Titel: Regenbogen-Rangliste Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab: 12 Kategorie: Komödie Ereignis: Valentinstag 2022 Erstellt: 13.02.2022 Disclaimer/Hinweise: - Ugo und Roger (Ferrero) treffen in "Phobikus" zuerst aufeinander - Vincent Valentine ist ein fiktiver Romanheld (so wie Jack Cougar ^_~) - Charles M(onroe) Schulz, 26.11.1922 - 12.02.2000, Comic-Künstler, Peanuts-Schöpfer, feinsinniger Beobachter - Sherlock Holmes, Miss Marple, die drei ??? und John Sinclair sind fiktive Ermittelnde - Edgar Wallace ist ein Pseudonym für die Autorenschaft einer beliebten Kriminalreihe ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ ~(___)~ Regenbogen-Rangliste Kapitel 1 - Die Aufwartung "So ein Arsch!" Dachte Jannäus Niklas halblaut, verwünschte unter anderem seinen Hang zur gewaltlosen Auseinandersetzung mit der enervierenden Realität. Mal abgesehen davon, dass er nicht den titulierten Arsch Marvin respektive dessen Kehrseite mit seinen Schuhsohlen bekannt machen konnte. Weil vermutlich ein Hocker dafür notwendig wäre, von mindestens 20 Kilo Muskelmasse zusätzlich nicht zu sprechen. Allerdings würde die "Regenbogen-Rangliste" wie beabsichtigt schnell die Runde machen, durchsichtig "getarnt", um sich an Ferrero zu rächen. Bloß, darauf hoffte Jannäus Niklas intensiv, war Ferrero ein ganz anderes Kaliber: scharfsinnig, gründlich, durch Zugehörigkeit zu mehreren "Minderheiten" privilegiert, Marvin so richtig einen reinzuwürgen! Hörbehindert, mit Migrationshintergrund, mutmaßlich schwul: das war kaum noch zu überbieten! Die Fehde gründete unter anderem darin, dass der Marvi-diot das Hör-Sensibelchen Ugo beim Zusammenbruch im Schulflur gefilmt hatte. Schon grundsätzlich mal nicht erlaubt, von charakterlich unterirdisch ganz zu schweigen, gerade dann, wenn schon der Flurfunk meldete, dass Ugo und Ferrero zusammen waren, über eine Klassenstufe und diverse andere Unterschiedlichkeiten hinweg. Ferrero, eigentlich Roger, aber so nannte man ihn bloß in Hörweite, stellte einen ernstzunehmenden Gegner dar: ER hatte dafür gesorgt, dass das kostspielige Smartphone von Marvi-diot einkassiert worden war, alle Aufnahmen unter Aufsicht gelöscht werden mussten. Da half die Drohung, seinen Vater einzubestellen, doch erstaunlich prompt. Ihn jetzt erneut mit einer Liste der "Top Ten-Regenbogen-Persönlichkeiten" an der Schule herauszufordern: da musste man schon verdammt blöd sein! "Und feige!" Ergänzte Jannäus Niklas vergrätzt, denn ER war zur Ergänzung auch auf der Rangliste gelandet. Klar, war ja einfach, von ihm war schließlich keine kreativ-militante Gegenwehr zu erwarten! Obwohl Jannäus-Niklas SEHR gerne genau dies...! Nur stand das nicht zur Debatte, weil er ja kaum von den Toten, nun ja, Zombies wiederauferstanden war. Verärgert die Stiche hinter seinen Augäpfeln ignorierend löschte er die Benachrichtigungen, deaktivierte sein Mobiltelefon, rieb sich die Augen, was nicht half. Er versuchte, bis in die Zehen zu atmen, was nicht gelang. Er war schon wieder müde und beinahe deprimiert, dass ihn nicht mal Spott erreicht hatte ob seiner "Nominierung", dabei hätte man sich eigentlich an das Übersehen werden schon gewöhnen müssen... Es läutete. Jannäus-Niklas stellte das fruchtlose Augenreiben ein, stemmte sich steif von seinem Bett hoch. Ein Lieferdienst? Aber dann hätte seine Mutter doch bestimmt...oder? Selbst Bobby war nicht so sorglos, ihm keine Nachricht weiterzuleiten, falls eine Zustellung kommen sollte. Es läutete erneut. Man hatte also nicht die Absicht, von der Haustür des Mehrfamilienhauses zu weichen. Jannäus-Niklas seufzte, schleppte sich zur Gegensprechanlage im offenen Flur. "Ja, bitte?" Erkundigte er sich höflich, verwünschte seine allzu helle Stimmlage. "...wer ist da?!" "...aber..." "...meinetwegen..." Murmelnd zupfte sich Jannäus-Niklas eine Strickjacke aus dem Wirrwarr an der Garderobe. Irrtümlich nicht eine eigene, sondern von Bobby, weshalb er sich in dem halben Mannschaftszelt verwickelte, weil die Ärmel definitiv zu fern von einander...! "Hallo, Jannik! Oh, soll ich dir helfen?" Nicht, dass Jannäus-Niklas dies wünschte, aber bevor er eine Ablehnung formulieren konnte, wurde er schon wie eine Puppe rangiert und gewickelt. Oder eher wie ein Püppchen. Dann schob sich der unangemeldete Besucher in den Flur, schloss die Wohnungseingangstür bei "von Schmetten". ~(___)~ "Die ist ein bisschen groß, oder? Auf Vorrat gekauft?" Jannäus-Niklas schnaubte, warf einen betont grimmigen Blick in die Höhe. "Nein!" Fauchte er ungastlich (und leider erbärmlich Richtung Sopran). "Die gehört Bobby... Robert, dem Freund meiner Mutter!" Er wollte den Eindringling nicht in die Wohnküche führen. Überhaupt, was sollte dieser Überfall?! "Was willst du hier? Was ist so wichtig... wir haben doch sonst nichts miteinander zu schaffen!" Er spürte schon, wie es hinter seinen Schläfen zu pochen begann, ganz zu schweigen davon, dass sein Kreislauf sich mal wieder ausstrecken wollte. "Ähem... ich werde nicht lange stören. Nur...du hast doch die...Regenbogen-Rangliste gesehen, ja, bestimmt, oder?" Jannäus-Niklas grollte grimmig. "Ah, und du bist hier, weil du dich persönlich über mich amüsieren willst?!" SO WICHTIG hatte er sich ja nicht genommen, aber Begeisterung über die eigene Berühmtheit wollte sich nicht einstellen! "Nein, nein, bestimmt nicht!" Bevor Jannäus-Niklas reagieren konnte, wurden seine Hände gekapert. "Bitte, willst du mit mir gehen?" ~(___)~ "...was?! Ist das hier Versteckte Kamera?! Spinnst du?!" Jannäus-Niklas vermutete, auch wenn das absurd war, da sie im Flur standen, einen fiesen Streich. Als wäre es nicht schon genug, ihn als "Füllmaterial" für die Top Ten zu benutzen! Oder darauf herumzureiten...! "Nein, nein! Ich meine es ernst. Bitte, geh mit mir, ja?" Seine Hände waren fest umschlossen, Ausbruchsversuche offenkundig zwecklos. Mit Plüschpuschen konnte er kein Schienbein wirkungsvoll treten! Wenn er das jemals gewagt hätte. "Das~das ist doch gequirlte Kacke! Mit dieser dämlichen Rangliste! Ich bin nicht...! Das war bloß, um mich zu schikanieren!" Schimpfte er unsortiert, funkelte hoch in die dunkelbraunen Augen. "Lass mich sofort los und verschwinde! Nur, weil ich jünger und kleiner bin, hat keiner das Recht, auf mir herumzuhacken!" Wie ein Stich blitzte es schmerzhaft hinter seiner Schläfe. Prompt spürte Jannäus-Niklas Brechreiz, kniff die Augen fest zusammen und presste die Zunge an den Gaumen. »Unfair!« Protestierte eine klägliche Stimme in seinem Hinterkopf. So konnte er sich nicht wehren, nicht streiten, sich nicht verteidigen. "...ist dir nicht gut?" Jannäus-Niklas gurgelte, bemüht, nicht zu würgen. "...Migräne..." Presste er mühsam heraus, versuchte, seine Hände zu entziehen. Es fühlte sich mal wieder so an, als befände sich sein Schädel in einer Schraubzwinge! Tränen sickerten aus seinen Augenwinkeln, aber obwohl er doch die Lider gesenkt hatte, spürte er Blitzlichter. Klar, jetzt kam noch der nächste Spott! Hämische Bemerkungen a la "Kerle kriegen Rücken, aber doch keine Migräne!" oder "was denn, als nächstes hast du wohl auch noch deine Tage!". Der Spannungsschmerz steigerte sich noch. Jannäus-Niklas rang nach Luft. Er musste sich hinlegen, in sein Zimmer! »Hau ab!« Dachte er gequält, in die Knie gehend, doch leider kamen ihm diese Worte nicht über die Lippen! ~(___)~ Die ersten drei Tage der Weihnachtsferien hatte Jannäus-Niklas im Bett verbracht. Nein, keine Corona-Infektion! Eine fiese Erkältung kombiniert mit totaler Erschöpfung, gründend auf Präsenz-Unterricht, Prüfungen, Leistungstests, Verstärkungstests, Unterstützungsunterricht, Nachhilfe, Aufarbeitung... »Wir lassen kein Kind zurück!« DAS konnte man, wenn man nicht Kultusministeriumsmensch oder ehemalige Ministerpräsidentin war, auch GANZ anders verstehen! Als "Kind" fühlte man sich nämlich schon längst nicht mehr, eher als laufendes Experimentierfeld für Belastungsgrenzen, Noten- und Leistungsdruck, eigene Erwartungen, Konkurrenz, Angst vor der Zukunft... Jannäus-Niklas hatte ausschließlich von Testbögen, Fragestellungen, Punkten und Zensuren GETRÄUMT! Wie ein Hamster im Rad, nur noch in einer abgeschlossenen Welt unterwegs, Bulimie-Pauken, Wiederkäuen, noch mehr in den Kopf stopfen... und endlich, zu Hause, war er in sich zusammengefallen. Ausgelaugt, ausgebrannt. Ja, woanders würden Kinder sich über SEINE lächerlichen Sorgen freuen! Woanders waren sie hungrig auf Erfolg, viel aufnahmefähiger, leistungsbereiter! Der Chinese, der Inder, ja, DIE würden sie alle überflügeln, und dann, dann wären sie im finsteren Mittelalter! Was man eben davon hat, wenn man freitags sinnlos herumdemonstriert und all die studierten Weiber Ideen hätten, ohne jemals richtig gearbeitet zu haben... Jannäus-Niklas wollte das nicht hören, auch wenn es in seinem fiebrigen Kopf herumtobte. Er konnte sich nicht mal wie gewohnt vornehmen, BLOSS nicht SO zu werden... oder zu sein. Wenn er doch nur ein bisschen mehr wie seine Mutter wäre, dann...! Aber wann hatte ER schon mal Glück?! ~(___)~ Jannäus-Niklas kontrollierte noch mal, ob "alles am Mann" war: Einkaufsliste, Geldbörse, Hackenporsche, Rucksack, Plastik-Chip für den Einkaufswagen, Ersatzmaske. Grimmig stapfte er, den Einkaufstrolley ausbalancierend, die Treppen herunter, nahezu unkenntlich verpuppt, um gegen die Kälte abgedichtet zu sein. Nein, keine sibirischen Verhältnisse (FRÜHER, vor der Klimakatastrophe), aber seine Konstitution war nun mal nicht gut. Als er die Haustür hinter sich zuzog, registrierte er im Augenwinkel eine Bewegung. "Hallo, Jannik." Erschrocken pirouettierte Jannäus-Niklas, soweit es Hackenporsche und Turnschuhe zuließen. "Was~was willst du hier?!" "Mit dir sprechen. Gestern ging das ja nicht so richtig..." "Ich hab dir nichts zu sagen! Überhaupt, wieso lauerst du mir hier auf?!" Unterbrach Jannäus-Niklas eilig, das Adrenalin verwünschend, das diese Konfrontation ausschüttete. Ungebeten und definitiv unerwünscht! "Na ja, auf eurem Kalender stand 'Einkaufen', deshalb dachte ich mir, dass wäre eine gute Gelegenheit..." "Ist es nicht! Wird es nicht geben, verstanden?! Der Witz ist überholt, also verschwinde!" Fauchte Jannäus-Niklas, registrierte die rapide Anspannung und das Klopfen in seinem Schädel. Oh nein, das konnte er gar nicht brauchen! "...ich mache keinen Witz..." "Hau ab!" Feuerte Jannäus-Niklas endlich heraus, sah schon Flecken und blinzelte heftig. Nein, so konnte er nicht einkaufen gehen, nicht in dem Zustand! Aber er musste, er war an der Reihe, verantwortlich, in der Pflicht...! "...oh, oh...nicht umfallen, ja?" "Fass mich bloß nicht an, du zottellausiger Stalker!" Brachte Jannäus-Niklas hervor, wandte sich herum, wieder die Haustür aufzuschließen. Rettung in die eigenen vier Wände! Und~und doch eine Tablette, selbst wenn die ihn eine Weile ausknockte. Bis nach oben WÜRDE er es schaffen, jawohl! Auch mit verschmierter Sicht und dem blöden Hackenporsche... ~(___)~ »Das ist nicht gut.« Stellte Jannäus-Niklas fest, das leere Glas zur Wohnküche transportierend. Draußen wurde es rasch dunkel, regnete ungemütlich. Jemand hatte eingekauft, die Einkäufe verstaut und im Haushaltsbuch verzeichnet, das neben der Geldbörse und dem Plastik-Chip aufgeschlagen wartete. Auf der Rückseite der Quittung notiert: [Die Clementinen waren schon zu alt. Die eingelegten Mirabellen schmecken prima. Gute Besserung. B. K.] Man musste schleunigst die Quittung samt Mitteilung verschwinden lassen! Und~und vergessen... "Na, das kostet mich wohl keine Mühe!" Ätzte Jannäus-Niklas sich selbst an, mutlos auf die Couch sinkend. Er konnte sich nur noch in Bruchteilen entsinnen, wie er, offenkundig nicht allein, zurück in die Wohnung gelangt war. Hatte er im Automatismus wirklich die Tablette mit Wasser geschluckt? Sich selbst aus der Klimadämmung gepellt? Die Jalousien zugezogen? Oder... Oder. "Toll." Murmelte Jannäus-Niklas, zog die Beine vor dem Leib. Jetzt musste er sich auch noch bedanken! Vielleicht lauter lustige Kommentare und Bilder von sich selbst in diesem luschigen Zustand ertragen! Prompt pochte es warnend in seinen Schläfen. Das neue Jahr würde EXAKT so beschissen sein wie das alte, das spürte er jetzt schon! ~(___)~ "Nur die Zeitschrift und dann in die Apotheke, ja, Snoopy, bitte?" Jannäus-Niklas konnte seiner Mutter diesen Auftrag nicht abschlagen. Nicht, wenn sie, in Erwartung erschreckend steigender Heiz- und Energiekosten, Zusatzschichten einlegte, an Silvester und an Neujahr zusätzlich noch Touren übernahm. Was Bobby ja auch tat, sodass die beiden ohnehin nicht gemeinsam mit ihm feiern würden. Aber Feiern, das war ohnehin Firlefanz, weil Jannäus-Niklas nichts abfeuerte, komische Bräuche wie Bleigießen betrieb und bei Raclette schon prophylaktisch würgte. Außerdem hatte er ja Ferien, die Hälfte der teuren Medikamente gingen auf sein Konto, da war es nicht angezeigt, sich zu verweigern. ER konnte schließlich zu regulären Geschäftszeiten einkaufen. Überhaupt fühlte Jannäus-Niklas sich mal wieder nutzlos. Und hoffnungslos, jemals diesen traurigen Zustand hinter sich lassen zu können, weshalb er für die Expedition in die feindliche Welt ausgerüstet zu allem entschlossen aufbrach. Schlange stand vor der Apotheke, aber erleichtert feststellte, alle Posten auch erhalten zu haben. Schmerzmittel wurden nämlich in Übersee hergestellt und wenn da mal eine Fabrik brannte, die Häfen blockiert wurden...! Darüber wusste Jannäus-Niklas zu seinem Leidwesen durchaus Bescheid. Luxus-Problem, selbstverständlich, andere hatten gar keinen Zugang zu Medikamenten, die waren nicht so empfindlich und verweichlicht...! Jannäus-Niklas zwang sich, tief durchzuatmen, drückte die magere Brust raus, um gegen die einsetzende Verspannung zu kämpfen. Ja, vermutlich sollte er allen die Belästigung ersparen und sich selbst an den nächsten Baum hängen! Doch noch wollte er nicht aufgeben, oh nein! Immerhin~immerhin konnte es sich irgendwann auswachsen, nicht wahr?! Und~und vielleicht würde er doch, so ein wenig mehr, nach seiner Mutter kommen! Genau, und selbst wenn das nicht klappte, DANN würde er wenigstens niemanden sonst drangsalieren! Mit diesem hehren Entschluss bewaffnet stapfte Jannäus-Niklas nach Hause. Wenn die ganze Herumballerei sowieso abgesagt wurde, konnte man es sich auch gemütlich machen und zeitig zu Bett gehen! Klar, kein Vollbad (viel zu teuer), keine Heizung (ebenfalls), aber ein Kakao und dazu ein paar Erdnusslocken...? Gut, vielleicht noch Apfelmus, als Ausgleich. Dazu ein Hörbuch, Vincent Valentines neueste Reise! Schwelgend in diesem angenehmen Luxus in spe, eingekuschelt und abgedunkelt im eigenen Zimmer, sperrte Jannäus-Niklas die Haustür auf. Die Hochstimmung verflog prompt, als er auf dem letzten Treppenabsatz zu ihrer Wohnung eine Person bemerkte, die sich rasch erhob. "Hallo, Jannik. Hast du heute ein bisschen Zeit für mich?" Wütend funkelte Jannäus-Niklas hoch, das heißt noch sehr viel höher als gewöhnlich. "Ganz sicher nicht und wer hat dich überhaupt reingelassen?! Du verschwindest jetzt sofort und..." Etwas stimmte nicht. Zunächst schien ihm bloß die Silhouette etwas anders, aber nun, da er entschieden vorbeipreschen wollte... "Was hast du mit deinen Zotteln gemacht?!" ~(___)~ "...eine Bypass-Schere, glücklicherweise. Ist mir gar nicht bewusst gewesen, aber mit einer Amboss-Schere..." "Aufhören!" Grätschte Jannäus-Niklas in die Erörterung hinein, der er nur partiell folgen konnte, rieb sich die Schläfen, atmete tief durch, quasi nach vorn auf seine Oberschenkel geklappt. Stille setzte ein. "Wieso...nein, ich meine... warum...?!" Adressierte er seine Socken, sich die Augen wischend, keuchte, bemühte sich, zwischen Migräne-Anfall und Gedankenfetzen-Taifun irgendwie Ordnung in das Chaos zu bringen, bevor ihm wieder das Licht ausging! "...also, eine Amboss-Schere quetscht ja bloß, richtig?" Holte man in gedämpftem Tonfall geduldig aus. "Deshalb hab ich nach einer Bypass-Schere gesucht. Im Schuppen war eine und dann ging es sehr flott. Obwohl es sich ja eigentlich um abgestorbene Zellen handelt, also schon ein wenig wie Totholz. Dann war der Weg zum Restabfall nicht weit. Weil, also selbst wenn man Wurmkisten bestücken kann, hab ich mal gelesen, auf dem Kompost... Der wird ja nicht so schnell so warm..." Jannäus-Niklas war an einer simplen Vorlesung zu biologischen Verwertungsvorgängen oder der Müllentsorgung nicht interessiert. Grimmig stemmte er die Hände neben seine Oberschenkel, drückte sich in eine sitzende Haltung, blinzelte hartnäckige Schlieren aus seinem Blick. "DAS meine ich nicht! Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?!" "Na, dir gefielen sie nicht, richtig? Deshalb..." "Bist du total irre?! Ich hab nichts davon gesagt...! Überhaupt, hat dich jemand so gesehen?! Oh, wehe, du hast gepostet, dass ich...!" Aufgebracht sprang Jannäus-Niklas auf die Beine, taumelte leicht und plumpste ächzend wieder auf die Couch zurück, hielt sich den Kopf und winselte. Silvester, und er konnte sich einen Baum suchen! Oder ein Brett, um zurückzuschlagen, dieser beschissenen Migräne EIN MAL Kontra ohne Rücksicht auf Verluste zu geben! "...willst du dich vielleicht hinlegen?" "... unter Totsein mach ich es nicht..." Gurgelte Jannäus-Niklas, stöhnte kläglich. "Geh weg..." Ächzte er mühsam, in der traurigen Gewissheit, dass auch dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. ~(___)~ Nie wieder einen Fuß vor die Tür setzen. Alle Brücken zur Welt abbrechen. Wie hießen die in den Manga, Hikikomori? Leute, die sich in ihrer Behausung komplett von der Welt zurückzogen, nur noch online und mit Lieferdiensten existierten? Quasi freiwilliger Knast, doch wie kam man an den Service? Also, eher keine Alternative. Ebenso wenig Zeitmaschine, Ganzkörper-Operation, neue Identität im Ausland, lebenslänglich verklebte Papptüte über dem Kopf... "Bist du wieder wach?" "Nein, ich schlafe. Also geh endlich!" Fauchte Jannäus-Niklas, bugsierte mühsam einen tonnenschweren Arm über seine Augenpartie. Nahm diese Heimsuchung denn nie ein Ende?! "Deine Mutter hat keine Einwände, dass ich bleibe, bis es dir besser geht." Es nötigte Jannäus-Niklas einige Augenblicke ab, bis er die Tragweite dieser Behauptung fassen konnte. Er rollte sich mühsam auf eine Seite, rappelte sich auf. "Du hast... wie kommst du...?!" Die Flusen auf seiner Zunge sabotierten einen energischen Anschiss. Dafür wurde ihm hilfsbereit ein Glas Wasser gereicht. "Ich hab an eurem Nachrichtenbord ihre Nummer gesehen. Weil ich nicht sicher war, also, wegen der Tablette, hab ich ihr geschrieben. Sie arbeitet ja, richtig? In einer kurzen Pause hat sie mir geantwortet." Stolz ragte das Display samt Nachricht in Jannäus-Niklas' Blickrichtung, der mit gierigen Schlucken den Teppich vom Leckbrett entfernte. Unglaublich perfid, sich mit seiner Mutter zu verbünden! Aber wenn sie wüsste~wenn sie wüsste...!! Jannäus-Niklas sackte in sich zusammen. Genau, wenn seine Mutter wüsste, dass hier sein Möchtegern-Verehrer saß, würde sie das keinen Deut stören. Nein, vermutlich würde sie es absolut "knuffig" finden, dass man sich so aufmerksam um ihn bemühte! Von dieser Front konnte keine Unterstützung kommen, so viel war sicher. Erschöpft stellte er das Glas auf dem angeschraubten Bord ab, massierte sich automatisch die Schläfen. "Ehrlich, was hab ich dir getan? Warum piesackst du mich?" "Piesacken? Ich verstehe nicht...?" Jannäus-Niklas knurrte, was leider weniger nach Dobermann als nach Rehpinscher klang. "Piesacken wie Mobben, Drangsalieren, Quälen, verstanden?!" "...ich wollte nur helfen. Und dass du mit mir gehst, ja?" "Nein! Ganz sicher nicht! Ich hab dir doch gesagt, dass das Blödsinn ist, mit der Liste und so! Dieser Marvi-diot hat bloß Leute gesucht, damit es auch zehn sind! Warum gehst du mir auf den Keks, wenn du nen ganzen Harem hast?! Die mich wahrscheinlich auch lynchen wollen, wegen deiner Ex-Zotteln! Danke, vielen, herzlichen Dank! Willst du mir vielleicht auch mit nem Strick und nem Baum helfen, ja?! Uuuuhhh, mir platzt gleich der Schädel!" Was ebenfalls eine, wenn auch sehr spektakuläre Lösung dargestellt hätte. ~(___)~ Sich nicht näher zu kennen, obwohl man dieselbe Klassenstufe besuchte, war gar nicht so ungewöhnlich, wenn man nicht in derselben Klasse war. Oder einer sogenannten Peer-Group angehörte. Jannäus-Niklas wusste, in welcher Gruppe er sich befand, quasi seit "immer": Küken-Gruppe. Nun, man hätte während der "Schulkarriere" etwas ändern können, doch Sitzenbleiben, das wollte er dann doch nicht, zumindest nicht ohne Not. Außerdem war der Umstand, mehr als ein Jahr jünger zu sein, nicht das einzige Merkmal für den "Küken"-Stempel. Unterdurchschnittlich groß, nun ja, klein. Leichtgewichtig, schmal gebaut, kaum Muskelmasse. Von der Pubertät verschmäht. Zum Heulen, so insgesamt, allerdings das auch noch nahe am Sopran! Dafür hatte Jannäus-Niklas jedoch keine Muße. Er war mit Überleben beschäftigt, sprich: den Anforderungen in der Schule begegnen, auf einem ehrgeizigen Niveau. Weil man ja schon hoffte, sich selbst über Wasser zu halten, für sich sorgen zu können! Klar, bescheiden, weil man ja nichts drauf hatte. Im Vergleich mit DEM Chinesen, DEM Inder! Jannäus-Niklas wünschte sich, diese verächtlichen Sätze aus seinem Kopf verbannen zu können, allerdings hatte er sie zu oft gehört, begleitet von weiteren Vorwürfen, abschätzigen Urteilen und vernichtenden Blicken. »Wenigstens SO will ich nicht werden! Hoffentlich nicht!« Nahm er sich wieder und wieder vor, traute sich dabei aber nicht selbst. Wegen dem Apfel, dem Stamm und dem "Generationensprung". Nicht zu vergessen seinem Vater. All dies zusammengenommen konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass Jannäus-Niklas mit sich selbst ausgelastet war. Zudem behauste er derzeit allein das "Küken-Nest", was die Einschläge immer auf ihn konzentrierte. Deshalb hatte er ganz sicher keine Lust, sich mit diesem zusätzlichen Irrsinn zu belasten! ~(___)~ "...wieso gehst du nicht einfach? Durch das Loch, das der Maurer in der Wand gelassen hat?" Quäkte Jannäus-Niklas unleidlich, befragte seine Konstitution, ob sie mit "Aufstehen" kooperieren würde. "Geht es dir denn schon besser?" Erkundigte sich der unerträgliche Eindringling kritisch. "Pah!" Schnaubte Jannäus-Niklas, dem einige Körperpartien gerade die Rote Karte zeigten, sackte auf sein Bett zurück. "Wenn wir darauf warten, kannst du dir nen Bart unter die Füße klemmen, und ich meine nicht als Verrenkungskünstler!" Sein Kreislauf verhielt sich untertourig, was ihm gar nicht behagte. Vielleicht sollte er sich mal füttern? Bloß bedeutete DAS, sich bis zur Wohnküche schleppen zu können. "Ist es immer so schlimm?" "Oh nein, das habe ich mir extra aufgehoben, damit der Exorzist die Altersfreigabe bekommt! Warte mal ab, bis mein Schädel rotiert und ich rote Soße speie!" Fauchte er bissig, rieb sich über die Schläfen. "Welcher Exorzist?" Jannäus-Niklas stöhnte. "Aus dem Film. Der genauso heißt. Teufelsaustreibung. Ganz, ganz, ganz übler Streifen!" Buchstabierte er förmlich die Erläuterung, sich mühsam beherrschend. Was der einsetzenden Anspannung zuarbeitete, die ihn ohnehin gern tormentierte. "Und das ist die Diagnose? Oder gibt es auch eine zweite Meinung? Ich kenne mich da nicht so aus, also mit Teufeln..." Ruckartig stemmte Jannäus-Niklas sich in die Höhe, fixierte seinen Gegenüber, der sich sogar einen Hocker geholt hatte, um an seinem Bett zu wachen! "Was, zur Hölle, willst du eigentlich?!" Die dunkelbraunen Augen studierten ihn aufmerksam. "Nun, ich möchte, dass du, bitte, mit mir gehst. Ja? Einverstanden?" "RAAAHHHH!" Explodierte Jannäus-Niklas ungehalten, raufte sich den überlangen Schopf. "WARUM?!" "Ah, verstehe." Man lächelte grundlos optimistisch. "Ich möchte, dass du mit mir gehst, weil du auf der Liste stehst. Und du bist erst 14 Jahre alt, nicht wahr? Dann darf man nichts tun, richtig?" Jannäus-Niklas ging diese drei Sätze im Geist mehrfach durch, runzelte die Stirn. "Jetzt mal langsam! Nur, damit ich das auch begreife mit meinem Küken-Hirn. Du willst, dass ich mit dir gehe, weil ich 14 Jahre alt bin und von Marvi-diot als schwul deklariert werde. Korrekt so weit?" Man nickte eifrig, erstaunlich agil, vermutlich, weil der Schädel um recht viel Last erleichtert worden war. "Und man darf WAS nicht tun?" Obwohl sich ihm betulich ein gewisses Bild offenbarte, wollte Jannäus-Niklas sichergehen. Wenn man schon an Silvester zum Abschuss freigegeben wurde. "Na, du weißt schon! Sex haben!" Immer noch das eifrige Strahlen, der werbende Blick aus den dunkelbraunen Augen. Jannäus-Niklas war überzeugt, dass er nur noch aus Sorgenfalten und Runzeln bestand, zumindest fühlte es sich danach an. "Du hast ständig einen ganzen HAREM um dich herum und willst mir weismachen, dass du MICH als Freund willst, um KEINEN Sex zu haben? Oder ausnahmsweise NUR nicht mit mir?" Möglicherweise eine Wette~Challenge~was auch immer! Genau, Punkte sammeln auf der Queer-Skala! Wie divers man durch eigene Anstrengung werden konnte. Vielleicht hätte man doch aufmerksamer die Asozialen Medien verfolgen sollen! "Ich möchte dich als Freund, um keinen Sex zu haben. Weil du so jung bist, ist das in Ordnung, sonst wäre es ein Verbrechen, richtig?" Blinzeln. Noch mal Blinzeln. Noch mal Blinzeln. Jannäus-Niklas seufzte, legte den Kopf in seine kleinen Hände. "Du bist ja ein noch größerer Depp als der Marvi-diot!" ~(___)~ Kapitel 2 - Die Aufklärung War es die Möglichkeit, sich eines Problems entledigen zu können? Oder doch die Verärgerung über die Gemeinheit des Schicksals? Jannäus-Niklas fand nicht nur die Energie, sich von seinem Bett zu lösen, sondern auch, in die Wohnküche zu wechseln. Er fischte einen runzligen Apfel ab, aktivierte gleichzeitig den betagten Laptop, den er für die Schule nutzte. "Da, siehst du?! Strafgesetzbuch, schön untereinander. Unter 14 Jahre, danach kein Kind mehr, sondern Jugendliche/r/s. Wenn du herumziehst und behauptest, wir wären zusammen, muss ich ja dafür sein, oder?! Ich meine, wir könnten beide wollen, also wäre es dann nicht strafbar wegen Einvernehmlichkeit. Es ist folglich totaler Schwachsinn und du kannst jetzt verschwinden." Auch wenn er, während er am Apfel herumnagte, es präferierte, die Erklärung für den Kahlschlag würde nicht mit seinem Namen in Zusammenhang gebracht werden. "Wenn du sagst, dass du noch nicht willst? Du könntest das doch sagen!" Man gab nicht so einfach auf. "Warum sollte ich?! Wieso sollte ich mich überhaupt mit dir zusammentun?! Da kann ich mir ja gleich ne Zielscheibe auf die Rübe pappen!" Während Jannäus-Niklas noch erstaunlich engagiert seine Weigerung proklamierte, meldete sein Magen lautstark Fütterungsansprüche an. Von Wasser und Tabletten lebte es sich eben schlecht! "Wir können das beim Essen besprechen. Es ist nicht gut, hungrig Entscheidungen zu fällen." Jannäus-Niklas fauchte empört. "Hör mal, tickst du noch ganz richtig?! Du kannst dich doch nicht einfach hier einladen! Ich hab meine Entscheidung schon getroffen, klar?!" Unverschämt vertraut wurden Schränke geöffnet, Utensilien gesammelt. "Magst du Pfannkuchen? Das geht schnell und ist sehr lecker." "Das~das kommt nicht in Frage! Du gehst jetzt heim, aber pronto!" Ein Magen grummelte protestierend, denn es roch bereits appetitlich. "Ist doch schade, wenn wir allein essen, findest du nicht? So ist es viel lustiger." Jannäus-Niklas fauchte kehlig, doch ein Rehpinscher war eben kein Dobermann! Er sah keine Möglichkeit, den Invasor zu exilieren. ~(___)~ Man konnte jemanden nicht herunterputzen, wenn man die Ergebnisse dessen kulinarischer Fertigkeiten verkostete. Da blieb Jannäus-Niklas aufrichtig: die Pfannkuchen, mal süß, mal herzhaft, mal pikant, mundeten ausgezeichnet! "Wieso kannst du das?" Erkundigte er sich schließlich widerwillig, denn eigentlich wollte er bockig schweigen. "Das? Oh, Pfannkuchen? Hab ich gelernt, ist so ziemlich überall ähnlich, weißt du?" Nein, wusste Jannäus-Niklas nicht, weil er nie Bestrebungen unternommen hatte, sich durch den HAREM zu drängen! "Müsstest du nicht längst daheim sein?" Grollte er deshalb weiter, löffelte eine eingelegte Mirabelle. "Nein." Lächeln, Aufrollen eines Pfannkuchens, munteres Verspachteln. Man hätte detonieren sollen! Jannäus-Niklas verabschiedete diesen revanchistischen Impuls mit einem tiefen Seufzen. "Ist denn niemand bei dir zu Hause? Wir haben Silvester." Erinnerte er grimmig. "Meine Mutter ist da." Lautete die Antwort nach gründlichem Kauen. "Aber?" Hakte Jannäus-Niklas nach, akzeptierte die Hälfte des letzten Pfannkuchens. "Sie arbeitet." "Ah, Home-Office?" Konkludierte Jannäus-Niklas, entschied sich für einen definitiv ungesunden Aufstrich aus Schokolade, Erdnussbutter und Johannisbeer-Gelee. Wenn schon sündigen, dann aber richtig! "Nein, das nicht. Kennst du dich mit Theoretischer Mathematik aus?" Jannäus-Niklas grummelte. "Ich kenne mich mit dem Gefühl aus, theoretisch Mathe verstehen zu sollen, aber häufig praktisch daran zu scheitern." Sein momentaner Leibkoch lachte. "Oh, das geht mir genauso! Ich hab's auch nicht so mit Mathe. Na ja, also meine Mutter hat einen Doktor in Mathematik, weißt du? Sie denkt in Formeln, in Zahlen, in Thesen. Man kann sich da mit vielen Fragestellungen beschäftigen." Wieder auf "Betriebstemperatur" dank ordentlicher Verköstigung nahm Jannäus-Niklas die Spur auf. "Moment mal, heißt das, dass deine Mutter in ihrer Freizeit zum Spaß komplexen Mathe-Kram beackert?!" Man nickte, die Backen noch voll. "Das ist ja gruselig!" Schauderte Jannäus-Niklas, der handzahme, vorstellungsnahe, vernünftige Mathematik bevorzugte. Nicht das Zeug, was ihm Albträume verschaffte, mit Platzhaltern so kuriose Ideen wie Dunkle Energie belegen sollte! "Ich versteh das auch nicht, aber sie mag es nun mal. Vielleicht ist Versicherungsmathematik, das ist ihr Job, ein bisschen langweilig." Jannäus-Niklas imaginierte Zahlenkolonnen, Statistiken, Wahrscheinlichkeiten, Trends, ekelhaft bestückte Formeln mit dem halben Alphabet plus Altgriechischen Zeichen... "Würg!" Kommentierte er laut, musterte seinen Besuch. Nein, er WOLLTE das Thema nicht anschneiden, das war abgehandelt! Der sammelte gerade das benutzte Geschirr zusammen, wirkte ganz und gar nicht niedergeschmettert oder desillusioniert. Offenkundig noch immer nicht überzeugt, dass Jannäus-Niklas zu seinem Entschluss stand! "Sag mal, bist du in mich verknallt?" Schuss vor den Bug, genau. Nach der Henkersmahlzeit konnte man sich auch den Strick anpassen. "Verknallt? Oh, verliebt, das meinst du, ja? Nein, gar nicht." ~(___)~ Man hätte jetzt gekränkt sein können. Jannäus-Niklas jedoch, der sich selbst auch als "Küken" wahrnahm, nickte knapp, um die eigene These zu bekräftigen. "Wie kommst du dann auf die dämliche Idee, du könntest dich hinter MIR verstecken?!" ~(___)~ Bee-Kay. So nannten ihn fast alle. Jannäus-Niklas gar nicht, weil er mit dem Neuen in der Parallelklasse nichts zu schaffen hatte, der während der schon zwei Jahre andauernden Corona-Pandemie dazu gekommen war. Ein schräger Vogel, der einen seltsamen Hype auslöste, als sei er ein VIP. Nicht seine Welt, nicht seine "Peer-Group", nicht sein Problem. Man musste schließlich Prioritäten setzen! Zum Beispiel, dass Eintritt in die Pubertät bei ihm selbst nicht explosionsartig wuchernde Körperbehaarung, Hormon-Vergiftung und Stimmbruch bedeutete, sondern anfallartige Kopfschmerzen, die in eine ausgewachsene Migräne führten. Mit Symptomen, die andere grinsend unter "PMS" zusammenfassten, Prämenstruelles Syndrom. Lustig, haha, der Brüller. Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Zittern, Magenkrämpfe, Übelkeit, Lichtempfindlichkeit, Schwindel... Das war einfach Scheiße! Wenigstens bestand noch die Hoffnung, wenn er die Pubertät irgendwie überlebte, diesen Horror hinter sich lassen zu können. Jannäus-Niklas war diesbezüglich äußerst dankbar, NICHT genetisch und biologisch als Frau leben zu müssen! Jahrzehnte der Qual in Aussicht: von wegen "schwaches Geschlecht"! Weshalb er im Überlebenskampf keine Anstrengungen unternommen hatte, mehr über Bee-Kay in Erfahrung zu bringen. ~(___)~ "Na, ich dachte, das wäre verboten. Da hab ich wohl was nicht richtig verstanden, schade. Aber wenn du sagst, dass du zu jung bist, nicht wahr, dann wäre es doch wieder in Ordnung? Alle würden es akzeptieren." Jannäus-Niklas knurrte, leider wieder nur auf Rehpinscher-Niveau. "Warum zum Geier sollte ich meine privaten Befindlichkeiten in der Öffentlichkeit breittreten?! Bist du bescheuert? Was soll überhaupt dieser ganze Sex-Kram?! Das ist doch totaler Schwachsinn!" Dieses Prachtexemplar von Vollidiot hatte sogar noch ungeniert erklärt, er sei nicht mal verliebt! Ganz reizend, aber so was von! ~(___)~ "Sie glauben mir nicht. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Bitte, Jannik, geh doch mit mir." Jannäus-Niklas funkelte wütend in die dunkelbraunen Augen hoch. Selbst im Sitzen war der Größenunterschied nicht zu verkennen. "Du spinnst wohl?! Was soll ich denn da vorstellen, hä?! Ein Abschreckmittel?! Ne Vogel-oder eher Vögel-Scheuche?! Wenn du's nicht treiben willst, dann lass es halt! Zieh mich aber nicht in deinen privaten Zirkus rein! Hat man so was schon gehört, also ehrlich, nur wegen 'kein Sex' ne Homo-Beziehung vortäuschen! Wir sind doch hier nicht im Kino!" Donnerte er, sich erhebend, um mehr Wirkung zu erzielen, mit Verve auf das kahle Haupt herunter. Quasi Zeus, bedauerlicherweise mit Kreidebelag auf der Zunge! Zu recht, fand Jannäus-Niklas, durfte er wütend sein über die implizierte Beleidigung, die Anmaßung, die kaltschnäuzige Herabsetzung... Leider konnten auch andere vom Tisch aufstehen, zwanzig Zentimeter höher in die Landschaft ragen, noch sehr viel mehr Schatten werfen. "Warum macht es dir so viel aus? Oh, hast du vielleicht jemanden, den du magst? Das wusste ich nicht. Wenn das so ist..." Schultern sackten herab. Jannäus-Niklas verspürte den verlockenden Sog der Versuchung, sich mit einer kleinen Notlüge aus dieser Zwangslage zu befreien. »Klar, lüg ihm vor, du wärst verknallt!« Unerfreulicher Weise klang die zynische Stimme in seinem Hinterkopf nicht so, als handele es sich um eine Option. Nicht, dass Jannäus-Niklas nicht hin und wieder Varianten der Wirklichkeit vorbrachte, nur sollten die doch ziemlich nahe am Original, der Realität, sein. Sonst wurde alles bloß konfuser, anstrengender und noch problematischer. Wie bei einer Hydra: mit zwei Köpfen fing es an, dann exponierte die Anzahl der Schädel mit jedem heruntergehackten! Laut schnaubte er. "Was soll denn das für eine idiotische Frage sein?! 'Macht es mir was aus', also echt! Warst du mal mit DIR als Pärchen zusammen?! Hast du irgendeine Vorstellung, was das für eine Belastung ist?! Ich kenn dich doch nicht mal! Pick irgendein Opfer aus deinem dämlichen Harem heraus, ja?! Die dümmste am Besten. Der erzählst du was von nem Bruch im Schwanz, was weiß ich! DAS sollte ja wohl dein Problemchen ausreichend lösen." Ätzte er energisch, in der Gewissheit, diesem Deppen alle Zumutungen der letzten Tage returniert zu haben. ~(___)~ "Ich glaub nicht, dass das reicht." Jannäus-Niklas, sich bereits als strahlender Sieger sehend, schnaubte enerviert. "Ach, und wieso nicht?!" Ungefähr fünf lehrreiche, vor allem abschreckende Minuten später revidierte er seine Einschätzung. "Woher~woher hast du dieses Zeug?" Rasch setzte er Wasser für Tee auf, denn er schmeckte Galle auf der Zunge. "Geschickt bekommen." Man verstaute das Mobiltelefon wieder in der Jacke an der Garderobe. "Das, also, das macht man doch nicht. Ich meine, normale Leute. Einfach so. Du hättest diesen Scheiß einfach löschen sollen! Oder zur Anzeige bringen. Echt, wer mir so was schickt, den würde ich keines Blickes mehr würdigen!" Jannäus-Niklas schauderte, schüttelte sich energisch. "Ich glaub, das war nicht böse gemeint." Diese Einlassung entlockte ihm ein wütendes Grollen. "Meine Fresse, jetzt langt's aber mal! Bist du jetzt ein Kerl, oder was?! Mach ne Ansage, dass du nicht willst, und Punkt! Ja, dann bist du nicht mehr everybody's darling, aber man muss auch mal Arsch in der Hose beweisen!" Schimpfte er enragiert, ertappte sich dabei, zwei Becher mit zwei Teebeuteln zu taufen. Nun, nach diesen Aufnahmen konnte man wohl niemanden nüchtern nach Hause schicken. Wütend blitzte er in die dunkelbraunen Augen. Ein Jahr älter, locker 20 Zentimeter größer, noch viel mehr Kampfmasse, und da wollte sich dieser DEPP hinter ihm verkriechen?! Oh nein, so nicht, Kamerad! "Ich glaube, sie denken, ich bin... play hard to get..." "Dass du dich zierst, um sie aufzugeilen?" Schlug Jannäus-Niklas durchaus gehässig als Übersetzungshilfe vor. "Oh, ich seh schon den Horror vor mir! Legst du mal Eine flach, wollen andere auch, was für ein schreckliches Schicksal!" DAS war nicht fein, mehr als nur hämischer Spott. Jannäus-Niklas erinnerte sich beschämt daran, dass er NUN SO KLANG, wie er nie werden wollte, deshalb stellte er die dampfenden Teebecher ab, ließ sich wieder nieder. "Hör mal, ich habe wirklich keine Ahnung von solchen Beziehungsproblemen. Aber wenn du nicht willst, dann kann dich doch niemand zwingen. Stell dir vor, wir ziehen diese lächerliche Nummer durch und du verliebst dich in jemanden. Was soll denn dann werden? Wer glaubt dir? Klar kann man sich auch mal umentscheiden, aber du wirkst dann bestimmt nicht sympathisch. Da ist es doch besser, ehrlich zu sein, oder nicht? Außerdem muss man mit 15 Jahren bestimmt nicht rammeln wie ein Karnickel." Da kam ihm ein neuer Gedanke, der ihn seinen Gegenüber streng fixieren ließ. "Oder hast du etwa behauptet, du wärst der größte Aufreißer seit Don Juan und steckst deshalb in der Klemme?!" ~(___)~ "Da ist was durcheinander geraten." Keine besonders detaillierte Erklärung, fand Jannäus-Niklas. Das gesamte Universum war eine chaotische Angelegenheit, schon physikalisch, "Durcheinander geraten" somit der Grundzustand. Er blies über seinen Tee, funkelte finster (im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten dank stummfilmreifer Augenringe) zu seinem Besuch. "Schöne Scheiße. Wir müssen wohl von vorne anfangen, sonst werde ich dich nie los." ~(___)~ Bilder auf dem Mobiltelefon respektive in den "Wolken". Ein Reisepass. Der Impfpass. Aufgezeichnet eine Biographie über den Globus. Und eine allzu vertraute Entstehungsgeschichte. ~(___)~ "Also, vorher kann ich nur erzählen, was meine Mutter mir gesagt hat. Sie hat immer studiert, ich meine, gelernt. In der Schule, damit sie dann Mathematik studieren konnte. Das wollte sie unbedingt. Sie hat also gelernt, studiert, Stipendien genutzt, den Doktor gemacht. Ein bisschen wie in einem Tunnel, also in Zahlen gelebt. Gerade, als sie ihren Titel bekommen hat, machte ihr Freund nach fünf Jahren Schluss. Weil sie so wie ihr einziges Interesse sei: nur theoretisch. Gemeint war, sie lebt nur theoretisch. Ich glaube, das war schon verletzend, und auch, dass er schon eine neue Freundin hatte. Also, meine Mutter hat entschieden, dass sie für kurze Zeit 'praktisch' leben wollte. So wie die anderen, zumindest beinahe. Weißt du, was Spring Break ist, ja? Es gibt da organisierte Reisen, so wie, nun Junggesellenabschiede, ist das Wort richtig? Sonne, Strand, Vergnügen, Spaß und Sex und... nicht vernünftig sein. Also hat sie eine Reise gebucht, angeblich ein Aschram, also eher ein Camp für spirituelle Anleitung. Das war ein bisschen Etikettenschwindel, aber Horizont erweiternd. Sie hatte dann genug vom 'praktischen' Leben und eine Erleuchtung erfahren. Eher bezüglich einer mathematischen Überlegung, weißt du, nicht so unbedingt religiös. Also wollte sie wieder theoretisch leben, drei Monate 'praktisch' waren längst ausreichend. Nur, na ja, ganz praktisch war sie schwanger, deshalb musste es ein Sabbatical werden. Weil wir nicht wissen, wer mein Vater ist, das waren vermutlich spirituelle Bewusstseinserhebungen mit praktischen Übungen, war es schwierig. Mit einer bezahlten Arbeit. Ledige Schwangere werden nicht gern beschäftigt. Unordentliche Verhältnisse. Aber meine Mutter versteht Zahlen. Sie hat immer Zeitverträge ergattert, wo es um Zahlen geht, Statistiken, Wetterprognosen, Buchhaltung, Logistik, Versicherung... Zuerst war sie bei der GIZ, Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Deshalb bin ich in Neu-Delhi geboren worden. Sie hat mich Bodhi für ihre 'Erleuchtung' damals und Karuna für 'tätiges Mitgefühl" genannt." ~(___)~ "Ach du meine Güte." Kommentierte Jannäus-Niklas schließlich. Bodhi Karuna wusste nicht mal, wer sein Vater war?! Gut, bei anonymen Samenspenden verhielt es sich vielleicht ähnlich, aber diese komische "Entstehungsgeschichte"...! "Und da zieht ihr so ständig um die Welt? Ist das nicht gefährlich?! Ich meine, was ist mit deiner Schulbildung? Wäre ein Internat nicht besser gewesen?" Zudem, ledige, studierte Weibsbilder, die nur mit Zahlen herumhampelten...! »STOPP!« Brüllte Jannäus-Niklas innerlich. Das war schon wieder der Gruß aus der, nun, Gruft konnte man noch nicht sagen. Aber der Abgrund, in den er verflixt noch mal nicht fallen wollte! Bodhi Karuna schmunzelte. "Ich bin einfach immer vor Ort in eine Schule gegangen, für Auslandskräfte. Mit Englisch kann man sich ja gut verständigen und es sind Ganztagsschulen. Meine Mutter hat schon darauf geachtet, dass ich gut versorgt bin, während sie arbeitet. Internate sind ziemlich teuer, weißt du? Da wären wir immer getrennt. Was, glaube ich, für uns gar nicht gut wäre. Ich bin nämlich der ziemlich praktische Aufgabenteil in der Gleichung ihres Lebens." Er zwinkerte. Jannäus-Niklas schnaubte. "Aber du musst ja wohl zugeben, dass es gefährlich ist, da herumzustreunern, wo ihr wart!" Das war ja samt und sonders, nun, andere Kontinente! Unzivilisierte Gegenden! »Genau, alle außer uns sind Höhlenmenschen. Bis auf DEN Inder und DEN Chinesen, die uns einnorden werden...« Spottete seine innere Stimme unerbittlich. Sich über das kahle Haupt streichend sinnierte Bodhi Karuna einige Augenblicke. "Eigentlich nicht, wenn man ein bisschen aufpasst. Ich hab immer Ratschläge bekommen oder Empfehlungen. Die meisten Leute sind nett, wenn man sich verständigen kann. Im Grunde wollen doch alle ein gutes Leben führen, nicht wahr? Mir ist nur ein Mal was Komisches passiert." Damit hatte er Jannäus-Niklas natürlich geködert. Der spitzte metaphorisch die Ohren, leerte dabei seinen Teebecher bis auf den gequetschten Beutel. "Damals waren wir für ein halbes Jahr in Kairo. Für eine private Firma. Ich habe die Schule für ausländische Arbeitskräfte besucht, dritte Klasse Grundschule. Es war ein bisschen schwierig mit den Kindern aus der Nachbarschaft. Ich bin ja nicht religiös, deshalb war es wohl für sie unklar, wie sie mich behandeln sollten. Einer von den älteren Jungs wollte mich verprügeln, weil ich ein Ungläubiger bin. Das gefiel mir gar nicht, ich meine die angedrohten Prügel, deshalb sagte ich ihm, er ließe das besser sein. Aber ich wusste nicht, was ich machen sollte, wenn er mir am nächsten Tag nach der Schule auflauern sollte. Dazu kam es aber gar nicht, denn das Haus, in dem er wohnte, war in der Nacht in Teilen einfach eingestürzt. Das passiert manchmal. Dieser Junge war plötzlich tot, vom einen auf den anderen Tag. Das gab mir doch sehr zu denken. Dass es schnell vorbei sein kann und man sich umsonst so viele Gedanken und Sorgen gemacht haben könnte. Unter den Kindern in der Nachbarschaft hat sich das Gerücht verbreitet, ihm sei das passiert, weil er mir gedroht hätte, deshalb haben alle einen weiten Bogen um mich gemacht und hatten Angst vor mir. Das war nicht schön und ich bin sehr froh gewesen, als das halbe Jahr um war." Jannäus-Niklas fand, abgesehen von den eher abergläubischen Ausführungen, nun einen Ansatz, Bodhi Karuna zu triezen. "Wenn man, nach deiner Erkenntnis, carpe diem, also den Tag nutzen soll, weil morgen schon alles vorbei sein könnte: wieso nervst du mich dann die gesamte Woche wegen dem Sex-Kram?! Klar, hier kommen Hauseinstürze nicht ganz so häufig wie anderswo vor, aber grundsätzlich könntest du den Mist einfach aussitzen!" Entschieden verschränkte er die dünnen Arme vor dem mageren Brustkorb. Küken, vielleicht, aber deshalb noch lange kein Chicken-Brain! Bodhi Karuna griff gedankenverloren hoch, doch da war nichts mehr zum Festhalten oder Arrangieren. "Na ja, abgesehen davon, dass es recht ungemütlich ist, gibt es da noch diese Verwechslung." Skeptisch lupfte Jannäus-Niklas eine Augenbraue. "Ich verstehe nicht viel von diesen Accounts und Plattformen. Aber als ich hier ankam, da ging es ja los, Pandemie und Distanzunterricht und so, ich glaube, da ist was durcheinander geraten. Jedenfalls bekam ich komische Anfragen. Und Andeutungen, so, als würde ich was verbergen. Aus irgendeinem Grund dachten die anderen, ich sei so eine Art Playboy." Dabei wirkte Bodhi Karuna nun eher kläglich. Während Jannäus-Niklas schnaubte und mit den entzündeten Augen rollte. "Erzählst du mir gerade, dass du aufgrund einer dämlichen Internet-Verwechslung das Objekt der Begierde wurdest? Mit 13, richtig?, ein Online-Casanova? Und dass, selbstredend wie in jeder schlechten Komödie, alle Versuche, dies abzustreiten, zur Bestärkung des Unsinns ausuferten?" Für so einen Quatsch würde ER kein Eintrittsgeld bezahlen! "In etwa, ja." Jannäus-Niklas schnaufte theatralisch. "Na, klasse. Tätiges Mitgefühl beim Bumsen und das noch mit dem Versprechen der Erleuchtung! Ja, klingt fast wie Werbung für Pornos mit esoterischem Beigeschmack!" Nicht, dass er sich mit solchen Themen ausführlich befasst hätte. "Tja, so ein Pech aber auch. Wenn du jetzt wie der Bucklige von Soho aufgeschlagen wärst, ohne diesen pompösen Kopfputz...! Aber nein, guck dich mal an, quasi Reklame für den All American Dream Boy!" Was sehr gehässig war, ausschließlich durch Neid begründet, auch wenn Jannäus-Niklas nicht unbedingt tauschen wollte. Bodhi Karuna starrte ihn an, sichtlich getroffen. Woraufhin Jannäus-Niklas nicht nur einen heftigen Stich seines Gewissens verspürte, sondern auch promptes Bedauern. Mit einem Fuß schon in der Gruft, dem Abgrund! "Sorry. Das war gemein. Hast du denn versucht aufzuklären, wie diese Verwechslung zustande kam? Ich meine, wenn das ein anderer Account ist, dann gibt es ja Bilder, oder?" Schwamm er in tückischen, ihm auch nicht sonderlich vertrauten Gewässern. Die Schultern mutlos lupfend erläuterte Bodhi Karuna die Niederlage. "Versucht habe ich es, aber ich bin nicht weit gekommen. Es könnten Pseudonyme gewesen sein oder gar keine realen Personen. Verweise gingen ins Leere oder auf gesperrte Seiten. Deshalb denken manche ja, dass, ich meine, bei bestimmten Webseiten..." Jannäus-Niklas begriff die Auslassungen. Er erhob sich und massierte sich automatisch die Schläfen. "Toll. Hier sitzt also das Sex-Idol meiner Stufe und erwartet, dass ICH als Abschreckung fungiere. Ehrlich, Bodhi, wen sollte ICH schon davon abhalten können, dir an die Wäsche zu gehen? Zu deiner Information: ich beherrsche keine Kampfsportart. Zum adligen Namen gehören bedauerlicherweise keine Latifundien, Armeen oder Garden. Nicht mal ne Burg oder ein Schloss mit Wassergraben und Gespenst. Und, falls es dir nicht bekannt sein sollte: Migräne ist NICHT ansteckend. Ich kann also nicht mal als Seuche irgendwen auf Distanz halten." Bodhi Karuna erhob sich ebenfalls, was Jannäus-Niklas einmal mehr ihre Unterschiedlichkeit unangenehm ins Gedächtnis rief. "Aber wenn wir zusammen wären, Jannik, dann würde doch niemand etwas von mir wollen, oder? Dann bin ich doch vergeben, richtig? Du würdest nicht verlangen, dass ich, also, mit dir was tue!" Argumentierte er eifrig, fast schon flehentlich. "Wenn was hier 'vergeben' ist, dann ist es 'vergebene Liebesmüh'. Ehrlich, Bodhi, in welcher Traumwelt lebst du? Klar würde dein Harem versuchen, dich mir auszuspannen, so was ist doch üblich! Wieso sollte ein Playboy und Sex-Idol sich mir unterordnen, hm? Die würden dir sagen, dass ich dich knechte, deine Gesundheit gefährde, deine Entwicklung beeinträchtige, weiß der Geier! Das wäre dann quasi Nothilfe! Außerdem glaubt uns doch kein Mensch, dass wir techtelmechteln! Du kannst ja nicht mal überzeugend lügen, du wärst verliebt in mich." Versetzte Jannäus-Niklas diesem verdrehten Ansinnen den Todesstoß. "Ich kann das! Techtelmechteln!" Behauptete Bodhi Karuna entschieden, hielt auf Jannäus-Niklas zu, keine große Entfernung. Der riss abwehrend die Arme hoch, sich fragend, ob mal wieder ein Übersetzungsproblem aufgetreten war, doch da befand er sich bereits in einer bärigen Umarmung. Quasi das, was Bobby gelegentlich tat, bloß waren die Proportionen definitiv anders verteilt. Bodhi Karuna hielt ihn umschlungen (keine große Schwierigkeit bei so einem mickrigen Klappergestell). Durch den merklichen Größenunterschied lagerte sein Kopf auf dem Brustkorb und einem recht grobwolligen Pullover, was erst seine Nase kitzelte, dann eine Nies-Kanonade auslöste, allerdings gewohnt unbefriedigend auf Spitz-mit-Haarschleife-Niveau. "Stopp-stopp-stopp-stopp!" Befahl Jannäus-Niklas, stemmte die Hände gegen einen sehr soliden Körper, begleitet von Nies-schnief-nies-schnief-nies-schnief-nies-NIES! Nachdem er sich in sichere Entfernung zu dem Wollmonster/gestrickten Leibchen gebracht hatte, funkelte er zu Bodhi Karuna hinauf. "Das ist kein Techtelmechtel, das ist Kuscheltier-Knuddeln! Und dieses struppige Ding da kratzt! Außerdem zählen Umarmungen nicht. Zudem: man fragt vorher, klar?! Wenn du schon gesetzestreu sein willst, dann schmeiß dich nicht einfach an mich ran, ja?!" Weil er gerade so richtig in Fahrt war und seine Migräne nicht dazwischengrätschte, streckte er gebieterisch die Hand aus. "Setz dich. Wie kannst du glauben, dass so eine Aktion reicht, bei DEN Videoschnipseln, die du geschickt bekommen hast?! Hast du überhaupt mal nachgedacht?! Was willst du denn mit mir anstellen, damit andere uns für ein Pärchen halten?!" Bodhi Karuna, artig platziert, antwortete, leicht gekränkt. "Ich habe mir das schon überlegt. Wir könnten Händchen halten. Ich kann den Arm um dich legen, so etwa. In der Mensa essen wir immer zusammen. Und lernen gemeinsam. Ich könnte auch mal deinen Rucksack tragen." "Genau, und ich sitze auf dem Gepäckträger deines Fahrrads. Jeden Tag gibt's ein Küsschen auf die Wange... Du tickst ja nicht ganz richtig!" Stellte Jannäus-Niklas vernichtend fest. "Wir sind doch nicht mehr in der Grundschule! Das ist ja lächerlich! Der Playboy gibt Pfötchen, apportiert die Bücher!" Abschätzig schnalzte er mit der Zunge, schüttelte den Kopf, das begleitende Knacken ignorierend. "Vergiss diese dumme Idee. Sag lieber, du hast aus ethischen Gründen ein Keuschheitsgelöbnis abgelegt. Adieu, ihr weltlichen, niederen Gelüste! Kombiniert mit deiner neuen Frisur könnte das sogar durchgehen, quasi als Neujahrsvorsatz!" Bodhi Karuna kam langsam auf die Beine. "Du willst mir nicht helfen?" "Pah!" Fauchte Jannäus-Niklas feurig. "Ich hab dir gerade die beste Erklärung verschafft, um deinen Harem auf Distanz zu halten! Reichlich undankbar, mir unterlassene Hilfeleistung vorzuwerfen!" Schimpfte er, marschierte demonstrativ in den offenen Flur. Höchste Zeit, diesen verrückten Gar-nicht-Playboy an die frische Luft zu setzen! Ungeduldig mit dem Plüschpuschen auftippend verfolgte er, wie Bodhi Karuna sich verpuppte, das vertraute Tuch um den Kopf wickelte. "Jetzt geh brav heim und feier mit deiner Mutter. Problem gelöst, das neue Jahr kann kommen!" Verordnete Jannäus-Niklas streng, merkwürdigerweise nicht so erleichtert, wie er sich eigentlich auftrumpfend fühlen sollte. Er entriegelte die Tür, zog sie schwungvoll auf, verneigte sich sogar, was durchaus übertrieben spöttisch wirkte. Als er sich aufrichtete, kam ihm Bodhi Karuna entgegen. Der Kuss, der auf seinen Lippen landete, war KEIN "Grundschulniveau", brannte sich wie ein Fanal ein. Dann war die Hand unter seinem Kinn fort, die reguläre Distanz wiederhergestellt. "Sorry. Ich hab zu fragen vergessen. Bis dann, Jannik." Vollkommen entgeistert ließ ihn Bodhi Karuna stehen, stieg geschmeidig die Stufen im Treppenhaus hinab. ~(___)~ Kapitel 3 - Das Publikum interveniert "Unerhört!" Konstatierte Jannäus-Niklas, verriegelte das Schlosstor und zog die Brücke vom Wassergraben hoch. Metaphorisch. "So eine Frechheit! Und... unsolidarisch, jawohl!" Ließ er seine Empörung verlauten, während er sich praktischen Entspannungsübungen zuwandte, nämlich das benutzte Geschirr zu reinigen und Vorbereitungen für SEIN Silvester-Programm zu treffen! Man küsste doch nicht einfach Leute auf den Mund! Zwar dankenswerter Weise, wie bitte?!, ohne Mandelentfernungsanstrengungen, aber das gehörte sich nicht! Und in pandemischen Zeiten, mit erst einer Impfung, schon mal gar nicht! Zugegeben, Jannäus-Niklas plagten diesbezüglich keine größeren Sorgen. Seine Mutter und Bobby waren als "systemrelevant" und in der "kritischen Infrastruktur" Tätige sogar geboostert, also mit drei Impfungen versehen, während Jugendliche eben recht spät an den Start gehen durften und die zeitlichen Abstände einzuhalten waren. In der Schule wurde ja mehrfach die Woche getestet. Während der Ferien musste das privat laufen. Wenn man aber wie Jannäus-Niklas persönliche Begegnungen unmaskiert an einer Hand ablesen konnte, dann schien das Risiko nicht so groß zu sein. Während er mit Reinigungsarbeiten beschäftigt seine Bedenken reduzierte, stieg auch eine gewisse Erleichterung in ihm auf. Na, hatte er das nicht recht gelungen gedeichselt? Der Gegner war geschlagen von hinnen gezogen! Zudem mit einer glaubwürdigen Erklärung großherzig versorgt worden! Wenn das nicht mal nächstenliebend war! Karma-Punkte mussten da drin sein, aber hallo! Zufrieden mit sich selbst zog sich Jannäus-Niklas in sein Zimmer zurück, um Vincent Valentine auf eine neue Reise durch die Galaxie zu folgen. ~(___)~ Jannäus-Niklas verschlief die sehr reduzierte Lärm- und Lichtattacke zum Jahresbeginn völlig. Es gab ja genug zu kompensieren. Als er erwachte, war es bereits hell, wenn auch eher an April erinnernd. Eine Ahnung von Regen in der Luft, erstaunlich milde Temperaturen und kaum jemand in Sichtweite. Gut verpuppt studierte Jannäus-Niklas den neuen Kalender, ihre "Nachrichtenbörse". Längst wachte er nicht mehr auf, wenn seine Mutter von den Spät- und Nachtschichten zurückkehrte. »Ah, auch heute Abend...« Aber vorher würden sie gemeinsam essen, dann käme Bobby auf ein Schwätzchen zum Kaffee vorbei. Mit einem Grinsen registrierte Jannäus-Niklas, dass das kleine Marzipan-Glücksschweinchen Geschichte war, das Papp-Kleeblatt einzige Spur. Seine kleine Geste, ein gutes Neues Jahr zu wünschen. Sonst war er solcher Pflichten ledig, denn zu Fest- oder Feiertagen sandte er seinem Vater Karten, die Briefumschläge betont nüchtern gehalten und an die Kanzlei gerichtet. Persönliche oder telefonische Kontakte scheiterten an der Brandmauer der Gattin, aber diesbezüglich verspürte Jannäus-Niklas auch keine Sehnsucht. Wer sich hinter Paragraphen versteckte, von "Irrungen" sprach, eine "Orientierungskrise" anführte, dem konnte man auf gleichem Level antworten. Zum Beispiel auf die Änderungen der Düsseldorfer Tabelle für den Unterhalt hinweisen, in gesetzten Worten. Jannäus-Niklas hatte eine gewisse Expertise entwickelt, sich durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsanweisungen und Rechtsquellen zu fuchsen. Wenn man schon eine "kostenpflichtige Irrung" verkörperte, konnte man mit einer höflichen "Note" auf entsprechende Außenstände aufmerksam machen. Mehr war ohnehin nicht zu erwarten. Steif und akkurat würde die Anpassung ermittelt werden, allein schon, um die leidige Steuererklärung vorzubereiten. Da konnte man die Belastungen wenigstens in Teilen geltend machen. Paragraphen-Reiter und Pantoffel-Tiger, auch kein Erbgut, was man sich wünschte! Dazu einen misanthropischen Großvater, der einen ganzen Strauß an Minderwertigkeitskomplexen in Häme, Verachtung und Missgunst umgesetzt hatte und immer noch glaubte, andere seien verpflichtet, sich mit ihm abzugeben. Was Jannäus-Niklas frappierte, der nicht den geringsten Anreiz sah, sich aus freien Stücken so etwas anzutun. Ihm reichte schon der einstündige Höflichkeitsbesuch (in dem KEINE Höflichkeiten ausgetauscht wurden) zu den Feiertagen. Seine Mutter kam nicht mit, war "in diesem Haus" nicht mehr erwünscht, was sie nicht störte, ganz und gar nicht. Seine Großmutter operierte mit derselben Taktik wie seine Mutter: einfach nicht hinhören. Außer Schikane und Missmut war von dem alten Kauz nichts zu erwarten, weshalb sich deshalb plagen? »Schön und gut, aber wenn diese komische Theorie mit dem Generationensprung stimmt, mutiere ich auch zu so einem abstoßenden Ekelpaket!« Dachte sich Jannäus-Niklas dann verdrossen. Was ihn wirklich sehr sorgte. ~(___)~ Isabella von Schmetten, meist schlicht Bella gerufen, war unprätentiös. Nach Auffassung ihres Vaters wenig attraktiv, ohne Ehrgeiz oder Plan, nicht sonderlich hochbelichtet. Jannäus-Niklas fand seine Mutter Extra-Klasse, wunderbar, äußerst findig, warmherzig, liebenswert, optimistisch! Und hätte dem alten Kauz gern mal den Spiegel vorgehalten, nur zum Vergleich. Oder eher zur Abschreckung. Allerdings wusste Jannäus-Niklas, dass eine Konfrontation keinen Erfolg hatte. In die "geschlossene Gesellschaft" der Wahrnehmung seines Großvaters gab es keinen Zutritt für Dissidenten. Dafür durfte man als Publikum, als Staffage für ausfällige "Erläuterungen" dienen. Wenn es einem nicht gelang, die Ohren konsequent auf Durchzug zu stellen. Seine Mutter war darin geübt, schon als Jugendliche, weshalb sie nach dem Schulabschluss entschied, sich dem Theater zuzuwenden. Burleske Komödien gefielen ihr besonders. Amateur-Theater, Nebendarstellerin, davon konnte niemand leben, was sie nicht bremste, wie auch sonst recht wenig, was andere abschreckte. Sie arbeitete in der Gastronomie, in Supermärkten, als Springerin bei der Briefzustellung, als Reinigungskraft... Sie lebte in Wohngemeinschaften, Pensionen, auf einem Dauer-Campingplatz, war mitten im Leben, im Trubel, neugierig, interessiert, geschickt, aufgeschlossen. Im "Sommer der Irrungen" als Mäzen bei Theateraufführungen dann die Begegnung mit seinem Vater, um einiges älter, verstaubt im eigenen Leben, natürlich verheiratet (in großbürgerliche, betuchte Verhältnisse), aus eigenem Entschluss kinderlos. "Da war schon ein bisschen Verzauberung drin, Snoopy, das stimmt wohl. Na ja, ich kann mich nicht beklagen, ich fand's nett und romantisch." Nun, wohl eher von der turbulenten Bühnen-Komödien-Seite, aber solche Gedanken wischte Jannäus-Niklas eilig weg. Seine Mutter schien nicht erwartet zu haben, dass sein Vater eine Scheidung vollzog oder mit ihr zusammenlebte. Oder sich um das gemeinsame Kind kümmerte. Eine Liebelei, leichthin und unbeschwert. Plus ein Kind. Ohne Vater, ohne Partner, ohne Ehe, ohne Beruf, ohne... Im Gegensatz zur Meinung ihres Vaters war Isabella von Schmetten weder dumm noch planlos. Schön, Schwangerschaft war eine ganz eigene, neue Erfahrung, aber kein Grund zur Panik. Sie war schließlich gesund und munter, da konnte man durchaus arbeiten, nicht auf Festanstellung, nein, aber freiberuflich eben. Wenn der kleine Kerl dann geschlüpft war, würde sich auch was ergeben! Zum Beispiel in den Niederlanden, ambulante Betreuung, aushilfsweise, damit niemand sein Haus aufgeben musste. Ein Baby brach häufig das Eis oder überbrückte anfängliche Sprachbarrieren. Man konnte auch Zeitungen austragen, Hunde ausführen. Den kleinen Kerl umgeschnallt, der so auch immer an die frische Luft kam. Wieder Grenzgebiet, dieses Mal Frankreich, Assistenz in der Vorschule, dazu ganztägliche Versorgung, Vermittlung von sozialen Fertigkeiten: Jannäus-Niklas war immer dabei, daran gewöhnt, umzuziehen, mit wenig Gepäck zu leben. Über die Vorschulgeschichte kam es auch dazu, dass er eigentlich zu jung in die Grundschule eintreten durfte. Aber er war gut präpariert, schulfähig, sozial integriert... Nach dem zweiten Schuljahr Wechsel über die Grenze, neue berufliche Perspektiven, neuer Wohnort. »Herumzigeunern!« In gewisser Weise empfand Jannäus-Niklas seine Mutter durchaus als Unterhaltungskünstlerin. Sie war immer rasch bekannt und die Leute versorgten sie mit Tipps und Hinweisen. Wo konnte man noch einen Aushilfs- oder Nebenjob finden. Wo wurde ein Zimmer frei. Wer konnte den alten Fiat Panda noch mal für den TÜV fit machen. "Deine Mama ist eine Frau voller Talente, Jannik! Erste Sahne mit Häubchen!" Bobby war nicht allein von ihr angetan, auch andere Männer fanden sie hinreißend. Selbständig, unabhängig, neugierig, Gemütlichkeit und Genuss nicht abgeneigt. Alle bewiesen Humor, eine gewisse Leichtigkeit und keinerlei Anstalten, sie an sich zu fesseln. Oder ihn mit einem "Vater" zu versorgen. Dass sie sich nun hier befanden, in einer erstaunlich großen Wohnung (Schlaf- und Kinderzimmer plus Wohnküche!), dauerte schon verblüffend lange. Im vierten Schuljahr kumulierten nämlich mal wieder Ereignisse. "Snoopy, ich glaube, wir müssen umziehen. Der Zeitvertrag läuft aus und der neue Mietzins... Sag mal, wie wär's, wenn ich das hier mal ausprobiere? Wollte ich schon immer mal, könnte mir gefallen. Die haben so was wie Belegrechte an Wohnungen. Wenn's klappt..." Jannäus-Niklas, Beine baumelnd auf dem Hochbett, mit Kakao versorgt, nickte prompt. Wenn man sowieso in eine andere Schule gehen müsste, dann war es ja gleich, in welche. Überhaupt sah er sich gar nicht berechtigt, seiner Mutter etwas auszuschlagen, schließlich rackerte die sich für ihn ab! Zudem, wo bekam man schon mal so eine Gelegenheit, nämlich, anlässlich einer Bewerbung OHNE die erforderliche Führerscheinklasse einen großen Bus fahren zu dürfen?! ~(___)~ Die Touren im Kindersitz auf dem Fahrrad und der alte Fiat Panda waren längst Geschichte. Isabella von Schmetten hatte viel Spaß damit, für das städtische Verkehrsunternehmen Busse zu lenken. Ganz kleine a la Pappa-Mobil bis zu großen Gelenkbussen. Die Leute waren nett, die Wohnung geräumig, sie konnte Volkshochschulkurse buchen, Snoopy hin und wieder seinen Großvater besuchen... Bobby mit seinem Bönnsch (Dialekt in und rund um Bonn) war einfach knuffig! Wer hätte gedacht, dass Brettspiele so vielfältig waren und so viel Spaß machten? Zudem tat es Snoopy bestimmt auch gut, die Mittelstufe an einem Ort zu absolvieren! Plus Pandemie: da schied ohnehin so Einiges aus, was man früher für den Sparstrumpf und die Rente zusätzlich erledigt hätte. Stabilität half wahrscheinlich auch mit der grässlichen Migräne. Aber Snoopy machte das schon prima, da musste sie sich nie sorgen! Wie sagte Bobby doch immer? "Wie, halb voll-halb leer? En Jlas un Wasser für zu trinken, is doch fein! Jet bässer jeht ja nitt!" ~(___)~ Nach einem sehr vergnüglichen Neujahrstag startete Jannäus-Niklas in den Sonntag, allein, der Nachtschicht geschuldet. Er sortierte die angekündigten Preisaufschläge und Erhöhungen, bilanzierte das Haushaltsbuch des Vorjahres. Die Buchführung musste stimmen, das hatte er schon früh gelernt. "Ja, Snoopy, uns gehört kein sprichwörtlicher Piss-Pott, Adelstitel hin oder her. ABER wir können uns die Miete für einen leisten. Ein bisschen Selbstorganisation tut nicht weh." Genau, und als Team konnte ihnen niemand was! Wobei, das konnte er nicht negieren, sein Beitrag bisher bloß auf Existenz und somit väterliche Unterhaltszahlungen hinauslief. Wenn er jedoch ein Quäntchen der Talente seiner Mutter geerbt hätte...! "Dann wäre es nicht hoffnungslos." Grummelte Jannäus-Niklas stirnrunzelnd, das neue Haushaltsbuch präparierend. Nun, wenigstens eines Problems war er ledig! Blieben noch Überleben in der Zensurhölle und die verfluchte Migräne! Automatisch absolvierte er einige der Massage-, Akupressur- und Entspannungsübungen, die ihm Erleichterung bringen sollten. "Du hast Ferien!" Erinnerte er sich selbst streng. Was bedeutete, den Sonntag gemütlich zu begehen, mit seiner Mutter, einer leckeren Mahlzeit und der Abstimmung für die nächste Woche! ~(___)~ Nach dem Sonntag mit "digitalem Detox" startete Jannäus-Niklas in die erste Kalenderwoche des neuen Jahres, die letzte Ferienwoche, schön leise, damit er seine Mutter nicht aufweckte. Grummelnd prüfte er online die eintrudelnden Belastungen auf dem Girokonto, aktualisierte das nun nicht mehr blanke Haushaltsbuch. Weil er ja nun schon mal Strom verschwendete... Immerhin musste man sich ja ständig mit Änderungen, Aktualisierungen, neuen Vorgaben vertraut machen! Zudem sollte, um des sozialen Zusammenhalts Willen, die schuleigene Online-Plattform genutzt werden, quasi Schulhof, Gänge und sonstige Freiräume für "social bonding" und Gespräche ersetzen. "...!!!" Jannäus-Niklas japste, ließ das Mausrad rollen, spulte und kurbelte, sprang hastig auf, um im Flur die Türklingel zu deaktivieren, wieselte eilig zu den erreichbaren Fenstern und spähte hinaus. Huschte dann, recht verstohlen, durchs Treppenhaus hinunter, um den Briefkasten am Hauseingang zu inspizieren. Atmete nun erst mal tief durch, die stechenden Schmerzen hinter seinen Augäpfeln grimmig ignorierend. Offenbar hatten die ersten Appelle zumindest bisher Wirkung gezeigt: keine Personenansammlungen vor dem Haus! Klar, Pandemie, verschärfte Regelungen. Wacklig kraxelte er die Stufen retour, ließ sich missmutig, die Schläfen reibend, vor dem Rechner nieder. "Das darf nicht wahr sein." Frommer Wunsch, selbstredend. Während er in seliger Unkenntnis ein ruhiges, schönes Wochenende verbracht hatte, lebten andere intensiv in ihrer Parallelwelt, die sich auch im Forum der Plattform abspielte, weil man so gleich im größeren Kreis diskutieren konnte, was nämlich zu unternehmen sei. Weil Bee-Kay sich aus Liebeskummer die Haare abgeschnitten hatte und sich nicht meldete! Das alles nur wegen Jannik! ~(___)~ Jannäus-Niklas leerte das Wasserglas konzentriert. Es kam NICHT in Frage, in Panik zu verfallen, in Stress zu geraten oder auf anderem Weg der Migräne freiwillig ein Einfallstor zu eröffnen! Die Türklingel war deaktiviert, ein Festnetztelefon gab es nicht mehr, von Aufmärschen war abgeraten worden. Glücklicherweise gab es noch ein paar wenige Vernünftige da draußen! Was könnte sonst noch die Ruhe seiner Mutter stören? Den Briefkasten hatte er kontrolliert, aber mit Zetteln Nachrichten zu hinterlassen, das war ZU RETRO! Wieder und wieder überflog er die Nachrichtenabfolge. Die fehlende "Matte" konnte nicht übersehen werden, auch, weil ihr Träger sonst auffällig war. Schön, Haare weg, aber wieso Liebeskummer?! DAS, nun ja, kam wohl mal vor, dass man "alte Zöpfe" abschnitt, sich von Ballast trennte. In Ordnung, ja, nicht ganz unlogisch. Aber WIESO sollte ER der Auslöser dafür sein?! Jannäus-Niklas rieb sich über die knirschenden Kiefermuskeln, schnitt Grimassen, um die verhärteten Sehnen zu lockern. Der TYP verfügte über einen Harem, war ständig umschwirrt! WARUM sollte so einer sich für IHN interessieren?! Wer kam denn auf diese abwegige Idee?! Den Nachrichten jedenfalls war nicht zu entnehmen, dass Bodhi Karuna sich selbst jemals so geäußert hatte. Zudem klopfte man wohl reihum alle möglichen Objekte der "Sehnsucht" (oder eher Begierde) ab, mit negativem Resultat. Also... Möglicherweise hatte irgendwer spitzgekriegt, dass Bodhi Karuna ihm die letzte Woche ständig Besuche abgestattet hatte. War das ungewöhnlich? Zugegeben, wenn man sich ganztags in der Schule sah, musste man nicht in der geringen Freizeit auch noch aufeinander hängen. Dennoch schien es ein ziemlicher Kurzschluss zu behaupten, er habe das Sex-Idol der Stufe abgewiesen, weshalb der sich deprimiert die Rübe kahl schor! "Wie konnte das passieren?!" Zischte Jannäus-Niklas sich selbst zu. Entsprechend der lächerlichen Rangliste müsste er doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, einen offenbar männlichen Mitschüler abblitzen zu lassen, der so begehrt war! Wieso traute man IHM so etwas zu?! Denn, in loser Folge konkludierend, müsste man dann davon ausgehen, dass sein Veto gegen Sex in der Beziehung mit Bee-Kay tatsächlich glaubhaft wäre! "Grnnnrrrghhh!" Knurrte Jannäus-Niklas in die vor den Mund gepressten Handflächen. War er nur von lächerlich geskripteten Schwachmaten in einer Romanzen-Idioten-Hölle umgeben?! "Kein Wunder, dass dämliche Verschwörungsmythen Anklang finden!" Man musste Ferrero in dieser Hinsicht recht geben: NICHTS war zu bekloppt, um nicht doch ein paar Vollidioten zu finden, die es für richtig erachteten! In DIESER Realität stellte sich jedoch gerade drängend eine Frage: was tun?! Jannäus-Niklas wollte nicht, dass seine Mutter involviert wurde, durch unangemeldete Besuche, Ansammlungen vor der Tür, Anrufe, Nachrichten, was auch immer. Sie arbeitete hart, in zusätzlichen Schichten, konnte sich kaum erholen, da kam eine Belastung durch solchen Firlefanz einfach nicht in die Tüte! Wenn Bee-Kay jetzt dementierte, aus Liebeskummer den eigenen Schädel entlastet zu haben, DANN sollte doch...! "Verflixt." Grummelte sich Jannäus-Niklas zu, möglichst leise, weil hellere Stimmen ja weiter trugen. Dem Nachrichtenfluss zufolge hatte das bedauernswerte Objekt der Sorge weder im Forum noch per telefonischem Kontakt reagiert. Persönlich Aufmarschieren schied unter Hinweis auf die Regelungen aus. Für Jannäus-Niklas ebenfalls keine Optionen, da er nicht wusste, wo Bodhi Karuna wohnte und wie dessen Mobilfunknummer lautete. Keine E-Mail-Adresse, nichts, um ihn aufzufordern, die Lage durch eine Klarstellung zu entschärfen! "Toll!" Fauchte Jannäus-Niklas, drehte den Kopf wie ein Uhu, weil ihm der Nacken schon warnende Verspannung signalisierte. Aber ein Küken musste tun, was ein Küken tun musste! ~(___)~ [Bitte ruft nicht an, klingelt oder kommt vorbei. Unsere Mütter müssen in Home-Office und im Schichtdienst arbeiten. Danke.] ~(___)~ Jannäus-Niklas gelang es zur eigenen Überraschung, die neueste Kalamität vor seiner Mutter zu verbergen, mutmaßlich unterstützt durch den Umstand, dass sich wirklich niemand die Mühe machte, ihn zu belagern. Außerdem sorgte ein kurzfristiger Noteinsatz für eine weitere Nachtschicht, weshalb er mit sich allein blieb, das bisschen Erholung flöten ging vor aufkeimenden Sorgen für den mageren Rest des ersten Schulhalbjahres. Weil ja nach dieser Woche das Grauen drohte, vielleicht noch kombiniert mit "Home-Schooling" dank Quarantäne, akkompagniert von einem Rattenschwanz an "hilfreichen" Zusatzübungen, ergänzenden Prüfungen und verstärkenden Tests. Als ob dies die Mangelverwaltung änderte! Jannäus-Niklas haderte mit sich ob des eigenen Drucks. Seine Mutter hätte ein Wiederholungsjahr im Laufe seiner Schulzeit überhaupt nicht als Schmach oder Niederlage empfunden. Für sie zählte, dass er mit sich zurecht kam, die Resultate nicht zu ernst nahm, denn das Leben ereignete sich jenseits von Lehrplänen. »Wenn man so findig ist, klappt das auch, aber ich...!« Hegte Jannäus-Niklas an SEINER Zukunftsfähigkeit erhebliche Zweifel. Deshalb wollte er stets zum oberen Leistungsbereich zählen, gestattete sich keine Halbherzigkeiten. Wenn sich kein Talent bot, dann wenigstens Ausdauer, Eifer, ernsthaftes Bemühen! So kam es für ihn nicht in Frage, ins Hintertreffen zu geraten. Dass man sich durch übersteigerte Erwartungen auch selbst blockieren konnte, war ihm zwar bekannt, jedoch... Keine vollkommene Niete zu sein, das stellte eben SEINE Hoffnung dar. Plus die Aussicht, die Pubertät zu überleben, ohne die Migräne als unkündbaren Untermieter zu behalten! Also sich ablenken mit Lernen, Repetieren und konsequent das Forum meiden! ~(___)~ Sehr leise verließ Jannäus-Niklas die Wohnung. Falls wider Erwarten seine Mutter frühzeitig erwachte, stand schon ein Imbiss bereit. Er fragte sich, ob es doch noch mit dem freien Tag in dieser Woche klappen konnte. Bobby wollte gern ins Kino gehen, bot für Jannäus-Niklas sogar an, die Kosten für den Test zu übernehmen. Obwohl Jannäus-Niklas neugierig war, welche "Matrix" dieses Mal geboten wurde, beschloss er für sich, das Rendezvous nicht zu stören, schließlich schwamm Bobby ja auch nicht im Geld. Eine Pärchen-Verabredung sollten die beiden genießen können. Auch wenn seine Mutter NICHT an irgendwelche Maschinen glaubte, die eine Realität als "Matrix" konstruierten, denn sonst gäbe es bestimmt eine mit lauter Süßigkeiten überall wie im Schlaraffenland. Dann hätte man wegen der Überfülle bestimmt weniger Lust auf Süßes und die Jahresringe um die Hüften würden reduziert! Eine bestechende Logik, fand Jannäus-Niklas, hielt auch eine entsprechende Realitäts-Konstruktion für eher unwahrscheinlich. Zudem fand er nicht, dass man sich ständig alles verkneifen sollte, um als Spargel durch die Landschaft zu ziehen. Man konnte ja an ihm sehen, dass das jetzt nicht SO reizvoll war. Einen Zahnstocher konnte man schließlich auch nicht knuddeln! Deshalb hoffte Jannäus-Niklas, dass sich doch ein freier, gemeinsamer Tag ergebe und die Kinos zugänglich blieben. Mangels eigener Prominenz würde ihm auch die Unkenntnis über den vierten Teil der Filmserie nicht permanent unter die Nase gerieben werden. »Über meine soziale Wahrnehmung muss ich mir ohnehin keine Illusionen machen.« Grummelte er stumm in sich hinein, während er sich zum Supermarkt aufmachte. Bedauerlicherweise hatte Bodhi Karuna nicht im Forum reagiert, die Spekulationen schossen mal wieder ins (Un-)Kraut! Dass er selbst da keine positive Rezeption erhalten würde, stand außer Frage. Jannäus-Niklas kämpfte mit einem ausbrechenden Einkaufswagen (nix mit Spurkontrolle!), verstaute endlich nach der Kasse die Waren. Die ungewöhnlich frühlingshafte Witterung machte ihm zu schaffen, denn er fühlte sich fast fiebrig. 15° Celsius postulierte die Apotheke, die er nicht aufsuchen musste. In der ersten Januarwoche: verrückt! Dazu lag unangenehm ein Wasserfilm in der Luft, der das Atmen auch ohne Maske erschwerte, weshalb Jannäus-Niklas entschied, ein Päuschen vor dem Heimweg einzulegen. So ganz auf der Höhe fühlte er sich nicht, verwünschte den klammen Schweiß auf der Haut. Sollte er vielleicht die Winterjacke ausziehen? Aber dann kühlte er möglicherweise aus, zog sich eine Erkältung zu. Die Sonne wirkte trügerisch angenehm, diente ihm jedoch als Rechtfertigung, nicht gleich wieder den Marsch aufzunehmen. Allerdings sollte man einen direkten Blick schon vermeiden, sonst blitzte es hinter den geschlossenen Lidern, was sein dusseliges Hirn dann mal wieder als Attacke verstand! "Alles in Ordnung, Jannik?" Blinzelnd schlug Jannäus-Niklas die Augen auf, glücklicherweise beschattet von einer Silhouette mit Licht-Korona. Die Stimme erkannte er jedoch sofort. "Ich...du...was...?!" Krächzte Jannäus-Niklas, zwischen Überraschung und wachsender Empörung wechselnd. Bodhi Karuna ging vor ihm in die Hocke, weshalb Jannäus-Niklas rasch einen Unterarm als Sonnenblende lupfte. "Geht es dir gut? Du bist ziemlich bleich." Sich aufrappelnd votierte Jannäus-Niklas für Angriff, weil er seinen Puls beschleunigen fühlte. "Die Höhensonne ist defekt! Überhaupt sind Aussagen zum Teint anderer Leute unangebracht!" Tadelte er giftig, taumelte, bevor er unsanft wieder auf die Parkbank plumpste. Um diese Schwäche zu tarnen, fauchte er Bodhi Karuna hastig an. "Was tust du hier?! Weißt du eigentlich, was für ein Blödsinn gerade kursiert?!" Man kam aus der Hocke, schoss quasi gigantisch in die Höhe, verdunkelte den Himmel! Was Jannäus-Niklas unreflektiert noch stärker empörte, weil er selbst so mickrig herumkauerte und zu schnell atmete! "Ich hab etwas besorgt. Danke, dass du gestern im Forum gepostet hast. Willst du dich bei mir ausruhen?" Fassungslos stierte Jannäus-Niklas in die Höhe (wollte nicht darüber nachdenken, ob er wie ein lächerlicher Chihuahua mit glotzenden Knopfaugen aussah). "Spinnst du komplett?! Angeblich verzehrst du dich vor Liebeskummer, nachdem ich es GEWAGT habe, dich abzuweisen! Da kann ich wohl kaum..." Bevor Jannäus-Niklas die nächste Breitseite vollständig abfeuern konnte, hatte Bodhi Karuna sich vorgebeugt, seine Handgelenke umfasst. "Eiskalt." Konstatierte er. Was auch für die Hände galt, trotz Handschuhen. "Hoch mit dir." Beschleunigte er Jannäus-Niklas auf die Beine, der zu perplex ob dieser Eigenmacht war, um sich ihr zu entziehen. "Ich weiß nicht, wie es herausgekommen ist, dass ich mit dir gehen will." Bodhi Karuna kaperte die Einkaufstasche, die Jannäus-Niklas neben sich abgestellt hatte. "Es ist nicht weit." Damit schlang er einfach den freien Arm um Jannäus-Niklas' Schultern, richtete ihn aus. "...du...tickst ja nicht richtig! Lass mich los und gib mir meine Tasche!" Forderte Jannäus-Niklas, stolperte dabei über die eigenen Eisbeine (ohne Kraut), stürzte fast in einen winternackten Wildrosenstrauch. Doch Bodhi Karunas Griff um seinen knochigen Oberarm verhinderte sowohl Bruchlandung als auch Ausbüchsen. Die dunkelbraunen Augen blickten stattdessen streng herunter. "Du bist bleich, hast Schweißperlen im Gesicht und zitterst. Dir geht es nicht gut. Du willst bestimmt nicht hier draußen umfallen." Erläuterte er knapp, dirigierte ihren ungleichen Krabbengang entschieden. "Ja, du hältst mich für einen größeren Idioten als Marvin, schon verstanden. Trotzdem erkenne ich die Anzeichen, wenn es jemandem nicht gut geht." Jannäus-Niklas hätte gern geschnauzt (zugegeben, die Mini-Variante), dass sein Gesundheitszustand ihn nichts anginge, doch er spürte die eigene Schwäche, die zunehmende Gefühllosigkeit in seinen Gliedern, die schlappe Reaktion seines Blutdrucks auf die Notlage. Deshalb brachte er keine Kritik hervor aus Sorge, er möge auch noch sabbern, weil ihm die Zunge wie ein alter Lappen im Hals hing, blendete verzweifelt die boshafte Stimme in seinem Hinterkopf aus. Die ihm mal wieder vorhielt, was für eine erbärmliche, überflüssige Lusche er doch war! ~(___)~ Kapitel 4 - Ein allzu bekanntes Skript Glücklicherweise hatte Bodhi Karuna nicht untertrieben, als er die Distanz einstufte. Es gab einen Aufzug bis zur Wohnung. Beschämend genug, dass er den Arm um Jannäus-Niklas' Taille schlang, diesen fest an sich zog, weil dem der "Seegang" im altertümlichen Lift (Ruckeln, Knacken, Nachfedern, Schwingen) gar nicht bekam. Im Tunnelblick, sich sehr flau und schwach fühlend, registrierte Jannäus-Niklas weder Grundrissgestaltung noch Möblierung, nur ein niedriges Bett, rasch das Abrollen der hölzernen Jalousie, um das Tageslicht zu dämpfen. Ohne sich wehren zu können, ging er seiner Jacke und Schuhe verlustig. Bodhi Karuna breitete eine leichte Decke über ihm aus. "Ich bin gleich wieder da." Jannäus-Niklas gurgelte etwas Unverständliches, schickte sich jedoch drein. Nein, der Wetterumschwung und dieser alberne Nicht-Liebes-Wirbel bekamen ihm gar nicht! ~(___)~ Mit der Wahrung der eigenen Würde war es nicht weit her, wenn man schon Mühe hatte, sich nicht am eigenen Speichel zu verschlucken. So konnte Jannäus-Niklas auch keine Konterattacke reiten, als Bodhi Karuna begann, ihm erst das Gesicht abzutupfen, dann Kleiderschichten abzupflücken, unter denen sich auch Notschweiß zeigte. "Erwartet dich deine Mutter? Soll ich anrufen und sagen, wo du bist?" Ohne Hektik wischte ihm Bodhi Karuna über die Haut, streifte eigene Kleiderspenden zwecks Abdichtung gegen Zugluft über. "Nein, nicht... nicht anrufen!" Gurgelte Jannäus-Niklas mühsam, den seifigen Geschmack im Mund verwünschend. Fehlte noch, dass er entsprechende Blasen entließ! Vor allem aber, dass so eine lächerliche Lage seine Mutter um die wohlverdiente Erholung brachte! Überhaupt wollte er intervenieren, denn Leih-Klamotten von diesem Goliath waren ja nun wirklich nicht notwendig! Bloß konnte er sich außer einem schaumigen Brabbeln kaum verständlich machen. "Okay, trocken bist du erst mal. Jetzt kümmern wir uns um deinen Kreislauf." Keine Ankündigung, die Jannäus-Niklas beruhigte. Was wollte Bodhi Karuna mit ihm anstellen?! Der ließ ihn zunächst mal in der Semi-Dämmerung des Zimmers zurück. Was ja theoretisch offerierte, sich zu erheben, auf Französisch zu verabschieden, nun, nicht durchs Fenster, auch nicht in fremden, eindeutig überdimensionierten Kleidern. Oder quasi auf dem Zahnfleisch. Jannäus-Niklas ächzte schon, als er versuchte, sich auf die Seite zu drehen. Nein, eine klammheimliche Flucht konnte er sich abschminken! Wenigstens gelang es ihm, die Knie vor den Leib zu ziehen, die hektischen Atemzüge eingerollt etwas zu verlangsamen. »Regel 1: keine Panik. Atemzüge zählen. Schultern durchdrücken und weg von den Ohren. Unterkiefer lockern. Regel 2: Ruhe bewahren. Kreislauf stabilisieren. Balance wiederherstellen.« Bloß nicht daran denken, was er hier, in der Fremde, tat, an die zu verstauenden Einkäufe, die Möglichkeit, er würde doch daheim vermisst... "Uhhh!" Kommentierte halblaut sein Verstand das Torpedieren der goldenen Regeln zur Selbstrettung. Wenigstens hielt die hämische, altkluge Stimme in seinem Hinterkopf mal ihre Klappe! Als Jannäus-Niklas den zweiten Anlauf startete, sich ins Lot zu bringen (wenn auch noch nicht lotrecht), kehrte Bodhi Karuna zurück. Er unterlief die mühsamen Anstrengungen, indem er Jannäus-Niklas unter die Achseln fasste, aufsetzte, sich dann rasch daneben platzierte und als Rückenlehne andiente. Die Bequemlichkeit endete jedoch sofort, denn ein Arm umschlang mühelos Jannäus-Niklas' mageren Brustkorb, der schon wieder keuchte, weil TROTZ Dämmerlicht sein Gehirn noch mit dem Balancieren herumpfuschte, obwohl es keinen Horizont zwecks Desorientierung gab! Die nächste Zumutung demonstrierte der Becher, der von der anderen Hand an Jannäus-Niklas' Mund gesetzt wurde. "Schmeckt nicht so toll, hilft aber." Behauptete Bodhi Karuna, klemmte Jannäus-Niklas effektiv zwischen sich und dem Becherrand ein, lehnte sich zurück, sodass Jannäus-Niklas entweder die Futterluke aufsperren und trinken musste oder von der ominösen Flüssigkeit getränkt wurde. Erziehung und Reflexe assistierten, weshalb Bodhi Karuna Schluck um Schluck im Zielhafen löschen konnte. "Koffein, Zucker, Elektrolyte und ein wenig Natron." »Prima, diese Informationen werden die Leute in der Forensik begeistern, falls sich eine fatale Vergiftung anschließt!« Dachte Jannäus-Niklas. Andererseits, ohne Starthilfe für seinen lästigen Kreislauf und gegen die stechenden Schmerzen in den Schläfen käme er hier NIE weg! "Tut mir leid, dass du dir Sorgen machen musstest. Ich war nicht im Netz und hatte auch vergessen, dass ich den Akku aufladen muss." Jannäus-Niklas hätte gern verkündet, dass er sich selbstverständlich KEINE Sorgen gemacht hatte, weil ihn das ja alles NICHTS anging, aber er lehnte immer noch mit gesenkten Lidern in der halben Umarmung, feuerte seinen Kreislauf an, endlich in die Gänge zu kommen! "Nur das Wetter. Klimakrise, Erderwärmung und so!" Behauptete er schließlich, gegen die Schwere seiner Zunge ankämpfend. "Wirklich? Ist bestimmt nicht einfach, so wetterfühlig zu sein." Kommentierte Bodhi Karuna, ließ ihn behutsam auf den Rücken sinken, wie gehabt die dünne Decke ausbreitend. Nur dieses Mal registrierte Jannäus-Niklas, dass sich der ältere Jugendliche neben ihm ausstreckte, auf die Seite rollte und den Kopf in eine Hand stützte. "Ich hab die Einkäufe kühl gestellt, die nicht draußen bleiben können. Meine Mutter arbeitet in ihrem Zimmer, deshalb müssen wir leise sein. Aber du kannst dich jetzt erst mal ausruhen." Jannäus-Niklas konnte einen gequälten Seufzer nicht unterdrücken. Wenn sie bei DIESER Aktion auch noch jemand gesehen hatte, würde das Forum vermutlich überlaufen! ~(___)~ "Das ist alles so bescheuert!" Beschwerte Jannäus-Niklas sich, als ihm die Ruhe zu belastend wurde. Immerhin zu zweit in einem fremden Bett im Zwielicht des Vormittags, da konnte ja sonst was passieren! Oder eher, wenn man an die Idee seines Mit-Liegenden dachte, GAR NICHTS. Jannäus-Niklas knurrte gequält. "Ein grottiger Murks wie in einem BL-Manga! Der Held kann durch Intervention von Dritten endlich den Mut fassen, sich seinem Schwarm zu offenbaren. Schnöde zurückgewiesen erleidet er großen Kummer und Niedergeschlagenheit, zieht sich von der Welt zurück, doch, ach, das Schicksal schlägt zu! Großmütig hilft der Held seinem Schwarm aus einer Notlage, in edler Noblesse, woraufhin eine Annäherung unvermeidlich ist. Wohin wird es unseren Helden und seinen Schwarm verschlagen? Fortsetzung folgt." Gurrte er grämlich, mal wieder zu sehr Richtung Sopran unterwegs, um galliger zu konkludieren. "Alles nur wegen der dämlichen Fehde von Marvi-diot mit Ferrero." An seiner Seite muckste man sich einige Herzschläge lang nicht. "Was ist ein BL-Manga?" Jannäus-Niklas verdrehte die Augen, schnaubte. "BL steht für boyslove, also Rummachen nur unter Jungs! Mangas sind Bildgeschichten, alles klar? Oh, und bevor du fragst: ICH lese so was nicht! Ich kenn bloß die Pressenotizen der Verlage, weil ich mir die Neuveröffentlichungen ansehe!" Stellte Jannäus-Niklas entschieden fest. "Ah, verstehe. Comics." Gespannt wartete Jannäus-Niklas auf weitere Einlassungen, denn eigentlich drehte sich seine ätzende Kurzfassung um andere Sujets. Es kam jedoch nichts. Kein Nachhaken, kein frivoles Schäkern zur Erfolgsaussicht des vermeintlichen Pärchens. Keine Zurückweisung des boshaften Ausführens der Hilfestellung in Parallelität. "Liest du gar keine Bücher?! Ich meine, außerhalb der Schule?!" Explodierte Jannäus-Niklas schließlich ungeduldig. Wo musste man denn gehaust haben, um nicht wenigstens zu wissen, was Manga oder Kult-Horror-Filmklassiker waren?! »...oh...ach ja...nun...« Während Jannäus-Niklas sich anhielt, eine verdiente Retourkutsche mit Anstand anzunehmen, rollte sich Bodhi Karuna neben ihm auf den Rücken. "Ich lese gern Kochbücher." Das kam ganz neutral, nicht schnippisch oder bissig. "Kochbücher." Gab Jannäus-Niklas den Papageien, bevor er sich sortieren konnte. "Also, ich dachte, das sind eher Nachschlagewerke für Rezepte." So was wie Lexika, die las man doch auch nicht, nun, vollständig durch! "Das auch, ich meine, Rezeptsammlungen. Aber es gibt in vielen Kochbüchern noch mehr zu entdecken: Zubereitungstechniken, Herkunft und Anbau von Zutaten aller Art, die Historie zu Gerichten, zur Entstehung und Veränderung. Außerdem sind meistens auch schöne Bilder enthalten." Der letzte Satz klang nun doch etwas neckend. Jannäus-Niklas sprang mit beiden Füßen ins Fettnäpfchen, man gönnte sich ja sonst nichts! "Und du liest die einfach so? Ich meine, von vorne bis hinten, in der Freizeit, zum Spaß?" Manche Leute hatten ja verrückte Interessen! Bodhi Karuna gluckste amüsiert neben ihm. "Tue ich. Es entspannt mich und lenkt mich ab, wenn es mal nicht so gut läuft mit der Welt und dem Schicksal." Ein Seitenhieb, eindeutig! Pinselig und überrascht, dass Bodhi Karuna keineswegs etwas töffelig im Oberstübchen unterwegs war, fauchte Jannäus-Niklas zurück. "Hör mal, ich hab Marvi-diot nicht gebeten, mich auf diese blöde Liste zu setzen, ja?! Wenn ich könnte, würde ich dem auch die Kauleiste neu einhängen! Blöderweise fehlen mir aber die Terminator-Eigenschaften, also muss Ferrero ihm einen reinwürgen. Außerdem hab ich schon genug Probleme mit mir selbst, da brauche ich nicht noch nen Nachschlag! Vor allem keinen, der mir signalisiert, dass ich der laufende Keuschheitsgürtel in einer VIP-Beziehung sein soll! Ganz zu schweigen von diesem schwachsinnigen Kitsch drumherum, ohne Ausrede der Verblödung durch Verliebtsein!" Sich ein wenig wacklig abstützend feuerte Jannäus-Niklas diese Tirade auf Bodhi Karuna herunter, stellte dabei erfreut fest, dass sein wankelmütiger Kreislauf offenbar wieder in Schwung kam. Das sollte man nutzen, die eigenen Kleider einfordern, sich rasch vom Acker machen, bevor die nächste Volte in dieser gruseligen Mär von irgendwem im Forum verbreitet wurde! "Ich wusste nicht, dass die Liste falsch war." Bodhi Karuna setzte sich auch auf, was Jannäus-Niklas unwillkürlich Richtung Wand rutschen ließ. Ungeachtet der Abdunkelung fühlte er sich plötzlich wieder in den Schatten gestellt. "Du kennst mich ja nicht mal! Da macht man nicht einfach nen Antrag, diverse Gesellschaft hin oder her. Ich meine, wie würdest du dich fühlen, wenn man sich dir an den Hals wirft, nur weil du das richtige Alter hast?!" Was in ihrem Fall schon nicht mehr ganz das "richtige" Alter war, um sexuelle Annäherungen als illegal einzustufen, aber geschenkt! Sich halb abwendend, um auf der Bettkante zu sitzen, die Knie knapp unterm Kinn, wischte sich Bodhi Karuna über den Kopf, in der Luft, denn es gab ja nichts mehr zu sortieren. "Ich verstehe, dass du gekränkt bist. Ich dachte mir, dass wir uns einfach besser kennenlernen werden, wenn wir zusammen sind. Außerdem scheinen die anderen nicht daran zu zweifeln, an dieser tragischen Romanze." Noch eine unerwartete Spitze von der Seite, verzögert durch Übersetzungsanstrengungen. Jannäus-Niklas knurrte Unverständliches, bedauerlicherweise in etwa so bedrohlich wie eine Spitzmaus mit angelegten Ohren. "Das~das ist doch alles Quatsch! Außerdem hab ich nicht verlangt, dass du dir die Zotteln absäbelst! Wenn du nicht verliebt bist, kommt dieser Liebeskummer-Unsinn noch unglaubwürdiger daher!" Argumentierte er aufgebracht, hielt aber die Stimme gesenkt, schließlich arbeitete Bodhi Karunas Mutter ja in Reichweite. Was ihn darauf brachte, dass er gar nicht wusste, wie sie auf die Scher-Aktion ihres Sohnes reagiert hatte. Unterdessen pflichtete Bodhi Karuna ihm gelassen bei. "Stimmt, du hast mir nicht gesagt, dass ich mir die Dreadlocks abschneiden soll. Ich war eher ratlos als furchtbar traurig." Vor allem beängstigend ehrlich, wie Jannäus-Niklas unbehaglich feststellte. "Was hast du deiner Mutter überhaupt wegen des Kahlschlags gesagt?" Erkundigte er sich grimmig, die kleinen Fäuste geballt. "Nichts weiter." DAS konnte man ja nicht glauben! "Sie hat also NICHTS zu deiner neuen Aufmachung als Quasi-Mönch gesagt?!" Hakte Jannäus-Niklas scharf nach. "Doch. Sie wollte wissen, wie ich es gemacht habe, weil die einzelnen Stränge ja schon recht dick waren. Wenn sie ihre Haare stutzt, an den Spitzen, nimmt sie eine Papierschere. Aber mit der wäre es ja nicht gegangen. Die habe ich bloß danach genutzt, fürs Feinarbeiten." Lieferte Bodhi Karuna unbeeindruckt von Jannäus-Niklas' Misstrauen eine ausführlichere Erläuterung. Dem raubte es für einige Wimpernschläge die Sprache. "Aber~aber die Dinger waren lang! Ich meine, diese Zopfdinger hattest du doch wahrscheinlich schon ewig! Da hat sie nicht mal gefragt, warum du plötzlich alles abschneidest?!" Bodhi Karuna wischte sich beiläufig über den Kopf. "Nein. Es sind bloß Haare. Meine Haare sind ein bisschen schwierig, darum ist es meine Entscheidung." Jannäus-Niklas starrte fassungslos. Seine Mutter hätte so eine augenfällige Entscheidung NIEMALS kommentarlos stehen lassen! Sich erkundigt, was die Motivation gewesen sei, ob Unterstützung gewünscht werde... "Ich hab andere Haare als meine Mutter. Ganz kringelig? Nein, kraus! Sie verdrehen sich, werden wie Filz. Als wir in Nairobi waren, hat die Tagesmutter mir die Haare geflochten wegen der Pflege, weil man kein Wasser verschwenden will. Die Glätteisen funktionieren nur mit Strom, es dauert auch lange. Also haben wir es seitdem dabei belassen. Ich habe gelernt, wie man die Dreadlocks behandelt. Aber es sind eben nur Haare. Sie wachsen ja nach." Dass sie ihm einen sensationellen Auftritt an der Schule verschafft hatten, schien ihn gar nicht zu berühren. Jannäus-Niklas gab mit einem Ächzen auf. Aussichtslos, hier eine Dramatik aufzubauen! "Du schaffst mich, ehrlich!" ~(___)~ Weil Jannäus-Niklas nun wenigstens saß, ohne dass die Umgebung in Schiffschaukeln verfiel, ermahnte er sich selbst, das metaphorische Heft in die Hand zu nehmen. "Mir geht es wieder gut. Danke für diesen Zaubertrank. Wenn du mir jetzt meine Klamotten zurückgibst, löse ich mich artig in Luft auf." Bot er entschlossen an. Bodhi Karuna erhob sich, demonstrierte auf diese Weise, dass das Bett tatsächlich sehr niedrig war, quasi die europäische Futon-Variante. "Sie sind auf dem Boden. Also unterm Dach." Man konnte seiner Stimme ein Grimassieren anhören, weil er mit der Transkription rang. Dachboden, schon klar, aber natürlich nicht "auf" dem Boden, sondern über dem Boden, im Querbalken mit Kleiderbügeln an einer eingeklemmten Besenstange baumelnd. Jannäus-Niklas, der in der Semi-Dämmerung nicht viel erkennen konnte, platzte gedankenlos heraus. "Träumst du eigentlich auf Deutsch?" Denn ihm schien es, als ringe Bodhi Karuna immer mal um einzelne Worte, kämpfe mit den Dialogen im Drehbuch. Von sich selbst überrumpelt, denn eigentlich ging ihn das so gar nichts an, hob er hastig die Rechte. "Uh, vergiss es..." "Meistens. Aber nicht immer. Diese Wortbilder, Metaphern, fallen mir schwer. Manche Kulturphänomene kenne ich nicht. Vielleicht sollte ich mir auch so eine Liste machen wie Captain America nach dem Auftauen." Ein Schmunzeln schwang mit. "Captain America... sag nicht, du kennst die Marvel-Comic-Verfilmungen?" Staunte Jannäus-Niklas spontan, der seinen Gastgebenden auf "häufig hinter dem Mond" verortet hatte. Immerhin zogen sich sehr ferne, häufig kulturell anders aufgestellte Ortsaufenthalte durch dessen noch junge Biographie. Bodhi Karuna gluckste. "Ich bin eingeladen worden, sie über das Internet zu sehen. Pyjama-Party, mit Popcorn und Chips. Allerdings bin ich bei dem Teil mit Ultron, oder so, eingeschlafen. Binge-Watching ist sehr anstrengend." Er zog langsam die hölzerne Jalousie nach oben, was sehr sonniges Licht ins Zimmer fluten ließ. Ordentlich in den Senkel gestellt ob seiner ungezogenen Unterstellung von popkultureller Ignoranz und mangelhafter "Allgemeinbildung" verspürte Jannäus-Niklas einen Stich. GENAU SOLCHE DÄMLICHEN SPRÜCHE könnten von seinem Großvater stammen, vorurteilsbehaftet, überheblich, selbstgerecht, geradezu niederträchtig! Man sollte sich schämen, und nicht zu knapp! Er senkte den Kopf, rieb sich automatisch die Schläfen. "Ich hole deine Sachen." Bodhi Karuna ließ ihn taktvoll allein in seiner Selbstverachtung. Wütend auf sich selbst kletterte Jannäus-Niklas vom niedrigen Bett, sah sich um, weil sein Kreislauf sich erfreulich kooperativ verhielt. Außer dem Bett gab es einen aufgeklappten Koffer zu besichtigen, über dem eine mobile Kleiderstange Bodhi Karunas Garderobe präsentierte. An einer Garderobenleiste hingen in einem Netz kleine Taschen, vereinzelte Socken, halbe Pappschachteln. Ein Utensilien-Reservoir für alles Mögliche, wie es schien. Zwei quer gelegte, offene Umzugskisten dienten als Bücherregal und ein ausrangiertes Bügelbrett als Schreibtisch. Alles wirkte, als habe man sich beim Sperrmüll bedient, noch mindestens zwei Zimmer-Efeus ausgesetzt, die nun munter im Netz rankten, den bunten Sammelsurium einen grün-panaschierten Rahmen gaben. Nun, wenn man jahrelang aus dem Koffer gelebt hatte... Ungefragt studierte Jannäus-Niklas mit Büroklammern befestigte Schnappschüsse, Andenken an frühere Wirkungsstätten und die Menschen dort. Als Bodhi Karuna zurückkehrte, die dank dichter Dämmung getrockneten Kleider über dem Arm, blickte Jannäus-Niklas aus dem Fenster. "Es tut mir leid, meine Worte über deine Haare. Ich werde das richtigstellen, dass es kein Rappel war, sondern eine boshafte Gemeinheit von mir." Tapfer wandte er sich herum, blickte hoch in die dunkelbraunen Augen. "Was ist ein Rappel?" Erkundigte sich Bodhi Karuna, die Kleider auf seinem Bett ablegend. Jannäus-Niklas schnaufte. "Ein Rappel... so was wie ein kurzzeitiger Aussetzer der Vernunft, ein Anfall geistiger Umnachtung. Kurzschlusshandlung, wie bei van Gogh, sich das halbe Ohr absäbeln." Demonstrativ tastete Bodhi Karuna nach seinen Ohren, die noch vollständig vorhanden waren. "Das mit dem Ohrabsäbeln ist nicht obligatorisch!" Knurrte Jannäus-Niklas im Rehpinscher-Kampfmodus prompt. Was Bodhi Karuna ein breites Grinsen entlockte. "Ah, jetzt bist du wieder du selbst, Jannik. Wegen meiner Haare musst du dir keine Gedanken machen. Ich hab sie selbst abgeschnitten, es ist meine Entscheidung. Ich denke, ich bin schon etwas mehr als meine Haare. Oder nicht?" Aufgebracht stemmte Jannäus-Niklas die Fäuste in die Seiten, funkelte bergauf. "Aber auf die Idee wärst du ohne mich nicht gekommen, oder?! Deine Zottelmähne WAR besonders, falls es dir entgangen ist! Hast du nicht bemerkt, wie oft dir in die Haare gelangt wurde? Das war quasi die Einladung zum Anquatschen und Flirten!" Donnerte er, bedauerlicherweise Richtung Sopran, grimmig, wenn auch mit gebremster Lautstärke, eingedenk der Ermahnung, man möge die Erwerbstätigkeit der Mutter nicht inkonvenieren. Auf Bodhi Karunas Stirn zeichneten sich zarte Linien des Runzelns ab. "Das heißt, niemand wird sich mehr für mich interessieren?" Ein Hoffnungsschimmer in Sachen "No sex, please"? Jannäus-Niklas stampfte wie ein Kindergartenkind ungeduldig und abwechselnd mit besockten Füßen auf. "Quatsch! Mittlerweile kennt dich doch die ganze Welt hier! Da braucht es dann keinen Aufhänger mehr zum Anbaggern!" Bevor das dezente Stirnrunzeln in die nächste Frage abgleiten konnte, rollte Jannäus-Niklas mit den Augen. "Anbaggern heißt Anmachen heißt Flirten heißt... courting? Wooing?" Versuchte er sich an Übersetzungshilfen. Bodhi Karuna nickte langsam. "Verstehe. Ich hätte mir VORHER die Haare schneiden sollen." Konkludierte er bedächtig. "HRRRR!" Dämpfte Jannäus-Niklas mit eigenen Händen einen unkontrollierten Ausbruch von Verärgerung. War das Absicht, ihn fortwährend auf die sprichwörtliche Palme zu bringen?! "Zu spät." Zuckte Bodhi Karuna mit den Schultern, ohne besonderes Bedauern über die verpasste Gelegenheit. Dass er ohne seine Dreadlocks quasi unsichtbar gewesen wäre, schien ohnehin nicht besonders realistisch. Nicht bei dem Werdegang, seiner Statur, der Zugänglichkeit, der unwillkürlich einsetzenden Sympathie! Um nicht weiter verlorene Schlachten zu schlagen, fischte Jannäus-Niklas seine Kleider vom Bett. Umziehen, genau, dann ab durch die Mitte! Allerdings, sollte er sich vor Bodhi Karuna genieren, bis auf die Unterhose blank zu ziehen? Gut, das Elend konnte der ja schon vorher inspizieren, also obsolete Bedenken, aber... Man fühlte sich doch befangen. Aber der Stolz hielt Jannäus-Niklas davon ab, um Privatsphäre zu bitten, seinen Gastgebenden temporär aus dem eigenen Zimmer zu verweisen. Bodhi Karuna den Rücken zukehrend wechselte er rasch wieder in die eigenen Kleider. Der ungewöhnlich frühlingshaften Witterung geschuldet waren sie nicht etwa klamm, sondern wohltemperiert. "Ich hoffe bloß, dass uns niemand gesehen hat." Grummelte Jannäus-Niklas, als er in die kleine Küche geführt wurde. "Ah, 'Fortsetzung folgt', richtig?" Erkundigte sich Bodhi Karuna trügerisch harmlos, während er aus dem Kühlschrank Produkte barg. Jannäus-Niklas knurrte aufgebracht. "Genau! Irgendwelche Vorschläge?! Diese Schmieren-Komödie ist bestimmt noch nicht ausgestanden." "Hm, möglich." Kommentierte Bodhi Karuna nur knapp, pflückte aus dem kleinen Tiefkühlfach zwei gefrorene Kompressen. "Sorgt dich das gar nicht?!" Konnte Jannäus-Niklas Zweifel nicht für sich behalten, denn ER mochte nun den Schurken in dieser Seifenoper geben, aber der Held war ja noch nicht gerettet! "Schon, nur hab ich noch keine andere Lösung. Ich hoffe, ich bekomme nicht noch mehr Bilder." Ihn schauderte, während Jannäus-Niklas eilig seine Einkäufe verstaute, die Leih-Kompressen um das Kühlgut drapierte. "Du solltest den Mist loswerden. Und mal die Einstellungen in deinen Nutzungskonten überprüfen!" Erteilte er ungebetene Ratschläge. "Überhaupt... darf ich mal eine persönliche Frage stellen?" Baute er sich vor Bodhi Karuna auf, blitzte in die Höhe. "Wieso willst du keinen Sex? Ich meine, alle, mich ausgenommen, im Pubertätstaumel mit Hormonstau sind offenbar darauf versessen. Du hättest die freie Auswahl unter den Kandidatinnen. Man muss ja nicht gleich die akrobatischeren Varianten in Angriff nehmen." Bodhi Karuna strich sich mit einer Hand über den kahlen Schädel, der nur einen winzigen Flaum zum Kraulen bot. "Also, ich finde es so brutal. Dieses..." Beide Hände illustrierten die mechanische Operation. "Einlochen, Eindringen, Penetrieren, Zustoßen." Ergänzte Jannäus-Niklas in diabolischer Gründlichkeit. "Das ist aber die gebräuchliche Variante. Ausgenommen bei Solisten, respektive außerhalb der Hintereingänge." Zudem schien es ein triebhaftes Bedürfnis zu sein, wenn man der vorherrschenden Meinung glaubte. Jannäus-Niklas konnte das aus eigener Erfahrung nicht bekräftigen, fand sich jedoch selbst auch außerhalb der "üblichen" Pubertät. Vor ihm stand nun, ein Jahr älter, 20 Zentimeter größer, noch viel mehr Muskelmasse, attraktiv auch ohne Dreadlocks, das Idol der Stufe. Und bekundete, ihm behage die Prozedur des "insert here" nicht?! Bodhi Karuna zuckte mit den Schultern, wirkte bedrängt und gar nicht souverän. "Ich mag es einfach nicht." Was Jannäus-Niklas prompt ein ironisches Schnauben entlockte. "Du hättest es doch mit der ethischen Keuschheit versuchen sollen! Wenn buddhistisch gesehen alles Dasein Leiden ist, dann könntest du es als Weigerung der Vergrößerung des Elends verkaufen!" Ein schiefes Lächeln nistete sich auf Bodhi Karunas Gesicht ein. "Also, ich hänge trotz meines Namens auch nicht der buddhistischen Lehre an. Das wäre anmaßend, so etwas zu erklären." Geschlagen knurrte Jannäus-Niklas, die Augen rollend. "Herrjemine, wenn dir ein bisschen Flunkern schon zu amoralisch ist, weiß ich auch nicht! Lösch wenigstens die blöden Videos und Bilder und das Zeug. So was kann einen in Teufels Küche bringen." Die aktuelle verlassend schlüpfte er in einem winzigen Flur in seine Schuhe, zum Aufbruch bereit. Zu seiner Überraschung verpuppte sich Bodhi Karuna ebenfalls. "Moment mal...!" "Ich begleite dich ein Stück." Wisperte der, mit einer Kopfbewegung auf eine geschlossene Tür verweisend, eine Auseinandersetzung war somit nicht geboten. Jannäus-Niklas knurrte, mal wieder auf Rehpinscher-Niveau, konsultierte seine Armbanduhr. Seufzte. "Nimm dein Handy und Schreibzeug mit." ~(___)~ Nein, Jannäus-Niklas glaubte nicht an Sündenregister oder Karma oder Ähnliches, aber ein wenig Caritas, tätige Nächstenhilfe, konnte auch nicht schaden. Außerdem hatte Bodhi Karuna ihn beherbergt, aufgepäppelt, ihm sowohl Klamotten als auch die Kompressen geliehen, da fühlte man sich schon in gewisser Weise zum Ausgleich der Balance verpflichtet! Weshalb er die Bibliothek anstrebte. Die Einkäufe wurden im Spind samt der Jacken verstaut, dann ordnete er an, dass Bodhi Karuna für sie Plätze belegte, maskiert und mit Abstand. Eigentlich sollte in öffentlichen Gebäuden nur vollständig geimpfte, genesene oder negativ getestete Personen Zugang gewährt werden, für die öffentliche Bibliothek hatte man während der Schulferien eine Ausnahme für Jugendliche unter 18 Jahren gemacht. Die konnten aus zeitlichen Gründen gar nicht alle doppelt geimpft sein, die Schultests entfielen ja. Wenn sie nun aber in ihren Ferien noch lernen wollten, konnte man sie ja wohl nicht noch mal "bestrafen", am Zutritt hindern, wo es sowieso gerade nicht so viele Tests gab! Maske und Abstand mussten jedoch strikt eingehalten werden. Wollte man sich aber in gebotener Flüster(laut)stärke austauschen, war es erforderlich, entsprechend benachbarte Sitzgelegenheiten zu reservieren. Entschieden marschierte Jannäus-Niklas zur Magazin-Reihe, einem langen Regal mit Klapp-Türen. Hier wurden die Zeitschriften der letzten Monate bis zum Ende des Fassungsvermögens aufbewahrt. "Verflixt!" Knurrte er ärgerlich, denn das Fach seines Interesses lag knapp außerhalb seiner Reichweite auf Zehenspitzen mit ausgestrecktem Arm. "Brauchst du die hier?" Urplötzlich aus dem Boden ragend bot sich Hilfe. "Fer-Roger!" Entkam Jannäus-Niklas erschrocken, bevor er sich ob der verräterischen Erstsilbe auf die Zunge beißen konnte. "Pscht, genau. Aber keine schlafenden Drachen wecken, wenn du nicht brüsk aus dem Hort der Gelehrsamkeit verwiesen werden willst." Sein Blick richtete sich warnend Richtung Tresen. Und, oh je, dienstags....! Unwillkürlich schauderte es Jannäus-Niklas, zog er die mageren Schultern hoch. Mühelos konnte Roger die Klappe hochschieben, den vorhandenen Stapel an Zeitschriften an Jannäus-Niklas reichen. "Übrigens amüsante Unterhaltung, diese Samson und Delila-Variante." Zwinkerte er zu Jannäus-Niklas herunter, der es mal wieder verwünschte, untergroß zu sein. Nach einem Augenblick der Verblüffung giftete er gedämpft wie ein Kampf-Chihuahua zurück. "Das ist doch alles Unsinn! Ich hab ihm nicht die Haare abgeschnitten! Außerdem, bist du nicht eigentlich Atheist?!" Weshalb es recht unverschämt und unsportlich anmutete, sich mit dem älteren Teil der Bibel auszukennen! Roger grinste süffisant. "Gerade deshalb goutiere ich weitere Argumente für meine Überzeugung. Wie geht's übrigens weiter? Das Original schweigt sich ja darüber aus." Jannäus-Niklas, die Arme voll von durchaus schwerem Papier diverser Hefte einer Magazinreihe, fauchte. "Gar nicht! Nachdem Rapunzel festgestellt hat, dass es sich ohne Steighilfen an der Runzelrübe besser leben lässt, zog sie befreit in den Sonnenuntergang. Aus, Ende, Vorhang, Abspann!" Wütend kehrte er Roger den Rücken zu, der sich mit zwei solchen Apparaten als Hörgeräten einfach nicht so lautlos an andere Leute anpirschen können sollte! "Tatsächlich? Na, das wäre eine Überraschung. Übrigens steht da hinten eine Steighilfe, falls Delila Samson nicht um Hilfe bitten möchte." ~(___)~ Aufgebracht, aber ohne Möglichkeit, seine Empörung herauslassen zu können, ohne Gefahr zu laufen, rausgesetzt zu werden, kehrte Jannäus-Niklas zu ihrem Platz zurück. Seine gewittrige Miene warnte Bodhi Karuna vor, der sich erhob, um einen Teil der schweren Last abzupicken. "Dieser...!! Aber das ist ja typisch, immer auf die Kleinen! Wie mich diese aufgeblasenen, übergroßen Muskelprotze ankotzen!" Schimpfte er unterdrückt vor sich hin, wählte die jüngste Ausgabe aus dem Stapel, grimmig das Inhaltsverzeichnis aufblätternd. "Zähle ich auch dazu?" Erkundigte sich Bodhi Karuna. "Pscht!" Mahnte Jannäus-Niklas ärgerlich, denn wie Roger konnte sich der Bibliotheks-Drachen wie die Alien-Queen lautlos heranschleichen! Aber weil es in ihm brodelte, repetierte er gedämpft die Unterhaltung mit Roger. "Frag jetzt nicht, wer Rapunzel ist, ja!?" Herrschte er Bodhi Karuna an, den Blick auf die weiteren Inhaltsverzeichnisse geheftet. "Nein. Grimms Märchensammlung, aus einer italienischen Sammlung übernommen." Antwortete Bodhi Karuna genügsam, das energische Aufblättern, enttäuschte Knurren und Stapelumsortieren verfolgend. "...?" Jannäus-Niklas blickte nun doch auf, in die dunkelbraunen Augen über der obligatorischen Maske. Er konnte das amüsierte Lächeln trotz der hinderlichen Textur erahnen. "Ich hab den Zeichentrickfilm gesehen." Geschlagen konnte Jannäus-Niklas ein Seufzen nicht unterdrücken. Mal wieder hatte er sich selbst als unmanierlich arrogant entlarvt! "Fang aber bloß nicht an zu singen und zu tanzen." ~(___)~ Kapitel 5 - Verflixtes Verantwortungsbewusstsein! Freudenbekundungen wurden nach außerhalb verlegt, denn Jannäus-Niklas hatte es geschafft, hilfreiche Anleitungen und Artikel ausfindig zu machen, um die Konteneinstellungen zu verändern, alles zu löschen und zu blockieren, was nicht erwünscht war, plus "Hausaufgaben"-Anleitungen für den Laptop zu Hause. "Vielen Dank!" Bodhi Karuna, an der frischen Luft die Maske herunterziehend, strahlte. Es zog sich zwar gerade zu, doch noch immer waren frühlingshafte Temperaturen zu verzeichnen. "Schon recht." Brummelte Jannäus-Niklas, seine Uhr konsultierend. Jetzt sollte er sich aber wirklich flott auf den Heimweg machen! "Setz dich am Besten gleich hin und stell alles um, ja? Ich melde mich bei dir, wegen der Kompressen. Lass dich aber bloß nicht wegen oller Bibel-Geschichten auf irgendwas ein! No comment, okay?!" Artig nickte Bodhi Karuna Konsens. "Dann ab mit dir, schlag hier keine Wurzeln!" Kommandierte Jannäus-Niklas selbstherrlich, während er entschieden lospreschte. Ohne Kopfschmerzen, mit schnurrendem Kreislaufmotor, DAS musste man nutzen! ~(___)~ Jannäus-Niklas wusste, dass er seiner aufgeweckten Mutter kaum einige der Hintergründe des unerwartet langen Einkaufs vorenthalten konnte. So gestand er ein, wegen einer wetterbedingten Unpässlichkeit bei Bodhi Karuna Obdach gefunden zu haben. Der Abstecher in die Bibliothek begründete sich mit dessen Hilflosigkeit bei der Feinjustierung von Nutzungskonten. Unter anderem. Und dann war da die Angelegenheit mit einer dummen Bemerkung und den Dreadlocks. Jannäus-Niklas wollte nicht den "Antrag" als Schutzschild gegen allzu intime Annäherungen erwähnen, aber es erleichterte sein Gewissen doch, die partielle Verantwortung eingestehen zu können, wenigstens gegenüber seiner Mutter. Weil es vielleicht "nur" Haare waren, keine direkte Aufforderung erging, aber... Wenn man auf Hilfe hoffte, fühlte man sich manchmal zu Konzessionen verpflichtet, säbelte oder eher schnippelte sich mit einer großen Gartenschere in der Version "Bypass" den Kopf kahl. "Ach herrje!" Tröstend wurde er geknuddelt, weil ihn das Wetter so beeinträchtigte, er tapfer eine moralische Untiefe gestanden hatte. Allerdings konnte das Zerwürfnis ja nicht so schlimm sein, wenn Bodhi ihm half, nicht wahr? Überhaupt, apropos, Bobby hatte einen netten Laden entdeckt, der wegen der strengen Regeln jetzt wieder "Anrufen und Einsammeln" anbot! Mit Pfandgeschirr, eine bunte Mischung unterschiedlicher Speisen. Wenn sie beide am Freitag nach der ersten Schicht heimkämen, würde er was bestellen und abholen! Jannäus-Niklas fühlte sich ein wenig beschämt, denn Bobby hatte es sich nicht nehmen lassen, immer zu prüfen, ob die Speisen auch "passten". Mit anderen Worten: sie enthielten keine Bestandteile, die wie Auslöser auf die hinterhältige Migräne wirkten. Was das Leben ja verkomplizierte, anstrengend machte, vor allem, wenn man selbst gar nicht betroffen war. Bobby winkte jedoch jedes Mal gemächlich ab und zwinkerte, sich gar nicht belastet deklarierend, weshalb man sich auch nicht entschuldigen müsse. Leute waren "eh su un eh su", also unterschiedlich. Keine große Sache. Sich exkulpiert fühlend folgte Jannäus-Niklas seiner munteren Mutter hinunter, um in der Waschküche aus der Industriemaschine "ihre" Ladung zu bergen. Flaggen, mit den Einkäufen Pläne für die nächste Woche machen, sich unterhalten. Der Nachmittag verflog rasch, bis die Spätschicht dräute und Jannäus-Niklas seine Mutter mit einem Imbiss verabschiedete. ~(___)~ Extremes Aprilwetter in der ersten Januarwoche. Während am Vortag noch frühlingshafte Temperaturen herrschten, die Sonne ausdauernd schien und erst nachmittags Bewölkung einen Vorhang vorschob, fiel über Nacht die Temperatur erheblich, es wurde klar und eisig kalt. Ein feuchter, trüber Donnerstag, Glatteiswarnungen. Jannäus-Niklas hing in den Seilen, oder vielmehr zunächst über dem heiligen Thron der Porzellangöttin. Es gab jedoch nicht viel im Recycling zu opfern, was seinen Magen nicht am Krampfen hinderte und die Migräne nur noch anfeuerte. Ihn fror erbärmlich, die Tablette konnte er kaum schlucken und sein Kopf glühte. Nichts, was man der eigenen Mutter nach einem nächtlichen Arbeitseinsatz bieten wollte, doch nicht mal ein "Frühstück" zuzubereiten oder das Abhängen der Wäsche gelang ihm. Wie eine Bleiente versank er stattdessen in Fieberträumen. ~(___)~ Ein knurrender Magen weckte Jannäus-Niklas am Freitag. Der verschwommene Blick auf die Uhr bekundete Vormittag. Es war sehr still. Dafür erkannte er blinzelnd einen bunt bemalten Ex-Briefumschlag (Papier wurde stets mehrfach genutzt). Richtig, die frühe Schicht am Tag! Weshalb er nun allein war, am letzten Ferientag, mit Frühstück in der Wohnküche, der Aussicht auf ein feines Abendessen mit Bobby, aller Aufgaben ledig, denn seine Mutter hatte sich auch der getrockneten Wäsche angenommen, ein bisschen geputzt und abgestaubt. Auf seiner Bettdecke wartete sogar der plüschige Bademantel seiner Mutter, damit er sich auch ohne Bettdecke warm in die Wohnküche und das Badezimmer wagen konnte. Zu seiner Erleichterung fühlte sich Jannäus-Niklas tatsächlich besser. Nachdem er sich frischgemacht und einen Blick in die eisige Außenwelt geworfen hatte, zog er in die Wohnküche. Erst mal ordentlich frühstücken! Das half gegen das wölfische Knurren und stabilisierte auch seinen matten Kreislauf. So entging ihm eine Weile lang eine gehäkelte Tasche, die an der Türklinke baumelte. Stirnrunzelnd näherte er sich dem kuriosen Objekt, klaubte aus der Ladestation sein Mobiltelefon (dank der Umsicht seiner Mutter mit Energie gefüttert!) und studierte die letzten Nachrichten. Er seufzte leise. ~(___)~ Winterlich kalt, erste Flocken, für den Abend und die Nacht sogar Schnee angekündigt. Jannäus-Niklas verpuppte sich konsequent gegen Frostbrand, Schneestürme und polares Ungemach. Nicht, dass er tatsächlich damit rechnete, aber ungemütlich war es schon und er hatte ja nicht viel entgegenzusetzen. Die Häkeltasche apportierend stapfte er zum Treffpunkt in einem Park, nahe eines steinernen Pavillons. Noch gab es nur vereinzelte Flocken in der Luft, aber ihm behagte der schnelle Wechsel gar nicht. Am Verabredungstreffpunkt hob Bodhi Karuna bereits den Arm, war jedoch auch kaum zu verfehlen. Kein bulliger Blouson, kein Tarnfleck-Anorak, keine modische, gefütterte Jacke: eine Art Skijacke mit Neonmuster aus den frühen Neunzigern, unter deren Saum eine überlange Strickjacke heraushing. Kein einigermaßen standesbewusster Jugendlicher würde ohne Not so etwas tragen! Allerdings gehörte Bodhi Karuna zweifelsohne zur Paradiesvogel-Voliere und genoss deshalb Artenschutz. "Hallo Jannik! Geht es dir schon wieder besser?" Jannäus-Niklas grummelte, denn mal wieder befand er sich in der Defensive, was den Kampf-Chihuahua provozierte, der ihn gern mit peinlichem Gekläff lächerlich machte. Wenn man sich nicht streng die Leine anlegte! "Hallo Bodhi. Ja, das war... vermutlich das Wetter und Zugluft und sonst was." Sich den Häkelbeutel abpflückend pickte er die entliehenen Kompressen heraus. "Danke schön. Und..." Die Augen rollend seufzte Jannäus-Niklas erbärmlich. "Meine Mutter hat ja mit dir telefoniert." Was ihm die Telefonkurznachricht nach dem Frühstück offenbart hatte. In der Sorge, ihr Snoopy könne ein Treffen vereinbart haben und jetzt warte der nette Bodhi irgendwo umsonst! Bodhi Karuna lachte unbeschwert. "Ja, das war richtig lustig. Sie ist wirklich sehr nett und offen. Es gefällt mir, wie gut ihr euch versteht." Jannäus-Niklas spürte eine gewisse Röte in die Wangen steigen. "Muttersöhnchen" fehlte noch in seiner Sammlung an Schmähungen, die man ihm an den Kopf werfen konnte. Er gab sich einen Ruck, leerte die Häkeltasche, überreichte den Inhalt. "Ich bezweifle es zwar, aber..." Doch Bodhi Karuna zupfte sich schon das schlichte Tuch vom Kopf und probierte die Passform aus. KEIN JUGENDLICHER würde so was auch nur in Erwägung ziehen! Während Jannäus-Niklas gegen die Wahrscheinlichkeit argumentierte, plauderte Bodhi Karuna weiter. "Oh, das ist ja prima! Eigentlich ist es gar nicht nötig, das habe ich deiner Mutter auch gesagt, es war ja meine Entscheidung. Und ich glaube, dass wir dir Zöpfe flechten, also... ein bisschen schwierig." Er zwinkerte, blickte sich suchend um. "Du könntest dein Mobiltelefon nutzen. Kamera-Foto-Selfie." Soufflierte Jannäus-Niklas knurrig (Spitz-Modus), weil hier der einzige Junge im Umkreis stand, der eine spiegelnde Fläche in der Natur suchte! "Oh, stimmt. Ich mach das so selten." Schon forschte Bodhi Karuna in der Skijacke nach seinem Mobiltelefon, tastete sich ab. "Lass mal, ich komme schneller an meins." Bot Jannäus-Niklas an, der ahnte, dass möglicherweise eine Fahndung unterhalb der Strickjacke drohte. Mit Unterstützung der Kamera-Funktion konnte Bodhi Karuna nun endlich den Sitz der Strickmütze überprüfen. "Schön warm und sehr lustig!" Kommentierte er lachend, während Jannäus-Niklas seinen Unterkiefer am Absacken hindern musste. Ja... es WAR ein kulleräugiger Kopffüßler... Tintenfisch. In Mittelblau. Von der Kollegin, die gern strickte und häkelte. Sollte eigentlich Filzwolle sein und somit einlaufen, doch sie hatte konventionelles Material erwischt, für Kinderköpfe somit viel zu groß dimensioniert und auch so verbleibend. Nun saß das kulleräugige Tentakel-Kuschelvieh in Sesamstraße-Krümelmonster-Farbe auf Bodhi Karunas Kopf, die Fangarme auf dessen Schultern und Rücken. "Ooohhh, das gefällt mir!" Er drehte sich im Kreis, die Tentakel wirbelten auf, lachte dabei unbeschwert. Jannäus-Niklas blinzelte, stapfte zu einer verwitternden Sitzbank im Pavillonrund. "Ich glaub das nicht..." Man musste schon verrückt sein oder total ahnungslos oder übertrieben selbstbewusst oder... "Alles in Ordnung?" Bodhi Karuna nahm neben ihm Platz. "Darf ich?" Bevor Jannäus-Niklas Protest einlegen konnte, hatte Bodhi Karuna ihm behutsam die Wollmütze vom Kopf gezogen, atmete erleichtert aus und platzierte sie sorgsam wieder. "Puh, da bin ich aber froh! Weißt du, als Kompensation auch den Kopf zu rasieren, das wäre zu viel! Ich war ja sicher, dass deine Mutter scherzt, aber dann... du bist so ernsthaft, da wurde mir eben echt mulmig!" Jannäus-Niklas, der gerade harsch loslegen wollte, schluckte die Worte herunter. "Das~das käme mir gar nicht in den Sinn!" Polterte er schließlich verlegen-aufgebracht. "Das wäre dann ja wieder Partner-Look! Total out, auf keinen Fall!" Wies er jede reumütige Büßerhandlung zurück. "Zöpfe will ich schon gar nicht! Außerdem, so lang sind meine Haare nicht, und ich gehe zum Friseur!" Zumindest dann, wenn er sicher war, dass sie für so einen Luxus Geld ausgeben konnten! Bodhi Karuna lächelte, gab auch das Mobiltelefon seinem Eigentümer zurück. "Sag deiner Mutter und ihrer Kollegin bitte vielen Dank für die schöne Wintermütze! Mit dem Tuch war es doch ein wenig frisch. So einen lustigen Gesellen hatte ich noch nie als Begleitung!" Dabei winkte er mit zwei Tentakelarmen. Jannäus-Niklas verschlug es bei so viel uneitler Souveränität die Sprache. "Ich bin froh, dass du mir die Sachen mit dem Telefon und dem Computer gezeigt hast." Bekundete Bodhi Karuna unterdessen unbefangen. "Eigentlich sollte ich mich wohl viel intensiver damit befassen, richtig? Aber ich war immer bloß darauf konzentriert, dass das funktioniert, was ich brauche. Büroprogramme und Drucker und Internet und Kamera." Er zuckte unbeschwert mit den Schultern. "Deine Mutter hat mir erzählt, dass du dich immer darum kümmerst. Das finde ich prima. Übrigens war ich erst ganz verwirrt, weil sie immer von dir als 'Snoopy' spricht. Richtig..." Gebieterisch gebot Jannäus-Niklas sofort Einhalt, die Rechte demonstrativ warnend erhoben "WIR benutzen das N-Wort nicht!" Drohte er im Dackel-Modus mit mörderischem Duktus. Bodhi Karuna lachte. "DAS hat mir deine Mutter auch schon nahe gelegt!" Etwas versonnen studierte er Jannäus-Niklas, dem dieses Verhalten ganz und gar nicht zusagte. "Wie lange hast du dich mit meiner Mutter unterhalten?!" Erkundigte er sich argwöhnisch bis nervös. Kurz über den kulleräugigen Strick-Tintenfisch auf seinem Kopf streichelnd überlegte Bodhi Karuna. "Eine ganze Weile, aber ich habe nicht nachgeschaut." Was Jannäus-Niklas ein erbostes Knurren entlockte, der es NICHT auf die ZEITDAUER angelegt hatte. "Sie hat mir viel erzählt, was ich gar nicht wusste, über dich. Und über diese Schul-Beziehungen." Während der Ältere über die eigene Unkenntnis seufzte, fühlte sich Jannäus-Niklas im Endstadium eines gekochten Hummers. "Ich habe nicht gemerkt, dass es hier anders ist. Ich dachte, diese Bilder und die Sprüche, das wäre nur Angeberei. Prahlen, richtig? Nicht, dass es so ernst gemeint sei." Bodhi Karuna übersetzte, wie Jannäus-Niklas registrierte, mal wieder im Geiste. "Ich habe mit meiner Mutter vereinbart, dass wir gemeinsame Probleme gemeinsam lösen. Meine Probleme gehe ich selbst an, deshalb wollte ich das... Sich mit deiner Mutter zu besprechen, das war so einfach und hilfreich." Jannäus-Niklas grummelte grimmig, wenn auch ärgerlicherweise im Sopran. "Jajaja! Meine Mutter ist verdammt pfiffig, während ich bloß auf dem letzten Loch pfeife!" Sein Sitznachbar gluckste amüsiert, lächelte dann. "Ich hatte keine Ahnung, dass du auch schon häufig an anderen Orten gelebt hast. Als mir deine Mutter davon erzählte, war ich überrascht und erleichtert." Ein Tentakel wurde justiert. "Es ist das erste Mal, dass wir so lange an einem Ort sind. Vorher war es immer klar, dass alle Beziehungen befristet waren. Es war nicht verbindlich, verstehst du? Als mir deine Mutter sagte, dass du sehr ernsthaft bist und dir Dinge zu Herzen nimmst, habe ich gemerkt, dass ich die Lage missverstanden habe. Ich wollte nicht, dass du dich als unehrlich gibst." Fassungslos starrte Jannäus-Niklas den älteren Jugendlichen an. Seine Mutter hatte doch nicht...oder?! Machte sie sich Sorgen um ihn?! "Sie hat von deinem Vater und deinem Großvater erzählt." Bestätigte Bodhi Karuna unterdessen schlimmste Befürchtungen. "Ich kenne mich nicht so gut aus, weißt du? Die Familie meiner Mutter hat mit ihr gebrochen, weil sie nicht mehr so wie vorgesehen gelebt hat, nach dieser 'praktischen' Phase. Also trage ich in meinem Paket nur meine eigene Erfahrung." "Du meinst 'Päckchen'. Sein Päckchen tragen." Korrigierte Jannäus-Niklas tonlos die Metapher. Wenn Bodhi Karuna in seiner Unbedarftheit all das weitertrug, was ihm offenbart worden war...! "Ich wusste wirklich nicht, dass diese Schul-Beziehungen so wichtig genommen werden! Ich dachte, das sei mehr wie Ferien-Camp-Freundschaften. Oder ein Flirt." Beteuerte der unterdessen erneut. "Nein, natürlich dachtest du das nicht. Deine Absicht war, sich hinter mir zu verstecken, dann zeitnah wie üblich die Zelte abzubrechen." Die Sätze waren heraus, bevor Jannäus-Niklas sich bremsen konnte. Er musste sie gar nicht repetieren, um sicher zu sein, dass er so bitter und gehässig klang wie ein Mann auf dem Weg zur Gruft. Warum, verflixt noch mal!, konnte er nicht ERST durchatmen und dann sprechen?! "Das Verstecken stimmt." Pflichtete ihm Bodhi Karuna, die Selbstverdammnis ignorierend, bei. "Aber Wegziehen, da bin ich nicht sicher." Er seufzte leise. "Ich habe mich daran gehalten, was meine Mutter mir empfohlen hat. Zuschauen, adaptieren, anpassen. Nur hier funktioniert es nicht richtig. Ohne Kursbuch laufe ich in die Irre." Jannäus-Niklas musste einige Male blinzeln, bis er diese Aussage analysiert hatte, was zu seinem Bedauern nicht ohne eine ironische Gehässigkeit vonstatten ging. "Kursbuch? Wir nennen es 'Routenplaner', Darling. Willkommen im Neuland. Darf ich mal nachfragen, wie du dich auf dieses hochmoderne Land vorbereitet hast?" Also wirklich, Kursbücher kannte ER nur aus uralten Krimis in Schwarzweiß! Genau SOLCHE Sprüche brachten andere auf die Palme und beförderten die Antipathie! Erinnerte ihn sein Gewissen unbarmherzig, kombiniert mit essigsaurem Geschmack auf der Zunge, einen Hauch von Galle inbegriffen. Bodhi Karuna gluckste amüsiert. "'Kursbuch' ist nicht richtig? Ich fand den Begriff so passend, eine Anleitung als Buch für den Kurs." Er lächelte Jannäus-Niklas an, der sich noch beschämter fühlte, als er es selbst verursachen konnte. "Ich war vorher nicht hier, ich meine, in Deutschland. Es gab ja keinen Grund. Ich habe die Sprache von meiner Mutter und aus Schulbüchern gelernt. Manchmal gab es auch Online-Kurse. Aber es ist richtig, dass ich viel nachholen muss. Vorher konnte ich aus Gesprächen lernen, aber in der Pandemie musste es anders gehen." Er lupfte kurz die Schultern. "Meine Mutter glaubt, dass ich ganz gewandt darin bin, die Gebrauchssprache zu lernen. Oder heißt es geschickt? Nun, ich kann es zumindest besser als hohe Mathematik." Ergänzte er verschmitzt, während Jannäus-Niklas einmal mehr erfasste, weshalb sich selbst die haltlosesten Gerüchte nur schwer abschütteln ließen. Zweifellos: Bodhi Karuna verfügte über gemeingefährlichen Charme und ein allzu einladendes Lächeln! "Wie~wie viele Gebrauchssprachen beherrschst du denn so?" Lenkte er eilig ab, um die Gesprächspause zu füllen. "Hmm... Englisch, Französisch, Spanisch, etwas Portugiesisch, der Rest sind eher einzelne Worte oder Phrasen. Und jetzt eben Deutsch als Muttersprache." Bodhi Karuna beäugte ihn prüfend. "Das ist nur Gewohnheit, ja? Nichts Besonderes." Baute er vorsorglich jedem Anflug von Neid oder Angeberei vor. Jannäus-Niklas schnaubte, was eher nach Zwergpudel mit Schnupfen klang. "So langsam erschließt sich mir, wieso dein Harem mit Vernunftgründen nicht zu zerstreuen ist!" Bemerkte er zitronig, das Kinn lupfend, was selbstredend seinen "Schattenwurf" nicht vergrößerte. "Ich habe nicht gelogen! Oder getäuscht!" Beteuerte Bodhi Karuna besorgt, zwei Tentakel umklammernd. Die Augen rollen schniefte Jannäus-Niklas verdrießlich. "Das hätte den Braten auch nicht mehr fett gemacht... Oh, Übersetzung: es hätte keinen nennenswerten Unterschied gemacht. Zum Sex-Idol auserkoren, Punkt. Deine einzige Hoffnung besteht darin, dass du digital dösig bist." Erneut: ein übertrieben ätzender Kommentar, mit definitiv einem Hauch Gruft! Ärgerlich über sich selbst blickte Jannäus-Niklas partout geradeaus, bot sein Profil. "Entschuldigung. Ich meine, wenn du jetzt auch noch Kurzvideos und Fotos und anderen Murks produzieren würdest..." Auf den einschlägigen Plattformen asozialer Medien mit Sofort-Nachrichten und Sekundentakt-Bühne chinesischer Provenienz als moderne Pandemie-Person quasi prädestiniert! "Das hab ich schon öfter gesagt bekommen. Nur, weißt du, man braucht ja Strom, der Geld kostet." Bodhi Karuna lächelte schief. "Hier gibt es Energie rund um die Uhr, aber ich kenne das anders, deshalb..." Jannäus-Niklas knurrte wie ein Spitz. "Jetzt füg bitte noch an, dass du auch Wasser sparst, ja, bitte?! Dann kann man dich ungeniert hassen!" Sein Sitznachbar blinzelte verwirrt und irritiert, während Jannäus-Niklas auf die Beine sprang, um dem Gefrierbrand ein Schnippchen zu schlagen. "Herrje, du bist echt unausstehlich, ist dir das eigentlich klar?! Sex-Idol, gutaussehend, umgänglich, charmant, nie digital aufdringlich, dazu noch nachhaltig-ökologisch-umweltbewusst-klimaschonend! Das ist eine ZUMUTUNG!" Fauchte er, stemmte die Fäuste in die Seiten, funkelte in die dunkelbraunen Augen. "Ich möchte niemandem zu nahe treten..." Versuchte Bodhi Karuna eine sehr pazifistische Entspannung der ihn offenkundig verwirrenden Situation. "DAS weiß ich! 'No sex, please', schon kapiert! Was AUCH eine Zumutung ist, von Verschwendung und ungezogener Disziplin GANZ zu schweigen!" Polterte Jannäus-Niklas aufgebracht, sich Übelkeit erregend seinem Großvater in Gift und Galle verwandt fühlend. "... deshalb... hasst du mich?" Erkundigte sich Bodhi Karuna geknickt, aber noch nicht gänzlich aus dem Feld geschlagen. "Meine Güte, selbstverständlich NICHT! Hörst du eigentlich mal zu, wenn dein Harem vor sich hin plappert?! Das sind so hohle Phrasen, wichtigtuerische Über-Dramatisierung ihres banalen Alltags!" Zu seiner Verteidigung antwortete Bodhi Karuna auf diese harsche Zurechtweisung. "Mir hat noch niemand hier gesagt..." "Ach, Papperlapapp! Mich beschleichen ernsthafte Zweifel, dass du hier die 'Gebrauchssprache' tatsächlich beherrschst! Kein Wunder, dass die dich bespringen wollen! Wie kannst du so~so~so Kuschelhäschen-naiv sein, bei der Statur, dieser Biographie?!" Explodierte Jannäus-Niklas, durch den Umstand völlig aus der Contenance gebracht, dass dieser Bursche hier so arglos in den Tag lebte! "... Kuschelhäschen..." Griff Bodhi Karuna auf, zwinkerte. "Sag mal, stimmt es, dass Snoopy in einem Zeichentrickfilm von Häschen geträumt hat?" Einige, verräterische, peinigende Wimpernschläge rang Jannäus-Niklas weniger mit Beherrschung als mit Luft. Selbstverständlich kannte er recht viel aus dem Schaffen von Charles M. Schulz, fünf Dekaden rund um die Peanuts. "Das~das tut NICHTS zur Sache! Und es waren Kaninchen, keine Hasen! Weil er keine Kaninchen jagt und deshalb beim Großen Beagle Fehlanzeige melden muss..." Abrupt beendete er Reminiszenzen, funkelte empört. "Überhaupt, darum geht es nicht, klar?! Hast du verstanden, was ich mich verzweifelt bemühe, in deinen kahlen Schädel einzuhämmern?!" Eine Augenbraue in die kulleräugige Strickware lupfend richtete Bodhi Karuna sich auf. "Dass ich jemand bin, den man hasst?" "NEIN! Das war doch nur...! Oh, du machst mich wahnsinnig! Wie hast du es bloß geschafft, hier zwei Jahre unfallfrei zu überleben?!" Empörte sich Jannäus-Niklas, in gefährlicher Nähe zu einem Temperamentsausbruch a la Louis de Funes-Helden. Oder wahlweise dem Rumpelstilzchen. Doch davor hatte das ungnädige Geschick seine Migräne gesetzt, die nun fand, es sei ein perfekter Moment, sich bemerkbar zu machen. "Uuuuhh!" Kommentierte Jannäus-Niklas deshalb gequält, rieb sich automatisch die Schläfen und schluckte gegen Reflux an. Nicht einen Augenblick später hatte Bodhi Karuna sich flink erhoben, ihn in seine Arme gezogen. "Ich weiß, dass ich in Schwierigkeiten bin." Raunte Bodhi Karuna zu ihm herunter. "Und ich mag Snoopy und Kuschelhäschen und Kaninchen. Ich möchte keinen Ärger machen oder gehasst werden. Bitte, Jannik, kannst du mir helfen?" ~(___)~ Selbstredend hätte die prompte Antwort in einer einsilbigen Absage bestehen müssen, herausgedonnert in heldenhaft/göttlicher Verve, mit Blitzschlag, Pauke und Jericho-Trompete. Jannäus-Niklas schnaubte stattdessen gegen die gemeine Attacke an, begrüßte den Umstand, dass die Skijacke nicht verfilzt war. Schmirgelmaterial im Ponem, das behagte niemandem! Während er das Wetterleuchten hinter seinen gesenkten Lidern ganz und gar nicht goutierte, drängelte sich ein dünnes Stimmchen in den Vordergrund. »Was hat Mama diesem Prachtburschen noch alles erzählt?!« Schön, es wäre nicht nett, zukünftig von anderen Personen grinsend "Snoopy" gerufen zu werden. Dem konnte er schließlich nicht die Pfote reichen, ein Tausendsassa und lebende Legende! Aber wenn herumgetratscht wurde, was es für ein Bewenden mit den männlichen Angehörigen seiner Sippe auf sich hatte...! Dann würde man ihm ganz andere "Kosenamen" verpassen. Obwohl diese HERREN keine Rolle spielen sollten! So hatte er das schließlich mit sich vereinbart, wollte erbärmliche Charakterzüge oder Verhaltensweisen streng einhegen! Ja, Erbgut konnte deprimierend sein, aber sich kampflos ergeben, DAS stand nicht zur Debatte. »Lustig, gerade vorhin hätte ich schwören können...« Setzte ihm sein Gewissen unerbittlich nach. Selbst wenn Bodhi Karuna unerwartet UNBEDARFT sein sollte, gereichte das nicht als Rechtfertigung, ihn wiederholt arrogant, abschätzig, gehässig und boshaft anzugehen. "...uuuhhh." Kommentierte Jannäus-Niklas in die wattierte Skijacke. Ein guter Grund, das Sex-Idol abzuweisen, jawohl! Weil man streckenweise gar kein pflegeleichter, amüsanter oder sympathischer Umgang war, sich das Karma-Konto vermieste, wenn sich ständig Gelegenheiten boten, aus der Rolle zu fallen. "Willst du dich hinlegen?" Störte Bodhi Karuna seine biestig-unversöhnlichen Gedanken über die eigene Disziplin und Ethik. "Geht schon." Quäkte Jannäus-Niklas, fand die eigenen Hände jedoch beschämend in die fremde Strickjacke geklammert, die unter der Skijacke hervorlugte. "Ich wollte dich nicht aufregen." Beteuerte Bodhi Karuna merklich besorgt, was Jannäus-Niklas ein verstopftes Schnauben entlockte. "Keine Sorge, das Aufregen übernehme ich immer selbst." Bekundete er bissig, konzentrierte seine Atemzüge, bis keine Supernovae mehr vor seinen geschlossenen Augen explodierten. "Du kannst mich jetzt loslassen." Ließ er den Älteren wissen, stapfte zwei Schritte zurück, ballte die Fäuste. Man sollte mit leichten Bewegungen den Kreislauf wieder in Schwung bringen, aber Jannäus-Niklas misstraute dem fragilen Frieden. "Also, ich würde es begrüßen, wenn du meinen Spitznamen für dich behältst. Und die Sache mit meinem Vater und meinem Großvater. Ich biete auch ohne schon genug Angriffsfläche, auch wenn man das meiner Statur nicht so ansieht." Konkludierte er ätzend, grimassierte ärgerlich. "Wirklich, sind die anderen gemein zu dir? Das habe ich nicht gewusst." Bodhi Karuna betrachtete ihn sorgenvoll. "Oh, die meiste Zeit werde ich ob meiner gigantischen Erscheinung einfach übersehen. Hin und wieder macht sich dann doch jemand die Mühe, wie der Marvi-diot!" Fauchte Jannäus-Niklas empört, weil Bodhi Karuna vor dem ersten Eindringen in sein Privatleben nicht gerade neugierig gewesen sein musste! Da fühlte sich seine Eitelkeit doch außerordentlich gegen den Strich gebürstet. "Also, ich übersehe dich nicht, und ich denke, du bist..." Bevor Jannäus-Niklas den mahnenden Zeigefinger hochschnellen lassen konnte, vorgewarnt durch das verschmitzte Grinsen, legte Bodhi Karuna eine effektvolle Pause ein. Das N-Wort auslassend. "Wie würdest du endearing übersetzen?" Knurrend wie eine Spitzmaus feuerte Jannäus-Niklas zurück, denn DAS war ja noch schlimmer als "niedlich"! "Gar nicht! Überhaupt, hättest du wohl die Güte, nicht mit Quadratlatschen Marke Kindersarg auf meinen Minderwertigkeitskomplexen herumzutrampeln, ja?! Wie soll IRGENDWER glauben, dass wir allen Ernstes was miteinander haben?!" ~(___)~ Oh. Verflixt. Bodhi Karuna lächelte sonnig. "Ja, deine Mutter versicherte mir schon, dass du verlässlich und ernsthaft bist. Wenn du dich einlässt und kümmerst, ziehst du nicht zurück." Jannäus-Niklas, der sich gerade NICHT dabei ertappen lassen wollte, aus Pflichtgefühl, Verantwortung für den Kahlschlag am Haupt und berechtigte Sorge einzuwilligen, jaulte auf. Stampfte mit den Füßen abwechselnd auf den Boden, eine trotzige, futile Attacke gegen sich selbst, während Bodhi Karuna gelassen wartete, seinen neuen Kopfwärmer justierend, der ebenfalls munter grinste. Ärgerlich funkelte Jannäus-Niklas hoch in die dunkelbraunen Augen. "Dass EINS klar ist: ich bin KEIN Kuschelhäschen, verstanden?! Ich verbitte mir jegliche Anwandlung bezüglich meiner Statur, meines Alters oder meines Gesundheitszustands! Denk dran, dass die Grundsätze des Grundschul-Datings gelten! Bei mir wird also NICHTS NIRGENDWO eingelocht, habe ich mich klar ausgedrückt?!" Erwartungsgemäß nickte Bodhi Karuna strahlend und winkte mit zwei Tentakeln. "Verstanden und vielen Dank! Ich bin sicher, dass ich jetzt viel besser lerne, wie es hier funktioniert." Was Jannäus-Niklas ein gequältes Stöhnen entlockte. "Und ICH bin sicher, dass damit unbarmherzig alle Abgründe und Untiefen meines Charakters auf die Bühne gezerrt werden!" Ja, das nächste Stadium persönlichen Katastrophen-Morphens würde er locker erreichen: zum Giftzwerg mutieren. ~(___)~ Seine Befürchtungen wurden, selbstredend, nicht geteilt. Bodhi Karuna zeigte sich begeistert, fast schon euphorisch und sichtlich erleichtert, was Jannäus-Niklas zu denken gab, der es an sich selbst GAR NICHT schätzte, sich auch noch anderer Leute Probleme aufzuhalsen. Andererseits hatte er nach eigenem, unbarmherzigen Urteil viel zu oft das ERBE an Bodhi Karuna ausgelassen, das er sich gern chirurgisch/genetisch entfernt hätte. Er seufzte, justierte den Häkelbeutel. "Schön, gegen besseres Wissen: wir machen's. Dafür müssen wir uns aber eine gute Strategie ausdenken, verstanden? Ich habe keine Lust, mich ständig mit deiner mörderischen Meute an Fans auseinanderzusetzen!" Verlangte Jannäus-Niklas streng. "Und wir müssen Kontakte austauschen. Informationsvorsprung. Blöde Gerüchte reisen schneller als der Schall." Grimmig verdrehte er die Augen, während Bodhi Karuna nun doch unterhalb der schrillen Skijacke fahndete. Nach einem Bleistift und einem Block. Oder eher zugeschnittenes Zellstoffmaterial, das man gelocht und mit einem kleinen Stück Paketkordel aufgefädelt hatte. Die Zero Waste-Variante des Collegeblocks en miniature. "Andere zücken einfach ihr Schlau-fon und schießen ein Bild..." Murmelte Jannäus-Niklas resignierend. Sein Gegenüber, zwanzig Zentimeter höher in der Luft, blinzelte amüsiert. "Ja, das stimmt, aber ich lerne besser, wenn ich Sachen sehe, wiederhole, schreibe." Und zwar mit der Hand, kein bloßes Tippen mit Daumen-Verrenkung. Jannäus-Niklas schnaubte wie ein Mini-Terrier auf Mäuse-Hatz. "Hippie-Recycling-Öko-Weltenbummler-Homos... ja, ich seh schon, das überzeugt, so viel Gemeinsamkeiten!" Ätzte er gallig, rieb sich die Schläfen unter der Mütze, wusste, dass Bodhi Karuna unbeeindruckt lächelte, KEIN BISSCHEN beleidigt, besorgt, betroffen. "Mir gefällt diese BL-Romanze, die du vorgeschlagen hast. Ein Schwarm, eine Gelegenheit, wie im Comic!" Bekundete Bodhi Karuna eifrig, winkte sogar mit zwei Tentakeln. "Manga!" Bellte Jannäus-Niklas zurechtweisend, denn bei falscher Wortwahl konnte man da in Gefechte geraten, kein Spaß! Bildergeschichten waren nicht Bildergeschichten, auch wenn eine Rose eine Rose... wieder andere Kategorie. "Üblicherweise würde NIEMAND mit mehr als zwei funktionierenden Gehirnzellen so einen Quatsch glauben!" Setzte er verdrießlich an, steuerte vom Pavillon Richtung Gehweg. "Andererseits wissen wir alle: life is stranger than fiction." Er schnaubte. "Wenn die Kunst üblicherweise das Leben imitieren soll, würde es schon irgendeinen verdrehten Vogel geben, der GENAU SO auf seine potentiell große Liebe (haha), gestoßen war!" Nicht sonderlich wahrscheinlich, aber das näherte sich gemeingefährlich Untiefen der Mathematik an! Wo sie beide nicht havarieren wollten. "Ich weiß zwar nicht, warum du für mich schwärmen solltest, aber da können wir auf deinen kreativen Geschmack verweisen, der sich auch in dieser Gewandung offenbart. Während ich mich zum Nachteil meines Karmas als tyrannischer Fatzke produzieren werde, der den Jackpot gewonnen hat." Brummelte er ungnädig, stopfte die kleinen Hände demonstrativ in die Jackentaschen Nun ja, entsprechende Vorbilder (eigentlich eher zur Abschreckung) konnten sein Schauspiel glaubwürdig anleiten. "Wir können doch einfach sagen, dass ich dich mag. Wir liegen auf derselben Frequenz? Nein, Wellenlänge, genau. Weil ich vorher mit niemandem gegangen bin, ist es auch keine Angabe... Angeberei." Trat Bodhi Karuna tapfer zur Ehrenrettung an, während er, mit Jannäus-Niklas höchst privaten Kontaktdaten versorgt, seinen ungewöhnlichen Notizblock wieder verstaute. "Physik ist fast so unbeliebt wie Mathe!" Rüffelte der unleidlich, straffte dann die schmalen Schultern. "Nun, wenn wir Chemie ausschließen, also Boten- und Lockstoffe plus Pubertätshormone... Ein Versuch ist es wohl wert." Was diese Beziehung über ihn selbst und seinen Geschmack aussagte, wollte Jannäus-Niklas lieber nicht ergründen. Immerhin, der Ruf war schon ruiniert, durch diesen Marvi-diot, dem er nicht die Kauleiste neu verlegen konnte! "Hausaufgabe: du schickst mir deine Stundenpläne, klar? Ich arbeite eine Strategie aus, um unsere Romanze glaubhaft wirken zu lassen. Aber sei dir darüber im Klaren: ich bin hauptsächlich mit Schule beschäftigt!" Drohte er Bodhi Karuna, der bedauerlich beschwingt wirkte, keinen Anflug von Sorge erkennen ließ. Jannäus-Niklas schickte sich drein. Das nicklige Schicksal war offenbar der Auffassung, dass er mal wieder Sühne zu leisten habe! ~(___)~ Seine Mutter und Bobby, der wie zugesagt die leckeren Speisen in Mehrweg-Leihgeschirr apportierte, wirkten als Resonanz/Testpublikum, immerhin war Jannäus-Niklas im Begriff, eine nicht temporär begrenzte Scharade aufzuführen! Zugegeben, er kannte Filme und Bücher, respektive häufig Inhaltsangaben, war somit kulturell im Vorteil. Man KONNTE also diese lächerliche Farce mit allerlei fragwürdigem Unsinn unterlegen und so ausstopfen, dass die Verwirrung die Aufklärung in die Flucht schlug. Die Gemeinsamkeiten in ihrer Biographie waren, um einen Start vorzulegen, nicht ganz von der Hand zu weisen, auch wenn Jannäus-Niklas um die Person seines Erzeugers wusste. Anschließend, Kontaktbeschränkungen, unterschiedliche Klassen derselben Jahrgangsstufe, Verbot der Rudelbildung... Ja, das käme durchaus zupass, um zu belegen, warum man sich dato nicht in intimer Distanz befunden hatte. Dann, als Fanal, die grausig-depperte "Regenbogen-Rangliste"! Jannäus-Niklas musste nun doch mit der "Wahrheit" herausrücken. Wobei er, das Karma war ja schon versaut!, nicht davon absah, sich im Detail und vernichtend über die Komplexsammlung des Urhebers auszulassen. Nicht, dass der Eindruck entstünde, ER habe sich als divers und/oder sexueller Handlungen nicht abgeneigt produziert! Für derartige Interessen hatte er KEINE Zeit, aber hallo! Nun, irrtümlich, wenn auch boshaft-hämisch-niederträchtig-idiotisch "entlarvt", ins Scheinwerferlicht der digitalen Bühne gezerrt, zog er Aufmerksamkeit auf sich. Von Bee-Kay, dem IDOL der Stufe. Jannäus-Niklas erläuterte dazu grimmig, während er energisch Nudeln nachstopfte, dass ER diese alberne Abkürzung ganz sicher nicht verwenden werde! Bei DEM Namen gebührte die vollständige Aufzählung! Nun, Bodhi Karuna, DER Paradiesvogel in der Voliere, noch mit eigenen Tentakeln am Schädel, fühlte eine seelische Verbundenheit! Kritisch sein Publikum beäugend erprobte Jannäus-Niklas, ob DIESE Anmutung vielleicht arg zu kitschig-unglaubwürdig-lächerlich wirkte, doch Bobby nickte eifrig, während seine Mutter gespannt lauschte. »Himmel, ernsthaft, Leute, SEELISCHE Verbundenheit?! Das ist doch lyrisch verquaster Blödsinn, der jedweder wissenschaftlichen Erkenntnis zuwiderläuft!« Angesichts des Umstands, wie viel Begeisterung wissenschaftliche Errungenschaften über die Begrenztheit der menschlichen Natur auslösten, verzichtete Jannäus-Niklas innerlich zähneknirschend auf jede Korrektur. Offenbar gab es genug Gläubige der Mythen von "verwandter/geteilter Seele", die "magisch/schicksalhaft" zueinander fanden. »Und jetzt sag nicht, homo sapiens sei auf den Hund gekommen!« Ätzte die Stimme in seinem Hinterkopf, die grundsätzlich alles verriss und verdächtig nach dem Großvater klang. »Damit tust du Kaniden unrecht!« Die spitze Zähne hatten und unangenehm nahe an den eigenen Waden unterwegs waren... Obacht! Seufzend konkludierte Jannäus-Niklas seinen Plan. Man traf nun also aufeinander, Sympathie setzte ein, schüchternes Werben, wobei ER die Spaßbremse darbot, weil zu klein, zu jung, zu untergewichtig, zu wenig in der Pubertät... Ein Zitronentester hätte keinen sauertöpfischeren Ausdruck auf der Miene bieten können. Andererseits erwies sich sein biologisch bedingter "Nachholbedarf" in der Entwicklung EIN MAL als vorteilhaft. So viele Gunsterweise konnte Jannäus-Niklas nun wirklich nicht auf sich verbuchen. "Zu den Dreadlocks: demonstrativer Ausdruck des Aufbruchs in eine neue Lebensphase." Las er seine Notizen ab, äugte erneut prüfend in die überschaubare Runde. Gute Güte, DIESES Konzept hatte einen Bart wie Methusalem... Erneut kam er mit dieser altbackenen Idee jedoch anstandslos über die Hürde der Akzeptanz! "Oh, sehr romantisch, ja! Das gefällt mir!" Jannäus-Niklas seufzte, denn nun, mit SEINER Haarlänge (von Frisur wollte er schon gar nicht mehr sprechen), war er DIE TUSSI in der Beziehung. Wenn man patriarchalisch-chauvinistisch-binär-engstirnig dachte. Wobei ein bewusster Prozess der Hirntätigkeit sich für Jannäus-Niklas diesbezüglich ausschloss, was einmal mehr Galle in seinen Rachen spülte. Nichtsdestotrotz, mit dieser gequirlten Kacke einer schlecht geskripteten Banal-Romanze konnten sie durchkommen. "Und er ist so ein lieber Kerl, der Bodhi!" Bekundete seine Mutter, wirrte ihm durch die Zottel. Bobby, der gerade Glückskekse verteilte, nickte emphatisch. "Janz feiner Minsch, Jannik, jood jewählt!" Jannäus-Niklas ertränkte seinen Zynismus entschieden in Jasminblüten-Tee. ~(___)~ Kapitel 6 - Zu Dritt Für Jannäus-Niklas war es keine Option, Samstagmorgens auszuschlafen, nicht, wenn die eigene Mutter zur Frühschicht aufbrach und man selbst nichts zum Lebensunterhalt beitrug. Weshalb er, misstrauisch den Wetterbericht verfolgend, schon am Freitagabend Schneeausrüstung ausgelegt und Pausenbrot geschmiert hatte, sodass ihm nicht entging, wie sich draußen ein zeitlich sehr unpassendes "Wintermärchen" anbahnte. Nur schön für Leute, die nicht arbeiten und/oder vor die Tür mussten. Deshalb riskierte Jannäus-Niklas, die Haushaltsarbeiten absolvierend, nach dem Frühstück einen Blick in die digitale Welt. "Wo brennt es denn jetzt?!" Schnaubte er, allerdings Mini-Schnauzer-Ausgabe, enerviert, als sich sogleich Post meldete. Die Versuchung, eine geharnischte Absage zu erteilen, war groß. Schnee in der Großstadt war nichts als Ungelegenheit, nämlich Dreck, verstopfte Abflüsse, verspätete Verbindungen, Stress... Die Tonlage seiner inneren Stimme im Hinterkopf ähnelte einer verwünscht-bekannten, weshalb Jannäus-Niklas diszipliniert durchatmete. Hatte er Anlass, gehässig zu sein? Die Einladung schnöde abzuschmettern, in Begleitung von verächtlichen Kommentaren? Wie würde seine Mutter handeln? Er seufzte, kramte sein Mobiltelefon heraus. "Ja, guten Morgen auch, richtig, deine Nachricht. Schön, wo und wann? Aber ich warne dich: ich lasse mir nichts an die Rübe schmeißen oder mich einseifen, klar?!" ~(___)~ Man musste sich in Erinnerung rufen, dass für Bodhi Karuna echter Schnee Seltenheitswert haben konnte, weshalb sich Jannäus-Niklas in Ermahnung ihrer "seelenverwandten Beziehung" witterungsangepasst abgedichtet und ausgerüstet auf den Weg machte. Immerhin stand zu hoffen, dass die Sauerei, der schöne Schnee, nicht allzu lange vorhielt. Bodhi Karuna erwartete ihn bereits tatendurstig in einer kleineren Grünanlage. Die Konkurrenz, dort Schneefiguren zu errichten, zeigte sich hier noch nicht. Gewohnt "blind" oder zutreffend unbenommen von der optischen Qualität seiner Erscheinung lächelte er Jannäus-Niklas an, in greller Skijacke mit Oktopussi auf dem Schädel und... Gummihandschuhen an den Fingern. Jannäus-Niklas seufzte. "Guten Morgen. Hast du noch einen späteren Termin bei einer Putzkolonne, oder traust du der Niederschlagsqualität dermatologischen Terrorismus zu?" Der Satz war raus, bevor er sich bremsen konnte, sarkastisch, ungezogen, arrogant. Bodhi Karuna lachte und knuddelte ihn! "Hallo, Jannik, schön, dass du gekommen bist! Also, hier nehme ich keinen 'sauren Regen' oder so an, wir haben ja keinen giftigen Smog. Ich hab bloß keine Winterhandschuhe." Erklärte er sich, zwinkerte unbeeindruckt aus den dunkelbraunen Augen hinunter. Man war geschlagen, zweifellos, weshalb Jannäus-Niklas eine Entschuldigung für angezeigt hielt. "Tut mir leid, die blöde Bemerkung. Mein sozialverträgliches Korrektiv schläft vermutlich noch." Eine Augenbraue verschwand im mittelblauen Kopffüßler-Schädelwärmer. "Ich verstehe nicht ganz?" Eine Gelegenheit für Jannäus-Niklas, seine Wortwahl zu ändern, Besserung durch Tätigkeit zu offerieren, immerhin bedurfte eine Schneefigur entsprechender Roll-Materialzusammenballungen. Bodhi-Karuna lauschte, formte, glättete und lobte auch den im Detail vorgetragenen Masterplan ihres Paktes. "Das gefällt mir, prima, vielen Dank! Mach dir auch nicht zu viele Gedanken, Jannik, ja? Ich versuche zwar, mich einzuordnen, aber das gelingt mir nicht immer. Dann sind Hinweise genau richtig, damit ich was lernen kann." Jannäus-Niklas, der gerade Kleinteile für die Mimik ihrer Schneefigur suchte, jaulte kriegerisch auf. "Ach ja?! MEIN Karma rauscht den Abfluss runter! Lad mich nicht ständig dazu ein, mich mies zu verhalten! Bei Verständnis deinerseits verdoppelt sich mein Negativkonto noch!" Behauptete er ungezogen-grämlich, stieg auf die Stiefelspitzen, um Kastanienschalen als Augen anzubringen. "Tatsächlich? Wie bei einem Computerspiel? Sehr fortschrittlich." Staunte Bodhi Karuna lächelnd, nach seinem Smartphone fahndend. "Ver---, nun, es GIBT so was gar nicht, klar?! Außerdem bin ich unerbittlicher Atheist!" Fauchte Jannäus-Niklas, sich ein wenig in den Schatten gestellt fühlend durch die kapitale Schneefigur. Aber Bodhi Karuna ließ sich diesbezüglich wohl nicht lumpen, hatte die Hauptmasse des schmelzenden Materials herbeigeschafft. "Schadet ja nichts, den Horizont weiter zu halten, falls man sich irrt." Kommentierte Bodhi Karuna unbeeindruckt, kämpfte mit der Kamera-Funktion. Jannäus-Niklas tobte ein Schnauben durch Aufstampfen aus, seufzte dann. In Sachen Streitgespräche ging er genauso erbärmlich unter wie bei seiner Mutter. Wobei er mit ihr gar nicht streiten wollte. "Lass uns ein Selbstporträt machen." Schlug er vor, winkte Bodhi Karuna zu sich, der erleichtert strahlte. So grinsten sie für die digitale Öffentlichkeit zu dritt in die kombinierten Linsen. ~(___)~ "Oh, die Fotos sind so lustig! Schade, dass schon wieder alles getaut ist." Bekundete Isabella von Schmetten amüsiert, während Jannäus-Niklas sein Abendessen mümmelte. An der frischen Luft, Bewegung, Unterhaltung, keine Migräne... "Aber das hier ist noch hübscher!" Sein rechter Unterarm wurde zwecks Inspektion gelupft. Darum wand sich, in zweifacher Umdrehung, ein selbst geknüpftes, sehr buntes Freundschaftsband. Andere Leute hatten einfach zu BREITE Handgelenke! "Der Bodhi hat's drauf, nicht wahr? Eine sehr gute Idee!" Jannäus-Niklas unterdrückte ein Winseln, grummelte leise. Das keuschheitswahrende Schutzschild für einen überdimensionierten Simpel zu geben: man wurde das nagende Gefühl nicht los, sich in mehr als einer Hinsicht auf dem Holzweg zu befinden. ~(___)~ "Wahrscheinlich werden uns sämtliche Köter der Gegend jagen!" Prognostizierte Jannäus-Niklas unleidlich, den letzten freien (Sonn-)Tag vor der Schule fremdbestimmt verleben zu müssen. Der Schnee war in großen Teilen schon längst geschmolzen und ihr Foto ein viraler Hit auf der Schulplattform (vermutlich wegen der Oktopus-Strickmütze mit den Kulleraugen!). Die Witterung trocken, kalt, garniert mit Wintersonnenschein stimmte Bodhi Karuna unternehmungslustig, weil er fand, dass der knappe Monat bis zum Halbjahreszeugnis noch Zensur-Optimierung bot, weshalb Jannäus-Niklas die Klausel "gemeinsames Lernen" präsentiert wurde. Was NICHT bedeutete, die hinteren vier Buchstaben irgendwo drinnen bequem und gemütlich zu parken, sondern Bodhi Karunas sportlichem Interesse zu frönen, kombiniert mit Abfragen zum Kenntnisstand. Jannäus-Niklas kannte sich nicht mit Wurfscheiben aka Frisbees aus, auch wenn ihm schon mal ein Teller zu Bruch gegangen war. Mit Ruhm konnte er sich deshalb nicht bekleckern, fand sich aber schimpfend-lachend eingefangen von Bodhi Karunas euphorisch guter Laune. Man konnte nicht den professionellen Giftzwerg markieren, wenn man so schelmisch-charmant ausgekontert wurde! Jannäus-Niklas schickte sich schließlich drein. Möglicherweise gab es aus ihrem Pakt doch mehr zu gewinnen als den unwesentlichen Triumph, das vermeintliche Sex-Idol der Stufe erobert zu haben! ~(___)~ Der erste Schultag nach den Ferien, Jahr Drei der Pandemie. Maske auf, im jeweiligen Verbund bleiben, an der frischen Luft, nur gruppenweise vortreten, wenn der Test vorgezeigt werden musste, damit man die humanoiden Seuchenvehikel gleich retour in die heimische Quarantäne schicken konnte, bevor sie als Trojanische Holzklepper fungierten und ihre Untermieter nächstenliebend verbreiteten. Jannäus-Niklas, nicht euphorisch gestimmt, wusste, dass er Bodhi Karuna erst in der Mittagspause sehen konnte, wenn sie beide nicht von der Herde abgetrennt und isoliert wurden. Er konnte nur inständig hoffen, dass seine Ermahnungen und Vorgaben auch beherzigt wurden. Selbstverständlich ging "Seelenverwandtschaft" gerade noch durch (auch wenn sein interner Atheismus grollte). Auf keinen Fall sollte jedoch "spirituelle Verbundenheit" geäußert werden! Woraufhin sein Partner-in-crime verwundert blinzelte, ihn ratlos studierte, was Jannäus-Niklas gewöhnt war, da ihm sein Sarkasmus immer wieder unkleidsam durchging. "Schön, Erklärung! Also, es gibt beim Fremdwort mindestens zwei heimtückische Abzweigungen. Die einen hören 'spirituell', denken, ah ja, 'spirit', der Geist, richtig, 'geistvoll', also 'mit Spiritus', alkoholisch. Was nicht etwa zu Waschbenzin ableitet, sondern gleich zu 'die waren sternhagelvoll...total betrunken! Da konnte sich einer den anderen schön saufen.' Nur so lässt sich diese amour fou nachvollziehen! Zweite Abzweigung, für die Liebhabenden von H. P. Lovecraft und Konsorten, 'Spiritismus'! Möbel herumschubsen, über dubiosen Holzbrettern delirieren, im Kreis Händchen halten oder freies Assoziieren zu seltsamen Kartenspielen. Was dann entweder nahe legt, wir hätten Hochprozentiges verkostet oder Pilze/Pillen/Grünzeug/Klebstoff mit halluzinogenen Nebenwirkungen genascht. Deshalb: Obacht bei der Wortwahl und Sparsamkeit bei Details!" Zudem fühlte Jannäus-Niklas sich ohnehin schon beäugt, als habe sich die gesamte Sippschaft von Argus eingeladen! Luftfiltergeräte ließen in den Räumen auf sich warten, weshalb man im Luftzug hockte, maskiert und gegen die Kälte verpuppt. Das bewahrte Jannäus-Niklas vor ungenierter Sezierung seines raketenhaften Aufstiegs in der Aufmerksamkeitsspirale der Klasse. »Konzentrier dich auf deinen Kram!« Hielt er sich unnachgiebig an der Kandarre, denn so anstrengend es auch war, nachlassende Leistungen kamen nicht in Frage! Da waren sein Stolz und seine Sturheit vor! ~(___)~ Die Mensa durfte nur schubweise aufgesucht werden, damit die Abstände beim Mümmeln der Kost eingehalten werden konnten. Sich dort im Verbund platzieren mussten allerdings alle, auch wenn sie wie Jannäus-Niklas häufig den eigenen Proviant verspeisten. In der Regel suchte er sich einen Platz außen, fernab der Cliquen, versuchte sich während des Kauens die zuvor absolvierten Themen noch mal ins Gedächtnis zu rufen. Wiederholung prägte sich ja ein, was er jetzt im Kopf behielt, stand möglicherweise auch bei Prüfungen noch zu Gebote. »Das hoffst du!« Ätzte für gewöhnlich die Stimme in seinem Hinterkopf gehässig, die sein Gedächtnis eher für ein Nudelsieb hielt. Da blieben dann nur die Spaghetti hängen, die Buchstabennudeln glitschten ungeniert durch. Mit anderen Worten: sein sehr selektives Hirn memorierte Absurditäten eher als die Einzelteile banaler Erkenntnisse. »Tja, Umtausch ausgeschlossen, ausgenommen Dr. Frankenstein praktiziert wieder!« Keilte Jannäus-Niklas bärbeißig zurück, der sich zumindest noch nicht für einen erfolgreichen Lobotomisten hielt. An diesem Montag jedoch, bewaffnet mit Mittagessen und seiner Trinkflasche, konnte Jannäus-Niklas sich nicht unsichtbar machen. Selbstredend hatte irgendwer das Armband entdeckt. Weil Jannäus-Niklas das Gegenstück trug, diskutierte man per Daumen und Botschafterdiensten diese Entdeckung. "Ah, Jannik, da bist du ja!" Bodhi Karuna, ein Tablett apportierend, näherte sich, mutmaßlich ein erfreutes Grinsen unter der Maske, platzierte sich artig im Abstand, jedoch unmissverständlich an seiner Seite. "Ist deine Klasse vollzählig?" Erkundigte er sich im Plauderton, während in der Kapuze seines Sweatshirts der mittelblaue Oktopus in die Gegend kulleräugte. Jannäus-Niklas hob hastig seine Kinnlade von seinen Kniescheiben. WER um alles in der Welt...?! "... vollzählig. Und bei dir?" Arbeitete unterdessen sein Mundwerk auf Autopilot, während seine Antenne für gesellschaftliches Feingefühl gerade hysterisch wie eine Wünschelrute in alle Richtungen pendelte! "Können wir später mal unsere Notizen vergleichen? Ich weiß, dass die Bibliothek zu hat, aber wenn es nicht regnet...?" Unbeeindruckt von Jannäus-Niklas' unzweifelhaft unkleidsamem GLOTZEN zerteilte Bodhi Karuna systematisch das Menü. Allerdings enthüllte das Abziehen der Maske zwecks Nahrungsaufnahme ein spitzbübisches Schmunzeln, vom demonstrativ freigeschüttelten Handgelenk mit Armband ganz zu schweigen. Abrupt klappte Jannäus-Niklas die Futterluke zu, grollte stumm. DER feierte ja förmlich, sich als "freies Radikal außer Dienst/Dating" von der Beziehungsfront verabschiedet zu haben! "Wenn es nicht zu lange dauert. Ich habe noch Einkäufe zu erledigen!" Operierte unterdessen sein Verstand nach Basiseinträgen im Konversations-Pingpong. "Prima! Ich glaube, ich habe noch so Einiges nachzuholen." Strahlte Bodhi Karuna, beugte sich mühelos über die Distanz und küsste Jannäus-Niklas auf die Wange. ~(___)~ "Das ist erschütternd." Stellte Jannäus-Niklas auf dem Heimweg am Dienstagnachmittag fest. NIEMAND hielt ihm vor, zumindest bis jetzt nicht, er führe ein grausig schlechtes Theaterstück als untauglicher Mime auf! Möglicherweise zögerte man auch, sich nicht als intolerant oder kleingeistig zu entpuppen. Einerseits. Andererseits: das verhinderte Sex-Idol der Stufe wirkte verdächtig beschwingt und munter, verhielt sich WIRKLICH so, als stelle Jannäus-Niklas für ihn Schutz und Schirm dar, jedwede Annäherungen auszubremsen! Was der für lächerlich gehalten hatte. "Das ist wahrscheinlich bloß der Schock. Die Schonfrist ist bestimmt bald vorbei." Prognostizierte er sich selbst düster. Wie lange würde es wohl dauern, bis irgendwem dämmerte, dass gemeinsames Lernen nicht gerade auf eine Liebesbeziehung schließen ließ? Dann wäre die Jagdsaison aber eröffnet, garantiert! Wobei es Jannäus-Niklas übel-beschämend aufstieß, wie unbefangen und angenehm man sich mit Bodhi Karuna die Zeit vertreiben konnte. Wie geduldig und langmütig der ältere Jugendliche seine zweifellos erblich bedingten Ausfälle Richtung Ironie, Sarkasmus und beißenden Spott ertrug. Darin, das stimmte Jannäus-Niklas sorgenvoll und unbehaglich, ähnelte Bodhi Karuna sehr seiner Mutter Bella. Da kam er sich häufig wie einer dieser kläffenden Hackenbeißer vor, Marke "Gesellschaftshund", wohnhaft in der schmucken Handtasche. Kein hübsches Selbstbildnis. Die Verärgerung über sich selbst stand zudem unter dem Menetekel der Migräneattacken. "Reiß dich zusammen!" Warnte er sich deshalb selbst energisch. Es gab ja wohl sehr viel wichtigere Dinge als die wetterwendische Meinung irgendwelcher Leute zu seinem "Beziehungsstatus"! ~(___)~ Eigentlich sollte der Mittwoch ein guter Tag werden, trotz täglichem Testregime und privaten Pflichttermin, denn nach der Spätschicht hätte seine Mutter am Donnerstag frei, könnte sich endlich mit Bobby mal ein Rendezvous gönnen. Was die beiden sich ja wirklich verdient hatten! Nur war Jannäus-Niklas schon der Tag vor dem Mittagessen verhagelt! Erst zwei Tests schreiben, dann ein Auflauf/Stau vor der Mensa, weil sich ein Konvektomat zum Erhitzen diverser Substanzen verabschiedet hatte und belegte Stullen nicht im Programm waren. Jannäus-Niklas, der sowieso die eigene Wegzehrung vorzog, verabsentierte sich etwas abseits, denn er konnte auch draußen essen. Immerhin verlangte sein Magen mit kürzeren Abständen vehement nach kalorischem Nachschub! Und dann setzte der metaphorische Hagel ein, denn es näherte sich uneingeladen der Marvi-diot. ~(___)~ "Oho, Janni-lein, so allein?" »Arsch!« Dachte Jannäus-Niklas, die Fäuste ballend, weil er seinen Proviant verpackt neben sich auf die alten Steinstufen abgestellt hatte. "Allein? Sag mal, stimmt was mit deiner Wahrnehmung nicht? Hier sind jede Menge Leute, es ist fast schon überlaufen!" Ätzte er giftig zurück, verabscheute es, den Kopf in den Nacken legen zu müssen. "Aber dein Schatzi ist nicht dabei." »Ihm die Runzelrübe vom Stängel schrauben, nur EIN MAL!« Driftete Jannäus-Niklas gallig in utopische Rache-Phantasien ab. Laut kläffte er natürlich aufgebracht zurück. "Ach herrje, ist DAS dein Problem?! Dass Bodhi Karuna sich mit mir zusammengetan hat? Sind wir etwa eifersüchtig, hm?" Bevor weiter oben eine Retourkutsche formuliert werden konnte, ging Jannäus-Niklas in Vorlage. "Tja, zu spät, der Zug ist abgefahren! Vielleicht sollten sich gewisse Leute nicht ständig bei anderen einmischen. Dann müssten sie auch nicht hinterfotzig angeschlichen kommen und Dünnpfiff säuseln!" Mochte sein Gegenüber auch nicht mit voller Wattzahl unterwegs sein: eine Herausforderung erkannte der Marvi-diot durchaus. "Reiß hier nich so die Klappe auf, Shorty! Keiner glaubt, dass irgendwer sich mit dir abgibt." »Heimspiel!« Kommentierte Jannäus-Niklas' innere Stimme hämisch. "Ist das so? Oh, liebe Güte, ist mir entgangen, wie viele der lieben Mitmenschen hier KEINE Zweifel hegen? Oder verhält es sich nicht etwa so, dass zur Eifersucht auch noch Neid kommt? Das ist aber ganz schlecht fürs Karma und die Haut!" Schoss Jannäus-Niklas unbarmherzig mit zuckersüßem Tonfall zurück. Untertourig im Hirn, aber rasch bei motorischen Reaktionen, was bei einer Auseinandersetzung mit Ferrero wohl durch Überlebensinstinkte verhindert wurde. Allerdings nicht, wenn der Gegner kleiner, jünger und auf Fliegengewicht-Niveau einzustufen war. Bevor Jannäus-Niklas ausweichen konnte, wurde er mit einem Arm sanft um die Schultern aus der Flugbahn gedreht, während der andere Arm den intendierten Griff abwehrte. Dann kuschelte sich Bodhi Karuna an ihn, so gelassen wie stets. "Sorry, aber ich bin ein bisschen konservativ und teile nicht gern. Jannik, ich schaff es leider nicht mehr, mit dir zu essen, die Schlange ist so lang. Wartest du nach dem Unterricht auf mich?" In eleganter Mühelosigkeit dirigierte Bodhi Karuna ihn in eine Pirouette, dem verhinderten Aggressor schlicht den Rücken kehrend. Die dunkelbraunen Augen funkelten, ein Zwinkern blitzte kurz auf. "In Ordnung, aber beeil dich, ja?" Spielte Jannäus-Niklas mit, verwünschte den Arm um seine Schultern, denn so bemerkte er die eigene Verkrampfung. "Versprochen!" Gelobte Bodhi Karuna, beugte sich herunter, brachte trotz Masken ihre Nasenspitzen in Kontakt. "Bis später." Ein Zwinkern, Bodhi Karuna richtete sich auf, hielt auf eine der Warteschlangen zu. Im Gehen band er dabei die Tentakel des Oktopusses nach oben, sodass es wirkte, als absolviere der gestrickte Läusewärmer eine komplizierte Yoga-Übung. Jannäus-Niklas nahm bei seinem Proviant Platz, packte aus und ignorierte den glotzenden Marvi-diot entschieden. Bis der Groschen fiel, jener sich subtrahierte, weil er so gnadenlos aus dem Feld geschlagen worden war. »Vermutlich wird er jetzt den ganzen Tag darüber nachdenken, wie er uns eins auswischen kann.« Vermutete Jannäus-Niklas grollend, die Warteschlange im Blick. Andererseits... Auf lautlosen Sohlen hatte Bodhi Karuna sich in Verteidigungsmission angeschlichen. Zweifellos war er beobachtet worden, während man müßig-ungehalten auf einen Platz in der Mensa wartete. Vom Kaliber her konnte er Ferrero durchaus das Wasser reichen. Jannäus-Niklas kaute sein Brot gründlich, merklich versonnen. Das mit dem "Schutz und Schirm" funktionierte wohl in beide Richtungen. ~(___)~ "Also, ich verstehe durchaus, dass wir vor Marvi-diot was zu beweisen hatten." Setzte Jannäus-Niklas an, als er wie angekündigt Bodhi Karuna vor dem Schulgelände vorfand. Drinnen durfte selbstredend nicht getrödelt oder verweilt werden, die potentiellen Pestilenz-Transporte auf zwei Beinen hatten sich geschwind zu verfügen! Bodhi Karuna blickte aufmerksam, im Freien die Maske in einer Tasche der Skijacke verstauend. Der Oktopus grinste in die Gegend, vermutlich erleichtert, dass alle Tentakel entknotet worden waren. "Nur, wie ich schon sagte, ich habe einen Termin. Du kannst nicht mit reinkommen." Verdrossen erkannte Jannäus-Niklas die Unmöglichkeit, weitere Einzelheiten zu verschweigen, zudem fiel Bodhi Karuna neben ihm gemächlich in den Schritt. »Pah, keine Mühe, bei längeren Beinen! Der nutzt wahrscheinlich auch weniger seine Füße und Schuhsohlen ab! Immer auf die Kleinen, systematisch benachteiligt!« »Oh, halt die Klappe!« Retournierte Jannäus-Niklas säuerlich den inneren Dialog, schnaubte laut. "Du wirst dich wohl nicht abschütteln lassen, wie?" Die Frage hatte rhetorische Qualitäten. Bodhi Karuna flanierte an seiner Seite, gut gelaunt, sichtlich in sich ruhend. "Ich verbringe gern Zeit mit dir. Außerdem kann ich dich das fragen, was ich nicht verstanden habe. Du bist sehr unterhaltsam." Auch wenn 20 Zentimeter Höhenunterschied bestanden, vernahm Jannäus-Niklas durchaus ein unterdrücktes Glucksen. Grimmig funkelte er hoch. "Auch mit Kükenhirn bin ich nicht blöd, klar?! Der Sprachfilter ist noch nicht optimal justiert, verstanden?! Ich bemühe mich durchaus, misanthropische Anfälle als erblich bedingte Altlast einzuhegen!" Neben ihm sortierte man diese Aussage... und prustete amüsiert. "PAH!" Kläffte Jannäus-Niklas unversöhnlich, hauptsächlich, weil er die eigenen Defizite erkannte, aber nicht beheben konnte. Wenn er nur mehr nach seiner Mutter käme, souverän, zuvorkommend, optimistisch, unternehmungslustig, selbstbewusst...! "Ich mag dich, Jannik." Verkündete Bodhi Karuna unverbrämt, lächelnd. "Ich werde einfach draußen warten, in Ordnung? Vielleicht kannst du mir einige deiner Notizen leihen, dann lerne ich auch artig." An seiner Seite schnaubte man wie ein Chihuahua mit verstopfter Schnauze. "Ah, noch einem niederen Beweggrund stattgeben! Ich bin aber kein Musterschüler, also denk nicht, du könntest Klassenbester werden! Höchstens Hieroglyphen-Forscher bei meiner Sauklaue." Was etwas übertrieben war und zudem die Bildzeichen bereits entschlüsselt. Bodhi Karuna schmunzelte, fuhr den Arm aus, um ihn auf Jannäus-Niklas' schmächtigen Schultern zu deponieren. Der, Pärchen-Gehabe erkennend, blickte alarmiert um sich, ob man sie etwa beobachtete, Maßnahmen angezeigt schienen. Entdecken konnte er jedoch nichts. Er äugte deshalb misstrauisch nach oben in die dunkelbraunen Augen. Ein Zwinkern, lässig. "HRMPF!" Kommentierte Jannäus-Niklas angefressen, schüttelte den Arm jedoch nicht ab. ~(___)~ Natürlich war es schon dunkel und nicht sonderlich einladend, als Jannäus-Niklas recht in Harnisch vor das Gebäude trat. Bodhi Karuna studierte im Schein der Straßenlaterne seine Notizhefte. KEINE Jugendlichen in ihrem Alter in diesem Kulturkreis hätten NICHT ihr Smartphone konsultiert! Dieses Paradiesvogel-Exemplar jedoch...!! "Geht es dir gut?" Erkundigte sich der Ältere unterdessen, sortierte Unterlagen nach Zugehörigkeit. "Nein!" Kläffte Jannäus-Niklas ungehalten, verstaute seinen Anteil an Blattwerk im eigenen Rucksack. "WIR sind übereingekommen, dass nun ohne Verzug Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden müssen. WIR haben zu diesem Zweck entsprechende Verordnungen und Rezepte ausgestellt. WIR werden in diesem Behuf eine regelmäßige, strikte Kontrolle ausüben." Wiederholte er giftig, während Bodhi Karuna ebenso verdutzt wie sein Kopfwärmer staunte. Jannäus-Niklas, noch im Schwung, fuhr unleidlich fort. "Während WIR uns alle einig sind, muss ICH diesen ganzen Kram umsetzen! Was bedeutet Pillen schlucken und Ernährungsplan einhalten und... MUTIEREN!" Ein entsetzliches Grauen. Bodhi Karuna, der sich einfach Jannäus-Niklas' Rucksack bemächtigte (nach Vereinbarung erlaubt), runzelte die Stirn. "Ich verstehe nicht ganz?" Brodelnd marschierte Jannäus-Niklas los. "Oh, richtig, Aufklärung! Also, meine gegenwärtig extreme Mickrigkeit mit Pubertätsverweigerung ist selbstverschuldet. Offenbar kann man meine Darmflora mit einer wüsten Ödnis vergleichen, unterbevölkert und nicht divers, weshalb die Nahrung, die ich zu mir nehme, kaum ausreichend verarbeitet wird. In Konkludenz also Mickrigkeit, Unterversorgung, Marker-Ausschlag und, oh Wunder!, Migräne! Was ich auch noch dadurch gefördert habe, auf Speisen zu verzichten, die mir nicht bekommen. Somit befinden wir uns im Teufelskreis der unterdrückten Evolution." Er fauchte. "Oh." Kommentierte Bodhi Karuna sparsam. "Genau, oh. Mein Wort. Wobei ich darauf verweisen will, dass ich sehr zivil, höflich und zurückhaltend reagiert habe. Seit zwei Jahren befinde ich mich unter Aufsicht und JETZT...!" Jannäus-Niklas knurrte auf Spitzmaus-Niveau. "Hätten WIR das nicht ein wenig früher herausfinden können?!" Bei all den Abstrichen, Proben, Analysen, der Piekserei für Allergietests, dem Ernährungstagebuch... "Und jetzt musst du Pillen schlucken, damit das Essen besser verarbeitet werden kann?" Fasste Bodhi Karuna vorsichtig zusammen. "Genau, 'blühende Landschaften', allerdings nicht im Osten, sondern unter dem Gürteläquator. Ich hoffe bloß, dass ich erfolgreicher bin mit solchen Prophezeiungen als gewisse Ex-Kanzler. Das Ernährungstagebuch muss ich natürlich weiter führen. Damit WIR nachsehen können, wann der Horror der Pubertät eintritt. Sonst bekomme ich auch noch Hormonpräparate." Was Jannäus-Niklas nicht euphorisch stimmte, den es auch verärgerte, dass die Krankenkasse keine Knüppel vor Schienbeine warf, sondern im Vorfeld überzeugt worden war, der Therapieansatz werde das "Problemchen" lösen! Gegenwind von seiner Mutter konnte nicht erwartet werden, die ihm ja Gesundheit und keine Migräne wünschte. "Das klingt nach einem vernünftigen Plan." Wagte sich Bodhi Karuna gelassen in die Schusslinie. "Ach ja?!" Detonierte Jannäus-Niklas empört. "Wieso kommt sich hier keiner außer mir BLÖD vor?! Der ungekrönte Meister aller Ernährungseinschränkungen hat sich ins eigene Kontor geschossen! Wenn es doch so offenkundig ist, wieso...?!" Stress, Sorgen, Schmerzattacken, Schmerzmittel... Unvermittelt fand Jannäus-Niklas sich heran geangelt, in eine Umarmung gezogen trotz zweier Rucksäcke und Oktopus-Krönung. Ärgerlich schnaubte er gegen die abgenutzte Stoffpartie der Skijacke in Brustkorbhöhe. "Jetzt gibt es einen Plan, richtig? Ich werde dir helfen, Jannik, ja? Gemeinsam geht es leichter, bestimmt." Bodhi Karuna wiegte ihn sanft, rieb mit einer Hand über die verkrampfte Schulterpartie. "Toll. Mister Optimismus versaut mir auch noch meine nihilistische, selbstverächtliche Miesepeter-Laune!" Beklagte sich Jannäus-Niklas dumpf gegen den Stoff. Man kicherte gedämpft. Energisch stemmte sich Jannäus-Niklas aus der Umarmung, funkelte hoch. "Das ist übrigens kein zuckersüßes, rosarotes Einhorn-Regenbogen-Ende, klar?! Ich meine, WENN es funktioniert, mutiere ich in Nullkommanichts! Dann kann ich dir auf den Kopf gucken, verstanden?! Vielleicht werde ich sogar so ein überdimensionierter Testosteronbolze!" Bevor Bodhi Karuna auch nur eine Augenbraue zweifelnd unter den Oktopus lupfen konnte, zerrte Jannäus-Niklas ihn am Ärmel zu einem Treppenaufgang, den er auf Stufe drei nutzte, sich umkehrte und finster stierte. "Demonstration! Empirie!" Donnerte er (wie ein Mini-Bullterrier), schlang aus dieser luftigen Höhe die dünnen Arme um Bodhi Karunas Nacken. Der ließ sich brav halten, unterdrückt glucksend. "Ich weiß ja nicht!" Maulte Jannäus-Niklas schließlich grämlich, stemmte die dünnen Arme in die Seiten. Klar, in die Höhe schießen wie ein Spargel konnte er so simulieren, aber Spannweite und Körperbreite: eher nicht! "Ha, spotte nur, oh ahnungslos-argloser Zeitgenosse! Aber wehe, wenn mich der hormonelle Wahnsinn am Schlafittchen packt!" Drechselte Jannäus-Niklas, die Stufen herabsteigend, grimmig in die dunkelbraunen Augen funkelnd. "Wer weiß, wo das endet! Da werde ich möglicherweise genauso bekloppt wie Marvi-diot oder renne irgendwelchen Leuten im Kopulationsbegehren hinterher!" Was ihn merklich schaudern ließ. "Tatsächlich?" Nicht aus der Ruhe zu bringen schloss Bodhi Karuna zu ihm auf. "Bei meiner aktuellen Glückssträhne können wir nichts ausschließen." Ätzte Jannäus-Niklas verdrossen. "Ich mag dich trotzdem." Lächelte Bodhi Karuna tiefentspannt, während Jannäus-Niklas laut seufzte. Wenn hier nicht schon Hopfen und Malz verloren wären, hätte er doch nachsehen sollen, ob SIE nicht eine falsche Abzweigung beim 'Spiritus' genommen hatten! ~(___)~ Kapitel 7 - Von Beaglen und Kanarienvögeln »Dieser aufgeblasene Depp!« Dachte Jannäus-Niklas zornig, während er sich mit seinem Proviant (unter Beachtung des neuen Ernährungsregimes) einen Logenplatz suchte. In Grenzen lernfähig war der Racheakt nicht über die Schulplattform erfolgt, sondern über einen verbreiteten "Botschafterdienst" mit angeschlossenem Datenmissbrauch. "Trans-Dating, 10 Dinge, die du beachten solltest." Eine kreuzdämliche Liste aus irgendeinem Boulevard-Klatsch-Skandal-Bot-System generiert, die Art von schwachsinniger "Klick-Bait"-Titelzeilenaufmachung, die man schon per se ignorieren sollte, ganz gleich, wo sie belästigend aufploppte! Jannäus-Niklas glaubte nicht, dass man um seine ärztliche Diagnose samt verordneter Therapie wusste, auch wenn ihm, diese neue Gemeinheit durch Weiterleitung zugetragen, erst mal ein Schreck in die zierlichen Glieder fuhr. Nein, der Marvi-diot hatte seine Ressentiments bloß anders aufgestellt: wenn der äußere Anschein schon nichts mehr über das soziale Geschlecht und/oder potentielles sexuelles Interesse aussagte... »Für so einen Mist habe ich KEINEN NERV!« Erboste sich Jannäus-Niklas, entschieden, diese Herausforderungen mit Nichtachtung zu strafen. Dass er viel jünger, schmaler und feingliedriger gebaut war, konnte man nicht leugnen, die primären Indikatoren zur Ausstattung legten gewisse Tendenzen nahe. Dass er, sehr subtil, wirklich!, von der möglicherweise vorhandenen XY-Chromosomen-Grundausstattung zur Variante mit XX-Start wechseln wollte, war eine ungezogene Nickligkeit! Vor allem, wenn man wie er selbst durch leidvolle Erfahrung NICHT wünschte, jemals monatlich mit prämenstruellen Syndromen gequält zu werden! Gehässig fragte Jannäus-Niklas sich, ob Bodhi Karuna, der arme, arglose, aufopferungsvolle Kamerad, zu dieser niederträchtigen "Täuschung" schon Beileidsbekundungen erhalten hatte. »Wenn ich erst mal groß, schwer und muskelbepackt bin, FREUND MARVIN, dann melde ich mich mal für Sportübungen im Duett!« Drohte Jannäus-Niklas in Gedanken finster. Da offenbarten sich doch bestimmt Gelegenheiten, scheinbar unfällig diesem ausgemachten Axxx physisch Lernprozesse aufzunötigen! Lektion 1: lass deine verdammten Minderwertigkeitskomplexe nicht an anderen aus und 'get a life!' Über diesen verlockenden Zukunftsplänen brütend registrierte Jannäus-Niklas nicht, dass er Gesellschaft bekam, möglicherweise auch Bodhi Karunas Geschick geschuldet, sich unauffällig und lautlos anzupirschen. "Hallo, Jannik, darf ich mich dazu setzen?" "Hmpf?!" Verschluckte sich Jannäus-Niklas fast am Teilstück einer Essiggurke. "Ah, schon der neue Plan? Ich hab mir heute auch was mitgebracht, denn mit dem defekten Konvektomat, das dauert sicher." Bodhi Karuna ließ sich nieder, eine Glasflasche mit Sockenüberzieher und ein Geschirrtuch-Paket ausrichtend. Er küsste Jannäus-Niklas, der sein oral abzweigendes Röhrensystem sortiert hatte, auf die Wange. Zwinkerte. Jannäus-Niklas funkelte frostig und schnaubte. "Darf ich fragen, ob du schon die Flucht erwägst? Angesichts der sehr erhellenden zehn Aspekte zur Verabredung mit uferwechselnden oder uferlosen Humanoiden?" Erkundigte er sich bissig, dabei studierend, was Bodhi Karuna aus dem ausgebreiteten Geschirrtuch wickelte. "Möchtest du eine Waffel haben? Sind gekauft, wir haben kein Waffeleisen." Bot Bodhi Karuna lächelnd an, keineswegs in seiner Heiterkeit beeinträchtigt. "Du kannst dafür die Gurke bekommen." Wenn schon, dann wurde getauscht, befand Jannäus-Niklas, was Bodhi Karuna klaglos akzeptierte. "Ich hab diese Nachricht zwar bekommen, aber nicht verstanden. Vermutlich braucht Marvin eine erfüllende Freizeitbeschäftigung." Mutmaßte er, zwischen Gurke und Waffel abwechselnd. Er zwinkerte Jannäus-Niklas zu, der stillschweigend einen Knäckebrot-Doppeldecker gegen ein hartgekochtes Ei abtrat. "Ich bin mit dir zusammen, weil ich dich mag. Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Es ist auch leichter, weil unsere Lebenswege sich ähneln. Da komme ich mir nicht so häufig seltsam vor." Jannäus-Niklas verdrehte die Augen. "Ich hoffe bloß, dass du nicht noch erwähnt hast, dass du Snoopy, Kuschelhäschen und Kaninchen magst!" Bodhi Karuna lachte. "Vermutlich hat mein Oktopus-Freund alle Fragen dazu beantwortet." Kein Zweifel, da traute man sich nicht mal mehr, Erkundigungen auch nur auszusprechen! "Kannst du mir deinen Plan zeigen? Dann schließe ich mich an. So ist es bestimmt einfacher, die Regeln einzuhalten." Ein argwöhnischer Blick kommentierte diese Bitte, bevor Jannäus-Niklas staubtrocken antwortete. "Es hat also nichts mit deiner Begeisterung für Kochbücher zu tun, ja? Dass du mein Futter-Diktat zur Entspannung als Lektüre genießen willst?" Natürlich erntete er für diese Vermutung ein amüsiertes Lachen. Von all der Aufmerksamkeit durch "Zaungäste" in der Warteschlange vor der Mensa ganz zu schweigen. ~(___)~ Jannäus-Niklas war eingeladen, auf einen, etwas weiteren Sprung, bei Bodhi Karuna einzukehren, um den Ernährungsplan zu kopieren und Strategien für die mittäglichen Picknicks zu entwerfen. Sie hatten sich gerade im winzigen Flur entpuppt, da öffnete sich eine Zimmertür. "Ah, Mama, das ist Jannik." Stellte Bodhi Karuna unbefangen vor, während Jannäus-Niklas sich bemühte, erstens das Starren einzustellen und zweitens nach der Maske zu fahnden. "Hallo, freut mich. Sorry, ich muss gleich eine Videokonferenz starten!" Kein Händeschütteln, kein Ellenbogen-Check, stattdessen die Rechte kurz angehoben und ein leichtes Nicken. Damit steuerte sie bereits eilig das winzige Badezimmer an. "Ich störe vielleicht doch." Brachte Jannäus-Niklas hervor, sich energisch zur Contenance anhaltend. "Nein, alles in Ordnung." Bodhi Karuna wirkte verdächtig amüsiert, was Jannäus-Niklas ihm nicht verdenken konnte. In diesem Moment flitzte dessen Mutter schon aus dem Badezimmer, erstaunlich verwandelt: eine athletische Person mit apart-kantigen Gesichtszügen und einer schlicht metallgerahmten Brille. Die gefütterten Sporthosen waren unverändert, ebenso die filzigen Stricksocken. Statt T-Shirt und Sweatshirt in Batikoptik mit verblassten Aufdrucken kleidete sie nun ein rosafarbenes Twinset mit falschen Perlen. Und darüber... Tatsächlich waren die langen, sehr glatten und dicken Haare in einem rötlichen Braun nicht mit Bodhi Karunas kringeliger Krause zu vergleichen. Zudem trug der seine Haare auch nicht nur in einzelnen Zöpfen wie ein Hahnenkamm entlang eines Streifens von Stirn bis zum Nacken oder waren die Schädelseiten beidseitig rasiert, damit man erdfarbene Tätowierungen, die an komplexe Wellenmuster erinnerten, bewundern konnte. Nun, ohne Zöpfe, im Mittelscheitel, wirkte Bodhi Karunas Mutter sehr seriös, konservativ mit einem Hauch femininer Farbe durch das Twinset. Zumindest bei den Partien, die man in der Videoaufzeichnung zu sehen bekam. Bodhi Karuna schmunzelte ungeniert, während Jannäus-Niklas ob seiner nicht zu tarnenden Verblüffung rot anlief. "Gehen wir in die Küche. Klein, aber durch die Tür gut schalldämpfend." Er legte einen Notizblock aus nur einseitig bedruckten Flugblättern aus, setzte Wasser auf. "Ist Hagebuttentee in Ordnung? Sonst musst du mit Nylonstrumpf-Teebeuteln auskommen." Jannäus-Niklas stutzte, ließ sich die Recycling-Variante vorführen. "Das ist echt praktisch." Stellte er fest, denn Nylonstrümpfe gingen ja mal kaputt und Klammern für den Becherrand würden sich auch finden. Bodhi Karuna lächelte, während er das Wasser ausschenkte und den Rest in eine Thermoskanne füllte. "Deshalb bin ich gern mit dir zusammen. Du fühlst dich nicht... 'cringe', richtig?, wenn ich mich anders verhalte. Es fällt mir auch nach zwei Jahren noch schwer, 'normal' zu sein. Ich bin es nicht gewöhnt, langfristige Verpflichtungen einzugehen oder fest an einem Ort zu bleiben." Ja, das konnte man nicht bestreiten! Rigoros kämpfte Jannäus-Niklas die gehässige Stimme in seinem Hinterkopf herunter, die mal wieder was von Herumzigeunern, Prekariat und Hippie-Unsitten ätzte. Jannäus-Niklas wandte sich herum, fädelte die dünnen Arme unter Bodhi Karunas, bot trotz schmächtiger Gestalt eine Umarmung an, welche engagiert erwidert wurde. Trotz all der anderen, des Harems, schien sich Bodhi Karuna isoliert zu fühlen, nicht "normal". Für die üblichen Lebens- und Konsumumstände hier. "In Ordnung." Legte Jannäus-Niklas entschieden fest, äugte hoch in die dunkelbraunen Augen. "Dein Interesse an Kochkunst werden wir mit meinem Ernährungsplan kombinieren. Wir werden jede Gelegenheit zum Wissenstransfer nutzen. Das erfordert viel Energie und Zeit, sodass wir für alberne Balz-Rituale mit Ankoppelungen keine Muße haben! Mutmaßlich wird sich dein Harem nicht Marvi-diots dämlicher Andeutung anschließen. Ergo bin ich weiterhin 'ein Kerl'... nun, aktuell eher 'Kerlchen', weshalb sie nichts zu bestellen haben. Das sollte uns genug Fußfreiraum bieten!" Verkündete er ebenso unerbittlich ernst wie tatendurstig. All diesen Zumutungen der letzten Zeit würde er die Stirn bieten, aber hallo! Selbige steuerte gerade Bodhi Karuna an, küsste sie sanft. "Ich mag dich wirklich sehr, Jannik." ~(___)~ Das Picknick-Paket war deutlich größer. Jannäus-Niklas, der sich schon an den Kuss auf die Wange gewöhnte, studierte beim Mittagessen irritiert das Ausmaß. "Weißt du, ich muss nicht bereits nächste Woche ein schwergewichtiger Riese sein." Gab er Bodhi Karuna zu bedenken, der sich niederließ, die Last entzurrte. "Das da ist für deine Mutter und Bobby. Nach ihrem freien Tag gestern müssen sie ja wieder Schichtdienst leisten, richtig? Der hier ist für uns." Die Glasschüsseln wirkten etwas ungewohnt, da es sich um flache Vorratsbehälter handelte. "Das sind Mikrowellen-Brownies als Kuchen. Ohne Ofen." Das appetitlich duftende Gut nötigte Jannäus-Niklas, energisch das eigene Speicheln zu unterdrücken. "Ähem... das hat nichts mit dem Datum zu tun, oder? Der Vierzehnte?" Bodhi Karuna, der Gabeln austeilte, lächelte. "Nun, Freitag der Dreizehnte ist, wie ich gelernt habe, kein guter Tag, wenn man in einem Horrorfilm mitspielt. Allerdings war es wirklich eine Generalprobe für den Montag in einem Monat." Valentinstag. Jannäus-Niklas, der schon eine Gabel belud und kostete, seufzte. "Dann mit leuchtend rotem Zuckerguss und diesen... Gummiherzen!" Zumindest glaubte er, sich an solche Süßigkeiten zu erinnern, bloß hatte er, die Migräne auszutricksen, für sich selbst Zucker und Süßigkeiten drastisch reduziert. An seiner Seite runzelte man sub Oktopus-Läusewärmer die Stirn. "Also, ist diese Glasur obligatorisch?" Ein gewisser Mangel an Begeisterung ließ sich kaum überhören. Kauend, weil es wirklich lecker mundete, verengte Jannäus-Niklas die Augen in konzentriertem Nachdenken. "Wenn du die Flüssigkeit durch eingelegte Schwarzkirschen ersetzt? Rote Beete ginge wohl auch, die gibt es vorgedämpft. Allerdings im Vakuum-Mäntelchen." Für eine kitschige Prahlerei farblich gesehen äußerst passend. "Wir könnten uns am Sonntag davor treffen. Der Einbauherd hat einen Ofen, den meine Mutter auch schon genutzt hat. Wir könnten zur Not auch Plätzchen mit gefärbtem Teig backen." Demonstrativ hier futtern, um einigen NEIDHAMMELN so richtig die Laune zu vergällen! "Das Angebot nehme ich gern an." Bodhi Karuna lächelte, tippte einen sanften Kuss auf Jannäus-Niklas' Lippen. Der stutzte... und grollte verlegen. "Ich kann eine Serviette benutzen, weißt du? Wir müssen es hier mit der Flirterei nicht übertreiben." Es schien ihm jedoch angesichts Bodhi Karunas breitem Grinsen nicht wahrscheinlich, diese Zuneigungsbekundungen wirksam zu unterbinden. ~(___)~ "So lala." Teilte Jannäus-Niklas telefonisch mit, da er die Einkaufstour (samstags eine Strafe) mit Bodhi Karuna absagen musste. "Schätze, die neuen Untermietenden befinden sich noch in der Orientierungsphase." Grollte er grimmig. Irgendetwas hatte er jedenfalls nicht vertragen, allzu lange in zu vielen Wiederholungen das stille Örtchen blockiert, glücklicherweise alleinig nutzend, da seine Mutter die erste Schicht gewählt hatte und eine Nachtbus-Schicht anbot. Von der anderen Seite der Leitung wurde Mitgefühl bekundet. "Du möchtest trotzdem kommen? Na ja, ich bin jetzt nicht unterhaltend und pflege sicherheitshalber die Nähe zum Lokus." Gab Jannäus-Niklas zu bedenken. Andererseits hatte sich Bodhi Karuna mit dem gestrigen Mikrowellen-Brownie-Kuchen wirklich Mühe gegeben, fühlte sich möglicherweise recht allein. "Absolviert die Frau Mama wieder einen Mathematik-Parcours?" Sondierte er etwaige vorgelagerte Ansprüche auf Gesellschaft. "Ah... nein, versuch nicht, es mir zu erklären, das ist zu quer für meinen gerade geplagten Schädel. Wenn du trotzdem kommen magst, dann gern. Falls wir Mittag machen, wird zumindest einer es schätzen." Grummelte er, seinen verstimmten Magen massierend. Wenigstens setzte keine Migräne ein! "Ich muss dich aber warnen: wir operieren mit Teebeutel-Tees!" Obwohl er irgendwann mal die andere Variante erproben wollte. Er hörte Bodhi Karuna laut lachen, dann signalisierte dieser ihm fernmündlich, sich gleich auf Schusters Rappen zu machen. Denn, das hatte er eingestanden, mit dem Sozius auf dem Fahrrad würde es so schnell nichts werden. Sie hatten schlichtweg keine Räder und Bodhi Karuna etablierte sich zur Ertüchtigung als Fußgänger vor potentiell höheren Mächten! ~(___)~ "Das ist aus dem Kurs damals, da hat meine Mutter in einer Art Vorschule geholfen. Französisch, eher eine Art Lehrbuch zur Hauswirtschaft." Jannäus-Niklas reichte den kleinen, etwas abgenutzten Band weiter. Kochbücher beherbergten sie nicht. Bodhi Karuna blätterte interessiert, überflog dann den Aufpäppelungs-Diät-Plan. "Ich habe Haferflocken dabei. Wir könnten einen herzhaften Brei machen, mit Gemüse und einem Schuss Kräuteressig. Das wäre für deinen Magen wahrscheinlich ungefährlich." Schlug er vor. Nicht zu schwer, nichts Frittiertes, preiswert, wenig Aufwand in Zubereitung und Kochutensilien. "Ist dir das Mümmelfutter nicht zu schlapp?" Erkundigte sich Jannäus-Niklas argwöhnisch, immerhin hatte sein verbündeter Freund ja Einiges zu unterhalten. Er erntete ein gemütliches Lachen. "Ganz und gar nicht. Eintopfgerichte bin ich gewöhnt, das reicht für viele und ist sehr vielseitig." Geschlagen gab Jannäus-Niklas auf, denn in Sachen Genügsamkeit würde er Bodhi Karuna nie aus dem Rennen schlagen können. Apropos... "Also, wenn wir nicht unbedingt fortwährend lernen wollen..." Jannäus-Niklas ging in die Hocke, um einen Karton hervorzuziehen. "Bobby ist ein Enthusiast für Brettspiele. Digitale Unterhaltung kann ich nämlich nicht bieten, höchstens Radio." Bodhi Karuna ging neben ihm in die Knie, beäugte sehr interessiert das Angebot. "Oh, das ist prima!" Er zwinkerte Jannäus-Niklas zu. "Ich bin nämlich absolut unfähig zu Konsolen- oder Computerspielen. Lange Filme oder Videos schauen strengt mich an." Das entlockte Jannäus-Niklas ein Schnauben. "Na, dann willkommen in der Zeitmaschine zurück in die frühen Achtziger des vergangenen Jahrtausends! Unterhaltung nur analog und selbstgemacht!" ~(___)~ Ja, man konnte sonntags, wenn man aufgeschobene Haushaltsarbeiten erledigt hatte, auch ein wenig an die frische Luft gehen, dabei für die kommende Woche angekündigte Lernstoffabfragen diskutieren, aus dem Rucksack als Wegzehrung belegte Doppeldecker und eine Thermosflasche holen. Die Zeit flog dahin, jenseits von irgendwelchen Plattformen in virtuellen Welten. Der innere Misanthrop bekam keine Gelegenheit, boshaft-hämische Kommentare abzulassen, weil Jannäus-Niklas sich einfach amüsierte und ein wenig mehr wie seine großherzige, umgängliche Mutter fühlte. ~(___)~ Der aufgeschobene gemeinsame Einkauf für die werktägliche Mittagsmahlzeit wurde am folgenden Montag nachgeholt, wobei sich belegte, was Bodhi Karuna so unbefangen angekündigt hatte: er besorgte sich trockene Vorräte zur Lagerhaltung. Linsen, Erbsen, Trockenbohnen, losen Naturreis, Haferflocken und Getreidekerne. Essig, Öl, Senf, Tomatenmark, Salz, Hefeflocken. Losen Tee unterschiedlicher Mischung und getrocknete Kräuter. Kakaopulver, Rübensirup, Instant-Kaffee. "Ich habe Spitzkohl und Möhren fermentiert, aber das geht besser, wenn es etwas wärmer ist." Zudem war die Küche ja winzig und recht wenig Platz, um diverse Gläser mit aktiven Milchsäurebakterien länger zu beherbergen. "Backst du das Brot auch selbst?" Jannäus-Niklas beäugte seine Einkäufe, kam sich ein wenig zu abhängig von Vorprozessen vor. Zudem hatte er ein Angebot genutzt und Knäckebrot in Packungen gestapelt. Bodhi Karuna, unempfindlich für den grämlichen Tonfall, lachte hinter der Maske. "Ich habe gelernt, wie man Teig ansetzt, das ja. Aber meistens gibt es einen Backofen in der Nähe, wo man backen lässt, oder man macht nur flache Fladen in der Pfanne. Mit diesen Automaten kenne ich mich gar nicht aus. Wenn wir hier Brot brauchen, kaufe ich die reduzierten Laibe vom Vortag, die schon hart sind." Jannäus-Niklas seufzte vernehmlich. "Dass eins klar ist: zu den Pfadfindern begleite ich dich nicht. Und Zelten, Hausen ohne fließendes Wasser aus der Leitung und keine Toiletten: da bin ich raus!" So weit zurück zu Ur-Zeiten musste er wirklich nicht! Als Antwort hörte er ein Glucksen. "Ich glaube, ich muss doch mal nach diesen Gummi-Herzchen suchen!" Drohte er finster, steuerte demonstrativ das lange verschmähte Regal der Süßigkeiten an. ~(___)~ Ihr mittägliches Picknick erweckte Neid, blöde Kommentare, schnippische Bemerkungen. Jannäus-Niklas entschied hoheitsvoll, diese Petitessen souverän zu übergehen, denn, das konnte er nicht übersehen, Bodhi Karuna wirkte entspannt und gut gelaunt, weil zwischen ihnen nichts zu klären war, keine Beziehung austariert werden musste. Zudem fragte er nun öfter vertrauensvoll nach, entgegen dem Eindruck gab es nämlich doch einige Sprachbarrieren zu überwinden. Da half die beste Mutmaßung nach Tonfall, Mimik und Körperhaltung nicht. Bodhi Karuna vertraute ihm, sowohl seiner Hilfsbereitschaft als auch seiner Diskretion, da wollte man selbstverständlich die Erwartungen auch erfüllen! Was nicht hieß, dass Jannäus-Niklas nicht noch einige Überraschungen erlebte. "Pst! Warum sieht dich der hauseigene Bibliotheks-Drachen so finster an?" Wisperte er im Lesesaal etwas argwöhnisch Bodhi Karuna zu, der an seinen Aufgaben arbeitete. Die dunkelbraunen Augen suchten erst seinen Blick, dann wanderten sie zum urzeitlichen Reptil. "Ach. Das könnte daran liegen, dass ich nichts ausleihe." Antwortete er leichthin, die Maske justierend. "Wieso nicht?" Jannäus-Niklas ahnte die Replik, aber wie gewohnt wollte er bis zur bitteren Neige die Wahrheit erkunden. "Ich hab keinen Leseausweis." Ergänzte Bodhi Karuna leichthin. "..." "Aber... wenn du es nicht in einem Sitz schaffst, dann...!" Sammelte sich Jannäus-Niklas mit einiger Mühe. Zugegeben, für den Leseausweis hatten Jugendliche ab 12 Jahren einen geringen Jahresbeitrag zu zahlen, und ein Jahr konnte für einen Wandervogel eine zu lange Spanne sein, sich an einem Ort aufzuhalten. Aber wenn man nun etwas wirklich Interessantes oder Spannendes las! Bodhi Karuna lächelte, auch wenn man nur seine dunkelbraunen Augen sehen konnte. "Dann ist es am nächsten Tag da. Oder auch nicht. Ich könnte auch nicht mehr da sein. Es gibt ja selten nur einmalige Gelegenheiten." Zudem würde ein findiger Bursche wie dieser Paradiesvogel schon einen Ausweg oder eine eigene Antwort finden. Jannäus-Niklas seufzte, massierte sich in Gewohnheit die Schläfen, auch wenn er keine heimtückische Schmerzattacke in Lauerstellung registrierte. "Du wirst mir auch bestätigen, dass du keine Zen-Anwandlungen mit dem Streben nach dem Nichts verfolgst." Eine große Hand strich Jannäus-Niklas sanft über die viel zu langen, bedauerlich fisseligen Schnittlauchlocken. "Es gebricht mir an Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, hat man mir erklärt. Seinen Geist zu beherrschen, seine körperlichen und seelischen Zwänge zu überwinden. Meine Mutter sagt, alles ist Energie, Teilchen und Wellen. Auf dieser Ebene sind Absichten, Ideale, Hoffnungen, Sehnsüchte nicht existent. Nicht nötig. Alles nicht mehr als ein kurzes Schauspiel auf der Bühne in unserem Gehirn. Wie bei Shakespeares Macbeth." Bodhi Karuna zwinkerte. "Meine Mutter verfügt über den Verstand, sehr knifflige mathematische Fragestellungen zu lösen. Ich vertraue ihrem Urteil." Erst, als sich Flusen auf seiner Zunge von der Maske sammelten, hob Jannäus-Niklas die Kinnlade von den Knien. "... schön. Das erleichtert mich. Ich schlafe nämlich jedes Mal ein, wenn wir uns beim Sport in eine entspannte Meditationsphase begeben sollen." An seiner Seite gluckste man unterdrückt, glättete sanft die ungezogen-statisch geladenen Spaghetti-Fransen. ~(___)~ Jannäus-Niklas stellte fest, dass es Routine war, sich mit Bodhi Karuna zu treffen, gemeinsam zu lernen, über Rezepten zu brüten, über die Brettspiele zu sprechen und zusammen zu lachen. Frisbee werfen, spazieren gehen, Comic-Strips lesen. Kein Spott über Jannäus-Niklas' innig geliebten Plüsch-Beagle, mit dem er sich den Kosenamen teilte. Andere Kleinkinder brauchten Nuckel/Schnuller, er selbst war, wo auch immer es hin ging, mit "Snoopy" bereit. Keine Kritik an den zahlreichen Filmklassikern, die Jannäus-Niklas kannte, wenn auch nicht immer gesehen hatte. Zudem hatte Bodhi Karuna ja selbst vorgeschlagen, sich kulturell ein wenig breiter aufzustellen, nicht wahr? Zusammenfassend: er hatte großen Spaß mit seinem "festen Freund". Deshalb machte sich Jannäus-Niklas am letzten Januar-Sonntag auch nur widerwillig auf, seinem Großvater einen Pflichtbesuch abzustatten. ~(___)~ Die Kapuze des Sweatshirts unter seiner Winterjacke über den Kopf bis quasi zur Oberkante Maske gezogen kauerte Jannäus-Niklas draußen, die dünnen Beine hoch auf die steinerne Stufe gezogen, ein kompaktes Päckchen. Keine Behälter fürs Picknick an seiner Seite. "Sprich mich nicht an!" Zischte er Bodhi Karuna zu, der sich gewohnt geschmeidig neben ihm niederließ. Folgsam verzichtete Bodhi Karuna auf jedwede Äußerung, verteilte seinen Anteil des Mittagessens. Magenknurren neben ihm, Zeichen dafür, dass zumindest ein Part entschieden hatte, sich nicht hinter den Palisaden zu verbergen. Ohne Kommentar halbierte Bodhi Karuna seinen Imbiss in zwei Portionen. Zum Ende der Pause stellte er die Behälter zusammen, erhob sich, zupfte sich den kulleräugigen Strickaufsetzer vom Kopf und platzierte ihn über die Kapuze. Zwei verdutzte Augenpaare folgten seinem schweigsamen Abgang. ~(___)~ Einen Oktopus auf dem Schoß zu balancieren verkörperte nicht den Trost eines Plüsch-Snoopys, aber man konnte ihn auch knuddeln und er wärmte dank Material verkrampfte Organe in Reichweite, die wenigstens davon absahen, vernehmlich lärmend den Unterricht zu torpedieren. ~(___)~ Jannäus-Niklas wartete vor dem Schulgelände, den Oktopus im Arm. Montags blieb die Bibliothek verschlossen, sodass man sich anderweitig verlustieren musste. Bodhi Karuna näherte sich leichtfüßig, bremste kaum, bevor er ihn in die Arme zog, Gruppenkuscheln mit Oktopus dazwischen. "Es tut mir leid." Vertraute Jannäus-Niklas der Brustpartie an, die hälftig sein Gesicht berührte. Er atmete bis in die Zehen hinab. "Ich... wollte auf keinen Fall... dass du zum Blitzableiter wirst." Eine große Hand löste sich, streichelte ihm wiederholt über Nacken und verspannte Rückenpartie. "Das gestern... war so... bescheuert und..." Er schluckte grimmig, legte den Kopf in den Nacken, um nach den dunkelbraunen Augen zu forschen. Der Ältere erwiderte seinen Blick ohne Groll, aufmerksam und geduldig. Jannäus-Niklas seufzte, entzog sich jedoch nicht der Umarmung. "Irgendwie... hat er es mitbekommen. Mein Großvater. Dass ich einen...Freund habe." Galle stieg Jannäus-Niklas hoch, er würgte und schnaubte. "Sonst war es immer... das gleiche, elende, erbärmliche Geschwätz. Die Welt ist eben schlecht, alle sind doof, und so weiter und so fort. Bloß gestern... da wurde er persönlich." Ärgerlich blinzelte Jannäus-Niklas, was nicht half. "Klar, ich sollte nicht zuhören, alles auf Durchzug... Aber... aber das war alles so..." Er brach ab, wischte sich brüsk mit einem Handrücken über die Augen. "Ich wollte das nicht, nie, ich meine, ihm die Genugtuung geben! Das war so... so beschissen, dass ich mich nicht zusammenreißen...! Ich bin aufgestanden und gegangen, ja, trotzdem... Er hat mich zum Heulen gebracht, weißt du?! Diesen Triumph wollte ich NIE, NIEMALS zulassen!" Schniefend wandte Jannäus-Niklas eilig den Kopf ab. "Ich weiß, dass er ein Ekelpaket ist, dass er nur darauf lauert...! Wie bei Haien, die riechen auf Kilometer, wenn Blut im Wasser ist! Also keinen Vorschub leisten, nie reagieren..." Jannäus-Niklas schüttelte den Kopf. "Verdammt. Positiv gesehen könnte es sein, dass die Pubertät jetzt doch einsetzt. Wie war das gleich mit emotionalen Ausnahmezuständen?!" Schloss er mit einem bitteren Auflachen ab. Bodhi Karuna wiegte ihn leicht, kein Zurückweichen, keine Vorwürfe, kein Verlangen nach Entschuldigung. "Es nervt mich fürchterlich, dass ich ihm diese Gelegenheit geboten habe! Und dann konnte ich nicht schlafen und ich hab das Frühstück vergessen und überhaupt...! Ich wollte bloß nicht, dass ausgerechnet bei dir die Lunte abbrennt." Bei der einzigen Person, der er heute begegnet war, die ein größeres, privates Interesse an ihm hegte. "Du kannst übrigens wieder mit mir sprechen." Lud er, nun doch nervös, zu einer Einlassung ein. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Bekannte Bodhi Karuna ohne Umschweife, blickte ihn direkt an. "Von Vätern oder Großvätern verstehe ich nichts." Seine Miene wirkte versonnen. "Man hat mir gesagt, dass ich von Beziehungen einfach keine Ahnung habe. Wenn es anstrengend wird, ziehe ich weiter, muss mich nicht bemühen. Das ist ein Eindruck, den ich nicht bestreiten kann. Allerdings streite ich auch höchst selten." Er zwinkerte Jannäus-Niklas zu, der grimassierte. "Du wirst es vielleicht nicht gern hören... tendenziell Zen-mäßig... Die wichtigste Person in meinem Leben ist meine Mutter. Ich kann ihr blind vertrauen, sie versteht mich und nimmt mich, wie ich bin. Dieser Umstand ist meine Basis, meine Verankerung in der Welt. Meine Gewissheit." Ein Lächeln tanzte um seine Mundwinkel. "Was auch kommt: das ist mein Kern. Wenn mich andere nicht leiden können, weil ich bin, wie ich bin, dann ist das nicht meine Last. Sondern ihre eigene." Jannäus-Niklas, der es nicht leiden konnte, auch nur in den Ruch eines "Muttersöhnchens" zu kommen, staunte. Seufzte dann laut. Klar, dieser exotische Paradiesvogel wand sich nicht in lächerlichen Verklemmungen! "Schön. Sehr philosophisch, ganz recht... mir geht es ähnlich. Bis auf den kleinen Unterschied, dass ich mir einfach nicht abgewöhnen kann, überflüssige Idiotenmeinungen im Hirn umzuwälzen!" Was zu Einschlafschwierigkeiten, Chaos im orchestrierten Tagesablauf und extrem übler Laune führte, obwohl man es doch besser wissen sollte! Unterdessen gab Bodhi Karuna ihn frei, topfte sich den geknuddelten Tintenfisch auf den Kopf und kaperte Jannäus-Niklas' Hand. "Ich glaube, ich weiß, was hilft." Wenn Jannäus-Niklas nicht in dieser Melange aus Wut auf sich selbst, Enttäuschung, Frustration und Empörung seiner Mutter gegenübertreten wollte, dann konnte man Frisbee werfen und zu fangen versuchen, bis sie auf dem Zahnfleisch gingen! ~(___)~ Merklich erledigt und äußerst hungrig traf Jannäus-Niklas mit Verspätung zu Hause ein. Sein unziemlicher Aufbruch aus dem großelterlichen Domizil war erwartungsgemäß kommuniziert worden, weshalb er sich auch in einer tröstenden Umarmung fand, kaum an der Flurgarderobe angelangt. "Snoopy, hör nicht auf den alten Kauz, ja? Du weißt doch, was mit ihm los ist. Wenn du erst mal nicht mehr hingehen willst, ist das in Ordnung." Jannäus-Niklas erwiderte die zweite innige Umarmung an diesem Tag ebenso engagiert. Ja, seine Mutter war auch für ihn die wichtigste Person auf der ganzen Welt, die Stütze, der moralische Gradmesser, das Vorbild. Er sollte es besser wissen, hätte darauf vorbereitet sein müssen, aber~aber es hatte ihn einfach überrascht, wie angegriffen, herabgesetzt, getroffen er sich gefühlt hatte. Obwohl diese "Beziehung" keine sexuelle Komponente aufwies, eher eine sich verstärkende Freundschaft war. Die Details spielten in diesen kritischen Augenblicken jedoch keine Rolle. Was Jannäus-Niklas bewies, dass es darauf nicht mehr ankam: Bodhi Karuna WAR sein fester Freund. "Ich glaube, mir reicht das für eine Weile. Wir haben lange genug versucht, Brücken zu bauen." Doch wenn weder Tochter noch Enkel Gnade in den Augen des stänkernden Misanthropen fanden, konnte man die Zeit auch besser nutzen. Wobei Jannäus-Niklas seinem Magen Folge leistete, der lärmend zum Appell antrat: Essen fassen, dann Koje und olympische Augenringe vertreiben! ~(___)~ "Hcchhhrmchhhrr!" Grimmig wiederholte Jannäus-Niklas das Räuspern, doch es klang immer noch nach kolkender Saatkrähe, wobei die sich außerhalb der Wohnung damit amüsierten, verbliebene Nussmumien auf dem Asphalt zu platzieren, damit Fahrzeuge das Knacken übernahmen. Er warf die Stirn in Falten, was man nicht mal mehr erahnen konnte dank Zippelfransenvorhang. Also, der obligatorische Schnelltest hatte nicht angeschlagen, das Hirn war, nun, vorhanden und einigermaßen aufgeräumt, die Nase unauffällig... "Komisch." Konstatierte er krächzend. Wenn einen nicht das aufdringliche Corona-Virus samt Mu-Tanten oder anderen familiären Anhängseln erwischte... ~(___)~ "Schick." Bemerkte Bodhi Karuna zum Ostfriesennerz samt praktischer Kopfbedeckung mit Ablaufrinne. "Das ist noch gar nichts!" Wies Jannäus-Niklas zurück, ließ sich trotz Schauer und damit verbundener Nässe an die grelle Skijacke drücken. Der Oktopus glitzerte tropfenbehangen und wirkte, als wolle er die Gelegenheit zum Spaziergang in SEINEM natürlichen Element nutzen. Während Bodhi Karuna nach innigem Knuddeln ein wenig mehr Raum gewährte, krächzte Jannäus-Niklas erneut, zupfte sich dann den Regenhut vom Kopf. "Oh, das ist ja...!" "Wir vermeiden das N-Wort!" Erinnerte er Bodhi Karuna streng an ein wesentliches Gebot. Der grinste und streichelte sanft über die sehr kurzen Haare. "Warst du beim Friseur?" "Nein!" Widerlegte Jannäus-Niklas die gängige Vermutung, hob die Arme und demonstrierte unsichtbare Bizeps-Muskeln jenseits des Ostfriesennerzes. Er berichtete Bodhi Karuna vom vergangenen Abend, während sie unbeeindruckt vom Nieselregen ihr Menü ausbreiteten. Wie er, um eine schier unglaubliche These zu überprüfen, sich bemüht hatte, am Malerkreppstreifen am Türrahmen per Bleistift seine "Meereshöhe" zu bestimmen. Aber die wirren, überlangen, zauseligen Zippel auf dem Schädel, da KONNTE man ja keinen Scheitelpfad zur Auflage des Stifts gescheit anbringen! Weshalb er erbost (und herausgefordert durch eine unpassende Bemerkung) selbst zur Schere (Bypass) gegriffen hatte! Erst das Gefiesel angefeuchtet, dann hochgestellt per Kamm (statische Elektrizität erwies sich als hilfreich) und dann zwei Fingerbreit unter der Scherenklinge...! Das kostete aber Muskelkraft und verlangte Ausdauer, mein lieber Schwan! Wie er so mit sich selbst sehr zufrieden war, weil a) Geld gespart b) Ressourcen geschont und c)... zugegeben, Haarspende für Perücken fiel aus, hatte er NOCH MAL den Malerkreppstreifen konsultiert. "ZWEI Zentimeter!" Das blöde Gekrächze kam also unzweifelhaft vom einsetzenden Pubertätsschub aufgrund der angesiedelten Untermietenden am Gürteläquator und der besseren Futterverwertung! "Klingt zwar, als würde ich mit einem Sack Nägel gurgeln, aber wir sind auf dem richtigen Weg!" Verkündete Jannäus-Niklas sehr aufgeräumt, reichte Bodhi Karuna eine Essiggurke. Ein unzivilisierter Pfiff ertönte, Markenzeichen von Chauvinismus und primitiver Gesinnung. "Leg dir ein eigenes Leben zu, du Schnarchsack! Neidhammel!" Brüllte Jannäus-Niklas mit Verve, die temporär verfügbare tiefere Stimmlage energisch auskostend. Der Adressat, Marvi-diot, reagierte mit einer obszönen Geste. Was man eben bei geistigen Tieffliegern, die schon bei geschälten Bananen dümmlich kicherten, erwarten konnte. "Ich muss mir in Erinnerung rufen, was es für eine Strafe ist, so wie er zu sein. Lebenslänglich, ohne Aussicht auf Besserung." Grummelte Jannäus-Niklas, klang nicht mehr wie ein kläffender Spitz. Bodhi Karuna lachte, beugte sich zu ihm, küsste ihn warm auf die regenfeuchte Wange. "Schön, dass der Plan klappt und du keine von diesen Hormonpräparaten benötigst!" Entschieden nickend kaute Jannäus-Niklas seinen belegten Doppeldecker gründlich durch. "Ja, und auch wenn ich vielleicht irgendwann mit einem Funkturm verwechselt werde, so kann ich bisher nicht feststellen, dass mich triebhafte Anwandlungen überfallen." Stellte er eher utopische Zukunftsperspektiven vor. Was er äußerst beruhigend empfand. An seiner Seite gluckste Bodhi Karuna amüsiert. "Darum mache ich mir keine Sorgen. Du bist so ernst- und ehrenhaft, dass ich mich nicht als 'gefährdete Art' ansehe." "Bitte, wie? 'Gefährdete Art'?" Wiederholte Jannäus-Niklas, eine Augenbraue kritisch unter den Regenhut wandernd. "Als wehrloser, exotischer Paradiesvogel." Zwinkerten die dunkelbraunen Augen schelmisch. Was belegte, dass Bodhi Karuna ein aufmerksamer Beobachter und einsichtsvoller Zuhörer war. ~(___)~ "Ich bin nicht überzeugt, dass mir das gut tut." Brummelte Jannäus-Niklas ungnädig. Ja, es war Sonntag, erstes Februarwochenende, kalt, aber klar und zunehmend sonnig. Warum man quasi einen "Wandertag" daraus machen musste... Aber am Freitag hatte es Halbjahreszeugnisse gegeben, üblicherweise nach der dritten Schulstunde Rausschmiss, damit arbeitstätige Eltern sich Gedanken machten, was der Nachwuchs anstellte. Nur ein weiteres Mal wurde aus Pandemie-Gründen angeboten, Nachhilfe-/Verstärkungs-/Wiederholungsstunden unter Aufsicht zu absolvieren. Jannäus-Niklas zog die Bibliothek vor. Dass Bodhi Karuna sich anschloss, verwunderte ihn nicht mehr, als Team waren sie schließlich erprobt, der Umgang mit dem älteren Freund entspannt. Zudem schien sich Bodhi Karuna nie zu langweilen! Allerdings forderte das konzentrierte Erforschen der Welt und dessen, was sie zusammenhielt, auch Ausgleichsmaßnahmen, weshalb Bodhi Karuna nun lachte, den Rucksack gefüllt mit Proviant, der unvermeidlichen Wurfscheibe und einer groben Picknickdecke. Andererseits: es war nett. Die ersten Anzeichen des Frühlings konnten betrachtet werden, Schneeglöckchen im Schatten, in der Sonne Krokusse und Winterlinge. Christrosen wurden langsam von Lenzrosen eingeholt. Zu Fuß blieb das Tempo so gemächlich, dass man auf die Einzelheiten in der Umgebung achten konnte. Wenn man sich allzu unbekümmert fühlte, konnte man schließlich Lehrstoff repetieren. Im Park gab es unterschiedliche Bäume zu bestimmen (nicht alle waren "beschildert"). Hier und da flitzte ein Eichhörnchen flink von Baum zu Baum. Irgendwo morste ein Specht, ziemlich zeitig, um Empfang oder gar Anschluss zu prüfen. Natürlich konnte man auch drinnen lagern, Serien oder Filme oder Musik konsumieren, im schlimmsten Fall ein Buch lesen. "Ich finde, ein bisschen Tapetenwechsel, ist das Wort korrekt?, entspannt. Man steigt ja auch nie in denselben Fluss zweimal, richtig?" Grimassierend quittierte Jannäus-Niklas die freie Übersetzung von panta rhei (Heraklit) mit einem Schnaufen. "Ja, schön, und vermutlich möchte der Sternenstaub sich auch mal amüsieren!" Wenn er schon temporär in eine Form gezwungen wurde, sich nicht begeistert dem Ur-Zustand des Chaos hingeben durfte. Glucksend fischte Bodhi Karuna eine kleine Hand ab, umschloss sie mit seiner. Nun hätte Jannäus-Niklas durchaus einwenden können, dass er noch nicht so erledigt oder wacklig war, einer Stütze/Zugmaschine zu bedürfen, doch er verabschiedete diesen Konter entschieden, denn es war nett, im gleichen Takt zu flanieren, ein wenig die Arme zu schwingen, in die Sonne zu lächeln und die kalte Winterluft ohne Maske zu inhalieren. Sein Spitznamen-Pate wäre vielleicht in ein wildes Tänzchen ausgebrochen, weil das Leben durchaus nette Momente zu bieten hatte. Jannäus-Niklas, der sich nicht als Eintänzer blamieren wollte, wählte die von Bodhi Karuna so unbefangen offerierte Alternative: Händchen halten und sich miteinander vertraut fühlen. ~(___)~ Der Montag brachte auf der Plattform natürlich zuerst die geänderten Regeln: FFP2-Maske für den Einzelhandel und zwar unterschiedslos für alle Ladengeschäfte, veränderte Quarantäneregelungen, dazu steigende Zahlen von nachgewiesenen Infektionen, Ankündigungen von Änderungen bei den kostspieligeren Test-Nachweisen wegen einer begrenzten Verfügbarkeit. "Rosa" Zeiten als Wochenvorlauf vor dem Valentinstag, also Pralinen, Schokolade, Blumen, Duftwässerchen, Alkoholika. Eine Praxis des Versands von Valentinskarten existierte nicht, was zumindest auf Seiten der Zellulose-Nachhaltigkeit einen Pluspunkt einbrachte. Und der Marvi-diot ließ es sich nicht nehmen, mal wieder zu sticheln. "Irgendwer muss ihm das mit der 'Verantwortungsgemeinschaft' vorgelesen haben. Und dabei seine Ohren zuzementiert, weil das sonst prompt durchgeflogen wäre. Da herrscht ja üblicherweise Leerstand im Oberstübchen." Kommentierte Jannäus-Niklas ärgerlich. Eine "schöne Perspektive" für alle von der "Regenbogen-Rangliste", auch die, die "je mehr, je lustiger" bevorzugten. Haha. Poly-amouröse Verhältnisse, da sabberte sich der Gehirn-Eunuch voll! Bodhi Karuna zuckte gleichmütig mit den Schultern, überwand die 18 Zentimeter mühelos, dippte einen Kuss auf die grimmigen Lippen. "Vielleicht beschäftigen ihn diese Dinge so sehr, weil sie SEINE Hoffnung sind?" Demonstrierte er gelassen einen anderen Betrachtungswinkel, zwinkerte. Jannäus-Niklas starrte ungläubig in die dunkelbraunen Augen, die Kinnlade ausgehängt. "Das..." Er räusperte sich trotzig. "Das wäre eine andere Perspektive. Obwohl ich ja schon daran zweifle, dass genug Grips vorhanden ist, um so viel Urteilsfähigkeit zu ermöglichen!" Bemerkte er giftig, mümmelte an einer halbierten Möhre. "Manchmal leiten eher unerwartete Boten glückliche Fügungen ein." Sinnierte Bodhi Karuna leichthin, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. Daraufhin entschied Jannäus-Niklas, es damit sein Bewenden haben zu lassen, schließlich wollte er DIESEM Eumel nicht auch noch dankbar sein, dass er mit Bodhi Karuna bekannt geworden war! ~(___)~ Die juristische Option der "Verantwortungsgemeinschaft" würde nach offiziellen Verlautbarungen noch ein wenig auf sich warten lassen. Was dies nicht tat, waren Prüfungen, Tests, Referate oder Kurzvideos. Multimediales Lernen durch Anwenden verschiedener Kulturtechniken. Jannäus-Niklas war froh, sich mit Bodhi Karuna diesen Herausforderungen stellen zu können. Was ihm an Geduld gebrach, brachte der Ältere mit unerschütterlicher Zuversicht mit, während Jannäus-Niklas in ernsthaftem Beharren jede Aufgabe nach bestem Vermögen zu erledigen trachtete, auch wenn Improvisation erforderlich sein sollte. "Wir sind ein prima Team." Stellte er halblaut fest, aus Gewohnheit, auch wenn der Bibliotheks-Drachen nicht in der Nähe lauerte. "Das finde ich auch. Ich glaube, ich werde jetzt besser abschneiden, denn früher war es schwieriger, sich auf die Aufgabenerledigung zu konzentrieren." Verständlicherweise, sogar für Jannäus-Niklas, der sich den ehemaligen Harem vor Augen führte. Zwei Jahre Pandemie, stark reduzierter sozialer Austausch und bei den raren Gelegenheiten dann eben anderweitig interessiert, zudem noch andere Erwartung an "das Leben". Bodhi Karuna ließ durch Erzählungen ahnen, dass er gewisse "Standards" gar nicht pflegte: auf Partys zu gehen, in Clubs oder Diskos. Shopping, Chillen, Shisha-Bar (von außen neidvoll inspiziert), elektronische Stehroller nutzen, Urlaubsreisen, von kostspieligen Mobilgeräten oder Diensten jedweder Art über das Internet ganz zu schweigen. Das mangelnde Verlangen stempelte ihn indirekt zum Außenseiter. "Ich bin in diesem Kulturkreis noch nicht ganz angekommen." Pflegte er üblicherweise gutmütig zu bemerken. Jannäus-Niklas konstatierte für sich, dass dieser "andere" Erfahrungs- und Erwartungshorizont es ihm leicht machte, sich anzuvertrauen, nicht kratzbürstig mit einem Bein "in der Gruft" zu reagieren wie ein Rumpelstilzchen. Weil er sich selbst zurücknahm, es als nicht akzeptabel ansah, dubiose Standards zu verfolgen, die ihre finanzielle Situation verschlechterten. Oder ihm Privilegien verliehen, die auf Kosten und Zeit seiner Mutter gingen. Mit Bodhi Karuna war es unnötig, die wirtschaftliche Lage zu diskutieren, Spargebote, Genügsamkeit, Zurückhaltung. Seitdem es außer dem Marvi-diot niemanden mehr gab, der alte Stänkerer abgehakt, über den er sich aufgebracht echauffieren konnte, hatten sie ungetrübten Spaß, bestand nicht die Gefahr, boshafte, hämische, verletzende Kommentare unbedacht entweichen zu lassen. Neben den Schulaufgaben, den Spaziergängen und Einkäufen, dem Wurfscheiben-Training konnte man sich auch der "Auftau-Liste" widmen: was jemand wissen sollte, wenn die ersten dreizehn Jahre der Existenz sich NICHT in der Bundesrepublik Deutschland abgespielt hatten. Gewohnt ernsthaft pflegte Jannäus-Niklas wie bei populären Gesellschaftsspielen bestimmte Themen als Stichworte zu wählen. Ressorts, Fachgebiete, kombiniert mit Jahreszahlen, Besten-Listen, Auszeichnungen. Da wurde es hin und wieder schon sehr erheiternd, weil er selbst Mühe hatte, Bodhi Karuna zu erklären, warum manche Dinge zeitweise so ungeheuer gefragt gewesen waren. Der Bibliotheks-Drache beäugte sie misstrauisch ob dieser Beschäftigung. Was waren das für seltsame Schularbeiten, wo man statistische Aufstellungen quer durch die Walachei studierte?! Nun, eine Quiz-Teilnahme wurde nicht angestrebt, "Superheldende" Tätigkeiten noch weniger, allerdings konnte man sich auch beweisen, wenn man kulinarische Herausforderungen meisterte! ~(___)~ "Also, Pflicht-Schokolade, Freundschafts-Schokolade, Schokolade für die Familie und Schokolade für die aufrichtige Liebe." Bodhi Karuna studierte das blühende Geschäft zum Valentinstag in Japan als Umsatztreiber und Konsum-Anlass. "Nun, ich habe hier einen Rest Kakaopulver für den Brownie-Teig. Ob wir das mit ein wenig Instant-Kaffee strecken können?" Lenkte Jannäus-Niklas ab, beäugte kritisch die vorgeschlagenen Verhältnisse der einzelnen Bestandteile zueinander. Außerdem wollten sie noch Kekse backen, um die Backröhre wirklich auszulasten. Wenn man schon Energie verbrauchte, dann aber im besten Kosten-Nutzen-Verhältnis! "Gute Idee. Kann ich die Tasse hier benutzen? Dann könnte ich den Saft von den Schattenmorellen abmessen." Für rosig gefärbten Keksteig, der nicht matschig geraten sollte, eine Grundvoraussetzung. Jannäus-Niklas nickte eifrig, wandte sich dann der "Unterhaltungsmaschinerie" zu. "Wir sollten nicht zu laut sein, um meine Mutter noch ein wenig schlafen zu lassen." Erinnerte er, präsentierte dann recht abgenutzte Plastikhüllen. "Weißt du, was das ist?" Erkundigte er sich streng. "Ah, das habe ich schon mal gesehen. Damit schreckt man die Vögel von den Saaten auf den Feldern ab!" Retournierte Bodhi Karuna grinsend, was Jannäus-Niklas ein grollendes Schnauben entlockte. "He, ich versuche nur, mit 'digital natives' eine Verständigungsbasis aufzubauen, ja?" Grummelnd sortierte er die CD-Hüllen, der Bibliothek entliehen. Der betagte "Discman", ein mobiles Abspielgerät, war per Adapter mit dem Radio verbunden worden, um die Lautsprecher zur Wiedergabe zu nutzen. "Es gab auch eine Zeit, da waren Tonträger physisch. Keine Datei, kein Streaming, keine Flatrate!" Dozierte er, fächerte die Leihgaben auf. "Nun, womit fangen wir an? Sherlock Holmes? Miss Marple? Die drei ??? oder John Sinclair? Edgar Wallace?" Klassiker, die Bodhi Karuna ein Hörbild davon vermitteln sollten, was man mal ausgenommen von Musik aufs Trommelfell projiziert hatte. Gekürzte Zusammenfassungen von Literatur hatte Jannäus-Niklas ignoriert, man wollte sich ja ein bisschen gruseln. Sich die Augen verdeckend tippte Bodhi Karuna einfach auf eine Hülle. "Hoffentlich verdirbt es nicht den Appetit." Begleitete er ein wenig skeptisch das Aufsetzen der CD, widmete sich dann den einzelnen Teig-Baustellen. Das, wie Jannäus-Niklas bemerkte, schien Bodhi Karuna wirklich großes Vergnügen zu bereiten: er kostete, überlegte, beobachtete, improvisierte, schnupperte. "Sag mal..." Etwas linkisch stupste Jannäus-Niklas ihn an. Aufmerksam wandte Bodhi Karuna sich ihm zu, eine kaum zu verhehlende Begeisterung für ihr emsiges Treiben offenbarend. "Wenn diese 'Verantwortungsgemeinschaft' kommt: ich hätte eine Position als Freund und Leibkoch zu vergeben." Das Lächeln auf den attraktiven Zügen vertiefte sich. "Dann reiche ich mit unseren Leckereien hier meine Bewerbung ein. Ich mag dich nämlich sehr, Yannik. Selbst wenn ich für einen 'Woodstock' ein bisschen groß geraten bin, als Paradies-Vogel gehe ich doch durch, richtig?" Jannäus-Niklas kicherte, schlang schwungvoll die Arme um den überformatierten Piepmatz. Als "Snoopy"-Fan konnte er ja wohl kaum auf diesen besten Freund verzichten! Weil es nichts zu befürchten gab, wagte er auch ein wildes Freudentänzchen mit Bodhi Karuna, ganz wie ihre Vorbilder, die wussten, was das Leben wirklich ausmachte! ~(___)~ Ende ~(___)~ Danke fürs Lesen! kimera