Titel: Once Upon A Time In Taurin Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Original FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Erstellt: 31.12.2000 Anmerkung: Das hier ist meine erste Fantasy-Story, darum bitte keine zu hohen Erwartungen hegen! ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ Once Upon A Time In Taurin Kaoru lümmelte gelangweilt auf dem Thronsessel herum. Wie immer ließ er ein Bein über die Lehne baumeln und schlug mit der Ferse rhythmisch gegen das massive Stuhlbein. Den Kopf in der rechten Hand aufgestützt blickt er gelangweilt zwischen den langen Ponysträhnen in die große Halle. Wie üblich schwenkte er schon am Vormittag in der Linken einen goldenen Pokal, in dem eine rote Flüssigkeit hin und her schwappte. Sein Blick glitt über die Anwesenden hinweg: Höflinge und Bedienstete, Speichellecker, Einschmeichler und Vertraute. Die übliche Bande junger adliger Nichtstuer, die seine Entourage bildeten, amüsierte sich gerade damit, mit Spielkarten einen Turm zu errichten. Diese überaus feinsinnige Aufgabe wurde durch die aufgrund hohen Alkoholkonsums stark eingeschränkte Motorik der Teilnehmer erheblich erschwert. Zwischen diesen Ausbünden an Manneszier hockten Dienerinnen, die als Gesellschafterinnen ausgebildet waren, zum Teil ebenfalls stark alkoholisiert. Der Geräuschpegel war beinahe unerträglich, aber Kaoru schaltete sein Bewusstsein einfach ab und glitt aus den Engen des Thronsaals hinaus. Er hatte Übung darin, einen wachsamen Eindruck zu machen, während er sich tatsächlich geistig mit ganz anderen Dingen befasste. Aber so etwas lernte jeder schnell, der von Kindesbeinen an den Ratssitzungen der Fürsten beiwohnen musste. »Ich würde jetzt gern in einer Hängematte im Schatten eines großen Baumes liegen mit Blick auf ein Bassin, dazu noch ein kühles Getränk...« Eine unerwartete Bewegung in seinem Gesichtskreis riss ihn jäh in die Gegenwart zurück. Am Spieltisch war es zum Eklat gekommen, allerdings nicht zwischen den Kontrahenten der zwei Mannschaften, sondern ein Mitglied der Königsgarde hatte den Unmut der Spieler erregt. Kaoru schlug mit der flachen Hand auf die Lehne und setzte sich gleichzeitig mit katzenartiger Geschmeidigkeit aufrecht. "Was soll der verdammte Tumult?" Im Saal wurde es schlagartig still, auch wenn Kaoru mit ruhiger, beherrschter Stimme gesprochen hatte. Niemand wollte es soweit kommen lassen, dass Kaoru die Stimme erheben oder gar schreien musste. Der Thronerbe hatte die unangenehme Angewohnheit, die Verursacher solcher Unruhe zum Zweikampf zu fordern. Was mit einer schmerzhaften und unausweichlichen Demütigung enden würde, da niemand in den vereinten Reichen in der Lage war, Kaoru zu schlagen. Der Gardist war in die Knie gesunken, hatte den Helm vom Kopf genommen und beugte nun das Haupt vor Kaoru. "Verehrter Prinz, künftiger Herrscher der vereinten Reiche, ich habe eine überaus wichtige Nachricht an Euch zu überbringen!" "Nun mach er es nicht so spannend, trete er vor und spreche vor mir. Die anderen werden sofort die Streitigkeiten beilegen, habe ich mich verständlich gemacht?!" Während der Gardist eilig die Stufen zum Thronsessel überwand und sich dort wieder niederkniete, setzten sich alle anderen wieder auf ihre Plätze. Man nahm nun mit gedämpften Diskursen den Kartenturmbau wieder auf. "Nun, ich höre..." "Verehrter Prinz, wir haben in den Grenzwäldern zu Taurin einen besonderen Fang gemacht." "Lass er sich nicht die Würmer aus der Nase ziehen, was ist der Fang?" Kaoru konnte am glühenden Gesicht des Gardisten erkennen, dass es sich wohl wirklich um etwas Besonderes handeln musste. Ein wilder Eber oder ein Zyklop wäre diese Aufregung wohl nicht wert. "Wenn Eure Hoheit erlauben, so wird er in das Nachbargemach gebracht, wo man ihn in Augenschein nehmen könnte?!" "Ich hoffe, er hat eine Überraschung parat, die diese Anstrengung auch wert ist!" Drohte Kaoru und registrierte befriedigt die nun etwas angespannte Miene des Gardisten. Dann erhob er sich geschmeidig, ordnete seine Gewänder und schritt in das mit einem schweren, gewebten Vorhang abgetrennte Nebengemach. Die Sonne schien grell durch das hohe Glasfenster, und nach dem kühlen, dunklen Thronsaal war Kaoru an der Schwelle leicht geblendet. Er blinzelte kurz, dann musterte er die im Gemach anwesenden Personen. Zwei Gardisten hielten eine weitere Person zwischen sich auf dem Boden kauernd. "Eure Hoheit?" Fragend tauchte der Gardist neben ihm auf und gab mit einer hastigen Geste zu verstehen, dass die Gardisten nun ihre Beute präsentieren sollten. Die Person zwischen ihnen hatte nur noch bunte Fetzen am Leib. Schwere Ketten hielten Hände und Füße zusammen. Um den Hals war ein Eisenring gelegt, an dessen Kette nun ein Gardist zerrte. "Hoch mit dir, Abschaum!" Der heftige Ruck entlockte der Person auf dem Boden keinen Laut, obwohl er zweifellos schmerzhaft sein musste. Dennoch blieb das Gesicht auf den Boden gerichtet. "Du Stück Dreck!" Mit einer heftigen Geste packte der Gardist die bunten Fetzen, die wohl mal die Haare bedeckt hatten. Darunter erschienen meergrüne Haarsträhnen, die in den eindringenden Sonnenstrahlen einen goldenen Funkenregen versprühten. Gewaltsam riss der Gardist der kauernden Person den Kopf in den Nacken, aber auch diesmal kam kein Laut vom Geschundenen. Kaoru trat näher und dann stockte ihm der Atem. "Wahrhaftig, er hat tatsächlich einen überraschenden Fang gemacht! War diese Person allein, als er ihn einfing?" "Mein Prinz, es war niemand in der Begleitung dieses Abschaums. Wir haben die ganze Grenzgegend sorgfältig durchkämmt." "Er wird mit seinen Leuten belohnt werden. Er melde sich bei meinem Verwalter. Er kann jetzt gehen." "Eure Hoheit, dieses Stück Dreck könnte aggressiv werden..." "Hat er nicht verstanden?! Er ist entlassen!" Kaoru zischte die letzten Worte. Die Gardisten verbeugten sich hastig und verließen fast fluchtartig den Raum. Vom brutalem Zugriff des Gardisten befreit hatte der Gefangene das Gesicht wieder den Steinfliesen zugewandt, auf denen er kauerte. Kaoru bewegte sich langsam auf ihn zu. Obwohl die Ketten ausreichend schienen, war er vorsichtig. "So sieht man sich wieder, was, Jadeauge?" Der Angesprochene reagierte mit keiner Bewegung auf Kaorus Frage. Kaoru zwang sich zur Ruhe und betrachtete seinen Gefangenen. Meergrüne Haare mit goldenem Glitzer, dazu bronzefarbene, glatte Haut. Das Gesicht, das er nur einen Augenblick gesehen hatte, hatte sich trotz der Schmutzstreifen nicht verändert seit ihrer letzten Begegnung. Noch immer waren die schwarzen Wimpern über den Jadeaugen mädchenhaft lang, die hohen Wangenknochen mit winzigen Sommersprossen übersät. Der sanfte, stets leicht spöttisch lächelnde Mund hatte noch immer die Farbe reifer Erdbeeren. Die bunten Fetzen waren wohl einmal die übliche Bekleidung eines Taurin gewesen: Pluderhosen, über die ein weites langes Gewand getragen wurde. Dazu ein langes Tuch, das zum Schutz vor Staub vor das Gesicht und um die Haare gewickelt wurde. Aber etwas stimmte nicht. Wo waren die üblichen Lederstiefel? Jadeauges Füße waren bloß und durch den Marsch schmutzig und blutig. Außerdem trug er keinerlei Schmuck. Kaoru bezweifelte, dass die Gardisten dumm genug gewesen waren, ihrem Gefangenen diese Dinge zu rauben und dann vor ihm zu verschweigen. Schließlich raffte er seine Gewänder und kniete sich anmutig vor dem Gefangenen hin. Er streckte die Hand aus und schob sie unter Jadeauges Kinn, dann hob er dessen Gesicht an, um ihm in die Augen blicken zu können. "Kein Zweifel, du bist es wirklich. Aber du bist so schweigsam? Hast du ein Gelübde abgelegt oder deine Zunge verschluckt?" Jadeauge erwiderte seinen Blick ohne eine Regung. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, das spöttische Lächeln schien Vergangenheit zu sein. Kaoru runzelte die Stirn. Irgendetwas war hier im Gange, aber er konnte noch nicht sagen, was das war. "Ich bin ein wenig überrascht, dass dein Clan jemanden so wertvollen wie dich allein durch die Grenzgegend laufen lässt. Und dann lässt du dich von ein paar Gardisten einfangen? Und wo sind wohl deine Stiefel und dein Schmuck?" Noch immer keine Reaktion. "Nun, du darfst dich glücklich schätzen, mein ganz persönlicher Gast zu sein." Kaoru richtete sich auf und griff nach der Kette des Halsringes. "Steh auf." Nur gelinde überrascht beobachtete er, wie Jadeauge in einer Imitation seiner geschmeidigen Bewegung ebenfalls vom Boden aufstand. Nun musste Kaoru allerdings den Kopf etwas senken, um Jadeauge in seine schönen, grünen Augen blicken zu können, denn er überragte den Taurin um eine halbe Kopfhöhe. Aber das war auch bei fast allen anderen seines eigenen Volkes so. "Komm, ich denke, ein Bad ist dringend angebracht." Wenn er gehofft hatte, dass die Bemerkung bei den auf Sauberkeit achtenden Taurin Jadeauge zu einer Reaktion verleiten würde, so wurde er enttäuscht. Jadeauge senkte den Blick auf seine Füße und trottete wortlos hinter Kaoru her. Sie betraten den Gang, durch den vor ein paar Augenblicken die Gardisten hastig das Gemach verlassen hatten. Kaoru schritt ruhig über die kühlen Fliesen, folgte dem Flur, der in einen offenen Säulengang mündete. Man konnte an den schmalen Säulen in den Innenhof blicken, in dem üppiges Grün in Büschen und Bäumen eine Oase zwischen den Steinmauern bildeten. Er hörte das beruhigendes Murmeln des künstlichen Brunnens und seufzte leise. Dann wandte er sich zur linken Seite, folgte dem Säulengang bis zu einer massiven Holztür mit kunstvollen Eisenbeschlägen. Kaoru blieb stehen und bemerkte, dass Jadeauge nicht mehr zu Boden blickte, sondern den Kopf zum Innenhof gedreht hatte und die Anlage betrachtete. Allerdings konnte Kaoru seinem Mienenspiel nicht entnehmen, warum er dorthin sah, oder was er bei dem Anblick empfand. Nach allem, was Kaoru über Taurin wusste, gab es dort Wüsten und Steppen, Wadis und natürlich zwischen den hohen Bergkuppen die Siedlungen der Clans, zumeist an Quellen oder unterirdischen Strömen. »Vielleicht erinnert ihn diese Oase an seine Heimat?« Dachte Kaoru versonnen. Dann bemerkte er, dass Jadeauge ihn beobachtete, ohne eine Regung erkennen zu lassen. Abrupt drehte Kaoru Jadeauge den Rücken zu und öffnete entschlossen die schwere Tür. Dahinter hörte man fröhliches Geplauder und Gelächter, das Spritzen von Wasser und das helle Sprudeln von Springbrunnen. "Allan? Bist du hier?" Kaoru schritt über helle Fliesen auf das riesige Becken zu, das von Pflanzenkübeln umgeben war und die ganze Mitte des Raumes einnahm. Durch die Glaseinlässe in der Decke fielen Sonnenstrahlen auf die Wasseroberfläche und brachten die kleinen Wellen zum Glitzern. Kaoru blieb am Beckenrand stehen und blickte zu einer der Säulen hinüber. Das Becken hatte nicht die übliche quadratische Form, sondern war wellenförmig angelegt, sodass die Kurven zusammen mit den die Decke abstützenden Säulen und den Pflanzen kleine Separees bildeten. Die dem Badespaß mit angenehmer Gesellschaft noch einen besonderen Anreiz gab. Hinter einer der Säulen tauchte nun ein junger Mann auf. Die goldroten Haare hingen lose um seinen Kopf und bedeckten mit ihrer Länge fast seinen ganzen Oberkörper. Er trug nur einen weißen Lendenschurz. Grinsend watete er durch das Becken, während im Hintergrund spärlich bekleidete Dienerinnen hastig das Becken verließen und durch eine kleine Seitentür verschwanden. "Kaoru, du bist ein echter Spielverderber. Gerade, als es richtig gemütlich wurde..." Kaoru betrachtete seinen Freund und Vertrauten Allan schmunzelnd. Üblicherweise trug der schreiend bunte Gewänder und seine roten Haare in einem schweren Zopf. Sein breites, freundliches Gesicht und seine lockere, joviale Art sorgten dafür, dass er viele Freunde hatte und schnell Anschluss fand. Aber Kaoru kannte Allan schon seit ihrer Kinderzeit und wusste, dass dies ein sorgfältig kalkulierter Eindruck war, der Allans herausragende Intelligenz und seinen scharfen Blick für die Situationen verhüllen sollte. Nicht umsonst hatte er den Sohn des früheren Verwalters zu seinem Vertrauten gemacht. Im Gegensatz zum Umgang mit den anderen Hofschranzen verließ er sich oft auf Allans Urteil und vertraute sich ihm an. Außerdem schätzte er Allans Sinn für Humor und seine unbedingte Loyalität sehr. Er beugte sich vor und streckte Allan die freie linke Hand hin und zog seinen Freund aus dem Wasser. Der schüttelte sich natürlich wie ein Bär und benetzte sie mit einem feinen Sprühregen. "Allan, hör auf, deine Zotteln so durch die Gegend zu schwenken! ICH bin schon gewaschen!" "Eine Abkühlung hat noch niemandem geschadet, mein hochverehrter Prinz." Spottete Allan. Er war der Einzige, der ungestraft so mit Kaoru umspringen durfte. Allan blinzelte kurz Wasser aus den Augen, dann blickte er scharf auf die Gestalt, die regungslos hinter Kaoru stand. "Wow, wenn das nicht Jadeauge aus Taurin ist, der Sohn des herrschenden Clans! Aber was ist das denn für ein Aufzug? Ist das jetzt die neueste Mode? Kaoru, wie kannst du mir das antun? Ich bin völlig derangiert, und du bringst Gäste mit! Du liebst mich nicht!!!" Allan schob geziert ein Bein vor das andere, leicht angewinkelt, ließ seine Hüfte leicht nach vorne kippen und schlug in gespielter Verzweiflung die Hände vors Gesicht. Kaoru musste lachen, Allan war einfach zu komisch. Der blickte zwischen den Fingern in Kaorus amüsiertes Gesicht und erwiderte dessen Lächeln verschwörerisch. Dann gab Allan seine Pose auf und trat auf Jadeauge zu. Ohne sich lange aufhalten zu lassen riss er mit ein paar kräftigen Bewegungen die bunten Fetzen von Jadeauges Leib. Nicht nur das lange Oberkleid war zerfetzt, auch die Pluderhose war völlig zerrissen. Im nächsten Moment stand Jadeauge nur noch mit einem einfachen Lendenschurz da. Kaoru und Allan betrachteten den Jungen vor ihnen schweigend. Auf Armen und Beinen befanden lange Schrammen und Kratzer, Blutergüsse schimmerten in kaleidoskopischen Farben. Der sehnige, durchtrainierte Leib wirkte für die schweren Ketten viel zu schwach. Allan fasste Jadeauge behutsam beim Arm, um die Fetzen des Kopftuches zu entfernen, als er mitten in der Bewegung stockte und zischend die Luft zwischen den Zähnen einsog. Kaoru blickte in das entsetzte Gesicht seines Freundes und fragte besorgt. "Was ist los?" Allan drehte Jadeauge vorsichtig am Arm zur Seite, sodass Kaoru einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte. "Was, bei allen Feuerdrachen...?!" Kaoru spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich. So etwas hatte er noch nicht gesehen, und er war immerhin ein Kämpfer! Jadeauges Rücken war von unzähligen blutigen Striemen übersät. Kein Stück Haut, das nicht blutig oder verschorft war. "Wer... wer hat dir das angetan?" Krächzte Kaoru, aber Jadeauge blickte starr an ihnen vorbei, ohne die Miene zu verziehen. "Er redet wohl nicht gern, mh?" Brach Allan das folgende Schweigen betont munter. "Na gut, ist auch nicht nötig, wir haben alle unsere kleinen Vorlieben und Geheimnisse. Ich schätze mal, dass du unserem hochverehrten Gast eine kleine Wäsche zukommen lassen wolltest." Kaoru nickte und spürte Wut in sich aufsteigen. Eine mörderische Wut. Auf Jadeauges stoisches Schweigen, auf die, die einem Menschen so etwas antaten und auf sich selbst, weil er aus der ganzen Sache nicht schlau wurde. Allan schien seine Stimmung zu spüren, denn er fasste beruhigend nach Kaorus Hand und drückte sie sanft. "Ich schlage vor, wir gehen in den Nebenraum und kühlen uns alle drei ein wenig ab. Ich werde Raissa nach Medizin und Wundzeug schicken. Geh du mit unserem Gast schon mal vor." Kaoru nickte zustimmend und zog Jadeauge hinter sich her, während Allan die kleine Tür, durch die die Dienerinnen so eilig den Raum verlassen hatten, öffnete und nach seiner ganz speziellen Freundin Raissa rief. Kaoru schloss die Tür hinter sich und schob Jadeauge dann vor sich her in die Mitte des kleinen Raumes. In den Boden war ein quadratisches Becken eingelassen. Mehrere Stufen führten hinab, sodass man sich bequem niederlassen konnte. Aus einem kunstvollen Wasserspeier in der Wand lief klares, kaltes Wasser in ein kleines Becken. Daneben standen einfache Holzeimer, außerdem Bürsten und Schwämme, Flaschen mit Seifenschaum und ätherischen Ölen. In einem flachen Regal hingen verschieden große Handtücher und Waschlappen. "Wohlan, Jadeauge, ich will keinen Ärger haben. Also wirst du mir versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, während wir hier baden. Ich nehme dir dann die Ketten ab." Kaoru sah Jadeauge abwartend an. "Also?" Der blickte ihn unverwandt an und nickte dann nachdrücklich. Er hob die aneinander geketteten Hände zu seiner Brust, legte die Linke auf sein Herz und nickte noch einmal. Kaoru erwiderte die Geste. Jadeauge hatte zwar nichts gesagt, aber er erkannte den Eid, und die Taurin hielten ihre Ehre sehr hoch. Kaoru griff in die schmale Tasche an der Seite seines rechten Hosenbeines und holte einen Dietrich hervor. Warum sich mit einem großen Schlüsselbund plagen, wenn es auch andere Möglichkeiten gab? Er öffnete die Ketten und den Ring um den Hals. Die Haut war überall aufgerissen und gerötet. Achtlos ließ Kaoru die Ketten und den Ring zu Boden fallen, stieß dann alles ungeordnet mit dem Fuß in eine Ecke. Er blickte Jadeauge noch einmal prüfend in das Gesicht, konnte aber keine Anzeichen für eine Attacke oder etwas Anderes darin erkennen. Kaoru trat einen Schritt zurück, packte dann mit der linken Hand seine Mähne zusammen und schob sie unter den Halsausschnitt seines Obergewandes. Mit der Rechten öffnete er gleichzeitig das Band, das das Gewand am Hals zusammenhielt und zog es dann geschmeidig über den Kopf. Achtlos fiel das Gewand zu Boden, während seine langen, schwarzen Haare mit den auffälligen lila- und silberfarbenen Strähnen um seinen bloßen Oberkörper schwangen. Er öffnete das Taillenband und ließ die Hose mit all dem Krimskrams in den unzähligen, kleinen Taschen zu Boden sinken. Dann schlüpfte er aus den einfachen Stoffsandalen, die er bei Hofe trug. Nun standen sie beide einander gegenüber, nur noch mit einem Lendenschurz bedeckt. Kaoru ließ den Blick über Jadeauge ungeniert schweifen, aber was er sah, erschütterte ihn aufs Neue. Er erinnerte sich daran, dass Jadeauge bei ihrer letzten Begegnung vor drei Jahren bereits unglaublich schön gewesen war. Wobei diese Schönheit wohl von den Taurin nicht gerade als Pluspunkt gewertet wurde bei einem Mann. Ein Mann sollte Charakter haben, nicht schön sein, so oder ähnlich war doch die Rede gewesen? Nun standen sie einander wieder gegenüber, und irgendjemand hatte diesem schönen Jungen so viele furchtbare Wunden beigebracht. »Oh ja!« Dachte Kaoru verbittert. JETZT würde Jadeauge Charakter haben, kein Zweifel! Keine Wundsalbe konnte alle diese Male spurlos heilen lassen. Er bemerkte, dass Jadeauge ihn ebenfalls musterte, genauso ungeniert und eindringlich. Eigentlich waren sie völlig unterschiedliche Typen: Jadeauge sehnig und agil, beherrscht von den Grüntönen der Augen und seines Haares und der bronzefarbenen Haut, während Kaoru athletisch-muskulös gebaut war mit heller Haut, die stark zu den schwarzen Haaren und den violetten Augen kontrastierte. Während sie einander noch betrachteten, platzte Allan herein und lächelte, als er die beiden Kontrahenten so sah. "Na los jetzt, das Wasser wartet! Raissa bringt die Salben und das restliche Zeug und legt alles vor die Tür. Wir wollen doch unseren Gast noch ein wenig für uns allein haben, wir drei Hübschen?!" Allan schnappte sich einen der Holzeimer, füllte ihn am Wasserspeier und studierte dann mit gerunzelter Stirn die verschiedenen Flaschen. "Hm, wer die Wahl hat...Kaoru, mir ist nach Frucht und Zitrone, bist du dabei?" Kaoru nickte zustimmend, während er Waschlappen, Schwämme und Bürsten aussuchte und am Beckenrand platzierte. "Und für unseren Gast, der da zur Salzsäule erstarrt ist?! Ja, ich denke, dies hier ist angemessen." Kaoru beugte sich zu seinem Freund und inspizierte die Aufschrift. "Die grüne Lagune? Was ist das denn für ein Zeug?" Allan öffnete die Flasche und hielt sie Kaoru unter die Nase. "Und?" "Hm, Sandelholz und frische Kräuter mit einem Hauch Zitrone würde ich sagen." Allan wandte sich zu Jadeauge um. "Was denkst du, ist das in Ordnung?" Jadeauge schwieg beharrlich und zuckte mit den Achseln. "Nun denn, frisch ans Werk!" Allan rieb sich die Hände, drehte sich nach Jadeauge um und griff einfach nach seiner Hand. Ohne eine Reaktion abzuwarten zog er den Jungen hinter sich her die Stufen hinunter in das Becken. "Bitte hinsetzen!" Kommandierte er und Jadeauge nahm gehorsam Platz. "Mein heißgeliebter Prinz, der Gast ist heute zuerst dran, also reiche mir mal den Eimer und die Seife, sei so freundlich." Kaoru reichte das Gewünschte weiter und setzte sich auf die andere Seite neben Jadeauge. Jeder nahm sich einen Waschlappen, tauchte diesen in den Wassereimer und benetzte dann den feuchten Lappen mit der flüssigen Seife. "Du oben, ich unten, wer zuerst in der Mitte ist, hat gewonnen?" Schlug Allan gewohnt launig vor. Kaoru nickte grinsend und machte sich sofort an die Arbeit. Während Allan sich vor Jadeauge hinkniete und vorsichtig dessen Füße vom Schmutz reinigte, drehte Kaoru Jadeauges Kopf zu sich herum. Vorsichtig strich er die meergrünen Haarsträhnen aus dem Gesicht und band Jadeauges Haare mit einem Lederband zusammen. Dann nahm er den Lappen und hielt mit der freien Hand Jadeauges Kinn umfasst, um vorsichtig sein Gesicht abzuwaschen. Der blickte ihn unverwandt an, als nähme er Allans Bemühungen gar nicht wahr, als spüre er die Seife nicht in seinen Wunden, als ginge ihn das alles gar nichts an. Kaoru dachte beklommen. »Ich hätte schon geschrien vor Schmerz! Wie kann er nur so selbstbeherrscht sein?« Er wischte sanft über die zarte Haut am Schlüsselbein, griff dann Jadeauges Arme und hob sie an, um dort gründlich Schmutz zu entfernen. Allan war inzwischen bereits zum dritten Mal zum Wasserspeier gelaufen und hatte das Wasser im Eimer ausgetauscht. "Da werden die Algen im Außenteich aber ganz schön Arbeit haben." Murmelte er. Der Außenteich war mit verschiedener Wasservegetation und Tieren bestückt worden, die das Wasser reinigten, was aus den Wasserbecken nach außen floss. Kaoru hatte inzwischen die Taille erreicht, es fehlte jedoch noch der Rücken. Allan bat Jadeauge aufzustehen, damit er seine Oberschenkel und den Unterleib auch noch bearbeiten könne. Kaoru zögerte, als Jadeauge vor ihm stand. Er stellte sich hinter ihn und betrachtete die vielen Wunden. Wo sollte er da anfangen? Ganz gleich, was er tat: es würde furchtbar wehtun. Allan bemerkte sein Zögern und brummte. "Sieht so aus, als wolltest du mich gewinnen lassen! Willst du mich beleidigen?!" Kaoru atmete tief durch und strich dann vorsichtig über Jadeauges Schulterblätter. »Er zuckt nicht mal.« Dachte Kaoru erschüttert. »Was ist mit ihm los?« Dann spürte er wieder den mühsam unterdrückten Zorn in sich aufsteigen. »Warum redet Jadeauge nicht mit mir? Was soll dieser Auftritt? Ich bringe dich schon zum Reden!« Er biss sich fest auf die Lippen, um dann konzentriert und mit steinerner Miene Jadeauges Rücken zu säubern. Der starrte unverwandt ins Leere, gab weiterhin kein Wort von sich. "Ich würde sagen, unentschieden." Riss Allan Kaoru aus seinen Bemühungen. Kaoru nickte steif. Allan erhob sich und strich Kaoru sanft mit dem Finger über den Mundwinkel, steckte diesen dann in den Mund. Kaoru betastete mit der Zunge die Stelle und schmeckte Blut. Er hatte sich tatsächlich die Lippe aufgebissen. Allan lächelte ruhig und schnappte sich den Eimer. "Jetzt nur noch die Haare!" Während Allan mehrere Eimer füllte, setzte sich Kaoru hinter Jadeauge auf eine höhere Stufe. "Beug den Kopf ein wenig vor." Kommandierte er und massierte in die grüne Mähne die Seife ein. "Kamm." Orderte er von Allan, der sich grinsend neben ihm niedergelassen hatte. Dann fuhr er vorsichtig aber systematisch durch die einzelnen Strähnen. "Nun zum Abschluss!" Grinste Allan und wechselte auf Jadeauges andere Seite. Sie hoben beide je einen Eimer an. Jadeauge schien zu begreifen, dass ihn eine Dusche erwartete und lehnte sich auf der Stufe zurück, beide Ellenbogen auf die nächsthöhere Stufe aufgestützt. Er ließ langsam den Kopf in den Nacken sinken und erwartete das kühle Nass. ~+~ Nachdem nun der Gast sauber in Tücher gehüllt und versorgt war, ließ Allan Kaoru eine kurze Reinigung angedeihen. Er selbst hatte ja bereits die freundliche und zärtliche Unterstützung der Dienerinnen genossen. Vor der Tür signalisierte Raissa durch Klopfen, dass die gewünschten Salben und das Verbandszeug deponiert seien. Allan grinste Kaoru an und band dessen offene, schwarze Haare mit einem Band zusammen. "Ich bin für eine Runde im großen Becken! Für Sanitätsdienste ist immer noch Zeit." Kaoru ließ sich gern überzeugen. Jadeauge schien ja keine Schmerzen zu haben, also konnte man das Angenehme auch mit dem Nützlichen verbinden. Sie verließen den Nebenraum und wechselten in die große Halle. "Juchhuu!" Jauchzte Allan und ließ sich mit angezogenen Knien in das Becken plumpsen. Kaoru grinste und zog Jadeauge an der Hand die Stufen hinab ins Becken. Es war nicht tief, reichte ihm gerade bis unter den Brustkorb. Überrascht bemerkte er, dass Jadeauge seine Hand fester umklammerte. Hatte der etwa Angst vor so viel Wasser? Kaoru wandte sich nicht um, strich aber mit dem Daumen beruhigend über Jadeauges Handrücken. Der folgte ihm ohne Zögern, sodass Kaoru zweifelte, ob er wirklich diese erste Reaktion bei Jadeauge verspürt hatte, oder ob es eine Einbildung war. Allan tauchte vor ihm auf und begann, sie beide zu bespritzen. Kaoru löste sich von Jadeauge, um der Attacke eine entsprechende Antwort zu geben. Bald schallte der Raum vor Gelächter und Wassergespritze. Jadeauge hatte sich der Wasserschlacht ferngehalten und bewegte nur versunken leicht die Arme im Wasser und beobachtete die Wellenbewegung, die er damit auslöste. Allan und Kaoru sahen ihm zu und tauschten ein verschwörerisches Lächeln aus: sie würden aus diesem Jungen schon die Wahrheit herausholen. ~+~ "In Ordnung, genug gespielt, jetzt zur schwierigen Aufgabe!" Kaoru schob Allan vor sich her zu den Stufen, griff beiläufig nach Jadeauges Hand, um ihn hinter sich her zu ziehen. Allan hatte bereits den Beckenrand erklommen und wandte die bewährte Schüttelattacke an, um sich abzutrocknen. "Altes Ferkel, benutz gefälligst die Handtücher!" Rügte Kaoru gespielt empört. Allan reagierte, indem er Kaoru die Zunge rausstreckte, dann aber zum Handtuchregal schlenderte und ausreichend Handtücher für alle mitbrachte. Kaoru reichte auch Jadeauge ein Handtuch. Während er sich selbst abtrocknete, beobachtete er Jadeauge, der ohne sichtbare Regung seine geschundene Haut frottierte. Bald schon waren rote Flecken auf dem Handtuch. "Was machst du denn da, du kleiner Narr?!!" Allan entriss Jadeauge hastig das Handtuch und starrte ihn zornig an. "Tsk tsk, was für eine Sauerei! Hast du eine Ahnung, wie schwer Blutflecken zu entfernen sind?!" "Allan, schon gut, das hat doch keinen Sinn." Kaoru sah Jadeauge an, der völlig ungerührt Allans heftige Reaktion verfolgte. »Als ob er gar nicht hier ist.« Dachte er verwirrt. "Lass uns die Wunden verbinden." "Dass du es nur weißt, Süßer, mir imponiert dieses Gehabe nicht. Es ist bloß ein Zeichen von Unreife und Dummheit!" Allan kehrte Jadeauge den Rücken zu und marschierte zu dem Verbandszeug, das Raissa gebracht hatte. Kaoru war überrascht, dass Allan so heftig reagierte, obwohl er ihm nur zustimmen konnte. »Ist es denn ein Zeichen von Stärke, wenn man ständig Schmerzen und Gefühle unterdrückt? Wohl eher von Schwäche, denn nur ein wahrhaft starker Mensch kann auch zu Schwächen stehen und Hilfe zulassen.« "Nun, Jadeauge, besser, du legst dich auf den Boden." Kaoru breitete ein großes Handtuch auf den Fliesen aus und bedeutete Jadeauge, sich dort auf dem Bauch zu niederzulassen. Jadeauge sank gelenkig nieder und verschränkte die Arme vor dem Kopf, legte dann die Stirn auf die Arme und schloss die Augen. Allan trat neben sie und entlud seinen Ballast an Verbandszeug. Kaoru griff in den grünen Schopf und kämmte vorsichtig die langen Strähnen aus dem Nacken auf die Seite. "Allan, binde erst mal deine Haare weg." Kommandierte Kaoru, denn Allans lange, rote Strähnen schleiften über den Boden. Allan brummte etwas, flocht dann aber geschickt die roten Haare zum gewohnten schweren Zopf. "Zufrieden?" Kaoru zeigte ihm spielerisch die Zähne, wandte sich dann aber Jadeauges Rücken zu. Zuerst die Wundsalben, dann leichte Gaze-Verbände, damit die Luft die Heilung beschleunigen konnte. Kaoru tauchte die Fingerspitzen in den großen Salbentopf, der durchdringend nach Kräutern roch. Dann strich er vorsichtig die kühle Salbe auf die Wunden zwischen den Schulterblättern, massierte die Wundränder leicht mit den Fingerspitzen. Allan nahm sich derweil die Wunden ab der Taille vor. Jadeauge gab noch immer keinen Laut von sich. Lediglich die gespannten Muskeln verrieten ihnen, dass Jadeauge durchaus ihre Berührungen spürte. Er hatte Schmerzen, aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. Nachdem jede Wunde eingerieben war, teilten sich Kaoru und Allan die Gazerolle und schnitten sie in passende, kleine Stoffstücke, die sie auf die Wunden legten, damit kein Schmutz mehr eindrang. Mit einem erleichterten Seufzer ließ sich Allan zurücksinken: sie hatten es geschafft. "Ich hätte jetzt gegen einen Imbiss nichts einzuwenden, Kaoru!" Schlug er subtil vor. "Gut, gehen wir in meine Privatgemächer. Ich will nicht mit Jadeauge in der Halle erscheinen, bevor ich nicht weiß, was hier vorgeht." Allan nickte zustimmend, stand dann auf und sortierte aus dem Kleiderstapel verschiedene Kleidungsstücke. Er reichte Kaoru dessen Gewand und die Hose, schlüpfte rasch in die eigenen, bunten Kleider und blickte dann auf die bunten Fetzen, die Jadeauges Bekleidung dargestellt hatten. "Verbrennen." Entschied er, rief dann nach Raissa, die so rasch erschien, dass sie wohl auf seinen Ruf in der Nähe gewartet haben musste. Sie sammelte Jadeauges Kleidungsfetzen in einem Korb, ebenfalls die Ketten und den Halsring, reichte Kaoru dann mit tiefer Verbeugung eine grüne Hose und ein grünes Hemd. "Sehr vorausschauend!" Lobte Kaoru und sah Raissa vor Freude erröten. Jadeauge erhob sich vom Handtuch auf dem Boden und blickte auf die Kleidungsstücke, die Kaoru ihm hinhielt. "Was ist? Zieh dich an!" Jadeauge griff nach den Kleidern. Das Grün passte hervorragend zu seinen Haaren und der bronzefarbenen Haut. Er schlüpfte in die weiten Hosen und band vorsichtig das Taillenband zu. Dann versuchte er, das Hemd über den Kopf zu streifen, aber die grüne Mähne und die Hemdbänder verhedderten sich, sodass ein kleiner Ringkampf entstand. "Stopp!" Jadeauges Bemühungen erstarben schlagartig. "Meine Güte, tragt ihr keine Hemden in Taurin?" Kaoru trennte grüne Strähnen von Hemdschnüren und zog Jadeauge schließlich das Hemd über den Kopf. Allan hatte inzwischen Mühe, seinen Lachanfall wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihm liefen bereits Tränen über das Gesicht. "So wird das nichts." Murmelte Kaoru konzentriert. Er band die Hemdbänder sorgfältig zusammen, kämmte die grünen Haare in den Nacken und zog aus einer der unzähligen Taschen seiner Hose ein Lederband. Er drehte Jadeauge sanft herum, während er noch immer dessen Haare mit der Hand zusammenhielt. Dann flocht er geschickt die grünen Strähnen zu einem kunstvollen Zopf. "Und was ist mit deinen Haaren, mein inniggeliebter Prinz?" Allan packte eine von Kaorus schweren, schwarzen Haarsträhnen und zwirbelte sie um seine Finger. "Die trocknen an der Luft! Bei mir hält kein Zopf vor." Entgegnete Kaoru und entzog Allan die Strähne. Tatsächlich waren seine Haare so dick und glatt, dass kein Zopf länger als ein paar Augenblicke bestand. "Das ist wieder mal typisch für deinen Eigensinn: alle müssen Zopf tragen außer dir!" Scherzte Allan und versetzte Kaoru spielerisch einen Schlag in die Rippen. Der grinste zurück. "Dafür wirst du heute noch einen Job für mich in der Bibliothek erledigen." "Du bist wirklich grausam!" Schluchzte Allan und schlug die Hände vors Gesicht, tief getroffen. Kaoru lachte und umarmte den scheinbar untröstlichen Freund kurz. "Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann." Kaoru ließ Allan los und zog Jadeauge, der alles schweigend verfolgt hatte, hinter sich her. Er hatte nun auch Hunger. Sie gingen durch die Säulenhalle, als Allan nach Kaorus Hemd griff. "Warum gehen wir nicht in den Innenhof? Deine Entourage ist bestimmt schon völlig besinnungslos, die werden uns bestimmt nicht suchen." Kaoru zögerte kurz, dann nickte er. Warum eigentlich nicht? Außerdem schien Jadeauge den Innenhof gern sehen zu wollen. "Geh mit Allan! Ich hole uns etwas zum Abendessen." Während Kaoru in die Küche wanderte, dachte er über ihre Situation nach. Der Aufenthalt von Jadeauge würde nicht allzu lange geheim bleiben. Er musste die Kontrolle behalten. Der Junge war der einzige Sohn des herrschenden Clanoberhauptes, er würde einmal die Clans von Taurin anführen. Jetzt aber wurde der in den Grenzwäldern aufgegriffen, ohne Schuhe und Schmuck, schwer misshandelt und ganz allein?! Und Jadeauge redete mit niemanden! Kaoru wollte Allan nach dem Essen in die Bibliothek schicken. Vielleicht konnte der herausfinden, was vor sich ging. Am nächsten Morgen würde er die Grenzposten verstärken lassen und Kundschafter aussenden, die die Stimmung bei den Taurin erkunden sollten. »Vielleicht könnte man auch die fahrenden Händler befragen?« Kaoru erreichte die Küche, in der es vor eifrigen Menschen wimmelte. "Der Prinz!" Sofort wandten sich ihm alle geröteten Gesichter zu, um dann eilig auf die Knie zu sinken. "Schon gut! Ich möchte ein Abendessen für drei abholen, keine Förmlichkeiten bitte." Man erhob sich zögernd. Dann wurde ein Tablett vor ihn hingestellt, das sich rasch mit eingelegtem und frischem Gemüse, ofenwarmen Brot und Obst füllte. Dazu noch Mundtücher und Besteck. "Mein Prinz, wir haben eine Kanne Eistee mit Pfirsichen bereitet, vielleicht..?" "Oh ja, die nehme ich sehr gern!" Kaoru lud den Krug auch noch auf das Tablett und balancierte seine Last vorsichtig zurück zum Innenhof. Allan hatte verschiedene Kissen auf einer großen Decke unter einem Zitronenbaum verteilt und es sich bequem gemacht, während Jadeauge im Schneidersitz unter einer kleinen Palme hockte. Augenscheinlich erläuterte Allan Jadeauge gerade die Bepflanzung, denn er wies auf verschiedene Pflanzen und erzählte mit eifrigen Gesten. "Wohlan, meine Freunde, hier kommt das Essen, helft mir mal bitte." Gemeinsam setzten sie das Tablett auf den Boden und verteilten Becher und Schüsseln. "Mhhmm, das riecht lecker, Pfirsichtee und frisches Brot!!" Allan teilte das frische Brot in Stücke und reichte sie weiter, schenkte dann den Tee aus. "Jadeauge, setz dich zu mir." Kommandierte Kaoru und klopfte auf das Kissen neben sich. Jadeauge erhob sich geschmeidig, um sich neben Kaoru auf das Kissen sinken zu lassen. Anmutig nahm er den Teebecher und das Brot entgegen, beobachtete dann aber abwartend, wie sich Allan und Kaoru aus den Schüsseln bedienten. Zögernd imitierte er ihre Bewegungen, um sich das eingelegte Gemüse auf das Stück Brot zu legen. Kaoru drehte den Kopf zu Jadeauge und sah beruhigt zu, wie der hungrig zulangte. »Endlich zeigt der Junge mal eine normale menschliche Regung!« Er warf Allan einen Blick zu, der sein Lächeln schmunzelnd erwiderte. Nachdem für das leibliche Wohl gesorgt worden war, wandte sich Kaoru Jadeauge zu. "Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass du aus einem ganz bestimmten Grund nicht sprichst, oder?" Jadeauge verzog keine Miene, erwiderte Kaorus Blick aber funkelnd. "Also gut, dann werde ich einfach mal unter uns drei Ehrenmännern meine Gedanken in Worte fassen." Am Rande seines Gesichtsfeldes bemerkte Kaoru, wie Allan schlagartig ernst wurde. "Also, ich frage mich, was der künftige Clanführer ohne Schmuck, Schuhe und Begleitung in den Grenzwäldern macht. Ganz schön weit weg von Zuhause. Dazu ist er schwer misshandelt worden. Und lässt sich von unserer Patrouille einfach einfangen. Was soll ich davon halten? Nun, ich könnte mir vorstellen, dass er sich absichtlich hat gefangennehmen lassen. Aber warum? Und warum sucht man nicht nach ihm? Vielleicht ist ja Folgendes passiert: der künftige Clanführer ist des Hochverrates angeklagt worden, aber man wollte ihn nicht töten. Also hat man ihn ausgepeitscht und barfuß, ohne seinen Schmuck entehrt in die Wüste geschickt. Darum sucht auch niemand nach ihm. Er hat sich dann auf den Weg in die Grenzwälder gemacht, eine beachtliche Leistung. Dann hat er sich von einer Patrouille auflesen lassen, um auf diesem Weg zu mir zu kommen, in unser Machtzentrum." Kaoru hatte Jadeauge nicht aus den Augen gelassen. Der hatte sich nicht gerührt, aber seine grünen Augen hatten sich merklich verdunkelt. Allan nahm den Spielball auf. "Aber mein Prinz, wenn er hierher wollte, warum redet er dann nicht? Wie soll ein Anliegen, das so wichtig ist, dass man den Bruch mit der eigenen Familie und die Entehrung auf sich nimmt, sonst vorgetragen werden?" "Nun, vielleicht glaubt er ja, dass sein Schweigen ihn nicht zum Verräter macht, aber unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht." Sie beobachteten nun beide den Taurin, der regungslos in Kaorus Augen starrte. "Vielleicht ist in Taurin irgendetwas im Gange, das unsere beiden Völker bedroht und den Frieden gefährdet. Allan, ich brauche deine Hilfe. Such mir wichtige Informationen zusammen, veranlasse eine Verstärkung der Grenzpatrouillen und lass feststellen, ob Händler aus Taurin in der Stadt sind." Allan nickte wortlos, erhob sich, strich dann aus einer Gefühlsregung heraus Jadeauge über den Kopf. "Du kannst ihm vertrauen." Damit verschwand er zwischen den Pflanzen. Kaoru bemerkte die Dämmerung und erhob sich ebenfalls. "Wir gehen besser hinein, es wird langsam kühl." Er reichte Jadeauge die Hand, aber der stand ohne Hilfe geschmeidig auf. Kaoru zuckte bloß mit den Schultern. »Dann eben nicht.« Er ging voran zu seinen Gemächern, hielt unterwegs einen Jungen an und bat ihn, im Innenhof die Reste ihres Abendessens wegzuräumen. Der Junge nickte eifrig und fegte davon. Kaoru sah sich nach Jadeauge um, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte und den Lauf der Wolken über den Himmel verfolgte. Er bewunderte seine eiserne Beherrschung, auch wenn sie ihm lästig war. "Komm rein, es wird zu kühl!" Mahnte er und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf das Pflaster. Jadeauge drehte sich gehorsam um und folgte ihm in leichtem Abstand. Kaoru schloss die Tür hinter ihnen und wies Jadeauge mit einer Geste an, es sich auf dem riesigen Bett bequem zu machen. Der ließ sich langsam zwischen vielen Kissen nieder und betrachtete mit unverhohlener Neugier Kaorus Einrichtung. An den Wänden hingen bunte Wandteppiche. Über dem riesigen Bett, das den ganzen Raum beherrschte, flatterte ein riesiger Drachen, dessen langer Schwanz bis zur Tür führte. Er schwang sanft im Wind, der durch die offene Balkontür eindrang. Kaoru schloss die Balkontür. Es wurde nachts bereits empfindlich kalt. Dann zündete er Lampen an, die den Raum in sanftes Licht tauchten. Er öffnete eine Tür und ging in den angrenzenden Raum, in dem sich mit Büchern und Schriftrollen gefüllte Regale drängten. In der Mitte hing auf einem Ständer eine Kampfrüstung mit den dazugehörigen Waffen. Auf einem zerbrechlich wirkenden Tischchen standen Schreibutensilien und eine Karaffe mit Wasser. Kaoru schnappte sich die Wasserkaraffe und zwei Becher, stellte alles neben das Bett. Dann kehrte er um und nahm einen säuberlich gestapelten Berg Papiere in Augenschein. Die Versammlung der Ratsherren mit seinem Vater dauerte wohl immer noch an, er musste also den Papierkram machen. Er platzierte Tinte und Federn auf dem Papierstapel und wankte mit seiner Last zurück. Vorsichtig ließ er alles neben seinem Bett sinken und machte es sich dann im Bett gemütlich. Ein paar Kissen in den Rücken gestopft, die Beine leicht angezogen und her mit dem ersten Schriftstück! Kaoru bemerkte Jadeauges irritierten Blick und funkelte ihn an. "Was ist? Hat es sich nicht bis Taurin herumgesprochen, dass der Prinz seine Tage im Bett oder mit Saufgelagen verbringt?" Jadeauge starrte zurück, aber Kaoru meinte, dass eine leichte Röte in seine Wangen gestiegen war. Er ignorierte Jadeauge, der steif am anderen Ende des Bettes hockte und arbeitete sich konzentriert durch den Papierberg. Eine Stunde verging, dann hatte Kaoru alles durchgesehen. Als er Tintenfass und Federn zurückbrachte, klopfte es an der Tür. "Ja?" "He Kaoru-Schatz, dein Herzblatt sehnt sich nach dir!" Flötete Allan vor der Tür. "Komm rein, bevor ich dir deine lose Zunge rausschneide!" Grummelte Kaoru, aber er konnte ein Grinsen nicht verbergen. Er kroch wieder ins Bett zwischen die Kissen. Allan plumpste mit Schwung an seine linke Seite und stöhnte vernehmlich. "Meine armen Augen, und meine Lunge erst! So viel Staub und alter Plunder!" Kaoru füllte ein Glas mit Wasser und reichte es Allan. "Allein trinken schaffst du aber noch, mein tapferer Freund?" Frotzelte er. Allan schluckte geräuschvoll das Wasser, wischte sich dann übertrieben mit dem Handrücken über den Mund. "Nun könnte ich noch eine kleine Massage brauchen." "Ich geb dir eine Massage!" Drohte Kaoru und schlang einen Arm um Allans Hals, zog ihn an sich und verwuschelte ihm die Haare. Allan quiekte und verdrehte die Augen, als würge Kaoru ihn wirklich. Dann brachen sie beide in Gelächter aus, und Allan machte es sich in den Armen Kaorus bequem. "Also?" "Also, nach ein paar alten Aufzeichnungen ist deine Idee mit dem Hochverrat und der Prügelstrafe gar nicht so falsch. Mehr war allerdings nicht zu erfahren. Von den Händlern ist nur einer bereit zu reden. Den können wir morgen auf dem Markt treffen. Ich habe alle anderen Maßnahmen ergriffen, es gibt aber keine besonderen Vorkommnisse soweit. Die Gardisten habe ich zurückgeschickt in die Grenzregion. Von deinem Gast ist allerdings bereits die Rede, da konnte ich nichts machen." "Ist seine Identität bereits bekannt?" "Ich denke nicht, aber es wird sich nicht lange geheim halten lassen." "Sonst noch Neuigkeiten?" "Die Ratssitzung dauert immer noch, aber bis jetzt ist keiner verstorben. Das sind wirklich zähe, alte Vögel. Ach ja, deine speziellen Freunde Lark und Ham haben sich wieder mal besoffen duelliert. Wir haben den Verlust eines Gobelins und einer Karaffe zu beklagen." Kaoru senkte das Kinn auf Allans Schulter und grübelte. "Kaoru, gib ihnen eine Aufgabe, sonst legen die uns noch den Keller trocken. Ich habe Ham seit Wochen nicht mehr nüchtern gesehen." Gedankenverloren zwirbelte Kaoru eine Strähne zwischen den Fingern. "Ich weiß, ich arbeite daran. Lass mir bis morgen Zeit." Allan drehte den Kopf und gab Kaoru einen sanften Kuss auf die Wange. "Gut. Dann geh auch schlafen, ich habe so ein komisches Gefühl wegen morgen." Er löste sich gewandt aus Kaorus Umarmung, nickte Jadeauge freundlich zu und schloss die Tür hinter sich. Kaoru verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte den Kopf in den Nacken. Gedankenverloren betrachtete er seinen Drachen. Was konnte in Taurin Bedrohliches vor sich gehen? Und wie konnte er seiner Entourage eine Aufgabe geben, die sie aus Ärger heraushielt, aber gleichzeitig keinen Schaden anrichtete? Kaoru musste ein Gähnen unterdrücken. Allan hatte Recht, er brauchte Schlaf. Er stand auf und löschte alle Lampen bis auf eine kleine neben seinem Bett. "Jadeauge, jetzt wird geschlafen." Jadeauge macht daraufhin Anstalten, sich vom Bett zu erheben. Kaoru hielt ihn am Handgelenk fest. "Wo willst du denn hin?" Lässig wies Jadeauge auf den Boden. "Vergiss es. Du wirst ganz bestimmt nicht auf dem Boden schlafen. Komm wieder ins Bett." Zum ersten Mal schien Jadeauge Widerstand leisten zu wollen. Kaoru konnte spüren, wie er alle Muskeln anspannte. "Was soll das? Hast du etwa Angst?! Ich weiß, es gibt eine Menge Gerüchte über mich, aber ich vergreife mich ganz bestimmt nicht an meinen Gästen. Also brauchst du keine Angst zu haben, es sei denn, du versuchst, mich im Schlaf umzubringen." Er erwiderte Jadeauges forschenden Blick, der schließlich den Widerstand aufgab und sich wieder in das gewaltige Bett ziehen ließ. Müde sank Kaoru zwischen die Kissen und griff nach einer Decke. Er bemerkte, dass Jadeauge dem Frieden wohl nicht traute, denn der hatte sich in eine Decke am anderen Ende des Bettes gerollt. "Ich hoffe, du schnarchst nicht." Murmelte Kaoru schläfrig. Dann fielen ihm die Augen zu. ~+~ Kaoru saß ruckartig senkrecht im Bett. Sein Herz klopfte zum Zerreißen, sein Puls raste. Irgendetwas hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, das Adrenalin puschte seinen Kreislauf hoch. Im Zimmer war es bis auf den schwachen Schein der Nachtleuchte finster. Angespannt lauschte Kaoru in die Dunkelheit. Dann fiel ihm Jadeauge ein. Er griff nach der Abdeckung der Nachtleuchte und zog sie herunter, ein warmer Schimmer erhellte das Zimmer ein wenig. Kaoru wickelte sich aus seiner Decke und kroch vorsichtig zu dem zusammengerollten Bündel am Ende des Bettes. "Jadeauge?" Kaoru beugte sich vorsichtig über die verkrümmte Gestalt und erstarrte in der Bewegung. Jadeauges Zopf hatte sich gelöst, grüne Strähnen hingen verklebt in seinem schweißnassen Gesicht. Er hatte die Augen zusammengekniffen, Tränen rannen ihm über die Wangen und die Lippen waren so fest aufeinander gepresst, dass sie fast weiß wirkten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, die Knie unter das Kinn gezogen, der gesamte Körper ein einziger Krampf. Kaoru erschrak. Nur ein Albtraum oder war Jadeauge etwa krank? In diesem Moment stöhnte Jadeauge durch die Zähne, die Lippen zurückgezogen, als wollte er zubeißen. »Was soll ich bloß tun? Schläft er?« Kaoru hasste seine Unsicherheit und Nervosität. Er packte Jadeauge grob bei den Schultern und schüttelte ihn kräftig. "Wach auf!! Jadeauge!!" Obwohl kaum vorstellbar, verkrampfte sich Jadeauge noch mehr und stieß ein Wimmern aus, das Kaoru durch Mark und Bein ging. Er schüttelte heftig weiter, diesmal klang seine Stimme aber hilflos und flehend. "Bitte, Jadeauge, sieh mich an!!! Sag mir, was los ist!! Jadeauge!!" Plötzlich öffnete Jadeauge die grünen Augen, aus denen unaufhörlich Tränen flossen. Er blinzelte verwirrt, erkannte dann aber Kaoru. Sie sahen einander in die Augen, verlegen und hilflos. Dann übernahm Kaoru die Initiative, er zog Jadeauge einfach in die Arme und streichelte ihm über den Rücken. "Es ist alles okay, hier wird dir niemand etwas tun! Bitte beruhig dich!" Dann begann er vorsichtig, sich mit Jadeauge in den Armen hin und her zu wiegen, so wie man kleine Kinder tröstet. Er hörte sich selbst beruhigende Laute in Jadeauges Ohren flüstern. Jadeauge ließ diese Behandlung regungslos über sich ergehen, dann löste sich langsam seine verkrampfte Haltung. Er senkte den Kopf in Kaorus Halsbeuge und erwiderte dessen Umarmung. Kaoru strich über den schweißnassen Rücken und spürte, wie Jadeauges Tränen seinen Hals herabrannen und sein Hemd durchnässten. Je mehr die Anspannung nachließ, umso heftiger begann Jadeauge zu schluchzen, so verzweifelt und verlassen, dass Kaoru eine Gänsehaut bekam. Aber alles, was er tun konnte, war, den zitternden Jungen im Arm zu wiegen und ihn zu wärmen. "Was auch immer passiert ist, jetzt bist du in Sicherheit. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht!" Langsam schien sich Jadeauge wieder zu beruhigen, er hörte auf zu schluchzen und zu zittern. Kaoru fühlte sich plötzlich unerträglich müde und ausgelaugt. "Lass uns schlafen, der Sonnenaufgang bringt neue Wunder." Murmelte er den Satz, den seine Amme ihm immer beim Schlafengehen ins Ohr geflüstert hatte. Dann küsste er Jadeauge sanft auf seinen grünen Schopf und ließ sich rückwärts auf die Matratze sinken. Mit dem linken Arm hielt er Jadeauge weiter fest, der seiner Bewegung ohne Widerstand gefolgt war. Mit dem rechten Arm angelte Kaoru nach einer großen Decke, in die er sich und Jadeauge einhüllte. Er wandte Jadeauge den Kopf zu, der ihn ruhig ansah. "Ich lasse das Licht brennen, okay?" Statt einer Antwort kuschelte sich Jadeauge enger in seinen Arm und legte einen Arm um Kaorus Taille. Der seufzte erschöpft und fiel augenblicklich in tiefen Schlaf. ~+~ Eine nasse Zunge in seinem Gesicht riss Kaoru aus seinen wirren Träumen. "He, was...?! Allan, nimm deinen Flohzirkus weg, sonst wird er mein Bettvorleger!" "Na, du bist heute aber wieder ein echter Sonnenschein! Flora, komm zu mir!" Allan streckte eine Hand aus, und sein kleiner Mischling rollte die Zunge ein und hopste schwanzwedelnd zu Allan. Der hob das winzige Kerlchen auf seine Hand und steckte den ganzen Hund in seine große Hemdtasche, nur noch der kleine Kopf guckte heraus. "Wäh, Hundesabber! Wie kann so ein kleines Vieh so eine große Zunge haben!" Angewidert wischte sich Kaoru über das Gesicht und richtete sich auf. "He, beleidige meinen Schatz nicht, ich zieh ja auch nicht über deinen kleinen Schatz her!" Kaoru blinzelte verwirrt, dann begriff er und blickte neben sich, aber das Bett war leer. "Verdammt, wo ist er?" Allan packte den vorbeirauschenden Kaoru am Arm. "Beruhig dich, er nimmt ein Bad. Wenn du schon durch die Gegend rennen willst, dann solltest du dir was überziehen." Bezeichnend blickte Allan auf Kaorus Hemd und die nackten Beine. "Ich meine, ich finde das persönlich sehr anziehend, aber die Damen und einige Herren könnten in Ohnmacht fallen." "Allan, bitte verschone mich..." Flehte Kaoru und kratzte sich am Hinterkopf. Hatte er sich die letzte Nacht eingebildet? "Kaoru, komm schon, Sonnenschein, zieh dich an. Wir haben eine Verabredung auf dem Markt, schon vergessen?" "Ohne Frühstück?" "Ich kauf dir was, okay, mein innig geliebter Herrscher?" Kaoru seufzte, aber Allan war davon nicht zu beeindrucken, er schob einen Arm um Kaorus Taille und zog ihn in das benachbarte Ankleidezimmer. Einen befeuchteten Schwamm und eine Katzenwäsche später hatte er den immer noch schlaftrunkenen Kaoru ausgehfertig gemacht. "Wir gehen beim Innenhof vorbei. Flora kann auf Jadeauge aufpassen, während wir weg sind." "Als Wachhund?" Spottete Kaoru. "He, beurteile niemanden nach seiner Größe! Sie kann sehr gut in Knöchel beißen." "Ich werde es mir merken." Grinste Kaoru über das empörte Gesicht seines Freundes. Dann wurde er ernst. "Denkst du nicht, wir sollten Jadeauge besser in meinen Gemächern lassen? Ich will nicht, dass ihn irgendwer in die Finger kriegt." "Er scheint den Innenhof zu mögen. Ich wollte ihm ein Buch über Pflanzenanbau geben. Da er sowieso nicht redet, wird er kaum jemandem auffallen. Raissa wird ein Auge auf ihn haben." Kaoru überlegte kurz, dann nickte er zustimmend. "Einverstanden." Sie erreichten den Innenhof und folgten dem schmalen Plattenweg zu ihrem Picknickplatz vom Vortag. Jadeauge hatte sich unter einem Zitronenbaum niedergelassen und blätterte konzentriert in einem großen Folianten. Dann blickte er überrascht auf. Kaoru lächelte ihm zu und hob grüßend die Hand. »Ob er sich wohl an letzte Nacht erinnert?« Jadeauge nickte zurückhaltend, seine Miene verriet Kaoru nichts über seine Gefühle. Allan ging in die Hocke und hob den Mischling aus seiner Tasche. Der hockte sich geduldig vor Allan und sah ihn schwanzwedelnd an. "Okay, Flora, das ist Jadeauge. Du wirst ihn beschützen!" Flora gab einen gedämpftes Kläffen von sich, leckte dann über Allans Finger. "Gut. Ich hol dich nachher wieder ab. Keine Blumen ausgraben, klar?!" Wieder ein kurzes Kläffen, dann flitzte der kleine Hund auf Jadeauge zu, der mit milder Verwirrung dem Ganzen gefolgt war. Flora kannte offensichtlich keine Berührungsängste, sie hechtete über den Folianten hinweg auf Jadeauges Schoß und stellte sich auf die Hinterbeine, um sein Gesicht ablecken zu können. Mit einem erschrockenen Laut reckte Jadeauge den Kopf und versuchte, dem Ansturm würdevoll zu begegnen. Allan hatte sich aufgerichtet und grinste zufrieden und stolz. "Im Nahkampf ist sie unschlagbar." Jadeauge warf Kaoru einen Hilfe suchenden Blick zu, aber der zuckte ratlos mit den Achseln. Ihm gehorchte der Hund ja auch nicht. »Genauso wie sein Herrchen!« Dachte Kaoru und lächelte versonnen. "Jadeauge, wir sind eine Weile weg. Bleib bitte hier, bis wir wiederkommen." Jadeauge hatte inzwischen festgestellt, dass Flora von der Ein-Hund-Attacke absah, wenn man ihr sanft die kurzen Schlappohren kraulte. Er nickte Kaoru kurz zu, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. "Na gut, dann bis später." Allan und Kaoru gingen zu den Ställen und sattelten sich ihre Reittiere. Die Schwierigkeit bestand darin, die Leuras in die Höhe zu bekommen, denn die sechs Beine mit den zwei Gelenken schienen keiner natürlichen Ordnung zu gehorchen. Allan schwang sich mühelos auf den hohen Rücken seines Leura, tätschelte den schuppigen Kopf und holte aus einer Tasche eine Karotte. "Bist mein liebes Mädchen, hm?" Kaoru verdrehte die Augen. Leuras waren Nutztiere, keine Spielzeuge! Er schwang sich elegant auf den Rücken seines Leura und bewegte ihn mit Beindruck zur Stalltür. Allan folgte ihm, und sie ritten den Burghof hinab durch die Vorburg und dann den gewundenen Steinpfad hinunter zum Dorf. "Es wird immer größer." Bemerkte Kaoru. "Ja." Stimmte Allan zu. "Viele Bauern kommen hierher und siedeln sich an. Es wird bald eine Stadt werden. Wir werden Vorkehrungen treffen müssen für die neuen Bewohner." "Vater verhandelt mit den anderen Ratsherren darüber. Sie fürchten einen Machtzuwachs, wenn wir zu viele Gefolgsleute bekommen." Sie tauschten einen ernsten Blick aus, dann tauchten sie schweigend in das Gewimmel von kleinen Häusern und Ställen ein. Die Menschen, die ihnen begegneten, verbeugten sich ehrfurchtsvoll und wichen zurück, aber bald wurde es zu eng, und sie mussten von den Leuras steigen. "Wo treffen wir deinen Händler?" "Dahinten, in dem Gasthaus." Allan wies auf ein zweistöckiges, langgestrecktes Gebäude am Ende des Dorfes. Sie zogen die Leuras an den einfachen Zügeln hinter sich her, banden sie dann an eine Stange vor dem Gasthaus. Ein rotbäckiger Junge stürzte heraus und verneigte sich kurz, dann flitzte er an ihnen vorbei zu den Leuras. "Kümmere dich um sie, ja?" Kaoru drückte dem Jungen eine kleine Münze in die Hand. "Vielen Dank, mein Prinz!" Keuchte der Junge und errötete noch stärker. Dann tätschelte er die Leuras vertraulich, die sofort begangen, das Kindergesicht mit den langen, blauen Zungen abzulecken. Allan grinste, als er Kaorus angeekelte Miene sah. "Ein Tierfreund. Da kannst du noch was in Sachen Toleranz lernen." Kaoru brummte finster. "Auf die Lektion kann ich ganz gut verzichten. Los, gehen wir." Sie betraten die finstere Schankstube, in der sich viele Menschen drängten. Es wurde augenblicklich still. Kaoru machte eine kurze Handbewegung, sie sollten sich nicht stören lassen. Zögernd setzten daraufhin die Gespräche wieder ein, einen Ton gedämpfter allerdings. Allan hatte dem erbleichten Wirt ein Zeichen gegeben, dann zog er Kaoru in eine Nische hinter sich her. Dort saß ein kleiner Mann, sein Gesicht schien nur aus sonnenverbrannten Runzeln zu bestehen. Er blickte auf und erwiderte Kaorus forschendem Blick mit erstaunlich klaren, hellblauen Augen. "Mein Prinz." "Guten Morgen. Darf ich Seinen Namen erfahren?" "Natürlich. Ich bin Kalim, der Händler. Bitte nehmt doch Platz." Kalims Handbewegung wirkte so ausschweifend, als böte er ihnen ein Königreich an statt einer schmalen Nische. Allan ließ sich neben Kalim nieder, während Kaoru ihm gegenüber Platz nahm. "Kalim, ich hörte, Er sei in letzter Zeit auch in Taurin gewesen?" "Das ist richtig, mein Prinz. Was wünscht Ihr zu erfahren?" "Ich bin interessiert an der Stimmung. Was geht beim führenden Clan vor sich?" Kalims Blick verdunkelte sich kurz. Dann lehnte er sich zurück, denn der Wirt schwankte mit einem großen Tablett heran. Allan drückte ein paar Münzen in die grobe Hand, dann entfernte sich der Wirt wieder. "Also?" "Mein Prinz, lasst es mich so ausdrücken: offiziell ist alles in Ordnung, man befindet sich wohl, und niemand wird etwas Anderes sagen." "Was meint Er damit? Ich kann nicht ganz folgen." Fragte Kaoru scharf nach. Kalim lächelte leise. "Wie mein Prinz sicher weiß, sind die Taurin unübertroffen in der Kunst, in Metaphern zu sprechen. Ein offenes Wort ist unhöflich und gilt als geistlos." "Und weiter?" "Nun, mein Prinz, wenn man den Worten folgt, gibt es keine besonderen Vorkommnisse. Aber die Taurin besitzen noch eine weitere Tugend: sie schweigen eisern." Kaoru dachte an Jadeauge und nickte unwillkürlich. "Es gilt also herauszufinden, wann sie schweigen. Und sie schweigen, über den Sohn des Clanführers und über unser Land. Kein Wort, kein Gerücht, gar nichts." "Aber was bedeutet das?" Hakte Kaoru ungeduldig nach. "Mein Prinz, der Sohn des Clanführers ist der Sohn aller, man ist sehr stolz auf ihn, seine Leistungen werden gepriesen. Und plötzlich kein Wort mehr über ihn? Dann noch unser Land, auch hier ist Schweigen Trumpf." "Was könnte Seiner Meinung nach dahinterstecken?" "Nach meiner ganz persönlichen Ansicht? Ich denke, der Sohn des Clanführers ist in Ungnade gefallen. Das schwächt natürlich die Position des Clanführers unter den Clans." "Aber warum könnte das geschehen sein? Was haben wir damit zu tun?" "Mein Prinz, es wird über den Bruder des Clanführers ebenfalls hartnäckig geschwiegen, aber hier aus Angst. Wenn er die Macht erlangen könnte, wird es einen Krieg geben." Kaoru spannte sich, während Allan blass wurde. "Warum sollte er einen Krieg wollen? Wir leben seit Jahren in Frieden, die Grenzwälder trennen uns voneinander." "Mein Prinz, das Leben inmitten der Wüste ist hart. Unser Land ist dagegen ein blühender Garten. Das weckt Begehrlichkeiten." "Aber die Taurin lieben ihre Heimat! Unser Klima ist darüber hinaus ganz anders. Warum sollten sie jetzt unser Land begehren?" "Es gibt da noch ein paar Gerüchte. Angeblich kehren die Feuerdrachen wieder in die Wüste zurück." "Was??!!" Kaoru starrte Kalim entgeistert an. "Feuerdrachen? Die leben doch in den Berghöhlen in den Grenzwäldern? Warum sollten sie in die Wüste wechseln?" "Das ist mir nicht bekannt. Angeblich führt ein riesiger Drache mit blauen Schuppen Angriffe gegen Siedlungen an der Wüstengrenze." "Gibt es dafür Zeugen?" "Nur wenige, mein Prinz, überleben den Angriff eines Feuerdrachen. Es heißt, auf seinem Rücken reite ein Mensch." Kaoru starrte ungläubig auf die Tischplatte. Feuerdrachen hatten seit fast zweihundert Jahren keine Siedlung mehr angegriffen. Er kannte sie nur aus Büchern. Man hatte sie einfach in den Berghöhlen der Grenzwälder in Ruhe gelassen, und seitdem herrschte Ruhe. Aber ein Mensch, der einen Drachen lenkte? Selbst wenn das nicht stimmte, warum wechselten die Drachen ihr Revier? Und was hatte das für Auswirkungen auf Taurin? "Er hat uns sehr geholfen. Wir danken für Seine Ehrlichkeit." Kaoru reichte Kalim ein paar Münzen. "Wird Er nach Taurin reisen?" "Nein, mein Prinz, mir scheint das Klima dort ein bisschen... angespannt." Kaoru und Allan verließen nachdenklich das Gasthaus. Sie sammelten die Leuras ein und zogen schweigend durch die Gassen in Richtung Dorfausgang. Allan wollte sein Leura besteigen, bemerkte aber, dass Kaoru einfach weiterlief. "Kaoru, alles okay?" Kaoru stapfte weiter. Allan zerrte sein Leura schneller hinter sich her und packte Kaoru am Arm. "Kaoru, hörst du nicht? Ist alles okay?" Kaoru blinzelte überrascht und sah Allan an. "Entschuldige, hast du was gesagt?" "Ich hab dich schon zweimal gefragt, ob du okay bist. Bist du in Ordnung?" "Hm, hm, ja. Mir geht nur so viel durch den Kopf..." Allan lief jetzt neben Kaoru und fasste seine freie Hand. Sie wanderten schweigend den Weg zur Burg hinauf, während Allan besorgte Seitenblicke zu Kaoru warf. In dessen Gesicht arbeitete es, offenkundig wälzte er schwere Gedanken. Um ihn aus seiner Versunkenheit zu locken, hob Allan Kaorus Hand zum Mund und drückte einen warmen Kuss auf den Handrücken. Kaoru wandte ihm den Kopf zu und lächelte, schwieg aber. Allan seufzte leise und übernahm es, sie sicher wieder in die Burg zu führen. "Hör mal, ich versorge die Leuras, geh du schon zu Jadeauge. Wir haben eine Menge zu besprechen." Allan gab Kaoru einen sanften Klaps auf den Hintern, aber der reagierte nur leicht irritiert. "Nun geh schon." Kaoru stolperte gedankenverloren zum Innenhof, seine Füße fanden glücklicherweise den Weg automatisch. Er betrat den Innenhof und hockte sich Jadeauge gegenüber unter eine kleine Palme. Der hatte das Buch auf dem Schoß, Flora auf dem Arm und blickte ihn überrascht an. Kaoru wich seinem fragenden Blick aus und zog die Beine an, wickelte die Arme um die Beine und legte den Kopf auf die Knie. Ihm schwirrte der Kopf. Was sollte er jetzt tun? Er hatte das Gefühl, dass ihnen nicht viel Zeit blieb. Allan ließ sich neben ihn fallen und schlang einen Arm um Kaoru. "Lass uns die ganze Sache besprechen, okay? Rede mit mir! Dein Kopf sondert schon Rauchwolken ab." Kaoru hob den Kopf an und lächelte Allan halbherzig zu. "Das ist ernst, Allan. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache." Allan strich Kaoru besänftigend eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. "Wir kriegen das hin, ich glaube an uns! Wir sind ein unschlagbares Team, weißt du doch!" Kaoru musste unwillkürlich lachen über Allans Enthusiasmus. Er kannte seinen Freund gut genug, um die Eindringlichkeit hinter dem scherzhaften Tonfall herauszuhören. Jadeauge hatte sie forschend beobachtet, er schien zu spüren, dass etwas im Gange war. Er schlug das Buch zu und erhob sich von seinem Platz unter dem Zitronenbaum. Dann schnappte er mit der freien Hand sein Kissen, während er Flora auf dem anderen Arm balancierte. Er warf das Kissen direkt vor Kaorus Füße und ließ sich elegant darauf nieder. Jetzt wirkten sie wie eine Gruppe Verschwörer. Jadeauge sah Kaoru aufmerksam in die violetten Augen. Kaoru räusperte sich kurz, dann eröffnete er die Lagebesprechung. "Wir haben einen Händler getroffen. Er hat erzählt, dass es in Taurin Berichte gibt, dass ein Feuerdrache die Dörfer in der Grenzregion angreift. Ein Mensch soll auf ihm reiten. Offensichtlich verlassen die Drachen ihre Berghöhlen und ziehen wieder in die Wüste. Dann sagte er noch etwas über deinen Onkel. Er strebe die Macht an?!" Kaoru ließ Jadeauge nicht aus den Augen. Der spannte seine Muskel an, seine Lippen wurden zu einem dünnen Strich. "Also ist es wahr." Kaoru ließ die Schultern sinken, Allan verstärkte den sanften Druck um seine Schultern. "Tja, Jadeauge, ich werde mal den Faden für Kaoru weiterspinnen. Die Feuerdrachen greifen Dörfer in Taurin an, sie sind also von irgendwas oder irgendjemandem aus ihren Berghöhlen vertrieben worden. Die Höhlen liegen im Grenzgebiet in unserem Land, also fällt ein Verdacht auf uns. Die Dörfer fordern von ihren Clanführern Schutz. Die Clanführer rufen nach ihrem Anführer, eine Strafaktion ist da wohl fällig. Aber der wird zögern, denn unsere Völker leben seit Ewigkeiten in Frieden. Eine gute Gelegenheit für eine Machtprobe, besonders, wenn da ein ehrgeiziger Bruder im Hintergrund ist. Hast du eigentlich einen Cousin, Jadeauge?" Kaoru zuckte zusammen. "Warum fragst du so etwas, Allan?" "Jadeauge versteht mich schon, nicht wahr? Er hat keine Geschwister, und sollte sein Vater die Führung abgeben müssen, wäre sein Onkel ein guter Kandidat, besonders, wenn er Kinder hat, richtig?" Allan und Kaoru sahen nun beide Jadeauge an. Der senkte den Kopf und kraulte Flora hinter den Ohren. Kaoru brach die sich aufbauende Spannung. "Die Frage ist, wie verhindern wir den Krieg?" Allan zog seinen Arm von Kaorus Schultern und zählte dann mit den Fingern auf. "Ausgangslage: Angriff durch Feuerdrachen. Folge: Bedrohung ruft Aggression gegen unser Land hervor. Konklusion: wenn die Bedrohung durch die Drachen wegfällt, gibt es keinen Grund zur Beschwerde. Ohne aktuellen Anlass ist ein Krieg weniger wahrscheinlich. Resultat: also müssen wir die Drachen bekämpfen." "Die Drachen bekämpfen? Wie sollen wir denn das anstellen? Die Biester machen ganze Dörfer dem Erdboden gleich!!" "Gemach, gemach, mein Prinz, die Drachen haben seit Jahren in Zurückgezogenheit gelebt. Irgendwas hat sie aufgescheucht. Also müssen wir dieses Irgendwas finden und abstellen." "Das klingt ja sehr einfach. Wir sollen also in den Grenzwäldern nach Drachen suchen? Mein Vater wird mich kaum gehen lassen, wenn ich ihm das erkläre." Allan nickte ruhig. "Deshalb müssen wir uns für die anderen eine glaubhafte Geschichte ausdenken. Wir dürfen keinen Verdacht erregen. Besser, wenn niemand von unserem wahren Vorhaben erfährt. Wir wollen doch keine Panik auslösen und auf unserer Seite einen Krieg vom Zaun brechen." Kaoru seufzte laut. "Was schlägst du also vor?" Allan nagte an seiner Unterlippe und knetete konzentriert seinen dicken roten Zopf. "Wir nehmen deine Bande von juvenilen Nichtsnutzen mit. Es wird eine Expedition in die Grenzwälder, so eine Art Training. Außerdem lassen wir durchblicken, dass ein Besuch des Thronfolgers an der Grenze bei den Truppen die Moral heben könnte." "Und weiter?" "Hm, wir ziehen in die Berge und suchen nach den Drachen. Ich glaube nicht, dass sie so einfach ihre Höhlen verlassen. Es muss dort Indizien geben. Wenn wir die gefunden haben, dann können wir die nächste Entscheidung treffen." "Aber was ist, wenn inzwischen bereits ein Angriff auf uns stattfindet? Ich kann meinen Vater nicht so im Ungewissen lassen!" "Tja, das ist unser Risiko. Ich bezweifle, dass die Taurin so schnell einen langen Frieden aufgeben. Außerdem ist nicht gesagt, dass bereits Jadeauges Onkel die Clans anführt. Es ist nicht so einfach, den Anführer zu geben, wenn man das noch nicht gewohnt ist." Kaoru sah Allan lange an, der seinen Blick ernst erwiderte. Dann straffte Kaoru seine Glieder und erhob sich energisch. "Nun gut, meine Entscheidung ist gefallen. Wir brechen morgen Früh zu den Grenzwäldern auf. Du wirst den Proviant besorgen und dich um die Ausrüstung kümmern. Ich werde die frohe Kunde meinem Vater und unseren Begleitern in spe überbringen." "Kaoru, hast du nicht etwas vergessen?" "Was meinst du?" "Ihn. Wie willst du seine stumme Anwesenheit erklären?" Kaoru sah zu Jadeauge hinunter, der den Kopf in den Nacken legte und Kaoru emotionslos ansah. "Er ist zu Besuch. Wie früher. Ein Wettkampf zwischen Nachbarvölkern." Allan lächelte. "Ja, wenn sie besoffen genug sind, schlucken sie die Erklärung bestimmt." Kaorus Gesicht wurde hart. "Niemand stellt meine Erklärung in Frage, sonst darf er ein Duell mit mir austragen!" "Übertreib es nicht! Wenn es hart auf hart kommt, werden wir deine tapferen Recken brauchen!" Warnte Allan. Kaoru atmete tief aus. "Ich weiß. Mir fällt nur nichts Besseres ein. Hast du eine plausible Erklärung?" Allan schüttelte bedauernd den Kopf. "Keine, die überzeugend genug ist." "Also, dann wird mein Wort eben ausreichen müssen." Kaoru wandte sich Jadeauge zu. "Wir haben Einiges zu tun. Warte hier auf uns." Dann drehte er sich um, ohne auf eine Reaktion zu warten und zog Allan hinter sich her. Sie trennten sich vor Kaorus Gemächern, um ihre Aufgaben zu erfüllen. ~+~ Kaoru betrat den Innenhof und blieb dann stehen. Jadeauge hatte sich wieder unter den Zitronenbaum gesetzt. Er hatte wohl zu ausgiebig das Pflanzenbuch studiert, denn nun lag er zusammengerollt auf der Seite, seine losen, meergrünen Haarsträhnen waren über die Buchseiten ausgebreitet wie ein Fächer. In seinen Armen hatte es sich Flora bequem gemacht, die offensichtlich genauso tief schlief. Lautlos schlich Kaoru zu dem ungleichen Paar und hockte sich neben Jadeauge auf ein Kissen. »Wie schön er ist! Sein Gesicht wirkt so friedlich und gelöst, kein Vergleich zu dem Albtraum heute Nacht.« Kaoru hob eine Hand und ließ die Finger über Jadeauges Gesicht schweben. Er zögerte, die zarte Haut zu berühren, aus Angst, Jadeauge damit zu wecken. Kaoru ballte die Hand zu einer Faust. »Was ist mit mir los, verdammt? Warum sollte ich ihn nicht anfassen? Das ist doch nichts Verwerfliches! Ich möchte wissen, wie sich seine Haut anfühlt, möchte mit den Fingern die sanfte Kurve seiner Halsbeuge nachfahren, ich will seinen Herzschlag unter meinen Fingern spüren!« »Aber er wird das nicht wollen!« Sagte eine warnende Stimme in seinem Hinterkopf. »Er ist ein Taurin! Für die Taurin ist eine solche Zuneigung abstoßend. In ihren Augen bist du nur ein Wüstling!« Kaoru saugte zischend Luft durch die Zähne ein. »Ich bin kein Wüstling! Das ist doch alles nur Schau! Außerdem will ich ihn nicht verführen, ich möchte bloß....bloß...« Er warf wieder einen Blick auf den schlafenden Jungen. Warum musste bloß alles so kompliziert sein? Da hörte er Schritte und blickte hoch. Allan stapfte heran und ließ sich auf ein Kissen plumpsen. Das weckte Jadeauge auf, der sich langsam aufrichtete und in die Runde sah. Auch Flora wurde munter und rannte zu ihrem Herrchen. "He, meine Schöne, hast du gut geschlafen?" Kaoru verdrehte die Augen. Ging das schon wieder los! Er warf einen Blick auf Jadeauge, der zu Allan sah und leise lächelte. Kaoru bekam plötzlich eine Gänsehaut, Energie schoss durch seine Adern und lud seine Nerven elektrisch auf. Er konnte den Blick nicht von Jadeauges sanftem Lächeln abwenden. Dieses Lächeln, das er früher immer gehabt hatte, eine Spur ironisch, aber trotzdem voller Sympathie. Er spürte seinen Herzschlag bis zum Hals, das Blut rauschte in seinen Ohren. Er sah aus dem Augenwinkel Allans Mund sich bewegen, aber er hörte nichts. Jadeauge wandte ihm langsam den Kopf zu, und Kaoru hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Luft zu holen schien eine unlösbare Aufgabe geworden zu sein. "He, bist du noch da?" Allan hatte ihm auf die Schulter geschlagen und Kaoru in die Wirklichkeit zurückgeholt. "Wie? Ja, sicher, kein Grund, handgreiflich zu werden." Allan musterte ihn fragend, aber Kaoru wich dem forschenden Blick aus. "Okay, ich habe unsere Ausrüstung besorgt, wir können bei Tagesanbruch los. Wie steht es bei dir?" "Mein Vater weiß Bescheid. Ich glaube, er nimmt mir die Geschichte nicht ganz ab, aber er hat keine Fragen gestellt. Was die anderen betrifft, die sind Feuer und Flamme. Ich muss nur noch dafür sorgen, dass sie heute zeitig ins Bett gehen." "Und das sollten wir auch tun. Außerdem müssen wir auch noch ein paar Sachen zusammenpacken. Ich schlage vor, wir trennen uns. Ich komme euch dann morgen wecken, hm?" Allan stand auf und schnappte sich Flora, um sie in die Tasche zu stecken. Dann fasste er Kaoru unters Kinn und sah ihm tief in die Augen. "Mach keinen Unsinn, okay?" Kaoru schüttelte verwirrt den Kopf. Was meinte Allan damit? Der beugte sich zu ihm runter und küsste ihn auf die Stirn. "Wir sehen uns morgen." Dann drehte er sich um und verschwand. Kaoru blickte auf den leeren Pfad und sinnierte. »Warum sagt er so was?« Dann erhob er sich energisch. Genug gegrübelt! Er hatte eine Aufgabe und keine Zeit für Träumereien. Jadeauge neben ihm erhob sich ebenfalls geschmeidig und sah ihn erwartungsvoll an. "Gehen wir. Du brauchst noch Ausrüstung für unser Abenteuer mit den Feuerdrachen." Kaoru drehte sich um und folgte dem Pfad aus dem Innenhof. Jadeauge folgte ihm gemächlich, den Folianten mit den Pflanzen hielt er mit beiden Armen an die Brust gedrückt wie einen kostbaren Schatz. Kaoru bremste sein Tempo erst vor seinen Gemächern und wartete auf Jadeauge. Dann öffnete er die Tür und überließ Jadeauge die Aufgabe, sie zu schließen. Er betrat das Ankleidezimmer und betrachtete konzentriert das Angebot. Der Prinz schnappte einen der einfachen Lederbeutel und füllte ihn mit Unterwäsche zum Wechseln. Eine Haarbürste folgte den Socken. Ein Hemd aus robustem Stoff landete ebenfalls im Beutel. Dann zerrte Kaoru eine schwarze Lederhose hervor. Er prüfte die Bänder, die die Hose an den Seiten zusammenhielt. Befriedigt lächelte er. Jetzt noch die Stiefel und ein Umhang mit Kapuze. Ausrüstung komplett? Halt, da fehlten noch Zahn-Pulver und Seife! Ein Handtuch musste ebenfalls hinzu. Allan würde Verbandszeug mitnehmen, also konnte man das getrost weglassen. Waffen? Den Langbogen mit einem Köcher voller Pfeile. Das Kurzschwert und natürlich den Dolch. Alles andere würde Allan auf den Last-Leura transportieren, Zelte, Decken, Kerzen, Proviant und so weiter. Jetzt musste nur noch Jadeauge ausgerüstet werden. Kaoru drehte sich nach Jadeauge um, der mit verschränkten Armen am Türpfosten lehnte und amüsiert Kaorus Treiben beobachtet hatte. "Hm, du bist etwas kleiner als ich und schmaler gebaut." Kaoru kramte weiter. Ein Beutel, ein Handtuch, den Rest würde man teilen. Wäsche? Unterzeug, Socken, gut, ein Hemd? Ein bisschen groß, aber die Goldfarbe würde gut zu Jadeauges Haut passen. Stiefel? Hm, waren da nicht noch ein paar, aus denen er herausgewachsen war? Und auch eine Hose? Kaoru wühlte in den Regalen und Säcken. Da war auch noch ein alter Umhang, kaum gebraucht, vielleicht ein bisschen groß! "Okay, probier mal die Hose, diese Stiefel und den Umhang an." Jadeauge zögerte, löste sich dann von der Wand und nahm die Kleidungsstücke entgegen. Umständlich löste er das Taillenband seiner Stoffhose und ließ diese auf den Boden sinken. Ohne Umstände stieg er aus den Hosenbeinen heraus. Dann betrachtete er die Stirn runzelnd die Hose. Kaoru beobachtete seine hilflosen Versuche, die Hose überzustreifen. "Lass mich mal! Das kann man ja nicht mitansehen." Kaoru rollte die Hose an den Beinen zusammen und kniete sich vor Jadeauge auf den Boden. "Okay, ein Fuß!" Kommandierte Kaoru und gehorsam schlüpfte Jadeauge in ein Hosenbein. "Nun der andere. Na also, das geht doch! Jetzt müssen wir sie nur noch hochziehen." Kaoru packte die Hose an den Gürtelschlaufen und schob sie langsam Jadeauges Beine hinauf. Der keuchte erschrocken und zappelte. "Was soll das? Hör auf damit, du fällst noch hin!" Kaoru blickte leicht verärgert und irritiert nach oben in Jadeauges Gesicht. Selbst ein Kleinkind war leichter anzuziehen! Derweil zerrte Jadeauge heftig an den Hosenbeinen. "Was machst du denn da? Man muss die Schnüre an den Seiten öffnen, um sie zu regulieren. Außerdem sitzt sie doch genau richtig?!" Jadeauge schüttelte heftig den Kopf und zerrte weiter. Da die Lederhose seinen Bemühungen standhielt und er sie nur knapp über die Knie gezogen hatte, kam er heftig ins Trudeln. Kaoru fasste nach Jadeauges Hüften, aber es war zu spät. Jadeauge plumpste höchst unelegant auf den Hintern und riss Kaoru mit sich, der nun quer über ihm lag. Jadeauge war feuerrot im Gesicht und zappelte auch im Liegen weiter. Kaoru reichte die Vorstellung. Er setzte sich rittlings auf Jadeauges Beine und packte den Jungen bei den Handgelenken. "Es reicht jetzt! Hör auf! Du benimmst dich wie ein Kleinkind! Tragt ihr keine Hosen in Taurin? Was ist mit dir los?!!" Jadeauge wand sich unter Kaorus Griff und keuchte vor Anstrengung, da Kaoru sich extra schwer machte, um Jadeauges Widerstand zu brechen. "Was ist denn? Die Hose sitzt doch gut!" Jadeauge fletschte die Zähne, er war wohl anderer Meinung. Kaoru fühlte sich überfordert. Wenn der Kerl doch bloß reden würde! Ratlos blickte er auf Jadeauges Beine. Dann erhellte sich sein Gesicht. "Lass mich raten: ihr tragt Pluderhosen, oder? Gelten enge Hosen als unschicklich?" Jadeauge stellte augenblicklich die Zappelei ein. "Also hab ich Recht. Aber jetzt bist du in meinem Land, und wir werden auf Leuras ein ganzes Stück reiten. Da brauchst du Lederhosen, die passen. Wenn wir in Taurin sind, werde ich mich deinem Land anpassen." Jadeauge guckte zornig, fletschte wieder die Zähne. Kaoru beugte sich zu ihm runter, so nahe, dass sich ihre Lippen beinahe berührten. Er konnte spüren, wie Jadeauge der Atem stockte. "Wenn du nicht diese Hose anziehst, dann werde ich dich jetzt auf den Mund küssen, klar?!" Hauchte Kaoru. Die Reaktion kam prompt, Jadeauge lief feuerrot an und schnappte nach Luft. "Also, die Hose oder ein Kuss?" Jadeauge schloss die grünen Augen und seufzte dann ergeben. Kaoru gab ihn frei und lehnte sich an die Wand. "Eigentlich sollte ich beleidigt sein. Noch nie hat jemand einen Kuss von mir ausgeschlagen." Jadeauge, der sich mühsam in die Senkrechte gekämpft hatte, warf ihm einen finsteren Blick zu. Langsam zog er die verhasste Hose in die Höhe und streifte sie schließlich über die schmalen Hüften. "Siehst du, sie passt wie angegossen! Du siehst zum Anbeißen aus!" Scherzte Kaoru. Geschmeidig erhob er sich und zog eine Schranktür auf. An ihrer Innenseite war ein großer Spiegel angebracht. "Da, schau selbst!" Zögernd trat Jadeauge vor den Spiegel. Dann senkte er den Kopf und ließ die Schultern hängen. Kaoru, der hinter ihn getreten war, legte beide Arme um Jadeauges schmale Taille. "Warum schämst du dich? Du siehst schön aus. Es ist nichts Verwerfliches an den Hosen. Warum soll man deine Beine denn nicht sehen? Ist doch ganz normal, schließlich hat jeder Beine, oder?" Jadeauge hob zögernd den Kopf und warf seinem Spiegelbild einen schüchternen Blick zu. Kaoru war überrascht, dass der Taurin seine Umarmung nicht abschüttelte. Jadeauge musterte sich selbst im Spiegel, dann begegnete er Kaorus Blick. "Ist gar nicht schlimm, oder?" Jadeauge warf seinem Spiegelbild einen letzten Blick zu, dann entzog er sich Kaorus Umarmung und musterte den Rest seiner Bekleidung. Er schlüpfte in die Stiefel und warf sich den Umhang um. "Perfekt." Lächelte Kaoru. Das Abenteuer konnte beginnen. ~+~ Nachdem sie ihre Bekleidung für den zeitigen Aufbruch beiseite gelegt hatten, verließ Kaoru seine Gemächer, um seine Gefährten daran zu erinnern, jetzt besser zu Bett zu gehen. Er schlenderte durch den Kreuzgang zum Thronsaal. Es war dort ungewöhnlich ruhig, Lark und Ham saßen vor einer Flasche Wein, ansonsten war der Raum leer. "Wieso seid ihr nicht schon in euren Quartieren?" "Mein verehrter Prinz, wir nehmen nur noch einen Schlaftrunk, nichts weiter." "Macht jetzt Schluss, ich brauche euch in Hochform!!" Grummelnd standen beide auf, Lark ein wenig unbeholfen, aber das täuschte geschickt über seine gewaltigen Körperkräfte hinweg. Ham, schmal und ständig in Bewegung, musterte Kaoru scharf, die lange Narbe in seinem Gesicht zuckte. "Mein Prinz, ist es wahr, dass uns dieser Taurin begleitet?" Kaorus Augen wurden zu Schlitzen. "In der Tat habe ich ihn zu einem Wettstreit eingeladen." Nun, das war zumindest nicht ganz falsch, ging es doch darum, einen Krieg abzuwenden, ohne dass Jadeauge wortbrüchig wurde. "Warum ist das so wichtig, Ham?" "Nun, ich dachte, wir ziehen zu einem richtigen Trainingslager aus, da kann man kein Spielzeug gebrauchen." Kaoru hörte Hams hämischen Tonfall. »Er will bloß Streit vom Zaun brechen.« Ermahnte Kaoru sich, aber er hatte schon instinktiv die Hände zu Fäusten geballt. "Jadeauge ist mein Gast. Er ist kein Spielzeug. Habe ich mich verständlich gemacht?!" "Selbstverständlich, mein Prinz." Hams Stimme troff vor Sarkasmus. Lark bemerkte, dass etwas im Gange war und zog Ham am Arm hinter sich her. "Los, Mann, wir müssen jetzt schlafen. Bis morgen, mein Prinz." Kaoru verfolgte ihren Abgang schweigend. Er würde Ham im Auge behalten müssen. Der wäre in der Lage, zu intrigieren und ihre Mission erheblich zu behindern. Kaoru meinte sich zu erinnern, dass Ham noch nie gut auf Jadeauge zu sprechen gewesen war. Noch eine Komplikation mehr! ~+~ Kaoru ging zu seinen Gemächern zurück. Als er die Tür hinter sich schloss, stutze er. Sein Bett war leer. "Jadeauge?" Verwirrt sah Kaoru sich um, Studierzimmer und Ankleidezimmer waren leer. Dann bemerkte er den leichten Luftzug um seine Knöchel. Der Balkon! Er stürzte zum Balkon und riss die Tür auf. Jadeauge wandte überrascht den Kopf zu ihm um. Er hatte es sich auf der schmalen Brüstung bequem gemacht und verfolgte den Lauf der Wolken über den Abendhimmel. In Kaorus Augen war die Brüstung nun sehr viel schmaler, als er sie in Erinnerung hatte. "Jadeauge, mir wäre wohler, du würdest da runtersteigen und reinkommen!" Jadeauge sah ihn prüfend an, lächelte dann plötzlich lausbübisch. Er erhob sich mit einem eleganten Satz und balancierte übermütig auf der Brüstung, die Arme weit ausgebreitet, als wolle er fliegen. Kaoru hatte Mühe, ein entsetztes Keuchen zu unterdrücken. "Hör auf damit, du könntest fallen!" Vorsichtig näherte er sich der Brüstung. Jadeauge hatte inzwischen ein Bein gehoben und elegant in die Höhe gereckt. Kaoru traten fast die Augen aus dem Kopf. Jadeauge grinste dämonisch, ging ein paar Schritte rückwärts, lächelte Kaoru dann an und schlug auf der Brüstung ein elegantes Rad!! "Oh mein...!" Kaoru stockte der Atem. Er stürzte vor, um Jadeauge zu fassen, doch der wich geschickt aus und stand breitbeinig, die Arme in die Hüften gestützt, vor ihm auf dem schmalen Brüstungsband. "Bitte... bitte komm da runter!" Jadeauge blickte ihn nun von oben an, das Gesicht ernst, die grünen Augen undurchdringlich, die langen, meergrünen Strähnen wehten im Wind. Kaoru hatte flehend die Hände ausgestreckt, seine eigenen schwarzen Haare flatterten um seinen Oberkörper. Jadeauge wandte sich um, strich Haarsträhnen hinter die Ohren und beobachtete regungslos den Horizont. "Bitte...komm runter!" Flehte Kaoru hilflos. Er stand so nah an der Brüstung, wie er sich traute. Er fürchtete sich vor Abgründen, sie schienen wie Sirenen zu rufen: »lass dich fallen, sei frei!« Jadeauge dreht sich wieder zu ihm um. Er machte eine auffordernde Geste, Kaoru sollte zu ihm auf die Brüstung steigen. Kaoru wich zurück. "Nein, das kann ich nicht!!" Jadeauge streckte nun seinerseits die Hand aus und nickte Kaoru aufmunternd zu. Kaoru schüttelte angstvoll den Kopf. Der Taurin ging leicht in die Hocke, noch immer die Hand einladend ausgestreckt. Kaoru fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und runzelte die Brauen. Zögernd griff er nach Jadeauges Hand. Sie war schmal, dennoch war der Händedruck kräftig und warm. Vorsichtig zog Jadeauge seinen Arm zurück und Kaoru folgte ihm wie hypnotisiert an den Rand der Brüstung. Er sah ihm in die Augen und schluckte schwer. Es kostete ihn unglaubliche Kraft, den Fuß auf die Brüstung zu setzen. Jadeauge zog ihn schwungvoll hoch, und Kaoru fürchtete für einen grauenvollen Moment, sie würden beide das Gleichgewicht verlieren und in den Abgrund stürzen. Er hörte ein warmes Lachen, in dem auch ein wenig Erleichterung schwang und starrte Jadeauge ungläubig an. Der lachte tatsächlich, seine Augen blitzen vergnügt, ein strahlendes Lächeln erleuchtete seine Züge. Kaoru griff auch mit der anderen Hand nach Jadeauges freier Hand und umklammerte sie. Sie standen sich nun auf der Brüstung gegenüber, unter ihnen nur ein schmales Gesims und ein tiefer Abgrund. Ihre Haare flatterten im Wind. Kaoru hielt Jadeauges Hände umklammert, er hatte noch immer Angst. »Aber wenn ich nicht hinuntersehe, kann nichts passieren!« Jadeauge lächelte beruhigend und wandte sich wieder dem Horizont zu. Die Abendsonne versank spektakulär in einem Wolkenmeer, glühende Farben an den Himmel zeichnend. "Können wir vielleicht reingehen?" Kaoru klapperte vor Anspannung mit den Zähnen. Jadeauge musterte ihn prüfend, bewegte sich dann leichtfüßig rückwärts zum Rand der Brüstung. Er zog Kaoru sanft hinter sich her, der die Nähe zur Wand und der Balkontür definitiv begrüßte. Jadeauge ließ Kaorus Hände los, der nur widerstrebend nachgab. Dann grinste er wild und sprang mit einem Salto auf den Balkon zurück. Kaoru fletschte hilflos die Zähne und ließ sich vorsichtig in die Hocke hinab. Er wollte nicht springen. Jadeauge lächelte zu ihm hoch und streckte einladend die Hände aus, um Kaoru wieder auf sicheren Boden zu helfen. Kaoru fiel erschöpft in seine Arme und vergrub den Kopf zwischen meergrünen Strähnen. Nachdem das ganze Adrenalin durch seinen Körper gejagt war, fühlte er sich jetzt matt und seine Glieder bleischwer. Der Taurin strich langsam über seinen Rücken, dann wand er sich sanft aus Kaorus Umarmung und zog diesen an der Hand in das Zimmer hinein. Kaoru wackelten bereits so sehr die Knie, dass er mit Mühe und Not das rettende Bett erreichte und in die Kissen sank. Mit geschlossenen Augen lauschte er Jadeauges ruhigen Bewegungen, wie dieser die Balkontür schloss, Lampen löschte und die Nachtblende auf die Bettleuchte setzte. Dann streifte er ihm sanft die Sandalen von den Füßen und setzte sich zögernd neben ihn. "Du traust dich wohl nicht, mich auszuziehen, was?" Murmelte Kaoru leicht spöttisch. Dieser verrückte Taurin turnte auf der Balkonbrüstung herum, hatte aber Angst, ihm die Hose auszuziehen! Ein Kissen traf ihn im Gesicht. "Na warte, du willst eine Kissenschlacht?! Mach dich auf eine schmerzhafte Niederlage gefasst!!" Kaoru rollte sich auf den Bauch, griff gleichzeitig nach einem Kissen und schleuderte es nach Jadeauge. Der tauchte geschickt ab und eröffnete die Schlacht. Als Kaoru die Munition ausging, brüllte er "Attacke!!" und stürzte sich auf Jadeauge. Der wand sich wie ein Fisch, aber Kaoru war berüchtigt für seine Kitzelattacken. Er hatte ein untrügliches Gespür für die beste Stelle! Jadeauge quietschte vor Vergnügen und wand sich heftig, aber Kaoru war nicht abzuschütteln. Schließlich musste Kaoru selbst so lachen, dass ihm die Tränen in den Augen die Sicht unmöglich machten. Er ließ sich neben Jadeauge auf das völlig verwüstete Bett fallen. Sie rangen beide nach Atem, Kaoru stützte sich endlich auf einen Ellenbogen und betrachtete Jadeauge. "Könntest du... mich in den Arm nehmen?" Jadeauge blinzelte Kaoru an, erhob sich dann wortlos. Er krabbelte bis zum Ende des Bettes und löschte dann die Nachtleuchte. Schlagartig wurde es dunkel im Zimmer. Kaoru hatte sich auf den Rücken sinken lassen. Er konnte Jadeauges Bewegungen in der Dunkelheit spüren. Eine warme Hand legte sich behutsam auf seine Brust, wurde dann aber schnell wieder zurückgezogen. Kaoru seufzte leise, da kuschelte sich Jadeauge warm neben ihn in das Bett. Zwei sanfte Hände wickelten ihn in eine große Decke, dann schmiegte sich Jadeauge in seine Armbeuge. Eine warme Hand strich sanft über seine Brust und blieb schließlich in seiner Taillenbeuge liegen. Kaoru legte beide Arme um Jadeauge und hauchte einen Kuss auf dessen Stirn. "Schlaf gut, mein schöner Freund." Murmelte Kaoru und versank augenblicklich in erschöpften Schlaf. ~+~ Der Morgen kam definitiv zu früh, fand Kaoru, als ein aufgekratzter Allan in sein Zimmer stürmte. Kaoru hatte Mühe, sich zu orientieren. Es war draußen noch dunkel, und in seinen Augen klebte der Schlaf. "Na los, mein Dornröschen, sonst muss ich Flora auf dich loslassen!" Drohte Allan scherzhaft. Kaoru brummte etwas Unverständliches und kämpfte sich mühevoll in die Senkrechte. Die Stelle neben ihm war leer, aber wenn er die Hand darauf legte, konnte er noch Jadeauges Wärme spüren. Allan lächelte nun verhalten. "Er ist sich waschen gegangen." Kaoru schwieg versonnen, strich gedankenverloren über den Abdruck, den Jadeauges Körper auf dem Leinen hinterlassen hatte. "Du findest ihn sehr anziehend, nicht wahr?" Kaoru zuckte bei Allans leisen Worten zusammen. Sie sahen einander schweigend an. "Er ist mein Gast... ich kann nicht... Allan, ich weiß es nicht..." Verzweifelte Kaoru an seinen eigenen Gefühlen. Allan lächelte traurig. "Dann ist es ernst. Wir sind schon Ewigkeiten Freunde, deshalb... lass dir deine Gefühle nicht anmerken, bitte!" "Wie meinst du das?" Kaoru war irritiert. "Zum einen ist Jadeauge noch immer ein Taurin. Wenn du ihn bedrängst, wirst du ihn ganz sicher verlieren. Zum anderen... du weißt selbst, dass du sehr... anziehend bist. Eifersucht kann eine gefährliche Energie freisetzen!" Kaoru kniff die Augen zusammen. "Meinst du damit jemanden Bestimmten?" Allan seufzte ablehnend. "Bis man Beweise hat, ist alles nur eine Ahnung!" "Ich gebe niemandem Anlass, mehr zu erwarten als ein kurzes Vergnügen oder Freundschaft!!" "Kaoru, sei doch mal realistisch... denkst du, dass Jadeauge deine Gefühle absichtlich hervorgerufen hat??" Kaoru starrte Allan hilflos an. Der hatte ja Recht, aber was sollte er denn machen?! Allan schien die Frage in seinen Augen gelesen zu haben, denn er hockte sich neben Kaoru aufs Bett und legte einen Arm um ihn. "Zerbrich dir nicht den Kopf! Egal, was passiert, ich stehe dir bei! Wir schaffen das schon!" Kaoru lächelte bei Allans unerschütterlichem Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Er drehte den Kopf und blies Allan spielerisch ins Ohr. Der quietschte empört. "Du scheinheiliger Attentäter! Ich könnte eine Grippe oder schlimmer noch, eine Mittelohrentzündung bekommen. Du weißt, wie Zugluft mir zusetzt!!" Allans Parodie von Kaorus ältlicher Tante verfehlte wie immer ihre Wirkung nicht: Kaoru schüttelte sich vor Lachen. Allan war der geborene Komiker! Sie umarmten sich lachend, dann scheuchte Allan Kaoru ebenfalls ins Bad. Sie flitzten über den Gang, Allan hatte Kaorus Reisebekleidung gerafft. Schwungvoll stürzten sie in den Badesaal. Jadeauge fuhr erschrocken herum, umklammerte dabei das Handtuch um die schmalen Hüften. Bevor Verlegenheit aufkommen konnte, hatte Allan Kaoru an den Wasserspeier geschubst und hektisch begonnen, Kaoru das Nachthemd über den Kopf zu streifen. Kaoru sah derweil Jadeauge an, der schweigend seinen Blick erwiderte, sich dann aber leichthin abwandte. Kaoru fühlte einen unbestimmten Schmerz bei dieser Reaktion, lenkte sich dann aber entschlossen ab, indem er sich energisch abschrubbte. Allan reichte ihm ein Handtuch, dann gab er einen überraschten Laut von sich. "Meine Güte, was für eine Augenweide! Du siehst wirklich überwältigend gut aus!!" Jadeauge hatte die Zeit genutzt, seine Reisekleidung anzulegen. Tapfer hatte er die Hose angezogen, die Stiefel geschnürt, das grobe, goldfarbene Hemd übergestreift. Nun hingen die meergrünen Haare in Wellen herunter. "Darf ich dir einen Zopf flechten? Du hast so schönes Haar." In Allans Stimme schwang etwas Sehnsüchtiges mit, waren seine eigenen Haare doch kraus und nur mühsam zu bändigen. Jadeauge nickte überrascht. Allan fuhr langsam durch die weichen Strähnen, fasste sie dann geschickt zu einem einfachen Zopf zusammen. Jadeauge lächelte ihn freundlich an, packte dann seinen Zopf und wickelte ihn geschickt um den Kopf. Kaoru hatte die ganze Aktion etwas eifersüchtig verfolgt, denn normalerweise galt Allans Aufmerksamkeit nur ihm. Andererseits war es eine Strafe, seine Haare zu flechten, ihr Gewicht und ihre Glätte konnten von keinem Zopf bezwungen werden. Wortlos schlüpfte er in sein Reiseoutfit. Seine Haare würden eben wie immer offen bleiben. "Kaoru, wir sollten deine Haare auch irgendwie bändigen." Grübelte Allan. "Sie könnten unhandlich werden." "Ach ja, und wie willst du das anstellen?" Allan wirkte ratlos, da trat Jadeauge zwischen sie. Er streckte seine Hand aus und sah Kaoru auffordernd an. "Was willst du? Soll ich dir etwas geben?" Kaoru und Allan blickten ratlos in Jadeauges verschmitztes Gesicht. Als Jadeauge merkte, dass keine Eingebung kam, bediente er sich selbst, indem er auf eine der vielen Taschen an Kaorus Hose tippte. Der zog achselzuckend den Inhalt heraus: ein paar lange, bunte Bänder, wie Mädchen sie sich in die Haare flochten. Er hatte sie irgendwann bekommen und achtlos eingesteckt. Jadeauge suchte Bänder passend zu Kaorus Haaren heraus, Schwarz, Violett und Silber. Geschickt flocht er einen langen kunstvollen Strang aus den Bändern. Kaoru und Allan verfolgten seine Bemühungen etwas ratlos. Was sollte dieses Gebinde? Jadeauge bedeutete Kaoru, sich umzudrehen, schlang dann das Band um Kaorus Stirn, wickelte es dabei geschickt um einzelne Strähnen und band schließlich die Bandenden an Kaorus Hinterkopf zusammen. Allan begutachtete das Resultat kritisch. "Hält vielleicht wirklich eine ganze Weile." Kaoru griff nach einem Spiegel und betrachtete sein Erscheinungsbild. Gar nicht übel!! "Danke schön!" Kaoru schenkte Jadeauge ein intensives Lächeln. Der errötete leicht, wandte sich aber nicht ab. "Okay, Freunde, wir müssen los!" Allan scheuchte sie zurück in Kaorus Gemach. Er bestand darauf, dass das Zimmer wenigstens halbwegs aufgeräumt war, bevor sie aufbrachen. Dann machten sie sich zu den Ställen auf, wo Ham und Lark warteten, außerdem noch ein paar andere Jungen. Insgesamt waren sie zu zehnt. Jeder zog ein Leura hinter sich her, dazu noch drei Pack-Leuras. Sie brachen in der Morgendämmerung auf. ~+~ Sie benötigten fast fünf Stunden, um in die Grenzwälder zu gelangen. Glücklicherweise war der Himmel bedeckt, sodass es nicht zu warm war. Kaoru ritt voran, Jadeauge stets direkt hinter sich. Allan hatte als Tierfreund die Nachhut übernommen und führte die Pack-Leuras, dabei unterhielt er sich mit dem jüngsten Jungen. Kaoru hatte längst bemerkt, dass Jadeauge unruhig auf seinem Leura hin und her rutschte. »Wahrscheinlich tut ihm schon alles weh!« Dachte Kaoru mitleidig. Jadeauge war nicht daran gewöhnt zu reiten. Aber sie mussten noch den Wald hinter sich lassen und den Berg hinaufsteigen, um dort ein Lager zu errichten. Nach mehr als einer Stunde mühsamen Aufstieg hatten sie ein Hochplateau erreicht, auf welchem sie ein Lager errichten konnten. Kaoru befahl seinen Begleitern abzusitzen, dann errichteten sie Zelte und machten sich daran, Wasser für einen Eintopf zu holen und zu erhitzen. Allan hatte in dem Jungen bereits einen glühenden Verehrer gefunden, und beide bereiteten nun mit großem Eifer den Eintopf zu. Kaoru hatte mit den anderen die Zelte errichtet und Feuerholz gesucht. Jadeauge war entgegen seiner üblichen Geschmeidigkeit steif neben ihm her gelaufen. Ham hatte einige spitze Bemerkungen fallen lassen und Jadeauge extra viel Feuerholz aufgeladen, aber Kaoru hatte Ham scharf zurechtgewiesen. Die anderen waren über Jadeauges Schweigsamkeit ein bisschen überrascht, hatten aber anstandslos Kaorus Erklärung über ein Schweigegelübde akzeptiert. Wer verstand schon die seltsamen Gebräuche der Taurin? Nach dem Essen war es bald schon kalt und dunkel geworden, und Kaoru hatte die Nachtwache verteilt. Er hatte sich selbst für den Morgen eingesetzt, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er stelle sich über die anderen. In seinem Zelt hatte sich Jadeauge bereits auf dem Bauch ausgestreckt. Er schien den Geräuschen aus dem Nachbarzelt zu lauschen. Allan erklärte gerade seinem Zeltgenossen die Vorteile eines kleines Hundes, lautstark unterstützt von der allgegenwärtigen Flora. Jadeauge lächelte amüsiert mit geschlossenen Augen, und Kaoru beobachtete ihn schweigend. Dann schlug Jadeauge die Augen auf und drehte sich nach Kaoru um. Der legte behutsam eine Hand auf Jadeauges Rücken. "Bleib liegen. Tut es sehr weh?" Langsam ließ er die Finger über Jadeauges Oberschenkel gleiten, streifte dann sanft die Innenseite der Beine. "Ich habe Wundsalbe da. Bleib einfach liegen und lass mich machen, okay?" Kaoru kramte in seinem Beutel und fand die Salbe. Dann wandte er sich wieder Jadeauge zu. Langsam schob er eine Hand unter Jadeauges Hüfte und drehte ihn sanft auf die Seite. Dann löste er die Bänder an Jadeauges Hose. Jadeauge verfolgte seine Bemühungen mit halb geschlossenen Augen, aber wachsam und angespannt. Vorsichtig schob Kaoru die Hose über die schmalen Hüften und zog sie von Jadeauges Beinen. Sanft drückte er Jadeauge wieder auf den Boden und inspizierte die wunden Hautstellen. "Autsch, das sieht ganz schön schmerzhaft aus! Spreiz die Beine ein bisschen, ich reib dich ein." Jadeauge spannte die Muskeln an, offensichtlich rang er mit sich, dann spreizte er langsam die Beine auseinander. "Ich verspreche, ich bin vorsichtig." Krächzte Kaoru heiser. Wenn Jadeauge nur nicht so schön wäre!! Selbst in dem übergroßen, groben Hemd wirkte er unglaublich anziehend. Kaoru schloss kurz die Augen und atmete tief durch. »Vergiss es, er ist dein Gast!! Er ist tabu!!« Entschlossen schmierte Kaoru Salbe auf die Fingerspitzen und strich sanft über Jadeauges Oberschenkel. Der zuckte kurz zusammen, entspannte sich dann aber. Kaoru strich weiter sanft über die wunden Hautstellen, selbst, als er bereits die Wunden versorgt hatte, streichelte er weiter die warme, weiche Haut. Schließlich drehte Jadeauge sich auf die Seite und entzog sich Kaorus Händen. Der blickte ihn verschleiert an, als sei er gerade aus einem Traum erwacht. Jadeauge setzte sich auf und zog die Reisedecken aus ihrem Gepäck, dann breitete er sachlich das Nachtlager aus. Er sah Kaoru auffordernd ins Gesicht. Schlafenszeit! Kaoru blieb regungslos hocken. Schließlich packte Jadeauge ihn bei den Schultern, schubste ihn auf die flache Matte und wickelte die Decke um ihn. Dann rollte er sich selbst in die zweite Decke. Kaoru drehte sich auf die Seite und schlang einen Arm um Jadeauges Taille, vergrub das Gesicht in Jadeauges Nacken. Jadeauge strich sanft über Kaorus Hand auf seiner Taille und wartete darauf, dass Kaorus Atemzüge sich beruhigten. ~+~ Kaoru hörte Larks Stimme und schoss hoch. Jadeauge blinzelte neben ihm müde. "Mein Prinz, Wachwechsel!" "Danke, Lark. Ich bin gleich fertig!" Kaoru beugte sich zu Jadeauge herunter und flüsterte. "Schlaf weiter, wir sehen uns später." Dann hauchte er einen sanften Kuss auf Jadeauges Stirn. Rasch schlüpfte er in seine Kleidung und verließ das Zelt. Lark wartete am Rand des Lagers, es war noch immer dunkel. "Irgendwelche Vorkommnisse?" "Nein, mein Prinz, alles ist ruhig." "Gut, geh schlafen." Lark verschwand in einem Zelt, und Kaoru machte es sich gemütlich. Er zehrte noch von der Wärme von Jadeauges Körper. Scharf inspizierte er die benachbarten Berggipfel. Dort irgendwo konnten die Höhlen sein, in denen die Feuerdrachen hausten. Bis jetzt waren sie allerdings weder auf Drachenspuren noch auf andere ungewöhnliche Anzeichen gestoßen. Nun, am Vormittag würden sie die Gegend erkunden und vielleicht neue Erkenntnisse gewinnen. ~+~ Die Sonne ging auf und wärmte den Boden. Langsam erwachte das Lager zum Leben. Nach Katzenwäschen und aufgewärmtem Eintopf erklärte Kaoru den Tagesplan. "Ich werde mit Allan, Jadeauge und Ham und Lark die Gegend erkunden, während ihr euch ums Essen kümmert und den Stockkampf übt, klar? Ham, Lark, nehmt eure Langbögen mit!" "Was ist denn unsere Beute, mein Prinz?" Natürlich, Ham konnte nicht widerspruchslos eine Anweisung entgegennehmen! "Das werden wir sehen." Antwortete Kaoru bestimmt. Sie verließen das Lager und stiegen weiter den Hügel hinauf. Kaoru beobachtete angestrengt die Hügelketten. Die Höhlen mussten wohl gut getarnt sein, er konnte nichts Auffälliges erkennen. "Da drüben!" Kaoru wandte sich zu Allan um, der auf eine kahle Stelle an einem benachbarten Berghang hinwies. "Was meinst du?" "Sieh mal, kaum Bodengewächse und nur gelbes Moos. Wenn es stimmt, was ich von Feuerdrachen weiß, dann sondern sie eine Art schwefliges Sekret ab. Das würde natürlich die Pflanzen kaputtmachen. Abgesehen davon müssen sie ja in ihre Höhle kriechen, also kann da nicht viel wachsen." "Es lohnt sich auf alle Fälle, mal den Platz in Augenschein zu nehmen. Gehen wir." "Also jagen wir Feuerdrachen, mein Prinz?" Hams Stimme klang trügerisch sanft. "Wir sehen uns nur mal um. Betrachte es als eine Übung im Spurenlesen!" "Dann sollten wir vielleicht ausschwärmen, mein Prinz?" Kaoru zögerte, aber es war keine Gefahr zu erkennen, also konnten sie sich ruhig trennen. "In Ordnung. Das Ziel ist der Hang dort. Wir teilen uns und pirschen uns heran, klar?!" Da sie erst die Talsohle herabsteigen mussten, um den Hang hinaufsteigen zu können, tauchte jeder zwischen Gebüschen und Bäumen unter. Kaoru bewegte sich lautlos den Hang hinab, er konnte auch seine Gefährten nicht hören. »Tatsächlich ist es ein bisschen zu still, keine Vogelstimmen, nichts.« Vielleicht lag Allan mit seiner Vermutung richtig, dann mussten sie ab jetzt sehr vorsichtig sein. Kaoru hatte gerade die schmale Talsohle erreicht und machte sich an den Aufstieg, als ein gedämpfter Schrei die Stille zerriss. ~+~ Kaoru preschte sofort in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war, er achtete nicht auf Zweige oder Äste, die seinen Lauf behinderten. Keuchend kam er vor einem Baumstamm zum Stehen. Jadeauge lag zusammengekrümmt an dessen Fuß, daneben standen Ham und Lark. Kaoru stürzte neben Jadeauge auf den Boden und versuchte, den Jungen vorsichtig auf den Rücken zu drehen. "Was ist passiert?!!" "Unser taurinischer Gast ist wohl beim Abstieg gestürzt und gegen den Baum geschlagen." Mutmaßte Ham lässig. Kaoru warf ihm einen scharfen Blick zu, den Ham genauso erwiderte. In diesem Moment brach Allan zwischen dem Geäst hervor. "Was ist hier los? Oje, ist Jadeauge was passiert?" Er kniete sich neben Kaoru und tastete nach Jadeauges Halsschlagader. "Er ist bewusstlos. Kaoru, gib mir mal ein sauberes Tuch." Kaoru reichte das Tuch, und Allan befeuchtete es mit Wasser aus seiner Trinkflasche. "Er hat eine Platzwunde an der Stirn, vermutlich durch den Aufprall auf den Baum. Kratzer und Schürfwunden... Ham, Lark, könnt ihr mal nach frischem Wasser suchen?" Lark warf Kaoru einen fragenden Blick zu. Allan war nicht ihr Anführer, sondern nur ein Emporkömmling. Kaoru nickte unwirsch, und beide verschwanden. "Allan, kannst du ihn nicht zu Bewusstsein bringen?" Kaoru hörte den angstvollen, flehenden Ton in seiner Stimme, aber das kümmerte ihn nicht mehr. "Kaoru, ich habe die beiden absichtlich weggeschickt. Sieh mal!" "Was meinst du?" Allan packte Kaorus Hand und schob sie unter Jadeauges Haarschopf. Unter dem dicken Zopf meergrünen Haares konnte Kaoru eine Schwellung spüren, nur die Haare hatten Schlimmeres verhindert. "Er wird gegen einen Baum geschlagen sein." "Er lag doch hier unten mit dem Gesicht zum Baum, oder? Wie viele Bäume hätte er denn dann unterwegs treffen müssen? Überleg mal, sonst hat er nur Kratzer!" Kaoru erblasste. "Was willst du damit sagen?" "Jemand hat ihn auf den Hinterkopf geschlagen." ~+~ Allan warf Kaoru einen ernsten Blick zu. "Wir müssen ihn ins Lager zurückschaffen. Ich glaube allerdings nicht, dass er seinen Angreifer erkannt hat." Kaoru ballte die Hände zu Fäusten. "Niemand würde es wagen, meine Gäste anzugreifen!" Allan griff nach Kaorus Handgelenk. "Bleib ruhig! Wir müssen herausfinden, wer das getan hat, damit der nächste Anschlag keinen Erfolg hat!" "Der nächste Anschlag?!!" "Wenn wir das als Unfall betrachten, wiegen wir den Täter in Sicherheit. Und ich bin sicher, dass er es noch einmal versuchen wird!" Kaoru knirschte mit den Zähnen, knurrte laut. "Also gut. Aber wenn ich denjenigen erwische...!" "Vergiss nicht, wir sind auf einer wichtigen Mission unterwegs. Vielleicht brauchen wir jeden Mann!!" Allan packte Kaoru bei den Schultern und sah ihm eindringlich ins Gesicht. Kaoru drehte den Kopf weg, seufzte dann leise und legte die Stirn an Allans. "Ich weiß ja, dass du Recht hast, aber..." Allan ließ Kaorus Schultern los und strich ihm sanft mit der Hand über die Wange. "Wir können nur aufeinander vertrauen." Kaoru straffte sich, nickte Allan entschlossen zu. Dann ging er in die Knie und lud sich vorsichtig Jadeauges leblosen Körper auf die Arme. Für eine so zartgliedrige Person war Jadeauge überraschend schwer, was wohl auch daran lag, dass er bewusstlos und sein Körper völlig entspannt war. Allan wies den Weg zurück auf den Berghang, wo sich ihr Lager befand. Unterwegs kamen ihnen Ham und Lark entgegen, sie hatten kein Wasser in der Nähe gefunden. Lark machte Anstalten, Kaoru seine Last abzunehmen, aber Kaoru wies ihn unwirsch zurück. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Sie waren zu viert im Unterholz gewesen, es war nicht besonders wahrscheinlich, dass ihnen jemand aus dem Lager gefolgt war. Konnte ein Unbekannter sie verfolgt haben? Hatte Jadeauge ihn vielleicht bemerkt und war deshalb niedergeschlagen worden, bevor er Alarm schlagen konnte? Kaoru betrat das Lager mit grimmigem Blick, die anderen liefen erschrocken zusammen. "Was ist passiert? Wurdet Ihr angegriffen, mein Prinz?" "Ein Unfall." Knirschte Kaoru zwischen den Zähnen hervor. Sie waren alle hier gewesen, die überraschten und verwirrten Mienen wirkten zu überzeugend, als dass er argwöhnisch sein konnte. Also blieben nur Allan, Ham und Lark... Kaoru bückte sich und schob auf Knien Jadeauge in ihr Zelt. Allan quetschte sich neben ihn. "Am Besten, wir lassen ihn flach liegen. Ich habe ein Riechfläschchen im Verbandskasten, damit könnten wir versuchen, ihn wach zu kriegen. Ansonsten verbinde ich erst mal die Kratzer." Allan huschte in sein Zelt. Kaoru hockte sich neben Jadeauge und strich sanft über das blasse Gesicht. "Wach bitte auf." Flüsterte er flehend. Allan erschien wieder, schob eine Hand an Jadeauges Hals, nickte erleichtert, offenbar war der Puls befriedigend. Dann reinigte er die Wunden und versorgte sie. "Was nun?" Allan raunte Kaoru fast unhörbar ins Ohr. Kaoru rieb sich die Schläfe. "Bleib bei ihm. Ich muss auf diesen Berghang und nach den Drachen suchen." Allan nickte schweigend. Kaoru wandte sich dem Zeltausgang zu. "Allan?" "Ja?" "Bitte... bitte pass gut auf dich und ihn auf." Allan nickte ernsthaft, lächelte dann und pfiff kurz, woraufhin Flora an Kaoru vorbei ins Zelt fegte. "Ich habe einen Wachhund!" Trotz seiner Sorgen musste Kaoru lächeln. ~+~ "Ham, Lark! Wir gehen zurück! Nehmt eure Waffen!" Kaoru stapfte energisch den Hang wieder hinunter. Er legte absichtlich Tempo vor, damit seine beiden Begleiter nicht etwa auf dumme Gedanken kamen. Sie erreichten wieder das Unterholz, aber dieses Mal blieben sie zusammen. Der Aufstieg erwies sich als unproblematisch, die Vegetation nahm ab, nur noch Grasflächen und niedriges Gehölz. Das bedeutete aber auch, dass es keine Deckung gab. Kaoru visierte die gelben Grasflächen an, die Allan entdeckt hatte. Er sah sich wachsam um, konnte aber keine Bedrohung erkennen. Geschmeidig sank er in die Hocke und legte eine Hand prüfend auf den Boden. Der fühlte sich seltsam rau an. Als Kaoru dann die Hand vor die Nase hob, roch er einen leichten Schwefelgeruch. Also doch! Kaoru gab das Signal, sich der Höhle zu nähern, aber von einer Flanke. Sie stiegen lautlos über das Geröll neben dem Höhleneingang, eine Energieleistung, da der kleinste Fehltritt eine Lawine auslösen könnte, die ihr Kommen ankündigen würde. Schließlich hatten sie eine aussichtsreiche Position erreicht und spähten angestrengt in das Innere der Höhle. "Könnt ihr etwas erkennen?" Kaorus gehauchte Frage wurde von Ham und Lark mit einem Kopfschütteln beantwortet. Auch er konnte die Finsternis nicht durchdringen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Wenn sie sich in die Höhle wagten und der Drache tatsächlich drinnen hauste, dann würden sie geröstet, soviel war sicher. Kaoru nagte an seiner Unterlippe. Vielleicht konnte man das Biest ja herauslocken? »Auf welchen Köder würde ich wohl anspringen, wenn ich ein Feuerdrache wäre?« Wenn er sich nun selbst direkt vor den Höhleneingang stellte, wäre er ungeschützt. Keine gute Idee... Angestrengt inspizierte Kaoru den Abhang vor der Höhle, den sie eben vorsichtig umgangen hatten, um den Drachen nicht vorzuwarnen. Wenn er Krach schlüge auf halber Höhe, wäre er noch sichtbar, aber in der Position, sich fallen zu lassen und den Abhang hinab in den relativen Schutz der Bäume und Sträucher zu rollen. Allerdings sahen das Geröll und der gelbe Bewuchs nichts gerade weich aus... Kaoru gab seinen Begleitern mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig stiegen sie den Abhang bis zur Hälfte wieder hinab, ließen sich dann im Schutz eines großen Felsvorsprunges nieder. Kaoru musterte Ham und Lark eindringlich. Er würde sich nun auf sie verlassen müssen. "Also gut, ich habe einen Plan, wie wir rausfinden, ob das Biest Zuhause ist. Ich werde mich auf halber Höhe postieren und Lärm machen, um das Vieh anzulocken. Sobald es die Höhle verlässt und Feuer spuckt, lasse ich mich fallen und rolle in den Schutz der Bäume und Sträucher. Eure Aufgabe wird darin bestehen, von unserem Beobachtungsposten aus die Situation in der Höhle festzustellen. Also, ist das Biest alleine da drinnen, ist da vielleicht dieser ominöse Reiter, und so weiter." Ham starrte ihn wütend an. "Das ist kein Plan, das ist Selbstmord. Wenn Ihr zu langsam seid, grillt Euch das Biest. Und wenn Ihr nicht geröstet werdet, dann holt Ihr Euch durch die Steine ein paar gebrochene Knochen! Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass das geschieht!" Kaoru funkelte Ham kalt an. "Willst du etwa den Gehorsam verweigern?!" "Das ist Wahnsinn! Euer Vater würde das nicht zulassen, und wenn wir das zulassen, wird er uns vierteilen lassen!!" "Mein Vater ist nicht hier." Sie maßen sich mit Blicken. Schließlich senkte Ham den Kopf. Kaoru richtete sich auf. "Los jetzt, geht nach oben!" ~+~ Während Lark und Ham sich widerstrebend den Abhang hinaufarbeiteten, sortierte Kaoru seine Bekleidung. Er band sich ein Tuch um das Gesicht in der Hoffnung, damit die gröbsten Stöße abfangen zu können, wenn er den Abhang hinunterrollte. Weiter konnte er keine Schutzpanzerung mehr anlegen, er musste eben auf sein Glück vertrauen. Kaoru sah zu dem Felsen hinüber, hinter welchem seine beiden Begleiter sich verstecken sollten. Gut, sie waren bereits in Position! Kaoru atmete noch einmal tief durch, dann stapfte er entschlossen auf das gelbe Moos vor dem Höhleneingang. "Hey!! Hey!! Feuerdrache! Bist du da drinnen?! Ich bin Kaoru, Sohn des Königs der vereinten Reiche! Komm' raus!!" Stille umgab Kaoru, dann hörte er ein seltsames Geräusch, eine Art Luftsog. Plötzlich vibrierte der Boden unter seinen Füßen, kleine Kiesel rollten den Abhang hinab. Der Drache! Er kam aus seiner Höhle! Das Vibrieren wurde stärker, und Kaoru musste alle Muskeln anspannen, um nicht dem Impuls zur Flucht nachzugeben. Er spähte angestrengt in die dunkle Öffnung der Höhle, da konnte er nun wirklich Bewegungen wahrnehmen. Einen Augenblick später schob sich ein schuppiger Schädel aus der Dunkelheit. Blaue Schuppen!! In einer plump wirkenden Bewegung wand sich der Feuerdrache aus der Höhle. Die riesigen Echsenaugen drehten sich dabei wild in alle Richtungen, um den Urheber des Lärms ausmachen zu können. Eine lange Zunge zwirbelte aus dem riesigen Maul zwischen den gelben Zähnen hervor, züngelte ebenfalls suchend. Augenblicklich war die Luft von Schwefelgestank erfüllt. Gelber Geifer tropfte von den Fängen des Drachen auf den Boden und zischte. "Ich bin hier!" Kaoru stemmte beide Arme in die Hüften, sein Herz pochte heftig. Der Feuerdrache wandte den gewaltigen Schädel in seine Richtung, dann leicht schräg, um ihn mit einem Auge zu visieren. "Ich habe gehört, du fliegst Angriffe auf Siedlungen der Taurin in der Nähe? Was soll das?!" Nicht, dass Kaoru eine Antwort des Feuerdrachens erwartet hätte, aber er wollte sichergehen, dass der eventuelle Reiter des Feuerdrachens, so er denn tatsächlich existierte, wusste, dass sie seine Taten kannten. Ein dumpfes Grollen erfüllte die Luft. Kaoru sah, wie der Drachen den Schlund schloss und den Körper, der zur Hälfte noch in der Höhle steckte, aufblähte. Verdammt, der würde gleich Feuer spucken!! Kaoru warf sich sofort flach auf den Boden und rollte in den relativen Schutz eines kleinen Felsbrockens, als der Feuerdrache bereits eine riesige Flamme über den Hang spie. Die Luft glühte vor Hitze, Kaoru bekam keinen Sauerstoff mehr in seine Lungen, weil der Schwefel alles verdrängte. Selbst die Steine strahlten Glut ab. Hastig rappelte sich Kaoru auf, wenn der nächste Flammenstoß kam, würden ihn nur noch die Bäume und Sträucher als Schutz retten. "Was soll das? Wo ist dein Herr, du Bestie?!" Ein seltsames Lachen erfüllte plötzlich die Stille nach dem Feuersturm, es klang wie das Bellen von Hyänen. "Der stolze Prinz im Dreck! Was für ein Anblick!" "Wer ist da? Zeig dein Gesicht, oder bist du zu hässlich?!" Ein Wutschrei zerriss die Luft. Kaoru hatte Mühe, nicht zusammenzuzucken. Offensichtlich hatte seine Provokation ins Schwarze getroffen. "Töte ihn!! Verbrenn ihn!!" Gehorsam blähte sich der Feuerdrachen wieder auf. Kaoru zögerte nicht länger, sondern rannte den Abhang hinunter auf die Sträucher zu. Er spürte die Lohe durch die Hitze an seinem Rücken und ließ sich fallen. Wieder glühte die Luft, er hörte das Knacken der verbrannten Bäume und Sträucher, das Prasseln, wenn sie auf den Boden fielen. Vorsichtig richtete Kaoru sich wieder auf. Er hatte erneut Glück gehabt, er war nur leicht angesengt worden. Das Wäldchen jedoch hatte erheblich gelitten. Lediglich der Boden war verschont worden. »Das ist mein Vorteil! Der Drache kann nur alles verbrennen, wenn er die Flamme direkt darauf richtet! Da er aber in der Höhle steckt, kann er den Boden nicht ganz erreichen!« "Du hast mich wieder nicht erwischt! Missgeburt!" Ein Wutgeheul war die Antwort. "Ich kann verstehen, warum sie dich ausgesetzt haben! So was kann nicht mal die eigene Mutter lieben!" Kaorus Provokation zeigte Erfolg, das Wutgebrüll wurde hysterischer, ein unartikuliertes Schreien. »Dem Echo nach muss der Bursche wohl auch in der Höhle stecken! Wenn ich genug provoziere, kommt er vielleicht raus... Allerdings habe ich keine Chance, wenn der Feuerdrache erst mal fliegt. Dann ist auch das Lager in Gefahr!« "Ich bring dich um!! Ich bring dich um!!" Das hysterische Schreien klang jetzt näher. Tatsächlich schob sich der Drachen weiter aus der Höhle heraus. "Ach ja? Du kannst doch bloß mit deinem Spielzeug angeben! Ohne den Drachen bist du nichts!!" Kaoru brüllte zurück in der Hoffnung, seinen Gegner davon abzuhalten, mit dem Drachen in die Luft zu steigen. "Ha! Wenn ich fliege, grill ich dich!!" »Mist!!« Kaoru suchte nach Ham und Lark, aber der Felsvorsprung war verlassen... ~+~ Der Drache hatte sich auf den Abhang geschoben, an seiner Flanke tauchte eine vermummte Gestalt auf. Kaoru spähte zu seinem Gegner hinüber, konnte aber das Gesicht nicht erkennen. Er fluchte in sich hinein. Wenn er jetzt zu seinem Gegner rannte, lief er genau in die Flamme des Drachen. Andererseits, wenn der Kerl erst einmal auf dem Drachen saß, hatte er keine Chance mehr! Kaoru griff nach seinem Dolch. Schwert und Bogen hatte er hinter dem Felsen gelassen, sie hätten ihn beim Hinabrollen bloß behindert. Wenn der Kerl auf dem Drachen saß, musste er einen Wurf versuchen. Die Entfernung war allerdings gewaltig, und er hatte keine Ahnung, ob der Kerl nicht etwa einen Helm oder einen Panzer trug... "Jetzt töte ich dich!" "Nein!!!" Ham tauchte urplötzlich neben dem Drachen auf, der seinen Kopf nicht weit genug drehen konnte, um den neuen Feind ins Visier nehmen zu können. Der Drachenreiter fuhr herum und wehrte Hams Vorstoß ungeschickt ab. Dann erhob er sich und sprang zu Ham herunter. Beide umkreisten sich mit Kurzschwertern, aber Hams Vorstöße prallten immer wieder an dem Fremden ab. »Er ist gepanzert, verdammt!« Ein grelles Lachen des Drachenreiters bestätigte seine Vermutung. "Du hast keine Chance, du Lakai! Ich trage am ganzen Körper Drachenschuppen, du kannst mich nicht besiegen!" Dafür trieb er Ham immer weiter zum Kopf des Drachen hin. Auch der lange Schuppenschwanz und die krallenbewehrten Füße des Drachen waren für Ham eine Gefahr. Ungesehen von den beiden Kämpfern näherte sich Lark von der anderen Seite des Drachens, den Dolch in der Hand. Der Drache versuchte unterdessen, mit seinen rotierenden Augen dem Kampf zu folgen, er war abgelenkt. Lark rollte sich direkt neben den Schädel, sprang hoch und rammte seinen Dolch tief in das Auge des Drachen. Der stieß ein tiefes Grollen aus, riss in seinem Schmerz den Kopf in die Höhe und schlug wild um sich. Lark wurde vom umherpeitschenden Schwanz getroffen und gegen einen Felsen geschleudert. Er sackte bewegungslos auf den Boden. Die beiden Kämpfer wurden durch die tobende Bestie getrennt, und Kaoru nutzte die Gelegenheit, um den Abhang heraufzurennen. Der Drache brüllte und ließ einen Feuerstoß in den Himmel sengen. Kaoru wich behände dem um sich schlagenden Drachen aus. Er suchte die beiden Kämpfer. Unbedingt musste er wissen, wer der Drachenreiter war und ob mit ihm auch die Angriffe der Drachen gestoppt waren! Suchend blickte er sich um, da spürte er eine Bewegung in seinem Rücken. Instinktiv ließ er sich zur Seite fallen und stemmte den Dolch nach oben. Ein kratzendes Geräusch verriet ihm, dass er den Panzer des Drachenreiters getroffen hatte. "Du hast keine Chance!" Kaoru sprang auf die Beine und brachte Distanz zwischen sich und den Gegner. Leider war das nur zu richtig, der Drachenreiter war gepanzert und hatte ein Kurzschwert, Kaoru dagegen war ohne Schutz und nur mit einem Dolch bewaffnet. »Ich habe nur meine Schnelligkeit und leichtere Beweglichkeit!« Kaoru umkreiste den Vermummten. »Verdammt, wie soll ich so eine Schwachstelle in seiner Panzerung finden?!« Wieder und wieder attackierte der andere ihn. Kaoru hatte Mühe, auszuweichen. Dann bekam er einen Zipfel des Tuches zu fassen und zerrte heftig daran. Der Drachenreiter brüllte und versuchte, den Stoff mit dem Schwert zu teilen, aber Kaoru war schneller. Ein Wutgebrüll ausstoßend raste der Drachenreiter nun auf ihn zu, aber Kaoru ließ sich nach hinten fallen und schleuderte den Angreifer über sich hinweg. Nun hatte er auch Gelegenheit, seinen Gegenüber zu mustern. Zottiges, schwarzes Haar, eine kränklich blasse, braune Haut, der Körper verwachsen, O-Beine. Das Gesicht war von Narben entstellt, aber es handelte sich eindeutig um einen Taurin. Unerwartet bekam Kaoru einen heftigen Stoß in den Rücken. Der Drache hatte ihm mit der Klaue einen Tritt versetzt. Kaoru stöhnte auf, sein Rücken glühte vor Schmerz. Mit einem triumphierenden Schrei und ausgestrecktem Schwert raste der Taurin auf ihn zu. Kaoru keuchte... ~+~ "Nein!!" Ein blutüberströmter Ham stellte sich vor Kaoru, das Schwert in der linken Hand, der rechte Arm hing nutzlos herunter. Ungeschickt parierte er den Hieb des Taurin. Kaoru rollte sich weg und kam wieder auf die Beine. "Ham, dein Schwert!" Er schleuderte den Dolch nach dem Taurin, der so zurückweichen musste. Ham warf Kaoru sein Schwert zu, der angelte es geschickt aus der Luft und stellte sich dem kreischenden Taurin wieder zum Kampf. "Das nützt dir gar nichts! Ich mache dich alle!! Und dann verbrenne ich dein Land!!" "Niemals!" Mit zusammengebissenen Zähnen parierte Kaoru die Schläge, während er fieberhaft nach einer Schwachstelle in der Panzerung suchte. Der Drachen hatte sich inzwischen langsam herumgedreht und visierte nun die Kämpfenden an. Sie waren genau vor seinem riesigen Rachen. Ein Feuerstoß, und alles wäre vorüber. Ham kroch auf allen Vieren über den vor Drachengeifer glitschigen Boden, seinen Dolch zwischen den Zähnen. Wenn er das andere Auge erwischte, wäre der Drache erledigt. Der Taurin brachte Kaoru mit einer Attacke in heftige Bedrängnis. Schließlich stürzte Kaoru. Triumphierend kreischte der Taurin. "Feuer!" Tatsächlich sammelte der Drachen wieder Gase, aber noch bevor er den Rachen öffnen konnte, hatte Ham das verbliebene Auge mit seinem Dolch ausgestochen. ~+~ Der Kampf des Drachen war furchtbar. Wieder ruderte er mit seinen Klauen wild herum, der Schwanz peitschte durch die Luft, raste immer wieder auf die Felsen, sodass er schließlich die Höhle zum Einsturz brachte. Gerölllawinen rollten den Abhang hinunter, das verzweifelte Brüllen des Drachen brachte das Tal zum Erbeben. Ham hatte es geschafft, hinter einen Felsen in relative Sicherheit zu kriechen, aber die beiden Kämpfenden hatten nicht so viel Glück. Der Taurin brüllte seine Wut heraus, ein tierischer Schrei, der kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Dann stürzte er sich auf Kaoru, achtete nicht auf den tobenden Drachen hinter sich. Der spuckte nun Feuer, blind und ungezielt. Kaoru sah eine Flamme auf sich zurasen und warf sich auf den Boden. Der Taurin wurde förmlich von der Flammenwand umhüllt, sein Kreischen steigerte sich noch. Dann war die Hitze weg, und Kaoru kam rasch auf die Beine. Der Taurin war auf die Knie gesackt, die schwarzen Haare waren weggebrannt, das Gesicht nur noch eine rote, blasige Fläche. Entsetzt fuhr Kaoru zurück. Er hatte Mühe, seinen revoltierenden Magen im Griff zu behalten. Der Taurin taumelte wieder hoch, die Drachenschuppen, die er als Panzer trug, hatten die Hitze unversehrt überstanden. Er kreischte heiser, stürzte dann blindlings los, wild um sich schlagend. Kaoru hatte keine Mühe auszuweichen. Als der Taurin ihn passierte, rammte er ihm den Schwertknauf auf den Kopf. Sofort brach der Taurin zusammen, zuckte nur noch kurz. ~+~ Kaoru sah Ham hinter dem Felsen regungslos liegen. Zumindest er befand sich in Sicherheit. Der Drache tobte noch immer wild. »Ich werde ihn töten müssen.« Kaoru ging hinter einem Haufen Geröll in Deckung und spähte zu dem Drachen hinüber. Wo war seine Schwachstelle? Der Drache hatte sich mittlerweile entschlossen, in die Luft zu gehen. Er entfaltete die schuppenbewehrten Flügel und fächerte Luft. Kaoru überlegte fieberhaft. Selbst wenn der Drache nichts mehr sah, konnte er aus der Luft noch immer Verwüstungen anrichten. »Zu spät, verdammt!« Der Drache schlug heftig mit den Schwingen, drückte Kaoru mit dem Luftdruck fast zu Boden. Kaoru kam plötzlich eine irrwitzige Idee. Er rannte auf den Felsen zu, hinter welchem Ham und Lark auf den Drachen gewartet hatten. Tatsächlich, dort lagen beide Langbögen und ein langes Seil! Kaoru band das Seil an einen Pfeil, spannte den Langbogen und visierte eine Schwinge des Drachen an. Getroffen! Hastig band er das Seilende um einen riesigen Felsbrocken, dann suchte er nach einem weiteren Seil, um dieselbe Prozedur noch einmal zu wiederholen. Der Drache spürte den Widerstand, der seine Schwingen behinderte und wedelte noch heftiger. Schließlich bewegte er die schweren Felsbrocken und hob sie langsam vom Boden. Dabei spuckte er wieder Feuer, traf aber zu Kaorus Erleichterung die Seile nicht. Die Felsbrocken schwangen nun wild unterhalb des Drachen hin und her, dann verhedderten sich die Seile und wickelten sich durch die Felsbrocken immer enger umeinander. Dem Drachen wurden die Schwingen nach unten und an den Körper gedrückt. Er brüllte heftig, verlor dann rapide an Höhe. Der Absturz war unvermeidlich. Mit heftigem Getöse krachte der Drachen in das kleine Wäldchen in der Talsohle. Ein paar heftige Zuckungen, dann lag das riesige Tier still, schwefliger Geifer vergiftete den Boden. ~+~ Kaoru hörte den Aufprall, das folgende Erdbeben holte ihn von den Füßen. Mühsam kam er wieder auf die Beine, stolperte zu Lark hinüber. Er berührte seinen Gefährten vorsichtig an der Schulter und erntete ein tiefes Stöhnen. "Lark? Lark! Komm hoch, es ist vorbei!" Stöhnend öffnete Lark die Augen, blinzelte ein paar Mal, um den Blick zu klären. "Mein Prinz?" Kaoru lächelte erleichtert. "Ja, Lark! Ich bin zwar angesengt und dreckig, aber ich bin es. Komm." Vorsichtig zog er Lark vom Boden in die Höhe, dann stolperten sie gemeinsam auf den Trümmerhaufen zu, der einstmals die Drachenhöhle gewesen war. "Kümmre dich um Ham!" Kaoru gab Lark einen sanften Schubs, wandte sich dann selbst dem Taurin zu, der noch immer auf dem Boden lag. Behutsam drehte er ihn auf den Rücken. Schaudernd tastete er dann am verbrannten Gesicht entlang nach einem Pulsschlag am Hals. Tatsächlich war da ein Puls, schwach, aber fühlbar. Lark tauchte hinter ihm auf, er hatte Ham auf seinen Rücken geladen. "Wie geht es ihm?" "Ich glaube, nicht sehr gut. Der rechte Arm ist gebrochen, er atmet ziemlich schwer. Er blutet aus dem Mund." Kaoru sah in Larks bedrücktes Gesicht und schluckte. "Wir schaffen es. Gib die Hoffnung nicht auf!" Dann starrte er auf den Taurin. Wie sollte er ihn ins Tal transportieren? Sein Rücken schmerzte zu stark, als dass er es Lark nachtun könnte. Außerdem war der Schuppenpanzer sehr schwer. Kurzentschlossen packte Kaoru den Dolch, säbelte dann die sorgfältig verbundenen Streifen durch, die den Panzer zusammenhielten. Darunter war der Taurin fast nackt. Und er stank gewaltig. "Puh, ich weiß nicht, was schlimmer ist, der Drache oder der Kerl hier!" Kaoru packte den Taurin unter den Achseln und zerrte ihn hinter sich her den Abhang hinab. Auf mittlerer Höhe erreichten sie sein Versteck, und Kaoru holte seinen Langbogen, sein Schwert und seinen Umhang. Er verband den Langbogen mit dem Umhang und rollte dann den Bewusstlosen auf die provisorische Trage. So musste er wenigstens nicht mehr den Gestank des Fremden erdulden. In der Talsohle angelangt stießen sie auf den Kadaver des Drachen, der ihnen durch umgerissene Bäume zusätzlich den Weg erschwerte. Da hörten sie Rufe. Der Rest ihrer Gruppe tauchte vorsichtig aus dem Dickicht auf. Kaoru antworte sofort. "Wir sind hier! Helft uns, wir haben zwei Verletzte hier!" Rasch arbeiteten sich die Gefährten zu ihnen vor. Kaoru erblickte den Jungen, der mit Allan ein Zelt teilte. "Wo ist Allan?" "Mein Prinz, er ist mit dem Taurin im Lager geblieben." Der Junge musterte ihn so entsetzt, dass Kaoru unwillkürlich an sich herabsah. Tatsächlich konnte er jetzt das Grauen des Jungen verstehen: seine Kleidung war versengt, Blut klebte überall, schwefliger Dreck und Steinstaub benetzten ihn. Rasch hatte man Tragemannschaften verteilt, zwei trugen Ham, der Junge und ein weiterer Mann den Taurin. Sie brauchten eine kleine Ewigkeit durch das Gestrüpp, dann folgte der lange Aufstieg zu ihrem Lager. ~+~ Kaoru hatte kein Gefühl mehr in seinem Körper, als er endlich die Zelte erblickte und den leckeren Geruch von Eintopf roch. Allan stand vor dem Lagerfeuer, das Gesicht von Besorgnis gezeichnet. Neben ihm, mit einem Verband um den Kopf, stand Jadeauge, einen Speer mit beiden Händen umklammernd. "Kaoru! Kaoru!!" Allan rannte auf ihn zu, eine erregt kläffende Flora auf seinen Fersen. Kaoru wurde heftig in eine Umarmung gezogen, dann ebenso rasch wieder zurückgeschoben. "Hi, Allan, ich freu mich auch, dich zu sehen." Kaoru grinste seinem entsetzten Freund ins Gesicht, dann wurde ihm schwarz vor Augen, und er brach zusammen. ~+~ "Kaoru? Mein Sonnenschein? Bitte, mach die Augen auf!" Kaoru blinzelte, stöhnte dann auf. Vor seinen Augen tanzten dunkle Schatten mit hellen Schatten, er konnte einfach keinen klaren Blick bekommen. "Schätzchen! Ich helf dir, Sekunde!" War das Allan? Kaoru schloss wieder ermattet die Augen, sein Körper pochte unaufhörlich vor Schmerz. Dann nahm er einen durchdringenden Geruch war. Stöhnend versuchte er, den Kopf von der Geruchsquelle wegzudrehen, aber diese folgte ihm hartnäckig. Der beißende Geruch trieb ihm die Tränen in die Augen. Schließlich öffnete er sie wieder. "A--Allan?" "Kaoru!!" Starke Arme schoben sich unter Kaorus Rücken, hoben ihn sanft in die Höhe, dann drückte sich vorsichtig ein warmer Körper an ihn. Struppige, rote Haare kitzelten sein Gesicht, warmer Atem umwehte seine rechte Schulter. "Kaoru! Ich bin ja so froh!" Der warme Körper bebte, Allans Stimme klang nach Tränen. Kaoru fielen langsam wieder die letzten Ereignisse ein. Da wurde er liebevoll zurückgeschoben, und Allans Gesicht tauchte vor ihm auf. Die helle, sommersprossige Haut war durchscheinend, unter den sonst so lustigen Augen lagen schwarze Schatten, die Wangen schimmerten feucht. "Hi!" Kaoru krächzte heiser, blinzelte erschöpft. "Oh, Kaoru!" Kaoru schloss die Augen. Zärtliche Küsse bedeckten sein Gesicht, benetzten seine Schläfen, seine Wangen, seine Lippen. Allan schluchzte an seiner Schulter. Kaoru schluckte, hob dann angestrengt die Arme, um den zuckenden Körper zu streicheln. "Bin doch okay, Allan! Nicht weinen. Alles ist gut." ~+~ Allan hatte Kaoru sanft mit einen feuchten Lappen abgerieben, die Wunden verpflegt und ihm heiße Brühe eingeflößt. Nun saß Kaoru wieder aufrecht vor dem Lagerfeuer. Die Stimmung war ausgesprochen gedrückt. Lark hatte Ham in ihr Zelt gebracht, dann hatten sie vorsichtig seine Rüstung entfernt. Jadeauge hatte sich einfach zwischen die anderen geschoben und den gebrochenen Arm geschickt gerichtet und mit Zweigen fest verbunden. Dann hatte er Ham eingehend abgetastet. Das Ergebnis war ernüchternd: mindestens eine Rippe war gebrochen, die Trümmer drückten auf die Lungenflügel. Um den Taurin hatte man sich auch gekümmert. Wider Erwarten lebte der noch immer, auch wenn sein Kopf so furchtbar verbrannt war. Glücklicherweise war er aber nicht bei Bewusstsein. "Gut, hört mir zu. Wir werden morgen zum nächsten Grenzposten aufbrechen. Ham braucht einen Heiler. Du, Jao, wirst vorangehen und unser Kommen ankündigen." ~+~ Mühsam kroch Kaoru in ihr Zelt. Zwar hatte er keine schwerwiegenden Verletzungen, aber die Prellungen und Blutergüsse schmerzten furchtbar und sie übersäten seinen ganzen Körper. Wenigstens hat Allan die angesengten Haarsträhnen abgeschnitten! Stöhnend ließ er sich auf sein spartanisches Lager sinken. Wo war Jadeauge? Kaoru sehnte sich nach seiner Gegenwart. Es würde im Augenblick schon ausreichen, wenn er einfach nur neben ihm säße. Eine vertraute Gestalt schob sich durch den Zelteingang. "Kaoru? Alles okay?" "Ich bin in Ordnung, Allan. Weißt du, wo Jadeauge ist?" Allan kniete sich neben ihn und streichelte ihm sanft über die Wange. "Ich glaube, er ist bei dem fremden Taurin. Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht hat er ihn trotz der grauenvollen Verbrennungen erkannt." Allan presste eine Hand vor den Mund und schluckte laut. "Großer Gott, wenn ich daran denke, dass du..." Kaoru griff unsicher nach Allans Hand und drückte sie. "He, ganz ruhig! Vergiss die Sache, ich bin hier und nur ein bisschen angeschlagen." "Wenn du möchtest, sage ich ihm, dass du ihn gerne bei dir hättest." Kaoru lächelte müde und nickte leicht. "Ich möchte ihn einfach nur bei mir haben." "Verstehe. Ich hole ihn dir." Allan beugte sich über Kaoru und küsste ihn auf die Stirn. "Schlaf dich gesund und träum' etwas Schönes." Damit rutschte er auf Knien aus dem niedrigen Zelt und verschwand in der Nacht. Kaoru schloss die Augen und lauschte den Geräuschen außerhalb des Zeltes. Dann glaubte er, leichte Schritte wahrzunehmen, die vor dem Zelteingang anhielten. Er öffnete die Augen und sah, wie Jadeauge geschmeidig in das Zelt glitt, die meergrünen Haare noch immer in einem einfachen Zopf um den Kopf geschlungen, gleich einem Turban. Der Verband war weg. Kaoru streckte sehnsüchtig die Hand nach Jadeauge aus. "Bitte..." Flüsterte er in das Halbdunkel. Einen Augenblick schmiegte sich eine kühle Gestalt an seine Seite, legte vertraulich den Arm auf seine Taille. "Jadeauge!" Von der plötzlichen Erinnerung an das gerade überstandene Grauen überwältigt schluchzte Kaoru ungehemmt in den Armen seines fremden Freundes. ~+~ Kaoru erwachte durch das aufwallende Lärmen des Lagers. Stöhnend richtete er sich auf, aber sein Blick war klar, ein gutes Zeichen. Das Lager an seiner Seite war leer, keine Wärme mehr. Grummelnd kroch Kaoru aus dem Zelt. Ein bisschen Kuscheln für einen lädierten Freund hätte den Morgen sehr viel freundlicher gestaltet. Vor dem Zelt wartete ein besorgter Allan, der ihm vorsichtig auf die Füße half. "Wir haben bereits alles gepackt. Das Frühstück ist auch gleich fertig. Jao ist im Morgengrauen los, er dürfte den Posten in etwa zwei Stunden erreichen." Kaoru wischte sich ein paar schwarze Strähnen aus dem Gesicht, Jadeauges kunstvolles Haarband war im Kampf verloren gegangen. "Wie geht es den beiden Kranken?" Allan sah ihm ernst in die Augen, griff nach seiner Hand. "Jadeauge hat beide hervorragend versorgt, er hat in Krankenpflege sehr viel Erfahrung, wie mir scheint. Ham hat vermutlich innere Verletzungen, er liegt im Fieber. Der Taurin hat immer noch nicht das Bewusstsein wiedererlangt, die Haut löst sich von den Knochen." Allan würgte leicht, fasste sich dann aber. "Kaoru, wenn beide den Posten lebendig erreichen, ist das schon ein Wunder." Kaoru nickte bedrückt. Es nützte nichts, sich etwas vorzumachen. "Wir brechen so schnell wie möglich auf!" ~+~ Sie brauchten fünf Stunden, bis sie endlich den Posten in den Wäldern erreichten. Kaoru hatte sich in der Nähe von Jadeauge gehalten, in der Hoffnung, etwas über den Gefangenen erfahren zu können, aber Jadeauges Gesicht war eine undurchdringliche Maske geblieben. Er hatte das Leura, auf dessen Rücken man den verbrannten Taurin gebunden hatte, geführt, ohne dabei nach rechts oder links zu sehen. »Ob er ihn wohl erkannt hat? Und was werden wir tun müssen, um diesen Machtkampf in Taurin abzuwenden?« ~+~ Kaoru verfasste eine Nachricht an seinen Vater auf hauchdünnem Pergament, rollte diese behutsam zusammen und schob sie in eine lederne Transporthülle. Der Hauptmann des Außenpostens wartete vor dem kleinen Feldtisch, an dem Kaoru gearbeitet hatte, die Kuriertaube fest in der Hand. Das hühnergroße Tier mit der auffälligen Federfärbung würde sofort im Palast zu seinem Vater gebracht werden. "Hauptmann, lass Er die Taube umgehend aufsteigen!" Der Hauptmann verneigte sich kurz, verschwand dann vor der Tür des kleinen Blockhauses, dass die Kommandantur darstellte. Kaoru erhob sich, rieb sich mit beiden Händen den schmerzenden Rücken. Dann trat er vor die Tür und blickte besorgt in den Himmel. Große Wolkenberge türmten sich dort auf, weiße Schaumberge in schiefergrauem Meer. Die Luft war mit Ozon aufgeladen. Es würde ein gewaltiges Unwetter geben. Die herbstlichen Stürme waren in den Grenzwäldern immer besonders heftig, da die Gewitter mit ihren wassergetränkten, schweren Wolken oft nicht über die hohen Berge kamen. Der Gedanke, bei einem Blitzschlag inmitten des Waldes ausharren zu müssen, behagte Kaoru gar nicht. Der gesamte Posten bestand aus einem quadratischen, hohen Palisadenzaun mit vier einfachen Aussichtsposten. Darin die Blockhütte des Hauptmannes, die Hütte mit den Mannschaftsquartieren und mehrere Unterstände für das Vieh. Der Boden war jetzt schon schlammig, ein Regensturm würde ihn vollkommen aufweichen. Allan trat neben ihn. "Ein Gewitter zieht auf." Kaoru seufzte, nickte. "Hast du den Heiler schon erreichen können?" "Ich bin fast zwei Stunden durch den Wald gehetzt, aber er ist weder in seiner Hütte noch sonst irgendwo in Rufweite. Tut mir Leid, Kaoru." Traurig ließ Allan die Schultern hängen und starrte auf seine Fußspitzen. Kaoru zog ihn in eine warme Umarmung. "Danke. Ohne dich wäre ich rettungslos verloren. Und wir geben nicht auf, nicht jetzt, niemals!!" Allan hob den Kopf und blickte Kaoru in die violetten Augen. "Ich tue alles für dich." Kaoru lächelte liebevoll. "Darum bist du auch mein bester Freund." ~+~ Jadeauge kauerte in der Hocke neben dem Lager des Taurin. Kaoru gesellte sich zu ihm. "Erkennst du ihn?" Jadeauge starrte auf den Kopf des Fremden, über dessen rohes Gesicht man ein Stofftuch gelegt hatte. Das verbrannte Fleisch lag nun offen, die Haut hatte sich völlig abgeschält, ein entsetzlicher Anblick. "Jadeauge?" Jadeauge sah Kaoru an, die meergrünen Augen waren dunkel vor Kummer und Zorn. Ein knappes Nicken. Kaoru seufzte, er hätte diese Antwort gern vermieden. "Jadeauge, ich hatte keine Wahl! Er hätte uns mit seinem Drachen alle zu Asche verbrannt! Ich wünsche niemandem solches Leid!" Jadeauge starrte weiter auf den regungslosen Körper, angelte blind nach Kaorus Hand und drückte sie sanft. "Bitte, ich möchte nicht, dass du mich hasst! Bitte verzeih mir!" Jadeauge strich mit dem Daumen sanft über Kaorus Handrücken. Kaoru ging neben Jadeauge ächzend in die Hocke, lehnte sich sanft an ihn an. "Ich wüsste gern, wer er ist. Ein Verwandter von dir?" Jadeauge drehte den Kopf von Kaoru weg. Kaoru versuchte es weiter, obwohl es ihm fast das Herz zerriss, Jadeauge so quälen zu müssen. "Wird es jetzt vorbei sein? Oder ...?" Jadeauge drehte wieder den Kopf zu ihm herum, legte eine Hand auf Kaorus Mund. Dann schlang er beide Arme um Kaoru und verbarg sein Gesicht in Kaorus Halsbeuge. Der vergaß augenblicklich alle Fragen und umarmte seinen Freund eng. ~+~ Eine Viertelstunde später brach die Hölle los. Blitze schlugen immer näher beim Lager in den Wald ein, der Donner hallte zwischen den Bergen hin und her, die Vibrationen brachten die Erde zum Beben. Dazu ergossen sich Hektoliter von Regen, bald stand das Lager knöchelhoch im Matsch. Die Menschen drängten sich angstvoll aneinander, wandten kaum den Blick vom pechschwarzen Himmel, der von den Blitzen immer wieder gleißend erhellt wurde. Die Tiere konnten kaum in ihren Pferchen gehalten werden. Das Getöse, die Blitze und der durchdringende Gestank von Ozon trieben sie in haltlose Panik. Kaoru beobachtete angstvoll den Himmel. »Bitte lass den Blitz uns verfehlen! Bitte lass kein Feuer ausbrechen!« Sie hätten keine Chance, wenn der Wald Feuer fing. ~+~ Nach zwei Stunden, die wie eine Ewigkeiten gewirkt hatten, war das Gewitter endlich in die nächste Schlucht gezogen. Zurück blieben Morast, zerstörte Bäume und sehr demütige Menschen. Sie hatten großes Glück gehabt, ein Baum hatte glatt die Palisaden-Mauer in seinem Fall durchschlagen. Kaoru eilte unterdessen an das Lager von Ham, der im Mannschaftsquartier aufgebahrt war. Mit roten Augen hockte Lark neben seinem Kampfgefährten. Kaoru beugte sich über Ham, ergriff behutsam die schlanke Hand. Die Narbe in Hams Gesicht glühte im Zwielicht. "Ham? Ich bin es, Kaoru. Wie fühlst du dich?" Ham schlug die Augen auf, schwarz vor Schmerzen. "...sterbe..." "Nein!! Nein, du stirbst nicht! Ich lasse das nicht zu, hörst du?!! Wir finden einen Heiler, und dann wird alles wieder gut! Du wirst mich nicht hängen lassen, klar?!!" Auf Hams Gesicht zeichnete sich ein gequältes Lächeln ab. "...Lügner...nichts...gut... versagt..." Kaoru musste sich anstrengen, um die keuchend hervorgestoßenen Worte überhaupt verstehen zu können. "Du hast nicht versagt!! Ohne dich wäre ich jetzt tot!!" Dann beugte er sich über Ham und küsste ihn sanft auf die große Narbe. "Danke. Danke, mein Freund." Ham schloss die Augen, Tränen rannen über sein Gesicht. Kaoru strich sie erschrocken weg. "Nicht doch! Reg dich nicht auf, bitte!" Ham lachte krächzend, sein Körper zuckte gequält unter der Belastung, dann spuckte er Blut. Kaoru langte hastig nach eine Tuch und wischte ihm die Lippen ab. "Was...was ist denn so komisch?" Ham schlug die Augen wieder auf. "...war es...du...so blind... liebe..." Kaoru blickte ratlos in die schwarzen Augen. "Ich verstehe dich so schlecht. Außerdem sollst du dich nicht so anstrengen! Du kannst es mir später sagen, okay?" Mit erstaunlicher Kraft grub Ham die Finger in Kaorus Arm. "Was...?" "Ich war es...Jadeauge geschlagen." "Aber... aber warum?" Ham lachte wieder gequält, leckte provozierend das Blut aus seinen Mundwinkeln. "So schön... so blind... liebe dich... nicht gewusst?" Kaoru erbleichte. "Was... was soll das heißen? Du liebst mich?" Ham löste den Griff von Kaorus Arm und zerrte diesen an seinem Hemd zu sich herunter. "Narr!...konnte dich nicht...Taurin überlassen...nichts wert!" Kaorus Augen verengten sich, aber bevor er zurückweichen konnte, hatte ihn Ham heruntergezogen und auf den Mund geküsst. Kaoru fuhr heftig zurück, wischte sich entsetzt das Blut von den Lippen. Ham lachte wieder, während Tränen über sein Gesicht liefen. "...dich geliebt...immer...keine Chance... kein Rivale...dieser Taurin... nicht würdig..." Mit übermenschlicher Anstrengung stemmte sich Ham auf die Ellenbogen hoch, das Gesicht von Kummer verzerrt. "Ich....hab... dich ...so sehr...geliebt!!" Kaoru starrte entsetzt in Hams Gesicht, dann schluckte er und nahm sich zusammen. Vorsichtig setzte er sich neben Ham auf das fragile Lager und umarmte diesen sanft. "Es tut mir so leid. Wirklich so leid, Ham! Ich bin von Blindheit geschlagen gewesen." Ham lehnte schwer in seinen Armen, Kaoru konnte jeden rasselnden Atemzug fühlen. Behutsam streichelte er den sehnigen Rücken, unter seiner Hand zeichnete sich jeder Wirbel, jede Rippe ab. Sie verharrten so, bis Hams letzter Atemzug verstarb. ~+~ Lark half Kaoru, Hams Leiche zu waschen und in ein weißes Tuch zu hüllen. Weitaus schwieriger erwies es sich, ein großes Feuer zu entzünden, um die Leiche einzuäschern, denn die Bäume und abgebrochenen Äste waren vom Gewitter völlig durchweicht. Aber Kaoru konnte keinen anderen Gedanken fassen, als seinem Freund diese letzte Ehre zu erweisen, der Kummer nagte zu tief an seinem Herzen. »Wenn ich es gewusst hätte! Wieso habe ich es nicht bemerkt? Er ist gestorben, um mich zu retten! Und ich habe ihm nichts Gutes tun können, um dieses Opfer zu vergelten!« ~+~ Unerwartet für alle hielt der Taurin weiter durch. Er hatte das Bewusstsein wiedererlangt, lag stöhnend auf dem einfachen Lager. Nach Hams Tod hatten sich die anderen schlicht geweigert, ihm zu helfen. Jadeauge hingegen hatte es übernommen, das faulige Fleisch abzuschneiden, den Fremden mit flüssiger Nahrung zu füttern. Kaoru konnte den Hass seiner Gefährten verstehen, aber er war viel zu unglücklich, um zu hassen. Er war noch nie in einen Krieg oder eine Schlacht gezogen. Bis zu diesem Tag waren alle Kämpfe nur Training gewesen, es hatte niemals Verluste gegeben. Er konnte sich nicht erinnern, jemanden gekannt zu haben, der so jung wie Ham gestorben war. Man starb doch erst, wenn man alt war, verdammt!! »Und ich konnte nichts für ihn tun!!« Die Hilflosigkeit und Schuld, die er empfand, wandelte sich allzu schnell in Wut und Aggression um. Allan fand schließlich den Mut, Kaoru in seine Schranken zu verweisen. "Kaoru, hör endlich auf!! Du führst dich unmöglich auf! Wir sind alle traurig, weil Ham tot ist! Aber es ist beileibe keine Hilfe, wenn du herumläufst und deine Verzweiflung an uns auslässt!" Kaoru starrte Allan zornig an, ballte die Fäuste. "Du verstehst das nicht!! Du hast doch keine Ahnung, wie ich mich fühle!! Alles ist meine Schuld, ganz allein meine!!" "Das ist Unsinn!! Du bist nicht so mächtig, dass du deine Umgebung immer völlig in der Gewalt hast! Oder hältst du dich für einen Gott?! Wir müssen uns auf die Gegenwart konzentrieren!" "Wie kannst du es wagen, meinen Kummer und meine Verantwortung so kleinzureden?! Du verstehst überhaupt nichts!!" Allan lief rot an, die Wut färbte seine Wangen. "Ich verstehe dich sehr gut! Und ich verstehe auch Ham! Aber das tut jetzt nichts zur Sache! Nimm endlich deine Verantwortung für deine Leute wahr!!" "Du Scheißkerl!" Kaoru versetzte Allan einen Faustschlag in das Gesicht. Der war viel zu überrascht, um überhaupt zu reagieren. Der Schlag schleuderte ihn herum, dann stürzte er zu Boden. Im Lager wurde es augenblicklich totenstill. Kaoru starrte mit geballten Fäusten auf seinen besten Freund, der zu seinen Füßen lag. Blut quoll aus Allans Mund, der Kiefer schwoll bereits an. Langsam setzte er sich auf, wischte mit dem Handrücken das Blut von den Lippen. "Allan, ich..." "Nein, Ihr habt ganz Recht, mein Prinz. Ich bitte für meine Unverschämtheit um Verzeihung." Allan erhob sich, ignorierte Kaorus flehend hingestreckte Hand. Dann verbeugte er sich tief, drehte Kaoru den Rücken zu und verschwand im Pferch mit den Leuras. ~+~ Kaoru kauerte sich neben Jadeauge auf den Boden. Jadeauge sah ihm in die Augen, aber Kaoru wich seinem Blick aus. »Ich habe ihn noch niemals geschlagen!! Niemals!! Nicht mal in unseren Kämpfen!« Kaoru presste die Hände an die Schläfen, verbarg sein Gesicht hinter einem Vorhang schwarzer und violetter Haarsträhnen. »Warum tut das bloß so weh?« Der Kloß in seinem Hals schmerzte so sehr, dass jeder Atemzug wie ein Schluchzer klang. Jadeauge streichelte mit einer Hand sanft über Kaorus Haare. Der hob zögernd den Kopf, um in die meergrünen Augen zu blicken. Jadeauge lächelte ihm aufmunternd zu, nickte dann. ~+~ Kaoru fand Allan im Stroh zwischen den Leuras, zusammengerollt, Flora hockte vor ihrem Herrchen, bewachte dessen Schlaf. Kaoru betrachtete für einen Moment Allans Gesicht, auf dem Tränenspuren glitzerten. Die Schwellung am Kinn war blau, genauso wie die Ringe unter den Augen. Zögernd streckte Kaoru eine Hand aus. Allan zu wecken erschien ihm plötzlich grausam. Flora stellte sich ihm knurrend in den Weg. Kaoru starrte verdutzt auf das kleine Tier herunter. »Das hat sie noch nie gemacht!« Er ging in die Hocke und hielt Flora die Hand vor die Schnauze. "Ich weiß ja, ich habe alles falsch gemacht. Aber jetzt will ich es wiedergutmachen. Ich verspreche, ich werde Allan nicht anrühren. Lässt du mich durch?" Es kam ihm in diesem Moment keinesfalls lächerlich vor, mit dem Hund leise zu sprechen und zu verhandeln. Flora legte den Kopf schief, beäugte dann Kaoru prüfend. Schließlich leckte sie über seine Finger, wich dann zur Seite. Kaoru kraulte sie hinter den Schlappohren. "Du hast ein großes und gutes Herz! Ich kann nicht so großmütig verzeihen wie du." "Aber ich kann das." Kaoru hob den Kopf und sah Allan an, der sich lautlos aufgesetzt hatte. Sie blickten einander schweigend in die Augen, vergaßen die Geräusche um sie herum. "Es tut mir leid!! Bitte verzeih mir!" Kaoru streckte flehend die Hände nach Allan aus. Der kroch behände von seinem Strohlager und nahm Kaoru in die Arme. "Schon geschehen. Ich kann dir gar nicht lange böse sein." Sanft flüsterte er die Worte in Kaorus Ohr, schmiegte sich eng an ihn. Kaoru streichelte über seinen Rücken, vergrub den Kopf zwischen den losen, verwirrten, roten Strähnen. Dann begann er zu schluchzen. Sein Körper bebte unter der Gewalt seines Schmerzes, alles Unglück der letzten Tage brach sich seine Bahn. Allan wiegte ihn tröstend in den Armen und weinte mit ihm, um ihren Freund, den Verlust ihrer Unschuld und ihr zeitweiliges Zerwürfnis. ~+~ Am nächsten Tag verließen sie den Außenposten. Kaorus Vater hatte endlich auf das Schreiben seines Sohnes geantwortet. Eine Krisensitzung war einberufen worden. Die Taurin hatten den Frieden gekündigt. ~+~ Nach einem Eilmarsch erreichten sie die Burg. Der drohende Krieg hatte sich wie eine düstere Wolke über das kleine Städtchen gelegt. Alle Bewohner waren bleich, die Gesichter von Anspannung und Besorgnis gezeichnet. Wie konnte man so verrückt sein, kurz vor dem Winter einen Krieg zu erklären? Kaoru begab sich sofort zu seinem Vater in die Versammlung der Ratsherren, er verzichtete darauf, sich herzurichten. Allan brachte derweil Jadeauge und den anderen Taurin unter Geheimhaltung in Kaorus Gemächer. ~+~ "Vater, ehrenwerte Ratsherren!" Kaoru verbeugte sich knapp vor seinem Vater, nickte den anwesenden Ratsherren zu. "Mein Sohn, du siehst zum Fürchten aus! Aber in Anbetracht der Situation werde ich dein Auftreten entschuldigen. Berichte uns von deinen Erlebnissen!" "Sehr wohl, Vater. Wir sind auf eine Verschwörung gestoßen. Man hat einen Drachen dazu benutzt, die Grenzdörfer der Taurin anzugreifen, um vermutlich so die Schuld auf uns zu lenken. Wir haben den Drachen getötet." Kaoru senkte den Kopf und ballte die Fäuste, dann sah er einem der Ratsherren fest ins Gesicht. "Mein Herr, Euer Sohn starb bei diesem furchtbaren Kampf. Er rettete mein Leben. Ich bitte Euch demütig um Verzeihung und beklage mit Euch diesen großen Verlust." Kaoru senkte demütig den Kopf vor dem Ratsherren, der gefasst die Nachricht entgegennahm. "Mein Sohn hat seine Pflicht erfüllt, mein Prinz. Eure Anteilnahme wärmt mein Herz." Kaorus Vater durchbrach die lastende Stimme. "Sohn, du wirst deine Gefangenen nicht länger unter Verschluss halten! Ich verlange ihre sofortige Befragung!!" Kaoru fuhr erschrocken zu seinem Vater herum, kämpfte um Beherrschung. "Vater, ich erbitte eine Gunst! Lasst mich die Befragung durchführen!" Kaorus Vater zog eine weiße buschige Augenbraue hoch. "Ich gewähre die Gunst. Aber du wirst alle unsere Fragen beantworten lassen, oder ich entziehe dir meine Erlaubnis!" Kaoru nickte gehorsam und verließ rasch den Saal, um seine Gefangenen zu holen. ~+~ Allan hatte den Aufschub genutzt, um Jadeauge und sich selbst eine Katzenwäsche anzugedeihen. Dann hatte er von Raissa frische Kleidung besorgen lassen. Er hatte auf seine üblichen farbenfrohen Gewänder verzichtet, trug nun ein einfaches, dunkles Rot. Für Jadeauge hatte er einen warmen Grünton gewählt. Ausnahmsweise hatte sich der Taurin ohne Gegenwehr in das Ankleiden gefügt. Gemeinsam versuchten sie nun, den Drachenreiter in eine saubere Decke zu hüllen. Der Fremde war noch nicht in der Lage, zu stehen oder zu sitzen. Als Kaoru kam, um sie abzuholen, brachte er deshalb gleich zwei Helfer mit, die die einfache Bahre mit dem Taurin trugen. ~+~ Kaoru erschien vor der Versammlung. Allan blieb an der Tür stehen. Er war hier bestenfalls nur geduldet, schließlich war er nur der Sohn eines einfachen Verwalters, kein Adeliger. Jadeauge folgte Kaoru mit leichtem Abstand, den Kopf hoch erhoben und voller Würde. Die Helfer stellten die Bahre in die Mitte des Raumes vor den langen Tisch, an welchem die Ratsherren saßen, in ihrer Mitte leicht erhöht Kaorus Vater, der König. Der zog nun fragend eine Augenbraue hoch. Das missbilligende Gemurmel seiner Ratsherren brachte zum Ausdruck, dass ihnen dieser Einzug missfiel. Und einer der Ratsherren erhob sich auch schon und stellte empört die Frage, die sie offensichtlich alle beschäftigte. "Mein Prinz, wieso ist dieser Taurin nicht in Ketten gelegt?!" Das Wort "Taurin" spie er dabei wie eine Schmähung in die Halle. Kaoru wandte ihm den Kopf zu, bannte seinen Blick. Eine Schwäche in diesem heiklen Augenblick, und Jadeauge würde dafür büßen müssen, das war Kaoru nur zu klar. "Verehrter Herr, dieser Taurin dürfte Euch wohl bekannt sein, denn es ist Jadeauge, Sohn des herrschenden Clanführers der Taurin. Er ist wie in allen Zeiten zuvor ein Gast unserer Reiche und kein Gefangener!" Kaoru hatte seine Stimme zuletzt so gesteigert, dass die nachfolgende Stille erdrückend wirkte. "Er ist gekommen, um uns auf eine drohende Gefahr hinzuweisen und das unter hohem persönlichen Risiko!" "So, und warum erfahren wir das erst jetzt? Und warum nicht durch seinen Mund?" Kaoru sammelte sich. "Er kann nicht zu uns sprechen, denn das würde seinem Volk als Hochverrat gelten. Aber dennoch unterstützt er unsere Bemühungen, die Situation zu entspannen und den Krieg abzuwenden. Ohne seine mutige Parteinahme befänden wir uns schon längst im Krieg!!" Das Murren unter den Ratsherren schwoll an. Kaoru musste sich bemühen, sie auf seine Seite zu bringen, sonst würde sein Vater ihm ohne Zweifel die Erlaubnis zur Befragung entziehen. "Erlaubt nun, meine hochverehrten Ratsherren, dass ich die Situation erhelle. Ja, in der Tat ist eine Verschwörung im Gange, die das Volk der Taurin und unser eigenes gegeneinander aufbringen soll. Ein Teil davon bestand darin, einen Feuerdrachen auf die Grenzdörfer der Taurin loszulassen. Da die Feuerdrachen bekanntlich auf unserem Gebiet der Grenzwälder hausen, wäre der Verdacht auf uns gefallen. Wir haben den Drachenreiter gefangengenommen, der Drache wurde vernichtet." Das Gemurmel war nun von ungläubigen Äußerungen durchsetzt. "Die Bergdörfer sind nun wieder sicher. Gestattet nun, dass ich mich an den Gefangenen wende." Kaoru wandte sich der Bahre zu, suchte kurz Jadeauges Blick und bat stumm um Verzeihung. Jadeauge erwiderte seinen Blick stoisch. "Taurin, du kennst mich bereits, ich bin Kaoru, Prinz der Vereinten Reiche. Beantworte nun meine Fragen!" Der Taurin stieß ein heiseres, irres Kichern aus. "Wenn du kooperativ bist, werden wir dich zu deinem Volk zurückbringen." "Du wirst sterben!! Ihr werdet alle sterben!! Ihr seid schon tot, ihr wisst es bloß noch nicht!" Das irre Lachen prallte in der Halle von den Wänden. Bevor die Ratsherren sich empören konnten, hatte der König sie mit einer Geste zum Schweigen aufgefordert. Kaoru bewahrte die Ruhe. Je mehr er aus dem Taurin herauskitzeln konnte, umso weniger würde man Jadeauge zusetzen. "Nun, du Niemand, dein Wort kann wohl kaum zählen. Ich habe deinen Drachen getötet. Du bist ein Verlierer!" "Ich bin vielleicht nur noch Drachenfutter, du Abschaum, aber ich kann dich noch vernichten! Du traust dich bloß, weil ich unbewaffnet und blind bin!!" Einige der Ratsherren schüttelten den Kopf. Dieser Taurin musste verrückt sein, bei seinen schweren Verletzungen kein Wunder! "Ach was! Wie kommst du darauf, dass so ein Niemand wie du mich schlagen könnte? Und wieso glaubst du, dass wir des Todes sind?" Der Taurin lachte wieder kehlig. "Ich bin kein Niemand! Ich bin Olan, Sohn des Kaulim, einziger Reiter eines Feuerdrachens!! Und wenn ich auch nicht mehr dazukomme, euch alle zu töten, so wird mein Vater das erledigen!!" Kaoru wechselte einen Blick mit Jadeauge. "Du weißt, dass Jadeauge hier bei mir ist?" "Dieser Hochverräter!! Na los, zeig uns doch mal deinen Rücken, Verräter!!" Jadeauge wurde weiß, krallte die Fingernägel in die weiten Falten seiner Hose. "Was soll das heißen, er ist ein Verräter?!" Der König warf die Frage in die gespannte Atmosphäre. "Ha, das hat dein verdorbener Sohn wohl verschwiegen, was?! Weil er in diesen verräterischen Abschaum verknallt ist!!" Der König fing Kaorus Blick ein, der sich zwang, diesem ruhig und gefasst standzuhalten. »Jetzt bloß nicht reagieren!!« "Wie bezeichnend für euch verweichlichte Perverse!! Ich wette, mein Vater hatte eine Menge Spaß, dir die Haut vom Leib zu peitschen, Jadeauge!! War bestimmt ein göttliches Bild, wie dein eigener Vater dir allen Schmuck abreißen und dich schlagen musste!! Der schöne Jadeauge, der Augapfel seines Vaters, der Stolz des ganzen Volkes!!" Das meckernde Lachen hallte von den Wänden wieder. Kaoru schloss für einen Moment die Augen. Er war von Mitleid für Jadeauge erfüllt. Darum also die Albträume! Vom eigenen Vater verstoßen und vor aller Augen ausgepeitscht. "Kaoru?!" Die mühsam beherrschte Stimme seines Vaters riss Kaoru aus seinen Gedanken. Langsam verlor er die Führung in dieser Befragung. "Erlaubt mir, mein König, Kaoru zu vertreten in dieser Befragung. Er kann sich nicht auf das Niveau dieses Kretins herunterlassen." Allan trat aus dem Dunkel bei der Tür, verneigte sich tief vor dem König. Kaoru sah überrascht und dankbar zu seinem Freund hin. Allan würde ihm beistehen! Die Ratsherren murrten zwar, aber der König stimmte mit einer ungeduldigen Geste zu. Allan baute sich neben der Bahre auf, vermied den Blickkontakt mit Jadeauge. "Du bist für einen ausgestoßenen Wilden sehr gut informiert, Olan. Ich vermute, dein Vater, der der Bruder des herrschenden Clanführers ist, hat mit dir Verbindung gehalten, um seinen Plan umsetzen zu können?!" Wieder lachte Olan krächzend. "Bist ein Schnellmerker, was?" Allan schritt scheinbar gelassen neben der Bahre auf und ab, ließ den Blick müßig durch den Raum schweifen. "Weißt du, was mich erstaunt? Dass du dir das gefallen lässt. Ich meine die Tatsache, dass dein Vater dich an diesen unwirtlichen Ort verbannt hat, vor langer Zeit schon, nicht wahr? Er hat dich deinem Schicksal überlassen, und wenn du nicht den Drachen gefunden hättest, dann hätte er sich nie wieder mit dir befasst." "Das ist nicht wahr!!" "Wirklich? Nun, Olan, das überrascht mich. Ist es nicht so, dass dein Vater den Führungsanspruch über das Volk der Taurin für sich und seinen Sohn, Malim, beansprucht? Wieso nicht für dich? Bist du nicht der Ältere? Oder nahm man Anstoß an deinem Äußeren?" Ein tierisches Gebrüll erschütterte die Halle, Olan stieß unartikulierte Laute des Zorns aus. Allan wartete ruhig, bis das Geschrei verebbte. "Ich denke, dein Vater hat dich abgeschoben. Und nun, wo du ihm nützlich werden konntest, hat er wieder mit dir Kontakt aufgenommen. Aber du kommst nicht weiter in seinen Plänen vor." "Du willst mich bloß verwirren!! Nichts davon ist wahr!! Mein Vater wird die Clans führen, und dann holt er mich zurück in den Clan. Er hat es versprochen!!" "Aber Jadeauges Vater wird sich nicht so einfach ausbooten lassen, meinst du nicht? Warum ist dieser Krieg überhaupt notwendig?" "Du kleiner Idiot!! Du verstehst doch gar nichts! Wenn wir mit euch widerlichen Abweichlern vom wahren Glauben Krieg führen, dann zermalmen wir euch unter unseren Füßen! Und dann gehört euer Land und euer Reichtum uns!!" "Wie nett, aber leider ist dieser Plan fehlerhaft." "Was??!! Du bist wohl verrückt?!" Allan blieb so ruhig wie der Himmel an einem windstillen Tag. Er sah Kaoru in die Augen und lächelte leicht. "Sieh mal, wir werden unser Land nicht aufgeben. Und die Taurin lieben ihr Land, weil es das ist, was sie ausmacht. Unser Land wirkt vielleicht wie ein Paradies, aber es ist nicht ungefährlich. Und die Fruchtbarkeit erfordert Pflege, harte Arbeit und viele Jahrhunderte an Erfahrung. Aber zurück zum Krieg! Ich nehme an, das ist auch das probate Mittel, um Gegner in den eigenen Reihen zu erledigen?! Hat man Jadeauge deswegen als Verräter verurteilt, weil er gegen den Krieg war und die Pläne deines Vaters erkannt hat?!" "Ha! Dieser Mistkerl hat es zwar herausbekommen, aber sein Vater hat ihm nicht geglaubt! Warum sollte ihn auch der eigene Bruder hintergehen?! Jetzt weiß er es besser, der alte Bastard!" Jadeauge war zu schnell für Kaoru an der Bahre und ohrfeigte Olan heftig. Der lachte bloß. "Du bist nichts weiter als Leguandreck!! Schlag mich doch, deinen Vater rettet das auch nicht mehr!" Jadeauge wurde weiß, die grünen Augen funkelten bedrohlich. Allan packte ihn am Arm und schüttelte den Kopf. Dann setzte er in fast hypnotischer Gelassenheit das Verhör fort. "Wie meinst du das? Hat dein Vater das Clanoberhaupt ermordet?" "Ja!! Hörst du, Jadeauge, dein Vater ist tot!! Ich habe die Nachricht einen Tag vor unserem Kampf erhalten, und ich habe einen Freudentanz aufgeführt!!" Kaoru griff hastig nach Jadeauges Hand, der Anstalten machte, sich auf Olan zu stürzen. Der kicherte immer noch heiser vor sich hin. "Und du Idiot hast mich gepflegt! Sogar so gut, dass ich wieder sprechen kann!" Jadeauge stieß einen hohen Schrei der Entrüstung und Qual aus. Kaoru hielt Jadeauges Schmerz nicht länger aus, zog diesen in eine enge Umarmung und hinderte ihn daran, Olan zu verprügeln. "Nun, es könnte immerhin auch eine Falschmeldung sein, nicht wahr? Dein Vater betrügt seinen eigenen Bruder, er betrügt dich, also wissen wir nicht sicher, was geschehen ist. Sag mir, wie will dein Vater den Krieg in unser Land tragen? Nur ein Bote reicht da nicht. Wird er etwa im Winter eine Armee über die Grenzwälder führen?" Nun schwieg Olan verwirrt. Allan blieb neben der Bahre stehen, beugte sich leicht vor. "Du weißt es nicht. Und soll ich dir sagen, warum? Weil es eine Lüge ist!" Alle im Saal schnauften verdattert auf. Allan wandte seinen Blick zu Kaoru, der Jadeauge noch immer festhielt. "Ich werde mich verständlicher ausdrücken. Vielleicht will Kaulim tatsächlich einmal unser fruchtbares Land erobern. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist das viel zu riskant. Er bräuchte ein Heer ihm treu ergebener Soldaten, die überzeugt für ihre Mission undenkbare Qualen auf sich nehmen. Aber diesen Rückhalt hat er noch lange nicht! Rechnen wir doch mal nach. Wir sind vor sieben Tagen aufgebrochen, als uns die ersten Gerüchte von dem Drachen erreichten. Wir haben vor vier Tagen den Drachen erledigt. Wenn du die Wahrheit sagen solltest, Olan, ist vor fünf Tagen dein Vater Clanoberhaupt geworden, oder zumindest wollte er dich das glauben machen. Der Bote mit der Kriegserklärung traf vorgestern ein, er hat einen Tagesritt hinter sich. Wenn jemand erst seit fünf Tagen an der Macht ist, in einem Land, in dem keine Erbmonarchie herrscht, sondern jedes Mal der Beste unter den Clanführern gewählt wird, dann ist das nicht mal ein Bruchteil der Zeit, die benötigt würde, um sich die Macht zu sichern. Schließlich muss Kaulim auch die anderen Clanführer von sich überzeugen, oder nicht? Und dann einen Krieg im Winter anzetteln? Ein absurder Gedanke! Anders sieht es dagegen aus, wenn man der Bevölkerung vorgaukelt, wir hätten den Krieg begonnen." Gespannte Stille. "Da sind die Drachenüberfälle, das heißt, die Überfälle eines einzigen Drachen. Die leben bekanntlich auf unserem Land. Dass da ein Mensch darauf sitzt und dass es tatsächlich nur einen einzigen Drachen gibt, wer bemerkt das schon? Wie uns ein Händler bestätigte, wer achtet schon auf solche Einzelheiten in einem Angriff, den man kaum lebendig überstehen kann?! Und dann gibt es da vielleicht kleine Einheiten, die Überfälle durchführen, gekleidet wie wir. So kann man unliebsame Gegner erledigen und gleichzeitig Neuigkeiten wie ein Lauffeuer verbreiten. Dann haben für die Taurin nicht SIE uns den Krieg erklärt, sondern WIR ihnen!" Allan warf sich den schweren Zopf wie einen Schal um den Hals. "Sag mir, Olan, ist das nicht wahrscheinlicher?" "Du... du lügst!! Niemals!!" Aber in der Stimme des Taurin schwang Unsicherheit mit. "Und was meinst du, Jadeauge? Habe ich Recht?" Allan sah Jadeauge an, undurchdringlich wie eine Sphinx. Jadeauge hielt dem Blick stand, nickte schließlich langsam. "Nun, mein König, verehrte Ratsherren, was ist zu tun? Lasst mich eine Phantasie spinnen. Was hat sich Kaulim wohl gedacht? Wusste er, dass Jadeauge entkommen ist? Nun, selbst wenn, der Verräter ist ja für ihn keine Gefahr mehr. Was hatte er sich bei den Drachenattacken gedacht? Die Nachricht über die Überfälle hat sich so rasch verbreitet, dass er sicher davon ausgehen konnte, dass wir eine Expedition zum Auskundschaften aussenden würden. Wusste er, oder konnte er annehmen, dass Kaoru diese Expedition anführen würde? Mit Sicherheit, denn diese Angelegenheit hatte schließlich durch die grenzüberschreitenden Interessen höchste Priorität. Eine gute Gelegenheit, den Prinzen zu erledigen. Was sollte nun die Kriegserklärung? Nun, das ist ein sehr interessanter Schachzug. Wir sind im Augenblick mit inneren Fragen stark beschäftigt, die Versammlung der Ratsherren tagte ja schon über einen größeren Zeitraum. Eine neue Gefahr hätte eine zusätzliche Unsicherheit hervorgerufen. Wie würden wir wohl auf eine Kriegserklärung reagieren? Vielleicht eine Gesandtschaft aussenden, die den Sachverhalt aufklären könnte, denn wir sind uns ja keiner Provokation bewusst. Diese Delegation müsste natürlich hochrangig sein. Wenn also Kaoru den Drachenangriff überlebt hätte, würde er ganz sicher diese Delegation anführen. Man könnte die Delegation nun in einen Hinterhalt locken oder einfach den Volkszorn gewähren lassen. Denn haben wir nicht den Krieg erklärt, und nun marschieren wir frech einfach auf dem Territorium der Taurin ein? Ein Scharmützel später, und wir hätten den Krieg tatsächlich und wer ihn begonnen hat, wäre nur noch eine theoretische Frage." Das blanke Entsetzen war auf den Gesichtern der Ratsherren abzulesen. Kaoru starrte Allan an, wachsbleich. Sein Freund hatte erneut seinen messerscharfen Verstand bewiesen, aber viele dieser Überlegungen hatte er nicht einmal Kaoru vorab anvertraut! Jadeauge löste sich ruhig aus Kaorus Umklammerung und sah Allan intensiv in die braunen Augen. "Und wie lautet nun der Abschluss deiner 'Phantasie'?" Der König durchbrach die Stille mit rauer Stimme, das Gesicht von Sorgenfalten durchfurcht. Allan verbeugte sich höflich. "Nun, wir werden natürlich reagieren müssen. Der einzige Vorteil besteht für uns darin, dass wir den Hinterhalt kennen und dass wir Jadeauge an unserer Seite haben." Überraschte Ausrufe. "Ja, Jadeauge ist möglicherweise unser einziger Trumpf. Sollte sein Vater gefallen sein oder zumindest nicht mehr an der Macht, so könnten wir dennoch versuchen, an die alten Sympathien der Menschen anzuknüpfen. Wir müssen sie davon überzeugen, dass Kaulim ein Verräter ist, ein Betrüger an seinem eigenen Volk! Das ist die einzige Option!" "Allerdings müssen wir lange genug leben, um Gehör zu finden." Der König rieb sich nachdenklich über das stoppelige Kinn. Allan nickte zustimmend. "Dein Vorschlag, wie wir vorgehen?" "Wir werden uns als Taurin verkleiden. Jadeauge wird uns möglichst unauffällig in das Herz von Taurin führen. Dort werden wir die Situation ausloten, Kontakt mit den Gegnern von Kaulim aufnehmen. Und dann werden wir Überzeugungsarbeit leisten müssen. Oder aber Kaulim töten." Jadeauge zog zischend Luft zwischen den Zähnen ein. Der König schloss einen Moment die Augen, stand dann schwerfällig auf. "Gut. Der Entschluss ist gefallen. Kaoru, ich wünsche, dass du mit einer Mannschaft nach Taurin gehst, so, wie es Allan vorgeschlagen hat. Verhindere den Krieg. Was auch immer dafür notwendig ist, tue es!" ~+~ Kaoru ging schweigend mit Jadeauge zu seinen Gemächern. Allan folgte ihnen mit leichtem Abstand. Unschlüssig ging Kaoru vor seinem großen Bett auf und ab. "Ich schlage vor, du nimmst ein Bad und wechselst die Kleidung. Ich besorge schon einmal Proviant und Ausrüstung. Dann unterhalten wir uns über die Mannschaft." Kaoru sah Allan sorgenvoll an, der seinen Blick ernst erwiderte. Kaoru seufzte leise. "Du hast sicher Recht. Jadeauge, begleitest du mich?" Jadeauge schüttelte langsam den Kopf. Kaoru war enttäuscht, bestand aber nicht auf seiner Bitte. ~+~ Langsam spülte Kaoru den Schmutz von seinem Körper, shampoonierte seine langen Haare. Er wandte den Kopf, als sich die Tür zur Halle mit dem großen Becken öffnete. Allan huschte hinein, legte ein paar Kleidungsstücke neben das Becken, raffte dann seine Gewänder, schlüpfte aus den Hosen und den Sandalen. Dann ließ er sich langsam am Beckenrand nieder, streckte die Beine in das Wasser. Kaoru glitt von der anderen Seite langsam in das warme Wasser. Ein paar Schwimmzüge und er erreichte Allan. Schweigend blickte er in Allans Augen hinauf. "Du hast mir eine Menge verschwiegen." "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht belasten. Du hattest es ohnehin schon schwer genug." Kaoru streichelte langsam über die bloßen Beine seines Freundes. "Du nimmst mir viel zu viel ab, Allan. Und ich merke es oft gar nicht. Das ist einfach nicht richtig. Ohne dich wäre ich aufgeschmissen!" Allan streckte die Hand aus und strich sanft über Kaorus schwarzen Schopf. "Nein. Deine Aufgabe ist viel schwieriger als meine, denn du musst die Verantwortung tragen. Du bist der Prinz." Dann entzog Allan Kaoru seine Beine und richtete sich auf. "Ich werde die Vorbereitungen überwachen. Wir haben nur eine Nacht Pause. Morgen in aller Frühe werden wir abreisen müssen." "Allan?" "Ja?" "Vielen Dank! Danke, dass du Jadeauge die Befragung erspart hast. Ohne dich hätte er durch die Hölle gehen müssen." Allan lächelte Kaoru sanft an. "Du schuldest mir keinen Dank. Ich wollte ihm auch helfen. So wie dir." Damit verließ Allan leise die Halle. Kaoru sah ihm sinnend nach. »Er hat alles riskiert, die Brüskierung und Demütigung durch die Ratsherren, sogar die Möglichkeit, meinen Vater, den König, zu verärgern! Nur für mich!« ~+~ Als Kaoru wieder in sein Zimmer zurückkehrte, fand er Jadeauge auf der Balkonbrüstung, von welcher er angestrengt in den Himmel sah. Schon hatte die Dämmerung das Licht vertrieben, die ersten Sterne brachen durch das Dunkel. Kaoru näherte sich vorsichtig Jadeauge, umarmte ihn dann sanft von hinten. Jadeauge erwiderte die Geste, indem er sich eng gegen Kaorus Brust schmiegte. Sie sahen eine Weile versunken in den Himmel. Dann löste sich Kaoru und trat zur Seite, damit Jadeauge seine Beine auf diese Seite der Brüstung schwingen konnte. Gemeinsam betraten sie das Zimmer und ließen sich auf dem gewaltigen Bett nieder. In diesem Moment erschien auch Allan, Raissa folgte ihm, ein großes Tablett balancierend. "Vielen Dank, Raissa! Das wäre dann alles für heute." Allan schenkte ihr ein warmes Lächeln, dann huschte sie wieder hinaus. "Ich denke, wir sollten noch etwas essen, morgen werden wir nicht allzu viel Zeit dazu haben." Schweigend machten sie sich über die Köstlichkeiten her. Kaoru ließ sich dann gegen ein Kissen sinken. "Jadeauge, du wirst uns doch einen sicheren Weg durch Taurin leiten, oder?" Jadeauge nickte kurz und ernst. "Was denkst du, sollen wir Olan als Zeugen mitnehmen?" Jadeauge zögerte einen Augenblick, dann nickte er wieder. Pantomimisch deutete er an, dass man Olan knebeln müsse. "Gut, das können wir machen. Allan, hast du schon unsere Bekleidung fertiggestellt?" Allan nickte, unterdrückte dann ein Gähnen. "Pluderhosen, weite Gewänder, Umhänge, Stiefel und Kopfputz. Kalim, der Händler, hat mir bei der Auswahl geholfen." "Allan, ich will Lark mitnehmen. Und die anderen von unserem Drachenausflug. So können wir sie am Schwatzen hindern und gleichzeitig eine schlagkräftige Truppe bilden." Allan gähnte erneut hinter vorgehaltener Hand. "Allan, da ist noch etwas." Allan blickte Kaoru fragend an. "Ich will, dass du hier bleibst." "Was??!!" Kaoru setzte sich aufrecht. "Ich will, dass du bei meinem Vater bleibst. Falls etwas schiefgeht. Er braucht einen guten Ratgeber. Unser Volk braucht einen guten Ratgeber." Allan kroch eilig über das Bett und packte Kaoru an den Schultern. "Ich lass dich nicht allein! Schick mich nicht so weg!" Kaoru sah Allan ruhig an. "Ich befehle dir als Prinz der vereinten Reiche, hier zu bleiben." Allan ließ Kaoru los, seine Arme sanken langsam herunter. Dann wandte er sich ab. "Ich verstehe." Schwerfällig kroch er aus dem Bett und wankte zur Tür. ~+~ Kaum hatte sich die Tür geschlossen, sackte Kaoru in sich zusammen. Noch nie war ihm etwas so schwer gefallen. Aber Allan musste hier bleiben! ~+~ Er hatte seinen Vater gebeten, im Falle seines Todes Allan zu adoptieren. Natürlich hatte sein Vater sich gesträubt, aber Kaoru hatte genügend Argumente für seine Bitte anführen können. Seit seine Mutter verstorben war, hatte sein Vater nur noch kurze Affären gehabt, aber keine Heirat mehr angestrebt. Und er war nicht mehr jung genug, um einen Sohn bis zum Erwachsenenalter prägen und beschützen zu können. Allan war intelligent, loyal, gutherzig, eifrig, besorgt um das Wohl aller und konnte auch schwere Entscheidungen treffen und verantworten. Schließlich hatte sein Vater Kaorus Bitte akzeptiert, dann, in einer seltenen Anwandlung von Herzlichkeit, ihn fest in seine Arme gezogen. "Junge, was auch immer mit diesem Taurin war oder ist, du bleibst mein Sohn! Teile das Bett, mit wem du möchtest, ich stopfe den Lästerern ihr Maul!" Kaoru hatte sich erleichtert und sehr überrascht an seinen Vater gedrückt. Er hatte nicht mit Verständnis in dieser Hinsicht gerechnet. ~+~ Kaoru angelte nach einer Decke und wickelte sich ein. Plötzlich war ihm kalt. Jadeauge hatte den Disput wie immer schweigend, aber aufmerksam verfolgt. Nun kroch er zu Kaoru hinüber und lehnte sich sanft an ihn. "Ach, Jadeauge, was für ein Schlamassel!" Kaoru schleuderte die Decke von sich, zog Jadeauge in eine intime Umarmung. Der versteifte sich wieder, aber Kaoru angelte ungerührt nach einer größeren Decke, die er um sie beide wickeln konnte. Dann schmiegte er sich wieder an Jadeauge an, presste den schlanken Körper fest an sich. Ihre Blicke trafen sich. "Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich will dich einfach nur bei mir haben, deine Nähe spüren." Jadeauge schloss die Augen und legte den Kopf auf Kaorus Brust. Der seufzte schwer und fiel in einen traumlosen Schlaf. ~+~ Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Allan blieb reserviert und kühl, erst im letzten Moment warf er sich Kaoru um den Hals und drückte sich eng an ihn. "Versprich mir, dass du wiederkommst! Versprich es mir!!" "Ich komme wieder, du hast mein Wort." ~+~ Nach zwei Tagen durch das Gehölz der Grenzwälder und über steile Berghänge erreichten sie taurinisches Territorium. Nun wurde das Maskieren mit den Staubtüchern Pflicht, denn kein Taurin hatte so eine helle Haut! Jadeauge führte sie umsichtig über kaum bevölkerte Pfade. Bald verwandelte sich das Grün in eine grasbewachsene Steppe, die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herunter. Kaoru litt wie auch seine Begleiter unter der Hitze und den Strapazen des Fußmarsches, aber Jadeauge behielt das Tempo bei. Er schien fast Mühe zu haben, sich auf ihren langsamen Schritt einzulassen. Sie übernachteten in einfachen Zelten. Die Kälte war durchaus den Winternächten in ihrer Heimat zu vergleichen. Olan hatte sich kaum der Wanderung widersetzt, er sprach kein Wort mehr, hielt aber durch. Jadeauge bremste ihren Marsch. Er winkte Kaoru heran und wies auf ein Blinken am Horizont. "Nachrichten? Übermittelt ihr so Nachrichten?" Jadeauge nickte, zog dann einen Dolch hervor. Prüfend sah er hoch, gab dann selbst Blinkmeldungen ab. Am Horizont erschien wieder ein Leuchten, aber Kaoru konnte ihm nichts entnehmen. "Und?!" Jadeauge packte den Dolch weg, winkte dann die anderen zum Aufbruch. "Sind das Verbündete?!" Jadeauge zuckte mit den Schultern. "Hör mal, etwas mehr musst du mir schon bieten!! Sind das Freunde von dir?" Jadeauge nickte, packte Kaoru bei seinem Umhang und zog ihn zu sich herunter. Ernsthaft blickte er in Kaorus violette Augen. Dann ließ er Kaoru wieder los und führte die kleine Truppe an. ~+~ Sie marschierten den ganzen Tag in der glühenden Hitze. Aus der Steppe war eine Sandwüste geworden, Staub benetzte sie und setze sich in jeder Faser ihres Körpers fest. Kaoru konnte nun verstehen, warum sich Jadeauge so von ihrer Schwimmhalle und dem Innenhof angezogen gefühlt hatte. Diese Welt war die Hölle!! Auf einer Düne materialisierten sich plötzlich mehrere Gestalten. Jadeauge brachte ihre kleine Truppe zum Stehen. Dann schritt er vorsichtig nach vorne, von der Düne kam ihm eine vermummte Gestalt entgegen. Sie blieben voreinander stehen, dann umarmten sie sich förmlich. ~+~ Die Vermummten folgten ihnen in sicherem Abstand zu einem Zeltlager, das gut getarnt zwischen zwei Dünen lag. Der Vermummte bremste vor dem größten Zelt, wandte sich dann Kaoru zu, der natürlich trotz seiner Verkleidung relativ leicht an seiner Körpergröße zu erkennen war. Mit kehliger Aussprache begrüßte er Kaoru höflich, aber distanziert. "Prinz der Vereinten Reiche, es ist eine Ehre, Euch in unserem Land begrüßen zu dürfen. Im Namen des Clans der Wüstengänger danke ich Euch für Eure Gastfreundschaft gegenüber Jadeauge, dem Stolz unseres Clans. Ihr könnt mich Nadil nennen." Kaoru zwinkerte Sand aus den Augen und verneigte sich kurz. "Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft und Euren freundlichen Empfang, Nadil. Allerdings bin ich ein wenig überrascht, dass Ihr Jadeauge so liebevoll empfangt." Nadil zog kurz den Mundschutz herunter und warf Kaoru einen intensiven Blick zu. "Jadeauge ist wie mein eigener Sohn. Er würde uns, seinen Clan, sein ganzes Volk, niemals verraten." Dann schob Nadil eine Plane des Zeltes zurück und bot ihm mit einer Geste an, einzutreten. Nach und nach schlüpften sie alle in das Zelt, machten sich es auf den ausliegenden Teppichen und Kissen bequem. Auch weitere Männer des Clans setzten sich zwischen sie, taktisch geschickt verteilt, offenbar traute man dem Frieden nicht ganz. Kaoru blendete diese Bedrohung aus. "Wir suchen eure Hilfe, Nadil. Kaulim strengt einen Krieg an, er hat Jadeauge des Hochverrates bezichtigt, vielleicht seinen Vater getötet." Nadil warf einen unergründlichen Blick auf Jadeauge, der geschwiegen hatte. "Nun, wir glauben natürlich die Geschichten über Jadeauge nicht. Kaulim ist ein missgünstiger Mensch, ohne Ehre. Wer sonst würde den eigenen Neffen so behandeln, den eigenen Bruder hintergehen?" Kaoru musterte ihn schweigend. Dieses von der Sonne verbrannte Gesicht war nicht zu lesen. Er beschloss, aufs Ganze zu gehen. "Werdet Ihr uns helfen, diese Intrige aufzudecken? Einen Krieg abzuwenden?" Nadil blickte zu Jadeauge hinüber, klatschte dann in die Hände. Rasch wurden kunstvoll gegossene Gläser vor sie gestellt, in welche kochendheißer, gesüßter Pfefferminztee gegossen wurde. Kaoru bezähmte seine Ungeduld. Hast würde ihre Gastgeber nur gegen sie aufbringen. Vorsichtig schlürfte er den Tee. Nadil rief in der kehligen Sprache der Taurin etwas in die versammelte Runde, dass Kaoru nicht verstehen konnte. Er hatte zwar ein paar Floskeln gelernt, wie sie auch die fahrenden Händler beherrschten, aber die unterschiedlichen Dialekte und die abgehackte Sprechweise machten ein Verständnis oft unmöglich. Nach einem Augenblick angespannten Schweigens erhoben sich dann nacheinander die vermummten Gestalten, bis schließlich keiner mehr saß. Kaoru warf einen fragenden Blick auf Jadeauge, aber der wahrte eine undurchdringliche Miene. Nadil wandte sich Kaoru zu. "Mein fremder Freund, wir haben unsere Entscheidung getroffen. Wir ziehen nach Cad Amuh Dhal. Unterwegs werden wir auf weitere Verbündete treffen." Kaoru nickte und verbeugte sich respektvoll. "Ich danke euch für euer Vertrauen." Die Männer setzten sich wieder, dann wurden Fladenbrote ausgeteilt, die mit dem Gelee bitterer Beeren bestrichen wurden. Bald flogen Scherze durch das Zelt, die Atmosphäre entspannte sich greifbar. Kaoru jedoch war nicht ganz so zuversichtlich, wie er sich nach außen gab. Wenn sie unterwegs weitere Verbündete auflasen, so würden sie in dem Sitz des Clanführers, Cad Amuh Dhal, wie eine Armee auftauchen. Und das könnte das Blutvergießen auslösen, das Kaoru verhindern wollte. Ein Bürgerkrieg der Taurin war nicht sein Ziel! Sie verbrachten die Nacht in ihren eigenen Zelten, aber im Lager des Clans der Wüstengänger. Sie hatten Olan Nadil übergeben, der sich eingehend mit ihm "unterhalten" wollte, aber Kaorus Besorgnis hatte sich gelegt, als Jadeauge ihm beruhigend zugenickt hatte. Nun lagen sie nebeneinander auf dem einfachen Lager, und Kaoru bewegte sich unruhig, ihn fror. "Ich wünschte, du könntest mit mir sprechen, Jadeauge. Wie lange willst du dein Schweigen aufrecht erhalten? Bis wir in Cad Amuh Dhal sind?" Er konnte Jadeauges Bewegungen neben sich spüren, der sich auf die Seite drehte, dann legte sich ein schlanker Finger auf Kaorus Lippen. "Tut mir leid, aber ich mache mir eben Sorgen. Ein Fehler, und alles ist vorbei." Jadeauge rutschte näher an ihn heran, umarmte ihn sanft, tröstend. Kaoru legte beide Arme um Jadeauge und zog ihn so eng an sich, dass es fast schmerzte. "Ich möchte, dass du etwas weißt." Kaoru schob seine Lippen an Jadeauges Ohr heran. "Was auch immer passiert... ich liebe dich." Dann gab er Jadeauge langsam aus der Umarmung frei und drehte ihm den Rücken zu, rollte sich erstickend eng in seine Decke. ~+~ Die kurze Nachtruhe hatte Kaoru nicht wirklich erfrischt, aber er wollte aus dieser glühenden Hölle heraus und endlich die Hauptstadt erreichen. Davor hatte die Vorsehung aber zwei lange Tagesmärsche durch staubige Steppen gesetzt, die ihm und seinen Männern alles abverlangten. Doch jedes Mal, wenn sie ein neues Nachtlager aufschlugen, vergrößerte sich die Anzahl der Zelte um ein Vielfaches. Er hatte die Anführer dreier weiterer Clans kennengelernt, die in Jadeauge ihren Anführer sahen und alle Gerüchte ignorierten. Nun würden sie im Morgengrauen aufbrechen und nach etwa einem halben Tagesmarsch Cad Amuh Dhal erreichen. Kaoru fragte sich, wie die Menschen wohl die Nachricht aufgenommen hatten, dass sich vier Wüstenclans auf dem Weg in ihre Hauptstadt gemacht hatten. Er war sich dagegen ziemlich sicher, dass niemand ein paar Männer aus den vereinten Reichen unter den Clans vermutete. »Wo könnte Kaulim einen Hinterhalt gelegt haben? Könnte er uns hier vermuten?« Nadil schien ähnliche Befürchtungen zu hegen, denn er hatte veranlasst, dass sie immer von einer Anzahl seiner eigenen Leute umgeben waren, um sie so zu tarnen. Allein Jadeauge durfte offen auftreten, er hatte trotz des Sandes seine meergrünen Haare geöffnet, die Strähnen umwehten in sanften Wellen seinen Körper. Niemand hätte ihn übersehen können, und sie alle kannten den jungen Mann mit dem schönen Gesicht schon seit seiner Kindheit!! »Vielleicht will er Kaulim glauben machen, dass Jadeauge für diesen Aufmarsch allein verantwortlich ist.« ~+~ Kaoru saß müßig in ihrem kleinen Zelt herum. Er hatte seine kleine Mannschaft beruhigt und sie schlafen geschickt. Sie alle spürten nun die Spannung vor dem Einmarsch. Er wartete dagegen auf Jadeauge. Endlich kam dieser langsam durch den Eingang des Zeltes gekrochen. Er warf Kaoru ein aufmunterndes Lächeln zu und bedeutete ihm dann, dass sie zu Bett gehen sollten. "Ich möchte nur eins wissen: wird es einen Kampf geben?" Jadeauge erstarrte in seinen Bewegungen, wandte Kaoru dann langsam den Kopf zu, blinzelte ihn durch die grünen Strähnen an. Kaoru erwiderte den Blick störrisch. Ohne eine Antwort würde er nicht einschlafen können. Jadeauge krabbelte zu ihm herüber. Er setzte sich direkt vor Kaoru, sein Blick glitt ruhig über dessen Gesicht, kehrte dann wieder zu dessen violetten Augen zurück. Er streckte eine schmale Hand aus und streichelte Kaoru hauchzart über eine Wange. Dann beugte er sich vor und küsste Kaoru sanft auf die Stirn, beide Wangen und den Mund. Kaoru blieb vor Überraschung fast das Herz stehen. Natürlich war das eine formelle Geste, aber nichtsdestotrotz hatte Jadeauge ihn geküsst!! Jadeauge nutzte seine Überraschung, indem er sich auf sein Lager legte und sich warm in eine Decke rollte. Kaoru legte sich mit gemischten Gefühlen neben ihn. Wenn er Jadeauges Handlung richtig interpretierte, dann rechnete dieser morgen mit einem Kampf. Einem blutigen Kampf mit ungewissem Ausgang. ~+~ Sie bewältigten den halben Tagesmarsch in völliger Stille, mittlerweile mit den männlichen Angehörigen von sechs Clans. Die Hauptstadt Cad Amuh Dhal lag in einen Berg geschmiegt an einer nie versiegenden Wasserquelle. Man hatte Löcher in den Fels gehauen, mit gebrannten Lehmziegeln hohe Mauern errichtet und so war nach und nach eine Stadt entstanden mit einer riesigen Mauer zu ihrem Schutz. Nur ein steiniger Weg führte zu dem großen Tor. Normalerweise waren um die Stadt herum unzählige Zelte errichtet, von fliegenden Händlern, Bauern, Wüstenclans, die lieber in der Nähe ihres Viehs blieben. Aber in der glühenden Mittagshitze war kein einziges Zelt vor den roten Felsen zu erkennen. Nadil stellte sich vor die Männer, die ihm folgten. Hinter den hohen Mauern der Stadt konnte man in der Sonne das Blitzen von Waffen erkennen. Nadil rief tönend etwas in der Sprache der Taurin, eine Herausforderung. Von der Feste kam keine Reaktion, nichts, außer dem Aneinanderreiben von Waffen. Nadil lachte plötzlich laut, dann fuhr er kehlig fort. Seine Männer zeigten keine Anzeichen von Nervosität, wie Kaoru bemerkte, aber er selbst und seine eigene kleine Truppe waren unruhig. Die Hitze und die Anspannung machten ihnen zu schaffen. Nadil machte eine weitschweifige Bewegung, dann teilten sich seine Männer, und Jadeauge erschien zwischen ihnen wie eine Vision. In der Feste wurden Rufe laut, dann kam Bewegung in die Personen auf den Zinnen des Haupttores. Eine Gestalt wurde über die Zinnen gehoben, dann warf man sie herunter. Ein Seil bremste den Fall, dann baumelte die Gestalt in halber Höhe langsam vor und zurück. Eine Sekunde entsetzter Stille, dann zerriss Jadeauges gequälter Schrei das Schweigen. Sein Schrei hallte von den Hängen der benachbarten Felsen zurück, vervielfachte sich. ~+~ Kaoru vermutete, dass es sich bei der Leiche um Jadeauges Vater handelte. »Also ist er tatsächlich von seinem eigenen Bruder ermordet worden! Oh, Jadeauge!!« Dieser stand nun vor allen anderen, die grünen Haare flatterten in der heißen Brise um seinen Körper. Mit einem Ruck riss er sich Umhang und Obergewand vom Leib, entblößte die Narben. Dann reckte er das Kinn, und zum ersten Mal seit ihrem unerwarteten Wiedertreffen sprach Jadeauge. ~+~ Kaoru verstand nicht alles, was Jadeauge aussprach, aber er konnte das Wesentliche herausfiltern. Er bezichtigte Kaulim des Brudermordes und des Verrats am eigenen Volk. Als Antwort erscholl ein bellendes Gelächter, das Kaoru seltsam vertraut vorkam. Natürlich, Olan lachte so, wie eine heisere Hyäne! Jadeauge forderte ein Gottesgericht ein, einen Zweikampf zwischen ihm und Kaulim. Dieses Mal kam keine prompte Antwort. Offensichtlich konnte Kaulim sich dieser Aufforderung nicht so einfach entziehen. Dann antwortete er doch, nach dem Tonfall zu urteilen, spöttisch. Nadil sprang in die Bresche, sprach mit ruhigem Ton, langsam, betonte jede Silbe. Kaoru verstand ihn nun. Kaulim hatte das Gottesgericht abgelehnt mit dem Hinweis, mit einem Volksverräter werde er sich nicht messen, das sei eine Beleidigung. Aber Nadil gab zu bedenken, dass Jadeauge von den Anführern der sechs Wüstenclans keineswegs für einen Verräter gehalten wurde. Und wenn sich Kaulim einem Gottesgericht entziehe, dann bedeute das doch nur, dass er ein Urteil gegen sich befürchtete. Die Unruhe hinter den Mauern der Festung machte klar, dass auch dort drinnen nicht alle hinter Kaulim standen. Schließlich wurde das massive Tor langsam geöffnet. Eine Delegation kam langsam und bewaffnet den Abhang hinunter. Kaoru warf einen raschen Blick auf Jadeauge und Nadil. Er wollte nur zu gern erfahren, was es mit diesem Gottesgericht auf sich hatte. Aber er wusste auch, dass er in diesem Moment nicht stören durfte. Aus der Delegation lösten sich zwei Männer. Jadeauge und Nadil traten ihnen entgegen. Die beiden Fremden enthüllten ihre Gesichter. Kaulim! Ein hagerer Mann mit einem von Narben verunstalteten Gesicht, kalte Augen, ein geringschätziger Zug um den Mund. Hinter ihm stand ein junger Mann, ebenso hager. Die Familienähnlichkeit ließ den Schluss zu, dass es sich wohl um Olans jüngeren Bruder Malim handelte. Man maß sich nur mit Blicken, dann erscholl plötzlich ein seltsames Brummen aus vielen Kehlen, grollend und unheimlich. Die Männer formten einen Kreis, während Kaulim sich seines Obergewandes entledigte und es achtlos seinem Sohn zuwarf. Jadeauge und Kaulim standen sich nun in diesem Kreis gegenüber, das Brummen der Umstehenden hallte von den Bergen wider. Nadil reichte Jadeauge einen Krummsäbel, während Kaulim einen ebensolchen von seinem Sohn entgegennahm. In diesem Augenblick stürzte Olan in den Kreis, riss das schützende Tuch von seinem entstellten Gesicht und torkelte auf seinen Vater zu. Obwohl seit dem Kampf blind orientierte er sich an den Gesprächsfetzen, die er zwischen dem Brummen ortete. Kaulim stieß einen angeekelten Laut aus, als Olan sich ihm in die Arme warf. Dann rammte er einen Dolch in Olans Leib. ~+~ Das Brummen erstarb schlagartig, während Olan zurücktaumelte, die Hände um den Dolchgriff gelegt, der aus seinem Bauch herausragte. Kaulim beschrieb mit dem Krummsäbel eine fließende Kreisbewegung, und Olans Haupt rollte, vom Rumpf getrennt, in den Staub. Nach einem Augenblick der absoluten Ruhe setzte das tiefe Brummen wieder ein, mit einem drängenden Unterton. Kaoru hatte das Geschehen mit Entsetzen verfolgt. Wie konnte ein Vater seinem Sohn so etwas antun?? ~+~ Jadeauge und Kaulim umkreisten sich langsam. Sie setzten ihre Schritte behutsam in den Sand. Ein Fehltritt konnte tödlich sein. Jadeauge startete eine Attacke, die Kaulim mühelos parierte. Dann trafen sich ihre Krummsäbel immer wieder, die Schläge prasselten aufeinander, so schnell, dass man sie mit dem Auge kaum verfolgen konnte. Sekundenbruchteile später umkreisten sich die Kontrahenten dann wieder in sicherer Entfernung. Kaoru stöhnte unter der glühenden Sonne. Wie hielt Jadeauge das nur aus?! Nicht mal Schweißperlen auf dem sehnigen Leib! Kaoru musste trotz der entsetzlichen Lage, in der sie sich befanden, Jadeauges Schönheit bewundern. »Er sieht aus wie eine Wildkatze, jeder Zoll tödliche Anmut!« Die grünen Haare wehten im Wüstenwind. ~+~ Es waren fast zwanzig Minuten vergangen, und noch zeigte keiner der beiden Kämpfer Zeichen von Schwäche. Wieder attackierte Jadeauge schweigend Kaulim. Als sie sich trennten, schleuderte dieser Sand nach Jadeauges Augen und nahm ihm die Sicht. Kaoru stieß einen Angstschrei aus. ~+~ Jadeauge ließ sich in den weichen Sand fallen und rollte behände aus der Gefahrenzone, kam wieder auf die Beine. Knurrend rieb er sich den Sand aus den Augen, während Kaulim laut lachte und ihn verspottete. Dann startete er einen eigenen Angriff, den ersten in ihrem Zweikampf. Jadeauge parierte die Hiebe, wich den Fußtritten gelenkig aus. Kaulim redete ununterbrochen, hämische Worte, die Jadeauge offensichtlich aus dem Konzept bringen sollten. Mitten in der Attacke zückte Kaulim einen verborgenen, kleinen Dolch und rammte diesen Jadeauge in den linken Oberschenkel. Jadeauge entkam den nächsten Schlägen durch hastige Drehungen, aber er konnte das linke Bein nicht mehr belasten. Das Brummen der Männer wurde nun feindseliger, dann begannen einige, in die Hände zu klatschen. Kaulim zeigte seine Zähne und fauchte aggressiv. Jadeauge stützte sich auf sein rechtes Bein. Er musste nun eine Entscheidung herbeiführen, sonst wäre er verloren! ~+~ Kaulim attackierte erneut, und Jadeauge ließ sich scheinbar deckungslos auf den Rücken fallen. Kaulim zögerte nicht einen Augenblick und stieß mit dem Krummsäbel nach Jadeauges nacktem Bauch. ~+~ Kaoru erkannte Kaulims Fehler in dem Augenblick, in dem dieser auch seine überhastete Reaktion verfluchte. Jadeauge rollte sich auf die linke Seite, Kaulims Krummsäbel schürfte nur seine Haut auf. Er selbst dagegen stieß mit einem tierischen Schrei seinen Krummsäbel in Kaulims Leib. ~+~ Kaulim wankte von Jadeauge weg, umklammerte den Säbel, dessen Spitze neben seinem Rückgrat herausragte. Blut quoll aus seinem Mund, die Augen waren vor Unglauben aufgerissen. Dann brach er im Staub zusammen. Malim rannte kreischend zu seinem Vater, dann angelte er sich dessen Krummsäbel. Mit hasserfülltem Gebrüll stürzte er sich auf Jadeauge. ~+~ Kaoru hatte nur einen Augenblick Zeit. Ohne Nachzudenken schleuderte er seinen Dolch. ~+~ Malim stolperte leicht, blieb dann stehen. Aus seiner Kehle ragte Kaorus Dolch. Mit einem rasselnden Keuchen sackte er auf den Boden. Das Brummen der Männer erstarb. ~+~ Kaoru erstarrte, als sich alle Männer zu ihm umwandten. Seine Gefährten bildeten einen engen Kreis um ihn, die Hände auf ihre Waffen gelegt. Kaoru konnte ihr Angst und Verzweiflung förmlich riechen. ~+~ Jadeauge unterbrach die Spannung mit einem scharfen Befehl. Die Männer wichen vor Kaoru und seinen Gefährten zurück, zerstreuten sich dann, um die Zelte aufzuschlagen. Nadil gab einen Befehl, dann eilten einige Männer den Abhang hinauf, um die Leiche von Jadeauges Vater zu bergen. Jadeauge schleppte sich stolz, blutend in das eilig errichtete Zelt von Nadil. Kaoru wurde der Zutritt höflich, aber bestimmt verweigert. ~+~ Zwei Stunden später waren alle Zelte aufgebaut, mehrere Lagerfeuer wurden entzündet, man röstete eilig geschlachtetes Vieh. Aus der Feste kamen langsam Menschen geströmt, die geduldig am Rand des Lagers warteten. Jadeauge war nach der Behandlung seiner Stichwunde in einem farbenprächtigen Übergewand durch das Lager geschritten, um die Leiche seines Vaters zu inspizieren. Er harrte regungslos neben ihr aus, umgeben von einer Leibwache. ~+~ Kaoru hatte mit seinen Gefährten ebenfalls die Zelte aufgeschlagen, aber am Rand des Lagers. Die Atmosphäre, die sie umgab, war seltsam, erleichtert und doch angespannt. Sie hielten sich bis zum Einbruch der Nacht von den Taurin fern. ~+~ Man baute ein riesiges Feuer auf, dann wurde der Leichnam von Jadeauges Vater feierlich eingeäschert. Das Schweigen, das bei der Zeremonie geherrscht hatte, löste sich nun in Jubelrufen. Jadeauge, prächtig gewandet und mit kostbarem Schmuck behangen, schritt das ganze Lager ab, die Menschen neigten ehrfurchtsvoll den Kopf vor ihm. Auch die Bewohner der Festung erwiesen ihm den Respekt. Die Taurin hatten ein neues Oberhaupt ihrer Clans. ~+~ In dieser Nacht wurde gefeiert und geschmaust, Geschichten erzählt und mit fortschreitender Stunde getanzt und gesungen. Kaoru wurde mit seinen Gefährten als Ehrengäste zum größten Lagerfeuer eingeladen, an dem Jadeauge saß. Er durfte an Jadeauges rechter Seite Platz nehmen. Aber er fühlte sich nicht wohl. Noch nie war ihm Jadeauge so fremd vorgekommen, so weit entfernt. Der stolze, junge Mann neben ihm mit den entschlossenen Geschichtszügen, die fast hart wirkten, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem schluchzenden Bündel, das vor nicht einmal zwei Wochen in seinem Bett gelegen hatte. »Oder bin ich einfach nur enttäuscht, weil er meine Hilfe nicht mehr braucht? Weil er mich nicht mehr braucht?« ~+~ Kaoru verneigte sich vor den Anwesenden und gab seinen Gefährten das Zeichen zum Aufbruch. Es war an der Zeit, sich in die Zelte zurückzuziehen. Sein Entschluss war getroffen. Sie wurden am nächsten Tag nach Hause zurückkehren. ~+~ Kaoru wälzte sich unruhig auf seinem Lager. Obwohl die Geräusche der Feiernden nur gedämpft an sein Ohr drangen, konnte er nicht einschlafen. Sein Herz schmerzte vor Liebesqual. »Ich muss ihn verlassen. Es gibt keine Hoffnung für uns.« ~+~ Eine schlanke Gestalt glitt rasch in Kaorus Zelt. Kaoru fuhr erschrocken hoch, langte nach seinem Dolch, aber eine Hand legte sich sanft auf seine. "Keine Angst, mein Freund." "Jadeauge?!" Die Gestalt hockte sich leise lachend neben Kaorus Lager. "Wen hast du denn erwartet?" Kaoru entzündete mit fliegenden Fingern eine Öllampe. Jadeauge saß neben ihm, noch in vollem Ornat. "Was...was tust du hier? Ich meine, musst du nicht...?" Jadeauge legte sanft einen Finger auf Kaorus Lippen, erstickte die Frage. "Nein, das ist die letzte Nacht, in der ich nicht 'muss'. Darum bin ich jetzt hier. Bei dir." Kaoru schluckte heftig. Jadeauge streichelte langsam über Kaorus Wange, fuhr mit den Fingern die Wangenknochen nach. "Du hast heute mein Leben gerettet. Schon wieder." Er warf Kaoru ein zärtliches Lächeln zu. "Ich werde ewig in deiner Schuld stehen." Kaoru machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Er traute sich nicht, etwas zu sagen aus Angst, sich Jadeauges liebevoller Berührung zu entziehen. »Ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet!« Jadeauge murmelte leise etwas, die grünen Augen funkelten. "Ich... ich habe dich nicht verstanden?!" Jadeauge seufzte leise, strich Kaoru dann ein paar schwarze Strähnen aus dem Gesicht. "Ich weiß, was du für mich fühlst. Und du weißt, dass in meinem Volk diese Gefühle als unsittlich gelten." Kaoru schmiegte sich in die schlanke Hand, die seine Wange liebkoste. "Ich habe dich sehr gern. Aber ich kann dir nicht das geben, was du dir wünschst." Kaoru senkte den Blick, die Worte brannten in seinen Ohren. »Alles aus.« Jadeauge rückte näher an ihn heran. "Ich empfinde keine solche ... Liebe für dich. Aber wenn... wenn Leidenschaft deinen Schmerz ein wenig stillt, so bin ich bereit." Kaoru hob langsam den Kopf. Er war nicht sicher, ob er Jadeauge richtig verstanden hatte. Der blickte ihm ernsthaft in die Augen, die Wangen gerötet. "Du...du willst..?!" "Ja." ~+~ Kaoru gähnte erschöpft, weigerte sich, die Augen zu öffnen. Jadeauge hatte ihn vor wenigen Augenblicken verlassen. Für immer. ~+~ Kaoru brannte die Nacht mit Jadeauge in sein Gedächtnis, er wollte keinen der kostbaren Augenblicke verlieren. Er hatte Jadeauge geliebt, die ganze Nacht. Zuerst voller Verzweiflung und Schmerz, dann voller Liebe und Zärtlichkeit. Zuletzt aus purer Dankbarkeit, denn Jadeauge hatte für ihn gegen alles verstoßen, was den Taurin heilig war. Dabei hatte er eine Leidenschaft enthüllt, die Kaoru geschmerzt hatte. »Wenn wir uns nur unter anderen Umständen begegnet wären! Dann könnte ich dich jeden Augenblick so küssen! Jeden Tag und jede Nacht deine Leidenschaft kosten! Und vielleicht.... vielleicht würdest du mich lieben.« ~+~ Sie brachen im Morgengrauen auf. Nadil hatte ihnen einen Führer gestellt, der sie sicher bis zur Grenze geleiten würde. Kaoru hatte von Jadeauge Abschied genommen, schweren Herzens. Sie wussten beide, dass ein Wiedersehen ihnen nicht guttun würde. Jadeauge hatte Kaoru formell auf Stirn, Wangen und Mund geküsst und ihm und den Seinen ein lebenslanges Gastrecht in Taurin versprochen. Kaoru hatte sich förmlich verneigt und Jadeauge und seinem Clan ein ebensolches Gastrecht in seiner Heimat eingeräumt. Dann hatte Kaoru sich abrupt abgewandt. Er hatte keinen Blick mehr hinter sich geworfen. ~+~ Drei Tage später erreichten sie endlich die Burg in ihrer Heimat. Mittlerweile nahte der Winter in großen Schritten, sein eisiger Hauch umwehte die grünen Hänge und Bäume. Kaoru hatte dem Rat Bericht erstattet, seine Gefährten verabschiedet und war dann zu Tode erschöpft in sein Gemach getaumelt. Er ließ sich auf das riesige Bett fallen und rührte sich nicht mehr. ~+~ Zwölf Stunden später weckte ihn ein vertrautes Kläffen, dann glitt eine feuchte Zunge über Kaorus Gesicht. "Uääh, Flora, bitte!!" Stöhnend wälzte sich Kaoru auf die andere Seite, aber Flora sprang über ihn hinweg und startete die nasse Attacke erneut. "Ist gut, Flora. Komm her!" Eine sanfte Hand legte sich auf Kaorus Nacken, strich sanft darüber. "Kaoru-Schätzchen, ich hasse es wirklich, dir das anzutun, aber du brauchst ein Bad und etwas zu essen. Bitte steh auf." "Steh nie wieder auf...." "Doch, mein Sonnenschein, das wirst du." Kaoru drehte sich verärgert auf den Rücken und musterte Allans ruhiges Gesicht. "Was weißt du denn schon?! Lass mich allein!!" Kaoru legte erschöpft wieder einen Arm über seine Augen. Für eine Weile herrschte gespannte Ruhe im Raum. "Ich weiß, dass du unglücklich bist. Liebeskummer ist immer so grauenhaft, dass man am Liebsten sterben möchte." Kaoru nahm überrascht den Arm von den Augen. Allans leise Stimme schwang voller Wehmut. Er sah Allan an, aber dieser wandte ihm das Profil zu, starrte bleich zum Balkon. "Aber man darf sich nicht aufgeben. Niemals. Solange man noch atmet, kann man etwas ändern. Kann man glücklich sein." Allan seufzte tief, kraulte Flora, die auf seinem Schoß hockte. "Und man kann lieben." Kaoru starrte wieder an die Decke zu seinem Drachen empor. "Ich hatte nur eine Nacht." Er biss sich auf die Lippen, um das Schluchzen in seiner Kehle zu unterdrücken, aber es war zu gewaltig. Kaoru drehte sich auf die Seite, zog die Beine an und schluchzte haltlos in das Durcheinander von Kissen und Decken. Allan packte ihn um die Taille und zog ihn in seine Arme, wiegte ihn wie schon so oft zuvor. "Ich weiß, ich weiß..." ~+~ Als Kaoru sich wieder gefasst hatte, zerrte Allan ihn, ohne auf Proteste zu achten, in die große Badehalle. Rasch entkleidete er Kaoru, seifte ihn gründlich ein und reinigte ihn. Kaoru ließ alles resigniert über sich ergehen. Sein Weltschmerz war viel zu groß, um sich an solchen Trivialitäten aufzuhalten. "Komm jetzt mit!" Allan schlüpfte aus seinen bunten Gewändern, griff Kaorus Hand und zog ihn energisch hinter sich her zum großen Becken. Man hatte das Wasser beheizt, sodass auch im Winter dieser Luxus gewährt wurde. Allan warf einen Blick in Kaorus Leidensmiene. Seine eigenen Gesichtszüge verhärteten sich. Er gab Kaoru einen heftigen Stoß, sodass dieser mit einem erschrockenen Aufschrei ins Wasser klatschte. "Bist du verrückt?! Was soll das??!!!" Ein triefnasser Kaoru erschien wieder prustend an der Oberfläche, kämmte sich wütend schwarze Strähnen aus dem Gesicht. Allan hockte sich an den Beckenrand, ließ die Beine im Wasser baumeln. "Ich habe genug von deiner Leichenbittermiene, das ist alles." Kaoru starrte ihn entgeistert an, dann arbeitete er sich wütend an den Beckenrand. "Ich werd dir gleich...!!" Allan warf ihm einen scharfen Blick zu. "Ja?! Was wirst du?! Mich verprügeln?!" Kaoru stoppte mitten in der Bewegung. "Nein. Nein!! Ich schlage dich nicht!" Allan drehte den Kopf von ihm weg. "Vielleicht solltest du das aber." Er zog die Beine aus dem Wasser und schlang die Arme um sie. Kaoru sah seinen Freund ratlos an. Elegant stemmte er sich aus dem Wasser und rückte nahe an Allan heran. "Was... was ist denn los?" Allan legte die Stirn auf die Knie. "Allan? Bitte, es tut mir leid. Ich schlage dich nicht, nie wieder, okay?! Sag mir doch, was los ist! Bitte!" Kaoru streichelte sanft über den gekrümmten Rücken, zwirbelte rote Strähnen um seine Finger. "Bitte, Allan! Red mit mir! Komm schon, du bist doch mein bester Freund!" Allan schluchzte leise, unterdrückt. "Allan?! Bitte!! Was hab ich denn falsch gemacht?!" Kaoru schlang hilflos die Arme um Allan. "Willst du, dass ich gehe? Ich gehe sofort, wenn du das willst." "Nein!!" Mit einem Schrei warf sich Allan in Kaorus Arme, weinte hemmungslos an seiner Schulter. Kaoru streichelte hilflos über die wirren Zotteln, den zuckenden Leib. »Was habe ich bloß gemacht? Verdammt, er ist immer nett zu mir, er wollte mir helfen! Ich bin ein solcher Drecksack!!« ~+~ Nach einer Weile verebbten die Schluchzer, und Allan richtete sich langsam auf, das Gesicht abgewandt. Kaoru legte eine Hand sanft unter Allans Kinn, drehte das tränenüberströmte Gesicht zu sich. Allan sah furchtbar aus, bleich, die Augen von tiefen Ringen umschattet, die Wangen eingefallen, die Lippen aufgerissen. "Was... was ist mit dir passiert?!" Allan wich seinem Blick aus. Kaoru streichelte sanft Allans Wangen. "Hey. Hey, Allan, ich bin's doch! Sag's mir. Was ist los?" "Nichts. Nichts Wichtiges. Hast du Hunger? Ich hol dir etwas zu essen!" Eilig sprang Allan auf die Beine, floh aus der großen Halle. ~+~ Kaoru sah ihm verdutzt nach. Dann schwamm er ein paar Bahnen, fand Geschmack an der körperlichen Anstrengung und drehte so lange Runden, bis er völlig erschöpft war. Müde schleppte er sich aus dem Becken und hüllte sich in ein paar Tücher, machte es sich dann am Beckenrand zwischen den Pflanzenkübeln bequem. Allan stolperte mit einem Tablett herein, stellte es neben Kaoru auf die Fliesen. Dann warf er Kaoru einen schüchternen Blick zu. "Tut mir leid wegen der Szene vorhin. Ich habe die Beherrschung verloren." Kaoru zog Allan neben sich auf den Boden. "Ich bin nicht böse. Oh, was für ein Festmahl!!" Hungrig stürzte Kaoru sich auf die Köstlichkeiten, leckte sich die Finger ab. "Oh Allan, du glaubst gar nicht, wie hungrig ich bin! Diese Wüste war die Hölle! Ich hatte Sand an Stellen, die du dir gar nicht vorstellen kannst!" Allan grinste. "Oh doch, ich hab dich schließlich gewaschen, oder nicht?!" Sie kicherten beide ungehemmt los. Allan warf Kaoru einen neugierigen Blick zu. "Willst du mir von deinem ...Abenteuer erzählen?" Kaoru lächelte Allan warm an. "Wenn du mich dabei fütterst?!" Dann legte er kurzerhand den Kopf auf Allans Schoß und schloss die Augen. "Ein paar Trauben, und ich lege los!" Lockte Kaoru. Dann erzählte Kaoru Allan alles, auch über die einzige Nacht mit Jadeauge. Sie schwiegen eine Weile einträchtig. Allan zwirbelte eine schwarze Strähne von Kaoru um den Finger. "War es sehr schlimm? Jadeauge zu verlassen?" Kaoru schloss die Augen, seufzte leise. "Weißt du, ich habe mich in den Jadeauge verliebt, der in dieser Nacht bei mir war, neugierig, liebevoll, zutraulich. Aber den Jadeauge, den ich draußen im Kampf gesehen habe..." Kaoru zuckte unwillkürlich zusammen. "Sie sind ziemlich hart da... ich glaube nicht, dass ich damit klarkommen würde. Vielleicht bin ich einfach nicht reif genug." Allan streichelte Kaorus Wangen. "Ich mag dich genauso, wie du bist." Kaoru grinste und tippte Allan auf die Nasenspitze. "Was du nicht sagst. Bist kein bisschen voreingenommen, was?!" Allan grinste zurück, schnappte nach Kaorus Finger. "Sagst du mir jetzt, was vorhin los war?" Allan wandte den Kopf ab. Kaoru setzte sich auf, zog Allan an sich. "Na los. Du siehst übrigens ganz schön fertig aus. Was war los?!" "Ich... ich hab dich so vermisst!!" Allan presste sich eng an Kaoru. "He, ich bin doch wieder hier. Hab ich dir doch versprochen!" "Warum hast du dann deinem Vater gesagt, er soll mich adoptieren?! Ich dachte, du kommst nicht zurück!!" Kaoru schob Allan ein wenig von sich, um ihm in das Gesicht sehen zu können. "Denkst du etwa, ich stehe nicht zu meinem Wort?" Allan schluchzte wieder leise vor sich hin. Kaoru wischte ihm sanft die Tränen von den Wangen. "Ich habe meinem Vater aufgetragen, dich zu adoptieren, wenn mir etwas zustoßen sollte. Ich hatte nie die Absicht, in der Wüste zu bleiben." Allan hatte nun einen Schluckauf. "Nicht- hick- nicht mal - hick- aus Liebe?" Kaoru seufzte leise und schmiegte sich enger an Allan an. "Vielleicht habe ich mich nur in eine Vorstellung verliebt." Dann lächelte er Allan wehmütig an. "Du hast das schon vorher gewusst, nicht wahr? Die Sache mit Ham, dass ich bei Jadeauge keine Chance hätte." Allan lief rot an, wand sich unbehaglich. "He, schon gut, das ist kein Vorwurf. Ich hätte dir sicher kein Wort geglaubt, wenn du es mir vorher gesagt hättest. Ich muss eben immer selbst auf die Nase fallen, um etwas zu kapieren." Allan küsste Kaoru sanft auf die Stirn. "Ich hätte dir all das Unglück so gern erspart." Kaoru rieb sanft eine Wange an Allans. "Ich weiß. Aber zum Glück bist du viel klüger als ich und passt auf mich auf. Du weißt, wer und was ich bin." Allan grinste verschmitzt. "Und ich mag dich trotzdem!" Kaoru lachte leise. "Ach ja? Und wie sehr?" "Ich tue alles für dich. Ich liebe dich, Dummerchen!" Allan platzierte einen zärtlichen Kuss auf Kaorus vor Verblüffung geöffnetem Mund. "Du bist wirklich mit Blindheit geschlagen, Kaoru-Schätzchen. Aber das ist okay." Kaoru starrte Allan fassungslos an. "Wie.. wie... verdammt, wieso hast du nie etwas gesagt?!" "Ach, Kaoru! Du bist der Prinz, ich bin ein Niemand. Hast du das schon vergessen? Und es ist besser, ein Freund zu sein, als gar nichts zu haben. Nur manchmal... manchmal tut es einfach weh...." Allan lehnte seine Stirn an Kaorus. "So, jetzt ist es heraus. Sei nicht böse." Kaoru blinzelte verwirrt. "Böse? Wieso böse? Du solltest auf mich sauer sein, weil ich ein solcher Idiot bin!!" Allan kuschelte sich in Kaorus Armen ein, als wollte er dort überwintern. "Kann dir gar nicht böse sein, weißt du doch." "Allan?" "Hm?" "Was... was sollen wir jetzt tun?" "Alles, was du willst, mein Prinz!" Kaoru legte die Stirn in Denkerfalten, wischte dann ein paar verirrte, rote Strähnen aus Allans Gesicht. Er näherte sich Allan, bis sich ihre Lippen beinahe berührten. Dann flüsterte er heiser. "Jetzt will ich einen Kuss, dass mir Hören und Sehen vergeht. Und dann will ich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht mit dir in meinem großen Bett. Wir haben eine ganze Menge nachzuholen." Allan lachte leise, dann küsste er Kaoru. ~+~ ENDE ~+~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Meine erste Fantasy-Geschichte und bis jetzt auch die einzige, die vollkommen in einer anderen Welt spielt. Das Verhältnis zwischen den Hauptakteuren ist nicht eindeutig und sorgte bisweilen für Verärgerung, weil unverständlich schien, warum Kaoru sich von Jadeauge zurückzog... nun ja, es ist eben alles nicht so einfach ^_~ Ich hatte viel Spaß beim Schreiben, allerdings auch ungeahnte Arbeit, die neue Welt "einzurichten", doch was tut man nicht alles für einen Kampf mit einem Drachen?! ^_~