Titel: Ragnarökk Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Phantastik Erstellt: 05.08.2001 Warnung: kimeras Sicht auf Himmel und Hölle, Blasphemie inbegriffen, also empfindliche Gemüter, bitte das Weite suchen. Ragnarökk ist ein Begriff aus dem Nordischen, etwa mit zu übersetzen. -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- -#- Ragnarökk Belladonna, die pechschwarzen Haare zu einem hohen Zopf am Oberkopf gebunden, während die kahlrasierten Seiten ihres Schädels mit verkrusteter Schlacke bedeckt waren, stürzte in die Kuppelhöhle. Ihre knappe Rüstung aus geschwefeltem Leder wies zahlreiche Löcher und Risse auf. Auch hier klebte Schlacke auf der dicken, dunkelroten Haut. Mit einer knappen Verneigung erwies sie dem Höllenfürsten ihre Referenz, die Karneolaugen funkelten glühend. "Belladonna! Was ist geschehen?!" Der Höllenfürst erhob sich rasch aus dem glatt geschliffenen Thron aus Natursteinen, von der sie umgebenden Hitze diamantenhart gebacken. "Mein Fürst, wir sind von den Engeln attackiert worden!" Belladonnas Raubtiergebiss fauchte die Worte in die Halle, ihr Echo brach sich an den bemalten Wänden, von Asche nachgedunkelt. "Sprecht!" Über den Granataugen des Höllenfürsten zogen sich tiefe Falten in die burgunderfarbene Haut. Die weißen Strähnen an den Schläfen zuckten unter den bebenden Adern. Mit einer weiteren knappen Verneigung begann Belladonna ihren Report. "Mein Fürst, wir waren auf der Patrouille durch die große Wüste, als wir unerwartet auf zwei Engel stießen. Engel der zweiten Generation." Aus den Schatten der Natursäulen erschienen nun immer mehr Teufel, wie die Menschen sie nannten, gruppierten sich angespannt, lauschten schweigend Belladonna. "Sie griffen uns an, bevor wir uns zurückziehen konnten, mein Fürst. Baphomet, Kordial und Maharet starben sofort." Der Höllenfürst grub die Krallen tief in das Lavagestein seiner Thronlehnen, Sehnen spannten sich in seinem Gesicht. »Alle drei Führer verloren.« "Wer..." Er räusperte sich krachend. "Wer ist zurückgekommen?" "Drei Soldaten und ich, mein Fürst." Entsetztes Wimmern und Raunen schwoll um sie herum zu einer Kakophonie der Wehklage. Der Höllenfürst senkte den Kopf, verbarg die Granataugen hinter einer Klaue. "Es gelang uns, die Engel zu töten." Auf Belladonnas raue Worte hin erstarben die Elegien ungläubig. "Ihr~Ihr habt die Engel vernichtet?!" Belladonna verneigte sich erneut, die Klauen geballt. "Mein Fürst, es geschah in Verteidigung unseres Lebens." Der Höllenfürst schnellte hoch, überwand rasch die drei Stufen zu dem polierten Lavaboden. Seine Krallen klackten laut, als er auf Belladonna zuschritt. Sie erwiderte den vor Erregung trüben Blick standhaft. "Ich ziehe Eure Erklärung nicht in Zweifel, aber Ihr seid Euch wohl der Bedeutung bewusst?!" Belladonna nickte knapp. "Die Engel werden uns unbarmherzig verfolgen." Wehklagen und Flüche brandeten auf. "Schweigt!" Mit donnernder Stimme befahl der Höllenfürst seinem Hof. "Außerdem haben wir ihren Schwachpunkt gefunden." Referierte Belladonna unbeeindruckt weiter. "Wenn sie den Tod der Engel bemerken, werden sie zögern, uns erneut zu attackieren." Belladonna sah in die Runde, die verzerrten Mienen, fand Trauer und Furcht. "Es bleibt nur noch ein Engel der zweiten Generation." Murmelte der Höllenfürst versunken. "Vielleicht ist es ihnen Lehre genug, sich für einige Jahrhunderte zurückzuziehen!" Giftete Belladonna. Die Karneolaugen glommen Unheil verkündend. "Die Menschen sterben wie Fliegen durch ihr schändliches Tun! Wir können nicht einfach geschehen lassen, was ihnen beliebt!" "Belladonna!" Der Höllenfürst bellte drohend. Seine Klaue beschrieb in der Luft eine eindeutige Geste, von weiteren Agitationen abzusehen. "Wo ist nun der wunde Punkt der Engel?" Auf Belladonnas dunklen Gesicht mit den eintätowierten, keltischen Mustern funkelte ein animalisches Grinsen. Sie bleckte die schwarzen Zähne, breitete die Arme aus. Die Klauen öffneten und schlossen sich in Erregung. "Die Engel zerrissen uns mit ihren Todesblick, hielten uns nicht für würdig, ihre Schlachtgesänge anzustimmen. In unserer Not entzündeten wir den Sand, spuckten über unsere Schilde glühende Schlacke und Ascheregen auf ihre Haut. Sie ertrugen es nicht, von uns beschmutzt zu werden!" Mit einem bitteren Auflachen wischte sich Belladonna Schlacke aus einer Wunde an ihrem Arm, streute sie aus. "So beschäftigt, sich von unserem Lebenssaft zu reinigen, dass sie sich gegenseitig unter Feuer nahmen!" Ihr grollendes Lachen echote in der Halle. Einsam, ein kurzer Triumph über den Schmerz. "Mein Fürst, wir können uns nicht zurückziehen, wenn nicht die Menschen unterliegen sollen! Lasst uns diese Erkenntnis ausschöpfen und aus dem Untergrund agieren!" Der Höllenfürst nahm Belladonna in seinen strengen Blick. "Werden sie erneut darauf ansprechen?! Und wenn es nur ein Engel ist?!" Belladonna weigerte sich, den Kopf zu senken, auch wenn es sichtlich in ihr arbeitete. "Versteht mich recht, Belladonna, wir sind glücklich, Euch in unserer Mitte zu wissen, aber wir können nicht unser Volk in solchem Maß gefährden! Wir werden uns beratschlagen." Mit diesen Worten kehrte er Belladonna den Rücken zu, strebte langsam seinem Thron zu. Die herabhängenden Schultern verrieten, dass der Höllenfürst schwer an Trauer und Sorgen trug. Belladonna verneigte sich, verließ die Halle. Viele Augenpaare folgten ihr. -#- "Verdammt, Malefiz, was hätten wir sonst tun sollen?! Sie waren schlimmer als blutdurstige Tiere!" Belladonna zerteilte mit scharfer Klaue die Luft, die Karneolaugen grimmig in die Ferne gerichtet. Malefiz, mit pechschwarzer Haut und Obsidianaugen so dunkel, dass lediglich die weißen Tätowierungen sie aus den Schatten heben konnten, hieb energischer die Krallen in Belladonnas Oberschenkel. Belladonna fluchte guttural. "Wenn Ihr nicht Ruhe gebt, meine Liebe, werde ich niemals mit meiner Arbeit fertig!" "Verzeihung." Knurrte Belladonna ungehalten, starrte in eine andere Richtung. "Ihr habt unbeschreibliches Glück gehabt. Alle Wunden sind nur oberflächlich, auch wenn Ihr eine Unmenge Lebenssaft verloren habt." Mit geschickten Strichen verteilte Malefiz eine schweflige Salbe auf der dunkelroten Haut, streute Quarz darüber, sengte die Mischung leicht an, um einen feinen Verband zu erzeugen. "In einem Augenblick diskutierten wir eine Strategie, im nächsten zerfetzte dieser gleißende Strahl die Leiber der anderen." Flüsterte Belladonna trostlos. Malefiz kam von den Knien hoch, umarmte vorsichtig den zuckenden Leib, als sich Pechtränen lösten, die dunkelroten Wangen befleckten. "Meine Liebste, ich verstehe Euch. Ein grausames Schicksal!" Sanft wiegte sie die letzte Führerin der Soldaten, strich behutsam über die ausgeprägten Muskeln. Ebenso plötzlich, wie Belladonna zu weinen begonnen hatte, trockneten sich ihre Tränen, richtete sie sich auf. Ihr Blick suchte eindringlich in den Obsidianaugen der anderen Teufelin. "Malefiz, denkt Ihr, der Fürst wird mich noch heute zu einer geheimen Unterredung empfangen?" Malefiz zog eine weißtätowierte Augenbraue hoch. "Habt Ihr noch mehr zu gestehen?" Belladonna erhob sich, überragte nun Malefiz um Haupteslänge. "Es könnte das Schicksal der Menschen und auch unser eigenes Schicksal beeinflussen!" Verkündete sie eindringlich, grub die Krallen unbemerkt tief in die Oberarme von Malefiz. Diese blieb ruhig, verzog keine Miene. "Meine Liebe, Ihr tut mir weh." "Oh, verzeiht!" Angesichts der verlegenen Färbung in Belladonnas Gesicht gestattete sich Malefiz ein sanftes Lächeln, enthüllte die Diamantzähne. "Ich werde für Euch um eine Audienz ersuchen." -#- Der Höllenfürst fuhr sich mit den Krallen durch die lange Mähne, blinzelte mehrfach, trieb die Reißzähne in ein verschwefeltes Stück Kohle. Malmend massierte er sich den Nacken. "Mein Fürst, Ihr solltet Belladonna nicht strafen dafür, dass sie die Überbringerin der schlechten Botschaft war." "Ich tue nichts dergleichen!" Brauste der Höllenfürst auf, um dann wieder erschöpft in sich zusammenzusacken. "Vielleicht habt Ihr recht." "Wir alle tragen Trauer, mein Fürst. Auch Euch ist dies erlaubt." "Aber nicht gerade jetzt, wo uns die Gefahr bedrängt." Fuhr der Höllenfürst mit ironischem Augenaufschlag fort. Malefiz lächelte besänftigend. "Das sind Eure Worte, mein Fürst." Der Höllenfürst seufzte, grummelte Unverständliches, nahm einen tiefen Zug des bereitgestellten Schwefelwassers. "Ich lasse also bitten!" Verkündete er mit schicksalsergebenem Unterton. Belladonna betrat in eiligem Schritt die Halle, verneigte sich knapp. Die zerrissene Rüstung war ersetzt worden. Das Reptilienleder glänzte im Schein der brodelnden Magma, die unermüdlich die Halle illuminierte und einschloss. "Mein Fürst." "Belladonna, wie mir hinterbracht wurde, habt Ihr eine weitere Neuigkeit, die Euch mitteilenswert erscheint." Belladonna warf einen prüfenden Blick in die Granataugen des Höllenfürsten, erkannte, dass der Spott seiner Erschöpfung entsprang. "In der Tat, mein Fürst. Gestattet, dass ich Euch unseren Fund präsentiere." Der Höllenfürst bequemte sich zu einer zustimmenden Geste. Belladonna durchquerte die Halle, fauchte einen leisen Befehl. Die schweren Türflügel aus gepresstem Lavagestein wurden geöffnet. Für Augenblicke verschwand sie aus der Sicht des Höllenfürsten, kehrte wieder in die Halle zurück, mit beiden Armen etwas umfangend, das unter einer Lederhaut verborgen war. Vor dem Thron bremste sie ihren Schritt. "Erlaubt mir, näher an Euch heranzutreten." Der Höllenfürst nickte knapp, setzte sich auf, die Augenbrauen zusammengezogen. Belladonna erklomm die Stufen, kniete auf der letzten vor dem Thron. Behutsam setzte sie ihre Last ab, warf einen Blick in die Augen des Höllenfürsten, in denen Ungeduld und Beherrschung einen harten Kampf ausfochten. Rasch enthüllte sie den Fund. Der Höllenfürst wie auch Malefiz, die sich im Hintergrund gehalten hatte, keuchten laut. Es dauerte einige Minuten, bis der Höllenfürst seine Sprache wiederfand. "Belladonna, was habt Ihr getan?!" -#- "Unglaublich, dass Ihr ihn überreden konntet!" Kopfschüttelnd geleitete Malefiz Belladonna zu ihren spartanischen Gemächern abseits der anderen Wohnhöhlen. Auf Belladonnas Gesicht tanzte ein grimmiges Lächeln. "Würde ich an Gott glauben, könnte man es fast als Zeichen betrachten!" Spottete sie kalt. "Wenn es sich herumspricht, werdet Ihr keinen leichten Stand haben!" Prophezeite Malefiz beunruhigt. Belladonna zuckte mit den Achseln, balancierte sorgsam das Leder über ihrer Last aus. "Malefiz, werdet Ihr mir beistehen?" Malefiz lächelte, entzündete Reisig, der auf einem kleinen Haufen Kohle bereitlag. Mit konzentrierten Energiewellen aus ihren Krallen glommen die Kohlestücke auf, strahlten Licht ab. "Wie könnt Ihr nur fragen, meine Liebe!" Tadelte sie kopfschüttelnd, aber sanft. Belladonna setzte ihren Fund auf einer Felsnische ab, wandte sich Malefiz zu. "Ohne Euren Beistand wird es nicht gelingen." Erklärte sie flehend, umklammerte Malefiz' Klauen. "Liebste, ich bin immer auf Eurer Seite." Wisperte Malefiz rau, stemmte sich auf die Krallen, um Belladonnas brennende Lippen zu kosten. Ihre Klauen lösten sich, Arme umschlangen einander, glühende Haut versengte sich. Malefiz stöhnte leise, attackierte Belladonnas Gesicht mit winzigen Bissen, grub die Krallen tiefer in die dunkelrote Haut. "Ihr habt mich vernachlässigt!" Klagte sie keuchend, als Belladonna die schwarze, dünne Haut an Malefiz' Kehle mit Küssen zeichnete. Taumelnd, nicht bereit, voneinander zu lassen, näherten sie sich einer Nische, als ein seltsames Knacken ihr Liebesspiel unterbrach. Alarmiert fuhren beide herum. Unter dem Leder gleißte ein helles Licht hervor. Mit einem Fluch zerrte Belladonna geschwärzte Gläser aus ihrem Waffenrock, band sie sich um den Kopf, während sie mit ihrem Körper Malefiz abschirmte. "Auf keinen Fall hinsehen! Dreht Euch zur Wand!" Belladonna näherte sich mit aufgespannten Schildbogen ihrem Fund, atmete tief ein. Sie zog mit einem Ruck das Leder herunter. "Bei allen Vulkanen!" Vor ihren Augen faserte das durchscheinende Material der Eierschale in unzählige Risse auf, knackte und knirschte wie berstendes Glas, bevor es vollkommen in einer blendenden Lichtexplosion zersplitterte. Im Inneren des Eis hatte ein winziger Engel geschlafen, die Flügel eng an den Alabasterkörper gefaltet, die todbringenden Augen geschlossen. "Was geschieht?!" Begehrte Malefiz ängstlich zu wissen. "Es~es schlüpft!" Flüsterte Belladonna in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination. Das geflügelte Wesen regte sich, winzige Fäuste ballten sich, Beine zuckten, als sie der Enge entkamen. "Oh Mutter Erde!" Wimmerte Malefiz panisch, die Klauen fest auf die Augen gepresst. Belladonna hob den Schildbogen an, hoffte, dass die gehärteten Glasplatten ausreichend Spiegelkraft hatten, um den Engel zu vernichten, wenn er Todesblicke um sich warf. Der Engel öffnete den Mund. Belladonna fluchte heiser, bereitete sich auf unerträgliche Schmerzen vor. Malefiz schluchzte verängstigt. Der Engel blieb stumm. Belladonna blinzelte ungläubig. Die weißen Augenlider flatterten, hoben sich, enthüllten ebenso weiße Augen. Lediglich eine goldene Korona umrahmte die Iris. Mehrfaches Blinzeln. Die Augen fanden Belladonna hinter ihrem Schildbogen. Gegen ihren Willen verzog sie das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, sich bewusst, dass sie diese Blöße das Leben kosten konnte. Der Engel zwinkerte mit den goldenen Wimpern, verzog den Mund. Belladonna spürte, wie ihr Kiefer herabsackte. Der Engel~der Engel kopierte ihre Mimik?! "Belladonna?!" Malefiz' panischer Schrei brach die Erstarrung. "Es~es versucht zu lächeln." Kommentierte Belladonna noch immer ungläubig. Zögerlich streckte sie eine Klaue hinter dem Schildbogen hervor, tastete nach den winzigen Händen des Engels. Der Engel ergriff neugierig die dunkelroten Krallen, umfasste die ledrige Haut, erkundete mit allen Sinnen diese neue Erfahrung. "Malefiz, Ihr werdet es nicht glauben... der Engel verhält sich wie ein zwanzigjähriges Teufelchen..." Belladonna krümmte die Kralle ihres Daumens, streifte die Porzellanhaut des Engels. Die Augen blinkten, der zahnlose Mund öffnete sich. Das winzige Wesen zappelte wie ein kleiner Teufel, wenn man ihn kitzelte. Belladonna bemerkte, dass das gleißende Licht langsam abklang, die Eierschalensplitter sich auflösten. "Malefiz, ich denke, Ihr könnt wieder die Augen öffnen." Wisperte sie, noch immer latent gebannt von dem Engel, der selbstvergessen mit ihrer Klaue spielte. Erst als sich Malefiz' Arme um ihre Taille schlangen, kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. "Ein Engel!" Flüsterte Malefiz ergriffen und entsetzt zugleich. Einer ihrer Todfeinde lag vor ihnen in der kleinen Nische, amüsierte sich unschuldig mit dem simplen Kontakt fremder Haut. "Der Höllenfürst wird nicht erbaut sein." Murmelte Belladonna verdrossen. "Man wird seinen Tod fordern." Bestätigte Malefiz, schob sich an Belladonna vorbei, hob vorsichtig den kleinen Engel in ihre Arme. Einen stärkeren Kontrast konnte es wohl kaum geben, Alabaster auf Ebenholz. "Es kann nicht sprechen, oder?" Belladonna klappte den Schildbogen zusammen, befestigte ihn wieder an der Schlaufe ihres Waffenrocks. "Sie können singen." Ratlos betrachteten sie den Engel. "Wir wissen kaum etwas über sie." Bekannte Belladonna nachdenklich, strich mit einer Klaue durch den elfenbeinfarbenen Flaum auf dem Köpfchen. "Abgesehen davon, dass es ein Engel ist, ist es recht niedlich." Schmunzelte Malefiz hingerissen. "Wir könnten mit ihm die Engel erforschen!" Kommentierte Belladonna kämpferisch, breitete das Leder aus, damit Malefiz den Engel darin einwickeln konnte. "Du weißt, wessen Reinkarnation dieser Engel ist?!" Wollte Malefiz wieder ernst wissen. Belladonna nickte grimmig. "Darum bin ich der Überzeugung, dass wir diese Gelegenheit ergreifen müssen!" "Der Engel könnte mit meinem Sohn Laureus aufwachsen." Schlug Malefiz zögerlich vor. Sie betrachteten den Engel eingehend. "Wir wagen es." Entschied Belladonna. -#- Zweihundert Jahre später. "Lucios!" Ein Teufel mit verwilderter, schwarzer Mähne und steingrauer Haut robbte durch ein Wadi, um dann ungeduldig nach seinem Kameraden zu sehen. Die zweite Gestalt, Alabasterhaut und lange, elfenbeinfarbene Locken, die ebenso zerzaust waren wie die des Teufels, erschien hinter einem Felsen. "Komm schon!" Winkte der kleine Teufel, konzentrierte sich gleichzeitig auf seine Umgebung, spürte die Stimmung der fremden Wesen in der Oase, die sie von der nächsten Düne zu beobachten suchten. Hastig rückte der Engel auf, wies mit einer verlegenen Geste auf etwas, das sich in einem Lederbeutel an seinem Lendenschurz aus gebleichtem Echsenleder befand. Die dunkelblauen Augen des Teufels blitzten auf. Neugierig zurrte er die Lederschnur auf, spähte ins Innere des Beutels. Eine winzige Echse in leuchtenden Schwarzgrüntönen streckte sich ihm entgegen. Der Teufel grinste begeistert, tauschte mit dem stummen Engel einen schelmischen Blick. Er beugte sich hinüber, raunte in die Lockenpracht über dem Ohr. "Lucios, wir setzen die Echse in der Oase aus, wenn die Menschen weggegangen sind." Der Engel nickte, lächelte mit seinem Perlmuttzähnchen, schob eine feingliedrige Hand in die Klaue des Teufels, gab somit das Startsignal, die Oase zu beschleichen. Geschickt überwanden sie den tückischen Sand, erklommen die Düne, die die winzige Oase bedrohte. Unter ihnen blähten sich Zelte aus grobem Stoff, stöhnten Dromedare unter ihrer Last. Fremde Wesen, Menschen, beluden Tiere, bauten ihre Zelte ab, wollten vermutlich die abklingende Hitze des Nachmittags für die strapaziöse Weiterreise ihrer Karawane nutzen. Gespannt verfolgten Engel und Teufel das geschäftige Treiben, übten ihre Sinne im Erfassen dieser fremden Wesen. Binnen einer Stunde war das Lager verlassen, nur noch eine durstende Oase mit verstaubten Pflanzen. Hand in Klaue glitten sie durch den tückisch geschmeidigen Sand die Düne hinab, näherten sich vorsichtig der Quelle. Mit der freien Hand schob der Teufel die geschwärzten Gläser in die Stirn. "Ich kann nichts mehr spüren." Der Engel nickte bestätigend, löste sich von seinem kleinen Gefährten, betastete mit seinen Porzellanfingern die grobe Rinde einer Dattelpalme. "Die Echse!" Rasch knieten sich beide auf die bloßen Knie, legten den Beutel zwischen sich auf den Sand. Kaum öffnete sich der Knoten in der Lederschnur, streckte die Echse vorwitzig den schuppigen Kopf in das Licht, wand sich rasch hinaus, flitzte gleitend über den Sand in die Sicherheit dicker Felsen. Der Teufel grinste begeistert, kicherte los. Sein Gefährte verzog ebenfalls die unwirklichen Züge. Kein Laut kam über die bleichen Lippen. Wissbegierig erkundeten sie die Oase, bestaunten den Dung der Dromedare, näherten sich langsam der Quelle. "Wasser." Stellte der Teufel fest, tauchte vorsichtig eine Klaue in die klare Flüssigkeit, kostete. "Brrrr!!" Schüttelte er sich. "Geschmacklos!" Auch der Engel kopierte seine Geste, ließ die klaren Tropfen über seine Lippen rinnen. Er imitierte die Bewegung des Schmeckens wie auch die angewiderte Mimik. Der Teufel beobachtete seinen kleinen Gefährten gespannt, legte bestärkend eine Klaue auf die alabasterfarbene Schulter. "Schwimmen?" Schlug er vor, nicht sicher, was das Konzept zu bedeuten hatte, das er in den komplizierten Gedanken eines Menschen aufgefangen hatte. Die Erinnerungen waren eindeutig genug. Entschlossen streifte er den eigenen Beutel und Lendenschurz ab, tastete sich vorsichtig in das klare Wasser vor. Der Engel zögerte. "Komm, Lucios, das ist kitzelig!" Kicherte der Teufel, als er mit den Armen Wellen schlug, die sich an seinem kleinen Körper brachen. Der Engel entledigte sich seines Beutels und des Lendenschurzes, folgte mit unsicherer Miene seinem Gefährten in die Flüssigkeit. Vage war er sich eines verwirrten Blickes bewusst, der auf seiner Körpermitte ruhte. Seine weißen Augen suchten in den dunkelblauen nach einer Erklärung für diese Störung in ihrem wortlosen Miteinander. Der kleine Teufel legte das zerzauste Haupt schief, zog die Nase kraus. Sein kryptischer Blick fixierte sich auf die Region unterhalb des Brustkorbs des Engels. "Du hast keinen Bauchnabel, Lucios." Beschämt verbarg der Engel sein Gesicht hinter den verfilzten, elfenbeinfarbenen Locken, bar einer Erklärung für diese rätselhafte Abweichung. "Du bist doch nicht etwa eine Teufelin?!" Erkundigte sich sein Gefährte nach der anderen Diskrepanz, mit einem Unterton, der implizierte, dass dies eine sehr bedauerliche Mangelhaftigkeit darstellte. Der Engel zuckte mit den schmalen Schultern. Seine milchigen Tränen trübten das Wasser. "Oh, Lucios, nicht weinen, ja?!" Erschrocken überwand der Teufel planschend den Abstand zwischen ihnen, schlang die pummeligen Arme um die struppige Lockenpracht und zog seinen Gefährten eng an sich. "Hauptsache, du bist keine Teufelin! Die sind nämlich doof!" Verkündete er tröstend. "Außer meiner Mama und Belladonna." Fügte er eilig hinzu. Der Engel schniefte lautlos, wischte mit dem Handrücken die weißliche Flüssigkeit aus seinen Augen. Hand in Klaue schritten sie tiefer in den Teich hinein, amüsierten sich über ihre sich verzerrenden Spiegelbilder, vergaßen die Zeit um sie herum. -#- "Lucios! Laureus!" Mit gesenkten Häuptern, lehmverschmiert und beschämt standen Engel und Teufel nebeneinander. Hinter ihnen ragte drohend wie ein Donnerwetter Belladonna in die Höhe, wie immer in Rüstung, die Karneolaugen Feuer sprühend. "Malefiz, ratet mal, wo ich die beiden gefunden habe! An der Oberfläche bei einer Oase!" Malefiz' schwarze Gesichtsfarbe wurde grau. "Bei allen Vulkanen, Laureus, habe ich dir nicht verboten, mit Lucios an die Oberfläche zu gehen?!" Der Teufel zuckte unter dem harschen Ton zusammen. "Was hast du dir nur gedacht?!" Belladonna versetzte Laureus einen Klapps auf die Kehrseite. "Na los, ich brenne auch darauf, deine Rechtfertigung zu hören!" "Wir~wir wollten das Licht sehen. Und Menschen." Malefiz schüttelte bekümmert den Kopf. "Habe ich euch denn nicht erklärt, warum ihr nicht an die Oberfläche gehen sollt?!" Unisono nickten zwei schuldbewusste Häupter, während sich Hand in Klaue schob. "Man darf Lucios nicht finden. Menschen haben Angst vor uns, weil sie uns nicht verstehen." Laureus wiederholte lehrbuchhaft, was man ihm eingebläut hatte. "Geht sofort an eure Studien zurück!" Fauchte Belladonna grollend. Hastig verließen Engel und Teufel die Höhle. Malefiz warf Belladonna einen hilflosen Blick zu. "Wir werden sie nicht ewig einsperren können." Belladonna nickte grimmig, die Klauen geballt, das Karneol ihrer Augen Funken sprühend. "Nein, da habt Ihr vollkommen recht, Liebste. Aber wir können dafür sorgen, dass sie besser gerüstet sind." Malefiz kehrte Belladonna den Rücken zu, zupfte an einem Spannrahmen aus dünnem Metall, eine Errungenschaft der Menschen. Das geschwefelte Leder sollte mit dünnen Goldfäden bestickt werden, um Belladonnas Beförderung zum General zu feiern. Belladonna strich zärtlich durch die krausen Locken, schlang die muskulösen Arme um Malefiz. "Was bekümmert Euch, meine Liebste?" Malefiz seufzte leise. "Ist es wahr, dass die Engel wüten wie nie zuvor?" Belladonna senkte das kantige Kinn auf die Schulter der Gefährtin, hauchte ihren glühenden Atem auf die pechschwarze Brust. "Sie sind wie toll, rund um den Erdball. Erscheinen, blenden die Menschen, lösen mit ihren Scharaden wahnsinnige Hetzjagden aus." Belladonna schüttelte sich angesichts eines Massakers in einem Dschungel, wo ein Volk auf Geheiß eines Boten des Himmels einen anderen Stamm erbarmungslos auslöschte, der die Verantwortung für eine überlange Regenzeit tragen sollte. "Noch suchen sie nicht gezielt nach Lucios." Verkündete sie grimmig. "Uns bleibt noch eine Gnadenfrist." -#- Hundert Jahre später. "Ich begreife das einfach nicht!" Mit einem frustrierten Grunzen schob Laureus die Glasplatte beiseite, massierte sich die Schläfen. Lucios sah auf, zog mit der weißen Porzellanhand die Tafel zu sich, auf der Laureus mit Kreide seine Berechnungen festhielt. Auf besondere Erlaubnis des Höllenfürsten durften sie alleine in der Bibliothek lernen, umgeben von der Weisheit aus zwei Welten, in Glas eingraviert und gebrannt. Rasch überflog Lucios die Zahlenreihen, schüttelte den Kopf, um mit einem angesengten Lederlappen mehrere Kolonnen auszuwischen. "Können wir nicht eine Pause machen?" Quengelte Laureus, zerbiss ein Stück Kohle, malmte kauend. Hinter ihnen glitten andere halbwüchsige Teufel hinein, suchten in den ausgehauenen Nischen nach Lektüre, während ihre misstrauischen Blicke auf Lucios lagen. Der senkte den Kopf, bis die elfenbeinfarbenen Locken sein Gesicht verbargen, kämpfte gegen den Drang, sich hinter seinen ausgebreiteten Flügeln zu verbergen. Mit gezierten Zeichen füllte er die Schiefertafel, versuchte, seinem Freund den Fehler aufzuzeigen, um den Berechnungen des Pythagoras folgen zu können. Mit dem Anwachsen der menschlichen Population und der Blüte vieler Hochkulturen lebte das Interesse an altem und neuen Wissen auf, wurde durch Reisende verbreitet, wie die Teufel beobachtet hatten. Die Menschen waren schon erstaunliche Geschöpfe, wie Lucios und Laureus übereinstimmend befanden. Umso ärgerlicher schien das Gebot, unter der Erde verweilen zu müssen. Laureus kauerte brummend über Lucios' Schiefertafel, die dunkelblauen Augen zusammengekniffen. So überraschte sie die Attacke der anderen Teufel vollkommen. Ein Kübel Asche wurde über Lucios' Kopf ausgeleert, bevor der den Mund zu entsetztem Protest öffnen konnte. Funken sprühten in seinen Locken, versengten sie, wie sie auch sein Gefieder ankokelten. "Feige Pesthaucher!" Giftete Laureus mit sich überschlagender Stimme, sprang geschmeidig über den Tisch aus Granit, sandte Feuerwellen aus seinen Fingerspitzen, die Zähne gefletscht. Lucios torkelte in stummer Qual in die Höhe, versuchte, die züngelnden Flammen zu löschen. Laureus fuhr herum, vergaß seine boshaften Altersgenossen, umklammerte Lucios mit beiden Armen, riss ihn zu Boden. Er begann, Asche und Sand auf die weiße Gestalt zu schleudern. Endlich waren die Funken erloschen. In der Luft lag der Geruch nach verbrannten Federn und Haaren. Lucios hielt die Augen geöffnet, starrte an die weit entfernte Decke der Kuppelhalle, weinte milchige Tränen. Laureus, der noch immer über seinem gefallenen Freund kniete, biss sich auf die dunklen Lippen, das Steingrau seines Gesichts von Erregung verfärbt. "Feiglinge!! Haut bloß ab, sonst setz ich eure Ärsche in Brand!" Grollendes und kieksendes Gelächter verklang zwischen den Steinwänden. Laureus strich sanft mit der Klaue die weißliche Flüssigkeit von den beschmutzten Alabasterwangen. Er erhob sich geschmeidig, streckte dem Freund die Klaue hin. "Komm, Lucios, für heute reicht's! Wir werden ihnen das schon heimzahlen!" In seinen dunkelblauen Augen glitzerte ein tückisches Feuer, als er Lucios auf die Steinbank schob, rasch die Glasplatten in die entsprechenden Nischen verteilte, die Schieferplatten verstaute. Lucios lenkte seine Aufmerksamkeit mit einem Impuls auf sich. Auch wenn sie Gedanken teilten, waren sie nur empathisch verbunden. Ein Austausch von Worten schien unmöglich. In der Zeichensprache, derer sie sich heimlich bedienten, verlangte Lucios zu erfahren, warum man ihm so übel mitspielte. Laureus zog die Stirn kraus, zerwühlte seine ungebändigte, schwarze Mähne. "Es heißt, die Engel sind unsere Todfeinde." Lucios' Porzellanhand ergreifend fletschte er die Reißzähne zu einem abwertenden Grinsen. "Aber ich glaube, sie sind bloß feige und vergreifen sich an Schwächeren." Lucios senkte den Kopf, starrte auf seine Finger, die keine Energiewellen in Flammen verwandelnd konnten, keine scharfen Klauen besaßen, die sogar Gestein zerfetzen konnten. Ebenso wenig vermochten seine Perlmuttzähne Kohle zu zerbeißen. Laureus, der die stumme Selbstanklage seines Freundes verfolgte, umklammerte dessen Hand fester. "Komm schon, gehen wir uns waschen. Wir zeigen diesen Quarzlutschern, dass wir keine leichte Beute sind!" Energisch zog Laureus Lucios hinter sich her, durchquerte die labyrinthischen Gänge und Höhlen. Hinter einem scheinbar eingestürzten Stollen hatten sie eines Tages eine klare, nicht schweflige Quelle entdeckt, die einen unterirdischen See speiste. Ihren privaten Höllengarten. Laureus, der in der vollkommenen Dunkelheit keine Orientierungsschwierigkeiten hatte, führte Lucios umsichtig, entzündete Reisig und Kohle in einem kleinen steinernen Vorsprung. Die züngelnden, glimmenden Flammen tauchten die Höhle über dem See in ein Farben-Kaleidoskop, als sich das Licht an Bergkristall und Erzadern brach. Rasch streifte sich Laureus sein Gewand ab, wirbelte die ungezähmte Mähne wild in der Luft herum, sprang in das geheizte Wasser und tauchte tief, eingehüllt von den Blasen der Quelle. Lucios schlüpfte langsam aus seinem Gewand, eigens aus der äußerst seltenen Haut eines Albino-Krokodils gefertigt. Er fühlte sich gedemütigt und wertlos, einsam ohne seinen Freund. Langsam glitt er in das Wasser. Schon wieder eine Abweichung von den anderen, die in jeder Schwefelquelle baden konnten. Was ihn aber seinen Federschmuck kosten würde. Prustend schnellte Laureus vor ihm aus der Tiefe hoch. Die schwarzen Haare klebten wie dichtes Fell an seinem Kopf und den gesamten Rücken hinunter, begannen erneut, sich zu verdrehen und vom Kopf abzustehen. »Wilder Laureus, der mit dem Engel wandert.« Müde und resigniert begann Lucios, einzelne Lockensträhnen in das Wasser zu tauchen, zu entwirren, die versengten mit einem Messer abzutrennen. Hilfsbereit stemmte sich Laureus am Rand des Beckens hoch, zog aus seinem Beutel ebenfalls einen scharfkantigen Vulkanstein. Seine Klauen durchfuhren die elfenbeinfarbenen Locken, benetzten sie mit Wasser, säbelten geduldig die geschwärzten Enden ab. "Mach dir nichts daraus, das sind doch Einfältige. Wie nennen die Griechen diesen Zustand noch? Ignorans, oder so ähnlich?" Laureus zwinkerte, kämmte sanft mit der Klaue Locken aus Lucios' Gesicht. "Nun lach doch mal wieder, Lucios!" Als Lucios lediglich den Kopf wegdrehte, zogen sich Laureus' Augenbrauen zusammen. Seine Miene hellte sich blitzartig auf. "Hey! Ich habe eine Idee, wie wir es ihnen heimzahlen!" Lucios wandte zögerlich den Kopf, verwirrt von den Gefühlen und Gedanken, die von Laureus in ihn einströmten. Laureus' dunkelblaue Augen funkelten boshaft, als er Lucios sein Vorhaben beschrieb. "Wir werden deine Locken und die Federn aufsammeln und ihnen eine Falle stellen. Teer und Federn, das wird ihnen eine Lehre sein!" Laureus grinste selbstzufrieden, wies mit dem Kopf auf die blinkenden und glitzernden Wände. "Dazu noch ein paar Erze und Quarze. Das stinkt und glimmt ordentlich, wenn sie versuchen, den Teer loszuwerden!" Er kicherte mit gefletschten Zähnen, stieß Lucios in die Seite. "Na, was denkst du, lauern wir ihnen von der Speisehöhle auf? Da sind sie blind und taub, haben nur einen Gedanken!" Erneut kämmte Laureus elfenbeinfarbene Locken aus dem Alabastergesicht, um Lucios' Reaktion auf seinen Vorschlag zu sehen, als milchige Tränen auf seine Klaue tropften. "Lucios!" Wisperte Laureus erschrocken und bekümmert, stand unschlüssig vor seinem Freund, der lautlos weinte. Zögerlich strich er die Tränen von der weißen Porzellanhaut, verspürte den Wunsch, Lucios zu umarmen, was allerdings durch die ausgestellten Flügel unmöglich war. »Wenigstens versteckt er sich nicht dahinter!« Seufzte er leise. Da Lucios untröstlich vor sich hin weinte, tauchte er rasch unter den aufgefächerten Flügeln hindurch, schüttelte sich wild, um vorsichtig die beschädigten und verkohlten Federn aus dem Gefieder zu ziehen. "Nimm es doch nicht so schwer, Lucios! Was zählen die denn schon?! Ich bin hier und ich mag dich. Warum sich plagen?!" Lucios fächerte einmal heftig mit seinen Flügeln. Der unerwartete Windstoß fegte Laureus durch den Luftdruck von den Krallen und ins Wasser. Als er prustend und spuckend wieder hochkam, stand Lucios vor ihm, bis zu den Hüften im Wasser, die Flügel in einer Drohgebärde aufgefaltet. In den weißen Augen zuckte etwas Unbekanntes. Erschrocken riss Laureus die Arme vor die Augen, als die Erkenntnis in ihm aufzuckte, dass Lucios möglicherweise doch die Fähigkeit des Todesblickes innehatte. Als er noch immer atmete, sein Leib nicht zerrissen wurde, senkte er vorsichtig seine Arme wieder. Lucios' banges Gesicht leuchtete über ihm. Die schlanken Arme umklammerten den fragilen Leib. Wellen von Panik und Ekel überfluteten Laureus, als er sich wieder für Lucios öffnete. Hastig kämpfte Laureus sich auf die Krallen, schob eine Klaue unter Lucios' Kinn, hob es an, um in den weißen Augen mit der goldenen Korona um die Iris nach dem seltsamen Blitz zu suchen. "Ist~ist wohl vorbei, Lucios." Murmelte er mit heiserer Stimme, erleichtert. Lucios' Alabasterwangen wurden erneut mit den milchigen Tränen benetzt, als sich die Spannung brach. Bevor sich die Flügel eng um seinen Leib schließen konnten, schlüpfte Laureus hindurch, umklammerte die schlanken Hüften, zog Lucios fest an sich. In die elfenbeinfarbenen Locken hauchte er beschwörend. "Ist doch nichts passiert, Lucios, wein doch nicht! Ich werde niemandem etwas sagen! Wir gehen denen einfach aus dem Weg. Du musst dich nicht mehr aufregen, in Ordnung?!" Verwirrung und Scham strömten in Laureus' Wahrnehmung. Es wurde wieder dunkler um sie herum, als Lucios seine Flügel zusammenklappte, eng an seinen Leib faltete. Erleichtert stieß Laureus eingehaltenen Atem aus. Sanft wischte er feuchte Locken aus Lucios' Gesicht. "Alles wieder gut?" Hegte er zu erfahren. Lucios' blanke Augen blieben fremd. Die fahlen Lippen formten Silben, die Laureus mühsam zusammensetzte. »Altgriechisch?« [Ich will kein Engel sein!] Laureus schluckte nervös, streichelte automatisch über die weißen Porzellanwangen. [Ich will nicht anders sein, allein sein!] "Du bist nicht allein!" Protestierte Laureus energisch, umfasste Lucios' Gesicht mit beiden Klauen. "Ich schwöre dir, ich werde immer an deiner Seite sein!" Lucios zwinkerte mit den goldenen Wimpern. Laureus senkte die Stimme zu einem rauen Wispern, noch immer die Klauen fest wie Blütenblätter um Lucios' Gesicht geschlossen. "Ich will zu Asche verbrennen, wenn ich mein Wort breche." Ein unerwartet feuriges Gefühl von Hitze und explodierenden Gefühlen brandete in Laureus auf, als Lucios ihm antwortete, seinen Geist vollkommen vor ihm entblößte. Laureus schnappte nach Luft, als er Tiefe und Gewalt der Verzweiflung erkannte, die der Engel so lange einsam in sich abgeschlossen hatte. Wie fremd musste sich Lucios wohl immer vorgekommen sein, wie hässlich und unvollkommen!! "Dabei bist du unbeschreiblich schön." Bekannte Laureus leise, legte seine ledrige Stirn an die Porzellanhaut des Engels. Wie von selbst fanden sich seine Klauen in den dichten Federn, senkten sich seine Lider, als seine Lippen einen scheuen Kuss auf die glatten, farblosen Lippen des Engels hauchten. Funken sprühten in seinem Leib, Explosionen erhitzten seinen Körper, zuckten wie gleißende Blitze durch seine Seele. Mutig, da er nicht abgewiesen wurde, suchten seine brennenden Lippen erneut Lucios' Mund, öffnete sich auch sein Geist unerschrocken. Fieberschauer rieselten in den Geist des Engels. Flammen züngelten grell und hungrig, als Laureus' Gefühle in ihn eindrangen. Überrannt schloss Lucios die Augen, grub die Perlmuttnägel fester in die ledrige Haut von Laureus' Oberarmen, gab sich der ekstatischen Erfahrung hin, als Laureus' schwarze Zunge seinen Mund erkundete. Lucios vergaß das Atmen, das lediglich eine Imitation der Teufel war, benötigte er doch weder Nahrung noch Sauerstoff. [Mehr! Mehr!] Laureus zuckte unter der einsamen Kälte von Lucios' Geist zusammen, der niemals zuvor Gefühle gekannt hatte. »Ich werde für uns beide fühlen!« Versprach er stumm dem Engel in seinen Armen, intensivierte seinen Kuss. -#- "Verstehe ich das recht?! Man hat Lucios übel mitgespielt, woraufhin ihr euch berechtigt saht, mit einer ebenso geistlosen Posse zu antworten?!" Der Höllenfürst fauchte seine Anklage in die riesige Halle. Laureus zuckte nicht einmal mit einer Wimper, während Lucios unsicher einen Schritt hinter seinen Freund wich. "Das ist in etwa korrekt." Bestätigte Laureus gelassen, warf einen spottenden Blick auf die Delinquenten, die im Schatten eines Feuers an den sehr anhänglichen Federn und Quarzen herumzupften. "Ich dulde keine Eigenmacht in meinem Volk!" Donnerte der Höllenfürst. Eine sengende Lohe fegte nur Winzigkeiten über ihre Köpfe hinweg. Laureus' Klaue schloss sich fest um Lucios' Hand. Unbeeindruckt funkelte er in die Granataugen zurück, hütete sich, zu widersprechen. "Da ihr so überzeugt von euch seid, werde ich euch eine Gunst erweisen." Belladonna schoss hinter einer Säule hervor, die Klauen geballt, Schlimmes fürchtend. "Ihr werdet ungeleitet an die Oberfläche gehen an einen von mir bezeichneten Ort. Dort werdet ihr so lange verbleiben, bis ich euch holen lasse!" Laureus beugte knapp sein Haupt, unerschrocken und trotzig. Der Höllenfürst erhob sich zu seiner majestätischen Größe. "Wagt es nicht, dies für eine Eskapade zu halten! Mir ist wohl bekannt, dass ihr euch für die Oberfläche interessiert und dies euch nur zupass kommt! Aber hütet euch!" Seine Klaue hieb so fest auf die Lehnen, dass sich Splitter wie Geschosse lösten. "Dort werdet ihr erkennen, welch grausame Blüten Rachsucht treibt!" -#- Malefiz umarmte ihren widerwilligen Sohn erneut, wischte sich Pechtränen von der schwarzen Haut. "Du wirst vorsichtig sein, ja?! Nimm niemals den Umhang ab, halte dich immer im Verborgenen!" Laureus nickte hastig. Sein Herz brannte vor Vorfreude, endlich die Oberfläche wiedersehen zu dürfen. Lucios wartete neben ihm mit gesenktem Kopf, bis Belladonna unter lästerlichem Fluchen einen Umhang festgezurrt hatte, der die Flügel verbarg. "Versucht, euch nicht umbringen zu lassen, klar?!" Mit einem energischen Fauchen trieb sie beide zum Höhlenausgang. -#- Laureus unterdrückte ein Gähnen, als sie sich endlich einem Gang näherten, der an die Oberfläche führte. Belladonna rückte den schweren Solitär beiseite. Laureus zückte eilig die geschwärzten Gläser. Die Vorsicht erwies sich als unbegründet. Sie empfing eine sternenklare Nacht ohne Vollmond. "Puh!" Kommentierte Laureus die für sein Empfinden schwache Luft. "Kapuze!" Mahnte Belladonna zischend, wies in Richtung eines Hügels. "Dorthin, bleibt in Deckung. Verbergt euch in den Wäldern, haltet euch von der Siedlung fern!" Gehorsam nickten beide. Belladonna spuckte vor ihnen aus. "Verflucht sei, wer meine Söhne berührt!" Abschiedslos verschwand sie in der Höhle, schob den Solitär wieder in seine Position. "Gehen wir!" Verkündete Laureus aufgekratzt, zog Lucios hinter sich her. Seine freie Klaue zuckte zu dem Schildbogen an seiner Seite unter dem Umhang. Lucios, mit dessen Geist er untrennbar verbunden war, sandte Warnsignale. Tatsächlich schien die laue Luft angefüllt mit starken Emotionen. Als sie sich dem Hügel näherten, bemerkten sie einen Fackelzug mit Menschen, der sich von der anderen Seite heran wand. Gesang wehte herüber, als die Prozession den Scheitelpunkt des Hanges erreichte. Verwundert tauschten Lucios und Laureus Blicke, als sie aufgeschichteter Haufen Reisig und Holz gewahr wurden, die um Pfähle gruppiert worden waren. Beunruhigt von der Mischung aus Erregung und Abscheu, die in der Luft lag, konzentrierten sie ihre Sinne auf die Übersetzung der menschlichen Laute. "Was soll das heißen, 'mit dem Teufel im Bunde'?" Begehrte Laureus flüsternd zu wissen, die Stirn in Falten gelegt. "Wir rühren keinen Menschen an. Das würde sie doch verbrennen?" Murmelte er verwirrt. Man führte Menschen von einem Karren an die Leitern, die zu den Pfählen reichten, trieb sie hinauf. "Sieh doch nur, sie haben ihnen die Nägel herausgerissen! Und die Haare abgeschnitten!" Lucios keuchte vor Ekel, umklammerte Laureus' Arm. Auch der würgte unterdrückt. Ein Mann in schwarzem Gewand mit einem fanatischen Feuer in den Augen verkündete das Urteil und befahl die armen Seelen zu Gott. "Welcher Gott würde so etwas zulassen?!" Fauchte Laureus hitzig, bereit, sich kopflos aus ihrem Versteck zu wagen. "Riecht ihr nicht den Schwefelgestank des Teufels, wie er diese Verlorenen umgibt?!" Die Stimme überschlug sich in geifernder Ekstase. Laureus sah beunruhigt an sich herab. Hatte man sie bereits ertappt?! Lucios drückte seine Klaue kopfschüttelnd, wies nach vorn. Fackeln flogen in den Reisig, Flammen loderten auf. Gesänge und das angstvolle Schreien der Menschen mischten sich zu einer erbärmlichen Kakophonie. "Das können wir nicht zulassen!" Fluchte Laureus, sprang auf. Lucios' Hand traf ihn unvorbereitet im Gesicht. Bilder schwappten hastig in Laureus' Geist, als Lucios ihm die Folgen beschrieb, die ein Eingreifen haben würde. Laureus wandte den Kopf. Seine Reißzähne trieben sich tief in seine Unterlippe, als er eine Schleuder hervorzog, Pechkugeln zielsicher durch die Nacht katapultierte. Die Qual der Opfer beendete, bevor sie langsam erstickten. Über den Hügel trieben Schwaden stinkenden Qualms. Das Feuer zischte, wenn es neue Nahrung an den Menschen fand. "Wieso~wieso tun sie das?" Laureus wischte Pechtränen von seinen Wangen, erschüttert und ratlos. Plötzlich zuckte Lucios neben ihm zusammen. Alarmiert warf er einen Blick auf seinen Gefährten, der mit panischem Blick auf den Himmel starrte. Dort schwebte, für die Menschen nicht sichtbar, ein Engel. -#- Laureus' Klaue hatte den Schildbogen aufgespannt, bevor der nächste Atemzug seine Brust verließ. Fieberhaft suchte er sich an alle Ermahnungen zu erinnern, die Belladonna ihm gegeben hatte. Nur wenige überlebten die Begegnung mit einem Engel. Er schob sich energisch vor Lucios, hoffte, ihn vollkommen zu verdecken. »Kann er uns sehen? Riechen? Erfühlen?« Nun zuckte der Engel mit angelegten Flügeln kurz in die sichtbare Sphäre der Menschen. Sofort wimmerten sie entsetzt, kauerten auf dem Boden. Der Engel trällerte, verschwand wieder. Laureus spuckte Schlacke, hatte Mühe, den Schildbogen zu halten, als unerträglicher Schmerz in seinem Leib wütete. Die Menschen lobpreisten einen fremden Herrscher, der mit seinem Boten ihr Tun guthieß. Lucios umklammerte Laureus' Taille, um ihn zu stützen, während er fassungslos den Kopf schüttelte, die Kapuze herabsank, seine elfenbeinfarbenen Locken enthüllte. Der Engel hatte von glücklicher Rache gesungen, einen Spottreim auf die Menschen. Sein Gesang, der in den Menschenohren so lieblich klang, hatte Laureus verwundet. -#- Lucios zerrte den taumelnden Laureus hinter sich her, hoffte inständig, dass es ihnen gelingen möge, dem Engel zu entkommen. Er hatte noch niemals zuvor einen anderen Engel gesehen. Diese Begegnung erfüllte ihn nicht mit Ehrfurcht oder Freude. Nein, wollte er zuvor kein Engel sein, um nicht mehr ausgeschlossen zu werden, so verbot es ihm sein Ehrgefühl nun, ein Wesen zu verkörpern, das über die fehlgeleiteten Menschen frohlockte. Sie brachen krachend durch Geäst, tiefer in einen verwilderten Wald, der offenkundig nicht bewirtschaftet wurde. Laureus hatte es mühsam vollbracht, die Schmerzen, die er litt, von Lucios abzuschirmen. Er bremste ihre Flucht nun. "Ich muss wissen, was geschehen ist!" Beharrte er. Lucios schüttelte heftig den Kopf, transferierte das Bild des Engels in Laureus' Geist. Laureus knurrte bedrohlich. "Er könnte uns angreifen, sicher, aber hätte er das nicht längst getan?" Lucios zuckte unsicher mit den Schultern, wischte Locken aus seinem Gesicht. Trotz ihrer Verkleidung leuchtete er in der Dämmerung. Er zerrte Laureus in eine Erdkuhle, streifte ihm die Kapuze von der wilden Mähne, untersuchte behutsam die spitzen Ohren und die Lippen, an denen getrocknete Schlacke von der Engelsattacke kündete. Tröstend liebkoste er die ledrige, steingraue Haut, empfing die Dankbarkeit und Wärme, die Laureus für ihn verspürte. Laureus referierte im Flüsterton. Wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte, konnte er nicht schweigen. "Wie kommen sie auf die Idee, wir würden uns mit ihnen zusammentun?! Oder ihnen übel wollen?!" Verwirrt suchte er Erkenntnis in Lucios' weißen Augen. Der Engel wich seinem Blick aus. "Was wollte dieser Engel?! Hassen sie uns, weil wir ihnen nicht mehr beistehen?!" Ratlos kaute Laureus an einer Kralle, was ihm in der heimatlichen Höhle einen Schlag eingebracht hätte. "Belladonna sagt, es gibt keinen Gott. Von wem sprechen diese Menschen dann?! Ein Betrüger?! Oder eine Massenillusion?" Seine Stirn legte sich in Falten, als er anhand der eingeübten Logik der Hellenen dieses Rätsel zu ergründen suchte. Jedes Volk der Menschen, das sich schriftlich zu äußern vermochte, wurde fleißig von ihnen studiert. Auch Gottesvorstellungen waren nicht unbekannt, jedoch glaubte niemand unter den Teufeln ernsthaft, dass jemals ein Gott existiert hatte. Laureus rückte enger an Lucios heran, der ungewöhnlich verschlossen neben ihm kauerte. "Was ist los?" Als Lucios ihm nicht antwortete, keine Geste zu seiner Beruhigung vollführte, knurrte Laureus irritiert, legte eine Klaue unter das weiße Kinn, drehte Lucios' Gesicht zu sich herum. Es wirkte fremd und kalt. Laureus erschauerte, suchte in den unwirklichen Zügen nach dem Freund. "Lucios?!" Verunsichert schloss Laureus die Augen, küsste die eisigen Lippen, öffnete seinen Geist, damit die Hitze seiner Gefühle wieder Leben in den Gefährten hauchte. Zögerlich wurde der Druck erwidert. Lucios schlang die Arme um Laureus, saugte dessen schwarze Zunge tief in seinen Mund. Sie ignorierten beide das Reißen des Stoffes, bemerkten nicht, dass Lucios wie ein Leuchtfeuer in der Finsternis des Waldes brannte. -#- Laureus schnappte nach Luft, ließ Lucios nicht los, zerwühlte die elfenbeinfarbenen Locken seines geschlechtslosen Freundes besitzergreifend. Lucios lächelte sanft, strahlte von der geborgten Wärme, als sein Geist etwas auffing. Hastig stemmte er sich von Laureus hoch, warf angespannte Blicke in die Runde. In seine Züge fuhr Erkenntnis und Entsetzen, als er Laureus eilig auf die Krallen zog, durch das Unterholz preschte. Die Flügel behinderten ihr Fortkommen erheblich, auch wenn sie eng an Lucios'Leib klebten. "Der Engel?!" Keuchte Laureus heiser, untersuchte ihre Umgebung, ob sich nicht ein Unterschlupf in die Unterwelt finden ließ. Unvermutet platzten sie auf eine Lichtung, die ein Feuer nach einem Blitzschlag in den Wald gerissen hatte. Lucios' Miene wurde undurchdringlich. Über ihnen kreiste der Engel, stumm, verwirrt, abwartend. Lucios wollte Laureus in die dichten Büsche zurückschieben, aber der widerstand trotzig. "Er hat mich längst gesehen, Lucios. Ich verlasse dich nicht." Laureus spannte den Schildbogen erneut auf, stählte sich für die Qual, die der Gesang des Engels ihm bereiten würde. Lucios entfaltete seine Flügel. "Was tust du?! Du willst doch nicht etwa fliegen?!" Der Engel schoss pfeilschnell auf sie herab, als Lucios sein Gefieder spreizte, mit energischem Druck vom Boden abhob. "Nein!!" Laureus' Aufschrei wurde verwirbelt in dem Staub und toten Gehölz, das die Engel aufwirbelten, als sie sich stumm umkreisten. Der fremde Engel lachte, was Laureus von den Krallen fegte. Er spuckte Schlacke aus, verkroch sich wimmernd unter dem Schildbogen. Ein blendender Strahl zerfaserte an seinem Schild, blendete ihn. In Todesangst schrie er seine Gefühle zu Lucios hinaus, dessen Geist noch immer für ihn geöffnet war. Wieder triumphierte der Engel. Lucios konnte seine Worte, in den hymnischen Gesang verkleidet, entschlüsseln. [Stirb, schmutzige Kreatur! Dreckfresser!] [Rühr ihn nicht an!] Der Engel wandte das Haupt. [Du musst der Verlorene sein. Willkommen zurück, lass uns lobpreisen den Einzigen!] Lucios fächerte, gewann an Höhe. [Verschwinde und kehre niemals wieder!] Der Engel schoss einen Warnstrahl aus Licht ab, der Lucios' rechte Schwingen zerriss. Lucios litt stumm. [Du lebst unter denen, die man die >Versucher< nennt?! Wagst es, einen dieser Unwerten zu schützen?!] Lucios schwankte, konnte nicht länger seine Position halten, stürzte auf die Erde hinab. Laureus zuckte zusammen, als Lucios ungefiltert die Eindrücke seines Absturzes an ihn weiterleitete. "Nein!" Würgte er, taumelte zu der Baumkrone, in die Lucios einschlagen würde. Sie bremste den Fall kurzzeitig. Lucios brach weiter in das Dickicht hinunter, wo Laureus eilig den Schildbogen über ihnen aufspannte. Der Engel lachte, setzte zum vernichtenden Schlag an, den Besudelten und den Versucher auszulöschen. Laureus wurde vor Schmerz ohnmächtig. Lucios umklammerte den Schildbogen, spähte über den Rand. [Niemals will ich ein Engel sein!] Der Engel sandte den Todesblick in letztem Triumph. -#- "Belladonna, was ist geschehen?!" Malefiz stöhnte entsetzt auf, als Belladonna Lucios wie eine Flickenpuppe in den Armen trug. Ein Soldat folgte, stützte Laureus. "Kind!" Malefiz zog Laureus an sich, der zu schwach war, eine Reaktion zu zeigen. "Holt mir Schwefel, Quarze und Teer!! Und bringt die eiserne Lanze!" Belladonnas Worte waren ein donnerndes Bellen. Eilig liefen andere herbei. Laureus wurde mit Geschick versorgt. An Lucios traute man sich nicht heran. Belladonna fluchte ungehalten, jagte die Umstehenden aus der Höhle heraus. Hilflos starrte sie auf den Engel herab, der mit gebrochenen Schwingen und tiefen Wunden vor ihr lag, noch immer bei vollem Bewusstsein. "Wie soll ich dir bloß helfen, mein Kleiner?!" Wisperte sie rau in das Porzellangesicht, die Karneolaugen von Pechtränen getrübt. Lucios versuchte sich an einem schiefen Lächeln. Es polterte am Höhleneingang. "Lasst uns endlich allein!!" "Ich denke nicht daran!" Grollte der Höllenfürst ebenso hitzig zurück, trat neben Belladonna, die schon kampfbereit die Klauen ballte. "Ihr dürft ihn nicht erlöschen lassen!" "Denkt Ihr, ich wüsste das nicht?!" Wie zwei Streithähne standen sich Fürst und Generalin gegenüber. "Wenn er nicht mehr unter uns ist, verstärkt er die Reihen der Engel!" Erläuterte der Höllenfürst ungerührt. "Aufhören!" Laureus stemmte sich schwankend in die Höhe, torkelte zu Lucios hinüber, schloss die Augen, umklammerte die Alabasterhand, sammelte sich. "Der andere Engel... verletzt....Gefahr..." Übersetzte er die Bilder, die Lucios in seine Gedanken sandte. "Wie sollen wir dich heilen, Lucios?!" Begehrte Belladonna zu wissen, ignorierte den Höllenfürsten. Laureus runzelte die Stirn, bebte leicht, straffte sich dann. "Ich verstehe das Bild nicht...Zeit?! ... ja, Zeit." "Wer hat euch angegriffen?" Laureus keuchte, ging in die Knie, als ihn die Kräfte verließen. "Engel." Flüsterte er, bevor ihm die Sinne schwanden. -#- Zwei Jahre später. Laureus befreite die Schwingen von den letzten eisernen Klammern, die das stützende Korsett aus metallischen Streben hielten. Lucios fächerte vorsichtig Luft, wirbelte Asche auf, drückte Luft heftig in die angeschlossenen Gänge. Laureus lächelte schief. Stumm nahm er Lucios' Hand in seine Klaue. Lucios strich vorsichtig mit der Hand über das steingraue Gesicht, zeichnete mit den schlanken Fingern und Perlmuttnägeln die ausgeprägten Züge des jungen Teufels nach. Laureus keuchte, presste Lucios mit der freien Klaue eng an sich, zog heftig an den elfenbeinfarbenen Locken, damit sich Lucios' Kopf in den Nacken bog, küsste ihn verlangend. Als sich ihr Kuss Pechschwarz färbte, zuckte Laureus' Leib vor Trauer. Klaue und Hand verließen einander für keinen Wimpernschlag. -#- Malefiz kauerte neben Belladonna, das schwarze Gesicht mit Asche beschmiert. Sie sprachen kein Wort, hielten einander im Arm. -#- Laureus schob sich fest die geschwärzten Gläser über die Augen. Die Lanze, durch Hitze und Druck zu diamantenschwarzem Gestein geformt, saß fest in seiner Klaue. Der Schildbogen, aus unzähligen Facetten spiegelnden Glases geschaffen, hing an seinem Waffenrock. Lucios, in dem golddurchwirkten Waffenrock aus weißen Ziegenleder, trat hinter ihn, umschlang seine Brust. Ein paar Stöße später trugen Laureus die schweren Schwingen von Lucios in die Luft. -#- Die sternenklare Nacht empfing sie freundlich. Laureus fror. Lucios, stumm, konzentriert, bewegte sich zielsicher auf ein Sternbild zu, das von falschen Sternen funkelte. Unter ihnen brannten zahllose Feuer, kündeten von einer Finsternis, die die Menschen ergriffen hatte. Die Luft war schwer von Todesgestank. Dies würde sich fortsetzen, wenn niemand den Engeln in ihrem Toben Einhalt gebot. Selbst wenn die Menschheit an sich unzerstörbar schien, die Natur sich immer neu gebar, so konnten die Teufel sich nicht länger den Wesen verweigern, die ihnen so ähnlich waren. Die Engel forderten den verlorenen Engel der zweiten Generation?! Sie sollten ihn bekommen! -#- Laureus versteifte sich, als sich in der dünnen Luft mehrere Engel materialisierten. Lucios' Geist versandte beruhigende Bilder. Sie brauchten den verlorenen Engel, das hatte er selbst in der Unterwelt gespürt. Die Engel waren nicht unbesiegbar. Sie konnten Laureus nicht töten, wollten sie nicht riskieren, auch Lucios zu verlieren. Noch waren sie sicher. -#- Die Engelsburg war so unwirklich wie die Engel selbst. Gleißend hell, einsam und ungestaltig schwebte sie in leerem Raum. Hand in Klaue schritten Laureus und Lucios durch ein Spalier von Engeln. Nur Lucios konnte verstehen, was ihre Körper ausdrückten. Sie sangen nicht. Noch nicht. Ein großer Engel harrte ihrer. Sein Licht war blendend und doch staubig, trübe. [Verlorener Engel, sei willkommen! Preise den Einzigen mit uns!] [Du verlöschst.] Stellte Lucios undiplomatisch fest. Der Engel faltete gewaltige Schwingen auf. [Wir sehnen uns nach deiner Kraft, deiner Willensgewalt.] [Sagt mir, warum ihr die Menschen und die Teufel plagt!] Die Engel wisperten angesichts Lucios' unbotmäßiger Frechheit schrill, was Laureus einen Schmerzensschrei entrang. Der erste Engel gebot Schweigen. Laureus umklammerte Lucios' Hand fester, ignorierte die Schlacke, die auf seine Schultern tropfte. [Wir preisen den Einzigen! Wir sind auserwählt!] [Beweise es mir!] Der erste Engel nickte, sein Gesicht zu keiner Regung mehr fähig. Er gebot Lucios, näher an eine Wand heranzutreten. Lucios zog Laureus sanft mit sich, nahm die fremdartigen Zeichen in Augenschein. Laureus, der angesichts der Blendung nur noch pechschwarze Schlieren sah, sandte Lucios stumm die Anfrage um Übersetzung. Lucios war zu entsetzt, als dass er hätte reagieren können. Laureus zuckte zusammen, als das Echo von Lucios' Gefühlen seinen Geist aufwühlte. [Ich will ihn sehen!] Wieder erhob sich Protestgesang unter den Engeln. Laureus spuckte sich krümmend Schlacke auf den unwirklichen Boden. [Hört auf! Sofort!] Fauchte Lucios wie ein arktischer Sturm. Es wurde still. Laureus wimmerte unterdrückt. Er hielt sich tapfer auf den Beinen, als der erste Engel einen Vorhang aus Licht anhob, eine seltsame Gestalt enthüllte. In Sternenfunkel getaucht hockte auf einem Thron ein Wesen, in Gestalt den Engeln gleich, jedoch ohne Flügel. Eine Kruste aus Eis bedeckte die Form, machte Gesichtszüge unkenntlich. Der erste Engel schlug die Augen nieder. [Lobpreisen wir den Herren!! Einziger Gott, wir ehren dich!] [Nein!!] Lucios' verzweifelter Protest ging unter in den Hymnen, die den endlosen Raum durchdrangen. Laureus schrie in Todesqualen, schleuderte blind seine Lanze von sich. Der Gott der Engel zerbarst in unzählige Splitter. -#- Dissonant und wehklagend brachen die Engel ab, starrten ungläubig in die Leere, die der Gott eingenommen hatte. Lucios fing Laureus' Sturz ab, als der auf den Boden sackte. Pech und Schlacke bedeckten die steingraue Haut, der stetige Herzschlag nur noch ein schwaches Stolpern auf seinem letzten Gang. Lucios' Geist schrie gramerfüllt. Heftig zog er Laureus an sich, presste die Lippen auf den pechschwarzen Mund, drängte vergeblich die entweichende Luft zurück. Aus Laureus' sterbendem Geist taumelten vage Bilder, Fetzen der Erinnerung, Gefühle, Gedanken. Das Licht, das ihn geleitet hatte, erlosch. Lucios, der verlorene Engel, schrie. -#- [Er hat Gott getötet! Der Unwerte hat den Einzigen zerstört!] Wehklagen und Heulen unter den Engeln, als Lucios' markerschütternde Klage ihre Engelsburg erbeben ließ. [Der Frevler ist gestorben!!] Lucios riss das pechverschmierte Gesicht hoch. In seinen Augen brannten Blitze. [Ihr verblendeten Ignoranten!! Wisst ihr, wenn ihr angebetet habt?! Habt ihr die Tafeln jemals gelesen?!] [Der Herr ist einzig, er gestattet uns die Erkenntnis der Welt.] Die Engel sangen melodisch. [Unsinn!! Das war kein Gott!! Ein Wesen aus einer anderen Galaxie, das hier strandete! Euch, ebenso wie die Teufel, schuf, um nicht zu vereinsamen!!] Lucios spuckte vor Abscheu kalte Schlacke auf den unwirklichen Boden vor den Engeln. Die Engel starrten blicklos den ersten Engel an. Der ließ seine leeren Augen nicht von Lucios. [Du bist wirklich ein mächtiger Engel. Ich bin der letzte Engel, der den Sinn Seiner Botschaft erkennen konnte.] Lucios erhob sich, von Laureus' Lebenssaft schwarz befleckt. [Du hast gar nichts begriffen! Du hast einen Krieg gegen die Teufel angefacht, weil sie Geschöpfe waren, die euer >Gott< als partnerschaftliches Konzept erschuf!! Die einen in ewiger Wiedergeburt, die anderen über verschiedene Geschlechter und Vermehrung!] Angewidert fuhren die Engel zurück, als Lucios die Teufel beschrieb, ihre Fleischlichkeit, durchdrungen von >niederen< Gefühlen, beherrscht von Trieben und Emotionen. [Ja, hört genau hin, wir sind nur eine Alternative! Er wollte zusehen, welche sich durchsetzen würde auf dieser Welt, die er kolonialisierte!] Lucios trat vor, breite die dünnen Arme aus, fächerte seine Flügel auf. [Es passierte etwas Unerwartetes! Der Planet, auf dem die Teufel lebten, entwickelte sich selbst! Er brauchte keinen Schöpfer mehr, keinen fremden Kolonialherren!! Das konntet ihr nicht ertragen. Dass euer >Gott< die Menschen, die dieser Planet gebar, mehr liebte als seine eigenen, unvollkommenen Geschöpfe!] Unheilige Blitze versengten Lucios' Gefieder. Laureus' Schildbogen bot ihm ausreichend Schutz. Der erste Engel verbat weitere Attacken mit entschiedener Geste. [Warum geht ihr nicht auf direktem Weg auf die Menschen los? Nun sprich schon, erster Engel!] Der erste Engel baute sich vor der Engelschar auf, die sich bedrohlich auf Lucios zubewegte, der sich mit Laureus' Leiche vor dem Thron niederkauerte. [Unser Einziger sprach, bevor er für immer verstummte,>rühret meine Kinder nicht an!< Also tasteten wir sie nicht an, folgten seinem Gebot!] Die Engel stimmten ihre Kampfgesänge an, voller Triumph über ihren Winkelzug. [Ja, ihr treibt sie dazu an, sich gegenseitig oder auch die Teufel zu vernichten! Fürwahr ein boshafter Plan!] Lucios verzog das Gesicht vor Abscheu und Ekel. [Euer >Gott< starb, weil die Menschen eine Welt schufen, in der er nicht existieren konnte. Welcher Hohn!] Lucios spottete mitleidlos, umklammerte Laureus' noch warme Klaue. Die Engelschar sang Himmel erschütternd. [Unser Saat geht auf. Die Menschen werden fortan das Böse in ihrem Mitgeschöpf suchen!] Der erste Engel übertönte die anderen Engel siegesgewiss. [Wenn ich wiederkehre, werden wir erstarkt sein!] Lucios faltete die Flügel auf, zog Laureus eng an sich. Wenn die Engel einander mit dem Todesblick trafen, so verloschen sie unwiederbringlich. Nur der Tod durch fremde Einflüsse führte sie zu neuer Existenz. Der erste Engel strahlte in gleißendem Licht, schüttelte die Staubschicht ab, die sein Verlöschen ankündigte. [Tritt ein in unsere Mitte, verlorener Engel! Gemeinsam lobpreisen wir den Schöpfer!] Lucios küsste Laureus sanft, barg ihn liebevoll in seinen zerfetzten Flügeln, richtete sich auf. Die weißen Augen mit der goldenen Korona um die Iris glommen. [Niemals will ich ein Engel sein!] -#- ENDE -#- Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Wieder mal kimeras unwesentliche Sicht auf die Dinge, die andere so bewegen... wie schon erwähnt, kann ich der Engel-Euphorie in ihrer Verklärung ebenso wie dem Dämonen-Kult nicht viel abgewinnen. Die eine Seite ist so gut, dass es einem im Halse würgt, die andere Seite platt, banal und ohne Motivation einfach "schlecht"... das ist mir zu wenig. Dieser Beitrag entstand aus der Überlegung, dass Engel in der mit ihnen verbundenen Glaubenstyrannei fanatisch sein können und es sich im Prinzip um zwei widerstreitende Systeme des Lebens dreht. Vielleicht habe ich deshalb auch ein Faible für Kaori Yukis "Angel Sanctuary" ^_^ Eine Wahrheit (des Volksmundes) ist auf keinen Fall vom Tisch zu wischen: »Oh Herr, bewahre mich vor denen, die an Dich glauben!«