Titel: Notausgang Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Valentinstag 2024 Erstellt: 13.02.2024 Disclaimer: ~ "Alix", Jacques Martin, seit 1948, Comic-Serie Über Daimonen und den Großen M gibt es mehr Erzählungen mit der Kategorie "Parallelwelt". ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* ~~~>* Notausgang "So, bitte schön immer zusammenbleiben. Und Spaß haben natürlich!" Lilian lächelte in die aufgebrezelte Runde, zwinkerte betont und entließ die "Reisegruppe" mit Eintrittskarten in den Vorraum zum Festsaal der "Fremdensitzung". Musik ertönte, Leute (menschliche Leute) lachten, man entledigte sich der witterungsbedingt erforderlichen Verpuppung an einer Garderobe und strebte dann frohgemut zu den mit Nummern versehenen Tischen. Ausreichend Platz zwischen den einzelnen Tischen sorgte dafür, dass auch in der Bewegung eingeschränkte Personen sich ohne Bedrängnis bewegen konnten. Service-Kräfte kreiselten mit Wasserflaschen, es gab Pickware in Teigumhüllung oder Laugengebäck. Die kleine Bühne in Sichtweite wurde abwechselnd von Darbietungen bespielt, mal Tänze, mal kurze Vorträge, mal Gesang. Alles war hübsch geschmückt, bei den Anwesenden variierte die Aufmachung in Minimal-Ausstattung von Halbmaske mit Kopfschmuck bis zu aufwändiger Komplettverwandlung in eine ganz andere Erscheinung. Lilian strahlte, als er alle seine Schützlinge positioniert sah. Sie waren geschickt so gekleidet und dekoriert, dass man ihre Daimonen-Herkunft nicht erahnen konnte. Dazu hatte er sie dringend angehalten, die gelernten Texte mitzusprechen, sich aber nicht im eigenen Idiom zu unterhalten, um keine Irritationen hervorzurufen. Jede seiner Reisegruppen war ausführlich trainiert, Liedtext-sicher, sehr gut gelaunt und, besonders bei den Figuren aus Film, Anime, Computerspiel, Comic, Manga oder vergleichbarer Unterhaltung intensiv geschult, Biographie, Gebaren und Posen zu beherrschen, um die radikalsten Fans zu überzeugen. Lilian liebte und lebte für diese Veranstaltungen, ob sie nun Fasching, Karneval, Fastnacht, Cosplay oder Halloween hießen! Sie ermöglichten allen, die sich nicht "unsichtbar" durch die Welt der Menschen bewegen konnten, höchstpersönlich die Nachbarschaft kennenzulernen, sich gemeinsam zu amüsieren und die positiven Aspekte der menschlichen Natur zu erfahren. ~~~>* "Was ist das für ein infernalischer, wenn auch melodiöser Lärm?" Lioba schnaubte und rückte an Lilian heran. Sie war NICHT kostümiert, konnte jedoch von Menschen nicht wahrgenommen werden, was ihre Profession erheblich erleichterte: sie war auf Patrouille, um die Sicherheit der Daimonen auf Ausflug zu gewährleisten. Mit ihrer imponierenden Größe von 2,10m, einem gepanzerten Waffenrock, spitzen Fängen und rasiermesserscharfen Klauen verweigerte "humanoides" Hirn die Weiterverarbeitung von dem, was die Augen sahen. Wesen wie sie gab es höchstens in Mythen, "Sandalen-Filmen" und als fiese Endgegner in Computerspielen. "Guggemusi." Erläuterte Lilian, hopste im beschwingten Takt mit, den das Schlagwerk kreativer Instrumente vorgab, während die Blechblas-Fraktion ordentlich Dampf machte. Es klang ein bisschen dissonant, worin EXAKT die Kunst bestand. Dazu hatten sich die Vortragenden auch noch aufwendig als Wilde Horde mit zottiger Mähne und grässlichen Aufsitz-Köpfen geschmückt. Lioba grummelte. »Warum nicht Karneval in Venedig?« Dachte sie dezent vergrätzt. Zugegeben, sie hasste den steten Geruch nach Brackwasser in der fortschreitenden Kloake von Stadt, aber die "Masken" dort waren still, posierten höchstens mal und zogen wie deprimierte Schemen durch die engen Gässchen zwischen den Kanälen! Andererseits, Venedig war teuer, recht überlaufen und zudem noch neuralgisch unübersichtlich, zumindest aus einer bodennahen Perspektive. Lilian erkannte, dass es tunlich schien, für die Daimonen-Kindheitsfreundin besser etwas zwischen die beeindruckenden Fänge zu organisieren. Entsprechende Barmittel im Zugriff organisierte er durch geschmeidiges Gleiten am Rande des Festsaals zur Theke Nahrhaftes. Knurrend bedankte sich Lioba, die trotz ihrer "Unsichtbarkeit" nicht Gefahr lief, dass jemand "durch die Luft schwebende" Nahrungsmittel beobachtete, vertilgte systematisch den recht aufgetürmten Piz der Kalorien auf dem Teller. An ihrer Seite swingte Lilian unterdessen begeistert mit. Es gab noch diverse Veranstaltungen in dieser Session, die er alle mit Bravour zu absolvieren gedachte! ~~~>* "Ist das auch wirklich sicher?" Lioba ließ einen Kampffächer um das Handgelenk der rechten Klaue rotieren. Sie hatte die Mundart nicht sonderlich gut verstanden, die tendenziell sentimentalen Lieder nicht goutiert und das "Brötchen mit Hartkäse" polsterte ihren Magen auch nicht gerade aus. Dazu dieses Getränk in dürren, hohen Gläsern! Lilian nickte erneut, noch ein wenig aufgedreht. Die Reisegruppe heute, als Löwenzähne (Pflanze) getarnt, hatte lautstark und volltönend mitgesungen, sogar "gebützt" (nach Einholung der entsprechenden Zustimmung), damit ordentlich die Stimmung angeheizt. Zurück ging es in kleinen Gruppen sehr spät in der Nacht an unterschiedlichen "Portalen". Allein Lilian wollte die Gelegenheit nutzen, für eine andere Veranstaltung andernorts "Restkarten" erwerben. Durch Portal 1 schlüpfen, bei Portal 2 rauskommen, das sah der Plan vor. Dann Kartenkauf und endlich, Portal 3, ein wenig Schlaf nachholen! "Kein Problem! Wir sehen uns morgen..., nein, warte, heute ein bisschen später bei Medusas Delikatessen!" Zwinkerte Lilian Lioba zu, die immer noch eine Miene wie zehn Tage Regenwetter zog. Bei ihren ausgeprägten Fängen und den geschlitzten Pupillen kein erbaulicher Anblick. "Stell bloß nichts an!" Ermahnte Lioba schließlich grimmig, folgte der letzten Gruppe durch das Portal. Lilian summte vergnügt, als er sein Portal 1 suchte, um bei Portal 2 räumlich durchaus ein erhebliches Stück entfernt in die Nacht zu treten. Drei Straßenzüge weiter lief eine andere Veranstaltung, aber man konnte dort noch Karten erwerben. Den schlichten Beutel-Rucksack abstreifend fingerte Lilian Bargeld heraus, tauschte es gegen Tickets ein. ~~~>* Jeden Tag betraten und verließen Daimonen die benachbarte Menschenwelt. Die meisten wurden nicht wahrgenommen. Bei anderen versagte allerdings der "humanoide Sortiermechanismus", sodass sie nur getarnt eine Stippvisite wagen konnten. Dafür mussten Daimonen durchaus etwas aufwenden, nämlich unter Anleitung Kostüme entwerfen, die Optik geschickt anpassen, die Sprache lernen, die Gebräuche beherrschen und das erwartete Verhalten trainieren. Damit sie als "Menschen" durchgingen. Der Große M hielt einen kulturellen Austausch (wenn auch eingleisig) durchaus für förderungswürdig. Lilian, der auf diesem Gebiet seit Jahren arbeitete, schneiderte, akribisch recherchierte, das öffentlich zugängliche Omniskop in der Collectio konsultierte, die dortigen Abteilungen mit endlosen Regalen besuchte, verfügte über einen kleinen Etat, um Eintrittskarten und auch Nebenkosten wie Garderoben-Obolus, Speis und Trank entgelten zu können. Dafür nutzte der Große M schließlich zahlreiche Unternehmungen in der Menschenwelt! Die Erträge konnten somit sinnstiftend verwendet werden. Es gab Wartelisten für die Vorbereitungskurse, man sparte und sammelte an Utensilien, Schminke oder Accessoires, was hilfreich sein konnte. Hatte man dann das Glück, an der Reihe zu sein, wurde gefeiert, ein Bild zur Erinnerung blitzschnell gezeichnet, der nächste Tag freigenommen, damit man nicht übernächtigt die eigenen Aufgaben vernachlässigte! Zugegeben, es gab genug Daimonen, die sich nicht darum rissen, auf die andere Seite zu wechseln, nicht mal für einen kurzen Besuch. Man sprach der menschlichen Nachbarschaft weder die Existenz ab, noch neidete man ihr etwas, aber der Umstand, dass man ungestört nebeneinander her leben konnte, genügte vollauf. Friedliche Koexistenz! Lilian war dank seines Erscheinungsbildes kein Daimon, der ungetarnt auf die andere Seite kommen konnte. Ihn faszinierte die Phantasie der Menschen, die Geschichten, die sie erdachten und auch die Möglichkeit, zu wenigen Gelegenheiten im Jahr diese Neigung, sich etwas zu erzählen, etwas zu erfinden, als Zugang zu nutzen. Bedauerlicherweise musste man den Rest des Jahres recht konform und gleichförmig erscheinen, die "richtige" Optik vorweisen. Für Daimonen reichlich verwirrend, die die "Verpackung" nicht für den Inhalt nahmen, Farbe und Beschaffenheit in aller Varianz als ganz normal akzeptierten. Daimonen waren schlicht Daimonen! Wenn der Große M Ex-Göttlichkeiten, Naturwesen und anderen Gestrandeten Zuflucht anbot, dann störte man sich an deren Erscheinungsbild auch nicht. Gelegentlich kritisierte man einige Verhaltensweisen, aber über die Zeit passten sich die "Neuen" schon an, das sah man pragmatisch und vernünftig. Menschen hingegen, ja...die waren schon sehr seltsam, so im Kollektiv. Andererseits, wenn die Seltsamkeit schon im Bausatz vorgesehen war, konnte man ihnen wohl kaum Vorwürfe machen. Nun, hin und wieder auf größeren Abstand gehen, das durchaus! Dazu gab es ja schließlich Portale, die nur in EINE Richtung den Grenzverkehr zuließen, nicht wahr? ~~~>* Der Vollmond leuchtete am nächtlichen Himmel, was auf eine eisig kalte Witterung hinwies. Lilian wickelte sich den Kapuzenmantel enger um die sehnige Figur, unterdrückte ein Zähneklappern. Portal 3 hatte ja funktioniert, die Eintrittskarten waren sicher im Beutel-Rucksack verstaut, doch wo befand sich Portal 4? An den Lichtverhältnissen konnte es nicht liegen, aber...?! Lilian drehte sich um die eigene Achse. Eine Baustelle! Nun, zumindest konnte Lilian das Portal erahnen, der Boden war gefroren, also trittsicher. Allerdings behagte es ihm nicht, dass er über das planierte Gelände laufen musste, um an einer Brandmauer aus Ziegelsteinen das Portal zu erreichen. Davor befand sich auch noch ein recht mageres Gerüst aus diversen Stangen und rudimentären Lauf-Planken. Gerade, als Lilian aufatmend die Rechte nach der Ziegelsteinmauer ausstreckte, wurde das Gelände durch ein rotes, kreiselndes Licht ausgeleuchtet, während ein Alarm ertönte. Erschrocken wirbelte Lilian herum, wurde durch einen gleißend hellen Scheinwerfer geblendet und stolperte frontal gegen eine Stahlstütze. ~~~>* Alix van Houten rieb das rechte Bein in der winzigen Nasszelle. Er seufzte. Nein, die Kälte gefiel den vernarbten Sehnen und Muskeln gar nicht. Die Schmerzen trieben ihn aus dem Bett hinüber in das kleine Gelass, wo er mit Sonnencreme operierte. Der ölige Film sollte die Körpertemperatur besser halten, denn er wollte keine Tablette einnehmen. Das tat Alix nur dann, wenn er es gar nicht mehr auszuhalten glaubte. Er wickelte das Hosenbein herunter, griff nach seinem Gehstock. In diesem Augenblick hörte er unvermutet ein Geräusch, eine Art Plumpsen, gefolgt von einem gedämpften Wimmern. Hastig schob er die nur angelehnte Tür beiseite. Im reduzierten Pegel der angeklemmten Leuchte über seinem Bett kauerte davor eine schlotternde Gestalt, offenkundig großzügig tätowiert, die Handgelenke grob gefesselt, einen hässlichen Knebel im Mund. Tränen glitten aus großen, dunkelblauen Augen, über denen auf der Stirn eine Schwellung die unerfreuliche Konfrontation mit etwas Massivem offenbarte. Alix blinzelte durch die Brillengläser, doch der recht überschaubare Raum seines Einzimmer-Appartements bot keine Erklärung, wie diese sehr unbekleidete, zitternde Person hineingekommen war. Der Rollladen am Fenster sperrte den Vollmond und alles andere aus, der schwere Querriegel an der Tür saß unverändert, der Schlüsselbund hing ruhig. "Ich helfe Ihnen." Versicherte Alix, stützte sich auf seinen Gehstock, die seltsamen Umstände für den Moment ignorierend. Dass man ihm einen albernen Streich spielen könnte oder ihm Gefahr drohte, zog er nicht einen Augenblick in Erwägung. Alix van Houten, Notar, war sein Leben lang zur Vernunft angehalten worden und hegte nur noch wenige Illusionen über seine Mitmenschen. ~~~>* Lilian schluchzte erleichtert, als der Knebel verschwand. Der Mensch hatte ihm vom aufgedeckten Bett die gesteppte Überdecke um die zuckenden Schultern gelegt. Auf der Bettkante balancierend löste er den groben Strick eines Sicherungsseils, klappte einen mehrteiligen Kosmetikkoffer auf, der Tabletten, Verbandszeug, Salben, Scheren und diverse Hilfsmittel enthielt. "Da~danke!" Krächzte Lilian, die Beine eng vor den Leib gezogen. Vorsichtig wickelte man ihm nun nach einer rabiaten Aktion per Messer Gaze um die aufgescheuerten Handgelenke. Lilians Hautzeichnungen pulsierten hektisch, obwohl er sich für den Moment gerettet fühlte. "Mein Name ist Alix van Houten." Stellte sich sein Gastgeber vor, betrachtete ihn prüfend. "Lilian." Hustete Lilian, krümmte sich, weil ihm die Zunge im Hals klebte. "Ich kann Ihnen einen Tee aufbrühen. Oder möchten Sie lieber ein Glas Wasser?" Sich die Beule auf der Stirn betastend blinzelte Lilian Tränen aus den Augen. "Eine Tasse Tee wäre sehr liebenswürdig, vielen Dank." Formulierte er, versuchte zu lächeln und erinnerte sich zu spät daran, dass sein Raubtiergebiss nicht gerade einladend wirkte. Alix jedoch stand auf, griff den Gehstock, wechselte von der Bettkante zum Pantry. Der Wasserkocher residierte auf der Heizfläche, wurde kurz entführt, gefüllt und dann in Betrieb genommen. "Ich habe Pfefferminz, eine Kräutermischung, Honig-Salbei oder Milde Hagebutte." Trug Alix das Angebot an Teebeuteln vor. "Honig-Salbei, bitte." Wagemutig raffte Lilian die Steppdecke enger, bugsierte sich selbst auf die vakante Bettkante. Das Laminat war recht kalt. "Möchten Sie, dass ich Hilfe hole? Die Polizei? Oder andere Personen anrufe?" Während der Wasserkocher schnurrte, suchte Alix Teebecher, hängte die Beutel hinein und ging mental eine Liste durch. Lilian schluchzte leise auf. "Ohne Portal kann ich nicht...! Mein Beutel, meine Kleider und die Karten! Oh, mein Kopf...!" Ohne Hast öffnete Alix den kleinen Kühlschrank, entnahm aus dem winzigen Tiefkühlfach eine Gel-Maske. Er schlug sie in ein Küchenhandtuch ein, stakste mit Gehstock zu Lilian hinüber und reichte das Kühl-Paket an. "Vielleicht hilft Kälte gegen die Schwellung?" "Danke schön." Behutsam schloss Lilian die Rechte um das Kühl-Paket, seufzte matt, als natürlich auch seine prominenten Krallen erkennbar wurden. Er legte sich die Kühlung an die Stirn, sehr vorsichtig. "Ich tue wirklich niemandem etwas zuleide." Wisperte er, nicht zu unrecht vermutend, dass sein Erscheinungsbild gewisse Fragen und größere Distanz auslöste. Alix taufte unterdessen die Teebeutel. Er stellte die Teetassen auf ein kleines Tablett, das er mit einer Hand transportieren konnte, die andere auf den Knauf des Gehstocks gestützt. "Ich möchte mich nicht aufdrängen, doch wenn Sie mir berichten, was passiert ist, könnte ich Ihnen besser raten." Empfahl er höflich, stellte das Tablett auf der Matratze ab und ließ sich dann vorsichtig nieder. Eigentlich hätte Lilian eisern schweigen müssen (wenn die aufkommenden Kopfschmerzen ihm keine plausible Ausrede eingaben), doch in seinem Jammer und Schrecken vertraute er Alix unzensiert alles an. ~~~>* Alix nahm zwei Handwärmer mit Pinguin-Motiv aus seiner Schublade, aktivierte sie und drückte sie in Lilians Hände. "Oh, das ist schön warm!" Lilian lächelte ihn an, einen feuchten Film auf den blauen Augen. Darüber war die Schwellung zurückgegangen, sogar das Eisspray für Verstauchungen hatte sich als hilfreich erwiesen. "Wir sollten noch ein wenig zu schlafen versuchen. Ich helfe dir, das Portal zu finden. Bei Tageslicht, nach einem guten Frühstück, lässt es sich bestimmt leichter agieren, Lilian." Alix nickte beruhigend, nachdem er aus dem Lesesessel ein Kissen requiriert hatte, damit Lilian sich neben ihm im Bett ausstrecken konnte. Glücklicherweise ließ die etwas breitere Ausführung ausreichend Platz für zwei Personen, wenn die sich nicht exzessiv im Schlaf herumwälzten. Lilian blinzelte wiederholt, spürte eine profunde Erschöpfung, aber auch die Gewissheit, geborgen und in Sicherheit zu sein. Seltsam, dabei kannte er Alix doch weniger als zwei Stunden?! Der hatte einen Schlafanzug und dicke Socken ausgegeben, höflich Abstand in seinem Bett eingeräumt, denn für Besuch über Nacht war er schlichtweg nicht gerüstet. Ihm ging ebenfalls durch den Kopf, dass es schon bemerkenswert war, welche Sympathie er Lilian entgegenbrachte. Dabei wusste er doch nun wirklich, wie volatil Gefühle, das Vertrauen in sie und Bindungen sich verhielten! ~~~>* Alix erwachte, mal wieder, weil er das Pochen in seinem Bein kaum noch ertragen geschweige denn ignorieren konnte. Dieses Mal jedoch, als er sich aus dem Bett schwang und nach seinem Gehstock griff, war er sich bewusst, dass er nicht allein in seinem Einzimmer-Appartement residierte. Der kleine Bewegungsmelder half bei der Orientierung, obwohl Alix sich auch ohne Brille nicht verlaufen konnte. Er wandte den Kopf und studierte das Haupt auf dem zweiten Kissen. Die weißen Haare wirkten wie dichte, jedoch feingesponnene Seidenfäden, zweifellos nicht menschlicher Qualität der gewöhnlichen "Basis-Ausstattung". Man konnte die scharfen Zähne des Raubtiergebisses nur erahnen. In ruhiger Qualität mit leichtem Schimmer pulsierten die Zeichnungen, die keineswegs tätowiert sein konnten. Alix ertappte sich dabei, die freie Hand auszustrecken, sich zu versichern, dass die Haut, nun, eher einem sehr feinen Pelz entsprach. Hastig zog er sie zurück und stemmte sich energisch hoch. Liebe Güte, was war bloß in ihn gefahren?! Man fasste NIEMANDEN unaufgefordert und ohne Not an! Verwirrt von der eigenen Spontanität stakste er steif, sich wie üblich beherrschend, in die kleine Nasszelle. Richtig, umziehen könnte man sich anschließend auch, zudem darüber nachsinnen, was man dem unerwarteten Gast zum Frühstück anzubieten hatte! ~~~>* Selbstredend hätte niemand eine solch hanebüchene Geschichte glauben können. Zweifellos ein Trick oder eine lächerliche Show-Einlage! Alix hingegen räumte Lilian Kredit ein, denn Lilian wirkte so verstört, war verletzt, ohne Habseligkeiten entblößt und derart exotisch bei ihm aufgeschlagen, in die abgeschlossene Wohnung, dass eine Inszenierung Alix unglaubhaft erschien. Selbst wenn er sich nicht erklären konnte, auf welche Weise sich sein Gast "hergebeamt" haben könnte. Während er das Bein massierte, eine Katzenwäsche betrieb und den Bartstoppeln mit dem elektrischen Rasierer den Garaus machte, dachte Alix erneut über die wenigen Indizien nach, die Lilians Geschichte geliefert hatten. Nun, Karneval, Fastnacht, Fasching, richtig, das bot für Personen mit außergewöhnlicher Optik eine gute Gelegenheit, sich en nature zu zeigen, weil niemand einen "natürlichen" Ursprung vermutete. Veranstaltungen gab es unzählige, auch konnte er einige der von Lilian hastig zitierten Liedzeilen identifizieren. Außerdem... Alix justierte die Brille, inspizierte sein Erscheinungsbild im Spiegel. Außerdem schien die Beschreibung des Missetäters, der Lilian malträtiert hatte, recht eindeutig auf einen Nachbarn gegenüber, zwei Stockwerke höher, zu passen. Die Gebäude hier teilten sich "Hinterhöfe" als Geviert. Man konnte sich dort begegnen, was Alix jedoch vermied, da der Hinterhof mit alten "Katzenköpfen" gepflastert war, abgerundeten Einzelsteinen, die dazu einluden, sich ungebremst und mit gewissem Schaden Mutter Erde an die Brust zu schmeißen! Vage entsann er sich, mal einen Pickup einer Sicherheitsfirma gesehen zu haben, dazu dieser Bursche, der die Statur eines Gorillas anzustreben bemüht war, zumindest in der oberen Hälfte. Verständlicherweise sollte eine Begegnung besser ausbleiben, wenn er Lilian dazu verhelfen wollte, ein geeignetes "Portal" zu finden, um nach Hause zu gelangen. Behutsam bewegte er die Schiebetür zur Seite, wandte sich seiner bescheidenen Küchenzeile zu. Frühstück zunächst, dabei konnte man auch entscheiden, welche Kleidungsstücke Lilian geborgt wurden, denn ohne ein Fädchen am Leib ging es nicht zur Exkursion! ~~~>* Lilian erwachte, weil ein köstlicher Duft seinen Magen weckte. Er setzte sich auf, rieb die Augen und winselte leise, weil seine aufgescheuerten Handgelenke unter den Verbänden die gar nicht so vergangene Episode des letzten "menschlichen Kontakts" in Erinnerung riefen. "Guten Morgen." Alix lächelte höflich, klemmte einen Stapel Bekleidung unter den freien Arm. "Wenn du dich gern frisch machen möchtest? Ich habe etwas ausgesucht, das du tragen kannst, wenn wir das Portal suchen." Die Pinguine (als Wärme- und Trostspender) umklammernd räusperte Lilian sich verlegen. "Guten Morgen, Alix. Vielen Dank, ich beeile mich auch!" Rasch wühlte sich Lilian aus der Decke, rang ein wenig mit dem ungewohnten Schlafanzug. Er tapste auf den geliehenen Wollsocken in die kleine Nasszelle und zog vorsichtig die Schiebetür hinter sich zu. Dann gab er erst die Pinguine frei, atmete tief durch. Nein, es war kein Albtraum gewesen! Im Spiegel konnte er noch die rauen Spuren des Knebels in den Mundwinkeln erkennen. »Aber mir ist nichts geschehen!« Rief er sich eilig in Erinnerung, ein hysterisches Aufschluchzen bekämpfend. Nie zuvor hatte er sich bei seinem zahllosen Aufenthalten in der Menschenwelt derart bedroht, verängstigt und ausgeliefert gefühlt. Er vertrieb entschieden jeden Gedanken daran, was hätte geschehen können, wäre er nicht...! Ja, was genau eigentlich? Sich waschend, das aufmerksam ausgelegte zweite Handtuch apportierend, dachte Lilian verwirrt nach. Er konnte nicht sagen, wie er aus der Falle entkommen war. Ein Portal? Nein, das konnte nicht sein. Aber wie sonst?! Lilian verschob das Grübeln, denn er vermutete zutreffend, dass Alix zur Arbeit musste und nicht allzu spät kommen wollte, wenn er ihm großherzig noch vorher half. "Ich habe dir einen Tee gemacht." Alix rückte Lilian höflich einen Barhocker zurecht, präsentierte seine recht bescheidene Auswahl an Nahrhaftem fürs Frühstück. "Vielen Dank!" Strahlte Lilian, hob hastig die Hand vor den Mund, Raubtiergebiss! Da er aber auch seine Krallen präsentierte, ließ er mit einem resignierenden Seufzer die Hand wieder sinken. "Entschuldigung. Ich tue wirklich niemandem was." Wenn die Menschen seine Aufmachung für künstlich hielten, komplimentierten sie ihn häufig. Doch wenn er daran dachte, dass sie "echt" war, konnte er ablehnende Reaktionen durchaus verstehen. "Ich hege keine Angst vor dir." Höflich reichte Alix eine Scheibe Toastbrot weiter. Wenn Lilian sich auf aggressive Abwehr verstehen würde, so hätte wohl der Knebel nicht lange gehalten! Mutmaßlich könnte man auch auf der Haut des Missetäters Käsekästchen oder Vier gewinnt! spielen, besah man sich die Qualität der Krallen. "Danke schön." Lilian kostete interessiert die dunkle Marmelade, kaute mit wachsender Begeisterung. "Wir haben Glück, die Witterung ist kalt, aber trocken." Verkündete Alix, nippte an seinem Kaffee. "Es wird vermutlich nicht allzu viel los sein, wenn wir früh aufbrechen. Das sollte kein Aufsehen erregen." ~~~>* Alix beklagte sich nicht. Das änderte nichts an der Situation, verdarb zudem noch den Charakter. Wie sein Großvater ihm harsch eingetrichtert hatte. Ja, er war nun ein Krüppel, nicht zu übersehen, wegen seinem idiotischen Vater, aber Herumjammern gehörte sich nicht! Man wahrte immer und stets die Haltung, ließ sich nicht zu Schwächen herab oder rangierte sich in den Vordergrund, wo man ohnehin mangels Leistung nichts zu melden hatte! Durch zahlreiche Operationen und die Unterbringung in einem Internat für "Körperbehinderte" hatte Alix Geduld gelernt. Selbstbeherrschung war angezeigt, weil er nur auf sich selbst bauen konnte. Jetzt, stramm auf die 50 zugehend, war er hin und wieder überrascht, wie er all die Jahre die Ruhe hatte behalten können. Ein Motorradunfall auf dem Sozius hatte seine Kindheit rasch beendet, der letzte Stein des Anstoßes, die Ehe der Eltern zu scheiden, die bereits bei ihrem Beginn unter keinem sonderlich glücklichen Stern gestanden hatte. Alix lernte Geduld, das Ertragen von Beeinträchtigungen, die Fähigkeit, alles mit sich selbst auszumachen. Er vertraute nicht auf wankelmütige Konzepte wie "Liebe" oder "Ewigkeitsversprechen." Menschen änderten sich, Dinge änderten sich. Man musste sich ein dickes Fell zulegen, das auch. Seine Profession war angestoßen worden von einem ältlichen Notar, der ihn als "Schüler"-Aushilfe ausgewählt hatte, weil Alix nicht die "depperten Walk-Dings" auf den Ohren hatte und ihm wohl kaum weglaufen konnte! Nach heutigen Maßstäben wäre man über diverse persönliche Anmerkungen wohl entsetzt (früher nannte man es lediglich "schlechter Geschmack"), doch Alix ließ diese Kommentare an sich abprallen. Er HATTE viel bei seinem ersten Arbeitgeber gelernt. Nach so vielen Jahren Berufserfahrung im Umgang mit Klientel konnte man einen gewissen Zynismus wohl gar nicht vermeiden. Alix wahrte Haltung und Distanz, wie man es ihm eingetrichtert hatte. Er blieb höflich, reserviert, zurückhaltend, aufmerksam, hilfsbereit, aber stets professionell. Annäherungen in jeglicher Art und Weise, die über eine gewisse Schwelle gingen, Freundschaften gar, fanden für ihn nicht statt. Er wollte nicht jammern, niemandem zur Last fallen, sich nicht in den Vordergrund spielen. Selbstgenügsam beschränkte er sich auf Umstände und Dinge, deren Nutzen bzw. Gebrauch ihm erforderlich schien. Nicht zu viel Ballast, weder emotional noch gegenständlich. Er mochte sein Einzimmer-Appartement, aufgeräumt, übersichtlich, den Einschränkungen angepasst, die seine Gesundheit mit sich brachte. Er arbeitete gern in einem mittelgroßen Geschäftsgebäude mit unterschiedlichen Firmen. Alix von Houten lebte seit dem Aufenthalt im Internat ununterbrochen allein, was ihm längst nicht mehr bemerkenswert erschien. »Offenkundig«, das hatte er während seines Studiums konstatiert, »brauche ich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gesellschaft durch andere und solitär meine eigene Person.« Niemand hatte ihn je direkt aufgefordert, diese Relation zu überdenken oder gar zu beenden. Solche Vertrautheit bestand zu niemandem. ~~~>* Lilian konnte kaum erkannt werden, denn der Parka samt Kapuze und Schal ließ gerade mal die blauen Augen sehen. Trotzdem rückte Lilian näher an Alix heran, bewegte sich in den geliehenen Schuhen vorsichtig. Glücklicherweise ähnelten sie einander in Statur und Größe, was das leihweise Überlassen von legeren Kleidungsstücken erleichterte. "Wir stehen nicht in Gefahr, entdeckt zu werden." Beruhigte Alix, da die Dunkelheit noch vorhielt und nicht allzu viele Personen ihnen begegneten, die Muße hatten, ihre Umgebung zu betrachten. "Erkennst du etwas wieder?" Unerfreulicherweise gab es mehrere Baustellen, auf die Lilians vage Beschreibung zutraf, doch Alix vermutete, dass die Verschleppung in der Nähe stattgefunden haben musste, so rasch, wie sein delinquenter Nachbar zur Stelle gewesen war. "Da!" Lilian drückte den wärmenden Pinguin, deutete hastig die Richtung aus. "Wo befindet sich das nächste Portal?" Keine Frage, dass sie die Baustelle nicht erneut betreten würden. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass auch der Nachbar ihm aufzulauern hegte, selbst wenn Lilian IHM nicht die eigentlich höchst geheimen Details seiner Existenz verraten hatte. "Wir müssen ein Stück weiter." Zögerlich warf Lilian einen Blick auf Alix. Der bewegte sich durchaus zügig, stützte sich jedoch unmissverständlich auf den Stock. "Vielen Dank." Wiederholte Lilian erneut beschämt, denn die geballte Menge im umgewidmeten "Beauty Case" bedeutete ihm, dass Alix häufig Pein auszuhalten hatte. Ob die zusätzliche Anstrengung ihn nun auch noch belastete? "Nichts zu danken." Antwortete Alix höflich, studierte das Panorama. Wenig Fußverkehr, Dunkelheit, da konnte man zweifellos unbeobachtet in die "Heimat" der anderen Dimension...oder Parallelwelt schlüpfen! "Da ist das Portal." Wisperte Lilian, blickte auf eine alte Hofeinfahrt. Früher hatte man ein großes, zweiflügliges Holztor zur Blockade genutzt, nun waren die ehemaligen Gehöft-Flügel rechts und links Neubauten gewichen, lediglich der gemauerte Eingang erinnerte an sehr alte, längst vergangene Verhältnisse. Die aktuell genutzte Sperre bestand in einer herabgesenkten Schranke mit einer montierten Ampel, die die Zufahrt absperrte. "Vielen Dank für alles, Alix." Wisperte Lilian, streifte sich den Schal unter das Kinn und die Kapuze vom weißen Schopf. "Ich verspreche, du wirst alles zurückbekommen." "Es eilt nicht. Die Pinguin-Taschenwärmer kannst du ruhig behalten." Gab Alix mit einem leichten Lächeln zurück. "Bitte erhole dich gut, Lilian. Es ist schade, dass ich mich nicht an dich erinnern werde, aber ich denke, es ist zur Sicherheit für beide Parteien wohl unvermeidlich." Auch wenn er, über sich selbst verblüfft, diesen Umstand bedauerte. Wieder, verflixt noch eins!, die spontane Regung zurückdrängte, Lilian sehr behutsam über eine Wange streichen zu wollen, wo die "Tätowierungen" (vielmehr die Fellzeichnung) rascher oszillierte. Lilian hielt sich nicht so wohlerzogen bis streng reglementiert zurück. Er schlang spontan die Arme um Alix' Nacken, umarmte ihn, sich nicht daran störend, dass der nicht die Arme um seinen Rücken legte. "Vielen herzlichen Dank, Alix! Ich werde bestimmt nicht vergessen, dass du mich gerettet hast!" Er blinzelte, lächelte traurig in Alix' Gesicht, wirbelte dann herum...und war schneller als ein Blinzeln verschwunden. ~~~>* Alix starrte noch einen langen Augenblick in den dunklen Hof hinter der Schranke, wandte sich ab und steuerte sein Büro an. »Was für eine kuriose Situation.« Natürlich würde er niemanden etwas erzählen können. Würde er den Augenblick bemerken, wenn diese Episode aus seinem Gedächtnis gelöscht würde? »Es ist nur vernünftig.« Das konnte man selbstverständlich nicht leugnen. Menschen waren schließlich gefährlich, was der bedauernswerte Lilian am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte. »Außerdem solltest du in dich gehen!« Fast glaubte Alix, die Stimme seines längst verstorbenen Großvaters ungnädig in seinem Hinterkopf zu hören. Richtig, er hätte sich beinahe einer unerlaubten körperlichen Annäherung schuldig gemacht! In seinem Alter! Reichlich ungehörig, denn Lilian konnte man wohl kaum mit einem possierlichen Haustier verwechseln, dem man selbstherrlich den Schopf kraulte! "Du hast zu arbeiten." Erinnerte Alix sich streng. Müßige Gedanken hatten keinen Platz, wo die Pflicht rief! ~~~>* "Was, beim Großen M, hast du angestellt?!" Lioba neigte nicht gerade zu diplomatischer Zurückhaltung. Lilian schälte sich angesichts der sehr angenehmen Temperaturen rasch aus der "Verkleidung", atmete tief durch, was verdächtig nach einem Schluchzen klang. "Was soll das alles?! Wo warst du?!" In der Vertrautheit seit frühester Kindheit beugte sich Lioba aus ihrer überragenden Höhe, lupfte Lilians Kinn, inspizierte grimmig die Spuren von Verletzungen. "Du erzählst mir AUF DER STELLE, was du angestellt hast!" ~~~>* Lilian durfte endlich seine heisere Kehle befeuchten, während Lioba sich neben ihm hochschraubte. Ihre Miene verriet unmissverständlich, dass jemand ihre Klauen zu spüren bekommen würde. "Dieser Kretin hat also deine Kleider, die Eintrittskarten und deinen Beutel?" Lioba justierte ihren Waffenrock, überprüfte den "Friedensstifter". "Wir sollten vor dem Portal an der Baustelle warnen." Lenkte Lilian vorsichtig ab, faltete einen Teil von Alix' Leihgaben, streichelte über die Pinguin-Handwärmer. "Denkst du, ich darf sie behalten?" Immerhin waren es Objekte aus der Menschenwelt. Die muskulösen Schultern zuckend schob Lioba diese für sie nachrangige Erwägung beiseite, entfaltete ein großes Tuch. "Du ziehst das Zeug aus, räumst es hier rein. Ich hole die Sachen ab, nachdem ich Meldung gemacht habe." Außerdem wollte sie sichergehen, dass ihr das "Einschlagrecht" nicht streitig gemacht wurde. Jemand musste schließlich diesem Sittenstrolch heimleuchten, und sie beabsichtigte, ihm danach die Lichter auszublasen! ~~~>* Die Schlüsselkäfer summten leise, während Lioba grimmig darauf achtete, sich nicht den Kopf anzustoßen. Wenigstens hatte der feige Übeltäter den Hausflur von seinen "Sicherheitseinrichtungen" verschont. Es gab, wie Lioba die Daimonen-Schmetterlinge versicherten, keine Aufzeichnungsgeräte, sodass keine Vorwarnung den Stinker vor Liobas ausgleichender Gerechtigkeit bewahren würde. Sie betrat die Wohnung, orientierte sich rasch an den Geräuschen, die aus dem Badezimmer kamen, wartete mit funkelndem Blick darauf, dass der Missetäter die Hose wieder justierte, das Gelass verließ. "He, was...?!" Die geballte Faust der Revanche, Liobas erprobte Linke, schlug mit der Grazie eines Vorschlaghammers ein und fällte den aufgepumpten Mittdreißiger. "Schönen Gruß von Lilian. Ach ja, persönliche Note von mir." Befriedigt löste Lioba den Friedensstifter, plumpste ihn mitten auf die Stirn, was eine leichte Wolke an Pulver auslöste. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, beugte sie sich herunter, packte die Kapuze und schleifte den Bewohner des Appartements hinter sich her, um ihn unprätentiös auf das ungemachte Bett zu schleudern. Lioba blickte sich um, fand natürlich auch den Rest des Seils, das Lilian ihr beschrieben hatte. Außerdem noch einige andere Artikel, die ihre Meinung über den Inhaber dieses Quartiers nicht hob, sondern auf unterirdischem Niveau beließ. "Ein beschissener Charakter mit berechtigten Minderwertigkeitsgefühlen ist keine Entschuldigung für nichts." Knurrte Lioba, sammelte Lilians Habseligkeiten ein, blickte sich dann um. "Komisch." Stellte eine Stimme unerwartet hinter ihr im Flur fest. Lioba rotierte, den Kampffächer griffbereit. Unbeeindruckt studierte ein Fuchsgeist einen kleinen Gegenstand, der einem Handspiegel ähnelte. "Inspize Ruri, freut mich." Eine Plakette überzeugte Lioba, dass man im offiziellen Auftrag ermittelte. "Was ist komisch?" Hakte Lioba nach, verzichtete darauf, den Zustand des Menschen zu erklären, denn es gab ja gewisse Regeln... "Kein Portal." Der Fuchsgeist drehte sich langsam um die eigene Achse. "Wie konnte Lilian aus dem Zimmer entkommen?" Schnaubend konnte Lioba keine Antwort in den Raum werfen, denn tatsächlich war das rätselhaft. "Weit ist er nicht gekommen." Warf sie kritisch ein, denn das Portal führte in die eigene Welt zurück, nicht jedoch einen kurzen Hopser in die Nachbarschaft. Zumindest nicht, so weit sie informiert war. Ruri nickte bedächtig, verstaute den Portal-Detektor an seiner Person. "Möglicherweise finden deine Daimonen-Schmetterlinge noch Aufzeichnungsgeräte?" Lioba knurrte, folgte diesem dezenten Vorschlag jedoch. Tatsächlich flatterten die hilfreichen Assistenz-Daimonen zwei Regale an. "So ein Drecksack." Stellte Lioba frostig fest. Sie fischte mit ihren Krallen die versteckten Kameras mühsam heraus, beäugte sie grimmig. "Mit diesem Gewölk kenne ich mich nicht aus." Ließ sie Ruri wissen. Ruri grinste charmant, entblößte scharfe Eckzähne, fingerte ein Hämmerchen aus der Gürteltasche und zertrümmerte mit sichtlicher Begeisterung die kleinen Kameras. "Wenn man sich nicht erinnert, sind Wolken kein Problem." Weshalb ein zweiter Friedensstifter mittschiffs zum dritten Mal den Übeltäter traf. "Du gestattest, dass ich dich begleite?" Lioba schnaubte, denn eine Alternative hatte sie wohl nicht, wollte sie nicht die nächsten zwei Monate Schreibstubendienst ableisten. "Sicher doch. Wir müssen noch zwei Stationen abklappern." ~~~>* Ruri zuckte mit den aparten Schnurrhaaren, während sein buschiger Fuchsschwanz anmutig einen Bogen in die Luft zeichnete. Alix' Appartement, in dem Lioba mühelos die geliehenen Kleidungsstücke verstaute, zeichnete sich ebenso wenig mit einem Portal aus. "Und?" Lioba studierte den Fuchsgeist widerwillig interessiert. Lilian konnte wie sie auch nur durch Portale zwischen den Welten wechseln. Sie verfügten über Portalpässe, nicht jedoch über die Fähigkeit, von jedem Ort zu jedem anderen zu "springen". Inspize Ruri schob sich die Kapuze seines Umhangs über die spitzen Ohren. "Wir sollten das Gedächtnis des Notars auch noch löschen." Eine ausweichende Antwort! Lioba grummelte, schickte sich jedoch drein. Sie fragte sich, welche Auswirkungen das gar nicht mehr zu verschweigende Abenteuer auf die nächsten Ausflüge in die Menschenwelt haben würde. ~~~>* Inspize Ruri signalisierte Lioba, im Flur zu warten. Das Bürogebäude verfügte über mehrere Stockwerke, die einzelnen Büros konnten über die Flure aufgesucht werden. Man teilte sich offenbar Waschräume, Teeküchen und auch den Empfang. Auf Zehenspitzen huschte Inspize Ruri ungesehen hinter einer kräftigen Person her, die sich in der Teeküche mit einer gewaltigen Portion Mikrowellen-Popcorn versorgte. Gedämpft klang Stimmungsmusik der fünften Jahreszeit aus einem Büro. Ruri musste nicht lange warten, da hörte er mit gespitzten Ohren bereits das vom Industrieteppich gedämpfte Tappen des Gehstocks. Alix van Houten wirkte auf den Fuchsgeist sehr gefasst und zurückhaltend in Auftreten und Erscheinung. Aus einem Wasserspender füllte er sich ein Glas, nippte. Ruri öffnete eine Faust und blies Pulver in Alix' Richtung. Der nieste unterdrückt, blinzelte...spülte Wasser nach, bevor er langsam die Teeküche verließ. Lioba wartete ungeduldig, die muskulösen Arme vor der Brust gekreuzt. "Wir sind hier fertig. Vorerst." Der Fuchsgeist zwinkerte, klappte die Kapuze über die spitzen Ohren und sockte voraus zum nächsten Portal. ~~~>* "Ich darf weitermachen? Oh, vielen Dank!" Lilian strahlte erleichtert, die blauen Augen poliert, die sichtbaren Fellzeichnungen pulsierend. "Du wirst nicht von meiner Seite weichen!" Bellte Lioba fuchtig, denn Alleingänge kamen in dieser Session ganz sicher nicht mehr in Frage! "Versprochen!" Gelobte Lilian eilig, denn es hatte ihn sehr gesorgt, dass aufgrund seines Missgeschicks nun alle, die so lange und emsig die Ausflüge in die Menschenwelt während der kurzen Zeit des offiziellen Verkleidens und Kostümierens vorbereitet hatten, nicht in den Genuss der Früchte ihrer Anstrengungen kommen könnten. "Ich bin auch froh, dass du meinetwegen keinen Ärger bekommen hast." Versicherte Lilian ihr treuherzig. Lioba grummelte und verschwieg entschlossen, wie sie Inspize Ruri überzeugt hatte, dass Lilian geradezu erbärmlich harmlos war. Ihre eigene Mutter hatte eine "Schönwetter-Wolke" für Klein-Lilian gefilzt, als der nicht mehr einschlafen wollte aus Angst, die Kronks würden ungezogene Daimonen-Kinder fressen! Trotz Raubtiergebiss und Krallen galten Lilian "Bienchen und Blümchen" bereits als Hardcore, von Aktionen, die dieser widerwärtige Mistkerl beabsichtigt hatte, mal ganz zu schweigen! Fesseln, knebeln, vergewaltigen! "Irgendwas führt der Fuchsgeist im Schilde." Mutmaßte Lioba ablenkend. Lilian warf ihr einen fragenden Blick nach oben zu. "Oh, denkt er doch, dass ich was angestellt habe? Dabei ist mir so was vorher noch nie passiert." Verunsichert und beschämt konzentrierte Lilian den Blick auf die eigenen Füße. Über ihm schnaubte Lioba, legte einen muskulösen Arm um Lilians schmale Schultern. "Nun lass den Kopf nicht gleich hängen! Du darfst doch dein Programm durchziehen." Auch wenn es ihr noch ein Rätsel war, wie Lilian sich in höchster Not selbst gerettet hatte. ~~~>* Die meisten Veranstaltungen fanden in geschlossenen Räumen statt, bestuhlt, mit Tischen, kein übertriebener Genuss von Sinn vernebelnden Gütern jedweder Art (auch wenn Lioba bei der akustischen Belagerung Zweifel hegte!). Sie beobachtete, für Menschen unsichtbar, die Lage unaufhörlich. Lilian lächelte zwar, immer in andere Aufmachungen gekleidet, doch er umklammerte ständig die verwünschten Pinguine, was nicht gerade für ein sonniges Gemüt sprach! Der unerwartete Zwischenfall hatte sämtlichen Portalwachen etwas Abwechslung verschafft, da auf jeder "anderen" Seite streng inspiziert werden musste, ob da nicht irgendwelche dubiosen Alarmeinrichtungen angebracht worden waren. Ob man gewisse Übergänge nicht besser temporär schloss, um keinen Verdacht zu erwecken. Früher hätte die lapidare Erklärung, man habe mal dringend austreten müssen, ja genügt, um Misstrauen zu zerstreuen, aber offenbar mehrte sich die Anzahl der Bekloppten, die eben mal (vermeintliche) Mitmenschen zu drangsalieren gedachten! Lioba knurrte, wünschte sich die Pause herbei, bis bei besseren Temperaturen die ersten Cosplays ihr wieder Beschäftigung auf der Menschenseite verschafften. ~~~>* "Ich sollte mir Sorgen machen." Murmelte Alix, starrte zweifelnd auf den Umschlag. Der enthielt eine Eintrittskarte für eine Saal-Fastnacht. So sehr er sich bemühte: er konnte sich nicht erinnern, wie er zu dieser Offerte gekommen war. Womöglich eine Benefiz-Aktion? Hin und wieder fanden sich in den Teeküchen oder beim Empfang Informationen und Aufrufe, die durch das Geschäftsgebäude wanderten. Natürlich, geschlossene Veranstaltungen wurden lange im Vorfeld beworben, bei den berühmteren musste man sogar Jahre im Voraus reservieren. Alix besuchte schon sehr lange keine Veranstaltungen mehr. Häufig verlangte das längere Sitzen ihm arge Pein ab, die Stuhlreihen waren zu eng bemessen und er oft gegen Abend einfach zu müde, um höhere Ansprüche angemessen zu würdigen. Verkleidet hatte er sich nicht mal als Kind, da er nicht in einer Gegend aufgewachsen war (bis zu dem Unfall), in der man diese Bräuche pflegte. Jetzt hatte er genau eine Eintrittskarte, an deren Ursprung er sich nicht entsinnen konnte. Außerdem hatte ein Lieferdienst (sagte der Empfang) während seiner Abwesenheit in der Mittagszeit, um kurz einige Einkäufe im Discounter um die Ecke zu tätigen, ein Kostüm abgegeben. Von ihm bestellt, bereits bezahlt. Abholung am nächsten Tag im Laufe des Nachmittags! Alix konnte sich nicht erinnern, jemals einen Kostümverleih mit seiner Aufmerksamkeit bedacht zu haben. Wann hatte er also...?! Das Kostüm selbst konnte als höchst altertümlich beschrieben werden, da es eher dem Zweck eines Maskenballs lange vergangener Zeiten entsprach, wo die Herren im "Reitkostüm" (schwere Stiefel, Kniebundhosen, taillierte Jacken mit "Schwalbenschwänzen" und Zylinder) sich zwecks Zerstreuung einen Domino (Umhang) umbanden, einen Dreispitz aufs Haupt (oder die gepuderte Perücke) setzten und eine Halbmaske zur Schau stellten. Halb getarnt, wenn auch nicht wirklich unkenntlich, konnte man sich zivil in gemächlichen Schreittänzen vergnügen. Alix blickte an sich herab. Er trug wie gewohnt einen Dreiteiler, Anzug mit Weste. Marineblau zu hellblauem Hemd, konvenierte das mit einem silbergrauen Domino? "Was habe ich mir nur gedacht?" Doch das wollte ihm partout nicht ins Gedächtnis kommen! Alix erwog, den jungen Mann im benachbarten Büro, einen frischgebackenen Steuerberatenden zu fragen, doch dessen Gelass schien schon verwaist. Wenn er sich des bellenden Hustens erinnerte, schien sein Nachbar auch gesundheitlich angeschlagen zu sein, sodass es besser anmutete, ihn im Bett zu verorten. Wenn es sich um eine Benefiz-Aktion handelte, dann waren auch andere Beschäftigte aus dem Gebäude anwesend, richtig? Es wäre äußerst unhöflich, nicht in Erscheinung zu treten. Das Rückgrat straffend atmete Alix durch. Es würde eine nette Abwechslung sein, nicht wahr? ~~~>* Alix streifte sich den leichten Domino an der Garderobe über, schüttelte den Kopf, als man ihn neben seinem Wollmantel auch um den Gehstock erleichtern wollte. Er nahm die Garderobenmarke entgegen, betrat den Saal. Lange Tische trugen aufgeständerte Nummern zur Orientierung. Gemessen bewegte sich Alix, achtete darauf, nicht den Personen vom Service in den Weg zu geraten. Er fand seinen Platz, zog vorsichtig den Stuhl zurück, grüßte gedämpft nach rechts und links, erkannte jedoch niemanden. Fröhliche Gesichter, man nickte höflich, wie man es Unbekannten gegenüber hielt, mit denen man einige Zeit zu verbringen gedachte. Alix orderte eine kleine Flasche Wasser, blickte sich dann um. Er stutzte, als er in der benachbarten Tischreihe eine Person erblickte, blau-schwarz-weiß-silber, extravagant kostümiert. Kein Bild stieg in seinen Gedanken auf, doch er "wusste", dass ihr Name Lilian lautete. Dazu schienen Pinguine in einem mysteriösen Zusammenhang zu stehen. Sollte er sich nicht nach dem Befinden erkundigen? Alix runzelte die Stirn. Was ging bloß neuerdings in seinem Kopf vor?! Er hatte keine Bilder vor Augen, glaubte doch, diesen Lilian zu kennen, derart vertraut mit ihm zu sein, dass er "wusste", dass es sich nicht um Tätowierungen oder Farbe handelte?! Man erhob sich, als Honoratioren den Saal durchmaßen, die Kapelle legte sich mächtig ins Zeug. Ungeduldig nahm Alix wieder Platz, spähte hinüber. Wieso spielte ihm sein Verstand diese Streiche? Erschrocken über seinen ungewohnten Ausbruch von Temperament und mangelnder Beherrschung massierte sich Alix unwillkürlich das verletzte Bein. Er fasste einen Plan: bei der nächsten Musik-Nummer, wenn die Leute sich erhoben, mitklatschten, einander unterhakten und sangen, wollte er die Gelegenheit nutzen. Nämlich, sich diesem Phänomen vorstellen! ~~~>* Lange musste Alix sich nicht gedulden. Er stemmte sich dynamisch hoch, löste rasch den Umhang und die Halbmaske, hängte diese über die Stuhllehne, wo der Dreispitz bereits sein Stuhlpolster wärmte. Alix umrundete das Ende der Tafel, näherte sich, klatschende, singende, stampfende Menschen auf einer Seite, seinem Ziel. Das warf ihm aus großen, tiefblauen Augen nervöse Blicke zu, klatschte nicht, sondern hielt die Hände zu Fäusten geballt. "Guten Abend. Lilian, nicht wahr? Wie geht es dir?" Die Worte waren Alix entschlüpft, bevor er sie überhaupt geprüft hatte. Dazu, das konnte er selbst kaum von sich glauben, drehte seine freie Hand eine Faust, betrachtete ein schmales Handgelenk. "Du-du erinnerst dich an mich?" Die Stimme klang vertraut, obwohl Alix einfach keine Bilder vor seinem inneren Augen beschwören konnte! Er beugte sich vor, weil die Geräuschkulisse nicht gerade für vertrauliche Unterhaltungen geeignet war. "Ja und nein. Ich glaube, du warst verletzt, als wir uns trafen. Außerdem spielten Pinguine eine Rolle." Was noch absurder klang, als er es jetzt tatsächlich aussprach! Zu seiner Überraschung schlang ihm der fremd-vertraute Lilian die Arme um den Nacken, ächzte vor Erleichterung an seinem Ohr. "Oh, ich bin so froh, dass du mich nicht ganz vergessen hast!" Alix blieb die Spucke weg, denn zum ersten Mal in seiner fast fünfzigjährigen Existenz stützte sich jemand auf seine physische Hilfe! Mit dem freien Arm drückte er Lilian an sich. "Ich glaube, wir sollten uns dringend unterhalten." ~~~>* Das Service-Personal schwirrte emsig umher, während sie sich ein recht kühles Fleckchen auf einer kleinen Terrasse abseits der Lungen-Teerenden suchten. "Verstehe ich das richtig? Dieser Ruri fand keine Portale, sodass eine persönliche Verbindung zwischen uns bestehen könnte, die als 'Notausgang' fungiert?" Zudem hatte dieser Ruri, wenn Alix das korrekt aufgenommen hatte, den Plan ausgeheckt, ihm mit der Eintrittskarte und dem Kostüm zu entlocken, ob die Vermutung zutraf. "Ich weiß es nicht genau, aber ich bin so froh, dass du gekommen bist!" Lilian strahlte ihn an, hatte endlich die Pinguine in den Taschen verstaut, allerdings rasch die Hände versteckt, weil die Krallen erschreckend wirken konnten! Immerhin WUSSTE Alix ja schließlich, dass ALLES an ihm echt war! Alix hingegen verspürte nicht die geringste Furcht. So absurd die gesamte Geschichte klang, zweifelte er sie nicht an, kam sie ihm schlüssig vor. Selbstredend musste man herausfinden, wie Lilian die "Flucht" gelungen war. Das Vorgehen erschien logisch. "Ich halte es allerdings nicht für wünschenswert, dich in Gefahr zu bringen, um festzustellen, ob diese Verbindung zwischen uns im Notfall anspringt." "Darauf möchte ich auch lieber verzichten." Bekundete Lilian, schauderte merklich, woraufhin Alix sich in die Zugluft positionierte. "Ich verstehe, dass du hier deiner Aufgabe nachgehst. Wie sieht es jedoch nach der Sitzung aus? Hättest du Zeit, dass wir uns austauschen können?" Er wollte nicht riskieren, dass sie sich erkälteten. Eifrig nickte Lilian, lächelte...und schloss wieder eilig den Mund. Raubtiergebiss! Alix betrachtete die blauen Augen, spürte eine profunde Vertrautheit, ganz gleich, wie exotisch Lilians Äußeres für andere aussehen mochte. "Ich werde dich nicht verraten, Lilian. Ich fürchte mich auch nicht vor dir. Wollen wir uns gegenseitig zusichern, einander nicht mit Angst oder Kleinmut zu begegnen?" Lilian zögerte. "Ich bin leider sehr leicht bange." Gestand er verlegen ein. "Das werde ich berücksichtigen, versprochen." Versicherte Alix entschlossen, hob die freie Hand, bevor er sich bremsen konnte, streichelte sanft über eine Wange. Die Fellzeichnung veränderte ihr Farbspiel ein wenig. "Bitte denk über mein Angebot nach, ja? Jetzt gehen wir besser hinein, bevor wir uns verkühlen." ~~~>* Mit geschulterem Blick, da er sich an Lilians Aufgabe erinnerte, glaubte Alix, den "Besuch" aus der anderen Welt erkennen zu können. Besonders aufwändig hergerichtet (oder eher dezent getarnt) warf man ihm amüsierte, wohlgefällige Blicke zu. Natürlich, sie waren nicht gerade unauffällig gemeinsam ausgetreten! Zudem sahen sie immer wieder über die Reihe hinweg einander an. Lioba, die Alix nicht erkennen konnte, stellte keineswegs eine sympathisierende Miene zur Schau. Ihr hatte schon der schlaue Plan des Fuchsgeistes missfallen, aber der Umstand, dass Lilian so vertraut mit diesem Menschen umging, bürstete sie gegen das Fell! Was sollte denn daraus werden?! Zugegeben, er hatte Lilian in der Not beigestanden, aber daraus musste man doch nicht gleich eine anhaltende Verbindung knüpfen! Ihre stockfinstere Miene hätte Alix wohl sehr besorgt. Lilian bemühte sich hingegen, Lioba unauffällig zu beruhigen. Sie war ihnen schließlich auf die Terrasse gefolgt, hatte das Gespräch gehört! Alix wollte ihm ganz sicher nicht schaden, er verhielt sich freundlich, fürsorglich und rücksichtsvoll. Außerdem konnte man nur gemeinsam herausfinden, wie es sich mit ihrer geheimnisvollen Verbindung genau verhielt. Was sollte schon passieren? ~~~>* Die anderen Daimonen schmunzelten in der Tat, denn die beiden verhielten sich so offenkundig scheu und schüchtern, dass man sie am Liebsten an die Hand bzw. Klaue genommen hätte! Alix behielt artig seinen Sitzplatz, drängte sich nicht auf, reagierte höflich auf die Nachbarschaft in seiner Reihe. Lilian, dem Liobas bitterböser Basiliskenblick nicht entgegen konnte, wagte es erst beim Beginn des großen Finales, zu Alix zu huschen, sich dessen Arme um die Taille zu legen, vorsichtig selbstredend, wegen des notwendigen Gehstocks, um mit ihm gemeinsam ein wenig zu schunkeln. Wer hätte etwas einwenden können gegen die beiden, die sich so besorgt umeinander zurücknahmen? Lioba durchaus eine Menge, andererseits stand Ruri ihr auf den Klauen, der nichts unversucht lassen wollte, eventuelle Schwachstellen zwischen den Welten zu erkunden! Außerdem, wer hatte da doch gleich diesen liederlichen Lumpen recht nachdrücklich lädiert? Knurrend schickte Lioba sich drein. ~~~>* Man hätte es als äußerst aufdringlich einstufen können. Theoretisch. Alix argumentierte jedoch betont sachlich. Es war recht spät, die einzelnen Gruppen würden durch unterschiedliche Portale nach Hause kommen, die Witterung zeigte sich ungemütlich. Gesprächsbedarf bestehe jedoch unverändert. Warum also nicht eine Einladung über Nacht aussprechen? Ausreichend dunkel war es morgens noch, sodass Lilians Aufmachung kaum Aufsehen erregen würde mangels Beobachtung. Zudem versicherte Alix, sich ehrenvoll zu verhalten, keinerlei Übergriffe in irgendeiner Form zu initiieren. Was Lilian nicht bezweifelte, da ja schon in der ersten Nacht nur Fürsorge und Rücksichtnahme dessen Verhalten geprägt hatte. "Ich muss es doch herausfinden." Lilian drückte die Pinguine fester, warf Lioba und Ruri einen beschwörenden Blick zu. Zu dritt standen sie in einem kleinen Durchgang unweit eines Portals, für menschliche Augen allerdings nicht zu entdecken, da Lioba sich mächtig aufbaute. "Telepathie ist Humbug." Grollte Lioba, die Augen zu Schlitzen verengt. Ihr missfiel die Idee eindeutig, dass diese beiden "Kuscheltiere" bloß aneinander denken mussten, um sich in dieser gemeingefährlichen Welt irgendwo zu treffen! So ein Blödsinn gehörte in die Glotze! Inspize Ruri, der Fuchsgeist, rieb sich nachdenklich das Kinn. "Humbug ja, aber wir sind hier in der Menschenwelt." Was offenkundig hieß, dass ohne empirische Erfahrung nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, dass selbst größter Unsinn TATSÄCHLICH nicht funktionierte. Knurrend kreuzte Lioba die muskulösen Arme vor der Brust. "Ich bin zum Frühstück zurück, versprochen." Gelobte Lilian treuherzig, atmete tief durch, was die Fellzeichnungen oszillieren ließ. Lioba und Ruri blickten ins Leere. "Mir gefällt das gar nicht." Kommentierte Lioba grantig, machte kehrt, um das nächste Portal anzustreben. Ruri grinste verstohlen, der Fuchsschwanz tanzte durch die Luft. Wenn sich das seltsame Malheur auf diese zwei beschränkte, konnte er mit der gewittrigen Stimmung gut leben. Lioba müsste sich eben temporär mal um jemanden anderen kümmern! ~~~>* Alix hatte bereits einen Schlafanzug herausgelegt, dazu Wollsocken und ein eigenes Kopfkissen. Außerdem dampften zwei Tassen Tee freundlich vor sich hin. Als er seinen Lesesessel etwas auf die Seite rückte, materialisierte sich Lilian in seinem kleinen Appartement, die Lippen fest aufeinander gepresst, die Pinguin-Handwärmer angespannt quetschend. "Oh!" Entfuhr ihm erleichtert. Alix lächelte, wies auf sein Bett, apportierte die Teetassen. "Offenkundig ist wohl ein Notfall NICHT die einzige Bedingung." Lilian schnaufte hörbar durch, ließ sich auf der Bettkante nieder, nippte an seinem Tee. "Ich war schon sehr nervös." Bekannte er das Unübersehbare. "Bemerkenswert, dass du nicht mit Möbeln kollidierst." Stellte Alix fest, nahm in höflichem Abstand neben Lilian Platz. "Ich weiß wirklich nicht, wie das funktioniert. Ich habe mir nur gewünscht, bei dir zu sein." Erklärte Lilian verlegen, atmete tief durch. "Wenn ich dir lästig bin, sag es mir bitte gleich. Ich bin ein bisschen aufgeregt, weil Menschen mich sonst ja nicht für echt halten..." Lilian konzentrierte den Blick auf seine Teetasse. "Du bist mir nicht lästig, Lilian. Ich frage mich, ob wir ein Kommunikationssystem finden. Manchmal bin ich nämlich keine gute Gesellschaft." Alix tippte kurz auf sein Bein. "Ach herrje! War es heute sehr schmerzhaft für dich?" Erkundigte sich Lilian sofort, verdrängte seine Nervosität, richtete die tiefblauen Augen auf Alix. "Nein, keine Sorge. Ich würde gerne mehr erfahren über deine Welt, damit wir Möglichkeiten zum Austausch finden. Aber ich möchte dich auch nicht in Verlegenheit bringen, wenn du es für zu gefährlich hältst." Immerhin funktionierten Teile seines Gedächtnisses ja ungeachtet der Amnesie in Bildern. "Also, mit diesem Telefonen, das klappt wohl nicht." Dachte Lilian konzentriert nach. "Wenn ich verspreche, dass ich sofort heim gehe, dann könnten wir aber Zeit hier bei dir verbringen, oder?" Erkundigte er sich zögerlich. Alix ertappte sich dabei, seine freie Hand auf Lilians zu legen, sanft, behutsam. "Das können wir gern tun. Ich möchte dich auch nicht einschränken, denn du hast doch sicher auch sehr viel zu tun, oder? All diese Kurse, die Kostüme und die Vorbereitungen." Begeistert, dass Alix sich für seine ungewöhnliche Profession interessierte, rückte Lilian ein wenig näher heran und erläuterte ihm engagiert, wie er recherchierte, sich akribisch vorbereitete, was er ausprobierte, um alle Neugierigen zu "tarnen", damit sie auch mit Menschen in Kontakt treten konnten. "Wir feiern auch gern, wollen etwas teilen, uns des Lebens freuen." Gab Lilian die Motivation bekannt. Alix betrachtete Lilians strahlendes Lächeln einen Moment länger, zögerte. "Findet ihr Menschen denn nicht auch beängstigend?" Nicht nur die Erfahrung mit dem brutalen Nachbarn vis-a-vis galt es zu bedenken, sondern auch die menschliche Natur an sich, bei der Ignoranz und Angst in Aggression und Gewalttaten umschlugen. Lilian zog die Schultern hoch, die Fellzeichnung dunkelte merklich nach. "Das stimmt schon, also, dass man sich erschreckt. Aber du hast mir geholfen. Wenn ich die Feste besuche, ist die Stimmung heiter, alle geben sich viel Mühe, sind fröhlich. Es gibt Musik, leckeres Essen und Unterhaltung. Das kann ich doch nicht alles aufgeben, oder?" "Das ist ein Argument." Kommentierte Alix, der es deutlich beruhigender fand, dass Lilian und all die anderen, die sich Daimonen nannten, rasch durch Portale in Sicherheit fliehen konnten, wenn die menschliche Natur mal wieder ihre hässliche Seite offenbarte. "Du verkleidest dich nicht so gern, oder?" Wich Lilian auf ein heikles Sujet aus, betrachtete Alix unbehaglich. Alix lächelte beruhigend, streichelte sanft über den Handrücken, ohne Sorge um die Krallen. "Das liegt wohl daran, dass ich froh bin, mich über die Zeit einigermaßen gut selbst kennengelernt zu haben. Ich möchte gar keine andere Person sein. Mir fehlt auch schauspielerisches Talent, fürchte ich." Die Hand drehend, sodass Lilian Alix' ergreifen konnte, beeilte der sich, einen missverständlichen Eindruck zu zerstreuen. "Oh, ich meine das nicht böse, weißt du? Lioba findet es auch unpraktisch, sie bleibt auch bei ihrer Uniform." Da Alix nur wusste, dass Lioba für die Sicherheit zuständig war, wunderte ihn das nicht, immerhin trug er selbst als "Arbeitskleidung" seine dreiteiligen Anzüge mit Hemden und Krawatten. Man musste sich nicht den Kopf zerbrechen, konnte morgens auf Autopilot diese Routine ohne größere Gedanken absolvieren. "Ich bin immer neugierig, ob mir das gelingt, was ich mich vorgestellt habe." Vertraute Lilian Alix an, zwinkerte. "Wenn sich alle dann freuen, könnte ich nicht glücklicher sein." Das konnte Alix sich angesichts Lilians Miene lebhaft vorstellen. "Ich hoffe, du erzählst mir noch mehr von deiner Arbeit. Allerdings ist es heute schon recht spät. Wollen wir uns schlafen legen?" Brav nickte Lilian, federte hoch, um beide Teetassen auf die Anrichte zu stellen. Nacheinander suchten sie die kleine Nasszelle auf, zogen sich dort um, teilten sich dann Alix' Bett. Schüchtern rutschte Lilian an Alix heran, der unter der Decke seine Hand als Halt anbot. "Schlaf gut, Lilian. Es war ein schöner Tag heute, nicht wahr?" "Schlaf du auch gut, Alix. Ich bin froh, dass du mich nicht vergessen hast." "Das bin ich auch. Danke, dass du mir Gesellschaft leistest." Lilian kicherte, drückte Alix' Hand. "Lioba hat mich gewarnt, ich könnte ohne meine Schmuse-Schönwetter-Wolke nicht einschlafen, aber bei dir fühle ich mich so wohl, dass ich sie gar nicht brauche." Unwillkürlich drehte Alix den Kopf, grinste ungewohnt lausbübisch. "Danke für dieses schöne Kompliment. Ich hoffe, dass ich es dir noch gemütlicher machen kann, wenn wir uns besser kennen." »Niedlich!« Dachte Alix bei der Vorstellung, wie Lilian mit seinem Raubtiergebiss und den Krallen, seiner exotischen Erscheinung ohne ein Kuschelkissen nicht schlafen konnte. So ein liebenswertes Wesen konnte man einfach nur ins Herz schließen, ganz gleich, welche Erfahrungen man gemacht hatte! ~~~>* "Also, du könntest dieses Lotterleben wirklich mal überdenken." Knurrte Lioba, die es überhaupt nicht schätzte, dass Lilian sich nächtens einfach bei diesem Menschen einquartierte! Wozu überhaupt, mal ehrlich?! Frühstück gab es hier auch, ein eigenes Bett hatte Lilian ja wohl auch! Außerdem, was taten diese beiden denn?! Nichts! Lilian warf Lioba einen besorgten Blick zu. "Magst du Alix nicht? Er ist wirklich sehr nett. Wir erzählen uns vom Tag und lachen ein bisschen zusammen." "Das ist ein Mensch, Lilian! Was wollt ihr denn miteinander anfangen?!" Die schmalen Schultern hochziehend drückte Lilian die Handwärmer mit den Pinguinen. "Wir verbringen einfach Zeit miteinander, Lioba. Daran ist doch nichts auszusetzen." Lioba schnaubte. "Selbst wenn DIESES seltsame Exemplar harmlos ist und dir nicht ans Fell will, wie lange soll das gehen?! Du bist nicht unsichtbar. Denk dran, am Aschermittwoch ist alles vorbei." ~~~>* Alix hatte seine kleine Wohnung für die nächtliche Gesellschaft ausgerüstet, ein Kissen nach Lilians Vorlieben gekauft, eine eigene Zahnbürste ausgelegt. Neben seinen Schlafanzügen fanden sich auch Pyjamas für Lilian, der den Flanell-Stoff liebte. Zugegeben, sich so bequem einzurichten, ohne größere Verantwortung zu übernehmen, das kam Alix durchaus schofel vor. Allerdings gab es da eben zwei unvereinbare Welten zu beachten! Worüber er sich keine Gedanken machte, war die landläufige Erwartung an Intimitäten. Ihn hatte es bezogen auf konkrete Personen nie danach verlangt, die eigene Unzulänglichkeit mehr als deutliche Warnung vor Augen. Lilian hingegen erschien ihm ebenfalls wenig erpicht darauf, über Nähe und freundliche Streicheleinheiten hinaus zu gehen. Zudem, warum sollte man die Speziesgrenzen zwanghaft übertreten wollen? Wenn man sich auch ohne sehr gut verstand? ~~~>* Die Dekorationen hatten gewechselt, das konnte Alix nicht entgehen. Luftschlangen und Konfetti wichen Herzchen und Blumen. Richtig, für die einen war es Aschermittwoch, die große Ausnüchterung nach der fünften Jahreszeit, für die anderen der Valentinstag, Hochamt der Verliebten! Wobei man sich gerade nicht leicht tat: Schokolade, vorgezogene Blumen oder Schmuck wurden mit ausbeuterischer Kinderarbeit, Pestiziden und Verletzung diverser Menschen- und Naturrechte verbunden. Reisen schädigte auch die Umwelt, das Klima litt unter dem Konsum, falls man subtiler Weise Bekleidung verschenkte...die Liste ließ sich noch fortsetzen. Alix konnte nicht behaupten, sich jemals in diesem Dilemma befunden zu haben. Er hätte auch nicht zu raten gewusst, welche Geste wohl noch gerade ethisch vertretbar sein konnte. Seine professionelle Auffassung votierte eher zu präzisen Vereinbarungen, doch das verbuchte man landläufig nicht unter "Romantik". Von der Teeküche gerade zu seinem Büro zurückkehrend hörte Alix ein Rumpeln, von einem unterdrückten Winseln begleitet. Hastig beschleunigte er, so schnell ihn sein lädiertes Bein trug. "Lilian?!" Lilian kauerte vor dem Schreibtisch, rieb sich die Knie, schenkte Alix ein verschrecktes Raubtiergebiss-Blecken. Eilig schloss der die Bürotür hinter sich. "Hast du dich verletzt? Was ist passiert?" Er streckte die freie Hand aus, damit Lilian sich hochziehen konnte. Was Lilian tat, um dann gleich die Arme um Alix' Nacken zu schlingen. "Ich hatte Angst, es ginge nicht mehr, weißt du?! Ich bin ja sichtbar! Wenn ich nicht kostümiert bin!" Alix stutzte, streichelte dann mit dem freien Arm über Lilians verspannten Rücken. "Also, Lilian, für mich bist du nie kostümiert gewesen. Wenn wir uns in meiner Wohnung treffen, kann dich auch niemand sehen, der das nicht sollte. Zwischen uns ändert sich doch nichts." Oder zumindest hatte er sich darüber keine Gedanken gemacht, nicht erwogen, ob Lilian ihn auch außerhalb der Engagements in der Menschenwelt besuchen wollte! Reichlich eingebildet! Lilian schnaufte unterdessen erleichtert durch. "Ich war nicht sicher, weil mein Portalpass ja deaktiviert ist und niemand so genau weiß, wie das zwischen uns funktioniert." Dem konnte Alix nur beipflichten. Nachlässiger Weise hatte er sich simpel allzu schnell an Lilian gewöhnt, ihn als selbstverständlich angenommen. "Du hast recht, so schlicht verhält es sich nicht. Du bist jetzt also direkt von deiner Seite gewechselt?" Das stellte eine neue Qualität dar, denn eigentlich gingen sie bisher von lediglich "Sprüngen" auf der menschlichen Seite aus. "Ja..." Dämmerte nun auch Lilian, der Alix nervös ansah. "Wir müssen uns abstimmen." Stellte der fest, schenkte Lilian ein aufmunterndes Lächeln. "Wenn wir davon ausgehen, dass du in meiner unmittelbaren Nähe die Seite wechselst, ist es wohl am Besten, wenn ich zu Hause bin. Ab neun Uhr wochentags ist das sicher. Am Wochenende bin ich nur manchmal vormittags zum Einkaufen unterwegs." Ein lösbares Problem, in Alix' Auffassung. "So lange wir einander wohlgesonnen sind, sollte es nicht vorbei sein, ganz gleich, welche Jahreszeit wir gerade haben, ob eine Festivität ansteht oder lediglich Alltag angesagt ist." Lilian nickte, senkte den Blick. "Das war voreilig von mir, entschuldige! Ich hätte dich in Verlegenheit bringen können." Nicht auszudenken, wenn er gerade bei einem geschäftlichen Termin aufgeschlagen wäre! Lioba würde ihm eine Gardinenpredigt darüber halten, bei wie vielen Leuten der Friedensstifter einschlagen müsste, um derlei Katastrophen abzuwenden! "Es ist nichts passiert, ausgenommen, dass du dich erkälten wirst." Stellte Alix aufmunternd fest, ging so weit, mit der freien Hand Lilians Kinn anzuheben. "Treffen wir uns heute Abend bei mir, ja? Dann machen wir es uns gemütlich und ich schaue meinen Kalender durch, damit ich DICH nicht in Verlegenheit bringe, weil ich nicht da bin, wo ich sein sollte." Mit diesem Appell hatte er Lilian bereits getröstet, der nicht mehr verstört aus den tiefblauen Augen blickte. "Es macht dir nichts aus? Weil ja Valentinstag ist, sich Verliebte treffen sollen?" Hakte Lilian schüchtern nach. Alix zwinkerte, fühlte sich ungewohnt beschwingt, da er nicht Gefahr lief, durch Unaufmerksamkeit Lilians Gesellschaft zu verlieren. "Ich glaube, man sollte sich mit denen, die man mag, so oft treffen, wie es guttut. Gedenktage sind doch nicht mehr als Knoten im metaphorischen Taschentuch, von denen es besser wäre, man bräuchte sie gar nicht, weil man die Anlässe längst verinnerlicht hat." Ermutigt erwiderte Lilian das herausfordernde Lächeln, drückte Alix ein Küsschen auf die Wange, bevor er ansatzlos verschwand. "...niedlich." Murmelte Alix amüsiert, ein Gefühl, das er sehr lange verabschiedet hatte. JETZT rangierte er nicht mehr als "Notausgang", sondern als die Person, die Lilian gern vor dem Einschlafen treffen und sprechen wollte! Wer hätte gedacht, dass der ausgeborgte Namen eines imaginären römischen Helden eines Tages die eine Hälfte einer interdimensionalen Freundschaft schmücken würde? ~~~>* "Ich bin damit nicht einverstanden?! Was ist mit den REGELN los?!" Schimpfte Lioba aufgebracht, funkelte auf Lilian herunter, der ein ungewohnt trotziges Mäulchen zog. "Der Mensch ist doch ganz manierlich." Bemerkte Inspize Ruri, der einigermaßen gelassen die neueste Entwicklung notiert hatte. Offenbar benötigte Lilian KEINEN Portalpass, um in die Menschenwelt zu diesem Notar zu wechseln. Kein Pakt, kein Fluch, keine Beschwörung, nicht mal rückwärts laufende Musikaufzeichnungen zweifelhafter Qualität! Dramaturgisch gesehen konnte man sich wie Lioba durchaus betrogen fühlen. "Wieso darfst du einfach so rüber?! Und diesem Menschen alles Mögliche erzählen! Das ist doch nicht erlaubt!" Der Kampffächer kreiste energisch durch die Luft. "Alix ist sehr nett und klug. Er erzählt niemandem irgendwas! Und ich mag ihn!" Konterte Lilian verblüffend unerschrocken. Er hätte auch nichts einzuwenden gehabt, wäre ihm bekannt gewesen, dass Alix ihn für "niedlich" hielt, zum ersten Mal seit seiner wenig erfreulichen Kindheit entschieden eine persönliche, enge Beziehung eingehen wollte. "Trotzdem ist er ein Mensch! Wir wissen alle, dass die nicht ganz richtig im Oberstübchen sind!" Gewissermaßen konnte man das mit empirisch überwältigender Beweiskraft nicht widerlegen. "Alix verhält sich immer vorbildlich mir gegenüber. Selbst WENN ganz unwahrscheinlicher Weise mal etwas nicht so gut laufen sollte, kann ich sofort wieder auf diese Seite wechseln!" Demonstrativ schnippte Alix mit den Krallen. Sogar ohne Portalpass, das konnten nicht viele Daimonen von sich behaupten! "Du willst doch nicht wirklich zum Betthäschen mutieren?!" Fuhr Lioba das stärkste Geschoss auf. Sie richtete sich bereits darauf ein, Lilian weniger subtil die Bedeutung erläutern zu müssen, als der schnaubte. "In ein Häschen verwandle ich mich zwar nicht, aber mir macht es nicht das Geringste aus, in Alix' Bett mit ihm zu kuscheln! Es bricht MIR kein Zacken aus der Krone, wenn mich jemand mag und es mir auch zeigt." Das war, für Lilians Verhältnisse, eine sehr schroffe Zurechtweisung. Er wusste ja, dass Lioba sich grundsätzlich von nichts und niemand abhängig zu machen pflegte, gewisse Emotionen kategorisch zurückwies. Weil sie Mumpitz waren, der das Gehirn erweichte! Zwei Augenpaare duellierten sich, laserten dann zu Inspize Ruri, der nachdenklich die Nase rümpfte, die Schnurrhaare kräuselte. "Ausgesprochen kurios." Stellte der Fuchsgeist so viel- wie nichtssagend fest. Er kramte aus einer kleinen Tasche einen kleinen Block, notierte mit geübter Pfote einen Begriff, reichte das Zettelchen an Lilian weiter. "Ich empfehle, dass du dir ein eigenes Omniskop organisierst. Dann kannst du in die Menschenwelt schauen, ob es ungefährlich ist, zu deinem Menschen zu wechseln. Der scheint ja nicht sonderlich schreckhaft zu sein." Lilian strahlte begeistert, während Lioba wie ein Dampfkessel zischte. ~~~>* Kasimir mischte das Pülverchen, das natürlich nicht direkt aus der schmalen Tüte in die Tasse geglitten war, sondern sich dank schlecht perforierter Linie auf der Untertasse verteilte, mit heißem Wasser. Er hatte diese Alltagsmisere schon geahnt und beglückwünschte sich, im Rahmen seiner sehr bescheidenen Möglichkeiten, zu dieser Voraussicht, auch wenn ihm schon wieder die Augen tränten. "Pfuibah!" Kommentierte Kasimir, verzichtete darauf, sich die Nase zuzuhalten, weil damit das Geschmacksempfinden reduziert wurde, denn sie war ohnehin verstopft. Trotzdem schmeckte er ärgerlicherweise immer noch eine Ahnung von Tapetenkleister mit Waschmittel! Nun, solange es half, musste es nicht schmecken, richtig? "Buärks." Grummelte Kasimir unleidlich. Wenigstens drangen keine Fastnachtsmelodien mehr an sein Gehör (das hin und wieder doch die Taubheit verabschiedete), aber die zahlreichen Herzchen und Blumen in der Teeküche erinnerten ihn fatal daran, dass Valentinstag, vor allem aber schon Mittwoch im Kalender stand! Viel zu viel Arbeit für zu wenige Tage in der Woche! Heiser seufzte Kasimir, klebte sich ein Bonbon an den Gaumen. Seit fast einem Jahr war er in der Steuerberatung selbstständig, nach langen Pflichtjahren bei der "Öffentlichen Hand". Sein Abgang kam nicht überraschend, gleichwohl ohne positive Wünsche. Kein Wunder, da bildete die Finanzbehörde teuer aus, zwangsverpflichtete zu Fronjahren und dann zeigte sich das Personal leicht-flüchtig, ging von der Fahnenstange! Kasimir konnte dafür zahlreiche Gründe anführen, fühlte sich auch nicht undankbar. Er entstammte äußerst bescheidenen Verhältnissen, hatte immer zurückgesteckt, um zu lernen, sich fortzubilden, las Gesetze, Verordnungen und "Briefe" von europäischen und anderen Steuerbehörden, verfolgte die bedeutenden Gerichtsprozesse. Stillstand konnte man sich nicht leisten, auch wenn die digitale Ausstattung stark zu wünschen übrig ließ. Dann hatte irgendwer die Idee aufgebracht, man solle die Finanzbehörden auf "das Land" verteilen. Klar, da lebte es sich günstiger (angeblich), weshalb man sich über Besoldung und Einstufungen keine Gedanken machen musste. Außerdem gab es weniger Konkurrenz durch große Firmen, das Personal konnte nicht leicht flöten gehen! Kasimir, der immer in der Stadt gelebt hatte, dessen Familie ihm keinen Führerschein geschweige denn ein Fahrzeug finanzieren konnte, leistete dem "Umzug" nur grollend Folge, denn seine "Reise" in die Peripherie kostete ihn Nerven und Zeit. Außerdem war das Landleben keineswegs günstiger, vielmehr von Herausforderungen geprägt, die er in der Stadt nicht aushalten musste. Kaum Geschäfte, miese bis gar keine Verbindungen, medizinische Versorgung miserabel... Da konnte man gar nicht anders als den Abflug planen! Zudem drehte man die über die Corona-Pandemie unerwartet möglichen Erleichterungen der mobilen oder gar Tele-Arbeit gerade wieder zurück. Dazu kamen die üblichen Hoppla-Gesetzgebungen, die ihn jetzt auch beschäftigten, Förderpauschalen, temporäre Senkung der Umsatzsteuersätze, spektakuläre Urteile zur Verzinsung von Abgaben... Der glückliche Umstand, einfach die zwei Räume eines anderen Steuerberatenden, der sich an die Küste umgesiedelt hatte, übernehmen zu können, hatte Kasimirs Entschluss gefestigt. Mit Feuereifer und Elan stürzte er sich in das Abenteuer, einen eigenen Klientel-Stamm zu gewinnen, technische Herausforderungen (elektronische Postfächer...) zu meistern, sich mit den anderen Unternehmen im Gebäude zu verstehen und sich über Wasser halten zu können. Selbstredend wäre es bei all der Arbeit, die er sich angelacht hatte, vorausschauend gewesen, am Tag des Eisregens nicht mit jedem Busch und jedem Zaun persönlich Bekanntschaft zu schließen. Man hätte sich gleich einer Schwitzkur unterziehen sollen. Wenigstens nicht zwei Wochen lang alle Anzeichen einer schweren Erkältung ignorieren, bevor die Erkenntnis sich nicht mehr verdrängen ließ, dass JETZT mit pharmazeutischer Keule zurückgeschlagen werden musste. Mit anderen Worten: Kasimir laborierte in der vierten Woche trotz Unterstützung der örtlichen Apotheke an einer hartnäckigen, verschleppten Erkältung. Glücklicherweise schien sein direkter Flurnachbar, der Notar Alix van Houten, langmütig genug, ihm seinen bellenden Husten und das enervierende Gekrächze nicht nachzutragen! Andererseits konnte er ja auch im Büro krank sein, wenigstens auf Schneckentempo arbeiten, während er zu Hause bloß wie eine tote Sardine herumlag und keine Ruhe fand, weil er an die Gebirge von Arbeit dachte! Kasimir tappte in sein Büro zurück, überrascht, das Notariat schon verwaist zu finden. Nun ja, Valentinstag, möglicherweise eine Verabredung, richtig? Er schniefte verhalten, stapfte in sein Büro neben dem Besprechungsraum mit den Schrankwänden (papierlose Administration?! Selten so gelacht!). "He, haben Sie sich verirrt?!" ~~~>* Inspize Ruri wirbelte perplex herum, ließ dabei fast seinen Portal-Detektor fallen. Wieso konnte der Mensch ihn sehen?! "Fasching war gestern." Informierte ihn der etwas angeschlagen wirkende Mensch misstrauisch. "Ja, Valentinstag ist heute." Ruri antwortete, während seine Gedanken auf Hochtouren rotierten. Wieso SAH ihn ein Mensch?! Was sollte er nun tun?! Unauffällig fingerte er nach dem Friedensstifter. "Ja, aber da gibt es doch nur Putten in Windeln, oder?" Skeptisch beäugte ihn der Mensch von den Fuchsohren bis zu den Fuchspfoten in schicken Sandalen. Der Fuchsgeist blinzelte verwirrt. "Aha? Nun, eigentlich solltest du mich überhaupt nicht sehen." Sein Gegenüber stürzte zum Schreibtisch, umklammerte einen Zylinder mit Aufsatz, den er auf Ruri richtete. "Soll das eine Drohung sein?! Wollen Sie hier einbrechen, etwas stehlen?! Was soll das mit dem Beutel?!" Der PLAN sah vor, dass der Friedensstifter für eine Gedächtnismodulation sorgte. Weil Kasimir jedoch einen Hustenanfall erlitt, nach vorne klappte wie ein Taschenmesser, verfehlte ihn das Beutelchen, pupste nur eine schwächliche Pulverwolke aus. Durch einen herzhaften Nieser trieb die Schwade zu Ruri, der hastig mit einem Stofftaschentuch über seine eigene Erscheinung wischte. Theoretisch sollte ihm das Pulver nichts anhaben, aber HIER passierten zu viele merkwürdige Dinge, um nicht besser sehr vorsichtig zu agieren! ~~~>* Kasimir richtete nervös das nicht sonderlich hilfreiche Nasen- und Rachenspray aus. Eine Gefahr bestand hauptsächlich darin, dass die dämliche Kindersicherung es ihm bisher nicht gestattet hatte, sich mit dem Inhalt bekannt zu machen. Ob man aus der Entfernung vielleicht ein gemeingefährliches Pfefferspray annehmen könnte?! "Bist du vielleicht betrunken?" Erkundigte sich der Eindringling in dem seltsamen Kostüm, offenbarte eine Mimik und Gestik, die Kasimir verblüffte. "Ganz sicher nicht!" Schimpfte kollernd unterdessen sein Verstand auf Autopilot. Betrunken bei der Arbeit?! "Höchstens gedopt wegen der Erkältung." Gestand er ein, schob sich vorsichtig hinter seinen Schreibtisch. "Du bist krank?" Der Eindringling zog die Nase kraus, Schnurrhaare kräuselten sich, die spitzen Ohren zuckten täuschend echt. "Warum bist du nicht zu Hause in deinem Bett?" Kasimir knurrte heiser. "Weil die Heinzelmännchen hier noch nicht aufgeschlagen sind, um meine Arbeit zu erledigen!" Seine gepfefferte Antwort versetzte seinen ungebetenen Gegenüber in Alarmstimmung, das Fell stellte sich merklich auf. "Kommen die auch noch?!" ~~~>* Inspize Ruri ahnte, dass er eine weitere kommunikative Untiefe mit beiden Pfoten erwischt hatte. Für einige, sehr lange Augenblicke sahen sie einander an, merklich ratlos. "Hier gibt es nichts zu klauen! Ich rufe den Sicherheitsdienst!" Drohte der Mensch heiser, umklammerte das seltsame Utensil. Ruri grübelte. "Hier gibt es gar keinen Sicherheitsdienst. Ich will nichts stehlen. Wenn du krank bist, hast du wahrscheinlich Fieber, siehst deshalb Sachen, die es gar nicht gibt." Suggerierte der Fuchsgeist hoffnungsvoll. Das wäre doch eine prima Lösung, wenn man dann aufwachte, im heimischen Bett! Dann würde man doch ganz sicher überzeugt sein, geträumt zu haben, nicht wahr? Die Miene des Menschen nahm gewittrige Züge an. "Das ist ja unverschämt! Ich weiß sehr genau, dass ich wach bin und nicht irgendwelche Halluzinationen habe!" Ruri, der normalerweise nicht mit Menschen sprach, weil sie ihn ja nicht wahrnahmen, startete einen weiteren Anlauf. "Aber jemanden wie mich kann es doch gar nicht geben, richtig?" Dabei zupfte Ruri an den eigenen Ohren, strich seine Schnurrhaare glatt, präsentierte die Pfoten und seinen buschigen Fuchsschwanz. "Nun, ich weiß nicht, warum man sich so auffällig verkleidet, um hier einzudringen. Das heißt aber nicht, dass ich meinen Augen nicht traue." Versicherte der Mensch empört, stellte das Utensil auf dem Schreibtisch ab. Nachdenklich zupfte Ruri sich am Kinn. "Nun, was tun wir denn jetzt? Ich will nichts stehlen. Du solltest dich besser erholen und wieder gesund werden. Kannst du mich vergessen?" "Kommt gar nicht in Frage. Warum sind Sie hier, in meinem Büro?!" Ruri seufzte hilflos. ~~~>* "Im Nachbarbüro konnte ein Daimon einfach in diese Welt wechseln, ohne dass wir uns das erklären können. Deshalb habe ich überprüft, ob es in einem anderen Büro vielleicht auch eine Verbindung zwischen unseren Welten gibt. Oder eben nicht." Kasimir blinzelte, repetierte diese Antwort in seinem Hinterkopf. Er hatte keine Vorstellung, was exakt ein "Daimon" war, um welche Welten, Multiversen oder Dimensionen es ging, aber glaubhaft erschien ihm das nicht. "Das ist kein Kostüm." Zupfte der verkleidete Einbrecher an seiner Aufmachung. "Ich bin krank, aber nicht besoffen oder bekloppt!" Schimpfte Kasimir empört, weil man wagte, ihn mit so einem Unsinn abspeisen zu wollen! "Du kannst mich ruhig anfassen." Kasimir prustete vor Wut. "Sicher doch, damit ich gleich auch noch eine Anzeige wegen Übergriffigkeit und Belästigung bekomme!" Bevor er eine Tirade ansetzen konnte, die sich...nun, weniger gewaschen als gehustet, gekrächzt und mit Niesattacken garniert hätte, flitzte der Eindringling um den Schreibtisch, überrumpelte Kasimir und drückte mit den Pfoten seine Hände. "Alles echt!" Versicherte man ihm, dann kollidierte seine Stirn mit dem Stirnpelz. ~~~>* "Au-au-au!" Grummelte Ruri, rieb sich den Kopf, während er auf den dahin gestreckten Mensch blickte. In den Zeichentrickfilmen, die er als Aufbaukurs "menschliche Verhaltensweisen" studiert hatte, wirkte diese Vorgehensweise gar nicht so schmerzhaft! Hastig wühlte er auf dem Schreibtisch, bis er eine Brieftasche freilegte, den Personalausweis studierte. Seufzend sammelte er rasch Habseligkeiten ein, schloss das Büro ab und löschte das Licht. Einige Arrangements später hatte er von der Portalwache einen Express-Transport zur Hausanschrift bekommen. Mühsam stemmte Ruri Kasimir hoch, der verdächtig vor sich hin glühte, dann löste auch schon der Transport aus. ~~~>* "Das ist alles sehr seltsam." Konstatierte Ruri, nachdem er in der fremden Wohnung das Schlafzimmer ausgemacht und Kasimir mühsam auf das Bett bugsiert hatte. Eine Batterie an Flaschen, Tabletten-Blistern und diversen anderen Artikeln reihte sich neben dem Bett auf einer alten Obstkiste auf. Ächzend und grummelnd begab sich Ruri daran, Kasimir umzuziehen, denn der würde sich selbst keinen Fiebertraum glauben, wenn er nicht im Schlafanzug im Bett aufwachte, richtig?! Großer M, war das anstrengend! Außer Atem und selbst erhitzt plumpste Ruri auf das Bett, um seine nächsten Schritte zu erwägen. Natürlich müsste er das Gedächtnis von diesem Kasimir löschen. Andererseits: aus welchem Grund hatte der ihn gesehen?! Lag das nur an den Medikamenten?! "Mir gefällt das gar nicht. Es verstößt gegen die Regeln." Grollte Ruri, der sich Lioba nun sehr verbunden fühlte. Am Besten war es wohl, sich eine zweite Meinung einzuholen, andere Inspize zu befragen. Außerdem musste er mal seinen Friedensstifter überholen lassen, wenn der so wenig Wirkung zeigte! Als Ruri sich erheben wollte, fand er sich abrupt gebremst. Kasimir hatte sich auf die Seite gerollt, umschlang mit seligem Gesichtsausdruck Ruris buschigen Fuchsschwanz. Kuschelte! "Aber...?!" Protestierte Ruri ent-geistert, denn üblicherweise flauschte sich niemand an listige, gerissene Fuchsgeister so einfach an! Mit einem Ruck müsste er sich befreien, diesem ungezogenen Menschen eine Kopfnuss verpassen... Unter seiner Pfote glühte eine Stirn bedenklich heiß. Ruri seufzte. Er rutschte ein wenig herum, bis er sich ebenfalls auf dem Bett bequem eingerichtet hatte. Nun ja, Valentinstag, man sollte lieb zueinander sein, richtig? Selbst wenn er so GAR NICHTS mit einem geflügelten, mopsigen Geschöpf in Pampers zu schaffen hatte! ~~~>* "Das ist nichts für einen Amateur." Stellte Lioba fest, die zwei gerötete Stirnpartien treffsicher in ihrer Ursache detektierte. Ruri blinzelte, rieb sich die Augen mit den Pfoten, durchaus beschämt, weil er in dieser unwürdigen Position eingenickt war. Lioba schnaubte. "Dachte mir schon, dass du in der Klemme steckst, als mir die zwei Trollos vom Portal ausgesprochen LAUNIG erzählten, dass du einen Express-Transport gebucht hast und nicht mehr aufgetaucht bist." Der Fuchsgeist setzte sich auf, auch zu einer Verteidigung an, doch Lioba erhob befehlsgewohnt eine Klaue. Dann schnippte sie Kasimir gegen die Nasenspitze. Der grummelte, zuckte mit den Armen, was in Blitzes Schnelle ermöglichte, den gekaperten Fuchsgeistschwanz gegen ein kleineres Pendant aus kuschelweichem Plüsch zu tauschen. Kasimir seufzte wohlig im Schlaf, drückte den Stoff-Fuchsgeist, woraufhin ihn eine kleine Wolke einhüllte, die üblicherweise in Friedensstiftern beherbergt wurde. "Wir machen uns besser vom Acker." Verkündete Lioba gedämpft, stellte Ruri auf die Pfoten. "Meine Schlüsselkäfer haben von der Einsteigerei schon die Fühler gestrichen voll." Sie knurrte. "Außerdem musste ich von diesem Büro bis hierher marschieren. Du willst gar nicht wissen, was sich da für deppertes Volk herumgetrieben hat." SIE konnte ja keinen Express-Transport beanspruchen. Andererseits hatte Lioba befriedigt konstatiert, dass NIEMAND sie "erkannte". In all der Verworrenheit der Lage zumindest mal ein Lichtblick (auch wenn sich kein Mond zeigte). "Spitzwegerich." Im Flur blickte Inspize Ruri sich noch mal um, damit das "Traum-Szenario" mit dem wirklich kuschelweichen Fuchsgeist-Pendant keine logischen Brüche aufwies. "Spitzwegerich?" Echote er fragend. "Jepp." Lioba schnippte mit imponierenden Krallen, was ein Summen auslöste. Dezent verstimmt ob der zahlreichen Aktionen traten die Schlüsselkäfer erneut die Arbeit an, verschlossen die Wohnung hinter ihnen. Auf Pfoten bzw. Klauenspitzen huschten sie das Treppenhaus hinunter, von einem winzigen Leuchtkäfer-Schwarm sicher geleitet. "Dachte mir, in dieser verwünschten Bude muss irgendwas faul sein." Referierte Lioba an der klammen, recht warmen Nachtluft. "Filter in der Klimaanlage, Luftbefeuchter, Schimmelpilze...bei Menschen ist man ja vor nichts sicher!" Knurrte sie finster, reduzierte das Tempo ein wenig, damit der Fuchsgeist nicht hoppelnd sprinten musste. "Also war ich erst bei meiner Mutter, hab dann beim Deposize einen Olfanten ausgeliehen." Aus einer ihrer Munitionstaschen lugte ein kleiner Daimon mit Rüssel, Knopfaugen und großen Ohren. "Die ganze Batterie von dem Zeug, dass dieser Mensch da aufgereiht hatte, war schon bedenklich, aber bei einer Flasche mit Spitzwegerich-Saft, angeblich gegen Hustenreiz, ungezuckert, gab's Alarm." Ruri stolperte beinahe, weil er ungläubig sehr hoch zu Lioba blickte. "Hustensaft? Menschen können mit Hustensaft sehen, was TATSÄCHLICH da ist?!" Großer M, das war ja viel schlimmer als Alkohol! "Gegen Husten hilft das Zeug wohl eher nicht." Lioba präsentierte ihre beeindruckenden Fänge. "Scheint auch eher die großzügige Dosierung gewesen zu sein." Ruri hoppelte unbehaglich neben ihr her. "Könnte auch daran gelegen haben, dass die klebrige Brühe dezent überaltert war. Irgendwas von 2022." Sie grinste zu ihm herunter. "Da mich trotz der immer noch grassierenden Rotz- und Krächzseuche niemand gesehen hat, vermute ich, dass wir in keiner großen Gefahr schweben." Inspize Ruri, listiger Fuchsgeist, dachte einige Pfoten-Abschnitte angestrengt nach. Nein, seine Aktion brachte ihm weniger Ruhm als gutmütigen Spott ein, zweifellos. Waren die Daimonen dennoch sicher? Lag es tatsächlich an einem abgelaufenen Hustensaft, der diesen Kasimir DERART ausgenüchtert hatte, dass der wirklich akzeptierte, was er sah, also alle Varianten der vielgestaltigen Daimonen?! Wieso ein Stofftier?" Drängte sich endlich äußerst ungeduldig ein Aspekt auf, der länger lärmend in seinem Unterbewusstsein auf Aufmerksamkeit gepocht hatte. "Ah." Lioba rollte mit den muskulösen Schultern. "Geschäftsmodell meiner Mutter. Sie ist felsenfest überzeugt, dass alle mit dem richtigen Kuscheltier pflegeleichte Zeitgenossen werden und sich nicht mehr fürchten." Das erinnerte Ruri an die erwähnte Schönwetter-Wolke für den verschreckten Lilian als Mini-Daimon. "Das funktioniert?" Rutschte Ruri heraus, bevor er sich bremsen konnte, denn es schien nicht gerade klug, in seiner Situation mit einem Spezi für Sicherheit mit Gardemaß 2,10m unterschiedliche Überzeugungen zu diskutieren. Einschüchternde Fänge offenbarten sich weit über ihm. "Ich hatte einen Kuschel-Kronk. Kann jetzt nicht behaupten, dass ich mich vor was fürchte." ~~~>* Pussys Patisserie hatte gerade geöffnet, sodass sie die ersten Krem-Teilchen erwerben, es sich für ein sehr zeitiges Frühstück gemütlich machen konnten. Ruri übernahm die Auslage im Austausch für den Plüsch-Fuchsgeist, der ihn aus der innigen Umklammerung von Kasimir befreit hatte. "Vielen Dank für deine Hilfe, Lioba. Ich habe mich wirklich in eine vertrackte Situation manövriert." Bekannte Ruri, seufzte und mümmelte ein wenig deprimiert. Als Inspize in so eine Klemme zu geraten, bloß, weil man plötzlich sichtbar war, das kratzte am Selbstverständnis! "Keine große Sache." Kommentierte Lioba, die zu recht davon ausging, dass Ruri ganz sicher nicht erwähnen würde, wie sie dem Missetäter ihren starken Ausdruck persönlichen Missfallens verabreicht hatte. "Wir sollten uns aber öfter austauschen. Diese Menschen sind schließlich unberechenbar!" Ruri, der sich gerade gefragt hatte, ob er in Gefahr stünde, sein Fell über die Fuchsohren gezogen zu bekommen, wenn er Lioba vorschlug, hin und wieder zusammen zu frühstücken, starrte verblüfft zu ihr hoch. "Ich bin davon überzeugt, dass Menschen rund um die Uhr bekloppt sind. Man kann als Daimon nicht vorsichtig genug sein!" Sie halbierte ein letztes Teilchen, drückte Ruri auffordernd eine Hälfte in die Pfote. "Mal von Profi zu Profi: wenn man zu lange mit dieser Bagage zu tun hat, ist das wie mit dem Abgrund. Der guckt zurück." Lioba blickte finster vor sich hin, ließ automatisch den Kampffächer kreisen. Natürlich, wenn man für die Sicherheit verantwortlich war, musste man vorausschauend denken, sich in potentielle Gefahrenquellen hinein versetzen! Lilian mit seiner munteren, aber scheuen, freundlichen Art bildete zweifelsohne den Ausgleich für düstere Stimmungen im Gemüt. "Außerdem, wenn dieser Alix nun die Ausnahme von der Regel ist, bedeutet das ja, dass alle anderen den Wackelkontakt im Oberstübchen haben, richtig? Ich muss dir ja nicht sagen, wie es da in manchem Hirnkasten aussieht!" Tollkühn tätschelte Ruri mit der Pfote einen muskulösen Oberschenkel, huschte mit dem buschigen Schwanz über Liobas Waffenrock. "Ich puzzle gern zur Entspannung." Vertraute er Lioba an, kräuselte die Schnurrhaare, zwinkerte hoch. "Hilft das?" Etwas skeptisch lupfte Lioba eine kritische Augenbraue. Ruri kam auf die Sandalen und streckte ihr einladend eine Pfote hin. "Wenn du es gern versuchen möchtest?" Lioba schraubte sich hoch, ergriff die Pfote mit einer Klaue. "Ich halte ja immer die Luft an, bis ich umkippe, aber soll niemand sagen, ich wäre nicht aufgeschlossen für neue Erfahrungen!" Der Fuchsgeist, der seine Begleitung ausgesprochen originell fand, schmunzelte vor sich hin. Er hatte so eine Ahnung, dass sie beide ein ziemlich gutes Team abgeben würden! ~~~>* Alix lächelte vor sich hin, als er in gemessenem Tempo sein Büro anstrebte. Mit Lilian zu frühstücken gefiel ihm wirklich sehr, noch mehr jedoch die Aussicht, am Wochenende viele Stunden gemeinsam zu verbringen! Wer hätte gedacht, dass er sich einmal so glücklich in unmittelbarer Gegenwart einer anderen Person fühlen würde! Er grüßte Kasimir höflich, der in der Teeküche diverse Schachteln und Blisterverpackungen in einen Karton räumte. "Guten Morgen! Ich bin wieder fit und nicht ansteckend!" Betonte der energisch, schob sich eine Tasche mit langen Trageriemen über die Schulter, den Karton apportierend. Alix bekundete seine wohlmeinenden Genesungswünsche, folgte langsam. Trogen ihn seine Sinne, oder spitzte aus der Tasche ein Kuscheltier mit spitzen Ohren, Schnurrhaaren und einem zum Schmusen einladenden, buschigen Schwanz? Kasimir, der sich "Maskottchen" als Ausrede zurechtgelegt hatte, platzierte sein Füchschen neben sich auf den Schreibtisch. Man konnte nicht nur prima kuscheln, nein, es roch auch sehr angenehm und munterte ihn auf, sich nicht von der Arbeit ins Bockshorn jagen zu lassen! Wahrscheinlich brachte das Füchschen auch Glück! Hochgestimmt begab sich Kasimir mit Elan an seine Arbeit. Dass eine Flasche mit klebrigem Inhalt in seinem Karton fehlte, bemerkte er gar nicht. ~~~>* Der Große M schlüpfte aus seinem Puschen, machte es sich bequem. Erstaunliche Vorkommnisse, ein Dutzend sehr fleißiger Olfanten und seine P.U.D.E.L., die zur Abwechslung mal keine Missetäter einkassiert hatten, sondern dubiose Hustensäfte eingesammelt, ja, da wurde einem nicht langweilig! Wenn man so wollte, war für ihn jeder Tag ein Valentinstag, weil er seinen "Job" einfach liebte! ~~~>* Ende ~~~>* Danke fürs Lesen! kimera