Titel: Versuchung Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Original Morrison-Serie (siehe Informationen), Teil 4 FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Erstellt: 10.06.2001 Disclaimer: alles Meins! Warnung: Es werden religiöse Überzeugungen gestreift. Wer sich dies nicht zumuten möchte, möge bitte eine andere Geschichte wählen. ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ ~ŧ~ Versuchung Ich schreckte hoch, als eine gepflegte, weiße Hand das zerfledderte Taschenbuch von meinem Schoß pflückte. Mit flatternden Lidern kämpfte ich mit in die Gegenwart zurück. In mein Wohnzimmer, den alten, schon ein wenig schäbig wirkenden Ohrensessel, neben dem eine altmodische Stehlampe mit Fransenschirm warmes, gedämpftes Leselicht spendete. "Interessante Lektüre?" In seiner Stimme lag dieser leise, liebkosende Spott, mit dem er mich aufzuziehen pflegte. Und der mir gleichermaßen signalisierte, dass er sehr wohl verletzen konnte, wenn er denn wollte. "Was für eine angenehme Überraschung, Morrison." Versuchte ich mich auf seinem angestammten Revier, aber ich klang selbst in meinen Ohren nur zänkisch. Seine Leichtigkeit war eine Gabe, die mir versagt blieb. Er schenkte mir ein nachsichtiges Lächeln, schob dann die Sonnenbrille mit den dunkelgrünen Gläsern auf den Kopf, seine nachtschwarzen Haare behutsam in die Schranken verweisend. "Kann ich dir etwas anbieten?" Erinnerte ich mich meiner nur selten geforderten Gastgeberpflichten, aber Morrison wischte meine Offerte mit einer nachlässigen Handbewegung beiseite. "Vielen Dank." Antwortete er mit einer hochgezogenen Braue, musterte mich durchdringend. Zu spät wandte ich den Kopf in die Schatten der Ohrenbacken, aber ich vermutete, dass auch eine zeitige Reaktion keinen Unterschied gemacht hätte. Es gab einen Grund, warum ich diesen lauen Sommerabend nicht draußen verbrachte, nicht einmal meinen winzigen Balkon in Erwägung zog. Sondern in einem Kokon aus Selbstmitleid verharrte und mich mit einem kitschigen Liebesroman tröstete. Ich hatte, in der Unbelehrbarkeit, die uns Menschen wohl zu eigen ist, mein Herz verschenkt. Oder, wie ich besser formulieren sollte, ich hatte eine solche Geste beabsichtigt. Die Dame, die mich so verzaubert, in jugendlichen Übermut und gleichzeitig angstvolle Unruhe versetzt hatte, war eine Nachbarin gewesen, deren Bekanntschaft ich im Supermarkt gemacht hatte. Ich hegte tatsächlich Hoffnungen, noch bevor ich ihren vollen Namen kannte, einfach, weil die Luft zwischen uns so aufgeladen war, dass man sich Schläge holen konnte. Wie wahr. Aber warum mit banalem Herzschmerz langweilen? Dieses Mal erwies sich meine Affektion zur Transvestie nicht als der die Katastrophe auslösende Moment, sondern lächerlicherweise die Tatsache, dass ich in einer Bank arbeitete. Was ihrem Sinn für die Gerechtigkeit und Solidarität mit der Dritten Welt nun absolut und unüberwindlich entgegenstand. So einfach kann sich eine rosige Zukunft in tausend Atome zerstäuben. "Liebeskummer." Morrison stellte mit seiner samtigen, ein wenig rauen Stimme die Fakten erbarmungslos klar. Natürlich war mir bewusst, dass ich von seiner Seite keinen Trost erwarten konnte. Morrison machte es sich auf dem Sofa bequem, streckte die langen, perfekt proportionierten Glieder, heute in sündhaft teure, reine Seide in der Farbe getrockneten Blutes gewandet. "Nun, meine liebste Freundin, ich werde dich ein wenig ablenken von deinem Kummer." Flüsterte er vertraulich, sein Atem ein Schockimpuls, der mein Herz zum Rasen brachte. Morrison lehnte sich mit katzenhafter Eleganz vor und löschte das Licht. ~ŧ~ Der junge Mann trug eine schmucklose Uniform, die augenscheinlich nur einem Zweck diente, nämlich der Kenntlichmachung als Angehöriger einer Glaubensrichtung. Seine offenen, arglosen Gesichtszüge und die unvorteilhafte Frisur ließen ihn wie einen verirrten Bauernburschen aus den Fünfziger Jahren erscheinen. Mit einem unerschütterlichen Lächeln stand er neben dem letzten Gleis des Kopfbahnhofes und schüttelte die Blechbüchse sanft und rhythmisch. Seine großen, grauen Augen suchten in den Gesichtern der vorbei eilenden Passanten nach einem Zögern, einer winzigen Unsicherheit. Fand er diese, so näherte er sich mit überraschend geschmeidigen Bewegungen, stets das freundliche, unaufdringliche Lächeln wahrend. "Meine Dame, spenden Sie für die Hungernden?" Obgleich ihm jede äußerliche Attraktivität abging, strahlte er doch in einem fast einschüchternden Maße Selbstvertrauen aus, eine Anziehungskraft, die magischen Charakter hatte. Einmal in den Fokus seiner Aufmerksamkeit geraten gaben die Leute bereitwillig, und sei es nur, um diesem Bannstrahl aus Optimismus zu entgehen. Es war bereits spät, die Masse der Pendler hatte sich verlaufen, nur noch wenige Menschen strebten durch die alte Kuppelhalle. In ihren Gesichtern standen die Wirrnisse und Anstrengungen eines langen Tages, wie ein gleichförmiger Lack aus Alltagsgrau. Der Junge schwang die Büchse ein wenig energischer. Er fühlte sich noch frisch genug, eine Weile auszuharren und Gottes Werk zu verrichten. Seine Augen suchten die verstreuten Personen ab, blieben plötzlich an einem maßgeschneiderten Anzug hängen. Ein extravaganter Umbraton lieferte sich mit einem außergewöhnlichen Schnitt ein hartes Rennen in der Gunst des Betrachters. Sein Besitzer stach aus der Menge heraus. Die nachtschwarzen Haare waren zu einem Zopf gebunden, der in einem delikaten Nacken einen flauschigen Busch bildete, wie eine Mitternachtswolke. Der junge Streiter Gottes fühlte sich angezogen von dem unbekümmert zur Schau getragenen Luxus. Er bewegte sich tänzelnd durch den spärlichen Passantenstrom. Gerade, als er sich mit einem leichten Schütteln der Sammelbüchse bemerkbar machen wollte, fuhr der Unbekannte auf dem Absatz herum und nahm ihn unmissverständlich ins Visier. Ein befremdliches Lächeln spielte um einen verlockenden Mund inmitten eines sehr blassen Teints. Die Augen verbargen sich trotz fortschreitender Dunkelheit hinter den getönten Gläsern einer klassischen Sonnenbrille, ein perfektes Ensemble mit dem Anzug bildend. "Eine Spende für die Hungernden in der Dritten Welt, mein Herr?" Sanft geschwungene Augenbrauen bildeten perfekte Bögen über dem vergoldeten Rahmen der Sonnenbrille, gepflegtes Erstaunen über das Ansinnen. Ein Mundwinkel wanderte mokierend in die Höhe. "Wie heißt du, mein Junge?" Was für eine Stimme! So reich, so tief, so voller Timbre! "Lorenz, mein Herr." "Lorenz." Der Fremde lächelte, fuhr sich über die Lippen, als prüfe er den Geschmack des Namens, während sich dieser wie ein Lufthauch verflüchtigte. "Warum sammelst du Geld für Menschen, die du nicht kennst?" Eine distanzierte Neugierde formte die Frage, während der Fremde sacht über seine Anzugjacke strich. Lorenz musste sich von den eleganten, fast femininen Händen losreißen, schenkte das professionelle Lächeln indifferent weiter. "Wir Menschen sind alle Brüder. Und muss ich nicht für meinen Bruder sorgen wie für mich?" Der Fremde lauschte den salbungsvollen Worten mit einem spöttischen Lächeln, das die anziehenden Mundwinkel kräuselte. "Warum kann dein Bruder nicht für sich selbst sorgen? Oder möchtest du nicht, dass er es kann?" Auf Lorenz' breiter Stirn zeigte sich eine Furche der Irritation. Dessen ungeachtet strebte er dennoch die Fortführung dieser ungewöhnlichen Unterhaltung an. "Indem ich meine Kraft einsetze für ihn, werde ich mit diesen bescheidenen Mitteln dafür sorgen, dass er ein selbstbestimmtes Leben führen kann." Auf dem attraktiven Gesicht des Fremden zeichneten sich unmaskierte Zweifel ab. Und wieder liebkosten weiße Finger ziellos den changierenden Stoff. "Und ich dachte immer, das Geld wird der Organisation zugeführt, die dann ihren Verwaltungsapparat unterhält und Missionen aufbaut, die den bemitleidenswerten Hungernden dann zeigen, wie man richtig lebt?!" Lorenz strahlte, nun war er wieder auf dem richtigen Pfad. "Wir arbeiten alle ehrenamtlich, das bedeutet, dass alle Mittel direkt dem Programm zugeführt werden. Damit erfüllen wir Seinen Auftrag." Die Sonnenbrille wanderte auf die Nasenspitze, enthüllte irisierende, abgrundtief schwarze Augen. "Und wie lautet Sein Auftrag?" Ein leichtes, kaum wahrnehmbares Fauchen schwang in der Frage. Lorenz strahlte Überzeugung und Begeisterungsfähigkeit aus. "Wir leben zu Seinem Wohlgefallen und höherem Ruhm. Wir lieben Seine Schöpfung und bewahren sie." Der Fremde nahm die Sonnenbrille ab und ließ diese an einem Bügel müßig um die Hand kreisen. "Ich frage mich..." Lorenz beugte sich aufmunternd vor. "Ja?" Die schwarzen Augen blitzten, während lange Wimpern einen Lufthauch verwirbelten. "Ich frage mich, wie ihr so sicher sein könnt, dass Er die Welt nicht genauso gewollt hat, wie sie ist." Lorenz schreckte ein wenig vor dem scharfen Tonfall zurück, korrespondierte dieser doch nicht mit der anziehenden Erscheinung des Fremden. "Ich verstehe nicht..." Entgegnete er hilflos. "Nun..." Erläuterte der Fremde mit einem diabolischen Grinsen. "Sagst du nicht, eure Absicht sei, Seine Schöpfung zu erhalten? Sie zu lieben?" Lorenz nickte perplex, während seine Augen Mühe hatten, die Finger loszulassen, die erneut die zärtliche Wanderung über den dunklen Stoff aufnahmen. "Sag mir, Lorenz..." Schnurrte der Fremde. "...wie könnt ihr euch erdreisten, Seine Werke verändern zu wollen?" Lorenz schoss zurück, als habe ihn ein Schlag ins Gesicht getroffen. Mit einem eleganten Schwung wandte sich der Fremde ab und schlenderte gelassen durch die Halle davon. Lorenz presste eine Hand auf sein Herz, eine instinktive Geste, während er seine Sinne sammelte. Dann straffte er die kräftige Gestalt und folgte dem Fremden, in seinen Augen glühte der Eifer der berufenen Bekehrer. "Mein Herr! Entschuldigung!" Der Fremde blieb stehen, den Kopf leicht auf die Seite geneigt, als sich Lorenz' volltönender Bass durch die Kakophonie der Geräuschkulisse bahnte. Mit einem nachsichtigen Lächeln machte er auf dem Absatz kehrt, gab seinem jugendlichen Verfolger die Gelegenheit aufzuschließen. "Mein Herr!" Lorenz' Stechschritt konnte nur mühsam dem gleitenden Gang Paroli bieten. Schließlich legte er eine Hand auf den edlen Stoff, um den Unbekannten zu einem Stillstand zu bewegen. Ein Blitz raste durch seinen Körper. Er wich zurück, als habe er sich verbrannt. Angestrengt erkämpfte er sich seine freundliche Gelassenheit zurück. "Mein Herr, Sie sind doch nicht wirklich der Überzeugung, dass Gott den gegenwärtigen Zustand der Welt beabsichtigt haben könnte? Mit so viel Leid und Unglück?" Der Fremde knöpfte beiläufig seine Anzugjacke auf, hypnotisierend langsam, während ein träges Lächeln über seine Lippen glitt. "Sollte man nicht meinen, dass es auch viel Schönheit zum Ausgleich gibt?" Hauchte er sanft und schälte sich aus der Jacke, streifte diese gemächlich über die weiße, samtige Haut. Unter der Jacke kam ein schwarzes Seidentop zum Vorschein. Mit jedem Atemzug schimmerte es im unendlichen Kaleidoskop der Nacht. Lorenz spürte das erschreckende Verlangen, seine Finger über die feingesponnene Struktur gleiten zu lassen. Aber welche Vermessenheit! Seine Hände waren zu grober Arbeit bestimmt, zum Dienen! »Und nicht zum Lieben.« Wisperte eine fremde Stimme in seinem Kopf. Lorenz blinzelte, zu viele Gedanken verwirrten den Geist! "Natürlich ist Seine Welt schön!" Knüpfte er mit einiger Anstrengung an den letzten Gesprächsfaden an. "Aber die unglückliche Ignoranz der fehlbaren Menschen muss angeleitet werden, wie sie Seiner Schönheit in noch stärkerem Maße gerecht wird." Lorenz lächelte stolz über seine besänftigende Antwort. Der Unbekannte zog eine feine Augenbraue hoch. In den nachtschwarzen Augen funkelte Amüsement. "Warum leitet man die Hungernden an und nicht die Unterdrücker? Wären diese nicht die Ignoranten?" Lorenz lächelte begütigend, faltete beide Hände wie ein Flügelpaar um seine Sammelbüchse. "Auch sie sind Hungernde. Hungernde nach innerer Stärke, nach Anleitung, nach Seiner Nähe." Dem Fremden entglitt fast achtlos die teure Anzugjacke, nachlässig auf einem Unterarm balancierend. Lorenz preschte geistesgegenwärtig vor und verhinderte den Sturz auf das dreckige Pflaster. Wie eine Engelsfeder schmiegte sich der Stoff in seine rauen Hände, hauchzarter als eine Erinnerung. Trotz der vernarbten, schwieligen Oberfläche durchzuckte ihn das Feuer unzähliger kleiner Explosionen. Es verlangte ihn nach einem tiefen Seufzer, sich in dieser Liebkosung zu verlieren. In seinen entrückten Blick bohrten sich die Mitternachtsaugen wissend. Hastig reichte Lorenz errötend das Kleidungsstück zurück. Es wurde entgegengenommen, als handele es sich nur um eine unwichtige Kleinigkeit, der man sich leicht enerviert widmen musste. Der Stoff knisterte leise. Lorenz erstarrte. Der Fremde strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht, wandte den Kopf gleichgültig dem lähmenden Treiben um sie herum zu. Diesen unverhofften Augenblick der Ablenkung nutzend suchten Lorenz' Fingerspitzen scheu und doch bebend die Berührung mit der anschmiegsamen Oberfläche. »Was für ein Gefühl! Man konnte sich verlieren, darin schwelgen, der Welt entrückt...« Lorenz zuckte heftig zusammen, als ihm die eigenen Empfindungen bewusst wurden. Und fand sich wieder ungeschützt diesem inquisitorischen Blick ausgesetzt. "Sag mir, Lorenz, glaubst du, die Menschen sind nach Seinem Ebenbild geschaffen?" Lorenz strahlte in stillem Ernst, er kannte seine Lektüre. "Natürlich! So ist es überliefert." Ein laszives, träumerisches Lächeln räkelte sich auf den weichen Lippen. "Wenn wir Sein Ebenbild sind, warum sind wir dann so unvollkommen? Fürchtet Er die Konkurrenz und hat sie daher absichtlich fehlerhaft geschaffen?" Lorenz' Gesicht überzog sich mit einer frostigen Eisschicht des Unglaubens. Der Fremde näherte sich ihm vertraulich, bis sich ihre Atemzüge vermischten, ein Lächeln blendete Lorenz' gebannte Augen. "Oder ist Er gar nicht in der Lage, etwas Besseres hervorzubringen? Sind sie am Ende nur ein weiteres Experiment aus einer Laune heraus?" Lorenz' Atem setzte aus. Lähmende Stille erfüllte seine Gedanken, die fremden Worte eroberten ungehindert seinen Geist. Schlugen ihre Klauen erbarmungslos in seine Überzeugung. Rissen sie blutig, zerfetzten sie mit wachsender Begeisterung, einem unabwendbaren Rausch verfallend. Er nur ein Spieler? Die Menschen ein belangloses Experiment, Spielzeug? Oder schlimmer noch, nicht ein gelangweilter, sondern ein argwöhnischer Schöpfer? Ein Wirbel erstickender Mutmaßungen entzündete sich an den sanft gehauchten Worten, tobte wie ein Orkan durch seine Seele. Lorenz wimmerte entsetzt und wich instinktiv zurück. In einer rührenden Verzweiflung schlug er die Hände auf die Ohren, starrte gepeinigt in dieses Engelsgesicht. Die Sammelbüchse prallte hart auf das Pflaster, sich verbeulend, scheppernd. Den Zauber brechend. "Nein!!" "Nein?" Der Fremde lachte leise, nachsichtig. Lorenz wischte sich mit dem grob gewirkten Ärmel über die Augen, ballte die Fäuste. "Er ist nicht fehlerhaft, nicht so boshaft! Wir Menschen verstehen in unser Beschränktheit Seine Beweggründe nicht!" Der Fremde schwang seine exklusive Anzugjacke spielerisch um einen schlanken Finger. "Also sind die Menschen nach Seinem Vorbild beschaffen und trotzdem unzulänglich, ein Paradoxon. Ich frage mich, wenn sie tatsächlich nicht in der Lage sind, Seine Motivation zu begreifen: wie kommt es, dass einige sich anmaßen, Regeln in Seinem Namen zu verkünden?" Lorenz verspürte kindischen Trotz aufsteigen, eine Empfindung, die man ihn zu unterdrücken gelehrt hatte. "Er hat es diesen Auserwählten eingegeben! Wenn wir Sein Wirken vollenden wollen, müssen wir Seinen Weg beschreiten." Den Kopf anmutig auf die Seite legend schmunzelte der Fremde, in scheinbar freudiger Erwartung eines besonderen Kunststücks. Wieder näherte er sich Lorenz auf diese becircende, einlullende Weise, ein melodiöses Lachen verströmend. "Lorenz, ich frage mich, was Sein Wirken beabsichtigt. Das Paradies auf Erden?" Lorenz zitterte leicht, sich unterschwellig der Intimität dieser Begegnung bewusst. "Eine schöne Welt für jeden, ein gutes Leben." Seine Stimme war von Raureif überzogen. "Das hieße ja, die Menschen seien in der Lage, die bestehende Welt zu verbessern, besser, als Er es vermocht hat." Der Fremde gab sich den Anschein tiefen Nachdenkens, aber seine Mundwinkel zuckten in Amüsement. Lorenz protestierte gegen diese Idee vehement. "Die Menschen sind per se nicht in der Lage, Ihn zu übertreffen! Und somit kann es auch kein Paradies auf Erden geben, nur eine Annäherung an Sein Ideal." Eine schwarze, fein gezeichnete Augenbraue hob sich aufmerkend. "Somit dient das Dasein hier also der Optimierung der Menschen? Eine Prüfungsinstanz für die andere Welt?" Lorenz nickte unsicher, er spürte die unterschwellige Implikation, fand aber keinen Ansatzpunkt zu Widerspruch. Der Fremde legte einen schlanken, weißen Finger an das Kinn, als erwäge er die angeführten Punkte im Geiste ausführlich. "Dann sollte man wohl den Unterdrückern dankbar sein, denn ohne sie gibt es keine Verbesserungsmöglichkeit, nicht wahr?" Lorenz blinzelte verwirrt. Der Unbekannte lächelte sirenenhaft, näherte sich wieder vertraulich Lorenz, dessen große, graue Augen mit einem mitternachtsschwarzen Blick einfangend. "Dann erfüllen wohl all die Unterdrücker und Übeltäter eine wichtige Aufgabe in Seinem Namen. Was denkst du, werden sie für ihren selbstlosen Einsatz belohnt werden?" Lorenz zuckte zurück. Schüttelte panisch den Kopf. In seinem Geist verwirrten sich diese fremden Gedankengänge zu einem dichten Knäuel, wie ein Tumor fraßen sie sich durch seine Überzeugung und breiteten sich aus. "Das ist doch nicht wahr!! Nur die, die nach Seinem Vorbild streben, werden belohnt!!" In seiner Stimme schwang die frische Empörung der Jugend über die Ungerechtigkeit jener fremdartigen Vorstellung. Das attraktive Gesicht des Fremden strahlte unmaskiertes Vergnügen aus. Seine Stimme verschleppte lasziv die Worte, ein leiser Sirenengesang. "Aber ohne sie könnt ihr nichts erreichen, nicht wahr? Ohne Herausforderung keinen Fortschritt." Grazil bückte er sich nach der vergessenen Sammelbüchse, hauchte auf das stumpfe Blech und bot sie Lorenz an. Zögerlich griff Lorenz nach der kalten Dose, streifte Wimpernschläge lang die schlanken Finger des Fremden, erneut von köstlichem Schauer durchzogen. »Er ist wie die Seide.« Wisperte eine fremde Stimme in atemloser Anbetung in seinem Kopf. Röte färbte seine Wangen, ließ ihn nach Luft ringen. Eine Faust ballend konzentrierte er sich auf den abgeschleiften Steinboden, schmutzig und gezeichnet von Achtlosigkeit. »Gedenke immer deiner Aufgabe in dieser Welt!« Ermahnte er sich barsch. "Mein Herr, wollen Sie einen bescheidenen Beitrag zur Erhellung der Welt beitragen?" Flüsterte er heiser, zog sich auf die bewährte Formel zurück, erschöpft, seelenmüde. Der Fremde strich eine entflohene Strähne aus den abgründigen Augen und lächelte mild. "Sind dieser Welt nicht schon Sonne und Gestirne geschenkt worden? Wieso verlangt es den Menschen nach immer mehr? Mehr Wissen? Mehr... Gewissheit?" Lorenz erkannte die Fragen als rhetorisch, schloss die Augen, leicht schwankend. Eine kühle Hand legte sich auf sein Handgelenk, vertraulich, intim. Die samtige Stimme umschmeichelte fürsorglich sein Ohr, glühender Passat in seinem feuchten Nacken. "Warum versagst du dir Freude? Ist deine Sorge für unbekannte Brüder und Schwestern nicht Bevormundung und Krücke? Wie würde dein Leben ohne diese selbst gewählte Bürde verlaufen? Würdest du überhaupt leben?" Lorenz hörte seine eigenen hastigen, fast schluchzenden Atemzüge. Wieso war sein Kopf so leer? »Mein Gott, warum verlässt du mich im Angesicht dieses Teufels?!« Melodisches Lachen umfing seine verstörten Sinne, während die zarte Hand sich spielerisch in seine grobe schob. "Es gibt keinen Teufel." Raunte die seidig-dunkle Stimme warm in seine Gedanken. Lorenz stöhnte gequält, Tränen drängten sich durch seine gesenkten, zuckenden Lider. "Bitte..." Flehte er hilflos um Verschonung, aber das Gift des Zweifels war ausgelegt und hatte sich wie eine Epidemie verbreitet. Er war gezeichnet, befleckt. Sündig. "Komm, Lorenz, lass uns ein wenig ausruhen." ~ŧ~ Tränenblind ließ Lorenz sich führen, stolperte unbeholfen in den abgetretenen Schuhen hinter dem Fremden her. Sein Herz schmerzte so stark, dass er jeden Schlag verwünschte, den bebenden Rhythmus verfluchte. »Und so zieht eine Sünde die nächste nach.« Dozierte eine schrille Stimme in seinem Kopf befriedigt, in erfüllter Erwartung, dass er versagt hatte. Kälte und Uringestank umfingen ihn, das Quietschen einer Tür, hallende Schritte. Wasser rauschte neben seiner Hüfte, einlullendes Gluckern. Feuchtigkeit, zärtliche Liebkosung seiner Wangen. Lorenz schlug die Augen auf. Der Fremde stand in intimer Nähe vor ihm, hielt noch immer seine Hand, während die andere mit einem Seidentuch sein Gesicht streichelte. "Besser?" Lächelte der Fremde verführerisch. Lorenz nickte, erschöpft, kampfmüde. Er legte seine Haut in jede zarte Berührung, seufzte unter ihrer Kostbarkeit, einem unbekannten Luxus. Sein innerstes Selbst, seine ganze Seele hungerte nach dieser Nähe, wollte sich rückhaltlos unterwerfen, den Preis entrichten für diese Wohltat. Der Fremde lachte sanft, ein wenig spöttisch. "Ich fordere keine Gegenleistung. Was man mir bietet, das nehme ich an." Lorenz trieb orientierungslos in den bodenlosen Augen, die Galaxien zu umspannen schienen. Worte, Gedanken, Vernunft: sie hatten ihn verlassen. Die zierliche Hand umfasste weiterhin das dunkle Seidentuch, hauchzart und kühl Lorenz' Gesicht umschmeichelnd, nicht länger feucht, nur noch sorglose Eleganz. Himmlisches Versprechen. »Wenn da ein Himmel ist.« Raunte eine samtige Stimme in die verlassene Leere seines Kopfes. Und lachte lieblich, amüsiert. ~ŧ~ Morrison räkelte sich genießerisch in der Dunkelheit, die uns vertraulich umfing. Längst war mir mein Kitschroman achtlos entglitten, nun fröstelte ich trotz der lauen Nachtluft, die mein Negligee durchstreifte. "Wie..." Ich räusperte mich gegen den Kloß in meinem Hals. "Wie geht es weiter? Was ist mit ihm geschehen?" Morrison erhob sich, ein Schatten in Schatten, doch dräute er düsterer und ultimativer in seiner Finsternis als alle anderen. Sein Atem wärmte mein eisiges Gesicht, als er sich auf die Lehnen meines Ohrensessels stützte. Sein Gesicht, in Dunkelheit nur ein Umriss, beherbergte funkelnde Sterne. Ich hielt den Atem an, erstarrte hypnotisiert. "Lorenz lebt in der Psychiatrie, wortlos, gedankenlos, von seinem Gott verlassen." Er lachte leise und richtete sich auf, mir die Gelegenheit zu hastigen Atemzügen offerierend. Der Schwindel in meinem Kopf durch den Sauerstoffmangel betäubte mich. Ich grub die Fingernägel tief in die Polsterung, konzentrierte mich. Seine dunkle, fremdartige Stimme hing dekorativ in meiner Einsiedlerklause. "Lorenz lächelt immerzu. Und seine Hände verlassen nie das reine Seidentuch. Vielleicht... ist er in seinem Himmel." Ich rollte mich in meinem Sessel zusammen und wartete angstvoll auf das leise Schließen der Tür. Erst dann wagte ich, mich in Sicherheit zu wiegen. Ich hatte Glück gehabt. ~ŧ~ ENDE ~ŧ~ Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Ist es möglich, Morrison zu verärgern? Yupp, und wie der freundliche Junge hier erfahren muss, kann das ungeahnt schwerwiegende Folgen haben. Warum Morrison emotional reagiert und die Weltsicht Lorenz' so gnadenlos verändert mittels eines Seidentuches... nun ja, seiner Freundin hat er es nicht anvertraut, noch nicht...