Titel: Pieta Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Original FSK: ab 16 Kategorie: Drama Erstellt: 16.10.2002 Disclaimer: alles meins! Bishounencastle, Versteckte Sektion: Devil's Own Vorbemerkung: Ist die Welt nicht schwarz und weiß, so ist das Böse oftmals lediglich eine Frage des Standpunkts. Was dem einen opportun hinsichtlich Zweck-Mittel-Relation ist, erschüttert den anderen in seinem Weltverständnis. Dieses eingedenk möge man sich auf eigene Gefahr durch diese Betrachtung bewegen. ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ ~x~ Pieta Es ist spät, wie mir wohl bewusst ist. Unnötig, das Zifferblatt zu konsultieren, was ich mir dennoch nicht versagen kann. Einem Zwang unterlegen, den ich gallenbitter verdränge, während ich aus meinen Mantel schlüpfe, die Schlüssel aus einer Tasche berge. Winzige Pfützen zeichnen meinen Weg auf den Fliesen, Spuren meiner Schuhe, des tropfenden Mantels, der Aktentasche. Ich spüre, wie sich meine Schultern schützend, abwehrend zusammenziehen, Sehnen, Muskeln nach außen drücken, einen Wall aus Fleisch formen. In Gewohnheit streife ich meine Schuhsohlen sorgsam ab, bevor ich den Schlüssel seiner Bestimmung zuführe, mir Zugang verschaffe. Selbstredend brennt die winzige Lampe mit ihrem rotfransigen Schirm in der Diele. Natürlich dringt unterhalb der angelehnten Schlafzimmertür schwacher Lichtschimmer hervor. Er wartet, wie stets. Meine Kehle schnürt sich zu, erstickt mein unterdrücktes Räuspern. Ich wünschte, er würde schlafen. Nein, hätte ich einen Wunsch zur freien Verfügung, würde ich etwas anderes wählen. Aus den feuchten Schuhen gestiegen lasse ich Tasche und Mantel achtlos in der Diele sinken, innerlich verkrümmt, Knoten in den Eingeweiden. Da sich noch immer keine Regung verrät, atme ich tief durch, rufe mir Entspannungstechniken in das Gedächtnis. »Leere deinen Geist. Hoffe.« Ich hoffe, er schläft. Gewappnet mit kühler Abwehr betrete ich unser Schlafzimmer, wo einsam die Nachttischlampe Wache schiebt. Im Halbdunkel oberhalb der Laken zusammengekauert ruht er. Seine seidig schwarzen Haare sind malerisch in schmeichelnden Strähnen um seinen Kopf drapiert, bilden eine Korona um das fein geschnittene Gesicht. Würde er sich aufsetzen, fielen sie wieder in stufigem Format, betonten exquisite Wangenknochen und die aparte Kieferlinie. Zweifellos verfügt er über eine unwirklich schöne Erscheinung, zerbrechlich, von ätherischer Qualität. Als ich das Bett umrunde, den Binder von meinem Hals ziehe, schreckt er auf. Wie gewöhnlich bin ich nicht sicher, ob er sich inszeniert oder aber in der Tat gerade aus einem leichten Schlummer erwacht. Seine Atemzüge verbergen sich hinter den gekreuzten Armen, wenn er in der geliebten Fötalhaltung schläft. Die glasklaren grauen Augen verschlingen mich, seine Züge zeichnen sich mit Panik. Ist sie echt, eine Fälschung? Ich weiß es nicht mehr. Er rollt sich auf die Seite, kommt geschmeidig auf die Knie, kriecht hastig zu mir, die Hände bereits in flehender Geste ausgestreckt. "Es tut mir leid, ich habe dich nicht gehört! Möchtest du, dass ich dir ein Bad einlasse?? Oder..." Meine Hand trifft seine noch vom Schlaf gewärmten Lippen punktgenau, heißt ihn verstummen, während sich die Vehemenz des Schlags in seiner Haut verewigt. "Entschuldige..." Seine Stimme reduziert sich auf ein Wispern, tonlos, kläglich, was er mit einem zaghaften, werbenden Lächeln krönt. In mir kehrt sich alles um. Das Pochen meiner Hand steigert sich zu einem ganzkörperlichen Pulsieren, einem unentwegten Hämmern, das mich zu übermannen droht. Nein. Nein, ich will ihm nicht nachgeben. Nein... nein! "Ich hole dir warme Socken." Eilfertig springt er von der nachfedernden Matratze, von seiner Aufgabe mit einem Strahlen beseelt. Ich fasse sein Handgelenk, schleudere ihn herum, verdrehe die schmalen Glieder, zwinge ihn hinunter, grabe die Finger der freien Hand in die Gummibänder von Jogging- und Unterhose, ziehe Striemen in seine zarte Haut, als ich sie von seinen Hüften zerre. Er schluchzt leise auf. Wieder kann ich nicht sagen, ob er Furcht empfindet, Vorfreude, Bestätigung oder Lust. »Ich will nicht ergründen!« Schwöre ich mir, befreie mich von lästigen Textilien, bevor ich meinen Penis in seinen Leib ramme. Erregung, es ist nicht die Lust an Gewalt, seine Attraktivität oder die Aussicht, einen anderen zu demütigen. Alles, was ich noch will, was mir noch Kraft gibt, ist die Weitergabe meiner Wut und Verzweiflung. Ich will, dass er mich spürt, meinen Schmerz, meinen Trotz. Längst greife ich nicht mehr auf Suspensorien oder Gleitmittel zurück, halte mich nicht mehr zurück, lasse der Bestie, die in mir tobt, in ohnmächtiger Verzweiflung ihr Schicksal beklagt, freien Lauf. Er schreit nicht, atmet gepresst. Ganz gleich, was ich auch tue: ich spiele ihm in die Hand. Dieser Gedanke bringt mich auf, verstärkt die Vehemenz, mit der ich seinen Körper attackiere, ihn stoßweise nach vorne katapultiere, seinen Kopf in den Nacken reiße, die seidig schwarzen Strähnen umklammere. Ich habe keine Namen mehr, die ich ihm geben könnte, kein Gefühl der Zuneigung mehr. Den Hass widme ich mir selbst, zeichne mit den Fingernägeln die blutigen Gitterstäbe auf seiner hellen Haut ein, in die er mich gezwungen hat. ~x~ Als ich ihn traf, schien er mir das reizvollste Wesen, das ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Scheu, freundlich, sanftmütig. Ich umwarb ihn so vorsichtig, als verkörpere er feinstes Chinesisches Porzellan, gewöhnte ihn behutsam an meine Gegenwart, teilte mich mit, erforschte geduldig seine Gedanken, seine Lebenswelt, seine Biographie. Es vergingen ganze drei Monate, bis ich das erste Mal wagte, ihn zu küssen. Ich führte ihn bei meinen Freunden und Bekannten ein, die nicht glauben konnten, dass ich endlich meine "wahre" Liebe gefunden hatte. Nachdem seine eigene Situation sich als schwierig erwies, suchte ich für uns eine eigene gemeinsame Wohnung, die er mit Hingabe einrichtete, was mich rührte. Ja, zu dieser Zeit liebte ich ihn, blind und glückselig. Wie ein unvergleichliches Wunder, das mir unerwartet zuteil wurde. Er schlüpfte schnell in die Rolle des aufopferungsvollen Gefährten, übernahm die Hausarbeiten, ließ mich den Rhythmus unseres Lebens bestimmen. Was mir anfangs angenehm erschien, entpuppte sich rasch als unterschwellige Bedrohung. Ich begann, ihn zu belauern, seinen Liebesbekundungen mit Argwohn zu begegnen. Besaß er keine eigene Meinung, keinen Standpunkt, kein Rückgrat? Wieso zeigte er sich stets nachgiebig? Solcherart herausgefordert fing ich an, Grenzen auszuloten, körperlich wie emotional, kränkte ihn, provozierte ihn, beschuldigte ihn ungerechterweise. Er nahm jede Bürde, so, wie er jetzt auch halb entblößt, weggestoßen auf unserem Bett kauert, die Fäuste vor die Lippen gepresst, um keinen Laut zu erzeugen, der meinen Unmut beschwören könnte. Ich flüchte mich unter die Dusche. Das Wasser prasselt kochend heiß, hüllt mich in tröstliche Schwaden. Ich kann mich nicht hassen, nicht mehr. So wie ich ihn nicht hassen kann. Es ist nicht mehr genug Energie, nicht mehr genug Gefühl existent. Mit jedem Schlag, den ich austeilte und er einsteckte, hieß er mich zu einem widerlichen Ungeheuer mutieren. Einem perversen Monster, das sich an der Qual anderer delektierte, ein Terrorregime ausübte, sich stets zu steigern wusste, was Demütigungen betraf. Das war nicht länger ich, der mir im Spiegel entgegensah. Ich war ein offener, freundlicher, zuversichtlicher Mensch gewesen, bevor er mich in seine Falle gelockt hatte. Mich mit seiner stummen Duldung erpresste. Mir die Luft abschnürte, bis ich um mich schlug. Ich konnte nicht gewinnen. ~x~ Ich trockne meine Haare. Beschwöre meinem fahlen Gesicht, das mehr Linien ziert, als mein Alter kündet, dass ich es beenden, ihn verlassen, meinen verzweifelten Trotz beerdigen werde. Dieses perfide Spiel, das er betreibt, wird mich mehr kosten, als ich auf dem Altar seiner Selbsterfüllung bereits geopfert habe. Meine Selbstachtung, mein Vertrauen, meine Liebesfähigkeit. Wenn ich es nicht beende, werde ich ihn eines Tages umbringen. Nicht, weil ich es will, weil ich es mir wünsche, sondern weil er es forciert. Ich werde wie ein Bettler gehen, mich davonstehlen wie ein Dieb in der Nacht. Wenigstens wird sein letzter Triumph schal sein, ein befleckter Sieg. ~x~ Als ich auf die Diele hinaustrete, hat er natürlich die nassen Spuren von Mantel, Schuhen und Tasche beseitigt, warten fürsorglich wollene Socken auf meine nackten Füße. Ich balle die Fäuste, bin zum Fluchen jedoch zu erschöpft. Er ist so gut, so aufopferungsvoll, dass es mich würgen lässt. Wann es begann, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Richtig unangenehm wurde es mir erst, als ich im Kreis meiner Freunde und Bekannten auf unerklärliche Zurückhaltung stieß. Seine Angewohnheit, mich zu umsorgen, stärker noch als einen Säugling, gab ihnen wohl den Eindruck ein, ich kommandiere ihn herum, ahnde jede Nachlässigkeit. Wie konnten sie so etwas von mir glauben? Kannten sie mich nicht schon so lange? Seine unterschwellige Inszenierung wurde von Erfolg gekrönt. Ich konnte meinen Ruf nicht mehr retten, war zu einem Pascha verkommen, der seinen Lebensgefährten demütigte, dessen gutwillige Freundlichkeit überstrapazierte, die Liebe knechtete, missbrauchte. Ein bitteres Lachen entweicht mir. Liebt er mich? Hat er das jemals? Ich weiß es nicht. Seine Beteuerungen sind hohl und leer. Ich kann mich nicht entsinnen, dass sich Liebe mit Entsagung gleichsetzen lässt oder dass sie sich derart inszeniert. Das Opferlamm und der Schlächter, zu dem ich wurde, als meine Verzweiflung noch stark genug war, dieser vermeintlich verlorenen Liebe hinterherzujagen. Ja, er trägt die Spuren auf seinem Leib, wie Wundmale eines Heiligen. Immer noch lächelt er, umschmeichelt mich, stellt mein Wohlergehen in den Mittelpunkt seiner Existenz. ~x~ Als ich die Küche betrete, dekoriert er gerade den Tisch. Selbstverständlich nur für mich, ein Gedeck samt Serviette und Kerze. Meine Lieblingsspeise. "Leider nur aufgewärmt, entschuldige." Ich habe ihm so oft gesagt, dass ich in der Firma esse, keinen Bissen mehr abends herunterbringe, insbesondere nicht, wenn er mit großen Augen jede Mahlzeit bewertet, ob ich wohl zufrieden bin. "Ich will nichts!" Fauche ich heiser. Das wohlvertraute Würgen in meiner Kehle raut diese unerträglich auf. Er springt hoch, die grauen Augen in glasklaren Tränen schwimmend, beschwört mich, es doch wenigstens zu versuchen. Würde man nur diese Szene sehen, so könnte man versucht sein zu glauben, er sei rührend um mich bemüht. Ertrage meine Launenhaftigkeit, um die Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu bezeugen. Aber darum geht es nicht. Mit einem Arm wische ich Gedeck, Speisen und Diverses von der Tischplatte, lausche auf den erlösenden Knall, das Splittern von Keramik, sattes Schmatzen von Nahrung. Na, fühlst du dich nun gut, da du der Märtyrer eines menschlichen Dämonen bist, weitere Beweise meiner brutalen Gewaltherrschaft vorlegen kannst? Ich zerre ihn vom Boden hoch, wo er sich bereits emsig um die Beseitigung des Unrats bemüht, schmettere ihn gegen den freistehenden Kühlschrank, bevor ich seine betäubte Gestalt gegen den Tisch dirigiere, seinen Oberkörper flach auf die Platte drücke, während ich ihn vergewaltige. Wie soll man Lust empfinden? Ich tue es nicht. Konnte mir nicht vorstellen, jemals körperliche Nähe zu erzwingen. Eigentlich fühle ich gar nichts mehr. Es ist, als sei ICH gegen die Gefriereinheit geschleudert worden, so oft, bis meine Glieder nur noch eine optische Wahrnehmung, aber keine prüfbare Realität sind. Ich ergieße meinen Schmerz und Selbstekel in ihn, zeichne mit seinem Blut wahllos Spuren auf seinen nackten Rücken, seinen Schopf unter dem hochgewickelten Pullover verborgen. Warum tust du mir das an? Ich habe dich geliebt wie niemand sonst. ~x~ Während ich in der Dunkelheit liege, schlaflos, verkrampft, frage ich mich, ob er wohl in der Kirche eine Kerze für mich anzündet, Fürbitten spricht, dieser Engel in Menschengestalt. Dieses Trugbild. Dieser Lügner. Wenn ich gläubig wäre, wärst du der schlimmste aller Teufel, der das Gesicht der Liebe trägt, dabei nur die Eigenliebe pflegt. Ich habe dich nie erreicht, war nur ein Mittel zu deinem Zweck. Wenn ich dich verlasse, wird man dich bedauern, mich verfluchen. Wenn ich gehe, werde ich alles zurücklassen: Freunde, Bekannte, eine Wohnung, ein Leben. Du usurpierst alles, verschlingst es in deinem klebrigen Netz aus vorgeblicher Freundlichkeit. Aber ich werde dennoch gehen. Ich fange von vorne an. Das schwöre ich mir jede Nacht. Ich kann dich nicht entlarven, nicht den Beweis führen, dass du mit jeder aufopferungsvollen Geste subversiv dir selbst einen Gefallen tust. Dass dein Spiegelbild sich mit Aureole und Dornenkranz schmückt, sich einzig von Mitleid und Bedauern, von fremder Aufmerksamkeit nährt. Ich verachte mich dafür, dass ich dir in die Falle ging, mich von dir missbrauchen ließ. Glaubte, ich könne dich retten vor dir selbst. Mit jedem Scheitern billige Entspannung suchte. Dein Teufel wurde. Aber so bin ich nicht. Gefalle dir als Märtyrer, ich werde nicht mehr dein Folterknecht sein. Morgen werde ich dich ausschicken, mir frische Ananas auf dem Großmarkt zu besorgen. Solltest du nicht sofort willig sein, wiederhole ich die Lektionen des heutigen Abends. Während du auf deiner unheiligen Mission deine Aureole polierst, werde ich mich aus deiner Heiligenlegende verabschieden. Wie ein Schurke. Doch hast du nicht mein Herz gestohlen? Das hole ich mir zurück. Und ich gehe wieder auf Kaperfahrt. Bin ich erst frei, so werde ich meine Stärke regenerieren, erneut der Liebe nachspüren. Opfere auf deinem leeren Altar, was immer du magst. Ich werde es nicht mehr sein. ~x~ ENDE ~x~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Ein zweiter Beitrag zur "Versteckten Sektion" im Bishounencastle, auch dieses Mal ist die Frage nach dem Schurken nicht eindeutig zu beantworten. Mit "Pieta" wird üblicherweise die Darstellung von Maria und dem gekreuzigten Jesus gekennzeichnet, ein Begriff, der sich nur unzureichend übersetzen lässt. Was mich bewog, dies zu verfassen, ist eine Animosität gegen die Selbstreduzierung mancher Mitmenschen, die sich auf die hohe Kunst emotionaler Erpressung über Mitgefühl und Rücksichtnahme gegenüber vermeintlich Schwächeren verlegt haben. Eine manipulative Anwandlung, die bei mir auf erheblichen Widerstand und Unfreundlichkeiten stößt =.=