Titel: Pfirsichblüten-Frühling Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Ereignis: Weißer Tag 2010 Erstellt: 07.03.2010 Disclaimer: alles meins! Zum Weißen Tag, für Vegeta ^_~ ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 ~~~~<3 Pfirsichblüten-Frühling Keita Ibuchi atmete tief durch, beglückwünschte sich dazu, den ihm persönlich unliebsamsten Feiertag des Jahres glücklich überstanden zu haben. Es handelte sich keineswegs um einen offiziellen Feiertag, vielmehr um einen der jüngeren, volkstümlichen, die in nicht unerheblichen Maße von Konsum- und Wirtschaftsinteressen geprägt waren. Eindeutig ihre Wurzeln jenseits des Landes der aufgehenden Sonne hatten. Das war nicht gleichbedeutend damit, sie nicht nach eigenem Gutdünken zu adaptieren. Keitas Ablehnung war persönlich begründet, datierte nunmehr Jahrzehnte zurück. Im Augenblick jedoch verspürte er Erleichterung und eine gelinde Befriedigung, dass in nur ein paar Stunden die nervöse Anspannung, die ihn immer noch befiel, vergangen sein würde. Keita Ibuchi, beinahe 40 Jahre alt und Abteilungsleiter im technischen Rechenzentrum eines privaten Wetterdienstes im Großraum Tokio, hatte noch nie einen Valentinstag mit einem verschenkten Herzen verbracht. ~~~~<3 Als sie ins Auto gestiegen waren, hatte sich noch kein Regentropfen herabgestürzt. Eine Viertelstunde später pladderte es förmlich Blasen auf den Asphalt. Souta arbeitete sich systematisch durch ein gewaltiges Manga-Kompendium, vollkommen unbeeindruckt von der Wetterlage. Keita warf einen neidischen Blick auf seinen fünf Jahre älteren Bruder, seufzte profund, lehnte den Kopf an die Scheibe. Man konnte die Abkühlung deutlich spüren. Zu ärgerlich, dass ihm stets vom Lesen im Auto schlecht wurde! So hieß es, die drei Stunden Fahrt bis zur Küste irgendwie zu überstehen, ohne vor Langeweile unablässig zu gähnen! Der Tag war noch fern, dass handliche Elektronikspiele, tragbare Musikgeräte oder gar Film-Konserven auf den Kopfstützen der Sitze die Reisezeit unterhaltsam verkürzten. Ohnehin war der Anlass dieser unerwarteten Kurzreise kein erfreulicher: der Großvater väterlicherseits war ebenso unvorhergesehen einem Schlaganfall erlegen. Deswegen herrschte auch gedrückte Stimmung bei den Eltern, die sich mit der Frage belastet sahen, wie die Großmutter zu versorgen war. Sie mit in den Vorort von Tokio zu nehmen, wo man ohnehin mit zwei Kindern schon beengt in einem gewaltigen Häuserblock lebte, schien unzumutbar, für alle Parteien. Keita dagegen verlor sich im gleichförmigen Rauschen der Regentropfen, dem gemächlichen Dahingleiten. Seine Lider wurden schwer, senkten sich schließlich. Er war gerade 14 Jahre alt, hatte im vergangenen Monat den Stimmbruch hinter sich gebracht und begeisterte sich für Baseball. ~~~~<3 Keita erreichte das umgebaute Bürohaus, begrüßte wie jeden Tag das pflichteifrig wachende Hausmeister-Ehepaar. Sie beglückwünschten ihn neckend zu der prallgefüllten Jute-Tasche, die Keita bei sich trug. Sie wies nur noch wenige Spuren der sorgsamen Knick- und Bügelfalten auf, die sie üblicherweise prägten. Keita transportierte sie in seiner vornehmen und exklusiven Umhängetasche aus Nubukleder als "Notfall"-Behälter für unerwartete Ereignisse. Er lächelte, versorgte sie wie jedes Mal mit einer launigen Bemerkung über das prognostizierte Wetter. Danach wandte er sich der Reihe Briefkästen zu, die Spalier zu den beiden Aufzügen standen. Routiniert blätterte er Wurfsendungen und Korrespondenz durch, bevor er einen Teil der unerwünschten Reklame in einen eigens zu diesem Zweck bereit stehenden und feuerfesten Abfallbehälter entsorgte. Der Aufzug, mit Spiegeln und einer warmen Beleuchtung ausgestattet, trug ihn ohne Zwischenhalt in den zehnten Stock. Er verließ den Lift, marschierte den Flur hinunter, auf einem grauen, sehr kurzflorigen Industrieteppich. Seit sieben Jahren lebte er in diesem ungewöhnlichen Haus, hatte die risikofreudige Entscheidung niemals bereut. Ursprünglich handelte es sich nämlich bei dem zwanzig Stockwerke hohen Gebäude um ein Bürohaus aus den frühen Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts. Optimistisch hatte man den Vorgängerbau abgerissen, um an derselben Stelle erneut willigen Unternehmen ein praktisches Obdach zu bieten. Die Wirtschaftskrise kam, solvente Mieter blieben aus, der Konkurrenzdruck steigerte sich immens. Schließlich bat man ein Planungsbüro um eine Bewertung. Diese fiel vernichtend aus: besonders die technischen Einrichtungen, also der Gebäudebewirtschaftung und Kommunikation, waren unrettbar veraltet. Dazu kamen noch strengere Auflagen für den Brandschutz, die Sicherheit und die Standsicherheit bei Erdbeben. Mit anderen Worten: eine komplette Sanierung bis auf das nackte Skelett wäre erforderlich, um wieder als lukratives Angebot auf dem Bürohaus-Markt zu gelten. Das wiederum verlangte eine gewaltige Investitionssumme. Aus einer verzweifelten Lage heraus bemerkte ein Mitglied des Direktoriums, man könne ja auch eine Wohnnutzung erwägen. Das biete vielleicht bessere Chancen! Obgleich es sich um einen Scherz handelte, wurde der Vorschlag aufgegriffen. Tatsächlich beauftragte man das Planungsbüro, zu Vergleichszwecken zu eruieren, ob eine solche Umwidmung überhaupt möglich und zu finanzieren sei. Ein schwieriges Problem. Großraumbüros mit kleinen Teeküchen und zentralen Sanitäranlagen konnte man schlecht in Wohneinheiten mit eigener Küche und Bad verwandeln. Auch hier traf wieder ein furioser Einfall in einer beinahe aussichtslosen Situation auf ein enthusiastisches Echo: einer der jüngeren Planer schlug vor, sich am amerikanischen Loft-Stil zu orientieren. Wie wäre es, solventem Klientel eine offene Wohnung ohne feststehende Zimmeraufteilung schmackhaft zu machen? In einem Land, in dem man förmlich aufeinander lebte, eingekeilt in Parzellen nach Tatami-Maßen, würde es geradezu dekadent luxuriös wirken! Damit durchaus attraktiv für eine gehobene Kundschaft! Blieb die Frage, wie man ein Großraumbüro mit dem ausstatten konnte, was an Annehmlichkeiten der Moderne unverzichtbar war: Bad und Küche. Für dieses knifflige Problem zeichnete sich eine Lösung ab, wenngleich nicht weniger originell. Das Zauberwort lautete "Camping". Die Angewohnheit, mit einem "Haus auf Rädern" zu verreisen, war in einem so dicht besiedelten Land mit derart großer Bevölkerung nicht verbreitet. Ein gewisser Glamour-Faktor schwang mit, wenn man sich an die gewaltigen Trailer amerikanischer Filmstars an ihren jeweiligen Sets erinnerte. Irgendwie mussten diese rollenden Unterkünfte ja auch versorgt werden! Es wurden Hersteller und Anbieter aus Übersee befragt, die prompt Lösungen offerieren konnten. Man entschied sich bald für Duschwürfel, wahlweise mit dekorativem Behang, "Outdoor"-Häuschen, die wenig mit dem "Dixi-Klo"-Image zu tun hatten, nutzte das Brauchwasser für die Spülung und arrangierte eine Kitchenette zum leiblichen Wohl. Stromanschlüsse und -leitungen waren schließlich ausreichend vorhanden! Eine Musterwohnung wurde dekorativ ausgestattet. Man bewarb über Mund-zu-Mund-Propaganda dieses spektakuläre, ungewöhnliche Wohngefühl. Keita hatte über einen Bekannten von dem Angebot erfahren, sich zu einer Besichtigung angemeldet, sofort entschlossen, eine Wohnung zu mieten. Er konnte es sich finanziell leisten. Außerdem empfand er die Enge seiner damaligen Wohnung als erstickend. Daran waren zweifellos die Auslandsjahre, die seine Biographie aufwerteten, schuld. Jedes Mal, wenn er in diesen Zeiten nach Japan reiste, fühlte er eine seltsame Beklemmung. Als wäre nur noch der Himmel über ihm und das Meer neben ihm weit genug, um wirklich TIEF zu atmen. Ansonsten stieß man all überall auf Menschen, Menschen und noch mehr Menschen. Eingezwängt zwischen Betonburgen, in Gebäudeschluchten gefangen. Keita registrierte, teils erschrocken, teils amüsiert, welche Marotten sein Auslandsengagement ausgelöst hatte. Er liebte Cappuccino und Schafskäse aus Kuhmilch, sehnte sich nach einer zünftigen bayrischen Brotzeit und vermisste die oft grässlich gefärbten Jellybeans. Es war ihm ein Bedürfnis, zu Fuß zu gehen, in ordentlichen Schnürschuhen, im Grünen zu sein oder in einem großen, geräumigen Wagen über einen Highway zu gleiten, Sandkörner und heißen Wind durch seine Haare streichen zu fühlen. Hier, an diesem Ort, schien seine Sehnsucht nach gewissen Aspekten seiner Vergangenheit "abroad" gestillt. Er konnte sich ein großes, breites Bett mit einer punktelastischen Matratze aufstellen, hatte eine Fensterfront, die geradezu danach rief, mit Blumentöpfen und -kästen dekoriert zu werden und noch immer ausreichend Platz, um einen körperangepassten Massagesessel zu einer Sitzgruppe aus Leder aufzustellen. Mit einem Laufband vor der Fensterfront hielt er sich fit, besuchte den angrenzenden kleinen Park des Tempels, um dort an seinen freien Tagen andere Schachspielende zu finden. Er bestellte sich importierte Delikatessen, nutzte den hauseigenen Wäscherei-Service, um immer wie aus dem Ei gepellt zur Arbeit zu erscheinen. Außerdem traf er im Haus auf viele unterschiedliche Mietparteien, ältere Ehepaare ohne Kinder, Alleinstehende, Wohngemeinschaften jeden Alters. Manche blieben wie er treu im Mietverhältnis, andere wechselten, wenn der Arbeitsplatz, der Studienabschluss oder eine Eheschließung Veränderung erforderlich machte. Keita jedenfalls fühlte sich nach zehn Jahren Auslandsaufenthalt und drei Jahren Miete in einem "Hühnerkäfig" hier endlich wieder zu Hause in seiner Heimat. Als er seine Wohnungstür aufschloss, hörte er den Aufzug, zollte ihm jedoch keine weitere Beachtung. Er hängte seine Umhängetasche und den unvermeidlichen Trenchcoat an den stilvollen Garderobenständer, stellte die Jutetasche behutsam ab, damit sich ihr Inhalt nicht über den Boden ergoss. Er wollte gerade aus den Schuhen steigen, als ein kaskadierendes Geräusch ihn aufmerken ließ. Auf der Schmutzfangmatte stehend wandte er den Kopf, um die Ursache auszumachen. »Urgh!« Dachte er. »Der Tentakel-Mann!« ~~~~<3 Der Valentinstag war gewiss nichts für Kleinmütige und Hosenschisser. Keita schenkte ihm keine Beachtung, da er für keine seiner Klassenkameradinnen schwärmte, es für viel wichtiger hielt, in die Baseball-Mannschaft der Schule aufgenommen zu werden. Da viele andere Schüler auch dieses Ziel verfolgten, war die Konkurrenz groß. Keita, der seit zwei Jahren eine Brille ob seiner Kurzsichtigkeit tragen musste, zählte nicht gerade zur ersten Wahl. »Dabei sehe ich gut genug!« Grollte er innerlich, fand, dass noch kein Grund bestand, alle Hoffnung fahren zu lassen. Nur ein Trottel wie der blöde Souta konnte behaupten, dass es besser sei, seine Zeit mit einer Freundin als mit Baseball zu verbringen! ~~~~<3 Keita seufzte, verwünschte sein unerfreuliches Mitleid. Das trat ihm gerade imaginär in die verehrte Kehrseite, appellierte, zur Hilfe zu eilen. Was Keita nicht wollte. Der "Tentakel-Mann" war ihm suspekt, auch wenn er nicht einmal dessen Gesicht kannte. Welcher anständige Mensch würde sich schon unter so einem Wust von Rasta-Zöpfen verbergen, die einzeln beinahe die Hälfte des Durchmessers seines Handgelenks ausmachten?! Dummerweise war der "Tentakel-Mann" sein direkter Wohnungsnachbar, zwar erst seit ungefähr einem Monat, aber das spielte, leider, für sein notorisches Gewissen keine Rolle. »Außerdem heißt er nicht "Tentakel-Mann"!« Ermahnten ihn seine Manieren. »Schon, aber, verflixt noch mal, wer nennt denn seinen Sohn Momoharu??!« Konterte Keita verdrossen. Hätte er nicht gewusst, dass weibliche Mieterinnen auf einem Geschoss untergebracht wurden, hätte er niemals vermutet, dass "Pfirsich-Blüte", wie die beiden Schriftzeichen lauteten, ein MANN sein würde! Und mit so einem wilden Kopfputz!! »Wahrscheinlich einer dieser aufgeblasenen Studenten mit reichen Eltern! Studiert irgendwelche Grillen, zehrt vom Vermögen, wenn er sich nicht tödlich in seinem Luxus langweilt!« Keita knurrte leise vor sich hin, als er kehrtmachte, seine Wohnungstür wieder abschloss, den Flur hinab stapfte. »Momoharu Kobayashi! Tsk, was wird das wohl für ein arroganter Depp sein?!« ~~~~<3 Keita schreckte aus seinem Dösen hoch, als der Wagen unerwartet beschleunigte, heftig beschleunigte. Er hörte seine Mutter schreien, registrierte verblüfft, dass Souta neben ihm seine Hand umklammerte und totenbleich war. Das Auto geriet ins Schlingern, ja, die ganze Erde schien sich zu schütteln! Er hörte Trommeln, unregelmäßig. Bevor Keita begreifen konnte, was ihn aus dem leichten Schlaf gerissen hatte, traf ein mächtiger Schlag den Wagen. Er kippte zur Seite, Himmel und Erde rollten, sie überschlugen sich. Keita schrie nun auch vor Schreck, wurde vom Sitzgurt gewürgt, zog beinahe reflexartig die Knie hoch. Irgendetwas beschoss ihr Auto förmlich! Keita wandte den Kopf zur Seite, hoffte, wenn das Auto stand, sich befreien zu können, als es unerwartet dunkel wurde, dann tiefschwarz. ~~~~<3 "Uh-oh!" Stellte äußerst gelassen der "Tentakel-Mann" gerade fest. Rings um ihn herum hatten sich wie in einer Lawine Päckchen, Schächtelchen, Täfelchen und Körbchen ergossen. Ursächlich dafür waren zwei geborstene Papiertüten. »Du lieber Himmel!« Kommentierte Keita stumm, unterdrückte mannhaft ein Augenrollen. Wortlos ging er in die Hocke, um die äußeren Ausläufer der süßen Überschwemmung zu bergen. "Ah, vielen Dank, Herr Ibuchi, nicht wahr?" Schnurrte der "Tentakel-Mann" mit charmanter Höflichkeit, begab sich ebenfalls Richtung Teppichboden, wobei er einen bis zum Bersten gefüllten Rucksack zu balancieren hatte. "So ein Elend, einfach geplatzt!" Keita, der diese dunkle Stimme mit ihrem sanften, beinahe cremigen Tonfall gar nicht goutierte, weil sie zu kultiviert und selbstsicher für einen überaus dämlichen "Tentakel-Mann" klang, brummte halblaut. "Kein Wunder. Unsachgemäßer Transport, resultierend aus mangelnder Vorausschau und Planung." Dass ihm eine solche Kritik niemals hätte über die Lippen kommen dürfen, vor allem bei einem Wohnungsnachbar, wurde ihm einen Herzschlag später klar. Jetzt war ER es, der "uh-oh" formulierte. "Meinen Sie?" Säuselte der "Tentakel-Mann" liebenswürdig. "Welche Alternative würden Sie empfehlen, mein Freund?" Solcherart herausgefordert und besonders empört darüber, dass dieser Bursche sich erdreistete, ihn als seinen Freund zu bezeichnen, richtete sich Keita auf, starrte frostig. "Ein umsichtiger Mensch hätte sich mit ausreichend Transportmaterial ausgestattet, einen elastischen Stoff gewählt, nicht Papier." Zischte er eisig. "Ich hätte Ihnen also Jute-Beutel empfohlen, die umweltschonend hergestellt werden und mehrfach zu verwenden sind." Unter den dicken Rasta-Zöpfen funkelte ein Paar hellbrauner Augen amüsiert. "In der Tat." Schmeichelte die dunkle Stimme sahnig. "Vielen Dank! Ich werde zukünftig nicht versäumen, Ihren Rat zu erbitten, mein lieber Nachbar!" Keita stellten sich die sorgsam gestutzten schwarzen Haare auf, und nicht nur im Nacken. Kein Stacheltier hätte schneller in Harnisch geraten können! Was erdreistete sich dieser Trottel, ihm in gleicher Münze so frech zu antworten?! Andererseits weigerte Keita sich, mit einem Mann zu streiten, dessen Gesicht er kaum wahrnehmen konnte. Zudem nicht, wenn besagte Person in einem Aufzug auftrat, der an Geschmacklosigkeit und greller Farben- sowie Musterpracht kaum zu überbieten war! Demonstrativ machte er dementsprechend auf dem Absatz kehrt, marschierte so steif wie aufgezogen zur benachbarten Wohnungstür, wo er mit eingefrorener Miene darauf wartete, dass der Besitzer endlich aufschloss, damit er die von ihm aufgelesene Menge abgeben, sich brüsk verabschieden konnte. Der "Tentakel-Mann" jedoch ließ sich sträflich und unverschämt Zeit. Als er endlich voll beladen neben Keita stand, adressierte ihn erneut die cremige Stimme jenseits der Rasta-Zöpfe. "Ach je, was nun? Leider habe ich keine Hand frei, um die Schlüssel..." Mit einem hörbaren Knurren trat Keita vor, um wenigstens eine Hand des unerträglich unfähigen "Tentakel-Mannes" zu befreien. Wirklich, wie konnte man diesen grauenvollen Spross bloß "Pfirsich-Blüte" nennen?! Eigentlich hätte eine Übergabe der Last nicht mehr als einige Sekunden erfordern dürfen, doch unter Momoharus Beteiligung entwickelte sich die ganze Aktion zu einer gehobenen Slapstick-Nummer. Nicht nur trudelten die unterschiedlich großen und geformten Päckchen in ihren wackligen Stapeln, auch zeigte sich rasch, dass der Schlüssel erst gesucht werden musste. Zu diesem Zweck war es zwingend erforderlich, dass Momoharu auch mit der anderen Hand fahndete, weshalb die Lasten umverteilt, getauscht, zurückgegeben und umgekehrt werden mussten. Keita entrang sich ein frustiertes Schnauben. In ihm keimte der Verdacht, dieser eingebildete Schnösel mit seinen Tentakeln spiele ihm absichtlich diesen Streich! Aber es war mit seiner Selbstachtung nicht vereinbar, den ganzen Süßkram einfach hinzukippen, auf dem Absatz kehrtzumachen und sich in die eigenen vier Wände zu verabschieden. Widerwillig, Zähne knirschend, musste er also in dieser Parodie ausharren, bis er endlich von der ständig wechselnden Last befreit war. Zum guten Schluss reüssierte der "Tentakel-Mann" tatsächlich, schwang die Wohnungstür auf. Keita, der ungeduldig auf seine Chance zur Flucht wartete, blieb überrascht stehen. Es war ganz sicher nicht das, was er vermutet hatte, obwohl er auf die Frage, wie seine Vermutung aussah, keine Antwort gehabt hätte. "Du lieber Himmel!" Murmelte er fassungslos, hätte beinahe seinerseits die süße Last fallen gelassen. "Ah, Sie zollen mir Beifall?" Schnurrte der "Tentakel-Mann" sanftmütig. "Wie reizend! Aber bitte, mein Freund, treten Sie näher! Ich bin Ihnen überaus verbunden für Ihre freundliche Anteilnahme und Mithilfe!" »Auf KEINEN Fall setzt du einen Fuß in diese, diese Otaku-Höhle!« Warnte ihn schrill seine innere Stimme. Bevor Keita seine Kinnlade wieder zwischen den Knien hochexpediert hatte, befreite sich der "Tentakel-Mann" mit eleganter Nonchalance von der süßen Last in den Rachen eines ein Meter hohen Wächter-Löwen im Chinesischen Stil, zog Keita energisch am Oberarm in sein Reich. Die Wohnungstür schnappte wie eine Falle hinter ihm ins Schloss. ~~~~<3 Wenn es heftig regnete, gab es immer wieder Erdrutsche. Ganze Hänge walzten in tiefer gelegene Regionen oder stürzten gleich ins Meer. Immer wieder hatten Menschen das Unglück, ohne Vorwarnung mitgerissen zu werden, von herunterpolternden Felsen oder Bäumen erschlagen, im Schlamm erstickt oder ins Wasser gespült zu werden. Die Ibuchis hatten Glück. Durch das Vollgas waren sie der Lawine entkommen, nur von einem langsameren Ausläufer am Rande erfasst worden. Das Auto erlitt natürlich einen Totalschaden, aber alle hatten überlebt. Es kam auch sehr rasch Hilfe aus der Luft, um sie zu befreien und zu versorgen. Es hätte sehr viel schlimmer enden können. Das sagte sich Keita danach immer wieder. So lange, bis er es selbst verinnerlicht hatte, daran glaubte. ~~~~<3 "Na, ERLAUBEN SIE MAL!!" Fauchte Keita heftig, der keineswegs die Absicht gehabt hatte, diese seltsame Unterkunft zu betreten. "Ah, natürlich, bitte!" Der "Tentakel-Mann" offerierte mit beiden, nun leeren Händen den gewaltigen Rachen des Löwen. "Nur zu! Bitte sehr!" Keita starrte ärgerlich in das mutmaßlich unter den dicken Rasta-Zöpfen verborgene Gesicht, hatte den Eindruck, sich mit einem zotteligen Wischmopp unterhalten zu müssen. "Ich werde doch dieses Zeug nicht einfach da reinkippen!" "Oh, nur keine Scheu!" Schnurrte der "Tentakel-Mann" aufmunternd. "Ich helfe Ihnen selbstverständlich!" DARUM hatte Keita mit seinem wütenden Ausbruch keineswegs gebeten. Noch weniger, dass sich die Hände des anderen unter seine eigenen schoben, einfach die Entsorgung forcierten! "Fein!" Schnaubte er mit einem Tonfall, der genau das Gegenteil signalisierte. "Ich verabschiede mich dann. Verzeihen Sie die Störung!" Sein giftiger Ausdruck hinterließ nicht die gewünschte Wirkung. Der "Tentakel-Mann" angelte einen Anzugärmel, wirbelte hinter Keita herum, der sich plötzlich von der eigenen Bekleidung gefesselt fand. "HE! Was soll denn das?!" Protestierte er, drehte sich herum, um festzustellen, dass der "Tentakel-Mann" in die umgekehrte Richtung gewischt war. "Oh, wie ungeschickt!" Beklagte der liebenswürdig die parodistische Einlage. "Ich bin untröstlich! Bitte legen Sie doch ab!" Dass seine Assistenz dabei "knebelnde" Auswirkungen hatte, schien ihm gar nicht aufzufallen! "Ich möchte nicht ablegen!" Fauchte Keita, der sich selbst gar nicht mehr erkannte, weil sein Tonfall eher einem quengeligen Kleinkind ähnelte. Außerdem gewann er den niederschmetternden Eindruck, gegen diesen quirligen und unverschämt höflichen Burschen den Kürzeren zu ziehen. "Ach herrje!" Missverstand ihn der "Tentakel-Mann" absichtlich. "Zu frisch? So was, ich könnte schwören, ich hätte die Klimaanlage nicht bemüht! SOFORT werde ich für Ihre Bequemlichkeit sorgen!" "Das ist wirklich nicht nötig!" Keita reichte es nun, er wollte bloß weg. "Sie beschämen mich." Seufzte der "Tentakel-Mann" mit tränenschwerer Stimme. "Bitte, scheuen Sie sich nicht, mir Ihr Befinden anzuvertrauen! Es wäre wirklich zu schändlich, wenn Sie frieren sollten! Wie stünde es da um die Gastfreundschaft?" Nun klang die Stimme durchaus empört, ein wenig theatralisch. Keita registrierte zu spät, dass der vor ihm kniende Mann seine Verblüffung genutzt hatte, ihm aus den Schuhen zu helfen. "Ich kann WIRKLICH nicht bleiben!" Wehrte er sich, nun schon bange, gegen diese überwältigende Vereinnahmung. Der Kerl musste verrückt sein! Das war nicht nur ein exzentrischer Spleen, dem fehlte ein ganzes Schraubenlager zu seinen losen Muttern! "Nur ein winziges Augenblickchen." Charmierte ihn der "Tentakel-Mann" säuselnd, legte ihm den Arm um die Schultern. "Ich bitte Sie, mein Freund, wie könnte ich Sie einfach ziehen lassen? Ich bin Ihnen so sehr verbunden für Ihre Hilfe und Ihren großherzigen Ratschlag!" Damit wurde Keita vom Löwen weg in die seltsame "Höhle" gedrängt, in der nur Spots bestimmte Lokalitäten anstrahlten. "Nein, Sie müssen mir erlauben, Ihnen Dank zu zollen! Ich bestehe darauf, mein werter Freund!" Zwischen wahren Türmen aus Büchern, Datenträgern aller Art, umringt von Postern und Plakaten wurde Keita zu einer Sitzkissenlandschaft hinter einem grünen Netzvorhang geleitet, wo eine Lampe im langsamen Rhythmus ihre Leuchtfarbe wechselte. Nicht nur, dass er auf ein Sitzpolster genötigt wurde, nein, der "Tentakel-Mann" materialisierte sich auch mit einer quietschbunten Patchwork-Decke, die er Keita ungefragt um die Schultern wickelte! "Darf ich Ihnen Tee servieren? Oder lieber Kaffee? Bier?" Der wandelnde Wischmopp betätigte sich als Gastgeber. Keita musste an sich halten, um nicht aufzuspringen, wie ein Wahnsinniger davonzustürzen. "Danke, aber ich bin nicht durstig!" Fauchte er grimmig. "Überhaupt, ich kann wirklich nicht bleiben!" Diese Reaktion stellte eine deutliche Beleidigung dar, doch Keita wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Wieso begriff dieser Kerl nicht, dass er nicht zu bleiben wünschte?! Verdrehte jede Äußerung nach eigenem Belieben?! "Tatsächlich?" Bekundete der "Tentakel-Mann" unterdessen Verblüffung. "So etwas! Bewundernswert, ohne Frage! Ich selbst könnte wohl keine Schokolade verzehren ohne etwas Tee dazu." Schnurrte er samtpfotig. "Was denn für Schokolade?" Keitas Augenbrauen drängten sich gewittrig zusammen. Ihm schwante Übles. "Oh, die Schokolade, die Sie so überaus zuvorkommend waren, mir transportieren zu helfen." Gurrte der "Tentakel-Mann" liebenswürdig. "Das geht doch nicht!" Echauffierte sich Keita, der seine Chance auf Distanz gekommen sah und sie ergriff. "Sie werden doch wohl nicht die Präsente, die man IHNEN zum Valentinstag gemacht hat, einfach weiter verteilen?!" "Oh nein, nein nein!" Beschwichtigte ihn der "Tentakel-Mann" sanft. "Wie könnte ich das tun?!" "Aha! Eben!" Obwohl Keita nun siegessicher klang, spürte er einen Stachel des Zweifels. Er entdeckte den Fehler. Sofort verdüsterte sich seine Miene. "Schön und gut, aber was sollte dann das Angebot mit der Schokolade?!" Hakte er misstrauisch nach. Der "Tentakel-Mann", der zwischenzeitlich in der Semi-Dunkelheit des "Höhlensystems" verschwunden war, materialisierte sich erneut mit Teegeschirr und diversen Päckchen. "Ich pflichte Ihnen SELBSTVERSTÄNDLICH bei!" Antwortete er im Brustton der Überzeugung. "Es wäre ganz und gar undenkbar, die Schokolade einfach weiter zu verteilen! Vollkommen unwürdig, gar keine Frage!" Damit schenkte er nicht nur Tee in filigrane Tässchen aus, sondern entleerte auch Süßgebäck und Pralinen auf eine elegante Etagere. "Bitte sehr, greifen Sie doch zu!" Forderte er Keita mit einer gezierten Geste auf. Dem fiel es schwer, nicht Profanitäten auszuschnauzen. "Was hat DAS zu bedeuten?! Waren wir uns nicht eben einig?!" Zischte er also zwischen verkeilten Zähnen hindurch. "Oh, weiter verteilen, ganz unmöglich!" Der "Tentakel-Mann" legte ihm doch tatsächlich mit einer Zuckerzange ausgewählte Pralinen auf ein Tellerchen vor, während er beiläufig schnurrte. "Ich TEILE die Aufmerksamkeiten mit meinem lieben Freund." Hätte das Gesicht frei gelegen, Keita war davon überzeugt, hätte das Grinsen des "Tentakel-Mannes" vermutlich sein Gesicht in zwei Hälften gespalten. "DAFÜR sind diese Geschenke NICHT gedacht!" Fauchte er nach einer ganzen Minute, schwankend zwischen Unglauben und Empörung über diese glattzüngige Verdrehung seiner Ermahnungen. Ehe Keita es sich versah, legte er eine geballte Ansprache zur Verteidigung der Valentinstag-Präsente vor. "Wie KÖNNEN Sie NUR?! Diese Pralinen, diese Kekse, diese feinen Plätzchen, all diese Süßigkeiten sind einzig und allein geschaffen worden mit der Absicht, eine besondere Sympathie und Zuneigung zu bekunden! Da sind Herzen eingebacken und geschmolzen, die zu Ihrem, mutmaßlich zumindest vorhandenen!, Herzen sprechen sollen! Mühe und Fleiß sind aufgewandt worden! Sicherlich hat es auch Courage erfordert, diese besonders verpackten Kunstwerke zu überreichen. Da soll dieser Ausdruck von Leidenschaft einfach achtlos WEGGEFUTTERT werden?! Gar noch mit irgendwem dazu?! Schamlos! Unverantwortlich und abstoßend! Wie kann man so gleichgültig mit einem Liebespfand umgehen?! Wenn ich mir vorstelle, wie tapfer und unerschrocken da für den Schwarm etwas Besonderes ersonnen und kreiert wurde, jede Entscheidung zig-fach überdacht und erwogen, auf einen einzigen Moment hin fiebernd! Um dann in dem gefühllosen Gierschlund eines ehrlosen Kerls zu landen, der nicht einmal einen Funken dieser Hingabe verdient hat!!! Einfach empörend! Un~Er~Hört!" Er ragte vor dem weiterhin sitzenden "Tentakel-Mann" auf, die Wangen im Zorn gerötet, leicht außer Atem, anklagend den Zeigefinger ausgefahren. Der "Tentakel-Mann" lutschte eine Praline, während er Keita höflich Aufmerksamkeit zollte. "Ach bitte, mein Freund, ich wünschte, Sie würden sich wieder setzen. Es ist so ungemütlich, wenn man steht, finden Sie nicht?" Bemerkte er mild. Im gleichen, sanften Tonfall ergänzte er. "Im Übrigen bewundere ich Ihre entflammende Lobeshymne, pflichte Ihnen uneingeschränkt bei! Ganz recht, jawohl! Man gewinnt doch immer wieder den Eindruck, es ginge lediglich ums Geschäft, dabei sprechen Herzen zueinander! Das wird heute gar nicht mehr richtig gewürdigt!" In Keita brodelte es. Wie konnte dieser unerträglich aufreizende Wischmopp ihm UNENTWEGT nach dem Mund reden, gleichzeitig ungeniert genau das Gegenteil tun?! "Warum zum Teufel erdreisten Sie sich dann, mir dieses Zeug eintrichtern zu wollen?!" Explodierte er heftig. "Pardon?" Zwei dicke Rasta-Stränge wurden beiseite geschoben, damit ein geziertes Schlückchen Tee genossen werden konnte. "Oh, verzeihen Sie bitte, lieber Freund, wie dumm von mir!" Ein breites Grinsen wurde sichtbar, weil Keita nun einen Teil des Gesichts erkennen konnte. Auf einem der blendend weißen Schneidezähne glitzerte ein Schmuckstein. "DAS ist selbstverständlich Pflicht-Schokolade." Mit Grandezza markierte der "Tentakel-Mann" in liebevollem Spott die gesamte Tafelrunde. Keita sackte hochrot in sich und auf seinem verschmähten Sitzpolster zusammen. ~~~~<3 Keita ging nie so weit zu behaupten, er habe dem Tod ins Auge geschaut. Erstens fand sich schlichtweg keine Sekunde, in der er für derart philosophische Betrachtungen Muße gehabt hatte, zweitens gingen bei ihm so schnell die Lichter aus, dass er in Unkenntnis über Gevatter Tods leere Augenhöhlen bleiben musste. Drittens löschte der Schock einen Teil seiner Erinnerung aus, wofür er durchaus dankbar war. Wirklich zu sich kam er erst nach einigen Tagen im Krankenhaus. Schwach, unter dem Einfluss von Schmerzmitteln und desorientiert. Er erfuhr, dass die Eltern mit Schürfwunden und Prellungen davon gekommen waren. Souta hatte sich darüber hinaus den linken Arm gebrochen. Ihn selbst erwischte ein schwerer Felsbrocken, als das Auto auf dem Dach gelandet war nach dem letzten Überschlag. Beide Oberschenkelknochen waren gebrochen, sein Unterleib eingedrückt, innere Blutungen, Därme und Harnblase verletzt. Er lag in einer Art Gips-Pfanne, während man sich darum bemühte, die in Unordnung geratenen Innereien wieder zu sortieren. Auf die Widerstandskraft der Jugend setzte. Keita hatte wieder Glück. Die Brüche verheilten, die inneren Verletzungen konnten chirurgisch behandelt werden, sodass nur noch verblassende Narben von dem furchtbaren Ereignis kündeten. Nicht ausschließlich. Davon erfuhr Keita aber erst später, als man ihn nach einigen Tagen schlafend glaubte. Eher beiläufig hörte er die entsetzte Stimme seines Bruders wispern. "Aber dann ist er ja kein Junge mehr!" Aus der zeitlichen Distanz heraus hätte Keita, so er einmal gezwungen werden sollte, dieses neue Leben zu skizzieren, selbstironisch geantwortet. "Es begann mit sehr viel mehr Platz in der Hose." Vor allem deshalb, weil seine Hoden irreparabel zerquetscht worden waren, man auch mit größtem Geschick seinen Penis in nicht mehr als ein Flickwerk in den traurigen Dimensionen eines geschrumpften Würstchens operieren konnte. ~~~~<3 Es war Valentinstag, Sonntagabend. Keita, der als Abteilungsleiter arbeitete, durch seine offene Führungsrolle die Unterstützung seiner Beschäftigten gewonnen hatte, ließ sich schon aus Prinzip niemals vom Schichtrhythmus befreien. Es wäre ihm durchaus möglich gewesen, dem Ungemach des Valentinstags auszuweichen. Das lehnte er ab. Außerdem, wenn das Wetter keine Pause einlegte, konnten sie das auch nicht. Immerhin beruhten die aufwändigen Prognosen und Berechnungen auf der Verfügbarkeit der Messdaten und der notwendigen maschinellen Versorgung. Deshalb hatte Keita an diesem Sonntag gearbeitet, freundlich und gewohnt höflich die ihm überreichten Präsente, in der Mehrzahl Pflichtschokolade, entgegengenommen, sich artigst bedankt. Natürlich war er, schon seit Jahren, aufgrund seiner Position auf der Karriereleiter und als Junggeselle, das Objekt des Interesses diverser Damen, die üblicherweise die Gelegenheit nutzten, auf sich aufmerksam zu machen, ihren Claim abzustecken. Keita hatte jedoch alle Angebote abgelehnt, darauf vertraut, dass sich diese Haltung herumsprach. Es war nichts Persönliches. Arbeit und Vergnügen zu vermischen, lief seinen Prinzipien zuwider. Außerdem lebte er gern als ungebundener Single! Seinen Vorgesetzten hatte er eine andere Version anvertraut. Gelegentlich fühlte sich der ein oder andere disponiert, ihm eine Ehe anbahnen zu wollen. Hier hatte er eingestanden, leider zeugungsunfähig zu sein. Das bremste in der Regel jeden Elan aus. Im Ausland, das musste man sagen, war es Keita sehr viel leichter gefallen, die Klippen amouröser Interessen, die an ihn geheftet werden konnten, zu umschiffen. Seine distanzierte Haltung wurde als typisch japanische Zurückhaltung verstanden. Seine mangelnde Bereitschaft, sich intim anzufreunden, als Voraussicht in Anbetracht der Tatsache, dass seine Heimat in Japan lag. Niemand erwartete eine Rechtfertigung für seine Angewohnheit, immer eine Toilettenkabine aufzusuchen. Keita hatte seit seinem 14. Lebensjahr nur noch in der eigenen Gesellschaft gebadet, selbstredend Urinale links liegen gelassen. Das löste hier, wo man jeder Geste durchaus Gewicht zumaß, ein gewisses Misstrauen aus. Keita HATTE etwas zu verbergen, zumindest von dem, was noch übrig war, letztlich auch die Lücke. Schwieriger noch erwies es sich aber, seinen Status als Junggeselle zu verteidigen, ohne schwere Geschütze aufzufahren. Er bildete sich nichts auf sein Aussehen ein. Man mochte seine Gesichtszüge als markant einordnen, die Gestalt eher sehnig als muskulös, von durchschnittlicher Größe. Sein Mienenspiel hatte sich durch die Auslandsjahre bestürzender Weise als lebendiger und entlarvender entwickelt, als es ihm selbst behagte. Es verlieh seiner Erscheinung auch eine gewisse Note. Insgesamt machte er optisch einen durchaus angenehmen, wenn auch nicht spektakulären Eindruck. Anziehender erwiesen sich Prestige und Karriere. Bei häufiger Abwesenheit von der häuslichen Idylle zwecks Mehrung des Wohlstands wogen diese Argumente stärker als das veränderliche Erscheinungsbild. Keita hatte keine Angst vor Frauen. Gelegentlich lehrten ihn ihre unbarmherzigen und gnadenlosen Attacken das Fürchten. Sich selbst als Beute zu sehen, die mit wachsender Verzweiflung erlegt werden musste, konnte niemanden kaltlassen. Aus diesem Grund verabscheute Keita den Valentinstag. Lange Jahre schien es, als drohe jedes Mal Ungemach. Allein der Gedanke verursachte ihm schon Bauchgrimmen. Nun umgab ihn zumindest ein schützender Kokon von Beschäftigten, die nichts auf ihren Chef kommen ließen, im Vorfeld schon jede Hoffnung auf einen Jagderfolg bei neuen Mitarbeiterinnen zerstreuten. Man wusste zwar nichts Genaues, aber irgendetwas Tragisches hatte sich in der Vergangenheit ereignet. Deshalb folgte der Chef heroisch den klassischen Vorbildern, blieb unbeweibt. Näheres musste man gar nicht in Erfahrung bringen. Darum hatte Keita auch nach einem langen Arbeitstag nicht erwartet, sich an einem anderen Ort als seiner Wohnung zu finden, gemütlich im Massagesessel lümmelnd und einen Cappuccino schlürfend, während er auf das endlose Lichtermeer der Stadt vor seinen Fenstern blickte. Stattdessen hockte er nun auf Sitzpolstern in einer merkwürdigen Höhle, eingesponnen in einem grünen Netz, seltsam ausgeleuchtet und schluckte Tee zu Pralinen und Schoko-Keksen, während er mit Momoharu plauderte. Was ganz und gar unmöglich schien! Wie sollten er und dieser schnöselig-arrogante "Tentakel-Mann" auch nur irgendein Konversationsthema finden?! Ganz zu schweigen von dessen enervierender Attitüde, ihn fortwährend absichtlich misszuverstehen, um seinen eigenen Willen durchzusetzen?! Unversehens hatte sich die Situation verändert, ohne dass Keita den genauen Augenblick hätte benennen können. Aus dem "Tentakel-Mann", einem zweifellos eigensinnigen, aufgeblasenen Studenten, der schmarotzend die Gesellschaft bloß um irgendwelche Eskapaden bereicherte, war Momoharu, der Nachbar von nebenan geworden. Ein gar nicht mehr SO junger Mann, bezog man seine Biographie ins Kalkül ein. Tatsächlich verbarg sich unter den "Tentakeln" ein attraktives Gesicht mit einer kühn-prominenten Nase inklusive eines leichten Knicks, sprechend gewölbten Brauen über hellbraunen Augen, diversen Sommersprossen-Tupfern und einem selbstironisch geschürzten Mund. Mit Studenten pflegte er durchaus Umgang, allerdings als Inhaber des Lehrstuhls für Kulturwissenschaft an einer renommierten Universität. Für diesen Posten war er allerdings durchaus sehr jung. Keita konnte sich angesichts der ersten Erfahrungen lebhaft vorstellen, wie Momoharu Kritiker derart in Verwirrung stürzte, dass sie sich am Ende auf seiner Seite vorfanden. »Oder wie ein Idiot ausgerechnet ein Loblied auf den Valentinstag singen!« Schnaubte seine innere Stimme verächtlich, deren Stolz gekränkt war. Professor hin oder her, dieser Wischmopp HATTE sie brüskiert! Momoharu zeichnete sich eben auch durch seine humorvolle Konversation aus, zeigte schmeichelhaftes Interesse an Keitas Arbeit, verwickelte ihn mühelos in vergleichende Schilderungen populärer Freizeitbeschäftigung in anderen Ländern. Mehr als einmal lachte Keita ungeniert heraus, ertappte sich dabei, in Momoharus neckenden Ton zu verfallen, wenn sie eifrig ihre unterschiedlichen Positionen verteidigten. Erst als Keita nach zwei Stunden munterer Unterhaltung, einer erfrischenden Dusche und einem genussvollen Cappuccino in seinem breiten, bequemen Bett lag, bemerkte er, dass Momoharu kein Wort darüber verloren hatte, dass sie beide am Valentinstag nicht "in Gesellschaft" gewesen waren. ~~~~~<3 Keita hatte sich selbst an seinem 15. Geburtstag ein Versprechen gegeben. Er würde niemals, auf gar keinen Fall, ein heulender Jammerlappen sein. Mochte Souta ihn auch bemitleiden, weil er untenrum nun quasi "ein Mädchen" war: das war BEDEUTUNGSLOS. »Nur ICH entscheide, was MIR wichtig ist.« Stellte Keita eine Maxime auf. Die aktuelle Analyse der Situation ergab doch ein positives Bild, oder nicht?! Seine Knochen waren wieder ganz. Er könnte problemlos pinkeln, und zwar, wann er wollte!, wenn auch im Sitzen. Er war noch gewachsen und hatte wieder ein paar Muskeln ausgebildet! Sicher, da war die Spritze, die er sich in regelmäßigen Abständen geben lassen musste, um ausreichend Testosteron zu bekommen. Vielleicht würde sich das ja mit der Zeit geben? Immerhin wurde ja geforscht! Gut, er würde niemals Sex haben, richtig. Wenigstens würde er sich keine Geschlechtskrankheiten einhandeln oder müsste sich ständig Gedanken über die Freundin machen. Nein, er könnte sich allein auf sich selbst konzentrieren! Wenn er es richtig verstand, sanken die Leistungen vieler männlicher Jugendlicher in der Pubertät häufig, weil ihr Körper total verrückt spielte und sie sich auf alles andere konzentrierten! »Ich brauche keine Freundin oder Frau. Auch keinen Sex!« Schwor er sich ein. »Was kann das schon ausmachen, ne Viertelstunde Ringkampf, im Vergleich zur restlichen Zeit? Kann ich halt länger schlafen! Oder sonst was tun!« Sex war nicht so wichtig. Viele Leute hatten keinen. »Wir kommen schon klar. Alles kein Problem!« ~~~~<3 Keita hatte durchaus unregelmäßige Arbeitszeiten, zumindest, was die Tage betraf. Aus dem Drei-Schichten-Dienst war er allerdings aufgrund seiner Leitungsfunktion ausgeschieden. Dafür hatte er telefonische Erreichbarkeit ohne Einschränkung zugesichert. Dennoch erstaunte es ihn, wie oft er in den folgenden Tagen Momoharu über den Weg lief, ohne dass er jemals einen Beweis dafür fand, dass es etwas anderes als ein glückliches Zusammentreffen war. Natürlich empfand er dessen Erscheinungsbild immer noch als stark gewöhnungsbedürftig. Er wollte lieber nicht erkunden, warum sich ein Professor wie ein extrovertierter Student kleidete. Er scheute nicht davor zurück, sich zu ihrer Bekanntschaft zu bekennen. Ob man nun gemeinsam der Wäschetrommel bei ihren Umdrehungen zusah, während man auf die Übergabe der eigenen Bekleidung wartete, im Delikatessengeschäft für die Aushändigung der kulinarischen Schätze anstand oder den Weg zum Bahnhof zurücklegte: Keita genoss die Gesellschaft, konnte über Momoharus mit sahnig-schnurrender Stimme vorgebrachten "Missverständnisse" hinwegsehen, die ihn zu einer anderen Auffassung bekehren sollten. Er hatte überhaupt keine Lust, sich einen Hollywood-Streifen anzusehen, der von derartigem Werbe-Getöse begleitet wurde, dass sich vollkommen natürlich Widerstand regte. Momoharus Charme-Offensive, die liebenswürdig und verständnisvoll jedes Argument beleuchtete, um ihn doch zum Besuch zu überreden, wollte er nicht als vorurteilsbeladener, ignoranter und misanthropischer Feigling gelten, konnte er nichts entgegensetzen. Es hätte ihn auch nicht erstaunen sollen, dass seine Entrüstung über die enttäuschende Qualität des Streifens rückhaltlose Unterstützung und Schützenhilfe bekam. Ein furchtbarer Film! Geradezu unterirdisch! Wie sattelfest könnte man jetzt, NACH dieser Erfahrung, jeden einzelnen Werbe-Slogan kontern! Mit welcher Munition war man versorgt, um aus jedem Meinungsgefecht siegreich hervorzugehen! Keita konnte nicht anders als auflachen über diese Taktik. Er erinnerte sich daran, dass er einmal das alte Sprichwort, die Feder sei mächtiger als das Schwert, mit einem Sketch illustriert sah, bei dem der Schwert tragende Opponent mit einer langen Feder gekitzelt wurde, bis er sich krümmte. Genauso kam ihm Momoharus Gebaren oft vor. Leicht, zerbrechlich, geschmeidig und zart wirkte sein höfliches, liebenswertes Verhalten, die Wortwahl, die Gestik. Gleichzeitig konnte er sogar Kruppstahl damit entwaffnen. Wenn man so darüber nachdachte, Keita fand sich des Öfteren in dieser Verlegenheit, musste diese Reaktion kombiniert mit den wenigen Fakten zweifellos bedeuten, dass hinter der merkwürdigen Fassade ein sehr wacher Kopf arbeitete. Sicherlich stellte die Otaku-Höhle eine weitere Täuschung dar, die den unvorbereiteten Besuch überrumpeln, zu Trugschlüssen veranlassen sollte! Frau Segawa, die Hausmeisterin, versorgte ihn auch vertraulich mit der Information, dass er der Nachbar einer hochstehenden Persönlichkeit sei. Momoharu gehöre zu DEN Kobayashis! Keita glänzte mit einer Bildungslücke. Frau Segawa, die ihn ungern in eine Verlegenheit stürzen wollte, klärte ihn über die Bedeutung und vor allem den Reichtum dieser Familie auf. Dadurch fühlte Keita sich nicht unbedingt befangen, fragte sich, was der Spross einer derart wohlhabenden und einflussreichen Familie in dem eher ungewöhnlichen Ex-Bürohaus zu suchen hatte. Wieso keine der Nobel-Herbergen in den teuren Wohnvierteln? Nebenbei, wieso keine Frau oder Kinder? Um sich nicht als ungebührlich neugierig zu erweisen, bemühte Keita das moderne Kommunikationssystem. Es gab lediglich minimale Informationen zur Familie. Wenig mehr als der offizielle Steckbrief der Universität zu ihren Professoren war verfügbar. Man schützte offenkundig sehr energisch die Privatsphäre. Dafür konnte er einen beinahe erdrückenden Berg an Kommentaren, Glossen, Abhandlungen, Essays und Notizen unter dem Spitznamen "Koba Peaches" betrachten. Die mutmaßliche Otaku-Höhle, gepflastert mit Druck- und elektronischen Erzeugnissen der modernen Kultur, schien demnach nicht lediglich eine dekorative Tarnung zu sein, sondern tatsächlich ein Zeugnis eines bienenfleißigen, wenn auch unbestritten kuriosen Wissenschaftlers. Trotzdem war es schon seltsam, ihn privat so wenig zu kennen... »Gleichwohl.« Zitierte Keita Momoharu entschlossen. Was machte die Vergangenheit schon aus? Hier und jetzt hielten sie ab und an einen Schwatz, wenn sie sich trafen. Mehr musste doch wirklich nicht sein, richtig? ~~~~~<3 Keita strebte, mit skandalös gelockerter Krawatte, seiner Heimat-Basis zu. Ein leichter Schauer lag in der Luft. Für den morgigen Sonntag, den "Weißen Tag", waren weitere himmlische Taufen prognostiziert. Für heute allerdings war er erleichtert, eine lange Woche hinter sich gebracht zu haben, um sich nun auszuruhen zu können. Außerdem gab ihm das Echo auf seine Präsente als Dank für die Gaben zum Valentinstag Auftrieb. Schon seit Beginn seiner Tätigkeit in dem Unternehmen hatte er als Abteilungsleiter eine der ledigen Kolleginnen gebeten, am Valentinstag die Pflichtschokolade, die man anderen Abteilungen zugedachte, zu übergeben. Das bot auf dem größten Heiratsmarkt, den es gab, nämlich dem eigenen Arbeitsplatz, gute Chancen, auch mit anderen Kollegen bekannt zu werden. Wenn am Weißen Tag die Gesten erwidert werden mussten, weil es nun die Aufgabe der Herren war, sich für die Süßigkeiten erkenntlich zu zeigen, übertrug er diese ehrenvolle Aufgabe einem ledigen Mitarbeiter. Dies betraf die Pflicht-Präsente. Persönliche Geschenke, die seine Mitarbeiterinnen ihm machten, wohl wissend, dass er sie nur akzeptierte, wenn keinerlei amouröse Interessen damit verbunden waren, besorgte er selbst. In diesem Jahr hatte er sich eine Bemerkung von Momoharu zunutze gemacht und Gutscheine für einen exklusiven Damenausstatter besorgt, der sogar Türsteher engagierte, wenn man sein Geschäft betreten wollte! Persönlich konnte Keita dieser Aufregung und künstlichen Begeisterung nichts abgewinnen. Er wusste, dass die Gutscheine, durchaus kostspielig, seine Mitarbeiterinnen zu Objekten besonderen Neides ihrer Geschlechtsgenossinnen machen würden. So erfreute ihn auch das enthusiastische Echo, das er bei der Übergabe erhalten hatte. Gute Voraussetzungen dafür, einen ruhigen Sonntag verleben zu dürfen, für das laufende Jahr die leidigen Kuppel-Feiertage hinter sich gebracht zu haben. Keita marschierte den Flur hinunter, schloss seine Wohnungstür auf und stutzte. Mit einem leuchtend pinkfarbenen Klebestreifen hatte man eine Nachricht für ihn auf dem Türblatt befestigt. »Lieber Nachbar, bitte beehren Sie mich heute liebenswürdigerweise! Ich habe ganz frisch besondere Spezialitäten erhalten und wäre Ihnen für Ihr Urteil dazu äußerst verbunden! Es grüßt mit Hochachtung, M.K.« Die Ausdrucksweise, die beinahe gezierten, filigranen Schriftzeichen, die auf eine Ausbildung in klassischer Kalligraphie schließen ließen, die Initialen und nicht zuletzt der unerträglich grelle Markierungsstreifen: es konnte sich nur um Momoharu handeln. Keita betrat seine Wohnung, überflog erneut die Einladung, so seltsam anachronistisch, da man üblicherweise Verabredungen per Telefon oder Internet traf. Er schmunzelte nachsichtig, entschied, sich zumindest kurz sehen zu lassen, wenn er sich frisch gemacht und umgezogen hatte. ~~~~<3 Die kleinen, gefüllten Teigtaschen schmeckten ungewöhnlich, aber sehr lecker, das konstatierte Keita sofort. Auch der australische Rotwein, den Momoharu kredenzte, fand durchaus seinen Beifall. Wie bei ihrer ersten Begegnung lagerten sie auf Sitzpolstern und Kissen, eingehüllt von dem grünen Netz, wie in einem seltsamen Zelt inmitten einer unwirklichen Otaku-Welt. Um das Ambiente etwas heimeliger zu gestalten, hatte Momoharu sogar Teelichter in farbigen Windgläsern platziert! Eigentlich war alles wirklich angenehm, trotzdem fühlte Keita sich seltsam. Wie eine Flammenwand schien ihn eine heiße Lohe aus seinem Magen zu durchlaufen. Notschweiß trat ihm auf die Stirn. Er wollte sich vor Momoharu keine Blöße geben. Ein wenig schwindelte ihn auch. Fehlte ihm frische Luft? Oder waren das Anzeichen einer Lebensmittelvergiftung? Keita kannte sich damit nicht aus eigener Erfahrung aus, spürte, wie der unerträglichen Hitze ein eisiges Wechselbad aus Nervosität folgte. Er keuchte, ließ sich mit einer gemurmelten Entschuldigung auf den Rücken sinken. Das leichte Baumwollhemd im sportiven Stil klebte ihm auf dem Oberleib. Die Hose aus Babycord schien ihm plötzlich viel zu schwer an den Gliedern zu zerren. "Gleich geht's dir wieder besser, mein Freund." Hörte er Momoharus Stimme mit dem samtigen Klang. »Wäre mir lieber, mir ginge es gleich wieder GUT statt bloß BESSER!« Knurrte seine innere Stimme peinlich berührt und ärgerlich. Keita dagegen hielt sich raus. Vor seinen geschlossenen Augen tanzten seltsame Blitzlichter. Ihm war so unerträglich warm, dass er sich am Liebsten alle Kleider vom Leib gerissen hätte. Wie in einer fiebrigen Trance verwirrten sich seine Gedanken. Er driftete in eine angenehme Dunkelheit ab. ~~~~<3 »Pfefferminz.« Urteilte sein Geruchssinn selbstbewusst. Keita blinzelte. Er ordnete es als durchaus befremdlich ein, dass ein feuchter Lappen über sein Gesicht wischte. Als er die verklebten Wimpern entwirrt hatte, endlich einen Blick auf seine Umgebung riskieren konnte, stutzte er. An den Kontaktlinsen konnte es nicht liegen, dass er seinen Augen nicht trauen wollte: über ihm blitzte und funkelte es. Keita stöhnte leise, schloss die Augen, atmete tief durch, verwünschte die glühende Hitze, die noch immer wie ein Hochofen in seinem Inneren wütete, nahm erneut Anlauf. Auf den zweiten Blick konnte er das blendende Glimmern und Glitzern erklärten: über ihm hing ein Lüster mit zahlreichen Glastropfen. Um den Lüster herum hatte man Spiegel montiert. Allerdings schien die Decke doch recht niedrig. Keita wandte den Kopf leicht, bemerkte perplex, dass er keineswegs auf die Zimmerdecke geblickt hatte. Nein, der Kronleuchter mit Behang und Reflektionsfläche befand sich unterhalb eines Betthimmels. Vier gewaltige Pfosten stützten die Konstruktion, hielten auch die bordeauxfarbenen Vorhänge ringsum. Auf irritierende Weise fühlte Keita sich an ein Boudoir oder an Bordell-Ausstattung in alten Western erinnert. Er versuchte, sich aufzurichten, musste feststellen, dass seine Arme lose über seinem Kopf vertäut worden waren. Wenn er sich arg verdrehte, konnte er sogar die gut gepolsterten Handschellen sehen, die seine Handgelenke fesselten. Trotz der fiebrigen Hitze gelang es Keita, seine Gedanken endlich zu einer konzertierten Anstrengung zu überreden. Sie bewerteten also gezwungen die Fakten, die ihm Augen, Ohren, Nase und Haut vermittelten. Die sagten aus, dass er auf einem gewaltigen, runden Bett lag, umzingelt von vier Pfosten unter einem Himmelbett, was allgemein als Love Island in entsprechenden Motto-Hotels verzeichnet wurde. Er war an den Handgelenken gefesselt, nicht seiner Kleidung beraubt worden. Dafür kochte er innerlich, nicht unbedingt vor Wut, obwohl diese Emotion zweifellos berechtigt war. »Momoharu hat~hat mich vergiftet und verschleppt!« Eine andere Schlussfolgerung ließ sich, zumindest momentan, nicht ziehen. Ungelenk wollte er sich langsam nach oben schieben, irgendwie eine Befreiung seiner Handgelenke bewirken. Diese geringe Anstrengung ließ ihn bereits keuchen und hecheln. Er blinzelte, verwünschte gequält die heimtückische Wirkung der Vergiftung, rang nach Luft. Da spürte er erneut den kalten Lappen über Stirn und Wangen, riss die Augen auf. "Wwassch-sschll-dasschh?!" Gurgelte er mühsam, schluckte eine Überproduktion an Speichel. Momoharu legte das Tuch beiseite, band sich exakt drei dicke Rasta-Zöpfe mit einem Kabelbinder zusammen und aus den Augen. Seine konzentrierte, ernste Miene ließ Keita hilflos wie ein gestrandeter Käfer mit den Fersen Stoff treten, ohne sich wesentlich von seinem Entführer entfernen zu können. Ohne Mühe ließ sich Momoharu rittlings auf Keitas Hüften nieder, knöpfte dessen Hemd auf. Keita wäre unter normalen Umständen erbleicht, als ihm bewusst wurde, dass der Sarong, den sein Gastgeber noch während ihrer Mahlzeit getragen hatte, nicht länger unter der erschütternd bunt bedruckten Yukata vorhanden war. Hier und jetzt glühte er vor Hitze, hatte Mühe, etwas anderes anzustreben als Abkühlung und ausreichend Atemluft. Über ihm drückte Momoharu gerade auf eine Tube, die ein schrill rot gefärbtes Gel enthielt, das sich auf Keitas nackter Brust verteilte. Momoharu löste demonstrativ den Gürtel, der die Yukata zusammenhielt, schlug sie auf, bevor er sich über Keitas Brustkorb beugte. Der wand sich hilflos, zuckte und zupfte an seinen Fesseln, ohne Erfolg. Ganz gegen seinen Willen stöhnte und keuchte er, konnte nichts gegen die Zunge ausrichten, die das sich rasch erwärmende Gel auf seinen Brustwarzen verteilte, sein Brustbein entlang bis zum Nabel glitt, wieder nach oben wanderte. Wo Zähne seine Schlüsselbeine benagten, als sei er ein besonders köstlicher Knochen! Um Hilfe zu rufen war aussichtslos. Keita gurgelte schon würgend am eigenen Speichel. Deshalb zögerte er auch, die vergleichsweise kühlen Handflächen abzuschütteln, die sich sanft, aber beharrlich um sein Gesicht legten. Keita rang ausgepumpt nach Luft, eine Anstrengung, die seinen gesamten Körper in Bewegung hielt. Sein unartikulierter Protest wurde gründlich erstickt, als Momoharu ihm den Mund versiegelte. Ausreichend Ladung des nach Erdbeeren schmeckenden Gels drückte eine dominante Zunge in Keitas Mund, der zu keiner Gegenwehr fähig war. Lediglich Reflexe zuckten in seinen Gliedern, wie das letzte Aufbäumen einer Marionette an ihren Fäden. Er hatte noch nie einen Zungenkuss bekommen. Oder einen nackten, sehnig-muskulösen Körper an seinem eigenen gespürt, der sich über ihm wand, an ihm rieb, während er bis ins Delirium geküsst wurde. Schon allein einer dieser sinnlichen Eindrücke hätte ihn überwältigt! Die ganze Flut und Masse spülte ihn wie eine Sturmflut weg. Keita wurde ohnmächtig. ~~~~<3 Als er wieder zu sich kam, kauerte Momoharu noch immer rittlings auf seinen Hüften, nackt, bis zum Unterleib mit der rosigen Gelschicht beschmiert, deutlich sichtbar erregt. Keita, unter dessen Kopf ein stabiles Kissen gestopft worden war, konnte nicht, ganz gleich, wie unschicklich es war, wegsehen. Diese Erektion erschien ihm gewaltig. Er konnte ihre verzehrende Hitze sogar durch den Cordstoff seiner Hose spüren. Dennoch empfand er diesen Anblick als wunderschön. Keine schrumpelige, vielfarbige, Narben übersäte Hülle für den Harnleiter, sondern eine glatte Anballung von Muskeln. Pulsierend und straff, so passend koloriert wie die gesamte Haut des Wissenschaftlers. Unerwartet musste Keita Tränen wegblinzeln. Wehmut durchwehte ihn wie eine verlorene Melodie. Er hatte sich immer standhaft geweigert, durch korrigierende Maßnahmen zumindest den ANSCHEIN eines durchschnittlichen Mannes zu erwecken. Wen sollte er auch betrügen wollen?! Sich selbst, der die Wahrheit doch am Besten kannte?! Er fragte sich manchmal natürlich doch, wie es war, wie es sich anfühlen mochte, ermahnte sich rasch, diese Albernheiten fix wieder zu vergessen. Lieber gar nicht wissen, wie etwas sei, da könne man es auch nicht vermissen! Außerdem wäre es bloß Wunschdenken, Illusionen, nichts weiter! Vorteile aufzählen, zum Beispiel: kein Hodenkrebs bekommen, keine Geschlechtskrankheiten, keine ungewollten Schwangerschaften, keine Erektionsstörungen! Eine Daumenspitze tilgte behutsam die salzigen Spuren von Keitas Gesicht. Momoharu, der doch immer so leichthin und samtig plaudern konnte, hatte ihm noch immer kein einziges Wort gewidmet. "Das hat keinen Sinn." Wisperte Keita, schluckte mehrfach, damit er sich verständlich artikulieren konnte. Anstelle einer Antwort beugte sich Momoharu tief über ihn hinab, dirigierte Keitas Kinn zu einem weiteren leidenschaftlichen Kuss, der stark nach dem künstlichen Erdbeeraroma schmeckte. Keita keuchte, spürte, wie ihm trotz der bereits wütenden Hitze Farbe in die Wangen schoss, als sich ihre erregten Brustwarzen reibend ein Duell lieferten. Momoharu lag halb über ihn, ein deutlich spürbares Gewicht, so zutiefst real und greifbar (wenn Keita frei von Fesseln gewesen wäre). Doch schien es wie eine Fieber-Phantasie. "Nicht! Nein!" Protestierte Keita, als er spürte, wie die gelenkigen Finger, die über seine nackten Seiten streiften, während Momoharu über sein Brustbein leckte, sich zum Nabel herunter arbeitete, die Gürtelschnalle lösten. "Tu das nicht!" Beschwor er Momoharu, zappelte hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen, schnappte sogar mit dem Mund nach Rasta-Zöpfen. Ohne Erfolg. Momoharu drückte ihm die Oberschenkel durch das eigene Gewicht herunter, knöpfte Keitas Hose auf, zog den Reißverschluss herunter, bevor er Hose und Unterwäsche langsam über die Hüfte nach unten rollte. Keita presste die Lippen aufeinander, bis der Schmerz ihm Tränen in die Augen trieb. Wieso musste Momoharu, den er beinahe als Freund betrachtet hatte, ihm diese Erniedrigung antun?! Vielleicht hatte er anfangs Vorurteilen den Vorzug gegeben, war gelegentlich unfreundlich gewesen, doch das rechtfertigte noch längst nicht, ihm seine Würde zu nehmen! "Das ist es also." Bemerkte Momoharu ruhig, der über Keitas Oberschenkeln hockte. Keita unterdrückte mit letzter Kraft ein Schluchzen, funkelte trotzig hinauf in die hellbraunen Augen. »Ich werde mich nicht von dir brechen lassen!!« Flaggte er verzweifelt. »Eine Erektion und zwei Eier machen dich noch lange nicht zu einem besseren Mann!!« Momoharu wandte zuerst den Blick ab. Keitas Triumph währte nur so lange, wie Momoharu benötigte, um die hinderlichen Reste der Bekleidung zu entfernen. ~~~~<3 Keita wusste, dass es ein Willenskampf war. So gut er konnte, hielt er stand, schnappte und verbiss sich in diesen oder jenen Rasta-Zopf in seiner Reichweite, zerrte, bis er ihn freigeben musste, wollte er nicht durch Sauerstoffmangel in Ohnmacht fallen. Er wand sich unter Momoharu, zum Teil der unerträglichen Hitze in seinem Inneren geschuldet. Auch, um es diesem miesen "Tentakel-Mann" nicht so einfach zu machen! Ihn zu liebkosen, mit Küssen einzudecken, seinen gesamten Torso, vorne und hinten, mit Gel einzuschmieren und es abzulecken! Keita hörte sich stöhnen und keuchen, konnte kaum glauben, dass Momoharus neckende Bisse in seine pochenden, stahlharten Brustwarzen wie ein Blitz glühend heiß in seinen Magen rasten! Immer wieder streifte ihn Momoharus erigierter Penis. Er wusste, was Momoharu wollte. Das konnte unmöglich funktionieren. »Verstehst du nicht?!« Hätte er am Liebsten durch das Fieber in seinem Kopf gebrüllt. »Verstehst du nicht, dass es nicht klappen wird?! Dass ich GAR NICHTS tun kann?!« Nicht, dass er wollte! Überhaupt keine Frage!! ~~~~<3 Keita ächzte wie eine alte Dampflokomotive. Seine Handgelenke, wie wohl gepolstert, schmerzten, weil er die Hände zu Fäusten ballte. Auch wenn er die Zunge unter den Gaumen drückte, sich nicht dieses Eingeständnis von Schwäche erlauben wollte: sein Leib folgte Momoharu, dessen Geduld unerschöpflich schien. Ebenso das Durchhaltevermögen. Keita konnte sich nicht vorstellen, wie das funktionierte. Zu lange war seine noch "unbeschädigte" Jugend her. In den wenigen Schilderungen, die seinen Weg kreuzten, wurde fix geschossen. Warum hier nicht?! Wieso spritzte Momoharu nicht einfach ab und ließ ihn gehen?! Davon konnte keine Rede sein. Küsse und heiße Atemstöße brannten auf Keitas gekrümmten Rückgrat, während Momoharus Finger, glitschig durch eine duftende Gleitcreme, immer wieder Keitas Unterleib eroberten. Einen seltsamen Schmerz erzeugten, einen lästerlichen Impuls auslösten, der ihn verleitete, sich gegen die Fingerspitzen zu stemmen, in einen treibenden Rhythmus zu verfallen, sich zu winden, zu katzbuckeln und einzurollen. Als verwandelten sich seine Knochen in Gummi! Keita konnte nicht glauben, dass es in seinem versehrten Unterleib irgendetwas geben sollte, das noch reagierte. Das wäre zu beunruhigend! Schlimmer noch, vielleicht würde es ihn dazu verleiten, intimen Kontakt zu anderen zu suchen! Sich Spott und Demütigung auszusetzen, vielleicht sogar DAFÜR bezahlen zu wollen! Wie auch immer seine Würde innerlich aufschrie, zur vorsichtigen Besonnenheit mahnte, Keita wusste, dass Momoharu ihn nicht freigab. Trotzdem war er ein wenig indigniert, als der, ebenso glühend und klebrig wie Keita selbst, sich an ihn schmiegte. Nachdem er schiere Ewigkeiten beansprucht hatte, bis er zu ihrer beider Zufriedenheit intim mit Keita verbunden war, einen dynamischen Stoßrhythmus initiierte, dabei gar nicht sahnig-souverän, sondern rau und abgehackt immer wieder "Kei-ta, Kei-ta" stöhnte. »Wer... hat dir... erlaubt,... mich beim... Vornamen... zu nennen?!« ~~~~<3 Keita lag auf dem Rücken, vollkommen ausgepumpt. Noch nie, zumindest fühlte er sich so, hatte ihn eine Aktion derart körperlich beansprucht! Sein Herz raste, sein Puls trommelte, seine Lungen brannten, die Augen tränten, Speichel sickerte aus seinen Mundwinkeln. Von den Haarspitzen bis zu den Fußzehen entluden sich elektrische Ladungen in seinen Nervensträngen! »Das ist verrückt!« Stellte er fest, fragte sich, ob er träumte. Er konnte sich nicht vorstellen, einer Phantasie zu frönen, die ein derart kitschiges Dekor wie dieses Himmelbett mit Lüster und Spiegeln vorsah! Eine primitive, angeberische Albernheit! Neben ihm richtete sich Momoharu auf, eine Bewegung, die Keita den Kopf leicht neigen ließ. Finster und mit betont strengem Kinn musterte Keita ihn grimmig. Auch wenn er noch nie Sex gehabt hatte, niemals zuvor so geküsst worden war, verlieh das Momoharu noch längst nicht das Recht, ihn zu seinem Glück zu zwingen! Auch noch mit so heimtückischen Methoden! Momoharu ließ sich nicht auf ein Duell ein, sondern rappelte sich auf, um sanft über Keitas Körper zu streicheln. Ihn zu liebkosen, zu küssen, zu riechen, zu schmecken, mit den Fingerspitzen nachzuzeichnen, jedes Detail zu entdecken und sich einzuprägen. Er beeilte sich keineswegs. Vielleicht war es ja die einzige Gelegenheit! Keita, unter ihm, neben ihm oder in seinen Armen, wehrte sich nicht länger, sondern ließ ihn gewähren. Die Lider gesenkt, einen Arm um Keitas Taille geschlungen, lagerten sie auf der Seite, einander zugewandt, tauschten Küsse aus. Neckend, trotzig, behutsam, tollkühn. Als Momoharu Keita zärtlich auf den Rücken drehte und ein Kissen unter dessen verlängertes Rückgrat stopfte, glitten dessen Beine von selbst auseinander. ~~~~<3 Keita erwachte in einer Semi-Dunkelheit, die nur von einem dezenten Lichtschein am Boden durchbrochen wurde. Eine Weile lauschte er erst in sich hinein, während er seine Augen an die Sichtverhältnisse gewöhnte, in den Raum. Die leisen Atemzüge neben ihm mussten Momoharu gehören, in dessen Bett er lag, in der Otaku-Höhle. Nachdem Momoharu ihn hergelockt, vergiftet, gefesselt und...! Keita rollte sich auf den Rücken. Technisch gesehen musste man wohl von Vergewaltigung sprechen. Er sollte angewidert, empört, stocksauer, hasserfüllt und gedemütigt sein. Tatsächlich verspürte er eine verblüffende innere Ruhe. Ja, am Morgen würde er zweifelsohne die ungewohnte körperliche Betätigung büßen. Vermutlich nicht stärker als ein anderweitiger Muskelkater. Ansonsten~ansonsten herrschte in ihm Erleichterung vor. Freudige, ungläubige Überraschung, dass da doch etwas war, was so heftig und begeistert auf die richtigen Reize und Impulse reagieren konnte. Dass es einen Menschen gab, der nicht vor der Mangelhaftigkeit zurückgeschreckt war. »Ist allerdings bezeichnend, WAS für eine TYPE notwendig ist, dich in den Olymp der dämlich beglückt Grinsenden zu befördern!« Stellte seine innere Stimme bissig fest. Sie hegte ihr Misstrauen mit großer Hingabe, wartete nur auf das dicke Ende. Keita erwartete eigentlich gar nichts weiter. Er hatte sein zweites Leben in der Überzeugung verbracht, einen Aspekt des "normalen" Lebens anderer nicht teilen zu können. Deshalb erschien ihm diese Erfahrung wie ein unangekündigter Bonus, eine überraschende Zugabe. »Jetzt ist erste Priorität, in dieser Otaku-Höhle die Toilette zu finden!« Beschied er seiner inneren Stimme gebieterisch, richtete sich auf, schwang die Beine über die Bettkante. Der andere Ruf der Natur sorgte wieder für Bodenhaftung in der Realität. ~~~~<3 Wie nicht anders zu erwarten! Keita schmunzelte dezent. Momoharus Version eines Throns des kleinen Mannes erwies sich als ein nachgemachtes Holzhäuschen mit Herzchen-Ausschnitt. Als befände man sich irgendwo auf dem Land vor 100 Jahren. Glücklicherweise herrschte im Inneren das 21. Jahrhundert vor. Keita musste nicht über einem Plumpsklo mit alten Zeitungsausschnitten am Nagel operieren. »Total bekloppt.« Kommentierte seine innere Stimme, war momentan abgelenkt. Was brauchte es wohl, um so merkwürdig und verschroben wie Koba Peaches zu werden?! Keita dagegen überdachte die Lage. »Du schnappst dein Zeug und haust ab!« Soufflierte ihm eine Stimme drängend. »Quatsch mit Soße!« Antwortete Keita barsch. »Soll ich etwa nackt über den Flur rennen? Herumsuchen, bis ich meine Klamotten gefunden habe, meine Wohnungsschlüssel?! Der Bursche ist doch nicht taub!« »Du wirst doch wohl etwas unternehmen wollen, oder nicht?! Konsequenzen ziehen! Wie kannst du dem Kerl noch ins Gesicht schauen?!« Agitierte die Stimme aufgebracht. Zu einem gewissen Anteil konnte Keita ihr durchaus beipflichten. Auf "Gedächtnislücken" wollte er sich ganz sicher nicht berufen. Es musste ernsthaft geklärt werden, dass dieser Überfall mit Aphrodisiaka nicht akzeptabel war. »Ich werde jedenfalls nicht einfach abhauen! Oder den zugegeben mickrigen Schwanz einziehen!« Bellte er zurück. »Das ist MEIN Haus! Ich war zuerst hier!« Wenn es Momoharu nicht passte, konnte der ja wegschauen! ~~~~<3 Momoharu lauschte angespannt auf die leisen Geräusche. Wie würde Keita sich wohl entscheiden? Die Gelegenheit nutzen und fliehen? Oder sich irgendwie schadlos halten, indem er ihm Saures gab? Exzessive Reinigung betreiben, um jede fremde Spur von seinem Körper zu tilgen? Eilig stellte er sich schlafend, als er nackte Fußsohlen nahen hörte. Keita rang ein wenig mit dem Vorhang, bis er einen Durchschlupf gefunden hatte, kroch unter die leichte Überdecke neben ihm, schnaufte ein paar Mal, rutschte herum, bis er die bequemste Position gefunden hatte. Dann schlief er ein. In Momoharus Wangen prägten sich kleine Grübchen, als er in der Semi-Dunkelheit seiner "Liebes-Insel" lächelte. ~~~~<3 Mit einem nur mäßig gedämpften Röhren quälte sich ein überlasteter Elektromotor damit, Rollladen in die Höhe zu ziehen, zeitgesteuert. Wie jeden Morgen grunzte Keita enerviert im Halbschlaf, rollte sich schlaftrunken auf die Seite, zog die Knie an, um über die Bettkante in die Höhe zu klappen. Diese Routine wurde jedoch erheblich durch einen festen Schlangengriff um seine Körpermitte behindert. "Wasnls?!" Keita blinzelte, noch immer nicht momentan, wandte sich zu der Stelle, die das größte und hinderlichste Gewicht ausmachte. "HuuAAAHHH!" Quäkte er erschrocken, denn er konnte sich nicht entsinnen, jemals so eine riesige Tarantel mit ihren haarigen Beinen...!! »MOMENT MAL!« Endlich trat sein Großhirn auf die Bremse der Motorik im Kleinhirn. Das hier war erstens nicht sein Bett und zweitens... Keita streckte tapfer, noch immer wahre Sandladungen blinzelnd, eine Hand aus, lupfte ein Gebinde haariger Tentakel. Darunter kam ein durchaus beleidigt blickendes Gesicht zum Vorschein. "...oh..." Kommentierte Keita heiser. "Guten Morgen." Antwortete Momoharu streng. "Wohin des Wegs, mein Freund?" Unterdessen hatte Keita registriert, dass ein weniger haariger, aber sehr viel anhänglicher Tentakel ihn daran hinderte, das Bett zu verlassen. "SIE!" Fauchte er, kniff in die Tentakelhaut. "Mit IHNEN habe ich ein HÜHNCHEN zu rupfen, OH JA!" "Zum Frühstück? Wie originell." Momoharu grinste herausfordernd, blendete mit dem Schmuckstein auf. "Gegrillt? Mariniert?" "Schluss mit den Albernheiten!" Polterte Keita heiser, enragiert. "Das ist Nötigung! Freiheitsberaubung! Und sexuelle Belästigung!" "Nicht doch!" Momoharu zog eine gekränkte Schnute. "Immerhin bist du auch entblößt, mein Herz!" "Was?!" Keita holte tief Luft. Er wollte auf keinen Fall wieder Momoharus Nebelwerfer- und Ablenktaktik zum Opfer fallen. "Das ist vollkommen unerheblich! Sie haben mich hierher gelockt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen!" "Also, nein." Momoharu setzte sich auf, ließ Keita nicht entwischen, schnappte rasch dessen Handgelenk, fing auch prompt das andere ein, als Keita sich befreien wollte. "Da muss ich widersprechen! Ich habe dich gebeten, frisch importierte Spezialitäten zu kosten. Genau die habe ich dir auch serviert." "HA!" Schnaubte Keita, zappelte hilflos. "Irgendwas war untergemischt, sonst hätte ich NIE...!" "Ja, EXAKT!" Momoharu strahlte wie ein Christbaum in vollem Ornat. "Das war ungeheuer gerissen von mir, nicht wahr?" Hätte Keita nicht das kurze Blitzen in den hellbraunen Augen gesehen, wäre er versucht gewesen zu glauben, dass Momoharu WIRKLICH annahm, er habe dessen hundsgemein hinterhältige Taktik gelobt! "Oh NEIN!" Brauste er deshalb auf. "Das Spielchen mache ich nicht mit! Wieder alles herumdrehen, bis es passt, so NICHT! Wie konnten Sie sich erdreisten, mir so etwas anzutun?! Ich habe Ihnen vertraut!" "Stimmt." Momoharu nickte eifrig. "Darauf habe ich auch gebaut, auf dein Vertrauen, mein lieber Keita! Sonst hätte das ja nicht funktionieren können." Schnurrte er liebenswürdig. Keita schnappte nach Luft. So eine Unverschämtheit! Selbst für die Frechheiten dieses unerträglichen "Tentakel-Mannes" war das ohne Beispiel! "Sie~SIE! SIE! Wer hat Ihnen gestattet, mich so vertraulich anzusprechen?!" Verlegte er sich, um Zeit zu gewinnen, auf einen weiteren Kriegsschauplatz. "Ich bin NICHT Ihr 'lieber Keita', haben wir uns verstanden?!" "Tsktsk." Momoharu schnalzte streng mit der Zunge. "Ich für meinen Teil höre ausgezeichnet, aber ich muss sagen, ich bin schockiert, ja, schockiert!" Bevor Keita zu einer sarkastischen Äußerung ansetzen konnte, die Momoharu jede Fähigkeit absprach, jemals eine solche Empfindung zu hegen, ergänzte der gestelzt. "Ich bin entrüstet, dass du bereits dein Herz anderweitig gebunden hast! Falsches Spiel, so möchte ich wohl behaupten!" "Was?!" Keita kochte. "Mein Herz ist überhaupt nicht gebunden! Geht Sie im Übrigen nichts an! Von wegen 'falsches Spiel'! Lassen Sie die Krokodilstränen bloß weg, rate ich Ihnen!!" "Schändlich!" Schniefte Momoharu, verlor sich unter dem Wust der dicken Rasta-Zöpfe. "Dabei hast du dich am Valentinstag an meiner Schokolade gütlich getan! Niederträchtiger Verrat!" "Wie bitte?!" Nun hatte Keita die Faxen dicke. "DU hast mich genötigt! Ich wollte überhaupt nichts essen!" "Das wird ja immer schöner!" Momoharu ging zum Angriff über, funkelte herausfordernd. "Erst machst du mir schöne Augen, flirtest mich an und willst jetzt nichts mehr davon wissen?! Du hast den ganzen Abend mit mir verbracht und tust jetzt so, als wäre nichts gewesen?!" "Von WEGEN!" Schimpfte Keita, merklich heiser. Er war derartige 'Meinungskämpfe' nicht gewöhnt. "Es ist eine MENGE gewesen! Ich habe kein bisschen geflirtet! Bloß weil du deinen blöden Süßkram quer über den Flur verteilt hast!" Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. "Warte mal! DAS war auch schon pure Absicht, oder?! Ein ganz mieser Trick!" "Nichts da, Keita, mein kleiner Widerborst!" Hielt Momoharu ungeniert und diebisch amüsiert grinsend dagegen. "Du hattest zuerst gar keine Absicht, mir ritterlich zur Seite zu stehen!" "Ach ja?! ACH JA?!" Keita rangelte, um seine Handgelenke endlich aus dem Schraubzwingengriff zu befreien. "Wenn du ach so sicher warst, dass ich dir nicht helfe, warum hast du das ganze Zeug hingeschmissen, häh?!!" JETZT hatte er Momoharu erwischt! Eine ganz miese Taktik von diesem zotteligen Wischmopp! Fuchsteufelsgemein! Momoharu zog ein Schnütchen, schnüffelte distanziert. "Mir sind lediglich die Papiertüten geborsten! Von Absicht kann gar keine Rede sein, Keita! Ich bin entsetzt, dass du mir so etwas unterstellst!" "Lag ja auch ÜBERHAUPT NICHT nahe!" Versetzte Keita bissig. "Immerhin hast du mich einen ganzen Monat an der Nase herumgeführt, um mich in dein Lotterbett zu zerren!" "Lotterbett?!" Momoharu protestierte beleidigt. "DAS kann ich nicht so stehen lassen! Eine Liebesinsel ist das! Gepflegt, sauber und sehr gemütlich!" "Ist mir doch schnurz!" Polterte Keita, der Oberwasser gewann. "Jedenfalls wollte ich hier nicht landen!" "Ach, du hättest einen anderen Ort vorgezogen?" Momoharu mimte den Interessierten mit schelmischer Aufmerksamkeit. "Das AHNTE ich ja gar nicht! Du liebe Güte, Keita, du frappierst mich doch immer wieder! Wie PROVINZIELL von mir anzunehmen, du würdest unsere Liebesspiele an so einem konventionellen...!" Weiter kam er nicht. Keita warf sich mit all seinem Gewicht nach vorne, konterte lautstark. "Liebesspiele?! Spinnst du?! Zugedröhnt und gefesselt?! Pervers, das ist es!" "Ooooohh." Momoharu schnurrte schmelzend, obwohl er unter Keita lag, schien jedoch keineswegs in Nachteil geraten zu sein. "SO würde ich das nicht bezeichnen, mein Herz. NICHTS, was dir Freude bereitet, könnte mir abnorm erscheinen." "Das war deine blöde Idee!" Verteidigte sich Keita hitzig. "Freude kam da überhaupt nicht auf! Kannst du nicht endlich mit dem Quatsch aufhören?!" "Oh, wie du meinst, liebster Keita." Gurrte Momoharu trügerisch sanft, nutzte einen eingehängten Fuß, um Keita auszuhebeln, selbst nach einer blitzartigen Rolle auf ihm zu sitzen zu kommen. Keita zappelte und zuckte wie ein Fisch auf dem Trockenen, wand sich, schüttelte sich, bis ihm schließlich die Puste ausging. Ohne nennenswerten Erfolg. "Das.. das... ist...un...unfair!" Japste er zornig. "Nein." Korrigierte Momoharu zärtlich. "Judo, mein Herz. Jahrelanges Training." "UNFAIR!" Beharrte Keita, dessen sportlicher Höhepunkt am Tag im Fußmarsch zur nächsten Bahnstation bestand. "Hör auf, mich 'Keita' zu nennen!" Grollte er verstimmt. "Ich bin sechs Monate älter als du! Würde dir wohl auch nicht gefallen, wenn ich dich 'Momoharu' nenne!" Dieser Trumpf stach allerdings nicht. "Nein, nein." Momoharu nickte gravitätisch. "Tatsächlich, das würde mir nicht gefallen! Wie recht du schon wieder hast, Keita, gar kein Zweifel." "Da! DU tust es SCHON WIEDER!" Keita kämpfte gegen das volle Gewicht der Handgelenke, die seine eigenen in die Matratze drückten. Momoharu hatte dagegen den Blick Richtung Lüster gehoben, sinnierte. "Ich denke, ja, ich denke, ich würde 'Momo' bevorzugen." Er blinkerte scheu mit den Wimpern, deutete Verlegenheit an. "Vielleicht auch 'Momo-chan'." Dabei strahlte er sonnig auf Keita hinab, der nicht mehr weiter wusste. JEDER Versuch, diesem ausgewiesenen Mistkerl die Meinung zu geigen, scheiterte in erbärmlichster Weise! "Momo-chan?!" Wiederholte er deshalb frustriert. "Niemals!" "Dann nur Momo, mein Süßer?" Purrte Momoharu, so frech grinsend, dass Keita förmlich Dampf aus den Ohren stieg, beugte sich tiefer, um zu hauchen. "'Liebling' oder 'Schatz' würde mir auch zusagen." Anstelle einer weiteren, zweifelsohne mal wieder ausgekonterten Tirade entschied sich Keita für die rustikale Methode, Momoharu Mores zu lehren: er nutzte dessen Annäherung, hob ruckartig den Kopf von der Matratze, schnappte einen dicken Rasta-Zopf, verbiss sich und drehte schwungvoll den Kopf weg. Auf diese Weise wurde Momoharu mitgerissen, hing quasi an einer 'Leine'. "Autsch!" Schniefte er. Um leise zu lachen. "Oh Grausamer, wie liebst du es, mich zu quälen! Versagst mir nun deine Gunst, die gestern Nacht ganz allein mir galt!" Keita hätte BEINAHE losgelassen, um lautstark zu einer Gegenrede auszuholen. Gerade noch rechtzeitig erkannte er die Fallgrube. Deshalb zerrte er wie ein tollwütiger Köter an dem geschnappten Zopf. Leider war der Triumph nur von kurzer Dauer. Momoharu nutzte die erzwungene Nähe, um Küsse auf Keitas Wange zu hauchen, an dessen Ohrläppchen zu knabbern, über die angespannten Sehnen des Kiefers zu lecken. Es brodelte innerlich in Keita. Bald tat ihm alles weh vor Anspannung. Außerdem bekam er schlecht Luft, verwünscht noch eins! Ächzend und empört gab er den Zopf schließlich frei, rang nach Luft. Momoharu kauerte über ihm, mit dem belustigten Ausdruck eines Spitzbuben. Keita blickte im Licht der noch schwächlichen Morgensonne, die durch die Vorhänge blinzelte, in die hellbraunen Augen. Plötzlich war ihm gar nicht mehr nach streiten zumute. Eher flau bis elend. Nach dieser Balgerei, was sollte da werden? Hatte er nicht angenommen, dass man zivilisiert auseinanderging, höflich Allgemeinplätze austauschte, nachdem Momoharu sich angemessen entschuldigt hatte? Ihm wurde bewusst, dass er unweigerlich davor stand, einen Freund, denn zu dem war ihm, ganz gegen seinen Willen, der verrückte Nachbar geworden, zu verlieren. "Wenn es nur ein Spiel war, lass mich jetzt bitte einfach gehen." Wisperte er leise, bedrückt. Beinahe erwartete er, dass Momoharu erneut herumtrompeten würde. Vielleicht in Richtung »dich gehen lassen? Am Weißen Tag? Mir meine Belohnung für den Valentinstag entgehen lassen? Aber ganz ausgeschlossen, mein Lieber!« Um eine weitere Attacke zu forcieren, das Wortgefecht fortzusetzen. "Je ernster die Lage, desto mehr treiben mich Scherze und Spiegelfechtereien um." Nun klang Momoharus cremige Stimme gedämpft, um Nachsicht werbend. Er löste seine Hände von Keitas Handgelenken, legte sie behutsam um dessen Gesicht. "Ich wusste mir keinen besseren Rat." Zum ersten Mal bemerkte Keita winzige Lachfältchen in Momoharus Augenwinkeln. "Als wie ein Freibeuter zu agieren. Hättest du mich wirklich nach all diesen Jahren Abstinenz gewähren lassen, jeden Selbstschutz zurückgestellt?" Keita starrte hoch in dieses selten studierte Gesicht. Er hatte recht gehabt? Momoharu hatte TATSÄCHLICH alles geplant? Aber warum?! Warum.... »...oh...« Murmelte seine innere Stimme kleinlaut. Gesetzt, Momoharu hätte aus unerfindlichen Gründen eine Schwäche für ihn, wollte ihm näher kommen, hätte er wirklich den Mut gehabt, dies zuzulassen? Sich tollkühn aus seinem sicheren, bequemen Kokon gewagt, Stolz, Angst vor Enttäuschung und Demütigung, über Jahre verstärkte Selbsterhaltung beiseite geschoben? Er seufzte tief, den Blick gesenkt. »Nein.« Nein, diesen Mut hätte er nicht aufgebracht. Die Chancen standen viel zu schlecht für die vage Möglichkeit, er könne unter günstigen Umständen vielleicht etwas Positives empfinden. Unerwartete Wärme streichelte ihn, als sich Momoharu zu ihm herunterbeugte, an seinem geneigten Ohr raunte. "Könntest du dich eventuell überwinden, mich doch ein wenig lieb zu gewinnen, Keita?" "Reichlich unverschämt." Schnaubte Keita zurück, packte mit beiden Händen so viele Rasta-Zöpfe, wie er umfassen konnte. "Ich weiß überhaupt nicht, warum ich dich leiden können sollte!" Immerhin hatte der Bursche ihm mehr als einen Streich gespielt! Ihn sogar unter Liebesdrogen gesetzt und alle seine bedeutenden Ersten Male gestohlen! »Wenigstens macht er sich was aus dir.« Kommentierte bärbeißig seine innere Stimme die zahlreichen Aktionen. »Tröstlich.« Schnaubte Keita stumm zurück. "Ich weiß gar nicht, wer du wirklich bist!" Beklagte er sich laut. "Wer steckt wirklich unter diesem Mopp?" Ergänzte er bekräftigend. "Was denkst du wirklich? Bei all den Spiegelfechtereien und Nebelkerzen verliert man völlig die Orientierung." Momoharu zögerte. Zum ersten Mal registrierte Keita Unsicherheit in dem attraktiven Gesicht. "Du könntest mich kennenlernen?" Schlug Momoharu schließlich betont schelmisch vor. Da sein Mienenspiel ohne den sicheren Schutz der dicken Zöpfe frei vor Keita lag, ließ der sich nicht länger täuschen. "Wen genau?!" Hakte er finster mit zusammen gezogenen Augenbrauen nach. "Koba Peaches? Den Phrasen dreschenden Aufschneider? Den verkleideten Wischmopp-Otaku? Oder wen sonst?" Energisch zerrte er an den Rasta-Zöpfen in seinem Klammergriff. "Welche deiner gespaltenen Persönlichkeiten hat diesen ganzen Murks hier ausgeheckt?! Stell mich vor, damit ich meine Honneurs machen und Good-bye sagen kann!" Da Momoharu sich nicht entziehen konnte, ohne die gewaltige Mähne samt seiner Kopfhaut in Gefahr zu bringen, neigte er sich tiefer über Keita, der seinen frostigen Gesichtsausdruck beibehielt. Er hatte nicht beinahe vier Dekaden gelebt, ohne einschätzen zu können, wo ein Sprung in der Selbstdarstellung auftrat. »Außerdem muss es ja einen Grund dafür geben, dass der Bursche hier ledig herumläuft! Obwohl er ständig auf der Piste ist!« Nickte ihm ausnahmsweise einmal beifällig seine innere Stimme zu. Momoharu holte tief Luft. Plötzlich verlor sich die schmelzende Geschmeidigkeit seiner Stimme, ließ sie rau und ungeschliffen klingen. "Also, Koba Peaches. Ich bin in diese Rolle geschlüpft, sonst..." "Ach je!" Stöhnte Keita absichtlich boshaft und verächtlich auf. "Cosplay-Otaku? Rollenspiel-Freak?! Da tun sich wahre Abgründe auf!" Momoharu presste die Lippen zusammen, starrte vor sich auf Keitas Brustkorb. Der wartete, mit wachsender Ungeduld, auf eine weitere Einlassung zum Thema. Es kam allerdings nichts. Energisch verdrehte er deshalb die Zopfstränge in seinem Griff. "Was jetzt?! Willst du beleidigt und verstockt in der Schmollecke bleiben? Den großen Schweiger mimen?" Über ihm rührte sich kein Muskel. "Fein! Auch gut!" Keita gab die Zöpfe frei, stieß Momoharu heftig vor die Brust, um sich unter ihm aufzurappeln. "DAS war's jetzt. Du kannst von Glück sagen, dass ich diese Sache nicht zur Anzeige bringe!" Bevor er jedoch den Fuß auf den Boden setzen konnte, hatte Momoharu ihn von hinten umklammert, mit einer Rolle um die eigene Achse wieder auf die Matratze befördert. "Nicht gehen!" Stieß er dabei abgehackt hervor, wieder unter dem Wust der dicken Rasta-Zöpfe verborgen. "Nicht gehen, bitte!" Von geschliffener Eloquenz und mokierendem Esprit war nichts mehr zu spüren. »Der verarscht dich bloß wieder!« Warnte Keita übellaunig sein Misstrauen. »Spielt große Komödie hier! Fall nicht drauf rein!« Keita bemerkte die verkrampften Hände, die angespannte Haltung, auch wenn er Momoharus Mienenspiel nicht sehen konnte. Im Übrigen atmete jener heftig, als habe er einen Marathon ausgetragen. Das wertete Keita als weiteres Anzeichen für einen inneren Kampf. Den Kopf gesenkt, versteckt vor inquisitorischen Blicken, murmelte Momoharu kaum vernehmlich und stockend. "...hätte... hätte das nicht... gekonnt. Nur Koba Peaches... schüchtern... bitte... geh nicht." "Ich rede erst wieder mit dir, wenn ich dir auch ins Gesicht sehen kann." Verkündete Keita kategorisch, auch wenn er nun eine Bestätigung für seine Vermutung erhalten hatte. "Also?!" Widerwillig löste Momoharu seine umklammernden Arme, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch den Mopp, um die Zöpfe aus seinem Gesicht zu halten. Unsicherheit flackerte in den hellbraunen Augen, der Blick war unstet und nervös. Demonstrativ verschränkte Keita die Arme unter dem Hinterkopf, studierte das blasse Gesicht über sich. Momoharu leckte sich immer wieder über die Lippen, blinzelte, rutschte unruhig auf Keitas Oberschenkeln herum. "Wovor hast du Angst gehabt?" Brach Keita schließlich mitfühlend die Tortur ab. "Was hätte ICH dir schon tun können, hm?" Es verhielt sich ja nicht so, dass er 'Koba Peaches' nicht mochte. Bloß gelegentlich ging ihm dieser Alter Ego von Momoharu gehörig auf die Nerven! Ein banges Lächeln flackerte über Momoharus angespanntes Gesicht. "Ablehnung." Formulierte er endlich rau. "Koba Peaches ist beliebt, aber ich..." "Koba Peaches kann dahin gehen, wo der Pfeffer wächst! Sprüche klopfen und heiße Luft von mir geben kann ich selbst zur Genüge!" Knurrte Keita ärgerlich. Momoharu seufzte niedergeschlagen. "Ohne Koba Peaches bin ich langweilig, ein Stubenhocker, ein Rollenspiel-Freak-Otaku. Ich kann nicht flirten oder richtige Freunde finden." Hier hätte man eine sarkastische Gegenrede halten können. All diese Talente musste 'Koba Peaches' ja verliehen bekommen! Wer anderes als sein Schöpfer Momoharu Kobayashi hätte das tun können?! Keita verzichtete auf den unweigerlichen verbalen Schlagabtausch. Nach seiner ehrlichen Auffassung kreierte jeder Mensch bestimmte 'Versionen' von sich selbst, um in der Gesellschaft und in unterschiedlichen Situationen existieren zu können. 'Koba Peaches' war offenkundig die Rolle, die Momoharu im Beruf brauchte. Möglicherweise existierte 'Momo-chan" nur ganz allein in der Otaku-Höhle? Keita klatschte laut in die Hände, was Momoharu zusammenzucken ließ. "Gehen wir mal logisch vor. Wie hat das Ganze angefangen? Warum ausgerechnet ich?" "Hmmmm." Murmelte Momoharu, vergaß die Vereinbarung, ließ die Hände sinken, sodass er wieder aus Keitas Gesichtsfeld verschwand. "Halt!" Funkte der sofort dazwischen, drehte sich, um die Vorhänge energisch zu teilen, verließ das Bett, sah sich suchend nach Befestigungsmaterial um. Momoharu folgte ihm eilig, offenkundig besorgt, Keita könne entgegen ihrer Vereinbarung einfach verschwinden. Der jedoch hatte inzwischen seine Hose erspäht, zog ohne viel Federlesen den Gürtel aus den Schlaufen. Mit einer herrischen Geste winkte er Momoharu heran, der artig Folge leistete. »Ha! Ich kann nämlich auch den Macker markieren!« Frohlockte seine boshafte Seite. Um sofort von seinem Gewissen kaltgestellt zu werden. »Blas dich nicht so auf! Das ist doch bloß Tarnung!« Keita ignorierte den 'internen' Disput geflissentlich, tüdelte mit Hilfe des Gürtels Momoharus dicke Rasta-Zöpfe an dessen Hinterkopf zusammen. "Besser." Stellte er nach einer eingehenden Inspektion fest, schoss sich dann unbarmherzig auf Momoharu ein. "Also, wo waren wir? Genau! Warum ich?" Sein Gegenüber, nunmehr gänzlich entblößt, zog die Schultern schützend hoch, murmelte verlegen. "Der Kaktus. Du hattest einen Kaktus im Arm." Auf Keitas Stirn zeichneten sich Dackelfalten ab. "Kaktus im Arm?" Echote er verwirrt. Sein Gesicht hellte sich auf. "Ach so! Stimmt, in dem großen Übertopf! Der sollte schon weggeworfen werden, weil er so eine verdrehte Form hatte!" Was Keitas Herz natürlich nicht zulassen konnte. Süßigkeiten, Bücher, Schuhe, Sportgeräte, Computerspiele, das berührte Keita nicht sonderlich. Er hatte definitiv eine Schwäche für 'Grünzeug'. Wenn er Kakteen, Sukkulenten, kleine Büsche oder verwachsene Mini-Bäumchen sah, die nicht den strengen ästhetischen Ansprüchen genügten, entsorgt zu werden drohten, übermannte ihn der Zwang, sie zu 'adoptieren'. Nicht umsonst drängten sich unzählige Kübel, Kästen und Mini-Beete auf der ausgedehnten Fensterfront. "Da~da war ich gerade eingezogen." Momoharu nahm schüchtern seine Erklärung wieder auf. "Und ich hatte...das Bild... also, wie du den Kaktus so im Arm hattest..." Keita rieb sich verlegen den Nacken. Er hatte keine Vorstellung, wie GENAU er damals ausgesehen hatte. Es stand zu vermuten, dass er selig und definitiv abgelenkt vor sich hin gegrinst hatte. 'Grünzeug' waren Freunde, und er freute sich immer über Zuwachs. "Ahumm." Hüstelte er verlegen. Inzwischen hatte sich Momoharu wieder ein wenig gefangen. Es sah ja momentan nicht danach aus, als würde Keita ihn anfahren oder einfach gelangweilt stehen lassen. "Ich musste dauernd daran denken, während ich alles eingerichtet habe. Da wollte ich mehr 'rausfinden." Er zuckte um Nachsicht bittend mit den Schultern. Eine definitiv 'westliche' Gestik. "Habe ein bisschen geforscht." "Sag mal." Keita konnte seine Neugierde nicht bezähmen. "Du warst schon mal im Ausland, oder?" Momoharu warf ihm einen überraschten Blick aus den hellbraunen Augen zu. "Stimmt?" "Frankreich." Tippte Keita herausfordernd. Immerhin schien der überwiegende Teil der importierten Leckereien, die Momoharu mundeten, von dort zu stammen. "An der Sorbonne." Momoharu bestätigte seine Eingebung verunsichert. "Sieh mal an." Keita beäugte ihn eingehend. "WER warst du da?" Einen leisen Seufzer später murmelte Momoharu. "Erst ein Angsthase, dann Lupin III." Ein wenig trotzig ergänzte er. "Es war ja niemand da, der Anstoß daran nehmen konnte! Ich hatte es so satt, ein typischer Japaner zu sein!" Im Stillen fragte sich Keita angesichts dieses 'Ausbruchs', ob nicht ein strenges Elternhaus die Ursache dafür war, dass Momoharu sich in Notwehr in fremde 'Rollen' geflüchtet hatte, um nicht am Korsett der hohen Erwartungen zu ersticken. Einfach konnte es bestimmt nicht sein, zu DEN Kobayashis zu gehören! "Na schön, wenn Koba Peaches das alles ausgeheckt hat..." Keita nahm den Faden wieder auf. "Hat er mich auch gestern Nacht..." Er suchte nach dem richtigen Wort, entschied sich final für. "...beglückt?" Er konnte bloß hoffen, dass Momoharu nicht auch noch in die Rolle eines berühmten Porno-Darstellers geschlüpft war! Auch wenn er sich eingestehen musste, dass er sich auf diesem Gebiet überhaupt nicht auskannte. Momoharu ließ die Schultern sinken, atmete tief durch, erklärte rau, ohne Zögern. "Das war ich." Er wedelte mit der Hand, ebenfalls keine typisch japanische Geste. "Sich dabei in eine Rolle versetzen zu wollen, funktioniert nicht." "Also hat Koba Peaches mich ins Bett befördert und dann warst du drin?" Fasste Keita gespielt finster zusammen. "Beinahe ein flotter Dreier, tsk tsk!" Zum ersten Mal seit Beginn ihrer ernsthaften Unterhaltung huschte ein freches Grinsen über Momoharus Züge. Keita verbuchte es als positives Zeichen, setzte seinen 'Erkundungskurs' fort. "Fassen wir zusammen: du bist wegen eines merkwürdigen Eindrucks von mir in deine Koba Peaches-Rolle verfallen, hast mich mit Aufmerksamkeiten geködert und durch verbotenes Doping gestern Nacht erlegt. Aber warum, zum Teufel?!" Momoharu blinzelte verwirrt. Hatte Keita denn seine Erklärung nicht begriffen? Der führte seine wenig schmeichelhafte Zusammenfassung der Situation mit einer ernsthaften Ergänzung der Frage nach der Sinnhaftigkeit fort. "Sieh mal, ich verstehe nicht, warum du, einer DER Kobayashis, wie mich unsere verehrte Frau Segawa in Kenntnis gesetzt hat, mit einem alten und lädierten Junggesellen einlässt! Du hast doch bestimmt zig hübsche Fans, kannst jede Menge Bekanntschaften bei deinen Recherchen machen!" Hatte Keita vorhin zum ersten Mal winzige Lachfältchen in Momoharus Augenwinkeln bemerkt, so erblickte er jetzt einen Gesichtsausdruck, der glaubhaft machte, dass sie beinahe gleichaltrig waren. Momoharus Gesichtszüge versteinerten in eine Maske erschöpfter Resignation. Schüchtern streckte er die Rechte aus. "Dafür sollten wir uns setzen." Es war noch frisch, sie standen schon eine Weile im Adamskostüm herum. Keita griff ohne zu zögern zu, ließ sich wieder zum Bett, der LIEBESinsel!, führen, schlüpfte zwischen den Vorhängen hindurch, wurde fürsorglich in eine leichte Decke gewickelt. Wie ein Spiegelbild kauerte sich Momoharu ihm gegenüber, ebenfalls eingemummelt. Der Blick der hellbraunen Augen heftete sich konzentriert und geistesabwesend zugleich auf die eingehüllten, im Schneidersitz gekreuzten Beine. "Ich... nein, Koba Peaches!" Berichtigte er müde. "Der hat tatsächlich jede Menge Anhängerinnen. Als 'Kobayashi' ist man auch gewissermaßen Objekt von Aufmerksamkeiten." Momoharus Stimme, leise, ohne jeden schelmischen Tonfall, der 'Koba Peaches' auszeichnete, wirkte erschöpft und gezwungen distanziert. "Wenn ich arbeite, werde ich selbstverständlich aus vielen verschiedenen Motiven angesprochen. Das gehört ja dazu." Er hob den Blick, lächelte mit einem bitteren Zug in den Mundwinkeln. "Es dürfte allerdings keine Überraschung für dich sein, dass ich Frauen auf erotischem Gebiet nicht animierend finde." Er seufzte tief, holte so ausdauernd Luft, dass Keita schon fürchtete, Momoharu werde sich wie ein Heliumballon aufblasen, vom Bett abheben. "Ich nehme an, dass deine Eltern dich davon entschuldigt haben, eine eigene Familie zu gründen." In den hellbraunen Augen funkelte es. Eine kleine Geste begleitete die Worte, um ihnen den giftigen Stachel zu nehmen. "Das gilt allerdings nicht für DIE Kobayashis." Momoharu schnaubte. Keita bemerkte, wie sich dessen gesamte Haltung veränderte, nicht die geschmeidige Gelenkigkeit von Koba Peaches, nicht die verkrampfte und ängstliche Anspannung des jüngst abgewiesenen 'Giftmischers'. "Ich HABE mich in jeder Szene herumgetrieben, bin wie ein Pachinko-Ball unermüdlich hier und da hin geflitzt, umgeben von allen möglichen Frauen!" Sprudelte es selbstverächtlich aus Momoharu heraus. "EINZIG UND ALLEIN, damit mich meine Familie in Ruhe lässt!" Enragiert holte er mit raumgreifenden, erneut sehr westlich anmutenden Gesten aus. "Koba Peaches ist die ganze Zeit mein Schutzschild gewesen! Ich bin extra ins Ausland zum Studium geflohen, um diesem ganzen Druck zu entkommen!" Keita betrachtete ihn mitfühlend. Wie auf einen unsichtbaren Nadelstich hin zerstob der mit Wut und Verbitterung aufgeheizte Ballon, ließ Momoharu wieder in sich zusammensacken, ausgepumpt und demoralisiert. Sein Blick heftete sich erneut auf die Matratze. "Aber ich bin müde. Ich bin es leid, dauernd Koba Peaches zu sein. Ich konnte das einfach nicht mehr." Momoharu seufzte, die Finger umschlangen einander nervös. "Also habe ich meine Zelte abgebrochen, bin hierher gezogen." Er lächelte traurig ins Leere. "In meine Otaku-Höhle. Vielleicht ist ja doch noch IRGENDETWAS in mir, das ICH ist und keine Kopie." Keita ließ einen langen Moment verstreichen, bevor er ruhig, unnachgiebig fragte. "Und deine Familie?" Vor ihm krümmte sich Momoharu noch kleiner zusammen. "Na ja, es ist noch nicht so viel Zeit vergangen. Deshalb lassen sie mich noch in Ruhe. Vorerst." "Du meinst, sie haben noch nicht spitz gekriegt, dass du final NICHT ihren Erwartungen entsprechen willst." Keita sondierte unerbittlich. Ein nervöser Blick traf ihn. Momoharu knetete unermüdlich seine Finger, leckte sich die trockenen Lippen. "Ich glaube, dass ich es gar nicht kann, selbst wenn ich wollte." "Wieso? Eine sehr verständnisvolle Ehefrau findet sich bestimmt. Dazu ein wenig künstliche Befruchtung. Alle sind glücklich." Keita stocherte weiter in der Wunde, absichtlich und gnadenlos. Momoharus Kopf schnellte hoch. Ein wütender Blick nahm Keita in den Fokus, bevor Momoharu zornig feststellte. "Du begreifst das wohl nicht?! Ich steh NICHT auf Frauen! Ich WILL nicht lebenslang eine Scharade aufführen!" "Ah, nein?" Schnurrte Keita unbeeindruckt. "Was denn dann?! Alte Kerle aus der Nachbarschaft begatten?!" "SO ALT bist du nun auch wieder nicht!" Fauchte Momoharu zurück, warf die Decke von den Schultern, baute sich kniend vor Keita auf. "Außerdem wird es dich interessieren zu erfahren, dass ich nicht in der Gegend herumvögle, klar?!" Zuckersüß lächelnd flötete Keita, folgte seinem Plan. "Oh, du hast sooooo recht, das interessiert mich wirklich! Man möchte ja wissen, woran man ist, so rangtechnisch." Momoharu starrte ihn entgeistert ob dieser Reaktion an. Die Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen. "Entschuldige, dass ich bis zu unserer 'schicksalhaften Begegnung' nicht wie ein Mönch gelebt habe!" Zischte er kochend vor Wut. "Ausschwitzen lässt es sich leider nicht!" "Nett von dir!" Keita kopierte täuschend echt eine Gewitterziege. "Mich an meine körperliche Indisposition zu erinnern. Ich habe mich wohl nicht dankbar genug gezeigt, nicht wahr?!" "Ich will keine Dankbarkeit!" Explodierte Momoharu mit einem Schrei, packte Keita bei den Schultern, schleuderte ihn heftig auf die Matratze. "Kapierst du nicht, dass ich in dich verliebt bin?!" "Das beweist du mir, indem du mich von Anfang an belügst und betrügst, um mich dann mal eben zu vernaschen?!" Keita giftete gekonnt weiter. "Das war doch bloß, um dich kennenzulernen!!" Momoharu sprühte winzige Speicheltropfen vor Empörung. Seine Stimme raute auf, je lauter er schrie. "Was soll ich denn machen, damit du begreifst, wie sehr ich dich mag?! Denkst du, es ist so einfach, das 'erste Mal' mit einem Mann durchzuziehen, ohne dass er dich danach total verabscheut, oder es nie wieder erlauben wird, hä?!" "Zumindest hättest du vorher höflich fragen können." Setzte Keita süffisant-überheblich den letzten Coup de force an. "Skrupel plagen dich ja offenkundig selten." "Stimmt nicht!" Momoharu brüllte ihm ins Gesicht, die Wangen rotfleckig , während seine Fingerkuppen sich schmerzhaft in Keitas Schultern gruben. "Ich HABE alles genau überdacht! Manchmal MUSS man eben was WAGEN! Sag jetzt nicht, dass es dir nicht auch gefallen hat!" Er schniefte vor Agitation. Keita bleckte die Zähne auf. "Ich erlaube dir nicht, mir den Mund zu verbieten!" Zischelte er betont frostig. "Wenn du unbedingt auf meine Einschätzung bestehst..." Momoharu schnellte mit der Rechten vor, bedeckte Keitas Lippen. "Nicht." Wisperte er rau wie grobes Schleifpapier, keuchte aufgeputscht. "Es reicht! HÖR AUF, mit mir zu SPIELEN!" Sein gesamter Körper bebte, die hellbraunen Augen glühten, eine Korona elektrischer Spannung schien ihn zu umgeben. Keita lächelte selbstgewiss. Langsam schob er Momoharus Handfläche von seinen Lippen, betonte jede Silbe. "Hallo, Momo-chan. Endlich lerne ich DICH kennen." ~~~~<3 Nach einem langen Augenblick der Verwirrung sackte Momoharu auf seine Fersen, klappte den offenen Kiefer zu, mit dem er seiner Verblüffung Ausdruck verliehen hatte. Aufgeräumt setzte Keita sich auf. "Wenn du JETZT schon erschöpft bist, wie willst du gegen DIE Kobayashis bestehen, wenn sie herausfinden, dass du einen impotenten alten Kerl wie mich zum Zweck intimen Austausches triffst?" Momoharu antwortete nicht. Sein Blick schien Keita glasig. Behutsam legte er eine Hand auf die gerötete Wange. "Momo-chan? Hast du keinen Plan, hm? Keine Strategie wie bei mir?" Der schüttelte, wieder eine exotische Geste!, den Kopf, lächelte fahl, einem hysterischen Ausbruch nahe. "Ich habe noch nie jemanden SO geliebt." Um ein wenig die Brisanz der emotionalen Aufladung zu mildern, kommentierte Keita scherzend. "Da bin ich dir wohl im falschen Moment über den Weg gelaufen, wie?" "Nein." Momoharu schüttelte heftig, bekräftigend den Kopf. "Nein! NEIN." Mit diesem letzten, vehementen Wort richtete er sich auf, schlang die Arme um Keitas Nacken, presste sich in einer engen Umarmung an ihn. Beinahe eine Kraftprobe, angespannte Muskeln, Knochen gegen Knochen, ein heftiges Klammern. Keita empfand es nicht als unangenehm oder belästigend. Vielmehr war es ein Gradmesser zur Bestimmung, wie nahe er Momoharu an die letzte Grenze getrieben hatte. Durch die eigene körperliche Unzulänglichkeit mit einem Außenseiterstatus beliehen konnte Keita, wie ihm sehr bewusst war, in gewisser Hinsicht mit erstaunlicher Narrenfreiheit seinen eigenen Vorstellungen folgen. Momoharu, der als Koba Peaches so 'NORMAL' wie jeder andere Mann war, stand am Abgrund, konnte nur noch zwischen zerstörerischer Anpassung und totalem Bruch mit der Gesellschaft wählen. Allein der Umstand, dass er sich hinter 'Rollen' zu verbergen trachtete, deutete nach Keitas Verständnis daraufhin, wie sehr sich der 'Tentakel-Mann' um Anpassung, um Adaption bemüht hatte. Der Teil, der 'Momo-chan' war, hatte sich zu seiner Erleichterung durch die Provokationen herauslocken lassen, sich verzweifelt für seine eigene Wahrnehmung eingesetzt. Fragte sich nun bloß, ob Momo-chan bereit war, sich den Unbillen zu stellen, die es mit sich brachte, 'einfach nur man selbst zu sein'. Er löste eine Hand, um über die mühsam gebändigten Rasta-Zöpfe zu streicheln, immer wieder, mit beruhigender Regelmäßigkeit. "Ich schneide sie ab, wenn du willst." Bot ihm Momoharu leise an. "Warum solltest du so etwas tun?" Tadelnd schnalzte Keita mit der Zunge. "Deine Haare sind deine Haare!" Momoharu blieb störrisch. "Sie sind nicht so wichtig wie du! Wenn sich dich stören, schneide ich sie ab!" Keita schmunzelte. "Sie stören mich nur, wenn du dich hinter ihnen versteckst und mich anzuführen versuchst." "Ich wollte das nicht." Beteuerte Momoharu, drückte sich weit genug aus ihrer Umarmung, damit er Keita in die Augen sehen konnte. "Es ist wie ein konditionierter Reflex! Kaum bin ich nervös, springt Koba Peaches ein!" Das klang durchaus frustriert. "Gut." Keita zwinkerte frech. "Ich muss wohl darauf achten, dich nicht nervös zu machen, wie?" Momoharu grinste schief, studierte Keitas Gesicht eingehend. "Könntest du..." Er räusperte sich verlegen. "Könntest du an mich glauben, Keita? Dass ich es schaffe, ich zu sein? So wie du?" "Damit du in Zukunft auch mit einer Kaktee im Arm spazieren gehen kannst?" Neckte Keita ihn sanft. "Eigentlich möchte ich lieber mit dir im Arm spazieren gehen." Momoharu straffte sich merklich. Ohne es unterdrücken zu können färbten sich Keitas Wangen sichtbar rosig. "Ausnahmsweise!" Schnaubte er nach einigen Sekunden der Verlegenheit. "Ich werde darauf vertrauen, dass du es schaffst. Schließlich weiß ich ja nicht, wer nach dir die Wohnung bezieht. ICH war zuerst hier!" Ergänzte er hoheitsvoll. Das brach den Bann der Anspannung. Momoharu lachte auf. "Wusste ich, dass DAS irgendwann aufs Tapet kommt!" Grinste er, löste eine Hand, um Keita über die noch sanft glühende Wange zu streicheln. Der fühlte zwar eine gewisse Schüchternheit aufkeimen, hielt dem eindringlichen Blick der hellbraunen Augen dennoch stand. "Gibst du mir eine zweite Chance?" Momoharu weckte ihn aus seiner Versunkenheit. Gerade hatte er die winzigen Einschlüsse in Momoharus Iris entdeckt, konnte sich kaum von ihrer geometrischen Perfektion lösen. "Was bekomme ich dafür?" Eilig kokettierte er, um zu verbergen, dass hier Scheingefechte betrieben wurden. "Einen dicken Schmatzer!" Momoharu grinste breit, der Schmuckstein glitzerte. "Urks!" Kommentierte Keita mit angewiderter Miene. "Das erinnert mich an Tante Mieko! Ihr Gebiss saß nie richtig." Er schauderte. "Der Horror meiner Kindheit!" Momoharu biss sich auf die Lippen, um ein Lachen in ein mitfühlendes Schnorksen zu verwandeln. "Wäre denn ein Kuss genehm?" "Vorm Zähneputzen?" Keita gab sich kritisch, schnappte Momoharus Hände, beäugte sie, als habe er sie nie zuvor gesehen. "Besteht nicht auch die Möglichkeit, diese Greifer hier sinnstiftend einzusetzen? Eine Massage würde mir jetzt wirklich zusagen." "Fein." Momoharu schmunzelte über die altmodische Taktik. "Was darf ich dir massieren?" Keita löste sich, rollte sich bäuchlings der Länge nach aus, deutete mit der Rechten auf sein verlängertes Rückgrat. "Da könntest du anfangen." Er kreuzte die Arme unter dem Kinn, senkte die Lider in Erwartung der Hochgenüsse. Momoharu ließ sich die Aufgabe nicht zweimal antragen, sondern kniete über Keitas Oberschenkeln, knetete und bestrich dessen Wirbelsäule. Er zupfte hier, klopfte da, rollte mit den Fingerknöcheln auf und nieder. "Habe ich dir sehr weh getan?" Erkundigte er sich leise. Keita, der immer wieder vor Behagen brummte und entspannt seufzte, entschied nach zahlreichen Sekunden, die Wahrheit preiszugeben. "Es war schon sehr ungewohnt. Ich habe allerdings nicht erwartet, dass es sich so überwältigend anfühlen würde, als du den richtigen Punkt getroffen hast." "Dann~dann hat es dir doch gefallen?!" Momoharu war derart erleichtert, dass er vornüber kippte, das Gesicht auf Keitas Nackenpartie legte. Der grinste diabolisch, schnurrte. "Hoffentlich findest du beim nächsten Mal den Punkt auch wieder!" Momoharus angewinkelte Arme schmiegten sich an Keitas Rippen. "Warum finden wir es nicht gleich raus?" "Hmmm?" Gab Keita sich schläfrig. "He, sag mal, hast du ne Kanone mit ins Bett genommen?" Neben seinem Ohr, beinahe auf ihm liegend, lachte Momoharu leise. "Magst du sie mal anfassen?" Er küsste ihn aufs Ohrläppchen. Keitas Grinsen konnte er nicht sehen, da es allein der Matratze zugewandt war. ~~~~<3 Auf zwei Klappstühlen an einem ebensolchen Tisch saßen sie geraume Zeit später, in zwei grellbunte Yukata gehüllt. Momoharus Rasta-Zöpfe waren am Oberkopf zu einem gewaltigen Strunk zusammengebunden, sodass sie von der Schwerkraft angezogen wie Pflanzenranken nach allen Seiten herunterhingen. In Keitas Haar glitzerten noch vereinzelt winzige Tropfen, die von der gemeinsamen, sehr engen Dusche kündeten. Auf der Tischplatte vor ihnen stapelten, drängten und türmten sich allerlei Köstlichkeiten zwecks Verzehr zum späten Frühstück. "Das war beinahe Folter!" Beklagte sich Momoharu gerade, löffelte Zucker in seine bauchige Tasse. Keita, der durchaus einsah, dass er ein wenig zu begeistert von der Erektion seines Liebhabers gewesen war, antwortete konziliant. "Entschuldige. Denk auch bitte daran, dass du mir erlaubt hast, deine 'Kanone' anzufassen." "Wenn du daran denkst, dass ich SEHR und UNZERTRENNLICH an der Kanone hänge!" Gab Momoharu mit jammervoller Miene zurück. Ihm gegenüber erhob Keita sich leicht, küsste ihn zärtlich auf die Lippen. "Ich werde es zukünftig berücksichtigen." Verkündete er feierlich. Momoharu grinste schief. In den hellbraunen Augen funkelte es agitiert. Tatsächlich konnte er kaum glauben, wie FASZINIERT Keita sich mit diesem Körperteil befasst hatte. Was sich schon darin begründete, dass Keita seit Jahrzehnten an dieser Stelle keine prallen Muskelstränge erlebt hatte. Geschweige denn die außerordentlich animierende Klaviatur, die man mit Berührungen auslösen konnte! Ihm selbst sagte es momentan am meisten zu, dass Keita keine Einwände hegte, nach dem Verschnaufen noch zu schmusen und, anders konnte man es einfach nicht treffend beschreiben, wie zum ersten Mal verliebte Teenager zu knutschen. Keita gefiel ihm so sehr, noch viel stärker als am Tag zuvor und wiederum dem davor, dass er gelegentlich heftig schlucken musste, um nicht vor Emotionen überzufließen. Oder es dem kleinen imaginären Männchen nachzutun, das in seinem Inneren auf und nieder hopste, dazu triumphierend grölte »er ist es! Er ist es!« Gerade, als er erneut den Drang unterdrückte, laut zu jubilieren ob seines Glückes, bemerkte Keita lächelnd. "Ich bin wirklich auf die Zukunft gespannt." Zwei mittelalte notorische Junggesellen mit all ihren Macken und Spleens rauften sich zu einem Pärchen zusammen? Na, das würde schon abwechslungsreich werden! Momoharu schlug sich plötzlich vor die Stirn, sprang auf. "Verflixt, die Marmelade!" Keita lupfte eine Augenbraue, verfolgte gelassen, wie Momoharu hektisch herumkramte, bis er triumphierend einen kleinen Tiegel schwenkte. Stolz, als trage er die Reichsinsignien, übergab er das Beutestück Keita, der nach einem fragenden Blick auf Momoharus strahlendes Gesicht kritisch die Aufschrift inspizierte. "Brombeermarmelade?" Rezitierte er laut, durchaus überrascht. Seine Stirn legte sich in bedenkliche Dackelfalten. "Sekunde mal, woher weißt du, dass ich die am Liebsten esse?!" Momoharu grinste breit, mümmelte seinen Toast knirschend. Deutlich finster blickend bohrte Keita weiter. "Du hast doch nicht etwa meinen Müll durchwühlt, oder?!" Immerhin hatte der Bursche ja sonst auch eine Menge über Keita herausgefunden, das der eigentlich als nicht weiter bekannt eingestuft hatte. "Nööö!" Trompetete Momoharu ausgelassen. "Ehrenwort!" "Wirklich?" Keita witterte eine Fußangel. Momoharu grinste ihm arg verdächtig. "Jupp!" Versicherte der erneut im Brustton der Überzeugung, wirkte einmal mehr wie ein Zehnjähriger. "So, so." Brummte Keita, öffnete den Schraubverschluss, tupfte die kostbare Marmelade auf seinen Toast. "Na schön." Bevor er einen ersten Bissen wagen konnte, irritierte ihn Momoharus Feixen so sehr, dass er sicherheitshalber den Toast wieder ablegte. "Hast du da etwa noch mehr Liebes-Dopingmittel reingemischt?!" "Aber NEIN!" Protestierte Momoharu prompt. "Tadelloser Zustand! Übrigens, du hast damals wirklich MEINE Schokolade gegessen." Ergänzte er pointiert. Was für Momoharu durchaus von Bedeutung war. Immerhin tafelten sie am Weißen Tag! "Natürlich war es deine Schokolade." Keita stockte, als er begriff, was Momoharu ihm deutlich machen wollte. "Wie denn, DU hast die Schokolade gekauft?! Für MICH?!" Momoharu nickte stolz, bevor er bescheiden zugab. "Allerdings bin ich als Koba Peaches einkaufen gegangen. Es war doch etwas..." Er kraulte verlegen seinen Rasta-Zöpfe-Strunk. "...peinlich." "...wow...!" Murmelte Keita beeindruckt. "Ziemlich tapfer, hm?" Angelte Momoharu nach Komplimenten. Versöhnlich gestimmt nickte Keita, bekräftigte. "Sehr! Ungeheuer mutig!" Endlich nahm er das argwöhnisch abgelegte Toastbrot auf, kostete die Marmelade. Himmlisch! Sie verzehrten in ungezwungener Ruhe ihr Frühstück, teilten sich anschließend die Arbeit, wieder alles zu verstauen bzw. abzuspülen. "Du gehst doch noch nicht?!" Erkundigte sich Momoharu erschrocken, als Keita Anzeichen des Aufbruchs erkennen ließ. "Ich würde gern kurz nach nebenan gehen, um mir was Ordentliches anzuziehen." Keita las seine Bekleidung vom Vortag auf. "Außerdem muss ich noch nach meinem 'Grünzeug' sehen." "Kommst du auch gleich wieder?" Momoharu verstellte ihm den Weg, traute seinem neuen Glück nicht ganz. "Immerhin ist Weißer Tag und Sonntag und...!" "Ja, ja, Ehrenwort." Keita lächelte, küsste Momoharu auf die Wange. "Momo-chan, willst du meine Wohnung sehen?" "Ja!" Momoharu strahlte so profund erleichtert, dass Keita sich im Hinterkopf notierte, behutsam zu erforschen, woher die Verlassensängste rühren mochten, die Momoharu ein so kindliches Gebaren eingaben. "Gut." Keita drückte Momoharu seine zusammengefalteten Kleider in die Hand. "Ich trage die Schlüssel und die Verantwortung." Solcherart geneckt streckte Momoharu ihm die Zunge raus, folgte ihm sehr eifrig auf dem Fuße. Keita war sich bewusst, dass seine Wohnung nicht so spektakulär wie die Otaku-Höhle eingerichtet war. Er fand, dass sie auch seinen Charakter treffend widerspiegelte. Momoharu jedenfalls saugte neugierig die neuen Eindrücke auf, wurde anschließend dem 'Grünzeug' vorgestellt. Beiläufig, während man hier zupfte und da mit Wasser tränkte, erkundigte er sich erneut. "Woher wusstest du, was ich gerne esse? Ohne meinen Müll zu durchwühlen?" Neben ihm drehte Momoharu den Kopf, wischte Keita eine entflohene Strähne aus der Stirn, lachte fröhlich. "Ganz einfach: deine Mülltüten sind durchsichtig!" "Wie?! Oh, na warte!" Keita folgte dem entflitzenden Momoharu, der strahlte vor Vergnügen, scheuchte ihn durch seine Wohnung, bis er ihn auf seinem breiten Bett einfing und zu Fall brachte. Atemlos, kichernd und sichtlich erhitzt betrachteten sie einander, wollten sich nicht mehr entwischen lassen. "Lass uns zusammenbleiben." Schlug Momoharu leidlich keuchend vor. "Ja." Keita schnurrte sanft. "Bleiben wir zusammen, Momo-chan." Hoffentlich bliebe ihm im nächsten Jahr die Süßigkeiten-Orgie erspart! ~~~~<3 ENDE ~~~~<3 Danke fürs Lesen! kimera