Titel: Halt' mich Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Original Morrison-Serie (siehe Informationen), Teil 6 FSK: ab 0 Kategorie: Phantastik Erstellt: 30.06.2001 Disclaimer: der Song "Halt mich" gehört Herbert Grönemeyer. ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ Halt' mich Es ist hell. Wieder einmal. Meine Wahrnehmung, mein Leben spielt sich in den Wechseln zwischen Dunkelheit und Licht ab. An den Schattenspielen, die über die weiß getünchte Decke tanzen. Den Schwestern mit ruhigen Gesten, die Infusionen austauschen. Wie Schemen gleiten sie schwerelos an mir vorüber, bevor ich sie als real begreifen kann. Es ist so still. Mein Gesichtsfeld ist winzig geworden, aber ich glaube mich an schalldichtes Glas zu erinnern in einem kleinen Fenster. Aber vielleicht ist es auch nur mein Wunsch. Wie die Scherenschnittdarbietungen an der Zimmerdecke. Ich möchte den Kopf senken, aber eine Krause hält ihn fest in seiner Position. Meine Hände. Will sie heben, will sicher sein, dass ich noch bin, dass ich noch existiere. Ein Schatten vor meinen Augen. Meine Hand? So knochig, die Haut gesprenkelt mit Flecken, verformt. Kann nicht mehr fassen, nicht länger halten. Kraftlos schlägt sie herunter, ein vages Gewicht auf meiner hohlen Brust hinterlassend. Ich wünschte... ... es wäre noch einmal Leben in mir. Will nicht so verdämmern, schleichend, wehrlos. Fürchte mich, zu vergessen, wie es einmal war. So lange liege ich hier schon. Möchte noch einmal aus voller Kehle singen, vor Glück zerbersten, in Ekstase schwelgen. Aber... ich bin allein. ~+~ Eine schlanke Gestalt mit wehenden, ebenholzfarbenen Haaren schreitet zielstrebig, doch ohne Hast über den Korridor. Diese Station ist still, keine Hektik mehr, auch kaum Besucher. Endstation. Er zögert nicht, die Klinke zu drücken, hat diesen Gang schon oft absolviert. Nimmt Platz neben dem weiß bezogenen Bett, in dem die ausgemergelte Gestalt in komatösem Schlaf liegt. Streift Handschuhe ab, schiebt die Sonnenbrille mit den blau getönten Gläsern auf den Oberkopf. Wartet geduldig, bis die magere Brust nicht mehr so tief einfällt, der stoßende Rhythmus sich steigert. ~+~ Es muss Nacht sein. Alles ist so dunkel, wie ein Trauerrahmen um ein Bild. Da ist... Wärme? Ich blinzele, zumindest zuckt meine Wahrnehmung. Ein helles Gesicht, dunkle Augen und ein sanftes Lächeln schweben vor meinem Blick. Ich reiße den Mund auf, wünsche mir meine Stimme zurück. Eine laszive, warme Stimme umschmeichelt mich sanft. "Hallo, mein Lieber." Eine kühle, feste Hand greift meine verkrümmte Rechte. Er ist so schön. Atemberaubend, überwältigend, entrückend. Ohne Furcht, ohne Ekel streicht seine schneeweiße Hand über meine leeren Wangen. Er lächelt. Ich höre mein Herz kämpfen, um jeden hastigen Schlag. »Sprich mit mir, erzähl mir was, ganz gleich, nur deine Stimme will ich hören, die schwere Stille vertreibend. Kann mich nicht erinnern, woher ich dich kenne. Keiner meiner alten Freunde kommt jemals hierher. Trafen wir uns früher einmal? War ich in dich verliebt?« Ich hoffe es, denn jetzt bin ich zu schwach für ein so mächtiges Empfinden. »Komm näher, es wird so dunkel, meine Augen trübe.« Dein Bild vor mir zerfließt, franst aus. »Will nicht gehen, noch nicht!« Deine Hand streicht noch immer so daunenweich über mein Gesicht. So unbekümmert, so furchtlos. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich aussehen mag. In meinen Gedanken bin ich wie früher, ewig 21 Jahre alt, stark und hungrig nach Leben. Aber nun? Ich will schön sein für dich, wünsche mir, du könntest mich sehen, wie ich war. Deine Hand verlässt mein Gesicht, willst du schon gehen?! »Verlass mich nicht!!« Du schüttelst den Kopf mit diesen wundervollen Haaren, ein perlendes, dunkles Lachen prickelt durch die Dämmerung. Und schon sitzt du neben mir auf dem Bett, hebst mich an deine Brust. Wie herrlich! In deinen Armen fühle ich mich geborgen, sicher, festgehalten. Kein Schatten, der verweht. Mein Kopf auf deiner Schulter, deine seidenweichen Haare bedecken meine Wange. Dein Herz schlägt kraftvoll, ruhig. Ein ewiger Rhythmus, der mich einlullt. »Oh, bitte, noch nicht!! Nur noch ein wenig... von deinem Leben kosten...« Ich höre Musik. Deine Stimme, ein wenig rau, sanft und jubilierend zugleich. Kann die Worte nicht verstehen, ergeben keinen Sinn, aber die Melodie lässt mein abgenutztes Herz anschwellen. »Muss nun den Preis bezahlen, du spürst es auch, nicht wahr?« So dunkel wird es langsam. »Bleib bei mir, bitte. Nur diesen letzten Gang.« Die Augen wollen sich mir schließen, zu schwach, noch länger zu verweilen. Kann dich noch spüren, fest und hier. Warm und tröstlich. >Keine Furcht<, singt dein Lied. >Schlaf ein, mein Liebster, träume deinen Weg.< Vertraue dir, mein namenloser Freund. Mein Todesengel. ~+~ Langsam erhebt er sich, streicht Strähnen hinter die Ohren. Die Sonnenbrille, trotz Dunkelheit, verdeckt die abgrundtiefen Augen. Deckt mit nachsichtigem Lächeln die stille Gestalt zu. "Vaya con dios." ~+~ halt mich (H. Grönemeyer, 1988) nehm meine träume für bare münze, schwelge in phantasien hab mich in dir gefangen, weiß nicht, wie mir geschieht wärm mich an deiner stimme, leg mich zur ruhe in deinen arm halt mich nur ein bisschen, bis ich schlafen kann fühl mich bei dir geborgen, setz mein herz auf dich will jeden moment genießen, dauer ewiglich bei dir ist gut anlehnen, glück im überfluss dir willenlos ergeben find ich bei dir trost bin vor freude außer mir, will langsam mit dir untergehn kopflos, sorglos, schwerelos in dir verliern deck mich zu mit zärtlichkeiten, nimm mich im sturm, die nacht ist kurz friedvoll, liebestoll, überwältigt von dir schön, dass es dich gibt komm, erzähl mir was, plauder auf mich ein ich will mich an dir satthörn, immer mit dir sein betanke mich mit leben, lass mich in deinem arm halt mich nur ein bisschen, bis ich schlafen kann halt mich, dass ich schlafen kann ~+~ ENDE ~+~ Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Der Tod und das Sterben sind nicht unbedingt ein Yaoi-Fiction-Sujet, aber Morrison hat seine eigenen Grundsätze... und er ist nicht Gevatter Tod, auch wenn einige Unerschrockene dies vermuteten. Gelegentlich hört man noch immer Stimmen, die den Aids-Tod als einen Preis für die Promiskuität insbesondere homosexueller Männer für gerecht empfinden... Ich denke, jeder sollte auf seinem letzten Gang eine Hand halten dürfen und in den Armen eines Menschen einschlafen, der Wärme und Schutz bietet.