Titel: Das passende Haustier Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction: Petshop of Horrors (siehe Information)-Teil 1 FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Ereignis: Halloween 2005 Erstellt: 30.10.2005 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen. Mangaka: Akino Matsuri, aktueller Verlag Asahi Comics. Hinweise: Ich kenne von der Serie lediglich den ersten Band. Auch ist mir der Genuss des Anime entgangen, sodass alles ab hier frei erfunden und natürlich ohne Bezug auf reale Vorbilder zusammengesponnen wurde. Dies ist die "süße" Seite für Halloween 2005. Fortsetzung: »Drachengold« (Teil 2), »Szenen« (unter "P") >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< >o< Das passende Haustier Police Officer Leon Alcott streckte sich, bis die Nähte seines Sakkos im rückwärtigen Bereich ein mahnendes Knirschen absonderten. Er rollte die Schultern, drehte den Kopf nach rechts und links. Leidlich zufriedengestellt mit den Reaktionen, die ihm versicherten, dass er a) den Kopf noch auf den Schultern trug und b) sich tapfer in der Vertikalen hielt, angelte er seine Sonnenbrille vom Halsbund seines T-Shirts, setzte sie auf. Die Hände in den Taschen seiner Bundfaltenhose vergraben sprang er nachlässig, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe vor dem Polizeipräsidium hinunter. Der Morgen dämmerte schon, kam in Begleitung eines eisigen, scharfen Windes, der aus der Bucht mit Nebelschwaden und Dunst versorgt wurde. »Herbst.« Dachte Leon, zog fröstelnd die Schultern hoch, überquerte mit großen Schritten die Straßenschneise. Zwei Blocks weiter auf der dem Polizeipräsidium gegenüberliegenden Straßenseite befand sich einer seiner Lieblingsplätze. Die Fensterfronten waren vollständig beschlagen. Man konnte lediglich anhand der Neonbeleuchtung erkennen, dass das 'Special Brew' geöffnet hatte. Der Ermittler fasste mit der Rechten den schweren, polierten Holzgriff der Eingangstür, zog sie schwungvoll auf, atmete genießerisch in die Lungen hinab. »Wahnsinn!!« Jubilierte das Lustzentrum in seinem Gehirn ausgehungert, trieb ihn an, sofort an der Theke einen freien Platz zu besetzen. Um Kollisionen zu vermeiden, entschied die Ratio zu intervenieren. Wenigstens die vollständig beschlagene Sonnenbrille musste wieder ihrem gewohnten Aufenthaltsort an Leons Halsbund anvertraut werden. Leon selbst ließ basisdemokratisch seinen Körper entscheiden, folgte seinen Direktionen. Er richtete sich auf dem altmodisch dunkelrot gepolsterten Barhocker häuslich ein, stützte beide Ellenbogen auf die polierte Theke. "Morgen, Officer!" Ralph, Inhaber und erster Meisterbrauer des 'Special Brew' polierte emsig das fleckenfreie Porzellan einer Kaffeetasse. Er warf sich anschließend das Handtuch über die linke Schulter, steuerte auf seinen Stammgast zu. "Na, Friedhofsschicht zu Ende?" Leon stöhnte/nickte gleichzeitig. Ralph grinste wissend, klopfte mit der Rechten gegen seinen Oberschenkel, der mit einem dumpfen Echo antwortete. "Kenne ich, Kumpel. Keine Sorge, Hilfe ist unterwegs!" Schmunzelte er verschmitzt, wandte sich seinem auf Hochglanz polierten, verchromten Maschinenpark zu. Der Ermittler fuhr sich mit einer Hand über den Nacken, spürte leichte Verspannungen, die jedoch gar nichts im Vergleich zu seinen Augen und seinen Gesichtsmuskeln bedeuteten. Hier drohte er bereits an einem Gähnkrampf und Augenringen einzugehen! Während Ralph, der vor einigen Jahren den aktiven Dienst nach einem schweren Unfall und der damit verbundenen Behinderung quittiert hatte, sich emsig zu schaffen machte, schloss Leon die blauen Augen. Er ermahnte sich, jetzt bloß nicht einzunicken, obwohl es verlockend duftete, angenehm warm war. Die 'Friedhofsschicht' verlief im Jargon der Polizeibehörden vom frühen Nachmittag in die frühen Morgenstunden. Sie zeichnete sich durch eine geringe Beliebtheit aus. Tagsüber ereigneten sich zweifelsohne auch Verbrechen, doch nachts hatten sie eine andere Dimension. Zudem sorgte der Schichtdienst immer wieder für einen unausgeglichenen Biorhythmus. Das wiederum führte in Einzelfällen zu Fehlentscheidungen. Leon hatte nichts gegen die Friedhofsschicht einzuwenden, da er für das Morddezernat ermittelte. Er lief nicht Gefahr, bei jedem Notruf in einen Hinterhalt zu geraten oder um sein Leben kämpfen zu müssen. Die Zeiten des Streifendienstes hatte er weit hinter sich gelassen, eine erstaunliche Karriere gemacht. Erstaunlich zumindest, wenn man ihn nur nach seinem Äußeren beurteilte. Gewöhnlich fasste Leon seine blonden Haare in einem dezenten Zopf am Hinterkopf zusammen. Er trug einfache Leinen-Zweiteiler im Miami Vice-Stil, passend dazu T-Shirts. San Francisco war eine weltoffene Stadt mit vielen Paradiesvögeln und Kunstschaffenden, sodass er mit seiner Aufmachung nicht sonderlich viel Aufsehen erregte. Allerdings glaubten immer noch einige, dass Beschäftigte des Morddezernats im dreiteiligen Anzug mit Hemd und Krawatte das Image der Polizei besser vertraten. Diesen Leuten musste sich Leon stets beweisen. Er war kein Dummkopf, verfügte über einen ausgeprägten Instinkt. Für einen Ermittler in Mordsachen durchaus von herausgehobener Bedeutung, immerhin traf er selten als Erster an einem Tatort ein. Manche Spur mochte schon von Zivilpersonen, Opfern oder Sicherheitskräften zerstört worden sein. "Hier, Leon, den ersten auf ex!" Ralph brachte sich in Erinnerung, schob Leon eine kleine Tasse über die Theke zu. Eine geheime Mischung, die dafür sorgte, dass Leon zuerst die Kehle in Flammen aufging, danach Koffein gesteuert Adrenalin durch seine Adern pumpte. Im zweiten Schritt rollten seine Augenlider nach oben. Außerdem bitzelte es in seinem Haarspitzen, als habe er elektrische Schläge erhalten. "Guuuuuut!" Stöhnte Leon, kehrte widerwillig in die Gegenwart zurück. Jetzt, sicher in einem Pappbecher mit Auslauf- und Kippschutz versehen, wartete seine Lieblingsmischung auf ihn. Der übliche Begleiter, wenn er sich zu seiner Wohnung aufmachte, kurz unter die Dusche sprang, die Schmutzwäsche in der Münzwäscherei durch die Trommel jagte, einen Happen bei Mongo aß. Mit dem Nachlassen des 'Kicks' für acht Stunden nonstop auf sein Bett sank, um der Welt zu entsagen. Dieser Luxus fiel heute allerdings aus. "Is was?" Erkundigte sich Ralph irritiert, da Leon keine Anstalten traf, den 'Heiligen Gral' an sich zu nehmen, seine Rechnung zu begleichen, auf elastischen Turnschuhsohlen seinem trauten Heim entgegenzustreben. Leon straffte die Schultern, glitt vom bequemen Barhocker herunter, wechselte einige Schritte hinüber zu den 'Glasbomben. Unter bruchsicheren Hauben warteten frische Spezialitäten auf Menschen mit Expertise/Liebhaberei. Ralph zog die Augenbrauen so hoch, dass sie beinahe mit seinem Haaransatz kollidiert wären. Wenn er noch über einen solchen verfügt hätte. Er wischte sich über die makellose Glatze, fasste eine der Kneifzangen, nahm eine der Frischhalteboxen in die Linke. "Okay, was willst du der Süßen denn mitbringen?" Scherzte er, um seine Irritation zu verbergen. Leon war nun wirklich nicht der Typ, der nach der Friedhofsschicht seiner Libido frönte. »Aber man kann den Leuten ja nur bis in die Augen gucken, nicht wahr?« Der Ermittler sinnierte kurz, deutete per Handzeichen die Anzahl aus den unterschiedlichen Glaskokons aus. Er weigerte sich darüber nachzudenken, wie süß diese Kalorienbomben wohl im Mund zerlaufen würden. Sich in einen Hauch von Wohlgefallen auf der Zunge auflösten, den Cholesterinspiegel zur Detonation ermunterten. »Ich esse das Zeug schließlich nicht!« Seine Miene verdüsterte sich unwillkürlich, nahm einen kindlich-trotzigen Zug an. Nein, für ihn waren diese 'Liebesgaben', wie Ralph sie grinsend bezeichnete, als er die Frischhaltebox in der Jumbo-Ausgabe zusammenfaltete, wirklich nicht bestimmt! Sondern für D. Um genau zu sein, für den Count D, Teilhaber, Mitinhaber oder nur geschäftsführender Verwandter des exotischen Tierhandels im Herzen von Chinatown. Einem Verdächtigen in mehreren Mordfällen. Einem Mann, der ständig enge Hosen und beinahe knöchellange Gewänder trug, deren Wert eine Luxuslimousine übertraf. »Dem Süßmäulchen.« Leon presste die Lippen fest aufeinander. Hastig nahm er seinen Becher und die Jumbo-Box entgegen, grummelte einen Gruß, verließ Ralph samt dem 'Special Brew'. Auf der Straße brauste der Verkehr, blies Abgase und verwehtes Papier auf Leon. »Dusche!« Ermahnte sich Leon stumm, schlug den Weg nach Hause ein. >o< Wie gewohnt steuerte Leon das schmale, hohe Haus im Herzen von Chinatowns verwinkelten Gassen mit einem nervösen Flattern in der Magengrube an. Üblicherweise signalisierte ihm sein Instinkt dann, dass etwas nicht in Ordnung war, verdächtig, mysteriös. Allerdings konnte kein Alarmsignal seines Körpers eine Lösung für D finden. Kaum, dass er das erste Mal die steile Treppe unter dem Vordach, das an das aufgerissene Maul eines Drachen erinnerte, hinuntergestiegen war, wusste er mit jedem aufgestellten Härchen an seinem Leib, dass hier etwas Seltsames vor sich ging. Von wegen 'exotische Tierhandlung'! Dazu noch dieser D, der angeblich den Laden für seinen Großvater führte! Jener wiederum befand sich ständig auf irgendwelchen Geschäftsreisen (angeblich!), war nie zu erreichen! Einfach lachhaft!! Es hätte alles sein können: Menschenhandel, Prostitution, Schmuggel, illegale Drogen, Verstöße gegen das Abkommen zum Artenschutz. Aber Leon konnte nichts finden! Nicht, dass er es jemals bis zu einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss geschafft hätte. Ja, das hatte ihn wirklich zermürbt. Nächtelang hatte er alte Ermittlungsakten durchforstet, die Datenbanken ausgequetscht. Mit welchem Resultat?! Die Akte war klassifiziert, kein Zugriff möglich. Jeder Kaufvertrag blieb legal und unangreifbar. Jede Verwicklung in Mord- oder Unglücksfälle stets ein Ergebnis von Zufällen. Er konnte es nicht begreifen! Auch noch D! Immer, wenn er an den schlanken Mann in den prächtigen Roben dachte, die dessen Körper wie eine zweite Haut umschlossen, spürte Leon dieses merkwürdige Flattern in der Magengrube. Es machte ihn verlegen und zornig zugleich. Er wollte dieses lästige Gefühl loswerden! Er polterte vor 'dem Count', der immer höflich, freundlich, souverän seinen Ton hielt, mit eleganten Gesten über die unmanierlichen Ausfälle hinwegsah. Ein Umstand, der Leon regelmäßig in den Wahnsinn trieb. D wurde niemals wütend, nie verletzend, nie laut. Obwohl er sich durchaus auf versteckte Drohungen verstand. »Vielleicht ist es Neid.« Hatte sich Leon in einer der dunkleren Stunden der Aufrichtigkeit gestanden. Neid auf den offenkundigen Reichtum, die Beliebtheit, den scheinbaren Müßiggang, die Freiheit. Er lebte als Ermittler mehr schlecht als recht, war nicht gern gesehen, verschrieb sich, von seinem jüngeren Bruder abgesehen, vollkommen seinem Beruf. Trotzdem, warum waren die Akten nicht zugänglich? Wie konnte sich dieses Geschäft überhaupt halten? Wo waren all diese Tiere und wie kamen sie dorthin?! Kundschaft ging hinein, aber niemand lieferte! Und dann die Bezahlung: Leckereien?! Also wirklich!! Selbst die Kenntnisreichen von Chinatown, die Leon ausdrücklich gewarnt hatten, sich gegen den Count zu stellen, lächelten über die niedliche Angewohnheit des schönen Mannes, bei Süßigkeiten ins Schwärmen zu verfallen. "Morgen!" Rief Leon, fand sich mal wieder zu laut in der sakrosankten Stille. Er verwarf die verstörenden Gedanken. Wie immer empfing ihn D mit elegant gefalteten Händen, aufrecht und so schön wie eine Puppe. Die blau-schwarzen, glatten Haare waren gescheitelt, ließen nur eine Ahnung der Augen zu. Die geschürzten Lippen formten ein nachsichtiges Lächeln, gaben ihm den Air eines Adligen aus einer archaisch alten, chinesischen Dynastie. Wie stets war D erlesen gekleidet. Über der eng anliegenden, schwarzen Hose aus reiner Seide schmiegte sich ein mit Seidenfäden handgewebtes Gewand an seine biegsame Gestalt, mit hohem Stehkragen und einem traditionellen Querverschluss. "Oh, Police Officer Alcott! Es ist immer eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen." Zwitscherte D lebhaft, mit einer warmen, sanften Stimme. Auf seiner Schulter machte sich Kyu, das geflügelte Hornkaninchen, bemerkbar. "Äh, ja." Gab Leon eloquent zurück, schwenkte steif und automatisch die Jumbo-Box in die Höhe, hüstelte. "Wundervoll! Wie aufmerksam, Officer Alcott, haben Sie vielen Dank!" Strahlte D, erleuchtete damit seinen Salon. Als Leon die Box überreichte, berührten sich für Wimpernschläge ihre Fingerspitzen, die perfekt gefeilten, perlmuttschimmernden Nägel des exotischen Mannes und die knapp gekappten des Ermittlers. Leon wandte hastig den Blick ab, löste die Plastiktüte von seinem linken Handgelenk, ließ sie im sicheren Abstand von D auf den vornehmen, antiken Teewagen sinken. "Ah! Herrlich!" Hin und her gerissen zwischen der süßen Versuchung und der Neugierde über den Inhalt des profanen Beutels zögerte D, legte den Kopf auf die Seite, ließ die langen, dichten Wimpern flattern. "Na ja." Verlegen rieb sich Leon über den Nacken, spielte kurz mit seinem zierlichen Zopf, um, sich seiner unwillkürlichen Reaktion bewusst, wie verbrannt die Hände auf die Seitennähte seiner Hose sinken zu lassen. "Ich bin außer mir vor Freude! Es wird zweifellos eine erinnerungswürdige Erfahrung." Trillerte D glücklich, huschte zu seinem Teewagen hinüber, um den Inhalt der Plastiktüte in Augenschein zu nehmen. Bewundernd, als handele es sich um wertvolle Pretiosen, hob er die einfachen Ausstechformen hoch, inspizierte sie eingehend. Leon seufzte stumm, kam sich lächerlich vor, diesem reichen, kultivierten Mann ein paar einfache Backformen aus dem Ein-Dollar-Shop als Mitbringsel zu überreichen. D schien solche Gedanken nicht zu hegen. Oder zumindest konnte man seinem puppenhaften Gesicht keine derartige Regung ablesen. "Lieber Police Officer!" Flötete D begeistert, barg die Tüte wie einen Schatz auf seinen vor der Brust gekreuzten Armen. "Bitte folgen Sie mir doch in die Küche!" Die Jumbo-Box apportierend zuckelte Leon gehorsam hinter dem Exoten her, verwünschte seinen protestierenden Kreislauf, der eine weitere Infusion Koffein verlangte. Wie war er nur in diese lächerliche Situation geraten? Nun... Da er D mittlerweile für ein Opfer in düsteren, noch unbekannten Familiengeschäften hielt, das aufgrund seiner Freundlichkeit und seines Edelmuts gar kein Übel bei seinen Mitmenschen vermutete (wie sollte er auch, wenn er kaum seine Tierhandlung verließ?!), fand er sich immer wieder bei ihm ein. Er trank Tee, vermied die allzu süßen Leckereien, die D großzügig offerierte, plauderte. Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Leon vollkommen unvereinbar schien. Andererseits hatte Leon die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass man D einfach nicht wie jede andere verdächtige Person verhören oder aushorchen konnte. Geschickt ließ ihn der Exot gegen verbale Wände laufen, wich geschmeidig nach allen Richtungen aus, blieb vage, unverbindlich und stets höflich! Also schickte Leon sich leidgeprüft drein, plauderte mit D. Ein Ergebnis ihrer letzten Unterhaltung hatte darin bestanden, dass Leon D großspurig versprochen hatte, mit ihm am Halloween-Tag Plätzchen zu backen. Das kunterbunte Naschwerk sollte am Abend an die verkleideten Kinder der Nachbarschaft ausgegeben werden. Wenn die es wagten, in der exotischen Tierhandlung 'trick or treat' anzubieten. Leon hätte gern an Halloween seinen Bruder durch die Nachbarschaft begleitet. Die Entfernung und ihre Lebensumstände ließen dieses Vergnügen nicht zu. Er war sich nicht sicher, ob D ihm seine Melancholie angesehen hatte, als höfliche, freundliche und viel zu vertrauensselige Person einfach das großherzige Angebot offeriert hatte, mit ihm gemeinsam das traditionelle Fest zu feiern. Er hatte zugesagt, versprochen, die notwendigen Utensilien mitzubringen. Deshalb stand er nun hier, in einer vornehmen, gewaltigen und merkwürdigen Küche in dem Labyrinth unterhalb des schlanken Gebäudes in Chinatown. "Herr Lee war so überaus freundlich, mich mit den gewünschten Zutaten zu beliefern." Zwitscherte D gerade munter, wies auf mehrere braune Papptüten, in denen sich allerlei Nahrungsmittel türmten, außerdem zwei Schürzen, deren Aufschrift Leon nicht entziffern konnte. Er hoffte, dass es sich nur um das chinesische Pendant zu 'kiss the cook' handelte. D faltete die Hände aneinander, hielt sie in Höhe seiner Lippen, zwinkerte dem Ermittler verschmitzt zu. "Ich kann es kaum erwarten, lieber Officer Alcott! Es wird ohne jeden Zweifel deliziös und erbaulich sein!" Leon nickte automatisch, während sein Verstand, ohne den Treibstoff Koffein untertourig laufend, schleppend dolmetschte. Er entledigte sich seines Sakkos, verbannte die Sonnenbrille von ihrem angestammten Ruheplatz, hängte sich eine der beiden Schürzen um den Hals. Geschickt kordelte er die Bänder hinter seinem Rücken auf Taillenhöhe. "Ah, ich stelle mit Freude fest, Sie sind ein wahrer Könner!" Trillerte D, der die Schürze studierte, Leons Aktivitäten mit großer Aufmerksamkeit folgte. Der errötete, knurrte Unverständliches. »Wenn D doch nicht immer so... so... so... liebenswürdig wäre!« "Ich mach das schon." Brummte er, hob die Schürze assistierend über Ds seidig schimmernden Schopf, als handele es sich um ein Perlencollier. Er fasste mit den Fingerspitzen und angehaltenem Atem nach den Bändern, um die Schürze rückwärtig zu verbinden. »Wie schmal er ist, gertenschlank, biegsam und doch männlich...« Leon starrte länger auf den anmutigen Nacken des Exoten als erforderlich, ertappte sich dabei, wich hastig einige Schritte zurück. Das war auch eines der Dinge, die das nervöse Magenflattern auslösten: bei D veränderte sich die Zeit. Mal blieb sie stehen, mal dehnte sie sich, raste wieder... Aber der Gedanke war lächerlich! Albern! "Mein verehrter Officer, denken Sie, ich könnte wohl ein winziges Häppchen nehmen? Und Tee! Du liebe Güte, wie unaufmerksam von mir!" Schon schwirrte D emsig um Leon herum, bereitete den geliebten Tee zu, wärmte die zierlichen Tassen an, entzündete Räucherwerk. Leon stützte sich auf den massiven Tisch in der Raummitte, versuchte, die aufkeimende Müdigkeit abzuschütteln. »Wie ein Vögelchen. Nein, dazu ist er zu dunkel. Ich weiß doch auch nicht!« Er konnte D einfach nicht fassen, ihn einordnen oder einschätzen. Außerdem nahm es sich gar nicht so einfach aus, diese elegante Mischung aus femininer Grazie und Zurückhaltung mit dessen warmer, dunkler Stimme zu kombinieren. Die ihn immer wieder an die lasterhaften Opiumhöhlen vergangener Jahrhunderte erinnerte. D war einfach... einfach... D. "Sehen Sie nur!" Der Exot beugte sich neben Leon über den Tisch. Die seidigen Haare schwebten adrett nach vorne. Ein verschmitztes Lächeln tänzelte neckend auf den dunklen Lippen. "Ich habe Kaffee zubereitet!" Für einen Teeliebhaber aus Passion offenkundig eine tollkühne und lobenswerte Tat. Deshalb setzte ein versprengter Rest Lebenserhaltungstrieb Leons Mundwerk in Gang. "Oh, wow! Das ist echt cool!" "Nicht wahr?!" Strahlte D erfreut. "Eine... coole... Herausforderung!" Er zwinkerte, löffelte dabei dunklen Zucker in Leons Tasse. Dessen Augen funkten die Hiobsbotschaft an den Magen weiter, der ergeben die Ver-süß-giftung akzeptierte. Tapfer nickte Leon seinem Gastgeber zu, setzte die Tasse an die Lippen. Er nahm kleine Schlucke, selbstredend nicht vergleichbar anmutig und graziös wie D. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er noch Klage geführt, das Gesicht verzogen, aber nun verfügte er über ein gestiegenes Maß an Selbstbeherrschung. Was ihm zuvor als 'Giftanschlag' gegolten hatte, nahm er nun als Geste der Wertschätzung an. D liebte es nun mal süß. Er verwöhnte, wen er gut leiden konnte. Da musste man durch. Kyu raschelte in den braunen Papptüten herum, mahnte subtil, dass endlich mit dem Kunstbackwerk begonnen werden musste. D schenkte Leon ein herzerwärmendes Lächeln, verschränkte die Hände hinter dem Rücken wie ein gelehriger Schüler. Er beobachtete fasziniert, wie der gewöhnlich brummige Police Officer mit steigender Laune das Plätzchenbacken zelebrierte. >o< "Fertig!" Konstatierte Leon, bezog sich nicht nur auf die acht Bleche dicht gedrängt ausgestochener Plätzchen. Es zeichneten sich nun ein ernstzunehmender Koffeinmangel und ein erhebliches Schlafdefizit ab. Er musste etwas unternehmen, bevor er einfach in sich zusammenfiel! "Ja, ich werde dann mal eben an die frische Luft gehen." Plapperte er wie aufgezogen. »Beim nächsten Coffee-Shop vorbei!« Er tastete nach der Schleife an seinem Rücken. "Oh, natürlich!" Glitt D anmutig heran, das Gesicht eine Maske der besorgten Kümmernis. "Wie unbedacht von mir! Sie hatten sicher eine anstrengende Nacht, nicht wahr, lieber Officer?" Trillerte der Exot mitfühlend, legte eine Hand auf Leons Schulter, der förmlich erstarrte. "Ah, ich weiß eine Lösung!" Triumphierte D, klatschte plötzlich begeistert in die Hände. Hinter dem dichten Haarvorhang funkelten die Augen brillant. "Sie ruhen sich ein wenig aus! Die Plätzchen backen schließlich von ganz allein. Ich wecke Sie pünktlich!" "Äh!" Protestierte Leon entschlossen. Wie beschämend, ausgerechnet vor D Schwäche zu zeigen, doch die Initiative hatte er längst eingebüßt. "Einen winzigen Moment, mein werter Officer!" Gurrte D schelmisch, schwebte elegant zum gemauerten Ausguss hinüber, um einen blütenweißen Lappen zu befeuchten. Er kehrte zu Leon zurück, fasste dessen Kinn mit einem festen Griff, den jener den schlanken, wohlgeformten Fingern nicht zugetraut hätte, tupfte die Backspuren vom Gesicht des Ermittlers. "So, nun noch die Schürze!" Geschäftig wirbelte D um Leon herum, der sich nicht mehr zu rühren wagte, weil er glaubte, ihm müsse sogleich das Blut aus Nase und Ohren schießen. Flink waren die Bänder gelöst. Die zarten Arme des Exoten legten sich auf Leons Schultern, hoben die Schürze über seinen blonden Schopf, falteten sie ordentlich, lagerten sie über einem Trockenrahmen. "Aber bitte kommen Sie doch, ich werde Ihnen ein ruhiges Plätzchen zeigen!" Zwitscherte D, hängte sich unversehens bei Leon ein, der aufgezogen wie ein Roboter neben ihm her stakste. In seinem Kopf rotierte ein einziger Gedanke ungläubig. »Er hängt an meinem Arm. Er hängt an meinem Arm. Er hängt an meinem Arm. Er hängt an meinem Arm. Er hängt...« "Hier sind wir schon." D löste sich, um einen schweren Vorhang zu teilen, den Blick auf einen Raum freizugeben, der mit erlesenen Antiquitäten ausgestattet war. In einer Nische wartete ein traditionelles, vornehmes Lager auf nächtliche Gäste, die durchscheinenden Vorhänge noch artig angebunden. Ein milder Schimmer indirekter Beleuchtung verlieh dem Raum etwas entschieden Intimes, Behagliches. Leon spürte, wie seine Augenlider die Aufforderung annahmen, sich senken wollten. "Danke schön." Murmelte er mit belegter Stimme, stolperte auf die breite Matratze zu, ließ sich wundersamer Weise nieder, ohne auf dem Weg zu kollidieren oder etwas zu beschädigen. "Und die Schuhe!" Hilfreich schwebte D heran, löste die Schnürbänder der Turnschuhe, hob Leon an den Kniekehlen schwungvoll herum. Er breitete eine leichte Decke aus, bevor der Ermittler Protest anmelden konnte. "Ich werde Ihnen Kyu zur Gesellschaft lassen." Raunte D vertraulich, zog die durchscheinenden Vorhänge zu, verließ lautlos das Gemach. Er wusste, dass Leon bereits tief schlummerte. >o< Während die Plätzchen Blech um Blech in die heiße Grube des Ofens einfuhren, eine delikate Färbung annahmen, ließ sich D eine seltene Teesorte munden. Er hing seinen Gedanken nach. Wie unerwartet rührend von Leon, tatsächlich mit ihm hier für dieses Menschenfest Backwerk zu fabrizieren! Wie hatte sich der übellaunige, großspurige Mann erstaunlich gewandelt, wie ein Schmetterling verpuppt! D lächelte. Die verschiedenfarbigen Augen glühten hinter seinem Haarvorhang auf. Diese Menschen, sie waren und blieben ihm ein Faszinosum! »Und Leon.« D schloss die Augen, lehnte sich lasziv in die Kissen auf seiner Chaiselongue. Anfangs hatte sich der Ermittler wie einer dieser unerträglichen Menschen gegeben, die einer fixen Idee nachforschten, sich förmlich in sie verbissen, dabei die Widersprüchlichkeit des Daseins an sich völlig aus dem Blickpunkt verloren. Ohnehin, das musste man konstatieren, zeichneten sich die Menschen insgesamt als Wesen aus, die mit einer enormen Blindheit durch ihre kurze Lebensspanne stürmten. Mit einem nur rudimentär erwachten Bewusstsein. Wie hatte Leon sich zunächst auf dem feinen Sofa geflegelt, die Arme ausgebreitet! Seine stinkenden Zigaretten geraucht, provozierend auf der Unterlippe balanciert! Nun jedoch saß Leon adrett und aufrecht. Keine raumgreifenden Macho-Gesten mehr, um sich aufzublasen, die eigene Bedeutung zu überhöhen, die Unsicherheit zu kaschieren! Auch die Zigaretten gehörten der Vergangenheit an, wie die feine Nase des Exoten befriedigt vermeldete. »Dennoch.« Es waren diese blauen Augen, die D folgten, ihn betrachteten, mit einem Ausdruck verletzter Verwirrung. Leon hatte sich nicht fanatisch darauf gestürzt, seinen ungewöhnlichen Gastgeber zu entlarven, hinter jeden Vorhang zu spähen, um das Mysterium zu lüften. Nein, er hörte zu, er beobachtete. In den blauen Augen stand dieser rätselhafte Ausdruck. Das beunruhigte D. Er, der sich herausragend darauf verstand, jedem Menschen auf Anhieb die geheimsten Träume und Sehnsüchte anzusehen, der die Liebe in ihrer Naturgewalt wie kein anderer zu lesen verstand, jedes 'Tier' zueinander führte. Er konnte nicht mit Sicherheit ergründen, was hinter den blauen Augen geschah! Er hätte Leon ebenfalls gern einen Traum erfüllt... Hier tat sich ein Abgrund auf, der D beim ersten Erkennen mit erstaunlicher Bestürzung gestraft hatte: er wusste kein 'Tier', das zu Leon gepasst hätte!! So etwas war ihm noch nie zuvor begegnet. D schlug langsam die Lider auf, fokussierte seine Wahrnehmung wieder auf die erlesenen, alten Stücke, die seinen Salon schmückten. Gab es wirklich nichts in seiner Reichweite, das Leons Liebe erfüllen könnte?! Aber selbst die Träume des Ermittlers blieben ihm schemenhaft, unleserlich, verborgen. Der Exot erhob sich geschmeidig, begab sich in die Küche, um weitere Bleche auszutauschen. »Was für ein merkwürdiges Gefühl.« Dachte D melancholisch, ließ sich nieder, um das Auskühlen der Plätzchen zu beobachten. >o< Als Leon erwachte, erlebte er einen langen Augenblick absoluter Konfusion. Er hatte keine Vorstellung davon, wo er sich befand. Die dichten Vorhänge um das Bett herum verursachten ihm Beklemmung. Zudem hatte er sich in der leichten Decke verfangen. Er schreckte hoch, die Augen in der Dunkelheit geweitet, streckte die Hände aus, um sich vorzutasten. Wieso brannte kein Licht, nichts mehr als ein unheimliches Glühen?! »Das ist die Tierhandlung! Wer weiß, ob nicht hier doch...?!« Aufkeimende Panik ließ Leons Herz davonstolpern. "Haben Sie gut geschlafen?" Erkundigte sich D sanft, materialisierte sich aus den Schemen und Schatten, legte eine kühle Hand auf die tastende des Ermittlers. Der zischte Luft aus vor Schreck, fasste sich eilig wieder. Schweigen breitete sich aus. D erhob sich von der Bettkante, glättete sein prächtiges Gewand, versorgte den Raum mit ausreichend Beleuchtung. Er kehrte Leon den Rücken zu. "Oh, ich glaube, ich höre schon den ersten Besuch!" Trillerte er gewohnt munter, schwebte durch den Türbogen hinaus. Leon wischte sich mit beiden Händen kräftig über das Gesicht, erhob sich, um dem Exoten zu folgen. >o< Alle kostümierten Kinder, die bei der exotischen Tierhandlung ihr Sprüchlein aufsagten, waren in Begleitung ihrer Eltern und der Familie. Die sich verneigten, Höflichkeiten mit dem Count austauschten. Leon hielt sich im Hintergrund. Er schmollte, obwohl er wusste, wie kindisch er mit dieser Protesthaltung wirkte. »Das ist doch kein Halloween!!« Tobte es unzufrieden in seinem Inneren. »Das ist ja wie das chinesische Neujahrsfest hier! Wo sind die Gruselmasken, wo ist das Geschrei?! Mir schlafen gleich die Füße ein!!« Außerdem hatte er Hunger. Richtige Lust auf einen fetten, überquellenden Burger! Und salzige Fritten, danach eine Kippe!! Leon wusste selbst nicht genau zu sagen, wie es ihm gelungen war, einfach das Rauchen zu 'vergessen'. In jedem Fall hatte er ohne bewussten Entschluss dieses Laster abgelegt. Da er aus Zeitgründen keine anderen Laster pflegen konnte, kam er sich nun recht bedauernswert vor. "Sie empfinden wohl kein großes Vergnügen?" Unerwartet tauchte D wie ein Gespenst vor Leon auf, der einen Satz zurück machte, gerade noch rechtzeitig eine der wertvollen Vasen umarmte, bevor sie zu Bruch gehen konnte. "Nein, ja, also, ich meine!!" Entgegnete der Ermittler entschieden und deutlich. Um tief durchzuatmen. "Sieh mal, D." Nahm er einen neuen Anlauf. "Es soll gruselig sein, erschreckend, laut. Hier geht es zu wie in einem Tempel. Alle sind wohlerzogen, höflich, flüstern, tauschen Nettigkeiten aus. Das ist einfach nicht Halloween!" Ereiferte er sich. "Oh." Stellte D fest, legte die Hände aneinander, die mit den gepflegten Nägeln zu Boden zeigten. "Ich bedaure sehr..." "Nein! Nicht doch!" Hastig überwand Leon die Distanz, verbannte die eigenen Arme auf den Rücken, um nicht etwa im Überschwang, die Missstimmung zu beseitigen, den Exoten anzufassen. "Vielleicht ist Chinatown einfach nicht der richtige Ort für Halloween?! Weißt du was, wir drehen einfach eine Runde draußen! Okay?! Komm, in meiner Begleitung kann dir nichts passieren!" So eifrig und übersprudelnd konnte Leon selbst D nicht ungerührt lassen. Der legte den Kopf auf die Seite, musterte den Ermittler nachdenklich. Er hob die Hände vor die Lippen, noch immer aneinander gelegt. "Was für eine feine Lösung! Ich werde Kyu instruieren und Ihr freundliches Angebot annehmen, lieber Police Officer." Gab D gurrend zurück, huschte in das Labyrinth. Leon atmete tief durch, lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen eine der Säulen, die den Eingang zur Tierhandlung flankierte. Ein bisschen Bewegung in der klaren, kalten Luft würde vielleicht seinen fiebrigen Kopf erfrischen. >o< Leon konnte nicht glauben, dass er wirklich mit dem berühmten Count D durch sein Viertel spazierte. Oder dass D tatsächlich in diesen zarten Stoffschuhen bequem lief! Wenigstens war es ihm gelungen, den Exoten zu überzeugen, einen der bodenlangen Mäntel überzustreifen. Um nicht durch sein prachtvolles Gewand den falschen Eindruck zu erwecken. Beispielsweise, dass Police Officer Leon Alcott ein Faible für asiatische Transvestiten hegte! Ohnehin war es bereits riskant, in dieser Nachbarschaft mit einem Dauerverdächtigen gesehen zu werden. Geschweige denn, dass der an Leons Arm hing, begeistert vor sich hin zwitscherte. Leon nahm am Mitteilungsdrang seines eleganten Begleiters keinen Anstoß. D freute sich eben auf seine gezierte, höfliche Weise über die vielen Kleinigkeiten, die ihm entgingen, wenn er stets in seiner Tierhandlung hauste! Wissbegierige Blicke folgten ihnen. Leons ausgebeultes Sakko verriet, dass man besser nicht versuchte, diesen Streifzug zu stören. Hier trugen die Kinder und Jugendlichen nicht vergleichbar kunstfertige Kostümierungen. Dafür zeichneten sie sich durch einen kreativen Umgang mit Ketchup, Marmelade und anderen Haushaltsartikeln aus, mit denen man sich in ein blutrünstiges Ungeheuer verwandeln konnte. Sie lauerten in Hauseingängen und hinter Mauern, um kreischend und klappernd hervorzuspringen, Leute zu erschrecken. D lehnte sich an Leon an, lächelte hingerissen, ohne jedes Anzeichen von Furcht. »Warum sollte er auch?« Sinnierte Leon. »Er lebt mit wer weiß wie vielen Viechern unter der Erde!« Nach zwei Stunden des Spazierens wurden auch die versprengten Reste jugendlicher Herumtreiber hinein beordert. Die Straßen beruhigten sich. "Ich sollte dich wohl besser nach Hause bringen." Murmelte Leon, kam sich wie ein Mittelschüler vor, der das erste Date mit Hängen und Würgen überstanden hatte. "Ob ich wohl eine Tasse Tee bekommen könnte?" Wisperte D an Leons Arm, lugte schelmisch auf. "Ich befürchte, mich friert doch ein wenig." "Oh. Willst du vielleicht mit rauf kommen?" Schaltete Leon endlich. Er versuchte sich fieberhaft zu erinnern, ob sich sein Appartement in einem Zustand befand, der Besuch zuließ. Es war mundan, darüber zu sinnieren: D brauchte seinen süßen Tee und Wärme! In dem viergeschossigen alten Backsteingebäude gab es keinen Aufzug. Man musste die alten Holzstufen emporsteigen. Dazu flackerte die wankelmütige Beleuchtung von Etage zu Etage. Farbe blätterte vom Putz. Außerdem roch es unangenehm. Leon senkte den Kopf. Er schämte sich plötzlich vor D. Sein Appartement befand sich direkt unter dem Dach, einfach geschnitten, gebraucht möbliert, ohne Komfort. Bisher war ihm das nicht sonderlich wichtig erschienen, er hielt sich recht selten 'zu Hause' auf. Weibliche Begleitung: wenn sich die Gelegenheit ergab, lud er sich einfach ein. Das ersparte peinliche Situationen 'am Morgen danach'. "Also..." Setzte er an, schwieg. Es gab schlichtweg nichts Beschönigendes zu sagen. Er betätigte den Lichtschalter, überließ es D, sich interessiert umzublicken. "Es ist sehr übersichtlich strukturiert." Lächelte D nachsichtig, wartete darauf, dass Leon ihm aus dem Mantel half. "Ja, na ja, ich bin nicht so häufig hier." Bekannte der Ermittler das Offenkundige, führte D zur Küchenzeile. Zu seinem Glück hatte er Tee gekauft, zwar nur im Beutel, nichts Besonderes, aber sein Gast nahm daran keinen Anstoß. »Er ist wohl einfach zu wohlerzogen.« Seufzte Leon, erhitzte Wasser, kramte nach dem Paket Würfelzucker. D lächelte tapfer, spazierte wie eine Ballerina anmutig durch den Wohnraum. Wollte sich, wie Leon vermutete, von dem Elend ablenken. »Mann, was habe ich mir nur gedacht?! Er wird mich nie wieder angucken!« "Tut mir leid." Sagte er laut. "Ich weiß, du bist Besseres gewöhnt." Er stellte eine sorgsam geschrubbte Tasse auf die zerschrammte Theke, versenkte den Teebeutel. "Verzeihung, ich war absent?" D wandte sich ihm zu. "Was sagten Sie gerade, lieber Officer?" Leon atmete tief durch, straffte seine Gestalt, fing den Blick des Exoten ein. "Ich sagte, dass es mir leid tut. Ich weiß, dass es hier schäbig ist." Stille breitete sich aus. In der grellen Beleuchtung konnte Leon ungläubig verfolgen, wie sich Anzeichen von Bestürzung in das schöne Antlitz schlichen. "Habe ich mich so arrogant gezeigt, dass Sie dies annehmen mussten?" Richtete D leise die Anklage gegen sich selbst. "Es ist wirklich nicht meine Absicht..." "Schon gut!" Der Ermittler eilte um die Küchenzeile herum, hielt auf D zu, um wie ein Schuljunge vor ihm zu zögern. "Ich weiß, dass du viel zu höflich und gut erzogen bist, um dich zu beklagen. Niemand hat Schuld!" Bemühte er sich in verzweifeltem Eifer, die Stimmung zu heben. D blickte noch immer auf seine Schuhspitzen. "Sagen Sie, Officer, wie gefallen Ihnen meine Augen?" Wisperte er ruhig. Leon stutzte. "Na, sie sind beide schön. Ungewöhnlich und schön." Bekräftigte er ratlos. Er erwartete jedenfalls nicht, dass Ds Kopf ruckartig in den Nacken flog, die seidig schimmernde Mähne sich auffliegend teilte. Ihn der Exot fassungslos ansah. "Das kann nicht sein...!" Brach es rau, irritiert aus D heraus, bevor er seine Haltung zurückgewinnen konnte. Niemand konnte erkennen, dass sein rechtes Auge golden und das linke purpurfarben war! Aber wenn Leon darum wusste...!! Der Wasserkessel brüllte schrill los, pfiff und hopste. "Oh, verdammt!" Entfuhr es Leon ärgerlich. »Ausgerechnet jetzt!!« Er machte kehrt, zerrte das tobende Ungeheuer von der Wärmequelle herunter, taufte den Teebeutel gründlich. D stand am Fenster, die Arme um den Oberkörper geschlungen. »Was habe ich jetzt falsch gemacht?!« Rätselte Leon hilflos. »Ich wollte ihn doch nicht verletzen! Was ist bloß los?!« >o< D fühlte ein hysterisches Lachen in sich aufsteigen. Er kämpfte es tapfer herunter, auch wenn sich ihm die Augen mit Tränen füllten. »Was für eine Ironie!« Er, der Herr über Träume, der die Liebe lesen konnte, war so blind und ahnungslos gewesen! Hatte für den armen, verwirrten Ermittler kein passendes Haustier finden können! »Das ist wirklich kurios.« Stellte D fest, die Lippen bleich gepresst, damit kein verräterischer Laut entschlüpfen konnte. Natürlich hatte es immer wieder Männer und Frauen gegeben, die um ihn warben, ihn mit Leckereien und Komplimenten zu umgarnen suchten. Leon hatte von dem nichts an sich. »Ob er weiß, was ich bin? Oder versucht er, die seltsamen Einzelteile zu einem Mosaik zusammenzusetzen?!« D zog die Schultern hoch. Zum ersten Mal seit einer sehr langen Zeit verspürte er Furcht. >o< »Mann oder Maus?!« Knurrte Leon sich an, ließ den Tee eine künstliche Brühe sein. Er näherte sich D, um vorsichtig die Arme um den schlanken Mann zu legen. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte, verlegte sich auf die Alternative, einfach zu schweigen, abzuwarten. D wehrte sich nicht gegen die behutsame Umarmung, hielt die Lider gesenkt, atmete schnell und flach. "Geht es dir nicht gut? Leg dich hin, das hilft!" Erschrocken über das fahl-weiße Erscheinungsbild des Exoten geleitete Leon ihn in sein angeschlossenes Schlafzimmer. Er schleuderte die Bettdecke und alle darauf ziellos herumlungernden Kleidungsstücke zurück, um D sanft darauf zu helfen. "Ich habe es nicht erkannt." Wisperte D halb lächelnd, halb ärgerlich, wandte den Kopf Leon zu, der nicht wusste, wie er mit diesem D umgehen sollte. "Mir ist so kalt!" D fasste nach Leons Händen, hielt sie fest. Seine verschiedenfarbigen Augen leuchteten in der Dunkelheit des Schlafzimmers. Nun konnte kein Zweifel mehr bestehen, dass Leon sie tatsächlich wahrnahm. "Vielleicht waren wir einfach zu lange draußen!" Plapperte Leon, ging neben seinem Bett in die Hocke. "Ich hole den Tee und..." "Nein." D schüttelte den Kopf sehr langsam, behielt Leon unnachgiebig im Fokus seiner ungewöhnlichen Augen. "Diese Kälte bedarf einer anderen Medizin." "Was soll ich tun?" Tapfer ertrug Leon den durchdringenden Blick. "Wie kann ich dir helfen, D?" "Träume und Liebe." Schnurrte der Exot, ein wehmütiges Lächeln auf den Lippen. Tränen perlten aus seinen Augen. "Es ist so lange her..." >o< Leon löschte das Licht in seinem Wohnzimmer, wechselte in das Schlafzimmer hinüber. Obwohl sein Appartement wirklich zu wünschen ließ, konnte er doch auf das ein oder andere Hausmittel zurückgreifen, um es gemütlicher zu gestalten. Die verschlissenen Vorhänge verdeckten die staubigen Fensterflächen. Die nackten Glühbirnen wurden gegen jeden Kerzenstummel getauscht, den er in ein Glas verpflanzen konnte. Dazu verteilte er ein jungfräuliches Paket der Wunderbäume, die nach Vanille duftend Wohlgeruch verbreiteten. Er setzte sich zu D auf die Matratze, begann, zögerlich zunächst, die kunstvollen Schließen zu öffnen, die den Mantel zusammenhielten, befasste sich damit, das Gewand zu lösen. Der Ermittler starrte auf seine Fingerspitzen, die zitterten. »Ich tue das nicht wirklich. Das muss ein Traum sein. Ein Traum, den ich nie zu träumen gewagt habe.« D fühlte sich real an, wenn auch ungewöhnlich kühl und glatt, die helle, makellose Haut wie die einer Porzellanpuppe. "Frierst du arg?" Hauchte Leon kehlig, verwünschte sein heiseres Krächzen. D schlug die Augen auf, streifte Leons Wange flüchtig. "Ich kann mich kaum noch rühren. Bitte, hilf mir." Schon fiel der schlanke Arm herab, drehte sich das schöne Haupt auf die Seite. Panisch entledigte sich Leon aller Kleidungsschichten wie in einem Rausch, schleuderte sie achtlos von sich. Er kroch unter das Daunenbett, zog D in seine Arme. "He, D, sag etwas, ja? Vielleicht reicht es nicht, wenn ich.." Ein beherrschender Finger legte sich auf Leons Lippen. "Leon." Hauchte D. In diesem einzigen Wort lag ausreichend Magie, jede weitere Konversation zu unterbinden. >o< Leon wusste, so, wie er das immer vermutet hatte, aber nie würde beweisen können, dass D kein Mensch war. Natürlich nicht. Die schönen Augen, dieser perfekte Körper: wenn er im Kerzenschein darin las, beschlichen ihn Ehrfurcht und Demut. Er kam sich rau und ungelenk vor, mit den Händen und Lippen Wärme in die zarten Glieder zu rufen, sie daran zu erinnern, wie geschmeidig und elegant sie sich bewegen konnten. Diese Lippen zu küssen, die ihn bis zum Wahnsinn necken konnten. Einen Atem zu rauben, der keineswegs nach unersättlichem Süßigkeitenverlangen schmeckte. »Ich will ihn nicht verletzen!« Scheute Leon, setzte sich auf. Es gebrach ihm an Erfahrung, mit einem eindeutig männlichen Wesen (oder war es nur eine Truggestalt?) intim zu werden. D streichelte ihm über die Wangen, ließ die gepflegten Hände über den nackten Brustkorb des Ermittlers hinabgleiten, über Narben, Unebenheiten, Haare und Flecken. »So kurz!« Wallte Schmerz in ihm auf. »So kurz, so lebendig!« Sie waren so anders, komprimiert in ihrem Erleben! Ein Chaos an Erinnerungen, unterschiedlichen Gefühlen, Erwartungen, Sehnsüchten, Enttäuschungen. Er hatte Angst, furchtbare Angst, bis ins Mark. Leon beugte sich hinab, die Arme um D schlingend, damit er ihn auf seinen Schoß ziehen konnte, ihn festhalten und wiegen. "Verzeih mir." Flüsterte er flehentlich in ein Ohr. "Ich habe zu große Angst, dir Schmerzen zuzufügen." Als Reaktion gruben sich scharfe Zähne in seine linke Schulter, zogen Blut. Erschrocken blickte Leon in die blitzenden Augen des Exoten, die dunklen Lippen, von denen sein Blut sickerte. "Du tust mir bereits so weh, dass ich zerspringen will, Leon." Entgegnete D bebend, wandte den Kopf, um nicht die Fassung vollends zu verlieren. »Also gut!« Leon legte eine Hand in den fragilen Nacken, drehte das Haupt so, dass er D auf die Stirn küssen konnte. D sehnte sich nach Wärme?! Er würde sie bekommen! >o< Menschen waren so physisch! D atmete schwer, jedoch von einem Druck entlastet, der ihn zu ersticken gedroht hatte. Auf seiner Brust lagerte besitzergreifend Leons linker Arm. Der Atem, von einem leichten Schnarchen begleitet, wehte dem Exoten wie eine Liebkosung durch das Haar und über das Gesicht. Er wollte sich nicht regen, in dieser Hitze langsam verglühen. Wenn sie aufwallte, ihn entflammte, erinnerte er sich, wie sich alle Drachen erinnern. An den ewigen Traum im Kern der Erde, im Feuer selbst. Die Reibung, die Leons bemühtes, enthusiastisches Werben erzeugt hatte, die Morgengabe, die langsam aus dem Leib des Exoten sickerte, der Geruch und die Laute: dies alles hatte ihn wirklich berührt. Dass Leon so mutig war, nicht vor ihm zu fliehen, obwohl jener vermutete, es mit einem nichtmenschlichen Wesen zu tun zu haben. Dass er sich auf unbekanntes Terrain wagte, Scham und Scheu überwand. »Aus Liebe.« Wer hätte gedacht, dass ein so grober Kerl so zuvorkommend und besorgt war, so zärtlich und aufmerksam? D studierte die schlafenden Züge seines Liebhabers, die offenen, blonden Haare. "Jetzt habe ich wirklich eine erschreckende Nacht erlebt." Raunte er, spielte mit einer goldenen Strähne. "Ich weiß nicht zu sagen, wohin mich mein Weg führen wird, Leon. Ich frage mich, welchen Traum ich träumen werde." >o< Als Leon erwachte, tschilpte sein Wecker schüchtern, erhielt den gewohnten Handkantenschlag. Leon erinnerte sich, saß blitzartig aufrecht in seinem Bett. Sein Schlafzimmer, check, sein Bett, check. D schlief, menschlicher als je zuvor, zusammengerollt neben ihm, unter den seidig schimmernden Haaren verborgen. "Oh. Mein. Gott." Verkündete Leon, die Rechte auf sein hoppelndes Herz gepresst. Aber kein Zweifel, auch wenn er noch drei oder vier Mal die Bettdecke lupfte: neben ihm schlief Count D, splitternackt und wunderschön. Nun meldete sich auch Leons Gewissen wieder, begleitet von einer Meute Koffein süchtiger Gehirnzellen. »Schwing deinen Hintern unter die Dusche! Hol Frühstück, losloslos! Vergiss nicht: er trinkt richtigen Tee! Nun mach schon, beweg dich!« Leon spritzte auf Zehenspitzen in Höchstgeschwindigkeit davon. >o< Als er von seinem Sprint zurückkam, hatte D bereits die Dusche genutzt, trug einen flauschigen Bademantel, den Leon auf einer Tombola gewonnen, nie benutzt hatte. Leon hatte Mühe, nicht mit den Augen festzukleben, während er eilig die Ausbeute seines Streifzugs verteilte. D lächelte, ließ sich mit gespreizten Beinen auf Leons Schoß nieder, verlangte von ihm, mit den süßen Leckereien, die köstlich dufteten, gefüttert zu werden. Der Ermittler vergaß den Kaffee. Seine Hormone benötigten ihn ganz sicher nicht. >o< Zwei Stunden später standen sie vor der Tierhandlung, Leon aufgewühlt und so lebendig wie lange nicht mehr. Er hielt Ds Hand, scherte sich keinen Deut um eventuelles Publikum. "Darf ich wiederkommen?" Erkundigte er sich besorgt. D zwinkerte. "Jederzeit, so oft es Ihnen möglich ist, Officer Alcott." Leon bleckte trotzig die Zunge, wandte sich zum Gehen. Der Dienst rief. "Leon." D lehnte sich an eine der Säulen an, senkte die Lider halb herab. Der Ermittler wandte sich herum, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, die Sonnenbrille noch baumelnd. "Keine Angst, D." Gab er leise zurück. "Ich halte dich warm, so lange ich lebe." D neigte den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. Vielleicht träumte er von der Liebe....? >o< ENDE >o< Vielen Dank fürs Lesen! kimera