastien hatte niemals zuvor eine so unvergleichlich schöne Frau gesehen. Um seine Verlegenheit zu verbergen, verbot er sich, mehr als den angemessenen Augenkontakt zu halten. Antwortete knapp und höflich auf die Fragen nach seiner Familie und Herkunft, während ihn vordringlichst beschäftigte, welches Unglück eine derartige Schönheit mit einem so unbotmäßigen Gemahl strafte. Die Konversation plätscherte anmutig dahin. Zu Sebastiens Verwunderung erwies sich Jaime als wenig rachsüchtig, ließ er doch jeden Bericht über die wenig ruhmreichen Eskapaden ihrer Begegnung aus, lenkte gewandt das Gespräch auf Allgemeinplätze, wie ein geübter Causeur es verstand. Dieses Gebaren demonstrierte Sebastien nun überdeutlich, wie wenig sein eigenes Auftreten der nonchalantem Eleganz und Selbstsicherheit des anderen gewachsen war. In der Folge verstummte er und versank in brütendem Schweigen. In dem sicheren Kokon, der ihm bei den spärlichen Gelegenheiten hochgestellten Besuchs an der väterlichen Tafel niemals eine Rolle zudachte, hatte es sich einfach ausgenommen, ein Souper zu ertragen. Doch hier zogen sich die Augenblicke in Ewigkeiten dahin, eine quälende Mahnung seiner Makelbehaftung. "Ihr werdet doch sicher dem Fest beiwohnen, mein verehrter Senher d'Aire, nicht wahr?" Eine zarte Hand, kaum die Größe von Kindergliedern übertreffend, legte sich behutsam auf seine Rechte. Sebastien zuckte zu seiner größten Beschämung schreckhaft zusammen, doch seine Tischnachbarin überging galant diese Entgleisung und plauderte unbefangen weiter. "Es wird Euch zweifellos provinziell anmuten, Musik, Tanz und kleine Spiele, mi Amigar, jedoch wäre es mir ein Vergnügen, Euch an meiner Seite zu wissen." Ihr Augenaufschlag löste massives Herzflattern bei Sebastien aus, der sich verunsichert zeigte. Was an der Tafel nicht unbemerkt blieb, wie ihm Jaimes hochgezogene Augenbrauen und das provozierende Zucken seiner Mundwinkel mehr als deutlich verrieten. "Oh, wie unaufmerksam von mir!", die winzige, zarte Hand wanderte an das sparsame Dekolletee. "Ihr seid sicher erschöpft und bedürft der Ruhe." Wieder fand sich die Hand besänftigend auf Sebastiens Handgelenk, streichelte nachsichtig, die eigene Gedankenlosigkeit entschuldigend. Dieser, in die Enge getrieben, konnte er schlechterdings seiner Tischdame einen Wunsch abweisen, nickte stumm, brachte dann ein steifes, "es ist mir eine Ehre, verehrte Senhora", über die fahlen Lippen. Jaime bedachte ihn mit einem schelmischen Zwinkern, das verschwörerische Verbundenheit initiieren sollte, um dann, mit nachsichtigem Lächeln Sebastiens unmissverständliches Versteinern zu übergehen. "Senher d'Aire, Ihr spracht von Eurem Habe, das zu meinem größten Bedauern den Sturz in die Drainage nicht überstanden hat..." Jaime nahm Mabiolines zierliche Hand, küsste die weiche Haut zärtlich. "Entschuldigt, meine Liebste, dass ich dieses unerquickliche Sujet in Eurer Gegenwart anschneide..." Seine schwarzen Augen woben verborgene Zauber in Sebastiens, der endlich sein Heil im Niederschlagen der Lider suchte. "Oh, Jaime, wir können sicherlich Abhilfe schaffen, nicht wahr?" Mabioline sprang anmutig auf, eine Hand auf Sebastiens Schulter bettend, behutsam, in Anbetracht der Empfindsamkeit des Gastes, während ihre atemberaubenden Augen strahlten. "Selbstredend, mir scheint es von Vorteil zu sein, wenn wir unserem verehrten Gast eine Equipage zu Senher Jehaune stellen, damit dieser eine Audienz mit dem Repräsentanten Seiner verehrten Majestät vermitteln kann... Della Caissonne, richtig?" Sebastien ließ sich zu einem knappen Nicken als Geste der Bestätigung herab, die schmale, blasse Hand lediglich in einer Andeutung vor das Jabot gehoben. Ihn degoutierte diese offenkundige Demonstration überschwänglicher Gastfreundschaft, die in realitas dazu diente, ihn zu baissieren, zu einem Eingeständnis zu forcieren, er möge die hiesige Zivilisation und Kultur als gleichrangig akzeptieren. Was er keineswegs beabsichtigte. Wie ungehörig sich allein diese ahnungsvollen Blicke ausnahmen, die die da Solador über den Damast austauschten!! Wie nachlässig sich der nominelle Senher lagerte, hingegossen wie ein Flegel! In seinen Locken spielte wie eine Kokotte!! Sebastiens Lippen entwickelten ein Eigenleben, wollten sich angeekelt kräuseln, allzu deutlich seine Empfindungen demonstrieren, was ihm große Konzentration abverlangte, sich nicht einer Entgleisung schuldig zu machen. Währenddessen plauderte Mabioline, einem zierlichen Vögelchen gleich, munter dahin. Ihre lebhaften Gesten fingen den dämmernden Raum ein, ihre Stimme eine sanfte Sommerbrise. Unerwartet für den Gast aus dem Ubac setzte ein archaisches Dröhnen von gequälten Blasebalgen ein. Dann fügten sich in die wehleidige Tonfolge das Klatschen von Händen auf gespannten Fellen, während diverse Schlaginstrumente den Rhythmus trieben. "Oh, es muss bereits der erste Stern zu sehen sein! Bitte, meine Herren, lasst uns rasch das Diner beenden!" Die strahlenden Aquamarine glitzerten fiebrig, die zarte Gestalt sprang bereits in Erwartung auf. Bevor Sebastien noch Muße fand, einer unschicklichen Annäherung der Dame des Hauses auszuweichen, hatte diese sich an seinen steifen Unterarm gelehnt, das warme, kaum kindergliedergroße Händchen auf seine eigene Hand geschoben. Der Fächer, mit extravagantem Lapislazuli besetzt und mit Straußenfedern aufgerüscht, wehte rapid die noch immer stickige Luft, als sich ein spielerisches Zwinkern über ein Auge senkte, die atemraubenden Wimpern einen Tusch schlugen. Prickelnde Röte erhitzte Sebastiens Wangen, seine Verlegenheit invahierte seinen wenig geschulten Esprit. Mit einem eckigen Nicken nahm er seine Aufgabe als galanter Geleiter an, schritt rücksichtsvoll zierlich aus, um seiner fragilen Dame keine Unannehmlichkeiten zuzumuten. ~*~ Jaime erstickte ein Auflachen angesichts der stocksteifen Bewegungen in seinem Mundtuch, bevor er dieses mit schwungvoller Geste der Tafel anvertraute, Gaspard ein Funken stiebendes Lächeln schenkte. "Wohlan, Gaspard, wollen wir uns erkenntlich zeigen", korrigierte er den Rüschenfall seines Jabots und die Manschetten, jeder Zoll ein eleganter Senher. Gaspard, gleichermaßen formell gekleidet, in seinem Erscheinungsbild jedoch unverändert, da seine Persönlichkeit sich nicht bemänteln wollte, hieß seine Rechte flach über dem ausgestellten Gehrock auf Jaimes Rückgrat ruhen. "Senher, nähert Euch diesem Knaben mit Bedacht... es heißt, die Jehaune unterhalten Verbindungen in den Ubac." Seine Stimme, ruhig und reflektiv, warb unversehens um Zurückhaltung, allein, Gaspard wusste um die Liebe seines jungen Senher zum Hasard, mochte auch das Asempre strikte Maßstäbe forcieren. Mit einem nachsichtigen Schnalzen liebkoste Jaime in anmutiger Drehung Gaspards von dunklen Schatten gezeichnete Wange. "Vertrauen, mi Amigar." ~*~ Als man sich dem munteren Treiben in der Dunkelheit zugesellte, brannten diverse Holzscheite lichterloh, sprühten knackend Funken, stieben winzige Partikel Ruß auf. Das Gesinde drehte sich im Reigen, lose Reihen, die um die Feuer und Musikanten tanzten, von Gelächter akkompangiert, mit verschwörerischen Blicken gewürzt. Man durchstach rotwangige Äpfel, um sie über den Flammen zu erhitzen, mit rahmiger Süßcreme abzulöschen und zu verzehren. Während sich die betagteren Mitglieder der Mainada da Solador um die flüssige Labsal bemühten, frisch gekelterten Most, mit Kräutern angereichert und vergoren. Die Musik setzte aus, man erwies schuldige Referenz, als die kleine Gesellschaft nahte, doch Jaimes verschwenderischer Wink hieß, keinerlei Konventionen zu huldigen, sondern fortzufahren. Mit beschleunigtem Schritt passierte er Mabioline und Sebastien, offerierte in verehrungsvoller Verbeugung je einen irdenen Becher des Mostes. Mabioline dankte mit sanftem Kuss auf die herabgebeugte Wange. Sebastien erstarrte angesichts der unentrinnbaren Demonstrationen von unbotmäßiger Fleischlichkeit, wandte eilends den Kopf ab. "Spielt auf zum Tanz, mi Amigar!" Jaime stampfte fest, der Gehrock flog in herrischem Gestus dahin. Stolz reckte sich das prägnante Kinn dem Sternen gekrönten Firmament entgegen. In gleichem Habitus, aufrecht, maskuline Dominanz versprühend, umwarb er, von rhythmischem Klatschen geleitet, sodann um Aufmerksamkeit buhlend, wie ein Pfau Rad schlagend seine Gemahlin. Die schwarzen Augen keinen Wimpernschlag von ihrem aquamarinen Blick wendend. Schneller und schneller forderten die Taktschläge der Umstehenden, kehliger lösten sich ihre anfeuernden Rufe, vom Most beschwingt, drängten sie im engen Ring um das widerstreitende Paar. Mabioline hielt sich kühl, abweisend. Ihre zierlichen Schritte, die anmutigen Gesten kündeten von blasiertem Interesse, das sich rasch wandelte, als Jaime ihre zarte Taille mit beiden Händen mühelos umspannte. Sie hoch über sich hob, um die zerbrechliche Gestalt abzusetzen, ihre Hände zu fassen und einen wilden Rund mit ihr zu drehen. Fliehkräfte zogen nach außen, verstärkten sich im Maß der Umdrehung, doch fürchteten beide kein Unglück, hielten sich sicher, in minimalen Schritten, die Oberkörper weit herausgedrückt, bis die Sterne zu leuchtenden Ringen verwischten. Jaime bemerkte die nachlassende Kraft seiner Gemahlin instinktsicher, reduzierte den kreiselnden Schwung behutsam, um sie sanft an seiner Brust zu bergen, das heitere, sprudelnde Lachen mit seiner Halsbeuge einzufangen. "Meine Schönste, mit Euch zu tanzen ist der Engelschar im Himmel in Glückseligkeit Konkurrenz zu bereiten", flüsterte er liebkosend in die blauschwarzen Löckchen, siegelte die makellose Stirn mit einem wärmenden Kuss. Unterdessen fand man sich in gemäßigterem Takt, sang eine Stimme im rauen Idiom der Provinz von ihrer ungebändigten Schönheit, die sich nur die Mutigsten und Ehrenvollsten zu Kindern suchte, le meri cel, das wahrhaftige Paradies. Solcherart hielt es niemanden, ob alt, ob jung, auf den bereitgestellten Bänken. Man reichte sich die Hände, drehte sich langsam, im Wechselschritt, in einer einzigen, gemeinsamen Runde, verbunden in Familie, Freundschaft und Schicksal. ~*~ Sebastien umklammerte seinen Becher mit dem vergorenen Apfelsaft und bemühte sich angestrengt, dem Sog der, obgleich primitiven, Gemeinschaft zu entsagen. Diese Musik nahm sich grob aus, bäuerlich, keine Feinsinnigkeiten in der Melodie, keine kunstvollen Fertigkeiten in der Führung der Instrumente. Nun, es entsprach zweifellos dieser rückständigen Gegend. Unvorstellbar, dass sich ein Senher, der diesem Rang zu entsprechen gedachte, unter das gemeine Gesinde mischte!! Seine Frau fehlleitete, indem er sie nötigte, sich dem niederen Volk anzupassen, die Reifröcke zu lupfen, bis man unschicklicherweise sogar der feinbestrumpften Knie ansichtig wurde!! Mit einem degoutierten Schnalzen der Zunge kehrte sich Sebastien ab. Er wollte nicht durch Gastfreundschaft erzwungener und unerträglich tatenloser Voyeur dieser infamen Vorgänge werden. »Wie entlarvend sich dieses Gebaren ausnahm«, erwies er sich selbst einen mageren Trost, hatte sich doch nunmehr der wahre Charakter des vorgeblichen Senher da Solador enthüllt. Der sich nicht scheute, seine liebreizende Gattin dem Pöbel zur Schau zu stellen, sie auf deren Rang zu baissieren. Ergänzend dazu das Unrecht, -in perfider Voraussicht eingefädelt-, die unschuldige Maid zu veranlassen, den unerwünschten Eindringling aus dem Ubac zu dieser abscheulichen Festivität einzuladen! Um diesen nun in eine solche Zwangslage seines Gewissens und Ehrgefühls zu pressen! »Ja«, Sebastien ballte die Faust, schob angewidert das süßliche Gebräu auf die polierte Platte von sich, »dies entsprach einem infernalischen Plan des verabscheuungswürdigen 'Senher'! Der lieblichen Gemahlin Übel zuzufügen, den inkommoden Gast selbst darob zum Werkzeug diabolischer Zwecke zu instrumentalisieren! Welche auch immer dies konkret sein mochten...« In Sebastiens Vorstellungswelt, lediglich von einigen moralisierenden Fabeln geprägt, rekrutierte sich die Mehrheit seiner Mitmenschen, die bedauerlicherweise nicht den Luminnier zugerechnet werden konnten, aus fehlgeleiteten Sündern und charakterlich Schwächelnden. Die niederen Motiven zuneigten. Etwa der Adulterie, des Besitzneides, anderer unaussprechlicher fleischlicher Gelüste... Sebastien schauerte es. Ohne Zweifel konnte dieser Senher, -er würgte selbst in Gedanken an dem Titel-, einige dieser Makel auf sich vereinen. Allein, wie der die Mägde durch die Luft schwang, sich wie ein eitler Geck produzierte im Kreis seiner aufgeblasenen Genossen!! Schamlos!! In der Tat schien Jaime der Choreographie zu folgen, die einige der gestrengen Prediger Sebastien am Feiertag des Herren in quälender Ausführlichkeit ausgemalt hatten. Manifestation des Teufels und der ekelerregenden Zügellosigkeit, die dieser den Versuchern eingab. Und eben der bezeichnete Erz-Verführer löste nunmehr die Schleife, die seine ebenholzfarbenen Locken hielt, fächerte ihre duftige Menge auf. Ließ den Kopf wild kreisen, während er, niemals den treibenden Rhythmus der einfachen Schlaginstrumente verlierend, nun auch Gilet und Hemd dem Gehrock folgen hieß, diese achtlos in die Umstehenden schleuderte. Man klatschte, stampfte, akkompagnierte diese Geschmacklosigkeit mit kehligen Beifallsrufen. Dann näherten sich, in dieser liederlichen Aufmachung, von Anstand wahrenden Stoffen entblößt, Männer wie Frauen, folgten seinem Beispiel. Sebastien stockte der Atem, als sich unversehens der Reigen in ein Pfänderspiel wandelte, man dem Senher die Augen verband. Sich dabei an diesen schmiegte, als verspräche der von leichtem Film überzogene Leib in seiner unsäglichen Sonnenbräune ein besonderes Heil. Und Jaime haschte nach den Umstehenden, in Ausfallschritten, stürzte vorgebeugt, lauernd, animalisch auf seine Entourage, betastete, kostete, schnupperte seine Opfer. Wen er erkannte, der hatte ein Pfand auszuhändigen, sodass Jaime bald bunt geschmückt von Bändern, einfachem Geschmeide, Tüchern und ähnlichem Gut bedeckt war. Zum Spektakel aller bekam er nun auch seine Gemahlin zu fassen, die sich ihm in unglaublicher Geschmeidigkeit zu entwinden suchte, allein, von seiner Stärke und seinem Geschick musste sie sich meistern lassen. Ihr Pfand, von einem Kuss begleitet, stellte ein Strumpfband dar, das sie sans gens vor aller Augen von einem schlanken Oberschenkel löste. In Sebastien mischten sich unsägliche Empfindungen zu einem unbekömmlichen Arrangement, das ihn mit akuter Übelkeit schlug. Nicht länger willens und fähig, diese unerträglichen Verstöße gegen das gerechte Gefühl aller ehrenhaften und wohlmeinenden Menschen zu bezeugen, stürzte er in die Dunkelheit davon, dem Haupttor entgegen. ~*~ Jaime lachte aus voller Kehle, nährte sich von Gunstbezeugungen, die seinen Lippen, seinen Wangen oder seinen Handrücken galten, als man sich drängte, die Pfänder auszulösen. Ihn kümmerte wenig, ob Mann oder Frau seine Lippen zu benetzen wünschten. Er glühte im Überschwang ihrer verschworenen Gemeinschaft, die sich seiner Führung und Obhut anvertraute. Mit jeder Geste, jedem Wort, fügte er einmal mehr für ein weiteres Jahr zusammen, was sie Mainada nannten. Seine Mainada. Man reichte ihm aufmerksam einen Becher des vergorenen Gemischs zur Stärkung, den er ansetzte und in einem gierigen Zug leerte. Mit spöttisch gelupften Augenbrauen sodann mittels Handrücken überschüssige Feuchtigkeit von seiner Mundpartie streifte. Schatten tanzten zwischen vertrauten Gestalten um die Feuer, und Jaime schien es, als versammelten sich unter den Lebenden auch die Vergangenen, beseelt von dem Wunsch, der Familie auf ewig verbunden zu bleiben. "Loba, seid Ihr bei mir?", wisperte er leise zu sich selbst, "wollt Ihr Euch überzeugen, dass Eure Wahl den Richtigen traf?" Gaspards Linke drückte sich warm und schwer auf Jaimes linke Schulter, dann erkannte er auch den Gefährten wieder, erdgebunden, verlässlich, sein Fels in der Brandung. Die flackernden Flammen zauberten Schattenspiele auf dem wohlvertrauten Gesicht, klüffteten es aus, von der zerteilten Augenbraue über die gebrochene Nase, dem kräftigen Kinn, der nachsichtigen Linie der schmalen Lippen. "Es ist wohlgetan, Jaime", raunte Gaspard so kehlig, wie es nur die Mantanhol verstanden, aus den Bergen in die fruchtbaren Ebenen hinabgestiegen. Jaimes lange Wimpern schlugen Salti, dankbar für diese Respektsbekundung in dem raren persönlichen Gewand. Er beugte sich vor, hauchte den brüderlichen Kuss auf Gaspards Mund, umarmte diesen Halt suchend. Ohne der Worte zu bedürfen besiegelte sich ihr Pakt erneut. ~*~ Sebastien unterdrückte mannhaft das drängende Bedürfnis, seiner Unruhe durch lästerliches Fluchen Erleichterung zu verschaffen. Seine Augen fanden die unbekannten Pfade kaum, sodass er sich eingedenk des Schlammbades lediglich in der Dunkelheit vortasten konnte. Überdies reute ihn sein überhasteter Aufbruch. Wohin sollte er sich, -bar seiner wenigen Besitztümer-, mitten in der Nacht wenden? Allein sein Stolz hinderte ihn umzukehren, auf die vage Hoffnung zu vertrauen, man habe sein Verabsentieren nicht bemerkt. Er zupfte ungehalten an den gerüschten Ärmelenden, die seine schmalen Handgelenke umspielten, bis zu den Fingerknöcheln reichten. Dieser abscheulichen Gecken-Putz!! Ausstaffiert wie ein Pfau, so konnte er sich keinesfalls unter Luminnier sehen lassen! Jedwede Inklination, ihm Unterstützung zu gewähren, würde wohl in Gedankenschnelle verpuffen! Wo fand sich nun aber die äußere Einfriedung?! Hatte er das Tor durchschritten, -und narrte ihn seine Erinnerung nicht-, musste nicht die niedrige Mauer folgen?! Stattdessen dräute nun eine übermannshohe Mauer... Sebastien tastete sich, -in respektvollem Abstand zum Graben in Front-, durch die Nacht, bis er einen Steg fand, der Passage bot. Eine Pforte lud angelehnt dazu ein. Zögerlich schlüpfte er hindurch, vom flackernden Feuerschein empfangen. Parbleu! Er war in einem Kreis gelaufen!! Glücklicherweise war man seiner noch nicht ansichtig geworden, sodass er die Schatten der flachen Gebäude zu seinem Zweck nutzen konnte, sich bis zu seinem Quartier schlich, wo er auf potentielle Ansprache Müdigkeit ins Feld führen konnte. Beschämt ob seiner Erleichterung, sich wieder in der Sicherheit einer menschlichen Behausung zu finden, -wenn auch in unangemessenem Komfort-, grub er sich strafend die Fingernägel tief in die Handteller. Stocksteif erstarrend hielt ihn eine Bewegung direkt in seiner Nähe gefangen. Eine Stimme, jungenhaft hell, wisperte in dem unverständlichen Idiom der hier ansässigen Provinzler. Die Antwort ihres silhouettenhaften Gegenüber bestand in einem samtig dunklen Lachen. Dann kündete der Schattenwurf, dass der Hochgewachsene die kleinere Gestalt gegen die Mauer schob, ihren Kopf in den Händen geborgen, bevor sich der eigene mit diesem verband. Die Geräuschkulisse der Feiernden, Musizierenden, Tanzenden konnte nicht verhehlen, was diese Hindernisse auf Sebastiens Weg einander zugedachten. Angewidert biss er sich in die Unterlippe, erwog eiligst, einen anderen Pfad zu wählen, konnte er doch jeden Augenblick entdeckt werden, als Zeuge dieser schändlichen Umtriebe dekuvriert! Da gab der große Schatten seinen kleineren Gespielen frei, dirigierte diesen sanft, in die Mitte des Licht- und Feuerspiels zurückzukehren. Er selbst lagerte sich rücklings gegen die Mauer, offenkundig in Betrachtung des Firmaments versunken. Oder aber in der erbärmlichen Vorstellung verhaftet, man möge nicht argwöhnen, wenn sich die heimlich Davongestohlenen in unterschiedlichem Zeitmaß wieder einfanden, wie Sebastien vermutete. "Behagt Euch die Dunkelheit mehr als die Gesellschaft des Lichts, Senher d'Aire?" Sebastiens Adern fingen Frost. Diese mokierende Stimme gehörte zweifelsohne dem verabscheuungswürdigen da Solador! Der sich nun von der Gebäudewand abstieß, gemächlich, in Sebastiens Augen jedoch raubtiergleich schleichend, die Distanz überwand. Sebastien blieb die Antwort schuldig, beschämendermaßen fürchtend, seine Stimme möge sich verräterisch erweisen, -sei es betreffs seiner Gefühle oder der lächerlichen Erklärungen für sein Erscheinen. Jaime blockierte seinen Weg, lehnte sich, die muskulösen Arme vor der entblößten Brust verschränkt, nachlässig an die stützende Wand. Die Funken sprühenden Flammen bezuckerten sein Gesicht mit Glanzpunkten, ließen die schwarzen Augen Bodenlosigkeit gewinnen, während Schatten der ironischen Mundpartie Betonung zumaß. Sebastien verschloss sich augenblicklich, auf alles gefasst, war diesem ungehobelten Rohling doch keinerlei Feinsinnigkeit zu kreditieren. Ihr schweigendes Taxieren währte einige Dutzend Herzschläge, bevor Sebastien sich entschloss, diesem Austausch in seiner Würdelosigkeit ein Ende zu bereiten, mit einem denkbar knappen Nicken an seinem Gastgeber vorbei zu schreiten. Als sich ihre Schultern streiften, löste sich Jaime von der Mauer, lachte guttural, eine dunkle Vibration des Spotts in der Nacht, sodass Sebastien bar jeder Vernunft anhielt, den Kopf herumwandte. Das Profil studieren konnte, ohne dessen zu bedürfen, bevor Jaime ihn konfrontierte, sich dabei in höchst unmanierlicher Weise die Lippen leckend. "Wir zelebrieren in dieser Nacht das Leben, die Natur und den Allmächtigen, mi Amigar. Sagt, wollt Ihr Euch tatsächlich absentieren? Das Asempre eines Senher gebietet diesem, Familie, Freunde wie auch seine Gäste zur Achtung des Höchsten anzuhalten..." Sebastiens tonloses Fauchen, Ausdruck seiner ungläubigen Entrüstung über derlei Anmaßung sowie ihre unverfrorene Äußerung in seiner Gegenwart unterband weitere Ausführungen. Mit großer Willensanstrengung gelang es Sebastien, seine Empfindungen, die ihn hießen, den hochgewachsenen Mann erneut zur Satisfaktion zu fordern, wie es einem wahrhaftigen Ehrenmann anstand, seiner Kontrolle zu unterwerfen. Steif und arktisch kühl wandte er Jaime das Profil zu. "Seid unbesorgt, Senher da Solador, mit Beginn des morgigen Tages werde ich Euch von meiner Gegenwart befreien, sodass Eure Sorge für mein weiteres Ergehen zeitig endet." Steinerner Miene, mit der Gelenkigkeit einer mechanischen Aufziehpuppe marschierte er dem flachen Gebäude zu, das ihm Zuflucht und Demütigung bot. Jaime löste die gekreuzten Arme, strich sich beidhändig durch seine ungebändigte Lockenpracht, verfolgte den Abgang des Jüngeren mit einem Schmunzeln. "Ihr scheint Euch nicht bewusst zu sein", er wisperte die Worte dem Wind zu, der ihn zärtlich liebkoste, "dass ich aus der Mantanha stamme, mi Amigar... ich breche auch granitene Mauern." ~*~ Die profunde Verärgerung über das Gebaren des Senher und seines nicht weniger liederlichen Gesindes ließ Sebastien erst spät Schlaf finden. Zu arg plagten ihn Lautstärke von Musik, Tanz und Rufen, -Konversation konnte man dies wohl kaum nennen!-, sowie die Unverschämtheiten, denen er sich fortwährend ausgesetzt sah. Seine Sorge, sich frühzeitig von dieser degoutanten Gesellschaft zu separieren, trieb ihn in unruhigen Halbschlummer, der sich bleiern erwies, als die Morgenstunden nahten. Jaime, der die ersten Sonnenstrahlen im Kreise seiner Mainada begrüßte, umweht von Zuversicht und Wertschätzung, assistierte bei der Bereitung des gemeinsamen Mahls. Bevor er einen kontrollierenden Blick in das einzige zu diesem Zweck besetzte Schlafgemach warf. Sein juveniler Gast hatte eine unerwartete Instinktsicherheit bewiesen, -oder zumindest einen Argwohn, der sein Leben verlängern konnte-, indem er verfügbares Mobiliar zur Blockade der Zimmerzugänge genutzt hatte. Da die schweren Holzladen, die in stürmischer Witterung die gläsernen Türen und Fenster schützten, für den Sommer arretiert waren, hinderte der dünne Vorhangstoff nicht indiskrete Einsichten. Und Jaime genoss diese, bot sich doch die Möglichkeit, den Senher aus dem Ubac zu studieren. Der in unruhigem Schlaf die dünne Decke von sich geschoben hatte, das Laken zerwühlt, während sich ein höchst schickliches Nachthemd von der gewohnten Knöchellänge in dieser aktiven Nachtruhe bis zu den Oberschenkeln hochgeschoben hatte. Es stand zu vermuten, dass der mondscheinblasse Jüngling nicht in Kürze zu sich kommen würde, doch Jaime eilte es nicht. Auch die Mainada Jehaune würde eine Festivität ausgerichtet haben, und er zweifelte in erheblichem Maße daran, dass man den werten Repräsentanten seiner Majestät vor dem Zenit der Sonne unter den Röcken seiner fröhlichen Witwe hervorlocken konnte. »Andererseits...« Seine pointierten Augenbrauen spitzten sich diabolisch. "Senher, die Senhora lässt sich entschuldigen, sie bedarf der Ruhe." Gaspard materialisierte sich lautlos hinter Jaime, dessen Aufmerksamkeit auf andere Belange fokussierend. "Sie befindet sich doch wohlauf?" Die tiefschwarzen Augen forschten intensiv in den Pendants des bulligen Gefährten, der mit einer knappen Geste konfirmierte, was sie bewegte. Jaimes Hände umfingen die bartschattigen, kantigen Schädelseiten Gaspards, zogen diesen an die eigene Stirn. "Seht nach ihr, mi Amigar. Ich werde mich mit unserem werten Gast befassen, sofern er sich heute noch zu uns gesellen mag." Die kehligen Laute, mit dem Akzent der Mantanha gesiegelt, blieben etwaigen Lauschern ungehört. "Si, compremetent...grandmerce." Mit einem mysteriösen Lächeln trennten sich die beiden Männer wortlos, dann dirigierte der Senher da Solador die Vorbereitungen des Frühstücks. ~*~ Urteilte man nach dem Sonnenstand, so ging es auf die Mittagsstunde zu, als Sebastien sich mit zerschlagenen Gliedern zur Veranda begab. Der Schlaf schien ihn verschmäht zu haben, -oder aber verdroschen-, jeder einzelne Knochen in seinem Leib musste wohl neuerlich justiert werden, bevor er Planungen für den Verlauf des Tages in Angriff nahm. Sebastien presste die kalte Handfläche gegen die Stirn, das insistierende Klopfen in seinen Schläfen leise beklagend. »So geschah es den Ausschweifenden...« In das Tageslicht blinzelnd, -strahlte die Sonne doch sommerlich hinab-, verschluckte er weitere selbstgerechte Schmähungen. Durch gläserne Front und Stoffvorhang getrennt bot sich ein demütigender Ausblick: man arbeitete frohgemut und energisch, vermutlich in voller Zahl. Keineswegs von dem lästerlichen Treiben der vergangenen Nacht gezeichnet und gerechterweise dahingestreckt?! Inmitten dieser unanständig jovial gelaunten Gesellschaft präsidierte selbstredend der liederliche Senher... Sebastien würgte an gallenbitterem Speichel, ihn schwindelte. Eingedenk seiner Ankündigung, -somit dem Ehrenwort eines wahrhaftigen Ehrenmannes-, absolvierte Sebastien eine eilige Reinigung. Um dann, -brüskiert durch die Frechheit, dass man ihm frisches, parfümiertes Wasser in einer aufwändig verzierten Kanne darbot, ihn somit nötigte, sich einer solch verschwenderischen Lasterhaftigkeit schuldig zu machen-, vor dem gewaltigen Kleiderschrank zu stocken. Wie sich in der Nacht zuvor das einzig schickliche Gewand demonstrativ auf den Laken drapiert gefunden hatte, harrte seiner nun ein mitternachtsschwarzer Gehrock samt Kniebundhose. Auf Hochglanz polierte Galoschen, in denen blütenweiße Strümpfe in fein gestricktem Muster lagerten. In gleicher blendend weißer Qualität fand sich solitär exhibitioniert ein geschnürtes Hemd mit steifem Stehkragen, über diesem ein Gilet in schwarzem Satin, lediglich in der Knopfleiste mit zierlichem Stich geschmückt. Selbst ein Dreispitz komplettierte die Kostümierung... Sebastiens Zähne mahlten wutschnaubend, da sein fliehender Blick in der Hoffnung auf Contenance einer schwarz-samtigen Schleife auf der Konsole gewärtig wurde. Dieser verwünschte da Solador!! Ein weitere Humiliation!! »Haltung!«, ermahnte sich Sebastien, die Augen auf die nackten Füße richtend. »Wir büßen durch Gottes Ratsschluss für unsere Unzulänglichkeiten!« Offenkundig forderte die Vorsehung von ihm Demut. Nun, mochte es sein, wie es wollte: ein Luminnier vergaß sich nicht. So würde er diese brüskierenden Auswüchse einer fragwürdigen Gastfreundschaft akzeptieren und mit Würde tragen, um sich diesem lächerlichen Spiel zu entziehen. Seinen Initiator somit als banalen Popanz entlarven, der sich solcherlei abominablen Mitteln des Amüsements bediente. ~*~ Jaime verbarg sein ironisches Mundwinkelzucken hinter erhobener Hand, den Ellenbogen auf die geschweifte Armlehne seines Stuhls gestützt. "Bitte, verehrter Senher d'Aire, seid doch so freundlich, Euch zu platzieren. Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht?" Sebastien begegnete dieser offenkundigen Malice mit reserviertem Gleichmut, die betont einfach gehaltenen Manschetten schützend über die bloßen Hände zupfend. "Ich danke Euch für Eure Fürsorge und bitte um Eure Vergebung für meine unverzeihliche Verspätung." Er schreckte hoch, -von der eigenen Diktion eingelullt, longierte sie doch artig an den Phrasen des Wohlerzogenen-, als Jaime sich in raubvogelartiger Plötzlichkeit zu ihm beugte, seine Hände umfasste. "Fürwahr, solch zarte Glieder..." Seine Stimme vibrierte in verborgenen Tiefen seines Leibs. "Ich bedauere, dass es mir nicht gegeben ist, für Euren Komfort ausreichend Sorge zu tragen." Seine Handgelenke eiligst vor der eigenen Brust bergend, -eine mädchenhafte Gestik, die sich Sebastien mit Verspätung in das Bewusstsein prägte-, entzog er sich Jaimes Zugriff. Dieser lächelte in katzenhafter Entspannung, lagerte sich nonchalant, als habe er die brüske Zurückweisung seiner Fürsorge nicht registriert, bequem in seinem Stuhl. Seine halb gesenkten Lider beschatteten die sonnengebräunten Wangen mit dichtem Wimpernschirm, fixierten seinen Gegenüber. Der dieses Verhalten als ausgesprochen unschicklich und inkommodierend empfand, was seine erstarrenden Züge nur zu deutlich kundtaten. "Aber bitte, mi Amigar, erfreut mein Herz und greift ordentlich zu! Die Strecke nach Della Caissonne ist nicht zu unterschätzen, und ich möchte mich nicht dem Anwurf aussetzen, ich hielte meine hochgeschätzten Gäste knapp." Solcherart bedrängt, sich an den aufgetischten Speisen unter den observierenden Augen seines Gastgebers zu bedienen, versagte Sebastien jeglicher Appetit. Zu stark fühlte er sich an verschiedentliche Dejeuners erinnert, in formalisierter Ordnung zelebriert, jedem Genuss abträglich. Jaime hielt diese perfide Folter, den bleichen Jüngling eingehend zu mustern, jede Regung einzufangen, noch einige unerquickliche Minuten aufrecht, bevor er sich Dispens erbat. Mit Erleichterung, derer er sich schämte, verfolgte Sebastien, wie Jaime den flachen Bau verließ, um ein Nachbargebäude aufzusuchen, dabei die lose flatternden Ärmel seines einfachen Bauerngewandes hochbindend. »Fürwahr, so zeigt sich seine wahre Natur!«, fühlte sich Sebastien bestätigt, um den Speisen zuzusprechen, wollte er doch ohne weitere Unannehmlichkeiten diese erzwungene Gastfreundschaft beschließen. ~*~ Kapitel 3 - Della Caissonne Unter der prallen Mittagssonne hielten sich die Reittiere, die Jaime gewählt hatte, erstaunlich gut. Dies konnte man von seinem jungen Begleiter nicht behaupten. Sebastien hatte mit versteinerter Miene registriert, dass Jaime für ihn Garamer satteln ließ, eben die Bestie, die ihn so unsanft in den Graben befördert hatte. Jaime ersparte sich Versicherungen, dass es sich bei dem Reittier um ein besonders ausgeglichenes Geschöpf handelte, das zudem klaglos Gewicht von Sattelzeug und Reiter tragen würde. Seine eigene Beförderung vertraute er wie gewohnt Asard an, der lediglich eine bunte Decke auf seinem Leib duldete, sich im Übrigen gehorsam zeigte, wenn Jaime ihm Ausbrüche und das Forcieren der Gangart versagte. Um seinem Gast eine Referenz zu erweisen, hatte Jaime ebenfalls einen Gehrock gewählt, die geschnürten Hosen mit Kniebundhosen vertauscht, in einem wärmenden Rotton gehalten, der an die herbstliche Färbung von Kastanienbäumen erinnerte. Ihn kümmerte die Sonne, die Schwüle, die sich wie ein bleiernes Band auf ihre Lungen legte, wenig, doch Sebastien schwankte in bedenklicher Weise über Garamer. "Wir werden eine Rast einlegen. In dem Wäldchen dort gibt es eine Quelle." Unaufgefordert entzog Jaime Sebastiens wund gescheuerten Fingern die ledernen Zügel, trieb Asard mit sanftem Schenkeldruck an, die Führung zu übernehmen. Da ihm kein Widerspruch zugedacht wurde, duplizierte er in Gedanken das Maß der Erschöpfung des Jünglings. Mit elegantem Schwung saß er von Asards Rücken ab, leitete die beiden Pferde selbst den Weg zum erfrischenden Wasser, gleichzeitig lästiges Zaumzeug abstreifend. Sebastien, der sich steif mühte, Garamer und den Sattel zu verlassen, verfing sich mit den hochglanzpolierten Galoschen, stürzte beschleunigt dem Boden entgegen, von Jaime mit Geschick gehindert. "Caitiu Calinhaire.." Jaime fasste den Hitzegeplagten fester, legte ihn vorsichtig auf das polsternde Gras in Nähe der Quelle ab, bevor er Garamer von der Last des Sattelzeugs befreite. Durch die gewohnte Blässe des Jünglings schimmerten, wie Jaime schien, fahl-weiße Flecken hindurch, die von körperlicher Schwäche kündeten, die diese Anstrengung maximiert hatte. Den Umstand nutzend, dass Sebastien offenkundig von der Sonnenglut trotz Dreispitz fiebertrunken war, öffnete Jaime Knopfleisten, benetzte die mondscheinhelle Haut mit frischem Quellwasser. Träufelte geduldig das kühle Nass über die staubtrockenen Lippen. Welche Kraftreserven der Jüngling auch abgerufen haben mochte, um diese Reise in die südlichen Provinzen zu bewältigen: sie waren unwiderruflich aufgezehrt, er selbst in erschreckend schwacher Kondition. Jaime hob sich den spannungslosen Oberkörper in die Arme, bettete diesen gegen die eigene Brust, löste den gestrengen Zopf, der die Kopfhaut rötlich tormentierte. Betrachtete eingehend die wenigen Spuren kindlicher Rundung, die sich rapide verloren, in dem Maß, in dem die Welt ihre Krallen in die unschuldige Miene dieses Jünglings trieb. Sollte er ihn wahrhaftig der Gnade eines Trunkenbolds und den Jehaune überantworten?! ~*~ Als Sebastien die frappierend schweren Augenlider mühsam anhob, fand er sich in erquicklichem Schatten, rücklings gegen die borkige Rinde einer Erle gelehnt. Während sich der ungebärdige Senher da Solador befleißigte, bar Schuhwerk und Strümpfen in dem von der Quelle gespeisten, natürlichen Becken umherzuwandern und mit durchtränktem Hemd beide Pferde mit Wasser zu besprengen. »Kein Stallbursche würde sich zu derartigem Aufzug herabwürdigen«, konstatierte Sebastien selbstzufrieden, hatte sich doch einmal mehr sein Bild über seinen Gastgeber bestätigt. Ärgerlicherweise schien dieser keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, den verheerenden Eindruck zu korrigieren, bedachte Sebastien mit einem formlosen Winken, bevor er sich seiner augenblicklichen Beschäftigung widmete. »Degoutant.« Sebastien zwang sich schwankend in die Senkrechte, nicht willens, diesen Umtrieben weiterhin Nahrung zu geben, indem er Vorwand für die zweifelhaften komödiantischen Anwandlungen des 'Senher' bot. Gehrock und Dreispitz aus den Gräsern auflesend und in knapper Gestik ausklopfend warf er einen ungeduldigen Blick zum Wasser hin, für jeden feinsinnigen Menschen eine unmissverständliche Aufforderung zum Aufbruch. Überraschend beendete Jaime die Tändelei mit den Reittieren, watete ans Ufer, die Pferde ohne Zügel hart auf seinen Fersen, ihre Nüstern zärtlich seine Schultern liebkosend. Abstand wahrend wich Sebastien einige Schritte zurück. Es war ihm unverständlich, wie sich ein Ehrenmann so vertraut mit Tieren geben konnte. Stand dies nicht in der Sphäre des Personals?! Hegte dieser Mensch denn nicht einen winzigen Funken sittlicher Bildung in seiner sonnenverbrannten Gestalt?! "Wenn Ihr so zuvorkommend sein mögt und Garamer sattelt, so werde ich mich in präsentablen Zustand versetzen. Immerhin", Jaime lächelte aufreizend, "sputet Ihr Euch zweifellos in der Absicht, die Mittagsruhe des Gouverneurs zu beenden." Für Wimpernschläge verunsichert zögerte Sebastien. War es weise, einen hochgestellten Repräsentanten seiner Majestät zu inkommodieren, wenn man sich von ihm Patronage erhoffte? Eingedenk der spöttisch gelupften Augenbrauen unter den ebenholzfarbenen Locken wandte sich Sebastien abrupt ab, stolzierte hoch aufgerichtet zu seinem Sattel, hob schwankend die nicht unbeträchtliche Last an. Schnauben wärmte seine Schulter, ließ ihn herumfahren und zurücktaumeln, als sich Garamer erwartungsvoll vor ihm aufbaute. Sebastien verharrte angespannt, Auge in Auge mit seinem Reittier, das umso gewaltiger wirkte, wenn man im Rücken die Masse eines alten Baumes wusste und die Kraft in den Muskeln des Kaltblüters nicht verkannte. Er wagte nicht, die wenigen Schritte zur Seite zu setzen, ohnehin ein mundanes Unterfangen, da er keinerlei konkrete Vorstellung hatte, wie man exaktermaßen einen Sattel auflegte und fixierte. Diese Arbeit oblag den Stallburschen, nicht einem Mann von Stand. Warme Fingerspitzen streiften seine erlahmenden Hände, pflückten mit schwungvoller Leichtigkeit das Sattelzeug aus seinen Armen, um es in rapider Vollendung seiner Bestimmung zuzuführen. Sein verwünschter Gastgeber, in vollem Ornat, allein die Lockenpracht trotz bändigender Silberspange im Nacken wild und zerrupft, tätschelte die Flanke. "Mir scheint, Garamer sucht Eure Freundschaft, mi Amigar", kommentierte er Sebastiens Ausharren vor dem Pferd. Ob er in spottender Arroganz verkannte, dass Furcht Sebastien lähmte oder in perfider Absicht leichtfertig die Worte wählte: Sebastien wusste es nicht zu sagen. Ein schriller Pfiff schreckte ihn zuckend aus seiner transzendierenden Pose. Schon näherte sich auf dieses Gossensignal hin Asard mit lautlosem Trab seinem Herren, wandte Garamer den Kopf. Gab den Bann frei, der sich einschnürend um Sebstiens Brustkorb gewunden hatte, sodass er sich eilig an den unbequemen Aufstieg in den Sattel machte, bot hier doch keine Steighilfe Assistenz. Selbstredend saß Jaime mit elegantem Schwung auf, eine akrobatische Finesse enthüllend, die ihn in Sebastiens Auffassung in die Rolle des Komödianten rückte. Dessen Gegenwart man wegen der Possen lediglich in liederlicher Gesellschaft honorierte. Was einem Luminnier aber zur Abschreckung gereichte. "Nun denn, Della Caissonne!" Mit sanftem Schenkeldruck hielt der Senher da Solador auf ihre Destination zu. ~*~ Della Caissonne erwies sich in ähnlicher Weise strukturiert wie Sant Argo. Die wenigen, kaum einstöckigen Häuser drängten sich um eine Kirche, die schützende Befestigung bestand aus geborstenen Bruchsteinen. Inmitten der festgestampften Wege verliefen Abwasserrinnen. Hier also residierte der Gouverneur?! Sebastien vermutete eine Farce, eine weitere infame Spielerei seines Begleiters. Dieses winzige Fleckchen Ansiedelung, mehr Bauerndorf denn Stadt, konnte unmöglich die Repräsentanz Seiner Majestät beherbergen! Zuversichtlich, wenn auch unter nagender Unruhe, hoffte er, dass sich entsprechend südlichen Vorlieben das Anwesen einige Minuten hinter der Befestigung auf freiem Gelände erstrecken würde. Doch Jaime hielt direkt auf den Kirchplatz zu, um in katzenhafter Eleganz von Asard zu saltieren, sodann mit der Faust lautstark gegen eine geteilte Tür zu schlagen. Diese gebot den Einlass in ein windschiefes, lediglich in den Fundamenten gemauertes Haus, das mittels Aushang seine Zweckbestimmung verkündete: einen geflochtenen Kranz um einen Krug. Sebastien memorierte eilends die Aussagen, die man ihm in Sant Argo in verdächtiger Bereitwilligkeit zugetragen hatte. Konnte es wahr sein, dass der Gouverneur mit einer Schenkenwirtin einen Hausstand hielt?! "Bonjorn! Heda, Frau Wirtin, seid so gut und öffnet zwei ausgedörrten Reisenden!" Weitere, muntere Schläge erschütterten die morschen Bretter, bis sich schlurfende Schritte über ausgestreutem Spreu nahten. "Unterlasst das Spektakel, sage ich Euch, sonst habt Ihr Euch zu verantworten!" Jaime wandte sich Sebastien zu, der sich zu seinem eigenen Erschrecken kaum mehr ungelenk aus dem Sattel dirigieren konnte, verdrehte die Augen mokierend. "Werte Dame, Senhora, wir leiden gar schrecklichen Durst, ich bitte Euch", schmeichelte Jaime, sich in dieser Scharade amüsierend. Die Tür schwang auf, zunächst ihre obere Hälfte, entbot eine rothaarige Frau in ländlicher Aufmachung, offenkundig in einem freigiebigen Gewerbe tätig, schloss man aus ihrem verschwenderisch entblößten Dekolletee. Kaum dass sie der beiden Männer ansichtig wurde, änderten sich Gebaren und Miene mit Blitzes Schnelle, strahlte sie zuvorkommend, eine Reihe kräftiger, gelblich funkelnder Zähne enthüllend. Gleichzeitig die wirren, roten Locken zu einem Kopfputz arrangierend. "Senher, Bonjorn, Bonjorn!! Oh, bitte verzeiht, dass ich Euch warten ließ, im Hinterhaus hört es sich fürwahr schlecht... aber, ich bitte Euch, tretet doch ein, tretet näher!!" Servil und eilfertig schwang auch die untere Türhälfte nach innen, presste sich die Wirtin an die Wand, in der posierenden Absicht, ihre üppige Gestalt förderlichst zu präsentieren. "Senher d'Aire", Jaime deutete mit einer Verbeugung auf seinen Begleiter, "und ich bin der Senher da Solador, meine Liebe. Wie dürfen wir Euch adressieren?" "Oh", flatternde Lider, eine Persiflage mädchenhafter Unschuld, "Marianne, Senher. Aber nun rasch herein, die Hitze ist Eurer Gesundheit abträglich." Jaime schritt voran, da es Sebastien offenkundig inkommodierte, in die undurchdringliche Dunkelheit zu schreiten. Möglicherweise betäubte ihn auch die Ausdünstung der niedrigen Gelasse, die sich nun dem Tageslicht entgegen drängten. Eine Schenke, zweifellos. Die Ausstattung entsprach dem äußeren Anschein: grob gezimmerte Holzbänke, ebensolche Tische, sparsame Ausleuchtung durch Öllaternen, die winzigen Fenster mit grobem Tuch verhangen. "Was darf ich den sehr verehrten Senher bringen?" Marianne eilte hinter die hüfthohe Theke, wo sich Fässer stapelten. Schmutzige Becher in Pfützen gruppierten sich auf den Tischplatten, Spuren der letzten Nacht. Dazu ertönte ein sonores Schnarchgeräusch, einem tierischen Grunzen nicht unähnlich. "Marianne", Jaime lehnte sich über die Theke, Sebastien seiner Zuflucht im Türrahmen überlassend, bot diese doch einen Austausch weniger aromatisierter Luft. "Wir sind auch in einer höchst importanten Mission unterwegs... mein Begleiter aus dem Ubac sucht um eine Audienz beim Gouverneur Seiner Majestät nach." Ein kurzes, wenig weibliches Schnaufen, dann reichte Marianne einen randvoll geschenkten Becher, absichtsvoll Jaimes Fingerspitzen streifend. "Ich werde Euch gern zu Diensten sein, Senher da Solador." Ihre Wimpern kündeten subtilere Botschaften, dann umrundete sie die Theke, strebte trotz der Dunkelheit zielsicher eine Bank an. Raffte die Röcke und trat kräftig gegen den Quell der Schnarchgeräusche, der mit einem dumpfen Schlag unter dem Tisch auf den Bohlen aufschlug. "Parbleu, was is'?", knarzte eine ausgedörrte Kehle orientierungslos, unwillig. Jaime folgte der Wirtin, stemmte ohne Anstrengung den Tisch beiseite, um seinen Becher dem unfreiwillig Gestürzten zu offerieren. "Senher da Solador, zu Euren Diensten, mein Bester. Ich habe wohl die Ehre mit dem Gouverneur?", begab er sich in die Hocke, um die blutunterlaufenen Augen auf sich zu konzentrieren. "InderTat, inderTat...Girandou, Hugo Girandou, Repräsentant Seiner Majestät!" Ein trunkenes Kichern unterstrich diese Selbstoffenbarung. "Erfreut, mein Bester. Seht, wir würden keineswegs die Unverschämtheit besitzen, ohne Einladung eine Audienz zu forcieren, doch mein höchst edler Begleiter, Sebastien d'Aire aus dem Ubac ersucht Eure Unterstützung in einer sehr heiklen Mission." Ein dezentes Rülpsen antwortete Jaime, der sich keineswegs aus der Ruhe seiner nachsichtigen Freundlichkeit bringen ließ, den Betrunkenen im Gegenteil sanft unterfasste und auf der Bank platzierte. "Ubac?", echote Girandou mit schwerer Zunge. "Ich bin entsandt auf Geheiß Seiner Majestät, mich hier zu melden..." Sebastiens Stimme verlor sich in ersticktem Würgen hinter den strapazierten Rüschenmanschetten seines Ärmels. "Werter Senher Girandou", Jaime übernahm die Gesprächsführung autoritär, "Senher d'Aire besaß eine höchstpersönliche Überstellungsurkunde Seiner Majestät, sich hier in der Cel de la Lona bei Euch vorzustellen. Doch unglücklicherweise geriet diese bei einem Sturz in einen Graben in Verlust..." Sebastien widerstand der Versuchung, die Schuld Jaime zuzuweisen. Zum einen, weil sich dies als niedriger Beweggrund nicht gestattete, zum anderen, weil ihm schlichterdings in diesem Odeur die Luft wegblieb. "Senher d'Aire befindet sich in meiner Gastfreundschaft und Obhut, und ich nahm an, man habe Euch sicherlich ein Duplikat dieses Edikts oder wenigstens eine Liste überstellt, damit Ihr Euch für die Aufwartungen präparieren könnt." "Nachrichten aus dem Ubac?" Marianne lachte trocken auf, während sie geschäftig Geschirr auflas. "Lasst den alten Saufkopp, er vermag sich erst seiner Aufgabe zu erinnern, wenn er den dritten Becher umhalst hat. Wir haben seit Monaten keine Emissäre mehr gesehen, geschweige denn Neuigkeiten erhalten." Girandou unterstrich die Einschätzung seiner Befähigung zu einem nützlichen Gesprächsbeitrag mit einem sonoren Schnarchen, das Kinn bedenklich der Brust zugeneigt, die Lippen Speichel benetzt. "Zwecklos, ihn zu befragen... ich möchte Euch raten, Senher, eine Ausfertigung über die Familie Eures Begleiters in der Hauptstadt anzufordern. Ohne schriftlichen Beleg sind wir außerstande, in Eurer Angelegenheit tätig zu werden." Sebastien starrte in Verwunderung auf die Frau, während Jaime in schallendes Gelächter ausbrach. "Vortrefflich, werte Senhora, Ihr vertretet Seine Majestät in lobenswerter Pflichterfüllung. Seid bedankt für Euren Rat und Eure Unterstützung." Er überreichte einige Münzen und küsste in verehrender Verbeugung den Handrücken Mariannes, die die Anerkennung als geübte Komödiantin stolz entgegennahm. "Auf bald!", verabschiedete sie die beiden Männer, die in das grelle Sonnenlicht des Nachmittags entschlüpften. ~*~ Jaimes sezierender Blick ruhte auf Sebastiens fahlen Zügen. Der Wechsel an die noch in mittäglicher Nachwärme glühende Sommerhitze kommodierte dem Jüngling offenkundig nicht. Er lehnte schwer an der Flanke Garamers, kaum fähig, ein Bein in ausreichende Höhe zu heben, um sich in den Sattel zu schwingen. Ausgeschlossen jedoch, per pedes die kleine Ortschaft zu verlassen, etwa über die Abwässergräben zu steigen. Sodass ihm lediglich die Option verblieb: den geschwächten Begleiter unter den gewaltigen Schatten einer Linde zu führen, die sich in den Dorfplatz drängte. "Wie ist Euer Befinden, mi Amigar?", erkundigte er sich frank, den Dreispitz von den streng eingebundenen Haaren hebend, in der anderen Hand die Zügel bergend. Sebastiens flacher Atem, zu rasch, um über die einsetzende, körperliche Mattigkeit hinwegzutäuschen, gereichte ihm zur Antwort. Ohne sich der Umgebung zu widmen, den zweifellos mehr als interessiert Beobachtenden hinter ihren spärlichen Fenstern und Vorhängen, Bretterverschlägen und Mauervorsprüngen, wechselte Jaime hinüber zum spärlich sich ergießenden Brunnen. Tauchte ein akkurat gefaltetes Tuch in die Flüssigkeit, um spornstreichs zu Sebastien zurückzukehren. Sich vor dem bleichen Jüngling in die Knie zu begeben, die zarte Haut mit behutsamen Tupfen abzukühlen, als handele es sich um eine fragile, hochedle Dame. "Sebastien, hört Ihr mich?" Die schwarzen Augenbrauen reduzierten sich in gekräuselter Konzentration. "Glaubt Ihr, den Weg bewältigen zu können?" Doch bevor er den bebenden Lippen eine Antwort ablesen konnte, störte das Donnern beschlagener Hufe die träge Idylle auf, mit merklich rücksichtslosem Tempo die kleine Ortschaft durchquerend. Alert federte Jaime in seine durchaus imponierende Größe. Sein leises Schnalzen gebot den beiden Reittieren Ruhe, während seine Gestalt eine Sichtblende vor seinem Begleiter stellte. Die Reiter, ein gutes Dutzend, das sich Wimpernschläge später um den kleinen Brunnenrund tummelte, einander bedrängten, scheuten und aufstiegen, um von energischem Druck wieder zu Boden gezwungen zu werden, zeichnete eine grün-goldene Kostümierung aus. Wie sie Angehörige der Mainada Jehaune zu tragen pflegten. In ihrer Mitte, entouriert und beschützt, warf ein mittelgroßer Mann sehr schlanken Körperwuchses prüfende Blicke umher. Unter dem Dreispitz die schmalen Augen zu Schlitzen reduziert ob der Anstrengung, in gleißender Sonne die Schatten zu durchdringen und der Details Herr zu werden. Selbstredend galt seine gespannte Aufmerksamkeit den beiden Fremden unter der dichten Krone der Linde. Mit einem harten Fersendruck verschaffte er sich durch sein ausbrechendes Reittier eine Gasse inmitten seiner Entourage, um in scharfem Tempo auf Jaime zuzusprengen. Erst in Kollisionsnähe das Pferd auf die Hinterbeine zwingend, um in tänzelnder Unruhe die beiden Senher in Augenschein zu nehmen. "Senher da Solador", bemerkte eine kalte, schmerzlich schrille Stimme, "was für eine unerwartete Freude, unsere Bekanntschaft zu erneuern. Sagt, was führt Euch auf unsere Domäne?" Die Diktion in Verbindung mit dem beißenden Kontertenor gebrach jeder Gastfreundlichkeit, glich einem schneidenden Befehl zur Preisgabe der Auskunft. Jaimes Miene behielt den sanften Anflug eines Lächelns. Allein die schwarzen Augen funkelten Unheil verheißend, geboten dem Gegenüber Vorsicht. "Bonjorn, Senher Jehaune, die Freude über dieses Zusammentreffen ist unwidersprochen. Darf ich mir die Freiheit nehmen, Euch mit meinem Begleiter, dem verehrten Senher Sebastien d'Aire aus dem Ubac bekannt zu machen?" Er wich elegant auf die Seite, mit einer angedeuteten Verbeugung, bot doch der erhobene Sitz auf dem Pferd Jehaune bereits einen Vorteil, ergriff Sebastiens Rechte sehr behutsam, assistierte dessen Auftritt. Sebastien versagte sich eine grobe Zurückweisung dieser Geste, -üblicherweise weiblichen Wesen offeriert-, behielt seinen unsicheren Stand bei, mangels Dreispitz die flache Hand auf die Brust legend, ein Nicken der Höflichkeit geschuldet. Dieser ihm unangenehm erscheinende Mann gehörte, dem Entree nach zu urteilen zur Familie Jehaune, der auch Della Caissonne unterstand? Möglicherweise eine Zuflucht, während er sich um eine zweite Ausfertigung des Edikts bemühte? Die hellblauen Augen in einem von unzeitigen Falten gefurchten Gesicht boten kein Vertrauen. Vielmehr glitzerte in ihrem Grund eine kalkulierende Kälte, die ihn in infamer Weise studierte. "Erfreut, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen", entgegnete Sebastien knapp, hielt sich in steifer Referenz, den feuchten Film auf seinen Handflächen verwünschend. Er war sich wohl bewusst, dass sich seine unangebracht fragile Konstitution deutlich verriet und ihn mahnte, sehr sparsam mit den rasch entschwindenden Reserven zu haushalten. "Ihr wirkt ein wenig blass, mein Bester", bemerkte Jehaune unverbrämt, dirigierte sein Pferd energisch von der grob gezimmerten Bank. "Erlaubt mir, Euch auf unser Anwesen zu begleiten, damit Ihr Euch kurieren könnt." Erneut beleidigte die Wortwahl den Feinsinn, kündete von berechnender Arroganz und Gleichgültigkeit. Zu Sebastiens Überraschung signalisierte Jaime Einverständnis. "Eure Gastfreundlichkeit ist zu rühmen, werter Freund. Wenn Ihr gestattet, werden wir Eurer Entourage folgen." Mit diesen Worten beschrieb Jaime eine anmutige Kehrtwende, scheinbare Achtlosigkeit gegenüber diesem wenig agreablen Mann, klopfte wispernd auf eine Flanke. Jehaune wandte sich ab, in gewohnter Grobheit sein Reittier anweisend, sogleich umgeben von seinen Begleitern. Abschiedslos preschten sie in unziemlicher Eile durch die enge Gasse davon. Sebastien, nun unerwünschter Zeugen ledig, grub die Finger Halt suchend in Garamers Mähne, umwarb die stützende Nähe des Pferdes, zu seiner Verwunderung unempfindlich für Geruch oder Standesdünkel. "Erlaubt?" Jaime schlüpfte aus dem Nichts seines blinden Flecks in Sebastiens Wahrnehmung, umfasste dessen Hüften unterhalb des schweren Stoffs des Gehrocks, beförderte ihn mit austariertem Schwung in den Sattel. Glitt in katzenhafter Anmut grazil auf Asards Rücken, einer Steighilfe ledig. Die Fingerspitzen tanzten zwischen den aufmerksam zuckenden Ohren. "Wenn ich Euch raten darf, mi Amigar, haltet Euch dicht an meiner Seite." Garamers Zügel an sich nehmend gab Jaime einen verschärften Trab vor, wandelte Della Caissonne in der flirrenden Hitze zu einer fernen Erinnerung. ~*~ Die Landschaft, die an Sebastiens ermatteten Augen vorbeizog, kennzeichnete sich durch staubige Felder und sumpfige Wiesen, von einigem solitären Baumbestand unterbrochen. An Jaimes Seite, ein wenig geschützt durch dessen Gestalt, erwies sich die Hitze weniger drückend, hielten sich doch die beiden Pferde an einen eingängigen Trab. Während Sebastien fortwährend seine Stirn betupfte, die spärlichen Spuren kühlender Feuchtigkeit verteilend. "Wenn Ihr gestattet", Jaimes Profil entbot einen Scherenschnitt seiner scharfen wie aimablen Züge, "werde ich Euch über die Jehaune ins Bild setzen, mi Amigar. Der Senher, der uns eben so überaus herzlich einlud, ist der zweite Sohn des Familienoberhaupts Feodor, mit Vornamen Curzio." Ein Seitenblick streifte über Sebastiens fahle Miene, spürte verräterische Anzeichen blamabler Schwäche auf, ungeachtet Sebastiens couragierter Anstrengung, diese zu kuvrieren. "Der älteste Sohn, Alonzo, starb bei einem Reitunfall vor einigen Jahren. Allerdings hat er einen Sohn, Domenico, der seinen Anspruch mit Erreichen der Reife anmelden wird." Sebastien goutierte diese erhellenden Informationen sorgsam. Curzio konnte nach den Ausführungen demnach lediglich temporär auf eine Führungsrolle hoffen, wenn Feodor verstarb und Domenico noch unmündig war. Rührte aus dieser Quelle der unmissverständlich in den hageren Zügen eingegrabene Groll, die kalkulierende Kälte, die er erblickt hatte? Zweifel nagten an ihm. Seine Vorsicht mahnte ihn misstrauisch, sich nicht blindlings auf Jaimes Offenbarungen zu verlassen, schien doch auch zwischen den beiden Männern eine spannungsreiche Beziehung zu bestehen. Trübte sich dessen Urteilsfähigkeit möglicherweise durch persönliche Eindrücke vorangegangener Konfrontationen? Vor ihnen erstreckte sich eine zweimannhohe Mauer wehrhaften Charakters, -die Einfassungen mit einer Traufe versehen-, limitierte die Weite des Horizonts. Geleitete sie eine imponierende Strecke bis zu einem einladend geteilten Tor, aus massivem Gusseisen mit Dornen geformt. Sebastien schauerte unversehens angesichts dieser abwehrenden Fassaden, erinnerten sie doch in fataler Weise an die Heimat und ihre Bollwerke der Zivilisation. Eilends hielten Stallburschen mit ihnen Schritt, wiesen den Weg zu den Stallungen, bevor sie artig beim Abstieg assistierten und sich der Reittiere mit Verbeugungen annahmen. Mit gelinder Überraschung registrierte Sebastien, dass Jaime unauffällig die Zügel Garamers entgleiten ließ, als kümmere es den ungeschlachten Senher, ob ein Zuschauer mutmaße, er longiere Sebastien. Allein, der Gedanke verblasste in Anbetracht der unerträglichen Vision, Jaime habe im Interesse Sebastiens Ansehens gehandelt. Ihm die Schmach erspart, seine Konstitution ihren Gastgebern ohne Not preiszugeben. Unter dem Zwang, sich selbst zu beweisen, dass diese feinfühlige Anwandlung schlechterdings unmöglich einem derart impertinenten Bauerntölpel zuzuschreiben war, warf Sebastien einen prüfenden Blick in Jaimes Gesicht. Erhaschte jedoch das ausdrucksstarke Profil. Angespannt, ein irisierend spottendes Lächeln auf den Lippen, die markanten Züge ausgeprägt, erfasste dieser ihre Umgebung, in der alerten Manier eines Jägers. Von dieser Wandlung gewarnt folgte Sebastien seinem Beispiel, beobachtete sorgfältig das Gut, Stallungen, Scheunen, Herrenhaus, Gesindeunterbringungen. Im Unterschied zu Jaimes Anwesen begnügten sich die Jehaune nicht mit flachen, einfachen Bauten. Das Herrenhaus, aus schwerem Stein gemauert und zweifellos älteren Datums, wies sogar zwei Geschosse auf, einen Dachstuhl addierend. Kein Brunnen mit bepflanzten Kübeln auf flachem Gras oder Sand begründete den umschlossenen Innenhof. Hier fand sich gepflasterte Fläche, die einen farbenprächtigen Lustgarten en miniature begrenzte. Wie armselig und frugal nahm sich Jaimes Gut dagegen aus! Ein livrierter Lakai verbeugte sich tief, in den entsprechenden Farben gekleidet, zusätzlich auf dem Kamisol ein Wappen eingestickt, eine stilisierte Raubkatze auf den Hinterbeinen. "Werte Senher, ich ersuche höflich, mir zu folgen. Senher Feodor Jehaune lässt in den Garten bitten." Sebastien justierte seinen Dreispitz, gebot mit knapper Geste, der Lakai möge voranschreiten. Allein, Jaime ließ sich nicht forcieren, schlenderte, die Hände oberhalb der Schöße des Gehrocks ineinander verschränkt, inspizierend hinter ihnen her. Er ließ keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen, seine Wissbegierde in insolenter Freimütigkeit zu stillen. Es kostete Sebastien ein beträchtliches Maß an Contenance, diese zu wahren und den Begleiter nicht gleich einem ungebärdigen Kind eine einprägsame Lektion zu erteilen. Nein, diese Person konnte unmöglich die Feinsinnigkeit besitzen, die Sebastien in einem nur als Schwäche zu charakterisierenden Augenblick in ihm vermutet hatte! ~*~ Man hatte im Zentrum des kunstvoll angelegten Lustgartens in einem Pavillon geschützt eine Tafel angerichtet. Geflochtene Sessel kommod ausgepolstert, um dem greisen Oberhaupt der Mainada Jehaune den Aufenthalt im Freien zu einer agreablen Abwechslung gereichen zu lassen. Als sich Sebastien und Jaime näherten, von ihrem Lakaien mit einer erneuten Verbeugung entlassen, umklammerte eine gischtige Hand einen reichverzierten Gehstock. Dirigierte mit verbissener Willenskraft den gebrechlichen Körper, sich langsam in die Höhe zu begeben, um die unerwarteten Gäste gebührend zu empfangen. "Seid willkommen, Sebastien d'Aire, Jaime da Soldador." Der Stimme gebrach es an der Festigkeit, die der Begrüßung innewohnte, allein, die zerfurchte Miene des älteren Mannes kündete von der Aufrichtigkeit seiner Worte. "Habt Dank für Euren freundlichen Empfang, Senher Jehaune." Sebastien neigte verehrend das Haupt, den Dreispitz in geübter Förmlichkeit vor die Brust senkend, als er einen Schemen zu seiner Linken wahrnahm. "Erlaubt!" Rascher noch als Repliken möglich umfasste Jaime in behutsamer Stärke die rechte Elle, half dem Gebrechlichen in lächelnder Mühelosigkeit in die Kissen zurück. Neigte artig das Haupt, solitär die schwarzen Augen ruhten blitzend in alterstrüben blauen. Lockten ein stockendes Lachen aus der eingefallenen Brust unter dem Pelz gesäumten Übermantel. "Fürwahr, Jaime, Ihr bleibt Euch stets treu!" Die altersfleckige Hand in ihrer schmerzhaft verkrümmten Haltung liebkoste zittrig Jaimes Wange. Dieser zwinkerte in becircender Weise, durchaus impertinenten Freimut offenbarend. "Es freut mich, dass Ihr Euch in so schmeichelhafter Weise meiner erinnert." Ein krächzendes Auflachen schloss sich an, dann wies die freie Linke, zu einer Klaue verkümmert, auf die bereitgestellten Fauteuils hin. Sebastien nickte steif, von Jaimes Darbietung mehr als insultiert, platzierte sich sorgsam auf der vorderen Hälfte der verschwenderisch gepolsterten Sitzfläche. "Ah, Senher d'Aire, vergebt meine Unhöflichkeit, Euch nicht gebührend begrüßt zu haben. Wie mir mein Sohn Curzio berichtete, stammt Ihr aus dem Ubac?" Einen flammenden Blick auf Jaime abschießend, dessen kapriziöse Haltung, leger die Beine von sich streckend, einen Ellenbogen aufstützend und mit einer gelockten Strähne ebenholzfarbenen Haars spielend, antwortete Sebastien bestätigend. "In der Tat, verehrte Senher Jehaune, präzise gesprochen aus Beausage." "So so..." Die trüben Augen dunkelten hälftig hinter gesenkten Lidern ab, als der Angesprochene offenkundig Informationen hinsichtlich der Destination memorierte. "Beausage. Seiner Majestät in gebührender Nähe. Demnach seid Ihr ein Luminnier." Eine undeutbare Regung schwang unterschwellig in dieser Feststellung, hieß Sebastien sich betonter aufrichten, die Hände artig auf dem Schoß gefaltet. "So so... bringt die Erfrischungen!" Mahnend stampfte der Gehstock vehement auf den gefliesten Boden des Pavillons. Die Disturbation durch die umher eilenden Lakaien, in serviler Schweigsamkeit gehälftetes Obst und silbernes Geschirr aufwartend sowie schwer duftenden Wein in Kelchen mit quellklarem Wasser vermischend, hinderte die Konversation. Sebastien beobachtete den alten Mann eingehend, verheimlichte dieser ihm etwas? Verbot es sich, ihn um Patronage anzugehen, wenn nicht auszuschließen war, dass er den Luminnier ablehnend gegenüberstand? In der kurzen Zeitspanne seiner Reise hatte er begreifen müssen, dass nicht jedermann die Luminnier wohllitt, und es konnte kaum ratsam sein, sich einen Mann diesen Einflusses und Formats zum Feind zu machen. Zudem gebot die Höflichkeit, nun zu schweigen, bis der Älteste an der Tafel das Wort erneut ergriff. Doch Feodor Jehaune schien sich dieser Anstrengung nicht aussetzen zu wollen, balancierte trotz der verkrüppelten Hände seinen Kelch aus filigran bemaltem Kristallglas sicher in der Rechten, in den perlenden Inhalt versunken. Das eindringliche Geräusch beschlagener Stiefelsohlen auf den Steinplatten kündigte einen weiteren Besucher an. "Vater, Senher d'Aire, da Solador." Mit einem denkbar knappen Nicken platzierte sich Curzio unaufgefordert zur Rechten seines Vaters, formierte wenig subtil damit eine Front, während seine kalten Augen missbilligend über die Gäste glitten. "Ich hoffe doch sehr, dass ich die anregende Unterhaltung nicht gestört habe", versetzte er in beißendem Tonfall, von der schrillen Tonhöhe in unangenehme Regionen der Akustik befördert. "Oh, sorgt Euch nicht, Curzio, wir plaudern ein wenig, wie es Causeuren wohl ansteht." Jaimes informelle und gleichsam intolerable Replik versetzte stichelnde Hiebe, die einem funkensprühendem Duell zur Ehre gereichten. "Dann sollten wir Erinnerungen auffrischen, nicht wahr, mein Vater?!" Curzio beugte sich raubvogelartig vor. "In Vergangenem schwelgen, auf das Andenken meines verehrten Bruders Alonzo anstoßen?!" Jaime wich vor den Speichel sprühenden Worten der Verachtung und Aggression nicht eine Spanne, lächelte sonnig, die schwarzen Augen ein bodenloser Spiegel, der keine Angriffsfläche bot. "Ich habe Euren Bruder sehr geschätzt..." "Genug!" Schwer schlug der Gehstock auf die Fliesen, hinterließ das Echo seines Aufpralls belastende Stille. Die der alte Mann, unter schwerem Atem, schließlich terminierte. "Senher d'Aire, man gab mir zu verstehen, Ihr ersuchtet den Gouverneur Seiner Majestät um seine Fürsprache in einer delikaten Angelegenheit privater Natur?" Sebastien, der dem verklausulierten Austausch von Feindseligkeiten fassungslos und unbehaglich angesichts des Verstoßes gegen sämtliche Gebote des Anstands beigewohnt hatte, beeilte sich, sein Anliegen zu formulieren. "In der Tat, verehrter Senher Jehaune. Meine Anwesenheit in den südlichen Provinzen ist einem Edikt Seiner Majestät geschuldet, das mich hierher, La Cel de la Lona, beorderte. Unglücklicherweise wurde das Schriftstück unwiederbringlich beschädigt." Einen vielsagenden Blick in Jaimes vage Richtung abzusenden, konnte er sich nicht verkneifen. "Sodass ich wohl meine Familie um eine zweite Ausfertigung bemühen muss, da der Gouverneur sich nicht im Besitz einer Abschrift befindet." Feodor Jehaune gelichtete Augenbrauen wölbten sich, dann zeichnete ein nachsichtiges Lächeln seine verlebten Züge. "Nun, ich möchte doch behaupten, dass die Mainada Jehaune in diesem Fall von Assistenz sein kann, Senher d'Aire. Wenn es Euch kommodiert, so verfasst ein Schreiben an Eure verehrte Familie. Denn wie es ein glückliches Geschick will, beabsichtigen wir, einen Emissär in geschäftlichen Angelegenheiten in den Ubac zu entsenden." Sebastien schnellte freudig und in Vernachlässigung seiner Pose als weitgereister Edelmann von Stand aus dem kommentierenden Korbgeflecht hoch, sprudelte begeisterte Worte des Danks hervor. "Oh, verehrter Senher Jehaune, diese Offerte ist ein Geschenk des Himmels! Ich erbiete Euch meinen aufrichtigsten Dank! Wenn Ihr gestattet, so werde ich gleich einige Geleitworte an meinen Vater richten, damit diese unglückselige Angelegenheit in Kürze der Vergessenheit überantwortet werden kann!" Ob des vor Eifer sanft erröteten Gesichts schmunzelnd bekundete Feodor Jehaune seine Zustimmung, wies einen Lakaien sogleich an, die benötigten Utensilien zu beschaffen. Binnen Augenblicken fand sich ein mobiles Schreibpult kunstfertiger Schreinerarbeit vor dem Pavillon. Sorgsam geglättetes Pergament harrte in einer kostbaren Ledermappe, während die Tinte eilfertig gemischt und der Federkiel gespitzt wurde. Mit einer Verbeugung, die seine Freude und Erleichterung transportierte, empfahl sich Sebastien, um in flüssiger Schrift einen knappen Abriss seiner Situation und der notwendigen Maßnahmen zur Abhilfe zu formulieren. Jaime erbat sich Demission, um durch den artifiziellen Lustgarten in Sichtweite der Jehaune zu schlendern. Blumen und Gräser, Büsche und Ziersträucher zu observieren, ihren Duft zu konsumieren, seiner Wissbegierde erneut die Zügel schießen zu lassen. Der Mantanhol war sich wohl bewusst, trotz dieser Demonstration des ungebärdigen Wildfangs, dass Feodor Jehaune ihn aufmerksam studierte. Während Curzios Blick unmissverständlich Feindseligkeit kundtat und in kalkulierender Weise Sebastiens Gestalt umwarb. "Was haltet Ihr von einem Spiel, da Solador?" Curzio schraubte sich in bemühter Geschmeidigkeit aus seinem Fauteuil. Seine Finger schnippten die Dienstbereitschaft eines weiteren Lakaien herbei. Sogleich versah man die beiden Männern mit jeweils drei schweren Holzkugeln, in deren Innern sich ein stählerner Kern befand. Auf einem mit Sand ausgestreuten Weg inmitten der Sträucher wurde sodann eine kleine Glasmurmel platziert. Jaime löste sich von seinen naturkundlichen Studien, befreite sich von Gehrock und Weste, entblößte achtlos aufknöpfend seine Brust und die sonnengebräunten Unterarme, als er sich Bewegungsfreiheit in seinem Hemd verschaffte. Curzio hingegen verzichtete mit versteinerter Miene auf derlei Vorbereitungen, wog seine Kugeln in Ungeduld. Mit einer Verbeugung, ironischer Höflichkeit, trat Jaime von seinem Vorrecht des Beginns als Gast zurück, sodass der erste Wurf Curzio zustand. Sebastien, der dem zuvorkommend erhitzten Siegelwachs einen genügsamen Klecks entrungen hatte, verschloss mit nachdrücklichem Einprägen des Familienwappens mittels Ring seine Depesche. Schloss für Sekunden die Augen, ein hoffnungsvolles Gebet unsichtbar um diese Sendung webend, sie möge unbeschadet ihren Zielort erreichen und dort alle bei bester Gesundheit und wohlgemut antreffen. Dann übergab er sie, mit werbendem Blick auf Feodor Jehaune gerichtet, einem livrierten Laufburschen, der sie im Eilschritt beförderte. Und ebenso flink verschwanden Schreibpult und -utensilien, entfernte man sich wieder in Sichtweite, um die hohen Herren nicht zu inkommodieren. Da sich Jaime und Curzio einem stummen, aber unverhohlen verbissen geführten Kampf mittels Kugeln widmeten, oblag es Sebastien, Feodor Jehaune Gesellschaft zu leisten. Was er, nun von vielen Sorgen befreit, mit frohem Mut tat. "Verzeiht meine Ignoranz, verehrter Senher Jehaune, aber was für ein Spiel wird dort betrieben?", brachte er sich mangels Zungenfertigkeit in die Konversation ein. "Oh, Boleta wird es genannt... seht!" Der Gehstock wies bezeichnend auf die gerade sauber präparierte Piste. "Diese Glasmurmel ist das Ziel aller Würfe... wer seine Kugel ihr am Nächsten platziert, gewinnt das Spiel. Geworfen werden muss allerdings von einer beträchtlichen Entfernung aus. Die Kugeln rollen dann je nach Untergrund und Geschick noch einige Ellen..." Gespannt beugte sich der ältere Mann vor, die Augen zusammenkneifend, um die Sehschärfe zu verbessern. Artig folgte Sebastien seinem Beispiel, beobachtete, wie beide Männer mit Eleganz und Kraft aus einer gleitenden Bewegung, Einheit Unterarm und Handgelenk, die in der Sonne glänzenden Kugeln warfen. Im Verlauf weiterer Durchgänge erlernte Sebastien nicht nur, dass es zulässig war, die Kugel des Gegners mit einer eigenen aus aussichtsreicher Position zu schieben. Sondern auch, dass Jaime über beträchtliches Können verfügte, sein Gewinnanteil sich stetig mehrte, während Curzio seiner Verärgerung kaum Herr zu werden drohte. Mit einem Stirnrunzeln bedachte Sebastien diese Entwicklung. Die Regeln des Anstands erlegten dem Gast auf, sich in solcherlei Situationen maßvoll zu gebärden und dem Gastgeber den Sieg zu ermöglichen. Allein, Jaime schien diesem Prinzip nicht treu zu gehorchen. Sodass selbst ihm deutlich wurde, dass die Waagschalen dieses Duells sehr viel mehr Gewicht trugen als das der Kugeln. ~*~ Die Sonne sank bereits dem Horizont entgegen, als Feodor Jehaune seine Anstrengung nicht mehr zu verhehlen wusste, sich entschuldigte und von seinem Sohn in das Haus geleitet wurde. Diese Augenblicke des Entre-nous nutzend, vernachlässigte Jaime sein Interesse für die Bepflanzung des Lustgartens erneut, glitt in katzenhafter Geschmeidigkeit an Sebastiens Seite, mit frivolem Lächeln dessen alerte Wachsamkeit provozierend. "Nun, mi Amigar, ich bin überzeugt, dass man Euch das Gastrecht einräumen wird. So sagt mir, werdet Ihr Euren Aufenthalt hier nehmen?" Seine funkensprühenden, schwarzen Augen sprachen eine deutliche Sprache des Spotts, weideten sich zweifellos an Sebastiens Verunsicherung, die dieser enragiert hinter einer Maske der Kälte zu verbergen suchte. Wie sollte er sich entscheiden? Eine unerträgliche Situation. Jaimes Einflusssphäre zu entfliehen schien vor einigen Stunden noch eine höchst willkommene Perspektive, doch bei den Jehaune zu logieren... Curzio Jehaune ähnelte in seiner Kälte der des Vaters, und verwirrender Weise behagte ihm diese Übereinstimmung nicht. Wie aber in gebotener Höflichkeit die zu erwartende Offerte ausschlagen? Und Jaime den Triumph versagen, ihn weiterhin zu abaissieren, sich seiner für degoutante Scherze zu bedienen? "Ihr werdet ohne Einwände konstatieren müssen, dass sich die Mainada Jehaune den transmontanischen Gepflogenheiten ebenso verpflichtet sieht wie den hiesigen. Dies käme sicherlich Euren Gewohnheiten zurpass", brüskierte ihn Jaime in mokierender Beiläufigkeit erneut. Die silberne Spange aus sein Schopf entfernend, um die ebenholzfarbenen Locken freizuschütteln, im Tanz der gülden ausgeleuchteten Kreolen. »Wie ein Fahrender, ein Vagabund...«, kursierte dieser sinnliche Eindruck in Sebastiens Gedanken, verdrängte in seiner Schlichtheit alle übrigen. Es ließ sich diffizil an, die gewohnte Verachtung für derlei detestable Freimütigkeit zu reaktivieren, korrespondierte Jaime in dieser Aufmachungen mit dem kunstfertig blühenden Lustgarten auf das Vortrefflichste. Sebastien wandte sich dem steinernen Herrenhaus zu, studierte das granitene Grau mit dem weißen Verputz konzentriert. Mit diesem Bauerntölpel unter einem Dach verweilen, während die Depesche das Land durchmaß? Und die entsprechende Zeitspanne, wenn sie an ihren Absender zurückkehrte? Addierend die Dauer des Arrangements einer zweiten Ausfertigung?? »Nein. Schlechterdings untragbar.« ~*~ Noch bevor Curzio Jehaune in Sichtweite der beiden Männer geriet, kündigten ihn die knappen Schläge seiner Absätze auf dem gepflasterten Weg an, entsprachen der forciert aufrechten Haltung ihres Besitzers. Mit einem Nicken entschuldigte er sich formal seiner Abwesenheit, unternahm aber keinerlei Anstalten, Jaime und Sebastien das Platznehmen zu gestatten, brevierte sie in brüskierender Weise stehend. "Senher d'Aire, mein Vater wies mich an, Euch die Offerte einer Quartiernahme in unserem Haus zu übermitteln. Ich bin jedoch gewiss, dass Ihr in Anbetracht des Verbleibs Eurer Habseligkeiten unter dem Dach da Solador residieren werdet. Immerhin verfügt er doch über das Vorrecht, Euch zuerst das Gastrecht gewährt zu haben." Ein knapper, arktischer Blick streifte Jaime, während die blauen Augen sich in Sebastiens bohrten, der ob solch geballter Insolenzen der Sprache verlustig gegangen war. Nicht nur die wenig schmeichelhafte Wiedergabe der Order des Vaters beleidigte diesen und beschämte die Angesprochenen durch ihre dekuvrierende Wortwahl, nein, mehr noch, die der Höflichkeit geschuldete Einladung unterblieb. Wandelte sich in eine Verweigerung unter Hinweis auf die fadenscheinigsten Gründe, die einer verklausulierten Feindseligkeit beider Familien Ursache boten. "Ihr seid zu feinsinnig, mein Bester. Ich bitte Euch höflich, Übermittler der besten Wünsche an Euren Vater zu sein, Senher Jehaune. Wenn Ihr mich nun mit meinem Begleiter entschuldigt, wir werden die nachlassende Glut für die Retour nutzen..." Jaime verwirbelte seine Locken in einer aufreizend weiblichen Geste kokett, einen kunstvollen und in höchster Vollendung vollführten Kratzfuß anschließend. Sebastien, einer Entscheidung ledig, durch die versteckte Ablehnung seiner Person aber insultiert und gleichsam verletzt, folgte seinem Beispiel wortlos und schritt in der gleichen ausholenden Spanne Richtung Stallungen aus. "Ah, vortrefflich, wie aufmerksam, man sattelte schon..." Ohne Inanspruchnahme von Aufstiegshilfen schwang sich Jaime elegant auf Asards Rücken, liebkoste den tänzelnden Gefährten sanft. Von Gedanken durchmessen, die sich miteinander zu verschlungenen Hydren formten, verwarf Sebastien Beweise ähnlich artistischer Geschicklichkeit, wählte die anmutig gearbeitete Steighilfe und glitt in den vertrauten Sattel. Die Pferde dem Tor zuwendend stellte sich Curzio Jehaune in ihren Weg, fasste Asard hart am Zügel, seine kalten Augen auf Jaime gerichtet. "Ich rate Euch, d'Aire, achtet auf Euren Weg. Zu leicht ereignen sich hoch zu Ross die tragischsten Unglücke..." Seine unangenehm schrille Stimme verlor sich in knisternder Spannung, bevor er Asard einen Schlag auf die Seite versetzte. Jaime, der die Freveltat erahnte, beruhigte das verschreckte Tier mit Schenkeldruck und samtigen Kehllauten, bevor er Asard freien Lauf gab, diese ungastliche Stätte zu verlassen. In Gewohnheit nahm Garamer das Signal auf, folgte den Vorauseilenden artig. Sebastien verlegte sich auf die Bewahrung seines Gleichgewichts, von verstörenden Gedanken temporär verschont. ~*~ Sie hatten die Hälfte der Wegstrecke in fliegender Leichtigkeit zurückgelegt, als habe die Aussicht, der beengenden Stallungen und ihrer unsichtbaren Gezwungenheit zu entfliehen, den Pferden versteckte Reserven entlockt. Angesichts der noch immer hohen Temperaturen, die der aufgeheizte Boden abstrahlte, drängte Jaime jedoch zur Mäßigung, drosselte die Geschwindigkeit. Sebastien, über diese Atempause mehr als erfreut, verlor sich doch nun seine vordringlichste Sorge, durch nachlassende Aufmerksamkeit zu stürzen, wurde sich seiner unangenehmen, körperlichen Konstitution bewusst. Seine Haut, ganzkörperlich von einem dünnen Film erkaltenden Schweißes bedeckt, der Sonneneinstrahlung lediglich teilweise geschuldet, verband sich in desagreabler Weise mit der schweren Wolle des geliehenen Kostüms, beschwerte ihn zusehends. Und, als wiege nicht nur die feuchte Masse des Stoffs belastend genug, wirbelten auch Wortfetzen Kapriolen schlagend durch seinen ermatteten Verstand. Warum brach man mit den Sitten des Anstands in jenem Haus, wo zuvor noch ein Bote gestellt wurde, seine Depesche zu übermitteln? Und warum spielte dieser wenig angenehme Curzio Jehaune auf seine Reitkünste an? Oder war es weniger seinen Reitkünsten gewidmet als dem Reitunfall des Bruders? War Jaime in diesen Unglücksfall verstrickt? Wie sollte es nur weitergehen? ~*~ Sie erreichten bei Sonnenuntergang den Hof der da Solador, bereits ungeduldig erwartet von einigem Gesinde, das der Arbeiten ledig, jedoch keine Neigung verspürte, dem Schlaf nachzugeben, solange das Oberhaupt der Mainada nicht zurückgekehrt war. Vor dem Flachbau, der als Stallung diente, löste sich Gaspard geschmeidig aus den Schatten, streichelte Asards Nüstern, reglos erwartend, dass Jaime von dessen Rücken saltierte. Dieser sprang elastisch, nickte Gaspard zu, bevor er Garamers Zaumzeug fasste, diesem Asard zum Brunnen folgen hieß, an dessen Rund er Sebastien beim Abstieg behilflich war. In mitleiderregender Schwäche glitt ihm Sebastien förmlich entgegen, für Wimpernschläge Halt suchend an ihn lehnend, bevor er sich mannhaft straffte und Abstand suchte. "Mi Amigar, Ihr werdet Euch sicher erfrischen wollen, bevor wir ein Mahl zu uns nehmen. Bitte seid so frei, Euer Quartier aufzusuchen." Mit dem unter diesen Umständen verfügbaren Quäntchen Stolz schritt Sebastien knapp aus, einer zwinkernden Magd folgend, die sich ohne Aufforderung als Begleitung anbot. Zumindest behelligte ihn dieser ungeschlachte Bauerntölpel nicht mit seiner beständigen Anwesenheit, tröstete er sich erschöpft. Gaspard nahm Jaimes rechte Seite ein. "Schwierigkeiten?" Seine gespaltene Augenbraue zuckte gewittrig, seine muskulöse Gestalt in Ahnung von Gefahr bedrohlich angespannt. Jaimes Blick folgte dem verlöschenden Feuerball einige Herzschläge schweigend, dann fokussierten sich seine schwarzen Augen in einem gleichartigen Paar. Im kehligen Dialekt der Mantanha raunte er einige knappe Worte, bei seinem Gegenüber wortlose Zustimmung erreichend. ~*~ Sebastien streckte sich, einer intolerablen, gleichsam unvermeidlichen Schwäche frönend, rücklings auf dem breiten Bett aus, die Staub verklebten Augen in den Himmel gerichtet, der von floralen Zeichnungen geschmückt wurde. Nichts erwies sich dergestalt, wie er es angenommen hatte. Niemand erwartete in dieser vergessenen Gegend die Order Seiner Majestät. Seine Herkunft löste befremdliche Reaktionen aus. Der Gouverneur, dessen Patronage er erhofft hatte, zeigte sich als trunkener Popanz, und nun war er mangels Alternativen gezwungen, unter dem Dach eines bäuerlichen Trampels zu hausen. Kein Edelmann von Stand, sondern ein heimatloser Vagabund... Würden seine bescheidenen Mittel ihm eine andere Perspektive ermöglichen? Sebastiens träge Gedanken vermochten diesem Schimmer am imaginären Horizont nicht länger zu folgen. Seine Augen verloren senkend die Blütenkelche über ihm. ~*~ Jaime wechselte die Kleider, zu seiner Erleichterung endlich befreit von Halstuch, Jabot, Weste und Gehrock. Aufmerksam mit frisch geschöpftem und durch Kräuter aromatisiertem Wasser versehen reinigte er sich von Staub und Schweiß, pflügte durch die wirren Locken, verzichtete darauf, sie zu bändigen. Die abgelegten Kleider folgsam in einen Weidenkorb drapierend wählte er eine knöchellange Leinenhose, dazu ein bäuerlich geschnittenes Hemd, ließ die Schnürzüge ungenutzt. Bevor er auf die Veranda trat, in der Absicht, einen Blick in das benachbarte Gebäude zu werfen. Sich geschmeidig durch die träge in einer matten Brise schwebenden Vorhänge schiebend bot sich ihm ein erheiterndes Bild. Der Dreispitz ritt wagemutig auf einem Zierknauf der Chaiselongue, während der derzeitige Bewohner auf dem Himmelbett ruhte, die Vorhänge noch immer artig an die Bettfüße gezurrt, somit ungeschützt der Besichtigung preisgegeben. Jaime näherte sich barfuß und lautlos, beugte sich, den Schattenwurf der dienstbar entzündeten Kandelaber achtend, über Sebastien. Lauschte auf Atemzüge und Regungen. Streckte eine Hand aus, die karamellfarbenen Haare aus ihrem Gefängnis zu befreien, die Schleife achtlos auf den Laken deponierend. Da seinem Freimut keine Schranken gesetzt wurden, ließ er sich neben Sebastien nieder, löste behutsam das Halstuch, entknöpfte Weste und Hemd, teilte das Jabot, bis sich ihm mondbleiche Haut bot. "Mi caitiu Calinhaire", seufzte er mitfühlend angesichts des schimmernden Films Feuchtigkeit auf der makellosen, unberührten Haut, bevor er geschickt Stoff um Stoff von schlafesschweren Gliedern entfernte. Sodann schlossen sich Hosen, Kniestrümpfe und Galoschen an, blieb Sebastien in zerbrechlicher Nacktheit lediglich durch grobe Leibwäsche marginal bedeckt. Jaime lächelte in winzigem Kräuseln der geschwungenen Lippen. »Welch eine trübsinnige Entstellung eines so anmutigen Leibs«, eingedenk seiner eigenen Suspensorien. Er erhob sich achtsam, nicht durch eine unbedachte Bewegung den Schläfer aus seiner offenkundig notwendigen Ruhe zu reißen, als sich über die Veranda leisen Schritts die Magd ankündigte. Einen Finger auf den eigenen Mund legend bedeutete Jaime ihr Stillschweigen, bevor sie in Gemeinsamkeit den Waschtisch neben Sebastiens Lagerstatt transportierten. Diesen mit feuchtem Tuch abtupften und ihn behutsam unter ein dünnes Laken betteten. Jaime lächelte seiner verschwörerisch zwinkernden Gehilfin zu, streichelte mit dem Handrücken eine glühende Wange, als diese sich auf die Zehenspitzen schob, die Lippen zum Kuss geschürzt. Der Einladung folgend, dem Asempre geschuldet, gestattete er das Gesuch verehrend. ~*~ War es ein Luftzug oder das Gefühl, sich nicht allein in der eigenen Gesellschaft zu finden? Sebastien vermochte es nicht zu eruieren, jedoch, als er die bleischweren Lider anhob, unscharfen Blicks, erkannte er zwei Personen neben seiner Lagerstatt. Die wilde Mähne ebenholzfarbener Locken, das gleißend schimmernde Weiß der groben Leinenkostümierung konnte nur auf Jaime hindeuten. Die Frau, die er innig karessierte, ließ Sebastien blinzeln, bevor er eilends den Kopf abwandte. Die hellbraunen Zöpfe gehörten zweifellos nicht Jaimes Gemahlin Mabioline. Sebastien biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. Wie schamlos konnte ein Mensch sein? In Anwesenheit eines Dritten unbekümmert dem Ehebruch nachgehen?! ~*~ Der Morgen brach sommerlich früh an. Quälende Kopfschmerzen peinigten Sebastien nach Albtraum geprägter Nacht zum Verlassen seines Lagers. Lediglich in Leibwäsche bekleidet wurde ihm in entsetzlicher Deutlichkeit bewusst, wie indezent er ausgestattet war. Nicht einmal ein der Schicklichkeit gebotenes Nachtgewand verbarg seine Blöße! Zudem hatten die beiden Adulter ihn ausgezogen... nicht nur Jaime, sondern eine Frau... Er fühlte sich beschmutzt und erniedrigt. Da sich auf dem Hof jedoch bereits Stimmen vernehmen ließen, verzichtete er auf die Requisition frischen Wassers und begnügte sich mit dem in der Kanne verbliebenen, um die unsichtbaren Spuren der beiden detestablen Liierten von seinem Leib zu tilgen. Sollte er an seiner Aufgabe verzweifeln? Unter einem Dach, zum Schweigen verflucht, in Komplizenschaft genommen von diesem abominablen Unmenschen?! Es musste sich ein anderes Quartier finden, eine Möglichkeit, dieser Sphäre von heidnischer Frivolität zu entrinnen! ~*~ Jaime dirigierte ungebärdige Locken hinter seine Ohren, ein mundanes Unterfangen, narrten sie ihn doch Wimpernschläge später erneut. Seine schwarzen Augen, von langen Wimpern verschwenderisch beschattet, verließen allerdings die Tischplatte keinen Herzschlag. Ausgebreitet auf dieser ruhte eine grobe Skizze der Ländereien, die unter der Ägide der Mainada da Solador standen. Seine Aufmerksamkeit fokussierte sich jedoch auf die dunkelgrün unterlegten Bereiche. Gaspard, der den Platz in direkter Konfrontation gewählt hatte, wartete geduldig, bis Jaime aufsah, sich ihm widmete. "Welche Stelle schlagt Ihr vor, mi Amigar?" Jaime strich nachdenklich mit dem Zeigefinger über das willensstarke Kinn, die pointierten Augenbrauen zusammengezogen. "Beim Boscalhon." Gaspard wählte den heimatlichen Ausdruck, seine Fingerspitzen steckten das Gebiet ab. "Nicht zu groß, nahe des Wegs, kurzer Transport des Holzes." Nach knapper Bedenkzeit stimmte Jaime vorbehaltlos zu. "Gut, dann sollten wir gleich nach der Ernte beginnen. Ich will die Arbeiten selbst beaufsichtigen." Er erhob sich geschmeidig, als sein Blick auf Sebastien fiel, der sein Gemach über die Veranda verließ. In eigene gereinigte, dennoch bedauernswert unansehnlichen Kleider gehüllt, wirkte er wie ein Kalk bestäubtes Gespenst aus düsterstem Winter inmitten des sonnigen Tages. ~*~ "Verzeiht, mi Amigar, dass ich mich heute Morgen nicht Eurer Gesellschaft erfreuen kann, doch wenn Ihr die Freundlichkeit besäßet, meiner geliebten Frau beim Dejeunieren mit Eurer Gegenwart Abwechslung zu bescheren...?" Jaime streckte die Hand aus, nach Sebastiens Ellenbogen zu fassen, eine höfliche Geste des Geleits. Doch dieser wich brüsk zur Seite aus, die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln Verachtung sprühend. "Dann will ich Euch nicht über Gebühr beanspruchen", erteilte Sebastien in frostiger Kühle Demission. Wandte sich der angezeigten Richtung zu, das bereits bekannte Flachhaus anstrebend, das Küche, Speisekammer und Speisezimmer beherbergte. Jaimes Augenbrauen spitzten sich diabolisch zusammen, dann lächelte er über die eigene kurzzeitige Verärgerung. Wenn er den Unmut des von Bigotterie und Hochmut geprägten Jünglings erregt hatte, so konnte dies nur eine Auszeichnung bedeuten! ~*~ Sebastien betrat nach artigem Räuspern den Speiseraum, durch eine fröhlich singende Frauenstimme sanft aus seiner erstarrten Haltung erweckt. "Oh, Bonjorn, Senher d'Aire, wie überaus freundlich von Euch, mir Gesellschaft zu leisten! Ich bitte Euch, nehmt doch Platz und greift zu!" Mabioline wirbelte seidige Stoffrüschen auf, lediglich in ein luftiges Deshabillee gehüllt, das ihre zarte Figur auf das Vorteilhafteste umschmeichelte, jedoch einer gewissen Frivolität nicht entbehrte. Unter eilig niedergeschlagenem Blick wählte Sebastien den zweiten, zur Rechten der Gastgeberin gedeckten Platz aus, verbeugte sich ein weiteres Mal, bevor er wagte, sich niederzulassen. "Oh, ich bitte Euch, mi Amigar, erzählt mir ein wenig vom Gouverneur. Befindet er sich wohl?" Mabiolines Stimme schwebte wie die liebliche Melodie ihres vorangegangenen Gesangs anmutig in der Sphäre, losgelöst von der Last des Erwachens, das Sebastien verstimmt hatte. "Der Gouverneur zeigte sich... von unserem Erscheinen... überrascht." Sebastien suchte angestrengt nach der vorteilhaftesten Umschreibung der Szenerie. "Gleichwohl gab er bereitwillig Auskunft hinsichtlich meines Anliegens." Dass dies über die Person der Schankwirtin geschehen war, empfand Sebastien als eine nicht in Erwähnung zu bringende Ungelegenheit. "In der Tat! Vortrefflich!" Mabiolines winzige Handflächen klatschten entzückt. "Und wie werdet Ihr vorgehen?" Eifrig bedachte sie seinen Teller mit mundfertig geschnittenen Köstlichkeiten, als gelte es, ein kleines Kind zu versorgen. Errötend ob dieser liebenswerten Gedankenlosigkeit floh Sebastien in den raschen Verzehr einiger der aufgewarteten Delikatessen, überrascht über den Wohlgeschmack eines so frugalen Mahls. "Ich sehe, es mundet Euch, das freut mich!" Seine Gastgeberin strahlte, die perfekten Lippen geschürzt. "Mein Vater verfügt über mehrere Mühlen, die das herausragendste Olivenöl des Südens hervorbringen", erläuterte sie in ungefiltertem Stolz. Sebastien goutierte ihren Freimut mit einem entfliehenden Lächeln. Wie zauberhaft sich doch ihre Unbefangenheit ausnahm! Und wie detestabel das unerträgliche Adulterium ihres verabscheuungswürdigen Gatten! Während die Gedanken seine jugendlichen Züge einkerbten, dunkelten, plauderte Mabioline weiter, gelegentliche Bissen einstreuend, die ihrer Wissbegierde keine Pause aufnötigten. "Sagt, Senher, wie seid Ihr im Folgenden verfahren?" Ihre kleine Hand bestrich sanft den steifen Stoff von Sebastiens Ärmel in Höhe des Unterarms. Dieser entschloss sich, in Furcht, sie möge ihre berückende Persönlichkeit in charmantester Weise zu weiteren Aufmerksamkeiten in unvermeidlicher Nähe zum Einsatz bringen, die Ereignisse des gestrigen Tages zu rekapitulieren. Was von Mabioline mit anmutig auf die zarten Hände gestütztem Kinn aufmerksam verfolgt wurde. Ein erneuter Anlass, den Blick zu senken, um nicht verräterische Hitze in die Wangen steigen zu lassen. "So... Feodor lässt Eure Depesche über einen Emissär in den Ubac transportieren?" Sie knabberte an einem geviertelten Apfel, die aquamarinblauen Augen gedankenversunken auf die Tischplatte gerichtet. Dann hob sie den Kopf an, die Flut blauschwarz-kringeliger Locken, offenkundig kein Meisterwerk ondulierender Papilotten, glitt über das seidige Hauskleid. "Mi Amigar, gestattet Ihr mir eine Frage?" Sebastien, von diesem überaus reizvollen Anblick gefesselt, beeilte sich zu einem hastigen, beschlagenen "selbstverständlich, zu Euren Diensten!" Bevor er artig die Aquamarine suchte, um von diesen beschleunigt zu fliehen. "Bedachte Euch Curzio ebenfalls mit Abschiedsworten?" Der lieblichen Stimme mangelte es an leichtlebigem Zuckerwerk, unterstrich somit die Bedeutung ihres Anliegens. Nach einigen Augenblicken Zögerns entschloss sich Sebastien, die Aussage Curzios vor dem Tor zu memorieren, durch das Zitat von jeglichen Interpretationszwängen befreit. "Sieh an..." Mabioline referierte leise zu sich selbst, bevor sie sich gerade aufrichtete, mit ihren winzigen Fingern Sebastiens Hände ergriff. Die unvorsichtigerweise ihren Zufluchtsort auf dessen Schoß verlassen hatten, um der Verlegenheit mit einem Schnittchen beizukommen. "Mi Amigar, lasst mich Euch dieses von Curzio entworfene Bild ein wenig ausfüllen!" Sebastien konnte angesichts des ernsthaften Tons der festen Stimme nicht mehr dem bannenden Blick entfliehen, ergab sich den blauen Untiefen. "Alonzo, Curzios älterer Bruder, starb bei einem Wettreiten und da Jaime sein Gegner war, beschuldigte man diesen, für den Unfall verantwortlich zu sein." Mabiolines köstliche Lippen schürzten sich in Abscheu. "Doch das ist das nichtsnutzige Gerede böswilliger Menschen. Jaime würde niemals einen anderen Menschen absichtlich in Gefahr bringen. Niemals." Sebastien nickte unwillkürlich, von dem Befehlston kommandiert, noch bevor sein bewusster Wille einschreiten konnte. "Es ist mir nicht entgangen, mi Amigar, dass Ihr Euch in unserem Land mit Euch befremdenden Sitten befassen müsst, und diese Umstellung wiegt sicherlich schwer." Mabiolines Fingerspitzen drückten sich erstaunlich kräftig in Sebastiens Handflächen. "Doch erweist Euch den Gefallen, ohne bedrängende Scheuklappen zu urteilen. Dieses Gebiet trägt nicht ohne Grund den Namen 'Le Cel', das Paradies!" Sie zwinkerte aufmunternd. »Und ich habe bereits die Schlange dekuvriert... soll ich ihren Namen nennen, vor Gottes Angesicht?« ~*~ Nachdem Mabioline mit einem fröhlichen Kichern, in höchst reizender Weise die Hände vor den Mund schlagend, eine Entschuldigung zwitscherte, hinderte doch ihr Zugriff Sebastien am Abschluss seines Frühstücks, entschloss sich dieser, zumindest einen Vorstoß zu wagen. "Senhora da Solador, vergebt meine Unverschämtheit, Euch mit lästigen Ungelegenheiten zu inkommodieren..." "Aber nein, nicht doch, mi Amigar, sprecht frei heraus!" "Seid bedankt für Eure Freundlichkeit..." Sebastien atmete tief, seine Courage sammelnd. "Ich frage mich, ob es eine Möglichkeit der Unterkunft in der Nähe des Gouverneurs gibt. Bitte missversteht meine Frage nicht, ich bin überaus zu Dank verpflichtet für Eure Gastfreundschaft! Doch könnte sich die Ankunft der zweiten Ausfertigung verzögern..." "Oh, Ihr glaubt, Eure Anwesenheit würde uns überdrüssig?! Senher d'Aire, Ihr beliebt zu scherzen!" Mabioline lachte frei heraus. "Wir hatten niemals zuvor einen Gast aus dem Ubac, ich insistiere, dass Ihr so lange bleibt, bis das Edikt Euch erreicht. Im Übrigen", verschwörerisch beugte sie das Locken prangende Haupt über den Tisch, "lasst Euch sagen, dass eine angemessene Unterbringung wie eine Form der Neutralität in den südlichen Provinzen nicht existiert. Uns verbindet alle eine verschlungene Vergangenheit." Sich zurücklehnend tätschelte sie sanft Sebastiens Handrücken, während dieser auf seinem Stuhl einige Millimeter an Höhe verlor. In anderen Worten: es bestand keine Aussicht, dieses Haus zu verlassen. Er konnte einer Dame ein Ersuchen nicht abschlagen. Einen Blick in die Aquamarine wagend, dieser schwächenden Erkenntnis geschuldet, seufzte Sebastien stumm. Wie konnte ein Mensch so rückgratlos, so abscheulich sein, dieses wundervolle Geschöpf zu hintergehen?! Sicherlich wusste sie in ihrer Unschuld nicht um die verabscheuungswürdigen Untaten ihres unwürdigen Gatten. Doch durfte er dies ändern? Welche Wahl wollte er treffen, Komplizenschaft und somit stillschweigende Förderung dieser Unaussprechlichkeiten, oder die Zerstörung dieses unberührten Glaubens an das Paradies auf Erden? ~*~ Zu einer Entscheidungsfindung kam Sebastien jedoch nicht, da Mabioline unerwartet auf die Beine sprang, ihm eine Hand offerierte, die er in schüchterner Röte unter dem Zwang der Wohlerzogenheit behutsam ergriff. Um sich energisch in freudiger Geschwindigkeit aus dem Speiseraum beschleunigt zu sehen. Mabioline, mit wehenden Rockschößen des Deshabillees voran eilend, keineswegs entsprechend der Sittsamkeit darunter vornehm gekleidet, sondern vielmehr in bestechender Entblößung eines zerbrechlichen Dekolletees und schlanker Beine in porzellanfarbenem Teint, strebte seiner Unterbringung zu. "Mi Amigar, haltet mich bitte nicht für impertinent, doch Eurer Bekleidung mangelt es in erschreckendem Maße an der Geeignetheit für unsere Gefilde. Ich bezweifle keineswegs die Notwendigkeit in Eurer Heimat, doch wie spricht der Weise 'bist du in Rom, so sei wie die Römer'!" Ein perlendes Lachen schloss sich an. Sebastien schwante Ungemach. Und er sollte seiner Intuition Verlässlichkeit bescheinigen können. Die Dame des Hauses inspizierte den Kleiderschrank und wählte im fröhlichen Selbstgespräch geeignete Garderobe aus. Die Sebastiens spärliche Habseligkeiten ersetzen sollte, hatten doch diese samt und sonders unter dem unfreiwilligen Bad im Graben Schaden gelitten. "Präferiert Ihr, des Nachts sans gens zu schlafen, oder zieht Ihr Bekleidung vor?", riss ihn Mabioline aus den schamhaften Winkeln persönlicher Verzweiflung, um ihm in komatöse Erstarrung des Entsetzens zu versetzen. Wie konnte er eine solch delikate Angelegenheit erörtern in Gegenwart einer Frau, insbesondere einer Dame?! "Vielleicht zieht Ihr ein Nachtgewand vor? Ja?" Sie wertete das Flackern der geweiteten grünen Augen als Zustimmung ungeachtet der flammenden Röte auf den Wangen des Jünglings, stieg auf die Spitzen der zierlichen Schuhe, hauchte einen Kuss auf glühende Haut. "Ich werde Entsprechendes gestellen, mi Amigar. Nun erweist mir die Freude und wechselt die Kleider, damit wir in der Sonne flanieren können." Sebastien konnte nicht sagen, wie viele hastige Herzschläge verstrichen, bevor es ihm möglich war, sich bebend zu regen. Sein Leib prickelte furchterregend und lockend unter dem Eindruck dieser schlichten Geste der Zuneigung. Er hatte sie Zeit seines Lebens entbehren müssen. ~*~ Kapitel 4 - Mabioline Jaime, die ebenholzfarbenen Locken mittels eines Tuchs aus der Stirn gebunden, wischte sich mit dem Ärmel perlenden Schweiß, Beleg seiner Anstrengung unter der brennenden Sonne, von den markanten Zügen. Gaspard richtete sich auf, suchte mit zusammengekniffenen Augen, der Helligkeit geschuldet, seinen Blick. Mittels Handzeichen dirigierte Jaime die abzusteckende Einschlagstelle, an der ein Pflock in die nachgiebige Erde getrieben werden sollte. War erst einmal der Bereich des zu schaffenden Feldes abgesteckt, konnte man sich vorsichtig daran wagen, den sumpfigen Untiefen dieser trügerisch grün lockenden Fläche Einhalt zu gebieten. Die Hitze bot noch den Schutzschild, der ihre Arbeit sanktionierte. ~*~ Sebastien gestand sich ein, dass ihm nicht mehr als die vollständige Kapitulation blieb. Man hatte sich zweifelsohne bemüht, seinen versehrten Kleidern Geruch und Farbe des Grabens zu entreißen, der schwere Stoff hinderte jedoch jeden Erfolg. Vermutlich hatte er unbedachter Weise das ausgeprägte Geruchsempfinden der Gastgeberin beleidigt... welch eine Schmach! Mit einem gequälten Seufzen erging er sich vor den verstreuten Kleidungsstücken, die Mabioline zur Begutachtung in seinem Quartier ausgelegt hatte. Leichte, seidenweiche Stoffe im körpernahen Schnitt, in prächtigen Farben gehalten, die nach Sebastiens Auffassung sehr viel besser einem weiblichen Wesen geschmeichelt hätten... Wie sollte er etwas Geeignetes heraussuchen?! Kein tilgendes Schwarz, kein tugendhaftes Grau, kein jungfräuliches Weiß. Nicht einmal artiges Blau! Zögerlich, verstohlen gar, huschten wagemutig seine Fingerspitzen über die Ärmel, erkundeten den weichen, herrlichen Stoff. Wer war wohl der rechtmäßige Besitzer dieser kostspieligen Garderobe gewesen? Soweit Sebastien sich kühn genug wähnte, eine solche Einschätzung zu geben, so konnte es sich nicht um Leihgaben aus dem persönlichen Bereich Jaimes handeln. Dieser bevorzugte erdige, kraftvolle Farben, die seiner sonnengebräunten Haut passenden Kontrast boten. Zudem wirkte der Schnitt ein wenig graziler, als habe der Besitzer eine schlankere Silhouette... Genug! In eine ganzkörperlicher Spannung verfallend mahnte sich Sebastien, die Dame des Hauses nicht länger warten zu lassen. Er musste eine Entscheidung treffen!! Dennoch kostete es ihn Überwindung, einen lindgrünen Rock, passende Kniehosen, seidene Strümpfe und ein elfenbeinfarbenes Hemd zu wählen. Wo jedoch fand sich das Gilet? Ratlos und ein wenig irritiert inspizierte Sebastien die Fundstücke erneut. Konnte es sein, dass man ein Ensemble separiert hatte, es nicht dem dreiteiligen Muster der ihm bekannten Bekleidung entsprach? Mit einem profunden, wenn auch lautlosen Stoßseufzer diese unerwartete Komplikation eines heiklen Prozesses kommentierend, beabsichtigte der Jüngling, sich erneut den Widrigkeiten einer Auswahl zu unterwerfen, als man sich vernehmlich räusperte. Die Bonne, die ihm Jaime aufgenötigt hatte, die Türschwelle in ihrer matronenhaften Mächtigkeit okkupierte. "Die Senhora lässt fragen, wann sich der hochverehrte Gast zu einem aimablen Erkundungsgang über die Domäne einfinden wird", brummte sie tadelnd. Sebastiens derzeitigem Zustand der Bekleidung in den verachteten Opfern der Drainage mit einem missbilligenden Blick bedenkend. "Ich erbitte mir das Pardon der verehrten Senhora. Sofort werde ich ihr zur Verfügung stehen", stotterte Sebastien errötend. Unter dem eindringlichen schwarzen Augenpaar förmlich zusammenschrumpfend, da er eine derart ungenierte Musterung bisher nicht erlebt hatte. Ein weiterer Brummlaut, und der Bannstrahl entließ ihn aus dem Fokus, als die Bonne die Tür hinter sich schloss, ihre schweren Schritte sich entfernten. Den Mut der Verzweifelten für sich beanspruchend schlüpfte Sebastien eilig aus den vertrauten Kleidern in ihrem klaglosen Schwarz, um sich in der groben Leibwäsche auf die vorderste Kante des Chaiselongue zu setzen. Frivol und unanständig... Wie aber sollte er sich beklagen? Man hatte ihm wenig genug für die Reise zugestanden, was seine Garderobe betraf. Die kargen Mittel, die er sein Eigen nannte, konnten wohl kaum für derlei Eitelkeiten eingesetzt werden, da er nun auf die Gnade dieses abscheulichen Senher, des betrunkenen Repräsentanten Seiner Majestät und abschließend seines Vaters angewiesen war. Wie lange es dauerte, bis seine Antwort diese verlassene Gegend erreichte? Bevor sich Mutlosigkeit in seine Glieder schleichen konnte, erhob er sich, ignorierte mit zusammengepressten Lippen den weichen Seidenstoff in seiner geschmeidigen Kühle auf der erhitzten Haut und der groben Leibwäsche. Verzichtete auf das fehlende Gilet, knöpfte den Rock hoch, band die Hemdschleife akkurat wenn auch ohne die Finesse der Galane. »Kein Hut...« Nun denn, in die Schnallenschuhe gesprungen, die merkwürdig klobig und weit wirkten, wenn man diese sündigen Seidenstrümpfe trug... Er durfte nicht riskieren, sich die Dame des Hauses durch profane Nichtigkeiten zur Gegnerin zu machen! ~*~ Mit einem leisen Lächeln konsultierte Mabioline die winzige Uhr auf dem Sims, ihr ausgeprägtes Zeitempfinden bestätigend. Es musste dem jungen Mann ein schwerer Kampf sein, unter den farbenfrohen, leichten Kleidern zu wählen, von Zwängen und Ritualen eingeschnürt in das Korsett einer rigiden Gesellschaft. Mehr als verständlich, dass Jaime nicht gezögert hatte, diesen veritablen Calinhaire unter seine Fittiche zu nehmen, tanzte deliziöses Amüsement über ihre schönen Züge. "Madame... Senhora da Solador", korrigierte sich Sebastien geschwind, verbeugte sich in artiger Akkuratesse. "Ich bitte untertänigst meine Verspätung zu pardonieren." Mabioline wandte sich anmutig herum, hob den vanillefarbenen Seidenstoff ihres bestickten Überkleids ein wenig an, um in anmutigen Schritten auf Sebastien zuzuhalten. "Mi Amigar, wahrlich, diese Farben kleiden Euch formidabel!" Schon bestrichen die zarten Fingerspitzen, in seidene Handschuhe gehüllt, das Revers des hochgeknöpften Rocks. In unverhohlener Begeisterung erging sich die zierliche Gastgeberin in den Vorteilen der hellen Grüntöne, die des Jünglings klaren Augen schmeichelten. Was ein erneutes Mal dezente Röte in die fahlen Wangen zauberte. "Doch nun, Sebastien, wollen wir uns sputen, nicht wahr?" Ein spielerisches Zwinkern wirbelte mit vollen schwarzen Wimpern auf. "Ich möchte, dass Ihr Eure neue Heimat kennenlernt. Das Land meiner Mainada." So blieb dem solchermaßen in freundliche Fürsorge eingesponnenen Gast nicht mehr, als in formvollendeter Geste seinen Arm zum Geleit anzutragen, damit man in der sengenden Sonne promenieren konnte. ~*~ Staub trübte bereits die auf Hochglanz polierten Schnallenschuhe, die nach dem unfreiwilligen Bad in der Drainage nun die Hitze gar mangelhaft vertrugen. Das Leder faltete sich sorgenvoll, die Nähte ächzten, ein jeder Schritt wurde zur unwägbaren Qual, ob das Ensemble nicht plötzlich den Zusammenhalt fahren lassen würde. Sebastien hielt sich eisernen Willens aufrecht, den Blick tränend, der Sonneneinstrahlung geschuldet, spähte in die Ferne und mühte sich um jeden Preis, alle Aufmerksamkeit der Dame an seinem Arm zu widmen. Mabioline führte ihn mit gezierten Schritten, durch die Mode der ausgestellten Röcke an schnellerem Fortkommen gehindert, über das Gelände, das den Wohn- und Wirtschaftsbereich der Mainada da Solador ausmachte. Einen Spitzen versetzten Sonnenschirm über das mit hochgesteckter, blauschwarzer Lockenpracht graziös geneigte Haupt führend plauderte sie mit werbender Leichtigkeit. Über die Beschaffenheit des Bodens, die Kapazität der Speicher und das Engagement der Bewohner, sich ein dauerndes, wohlhabendes Auskommen zu schaffen. Die freie Linke bewegte mit legerer Muße einen Fächer aus Elfenbein, trocknete kondensierende Perlen der Transpiration auf entblößter Haut. Nachdem die Runde vollendet und Sebastien in eine beschämende Trance der Mattigkeit versunken war, die einem Fieber gleich jede Anstrengung, die über das Fortschreiten hinausging, verbat, zeigte sich Mabioline mit verstohlenem Lächeln konziliant. "Mi Amigar, ich habe wohl mit meinem Geplapper Eure Geduld über alles erträgliche Maß strapaziert. Daher lasst mich Euch eine Kutschpartie offerieren, mit einem Picknick?" Der Adressierte bemühte sich eilends zu versichern, dass er keineswegs gelangweilt, vielmehr dankbar und erfreut die ungeteilte Aufmerksamkeit der edlen Dame des Hauses beansprucht haben durfte...! Allein, die ausgedörrte Kehle versagte unschicklicher Weise jeden Dienst. In der Folge prangten rote Flecken der Scham und Wut auf den klammen, fahlen Wangen, während Sebastien in Verlegenheit die Fäuste ballte, noch bevor seine strikte Erziehung ihn darin hindern konnte. "Wie abscheulich von mir, Euch derart selbstherrlich zu plagen", erwiderte Mabioline kaum hörbar, ignorierte die baumelnde Schwere des zusammengefügten Fächers, um mitfühlend über eine Wange zu streicheln. Sie trat so nah an ihren Gast aus dem Ubac heran, dass die seidigen Säume ihrer Rockschichten die Schnallenschuhe des Jünglings streiften. "Sebastien, lasst mich meine Grausamkeit wieder gutmachen, mi Amigar. Bitte leistet mir auf einer Ausfahrt Gesellschaft und speist mit mir zu Mittag." Aufrichtiger Ernst dunkelte die Aquamarine, die zarten, strichfeinen Augenbrauen bezeugten die entschiedene Absicht ihrer Eigentümerin, die vermeintliche Freveltat zu sühnen. Da es ihm an der Artikulation gebrach, die Augen von quälendem Reiz in der trockenen Kehle brannten, blieb Sebastien blamabler Weise lediglich ein hastiges Nicken als Konfirmation dieser besorgten Offerte. Mehr noch aber als die Scham über sein unsägliches Betragen erfüllte ihn Verehrung für diese engelsgleiche Dame und Dankbarkeit, dass sie ihn großmütig mit ihrer Aufmerksamkeit bedachte. ~*~ Die leichte Gig überspannte ein dichtes Leinengewebe, die Sonneneinstrahlung zu reduzieren, um ihren Passagieren ein agreables Fortkommen zu bieten. Zu Sebastiens Erstaunen lenkte Mabioline selbst das Gespann, mit Geschick und veritabler Geschwindigkeit. Gleichzeitig plauderte sie munter, beschrieb die Vorzüge der Landschaft, die sich ihnen als Panorama darbot. Eine derartige Situation hatte sich dem Jüngling aus dem Norden niemals eröffnet: an der Seite einer anbetungswürdigen Dame müßig die Hände im Schoß zu falten. Während diese in ein durchscheinendes Ensemble gehüllt eine Leistung versah, die jenseits der Mantanha undenkbar war! "Sagt, mi Amigar, ist Euch auch wohl? Ihr schweigt so versonnen, dass mich mein Gewissen plagt", neckte Mabioline, zwinkerte mit endlosen Wimpern über den zauberhaften Aquamarinen. Erneut zeichnete Röte die fahlen Wangen des Jünglings aus dem Ubac, desperat nach einer Replik suchend. "Bitte verzeiht, Madame, ich hatte nicht die Absicht...", entfuhr es seinen trockenen Lippen unbedacht. Mabioline schürzte in nachsichtigem Tadel die reizvollen Lippen. "Sebastien, ich muss Euch mahnen. Wollt Ihr nicht mir zuliebe den Förmlichkeiten entsagen?" Der solcherart Gemaßregelte senkte beschämt das glühende Haupt, neigte sich referierend und nahm in Verehrung diese Offerte an. "Seid bedankt für Eure großherzige Freundlichkeit... Mabioline." Wie zärtlich die köstlichen Silben von seiner spröden Zunge, den jungfräulichen Lippen perlten! Ihren Namen wie Ambrosia, einer Segnung gleich, im Munde führen zu dürfen! Das modeste Strahlen auf dem jugendlich-erhitzten Gesicht ihres Begleiters ließ schwesterliche Zärtlichkeit in Mabioline aufkeimen. "Un meri Calinhaire", wiederholte sie den Ausruf ihres Gemahls sanft. Ein mutwilliges Funkeln stahl sich in die Aquamarine. ~*~ Jaime richtete sich auf, ließ die hitzige Brise das perlende Netz von Transpiration trocknen, den schweren Stoff seines gewebten Hemds umspielen. Der zeitige Beginn lohnte die Anstrengung: ein ganzes Feld wies Markierungen auf. Wenn die Mittagssonne ihre feurige Pracht gegen die sanftere Wärme des Nachmittags eintauschte, würden sie mit Schaufel und Schubkarren die abgesteckten Läufe der Drainagen ausheben. Gaspard trat neben ihn, reichte eine bauchige Glasflasche mit Traubensaft. "Eine Menge Steine zu räumen", tat er seine Einschätzung kund, die Augen in der blendenden Helligkeit zu bloßen Schlitzen verengt. "Ein gutes Zeichen." Jaime bleckte die weißen Zähne herausfordernd, erntete ein ebensolches Echo bei seinem Vertrauten. Fanden sich Steine, so ließ dieser Umstand vermuten, dass das sich darunter befindende Gelände keinen tückischen Sumpf beherbergte. Von denen noch eine große Zahl ihrer harrte. Jaime bemerkte zeitgleich mit Gaspard die Unruhe, die Asard erfasste, der ungebunden in ihrer Nähe Bewegung suchte. Das Mahlen der Kutschenräder auf den sandigen Boden der Straße akkompangiert von einem klaren Sopran, der ein Volkslied intonierte, ließ die merkliche Spannung aus den Leibern der beiden Männer weichen. "Mabioline, welch unerwartet köstliche Überraschung! Ihr seht mich verzückt ob Eurer Gegenwart!", markierte Jaime den distinguierten Galan, neigte mit artigem Kratzfuß das Haupt. Wimpernschläge später jedoch korrigierte er den vortrefflichen Eindruck eines wohlwollenden Beobachters. Indem er sans gene seine Ehefrau an den schmalen Hüften fasste, aus der Gig hob und wie ein Kind in wildem Wirbel um die eigene Achse schleuderte. Allein die Vorstellung verursachte Sebastien Übelkeit, der gänzlich unbemerkt der Kutsche entstieg, die steifen Glieder behutsam streckte. Es stockte ihm der Atem angesichts der offenen Intimität, die seine Gastgeber austauschten, sich neckend die Lippen siegelten. Undenkbar, dass ein Luminnier in entsprechender Weise vor Fremden auf freiem Gelände die Ehefrau karessierte! Addierend die staubige, Schmutz starrende Bekleidung, die Jaime wie einen Landfahrer wirken ließ! Gaspard nahm sich unterdessen der Gig an, spannte das Zugpferd aus und überantwortete es der Gesellschaft von Asard. "Habt Ihr die Fahrt genossen?", erkundigte er sich in kehligen Bass mit betonter Silbe bei Sebastien. Dieser beeilte sich, Abscheu aus den eigenen Zügen zu bannen, nickte steif. "Seid bedankt für Eure Fürsorge. In der Tat, der Besitz ist sehr beeindruckend." Der scharfe, finstere Blick des Majordomus brüskierte den Jüngeren. Stand doch unmissverständlich in den schwarzen Augen, dass ihr Besitzer nicht den mindesten Zweifel daran hegte, dass es Sebastien unmöglich war, den Wert und die Bedeutung der Ländereien auch nur annähernd abzuschätzen. Knapp wandte sich der Ältere ab, hob in müheloser Leichtigkeit den schweren Weidenkorb aus der Gig, hielt mit agilem Schritt auf einen schattenspendenden Baum zu. "Oh, Gaspard, lasst mich Euch assistieren!" Schon wechselte Mabioline den Galan, eilte mit grazilen Schritten den bulligen Mann hinterher, der höflich innehielt, bis sie seinen Arm nehmen konnte. "Nun, was sagt Ihr, Sebastien? Findet Ihr Geschmack an Eurer neuen Heimat?" Jaime legte in vertraulicher Unbefangenheit eine Hand auf die Schulter des Jüngeren, der mit abrupter Heftigkeit ausbrach. "Verzeiht", bemerkte Sebastien eisig, "doch ich bin derlei Intimitäten nicht gewohnt." Ohne die schroffe Zurückweisung mit gebührendem Tadel zu vergelten, lächelte Jaime provozierend in das gerötete Gesicht. Nur wenige Augenblicke genügten bereits, um Sebastiens steife Reserve zu schmelzen, von der glühenden Sonneneinstrahlung, die keine Kutschenbespannung linderte, supportiert. Jaime goutierte vergnügt, welche Qual es dem Jüngeren bereitete, nicht einem Kind gleich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu wechseln, in den Schatten zu entfliehen. "Erlaubt mir, Euch voranzugehen, mi Amigar", wisperte der ebenholzlockige Mann amüsiert, schritt dann in derben Galoschen aus, die die ledernen Stiefel hüteten. Sebastien folgte in gesetztem Tempo, studierte dabei misstrauisch die saugende Unebenheit der Grasfläche. Auf den Ländereien der d'Aire gab es kein Sumpfgelände, sodass ihn die Beschaffenheit der Erde mit Neugierde aber auch Vorsicht erfüllte. Mabioline und Gaspard hatten bereits das vielgestaltige Innenleben des Weidenkorbes an das gleißende Tageslicht des Mittags befördert und auf einer großen Decke ein Picknick angerichtet. Mit der perfiden Höflichkeit, die in Sebastiens Augen jede der vorgeblichen Galanterien kennzeichnete, saß er selbstverständlich zur rechten Hand des Hausherren, durfte in ehrenvoller Nähe Mabioline aufwarten, die zu seiner Rechten lagerte. Ungelenk zog der Jüngling die Knie an, bemühte sich, das Rückgrat hoheitsvoll in strenger Linie zu strecken, eine mehr als aufrechte Haltung zu bewahren. Seine Speisegenossen hingegen kümmerte ihr Erscheinungsbild wenig. Da wurden die blanken Arme der Herren ungeachtet der Gegenwart einer Dame nicht bedeckt, die Haare flogen frei, man hantierte mit scharfer Klinge, wie es beliebte. Sebastien widerstand jeder unausgesprochenen Aufforderung der Ungezwungenheit, kontrastierte die ungeheuerliche Abkehr von guten Sitten. Zu seiner Verärgerung schenkte man seinem Auftreten keine Beachtung, konzentrierte sich auf das rurale Mahl, zerteilte gebratenes Hähnchen, zog mit den Zähnen und Soßen verzierten Lippen an der glänzend-marinierten Haut. Solch eine Zurschaustellung von Genuss frevelte den Geboten des Höchsten! Von selbstgerechter Übelkeit erfüllt verweigerte sich Sebastien der Teilhabe, nagte an einem Kanten Brot und wählte wenige Schlucke gezuckerten Wassers. ~*~ Jaime studierte augenfällig seine Karten, doch seine Aufmerksamkeit galt dem Gegenüber. Ein leichenfahles, von Überhitzung bedrohtes Gesicht, die trotzigen Augen rot-stichig, die betont steife Körperhaltung angestrengt. Zärtlich löste er eine Hand, liebkoste die rosige Wange seiner geliebten Gemahlin, deren Haupt schlummernd auf seinen gekreuzten Beinen ruhte. Ein Lächeln widmete er Gaspard, der unmerklich nickte. "Mi Amigar", wandte der Senher da Solador sich seinem Gast aus der Transmontana zu, "gewährt mir freundlicherweise Pardon und entlasst mich aus dem Spiel. Die Pflichten zwingen mich, dem Vergnügen Eurer Gesellschaft entsagen zu müssen." Sebastiens Miene änderte sich kaum, fiebrige Blässe ließ keinen Aufschluss, ob er die vermeintliche Bitte als mokanten Spott begriffen hatte. "Natürlich", antwortete er mit geschwollener Kehle, reichte die zusammengeschobenen Karten ihrem Besitzer zu. Ohne eine Abstimmung fasste Gaspard behutsam unter Mabiolines traumbewehrten Oberkörper, lud sie mühelos in seine Arme, damit sich Jaime erheben konnte und eine Hand als ritterliche Geste der Assistenz ausstreckte. Ihr Adressat schlug die Hilfestellung jedoch brüsk aus, rang sich selbst mit gepressten Lippen ob der Anstrengung auf die Beine. Wie konnte dieser abscheuliche Grobian ein Solches wagen?! Seine eigene Frau in die Arme eines Knechts geben?! Mehr als überdeutlichen Abstand haltend schritt Sebastien neben Jaime aus, der sorglos mit warmer, dunkler Stimme das Vorhaben der Dehydrierung des feuchten Geländes beschrieb. Die Zeit drängte, denn wollte man dem hohen Spiegel des Grundwassers ein neues Bett aufzwingen, so musste dies unbedingt in den glühenden Sommertagen bis zum Herbst erledigt sein. Sonst fraßen Fieber, Fliegen und frühzeitig gefrorene Scholle jede Anstrengung ohne Lohn auf. Der Jüngling aus dem Norden lauschte den Ausführungen mit distanzierter Höflichkeit, doch keinen Iota darüber hinaus. Wie konnte dieser degoutante, affröse Kerl derart auftreten?! "Seht, mi Amigar, welche Strecke wir bereits bemessen haben! Wenn es gelingt, so wird im Frühjahr auch hier der Flugschar seine Bahnen ziehen und bald Ernte einzubringen sein!", begeisterte sich Jaime unverhohlen über sein Unternehmen. Aus den Augenwinkeln der schwarzen Augen registrierte er die mühsam unterdrückte Abscheu, die ihm galt. Seine Handlungen, sein gesamtes Gebaren kategorisch und ohne Mitgefühl verurteilte. Sie erreichten einen Hain von Bäumen, der eine gezogene Grenze zu einem weiteren Feld bildete. Sichtlich erleichtert, der direkten Sonneneinstrahlung entflohen zu sein, atmete Sebastien durch, verlangsamte unmerklich die Schrittfrequenz. Mutwillig passte sich Jaime dem Wechsel an, nutzte Sebastiens Abneigung gegen körperliche Nähe weidlich aus, diesen gegen die knorrige Borke eines Baums zu dirigieren. Bevor sich der Jüngling erwehren konnte, unterhielt der lindgrüne Rock engen Kontakt mit dem unnachgiebigen, wettergegerbten Baum, während zupackende Hände Sebastiens Handgelenke fesselten. "Was erlaubt Ihr Euch...?!", setzte er in unverbrämtem Abscheu an, seiner Empörung über diesen ungeheuerlichen Affront Luft zu verschaffen. Jaime jedoch hielt sich mit derlei Banalitäten nicht auf, legte die Lippen auf die in Widerwillen verzogenen des Jüngeren, schmiegte sich in muskulöser Gelenkigkeit an die sich entziehende Gestalt. Ein Air von Mitgefühl durchwehte seinen stürmischen Kuss, konnte er doch feststellen, dass Sebastien sich nicht instinktiv zur Wehr zu setzen wusste, sondern stocksteif in seinem Entsetzen über die Freiheit seines Peinigers verharrte. So ließ der Senher da Solador seinen wohlgeschätzten Gast aus der liebevollen Umklammerung, lächelte ungetrübt in die blitzenden Augen, deren braune Sprenkel auf grünem Grund funkelten. Seinem Gegenüber gebrach es an Worten, die Abscheulichkeit, die man ihn zu dulden gezwungen hatte, zu verbalisieren. In der Tat kreisten in Sebastiens Kopf sich überschlagende Parolen umeinander, die es ihm schlechterdings unmöglich machten, einen klaren Gedanken zu fassen. Wehrte er einem aufrechten und stolzen Luminnier und anständigen Menschen gleich diese unsäglichen Avancen ab, wie sollte er fortschreiten? Im Duell sein Leben verlieren? Sich an den Gouverneur wenden, der mehr als eindeutig einen Popanz gab, in der Gnade der Oligarchie des Gebiets stand? Satisfaktion fordern oder durch Schweigen weiteren Übergriffen Vorschub leisten? Seiner Entscheidung zuvorkommend schlangen sich erneut kraftvolle Arme wie eiserne Bande um seinen Brustkorb. Hielten ihn gefangen, um es kühnen Lippen zu ermöglichen, sich an seinem beperlten Nacken, den fiebrig erhitzten Wangen gütlich zu tun. Wie sehr er sich auch anstrengte, durch ruckartiges Widerstreben zu entfliehen! Bald fehlte ihm der Atem. Der unnachgiebige Griff presste die Luft aus seinem Leib, heiß-kalte Schauer der körperlichen Überlastung bebten durch seine Gestalt. Zu schreien, um Hilfe zu erbitten, diesen Gedanken verwarf er, denn noch unerträglicher als diese Malträtion schien ihm der Gedanke, ein Dritter möge Zeuge dieser Erniedrigung werden. Wie sollte auch Beistand erfolgen? Der Knecht seines Peinigers würde wohl kaum mit Anstand und Sitte einschreiten, die holde Dame dagegen in eine unverantwortliche Lage manövriert. Ein weiteres Mal bedeckten die dekadenten Lippen seine von Unausprechlichem besudelten, dann jagte ein Blitz schieren Unglaubens durch Sebastiens Leib. Ein tastender, feuchter Botschafter drängte sich unaufgefordert durch die Reihen seiner Zähne, versündigte sich in abstoßender Weise gegen die Grundgebote des Anstands. Invahierte in seinen Mund! ~*~ Jaimes Lustgewinn aus diesem lockenden Schäferspiel verlor sich in dem Maße, in dem er verzweifelte und schließlich resignierte Abwehr erfuhr. Als er den begehrenswerten Jüngling aus seinen Armen entließ, starrte ihm eine Maske des bloßen Entsetzens entgegen. Die gewohnte Kühnheit, mit dem arroganten Trotz der Luminnier gepaart, die den Älteren stets reizte, seine Grenzen zu erproben, hatte sich verabsentiert. Es gebrach ihm an Worten, mit einer leichtlebigen Bemerkung Herr der Situation zu werden, ein frivoles Spiel des müßigen Amüsements zu deklarieren. "Kommt", wies er seine Niederlage annehmend den Weg, "begleitet Mabioline nach Hause, Sebastien." Dieser wich von ihm wie von einer Erscheinung des Teufels, erfüllt von Abscheu und Ekel. "Wagt nicht, mich anzurühren, Ihr schändlicher Unmensch", wisperte der Jüngling aus dem Ubac mit rauer Stimme sein vernichtendes Verdikt. Und suchte sich allein den Weg zurück. ~*~ Mabioline wartete in geduldiger Ruhe auf die Rückkehr der beiden Männer, die ihr Herz erfüllten. Die Sonne ruhte bereits hinter dem Horizont, Zikadengesang erfüllte die Luft, Laternen zogen Schwärme von Insekten an, die verzückt um das Licht tanzten. "Senhora, Ihr solltet Euch besser ins Haus zurückziehen", wies eine der Frauen auf die einsetzende Kühle der Nacht hin, ein deutlicher Indikator für das Fortschreiten der Jahreszeiten. "Ein wenig will ich noch warten", entgegnete Mabioline mit neckendem Augenaufschlag, "meinem Senher beliebt es, mich zu prüfen." "Wenn er die Ausdauer auch außerhalb des Sattels nicht verliert", lautete die frivole Replik, die beiden Frauen ein munteres Gelächter entlockte. Bald schon vernahm man Hufschlag. In gemächlichem Trott näherten sich beide Männer dem Sitz der da Solador. Man eilte, die Pferde zu versorgen, damit Jaime seiner geliebten Gemahlin die Aufwartung machen konnte, was dieser, von Staub und Schmutz bedeckt, mit erstaunlicher Reserve tat. "Sagt mir", ein zierlicher, schlanker Finger hob das willensstarke Kinn, studierte die markanten Züge nachsichtig, "habt Ihr unseren Gast aus dem Ubac derart abweisend gestimmt? Er sprach kein Wort mehr, als die Höflichkeit gebot, und ließ sich selbst zum Diner entschuldigen." Jaimes Mundwinkel zuckten anerkennend ob dieser Einschätzung seiner Frau. "Verzeiht, Liebste, wenn ich Euch Eurer Unterhaltung beraubte", versetzte er galant, führte die neckende Hand an seine Lippen. "Mich überkam das Verlangen, und ich überantwortete mich dem Rausch", offenbarte er mit jungenhafter Unbekümmertheit. Mabioline lächelte in die schwarzen Augen hinauf. "Jaime, bedrängt ihn nicht zu arg", tat sie ihren Ratschlag kund, "das Leben jenseits seiner Familie ist ihm fremd. Mich dauert seine Einsamkeit." Ohne Rücksichtnahme auf den seidigen Stoff umfasste Jaime Mabiolines schlanke Hüften, zog sie eng an seinen Leib. "Gewährt Ihr mir diese Gunst?", wisperte er ernsthaft und aufrichtig bittend, "gestattet Ihr mir..." "Jaime", unterbrach ihn die zierliche Frau mit nachsichtigem Tadel, "wie könnt Ihr an mir zweifeln? Euch glücklich zu wissen, mein Liebster, ist auch mein höchster Wunsch." Als der junge Mann seine Lippen mit profund erleichtertem Seufzer auf den glänzenden Scheitel der Locken presste, wurde er eines weiteren Vergehens verurteilt. "Und, mein Herz, ich wäre Euch verbunden, würdet Ihr ein Bad in Erwägung ziehen." Mit einem herausfordernden Lachen goutierte Jaime die feinsinnige Kühnheit seiner Frau, wirbelte sie um sich herum, bis ihr Lachen den gesamten Hof erfüllte. ~*~ »Was tun?« Dieser bänglich-hoffnungslose Gedanke irrlichterte durch Sebastiens fiebrigen Verstand, einem Wiedergänger gleich, schauerlich anzusehen und nicht zu entrinnen. Die blanke Angst, gewürzt mit gerechter Empörung, hatte ihm eingegeben, sämtliche Zugänge seines Gemachs zu barrikadieren, die Vorhänge aufzufächern, um jede Einsichtnahme zu verweigern. Nunmehr, auf die Bohle gekauert, haderte der Jüngling aus dem Ubac mit seinem Schicksal. Einem Ehrenmann wäre ohne Zögern die einzige Antwort präsentabel gewesen: die abominable Kanaille für die unverzeihliche Beleidigung zu töten. Beschämender Weise hinderte Kleinmut Sebastien, diesem ehrenhaften Verdikt die Tat folgen zu lassen, denn... er wusste sich unterlegen. Indes, einem Mann von edler Gesinnung stand in desperater Situation nurmehr sein Gefühl von Sitte und Anstand zu Gebote. Und dies haderte nicht mit den unausweichlichen Konsequenzen, sondern schritt hocherhobenen Hauptes geradewegs voran auf seinem Pfad. »Allerdings«, meldete sich eine rettende Stimme, »es gilt, auch andere Erwägungen zu Rate zu ziehen!« In der Tat, denn ungeachtet blamabler Selbstsucht und beschämender Feigheit beschrieb sein Beschluss, -so er diesen endlich traf!-, weite Kreise. Fand er den Tod in einem Duell, mochte man wohl einen anderen Sohn in diese abscheuliche Gegend zu exilieren! Einen seiner beiden älteren Brüder, die doch nach ihres Vaters Willen in England ihre Meriten verdienen sollten. Konnte er hagestolz das eigene Wohlergehen über das der Familie stellen, in dieser heiklen Situation, da der König mit den Luminnier in Widerstreit lag? Dennoch...wie verfahren? Unterschlupf bei dem widerwärtigen, inkapablen Vertreter Seiner Majestät suchen? Undenkbar. Die Jehaune um das Gastrecht bemühen, da man ihn förmlich abgewiesen hatte? Indiskutabel. Gegen bare Münze in Sant Argo logieren, diesem lächerlich unmanierlichen Flecken? Sebastien seufzte. Allein die Unkosten, seine Garderobe zu ersetzen, um der Schicklichkeit wieder Genüge zu tun, hielt seine magere Barschaft in auszehrendem Würgegriff. Wie sollte er weiteren Unterhalt bestreiten? Er hatte, wie es einem Luminnier anstand, selbstredend eine umfassende Erziehung genossen. Doch schien es ihm wenig wahrscheinlich, eine entgeltliche Beschäftigung in diesem hoffnungslos despektierlichen Landstrich zu finden, die seiner Bildung entsprach. Um seiner quälenden Unentschlossenheit, -wahrhaft affrös!-, ein wenig Bewegung zu verschaffen, erhob er sich und studierte einmal mehr die unerfreuliche Beschaffenheit seiner wenigen Besitztümer. Das Dokument, nicht mehr als eine trübselige, verwaschene Fahne mit Ahnungen von Schriftzeichen. Nicht mehr zu dechiffrieren. Der Dreispitz, zu oft aufgedunsen von Feuchtigkeit, dann eingeschrumpft unter sengender Hitze, die sittsame Schwärze zu einem modrig-blassen Mischton verkommen. Der Gehrock, das Gilet, die Beinkleider, gelinde gesprochen eine Katastrophe. Von dem anhaftenden Odeur ganz zu schweigen. Die Schnallenschuhe ohne Glanz, zerknittert und fleckig. Die Pelerine, ein Opfer des Feuers, sobald er sich unbeobachtet fand. Die wenige Leibwäsche, das zweite Hemd und ein weiterer Jabot: man konnte keinen Staat mit ihnen machen, da er sie nun stets am Leibe tragen müsste. Es mangelte schlicht an Ersatz. Ebenso hatte das Federmäppchen gelitten, ein Schreibutensil, das keine Taufbäder verzieh. Der kleine Beutel persönlicher Hygiene bot ebenfalls traurige Beweise seiner Beschädigung. Die feine Seife roch unerfreulich, die Werkzeuge der Maniküre, das Rasiermesser selbst zeigten hässliche Flecken, als habe sie der Aussatz befallen. Allein das kleine Messer, das Sebastien bei den Mahlzeiten zu Diensten war, glänzte ungetrübt und blank, mit verheißungsvoller Schärfe. Mutlos sank der Jüngling auf den harten Boden, presste die Lippen aufeinander, bis ihn die Kiefer schmerzten. Gewiss gab es eine bedeutende Aufgabe, die ihn in diesen unzivilisierten Ort verschlagen hatte! Wenn er nur ausharrte, die Zeit verstreichen ließ, bis endlich die Nachrichten aus der Hauptstadt eintrafen! Dann würde sich sein Schicksal wenden. Es musste! ~*~ Der Senher da Solador lehnte in einem einfach gezimmerten Stuhl auf der Veranda, die Augen in die Ferne gerichtet, ohne einen Zielpunkt. Die Sterne prangten bereits geraume Zeit am Himmel, doch in der Sommerglut gewährten auch die Nächte keine Erleichterung. "Könnt Ihr keinen Schlaf finden, Liebster?", adressierte ihn mit nachsichtiger Zärtlichkeit seine Dame, legte eine zarte kleine Hand auf seine kräftige Schulter. Jaime wandte den Kopf, akzeptierte den unmerklichen Druck, der ihm gebot, entgegen der Sitte seinen Platz zu behalten. Seine junge Gemahlin trat an seine Seite, folgte der Blickrichtung, in wenig mehr als ein luftig-leichtes Nachtgewand gehüllt, darüber ein fein gestricktes Tuch, das ihre bloßen Arme bedeckte. "Und Ihr, Mabioline?" Aufmerksam versah Jaime eine kleine Hand mit neckenden Küssen. "Wollt Ihr Euch dem galanten Morpheus verweigern?" Mabioline lächelte, kehrte ihrem Ehemann die Front zu, um tadelnd seine ungebändigten, ebenholzfarbenen Locken zu raufen. Dann nahm ihr Gesicht einen ernsthaften Ausdruck an. "Bitte begleitet mich einige Schritte, mein Senher." Schon nahm sie eine der großen Windlaternen, die auf der Veranda Licht spendeten. Geschmeidig löste sich Jaime aus seinem Stuhl, bot seiner zierlichen Ehefrau den Arm und bemächtigte sich selbst der Laterne, die kreisrunde Flecken Helligkeit in die Nacht zeichnete. Sie flanierten schweigend, näherten sich dem Brunnenrund, wo Mabioline innehielt und sich von ihrem Gatten löste. "Ich habe Euch eine Mitteilung zu machen." Die Aquamarine funkelten in der Dunkelheit wie das mitternächtliche Meer, undurchsichtig und mysteriös. Eine ebenholzschwarze Augenbraue spitzte in die Höhe, ihr Eigentümer aber enthielt sich jedes mokierenden Kommentars. "Dann, bitte, Liebste, sprich frei heraus", wählte er einen vertraulichen, intimen Ton, streichelte über eine zarte Wange. "Jaime, ich bin gesegneter Hoffnung." Vereinzelte Zikaden kontrastierten der mächtigen Stille, die dieser Ankündigung folgte. Jaimes Blick heftete sich auf die kleinen Hände, die sich Mut fassend zusammenballten. Ruhig, ohne sie aus seiner Aufmerksamkeit zu entlassen, platzierte er die Laterne auf dem gemauerten Brunnenrund, nahm die kleinen Fäuste in seine kräftigen, warmen Hände. Hob sie sanft an, bis er sie voller Verehrung mit Küssen bedecken konnte. Endlich erwiderte er den Blick seiner jungen Frau. "Wie schön", raunte er sanft, "wie wunderschön." Mabioline lächelte, löste ihre Hände aus, damit sie liebevoll das ausdrucksstarke Gesicht ihres Gatten umfangen konnten. "Werdet Ihr", drohte sie gespielt streng, "mir auch die Treue halten, wenn ich eine unförmige Matrone bin und mich nach gesäuertem Hering gelüstet?" Jaime lachte jungenhaft, schlang ansatzlos die Arme um die zierliche Gestalt, wirbelte sie im Kreis herum. "Mein Wort, Senhora, niemals will ich von Eurer Seite weichen!", versicherte er laut, tarierte seinen Schwung aus, um Mabioline behutsam auf dem Brunnenrand abzusetzen. In gleicher Höhe nun konnte er ihre Hüften umschlingen und die Stirn gegen die zarte seiner geliebten Ehefrau legen. "Grandmerce, Mabioline", wisperte er mit dem kehligen Akzent der Mantanhol, hauchte Kuss um Kuss auf das erglühte Antlitz. "Ihr macht mich glücklich." So schlicht die Worte, so rührend bedeutungsvoll der Ausdruck, der sich über das virile Strahlen des Senher da Solador schob. Mabioline, die ihren Gemahl verstand, lächelte sanft und barg seine Tränen an ihrer Schulterbeuge. ~*~ Wenige Stunden später erklomm eine flammende Sonne langsam den Zenit. Ihre Qualen teilten die Angehörigen der Mainada da Solador, denn die Ernte kannte keine Rücksicht. Wollte man nicht Hunger leiden, musste man sich nun plagen. Auch Jaime selbst blieb nicht untätig. Begleitet von Gaspard steckte er Parzellen ab, studierte eindringlich die Beschaffenheit des Geländes. Unweit trockneten in der gleißenden Sonne die Bäume, die beide Männer in den Morgenstunden gefällt hatten. In Kürze würden die geschlagenen Kanten und Bretter einen sicheren Pfad über den sumpfigen Grund weisen. »Und nicht mehr lange«, richtete sich Jaime auf, wischte mit einem schmutzigen Ärmel über die transpirierende Stirn, »so werden wir fruchtbaren Boden gewonnen haben!« Denn sein geschärfter Blick hatte rasch erkannt, dass er seine Mainada besser mit dem Land als mit der Viehwirtschaft ernähren konnte. Gleichwohl für einen Mantanhol eine frappierende Vorstellung. Ein leiser Pfiff ertönte, wie nur ein Mann der Berge ihn zu blasen verstand und der junge Mann wandte sich rasch, inspizierte seine Umgebung mit zusammengezogenen Augen. Vom schmalen Pfad, der sich durch die sumpfig-grüne Landschaft schlängelte, näherte sich eine kleine Gestalt. Ein Kind, nach der Größe zu urteilen, und besah man sich die fadenscheinigen Hosen mit einem grün-goldenen Besatz, so gehörte es wohl zur Domäne der Mainada Jehaune. Jaime hob die Hand, signalisierte, dass keine Notwendigkeit bestand, sich über einen schlüpfrigen Grund zu ihm zu wagen. Gemächlich, sorgsam die Füße setzend, schritt der Senher da Solador aus, mit dem ausgeprägten Erinnerungsvermögen der Mantanhol, die ihre Wege mit geschlossenen Augen ohne Fehl fanden. "Bonjorn", grüßte Jaime, trat zu seiner Satteltasche, die in einer verkrüppelten Erle residierte. Er nahm den Beutel aus Ziegenleder, reichte ihm dem Jungen, der staubbedeckt und schwitzend mit großen Augen einen zögerlichen Schluck nahm. Um dann gierig die Backen auszupolstern und hurtig einzufahren, was ihm so großzügig gewährt wurde. In stillem Ritual deutete Jaime eine knappe, freundliche Verbeugung an, zwinkerte dem Jungen zu, bevor er selbst die eigene Kehle mit dem Kräutertee befeuchtete. "Nun, mi Amigar", plauderte er vertraulich, "was führt Euch hierher? Sagt mir, seid Ihr ein Emissär? Ein bedeutsamer Bote mit wichtigen Nachrichten?" Das Kind, wie er bemerkt hatte, konzentrierte sich angestrengt auf seine Lippen, begriff wohl die Worte, doch deren Bedeutung... aber es schöpfte Vertrauen aus der freundlichen Geste. Und beförderte mit schelmischem Zwinkern ein blendend sauberes Billet aus den staubigen Lumpenschichten, überreichte es mit komischem Zeremoniell. Jaime folgte dem Beispiel, bedankte sich mit höfischer Galanterie, bevor er lächelnd in seinem Hosenbeutel nach harten Karamell suchte, sie dem Kind als Lohn in die Hand zählte. Mit einem Nicken und heiserem Krächzen, das dem abgehackten Bellen der räudigen Hunde in den Wäldern gleichkam, strahlte ihm der Knabe entgegen und trollte sich hüpfend und triumphierend. Der Mantanhol schmunzelte, folgte dem Kind mit den Augen, bis es aus seiner Sicht verschwand. Dann wandelte sich sein munterer Ausdruck in konzentrierten Ernst. Er entfaltete das Billet, studierte den gezirkelten Schwung der Lettern, die mühevolle Anstrengung, den eigenen Maßstäben Genüge zu tun. Die Botschaft, aus Freundes Feder, war prägnant und unmissverständlich. Jaime stieß eine lästerliche Verwünschung aus, zerriss sorgsam das handgeschöpfte Papier, bevor er seinem Vertrauten mit knappen Worten in der Sprache der Mantanha skizzierte, was sich zutragen würde. ~*~ Ein nachdrückliches, ja, impertinentes Donnern durchdrang die bleierne Schwere, die Sebastiens Schlaf erfüllte. Matt, die ob der ungelenken Haltung schmerzenden Glieder sortierend, raffte sich der Jüngling, in eine grobe Decke gehüllt, von den blanken Bohlen auf, blinzelte in das Zwielicht. Für Augenblicke trübte Erschrecken seine tauben Gedanken, weil er sich nicht zu orientieren wusste, der Ort des Erwachens ihm gänzlich unvertraut schien. Dann aber stellte sich die Erinnerung ein, und Sebastien erhob sich taumelnd, wischte eilig hinderliche Strähnen aus dem feuchten Gesicht. In der Decke geborgen, die seine marginale Bekleidung, aus Leibwäsche und dem Hemd des gestrigen Tages bestehend, verhüllte, lauschte er angestrengt auf die Kaskade fremdartiger Worte, die erneut von draußen in die Intimität seines Gemachs einbrach. Man wollte wohl den Raum betreten, doch die Barrikaden, mit denen sich Sebastien ängstlich vor unerwünschter Annäherung durch den Herrn des Gutes schützte, hinderte daran. "Heda, Senher d'Ubac!", dröhnte anmaßend die Bonne durch die geschlossenen Glastüren und Vorhänge, begleitet vom hämmernden Bass der imposanten Faust, "die Senhora wünscht mit Euch zu dejeunieren!" Sebastien umklammerte die Decke fester, zog unbehaglich die Schultern hoch. Wie zu einem Kinde setzte die Bonne fort, jede Silbe separierend. "Frisches Wasser erwartet dero Gnaden vor der Tür, wenn Ihr endlich öffnet!" Nun wechselte Bangigkeit zu Empörung. Wie wagte es diese gewöhnliche Person mit ihm zu sprechen?! Als sei er retardiert, könne nicht wirtschaften und müsse für jede Alltäglichkeit belehrt werden!! Zorn brodelte inkommod in Sebastiens ausgeräumter Magengrube, die dergleichen nicht schätzte und sich grollend beklagte. Was blieb ihm zu tun? Doch die Entscheidung war längst getroffen: er konnte nicht fliehen, musste die Schmach und Schande erdulden, bis endlich der Emissär zurückkehrte. Es hieß, bis zu diesem Zeitpunkt dem unsäglich affrösen Senher da Solador aus dem Weg zu gehen und sich von dieser Gesellschaft zu separieren. Allerdings, die tapfere, charmante Gastgeberin konnte ein Mann von Ehre nicht brüskieren, mochte ihr Gesinde auch noch so unverschämt agieren. Also löste sich Sebastien, erleichtert, dass er einen Beschluss gefasst hatte, aus der schützenden Hülle, rangierte in Leibwäsche das Mobiliar an angestammte Plätze. Öffnete eine Glastür zur Veranda hinaus, um eilig den schweren Krug mit dem aromatisierten Wasser zu bergen. Er wusch sich gründlich an dem zierlichen Waschtisch, band die karamellfarbenen Strähnen zu einem strengen Zopf und tat heimlich Abbitte für die frevelhafte Nutzung der Annehmlichkeit. »Parfümiertes Wasser statt kräftiger Seife, tsk tsk!« Obwohl er das Rasiermesser in dessen schlechter Verfassung schwang, so zeigte sich im Spiegel keine Spur dunklen Bartes. Wie es schien, war er von der Adoleszenz noch eine bedauerliche Weile entfernt. Was blieb, als den desagreablen Gang zum Kleiderschrank anzutreten und sich aus dem bunten Strauß pastellfarbener Garderobe zu bedienen? Zögerlich entschied sich Sebastien für einen Gehrock samt Kniehose in lindem Grün, dazu ein Gilet in vornehmen Elfenbeinton. Ein Jabot passend zum Hemd reinweiß in gekämmter Wolle vervollständigte seinen Aufzug. Allein die plumpen Galoschen, die so wenig den feinen Strümpfen entsprachen, beleidigten das Auge des Betrachters. Wagemutig, sich zur steifen Haltung ermahnend, trat Sebastien auf die Veranda hinaus, studierte den Stand der Sonne. Dann eilte er, sofern es das unförmige Schuhwerk zuließ, um im benachbarten Gebäude der Dame des Hauses die pflichtschuldige Aufwartung zu machen. ~*~ Mabioline lächelte, ergriff sogleich die Initiative, um diese nicht mehr aus ihrer energischen kleinen Hand zu lassen. "Bonjorn, mi Amigar! Ich freue mich, dass Ihr mir Gesellschaft leisten wollt!", zwitscherte sie munter, fasste vertraulich eine blasse Hand, die bar jeden Stoffkleids schüchtern in den ausgestellten Falten des Gehrocks kauerte. Selbstredend bemerkte sie wohl, wie sich der Jüngling erschreckte, den Kontakt von bloßer Haut nicht kannte und die Konventionen fürchtete. Einerlei! Hatte er sich nicht bereits überwunden, die tristen, erdrückenden Kleider der gestrengen Luminnier abzulegen?! Sogleich dirigierte Mabioline Sebastien auf einen hochlehnigen, doch zierlichen Stuhl, deckte eine Haube aus dünner Keramik auf, die gebratene Eier mit ausgelassenem Speck und glasigen Zwiebeln zu frischem Gemüse beschirmte. "Bitte, Sebastien, nehmt reichlich, denn hier unten, wo wir der Sonne so nahe sind, da ist eine große Kraft zum Leben nötig!" Von eigener Hand schenkte sie ihm dampfend Kräutertee in eine zerbrechlich zarte Tasse. Um selbst Beispiel zu geben, da ihr Gast nicht wagte, vor der Dame des Hauses mit dem Mahl zu beginnen, schnitt sie sich tüchtig von dem dunklen Brot ab, strich Rahm auf und stützte ungeniert die kleinen Ellenbogen auf dem Tisch auf. Ihr Tischherr staunte, ja, der Mund öffnete sich im Unglauben, dass sie so ungeniert die Sittsamkeit und steife Konvention beiseite ließ, sondern mit gutem Appetit und frohem Mute den Speisen zusprach. Die Senhora da Solador zwinkerte, mit einem unvergleichlich schalkhaften Charme in dem Wimperntusch, dass Sebastien wehrlos dem Zauber erlag. Scheu spießte er mit der vornehm gezinkten Gabel, teilte jeden Happen in mundgerechte Stücke und mühte sich, möglichst sparsam zu kauen, um nicht etwa den Eindruck eines vulgären Grobians zu erwecken. Wie es der Sitte bei den Luminnier entsprach, so aß man lediglich in der Zeitspanne, die der Herr des Hauses für angemessen hielt. Man pflegte mit dem Mundtuch unschickliches Wiederkäuen zu verdecken. Zudem gebot der Pater familias Schweigen bei Tische, damit ein jeder in Demut dem Schöpfer dankte. Eingedenk dieser Erziehung pickte nun auch der Jüngling wie ein Spatz in den Speisen, überwältigt ob ihrer Vielzahl, wenn sie auch ruralen Charakter hatten. Mabioline gab keinen Fußbreit preis von dem bereits erlangten Feld der Zuneigung, die ihr der Jüngling aus dem Ubac unversehens offenbarte. Sie sprach, wenn ihr danach verlangte und kümmerte sich wenig darum, ob die natürliche Lust an guter Speise womöglich einen Betrachter verärgern mochte. "Ach, Sebastien, Ihr müsst mir vergeben, dass ich Euch so unverschämt in Beschlag nehme", versetzte sie in munterem Plauderton, streichelte hauchzart über einen bleichen Handrücken. "Seht, mi Amigar, ich bin eine selbstsüchtige Person, die zu gern ihrem Willen die Zügel schießen lässt und, ich gebe es zu, Sebastien, mir bedeutet Eure Gesellschaft sehr viel!" Funkelten die Aquamarine in das rötende Gesicht des Jünglings. Mabioline kräuselte in entzückender Weise die Lippen, sah spiegelgleich ein zögerliches Lächeln auf dem verlegenen Gesicht ihres Gegenüber tänzeln. "Gestern vergaß ich doch ganz, wie anstrengend sich unser Klima auf Euch auswirken muss! Da nahm es nicht Wunder, dass Ihr zu erschöpft wart, um das Abendessen mit uns einzunehmen." Eine höfliche Entschuldigung, die rechten Worte en passant präsentiert, damit jede Distanz, die Jaime unbedacht verursacht haben konnte, der Vergangenheit angehörte. "Aber", erneut legte sich die kleine Hand auf den Rüschenbesatz des Hemdsärmels, der unternehmungslustig aus dem Gehrock ragte, "ich werde meinen Fauxpas wieder gutmachen, wenn Ihr gestattet, mein geschätzter Freund!" Derart karessiert in lieblichen Worten, gleichzeitig von Sensationen bestürmt, deren Herr er nicht zu werden vermochte, blieb Sebastien lediglich das Eingeständnis seiner Niederlage: er nickte errötend. "Dann begleitet mich doch heute, und ich erzähle Euch von meiner Mainada! Sagt, wollt Ihr?", forderte Mabioline ihr Schicksal heraus. "Ihr ehrt mich mit Eure Aufmerksamkeit, Madame", stotterte der Jüngling aus dem Ubac verlegen, verfiel unversehens in die Muttersprache, da er sich beschämt nicht zu helfen wusste. "Dann ist es beschlossen, so wollen wir es halten!" Verschwörerisch drückte eine kleine, sehr energische Hand Sebastiens blasse, während strahlende Aquamarine ihren Zauber woben. ~*~ Wie anders sich doch die schöne Senhora da Solador ausnahm... Mit atemloser, ja, adorierender Bewunderung geschlagen folgte ihr Sebastien schweigend, ließ keinen Augenblick verstreichen, die Augen stets ihr zugewandt. Graziös in ihrer Anmut, lieblich in ihrer Stimme, so herrlich anzuschauen, dass selbst die Engel sie um ihrer Schönheit, ihren Sanftmut beneiden mussten. Niemals zuvor war er einem solchen Geschöpf begegnet. Er vergaß seine missliche Lage, las auch den geringsten Wunsch von den schönen Augen ab, um sich ihrer Aufmerksamkeit in Demut würdig zu erweisen. Was bedeutete es schon, wenn er die unförmigen Galoschen mit handgeflochtenen Strohsandalen vertauschen musste, der Gehrock von der groben Bonne entführt und ihm eine einfache Kittelschürze umgebunden wurde? Mabioline selbst ging mit ungewöhnlichem Beispiel voran, plauderte fröhlich mit den Frauen, die im Küchentrakt Vorbereitungen für die nächsten Mahlzeiten trafen. Wer sich nicht auf dem Feld befand oder anderen Hausarbeiten zugeteilt worden war, verarbeitete die Erträge der Ernte. Für den Jüngling aus dem Ubac eine gänzlich neue Erfahrung. Die Küche und die Fertigung von Speisen oblag den Bediensteten. Man machte sich nicht gemein, sondern hielt strikt die Trennung der unterschiedlichen Lebensbereiche aufrecht. Nun wies man ihn an, wie er zu schneiden, zu putzen, zu stückeln hatte, worauf zu achten sei, wie man Öle und Pflanzensäfte auffing, hernach trocknete und einmachte. Gewaltige Fässer, irdene Krüge, bauchige Gläser, dazu feinkörniger Sand und Salz: eine fremde Welt offenbarte sich dem unkundigen Eleven, der, seiner Dame zu gefallen, höchst eifrig seinen Aufgaben nachkam. Mabioline beliebte es, in seiner Muttersprache zu plaudern, ihrem Gast die verschlungene Geschichte der Mainada zu berichten. "Wohlan, Sebastien, wie ich sehe, geht Euch die Arbeit leicht von der Hand! Das lob ich mir, so fleißig haben wir uns eine gerechte Pause verdient, nicht wahr?" Die Hände an der Kittelschürze trocknend führte sie ihren Begleiter an der bloßen Hand in einen dunklen Raum, der von der Küche abging. Eng drängten sich Regale an die Wände, die groben Mauern kühlten die Atmosphäre, während Mabioline eine große Laterne illuminierte. Im Zentrum des bescheidenen Gelasses fand sich ein gewaltiger Tisch, auf dem sich eine befremdliche Apparatur in Glaskolben und allerlei merkwürdigen Gerätschaften befand. "Seht her, mi Amigar!" Voller Stolz strahlte ihm das liebliche Gesicht entgegen, zwirbelten sich vorwitzige Locken prächtig unter der schützenden Haube hervor. "Mein Labor. Wir wollen uns setzen und einen Likör nehmen", ordnete sie an und zog energisch zwei hochbeinige Schemel unter dem Bauch des massiven Tisches hervor. Benommen saß Sebastien, mühte sich, die seltsame Umgebung mit der Erscheinung zu vereinbaren, die an ein verschlossenes Regal spazierte, einen Flakon wählte und zwei zierliche Gläser vor ihm platzierte. "Nun", goldene Flüssigkeit ergoss sich im Schein der Laterne in die Gläser, "auf die Gesundheit, Sebastien!" Schon musste der Jüngling einen brennenden Schluck über die Lippen führen. Eilig rang er nach Atem, von erschreckenden Vorahnungen zu spät alarmiert: trank er etwa Berauschendes? Doch Mabioline zwinkerte vertraulich, fasste versichernd die freie Hand ihres Gastes und drückte sie aufmunternd. "Sagt, mundet es Euch? Ihr müsst wissen, dass ich noch nicht vollends überzeugt bin, der Rezeptur Genüge zu tun." Sebastien errötete einmal mehr. Wie sollte er antworten? Die Kehle brannte, zu fremd mutete ihm der Geschmack an, bedrohlich umlagerten ihn dunkle Schimären, die von drakonischer Strafe sangen. "Verzeiht, Madame, dass ich nicht imstande bin, Eurem Likör gerecht zu werden", brachte er hilflos hervor. In diesem Augenblick, da freudiger Überschwang mit der gewohnt-nachsichtigen Reserve die Position wechselte, begriff auch die Senhora da Solador die blamable Lage. "Sacre Dieu, mi Amigar, noch einmal muss ich Euer Pardon erflehen!" Ihre Hand ließ das eigene Glas frei, streichelte impulsiv über die erhitzte Wange des Jünglings, während ihre Augen ihn fest ins Visier nahmen. "Wie unbedacht, ich vergaß, dass Ihr solcherlei Getränke nicht gewohnt seid! Nein, wie töricht von mir!" Verärgert schüttelte sie das Haupt, die blauschwarzen Locken flogen beschwingt. "Sagt doch, mein Lieber, wollt Ihr Nachsicht mit mir üben?" Eindringlich funkelten die Aquamarine, hielten nun beide Händchen seine eigenen fest. "Ich bedaure, es war allein meine eigene Unachtsamkeit", haspelte der verlegene Jüngling eilig. Um mit flammender, gar bebender Stimme anzufügen, "bitte, Madame, sorgt Euch nicht, im Gegenteil, ich danke Euch, dass Ihr mir Euer Vertrauen schenken wollt!" "Das will ich wohl, Sebastien", versetzte Mabioline sanft, drückte die Hände ihres Gastes. "Dann hegt Ihr keinen Groll gegen mich?" "Aber nein, wie könnte ich?!", schreckte Sebastien auf, schüttelte nun selbst eifrig das gestreng coiffierte Haupt. "Niemals könnte ich anders, als Euch mit Verehrung und Wertschätzung zu begegnen!" Welch Freimut! Tollkühn, so zu sprechen und sogleich färbten sich die Wangen dunkelrot vor Scham. "Ich möchte", die junge Frau schmunzelte zärtlich über das Engagement des Jünglings, "dass uns Freundschaft verbindet, mi Amigar. Darf ich von Euch diese Gunst erhoffen?" Sebastien erstarrte, der Atem floh ohne Rückkehr bis die Lungen schmerzten. Freundschaft? Intimen Umgang, vertrauliche Gespräche mit diesem wunderschönen Geschöpf pflegen? Einem Luminnier standen solche Verbindungen nicht an, das wusste er wohl, doch verräterisch schlich sich ein Gedanke ein: wer sollte Zeugnis geben, in diesem Land fern der Zivilisation? "Wenn Ihr erlaubt, Madame, dann will ich gern, sehr gern, Euer Freund werden", flüsterte Sebastien schließlich atemlos, drückte behutsam die kleinen Hände, die seine eigenen so sicher hielten. "So ist es beschlossen!", lachte Mabioline unbeschwert. "Dann sprecht mich bei meinem Namen an, mi Amigar, denn so ist es Brauch unter Freunden!" Sebastien erstrahlte unter dieser Gunst und ein weiterer Schluck des Likörs besiegelte ihre Verbindung. "Nun aber, Sebastien", Mabioline erhob sich, um den Likör zu entfernen, "will ich die Euch geschuldete Geschichte nicht länger aufschieben. Ihr müsst wissen, dass ich nicht hier geboren wurde, sondern selbst eine Fremde war. Darum", ihre kleine Hand streichelte über eine Wange des Jünglings, "begreife ich wohl, wie schwer es ist, sich einzufühlen in eine neue Welt. Doch, wie Ihr seht, Sebastien, ich habe dieses Land und seine Menschen liebgewonnen!" Zwinkerte sie neckend, nahm wieder auf ihrem Schemel Platz. Sodann erzählte sie, mit beredeten Gesten ihre Geschichte illustrierend. "Seht, ich wuchs auf als eine di Curazonne, Tochter meines Vaters, der ein bekannter und hochangesehener Senher ist. Zwei Tagesreisen von hier liegen die Ländereien, Plantagen und Mühlen, die uns einen sehr agreablen Lebensunterhalt bescheren. Hier, im Süden, jenseits der Berge, ist die Landschaft gar vielgestaltig, mein lieber Sebastien. Wo Ihr hier die feuchten Gründe, viele Felder und Wälder mit dichtem Laub findet, da trocknet die Sonne schon wenige Tage weiter die Erde aus. Die Familie meines Vaters verlegte sich bereits vor Generationen auf den Weinanbau und herrliche Öle. Und wie Ihr seht", ihre kleine Hand fing das Gelass ein, "auch ich liebe die Beschäftigung mit den Ölen und Destillaten." Dann lachte sie auf, neigte tadelnd den reizenden Kopf auf eine Seite. "Doch was rede ich da?! Ich mache Euch noch konfus, so mittendrin zu beginnen! Nun denn, von vorne, und dieses Mal geordnet!" ~*~ Obwohl er mit gerechtem Groll nicht sonderlich interessiert an dem Ergehen des Senher da Solador war, konnte sich Sebastien dem liebevollen Air der Erzählung nicht entziehen. Das herzförmige Gesicht, von eskapierten Löckchen verspielt umrahmt, strahlte eine intensive Wärme aus, die ihn mit Verlangen erfüllte. Wie sie so sprach, so sanft und zärtlich, so wünschte er, dass sie auch von ihm dachte. Ungeheuerlich, dieser Eitelkeit nicht zu entsagen, allein, kindlicher Trotz beflügelte Sebastiens Eigensinn. Zum ersten Mal, da er sich mit einem anderen Menschen in Freundschaft verbunden fühlte, da wollte er sich nicht tyrannisieren lassen. Und erteilte jeder missbilligenden Einflüsterung eine barsche Absage. ~*~ "Es war einmal", ein schelmisches Lächeln tanzte kokett auf den kirschrot schimmernden Lippen, "ein großes Land im Süden, hinter den Bergen. Von jeher teilte es sich in Domänen auf, die einer Familie zur Verwaltung anstanden. Die Familien, Mainada genannt, blieben einander verbunden, durch vielerlei Verwandtschaft und die gemeinsame Bewirtschaftung ihrer Ländereien. Als ich ein kleines Mädchen war, das im Wunderland der gepressten Öle, gekelterten Weine, farbenfrohen Spirituosen und köstlichen Aromen lebte, besuchte meinen Vater ein guter Freund. Man sagte mir, dass der Mann, auf dessen Schoß ich wie ein Husar ritt, ein bedeutender Senher sei, ein Maradoier, mit dem Namen Loba da Solador. Ein feiner Senher, mit seinen seidenfeinen, hellen Haaren, Augen aus Bergkristall und einem gewaltigen Schnauzbart, der stets ein Lächeln auf seine angenehmen Züge zauberte. Mein Vater mochte den Senher gut leiden, das sah ich sofort, und sie verband eine enge Freundschaft. Zudem tauschten sich beide Männer mit ihren Erzeugnissen aus, Getreide, Gemüse und auch ein wenig Vieh gegen Wein, Öl und andere Güter. Doch Loba, wie ich ihn ansprechen durfte, erfreute sich aus einem anderen Grund der Aufmerksamkeit vieler Menschen. Der junge Senher hatte eine hübsche Frau gewählt, die ihm sein Vater vorgeschlagen hatte. Und er musste sie wohl sehr geliebt haben, denn als sie nur wenige Monate nach der Vermählung am Sumpffieber starb, war er untröstlich. Lange blieb er alleine, bis schließlich die Nachbarn ihn zu bedrängen begannen. Die Domäne der Solador musste einen Erben erhalten und wenn sich Loba allen freundschaftlichen Ratschlägen entzog und keine Braut mehr wählen wollte, so musste er in anderer Weise seine Verhältnisse ordnen. Zum Erstaunen der anderen Mainadas verhielt sich das Gesinde der Solador jedoch ruhig, unternahm nicht die mindeste Anstrengung, ihren Senher um eine Entscheidung zu ersuchen. Bald trafen die Nachbarn mit ihren Söhnen auf dem Gut Lobas ein, stellten diese in all ihren Vorzügen vor, auf dass er einen von ihnen an Sohnes Statt annahm. Doch der Senher, mit seiner feinen Gestalt und seinem fröhlichen Schnauzbart, der allmählich ergraute, wählte weder Gemahlin noch einen Sohn. Unruhe ergriff die Nachbarn, die Freunde, ja, selbst meinen Vater. Gab es denn keine Aussicht, die Einsamkeit seines Herzens zu beenden? Selbst die Mainada konnte ihm nicht gänzlich zum Trost gereichen. Eines Sommers nun, da die Erntezeit gerade vorüber war, verabschiedete sich Loba von seiner Mainada, füllte eine Tasche mit dem Notwendigsten, wählte einen großen Pilgerstock, wie ihn Reisende trugen und ging solitär gen Norden. Natürlich sorgte man sich, dass ein Senher seines Asempre die Mainada verließ und unbegleitet zu Fuß in die Berge steigen wollte, doch Loba blieb bei seiner Überzeugung. Er verkündete, dass es zuweilen erforderlich sei, einen Blick über die Dinge zu werfen, um die passende Route zu erkennen. Und wo könne man eine schönere Aussicht genießen als in der Mantanha? Und so geschah es, dass der Senher da Solador auf seine Reise ging. Keine Nachricht erreichte die Nachbarn und Freunde, bis eines Tages, gerade vor den ersten Schneefällen, drei Wanderer wieder das Gut der da Solador betraten. Sogleich herrschte große Freude, als man den Senher erkannte und in Windeseile sprach sich die frohe Kunde herum. Nachbarn und Freunde fanden sich ein, den vermissten Loba zu begrüßen. Wie aber mussten sie staunen, als ihnen der Senher da Solador seine beiden Begleiter vorstellte. Ich sehe schon, dass Ihr eine Vermutung hegt und in der Tat, Loba hatte sich einen Sohn gewählt! Einen Jungen, gerade zehn Sommer alt, einen Mantanhol! Die Verwunderung wuchs, man empörte sich sogar. Wie konnte Loba die Söhne seiner Nachbarn gegen diesen Fremden verschmähen?! Einen sonnenverbrannten Jungen, der nur die Berge kannte, nicht verstand, welche Liebe die Maradoier ihrem Boden zugedachten! Und dann sprach er so ungebührlich mit diesem Akzent der Bergbauern! Allein, ihre Interventionen änderten nichts an Lobas Entschluss. Fortan, so verkündete er, solle der Knabe, den man Jaime genannt hatte, sein Nachfolger sein. Noch absonderlicher zeigte sich, wie sehr er sich um die Zuneigung seines angenommenen Sohnes und dessen groben Begleiters sorgte. Höchstpersönlich unterrichtete er die beiden Mantanhol, gab all seine Kenntnis an sie weiter. Nun hielt man Abstand von Loba und seiner Mainada, allerdings nicht für lange, denn der junge Senher verstand es vortrefflich, durch Verstand und Tatkraft die Spötter und Kritiker für sich einzunehmen, darüber hinaus mit seinem Charme zu glänzen. Auch wir, die nicht unmittelbare Nachbarn sein konnten, hörten mit Erstaunen von diesem fremden Jungen, der zu einem bedeutenden Mann aufsteigen würde. Die Zeit verstrich, und Loba fühlte, dass sein Ende Schatten warf. Er liebte den angenommenen Sohn so zärtlich wie ein leibliches Kind und sorgte sich, dass ihr Glück sich trüben würde, wenn er die diesseitige Welt verlassen müsste. Der Sitte gemäß sah Loba sich nach einer Braut für seinen Sohn um, und viele präsentierten ihre Töchter, denn eine Verbindung mit den da Solador versprach Prosperität. Der junge Senher indes pflegte die enge Kameradschaft mit dem ältesten Sohn seines Nachbarn, Alonzo Jehaune. Unzertrennlich, wenn auch in der Altersspanne deutlich unterschieden, sahen ihre beiden geplagten Väter, die den Übermut der jungen Männer fürchteten, einen glücklichen Ausweg: die gemeinsame Brautschau! Nun gingen beide Väter ungewöhnliche Wege. Senher Jehaune freite eine junge Frau aus dem Ubac, während Loba sich sorgte, wie sein ungezähmter Sohn wohl eine geduldige Gemahlin finden sollte. Zudem war Jaime gerade erst sechzehn Sommer alt, noch zu jung, um alle Verantwortung zu begreifen, die er tragen würde. So saßen Loba und mein Vater sinnierend zusammen. Meinen Vater dauerte es, dass Loba sein Ende fühlte. Wer würde eine schützende Hand über die Mainada halten? Wählte er eines Nachbarn Tochter aus, wären Begehrlichkeiten geweckt. Ich leistete ihnen Gesellschaft, fest entschlossen, mich gar nicht zu vermählen, weil ich meine geliebte Heimat nicht verlassen wollte, was ich als unbedarftes Kind ausplauderte. Die beiden Männer lachten, wie voreilig die Jugend in ihrem Urteil sei, wo doch gerade erst ein winziger Blick über die Eierschale geworfen wurde. Da sprengten, wie die wilde Hatz, Alonzo und Jaime herbei, trotz der Vermählung des Älteren unzertrennlich. Man brachte das Dilemma auch ihren Ohren zu Gehör, und Jaime schwieg lange, halste den Vater innig, als könne er die Vorahnungen vertreiben. Ich staunte ihn an, diesen frechen Jüngling, der so tollkühn sein Pferd meisterte und so liebevoll den eigenen Vater umsorgte. Nun begriff ich, warum die Damen errötend von ihm sprachen, seine Qualitäten hinter vorgehaltener Hand Erwähnung fanden. Da ich meinen Vater ebenso liebte wie er den seinen, ergriff ich unbekümmert das Wort und erklärte, wenn er bereit sei, meinen siebzehnten Geburtstag abzuwarten, dann würde ich seine Braut werden! Fünf Jahre Zeit erschienen mir eine gewaltige Spanne, sodass ich mich nicht sorgte. Jaime kehrte sich zu mir um, noch immer beide Arme um den Vater geschlungen, lächelte mich an und antwortete, er wolle gern mein Gemahl werden, wenn ich bereit sei, ihm zu folgen. Sogleich, als wäre es unserer Entscheidung unterworfen, verhandelten wir, freie Passage, Familienbesuche, persönliches Gepäck und Vorlieben, die Zahl der Kinder... Und in der Tat, unsere überraschten Väter verkündeten nach einer Nacht der Kontemplation, sie wären einer Verbindung, die wir in kindlichem Gemüt und Überschwang skizziert hatten, nicht abgeneigt. Also war ich verlobt mit dem ungewöhnlichsten jungen Senher in der gesamten Provinz. Ein fröhliches Fest im Frühling feierte unsere Verlobung, und es war das letzte Mal, dass wir alle beisammen waren." Versonnen und ein wenig heiser unterbrach Mabioline ihre Schilderung, wählte eine andere Flasche, um die Gläser zu füllen. "Zuerst betrauerten wir Loba, der still und leise seinen Abschied von dieser Welt nahm. Dann folgte Alonzo mit dem schicksalhaften Sturz, der sein Genick brach. Ich hörte, wie man Jaime bedrängte, die Verlobung zu überdenken, eine andere Braut zu wählen, doch stets lehnte er höflich ab. Ihr müsst wissen, dass er mir vier Jahre voraus ist, eine nicht zu unterschätzende Spanne, wenn man so jung und voller Ungeduld auf das Leben blickt! Allein, Jaime widerlegte die Missgünstigen. Vom Tage an, da Loba ihm seine Mainada anvertraute, hielt er sich als wahrhaftiger Senher, folgte dem Asempre. Ich will Euch nicht verhehlen, Sebastien, dass es mich mit Stolz erfüllte, wie man ihn lobte. Bald konnte ich es nicht erwarten, dass er kam, um mich als seine Braut heimzuführen. Mit jeder kleinen Ausfahrt säte er einen Funken Liebe für dieses Land in meinem Herzen, und so konnte ich ihm vor zwei Jahren beglückt die Hand reichen." Sie lächelte, senkte unerwartet schamhaft den Blick auf die Tischplatte. "Glaubt es nur, er erinnerte sich jedes einzelnen Wortes, das wir vor so langer Zeit gewechselt hatten. Alles, was ich zur Bedingung gemacht hatte, erfüllte er mit Bravour." Sanft fasste ihre Hand nach Sebastiens, suchten die Aquamarine seinen Blick. "Lasst Euch nicht blenden, mi Amigar, von den Unterschieden, die unsere Erziehung uns eingibt. Was Euch hier befremdlich, vielleicht sogar anstößig erscheinen mag, -erwägt es gründlich. Diese Menschen hier", der Griff verstärkte sich, nahm beschwörende Dimensionen an, "diese Familie ist etwas Besonderes. Lebt in unserer Mitte, Sebastien, und lernt uns ohne Scheuklappen kennen." Mabioline erkannte wohl, dass ihr neu gewonnener Freund zweifelte, zögerlich schwankte zwischen dem Hochgefühl ihrer vertraulichen Verbindung und der Verpflichtung, die ihm sein Stand und seine Herkunft auferlegten. "Wollt Ihr es mir zu gefallen wagen, mein lieber Freund?", umwarb die Senhora da Solador ihren Gast aus dem Ubac in aller Eindringlichkeit. Sebastien streckte die Waffen. "Für Euch, Mabioline, werde ich es." ~*~ Kapitel 5 - Der Pflug Selbstredend zweifelte Sebastien, dass Mabioline ihren Gemahl so sah, wie er sich anderen Augen bot, nämlich als prahlerischen Gaukler, der um die Gunst seiner Gaffer mit affrösen Mitteln buhlte! Der sich nicht scheute, mit dem Gesinde, gleich Mann oder Frau, Umgang zu pflegen, der jede Sitte, jedem Anstand widersprach. Ein erbärmlicher Possenreißer, der mit seinem gewöhnlichen Äußeren kokettierte, sich in einem Stand befand, den er ganz offenkundig inkapabel zu erfüllen war. Allein, das Wort eines Ehrenmannes galt. Und wenn Sebastien seinen Gastgeber auch mit brennendem Herz verachtete, so wollte er seine Freundin nicht enttäuschen. Es hieß, den ungeschlachten Adulter zu vermeiden! Dies nahm sich nicht diffizil aus, da Sebastien als einer der wenigen männlichen Bewohner auf dem Gut einer Beschäftigung nachging, in der er frappierend mühelos reüssierte. Während man noch eifrig verkochte, siedete, pökelte und befüllte, assistierte er seiner Gastgeberin bei ihren Versuchsarrangements. Mit großem Interesse studierte er die Eintragungen in den Folianten, die Anleitung boten, wie man getrockneten Früchten hochkonzentrierte Labsal abgewann, wie man natürliche Öle presste und raffinierte. "Seht nur, mi Amigar, wir stellen unsere eigene Seife her, das Aroma, mit dem wir das Wasser parfümieren und vielerlei Salben, die Beschwerden lindern." Von Stolz erstrahlt erläuterte die Senhora da Solador ungezwungen ihre Kostbarkeiten. Eine Beschäftigung, die man auf Beausage vergebens gesucht hätte. All diese Güter wurden dem gemeinen Handwerk zugerechnet, und so ließ es sich unmöglich an, dass sich ein Luminnier seines Standes damit befasste. Die Neugierde aber, forsch liiert mit der wärmenden Vertrautheit ihrer frohgemuten Geister, spornte Sebastien an, diesen Mysterien auf ihren Grund zu gehen. Zu welchem Zweck eine jede Gerätschaft diente, welch absonderliche Resultate man erzielte, wie vielseitig sich ihre Verwendung im täglichen Gebrauch ausnahm! So flogen die Stunden dahin, in fröhlichem Einverständnis. Erst die Bonne ermahnte nachdrücklich, dass die Abendmahlzeit zu servieren sei, wenn sich "dero Exzellenzen" endlich aus dem Labor begeben würden. Mabioline lachte lediglich in unbeschwerter, natürlicher Herzlichkeit, tadelte die Unverschämtheit ihrer Bediensteten keineswegs, wie Sebastien vermutet hatte. Stattdessen nahm sie vertraulich seine Hand, führte ihn mit sich auf die Veranda hinaus, die jedes Gebäude umschloss. "Sebastien, gestatten wir uns noch ein wenig Dispens, um uns frisch zu machen. Dann wollen wir uns zum Diner treffen", gab die zierliche Senhora vor. Der Jüngling aus dem Ubac neigte formvollendet das Haupt, karessierte die leere Luft über dem zarten Handrücken, wie es dem Ehrenmann anstand und wartete artig, bis seine Dame ungefährdet die Glastür ihres Boudoirs hinter sich schloss. Rasch überquerte er die sandige Distanz zwischen den flachen Behausungen, betrat sein eigenes Gemach und erinnerte sich, sorgsam Türen zu schließen und Vorhänge auszubreiten. Im Schein der eilig illuminierten Lampe reinigte er Hände und Gesicht mit dem parfümierten Wasser, kontrollierte die Makellosigkeit von Garderobe und Frisur, bevor er sich eine kurze Rast gestattete. Auf der Chaiselongue, diesem Inbegriff detestabler Ausschweifungen, Platz nahm und seine Lage überdachte. Er ahnte wohl, dass Mabioline ihn zuneigungsvoll bedrängen würde, sich der fremden Garderobe im Schrank zu bedienen, doch wer mochte ihr Eigentümer gewesen sein? Und, weiterhin, wie sollte man sich dem Gastgeber entziehen? Sebastien erlaubte sich die Frivolität eines Seufzers. Wenn man doch nur wüsste, welche Aufgabe ihm hier zugedacht war! Was bezweckte Seine Majestät? Welche Instruktionen waren den Gouverneuren aufgegeben worden? ~*~ Während der Abendmahlzeit, die erneut ohne die Beteiligung des Senher und seines Majordomus stattfand, bedeutete Mabioline ihrem Gast, der sich viel zugänglicher gezeigt hatte im Verlauf ihrer gemeinsamen Beschäftigung, dass Jaime ihm das Zimmer zugewiesen hatte, das Senher Loba bewohnte. Das Gemach des Senher wies dieser sogleich seinem jungen Nachfolger zu, kaum dass Jaime damals den Boden der Domäne betrat. Möglicherweise habe er Erleichterung verspürt, sich einer großen Last zum Ende seines Lebens entledigen zu können. Wer wusste das schon zu sagen? Sie bemerkte wohl, dass Sebastien in ihrer Gesellschaft seine reservierte Scheu vergaß, mehr als einmal die Hände über das Tischtuch lupfte, um seine Äußerung zu unterstreichen, ja, die grünen Augen mit ihren braunen Einschlüssen lebhaft funkelten! Doch nahte sich eine andere Frau, so versteifte sich der Jüngling augenblicklich, hielt sich besonders aufrecht, eine erschreckende Starre in seinem Ausdruck, die einem älteren, unversöhnlichen Mahner der Moral besser gestanden hätte. Allein, die weiblichen Angehörigen der Mainada erkannten rasch, wie sie den fremden Jüngling, der sich frech weigerte, in ihre Augen zu sehen, in schamhafte Verlegenheit bringen konnten. Da streifte eine lose Hand seinen Nacken, knisterte grober Stoff an den feinen Beinkleidern, wenn sich die Röcke bauschten. Da schwollen pralle Insignien der Weiblichkeit in dünnen Blusen, wenn sie sich beugten, die Tafel abzudecken! Ein grausames Spiel, das sie betrieben, ungehindert von der Senhora, die befand, dass seine steife Unschuld ein gefährliches Lockfeuer für übelwollende Zeitgenossen bot. Wenn sie ihm wenige Details seiner Vergangenheit entlockte, die einen isolierten Mann der Bücher vermuten ließen, so dauerte sie die verstrichene Zeit, die ihn ohne Kameraden, verwegene Lustbarkeiten und einfache Freuden passiert hatte. Wie das arme Vögelchen in seinem goldenen Bauer, das in der Freiheit eine leichte Beute gewesen war. ~*~ Die Dunkelheit hatte bereits Einzug genommen, als endlich der Senher da Solador und sein treuer Begleiter durch das große Tor ritten. Sofort trat man hinzu, nahm die Zügel entgegen, führte die erschöpften Pferde in die Stallung, um sich ihrer anzunehmen. Auch die beiden Männer erfuhren Aufmerksamkeiten, teils tadelnd, -denn die Bonne schätzte versäumte Mahlzeiten nicht-, teils besorgt, da die beiden Mantanhol ungewohnt schweigsam eine knappe Reinigung absolvierten. Auf der Veranda, wo man eilig servierte, eine Laterne entzündete, warteten beide Männer, bis sich die Senhora zu ihnen gesellte. Gaspard erhob sich wortlos, um mit einem zierlich bestickten Schultertuch im hispanischen Stil zurückzukehren, es um die bloßen Schultern der jungen Frau zu legen, damit sie nicht von der einsetzenden Kühle in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mabioline lehnte sich gegen die kräftige, nachgerade bullige Gestalt, suchte Jaimes Blick, der mit einem nachsichtigen Lächeln eine stumme Erlaubnis erteilte. Woraufhin sich die muskulösen, von einem dichten Haarteppich bedeckten Arme zärtlich um die schmalen Hüften legten. In kurzen Worten schilderte er in der kehligen Sprache der Mantanhol, welche Erkenntnisse der Tag ihm aufgedeckt hatte und führte auf diese Weise seine Verspätung aus. Nun spiegelte sich auch tiefer Ernst in dem herzförmigen Gesicht der schönen Senhora. Sie stimmte der Einschätzung ihres Ehegatten zu, versicherte in ruhigen Worten, dass sie ihm folge, ohne Zögern, ohne Zweifel. Die schwarzen Augen der Mantanhol hielten in der Dämmerung der spärlichen Beleuchtung einen tiefgründigen Austausch, bar jeden Lautes. Liebevoll, mit großem Sanftmut, liebkoste Gaspard die Leibmitte Mabiolines. Ein unerhörtes Wagnis, das ihrem Pakt zugrunde lag, -doch wollten sie aufeinander vertrauen. ~*~ Der nächste Tag ähnelte dem vorangegangenen: man zog in der Frühe, wenn die Sonne ihre unbarmherzige Glut noch anfachte, um des Mittags die Unerträglichkeit zu erreichen, auf die Felder, um erst im Anbruch der Dunkelheit zurückzukehren. Sebastien erwachte zeitig, von einem beschwingten Hochgefühl erfüllt in Erinnerung an das aimable Tete-a-tete mit der Senhora. An diesem Tag allerdings wurde er schlichtweg ignoriert, exiliert aus jedem Arbeitsbereich, den er auch nur ins Auge fasste! Mabioline, seine Mittlerin zwischen den impertinenten Bediensteten, zeigte sich nicht. Vielmehr hieß es, die Dame müsse ruhen. Der Jüngling aus dem Ubac, dem man nachdrücklich eingeprägt hatte, dass weibliche Absenzen, -so sie einer Unpässlichkeit geschuldet ein Teil ihrer schwachen Natur waren-, jedem Mann ein Mysterium blieben, hütete sich, genauere Umstände in Erfahrung zu bringen. So blieb ihm nicht mehr, als das ziellose Schlendern in den unförmigen Galoschen, einen großrandigen Strohhut auf dem edlen Haupt, ein besticktes Tuch in der Rechten. Da ihm der Müßiggang so ungewohnt und lästerlich war, beschäftigte sich Sebastien mit der eigenen desolaten Lage. In dieser Provinz schätzte man das gemeine Handwerk, das Bauerntum. Wie sollte er, ein junger Mann von Stand, dem Gouverneur nützlich sein? Als gewöhnlicher Schreiberling?! Ausgeschlossen. Welche der Wissenschaften, die er pflichtschuldigst studiert hatte, mochte in diesem Landstrich ein wertvolles Gut darstellen? Was erwartete man? Allzu deutlich zeichnete sich seinem geistigen Auge die Insuffizienz seiner bescheidenen Fähigkeiten ab, eine gänzlich unerfreuliche Erkenntnis. Aller Aufsicht ledig, abaissiert zu einer persona non grata, von mutmaßlich transparenter Qualität, -urteilte man nach der Aufmerksamkeit, die ihm zugedacht wurde-, ambulierte Sebastien in missmutigem Hochmut über das Gelände des Guts. Niemand hinderte ihn, in insolenter Selbstverständlichkeit jedes Gemach einer knappen Inspektion zu unterziehen, zu erkunden, an welcher Stelle sich welche Unternehmungen abspielten. Zu seiner Verwunderung hielt die Mainada da Solador eine Vielzahl von Handwerken vor, die er in Beausage niemals erblickt oder für erforderlich estimiert hatte. Eine eigene Schmiede neben einem Badehaus, in direkter Nachbarschaft des steinernen Wasserturms, dazu ein memorabel niedriges, geradewegs rund zu bezeichnendes Gebäude, das als Backhaus diente. Ein frappierendes Netz aus durch Kiesel umkränzte, gebrannte Halbröhren geleitete Be- und Entwässerung spannte sich über das engere Hofgut, sparte lediglich die angliedernden Gemüse- und Kräutergärten aus. Zwischen den Scheunen mit ihren Obergeschossen fand Sebastien auch die Werkstatt, die in jeder Form und Beschaffenheit irdene Güter des alltäglichen Gebrauchs fertigte und brannte. Vom gewaltigen, Amphoren ähnlichen Vorratskrug bis zu den merkwürdigen Halbröhren, die das Drainagesystem bildeten: hier wurde den Bediensteten Einiges an Geschick und Kenntnis abverlangt! Eine eigene Schreinerei, daneben ein flaches Gebäude mit Spiegeln, die den gesamten Raum geschickt in taghelles Licht tauchten, mit Spinnrädern und Spannrahmen zum Weben von Stoffen ausgestattet. Des Weiteren ein Räucher- und ein Siedehaus, eine weitere Werkstatt, die offenkundig der Herstellung von Kerzen, Lampenöl und Seifen diente. Eine kleine Kapelle schloss sich an, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Trümmern einer Mühle. »Möglicherweise ein Blitzeinschlag«, urteilte der Jüngling, studierte die von gierigem Unkraut bereits usurpierten, rußgeschwärzten Steine und Balken. In einem weiteren Areal, sicher eingezäunt, tummelten sich gefleckte, dickborstige Schweine, ebenso gescheckte Ziegen, dazwischen flatterten Hühner mit gestutzten Flügeln. Kinder betrieben lachend einen Mühlstein, sangen dazu im kehligen Idiom der Maradoier, das sich Sebastien noch immer nicht erschloss. Ein jeder schien von früh bis spät mit der Verarbeitung der Ernte beschäftigt. Er allein konnte sich in Muße ergehen. Erfüllte keine Bestimmung unter einem aufgespannten Segel, stimmte dem fröhlichen Chor der Stimmen bei. Sebastien näherte sich, mit gebotener Vorsicht, auch den Unterkünften des Gesindes. Wie die niedrigen Gebäude, die der Senher und die Senhora da Solador bewohnten, wiesen die einfachen, langgestreckten Häuser eine Veranda auf. Holztüren und farbenprächtige Vorhänge boten den Zugang in Gelasse mit unterschiedlicher Größe. Keineswegs schlicht gehalten, sondern üppig ausgestattet mit Mobiliar und Stoffen, eine Ungeheuerlichkeit in den Augen eines Luminniers. »Wenn sich das Gesinde mit Pracht umgab«, verwirrten sich seine Sinne, »stellte sich die göttliche und weltliche Ordnung in Frage!« Einmal mehr erfüllte gerechter Abscheu den Jüngling aus dem Ubac. Wie entlarvend für dieses unkultivierte Volk dieser unbotmäßigen Provinz, sich einer solchen Verfehlung schuldig zu machen! Von der Hitze ausgezehrt und ermüdet lenkte Sebastien seine Schritte wieder der eigenen Unterkunft zu. Noch immer zeichnete sich keine Veränderung ab, widmete ihm keiner der Anwesenden einen Blick, ein Wort. Indigniert entschloss sich Sebastien, in der inkommoden Situation, dem Gesinde keine Anweisungen geben zu dürfen, einen unerhörten Akt zu wagen: nämlich die Gemächer des Senher selbst zu inspizieren. Da man ihn nicht hinderte, die Glastüren sich unverschlossen zeigten, betrat der Luminnier zögerlich ungeachtet seiner festen Gesinnung das Schlafzimmer Jaimes. In altersdunklem Holz, bar auffälliger Dekorationen fanden sich ein Waschtisch und ein breites Bett, sorgsam aufgedeckt. Zerstreut tummelten sich getrocknete Blütenblätter auf einer hauchdünnen, transparenten Webdecke, aromatisierten die glühende Atmosphäre. Ein Schaukelstuhl lehnte blank vor dem gewaltigen, doppelflügligen Kleiderschrank. Daneben wartete ein bodentiefer Spiegel auf, beschränkte den fein bestickten Vorhang, der einen Alkoven verbarg. Sebastien, in Erwartung, Lästerliches vorzufinden, da man sich eines Sichtschutzes bediente, fand sich enttäuscht: eine geschwungene Bütte, hüfthoch an ihrem Kopfende, in Gestalt eines Schwans, präsidierte einem vielarmigen Leuchter. »Ein eigenes Badekabinett... welch eine affröse Eitelkeit!« Eigentümlich schalen Gefühls wandte sich Sebastien sodann dem hinteren Flur zu, der gegenüber der Veranda liegend mit einem zweiten Eingang jeden Raum verband. Zu seiner Rechten würde sich wohl ein Empfangs- oder Herrenzimmer anschließen, zu seiner Linken mutmaßlich ein Chambre separee. Allein, Jaimes Gestaltung seiner Unterbringung widersprach den Erwartungen, denn anstelle eines Salons schloss sich ein weiteres kargeres Schlafzimmer an. Die ausliegenden Ziegenfelle, die schmucklosen Möbelstücke: Sebastien konkludierte, dass er sich im Gemach des Majordomus, Gaspard, befinden musste. »Wie passend, immer zur Rechten seines Herren«, mokierte sich eine Stimme despektierlich, während Sebastien nun dem Gang folgte, allein von den schmalen Fensternischen beleuchtet. Er betrat das Chambre separee, einen Raum, der einer Bibliothek glich, denn hinter deckenhohen Regalen und mattierten Glaswänden reihten sich Folianten an Folianten! "Unglaublich!", entfuhr ihm unversehens eine laute Äußerung angesichts dieses Mirakels. Niemals hätte er in diesem unzivilisierten Haushalt eine derartige Ansammlung von Büchern vermutet. Ein Lesepult wartete vor den verschlossenen Glastüren auf Lektüre. Der große Arbeitstisch ächzte unter der Last aufgespannter Skizzen, Konstruktionszeichnungen und Karten. Der bescheidenen Bequemlichkeit dienten allein einige Feldstühle in italischer Gestaltung. Die Tischleuchten, selbst der Lüster, trugen gläserne Schirme, mit feiner Naht verlötet, um gefährlichen Funkenflug und Unachtsamkeit zu hindern. Eine Schatulle wartete geöffnet darauf, dass die beschwerend auf den Dokumenten verteilten Werkzeuge und Schreibutensilien wieder ihrem geräumigen Inneren anvertraut wurden. Die Neugierde geweckt beugte sich Sebastien über die Karten, mühte sich angestrengt, den zierlichen Erläuterungen zu entnehmen, was sich vor seinen Augen so erstaunlich akkurat darstellte. Nicht allein die Parzellen, die Ländereien, die der Domäne der Mainada da Solador zuzurechnen waren, fanden sich, sondern auch die der Nachbarn, dazu detaillierte Anmerkungen über die Beschaffenheit des Bodens und den Verlauf der Wasseradern. Aufzeichnungen, die den Administrativen Seiner Majestät zweifelsohne ein bescheidenes Vermögen wert gewesen wären, wie der Jüngling aus dem Ubac schloss, von einem unerquicklichen Schauder der Versuchung geplagt. Stand es nicht dem König allein zu, über die Kenntnis seines vom Höchsten verliehenen Gutes zu verfügen? Zögerlich glitten die Fingerspitzen des Jünglings über die ungleichmäßige Struktur des handgeschöpften Pergamentes. Er verstand sich nicht sonderlich gut auf die Wissenschaft der Konstruktion, konnte sich lediglich der knappen Hinweise bedienen, die die verwunderlichen Kreationen flankierten. Demnach trug sich der Senher da Solador mit der Absicht, eine Werkstatt für Glasbläser einzurichten, die zerstörte Windmühle durch eine neuerliche zu ersetzen, Pflugscharen und Erntegerätschaften zu modifizieren! Doch nicht allein diese Vorhaben füllten die Vielzahl der Dokumente aus. Auch handschriftliche Aufzeichnungen, die sich mit der atmosphärischen Dämmung der Gebäude befassten, pflanzliche Hinweise auf die Bodenbeschaffenheit, die Möglichkeiten der Fischzucht, Konservierungstechniken, deren sich die Mantanhol bedienten... Ohne einen pflichtgemäßen Gedanken seiner Umgebung zu widmen, hob Sebastien einen der italischen Feldstühle an, ließ sich auf dem gepolsterten Sitz nieder und studierte fasziniert das Panoptikum der Erstaunlichkeiten. Er vergaß darüber die fortschreitende Zeit. Da sich die Sonne in ihrer Strahlkraft ungeachtet ihrer langen Reise über den Horizont großzügig zeigte, warnte kein reduzierter Lichteinfall. Sebastien schrak erst aus seinem intensiven Studium hoch, als sich eine sonnengebräunte Hand, lediglich von einem staubigen Ärmelband kontrastiert, auf ein Dokument legte. Die dunkle, samtig-kapriziöse Stimme des verachtenswerten Senher da Solador ihn adressierte. "Sebastien, wie ich mit Freude sehe, interessiert Ihr Euch für meine bescheidenen Vorhaben!" Schon wanderte eine zweite Hand über den Rücken des Gehrocks, streifte neckend die gestreng gebundenen Strähnen. Ertappt wie ein mäßiger Schüler bei müßigem Zeitvertreib errötete der Luminnier vehement, bannte den Blick eilig auf den gewaltigen Tisch. Stemmte sich mit steifer Haltung in die Höhe, bewegte Distanz fordernd den Feldstuhl rückwärts. Allein, Jaime erwartete diese Reaktion, wich mit der geschmeidigen Grazie, die seinen Bewegungen innewohnte aus, umrundete das ihm wenig hinderliche Möbel, fasste ein Handgelenk und die schlanke Taille seines Gastes. Federte auf die Zehenspitzen, als wolle er einen Tanz beginnen, lächelte gewinnend in das mondscheinbleiche Gesicht, bereits in einer hochfahrenden Zurückweisung begriffen. Die grünen Augen sprenkelten verächtliches Feuer in köstlich braunen Funken, die weichen Lippen formten eine strenge Linie der gerechten Empörung, während sich der Jüngling seiner Umarmung zu entwinden suchte. Allerdings, da Sebastien unbedingt seine Würde zu wahren suchte, ein mundanes Unterfangen gegen einen Mann, der sich seiner köstlichen Belohnung nicht berauben lassen wollte. Den Jüngling genau ins Ziel nahm und diesen küsste. Erstarrend, dann in verzweifelte Gegenwehr verfallend, kehrte Sebastien den Kopf von einer auf die andere Seite, wollte so wenig Angriffsfläche wie ihm möglich bieten, dieser lästerlichen Übergriffe entfliehen. "Abscheulicher Unmensch, wie könnt Ihr es wagen?! Nehmt sofort Eure Hände von mir!", forderte er zwischen hastigen Windungen, bereits gegen eine gläserne Front gedrängt, die ihm wenig Raum zum Rückzug offerierte. Jaime lachte, so mokant, provozierend ungezwungen, als handele es sich um eine kokette Laune des Jünglings, eine frivole Launenhaftigkeit, die einer Liäson die aufreizende Note der wankelmütigen Leidenschaft verlieh. Schon zeichneten die bleiche Haut seines empörten Gastes rosige Tupfer der Liebesbekundungen, entflohen einzelne karamellfarbene Strähnen dem strengen Regiment der Haarschleife, doch der Mantanhol wollte sich damit nicht begnügen. Ohne Einladung die privaten Gemächer des Gastgebers aufzusuchen erforderte eine gerechte Kompensation, und diese wollte er sich höchstpersönlich verschaffen. Es bedeutete ihm keine Mühe, den sich windenden Jüngling gegen seinen muskelbewehrten Körper einzukerkern, sodann die von Scham und Abscheu entflammte Haut mit der speichelfeuchten Zungenspitze zu karessieren. Ein fassungsloses Schnauben entrang sich dem schlanken Leib, die bezaubernd frostigen Augen verbargen sich hinter schimmernden Lidern, erduldeten die Demütigung in stummer Reglosigkeit. Jaime hinderte dies keineswegs in seinem Vergnügen, die Beschaffenheit, das Aroma des meri Calinhaire zu kosten, sich an der seidenweichen Schönheit des Jünglings zu laben, die ästhetische Qualität seiner Erscheinung zu goutieren. Endlich gestattete er, dass sich Sebastien befreite, mit flammenden Wangen gesenkten Haupts an ihm vorbei hinausstürmte, über den Gang und die hintere Tür das niedrige Gebäude verließ. Jaime verfolgte den steifen Sturmlauf seines indignierten Gastes durch die Glasscheiben, lächelte versonnen und leidlich befriedigt in den frühen Abend hinein. Wenn er sich nicht in der leicht zu empörenden Gesinnung Sebastiens irrte, so würde sich dieser neuerlich in seinem Gemach verbarrikadieren und jeden Kontakt verweigern. ~*~ Wenn es Worte gäbe, die ohne lästerliches Fluchen seine Gefühle ausdrückten, so hätte Sebastien diese gerne den begrenzenden vier Wänden entgegengeschleudert. Noch besser, dieser abscheulichen Bestie, die ihn in einer Weise malträtierte, die er nicht aussprechen konnte! »Wie kann er es wagen?!«, durchdrang Fassungslosigkeit und Ekel Sebastiens aufgewühltes Gemüt, als er sich hastig seiner Garderobe entledigte, die bloße Haut energisch mit dem parfümierten Wasser abrieb. Wenn sich doch die schmähliche Schande ebenso simpel abwaschen ließe! Die eigene Unachtsamkeit hatte ihn erneut in eine detestable Situation geführt, die es dem widerwärtigen, sittenlosen Unhold ermöglicht hatten, ihn gegen jede Natur zu bedrängen. Hatte er sich nicht vorgenommen, jeden Kontakt mit dem Senher zu vermeiden?! Ungebeten drängten sich die lieblichen Worte der Senhora in sein Gedächtnis, das Ehrenwort, das er geleistet hatte. Die zügellosen Sitten, die gotteslästerlichen Verhältnisse, -wie konnte dieser daher gelaufene Bergbauer alle Anwesenden derart über seine wahre Natur täuschen?! Unerträglich, dass eine unschuldige, liebreizende Frau als Gemahlin mit einer abominablen Bestie vor dem Antlitz des Höchsten verbunden worden war! Der in dekadenter Gottlosigkeit poussierte, Amouren unterhielt, wahllos seine Gunst offerierte, sich als veritabler Hurenbock gerierte! Erhitzt und von den eigenen Gedanken abgestoßen, ja, angeekelt, paradierte Sebastien, von einer Kerze sparsam beleuchtet, in seinem Zimmer auf und nieder. Lästerliche Reden provozierte dieser Kerl, dieser Abtrünnige, verleitete selbst ihn, einen Luminnier, vom Pfad der Tugend zu weichen! Die Fäuste ballend hielt Sebastien in seinem enragierten Lauf inne. Was blieb zu tun, da er Satisfaktion noch nicht fordern konnte, zum Aufenthalt gezwungen war, bis Kunde aus der Transmontana sie erreichte? Entdeckte man dem inkapablen Gouverneur, Stellvertreter Seiner Majestät in diesem gottlosen Landstrich, welche Pläne der verräterische Senher hegte, so wollte es möglich sein, diesen vor ein Gericht zu stellen! Des Weiteren konnte man der unglücklichen Gattin die Augen öffnen für den wahren Charakter ihres nachgerade infernalischen Gemahls, sie von der entsetzlichen Bürde befreien, ihm folgen zu müssen! Endlich ein würdiges Ziel vor Augen, das er mit Geschick und Rechtschaffenheit erstreiten konnte, legte sich die aufgewühlte See in Sebastiens Gemüt, wandelte sich in gefasste Konzentration. Wo man in barbarischer Körperlichkeit mit rohen Kräften agierte, mochte er wohl unterlegen sein, doch beherztes Taktieren gereichte dem Wagemutigen zum Erfolg. So, wie die Feder das Schwert besiegte! ~*~ Am nächsten Morgen, der eigentlich dem Gedenken des Höchsten zugedacht war, -wenn man sich in zivilisierter Umgebung fand-, wartete Sebastien eine ausreichende Zeitspanne ab, bis er es wagte, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Eigenhändig, da man ihn seiner Selbst überließ, schöpfte er das parfümierte Wasser aus dem großen Bottich, transportierte den Krug in sein Quartier, säuberte sich auf das Sorgfältigste, um dann das Frühstück einzufordern. Als erste Mahlzeit seit dem gestrigen Morgen wollte er dieses Mal auf dem Gastrecht bestehen, und, so man ihn nicht bediente, eigenhändig für sein leibliches Wohl Sorge tragen. Bevor er jedoch, den Kopf gereckt, die Brust mit dem akkurat gebundenen Jabot ausgestellt, den Widerstreit mit dem unbotmäßigen Gesinde aufnehmen musste, wies ihm ein Mädchen mit simplen Gesten den Weg zum Speiseraum. Demnach erwartete man ihn! Es konnte nur die Dame des Hauses sein, also Mabioline, seine bemitleidenswert vom Schicksal gestrafte, schöne Freundin! Beschwingten Schritts eilte Sebastien beflügelt über den sandigen Hof, betrat mit höflichem Räuspern das niedrige Gebäude. In der Tat, die Senhora da Solador harrte seiner, in einem mohnfarbenen Deshabillee, das die feine, anmutige Silhouette ihrer Gestalt betonte. Die blauschwarzen Löckchen nachlässig mit Hornkämmen hochgesteckt lächelte sie ihm freudig zu, sprang auf die Füße, reichte beide kleinen Hände, damit er diese erfassen und zärtlich drücken konnte. "Bonjorn, lieber Sebastien! Ach, noch einmal muss ich mir Euer Pardon ausbitten, weil ich Euch gestern der eigenen Gesellschaft überließ!", sprudelte sie in munterem Tonfall hervor, bezauberte den Jüngling mit aquamarinem Strahlen. "Sagt, Mabioline, ist Euch heute wohler?", erkundigte sich Sebastien, alle Konvention missachtend. "Man bedeutete mir, eine Unpässlichkeit hätte Euch befallen", bekundete er seine Sorge, studierte eindringlich die zarte Gestalt, das liebreizend herzförmige Gesicht mit der hellen Haut. "Oh, ich wollte Euch bestimmt keinen Kummer bereiten!" Mit anmutiger Geste löste sich die junge Frau von ihrem Gast, drehte sich in einer tänzerischen Kapriole. "Seht, mi Amigar, ich erfreue mich bester Gesundheit!" Kokett erwies sie mit gebeugtem Knie die Referenz. Sebastien errötete in Verlegenheit, da das lose Kleidungsstück so unvermutet dekuvrierend die graziöse Gestalt umspielte, ihre zierliche Zerbrechlichkeit in sein Gedächtnis prägte. "Aber nun wollen wir uns setzen, mein lieber Freund und ordentlich den Speisen zusprechen, nicht wahr?", lud ihn Mabioline an die gedeckte Tafel, legte ihm vor. Die niederen Gelüste des Körpers übernahmen die Regie, man erfüllte ihr Verlangen, konzentrierte alle Aufmerksamkeit auf diesen Akt. Danach, sichtlich gestärkt und froh gestimmt, wagte sich Sebastien, seinen gefassten Plan in die Tat umzusetzen. "Mabioline", eröffnete er, tollkühn den Blick der Aquamarine fesselnd, "Euer Gatte geht ganz absonderlichen Neigungen nach." "Oh ja", missverstand die Senhora da Solador die winzige Pause, mit der Sebastien seinem ersten Zug Bedeutsamkeit verleihen wollte, "er hegt ein erstaunliches Interesse für die unterschiedlichsten Konstruktionen!" Sie neigte sich Sebastien in vertraulichem Lächeln zu. "Aber wer bin ich, darüber den Stab zu brechen? Wenn ich mich damit befasse, neue Salben und Öle zu kreieren, ungewöhnliche Beerenweine zu kredenzen und Aromen zu sammeln, kann ich wohl kaum seinem Eifer Einhalt gebieten." Die Stirn in Falten legend, da das Gespräch eine unvermutete Wendung nahm, reorganisierte Sebastien seine Stellungen, um erneut ins Gefecht zu ziehen. "Als ich gestern in seinem Studienzimmer die Karten sah..." "Ja, in der Tat, sind sie nicht vortrefflich angefertigt?", fiel ihm Mabioline mit freudigem Elan ins Wort, fasste seine Hand und drängte ihn, ihrem Beispiel Folge zu leisten, sich zu erheben und hinaus zu treten. Forschen Schritts, Sebastien über eine anmutige Schulterpartie adressierend, hielt die junge Frau auf das Chambre separee ihres Gatten zu. "Es trifft sich gut, dass Ihr die Sprache auf Jaimes Studien brachtet, Sebastien, denn er bat mich, Euch dorthin einzuladen. Es dauert ihn, dass er Euch nicht mehr seiner Zeit widmen kann, ganz unverzeihlich für einen Gastgeber, doch mit dem Zutritt zur Bibliothek möchte er Euch versöhnen." Verzögert, doch gewaltig pulsierte empörte Wut im Jüngling: wie konnte es dieser affröse Widerling wagen, ihn ausgerechnet an diesen Ort zu laden?! Seine unschuldige Ehefrau nötigen, eine derartige Unverschämtheit an ihn zu richten?! "Wollt Ihr die Tür halten?" Mabioline erklomm bereits behände eine gezierte Stufenleiter, entnahm zwei Folianten ihrem angestammten Platz in einem der Regale. Sebastien, zu ihren Füßen, die mattierte Glasfront haltend, während die freie Hand unschlüssig schwebte, wie sie galant der Dame assistieren konnte, nahm endlich eine kleine Hand in Empfang. Als Mabioline sich auf den Zehenspitzen drehte und die Leiter, ihm zugewandt, herunterstieg. Welch ein Leichtsinn, eine geringe Unachtsamkeit nur und sie hätte stürzen können! Mabioline jedoch besorgte sich nicht um das Erschrecken ihres jungen Begleiters. Eilfertig legte sie die Folianten auf den massiven Arbeitstisch, dirigierte inkonvenable Dokumente auf die Seite, um eine freie Fläche zu schaffen. "Ah, Sebastien, dürfte ich Euch um die Feldstühle bemühen?" Ein freundlicher Seitenblick bedachte den Jüngling, der rasch der Bitte nachkam. Man nahm Platz, Seite an Seite, in vertraulicher Nähe, die Augen artig auf die Folianten gerichtet. "Seht her, Sebastien, welche wertvollen Schätze wir beherbergen. Solche Werke werdet Ihr in jedem anderen Haushalt sicherlich vergebens suchen!" Schon blätterten gepflegte Fingerspitzen behutsam um. "Da uns wohlbekannt ist, welch bedeutsame Position Ihr einnehmen werdet, da Ihr ja in Kürze dem Stellvertreter Seiner Majestät zugeordnet seid, wollen wir Euch mit den Eigentümlichkeiten der Sprache hier vertraut machen." Wie wunderschön doch die Aquamarine funkelten, die blauschwarzen Löckchen mit jedem Atemhauch zierlich tanzten, ja, die ganze Gestalt ihrer Freude Ausdruck verlieh! "Es ist doch zutreffend, dass die Luminnier große Gelehrte der Schriften sind, nicht wahr?", versicherte sich Mabioline, ein schelmisches Kräuseln auf den kirschroten Lippen, da ihr Sebastiens entrückter Blick Vergnügen bereitete. "Es gibt wohl vortreffliche Geister, die ihr Wissen der Gnade des Höchsten und einem aufopferndem Studium verdanken", retournierte Sebastien in geübter Bescheidenheit. "Seid vielmals bedankt für Eure Sorge um mein Wohlergehen." Mabioline schmunzelte sanft, karessierte eine weiche Wange, die in ihrer Jugend keinen Barbier nötig hatte. "Ich möchte offen sprechen, mi Amigar. Wir haben Euch bereits liebgewonnen und wollen Eure Anwesenheit nicht missen." Sebastien errötete, nicht allein aus beschämter Freude, sondern auch, weil gar unerquickliche Szenen sich vor seinen Augen repetierten. "Da entspricht es nur, seht es uns großmütig nach", Mabioline zwinkerte bezaubernd, "unserem eigenen Interesse, Euer Herz auch für uns zu gewinnen." Sie erhob sich, drückte Sebastien jedoch, der ihr artig folgen wollte, an der Schulter wieder auf seinen Platz, fing sein Kinn in ihrer kleinen Hand. "Wenn Ihr, woran ich keinen Zweifel hege, erst einmal die Sprache der Maradoier beherrscht, so werdet Ihr dieses Land mit anderen Augen sehen, Sebastien. Eure Muttersprache entspricht dem Ubac, doch hier, wo wir im Paradies leben, da ist eine andere Zunge angemessen." Sprachs, mit diesem unvergleichlichen, liebreizenden Lächeln und ließ ihn zurück, bei den Büchern, bezaubert und verwundet zugleich. ~*~ Die nächsten Tage folgten dem Muster dieses ersten: Sebastien dejeunierte mit der Dame des Hauses, begab sich sodann in das verlassene Studienzimmer. Erhielt in der Mittagszeit ein bescheidenes Mahl, das ihm ein Kind brachte und fand sich des Abends wieder bei Mabioline, wo bei intimem Souper seine Fortschritte gewissenhaft erprobt wurden. Da der Jüngling aus dem Ubac bereits die Sprache des Altertums beherrschte, wie es jedem Luminnier anstand, war es ihm kein sonderliches Erschwernis, auch den Dialekt der Maradoier zu begreifen. Allein, ein Kuriosum, dass er mit der Lektüre der beiden handgeschriebenen Folianten dem Verfasser in umgekehrter Abfolge begegnete, hatte dieser doch die Hochsprache der Kultur, Sebastiens Muttersprache, zu erlernen versucht. Man parlierte des Abends wie im Repetitorium, simple Sätze, banale Sujets. Sebastien fand keine Gelegenheit, der schönen Senhora anzudeuten, wie abscheulich sich ihr Gemahl gerierte. Diesem begegnete Sebastien kein einziges Mal, er ging wohl früh und kehrte erst in der späten Nacht zurück, auf mutmaßlich despektierlichen Pfaden. Wenn ihm die Augen tränten, weil sie allzu lange auf dem gilbenden Pergament weilen mussten, dann erhob sich der Jüngling aus dem Ubac, erging sich in luftigen Höhen entlang der Regalmeter. Inspizierte wissbegierig, was man in der Mainada da Solador zu beherbergen pflegte. Hier und da ein Foliant mit erbaulichem Inhalt, um den Geist zu erheben, doch in der Mehrzahl fanden sich illustrierte Werke diskutabler Natur. Darstellungen von Pflanzen und Tieren, die man sezierte, Bestiarien und schauderhafte Missgestalten, mit befremdlich-unglaublichen Erzählungen versehen. Dazu noch dünne Bände in exotischer Zunge, die zweifelsohne verwerflichen Inhalts sein mussten! Sonst hätte man sie wohl auf Geheiß Seiner Majestät in der Hochsprache verlegt! Und wieder stieß Sebastien auf die von Jaime so geliebten 'Konstruktionen', die absonderlichsten Gerätschaften, ersonnen vor unzähligen Jahren, gelegentlich von anderer Hand kommentiert, als habe der Leser selbst ihre Funktion geprüft. Was hinderte ihn, ein weiteres Mal die sorg- und sittenlose Gesellschaft der ungebärdigen Provinz im Süden zu verdammen? Ach ja... die kostbaren Schätze, die ungehindert aus ihrem Hort geborgen werden konnten, am Lesepult behutsam aufgeschlagen...in lustvoll-sündigem Bann atemlos verschlungen... Da sprach man von fernen Ländern, unfasslichen Kreaturen, von Abenteuer und Gefahr! Freibeuter tummelten sich in den Meeren, Wilde bedrohten den Forscher, brennende Berge, turmhohe Wellenbögen, elendige Wüstenei... Obwohl er sich strenges Regiment verordnete, erlag der Jüngling mehr als einmal der Versuchung, die ihn so kundig lockte. Versank in farbenprächtigen Schilderungen, erfüllt vom bitter-süßen Schauer ahnungsvoller Verheißungen, die die Welt den Wagemutigen bereitete. Selbstredend stand ihm nicht an, solche Vermessenheit zu sanktionieren, denn ein jeder hatte seinen Platz in der Ordnung des Höchsten! Allein... allein die Phantasien, Traumgespinste, becircend um sein Gemüt gesponnen: sie ließen sich nicht leicht vertreiben. Er hatte bereits gekostet von dieser unheilvollen Frucht der Unbotmäßigkeit, der Rebellion, die ungezähmte Freiheit auf ihrem Banner führte, nicht Demut noch Bescheidenheit kannte. Auch nun ließ er den Psalter stehen, wählte mit flinken Fingern ein schmales Bändchen, das in amüsanten Reimen Moritaten zum Besten gab. Ein Spektakel dem gemeinen Volke, doch Sebastien schlug Seite um Seite um, von köstlichen Schauern des Entsetzens durchrieselt. Welch grässliches Spiel der Sündige mit den Menschen trieb! Dem Schaulustigen zu gefallen, hatte man sogar Illustrationen eingefügt, die Sebastien eingehend studierte, sich wohl bewusst, dass erbauliche Lektüre für den Geist ihm angemessener wäre. Versunken in unbekannten Gefilden, an der Seite tollkühner Streiter, entging ihm gänzlich, dass sich auf leisen Sohlen der Eigentümer dieser Schätze näherte. Geschickt jeden verräterischen Schattenwurf vermeidend pirschte sich der geübte Jäger heran, lächelte nachsichtig über die rosig gefärbten Wangen des Jünglings, die von seinem Eifer kündeten. Behutsam legte er die bloßen Arme um die Schultern Sebastiens, raunte zärtlich in ein Ohr. "So habt Ihr doch Gefallen an meinem bescheidenen Besitz gefunden?" Sebastien erschrak, entwand sich hastig der Liebkosung, brachte die gesamte Breite des massiven Tisches distanzierend zwischen sich und den unsäglichen Senher da Solador. Dieser lächelte mit blendend weißen Zähnen blitzend, stützte die Fäuste auf der schweren Tischplatte ab, präsentierte sich in dem nur nachlässig gekordelten Hemd, wie gewöhnlich von Staub und Spuren feuchter Erde bedeckt. "Warum flieht Ihr mich, Sebastien? Ist Euch meine Gesellschaft so widerwärtig?", fragte er mit samtigen Schnurren, setzte in graziöser Anmut eine lederne Stiefelspitze vor die andere, den Tisch umkreisend. Der Angesprochene floh eilig, die zürnenden Blicke auf die rettungsstiftende Tür gerichtet, die mit einem couragierten Satz zu erreichen war... wenn es ihm gelänge, dem abscheulichen Unhold zu entwischen. Jaime hegte naturgemäß die gleiche Erwartung, mit anderen Vorzeichen, wollte sich ein kurzweiliges Amüsement verschaffen, Sebastien in die Irre zu führen. Er täuschte mit einer eleganten Drehung, wand sich geschickt in die entgegengesetzte Richtung, kurzum, nutzte die Gelegenheit, den indignierten Jüngling ein ums andere Mal über die schweren Galoschen stürzen zu lassen. Sebastien taumelte bereits bedenklich, die Knöchel protestierten vehement gegen diese Malträtion, forderten, dass er sich für eine Richtung nun entscheide! Unversehens manifestierte sich der Gedanke, so müsse es auch den wagemutigen Abenteurern ergehen, von wilden Bestien gejagt.... und Sebastien wusste um die tänzerische Geschmeidigkeit seines abominablen Verfolgers! Verletzte Würde machte ihn rasend, sodass er gegen seine Manieren gewalttätig wurde, sie schnöde beiseite fegte, um in Jaimes Lauf einen der Feldstühle zu dirigieren. Der Senher da Solador lächelte mit gebleckten Zähnen blitzend hell, bevor er mit einem eleganten Satz ohne Mühe das temporäre Hindernis überwand. Er zögerte generös einige Herzschläge, die Sebastien in Sicherheit wiegen sollten, da die rettende Tür zum Greifen nahe schien. Dann schnellte er heran, die ebenholzfarbenen Locken wirbelten umher, beide Arme zirkelten um die Gestalt des Jüngeren herum, versiegelten mit ihrem Schwung die Tür und setzten unmissverständliche Zeichen. Der Leib folgte den einkerkernden Armen, ein Wimpernzucken später schmiegte sich lediglich von grobem Stoff getrennt eine warme, kraftvolle Gestalt an Sebastien, ohne Rücksicht auf Gehrock und Kniehosen. In natürlichem Reflex zog der Jüngling eilig die Schultern hoch, krümmte sich, als sein Körper eine hilflose Wehr zu errichten suchte, doch was vermochte er gegen die immensen Kräfte, die ihn flach gegen das Türbrett pressten? Wie abscheulich, diese Nähe, unaussprechlich bereits die Freiheit, die sich dieser Unmensch herausnahm! Jaime hingegen lächelte bezaubert: sein Calinhaire wusste sich nicht einmal zu schütteln und aufzubegehren, kauerte sich zusammen, steif und starr in Schock verharrend. Er hielt sich schadlos, hauchte neckende Kussbotschaften auf Nacken und Wangen, touchierte gar mit der Zungenspitze den sinnlichen Schwung einer Ohrmuschel! Die Hände, mondscheinblass, flogen hastig hoch, trachteten, die Angriffe abzuwehren, sich schützend auf Ohren und Wange zu legen. "Sebastien, Euch wird kein Leid geschehen", raunte Jaime zärtlich in den anmutigen Nacken, ließ die eigene Nasenspitze spielerisch in die karamellfarbenen Strähnen tauchen. Wie zögerlich sie sich lockten, eingepfercht in der groben Schleife. Genau wie ihr schöner Herr, der sich noch nicht wagte. Der Jüngling aus dem Ubac verlor sich desparat in panischen Atemzügen. Wie sollte er sich verhalten, wie agieren? Da der unbotmäßige Senher beliebte, ihn zu attackieren, ehrabschneidend anzureden und gar zu karessieren! In all den Büchern, der versammelten Lektüre, die Sebastien bis zu diesem Augenblick zu Gebote gestanden hatte, gab es keine Richtschnur, wie er solches zu retournieren oder wie er das Gebaren des Unholds zu verstehen hatte! Es konnte nicht anders als liederlich, mehr noch, unsittlich und widernatürlich sein, dass sich dieser affröse Senher mit Seinesgleichen auf diese Weise austauschte! Übler aber mutete ihm an, erstickend und beklemmend, wie hilflos er sich geben musste, in einem Dilemma eingefangen, dass weder Ehre noch aufrechtes Leben versprach! Da lösten sich die starken Arme, die kasernierenden Barrieren, schlängelten sich um die betonte Taille des zierlich geschnittenen Gehrocks, zogen den Jüngling wohl fort von der unbequemen Tür. Allerdings gänzlich an den athletischen Leib des Mantanhol. Dieser fühlte bittersüßes Mitgefühl aufsteigen mit der starren, Angst verspannten Gestalt, die er so traulich embrassierte. Noch immer pressten sich die blassen Hände auf die Wangen, richtete sich der Blick glanzlos auf die Bohlen, traten die Sehnen unkleidsam hervor. »Er kennt ihn noch nicht, den Genuss, der zärtlicher Gemeinschaft entspringt«, seufzte Jaime nachdenklich. Ein Forcieren seiner Intentionen stand jedoch außer Frage. "Ich will Euch nichts Böses, mi Amigar", hauchte er samtig und küsste verabschiedend die blasse, kalte Haut eines bebenden Handrückens. Dann gab er seinen schönen Jüngling frei. Trat zwei, drei Schritte weg in den Raum hinein, wie ein Jäger, der wartet, dass seine scheue Beute sich fasst, wieder zum Leben erwacht. Sebastien zögerte nicht länger. Auch sein Instinkt erinnerte sich des archaischen Vorlebens. Mit eiligen Schritten, noch steif und ungelenk, stürmte er abschiedslos zur Tür, preschte hinaus, die unbequemen Galoschen im Galopp werfend. Der Senher da Solador blickte ihm nach, an der Glastür der Veranda stehend, die Arme vor der Brust gekreuzt. ~*~ Derangiert, zweifelsohne detestabel gerötet und transpirierend, so konnte man sich nicht sehen lassen! Und dies musste Sebastien, denn die einschüchternde Bonne hatte bereits einmal mit dröhnender Stimme verkündet, dass das Abendmahl gerichtet sei. Wäre es allein in Gesellschaft der Senhora eingenommen worden, so hätte Sebastien nicht gezögert, hinauszutreten und der adorablen Dame demonstriert, wie man sich ihm genähert hatte! Allerdings stand zu befürchten, dass sich der Übeltäter selbst die Ehre an der Tafel geben würde. Sollte man sich erneut diesem unsäglichen Affront ausliefern? In einem ungewohnten Ausbruch ungezogener Jähzornigkeit schleuderte Sebastien den Gehrock von sich, die Galoschen folgten obendrein. Allein, er fühlte die anhängliche Hitze, die Bedrängnis noch immer, als habe sich der zügellose Senher wie Mehltau auf seine Haut gelegt, hielt ihn in der erstickenden Umschlingung! Endlich fasste der Jüngling sich, studierte das Konterfei im Spiegel. So konnte er sich nicht sehen lassen! Also griff er eilig nach einem Tuch, benetzte es mit dem parfümierten Wasser, tupfte sich das Gesicht, Hals und Nacken, bevor die Hände sorgsam bearbeitet wurden. Eine Ungezogenheit gegenüber seiner Freundin, der anmutigen, ahnungslosen Mabioline, wäre nicht zu rechtfertigen, auch wenn der affröse Gatte ein abscheulicher Adulter und Unhold war! Ein anderer Gehrock, das Gilet gewechselt, die Beinkleider blieben, die Galoschen verschmäht, statt ihrer elegante Schnallenschuhe aus feinstem Leder, dann brach Sebastien mit allem gebotenen Mannesstolz auf. Auch wenn ihm Schmach und Schande drohten, er ohne Wehr zur Tafel schritt, -der Dekadenz und Verkommenheit würde er nicht weichen! ~*~ Mabioline sprang auf, fasste ihren erstaunlich heiter gekleideten Gast vertraulich bei der Hand, sprudelte los, in gelassener Absicht, sogleich die spinnenfeinen Furchen der Entrüstung aus dem frischen Gesicht des Jünglings zu zaubern. "Ah, Sebastien, welch ein Vergnügen! Aber, mi Amigar, ich muss Euch erneut Abbitte leisten, denn mein vorwitziger Ratschlag, in der Bibliothek die Sprache der Maradoier zu studieren, hält Euch von Luft und Sonne fern! Selbst mein lieber Gemahl, der so nachsichtig mit meinen Launen ist, sah sich gezwungen, mich in zärtlichster Weise zu tadeln!" Sie zwitscherte und gurrte, rollte die Aquamarine, flatterte mit den Wimpern, -kurzum, was gewöhnlich das Repertoire der jungen Naiven aufbot. Selbstverständlich war der Senhora da Solador bekannt, dass ihr jugendlicher Gast recht wenig Umgang mit gleichaltrigen Damen gepflegt hatte und über keinerlei Gebot gegen solch konzentrierten weiblichen Angriff verfügte. Mit sanftem Nachdruck dirigierte sie ihn an ihre rechte Seite, deckte ihm fürsorglich auf, komplimentierte die schmeichelnde Kombination der sanften Farben, die ihn umhüllten. Kurzum, sie fing Sebastien in einem lockenden Netz süßer Worte. Der sich darin verstrickt sah, noch bevor ein Laut des Protestes, der Warnung, der Aufklärung seine Lippen passiert hatte. Man sprach bereits dem zweiten Gang zu, als er endlich die Courage fand, das unerträgliche Gebaren des Senher zu thematisieren. "Mabioline, ich.." Doch weiter gedieh er nicht in seinem brennenden Vorhaben, denn die schöne Dame legte eine kleine Hand auf seine blasse, beugte sich ihm zu mit tiefem Blick. "Ach, Sebastien, es ist mir unerträglich, dass Ihr die Tage solitär inmitten staubiger Bücher fristet! Und ich selbst, -eine inkapabable Gastgeberin-, mich mit der Hauswirtschaft zu befassen habe!" Erneut hob Sebastien an, höflich zu beschwichtigen, seiner Freundin Dank auszusprechen für die neue erworbenen Erkenntnisse, allein!, sie monologisierte mit treuherzigstem Augenaufschlag weiter! "Glücklicherweise hat mein nachsichtiger Gatte bereits eine Lösung, die Euch stärker mit dem Süden verbinden wird als das trockene Studium der Bücher! Sicherlich seid Ihr bewandert in der Kunst des Kartographierens, nicht wahr, mi Amigar? Und Eure Handschrift ist so herrlich klar und ohne Beiwerk, wie ich aus eigener Anschauung weiß. Darum also", die kleine Hand tätschelte seinen Handrücken wie einen ungeduldigen Welpen, "könnt Ihr ab morgen schon meinen lieben Gemahl begleiten! Es gibt da so einige Parzellen und feuchtes Gelände, die der Katalogisierung bedürfen." Sie lächelte fein, die Mundwinkel kräuselten sich zärtlich, während sie geduldig wartete, wie wohl Sebastien zu reagieren beliebte. ~*~ Sebastien gebrach es zunächst an Worten, sich der Konfusion zu erwehren, die ihn mit boshaften Grimassen umzingelte. »Unmöglich! Ganz und gar ausgeschlossen! Indiskutabel!« Dass er mit dieser abscheulichen Kreatur näheren Umgang pflegen sollte! »Ein abgeschmacktes Spiel, eine lächerliche Intrige!« Die schöne, unschuldige Dame zu benutzen, um den Verbrechen eine weitere Untat hinzuzufügen! Tollkühn fasste er die kleine Hand, barg sie wie ein fragiles Vögelchen in seinen Händen, wandte sich ganz seiner Dame zu. "Mabioline, es ist wirklich von Importanz, was ich Euch zu sagen habe", beschwor er mit leiser, eindringlicher Stimme die Aufmerksamkeit der schönen Frau. "Ihr wollt mir meinen Eigensinn nicht nachsehen?!", missverstand sie in klagendem Ton seine Eröffnung, zog eine jammervolle Schnute, selbst die blauschwarzen Korkenzieherlocken sackten gen Boden. "Aber keine Rede!", beschwichtigte Sebastien eilends mit überschlagender Stimme, verschreckt durch die vage Aussicht, er möge sich die Gunst der Senhora verscherzen. "Mir zu Gefallen wollt Ihr also meinem Senher assistieren? Bravo, mi Amigar! Ich bin so erleichtert, dass Ihr mir diese Freude bereitet!" Schon sprang sie auf die Beine, herzte Sebastien, der gar nicht wusste, wie ihm geschah und in köstlicher Verlegenheit erstarrte. "Ach ja", stoßseufzte die adorable Dame, als sie wieder artig neben Sebastien saß, "nun kann ich unbeschwert aufbrechen, um meine werten Eltern zu besuchen." Zu deutlich las sie das Erschrecken in den bleichen Zügen des Jünglings, lächelte nachsichtig in ihrem Inneren. "Es schickt sich zwar nicht", sie lehnte sich zu seiner Seite, gab sich jovial-bodenständig, "wenn ich so geschwätzig mit einem delikaten Sujet hausieren gehe." Ein Zwinkern tänzelte über die Aquamarine. "Allein, ich bin gesegneter Hoffnung und sehne mich danach, meine Eltern persönlich ins Bild zu setzen." Sie strahlte, der Coup war gelungen, im Handstreich jede Bastion des Gegners erobert! Denn Sebastien, fahlbleich und sehr gefasst, erhob sich, formulierte in artigen Sätzen seine Glückwünsche und sprach kein einziges Wort mehr zu den Affären der vergangenen Tage. ~*~ Niedergeschlagen und ohne Mut, steifen Schritts, die Kiefer aufeinander pressend kehrte Sebastien in sein Gemach zurück. Er illuminierte eine sparsame Leuchte, ließ sich matt auf der frivolen Chaiselongue nieder und barg die pochenden Schläfen in den Händen. Was er zu erreichen erhofft hatte, um die ahnungslose, vertrauensvolle Dame zu retten, -perdu! Verloren, ganz und gar. Man konnte jetzt, noch weniger als zuvor, die lästerlichen Amouren und die ehrabschneidenden Malicen des Hausherren zur Sprache bringen. »In Leib und Leben an diesen Lump gebunden!« Sebastien ballte die Fäuste in desperater Hilflosigkeit. Und auch er selbst, so durchfuhr es ihn eisig in Mark und Bein, war ab dem nächsten Tag allein dem Ungeheuer ausgesetzt. ~*~ Jaime unterdessen besprach sich mit seinem Gefährten Gaspard im kehlig-gutturalen Idiom der Mantanha. Vor ihnen ausgebreitet lagen zur Illustration die Karten und Verzeichnisse, die den gesamten Besitz der Mainada da Solador enthielten. Die Ernte zeigte sich erfreulich prächtig. Man würde wohl ein sattes Lager haben, das dem Winter mühelos zu trotzen versprach. Das Gesinde arbeitete fleißig und ohne strikte Aufsicht, die Atmosphäre war frohgemut und heiter. Summa summarum eine gute Gelegenheit, die ambitionierten Vorhaben umzusetzen, die sich skizziert unter einer Laterne wiederfanden: das Austrocknen einiger Sümpfe. Allerdings musste man sich eilen, die Drainagen zu ziehen, eine sichere Passage mit Holzkanten und Brettern zu bahnen und den Boden zu wenden. Wenn erst die Strahlkraft der Sonne und ihre glühende Hitze nachließen, wären die Arbeiten durch Ungezieferplage und die Heimtücke des gierigen Sumpfbodens bedroht. Zudem trug sich Jaime mit der Absicht, eine neuartige Konstruktion zu erproben, die das Austrocknen des Sumpfgeländes erleichtern sollte. Die Mantanhol, die gleichwohl keine morastigen Untiefen kannten, verstanden sich sehr gut auf die Zeichen der Natur. Und sie kannten die Maradoier, die wenig Bereitschaft zeigten, von traditionellen Vorstellungen abzuweichen. »Sofern man sie nicht ermunterte und den Beweis führte, wie es sich agreabler leben ließ«, fügte Jaime in Gedanken schmunzelnd hinzu. Deshalb bedeutete es ihm sehr viel, zunächst ohne große Zeugenschar seine Visionen zu erproben. Dass ihm nun der köstlich-widerstrebende Jüngling aus dem Ubac assistieren würde: ein aimables Geschick! ~*~ Die Sonne hatte bereits ein Viertel ihrer Bahn auf dem Weg zum Zenit beschritten, als man verkündete, dass das Frühstück angerichtet sei. Sebastien, der unruhigen Träumen entfloh, wappnete sich in hilfloser Resignation, verwandte besondere Sorgfalt auf seine Erscheinung. Einmal mehr bedauerte er, dass die Notwendigkeit einer Rasur ihm lediglich im halbmonatlichen Rhythmus eine Begegnung mit der geschärften Klinge verschaffte. Wenn er doch nur mehr Staat machen könnte! Allein, die fahle Blässe der Haut, die durchschnittliche Körperhöhe, die feinen Glieder: wie sollte er diesen veritablen Unmenschen in die Schranken verweisen? Wenn der Worte ausreichend gewechselt waren und sich Vernunft und Anstand geschlagen geben mussten?! In einem himmelblauen Gehrock, seidig-schwarzen Kniehosen und einem azurblauen Gilet, die karamellfarbenen Haare streng in eine marineblaue Schleife gezwungen, machte Sebastien, auf das Ärgste gefasst, der Dame des Hauses seine Aufwartung. Mabioline residierte bereits in vollendeter Toilette, eine ätherische Komposition aus seidigem Glanz und zierlicher Spitze. Für Sebastien, der die Strenge der Luminnier bis zur Neige gekostet hatte, nahm sich der bordeauxfarbene Stoff des ausgestellten Kleids mit dem geschnürten Dekolletee verwegen aus. Einerlei, es korrespondierte auf das Schmeichelhafteste mit den coiffierten blauschwarzen Korkenzieherlöckchen, den strahlenden Aquamarinen und den kirschroten Lippen, die ihm ein zärtliches Lächeln schenkten. Man speiste bereits, als sich der Hausherr einfand. Welcher Kontrast gegen seine geliebte Ehefrau, deren Stirn er zärtlich küsste! Die ebenholzfarbenen Locken kaum gebändigt, ein loses Kamisol aus gegerbtem Leder, darunter bodenlange Stoffhosen mit seitlicher Schnürung, die Füße blank! Keine Hemdbluse, kein Jabot, kein Überzieher!! Eine Aufmachung wie ein liederlicher Herumtreiber!! Sebastien konnte kaum glauben, dass sich ein Herr im Aufzug eines Wilden sehen ließ. Die sonnengebräunte Haut glänzte mit dem Hirschleder um die Wette! Sein Appetit wollte sich angesichts derart unpassender Gesellschaft nicht mehr einstellen, sodass er stumm wartete, bis man die Tafel aufhob. "Ihr werdet mich doch sicher verabschieden, nicht wahr, Sebastien?", bedeutete ihm Mabioline, nicht von ihrer Seite zu weichen. Nahm seinen Arm zum Geleit ihrer Linken, während sich ungeniert wie bei Bauernvolk der muskulöse Arm Jaimes um ihre Taille schlang. Wer hätte diesem Wimperntusch über aquamarinen Meeren der Glückseligkeit widerstehen können? Der Jüngling aus dem Ubac schickte sich drein, wartete artig, bis man in einer Barouche Platz genommen hatte, eine geflochtete Weidentruhe aufgeladen war, um den Komfort der Reisenden sicherzustellen. Er mochte seinen Augen kaum glauben, als sich ausgerechnet der finstere Majordomus an die Seite der adorablen Mabioline gesellte. Man spannte geschwind an, zwei Burschen erkletterten den Kutschbock, die Dame öffnete den Parasol, Staub und Kiesel wirbelten, dann verlor sich die Silhouette bald in der glühenden Sonnenhitze. Die tränenden Augen auf die sich entfernende Freundin gerichtet verweigerte sich Sebastien jeden Seitenblicks auf den Senher da Solador, der ihn unverwandt studierte. "Auch wir wollen uns zeitig aufmachen, mi Amigar. Wenn ich Euch raten darf, Sebastien, wechselt Eure Garderobe für unser Unterfangen. Ich war so frei, Euch eine Auswahl zurechtlegen zu lassen." Und ließ ihn stehen, solitär unter dem unbarmherzigen Brand des Himmelssterns. ~*~ Jaime unterdrückte ein nachsichtiges Schmunzeln, als er mit Asard und Garamer an den Zügeln am Brunnen eintraf. Erwartungsgemäß hatte sich Sebastien seiner Empfehlung enthalten, lediglich zum Sonnenschutz den malädierten Dreispitz aufgepflanzt. "Darf ich Euch assistieren?", offerierte Jaime generös. da er um Sebastiens mangelnde Übung beim Aufstieg auf einen Pferderücken wusste. Indigniert und stumm wandte dieser das Haupt ab, erstieg den steinernen Brunnenrand, um von dieser Erhebung in wenig eleganter Weise Garamers Sattel zu erklimmen. Der Senher da Solador bemühte keinerlei Hilfsmittel, auch einen Sattel suchte man vergebens. Eine bunte Webdecke trennte Ross und Reiter, der mit artistischer Elastizität aufsprang, sich tief hinablehnte, um Asard liebevoll zu striegeln, kehlige Anweisungen einzuflüstern. Dann, einen aufmunternden Schenkeldruck später, führte Jaime ihre kleine Gesellschaft vom Hof. Auf den Feldern herrschte trotz der drückenden Hitze, die jeden Tropfen Flüssigkeit aus dem Körper saugte, ein emsiges Treiben. Fuhre um Fuhre holperte ihnen entgegen, von freundlichen Grüßen akkompagniert. Jaime winkte, erwiderte Scherzworte, blies sogar Küsse auf die Fingerspitzen, sie einigen Mägden zuzusenden. Sebastiens Kiefer schmerzten bereits, weil sie sich so sehr aneinander pressen mussten, um diesem despektierlichen Treiben nicht Einhalt zu gebieten. Stechend sengten sich glühende Sonnenstrahlen in seine Kleider, erforderten den steten Einsatz des Spitzentuchs, um unerwünschte Transpiration abzutupfen. Seine verachtenden Gedanken verloren sich in der unerträglichen Glut, die ihn umzirkelte. Vage konzentrierte er die verbliebenen Kräfte darauf, nicht von Garamer zu stürzen, der stoisch Asard folgte. Endlich erreichte man eine grüne Einöde, von solitärem Baumbewuchs aufgelockert. Jaime saß mit Schwung ab, bedankte sich zärtlich bei seinem treuen Gefährten, entließ diesen dann seinem Belieben, bevor er sich Garamer zuwandte. Sebastien, der sich vergebens mühte, würdevoll herabzugleiten, fand sich wie ein Kind in Jaimes Armen aufgefangen und mit nachsichtiger Wärme unter die schattenspendende Baumkrone platziert, wo er gegen knotige Borke lehnte. Der Mantanhol befreite unterdessen Garamer von der Last der Satteltaschen. Die ledernen Beutel absetzend hob er auch den Sattel von dem geduldigen Reittier, gab ihm einen freundlichen Schlag auf die Flanke, sich seiner temporären Freiheit zu erfreuen. "Nun, Sebastien, wohlan", lächelte Jaime mit blitzenden Zähnen, hielt geradewegs auf den saftig grünen, trügerisch einladenden Sumpf zu. Neben dem dünnen, Sand bestreuten Pfad, der sie hergeführt hatte, warteten bereits Pflöcke, Bretter und Holzkanten auf ihren Einsatz. Ohne sich um Sebastiens schweigende Verweigerung jeden Zugeständnisses zu kümmern, erläuterte Jaime ruhig das Vorhaben für den heutigen Tag. Zunächst sollte mittels Pflöcken das Gelände genau abgesteckt werden, das sie zu dehydratisieren suchten. Einen sicheren Pfad über den Sumpf hatte er bereits ausgemacht und markiert, sodass man gleich die Länge des zukünftigen Feldes beschreiten konnte. Jaime schulterte zwei gewaltige Pflöcke, die das entfernte Ende des Felds begrenzen sollten, reichte Sebastien, der nun doch zweifelte, mit den feinen Schnallenschuhen die richtige Wahl getroffen zu haben, einen gewaltigen Hammer. Unter großem Kraftaufwand gelang es Sebastien tatsächlich, den Hammer über den tückischen, seufzenden, nachgiebigen Boden zu manövrieren, im steten Kampf mit dem Dreispitz, der aus der Balance zu geraten drohte. "Nun", Jaime kauerte bereits an einem Grenzpunkt, "Sebastien, Ihr wollt freundlicherweise den Pflock richten, während ich den Hammer operiere. Auf der anderen Ecke halten wir es umgekehrt", zwinkerte er dem Jüngling aus dem Ubac zu. Während Sebastien unter despektierlichem Schmatzen des feuchten Bodens den Pflock hielt, -vorgebeugt, der Dreispitz ritt tollkühn auf dem Hinterkopf-, schwang Jaime den gewaltigen Hammer mit ansatzloser Eleganz. Schlag um Schlag traf das stumpfe Ende des Pflocks, der tief in die Erde getrieben wurde, nach weichem Morast endlich auf härtere Beschaffenheit stieß. Jaime schritt dann aus, sorgfältig den Boden auf die Tragkraft ergründend, den Pflock auf der Linken, den Hammer auf der rechten Schulter. Sebastien folgte eilig in seinem Schatten, denn er fürchtete den Gedanken, von den feuchten, heimtückischen Untiefen eingesaugt zu werden. Wie ihm sein fröhlicher Tormentor bereits angekündigt hatte, sollte sich der Luminnier nun daran versuchen, mit gezielten Schlägen den Pflock in die Erde zu treiben. Allein, bereits das Anheben des gewaltigen Hammers über die Höhe der Ellen brachte Sebastien in gefährliches Schwanken. Er zwang sich mit knirschenden Kiefern, der Hammer erreichte das Niveau der Schultern, und der Jüngling taumelte haltlos, verlor einen Schuh an den gierig schluckenden Morast, fiel hintenüber und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Umsichtig barg Jaime zuerst den schweren Hammer auf sicherem Grund, dann fasste er Sebastien, der in wachsender Panik zu strampeln begann, um die Taille, entzog dem Sumpf seine Beute. Bis auf den zweiten Schuh und den malträtierten Dreispitz. ~*~ Barhäuptig und in Socken rang Sebastien mit aufkeimender Verzweiflung. Für schmähliche Augenblicke hatte ihm die Umklammerung der kraftvollen Arme Sicherheit und Trost bedeutet! Und nun, derangiert und bloßgestellt, musste er sich einmal mehr der Gnade des unsäglichen Senher da Solador ausliefern! Erwartete dieser allen Ernstes, dass Sebastien mit der Fron fortfuhr, in diesem schändlichen Aufzug? In der Tat. "Sebastien, ich vertraue Eurer Obhut den Pflock an, mi Amigar." Süffisant überging der verwünschte Senher da Solador jedwede Gelegenheit der Kritik und des Spottes, schwang erneut in präziser Anmut den schweren Vorschlaghammer. Wie zuvor fügte sich dieser artig der fortgesetzten Gewalteinwirkung, senkte sich in den weichen Boden, bis er auf eine festere Grundlage stieß. Der Jüngling schwankte bedenklich, als er von einer kraftvollen Hand unter der Elle auf die Füße gehoben wurde, versagte sich die unbotmäßige Reaktion, grob die ungebetene Assistenz abzuwehren. Ohne die schützende Wirkung des Dreispitzes sengte die Sonne unbarmherzig den karamellfarbenen Schopf, bohrte sich böswillig in die Stoffschichten, die Sebastien einkleideten. "Nun, zwei weitere Pflöcke harren unser!" Beschwingt schritt Jaime aus, in einfachsten Strohsandalen an den blanken Füßen, als existiere die tödliche Gefahr des Einsinkens nicht. Schweigend, da schon die Zunge durstig in seinem Mund anschwoll, folgte Sebastien, prägte sich die Spur ein, um keinen weiteren Ungeschicklichkeiten zum Opfer zu fallen. Rasch erkannte er die Vorteile von Jaimes Fußbekleidung: die breiten, ausgestellten Sohlen verteilten das Gewicht ihres Trägers auf eine größere Fläche, sodass die Verdrängung in dem tückischen Morast sich weniger konzentrieren konnte. Allein, was vermochte ihm diese Erkenntnis, nun, da er sich in solch desagreabler Situation fand? Er konnte den Misslichkeiten lediglich trotzen, indem er sich als Kavalier bewies, schlichtweg jede Beeinträchtigung ignorierte, ihr die Importanz einfach absprach. Da wurden die Beinkleider in Höhe der Knie fleckig, die Strümpfe von brackigem Schlammwasser getränkt: was kümmerte es ihn? Wenn er sich nicht gewillt zeigte, diese Unannehmlichkeiten zu bemerken, so waren sie ohne jede Relevanz! ~*~ Der Senher da Solador registrierte unterdessen freudig, dass Sebastien nicht selbstmitleidig Aufhebens machte, sondern in stolzer Missachtung seines derangierten Auftritts auch die letzten beiden Pflöcke entschlossen justierte. Mochte es ihm auch an körperlicher Kraft gebrechen: sein eiserner Wille forderte Jaimes freimütig zugestandenen Respekt ab. "Nun", konzentrierte er die grünen Augen mit ihren braunen Einsprengseln auf sich, goutierte die sanfte Färbung der bleichen Wangen, "wie Ihr sicherlich bemerkt habt, ist der Untergrund gefährlich schlüpfrig. Es wäre also ein glückloses Unterfangen, mit einem Pflug den Morast umzuwenden, um ihn auszutrocknen." Jaime lüftete nun das Mysterium seiner ehrgeizigen Pläne. "Seht her, Sebastien", ging er neben dem Sand bestreuten Weg in die Hocke, wischte mit einer Hand die ebenholzfarbenen Locken aus der Stirn, "wenn man sich nun der Flaschenzüge bediente, eines Gewichtes und einer Kurbel..." Er wandte den Kopf, um das Antlitz des Jünglings zu studieren, der, ein wenig steif, die Handflächen auf die Oberschenkel stützte und sich neben ihm herabbeugte. "Eine Eurer Konstruktionen?", erkundigte sich der Luminnier mit spröder Distanz, Skepsis in jeder Silbe artig verabreicht. "Das wäre wohl vermessen", Jaime lächelte mit blitzenden Zähnen. "Ich bediene mich lediglich der alten Meister. Was glaubt Ihr, mi Amigar, wird es gelingen?" Solcherart herausgefordert konnte Sebastien sich nicht einer Einschätzung enthalten, allein, er zögerte. Er wusste wohl über die illustrierten Darstellungen Bescheid, die das Fundament für die Pläne des Senher da Solador legten, doch... konnte ein solches Unterfangen veritabel von Erfolg gekrönt sein? "Nun, wir werden sehen", beließ es Sebastien bei einer kühlen Replik der vorgeblichen Gleichgültigkeit. Jaime forcierte keine weiteren Einlassungen, sondern entsandte den Jüngling, sich erneut aus dem Baumschatten über das abgesteckte Feld zu wagen, dieses Mal in Begleitung von schweren Trossen, Spulen und Kurbeln. Die Konstruktion sah vor, dass man eine doppelte, schwere Trosse über die Länge des Feldes spannte. Mittels Spulen, die die Kraft verteilten, sollte ein Pflug, den ein senkrechtes Gewicht beschwerte, langsam per Kurbel über den Sumpf bewegt werden. Die Vorbereitungen erforderten ein großes Maß an Aufmerksamkeit, denn nicht nur die Spulen, die die aufgewandte Kraft potenzieren sollten, mussten sorgsam kombiniert werden, auch die Spur, die der Pflug einzuhalten hatte, war solide zu arretieren. Zu diesem Zweck hieß es, zwischen die Pflöcke im Schrittmaß hüfthohe Pfähle zu versenken, sie mit Querbalken zu stabilisieren und damit die Spuren für die Pflugschar zu bestimmen. Obwohl Jaime keine sonderlich hohen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Jünglings aus dem Ubac hegte, sah er sich angenehm überrascht. Unversehens entledigte sich Sebastien des hinderlichen Gehrocks, lockerte das Jabot, wickelte den Rüschenbesatz der Hemdsärmel auf und stapfte trotzig in durchweichten Strümpfen über die abgesteckte Länge des Feldes. Mit Lederriemen polsterte man die Laufrollen aus, um die schweren Trossen zu schützen. Dann wagten sie sich gemeinsam an das gefährliche Unterfangen, den Pflug in das konstruierte Geschirr zu bewegen. Bis an die Knie sanken beide ein, zur Sicherheit den Pflug mit weiteren Seilen vertäuend. Die Trossen ächzten unter der Belastung, bis endlich der Pflug in der ersten Spur saß. Das notwendige Gewicht auf seiner Spitze schloss sich an, dann spannte Jaime mit aller Muskelkraft die Trossen, bis diese sangen. Die Sonne hatte nun fast den Mittagsstand erreicht, ihre Glut konnte sich kaum mehr steigern. Sebastien kauerte sich im Baumschatten am Pfad, rang in kurzen, schwächlichen Stößen nach Atem, während ihm klamm und erstickend der Kleiderstoff auf dem Leib klebte. Wie sollte er ungeschützt in diesem Himmelsbrand die zweite Kurbel am anderen Ende operieren? Selbst das aromatisierte Wasser aus der Kürbisflasche konnte die Qual seiner angeschwollenen Zunge kaum lindern. Die Augen tränten, weil die gleißende Helligkeit sie blendete. Trugbilder tanzten wenige Spannen über dem Boden in der Luft. Selbst die Zikaden schwiegen. Eine warme, trockene Hand schmiegte sich an Sebastiens Wange, die Daumenspitze liebkoste zärtlich spröde Lippen. Blinzelnd, -denn es konnte nur ein unmanierlicher Mensch es wagen, sich ihm in dieser Weise aufzudrängen-, tadelte Sebastien die schwarzen Augen unter den pointierten Brauen. "Bedient Ihr bitte die Kurbel hier. Ich selbst werde mich der jenseitigen annehmen", ordnete Jaime rücksichtsvoll an, jedoch in einem Tonfall, der Gehorsam einforderte. Ein Umstand, der verständlicherweise den Jüngling aus dem Ubac verdross, denn welches Recht hatte dieser Bauer, ihn zu kommandieren?! Wie ärgerlich, dass jener bereits leichtfüßig über das Feld enteilte! Man konnte schlechterdings unmöglich eine Erwiderung in seinen Rücken rufen! Mit der unumstößlichen Überzeugung, dass der unsägliche Senher da Solador über keinerlei Manieren verfügte, stellte sich Sebastien leidgeprüft auf die bestrumpften Füße. Querte den Pfad, um an die Kurbel zu treten, die den Pflug über das Feld bewegen sollte. Jaime auf der entfernten Seite signalisierte mit einem schrillen Pfiff, -konnte man sich das vorstellen?! Ein Senher?!-, dass er gleichermaßen kurbeln wollte. Die Trosse jammerten und schwankten, der Pflug zitterte... und setzte sich schwerfällig in Bewegung. Spanne um Spanne trennte sich der Morast am Sech, glitt an der Pflugschar hoch und wurde endlich am Streichblech gewendet. Als endlich die erste Bahn gelungen war, der Pflug bei Jaime wartete, hieß es erneut für Sebastien, dem köstlichen Schatten zu entsagen und in die sengende, alles durchdringende Mittagsglut zu treten. Nicht nur die Spulen mussten umgesetzt werden, die Trosse erneut gespannt, nein, auch der Pflug samt dem Gewicht bedurfte einer Umkehr. Die bloßen Hände schmerzten heftig, von Blasen und Schwielen verunziert, die Muskeln zitterten und ächzten, weil ihnen alles abverlangt wurde. Und Jaime gestattete keine Rast! Sebastien spürte einen unziemlichen und in seiner Gewalt beängstigenden Hass auf den Mantanhol in sich aufsteigen. Wie mühelos die sonnenverwöhnten, glänzend geölten Muskeln diese Fron absolvierten, sich anmutig spannten und ballten. Das stete Lächeln, sich im Erfolg suhlend, dazu die ungebärdigen Locken, die goldenen Kreolen und die schwarzen Augen, die keine Spur angestrengter Qual enthüllten: infam! War er ein Bauer, ein Knecht, Gesinde, dass er sich mit solcherlei Arbeiten plagen musste?! Wie konnte sich dieser Emporkömmling aus der Mantanha erlauben, ihn dieser Schmach zu unterziehen?! "Ich sehe wohl, mi Amigar, dass Ihr einer Pause bedürft", schnitt unerträglich nachsichtig die samtig-frivole Stimme mit ihrem kehligen Akzent in Sebastiens Gift getränkte Überlegungen. Aha! Nun wollte man ihn brüskieren, ihn deklassieren zu einem bedauernswerten Schwächling, durch den Anschein von Rücksichtnahme gleichsam Spott über ihn ausgießen! Und ohne Jaime eines Wortes zu bedenken setzte Sebastien mit verbissener Entschlossenheit seine Arbeit fort. ~*~ Der Mantanhol fragte sich im Stillen seiner froh gestimmten Gedanken, wie lange noch sein abweisender Gefährte den nachlassenden Körperkräften zu trotzen vermochte. Wie es der Arbeit auf den Feldern entsprach, wurde pausiert, wenn die Witterung oder das Tageslicht kein Fortschreiten erlaubte. Im Übrigen aber frönte man seiner Beschäftigung, bis der Tag sich endgültig neigte. Hier und da nahm man wohl einen Schluck Wasser, streckte die Glieder, tränkte hartes Brot in aromatisches Öl, doch eine veritable Unterbrechung gestattete sich nicht. Die Zeit, die verloren ginge, könnte im schlimmsten Falle einen großen Teil der Ernte kosten, im Winter gar ein Leben, wenn die Vorräte zu mager blieben! Allein, ein Senher aus dem Ubac, der an solcherlei Arbeiten nicht gewöhnt war, konnte wohl kaum mit dem gleichen Maß aufgewogen werden. Sebastien hielt sich jedoch noch immer, von der Sonne verglüht, mit Staub bedeckt, schlammige Spuren auf Kniehosen und Strümpfen, die gerüschten Hemdsärmel mit brackigem Wasser vollgesogen. Von den Händen ganz zu schweigen, so schlank und bleich, nun geschwollen und gerötet, von der harten Arbeit an der Kurbel geschunden. Als endlich der ersehnte Abend sich zeigte, die Sonne feurig flammend den Himmel in Brand steckte, bevor sie hinter der Mantanha verschwand, schritt Jaime beschwingt seinen zukünftigen Acker ab. Eine stolze Anzahl von Bahnen hatten sie umgepflügt, deren feuchte Konsistenz am nächsten Tag in der Sonne austrocknen würde. Allerdings maß das Feld größere Spannen ab, und man würde zweifelsohne noch zwei weitere Tage benötigen, um allein die ersten Arbeiten abzuschließen. Hatte man nämlich erst einmal das sumpfige Erdreich tourniert, so galt es, das stehende, verdunstende Wasser in Drainagen zu leiten, damit es sich dort sammelte und aus dem Feld geleitet werden konnte. Jaime winkte seinen schweigenden Mitstreiter, ihm zur Hand zu gehen, denn der Pflug wollte über die einbrechende Nacht sicher vertäut werden, damit er nicht unfällig versank. Nun erst konnte Jaime einen Blick auf Sebastiens Zustand werfen. Die grünen Augen trugen schwere Verkrustungen von Staub und Schmutz, gerötet und entzündet, glasig von Fieber. Die Lippen spröde, von den eigenen Zähnen gezeichnet, die helle, mondscheinblasse Haut von der Sonne verbrannt, sodass sich an ungeschützter Stelle schorfige Krusten gebildet hatten. Die Hände jedoch... Der Mantanhol fasste die schmalen Handgelenke, hinderte mit Nachdruck, dass Sebastien sich ihm entzog, drehte sie mit der Fläche nach oben. Hände, die lediglich die Feder führten, gelegentlich einmal die Zügel hielten, im Übrigen jedoch den feinen Künsten zugeneigt von harter Arbeit niemals gezeichnet worden waren. Auf ihre doppelte Größe angeschwollen die Finger, blutige Blasen reihten sich, verfärbten die gesamte Partie. Ein grässlicher Anblick, der sich ihm bot. Zudem zitterten sie so entsetzlich, dass kaum vorstellbar war, wie der Jüngling mit ihnen der Kurbel Herr wurde. Jaime hob den scharfen schwarzen Blick auf, traf den fiebrig-zürnenden Sebastiens. "Wir werden sie verbinden, Sebastien", versicherte er mit zärtlichem Ernst, ein wenig kehliger als gewohnt. Der hochfahrende Jüngling aus dem Ubac jedoch ließ keine Freundlichkeit zu, entzog sich brüskierend dem Zugriff, marschierte stolz zum Pfad. Man schätzte diese Art Vertraulichkeiten nicht, bedurfte nicht der Fürsorge. Der Senher da Solador zog die pointierten Augenbrauen zusammen, pfiff dann scharf nach den beiden vierbeinigen Gefährten. Diesen Tag wollte er nicht im Streit beschließen. ~*~ So beängstigend der Gedanke, dass er die eigenen Hände nicht mehr spürte, so indifferent die Reaktion, die Sebastien seiner Umgebung präsentierte. Er begriff wohl, dass ihn ein Fieber erfasst hatte, seine Sinne sich verwirrten, allein, was bedeutete es ihm? Sie mochten tun, wie ihnen konvenierte: er favorisierte eine erholsame Bettruhe. Allerdings entließ ihn der unerträgliche Senher da Solador nicht aus seinen unerwünschten Aufmerksamkeiten. Die Bonne kujonierte ihn, die Kleider schälte man von seinem Leib, sans gene! Mit der Würde eines Kavaliers ignorierte Sebastien die Unbillen dieser primitiven Personen, ob man ihn auch salbte und verband. Kaum dass sich endlich Einsamkeit über sein Gemach legte, sank er mit wehem Seufzer auf seiner Bettstatt zusammen und rührte sich nicht mehr. ~*~ Jaime nutzte die Gelegenheit, Sebastiens Gemach ohne hinderliches Mobiliar verbarrikadiert zu finden, um im Schein einer bescheidenen Laterne neben seinem Calinhaire Platz zu nehmen. Die Hände eingebunden, unter dem losen Hemd klebrige Breischichten, um der Sonnenqual Einhalt zu gebieten: es dauerte ihn in seinem Herzen. Zärtlich glitt er mit den Fingerspitzen über die karamellfarbenen Strähnen, die nur des Nachts der strengen Zucht entfliehen durften, sich zögerlich lockten. Wie sollte er sich entscheiden? Wies er seinem hoffärtigen Gast am nächsten Tage eine Aufgabe zu, die fern der Sonne und körperlicher Arbeit verrichtet werden konnte, so würde er jedem bedeuten, dass Sebastien nicht fähig war, ihm zu assistieren. Ein weiterer Tag jedoch, der diesem ersten glich: der zarte Jüngling würde wohl daran zerbrechen. Der Senher lächelte melancholisch in die Nacht. Er sehnte sich nach seinem Kameraden. ~*~ Der Morgen war dem Senher aus dem Ubac ein einziger Schmerz. Zunächst entsagte er nicht aus eigenem Entschluss dem wohltätigen Schlaf, oh nein! Vielmehr drang man unter lautem Geschrei in sein Gemach, bemächtigte sich der schützenden Laken und kommandierte. Was man, -die Bonne selbstredend!-, da verlangte: Sebastien verstand es nicht. Die Gedanken wollten sich nicht zum Rapport sammeln, das Zimmer schwankte in seinen Festen, die Lider lösten sich nur widerstrebend. Die Bonne allerdings, die keine Rücksicht zeigte, ließ keinen Aufschub gelten. Ein nasser Lappen schlug dem Wehrlosen ins Gesicht, von kreisenden Handbewegungen animiert, dann beförderte man den Protestierenden ob dieser infamen Behandlung von der Matratze. Sebastien sah sich genötigt, einen stützenden Pfosten zu umklammern, ein winziger Felsen in stürmischer See. Allein, die schmähliche Behandlung erreichte nun erst ihren Höhepunkt. Zwei Kinder apportierten eine niedrige Bütte, die man vor die Chaiselongue platzierte. Dann drängte ihn die Bonne gewaltsam, in diese hineinzutreten. Wo er stand, sich zu sammeln versuchte, als man ihm schon, -die Bonne hatte zwei ältere Waschfrauen herbeigeordert-, das Hemd vom Leibe zog und ungeniert mit feuchten Tüchern die bemitleidenswerte Haut traktierte. Sebastien keuchte, die Lippen fest gepresst, die Augen voll Scham geschlossen, solcherart entblößt und insultiert über jede Vorstellung hinaus. Nachdem der unsägliche Akt final abgeschlossen, der blanke Leib mit duftenden Essenzen zur Wundbehandlung eingerieben, fand sich Sebastien nicht etwa solitär in seinem Gemach. Nein, vor ihm lagerte sich nonchalant, die Arme aufgefächert, der boshafte Senher da Solador auf der Chaiselongue, studierte mit intensivem Blick, was Sebastien nicht zu bedecken vermochte. Die Fäuste geballt in hilflosem Zorn wandte sich der Jüngling um, dem Kleiderschrank zu, fest entschlossen, diesem unerträglichen, impertinenten Eindringling mit Missachtung zu begegnen. Ärgerliche Mühe erlegte ihm die Einschränkung der eingebundenen Hände auf, doch er wollte sich nicht meistern lassen. Als sich die Flügeltüren teilten, stand eine weitere Entscheidung an: wie sollte er sich bekleiden? Einmal mehr mit Gehrock, Gilet und Kniehosen? Oder doch die seltsamen Hosen und die bäuerliche Weste, die der aufdringliche Senher ihm am gestrigen Tage offeriert hatte? Die Ratio gewann die Oberhand. Sebastien wandte sich um, der Form willen einen scharfen Blick auf den Usurpator seines Gemachs zu richten, ihm zu bedeuten, dass es keine Konzession darstellte, wenn er sich gezwungen sah, dem Stil eines Kavaliers zeitweilig zu entsagen. Die Chaiselongue residierte solitär. Jaime war lautlos gegangen. ~*~ Wie an jedem frühen Morgen, während der frugalen Mahlzeit, die man sich teilte, richtete der Senher da Solador mit herausfordernder Miene das Wort an seine Mainada. Ein jeder kannte seinen Platz, doch niemand mochte die Ermunterung missen, die feurige Begeisterung, die unbeugsame Entschlossenheit, die Jaime in simple Worte fasste. Sie hatten schon viel erreicht, am Ende des Tages aber würde noch mehr gewonnen sein, reiche Ernte und ruhige Winterzeit kündigten sich an. Sebastien, der allein im Esszimmer speiste, wie es einem Kavalier anstand, arrangierte sich derweil missvergnügt mit seiner Bekleidung. Das Kamisol wog schwer mit dem nach innen gekehrten Lammfell, es roch recht despektierlich. Dazu die ledernen Hosen mit ihrer ungewohnten Schnürung entlang der Seiten, die bloßen Füße in Strohsandalen eingebunden: nein, dieser Aufzug konvenierte Sebastien d'Aire in keinster Weise. Als er auf die Veranda trat, wartete man bereits auf sein Erscheinen. Nicht allein Jaime, nein, zwei weitere Knechte begleiteten den Einachser, vor den man Garamer gespannt hatte. Jaime ritt solitär auf Asard, der bereits freudig tänzelte und schnaubte, sodass Sebastien mit kühler Wortlosigkeit den Einachser wählte, eine Strebe fasste, damit er nicht von der Ladefläche stürzte. Schwankend und schaukelnd bahnten sie sich ihren Weg. Die Knechte sangen mit dunklen Stimmen wenig melodiös ein Lied, der Senher warf Scherzworte ein, -und Sebastien schwieg abweisend. Man hatte ihm einen geflochtenen Hut aufgenötigt, in der Größe eines Wagenrads, kratzend und unbequem auf dem Kopf zu balancieren. Allein, der Schattenwurf linderte die Qual, die die Sonne dem Jüngling auferlegte. Sobald die Ahnung ihrer Strahlen ihn berührte, entzündeten sich die einbalsamierten Flammen aufs Neue, loderten unerträglich durch Haut und Fleisch, als wollten sie ihn bei lebendigem Leibe verzehren. Kaum dass sie ihr Ziel erreichten, saß Jaime elegant von seinem Reittier ab, auch an diesem Tag ohne Sattel und Beiwerk, wies sogleich die Knechte an, ihm den Pflug zu richten. Sebastien zugewandt blitzten seine blendend weißen Zähne auf. "Nun, mi Amigar, heute wollen wir es mit Verstärkung versuchen. Bleibt Ihr hier am Pfad, ich werde Euch signalisieren." Es ließ sich gut an, denn einmal in der Tat begriffen, da schwiegen auch die Knechte, kurbelten mit wachsendem Vertrauen in diese ungewöhnliche Konstruktion, sodass sich bald die Bahnen streckten. Jaime unterdessen nutzte jeden Weg des Pflugs in seiner Länge, um die Beschaffenheit des Bodens zu erkunden, einzelne Stege auszulegen, damit die ersten Drainagen abgeleitet werden konnten. Die Sonne hatte bereits den Zenit hinter sich gelassen, als Sebastien sich erneut in Partnerschaft mit Jaime sah. Der Jüngling glühte von der Hitze, die ihn erfüllte, träge in monotone Qual eingesponnen, die jede Reaktion auf das Minimum beschränkte. Er sah wohl, dass Jaime die Arme von der Kurbel hob, hörte unbestimmtes Rufen, allein, seine Hände, in durchtränkten Verbänden, fuhren fort, die Kurbel zu bewegen. Die Trossen spannten sich verzweifelt, zitterten. Der Pflug taumelte, von einem Hindernis blockiert. Die ganze Konstruktion ächzte. Keiner wollte dem anderen nachgeben... Bis mit einem peitschenden Knall wie Blitzschlag die schwere Trosse riss. Wie in Agonie um sich zuckte, schwer auf den Boden schmetterte. Um Haaresbreite entgingen sie dem gefährlichen Todeskampf, der wahre Furchen in den Morast grub, mannshoch schlammige Brühe schleuderte. Die Schrecksekunde überwunden eilte Jaime los, den Pflug zu retten, damit dieser nicht versank. Er lief auf dem Morast, eine Hand sichernd um die einsinkende Trosse, ein Seil um den Oberkörper gewunden. Die Knechte erkannten rasch, welches Risiko ihr unerschrockener Senher einging, stemmten sich in die Erde, wickelten mit bloßen Händen die Trosse um den eigenen Leib. Jaime sank ein, doch er kämpfte sich dem Pflug zu, darauf bedacht, eine Schlinge zu binden. Das Gewicht drückte den Pflug nieder, die Rollen ächzten, der Sumpf saugte gierig schmatzend. Bis an die Hüften hatte er sein Opfer bereits umschlungen, doch nun zeigte sich, dass die Ursache des Unglücks auch Rettung bot: der schwere Fels, der sich verborgen unter der schlammigen Decke befunden hatte, bot Jaime Halt. Das Gestein erklimmend rang der Mantanhol allein mit dem gewaltigen Gewicht des Pflugs. Unterdessen war es beiden Knechten gelungen, die Trossen zu sichern, damit sie nicht vollends versanken. Nun eilte man, besorgt und erschrocken, entlang der Feldbegrenzung dem tapferen Senher zur Hilfe. Allein, einen Weg hinein gab es nicht, selbst aufgelegte Bretter würden wohl kaum der Last standhalten. "Fasst das Seil und sichert es, dann bringt mehr herbei!", gab Jaime Anweisungen, die Muskeln und Sehnen zum Bersten gespannt, den wertvollen Pflug nicht an den Sumpf zu verlieren. Endlich spannten sich ausreichend Seile um den Pflug. Dann zog man diesen mühsam quer durch die bereits umgekehrten Bahnen, bis Bretter und Pflöcke ein breites Lager boten. Jaime trat den gefährlichen Rückweg an, von Schlamm verkrustet, mit sorgenvoller Miene. "Seht nach dem Pflug, ob er beschädigt ist", hielt er die Knechte beschäftigt, die ihn mit großer Erleichterung empfingen, wanderte zum Pfad hin. Sebastien lag ausgestreckt, der Strohhut zerschmettert in einiger Entfernung. Der Senher fiel auf die Knie, hob behutsam den zarten Jüngling an seine Brust, benetzte das sonnengezeichnete Gesicht mit dankbaren Küssen. Der Schreck und die Erschöpfung hatten ihren Zoll gefordert. ~*~ Kapitel 6 - Fluchten Als man des Abends das Gut erreichte, sprach sich in Windeseile die Kunde herum. Dass ein Unglück sich ereignet hatte, doch der Senher in glorioser Furchtlosigkeit den wertvollen Pflug gerettet! Mehr noch, am folgenden Tag erneut die Konstruktion in Betrieb zu nehmen gedachte! Wie es aber zu diesem Unglücksfall gekommen sei, ja.... Und hier schieden sich die Geister, denn so oft man auch die beiden Knechte befragte, eine abschließende Meinung musste sich ein jeder selbst bilden. Hatte der fremde Jüngling aus dem Ubac absichtlich die Anweisungen des Senher missachtet? Wünschte er ihm gar den Tod?! Was sollte man davon halten, dass er sich nicht zu erinnern wusste, sich in eine Ohnmacht flüchtete? In einer Einschätzung war man sich jedoch einig: der Senher erwies diesem ungebärdigen, respektlosen Jüngling zu viel Nachsicht. Sebastien wusste von diesen erregten Debatten nichts. Er fieberte und fand sich, im Gegensatz zum Morgen ohne aufmerksame Versorgung oder kundige Gesellschaft. Zudem zeigte sich der Krug ungefüllt, das Bett war nicht aufgeschüttelt worden, auch eine Mahlzeit wurde nicht serviert. Nun, einerlei, es kümmerte ihn wenig. Da er sich selbst kaum zu helfen vermochte, kroch er in erbarmungswürdiger Schwäche in das Bett, ignorierte Schmutz, Transpiration und Schmerz. ~*~ Jaime hingegen erfreute sich zahlreicher Gesellschaft. Die Mägde drängten sich förmlich, ihn zu waschen und zu verbinden, wo sich Seile tief in Muskeln und Fleisch gefressen hatten. Der Mantanhol genoss die Annehmlichkeiten, richtete seine Aufmerksamkeit jedoch auf die allgemeine Atmosphäre. Waren sie mutlos geworden? Zweifelten sie gar? Aber nein, Bewunderung und Zuspruch wurden ihm zuteil. Sie hielten ihm die Treue, vertrauten seinem Urteil. Endlich verabschiedete er jeden einzeln freundlich, wandte sich dann, Sebastien aufzusuchen. Doch welcher Anblick bot sich ihm da! Vergessen war der vornehme Jüngling aus dem Ubac. Im Bett kauerte ein schmutziger, magerer Bursche, die Haare wild, die Haut versengt, die Wundverbände nicht gewechselt! Jaime rief nach der Bonne, ihm zu helfen, denn er konnte nicht dulden, dass Sebastien vernachlässigt wurde. Die Bonne kam, widerwillig, stolz. "Es war nicht sein Verschulden, dass sich ein Fels im Sumpf verbarg", versetzte der Senher da Solador scharf, mit der gutturalen Härte der Mantanhol. Hob den glühenden Jüngling auf seine Arme. Zärtlich tupfte Jaime den Fiebernden ab, wechselte selbst jeden Verband und wickelte Sebastien schließlich in ein sauberes Hemd. "Ich wünsche", entließ er die Bonne sehr ruhig, "dass morgen Früh das Zimmer gereinigt wird. Das Ansehen der Mainada wird erheblichen Schaden nehmen, wenn ein Gast nicht freundschaftlich Aufenthalt nehmen kann." Er wusste, den Jüngling auf den Armen, dass sein Wort kategorisch jede Aufsässigkeit verbat. Und so schlief Sebastien in dieser Nacht im Bett des Senher da Solador, teilte die glühende Hitze seines Fiebers mit Jaime. ~*~ Sebastien erwachte in einer ihm fremden Umgebung, erkannte dann, dass es sich um das Gemach des Senher da Solador handeln musste. Der Alkoven mit dem verborgenen Badekabinett, der Schaukelstuhl vor dem Kleiderschrank: wieso hatte er hier genächtigt? Er setzte sich auf, die Lippen pressend, da der Schmerz in Armen und Händen schier unerträglich schien, ließ den Blick schweifen. Gleißend schien die Sonne, die Segeltücher flatterten kaum, auch blieb es still, gedämpft, so, als habe die Glut jede Äußerung erstickt. Also hatte man ihn zurückgelassen. Mutwillig, verwirrt von unerwünschter Enttäuschung, sank der Jüngling wieder auf Kissen und Matratze hinab, richtete sich bequem auf der Strohfüllung ein. Wenn man seine Dienste nicht benötigte, so konnte er sich wohl der Muße hingeben! Frivol, anmaßend, tollkühn, besonders für einen Luminnier, doch Sebastien wich nicht von seinem Entschluss ab. Wenn der Herr dieses verwünschten Sumpfgebiets in dieser unzivilisierten Provinz beliebte, seinen Gast im eigenen Bett einzuquartieren, dann konnte sich dieser auch wie eine... Schreckensbleich richtete sich Sebastien auf, verdrängte die Pein. Konnte es sein, dass Jaime sich ihm tatsächlich auf die detestable Weise genähert hatte, die Sebastien mehr als einmal unfreiwillig bezeugen musste?! ~*~ Die unheilvolle Ungewissheit trieb Sebastien an, in hochnotpeinlicher Eile der Lagerstatt zu entsagen, das schlichte knöchellange Hemd bis auf die Zehen niederzustreichen und sich zu versichern, dass er ohne Gesellschaft war. Was tun?! In dieser befremdlichen Umgebung mochte man sich wohl nichts denken, wenn ein Gast das Zimmer des Gastgebers unschicklich bekleidet verließ, doch, ach, nicht auszurechnen, welche Gerüchte anderenorts daraus entstehen würden! Wenn doch nur endlich die Abschrift einträfe, damit er sich eine Logis suchen konnte, die von Seiner Majestät sanktioniert war, die den offiziellen Charakter seiner Entsendung herausstrich! Steif und ungelenk, da alle Glieder protestierten, schleppte sich der Jüngling aus dem Ubac geduckt über den weiten Platz, dem eigenen Quartier zu. Mochte es auch wenig einladend sein, so verfügte er doch über die beruhigende Sicherheit, nicht mit unaussprechlichen Verfehlungen des Wüstlings konfrontiert zu werden. Allein, Sebastien stutzte, verharrte an der Schwelle der Veranda: das Bett prangte in blütenweißer Schönheit, frische Blumen vom Feld warteten ihm in einer großen Vase auf, im Krug sammelte sich das parfümierte Wasser, seine Haut zu erfreuen... »Man hat also interveniert«, schloss der Luminnier grimmig. Er dankte diese Aufmerksamkeiten lediglich dem detestablen Faible des Hausherren für seine Person. Dennoch, das Hemd zu wechseln, sich Reinigung anzugedeihen, einzukleiden und ein spätes Mahl zu sich zu nehmen: dies alles gestattete sich Sebastien mit unbewegter Miene. Es ging nicht an, dass man sich dem Müßiggang ergab und gar die Rolle spielte, die sich der unsägliche Senher da Solador wünschte! Also begab er sich, in frühlingshafte Farben formvollendet eingekleidet, die konstante Pein ignorierend, in die Bibliothek, um dort das weitere Vorgehen zu erwägen. Er stand im Wort bei der liebreizenden Senhora, ihrem widerwärtigen Gemahl zu assistieren, für die Dauer der Dehydratisierung des Felds. Wie konnte man dies bewerkstelligen und sich gleichzeitig um größtmögliche Distanz verdient machen? Überhaupt, diese Konstruktion entsprach nicht den groben Skizzen, die Sebastien vorgefunden hatte! Ein wenig widerstrebend, doch von der Zweckerfüllung überzeugt, suchte sich der Luminnier Kohlestift und Pergament. ~*~ Jaime verstand es, einen augenscheinlichen Nachteil wie den gewaltigen Felsen, der unter der Oberfläche den Sumpf beherrschte, hingeschleudert wie von Riesenhand, zu seinen Gunsten umzuwandeln. Mit den Knechten spannte er an Seilen einige Planken, die von Pfählen gestützt wurden, sodass man sich über dem Morast bis zum Felsen sicheren, wenn auch nicht trockenen Fußes bewegen konnte. Der Pflug hatte glücklich den Unfall überstanden, die Trossen glänzten frisch geölt in der Sonne, das Leder an den Spulen und Ösen war ausgetauscht worden: kurzum, einer Fortsetzung seines kühnen Unterfangens stand kein Hindernis mehr entgegen. Zwei, drei Kinder leisteten ihnen Gesellschaft, ausgerückt von der Feldarbeit, da sie lieber den Zorn der Eltern erleiden wollten, als sich die Abenteuer des Senher entgegen zu lassen. Der hielt sie an, da sie leichtfüßig und flink über die Planken huschen konnten, mit den langen Heugabeln den aufgewühlten Sumpf zu drehen, damit die Sonne ihn versengte. Wo sich das Wasser sammelte, von leichtem Gefälle angespült, da senkte man die mitgeführten Eimer, trug sie vollgeladen fort, um ihre Last in jungfräulichen Gräben zu ergießen. Der Pflug zog wieder Kurbel betrieben seine Bahnen, nun vorsichtiger, da man mit weiteren Hindernissen zu rechnen hatte, die sich so unversehens aus dem Morast erhoben. Jaime lächelte in die brütende Sonnenhitze, voll der triumphierenden Erwartung. Im nächsten Jahr, er war sich dessen sicher, würde ein weiteres Feld reichen Ertrag bringen! ~*~ Eingedenk der Erfahrungen, die ihn mit Misstrauen und Vorsicht vergiftet hatten, nahm Sebastien allein ein karges Mahl zur Nacht ein, versiegelte dann gewissenhaft die Zugänge zu seinem Gemach. Er wollte es so halten, bis die Senhora wiederkehrte. ~*~ Man feierte bereits bescheiden den Erfolg des Senher, der sich gegen die Natur zu wehren verstand, präsentierte voller Stolz die gefüllten Lager, die reiche Ernte. Und noch waren bei weitem nicht alle Felder bearbeitet! Schon besprach man sich, ob man nicht Karren, Fässer, Krüge und Säcke leihen sollte, um den Überschuss, der sonst verdarb, zu veräußern, da lachte der Senher souverän. Die schwarzen Augen funkelten im Schein der vielen Laternen, die goldenen Kreolen blitzten selbstgewiss. "Sorgt euch nicht, Mabioline wird von ihrem Vater ausreichend Mittel zu uns führen! Wir tauschen feinste Öle, süßen Traubensaft, reichlich Mehl und schöne Stoffe ein, die ihr Vater in meinem Namen in Kommission nahm." Ein Raunen rauschte durch die Versammelten. Vom Hafen, aus fremden Ländern, exotische Gewürze, kostbare Seidenstoffe, Salz und weitere Dinge, die sie nicht selbst herstellen konnten! Jubel brandete auf, man applaudierte, schlug sich auf die Schultern! Wenn die Senhora eintraf, mit einem langen Zug von Fuhren, dann würde man ein Fest ausrichten! Dem klugen Senher und der schönen Senhora zu Ehren! ~*~ Die Nacht brach herein, und Jaime, der sich der Gunst seiner Mainada erfreute, sogar in Aussicht stellen konnte, dass die vom Blitzschlag zerstörte Mühle bald wieder in Betrieb genommen werden würde, entfernte sich, strebte dem eigenen Gemach zu. Er fand es verlassen, wie stets sauber und ordentlich, mit Blumen geschmückt und von aromatischen Ölen duftend. Hatte er denn wirklich einen leichten Sieg erhofft, den Jüngling in seinem Bett vorzufinden? Aber nein, man bedeutete ihm, dieser habe schleunigst das eigene Gemach aufgesucht, sich in gewohnter Weise herausgeputzt, um dann den Tag in der Bibliothek zu verbringen. Bevor er sich erneut in seinem Quartier verbarrikadiert habe. Die Bonne setzte darüber hinaus, -denn sie verfügte über besondere Vorrechte-, dem Senher auseinander, dass Möbel und Bohlen Schaden davontrügen, wenn diese Scharade sich weiterhin ereignete. Allein die Spuren auf den Bohlen, die man so sorgsam wachste und ölte!! Jaime lächelte, erschmeichelte sich Pardon mit charmierendem Blick und zärtlichen Worten des Gehorsams, diese 'Unsitte' rasch zu unterbinden. In dieser Nacht jedoch war nichts zu gewinnen, sodass er die Bibliothek aufsuchte, einen Hinweis zu erhaschen, was den Jüngling aus dem Ubac beschäftigt hatte. Er staunte nicht schlecht, als sich vor ihm auf den schwarzen Balken des schweren Tisches eine detaillierte Wiedergabe seiner Konstruktion fand. ~*~ Am nächsten Morgen erwachte Sebastien einmal mehr fremdbestimmt, da man nachdrücklich gegen eine Glastür pochte. "Sebastien, mi Amigar, ich bitte Euch, mit mir zu dejeunieren", verkündete Jaime mit samtiger Stimme, fuhr insistierend fort, bis sich der Luminnier genötigt sah, eine positive Replik zu formulieren. Er kleidete sich an, beseitigte die hinderlichen Möbelstücke und schritt in den Tag hinaus, der wie die vorherigen auch sengend heiß aufwartete. Der Senher da Solador präsidierte der Tafel, solitär, da seine Gemahlin noch nicht zurückgekehrt war, lächelte Sebastien einladend entgegen und erhob sich galant, offerierte das morgendliche Mahl mit ausschweifender Geste. Ohne weitere Eskapaden kam er direkt darauf zu sprechen, was ihn seit der gestrigen Entdeckung gefangen nahm. "Mi Amigar, ich erblickte gestern Eure höchst formidable Zeichnung der Pflug-Konstruktion. Sagt, da Euer Talent so offenkundig ist, wollt Ihr nicht bei der Konstruktion behilflich sein? Der Beginn ist zwar gemacht, doch zweifle ich nicht, dass man noch Einiges verbessern kann." Sebastien zögerte, die Augen abweisend auf die Tischdecke gerichtet, die einen beträchtlichen Wert darstellen musste. "Eure freundliche Anerkennung beschämt mich, Senher da Solador", wahrte er reserviert Distanz. "Bedauerlicherweise bin ich kein Connaisseur auf diesem Gebiet und werde Euch nur schwerlich von Nutzen sein." "Ihr seid zu bescheiden, Sebastien!", wies Jaime die Ablehnung zurück. "Ich hege keine Befürchtungen, dass Ihr mir nicht von großer Hilfe sein werdet!" Erhob sich geschmeidig, lächelte herausfordernd. "Dann erwarte ich Euch in einigen Minuten zum Aufbruch, mit Federkiel, Kohlestift und Pergament!" Bevor Sebastien noch Widerstreben demonstrieren konnte, verließ der Senher da Solador beschwingt die morgendliche Tafel. Es würde wohl gelingen, den hagestolzen Jüngling zu zähmen. ~*~ Man fand sich also wieder auf dem Feld, Sebastien in seidener Aufmachung eines Kavaliers, aus der Fron der körperlichen Arbeit entlassen. Er konnte nun im kühlenden Schatten an den Zeichnungen feilen, bis Jaime an seine Seite trat. Sich zwecks Luftaustausch den Kamisol abstreifte, die nackte, sonnengebräunte Haut trocknen ließ und eifrig über diese oder jene Änderung der Konstruktion disputierte. Es zeigte sich bald, dass Sebastien, der zuvor neugierig die vielseitigen Quellen in der Bibliothek studiert hatte, frappierend unbeschwert dieses unerforschte Metier betrieb. Wenn sie nun beieinander saßen, über die ausgerollten Pläne gebeugt, Für und Wider erwogen, wich er nicht wie gewöhnlich demonstrativ vor Jaime zurück, schwieg oder behalf sich mit einsilbigen Repliken. Der Senher da Solador goutierte diesen Umstand und erlegte sich selbst Zurückhaltung auf. Die Finger hielten Ruhe, auch wenn sie liebend gern die karamellfarbenen Strähnen gestreichelt hätten, nahmen Abstand davon, über glühende Wangen zu gleiten. Zwei weitere Tage vergingen, usurpiert von der Optimierung der Konstruktion, dann war das Feld gepflügt, -zum ersten Mal. Selbstredend reichte dies nicht aus, es urbar zu machen, nein, die Drainagen fehlten noch. Ein weiteres Mal musste die gelockerte Morastschicht gewendet werden und zwar ausreichend schnell, bevor die ersten Regenschauer des Herbstes einsetzten. Als sie an diesem Abend auf dem Gut eintrafen, zog eine lange Wanderung schwerbeladenen Fuhrwerks über die Straße. Die Senhora war zurückgekehrt! ~*~ Sebastien erfrischte sich eilig, wechselte die Kleider, denn er konnte es kaum erwarten, bei einem Diner die Gesellschaft der Senhora zu genießen. Allein, man arbeitete im Schein der Laternen weiter. Hier musste ausgeladen, da wieder aufgeladen werden, denn die Fuhrleute würden in den frühen Morgenstunden wieder aufbrechen, in ihrem gemächlichen Trott. Verloren fand sich der Jüngling aus dem Ubac abseits des geschäftigen Treibens, ratlos, wie nun zu verfahren sei. Er entdeckte Lichtschein in der Bibliothek und machte sich auf, sie zu betreten. Dort, über Pläne gestützt, gestikulierte Jaime lebhaft, schilderte, wie Sebastien mutmaßte, die letzten Tage mit ihren Fortschritten auf dem Feld. Mabioline lehnte an seiner Seite, lächelte vergnügt, ließ sich vertraulich den Arm um die zerbrechliche Taille legen. Erneut spürte der Jüngling aus dem Ubac, wie brennende Galle in seine Kehle stieg. Wie konnte dieser Wüstling es wagen, die schöne Frau, ihm so arglos anvertraut, zu karessieren, da er sich nicht scheute, sie auf abscheulichste Weise zu hintergehen?! Er wandte sich ab, von Ekel erfüllt, eilends dem eigenen Quartier zustrebend, als man ihn ansprach, erst leise, dann vehementer, da Jaime die Glastür zur Veranda öffnete. "Oh, Sebastien, mi Amigar, wie freue ich mich, Euch wiederzusehen!", sprudelte es bereits zwitschernd, dann näherte sich mit tänzerischer Eleganz Mabioline. Unmöglich, einer Dame den Rücken zu kehren, sodass der Jüngling aus dem Ubac sich folgerichtig umwandte, förmlich grüßte, das Haupt neigte. "Aber, aber, Sebastien!", tadelte Mabioline nachsichtig, "habe ich Euch verärgert, dass Ihr solche Distanz zu mir wahrt?" Beschämt senkte dieser den Blick zu Boden, wie sich nun geben? Er konnte wohl kaum ihre zarte Hand heben, sie an die Lippen führen! Es galt unter Kavalieren als modisch, doch einem Luminnier stand es nicht an, insbesondere nicht, wenn er das Mannesalter noch nicht erreicht hatte. Es entging dem Zwiespältigen gänzlich, dass seine Dame becircend lächelte, hingerissen von der steifen Unschuld des wenig Jüngeren, herausgefordert zu einer mutwilligen Probe. Ungeniert fasste sie die noch immer geschickt verbundenen Hände, drückte sie zärtlich und führte sie mit betontem Seufzer vor die Brust, als entzücke sie geradewegs die Gegenwart des Jünglings. Sebastien errötete aufs Heftigste, die eigenen Hände gen Dekolletee der Dame gepresst...frivol! "Aber kommt doch hinein, mein Lieber! Jaime weiß so viel zu berichten, doch auch von Euch möchte ich gern erfahren, wie Ihr diese herrlichen Illustrationen gefertigt habt!" Sie entließ seine steifen Hände, um sich seines Arms zu bemächtigen, ihr zu Geleit. Der Jüngling leistete Folge, -welche Wahl stand ihm auch frei?-, trat in die Bibliothek und wurde mit sanftem Nachdruck auf den Feldstuhl arrangiert, der zuvor Jaime als Sitzgelegenheit gedient hatte. Sehr aufrecht, um absolute Haltung bedacht, wartete Sebastien artig ab, dass man ihn ansprach, hielt sich präzise doch kurz bei den Antworten, als gelte es, dem eigenen Vater Rechenschaft abzulegen. Mabioline, die diese Reserve nicht unerwartet traf, da Jaime in vertrauensvoller Offenheit nicht ausgelassen hatte, wie er den Jüngling umworben und welche Reaktion er geerntet hatte, übte sich in Geduld. Sie lobte liebevoll die Anstrengungen, bedauerte lebhaft die Spuren der Sonne und harten Arbeit, schmeichelte dem Einfallsreichtum. Prüfte schließlich den Umgang mit dem Idiom der Maradoier, ob Sebastien auch nichts vergessen hatte und zeigte sich endlich freudig beglückt von seiner Schilderung. Jaime wanderte unterdessen im Zimmer auf und ab, weniger unruhig als einem Drang der Bewegung folgend, während sein Blick nicht von dem jüngeren Mann ließ. Sie hatten reüssiert, in vielerlei Hinsicht. Man würde diese Erfolge feiern, genießen können... Doch er musste an sich halten, durfte nicht verfahren, wie ihn gutdünkte, da er erneut auf Ablehnung stoßen musste! "Sagt, Jaime, denkt Ihr nicht, wir sollten Sebastien bitten, sich die Konstruktion der Windmühle zu betrachten?", schmeichelte sich die lebhafte, fröhliche Stimme seiner jungen Gemahlin in seine aufbegehrenden Gedanken. "Seht her, mi Amigar, ein Blitz traf sie im letzten Jahr, weshalb wir einen Teil der Ernte aufwenden müssen, um den Müller zu entlohnen. Wie schön wäre es doch, wenn wir sie wieder rekonstruieren könnten! Vielleicht sogar mit unterschiedlichen Antriebsweisen?", lockte sie den Jüngling aus dem Ubac. "Ihr meint", Sebastien zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen, den Blick der grünen Augen mit den köstlich braunen Sprenkeln auf die Illustrationen gerichtet, "wenn sich kein Lüftchen regt?" "Nun ja, im Sommer ist es ein wenig schwierig, die Flügel müssten sehr groß sein, gewaltig gar, damit die Thermik sie in Bewegung hält", ergänzte Jaime gelassen, studierte das Profil des Jünglings. "Ihr wisst", Sebastien adressierte ihn nun kühl, "dass ich von derlei Technik nichts verstehe." "Gleichwohl", Mabioline legte eine kleine, warme Hand auf seine Wange, lenkte den Blick in die Aquamarine, "mi Amigar, Ihr seid kapabel, Euch anzueignen, was uns von Nutzen werden kann. Darum entsprecht freundlicherweise meiner Bitte, im Mindesten während Eures Aufenthaltes hier!" Ein Wimperntusch, die kirschroten Lippen rundeten sich zärtlich um jede Silbe, die Schatten schmeichelten dem schönen Antlitz: wer konnte diesem Sirenenruf widerstehen? Der Jüngling aus dem Ubac streckte sogleich die Waffen und sagte artig zu, er werde gleich morgen beginnen. ~*~ Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Sebastien Verantwortung und Vertrauen auf sich lasten... und es gefiel ihm ausnehmend gut. Pflichtbewusst studierte er mit Beginn des nächsten Tages nach einem hastigen Frühstück die traurigen Reste der Windmühle, nahm Maße auf und notierte sich diese im Geist, bevor er die Bibliothek betrat. Und begann, sich weitere Quellen zu erschließen, zu kombinieren, zu berechnen, zu verwerfen. Die Luminniers besaßen Ländereien, wohl auch einige Mühlen, doch Sebastien hatte diese niemals zu Gesicht bekommen. Vom einfachen Mühlstein mit einer Übersetzung forcierte er seine Erkenntnis bis zu kompliziertester Mechanik in den Türmen, die ein gewaltiges Uhrwerk beherbergten. Es waren dieser wenige, denn über die Zeit gebot der Herr und Seine Majestät. Allein, in der Bibliothek fand er Aufzeichnungen in fremder Sprache, die illustrierten, wie man ähnliche Funktionen realisiert hatte: mit Zahnrädern, Riemen und Tieren. Hinzu kamen Federn und Gewichte, die für einen ruhigen, gleichmäßigen Rundlauf des Mühlsteins sorgen konnten. Ganze zwei Tage verbrachte der Jüngling über den Plänen, rechnete und fügte Details zusammen. Jeden Abend rapportierte er seine Fortschritte beim Diner mit Mabioline, die ihm geduldig lauschte und in minimalen Gesten wieder die Vertraulichkeit herstellte, die vor ihrer Abreise Sebastiens Herz gewonnen hatte. "Ich freue mich", bemerkte sie lächelnd, das spitze Kinn apart in eine kleine Handfläche gestützt, mit liebreizendem Augenaufschlag, "dass Ihr Gefallen an den hellen Farben gefunden habt." Sebastien errötete verlegen, senkte den Blick. Woraufhin eine kleine Hand sich reckte, ein neckender Finger tadelnd seinen Kopf himmelwärts dirigierte. "Aber nein, mi Amigar, fürchtet keine Verlegenheit! Die freundlichen Farben kleiden Euch vortrefflich, sie erfreuen das Auge, und wie kann dies verwerflich sein?" Eine erstaunliche Feststellung, die Sebastien verwirrte. Denn er fühlte sich geneigt, der schönen Dame zuzustimmen... ganz gegenteilig zu seiner Erziehung als Luminnier! Die nicht dem lässlichen Vergnügen Dritter dienten, sondern sich gedeckt, zurückhaltend kleideten, wie es der Anstand gebot. Allein, konnte lindes Grün, schmeichelndes Gold, himmlisches Bleu oder seidiges Elfenbein Affektionen hervorrufen? Den Betrachter echauffieren? Sebastien zweifelte... und die Zweifel erschreckten ihn. Wenn er nicht glaubte, voll und ganz, sondern eine Wahrheit wählte: wo würde es enden, dieses Misstrauen?! Mabioline, der keineswegs entging, wie verunsichert sich ihr Gast stillschweigend mit abgründigen Gedanken befasste, legte einen weiteren Trumpf auf. "Wisst Ihr, Loba bewahrte die Kleider auf. Er war sehr gastfreundlich zu den Senher aus dem Ubac, die sich eine Passage finanzieren wollten und tauschte die Kleider gegen bare Münze oder Proviant." Nun merkte der Luminnier auf. Man wies ihm Kleider zu, die vom Unglück anderer kündeten?! "Stellt Euch vor", Mabioline zwinkerte zärtlich, "wie man ihn belächelte, weil er wertlose Kleider für Nahrungsmittel oder Entgelt nahm! Was konnten sie ihm nützen, hier, wo man solcherlei Stil nicht pflegt?" Es war an Sebastien zu schweigen, denn erneut drängten sich widerstreitende Meinungen in sein Bewusstsein. Diese Unbekannten von Adel oder hochstehender Position hatten die eigenen Gewänder veräußern müssen! Allein, sie waren hier, im Süden, nicht von sonderlichem Nutzen. Dieser Loba zog Vorteil aus ihrer Verlegenheit! Indem er Kleider verwahrte, die weder er selbst, noch andere seines Hauses tragen konnten. Und dennoch, wie konnte der vormalige Senher da Solador rechtfertigen, dass er einem Krämer gleich solche unwürdigen Geschäfte schloss? Weil sie nichts hatten, was hier als von Wert angesehen wurde, weder Besitz noch körperliche Kraft! »Mit welchen Pfunden wuchert Ihr hier, Sebastien d'Aire?« Ein erschreckender Gedanke. Was hatte er den Menschen hier voraus? Wenn man ihm nicht Obdach bot, die Bestallung als Beauftragter Seiner Majestät keinen Vorteil versprach: wovon wollte er seinen Lebensunterhalt bestreiten? Angst fraß sich gierig durch die angespannten Glieder. Zum Schreck der Senhora da Solador verblasste rapide sämtliche lebendige Farbe aus dem bleichen Gesicht des Jünglings. "Was ist Euch, Sebastien?" Die kleine Hand flog auf seinen Oberarm, drückte den geschmeidigen Stoff des Gehrocks. "Haben meine Worte Euch beleidigt? Sagt doch, mein Lieber, befindet Ihr Euch wohl?" Der Jüngling nickte hastig, zwang ein farbloses Lächeln auf die fahl-bleichen Züge. Mabioline streichelte sanft mit beiden Händen die zarten Wangen, so gänzlich ohne Spuren von Bewuchs, tröstete und lenkte die Aufmerksamkeit rasch auf ein anderes Sujet. Ob es nicht angeraten sei, Jaime die Ergebnisse der Anstrengungen zu präsentieren? Sebastien stimmte zu und entschuldigte sich dann, um sich vor seinen Sorgen in den Schlaf zu flüchten. ~*~ Im höheren Maße noch wartete der Jüngling aus dem Ubac am nächsten Tag, dass endlich Kunde aus Beausage eintraf. Wenn er nur die Abschrift besäße! Dann wäre sein Geschick gesichert! Von Sorgen umgetrieben erkundete er einmal mehr die Bibliothek, die Illustrationen und Skizzen abgeschlossen, in unruhiger Erwartung des Abends, wenn er sich allein Jaime zu verantworten hatte. Er stutzte in seiner ziellosen Suche, da ihm eine Unebenheit in den Regalmetern ins Auge fiel. Die Folianten in ihren ledernen Einbänden bewiesen eine minimale Ausbuchtung. Hatte er in den Tagen zuvor einen Band entnommen und nicht wieder akkurat ausgerichtet? Dankbar, ein Mysterium ergründen zu können, das ihm momentane Ablenkung verschaffte, trat Sebastien an das Regal heran. Der Jüngling inspizierte mit kritischem Blick die angeschmiegten Folianten, dicht an dicht zusammengeschoben. Nanu? Dort schien etwas, -man konnte es nicht genau erkennen-, zwischen zwei Bände eingesteckt! Kurzerhand, da er sich ohne Zeugen befand, entführte Sebastien einen Folianten in direkter Nachbarschaft, dann einen zweiten... und griff in die seufzende Lücke. Ein Keuchen entfuhr ihm unwillkürlich, als er begriff, was in seinen Händen lag. Ein Umschlag aus handgeschöpften Büttenpapier. Das Siegel jungfräulich, die Handschrift akkurat und ohne Schnörkel. Die Anschrift lautete auf den Namen seines Vaters. Es war sein eigener Brief, der ihm in der Not Abhilfe hatte verschaffen sollen. ~*~ Die Witterung schlug um, vor der Sonne jagten sich schwere, übellaunige Wolkenpakete, die einander stießen und bedrängten. Es knisterte, die gesamte Luft verharrte still in gespannter Erwartung, wie sich der Himmel entladen wollte. Das Gesinde sammelte sich, rasch lud man auf, was noch zu ernten war, strebte dann zurück zum Gut. Auch Jaime wies seine Knechte an, den Pflug zu sichern und den Heimweg anzutreten, denn der Nachmittag war bereits fortgeschritten und es stand nicht zu erwarten, dass sich in den Abendstunden noch eine Verbesserung zeigen würde. Bleigrau dräute das Firmament, die Tiere tänzelten unruhig, wollten sich einen Unterstand suchen, bevor sich Regenfluten auf sie ergossen. Allein, das Gewölk harrte noch, vielleicht ein wenig unentschlossen, wie heftig man sich gebärden wollte, sodass alle Mitglieder der Mainada sich wohlbehalten auf dem Gut einfanden. Jaime strebte der Bibliothek zu, in hochgestimmter Erwartung, die Früchte des Unterfangens in Augenschein zu nehmen. Würde dem meri Calinhaire das Wunderwerk gelingen? Als er jedoch die Veranda des flachen Gebäudes betrat, da schwang die Tür mit den gläsernen Einsätzen herrenlos im aufkommenden Sturmwind. Achtlos stapelten sich Folianten auf der schweren Tischplatte, in ihrer Mitte jedoch, mit einem spitzen Dolch aufgespießt, wartete der Brief. Der Senher da Solador zögerte nicht, schloss die Tür, damit sie keinen Schaden nehmen konnte, kehrte um, Sebastien in dessen Quartier aufzusuchen. Es war verlassen. Azurblaue Kleider unordentlich auf der Chaiselongue abgeworfen, als habe sich ihr Besitzer in großer Eile befunden, sich ihrer zu entledigen. "Gaspard!", alarmierte der Mantanhol den Gefährten, wies wortlos auf die Stallungen. Er irrte sich nicht. Garamer fehlte. ~*~ Es stürmte, noch ohne feuchte Begleitung, allein, der Wind fegte erstickende Wolken feinsten Staubs auf, die bald schon die schwere, desagreabel riechende Pelerine benetzten. Sebastien ignorierte die Widrigkeit, nur mit einem Hemd und einfachsten, schwarzen Kniebundhosen bekleidet, den versehrten Reisesack umgewunden. Er war nicht umhingekommen, seinen kargen Besitz durch einige Leihgaben zu ergänzen, gerade so viel, dass er sich schicklich auf die Reise in den Norden begeben konnte. Nie wieder wollte er diese abscheuliche Provinz betreten!! Man hatte ihn betrogen, getäuscht, sein Vertrauen missbraucht, ihn veranlasst, sich Schmach und Schande angedeihen zu lassen, in der Hoffnung, diese fände ein glückliches Ende, wenn er die Abschrift erhielte! Aber nun hatte er die Wahrheit dekuvriert! Niemand anders als der abominable, maliziöse Senher da Solador konnte den ungeöffneten Brief in der Bibliothek verborgen haben! In Konspiration mit den Jehaune, so unglaublich es anmutete! Es blitzte, nicht allzu fern. Garamer tänzelte nervös. "Ruhig, ruhig", klopfte Sebastien und stieg ab, führte den Kaltblüter am Zügel mit sich. Nichts vermochte ihn nun aufzuhalten! ~*~ Gaspard funkelte, die Narbe warf drohende Schatten von den dichten Augenbrauen, die Lippen verweigerten schmal die Unterstützung. "Es ist eine Torheit, ich weiß", versicherte Jaime kehlig, beschwor den Gefährten, "aber er bedarf der Hilfe. Bitte, Gaspard, ich kann ihn nicht ziehen lassen." Der bullige Mantanhol schnaubte, verächtlich, nicht seinem Freund und Senher zugedacht, sondern dem hoffärtigen Jüngling, der bei solchem Wetter das Weite suchte. Allein, er begriff, dass eine Weigerung Jaimes Gewissensnöte verstärken, ihn jedoch nicht hindern würde, in den strömenden Regen zu stürzen, um nach dem unglückseligen Jüngling aus dem Ubac Ausschau zu halten. Ergeben, weil er den Gefährten von Herzen liebte, nickte er schließlich, drückte die athletische Gestalt des Senher da Solador an sich und murmelte einen Segen der Mantanhol, bevor er ihn entließ. Mabioline wartete, in eine wärmende Decke gehüllt, sorgenvoll im Hintergrund. ~*~ Garamer scheute, stellte sich auf die Hinterbeine, schlug aus, um sich zu befreien. Sebastien schrie, vom Regen verschluckt, mühte sich, das panische Tier zu beruhigen, das ihm nicht mehr Folge leisten wollte. Der Wald versprach Schutz, doch Garamer roch die Brandspur des Blitzes in der dampfenden Atmosphäre, verweigerte sich, zwischen die Bäume zu treten, wo der Einschlag sie treffen konnte. Stattdessen legte sich der Kaltblüter trotzig an den Wegrand, ein unangenehmes Unterfangen, da Garamer sich vorrangig auf den Beinen hielt, doch hier, flach auf dem Boden, versprach das Unglück, kein Opfer zu fordern. Der Jüngling zögerte, schleuderte dann die nutzlosen Zügel von sich, rieb die schmerzende Hand. Es würde auch ohne Reittier gelingen! Zudem trug er schwer am Wasser, das sich in seine Kleider gesogen hatte. Im Wald konnte er pausieren, einen Unterstand finden und die schlimmsten Schäden beseitigen. Also marschierte der Luminnier mit schweren Galoschen weiter, während der Regen die schmatzenden Spuren hinter ihm tilgte. ~*~ Es gab in den dichten Regenfällen keinen Anhaltspunkt, wohin sich der Jüngling gewandt haben mochte, sodass sich Jaime allein seiner Intuition überantwortete. Er vermutete, dass Sebastien zornentbrannt der Heimat zustrebte, demnach gen Norden zog. Allerdings kannte er seine weitere Umgebung nicht sonderlich gut, was die Auswahl der möglichen Routen erheblich reduzierte. Jaime legte Asard das Geschirr um, packte die Zügel entschlossen und instruierte seinen vierbeinigen Gefährten eindringlich. Auch wenn das Pferd die Witterung verabscheute, so leistete es doch Gehorsam, vertraute sich der Führung des Senher an. Gewohnt elegant und mühelos glitt Jaime auf den Rücken, lediglich durch eine einfache Decke von Asards kurzem Fell separiert. Per Schenkeldruck dirigierte er Asard auf die Route, die Erfolg zu versprechen schien, beschleunigte dann, soweit es der schlammige, aufgeweichte Boden zuließ. Bald sah er, mehr eine Ahnung, da die Wimpern dicht mit Wasserperlen hingen, einen merkwürdigen Schatten neben dem Weg, ganz ungewohnt. Zu niedrig für einen Wagen, zu groß für einen hilflosen Reisenden. Und Garamer, der bekannte Silhouetten witterte, kämpfte sich hoch, empfing die beiden Suchenden. Jaime striegelte zärtlich mit bloßen Händen, wies dann mit samtig-kehliger Stimme an, Garamer möge sich unerschrocken auf den Heimweg machen. In der Tat, die übellaunige Gewitterfront strebte den Bergen zu, nach Norden, während es in ihrem Rücken bereits aufklarte, die Sonne müde den Abend begrüßte. Der Mantanhol trieb sein Pferd zur Eile an, den Jüngling einzuholen, da sich die Gewitter entfernten und dieser wohl zu Fuß seinen Weg fortsetzen würde. In der Tat, die Pelerine ausgeschlagen, die nassen Haare gewrungen, verließ Sebastien gerade das Wäldchen, das ihm Zuflucht geboten hatte. Wenn er dem Weg folgte, so würde er bald Sant Argo erkennen können, dann immer weiter den fernen Bergen entgegen. Der feuchte Sand dämpfte zwar den Hufschlag, doch Sebastien fürchtete Verfolger und wandte sich hellhörig herum, als Asard ebenfalls aus dem Wäldchen preschte. Grimmigen Blicks erwog der Luminnier die Möglichkeiten, -und wandte sich von dem sicheren Weg ab, in das tückische, wogende Grün. Jaime schrie ihm nach, von Windböen verzerrt, doch der Jüngling war nicht geneigt, diesem ehrlosen Kerl Gehör zu schenken. Entschlossen kämpfte er sich durch den nachgiebigen Schlamm, überzeugt, dass ihm Asard nicht folgen würde. Auch der Senher da Solador wagte nicht, seinen vierbeinigen Gefährten der Gefahr auszusetzen. Er sprang in katzenhafter Anmut von Asards Rücken, streifte mit der offenen Hand die Nüstern zärtlich, bevor er die Verfolgung aufnahm. "Condemnas enfern!", zischte er mit angehaltenem Atem. Die schwarzen Augen wanderten flink zwischen Sumpfgelände unter seinen Füßen und der sich entfernenden Gestalt hin und her. Ausgerechnet in solch trügerischem Gelände musste Sebastien ihn auf die Probe stellen! Wie dem auch sei, was half das Protestieren?! Jaime verließ sich auf seine Reaktionsschnelligkeit, die wachen, von Sorge agitierten Sinne und auf das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Duplizierte seine Anstrengungen und gelang bald in Reichweite, den Fliehenden aufzuhalten. Sebastien, klamm und mühsam Atem schöpfend, erkannte selbst, dass er nicht zu entkommen vermochte, wandte sich um, zog den Degen aus dem Bandelier. "Zieht Euch zurück!", drohte er unverhohlen, beschämt, die Waffe auf einen Wehrlosen zu richten. "Ihr wisst, dass ich Euch diesen Wunsch nicht erfüllen kann", beschwor Jaime mit offenen Armen. "Sebastien, wir befinden uns in Gefahr!" "Wagt nicht", schrie der Jüngling mit überschlagender Stimme, "mich anzurühren, Ihr infernalischer Wüstling! Ihr Lügenbold!" Und beschrieb eine drohende Geste in der dampfenden Luft. Allein, er wich, weil Jaime näherrückte, gänzlich unbeeindruckt schien von der schwankenden Spitze des Degens. "Bitte, ich werde Euch die Umstände erklären, mi Calinhaire, doch zunächst lasst uns auf den Weg zurückkehren", forderte der Senher da Solador eindringlich. Durchnässt, die ebenholzfarbenen Locken triefend, Kamisol und Lederhosen auf dem Leib gesogen. "Eure Erklärungen sind mir gleich! Weicht oder akzeptiert Euren Tod!", drohte Sebastien verzweifelt. Die Stimme zitterte ihm ebenso wie die Glieder, da unerwartete Kälte sie durchfuhr. Wie konnte es sein, dass er sich unterlegen fühlte, diesem unsäglichen Unhold, der ohne Waffen vor ihm stand?! Jedoch, die Entscheidung musste fallen, die Herausforderung war ausgesprochen. Was dem detestablen Senher da Solador widerfuhr, -er hatte es selbst zu verantworten! Jaime erkannte den Angriff, klassisch, mit Ausfallschritt, wie man ihn Anfänger lehrte. Gänzlich ungeeignet auf schlüpfrigem Boden, mit einer schweren Pelerine. Im gleichen Augenblick, da sich Sebastien in den Angriff warf, schoss auch der Mantanhol nach vorne, ergriff das Handgelenk, das den Degen führte. Während seine Faust mit Macht der ungeschützten Magengrube Aufwartung machte. Sebastien entfuhr ein mattes Keuchen, dann brach er in die Knie, die Leibmitte hilflos umklammernd. Unterdessen bereitete es Jaime keine Mühe, den Degen an sich zu bringen, auch das Bandelier seinem Eigentümer zu entwenden und beides mit Verve in den gierig schluckenden Sumpf zu schleudern. "Seht her!", zwang er Sebastien grob unter den Achseln auf die unsicheren Beine, presste den Jüngling rücklings an den kraftvollen Torso. "So könnte es Euch ergehen, mi Amigar, wenn Ihr unbedacht die Sümpfe durchwandert!" Einen Arm sichernd um die Taille des Jüngeren geschlungen strebte der Mantanhol nun aufmerksam dem Weg zu, achtete peinlich genau darauf, die Balance mit dem stolpernden, nach Atem ringenden Jüngling nicht zu verlieren. Endlich angelangt, hatte sich auch Sebastien ausreichend erholt, um erneut Widerstand zu leisten. Herzlich unkoordiniert und hilflos, ein panisches Zappeln und Zucken, allein, es hinderte Jaime daran, den Rückweg anzutreten. "Verzeiht", seufzte er leise, bevor ein weiterer Faustschlag sein Ziel fand, Sebastien in seinen Armen kollabierte. Ein wenig Anstrengung war vonnöten, bis der Bewusstlose auf Asards Rücken lag, dann schwang sich Jaime dazu, stützte Sebastien ab und wies mit leichtem Schenkeldruck Asard an, dass das Abenteuer ein Ende hatte. Sie kamen langsam vorwärts, denn der Mantanhol sah keine Veranlassung, sein Reittier, das die doppelte Last zu tragen hatte, anzutreiben. Auch nutzte er die Gelegenheit, die Pelerine dem Straßengraben anzuvertrauen, wo sie ihm endlich aus Augen und Nase kam. Sebastien lag schwer in seinen Armen, die nassen Haare in köstlichem Karamellton schmiegten sich an Jaimes Halspartie und sein Schlüsselbein. Immer wieder streichelte er mit der flachen Hand Tropfen von Gesicht und Torso, zupfte das durchnässte Hemd von der hellen Haut. Man hatte bereits die Laternen entzündet, am niedrigen Wall und vor dem großen Tor hielt man Ausschau nach dem Senher. Asard beschleunigte, nicht übermäßig zwar, doch die Wärme der Stallungen lockte ihn. Gaspard selbst nahm den benommenen Jüngling in Empfang, bevor Jaime hinabglitt, die wilden, ebenholzfarbenen Locken aus dem Gesicht strich. Er lächelte aufmunternd zum Beweis, dass man sich nicht hatte sorgen müssen, als Sebastien sich löste, von Gaspard taumelte. Wie verändert wirkte er nun, in den Kleidern, die sich an seinen nassen Körper schmiegten, die Haare aufgelöst, die grünen Augen wild vor Verzweiflung. "Lasst uns hineingehen, Sebastien. Ich werde Euch alles erklären", eröffnete Jaime versöhnlich, streckte eine Hand aus, dem Luminnier entgegenzukommen. Dieser zischte, der Worte nicht mehr fähig, wandte sich auf dem Absatz herum und floh. Die Galoschen hinderten ihn, also entledigte er sich ihrer, eilte auf bloßen Strümpfen über Sand und Kies dem Tor zu. Der Senher da Solador schnalzte mit der Zunge, schritt gemächlich aus, da einige Knechte bereits den Weg hinderten, der Sebastiens irrendem Blick Freiheit versprochen hatte. "Sebastien, beruhigt Euch doch", richtete er höflich das Wort an seinen widerspenstigen Gast, der kreiselte, sich von finster blickenden Knechten umzingelt sah, in erstickender Gleichmütigkeit entouriert. Er zitterte vor Kälte, die Lippen färbten sich bläulich, alle Energie verbrannte lichterloh, um die Flucht zu unterstützen. Jaime näherte sich mit Vorsicht. Die fiebrig glänzenden Augen des Jünglings geboten Achtung. Auch wollte der Mantanhol nicht erneut gewalttätig gegen seinen Calinhaire werden. "Ich werde Euch antworten, auf alle Fragen, Sebastien, wenn..." Doch seine beschwörenden, aufrichtigen Worte wurden gar rüde unterbrochen. "Eure Lügen habe ich bis zur Neige genossen!", fauchte Sebastien heiser, die Fäuste geballt. "Ihr vermaledeiter Wüstling! Lieber will ich den Tod erleiden, als in Eurer Nähe verweilen! Ihr habt kein Recht, mich zu arrestieren!!" Der Mantanhol zog die schwarzen, pointierten Augenbrauen zusammen, spannte alle Sehnen an. Ihn kümmerte selbst wenig, was der verzweifelte Jüngling schrie, allein, das Gesinde mochte es nicht leiden, wenn man den Senher schmähte! Da ballten sich starke Fäuste, man fasste nach Werkzeugen und Ackergeräten. "Es ist das Fieber, das aus ihm spricht", stellte Jaime mit kategorischem Ernst fest, der keinen Widerspruch duldete, "holt Birkenzweige!" Die Reihen lichteten sich, da man seiner Anordnung Folge leistete. Sebastien nutzte die kurze Ablenkung herumzufahren, einem überraschten Knecht die Reitgerte zu entwenden und sie ansatzlos über Jaimes Gesicht zu ziehen. Eine blutige Schramme zeichnete sich ab, von der Stirn über den Nasenrücken, die Unterlippe und das willensstarke Kinn. "Ungeheuer! Lügner! Teufel!", wütete der Jüngling, doch ein weiterer Streich gelang ihm nicht, da Jaime nun beide Handgelenke fest umklammerte. Sofort entriss man dem Widerstrebenden die Gerte, packte die Oberarme mit eisernem Griff und zwang Sebastien in eine hochaufgereckte Haltung. Jaime wischte mit dem Handrücken Blut von seinem Gesicht, achtlos, beiläufig. Dann nahm er die Birkenzweige in Empfang. Er nickte knapp, holte dann aus. Streich um Streich sauste auf Arme, Beine, Rücken und Front. So lange, bis der Senher da Solador mit lahmen Armen Einhalt gebot, weil endlich die gefährliche Kälte aus dem besinnungslosen Leib gewichen war. ~*~ Die Knechte hielten den spannungslosen Körper des Jünglings ohne besondere Rücksichtnahme, registrierten ein wenig verwundert, dass Jaime ihnen die Last entführte. Sie auf seine Arme nahm und mit sicheren Schritten dem Quartier des ungebärdigen Gastes zustrebte. Jaime verbat mit seiner willensstarken Haltung jeden Kommentar, verlangte angewärmtes Wasser und frische Nachtbekleidung, während er Sebastien vorsichtig auf der Überdecke ablegte und umsichtig entkleidete. Die Birkenzweige hatten die Haut gerötet, jedoch nicht verletzt, sodass der Jüngere nicht mehr fror. Mit zärtlichen Gesten benetzte der Senher da Solador die mondscheinbleiche Haut, tupfte sie anschließend sorgsam trocken und streifte Sebastien ein knöchellanges Nachthemd über, damit die mühsam errungene Wärme den Körper nicht wieder verließ. Nachdem Jaime seinen Calinhaire liebevoll zugedeckt hatte, ließ er sich von Mabioline selbst assistieren, Schmutz und Blut vom Leib zu spülen, in frische Kleider zu wechseln und eine kräftige Brühe zu trinken. Die schöne Senhora herzte ihren Gemahl lange und eindringlich, bevor sie ihn zurückließ, denn, ohne dass ein Wort gesprochen wurde, war vereinbart, dass er am Lager des Jünglings wachen würde. ~*~ Der nächste Tag strahlte brennend, als habe es kein Gewitter gegeben, die ersten Ahnungen von Herbst das Land warnend gestreift. Gaspard betrat lautlos das Gemach des aufsässigen Gastes, der noch immer schlief. An seiner Seite, den Kopf auf der Decke abgelegt, frönte auch Jaime der Erquickung, die ihm die Rast offerierte. Der Mantanhol trat heran, legte eine kraftvolle Hand auf die Schulter seines Senher. Jaime erwachte, wischte ebenholzfarbene Locken aus den Augen, erhob sich, ein wenig ungelenk und folgte seinem Majordomus auf die Veranda hinaus. "Was soll geschehen?", hielt Gaspard die Worte knapp. Die Schultern kreisend, um sich Erleichterung zu verschaffen, studierte Jaime die Witterung, das muntere Treiben seiner Mainada. Er atmete tief ein, ließ die Luft langsam wieder entweichen. "Ich werde sprechen, wie jeden Morgen", entgegnete er in der Sprache der Mantanhol, "nimm dir zwei Mann und sieh nach dem Pflug und den Drainagen." Gaspard musterte den jüngeren Mann so direkt, wie sie es in der Mantanha pflegten. Dieser lächelte ihn herausfordernd an. Die weißen Zähne blitzten, die goldenen Kreolen funkelten aus dem ungeordneten Nest ebenholzfarbener Locken. "Compremetent", raunte der bullige Mann endlich und ließ Jaime den Vortritt, der sich eilig wusch, um dann mit starkem Willen wie jeden Morgen seine Mainada zu adressieren. ~*~ Während Jaime wartete, dass Sebastien dem tiefen Schlaf entsagte, inspizierte er konzentriert die Illustrationen und Erläuterungen, die der Luminnier angefertigt hatte, bevor er geflohen war. Würde eine solche Mühle wohl ihre Aufgabe erfüllen? Sie schien komplex, auch die Abschätzung der Größe von Gewinden, Zahnrädern, Riemen, Federn und Gewichten blieb vage. Dennoch, Mabioline hatte sich nicht getäuscht: Sebastien verfügte über erstaunliches Talent für Konstruktionen und mechanische Abläufe. Für einen Jüngling, der zeitlebens die Welt durch die Seiten von Büchern betrachtet hatte, eine wahrhaft unerwartete Entdeckung. Es wurde Mittag, die Sonne glühte vom Firmament, der feuchte Boden sonderte drückende Schwüle ab. Endlich rührte sich mit fahrigen Bewegungen der einzige Bewohner der Lagerstatt, richtete sich schließlich auf, um seine Umgebung zu betrachten. Der Senher saß ruhig auf der Bettkante, ausreichend nahe, sofort zuzugreifen, sollte Sebastien erneut eine Flucht erwägen und gleichzeitig in beruhigender Distanz. Man wartete. Jaime, dass ihm der ungezügelte Abscheu ins Gesicht geschleudert wurde, urteilte man nach dem Gesichtsausdruck des Jünglings, Sebastien, dass die unerwünschten Erklärungen geäußert wurden. Der Luminnier entsagte dem Wettstreit indigniert, wandte sich, die Beine anziehend, das Lager zu verlassen. Rasch beugte sich Jaime vor, presste die Fäuste nachdrücklich auf die Decke, hinderte so den Ausstieg. Ein verächtlicher Blick traf die schwarzen Augen. "Was soll das? Wollt Ihr mich einsperren? Bin ich Euer Eigentum, Ihr widerlicher Wüstling?" Jaime blitzte die Zähne auf, lächelte maliziös, den Jüngeren zu irritieren. Er rückte nahe genug, dass sein Atem Sebastien umwehte. "Wer glaubt Ihr, Sebastien, dass Ihr seid, so mit mir zu sprechen? Bin ich nicht Euer Schutz und Schild in einem fremden Land? Gewähre ich Euch nicht Unterkunft und Speise, toleriere Eure Launen?" Das gesamte Gesicht spannte sich unter der sonnengebräunten Haut, eine Ahnung von Schatten um das willensstarke Kinn, als der Senher da Solador die Lagerstatt katzengleich erklomm. "Ich sagte Euch zu, mein Handeln zu erklären. Das will ich tun." Der Mantanhol zischte und knurrte die Silben bedrohlich, als schwinde seine Beherrschung. "Allein, Euer Verhalten verlangt Konsequenzen!" "A-Ha", versetzte Sebastien so hochmütig, wie er es von seinem Vater kannte, wenn man diesen mit Nebensächlichkeiten zu behelligen wagte. "Es gereicht Euch wohl nicht zur Befriedigung, mich ausgepeitscht zu haben? Eines Herren von Stand unziemlich, aber Ihr seid ja auch kein Herr, sondern ein dahergelaufener Bergbauer!" Jaime lächelte, auf eine stille Weise, die jedem Betrachter die Haare am Leib aufstellte, streichelte beinahe nachsichtig über das Laken, bevor er mit raschem Griff Sebastiens Nacken umfasste. "In der Tat", raunte der Mantanhol samtig, "ein Bergbauer, kein feiner Herr aus dem Ubac, ganz recht, Senher d'Aire. Und da ich nicht gewillt bin, Eure Erwartungen, die Ihr in mich gesetzt habt, zu enttäuschen, werde ich Euch lehren, wie wir Bergbauern Beleidigungen begegnen." Er richtete sich auf, löste langsam, bedächtig, die Bänder an Handgelenk und Hals, streifte die Hemdbluse über den wilden Schopf, entledigte sich ähnlich unangestrengt seiner Beinkleider. Kauerte entblößt auf dem Lager, wo Sebastien zu spät begriff, welche Absichten der Mantanhol hegte. "Nein... nein! Niemals, rührt mich nicht an!", fuhr er mit schrillem Schrei zurück, strengte sich an, die Decke abzustreifen, Jaimes Zugriff zu entkommen. Dieser zögerte nicht, schwungvoll die Decke abzuheben und fortzuschleudern, Sebastien niederzuwerfen und sich mit ganzem Gewicht auf den Jüngling zu pressen. Sebastien rang, zuckte, hilflos, mit wachsender Angst, er möge ersticken, wendete den Kopf wild von rechts nach links, konnte nicht um Beistand schreien. Jaime kümmerte dies wenig. Mit beiden Händen raffte er den Stoff des Nachtgewandes, wickelte diesen grob Richtung Haupt, streifte ihn über Ellenbogen und Schädeldecke. Und hielt dort inne, verschnürte die Bänder an beiden Handgelenken wechselseitig, sodass Sebastien sich nicht befreien konnte. Der Jüngling zerbiss die Lippen, wollte nicht in Tränen ausbrechen, um Gnade flehen, sah er sich doch im Recht, der rücksichtslosen Gewalt des Wüstlings ausgeliefert. Auch wusste er nicht, was ihm en detail blühte, glaubte, mit geraubten Küssen und unerwünschter Aufmerksamkeit bereits die Spitze des Ungemachs erkannt zu haben. Der Senher da Solador hielt mit der Linken die Handgelenke über dem Kopf in festem Griff. Die Rechte strich in rauen Schwüngen über die Seiten, drängte sich unter den entblößten Leib und bemächtigte sich dort eines Körperteils, das nicht einmal einen Namen trug. Soweit es Sebastien betraf, der nun leise schluchzte, vom Kissen gedämpft, sich nicht zu wenden wusste, weil ihm Unerhörtes, Beängstigendes geschah. Es dauerte den Mantanhol. Er schluckte kräftig. Allein, er konnte nicht mehr umkehren, der Hunger wollte endlich gestillt sein, die Leidenschaft zu ihrem Recht kommen. Und wie er duftete, der zarte, mondscheinblasse Jüngling aus dem Ubac! Wie grausam nahmen sich die Spuren an Händen und Schultern aus, wo ihn die ungewohnte Arbeit und Sonneneinstrahlung gezeichnet hatten! Sofort schwor sich Jaime, einen herrlichen Dreispitz zu erwerben, dazu noch einen Parasol, wenn es konvenierte, damit Sebastiens fragile Schönheit kein Leid mehr erfuhr. Der Jüngling weinte nun, die Lippen zusammengepresst zu einem dünnen Strich der Pein. Jaime karessierte das zarte Muskelfleisch liebevoll, wies sein lustvolles Begehren in die Schranken, wollte den Jüngeren für sich gewinnen. Er gab die überstreckten Arme frei, löste die Bänder und verabschiedete das Nachtgewand endgültig, drehte Sebastien auf den Rücken. Richtete sich auf den schlanken Beinen ein, den gesamten Torso zu liebkosen, rosige Wärme unter der blassen Haut hervorzulocken, aufreizende Muster mit der Zungenspitze zu zeichnen. Sebastien verbarg das Gesicht hinter den Händen, fuhr fort, lautlos Tränen zu vergießen. Er fürchtete sich, bis ins Mark hinein, zitterte, obwohl der Körper glühte, sich widersetzte, nach dem infernalischen Bann des Wüstlings verlangte! Es konnte nicht anders sein, als dass der Leibhaftige ihn zu verzehren gedachte, und Sebastien hatte sein Leben in der Drohung der Verdammnis verbracht. Jaime hielt inne, aufgewühlt und ratlos. Wie sollte er den hoffärtigen Jüngling aus dem Ubac Respekt lehren, wenn er es nicht über sich brachte, dieses jammervolle Bild der Verzweiflung zu ignorieren? Und warum beruhigte sich sein schöner Gast nicht? Er litt doch keine Schmerzen, Jaime tat ihm nur wohl! Der Mantanhol gab nach, setzte sich auf und hob ohne Mühe den jüngeren Mann auf seinen Schoß, wiegte ihn zärtlich in den Armen. "Aber Sebastien", summte er sanft, "so beruhigt Euch doch. Euch wird kein Leid widerfahren." Er streichelte über die losen karamellfarbenen Strähnen, die spitzen Schulterblätter, die sich abzeichnenden Wirbel des Rückgrats. "Mein Liebster, fasst Euch bitte, ich will Euch nichts Böses", flüsterte Jaime ein ums andere Mal in Sebastiens Ohren, schlang sich die steifen Arme um den eigenen Nacken und küsste feuchte Bahnen von der geschwollenen Haut. Jaime betrachtete die gezeichnete Miene, die flatternden Lider, die dem auferlegten Zwang, sich nicht zu öffnen, kaum standzuhalten vermochten. Die blutleere Linie, wo sich sonst sanfte Lippen schwangen. "Caitiu Calinhaire", seufzte der Mantanhol bedauernd, tupfte zärtliche Liebkosungen auf die langen Wimpern, die hauchzarten Lider, die vorwitzig gerundete Nase, die versiegelten Lippen. Geduld lautete ihm das Gebot der Stunde. Bald musste sich Sebastien erschöpfen, dann wollte er seine Strategie in Ruhe überdenken. ~*~ In der Tat erwies sich die Einschätzung des Senher da Solador als zutreffend. Den Jüngling aus dem Ubac verließen die Kräfte. Die furchtbaren Qualen, die auf ewig die Verdammten plagten, verloren sich in ermattetem Schlummer, geborgen im Arm des Mantanhol, der mit seiner gesamten Körperlänge den zierlichen Gefährten wärmte. Dann sanken ihm selbst die Lider herab, und er ergab sich dem Schlaf. Einige Stunden später, noch ausreichend vor dem Abend, der die Rückkehr des Gesindes vom Feld ankündigte, erwachte Jaime, erholt und besonnen. Er konnte nicht von Sebastien lassen, die Leidenschaft forderte Satisfaktion. Dennoch, das Prozedere musste sich wandeln, weniger gewaltsames Dirigieren, sondern eine stärkere Hinwendung zu gesellschaftlichen Notwendigkeiten. Jaime weckte folgerichtig den Jüngling mit nachdrücklichen Küssen und eindringlichen Liebkosungen. Dieser schrak hoch, zog rasch die Beine vor den Leib, schamhaft und bar jeden Trotzes. Der sich früh genug einstellen würde, wie Jaime mutmaßte. "Sebastien", adressierte der Senher da Solador den Luminnier, "Ihr wisst wohl, dass Ihr Euch ungebührlich gegen mich benommen habt. Ich muss Euch strafen. Jedoch, ich will Euch kein Leid zufügen, darum wähle ich diese Weise der Satisfaktion." Sebastien fauchte heiser. "Ich gab Euch exakt die Antwort, die Euer fortgesetzt abscheuliches Handeln verdient! Im Übrigen geht Euch jedes Recht ab, mich zu strafen! Wenn Ihr Satisfaktion wünscht, Bergbauer, dann wollen wir die Waffen wählen!", versetzte er kämpferisch. Der Mantanhol legte den Kopf auf die Seite, studierte den erblühten Hochmut bedächtig. "Ich habe bereits die Waffen gewählt, Senher d'Aire. Mann gegen Mann, mein Leib gegen Euren." "Auf diese Art zu duellieren verstehe ich mich nicht", erklärte der Jüngling steif, "zudem erscheint sie kaum eines Mannes von Stand angemessen." Ein samtiges Lachen entfuhr Jaime. Er legte den Kopf in den Nacken, auf der Lagerstatt kniend und kommentierte die ahnungslose Behauptung amüsiert. "Ihr irrt Euch, mi Amigar, ein jeder Mann sollte sich auf diese Technik verstehen, will er sich Mann nennen." "Wagt nicht, mich zu verspotten!", zischte Sebastien empört. Er ahnte wohl, dass ihm ein Detail entging, er bestimmte Paragraphen dieses Dialogs nicht begriff, allein, die bloße Erinnerung, wie sich ihm der Mantanhol genähert hatte, bekräftigte seine vorgefasste Meinung. "Es sei, wie es sei", kürzte Jaime ruhig den Disput ab, "ich kann keine Nachsicht mehr mit Euch üben, Sebastien." Er näherte sich, die Hände wanderten an Sebastiens bloßen Beinen entlang, die schützende Wehr zu erobern. Der Jüngling erbleichte, erstarrte fassungslos. "Was habt Ihr vor? Wahrt Distanz, augenblicklich!", flüsterte er verschreckt, die dünnen Arme ängstlich um den nackten Leib geschlungen. Jaime lächelte zärtlich, streichelte über eine Wange, die ihm eilig entzogen wurde. "Ihr wisst sicher", versetzte er maliziös, "wie sich Hunde oder Katzen paaren, wenn sie das Verlangen überkommt." Sebastien suchte vergeblich in den schwarzen Augen nach einem weiteren Wort, das die Zusammenhänge herstellen würde. "Ich bedaure", gab er schließlich steif zurück, durchwühlte die Erinnerung, ob ihm jemals ein solches Schauspiel geboten worden war. Nun war es an Jaime, fassungslos zu stutzen. "Dio mio", murmelte der Mantanhol fasziniert, sprach Sebastien die Wahrheit? "Nun, ich werde Euch es lehren", versetzte er samtig, pirschte sich heran, ein kundiger Jäger, der auch diese Bastion erstürmen würde. ~*~ Sebastien fehlte noch immer das Verständnis. Er wusste jedoch, dass die unerwünschte körperliche Nähe in keinem Fall zu tolerieren war. Man musste sich des Zugriffs erwehren, die verwirrenden Worte aus dem Gedächtnis streichen! Allein, der unsägliche Senher da Solador war flink, geschmeidig wie ein Wiesel, zu stark, ihn fortzustoßen. Und ungeniert, im Mindesten, da er jede Gelegenheit nutzte, Sebastien mit feuchten Küssen zu belegen! Der Jüngling wand sich mit wachsender Verzweiflung, doch stets lauerten Finger, Arme, Lippen, eine forschende Zunge gar! Kein Fleck an seinem Leib blieb unbehelligt, von der Ohrmuschel bis zu den Zehen. Der verwünschte Wüstling marterte ihn ohne Unterlass, jagte ihn wie eine Katze die Maus, mit spielerischer Grausamkeit. Sebastien protestierte atemlos, immer wieder eingefangen, wenn er glaubte, dem Lager entfliehen zu können, zappelte und drehte sich. Nun fand er sich ausgestreckt, exponiert in schmachvollster Weise, der Unhold kauerte über ihm... und der Jüngling verstummte. Über ihm, nicht die Spanne eines Fingers entfernt, schob sich Unaussprechliches gewaltig in sein Blickfeld. Er wollte die Augen schließen, sich abwenden, allein, der gefährliche Bann lähmte ihn. Jaime, breitbeinig über dem Jüngling kauernd, lächelte hungrig mit blitzenden Zähnen. Der Mantanhol senkte den Kopf, liebkoste in der Länge das feingeäderte Pendant, so zerbrechlich wohlgestaltet wie der Jüngling selbst. Sebastien rang erschrocken nach Atem, befreite sich endlich von dem Fixpunkt über seinem Kopf. "Hört auf!", protestierte er bange, ballte die Fäuste, die gespannte Bauchwand über sich zu malträtieren, doch Jaime ahnte jede Gegenwehr voraus. Richtete sanft das rosig blühende Fleisch mit den zögerlichen Muskeln auf und barg es, geruhsam und ohne Eile, in seinem Mund. Der Jüngling vergaß die Nöte seiner Lungen, trieb die Fingerspitzen tief in das Stroh der Matratze, hilflos, getrieben von unbekannten Sensationen. Wie wurde ihm? Wie konnte dieser Wüstling...?! Schmutzig... unanständig... verwerflich... Jaime ließ Gnade walten, da er fürchten musste, Sebastien würde ersticken, gab seine Beute frei, die sich ihm freudig entgegen reckte. Er glitt von Sebastien hinunter, orientierte sich ein wenig tiefer, die schlanken Beine teilend. Ein verständiger Mann, ein Konstrukteur, wie es der Jüngling aus dem Ubac wohl war, begriff auch ohne große Worte, dass ein Stift einer passenden Öffnung bedurfte, wollte man sie miteinander verbinden. Die ebenholzfarbenen Locken tanzten auf der fahlen Bauchdecke, als der Senher da Solador erneut der stolzen Standarte die Aufwartung machte, zugleich ein wenig tiefer mit den kundigen Fingern spazierte. Er lauschte auf die hastigen Atemzüge, schmeichelte hier und da, bevor er neugierig die Zuflucht untersuchte, die er sein Eigen zu nennen anstrebte. Sebastien zuckte gar heftig, verließ im Reflex beinahe die Matratze. Dann fand er die Sprache wieder, flehte nun mit heller, verängstigter Stimme, den Tränen nahe. "Bitte, lasst ab! Ich will nicht der Verdammnis anheimfallen, nicht ins Fegefeuer gestoßen werden! Bitte, ich werde Euch in allen Dingen gehorchen, wenn Ihr..." Jaime entließ seinen Spielkameraden widerstrebend doch notwendigerweise, wollte er sich verständlich artikulieren, richtete sich auf. "Was ich verlange", erklärte er ruhig, die Tränen beladenen, grünen Augen ins Visier nehmend, "das seid Ihr, Sebastien." Glaubte der Senher da Solador nun aber, mit dieser Feststellung jeder weiteren Entwicklung Genüge getan zu haben, sah er sich augenblicklich getäuscht, denn Sebastien entwand sich ihm ohne Rücksicht auf schmerzhafte Konsequenzen. "Ich wähle lieber den Tod, als in der Hölle zu brennen", kündigte der Jüngling angstvoll an, suchte zur gedrechselten Kommode zu fliehen, wo sich ein Rasiermesser fand. Jaime kam ihm zuvor, umklammerte den Jüngeren, hielt ihn fest in den starken Armen. "Was redet Ihr da, Sebastien?! Glaubt Ihr wirklich, was Gott erschaffen hat, den Menschen zu gefallen, führt Euch in die Verdammnis? Zweifelt Ihr an meiner Ehre, da ich doch mein Wort gab, Euch kein Leid zuzufügen? Wie könnt Ihr behaupten, dem Willen der Natur zu folgen sei eine Todsünde?!" Sebastien zögerte, stellte die Gegenwehr ein, wog die Argumente des Mantanhol auf. "Wie soll ich Euch trauen?", versetzte er scharf. "Ihr habt mich schon einmal betrogen!" "Zu Eurem Wohl!", gab Jaime energisch zurück. "Ihr wisst nicht, in welcher Gefahr Ihr Euch befindet." "Ha!", mokierte sich der Jüngling verbittert, "in Eurer Gesellschaft bin ich mir der Bedrohung meines Seelenheils sehr deutlich bewusst." Jaime atmete tief ein, wollte das aufsprudelnde, begeisterte Lachen in sich verbergen. Stattdessen drehte er Sebastien mit Schwung, der die Balance verlor, sich hastig an dem Mantanhol abstützte, -und von paarungsfreudigen Lippen aufgefangen wurde. ~*~ »Unanständig... wie bereits zuvor...« Schimären von Gedanken trieben durch Sebastiens aufgewühltes Gemüt, verführt von Sensationen, die sein Begriffsvermögen überstiegen. Obgleich er sich in fremder Sphäre wähnte, so gemahnten ihn leibliche Aspekte dieses Phänomens, dass er sich in höchst zweifelhafter Lage befand. Konnte es dem Menschen veritabel bestimmt sein, eine fremde Zunge in der eigenen Mundhöhle zu empfangen? Höflich einen wechselseitigen Besuch abzustatten? Oder Unaussprechliches zu bestreichen, geschmeidig in Speichel zu kleiden? Den Leib an einer Stelle zu invahieren, die man lediglich dem Klistier erlaubte? Sebastien schwankte, erst in den starken Armen, dann auf seinem Lager, die grünen Augen aufgerissen blicklos ins Leere gerichtet. Sein Verstand wollte einfach nicht Fuß fassen, ihm raten, wie er sich zu verhalten hatte! Es konnte nicht der natürlichen Ordnung entsprechen, nichts von dem! Hätte man ihn denn nicht den Umgang gelehrt, wenn Jaime die Wahrheit sprach? Wäre es dann statthaft, sich in eine Umarmung zu flüchten, eine Wange zu liebkosen? Das war es jedoch nicht. Punktum. ~*~ Jaime glaubte sich am Ziel, der Atem ging ihm schwer, die schwarzen Augen loderten begehrlich, enchantiert von der zerbrechlichen Schönheit, die er in seinen Armen barg. Präokkupiert mit moralischen Erwägungen bedeutete der Widerstand des Luminniers ihm kein unüberwindliches Hindernis, im Gegenteil! Gelänge es, Sebastien zu überzeugen, fehlerfrei zu argumentieren, so wäre jede weitere Auseinandersetzung mundan. Allein, der Jüngling wehrte sich, energisch, verärgert. "Ich glaube Euch nicht!", begleitete Sebastien seine Offensive. "Es kann nicht dem Willen des Höchsten entsprechen! Man hätte es mich gelehrt! Ich hätte es erfahren!" Der Mantanhol schnaubte, erging sich im Unterleib des Jünglings, der vor ihm kniete, die Finger in die Matratze eingegraben. "Ihr werdet sehen, wenn Hunde in Hitze geraten, ist es nicht anders!", behauptete Jaime kühn. "Zudem hätte Gott uns wohl kaum das Vergnügen aneinander geschenkt, wenn es nicht seiner Absicht entspräche!" "Vergnügen?!", fauchte Sebastien. "Ich empfinde kein Vergnügen!" "Das werdet Ihr", beschloss Jaime kategorisch die Debatte, erstickte aufbegehrende Wiederworte in einem inniglichen Kuss. Dann dirigierte er mit einer Hand im Nacken des Jünglings, diesen der Matratze zu, schickte sich an, den umworbenen Einlass in den Unterleib Sebastiens zu invahieren. Dieser stieß einen heiseren Aufschrei aus, wollte sich der Qual entwinden, doch Jaime gestattete keine Ausflucht mehr. Er linderte jedoch die Pein, streichelte und liebkoste den Jüngeren begehrlich, bezwang die eigene Lust, um fürsorglich den unberührten Leib an seine Gegenwart zu gewöhnen. Sebastien wand sich, ohne seinen Willen, Reflexe eroberten seine Reaktion, dann folgte die schmerzlich profane, körperliche Seite: Schwung aufnehmende Stöße, einem gewaltigen Pendel gleich, das ihn malträtierte. Ein eigentümlicher Schmerz, so unbeschreiblich, wechselhaft, fordernd und übermannend. Obgleich er sich mühte, dieser Sensation zu entsagen, sich Jaime zu entziehen, verlor er sich rasch im Sog der zersplitternden Gewissheiten. ~*~ Jaime hielt den Jüngling umschlungen, brannte atemlose Liebkosungen auf die bleiche Rückenpartie, streichelte die losen Strähnen, bemüht, so viel Vergnügen zu erzeugen, dass über diesen Punkt nie mehr ein Streit ausbrechen würde. Er spürte, wie sich Sebastien mit einem sanften Seufzer ergab, die Lippen endlich ihre Blockade jeder Äußerung entsagen durften, weil ihr gestrenger Meister einer Ohnmacht anheimfiel. Nachsichtig barg der Mantanhol seinen ermatteten Liebhaber, noch unbefriedigt, doch keineswegs ungehalten. Ein paar aufmunternde Handstreiche später war der Form Genüge getan, dann konnte Jaime den Jüngling zärtlich umschließen, liebevoll umarmen. "Mi Calinhaire", raunte er samtig in die karamellfarbenen Strähnen, bewunderte die zarte Blässe der hellen Haut, "mein schöner, fremder Jüngling." Den er der Dunkelheit der Luminniers entreißen wollte. ~*~ Man rief zur späten Speise. Bald schwoll das Geräuschgeklingel bis zur Unerträglichkeit an, da sich alle Bewohner der Mainada wieder eingefunden hatten und vom Tag zu berichten wussten. Jaime entsagte bedauernd dem Liebeslager, streifte sich mit sehnsüchtigem Blick Hemdbluse und Beinkleider über, deckte die bloße Gestalt seines Calinhaire zärtlich zu. Sebastien schlief, erschöpft und verführt von einer Leidenschaft, die er gestatten musste. Er bemerkte die kraftvolle Hand nicht, die sanft über seine karamellfarbenen Strähnen strich, bevor sich der Senher da Solador endlich widerstrebend löste. Man erwartete ihn, zu Recht, denn das Asempre des Senher forderte es. ~*~ Die abkühlende Brise der Nacht genießend leistete Jaime seiner geliebten Gemahlin auf der Veranda vor ihrem Gemach Gesellschaft. Sie schwiegen, in vertrauter Gemeinschaft, dankbar für die reiche Ernte und den erfolgreichen Austausch unterschiedlichster Güter. Allein, Jaime verspürte Unruhe in sich rumoren, den Drang, umherzulaufen, ganz ohne Ziel! "Sagt, Jaime", sprach ihn leise mit melodiöser Stimme, so gar nicht zwitschernd-hell, Mabioline an, die ihren jungen Ehemann aufmerksam betrachtete, "wie steht es nun?" Man hätte Ausflüchte, ja, Unverständnis, vorgeben können, sich der Kontemplation verweigern, aber der Mantanhol wich nicht zurück. "Ein geistlicher Disput ist wohl zu führen", seufzte er unter mokierendem Augenaufschlag, "ein heikles Sujet, in der Tat." Mabioline lächelte, die Aquamarine funkelten in der Dunkelheit. "Wie, Ihr bedürft der Worte, ihm zu charmieren? Mein Liebster, Ihr frappiert mich!" Der Mantanhol lachte samtig auf, beugte sich hinüber, die schöne Dame guten Muts zu küssen, mit den bezaubernden Locken zu spielen. "Er ist kaum mehr als Geist, ein Verstand, vom Korsett der Moral und Konventionen eingeschnürt, mit der ewigen Verdammnis bedroht", erklärte er dann, um einiges ruhiger und gefasster. "Die leibliche Hülle ein Sündenbabel, das es schnellstmöglich zu überwinden gilt. Wer lehrt eigentlich diese unmündigen Kinder, dass sie ihr Leben so billig fortwerfen sollen?!", zürnte er bissig der Bereitschaft, sich stets zur Satisfaktion zu duellieren. Eine kleine Hand liebkoste die sonnengebräunte Wange, kraulte vorwitzig das willensstarke Kinn, das der Dienste eines Baders bedurfte. Sie wusste, dass Jaime seinen hagestolzen Gast nicht ernstlich verletzen würde, wie er keinem anderen Mensch absichtlich Übel zufügte. "Mich dünkt", Mabioline schmiegte sich wohlig schnurrend in die wärmende Umarmung ihres Gemahls, "dass die Luminnier niemals ihre Distanz überwinden, ganz gleich, ob gegen Kind oder Gefährtin. Der bedauernswerte Jüngling hat wohl wenig Herzlichkeit und Liebe erfahren. Es stünde uns gut zu Gesicht, wenn wir ihn behutsam lehrten, was ihm bisher versagt blieb." Jaime brummte sonor, ein gutturaler Laut der Zustimmung, der mit Resonanz beide Körper durchdrang, spannungsvolle Erregung mit sich führte. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen erhob sich die Senhora, hielt fest in ihrer kleinen Hand die ihres Gemahls, der ihr gehorsam folgte. ~*~ Der Morgen brach an und Sebastien, der die spätere Hälfte seiner Ruhe in aufgewühlter Nervosität verbracht hatte, konnte sich schließlich aus undeutlichen Albträumen befreien. Ein Tag wie jeder zuvor... doch, halt!! Rapide stellten sich Erinnerungen ein, bekräftigt von dem Umstand, dass er gänzlich entblößt dem Schlaf gefrönt hatte. Sebastien erschauerte, von Entsetzen übermannt. Der ganze Leib war entweiht, diesem Wüstling zum Opfer gefallen! Unaussprechliches hatte sich ereignet, er selbst von einem bösen Zauber gebannt, der jede Gegenwehr erlahmen ließ! Bänglich kauerte sich der Jüngling auf die Knie, flehte unter Tränen um Vergebung, richtete hilflose Ersuchen um Beistand an die höchste Instanz. Doch was konnte er erhoffen? Sich einer mitfühlenden Seele anzuvertrauen, stand nicht zu Gebote, ganz ausgeschlossen, dass er in Worte fasste, was ihm geschehen war. Was blieb ihm nun? Der Ehre konnte nicht mehr Genüge getan werden. Allzu oft hatte er gezögert, all sein Trachten daran ausgerichtet, dass er in bedeutender Mission in dieser unzivilisierten Provinz verweilte. Welche Ehre auch? Es gab nichts mehr, das diese hohe Bezeichnung verdient hatte. Sebastien erhob sich, schleppend, niedergedrückt, vermied beschämt jede Reflexion in der Spiegelfläche der Kommode, bis er den Doppelflügel des Kleiderschrankes erreichte. All diese Pracht: schändlich, leichtfertiger Flitter, wohl passend für jene, die ihr Glück in der Ferne suchten, doch er... er konnte nicht mehr auf Glück hoffen. Wäre Sack und Asche verfügbar gewesen, Sebastien hätte es gewählt. So blieb ihm lediglich ein feines Hemd und seidig-graue Kniehosen. Nachlässig wischte er anschließend mit dem aromatisierten Wasser des Vortags über Kopf und Glieder, stützte sich schwer auf die Rückenlehne der Chaiselongue. Ekel stieg in ihm auf, gegen die eigene Erscheinung gerichtet. Warum hatte er gezögert, im Wald, lieber einen Unterstand gesucht, als forsch auszuschreiten? Weshalb genügten seine Kräfte nicht, den unsäglichen Wüstling fernzuhalten? Er hatte schmählich versagt. Allein, -ein Gedanke stob auf, Funken schlagend, gleißend hell-, allein, wenn er sich nach Hause wandte, würde niemand die Wahrheit kennen! Gut verborgen könnte er sich erneut versuchen, in anderer Weise Meriten erwerben, sich verdient machen! Folgerichtig sammelte der Jüngling aus dem Ubac seine Gedanken, ein weiteres Mal die Flucht und Rückreise zu planen. Ein Mantel musste die Pelerine ersetzen, -er bündelte sich streng die Haare-, auch ein großer Kanten des dunklen Brotes und grober Käse wären erforderlich, ein hoher Stab, zur Stütze in den Bergen. Des Weiteren eine Feldflasche Wasser, vielleicht eine Decke... Mit neuem Mut richtete sich Sebastien auf, straffte die Schultern. Er durfte keinen Argwohn erwecken, wenn es gelingen sollte. Zudem lärmte der eigene Magen ganz ungezogen, erinnerte nachdrücklich daran, dass eine grundsolide Basis am Besten reiste. Sebastien hielt auf den Kleiderschrank zu, komplettierte seine Aufmachung mit einem fliederfarbenen Gilet, band das Jabot sehr ordentlich und streifte einen schimmernd grauen Gehrock über. Nun musste er wohl den Spiegel konfrontieren, und wie erschreckend leuchteten die Haare! Mochte es an der Bekleidung liegen, oder war es den Ereignissen zuzuschreiben: der Jüngling glaubte, unmissverständlich in seiner Schande aus jedem Rahmen zu fallen, dem ahnungslosen Betrachter direkt ins Auge zu stechen. »Nicht zu ändern!«, nahm er sich streng in Zucht, verließ sein Gemach über die Veranda. Die Sonne schien, ein wenig verschnupft, hegte keine rechte Freude daran, auf die Erde hinabzusengen, sondern empfahl sich immer wieder hinter müßig dahintreibenden Wolkenverbänden. Sebastien spürte Blicke, die ihm folgten, finster und abweisend, weil er es gewagt hatte, dem Senher ins Gesicht zu schlagen, die Wahrheit verkündet hatte über das schändliche Treiben! Der Jüngling reckte das Kinn, hielt sich steif und aufgerichtet. Was kümmerte einen Herrn von Stand die Ansicht des Gesindes! "Bonjorn, mi Amigar", empfing ihn, völlig außer Betracht gelassen, die schöne Dame des Hauses freundlich. Er erstarrte auf der Schwelle, die Farbe verließ sein Gesicht, die Hände zitterten. Wie konnte er ihr gegenübertreten?! Seiner Freundin, die vertrauensvoll seine Gesellschaft gesucht hatte!! Und nun reihte er sich in die zweifelsohne beträchtliche Folge unwerter Personen, mit denen sich ihr infernalischer Gemahl ehebrecherisch versündigt hatte. "Aber bitte, setzt Euch doch." Sie erhob sich, nahm eine kalte Hand in ihre kleine, leitete ihren bleichen Gast an, sich zu platzieren, legte ihm vor, verlangte gewärmten Kräutertee mit Honig, den Schreck zu lindern. Um erstickender Verlegenheit vorzubeugen, lenkte Mabioline das Gespräch auf ein erfreuliches Sujet, nämlich die Entwürfe für die Rekonstruktion der Mühle. Sie lobte die umfangreiche Studie des Jünglings außerordentlich, ließ auch die Begeisterung ihres Gemahls nicht unerwähnt und bat abschließend, dass Sebastien als Berater erhalten bliebe, wenn man im nächsten Jahr den Bau in Angriff nahm. Sebastien zögerte, entschloss sich dann zu einer vorsichtigen Replik. "Es wäre mir eine große Ehre, Mabioline, Eurem Wunsch Folge zu leisten. Allein, ich verfüge nicht über die Abschrift meiner Entsendung in diese Provinz und befinde mich somit in der lässlichen Lage, ohne solide Perspektiven zu sein." Sie lächelte, zierlich, die Mundwinkel lieblich animiert. Die Wimpern beschrieben einen einzigen Schwung über den Aquamarinen. Dann verkündete sie mysteriös, "mein treuer Freund, die Zukunft wird uns sicher noch manch wundersame Überraschung bereiten." Und sprach den Speisen zu, was Sebastien Schweigen verordnete. ~*~ Der Jüngling aus dem Ubac wähnte seinen lästerlichen Gastgeber auf dem Feld, doch er irrte. Denn als Sebastien sich über den Hof erging, unauffällig ermessend, wie man wohl unbeobachtet eskapieren könne, fand er sich unversehens Jaime gegenüber. Der Senher da Solador inspizierte den Zustand der einfassenden Mauer, klopfte gegen Putz und Steine. "Bonjorn", lächelte er erfreut, als er Sebastiens ansichtig wurde, wandte sich diesem zu, die Distanz beschwingt zu überbrücken. "Sebastien, wollt Ihr mir nicht assistieren? Die Einfassung weist einige Schwachstellen auf, die vor dem Winter noch ausgebessert werden müssen", adressierte er den Jüngling selbstsicher, ignorierte das hastige Zurückweichen geflissentlich. "Bleibt mir vom Leib!" Brüskierte ihn sein widerwilliger Gast mit schrillem Ausruf, doch Jaime ließ sich nicht irritieren, ergriff einen umgeschlagenen Ärmel des Gehrocks. "Warum so schreckhaft, mi Amigar?", neckte er in vertraulichem Timbre den errötenden Jüngling, der nun mit der Faust nach ihn schwang. Jaime fing sie recht mühelos, lächelte mit blitzenden Zähnen. "Ich bin erfreut, dass Eure Lebensgeister sich wieder eingefunden haben", scherzte er mutwillig, funkelte schwarzes Feuer in die grünen Augen, deren braune Sprenkel ihn verzauberten. "Gebt mich frei, auf der Stelle, Ihr Wüstling!" Sebastien wandte hastig das Gesicht ab. Schon viel zu nahe war ihm der detestable Mann, legte sich warmer Atem wie eine unerwünschte Leidenschaft auf seine Haut. Der Senher amüsierte sich, ein vorwitziges Tändeln initiierend, ergötzte sich an den ungelenken Bemühungen des Jüngeren, seinen starken Armen zu echappieren. Wie ein ridikuler Tanz nahm sich dieses Tete-a-tete aus. Endlich, da Jaime nur einen Ärmel hielt, entschlüpfte Sebastien Gehrock und Annäherung, nur noch haltlose Flucht vor Augen. Allein, in diesem Augenblick sprengte eine ganze Gruppe Reiter durch das große Tor auf das Gut, grün-golden livriert, an ihrer Spitze Curzio Jehaune. Der sein Reittier mit harter Hand herumriss, direkt auf Jaime zuhielt. Sofort herrschte Alarm. Kinder und Frauen, dazu die Alten, ein jeder ergriff, was in die Hände fiel, denn ein solches Auftreten konnte nur Ungemach versprechen. Der Senher da Solador bewahrte jedoch die Ruhe, lupfte die pointierten Augenbrauen degoutiert. "Bonjorn, Senher Jehaune", richtete er kühl das Wort an den unerwarteten Besucher, doch dieser fixierte den hellblauen Blick auf Sebastien, bevor er mit schriller, überschlagender Stimme Anweisungen erteilte. "Das ist er dort, ergreift ihn! In Namen Seiner Majestät, legt ihn in Ketten, diesen Hochverräter!" Man wollte schon absteigen, allein, das verbliebene Gesinde nahte. Der Senher da Solador zog sein Jagdmesser blank, den Jüngling schützend. "Halt!", gebot er mit donnernder Stimme kehlig. "Auf meinem Grund wird niemand ergriffen, wenn ich es nicht gestatte! Was werft Ihr meinem Freund, der Gastrecht genießt, vor, Senher?", knurrte er bissig hinauf, die Zähne blitzend, recht ungezähmt und wild in seiner Erscheinung. Curzio Jehaune studierte ihn verächtlich, die hagere Gestalt triumphierend. "Seine Majestät hat angeordnet, dass alle Luminnier zu ergreifen sind! Crimen laesae majestatis lautet die Anklage, Mantanhol! Und nun tretet beiseite!" "Wagt es nicht", schnurrte Jaime bedrohlich, alle Muskeln angespannt, "beweist Eure Behauptungen!" "Ha!", schnaubte der Senher Jehaune schrill, entzog seinem Gehrock ein gerolltes Stück Papier, schleuderte es aus. "Ich lese es Euch gerne vor", provozierte er ungebührlich, den öffentlichen Anschlag präsentierend. Und ließ ihn fallen, achtlos, die Faust geballt. "Ergreift ihn also!" Doch Jaime fasste die Zügel hart, als wolle er das unruhige Tier auf die Knie zwingen. "Wo ist Euer Beweis, dass er ein Luminnier ist, Curzio?", zischte Jaime leise aber vernehmlich. "Von seiner eigenen Hand", fauchte dieser in schmerzlich schriller Tonlage, "das Billet wird es zeigen!" "Habt Ihr es?", erkundigte sich der Senher da Solador sehr ruhig, fixierte mit glühendem Blick aus schwarzen Untiefen die hellblauen Eiskristalle. "Es wird sich finden!", schmetterte der Maradoier verärgert, gestikulierte, dass man endlich Sebastien in Gewahrsam nahm. "Wenn Ihr nicht den Beweis führen könnt, dass er ein Luminnier ist, dann zieht Euch zurück. Und ich rate Euch, nie mehr diesen Grund zu betreten und meinen angenommenen Sohn zu bedrohen", versetzte Jaime drohend. Es kehrte Stille ein, ganze Herzschläge lang. Hatte man wirklich vernommen... konnte es sein, dass...? "Ihr lügt, Bauer!", entfuhr es dem Senher Jehaune, "niemals könnt Ihr diesen Geck adoptiert haben!" Er zwang sein Pferd auf die Hinterbeine, doch Jaime wich keinen Fingerbreit zurück. "Ich", entgegnete er mit samtiger Stimme, "kann es beweisen, mit Brief und Siegel Seiner Majestät, ausgefertigt vom Gouverneur dieser Provinz. Wollt Ihr Einsicht nehmen, Curzio?" Die gereckten Äxte, Heugabeln, Stöcke und Riemen legten nahe, dass man auf diese Möglichkeit verzichten sollte, im Übrigen in sicherer Gefahr stand, ordentlich des gemeinen Bauern Handschrift zu spüren. Der Senher Jehaune spuckte verächtlich aus und schleuderte eine zweite Bekanntmachung vor Sebastiens Füße. "Das werdet Ihr dann wohl auch nicht benötigen", schrillte er gehässig, drängte sich eine Passage durch das Gesinde, eilig gefolgt von seinen Begleitern. Jaime wartete, hoch aufgerichtet, das Messer in der Hand, bis auch der letzte Reiter den Torbogen hinter sich gelassen hatte. Nicht jedoch Sebastien, der rasch das dünne, klebrig bedruckte Pamphlet überflog. Dann schlug er, wachsbleich, eine Hand vor den Mund. Ein leiser Wehlaut entfloh seiner Kehle, die Lider flatterten... und er brach stillschweigend zusammen. ~*~ Man empörte sich. Welch eine Frechheit! Dieser Jehaune! Man rätselte verwirrt, ob der hochfahrende Jüngling tatsächlich... wo doch die schöne Senhora gesegneter Hoffnung war! Jaime fuhr herum, einen Augenblick zögernd, das Gesicht maskenhaft starr. Dann überwand er die Distanz einer Armeslänge, barg sanft die reglose Gestalt in seinen Armen. Stumm las man Gehrock und Papier vom Boden, folgte still dem tollkühnen Senher, der auf Sebastiens Gemach zuhielt. Mabioline trat hervor, erschrocken, jedoch gefasster, als man erwarten konnte. "Liebste... lest vor, damit es jeder hört", erbat sich Jaime knapp eine Gunst, zog sich zurück, den Jüngling fest in seinen Armen, schloss die leichten Vorhänge des Himmelbetts, um sie vor der Welt zu verbergen. Die Senhora tat, wie sie gebeten wurde. Man lauschte. Hochverrat. Konspiration gegen die Krone. Vermögenswerte in fremde Länder transferiert. Opposition gegen den König. Das zweite Blatt enthielt nichts weiter als Namen und Orte. Familiennamen, die alle dem Blutgericht unter dem Schafott zugeführt worden waren. Eine schier unglaubliche Reihe, denn das Morden währte allein in der Hauptstadt drei ganze Tage. Und keiner durfte übrigbleiben, selbst von den Schiffen sollte man sie holen. Die Luminnier. ~*~ Kapitel 7 - Der letzte Luminnier Mabioline trat lautlos ein, schloss die Glastür zur Veranda hinter sich, schlug vorsichtig einen durchscheinenden Bettvorhang zur Seite, um sich auf der Matratze niederzulassen. Schweigend reichte sie ihrem Gemahl beide Pamphlete und streichelte über die schlanken Beine des Jünglings, der nicht schlief, aber auch die Augen nicht aufschlug. Eine Zeile nur, zurückdatiert. Wenige Worte, eine Zahl, eingeklammert, das Ergebnis des Blutgerichts: d'Aire, Beausage (10). Jaime hatte Ähnliches erwartet. Sofort, als er das Billet des Nachbarn erhielt, der nicht ahnte, dass der eigene Sohn zu den Häschern gehören würde. Rasch einen Plan geschmiedet, wie man das Leben des Jünglings retten könne. Nun galt es, seiner Mainada Rede und Antwort zu stehen, allein, er wollte nicht von Sebastien lassen. "Geht nur, mi Amigar, ich bleibe", versicherte ihm aufmunternd Mabioline, liebkoste eine Wange zärtlich. Der Senher da Solador erhob sich, geschmeidig zwar, doch schweren Herzens. Aber dies war die Bestimmung, das Asempre: man sorgte für alle Familienmitglieder, nicht nur für eines allein. ~*~ Fortan hielt man Wache am Lager des Jünglings, der blicklos ins Leere starrte, in mehrere Decken gehüllt erbärmlich fror, endlose Tränenströme still entließ, auf keine Ansprache reagierte. Jaime unterdessen hatte verkündet, dass am Abend, bevor man speiste, allen gemeinsam erklärt werden würde, welche Gründe ihren Senher bewogen hatten, den Fremden in die Mainada aufzunehmen. Man erregte sich noch immer. Mit jeder Gruppe, die von den Feldern zurückkehrte, wurde die Kunde ausgeschmückt, was sich zugetragen hatte. Wenn der Senher nicht vor Ort gewesen wäre, nicht auszurechnen, was sich dieser unverschämte Kastrat herausgenommen hätte!! Ja, Curzio Jehaune war gar nicht wohlgelitten, im Gegentum, er sollte sich hüten, einem Angehörigen der Mainada in Reichweite zu kommen. Auch wenn man traditionell, wie es sich gehörte, eine gute Nachbarschaft pflegte, hier und da Ehen schloss, sich aushalf, wenn es nötig war: diesen Senher, den wollten sie nicht respektieren! Ein unmanierlicher Kerl, von Hass vergiftet, dem alten Vater keine Stütze. Jaime unterbrach die erregten Gespräche, stellte sich in die Mitte, dass ihn auch ein jeder zu Gesicht bekam. Er bedurfte keiner Gesten. Man schwieg vertrauensvoll und ehrerbietig, weil hier ein Mann stand, der tapfer, gelassen und souverän in jeder Lage sich als wahrer Senher zeigte. "Meine Familie, es ist an der Zeit, euch zu erklären, welch schicksalhafte Wendungen die letzten Tage genommen haben, und ich will Euch nichts verschweigen", begann der Mantanhol mit kehliger Stimme. "Unser Gast aus dem Ubac, Sebastien, hat in den letzten Tagen großes Unglück erfahren. Und dies hätte auch ihn ereilen können, wenn er nicht Aufnahme in eine neue Familie gefunden hätte." Man schwieg, noch unentschieden, ob man dieses Vorgehen für gut befinden wollte. "Im Ubac", fuhr Jaime entschlossen fort, "wird auf Geheiß des Königs zum Schafott gezerrt, wer sich den Luminnier zurechnet, ganz gleich, ob Frau, Kind, Greis oder Mann. Und unser Nachbar, der Senher Curzio, wollte ebenfalls das Recht des Königs vollstrecken, es über unser Gastrecht und unsere eigene Urteilsfähigkeit stellen." Nun aber empörte man sich. Was wusste schon der ferne Monarch, wie man hier lebte? Er bekam, was ihm zustand, so, wie man es mit der Kirche hielt, das sollte ihm genügen! "Ich will nicht verhehlen", der Mantanhol lächelte gewinnend in die breite Runde, "dass ich Gefallen finde an unserem Gast. Sein Leben zu bewahren bedeutete mir viel. Ihm eine Familie zu geben, eine Heimat, ließ sich jedoch in der gebotenen Eile nicht anders bewerkstelligen, als ihn an Sohnes Statt anzunehmen. Ich vertraue darauf, dass meine Mainada ihm helfen wird, den Verlust all seiner Familienmitglieder zu überwinden und in unserer Mitte zu erfahren, wie herzlich, großmütig und stolz die da Solador sind!" Man nickte, stimmte kräftig zu, dann klatschten Hände, es brandete, in schwankenden Wellen, Begeisterung auf. Der Senher hatte recht gehandelt, dem fremden König und dem respektlosen Nachbarn ein Schnippchen zu schlagen! Der arme Knabe... da verstand man wohl, dass ihn das Fieber verwirrte, er sich derartig gebärdete, wenn solches Unglück sich abzeichnete! Der Senher da Solador gab, zugestandenermaßen erleichtert, das Signal, dass man sich setzte und dem frugalen Mahl zusprach, nun wesentlich beruhigter die Ereignisse Revue passieren ließ. Er selbst füllte den Magen ordentlich, sich Kraft zu verschaffen, um den Jüngling wieder ins Leben zu führen. ~*~ Sebastien fühlte keinen Schlaf sich ankündigen, also kauerte er, mit offenen Augen in dem Himmelbett, während sich langsam, beharrlich und bar jeden Gefühls die einzelnen Steine des Mosaiks zusammenfügten. Sein Gastgeber musste wohl, in Konspiration mit Feodor Jehaune, das Billet an den Vater abgefangen haben, zumindest aber zurückgeholt, um die Identität seines Gastes in Zweifel zu ziehen. Warum aber hatte Jaime dieses gefährliche Beweisstück nicht kurzerhand dem Feuer anvertraut? Wieso es aufbewahren... hatte er geglaubt, es einmal noch verwenden zu können? Konnte der Gouverneur, dieser lächerliche Saufaus Hugo Girandou, rechtswirksam eine Adoption gestatten? Wäre nicht das Einverständnis seines Vaters erforderlich... oder beanspruchte Seine Majestät vollends das Leben und Geschick seiner Untertanen? Was war er nun... ein da Solador? Sohn von Jaime da Solador!? Lachhaft, gar widerlich, bedachte man, wie dieser 'Vater' sich ihm näherte! »Vater...« Die Worte brannten in der Kehle, wie die knappe Zeile vor Augen immer wieder flackerte. Sebastien wusste wohl, was die beiden Ziffern ihm bedeuteten. Sie trugen alle Gesichter, von Vater, Mutter, den beiden Brüdern, Tanten, Onkel, älteren und jüngeren Verwandten. Auch die Namen der mütterlichen Verwandtschaft, von Freunden der Familie, Bekannten, Nachbarn: sie verdichteten sich zu unerträglicher Pein. Er konnte nicht begreifen, nicht mit dem Herzen, seiner Seele, dass er ihrer nie wieder ansichtig werden würde. Dass Beausage, die Heimat, sein ganzes Leben verloren war. Eine bösartige Verleumdung, die den Worten des Vaters grässliche Gestalt verlieh. Der König hatte sich seiner einflussreichsten und wohlhabendsten Gefolgsleute erledigt, ein mit teuflischem Geschick arrangierter coup de main. Sollte er nicht Schmerz fühlen, wehklagen und trauern? Allein... da war nichts mehr, die Brust blieb leer. Eine wertlose Hülle wartete noch, dass man sich ihrer entledigte. In dem kühlen Verstand, der ohne Herz und Seele vortrefflich seine Vorteile zu nutzen wusste, repetierte sich endlos die Doktrin des Vaters, in unheilvoller Verbindung zu den Erfahrungen seiner Reise in die südlichen Provinzen. Ein Luminnier zu sein war keine Schande, sich dieser Verantwortung zu entziehen jedoch verachtenswert und feige. Wenn Beausage gefallen, alle d'Aires zum Ergötzen des Pöbels auf das Blutgericht geschleift worden waren: dann blieb ihm nichts mehr. Kein Handwerk, keine Ferne, kein Auskommen, keine Wurzeln. Weder gehörten ihm die Kleider, die er am Leibe trug, noch der fremde Name, den man ihm ohne Einverständnis aufgezwungen hatte. Wie sprach doch der Senher da Solador so triumphierend, "bin ich nicht Euer Schutz und Schild, sorge ich nicht für Obdach und Speise?" Wozu noch speisen, warum ein Schild? Was gab es zu verteidigen, da er selbst es nicht mehr schätzte, dieses erbärmliche Leben, die bloße Existenz, die gar nichts mehr war, geschändet und entehrt. Sorgsam glättete der Jüngling aus dem Ubac die dünnen Seiten, rollte sich ein, auf eine Gelegenheit zu warten, da man ihn ohne Aufsicht ließ. ~*~ Die Nacht brach an, als Gaspard sich Jaime zugesellte, mit seinem Senher sich abzustimmen. Ob eine Gefahr bestand, man etwa Befestigungen zu errichten hatte? Wie es um die rechtliche Geltung der Adoption stand, konnte sie angegriffen werden, der Jüngling ihnen doch noch entrissen? Jaime wechselte in die kehlige Sprache der Mantanhol, gab seine Einschätzung kund. Nein, Gefahr drohte im Augenblick wohl nicht, da in der Tat der Gouverneur, wenn auch in seliger Trunkenheit und von den Nachrichten aus dem Norden wohlweislich unbelastet, die Anerkennung legalisierte. Was nun den impertinenten, rachsüchtigen 'Kastraten' betraf: ohne Zweifel würde dieser auf neue Heimtücken sinnen. Die sich mit mächtigen Mauern schwerlich bekämpfen ließen. Dann trennten sich die beiden, Jaime strebte Sebastiens Gemach zu, Mabioline Gesellschaft zu leisten. "Ihr habt wohlgesprochen, mi Amigar", lobte diese ihn zärtlich, nahm beide Hände fest, drückte sie tröstend, da sie wohl erkannte, wie schwer ihr Gemahl das Unglück seines geliebten Calinhaire trug. "Es war ganz recht, sorgt Euch nicht", versicherte sie einmal mehr, den schwarzen Blick auf ihre noch zierliche Leibmitte bemerkend, als ob ihr junger Gatte tatsächlich glaubte, dem ungeborenen Kind ein Unrecht anzutun. Mabioline erhob sich, legte in mütterlicher Zärtlichkeit die bloßen Arme um Jaimes Schultern, bettete das lockige Haupt auf ihre Brust. Sie spürte Tränen, die der Senher nicht zeigen durfte, wiegte ihn beruhigend, da er ihr ungewohnt verletzlich schien. Ihr Herz anrührte, der stolze, selbstgewisse Mantanhol, von der Liebe zu einem Jüngling aus dem Ubac verwundet, von Zweifeln befallen, sich den Weg zu wählen zwischen Asempre und persönlichem Glück. "Mein lieber Jaime", wisperte sie ein ums andere Mal, streifte schließlich das Deshabillee von den Schultern, entblößte sich gänzlich, damit er ihre Wärme, die zarte Haut, den wohlbekannten Duft genießen und sich fassen konnte. Gebieterisch hob sie eine blühende Knospe zwischen die Tränen feuchten Lippen ihres Gemahls, schmiegte sich an, ihm wie einem kleinen Kind eine Melodie zu summen. Was auch geschah: sie würde ihren unvergleichlichen Senher da Solador niemals verlassen! ~*~ Es musste ein Traum gewesen sein, da ihn der Schlaf schließlich doch besiegte, dass Sebastien glaubte, die schöne Dame in ihrer natürlichen Gestalt erblickt zu haben, den lästerlichen Unhold an ihrer Brust, Trost suchend! Wie konnte dieser Senher nur...?! Doch einerlei, diese Welt konnte ihm nichts mehr bedeuten. Sebastien wartete, mit regloser Geduld, dass die junge Magd, die seit einiger Zeit seine Bettwache versah und sichtlich missvergnügt verharrte, von einer anderen Stimme fortgerufen wurde. Es regnete, stark und unablässig, obgleich die Sonne schien, die Bindfäden zu verdampfen suchte. Dichte Schwaden niedrigster Wolken behinderten die Sicht. Es blieb nicht mehr, als trotzig Unkraut und Steine von den Feldern zu lesen, derweil man im geschützten Gut die Ernte verarbeitete. Ein emsiges Treiben. Sebastien kam eilig auf die Beine, verließ auf bloßen Füßen sein Gemach ohne Abschiedsblick. Das Hemd des Vortags, ohne Jabot oder Gilet, die Kniebundhose, ab den Gelenken blank: mehr trug er nicht am Leib. Zunächst schmerzten die Sohlen, da sie nicht gewöhnt waren, Unebenheiten zu tolerieren, doch Sebastien kümmerte sich nicht. Vielmehr strengte er sich an, unentdeckt dem Gut zu entfliehen. Es gelang, da ihn die nebligen Wasserschwaden einhüllten. Dann verabschiedete sich auch das aufgeregte Fieber, räumte das Feld für resignative Ruhe. Wie schön prangte nach den Aufmerksamkeiten des Himmels die Natur, so grün und saftig die Wiesen! Er ließ die Beine laufen, wie es ihnen beliebte, so weit sie ihn tragen wollten. Und wo sie die Lust verließ, da wollte er sich dem Schicksal überantworten, in die letzte Umarmung des Sumpfes versinken, ungebrochen und frei von Schuld und Schande. Ein geläuteter Sünder, der sich vor dem höchsten Richter Vergebung erhoffte. ~*~ Die Magd kehrte zurück, entdeckte das verlassene Lager und schlug erschrocken, da sie Strafe fürchtete, eiligst Alarm. Wie konnte dies geschehen? Es war kaum die Hand vor Augen kenntlich, die Nässe unerträglich in der Atmosphäre, dazu gefährlich, auf schlüpfrigem Grund, da der Regen die ausgetrocknete Erde unterspülen konnte. Dies alles hinderte Jaime jedoch nicht, der in Kamisol und lederner Hose sofort aufbrach, die wahrscheinlichste Richtung einschlagend. Gaspard schickte sich drein, auch wenn die geteilte Augenbraue düster zuckte, bat Freiwillige, sich ebenfalls mit langen Stöcken und Laternen aufzuteilen, damit man den Unglücklichen aufspürte, bevor er Schaden nahm. Jaime, der keinen Zweifel hegte, dass Sebastien sich entfernt hatte, um dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, wie es die unerbittliche Doktrin der Luminnier gebot, eilte federnd, immer wieder die Augen wischend, auf dem nassen Weg voran. Wenn der Jüngling nun in einen Sumpf geriet, ja, bloß vom sicheren Pfad abwich! Man konnte kaum durch die dichten Schleier tropfender Nässe dringen, aber der Senher da Solador ergab sich nicht bedrückenden Befürchtungen. Die nassen Locken schwenkend, den Kopf eilig von links nach rechts wendend, damit sich keine Einzelheit verlor, erblickte er, ein bestätigendes Blinzeln später, inmitten des saftigen Grüns, eine vage Silhouette. Das Hemd umkleidete durchweicht den schlanken Leib, ab den Hüften sog sich schwarzer Stoff matt voller Nässe. Bis zu den Knien hatte sich der gierige Sumpf bereits des Opfers bemächtigt. "Condemnas enfern!", brüllte der Mantanhol ungezügelt. Der tückische Grund des Morastes war kaum auszumachen, ein erhebliches Risiko, sich dem langsam Einsinkenden zu nähern. Jaime entledigte sich seines Kamisols, zückte das Messer, zerteilte das gegerbte Leder in eilige Streifen, die er verknotete. Dann wagte er sich tollkühn vor. Wollte die krummbucklige Erle wohl sein Gewicht tragen? Er wand die handgefertigte Leine rasch um einen kräftigen Ast, das Messer zwischen die Kiefer gepresst. Schritt um Schritt arbeitete er sich vor. Sebastien, -kein anderer durfte es sein!-, stand bereits bis zu den Hüften in schmatzendem Morast. Worte konnten nicht gewechselt werden, sodass der Mantanhol sich beugte, mit aller Kraft streckte, den Jüngling zu umfassen. Die hinderliche Kniehose zerschnitt, damit sich der Sumpf an ihr gütlich tun wollte, während sie beide, bis zu den Hüften eingesunken, lediglich mit der ledernen Leine dem sicheren Ufer verbunden, die Umkehr wagten. Sebastien folgte, wortlos, ganz bleich, die Arme um den Nacken des Älteren geschlungen, der mit aller Kraft den anhänglich-gierigen Grünteppich durchpflügte, sich anstrengte, eilig die Distanz zu überwinden. Glücklich, bis unter die Achseln mit brackigem Sumpfgewässer eingeweicht, erreichten sie den Pfad. Sebastien sank auf die Knie, lethargisch, denn auch der Verstand hatte sich entfernt, den Lebensmüden nicht mehr zu behelligen. Wie passend, dass er nicht mehr als ein schmutziges Hemd trug, der inkapable Büßer! Jaime dagegen rang nach Atem, die Hände auf die Oberschenkel aufgestützt, konnte der Erregung kaum Herr werden, wie knapp sie nur einem entsetzlichen Tod entronnen waren. Ohne Ankündigung sank er neben Sebastien hin, zog diesen in seine Arme und küsste ihn mit all der Leidenschaft, die er der Dankbarkeit, weiterhin zu leben, entlehnen konnte. Hielt den Jüngling umschlungen, sicher an seiner Brust geborgen, wollte niemals mehr gestatteten, dass sie sich trennten. Allein, Sebastien zitterte, ganz ohne sein Zutun, da es den Leib fror, unter dem beständigen Beguss von oben. Seufzend half Jaime ihm, sich aufzurichten, schälte sich anschließend die Reste des eigenen Kamisols vom Leib, um die Blöße zu bedecken, der solitär das Hemd Sebastiens nicht gewachsen war. Den Jüngling unter einer Achsel fassend, mit festem Griff um dessen Seite schlug der Senher da Solador, das Messer in der freien Hand, lediglich mit einer ledernen Hose bekleidet, den Heimweg ein. ~*~ Man empfing die beiden Rückkehrer mit großer Erleichterung, signalisierte den Übrigen, sie mögen die Suche beenden. Im Badekabinett des Senher wartete bereits die geschwungene Bütte des Schwans mit erhitztem Wasser, dass man sich Schmutz und Schrecken vom Körper spülte. Jaime selbst bat sich aus, dass man zunächst mit niedrigen Bütten eine grobe Reinigung vornahm, ihn mit dem zitternden Jüngling allein ließ. Behutsam befreite der Mantanhol im Schein der vielarmigen Kerzenleuchter den Jüngling vom Hemd, entblößte sich selbst, indem er die seitlichen Schnüre der Lederhose zerteilte. Er tränkte einen Lappen mit frischem Wasser, spülte sanft die unerquicklichen Souvenirs des Sumpfs von der hellen Haut. Jaime liebkoste Wangen und Lippen, streichelte den gesamten Leib, als wolle er sich versichern, dass Sebastien leibhaftig vor ihm stand, unversehrt und wohlbehalten. Dem eigenen Körper widmete Jaime ebenfalls kurzfristig Aufmerksamkeit, reinigte sich rasch, bevor er Sebastiens Hand umfasste, den Gefährten in das Badekabinett geleitete. Er assistierte, dass Sebastien in das wohlig-warme Wasser stieg, unschlüssig verharrte, bis Jaime ihm folgte, sich genüsslich stöhnend niederließ und den Jüngling in sitzende Position vor sich dirigierte. Die Arme um den schmalen Brustkorb des Jüngeren geschlungen sank der Mantanhol bequem gegen die hoch geschwungene Rückwand der exklusiven Schwanenbütte. Einen zwischen aromatischen Kräutern und duftenden Blüten treibenden Schwamm auflesend beträufelte Jaime die helle Haut des Jünglings, erkundete zärtlich die schlanken Glieder, so weit seine Arme reichten. Sanfte Küsse verteilten sich auf den karamellfarbenen Schopf, die Schläfen, Nacken, Hals- und Schulterpartie, die Ohren, bis endlich, kühn genug, er behutsam den Kopf Sebastiens drehte, dessen Lippen zum Ziel wählte. Von Dankbarkeit durchdrungen, die keine Gier duldete, bedrängte er den Gefährten nicht, versicherte aber, stärker, als es jedes wohlgesetzte Wort vermochte, wie viel ihm der Jüngere bedeutete. Die Bonne näherte sich mit hochgerollten Ärmeln, die beiden Insassen der Bütte zu vertreiben, reichte Laken, in die man sich hüllen konnte, bevor man sich bekleidete. Ungeniert studierte sie den Jüngling aus dem Ubac, der blicklos ins Leere starrte, kein Anzeichen des üblichen Entsetzens zeigte, wenn man ihn nicht gänzlich eingekleidet überraschte. Jaime nahm keinen Anstoß, trocknete sich rasch, um in eine bäuerliche Bluse und einfache Stoffhosen zu wechseln, widmete sich anschließend Sebastien. Führte ihn, noch immer in das Laken eingewickelt, zu seinem Bett, hieß ihn, sich niederzulassen. Dann wählte sich der Mantanhol einen grob-zinkigen Kamm, um zärtlich die karamellfarbenen Strähnen zu entwirren. Der eigene ebenholzfarbene Lockenputz konnte da warten! Man brachte heiße Brühe, die Fettaugen schwammen dicht an dicht, dazu geröstetes Brot mit köstlichem Öl, damit sich beide Männer stärken konnten. Und der Senher, -man wollte es kaum glauben!-, fütterte den Jüngling liebevoll wie einen Greis, brach ihm das Brot in mundgerechte Stücke, wischte ihm zärtlich die Lippen. Die fahlen Lider senkten sich, dann wurde Sebastien schwer in Jaimes Armen, der ihn sanft auf die Matratze sinken ließ. Einen Kuss auf die Stirn hauchte, dann gestattete, dass Gaspard an seine Seite trat. "Ich kann ihn nicht verlassen", erklärte der Senher da Solador leise, im kehligen Idiom der Mantanhol, mit einer Hand die schlafende Gestalt streichelnd. Gaspard beugte sich vor, legte eine kraftvolle Hand mit dunklem Flaum auf die Schulter des Jüngeren, lenkte den schwarzen Blick in gegengleiche Augen. "Compremetent", versicherte der Majordomus guttural, nickte knapp. Jaime sollte seine Zeit an der Seite des verstörten Jünglings bekommen. ~*~ Als Sebastien in konventioneller Gewohnheit, die kein müßiges Verweilen auf dem Lager duldete, die Augen aufschlug, sich unbeholfen aufzurichten suchte, bemerkte er irritiert, dass der Senher da Solador auf der Matratze neben ihm saß. Ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, den Kopf zierlich geneigt, gegen das Kopfende gelehnt, die schlafenden Züge unter den offenen, ebenholzfarbenen Locken semi-verdeckt. Zunächst bahnte sich die simpelste Emotion, -Empörung über dieses impertinente Eindringen in seine Privatsphäre-, in dem Jüngling den Pfad zu einem entsprechenden Ausruf. Dann aber, tückisch in schleichender Attacke, bemächtigte sich Frost seiner Glieder, stockte ihm das Blut. Die Erinnerung drängte sich auf, ungefragt, deutlich und beklemmend. Dass er solitär zurückgeblieben war, die Familie verraten und ermordet, die letzte Anstrengung, sich Ehre zu bewahren, verloren ging. Da er noch lebte. Sebastien zog die Beine unter den Leib, blickte sich um. Jaimes Zimmer, spartanisch eingerichtet. Eine Klinge, ja, sie würde konvenieren, ein rascher Schnitt... Eine Hand legte sich um sein Handgelenk, dann konzentrierten sich die schwarzen Augen des Mantanhol unverwandt und ruhig in die grünen des Luminniers. "Bonjorn", begrüßte Jaime seinen Bettgenossen samtig, eine gutturale Drohung in der Stimme. Sein Griff nahm sich eisern aus, unnachgiebig, sodass Sebastien nach würdelosem, sich in hektische Hysterie steigerndem Bemühen, eine Freilassung zu erwirken, die Flucht nach vorn antrat. Sich auf den Senher da Solador zu stürzen, mit der Faust nach ihm zu schlagen. "Gebt mich frei, sofort!" "Wenn Ihr Euch nicht derart echauffiert", lautete die unerträglich selbstgewisse Replik, forderte den Jüngling heraus, mit aller Gewalt, die Füße in die Matratze gestemmt, wie ein Kretin zu toben und zu rasen. Begleitet von unartikulierten Geräuschen der Verzweiflung, die seinem Handeln entsprachen. Jaime hielt stand, ohne besondere Anstrengung. Er hatte sich einen solchen Ausbruch erhofft, wertete diesen als ersehntes Zeichen dafür, dass sich noch Leben in dem schönen Calinhaire fand, der Funke nicht erloschen war. Und Widerspruch, Gegenwehr: der Mantanhol hieß sie willkommen, weil es endlich möglich schien, die konventionelle Starre zu durchbrechen, den Charakter des Jünglings zu erkennen. Von derlei Betrachtungen unbehelligt erlahmten unterdessen Sebastiens Unternehmungen, sich zu befreien. Er rang um Atem, übergebeugt und schwächlich, entblößt, da er das Laken verloren hatte. "Sebastien", schmeichelte ihm die samtige Stimme gurrend, "ich bitte Euch, schont Eure Kräfte." "Zu welchem Zweck?!", fauchte der Jüngling schrill, die Augen rot-stichig. "Weshalb soll ich diesen Leib erhalten?! Zu Eurem schändlichen Vergnügen?!" Jaime lächelte, einem Raubtier nicht unähnlich, die weißen Zähne blitzten. "Euren Leib allein, mi Amigar? Verzeiht, doch so maßvoll kann ich mich nicht gerieren", entgegnete er mit sonorem Schnurren, streckte den Arm aus, über die verwirrten, karamellfarbenen Strähnen zu streichen. Abwehrend wand sich der Jüngling, von heiligem Zorn geblendet. "Ich will dieses Leben nicht mehr! Übelste Verleumdungen haben meine Familie gemordet! Verrat und Neid! Lasst mich zu den Meinen gehen!" Die schwarzen Augen funkelten agitiert, Jaime beugte sich vor, die Distanz zu verkürzen. "Ihr habt eine andere Familie, eine andere Heimat! Werft Euer Leben nicht fort, Sebastien, es würde gar nichts ändern an dem, was bereits geschehen ist!" "Ihr sprecht so, weil Ihr keine Ehre kennt!", schrie ihm der Jüngere hasserfüllt ins Gesicht, die Wangen fiebrig gerötet. "Eure Familie, Eure Heimat: ich will nichts davon, hört Ihr mich?! Euer schändliches Trachten ist doch nur darauf ausgerichtet, mich in Euer Lotterbett zu zwingen! Diesen Leib fortwährend zu schänden!" Der Senher da Solador erstarrte für Wimpernschläge. Die aparten Gesichtszüge verdunkelten sich, ersetzten sich durch eine kalte Maske. "Ihr seid noch sehr jung", zischte Jaime schließlich in mühevoller Beherrschung, lehnte sich zurück gegen das Kopfende. Tollkühn, da er sich hoffte, der Mantanhol würde, wenn man ihn über alle Maßen provozierte, zum tödlichen Hieb ausholen, forcierte Sebastien seine desparaten Bezichtigungen. "Ihr seid mir ekelhaft, Ihr Adulter! Eure eigene Frau zu verraten, Euer ungeborenes Kind! Ein Lügenbold dazu! Ein frecher Blender!! Dem Gouverneur vorzugaukeln, Ihr sorgtet Euch um mein Wohlergehen, auf dass er in meines Vaters ureigenste Rechte eintrat! Und all diese infamen Widerwärtigkeiten nur, um diesen Leib zu besitzen! Nun denn, also, nehmt Euch doch, was Euch so gelüstet! Was hält Euch denn noch?! Bin ich Euch nicht ausgeliefert?! Ohne Euren Schutz und Schild wehrlos, ohne Euer Obdach und Nahrung dem Tode ausgesetzt! Fahrt fort! Bedient Euch! Euer Gewissen wird Euch wohl kaum hindern, Ihr Bestie!" Die grünen Augen glühten hitzig, von der hasserfüllten Rede angefeuert, die Lippen sprühten Speichel in kleinen Tröpfchen, im gierigen Fieber, diesen letzten Akt der Ehrenrettung zu vollenden. Wenn auch zu spät, so konnte sich Sebastien doch versichern, dass er die hehren Grundsätze seines Standes verteidigt hatte. Jaime musterte ihn. Zwischen ebenholzfarbenen Locken glitzerten die schwarzen Augen unter zusammengezogenen Augenbrauen. Er streckte die freie Hand aus, umschloss ungehindert die bloße Kehle des Jünglings, presste die Finger in das zarte Fleisch. Sebastien ballte die Fäuste, funkelte enragiert im unumstößlichen Entschluss, keine Gegenwehr zu leisten, sich jedoch auch nicht zu beugen. "Wie Ihr wollt", knurrte der Mantanhol kehlig, nachgerade ein konsonantisches Kratzen, arrestierte mit dieser einen Hand, die den zerbrechlichen Hals unentrinnbar umklammerte, den Jüngling rücklings auf die Matratze. Mit der freien Hand löste Jaime nachlässig Bänder von Hemdbluse und Hose, die Augen nicht von seinem Calinhaire lassend. Erst streifte er sich die Beinkleider von den athletischen Gliedern, dann folgte die Hemdbluse, die einen Wechsel des Griffs in Wimpernschlagschnelle erforderte. Da er so thronte, die unbekleideten Hüften des Jünglings zu seinem Sitz, die Linke Schloss und Riegel, erging sich die Rechte, über die erleuchteten Wangen zu streichen. Die final befreiten, karamellfarbenen Strähnen zu wirren, über den bloßen Torso zu spazieren, so weit der Arm ihm reichte. Jaime sprach kein Wort. Die schwarzen Augen duellierten sich mit ihren grünen Widerparts, wer wohl den stärkeren Willen beweisen mochte, während müßig, ganz amön sogar, sich die Rechte erging, Liebkosungen zu verabreichen. Der widerstrebende, sich im letzten Akt der Rebellion befindende Bettgefährte hieb unversehens die Finger in das Stroh der Matratze, weil ihn gar fragwürdige Sensationen beschlichen. Da ging er doch veritabel des gerechten Zorns verlustig! Der Atem flog ihm eiliger, weil dieser Unhold nicht Distanz wahrte! Der Mantanhol hingegen beharrte auf seiner Strategie, da jede Ansprache, und mochte sie derart zärtlich und ermunternd sein, lediglich in weitere Gefechte führen würde. Wenn er jedoch, wie es nun geschah, zunächst den köstlichen Leib überzeugte, dass es zu leben lohnte, dann wollte wohl auch der Verstand endlich ein Einsehen zeigen. Also glitten die kraftvollen Finger über die helle Haut, mit angemessenem Druck, dass man sie spürte, beschritten transparente Bahnen, kartographierten die Beschaffenheit der Landschaft, die sich adorabel erstreckte. Die Matratze litt nun stärker, da Sebastien sich verspannte, den Körper bezwang, zu erstarren und keinesfalls sich zu ergeben, charmiert von frivolen Gaukeleien, im Widerstand nicht nachzulassen. Ihm wurde bald, die Lippen farblos versiegelt, die Luft gering. Vor den Augen zerstob Feuerwerk, gewürzt mit schwarzem Pulverregen. Allein, man musste atmen, selbst wenn der Verstand es nicht gestatten wollte! Mit einem gewaltigen Ächzen hob sich der Leib in seiner Mitte gänzlich von der Matratze, ein einziger Krampf, der Mund aufgerissen, das Laken in den Fingern zerknittert, dem ursprünglichen Instinkt des Lebens zu folgen! Der Senher da Solador, in diesen Dingen bewandert, gab nach, folgte dem gewaltsamen Aufbäumen, entließ die Linke aus ihrer kerkernden Pflicht. So gierig nach des Lebens Odem verlangte Sebastiens malträtierter Leib, dass er sich übernahm, nun würgte, hustete, einrollte, den Qualen beizukommen. Jaime streckte sich neben ihm aus, erwartete den passenden Augenblick, sich auf den zarten Körper zu manövrieren, mit beiden Händen Sebastiens Haupt zu umschließen. Die eigenen Lippen auf den Quell der Qual zu legen und selbst, portionsgerecht, wie es konvenierte, für Atem zu sorgen. Der Jüngling bebte, die Finger gruben sich, -da man das Laken bereits in Mitleidenschaft gezogen-, in die muskulöse Partie der sonnengebräunten Schulterblätter, glitten in blutigen Furchen die Arme hinab, bis die Ellenbogen ihnen Heimat boten. Ihr Eigentümer störte sich nicht daran, denn alle Empfindungen richteten sich auf die Front, die gar Erfreuliches zu berichten wusste: man akzeptierte die stete Gabe wärmenden Hauches. Die beiden Körper, so anschmiegsam einander verbunden, in einem Rhythmus schwingend, korrespondierten ausgedehnt, da sie en detail über die Kenntnis verfügten, wie man sich weitere Lust verschaffen konnte. Wenn nicht, -wie ärgerlich!-, der übellaunige Verstand, hinderliche Konventionen und allerlei anderes Zierrat sie hinderte! Die Linke des Senher wanderte geschmeidig, den Nacken des Jünglings zu stützen, während er selbst eine halbe Drehung inszenierte, mit der Rechten zärtlich über mageren Rücken und Lende strich. Endlich den Oberschenkel umfasste und auf die eigene Hüfte dirigierte. Sich schmeichelnd regte, ein wenig nur, liebkosend, am Leib des Jünglings entlang, der Atem schöpfte und zur Dreingabe auch andere Liebenswürdigkeiten erfuhr. Man kannte sich bereits, die Honneurs blieben knapp, dann kostete man erneut, züngelte umeinander, mischte das Aroma, interessierte sich für die Behausung. Also, der Gaumen, und hier!, die perfekte Reihe der Zähne, aha, da hinten konnte man die Glocke schlagen...! Sebastien wich, die Hände gegen die breite Brust des Mantanhol gepresst, befreite sich, was dieser mit einem nachsichtigen Lächeln gestattete. Der Jüngling entfloh dem Schlachtfeld, requirierte das echappierte Laken, sich zu bedecken und eilig bis zum Badekabinett zu fliehen, wo er nun zögerlich, entflammt und atemlos innehielt. Jaime lagerte sich bäuchlings, den linken Arm zum Stütz des willensstarken Kinns angewinkelt, den Rechten müßig ausgestreckt, so bloß, wie die Natur ihn schuf. Sein entflohener Gefährte hüllte sich ein, bis zu den Schultern, sammelte die versprengten Truppen, wollte sich Contenance verordnen. Wie aber sollte dies vonstatten gehen, da solche Blicke ihn erfassten?! Ein Gedanke, kindlich-hilflos, in trostloser Situation, preschte hervor, die mühsam geordnete Schlachtreihe zu sprengen. »Ich will nach Hause!« Undenkbar, dies zu formulieren, da sich ein 'Wille' nicht erlaubte, sei man auch noch so jung. Zudem, ein jämmerliches Klagen verbot sich gänzlich, wenn man sich den Luminnier zurechnete! Lässlich, sich solcherart zu okkupieren, da es nichts mehr gab, wohin man fliehen konnte, weder Mensch, noch Ort. Sebastien presste die Lippen, zur Sicherheit die Zähne einbeziehend, dass kein erbärmlicher Verrat durch Schluchzen oder Wehklage entschlüpfte. Allein, man konnte dem bleichen Gesicht ablesen, welche Gedanken hinter dieser Stirn paradierten. Jaime empfing die Signale, verabschiedete jede lästerliche Schmähung, die ihm der Jüngere zugedacht, erhob sich langsam, diesen nicht zu verschrecken, um Trost zu spenden. Er bemerkte wohl, wie sich die grünen Augen mit den köstlich braunen Sprenkeln weiteten, nun, da er sich gänzlich entblößt, sonnengebräunt und in athletischer Gestalt präsentierte. Die ebenholzfarbenen Locken tanzten, die goldenen Kreolen funkelten, die Hände blieben offen, er nahte geschmeidigen Schritts, ohne Bedrohlichkeit. "Niemals werde ich Euch Vater nennen!", entfloh es heiser, sich überschlagend aus den misshandelten Lippen. Die Zähne trugen gar Spuren blutigroter Kolorierung. Der Mantanhol lächelte, die blendend weißen Zähne hinter den weichen Lippen wohlverborgen. "Ich gestehe gern, mi Amigar, aus Eurem Mund wäre mir ein anderer Name sehr viel willkommener", entgegnete er zärtlich. Wie im Reflex hoben sich die blassen Hände höher, gleichsam das Laken, als wollten sie ängstlich auch das Gesicht abschirmen, um nicht solchen Impertinenzen zum Opfer zu fallen. Jaime hielt sich nicht auf. Die Rechte streckte sich aus, behutsam über den karamellfarbenen Schopf zu streichen, die Ohrmuschel in der Handfläche zu bergen, zärtlich mit der Daumenkuppe die Wangenknochen zu liebkosen. "Mich dauert Euer Verlust, Sebastien", die schwarzen Augen blieben unverwandt auf das fahle Gesicht gerichtet. "Ihr seid mir von Herzen lieb und teuer. Mehr noch, ich möchte Eure Gunst erringen. Ich will mich Euch beweisen, Euer Aimador zu werden." Wie ernst die Worte, wie selbstgewiss, gar unerschütterlich ihr Sprecher! Sebastien, der vergeblich nach Aufbegehren fahndete, konnte die Bedeutung dessen nicht enträtseln, das ihm hier so unverhüllt angekündigt wurde. "Aimador?", wisperte er schließlich, die Stirn gekraust, "ich verstehe nicht." Doch mehr noch, er wollte, -wie unerträglich sich dies auch ausnahm-, den Beteuerungen Glauben schenken, dass man sich um ihn sorgte, es einen Ausweg gab aus diesem schicksalhaften Dilemma! "Aimador", schnurrte der Mantanhol zärtlich, entführte eine zögerliche Hand des Jünglings an seine Lippen. "In Eurer Sprache nennt man es wohl Amant. Allein, wir Mantanhol halten noch mehr in diesem einen Wort. Keine müßigen Tändeleien, keine Capricen, nein, ein Schwur, ein Gelöbnis, ein heiliges Versprechen." "Wie?!" Empört entzog ihm Sebastien die Hand, einen Schritt weichend, bis ihn die Mauer hinderte. "Seid Ihr von Sinnen?! Ihr habt Eurer adorablen Gemahlin dieses Versprechen gegeben! Wollt Ihr etwa einen Mann als Euren 'Favoriten' hinzufügen?!", spie er förmlich die Silben aus. Jaime winkelte den Kopf, ein wenig nur, amüsiert, widerstand der Verlockung, mit beiden Händen über die Gestalt zu gleiten, die in gerechtem Feuer glühte, ihn einmal mehr verdammte. "Ich versprach, sie zu lieben, zu ehren, mich ihrem Glück zu verpflichten, ihren Kindern der Vater zu sein", versetzte der Mantanhol sanftmütig. "Und sagt, mi Amigar, ist sie nicht glücklich?" "Wo bleibt die Ehre, Ihr widerwärtiger Unhold!", echauffierte sich der Jüngling entrüstet. "ist Eure Liebe so liederlich, dass sie sich jedem anbietet, der des Weges gezogen kommt?! Ihr beweist nicht den geringsten Respekt vor dem heiligen Gelübde der Ehe! Wie könnt Ihr nur eine so wundervolle Person derartig abaissieren!" Der Senher da Solador seufzte mokant. "Ihr missversteht meine Worte, mi Amigar. Was ich verspreche, das halte ich, wie es einem Mann gebührt. Doch wenn Ihr Euch versichern wollt, dass Mabioline kein Unrecht geschieht, so befragt sie selbst, Sebastien." Dieser setzte an, empört zu widersprechen, dass ein Herr von Stand solche delikaten Angelegenheiten niemals vor einer Dame zur Sprache bringen würde, doch Jaime intervenierte, näherte sich. "Allein", nun fasste er beide Schultern des Jünglings versichernd, "werdet Ihr die Wahrheit annehmen, wenn Ihr sie erfahrt? Sagt, Sebastien, wollt Ihr es wagen, Euer Urteil zu revidieren, Eure neue Heimat, Eure neue Familie unvoreingenommen zu betrachten?" Sebastien bemühte sich, die lästigen Klammern abzuschütteln, verweigerte den Blickkontakt. "Ich sagte Euch bereits, ich WILL es nicht!", entfuhr ihm ein gequälter Schrei, so schrill, so schmerzerfüllt, dass beide Männer erstarrten. Erschrocken über sich hob der Jüngling die Hände, sie vor das Gesicht zu pressen. Er zitterte am ganzen Leib, flehte, obwohl er es selbst nicht erkannte, verzweifelt, dass man ihn überzeugen möge. Jaime, der über eine Spanne von sechs Jahren größerer Lebenserfahrung verfügte und als ein Senher einer großen Mainada vorstand, begriff und handelte. Die überlegene Kraft besiegte den bebenden, unsicheren Stand, der Jüngling wurde in versichernde Arme gezogen, die tränennassen Wangen an der Schulter geborgen. Er summte ein altes Hirtenlied der Mantanhol, guttural und sonor, das dunkel und samtig beide Körper schwingend durchlief, wiegte den Trauernden zärtlich. Und Sebastien? Er weinte, ohne Scheu und Scham, vergoss all die Tränen, die einem Luminnier nicht anstanden, verabschiedete sich von seinem bisherigen Leben. ~*~ Als sich die Wehklage erschöpfte, der ganze Leib ausgetrocknet sein musste, fasste Jaime den Jüngling unter, hob ihn geschmeidig auf die Arme, überwand die Distanz, ließ sich bequem im Schaukelstuhl nieder. Sebastien ruhte auf seinem Schoß, die Arme um dem kräftigen Nacken des Mantenhol geschlungen, das Gesicht vor neugierigem Blick an der nackten Brust Jaimes verborgen. Dieser hielt ihn, bestrich den fragilen Rücken, fragte sich müßig, wie lange wohl der schöne Jüngling menschlicher Wärme und Zuwendung hatte entsagen müssen. Es dämmerte, der regnerische Spätsommertag verabschiedete sich gemächlich, die Schatten vereinnahmten das Gemach des Senher da Solador. Der sich nicht kümmerte, sondern seinen geliebten Calinhaire in den Armen hielt, dann und wann den karamellfarbenen Schopf küsste, die in das Laken eingehüllte Gestalt bestrich. Jaime fühlte sich nicht verunsichert, da er gänzlich entblößt bequem in seinem Schaukelstuhl lagerte, ein Erbstück seines Ziehvaters, mit liebevollen Erinnerungen ausgepolstert. Allein, sein jüngerer Gefährte musste durstig und hungrig sein, da er doch solche Anstrengungen absolviert hatte. Der Senher klopfte so zärtlich, wie es ein Vater seinem Kind zumisst, Sebastiens Rücken, raunte seine Botschaft. "Sagt, mi Amigar, wollen wir nicht zur Nacht speisen? Eure Kehle ist zweifellos ausgedörrt, nicht wahr?" Sebastien zögerte, noch eingesponnen in eine unbekannte Welt, in der man sich Schutz gewann, keinem Zeitdruck unterlag, sich fassen konnte, -oder auch die Contenance verlieren durfte. »Man musste sich also wieder ermannen«, -der Gedanke missfiel ihm, allein, die Ratio pflichtete bei. Er konnte sich nicht ewig in diese Arme flüchten. Langsam löste er sich gehorsam, ordnete das Laken, erhob sich, -und stürzte beinahe wieder zurück, da die Beine den Dienst versagten. Jaime fing ihn auf, herzte ihn leise lachend. "Mich dünkt, Ihr habt Euch verausgabt, mi Amigar, darum wollen wir rasch Abhilfe beschaffen!" Stumm, weil die Schmach keines Schmucks bedurfte, richtete sich Sebastien gesenkten Hauptes erneut auf. Ließ sich am Arm geleiten, nicht etwa dem Kleiderschrank zu, wo man entsprechende Bekleidung erhoffen durfte, nein, Jaime dirigierte ihn zum separaten Badekabinett. Geschickt wurden Laternen illuminiert, die Spiegel in sich trugen, das Licht zu vervielfältigen, sodass eine behagliche Atmosphäre die Dämmerung vertrieb. Aufmerksam war parfümiertes Wasser in der hohen Kanne nachgefüllt worden, die nun zu ihrem Einsatz kam. Der Mantanhol entführte der schwanengleichen Bütte die niedrigen, die umgekehrt dort trockneten, platzierte sie, lenkte den Jüngling in ihre Mitte. Behutsam, die fahlen Handrücken küssend, entwand er Sebastien anschließend das schützende Laken, belud einen Meerschwamm voll des parfümierten Wassers und kniete sich zu Füßen des Jünglings. Er begann, die schlanken Glieder mit dem weichen Wasserspender entlangzugleiten, umkreiste den Bottich, nicht die kleinste Körperpartie ohne Beachtung zu lassen. Da hob er die Arme zärtlich an den Handgelenken, bog den Kopf, der noch immer schamhaft die starken Bohlen visierte. Besprenkelte den karamellfarbenen Schopf, der sich langsam erinnerte, dass er sich in den Spitzen zu locken verstand, wenn man ihn nicht der steten Zucht unterwarf. Nun glitzerten zahllose Perlen auf der hellen, mondscheinblassen Haut wie ein sündiges Kleid der Verführung, und Jaime wollte sich ihr ergeben. Er kniete erneut, ließ den Schwamm entgleiten, umfasste mit beiden Händen die Lenden des Jünglings, bemächtigte sich dessen, was den Luminnier ohne Namen galt. Sebastien keuchte, die grünen Augen weiteten sich, da er sich eingesogen, beinahe verschlungen fand, schwankte, musste sich mit den bebenden Armen auf den Schultern des Mantanhol abstützen. Jaime fand Vergnügen daran, ließ kein Weichen zu, wollte sich schadlos halten, genoss das helle, verschreckte Keuchen weit über seinem lockigen Schopf. Und der Jüngling taumelte, konnte nicht einmal einer sichernden Hand entsagen, sich die verräterischen Lippen zu versiegeln, die forschenden Finger abzuwehren, die Eingang in seinen Leib suchten. Eine Qual, die bereits einmal seinen Verstand gekostet hatte, ihn einer Ohnmacht überantwortete, doch dieses Mal, das erkannte Sebastien entsetzt, wollte ihn die Sensation nicht überspülen! Vielmehr auf ihrem obersten Kamm mit sich tragen, keine Ausflüchte gestatten, im Gegenteil, jedes Detail sollte er erfahren! Er seufzte, ohne Atem. Die Fingerspitzen gruben sich in die Muskeln des Senher da Solador, der sich vorbereitete zu genießen. Zu schlucken, sich gar die Finger abzulecken, da der Jüngling mit flatternden Lidern und hochroten Wangen zu ihm hinuntersah. Und in die Knie brach, doch Jaime fing ihn geschickt, lehnte Sebastien an seine Brust. Er hob ihn an, verließ das Badekabinett, bettete den Jüngling auf das breite Lager, ließ sich nieder, die flammenden Wangen zu liebkosen. Der Hunger quälte ihn, aufbegehrend. Auch sah man deutlich, wie sehr der Mantanhol sich engagierte. Da Sebastien nicht entfloh, sich keine bänglichen Tränen zeigten, wagte Jaime tollkühn den nächsten Schritt, ergriff eine fahle Hand, bedeckte sie zärtlich mit Küssen, zunächst den Rücken, dann die Front. Legte sie in den eigenen Schoß, erwartungsvoll, wie sich der Jüngling verhalten möge. Sebastien begriff, erinnerte sich...und zögerlich, verhalten, als fürchte er Tadel, bog er die Finger um den pulsierenden Strang, steuerte mit dem Daumen die Spitze an. Allein, -er biss sich auf die Lippen-, trotz konzentrierter Anstrengung: es wollte einfach nicht so geschmeidig, elegant, flüssig verlaufen! Jaime lächelte, zeigte sich nachsichtig mit den Unsicherheiten, beugte sich vor, die Linke aufgestützt. Der Jüngling erstarrte, die grünen Augen aufgerissen, ob er nun Strafe zu erwarten hatte. Doch der Mantanhol zwinkerte, gänzlich souverän, siegelte die versehrten Lippen mit einem Kuss. Dann lehnte er sich zurück, nahm die Hand von seinem Schoß in die Rechte, zog sich tiefer auf das breite Bett, in einen bequemen Sitz. "Kommt her", wies der den Jüngeren an, assistierte freundlich, da Sebastien sich unbeholfen näherte. Den Jüngling artig auf den eigenen gewinkelten Oberschenkeln platzierend lehrte ihn der Senher da Solador, auf welche Kunst man sich verstehen konnte, wenn man Vergnügen zu bereiten wünschte. Ein Novum jede Bemühung, das Ergebnis frappierend. Jaime lenkte die benetzten Finger der fahlen Hände an Sebastiens Lippen, der zögerlich, mit brennenden Wangen, kostete. Der Lohn für diese Anstrengung, da er dem Mantanhol kehligen Lustgesang entlockt, ihn auf einen wilden Ritt begleitet hatte, bestand in süßen Küssen, die bald leidenschaftlich wurden. Jaime bog sich, den Jüngling auf der Matratze abzulegen, dann fortzufahren, sich zu beweisen. Sebastien entwand sich ihm, kehrte sich auf den Bauch, die Arme angezogen, die Augen geschlossen. Er fühlte sich schwach, das Herz raste, Fieberschübe jagten sich! Gewiss war er von einer seltsamen Krankheit befallen, weil er sich den lästerlichen Verlockungen des Senher da Solador ergab! Folgerichtig, denn was ihn so verzückte, den Körper unregierbar machte, in unkontrollierte Spasmen führte, das konnte nicht, ganz ausgeschlossen, den Geboten des Höchsten entsprechen! Jaime hingegen verstand die momentane Schwäche des Jüngeren als bezaubernde Verführung, sich zu disziplinieren, geduldig zu lehren, wie die Natur des Vergnügens beschaffen war. Also karessierte er die ihm zugekehrte Rückenpartie, schmiegte sich an, schnurrte guttural, streichelte die schlanken Glieder und wärmte den fragilen Leib, bis er sich überzeugt hatte, dass Sebastien ihm die Gunst nicht entziehen würde. Ach, wie perfekt fügte er sich an diesen Leib, wie herrlich duftete der Jüngling! Er schaffte sich, mit einem kühnen Oberschenkel, ein wenig Freiheit, von der Front und entlang des Rückens eine erneute Offensive zu beginnen. Sebastien zog die Arme unter den Leib, wandte den Kopf zur Seite, angespannt bis in das Äußerste und gleichzeitig von wohliger Gelassenheit erfüllt. Was kommen musste, war ihm nicht mehr unbekannt, auch wenn er den initialen Eintritt fürchtete, doch Jaime, wie man sich aufrichtig eingestehen musste, hielt Wort: es waren keine Schmerzen zu beklagen. Vielmehr erneut eine befremdliche Sensation, eine unbekannte Lust, sich aller Konventionen zu entledigen, nicht inne und Maß zu halten, weil die Freude, das Vergnügen selbst im steten Verdacht des Lästerlichen standen! Und Sebastien ließ sich tragen, voller Trotz, rückhaltlos, da es nichts mehr gab, das ihn halten konnte. Sehr zu Gefallen seines Gefährten, der endlich, nach so schwierigem Beginn, die Erwartungen und Sehnsüchte bestätigt sah: dass dieser schöne Calinhaire wahrhaftig zu lieben vermochte. ~*~ Zum ersten Mal lauschte Sebastien bewusst dem ruhigen Herzschlag, der seinem korrespondierte, lediglich durch wenig Haut getrennt. Er ruhte in den Armen des Mantanhol, der müßig mit einer Hand den fragilen Rücken seines Calinhaire bestrich, mit der anderen Hand die Linke des Jünglings fest umschloss. Man entzündete die Laternen. Der Schein drang gedämpft über die Veranda hinein, zauberte ein Schattenspiel auf Mobiliar und Wände. »Wie kann das geschehen?«, drängte sich eine bedeutende Frage in das schläfrige Bewusstsein Sebastiens, »wie kann es geschehen, dass ich nicht aus dem Leben scheiden will?« Zweifelsohne, die Ehre kannte keinen anderen Schritt. Zudem hatte er die liebe Freundin auf das Schändlichste hintergangen: Unzucht gepflegt mit einem Adulter, der wahllos seine Gunst verschenkte. Der ihm, mit Brief und Siegel bestimmt, der Vater sein sollte! Er konnte niemandem mehr unter die Augen treten. Unversehens erstarrte der Jüngling, schmiegte sich enger an den kraftvollen Leib, der ihm Schutz und Qual zugleich bedeutete. Allein, einem Mann stand es nicht an, sich an den Rockzipfel eines anderen zu klammern, Beistand zu erflehen. Im Wenigsten, da diese Hilfe gewährt wurde, um lästerlicher Sündhaftigkeit Vorschub zu leisten! Sebastien schloss die Augen, die Kehle wurde ihm eng, da er sich die Gesichter seiner Familie zu imaginieren versuchte. Vergeblich, sie verblassten... oder wandte man sich ab?! Verweigerte man jede Bindung zu einem Unsäglichen wie ihm?! Man musste sich der Wahrheit stellen: Unverzeihliches war geschehen, um den Preis einer hellen, glatten Haut, schlanker Glieder und einer hübschen Fratze! Das Interesse des detestablen Senher da Solador würde sich demgemäß rasch erschöpfen, wenn die Natur ihre Rache vollzog, die schöne Maske verdarb. Wie ridikul, zu glauben, dass die süßen Worte, ihn zu verführen, auf ehrlichem Empfinden gründeten! Ach, wenn doch nur...! Doch das Erhoffte war ebenso lästerlich wie der Eintritt der Befürchtungen. ~*~ Jaime bemerkte die lautlose Spur der Tränen auf der unbedeckten Brust, drückte die zarte Gestalt tröstend, nahm er doch an, die quälende Erinnerung an die verlorene Familie lege erneut ihren düsteren Schatten auf das Gemüt seines Calinhaire. Allein, wenn dieser sich fasste, wollte der Senher da Solador, behutsam wenn auch bestimmt, die Offerte formulieren, dass man nun zur Nacht speise, denn er verspürte Appetit in nicht geringem Maße. Zu einem bescheidenen Grad mischte sich auch Erschöpfung in seinen Gemütszustand, denn einen solchen Kampf, sich lieblichen Genuss zu schaffen, hatte Jaime noch nie bestreiten müssen. So befremdlich, so feindlich gegen Leib und Seele, so verdrossen-missvergnügt, wie sich die moralische Gesinnung der Luminnier in diesem fragilen Jüngling demonstrierte: da fühlte man sich über Gebot herausgefordert! Unterdessen war der feuchte Quell versiegt. Mit zärtlicher Handreichung tilgte Jaime die letzten Spuren auf dem sanft geröteten Antlitz, liebkoste die karamellfarbenen Strähnen, bevor er nun verlautbarte, was ihn bewegte: ob man nicht den nächtlichen Speisen zusprechen wolle? Sebastien signalisierte stumm Konsens, hielt das Haupt stets gesenkt, als man gemeinsam der Lagerstatt entstieg, die delikate Frage der Bekleidung erwägen musste. Jaime inspizierte den eigenen Kleiderschrank, was sich wohl darin böte, seinen Calinhaire ansprechend zu bekleiden, nicht den despektierlichen Protest herauszufordern, der lediglich bei traurig-farblosem Gewand entsagte. Er wählte schließlich ein Hemd in ungefärbtem Leinen, dazu eine Kniehose, gefertigt aus gekämmter Wolle und eine bestickte Weste, wie sie der Tracht des Südens entsprach. Eilfertig assistierte er Sebastien, die Bänder zu richten, das Hemd mit einem bunten Stoffschal zu verzieren, da es dem Jabot gebrach... und doch, wie bleich wirkte der Jüngling nun! All diese verwaschene, fahle Natur, lediglich durch den Seidenstoff um den fragilen Nacken kontrastiert! Es dauerte Jaime nicht in geringem Maße, dass sein Calinhaire sich mit der fehlenden Farbe arrangierte. Wie sollte auch erblühen, was in solch erstickender Wüstenei gehalten wurde?! Im Geiste addierte er der Aufstellung, die mit dem Sonnenhut begann, weitere Objekte, die alle angeschafft werden mussten, der Schönheit des Jünglings Rechnung zu tragen. "Kommt nun, mi Amigar, lasst uns zum Speisen schreiten", bot Jaime galant den Arm. Zögerlich, da es unkonventionell, vertraute Sebastien die Linke dem wohlgestalten Unterarm an, folgte, den Blick zu Boden gerichtet. »So also stand es...« ~*~ Während man in kleiner Runde dinierte, lediglich Gaspard zur Gesellschaft, der in dem kehligen Idiom der Mantanhol referierte, welche Ereignisse den Tag geprägt hatten, sprach Sebastien kein Wort. Auch nahm er wenig Anteil an den aufgedeckten Speisen, mühte sich angestrengt, jeden Bissen säuberlich zu sezieren und konzentriert zu malmen. Es schmeckte nicht, wie sollte es auch munden? Eine Henkersmahlzeit, so fremd den beiden anderen Männern, die angeregt fabulierten, die schwarzen Augen funkelnd, vertrauliche Gesten austauschend. Sebastien tupfte sich die trockenen Mundwinkel mit dem Tuch, entschuldigte sich förmlich, mit flacher Stimme, von der Tafel. Sein Blick blieb klar, ihm selbst verwunderlich, so willensstark-entschlossen, dem eigenen Quartier zustrebend. Man hatte das Bett frisch aufgeschlagen, mit Blütenblättern bestreut, den Himmel artig arretiert. Es duftete appetitlich und eine Laterne spendete behaglichen Schein. Den Jüngling würgte es im Hals. So also sah man ihn an: eine 'Braut' des Senher, dem Droit de Seigneur unterworfen, das Premier Lit bereit, diese unsägliche Liäson zu legitimieren! Es fehlten die Worte, dieser Abscheulichkeit ihre angemessene Antwort zu erteilen! Allein, Sebastien entledigte sich unziemlicher Agitation souverän. Was bedeutete sie noch? Vielmehr galt es nun, die Erfordernisse zu erfüllen, sich zu befreien aus dieser elenden Existenz. Doch Sebastien entdeckte rasch, dass die eifrigen Helfer die zierliche Kirschbaumholzkommode um alle Utensilien des täglichen Gebrauchs reduziert hatten, die seinem Zweck dienlich sein konnten. Keine Schere, kein Rasiermesser, selbst die Federkiele ohne Accessoires, sie zu pflegen: der verwünschte Senher da Solador verfügte über eine enervierende Voraussicht! Nun denn, Sebastien sah sich herausgefordert, einmal mehr dem Willen Jaimes Widerstand zu präsentieren, löste den farbenprächtigen Seidenschal, der das Jabot ersetzte. Prüfte gewissenhaft die Länge der Stoffbahn, ihre Belastbarkeit, -und man konnte Qualität erkennen, die dem zweifelsohne extravaganten Stil und dem exklusiven Preis entsprechen mussten. Ohne Hast entkleidete sich Sebastien, faltete die farblose Gewandung sorgsam, wie man es ihn gelehrt, schlüpfte in das lange Nachtgewand. Wählte sich einen starken Balken an der Zimmerdecke aus, arrangierte die Chaiselongue in ansprechender Position, dass man mit ausgestreckten Armen und marginalem Geschick die ordentlich geknüpfte Schlinge befestigen konnte. Dann band der Jüngling sich die Haare, auf dass sie nicht beim Akt störten, legte sich den seidigen Rund um die Kehle. Wenn man sich fallen ließe, so sollte rasch das Genick sich brechen lassen, dem elenden Erstickungstod lediglich nachgeordnete Option zuweisend. Wie Sebastien so balancierte, -die Oberkante der Chaiselongue nahm sich fragil und schmal aus wie die weibliche Gestalt-, da blickte er sich ein letztes Mal um. Ein Anflug von beschämendem Bedauern ließ ihn zittern in unsicherer Position, dass so zeitig seine weltliche Laufbahn enden musste. Allein, lästerlich, sich solchen Egoismen zu ergeben! Ein Gebet zu sprechen wagte Sebastien nicht mehr, fürchtete, die Stimme möge ihm versagen, der Mut ihn verlassen, vor dem letzten Schritt verzagen. Er schloss die Augen, klammerte die Finger in den gekämmten Leinenstoff des Nachtgewandes und straffte seine Gestalt. ~*~ Der Senher da Solador erhob sich, die kraftvolle Hand auf der Schulter des Gefährten. "Morgen wollen wir die Befestigungen und das Mauerwerk ausbessern. Es ist wohl noch zu feucht, sich wieder in die Sümpfe zu wagen." Gaspard nickte knapp, studierte die elegante Silhouette des jüngeren Mantanhol unverhohlen. "So soll es sein." "Seht nach Mabioline, Gaspard", lächelte Jaime aufgeräumt, verabschiedete den Freund mit einem verschwörerischen Zwinkern, eine Hand auf der unrasierten Wange seines Majordomus. Dann trat er hinaus, atmete die schwere Luft tief in die Lungen hinab, witterte kundig, ob sich seine Prognosen erfüllen würden. Er nahm inmitten der Laternen, die vor den flachen Bauten Licht spendeten, ein besonderes Licht wahr, das ihn zu seinem geliebten Calinhaire leitete. Wohl war ihm nicht entgangen, dass dieser in gedrückter Stimmung kaum den Speisen zugesprochen hatte, den Kopf nicht hob, ihn anzublicken. Nun, man konnte konkludieren, dass die Ereignisse den schönen Jüngling jeder munteren Lebensäußerung beraubten. In gewohnter Lautlosigkeit näherte sich der Senher da Solador über die Veranda dem niedrigen Gebäude. So still und unbevölkert, entgegen den Gesindehäusern, wo man sich rege unterhielt und kleine Handarbeiten im Schein der Kerzen und Laternen verrichtete. Ein Schattenwurf, so ungewöhnlich, ließ Jaime innehalten, dann stockte ihm Herzschlag und Atem. Die Augen fest geschlossen balancierte sein Calinhaire in einem schmucklosen Nachtgewand, trostlos gekleidet wie ein Büßer, auf der hohen Lehne der Chaiselongue, die bunte Schlinge auf dem Schlüsselbein ruhend. In einer gleitenden Bewegung bemächtigte sich der Mantanhol seines Messers, treuer Kampfgefährte, der nun zum Einsatz kommen sollte, wenn es ihm nicht gelang, den Jüngling von seinem fatalen Vorhaben zu bewahren. "Sebastien", raunte Jaime kehlig, ein stiller Seufzer, die schwarzen Augen fixiert auf das fahle Gesicht, in Schattenwurf von unglücklicher Resignation gezeichnet. Der Adressierte schlug die Lider auf, erstarrte erschrocken, bei lästerlichem Tun ertappt, den Mund bereits geöffnet, eilig eine Entschuldigung zu produzieren, einem gescholtenen Kind gleich. "Ich bitte Euch, Sebastien", Jaime näherte sich mit Bedacht. Ein jeder Schritt tänzerische Grazie, nicht zu gewagt, gar bedrohlich wirkend, die freie Hand ausgestreckt. "Bitte, haltet ein." Allein, er bemerkte wohl, dass sich die fahlen Finger blutleer krampften, den Leinenstoff des Nachthemds rafften, als wollten sie ein letztes Aufbegehren initiieren, im bloßen Trotz der flehentlichen Bitte zuwiderhandeln. Der Senher hielt inne, ermahnte sich gestreng, keine überhastete Reaktion zu zeigen. Er senkte schweren Herzens, das ihm zum Hals klopfte, den Blick, bestrich mit den eigenen Fingerspitzen die starre Linke des Jünglings, zärtlich, wehklagend, dass sie solche Gewalt dulden musste, die letzte Reserve bot, dieses Leben zu beenden. Wie Ewigkeiten schien es, dass er sie liebkoste, so lind wie eine sanfte Brise nur, dann, erlösend, entwanden sich die Finger dem steifen Stoff, ließen sich liebevoll umschließen. Jaime führte die Hand an seine Lippen, presste einen flehentlichen Kuss in ihren Teller, wärmte sie an seiner Wange. Wagte nun wieder, die grünen Augen zu konfrontieren, die ihn verzweifelt musterten, die Lippen bleich gepresst, der Atem fliehend. Wie ein Tier in die Enge getrieben, doch Jaime enthielt sich der Lust des ungestümen Jägers, sich an der Macht zu berauschen. Behutsam lagerte er die fahle Hand auf seiner Schulter, stieg auf das Polster der Chaiselongue, legte die freie Hand auf die linke Hüfte des Jünglings. "Schließt Eure Augen, mi Aimador", wisperte der Mantanhol heiser, so angespannt, dass sich die Silben kehlig kratzten. Sebastien keuchte, die Lider flatterten, der Leib bebte. Zu lange hatte er sich selbst Haltung auferlegt, die eigenen Kräfte überschätzt. Ein funkelnder Schlag, die Klinge sauste, die Luft zerteilend, am karamellfarbenen Schopf vorbei, trennte den farbenprächtigen Stoff. Im gleichen Atemzug, der in der Brust erstarrte, fing Jaime den Stürzenden in seinen Armen, schwankte für lange Augenblicke. Die Polster wogten unter dem balancierenden Gewicht. Dann hielt er ihn, so fest umschlungen, dass keine Gewalt sie trennen konnte, schluchzte in den hellen Schopf, das Messer fest im Griff. ~*~ Sebastien schwankte, die Luft wurde ihm knapp, so unnachgiebig klammerte der Ältere. Er spürte Feuchtigkeit, die wehen Atemzüge an seiner Brust, lauschte verwundert den kehligen Klagen. Einmal mehr misslungen. Die bleierne Schwere der Glieder zog ihn zum Boden hin. Wer schluchzte da so erbärmlich? Es nahm sich wirklich störend aus... ~*~ Jaime taumelte, da er den spannungslosen Körper des Jünglings abzufangen hatte, vertraute seinen erprobten Fähigkeiten, einen wenig agreablen Sturz zu vermeiden. Es gelang, den Jüngling auf die Chaiselongue zu arrangieren, das karamellfarbene Haupt auf der Brust zu lagern, sich langsam zu fassen. Vom steten Herzschlag begleitet, der versicherte, dass Sebastien, lediglich erschöpft, noch immer unter den Lebenden weilte. »Ein weiteres Mal...« Wie konnte es gelingen, den Jüngling von seinem vermessenen Entschluss zu separieren, das eigene Leben achtlos wegzuwerfen? Was hatte man versäumt, ihm zu belegen? Lebte er nicht frei, geliebt, genährt, geschützt? Hier, im Paradies? Selbstredend, -Jaime verstand es wohl-, der Kummer war gewaltig. Die gewohnten Lebensumstände eines Luminnier hielten kaum Gemeinsamkeiten mit denen der südlichen Provinzen. Doch konnte man sich nicht arrangieren? Nahm es sich derart entsetzlich aus, Unabänderliches hinter sich zu lassen, einen neuen Weg zu beschreiten? Jaime setzte sich auf, trocknete die Tränenspuren energisch mit dem Handrücken, musterte die ausgestreckte Gestalt eingehend. Er erhob sich, platzierte alle Leuchten und Laternen, deren er habhaft werden konnte, rundum das Himmelbett, illuminierte sie, dass keine Dunkelheit sie überraschen konnte. Streifte sich die Kleider vom Leib, dann beugte er sich über Sebastien, löste die seidige Schlinge, raffte das Nachtgewand, es über den Kopf zu heben. Sebastien hinderte ihn nicht. Die grünen Augen mit ihren braunen Sprenkeln blickten betäubt, in einer anderen Welt beheimatet, doch Jaime ließ sich nicht irritieren. Sanft hob er den Entblößten auf seine Arme, bettete ihn auf die ausgestreuten Blütenblätter, streckte sich an seiner Seite aus. Streichelte lieblich über Wangen, Schopf, Nase, Lippen, schmiegte sich an, zärtliche Küsse einzustreuen, in rauer Stimme Liebkosung zu wispern, wie es nur die Mantanhol verstanden. Wenn es gelänge, endlich die Botschaft zu vermitteln, dass er aufrichtig liebte, dem schönen Calinhaire kein Leid zufügen wollte! ~*~ Fortan wich Jaime nicht mehr von der Seite seines Calinhaire. Vielmehr blieb dieser ohne Dispens, Jaime zu begleiten. Stumm wie ein Schatten folgte er dem Senher da Solador, apportierte Kohlestift und Pergament, ließ sich diktieren, was man abmaß. Er sprach nicht, gab niemandem Antwort, tat, wie man ihn geheißen, einer Marionette gleich. Der Mantanhol übertraf sich, den angenommenen Sohn zu verwöhnen, wählte persönlich aus, welche Gewänder der fragilen Gestalt schmeicheln sollten, ließ sie von flinken Fingern ändern, auf dass sie die Schönheit des Jünglings akzentuierten. Ein großer Strohhut wurde eilig geflochten, mit seidigem Tuch ausgeschlagen, damit die karamellfarbenen Strähnen sich nicht im Gespinst verfingen. Unbeeindruckt vom Schweigen des Begleiters plauderte Jaime, erklärte die Struktur der Ländereien der Mainada, welche sie zu Pferd erkundeten. Stellte Sebastien diverse Aufgaben, die Konstruktion von Mauern, Gebäuden, Geräten und Maschinen zu optimieren. Dies erforderte die exakte Aufzählung des Zwecks, dann schloss sich eine ausgedehnte Materialerforschung an. Verwundert beobachtete die Mainada, wie man experimentierte, bis in die Nacht hinein im Arbeitszimmer tagte. Anschließend den Jüngling in sein Gemach geleitete, das Lager teilte. Doch was mochte Gutes daraus erwachsen? Der Jüngling blieb stumm, unempfänglich für seine Umgebung. Jaime selbst wirkte bald angestrengt, sein Unglück zu verbergen. Wie konnte er diese seltsame Fremde überwinden, die sich wie ein Niemandsland zwischen ihnen dehnte? Wie ein Gefühl in diese schöne Hülle locken, wenn seine Liebkosung kein Echo fand? Auf sein Bitten hin erstand Gaspard in der Mantanha einen der großen Hunde, die man sich hielt, mit kurzem, dichten Fell in melierter Tönung. Keineswegs elegant anzuschauen, vielmehr gefährlich wie eine Raubkatze in den Bergen. Geschmeidiges Muskelspiel zeichnete sich ab, das schwere Haupt reichte Gaspard an die Hüften. Richtete sich der Hund auf, die Pfoten auf die Schultern eines Mannes gelegt, so erreichte er ohne Mühe die mittlere Größe. Ein solches Tier stand keinem Herrn von Stande vortrefflich zur Seite. Es konvenierte nicht mit feinen Stoffen und lieblichen Farben, erschreckte die Damen. Doch Jaime befand, es würde zweifellos seinen Dienst erfüllen, den Jüngling zu beschützen. Auch vor sich selbst, sollte sich dies als notwendig erweisen. Beuroux blieb also, der rote Teufel, wie ihn der Züchter einst taufte, ein zweiter Schatten, der Jaime folgte. Man beobachtete wissbegierig, wie sich wohl der zierliche Jüngling gegen sein "Geschenk" bewies, da er doch wenig vom Umgang mit Tieren verstand, meist Abstand wahrte und keine Vertraulichkeiten pflegte. Allein, ein solcher Hund, mit wachen, scharfen Augen, dass man sich vorzusehen hatte, der hielt es nicht mit Tändeleien. Der spielte weder, noch tobte er. Es waren keine Verluste zu beklagen, was Schuhwerk oder Mobiliar betraf. Ein Blick genügte, die Kinder zu distanzieren. Man wusste kaum, ob er wohl knurrte, denn Beuroux blieb ebenso still wie sein Besitzer, heulte nicht stimmungsvoll, wenn der Mond sich zeigte, scheuchte keinem Nagetiere nach: ein unheimlicher Gefährte, fürwahr! Ein halber Monat verstrich in diesem seltsamen Gepränge, da regte sich, verhalten zwar, der Unmut gegen den Jüngling aus dem Ubac. Es war nicht zu verhehlen, dass der geliebte Senher einen enormen Langmut bewiesen hatte, jede Caprice des unverschämten Knaben duldete, ihn mit nachsichtiger Liebe behandelte. Und an dem Schweigen, der Absenz von Gefühl schwer litt. Schon munkelte man, es sei Zauberwerk im Spiel, dass sich Jaime mutlos zeigte, sein Herz vergiftet war von dieser unseligen Liäson. Unverändert schmetterte die Spätsommersonne mit Pomp ihre sengenden Strahlen zur Erde. In der Mainada da Solador fröstelte es, sobald sich Sebastien zeigte. Wenn er bemerkte, wie sich finstere, drohende Blicke sammelten, so zeigte er kein Anzeichen davon. Und neben ihm, auf gleicher Höhe, glitt Beuroux dahin, lautlos und geschmeidig. ~*~ Es traf sich unglücklich, dass ein Gerüst die Last der Balken nicht trug, zusammenbrach und drei Männer verletzte. Der Senher selbst stürzte hinab. Eilig wurden Knochen gerichtet, Verbände angerührt und Stoffstreifen ausgekocht, dann, als der erste Schreck sich legte, jagten zornige Blicke zu dem ausstaffierten, in linden Farben glänzenden Jüngling. Der ungerührt die Konstruktion auf einem faltbaren Feldtisch studierte. Man ballte die Fäuste, sammelte sich in stummer Anklage, die Sebastien einfach übersah. Sie ignorierte, diesen manifestierten Protest gegen den Verantwortlichen, den man bald zischend anklagte, mit Absicht den Einsturz verursacht zu haben. Beuroux richtete sich auf. Die kraftvollen, langen Glieder, sie wahrten die Distanz, die man im Halbkreis hielt. Nun wurden Drohungen laut, gegen den Besitzer, der sich feige hinter dem Tier verschanzte, voll dünkelhaftem Hochmut kein Wort an sie verlor, beinahe schon der Tat überführt war, die man ihm vorwarf. Es fehlte wenig, die aufgeladene Atmosphäre in fatalem Sturm zu entladen, da trat Mabioline in die Mitte, wies mit ruhigen Worten die Aufgebrachten an, sich ihren Aufgaben zu widmen. Sie selbst wolle die Aufklärung des Unglücks betreiben. Man wich, zögerlich, allein, die Senhora hatte ein Versprechen geleistet, dem konnte man sich anvertrauen, Gerechtigkeit würde sich finden. Die schöne Dame selbst, die Zeugenschaft nicht wünschte, da sie Einiges vorzubringen hatte, das keineswegs schmeichelhafter Natur war, schritt grazil an Beuroux vorbei. Fasste die fahle Hand des Jünglings und dirigierte ihn, einer erzürnten Mutter gleich, ihm zu folgen. Man ließ sich nieder, von neugierigen Lauschern unbedrängt, im Boudoir der Dame, mit fröhlichen Stoffen ausgekleidet, bereits mit einer zierlichen Wiege versehen, das avisierte Kind zu beherbergen, auch wenn es darüber Winter werden mochte. "Sebastien", Mabioline eröffnete recht kühl, gänzlich ohne liebliches Zwitschern, "ich muss mich wundern über Euch. Wenn Ihr nicht sprechen wollt, so rechne ich es Eurem Kummer zu, den Ihr entschlossen seid, ganz solitär zu tragen. Wohlan, ich bedaure diesen Entschluss, da ich mich Eure Freundin wähnte, doch wenn es Eurem Wunsch entspricht, will ich mich nicht beklagen." Die Aquamarine brodelten nun, eine stürmische See mit einem gewaltigen Wellengang, von düsteren Wolken bedrängt. "Allein, ich werde nicht mehr dulden, dass Ihr Euch so unverzeihlich gegen Jaime betragt! Ihr wisst, -und wagt nicht, mich zu belügen!-, dass er Euch von Herzen liebt. Er selbst vertraute mir an, Euer Aimador werden zu wollen und wie hat er sich für Euch verwendet! Nun sagt mir, wie rechtfertigt Ihr Eure fortgesetzte Grausamkeit gegen den Menschen, der Euch so innig zugetan ist?! Wie dankt Ihr ihm, dass er Euer Leben mehr als einmal bewahrte?! Dass er nun in Fehde mit dem eigenen Nachbarn leben muss?! Sprecht endlich!" Sebastien blieb stumm, eine Spanne ausreichend bemessen, das turbulente Temperament der schönen Dame zum Übermaß zu reizen. Augenblicklich traf seine Wange eine kleine, jedoch sehr kräftige Hand. Dann stand sie drohend, die Fäuste geballt, vor ihm auf, die blauschwarzen Löckchen bebten in zorniger Erregung. "Euch gebricht es erheblich an Manieren, Senher d'Aire. Und wenn Ihr Euch nicht rasch besinnt, so endet unsere Freundschaft hier." Sie kehrte sich ab, die Röcke rauschten aufgebracht, mit dem Sturm auszulaufen, als Sebastien sich schwankend erhob, mit heiserem Ruf sie umzustimmen suchte. "Ich will Euch nicht betrügen!" Gequält sprudelte heraus, was kein Sujet sein durfte im Gespräch mit einer Dame, die wenigen Worte bereits schmählich genug. "Betrügen?" Sie wandte den Kopf, einen flammenden Blick über die zierliche Schulter absendend. "Wenn Ihr Jaimes Liebe erwidert, glaubt Ihr mich betrogen?" Sebastien zauderte, die fahlen Hände zuckten unschlüssig an der abgesetzten Borte der Kniehosen, hielt die grünen Augen auf die hochglanzpolierten Bohlen gesenkt. »Unmöglich, mit einer Dame...« Mabioline ließ sich von derart feinsinniger Galanterie nicht inkommodieren. "Erklärte ich Euch nicht bereits, als wir uns kennenlernten, dass Ihr hier ein anderes Leben zu erwarten habt? Mein Senher ist mir lieb und teuer, das sollt Ihr wissen wie ein jeder, und nichts wird daran geändert werden, so lange unser beider Leben währt. Ich rate Euch dringend, Sebastien, endlich Euren Geist zu erweitern." Ein Funken stiebender Blitz fauchte von Aquamarinen durch den Raum. "Sonst, seid dessen versichert, werde ich Euch, -wenn ein einziges Mal noch Jaime in meinen Armen Trost suchen muss-, mit einer Reitgerte Manieren lehren." Und damit ließ sie den Jüngling fahl-weiß zurück. ~*~ Kapitel 8 - Aus dem Schlamm geboren Der Senher da Solador saß bereits wieder an den Plänen, die ausgerenkte Schulter sorgsam bandagiert, zur Stärkung mit frisch gebrühtem Zitrustee verwöhnt, den man ob seines Werts streng hütete. Er lächelte, ein wenig angegriffen, denn ein solches Unglück war ihm noch nie zugestoßen, als Sebastien in gewohntem Schweigen neben ihm Platz nahm, Beuroux sich zu seinen Füßen lagerte. Sogleich bemerkte Jaime die malträtierte Wange des Jünglings, die bebende Spannung in der zierlichen Gestalt. Und er wusste wohl, welche Handschrift hier Niederschlag gefunden hatte. Sich Sebastien zuwendend hob er die Hand, liebkoste sanft die eingefärbte Haut, spielte mit karamellfarbenen Strähnen, die ihrer Schleife entkommen waren. Zärtlich hauchte der Senher da Solador einen Kuss auf die fahle Stirn des Jünglings, zog sich zurück, da die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln so fern blieben wie der Ubac. ~*~ Das Mahl zur Nacht verlief schweigend. Jaime spürte wohl die argwöhnischen Blicke, die auf seinem Calinhaire ruhten, die unterschwellige Feindseligkeit, die sich auf ihn allein konzentrierte. Hatte sein Kummer noch sie alle vereint, ihm beizustehen, so schien der eingeräumte Kredit nun perdu. Einerlei, Jaime erhob sich, die Gelegenheit zu nutzen, erklärte ruhig und zuversichtlich, ein wenig blass, wie sich das Unglück hatte ereignen können, demonstrierte an der Karte der Konstruktion, wie man fürderhin solches zu verhindern hoffte. Er betonte wohl, vielleicht ein Mal zu oft, dass die Verantwortung allein auf seinen Schultern lag, gelobte, sich vorzusehen und bedauerte die Verletzungen. Welche ihm allein schon pardoniert wurden, da er selbst den Arm in der Schlinge trug, die lädierte Schulter zu schonen, während der Jüngling in seinen prächtigen Gewändern...! Er legte sich, wie in jeder Nacht, neben Sebastien in das Himmelbett. Beuroux wählte sich einen freien Fleck, um mit den Schatten zu verschmelzen. Der Jüngling ruhte an seiner Seite, in seidiges Gespinst gehüllt bis zu den Knöcheln, artig bestickt, mit angedeutetem Jabot in gefälteter Spitze, einem vornehmen Herren von Stand sehr angemessen. Allein, die Schmerzen ließen Jaime unruhig stöhnen in seinem Schlaf, sodass Sebastien, den unerwünschten Dauergast seinem Elend überlassend, sich erhob. Ein weites, dunkles Tuch um die Schultern legte und in die finstere Nacht hinaustrat. Es jagten sich die Wolken, von der Mantanha her, wo es schon herbstlich stürmte und regnete. Die Sterne blieben ungesehen. Beuroux hielt Schritt an seiner Seite, als sich der Jüngling aufmachte, die Glieder ein wenig zu ermüden mit einem kurzweiligen Spaziergang über das Gelände. Doch da...!! Abrupt stockte der Schritt, die grünen Augen weiteten sich ungläubig, man musste sich täuschen, ganz zweifellos!! Auf der Veranda vor den Gemächern der schönen Dame, die ihm seit ihrer Ankündigung mit eisigem Schweigen begegnete, schwang die breite Schaukel gemächlich. Eine Gestalt, die man kaum verwechseln konnte, mit dem kantigen, den Barbierkünsten selten anvertrauten Gesicht, der gebrochenen Nase, einer gespalteten Braue: Gaspard! In dessen Armen die schöne Senhora lag, sich zärtlich karessieren ließ! Eine haarige Pranke, wie abscheulich, ruhte auf ihrer langsam schwellenden Leibmitte!! Sebastien presste die Hand vor den Mund, auf dass kein verräterischer Laut entschlüpfen konnte, erstarrte, damit man ihn nicht entdeckte. Beuroux schob den mächtigen Schädel unter die freie Hand des Jünglings, wartete geduldig, bis sich Sebastien ausreichend gefasst hatte, den Rückzug anzutreten. Jaime empfing ihn bereits, das Laken um die bloße Gestalt geschlungen, von Sorge und Schmerz gezeichnet. Mit einem Blick erfasste er, dass sich etwas ereignet haben musste, das den Jüngeren erschütterte. Auch bebten die Glieder merklich. Er offerierte einen Arm, Sebastien darin aufzunehmen, ihm Stütze zu bieten, doch dieser verweigerte jede Vertraulichkeit, passierte Jaime gesenkten Hauptes, kauerte sich auf der Chaiselongue zusammen, wollte dort die Nacht verbringen. An seiner Seite, ein ruhiger Schatten, der gewaltige Hund. Der Mantanhol seufzte, kümmerte sich nicht, dass ihn der Jüngling hörte, kehrte zurück, sich die Federkissen aufzuschütteln, um solitär das Himmelbett zu bevölkern. Man musste hoffen, durfte nicht verzagen. ~*~ Sebastien überdachte die Situation, fand keine Ruhe und entschloss sich, als die Sonne über den Horizont stieg, in seine Kleider zu steigen. Der steten Aufmerksamkeit des erschöpften Mantanhol zu entschlüpfen und entfernt von dieser affrösen Gesellschaft Ruhe zu finden. Niemand hielt ihn auf, auch wenn man ihn wohl erblickte, als er das große Tor durchschritt, ohne den gewaltigen Sonnenhut, das Jabot nachlässig gebunden, den Gehrock verabschiedet. Denn ihm zur Seite schritt ebenso schweigend Beuroux. Und wer sich diesem Ungetier zu nähern wagte, den konnte wohl niemand hindern. Der Jüngling lenkte seinen Pfad nach den Gedanken aus, die sich nun deutlich offenbarten: man hatte ihn getäuscht. Die schöne Dame hielt es mit dem affrösen Majordomus, der Senher selbst belagerte ihn in jeder Nacht. Man konnte wohl kaum ermitteln, wessen Spross das Kind war, das Mabioline unter dem Herzen trug... und diese liederlichen Affären ereigneten sich vor aller Augen! Ein detestables Vorbild dem Gesinde!! Eine unsägliche Provokation des Höchsten! Wo blieb nun aber die Sanktion? Wagte niemand, diesem abscheulichen Treiben ein Ende zu setzen? Entsprach es in der Tat der Gesinnung dieser Personen, in ihrer unbotmäßigen Provinz, wo man keinen Begriff hatte von feiner Gesinnung, Ehre und Moral? So ambulierte Sebastien, die Gedanken gläsern, von dem agreablen Nebel befreit, der jede Entschließung erstickt hatte. Sie waren ihm fremd, gänzlich unverständlich, diese "Arrangements". Traf man sie auch in anderen südlichen Provinzen? In anderen Familien? Wo blieb die vom Höchsten gegebene Ordnung?! Wenn man sich mit heiligem Gelübde verband, dann weder Geschlecht noch Stand achtete, um sich zu versündigen?! Man kleidete sich nachlässig, die Hitze förderte es, das konnte man wohl konkludieren, jedoch, als Mann von Stande gehörte es sich nicht, solch Unbequemlichkeiten nachzugeben! Sebastien hielt inne, der Weg gabelte sich, studierte die eigene Gestalt. Er selbst hatte sich angesteckt von diesem lästerlichen Treiben, ohne die gesellschaftliche Pression nur zu leicht in seinem Willen zu beeinflussen.. wie schändlich! Doch, -und er erkannte es wenig überrascht-, diese Feststellung beschämte ihn kaum noch. Urteilte man als Luminnier, so konnte nichts seiner Schande Gnade erweisen, kein Argument, keine Not den höchsten Richter barmherzig stimmen. Für diese Menschen hier, die Maradoier in ihrer verwünschten Provinz, war er nicht agreabel, entsprach nicht ihren Erwartungen, da ihn Skrupel hinderten, er im Widerstreit zweier komplementärer Welten zerrieben wurde. Wonach sich richten? Beuroux spitzte die Ohren, erhob sich wachsam. Es näherte sich Hufschlag, beschleunigt, eilige Reiter. Sebastien wandte sich, trat auf die Seite, dass man ihn nicht erfasste im wilden Galopp, erkannte grün-goldene Livrees, als die Equipage aus dem kleinen Wäldchen sprengte. Sein Herz nahm rasch Geschwindigkeit auf, als die schmale Gestalt an ihrer Spitze nicht mehr verkannt werden konnte: Curzio Jehaune. Der ebenfalls den Jüngling erspähte, mit gehobener Hand Einhalt gebot, sein unruhiges Tier tänzelnd auf Sebastien lenkte, der wich. Und Beuroux glitt vor ihn, die Lefzen gebleckt. Ein sonores Knurren verwarnte Ross und Reiter, dass hier eine Grenze gezogen war, die nicht überschritten werden sollte, so man das Schicksal nicht herausfordern wollte. "Sieh an, der Luminnier, der unter den Rock des Bauern gekrochen ist! Und seine Buhle, die ihn wohl lehrt, wie man es anstellt!", schrillte unangenehm, in zotiger Gemeinheit die Stimme des Senher Jehaune. Sebastien rang nach Atem. Er verstand wohl, nun, da er seit einiger Zeit mit den weltlichsten Dingen vertraut war, was man ihm hier sans gene ins Gesicht schleuderte. "Wie könnt Ihr es wagen?!", gab er reserviert zurück, "wärt Ihr ein Mann von Ehre, so würde ich Euch Satisfaktion abverlangen, doch mit Euresgleichen liefe ich Gefahr, mich zu besudeln." Das Pferd stieg auf die Hinterbeine, der Reiter zückte den Degen, nach dem Jüngling Hieb um Hieb zu setzen. Sebastien wandte sich um, erinnerte sich der Mahnungen Jaimes, was die sumpfigen Wiesen betraf. Er lächelte. Beuroux ging voran, umsichtig, ohne Furcht, der Jüngling folgte, überließ es dem Schicksal, ob ihn der nachstürmende Senher Jehaune traf. Dieser teilte wohl die Luft in mächtigen Schwüngen, allein, das ersehnte Ziel erreichte er nicht. Denn gegen den ungebärdigen Reiter wehrte sich angsterfüllt das Ross, das vortrefflich erkannte, auf welch trügerischen Grund es forciert wurde. Ein großes Gewicht, das die schlanken Fesseln zu tragen hatten, hier, wo der Boden sich unerwartet nachgiebig zeigen konnte, sich frech verschob, Fallen stellte! Und Sebastien marschierte, dem Hund als Suite, unbekümmert aus, tiefer in das sumpfige Gelände. Man würde sehen, ob der Tod ihn fürderhin zu verschmähen beliebte! ~*~ Als der Senher da Solador sich aus schwermütigen Träumen löste, die malträtierte Körperseite reibend, die ihn noch immer drangsalierte, fiel sein Blick auf die einsame Bettseite. Von dunklen Ahnungen erfüllt versicherte sich Jaime, eiligst in Hemd und lange Hosen geschlüpft, dass Sebastien ihm tatsächlich einmal mehr echappiert war. Gaspard nahm den jüngeren Mantanhol zur Seite, umklammerte dessen unversehrte Hand derartig forsch, dass selbst Jaime einen Schmerzlaut absonderte. "Seht Euch vor", warnte der Majordomus mit kehliger Sorge. "Ein weiteres Mal wird Euch niemand folgen, wenn Ihr nach dem Jüngling suchen wollt. Es kommt ein Sturm, Ihr wisst es selbst, von den Bergen her, der Himmel färbt sich schon giftig!" Gewagt, solcherart ohne Distanz zu sprechen, doch Jaime nahm es nicht übel, studierte die schwarzen Augen, die den eigenen glichen. "Ich kann nicht", raunte er leise im Idiom der Mantanha. "Ich kann ihn nicht verlassen. Mein Herz hat gewählt, Gaspard. Es ist entschieden." Er lächelte, ein wenig beklommen, die Mundwinkel ausgefranst von der gewaltigen Last, die dieses Empfinden auf seine Schultern legte, jedoch entschlossen, diese Herausforderung zu erwidern. Einmal den Schwur geleistet gab es kein Verzagen, keine Retraite. Gaspard hob die Rechte, fing eine Wange ein, von ungebändigten, ebenholzfarbenen Locken liebkost. Die goldenen Kreolen funkelten mutwillig. "Es sei." Welchen Bann der Jüngling aus dem Ubac beschworen hatte: Jaime wollte sich darin einweben lassen. Es bedurfte keiner weiteren Wortwechsel. "Es heißt, er sei mit dem Hund gen Süden spaziert." Der bullige Mann winkte, dass man Kürbisflasche und ledernen Beutel mit Verpflegung reichte, befestigte diese höchstselbst am Gürtel Jaimes. "Aber bewahrt die Vorsicht, mi Senher, der Kastrat wildert in fremdem Revier." Jaime erbleichte, die markanten Züge härteten sich. Wenn er es wagte, Hand anzulegen an seinen Aimador, dann wollte er keine Gnade mehr walten lassen! ~*~ Das kühle Lächeln, so boshaft und unheilschwanger, wie sich Sebastien fühlte, verabschiedete sich, da das arme Ross, von Hysterie gehemmt, jedoch in Raserei des Reiters angetrieben, einsank. Panisch keilte und sich des Plagegeistes entledigte. Dieser, außer sich vor Zorn, in saugendem Morast, besudelt und in auswegloser Lage, da er nicht wagen konnte, ungestüm dem Jüngling zu folgen, der traumwandlerisch nonchalant ambulierte, als bewege man sich auf geharktem Kies in amöner Parklandschaft, peitschte das Tier. Es mühte sich, dem Sumpf zu entkommen, die Augen rollten weißlich in den Höhlen, Schaum troff vom Maul, die Ohren zuckten wild: da stürzte es erneut. Und dieses Mal, da zeigte sich der ungleiche Kampf entschieden: die hinteren Beine wollten nicht mehr. Ein Geschrei hob an, die anderen Rösser tobten in mitleidigem Unglück, der ungeliebte Senher fluchte lästerlich, mit dem blanken Degen bereit, die Grabesruhe zu verordnen. Sebastien wandte sich um, bereits in ausreichender Entfernung, dass nicht einmal der tobsüchtiges Wahnsinn des Curzio Jehaune sie überwinden konnte. Verfolgte stumm, wie das Reittier sich quälte, unter den blutigen Streichen nicht fallen wollte, bis endlich, -ersehnt, herbeigewünscht!-, alle Kräfte sich blutend erschöpften. Und es langsam, todesstill, ein wenig bebend noch, die Nüstern aufgebläht, dem Sumpf einverleibt wurde. Ihn schauderte es, von den Zehen zum unbedeckten Schopf. Erste Tropfen des stürmischen Himmels nadelten eisig hernieder. Die kokette Sorglosigkeit empfahl sich, er stand allein inmitten des Morastes, während man den Wüterich mühsam auf sicheren Boden lotste. Sebastien kehrte sich demonstrativ mit frivoler Arroganz von der Equipage ab, strich über Kniehose und Hemdsärmel. Und ambulierte mit hochmütigem Gleichmut tiefer in das Sumpfgelände. ~*~ Der Senher da Solador sputete sich, den Ungemach annoncierenden Tropfenvorhang ignorierend. Hielt Ausschau nach dem schönen Jüngling, der es vortrefflich verstand, ihm Sorgen zu bereiten. Er hörte wohl Hufschlag sich entfernen. Zu spät erreichte er die Gabelung, lediglich eine Ahnung grün-goldener Livrees erhaschend. Doch hier nun bewies sich ein Vorteil des unleidlichen Wetters: die Spur der Equipage zeichnete sich deutlich im aufgeweichten Boden ab. Jaime eilte, den lockigen Kopf nach rechts und links des Wegs werfend, ob er nicht eine zarte Gestalt ausmachen konnte, die unversehens mitten in ein gewaltiges Gewitter spazierte. Allein, zu seinem Schrecken endete die Führung, tummelten sich Abdrücke zuhauf, direkt vor einem Sumpfgelände. Der Mantanhol strengte die schwarzen Augen an, im dichten Schauerregen jede Silhouette zu entziffern, rief sogar, wenn auch das allgemeine Sturmgetöse jeden Laut gierig verschluckte. Konnte es sein? Dass der tollkühne Calinhaire sich in den Sumpf wagte, um vor den Reitern zu fliehen? Da Beuroux an Sebastiens Seite weilte, wie Jaime mutmaßte, keine Unmöglichkeit. Jedoch mit reichlich Regenguss und Blitzgewitter ein wahrhaft tödlicher Zufluchtsort. Sebastien musste dies auch begriffen haben. Wohin würde er sich wenden, nicht den Häschern zu begegnen? Und wie konnte Jaime selbst, der es nicht wagen konnte, dem versinkenden Morast einen Pfad abzutrotzen, seinen Calinhaire erreichen? Ein Blitzschlag rauschte taghell gleißend unweit in eine Schonung, inmitten des Sumpfs, versengte vorwitzige Baumwipfel, die sich zu nahe an den Himmel dienerten. Die langen Wimpern wischend spannte der Mantanhol seine Glieder, goutierte den lamentierenden Schmerz in der Schulter. Hierhin also führte ihn das selbst gewählte Los! ~*~ Sebastien residierte vor einem uralten Baum, der kahle Stellen und eine räudige Rinde sein Eigen nannte. Allerdings von einem freundlichen Polster der Moosgeflechte entouriert war, sodass man agreabel ruhen konnte. Wenn der Himmel nicht ach so ungemütlich die Taufe pflegte! Das Hemd legte sich an die bloße Haut, die Haare zogen Kringel auf, die Hose starrte von Schmutz und triefendem Stoff, die Schnallenschuhe, ausgestülpt und umgekehrt, standen Spalier. Beuroux hielt sich ohne Gemütsregung in der Nähe, ließ stoisch das melierte Fell von Tropfenguss tränken, so schweigend wie stets. Unterdessen erwog der Jüngling die letzten Ereignisse. Ein befremdliches Gefühl hatte sich seiner bemächtigt, als dieser unerhörte Kerl ihn spornstreichs niederzustrecken gedachte. Ihn meucheln wollte, da er bewaffnet und ohne fremde Zeugen war! Degoutant, nachgerade erbärmlich, wie sich ein solcher Halunke gebärdete, der als Senher adressiert zu werden wünschte! »Und diesem Flegel das Leben zu opfern?! Niemals! Nein« Da ballten sich die fahlen Fäuste. »Um keinen Preis von einem solchen Vieh zum Tod befördert werden!« Zwar dauerte es Sebastien, dass das Ross, das vollkommen schuldlos an dem Unglück war, den Tribut zu entrichten hatte, jedoch der Reiter selbst...! Er zog die Schultern hoch, die Beine an den Leib. Lästerliche Gedanken, eines Luminniers nicht würdig, allein, er begriff nun klar das Wesen dieser Welt: der Mensch war dem Menschen ein Wolf. Wer es nicht verstand, sich zu wehren, um welchen Preis auch immer, der wurde beiläufig hingemordet! O tempora, o mores! Und ohne des klugen Tiers weise Führung hätte diese Kanaille reüssiert! Nicht auszudenken, eine solche Schande! Sebastien blickte zu dem gewaltigen Hund, den das wilde Wüten von Blitz und Donner nicht inkommodierte. Man musste, wenn auch mit Widerwillen, dem Senher da Solador Anerkennung zollen für dieses Präsent, das seinem Besitzer das Leben wahrte. Ein Leben, das unlängst geopfert werden sollte, da Anstand, Ehre, Würde, ja, die sittliche Ordnung des Höchsten all überall mit Füßen getreten wurden. Doch nun, -der Jüngling wischte sich das Gesicht-, fühlte er einen immensen Trotz, wollte nicht länger Spielball sein im Spannungsfeld fremder Interessen. Wer hatte ihm zu Gefallen sich eingesetzt? Der Vater, der mit den beiden älteren Brüdern eine Zukunft plante, den Jüngsten wie wertlosen Ballast als Bauernopfer dem unversöhnlichen Monarchen überließ? Der Unhold Jehaune, der ihm das Gastrecht verweigerte, ihn zu ergreifen und zu erschlagen strebte? Der Trunkenbold von einem Gouverneur, der sich von seiner Buhle regieren ließ und so ungerührt Familienbande trennte? Die schöne Dame, die ihn Freund nannte, doch liederlichen Umgang mit einem Knecht pflegte? Oder gar der unsägliche Senher da Solador, der nichts scheute, sich seiner zu bemächtigen, in niedrigsten, abominablen Absichten? Nein, dem durfte man sich nicht ergeben! Keinen Fußbreit weichen, diesem Treiben nicht länger wankelmütig und zaghaft Zuschauer bleiben! Allein, -und dies war eine wenig erquickliche Feststellung-, aus eigenem Vermögen konnte man sich nicht erwehren. Nun dauerte es den Jüngling, dass er nicht besondere Aufmerksamkeit dem Degen gewidmet hatte, nicht größeren Umgang mit Mutter Natur unterhalten. Diese Versäumnisse mussten nachgeholt werden, wo es sich möglich zeigte. Im Übrigen galt es, den Verstand zu gebrauchen und sich ganz souverän an die Spitze der eigenen Interessen zu setzen. Denn nur der Starke konnte Gnade erweisen und guten Beispiels vorangehen. ~*~ Ein weiteres Mal erging sich der Blitz in Jaimes unmittelbarer Nachbarschaft, der sich eilig kauerte und die unfreundliche Gesinnung der Atmosphäre verwünschte. Als er sich aufrichtete, die ebenholzfarbenen Locken tropfnass aus den Augen strich, da schien es ihm, als blende ein ungewohntes Weiß zwischen all dem Grün hervor. "Sebastien!" Jaime rief hoffnungsvoll, hörte einen kurzen Laut, der allein Beuroux' Kehle entsprungen sein konnte und wandte sich dem Dickicht zu. Einige Spannen später kniete er, von profunder Erleichterung durchdrungen, vor dem Jüngling, der ihn mit grünen Augen unverwandt musterte. Keineswegs in Sorge oder geängstigt. "Ihr seid wohlauf, mi Amigar!" Der Senher da Solador streckte die Hand aus, eine feuchte Wange zu liebkosen. "Ich war in Sorge, Sebastien, dass Euch ein Unglück zugestoßen ist." "Das Unglück traf das Ross dieses Jehaune", bemerkte der Jüngling kühl, wich nicht zurück, hielt hochmütig höfliche Distanz. Der Mantanhol lächelte mit blendend weißen Zähnen. Endlich zeigte sich der hoffärtige Luminnier, es kehrte also Leben in diesen fragilen Calinhaire zurück! "Wagte er es einmal mehr, Euer Leben zu bedrohen?", erkundigte sich Jaime in gezähmter Rage. Man würde sich die Untat merken. Und bei passender Gelegenheit eine geziemende Antwort geben. Der Jüngling ignorierte das Auskunftsersuchen, studierte die tropfende Gestalt, die sich gänzlich ungeniert an seine Seite platzierte. "Euch ist bekannt", mit kalter Souveränität folgte der entscheidende Stoß, den giftigen Dolch gezückt, "dass Euer Majordomus unsittliche Nähe zur ehrenwerten Senhora unterhält?" Jaime lächelte, ungezähmt, kämmte die ebenholzfarbenen Locken aus dem Gesicht. "Wie kann verwerflich sein, was das Herz befiehlt?", plauderte er leichthin und zwinkerte frivol mit den langen Wimpern. Sebastien schnaubte, wandte den Kopf ab. Sich solche Zügellosigkeiten anhören zu müssen, infam! "Dann ist es wohl nicht von Bedeutung, wer Vater des ungeborenen Kindes ist, das die Senhora unter ihrem Herzen trägt", schnaubte der Jüngling mit kältester Verachtung, das Kinn gereckt, den Rücken gerade aufgerichtet. "Vater", nun raunte der Mantanhol bedrohlich leise, in einem sonoren Timbre aus der Tiefe seines kraftvollen Leibs, "bin ich. Und damit genug." Er ließ sich nicht brüskieren, mit dem Hinterkopf zu parlieren, griff autoritär nach dem Kinn des Jünglings, lenkte das widerwillig folgende Antlitz, sich ihm zuzukehren, in die schwarzen Augen zu blicken. "Einem Fremden aus dem Ubac", nun fehlte jedes Lächeln, allein, die Zähne blendeten auf wie Raubtiergebiss, "mag es an Einfühlungsvermögen mangeln, unseren Ehrbegriff zu erfassen. Ihr aber, Sebastien, gehört zu meiner Mainada. Beleidigt nicht meine hohe Meinung von Eurer Intelligenz, indem Ihr Euch kapriziösen Polemiken hingebt." Der Jüngling presste die Lippen, fahl-weiß im ganzen Gesicht, zischte indigniert, dass man ihn lektionierte. Launenhaftigkeit unterstellte! "Was sprecht Ihr von Ehre? Ergebt Euch der Vielweiberei, duldet einen Buhlen als Euren Ratgeber! All diese Mühe nur, mich in Euer Bett zu zerren, als wäre dies Privileg, wo sich doch Heerscharen drängen, Euch willig jeden widerwärtigen Dienst zu erweisen!" Der Senher da Solador funkelte in die braunen Sprenkel, das Grün glomm arktisch dazu, die blassen Wangen zierten rosige Flecken der Empörung. Dann hob er die Hand, hielt einen Wimpernschlag inne, da der Jüngling sich verspannte, körperliche Züchtigung erwartete, -und streichelte zärtlich mit dem weichen Rücken die tropfnasse Haut. "Ein Senher, mi Calinhaire, ist dem Asempre verpflichtet. Die Ehre gebietet, dass man das Glück und Wohlergehen der Mainada mit oberster Priorität behandelt." Sebastien entzog sich heftig der Liebkosung, das Gemüt im Sturm. "Ausflüchte sind Euch stets zur Hand, nicht wahr? Ihr versteht es trefflich, mit honigsüßen Lügenworten alles nach Eurem Sinn zu wenden, doch mich täuscht Ihr nicht!" Während sich der Senher da Solador amüsiert ob der selbstgerechten Empörung erheitert gegen die stämmige Borke lehnte, ballte der Jüngling die Fäuste. Suchte Distanz von dieser lästerlichen Person, ging streng zu Gericht. "Ihr seid mir widerlich, Senher! Wenn Eure Ehre Euch so bedeutend ankommt, wie könnt Ihr solche Zügellosigkeiten dulden? Noch ärger, sie selbst propagieren durch Euer Beispiel bar jeder Moral?! Ihr habt mich getäuscht und hintergangen, vorgeblich, mein Leben zu retten, doch mein Leben bedeutet Euch nicht mehr als der Gebrauch dieses Körpers! Und das ist Euer vielbeschworenes Asempre?! Lächerlich!" Um die Wirkung seines bitteren, ja, vernichtenden Verdikts zu unterstreichen, erhob sich Sebastien. Ignorierte das eigene, wenig formelle Erscheinungsbild, reckte das Kinn betont in die Höhe, jeder Zoll ein Herr von Stand. Allein, der Gemaßregelte legte lediglich amüsiert den Kopf in eine kokette Schräge, saltierte mit den langen, dichten Wimpern. Musterte den Jüngling derartig unverbrämt, dass diesem die Röte des Zorns in die Wangen stieg. "Habt Ihr wahrhaftig noch nie geliebt?", schnurrte der Mantanhol katzenhaft im samtigen Timbre, sammelte selbstvergessen mit der Zungenspitze Regentropfen von den eigenen Lippen. "Niemals Lust verspürt?" »Dieser mitfühlende, bedauernde, nachsichtige Ton...!!!« Sebastiens Körpermitte brodelte, einem Vulkanfeld nicht unähnlich. Es köchelte und zischte, fauchte und blähte sich drohend, eine Eruption ankündigend, die jede vornehme Reserve überwinden würde. "Wie könnt Ihr diese frivolen, flüchtigen Anwandlungen, diese Capricen zu Liebe verklären?!", zischte er in mühsamer Verachtung hervor. "Eure wohlfeile Wollust, der jede Metze gelegen kommt, als honette Empfindung klassifizieren?!" Jaime zog die Nase kraus, drehte eine Locke um den Finger, weit entfernt, diese Anwürfe als solche zu betrachten. Vielmehr erfreute ihn jedes Wort, bot es doch die Gelegenheit, Sebastien, der sich echauffierte, in die Enge zu treiben. Seine wahren Empfindungen zu dekuvrieren! Wer hätte solche Unterstützung zurückgewiesen?! Ein Lächeln embellierte die markanten Züge des Mantahol. Die schwarzen Augen funkelten mutwillig mit den goldenen Kreolen im Wettstreit. "Ihr seht mich frappiert, mi Amigar", mokierte er sich geschmeidig. "Eine derartige Ausdrucksweise und Wortwahl hätte ich niemals vermutet, aus Eurem Mund zu hören! Metze, Buhle, Wollust... tsk tsk, man wollte meinen, Ihr bedientet Euch der Ansprache eines anderen! Mit wem habe ich denn die Ehre, mein Lieber? Bitte, ich möchte um keinen Preis die Honneurs versäumen!" Nun zeigte sich, nach einem langen Augenblick des Erstaunens, ein herrliches, von Jaime ungeniert goutiertes Schauspiel. Zunächst noch adrett in zornige Röte gekleidet, verblassten alsbald die schönen Züge zu einem fahl-weißen, blutleeren Erschrecken, das einer venezianischen Totenmaske Konkurrenz bereitete. In der Tat repetierte der Jüngling in seinem Inneren die eigenen, von euphorischer Selbstgerechtigkeit erhobenen Anklagen. Erkannte in eisigem Schrecken, dass er nicht allein die Höflichkeit längst verabschiedet hatte, sondern die vernichtenden Urteile des eigenen Vaters zitierte. Fester Bestandteil jeder Predigt, gleich welchen Sujets, um nicht einen der Lauschenden aus der Pflicht zu entlassen, dass sie als Luminnier diesen niedrigen Widrigkeiten der menschlichen Gesinnung zu entsagen hatten. In deutlicher, unmissverständlicher Form. Während Sebastien ernüchtert die eigene Gesinnung auf ihre Wahrhaftigkeit prüfte, -oder sich beschämend einzugestehen hatte, dass er gleich einem Papagei ohne Verstand dahinplapperte, was man ihm eingegeben hatte-, kam der Senher da Solador in geschmeidiger Eleganz auf die Beine. "Sagt", er näherte sich mit ungezähmten Glitzern in den schwarzen Augen, "habt Ihr niemals danach verlangt, Eure Fesseln zu sprengen? Zu rebellieren gegen die Konvention? Euch kindischer Albernheit bedient, um das Leben zu zelebrieren?" Sebastien wahrte eiligst Distanz, sammelte hastig die vagabundierenden Gedanken. "Dergleichen ist einem Luminnier nicht würdig", versetzte er steif. "Ah!", bemerkte der Mantanhol unter vorgeblichem Verständnis. "Sieh an, ein weiterer Tempel! Neben der Ehre haust die Würde, Heiligtum an Heiligtum!" "Spottet nicht..." Der Jüngling bog sich drohend, die grünen Augen gewitterten empört. Doch das Wort ward ihm abgeschnitten, da Jaime, die schmerzende Schulter refüsierend, Sebastien unterfasste und diesen im sprühenden Regen kreiselnd beschleunigte. Naturgemäß erntete Jaime zornigen Protest, dann lösten sich die blanken Füße des Jünglings bereits vom durchtränkten Erdreich. Während sich der Mantanhol jauchzend drehte, den wilden Lockenschopf in den Nacken warf und kehlig lachte. Sebastien schwindelte. Längst war der Widerspruch verstummt, da er fürchtete, die eigene Zunge zu verlieren. Angstvoll spannte sich der gesamte Leib. Er bemerkte wohl, wie auch in erstickender Verärgerung, dass Jaime unverhohlenes Vergnügen empfand, sich einem lächerlichen Hanswurst gleich zu gebärden. Während er selbst sich fürchtete. Wann würde der schlüpfrige Grund dem unverschämten Bergbauern zum Verhängnis? Oder wären es die Arme, die einfach ihre Last abschüttelten?! Ein übler Sturz stand ohne jeden vernünftigen Zweifel zu erwarten. Der Jüngling presste die Lippen, schloss die Augen in resignierter Furcht, erwartete das Unvermeidliche, sah sich einmal mehr bestärkt in seiner ungebärdig lodernden, profunden Abneigung gegen den Älteren. Jaime allein wurde nicht müde, um die eigene Achse zu rotieren, mit ungezähmtem Schrei seine Verzückung der Welt zu verkünden. Ihn sorgte kein Fehltritt, er vertraute den eigenen Fähigkeiten und seinem Geschick. Zudem verfügte er nunmehr über eine wesentliche Erkenntnis, die ein ordentliches Maß an Mitgefühl in seine Empfindungen mischte. Der Jüngling, der angstvoll zu einer reglosen Marionette erstarrt in seinem Zugriff über der Erde schwebte, kannte solcherlei spielerische Heiterkeit nicht. Sollte sich nicht Herz und Gemüt weiten, von der prickelnden, verlockenden Freiheit jenseits der Fesseln von Konvention und Moral erfüllt sein?! Allein, es waren keine Anzeichen auszumachen, die wahre Lebendigkeit in tiefen Zügen demonstrierten. Behutsam reduzierte der Mantanhol seine Umlaufgeschwindigkeit, gab den Jüngling in seinen Armen jedoch nicht frei, ließ den Drehmoment gemächlich ausklingen, bis die nackten Füße Sebastiens erneut auf den feuchten Grund aufsetzten. Man musste, -Jaime beriet sich im Imperativ-, den meri Calinhaire die Lust lehren, das Verlangen nach Grenzenlosigkeit, nach dem Leben! Nach dem Wahren, dem Ungebärdigen, dem Tollkühnen und Leidenschaftlichen! Nun konnte er wohl begreifen, warum sich der Jüngling so vehement befleißigte, seinem irdischen Dasein ein Ende zu bereiten: er kannte keinen Genuss. Also schmiegte sich der Mantanhol zärtlich um die zierliche Gestalt des noch immer Erstarrten, betupfte die blassen Wangen mit sanften Küssen. ~*~ Der dichte Tropfenregen, einem dünnen Vorhang gleich, liebkoste die verschmolzenen Gestalten, spazierte gleitend über durchtränkten Stoff und blanke Haut. Sebastien zitterte, die Augen starr in ferne Abgründe gerichtet, fror von einer nachtmahrischen Erkenntnis, der er sich verweigern wollte. Zweifel vergiftete sein Gemüt, infizierte seine Seele, ließ sich nicht vertreiben, durchdrang mit schwarzer Gewissheit sein ganzes Selbst. Was wäre, wenn der unsägliche Senher da Solador die Wahrheit gesprochen hätte?! Wenn er tatsächlich nicht mehr als ein Duplikat des eigenen Vaters gebe, ein schlechtes Schauspiel ohne Überzeugungskraft? Glaubte er etwa gar nicht an die Werte, die man ihn so nachdrücklich gelehrt hatte?! "Fragt Ihr Euch nicht", die samtige Stimme raunte kehlig durch die karamellfarbenen Strähnen, "ob Ihr wahrhaftig Liebe verspürt, oder ob es nicht mehr als ein aufgepfropfter Reflex ist, den Konventionen zu genügen? Schlägt Euer Herz nicht höher, wenn Ihr Mabioline begegnet?" "Ihr seid ein Werkzeug des Versuchers!" Hastig befreite sich Sebastien aus der Umarmung, suchte eilig Abstand, wischte die Augen frei. Jaime lächelte nachsichtig. "Aber Sebastien, sind es nicht weniger meine Fragen als Eure Antworten, die Euch Pein bereiten?", legte er gelassen den Finger in die offene Wunde. Und diese schmerzte, so stark, dass der Jüngling erzitterte, kreidebleich die Hände ineinander klammerte. Ausgeschlossen, schlichtweg unvorstellbar, dass ein ehrenhafter, tugendhafter Mann eine fremde Dame den eigenen Eltern in Liebe und Ergebenheit vorzog! Allein, -Sebastien drängte schmachvolle Tränen zurück-, sein Herz wollte nicht gehorchen, trommelte wilde Paukenschläge, deren Echi seinen gesamten Leib in Aufruhr versetzten. Das durfte nicht sein, das konnte einfach nicht geschehen!! Der Magen kehrte sich um, die Gedärme knoteten sich protestierend, Sebastien sank stöhnend, sich krümmend, darnieder. Wie konnte er nur die eigenen Eltern verraten?! Wieso sprang keine verehrungsvolle, dankbare Liebe in die Bresche, die ihn waidwund auf den Boden zwang?! ~*~ Jaime erkannte die Seelennot des Jünglings mit beschämter Überraschung. Den geliebten Calinhaire zu quälen, -nein, das entsprach nicht seinem Streben, doch offenkundig hatte er unbedacht eine gewaltige Wunde gerissen, die solche Schmerzen bereitete, dass Sebastien vor ihm würgte und sich krampfend wand. Der Mantanhol kniete sich rasch nieder, richtete den Jüngeren in eine sitzende Position, die ihm gestattete, Sebastien an die breite Brust zu ziehen und schützend in die Arme zu schließen. "Verzeiht mir, Sebastien, es war unbedacht dahingesprochen!" Allein, Sebastien hielt weiterhin siegelnd eine Hand auf die Lippen gepresst, litt unter konvulsivischen Leibkrämpfen. So elend, so erbärmlich! Ärger noch, die furchtbare Erkenntnis, dass Jaimes Mutmaßungen der Wahrheit entsprachen. Ja, das verräterische Herz wählte die schöne Dame, sich zu engagieren. Selbst im Zorn und Abscheu konnte der unsägliche Senher da Solador ihm größere Emotionen entlocken als die eigene Familie. Sebastien weinte verzweifelt, schlug den Unterarm vor die Augen. Ein weiteres Mal hatte er unverzeihlichen Verrat begangen! All seine Vorstellungen, sein Selbstverständnis, seine Integrität: Illusionen, Traumgespinste!! Hatte er sich nicht diesen Barbaren überlegen gefühlt? Nun, die gerechte Strafe ereilte ihn hier, und Sühne konnte er nicht leisten, weil es keine Gnade, keine Hoffnung gab, jemals wieder in den erlauchten Stand der Ehrenhaftigkeit zu gelangen. Was ihm nun geschah, das traf ihn mit Recht. ~*~ Die Tränen versiegten, die Augen blieben stumpf, mutlos fiel der fragile Leib in eine resignierte Starre, gelähmt von Kleinmut und Schuldgefühl. Jaime beobachtete die schleichende Vergiftung mit Sorge, wollte nicht einmal mehr geschehen lassen, dass mit dumpfem Brüten der erneute Entschluss sich manifestierte, dem Leben zu entsagen. "Liebster", er hob das Kinn des Jünglings an, Blickkontakt forcierend, "straft Euer Herz nicht mit Vorwürfen, weil es sich nach seiner Natur verhält. Wo Liebe ist, da sehnt es sich. Kein Bann kann ein Herz schlagen, kein Entschluss es regieren. Darum, bitte quält Euch nicht, vertraut Eurem Herzen." Die Botschaft sickerte ein. Die grünen Augen sprenkelten braune Punkte, allein, es konnte nicht sein. "Dass sie sich irrten? Euer Vater selbst?", wisperte der Mantanhol zärtlich, wiegte den Gefährten wie ein Kind. Hatte er laut gesprochen?! Dem Originator seiner Qualen, seines Sturzes in die Ewige Verdammnis Zugang zu seinen Gedanken gewährt?! Eine warme Wange pflegte zärtliche Konversation mit Sebastiens fahler. "Ihr wisst selbst, mi Amigar, dass die Liebe Mut erfordert, keinem Gebot gehorcht. Ermesst Ihr nicht gerade, wie hoch die Anforderungen sind?" Sebastien presste die Lippen. Wie erklärte es sich, dass der unsägliche Senher in seinem Innersten spazierte, als könne er ihn durchdringen?! "Doch ich verspreche Euch", Jaime umfasste die verkrümmten Finger des Jünglings in feierlicher Geste, "auf mein Wort, die Liebe wird Euch alles lohnen!" Dann erhob er sich, führte den Jüngling an der Hand mit sich zurück unter das schützende Dach des Baums, wo ihre wenigen Habseligkeiten unter der Aufsicht Beuroux' lagerten. Der Mantanhol wies Sebastien einen Platz zu. Dieser leistete stumm Gehorsam, in untröstlichen Gedanken versunken, nahm artig Brot und Käse an, die Jaime nach kurzer Expedition in seinem Proviantbeutel entführte und in mundgerechte Stücke teilte. "Seht Ihr denn nicht", Jaime gab sich nicht geschlagen, konnte nicht aufgeben, weil er liebte, so stark und inniglich, dass ihn selbst eine Erschütterung überkam, "wie groß bereits Euer Mut geworden ist?" Beharrlich setzte er nach, nahm die fahlen Hände des Jüngeren in seine kraftvollen, sonnengebräunten. "Mi Amigar, seid Ihr nicht allein über die Berge in den Süden gereist?! Ein gewaltiges Abenteuer, ohne Zweifel! Nicht viele Menschen können behaupten, ein solches Wagnis unternommen zu haben! Und habt Ihr nicht in kürzester Zeit die Sprache der Maradoier gelernt? Sagt ehrlich, bereitet es Euch kein Vergnügen, mit Mabioline zu plaudern? Sie lobte Eure Fortschritte über alle Maßen, will Eure Gesellschaft nicht mehr missen! Seid Ihr nicht stolz auf Eure Konstruktionen? Ich bin es, von ganzem Herzen! Mit Eurer Unterstützung wird es gelingen, für die Mainada ein weiteres Auskommen zu erschließen, unser aller Leben zu verbessern!" Jaime strahlte nun, wie im Fieber, ein Wort reihte sich gleich einer Perlenkette an das nächste, sprudelte hervor, was zwingend belegen musste, dass Sebastien bereit war, auch die Liebe zu erproben. "Diese Reise, die Menschen: sie haben Euch verändert, Sebastien!" Der Mantanhol streichelte die feuchten Hände des Jünglings, suchte in den grünen Augen, die an seinen Lippen hingen, nach einem Fünkchen Hoffnung haschten. "Ich weiß sehr wohl, welches Maß an Wagemut es fordert, die Heimat zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen, mi Amigar." Es blitzte, grüne Wellen wogten enragiert, aus eigenen Gedankengängen gerissen. Unbändig brodelte ein übler, ungehöriger Kummer in diesem abgründigen Meer, der nun endlich eruptierte. "Ich wollte diese Reise nicht! Vergleicht Euch nicht mit mir!", brach es verbittert aus dem Jüngling, der dem Sturm nicht mehr Einhalt gebieten konnte, die Lava schoss kochend hervor. "Ich habe mich nicht aus freien Stücken entschieden! Meinem Vater beliebte es", nun zitterte die Stimme brüchig, rang um jede Silbe, "sich meiner nutzlosen Existenz zu bedienen. Damit er mit meinen beiden ehrenwerten Brüdern eine glorreiche Zukunft installieren konnte! Meine Aufgabe in diesem Leben bestand einzig darin, dem Unmut Seiner Majestät geopfert zu werden!" Es folgte Stille, allein vom unverminderten Tropfengesang kontrapunktiert. Nie hätte Sebastien gewagt, in Worte zu gießen, was ihn quälte: eine zurückgewiesene Zuneigung, ein hilfloser Versuch, Anerkennung zu erringen, die ihm nicht gezollt werden würde. Trotzig, da er nun die abstoßendste Seite seiner lästerlichen Natur offenbart hatte, sich gleichsam selbst bewiesen, dass die Einschätzung des Vaters zutreffend und er selbst unwürdig war, ein Luminnier genannt zu werden, wählte Sebastien das letzte Stück des harten Käse, lutschte es mit finsterer Miene. "Was hättet Ihr getan, wäre Euch nicht diese Aufgabe zugemessen worden?", erkundigte sich der Senher da Solador beiläufig, erhob sich, um seiner Bekleidung verlustig zu gehen. Während das Schweigen sich dehnte, wählte er Zweige aus, die durchtränkte Hose und das Hemd zu tragen, studierte dann mit kritisch gefurchter Stirn den Sitz der Bandagen, die sich um Schulter und Brustkorb spannten. Sebastien erwog unterdessen, wie wohl keineswegs erfreut, die trügerisch banale Frage, die in abgründige Untiefen lockte. Was hatte er zu erwarten, der jüngste und schwächliche Sohn eines mächtigen Luminnier? Kein Talent stand ihm zu Gebot, keine besondere Auszeichnung, keine bemerkenswerte Fähigkeit hob ihn aus der Schar der Gleichaltrigen in ähnlicher Situation. Welches Leben hatte der Vater ihm zugedacht? Sebastien vermochte es nicht zu sagen. Obgleich man sehr oft über die beiden älteren Brüder gesprochen hatte, denen eine glänzende Perspektive aufs Tapet gezeichnet wurde, durchdrungen von Einfluss, Ansehen und respektablem Vermögen, konnte er sich nicht entsinnen, selbst einmal Gegenstand der strategischen Planungen des Vaters gewesen zu sein. Dem geistlichen Stand, wie man es mit überflüssigen Söhnen zumeist hielt, konnte er nicht zugeführt werden. Zu viel Zeit war bereits verstrichen ohne die besondere Ausbildung und Aufsicht, die dieser Stand verlangte. Das Vermögen und die besonderen Vorrechte verteilten sich auf die Schultern seiner beiden älteren Brüder. Hätte er über besondere Fähigkeiten in militärischer Hinsicht verfügt, so wäre er wohl in eine Offizierslaufbahn genötigt worden. Allein, seine körperliche Verfassung disqualifizierte ihn. Folglich blieb, mit säuerlichem Mundwinkelzucken, lediglich eine bescheidene Karriere in der Administration. Ein königlicher Beamter...ein Stand, in den Bürgerliche befördert wurden, die außergewöhnliche Dienste leisten konnten. Undenkbar jedoch für einen Mann von Adel! Der Jüngling, von trostlosen, wenig erfreulichen Gedanken konveniert, schrak heftig zurück, als Jaime sich vorneigte, seinem unwilligen Gefährten ebenfalls die stofflichen Hüllen vom Leib zu schälen. "Bitte, Sebastien, sonst werdet Ihr Euch ein Fieber holen", drängte der Mantanhol geduldig. Korrespondierte ernsthaft mit den grünen Augen, die in entschlossenem Zorn jede Himmelsrichtung anklagten. "Was kümmert Euch mein Fieber?", fauchte es hitzig von fahlen Lippen. "Habe ich Euch nicht bereits ausreichend Dienste erwiesen?! Eure selbstsüchtige Fürsorge ist unerwünscht, mein Herr!" Jaime entließ einen verärgerten Seufzer. Man schwankte offenkundig zwischen brütender Selbstanklage und erhitzter Aggression, allein, die von ihm ersehnte Zuneigung wollte sich nicht einstellen! Wenn es sich verhielt, wie zu vermuten stand, wusste sein geliebter Calinhaire jedoch mit Zuneigung nicht umzugehen, gebärdete sich unverständig wie ein verwöhntes Kind. "Genug", beschied der Mantanhol knapp, griff nach den fragilen Handgelenken des Jünglings, zog diesen vom feuchten Boden auf die Beine. "Es ist zu Eurem Wohl", versicherte Jaime entschlossen, ließ sich nicht abschütteln, ganz gleich, wie ungezügelt Sebastien seinem Zugriff entschlüpfen wollte. Jaime brachte ihn zu Fall, hielt Sebastien mit überlegenem Körpergewicht auf feuchtem Grund, umfasste beide Handgelenke mit eisernem Griff. Seine lädierte Schulter entlastend zog die freie Hand den klammen Stoff von dem mondscheinbleichen Leib. Sebastien hingegen wehrte sich nach Kräften. Die Fersen trommelten in den weichen Untergrund, spritzten Tropfen und Erdklumpen auf, während er Schmähungen gegen den Senher da Solador zischte. Doch nichts zeitigte Erfolg. Bald fand der Jüngling sich entblößt, die grobe Leibwäsche entführt vermochte er sich der lockenden Wärme des unbekleideten Körpers über dem eigenen nicht zu entziehen. Obwohl der Himmel noch immer weinte, in dichtem Regen, senkte sich die Temperatur nicht merklich ab, allein, eine innere Kälte verlangte nach Beistand. Ein heilloser Tumult, der in seinem Inneren tobte. Wie sollte er eine Richtung wählen, wenn er sich keinen Rat wusste?! Wem Glauben schenken, wenn er dem eigenen Urteil nicht vertrauen konnte?! Jaime focht der innere Zwist nicht an. Der Jüngling ward in entschiedenem Griff um die schlanken Hüften austariert, dann ausreichend vom festen Boden entführt, dass er nicht fliehen konnte. Der Mantanhol wusste sehr gut mit ungezogenen Welpen umzugehen, ein Ähnliches intendierte er mit seinem jugendlichen Gefährten. Inmitten des kleinen Wäldchens fand sich ein Teich, von einer bescheidenen Quelle gespeist, verborgen und verträumt, da nur wenige es wagten, dem umgebenden Sumpf zu trotzen und hier eine Zuflucht zu finden. Der feuchte Boden zeigte sich schmierig-glatt, es troff von Regen und sattem Moosgeflecht, als Jaime sich den Weg bahnte, seinen ungebärdig zuckenden Calinhaire in unnachgiebiger Umschlingung transportierend. Die wiegenden Schilfrohre durchpflügt ließ der Mantanhol das sumpfige Ufer hinter sich, bewegte sich sicher durch den mit grünen Schuppen bedeckten Teich. Wühlte den sandigen Grundschlamm in bauchigen Wolken auf, während sich tellergleiche Kreise ziehend Tropfen vom Himmel stürzten. Sebastien fauchte und zischte, wie widerwärtig, diese trübe Brühe! Schon setzten sich schlierige Streifen erdiger Bräune auf der bleichen Haut ab, hängten sich ungeniert grüne Flecken an, die weiland Entengrütze getauft worden waren. Dann, -Jaime atmete tief ein, die Schulter protestierte-, wurde der Jüngling hochgestemmt. Das Wasser gurgelte melancholisch, des schönen Besuchers entrissen, für Augenblicke schwebend, bevor der Mantanhol mit einem gewaltigen Triumphschrei sich Erleichterung verschaffte. Und Sebastien schwungvoll in das dunkle, verschleierte Teichwasser schleuderte. ~*~ Der Senher da Solador wusste wohl, dass keinerlei Gefahr bestand, von unfreundlicher Fauna oder Flora behelligt zu werden. Auch stand man ungefährdet auf nachgiebig-weichem Grund, sodass er sich ein Amüsement mit lehrreichem Effekt zumaß. Prustend und um sich schlagend, in hysterischer Hilflosigkeit durchbrach sein meri Calinhaire die Oberfläche des trüben Wassers. Die köstlichen Augen angstvoll aufgerissen, die karamellfarbenen Strähnen von Gras- und Grüngeflecht bekränzt. Aufgelöst zappelte er nun, ging erneut, da des Schwimmens wohl nicht kundig, unter, mit viel Getöse und Geschrei. Jaime wartete gelassen. Man musste sich nicht sorgen, wenn solcherlei heftige Emotionen den fragilen Leib in Bewegung hielten. Als nun ein weiteres Mal der Schopf die Oberfläche durchbrach, konzentrische Kreise wirbelte, die jeden Regentropfen beschämten, griff er beherzt ein Handgelenk. Zog den Jüngling an sich, um ihn mit kalkuliertem Schwung erneut in die Luft zu katapultieren und ein erfreuliches Eintauchen zu bezeugen. Nun stand kein zorniges Protestgeschrei mehr zu befürchten, denn instinktiv konzentrierte sich Sebastien darauf, keinesfalls noch einmal einen Mund voll der schlammigen Brühe zu schlucken. Die dunklen Wolken hüllten ihn ein, Gras und andere Pflanzen schlangen sich um Haupt und Glieder, all überall umkreiste ihn liederliches Grün, mit süßlichem Geruch wie von Verwesung, morastig, widerlich! Er wehrte sich. Wo war der Boden, wo die boshaften Hände, die ihn immer wieder ins Unglück stürzten?! Und wieder dunkle Untiefe, erneut den Mund zugepresst, die Nase saugte panisch, er hustete und spuckte, verzweifelt Wasser tretend, die Wimpern verklebt, wollte die Augen nicht mehr öffnen! Wo war unten, wo der Himmel?! Jaime lächelte. Die Regentropfen liebkosten seinen Leib, fingen sich in den ebenholzfarbenen Locken, glitzerten wie Abertausend Sterne am Firmament juwelengleich in seinem wilden Schopf. Geschickt wich er den ungezielten Schlägen aus, die Sebastien an der Oberfläche halten sollten, ein ungelenkes Rudern, das spritzend und klatschend nicht sonderlich hilfreich blieb, fasste ein Handgelenk und eine schlanke Fessel. Dann drehte er sich mit johlendem Vivat im Kreis. Ein saugender Wirbel umschwärmte ihn, lauerte, wann endlich der gesamte Leib des Jünglings von der Fliehkraft beschleunigt vollends aus dem Wasser gestohlen wurde. Im gleichen Augenblick, da Sebastien wimmernd die Luft durchteilte, von einem Schweif Gräser und schlammiger Brocken gefolgt, da ließ ihn der Mantanhol aus seinem Griff fahren. Tief in der Mitte des bescheidenen Teichs drang Sebastien ein, in den Ohren das rächende Gelächter des Senher da Solador, der ihn strafte. Nun verließen ihn bald die Kräfte, da niemand kam, ihn über der Oberfläche zu halten. Er tauchte ein drittes, ja, viertes Mal ein und keine rettende Hand streckte sich aus, ihn aus dieser tödlichen Gefahr zu befreien. Man ließ sich Zeit. Gemächlich spazierte der Mantanhol in die Mitte des Gewässers, bis an die Schultern angespült. Ihn störte es wenig, dass das Wasser trübe, mit Treibgut der heimischen Fauna versetzt war, auf der Haut eine lehmige Schicht trocknete, wenn man den Teich verließ. Gerade im Hochsommer, wenn die Atmosphäre schier brannte, jeder Atemzug zur Qual wurde, dann liebte er dieses Elysium mit lauer, zärtlich-schmieriger Umarmung. Sebastien schluchzte, das Zappeln erlahmte, einmal mehr schluckte er widerwillig die trübe Brühe, hustete, befreite sich in schmerzvollen Konvulsionen von der unerwünschten Flüssigkeit. Als sich Jaime nun näherte, die Finger tastend Rettung erkannten, flogen ihm mondscheinblasse Arme zitternd um den Hals. Dann presste sich der ganze Leib zitternd und schluchzend an ihn. Der Mantanhol erwiderte die verzweifelte Geste, streichelte zärtlich über die hervorstehenden Schulterblätter. Pflückte schmeichelndes Grün aus den nassen Strähnen, wischte das verunzierte Gesicht des Jünglings frei von Schlamm und Grünspeise. Dieser weinte, keuchte, weil es an Luft gebrach, würgte, da die Kehle schmerzte und klammerte, in Furcht vor einem erneuten Willkürakt. Die schwarzen Augen, die noch eben zürnten, blickten nun liebevoll, von einem sehnsüchtigen Seufzer akkompagniert. Dann beugte er sich vor, die fahlen Lippen zu siegeln. Er spürte wohl, dass Sebastien erschrak. Allein, die wunde Kehle wollte Linderung, und Jaime offerierte generös ein süßes Labsal. Da konnten An- und Verstand wohl protestieren: der Leib votierte dominierend, genug des Taufbades, der widerwärtigen Brühe! Jaime stöhnte, zum ersten Mal mit der blinden Lebenslust seines Calinhaire konfrontiert, die ungezügelt ihm entgegen züngelte, den Speichel raubte, mit flammender Brandspur in seinem Kopf marodierte. Er erwehrte sich wacker, mit Leidenschaft seinen Einsatz zu vergüten und wurde nicht enttäuscht, da Sebastien nicht gewillt war, die einzige Zuflucht fahren zu lassen. Allein, es musste einmal Atem her, man zog sich widerstrebend voneinander zurück. Dann prüften sich die Augenpaare, in trauter Nähe, da Sebastien noch immer den Nacken des Mantanhol mit aller Kraft umschlang. Der Senher da Solador lächelte. Es funkelte aus schwarzen Tiefen, während Sebastien blinzelte, die köstlich grünen Augen braun gesprenkelt mit rotem Stich. Die Ratio gab sich die Ehre. Ein rascher Blick in die Runde: es regnete noch immer, während der Teich dankbar die Pause nutzte, sich wieder ordentlich in Sedimentschichten zu ordnen. »Es gilt!«, spornte Jaime sich an, wollte den Beweis einfordern, dass endlich eine Bresche geschlagen war, die die finstere Mauer der Ablehnung besiegte. Er neigte den Kopf, die Lider senkten sich, betupfte zärtlich die von Anstrengung rosig erblühten Züge, näherte sich begehrlich den Lippen an, die verlockend Genüsse ohne Gleichen versprachen. Sebastien zögerte. Es war so still, nicht einmal Vögel riefen, allein Tropfentanz auf dem Wasser kontrapunktierte den Trommelschlag seines Herzens. Er wusste wohl, gänzlich ohne gelehrte Lektüre, dass nun ein Scheideweg vor ihm lag: wenn er seinem Herzen folgte, das Jaime zustrebte, so war entschieden. Doch weigerte er sich, dann... versagte er sich die Wärme, die ihn derart versuchte. Weil sie so erstaunlich, wundervoll, allmächtig war, besänftigend-berauschend, ein Kaleidoskop aller Sehnsüchte, die er bis dato nicht gekannt glaubte. Ebenholzfarbene Locken streiften neckend seine Wange, die Krämpfe lösten sich, weil er vertraute Nähe spürte, von kraftvollen Muskeln und sonnenverwöhnter Haut. Sebastien senkte die Lider über die grünen Augen. Auch die Erkenntnis hatte Adam und Eva nicht gehindert, im Paradies die Nähe des Anderen zu suchen. Warum sollte er selbst über eine größere Widerstandskraft gebieten? Und zu welchem Zweck? ~*~ Die schlanken Arme wurden weich, in das stete Klopfen der Himmelstränen mischte sich gemeinschaftlicher Ausdruck von Wohlbehagen. Und Jaime war es wohl, so unglaublich, herrlich, wunderbar, dass er nicht unterlassen konnte, sich mit seinem Calinhaire im Kreis zu drehen, mit sprudelndem Gelächter seine Erleichterung zu verkünden. Er strahlte, bedeckte das verschämte Leuchten mit überschwänglichen Küssen, wisperte rau immer wieder, wie sehr er seinen Aimador liebte. Wie unvergleichlich dessen Schönheit sich ausnahm, wie verzaubert er in einem lustvollen Bann gefangen war. Sebastiens Wangen färbten sich dunkler, allein, er konnte den schwarzen Augen nicht entgehen, die so lebendig und hoffnungsfroh funkelten, viril und kraftvoll dem Schicksal trotzten. »Möglicherweise«, vernahm sich eine bescheidene Stimme in seinem Kopf, »ist es eine weise Entscheidung, sich seiner Fürsorge anzuvertrauen. Neugeboren in diesem urzeitlichen Tümpel, in Schlamm gebadet, wollen wir eine neue Existenz begründen. Und herzen, wenn uns der Sinn danach steht.« Lästerliche Gedanken, wohl wahr, allein die Vorstellung, ungefragt und jenseits der Konventionen körperliche Nähe zu suchen... Doch Sebastien trotzte, schmiegte sich eng an die kraftvolle Gestalt, barg den Kopf an der malträtierten Schulter. Wie wäre es wohl, wenn er tatsächlich der Konstrukteur des Senher da Solador werden würde? Angesehen und respektiert, ein Herr von Stand? Augenblicklich senkte sich eine düstere Bedrückung auf seine Schultern. Er klammerte Jaime stärker, der verständig über den fragilen Rücken streichelte. Was mochte er schon einzubringen, wenn nicht seinen Leib? Weder Name noch Vermögen, weder Einfluss noch Beziehungen. Wenn nun die Attraktion seines Körpers endete, was blieb ihm dann? Zögerlich löste sich Sebastien, hoffte, nicht unterzugehen, doch Jaime entließ ihn nicht, hielt ihn fest um die Hüften an den eigenen Leib gepresst. "Was ist Euch, Liebster? Warum seid Ihr bekümmert?", erkundigte sich der Mantanhol sorgenvoll, siegelte die fahle Stirn mit einem beschwörenden Kuss. Sebastien, zu stetem Schweigen erzogen, mit Missachtung über seine unbedeutende Person belehrt, wagte tollkühn, sich dem inquisitorischen Blick aus den schwarzen Augen zu stellen. "Was geschieht, wenn Ihr meiner überdrüssig seid?" Wie schrill und bänglich die Worte klangen! Jaime starrte... ja, denn der gesamte Körper versteinerte, wie die Mimik selbst, die Augen grollten in empörten Zorn. "Was denkt Ihr von mir, Sebastien?! Ihr seid mein Aimador, ich habe Euch ewige Liebe geschworen! Mein Herz trägt Euer Bildnis, meine Seele will sich Eurer vermählen! Wie könnt Ihr nur glauben, es handele sich um eine müßige Laune?!" Mit jedem Wort steigerte sich die hitzige Erregung, empörte sich der Senher da Solador, bis er förmlich brüllte wie ein Berglöwe, den Jüngling energisch schüttelte. Verschreckt und eingeschüchtert krümmte sich der Jüngling, flüsterte ein ums andere Mal flehentliche Bitten der Nachsicht. "Bitte um Pardon, ich sprach unbedacht, bitte, mi Senher..." "Und noch immer adressiert Ihr mich wie einen Fremden! Warum seid Ihr so unbarmherzig, Sebastien?! Ihr tut mir Unrecht, und Ihr wisst darum! Sagt mir, was habe ich zu leisten, Euer Herz zu gewinnen?!" Der Mantanhol steigerte sich in Raserei, so nahe dem Ziel, in trügerischer Hoffnung bereits triumphierend, konnte er nicht mehr an sich halten. Es drängte ihn, seiner Liebe Ausdruck zu verleihen, den unerträglichen Graben zu überwinden, der sie trennte. Sebastien schwindelte. Die Worte, die inbrünstig hervorgebracht ein dumpfes Echo in der verträumten Idylle erzeugten, vagabundierten in seinen aufgewühlten Sinnen. Er nahm nichts mehr wahr als unbändigen Zorn, so verzweifelt wie seine eigene Qual. Er schmiegte sich an, wisperte ein ums andere Mal ermattet, "Jaime, ich bitte Euch, Jaime..." Es wurde still. Der Mantanhol lauschte, wie der Jüngling hauchzart seinen Namen prononcierte, unvergleichlich zärtlich, weil sich der Akzent des Ubac hineinmischte. "Ich liebe Euch, Sebastien", hauchte Jaime sanft in eine wohlgeneigte Ohrmuschel, hielt den Jüngeren fest in seinen Armen, ein wenig unsicher auf den Beinen, da die Gefühle ihn zu überwältigen drohten. Klopfenden Herzens wählte er einen langsamen Pfad zurück an das Ufer, sank mit Sebastien in dämpfendes Moosgeflecht. Dem wahrhaftigen Sündenpfuhl entronnen entspannte sich der Jüngling, ließ den Älteren gewähren, der mit abgehobenem Geflecht gleich einem Schwamm die mondscheinbleiche Haut bestrich, bis sich kein Schlamm, kein grüner Fleck mehr zeigte. Sebastien, von einem dichten Laubdach wohlig geschützt vor frecher Regentropfen Einschlag, -er wollte einfach nicht enden, dieser trauerschwere Wolkenbruch!-, betrachtete den entblößten Mann, der sich nun leichten Herzens um ihn besorgte. Man konnte nicht verkennen, wie anziehend, ja, attraktiv seine Gestalt sich ausnahm, beinahe schon ein Held aus hellenischer Historie, groß gewachsen und wohlgestaltet, kraftvoll und geschmeidig. Nun gut, die ungezähmte Lockenpracht, dazu die goldenen Kreolen und diese starken, weißen Zähne, -zugegeben, das übertrieb, bedrohte mit der Frechheit, wie hier Konventionen ignoriert wurden. Allein, die Wärme, die ungeniert von diesem Körper strahlte, die Zuversicht und rettende Zuflucht, die er gefunden hatte, -Sebastien seufzte, durchaus nicht ungehört. Ja, er gestand es sich selbst ein, er neidete Jaime all die Qualitäten, die er schmähte und verurteilte. Und spürte mit ängstlicher Erregung, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, in der Aussicht, dass unverwandt die kraftvollen Hände über seinen Leib glitten, Zeugnis ablegten, dass die Erkenntnis dem Begehren keinen Einhalt gebot. Der Jüngling schloss die Augen, die Lider ohnehin von Nässe und Aufregung schwer, legte einen schmalen Arm über das Haupt, imaginierte, wie sich Jaime über ihm bewegte. Ein prickelndes, verbotenes Spiel, das ihn bald schon tief verstrickte in lustvolle Seufzer. Jaime lauschte verzaubert, wie ahnungsvoll Sebastien sich hingab, von einem kindlich-unschuldigen Hasch-mich verführt, das ihn in einen charmanten Bann zog. Nun fühlte er sich kaum bemüßigt, den Fortgang zu forcieren. Im Gegenteil, er lagerte sich bequem, ein Bein angewinkelt, aufrecht neben dem ausgestreckten Calinhaire, ließ Fingerspitzen tanzen, mal hier, mal dort. Genoss die sehnsüchtigen Laute, die einer melodiösen Kaskade gleich der strapazierten Kehle entflohen. Auch wenn er sich erhofft hatte, im tobenden Sturm der Leidenschaft erneut mit Sebastien intim zu verkehren, so blieb die Enttäuschung aus. Endlich sank er nieder, an die Seite des Jüngeren geschmiegt, balancierte den eigenen Schopf an eine rosige Wange, schöpfte Atem in sicheren Hafen der Schulterbeuge, war sie auch noch so zierlich gestaltet. Das Erstaunen über seinen ungewohnten Verzicht brach sich bald Bahn. Sebastien, durchaus verwirrt, dass die zärtliche Tändelei in einem matten Schlummer enden sollte, machte sich frei vom Hausgast auf seiner Brust, stützte sich auf die Ellen. Jaime dagegen rollte sich in katzenartigem Geschick auf alle Viere, musterte die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln, die beinahe tadelnd seinen schwarzen Blick suchten. Der Senher da Solador lächelte, es blitzte hell von blendend weißen Zähnen. Sebastien furchte die Stirn, die Augenbrauen drängten sich verstimmt zusammen. Zum Narren halten lassen wollte er sich nicht! Als sich der Mantanhol gelassen auf den Rücken lagerte, ganz leger, die Arme unter dem wilden Schopf ungebärdiger Locken gefaltet, so unverfroren selbstsicher in Mutter Naturs Schoß longierte, da stieg Verärgerung in Sebastien auf. Was erlaubte sich der freche Kerl?! Sollte er etwa forcieren, was unaussprechlich war?! Hatte denn nicht der unsägliche Bursche begonnen? Wieso führte er nicht zu Ende, was er begehrte?! Unverschämt! Mit Verve kam der Jüngling auf die Beine, entfernte sich, ein wenig steif, mit trotzig geballten Fäusten, hielt auf das Ufer zu. Einerlei, ob er die Kunst des Schwimmens nicht beherrschte, ihm das Herz bis in den schmerzenden Hals schlug, schmählich daran erinnerte, wie widerwärtig der Sündenpfuhl schmeckte: man wollte mit gebührendem Respekt behandelt werden! Eine Lektion war zu erteilen, damit sich solche Ungezogenheiten nicht wiederholten! Zunächst schluckte er wohl beklommen, umklammerte die geduldigen Schilfrohre an den wiegenden Kolben, als er, behutsam und bänglich, in das seichte Uferbett stieg. Er gewöhnte sich jedoch rasch an den quellenden, sandigen Schlamm, der zwischen nackten Zehen empor quoll, auch schreckte ihn das grüne Treibgut des Enten-Ambrosia nicht mehr. Zögerlich beschmierte er Leib und Glieder. Es prickelte all überall von verbotenem Vergnügen, sich zu 'beschmutzen', selbstbezogen die eigene Berührung zu genießen. Dann wandte er sich um, wo der vorgebliche süße Schläfer noch immer arglosen Triumph feierte. Die Entfernung konvenierte. Die Hände gefüllt, es tropfte und kleckerte, dann ausgeholt und mit Verve beschleunigt. Eine jede Schlammpackung traf ihr Ziel, das mit einem wilden Schrei auf die Beine kam, den frechen Angreifer ins Visier nahm. Sebastien, der solches nie zuvor gewagt hatte, setzte seinem Treiben die Krone auf und bleckte kühn die Zunge. Dann, ungeübt und doch von Herzen kommend, lächelte der Jüngling scheu. Was sich in Keuchen wandelte, als Jaime mit gewaltigem Schritt dem Teich zustrebte, ohne Zweifel rachsüchtige Gedanken hegend. Der Jüngling wandte sich um, mit weiteren, feuchten Ladungen Distanz erhoffend, doch Jaime beeindruckten die feuchten Körpertreffer keineswegs. Er stürmte ungehindert, die Arme ausgebreitet, auf die schlanke, nicht mehr mondscheinblasse Gestalt zu, fing sie ein, halb abgewandt und schlug heftig im quirlenden Teichwasser ein. Eine Flutwelle bahnte sich, in konzentrischem Kreis verlor sich der Schwung ungerührt, die Schilfrohre neigten weise die Köpfe, -ja, die Jugend liebte die leidenschaftliche Demonstration. Jaime indes liebte Sebastien, der endlich die drückenden Schatten abgeschüttelt hatte, ließ sich mit aufgewühltem Schlamm einkleiden. Fing die spöttelnden Lippen und hielt sich schadlos an der frechen Zunge, die man ihm so ungeniert präsentiert hatte. Sebastien hingegen neckte wehrhaft: wo ihn die Arme umschlingen wollten, entschlüpfte er, verteilte seine lehmig-weiche Gabe auf der sonnenverwöhnten Haut, jagte den Usurpator, der Einlass an seinen Lippen begehrte, in die eigene Höhle zurück. Ein Wettstreit entbrannte, verführend, verlockend, weichend, um Führung ringend. Der Senher da Solador, von diesem Engagement verzaubert, ließ seinen Aimador nur allzu gern gewähren, immer wieder den Sieg erringen, damit sich tollkühnere Tat anschloss. Bis beide Männer im Teich schwankten, als wären sie selbst nicht mehr als Schilfrohre. Unterdessen stellte der Himmel die Taufe ein. Die Sonne wagte sich, missgelaunt, da man sie derart inkonvenierte, hinter den mächtigen Wolken hervor, inspizierte die Lage. Durch die umgebenden Laubdächer schmuggelten sich sonnig-runde Flecken auf die trübe Oberfläche des Teichs. Jaime und Sebastien, einander atemlos liebkosend, mit flinken Zungen eine Sprache nutzend, die universell Verständnis fand, bemerkten eine geraume Weile nicht, dass sich der Himmel aufklarte. Dann, von Übermut verführt, nahm der Mantanhol den Jüngling wie eine Braut auf die starken Arme, lachte samtig mit rauem Timbre, als sich Sebastien zappelnd zu befreien suchte. Doch das Ufer war schon erreicht, das wartende Bett im Moosgeflecht lockte mit zärtlicher Polsterung. Man sank nieder. Bald löste sich die lehmige Tarnung. Eine sanfte Brise setzte Blätter und Gräser in leichte Bewegung, streichelte die verschlungenen Leiber. Jaime wollte nicht mehr zurückweichen, bedeckte den Geliebten mit leidenschaftlichen Aufmerksamkeiten. Es schrie Erfüllung in seinem Inneren, von wollüstigem Begehren angefacht. Sebastien wand sich, die Lider flatterten. Er fürchtete nicht mehr, was sich proponierte, allein, die eigene Kraft zu beweisen, das fehlte ihm. Wer hatte bestimmt, dass er lediglich zu empfangen hatte? Waren sie nicht gleich in Gestalt und Ansehen?! Zu spät, dass er protestieren konnte, ein pulsierender Botschafter drängte sich bereits in seinen Leib, bestimmte den Takt, in dem er um Atem rang, Erlösung erflehte, immer wieder den Namen des Gefährten über die Lippen ließ. Instinktiv wand sich Sebastien, erprobte, bereits von Ausläufern der bevorstehenden Eruption erschüttert, die bescheidenen Kräfte. Wollte ein Echo geben, das Jaime bewies, er habe kein leichtes Verfahren mit seinem jüngeren Gespielen. Die Muskeln kontraktierten, die schlanken Beine kerkerten in ihrer Mitte ein, geschmeidig entzog sich der Unterleib dem finalen Stoß. Jaime, der sich einem dunklen Firmament gleich über dem Jüngling wölbte, stöhnte gutturale Worte im Dialekt der Mantanha, konnte nicht glauben, wie schnell der geliebte Calinhaire sich ebenbürtig erwies. Ihn um Gnade flehen ließ, zittern und beben, da er nicht verschmelzen konnte mit der schönen Versuchung, die unter ihm im Moosbett verlockende Melodien sang. Endlich, die Kraft des Jünglings erlahmte. Der Mantanhol durfte sich gütlich tun. Beide sanken atemlos und schwer auf die Erde nieder. Ein jeder Leib war zufrieden, gesättigt, glühte nach, träumte von Vergangenem und sehnte schon wieder Zukünftiges herbei. Die beiden Männer aber, mit turbulentem Herzschlag und ahnungsvollen Seelen, schmiegten sich in die Arme des Anderen, noch ein wenig Ruhe suchend, bevor sie vom Paradies Abschied nehmen mussten. ~*~ Kapitel 9 - In den Bergen Einander an der Hand haltend bahnten sie sich einen Pfad zurück zu Beuroux, der unbeeindruckt die klamme Wäsche hütete. Unwillig mussten sie sich lösen, schlugen den feuchten Stoff aus, schlüpften wenig angetan wieder in die textilen Hüllen, befestigten Bänder, schlossen Schnallen. Der Nachmittag neigte sich bereits, die aufgeweichte Erde dampfte nun, da die Sonne sich anschickte, den aufrührerischen Bösewicht des Herbstes zu vertreiben. Schon klebten wieder Lockensträhnen und Kleider am Leib. Allein, man musste sich arrangieren, zurück zum Gut wandern. Beuroux voran, aufrecht und wachsam, die beiden jungen Männer als Suite, die Finger verschränkt, reichlich mitgenommen, urteilte man nach dem äußeren Erscheinungsbild. Allein, Jaime strahlte, die goldenen Kreolen funkelten. Immer wieder wandte er den Kopf, den Geliebten zu studieren, der neben ihm einherschritt, in Gedanken versunken. Und in der Tat, Sebastien kontemplierte seine Situation ausführlich. Einerlei, wie paradiesisch man sich amüsiert hatte, hier, da mit jedem weiteren Schritt die Gesellschaft und ihre Konventionen drohend die massigen Häupter schüttelten, da quoll ihm ein Kloß im Hals. Er wusste wohl, dass die vielbeschworene Mainada einen ernsthaften Groll gegen ihn hegte, von den Nachbarn und allen Königstreuen des Landes ganz zu schweigen. Seine bloße Existenz beleidigte bereits das empfindliche Gewicht der Welt und nun, da er sich anschickte, Leib und Leben mit dem Senher da Solador zu teilen, wie würde sich wohl die Vergeltung gestalten? Er hielt inne. Auch Jaime blieb stehen, hob die freie Hand, über die besorgten, fahlen Züge des Jünglings zu streichen. "Was bekümmert Euch, mi Aimador?", ersuchte der Mantanhol zärtlich mit samtigen Timbre um Aufklärung. Sebastien keuchte, hilflos, da er nicht um Beistand zu bitten gewohnt war, fühlte sich erbärmlich schwach, gänzlich bar der gerade erst gewonnenen Selbstsicherheit. "Was... was wird man sagen?", wisperte es schließlich schüchtern von seinen Lippen, die grünen Augen fest auf die blanke Brust des Mantanhol gerichtet. "Glückwünsche und Wohlergehen", deklamierte Jaime streng, hob mit einem Finger das Kinn, damit sich die Blicke treffen konnten. "Wer mit dem Herzen zu sehen vermag, der wird verstehen. Und wo nicht, so soll es uns nicht kümmern!" Das sagte sich so leicht, beklommen brummte Widerspruch in Sebastiens Gemüt, andererseits, welche Wahl hatte er denn? Hatte er nicht Widerstand geleistet, sich stets fremdem Willen gebeugt, und nun, da er zum ersten Mal tiefe Gefühle hegte, sollte er wider sie handeln? "Lasst uns gehen, Sebastien!" Jaime herzte den Jüngling überschwänglich, siegelte die sorgenvolle Stirn mit einem Kuss. "Mich verlangt es nach Getreidefladen und Kürbiskompott!" Der Jüngling schnaubte. »Also solche Prioritäten...!« Und wurde lachend im Laufschritt beschleunigt. ~*~ Bereits am großen Tor harrten ihrer die Kinder, endlich aus der erstickenden Obhut von Haus und Mutter entlassen, verkündeten freudig die Botschaft, dass der Senher wohlbehalten zurückgekehrt sei. An seiner Hand, ein wenig steif, folgte Sebastien. Die andere Hand streichelte das stolze Haupt Beuroux, der unbeeindruckt mit beiden Männern Schritt hielt. Bald hatten sie ein wahrhaftiges Gefolge, man ließ stehen und liegen, um sich selbst zu überzeugen, dass dem ungestümen Senher kein Leid widerfahren war. Auch Mabioline, in helle Farben gekleidet, eilte den Rückkehrern entgegen, ließ sich in einen Arm ziehen, den Jaime offerierte, zärtlich küssen, um alle Sorgen zu entschädigen. Dann, -Sebastien stand noch immer, mit einer Hand verbunden, verunsichert neben dem Älteren, der so viele Zeichen der Zuneigung erfuhr-, wandte sich die schöne Senhora dem Jüngling zu. Schon färbten sich die Wangen rosig in Scham. Er erinnerte sich wohl an die letzte Ermahnung, doch es stand keine Strafe zu befürchten, im Gegenteil, die Aquamarine glänzten feucht, eine kleine Hand legte sich warm auf seine Wange. "Endlich...", lächelte Mabioline. Zwei Tränen lösten sich, dann herzte sie Sebastien wie ihren Mann zuvor. Die blauschwarzen Löckchen kringelten sich liebevoll an der blassen Haut des Jünglings. Von Erleichterung durchdrungen, dass er nicht in Ungnade gefallen war, zitterten Sebastien die Beine. Er musste sich auf den Mantanhol stützen, der entschied, dass nun genug Zeit verstrichen sei, sich an ihrer Heimkehr zu delektieren. "Ein Bad!", kommandierte er mit samtiger Stimme. "Und Speise für Leib und Seele!" Dirigierte Sebastien, ihm zu seinem Quartier zu folgen. Lachend kam man der Aufforderung nach. Von der Schmiede wurden glühende Steine gebracht, das Wasser in der Schwanenbütte zu erhitzen. Während in der Küche allerlei Köstlichkeiten auf einem großen Holzbrett angerichtet wurden, das quer über der Bütte das Angenehme mit dem Bequemen verband. "Erneut Wasser..." In komischer Verzweiflung zog Sebastien die Nase kraus. Es nahm allmählich überhand! Da zupften bereits flinke Finger die Kleider von seinem Leib. Verschämt eilte er sich zu versichern, dass er ohne fremden Beistand dieser Aufgabe gewachsen war, doch Jaime, ihm gegenüber, lächelte mit blitzenden Augen, die daran gemahnten, wie eingehend er die schöne Gestalt seines Geliebten studiert hatte. Der Jüngling errötete, die Mägde lachten, schmeichelten ihm wie einer Jungfrau mit Komplimenten, bis der Senher da Solador die Qual seines Gefährten beendete und sie freundlich des Raums verwies. Angenehm seufzend ließ man sich nun in die Bütte sinken, teilte die Speisen, kämmte wechselseitig den Schopf aus, beträufelte sich mit aromatischem Wohlgeruch, um dann, widerstrebend, diesen Hort der Glückseligkeit zu verlassen. Wie gewohnt schlüpfte Jaime in seine exklusiv auf den Leib geschneiderte Leibwäsche, streifte ein grobes Leinenhemd über, ein paar lederne Hosen dazu, die er an den Seiten schnürte. Sebastien wartete, in ein Laken gehüllt, unschlüssig neben dem aufgeschlagenen Lager des Mantanhol. Der eigene Kleiderschrank war nun, dank des Engagements des Älteren, beschämend reich gefüllt, allein, man hatte ihn nicht mit frischer Wäsche versorgt, sodass er nun zögerte, den Hof zu überqueren und sich manierlich anzukleiden. "Ah, ich werde rasch hinübergehen!", erübrigte sich eine scheue Bitte. Jaime zog Sebastien an sich, küsste die feuchten Lippen verlangend, streichelte die karamellfarbenen Strähnen zärtlich. "Doch versprecht, dass Ihr mir zu Gefallen Eure Haare ungebändigt tragen werdet!" Er schmeichelte mit zärtlichem Blick, tupfte neckende Liebkosungen auf das Gesicht des Jüngeren, der schließlich zustimmte. Sebastien ließ sich im Schaukelstuhl nieder, zog die Beine vor den Leib, die Lider gesenkt. Jaime, der sich durchaus Zeit nahm, die Garderobe des Jünglings zu inspizieren, endlich eine terrakottafarbene Kombination aus Gehrock, Kniehosen und Gilet wählte, kehrte mit einem veritablen Bündel zurück. Er hielt inne, die Vorhänge umwehten ihn zärtlich, betrachtete das Stillleben des Jünglings in seinem Schaukelstuhl, ein wenig eingeschüchtert und doch so ahnungslos, was die verführenden Qualitäten seiner Schönheit betraf. Lautlos pirschte sich der Mantanhol an, legte die Kleider auf dem eigenen Bett ab, beugte sich über der ruhenden Gestalt nieder, die geöffneten Lippen mit seiner Aufwartung zu beglücken. Sanft tauschten sie die Zärtlichkeiten, einerseits sich zu versichern, dass sie nicht geträumt hatten, andererseits sich Mut zuzusprechen, dem eingeschlagenen Pfad zu folgen. Der Senher da Solador verneigte sich, offerierte galant die Rechte, dem Geliebten aufzuhelfen, diesem dann mit neckender Unbekümmertheit zu assistieren, als Sebastien sich einkleidete. Wie anders fühlte sich nun der seidige Stoff an, die feinen Strümpfe, die leichten Schnallenschuhe! Sie liebkosten die Haut, schmückten ihn, hießen ihn strahlen, -gänzlich im Kontrast zu seiner verlorenen Bekleidung mit kratzender, schwerer Struktur! Jaime lächelte, schmiegte sich an die rückwärtige Partie des Jünglings. "Euch glücklich zu sehen, Sebastien, erfüllt mir das Herz!" Dieser wand sich geschmeidig herum, die Offenbarung mit leidenschaftlichem Siegel zu erwidern, jede weitere Äußerung zu unterbinden. Als sie sich lösten, atemschwer und traumverhangen, rief man bereits wiederholt von draußen hinein, sich zur Mainada zu gesellen. Tatsächlich, die Sonne erstrahlte bereits in roter Glut, näherte sich dem Horizont, während man allerlei Sitzgelegenheiten positionierte, Laternen und Leuchten entzündete, sich zu munterem Schwatz versammelte. Nun, da er an der Seite des Senher residierte, der eine Hand in Beschlag nahm, wenn er nicht den Arm um die Schultern des Jünglings legen konnte, nötigte Mabioline Sebastien zu berichten, was sich ereignet hatte. Man lauschte angespannt. Diese unverhohlenen Drohungen gegen den Senher und seinen geliebten Gefährten, das löste gewaltiges Unbehagen aus. "Eins sei gesagt", Jaime hielt sich sehr aufrecht, die schwarzen Augen kündeten Ungemach, "Ihr werdet nicht mehr unbegleitet das Gut verlassen. Dieser widerwärtige Kerl hegt einen tiefen, unbeherrschten Groll gegen mich und sucht mit allen Mitteln, mir ein Unglück zuzufügen." Es sprach sich eilends herum, diese Worte. Schon schwieg man betroffen, welche Gemeinheit mochte der Kastrat wohl ersinnen, um dem verehrten Senher nach dem Leben zu trachten? Der bedrückten Stimmung trotzend erstieg Jaime seine Bank, stellte die Schultern aus, warf sich in Pose und stimmte mit samtigem Timbre ein Lied an, das von bauernschlauem Widerstand und Wortwitz kündete. Bald folgte ihm ein gewaltiger Chor, man klatschte und lärmte, vereinzelt drehte man sich im Tanz. Die Sonne versank, einfache Melodien ertönten, man lachte und stimmte sich ein, einmal mehr als Mainada zusammenzustehen und den Widrigkeiten des Schicksals die Stirn zu bieten. Jaime hielt Sebastien mit beiden Armen umschlungen, wiegte den Jüngling liebevoll, raunte sanft Erklärungen, wenn sich dem Jüngeren der Sinn manch verborgener Spitze nicht gleich erschloss. Sebastien ließ sich halten, die Wange an die des Älteren geschmiegt, von liebevoller Aufmerksamkeit entouriert und zärtlich erschöpft, da dieser Tag ihm neue Hoffnung verkündet hatte. ~*~ Fortan, da Sebastien wechselweise im eigenen Gemach oder im Quartier des Senher da Solador nächtigte, sah er sich stets in Zweisamkeit. War Jaime selbst gehindert, ihm zur Seite zu stehen, so heftete sich Gaspard an die schlanken Fesseln des Jünglings, der die wortkarge Gesellschaft des bulligen Mannes nicht sonderlich zu schätzen wusste. Er hegte Befürchtungen, man habe dem Majordomus anvertraut, dass er um die mysteriöse Beziehung mit der schönen Senhora wusste und nun zweifelsohne Gelegenheit suchte, sich das Schweigen des Jüngeren zu erzwingen. Eine unbegründete Sorge, denn Sebastien wollte keineswegs über diese Liäson sprechen, die nicht so unbemerkt war, wie er glaubte und Gaspard hielt sich bedeckt. Der Mantanhol verstand wohl, warum die Schönheit des Jünglings seinen Gefährten verzauberte, doch schien ihm der junge Mann aus dem Ubac noch unreif, nicht in der Lage, mit Jaime Schritt zu halten. Allein, und dies erstaunte, kam man auf Konstruktionen zu sprechen, zeigte sich rasch, dass Sebastien über Qualitäten verfügte, die er dem Jüngling nicht zugetraut hätte. Mochte er auch im Umgang mit Menschen scheu und hoffärtig wirken, die unverbrüchliche Zuneigung Jaimes veränderte Sebastien zu seinen Gunsten. Weiterhin pflegte er in den ausgewählten Kleidern wie ein Herr von Stand auszuschreiten, von dem gewaltigen Sonnenhut vor sengender Glut des Spätsommers geschützt. Hielt sich ein wenig abseits vom Gesinde, Beuroux an seiner Flanke. Ihn plagte noch immer Gewissensnot, wenn er die Gesellschaft Mabiolines suchte, die so fröhlich und versöhnlich die geliebte Freundschaft anknüpfte. Denn immerhin fand man Jaime wider des Eheverständnisses in seinem Bett, nicht mehr in ihrem. Mabioline, die feinsinnig lächelte, streichelte eine rosige Wange mit der kleinen kräftigen Hand. "Aber Sebastien, Ihr wisst wohl, dass MEIN Lager nicht einsam ist." Die langen Wimpern wirbelten Tusch, die Aquamarine funkelten bezeichnend. ~*~ Die ersten Vorboten des stürmischen Herbstes nahten schon, da beschloss Jaime, seinen Aimador in die eigene Heimat zu entführen. Ein halber Mond war vergangen nach dem schicksalsträchtigen Bad im Teich, keine Anzeichen deuteten daraufhin, dass der übelwollende Nachbar Heimtücke plante. Jaime bereitete den Streifzug in die Mantanha sorgsam vor, dann wurden lederne Beutel gefüllt, Vereinbarungen getroffen. Und Sebastien sah sich genötigt, zum ersten Mal eine knöchellange Lederhose zu tragen, die ihm Jaime unter neckendem Spott schnürte. Garamer und Asard warteten im frühen Tau des Morgens bereits ungeduldig, als man sich verabschiedete, dann zogen die beiden jungen Männer, Beuroux im Gefolge, in den Norden, zu den Bergen hin. Der Mantanhol wahrte ein ruhiges, gleichmäßiges Tempo, wandte sich wiederholt herum, in der aufsteigenden Sonne seinen Gefährten zu adressieren, der noch immer der Reitkunst gegenüber skeptisch blieb. Sie nächtigten auf freiem Feld, eng angeschmiegt und in grob gewebte Decken eingehüllt, am Fuß der Berge, dann führte Jaime Sebastien über steinige Pfade Meter um Meter in die Höhe. Die Pferde an den Zügeln kundschaftete Beuroux für seine Begleiter den Weg aus, allein, der Mantanhol witterte Erinnerungen und unvergessene Fähigkeiten mit jedem Atemzug, der sich im Morgen frisch, des Mittags glühend in seinen Lungen fand. Sebastien keuchte, ihn strengte das stete Steigen an, dazu verlangte das Geröll einen aufmerksamen Geist, wollte man nicht stürzen. Auf einer Anhöhe, von saftigen Wiesen mit farbenfrohem Klee und Blumen geprägt, entließ der Mantanhol die beiden Reittiere. Er schlug ein Lager auf, -der Nachmittag währte bereits lange-, entzündete ein bescheidenes Feuer, um mitgeführtes Gemüse zu einer kräftigenden Brühe zu garen. Sebastien lag flach im Schatten eines Felsvorsprungs, die Wangen glühten ihm, die Waden schmerzten. Jaime erhob sich, süßen Klee zu pflücken, dem Liebsten auf die Lippen zu träufeln, um die Qual ein wenig zu lindern, dann begann er, Bänder und Knöpfe zu lösen, den Jüngling zu entkleiden. "Jaime, was tut Ihr...?" Vage streiften ihn die blassen Hände des Jünglings, doch der Senher da Solador ließ sich nicht hindern, bis er den Jüngeren entblößt hatte, die Kleider sorgsam gefaltet, aufgeschichtet und mit einem Stein beschwert. Nun wählte er die angestrengten Glieder, die Sehnen und Muskeln zu karessieren, mit Nachdruck zu bearbeiten, den ganzen Jüngling zu kneten und zu walken, bis Sebastien flehentlich Einhalt gebot, da er die Besinnung zu verlieren drohte. "Sorgt Euch nicht, mi Aimador!" Zärtlich küsste der Mantanhol seinen erschöpften Begleiter. "Bald wird Euch das Atmen leichter sein. Und morgen wollen wir einen geheimen Ort erkunden, der Euch bestimmt gefallen wird." Schon fand Sebastien sich in die groben Decken eingewickelt, damit die Wärme ihn weiterhin umschmeicheln konnte, dann kehrte sich Jaime dem Eintopf zu, der zur Nacht verspeist werden würde. ~*~ Auch wenn sie der Gipfelkette fern waren, so hoch in der Mantanha wirkte die Welt befremdlich, die Sterne zahlreicher und näher, die Dörfer und Felder pittoresk und zierlich. Sebastien bestaunte die Nacht, da er Gelegenheit hatte, sich ihrer erholt zu widmen, trank artig, was ihm Jaime servierte, der sich neben ihm niederließ und dem Liebsten gestenreich beschrieb, wie sich die Mantanhol zu orientieren pflegten. Von ihm selbst unbemerkt registrierte Sebastien sehr wohl, wie sich die Sprache des Älteren wandelte. Immer häufiger der gutturale Dialekt der Mantanha zum Vorschein kam, die Stimme selbst sich tiefer und rauer färbte, ungeschliffen und imponierend wie die Berge wurde. "Ihr vermisst Eure Heimat", stellte der Jüngling fest, erschrak dann über die Kühnheit, ohne Rücksicht dahingeplappert zu haben. Jaime schwieg versonnen, das Profil dem Jüngeren zugekehrt, der bereits reuevoll eine Entschuldigung formulieren wollte. Dann wölbten sich die Mundwinkel, ein Lächeln embellierte das markante Gesicht des Mantanhol. "Meine Heimat", er streichelte mit dem Handrücken zärtlich die rosigen Wangen des Jünglings, "ist meine Mainada. Die Mantanha ist eine schöne Erinnerung, die Ihr hoffentlich mit mir teilen werdet, mi Aimador." Den Fauxpas zu tilgen nickte Sebastien eifrig, einem Kind gleich, was Erheiterung auslöste, von liebevoller Hingabe durchdrungen, mit so zartfühlender Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Jaime erhob sich, das Lager aufzuschlagen, dann betrachteten sie, Seite an Seite wärmend angeschmiegt, das ferne Firmament, bis sich die Lider senkten. ~*~ Die morgendliche Frische verabschiedete sich eilig, schon dampfte die Sonne eifrig den Tau von Gras und Blättern, als Jaime Sebastien bedeutete, dass nun der Höhepunkt ihrer Unternehmung zu erwarten stand. Allerdings war dem Vergnügen erhebliche körperliche Anstrengung voran gesetzt: eine weitere Kuppe galt es zu erklimmen, dann folgte ein steiniger Abstieg in ein verschwiegenes Tal. Dort grünte und blühte es so dicht und prächtig, dass dem Jüngling mehr als einmal der Atem stockte. Es summte geschäftig, die Vögel jubilierten, intonierten Freudengesänge, die ein munterer Gebirgsbach glucksend und sprudelnd begleitete. "Herrlich, nicht wahr?" Einem Lausbuben gleich strahlte der Senher da Solador verschmitzt über den gelungenen Coup, ein weiteres Idyll entdeckt zu haben, dessen Geheimnis er mit Sebastien teilen wollte. Obgleich diesen die Schönheit faszinierte, der fröhliche Eifer des Älteren rührte: die Kleider saugten sich an der feuchten Haut fest. Von der Sonne befeuert transpirierte der Jüngling in desagreabler Weise, sodass eine Erfrischung erforderlich wurde. Schon bot der Mantanhol lächelnd die Hand, beim Abstieg über gewaltige Felsbrocken zu assistieren, die wie von Titanenfaust geschmettert im Scheitel des Tals lagerten. Ungeniert, -schließlich weilte man in großer Abgeschiedenheit-, entledigte sich Jaime vollends seiner Bekleidung, tauchte den Stoff in das klare, kühle Nass, damit sich die Spuren der Reise verloren. Dann bereitete er sorgsam die Kleider aus, wo sie von hitziger Liebkosung auf blankem Felsgestein trocknen konnten. Sebastien, ein wenig zögerlich, tat es ihm nach. Allein der Strohhut blieb, denn Schatten wollte er sich selbst spenden. Als er sich umkehrte, noch immer scheu in seinem Adamskostüm, da pirschte sich bereits der unerschrockene Jäger an, seinen Liebsten zu umherzen und wild zu schleudern. Das Wasser spritzte, Jaime feuerte sich selbst mit kehlig-gutturalem Ruf an, im Bachbett wild zu kreiseln. Der Jüngling protestierte schrill, umklammerte die starken Arme, die ihn sicher hielten. Sie stürzten nicht, -es wäre wohl ein schmerzlicher Fall geworden-, der Mantanhol setzte seinen geliebten Calinhaire sanft auf den eigenen nackten Sohlen ab. Sebastien nutzte die Gelegenheit, sich einige Schritte zu entfernen, mit mutwilligem Blick die sonnengebräunte, muskulöse Gestalt des Älteren ins Auge zu fassen. Dann ging er in die Hocke, gerade tief genug, mit beiden Händen schwungvoll Wasser zu schöpfen, um Jaime ordentlich mit selbigem zu bedenken. Herausgefordert erwiderte der Mantanhol die Aufwartung, schon klatschte und sprudelte es, die Tropfen flogen kristallin ungehindert zwischen beiden Männern, die mit vergnügtem Anfeuerungsruf sich gegenseitig erfrischten. Als ausreichend Feuchtigkeit getauscht worden war, die Haut von Perlen glänzte, der Schopf sich kringelte von nassen Locken, da streckte der Senher da Solador befriedend die Hand nach Sebastien aus. "Folgt mir, mi Aimador, ein Geheimnis will ich Euch noch entdecken!" Der Jüngling griff zu, die warmen Finger reihten sich kraftvoll zwischen seinen eigenen ein, dann hieß es, einen schmalen Pfad emporzusteigen, aus dem Tal hinaus, nicht vergleichbar hoch, lediglich die halbe Strecke. Dort fand sich, unter dampfendem Tosen, ein weiterer Gebirgsstrom, der sich grollend und zischend über einen Vorsprung ergoss, einen hübschen Fall hinlegte, bevor er das Nachbartal in der Sohle erreichte. Vor diesem Fall nun spannte sich, fragil und schwingend, eine bescheidene Brücke, aus dichtem Flechtwerk gewoben. Schmale Bohlen dienten als Überweg, gerade breit genug, einen Mann passieren zu lassen, wenn er achtete, wohin er seinen Fuß setzte. "Ihr... wollt doch nicht hinüber?" Sebastien stemmte die Fersen besorgt in das saftige, von Sprühregen benetzte Gras, umklammerte auch mit der freien Hand das Handgelenk des Mantanhol. Die schwarzen Augen funkelten mutwillig in die geweiteten Smaragde, dann zwinkerte Jaime unbekümmert. "Aber, aber, Ihr werdet Euch doch nicht fürchten?" Sebastien inspizierte Fallhöhe und dünnen Steg, der sogar schwankte...!! Jaime lächelte, beinahe maliziös, dann löste er die Hände des Jünglings, senkte die Lider und spazierte rückwärts, einen Fuß hinter den anderen setzend, in die Mitte des Stegs. Die Arme ausgebreitet, hoch aufgerichtet, gänzlich unbeeindruckt vom leichten Tropfenschleier und sanftem Wiegen des fragilen Bauwerks. Der Jüngling ballte die Fäuste, presste die Lippen schmal: er würde folgen! Allein, die Hände klammerten die gedrehten Stricke bänglich, ein jeder Schritt kostete Überwindung, der schreckgeweite Blick in die gurgelnde Tiefe... Sebastien musste an sich halten, nicht furchtsam sicheren Grund zu gewinnen. Es zitterten ihm die Knie, die Zähne schlugen aufeinander, als er, schier eine Ewigkeit später, im Dunst aufgewärmter Gischt den Mantanhol erreichte. Dieser lächelte verzückt, den Kopf weit in den Nacken geworfen, die Hände gen Himmel gerichtet, als empfange er göttlichen Segen, ließ sich nicht stören vom ängstlichen Gefährten, der sich erleichtert an ihn hängte. "Gefällt es Euch?" Jaime schnurrte samtig, die Hände zärtlich um die fahlen Wangen des Jünglings gebogen, der sich um Bravado bemühte. Dann barg er den feuchten Schimmer auf der hellen Haut mit schmunzelnden Lippen. Kuss um Kuss bot er, den Liebsten zu trocknen, allein, es wollte kein Ende nehmen, ärger noch, der Jüngling verlangte atemlos, dass er fortfuhr, die bebenden Lippen zu ministrieren, die sich sehnend an seine schmiegten. Längst war der Sonnenhut auf den blanken Rücken des Jüngeren geschoben, tanzten die karamellfarbenen Strähnen ungezügelt im Dunst, als Jaime sich lächelnd löste. Das enttäuschte Stöhnen Sebastiens goutierend wie eine lang ersehnte Gnade. »Er liebt mich doch!«, frohlockte es geschmeichelt in seinem Hinterkopf. Dann ging der Mantanhol leichtfüßig, als galt es nicht, die fragile Balance der Hängebrücke zu wahren, in die Knie. Sebastien blinzelte, die Hände hielten sich am Tauwerk fest. Was wagte er nun, dieser Tollkühne?! Jaime zwinkerte, die ebenholzfarbenen Locken funkelten vom Tropfenschmuck juwelengleich, dann beugte er sich, die Hände vertrauensvoll auf die schlanken Hüften des Jünglings gelegt und labte sich an dessen Unterleib. Das erschrockene Ächzen des so Bedachten verlor sich im tosenden Sturz des Gebirgsbachs. Augenblicklich zitterten Sebastien die Knie, gemeinschaftlich schwankte man mit der Brücke einher. Er senkte die Lider, rang nach Atem, wollte die Lippen siegelnd pressen und jeden verräterischen Laut ersticken, den die zielstrebige Liebkosung kreierte. Bald schon drohte ihn die gewaltige Entladung aufgewühlter Emotion zu Fall zu bringen. Er taumelte, die Fingerknöchel blutleer vom harten Griff in das Flechtwerk, von Lust geschüttelt, die sich nicht regieren ließ. Da verabschiedete sich Jaime mit herausforderndem Schnalzen der Zunge, rollte den muskulösen Rücken ab, als drohe nicht tiefer Fall direkt unter den dünnen Bohlen des Stegs. Er lag bequem, die Knie angewinkelt, die Arme unter dem ungebärdigen Schopf verschränkt, vorgeblich unbeeindruckt von dem rosig erblühten Jüngling, der über ihm kauerte, schwer atmend in den Seilen hing. Hätte er sich der Sprache bedienen können, wiewohl mundan angesichts des fröhlichen Tosens, so wäre Sebastien zweifelsohne ein ungläubiges Stöhnen entfahren, im Sinne von »Ihr wollt doch nicht hier...?!« Nun, eine Antwort auf diese Frage konnte er sich selbst erteilen, das laszive Lächeln unter dem triumphierend direkten Blick war nicht zu missdeuten. Die Knie ungehorsam und ermattet, weil sie so schmählich unbeachtet blieben, knickten informell ein. Schon saß der Jüngling rittlings auf des Älteren Hüften. Nun mussten die Arme sich strecken, um keinen Preis den Handlauf zu verlassen, schließlich schaukelte man hin und her, eine jede Regung fand Echo in der zierlichen Konstruktion. "Wir werden stürzen!", schrie der Jüngling gegen die dunstigen Regenschleier, die schwadengleich über dem Abgrund schwebten. Jaime zwinkerte, entband seine untergeschlagenen Arme von ihrer Aufgabe, dirigierte sie, über Flanken und Torso des Jüngeren zu gleiten, die mondscheinblasse Haut zu liebkosen und aufreizend ihre Aufwartung zu machen. Sebastien schwindelte, wenn er den Blick verschämt senkte, sodass er sich in der Folge ganz auf die schwarzen Augen des Mantanhol fokussierte, was nicht weniger berauschende Effekte auf ihn hatte. Zwar fürchtete er nicht mehr, alsbald in die Tiefe gesogen zu werden, dafür aber zeigte sich, dass er die Zügel seinem Körper überließ. Und dieser ließ sie gleich gänzlich fahren, um ungehemmt zu agieren, sich zu winden, sich niederzubeugen, bis die ausgestreckten Arme überdehnt schmerzvoll protestierten. Allein, er konnte nicht loslassen, sicherte er doch ihrer beider Halt auf der Brücke! Jaimes Aufmerksamkeiten konzentrierten sich, wollten Spuren der Leidenschaft in den Perlenbesatz zeichnen, der ihre Haut einhüllte. Sie glühten abseits der Sonnenstrahlung, wo ihre Körper aneinander rieben, ein gemeinsamer fliehender Pulsschlag sein Echo fand, anschwellende Muskelstränge nach Handreichungen verlangten. Die schmalen Bohlen offerierten kaum Gelegenheit, dass Sebastien Bein oder Fuß stützend aufsetzen konnte. Er musste ganz den kraftvollen, sonnengebräunten Händen vertrauen, die assistierend seine Hüften dirigierten, bis unerträglich zeitraubend eine intime Verbindung der beiden Männer hergestellt worden war. Sebastien rang um Atem, der Pulsschlag pochte machtvoll in seinen Schläfen. Ein jedes Schwanken der fragilen Hängebrücke marodierte in seinem Unterleib, hieß ihn um Erlösung stöhnen. Die Augen fest geschlossen wollte er sich allein auf den Atem konzentrieren, nicht gar zu enthemmt dem Trieb folgen, der sich nicht kümmerte um Ansehen und Moral. Da fasste Jaime überkopf die Bohlen mit beiden Händen und bog den Unterleib nach oben. Mal kurz, mal lang, ganz ohne Rhythmus, die Brücke schwankte bedrohlich. Sebastien lauschte entrückt der eigenen Stimme, die guttural nonverbale Beifallsbekundungen schrie. Sterne und ferne Sonnen detonierten vor seinen geschlossenen Augen. Der Schwindel verging, als endlich heiße Flüssigkeit in seinen Leib strömte, während kochend gleichermaßen edle Spende den Torso des Mantanhol segnete. ~*~ Jaime bebte, und dies erfüllte ihn mit demütiger Hingabe. Er fing, selbst atemlos, den ermatteten Jüngling ein, schlang die Arme eng um die bleiche Gestalt und lachte bewegt. So manch verwegene Tat hatte er bereits begangen, doch niemals zuvor Vergleichbares. Und wie sein einzigartiger, wundersamer Aimador ihn geliebt hatte! Wer sollte da noch am Allmächtigen zweifeln? Sebastien tat nichts dergleichen, er arrangierte behutsam die eigenen Glieder, die Arme schmerzten ein wenig. Wie er so lag, Wange an Wange, einen ungebärdigen Schock ebenholzfarbener Locken neckend im Gesicht, während zärtlich kraftvolle Hände über seinen Rücken wanderten, da beschlich ihn eine seltsame Euphorie. Spürte er nicht bis in die letzte Sehne den eigenen Körper?! Hatte er sich nicht von allen Banden befreit?! Und fühlte er sich nicht berauschend frei, glücklich zu leben?! Da stemmte er die Hände auf die breite Brust des Mantanhol, sorgte sich nicht um die hellen Spuren seiner Liebesgabe, sondern breitete die Arme aus, so weit, als wären sie Schwingen eines Adlers. Er strahlte, die Augen weit geöffnet, damit sie den Horizont erfassen konnten, legte den Kopf in den Nacken und jauchzte mit triumphierendem Schrei. Eine Losung war entbehrlich, da er das Leben selbst hochleben lassen wollte, ein gutturaler Ruf der ungebändigten Natur genügte vollauf. Jaime lachte stolz, als Sebastien aus voller Kehle gegen das Tosen die Stimme erhob, schwieg dann verzückt. Ein wahrhaftiges Wunder, eine Gabe sondergleichen, dieser schöne Calinhaire, dessen Herz er zu gewinnen hoffte. Als sich die grünen Augen mit ihren köstlichen Sprenkeln zu ihm wandten, da fasste Jaime Sebastiens blasse Hände ganz fest mit seinen eigenen. Es bedurfte keiner Worte mehr, seinen Schwur zu erneuern. ~*~ Die beiden jungen Männer, übermütig vergnügt, legten Hand in Hand den Weg zurück, um sich erneut zu waschen und dann im Schatten, noch immer aller Kleider ledig, ein wenig zu ruhen. Sie schmiegten sich vertraulich aneinander, so nahe dem Paradies wie selten zuvor. Als der Abend sich näherte, drängte Jaime, den Weg zurück einzulegen zu ihrem Lager, wo Beuroux geduldig ihrer harrte. Sebastien lächelte auf jedes Wort hin. Es schien ihm, als wolle die Begeisterung sich nicht mehr mindern lassen. Es wunderte ihn nicht sonderlich, dass er den Älteren nun mit anderen Augen betrachtete. Selbstredend war der Senher da Solador noch immer ein unverschämter Bergbauer, ein unmanierlicher Kerl, der sich wie das fahrende Volk kleidete und schmückte, ein selbstherrlicher Barbar... Und gleichzeitig ein Mann wie aus den Abenteuer- und Entdecker-Sagen von Reisen in ferne, exotische Länder. Ungezähmt und stolz, unbesiegbar und fürsorglich zu seinen Mannen, mitreißend und charismatisch... Sebastien spürte, wie sich die Wangen rosig färbten, die wenig keuschen Gedanken ihn verrieten. Allein, regte sich sein Trotz, warum sollte man nicht annehmen, was das Schicksal inszenierte?! Hatte es ihn nicht verschmäht, mehrfach sogar sein größtes Opfer abgelehnt?! Dann sollte er wohl leben, und hier bot sich die vorteilhafteste Gelegenheit! Von der eigenen Schlussfolgerung couragiert wagte der Jüngling aus freien Stücken den Mantanhol zärtlich auf die erstaunten Lippen zu küssen, ihn zu umschlingen, mit den ebenholzfarbenen Locken neckendes Spiel zu treiben. Jaime zeigte sich in der Tat verwundert. So viel Initiative hatte er sich nicht in kühnsten Träumen zu erhoffen gewagt. "Dann liebt Ihr mich doch ein klein wenig, Sebastien?", scherzte er leise, gab den Jüngling nicht frei, der in Verlegenheit glühte. Auch wenn die Worte ausblieben, der bebende Herzschlag bewies Jaime genug. ~*~ Auch in dieser Nacht schmückte sich das Firmament mit unzähligen Diamanten, glitzerte und prunkte, wie es einem Himmelszelt wohl anstand. Aneinander geschmiegt, den ersten Vorboten des Herbstes mit kühler Brise trotzend, studierten die beiden jungen Männer das Panorama schweigend. Sebastien kontemplierte, -es ließ sich bedauerlicherweise nicht unterbinden!-, seine Stellung in der neuen Welt, die ihm zuerst so unkultiviert und bedrohlich, nun aber freundlich und generös erschien. Nach seinem bescheidenen Eindruck nahm es kein Angehöriger der Mainada für übel, dass er an der Seite des Senher weilte, sogar ein an Kindes Statt angenommener Sohn geworden war. Allein, es waren Zweifel angebracht, wie sich seine Zukunft gestalten sollte, wenn er vollends zum Manne reifen wollte. Ein solcher hatte, -gleichsam in allen Aspekten-, für sich selbst solitär einzustehen, aus eigener Kraft den Lebensunterhalt zu besorgen und sich um Ansehen in der Gemeinschaft zu verdienen. Konnte er dies als Gespiele des Senher da Solador tatsächlich bewerkstelligen? Sebastiens Stirn furchte sich in abgründige Tiefen der Selbsterforschung. Die Vorstellung allein, er diene lediglich dem Vergnügen seines älteren Gefährten und habe wenig mehr als die geduldete Aufmerksamkeit einer Mätresse zu erwarten, beunruhigte ihn in erheblichem Maße. "Was ist Euch, mi Aimador?" Jaime wärmte die kühlen Wangen des Jünglings mit glühenden Küssen. "Ihr wirkt betrübt?" Einmal mehr konnte Sebastien nicht umhin, die geschärfte Wachsamkeit Jaimes zu verwünschen, der sich scheinbar in allen Belangen ihm überlegen zeigte. Eine Ausflucht musste eilends gefunden werden, sodass der Jüngling rasch ein Thema wählte, dass den Älteren zum Zentrum des Interesses werden ließ. "Sagt, Jaime, wie seid Ihr zu Eurer Mainada gekommen?", erkundigte sich Sebastien leise, die grünen Augen wissbegierig auf das markante Gesicht des Mantanhol gerichtet. Dieser lächelte, erwiderte den beinahe kindlich-scheuen Blick mit funkelndem Amüsement. "Ihr wollt meine Geschichte hören, Sebastien?" Dieser nickte eifrig, errötete sodann beschämt, als ihm selbst in das Bewusstsein trat, wie lange er bereits bei dem Senher da Solador weilte, -und kaum etwas über die Vergangenheit seines Gastgebers erfahren hatte. »Wie selbstsüchtig und ungezogen«, tadelte er sich selbst beklommen, erschrocken über das Ausmaß seiner charakterlichen Unzulänglichkeit. Jaime hingegen, der keineswegs verübelte, dass Sebastien ausreichend Zeit benötigte, sich seiner neuen Heimat zu öffnen, umfasste eine blasse Hand, führte sie zu seinen Lippen und küsste sie zärtlich. "Wohlan, mein Liebster, ich werde Euch berichten..." ~*~ "Über meinen Vater oder meine Mutter vermag ich Euch nur wenig zu erzählen, denn sie verloren ihr Leben, als bei der Schneeschmelze eine Gerölllawine ihren Weg kreuzte. Ich war noch zu jung, mich ihrer zu entsinnen und so hielt sich mein Gram in Grenzen. Zu dieser Zeit lebte ich noch bei der Mutter meiner Mutter. Jedoch, die alte Frau hegte unversöhnlichen Groll gegen meinen Vater und suchte nach Möglichkeiten, sich des lästigen Kindes zu befreien. In der Mantanha, mi Amigar, ist man auf seinen Nachbarn stets angewiesen, auch wenn man großen Abstand wählt, sich niederzulassen. Und so zog sie Erkundigungen ein, wer ein Kind großzuziehen imstande war. In diesen Bergen, dem Himmel so nahe, von den saftigen Tälern einen tiefen Sturz entfernt, entwickelt sich so mancher Eigensinn, Sebastien, sodass es Euch nicht wundern wird, wenn ich Euch meine Ziehmutter beschreibe. Sie war nicht groß, gerade auf die Höhe meiner Ellen herangewachsen, von der Sonne verwittert wie eine köstliche Rosine, die grauen Haare in einem Kranz hoch auf den Kopf geflochten. Sehnig und rührig lebte sie getrennt von ihren Blutsverwandten und nahm es auf sich, in ihrem Haushalt vagabundierende Seelen zu bewirten. Wie sich zeigte, hatte sie gerade einen Halbwüchsigen verloren, der ihr die Ziegen gehütet hatte und nun die Welt erkunden wollte. Obgleich ich gerade erst aus eigener Kraft laufen konnte, akzeptierte sie das Angebot meiner Großmutter, mich gegen die Entlohnung zweier Scheffel besten Korns in ihre Obhut zu nehmen. So lebte ich direkt unter dem Himmel, in einer von der strengen Witterung gebleichten, großen Berghütte, tollte mit den Hütehunden und den Ziegen umher und war lange Tage ganz allein auf mich gestellt. Wenn ich dann zurückkehrte, erwarteten mich häusliche Pflichten, alte und ganz junge Menschen, die die Gastfreundschaft meiner Ziehmutter genossen. Dieses Leben mag Euch karg erscheinen, Sebastien, doch einem Kind der Mantanha ist es das Paradies. Ich lernte viel, von der Natur und ihren Geschöpfen, dann öffnete ich mich der Welt der Bücher. Im Gegensatz zu meinen Gefährten bereitete es mir keine Mühe, das Alphabet zu begreifen und bald gab es keinen Streifen Papier, der meiner Aufmerksamkeit entging. So wuchs ich heran, in der glücklichen Lage, durch meine Arbeitskraft meinen Lebensunterhalt in ausreichendem Maße zu verdienen, um bei meiner Ziehmutter ein gern gesehener Gast zu bleiben. Ich zählte wohl gerade zwei Handvoll Jahre, da erschien ein einsamer Wanderer auf der Wiese, die ich mir zur Muße gewählt hatte. Ein mittelgroßer Mann von beeindruckender Erscheinung, denn er war vornehm gekleidet, -wohlgemerkt für die Augen eines Bergbauern!-, und von derart schönem Antlitz, dass ich offenen Mundes vor ihm stand und ihn ausgiebig bestaunte. Er sprach mich an, amüsiert über mein Gaffen, begriff dann rasch, dass ich ihm nicht folgen konnte, da ich außer der Muttersprache über keinerlei Kenntnisse verfügte. Mich ergriff bei der Vorstellung, der schöne Mann möge meiner Ignoranz wegen einfach davongehen, ein großer Schrecken und so fasste ich ihn mit beiden Händen und zwang ihn förmlich, mir nach Hause zu folgen. Ihr lächelt, mein Liebster, ganz recht, ein unglaubliches Bild, doch mit Stolz kann ich Euch verkünden, dass es mir gelang, diesen wundersamen Fremden zu meiner Ziehmutter zu lotsen. Wie er da saß, so herrschaftlich, die feinen, hellen Haare im Feuerglanz wie Gold schimmernd, den prächtigen Schnurrbart strich, mit freundlichen Augen einem jedem begegnete-, da wusste ich bereits, dass er mich verändert hatte. Ich beschloss, ein solcher Mann zu werden! Ja, wir schmunzeln heute, Sebastien, doch damals war ich felsenfester, unerschütterlicher Überzeugung, dass dieser Mann vorbildlich sei und ich in ihm ein würdiges Ideal gefunden hatte. Unser Gast stellte sich als Loba de Solador vor, ein Maradoier, der eine Wanderung unternahm, um über sein Leben nachzudenken. Obwohl er berichtete, dass ihm die geliebte Frau allzu rasch nach der Vermählung gestorben war, wirkte er keineswegs unglücklich und schicksalshadernd. Nach einigen Tagen, die er hauptsächlich in meiner Gesellschaft verbrachte, da ich ihm die Weite und Schönheit der Mantanha augenfällig machen wollte, fiel es mir immer leichter, seinen Worten zu lauschen und ihre Bedeutung zu begreifen. Und welche Geschichten er zu erzählen vermochte!! Ich hing an seinen Lippen, wissbegierig und ängstlich, dass die gemeinsame Zeit verrinnen würde, bevor er mir alles mitgeteilt hatte, dass ich zu erfahren begehrte. Und Loba, wie ich ihn nennen durfte, beschrieb mir seine Mainada, sein Gut, die tägliche Arbeit, die Mußestunden, seine Freunde und Vertrauten, seine Bücher und Pläne. An einem dieser Tage überraschte uns ein gewaltiger Herbststurm, und wir suchten Zuflucht in einer kleinen Wetterhütte unter einem Felsvorsprung. Dort hatten sich auch andere Wanderer und Bergbauern eingefunden. Drangvolle Enge herrschte, eisig pfiff es durch die Wände, klamm und feucht leisteten wir einander Gesellschaft. Doch nicht nur die unfreundliche Witterung allein sorgte dafür, dass in unserer kleinen Gemeinschaft eine aggressive Stimmung vorherrschte. Diese konzentrierte sich, wie wir als Neuankömmlinge rasch identifizierten, auf einen Jungen, der ein Bündel in den Armen barg und sich selbst durch die abgefeimtesten Drohungen nicht beeindrucken ließ. Wir wechselten einen Blick, die einzigen beiden Kinder in diesem engen Raum und ich erkannte in ihm eine verwandte Seele. Ebenso ein Bergbauer wie ich auch, mit schwarzen Augen, dunkler Haut und großer Kraft. Ich kümmerte mich nicht um die Erwachsenen, -denn, wie Ihr Euch vergegenwärtigen müsst, Sebastien, hatte man mich nicht gelehrt, in ihnen etwas anderes als meine Mitmenschen zu sehen-, und ließ mich neben meinem Leidensgenossen nieder. Man konnte wohl erkennen, dass er nicht ausreichend gegessen hatte, dazu trug er frische Wunden neben älteren, die mir bewiesen, dass er nicht gerade ein Günstling des Schicksals gewesen war. Ich hegte nun vertraulich zu erfahren, welche Kostbarkeit in dem Bündel verborgen war, das er an sich presste und mit seinem Leib zu schützen suchte. Er musterte mich eingehend, so gründlich, als wolle er mich von Kopf bis zu den Zehen in meine Bestandteile zerlegen und jedes einzelne einer Würdigung unterziehen. Es währte eine ganze Weile, dann befand er mich offenkundig ausreichend ehrenwert, sein Vertrauen genießen zu dürfen. In dem Bündel befand sich ein winziges Kind, eingewickelt und leblos. Naturgemäß erfüllte mich stärker Wissbegierde als Trauer oder Erschrecken, nun, da ich verstand, warum man den Jungen mit seinem Bündel nicht in solch unheilschwangerer Nacht bei sich behalten wollte. Allein, ich glaubte nicht, dass dieses winzige Kind weitere Tode nach sich zog, war es doch nur eine bedauernswerte Hülle, die zurückgeblieben war. Mein neuer Freund, der sehr zufrieden mit meiner Reaktion schien, stellte sich mir nun vor, und ich sehe Euch an, Ihr wisst bereits den Namen, den er mir nannte: Gaspard. Er erzählte mir, das kleine Kind sei ein Mädchen gewesen, das er ausgesetzt gefunden habe, doch alle seine Bemühungen, es am Leben zu halten, seien vergebens gewesen. Und nun suche er nach einem Ort, wo der kleine Leib in schöner, angemessener Lage eine ewige Ruhe finden könne. Ich sehe, Ihr begehrt noch mehr zu erfahren, Liebster, und gern will ich Eurem Wunsch nachkommen. Es war keine Seltenheit, dass man Kinder, die nicht zu ernähren waren, ihrem Schicksal überließ. Äußerst betrüblich, denn sie hatten keine Schuld auf sich geladen und konnten sich ihrem Los nicht stellen. Gaspard aber, der durch die Großherzigkeit eines alten Mannes vor diesem Tod bewahrt worden war, sah es als seine Aufgabe an, seine Schicksalsgenossen nach Kräften zu unterstützen. Als umherziehender Hirte fiel es ihm nicht schwer, sich vorwurfsvollen Blicken zu entziehen, wenn er die Kinder umsorgte. Und obwohl er eine ungleich größere Zahl zu bestatten hatte, war ihm bereits zum zweiten Mal ein noch lebendes Kind in den Schoß gefallen... und nun musste er sich erneut verabschieden. Wenn Euch jemals eine Herde von Tieren, ob Ziegen, Schafe oder Schweine, anvertraut worden war, Sebastien, so werdet Ihr verstehen, wie sehr ein Verlust schmerzt. Die Notwendigkeit und der Lauf des Lebens lindern den Kummer nicht, und Gaspard, mein neuer Freund, trauerte um dieses zarte Wesen, mit seinen winzigen, roten Löckchen und dem bleichen Gesicht. Ich legte ihm den Arm um die Schultern, die sehr kräftig ausgeprägt waren und sagte ihm zu, eine herrliche Wiese zu finden, mit einer berauschenden Aussicht und unzähligen farbenprächtigen Blumen, wo er seine kleine Gefährtin beisetzen konnte. Dieser Gedanke gefiel ihm sichtlich, und wie zwei Verschwörer bekräftigten wir unsere Freundschaft. Allein, unsere Konspiration missfiel den anderen Anwesenden und man drohte, uns trotz der stürmischen Nacht ins Freie zu jagen. Wie zur Bestätigung schlug daraufhin mehrfach der Blitz in die Erde ein, es tat so heftige Schläge, dass die schweren Steine auf dem Dach der Wetterhütte hüpften und sprangen. Loba intervenierte, mit freundlichen, dann harschen Worten, unsere Exilierung zu verhindern. Allein, man griff zu Hirtenstock und Knüppel, es fehlte wenig und eine wüste Händelei wäre ausgebrochen. Da erhob sich Loba, die Augen wie Bergkristall funkelten eisig, er schleuderte den Mantel um die Schultern und öffnete die Tür, vor deren Schwelle es unwetterte und tobte. Verächtlich spuckte er vor ihnen aus... und ging voran, dem Sturm zu trotzen. Wir folgten ihm, an jeder Seite, im warmen Schutz seines weiten Mantels, hoch aufgerichtet und stolz. Natürlich kamen wir nicht weit, sondern wählten uns ein Lager in der Nähe, unter einem verwurzelten Baum. Die Nacht schien ewig zu währen, die Finger und Wangen froren uns rot vor Kälte, bald waren wir nass bis auf die blanke Haut. Allein der Gedanke unseres Zusammenhalts hielt uns am Leben. Am nächsten Morgen, den wir mit großer Beglückung empfingen, da wir noch immer lebten, rief Gaspard seine kleine Herde von Ziegen herbei und begleitete uns zurück zu meiner Ziehmutter. Wir bestatteten das kleine Mädchen in Würde. Es wurde deutlich, dass der Herbst sich dem Winter näherte. Obwohl wir unseren Aufenthalt zumeist im Freien nahmen, blieb es nicht aus, sich mit dem bevorstehenden Abschied zu befassen. Ich wollte diese neue Freundschaft zu beiden Gefährten nicht missen und dachte sehr gründlich über eine Lösung nach. Loba überraschte mich allerdings, denn er ersuchte mich und Gaspard zu einer vertraulichen, sehr ernsthaften Unterredung an einem sonnigen, doch frischen Herbstmorgen. Er sah mir fest in die Augen und bat mich, ihm zu seinem Gut zu folgen und dort als sein Sohn zu leben. Gaspard wolle er gern aufnehmen und wie seinen Sohn behandeln, wenn ich nur einwilligte. Ich war sprachlos, von jubilierender Freude und auch kleinlicher Furcht erfüllt. Weg von den geliebten Bergen in das Tal, wo man die Erde bestellte, nicht sonderlich viel Vieh hielt? Allein, ich sah in Lobas Gesicht, der mich aufrichtig liebte und ich wusste meine Antwort bereits: ich würde ihm folgen. Auch Loba schien erleichtert, wir schlossen uns in die Arme. Dann sprang ich auf und tanzte und wirbelte umher, schlug Kapriolen und Räder, weil ich spürte, wie sich mir ein ganz neuer Pfad auftat. Gaspard lächelte, Loba lachte von ganzem Herzen, und ich sang wie von Sinnen, weil ich so glücklich war." ~*~ Jaime schloss schmunzelnd, die Kehle schmerzte ein wenig, sodass er sich auf die Ellen stützte und tollkühn Sebastiens Lippen suchte, sich Balsam erschmeichelte, das ihm liebevoll gewährt wurde. Widerstrebend entwöhnt von der köstlichen Quelle lagerte er den wildlockigen Schopf auf Sebastiens Brust, die Arme versichernd um den Jüngling geschlungen, der behutsam mit den Fingerspitzen die ungebärdige Pracht striegelte. Während Jaime zweifelsohne in freundlichen Erinnerungen schwelgte, wie Sebastien mutmaßte, beschäftigte diesen eine staubtrockene, unerträglich nüchterne Selbsterkenntnis. Die Wärme der Erzählung, die offenkundige Zuneigung dieser unterschiedlichen Menschen: sie blieb ihm ein wehmütiges Mysterium, mit schmerzvoller Bitterkeit und hoffnungsloser Sehnsucht gewürzt. Er konnte nicht behaupten, -und sei es unter Androhung der Ewigen Verdammnis-, eine verschworene, herzliche Gemeinschaft in seiner eigenen Familie erlebt zu haben. Vielmehr erschien ihm ein solches Ansinnen befremdlich. Just bis zu dem Augenblick, da er sich neugeboren seinem Wohltäter zu öffnen begann, zaghaft und zögerlich. Konnte es wirklich sein, dass Sentiment und Zuneigung, irrationale Affekte sich Vernunftgründen und Nutzenerwägungen überlegen zeigten? Ein quälender Gedanke schob sich in diese unfassliche Überlegung hinein wie ein boshafter Schatten aus der tiefsten Finsternis: möglicherweise hatte der Vater die beiden älteren Brüder protegiert, weil er ihnen diese Zuneigung entgegenbrachte. Während für den Jüngsten nichts mehr als kühle Ablehnung blieb. Sebastien schluckte schwer an zornigen Tränen. Die glitzernden Juwelen am Himmelszelt erschienen ihm nun verschwommen und frostig, in ihrem kalten, unbarmherzigen Licht, der mitleidlosen Existenz über jedes Menschenleben hinaus. Jedoch, konnte er die eigene Familie verurteilen, wenn er selbst lediglich laue, banale Empfindungen verspürt hatte?! Durfte er sich zum Richter aufschwingen, sie verdammen, da er doch selbst so wenig Anstalten zeigte, wahres Gefühl aus seinem Herzensgrund zu schaffen?! Der Jüngling bemerkte kaum, dass sich sein älterer Gefährte auf die Ellen stützte, das fahle Gesicht im Schattenwurf der Nacht eindringlich studierte. Dann löste Jaime eine Hand, streichelte zärtlich über die angespannten Sehnen, die blassen Wangen, die gepressten Lippen. Tiefer Ernst prägte seine markanten Züge, als sein geliebter Calinhaire um Fassung rang, sich nicht zu erklären wusste. Der Senher da Solador legte sich an seine Seite, umschlang den Jüngling mit beiden starken Armen und bettete den Bebenden auf seiner Brust, fuhr dann fort, ihm den Rücken und die karamellfarbenen Strähnen zu streicheln. War es die Erinnerung an die ermordete Familie, die Sebastien aufgewühlt hatte oder beherrschte ihn ein anderer Kummer? Jaime wusste es nicht zu sagen, allein, er schwor sich, den jüngst gewonnenen Pfad der gemeinsamen Liebe unbeirrt fürderhin zu beschreiten. ~*~ Der nächste Morgen zeigte sich verdrießlich, müßige Schwaden träger Feuchtigkeit trieben sich in der Höhe durch die Schluchten der Felsmassive. Die Atmosphäre tränkte sich derart reichlich mit Tropfenschleiern, dass diese auf der blanken Haut der beiden jungen Männer kondensierten, eine schimmernde Wehr zauberten. Die auffrischende Brise jedoch verursachte Unbehagen, verwandelte die glitzernde Rüstung in eine klamme, beschwerende Rosshaardecke voller Widerhaken und desagreabler Odeurs. Sebastien wischte sich ächzend die Stirn, wünschte eilends den Komfort der Reittiere herbei, die unbarmherzige Sonne der Ebene, würde sie doch der einschleichenden Kälte in seinen Knochen Einhalt gebieten. Auch Jaime gab sich wortkarg, richtete die Augen auf den Geröllpfad, dem sie zu folgen hatten, um die beiden Pferde wieder in ihre Dienste nehmen zu können. Beuroux hielt sich an Sebastiens Seite, als gelte es, den Jüngling zu beschützen, vor welchem Ungemach jedoch konnte sich der Luminnier nicht erklären. Mit Erreichen der Mittagsstunde klärte sich endlich der Himmel, kraftvoll trotzte die Herbstsonne ihren bauchigen Widersachern das Firmament ab. Dankbar, der unerfreulich feuchten Umklammerung entronnen zu sein, nahm Sebastien keinen Anstoß daran, dass die Pferde, die ihrer geduldig geharrt hatten, zunächst am Zügel geführt werden mussten, um einen fatalen Fehltritt auf losem Geröll zu verhindern. Endlich, in den frühen Abendstunden, von einem prachtvollen, in Flammen stehenden Sonnenuntergang umworben, erreichten sie das Tal am Fuß der Mantanha. Sie errichteten ein bescheidenes Lager auf einem bereits abgeernteten Feld, und Sebastien registrierte mit einigem Stolz, dass ihm Jaime partnerschaftlich die Hälfte der zu erledigenden Aufgaben überließ. Allein, als ein freundliches Feuer munter loderte, hinderte dieser Vertrauensbeweis den Jüngling nicht, in den Älteren zu dringen, um eine delikate Angelegenheit zu disputieren. "Jaime, sagt, warum findet Ihr.. Gefallen an mir?" Frappiert von der eigenen Courage errötete Sebastien, senkte jedoch den Blick nicht auf die erschöpfte Erde, sondern verweilte in den schwarzen Augen des Mantanhol. Dieser stutzte merklich, von der Kühnheit überrascht, zwirbelte eine Locke nachdenklich. Sebastien verspürte eine beängstigende Erleichterung, dass sich Jaime nicht spornstreichs in fiebrige Komplimente verstieg, sondern schweigend über seine Replik sinnierte. Ein zärtliches Lächeln zuckte in den oftmals mokanten Mundwinkeln, dann setzte der Senher da Solador zu einer Antwort an, in dem samtigen, lasziven Timbre, das dem Jüngling wohlige Schauer verursachte. "Nun, es ist wohl eine Vielzahl von Kleinigkeiten", Jaime zwinkerte, streckte eine Hand aus, über Sebastiens Wange zu streicheln. "Die Art, wie Euer Haar in der Sonne schimmert...die rosige Tönung auf Euren Wangen, wenn Ihr Euch empört", er schmunzelte. "Die Missbilligung, mit der Ihr mich bedachtet, als ich Euch versehentlich in die Drainage beförderte..." Zu seinem Ergötzen entflammten eingedenk dieses ersten Rencontre die Wangen des Jünglings in Verlegenheit, wichen die grünen Augen mit den köstlich braunen Sprenkeln seinem intensivem Blick aus. Sodass Jaime belehrend das spitze Kinn des Jünglings mit der Fingerspitze dirigierte. "Ich fürchte, ich würde niemals ein Ende finden, wenn ich Euch aufzählen sollte, was mich zu Euch zieht, mi Aimador. Möge die Gnade der Götter mir gestatten, jeden Tag ein neues Mysterium Eures Wesens zu entdecken, denn ich bin entschlossen, Euch nicht mehr aus meiner Nähe zu entlassen!" Mit diesem letzten Ausruf, stürmisch und in zärtlichem Enthusiasmus stürzte sich der Mantanhol auf seinen zierlichen Begleiter, ihn zu herzen und zu liebkosen. Sebastien stieß einen hellen Ruf der vorgeblichen Empörung aus, suchte sich dem neckenden Zugriff zu entziehen, um endlich gnädig dem liebestollen Werben nachzugeben und wonnevolle Schäferstündchen zu halten. ~*~ Von glühenden Sonnenstrahlen umkränzt, die der spätsommerlichen Jahreszeit trotzten, kehrten Jaime und Sebastien in gemächlichem Trott auf das Gut der da Solador zurück, wo man ihrer mit Erleichterung harrte. Der Senher ahnte wohl, als er der vielköpfigen Menge seiner Mainada ansichtig wurde, dass sich etwas zugetragen haben musste, allein, er versagte sich entschlossen jede Besorgnis. Sebastien, der in geringem Abstand folgte, justierte den strohgeflochtenen Sonnenhut auf den karamellfarbenen Strähnen, intimidiert durch die physische Präsenz des Gesindes, die bar jeder Scham ihn eindringlich studierten. Er wusste wohl, dass er lediglich gelitten ward, weil man den Senher innig liebte, ihn selbst jedoch mit Argwohn bedachte. Wie es dem Asempre gebührte, gebot Jaime erst vor dem gewaltigen Brunnenrund den stolzen Schritten Asards Einhalt, glitt mit graziöser Eleganz vom Rücken des Tiers. "Bonjorn! Was muss ich sehen, so verzagte Gesichter?! Sagt mir, bin ich etwa nicht auf dem Gut der da Solador?!" Wie ein Grandseigneur spazierte man mit ausgestellten Hüften mokierend auf dem eingefassten Rand, drehte kokett die ebenholzfarbenen Locken, bleckte herausfordernd die weißen Zähne in die strahlende Sonne. Nun rührte man sich, straffte die Glieder, erwiderte stolz den Gruß. Welche Schande auch, dass man sich so gehen ließ! Sebastien, der dieser Vorstellung schweigend gefolgt war, kletterte in ungelenker Eile von seinem Reittier, bürstete hastig über die staubigen Beinkleider, das Jabot, den Gehrock. "Nun, wo ist die schöne Senhora?! Einen Laib Brot und einen erfrischenden Trunk zum Labsal unserer wunden Kehle! Tummelt Euch, sonst will ich glauben, dass ich unter die Barbaren gefallen bin!" Trieb Jaime mit maliziösem Grinsen und großem Prunk in jeder ausschweifenden Geste gewagten Scherz mit seiner Mainada, doch die Männer, Frauen und Kinder lachten nun lauthals, sputeten sich, der Gastfreundschaft Genüge zu tun. Sie erkannten wohl, dass er die hohen Herren aus dem Ubac parodierte, sich bester Laune zeigte, sodass auch unerfreulichen Nachrichten kein Ungemach folgen würde. Dem Senher allerdings beliebte es, seine eigene Stellung zu inkriminieren, er schwang das Haupt wild, sodass die ungebärdigen Locken flogen, die goldenen Kreolen blitzten, bleckte die starken Zähne. Und saltierte mit katzenhafter Gewandtheit vom Brunnenrand, absolvierte einen formvollendeten Kratzfuß vor seinem konsternierten Gefährten. Bevor er mit einem herzhaften Lachen die schmale Hand des Jünglings umfasste, diesen in stürmischem Schritt mit sich zog. Sebastien wusste kaum, wie ihm geschah-, zuerst diese freche Karikatur seines eigenen Stands, nun ein Anrennen zum Gemach der Gemahlin... was sollte man gerechterweise davon halten?! Jaime hingegen störte sich nicht daran, dass sein geliebter Calinhaire nur zögerlich an seiner Hand Folge leistete. Ihn kümmerte die Ursache der verschüchterten Haltung seiner Mainada. Was mochte sich zugetragen haben, dass man sich so gegen ihn gerierte? Betont grob polterte er auf die Veranda, als sich die wehenden Vorhänge teilten, Mabioline vor ihn trat. Die Aquamarine strahlten, die blauschwarzen Löckchen drehten sich liebreizend um ihr anbetungswürdiges Gesicht. An ihrer Hand, gerade bis zur Taille der zierlichen Frau reichend, drückte sich ein blasses Kind in einem gestrengen Anzug. Eine sandfarbene Krause entzog die ungebärdigen Strähnen auch dem striktesten Züchtigungsversuch, der unkleidsame Samt erdrückte in dräuender Schwärze die fahl-bleiche Komplexion der weichen Gesichtszüge. "Meine Liebste!", überschwänglich umhalste Jaime die Gemahlin, küsste dann in gezierter Mokanterie ihre Stirn. "Und mit wem habe ich die Ehre?", wandte er sich dem Kind an ihrer Seite zu. Doch obschon er sich erkundigte, die hellblauen Augen sprachen in ihrer eisigen Kälte Bände: der Knabe gehörte dem Haus der Jehaune an. "Luca Utard", wisperte der Knabe schrill, neigte das Haupt, schwankend zwischen bänglichem Rückzug in die weiten Falten von Mabiolines ausschweifendem Reifrock oder dem mutigen Gegenübertreten. Jaime erwiderte die Respektsbekundung mit dem gebotenen Ernst, reichte seine Hand. "Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Senher Utard. Seid auch von mir herzlich willkommen bei der Mainada da Solador." Dann trat der Mantanhol elegant auf die Seite, ein tänzerischer Schritt, präsentierte den zögerlichen Gefährten. "Und hier, Senher Utard, darf ich mich glücklich schätzen, Euch meinen werten und geliebten Freund, Sebastien d'Aire aus dem Ubac vorzustellen." Sebastien, der verlegen und in höherem Maße noch verwirrt der Konversation gefolgt war, errötete ob dieser Prädikate, neigte hastig das Haupt, entließ im Reflex förmliche Floskeln in seiner Muttersprache. Als er seinen Fauxpas bemerkte, warf sich Jaime in die Bresche der aufkeimenden Spannung, hakte den Jüngling forsch unter, während seine Linke sich bedeutsam auf die schmächtige Schulter des Knaben senkte. "Meine Freunde, ich schlage vor, wir stärken uns und tauschen die Neuigkeiten aus, die Euer Besuch zweifellos darstellt. Mabioline, meine Schöne, darf ich auf Eure Gesellschaft hoffen?", umschmeichelte er honigsüß die eigene Gemahlin, die mit einem vorwitzigen Zwinkern ihren Konsens beschied. Der Jüngling aus dem Ubac folgte, weil er musste, da man ihn beschwingt drängte, begriff kaum, wie ihm geschah. Schon saß man, Speisen wurden aufgetragen, feuchte Tücher gereicht, damit sich die Reisenden von den Spuren ihrer Unternehmung leidlich befreien konnten. Was hatte die Anwesenheit dieses Jungen zu bedeuten? Warum spielte Jaime eine schlechte Komödie? Sebastien hoffte inständig, dies bald zu erfahren. ~*~ Kapitel 10 - Der Hausgast Luca Utard zeigte sich wenig auskunftsfreudig. Die eisig blauen Augen zuckten verschreckt zwischen gestärktem Tischtuch und dem champagnerfarbenen Seidenstoff von Mabiolines vornehmen Hauskleid hin und her. Wenn er antwortete, so schrillte seine Stimme unangenehm ins Falsett, obschon er wohl kaum älter als acht Jahre sein mochte. Wie es dem Asempre eines Senher ankam, bemühte sich Jaime leichthin um seinen bänglichen Gast, adressierte ihn freundlich, hinterfragte keines der Worte, die dem schmalen Kindermund mühsam entrungen wurden. Sebastien hingegen glaubte zu bemerken, wie Blicke wanderten, zwischen Senher und Gaspard, der am Fußende der Tafel Platz genommen hatte. »Kurios«, irrte eine Wahrnehmung durch den Kopf des Jünglings, »diese Tischordnung.« Denn saß er nicht selbst zur Rechten des Hausherrn, auf der anderen Seite Luca, daneben Mabioline, auf diese Weise gleichsam zur Rechten Gaspards? Und jeder wusste wohl, dass der höchst geschätzten Person diese Ehrenposition zugedacht wurde. »Veritabel geschickt«, seufzte Sebastien innerlich, fühlte sich einmal mehr diesen Komplikationen nicht vollends gewachsen. »Jedes Paar einander zugeordnet, in einem Wimpernschlag eilte Verständigung zwischen diesen Drei umher.« Und trennte ihn, der nicht vermochte, in den Gesten und Blicken zu lesen. Lustlos befasste er sich mit den ruralen Speisen, die aufgedeckt auf ihren Appetit warteten. Mit dem Eintreffen des Knaben, der, wenn er dies nicht missverstanden hatte, als Hausgast für eine längere Zeitspanne bei ihnen verweilen würde, mochte es nicht mehr möglich sein, Jaime auf die vertraute Art zu begegnen. An die er sich bereits gewöhnt hatte. »Einerlei!«, rief sich Sebastien streng zur Ordnung, hatte er nicht final entschieden, sich Jaime anzuvertrauen, sein Geschick in die Hände der Mainada da Solador zu legen? »Genug der kleinmütigen Zweifel!« Eine Überraschung erwartete Sebastien allerdings, als sie sich vom Tisch erhoben. Da die Mainada recht selten Gäste zu beherbergen hatte, war Luca in Sebastiens Gemach einquartiert worden. Verständlicherweise, wie der Jüngling aus dem Ubac zugestehen musste, immerhin konnte man ihn schlechterdings unmöglich bei Mabioline übernachten lassen eingedenk ihrer Verfassung. »Und natürlich der Verbindung zu Gaspard«, ergänzte er schweigend, wartete stumm den Ratschluss Jaimes ab. Dieser, gewohnt souverän und charmierend, tätschelte die wilde Krause auf des Knaben Haupt. "Was denkt Ihr, Senher Luca, wollt Ihr meinem werten Gefährten Sebastien Gesellschaft leisten? Ihr könntet von ihm profitieren, die Hochsprache zu erlernen." Ein scheuer Blick wechselte zwischen beiden Zimmergenossen, unsicher und suchend. Sebastien, der bis zu seiner Reise in den Süden niemals Gemach oder Lagerstatt mit einer anderen Person geteilt hatte, entrang sich ein aufmunterndes Lächeln. Zugleich jedoch verspürte er eine bedenkliche Abneigung gegen den Knaben, deren Ursache er sich nicht zu erklären vermochte. "Ich bin überzeugt, dass wir von einander profitieren können", verkündete der Jüngling steif, neigte sich referierend höflich. Der Knabe gab zögerlich die Falten von Mabiolines Reifrock frei, erwiderte die Geste, ohne den Blick von den vornehmen Schnallenschuhen zu heben. Sebastien unterdrückte ein Seufzen, legte die Fingerspitzen behutsam auf das große Haupt von Beuroux, der seine Linke flankierte. ~*~ "Sagt mir, Jaime, dieser Hausgast..." Sebastien zögerte, hob den Blick von den dunkelnden Pergamentseiten, die in einem gewaltigen Folianten eingebunden waren. Der Mantanhol lächelte unter halb gesenkten Lidern, abandonnierte seine gegenwärtige Beschäftigung am Lesepult, um hinter Sebastien zu treten und die bloßen Arme um die Schultern des Jünglings zu legen. Er beugte sich über seinen Gefährten, ließ die ungebärdigen ebenholzfarbenen Locken wie einen Vorhang niedersinken. "Was okkupiert Eure Gedanken, mi Aimador?", raunte er mit samtiger Stimme, ausreichend kehlig, dem Jüngling mit schmeichelndem Rosé die Wangen zu färben. "Nun", hastig wich Sebastien dem forschenden Blick aus den tiefschwarzen Augen aus, glättete eifrig das Pergament, "es erscheint ein denkwürdiger Zufall, dass der Knabe..." Allein, seine Ausführungen verstummten, da Jaime sich seines Unterkiefers bemächtigte, diesen zärtlich dirigierte, um Sebastien atemraubend zu küssen. Dann ging er neben dem Jüngling, der in raschen Stößen Atem schöpfte, in die Hocke, umfasste beide Hände, hielt sie in seinen warm geborgen. "Sebastien, Ihr vermutet richtig. Allein, es steht mir nicht frei, den Knaben abzuweisen. Es entspricht dem Verständnis der Maradoier, ihre Söhne der Erziehung eines Nachbarn anzuvertrauen." Er hob die zarten Handrücken an seine Lippen. "Es ist mir nicht möglich, ihn zurückzuschicken, Liebster." Wob sich eine Bitte um Nachsicht in diesen Worten? Sebastien erwiderte den sanften Druck der kraftvollen Hände versichernd. "Dennoch", schützend hob er die Schultern, als könne jeder Einwand eine Misshandlung nach sich ziehen, "fürchtet Ihr nicht Ungemach? Wird man Euch nicht anklagen, da Ihr einem Luminnier Unterschlupf gewährt?" "Na na!", tadelte ihn Jaime in einem Tonfall, der Sebastien frappierend an den arroganten Hochmut seines Vaters gemahnte. "Was muss ich da hören?!" Jaime löste seine Rechte, legte sie auf Sebastiens Wange. "Ihr seid mein Aimador. Meine Mainada ist auch Eure. Zweifelt nicht daran, ich bitte Euch." Tollkühn wählte Sebastien mit der freien Hand eine besonders eigenwillige Locke, drehte sie um den Finger, bewunderte ihre elastische Qualität, den seidigen Glanz. "Jaime", er hielt inne, die Worte erwägend, "Ihr geht ein immenses Risiko ein. Curzio Jehaune scheint mir in seinem Hass gegen Euch unversöhnlich. Es wäre mir unerträglich..." Nun würgte es in seinem Hals, eine bloße Floskel erstickte ihn in ihrer Bedeutungsschwere. "...wenn mir etwas zustieße?", hasardierte Jaime lächelnd, wechselte auf die Knie, legte sein wildlockiges Haupt auf Sebastiens Schoß ab, streichelte die feinen Strümpfe auf und nieder, schnurrte aufreizend. Sebastien kräuselte die Lippen tadelnd. "Wollt Ihr meine Sorge nicht mit dem nötigen Ernst würdigen?", versetzte er verletzt, gestattete, dass die kraftvollen Hände über die Kniehosen wanderten, seine schlanken Hüften liebkosten. Da er keine Antwort erhielt, entließ Sebastien einen resignierenden Seufzer, kraulte den kräftigen Nacken unter dem Lockenschopf. "Wie lange wird er hier leben?" Behutsam zeichnete er Figuren auf den Kamisol, der Jaimes Oberkörper vor der vollkommenen Entblößung bewahrte. Der Mantanhol bog den Kopf in den Nacken, die schwarzen Augen verschleiert unter dem Genuss der zärtlichen Massage. "Wollt Ihr Euer Lager bei mir nehmen, Sebastien?" Dieser erstarrte. Die grünen Augen weiteten sich, von köstlich braunen Sprenkeln akzentuiert. Dann, eingestandenermaßen widerwillig, schüttelte der Jüngling negierend den Kopf. Allein die Vorstellung, dass Jaime bereit war, ihm ein Recht zuzugestehen, das nicht einmal Mabioline in Anspruch nahm, -der Gedanke löste Schwindel aus. Jedoch, es war nicht möglich, konnte nicht geschehen. Wie hätte er eine solche Freiheit zu rechtfertigen gewusst? Jaime lachte leise, liebkoste Sebastiens Wange. "Seht, mi Aimador, wie groß Euer Verlangen ist, mich zu schützen. Sollte ich da wirklich vor einem Knaben zittern?" Die letzte Phrase, mit sanftem Spott gezuckert, veranlasste den Jüngling zu einem tadelnden Schnalzen, dann erwiderte Sebastien das herausfordernde Lächeln jedoch. Mit einer energischen Bewegung löste er sich von Jaime, erhob sich aus dem Feldstuhl, strich die Ärmel glatt. "Nun, dann werden wir nebst der Mühle im nächsten Jahr wohl auch ein Gästehaus errichten müssen", verkündete er aufgeräumt. "Möglicherweise sogar einen Raum der Erziehung. Es ist wohl nicht auszuschließen, dass sich in Kürze weitere hoffnungsvolle Sprösslinge hier einfinden." Jaime sprang elegant auf die Beine, herzte Sebastien, drehte sich dann ohne Rücksicht auf das Interieur seiner Bibliothek schwungvoll um die eigene Achse, jauchzte vor Lebensfreude. Sebastien stimmte ein, von Hochstimmung erfüllt. Welche Schwierigkeiten sich auch zeigten, gemeinsam schien eine Lösung möglich. ~*~ In den folgenden Tagen wandelte sich die Witterung bedeutungsvoll. Nun kehrte der Herbst auch vom Meer her die versprengten Reserven des Spätsommers mit energischem Schauer-Regiment aus. Für die Angehörigen der Mainada bedeutete dies, die Ernte zu verwahren, Gebäude und Werkzeug für den Winter zu präparieren. Selbst der schwere Pflug wurde eingeholt, denn zu gefährlich nahm es sich aus, weiterhin den Sumpf zu wenden, um fruchtbares Land zu gewinnen. Der Jüngling aus dem Ubac erfreute sich hingegen einer wachsenden Gefolgschaft. Von den sengenden Strahlen der unerbittlichen Sonne nicht länger inkommodiert ließ Sebastien keine Gelegenheit verstreichen, an seinen Konstruktionszeichnungen und den Plänen zu feilen. Auch sah man ihn über das Gelände streifen, das Jabot nicht ganz so streng gebunden, die karamellfarbenen Strähnen reizvoll lockend in einer Brise tanzen, während er mit Kohlestift rasche Skizzen fabrizierte. Sein ihm selbst kaum bedeutsames Können lockte zahlreiche Bewunderer an, die sich von ihren gewohnten Tätigkeiten davonstahlen, um zu beobachten, wie mit wenigen Strichen ein admirables Abbild ihrer Mainada entstand. Sebastien bemerkte die Kinderschar auf seinen Fersen mit einigem Erstaunen und einer rührenden Ratlosigkeit. Er hatte in seiner Kindheit, die als solche nichts galt, wie es üblich war, nicht über die Gelegenheit verfügt, sich mit gleichaltrigen Knaben im Spiel zu messen oder gar vertraulichen Umgang zu pflegen. Wenn er nun auf dem Brunnenrund Platz nahm, den Kohlestift in der Rechten, Beuroux zu seinen Füßen, währte seine Einsamkeit lediglich wenige Wimpernschläge, dann näherten sich in Paaren oder kleinen Gruppen die Kinder, Knaben wie Mädchen. Wispernd und lächelnd mühten sie sich, sogleich zu erhaschen, was er darstellen mochte. Sebastien unternahm keine Anstrengung, ihren Worten zu lauschen, denn noch immer mangelte es ihm ohne besondere Konzentration am Verständnis der Maradoier mit ihrem eigensinnigen Idiom. Näherte sich eine Magd oder ein Knecht, flohen seine Bewunderer unter Jauchzen, doch keine Ermahnung konnte sie hindern, bei gebotener Gelegenheit zurückzukehren. Sebastien beendete gerade eine Lageskizze, da kündigte der unruhige Himmel mit Wolkengeschwader einen feuchten Gruß an. Rasch ergriff der Jüngling seine Utensilien, strebte einer Veranda zu, eilte mit großen Schritten von schützendem Vordach zu Vordach. Er erreichte Jaimes Unterkunft, betrat die Bibliothek, wusste sich gänzlich ungestört, da die beiden Mantanhol die letzten Arbeiten auf den Feldern anleiteten. Die trüben Schwaden dicker Tropfen dunkelten den Himmel, senkten sich schwer wie Melancholie über sein Gemüt. Sebastien fasste den Entschluss, dieser unerquicklichen Atmosphäre zu entfliehen und erstieg eines der hohen Regale, wählte eine abenteuerliche Lektüre aus. Obgleich sie im Idiom der Maradoier verfasst war, konnte er dem Lockruf phantastischer Schilderungen nicht widerstehen. Der Autor des schmalen Bands fabulierte über unglaubliche Begebenheiten in fremden Ländern, mit absonderlichen Tieren und Menschen. Der Jüngling nahm einen der Feldstühle auf, bewegte diesen zwischen die schmalen Glastüren, kordelte die aufwehenden Vorhänge an und ließ sich bequem nieder. Die frische, Regen getränkte Brise weckte seine Imagination, ließ ihn willig den Spuren des unbekannten Abenteurers folgen. Doch kaum hatte Sebastien einige Seiten in freudiger Erregung verschlungen, die Augen begehrlich jede Zeile absorbierend, als ihn Unruhe aus seiner Versenkung vertrieb. Tollkühn hatten sich einige seiner treuesten Anhänger herangewagt, umlagerten nun in respektvollem Abstand seinen Stuhl, wie Untertanen eines Königs. Sebastien errötete verlegen, warf einen Rat suchenden Blick auf Beuroux, der zu seiner Linken lautlos Wache hielt. Man hatte den Jüngling nicht gelehrt, wie mit Kindern zu verfahren war. Sie blieben unsichtbar, ohne Bedeutung, stumm und separiert. Ihr alleiniges Bestreben sollte darin bestehen, die ihnen auferlegte Lektüre zu meistern und den Geboten des Vaters gehorsam zu sein. Ein eigener Wert wurde ihnen zugebilligt, wenn sie sich Meriten verdient hatten oder die eheliche Verbindung mit einem anderen Haus bevorstand. Sein Abschied aus der Bedeutungslosigkeit eines Knaben zeichnete sich mit der schicksalsweisenden Besprechung aus, die ihn in den Süden entsandte. Kein Mann, oh nein!, aber mehr als ein Knabe. »Ein Faustpfand«, präzisierte Sebastien in Gedanken die demütigende Wahrheit, studierte anschließend die runden, strahlenden Kindergesichter, die erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren. Wie alle Angehörigen der Mainada bestand ihre Bekleidung aus widerstandsfähigen Stoffen, die Füße bloß oder in Strohsandalen, die Haare selten gebändigt und unterschiedslos mindestens die Schulterblätter touchierend. In kleinen Beuteln oder Taschen verstauten sie ihre Wertgegenstände, die älteren Knaben trugen dazu fein gearbeitete Klingen. Von der Sonne gebräunt, sehnig-kraftvoll und unbekümmert wirkten sie auf Sebastien weniger wie die bleichen Miniaturen der Erwachsenen, die er selbst in Gesellschaft der anderen Luminnier erblickt hatte. Sondern wie eine eigenständige Gruppe, die befremdlichen Ritualen folgte und in einer geheimnisvollen Sprache kommunizierte. Da er sich keinen Rat wusste, das machtvolle Schweigen der ihn umlagernden Schar zu brechen, wählte er hastig den Pfad, den ihm seine Eingebung wies. Und begann, mit ruhiger Stimme langsam von den verschlungenen Abenteuern des unbekannten Maradoier zu lesen. ~*~ Jaime lächelte zärtlich, die weißen Zähne blitzten gewinnend, als Mabioline ihm hinterbrachte, wie Sebastiens Strategie geendet hatte, sich der treuen Gefolgschaft zu erwehren. Hatte der Jüngling wohl vermutet, dass die Kinder der Lektüre in Bälde überdrüssig werden würden und ihr Vergnügen anderweitig suchten, so erlebte er eine Überraschung. Der Senher da Solador schmunzelte, die Mundwinkel tanzten in veritablem Amüsement. Selbstredend hatte der geliebte Calinhaire keine Vorstellung davon, dass die dunkle Jahreszeit genutzt wurde, Lesen, Schreiben und Kalkulieren zu pflegen, ohne Unterschied nach Geschlecht oder Alter. So lebhaft und rührig, geradezu quecksilbrig die Schar der Kinder sich üblicherweise gab, so ruhig und konzentriert lauschten sie einer Erzählung. Jaimes schwarze Augen funkelten liebevoll, in der Tat, seine Kinder wussten wohl wie die Mantanhol, wann es zu schweigen und wann zu sprechen galt. Es ließ ihn nun auch hoffen, sich eines wenig erbaulichen Sujets zu nähern. Wechselweise hatte er mit Mabioline die bedeutende Aufgabe übernommen, Luca Utard mit der Mainada da Solador bekannt zu machen. Allein, der Knabe blieb bänglich und stumm, folgte jeder Anweisung, gab aber durch keine Geste zu verstehen, wie er seinen Aufenthalt begriff. Konnte man nun Sebastien dafür gewinnen, den Knaben in die Schar seiner kleinen Gefolgsleute einzugliedern? Der Mantanhol ergriff sanft die Rechte seines Aimador, als das Souper endete. "Bitte, mi Amigar, gestattet mir, Euren Ratschluss in Anspruch zu nehmen", raunte er samtig, hauchte einen Kuss auf die zarten Fingerspitzen des Jünglings. "In der Bibliothek, wenn Ihr mir dies zugesteht." Sebastien nickte, die Wangen rosig getönt, entschuldigte sich eilig in einem Zustand der verunsicherten Erregung. Seit der fremde Knabe bei ihnen weilte und jede Nacht zusammengerollt wie eine Schmetterlingsraupe an Sebastiens Seite schlief, belief sich die intime Gesellschaft der beiden Männer auf wenige Augenblicke. Und Sebastien fühlte sich verfolgt von diesen eisblauen Augen, diesem verkniffenen, hageren Gesicht, einem unausgesprochenen Vorwurf ausgesetzt, der ihn in der Ewigen Verdammnis überantwortete. Mabioline fasste in graziöser Geste nach einer kleinen Hand des Knaben, dessen Aufmerksamkeit allein den beiden Männern galt, dirigierte seine Wahrnehmung auf ihre Person. "Nun, Luca, wollt Ihr mir ein wenig die Zeit vertreiben? Bitte erzählt mir doch, was Ihr heute an der Seite meines geliebten Senher erlebt habt." Die schrille, zögerliche Stimme des Knaben in den Ohren zog Jaime unwillkürlich das Tempo an, geleitete seinen Calinhaire rasch zur Bibliothek. Sebastien, der sich weniger geführt denn beschleunigt sah, bis er zu stolpern fürchtete, hielt Atem schöpfend inne, richtete irritiert seinen Gehrock. "Jaime, ist etwas geschehen...?" Allein, seine besorgte Erkundigung endete abrupt, da ihm ein Siegel aufgeprägt wurde von sehnsüchtigen Lippen, die unerträglich lange auf diesen Genuss warten mussten. Kraftvolle Arme umschlangen den fragilen Leib des Jünglings, pressten ihn begehrlich an die vertraute Gestalt, deren Duft von Regen und würzigen Speisen kündete. Ein hingebungsvolles Seufzen, im samtigen Timbre aus den Tiefen der Seele entrang sich dem Mantanhol, da er endlich Erleichterung in seinem Sehnen erfuhr und gleichzeitig um die Begrenztheit dieser Glückseligkeit wusste. Der Jüngling in seinen Armen schmiegte sich vertraulich an seinen Leib, streichelte zögerlich mit den blassen Händen über seinen muskulösen Rücken unter der Bauernbluse, die keine Züchtigung durch Bänderzug oder Kordeln erlitt. "Mi Aimador", raunte Jaime ein weiteres Mal kehlig, regnete zärtlich Liebkosungen auf das entbehrte Gesicht seines meri Calinhaire. Jedoch, Sebastien siegelte seine neckenden Lippen final und gebietend. "Sagt, was ist geschehen?" Die grünen Augen dunkelten sich sorgenvoll, verdichteten die köstlich braunen Sprenkel darin. Jaime lächelte charmierend, hielt die strahlend weißen Zähne halb verdeckt, gleichsam den aufbrandenden Hunger in gestrengem Zügel. "Sebastien, ich bedarf Eurer großmütigen Unterstützung!" Mit ausschweifender Geste löste sich der Senher da Solador von seinem geliebten Gefährten, neigte das Haupt in einem amönen Kratzfuß, fasste die zögerliche Rechte des Jünglings, einen verehrenden Gruß auf ihren Rücken zu brennen. Ein sanftes Rosé schmeichelte sich in die aimablen Wangen, hastig senkten sich die dichten Wimpern, die Fassung zu wahren. "Jaime!", tadelte der Luminnier atemlos, widerstrebend die Hand vor den Jabot ziehend. "Wollt Ihr nicht endlich sprechen?!" So beklagenswert gescholten hob sich Jaimes Brust in vorgeblicher Qual, entrang sich einen weiteren dramatischen Seufzer. Doch die schwarzen Augen funkelten so mokierend wie die goldenen Kreolen inmitten der ebenholzlockigen Pracht. "Ihr seht mich, mi Amigar", deklamierte er mit ausschweifender Gestik, "in unaussprechlicher Verlegenheit! Eine solche Schande, Euch zu inkommodieren mit einem tollkühnen Ersuchen, jedoch... hach!" Einem Komödianten gleich flatterte seine Rechte vor die Stirn, rollten sich die Augen gen Himmel. Sebastien verfolgte diese Scharade ratlos, wusste nicht zu deuten, welches Ansinnen sich hinter diesem frappierenden Auftreten verbarg. Jaime löste, nach unsäglich gedehnter Pose, die Haltung, beugte sich vor, die unschlüssig auf der Hosennaht ruhenden Hände des Jünglings sanft zu umschließen. "Sebastien, könnte ich Euch wohl darum ersuchen, unseren Gast für einige Zeit in Eure Obhut zu nehmen?", löste er endlich das Mysterium, hauchte einen flehentlichen Kuss auf die sich öffnenden Lippen des Jünglings. "Mabioline erzählte mir, wie ausnehmend gut es Euch gelungen ist, mit unserer verwegenen Kinderschar zu verfahren. Wenn sich nun ein weiteres in Eure Gefolgschaft fügte, wäre das doch ohne Zweifel noch zu integrieren, stimmt Ihr nicht zu?", suchte er mit provozierendem Liderflattern um Einverständnis. Sebastien warf die Stirn in zürnende Falten. "Jaime! Ich kann nicht glauben, dass Ihr mich derart in Sorge versetzt, um eine solche Petitesse zu annoncieren! Wie grausam, wie abscheulich von Euch!", protestierte er kühl. Wandte sich mit aufwehendem Schoß des Gehrocks, seinen Abschied einzuleiten. "Ach, Liebster!" Schon fingen ihn kraftvolle Arme um die Körpermitte, zogen ihn in erstickende Gemeinschaft mit dem vertrauten und doch entbehrten Leib des Mantanhol. "Mein Schönster, Geliebter, Einziger...", schmeichelte Jaime in mokierendem Säuselton an die Wange seines Aimador. Diesem gebrach es nun wirklich an Duldsamkeit für solch abgeschmackte Scherze. Mit bestimmter Nachdrücklichkeit entwand er sich der Umarmung, bannte mit ausgestrecktem Arm und Abstand wahrender Handfläche eine weitere Annäherung. "Jaime, es ist genug!" Die grünen Augen glitzerten ärgerlich, der lockende Mund nicht mehr als eine schmale Linie des Missfallens. "Wenn sich Eure Aufmerksamkeit gänzlich dieser albernen Posse widmet, dann entbiete ich Euch meinen Gruß zur Nacht! Schlaft wohl!" Sebastien hielt in steifem Schritt auf die Türen der Veranda zu. Nicht einmal die Vorhänge wagten, sich in einer leichten Brise zu rühren. "Geht nicht", wisperte der Mantahol rau, kaum hörbar, gerade eine Ahnung in der einbrechenden Dunkelheit. Die einsame Kerzenflamme tanzte nervös in ihrem Glasgefängnis, flackerte von unbekannten Winden angefacht. Der Jüngling aus dem Ubac hielt inne, wandte den Kopf nur ein wenig, die minimale Konzession der Höflichkeit. Er erwartete, sogleich umschlungen, geherzt, in den vertrauten Armen geborgen zu werden, -allein, dies blieb aus. "Ihr wisst, wie es um mein Verlangen nach Euch bestellt ist." Kehlig, massiv und guttural wie die Mantanha stachen die Silben in die Distanz, eine grobe Brücke der Annäherung. Sebastien zögerte, erwog ihre Bedeutung. Wollte der ungestüme Senher da Solador ihn bewegen, sich initiativ anzubieten? Ein beängstigender Gedanke für den Luminnier, da er sich einzugestehen hatte, wie es um das eigene Sehnen bestellt war. Hatte er nicht gewünscht, so zahlreich in den letzten Tagen, diese kraftvollen Hände zu spüren, die aufreizende Verlockung der weichen Lippen zu kosten, der samtig-gutturale Melodie zu lauschen, die Jaime für ihn sang? Er wandte sich dem bescheidenen Kerzenlicht zu, nahm es auf, suchte in der Dämmerung die schwarzen Augen des Mantanhol. Und streckte gebietend die freie Hand aus, dass Jaime sie ergreife und sich ihm anvertraute. ~*~ Ihr Weg, vertraulich einander an der Hand haltend, führte sie nur wenige Schritte in Jaimes eigenes Gemach direkt neben der Bibliothek. Sebastien abandonnierte die einsame Lichtquelle, kehrte sich um, mit fliehenden Fingern im Halbdunkel die Züge des Mantanhol zu zeichnen. Wie hatte er nur so lange entsagen können? In die überholten Manierismen seiner Vergangenheit zurückfallen können, die jeglichem Verlangen nach Körperlichkeit und Nähe eine kategorische Absage erteilten? Auch Jaime hielt nicht länger an sich, löste das Jabot, streifte Gehrock und Weste von der zierlichen Gestalt des geliebten Jünglings, entband seidige Bänder aus ihrer Pflicht, Hemd und Kniehosen zu schnüren. Wie ahnungsvoll nahm sich das Schattenspiel an den Wänden aus, da sie einander entblößten, hinderliche Konventionen mit Missachtung straften, sich herzten mit einem befreiten Lachen. Endlich! Verstohlen und kindlich amüsiert huschten sie unter die sorgsam geglätteten Laken, wandten sich einander zu, konnten wenig mehr sehen als die Silhouette in der Dämmerung. Allein, das Auge musste zurückstehen, wo andere Sinne ihre Berechtigung fanden! Die warme Haut liebkosten, vertraute Gesten ihre Bekanntschaft erneuerten, Lippen wortlose Bekenntnisse hauchten, so zärtlich und unbeschwert von der erdrückenden Realität außerhalb ihres heimlichen Lagers. Aber auch das körperliche Sehnen verlangte seinen Zins, spornte aufflammend das liebestrunkene Paar, die verspielten Tändeleien zu verabschieden. Es musste endlich auch hier Erleichterung ihren Willen forcieren, dem Verlangen die Zügel schießen lassen. Jaime erahnte an den leisen Seufzern, dem hastigen Atemschöpfen, dass er nicht länger dem Zwang unterworfen war, seine Lust in die Schranken zu weisen. Er bahnte sich behutsam, vorsorglich mit duftendem Balsam bewehrt, einen Eingang in den Leib des Jünglings, lenkte mit gefälligen Handstreichen von seiner Exkursion ab. Sebastien wand sich unter ihm. Die blassen Hände, von der sonnenverwöhnten Haut des Mantanhol magnetengleich angezogen, kreisten über Brust und Leibmitte. Er konnte sie nicht erreichen, -ach! zu kurz für seine drängende Not die Arme-, um tiefer hinabzugleiten an diesem herrlichen Torso, der ihm Glückseligkeit in langen Augenblicken gewähren wollte. Und in Worte ließ sich schlichtweg nicht fassen, was er sehnte, herbeiflehte. Jedoch empfand Jaime korrespondierendes Verlangen, in diesen schönen, schlanken Leib einzutauchen, mit atemloser Hingabe zu verfolgen, wie sich die Lust an ihm berauschte. Sich animalisch gebärdete, aufbäumte, bockte, ihn gierig einsaugte in ihren heißen Kern. Er wollte verschmelzen, zur Gänze eingehen in diese Vereinigung, sich hingeben bis zur Selbstaufgabe, sich vollends dieser Leidenschaft überantworten. Auf den Knien balancierend hob er den von jeder Kontrolle enthobenen Leib des Jünglings auf seinen Schoß, stieß zu, wie ihm der Atem kam und ging. Sebastien wand sich, nicht länger Herr seiner Sinne, die Arme flatterten, das Rückgrat bog sich nach hier und da, ein Spiel der Wogen auf ihren höchsten Kämmen. So lange hatten sie entbehren müssen, nun brach die Leidenschaft sich machtvoll Bahn. Der Jüngling erbebte zum wiederholten Mal, rang um Atem, lehnte dann mit kraftlosen Armen an der Brust des Geliebten. Wie Schwanenflügel sanken die Glieder schwer, der anmutige Nacken beugte sich ermattet der Schwerkraft, die Lider zuckten mit letztem Aufbäumen, dann verlor sich sein Bewusstsein in Schwärze. Der Mantanhol, den Aimador wie einen kostbaren Schatz umschlungen, taumelte, eingekerkert in süßer Marter, in Flammen geschlagen, seine Saat aussendend. Kämpfte mit aller Kraft, diese Leidenschaft bis in ihre letzte Knospe auszukosten, dann sank er, nicht länger ungeschlagen, auf die zerwühlten Laken nieder, den Liebsten herzend. »Ach...« Ein ahnungsschwangerer Seufzer entrang sich seinen Lippen, von Liebkosungen errötend markiert, dann folgte er Sebastien in die Dunkelheit. ~*~ Da sie einander so vertraut waren, währte die Abkehr von der Gegenwart länger, als man hätte vermuten können. Nicht wenige Augenblicke der Rekreation nur, sondern bis zur mitternächtlichen Stunde ruhten sie in den Armen des anderen. Als Jaime die Wimpern entwirrte, ungebärdige Locken aus seinem markanten Gesicht verbannte und anhand der ruhig glimmenden Kerze die Zeit zu bestimmen suchte, richtete er sich frappiert in eine sitzende Position auf. Ein Schäferstündchen, so erquicklich und beseelend, konnte unmöglich derart lange verweilt haben! In angemessener Vorsicht erhob er sich, die Lagerstatt zu verlassen und seine lederne Hose überzustreifen. Allein, der Blick über die flachen Gebäude der Mainada bestätigte die unbestechliche Kerze. Kein Licht brannte mehr. "Jaime?" Zögerlich flüsterte der Jüngling ihm nach, die Stimme vom Schlaf mit Raureif belegt. Der Mantanhol wandte sich wieder seinem Gemach zu, verschloss Türen und Vorhänge sorgfältig. Als er sich umkehrte, schlüpfte Sebastien bereits eilig, wenn auch wenig standsicher, in seine abgelegten Kleider. "Wie konnte das nur geschehen?!" Die fliegenden Finger verfingen sich am Jabot, das sich nicht falten und binden lassen wollte. "Unerklärlich, diese Müdigkeit!", tadelte er sich selbst für diesen Lapsus. Jaime lächelte zärtlich, fing die eifrigen Finger ein, hielt sie in seinen Händen geborgen. "Mi Amigar, bleibt bei mir. Die Nacht ist schon fortgeschritten." "Unmöglich!" Die karamellfarbenen Strähnen glänzten im matten Kerzenschein wie gegossene Bronze. "Denkt doch an Luca! Wenn ich nicht an seiner Seite erwache, was wird er wohl vermuten?!" Die schwarzen Augenbrauen des Mantanhol zogen sich mokierend zusammen. "Ihr setzt die wohlfeilen Gedanken des Knaben über mein Sehnen nach Eurer Gesellschaft, Sebastien? Wie habe ich das zu verstehen?" Der Jüngling löste sich energisch. "Jaime, Ihr wisst wohl, dass wir uns unsere Wünsche zu zügeln haben. Wir können nicht beständig wie Narren unseren Grillen hinterherspringen!" "Aha! Ein Narr bin ich also auch, da ich Euch an meiner Seite wünsche", zürnte der Senher da Solador mit feurigem Blick, fing den echappierenden Geliebten ein, bezwang die halbherzige Gegenwehr in kühnem Handstreich. Benetzte die schlafeswarmen Züge des Jünglings mit neckenden Küssen. "Wie könnt Ihr so roh meine Gefühle missachten?" Sebastien legte bannend die Hände gegen die vertraute nackte Brust, erwiderte den aufreizenden Lockruf der schwarzen Augen mit ärgerlichem Ingrimm. "Ihr nennt mich roh?! Euch mangelt es an Feingefühl und Takt! Ihr wisst sehr wohl, dass dieser Knabe allein hier weilt, um Euch einen üblen Leumund zu verschaffen! Was glaubt Ihr denn, wird er berichten, bei diesen Eskapaden?! Wollt Ihr diesem infernalischen Ungeheuer etwa Vorschub leisten?!" Jaimes Augenbrauen trafen sich in steilem Winkel auf der Stirn, die Stimme senkte sich auf samtiges Timbre. "Soll ich mein Handeln dem Diktat des Kastraten unterwerfen? Mich furchtsam in Ketten schlagen, bänglich vor ihm kriechen?! Nein, mein Calinhaire, niemals, um keinen Preis wird er reüssieren!" Der Jüngling schüttelte erbost das Haupt. "Ich kann nicht glauben, dass Ihr so töricht seid! Welches Opfer bringt Ihr denn schon, wenn ich nun hinüberschlüpfe?!" Der Mantanhol lachte, ein grollender, guttural-kehliger Laut, wie ein Geröllschlag in den Bergen, warnend und unvermeidlich zugleich. Zärtlich fädelte er die schüchtern sich kringelnden Strähnen in warmem Karamellton aus dem zürnenden Gesicht des Geliebten, umfing sanft die rosig erblühten Wangen. "Auf meinem Grund, in meiner Mainada, hat niemand Anlass, sich wie ein Dieb in der Nacht von Lager zu Lager zu schleichen", versetzte er in rauem Wispern, senkte das Haupt, bis Augen zu Augen sprachen und Lippen auf Lippen hauchten. "Keine Heimlichtuerei in Schutz der Dunkelheit und niemals fremdes Regiment. Ich sage, wie mein Vater vor mir, dass die Liebe zu ihrem Recht kommen soll. Und Euch liebe ich, vor den Augen der Götter und dem Angesicht aller Menschen. Davon weiche ich nicht. Keinen einzigen Iota." Lediglich eine Ahnung touchierte Sebastiens Lippen, die grünen Augen mit ihren braunen Sprenkeln in den zauberhaften Bann der schwarzen Pendants des Senher da Solador geschlagen. "Jedoch", unerwartet lösten sich die warmen Arme um den Leib des Jünglings, trat Jaime einen ganzen Schritt zurück. "Wenn Ihr aus eigenem Entschluss mich verlassen wollt... wenn Ihr wahrhaftig Gründe wisst, die von größerer Importanz sind als unsere Verbindung... dann geht." Der Luminnier schwieg, rang mit sich und dem unerbittlich wütenden Chor der kindlichen Anklagen, die in seinem Kopf marodierten, seine Gedanken in Turbulenzen verwirbelten. Da ihm die Schläfen wie Vorschlaghämmer auf den Pflöcken pulsierten, ein gewaltiges Schlagen ohne Unterlass, presste er die geballten Fäuste in hilfloser Gegenwehr an die Schädelseiten. Kniff die Augen zusammen, um der Schmerzen Herr zu werden. "Denkt Ihr denn, ich wollte gehen?! Dass es mir leicht fiele?! Ihr seid selbstgerecht! Fortwährend mutet Ihr mir zu, die Vernunft zu wahren! Ja, Ihr könnt Euch Euren Eskapaden widmen, im Vertrauen darauf, dass ich Euch mahne! Und dann gebt Ihr nach, dem kleinlichen Gewinsel eines Feiglings, so gönnerhaft und überlegen! Ich bin es Leid, diese Scharade!" Sebastien holte Atem, die Kehle schmerzte, da er so viel herausgepresst, das sich knotengleich dort verfangen und eingenistet hatte. "Ihr wollt, dass ich bleibe?! Fein, ich bleibe! Ich gehe nicht! Was kümmert mich mein Ruf noch?! Was man Euch allerdings nachsagen wird, als Senher, als Erster dieser Mainada, das verantwortet Ihr ganz allein!" Die Nacht währte stumm fort. Kein Käuzchen rief, kein nächtlicher Jäger strich auf Katzenpfoten am Haus vorbei. Endlich löste sich der Mantanhol aus seiner Pose der herausfordernden Gelassenheit. Jaime strich sich ungebärdige Lockenstränge über die Schultern, die goldenen Kreolen funkelten im Kerzenschimmer. "Ich... ich bitte um Eure Nachsicht. Ihr habt vollkommen Recht, Sebastien. Ich bin selbstgerecht gewesen und gänzlich ungerecht gegen Euch." Er rollte die Schultern, als habe sich dort eine schwere Bürde niedergelassen. "Ich habe mich auf Euch verlassen, mir Zügel anzulegen, mich in die Schranken zu weisen. Und wie ein ungezogener Knabe gegen Euch opponiert. Das war nicht recht. Verzeiht mir." So leise, so beschämt, so unerträglich beherrscht reihten sich die galvanisierten Silben aneinander, eine beschlagene Perlenkette bar jeglicher Attraktion. Sebastien spürte die Scham mit hitziger Glut in seinem Leib aufbrennen. Wollte er in der Tat forcieren, dass Jaime wie die anderen Herren von Stand auf sein Erscheinungsbild achtete, sich stets gemäßigt und in kühler Distanz äußerte, in jeder Handlung ernüchternd sachlich argumentierte?! Kurzum, zu einem...Luminnier konvertierte?! Nein! Eine grauenvolle Vision, eine Verkehrung aller Umstände! Keine zärtlichen Liebkosungen in verschwiegenen Augenblicken des Glücks, keine tollkühnen Albernheiten mehr?! Sebastien ignorierte den pochenden Schmerz in seinen Schläfen, presste die Lippen aufeinander, würgte mit zugeschnürter Kehle. Lieber in alle Ewigkeit ein Luminnier sein, als Jaime diesem Schicksal überantworten! Er überwand die Distanz mit einem Satz, umschlang den kraftvollen Nacken mit beiden Armen, schmiegte sich an die muskulöse Gestalt, verbarg das erhitzte Haupt in der Halsbeuge des Mantanhol. "Bitte, Jaime, vergesst meine Worte! Ich sprach unbedacht und töricht!", flehentlich brannte er eilige Küsse auf das vertraute Gesicht, suchte in den schwarzen Augen im mageren Schein der einsamen Kerze nach Vergebung. Der Mantanhol löste sich mit sanftem Nachdruck, kehrte sich ab, achtlos die Hose von den Beinen streifend, kletterte schwermütig auf sein Lager. Wandte Sebastien den Rücken zu, die eigenen Arme Trost spendend um den Leib geschlungen. Der Jüngling blieb irritiert stehen. Gab Jaime ihn tatsächlich auf? Mit dürren Worten? Dann aber löste sich aus dem Tumult seiner verwirrten Gedanken ein Lichtpunkt, ein funkelnder Hoffnungsstrahl. Hatte er nicht soeben darüber Klage geführt, dass er stets der Ratio und den Konventionen verpflichtet blieb? Wäre er so ungebändigt und frei wie Jaime, wie würde er diese unglückliche Auseinandersetzung zu einem versöhnlichen Abschluss führen? Langsam löste er die hastig übergestreiften Kleider, fröstelte unter der Kälte. Dann wandte er sich der bescheiden flackernden Kerze zu, hob den gläsernen Kokon, der vor Zugluft schützte, illuminierte mit der Flamme drei weitere Laternen, die das gesamte Gemach in eine sakrosante Atmosphäre hüllten. Der erfreuliche Schein wärmte sein Herz und beruhigte den fliehenden Pulsschlag, selbst die eigensinnigen Schläfen marterten ihn weniger vehement. Kühn enterte er Jaimes Lagerstatt, schmiegte sich an die seitlich ruhende Gestalt, stützte sich dann auf eine Elle, um behutsam Schulter, Nacken und Wange des Mantanhol zu küssen, neckend einzelne Locken um die Finger zu winden. Da sich Jaime nicht umwandte, die Augen trotzend geschlossen hielt, erstieg der Jüngling wagemutig die Hüften des Senher, beugte sich nieder, strich mit gebogenen Fingern über Arm und Torso. Senkte sich an der Front nieder, um mit der Zunge über der dunklen Brustwarze zu kreiseln. Sebastien grub die Finger in die strohgefüllte Matratze, fasste seinen ganzen Mut und sog die empfindsame Knospe in seinen Mund, erprobte behutsam die eigenen Zahnreihen am anschwellenden Muskelfleisch. Jaime entließ ein gutturales Keuchen, rollte sich eilends auf den Rücken, wobei er Sebastien vorausschauend abstützte. Sie wechselten Blicke, werbend und herausfordernd, dann senkte der Mantanhol die Arme wieder auf die Matratze, in einem sanften Bogen um das lockige Haupt, zwischen den Fingern den verstärkten Stoff des Lakens kräuselnd. Der Jüngling begriff diese Geste als Einladung, mit seiner Missionierung fortzufahren, den Senher für sich zu gewinnen. Und hatte er nicht bereits erfahren, was ihm selbst Glückseligkeit bereitete? Wie konnte er da fehlgehen? Zärtlich beregnete er den blanken Leib des Mantanhol mit Küssen, wärmte liebkosend die sonnenverwöhnte Haut, die so lebendig gegen die eigene blasse schimmerte. Jaime senkte die Lider, verbarg sich nonchalant, doch in jeder Sehne, jedem Muskel, dem Sebastien seine Aufwartung machte, erspürte er das mühsam gebändigte Verlangen. Endlich erreichte er den Schoß des Geliebten. Er schöpfte tief Atem, Mut fassend, als Jaimes Hand sich auf seine Wange legte. Die schwarzen Augen glitzerten liebevoll im Schein der verteilten Kerzen. Der Jüngling las die Botschaft, dass er sich längst bewiesen hatte, es nicht erforderlich war, sich einem Zwang zu unterstellen, der ihm Widerwillen bereiten mochte. In der Tat zögerte Sebastien, denn zuvor hatte er, so er denn noch im Besitz seiner Sinne war, Jaime stets gehindert, sich dem Unaussprechlichen auf diese Weise zu nähern. Ein so unreines Segment seines von fleischlicher Lust besiegten Leibes... allerdings war er nicht immer siegreich aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen. Und so wusste er wohl, wie verstandsraubend jede Handreichung sich ausnahm. Und er wollte Jaime seines Verstandes berauben! Diese unerträgliche Anwandlung vertreiben, die den ungestümen, abenteuerlustigen Mantanhol in einen kühlen, wenig liebenswerten Luminnier verwandelt hatte! Demzufolge hieß es Courage beweisen, behutsam die schimmernde Haut mit einem zärtlichen Kuss an seine Lippen gewöhnen und sehr vorsichtig die glühende Muskelballung mit seinem Speichel balsamieren. Oh, welche Hitze strahlte Jaime an diesem Punkt aus! Und es pochte gegen seine gespannten Wangen, lebendig und agil, mit einem eigenen Willen versehen! Sebastien keuchte, saugte unbedacht stärker am empfindlichen Strang und vernahm erschreckt, wie Jaime seinen Namen stöhnte, dem ausgelösten Reflex mit den Hüften folgte. Er wich hastig zurück, um einem kräftigen Stoß gegen den Kiefer zu entgehen. Schon fürchtete er, einen Fehler begangen zu haben, als sich Jaime auf die Ellenbogen stützte, ihn unter halb gesenkten Lidern studierte. Der Mantanhol atmete flach, Sehnen tanzten über die muskulöse Bauchpartie, dann teilte er die Beine einladend, stellte die sie auf und bog die Hüfte gen Himmel. Derart herausgefordert und auf solcherart verkürzter Distanz den intimsten Körperpartien des Gefährten ansichtig entschied sich Sebastien, zunächst mit den Fingern behutsam die zarten Hautpartien zu erkunden. Die sich erwartungsvoll spannten, Blutbahnen abzeichneten. Ein wohlvertrauter Odeur empfing ihn, als er sich niederkauerte, sehr verhalten mit der Zungenspitze Liebkosungen erteilte. Die Augen schließend verlor sich rasch die scheue Hemmnis, gar eifrig befleißigte er sich seiner selbst gewählten Herausforderung, streichelte zugleich zärtlich über die wohlgeformten Oberschenkel. "...Liebster..." Jaime rang nach Atem, die Stimme versagte ihm, als er eine Hand auf die Stirn Sebastiens legte. Dieser hob den Kopf, hielt jedoch den pulsierenden Muskelstrang behutsam in der Wärme seiner Handflächen geborgen. Der Senher da Solador lächelte um Nachsicht werbend, dann lehnte er sich auf die Ellen. Als koste ihn jedes Wort eine beträchtliche Anstrengung, formulierte er kaum hörbar, "....verzeiht mir... mi Aimador... ich...", und wandte das Gesicht von Sebastien. Der Jüngling schwieg, die Wangen färbten sich schamrot. Gebrach es ihm an Geschick, oder entzog ihm der Mantanhol sein Vertrauen aus anderen Erwägungen? Sebastien schlug die Hände vor das Gesicht, seine jammervolle Enttäuschung zu verbergen, vergaß das eigene Verlangen, das in seinem Schoß pulsierend lagerte. Augenblicke später fühlte er sich an einer vertrauten Brust geborgen, förmlich um den Leib des Älteren gewunden, der ihn versichernd an sich presste. "Vergebt mir, Liebster", raunte der Mantanhol in Sebastiens Ohr, hob dann das glühende Gesicht in beide Hände, küsste den Luminnier verlangend. Dieser entließ brennende Tränen, sich Erleichterung verschaffend. Jaime barg jede schimmernde Perle mit der Zungenspitze, strafte sich mit dem bitteren Geschmack und streichelte den angespannten Leib des Jünglings nachdrücklich. "Sebastien, ich bitte Euch..." "Warum...", der Jüngling räusperte sich beschämt, "warum weist Ihr mich ab? Darf ich Euch nicht... Vergnügen bereiten?" Erneut betropften Tränen den Schoß des Luminnier. Warme Hände wischten eilig über die feuchten Wangen, hielten sie wie Blütenblätter eingefasst, während die schwarzen Augen trauerumflort den Blick der grünen Augen suchten. "Bitte, mi Aimador, Ihr bereitet mir Vergnügen, jedoch..." Jaime blinzelte, presste die Lippen aufeinander und atmete tief ein. "Ich vermag es nicht..." Hastig wandte er den Kopf ab. Sebastien bemerkte verwundert, dass der Mantanhol schützend die Schultern hochzog, sich an ihn schmiegte, als bedürfe er des Zuspruches. »Als fürchte er etwas...« Sebastien schlang die Arme um den verkrümmten Leib, streichelte die sonnenwarme, duftende Haut beruhigend. "Bitte, Jaime, bekümmert Euch nicht! Ich hege keinen Groll gegen Euch", versicherte er sanft, küsste die bleichen Lippen liebevoll, lächelte aufmunternd in das fahle Gesicht des Senher da Solador. Zärtlich umhegte Sebastien das lockige Haupt des Mantanhol mit seinen Händen, betupfte Nasenspitze, Wangenknochen, Augenlider, das markante Gesicht zu einem Lächeln zu verführen. "Habt Ihr mir nicht geboten, auf Euch zu vertrauen?", wisperte er werbend in die ebenholzfarbenen Locken, umspielte eine goldene Kreole mit seiner Zungenspitze. "Nun, ich vertraue auf Euch." Die grünen Augen funkelten im warmen Kerzenschein, hielten die schwarzen in ihrem Bann. "Ich..." Sebastien räusperte sich. "Ich würde gern... frei heraus sprechen, wenn Ihr erlaubt." Jaime blinzelte, signalisierte mit knapper Geste seine Einwilligung, während seine Hände ohne Ruhe über die helle Haut des Luminnier zirkulierten. "Seht", der Jüngling entzog eine Hand ihrem Bestimmungsort auf Jaimes Wange, um sich eine ungebärdige Locke aus den Augen zu streichen. "Ich... ich möchte mich als Mann beweisen. Als ebenbürtig an Eurer Seite..." Er zögerte erneut, den Blick auf den Schoß gesenkt, nach Worten suchend, die ihm assistieren sollten, sein Begehren unmissverständlich zu annoncieren. Eine kraftvolle Hand legte sich behutsam unter sein Kinn, richtete ihm das Haupt auf. "Also habe ich Euch ein weiteres Unrecht getan." Jaime seufzte, zum ersten Mal seit ihrer initiierenden Begegnung bar jeder Theatralik. "Ich gestehe Euch frei, mi Amigar, dass ich dies niemals in Erwägung gezogen habe. In der Tat, ich bin wahrhaftig zu gedankenlos... ich bedarf Eurer Vernunft in stärkerem Maße, als mir bewusst war." Sebastien hielt dem Nachsicht erbittenden Blick bestimmt stand. "Ich fürchte, Jaime, das ist nicht genug." Dieser zog die pointierten Augenbrauen zusammen, musterte den Jüngling irritiert, konnte nicht verstehen, welche Botschaft Eingang finden sollte. Der Luminnier stieß seinerseits einen Seufzer aus, schöpfte tollkühn einen tiefen Atemzug, bereit, sich nun zu offenbaren, ganz ohne Scheu und bar jeder Konventionen. "Ich bin mehr als Gestalt gewordene Vernunft. Ihr bedürft meiner Ermahnung nicht, wie uns beiden wohlbekannt ist. Bitte gesteht mir zu, ein Senher zu sein. Ein Mann. Ich möchte Eure Freiheit teilen, die Lebensfreude der Maradoier und den Stolz der Mantanhol. Sagt, haltet Ihr mein Begehren für vermessen?" Jaime schwieg, die Augen nachdenklich auf die geliebten Züge seines Calinhaire gerichtet. Er bedachte sorgsam die Kritik, die er erfahren hatte. Sebastien unterdessen verspürte Unbehagen mit jedem verstreichenden Herzschlag. Nie zuvor hatte er gewagt, sich derartig zu entblößen, für das eigene Geschick eine Richtung zu wählen. Durfte er sich angesichts seiner Situation, ohne eigene Mittel und Meriten, eine solche Freiheit herausnehmen? Weiche Lippen tauften seine Stirn liebevoll, segneten den Entschluss des Jüngeren. "Mi Aimador" raunte Jaime zärtlich, umschlang ihn mit beiden muskulösen Armen, zog ihn an die eigene Brust. "Verzeiht mein Zögern, Liebster. Ihr sollt der Mann sein, der Ihr zu sein wünscht, und wenn ich Euch einfältig patronisiere, weist mich scharf zurecht, darum bitte ich Euch, mi Amigar!" Jaime hauchte einen Kuss auf die Lippen des Jünglings. "Und lasst mich meine Schmach ausmerzen, indem ich Euch zu Willen bin. Was Ihr begehrt, das will ich Euch geben." Die Mundwinkel des Mantanhol kräuselten sich bewegt, da Sebastien rosig erblühte. Verständlicherweise, fürchtete er doch, in Worte schlagen zu müssen, was sein Herz, sein Leib begehrte. Allein, der Senher da Solador wusste genau, wie er seinem Liebsten Vergnügen bereiten konnte. Einer Verabredung bedurfte es nicht mehr. Er barg Sebastien sicher in seiner Umarmung, erhob sich auf die Knie, drehte sich gemächlich, um den Jüngling auf der Matratze abzulegen, die eigene Gestalt an seiner Seite zu drapieren. Gänzlich befreit von jeder unbotmäßigen Hast erkundete er den schlanken Körper, die helle Haut, die im Kerzenschein wie Alabaster schimmerte. Arrangierte ein Kissen unter den karamellfarbenen Strähnen, die sich lieblich um das Gesicht des Jünglings dekorierten und rückte hautnah heran, um die ausstrahlende Wärme seines Leibs mit Sebastien zu teilen. Er wusste wohl, dass in Bälde die Leidenschaft zu ihrem Recht kommen würde, jedoch in diesen Augenblicken der Stille wollte er nicht mehr als Nähe spüren, der Erregung lauschen, die mit beschleunigtem Schlag vorweg ahnte, was sie berauschen würde. Sebastiens Atem strich flach, in eiligen Stößen über seine Front. Die Lider halb gesenkt über den grünen Augen blinzelte er wiederholt, teilte die Lippen, strich mit einer Hand über die gesamte Seite des Mantanhol, von Schläfe über Armeslänge bis zum attraktiven Rund seiner Kehrseite. Jaime lächelte, die starken, weißen Zähne blendeten auf, begierig sich dem Verlangen ausliefernd. Ein muskulöser Schenkel teilte die grazilen Beine des Jünglings, nistete sich hoch im Schritt ein, ihre Körper zu vereinen wie ein Zwillingsbaum auf weiter Flur. Er drehte sich auf den Rücken, ergab sich mit erhobenen Händen, die neben seinen Wangen ruhten, keuchte, als Jaime eine kraftvolle Hand unter seine Lenden schob, seinen Unterleib dirigierte. Schwer und feucht begegneten sich pulsierende Gemächter, grüßten einander in der intimen Distanz, ließen die Augenlider beider Männer für einen Wimpernschlag flattern. Der Mantanhol hielt sich aufgerichtet, das Rückgrat hochgebogen, auf das seine Last den Geliebten nicht erdrückte, verwob ihre Finger miteinander und neigte das Haupt, mit Zärtlichkeiten sein Entree zu machen. Sebastien erwiderte wechselseitig jede Artigkeit, verlor sich in lustvollen Küssen, tauchte in das wohlvertraute Aroma ein, das Jaime ihm kredenzte. Doch wie sollte seinem Verlangen Rechnung getragen werden, wenn der Senher insistierte, ihre Hände miteinander zu verschmelzen? So wand er sich, schmirgelte sich unruhig gegen den sonnenverwöhnten Leib des Älteren, blies heiße Atemstöße auf Hals und Nacken, die ebenholzfarbene Lockenpracht zu verwirren. Jaime verstand wohl, selbstredend, ja, seine Hingabe manifestierte sich unmissverständlich gegen den biegsamen Leib des Jüngeren, wollte geborgen werden in der Hitze der Vereinigung. Er musste wohl eine schlanke Hand freigeben, sich mit Balsam versorgen, um das Tor zum Paradies zu beschmeicheln, den geliebten Calinhaire präparieren, das beiderseitige Sehnen zu einem wahrhaftigen Crescendo zu wandeln. Der Jüngling seufzte sinnlich, senkte die Lider zur Gänze, dass seine langen Wimpern die Wangen bekränzten, presste die Fingerkuppen stärker in den Handrücken des Mantanhol, da er die erwarteten Besucher in seinem Leib willkommen hieß. Erregung pulsierte mit gewaltigem Schlag in seinem Inneren, er verzehrte sich nach dem Fortschreiten ihrer Reconnaissance. Wie himmlisch, wie überwältigend! Es bedeutete ihm nichts, dass solcherart Ansinnen blasphemisch war, das Begehren selbst unaussprechliche Sündhaftigkeit bewies: er verlangte nach dieser Erfüllung! Und wenn sich Wollust so ausnahm, dann schloss er sich wonnevoll diesem Bündnis an! Jaime studierte den Liebsten enchantiert, da dieser entrückt lächelte, ihn encouragierte mit lieblichen Seufzern und samtigen Lauten, nicht nachzulassen, sondern voranzuschreiten, den biegsamen Leib zu invahieren. Ihm ein Lied zu entlocken, das Sphärenmusik versprach. Zärtlich hauchte er im rauen Idiom der Mantanhol Liebesschwüre, allein dem Jüngling destiniert, der ihm generös gewährte, was er sich ersehnte. Mit gebotener Fürsorge verband er zu einem Ganzen ihre Körper, erschauerte wohlig in der Glut, die ihn umfing. So heiß, so feurig brannte sein Aimador für ihn, dass jeder Zweifel, jede Furcht sich verlor, in Asche verging! Ein gutturaler Ruf entwich seiner Kehle, als Sebastien ohne Scheu den Gast in seinem Unterleib mit massierender Kontraktion zu umwerben begann. Dem Luminnier mangelte es keineswegs an Geschick, vielmehr hatte er wohl memoriert, welches Vergnügen er selbst sich zu bereiten verstand, wenn er Jaimes Aufmerksamkeit dirigierte. Er schlug die Lider nicht auf, als der Mantanhol sich auf die Knie begab, mit beiden Armen den Jüngling umschlingend. Vor seinen inneren Augen blühten Visionen auf, eingeprägte Bilder des Mantanhol, in seiner gloriosen Blöße, dem muskulösen Leib, dem beeindruckenden Objekt seiner Glückseligkeit, das ohne Namen blieb. Und mit jedem Bild, das vor glühenden Lidern dahintrieb, seine Phantasie beschäftigte, verlangte es ihn stärker, in den Armen des Mantanhol Erlösung zu finden. Der Atem entfloh ihm, mit unverständlichen Silben flehte, lockte, forderte, schmeichelte er Jaime, ihm unendliche Wohltat zu bereiten. Dieser zögerte nicht länger, in zauberischen Bann geschlagen von der Freiheit seines Calinhaire, der sich gänzlich der Lust überantwortete. Ihn verlangte danach, Sebastiens Stimme zu lauschen, wenn sie ihm die schönste Melodie zwischen den Gestirnen sang, ihren Bund zu erneuern. »So schön, so furchtlos, so verzehrend...« Jaime ergab sich, senkte gleichsam die Lider herab und forcierte seinen Sturmlauf im Leib des Jünglings. Er hielt nicht inne, bevor ihn alle Kräfte verließen und er besinnungslos mit Sebastien auf die Matratze sank. ~*~ Sie erwachten wohl nach einiger Zeit, von Wärme und feuchter Körperlichkeit eingehüllt, doch diese Bewandtnis erregte keinerlei Anstoß. Sebastien schob sich näher an den Mantanhol heran, schmiegte sich an die vertraute Brust und seufzte zärtlich, als sich kraftvolle Arme um seinen Leib schlangen. Ein Kuss tanzte matt auf seiner Stirn, ungebärdige Locken kringelten sich neckend an seiner Wange. Wenn diese Müdigkeit weniger erdrückend gewesen wäre, so hätte er wohl frohlockend gejauchzt. "Ich liebe Euch, Sebastien", raunte Jaime an seiner Seite, arrangierte fürsorglich kuvrierende Laken um ihre verschlungenen Glieder. Der Jüngling verbot sich eine Erwiderung. Erst wenn er selbst ein Mann war, nach eigenem striktem Urteil, wollte er in angemessener Weise seine Gefühle erklären. ~*~ Der nächste Morgen brach heran, eingehüllt in einen Schleier dichter Tropfen, die wie feines Gestäub einen Vorhang bildeten, der alles benetzte. Jaime erwachte zeitig, wie er es gewohnt war, arrangierte die Laken um die entblößte Gestalt des Jünglings, der noch im tiefen Schlummer ruhte. Er löschte das Licht der Laternen, schlug die Vorhänge zurück und löste die Riegel an den Türen. Trat hinaus, um sich gelenkig zu strecken, die Glieder zu dehnen, dabei die frische, nass gesättigte Morgenluft inhalierend. Wohl wusste er Sebastiens Sorge zu schätzen, allein, sein Geist leistete Widerspruch. Er gestand sich ein, in den hauchzarten Nebel des Regens eingehüllt, gänzlich ohne kleidendes Tuch, das der Schicklichkeit Genüge tat, dass er den ihm anvertrauten Knaben nicht sonderlich sympathisch fand. Und er mutwillig das Haupt nicht beugen wollte, vor diesen kalten Augen, einem bereits in frühester Jugend verkniffenem Gesicht und dieser Stimme, die allzu deutlich die schrille Hysterie des angeheirateten Onkels kopierte. Jaime erinnerte sich wohl, dass die Utards den Jehaune nicht fern verschwägert waren, sodass die Ähnlichkeit einiger Mitglieder beider Familien nicht Wunder nahm. »Allein...« Der Mantanhol holte tief Luft, wühlte die eigenen Locken auf. In die Zukunft wollte er blicken, nicht der Vergangenheit zugeneigt sein. Was geschehen war, konnte nicht geändert werden. ~*~ Als Sebastien zu sich kam, von wohliger Wärme erfüllt, ein sehnsüchtiges Prickeln in den Gliedern wie eine summende Erinnerung an die Erfüllung seines Begehrens, hingen schwere Nebelschleier in der morgendlichen Idylle. Sie dämpften jedes Geräusch, doch der Jüngling erkannte rasch, dass sich die Mainada bereits eifrig auf den Beinen befand. Er schlug die Laken zurück und fand, ordentlich drapiert, auf dem Schaukelstuhl Jaimes einige Kleidungsstücke, die man seinem Schrank fürsorglich entführt haben musste. Sebastien erhob sich, hielt auf das Separee zu, sich dort zu reinigen und dann, adrett gewandet, die karamellfarbenen Strähnen sorgsam in einer Schleife eingefangen, im Speisesaal zu dejeunieren. Er zögerte, da ihm sein Spiegelbild eine Wahrheit verkündete, die er recht widerwillig eingestand: der feine Stoff, seidig glatt und schimmernd, in einem warmen, dunklen Smaragdton, kleidete ihn vorzüglich. So bezaubernd schön, dass er ob der Eitelkeit errötete. Allein, er wandte sich nicht eilends ab, wie es ihm angestanden hätte als Luminnier, nein, im Gegentum, er studierte das eigene Erscheinungsbild fasziniert. Der Fremde dort, dieser schlanke, wohlgestalte Jüngling, wie stolz, wie charmant nahm er sich aus, in Gehrock, Jabot, Weste und Kniebundhosen! Zierlich ringelten sich tollkühne Strähnen an seinen Wangen aus dem Gebot des Schleifenbandes, tanzte der Schalk in den grünen Augen mit ihren kecken, braunen Sprenkeln! »Wie habe ich mich verwandelt«, staunte Sebastien, mit zögerlichem Lächeln. Eine frivole Schönheit, die kokettierte und dennoch... dennoch konnte er sich nicht verdammen. Hätte er selbst nicht sehnsüchtig eine Möglichkeit ersonnen, mit dem Jüngling, der ihn aus dem Spiegel lächelnd eine laszive Begrüßung bot, Gemeinschaft zu pflegen? Eine Geste, ein Wort erfleht? Dekadent, ja, widerlich, so hätte man diesen Jüngling klassifiziert... Jedoch, Sebastien zweifelte nicht im Mindesten, dass Neid und Eifersucht den kategorischen Imperativ der Luminnier geprägt hatte. Und wirkte der Jüngling nicht wahrhaftig edel und freundlich, wie er so stand, weniger posierend als geschmeidig, erwartungsvoll und wissbegierig? Mangelte es ihm nicht an boshaften Zügen, schimmerten die Augen nicht warm und herzlich? Sebastien streckte eine Hand aus, strich mit Fingerspitzen zart über eine Wange seines Spiegelbildes. »Ich möchte Freundschaft mit Euch schließen, mein Bruder.« Viel zu lange hatten Einsamkeit und Missgunst einen erstickenden Schatten geworfen. ~*~ Als Sebastien mit frohgemutem Schritt in den Speiseraum eintrat, wiesen einige Merkmale darauf hin, dass man bereits dem Frühstück zugesprochen hatte und sich schon dem Tagewerk widmete. Die Bonne folgte ihm, als er unschlüssig einen Platz wählte, baute sich auf, einschüchternd aufgepolstert, mit ausgestellten Ellen. "Dero Gnaden beehren uns tatsächlich zu so später Stunde. Nun denn, Senher, dann bin ich so frei, mich einer lästigen Plage zu erledigen!", polterte sie ärgerlich. Sebastien blinzelte beschämt, da wurde aus dem Tuchwirbel mehrerer Röcke Luca gewaltsam abgetrennt und bestimmt zu einem Stuhl dirigiert. "Wohlan, Senher, wünsche guten Appetit", schnaubte die Bonne und verabsentierte sich schweren Schritts. Der Jüngling verstand nun, wem der Zorn galt: offenkundig hatte man den Knaben ihr aufgenötigt, da sich Jaime seinen Aufgaben ohne Störung widmen wollte. "Bonjorn." Sebastien lächelte, lauschte vergeblich auf einen Gruß der Erwiderung, verzichtete jedoch auf einen Tadel. In gespanntem Schweigen sprachen sie den Speisen zu. Bei einer jungen Magd, die Sebastien aus seiner treuen 'Gefolgschaft' kannte, brachte er endlich in Erfahrung, dass der Senher und Gaspard ausgeritten waren, nach den entfernteren Feldern zu sehen. Und den Zustand ihres umgepflügten Sumpfgeländes zu untersuchen. Mit dieser Auskunft versehen erwog Sebastien sein eigenes Tagewerk. Allein, sollte er skizzieren, in der Bibliothek Aufzeichnungen anfertigen, wenn doch dicht an dicht sich Nebelwände drängten, kein Sonnenstrahl ihm freundlich lächelte? Beuroux hielt sich an seiner Flanke, stets stumm und aufmerksam, als Sebastien zum Brunnen spazierte, seine Gedanken hinausfliegen ließ. In seiner Suite, nicht sonderlich willkommen, Luca Utard, mit missmutigem Gesicht. "Nun", wandte er sich dem Knaben zu, "die Witterung eignet sich nicht sonderlich für meine Tätigkeit. Sagt, Senher Luca, gibt es etwas, das Ihr zu tun wünscht?" Der Knabe blickte kühl, dann presste sich schrill die kindliche Stimme aus seiner Kehle, wie unter großem Druck. "Wenn Ihr gestattet, Senher d'Aire, so würde ich gern das Unternehmen beim Sumpfgelände inspizieren. Man könnte auch ein Mittagsmahl mit sich führen", schlug Luca vor. "Eine glänzende Idee!", lobte Sebastien, von der Aussicht erwärmt, Jaime noch vor dem Abendrot sehen zu können. Und sich die Füße zu vertreten, ein wenig zu ambulieren, das war noch keinem abträglich! ~*~ Eingedenk der sanften Ermahnungen des Senher da Solador wechselte Sebastien das Schuhwerk. Die vornehmen Schnallenschuhe mussten hohen Stiefeln weichen, die es auch vermochten, im feuchten Grund ihren Träger vor unliebsamer Nässe zu bewahren. Luca, der nicht über solcherlei Stiefel verfügte, fand sich in schweren Holzpantinen mit breitem Fußbett, das einem Einsinken entgegenstand. Ein oder zwei Knaben aus Sebastiens Gefolge beobachteten die Präparationen in sicherer Distanz. Es war dem Jüngling nicht entgangen, dass Luca keinen Umgang mit den anderen Knaben pflegte, sie weder adressierte, noch ihre Gegenwart leiden mochte. Er erwog den Gedanken, aus einem Impuls heraus die Zuschauer zu ihrem Unternehmen einzuladen, allein, die Bonne trat auf mit Zornesblick, und eilig verfügte man sich an andere Orte. Die Knaben zu ihren Hausarbeiten, der Jüngling und sein Begleiter auf die Straße zu den Sümpfen. Beuroux zu seiner Linken, der Knabe rechter Hand spazierte Sebastien munteren Schritts dahin. Es nieselte zwar, doch der breitkrempige Hut bewahrte Gesicht und Schopf vor feuchtem Guss. In der Rechten schwenkte er launig den Weidenkorb mit dem Mittagsmahl, sorgte sich nicht um das Schweigen, das beide Wanderer umgab. So angenehm still in diesem Tropfenvorhang, die Gedanken verfügten sich müßig, spekulierten geheimnisvolle Silhouetten in schemenhaft dräuende Bäume und Sträucher... Ein wohliger Grusel schauerte über den Rücken des Luminnier. Und da sie so flanierten, ganz ohne Eile, in Arglosigkeit eingehüllt wie täuschendes Tuchwerk, sprengten die Reiter ungehört heran, die beschlagenen Hufe vom gesättigten Boden verschluckt. ~*~ Sebastien erstarrte, da sich rapid aus dem Schattenspiel der Nebelschwaden hochberittene Gestalten lösten. Er erinnerte sich allzu gut der unerfreulichen Begegnungen und fürchtete, man möge sie in die Drainage stoßen. Eilig wich er zum Graben hin, streckte die Hand aus, den Knaben bei der Schulter zu fassen, doch dieser entschlüpfte seinem Griff, wich auf die benachbarte Seite aus. Inmitten der bedrohlich klopfenden Hufschläge löste sich ein schneidendes Geräusch, Metall schabte begehrlich an einem Schaft: Klingen wurden blankgezogen! Der Jüngling wandte sich herum, sprang über die Drainage in einem verzweifelten Satz, wollte über das abgeerntete Feld entfliehen. Häscher, keine Frage, die im Schutz der Witterung ihr Opfer suchten! Er floh dahin, ließ den Weidenkorb fahren, mit weit ausholenden Schritten, dankbar für die soliden Stiefel, die den feuchten Grund mit seinen Stoppeln aufspritzen ließen, jedoch einen fatalen Sturz verhinderten. Beuroux blieb stumm an seiner Seite, ein gewaltiger Schatten, der sich vor ihn setzte, als das Feld sein Ende nahm. Hinter ihm dröhnte Hufschlag, es schnaubte und tänzelte, da das Feld tückische Unebenheiten und Löcher aufwies, die mancher Fessel den Garaus bereiten konnten. Wohin sich wenden? Konnte ein Mann einem Pferd entfliehen, wenn er über wenig Ausdauer verfügte wie der Jüngling? Beuroux sprang voran, über den Feldrain, der die Besitzung markierte, glitt mühelos durch eine dichte Hecke, die dem Kundigen Warnung genug war, dass hier ungesichertes Gelände begann. Allein, Sebastien folgte ohne Zögern, welche Wahl blieb ihm? Sich unbewaffnet dem Feind zu stellen? Da wollte er lieber Frau Fortuna versuchen und sich Beuroux' Führung anvertrauen. Dieser glitt bedächtig, prüfend sogar über den Grund, wo es schmatzte und gurgelte, ein Gluckern und Blubbern, wo jeder Schritt sich tief in den trügerischen Grund senkte und sofort seine Spur verschluckte. Einige der tollkühnen Verfolger setzten über die niedrige Hecke hinweg, um dann unter schmähenden Ausrufen die aufbegehrenden, ängstlichen Tiere wieder zu zügeln, andere hielten sich vorsichtiger zurück. Über dem Moor hing der Nebel in dichten Schwaden, sodass man wenig mehr als Formen erahnen konnte. Und ohne einen Sonnenstrahl konnte der Blick nur zwischen Boden und Dunstschleiern streifen, eine Himmelsrichtung war nicht auszumachen. Sebastien verließ sich gänzlich auf seinen treuen Begleiter, der ihm voran lief. Sie mussten wohl vernünftigerweise die Verfolgung abbrechen, so schöpfte der Jüngling Hoffnung. Es wäre also ein weiteres Mal gelungen, den Häschern zu echappieren, wenn er das Sumpfgelände sicher durchquert hatte. Doch dann erschrak er ins Mark. Ein Bellen ertönte, ungeschlacht, geifernd, mordgierig. Beuroux wandte den Kopf, hielt inne. Sebastien schlang die Arme um den Leib, nun fror ihn gar entsetzlich. Waren es Bluthunde, die ihn hetzen sollten? Eine Treibjagd, wie man sie von Wölfen kannte?! Nun beschleunigte Beuroux. Sprengte in großen Sätzen davon, sodass der Luminnier den Hut auf den Rücken schleuderte und von Todesfurcht getrieben dem Hund nacheilte. Bald schlug ihm das Herz wie eine Kriegstrommel, die Lungen brannten, der Schmerz in den Seiten stach ihm Tränen in die Augen. Allein, er durfte nicht nachlassen, keinen Augenblick verweilen, immer näher kamen ihm die Häscher. Und wie sie tobten und brüllten, die Bestien auf seiner Spur! Furien gleich lechzten sie danach, ihn zu stellen, zu reißen, geiferten vor Zorn, dass sie auf die Reiter zu warten hatten! Sie erreichten endlich einen Feldrain, eine weitere Begrenzung. Sebastien konnte kaum den Weg erkennen, die Augen tränenblind. Die Pein krümmte seinen schlanken Leib, er musste sich auf den Oberschenkeln stützen. Von Kopf bis Fuß mit Schlamm bespritzt, Risse im Stoff... nicht länger ein stolzer Jüngling sondern nun ein derangierter Flüchtling jenseits seiner Kräfte. Beuroux ging voran, wenige Schritte nur, dann wandte er sich um. Sebastien begriff, dass er dem winzigen, kaum auszumachenden Pfad folgen sollte, der sich mit einigen gestreuten Kieseln abzeichnete. Eine Abkürzung wohl, die man ausgewiesen hatte, um sich schneller fortbewegen zu können, abseits der gewohnten Wege. Jedoch wollte er auf keinen Fall, dass der treue Gefährte sich allein den herannahenden Bestien stellte. Da erhob Beuroux die Stimme, ein einziges Mal. Ein gewaltiges, sich steigerndes, drohendes Heulen, so archaisch, wie es geklungen haben mochte, als seine Art sich den Menschen anschloss, um gemeinsam zu überleben in der unwirtlichen Welt der Mantanha. Er kannte seine Pflicht, den zarten Menschen zu behüten, der ihm Nahrung und Obdach gewährte. "Ich lasse dich nicht zurück, mein Freund!" Sebastien sank in die Knie, umschlang das kräftige Tier, drückte die tränenfeuchte Wange in das feurige Fell. Beuroux blieb stumm, wartete geduldig, bis die sich nähernde Meute lautstark und blutgierig spektakelte. Und der Jüngling begriff, dass er keinen Wert hatte in diesem Kampf. "Bitte, komm zurück zu mir, roter Teufel", schluchzte er leise in das Fell, erhob sich dann und stürzte ohne Abschiedsblick von hinnen. ~*~ In seinen Ohren gellte ein Heulen und Kreischen, von Mensch und Tier, trotz der dämpfenden Regenschleier nicht zu überhören. Sebastien weinte, ließ die Füße blindlings laufen auf der Spur der Kiesel. Wie hatte er sich solche Treue nur verdient? Hatte er seinen Gefährten wirklich mit allem Respekt behandelt? Er, der sich so wenig auf Tiere verstand, auch mit den Menschen kaum Geselligkeit zu pflegen wusste? Dann hörte er Rufe, Scheuen und Fluchen. Man folgte ihm noch. Ob sie den Pfad wohl kannten, den er entfloh? Es durfte angenommen werden, da kein Zweifel darüber bestand, dass sie ortskundig waren, diese Häscher! Sebastien schlug nun hin, ein ums andere Mal, da ihm Beuroux' umsichtige Leitung fehlte. Das Tuch seiner Kleider saugte sich voll, wie eine nasse Decke zog es ihn zu Boden, raubte ihm den Willen zum Widerstand. Die Glieder schmerzten, wollten sich nicht mehr antreiben lassen, aus der Nase sickerte bereits Blut, die Lippen waren wund gebissen, und jeder Atemzug aus den gemarterten Lungen glich einer sengenden Höllenqual. Da er sich nicht mehr regen konnte, in die Knie brach, wusste sich Sebastien keinen Rat mehr. Zorn kochte hoch in seiner Seele, da er sich gänzlich ungerecht verfolgt und bestraft sah. Wieso sollte er auf diese Weise ein Ende finden?! Auf wessen Ratschluss hin hatte er gerade erst vom Glück gekostet und musste nun davon lassen?! Und wie Beuroux zuvor schrie er seine Entschlossenheit hinaus, sich nicht zu beugen, dem Schicksal mit trotzigem Mut zu begegnen. "JAIME!!!" ~*~ Die beiden Mantanhol fuhren herum, als markerschütternd ein Schrei vom auffrischenden Wind über das Feld getragen wurde. Dann hörten sie das Jaulen und Kläffen einer Meute, Schnauben und Wiehern von Pferden, Schmähungen aus menschlicher Kehle. "Sebastien!!!" Jaime zog das Messer, sorgte sich nicht, wen er zu konfrontieren hatte, sondern sprengte von Angst beschleunigt über den eigenen Besitz. Auf seinen Fersen Gaspard, dahinter einige Knechte, die rasch griffen, was sie an Werkzeug bei sich trugen. Allein, den Senher da Solador trug die Sorge um den Geliebten mit Hermes' Flügeln über dem Grund dahin, uneinholbar zerriss er die nebligen Schleier. Der Himmel dunkelte, ein Gewitter braute sich wohl zusammen und kündigte mit frischen Windstößen Ungemach an. Dies half, die Richtung zu bestimmen, aus welcher der verzweifelte Schrei sie erreicht hatte, zudem vertrieb es die trägen Nebelbänke. Jaime erblickte Sebastien, der auf dem schmalen Pfad zusammengesunken war, sich nicht mehr regte, von Schlamm und Nässe gezeichnet. Er hielt auf den Geliebten zu, lauschte auf das mordgierige Bellen der hetzenden Meute und spürte neben dem Atem stockenden Entsetzen einen urtümlichen Zorn in sich aufkeimen. Wie konnten sie es wagen, auf seinem Grund und Boden seinen Liebsten zu jagen wie ein wildes Tier?! Wenn ihm ein Leid geschehen war, so wollte er nicht länger Rücksicht üben, dann würde ein Blutzoll gefordert werden, so wahr er der Senher da Solador war! Der Mantanhol erreichte den Jüngling in ausreichender Zeit vor den Hundeführern, wischte ins Herz getroffen Blut und Speichel vom geliebten Gesicht. "Sebastien! Sebastien", raunte er drängend, "kommt zu Euch, Liebster! Ihr seid gerettet!" Dann drängten sich die Bestien heran, und wie Jaime ingrimmig bemerkte, waren einige der Leinen ohne Zug. »Beuroux«, schloss er und wusste, dass der 'rote Teufel' seinem Besitzer das Leben teuer erkauft hatte. Er hob die Linke, eilig mit seiner wollenen Jacke umwickelt, hielt darin ein kurzes Messer. Das lange allerdings wartete in der Rechten, um wie eine Sense durch die Reihe der Hunde zu fahren, die sich auf ihn stürzten. Und er war schnell, der Mantanhol, wie ein jeder Hirte in der Mantanha, der keines seiner Tiere verloren gab. Durch die Leinen gehindert ihrem ungebändigten Morddrang nachzugeben, sich gegenseitig bedrängend, hatte Jaime reichlich Gelegenheit, schnappenden, geifernden Kiefern auszuweichen. Und mit beiden Klingen blutige Ernte einzufahren, Kehlen zu durchtrennen. Die Hundeführer natürlich, in fremdes Tuch gekleidet, das die Zugehörigkeit nicht verriet, stürzten vor, ihren Tieren beizustehen. Doch nun formierte sich ein Wall des Widerstands, da Gaspard die Seite des Senher flankierte, hinter ihm die Schar der Knechte eintraf. "Von meinem Land!", schmetterte Jaime guttural, kaum fähig, die Silben zu formen, die starken, weißen Zähne bleckend. Er wusste wohl, wer die Meute angetrieben hatte, wer sich im Nebel verbarg...und nun die Retraite signalisierte. Denn sie konnten nicht mehr reüssieren, bei einer solchen Vielzahl an Zeugen. Zurück blieben die Kadaver der Tiere, die von ihren Führern im Stich gelassen wurden. Jaime beugte sich über Sebastien, ließ beide Messer fallen, schob die Arme unter die reglose Gestalt, barg sie an seiner Brust. Wisperte zärtliche Bekenntnisse in die zerzausten Strähnen, wiegte den Geliebten sanft. Gaspard legte eine Hand gebieterisch auf die Schulter des jüngeren Mantanhol. Jaime begriff. Selbstverständlich konnte er nicht verweilen, der schöne Jüngling zitterte in seinen Armen vor Kälte, bedurfte dringend der Fürsorge. Langsam erhob sich Jaime, arrangierte Sebastiens Haupt auf seiner Schulterbeuge, überließ es seinen Begleitern, die blutigen Klingen aufzulesen. Ihre Reittiere tänzelten unruhig. Der Geruch des vergossenen Bluts versetzte sie in nervösen Unmut. Zudem kündigte sich das Gewitter bereits mit stürmischen Böen an. Der Senher da Solador gab seinen Geliebten nur wenige Augenblicke frei, auf Asard aufsitzend, dann reichte ihm Gaspard das fragile Bündel hinauf, damit es warm in den Armen des Mantanhol geborgen blieb. Jaime umschlang Sebastien sicher, ließ Asard den Weg nach Hause finden, streichelte nasse Strähnen aus dem fahlen Gesicht, das bereits in fiebrigen Flecken erblühte. "Sebastien, bitte, Liebster, schlagt die Augen auf! Ich flehe Euch an, seht mir ins Gesicht!", raunte er beschwörend, suchte angestrengt nach weiteren Anzeichen der körperlichen Schwäche. Endlich erreichte sein beständiges Wispern die Untiefen, in die sich Sebastien flüchtete, als ihn die Schwäche übermannte. Schwer ließen sich die Lider bewegen, so groß die Anstrengung, ihr Lohn ganz ungewiss, da der letzte Blick doch den bedrohlichen Schemen aus der Nebelbank gegolten hatte. "Sebastien!", erleichtert hauchte Jaime einen Kuss auf die zersprungenen Lippen, die allzu deutlich die Spuren der Zähne trugen, die den Schmerz förmlich weggebissen hatten. Der Jüngling trieb die Finger Klauen gleich in das Kamisol, das allein nun die sonnenverwöhnte Brust des Mantanhol beschirmte, zwang sich, die traurige Kunde zu offenbaren. Allein, die Kehle blieb rau, kaum mochte er sich verständlich äußern, rang angestrengt und unter Tränen, die furchtbare Botschaft zu verbreiten. "...Beuroux... er ist..." Da bettete ihn Jaime bereits tröstend an seine Brust, verbarg die Tränen des Jünglings in seiner Schulterbeuge. "Ich weiß, mi Amigar, der feige Anschlag hat uns eines treuen Gefährten beraubt", wisperte er grimmig. Und erneut hatte es der vermaledeite Kastrat gewagt, seinen Liebsten mit dem Tode zu bedrohen! "Und Luca?" Sebastiens Schluchzen durchdrang den finsteren Rachegedanken leise. "Er war bei Euch?" Nun zögerte der Mantanhol. "Wir sahen kein Anzeichen von ihm?" Der Jüngling schreckte zusammen. Wenn dem Knaben ein Unglück zugestoßen war... doch wäre Curzio Jehaune tatsächlich gewissenlos genug, einen Anverwandten zu ermorden? Einen Knaben? "Mich dünkt, er wird allein den Weg zu uns finden", zischte der Mantanhol unerbittlich, schlang die Arme eng um den Geliebten. Die schwarzen Augen loderten im Verlangen nach Vergeltung. "Sagt, Sebastien, war es Eure Absicht, uns auf das Feld zu folgen?", wollte sich Jaime bestätigen lassen, was ihm nun offenkundig schien, dass der Knabe seinem Oheim zuarbeitete. "Nun", der Jüngling hustete gequält, lagerte die brennenden Wangen an der wohlvertrauten Brust, "Luca schlug es vor, und mir erschien es eine hübsche Idee", ächzte er schwächlich, die Lider senkend. Wie matt, wie schwer sein Körper schien, in Flammen geschlagen, die ihn verzehren wollten. "Nur noch ein wenig mehr, Sebastien", beschwor ihn der Mantanhol eindringlich, versetzte Asard in Trab, da sich bereits die ersten bauchigen Tropfen ergossen. Als sie die Tore passierten, ein düster gestimmtes Geleit mit einem zornigen Rachegott an ihrer Spitze, da weinte der Himmel bereits bittere Tränen, den goldenen Spätsommer bestattend. Bald kamen sie gelaufen, die Mägde, die Knaben und Mädchen, die Spinnfrauen, die Handwerker und Knechte, da sie derart finsterer Mienen ansichtig wurden. Allein Jaime ließ sich kein Wort entlocken, keine Assistenz angedeihen, umklammerte den Jüngling aus dem Ubac wie seinen wertvollsten Besitz, barg ihn an seinem Leib und strebte eilends dem eigenen Quartier zu. "Erhitzt Wasser! Bringt Tücher und Decken! Holt die Bonne! Und sputet Euch!", ersetzte Gaspard seinem Senher die Stimme. "Für jeden einen kräftigen Trunk, der vom Sumpf gekommen ist! Facht Feuer an in den Kaminen!" Dann, als Jaime gerade die Schwelle des eigenen Gemachs überschritten hatte, ergänzte sein Majordomus mit kehligem Ruf. "Und schließt die Tore! Lasst die Hunde von den Ketten!" Da sah man die Bestürzung auf allen Gesichtern. Zum ersten Mal wies die Mainada da Solador ihren Nachbarn unmissverständlich die Tür und verweigerte das Gastrecht. ~*~ Kapitel 11 - Die Einladung Unter Einsatz fliegender Finger löste Jaime eilig die versehrten Stoffreste, schlug Sebastien in Laken und Tücher. Obwohl der Leib des Jünglings vor Fieber sengte, rieb ihn der Mantanhol energisch ab, versteifte sein Herz vor den Wunden, die die Flucht in die helle Haut gerissen hatte. Wortlos wohnte die Bonne dem Befüllen der Schwanenbütte bei, mischte mit grimmigem Ernst Kräuter und Öle im Wasser an, ließ Kohlebecken herbeischaffen, um weitere Aromen zu verbrennen. Der Senher da Solador streifte sich die verschmutzte Bekleidung vom Leib, stieg mit seinem Geliebten auf den Armen in das Wasser. Man nahte bereits, glühende Steine mit großen Zangen hinzuzufügen, damit sich die Temperatur nicht verlor. Sebastien keuchte, schwer legten sich die dichten Dämpfe auf Gemüt und Lungen, sollten läutern, was das gefährliche Moor als Souvenir ihm angehaftet hatte. Er hustete gequält, von peinigendem Schmerz gekrümmt und Jaime winkte, dass man ihm Honig-gesüßten Tee in einem irdenen Becher reichte. Wie Sirup so sämig verklebte der Trunk den wund gescheuerten Hals des Jünglings, ließ ihn in tiefen Schlaf verfallen. Nicht so den Senher da Solador, der über ihn wachte, an seiner Seite ruhte und keinen Gedanken mehr verschwendete, was das Schicksal des ihm anvertrauten Knaben betraf. ~*~ Sebastien lag unsäglich marternde drei Tage in fiebrigem Schlaf, so schwach und zerbrechlich, dass Jaime und auch Gaspard ihn auf den Armen tragen mussten, wenn er gewaschen, neu eingekleidet und wieder in frische Laken gehüllt wurde. Jaime litt stumm an der Seite seines Aimador, der im schweren Delirium weder um Beistand rief, noch sein Unglück bejammerte. Der Jüngling schwieg, glänzte verbrennend und separierte sich, als könne er gänzlich ohne jede Unterstützung sein Geschick wenden. Endlich, eine ganze Woche nach dem feigen Überfall im Moor, stand Sebastien wieder auf eigenen Beinen, in ein adrettes Ensemble aus grüner Wildseide gehüllt, lächelte zögerlich mit geröteten Wangen. Da es regnete, im missgelaunten Herbst der Maradoier, pflegte die Mainada sich unter den trockenen Dächern zu beschäftigen. Und wer sich auf das Handwerk fokussierte, der wusste wohl, während die Finger ihrem Auftrag nachkamen, ein wenig Ablenkung zu schätzen. Also saß Jaime selbst auf einer einfachen Matte und rezitierte mit lebhaften Gesten eine abenteuerliche Geschichte, wechselte launig die Idiome und belustigte seine Zuhörerschaft. Sebastien, der sich erst spät dazu gesellte, wartete artig, ob man ihm wohl einen Platz zuwies, der weder das Kerzenlicht blockierte, noch anderweitig dem Arbeitsprozess hinderlich war. Die treue Schar seines Gefolges umringte ihn, fasste nach den blassen, schlanken Händen, dem feinen Stoff des Gehrocks, dirigierte den Jüngling aus dem Ubac, dass er sich in ihrer Mitte in unmittelbarer Nähe des Senher da Solador niederlassen sollte. Und konnte er auch nicht spinnen oder weben, so reichte man ihm artig Kreide und schweres Pergament, damit er wieder skizzierte. Jaime hob die Augen vom Text, den er vortrefflich deklamierte, lächelte zärtlich in das Gesicht seines Calinhaire. Nichts sollte ihm Last sein, alles zu seinem Wohlgefallen, damit die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln wieder funkelten wie zuvor! Sebastien hingegen lauschte der Erzählung, dem wilden Mantanhol mit seinen blendend weißen Zähnen, den goldenen Kreolen in dem wirren, ebenholzfarbenen Lockenschopf. Die Finger wanderten selbsttätig über die grobe Textur, warfen seine Phantasie auf das Papier. ~*~ Jaime strahlte stolz, als Mabioline in Entzücken ausbrach, ihres Porträts ansichtig. Ja, sein scheuer, gestrenger Luminnier enthüllte wie Zauberwerk erneute Überraschungen, da er sich befähigt zum Zeichnen entpuppte. Nicht Porträts allein, nein, auch die Fabelwesen, die finsteren Gesellen, Schurken und Halsabschneider, schöne Damen und wilde Ungetiere, sie alle bannte Sebastien auf der Leinwand, die ihm Jaime spannen ließ. Wenn man sie drehte, so bewegte sich die Handlung fort, wie ein gewaltiges Gemälde, eine Tapisserie, die verwegene Geschichten an das Tageslicht brachte. Die Tage kürzten sich, die unpässliche Witterung tat ein Übriges, dass man sich gern im Trockenen aufhielt und häuslichen Beschäftigungen nachging. Was repariert, geflickt, gewartet oder auch neu gefertigt werden musste, sammelte sich nun in Körben und Kisten, wartete geduldig auf kundige Finger, die sich jeder Aufgabe annahmen. Ein Monat verstrich, und kein Fremder näherte sich der Mainada. Kein Nachbar erkundigte sich nach dem werten Befinden, und niemand hegte um Auskunft nach, was Luca Utards Verbleib betraf. Der Senher da Solador mutmaßte, dass der Knabe ein Werkzeug des Onkels war, ausgeschickt, sie auszuspähen und den Jüngling aus dem Ubac in einen perfiden Hinterhalt zu locken, um Jaime selbst damit zu treffen. So wunderte man sich, als die Hunde anschlugen. Vor dem Tor wartete, durchaus frappiert, dass so wenig Willkommen dem Reisenden offeriert wurde, ein Emissär. Wie in jedem Jahr, bevor der Winter seine frostige Fratze zeigte, überbrachte er eine feierliche Einladung zum Winterball. Annual geruhte Seine Majestät, einen Botschafter zu entsenden, der im Palais in der benachbarten Provinz einen Empfang gab. Vertreter jeder Mainada wurden um ihre Teilnahme ersucht, weniger höflich als herablassend, da Seine Majestät den Süden wenig schätzte. Man reichte dem Überbringer unter dem Tor einen stärkenden Becher Beerenwein, dazu einen Kanten Brot, dick mit Honig beträufelt. Der Zutritt allerdings wurde ihm verweigert. Beim abendlichen Speisen widmete sich Jaime dem Sujet. In der Runde seiner Liebsten und Vertrauten bedurfte er keiner beschönigenden Worte, wenn es galt, eine Entscheidung zu treffen, Für und Wider abzuwägen. "Nun, man lädt uns ein, der Tradition gehorchend. Was ratet Ihr mir, meine Liebe?" Jaime ließ sich die Wange von Mabioline liebkosen. Sie lächelte, die blauschwarzen Löckchen kringelten sich gar lieblich in einem schmalen Band gehalten um das verehrungswürdig schöne Antlitz. "Mi Amigar, da Ihr so freimütig sprecht, will ich Euch in gleichem Maße antworten: nehmt die Einladung an! Die Mainada kann nicht auf immer hinter verschlossenen Toren der Welt den Rücken kehren." "Wohl wahr", nickte Jaime bedächtig, wandte sich elegant, seiner Gemahlin zärtlich die Wangen zu küssen. "Seid bedankt, meine Liebste, für Euren klugen Ratschlag. Und Ihr, Gaspard?", nickte er dem Mantanhol zu, der ohne Scheu die freie Linke der schönen Dame in seinen kräftigen Händen hielt. "Ich stimme zu", die schwarzen Augenbrauen, teils gespalten, dräuten über ebenso dunklen Augen. "Der vermaledeite Kastrat soll nicht triumphieren. Jedoch", nun wanderte die Rechte auf den sich wölbenden Leib Mabiolines, "ich werde an ihrer Statt Euch begleiten." Jaime lehnte sich zurück, die schwarzen Augen funkelten amüsiert, bevor er im Idiom der Mantanha entgegnete. "Caitiu Gaspard, soll ich dir diese Langeweile zumuten? Bittest du mich darum?" Sebastien, der erschöpft dem Gespräch kaum folgte, horchte auf, übersetzte sich die Worte. Sie sprachen so direkt, die beiden Mantanhol, ließen jede Distanz vermissen, scherzten wohl, denn Gaspard schmunzelte in den dunklen Bartschatten, brummte Unverständliches. Unerwartet wirbelte Jaime herum, legte die Rechte behutsam um das Kinn des Jünglings. "Und Ihr, mi Aimador, wie lautet Eure Empfehlung?", flüsterte er samtig. Zögerlich senkte Sebastien den Blick. Er spürte Scheu, da es ihn gänzlich ungewohnt ankam, dass man sein Urteil als von Bedeutung einschätzte. "Nun, mi meri Calinhaire, wollt Ihr mir gar kein Wort schenken? Nicht einen Blick mir widmen?", neckte ihn Jaime herausfordernd. Zeichnete mit dem Daumen gelenkig die weiche Haut des Kiefers, die beklagenswerter Weise ausgesprochen selten der Dienste eines Barbiers bedurfte. Auf solche Weise provoziert konnte ein Senher nicht eine Antwort schuldig bleiben! Sebastien richtete sich auf, straffte seine schlanke Gestalt. "Wenn Ihr meinen Ratschlag wünscht, Senher da Solador", die Silben bohrten sich dornig, "dann nehmt mich zum Begleiter. Es scheint mir von Vorteil zu sein, wenn Eure Gemahlin nicht ohne Schutz hier verbleibt." "Ah!", strahlte Jaime, bleckte die starken, weißen Zähne auf, störte sich nicht am distinguierten Tadel. "Ihr sprecht mir aus der Seele, mi Amigar! So präzise, als hättet Ihr meine Gedanken gelesen!", mokierte er sich, sprang elastisch auf die Beine, legte dem Überraschten beide Hände auf die Schultern. "Ich danke Euch, Sebastien!" Der Jüngling schwieg, die Lippen dünn gepresst, da er sich ein weiteres Mal düppiert sah, in einem vertraulichen Spiel eingewoben, das die drei Übrigen zu ihrer Unterhaltung zu betreiben pflegten. Allein, der Senher da Solador überging jede Anwandlung von Verärgerung schwungvoll, drehte sich im Halbrund. "Nun, dann wollen wir in der verbleibenden Frist für den Winter Vorsorge treffen. Gaspard, eine Liste, was noch zu beschaffen ist! Was besorgt werden kann, werden wir im Anschluss an den Empfang erwerben!" Die kraftvollen Hände klatschten in prägnantem Rhythmus, luden zum Tanz. "Auf, auf, wir wollen uns sputen! Die Garderobe muss auch noch gerichtet werden!" Während Jaime in erwartungsfrohem Enthusiasmus schwelgte, lächelte Mabioline nachsichtig ihrem Tischnachbarn zu, der die Augenbrauen ob der anberaumten Frivolitäten kritisch lupfte. Sebastien errötete, als er sich der Aufmerksamkeit der Senhora da Solador bewusst wurde, schämte sich seiner enragierten Gedanken. Man konnte wohl kaum behaupten, dass sich die Luminnier durch sonderlich feinsinnige Winkelzüge auszeichneten, -er wusste es wohl. Und so konnte er Jaime nicht zum Vorwurf machen, dass dieser sich der Kalkulierbarkeit seiner Erwägungen bediente. Mit bänglicher Sorge fragte sich der Jüngling aus dem Ubac, ob er in der Tat einem royalen Empfang gewachsen war. ~*~ Obgleich nun unerwünschte Zeugenschaft durch den Knaben nicht länger zu befürchten stand, nächtigte Sebastien in den folgenden Tagen allein in seinem Gemach, unsäglich erschöpft und keines Gedanken mehr fähig. Während tagsüber mit großem Elan die ausgewählte Gala-Robe ausgebessert, mit Spitzen und Zierrat versetzt wurde, eigens von Mabioline ausgewählt, um die männliche Schönheit der beiden Senher auf das Vortrefflichste zu unterstreichen, hatte Sebastien ein Pflichtprogramm zu absolvieren, das ihn an seine Grenzen führte. Der höfische Tanz, die Etikette, die Causerie als Galan, charmant und mit aufblitzendem Esprit, die artige Courtoisie gegenüber den wohlgesetzten Älteren, dazu noch Historie der einzelnen Mainadas... Dem Jüngling schnürte sich in haltloser Panik die Kehle ein. Wer sollte dies bestreiten, ein Jahrzehnt der formenden Erziehung in die Spanne eines halben Mondes gepresst?! Allein, es war beschlossen. Jaime wollte den angenommenen Sohn in der Gesellschaft einführen, somit das Debüt des Luminnier zum bedeutendsten Ereignis des Empfangs küren. Wohl wahr, in der finsteren Jahreszeit, da traf man des Öfteren zusammen, zu geselligen Runden, bei Tanz und Spielen, denn es war die Gelegenheit, neue Verbindungen zu schließen und althergebrachte zu erneuern. Sebastien litt stumm, wie hätte er auch Klage führen können? Bot sich nicht Mabioline, -gestrenge, unerbittliche Lehrmeisterin!-, selbst an, ihn in die Kunst der Gesten einzuweisen, die jede gesellschaftliche Begegnung untermalte? Ein Tanz, in gemessenem Schritt, barg eine Vielzahl von Figuren, die sorgsam beachtet und in perfekter Pose ausgeführt werden mussten. Diesem Diktat beugten sich ebenfalls die delikaten Zeichen, die Damen und Herren tauschten, mittels Accessoires und feiner Körpersprache. Die Kinderschar, wenn sie nicht ihren Verpflichtungen zu frönen hatte, amüsierte sich, Sebastiens zögerliche Versuche zu studieren, sich in den Hintergrund des Tableaus zu gesellen. Um den Jüngling zu beschämen, dessen Auffassungsgabe weniger flink die Details zu erkennen verstand. Jaime tröstete den Geliebten ein ums andere Mal mit zärtlichen Worten der Aufmunterung, raunte Versicherung, dass sie reüssieren würden, ganz ohne Zweifel! Wie sollte er auch, der meri Calinhaire aus dem Ubac, von solcherlei Amüsement Kenntnis haben? Die Luminnier pflegten derlei frivole, -ja, sündhafte!-, Tändeleien nicht, verstanden sich wenig auf die leichte Konversation, separierten strikt die Geschlechter... Wen nahm es da Wunder, dass Sebastien der lehrreichen Unterstützung bedurfte? Als endlich der Tag des Aufbruchs sich zögerlich aus dichten Nebelschwaden löste, einer käsigen Sonne vorstand und Regen versprach, harrte ihrer der Landauer bereits geduldig. Von zwei Pferden gezogen bot er Raum für vier Personen, die einander paarweise gegenüber Platz nahmen, unter einem faltbaren Verdeck vor der Witterung geschützt. An jedem verfügbaren Ort hatte man den Landauer mit Riemen und Halterungen versehen, um möglichst alles verstauen zu können, was auf der umfangreichen Liste des Senher da Solador Niederschlag gefunden hatte. Er wusste wohl, dass der Landauer keineswegs die erste Wahl war, wenn man im Spätherbst reiste, allein, die solide Bauweise und die Möglichkeiten, das Vehikel gleich einem Heuwagen beladen zu können, gaben den Ausschlag. Frohgemut wurde die Truhe verstaut, die die Gala sorgsam hütete, Proviant im Weidenkorb an adäquater Stelle deponiert, dann hieß es Abschied nehmen. Mabioline herzte die beiden jungen Männer lange, durchaus in Sorge, wie man wohl ihnen den Empfang bereiten würde nach den jüngsten Ereignissen. Jaime und Gaspard tauschten sich im Idiom der Mantanhol aus, knapp und kehlig, den Umstehenden kaum verständlich, dann zog der Jüngere seinen Majordomus in die Arme, drückte ihn fest. "Wohlan!" Jaime strahlte mit blendend weißen Zähnen in die Runde, justierte den vornehmen Hut keck auf dem ebenholzfarbenen Lockenhaupt. "Es gilt!" Sebastien leistete in unruhiger Erwartung Folge, nahm an der Seite des Mantanhol Platz, wickelte sich sorgsam die wärmende Decke über Schoß und Beine. Er hörte wohl die Jubelrufe, die ihnen folgten bis zum äußeren Tor, hob scheu die blasse Hand zum Gruß, -jedoch, die Gedanken ballten sich ängstlich in seinem Kopf zu einem wüsten Gestrüpp: was mochte ihrer harren? ~*~ Jaime, der die ungebärdigen Locken gänzlich gegen seine Gewohnheit in einer Spange artig am Hinterkopf gefangen hielt, tollkühn jedoch von seinen goldenen Kreolen nicht lassen konnte, verstand es ohne Mühe, in der bleichen Miene seines Geliebten zu lesen. Und Sebastien schwieg derart melancholisch, dass den Mantanhol liebevolle Nachsicht wie eine große Woge überschwemmte. Wie vorteilhaft es war, dass der Jüngling größere Neigung zur Besonnenheit hin zeigte, kontemplierte der Senher da Solador schmunzelnd, fasste eine klamme Hand, um sie zwischen den eigenen aufzuwärmen. Ohne jeden vernünftigen Zweifel hatte sich herumgesprochen, dass sie mit den Jehaune im Zwist lagen, wie konnte es auch anders sein? Dass sie sich nicht um das Wohl des Knaben, dieses Kuckuckseis, bekümmert hatten! Und welche Dinge mehr noch zur Sprache kommen konnten! Einerlei, Jaime stützte seine Zuversicht auf die eigene Überzeugungskraft. Er wusste besser als Curzio mit den Menschen zu sprechen, sie sahen ihn als einen der ihren an, auch wenn er als ein Bauer und Mantanhol geboren war. Zudem galt Friedenspflicht am Hofe, die keiner zu verletzen wagte, der sein Leben zu behalten wünschte. Er hob die blasse Hand, die so kunstfertig zu skizzieren vermochte, hauchte einen verehrenden Kuss in ihren Teller und barg sie unter der schweren Decke auf seinem Schoß. "Ruht ein wenig, mi Amigar", lockte er Sebastien an seine Schulter, denn das fortwährende Stampfen der schweren Federungen hieß den Jüngeren einlullend dösen. Sebastien entrang sich ein verlegenes Lächeln, dann schmiegte er sich an die vertraute Brust, so ungewohnt fein in seidige Stoffe gehüllt. Die Reise würde noch eine ganze Weile andauern. ~*~ Mit Einbruch der Nacht erreichte die bescheidene Gesellschaft ein Landgasthaus, unweit der Örtlichkeit des Palais, in dem der Empfang gegeben würde. Man kannte sich wohl, schloss Sebastien aus den vertrauten Gesten und der herzlichen Aufnahme, die sie erfuhren. Obgleich das Etablissement eher dem einfachen Reisenden Obdach bot, konnte der Jüngling keinen Anstoß an der Unterbringung und Verpflegung nehmen. Das Zimmer mit dem großen Lager, das er mit Jaime gemeinsam nutzen würde, -im Übrigen keineswegs ungewöhnlich, da sich viele Reisende die Kosten der Logis zu teilen pflegten-, erwies sich als sauber. Stroh und Streu just gewechselt und das Wasser frisch vom frostigen Brunn. Ihn wunderte selbst der gesunde Appetit auf das rurale Mahl zur Nachtzeit, Sorgen und Unruhe verabsentierten sich, da er die lange entbehrte Nähe Jaimes erlangen würde. Aneinander geschmiegt wärmten sie sich auf dem bescheidenen Lager, hielten den Liebsten zärtlich umschlungen. Sebastien räusperte sich, widerwillig die sakrosante Stille brechend. "Sagt, Jaime..." Zögerlich hielt er inne, tarierte Worte auf ihre versteckte Bedeutung hin, um erneut einen Anlauf zu wagen. "Sagt, erwarten uns bei diesem Empfang nicht... Unfreundlichkeiten?" Der Mantanhol lachte leise, ein samtiges Rollen in der Tiefe seiner Kehle, Vibrationen, die durch Sebastien wanderten. Die vertraute Hand streichelte neckend tollkühne Strähnen des karamellfarbenen Haars aus der blassen Miene des Jüngeren. "Ihr habt an meiner Seite nichts zu fürchten, mi Aimador. Niemand wird es wagen, das Gastrecht zu verletzen." Jaime hauchte einen lockenden Kuss auf die geteilten Lippen des Jünglings. "Im Übrigen verfüge ich noch immer über getreue Freunde. Nicht wenige hegen keine Sympathie für den Kastraten." Sebastien zog fröstelnd die Schultern hoch, schauderte angespannt. "Ich bin bestrebt, Eure Erwartungen zu erfüllen", verkündete er heiser, senkte die Lider, sich in der Wärme des Geliebten zu verbergen. Der Senher da Solador raufte liebevoll den Nacken seines Gefährten. "Sebastien, es besteht keinerlei Notwendigkeit, sich zu verstellen oder steif den Konventionen zu dienen! Bleibt Euch selbst stets treu, und ich werde immer voller Stolz und Bewunderung an Eurer Seite sein." Wie schnörkellos solch pathetische Worte dem Älteren von den Lippen perlten! Gleichsam so aufrichtig und eindringlich, dass man sich ihrem Bann nicht entziehen konnte. Der Jüngling aus dem Ubac, von skeptischer Natur, da er in den Sommermonaten viel Unglück und Schrecknis erfahren hatte, musterte den Geliebten versonnen. Wie konnte prahlerische Arroganz nur derartig verwandelt werden, von diesem unerschrockenen Herz geläutert?! Er hob eine Hand, die sonnenverwöhnte Wange zu streicheln, an den ebenholzfarbenen Locken zu zupfen. So oft hatte er dem wilden Mantanhol gezürnt, ihm jegliche Qualitäten abgesprochen, ihn brüsk von sich gestoßen, -und nun konnte er nicht begreifen, welche Blindheit ihn geschlagen hatte. "Ich möchte Euch nicht enttäuschen", seufzte Sebastien wehmütig eingedenk seiner unzähligen Lektionen, insbesondere denen der höfischen Etikette. Jaime schmunzelte, grub das Gesicht in die zarte Halsbeuge des Jüngeren, dort geräuschvoll schnaubend, um die dräuenden Sorgen zu vertreiben. "Mi Aimador, ich lasse mich nicht so leicht täuschen. Wie sollte es Euch da gelingen, mich zu enttäuschen?!", scherzte er neckend, während seine Hände vorwitzig unter dem langen Nachtgewand vagabundierten. Sogleich keuchte der Jüngling, umklammerte eilig die Aggressoren, wisperte Protest. "Unmöglich, die Wände haben Ohren!" Derart simpel ließ sich ein Senher da Solador nicht abweisen. "Dann werdet Ihr wohl besonders leise sein müssen", lautete seine frivole Replik, denn er beabsichtigte keineswegs, ohne die Auffrischung ihrer intimen Bekanntschaft Morpheus' Gefilden einen Besuch abzustatten. Sebastien fügte sich willig, ließ sich entkleiden, wählte dann ein feines Taschentuch, unziemliche Laute zu dämpfen und ersuchte mit Handstreichen den Älteren, ihm seine Gunst zu erweisen. Dieser kam der sehnsüchtigen Aufforderung nur zu bereitwillig nach, vereinigte ihre vernachlässigten Körper in einem aufpeitschenden Akt. Ermattet in friedlich gestimmter Erschöpfung frönten sie anschließend dem entbehrten Schlaf. ~*~ Jaime ließ es sich nicht nehmen, den scheuen Jüngling aus dem Ubac am nächsten Tag bei Vertrauten und Geschäftspartnern vorzustellen, während er zeitgleich bereits die ersten Order tätigte. Immerhin sollte die Rückkehr zur Mainada da Solador recht zeitig erfolgen. Sebastien, der die strenge Musterung nicht zu Unrecht fürchtete, hielt sich in schüchternem Schweigen hinter dem Mantanhol, lächelte artig und drückte kräftige Hände, wie es der direkten Manier der Maradoier entsprach. Noch schien er zu leicht in ihren Augen, doch sie erwiesen ihm den Respekt, der einem Familienangehörigen Jaimes gebührte. Wie es sich ausnahm, hatte ein jeder bereits von der unglaublichen Mär gehört, dass die Mainada da Solador den ihnen anvertrauten Knaben aus der Mainada Jehaune unversehens zurückgesandt hatte und jedem das Gastrecht verweigerte! Jaime ließ die weißen Zähne aufblitzen, die goldenen Kreolen funkelten gebieterisch vor den ungebärdigen Locken, während er mit scharfer Zunge die wesentlichen Details ergänzte, die erst das Tableau vollendeten. Allein, er hütete sich, Curzio Jehaune direkt und unverblümt des heimtückischen Mordversuchs anzuklagen, denn die Maradoier hielten recht wenig von Behauptungen, die sich nicht tatkräftig belegen ließen. Der Jüngling aus dem Ubac sah dem Abend mit nervöser Unrast entgegen. Man kleidete sich in das feine Tuch, von der Senhora da Solador mit formidablen Geschick kombiniert, um den besten Eindruck zu erzielen, wenn man im Palais seinen Parcours absolvierte, von unzähligen Kandelabern in weiches Licht getaucht. Wie die übrigen Geladenen auch fuhren sie mit dem Landauer vor, zu diesem Zweck vorübergehend von seiner Last befreit und festlich mit Immergrün bekränzt. Ein eisiger Wind fauchte stürmisch umher, verkündete das Versprechen von Frost und Schneefall, allein, noch gebrach es der notwendigen Feuchtigkeit für Niederschläge. Man empfing in einer enormen Halle, generös mit allerlei Bilderschmuck und Zierrat ausgestattet, jedoch sparsam beim Mobiliar. Lediglich Jaime wurde annonciert, der Zeremonienmeister akzentuierte mit einem adretten Stoß auf dem Parkett, Sebastien fand sich als 'Begleitung' angekündigt. Bescheiden wollte er mit einem artigen Schritt Abstand hinter seinem 'Vater' schreiten, doch Jaime duldete derlei keineswegs. Im Gegentum! Brüskierend frech fasste er den Arm des Jünglings, ihn auf dem eigenen ablegend, streichelte zärtlich mit der anderen Hand den ob der Aufregung klammen Handrücken des Jüngeren. Die starken, weißen Zähne blendeten auf, die goldenen Kreolen funkelten majestätisch im Kerzenschein, die ebenholzfarbenen Locken, kaum von der edlen Schleife im Nacken eingefangen, lockten sich frivol. Während der Senher da Solador stolz und herausfordernd die Runde ambulierte, so unbekümmert, als handele sich es wahrhaftig um einen Lustgang im Freien. Solcher Mut konnte kaum weniger als eindeutige Reaktionen provozieren, Hingabe oder Ablehnung. Allein, Jaime hielt jedem Blick stand, die schwarzen Augen bannten sengend, verzehrten mit ihrer finsteren Flamme. Obgleich er sich auf die Etikette verstand, so wagte er tollkühn, sich ihrer zu entledigen, wenn ihm dies opportun erschien. Und dies in Gegenwart des Statthalters Seiner Majestät! Man munkelte. Naturgemäß. Hier, da man die Töchter und Nichten in die Gesellschaft einführte, Familienbande verknüpfte und Bündnisse schmiedete, da konnte niemand unbeeindruckt bleiben von diesem wilden Mantanhol. Der, -habt Ihr es gehört?!-, einen Luminnier als seinen Sohn am Arm führte!! Unerhört! Vermessen! Manch einer jedoch zwinkerte, zwirbelte den würdigen Bart, hob den zierlichen Kelch mit aromatisiertem Wein, den man ausschenkte. Tollkühner Bursche, der sich nicht scherte, was man im Ubac an Teufeleien ausheckte! Ein freier Geist, ein wahrer Mann! Sebastien schwieg, wenn er nicht zu grüßen hatte, die Kehle eingeschnürt, die Haltung steif, beobachtete Jaime. »Wie er so munter plauderte, hier eine Causerie, der Senhora zu schmeicheln, dort ein neckender Blick, die schüchterne Jungfrau zu charmieren! Und auch die Herren, in mächtiger Gestalt, würdig und gemessen, für jeden fand sich ein treffendes Wort, tauschte man Neuigkeiten und erkundigte sich nach dem werten Befinden!« Bald narrten ihn die eigenen Sinne. Welches Gewirr an Stimmen, Wortschwall über Wortschwall, ein misstönender Vielklang! Auch roch es wenig manierlich, zu viele Personen, in Pelz und schwere Stoffe eingehüllt, keine hurtige Brise, die erfrischende Luft in den gewaltigen Saal fegte. Der Jüngling neigte sich, einem Ohr seine Klage anzuvertrauen, als der Gefährte bereits aufmerksam einer der Flügeltüren zustrebte, die in vertraulichem Zwielicht vom gleißenden Treiben des Empfangs in verschwiegene Gänge führte. Ein paar Biegungen, von wenigen, stark rußenden Fackeln begleitet, die Wände nun grob verputzt und ohne Schmuck, da lehnte sich Sebastien an, atmete tief die frische, feuchte Luft ein. Zärtlich senkten sich die warmen Hände des Mantanhol auf sein Gesicht, behutsam zogen Fingerkuppen winzige Kreise, die peinigende Anspannung zu vertreiben. "Ihr habt Euch wacker geschlagen, mein Liebster", raunte Jaime aufmunternd, stahl sich einen flinken Kuss. "Sagt, Sebastien, wollen wir eine Exkursion unternehmen?" Das mutwillige Funkeln in den schwarzen Augen konnte selbst das flackernde Dämmerlicht nicht verhehlen, sodass der Jüngling aus dem Ubac gegen das Mauerwerk wich. "Haltet Ihr das für klug? Wir sind hier nicht sonderlich wohlgelitten, Jaime." Die Kritik verstummte, da Jaime sie meisterlich zu versiegeln wusste. Dem leidenschaftlichen Entente folgend zog er Sebastien in seine Arme, erkundete die vertrauten Gefilde, die ihm weisen Rat geben wollten und so ungebührlich dreist gehindert wurden. Als der Jüngling gegen seine Brust lehnte, die Knie weich, da er schwankte, lächelte der Senher da Solador maliziös. "Vertraut auf mich, mi Aimador!", raunte er lockend, fing eine Hand in seiner Starken und vagabundierte unerschrocken durch labyrinthische Gänge. ~*~ Längst hatte sich jede Orientierung verloren, der Jüngling setzte gehorsam einen Schritt vor den nächsten, mühte sich redlich, lautlos in den vornehmen Schnallenschuhen aufzutreten. Mal näherten sie sich dem Empfang auf wenige Meter nur, dann wieder blieb es so still und stumm, dass Sebastien die freie Hand auf die eigene Brust legte, um sich zu versichern, noch im Besitz eines Herzschlags zu sein. Jaime ließ sich nicht hindern. Tapetentüren, verlassene Boudoirs, Separees, Alkoven, Chambre privee: ein jeder Winkel war zu erkunden, bis er endlich fand, was er gesucht hatte. Die schweren Flügel der Holzverkleidung waren vor den hohen Fenstern fest geschlossen, auf das kein Licht hinein drang, die Farbenpracht des Interieurs zu verblassen. Gewaltige Vorhänge ergossen sich in Wellen und Falten zu Boden, Brokat und Samt, mit eingewebten Mustern, desgleichen die Wände, die Decke und der Boden! All überall hatte man sich edelster Stoffe bedient, die klamme Kälte zu verkleiden, das Parkett zu beschämen, ein Firmament zu kreieren. Auch die Möbel, kunstvoll gedrechselt, recht zierlich in Gestalt, trugen vornehme Polsterung, bar jeder Spur des alltäglichen Gebrauchs. Jaime, der sich eines handlichen Kandelabers bemächtigt hatte auf ihrem Streifzug, trat ohne Scheu in den vornehmen Salon, durchquerte diesen, um in das durch eine große Flügeltür getrennte Schlafgemach einzutreten. Wo sich noch Kerzen fanden, illuminierte er sie eifrig, strich kühn mit der freien Hand über Stoff und Gehölz. Dann wandte er sich mit elegantem Tanzschritt herum, streckte einladend die Hand zum Gefährten aus. "Nun, Sebastien, wo befinden wir uns wohl, was denkt Ihr?" Der Angesprochene zögerte auf der Schwelle, wollte sich nicht ohne Erlaubnis in diese prachtvolle Zimmerflut flüchten. Allein, die Muster, die Gemälde, hauchdünn mit feinstem indischen Baumwolltuch verhangen... "Oh, Jaime!", entwand sich ihm ein heller Ruf schieren Entsetzens. "In der Tat", lächelte der Mantanhol diabolisch, "in der Tat, mi Amigar! Nun, seid nicht schüchtern, Liebster, tretet ein! Heute sind wir Gast dieses hohen Hauses! Man soll uns nicht nachsagen, wir hätten dieses Vorrecht nicht zu nutzen gewusst!" Sebastien ballte die Fäuste, ihm zitterten sämtliche Glieder. Das Gemach Seiner Majestät! Man konnte schlechterdings unmöglich so unmanierlich einmarschieren und sich dem Amüsement ergeben! Dass sein Gefährte diese Überzeugung nicht teilte, konnte dem Luminnier kaum entgehen, da Jaime unbekümmert einem Porträt Grimassen schnitt. Sich Gehrock und Schnallenschuhe abstreifte, das Jabot löste wie auch die Bänder des sorgsam geplätteten Hemds. "Warum so bang, mein Liebster? Hier sind wir entre nous", er zwinkerte, kopierte meisterlich die vornehme Diktion bei Hofe. "Wer wird wagen, uns hier zu stören? Ist der Empfang Euch nicht auch ennuyierend genug?!" Schon zog er eine Miene schierer Qual, gepeinigt ob der entsetzlich trivialen Konversation, der unerträglich faden Gäste... Und lächelte wieder mit blendend weißen Zähnen wie der ungezähmte Mantanhol, der sich keiner Konvention beugen wollte. Dennoch, der Jüngling zögerte noch immer. Zwar schloss er eilig die Tür hinter sich, damit kein verräterischer Kerzenschein ihren verbotenen Aufenthalt verriet, doch dann verharrte er unschlüssig, die Fäuste ballend, als könne er damit Mut beschwören. "Sebastien", raunte der Mantanhol kehlig, lockend, pirschte sich an wie ein Jäger, mit anmutiger Geschmeidigkeit, löste die Schleife um die wilden Locken, schleuderte sie mit Verve von sich. Das vornehme Hemd folgte, dann beugte er sich vor zum Angriff, eine Raubkatze zum Sprung bereit, die sonnenverwöhnte Haut im Kerzenschein wie Bronze glänzend, der Schicklichkeit längst entkommen. Lediglich Kniehose und Strumpfwerk bedeckten den athletischen Leib, der Sebastien versuchen wollte. Dieser rührte sich nicht, gebannt, von einem erotisierenden Zauber gefangen, prickelnd in jeder Faser seines Körpers, dann köchelnd, brodelnd, Hitzewall um Hitzewall errichtend. "Sebastien", schnurrte der Mantanhol ein weiteres Mal kehlig, wie man es nur in der Mantanha verstand, hob das Kinn des Jünglings mit einer einzigen Fingerspitze, leckte sich unzüchtig die Lippen mit der Zungenspitze. Nun loderten die Wangen des Luminnier förmlich, ja, unsäglich brannte ein Flammenmeer direkt unter seiner Haut, verzehrte ihn die Glut wie Höllenfeuer. Ein mockierendes Lächeln tanzte auf den Lippen des Senher da Solador. Sebastien spürte kindlichen Zorn aufsteigen. Wie konnte er nur Spott mit ihm treiben?! Eine Unverschämtheit! Deren Buße er sogleich in die Wege leitete, indem er die Arme um den Nacken des Mantanhol schlang und sich Kuss um Kuss stahl, sich an den Lippen Jaimes labte, das eigene Feuer mit geraubter Feuchtigkeit zu besänftigen suchte. Es wollte sich nicht löschen lassen, dieses ungebärdige Verlangen, das immer wieder aufstieg, brodelte und köchelte, eruptierend die Wangen des Jünglings rosig behauchte. Jaime versagte den Beistand nicht. Er dirigierte den Geliebten umsichtig gegen die stoffbespannte Wand, beschäftigte die eigenen Hände, emsig hinderliche Schicht um Schicht zu schälen, bis er endlich den Jüngling in natürlicher Schönheit umhalsen konnte. Sebastien kooperierte, sich von Gehrock, Jabot und Schuhwerk befreien zu lassen, dann jedoch entwand er sich der zärtlichen Handreichung, hielt den Mantanhol mit ausgestreckten Armen auf Distanz. "Jaime", die grünen Augen funkelten warnend, ihre braunen Sprenkel verdichteten sich zum Reigen, "haltet ein! Wir können nicht an diesem Ort!" Er wusste nicht, wie er schließen sollte. Es mangelte das angemessene Vokabular. Der Senher da Solador ließ sich nicht inkommodieren. "Mi Aimador, genau an diesem Ort! Spürt Ihr nicht den weichen Teppich unter Euren Füßen? Die exaltierte Demonstration abgepressten Vermögens?! Die blasierte Arroganz?! Atmet dieses Gemach nicht die selbstsüchtige Herrschsucht dieses Ungeheuers, das Staatsräson im Munde führt und Tausende zum Schafott schleifen ließ?!" Der Jüngling erbleichte, wie im Fieber wechselte sich eisige Kälte mit brennender Hitze in rascher Folge ab. Die Augen zum Boden senkend umklammerte er die eigenen Oberarme. "Ihr... sprecht aus, was ich empfinde, Jaime, jedoch..." Er hob den Blick, die grünen Augen loderten verzweifelte Appelle. "Wollt Ihr ein solches Risiko eingehen, um eines frivolen Vergnügens willen?!" Jaime liebkoste federleicht eine rosig erblühte Wange mit den Fingerspitzen. "Sollen wir denn stets in Furcht leben?", flüsterte er sanft. "Wenn wir nicht unserer Überzeugung folgen, welchen Sinn hat dann das Leben?" Sebastien presste die Lippen, funkelte auf die exquisite Auslegeware hinab, zerknitterte die sorgsam gefälteten Rüschenmanschetten über seinen Händen. So viel Unrecht war ihnen geschehen, ungesühnt, ohne Anklage. Dem Luminnier verbot es sich, Vergeltung zu üben. Allein dem Höchsten stand dieses Recht zu. Er jedoch, der Gefallene, der Zweifelnde, er konnte sich mit Rachsucht nicht versöhnen, aussichtslos und verderblich, dieser Weg. "Kommt", Jaime hob einen Handrücken an, verbeugte sich mit Kratzfuß, hauchte einen verehrenden Kuss auf die zarte Haut, um maliziös den feurigen Blick aus schwarzen Kohlen auf Sebastien zu richten. "Beweist mir, dass die fleißigen Studien der Etikette Früchte getragen haben!" Eine elegante Pose, dann Schritt um Schritt, allein die Hände im Kontakt, der Mantanhol summte und Sebastien musste folgen. Zierliche Figuren, man neigte das Haupt, wahrte höfliche Distanz, beugte das Knie, anmutig in jeder Geste. Den Jüngling plagte der zwanghafte Reigen bald, es fror ihn in bloßem Hemd und Kniehose, obgleich der Teppich sich beschämend weich unter den Strümpfen an die Sohle schmiegte. Und Jaime neckte ihn! Der Mantanhol flatterte mit den Wimpern, balancierte einen imaginären Fächer aus, rüschte die vornehmen Roben, zwitscherte hell wie ein Vögelchen! Genug! War er nicht der Herr in diesem Schauerspiel?! Sebastien reduzierte den Abstand, schlang den Arm um die Taille des Gefährten, fasste eine Hand, drehte ihn so, wie es ihn Mabioline heimlich gelehrt hatte. Wenn die Maradoier zum Tanz aufspielten, dann kannte man sehr wohl Hüften und Taille, umhalste sich, kreiselte und sprang, pflegte vertrauliche Nähe, hielt sich nicht mit derlei Tändeleien auf! Jaime lachte, aus großen Tiefen, sprudelnd, überbordend, ließ sich im Kreise drehen, wirbelte kräftig mit, schlang die Arme versichernd um seinen Geliebten, bis sie auf den weichen Teppich sanken. Atem schöpfend, nach Orientierung suchend, bis Himmel und Erde ihre Position wieder exakt bestimmt hatten. Der Jüngling erhob sich, rieb sich die Oberarme, ein wenig fror ihn noch immer. Jaime folgte seinem Beispiel, sich wieder auf die Beine zu begeben, dann streifte er sans gene Strümpfe und Beinkleider ab, schmiegte sich gänzlich entblößt an Sebastiens Rückenpartie. "Sagt nicht, mi Aimador, dass Ihr mir die Gesellschaft da draußen vorzieht", raunte er kehlig in die karamellfarbenen Strähnen, deren einzelne sich vorwitzig an der Ohrmuschel lockten. Sebastien senkte die Lider, legte den Kopf in den Nacken, genoss die hitzige Brise, die das Hemd im gekreuzten Ausschnitt blähte. "Es gibt keinen Menschen auf diesem Erdenrund, den ich Euch vorziehe", entgegnete er kaum vernehmlich, legte die Wange an die Jaimes. Diesen durchlief ein erstaunliches Schauern, wohlig und erregend zugleich, Adressat solch unerwarteten Bekenntnisses zu sein. Er löste eine Hand, sie auf die freie Wange des Jünglings zu platzieren, das geliebte Haupt zärtlich auszurichten, damit sich die sehnsüchtige Lippen treffen konnten. Was scheu begann, das steigerte sich rasch, ein leidenschaftliches Buhlen, wer es wohl verstand, dem Geliebten das größte Vergnügen zu bereiten. Jaime wandte sich vollends herum, löste hinderliche Bänder, den Jüngling aus textilem Gefängnis zu befreien, bevor er eine stoffbespannte Wand wählte, diesen anzulehnen. Der Jüngling bedeckte die verwaisten Lippen mit der Handfläche, da sich Jaime anschickte, über die blanke Brust gen Süden zu wandern, dabei Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen zu erkunden, sei es mit Kuss, Zungenspitze oder Zähnen. Nun fiel auch die Bastion der Kniehosen, gefolgt von schicklichem Schurz darunter, ein jeder Strumpf als piece de resistance wurde abgerollt und achtlos verstreut. Sebastien seufzte und wand sich, durchstreifte die ungebärdigen, ebenholzfarbenen Locken, deren Besitzer sich in Höhe seines Schoßes verlustierte. Und wie er dies bewältigte, derlei infernalisches Geschick!! Dem Jüngling schwanden beinahe die Sinne, er spürte kaum, in eine glühende Höhle eingeführt, wie kühne Invasoren sich am Tapet entlang Eingang in seinen Leib verschafften. Er krümmte und wand sich, nicht länger Herr seiner Glieder, die Schleife ward von den karamellfarbenen Strähnen gezogen, ein dichter Vorhang umschwebte sein rosig überhauchtes Antlitz. Jaime zwinkerte gen Himmel, die geliebte Gestalt goutierend, die flatternden Lider, die blassen Hände, die zärtlich über seinen wilden Lockenschopf, die breiten Schultern und kraftvollen Oberarme wanderten. Er löste sich geschwind, fasste den Jüngling unter Kniekehlen und Schulterblättern, hob ihn an, das intime Tete-a-tete auf dem royalen Prunklager fortzusetzen. Was kümmerten ihn die schweren, kostbaren Laken? Die unzähligen Stoffschichten?! Was nicht kommodierte, das stieß, zerrte und schleuderte er als hinderlich befunden zu Boden, bettete seinen seufzenden Liebsten lächelnd, um fürsorglich zu vollenden, was er begonnen hatte. Und wie er mundete, glühte, umfing und klang! Über alles geliebter Sebastien! Aimador! Jaime sorgte sich nicht, legte sich keine Zügel an. Sondern schwelgte in leidenschaftlicher Begierde, mit schwungvollem, nachdrücklichen Engagement und jubilierte im kehligen Idiom der Mantanha, als ihm die sehnsüchtig erwartete Erlösung zugedacht wurde. ~*~ Eng angeschmiegt hielten sie einander in den Armen, während sich der flackernde Kerzenschein allmählich beruhigte. Obgleich prächtig anzuschauen und zweifellos von hoher Kunst-, die beiden Männer waren einig darin, dass Jaimes häusliches Lager jederzeit vorzuziehen war. Lustvoll begleitete es stets ihre Zärtlichkeiten, robust und nachgiebig zugleich. Auch konnte feines Tuch sich als recht hinderlich erweisen, wohingegen die sorgsam geglättete Baumwolle wenig zu Verwicklungen neigte. "Friert Ihr noch, mi Amigar?", erkundigte sich Jaime sanft, liebkoste Haupt und Glieder mit wärmenden Streichen. Sebastien lächelte. Wie konnte ihn Kälte plagen, wenn ein solches Feuerwerk in seinem Leib detoniert war? Sah er nicht immer noch Ausläufer, wenn er die Lider senkte? "Was beabsichtigt Ihr nun?", er wählte sich eine ebenholzfarbene Locke, sie um seinen Finger zu winden. Der Senher da Solador räkelte sich recht ungezogen, verschränkte beide Arme unter dem ungebärdigen Lockenhaupt, adressierte den gewaltigen Betthimmel in seinem Blick. "Wir werden wohl, -es ist nicht zu vermeiden-, uns wieder zu den Übrigen gesellen müssen." Sebastien schmiegte sich an seine Seite, halb über dem wärmenden Leib des Mantanhol gelagert. "Mich dauert es nicht, dass wir dieser Farce echappiert sind", verkündete er freimütig, "allein die Vorstellung, in zierlichen Figuren wie ein Pfau einherzuschreiten..." Jaime lachte, löste die Hände unter seinem Kopf, um zärtlich die karamellfarbenen Strähnen des Jünglings zu raufen. "Ich fürchte, mein Liebster, dieses Umstandes kann ich Euch nicht entheben! Es steht jedem Senher wohl an, sich den vornehmen Damen in artigem Tanz zu präsentieren!" Sich auf die Ellen aufrichtend funkelte es aus grünen Augen mit köstlich braunen Sprenkeln. "Wie unerfreulich! Gibt es für mich kein Entkommen?!" Der Mantanhol reduzierte sein amüsiertes Lachen zu einem intensiven, verzehrenden Blick. »Welch ein Glück...« Ihm stockte der Atem, sein Herz verfehlte den Schlag. Dieser schöne Jüngling, der in seinen Armen erblühte, sich durch Leidenschaft und sanften Scherz auszeichnete... wie konnte er anders, als ihn lieben?! Ihm das Herz verpfänden, ihn umschlingen, mit unzähligen Liebkosungen bedenken? Der Jüngling ächzte, ihm mangelte es an Atemluft, jedoch entfloh er der engen Umklammerung nicht, ließ sich auf den Rücken drehen und erneut mit Zärtlichkeiten verwöhnen. Wie nachgiebig, wie sanft sich der ungestüme Mantanhol hier bewies! Sebastien seufzte beseelt und senkte die Lider. Ein weiteres Feuerwerk Willkommen heißend. ~*~ Die Kerzen verkündeten es: höchste Zeit, sich wieder einzureihen und der Gesellschaft im Saal zu frönen. Die beiden Männer assistierten sich in stiller Zuneigung, die Bekleidung anzulegen und ein agreables Erscheinungsbild zu formen. Das Gemach allein verblieb, wie es nach ihrem zärtlichen Liebesspiel beschaffen war. Einander am Arm führend drehten sie eine weitere Runde, zögerten nicht, den Damen die Hand in Schreittänzen zu reichen, ein verwegenes Lächeln teilend. Es zeigte sich bereits der unterkühlte Morgen mit einer bleichen Sonne, als man endlich den Empfang beendete, sich ein jeder entfernen durfte. Kutsche um Kutsche fuhr vor, die Lenker mit schweren Weinbränden vor der erbärmlichen Kälte bewahrt und aus diesem Grund in erstaunlich heiterer Stimmung. Jaime, der seine beiden Knechte angewiesen hatte, im Morgengrauen mit dem Landauer in der Nähe des Palais zu warten, auf dass sie eine erholsame Nacht in ihrer Unterkunft verbringen konnten, fasste Sebastien bei der Hand. Gemeinsam wanderten sie, in pelzgefütterte Mäntel, schwere Hüte und adrett bestickte Handschuhe gewandet, die Auffahrt hinunter, von geschwollenen Augen neidvoll verfolgt. Die eisige Luft vertrieb den Ruß und den erstickenden Odeur der Menschenanballung. In gerechter Ermattung kletterten die beiden Männer in den Landauer, ließen sich der munteren Fürsorge der Knechte anvertraut zur Pension transportieren. Wenig mehr als hinderliche Kleidung wurde abgestreift, dann sanken sie bereits auf die strohgefüllten Matratzen nieder, fielen in erholsamen Schlaf. ~*~ Der Nachmittag neigte sich bereits dem Abend zu, als Jaime die Augen aufschlug, den Schlummer verabschiedete und sich aufsetzte. Ihn gelüstete nach einem ausschweifenden Abendmahl, um dem klagenden Magen zu besänftigen. Der Mantanhol wandte sich um, den Gefährten zärtlich aufzuwecken, doch zu seiner Verwunderung glühte Sebastien noch immer rosig überhaucht. "Sebastien?" Jaime küsste eine hitzige Stirn besorgt. "Mi Aimador, bitte seht mich an!" Mit großer Anstrengung hoben sich die bläulich schimmernden Lider, die grünen Augen zeigten sich fiebrig glänzend und verschleiert. Hastig schlug der Mantanhol Laken und Decken zurück, entdeckte die nackte Haut des Jünglings als mit einem feuchten Film benetzt, der von Fieberschauern kündete. "Sebastien? Sebastien!" So behutsam es ihm möglich war, hob sich Jaime den Geliebten auf den Schoß, wischte klamme Strähnen aus dem erhitzten Gesicht. Zeigte sich nun die Anstrengung der vergangenen Nacht?! Der Jüngere barg das Haupt, als sei es ihm zu schwer, in Jaimes Halsbeuge, senkte die Lider wieder herab. Jaime löste sich, legte den Jüngling umsichtig nieder, entschlüpfte ihrem Lager, sich flink Beinkleider und Hemd überstreifend. Es musste heißes Wasser beschafft werden, ein frisches Nachtgewand und andere Laken! Er rief sich die beiden Knechte zu Hilfe, die ihr Tagewerk bereits beendet hatten, den Landauer mit den Gütern vollbeladen. Die Wirtin erschien, wenig erfreut, dass offenkundig der zarte Jüngling aus dem Ubac nicht wohlauf war, ein Umstand, der ihrem Haus keine Reputation brachte. Der Mantanhol funkelte sie jedoch derartig gebieterisch an, dass sie sich in das Unvermeidliche fügte, Wasser anheizen ließ und das Mädchen schickte, neue Laken aufzuziehen. Der Senher da Solador selbst hob den Geliebten auf seine Arme, badete ihn, trocknete ihm Leib und Glieder, kleidete ihn und bereitete ihm ein Lager, dass er sich erholen konnte. In der Nacht hütete er die Seite Sebastiens, las winzige Perlen von der im Kerzenschein schimmernden Haut, wärmte die schlanke Gestalt, wenn sich das Fieber mit eisigen Schüben von Kälteschauern abwechselte. Am nächsten Morgen dann wusste Jaime, dass seine Besorgnis nicht ohne Rechtfertigung war. Er überließ Sebastien der Obhut eines Knechts und machte sich eilends auf, eine Unterkunft zu mieten. Sein Auftreten, in vornehmer Gewandung, überzeugte schließlich eine verwitwete Bäckersgattin, ihm für einige Zeit ihr Haus zu überlassen. Gen Abend hieß es, Sebastien in den Landauer zu tragen, wo er fiebernd die Fahrt in Jaimes Armen erlebte, bis sie das neue Quartier beziehen konnten. "Jaime, ich will Euch keine Umstände bereiten..." Selbst die Stimme schien zu schwinden, wie sich der Mantanhol bekümmerte, der seinen Geliebten nicht aus der zärtlichen Umarmung entließ. "Was redet Ihr nur!" Der Senher da Solador bediente sich eines gestrengen Tadels, allein, die schwarzen Augen bewölkten sich unglücklich, konnten ihre wahren Gefühle nicht verhehlen. Das eilig bezogene Lager wurde aufgedeckt, der bebende Leib des Jünglings behutsam abgelegt und warm eingeschlagen, dass er wohl behütet in lindernden Schlaf fallen konnte. Jaime setzte sich nieder. Das Mobiliar der Witwe beherbergte Wurmstich und anderes Getier, von minderer Qualität und nicht sonderlich gepflegt. Im Kerzenschein verfasste er sodann auf grobem Pergament mit flink gespitzter Feder Billets an seine geliebte Gemahlin. Sie sollten mit dem Landauer in den nächsten Tagen die Mainada erreichen. ~*~ [Meine liebe Mabioline, ich hoffe sehr, Ihr befindet Euch wohl. Empfangt meine zärtlichsten Grüße, da ich Eure Nähe länger entbehren muss als zu erwarten stand. Ohne Umschweife, -Ihr verzeiht mir dies, liebste Freundin-, will ich zur Sache kommen: Sebastien liegt in heftigem Fieber darnieder. Ich erkenne die Symptome, obgleich ich desperat auf andere Erklärungen hoffe: es ist das Sumpffieber, das mir den Geliebten rauben will. Meinen Aimador nach Hause zu geleiten ist unmöglich. In kürzester Frist wäre er dahingerafft. Also bleiben wir, -die Adresse entnehmt bitte dem Kuvert-, als primäre Apanage einer wohlbeleumundeten Witwe. Wenn es die Witterung erlaubt, meine Freundin, so sendet mir dankenswert den schweren Wagen mit kundiger Begleitung. Seid umarmt und tausendfach geküsst, ich verbleibe mit innigen Grüßen Euer Gemahl Jaime da Solador] ~*~ Es hatten sich die Gestirne verschworen, ihm einen unsäglichen Kampf anzutragen. Zumindest hatte der Mantanhol diese Überzeugung zu gewinnen. Vom nahen Meer her zogen eisige Stürme, gewaltige Brecher tosten und tobten, schleuderten die Schiffe umher wie Herbstblätter. Der Wind heulte und pfiff durch das bescheidene Heim, kaum vermochte es Jaime, die zahlreichen Durchschlupfe mit Gras und Lehm zu versiegeln. Er schaffte selbst Klafter Holz heran, das Wasser zu heizen, die Laken und Tücher zu waschen, die er beständig wechselte. Seine Hände waren von jeher Anstrengung gewöhnt und versagten ihm keinen Dienst, obgleich es bitterlich kalt war. Zudem waren Nahrungsmittel zu beschaffen, die Speisen zu bereiten und mit Kräutersud und Aufgüssen dem Wüten des Fiebers Einhalt zu gebieten. »Allein...« Jaime stand vor der Tür, ließ den frostigen Winterhauch abprallen an den Armen, die den eigenen Leib umschlangen. Sebastien mochte kaum noch erwachen, er verweigerte die Nahrung, sprach kein Wort mehr. Ergab sich dem tückischen Feind?! Der Mantanhol presste die Hände auf das markante Gesicht, rang um Fassung, hier, wo niemand ihn beobachten konnte. Wer in den Landstrichen der Maradoier aufwuchs, zeigte sich meist stark genug, dem Sumpffieber zu trotzen, doch viele kostete es das Leben, in einem langen, siechenden, qualvollen Tod, verzehrt von inwendigen Flammen. Wie zerbrechlich der Jüngling auf dem kargen Lager ruhte, bald wenig mehr als pergamentene Haut und bleiche Knochen, die schönen Haare spinnwebfein, in Wangen und unter dem Augenrund von schwarzer Erschöpfung gezeichnet. Er klagte nicht, er weinte nicht, obgleich ihn die Glieder entsetzlich schmerzen mussten. Sebastien d'Aire dämmerte dem ewigen Schlaf entgegen. ~*~ [Meine geliebte Mabioline, ich entsende Euch dieses Billet in der Hoffnung, es möge Euch erreichen trotz der ungebärdigen Stürme. Ich bete, dass Ihr und die Unseren sich wohl befinden. Bereits drei Wochen währt unser Kampf, und ich gestehe Euch, meine Herzensfreundin, dass ich verzweifle. Mein Aimador ist weniger als ein Schatten, dahin gehaucht auf seinem Lager. Er stirbt, Mabioline. Ich weiß mir keinen Rat mehr, alles habe ich versucht, nichts unterlassen. Soll ich ihn, meinen Calinhaire, nun doch verlieren? Verzeiht die Tränen, Liebste, ich ersticke unter ihrer Last, die Kehle ist mir eingeschnürt, da ich bald alle Zuversicht entbehren muss. Ich kann ihn nicht verlassen. Was auch geschehen mag, sendet mir den Wagen, sobald die Passage sicher ist. Wir kehren nach Hause zurück. Ich liebe Euch und vertraue Euer Wohlergehen meinem Freund Gaspard an. Euer Gemahl Jaime da Solador] ~*~ Mabioline faltete das Pergament sorgsam, glättete es so zärtlich, wie sie über die Wange ihres Liebsten gestreichelt hätte. Dann tupfte sie mit feinem Spitzentuch die Aquamarine und Wangen trocken. Gaspard liebkoste ihren stetig anschwellenden Leib mit den kraftvollen Händen, die so umsichtig Zuversicht und Geborgenheit verströmen konnten. "Was sagt der Kurier?", erkundigte sie sich leise, lehnte das Lockenhaupt auf die Schulter des Mantanhol. "Noch immer keine Passage", antwortete Gaspard mit kehligem Brummen, besänftigte das aufgeregte Klopfen des ungeborenen Kindes. "Wie soll er es verwinden, wenn Sebastien..." Mabioline wagte nicht, die Worte auszusprechen, die Stimme versagte ihr. Aber auch der bullige Mann aus der Mantanha wusste keinen Trost. ~*~ Jaime schürte das Feuer, legte Kantholz nach. In der Ferne schlug die schwere Turmuhr, der ganze Stolz der florierenden Küstenstadt. Und ebenso präzise wie das Uhrwerk, das den Tagesablauf bestimmte, folgte er seiner Liebespflicht: zu waschen, zu kochen, zu füttern... Nicht nur den zerbrechlichen Jüngling aus dem Ubac zeichnete der bereits einen vollen Mond währende Kampf um das Leben Sebastiens. Der Mantanhol konnte die schmerzenden Augen nicht davor verschließen, dass das äußerste Limit erreicht war, dessen man je berichtet hatte. Auch der Tapferste, Verzweifelste hatte nicht länger dem Sumpffieber zu trotzen vermocht. Würde diese Nacht die letzte sein? Er ließ sich auf dem Lager nieder, benetzte die ausgetrocknete Haut des Jünglings mit einem feuchten Tuch, beugte sich nieder, um die fiebrige Stirn zu küssen. Längst mischten sich seine Tränen nicht mehr unter das Wasser, zu groß die Anstrengungen der letzten Tage. Unerwartet richtete sich der glänzende Blick der grünen Augen auf sein ausgezehrtes Antlitz, die verwilderten Locken. Sebastien vermochte nicht mehr zu sprechen, die Lippen zogen sich eingefallen von den Zähnen zurück, nahmen die Züge einer Totenmaske an. Dennoch lächelte er zart, da er Jaime erkannte, drückte kaum merklich die Hand, die seine blasse hielt. "... nein... nein...", protestierte Jaime heiser. Um keinen Preis wollte er den Jüngling gehen lassen, schüttelte das vernachlässigte Haupt nachdrücklich. Die deutlich drohende Gefahr, das Verhängnis, den Geliebten zu verlieren, spornte die verbliebenen Kräfte zu einer letzten, gewaltigen Anstrengung an. Jaime umfasste die kalten Hände, spürte erbärmlich genau jedes einzelne Knöchelchen, presste sie auf sein Herz, den Blick für keinen Wimpernschlag abwendend. "Habt noch ein wenig Geduld, Sebastien! Ich lasse Euch nicht ziehen, es wird sich ein Ausweg finden! Mein Wort darauf, Liebster, darum haltet stand, ich flehe Euch an!", raunte er beschwörend, umklammerte die Hände des Jünglings. Die grünen Augen flackerten, die blutleeren Lippen markierten angestrengt ein Lächeln, ein minimales Nicken wurde dem ungestümen Mantanhol zugedacht. Sich einem Impuls überantwortend beugte Jaime sich hinab, besiegelte ihr Einvernehmen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Dann hüllte er den Geliebten in die wärmenden Tücher, warf sich eilig den eigenen Mantel um und trat in die hereinbrechende, eisige Nacht hinaus. ~*~ Er wusste um die Ondits, natürlich. Man hatte ihm Einiges zugetragen, da man sich der Mainada da Solador und auch den di Corazonne verbunden fühlte. Wie entsetzlich, die junge Frau ohne ihren Gemahl zu wissen, in dieser prekären Lage! Doch auch der Jüngling aus dem Ubac erschien bedauernswert, so zart und zerbrechlich, von scheuem Wesen und sanfter Natur! Es waren nur wenige, die dem Fallbeil der Henker entkamen, auf Rettung sannen, die ihnen an fernen Gestaden zu neuer Heimat verhelfen würde. Jaime näherte sich einem der zweigeschossigen, schmalen Häuser, das Holz des Gebälks altersdunkel und von Rauchschwaden gezeichnet. Er klopfte, man ließ ihn ein, eigens die bescheidene Laterne löschend, damit kein unerwünschter Blick dem Bunde ein Dritter wurde. Der Senher da Solador drückte eine schimmernde Münze in die gischtkrumme Klaue, wisperte sanfte Worte des Danks, dass man ein derartiges Risiko wagte. Er fühlte sich hochgestimmt, von Übermüdung in Erregung versetzt, durch den eigenen Leib genarrt, der ihm Zuversicht in die Adern mischte. In einem Kämmerlein, das kaum zwei ausgewachsene Männer beherbergen konnte, erwartete ihn ein älterer Mann. Im Kerzenschein blitzten eisblaue Augen unter buschigen Brauen, so weiß gesprenkelt wie das nachlässig gestutzte Haupthaar. Die schmucklose Gewandung entlarvte ihren Träger: ein Luminnier. "Mein Name ist Jaime da Solador, mi Senher. Ich bin höchst erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen", eröffnete der Mantanhol sotto voce den Diskurs, neigte artig das Haupt. Sein Gegenüber nickte knapp, der Höflichkeit geschuldet, um brüsk zu erwidern. "Nun, Senher da Solador, es besteht keine Notwendigkeit, mich zu adressieren, darum wollen wir uns nicht aufhalten mit Petitessen. Ich höre, Ihr sucht nach einem Wunder, Euren Gefährten vom Sumpffieber zu heilen?" Jaime fasste sich, den Mangel an Courtoisie nachsehend. "In der Tat, es eilt gar sehr. Wenn Ihr Rat wisst, Sebastien zu retten..." Allein, man unterbrach kühl weitere Ausführungen. "Eine Passage in die Kolonien, wo man die Gewürze handelt. Das ist der Preis, den ich verlange." Für einen Augenblick zögerte der Mantanhol, erwog die Risiken, die ihn eine solche Transaktion kostete. Er konnte wohl, Mabiolines Familienzweig zu danken, eine entsprechende Schiffspassage beschaffen, allein, durfte man diesem Luminnier das Vertrauen schenken? "Ihr sollt sie erhalten, bei meiner Ehre", versetzte Jaime bedächtig, stellte die Schultern aus, damit sein Schattenwurf das gesamte Gemach invahierte. "Jedoch erklärt mir zunächst, wie Ihr vorzugehen beabsichtigt." Der ältere Mann bleckte verächtlich die Zähne, schlug ein vornehmes Lederetui auf, in dem sich allerlei Lanzetten und anderes, zierliche Werkzeug reihten. "Das Blut ist schlecht. Man wird es wechseln müssen." Die eisblauen Augen forschten ungebührlich direkt in den schwarzen des Mantanhol, ob dieser wohl Anstoß nehmen würde. Jaime jedoch hielt stand, da ihm die Verzweiflung jede Abkehr versagte. "Nun denn, Senher, folgt mir, ich bitte Euch. Es darf kein Augenblick mehr müßig verstreichen!" Und ohne Zögern kehrte er sich um, mit einem letzten Trumpf an die Seite seines Aimador zurückzukehren. ~*~ Die bedauernswerte Konditionen des Jünglings zeigte sich bei der Rückkehr Jaimes unverändert: der Atem flach, recht hastig, ein jeder Knochen zeichnete sich unter der versehrten Haut ab und ein sengendes Fieber peinigte den geliebten Gefährten. Ohne Worte zu verschwenden fasste der ältere Luminnier den Mantanhol beim Handgelenk, löste die nachlässig gebundenen Schleifen und streifte das Hemd zur Armbeuge hinauf. Der Senher da Solador erwog zu protestieren ob diesem Freimut, presste aber die Lippen und ließ geschehen, was ihm zugedacht wurde: ein winziges Messerchen mit funkelnder Klinge teilte seine Haut, um Blut hervorsprenkeln zu lassen. Dieses sammelte sich in einer bescheidenen Glasschale, dann applizierte der Wundarzt Alaun auf den Schnitt und gestikulierte Jaime, er möge den Arm an den Oberleib pressen, um weiteren Blutverlust zu verhindern. Nun fand sich auch Sebastien, der nicht einmal die Lider regte, der gleichen Prozedur ausgesetzt, dann beugte sich der ältere Luminnier über die Glasschale, ein kunstvolles Okular vor dem forschenden Auge. "Bitte erklärt mir doch..." Jaime konnte nicht länger an sich halten. Ihn sorgte der Zustand des Gefährten, der keinerlei weiteren Aufschub duldete. Eine brüske Handbewegung hieß ihn innehalten. "Ihr seid vom Glück begünstigt", der ältere Mann richtete sich auf, barg das Okular sorgsam in einem gefütterten Etui, um sich Jaime zuzuwenden. "Geht und besorgt mir die Passage. Ich werde inzwischen die Transfusion vorbereiten", erteilte er dem Mantanhol barsch eine Order. "Transfusion?" Der Senher da Solador schlüpfte bereits in Gehrock und Mantel, pflügte eilends mit den aufgefächerten Fingern durch die ungebärdige Lockenmähne. "Wie ist Euer Vorgehen?" "Wollt Ihr Konversation betreiben oder sein Leben bewahren?!", zischte ihm der ältere Luminnier entgegen, entließ Jaime mit einer herrischen Geste. Einen solchen Affront hätte der Mantanhol unter anderen Umständen keinesfalls ohne Replik belassen, doch das leichenfahle Antlitz des Jünglings hieß ihn sich sputen. Obgleich es bereits auf Mitternacht zuging, musste es ihm gelingen, den mit den di Corazonne befreundeten Reeder zu überzeugen, eine Passage auf Kreditbrief hin zu gewähren. Jaime trat hinaus in die eisige Nacht, wappnete sich gegen die tückisch aufpeitschenden Windböen von der stürmischen See und eilte von dannen, um den geliebten Calinhaire zu retten. ~*~ Sebastien dämmerte, von finsteren Träumen zu merkwürdigen Lichtpunkten, mit Geräuschen untermalt, die ihn plagten, nicht ziellos dahinzutreiben, doch er konnte sich auf ihre Bedeutung keinen Reim machen. Er löste das peinigende Rätsel schließlich, als es ihm gelang, vollends ins Bewusstsein zurückzukehren. Die Glieder waren ihm so schwer, dass er sich gelähmt glaubte, allerdings ohne eine Furcht vor dieser Option. Jemand sprach ihn an, ohne den merkwürdigen Akzent der Maradoier und ganz ohne Zweifel nicht in dem Idiom der Mantanhol. Ein älterer Mann... der Herr Vater?! Aber vor den von Fiebertränen verschwimmenden Blicken erwies sich das Phantom als ein ihm Unbekannter, gleichwohl jedoch in der zurückhaltenden Kostümierung der Luminnier. "... eine Schande.... Schiffspassage... infernalischer Widerling..." So sehr sich Sebastien bemühte: die vertrauten Silben ergaben keinen Sinn. Er ließ sich mit heißer Brühe füttern, so schwach wie ein Greis, dann schloss ihn Morpheus erneut in seine schmerzlindernden Arme. ~*~ Jaime legte die Hände behutsam auf die Schläfen des Jünglings, um durch das mächtige Fieber die peinigende Kälte aus seinen Fingern zu vertreiben. Es schmerzte ihn unsäglich, dass nicht einmal diese grobe Behandlung die matten Sinne des Geliebten aus ihrer Versenkung reißen konnte. Unterdessen studierte der ältere Luminnier die Dokumente, die ihm eine sichere Schiffspassage in die fernen Kolonien gewährten. Nur noch wenige Tage blieben ihm als Frist, bevor die ungestüme See jeden Aufbruch verhinderte. Zufriedengestellt zog der Wundarzt Sebastiens zerbrechlich dünne Beine unter den Decken und Laken hervor, legte sie auf gestapelte Holzscheite und Sackleinen. "Die Schüssel dort!", kommandierte er brüsk, "meine Lanzette!" Erneut ward die blasse, ausgetrocknete Haut des Jünglings zerteilt, dieses Mal an prominenter Stelle, sodass sich ein kleiner Springbrunnen quecksilbrigen Blutes in die Schüssel ergoss. Der Senher da Solador zögerte, legte eine Hand auf die bloße Brust seines Gefährten, die zitternden Herzschläge zu verfolgen. "Sagt mir doch, wie wollt Ihr...?", hob er erneut an, da reichte ihm der ältere Luminnier einen irdenen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit. "Schweigt und trinkt. Befolgt meine Anweisungen, sonst wird Euer Lustknabe das Tageslicht nicht mehr sehen!" Jaime ballte die Fäuste, die pointierten Augenbrauen zogen sich zu einer gewaltigen Demonstration des unverfälschten Zorns zusammen. "Ich werde Euch Folge leisten, jedoch rate ich Euch, derlei Reden über Lustknaben zu unterlassen! Dieser schöne Jüngling", seine Finger hielten eine eingefallene Wange zärtlich, "ist mein Aimador, Luminnier. Und Ihr seid bewandert genug, die Bedeutung dieses Begriffs zu kennen." Der ältere Mann schnaubte verächtlich. "Ihr wollt mich lektionieren, nachdem Ihr diesen Knaben auf Euer Lager gezerrt habt?! Kennt IHR die Auswirkungen, die Eure Schandtat auf diesen Jüngling haben werden?!" Der Mantanhol spannte die Schultern, richtete sich bedrohlich auf, blendete mit den starken, weißen Zähnen. "Meine Liebe, Senher, ist weder blind noch wahllos. Sie erkennt den Liebsten, ganz gleich, wie sein Stand, sein Familienname, sein Glaube oder sein Erscheinungsbild ist. Wenn Euer Herz zu sehen versteht, Luminnier, dann erkennt auch Ihr, dass wir einander aus freien Stücken verbunden sind." Erregtes Schweigen legte sich über die beiden Männer, während der nächtliche Sturm heulend und pfeifend um das bescheidene Gebäude strich. Schließlich erlöste Sebastien die Kontrahenten von ihrer Kampfespositur, indem er schwächlich jammernd gegen den schleichenden Tod protestierte. "Sebastien, ich bin bei Euch, mi Aimador, bleibt ruhig, mein Liebster", raunte Jaime zärtlich, streichelte über Stirn und Wangen des Jünglings, erlegte sich streng auf, keine Angst in der Stimme zu spiegeln. "Das genügt", der ältere Luminier beträufelte die Wunde, band den erbärmlich dünnen Arm ab und versorgte den Schnitt kundig. Dann bedeutete er Jaime, sich neben Sebastien niederzulassen, den linken Arm auszustrecken, um selbst einen blutigen Schnitt zu erfahren. Doch anstelle der Schüssel, die lediglich zum Schutz der Laken diente, musste der Mantanhol den Arm ausreichend hoch in der Luft halten, bis es dem Wundarzt gelang, eine schmale Kanüle aus feinem Rohr mit einer ledernen Ummantelung zu platzieren. "Euer Blut verträgt sich mit dem des Knaben", nun sprach der ältere Luminnier, die Stirn in Anspannung gefältet. "Mehr als einmal habe ich mit Lammblut gearbeitet, um die Reaktion eindeutig zu bestimmen. Nun wird Euer Blut dank des kräftigenden Kräutersuds das verlorene des Knaben ersetzen und auf diese Weise seine Genesung ermöglichen." Jaime nickte, nicht etwa, weil er begriff, was lapidar formuliert wurde, sondern allein aus dem verzweifelten Vertrauen darauf, dass es gelingen musste, dem Tod ein weiteres Mal seinen Aimador abzuschmeicheln. Er stellte ein Bein angewinkelt auf, damit der Arm ihm bequemer ruhen konnte und hielt Sebastiens rechte Hand sicher. Kein einziger Tropfen sollte fehlgehen. ~*~ Zunächst ließ sich die Prozedur nicht sonderlich beschwerlich an, doch nach einiger Zeit, die Jaime wie Ewigkeiten verstrich, bemerkte er wohl, wie ihm die Sinne schwindelten, die Anstrengungen und der Blutverlust ihren Tribut forderten. Der Luminnier trat an seine Seite, nötigte den Mantanhol erneut, von dem bitteren Kräutersud siedende Schlucke zu nehmen, bevor er sich daran begab, Sebastien zu betasten. Jaime gab die Hand des Jünglings nicht einen Wimpernschlag frei, wisperte zärtlich Worte der Aufmunterung, wenn sich Sebastien im Fieber schwächlich auflehnte, gegen die Malträtion protestierte. Der Sturm heulte um das Haus, jaulte und pfiff beängstigend, doch keiner der drei Männer registrierte das Wüten jenseits der dünnen Mauern. Hin und wieder leerte der Luminnier die Schüssel, die Sebastiens Blut füllte, dann flößte er auch dem Jüngling von der Brühe ein, die er selbst zur Stärkung bereitet hatte. »Eine ewige Nacht... und doch fürchte ich den Morgen, wenn er schlechte Kunde bringen mag...« Jaime mühte sich, die fahlen Züge des jüngeren Luminnier zu liebkosen, um die eigene Erschöpfung zu vertreiben. Die Lider wurden ihm jedoch schwer, und bald sank er neben Sebastien auf das Krankenlager nieder. ~*~ Die Turmuhr schlug. Jaime wusste nicht zu sagen, welche Stunde sich ankündigte. Angestrengt beschwor er seine Arme, sich vom Lager zu lösen, den Leib hoch zu stemmen, damit er sich einen Eindruck verschaffen konnte. Wenn es ihm gelänge, eine Hand dieser Aufgabe zu entziehen und die wirren Locken aus den Augen zu kämmen. Als der Mantanhol sich in leidlich präsentabler Form befand, wand er eilig den Kopf, um nach Sebastien Ausschau zu halten. Dieser ruhte an seiner Seite, die Hände auf der Brust gefaltet, sodass Jaime für einen entsetzlichen Augenblick glaubte, dass sein Aimador verstorben war. Bebend legte er die flache Hand auf die Brust des Jüngeren, spürte den ruhigen Herzschlag, der ohne Zögern seinem Rhythmus folgte. "Sebastien!", raunte der Mantanhol heiser, die Stimme versagte ihm. Er lehnte sich mit beiden Ellen über das Antlitz des Jünglings, tränkte es mit glückseligen Tränen, trieb sich die Zähne in die Unterlippe, das übermächtige Schluchzen zu knebeln. Der schöne Jüngling lebte! Kein Fieber brannte sich mehr durch seinen anmutigen Leib, kein heimtückischer Feind trachtete ihm nach dem Leben! "Sebastien" wiederholte Jaime unablässig, hob sich behutsam den Geliebten in die Arme, vergrub das Gesicht in der Halsbeuge des Jünglings, der schlaftrunken keine Einwände erhob. So ließ es Sebastien auch wohlwollend geschehen, dass ihn abertausend Küsse an diesem Mittag in der Welt der Lebenden willkommen hießen. ~*~ Kapitel 12 - Rückkehr Es nahm Jaime nicht Wunder, dass der ältere Luminnier ohne eine Spur verschwunden war, den glücklichen Zufall nicht ungenutzt verstreichen ließ, sich auf die gefahrvolle Reise in eine unsichere Zukunft zu begeben. Allein, der Mantanhol beschäftigte sich emsig damit, die gewonnenen Lebensgeister seines Aimador in jeder erdenklichen Weise zu stärken. Ohne die Assistenz von helfenden Händen hieß es weiterhin, für Reinlichkeit und zureichende Nahrung Sorge zu tragen. Von profunder Dankbarkeit geleitet erholte sich auch Jaime von den Strapazen und der Ungewissheit, die ihn in einem Maße gezeichnet hatten, das er zuvor nicht für möglich gehalten hatte. Jedoch, Sebastien genas, jede verstreichende Stunde brachte das blühende Leben zurück, obwohl sich vor den dünnen Mauern der Herbst zu eisigem Winter wandelte. Eine Woche nach der Blutübertragung, die das Schicksalsband ihrer Leben einmal mehr umwob, saß Sebastien aufrecht auf dem Lager und weigerte sich trotzig, dieses nicht zu verlassen. So oft Jaime die schweren Laken stopfte, so fintenreich entwischte ihm der in seiner Mannesehre gekränkte Jüngling, um endlich, das knöchellange Gewand raffend, bloßen Fußes auf den altersdunklen Bohlen zu stehen. Die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln funkelten Ungemach. "Jaime, wollt Ihr nicht endlich einsichtig sein?! Überzeugt Euch mit eigenen Augen, dass ich wohlauf bin und sicher auf beiden Beinen stehe! Es besteht veritabel keine Notwendigkeit, mich fürderhin wie einen Säugling zu umhätscheln!", zürnte Sebastien, die Hände in die Hüften gestützt. "Wollt Ihr Euch meiner Fürsorge entziehen, mi Amigar? Aus welchem Grund? Habe ich Euch gekränkt, Liebster?" Jaime pirschte sich grazil wie ein Raubtier an, veranlasste den Jüngling aus dem Ubac, von ihm zu weichen. "Mich dünkt, Ihr genießt meine Hilflosigkeit zu sehr", versetzte er steif, die Fäuste ballend. Ein Hieb, der traf. Jaime richtete sich auf, die Stirn unter den ungebärdigen, ebenholzfarbenen Locken in versonnene Falten geworfen. "Ihr mögt Recht haben, Liebster", bekannte er nachdenklich. "In der Tat mag ich kaum von Euch lassen. Es ist wohl der Hagestolz", ein Lächeln blitzte auf den starken, weißen Zähnen, "der mich glauben macht, wenn ich Euch hielte, wäret Ihr gegen alles Unheil gefeit." Daraufhin wusste der Luminnier keine Erwiderung. Allein das zögerliche Zwinkern, die unmerklichen Schatten unter den schwarzen Augen, die angespannten Züge! Sebastien überwand die hinderliche Distanz, umhalste den Mantanhol leidenschaftlich. "Ich danke Euch, Jaime. Ein weiteres Mal habt Ihr mir das Leben geschenkt", hauchte er heiser in ein geneigtes Ohr, verborgen unter wildem Schopf. "Ich werde nicht von Euch weichen. Wohin Ihr auch gehen mögt, -ich werde Euch folgen." Die kraftvollen Arme, die um Sebastiens überschlanken Torso gewunden waren, potenzierten ihre Gewalt beinahe schmerzlich, begleiteten die kehligen Liebesschwüre, die durch seine karamellfarbenen Strähnen drangen. ~*~ "Noch immer keine Nachricht!" Unruhig stapfte Jaime durch den eisigen Regen, der winzige Frostperlen schauerte, nagelgleich die ungeschützte Haut betrommelte. Sebastien folgte ihm, hielt sich angestrengt aufrecht, obwohl ihm der Wind einige Beschwernis bereitete, ihn mehr als einmal straucheln ließ. Der Mantanhol knurrte leise in dem kehligen Idiom der Berge, wandte sich dann seinem Gefährten zu, legte ungezwungen einen Arm um die schlanke Taille des Gehrocks. Schleuderte die schwere, grobe Decke schwungvoll herum, sodass beide Männer sich in ihrer Obhut befanden. Obgleich der Jüngling aus dem Ubac diese merkwürdige Gewohnheit, sich eine Art Sacktuch über die Schultern zu werfen, als eine schurkische Verkleidung missbilligte, wie man ihn in seiner Jugend gelehrt hatte, erkannte er rasch den Sinn dieser Aufmachung. Die Eiskörner prallten ab, der frostige Wind verfing sich kaum in dem schweren Tuch, Arme und Beine wurden geschützt. Zudem bedeutete Jaimes Nähe eine erquickliche Labsal, nicht nur der Wärme geschuldet. Sie hatten wie jeden Tag ihres erzwungenen Aufenthalts die Handelskontore besucht, die Umschlagplätze für allerlei Neuigkeiten und Reisende. Jedoch schienen die Wege kaum passierbar, spärliche Nachricht erreichte die Hafenstadt von den weitläufig siedelnden Gütern des Hinterlandes. Und keine Kutsche von der Mainada da Solador. Erschöpft erreichten sie die bescheidene Behausung, die ihnen allmählich zum Gefängnis wurde. Während Sebastien sich bemühte, das matte Feuerchen zu einem munteren Brand anzufachen, zerschlug Jaime die Eisschicht auf dem Brunnen, förderte Wasser in einen Eimer. Als er eintrat, von kondensierenden Wolken umnebelt, empfing ihn bereits wohlige Wärme. Gemeinsam bereiteten sie ein rurales Mahl zu und krochen auf das Lager der strohgefüllten Matratzen, um einander zu wärmen. "Mir ist diese Hütte leid", knurrte Jaime kehlig, schmiegte sich an den zerbrechlich schmalen Leib seines Geliebten. "Sagt mir, mi Aimador, fühlt Ihr Euch den Strapazen einer Reise gewachsen?" Sebastien, der mit einer ebenholzfarbenen Locke spielte, sie um die fahlen Finger zwirbelte und damit der Kälte in den Gliedern Widerstand entgegensetzte, begriff flink. "Ihr wollt Pferde erwerben? Glaubt Ihr, die Wege sind passierbar?" Der Mantanhol stieß einen geplagten Seufzer aus, brannte einen hitzigen Kuss auf die Wange des Jünglings. "Liebster, es werden wohl einige Mähren zum Verkauf stehen, die zu zäh sind, um ihr Fleisch zu verzehren. Ob wir eine freie Passage haben, -ich weiß es nicht. Jedoch bin ich willens, dieses Risiko einzugehen. Wie steht es um Euch, Sebastien?" Ein tadelndes Schnalzen verließ die streng geschürzten Lippen des Luminnier, während er sich steif aufrichtete, Jaime fixierte. "Ich muss mich wundern, Senher da Solador, dass Ihr eine solche Frage an mich richtet", versetzte er scharf, "habe ich Euch nicht zugesagt, Euch zu folgen?" Jaime winkelte den Kopf, stützte recht unmanierlich das Kinn auf die Hand, studierte den Geliebten aufmerksam. "Wie streng Ihr mit mir seid, Liebster", neckte er Sebastien mit den Fingerspitzen der freien Hand. "Dann sollte ich wohl ermessen, ob Ihr Euch in der Verfassung befindet, mir zu folgen." Sebastiens Miene wandelte sich nicht, der arrogante Blick der Luminnier schmetterte jede Abweichung von den Konventionen ab-, um dann, ein Zwinkern später, einem zärtlichen Lächeln zu weichen. »Endlich«, formten seine Gedanken, einziger Ausdruck seines Sehnens. Viel zu lange hatte er diesen letzten Beweis seines Überlebens missen müssen. ~*~ Die Sackleinen ächzten, mischten sich in das stetige Auf- und Abheulen des eisigen Windes. Die beiden jungen Männer jedoch blieben taub für diese Klagelaute, denn sie pflegten ihr eigenes Concerto furioso zu inszenieren, einander Beifall zu spenden und den Atem zu rauben. Allein, Jaime hielt ein um das andere Mal inne, studierte bekümmert die zerbrechliche Gestalt des Geliebten, der unter der fahlen Haut jeden Knochen präsentierte. Sebastien entging diese Musterung keineswegs. Da er die Zeichen zu lesen verstand, engagierte er sich enthusiastisch in ihrem trauten Tete-a-tete. Mochte er auch neben der athletischen Gestalt seines Liebhabers zurückstehen, so konnte er dies wohl vergessen machen! Unzählige Küsse bedeckten den Mantanhol wie Sternschauer am Firmament, kündigten das Feuerwerk an, das der Jüngling aus dem Ubac entzünden wollte. Da er sich rückhaltlos dieser Aufgabe überantwortete, Jaime zu 'erleuchten', den Beweis anzutreten, dass er genesen und sehr gelehrig gewesen war, scheute Sebastien keine Handreichung, keine Affektionsbekundung. Was Jaime favorisierte, wusste er bereits zur Genüge. Einen Grund, sich dem leidenschaftlichen Vergnügen zu versagen und der Erfüllung allen Sehnens zu entziehen, gab es nicht. Und der Senher da Solador ließ sich gern überzeugen, Letter für Letter, bis in die finstere Nacht hinein. ~*~ Am nächsten Tag schickte sich der Senher da Solador an, von seinem zartgliedrigen Gefährten akkompagniert, zwei Reittiere und für die unsichere Passage Proviant und Utensilien zu erwerben. In den frostigen Regen mischten sich die ersten, trügerisch daunenweichen Flocken, der Morast in den Straßen gefror zu kompakten Schlammpaketen. Jaime sorgte sich. Er erinnerte sich wohl an die Depeschen, die er seiner geliebten Gemahlin zugedacht hatte und da sie ohne Replik geblieben waren, musste er zu Recht fürchten, in der Mainada da Solador erwartete man den Senher allein zurück. In seiner Equipage die Leiche des Jünglings aus dem Ubac. Zudem, -man konnte es nicht verhehlen-, befand sich Mabioline in gesegneten Umständen. Das Kind konnte aufgrund der widrigen Witterung die Erde zu früh erstürmen wollen. Obwohl es sich nicht schickte, blieb Jaime entschlossen, seiner geliebten Freundin beizustehen, wenn die Zeit der Niederkunft kam. Man bestieg also die lederhäutigen Mähren, die von ihren ehemaligen Eigentümern nicht mehr über den Winter gefüttert werden sollten. Balancierte die prallgefüllten Satteltaschen aus, wickelte sich in schwere Leinentücher, die vor Wind und Witterung schützen sollten. Die Gäule, gar traurige Gestalten mit hervorstechendem Gerippe und gräulichem Gebiss, schleppten sich schwankend dahin, in einem melancholischen Trott, der keine Eile mehr kannte. Wie sollte man sich auch sputen, da der Weg kaum kenntlich war vor Sturm und verwehtem Blattwerk?! Wenn sich der Nebel hob, legte sich die glitzernde Feuchtigkeit auf den Boden, der trügerisch nachgab, unerwartete Senken aufwies, dazu einlud, sich die Fesseln zu brechen beim kleinsten Fehltritt. Doch sie kamen voran, wie der Mantanhol mit hebender Laune registrierte, jede weitere Wegmeile von der Hafenstadt brachte sie ihrem Ziel, ihrer Heimat näher. Und wenn sie des Nachts, aneinander gekauert und eng umschlungen in erschöpften Schlaf fielen, wie Tiere im wilden Gesträuch Schutz suchend, dann wärmte ihn die Aussicht, bald unter dem eigenen Dach Trost und Komfort zu finden. Sebastien hielt sich wacker, obgleich man nicht verhehlen konnte, die Blässe der Haut und die zerbrechliche Qualität der zarten Gliedmaßen zu bemerken. Allein, er hatte sein Wort verpfändet, Jaime zu folgen und bis zum letzten Atemzug wollte er dies tun. Als der dritte Tag sich dem Mittag näherte, endlich die hartnäckigen Nebelschwaden einer kränklich-fahlen Sonne wichen, die ausgebleichte Schatten auf den Boden zeichnete, näherten sich die beiden Männer Della Caissonne. Der Mantanhol richtete sich auf, jede Spanne ein Senher, ungeachtet der schändlichen Mähren, die sie zwangen, in einem Ort Aufenthalt zu nehmen, der der Mainada Jehaune zugerechnet war. Was half die Weigerung der Fakten?! Von Ferne ballten sich bereits drohend Wolkenberge, die vollgesogen von den Bergen zogen, sich ebenfalls erleichtern wollten. Und ihre Equipage... die schlug die fauligen Zähne, stolperte und haderte mit dem Schicksal! Vor der Schenke, die den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Repräsentanten Seiner Majestät in dieser Provinz darstellte, saß Jaime elegant trotz der hinderlichen Umhänge ab, führte die beiden traurigen Mähren an die Tränke. Er reichte seinem Aimador die Hand, der sich unter sichtlicher Anstrengung von schützendem Segeltuch befreite und erleichtert den harten Boden unter den Füßen trat. "Seht Ihr die Wolken, Sebastien?" Jaimes grimmige Miene bedurfte keiner weiteren Ausführung. Man musste Station nehmen, so nahe der Heimat, und die Ungeduld potenzierte sich mit jedem weiteren Hindernis, jeder zusätzlichen Verzögerung. "Ob es wohl warmen Most gibt?", räusperte sich der Jüngling aus dem Ubac, die Kehle ausgedörrt, die weichen Lippen vom eisigen Wind zerbissen. Fürsorglich wand sich ein Arm um seine Schultern, zog ihn schützend an eine vertraute Brust. "Schmeckt Ihr es auch, mi Aimador? Von den Bergen kommt der Schnee", raunte Jaime vertraulich unter die breite Krempe des Dreispitz, wärmte mit seinem Atem karamellfarbene Strähnen und ein rosig getöntes Ohr. Sebastien schauderte, nicht ob der Liebkosung, die er erfuhr, sondern eingedenk der Strapazen, die bereits hinter ihnen lagen. Der gefrorene Boden mit Furchen und Schlaglöchern, die eisige Kälte, der beißende Wind... konnte das Ungemach sich erneut potenzieren?! Er sehnte sich, beschämt durch dieses Eingeständnis der Schwäche, nach einer erquicklichen Rast, einem wohligen Bad, das den Frost aus seinen Knochen vertrieb, endlich wieder von Wärme und Zuflucht kündete. "Heda, Frau Wirtin! Senhora, habt ein Herz für zwei Reisende von der Küste!" Vehement trieb der Mantanhol die bloße Faust gegen die schweren Bohlen der zwiegeteilten Tür. Eingedenk ihrer letzten Begegnung mit der Patronin ging er durchaus nicht fehl in der Annahme, man möge den Tag erst mit dem mittäglichen Glockenschlag beginnen. Da sich kein Fensterladen regte, kein Laut hinaus drang auf die Einöde des Vorplatzes, setzte der Senher da Solador munter sein Trommelfeuer fort, wärmte sich die kalten Finger durch nachdrückliches Perkutieren der Pforte. "Senhora Marianne! Zwei Senher da Solador erbitten Eure gastfreundlichen Dienste!" Weit trug die samtige Stimme des Mantanhol, warf Echi in den schmalen Gassen, die sternförmig dem Platz zustrebten. Allein, im Gasthaus regte sich noch immer nichts. Der Wind frischte auf, heulte ächzend und klagend durch Della Caissonne, proklamierte das Herannahen der Schnee bringenden Wolken aus der Mantanha. "Suchen wir eine andere Unterkunft!" Sebastien fasste mit gefühllosen Fingern nach einem warmen Handgelenk, hinderte eine weitere Tirade, die zunehmend ärgerlicher Auskunft ersuchen würde. Jaime entließ einen nachsichtigen Seufzer, der eine eisige Wolke von seinem Mund trieb. Die Temperatur fiel rasch, schon verbarg sich die fahle Sonne hinter den ersten Wolkenformationen. "Ihr habt Recht, Liebster." Er wandte sich um, rieb energisch mit bloßen Händen über den groben Wollstoff des schweren Mantels, der Sebastien einhüllte. "Wir sollten uns sputen." Er hielt inne, als durch den heulenden Wind ein weiteres Geräusch sich näherte, in Eindringlichkeit zunahm. Hufe schlugen auf den groben Kopfsteinpflasterungen wider, die von der Hauptstraße zu ihrem Aufenthaltsort führte. "Zu den Pferden", drängte Jaime alarmiert, dirigierte den Jüngling aus dem Ubac zwischen die beiden klappernden Mähren, legte ihm eines der unkleidsamen Stofftücher über Haupt und Schultern. Er selbst warf die breiten Falten seines Umhanges auf den Rücken, legte die Hand auf das Jagdmesser und stellte sich bannend vor beide Tiere. Da preschten sie heran, eine Gefolgschaft in den Farben der Jehaune, grün-golden livriert, eine Dampfwolke nach sich ziehend. An ihrer Spitze Curzio Jehaune, der ungeliebte Kastrat, forcierte sein Pferd auf die Hinterbeine, ließ es ausschlagen. Triumph gellte in seiner schrillen Stimme, als er laut verkündete, "arrestiert sie! Im Namen Seiner Majestät, nehmt sie in Gewahrsam, auf dass die beiden Senher vor ihren Richter geführt werden!" "Wagt es nicht!", drohte Jaime grimmig. "Ihr habt kein Recht, Hand an mich oder meinen Begleiter zu legen! Und erklärt Euren Auftritt, Senher!", forderte er barsch, entsagte jeder Courtoisie. Sein Gegenüber, im Vorteil, da er sich hoch zu Ross befand, brüskierte den Mantanhol mit höhnischem Gelächter. "Nun, Ihr seid geladen, Bauer! Vor den Gouverneur der Provinz, entsandt von Seiner Majestät, um einen höchst verwerflichen Fall der Verschwörung gegen die Mainada Jehaune zu verhandeln!" Er sprang elegant in seinen pelzverbrämten Kleidern von dem unruhig tänzelnden Ross, zückte seinen Degen mit einer arroganten Geste der Überlegenheit. "Allerdings, mi Amigar", zischte er die Silben mokierend, "ich würde es bevorzugen, wenn Ihr Widerstand leistetet und mir Gelegenheit gebt, unsere Differenzen endgültig zu klären." Der Mantanhol ignorierte diese unverschämte Avance souverän. "Eine Verschwörung, sagt Ihr?" Jaime lächelte, bleckte wie ein Raubtier die Zähne. "Gegen die Mainada Jehaune? Wer käme auf eine solch unsinnige Idee?" Die dünnen Augenbrauen zogen sich über den eisblauen Augen angewidert zusammen. "So zieht Ihr die Feigheit vor, Bauer? Wie angemessen. Nun denn, dann sitzt auf, bei diesen erbärmlichen Schindmähren werdet Ihr uns wohl kaum entfliehen können." Jaime erwog ihre Optionen, während der eisige Wind die Vorboten des Schneefalls durch seine Locken fauchte. Ihn trieb die Sorge um seine Mainada, seine geliebte Gemahlin, die kurz vor der Niederkunft stehen musste, die hinderliche Distanz zu überwinden. Jedoch, gegen die Übermacht, die sie entourierte, angewiesen auf diese vierbeinigen Zerrbilder... man musste sich wohl fügen. Zunächst. "Wohlan, Sebastien", ohne seinem wenig vornehmen Gegner Beachtung zu schenken, wandte sich der Mantanhol um, fasste die Zügel. "Erweisen wir diesen Senher", nun tränkte sich seine Stimme mit dem süßlich-galligen Gift der Verachtung, "die Ehre. Ich bin neugierig, was diesen hanebüchenden Akkusationen zugrunde liegt." Sebastien leistete der Aufforderung Folge, stemmte sich mit einiger Anstrengung in den Sattel hoch und drapierte das steife Tuch um Kopf und Schultern. Ihn fröstelte, nicht solitär dem auffrischenden Sturms geschuldet, der die ersten Flocken über den sich rasch verdüsternden Himmel trieb. Elegant wie stets warf sich Jaime ebenfalls in den Sattel, bleckte die weißen Zähne und deutete mit einer mokierenden Verbeugung an, dass sein Widersacher den Weg weisen möge. Seine Hand ruhte in demonstrativer Selbstverständlichkeit auf dem Griff des Jagdmessers, eine subtile Botschaft, übereilte Entscheidungen zu meiden. Es stand außer Zweifel, dass sie sich in letaler Gefahr befanden. ~*~ Zu Füßen des prächtig geschmückten Altars hatte man die Chorbänke besetzt. Man trug die höchst amtliche Robe des bestallten Richters und seiner Beisitzer, während sich auf dem Kirchengestühl Publikum drängte, zumeist in den Farben der Jehaune. Das Gotteshaus dampfte, denn es mischte sich der Dunst der zusammengedrängten Menschenmasse mit dem stinkenden Odeur der Pechfackeln, deren man sich bediente, um das Gebäude auszuleuchten. Vergeblich suchten die grünen Augen des Luminnier nach dem Statthalter Seiner Majestät, dessen Zustimmung ihm das Leben gerettet hatte, doch Hugo Girandou befand sich nicht unter den Anwesenden. Während Jaime mit der ausschweifenden Sicherheit eines Senher von einiger Bedeutung durch den Mittelgang spazierte, hier und da einen Gruß entbot, die schwarzen Augen unter den ungebärdigen Locken funkelnd, hielt sich Sebastien in seinem Schattenwurf. Man wies ihnen eine schmucklose Bank zu, exponiert wie das Chorgestühl, auf dass die Gaffer sich ergötzen konnten. "Wie könnt Ihr es wagen, ein Gotteshaus unter Waffen zu betreten?!", donnerte der Gouverneur, ein rotgesichtiger Mann, der unter einer schweren Allongeperücke die gepuderte Stirn unablässig mit einem Spitzentuch betupfte. "Oh", mit einem spöttelnden Kratzfuß lenkte der Mantanhol herausfordernd seine Aufmerksamkeit auf den Vorsitzenden des Tribunals, das sich zu richten aufschwang. "Verzeiht, Senher, ich nahm mir das Vorbild meiner zuvorkommenden Begleiter zum Beispiel." Mit galanter Geste wies er auf Curzio Jehaune und seine Entourage hin. "Wagt es nicht, die Autorität dieses Gerichts in Frage zu stellen mit Euren impertinenten Frechheiten, Südländer!", schnaubte der Vorsitzende heftig, schnäuzte sich dann ungebührlich laut. Die pointierten Augenbrauen des Mantanhol zogen sich zusammen, allein, die kühle Souveränität wankte nicht um ein Zoll, als er mit bedächtigem Geschick das Jagdmesser samt des Gürtels ablegte. "Ihr seid wohl dieser Jaime da Solador", versetzte der Gouverneur grimmig. Man spitzte eilig die Feder, schon huschte ein Tintenpfad über grobes Pergament. "Senher Jaime da Solador, zu Euren Diensten. Und mit wem habe ich die Ehre?" Die weißen Zähne bleckten bedrohlich, eine letzte Warnung, dass Courtoisie wie ein Samthandschuh die Faust umschloss, sie jedoch nicht am Schlag hinderte. "Ihr habt mich mit Exzellenz zu adressieren, Bauer! Maßt Euch keine Freiheiten an, Bursche, sonst sollt Ihr die Peitsche zu spüren bekommen, so wahr der ehrenwerte Ministrialrat und Gouverneur Jean Baptiste d'Amboise hier den Vorsitz führt!" Enragiert ließ der Richter die flache Hand auf die Kirchenbank sausen. "Wohlan, Exzellenz", Jaime neigte den Kopf in einen anmutigen Winkel, "Ihr seht mich in großer Erwartung der verleumderischen Anklagen, die ersonnen wurden, einem aufrechten, unbescholtenen Mann das Leben zu verleiden." Sebastien umklammerte beunruhigt einen Schoß des Gehrocks, wollte Jaime mit dieser simplen Geste ermahnen, nicht durch ungebührlich herausforderndes Wesen den Unmut d'Amboises zu erregen. Man konnte nicht verkennen, dass dieser bereits präjudizierte, durch die Wahl seiner Worte wenig Liebe für die Provinz oder ihre Bevölkerung, die Maradoier, empfand. "Ihr schweigt! Und kniet nieder!" Ein weiteres Mal stießen Handfläche und Kirchenbank unerfreulich aufeinander. "Verzeiht, Exzellenz", Jaime beugte sich artig, jedoch gänzlich gegen die Konvention blieb sein Kopf aufgerichtet, die schwarzen Augen fixierten den Gouverneur. "Ich ziehe es vor, im Stehen zu verhandeln. Diese Farce wird schlechterdings mehr als eine kurze Spanne unserer wertvollen Zeit einnehmen", versetzte er mit samtigem Schnurren. Streute kehlige Akzentuierung ein, um sich als Mantanhol zu entdecken zu geben. "Unverschämter Bauernlümmel! Zehn Streiche mit der Peitsche, sofort!" Außer sich schmetterte d'Amboise seine Aufforderung. Die Lakaien zögerten. Sollte man wirklich eine derart schändliche Strafe an einem Senher vollstrecken?! Derweil tobte man mit hoch gerötetem Haupt, die Allonge geriet in bedenkliche Turbulenzen. Jaime verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, lupfte sparsam eine Augenbraue ob dergleich wenig erbaulichem Beispiel von Selbstbeherrschung. Nun warf sich der Kastrat in die Bresche, da zunehmend das Publikum Gefallen fand an dem tollkühnen Senher, der sich nicht von den Fremden aus dem Ubac intimidieren ließ. "Ich erhebe Anklage gegen Euch, da Solador! Ich beschuldige Euch der Verschwörung, des Ehebruchs, der Notzucht, des heimtückischen Mordes an meinem Bruder, der Hexerei und des Hochverrats gegen die Krone!" Drängte sich schrill und enervierend penetrant die Stimme Curzio Jehaune in die aufbrandende Meuterei der Zuschauer. Das erregte Aufmerksamkeit. Man nahm wieder Platz, man lauschte begierig, welch eine Flut von Akkusationen! Wie würde wohl der wagemutige Senher antworten? Jaime löste die verschränkten Arme, richtete sich auf, verließ die Kirchenbank, trat vor den Altar, auf dass ein jeder ihn sehen konnte. "Ich rate Euch, Senher Jehaune", versetzte er mit schneidender Stimme, kehlig grollend wie ein Wolf aus den Bergen, "Eure üble Nachrede zu unterlassen, wo Ihr keine Beweise vorzeigen könnt. Lange genug habe ich Euren vom Kummer um den toten Bruder verwirrten Wahnsinn geduldet, nun hat es ein Ende!" "Ihr nennt mich wahnsinnig?!", gellte es keifend zurück, eisblaue Augen glänzten im Fackelschein fiebrig agitiert. "Ich werde den Beweis antreten, dass ein jedes Wort der Wahrheit entspricht, Ihr Ungeheuer!" "Es wird keine Beweise geben!", fauchte Jaime zurück, wie eine Raubkatze den Altar umschleichend, "denn Ihr lügt!" "Und Ihr seid mit dem Teufel im Bund!" Die überschlagende Stimme brach geifernde Echi von den steinernen Wänden, als endlich sich der Richter seines Vorsitzes besann. "Schweigt, alle beide! Es wird jeder Anklagepunkt zur Sprache kommen!" Zunächst wies er dem Kläger das Wort zu. Jaime geruhte mit vor der Brust verschränkten Armen, die Beine anmutig gekreuzt, vor dem Altar dem Vortrag zu lauschen, jeder Zoll ein eleganter, couragierter Senher. "Ihr habt dergestalt viele Widerwärtigkeiten begangen, dass ich kaum Anfang und Ende zu finden weiß", eröffnete Curzio seine Anklage mit salbungsvollen Worten. Man blickte ennuyiert zur Decke. Die wohlgesetzten Phrasen gingen nicht konform mit dem aggressiven Auftreten des Mannes. So wandelte sich seine erzwungene Souveränität in hitzige Erregung. "Ein jeder hier weiß, dass mein geliebter Bruder Alonzo starb, als er vom Pferd stürzte! Bei einem Wettstreit mit Euch! Ich frage Euch, warum trug sich dieses zu, bei einem herausragenden Reiter wie meinem Bruder?! Eure Beteuerungen, keine Schuld an seinem Tod zu tragen, sind mir zuwider! Wäret Ihr nicht gewesen, hätte dieser unselige Wettstreit niemals stattgefunden!" Der Mantanhol löste sich vom Altargestein, straffte die kraftvolle Gestalt. "Ihr wisst sehr gut, dass Euer Bruder zum Hasard neigte. Er liebte es, sich selbst zu übertreffen, gänzlich ohne mein Zutun. Auch ich trauere um ihn, als meinen geschätzten Freund, doch an seinem Tod trage ich keine Verantwortung." "Ihr lügt!" Unmanierlich deutete der Maradoier mit ausgestrecktem Finger auf seinen Widersacher, Speichel benetzte seine Lippen wie schaumiger Auswurf. "Zur Anklage zurück!", donnerte es vom Vorsitz, im Echo folgte das Niederschmettern eines schweren Folianten, um die nachdrückliche Macht des Gesetzes zu demonstrieren. "Ihr da, Jehaune, entsprecht Eurer Position! Man verlese nun die Anklageschrift!" Eine abfällige Geste zur Linken hieß einen der Beisitzer hochfahren und eiligst zu beginnen. "Der Mantanhol, der von dem verstorbenen Senher Loba da Solador an Sohnes Statt angenommen wurde und fortan Jaime da Solador genannt wird, ist verschiedener ungeheuerlicher Untaten angeklagt. Ihr, Jaime da Solador, werdet beschuldigt, den Tod des Alonzo Jehaune vor sieben Jahren verschuldet zu haben. Des Weiteren seid Ihr angeklagt, Konspiration mit den Feinden Seiner Majestät begangen zu haben und dem Sohn des Hochverräters Richard d'Aire, Sebastien d'Aire, Zuflucht gewährt zu haben. Die von Seiner Majestät berufenen Vertreter von Gottes Macht auf Erden werfen Euch im Folgenden vor, den vormaligen Statthalter Hugo Giradou durch bewusste Täuschung über Herkunft und Natur des Hochverräters Sebastien d'Aire zu einer Amtshandlung bewegt zu haben, die in der Annahme an Kindes Statt gipfelte. Ihr werdet angeklagt, mit besagtem Hochverräter, den Ihr durch diese Täuschung der gerechten Strafe entzogt, Hexerei betrieben zu haben, indem Ihr vertraulichen Umgang mit einem verfemten Scharlatan pflegtet und ketzerische Blutrituale abhieltet. Zu diesen Anklagepunkten des crimen laesae majestatis habt Ihr Adulterium in besonders abscheulicher Form begangen und Euch aus Habgier und Mordsucht gegen Eure Nachbarn, die Familie Jehaune, verschworen. Ihr habt wiederholt Notzucht an einer vornehmen Dame vorgenommen und einen Bastard gezeugt, den Ihr Euren arglosen Nachbarn untergeschoben habt." Sebastien verfolgte mit wachsendem Unglauben, wie sich die Haltung des Mantanhol wandelte, jede saloppe Leichtigkeit von diesem abfiel, um einer immensen Wut zu weichen. "Hier säumt sich eine Lüge an die andere!", zischte Jaime mit galligem Spott. "Mich dünkt, ich lese Eure Handschrift, Curzio, in diesem Pamphlet der Unwahrheiten! Wohlan, dann lasst uns doch hören, wie Ihr diese Ungeheuerlichkeiten belegen wollt, da Ihr mich schon seit Jahren mit Eurer Rachsucht verfolgt." "Das werde ich!", nahm der Maradoier schrill den Spielball auf, schnellte von seinem Sitzplatz im Chorgestühl auf, hielt auf Jaime zu, dem Altar entgegen. "Ihr habt meinen Bruder gemordet und vor aller Welt einen Unglücksfall behauptet! Und dass Ihr diesen Hochverräter unter Eurem Dach als Euren Sohn beherbergt, werdet Ihr wohl kaum leugnen können!" "So so, Senher Curzio, Ihr seht mich überrascht. Wie wollt Ihr den Beweis antreten, dass es sich bei meinem angenommenen Sohn um den des Richard d'Aire handelt?" Jaime spazierte in katzenhafter Geschmeidigkeit umher, hielt vor Sebastien inne, um in väterlicher Geste die Rechte auf das entblößte Haupt zu legen. Der Jüngling aus dem Ubac erwiderte den aufmunternden Blick aus den schwarzen Augen mit fahl-bleichem Gesicht. Die Last der Vorwürfe schien erdrückend, ein Makel würde bleiben, ganz gleich, wie diese Verhandlung endete. "Seine eigene Hand wird es bezeugen!" Triumphierend schwenkte der Mann mit den eisblauen Augen ein Billet, seine Stimme schlug schmerzhafte Kapriolen. "Ihr werdet es wiedererkennen, denn Ihr selbst habt es versteckt! In Eurer Bibliothek fand sich dieses Ersuchen an den Hochverräter, verfasst und gezeichnet von seinem jüngsten Sohn!" Nun war es an Jaime, erregt herumzufahren, die Schöße des Gehrocks wirbelten auf. "Ihr habt es aus meiner Bibliothek?! Wie ist es wohl dahin gekommen?!", zischte der Mantanhol kehlig, die Fäuste geballt. Sebastien sank der Mut. Sein Schicksal war besiegelt, denn ohne Zweifel hielt Curzio Jehaune jenen Brief in Händen, den er seinerzeit dem Vater schrieb, um eine zweite Ausfertigung seines Auftrags zu erhalten. "Mein Neffe Luca Utard fand ihn!" Der Maradoier fletschte siegessicher die Zähne. "Wollen wir doch zu Gehör bringen, was dieser Verräter zeichnete!" Der Jüngling aus dem Ubac erhob sich, sprach mit fester Stimme und klarem Blick aus den grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln. "Dazu besteht keinerlei Veranlassung. Ich habe diesen Brief verfasst. Meine Name lautete Sebastien d'Aire, Sohn des Richard d'Aire aus Beausage. Senher Jaime da Solador hatte keine Kenntnis von den Vorgängen, die meine Familie betrafen. Legt ihm nicht zur Last, was allein mich betrifft. Er handelte nur aus christlicher Nächstenliebe, als er mich in seine Mainada aufnahm", beschwor Sebastien mit eindringlichen Worten das Tribunal, sowohl die Richtbank als auch das Publikum. Jaime presste die Lippen, das markante Kinn schob sich vor. Sah sein Aimador nicht, dass diese edle Geste ihn unter das Henkersbeil brachte?! Vorschnell die Hoffnung fahren lassen, das durfte nicht sein! "Ihr wisst sehr gut, Jehaune, dass Sebastien nun meinen Namen trägt, den der stolzen Mainada da Solador! Und die Urkunde seiner Adoption weist ein Datum vor den Vorgängen im Ubac auf! Wollt Ihr tatsächlich andeuten, dass ich die Gedanken Seiner Majestät erfahren habe, noch bevor es zum Urteil des Hochverrats kam?! Und erklärt doch, warum Ihr, die Mainada Jehaune, ausersehen wart, den Aufenthalt dieses Jünglings zu besorgen?! Lautete nicht der Auftrag Seiner Majestät, dass er sich in der südlichen Provinz Le Cel de la Lona zu melden habe? Beim Statthalter Seiner Majestät?! Und ist dies nicht Della Caissonne, unter dem Patronat der Mainada Jehaune?!" Jaimes beißende Worte, die kühne Schlussfolgerung, reichte wohl nicht aus zu widerlegen, was unumstößlich bewiesen war, nämlich die Identität des Jünglings aus dem Ubac. Trotzdem, man fragte sich doch, dann auch den Nachbarn zur Rechten und zur Linken, ob es nicht ein wenig sonderbar anmutete. Dass die Jehaune einen mutmaßlichen Luminnier zugesandt bekamen und diesen nicht einen Tag beherbergten, sondern den da Solador überließen. Man murmelte und murrte, beriet sich laut, bis der Vorsitzende erneut das mächtige Blattwerk mit großem Aufschlag auf der Kirchenbank zum Einsatz brachte und um Ruhe nachherrschte. "Demnach wusstet Ihr also, wie dieser Hochverräter hieß", stellte d'Amboise befriedigt fest. "Man halte dies als Eingeständnis fest." "Nun", der Mantanhol fegte elegant den Gehrock herum, paradierte müßig vor dem Altar auf und nieder, "den Namen kannten wir wohl alle, nicht wahr? Und welchen Grund hätten wir gehabt, einen Argwohn gegen diesen zarten Jüngling", er wies mit galanter Geste auf Sebastien, der kleidsam errötete, "zu hegen, da doch Seine Majestät höchstselbst ihn als Emissär zu uns entsandte?! Sollte ihn diese importante Aufgabe nicht von jedem Verdacht freisprechen?" Jaime lächelte bei diesen letzten Worten, so honigsüß und zärtlich geflüstert, ein wahrer Trumpf, man merkte es am Raunen des Auditoriums. Natürlich, einmal mehr zeigte sich die Unvernunft dieser 'Herren' aus dem Ubac, die selbst nicht recht wussten, was nun die Rechte und die Linke taten. Man kannte das ja zur Genüge, ein jeder konnte Beispiel geben für weitere Sonderbarkeiten! Und daraufhin diesen Jüngling, so blass und zart, der nicht einmal geleugnet hatte, der Sohn seines Vaters zu sein, zum Schafott führen?! Na, das wollte man doch erst mal sehen! Allein, der Jüngling aus dem Ubac zitterte trotz wärmender Stoffhülle bis in das Mark. Tollkühn bis halsbrecherisch, wie Jaime da manövrierte! Es ging um Hochverrat, Konspiration, wie konnte er nur derart unbekümmert plaudern?! D'Amboise unterdessen justierte die Allonge, sie drückte ihm auf das Gemüt. Zudem plagten ihn die Zipperlein, es zog erbärmlich in dem Gotteshaus. "Zum nächsten Punkt!", bellte er unmutig, man wollte nicht vertiefen, was dieses Melee bewirkt hatte. Curzio schnaubte, die Nüstern blähten sich, hatte er den eigenen Neffen ohne Gewinn eingeschleust?! Indes, der Vorsitzende zeigte Ungeduld, man musste sich fügen. "Ihr seid der Konspiration gegen meine Mainada angeklagt, Mantanhol!", gellte der Kastrat eilends, "denn es ist Euer Ziel, uns zugrunde zu richten und dann Gut und Ländereien zu übernehmen!" Nun tobte man, das war empörend, unfassbar, schändlich!! In großer Zahl waren Angehörige der Mainada Jehaune unter den Anwesenden vertreten, die solcherlei gleich mit der Faust vergelten wollten. "Silentium! Silentium, oder die Peitsche wird Euch Maulschellen geben!", brachte erneut der Richter zu Gehör, der leidgeprüfte Foliant schloss weitere Male Bekanntschaft mit der Kirchenbank. "Um Euer widerwärtiges Ziel zu erreichen, seid Ihr des Weiteren des Adulteriums, der Notzucht und selbstredend des Mordes an meinem Bruder schuldig!" "Ihr redet wohl irre", gab Jaime kühl zurück, die schwarzen Augen funkelten, die goldenen Kreolen blitzten. "Diese Anwürfe sind ohne jeden Beweis und entbehren der Glaubwürdigkeit!" "Ha!", nun triumphierte der hagere Maradoier, trat an die Kirchenbank, wo man einen Knaben heranführte. Grob fasste er die Kapuze des Mäntelchens, trieb den ängstlich schluchzenden Knaben vor den Altar, riss ihm Mantel, Gehrock und Wams vom Leib, in den Farben der Jehaune gehalten. "Dies hier", Curzio griff in den ebenholzfarbenen Lockenschopf des Knaben, "ist der Bastard! Das Kuckuckskind des Mörders!" Die Rechte deutete theatralisch zu Jaime hin, der nun alert neben dem Altar stand. "Was redet Ihr?! Das ist Euer Neffe Domenico, der Sohn Eures Bruders?!" Der Mantanhol ballte die Fäuste, da Curzio ansatzlos dem schluchzenden Kind eine Ohrfeige versetzte. "Das hier?!" Der Maradoier sprühte Gischt und Galle. "Das ist nicht mein Neffe! Nicht der Sohn meines Bruders! Ihr! Ihr habt Euch im Schutz der Dunkelheit an meiner Schwägerin, der edlen Senhora Margoux Utard, vergangen! Und dies ist das Produkt Eurer Notzucht! Ihr habt die Ehe gebrochen, meines Bruders Ehe, den Ihr als Euren Freund bezeichnet habt! Also kommt her und nehmt Euren Balg, Ihr Ungeheuer!" Jaime stand still. Die Augen starr, die Lippen gepresst. Der Knabe weinte, ihn fror erbärmlich und es fehlte ihm Begreifen für die unselige Situation, in der er sich befand. Warum schrie man, schlug ihn?! Was hatte er verbrochen? Wo war die schützende Hand des Großvaters?! Die blauen Augen quollen von Tränen über, die Wange brannte. Sebastien, der bereits auffuhr, als man den Knaben malträtierte, kümmerte nun das lächerliche Schauerstück nicht mehr. Ohne Ansehen von Freund und Feind überwand er die Distanz, beugte sich nieder, den verschüchterten Knaben auf die Arme zu nehmen und besänftigend zu wiegen. "Hab keine Furcht, caitiu Domenico", wisperte er zärtlich in die ungebärdigen Locken, die einer samtigen Schleife im Nacken zu entkommen suchten. Kehrte zu seiner Kirchenbank zurück, um dort Mantel und Tuch um den Knaben zu schlingen, der nicht die Arme von seinem Nacken ließ. Wer wollte auch die freundliche Geste zurückweisen, die einem derart schönen Antlitz entsprang? Totenstille legte sich über die Menge, der Tumult blieb aus. Wie man sie sah, den stolzen, ungezähmten Senher da Solador und den Knaben, beide mit sonnenverwöhnter Haut und einem Schopf ebenholzfarbener Locken, der konnte wohl kaum den hageren, fahlen Curzio oder die stets verhärmt wirkende Senhora Margoux mit ihm in Verbindung bringen. Nun, die Augenfarbe, ja, die war schon ganz eindeutig, allein... "Dieser Knabe", raunte Jaime endlich heiser, die Silben kehlig aufgeraut, "ist der Sohn von Alonzo Jehaune, meinem besten Freund. Er hat es verkündet, vor seiner Mainada, vor den Augen Gottes und der Welt. Und es ist schriftlich fixiert. Domenico Jehaune, Sohn von Alonzo Jehaune, Erbe von Feodor Jehaune." "Nein! Er ist Euer Bastard!", brüllte Curzio ungehemmt, mit den Fäusten auf die Altarplatte schlagend. "Ihr habt durch Hinterlist, Adulterium und Notzucht Euren Bastard in meine Mainada geschleust, um selbst das Erbe anzutreten! Und nachdem dieser Bastard auf der Welt war, habt Ihr Euch meines hinderlichen Bruders entledigt! Wer ist der Nächste, bin ich es?! Oder ist Euch mein Vater noch dringlicher?! Wen befördert Ihr zu Tode?!" "Genug!", erhob der Mantanhol donnernd die Stimme, die Fäuste geballt, die weißen Zähne drohend gebleckt. "Es reicht jetzt endgültig! Ihr habt keinerlei Beweis für Eure Behauptungen, Ihr werft mit Verleumdungen um Euch, die einem anständigen Menschen zu widerlich sind, sie überhaupt auszusprechen! Ich verkünde es noch einmal, vor diesen Menschen, vor Gott: dieser Knabe ist der Sohn von Alonzo Jehaune. Und mein geschätzter, geliebter Freund starb durch einen Unglücksfall. Niemals würde ich meinen väterlichen Ratgeber Feodor Jehaune anrühren! Eure Anschuldigungen sind unverschämt und sämtlich unwahr!" "Im Gegenteil!", kreischte der hagere Maradoier, die eisblauen Augen fiebrig. "Wenn das ehrenwerte Gericht es befindet, wird meine Schwägerin, die ehrenwerte Senhora Margoux, selbst darüber Zeugnis ablegen, wie Ihr sie getäuscht habt! Und in erzwungener Notzucht diesen Bastard produziert! Es war Euch noch nicht genug, als Bauer von einem angesehenen Senher an Sohnes Statt angenommen zu werden, nein, Ihr hegt in Eurer Habgier auch noch Gelüste nach Eures Nachbarn Frau und Gut!!" "Das ist nicht wahr!" Jaime stürmte mit großen Schritten dahin, sich auf den Widersacher zu stürzen. Locken und Schöße flogen, der Mantanhol knurrte sonor und abgründig wie ein Raubtier aus den Bergen. Man sprang auf, ihn zu halten. Zehn Männer reichten kaum aus, ihn zu bändigen, da er sich wehrte, nicht von seinem Vorhaben lassen wollte. Das Publikum tobte, man schrie und schmähte, ein Tumult drohte sich Bahn zu brechen. Der Vorsitzende d'Amboise, dem die Allonge final vom Haupte floh, schmetterte den Folianten mit aller Kraft von der Kirchenbank vor den Altar. Ruhe trat ein, widerwillig, ungeduldig. "Zum letzten Anklagepunkt, Hexerei", fauchte der Richter übellaunig. Curzio lächelte beutegierig. "Und Ihr habt, um Euren geliebten Hochverräter am Leben zu halten, mit einem Verfemten Hexerei betrieben! Man sah Euch, wie Ihr ganze Schüsseln mit Blut in den Abort leertet! Sagt schon, Satan, wen habt Ihr gemordet?! Welche Schandtat Euren Verbrechen hinzugefügt?! Und tragt Ihr nicht beide ein Mal am Arm?! Den Beweis Eurer Übeltaten?!" Der Mantanhol funkelte hasserfüllt, zischte Unverständliches im Idiom der Mantanha. "Gebt mich frei!", zischte er verächtlich, um sich von Gehrock und Gilet zu befreien, mit Verve das Hemd von den Schultern herab auf die schlanken Hüften zu ziehen. "Dann seht ihn an, meinen Arm! Sagt schon, wo ist das Mal?!" Er drehte beide Arme, überwand in katzenartiger Grazie hinderliche Bänke, streckte die Arme dem Auditorium hin. "Bezeugt, was Ihr seht, als rechtschaffene Männer!" Auf den Absätzen kehrtmachend wirbelte Jaime zu Curzio herum. "Ihr Schurke! Kein Mal auf meinen Armen! Und da Ihr so gerne von der Wahrheit sprecht, berichtet doch den Senher, wie Ihr diesen Jüngling mit Eurer Meute von Bluthunden in den Sumpf getrieben habt! Das Sumpffieber hätte ihn erst jüngst das Leben kosten können!" "Da seht Ihr es!", entgegnete der Maradoier kreischend. "Niemand aus dem Ubac kann das Fieber überstehen! Es ist Hexerei!" "Im Gegenteil!", fauchte Jaime seine Replik, beugte sich vor, bereit zum Sprung. "Ein weiterer Beweis, dass dieser Jüngling einer von uns ist! Kein Maradoier geht am Sumpffieber zugrunde, ist es nicht so?! Und da er lebt, genesen ist, hat er sich nicht als einer von uns erwiesen?!" Man beriet sich leise, unbehaglich. Allein, der Jüngling, der sich so freundlich gegen den Knaben gezeigt hatte, erwiderte die argwöhnischen Blicke standhaft und ohne Hehl. Auch sprach er recht manierlich, nicht wie diese Senher, die hier den Vorsitz hielten... Der hagere Maradoier spürte wohl, wie sich die Stimmung wandelte. Auch d'Amboise schien deutlich Missfallen zu demonstrieren, zudem toste der Sturm mit eisigen Boten gegen Pforte und Fenster. "Gesteht endlich Eure Abscheulichkeiten ein, Mantanhol! Oder wollt Ihr Euch so niederträchtig betragen und eine vornehme Senhora zu einer Aussage nötigen?!", begab er sich auf zuträglichere Gefilde. "Ihr...!!" Jaime schien im Begriff, ein weiteres Mal den Widersacher attackieren zu wollen, doch unerwartet ergriff Sebastien das Wort, erhob sich, den Knaben an den Leib geschmiegt. "Bitte, auf ein Wort", begann er ruhig, trat couragiert vor den Altar, die grünen Augen mit ihren braunen Sprenkeln auf den Maradoier gerichtet. "Sagt, Eure Exzellenz, wenn man uns schuldig spräche, so drohte uns doch das Henkersbeil, nicht wahr?" Der Jüngling wartete nicht auf eine Replik, sondern fuhr fort. "Und wenn man diesen Knaben hier nicht länger als den rechtmäßigen Erben der Mainada Jehaune ansehen würde, wer käme in Frage? Verhält es sich nicht so, Curzio Jehaune, dass Ihr nach dem unglücklichen Tod Eures Bruders selbst dem Ehrgeiz verfielt?! Und diese angebliche Konspiration ersonnen habt, um Euch unliebsamer Widersacher zu erledigen?!" "Infame Unterstellungen! Schweigt sofort, Ihr Lustknabe eines Adulters!" Die gellende Stimme des Maradoier hallte von den steinernen Wänden wider, doch Sebastien wahrte die Contenance. "Ist es nicht so, dass Ihr selbst als Erbe die besten Möglichkeiten hättet, die Mainada da Solador Euch anzueignen?! Habt Ihr nicht selbst versucht, um die Hand der anbetungswürdigen Senhora Mabioline da Solador anzuhalten? Wer könnte Euch noch hindern, wenn der Gemahl und der Sohn Eures Bruders eliminiert worden wären?!" "Der Teufel soll Euch holen, verdammter Luminnier!" Curzio preschte an seinen Begleitern vorbei zum Altar hin, den Degen gezückt, endlich zu vollbringen, was zahlreich missglückt war. Sebastien wandte sich eilends ab, die Arme schützend um den Knaben gewunden, der mit hoher Stimme um Beistand schrie. Auch Jaime nahte, den Geliebten zu verteidigen, die Hand am Stiefelschacht, wo sich ein nützlicher Dolch verbarg. Er schleuderte diesen, -die Zeit ließ keine andere Entschließung zu-, dem anstürmenden Maradoier ins Gesicht. Und traf den rechten Augapfel. Brüllend und heulend ließ Curzio Jehaune den Degen fahren, taumelte, bereits blutüberströmt, bis man ihn regungslos klammerte, mit allerlei Stoff die Blutung stillte, nach einem Wundarzt schrie. An seiner Statt schlugen die Kirchenpforten auf. Dort stand, auf kräftige Knechte gestützt, das greise Oberhaupt der Mainada Jehaune, vom eisigen Sturm umfaucht. ~*~ Kapitel 13 - Die Entscheidung Jaime wich wachsam zurück, den Liebsten abzuschirmen, falls Vergeltung drohte. Allein, der alte Mann, der schleppenden Schritts hoch aufgerichtet zum Altar zog, beruhigte die Gemüter. Man wandte sich ihm zu, ignorierte das Schnaufen und Toben des Richters aus dem Ubac, der sich seiner Autorität beraubt sah und energisch wie wirkungslos protestierte. Sebastien ließ den Knaben auf den Steinboden nieder, auf dass sich Großvater und Enkel in die Arme schließen konnten. Der Knabe jauchzte, umschlang die Mitte des greisen Senher, der begütigend die Gischt verformte Klaue auf das lockige Haupt legte. "Es ist genug." Die eisblauen Augen fassten jeden Anwesenden in festen Blick. Taub für das jämmerliche Stöhnen des Sohnes hielt Feodor Jehaune auf den Altar zu, wo sich Jaime rasch vor Sebastien postierte. Sie musterten einander lange Zeit in geladener Stille. "Euch ist großes Unrecht geschehen, Jaime da Solador", versetzte der greise Mann schließlich, eine Hand stützend auf die Schulter des Enkels gelegt. "Ich schwöre Euch, mi Amigar, dass ich niemals die Hand gegen Alonzo erhoben habe. Ich trage keine Schuld an seinem Tod, noch habe ich meinen Freund jemals hintergangen..." Jaime brach die Stimme, Tränen rannen aus den schwarzen Augen, die Sehnen zuckten in seinem markanten Gesicht. Der alte Mann senkte den Blick zu Boden, rang sichtlich nach Atem, ebenso von Gram eingeschnürt. Dann richtete er den eisblauen Blick wieder auf Jaimes Gesicht, legte eine deformierte Klaue an die Wange des Jüngeren. "Mi Amigar, ich kenne Euch wie Euch Euer Vater, mein Freund, kannte. Und ich kenne meine Söhne und Enkel, wie ein Vater und Großvater das tut. Ich sage", er wandte den Kopf herum, die umstehende Menge im Fokus, "dass dieser Mann meiner Mainada niemals ein Unrecht zugefügt hat. Die Verleumdungen meines irregeleiteten Sohnes entbehren jeder Grundlage!" Jaime wischte sich die Tränen von den Wangen, küsste ehrerbietig die altersfleckige Hand des Feodor Jehaune. "Bitte vergebt mir!" Dieser zog ihn heran, küsste die Stirn des Mantanhol segnend wie ein Vater. "Es ist wohl getan, mein Sohn" und hielt Jaimes erbleichendem Gesichtsausdruck ausreichend stand, um ihre stumme Zwiesprache abzuschließen. "Domenico", richtete er ermattet das Wort an den Enkel, der sich fröstelnd an den Großvater schmiegte, "ich wünsche, dass du fortan im Haus des ehrenwerten Senher da Solador aufwächst. Das ist eine große Ehre!" Jaime rang nach Atem, auch die Umstehenden suchten nach Luft. Der greise Feodor Jehaune vertraute den einzigen Enkel seinem Nachbarn an?! Fürchtete er, dass der eigene Sohn dem Knaben nach dem Leben trachtete?! Bevor Jaime das Wort ergreifen konnte, den greisen Senher umzustimmen, schob sich Sebastien an seine Seite, streckte einladend die Hand nach dem Knaben aus. "Nun, Domenico, Ihr friert doch sicher, lasst mich Euch assistieren!", half der Jüngling aus dem Ubac dem Knaben in die zuvor grob heruntergerissenen Kleider. Der Knabe wollte die Hand des Großvaters kaum fahren lassen, fürchtete gar, er habe sich ungehörig betragen und werde nun fortgeschickt. "Lasst... lasst uns noch ein wenig warten", bat sich auch Jaime eine Frist aus. "Meine geliebte Gemahlin befindet sich gesegneter Hoffnung, das Kind ist möglicherweise schon geboren. Domenico soll Euch die dunklen Tage erhellen, mi Amigar, dann wollen wir im Frühling uns besprechen!" Feodor Jehaune pflichtete nach einem langen Augenblick des Erwägens zwischen Asempre und Zuneigung bei. Der Gerechtigkeit war Genüge getan, die Ehre wiederhergestellt. ~*~ Selbstredend konnte der Gouverneur d'Amboise die Auffassung der ungebärdigen, eigensinnigen Provinzler nicht teilen. Vor seinen Augen war ein Mann schwer verletzt worden, aber beide Parteien trennten sich gütlich unter Tränen und Treuebekundungen?! Wahrhaft barbarische Sitten! Er tobte, der Foliant taugte zum Kontrapunktieren nicht länger, doch die Maradoier ließen sich nicht inkonvenieren. Zudem stürmte es noch immer, man verspürte Appetit, der Worte waren mehr als ausreichend gewechselt. Da sich die Senher aus dem Ubac nicht der Vernunft fügen wollten, sperrte man sie kurzerhand in der Kirche ein, damit sie sich in Zwiesprache mit ihrem Gott beruhigen konnten. Feodor Jehaune, den sein Erscheinen sehr geschwächt hatte, verabschiedete Jaime und Sebastien vor den Kirchenpforten, überließ den Gefährten eine Kalesche. So sollte es möglich sein, von zwei Knechten der Mainada Jehaune begleitet binnen Zwei-Tages-Frist das Gut zu erreichen. ~*~ Während sie die Ausläufer des Sturms hinter sich ließen, wandte Sebastien den Kopf seinem Gefährten zu. Zum ersten Mal konnte er Jaime in sich gekehrt und erschöpft erblicken, die Wangen eingesunken, die schwarzen Augen matt und verschleiert. Zum Schutz gegen die durchdringende Kälte hatten sie sich in Decken gehüllt, und nun zog der Mantanhol die Schultern hoch, als müsse er sich selbst vor seinem Aimador schützen. Sebastien schürzte die Lippen ärgerlich. "Er hat Euch dazu veranlasst, nicht wahr?!", hegte er steif und unversöhnlich um Auskunft nach. Jaime kehrte sich gänzlich der Bespannung zu. "Nun", versetzte Sebastien nach eiligen Herzschlägen ohne Replik, "ich bedarf Eurer Antwort nicht, Senher da Solador!" Das Beispiel des Gefährten kopierend positionierte sich der Jüngling ebenfalls dem Einstieg zu, kontemplierte zornig diese schockierenden Enthüllungen. "Ich wusste nicht, dass Ihr einer so bedeutenden Familie entstammt", wisperte Jaime kaum hörbar. "Was änderte das denn?!", entgegnete Sebastien hitzig. "Bin ich nicht in Eurer Mainada aufgenommen?! Nennt Ihr mich nicht Euren Aimador?! Rettet vielfach mein Leben, doch anvertrauen wolltet Ihr Euch mir nicht?!" "Aber er ist sein Sohn! SEIN Sohn!", begehrte Jaime auf, die Decken abschleudernd, fasste den Jüngling an den Schultern, eindringlich, beschwörend. Sebastien blieb stumm, löste endlich eine Hand, über die kalte Wange des Geliebten zu streicheln. "Kommt!", flüsterte er nachsichtig, schlug die Decke offerierend auf, damit sich der Mantanhol in seine Arme flüchten konnte. ~*~ Zeit verstrich. Man döste, mehr schlecht als recht, denn der Weg erwies sich als schlaglochreich und wenig agreabel. Jaime hatte die Stirn in die Halsbeuge des Jünglings geschmiegt, die Arme eng um den Leib des Geliebten geschlungen. "Zur Nacht nehmen wir Quartier", tröstete Sebastien, der sorgenvoll erkannte, wie sehr die jüngsten Ereignisse den sonst so unerschrockenen Mantanhol mitgenommen hatten. Und in der Tat, es fand sich ein bescheidenes Bauerngut, im Einflussbereich der Jehaune, eine Unterkunft bei den Knechten in einem Alkoven, eilig mit einigen groben Decken versehen, auf dass die geschätzten Gäste trocken und warm nächtigen konnten. Einander in den Armen haltend konnte sich keiner der Gefährten entschließen, erneut das Wort zu ergreifen, das hinderliche Schweigen zu überwinden, das sie erstickend knebelte. Am nächsten Morgen, gut gestärkt durch rurale Kost, setzen sie die Reise fort, in undurchdringliche Nebelschwaden gehüllt, die das Tempo des Fortkommens erheblich reduzierten. Und so schwer die feuchten Wolken dräuten, so drückte auch der Zwist auf ihre Gemüter, weigerten sich Augenpaare, einander zu begegnen. ~*~ Die Nacht warf eisigen Frost in windigen Schauern über Reisende und Landschaft, bezuckerte sie zu bizarren Gebilden. Die Nüstern der Pferde bliesen Gewölk in die Dunkelheit, gespenstisch ausgeleuchtet von der schaukelnden Laterne, die an einem Ausleger baumelte. Die beiden Knechte kauerten in angespannter Unruhe auf ihrem Posten, denn sie wussten wohl, dass die Jehaune auf dem Gebiet der da Solador nicht wohlgelitten waren. In Windeseile, ungeachtet der strengen Witterung, hatte sich das Vorhaben Curzio Jehaunes verbreitet, den Senher der Mainada da Solador vor einem Richter aus dem Ubac zu diffamieren. Allerdings hätte wohl niemand erwartet, zu welchen Vorwürfen sich der Kastrat versteigen würde. Als sie sich einem Wäldchen näherten, rührte sich Jaime zum ersten Mal seit Stunden, beugte sich vor, mit der Faust gegen die Bespannung zu schlagen. "Eine Rast", rief er heiser, die Stimme mangels Gebrauch rau und ungeschliffen, "die Pferde bedürfen der Erholung." Dies traf wohl zu, die Tiere zeigten sich erschöpft, zudem stand keine Übernachtungsmöglichkeit zu Gebote. Während die Knechte nun Aufwärmung suchten, die Pferde abrieben und sie mit Nahrung und Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle versorgten, ambulierten Jaime und Sebastien zwischen den Bäumen, die ihr Zierrat aus frostigem Zuckerwerk zur Schau stellten. Die steifen Glieder protestierten, ließen sich nur widerwillig geschmeidig formen. Allein, da ihnen die Kommunikation abging, hieß es, auf diese Weise die Distanz zu überwinden. Unter den Sohlen knackte und knirschte gefrorenes Laubwerk und allerlei Halme, trügerische Wurzeln drohten dem Unaufmerksamen einen unerfreulichen Sturz. Doch im Schein der bescheidenen Fackel, die Jaime illuminiert hatte, wähnten sich beide Männer ausreichend gegen jede Gefahr gefeit. Der Mantanhol hielt sich im dichten Gewirr der ebenholzfarbenen Locken verborgen, die offen sein markantes Gesicht umschmeichelten. Die Gedanken kreisten ihm, so nahe der Heimat, um die geliebte Gemahlin, die Niederkunft und die Reaktion, die ihrer harrte. Wenn er doch nur Worte fände, den Aimador zu adressieren, ohne das sensible Sujet seiner Vergangenheit zu touchieren! Sebastien hegte ähnliche Befürchtungen, denn in seinem Inneren brodelte seit Stunden unvermindert die Verärgerung über die Entdeckung und ihre Bedeutung für das Zusammenleben. Sie schritten Seite an Seite aus, desparat jeden Blickkontakt meidend, als fordere die Landschaft zu ihren Füßen all ihre Aufmerksamkeit ab. In wenigen Stunden nur wäre das Gut erreicht, der unseligen Reise endlich ein Ende gesetzt... Jaime hielt wieder auf die Kutsche zu, wo die Knechte bereits warteten, ermattet und sichtlich unbehaglich. Man spannte ein, bestieg den Einspänner. Ohne ein Wort gewechselt zu haben. ~*~ Sebastien, den Erschöpfung in unerquicklichen Schlaf sinken ließ, erwachte erst, als er das Lärmen hörte, das unfehlbar der Mainada da Solador zugerechnet werden konnte. Obgleich sich die Sonne noch nicht zeigte, drängten sich Knechte und Mägde, Kinder und freilaufendes Vieh um die Rückkehrenden, erhob sich ein Stimmengewirr in der Dunkelheit. Bevor man hielt, entriegelte Jaime bereits den Türschlag, beugte sich tollkühn hinaus, begehrte besorgt zu erfahren, wie es um die geliebte Gemahlin bestellt sei. Das sollte er sogleich hören, denn ein Schrei durchmaß die Frostschicht gezuckerte Landschaft. Ohne weitere Überlegungen sprang der Mantanhol aus der Kutsche, pflügte eilends durch die Menge, der Unterkunft Mabiolines zu. Allein, er war gehindert, diese zu betreten, da Gaspard ihm den Weg abschnitt, den Jüngeren mit beiden Händen kraftvoll umklammerte. "Was ist ihr geschehen?! Sprich!" Kehlig rollten die Silben, die Stimme rau und bebend, da sich ein klagendes Stöhnen vernehmen ließ. Gaspard, der bullige Majordomus, ließ seinen Senher nicht fahren, auch wenn dieser mit erstaunlicher Vehemenz seiner Umarmung zu entschlüpfen suchte. Er raunte in ein Ohr, von wirren Lockensträngen abgedeckt. "Seit dem gestrigen Morgen liegt sie in Wehen. Die Bonne steht ihr bei, wir können nichts tun." "Nichts tun?!", schrillte Jaime verzweifelt, "ich versprach, an ihrer Seite zu sein! Lass mich", maß er die Kraft mit seinem Freund. Doch Gaspard blieb standhaft, versetzte in der Sprache der Mantanhol energisch. "Du weißt, dass du nicht hinein darfst. Sie wird es überstehen, mein Wort darauf!" So eindringlich die Beschwörung, so unerbittlich der Blick aus schwarzen Augen, und Jaime wusste wohl, dass auch Gaspard zu leiden hatte. Denn er liebte die Frau, die unter Qualen darnieder lag, ihr Kind zu gebären, mit jeder Faser seines Herzens. "Aber ich kann nicht...!" Nun schüttelte sich der Senher da Solador, strengte sich an, der Umklammerung zu entfliehen, hob schließlich die Hände auf die Ohren, da ihm die Wehlaute, selbst gedämpft, unerträglich schienen, zitterte am ganzen Leib. Sebastien, der sich im Hintergrund gehalten hatte, da man ihn aus Augenwinkeln bestaunte, den vom Tode Zurückgekehrten, gab höflich Anweisung, dass man den Knechten assistierte, die Pferde zu versorgen. Bevor die Gäste eine angemessene Unterkunft und Logis erhielten. Da er nun Jaimes ansichtig wurde, der in den Armen des älteren Mantanhol bebte und im Begriff stand, die Fassung vollends zu verlieren, in Bann geschlagen von den Wehlauten, die sich der Gebärenden entrangen, schaffte sich der Jüngling aus dem Ubac ausreichend Passage, zu den beiden Männern vorzudringen. "In sein Gemach", wisperte er Gaspard zu, der das fahle Gesicht des Jünglings studierte, hielt dann eine Magd an, ihm einen besonderen Flakon zu bringen. Gaspard gelang es, den schwankenden Gefährten aus Kindertagen in dessen Gemach zu dirigieren, ihm nachsichtig aus den schützenden Schichten unterschiedlicher Bekleidung zu helfen. Unterdessen versorgte sich Sebastien mit eilig erhitztem Wasser, um es in einen Becher auszuschenken und mit dem Inhalt des Flakons zu aromatisieren. Als Gaspard von Jaime abließ, reichte ihm sein Aimador den Becher und eine Erfrischung vermutend, leerte ihn der Mantanhol mit einem langen Zug. "Ich werde mich rasch reinigen, die Kleider wechseln und dann nach ihr sehen", verkündete Jaime, griff sich nach der Stirn, die Zunge bereits schwer vom betäubenden Trunk. Taumelte einige Schritte nur, den Kopf schüttelnd ob der unerklärlichen Schwäche, dann brach er in den erwartend ausgestreckten Armen Gaspards zusammen. Gemeinsam hob man den Senher da Solador auf sein Lager, entledigte letzte Schichten der schamhaften Verhüllung, um ihn dem Schlaf zu überantworten. "Ihr habt sehr umsichtig gehandelt", erfuhr Sebastien gänzlich unerwartetes Lob, hielt sich zu einer höflichen Dankesgeste an. "Es ist vielerlei zu besprechen", erwiderte der Jüngling matt, allein in steifer Haltung die Form wahrend. "Doch die letzten Tage fordern ihren Tribut. Ich bitte Euch, lasst uns eine Weile ruhen, sofern unsere Anwesenheit nicht dringend erforderlich ist." Gaspard nickte knapp, wandte sich, das Gemach zu verlassen, als Sebastien ihn erneut adressierte. "Sagt, wie ist es um Mabioline bestellt?" Er kehrte sich um, den Jüngling zu mustern, der überschlank und fahl-bleich vor ihm stand, weniger Senher aus dem Ubac als eine frappierende Melange beider Kulturen. "Es wird", versicherte er schließlich begütigend, "sie ist wohl umsorgt, allein die Nachrichten der vergangenen Tage haben den Fortgang beschleunigt." Sebastien nickte bedauernd, überwand die Distanz, um impulsiv eine kraftvolle Hand des Mantanhol zu drücken. "Ihr werdet auf sie achten, nicht wahr?" Die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln funkelten im Fieber der Erschöpfung, ihr Blick jedoch blieb intensiv und ungetrübt, sodass Gaspard ein weiteres Mal nickte, ernsthaft und aufmunternd zugleich. "Schlaft nun", hielt er den Jüngling an, verließ das Gemach, die Tür mit nachdrücklichem Schwung sorgsam schließend. Der Luminnier entließ einen matten Seufzer, stützte die Hand auf dem Schaukelstuhl ab und befreite sich ungelenk ob der Erschöpfung von seinen Kleidern. Bar jeder Hülle beanspruchte er den Platz an der Seite seines Senher, umschlang diesen zärtlich und vergrub das Gesicht in der wirren Lockenpracht, die verführerisch auf dem Kissen lagerte. ~*~ Gaspard nahm, wie seit dem vorangegangenen Morgen schon, unter dem Vordach Platz, schlang sich die schwere Decke um den Leib. Hinter ihm blieb es ruhig, gedämpfte Laute nur, sodass er mutmaßte, die Bonne habe der schönen Senhora die glückliche Rückkehr ihres Gemahls bereits verkündet. Welch eine Erleichterung! Wie hatte sie, die unvergleichliche, anbetungswürdige, kämpferische Senhora nicht zu allem entschlossen anspannen lassen, um den Jehaune zu trotzen, vor dem Willkür-Gericht ihn zu verteidigen! Allein, das Kind meldete sich zuerst und er, der seinem Senher Gehorsam geschworen hatte, Mabioline nicht von der Seite zu weichen, für ihr Wohlergehen Sorge zu treffen, hatte sich zu entscheiden zwischen Herz und Pflichtgefühl. Er liebte den jüngeren Gefährten inniglich, allein, Mabioline war ihm die Welt, vom Anfang bis zum Ende. Und wie es ihm schien, da er nun den Jüngling betrachtet hatte, konnte sich Jaime auf einen weiteren Gefährten verlassen, der ihm stets zur Seite stehen würde. Doch wie ermattet und verwirrt, erschrocken und verzagt Jaime in seinen Armen gezittert hatte! Er lauschte den vagen Geräuschen, faltete die kraftvollen Hände im Schoß. Sie war in den besten Händen, viele Kinder erblickten hier das Licht, somit kein Anlass, sich zu besorgen... und er würde nicht von ihrer Schwelle weichen. Auch das mochte die Bonne seiner Mabioline berichten! ~*~ Als sich zur Mittagsstunde der beharrliche Nebel endlich hob, eine bleiche Sonne ihre Aufwartung machte, trat die Bonne zu Gaspard an die eisige Luft. "Man wünscht, Euch zu sehen, Mantanhol", dröhnte die Matrone streng, allein die runden Augen lächelten nachsichtig. Selbstredend konnte keine Konvention ein solches Anersinnen gutheißen, dass ein anderer als der Gemahl kurz nach der Niederkunft das Gemach betrat, jedoch, wen kümmerten derlei hinderliche Gebote, wenn Herzen einander riefen? Der bullige Mantanhol betrat ohne Scheu das Gemach, das man bereits gereinigt und mit Aromen geräuchert hatte, hielt auf das Lager zu, in dem frisch und blütenrein gebettet, die junge Mutter seiner harrte. Man konnte wohl noch in den Mundpartien die Spuren lesen, die das Beißholz gekerbt hatte, auch hingen die blauschwarzen Löckchen matt in ihrem Band, doch die Aquamarine schimmerten stolz und freudig. Mabioline erwartete ihn in ein hauchzartes Gespinst feiner Wolle gehüllt, von zahlreichen Kissen aufgestützt. In den schlanken Armen ein Bündel Mensch. Entgegen aller Konventionen nicht der Amme anvertraut, auf das man sich lästiger Pflichten entledigte. Gaspard beugte sich über das Lager, siegelte die schöne Stirn der Senhora mit einem zärtlichen Kuss, ließ sich dann, da er sie ohne Zeugen wusste, an ihrer Seite nieder, liebkoste mit dem Handrücken die zarte Wange. "Seid Ihr wohlauf?", erkundigte er sich leise, zeichnete mit der Fingerkuppe vertraute Linien des geliebten Gesichts nach. "Und Ihr?", neckte Mabioline, zwinkerte kokett, um dann, ernster gestimmt hinzuzufügen, "und Jaime?" Der Mantanhol schmunzelte, im Schatten des aufsproßenden Bartes kaum merklich. "Er schläft. Mit Hilfe eines Eurer Zaubertränke." Die feinen Augenbrauen zürnten unverhohlen. "Wenn ihm ein Unrecht geschehen ist", drohten sie Ungemach, jede Kränkung des geliebten Gemahls zu ahnden. Im Bündel regte sich unruhig Widerspruch, sofort als rächende Amazone hinauszuziehen. Ohne Scheu schob der Mantanhol die Hände unter Kopf und Rumpf des Säuglings, barg ihn an seiner Brust. "Ein streitbares Mädchen", lächelte Mabioline zufrieden, streckte den Arm, die krausen Locken auf dem Haupt des Geliebten zu durchfahren. Gaspard ließ es gern geschehen, während er zärtlich die Decken aufschlug, das Gesicht des Kindes studierte. Man blickte sich an, ringelte die dunklen Locken, zog die Nase kraus... und Gaspard wünschte innig, dass sich die blaue Augenfarbe nicht verlieren möge, sondern den Aquamarinen der Mutter verwandt blieb. Ein schönes Kind, -wie konnte es sich auch anders verhalten?!-, das in seinen Armen ruhte! Mabioline beobachtete, wie der geliebte Gefährte ihre ungestüme Tochter liebkoste, die Stirn mit einem sanften Kuss siegelte, gänzlich unbefangen den Säugling hielt und ein Lied aus der Mantanha summte. Da sie nun alle ihre Lieben in Sicherheit wusste, konnte sie endlich in Schlaf fallen und Erholung suchen. Lächelnd ließ sie die Lider sinken und schmiegte sich an die Brust des Mantanhol, der ihre Tochter ebenso in süße Träume wiegte. ~*~ Man sammelte sich bereits, um mit Speis' und Trank den Abend zu begrüßen, als die Bonne kraft ihres Amtes und von eigenen Würden bestallt, in das Gemach des Senher polterte. Recht grob die wärmenden Decken an sich brachte und mit tadelndem Schnalzen der spitzen Zunge zum Aufbruch mahnte. Sebastien, noch immer in weiblicher Gesellschaft befangen und darüber hinaus gänzlich entblößt, sprang eilends auf die Beine, nach einem Hemd zu fassen, um der Schicklichkeit Genüge zu tun. Jaime indes stöhnte vernehmlich. Die Glieder wollten ihm nicht gehorchen, wie Blei legte sich der Schlaf erdrückend auf seinen Leib. Er wusste wohl, dass er sich zu sputen hatte, dass die geliebte Gemahlin, seine Mainada, ein jeder ihn erwartete... Wie seltsam, dass ihm der eigene Körper den Gehorsam versagte! Der Jüngling aus dem Ubac unterdessen nutzte die Gelegenheit, sich eilends zu reinigen. Die karamellfarbenen Strähnen, die sich an den Schläfen mutwillig kringelten, mit einem Kamm zu durchmessen und anschließend in frische, von bescheidenen Trocken-Bouquets aromatisierte Kleider zu schlüpfen. Wie tat das wohl! Sauber und reinlich, in einen Duft von Sommer gehüllt! Da er sich seines Geliebten besann, der sich angestrengt auf der Matratze stützte, die Ellen bebend, die ebenholzfarbene Lockenpracht derart verwüstet, dass sie die Wimpern hinderte, sich anzuheben... Ein Bild des Jammers, der tollkühne Senher da Solador! Sebastien eilte, ihm zu assistieren, unter Verwendung der Plumeaus den Mantanhol aufzurichten. Dann tränkte er ein Tuch, den Geliebten zu erfrischen. Jaime ließ geschehen, dass man ihn mit sanftem Nachdruck wusch, vertraute Hände ihn karessierten, um die Qual erträglicher zu gestalten, als Sebastien sich anschickte, dem wirren Nest der Locken zu Leibe zu rücken. Ein Flakon raffinierten Öls musste bemüht werden, jeden Strang zu entflechten. Sebastien allerdings zeigte keinerlei Anzeichen von Ungeduld. Erneut erschien die Bonne, missbilligend die Verspätung tadelnd, da man noch immer nicht geruhte, sich vollständig bekleidet zum Diner zu begeben! Da legte sie die Arme frei, gewaltig von den Mühsal der Jahre. Der Jüngling wich verzagt, Jaime hingegen ließ sich biegen und wenden, jedes Band knöpfen, Jabot und Gilet adrett richten, auf dass er den besten Eindruck erwecken mochte. "Nun aber rasch!", drängte die Bonne, scheuchte die beiden Männer wie unartiges Federvieh hinaus, dass sie ihre Aufwartung der Senhora machten. Sebastien fiel zurück, immerhin stand dem Gemahl allein das Recht zu, das Gemach zu betreten, wollte gar im Boudoir warten, wie es der Anstand gebot. Jedoch, der Mantanhol taumelte in nachlassender Betäubung an seiner Seite, bedurfte des sichernden Geleits, sodass er ebenfalls vor dem geschmückten Wochenbett stand, die Lider schamhaft zu Boden gesenkt. "Mabioline!" Wie heiser, wie verzweifelt die üblicherweise samtige, souveräne Stimme klang, als Jaime sich löste, vorstürzte, neben der Lagerstatt auf die Knie zu sinken, um Vergebung zu flehen! Die schöne Senhora wappnete sich, streckte die kleinen Hände aus, das geliebte Haupt gegen die Brust zu ziehen, den schluchzenden Mantanhol in ihren Armen zu bergen. "So weint doch nicht, Liebster", flüsterte sie besänftigend in die glänzenden Locken. "Es ist überstanden. Wollt Ihr nicht meine Tochter begrüßen, Jaime?" Er wollte wohl, allein, ihn drückte die Verzweiflung nieder, da er nicht glauben mochte, dass ihm so unbekümmert verziehen ward. Dem Jüngling, der unbehaglich als Zeuge harrte, nicht wusste, ob er sich entfernen sollte oder das Wort ergreifen durfte, wie man sich generell verhielt... ach!!! Zu seiner Rettung aus der Verwirrung kam Gaspard, der das jüngste Mitglied der Mainada da Solador in den Armen wiegte, es nach einem scharfen Blick Sebastien übergab. Dieser erstarrte, als habe man ihn zur Salzsäule geschlagen, denn nie zuvor hatte er einen Säugling in den Armen gehalten! Da blinzelte sie, die kleine Senhora, ein wenig skeptisch, zog die Nase kraus, spitzte unter wilden Locken hervor aus dem sicheren Hort von Leibchen und Decken. Sebastien wurde, ja, wie wurde ihm?! So warm, das bescheidene Bündel, solide doch und zerbrechlich, ein kräftiger Schlag und dieser Duft, so ungewöhnlich... Er seufzte, ohne dies zu bemerken, von Herzen ergriffen, lächelte hinab in diese blauen Augen, die ihn studierten, als könnten sie sein Herz lesen. Gaspard schmunzelte, kaum merklich ob des schweren Schattens ohne Rasur: ein weiterer Mann war der Senhora bereits auf Gedeih und Verderb verfallen! Wenn sich nur Jaime endlich besinnen würde! Mabioline teilte diese Auffassung. So bleich, so verschreckt hatte sie den Liebsten noch nie gesehen. Wer ihrem Jaime ein solches angetan hatte, der würde sich zu verantworten haben! Einem derartig liebevollen, großherzigen Mann!! Mit einigem Bedauern musste Sebastien das Bündel seinem Heger überantworten, der es ohne Scheu auf die Schulter legte, sich niederbeugte. Um mit dem freien Arm nachdrücklich die Taille des jüngeren Mantanhol zu umschlingen, ihn auf die Beine zu stellen. Ein scharfer Blick aus schwarzen Augen traf ebensolche, spiegelglänzend und schamerfüllt, dann sah sich Jaime da Solador mit seiner Tochter bekannt gemacht. Er hielt sie sicher, durchaus vertraut, allein, wie schön sie war, ganz die Mama, dabei so verständig blickend, gleichsam nachsichtig ob seiner Torheiten! Er küsste die Stirn, Wangen, das vorwitzige Näschen, sog tief den Geruch ein, wie ein Wolfshund, auf dass er ihn niemals verlöre. "Mi Amigar, ich wünsche, dass Ihr als Senher meine Tochter Solimar da Solador tauft. Und zu ihren Paten die beiden hier anwesenden Senher bestellt", verkündete Mabioline, zwinkerte vertraulich dem errötenden Jüngling aus dem Ubac zu. "Solimar", wisperte Jaime verzaubert, ließ sich einen Lockenstrang von zupackenden Händchen ziehen. In der Tat, der Name erschien ihm angemessen wie kein Zweiter, da mochte die Kirche protestieren, wie es ihr gefiel. "Aber nun wird gespeist!" Mabioline klatschte die kleinen, kraftvollen Hände zusammen, winkte energisch, ihr den Säugling anzuvertrauen, damit die weitgereisten Senher den Speisen zusprechen konnten. ~*~ Bei Tisch herrschte gegen die Gewohnheit der Mainada da Solador Schweigen. Was nicht Wunder nahm, da Jaime und Sebastien solitär ihr Abendmahl einnahmen. Der Mantanhol hielt den Kopf gesenkt, der Blick wandelte in der Ferne, er zeigte sich ohne Appetit und angegriffen. Sebastien hingegen sprach den Speisen zu, ein geradezu beängstigender Hunger wollte beschwichtigt werden. So, als hätten sich die ausgestandene Aufregung und die lange Krankheit verschworen, ihr Vakuum auf diese Weise auszufüllen. Ihn dauerte wohl, dass Jaime in sich gekehrt und einsilbig blieb, indes, der Jüngling sah sich im Recht. Es war an Jaime, sich zu offenbaren, ihm zu entdecken, welche Wahrheit im Kern der Legenden logierte. Der Senher da Solador hingegen befasste sich eingehend mit den Vorbereitungen für den morgigen Tag. Man musste die Taufe arrangieren, zur Mittagszeit, es waren Einträge zu fertigen im Geburten- und Familienbuch. Darüber hinaus stand die Ankunft des Herren unmittelbar bevor, sodass man sich sputen musste, zum Fest der Vergebung allen Zwist versöhnlich zu enden. Und aus diesem Grund wanderte sein Geist unruhig umher, wich den eigens illuminierten Kerzenflammen aus, suchte nach einer zutreffenden, jedoch nicht allzu dekuvrierenden Erklärung der letzten Ereignisse. Mit diesen schweren Gedanken begab er sich auch zur Ruhe. Sebastien, der an seiner Seite nächtigte, lauschte noch lange auf das Wälzen und Ächzen des Geliebten, der keinen Frieden fand. ~*~ Der nächste Tag hielt den Senher da Solador geschäftig, denn bis zur Mittagsstunde hieß es, ausreichend Raum zu schaffen, damit ein jeder Angehöriger der Mainada sowohl der Taufe wie auch dem anschließenden gemeinsamen Mahl beiwohnen konnte. Der Himmel zeigte sich unentschlossen, ein gräuliches Gewölk dräute, der Frost wollte nicht weichen, weil ihm die Sonne ihre Aufmerksamkeit enthielt. Unterdessen bat Mabioline Sebastien, ihr Gesellschaft zu leisten, da sie Solimar der Fürsorge Gaspards anvertraut wusste. Ein wenig bänglich, da die schöne Senhora ihm nun um vieles erfahrener schien, fand sich der Jüngling aus dem Ubac, sorgsam gekleidet, im Boudoir wieder. Seiner Gastgeberin im vertraulichen Tete-a-tete gegenüber, mit einem aromatisierten Getränk versorgt, das ihm den Leib auf das Köstlichste wärmte. Mabioline lächelte, da ihrer Aufmerksamkeit keineswegs die verlegene Unsicherheit des Luminnier entgangen war, bemächtigte sich einer fahlen Hand, um sie beruhigend in ihrer kleinen zu halten. "Ich bin von Herzen erfreut, Euch gesund und wohlbehalten zu sehen, Sebastien. Die letzten Nachrichten, die wir erhielten, ließen das Schlimmste befürchten", gab sie die Richtung ihrer Konversation vor. Sebastien presste die Lippen, die Wangen rosig überhaucht, da er nur über wenig Erinnerung an diese Zeit verfügte. "Mi Amigar, wollt Ihr mir nicht berichten, wie es Euch erging?" Die Aquamarine gaben den Jüngling nicht frei, bezauberten mit ihrem funkelnden Charme, der keine Weigerung akzeptierte. Er setzte an, durchaus zögerlich, da ihn vielerlei beschäftigte, wollte nicht unbedacht preisgeben, was dem Zwiegespräch zwischen Eheleuten zugehörig blieb. "Als wir den Empfang verließen, fühlte ich eine leichte Schwäche, ein kleines Fieber", begann er schließlich, unversehens die kleine Hand der Senhora karessierend. "Dann stieg die Temperatur so rasch, dass ich bald jedes Gefühl verlor. Mir schien mein Leib so schwer, mein Geist verworren, dass ich kaum mich zu erinnern vermag. Ich entsinne mich", die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln zu Boden gerichtet setzte er seinen Bericht fort, "dass ich mich dem Tode nahe befand. Jaime umsorgte mich unermüdlich, wollte nicht von mir lassen, doch ich verfügte nicht länger über die Kraft, mich dem Tod zu entziehen. Da kehrte Jaime mit einem Fremden zurück, einem Luminnier, der als Heiler praktizierte." Plötzlich fand sich ein Gedanke ein, der Sebastien erschrocken zurückfahren ließ: durfte er vor Mabioline dieses heikle Sujet zur Sprache bringen?! Hatte der rachsüchtige Kastrat nicht von 'Hexerei' gesprochen?! Würde er ihren feinen Sinn beleidigen, indem er von dem Akt erzählte, der ihm das Leben gerettet und es unteilbar an Jaimes geknüpft hatte? "Ich bitte Euch, Sebastien, so fahrt doch fort!" Die freie Hand der Senhora streichelte dem Jüngling begütigend über die Wange, hob ihm das Kinn behutsam, auf dass die Aquamarine erneut ihren Zauberbann wirken konnten. "Der Fremde...nun, er mischte einen Auszug von unserem Blut, um zu ergründen, ob es sich vertrug, denn er glaubte, mit einer Transfusion mir das Leben zu erhalten", setzte Sebastien seine Schilderung fort. Atmete tief ein, da ihm dieser Satz flüssig von den Lippen kam. Ein Tadel, ein Weichen, Abscheu oder Widerwillen: sie blieben aus. Die schöne Senhora lächelte zärtlich, erwartete gespannt die weiteren Begebenheiten. »Wie großherzig und verständnisvoll sie ist«, seufzte der Luminnier in seinem Inneren, »eine unvergleichliche, verehrungswürdige Person.« "Da er sah, dass unser Blut korrespondierte, ließ er mich zur Ader und mittels einer Infusion ersetzte Jaimes Blut meinen Verlust", preschte der Jüngling ermutigt voran. "Wie Ihr Euch vorstellen mögt, zollten wir dieser letzten Anstrengung einen hohen Tribut. Der Heiler verschwand, entlohnt durch eine Schiffspassage, deren Kosten Jaime beglich, während wir uns zu erholen suchten. Als endlich unsere Kondition wiederhergestellt war, wollte uns die Witterung nicht ziehen lassen..." Sebastien unterbrach sich, von Scham übermächtig geknebelt. War ihm nicht zugetragen worden, die Senhora habe vorzeitig das Wochenbett aufsuchen müssen aus Sorge um ihren Gemahl?! Wie konnte er es wagen, hier von den eigenen unbedeutenden Beschwernissen zu plaudern, während sie auf Todes Schwelle um zwei Leben gekämpft hatte?! "Warum schweigt Ihr, mi Amigar? Und so blass...ist Euch nicht wohl?" Mabioline bestrich die Wange des Jünglings, beugte sich zu ihm, eine Erklärung für diesen sonderbaren Abbruch zu finden. Sebastien ließ sich vom fein gedrechselten Stuhl auf die Knie sinken, das Büßerhaupt demütig gesenkt, ein Jammerbild des Unglücks. "Bitte um Vergebung", wisperte er, von leisen Schluchzern unterbrochen, "Euch solche Sorge zu bereiten, bitte verzeiht..." Endlos reihte sich die Litanei. Die schöne Senhora da Solador zog die Augenbrauen zusammen, schmunzelte gegen ihren erklärten Willen ob des Kleinmuts der beiden Reisenden. Und sie derartig zu unterschätzen... "Na na", tadelte sie, umfasste die bebenden Schultern des Jünglings, richtete ihn auf, ihr in die Augen zu blicken. "Nun folgt auch Ihr Jaimes Vorbild, mich in Tränen salzig einzulegen wie einen Hering?!" Sebastien keuchte, verschluckte sich und schlimmer noch, ein Frosch sprang in seinem Hals, ließ ihn auf das Unangenehmste beschämende Laute ausstoßen. Mabioline hingegen konnte nicht länger die strenge Miene wahren. Sie warf das kunstvoll gesteckte Lockenhaupt in den grazilen Nacken und lachte perlend, von großer Heiterkeit erfüllt. "Lieber, liebster Sebastien", streichelte sie die feuchten Wangen des Jünglings, "glaubt Ihr denn tatsächlich, ich zürnte Euch oder Jaime, weil Ihr einander Beistand leistetet? Ich befinde mich wohl, überglücklich sogar, da Ihr nun zurückgekehrt seid und meine kleine Tochter gesund diese Welt betreten hat." Dann erhob sie sich, die seidigen Röcke seufzten verführend, richtete das prächtig bestickte Tuch um die Schultern. "Erhebt Euch, mi Amigar. Und lasst Euch sagen, das Frauenvolk mag sich zerbrechlich geben, allein, es verfügt über eine große Stärke im Verborgenen." Sebastien kam langsam auf die Beine, den Kopf gesenkt, da er sich gerne geflüchtet hätte, um nicht seine weiteren Sorgen entweichen zu lassen. Die Senhora überwand die geringe Distanz. Die seidigen Gewänder streiften begehrlich Kniehosen und Gehrock des Jünglings. Sie umfasste mit den kleinen, jedoch sehr kraftvollen Händen das Haupt des Jüngeren, auf dass er sich nicht entziehen konnte. "Ich sehe Euch den Kummer an, mi Amigar. Man berichtete mir, wie couragiert Ihr Jaime vor diesem Schand-Gericht zur Seite standet. Ich bitte Euch, Sebastien, schickt Euch nicht drein in dieses Schweigen. Ihr wisst, dass Jaime Euch liebt, über jeden Zweifel hinaus, allein, er bedarf nun Eurer Stärke, Eurer Gewissheit. Ein Knabe mag fliehen, ein Mann stellt sich." Mit diesen Worten gab sie ihn frei, der die fahlen Hände vor das Gesicht schlug und um Fassung rang. Demnach wusste die schöne Senhora...?! Mabioline gab Sebastien nicht die Gelegenheit, in Spekulationen zu versinken, griff seinen Arm zum Geleit, hob vorsichtig die Säume, lächelte aufmunternd in das rosig getönte Gesicht. "Man ruft bereits, mi Amigar." Zur Taufe. Und zum anschließenden Mahl. ~*~ Eng an eng drängte man sich, die Wangen gerötet, die Atmosphäre frohgemut und hitzig von der Vielzahl der Leiber. Sie umschlossen den schmalen Kreis, den die beiden Paten und der stolze Senher da Solador formten. Gaspard hielt das Kind auf den Armen, Sebastien an seiner Seite am Stehpult, die beiden schweren Folianten aufgeschlagen, um die Geburt und Taufe der Solimar da Solador zu dokumentieren. Die Feder zitterte ein wenig, jedoch löste sich kein Tropfen der Tinte, das schwere Pergament zu beschmutzen. Jaime, freudestrahlend und viril, sprach die segnenden Worte, benetzte das lockige Köpfchen mit einigen Tropfen Wassers, hielt die beiden Paten an, das Wohl seiner Tochter zu wahren, ihr mit Anstand und gutem Rat zur Seite zu stehen. Man jauchzte und jubilierte, hob die Becher, dass jüngste Familienmitglied willkommen zu heißen, es hochleben zu lassen, die Paten zu preisen. Und man lachte, da Solimar, die willensstarke Kämpferin, energisch protestierte, als man sie von Gaspard zu trennen versuchte. So blieb sie, wo sie sich befand, wohlbehütet an der haarigen Brust des bulligen Mannes. Das Schmausen und Wohlleben begann, Trink- und Segenssprüche wurden ausgebracht, immer ausgelassener tanzten Scherze über Tische und Bänke. Da erhob sich Jaime, wartete nachsichtig, bis man schwieg, dem Senher zu lauschen, denn endlich wollte sich nun von erster Hand das Mysterium des verleumderischen Prozesses heben. "Ihr wisst wohl, meine Freunde", intonierte Jaime mit samtiger, wohltönender Stimme, ein wenig kehlig, wie es die Mantanhol verstanden, "dass Curzio Jehaune einen Prozess anstrengte, mich und meinen Aimador Sebastien zum Tode zu verurteilen." Da raunte man, sprang auf, drohte mit den Fäusten, gleichsam überrascht, dass Jaime sich so unerschrocken zu seinem geliebten Jüngling aus dem Ubac bekannte. "Bitte, nehmt wieder Platz, denn wie Ihr seht, bin ich unversehrt zu Euch zurückgekehrt, zu meiner Mainada. Jedoch, da zweifellos die Erzählungen der Wahrheit mehr Glanz und Ausschmückung verleihen werden, sollt Ihr die blanken Fakten erfahren, um selbst zu urteilen. Ich sah mich dem Vorsitz eines gewissen d'Amboise gegenüber, der von sich behauptete, der Gouverneur unserer schönen Provinz zu sein. Bedauerlich, dass er so wenig Liebe zeigte gegen die Maradoier oder die Mantanhol", fügte Jaime boshaft hinzu. "Man erhob Klage gegen mich, einem erklärten Feind Seiner Majestät Obdach zu gewähren, ihn der Verfolgung entzogen zu haben. Des Weiteren beschuldigte man mich der Hexerei, des Mordes und endlich der Verschwörung." Nun tobte es, dem Unmut konnten kaum die Mauern standhalten, so flogen Schmähungen umher. Man zürnte ernstlich, bereit, diese Ungeheuerlichkeiten mit Gewalt zu sühnen. "Gemach, meine treuen Freunde, ich bitte Euch, nehmt Eure Plätze wieder ein, denn, wie Ihr seht", Jaime zwinkerte, da er sich ein weiteres Mal der Rhetorik bediente, die seit dem Altertum gefürchtet galt, "ich befinde mich wohlauf in Eurer Mitte. Nun denn, nicht allein sollte ich mich des Hochverrates schuldig gemacht haben, indem ich meinen geliebten Gefährten Sebastien vor ihrem Schafott bewahrte, nein, man hielt mir vor, einen raffinierten Plan zu verfolgen. Dieser sah vor, dass ich mich des Gutes der Jehaune bemächtigte, indem ich Alonzo zu einem Wettstreit verführte, zuvor einen Bastard mit seiner Gemahlin zeugte und anschließend auch Curzio zu seinen Ahnen sandte. Um mich habgierig und skrupellos zu bereichern. Ach, die Hexerei übte ich aus, als ich mit einem Heiler konspirierte, Sebastien das Leben zu retten, wo doch kein Fremder das Sumpffieber überwinden kann." Man schwieg nun, setzte sich mühsam ein Zerrbild zusammen: der Senher ein Usurpator, der kein Mittel scheute, sich der Ländereien anderer zu bedienen? Der den Freund, einen Hitzkopf, kaltblütig in den Tod lockte? Ihr Senher, zu solchen Übeltaten fähig?! Niemals!! Infam und verleumderisch, gänzlich unwahr! Und diese feigen Hasenfüße von Jehaune hatten nicht einmal gewagt, ihre schändliche Verschwörung zu diesem vorgeblichen Prozess zu verkünden, damit die Mainada da Solador ihrem Senher zur Seite stehen konnte!! Bevor man sich in gerechtem Zorn erneut empören konnte, hob Jaime beschwichtigend die Hände, setzte lächelnd an. "Doch wie Ihr seht... ich befinde mich wohlauf. Dies verdanke ich nicht nur Sebastien, der ruhigen Kopf bewahrte, auch Feodor Jehaune, der trotz der Witterung den Weg nicht scheute, seinen irregeleiteten Sohn zurechtzuweisen, trat für mich ein. Ich gestehe Euch, dass ich nicht Haltung wahrte, wie es einem Senher ansteht, sondern gegen Curzio meinen Dolch schleuderte, der ihn ein Auge kostete. Dafür werde ich um Vergebung nachsuchen, zum Fest der Versöhnung anlässlich der Geburt unseres Herren." Der Mantanhol sprach nun von Ernst erfüllt, die markanten Züge prägten sich ein. "Uns ist große Ehre zuteil geworden, denn der Sohn des Alonzo Jehaune, Domenico, wird zum Frühling hier aufwachsen, kraft Entschlusses seines Großvaters." Ein Murren und Murmeln erhob sich, ein Jehaune unter diesem Dach, konnte das angehen?! Oder stand eine neue Heimtücke zu befürchten, wie die des diebischen, spionierenden Luca Utard?! "Meine Freunde!", gebietend hob Jaime die Arme über die Menge. "Es ist mein Wunsch, dass wir in Frieden mit unseren Nachbarn leben. Darum sei verfügt, dass fortan dem Gastrecht in vollem Umfang wieder Genüge getan wird. Die Pforten sollen jedermann offen stehen. Was ein Unseliger vergiftete, das soll heilen, denn wir lassen uns nicht irreleiten von falschem Zeugnis und wirren Phantasien. Der Knabe Domenico soll hier willkommen sein wie meine Tochter Solimar. Und alle weiteren Kinder, mit denen die Götter uns segnen mögen!" Er strahlte nun verwegen in den Rund, hob den Becher an, einen weiteren Trinkspruch erhebend. Da lachten sie, die Maradoier, je nun, man kannte ihn, den Senher, so unbekümmert und nachsichtig! Wer konnte glauben, dass er einem anderen ein Übel zufügte?! Bald schon verbannte man Tische und Bänke, man sang und klatschte, trommelte und spielte mit der Fiedel auf, bis zu den späten Abendstunden zu feiern. Um dann in frohen Schlaf zu fallen, aller Sorgen ledig. ~*~ Sebastien hatte das Privileg genossen, sich mit Solimar auf dem Arm dem Reigen zu entziehen, behutsam Bekanntschaft zu schließen mit seinem Patenkind, das ohne Scheu verfügte, wie er sich zu gebaren hatte. Die karamellfarbenen Strähnen ließen sich vorzüglich in den kleinen Händen halten, zudem boten Jabot, Gilet und Gehrock eine Vielzahl schimmernder Knöpfe und seidiger Bänder, die zum Spielen einluden. Der Jüngling aus dem Ubac lächelte hingerissen. Die Zeit verstrich ihm ohne Reue, Solimar zu betrachten, in dem kleinen Wesen nach Ähnlichkeiten zu forschen. Nun, da sich Mabioline und Gaspard mit den ersten zurückzogen, das kleine Mädchen in den Armen der Mutter geborgen, fand sich Sebastien allein, da Jaime sich zu jedem gesellte, ihn jedoch sorgsam aussparte. Die Schar der Kinder, die noch nicht in Schlaf gefallen waren, drängten sich um den Jüngling, dass er ihnen eine Geschichte erzählte oder aus einem Buch Unterhaltsames zitierte. Doch wovon sollte er sprechen, da ihm nun die Gedanken erneut um den Geliebten kreisten, der ihn mied, ihm kaum ein Wort zumaß? "Verzeiht", der Jüngling lächelte angestrengt, "es mangelt an ausreichend Licht, um Euch vorzulesen. Vielleicht am morgigen Tag", vertröstete er die enttäuschten Gesichter. Erhob sich dann, um an die klare, eisige Luft zu treten. Er wäre gern ausgeschritten, so, wie noch einige Wochen zuvor, an der Seite Beuroux als treuer Schatten, doch ohne den schweigsamen Schutz des großen Hundes aus der Mantanha behagte ihm die Dunkelheit recht wenig. So entschied er sich, in die einsame Bibliothek zu wechseln, eine Laterne zu illuminieren und ein bescheidenes Gebäude zu entwerfen, das Unterkunft für Solimar und Domenico bieten sollte. Man konnte auch, er erwog es sorgfältig, ein Gemach zum Studium und Spiel anschließen. Die Mittel wären wohl vorhanden, zudem vermochte man zugleich die Mühle wieder zu errichten... Der Kohlestift wanderte flink über die grobe Textur des Pergaments. ~*~ Längst war die Mitternachtsstunde verstrichen, als der Senher da Solador die letzten seiner Gefährten in ihre Lager sandte und sich selbst mit unsicherem Schritt seinem Gemach näherte. Er bemerkte das Laternenlicht in der benachbarten Bibliothek und entschloss sich, unter tränenden Augen, die dringend eine ausgedehnte Rast forderten, nach dem Rechten zu sehen. Geschmeidig und ohne Laut betrat er den einsamen Raum, fand seinen Geliebten zusammengesunken in einem der italischen Feldstühle, das müde Haupt auf den altersdunklen Tisch gebettet. Sorgsam beschwert, damit kein diebischer Windstoß sie entführen konnte: die Skizzen, Produkt der emsigen Arbeit des Jünglings aus dem Ubac. Jaime zögerte, Sebastien zu berühren, einen galligen Geschmack in der Kehle, der sich aus Scham und Schuld nährte. Obgleich er sich Kummer zugestand, so wusste er wohl, dass er sich feige der Auseinandersetzung entzog und seinen Aimador unsäglich kränkte. Allein der nachsichtige Großmut des Luminnier hinderte diesen, ihm mit gleicher Münze den Tort zu vergelten. Wie schön es schimmerte, das karamellfarbene Haar, über die schmalen Schultern gegossen! Der zarte Glanz der hellen Haut, der dichte Wimpernschirm drapiert... Der Mantanhol widerstand der Versuchung nicht länger, beugte sich, zärtlich die Arme um den Leib des Jünglings zu schlingen, ihn an sich zu ziehen. "Sebastien", raunte Jaime samtig. "Mi Aimador, nehmt meinen Arm! In unserem Bett lässt es sich agreabler schlummern", lockte er neckend. Der Jüngling seufzte im Schlaf, ließ sich einem Kind gleich auf die Beine helfen, setzte mühsam die Füße, mochte kaum die Lider heben. Es erleichterte den Senher da Solador durchaus, seinen geliebten Calinhaire derart erschöpft vorzufinden, da sich auf diese Weise ein Aufschub erwirkte. Er führte den Jüngeren umsichtig, entkleidete ihn geschwind, auf dass Sebastien artig unter die Decken gleiten konnte, sogleich in Morpheus' Arme wiederkehrend. Auch Jaime, der ausgiebig allerlei anregenden Spirituosen zugesprochen hatte, verspürte den überwältigenden Drang, sich dem Schlaf zu ergeben und seinem Geliebten stante pede zu folgen. ~*~ Der Jüngling aus dem Ubac erwachte mit dem auffrischenden Getöse der Mainada. Da schlugen entfernt die Türen, auf die der Wind blies. Man rief und lachte, hier und da eilten schwere Pantinen über die mächtigen Bohlen. Das Federvieh lärmte geräuschvoll, da es gefüttert wurde, -kurzum, das Leben erblühte mit den ersten Anzeichen des kurzen Tages. Und alle Bewohner richteten ihre Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Fest zur Geburt des Herren. Es galt, sich zu versöhnen, alten Groll, Zwist und Zwietracht zu vergeben und mit dem bereits sehnsüchtig erwarteten Frühling rein und unbeschwert einen weiteren Kreislauf zu eröffnen. Sebastien fand sich jedoch weit entfernt vom entschlossenen Willen zu Vergebung und Frohsinn. Ein Seitenblick auf das ungebärdige Lockenhaupt des Mantanhol erregte die in den letzten Tagen kulminierte Melange aus Hingabe, impulsiver Leidenschaft und ebenso gewaltigem Zorn. Bevor eine Seite die Überhand gewinnen konnte, erhob er sich, streifte eilends das Hemd des Vortags über die schlanke Gestalt, um in das Separee zu wechseln. Ein heißes Bad würde wohltun, die Verärgerung lindern. Er schlüpfte in eine der knöchellangen Beinkleider des Mantanhol, warf sich den schweren Pelz über die Schultern und verließ das Gemach, sich einige Mägde zur Hilfe zu rufen. Die Wangen gerötet, die Hände dunkel von der Kälte, gelang es recht geschwind, mit großen Krügen Wasser zu gewinnen, das in der Schwanenbütte ausgegossen wurde. Unterdessen schob man schwere Steine in den Ofen, geradewegs unter die Brotlaibe, damit sie von Zangen gekniffen das eisige Brunnenwasser erhitzten. Nun regte sich auch der Mantanhol, das stete Kommen und Gehen des Gesindes, die wispernden Stimmen ließen kein weiteres Verweilen im Traumland zu. Sebastien zählte sorgsam einige Tropfen kostspieliger Essenz auf eine flache Schale, die über einer Kerze Wohlgeruch verströmte. "Bonjorn", grüßte er Jaime geschäftig, "kommt, wir wollen den Tag des Herren sauber an Leib und Seele begehen!" Dem Senher da Solador sagte es wohl zu, in den Armen seines Aimador in angenehm temperiertem Wasser zu liegen, sich mit sanftem Nachdruck und Bürste massieren zu lassen, die ungebärdigen Locken entwirrt und zärtlich eingeschäumt. Jedoch wusste er, dass ihm der Aufschub verrann. In der Tat wählte Sebastien diese Handreichungen, seine Gedanken zu sammeln und des Weiteren eine Flucht zu hindern. Zudem mochte das warme Wasser den Mantanhol lähmen, ihn verträglicher stimmen. Der Jüngling ließ das grobe Tuch auf das rückwärtige Federkleid des Schwanen sinken, legte die Arme auf die athletischen Schultern des Älteren. "Ihr wisst", versetzte er ruhig, "dass es ein Unrecht war." Jaime erstarrte mit einiger Verzögerung in der losen Umschlingung, entgegnete unbehaglich. "Er wollte Euch erschlagen..." "Davon spreche ich nicht!", empörte sich der Jüngling ärgerlich. "Gebt nicht vor, mich zu missverstehen, Jaime! Ich merke wohl, Ihr meidet meine Gesellschaft, und aus triftigem Grund, denn ich bin nicht gewillt, mich dem Schatten eines Rivalen zu beugen!" "Ihr sprecht in Rätseln, mi Amigar", gab sich Jaime betont kühl, erhob sich, der Bütte zu entsagen. Ohne mit der Entschlossenheit des Jünglings zu rechnen, der ihm folgte, die Handgelenke mit festem Griff umklammerte. Die grünen Augen loderten, Funken stieben aus den köstlich braunen Sprenkeln. "Es ist genug! Genug der Ausflüchte, der Halbwahrheiten und Täuschungen! Ihr wollt das Rätsel gelöst sehen?! Nun denn, ich löse es Euch", zischte er agitiert dem Mantanhol in das Antlitz. "Ist es nicht so, dass der Kastrat die Wahrheit sprach?! Und Ihr Eures Nachbarn Weib im biblischen Sinn erkanntet, was Früchte trug?!" Jaime presste die Lippen, bis sie einem blutleeren Strich ähnelten, konnte nicht leugnen und wollte nicht konstatieren. Dies enragierte Sebastien umso mehr, ließ ihn jede Rücksicht fahren lassen. "Doch beginnen wir am Anfang dieser liederlichen Affäre! Ihr kamt als Knabe in dieses Haus, vor mehr als einem Dutzend Jahren. Stand Euch sogleich der Sohn des Nachbarn in freundschaftlicher Verbundenheit zur Seite?!" Der Jüngling spie die Silben voller Verachtung und Abscheu. "Wie lange gewährte er Euch Dispens, bevor er Euch Avancen machte, sein Lager zu teilen?!" Nun verließ jede Farbe die Züge des Mantanhol. Er bebte sichtlich, die schwarzen Augen aufgerissen, als blicke er in einen finsteren Abgrund, der ihn zu schlucken suchte. Allein, Sebastien fuhr fort, hinweggerissen von leidenschaftlicher Empörung, ohne Gnade für die erkennbare Schwäche seines Gegenüber. "Und niemand nahm Notiz, dass sich ein Mann mit einem Knaben vergnügte, bei Tag und Nacht seine Gesellschaft suchte! War nicht der Altersunterschied beträchtlich?! Er weitere sieben Jahre ohne Eheweib?! Da verwundert es nicht, dass er sich außerstande sah, mit seiner unglückseligen Gemahlin ein Kind zu zeugen, wenn er bereits zuvor keine Anstalten zeigte. Ja, ich habe jede Quelle studiert, jeder Erzählung gelauscht und mir meinen Reim gemacht, als wir vor dieser Richtbank standen, dem Schafott geweiht!" Jaime wandte den Kopf zur Seite, die Handgelenke noch immer in Gefangenschaft. Er wollte nicht in diese bannenden Augen blicken, die unversehens den Schleier hoben, der ein düsteres Geheimnis verdeckte. Unterdessen dauerte Sebastien seine ungestüme, wenig manierliche Reaktion, da er den Mantanhol von Herzen liebte und bereits das Mitgefühl seine Augen wässerte. "Es war Unrecht, Jaime. Er hat Euch Unrecht getan", setzte er heiser die Anklage fort. "Und noch immer drängt sich sein Geist auf, hält Euch in seinen gierigen Klauen, lässt nicht zu, dass ich Euch lieben kann wie ein Mann den anderen." Der Jüngling lehnte behutsam die feuchte Stirn gegen die des Älteren, die Hände glitten von den Handgelenken zu den Fingern, sie traulich zu umschließen. "Ihr kennt meinen Wunsch, zum Mann zu werden. Euch ein ebenbürtiger Gefährte zu sein. Lasst seinen Geist hinter Euch, mi Aimador! Ich bin willens und bereit, alles für Euch zu wagen, darum fasst auch Ihr Mut, Jaime, auf mich zu vertrauen." Mit diesen Worten endete der flammende Appell. Ermattet von der Offenbarung lehnte sich der Jüngling aus dem Ubac an den bebenden Leib des Mantanhol. In der Tat, er hatte begriffen, in dieser erzwungenen Periode der Trennung, was ihm Jaime zu erklären versuchte, als er ihn umwarb. Aimador. Der Mensch, der das Äußerste ans Licht beförderte, den höchsten Einsatz verlangte, Konventionen und Moral überwinden ließ. Der Senher da Solador wich um einige Zoll, der Bütte zu entsteigen, eine Hand mit dem Jüngling haltend, dann zog er diesen zu ihrem Lager zurück, sich in die Decken schmiegend wie ein Kind in eine Zuflucht. Sebastien begriff ohne wortreiche Aufforderung, barg den Älteren in seinen Armen, karessierte die ungebührlich wilde Lockenmähne, die vertraute Haut. Endlich, eine stille Ewigkeit war verstrichen, ergriff der Mantanhol das Wort, die Stimme heiser und gramesschwer. "Als ich von den Bergen kam, ein Senher zu werden, schien mir dieses Leben hier vollkommen fremd und unbegreiflich. Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen, sondern rasch alle Hürden meistern. Alonzo war mir ein guter Freund und Vorbild." "Das gereicht ihm zur Ehre, jedoch nicht zur Entschuldigung", konnte sich Sebastien nicht enthalten einzuwerfen. Er spürte das verletzte Lächeln des Älteren, obgleich er es nicht sehen konnte, da sich das Antlitz seines Geliebten ihm in die Halsbeuge schmiegte. "Eure Vermutungen kann ich nicht widerlegen, mi Aimador. Es ist wahr, dass er mich umwarb, obwohl ich ein Knabe war. Ich habe sein Lager geteilt, sogar über seine Vermählung hinaus. Ich weiß, dass er mir kein Leid zufügen wollte." Jaime unterbrach sich, da ihm die Stimme brach, die Tränen sich auf Sebastiens Schlüsselbein sammelten. Sich an den Schultern des Jünglings aufrichtend bot Jaime ihm sein feuchtes, von Kummer gezeichnetes Gesicht. "Wie hätte ich einem Freund eine Bitte abschlagen können?! Ihm meine Hilfe verweigern?! Er bedurfte der Nähe, eines Zufluchtsortes!" Die Stirn gefurcht wollte sich der Jüngling nicht ohne Gegenwehr geschlagen geben. "Dann entstammte die perfide Idee, ihm einen Sohn zu zeugen, seinem verwirrten Geist?!" Jaime schluckte, wischte kindlich über die tränenden Augen. "Sie würde es nicht bemerken in der Dunkelheit. Zudem wünschte sie sich sehnlichst ein Kind in ihrer Einsamkeit." Nun blickte der Jüngling aus dem Ubac auf die zerwühlten Laken. "Ihr glaubt doch nicht wahrhaftig, dass Margoux Utard ihren Gemahl nicht von dessen Gefährten unterscheiden kann?" "Sie wollte es glauben! Des Kindes wegen! Er konnte nicht..." Jaime wandte sich ab, presste die Rechte auf die Lippen, der Kummer so frisch wie vor sieben Jahren. Doch Sebastien bedurfte keiner weiteren Ausführungen. Er hatte seit seinem Aufbruch in die befremdliche Welt der südlichen Provinzen seinen Geist immens erweitert. "Es war nicht recht", wiederholte er leise und bestimmt, umfing den Älteren, gab ihn nicht frei. Die Freundschaft eines Knaben derartig zu entweihen, das konnte man nicht pardonieren. "Und seid versichert, Jaime, dass ich meiner Herkunft treu bleiben werde", bestimmte Sebastien in gefasster Ruhe. "Ihr wisst wohl, was es bedeutet, ein Luminnier zu sein. Man erwartet unsere Strenge und Gnadenlosigkeit." Den Gefährten aus der Zuflucht der Halsbeuge vertreibend fasste der Jüngling das markante Kinn des Mantanhol fest, funkelte unbeugsamen Willen in die schwarzen Augen. "Ich werde keine Nachsicht kennen, im Unterschied zu Euch. Da Ihr mein Herz erringen wolltet, so nehme ich das Eure zum Unterpfand. Und kein Schatten, der an Euch Verrat übte für Euren Großmut, wird dort fürderhin einen Platz finden." Sebastien ballte die Fäuste, bleckte die Zähne hinter den zurückgezogenen Lippen, wie ein Raubtier vor dem Sprung alert und unversöhnlich. "Ich rotte seine schwarze Erinnerung aus, mit Stumpf und Stiel! Ich werde ihn nicht neben mir dulden, begreift Ihr das, Jaime? Erhofft Euch keine Schonung, denn ich versage sie Euch." Ob dieser Brandrede, die drohte und prophezeite, mit unbeeindruckter Gewalt ihre Absichten proklamierte, durchlief den Mantanhol ein verschrecktes Beben. Welche Ähnlichkeiten sein Aimador mit den Senher aus dem Ubac aufwies, die in der Ferne ohne Nachsicht das Geschick der Menschen lenkten! Der Jüngling unterdessen hielt den zögerlichen Blicken stand. Er wusste wohl, dass er, an der Stelle des Senher da Solador, niemals derart selbstlos gegen einen Jüngling gehandelt hätte, der sich seiner Verfügung zu entziehen suchte und opponierte. Und nun, da staunte er, der verwegene Mantanhol, mit den ungezogenen Locken, der sonnenverwöhnten Haut, seinen unverschämt weißen Zähnen, den goldenen Kreolen wie ein Landfahrer! Schöner, wilder Jaime! Sebastien beugte sich vor, mit beiden Händen das geliebte Haupt zu umfassen, die trennende Distanz zu überwinden. "Ihr seid mein", wisperte er begehrlich, triumphierend, "mein allein. Kein anderer soll Euch nahe sein wie ich. Eure Freiheit nimmt hier ihr Ende. Ich lasse Euch nicht mehr ziehen." Jaime zitterte. Wie befremdlich der Jüngling klang, so fiebernd und leidenschaftlich, zwingend in seinem Willen, bar der vertrauten Scheu! Dieser jedoch spürte eine ihm bis dato unbekannte Stärke in glühenden Wogen durch seinen Leib wandern, machtvoll pulsierend, gar berauschend. Hatte Jaime ihn nicht gelehrt, wie man Vergnügen bereitete?! Die Sinne verzückte, bis sie schwanden?! Ihn von Zweifeln und Ängsten befreit?! Zudem brodelte der Zorn in seinem Gemüt, über den gewissenlosen Unbekannten, der sich 'Freund' nannte und keine Skrupel kannte, einen Knaben mit seiner Gier zu beschmutzen! Den stolzen, unerschrockenen Mantanhol in seinen Armen Zuflucht suchen hieß, ihn zittern und weinen machte! Sebastien zog das geliebte Antlitz heran, senkte die Lider und benetzte die warme Haut mit unzähligen Küssen, wandte sich endlich den lechzenden Lippen zu, die Unverständliches wisperten, ungläubig der Verwandlung nicht folgen konnten. Er verstand sich wohl darauf, wie man herzte und koste, Botschafter entsandte, die einsamsten Körperregionen zu erkunden, das Terrain zu erobern und sich zu eigen zu machen. Längst wand sich der Ältere unter ihm auf den in Mitleidenschaft gezogenen Laken, rang um Atem und Fassung, die ihm Sebastien nicht gewähren wollte. So stark, so vertraut die Gestalt, geschmeidig und agil die Muskeln, der anregende Duft des Geliebten: Sebastien entglitt in einen wahrhaftigen Rausch. Kein Fleckchen Haut sollte ohne seine Markierung sein, jede Strähne von seinen Fingern liebkost werden! Der Morgengruß wie eine Süßigkeit umschlossen und verkostet, auf das Äußerste umschmeichelt! Jaime unternahm einen halbherzigen Versuch, sich dem versierten Ansturm zu entziehen, ihm schwindelte, zudem erinnerte sich sein Leib an vorangegangene Avancen. Obgleich er durchaus daraus Vergnügen geschöpft hatte, so protestierte er instinktiv gegen die Eigenmacht, die ihm die Freiheit rauben wollte. Allein, Sebastien ließ sich nicht abweisen. Er verfügte nicht über die körperliche Kraft, seinen Willen zu oktroyieren, allerdings führten ihn unbeugsame Geduld und sanfte Konditionierung ebenso zum Ziel. Während sich der Mantanhol im Fiebertaumel wand, kehlig stöhnte, seiner Sinne ledig, sammelte sich der Jüngling aus dem Ubac. Er gebot über keinerlei Erfahrung, einen lebendigen Körper zu penetrieren, doch die Erinnerung an das orgiastische Erleben in eigener Person couragierte ihn. Sobald die findigen Kundschafter neckend und liebkosend zärtlichen Zugang gefunden hatten, ließ er mit einem konzentrierten Atemstoß den Botschafter seiner Leidenschaft folgen. Der Senher da Solador stieß einen heiseren Laut mit aufgerauter Kehle aus, bebte in Erwartung, den Geliebten fest umschließend. Welche Hitze! Und dieses Fleisch, prall und lebendig! Wo sich Phantasien und Gedankenspiele ihren Raum geschaffen hatten, fand nun ein Kehraus statt, der einen intensiven Impuls in Gang setzte. Einem eigenen Wesen gleich verlangte er Nahrung und Geschwindigkeit, forderte Dynamik und Energie, endlich über die Grenzen beider Körper sich auszudehnen und in Ekstase zu detonieren. ~*~ Als der Mantanhol die benetzten Lider hob, lagerte der Jüngling aus dem Ubac an seiner Seite, streichelte ihm zärtlich die Wangen. "Seid Ihr wohlauf?", erkundigte sich Sebastien artig, las ungebärdige, ebenholzfarbene Locken aus dem erhitzten Gesicht des Geliebten. Wie schön er strahlte, so herausfordernd und keck wie zuvor! Endlich hatte sich der Schatten verflüchtigt! Jaime selbst teilte diesen Eindruck, obgleich in entgegengesetzter Richtung. Wie berückend Sebastien wirkte, ohne kindlichen Trotz oder stumme Zurückweisung! Ein schöner Mann, strahlend und rätselhaft! Der Mantanhol schnurrte rollig wie ein Kater, senkte die Lider, streckte sich bequem aus. "Ich kann spüren, wie Eure feurige Salve in meinem Leib vagabundiert", raunte er samtig, seufzte genießerisch. Sebastien stieg die Röte in die Wangen ob dieser frivolen Bemerkung. Er beugte sich, die Lippen des Mantanhol zu siegeln, die naseweise Frechheit mit neckendem Zupfen an der Unterlippe zu ahnden. Kraftvolle Arme umschlangen ihn, zogen ihn an den glühenden Leib des Älteren. "Wisst Ihr, mi Aimador, dass ich mich fürchtete?", wisperte Jaime kaum vernehmlich. "Viel zu oft hat mich diese Ekstase verlockt nachzugeben. Ich ließ jede Ratio, jede Haltung fahren, gab mich vollends hin." Der Jüngling schmiegte sich versichernd an den Geliebten. "So soll es sein, Jaime. Lasst mich Euer Schutz und Schild sein. Vertraut auf mich." Mit einem Seufzer streckte der Mantanhol die Waffen. "Ich ergebe mich Eurer Gnade, mi Aimador. Liebt mich, so sehr Ihr es vermögt." ~*~ Auf Geheiß der Senhora da Solador wurden die beiden Gefährten erst zur Mittagsstunde gebeten, das Gemach zu verlassen, um eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen. Beide Männer waren rosig überhaucht, von stillem, eindeutigen Glück leuchtend erhellt und zeigten einen ungewöhnlichen Mangel an Sorgfalt in ihrer äußeren Erscheinung. Jaime scherzte befreit, ließ sich den Arm um Schultern oder Leibmitte legen, lehnte vertraulich an der schlanken Gestalt seines Aimador. Ihm war wohl, so wohl wie lange nicht mehr. Obgleich er die Anstrengungen des Vormittags verspürte, so tanzte ihm jede Faser jubilierend im Leib. Es dauerte ihn nicht, sich gänzlich in Sebastiens Obhut begeben zu haben. Dieser hielt, im Einklang mit der Einprägung als Luminnier, durchaus wachsam Aufsicht über den Geliebten, gebot allzu freundlichen Mägden, den Senher nicht zu inkommodieren. Und wie sie da loderten, die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln! ~*~ "Ihr habt Euren Frieden gemacht?" Mabioline reichte Sebastien lächelnd die kleine Hand, in den Aquamarinen wirbelte neckende Herausforderung. Wohlerzogen nahm der Jüngling grazil an ihrer Seite Platz, hielt die zarte Rechte und studierte das schöne Gesicht aufmerksam. "Seid Ihr wohlauf?", erkundigte er sich besorgt, immerhin lag die Niederkunft erst wenige Tage zurück und die zierliche Gestalt hatte große Strapazen erdulden müssen. Die Senhora da Solador lachte perlend, drückte die Hand des Luminnier mit erstaunlicher Vehemenz. "Sebastien, mi Amigar, ich danke Euch für Eure Fürsorge. Ich fühle mich wundervoll, besonders, da ich meine Freunde gesund und munter um mich weiß." Ein Seitenblick schloss Jaime ein, der gerade seine schläfrige Tochter im Arm hielt und verzaubert winzige Finger und Zehen abzählte, stets auf das Neue begann, als sei ihm das Zwischenergebnis entfallen. Selbst Gaspard schmunzelte ob der Vernarrtheit seines Gefährten, raunte im kehligem Idiom der Mantanha einige Scherzworte. Sebastien, der sich keinerlei Illusionen bezüglich des Fortgangs dieses Gespräches hingab, lächelte melancholisch. Wie seltsam, dieser Menschenschlag! "Seid Ihr im Frieden?" Eindringlich wiederholte die schöne Frau ihre Frage, beugte sich in intimer Vertrautheit zu Sebastien, damit sie ungestört von Lauschern blieben. "Nicht gänzlich", entfuhr es dem Jüngling wahrheitsgemäß, entgegen der Konventionen. Sogleich färbten sich seine Wangen dunkler, dennoch, den Blick senkte er nicht zum Schoß. Dass Jaime sich in der Tat nicht bekümmerte, ob sein Gefährte der Vater des kleinen Mädchens war, sondern sie annahm als seine Tochter. Und zugleich den Sohn seinem Freund überließ... die Züge des Luminnier verhärteten sich zusehends. "Ich kann nicht verzeihen", entgegnete er beherrscht, in frostiger Diktion, "was dieser Unhold ihm auferlegte. Dass man schwieg." Er wandte das Haupt Mabioline zu, der karamellfarbene Zopf in güldener Schleife flog auf wie ein Kometenschweif am Firmament. Selbst die fahle Hand drückte die der Senhora fester als gewohnt. "Als sich dieser Schand-Prozess dem Ende näherte, da dankte der greise Senher Jaime von Angesicht zu Angesicht", er hauchte die Worte, damit sie kein anderer verstand als seine geliebte Freundin. "Und ich konnte sehen, wie er zerbrach, Mabioline. Ich sage Euch, sie wussten es und duldeten diese Ungeheuerlichkeit!" "Da mögt Ihr Recht haben", Mabioline strich ihm die glühende Wange sanft, "und es ist an uns, die Wundheilung zu betreiben." Sebastien jedoch hatte noch längst nicht abgeschlossen, erregte sich weiter im flüsternden Ton. "Sie zielten darauf ab, seinen Großmut zu instrumentalisieren, weil sie selbst nicht Herr genug waren, dem widerwärtigen Treiben dieses Unmenschen Einhalt zu gebieten! Wie konnten sie ihm nur Freundschaft bekunden und gleichzeitig ein solches Unterlassen rechtfertigen?! Sie haben berechnend und ohne Mitgefühl erwogen, dass Jaime niemals Gegenwehr leisten würde!" Die Senhora lehnte sich zurück, die Aquamarine scharf und kristallklar. "Entsinnt Ihr Euch, Sebastien? Ich sagte Euch, dass er niemals einem Menschen etwas zuleide tun würde." Ja, selbstredend erinnerte sich der Jüngling ihrer Worte und auch der zahlreichen Begebenheiten, in denen der Mantanhol nicht nur Gelegenheit, sondern auch Anlass gehabt hatte, Strenge und Unnachgiebigkeit zu beweisen. Allein, Jaime hatte es nicht getan. Mitfühlend und verständnisvoll gegen den ungezogensten, anspruchsvollsten Menschen: Sebastien selbst. "Wisst Ihr, Sebastien", Mabiolines Blick entschweifte für Wimpernschläge unfokussiert in die Vergangenheit, "obgleich er so stark und selbstsicher auftrat, gewann ich rasch die Impression, ihn schützen zu müssen. Da er so viel für andere wagt, jedoch ein eigenes Interesse vollkommen vernachlässigt. Ich fragte mich, wie verletzt und wie sehnsüchtig er sein musste, die Freiheit der Mantanha und seine Selbstbestimmung aufzugeben. Um hier zu leben, sich knechten zu lassen von Vorurteilen, Häme und Egoismus." "Das wird ein Ende haben!", verkündete der Jüngling entschlossen, die Lippen gepresst. "Man belächelte uns wohl, die sinnesfeindlichen Luminnier, jedoch unsere Disziplin und Strenge waren gefürchtet. Und auch wenn ich es nicht sonderlich verstehe, mich mit der Waffe hervorzutun, so werde ich doch kein Mittel scheuen, Jaime zu schützen." Eine andere Frau als die Senhora da Solador hätte wohl gelächelt angesichts des entflammten Jünglings, der so tollkühn sprach, doch Mabioline verfügte über einen reichen Erfahrungsschatz. Sie sah durchaus, wie sich der gesamte, schlanke Leib spannte, einer Feder gleich. Entsann sich der geschickten Einlassung in der Verhandlung, Curzio Jehaune selbst der Verschwörung anzuklagen. Wenn Sebastien sich entschloss, mit Leib, Seele und Herz seinen Aimador vor Arg zu bewahren, wäre mit ihm bis zum Äußersten zu rechnen. »Und wenn er erst einige Jahre mehr zählt, wird er ein formidabler, Achtung gebietender Mann sein«, prophezeite sie schweigend, hob die Hand des Jünglings an ihre Wange. "Gebt gut auf ihn Acht, mi Amigar, er hat eine zerbrechliche Seele." Sebastien karessierte hauchzart die rosig erblühte Wange, erhob sich sodann, um mit einer Verbeugung Dispens zu erbitten. Mabioline verfolgte erheitert, wie der Jüngling hinter ihren Gemahl trat, die Arme um dessen Nacken schlang und einige Worte dem ungebärdigen Lockenschopf anvertraute. Jaime legte den Kopf zurück, die weißen Zähne blendeten hingerissen auf, eine Hand löste sich, behutsam den Schopf des Luminnier zu dirigieren, auf dass ihr Besitzer diesem die Lippen zu benetzen vermochte. Solimar gurgelte akkompagnierend. Hier und da trug ein Augenpaar Trauer im Rund: Mabioline lächelte zufrieden. Wie vertraulich sie einander hielten, ungezwungen und stolz zugleich! Wer mochte da zweifeln, dass sie ihre Bestimmung untrennbar verbunden hatten, ein Schicksal teilten?! ~*~ Die Zeit verstrich, und mit ihr wechselte das alte Jahr in ein neues über, die Sonne entsann sich ihrer Pflichten, trieb den frostigen Winter zurück in das Reich der ewigen Kälte. Die Mainada da Solador zeigte sich dennoch geschäftig: man besserte aus, man präparierte, man lehrte und lernte. Kurzum, jede Möglichkeit wurde wahrgenommen, die erzwungene Einkehr gewinnbringend zu nutzen. Niemand hob tadelnd die Augenbrauen ob der Tatsache, dass der Senher und sein geliebter Gefährte sich ein Gemach teilten. Keine Anstalten unternahmen, ungeachtet der umfangreichen Planungen eine separate Unterbringung für Sebastien zu errichten. Vielmehr konzentrierten sich die gemeinsamen Anstrengungen darauf, die zerstörte Windmühle zu ersetzen. Ein Quartier zu errichten, das Solimar und weiteren Geschwistern Heimat werden sollte sowie für alle Kinder der Mainada angemessene Fläche für Erziehung und Kurzweil bot. Man lächelte frappiert über den düsteren Majordomus, der so zärtlich die kleine Senhora versorgte, nachgerade der Bonne ihr Vorrecht streitig machte. Doch wer konnte es ihm verdenken? Solimar da Solador glich ihren Eltern in Willensstärke und gewinnendem Charme, die pechschwarzen Locken glänzten ungebärdig, die dunkelblauen Augen verfolgten jede Bewegung aufmerksam. Sie neigte nicht zum Wehgeschrei, mochte jedoch nicht gern stillgehalten werden. "Wir werden sie anbinden müssen", pflegte Jaime stolzerfüllt zu scherzen, ein Wildfang ganz wie der Vater, unerschrocken und wissbegierig. Der Lenz kam, streute die ersten zarten Blüten auf Wiesen und Bäume, es knospte und blühte, die Sonne gewann an Strahlkraft und Zuversicht. Schweren Herzens in Erfüllung seines Versprechens reiste der gebrechliche Senher Jehaune mit seinem geliebten Enkel Domenico an. Der Knabe, von natürlich warmem Teint und lockigem Haupt, umklammerte die gischtige Klaue seines Großvaters, die großen Augen tränenschwer. Herausgeputzt, dem Anlass entsprechend, drückte das schwere Samt in weinrotem Glanz die vitale Ausstrahlung auf ein fahles Glimmen herab. Zur Mutter, die vor der Schande in einem Kloster Zuflucht gesucht und Frieden gefunden hatte, nun auch den letzten vertrauten Anverwandten verlieren zu müssen, das war ohne Zweifel ein schwerer Schicksalsschlag. Jaime, der seinen Nachbarn überaus freundlich begrüßte und fürstlich aufdecken ließ, zögerte, die Erfüllung des Ehrenworts zu verlangen. Allein, das Kind zeigte wenig Ähnlichkeit mit seinen vorgeblichen Eltern, nahm man die Augen aus. Doch Feodor Jehaune, den massiven Gehstock umklammernd, wies strikt jedes Anerbieten, vom Ausgemachten Abstand zu nehmen, zurück. "Ihr wisst, wie es um mein Haus bestellt ist", beschied er heiser seinem Gastgeber, "die Mainada Jehaune bedarf eines aufrechten, ehrenhaften Mannes als ihrem Oberhaupt. Mein Enkel wird bei Euch wohlversorgt sein, dessen bin ich mir sicher." Domenico an seiner Seite grub die Finger ineinander, flehte innerlich, es möge sich Aufschub finden, den Abschied hinauszuzögern. Die Glastüren zur Veranda öffneten sich, -man hatte sie in Rücksicht auf den empfindlichen Gast geschlossen-, und Sebastien trat hinein, auf seinen Fersen lautlos ein gewaltiger Hund. Nicht schön von Gestalt oder Fell, die Farbe rostrot und fleckig, mit gewaltigem Kiefer eher an einen 'Bärenbeißer' erinnernd als einen Jagdhund, hielt sich dieser zur Linken des Jünglings. Es bedurfte keines Kommandos, dass sich der gewaltige Hund aus der Mantanha niederließ, wachsam jeden Anwesenden beobachtete. Unterdessen verneigte sich Sebastien artig, tauschte galant die Höflichkeiten aus, bevor er eine Hand auf die schmale Schulter des Knaben legte. "Bonjorn Domenico, erinnerst du dich meiner?" Ohne Federlesens ging er in die Knie, platzierte die Rechte auf die verkrampften Hände des Kindes. Wer könnte ihn wohl vergessen, diesen Jüngling mit den grünen Augen, ihren köstlich braunen Sprenkeln und dem Schopf karamellfarbener Seide?! Domenico blinzelte, antwortete pflichtbewusst, entlockte dem Luminnier ein freimütiges Lächeln. "Sag, mi Amigar, möchtest du ein Kunststück sehen?" Sebastien wärmte die verkeilten Finger des Knaben unter seiner Handfläche, lächelte becircend, auf dass ihm das Kind folgen würde. "Geh nur!" Feodor Jehaune erkannte den Zwiespalt, die Freundschaft mit dem ungewöhnlichen Jüngling zu erneuern und die Furcht, den Großvater zu verlassen. "Ich werde noch ein Weilchen hier plaudern." Sebastien erhob sich, die Rechte Domenico zugestreckt, der sie ergriff, sich führen ließ. Und lautlos wie ein Schatten folgte ihnen der gewaltige Hund. ~*~ "Euer Gefährte hat sich erstaunlich gewandelt", bemerkte der greise Senher und wischte sich den Mund. Degoutant, wie das Alter die Würde bezwang! Jaime lächelte. Er bot seinem Gast den Arm, ihn zu den Glastüren zu geleiten, denn dieses Spektakel versprach erbaulichen Kurzweil. "Ihr solltet es Euch betrachten, mi Amigar", versprach der Mantanhol amüsiert, "diesem Kunststück gebührt in der Tat alle Aufmerksamkeit." ~*~ Sebastien betrat das Boudoir, räusperte sich unangestrengt, ihr Eintreffen zu annoncieren, entschmeichelte der Senhora ihre Tochter, die mit Hingabe ein Spitzentuch zerfaserte. Die dunkelblauen Augen blitzten, als Solimar Sebastien erkannte, schweiften über den Knaben an seiner Seite und hielten bei dem gewaltigen Hund inne. Ein vergnügter Laut entfuhr dem noch zahnlosen Mund, gebieterisch lupften die kleinen, molligen Arme in die Höhe. Domenico staunte, dass den kompakten Körper kein vornehmes Gewand kleidete, vielmehr ein robustes Tuch wie ein Hemd Leibwickel verdeckte. Allein die zarten Füße steckten in zierlichen Söckchen, die jedoch, man ahnt es wohl, davon kündeten, dass Solimar den aufrechten Gang mit wachsendem Erfolg erprobte. Der Jüngling barg das kleine Mädchen auf seiner rechten Hüfte, bedeutete seinem kleinen Begleiter, ihm vor die Tür zu folgen. Dort sammelte sich bereits eine ansehnliche Menge der Mädchen und Knaben, die ihren Pflichten entschlüpft waren, um dem berühmten Kunststück beizuwohnen. Scheu blickte der Knabe in die Runde, einer so großen Schar ansichtig. Die Mainada Jehaune wies kaum Nachwuchs auf, und so fehlte es ihm an Umgang mit gleichaltrigen Gefährten. Der Jüngling aus dem Ubac schritt in das Zentrum der Aufmerksamkeit, ließ einen formvollendeten Kratzfuß folgen. Der gewaltige Hund zu seiner Linken senkte sich auf den Boden, wie stets ohne jeden Laut. Sebastien sank anmutig auf die Knie, bar jeder Sorge um Kniehosen oder Strümpfe, ließ Solimar, die erwartungsvoll krähte, auf dem Hund über dessen Rücken kriechen, die kleinen Fäuste energisch in das Fell gegraben. Sie gurgelte, recht majestätisch, der Hund erhob sich. Und drehte eine langsame Runde, das kleine Mädchen, weniger als ein halbes Jahr alt, auf seinem Rücken reitend. Man jubilierte und jauchzte, akklammierte und spornte an. Domenico staunte, sein Großvater nicht weniger. Wie tollkühn, ein Säugling thronte auf diesem titanenhaften Tier! Solimar zeigte keinerlei Besorgnis, sondern schmiegte sich in das vertraute Fell, genoss das geschmeidige Muskelspiel und brabbelte vergnügt. Es nahm nicht Wunder, denn häufig nächtigte die kleine Senhora da Solador auf ihrem schweigenden Gefährten wie einem textilen Spielkamerad. Die Aufwartung ihres Gefolges in reserviertem Wohlwollen abnehmend hielt das ungleiche Paar vor Sebastien inne, der einen Arm um Domenico gelegt hatte, an seiner Seite leger kniete. "Ich darf vorstellen", zwinkerte der Jüngling neckend, "Solimar da Solador und Sauvage, mi Amigar. Sagt, Domenico, wollt Ihr Euch zu uns gesellen?" Wer konnte dieser Einladung widerstehen?! Feodor Jehaune wischte sich die Augen, drückte mit der gischtigen Klaue die kraftvolle Hand des Senher da Solador. "Es ist wohlgetan." ~*~ Die Sonne sengte erbarmungslos, sie fieberte gar und kannte keine Rücksichtnahme. Unter dem Zenit suchte man verständiger Weise Schatten, lagerte unter dichten Baumkronen und atmete den glühenden Wind. Gaspard, der bullige Mantanhol, lehnte bequem unter einer vom Alter gekrümmten Erle. Solitär eine lederne Hose und ein ebensolches Kamisol bewahrten ihn vor der Glut. In seinen Armen ruhte die Senhora da Solador, die Wangen rosig überhaucht, in ein zitronenfarbenes Kleid gehüllt, das es kaum mehr vermochte, die wachsende Leibmitte zu kaschieren. Es wäre ohne Nutzen gewesen, da der Mantanhol behütend die großen Hände mit ihrem haarigen Flaum auf die gewölbte Partie gelegt hatte. Mabioline schlief, von der allgegenwärtigen Hitze ermattet, die blauschwarzen Löckchen entschlüpften der eleganten Hochsteckfrisur. Der Wind säuselte durch die Blätter, es raschelte betulich. Dann sangen die Zikaden wieder, ein gewaltiger Chor. Sauvage, an den sich Domenico und Solimar schmiegten, öffnete wachsam ein Auge und schloss es nach eingehender Prüfung wieder. Die beiden Kinder bemerkten dies nicht, ineinander verschlungen und in tiefem Schlummer. Jaime da Solador, der seine kleine Mainada, die in Bälde ein weiteres Mitglied begrüßen würde, mit Wohlgefallen betrachtete, führte Sebastien vertraut an der Hand. Die Mittagssonne hatte selbst seiner Disposition ein Zugeständnis abverlangt: die ungebärdigen Locken wurden durch ein Kopftuch geschützt. Mehr denn je ähnelte er in seiner äußeren Erscheinung einem Landfahrer, mit geflickten Hosen, knöchellang und grob, Strohsandalen und einem stets ungebundenen Leinenhemd. Sebastien an seiner Seite bewies durchaus mehr Sinn für die Konvention. Kniehosen, Strümpfe, Hemd und Gilet, dazu ein Sonnenhut: es mangelte lediglich an Gehrock und Jabot. "Im nächsten Jahr werden wir wohl die erste Ernte einbringen können", summierte der Mantanhol triumphierend das Resultat ihrer bescheidenen Exkursion, lenkte die Schritte unter eine imposante Baumkrone. Der Jüngling an seiner Seite schwieg versonnen, die grünen Augen mit ihren köstlich braunen Sprenkeln wandelten in der Vergangenheit. "Was ist Euch, mi Aimador?", wisperte Jaime zärtlich, streichelte mit dem Handrücken die Wange des Geliebten. "Oh", Sebastien blinzelte, öffnete träge die Bänder an Handgelenk und Hals, sich ein wenig Erquickung zu verschaffen, "verzeiht, Jaime, ich war in Gedanken." Der Mantanhol beteiligte sich selbstlos, dem Geliebten Erleichterung zu bereiten, entknöpfte das Gilet, streifte es, das Hemd eingeschlossen, von der hellen Haut des Luminnier, der seinerseits Jaime befreite. "Woran dachtet Ihr?", neckte der Mantanhol sanft, bedeckte das Antlitz seines Aimador mit Liebkosungen. Sebastien lächelte versonnen, "denkt Euch, gerade ein Jahr ist vergangen..." Seine Rechte fing die Idylle des Augenblicks ein, die ruhenden Kinder, das Paar werdender Eltern. "In der Tat", wahrte Jaime sicheren Grund, der Melancholie zu entsagen, dirigierte seinen Gefährten, sich agreabel niederzulassen. Hielt sich sodann schadlos, das Haupt auf den Schoß des Luminnier zu betten, mokierend die weißen Zähne aufblendend. Der Jüngling ahndete die Freiheit nicht, lächelte, da ihn Fingerspitzen karessierten, den zierlichen Ohrschmuck eingefassten Bergkristalls streiften. Er forschte selbst in den verdrehten Locken, las winzige Perlen Transpiration vom geliebten Antlitz seines Mantanhol. Jaime schnurrte, gurrte, purrte, sonor und samtig, Sebastien zu gefallen, ihm ein verschmitztes Lächeln zu entlocken. "Euch behagt es wohl, auf meinem Schoß zu ruhen?", neckte der Jüngling aus dem Ubac nachsichtig, kraulte den ebenholzfarbenen Schopf artig. "Ich zöge es vor", die schwarzen Augen funkelten verheißend, "IN Eurem Schoß zu ruhen, allein..." Eine träge, posierende Geste der Verzweiflung schloss sich an. Sebastien lachte, moduliert und frei von falscher Scham, zwickte tadelnd die Nasenspitze des Geliebten. Der Mantanhol zwinkerte konspirativ, hob erneut die Hand, die karamellfarbenen Seidenstränge zu bestreichen, die aufgelöst über bloße Schultern und Rücken des Jünglings glitten. "Ich danke allen Göttern", raunte Jaime kehlig, keinen Wimpernschlag den Fokus abandonnierend, der in den grünen Augen beheimatet war, "dass ich Euch begegnete, mi Aimador." "Ich stimme Euch zu", Sebastien stahl die forschenden Fingerspitzen von seinem entblößten Leib, ihre Kuppen sanft zu küssen. "Obwohl ich es vorgezogen hätte, wenn das unerfreuliche Bad in der Drainage ausgeblieben wäre." "Ah, sagt das nicht, Liebster", Jaime richtete sich auf, erschmeichelte sich eine Passage zwischen die aufgestellten Beine des Jünglings. "Wie hätte ich sonst mit dem ersten Blick Eurer leidenschaftlichen Empörung verfallen sollen?! Nachgerade entzückend, wie Ihr zürntet, gänzlich unbeeindruckt..." Bevor Jaime in lyrisches Schwelgen zu versinken drohte, hinderte ihn der Luminnier an weiteren Ausführungen, legte die anmutigen Hände wie Blütenblätter zart um die Wangen des Mantanhol. Und schwieg, Jaimes schwarze Augen verzaubernd, einen Bann schlagend, der ihnen Schweigen in der Endlosigkeit des Augenblicks gebot. "Ihr sollt wissen", Sebastien hauchte die Silben wie feinstes Spinnweb, da ihm das Herz überzuquellen schien, "dass ich Euch liebe. Ieu t'aimi!" Jaime lächelte, mochte auch seine Kehle vor Verzückung schluchzen, die Augen Perlen der Freude streuen. "Ieu t'aimi", erwiderte er den Treueschwur, ließ sich in Sebastiens Armen bergen. Mochte die Freiheit der Montanha endlos sein, der Himmel zum Greifen nah, versprach ihm die Provinz der Maradoier Wohlstand und Ansehen: seine Heimat lag im Herzen dieses Calinhaire. Auf immer und ewig. ~*~ FIN ~*~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera