Titel: Linie D Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Halloween 2013 Erstellt: 28.10.2013 Disclaimer: alles Meins! (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) (*w*) Linie D Kapitel 1 - Unter Zug-Zwang! Hu-Ryeom kannte die Regeln, eigentlich, aber er war spät dran, es regnete, der Morgen graute noch nicht. Als er die spiegelglatten Fliesen der Treppen herunter hetzte, wollte er bloß noch durch die pneumatischen Türen des Zugs schlüpfen, dessen Inneres er nicht erkennen konnte. Erstens waren seine Brillengläser zugetropft, zweitens schien die Klimaanlage versagt zu haben oder gar nicht erst funktionstüchtig zu sein. Sämtliche Fenster waren beschlagen, was einen Blick in den stählernen Bauch des elektrischen Lindwurms verhinderte. Die Beleuchtung flackerte leicht, irgendwie unerfreuliches LED-Weißlicht mit einem Touch Blau. Das sollte angeblich die Aufmerksamkeit steigern. Man schien bloß das richtige Farbspektrum verfehlt zu haben. Hu-Ryeom huschte hinein. Die Sohlen seiner Turnschuhe quietschten, als er bremste. Seine vollgeladene Umhängetasche gehorchte dem Gesetz der Masseträgheit, katapultierte ihn beinahe gegen das geschlossene Türpaar auf der gegenüberliegenden Seite. Hinter ihm schlossen sich die Türen mit einem schmatzenden Ächzen. Der Zug rumpelte auch schon an. Er wischte sich mit der freien Hand nasse, schwere Strähnen aus dem Gesicht zur Seite, blinzelte nervös. Die vorherrschende Luftfeuchtigkeit trug nicht dazu bei, die Sicht zu klären. Er bewegte sich quasi in einem Nebelfeld, von Schlieren umzingelt. Seinen Sinnen nach zu urteilen, die schon einiges an Großstadterfahrung aufgeschnappt hatten, musste dieser Zug unerwartet leer sein. Gut, es war früh, das Wetter scheußlich und alle, die die Chance hatten, warteten entweder auf das Ende der Sintflut oder drehten sich im warmen Bettchen noch mal um. Hu-Ryeom jedoch hatte einen Abgabetermin, der eingehalten werden musste. Als selbstständiger Buchprüfer für Kleinstunternehmen nahm er sich oft die Abschlussarbeiten, nämlich das Prüfungstestat, mit nach Hause, um dort in seinem kleinen Reich am Computer all die gesammelten und analysierten Werte zusammenzufassen. Kein spannender Beruf, das konnte man nicht verneinen, aber sein Vater hatte ihn dazu gedrängt, energisch auf den Umstand hingewiesen, dass IHN diese Tätigkeit schon seit Jahren über Wasser hielt! "Höher über Wasser wäre mir lieber." Murmelte Hu-Ryeom, der wie gewohnt darauf verzichtete, sich die Ohren mit Musik zuzustopfen. Sich ein festes Klientel aufzubauen war schwierig. Die Rezession half ihm auch nicht gerade. Er musste seine Aufwendungen stark einschränken. Außerdem fühlte er sich in der Großstadt nicht wirklich zu Hause. Sie war ein gemeingefährlicher Dschungel. Er hatte offenkundig als Kind die falschen Scout-Kurse besucht! Seufzend angelte er aus einer Hosentasche ein altmodisches Stofftaschentuch, legte seine Brille, Modell Kasse mit dünnem Metallrahmen und unkleidsam runden Gläsern, trocken. Er blinzelte Wasser aus den Wimpern, justierte das Nasenfahrrad geübt, blickte sich unauffällig, die Schultern schildkrötengleich hochgezogen, um. Tatsächlich, der Waggon, der unrund schlingerte, war unerwartet unterbevölkert. Sah man von einer hochgewachsenen Gestalt in einer Art Batikgewand ab, die einen immensen Jutesack apportierte, eine elegante Hand auf die Schulter ihres Begleiters gelegt hatte. Dessen hauptsächliche Bekleidung bestand neben pinkfarbenen Leggings und Halbstiefeln aus einer Zwangsjacke. (*w*) "Hoppla." Bemerkte Rasiel höflich, wandte seine Aufmerksamkeit dem jungen Mann zu, der in einer Pfütze stand, sie aus kugelrunden, tiefschwarzen Augen bange anstarrte. Zu seiner mäßigen Verwunderung starrte der Mensch anschließend auf seinen Chronometer, warf einen panischen Blick zu den Türen, wich in betont langsamen Bewegungen in das nächste Eckchen zurück. "Ich fürchte, mein Freund, Sie sind in den falschen Zug eingestiegen. Verflixte Unzuverlässigkeit, das muss ich schon sagen!" Rasiel lächelte distanziert. Neben ihm stieß Quinn V unverständliche Laute aus, drehte den Kopf wie irre, sodass seine flammend roten Haare umherflogen. "Quinn, was habe ich gesagt?" Milde drückte er eine muskulöse, eher sehnige Schulter. "Wir brabbeln nicht im Programmcode herum, sonst muss einer von uns beiden wieder den Knebel tragen." Rasiel kannte die Regeln, verhielt sich stets gewissenhaft. Die Versicherung übernahm KEINE Leistungen, wenn seine Schützlinge irgendwen bissen oder auffraßen. "Also, ich möchte Sie ja nicht beunruhigen, mein Freund." Wandte er sich wieder dem schlotternden Menschen zu, der seine lächerlich grell-bunte Umhängetasche wie einen Schild vor sich hielt. "Dieser Zug hält nur noch auf der anderen Seite. Dafür sind Sie nicht in der richtigen Verfassung." (*w*) Hu-Ryeom wusste nicht, was ihn in größere Panik versetzte: der sehr große Mann in dem komischen Kittel mit seinen schmal geschnittenen Hosen und den Sandalen samt eines schwarzen Flügelpaar-Chasis auf dem Rücken oder sein Begleiter, "Quinn", der ihm merkwürdigerweise irgendwie vertraut vorkam. Wenn auch nicht in einer Leggins oder Zwangsjacke. "Entschuldigung." Kiekste er, errötete heftig, räusperte sich verlegen, nahm einen neuen Anlauf. "Bitte verzeihen Sie, ich befinde mich offenkundig im falschen Zug und will ganz bestimmt nicht stören! Ich habe nichts gesehen und steige auch sofort aus." "Davon würde ich abraten." Jetzt kam dieser seltsame Riese sogar zu ihm, stellte den gewaltigen Jutebeutel ab! "Junger Mensch, Mann, dieser Zug fährt sehr schnell. Sie würden sterben. Dafür müssten Sie dann aber nicht aussteigen." Hu-Ryeom quetschte sich ängstlich in die Ecke zwischen Trennwand zu den offenen Abteilen und dem pneumatischen Türpaar. "Bitte, Sie brauchen mich wirklich nicht umzubringen!" "Ich?!" In dem ovalen, sehr bleichen Gesicht wanderten weiße Augenbrauen kritisch nach oben. "Ich habe gar keine Absicht, Ihnen etwas zu tun! Da besteht ein Missverständnis. Es verhält sich lediglich so, dass Menschen im Daimonenreich, die durch den Zug eintreffen, grundsätzlich tot sein müssen." (*w*) Rasiel seufzte, als der Mensch in die Knie sackte, zu schlottern begann. Wirklich, er wollte sich nicht bücken müssen! Seine schwarzen Flügel-Ruinen drückten dann enervierend. Mehr als einmal hatte er sich peinlich auf die Nase gelegt, weil er das Übergewicht bekommen hatte! "Nun regen Sie sich mal nicht auf, mein Lieber. Kein Grund, in Panik zu verfallen. Ich kläre das, muss ohnehin vor das Friedensgericht. Da sind Sie in Nullkommanichts wieder in Ihrer Welt! Gar kein Problem!" Die Brillengläser beschlugen, kleine, aber regelmäßige Zähne klapperten aufeinander. "Oh, wie unhöflich!" Rasiel verneigte sich knapp. "Wir sind ja noch gar nicht miteinander bekannt! Darf ich Ihnen meinen aktuellen Schützling vorstellen? Quinn V, digitaler Krieger mit einer Persönlichkeitsstörung und Post-Göttlichkeit-anwartend auf Probe. Mein Name ist Rasiel, ich bin Advocate. Wer sind Sie, mein Freund?" (*w*) "Verflixt!" Murmelte Rasiel, betrachtete den offenkundig Bewusstlosen zu seinen Sandalen, warf einen kritischen Blick auf Quinn V. Der stierte mit flackernd blauem Blick ins Leere, summte leise vor sich hin. "Wie ärgerlich." Rasiel griff nach einem Querholm, beugte sich sehr vorsichtig vor, haschte ungelenk nach dem Menschen, bis er das Pulloveranhängsel, eine Art Stoffkappe, zu fassen bekam. Er zerrte daran, um das Wesen aufzurichten. "Ja, nun." Ein wenig konsterniert überdachte er seine Lage, wieder in der Senkrechten, die Flügel eng an den Rücken gefaltet. Er konnte sich unmöglich den Menschen über die Schulter werfen, wenn er auch den Jutesack transportieren musste. Den wiederum durfte er nicht aus den Augen lassen, weil sich dort sämtliche Waffen versammelt fanden, die er von Quinn V nach einer unerbittlichen Durchsuchung konfisziert hatte. Was grundsätzlich schon mal kein Vergnügen darstellte, weil er die vorgeschriebene 'körperliche Kontrolle' selbst durchzuführen hatte, und zwar bis auf die Unterwäsche! "Wobei das Ferkel nicht mal welche trägt." Grollte Rasiel, der gewisse Standards hatte, auch wenn sie ihn ganz persönlich nicht betrafen. Eine Lösung musste her! (*w*) "Wahooo!" Domitian stampfte heran, als sich sämtliche Türen zischend öffneten, müffelnden Dampf in die Station entließen. "He, Rasiel, was hast du denn da Feines?!" Der Inkubus winkte fröhlich, von der Gestalt her ein Modellathlet, allerdings in Lackschwarz (die Reißzähne ausgenommen), die gedrechselten Hörner an den Schädelseiten in Elfenbein. "Guten Abend, Dom." Rasiel seufzte. "Das hier ist Quinn V, mit dem ich zum Friedensgericht muss. Der junge Mensch dort hat sich uns noch nicht vorgestellt. Irgendwie ist er in den Zug gestiegen, danach ohnmächtig geworden." "Echt ohnmächtig?" Domitian pflückte Hu-Ryeom an einem Knöchel vom Zugboden, ließ ihn kopfüber baumeln, was diverses Streugut zum Sturz veranlasste und studierte ihn. "Stimmt, tot isser nich." Bestätigte er Rasiels Einschätzung, schnüffelte prüfend. "Eingepinkelt hat er sich auch nicht, riecht nicht mal nach Drogen oder Alkohol." Murmelte er fast enttäuscht. "Eventuell solltest du ihn andersherum apportieren, Dom." Bemerkte Rasiel mit mildem Tadel, während er den Jute-Beutel auflas, Quinn V eine Hand auf die Schulter legte. "Könnte ich machen." Domitian ließ sein blendendes Gebiss aufblenden, sortierte Hu-Ryeom in eine umgekehrte Lage, warf ihn sich mühelos über die Schulter, bevor er in die Knie ging, mit spitzen Krallen aufpickte, was sich dort ausgebreitet hatte. Er stopfte es in die Seitentasche seines Kilts, rückte seine lederne Schärpe wieder zurecht, richtete sich auf. "Sag mal, liebster Cousin, was ist eigentlich in dem Beutel da?" Schnurrte er neugierig. Rasiel schenkte ihm einen kritischen Blick aus den kristallinen Augen, antwortete ausweichend. "Wir müssen uns sputen, Dom, wenn du so reizend wärst!" Er achtete peinlich genau darauf, den Jute-Beutel auf seinem Rücken zu transportieren, die Flügel-Chasis als Sichtblende davor ausgeklappt. So verschwand auch der motivierende Aufdruck: "Danke! Bewahre Deine Hölle!" (*w*) "...un wer is der Nächste?" Dem Friedensgericht vorstehend äugte Heinrich Clan Zündfunken von seinem erhöhten Pult hinunter in den "Schützengraben", wo die Gerichtstypse ihrem Handwerk nachging, in beeindruckender Geschwindigkeit die Protokolle in die Maschine hämmerte. "Ich, Euer Ehren." Rasiel erhob sich, zog Quinn V sanft auf die Füße. "Ah, ja." Der Vorstehende des Friedensgerichts rückte den Nasenklemmer zurecht, verteilte seine üppigen Körpermassen in eine bequemere Position. "Lyddja?!" Die angesprochene Lydia, ihres Zeichens nicht nur Gerichtstypse, sondern auch Harpyie, nickte knapp, hackte die formalen Angaben auf den endlosen Protokollstreifen. "Wir richten nun Frieden in der Sache...Lyddja?" Hilflos hängte der Vorstehende sich über sein Pult. "Wie is noch emal der Name von däm da?" "Quinn V, Euer Ehren." Half Rasiel höflich aus. "Is recht." Wieder wälzten sich Körpermassen in eine aufrechte Position. "Lyddja, wo war mer grad?" "...in der Sache Quinn V, vertreten von Advocate Rasiel, dem Friedensgericht in Person bekannt." Ratterte die Harpyie routiniert herunter. "Is recht." Murmelte es oberhalb. "Ihr könnt eusch sätze. So, da fange mer mal an..." Der Nasenklemmer rutschte tiefer auf der Knollennase, während erstaunlich lange Finger in einer Akte blätterten. Im flächigen Gesicht des Vorstehenden zeichneten sich Falten der Bedenklichkeit ab. "Wir haben zu befinden, ob der vorgenannte Quinn V, digitaler Krieger, als ehemalige göttliche Existenz einen Anwartendenstatus für den finalen Aufenthalt erhält." Intonierte er staatstragend. "Lyddja?" Er beugte sich erneut vor. Die Harpyie war derlei Ablauf gewöhnt, nahm diverse Gliedmaßen vom "Hackbrett", fingerte eine Zeitschrift hervor, in der sie gelangweilt blätterte. Rasiel, ebenfalls mit dem Prozedere vertraut, trat an das Trenngatter. "Darf ich näher treten, Euer Ehren?" Die feiste Hand mit den verblüffend langen Fingern winkte nachlässig. Der voluminöse Daimon beugte sich tiefer über sein Pult hinunter zu Rasiel. "Sach emol, isch versteh das ned ganz, des mit dem Digitalischen, is des widder so en Tammakotschie-Dings?" "Korrekt, Euer Ehren. Es handelt sich, wie ich in meinem Bericht ausführe, um eine so genannte digitale Existenz, die durch verschiedene Ereignisse die Statuten für eine 'göttliche Existenz' erfüllt." Rasiel wies dezent auf die Akte. "Isch seh hier, dasser so en Kriiescher war, bloß in unescht!" Der Vorstehende blätterte mit gerunzelter Stirn. "Ei, wie soll denn des klappe? Für en Göttlichen bräuschte mer schon e bissi..." Rasiel unterdrückte Anflüge von Ungeduld. Die Menschenwelt bot Phänomene auf, die sich normale Daimonen gar nicht träumen ließen. Glücklicherweise. "Wenn ich dazu auf diese Expertise hinweisen dürfte?" Er langte hoch, tippte auf einen markierten Artikel. "Da sind außerdem in der Anlage noch entsprechende optische Beweise." Wie erwartet fingerte der Vorstehende artig den Umschlag heraus, studierte die Bilder, drehte sie, klappte sie entschieden zusammen, versiegelte den Umschlag mit grimmigem Gesicht. Anschließend beugte er sich zu Rasiel herunter. "Sach emal, des is doch illegal, oder? Wie habbe se das denn gemäscht?" Rasiel hielt seinen Tonfall neutral. "Nach meiner Recherche ist der Programmcode gestohlen, von einem eher zweifelhaft zu nennenden Unternehmen genutzt worden, um eine Art Verabredungsspiel zu gestalten. Die Nutzenden konnten technisches Zubehör käuflich erwerben, die beschriebenen Vorgänge..." "Will isch ned wisse!" Intervenierte Heinrich Clan Zündfunken entschieden, äugte zu Quinn V herüber, dessen Gestalt immer wieder seltsam flackerte. "Kaa Wunner, dass der Bursch a Persöönlischkeitsstörunk had!" Rasiel musste sich nicht umwenden. Er kannte die Details sehr wohl. "Es besteht Anlass dazu, ihm den vorläufigen Status als Ex-göttliche Existenz zu verleihen." Brachte er den Fall wieder auf die vorgesehenen Gleise. "Pfuibah, was is des für en Ferkelei!" Heinrich Clan Zündfunken schüttelte den Kopf. "Müsse mer den auch woanners unnerbringe? Wie bei dem annern?" Rasiel erinnerte sich sehr wohl an den Fall des Kollegen. Tamagotchi, ebenfalls im Post-Göttliche Existenz-Status, war nach Verstreichen der Probefrist wider Erwarten nicht in Pixel zerfallen und in Vergessenheit eingegangen. Was sie hinsichtlich der Unterbringung vor ein Problem stellte. Die Nachbarschaft, sämtlich Ex-Göttlichkeiten mit sehr unterschiedlichen Vergänglichkeitsfristen, hatten sich zu einer Demonstration zusammengefunden, beschwert, weil niemand das unentwegte "Fütter mich! Streichel mich! Gib's mir!" ertragen konnte. Bevor der Lynchmob Hämmer, Schwerter und anderes schweres Gerät zum Einsatz bringen konnte, hatte man in einem Randbezirk eine Einsiedelhütte neben einem stocktauben ehemaligen Vulkangott aus dem Pazifik errichtet, das erste digitale Ex-göttliche Wesen dort angesiedelt. "Das steht eher nicht zu befürchten." Beruhigte Rasiel. "Die Waffen sind konfisziert, er verträgt Knebel und ist aktuell nur fähig, sich in einer Programmcode-Sprache zu äußern. Unterbringung in unserem Wohnheim kein Problem." "Die Wält werd immer verrükder!" Schnodderte Heinrich Clan Zündfunken nostalgisch, bevor er seine Kampfmasse wieder in eine offizielle Position rollte. "Lyddja!" Die Zeitschrift verschwand, die Harpyie wartete auf die Fortsetzung. "Wir entscheiden hinsichtlich des potentiellen Ex-göttliche Existenz-Status des hier anwesenden Quinn V...sowieso, Lyddja, weißt Bescheid, dass eine Probezeit von einem Monat angeordnet wird! Die Unterbringung... blablaba, weißt Bescheid, Lyddja. Nach Ablauf der Probezeit werden wir darüber befinden, ob diese erfolgreich beschieden werden kann." Er schwang einen kleinen Holzhammer, klopfte damit dezent auf sein Pult. "Un ferdisch! Wer is der Nächste?" "Das wäre wieder ich, Euer Ehren." Rasiel trat an das Trenngatter heran, hinter das er sich artig nach der Beratung zurückgezogen hatte, um der erwarteten Entscheidung zu lauschen. "Noch emol?" Heinrich Clan Zündfunken stutzte. "Da habsch gar kei Akte zu? Lyddja?" "Nein, Euer Ehren, das ist korrekt." Rasiel verneigte sich höflich. "Darf ich vortreten?" "Is recht." Winkte Heinrich Clan Zündfunken. "Isch will jetz abber ned widder so Bilder sehe! Das schläschd mir uffs Gemiet!" (*w*) Domitian grinste, während Rasiel ein wenig grimmiger als gewohnt Quinn V dirigierte, den Jutesack apportierte. "Sag, was du willst, aber der alte Heinz mag dich!" "Pah!" Grollte Rasiel. Er hatte schon gehofft, wenigstens Quinn V abtreten zu können, doch Heinrich Clan Zündfunken hatte "Lyddja" gebeten, mal in der Kantine zu fragen, "wälschär von denne langhaarische Bombeläscher gerad da hockt!". Die Antwort war niederschmetternd ausgefallen. "Ei, Rasiel!" Vertraulich waberten Massen über das Pult. "Des könne mer doch ned mache! Mit derer Bande geht dei Schützlink doch verschütt! Wo er doch eh ned mer alle Ladde am Zaun hätt!" Leider zu wahr! Deshalb musste Rasiel jetzt nicht nur Quinn V zum Übergangswohnheim eskortieren, sondern sich anschließend auch noch um die "kleine Panne" mit dem versehentlich eingeschmuggelten Menschen kümmern! "Erklär mir das noch mal." Domitian war ihm dabei auch nicht gerade eine große Hilfe, selbst wenn er artig und ohne Anstrengung Hu-Ryeom transportierte. "Die haben sich verkabelt, so eine Brille aufs Hirn geschraubt und losgeschnackselt?! Irre!" Rasiel seufzte. Er verstand durchaus, dass sein Cousin (sehr verwässert) aus rein professionellem Interesse nachhakte, so als Inkubus. "Das stimmt." Brummte er. "Dadurch sind gewisse, nun ja, Sekrete abgesondert worden. Einige sehr intime Verbindungen, was zu dieser gottgleichen Verehrung geführt hat." Er wies mit dem Kinn auf Quinn V, der artig vor ihm marschierte. "Für ihn hat das Interferenzen und Überlagerungen bedeutet, sodass er nicht mehr weiß, welcher Charakter er nun tatsächlich ist: ein Krieger oder ein Lustknabe." "Woaaa!" Stöhnte Domitian begeistert. "He, er steht also auf Kloppen und Knattern?! Hört sich nach dem Beginn einer genialen Freundschaft an! Ich helf dir bei der Betreuung, abgemacht?!" "Kann ich dich effektiv daran hindern?!" Leierte Rasiel, verdrehte die Kristallaugen. "Aber Klauen weg von dem Sack! Du guckst nicht rein! Und es fällt auch nichts versehentlich raus, klar?!" "Och!" Jammerte Domitian, legte einen perfekten Augenaufschlag hin. "Bittöööö, Rasiel!!" "Nichts da!" Versetzte der unerbittlich. "Was Waffen angeht leidest du, wie wir beide sehr gut wissen, an Kleptomanie! Ich habe sie gezählt, werde sie vollständig abliefern. Also, bloß keine Schwachheiten!" "Boah, du bist wieder mal extrem pflichtbewusst!" Seufzte Domitian, ließ das Thema jedoch für den Moment auf sich beruhen. Über seiner Schulter regte sich etwas. "He, Kamerad, bist du wieder wach? Nee, mach jetzt nicht gleich wieder schlapp, ja?" (*w*) "Ich hätte im Bett bleiben sollen." Winselte Hu-Ryeom gequält. "Ach, Unsinn!" Eine mächtige Pranke mit imponierenden Krallen klopfte seinen Rücken wie einen Schinken. "Ist doch ein prächtiger Tag! Also, willkommen im Daimonenreich, der wunderbaren Hölle! Ich heiße Domitian, du kannst mich aber Dom nennen! Ich bin Rasiels Cousin, arbeite als Mee-Poo!" Hu-Ryeom starrte bloß hoch in das freundlich-furchteinflößende Gesicht, das hauptsächlich aus einem mörderischen Gebiss zu bestehen schien. Dann waren da noch die gedrechselten Hörner... "Also, an der Stelle musst du sagen 'Hallo, freut mich! Mein Name ist'..." Half Domitian freundlich aus, die Klaue auffordernd schwingend. "Hu-Ryeom, ich heiße Hu-Ryeom, und ich möchte bitte nach Hause." Piepste der eingeschüchtert. "Hallo, Hu-Ryeom!" Domitian schüttelte behutsam eine Hand in seiner Klaue. "Nett, dich kennenzulernen. Dass du heim willst, trifft sich gut. Rasiel ist gerade dabei, das zu organisieren. Entspann dich einfach, lass mal die Seele baumeln!" "Iek!" Entschlüpfte Hu-Ryeom, bevor er sich hinter seiner Umhängetasche versteckte, die Knie vor den Leib zog. "Ach ja!" Unbeeindruckt kramte Domitian in seiner Tasche. "Das Zeug da gehört dir, ist vorhin runter gefallen. Pack's mal lieber wieder ein." Neben Domitian stieß Quinn V plötzlich heisere Kampfschreie aus, kam auf die Beine, brüllte durch den idyllischen Park. "Ich töte dich! Ich schlachte dich ab! Dein Kopf wird auf einem Pfahl verrotten!" "Lass mal stecken." Gutmütig zog Domitian Quinn V wieder auf die Sitzbank. "Hat keinen Zweck, Süßer. Rasiel hat dein gesamtes Besteck mitgenommen. Schade." "Oh...oh!" Nun erinnerte Hu-Ryeom sich. Klar, dieser Kerl in der Zwangsjacke, das war doch die Titelfigur einer weltberühmten Computerspielserie! Die flammend roten Haare, die blauen Augen, dieses seltsame Flackern!! Er hatte sie nicht erkannt, weil zur Basisausstattung keineswegs eine solide Zwangsjacke und lächerliche Leggings gehörten. "Hab ich dir schon erzählt, dass ich Mee-Poo bin?" Domitian schnatterte als gastfreundliche Leitung ihres kleinen Clubs munter vor sich hin. "Das bedeutet Metropolitan Polis! Ich bin also für das Volk unserer Metropole sicherheitsverantwortlich! Wichtiger Job, das!" "Wirklich." Murmelte Hu-Ryeom, der sich angstvoll umsah. Dieser Park war ein Park, aber auch irgendwie merkwürdig, vor allem wegen des glutfarbenen Himmels. Auch wenn er sich noch so heftig kniff: er wachte nicht auf. Das bedeutete, dass diese Szenerie samt ihren personellen Inventar real sein musste! Für einen gegebenen Wert von "real". "Aber wie kann ein Zug in die Hölle führen? Ich meine, ohne ein fatales Unglück?" Sein Sarkasmus wärmte sich gerade auf. "Ach, das kommt schon mal vor." Domitian klopfte ihm erneut wie eine Dampframme auf die Schulter. "Mach dir keinen Kopf, Hu-Ryeom! Halb so wild! Rasiel hält ein Schwätzchen mit nem Fuchsgeist, der nimmt dich wieder mit rüber und zack, hast du alles vergessen!" "Fuchsgeist." "Klar! Sind zwar ein bisschen verdreht, die Typen, aber sie können ohne Probleme die Welten wechseln. Du bist ja nicht offiziell hier, weil nämlich dafür, da müsstest du tot sein, was du aber nicht bist, richtig?" Domitian erläuterte für die Begriffsstutzigen und Auswärtigen. "Also musst du auch wieder unauffällig raus. Bringt keinem was, wenn die Sache aufgebauscht wird. Da müssen die Bahn-Fuzzies noch öfter Schulungen drüben bei euch machen." Vertraulich beugte er sich zu Hu-Ryeom herunter. "Ganz ehrlich, das wird mit jeder Fortbildung schlimmer." "Aha." Brabbelte Hu-Ryeom bange, den die Hörner wirklich sehr einschüchterten. "Sie sind ein Daimon?" "Yupp, Inkubus!" Stolz rammte sich Domitian eine Faust gegen den imposanten Brustkorb. "Ah, du fragst dich, wieso wir Cousins sind, richtig? Also, das ist ne ulkige Geschichte..." (*w*) Wenn man einen gewissen Grad an Benommenheit und Skurrilität akzeptierte, war es keineswegs schwer, die Umstände zu tolerieren, fand Hu-Ryeom. Diese Hölle oder Daimonenwelt oder andere Seite oder wie auch immer war bevölkert von sehr merkwürdigen Gestalten. Die es wie im Großstadt-Dschungel gar nicht goutierten, wenn man sie blöde anstarrte. Das kam Hu-Ryeom sehr bekannt vor. Auch etwas verschlungene Familienverhältnisse waren ihm vertraut, obwohl, das musste er zugeben, derart kuriose Verwandtschaften konnte er nicht aufweisen. Zumindest seines Wissens nach nicht. Domitian hatte ihm im amüsanten Anekdotenton berichtet, dass eine Schwester seiner Mutter früher mal in eher angeheitertem (praktisch sternhagelvollem) Zustand mit einem Freund im ziemlich leeren Himmel ihren Spaß haben wollte. Dabei hatten die beiden unter einem Baum ihr horizontales Balztänzchen bestritten. Urplötzlich war ganz ohne Anlass eine kleine Kugel heruntergestürzt. Oder Blase. Oder Ballon. Jedenfalls war das so ein Dings, in dem Engel heranwuchsen. In ihrer Panik, mit einem abgestürzten Engel-Ei erwischt zu werden, hatte sie es einfach heruntergeschluckt. Ei weg, Problem gelöst, alles sauber! Das Engel-Ei hatte sich jedoch nicht etwa aufgelöst, sondern wieder angedockt, wie es das vom Lebensbaum kannte, sich versorgen lassen, war gewachsen. Geschlüpft oder vielmehr geboren von einer Daimonin! Skandal! Aber Rasiel war ja immer noch ein Engel, auch wenn seine Flügel ein wenig rudimentär ausgelegt waren, also eher die Art Spannrahmen ohne Füllung! Weil seine Ziehmutter immer noch ein recht fröhliches Mädel war, trinkfreudig und umtriebig, hatte sie ihren Nachwuchs oft mit den anderen Mini-Daimonen im Clan sich selbst überlassen, weshalb sie nun Cousins waren! "Das ist wirklich eine faszinierende Geschichte." Plapperte Hu-Ryeom hilflos eine Phrase, die er grundsätzlich benutzte, wenn er mit den seltsamsten Dingen ohne Entkommen zugetextet wurde. "Bis auf die Flügel ist Rasiel ein echter Engel." Domitian nickte vertraulich. "Du weißt schon, Engelszungen, aber untenrum nix. Macht's natürlich nicht einfach, bei nem Inkubus-Clan integriert zu werden." "Tatsächlich." Murmelte Hu-Ryeom hilflos. Er wollte das lieber nicht verstehen müssen, war aber bereit, alles zu glauben, solange er nur endlich wieder nach Hause kam. "Oh! OH! OOOOOHHHH!" Stöhnte Quinn V plötzlich, zerrte an seiner Zwangsjacke, schwang die Hüften in einer mehr als eindeutigen Weise. "Ja, JAAA! Ich will es!! Uhhhh, treib's mit mir!!" "Woaaa, da bin ich dabei!" Missverstand Domitian feixend diese ganz offenkundig programmierten Aufforderungen, warf sich Quinn V über den Schoß, stieß wie ein Raubvogel herunter, labte sich gründlich. Als der möglicherweise Ex-Gott keuchend und benommen alle Gliedmaßen von sich streckte, richtete er sich wieder auf, grinste zufrieden, schnurrte guttural. "Oh ja, mein Schnuckel, gib mir Zunge! Da steh ich drauf!" (*w*) "DOM!" Donnerte Rasiel energisch, klopfte seinem Cousin aufs breite Kreuz. "Lass den Unsinn! Wir haben einen Termin!" "Och!" Seufzte der Inkubus unzufrieden. "Ehrlich, Rasiel, kannst du nicht noch mal eben um den Block? Ich mache diesen scharfen Rammler hier gerade mit den lokalen Gebräuchen vertraut!" "Nichts da, auf die Beine!" Kommandierte der Engel entschieden. "Es hat mich schon genug Zeit gekostet, das ganze Altmetall loszuwerden und auch noch einen Fuchsgeist aufzutreiben, der mit uns verhandeln will!" "He, du hast die Waffen abgeliefert?! Menno!! Wenn da jetzt was dabei war, das ich hätte brauchen können, so als Mee-Poo?!" Beklagte sich Domitian quengelig. Rasiel funkelte, was den Kristallaugen nicht schwer fiel, zog Domitian auf die Seite. "Entschuldigt uns bitte einen Augenblick." Er zischte seinem schmollenden Cousin zu. "Was willst du denn bitte schön mit dem Gerümpel anfangen?! Du weißt genau, dass sich der Krempel wie sein Besitzer auflösen wird, wenn er den Monat nicht übersteht!" Der Engel raunte kaum hörbar. "Guck dir doch emol aa, wie der flimmert! Der wor ned bloß nackert, wie ich'n gfilzt hab, da konnste grad durchschaue!" In diesem vertraulichen Tonfall adressiert wagte auch der Inkubus einen kritischen Seitenblick. "S is a Schand!" Antwortete er. "So guad, wie der ausschaut!" Rasiel zuckte mit den Achseln. Blut, Schweiß, Tränen und Sekrete aus anderen, tiefer orientierten Organen waren zusammen mit einem vielstimmigen Chor aus Glaubensbekenntnissen und inständigen Intonationen durchaus eine Eintrittskarte für ihr Post-Göttliche Existenzen-Aufbewahrungsprogramm (wo sollten sie auch sonst hin, die Vertriebenen und Vergessenen?). Das hielt nur so lange vor, wie noch ein Glaube existierte. Abgesehen von dem ungeliebten elektronischen Quälgeist hatte es keine andere digitale Existenz geschafft, ihre Göttlichkeitsdämmerung hier zu verleben. "Also, wir haben eine Verabredung im düsteren Distelwald." Stellte Rasiel klar. "Verschwenden wir nicht noch mehr Zeit. Hu-Ryeom, in Kürze sollten Sie wieder in Ihrer Welt sein, sich an nichts mehr hier erinnern!" "In den Distelwald?! Pfuibah!" Unzufrieden stapfte Domitian hinter ihnen her. "Was, wenn uns da ein Kronk überfällt?!" "Es GIBT keine Kronks!" Schnaubte Rasiel erbost, warf einen ärgerlichen Blick über die Schulter an seinen Flügeln vorbei. "Das sind bloß Märchen für kleine, verzogene Daimonenbengels!" "Jaha, das sagst du JETZT!" Der Inkubus gab nicht so leicht auf. "Wenn wir dann als Frikassee enden, da bist du kleinlaut!" "Ich kann mir beim besten Willen gar nichts vorstellen, was DICH schmackhaft finden würde!" Ätzte Rasiel sehr unversöhnlich zurück. "Geschweige denn die Mühe darauf verwendet, sich mit uns anzulegen!" "Ein Feind? Ein großmächtiger, bedrohlicher Feind?" Ließ sich unerwartet Quinn V vernehmen, zum Erstaunen seiner Begleitung in einer verständlichen Diktion. "Lasst mich für Euch streiten, meine Gefährten! Es ist meine Bestimmung, die Welt zu befreien von Tyrannei, Unterdrückung und schlechten Hamburgern!" Nach einem Moment der Verblüffung raunte Domitian vernehmlich. "Das Spiel wurde von der Fressladen-Kette gesponsert, oder?" "Reicht mir meine Waffen, und ich gewinne diesen Krieg für euch!" Deklamierte Quinn V reichlich pathetisch, versetzte sich mit den heroischen Gesten dank der Zwangsjacke in eine gefährliche Rotation, die ihn förmlich in Domitians breite Arme katapultierte. "Hehe, ich steh auf Elan! Siehst du, Ras?" Adressierte er seinen Cousin vorwurfsvoll. "Wir hätten sein Zeug behalten sollen! Wenn er ein paar Kronks verprügeln dürfte, ging's ihm bestimmt prächtig!" "Die therapeutischen Gemetzel mit imaginären Schreckgespenstern müssen warten!" Fauchte der Engel grimmig, fixierte das traute Pärchen eisig. "Ich wiederhole NOCH MAL unseren Plan: wir treffen den Fuchsgeist. Hu-Ryeom kommt wieder heim. ANSCHLIESSEND, das heißt DANACH befassen wir uns mit diesem digitalen Horizontal-Recken!" "Uh, ich find's ja total heiß, wenn du dominierst!" Provozierte der Inkubus mit zuckersüßer Stimme. "Du solltest echt nicht so gemein zu Q-Boy sein! Er ist sensibel!" "Pah!" Schnaubte Rasiel, legte einen Schritt zu. Domitian grinste Hu-Ryeom verschwörerisch zu, der Mühe hatte, mit den großgewachsenen Daimonen auf gleicher Höhe zu marschieren. Der Inkubus führte etwas im Schilde. Das ließ Hu-Ryeom Böses schwanen. (*w*) Der düstere Distelwald war ziemlich unaufgeräumt, zumindest für ein Zivilisationsgeschöpf wie Hu-Ryeom. Überall bildeten Lianen, Wurzeln und anderes rankendes Grünzeug gefährliche Fallstricke, die sich trügerisch-heimtückisch in den Weg warfen. Dass es wegen des aufdringlichen Grünkrams auch ziemlich düster, beinahe schummrig war, gehörte zu den wenig erfreulichen Nebeneffekten. Rasiel, der voran marschierte, störte sich nicht daran, ja, er schien das dschungelartige Milieu gar nicht zu registrieren oder handelte nach der Devise: was ich ignoriere, kann mir auch nichts, nicht mal die Sandalen stellen. Domitian hatte auf halbem Weg, nachdem er Quinn V zum wiederholten Mal vom schmatzend-feuchten Boden aufgeklaubt hatte, die Zwangsjacke gelöst, ging nun, ein langes Ende in seiner Klaue, ein wenig alerter voran als zuvor. Er wirkte in seiner Körperspannung viel aufmerksamer, plapperte nicht mehr munter, lauschte immer wieder in die befremdliche Kakophonie des Waldes hinein. Alles keine Zutaten, um Hu-Ryeom Vertrauen in die unmittelbare Zukunftsentwicklung einzuflößen. "Ich denke, hier irgendwo muss der Treffpunkt sein." Brummte Rasiel schließlich, wandte sich zu seinen Weggefährten um. "Ihr wartet bitte, bis ich die Verhandlungen beendet habe. Und, Dom, kein Blödsinn!" Damit packte er das kantige Kinn seines Cousins energisch. "Stell dir vor, du wärst im Dienst, klar?!" "Spielverderber" Nuschelte der Inkubus unter seinem Atem, grinste besonders harmlos, als Rasiel ihm einen skalpellscharfen Blick zuwarf. Danach verschlang ihn die grüne Wand. "Das kann dauern." Grummelte Domitian, seufzte. "Machen wir es uns ruhig ein bisschen gemütlich." Er plumpste auf einen kommoden Moosteppich, zog Quinn V an seine Seite. Hu-Ryeom ging zögerlich in die Hocke. Er hasste Grasflecken auf seinen Kleidern, spürte schon aus der Distanz die Ahnung von klammer Feuchtigkeit mit moderigem Odeur! "Ich verrate euch mal, wie das läuft." Domitian wollte sich offenkundig die Zeit vertreiben, hielt nichts vom Pfeifen im finsteren Wald. "Mein Cousin ist ja seines Zeichens Engel. Die haben's nicht so mit den feinen Sachen der Physis, also all das, was Copulatio so herrlich macht! Aber irgendwann hat ein schlauer Typ herausgefunden, dass sie bei Wasserpfeifentabak echt rollig werden, wenn man sie dazu bringt, an der Pfeife zu nuckeln!" Er grinste, blendete sein strahlendes Gebiss auf, eine Leuchtspur in der Finsternis, mit der er dank seiner Hautfarbe verschmelzen konnte, wenn ihm der Sinn danach stand. "Rasiel ist abgesehen von seiner stocknüchternen Art ein ziemlicher Prachtbursche. Dauernd stecken ihm seine Verehrerinnen den teuren Wasserpfeifentabak zu! Der ist wiederum als Tauschwährung bei den Fuchsgeistern ebenfalls beliebt. So, mein lieber Hu-Ryeom, wird dein Rückfahrtticket mit Rauchwaren erkauft!" "Das ist sehr, sehr großzügig." Murmelte Hu-Ryeom hilflos. Schon seit einigen Augenblicken lärmten seine Großstadt-Alarmglocken wie toll in seinem geplagten Schädel. Er wusste ihre Panik noch nicht richtig einzuordnen. "Sagt mal, findet ihr es nicht auch sehr ruhig?" Setzte er schüchtern an. Drei Ohrenpaare lauschten sehr angestrengt in eine dumpfe, betäubende Stille. "Ich werde kämpfen!" Quinn kam auf die Beine, wedelte wenig überzeugend mit seinen überlangen Ärmeln. "Gebt mir meine Waffen!" "Schtschtschtscht!" Zischten gleich zwei unisono. Weil Domitian gern das Praktische mit dem Angenehmen verband, erstickte er Quinns schlechte Schlachtprosa mit einem intensiven Kuss. "Hmmm!" Schnurrte er sehr leise. "Gib mir ruhig Zunge, Goldstück! Mach mich rattig, mein Hamster!" Hu-Ryeom, der sich zusammenkauerte, weil er deutlich das Gefühl hatte, es belauere sie etwas, rückte aus der unmittelbaren Einflusssphäre der beiden ab. Er konnte nicht glauben, dass sie so verrückt und selbstvergessen waren, hier doch tatsächlich..!! Andererseits musste Glauben weichen, wo Wissen Einzug hielt! (*w*) Domitian fand, dass die Natur es doch immer am Besten einrichtete. Ein Inkubus war eben in erster Linie Inkubus, erst danach, wenn es sich einrichten ließ, auch Mee-Poo. Außerdem flackerte Q-Boy beunruhigend, wie ein gestörtes Hologramm. "He, mein Süßer!" Schnurrte er guttural, fing das anmutig-androgyne Gesicht in seinen Klauen. "Augen auf mich! Machen wir ein Duett, hmm?" Quinn V blinzelte, was sich kaum von seinem seltsamen Zustand unterschied. "Ich fühle mich komisch." Wisperte er, bevor er seine zuckenden Ärmel anstarrte, in Programmcode stammelte, sich den Kopf hielt. "Das kriegen wir wieder hin." Ignorierte Domitian souverän die nunmehr tatsächlich extrem verdächtige Stille. "Sieh mich an, Zuckerstück, ja? Du leidest gerade unter einer Glaubenskrise, das ist alles! Ich kenne GENAU die richtige Heilmethode!" Wenn sie sich schon nicht prügeln durften! Der möglicherweise in Bälde Ex-Gott warf ihm einen verzweifelten Blick zu, aus dem die Erkenntnis graute, dass seine Existenz, mochte sie auch programmiert, gestohlen, reprogrammiert und zur Schizophrenie mutiert worden sein, SEHR endlich war. In diesem Augenblick, da er sein Bewusstsein entdeckte, stand er am Abgrund des Nichts, flehte um Beistand. Domitian verlor keine Worte, küsste den digitalen Gott gierig, blätterte zeitgleich die Restbekleidung von dem durchscheinenden Leib. Fiebrig funkelte er in die blauen Augen, entschied, ein Feuer zu zünden, eine gleißende Lohe, die das Ende auf Distanz halten sollte! "Machen wir uns richtig dreckig, Süßer!" Raunte er grimmig, fiel über Quinn V her. (*w*) Hu-Ryeom suchte das Weite, fand es auch. Nur einige Meter weg von dem martialischen Liebesakt schloss sich um ihn eine grüne Wand, verschluckte dumpf die Lustgeräusche. Nervös wienerte er seine Brillengläser, drehte sich zögerlich herum. Wohin nun? Sollte er vielleicht nach dem Engel rufen, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verfehlten? Andererseits, das lernten auch die "Großstadtindianer", sorgten laute Geräusche dafür, dass feindlich Gesinnte auch wenig Mühe hatten, einen aufzuspüren. Keine lohnenswerte Alternative! "Ich will heim." Murmelte Hu-Ryeom kindlich, stapfte mit sinkender Zuversicht und wachsender Erschöpfung einige Schritte weiter. Auch wenn er liebend gern diese seltsame Welt wieder verlassen hätte, so verkrampfte sich sein Magen bereits bei der Vorstellung, dass er seinen Termin verschwitzt hatte ohne eine plausible Erklärung. Nicht gut! Unmittelbar hinter ihm, bloß einen Lianen-Efeu-Rankengewächs-Vorgang getrennt, ertönte ein ohrenbetäubendes Röhren, begleitet von einem Erdbeben. Etwas Mächtiges, Gewaltiges schien sich genau in seine Richtung in Bewegung zu setzen!! Hu-Ryeom kreischte heiser auf, nahm die Beine in die Hand. (*w*) "Gut, hm?" Domitian leckte Quinn V über das Gesicht, kämmte flammend rote, nunmehr feuchte Strähnen beiseite. Ja, mit einem richtigen Inkubus zu schlafen, DAS war doch etwas ganz anderes als dieses elektronische Gefummel! Sie passten wirklich hervorragend zueinander, stellte der Inkubus fest. Ihn erregten Geschmack, Geruch, Beschaffenheit, Stimme und das Äußere seines Liebhabers gleichermaßen. Zugegeben, von Daimonen seines Schlags hieß es immer, dass sie nicht wählerisch, sofort zu stehenden Ovationen bereit waren, doch jeder wahre Inkubus hatte Standards! Es gab Regeln, sonst machte das Spielen keinen Spaß. "Genieße es, lass alles raus!" Wisperte er in eine adrette Ohrmuschel, benagte sie zärtlich. Was könnte einen Gott besser stärken als Liebe in all ihren Ausdrucksformen?! Das Flackern schien vertrieben, die Gestalt in seinen Armen war solide. Er konnte ihre Körpertemperatur noch ein wenig erhöhen, ihren Puls beschleunigen! Quinn V grub ihm die Fingernägel in die muskulösen Oberarme, stöhnte Unverständliches im Programmcode, bäumte sich in einer heftigen Kontraktion auf, die blauen Augen in den Himmel jenseits des Dickichtdachs gerichtet. Er blinzelte, seufzte hauchzart, die Lippen wie zum Kuss geteilt. Dann zersprang er in abertausende, goldene Funken. (*w*) Hu-Ryeom rannte um sein Leben. Auch, um die Balance nicht zu verlieren, sich nicht zu überschlagen. Ab einer gewissen Beschleunigung wurde die Massenträgheit zum gefährlichen Antrieb. Jede Steuerung musste SEHR behutsam eingeleitet werden. Im Moment ruderte er mit den Armen, hoffte, bloß nicht an einer Wurzel oder sonst einem floralen Fallstrick hängenzubleiben. Hinter ihm schienen ganze Bergmassive oder gar Kontinente in Bewegung geraten zu sein. Das Dröhnen in der Luft war ohrenbetäubend, eine mächtige Druckwelle, die ihm im Nacken saß. Wäre es möglich gewesen, hätte seine Gänsehaut ihn noch rechts überholt. Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte er, dass an seiner Seite eine bläulich schimmernde Gestalt in einem formalen Kimono über dem hinderlichen Boden schwebte, ein spitzes Gesicht mit einer noch spitzeren Schnauze: der Fuchsgeist! Besagte Erscheinung fischte in einem langen Kimonoärmel herum, bis es einen gefalteten Zettel entnahm, mit leichtem Lispeln intonierte. "HU-LYEOM?" "...ja~ha..." Bestätigte er atemlos, schlug Haken. Das Getöse war ihnen hörbar auf den Fersen. "Mil einfach folgen." Der Fuchsgeist sprach wie eine Karikatur, feixte, was sehr spitze Eckzähne entblößte, zuckte mit den Schnurrhaaren, legte enorm an Tempo zu. Hu-Ryeom hatte nicht mal genug Luft, um gequält aufzustöhnen, als er die Verfolgung im Zickzackkurs aufnahm. (*w*) "Was-EXAKT-ist hier los?" Rasiel verzichtete darauf, ungeduldig mit einer Sandale auf den Moosteppich zu tappen. Domitian hockte auf einem umgeworfenen Baumstamm, der nun Heimat für Moose, kleine Gräser und allerlei Pilze bot, stützte trübsinnig den Kopf in beide Klauen. "Er ist weg." Murmelte er, ohne den Blick zu seinem Cousin zu heben. "Ich stelle fest, dass BEIDE weg sind." Rasiel seufzte. "Willst du mir bitte erklären, was passiert ist?" Domitian wedelte müde mit einer Klaue. "Kurz nachdem du weg warst, flackerte Q-Boy immer heftiger. Er war total verängstigt. Ich dachte mir, wir sollten ganz fix seine Göttlichkeitsbasis verstärken. Da wir ja schlecht ohne Waffen kämpfen konnten, habe ich mich eben auf unsere andere Gemeinsamkeit verlegt." Er seufzte leise. "Es wuppte zwischen uns wirklich, Ras, kein Flackern, er fühlte sich echt solide und lebendig an! Als ich, nur kurz, ehrlich, diesen einen winzigen Moment, du weißt schon, einen glasigen Blick hatte, da zerstob er! Wie in einem Fantasy-Film mit Spezialeffekten, eine goldene Glimmerwolke. Danach war da nichts mehr." Die imponierenden Schultern des Inkubus sackten noch tiefer. "Einfach weg." Murmelte er leise, den Blick auf den Moosteppich gerichtet. "Dabei lief es doch gerade richtig rund! Das ist einfach nicht fair!" Rasiel verdaute die Anklage an das Schicksal, legte eine kühle Hand auf die bloße Schulter seines Cousins. "Das tut mir leid." Kondolierte er behutsam, sparte sich besserwisserische Hinweise auf die kurze Halbwertszeit von digitalen Pseudo-göttlichen Wesen und der Endlichkeit jeder Existenz, ganz gleich ob göttlich, teuflisch, daimonisch oder Engel-artig. "Verdammt!" Knurrte Domitian resigniert. "Wir waren echt auf der gleichen Wellenlänge! Die gleichen Hobbys, cooles Auftreten, super-sexy-scharfe Figur und Spaß am Infight! Wir hätten unsere Hitparade der lahmsten Schlachtrufe austauschen können!" Der Engel klopfte sanft auf das breite Kreuz seines Cousins. "Ich bin sicher, er hat gemerkt, wie eingenommen du von ihm warst." Tröstete er. "Ja, GARANTIERT hat er das, bloß...!!" Domitian sprang auf die Beine, ballte seine Klauen, knurrte frustriert. Manche mochten es ja unheimlich befriedigend finden, wenn sie im Höhepunkt ihrer Ekstase abtraten, aber für die anderen aktiv Beteiligten war das definitiv KEIN krönender Abschluss! "Können wir uns vielleicht auf meinen zweiten Schützling konzentrieren?" Lenkte Rasiel vorsichtig die Unterhaltung. "Der ist auch abgängig, wie ich feststelle." "Uh." Verlegen kratzte sich Domitian am Schädel. "Schätze, er ist ein wenig spazieren gegangen, als wir gerade auf die Matte gingen. Während des Lärms habe ich ihn dann nicht mehr gehört." "Was denn für ein Lärm?" Hakte der Engel scharf nach, hoffte, es handele sich dabei nicht um DIESE Art von Geräuschkulisse. Der Inkubus warf seinem Cousin einen kritischen Blick zu. "Du wirst dich gleich wieder aufregen." "Ich pflege mich grundsätzlich nicht aufzuregen!" Widersprach Rasiel energisch. "Ja~ha, grundsätzlich nicht, aber speziell." Grummelte Domitian verstohlen, seufzte laut. "Also, der Radau kam von den Kronks. Keine Ahnung, wie viele das waren, jedenfalls war's ohrenbetäubend und das Getrampel auch echt heftig." Rasiel verdrehte die Augen ungeduldig. "Es gibt keine Kronks." "Nur weil DU sie nicht siehst, heißt das nicht, dass sie nicht existieren." Widersprach Domitian, winkte aber ab, denn diesen sinnlosen Streit wollte er nicht weiterführen. "Ganz gleich, was es jetzt nun war: es war laut. Und gewaltig." "Was bedeutet, dass Hu-Ryeom stiften gegangen ist." Folgerte der Engel. "Ich will lieber mal nachsehen, wo er abgeblieben ist." "Hm." Pflichtete Domitian bei, blickte sich um. "Die Richtung sieht vielversprechend aus. Sag mal, warst du schon mit einem Fuchsgeist einig?" "In der Tat." Rasiel marschierte los, funkelte ärgerlich in anhängliche Ranken, Lianen und anderes Gewächs, das ihn am Fortkommen hinderte. "Hat mich eine Menge von diesem dubiosen Wasserpfeifentabak gekostet." "Hoffentlich hat der Fuchsgeist was drauf!" Domitian studierte den Pfad, ob sich Spuren zeigten. "Besser wäre es!" Knurrte der Engel, schlug einen schweren, abgestorbenen Ast von einem mächtigen Baumstamm, hauchte fein auf das spröde Holz. Mit einem gefährlichen Zischen und Knacken entzündete sein Feueratem eine handliche Fackel. "Ja~ha!" Schnurrte Domitian mit funkelnden Augen. "Die alten Tricks sind doch immer die besten!" Der Fuchsgeist tat gut daran, seinen Cousin nicht zu enttäuschen. (*w*) Hu-Ryeom wusste nicht, was oder wie viele hinter ihm her waren. Der Boden unter seinen Füßen dröhnte und schüttelte sich. Er spürte glühende Atemzüge in seinem Nacken. Also rannte er wie besessen, panisch, verschwendete keinen weiteren Gedanken. Dazu fehlte ihm auch der Atem. "Schnellel laufen!" Forderte der Fuchsgeist, deutliche Anzeichen von Nervosität präsentierend. "Hmpf!" Ächzte Hu-Ryeom, Arme rudernd, stolpernd, in weit ausgreifenden Schritten. Vor ihnen öffnete sich die grüne Wand unerwartet zu einer Lichtung. Der Fuchsgeist schien in eine graue Wolke zu schlüpfen. Hu-Ryeom konnte nicht bremsen, fühlte sich aber weniger eingehüllt in luftige Schwebeteilchen, sondern als liefe er mit aller Kraft gegen eine Gummiplane! Sie klebte sich an ihn, widerstand seinem Fortkommen. Hu-Ryeom presste sich gegen die Oberfläche, drehte den Kopf, um nicht zu ersticken. "Komm schon!" Kreischte der Fuchsgeist, der keinerlei Schwierigkeiten hatte, zerrte mit einem stählernen Griff an Hu-Ryeoms Handgelenk. Ziehen, zerren, anrennen. Bevor Hu-Ryeom völlig entkräftet aufgeben konnte, zerriss die merkwürdige Grenzfolie plötzlich, viel zu unerwartet für ihn, sodass er ungebremst in eine enge Gasse zwischen zwei Backstein-Mietshäusern katapultiert wurde. Er flog tief, doch leider nicht sicher. Als er ins Straucheln kam, segelte, da konnte nur eine Bruchlandung die Folge sein. Hu-Ryeom traf am Ende der Gasse quer über dem ungepflegten Bürgersteig mit seinen unebenen Gehwegplatten einen mächtigen Cruiser Schädel voran an der Stoßstange. Dann gingen die Lichter aus. (*w*) Kapitel 2 - Home sweet home "Wenn es diese Kronks geben würde, müssten doch hier Spuren sein wie bei einer Lawine! Oder einer Stampede!" Rasiel sah sich ärgerlich um. Das lästige Grünzeug des finsteren Distelwaldes spielte ihnen Streiche! Alles blieb undurchdringlich und labyrinthisch! "Nein." Domitian schnappte sich die Fackel. "Wir dürfen den Wald nicht abbrennen, Ras, auch wenn wir gute Gründe haben." Summte er beruhigend. Für einen Engel hatte sein Cousin eine bedenklich kurze Lunte bis zur Explosion. "Fein!" Fauchte Rasiel. DAS war es keineswegs, wie sein Tonfall indizierte. "Suchen wir den Fuchsgeist!" "Jupp!" Signalisierte Domitian Zustimmung. Vielleicht konnte man wenigstens eine zünftige Prügelei herausschlagen, wenn der Fuchsgeist seine Aufgabe nicht zu Rasiels Zufriedenheit erledigt hatte! (*w*) Der unerträgliche, pochende Schmerz, das Innuendo einer Troll-Crew, die gerade ihre gewaltigen Steine ohne Rhythmusgefühl, aber mit viel Elan aneinander schlugen. Unmöglich, sich einer erholsamen Ohnmacht hinzugeben! Außerdem lag seine Zunge aufgedunsen quer im Hals wie ein alter Wischmopp, fusselig, müffelnd und vollgesogen mit Flüssigkeiten, über die niemand ohne stabilen Magen spekulieren wollte. Hu-Ryeom konnte wirklich keinen klaren Gedanken fassen. Sein widerspenstiger Körper verlangte jedoch danach, sich Abhilfe zu verschaffen. Was damit beginnen sollte, die Lage zu sondieren. Allein, die verklebten Wimpern blieben lästig verhakt ineinander, ein schmieriger Film lag auf seinen Augäpfeln! Ohne Brille, die er nicht schwer auf dem Nasenrücken spüren konnte, half dieser tapfere Versuch ohnehin nicht viel! "Aha! Wil sind wach!" Triumphierte eine melodisch-helle Stimme in einem unvertrauten Singsang. "Gute Albeit! Auftlag ausgefühlt!" Hu-Ryeoms Verstand kam sehr zähe in Schwung. Er lag auf einer Matratze. Über ihm musste sich eine Lichtquelle befinden. Eine kurze Testphase ergab, dass die registrierten Peripherie-Systeme noch funktionierten. Mit anderen Worten: Hände und Füße waren noch dran. Bei seinem Schädel, der perfid wummerte wie ein Höllen-Bass, stellte sich diese Frage gar nicht erst. "Hngl?" Unternahm er den sinnlosen Auftakt einer Erkundung seiner Gesamtsituation. Seine Zunge verweigerte jedoch wie ein Waschlappen die Kooperation. "Beinahe wie neu!" Trillerte die Stimme über ihm euphorisch. "Alles so, wie del Engel es wollte! SEHL gute Albeit!" Der Tonfall indizierte eine sehr EXPLIZITE Aufforderung, Lobpreisung zu äußern. Hu-Ryeom war dazu jedoch außerstande. »Engel...Engel!« Unerwartet massiv setzten Erinnerungen ein, die er technisch gesehen, sollte man Domitian (Daimon, schwarz, Hörner) Glauben schenken, gar nicht mehr haben sollte. WENN er sich in seiner eigenen Welt befand! »Außerdem hätte Rasiel ja wohl spezifizieren können, in welchem ZUSTAND ich wieder nach Hause komme!!« Grollte eine weinerliche Stimme in seinem lärmgeplagten Hinterkopf, schrill genug, um die Trommeltrolle zu übertönen. Mit brachialer Anstrengung gelang es Hu-Ryeom schließlich, seinen linken Arm, tonnenschwer, anzuheben, sich ungelenk mit dem Handrücken über die offenkundig zugeleimten Augenlider zu reiben. Das half ein wenig. Er erkannte verschwommen, also so wie jeden trüben Morgen, dass er sich tatsächlich in seinem höhlenartigen Zuhause befand, sein Bett eingekeilt in deckenhohe Regale aller Art, Trutzburg gegen die Welt da draußen. Aufsetzen schien riskant, eine latente Übelkeit, die das Trommelkonzert auslöste, wirbelte Spülwassergeschmack vom Magen hoch in seinen Mund. Ohnehin käme er mit diesem Unterfangen nicht weit, wurde ihm bewusst. Unscharf, aber unverkennbar hockte jemand auf seinen Oberschenkeln. "Hngl?" Versuchte Hu-Ryeom es noch mal. Warum klopfte seine rechte Schädelhälfte eigentlich so perfid? "Wie neu!" Behauptete der Fuchsgeist etwas grimmig, zuckte mit den spitzen Fellohren. Er fühlte seine wackere Leistung wenig gewürdigt. Ein wenig aufgestachelt durch die Umstände und einen SEHR prallen Beutel voller Wasserpfeifentabak, hatte er in seinem Überschwang eine fatale Eingebung. (*w*) "Also ehrlich, was ist das denn für ne blöde Tour?!" Die hochgebundenen, kraushaarigen Zöpfe hingen wie bei einer Pusteblume in alle Himmelsrichtung abstehend um den dicken Stoffturm, der sie am Oberkopf in Schach hielt. "Da konnte ich echt nicht mehr abwarten! 'Gib mil dein Elstgebolenes!', voll perfid!" Hu-Ryeom teilte diese Einschätzung uneingeschränkt. Ein wenig wohler war ihm. Das konnte schnell vergehen, wie ihn sein Verstand in gemäßigter Panik einschenkte. "Moment, haben wir gleich!" Konzentriert spitzte ein wenig Zunge hervor, in einem Mundwinkel eingeklemmt, während der uneingeladene Einbrecher und Samenräuber-Vertreiber auf seiner Bettkante operierte. Das Unterfangen betraf Hu-Ryeoms Hände, die der miese, heimtückische Fuchsgeist erst ABGELECKT und an die Seite eines Buchregals neben dem Bett geklebt hatte. Aus ganz pragmatischen Gründen, wie der tadelnde Einwurf, sich doch EIN WENIG kooperativer anzustellen, ihm bedeutet hatte! Ohne Hu-Ryeoms hilflos-hysterische Zappelei konnte der Fuchsgeist sehr viel bequemer mit hoch gelupftem Kimono und definitiv mangels Unterwäsche den Bonus einfordern, den er für einen lukrativen Nebenverdienst in spe hielt. Hu-Ryeom hielt sich ohnehin nicht für den Beischlaf-Experten, sodass jede Avance eigentlich sehr schmeichelhaft war, doch eine derartige Aktion verschreckte ihn vollkommen. Es hatte geklopft. Der Fuchsgeist hatte ihm eine Pfote über den Mund gelegt, effektiv jeden Ausruf um Beistand erstickt. Kein Zappeln, Winden und Winseln hätte durch die schwere Brandschutztür dringen können! Triumphierend schwebten die listigen Fuchsaugen über ihm. Er kicherte noch euphorisch, bis sich, durch die Deckenleuchte illustriert, plötzlich ein gewaltiger Schatten über sie warf. Aschfahl hatte sich der Fuchsgeist in Zeitlupe herumgewandt, so schrill aufgekreischt, dass die Fenstergläser im Rahmen tanzten, war fluchtartig zum klemmenden Küchenfenster gestürzt, den Kimono noch gerafft, hatte mit aller Kraft den Flügel hoch gestoßen, war zur nicht mehr vorhandenen Feuerleiter hinausgeklettert. Gerettet. So schien es zumindest. "Ich dachte ja erst, ich müsste die Tür aus den Angeln reißen." Der unbekannte Fuchsgeistschreck hatte genug Speiseöl um Hu-Ryeoms Rechte verteilt. Sie ließ sich nun von der beschichteten Pressholzplatte lösen. Ächzend sank Hu-Ryeom auf den Rücken. "War aber nicht nötig." Die dunkle Stimme hatte einen angenehm munteren Klang. "Köpfchen muss man eben haben! Dachte mir, dass irgendwo bestimmt ein Ersatzschlüssel deponiert sein muss." Vertraulich neigte er sich zu Hu-Ryeom herunter. "Ganz ehrlich, hast du mal versucht, verbogene Türangeln in Ordnung zu bringen? Total ätzende Fummelarbeit!" Hu-Ryeom winselte matt. "Ach, nur keine Sorge, deine andere Pfote habe ich auch gleich runter gepult!" Heiterte ihn der Fremde auf. "Wir sollten mal sehen, ob wir nicht was zum Kühlen finden. An deiner Rübe wächst nämlich ein Osterei!" (*w*) "Ich finde, das läuft ziemlich gut." Stellte Domitian fest, während er kommod mit Rasiel vor dem altertümlichen Backsteingebäude schwebte. Er klappte seine Spezialbrille hoch. "Komm schon, lass uns was saufen gehen, ja? Ich bin deprimiert!" "Was bitte schön läuft denn hier gut?!" Rasiel war noch schlechter gelaunt, auch wenn man dem angesengten und ziemlich verängstigten Fuchsgeist zugute halten musste, dass er sich nicht über den "unversehrt, ohne Kratzer oder sonstige Beschädigungen"-Status des Liefergutes explizit ausgelassen hatte. "Siehst du nicht, was da läuft?!" "Also ehrlich, Ras!" Domitian sprach aus Erfahrung und als Inkubus. "Wenn du dir so was angucken magst, müssen wir noch eine ziemliche Weile warten, oder wir suchen uns eine andere Location." Eine schmale, jedoch stählerne Hand packte ein Horn. Die Kristallaugen blitzten. "Aua." Stellte Domitian nachsichtig fest. "Ras, du hast einfach keinen Sinn für Humor." "Stimmt!" Fauchte der Engel grimmig. "Warum merkst DU dir das nicht irgendwann mal?!" "Weil ich einfach zu vernarrt in dich bin, Cousin, um mich an solchen Petitessen aufzuhalten." Schnurrte Domitian aufreizend. "Pah!" Grollte Rasiel, gab den Cousin wieder frei. "Mir ist heute aber auch alles verleidet!" "Sag ich ja!" Pflichtete Domitian ihm bei, hängte sich ungeniert ein. "Deshalb sollten wir uns schadlos halten! Wenn du nicht saufen willst, können wir auch gern was anderes tun!" Rasiel stierte noch einige Augenblicke finster auf die Häuserwand, zog sich die Spezialbrille herunter. "Fein!" Schnaubte er finster, machte abrupt kehrt. (*w*) Ein leises, gleichmäßiges Rauschen, vor seinen Augen in langsamer Drehung eine farbenprächtige Unterwasserwelt, bewegt von der Thermik einer Kerze in einem Sicherheitsglas. Hu-Ryeom blinzelte. Er musste wohl eingeschlafen sein. Obwohl ihm die Kindernachtleuchte vertraut war, das Geräusch heftigen Regens ebenso, stimmten mehrere Details nicht. Wie ihm sein Großstadt-Sirenenalarm im Hinterkopf signalisierte. Vorsichtig drehte er den Kopf, spürte nun auch eisige Kälte. Ein altmodischer, wasserdichter Stoffbeutel mit Drehverschluss lag neben ihm auf dem Kopfkissen. "Oh, du bist ja schon wieder wach!" Drang eine muntere Stimme zu ihm. Ihr Besitzer trat barfüßig, mit einem Bademantel bekleidet, in Hu-Ryeoms Schlafhöhle, lächelte im Halbdunkel aufgekratzt. "Wie geht's dir?" "Ähm." Stellte Hu-Ryeom eloquent fest. Sein Verstand trat vehement auf die Bremse, verlangte, das Protokoll mit der Dringlichkeitsliste abzuarbeiten. "Danke der Nachfrage." Murmelte Hu-Ryeom also wohlerzogen, bevor dem Sirenengeheul Rechnung getragen wurde. "Ich trage meine Brille, oder?" "Negativ." Lachte sein seltsamer Gast mit der Frisur einer explodierten Ananas. Zum ersten Mal registrierte Hu-Ryeom die Glücksklee-grünen Augen, die im Dunkeln leuchteten. "Die liegt hier! Büsschen verbogen allerdings." "Wieso kann ich dich dann sehen?" In beängstigender Ruhe, also nur einen Wimpernschlag von Hysterie entfernt, stolperte Hu-Ryeom beharrlich durch eine Welt, die nicht seine eigene war. Oder zumindest nicht die, in der er noch am Morgen (wann auch immer das gewesen sein mochte) aufgewacht war. "Ach, das könnte eine temporäre Nebenwirkung sein." Ungeniert platzierte sich der Fuchsgeistschreck auf der Bettkante, wippte spielerisch auf der Matratze. "Weißt du, ich wollte was gegen das Ei an deiner Rübe unternehmen, also habe ich ein bisschen Salbe draufgetupft, bin rüber zu deiner Nachbarin, Eis borgen." "Zu Mrs. Kroczinsky?!" Ächzte Hu-Ryeom aufgeschreckt, setzte sich ruckartig auf. "Sie hat eine doppelläufige Flinte!" "Yepp, das hat sie mir auch gesagt." Unbeeindruckt wurde der Eisbeutel aufgepickt, sanft an Hu-Ryeoms lädierte Wange geschmiegt. "Die wollte sie durch die Tür abfeuern. Ich habe ihr erklärt, dass das die totale Verschwendung wäre. Tür kaputt und ehe sie nachgeladen hätte, könnte ja jeder Rabauke in ihre Wohnung reinkommen, während ich ja bloß ein bisschen Eis borgen wollte, weil du so einen wahnsinnig filmreifen Stunt hingelegt hast! Mann, du hättest diese Nobelkarosse mal sehen sollen! Alle Airbags explodiert, ein Hupen, Blinken und Jaulen, der absolute Alarm! Echt genial, ein ganzes Konzert! Ich will gar nicht wissen, was die da für Batterien reinbauen müssen, um den ganzen Zirkus in Betrieb zu halten!" "Freut mich, zu deinem Amüsement beigetragen zu haben." Murmelte Hu-Ryeom halblaut, erschrak über sich selbst. Immerhin kannte er diesen Einbrecher ja gar nicht, der sich hier wie zu Hause fühlte, antwortete ihm dabei so, als seien sie die besten Freunde, die miteinander kalauern konnten! "Ha, ha!" Schmunzelten die Glücksklee-grünen Augen. "Das hat mich jedenfalls mächtig beeindruckt! Ich fürchte, gegen das farbenprächtige Veilchen kann ich nichts unternehmen. Na ja, vielleicht etwas Make-Up." "Danke, nein!" Winkte Hu-Ryeom hastig ab. "Ich komme übrigens nicht umhin zu bemerken, dass das mein Bademantel ist." "Oh, ja, stimmt, ist er! Ich hätte dich ja gefragt, aber du schliefst gerade, als ich zurückkam. Ehrlich, so gern ich deine Welt habe, die Sintflut hätten sie echt vertagen können! Bin pudelnass geworden, bis ich wieder hier war!" Entgegnete der Nachbarinnenbezwinger munter. "Wieder hier von wo?" Verwirrt ließ Hu-Ryeom den Eisbeutel sinken. Das wurde immer verrückter! "Ach so, das hast du ja verpasst!" Eine warme Hand klopfte beruhigend auf seine kalte. "Da kam ein Anruf, die wollten ihre Unterlagen zurückhaben, fragten, wo du geblieben bist. Ich habe also den kleinen Unfall ins Spiel gebracht und erklärt, ich käme gleich mit dem Zeug vorbei. War auch alles in Butter, keine Angst, die hätten früher mit dem Kram auch nichts anfangen könnten, hatten nämlich eine Stromunterbrechung. Ich hab einfach ein bisschen angepackt. Schon war alles paletti!" "Hngh!" Stöhnte Hu-Ryeom unterdrückt. Buchprüfung lebte von ihrem seriösen Auftritt! Sein fröhlicher Gast entsprach keineswegs diesem Idealbild! "Du schaust ganz erschrocken." Die Glücksklee-grünen Augen zwinkerten. "Vertrau mir, ich habe echt ein Händchen für Leute! Außerdem bin ich quasi Experte für deine Welt!" "Experte." Gab Hu-Ryeom den fassungslosen Papagei. "Absolut!" Verkündete sein Bettkantennachbar. "Ich kenne mich aus! Nur weil ich nicht durch die blöde Barriere konnte, habe ich nicht so viel praktische Erfahrungen in deiner Welt, aber ich bin gut im Improvisieren!" "Tatsächlich." Murmelte Hu-Ryeom hilflos. "Definitiv!" Wurde ihm im Brustton der Überzeugung versichert. "Als ich dich und den depperten Fuchsgeist im Wald gesehen hab, war für mich klar: JETZT ist meine Chance!" "Du bist also ein Kronk." Schlussfolgerte Hu-Ryeom matt. "Gibt's die nicht eigentlich nicht? 'Märchen für ungezogene Daimonen'?" "Ja, komisch." Der Kronk zog die Stirn kraus. "DAS habe ich auch gehört! Keine Ahnung, wer das in Umlauf gebracht hat. Wie du siehst: das Gerücht ist schwer überzogen." Dabei grinste er so schelmisch, dass Hu-Ryeoms Zynismus die Fahnen streckte. "Wieso kann ich mich erinnern?" Seufzte er überfordert. "Sollte ich nicht alles vergessen?!" "Schätze, da ist was schiefgelaufen." Pflichtete der Kronk ihm bei. "Allerdings würde ich die ganze Sache nicht ausposaunen, weißt du? Sonst schicken sie noch jemanden, der das nachholt." "Ach ja?" Rutschte Hu-Ryeom sarkastisch heraus. "Bekomme ich noch einen Schlag auf den Kopf?!" "Neee!" Winkte der Kronk lachend ab. "Das ist ja finsterstes Mittelalter! Also, soweit ich gehört habe, ich meine damit, ich habe so was noch nie gesehen, aber soweit ich weiß, nehmen sie einen Tintenfisch. Den setzen sie dir auf den Kopf. Der sendet elektrische Impulse aus. Entweder du vergisst alles, oder, na ja..." Hu-Ryeom starrte ungläubig in das offene Lächeln. "Wenn du natürlich lieber die althergebrachte Methode vorziehst, kann das bestimmt auch organisiert werden." Ergänzte der Kronk hilfreich. "Uuhhhhh!" Stöhnte Hu-Ryeom gequält auf, zog die Knie vor den Körper, presste den Kopf in die Hände. Das war alles wirklich zum Verrücktwerden!! "Schtscht." Schnurrte der Kronk sanft. "Ist doch nicht so schlimm! Ich bin ja da. Die meisten haben echt Schiss vor mir. Ich pass schon auf, dass dir niemand noch eine Delle in die Rübe haut." Hu-Ryeom bedachte diese Offerte. Endlich zündete sein Verstand auch die nächste Heizstufe, um auf Trab zu kommen. "Moment mal, wieso willst du bei mir bleiben? Wenn du jetzt hier bist, in meiner Welt, kannst du doch da hingehen, wo du hin willst!" "Korrekt." Pflichtete der Kronk ihm bei. "Weißt du, wir haben so viel gemeinsam, dass es eine Schande wäre, dich zu verlassen! Wir sind beide gewitzt, sehen gut aus und stehen auf Jungs! Also..." "Wir stehen auf Jungs?" Wiederholte Hu-Ryeom verblüfft. Seine Hände sackten auf seinen Schoß. Der Kronk studierte ihn mit schief gelegtem Kopf einen langen Augenblick, bevor er behutsam ergänzte. "Was dir offenkundig erst gerade aufgegangen ist. Aber da kannst du dich auf mein Urteil verlassen." "Aha!" Grollte Hu-Ryeom der Welt, sich selbst und überhaupt der Gesamtsituation. "Das würde natürlich meine Serie an Dating-Desastern erklären." "Bestimmt!" Pflichtete ihm der Kronk mit selbstloser Euphorie bei. "Frauen merken so was total schnell! Ich habe gleich drei ältere Schwestern, ich spreche aus Erfahrung!" "Zählen die als Abschreckung, oder wie?" Der bissige Satz war heraus, bevor Hu-Ryeom sich mit dunkelroten Wangen auf die Zunge beißen konnte. Zu seiner bangen Erleichterung kicherte der Kronk leise. "Das lässt du sie besser nie hören, Hu-Ryeom! Ich für meinen Teil steh jedenfalls auf dich, deshalb bleibe ich bei dir. Ich bin auch ein echtes Schnäppchen! Stubenrein, clever, gutaussehend. Keine Überraschungsbesuche von meiner buckligen Verwandtschaft. Ich lerne schnell, kann ranklotzen und supergut küssen!" "Außerdem glühen deine Augen im Dunkeln." Ergänzte Hu-Ryeom resigniert. "Wenn ich sie zumache, wird's hübsch gemütlich." Schnurrte der Kronk, lehnte sich zu ihm rüber, in Schlagdistanz. Automatisch wich Hu-Ryeom zurück. Was zu einem guten Teil erklärte, warum er im Rendezvous-Geschäft zu den erklärten Nieten gehörte. "Bin ein bisschen zu forsch, hm?" Raunte der Kronk verständnisvoll. "Ich kann auch einen Gang runterschalten. Wirklich, Hu-Ryeom, ich bin einen Versuch wert! Probier's mit mir!" Dabei strahlte er mit den Glücksklee-grünen Augen, präsentierte ein wohlgeordnetes Gebiss. "Kann es sein, dass du zu viel Gebrauchtwagenwerbung und Shopping-Kanäle gesehen hast?" Erkundigte sich Hu-Ryeom, jedoch ohne Nachdruck. Er war noch immer durcheinander von den letzten Ereignissen. Die Erkenntnis, dass seine legendäre Pechsträhne bei Frauen daraus resultierte, dass er sich gar nicht auf die vorgegebene Weise für sie interessierte, trug auch nicht dazu bei, ihn zuversichtlich zu stimmen. Der Kronk studierte ihn ruhig. "Du hast bei den Damen die Hoffnung nicht aufgegeben, warum bei mir dann?" Eine berechtigte Frage. Hu-Ryeom gestand sich ein, dass Verwirrung und Erschöpfung seine Sinne vernebelten. Keine guten Ratgeber. "Tut mir leid." Seufzte er betreten. "Ich muss das alles erst mal auf die Reihe kriegen." "Okay, ruh dich doch noch ein bisschen aus." Verordnete der Kronk zuversichtlich. Weil er Hu-Ryeom etwas Gutes tun wollte, küsste er ihn auf den Mund. (*w*) Engel waren schon komische Typen, das konnte man nicht abstreiten! Hätte Domitian auch nie getan, während er mit wippendem Kilt einen Schmetterball abwehrte, triumphierend aufheulte. Deprimierte Daimonen gaben sich häufig die Kante. Das machte die Lage nicht besser, aber später gab es einen guten Grund, sich beschissen zu fühlen. Für Rasiel, der eher zu un-engelhaften Temperamentsausbrüchen neigte, kam eine solche Taktik nicht in Frage. Nein, dieser Engel bevorzugte die harte Tour: Pingpong gegen seinen Cousin! Dass er dabei mit sichtlichem Genuss jeden einzelnen Ball im Laufe ihres Turniers liquidierte, somit eine vorsätzliche Sachbeschädigung beging, schien seine Laune nur noch zu heben. (*w*) Obwohl Hu-Ryeom schon lange in seiner Höhlenwohnung hauste, sie selbst eingerichtet hatte, neigte er dazu, sich die nackten Zehen an heimtückisch vorspringenden Kanten einzurennen, wenn er nächtens die Toilette aufsuchen musste. Ein Paar Glücksklee-grüner Augen leuchteten ihm jedoch dezent den sicheren Weg zurück zu seinem Bett. Die Decke wurde ihm auch noch einladend hoch gelupft. "Tschuldige, hab ich dich geweckt?" Hu-Ryeom rieb sich kindlich die Augen, robbte in eine bequeme Lage. "Ich hab bloß einen leichten Schlaf." Schnurrte der Kronk zärtlich, streichelte behutsam über Hu-Ryeoms lädierte Schläfe. Die meldete sich erfreulicherweise nicht mehr mit stechenden Schmerzen. Hu-Ryeom rutschte ein wenig herum, bis er bequem lag, wandte sich dem Kronk zu. "Kann ich dich etwas fragen?" Er unterbrach sich selbst mit einem ironischen Seufzer. "Ich meine damit: wirst du mir den Kopf abreißen, wenn ich gerne wüsste, warum alle so viel Angst vor dir haben?" Der Kronk grinste im Licht seiner Augen. "Wenn du mich fragen würdest, wäre dein Haupt trotzdem sicher auf deinem Hals. Du könntest es also wagen." Woraufhin Hu-Ryeom einen Flunsch zog. Eigentlich war seine Frage ja nun schon bekannt! Er gab nicht gern den Leierkasten auf Endlosschleife. Ihm gegenüber kicherte es amüsiert, bevor ein Handrücken hauchzart über seine lädierte Wange strich. "Na schön, mein Auskunftsbüro ist geöffnet! Die meisten aus meiner Welt, jetzt mal die Engel ausgenommen, sehen meine andere Gestalt, die übrigens ziemlich beeindruckend ist! Klar, hier sehe ich verdammt sexy aus, aber drüben bin ich auch ne gewaltige Nummer!" "Ist das so?" Brummte Hu-Ryeom ein wenig verstimmt. Ihm war von Kindheit an mit Nachdruck und flacher Hand eingetrichtert worden, sich selbst bloß nicht wichtig zu nehmen oder gar für etwas einigermaßen Passables zu halten. "Yepp, ich habe einen Spiegel, ich kenne den Goldenen Schnitt, hab sogar mal nachgemessen. Den kleinen Ticken Un-Perfektion kann ich auch vorzeigen!" Der Kronk litt offenkundig nicht an den Folgen einer strikten Demoralisierungserziehung, trotz dreier älterer Schwestern. "Deine Sorte frisst kleine Daimonen auf?" Hakte Hu-Ryeom in der Sicherheit nach, dass sein Bettgast zwar ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, ihn anzuknabbern, jedoch keinerlei kannibalische Übergriffe gestartet hatte. Möglicherweise musste die Daimonen-Diät eingehalten werden. "Oh, das habe ich auch mal gehört!" Der Kronk stemmte sich elegant von der Matratze, setzte sich auf. "Ich habe keine Ahnung, wer diesen Mist verbreitet! Aber wir haben uns schon gesagt, wenn wir den erwischen, der uns als bösartige, gewalttätige Daimonenfressende darstellt, verkloppen wir ihn erst und stecken ihn anschließend auf einen Spieß!" "...jaaaa." Antwortete Hu-Ryeom nach einem langen Moment. "Ich kann sehr gut erkennen, warum du hier wunderbar klarkommen wirst! Die humane Methode liegt dir offenkundig." Der Kronk grinste, tippte Hu-Ryeom auf die Nasenspitze. "Ich hab ja gleich gesehen, was für ein cleveres Bürschchen du bist!" Er zwinkerte spitzbübisch auf Hu-Ryeom herab, der seinen Sarkasmus in die Klamottenkiste packte. Gegen diesen Kerl hier kam er mit seinem verwirrten Kopf einfach nicht an! "He!" Sanft wurden ihm die glatten, schwarzen Strähnen gekämmt. "Wir sind Vegetarier. Wenn wir keine Vogeleier finden, sogar Veganer. Du hast ja gesehen, wo wir hausen. Wären wir auf Fleisch angewiesen, gäbe es uns gar nicht. Ich habe nicht die Absicht, dich zu fressen." "Aber wovor haben die dann solche Angst gehabt?!" Hu-Ryeom kämpfte störrisch mit der Logik. Die Glücksklee-grünen Augen zwinkerten verschmitzt. "Na ja, wir brüllen herum, machen ein bisschen Lärm, wenn irgendwer gerade mit seinen schweren Latschen in unserem Mittagessen steht. Die kriegen Panik, rennen los. Und wir hinterher, weil man ja nie wissen kann, ob's nicht einen guten Grund für die Rennerei gibt." Hu-Ryeom verdrehte die Augen. "Das ist bescheuert." "Aber gelegentlich ausgesprochen nützlich, bei Herdentieren und eigentlich unpassierbaren Grenzen." Erinnerte ihn der Kronk mit sanfter Ironie daran, WER in halsbrecherischem Tempo geflüchtet war. "Warum dürft ihr nicht raus?!" Schnaubte er ein wenig im Rückzugsgefecht. "Werden die etwa jemanden hinter dir herschicken?!" Das würde dann auch seine Chancen auf Tintenfisch-Lobotomie erhöhen! "Glaube ich nicht." Der Kronk begriff sofort die Schwerpunkte dieser Anklage. "Sieh mal, DU bist ja schon reingekommen, obwohl das gar nicht passieren sollte. Wer wäre denn so verrückt, noch mehr Aufhebens zu machen, um hinter einem Kronk herzujagen?" "Weiß ich ja nicht!" Hu-Ryeom rollte auf den Rücken, verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Ich weiß ja nicht, was du hier so anstellen kannst! Vielleicht frisst du plötzlich kleine Katzen, oder ein Schwarzes Loch erscheint am Himmel!" Der Kronk legte den Kopf schräg, kniff die Augen zusammen, bevor er gedehnt antwortete. "Bist du sicher, dass DU in der richtigen Welt gelandet bist?" Hu-Ryeom schnaubte peinlich berührt. Wieder einmal sprach er zu vertraulich, gab außerdem noch zu erkennen, welchen Inhalt die zahlreichen Regale seiner Wohnhöhle hatten! "Ich meine ja nur!" Verteidigte er sich bockig. Fällig wäre jetzt ein strenger Tadel gewesen. In Gegenwart seiner Mutter hätte es eine Maulschelle gesetzt. Da spielte es keine Rolle, dass er schon ein erwachsener Mann war. Bei dem Gedanken, seiner Mutter erklären zu müssen, wieso er seine Wohnung mit einem anderen Mann teilte, wurde ihm eiskalt. Unwillkürlich zog er die Knie zu einer fötalen Haltung an, zumindest verlangte dies sein Reflex. Weit kam er aber nicht, da sich der Kronk rittlings auf seinen Hüften einrichtete, links und rechts die Hände in sein Kopfkissen stützte. Ängstlich blinzelte Hu-Ryeom nach oben. Warum konnte er nie seine dumme Klappe halten?! Wie viel Prügel würde er noch einstecken, bis er endlich lernte, zu schweigen und zu schlucken?! "Was du brauchst, ist ein Freund, Hu-Ryeom. Ein Gefährte. Ein Vertrauter." Die Glücksklee-grünen Augen flammten förmlich auf, hüllten das gesamte Zimmer in ihren warmen Bann. "Du stellst dich für diese wahrhaft undankbare Aufgabe zur Verfügung?" Giftete sein Mundwerk, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte, einen um Verzeihung heischenden Blick nach oben warf. Der Kronk lächelte, ohne Herablassung oder gar Geringschätzung. "In der Tat, das will ich. Ich trage zwar nicht so feine Hosen wie dieser seltsame Krieger, der mit dem Daimon in den Büschen zugange war, aber wenn du mich lässt, werde ich an deiner Seite stehen." Hu-Ryeom erinnerte sich an Quinn V, wandte eilig den Kopf ab. »Thema wechseln!« Winselte sein Selbsterhaltungstrieb panisch. "Ob's ihm gut geht? Ich meine Quinn V?" Plapperte er. "Als ich ihn zuletzt sah, wirkte er glücklich." Antwortete der Kronk zutreffend, wenn auch unter Auslassung gewisser Details. Sein Bannblick bündelte sich konzentriert wie ein Laserstrahl auf dem abgewandten Gesicht. "Ich bin überhaupt nichts Besonderes! Mir mangelt es total an Ehrgeiz, ich habe keine Ahnung von Beziehungen und diesen Sachen!" Stieß Hu-Ryeom endlich hervor, der es nicht länger aushielt, unter diesem Druck zu stehen. "Du hast es in meine Welt geschafft und wieder zurück. Das ist etwas Besonderes, wahrscheinlich sogar recht Einzigartiges." Der Kronk schnurrte besänftigend. "Was das andere betrifft, das kann man lernen, gemeinsam. Im Schritttempo, wenn du magst." "Aber...!" Doch Hu-Ryeom fiel nichts mehr ein außer seiner Angst, mal wieder abserviert zu werden, es nicht mal verstehen zu können. Nach Regeln zu suchen, nach einer Gebrauchsanleitung, die einfach nicht aufzutreiben war! Er hatte Angst davor, erneut verletzt zu werden durch ein abschätziges Urteil, durch die Verwendung seiner zutraulichen Offenbarungen als Waffen gegen ihn. Erneut bestätigt zu bekommen, dass er ein antriebsloser Niemand war und immer bleiben würde. Eine Zeitverschwendung. Der Kronk studierte das aufgewühlte Mienenspiel gründlich. Für ihn war die Dunkelheit kein Hindernis. Er spürte den Aufruhr, die Anspannung, den beschleunigten Pulsschlag, ja, ein wenig ahnte er auch die Erinnerung an salzige Spuren auf den blassen Wangen. Diese Welt hier war kein Zuckerschlecken, das entging ihm nicht! Da musste man schon ein besonderer Kronk sein! Weil er das WAR, auch ziemlich findig und darüber hinaus wirklich ein Händchen für Leute hatte, beugte er sich einfach über Hu-Ryeom, tupfte ihm Kuss um Kuss aufs Haupt, um all die Spuren der Vergangenheit auszukontern, neue Pfade zu legen. Hu-Ryeom erwog natürlich für einen Wimpernschlag, sich heldenhaft zu wehren, aus der Liebkosung zu befreien. Den harten Macker zu markieren, dem niemand irgendwas konnte! Sein überkritisches Selbst lachte bloß knapp auf. Jede Anwandlung von törichtem Reckentum verpuffte. Außerdem war der Kronk so sanft, so mitfühlend, dass es ihm die Kehle zuschnürte. Wollte ihn trösten und gleichzeitig darum bitten, noch einmal Mut zu beweisen, ein Risiko einzugehen! "Ich bin echt kein Held!" Warnte er den Kronk, hin und her gerissen zwischen Kleinmut und Trotzreaktion. "Trifft sich gut." Raunte der Kronk ernsthaft. "Ich suche keinen Helden. Ich habe einen Freund gefunden. Dich, Hu-Ryeom! Ich bin sehr, sehr, sehr stur!" Hu-Ryeom blinzelte hoch in die glühenden Augen. "Oh, na gut!" Seufzte er geschlagen. "Wenn du mich in die Flucht schlägst, mir dann ohnehin ewig an den Hacken klebst, können wir auch genauso gut nebeneinander marschieren. Dann renne ich mir vielleicht nicht den Schädel ein." Der Kronk kicherte über diese sehr großzügige Auslegung ihres Übereinkommens. "So soll es sein!" Verkündete er feierlich, besiegelte diese Vereinbarung mit einem sehr ausführlichen, intimen Kuss. Hu-Ryeom hatte alle Mühe, seinen davonfliegenden Verstand im Zaum zu halten. "...huuuiiii!" Murmelte er atemlos, die Wangen gerötet. "Können wir es vielleicht ein wenig langsamer angehen? Mein Schädel zerspringt sonst." "Sehr wohl, mein Kamerad!" Salutierte der Kronk, kletterte wohlerzogen von Hu-Ryeoms Schoß, streckte sich wieder neben ihm aus, ließ es sich nicht nehmen, dessen Rechte einzukassieren und warm zu halten. "Schlaf gut, träum etwas Nettes." Wünschte er. "Ansprüche werden hier gestellt!" Grummelte Hu-Ryeom im Rückzugsgefecht. Er klappte noch mal die schweren Augenlider entschieden hoch. "Moment mal!" Er räusperte sich, drehte den Kopf zum Kronk. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?" Der Kronk lachte leise, küsste eine gefurchte Stirn glatt, raunte sanft. "Nenn mich doch einfach Sven. Weil ich ein Glückspilz bin!" (*w*) Ende (*w*) Danke fürs Lesen! kimera