Titel: Morgenröte Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction Serie Rurouni Kenshin von Nobuhiro Watsuki FSK: ab 16 Kategorie: Spannung Erstellt: 07.08.2003 Disclaimer: Die Serie Rurouni Kenshin gehört Nobuhiro Watsuki. Anmerkung: Diese absolut fiktive Weiterentwicklung beginnt mit den Ende der Kioto-Episode, wenn auch ungehöriger Weise modifiziert. Die Übernahme japanischer Begrifflichkeiten ist zuweilen sehr frei, insbesondere bei den "Gruppenzugehörigkeiten". Man möge sich davon nicht zu sehr beeinflussen lassen. Personen: ~ Kenshin Himura aka Battousai, früherer Attentäter, Patriot ~ Sanosuke Sagara aka Zanza, früher Sekihoutai, Faustkämpfer ~ Kaoru Kamiya, Meisterin Kamiya-Kampfschule (das Fräulein ^^) ~ Yahiko Myoujin, Schüler in der Kamiya-Kampfschule ~ Megumi Takani, Ärztin, (das Fuchsweib) ~ Katsuhiro Tsukioka aka Tsunan Tsukioka, früher Sekihoutai, Maler und Journallist ~ Aoshi Shinomori, Hauptmann der Oniwa Banshu ~ Misao Makimachi, Oniwa Banshu ~ Okina (Nenji Kashiwazaki), Oniwa Banshu ~ Kamatari Honjou aka Die große Sense, Mitglied der Zehn Schwerter ~ Makoto Shishio, ehemaliger Attentäter, Anführer der Zehn Schwerter ~ Hajime Saitou aka Gorou Fujita, Der Wolf von Mibu, ehemaliger Shinsengumi, Polizist mit besonderen Vollmachten ~ Seijurou Hiko aka Niitsu Kakunoshin, Meister der Hiten-Mitsurugi-Kampftechnik, Töpfer und Allround-Genie ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ Morgenröte Kapitel 1 - Vorbereitungen Sanosuke Sagara, ehemaliges Mitglied der Sekihoutai, balancierte sein Gewicht behutsam auf den Waden aus. Seine Knie schmerzten mit zunehmender Dauer der Zeitspanne, die er an der Seite seines Freundes reglos wachte. Er konnte dem Drang, sich ein wenig Erleichterung zu verschaffen, nicht länger widerstehen. Kenshin Himura, in einem anderen Leben der gefürchtete Attentäter, lag noch immer ohne jedes Anzeichen von Bewusstsein auf einem Futon, sorgsam zugedeckt und nahezu unkenntlich mit Verbänden und Wundsalben behandelt. Der junge Schläger an seiner Seite kauerte sich wieder zusammen, strich sich mit seinen ebenfalls bandagierten Fingern durch die spitz abstehenden dunkelbraunen Strähnen. "Komm schon, Kenni, wird es dir denn nicht langsam zu langweilig da unten?" Raunte er in gezwungen munterem Ton in die offene, rote Haarmasse an der Seite einer porzellanfeinen, mit gekreuztem Narbenstrich gezeichneten Wange. Zu seinem Leidwesen, aber nicht wirklich abweichend erwartet rührte sich der feingliedrige Mann nicht. "Ich lade dich auch ein, Kumpel. Na, was ist?" Versuchte Sanosuke es erneut mit der verzweifelten Beharrlichkeit eines Mannes, der sich niemals, nie, geschlagen gab. Seine versehrten Fingerspitzen wanderten hauchzart durch die dichten, roten Ponyfransen, liebkosten sanft die bleiche Haut darunter. »So blass...« Viel zu blass für seinen Geschmack, dem Tod näher als dem Leben. Mit einem heftigen Ruck trieb er die eigene sehnige Gestalt in die Höhe, die schmerzenden Hände zu Fäusten geballt. "Ich drehe mal eine Runde um den Block, okay, Kumpel? Ich bin gleich wieder bei dir!" Die leichten Papiertüren stoben förmlich ächzend auseinander, als der ehemalige Mitstreiter der Sekihoutai mit wehender Jacke den Raum verließ. ~+~ Alles lief falsch. Zumindest nach Sanosukes untrüglicher Überzeugung, als er die nächtlichen Straßen von Kioto durchstreifte, die Hände in die Taschen seiner zerrissenen Hose gegraben, von einem unmissverständlichen Hauch der ungerichteten Wut eingehüllt. Er musste unbedingt einen Weg finden, Kenshin wieder zurückzuholen. Und er musste sich dringend abreagieren: optional eine zünftige Schlägerei oder das totale Versacken in einer der Spelunken. Er fühlte sich, wie er ungeschminkt eingestand, beschissen. Schlimmer noch, wie ein heulendes Häufchen Elend. Was ihn in unangenehmer, erdrückender Macht an eine Zeit vor genau zehn Jahren erinnerte, als es nur sein jugendlicher Zorn gewesen war, der ihn durch das tiefe Tal der Verzweiflung gerettet hatte. Nun, älter, abgeklärter, um einiges desillusionierter, konnte er nur darauf bauen, dass seine legendäre Ausdauer und Härte seine Existenz sicherten. Ob sich dieser Zustand noch 'Leben' schimpfen konnte, bezweifelte er stark. So oft hatte er Freunde verloren, mehr, als er sich vergegenwärtigen wollte. Niemals schien sich der Schmerz über diese Verluste abzustumpfen. Umso schlimmer bei Menschen, die seinem Leben eine Richtung, einen Sinn vermittelt hatten! Die ihn hoffen ließen. Sie hatten einfach nicht das Recht, sich zu verabschieden!! Automatisch ballte er die Fäuste, was eine Grimasse des Schmerzes bewirkte. Nein, er war nicht bereit und willens, Kenshin Himura gehen zu lassen. Seit einer Ewigkeit hatte er sich nicht mehr einem anderen Menschen oder dessen Überzeugungen und Idealen untergeordnet, aus freien Stücken Gehorsam geschworen. Kenshin Himura, der kleine, so friedfertige und geduldige Vagabund, den man belächelte, für verrückt erklärte, genau dieser Mann, den er als Feind eingestuft hatte, eroberte sein Herz zurück für diese Welt. »Du schuldest mir was, Kenshin! Glaub bloß nicht, dass ich das so einfach vergesse!« Zudem war seine Anwesenheit mehr als zuvor von entscheidender Bedeutung, wenn es Frieden und Sicherheit für eine breite Bevölkerungsschicht geben sollte. Shishios ehrgeiziger und rücksichtsloser Plan zum Sturz der Meiji-Regierung hatte das Land destabilisiert. Selbst hier in Kioto, nunmehr nicht die Hauptstadt des Landes, brodelte noch immer die Saat des Aufruhrs, der Revolution. Einen weiteren Bürgerkrieg wollte Sanosuke Sagara jedoch nicht miterleben. Kenshin Himura, der frühere Attentäter und Patriot, war in der Lage, eine Schlüsselposition in einem politisch undurchschaubaren Spiel einzunehmen. Der einzige Mensch, dem Sanosuke so weit vertraute, hasste er doch die Meiji als ehemaliger Sekihoutai mit ganzem Herzen. In seine Wahrnehmung drängte sich der beißende Gestank verbrannten Holzes. Er blickte sich angespannt um, die großen, dunkelbraunen Augen zusammengekniffen, durchforstete seine geringe Kenntnis der fremden Stadt. Ziemlich unbedacht, so versunken durch die Labyrinthe der kleinen Gassen und Stichstraßen zu irren! Obwohl man das verheerende Feuer hatte verhindern können, hatte es in der Folge durch die instabile Situation und die zahlenmäßige Unterlegenheit der örtlichen Polizeikräfte diverse Brandstiftungen gegeben. Zum Teil das Werk rebellischer Splittergruppen, aber auch die dunklen Machenschaften von Spekulanten und missgünstigen Nachbarn. Sanosuke hielt vor einem verkohlten Stapel Holz inne. Der Geruch löste in seinem Magen Turbulenzen aus, trocknete seine Kehle bis zur Heiserkeit, ließ ihn auf das splitternde Knacken brennender Balken lauschen. Sie waren mit letzter Kraft der Hölle in Shishios Palast entkommen... Nein, das war nicht GANZ korrekt. Kenshin war schwer verletzt und bewusstlos, er selbst nicht weniger gezeichnet. Ausgerechnet Aoshi Shinomori, der Hauptmann der Oniwa Banshu, half ihnen beiden, nicht mit dem gesamten Bau in Flammen aufzugehen. Derselbe Mann, den sie als Dämon verfolgt hatten, um ihn gemäß Kenshins Versprechen wieder zu seinem Freunden in der Oniwa Banshu zurückzubringen. Der nicht mehr als einige Minuten dort verbrachte, bevor er in die verfluchten Wälder floh, die er zuvor behaust hatte. Gerade mal genug Zeit opferte, den Mann, der ihm im Kampf überlegen war, sanft und fürsorglich auf einen eilig ausgerollten Futon zu betten. Sanosuke starrte verloren in die Asche. Für Sekunden hatte er damals das überwältigende Verlangen verspürt, dem hochgewachsenen, nur wenig älteren Mann zu folgen. Einfach zu fliehen, davonzulaufen vor der erstickenden Sorge und Nachsicht in den Augen seiner Mitstreiter, ihrem unbedingten Vertrauen darauf, dass er selbst nicht verzweifeln, keiner Schwäche zum Opfer fallen werde. Dass er ein fleischgewordenes Stehaufmännchen war. Aoshi hatte das Richtige getan. Auch wenn sich der junge Faustkämpfer niemals zu einer entsprechenden Äußerung hinreißen lassen würde! Der ehemalige Hauptmann gestattete sich die Zeit, nachzudenken, eine Vorstellung zu entwickeln, wie seine Zukunft aussehen sollte. »Tja, Sano, das ist wohl der Unterschied zwischen Aoshi und dir: er denkt, du handelst...« Mit einem entschlossenen Straffen seiner Schultern wandte sich der ehemalige Sekihoutai ab. Ein Mann, der mehr als die Hälfte seines Lebens auf der Straße verbracht hatte, seinen Lebensunterhalt mit Faustkämpfen und verbotenem Glücksspiel bestritt, hatte keine Muße, weiter als den nächsten Tag zu denken. Er bezweifelte, dass sich seine pragmatische Sichtweise einfach ändern würde. "Komm schon, Sano!" Ermunterte er sich selbst, beschied die Option eines Besäufnisses bis zur Besinnungslosigkeit ablehnend. Immerhin konnte in der Zwischenzeit sein zartgliedriger Freund erwacht sein! ~+~ Feuchte Nebelschwaden senkten sich in die unbeleuchteten Gassen. Die Nacht drängte erstickend zwischen die Häuserschluchten. Man hatte das Entzünden der öffentlichen Beleuchtung unter Strafe verboten, um nicht weiteren "zufälligen" Bränden Nahrung zu geben. Für den Straßenkämpfer bedeutete es, dass sein Orientierungssinn der einzige Kompass zurück zum Aoiya war. Eine sehr zweischneidige Angelegenheit, wie er nicht zuletzt selbst zugeben würde. Die schwere Nachtluft dämpfte und absorbierte Geräusche und Bewegungen. Sanosuke registrierte geschult und durch jahrelange Erfahrung gelehrt die verräterischen Indizien von verschiedenen Gestalten. Sie folgten ihm, so viel konnte man mit Sicherheit behaupten. »Blödes Pack!« Fluchte er leidenschaftslos. »Entweder kleben sie an meinen Hacken, bis ich das Aoiya finde, oder ich verpasse ihnen eine Abreibung gleich hier.« Selbstredend votierte sein frustriertes Selbstbewusstsein für die zweite Option. Er gebot nonchalant seinen Schritten Halt, wandte sich mit fliegenden Jackenschößen herum. "Okay, ihr Pissnelken, entweder verzieht ihr EUCH schleunigst, oder ICH verziehe euch was!!" ~+~ Nicht gerade elegant und noch weniger als ein zünftiger Kampf, aber Sanosuke hatte sich ermahnt, nicht seine lädierte Rechte zu gebrauchen. Das brachte den fünf unterbelichteten Sandsäcken jedoch keinen Vorteil ein. Zu seiner gelinden Überraschung entpuppten sie sich als eine Räuberbande, die seine Taschen leeren wollte! Er schnalzte in Erinnerung an diese Erkenntnis abschätzig mit der Zunge. Ausgerechnet den berüchtigten Schläger Sanosuke Sagara wegen Geldes überfallen zu wollen! Tsstsss, da half wohl kein noch so wohlmeinender Schlag auf den Hinterkopf! Von denen er in nachbarschaftlicher Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft diverse ausgeteilt hatte. Nunmehr schmerzten seine verspannten Glieder und die Wunden, die ihn an das gerade erst überstandene Abenteuer mit Shishios Weltherrschaftsplänen erinnerten. Es war wohl besser, sich endlich auf den Heimweg zu machen. Er hoffte, dass das Fräulein nicht erneut ihren Futon in Kenshins Zimmer geschleppt hatte, um vorgeblich an seiner Seite zu wachen, nach einiger Zeit jedoch erschöpft einzuschlafen. Was eine gewisse Geräuschkulisse produzierte. Yahiko als Zimmergenosse verhielt sich nicht wesentlich besser. Der neigte dazu, seinen Tag im Schlaf zu verarbeiten. Was eine lose Folge der Streitigkeiten mit dem Fräulein einschloss. Zumindest war es bisher so verlaufen. Allerdings hatte sich mit ihrer Rückkehr aus Shishios Hölle selbst diese liebgewonnene Angewohnheit verloren. Der junge Straßenkämpfer hätte sogar eine gewisse Beruhigung empfunden, wenn sich seine Begleitung zu ihrem gewohnten Streit hinreißen ließ. Nun rannen viel zu häufig lautlose Tränen über das fahle, eingefallene Gesicht des Fräuleins. Yahikos schwarze Augen, in Selbstekel und blindwütigem Zorn bewölkt, spiegelten seine eigene Verzweiflung wider. Er war nicht gut genug gewesen. Nicht die Last, die Kenshin vielleicht befürchtet hatte, in keinem Fall jedoch von der Bedeutung, die er sich selbst sehnlichst gewünscht hatte. Nicht würdig, sich als gleichberechtigt zu betrachten. Auch wenn Sanosuke mit absoluter Überzeugung wusste, dass der ehemalige Attentäter solche Klage niemals aussprechen würde: es lag nicht in seiner sanften, mitfühlenden Natur, Kritik zu üben, die seinen Gegenüber ernsthaft verletzten konnte. Auch die Jahre als Attentäter hatten diesen profunden Charakterzug nicht tilgen können. »Vielleicht bin ich ihm deshalb auf den ersten Blick verfallen...« Ein sanftes, verlorenes Lächeln hüllte sich in die Nebelschwaden. Ganz gleich, wie verrückt oder unsinnig anderen Kenshin Himuras Ideale erschienen: er würde an seiner Seite stehen, komme, was da wolle. Unwillkürlich ballte er die schmerzenden Fäuste demonstrativ, bleckte in einer Grimasse der Pein seine Zähne in die dampfende Nacht. »Na, alter Mann, lachst du auch in der Hölle noch über mich?! Oder würdest du lieber hier auf mir herumhacken?« Der ehemalige Sekihoutai schüttelte langsam den Kopf, versenkte die Hände in den Hosentaschen, während er rascher ausschritt. »Verdammt, Saitou, wie konntest du dich umbringen lassen?! Gehst mir die gesamte Zeit auf die Nerven mit Selbstverteidigung und Kontrolle, und dann verreckst du da drinnen, alter Bastard.« Er seufzte. ~+~ Sanosuke bog um einige Ecken, in der vagen Hoffnung, er möge sich nicht vollkommen verirrt haben, als eine überwältigende Präsenz von Macht ihn alarmiert herumfahren ließ. Wenn ihn seine Instinkte nicht trogen, das taten sie selten, musste sich in seiner unmittelbaren Nähe ein Gegner finden, dessen Ausstrahlung und Kampfaura von tödlicher Gefahr kündeten. Er drehte sich im Kreis, die Fäuste mit verzerrtem Gesicht geballt, die Schultern nach vorne gezogen, spähte in den undurchdringlichen Drift von Nebelvorhängen, die die Stichstraßen und Gässchen gemächlich durchwanderten. "Schieb ab, wenn dir deine Futterluke lieb ist!!" Prahlte er in die Nacht, beglückwünschte sich zynisch, dass er die Option des Besinnungslossaufens ausgelassen hatte. Etwas flog durch die dichten Schwaden direkt auf ihn zu. Instinktiv fing seine Rechte das Objekt ein, bevor er es mit einem gezischten Fluch fallen ließ, als glühende Hitze seinen Handteller versengte. »Nikotingeruch...« "Was zur Hölle....?!" Seine Augen weiteten sich ungläubig, alle Sinne auf den Ursprung der machtvollen Präsenz ausgerichtet. "Du verdammter Scheißkerl!!" Seine Stimme überschlug sich, ein herausgelöster Schrei aus der Tiefe seiner Seele. Sanosuke zögerte keinen Herzschlag, stürzte vor in die Richtung des Sprechers. "Noch immer ein Trottel." Bemerkte eine tiefe, raue Stimme trocken aus der Körperlosigkeit. Der sehnige Mann kräuselte spöttisch seine Mundwinkel, als er den heran preschenden Schläger betrachtete: leidenschaftlich, aufbrausend und prahlerisch. Die Reaktion erwartungsgemäß, die Attacke leicht auszurechnen, sodass ihm ein einziger, geschmeidiger Schritt aus der Flugbahn ausreichte. In just jenem Moment, als Sanosuke ihn passierte, zu stürmisch, um seinen Angriff zu bremsen, den sicheren, brutalen Aufprall auf eine massive Hauswand förmlich erwartete, streckte er den Arm aus, fing den jungen Mann ein, drehte sich in zeitloser Eleganz, um den überschüssigen Elan zu bändigen. Sanosuke stolperte zu seiner eigenen Scham ungeschickt in die Mitte der Gasse zurück, bevor er sich umwenden konnte, statt der schmerzenden Fäuste sein Mundwerk als Waffe einsetzte. "Du verknöcherter, alter Bastard!! Wieso, verdammt noch mal, lebst du noch, du Mistkerl?! Du hast uns kein Wort gesagt, verflucht!!" Ein verwirrtes Blinzeln später fand er sich mit dumpfen Schlag gegen die Hauswand gepresst, seine geballten Fäuste gnadenlos umklammert und in den Verputz gedrückt, während spitze Beckenknochen mit seinen eigenen Bekanntschaft schlossen. Die Intimität dieser Attacke, zugleich ungewohnt und bar jeder Regelhaftigkeit, ließ ihn den Mund öffnen, bereit, eine neue, verbale Kanonade abzufeuern. Als hauchzart seine Lippen gestreift wurden. Der junge Schläger erstarrte fassungslos. "Kein Wort." Raunte es kehlig an seinem Ohr. Warmer Atem setzte die umgebende Haut, den Hals, die Schulter in Brand. Sanosuke wagte nicht, sich zu rühren, langsam den Kopf nach seinem Bezwinger zu wenden oder gar Atem zu schöpfen. Sein eigenes Herz rannte mit wilder Wut gegen seinen Brustkorb, trieb ihm die Röte in die Wangen angesichts der Unmöglichkeit, das zu verbergen. Hajime Saitou, ehemaliger Shinsengumi, neuerdings Polizist im Dienste der Meiji mit speziellen Befugnissen, der legendäre Wolf von Mibu, lehnte sich eng an ihn! "Los, Männer, er kann noch nicht weit sein!! Fangt ihn!!" Die großen, schokoladenbraunen Augen des Faustkämpfers verdüsterten sich. Er begriff die ungewöhnliche Taktik des älteren Mannes. Wie er bemerkt hatte, trug der über einem dunklen, uniformierten Ensemble einen im westlichen Stil zugeschnittenen Mantel, der es ihm gestattete, mit den Schatten zu verschmelzen. Sanosuke selbst jedoch stach mit seiner zerrissenen, partiell weißen Bekleidung heraus wie der Vollmond. Ein leichtes Ziel, was schon manch einem zum Verhängnis geworden war. Allein, er war hier fremd und zudem erschöpft.... »Also...« Sanosuke ächzte nach Luft, weil seine Lungen die Schockstarre nicht länger tolerierten. Er biss sich auf die Lippen, fluchte inwendig lauthals. Man musste keine Phantasie haben, um sich vorzustellen, was die dünnen Lippen mokierend in die Nacht tadelten. »Trottel.« Dennoch konnte Sanosuke sich nicht länger zurückhalten. Seine dezente Regung korrespondierte mit dem Rückzug des älteren Mannes, dessen Augen in glühendem Bernstein entflammten. Bevor er sich eine Antwort verschaffen konnte, ob Saitou ihn tatsächlich zu beschützen gedachte, oder er lediglich dafür Sorge trug, dass kein 'Idiot' seine Pläne durch beständige Dummheit torpedierte, fixierte ihn dessen animalisch glitzernder Blick. "Bleib hier." Formten die schmalen Lippen überdeutlich, geboten ihm. Der ehemalige Shinsengumi streifte sich in einer gleitenden Bewegung den Mantel von den austrainierten Schultern, um ihn behutsam über Sanosukes zu betten, in die Schatten einzutauchen. Den schauderte es. Saitou konnte so spurlos verschwinden und auftauchen, dass es ihm anmutete, als zöge der die Halbwelten dem Tageslicht vor. Er verharrte einige kostbare Augenblicke, von der Körperwärme im Mantel genährt, die jedoch dessen Innenfutter erstaunlicherweise nicht verließ, bevor sich ein breites Feixen auf seinen attraktiven Zügen einnistete. Der alte Mistkerl wollte also, dass er wie ein braver Schoßhund hier auf ihn wartete, während der sich mit einem Rudel Strolche vergnügte?! »Sicher doch!« Sanosuke schlüpfte kurzerhand in den Mantel, gleichsam getarnt, folgte mit boshaftem Grinsen den dumpfen Geräuschen in das Herz der Nebelbänke. ~+~ Mit einem sichtlich zufriedenem Grinsen entließ Sanosuke einen weiteren Angreifer mittels Fußabdruck in den Allerwertesten, in einer nachlässigen Pose die Hände in die Hosentaschen versenkt. Sein gewohnt selbstgewisses Lächeln blätterte rapide ab, als der frühere Shinsengumi auf ihn zuhielt, in knappen, schnellen Schritten, die Bernsteinaugen mit ihrem animalischen Funkeln in unverhohlenem Ärger entzündet. "Sagte ich nicht, dass du dich nicht zeigen solltest, Idiot?" Die tiefe Stimme schnarrte, als spicke ihr Besitzer sie mit Widerhaken. Der junge Faustkämpfer verfiel in die gewohnte Haltung des aggressiven Prahlers: breiter Fußstand, leicht vorgebeugt, zu jedem Schlagabtausch bereit. "Hey, was glaubst du, wen du vor dir hast, du alter Perverser? Ein Schoßtier?! Ich tue, was ich will und wann ich will, ummpppfff..." Eine behandschuhte Hand erstickte Sanosukes elaborierte Ausführung über seinen Hang zur Selbstbestimmung. Er fand sich in gezieltem Schwung unter einer Mauertraufe wieder. "Verdammt, nimm deine schmutzigen Pfoten...mmpppfff!" Dieses Mal schloss sich an die dämpfende Hand eine geballte Faust an, die die Magengrube des jungen Schlägers mit aller Wucht heimsuchte. Nichts, was den unvergleichlichen 'Zanza' zum Wanken gebracht hätte. Insbesondere nicht, da die tödliche Härte des gewohnten Angriffs des Wolfs von Mibu fehlte. Das galt allerdings nicht für die Hand, die Sanosukes Mund freigab, um sich mit unerbittlicher Gewalt um dessen rechte Faust zu ballen. Er winselte innerlich, weniger aus dem nicht unbeträchtlichen Schmerz resultierend, sondern aus Enttäuschung, sich dazu verleitet zu haben, in Saitou einen fairen Gegner zu erwarten. Die gelben Augen glühten schwefelnd in der Dunkelheit, von den Nebelschleiern separiert zu einer intimen Einsamkeit in einer unwirklichen Atmosphäre. "Du wirst NIE WIEDER derartig hirnlos handeln." Stellte die kalte, schneidende Stimme sicher, hieß arktische Schauer über die nackte Haut des Jüngeren stürzen. Verunsichert zappelte Sanosuke in dem unnachgiebigen Griff, nicht länger fähig, dem stählernen Blick standzuhalten. "Okay, also lebst du noch!" Er lachte knapp auf. "Unkraut vergeht nicht, wie?" Seine Augen wollten einfach nicht gehorsam der Tapferkeit Rechnung tragen, flehten darum, nach seiner rechten Hand Ausschau zu halten. »Oh verdammt, verdammt, verdammt! Dieses Mal sitze ich wirklich in der Scheiße! Er wird sie brechen, verflucht noch mal, der Bastard wird mir jeden einzelnen Knochen zermalmen! Scheiße!« In jahrzehntelanger Übung wandelte sich seine Furcht in Aggression, verbarg sich seine Angst hinter der Maske der Arroganz. "Du hättest ruhig was von dir hören lassen können, alter Mann! Ist ja nicht so, als hätten wir nicht gemeinsam gekämpft, für Japan, und so weiter! Aber vielleicht war das auch unter deiner Würde?!" Mit einem bitteren Schnalzen drehte er in betonter Verachtung den Kopf auf die Seite. "Ich hätte nicht gedacht, dass du uns hängen lässt." Er spürte die Ausstrahlung des älteren Mannes wie ein Fegefeuer, das über seine Wangen, sein Schlüsselbein hinweg raste. Roch den unverkennbaren Eigengeruch des früheren Shinsengumi, eine betäubende Mischung aus Nikotin und dem wohlriechenden Öl, das die lackschwarzen Haare in ihrer Form hielt. "Du beschuldigst mich der Feigheit und des Verrats?" Knochentrocken, dürr wie ausgebleichtes Herbstlaub fauchte Saitous Stimme heiser. "Hey!" Sanosukes Kopf flog herum, die großen, dunkelbraunen Augen verfinstert. "Du verdrehst mir die Worte im Mund!" Er verlor die Sprache, als sein Horizont nur noch aus dem giftig-schwefligen Gelb der Wolfsaugen zu bestehen schien, die Zeit anhielt. »OhScheiße,ohScheiße,ermachtErnst!« Im Kopf des jungen Faustkämpfers brodelte es haltlos, Bilder wirbelten umeinander. Angst, Lust, Hass und Bewunderung vermischten sich, als ihm bewusst wurde, dass er dieses Mal wohl nicht mit einer durchstochenen Schulter davonkommen würde. Selbstvergessen ballte er die freie Linke, ein hilfloser Versuch, sich Mut zuzusprechen, dass er ertragen könne, was auch immer der Ältere ihm auferlege. Wie eine sanfte Brise legte sich der warme Atem des Wolfs von Mibu auf Sanosukes Lippen, ein aufreizender Kontrast zu der eisigen Kälte, die der Kampfaura entströmte. "Oh Gott!" Entschlüpfte Sanosuke ein verräterisches Aufstöhnen, in fremde Zwillingssonnen eintauchend, bereits unsicher auf den Beinen. Der ältere Mann bleckte sein starkes Gebiss Respekt heischend, als eine schrille Altmännerstimme seine Aufmerksamkeit streute. "Oh, gudn Abnd, Herr Wachtmeister! Is das Inne Ihrn Gemahlin? Gudn Abnd, Verehrteste!" In der Tat sprang auf halsbrecherisch hohen Getas ein krummbuckliger Mann in fortgeschrittenem Alter über Pfützen und Hindernisse. Er hielt in beiden, klauenartig verformten Händen einen Bambusstock, der sich unter dem Gewicht einer großen Lampe durchbog. Er kicherte in der Überzeugung, einer besonders delikaten Szene beigewohnt zu haben, entfernte sich in der seltsamen Springweise, die ihn hergeführt hatte. Als Saitou den jungen Straßenkämpfer wieder unter genaue Observation nahm, brüskierte ihn der mit einem idiotischen Grinsen, das förmlich dessen Schädel zu spalten drohte. Die Ursache war kaum zu verkennen: der Gedanke, dass man ihn als 'Gemahlin' des berühmten Hajime Saitou ansehen konnte, amüsierte Sanosuke, auch wenn die Situation einer tatsächlichen Komik entbehrte. »Einfach lächerlich! Der Mistkerl zerquetscht mir ohne Zögern die Hand, und so ein alter Knacker glaubt, wir trieben hier unzüchtige Spielchen!« Unerwartet fiel seine Rechte hinab, zog sich der ehemalige Shinsengumi zurück. "Dein Glück, Trottel, dass ich keine Zeit habe, mich mit Grünschnäbeln herumzuschlagen." Bemerkte er kühl, wischte sich über die Uniformjacke. "Was soll das heißen?! Willst du kneifen?! Warum auch nicht, du hast uns schon in Shishios verfluchter Festung allein gelassen!" Wider aller Vernunft schoss Sanosukes Mundwerk voran, kümmerte sich nicht um das leise Winseln seiner geschundenen Glieder, um die mahnende Stimme seines Selbsterhaltungstriebs, den erfahrenen Schwertkämpfer nicht zu reizen. "Dir war doch scheißegal, was aus uns wird! Du bist ein arroganter, berechnender, psychopathischer, herzloser, hässlicher Mistkerl!" Sein Gesicht verzog sich in Agonie. Sehnen sprangen hervor, Ausdruck seines verzweifelten Bemühens, nicht aufzuschreien. Die Hand des Polizisten lag eng und stählern um Sanosukes Rechte, als habe sie sie niemals freigegeben. "Wen nennst du hässlich?" Spottete kühl und unbarmherzig die tiefe Stimme. Der ehemalige Shinsengumi studierte gelassen die maskenhaft verzerrte Grimasse des jüngeren Mannes, als ihm unerwartet ein feuchter Schimmer in den Augenwinkeln auffiel. Er hatte den Straßenkämpfer bereits in Situationen erlebt, die jenen an die Grenze seiner Leidensfähigkeit getrieben hatten, ohne dass Sanosuke sich hatte besiegen lassen. Was bewirkte wohl diese überraschende Emotion? Warum maß ER ihr Bedeutung bei, hatte er doch den jungen Schläger lediglich als Störfaktor seiner Planungen kalkuliert? "Bitte." Sanosuke biss sich in die Unterlippe bis auf das Fleisch, würgte förmlich an der qualvollen Notwendigkeit, von seinem erklärten Gegner einen Gefallen, Nachsicht, zu erbitten. Der Polizist ließ einige Sekunden in ruhiger Konzentration verstreichen, bevor er den Druck auf die lädierten Knochen merklich reduzierte. »Dummer Junge, deine rechte Faust ist deine beste Waffe, und du wagst es tatsächlich, in diesem Zustand eine Herausforderung auszusprechen?! Nicht einmal fähig, ein paar Essstäbchen zu manövrieren und noch immer keine Vorstellung von Verteidigung! Tsstsss, Trottel! Kein Verstand, keine Disziplin, nichts außer hitzköpfiger Prahlerei.« Der frühere Sekihoutai zog seine versehrte Hand zurück, umklammerte sie wie ein waidwundes Tier mit der Linken, bestrebt, das Ausmaß seiner neuerlichen Verletzungen zu erkunden. Seine angespannte Miene wurde von einem steten Rinnsal frischen Bluts verunziert, als er unbedacht und gedankenlos seine Unterlippe zernagte. "Zeig her." Eilig zurückgewichen barg Sanosuke seine Rechte hinter seinem Rücken. Eine kindliche Reaktion auf Misshandlung, resultierend aus enttäuschtem Vertrauen. Der Wolf von Mibu lupfte sparsam eine Augenbraue. "Hast du noch immer nicht genug?!" Sein jüngerer Gegenüber ging in Kampfposition, die Linke geballt, die üblicherweise spottende Stimme bitter und anklagend. Ein nachsichtiges Lächeln kräuselte die dünnen Lippen bezeichnend. "Ich habe niemals genug." Stellte er süffisant fest. "Na toll, du schmieriger Perverser, mach doch, was du willst!" In einer überzogenen Pose der Verachtung kehrte ihm Sanosuke den Rücken zu, ausreichend verletzt und ermüdet, um sich nur noch nach einem freien Futon zu sehnen. Einen Wimpernschlag später bohrte sich in dezenter Andeutung tödlicher Bedrohung die Spitze des Schwertes in seinen Nacken, gebot ihm ein sofortiges Einfrieren. "Nicht bewegen, Trottel." Wisperte es in schmeichelndem Samt. Die Klinge blitzte in halbkreisförmigen Schwüngen akkurat auf, zerteilte Stoff und Luft. "Ich konnte diesen Mantel ohnehin nicht leiden." Ein boshaftes Lachen schmirgelte die dunkle Stimme. "Fetzen kleiden dich außerordentlich gut." Aufgebracht wirbelte Sanosuke herum, die Fäuste bereit, diese neuerliche Schmähung zu rächen. Allein, der gleißende Schmerz torpedierte seine Darbietung empfindlich. "Tsstsss." Der ehemalige Shinsengumi schnalzte missbilligend mit der Zunge. Hatte er ernsthaft eine abweichende Reaktion erwartet?! Ohne sich mit eventuellem Widerstreben aufzuhalten fertigte er schmale Stoffbahnen, griff in einer flüssigen Bewegung nach der verletzten Hand, um sie mit Geschick zu verbinden, Knochen und Muskeln zu richten. Wie ein Falken überwand er die Distanz zwischen ihnen, die Bernsteinaugen fest auf ihre schokoladenbraunen Pendants gerichtet. "Einmal in deinem jämmerlichen Leben solltest du dein retardiertes Gehirn benutzen und so lange Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, bis deine Hand wieder verheilt ist." Ohne weitere Regung wandte er Sanosuke den Rücken zu, im Begriff, wieder mit dem Nebel und den Schatten zu verschmelzen, in deren Begleitung er seine Feinde jagte. Leise Worte bremsten seinen Schritt nur unmerklich ab. "Warum bist du nicht nachgekommen, hast dich nicht gemeldet? Haben die Marionetten ihre Aufgabe erfüllt?" Der Wolf von Mibu bleckte die Fänge, gestattete sich ein gefühlloses, kehliges Auflachen. Natürlich war ihm Kenshins Zustand bekannt, der Kampf etwas anders verlaufen, als es sich der Attentäter gedacht hatte. Doch was bedeutete ihm dies? Sein Credo lautete: Aku Soku Zan. Er hielt sich nicht mit privaten Fehden auf angesichts der aktuellen Entwicklung. Er musste sich beeilen. ~+~ Sanosuke lehnte sich schwer gegen den Pfosten, der das Dach des Aoiya stützte, während seine Linke über die gekreuzten Beine verräterisch beiläufig ragte, mit zärtlichen Kreisen rote Strähnen verwirbelte. Kenshin Himura schlief, den Kopf ihm zugewandt. Seine entspannten Gesichtszüge straften sein Alter und seine Biographie Lügen. Er wirkte zerbrechlich und schutzbedürftig unter den vielfältigen Wundverbänden. Der Faustkämpfer beugte sich behutsam hinab, lächelte sanft. Ein schönes Gefühl, in vertrauter Stille ohne hereinplatzende Fräuleins oder lautstarke Gören mit seinem Freund die gegenseitige Gesellschaft zu genießen. Wieder zurücksinkend regte er probeweise die Finger der rechten Hand. Allerdings sehr vorsichtig. Er produzierte eine Sorgenfalte auf seiner Stirn unterhalb der unvermeidlichen Bandana. In den letzten Tagen hatte er nicht einmal gewagt, den Verband des ehemaligen Shinsengumi auszutauschen, da der mit erstaunlichem Kenntnisreichtum angelegt worden war. »Seltsam, dass sie dafür Gespür entwickelt hatten angesichts ihrer Philosophie.« Sanosuke verzog die Miene. Würden seine Verletzungen heilen? Schnell genug, um damit seinen zarten Freund zu beschützen? »Verdammt.« Er schloss die Augen, rieb den Hinterkopf am gealterten Holz des Pfostens. Wieso hatte der mörderische Polizist ihm geholfen? Welche Absicht verfolgte er? Der Schläger erinnerte sich schaudernd an die erste Begegnung mit dem älteren Mann zurück. Eine Narbe blieb als Erinnerung in seiner Schulter, ein deutliches Zeichen der kalkulierenden Kälte seines Gegners. Der hatte ihn an die Wand genagelt, um Kenshin eine plakative Nachricht zu übermitteln. Allerdings, das musste Sanosuke Saitou zähneknirschend zugute halten, hatte dessen Geschick keine Knochen zersplittert oder Muskel zerfetzt. Im Gegenteil, durch das Niederschmettern auf den Holzboden des Doujou hatte der ihm vermutlich das Leben gerettet. »Als ich mal wieder kopflos losstürmte.« Er wäre elend verblutet, das war ihm klar. Trotz dieses wenig erfreulichen Zusammentreffens konnte er dem Mann, der ihn so nahe an die Schwelle des Todes gebracht hatte, ruhig in die animalischen Augen sehen, ihren zweiten Kampf bestreiten, wie zugesichert nach der Art der Faustkämpfer. Was ihn wieder Blut gekostet, gleichzeitig erneut sein Leben bewahrt hatte. Wer weiß, ob er ohne die boshaften und niederschmetternden Bemerkungen des ehemaligen Shinsengumi seine Zeit mit Training genutzt hätte, dabei Anji begegnet wäre und das Duell überstanden hätte? »Ob er diese Entwicklung auch eingeplant hatte, der kaltherzige Bastard?!« Sanosuke wollte es nicht ausschließen. Selbst Kenshin schien nicht im vergleichbaren Maß Strategien und Schachzüge zu taktieren. »Oder derart manipulativ auf seine Umgebung einzuwirken.« Gedankenverloren rieb er sich über die rechte Schulter, stemmte sich geschmeidig in die Höhe. Solange der feingliedrige Mann tief schlafend auf seinem Futon ruhte, konnte er die Zeit zu ein wenig Bewegung nutzen. So sehr er seinen Freund wertschätzte, er selbst war ein Mann der Physis. Die forderte lautstark ihren Einsatz. »Vorzugsweise bei einem kleinen Kampf.« ~+~ Als er auf die Veranda hinaustrat, traf er auf Yahiko, der dort kauerte, sein Holzschwert umklammerte, die schwarzen Augen in finsterer Miene auf eine Versammlung im Innenhof gerichtet. Sanosuke zupfte beiläufig einen Grashalm aus einem Blumenarrangement, schob ihn zwischen die Lippen, lehnte sich an einen Pfoten, der das Vordach stützte, einen Fuß hart gegen das Holz gestemmt, während seine Hände Zuflucht in seinen Hosentaschen suchten. "Was sind das denn für schräge Vögel?" Erkundigte er sich bei Yahiko nachlässig. Der knurrte in gewohnter Verärgerung. "Ninjas, ehemalige Oniwa Banshu. Aber ich kann nicht verstehen, was sie sagen." Der ehemalige Sekihoutai nahm Okina, den schlauen Fuchs und ehemaligen Hauptmann der Oniwa Banshu, ins Visier. Für einige Minuten verharrten sie in Spannung. Der Straßenkämpfer stieß sich ab, tätschelte beiläufig Yahikos ungeordneten schwarzen Schopf. "Achte auf Kenshin, Kleiner." Bemerkte er leise. Sein konzentrierter Ausdruck hinderte den Schüler des Kamiya-Doujou, wie gewohnt zu protestieren und eine Attacke zu lancieren. Sanosuke hielt bereits auf das Tor zu, die muskulösen Schultern ausgestellt. ~+~ Der Einbruch der Nacht hatte die verhassten Nebelschwaden wieder in die verwinkelten Gassen und Stichstraßen des Labyrinths von Kioto gedrückt. Sanosukes Gemütsfassung entsprach deckungsgleich dieser trüben Stimmung. Er hatte den Nachmittag und die halbe Nacht in den Spelunken, Garküchen und Schenken verbracht, zwischen Glücksspielern und Aufschneidern, Ganoven, Dieben und dem gewohnten Querschnitt der Halb- und Unterwelt. Dabei hatte sich bestätigt, was er von den Lippen einer der Ninjas in müheloser Flüssigkeit abgelesen hatte: es brodelte in der Stadt. Die Aggression richtete sich nicht nur gegen die Meiji-Regierung, die Shishios Umtriebe ermöglicht hatte, sondern auch gegen alle, die die Meiji an die Macht gebracht hatten, insbesondere die Patrioten. Zudem hielten sich hartnäckig die Gerüchte, dass diverse revolutionäre Splittergruppen die angeschlagene Regierungsmannschaft in weitere Bedrängnis bringen wollten, die Bresche ausweiten, die Shishios höllischer Plan geschlagen hatte. Was sich in perfider Perfektion zu den immer öfter aufflackernden Brandherden innerhalb der Stadt gesellte. Das führte zu einem Verbot der nächtlichen Illumination der Straßen, sodass Sanosuke nun in Dunkelheit wanderte. Seine Gedanken fokussierten sich auf den kritischen Punkt seiner gewonnenen Erkenntnisse: er musste Kenshin, den bedeutendsten Patrioten in Kioto, schützen. Solange der nicht transportfähig war, waren sie zum Verbleib in dieser verwünschten Stadt gezwungen. In seinem gegenwärtigen Zustand stellte selbst der mächtige Attentäter eine leichte Beute dar. Der ehemalige Sekihoutai knurrte übellaunig, ballte die Fäuste in seinen Hosentaschen. Er genoss die vermittelte Stärke, registrierte aber auch die Diskrepanz zu seiner üblichen Leistungsfähigkeit. Er hasste diese Heimlichtuerei, Überfälle aus dem Hinterhalt, das niederträchtige Abbrennen von Hütten und Unterschlüpfen, um im Namen einer Revolution alte Rechnung zu begleichen oder unerwünschte Subjekte zu entmieten! Viel zu oft in seinem bewegten Leben hatte er diese Art von Aufruhr und Völkerkriegs-ähnlichen Umtrieben erlebt, um nicht mit Grauen vor einer Neuauflage zurückzuschrecken. Zweifellos war auch Okina, dem alten Fuchs, nicht entgangen, dass das Aoiya mit seinem prominenten Gast in den Mittelpunkt des Interesses für Terroristen und Umstürzler geraten war. Der würde vermutlich Vorbereitungen für einen Angriff oder eine Belagerung treffen. Das belastete zusätzlich, nachdem die Zentrale der Oniwa Banshu bereits durch die Attacke von Shishios Verbündeten nicht unbeträchtlichen Schaden genommen hatte. Mit einem Ruck hielt Sanosuke in seinem energischen, von unterdrückter Wut bestimmten Schritt inne, spähte in die Nebelschleier. "Na, hängst du immer noch herum und belästigst anständige Leute, alter Mann?" Schnarrte er aggressiv in den Schatten, der sich um einen winzigen, glühenden Lichtpunkt massierte. "Du suchst schon wieder eine Lektion, Trottel." Saitou schob sich vor die feuchten Schleier, als perle ihre Konsistenz spurlos von seinem sehnigen Leib ab. Der jüngere Mann ging in Angriffsstellung, nicht bereit, einen Iota nachzugeben ungeachtet der deutlichen Ermahnung, die ihm unerwünschter Weise durch den Kopf ging. In seiner gegenwärtigen Verfassung war er dem ehemaligen Shinsengumi nicht gewachsen. Der würde ohne Zögern seine Schwachpunkte bis zur Folter ausreizen. Sie maßen sich stumm mit Blicken, taxierten einander, glitten über die Haltung und den Körper des Gegenüber hinweg, registrierten jedes Detail. Ein dünnes Lächeln schmuggelte sich mokierend auf Saitous schmale Lippen. "Du trägst meinen Verband wie ein Liebespfand, Grünschnabel." Provozierte er Sanosuke, um die Kippe nach dessen geballter Faust zu schnicken. Zu seiner unverhohlenen Verärgerung verspürte Sanosuke glühende Verlegenheit angesichts der Schlussfolgerung zu seiner Abneigung, die Bandage zu wechseln. "Was weiß ein alter, hässlicher Bulle wie du schon von Liebe?" Höhnte er boshaft. "Du glaubst wohl auch, dass die Wunden, die du anderen zufügst, Ausdruck von Feinsinnigkeit und Gefühl sind!" Die Bernsteinaugen flammten schweflig auf. Die behandschuhte Linke liebkoste den Schwertgriff besitzergreifend. Sanosuke gelang es, ein Erzittern zu unterdrücken. Er traute Saitou nicht, durfte ihm nicht trauen. Der verbarg zu viel, um auf ehrenhafte Verhaltensweisen bauen zu können. Auch wenn der Wolf, wie der junge Straßenkämpfer nicht umhin konnte zu gestehen, niemals ohne Warnung die 'Regeln' geändert hatte. "Für ein wehrloses Küken riskierst du ziemlich viel." Der ältere Mann bleckte die Zähne. "Dich juckt wohl wieder das Fell, Kleiner? Ich sollte deinen Mitmenschen einen Gefallen tun und es dir gerben." "Damit du alter Mistkerl eine Ausrede hast, um mich begrabschen zu können?! Vergiss es, Perverser!" Zu seinem eigenen Erstaunen verspürte der ehemalige Sekihoutai nicht mehr das unbedingte Verlangen, einen Kampf auszufechten. Unversehens hatte sich das Bild des schlafenden Kenshin vor seine Augen geschoben. Das war wichtiger und bedeutender als dämliche Tändeleien und verbales Balzgehabe! Er ließ niemals einen Freund im Stich. Dafür konnte er auch die Last von Verantwortungsgefühl und Rücksichtnahme für eine Weile ertragen. Natürlich entging seinem versierten Gegenüber nicht die Veränderung in der Körperhaltung, die Ruhe in den schokoladenbraunen Augen. Ein reizvoller Zeitvertreib, die Grenzen dieser Selbstbeherrschung auszuloten, bot die Nacht doch einen aufreibenden Dienst in den Niederungen der menschlichen Gesellschaft. "Du solltest nicht so spät ohne Begleitung unterwegs sein, Küken." Neckte er den jungen Mann mit der extravaganten Frisur. "Deine Unschuld könnte in Gefahr geraten. Jemand, der sich nicht zu verteidigen weiß, muss hier eine ganze Menge einstecken. Aber vielleicht gefällt dir dieser Gedanke ja auch?" Der ehemalige Shinsengumi weidete sich an dem fassungslosen Ausdruck in den attraktiven Zügen des Jüngeren, obwohl der, wie Saitou sehr wohl wusste, durch seine Lebensumstände mit dem Abschaum der Gesellschaft vertraut war. Keineswegs ein Kind von Traurigkeiten, so traf ihn die Offenbarung, dass Saitou derlei Gedanken formulieren könnte, vollkommen unvorbereitet. »Wann habe ich seine Selbstbeherrschung überlistet?« Für den Älteren eine kleine Fingerübung in Sachen Manipulation, für Sanosuke jedoch eine ernsthafte Herausforderung: Saitou provozierte und beleidigte ihn absichtlich. Langweilte er sich derart, um sich mit einem 'Küken', einem 'Idioten' die Zeit zu vertreiben? Oder war das Bestandteil einer seiner geheimen Pläne, für deren Umsetzung er Sanosuke zu instrumentalisieren suchte? »Doch so einfach gewinnst du nicht, alter Mistkerl, oh nein!« Der ehemalige Sekihoutai straffte die Schultern, versenkte die Fäuste in den Hosentaschen. "Ich nehme an, du kennst die Gerüchte um die Brandstiftungen und die geplanten Angriffe auf Vertreter der Meiji-Regierung und frühere Patrioten?" Er beäugte den Polizisten wachsam. Saitou hielt der Inspektion gewohnt stoisch, ohne Hinweis auf seine Gedanken oder Emotionen stand, belauerte seinen Gegenüber. "Kenshin ist in Gefahr, aber das wird dich wohl kaum kümmern." Sanosuke schlenderte plaudernd einige Schritte. "Immerhin sind ja die alten Rechnungen nicht mehr von Bedeutung. Ausstehende Entscheidungen...vielleicht kommt es dir ja sogar ganz gelegen, wenn Kenshin Opfer dieser Umtriebe wird." Sanosuke drehte sich herum, die braunen Augen erreichten nahezu den Bernsteinton des Älteren. Die Schöße seiner offenen Jacke wirbelten. "Tsstss." Saitou schüttelte den Kopf. Die Fingerspitzen in ihrem blütenweißen Handschuhkleid tanzten auf dem Schwertgriff. "Netter Versuch, Küken. Du beabsichtigst nicht zufällig, mich zu überzeugen, dass Kenshin Himura lebendig von größerer Bedeutung ist als tot, und dass ich daher um seine Sicherheit besorgt sein müsste?" Sanosuke baute sich breitbeinig vor dem ehemaligen Shinsengumi auf. "Du brauchst Kenshin, aber du kannst nicht immer bei ihm sein, bis er wieder gesund ist. ICH kann das. Zeige mir, wie ich mich verteidigen kann und ich kümmere mich um Kenshin." ~+~ Der Wolf von Mibu lächelte papierdünn. Die Vorgehensweise des Jüngeren erheiterte ihn auf erfrischende Weise. Keine plumpen Schmeicheleien, keine versteckten Drohungen, sondern die subjektiv logische Schlussfolgerung aus der Situation heraus. "Wenn ich mich tatsächlich der Qual unterwerfen sollte, einem Idioten die Grundbegriffe von Selbstverteidigung in den Quadratschädel zu hämmern, wie gedenkst du, meine Anstrengungen zu vergelten?" Stichelte er pointiert. Ohne bewusste Veranlassung rieb sich Sanosuke die Fingerknöchel der rechten Hand bedächtig, während er, ein wenig verärgert, dass der ältere Mann sich erneut als vorausschauender und wissender erwiesen hatte, nachsann, was in seinem Repertoire das Interesse des Polizisten erwecken konnte. Über Bargeld verfügte er nicht in nennenswertem Umfang. Seine Haupteinnahmequelle, das Austragen von Kämpfen und anderen Schlägerdiensten, standen aufgrund seiner Verletzungen und der gegenwärtigen Umstände in der Stadt nicht zur Debatte. »Glücksspiel?« Daran hatte er sich an diesem Abend nur sehr behutsam versucht. Es mangelte nicht nur an Einsatz, sondern sein Instinkt, durch jahrelanges Überleben geschult, hatte ihm deutlich signalisiert, dass hier kein Vermögen zu erlangen war. »Handlangerarbeiten?« "Ich könnte für dich kleinere Jobs erledigen." Bot er ernsthaft an, betrachtete die Bernsteinaugen. "Und ich dachte schon, du bietest mir deine Unschuld an." Der ehemalige Shinsengumi konnte der Faszination nicht widerstehen, auf die markanten Wangenknochen des Jüngeren die rosigen Flammen schamhafter Verärgerung zu legen. "Du kannst wohl nur an das Eine denken, du notgeiler Mistkerl!" Ungeachtet aller guten Vorsätze polterte Sanosuke hitzköpfig los, schluckte mühsam eine scharfe Replik hinunter, die Beziehungen zwischen Saitous Vorfahren und Angehörigen der Tierwelt beinhaltete. Saitou wandte sich jedoch gelangweilt ab. "Tsstss. Reine Zeitverschwendung, einen Trottel zu unterweisen." Bemerkte er abschätzig. Vor Sanosukes Augen loderte ein glühender Flammenteppich, der seine Beherrschung einäscherte, ihn mit einem Schrei der Rage auf den Polizisten losstürzen hieß. Der schnellte alert herum, blockte gekonnt die Schlagserie, die ihn eindeckte. "Ich beweise dir, dass ich kämpfen kann!!" Sanosukes Stimme überschlug sich in seiner Erregung, während er sich gleichzeitig bemühte, seine Geschwindigkeit zu erhöhen, die Schlagfrequenz zu verdichten, um die mangelnde Kraft und Trefferquote auszugleichen. Wie bei ihrem letzten Kampf schien Saitou Sekundenbruchteile vor jeder Attacke seine Position zu verändern, aus der unmittelbaren Aufprallfläche zu schlüpfen. Wenn er ihn doch nur festnageln könnte!!! Vor Sanosukes Augen hatten die Flammen sich in schwarze Aschekörner verwandelt, die ihn ermahnten, dass er seine Kondition überschätzt hatte. In einem letzten, verzweifelten Versuch feuerte er seine Rechte auf den ehemaligen Shinsengumi ab. De Spezialattacke, die er von Anji gelernt hatte, eine große Beanspruchung seiner lädierten Knochen und Sehnen. Saitou drehte sich förmlich in den Schlag hinein, umklammerte mit seiner Linken Sanosukes geballte Rechte, während er dem Heranstürzenden kurzerhand ein Bein stellte, den Sturz durch eine demütigende Hand in Sanosukes Hosenbund verhinderte. "Dummer Junge, du stehst keinen Kampf gegen mich durch." Schwang eine Andeutung von Bedauern in der tiefen, keineswegs atemlosen Stimme, oder schwindelten bereits die Sinne des ehemaligen Sekihoutai?! Bevor er in die Knie brechen konnte, wurde er unsanft gegen eine Hauswand gelehnt, an der er in eine sitzende Position hinunterglitt. Sanosuke entwand Saitou seine unkontrolliert zuckende Rechte, presste sie unter die linke Achsel, wiegte sich beruhigend. Sein zischendes Atemholen wirbelte Turbulenzen in die schweren Nebelvorhänge. Der Wolf von Mibu studierte den Jüngeren emotionslos, registrierte die geweiteten Pupillen, die ihn nicht mehr erkannten, den drohenden Kollaps aufgrund des Schmerzschocks und der Überanstrengung. In einer fließenden Bewegung begab er sich in die Hocke, löste Sanosukes Rechte unter dessen Achsel, tastete vorsichtig die bereits schwellende Hand ab. "Du hast es noch immer nicht begriffen, Junge." Bemerkte er beiläufig, entfernte die alten Bandagen geschickt. "Deine Kraft und deine Wut stehen dir im Weg." Langsam kehrte wieder bewusste Wahrnehmung in die dunklen Augen zurück, begleitet von einer fahlen, jedoch gefassten Mimik. "Ich kann mich zusammenreißen und konzentrieren." Verteidigte er sich krächzend. "So?" Eine schmale Augenbraue wanderte zweifelnd nach oben. "Wenn ich mich recht entsinne, reduziert jeder Gedanke deine Angriffsgeschwindigkeit." Bemerkte der ehemalige Shinsengumi boshaft. Zu seiner Überraschung verzog sich das von Schmerzen gezeichnete Gesicht zu einem schiefen Grinsen. "Ich ziehe es vor, mich nicht lange mit Nachdenken aufzuhalten, das kann ich wohl nicht bestreiten." Sie musterten einander stumm, die gerötete, mit Hämatomen übersäte Rechte in Saitous behandschuhter Linken. "Wenn du meine Hilfe willst, wirst du mir gehorchen, in allem, ohne jede Diskussion und ohne Ausnahme von dieser Regel." Sanosukes wund gebissene Lippen kräuselten sich nachdenklich. "Und du bist sicher, dass du mich unterrichten kannst? Ich meine, dass ich danach Kenshin verteidigen kann?" Zweifelte er offen. Der sehnige Mann lächelte arktisch. "Ich habe schon Männer gelehrt und angeführt, als du nicht mal ein schlechter Traum deiner armen Eltern warst." Schoss er zurück. Der ungezähmte Schopf legte sich weit in den Nacken. Die schokoladenbraunen Augen versanken hinter ihren bläulich schimmernden Lidern. "Hör schon auf, alter Mann." Wedelte er mit der Linken die Herausforderung beiseite. "Nenn deinen Preis." Die schmalen, tiefliegenden Bernsteinaugen glitzerten warnend. "Du arbeitest für mich." Sanosuke lupfte misstrauisch ein Augenlid. "Nur arbeiten... oder arbeiten?" Betonte er die zweite Satzhälfte in einem unmissverständlichen Zungenschlag. Der ehemalige Shinsengumi lachte kehlig, beugte sich zu Sanosuke hinab, die glühenden Augen direkt in die braunen Untiefen gerichtet. "Wovor hast du Angst, Trottel? Dass ich mich als Zuhälter betätige? Oder dass ich mich an dir schadlos halte?" Raunte er samtig, sein Atem ein flammender Hauch in der dampfenden Atmosphäre. "Ich habe noch nie die Beine breitgemacht als Bezahlung, klar?!" Eer ehemalige Sekihoutai riss seine Hand zurück, aufgebracht und verletzt zugleich. Saitou lächelte arktisch, eine Ahnung seiner scharfen Zähne aufblitzend. "Also wirst du nicht 'alles' tun, um Himura zu beschützen." Reizte er kaum hörbar den Jüngeren, spielte sichtlich amüsiert seine Überlegenheit aus. Sanosuke knurrte kehlig. Seine Zähne rieben knirschend übereinander in der verzweifelten Anstrengung, das gewohnte "Halt's Maul" herunterzuzwingen. "So eine Schande! Ausgerechnet den Feind um Hilfe bitten zu müssen." Der ehemalige Shinsengumi bohrte mit grausamer Gründlichkeit in offenen Wunden. Seine schmalen Bernsteinaugen sogen jede Reaktion achtsam auf. Der junge Faustkämpfer wusste nur zu gut, dass es ihm nicht gelang, sich hinter einer Maske zu verbergen: wie stets konnte man in ihm lesen wie in einem offenen Buch. Bevor er jedoch mit letzter Anstrengung ein Ablenkungsmanöver hinsichtlich des Interessenausgleichs unternehmen konnte, legte sich gebietend eine weiß bekleidete Fingerspitze auf seine wunden Lippen. "Meine Bedingungen kennst du, Küken." Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Mundwinkel. "Da solltest du auch einen angemessenen Preis entrichten. Ich entsinne mich, dass du deine Entlohnung immer nach dem Vergnügen bemessen hast, das dir der Kampf bereitet hat. Ich werde es genauso halten." Sanosuke schluckte unwillkürlich, die großen Augen in Finsternis gewandelt. Er las in den glühenden Bernsteinen die risikobehaftete Mischung aus Spott, Kälte, Pflichterfüllung und mühsam gebändigter Wildheit, die deutlicher als jede Warnung davon kündeten, was ihm geschehen konnte, wenn er sich der Gnade des Älteren auslieferte. Der hatte sexuelle Gefälligkeiten keineswegs ausgeschlossen. Sollte er klein beigeben und sein Ersuchen zurückziehen, kampflos aufgeben? Nein. Niemals. "Abgemacht, alter Mann!" Der ehemalige Sekihoutai schraubte sich wieder in die Höhe. "Wann legen wir los?" Der Polizist inspizierte Sanosuke eingehend, trat lässig einen Schritt zurück, um sich eine Zigarette anzuzünden. "Lass dir den Weg zum alten Teehaus zeigen. Dort treffen wir uns gegen Mitternacht." Ohne eine Antwort abzuwarten kehrte der sehnige Mann dem Jüngeren den Rücken zu, verließ die Gasse so lautlos, wie er gekommen war. Sanosuke rieb sich nachdenklich die schmerzenden Hände, massierte sie energisch, ignorierte die aufkeimende Pein. »Was soll's.« Er lenkte seine Schritte Richtung Aoiya. Er hatte sich entschlossen und würde wie stets seiner Intuition folgen. ~+~ Kapitel 2 - Lektionen Wachsam stieg der ehemalige Sekihoutai über einige verkohlte Balken hinweg, die von der einstigen Größe des alten Teehauses kündeten. Es war durch ein verheerendes Feuer verwüstet worden. Dass es keinen kompletten Abriss gegeben hatte, um die freie Fläche inmitten von Kioto, unweit des Aoiya, erneut einer Nutzung zuzuführen, lag daran, dass der Brand Menschenleben gefordert hatte. Deren Geister sich noch immer auf dem Gelände befanden, wie man sich hinter vorgehaltener Hand versicherte. Sanosuke hielt sich nicht mit Geistern auf. Nach seiner Erfahrung interessierten sie sich nicht für ihn. Was man von manchem Mitmenschen mit mörderischen Intentionen nicht behaupten konnte. Er vermutete, dass Saitou das Areal bereits sondiert hatte, sich auskannte. Er selbst wollte diesen Vorteil rasch ausmerzen, sich umsehen. Wenn sie sich einen Kampf lieferten, war Geländekenntnis ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Die Natur hatte sich Raum zurückerobert. Der ehemalige Karpfenteich, nun ohne Fische, glitzerte im Mondlicht, von leise raunenden, sich sanft wiegenden Kolben und Bambus-Gewächsen eingerahmt. Kein Wunder, der junge Faustkämpfer grinste, dass man hier an unheimliche Stimmen glaubte, pfiff der Wind durch die hohlen Halme! Zersprungene Platten wiesen den verschlungenen Weg zur Ruine des alten Teehauses. Das geschwungene, pagodenartige Dach in seiner exotischen Ausprägung war eingestürzt, ein Großteil der tragenden Balken gebrochen, das Deckengewölbe durchlöchert. "Erinnert an Zuhause." Spottete eine dunkle Stimme rau. Der Wolf von Mibu löste sich aus den Schatten. Sanosuke lächelte grimmig. "Wenigstens habe ich ein Zuhause, alter Bastard!" Schoss er zurück. Er ging in den Angriffsstand, die Fersen hart in den Boden bohrend, die eng gebundenen Hände zu Fäusten geballt. "Tsstss." Saitou griff an seine linke Hüfte, schnallte sein Schwert ab, um es sorgsam neben sich an eine Säule zu lehnen. "Setz dich." Wies er den Jüngeren an, bevor er die Uniformjacke von seinen Schultern streifte, sie gefaltet auf einem abgestürzten Balken ablegte. Eingedenk seines Versprechens leistete Sanosuke der Aufforderung Folge, auch wenn er argwöhnte, dass es in dieser Nacht vermutlich nicht zu einem Kampf kommen würde. Stattdessen konnte er die sehnigen Muskelstränge unter dem schwarzen, halbärmligen Hemd im einfachen, westlichen Stil bewundern, die Saitou ohne Eitelkeit präsentierte. "Beobachte genau." Wurde er mit kehligem Knurren in die Wirklichkeit zurückgeholt, bevor Saitou einige Schlagkombinationen demonstrierte. ~+~ Der ehemalige Sekihoutai schlich sich zurück zum Aoiya, verwünschte den brummenden Schädel, der nicht einmal in Geruchsnähe von Sake gekommen war. Nein, die Anstrengungen dieser Nacht riefen diese pochende Rebellion hervor! Am Tor des Aoiya entdeckte ihn einer der Oniwa Banshu, ließ ihn unbehelligt passieren. Das Aoiya ähnelte noch immer einem Trümmerfeld, notdürftig zur Verteidigung gerüstet. Sanosuke schwor sich einmal mehr, den Menschen, die ihnen Zuflucht geboten hatten, zur Hand zu gehen, bei den Reparaturen zu assistieren. Wenn er ein wenig Ruhe gefunden hatte. In seinem Schädel repetierten sich in loser Folge die Lektionen der Nacht, in denen Saitou sich auf Angriffstechniken beschränkt hatte, um ihre Schwachpunkte aufzuzeigen und dem Jüngeren einzubläuen. »Er konnte selbst Kenshins Angriffe nachstellen.« Sanosuke schauderte es unerwartet, als ihm vehement bewusst wurde, wie viel Erfahrung und Kenntnis der ältere Mann in sich vereinte. »Kein Wunder, dass er alles überlebt hat! Der Kerl ist kein Mensch!« Mit einem frustrierten Knurren schlüpfte er in Kenshins Zimmer, kroch neben den zartgliedrigen Mann, ignorierte die harte Kälte der Tatami unter seinem Leib. Kenshin war sicher, auch wenn er selbst nachts mit Saitou trainierte, sodass er ein wohlverdientes Nickerchen halten konnte. ~+~ "Yahikooooo!!" Der ehemalige Sekihoutai schoss stöhnend in die Höhe, rieb mit beiden Fäusten seine Schläfen, zerwühlte die abstehenden Haare in ihre gewohnte Hahnenkammfrisur. Fräulein Kaoru konnte so gutherzig und tapfer sein, wie sie wollte: ihre Stimme weckte Tote auf. Die Schultern kreisend, um sich aufzuwärmen, wandte er sich seinem Nachbarn zu, der hörbar atmete. Winzige Perlen bedeckten das porzellanfeine Gesicht. "Kenshin?" Sanosuke beugte sich tief über den zarten Mann. Seine Fingerspitzen lasen Feuchtigkeit auf. "Kenshin, kannst du mich hören, Kumpel?" Fieber, keine Frage! Das schwere Atemholen deutete auf eine mögliche Lungenentzündung hin. Der ehemalige Sekihoutai fluchte unterdrückt, kam eilends auf die Beine, hielt Ausschau nach der flachen Schüssel Wassers und den feinen Lappen, die stets von den aufmerksamen Gastgeberinnen ausgetauscht wurden. Hastig tupfte er Kenshins Gesicht ab, strich die leichte Decke von der glühenden Gestalt, öffnete die Yukata, um den zerbrechlich schmalen, von Narben bedeckten Leib der gleichen Behandlung zu unterziehen, bevor er mit einem frischen, Wasser getränkten Tuch Linderung verschaffte. Er befreite den Bewusstlosen von Verbänden befreite, wickelte ihn in die Decke, streichelte zärtlich durch die roten Ponysträhnen. "Ich bin gleich wieder zurück, Kenshin." Versprach er sanft, bevor sich seine Miene in Entschlossenheit wandelte, er den Raum verließ. Um unversehens in Yahiko hineinzulaufen, der seinerseits eine Begegnung mit seiner Meisterin zu vermeiden suchte. "Yahiko, du musst mir helfen!" Der Faustkämpfer tätschelte in gewohnter Nonchalance den wirren, schwarzen Schopf. "Ich brauche für Kenshin frische Verbände, eine frische Yukata und neue Decken. Beeil dich, klar?" "Wie geht es Kenshin? Ist er wach? Ich will ihn sehen!" Kaoru stürmte an Sanosuke vorbei, der sie jedoch mit einem ausgestreckten Arm auffing. "Das ist keine gute Idee. Ich habe ihn ausgezogen." Bemerkte er mit mehr als einem Hauch Bosheit angesichts der Schamhaftigkeit der jungen Frau. "Bleib hier und pass auf, dass niemand reingeht, Fräulein. Ich hole Okina, damit er sich Kenshin ansieht." "Was ist mit ihm?" Kaorus Fingerspitzen bohrten sich tief in Sanosukes Unterarmmuskel. "Vielleicht eine Lungenentzündung." Der Faustkämpfer löste sich mühelos. "Wir sollten kein Risiko eingehen." Seine schnellen Schritte verloren sich im Aoiya. ~+~ "So ein netter junger Mann!" Die fast zahnlose Frau, dem Boden eher zugeneigt als dem Himmel, fasste freundlich nach Sanosukes Hand. Der zwang sich zu einem Lächeln, das seine Sorge um den rothaarigen Freund verbergen sollte. Er hatte Kenshin verlassen müssen, sicher in der Obhut der Freunde und Verbündeten. Zweifellos konnte er zur Genesung des früheren Attentäters nichts beitragen. Seine nutzlose Anwesenheit würde ihn wohl inzwischen die Wände hochgetrieben haben. Und doch: seine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Ungewissheit des Zustands des zarten Mannes. Andererseits hatte er sein Wort gegeben. Der verfluchte Shinsengumi hatte ihm als Entlohnung für die Lektionen der vergangenen Nacht abgefordert, in das armseligste Viertel von Kioto zu gehen, um dort beim Wiederaufbau zu helfen! "Du wirst dich wie zu Hause fühlen." Hatte der arrogante Bastard ihn aufgezogen. Sanosuke ballte die Fäuste. Ja, er kannte die winzigen, zusammengedrängten Hütten und Katen nur zu gut! Die ausgestoßene Mischung aus landlosen Bauern, verlassenen Alten, glücklosen Tagedieben, Geisteskranken, Waisenkinder und Gaunern. Sie hatten mit ihren mickrigen Behausungen die Ambitionen eines Landbesitzers gestört, der die Unruhen als willkommenen Anlass gesehen hatte, eine 'heiße Sanierung' zu betreiben. Allein, die Beweise fehlten. Hier hielt niemand etwas von der Polizei oder von Aufbegehren. Der junge Mann seufzte lautlos. Er verstand die fatalistische Haltung, auch wenn er sie sich selbst strikt versagte. Mit wenig Anstrengung gelang es ihm, das Dach einer winzigen Stallung zu montieren, um danach auf das niedrige Dach zu klettern und die größten Löcher zu flicken. "He, Großmütterchen, kannst du den Himmel noch sehen?" Bat er grinsend seine zeitweilige Gastgeberin um Mithilfe. Ein mädchenhaftes Kichern antwortete ihm. Seine Laune hob sich. Hatte der alte Bastard tatsächlich beabsichtigt, diesen Menschen Hoffnung zu schenken, indem er Sanosuke als Hilfe aussandte? Nein! Der Faustkämpfer schüttelte den Kopf so stark, dass die ausgefransten Enden der Bandana wild um sein spitzes Kinn flogen. Charakteristischer für diesen kühl kalkulierenden Bastard war die 'Nachricht' an sämtliche Revoluzzer, dass trotz der hohen Verluste an Polizisten die Stadt keinesfalls unter das Recht des Stärkeren fallen würde. Zumindest nicht, solange der Wolf von Mibu hier jagte. ~+~ Sanosuke rieb sich die schmerzenden Schultern, fing einen belehrenden Schlag auf seinen Kopf ein. Mannhaft unterdrückte er jeden Protest, schob sich in eine aufrechte Haltung. Der Tag war anstrengender gewesen, als er vermutet hatte. Die Arbeiten in den Slums schienen keine Ende zu finden. Er hatte die Mahlzeiten auslassen müssen, gefolgt vom Spurt in das Aoiya, wo Kenshins Fieber sich nur unmerklich reduziert, dessen Unruhe jedoch zugenommen hatte. Es fiel dem jungen Faustkämpfer schwer, sich zu konzentrieren. "Ich wiederhole mich nicht, Trottel." Der Wolf von Mibu knurrte warnend. "Im Kampf ist Unaufmerksamkeit tödlich." Gehorsam nickend fokussierte Sanosuke sich wieder auf die Darbietungen des älteren Mannes, der ihm Verteidigungskonzepte vorstellte, dabei auch Handicaps in Betracht zog, die die Defensive erforderten. Diese Art des Lernens, allein durch Beobachtung, verlangte Sanosuke Einiges ab. Sie war ihm fremd. Er fürchtete, dass es nicht ausreichend präsent in seinem Körper manifestiert war, wenn er in der Hitze des Gefechts reagieren musste. Andererseits hatte er Saitou Gehorsam zugesichert. Eine entsprechende Kritik würde wohl kaum unter diesen Gesichtspunkt akzeptabel sein. "Auch wenn es einem eitlen Trottel wie dir schwer fällt zu begreifen: ein Kampf wird entschieden durch die geistige Einstellung, noch bevor man einen Muskel rührt." Der ehemalige Shinsengumi provozierte mit schneidender Stimme. Der junge Faustkämpfer schoss in die Höhe. "Ich weiß das!!" Bekräftigte er heftig. "Ich bin nicht vollkommen hilflos, klar?!" Zu seiner Überraschung grinste der Polizist in einer äußerst zweideutigen Weise. "So, so." Sanosuke funkelte feurig, die Fäuste geballt, bis zu den Haarspitzen elektrisiert. "Ich habe mich seit meinem verdammten neunten Lebensjahr allein durchgeschlagen, alter Mann! Ich habe immer um mein Leben kämpfen müssen! Unterschätze mich nicht!!" Saitou kicherte leise, entzündete eine Zigarette. "Du solltest MICH nicht unterschätzen, Trottel." Bemerkte er bündig. Ein lautes Knurren unterbrach ihr gegenseitiges Belauern. Der ehemalige Sekihoutai rieb sich automatisch den protestierenden Magen. Trotz der dichten Bandagen konnte er die Zuckungen spüren. Er fixierte die Bernsteinaugen hitzig, ob ein boshafter Kommentar angesichts dieser Entwicklung dem ehemaligen Shinsengumi entschlüpfen würde. Saitou lächelte, zog entspannt an seiner Zigarette. »So, so..« ~+~ Der junge Faustkämpfer verwünschte den Tag, die Nacht, Saitou, das Fräulein und alles, was ihm begegnet war. Wenn auch nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge. Das Fräulein hatte ihm untersagt, zu Kenshin zu schlüpfen, da ein Herumtreiber wie er zweifellos jede Menge Schmutz und Krankheiten einschleppte! Dazu hatte sie angedroht, ihm zum Ausgleich ein Frühstück zu bereiten. Das hatte Sanosuke unbedachter Weise abgelehnt, sodass er förmlich aus dem Wohntrakt herausgeworfen wurde. Also hatte er sich zum alten Teehaus zurückgeschleppt, dort ein Sonnen getränktes Fleckchen gefunden, das ihm zumindest Schlaf ermöglichen sollte, wenn der Hunger sich aus seinem unmittelbaren Bewusstsein verabschiedete. Doch nicht nur der nagende Reiz in seinem gequälten Magen hinderte ihn, erquickenden Schlaf zu finden, auch sein Geist wanderte unruhig auf und ab. Er hatte Saitous Auftrag für den heutigen Tag nur zu deutlich vor Augen: ein anderer Slum, eine neue Reihe verbrannter Hütten und Katen. Verkohlte Trümmer, zum Teil noch nicht einmal von ihren im Schlaf überraschten Opfern befreit. Der ehemalige Sekihoutai schluckte hart. Ungeachtet seiner Jugend hatte er Tod, Entbehrung, Verzweiflung und die Abgründe menschlicher Handlungsweisen bereits in ihrer vollen Bandbreite erlebt. Nur sein starker Wille, vielleicht auch lediglich ein Übermaß an Trotz, hatten ihn diese Zeiten überstehen lassen. Er hatte nicht erwartet, jemals wieder in rußigen Ruinen auf ausgebleichte Knochen zu treffen, eingeschrumpfte Kadaver, in Agonie verzerrt. Denen selbst im Tod die Würde versagt wurde: verscharrt wie tollwütige Hunde oder in Abfallgruben versenkt. In einer solchen Umgebung verlangte ihn nicht mehr nach Nahrung. Schwer wie Blei legte sich die fatalistische Stille auf die wenigen Überlebenden, die in den verkohlten Resten ihrer früheren Heimstätten nach ihren Habseligkeiten stocherten. Der Polizist hatte sich unmissverständlich ausgedrückt: Sanosuke sollte sich unter die Menschen mischen, mit ihnen Tote bergen und Unrat beiseite schaffen, damit die Brandherde zerstreut wurden, kein neues Feuer sich 'zufällig' entfachen konnte. Was er selbst dabei hinzuzufügen beschloss, oblag allein ihm. Sanosuke konnte nicht einfach nur dem Tod Rechnung tragen, glimmende Aschehaufen entschärfen. Nein, es widersprach seiner Natur, die Menschen ihrer dumpfen Mutlosigkeit zu überlassen! Einen abgerissenen Lappen vor Mund und Nase gebunden bewegte er sich rastlos zwischen den kleinen Gruppen hin und her, half, munterte auf, scherzte. Zunächst ohne ein veritables Echo. Mit Verstreichen des Tages akzeptierte man ihn jedoch als einen Hoffnungsträger der grimmigen Prägung, der lieber in grollendem Scherz die Zähne zeigte, als sich unterwerfen zu lassen. Seine Erfahrung aus einem Leben in der Unterwelt, vom Straßenkind zum Faustkämpfer, sorgte für Glaubwürdigkeit, auch die pragmatische Assistenz, die sehr viel mehr als wohlmeinende Worte beitrug. Als man ihn endlich ziehen ließ, von freundschaftlichen Danksagungen begleitet, dämmerte der Tag nicht mehr seinem Ende entgehen. Vielmehr brach die Nacht gewichtig über die Stadt hinein. Sanosuke unterdrückte eine Verwünschung. In seinem gegenwärtigen Zustand würde man ihn nicht einmal in das Aoiya einlassen, geschweige denn einer Stippvisite bei Kenshin das Placet erteilen. Danach den undurchsichtigen Bastard von einem Polizisten versetzen?! Eingedenk der Möglichkeiten, die sich Saitou zur Rache boten, wenn er ihn verärgerte, schauderte es den jungen Mann. Eine weitere Frage war überdies von Interesse: warum hatte Saitou ihn ausgeschickt, Fronarbeit in den Slums zu leisten? Aus Mitgefühl mit den Opfern?! Wohl kaum. Der ehemalige Sekihoutai schnäuzte Ruß aus. Nein, so, wie er den durchtriebenen Mistkerl kannte, steckte sehr viel mehr dahinter! Dessen manipulative Natur musste wieder etwas ausgeheckt haben, dass dem Motto Aku Soku Zan Rechnung trug. Fragen kostet nichts, ermutigte sich Sanosuke selbst, als er auf die Ruine des alten Teehauses zuhielt. Lediglich die Notwendigkeit, den passenden Moment abzuwarten, dem Polizisten nicht die Gelegenheit zur Schulmeisterei zu geben, würde sich als die schwerste Hürde erweisen. ~+~ Bis zu den Hüften im angenehm kühlen, leicht grünstichigen Wasser stehend schrubbte sich der junge Faustkämpfer energisch die Spuren von Ruß und Schmutz vom Leib, bis seine braungebrannte Haut sich in seidigem Ton präsentierte, vom Licht des Halbmonds umworben. Er wickelte sich die geliebte rote Bandana um die Rechte, bevor er mittels einer beschädigten Schale, die er in den Ruinen aufgelesen hatte, geduldig Wasser schöpfte, um es über die ungebändigte Masse dunkelbraunen Haars rinnen zu lassen. Mit den von ihren Bandagen befreiten Fingern der Rechten suchte er die verfilzten Strähnen zu entwirren, den Grundsätzen der Körperhygiene zu gehorchen. Als er sich tropfnass der steinernen Einfassung des Teichs zuwandte, gefroren ihm die Glieder: Saitou lehnte, die Arme vor der sehnigen Brust verschränkt, im Gebäudeschatten. Allein die Bernsteinaugen glühten bedrohlich in die sternklare Nacht. Um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn der Gedanke verstörte, dass der ältere Mann ihn ungeniert beobachtet und jede Möglichkeit einer Vorteilnahme in seinem Gebot gestanden hatte, schüttelte sich Sanosuke wie ein dickfelliger Hund, rubbelte energisch die widerspenstigen Strähnen trocken. Er wollte eine launige, bissige, spöttische Bemerkung verlauten lassen, traute aber seiner Stimme nicht. Von seiner Reaktionsfähigkeit ganz zu schweigen. Erstaunlicherweise schrieb er diese ungewohnte Befangenheit nicht der Tatsache zu, dass er nahezu unbekleidet und unbewaffnet war, sondern mehrheitlich der gespannten Stille, die wie ein Strahlenkranz von dem älteren Mann ausging. Unbehelligt näherte sich der junge Faustkämpfer dem traurigen Häufchen, das seine Bekleidung ausmachte, noch ungereinigt und in desolatem Zustand, als ihn die dunkle, aufgeraute Stimme des älteren Mannes innehalten hieß. "Keine Umstände. Komm her." Kurz und knapp. Ein Befehlston, der in natürlicher Autorität weder der Lautstärke, noch unterschwelliger Bedrohungen bedurfte. Sanosuke machte kehrt. Einzig die Zähmung seines wilden Schopfs mit der roten Bandana reduzierte seine entschlossenen Schritte. Unterdessen hatte der ehemalige Shinsengumi in akkurater Geschicklichkeit die Uniformjacke und das hautenge, schwarze T-Shirt abgestreift, um seine Handrücken bis zu den Fingerknöcheln mit feuchtem Ruß aus den Trümmern zu beschmieren. Sein jüngerer Kontrahent verfolgte diese Handlung mit zusammengezogenen Augenbrauen, bevor er sich anschloss, die eigenen Fäuste ebenfalls markierte. Einander umkreisend steckten sie einen Ring ab, nur Wimpernschläge außerhalb der gegenseitigen Schlagdistanz den Gegenüber abschätzend. "Greif an." Saitou nickte unmerklich. Der junge Straßenkämpfer stürzte los. Eine blitzschnelle Folge von Schlägen sollten seinen Gegner eindecken, eine Schwachstelle in dessen Abwehrhaltung finden. Als Sanosuke sich ein wenig zurückzog, eine Atempause einlegte, funkelte es verheißungsvoll in den schwefligen Augen des älteren Mannes. "Verteidigung zum Angriff." Erläuterte er knapp, bedachte seinerseits seinen Sparringspartner mit Schlägen. Einem entsprechend dichten Hagel, der die unausgesprochene Herausforderung erwiderte. Solange Atem und Kondition sie aufrecht hielten, begegneten sich die beiden Männer in einem Schlagabtausch, der sich zu einem choreographierten Tanz entwickelte, bis Sanosuke in einem Sekundenbruchteil der Schwäche zögerte, einige harte Treffer in seine Magengrube nehmen musste. Sie war diese Misshandlung durchaus gewohnt, sandte aber mangels Nahrungsversorgung verstimmt Protestwellen durch den schlanken Leib. Saitou lauerte über ihm, sein Schatten Mahnung genug, dass nur ihre Abmachung verhinderte, was in einem tatsächlichen Kampf unausweichlich in einer Niederlage enden würde. Bevor er sich einige Schritte zurückzog. Sanosuke rang auf die Knie gesunken nach Luft. Er schickte nichtsdestotrotz einige zornige Blicke nach oben, bevor er erstarrte, sein Gesichtsausdruck von Erstaunen über Misstrauen zu Unglauben wechselte. Der ehemalige Shinsengumi beobachtete diese rapide Veränderung mit einer gewissen Überraschung, da er sich nicht erklären konnte, was den jungen Mann zu dieser Reaktion bewog. Sanosuke kam jeder Frage zuvor, indem er bezeichnend an sich herunterblickte, wo sich die Treffer schwärzlich auf der sonnengebräunten Haut ausmachen ließen, während Saitou selbst in elfenbeinfarbener Makellosigkeit erstrahlte. "Du~du bist kein Mensch!" Wisperten die weichen Lippen verwirrt. Eine ausgestreckte Hand klagte Saitou an, ohne jedoch eine tatsächliche Berührung zu riskieren. Saitous Augenbrauen zogen sich zusammen. "Was soll der Unsinn, Trottel?!" Knurrte er guttural, sein markantes Gesicht in kühle Verachtung gehüllt. "Wie kann jemand ein Schwertkämpfer ohne jede Narbe sein?! Wieso habe ich dich nicht ein einziges Mal getroffen?! Du bist kein Mensch!!" Sanosukes Stimme überschlug sich in Empörung. "Phh!" Der ältere Schwertkämpfer schnaubte verächtlich "Nicht jeder ist ein ungeschickter Idiot, der glaubt, dass Nehmerqualitäten Technik und Intelligenz ersetzen!" Versetzte er kalt. "Wenn ich so blöd und linkisch bin, warum hast du dich mit mir eingelassen?! Wer ist da wohl blöd?!" Schnauzte der ehemalige Sekihoutai hitzig zurück, die Fäuste geballt. In den dunklen, großen Augen loderten Flammen. Der Polizist musterte ihn unbewegt, kühl. Als Anführer der dritten Einheit der Shinsengumi hatte es ihm des Öfteren oblegen, neue Kämpfer anzulernen, in die bestehende Struktur und Formation einzupassen. Insbesondere, da ihre legendäre Stärke auf ihrer zielgerichteten Schlagkraft beruhte: 'wie ein einziger Mann.' Zu jener Zeit begegnete man ihm mit Vorsicht und Gehorsam. Sein Ruf als Lehrmeister charakterisierte ihn als strikt, aber gerecht. Seine Erfahrung und das fundamentale Wissen um Taktik und Strategien bewirkten selbst bei ihren Gegnern Respekt und Anerkennung. Brachte man ihm damals einen jungen Hitzkopf, ließ er ihn auflaufen, sich müde schlagen, rebellieren, schreien. Bevor er ihn unbarmherzig auseinandernahm, die Lächerlichkeit der jugendlichen Anstrengungen mitleidlos demonstrierte. Es rettete manchem das Leben. Dass man ihm eine gewisse Unmenschlichkeit vorwarf, berührte den älteren Mann kaum, resultierte diese Einschätzung doch aus der mangelnden Hingabe zu Moral und Ehrgefühlen bei seinem jeweiligen Gegenüber. Bis jetzt hatte noch nie ein anderer ihm diesen Vorwurf gemacht, weil er im Mondschein von seiner Biographie unversehrt schien. »Wahrlich, ein treffender Hinweis.« Saitou brach nach vorne aus, direkt auf den jüngeren Mann zu, dessen Reflexe ein hastiges Ausweichmanöver vorschlugen. Das war selbstredend erwartet worden, sodass es ein Leichtes wurde, die Rechte an ihrem Gelenk aus der Luft zu pflücken, energisch zu umschließen. "Blöder Bengel, wenn du nur deinen Augen traust, habe ich dich tatsächlich überschätzt." Versetzte er bedrohlich kehlig, zwang die widerstrebende Hand, mit den Fingerspitzen über seinen unbekleideten Torso zu streichen. Sanosuke widerstand tapfer dem Verlangen, auf die Hand zu schlagen, die unnachgiebig sein eigenes Handgelenk anwies, eine zweite Einschätzung seines Gegenüber vorzunehmen. Ein seltsames Gefühl durchwanderte ihn: Saitous helle, fast porzellanglatte Haut, bar jeden Haarwuchses, strahlte eine zurückhaltende Wärme aus, die unter seinen Fingerspitzen eine Landschaft schuf, die dem ersten Eindruck seiner Augen nicht gänzlich widersprach. Er fand wenige, hauchdünne Narben, offenkundig ein Zeichen hervorragender Selbstheilungskräfte. Bis Saitou ihn über die Körpermitte von Brustbein bis zum Nabel dirigierte, wo sich die harten, sehnigen Muskelstränge beider Seiten trafen. Zunächst glaubte der Jüngere, die natürliche Trennung der Körperhälften zu ertasten, doch winzige Wülste drängten sich gegen die sensitiv forschenden Hautpartien, bildeten eine gewaltige Wunde ab. »Als hätte man vor langer Zeit versucht, ihm den Bauch der Länge nach aufzuschneiden...« Sanosuke erschauerte, rief diese Vorstellung Erinnerungen hervor, die er verborgen und vergessen halten wollte. "Revidierst du dein Urteil?" Der ehemalige Shinsengumi holte ihn brüsk in die Realität zurück, schnippte Sanosukes Handgelenk mit der gleichen Verachtung weg, die er den Zigarettenstummeln beimaß. Der Faustkämpfer ignorierte diese neuerliche Beleidigung, da er sie als eine Verlegenheitsgeste einstufte, kratzte sich durch den ungebändigten Schopf. "Na gut, alter Mann, wieso treffe ich dich nicht?!" Kam er bündig auf das Wesentliche zu sprechen, fixierte die Bernsteinaugen in ihrer lodernden Kälte inquisitorisch. Saitou unterdrückte ein Schnauben. Typisch für diesen trotteligen Kampfhahn! Anstelle einer gewissen Bekundung von Reue und Scham über seine Niederlage klang selbst seine Ursachenforschung wie eine weitere Herausforderung, ein Vorwurf gar! "Weil du dein Gehirn nicht einschaltest!" Der Ältere hielt die Wahrheit in süffisanter Befriedigung nicht hinter dem Berg. "Du bist leicht zu durchschauen. Deine Angriffskombinationen sind vorhersehbar. Es stellt für einen erfahrenen Gegner kein Problem dar, dir auszuweichen und die Lücken zu finden." Sein bezeichnender, schwefliger Blick spazierte in genüsslicher Ruhe über Sanosukes von Ruß befleckten Körper. Der knurrte vernehmlich. "Na gut. Wie kann ich das ändern?!" Seine Ungeduld ließ keinen Spielraum für intimere Betrachtungen. Der ehemalige Shinsengumi kehrte ihm den Rücken zu, um sich Hemd und Uniformjacke überzustreifen, die Handrücken von Schmutzrückständen zu reinigen und die Handschuhe anzulegen. "Lektion 1: Analyse der eigenen Taktik." Er lehnte sich an einen gebälklosen Pfeiler, illuminierte eine Zigarette mit konzentrierter Miene, die die Bernsteinaugen fast vollständig in den schwarzen Schatten seines scharf geschnittenen Gesichts verschwinden ließen. "Du bist aggressiv, greifst zuerst an. Im Augenblick mit schnellen Schlägen, weil deine Kraft noch nicht zurückgekehrt ist. Wenn deine Kondition keine Schläge mehr zulässt, fängst du sie und alles, was an deinen Fäusten vorbeikommt, mit dem Körper ab." Sanosuke lauschte aufmerksam, rieb nachdenklich seinen befleckten, nackten Bauch. "Das ist dumm." Saitous Urteil hing schwer in der Atmosphäre, niederdrückend, vernichtend. Überraschend brach er die gespannte Stille selbst. "Auf jede Aktion folgt eine Reaktion. Man kann also mit einer bestimmten Aktion eine entsprechende Reaktion bewirken. Darum geht es, nämlich die Kontrolle und Manipulation des Gegenüber." Mit einer nachlässigen Geste wies der Ältere den ehemaligen Sekihoutai an, sich für eine Angriffshaltung zu entscheiden. Bevor er ihn gemächlichen Schritts umrundete, auf Deckungslücken hinwies, unterschiedliche Reaktionen beschrieb, mit erschöpfender Geduld jeden einzelnen der schwarzen Flecken auf Sanosukes sonnengebräunter Haut einem bestimmtem Fehlverhalten zuordnete. Der schwankte merklich, ermattet und hungrig, während sich seine Augen und sein flinker Verstand bemühten, keine der Erklärungen zu verpassen. "Genug für heute." Schloss der Ältere schließlich eingedenk der Konsultation seines eigenen Tagewerks. "Wasch dich und diese grässlichen Lumpen. Heute Nacht erwartete ich Fortschritte." Ohne Abschiedswort ließ er Sanosuke in den Ruinen des alten Teehauses zurück. Der folgte ohne Widerspruch den Anordnungen, entsprachen sie auch seinem Hygienebedürfnis. Er machte sich langsam in klammen Kleidern auf den Weg zum Aoiya. ~+~ Als Sanosuke gegen Mittag erwachte, in den eingestürzten Stall eingekehrt, in trockenem Stroh die Anstrengungen der letzten Tage kompensierend, wurde ihm verspätet bewusst, dass der ehemalige Shinsengumi ihm keinen Auftrag erteilt hatte. In der Folge stand die 'Bezahlung' seiner Unterrichtsstunden noch aus. Dieser beunruhigende Gedanke, über dessen Hintergründe und Wurzeln Sanosuke nicht zu spekulieren wünschte, verblasste unter dem aufkeimendem Wunsch, nach Kenshin zu sehen. Der junge Faustkämpfer befreite sich von den Überresten seines Nachtlagers, verließ die gastliche Stätte, schlenderte über den Hof zum notdürftig reparierten Hauptgebäude. Schrilles Streitgespräch aus einem vom Dach unfreiwillig befreiten Flügel verriet ihm den Aufenthaltsort zweier seiner Freunde aus Tokio, während er den dritten im oberen Geschoss vermutete. Hoffentlich ohne störende Gesellschaft! So leise es ihm möglich war, betrat Sanosuke den Raum, der Kenshin als Krankenzimmer diente, näherte sich dem Ruhenden auf Samtpfoten. Der frühere Attentäter schlug die faszinierenden Augen auf, als er die Gegenwart des jüngeren Mannes spürte, lächelte friedfertig trotz der Bandagen und vielfältigen Wunden. "Hey, Kenshin." Raunte Sanosuke leise, wischte mit einem Finger überlange rote Ponysträhnen aus dem herzförmigen Gesicht. Kenshin blinzelte, um die Begrüßung zu erwidern. Es war ihm noch nicht gestattet, sich verbal zu betätigen. "Wie denkst du über ein leckeres Mittagessen, Kumpel?" Der junge Straßenkämpfer schenkte dem Freund ein Kiefer sprengendes Grinsen, die schokoladenbraunen Augen mit Funken verziert. Kenshins Augen weiteten sich in seine berühmt-berüchtigte Oro-Maske, die zu gut verbarg, welche tiefgründigen Gedanken ihr Besitzer hegte. "Tja, es geschehen noch Zeichen und Wunder. Ich trage mich tatsächlich mit der Absicht, Essen zu kochen!" Versetzte Sanosuke gut gelaunt in gestelzter Diktion, zupfte dabei unbewusst die dünne Decke zurecht, die Kenshins Körpertemperatur regulieren sollte. "Hast du Lust, mich zu begleiten?" Er beugte sich tief hinab, studierte den älteren Mann eindringlich, warb unausgesprochen um dessen Gesellschaft. Die wurde ihm in freundlichen Zwinkern nicht verweigert, sodass er den zartgliedrigen Freund sorgsam eingepackt auf die Arme hob und Richtung Küche trug. ~+~ Den Rest des Tages nach einem selbst kreierten, damit bekömmlichen Mittagessen, zu dem sich sämtliche Menschen im Aoiya versammelt hatten, verbrachte Sanosuke damit, bei den unterschiedlichen Reparaturen der zerstörten Anlagen zu helfen. Er favorisierte die Beschäftigung mit seinen Händen, körperliche Anstrengung, die ihn in Bewegung hielt, während seine herrenlosen Gedanken ihren eigenen Wegen folgen konnten. Dieses Mal jedoch erwiesen sie sich entgegen seinem gewohnt prahlerischen Auftreten als diszipliniert und aufmerksam, repetierten die Lektionen, die der Wolf von Mibu erteilt hatte. Wenn man dessen Ausführungen Glauben schenken konnte, sein Überleben wog als Argument für die Stichhaltigkeit schwer, stand die geistige Durchführung eines Kampfes weit vor der realen, konnte wesentlich zum Erfolg beitragen. Diese Tatsache präsentierte sich Sanosuke nicht als neue Erkenntnis, hatte er doch immer Informationen vor einem Kampf gesammelt oder den Gegner in Bewegung beobachtet, jedoch noch nie zuvor eine so tiefgreifende Verschmelzung für notwendig erachtet, um eine Vorhersage für Reaktionen zu treffen. Etwas an dieser Vorstellung stieß ihm sauer auf, erschien ihm unehrlich, manipulativ. Richtig, es trug das Siegel des ehemaligen Shinsengumi, der alles und jeden für seine Zwecke zu instrumentalisieren suchte. Selbst Kenshin stellte noch eine Herausforderung dar, ein Potential, das man wieder erwecken, wie eine Schachfigur bewegen konnte. Unbestritten jedoch führte diese Strategie des Perspektivwechsels zum Erfolg. Sie rangierte bescheiden unter dem Oberbegriff 'Erfahrung', über die der Polizist reichlich verfügte, Kenntnis über Kampftechniken, menschliche Verhaltensweisen, die eigenen Fähigkeiten und Grenzen. Sanosuke seufzte, wischte sich über die Stirn, die trotz der Bandana nass klebte. »Es ist so theoretisch... so kalkulierend... so.... leidenschaftslos!!« Andererseits, rief er sich zur Ordnung, ging es hier nicht um sein persönliches Amüsement, sondern um das Leben und die Sicherheit seiner Freunde! Wenn es diesen Preis zu entrichten galt, um sie zu beschützen, würde er sich eben zeitweise den Anordnungen des Wolfs von Mibu unterwerfen. Schließlich war er nicht dumm. Wenn Müdigkeit und Hunger ausgemerzt waren, konnte er aus geschultem Blick Angriffstechniken erkennen und einordnen. Die Zeit arbeitete für ihn. Bis jetzt hatte sich kein Aggressor gezeigt. Seine Selbstheilungskräfte wurden ihrem phänomenalen Ruf gerecht. Bald würde seine Rechte wieder der gefürchtete Hammer werden. Kein Grund, nicht zuversichtlich in die Zukunft zu blicken! ~+~ In frisch gereinigten, wenn auch arg mitgenommenen Kleidern betrat Sanosuke das Areal des alten Teehauses. Frohgemut und willig, endlich den Beweis anzutreten, dass er sehr wohl ein guter Schüler sein konnte! Wie erwartet traf er den Wolf von Mibu nicht an. Was mitnichten bedeutete, dass der sich nicht in Reichweite aufhielt. »Lungert immer irgendwo in den Schatten herum, der alte Mistkerl!« Notierte sich der junge Faustkämpfer geistig, grinste offen. Nicht sein Stil, oh nein! Er pflegte stets in das Zentrum des Vergnügens zu platzen, im Mittelpunkt zu paradieren, sich keineswegs zu verstecken oder gar in dunklen Ecken herumzudrücken! Ohne viele Umstände machte er es sich auf einem Trümmerteil bequem, langte nachlässig nach einem vorwitzigen Halm, den er kappte und zwischen die Lippen platzierte, sich bequem hin fläzte, noch einmal die wichtigen Erkenntnisse seiner Kontemplation Revue passieren ließ. "Träumst du, Trottel?" Mokierte sich die wohlbekannte, dunkle Stimme aus der Dunkelheit, zauberte einen kurzen Schauer auf die spärlich bedeckte Haut des Jüngeren, als der sich überrascht sah. Selbstredend schwang Tadel mit, sich derart simpel übertölpeln zu lassen, keine Anzeichen von Wachsamkeit zu zeigen. Sanosuke winkte die Ermahnung leichtfertig weg. "Ich kann finstere Ränkeschmiede eine Meile gegen den Wind riechen!" Prahlte er, entfaltete die schlanken Glieder. "Ausnahmsweise führst du nichts Übles im Schilde." Der ältere Mann lupfte eine Augenbraue. Seine Lippen kräuselten sich in durchaus angebrachter Skepsis. "Du überschätzt dich, Dummkopf." Schnarrte er in der kehligen Weise, die frappierend an das Tier erinnerte, dessen Beinamen er trug. "Niemand liest meine Gedanken." Bekräftigte er leise, in bedrohlichem Unterton. Sanosuke stemmte die Hände in die Hüften, lachte lauthals. Eine großspurige Pose, die lediglich von dem verheißenden Funkeln in seinen schokoladenbraunen Augen konterkariert wurde. "Vielleicht unterschätzt du mich ja?" Provozierte er gut gelaunt, bevor er mehrfach die Fäuste mit den Knöcheln gegeneinander sausen ließ. "Los, alter Mann, lass uns herausfinden, ob ich dich überraschen kann!" Unbewusst leckte er sich die Lippen, ging in die gewohnte Angriffsstellung über. Der ehemalige Shinsengumi reagierte nicht. "Du bist noch nicht so weit." Konstatierte Saitou nüchtern, streifte sich nichtsdestotrotz die Handschuhe über die Finger. Der Uniformjacke ledig, die er sorgsam über einen gestürzten Balken legte, strich er sich mit aufgefächerten Fingern durch die lackschwarzen Haare. "Heute Nacht wirst du dich nur verteidigen. Keine Angriffe, keine Attacken. Vollkommen passiv." Als Sanosuke ein übellauniges Grunzen verabschiedete, funkelte es gefährlich in den Bernsteinaugen, bleckte das starke Gebiss triumphierend. Der Wolf von Mibu löste sein Schwert, noch immer in der Scheide geborgen, ging in seine Gatotsu-Position über. Der Jüngere zögerte, straffte sich dann merklich. Faust gegen Schwert! Nun gut, er wollte keine Almosen, und er würde keine bekommen!! ~+~ Sanosuke taumelte einige unkontrollierte Schritte zurück, fing sich aber, bevor ein weiterer Fehltritt ihm eine feuchte Landung in dem kleinen Teich bescherte. Sein Torso, von der gewohnten Jacke befreit, nur bandagiert, schmerzte höllisch, würde zweifellos am nächsten Morgen einem Flickenteppich alle Ehre machen, was die Koloration und Vielfältigkeit der Hämatome betraf. Saitou hatte sich nicht damit aufgehalten, die Gatotsu-Technik einzusetzen, auch wenn der Jüngere argwöhnte, dass der Wolf ihm die spezielle und private Geheimtechnik vorenthielt. Er hatte den Hiten-Mitsurugi-Stil, Kenshins Kampftechnik, und einige andere eingesetzt, zuletzt sogar mit Aoshis Schwerttanzanleihen gearbeitet. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung neben der Bandbreite der Attacken stellte die Tatsache dar, dass Saitou ein Linkshänder war, sich weder provozieren, noch anderweitig zu einem Lapsus hinreißen ließ. Angesichts der Treffer, die er genommen hatte, war Sanosuke uneingestanden dieser Kunstfertigkeit dankbar. Einem blankgezogenen Schwert hätte er sich nicht ohne schwere Verletzungen entziehen können. Der Wolf von Mibu illuminierte eine Zigarette, studierte seinen Gegner, der ächzend rücklings an einem Balken hinabglitt. "Eins ist wichtig, Trottel." Dozierte er gelassen. "Vergiss niemals, dass du mit deinen Fäusten gegenüber einem Schwertkämpfer im Nachteil bist. Er hat die größere Reichweite und die effektivere Waffe." Sanosukes Mund öffnete sich zum Protest. Saitou gebot mit erhobener Hand Einhalt. "Ein Schwert zieht schnell Blut. Blutverlust löst Panik und Hektik aus. Es macht bewusst, wie nahe der Tod ist." Seine Stimme schmiegte sich in die kühle, schroffe Nachtbrise. "Ein psychologischer Vorteil. Deine Taktik muss lauten, die erste Attacke zu überstehen, das Schwert zu entwinden oder unbrauchbar zu machen. Danach kannst du angreifen." Der jüngere Mann nickte grimmig, rieb sich die Fingerknöchel. Der ehemalige Shinsengumi hatte ihm einige Möglichkeiten aufgezeigt, wie man seinen Gegenüber entwaffnete. Sanosuke memorierte sie exakt, auch wenn er diverse Methoden als unfair und beschämend für einen wahrhaften Kämpfer einstufte. Saitou hatte ihm jedoch eines unmissverständlich klargemacht: er befand sich nicht in einem netten Schlagabtausch in seiner Lieblingsspelunke, sondern in einem harten Kampf auf Leben und Tod, seine Freunde als Pfand ihm anvertraut. So, wie er mit Kenshin gekämpft hatte, eine finstere Erinnerung an die Bakumatsu-Zeit, so musste auch Sanosuke agieren. Jeder Fehler würde bitter reuen. "Wenn wir uns morgen sehen, werde ich deine Fähigkeiten testen." Ein unheimliches, schmallippiges Grinsen stahl sich in die markanten Züge des ehemaligen Shinsengumi. Sanosuke konnte ermessen, dass sein Quasi-Lehrer etwas plante, das ihm ohne Zweifel nicht gefallen würde, versagte sich jeden weiteren Gedanken dazu. "Was soll ich für dich tun?" Geistesabwesend zerraufte er sich den wilden Schopf, die eigene Jacke nachlässig über die nackten Schultern gehängt. Der Polizist diktierte ihm eine Adresse, bei der er sich melden solle. Dort würde man ihn instruieren. Sich ungeniert am Bauch kratzend, wo Haut abgeschürft worden war, nickte Sanosuke dem älteren Mann zu. "Dann bis morgen, Saitou." Er gähnte kieferknackend hinter vorgehaltener Hand, entfernte sich mit ausgreifenden Schritten und dennoch nonchalant. Der ehemalige Shinsengumi zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie achtlos in einen rußigen Brandherd schnickte. »Das hat sich fast freundschaftlich angehört. Vertraut.« Ein kaltes Lächeln überfror seine Züge. »Dummer Junge, wie kannst du mir nur trauen?! Tssstsss.« ~+~ Sanosuke rieb sich mit dem linken Handrücken über die geröteten Augenlider, blinzelte mehrfach, beendete seine Morgentoilette mit einem Gelenk knirschenden Räkeln und Strecken der langen Glieder. Er hätte lieber eine geraume Zeit in Land der Träume angehängt. Das Versprechen, Saitous Lektionen mit Gegenleistungen zu versehen, um sich nicht in ein Schuldverhältnis zu begeben, trieb ihn immer wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins, hielt Ruhe von ihm fern. Wenn er nicht schlafen konnte, war es auch nicht erforderlich, sich hinzulegen und Zeit verstreichen zu lassen! Der junge Schläger stelzte, minimal steifbeinig, hinaus in den Innenhof des Aoiya, um sich zum Brunnen zu begeben, Wasser zu schöpfen. O-Masu trat zu ihm, bat lächelnd um einige Handreichungen, was Sanosuke grinsend vornahm, ihr die Eimer mit nonchalanter Lässigkeit in den abgetrennten Küchenbau trug. Die Frauen im Aoiya, wenn man von der vor verzweifelter Energie explodierenden Misao absah, behandelten sie sehr gastfreundlich und nachsichtig. Sie tendierten nicht dazu, Schläge auszuteilen oder grausige Kochversuche zu unternehmen. Eingedenk seines Tagespensums, nun durch das erquickende Wasser hellwach ging er O-Masu in der Küche zur Hand, heizte die Herdstelle an, assistierte bei der Bereitstellung des Frühstücks. Heiße Suppe, dazu Obst und weißen Reis, eingelegtes Gemüse... Dem ehemaligen Sekihoutai lief das Wasser im Mund zusammen, was er mit einem offenherzigen Grinsen seiner Gastgeberin demonstrierte. Es war ungewohnt, eine richtige Mahlzeit zuzubereiten. Für ihn allein genügte eine Garküche oder das Akabeko, wo man sich nicht mit den Feinheiten der kulinarischen Kunst auseinandersetzen musste. Obwohl es ihm Freude bereitete, eine nicht zu geringe, da er bei passender Gelegenheit das Fräulein mit seinen Fertigkeiten zu düpieren gedachte, die sich in dieser Hinsicht als hoffnungsloser Fall erwiesen hatte. Während Misao aufgekratzt in vorgeblicher Munterkeit pausenlos plapperte, den niedrigen, langen Tisch eindeckte, belud sich Sanosuke ein lackiertes Tablett, das er Kenshin zu bringen beabsichtigte. Eine gemeinsame Mahlzeit, bevor er sich Saitous Fron unterwerfen musste. Eine willkommene Gelegenheit, dem zarten Mann zu versichern, dass seine Abwesenheit nicht aus mangelnder Sorge resultierte, sondern einer Notwendigkeit gehorchte, die zu dessen Besten war. Geschmeidig trennte der junge Faustkämpfer die Schiebetüren mit einem Fuß, während er das Tablett balancierte, mit wenigen Schritten den Raum durchmaß, gelenkig in die Hocke ging, um seine Last auf den Tatami abzusetzen. Kenshin erwartete ihn mit freundlichem Lächeln, einem Ausdruck der Sanftmut, der wie stets seine Wirkung auf Sanosuke nicht verfehlte, ihn mit Wärme und Zuversicht erfüllte. "Guten Morgen, Sanosuke." Wisperte es heiser, aufgeraut aus der Kehle des zarten Mannes, von einem stolzen Strahlen erhellt, das sich an der freudigen Überraschung in den großen Augen des Faustkämpfers nährte. "Hey, Kenshin, deine Stimme ist wieder da!" Dröhnte der das Offenkundige durch die sich langsam belebenden Quartiere, tätschelte die schmale Schulter des älteren Freundes begeistert. Der ehemalige Attentäter lächelte bescheiden, lenkte die Aufmerksamkeit auf die transportierten Nahrungsmittel. "Greif zu, Kumpel!" Betont heftig ließ sich Sanosuke ihm gegenüber mit gekreuzten Beinen auf die Tatami plumpsen, rieb die bandagierten Hände. Er gefror, als ihn der besorgte Blick des Freundes traf, dessen Wachsamkeit die vielfältigen Wunden auf Sanosukes Torso trotz der geschickt platzierten Bandagen nicht entgangen waren. "Bisschen Training, muss ja in Bewegung bleiben!" Grimassierte er ausweichend, drängte Kenshin eine Schüssel mit Miso-Suppe auf. "Trink erst mal was!" Entgegen seiner üblichen Tendenz zu Chauvinismus und betonter Verweigerung von Zugeständnissen gegenüber Konventionen wartete er dem Älteren auf, versorgte ihn mit Nachschlägen. "Damit du groß und stark wirst!" Neckte er grinsend, was ein gutmütiges Lächeln auf das sanfte Gesicht zauberte. Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, erklärte Sanosuke die gegenwärtige Situation bündig, die Gefahr, in der sich Kenshin befand, Aoshis Flucht und, betont beiläufig, die Tatsache, dass Saitou den Brand überstanden hatte. "Sobald du reisefähig bist, Kenshin, kehren wir nach Tokio zurück." Bekräftigte er, fixierte die faszinierenden Augen des Älteren. "Was geschieht mit den Menschen hier?" Gab Kenshin ruhig zu bedenken, das sanfte Glühen auf seinem Gesicht, das Sanosuke innerlich aufstöhnen ließ. Natürlich, Kenshin konnte Unglück und Leid nicht den Rücken kehren, auch wenn es jeder Vernunft widersprach! Sanosuke wollte unbedingt Kioto verlassen. Heimweh? Ja. Nach Frieden, kleinen Geplänkeln, Unterhaltungen mit Katsu, Gelagen mit seinen losen Bekannten aus dem Viertel. "Hör mal." Lenkte er Kenshins Gedanken ab. "Ich muss heute mal raus, was erledigen. Yahiko ist in der Nähe." Seine bandagierte Rechte umfasste Kenshins behutsam, versicherte ohne Worte, dass die Freunde ihn nicht alleinlassen würden. Der ehemalige Attentäter schmunzelte liebevoll, erwiderte den vorsichtigen Druck. "Achte auf dich, Sano." Nickte Kenshin ernst, signalisierte seine Akzeptanz des Aufbruchs. Sanosuke erhob sich langsam, blitzte sein gewinnendes Lächeln taghell in den Raum. "Klar doch, Kumpel!" ~+~ Der junge Schläger richtete sich mit zusammengebissenen Zähnen auf, rieb sich energisch über die unteren Lendenwirbel. »Saitou, dieser verflixte, teuflische Mistkerl!« Die Adresse, die ihm der Ältere gegeben hatte, erwies sich als ein Innenstadtbezirk, in dem Brände und Krawalle Verwüstungen angerichtet hatten. Die Stadtverwaltung entschloss sich in Anbetracht der Schäden und der angespannten Situation, einige der einsturzgefährdeten Bauten niederzureißen. Die freiwerdenden Flächen sollten mit Gräben versehen werden, die als Kanäle der Hygiene dienten und die Gefahr des Überspringens von Flammen reduzieren. Selbstredend hatten die Bewohnenden dieser Maßnahme nicht klaglos gegenübergestanden. Der Stachel der Wut gegen die notwendige Willkür saß tief. Das kam den Zwecken von Unruhestiftern und Aufrührern zupass, die sich hier weitere Aktivisten werben konnten. Deshalb fanden die Aufräum- und Aushubarbeiten unter Polizeischutz statt. Die Arbeiter selbst rekrutierten sich gegen geringe Entlohnung aus dem Gros der zugewanderten Bauern und Ungelernten, die in Furcht vor Racheakten lebten, des Geldes bedurften, um sich und ihre Angehörigen durchzubringen. Sanosuke befand sich somit im Zentrum von Meinungsbildung und Gerüchten. Die Arbeiter, die ihn als einen der ihren anerkannten, wisperten ihm ihre Befürchtungen zu, während die lauernden Anwohner und andere Tagediebe hinter dem patrouillierenden Beamten Drohungen flüsterten, in ihrem Unmut Hinweise auf Terrorzellen und Umstürzler gaben. Was dem jungen Schläger nicht vollkommen einsichtig war, betraf Saitous originäre Absicht. Benötigte der Hilfe beim Graben? Wollte er Sanosuke als Informationsquelle nutzen? Oder steckte noch etwas Anderes dahinter? Sanosuke folgte der müde trottenden Schar zu einem kleinen Unterstand, an dem eine mobile Garküche ihr Lager aufgeschlagen hatte. Die örtlichen Geschäfte boykottierten die Arbeiter. Er ließ sich auf eine Bank sinken, die unter dem Schatten eines gespannten Tuchs wartete. Die Temperaturen näherten sich der Unerträglichkeit. Die nächtlichen Dampfschwaden wirkten wie eine feucht-tropische Dunstglocke, die sich bleischwer auf die Brust legte, die Gedanken erdrückte. Eine gefährliche Atmosphäre, drückend, schwül, Reizbarkeit provozierend. Das konnte er an seinem eigenen Adrenalinpegel erkennen. Er zwang sich, seine Konzentration auf die dünne Nudelsuppe zu fokussieren. Der Tag würde noch lang werden. ~+~ Die Hände tief in die Taschen vergraben strebte Sanosuke missmutig und äußerst schlecht gelaunt den Ruinen des alten Teehauses zu, mit weit ausgreifenden Schritten, die seine zerfetzte Hose aufwehten. Seine miese Stimmung basierte auf mehreren Ereignissen des Nachmittags. Wie er unwidersprochen befand, hatte er sie sich redlich verdient! Zunächst war nach dem Mittagessen ein Eklat entstanden, als einer der Zuschauer einen Arbeiter beleidigt und attackiert hatte. Der wehrte sich. Man schlug aufeinander ein. Die herbeieilende Patrouille unter ihrem unerfahrenen Kommandanten mischte sich übereifrig ein. Hätte nicht Sanosuke mit gezieltem K.O.-Schlag einen Angreifer außer Gefecht gesetzt, hätte man sich zweifellos in einer Straßenschlacht befunden. Dabei konnte man niemandem tatsächlich einen Vorwurf machen. Die Anwohner hatten ihre Heimstatt verloren, die Arbeiter kämpften um das Überleben. Die jungen Polizisten reagierten in Furcht, gerade erst im Eiltempo ausgebildet, sich durchaus des Schicksals ihrer Kameraden bewusst, die Shishios Umtrieben zum Opfer gefallen waren. Diese Episode endete damit, dass man Sanosuke abführte, ohne Verhör in eine der Zellen einschloss. An einem guten Tag hätte er zweifellos protestiert, sogar eine Schlägerei erwogen. Heute blieb er stumm, so zumindest der wenig erfreulichen Arbeit ledig. Immerhin herrschte jetzt Ruhe. Zur Wahrung des Gesichts war ein Mann arrestiert worden, der Frieden wiederhergestellt. Der junge Schläger konnte fehlenden Schlaf nachholen. Kurz vor Sonnenuntergang entließ man ihn kommentarlos. Was vermutlich auf Saitous Veranlassung geschah. Die Oniwa Banshu hätte ihn eskortiert, so vermutete Sanosuke zumindest. Dennoch lief er der verlorenen Zeit hinterher, erneut hungrig, in gereizter Stimmung. Das erfüllte ihn nicht unmittelbar mit Freude. Hatte er sich nicht vorgenommen, ruhig und souverän diese Nacht anzugehen? Dem alten, besserwisserischen Mistkerl zu beweisen, wie gut er sich auf das Kämpfen verstand? Wie schnell er lernte? Damit dessen widerwilligen Respekt zu erringen? Ein weiteres Problem drängte sich unerwünscht in sein Bewusstsein, als er die Umrisse der Ruine ausmachen konnte: der Tag hatte seiner Hose den Rest gegeben. Was nicht bereits in Shishios Palast mit Rissen versehen worden war, hing nun in sichtbaren Fetzen an ihm herab. Vom Geruch und Schmutzgrad ganz zu schweigen. Eilig durchquerte er die mittlerweile vertrauten Pfade auf dem unbeleuchteten Gelände, bedachte den zunehmenden Mond, der sich schüchtern hinter Wolken verbarg, mit düsteren Blicken. Endlich mal keine Dampfschwaden und Nebel, dafür Wolken! Diese Stadt strapazierte seine Langmut außerordentlich. "Du bist spät, Trottel." Konstatierte schneidend eine kehlige Stimme aus dem Hinterhalt, trieb Sanosuke zu einer blitzschnellen Kehrtwende, die Fäuste kampfbereit erhoben. "Ich hatte, dank deiner Hilfe, einen wirklich beschissenen Tag!" Fauchte er hitzig. "Suchst du noch immer die Schuld für deine eigenen Unzulänglichkeiten bei anderen?" Schoss es knurrend zurück. Der Polizist löste sich aus den Schatten eingestürzter Balken und Dachsparren. "Halt's Maul!!" Wischte Sanosuke den Einwurf wutschnaubend beiseite. "Du hast mich doch in diese Lage manövriert! Sag schon, was heckst du dieses Mal aus, alter Mistkerl?!" Die scharf gezeichneten Augenbrauen zogen sich zu einem einzigen Unheil verkündenden Strich zusammen. Die Bernsteinaugen glühten in schwefligem Höllenfeuer, durch das rote Funken irrlichterten. "Du vergreifst dich im Ton." Mahnte der Ältere in bedrohlich dunklem Timbre, bleckte die kräftigen Zähne ansatzweise. An dem jungen Schläger ging diese letzte Warnung nicht spurlos vorüber. Er hatte sich jedoch bereits in seinen blindwütigen Zorn gesteigert, der gewöhnlich mit einer harten Prügelei seinen Abschluss fand. "Leck mich, du perverser Scheißkerl!" Brüllte er ungehemmt zurück. "Du arroganter Bastard glaubst doch, mit uns allen spielen zu können, oder?! Dich schert es einen feuchten Dreck, was aus den Menschen wird, die du herumschubst!" In den animalisch funkelnden, sehr schmalen Augen blitzte es mehrfach. "Ist das deine ungeschickte Art, mich ernsthaft herauszufordern, Schmutzfink?!" Belauerte er den ehemaligen Sekihoutai, die Schultern leicht vorgebeugt. Er fiel unwillkürlich in den schleichenden, taxierenden Gang seines Namenspatrons, die Kiefer, Sehnen hervortretend, angespannt. "Verdammt richtig, du verfluchter Mistkerl!!" Sanosuke stürmte los, die Fäuste geballt. In seinen schokoladenbraunen Augen türmten sich die schwarzen Wolken urtümlicher Wut auf. Ein Hagel von Schlägen deckte den ehemaligen Shinsengumi ein, mit solcher Wucht und Dichte ausgeführt, dass er die herausgefetzten Stoffstreifen seiner Uniformjacke wie herrenlose Federn aufstoben sah. Ihm blieb in dieser Situation nur die Defensive. Er wusste um die hitzige Zornwelle, die den Jüngeren nur eine begrenzte Zeit lang in diesem Tempo und dieser bezwingenden Stärke antreiben würde. Sie würde abebben, vielleicht einen winzigen Sekundenbruchteil, doch der genügte gewöhnlich, zur Attacke zu schreiten. Sanosuke drängte seinen Gegner in das Innere der Ruine, suchte unbewusst nach einem Hindernis, das dem Älteren keine Möglichkeit des Aus- oder Zurückweichens bot. Er spürte die schmerzenden Sehnen und Muskelpartien kaum, registrierte unbehaglich das feine Knirschen und Haken in der normalerweise geölten Kampfmaschine, die er seinen Körper nannte. Nicht gut genug... Doch!! »Verdammt!!« Er biss die Zähne aufeinander, zog die Lippen zurück, die menschliche Variante des Lefzenbleckens. Er WÜRDE gut genug sein! Er MUSSTE gut genug sein, um dem verfluchten Scheißkerl die längst überfällige Lektion zu erteilen! Jemand musste ihn in seine Schranken verweisen, einen Denkzettel verpassen!! Mit grimmiger Entschlossenheit warf er seine ganze verbliebene Kraft in jeden einzelnen Hieb, legte mit den Beinen nach, ein wuchtiges Fortschreiten. Er beabsichtigte, in schierem Hass seinen Gegner zu erdrücken. Der Schwertkämpfer nahm einige Treffer, während er sich bemühte, kalten Verstandes seine Reaktionen zu erwägen. Sein Leib war geschult, sein Instinkt scharf, seine Reflexe herausragend, seine Geduld trainiert. Aber seine Selbstkontrolle verlor sich erschreckend rapide. Er verspürte den ärgerlichen Drang, sich in gleichem Maße selbst zu vergessen, ebenso hitzköpfig drauf zu schlagen, zu attackieren, blindlings voranzustürmen. Als gebe es keine Reaktion. Den vorlauten, prahlerischen, eitlen Streithahn in den Staub zu schmettern! Ihm ein für alle Mal zu beweisen, wie überlegen er war! »Nein.« »Nein.« Die Fäuste unmerklich fester ballend rief er sich stumm zur Ordnung, belauerte hinter dem Schutz seiner Verteidigungshaltung die gerötete, von Spuren der Anstrengung gezeichnete Miene des Jüngeren, der in verzweifeltem Zorn auf ihn einschlug. »Die Übersicht behalten. Ruhe bewahren. Kontrolle. Immer. Ohne Ausnahme.« Die Worte prallten in seinem Schädel wider, schleuderten umeinander, verhedderten sich zu einem wirren Netz an Ermahnungen. In diesem Augenblick fand er eine Lücke, eine winzige Nachlässigkeit in Sanosukes unbestechlichem Hagel. Er wirbelte um die eigene Achse, akzeptierte Schläge auf den Rücken, während seine Linke das Schwert von der Scheide befreite, im Abschluss der Drehung mit blankgezogenem Stahl wartete. Sanosuke erstarrte taumelnd, sich überdeutlich der Gefahr bewusst. Er stand noch immer in Saitous Schlagdistanz, schwer atmend, in seinem ungebändigten Vorwärtsdrang gefangen, der ihm zum Verhängnis werden konnte. Hatte er nicht tatsächlich eine Herausforderung ausgesprochen? Der Bastard würde ihn umbringen. Wenn er verlor, verlor er auch sein Leben. Der junge Schläger sprang hastig zurück, die Arme vor den Leib gekreuzt, in der wilden Hoffnung, den ersten Hieb abfangen zu können, sich Zeit zu verschaffen, um seine Taktik zu überdenken. Überhaupt einmal nachzudenken. Wie ein schwarzer Schatten stürzte Saitou vorgebeugt auf ihn zu, schnitt die Luft mit der Klinge, beschleunigte blitzschnell. Ein mörderischer Schemen mit schwefelnden Augenschlitzen und einem reißenden Wolfsgebiss. Sanosuke wankte hastig zurück, den Kopf gesenkt, die Arme schützend vor den Leib gehoben, als er in seinem unkontrollierten Fluchtdrang den Boden unter den Füßen verlor, mit einem erstickten Aufschrei haltlos und Arme rudernd fiel. Er fand sich von Wasser umgeben, das den Sturz bremste, wie eine tröstende Umarmung seinen Körper umtoste. Um sich schlagend schoss er wieder an die Oberfläche, tropfnass, stand bis zur Taille im Teich, während an der Umfassung wie ein Monolith in den wolkenverhangenen Nachthimmel ragend Saitou über ihm drohte, die Klinge blank, der zerfetzten Uniformjacke ledig, die Bernsteinaugen in blutrünstiger Rache glimmend. Die scharfen Raubtierzähne blitzten zu einem boshaften Lächeln auf. Mit einem unartikulierten Wutschrei schmetterte Sanosuke die Rechte flach auf die sich beruhigende Wasseroberfläche, produzierte durch die erlernte Schlagtechnik eine gewaltige Fontäne, die auch den ehemaligen Shinsengumi erreichte. Der konnte trotz flinken Schwertschwüngen der Taufe nicht entgehen, begegnete ihr mit der arroganten Würde, die Sanosuke weißglühend schäumen ließ. Mit jedem Sekundenbruchteil, in dem der Ältere nachlässig mit den weißen Handschuhen seine lackschwarzen Haare aus dem Gesicht strich, brüllte in ihm ein waidwundes Tier nach Vergeltung. Es war nicht die Zeit des abwartenden Belauerns. Er wusste, dass dieser Kampf alles entscheiden würde. Er würde nicht feige seinen Gegner manipulieren! ER würde in SEINEM Stil kämpfen und nicht verlieren! Niemals verlieren!! Mit katzenhafter Gewandtheit kletterte er schwungvoll an das gemauerte Ufer des Beckens, schüttelte sich die Nässe von den Gliedern. Er kehrte mit ausgreifendem Schritt in den ehemaligen Salon des Teehauses zurück, der ihre Kampfarena bildete, traf den Älteren, der in die Angriffshaltung des Gatotsu ging. Ein Bein vorgelagert, das andere gewinkelt mit dem schmalen Schwert über die ausgestreckte Rechte sein Ziel anvisierte, auf den Lippen ein gefühlloses, knappes Lächeln, das mokierend eine Herausforderung formulierte. »Dies ist ein richtiger Kampf, ein Duell auf Leben und Tod.« Der Faustkämpfer erwiderte das Lächeln knapp. »Du bekommst, was du verdienst.« Für eine endliche Ewigkeit starrten sie einander an. Nur reale Herzschläge später stürzte Sanosuke mit einem unartikuliertem Kehllaut los. Der ehemalige Shinsengumi nahm das Signal auf, preschte gleichermaßen nach vorn, die Fänge knirschend. »Dummer Junge!« Verlor sich seltsames Bedauern in seinen animalischen Gedanken. Sanosuke folgte seinen Instinkten, gedankenleer, nur noch trommelndes Herz und ächzende Atemzüge. Er sah die tödliche Schwertspitze in Höchstgeschwindigkeit auf das Zentrum seiner roten Bandana zurasen, ließ sich fallen, glitt über den Boden weiter, die Beine des Älteren zum Ziel. Der ehemalige Shinsengumi verlor keine Zeit, drückte sich vom Boden weg, wollte um die eigene Achse wirbeln, als er die Hände des Schlägers um seinen Knöchel spürte. Er umklammerte das Heft seines Schwertes fester, rollte sich geschickt zusammen, barg das Schwert an seinem Körper, bevor er auf dem Boden aufprallte. Nicht überraschend fand er Sanosuke bereits über sich, der seine Handgelenke umklammerte, um ihm das Schwert zu entwinden. In wechselndem Kräfteüberschwang rollten sie über die kalten Steinplatten. Ihre Atemwolken kondensierten in der schweren, feuchten Luft. Jeder war bemüht, ein Knie zwischen die Beine des anderen zu dirigieren, die Flucht in die kreiselnde Bewegung zu hindern. Saitou gab schließlich nach. Das Heft entglitt seinen Fingern, die, zur Faust geballt, nunmehr die Richtung änderten, den Klammergriff freizusprengen suchten. Der Faustkämpfer über ihm lächelte triumphierend. Gegen seine Kraft war kein Kraut gewachsen! Er hatte den Älteren tatsächlich in ernstliche Bedrängnis gebracht! Der Wolf von Mibu bleckte die Lefzen, goutierte das verwirrte, sich in Misstrauen wandelnde Grinsen, bevor er blitzschnell seinen Oberkörper vom Boden katapultierte, die Zähne tief in Sanosukes ungeschützte Kehle rammte. Ein erstickter Wehlaut belohnte diese Attacke. Seine Linke kam frei, weil der Jüngere die Hand in den Nacken des ehemaligen Shinsengumi grub, bereit, das Genick zu brechen, sollte er nicht sofort von diesem grauenvollen Schmerz an seiner Kehle erlöst werden. Die wenigen Wimpernschläge, die ihm blieben, nutzte der Ältere kaltblütig aus, fingerte nach seinem Schwert, schmetterte in einer fließenden, kreisrunden Bewegung den Knauf hart gegen die Schläfe des früheren Sekihoutai. Sanosuke stöhnte leise, benommen. Erst drei weitere, wuchtige Schläge setzten ihn vollkommen außer Gefecht, begruben den Älteren unter seinem willenlosen Leib. »Sturschädel!!« Knurrte der Polizist in widerwilligem Respekt, als er den erschlafften Körper von sich schob, auf den Rücken drehte. Der Faustkämpfer atmete noch. Hinter den bläulichen Lidern zuckte es. Das bewies dem Älteren, dass Sanosuke in Kürze das Bewusstsein wiedererlangen würde. Er erhob sich, strich sein Hemd glatt, zielte mit der Klinge auf die malträtierte Kehle des Jüngeren, lauerte breitbeinig über ihm. Der Schläger blinzelte. Er beschwor benommen seine Wahrnehmung, das Bild vor seinen Augen tunlichst zu justieren, damit er sich einen Überblick verschaffen konnte. Er wollte sich auf die Ellenbogen stützen, als ein scharfer, unnachgiebiger Schmerz ihm Einhalt gebot. "Was...?!" Seine sich nur gemächlich aufklarenden Augen starrten ungläubig auf die spiegelnde Schwertspitze, die intimen Kontakt zu seiner Kehle unterhielt. Ein papierdünnes Lächeln kräuselte Saitous Lippen, als er das nervöse Flackern der schokoladenbraunen Augen auf sich gerichtet fand. "Du hast verloren." Konstatierte er in befriedigter Grausamkeit das Offenkundige. Der Jüngere überraschte ihn. Sanosuke legte die Handgelenke überkreuz unter den Kopf, streckte sich leicht, ignorierte die Schwertspitze wie ein lästiges Insekt, ein fahles Grinsen auf den ermatteten Zügen. "Ich verliere niemals." Das lose Hemd klaffte offen, entbot eine gebräunte, von einem harten Leben gezeichnete Brust, die der eigentümlichen Attraktivität des ehemaligen Sekihoutai keinen Abbruch tat. "Töte mich." Wisperten die aufgebissenen Lippen. "Und du bist verpflichtet, an meiner Stelle Kenshin zu schützen." Saitou funkelte auf die erschöpfte Gestalt hinab, taxierte ihre ausgestreckte Länge, das verzweifelte Lächeln in dem herzförmigen Gesicht, gerahmt von dem wilden Mob unbändiger Strähnen. "Das ist dein Plan?!" Fauchte er guttural. "Du verlierst nicht, weil der bessere Kämpfer Kenshin zur Seite stehen muss?!" Vergewisserte er sich lauernd. Sanosuke grinste bleich. "Wie du willst." Quittierte der ehemalige Shinsengumi kalt, umfasste das Schwert fester. Der kleine Gockel glaubte also, ihn benutzen zu können, mit ihm ein Spielchen zu treiben?! Er würde ihn lehren, derartigem Größenwahnsinn zum Opfer zu fallen! Die kalte Schwertspitze wanderte in tödlicher Nähe über Sanosukes Brustbein hinunter zu seinem Unterleib, zog eine unsichtbare Spur, die ihn frappierend an die Narbe auf Saitous Torso erinnerte. Die Fäuste ballend schloss er fest die Augen. »Ein schneller Tod...« ~+~ Kapitel 3 - Gewitter "Steh auf." Verwirrt runzelte der ehemalige Sekihoutai die Stirn unter seiner Bandana. Wieso versah ihn der Ältere nicht mit dem mörderischen Hieb?! Als er nicht reagierte, gruben sich Fingernägel hart in seinen Oberarm. Er wurde unsanft auf die Füße hochgerissen, weiter gestoßen, die Schwertspitze in seinem Nacken. "Beweg dich." Dirigierte ihn der Ältere unerbittlich zu einem Stützbalken hin, der herrenlos in das zertrümmerte Dachgewölbe ragte. Mit einem Ruck wurde die offene Jacke von seinen Schultern gezerrt, die Bandagen um seinen Körper mit gezielten Streichen zerfetzt. Ein neuerlicher Schlag ließ die einfache Hose auf seine Knöchel sausen, mit geschicktem Hieb zerteilt. "Hey, was...?!" Ein grober Stoß in das Rückgrat schleuderte ihn gegen das rußige Holz. Die Reste seiner eigenen Hose schnürten seine Handgelenke ein, fesselten ihn hauteng an den Balken. Nur mit einem Suspensorium bekleidet vermutete er, dass der boshafte, ehemalige Shinsengumi ihm das Schwert wie eine Peitsche über den Leib ziehen würde, bis er langsam verblutete. Sanosuke schluckte hart. Er hatte diese Foltermethode mehr als einmal gesehen. Doch er würde nicht um Gnade betteln, nein! Seine Kameraden sollten ihn stolz aufnehmen können! Nicht gebrochen, nicht unterlegen, den Freunden und der Freiheit treu bis zum letzten Atemzug. ~+~ Der Wolf von Mibu kämpfte um Beherrschung, was sich einem ausgesprochen versierten Publikum nur dadurch offenbarte, dass sein Atem rascher flog. Wie konnte dieser impertinente, ausgeblasene Straßenjunge glauben, ihn in ein so selten dämliches Spiel zu verwickeln?! Er konnte den Jungen nicht töten, das wusste er. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit war er mit seinem Gatotsu in ein Duell gestürmt, ohne den Tod seines Gegenüber eingeplant zu haben. Der vorlaute Gockel hatte eine Lektion verdient, so viel war sicher. Die sollte ihn schmerzhaft daran erinnern, die Ratschläge eines erfahrenen Mannes nicht abzustreifen wie müßiges Geplänkel! Die Wut brodelte siedend heiß in seinem Körper, wie verflüssigter Schwefel, vergiftete langsam seine Selbstkontrolle. »Ich bin der Wolf.« Wiederholte er stumm, die Zähne ineinander verkeilt. »Der letzte aus meinem Rudel. Ich jage nach meinem Gesetz. Ich richte nach meinem Urteil. Ich lebe und sterbe nach eigener Entscheidung. Keines Mannes Diener, allein mir selbst verpflichtet.« Fassungslos bemerkte er seine Rechte, die über dem entblößten Rücken des ehemaligen Sekihoutai schwebte, Körperwärme auffing, den Herzschlag absorbieren wollte. Die Linke umklammerte den Schwertgriff härter. »Er hat mich herausgefordert. Ein Duell endet immer mit der vernichtenden Niederlage des Gegners.« Mit dem Handrücken wischte er sich über die Stirn. »Diese verdammte Schwüle in der Stadt!« Vermutlich ermordeten sich gerade wieder Nachbarn in ihren Betten, prügelte man sich! Es trieb die Menschen in den Wahnsinn. Er musste eine Entscheidung treffen!! Langsam führte er den rechten Handschuh an die Lippen, zupfte den Stoff mit den Zähnen von seinen schlanken Fingern, bevor er sein Schwertholster abschnallte, auch seine von Schwertschwielen gezeichnete Linke entblößte. Saitou trat dicht hinter Sanosuke, krallte die Rechte in dessen ungebärdigen Schopf, bog dessen Kopf hart in den Nacken, während er mit der linken Hand die verfärbte Kehle umschloss. "Du hast mich herausgefordert." Raunte er kehlig, nur einen Wimpernschlag Abstand zwischen ihren angespannten Körpern. "Du bist mir ausgeliefert. Ich werde dich ein letztes Mal etwas lehren, dummer Junge." Er spürte, wie der junge Schläger schluckte, den Schmerz unterdrückte, sich um Haltung bemühte. Trotz auf seine attraktiven Züge zwang. Der ehemalige Shinsengumi hieß seine Linke von Sanosukes Kehle hinunter streichen, touchierte mit den aufgefächerten Fingerspitzen das Schlüsselbein paritätisch, bevor er mit den Fingernägeln vertikal entlang des Brustbeins über die Rippen tiefer wanderte, über dem Bauchnabel die Richtung wechselte und mit hartem Griff das Suspensorium umschloss. Sanosuke stieß ein heiseres Stöhnen aus, stemmte sich gegen die Fesseln, während ein Schauer seinen Leib durchmaß. Die Rechte des Polizisten zeichnete die versehrten Lippen des Jüngeren nach. Glühende Atemzüge kondensierten in der Luft, mischten sich miteinander. Die Zunge des Älteren betupfte ein Ohrläppchen, saugte es nachlässig in das Territorium seines Raubtiergebisses, das ohne Zögern die Gabe prüfte. Ein hilfloses Wimmern schreckte sie beide auf, trieb ein erwartungsvolles Zittern durch die angeschmiegten Körper. Mit einem mahnenden Knurren zog der ehemalige Shinsengumi die Reißzähne über eine hervortretende Sehne, leckte begehrlich mit der Zunge über den Hals des Jüngeren, während seine Rechte hart über die Brustpartie strich, durch die Vehemenz reibend Erregung aufbaute. Er glitt an den sich abzeichnenden Wirbeln des Rückgrats hinab, nagte wie ein Hund an einem Knochen, jagte winzige Bebenserien durch Sanosuke, der mit tiefem Atemschöpfen seiner Lustqual Herr zu werden versuchte. Saitous Hände wanderten über die austrainierten Muskelpartien des Bauches, zogen unsichtbare Spuren über die spitzen Beckenknochen, massierten in kreisender Perfidität die Lenden, bevor sie sich zwischen die Schenkel schmuggelten, sie in ihrer Anspannung erkundete. Seine Lippen bliesen heißen Atem auf die Lendenwirbel. Er schlug die Zähne hart in den empfindlichen Bereich, linderte den Schmerz mit tröstendem Liebkosen der zuckenden Bauchmuskel. Er konnte das harte Atemholen des Jüngeren deutlich vernehmen, seine Erregung zwischen seinen Schwielen übersäten Fingern umfassen, streicheln, liebkosen, reizen... und sich zurückziehen. Einige knappe Schritte zurückweichen, seinen Puls kontrollieren. Der ehemalige Shinsengumi ballte die Fäuste. »Ich kann es nicht!« Erkannte er mit furioser Indignation, verwünschte sich selbst. »Ich kämpfe mit meinem Schwert, meinem Wort, meinem Willen, aber nicht auf diese Weise. Wenn ich ihn gehen lasse, bin ich unterlegen.« Er knurrte kehlig. »Unsinn. Ich selbst entscheide, was für mich Sieg und Niederlage bedeutet.« Mit einigen Schritten umrundete er den Stützbalken, löste die Fessel. Sanosuke taumelte schwankend von dem dunklen Holz zurück, rieb sich die Handgelenke, während seine von Lust trüben Augen verwirrt die Bernsteine suchten, die blitzend in der Dunkelheit schwebten, sich rapid abkehrten. Er stürzte in einem unbewussten Reflex nach vorn, umklammerte ein Handgelenk, betrachte ungläubig seine eigene Hand. Die behutsam umfasst, abgepflückt wurde. "Warte hier." Der Wolf von Mibu verschmolz mit den Schatten. ~+~ Er pirschte, nurmehr ein Schemen in den Augenwinkeln, durch die verwinkelten Gassen und kleinen Straßen, die Bernsteinaugen wachsam und unbeirrbar. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen: es wartete viel Arbeit. Das eilig verkündete Ausgangsverbot reduzierte seine Aufgaben nur unwesentlich. Dennoch. Dennoch strebte er den Ruinen des alten Teehauses zu, trug einen Gi und einen Hakama ordentlich gefaltet, dazu einige Reisbälle als Proviant. Mit jedem Augenblick, der seit dem beispiellosen Duell in den Ruinen vergangen war, hatte er seine Entscheidung sorgsam überprüft, alle möglichen Folgen in Erwägung gezogen. Seine Entscheidung nicht revidiert. Er schlich über das Trümmerfeld, durch den Wolken bedeckten Himmel auf sein Gespür und Gedächtnis zurückgeworfen. Der junge Gockel hatte sich vor dem Stützbalken, der ihm fast zum Marterpfahl geworden war, zusammengerollt, nutzte seine verschlissene Jacke als Kopfkissen. Der Polizist verharrte einige geduldige Herzschläge vor der zusammengekauerten Gestalt, bis sie aufschreckte, sich selbst in eine sitzende Haltung dirigierte, von einem leisen Stöhnen begleitet. "Steh auf, Junge." Wies der Ältere mit knappem Befehl an, wartete, bis sich Sanosuke mühsam am Stützbalken rücklings hochgeschoben hatte, eine Hand fest auf eine Schläfe gepresst. Ohne Erklärung wurden Sanosukes Hände heruntergezogen. Glatter, seidiger Stoff streifte die klebrig heiße Haut schmeichelnd, während der frühere Shinsengumi ihm den Gi um den Leib legte. Ebenso unbeteiligt wickelte ihn der ältere Mann in den Hakama, band ihn gewandt und kunstfertig, kontrollierte auf Armeslänge Abstand die Wirkung der ungewohnten Aufmachung. Sanosuke taumelte leicht, starrte in der Semi-Dunkelheit an sich herab, strich mit einer bandagierten Hand linkisch über das hochwertige Fabrikat. Es war sehr lange her, dass er so förmlich gekleidet gewesen war. Noch nie in derart kostspieligen und wertvollen Stoffen! "Sehr farbenfroh." Brachte er krächzend mit verzogener Miene ob der schmerzenden Kehle hervor, kommentierte das bläulich schimmernde Schwarz der beiden Kleidungsstücke. Der frühere Shinsengumi überging diese Bemerkung. Seine forschenden Finger erkundeten unterdessen die Schwellung an der Schädelseite des Jüngeren geschult. "Hey... hey! Das tut weh, verdammt!" Sanosuke brach seitlich aus, drängte die Hände von seiner Kopfpartie ab. "Dabei wurde nichts Edles verletzt." Spottete der ehemalige Shinsengumi kühl, schnippte geschickt ein Streichholz zu feurigem Leben, ließ es vor Sanosukes schokoladenbraunen Augen hin und her tanzen, erforschte die Beweglichkeit und Größe der Pupillen. "Mir ist nicht schwindlig, klar?!" Wischte der brüsk die Inspektion weg, wollte in der gewohnt trotzigen Haltung die Hände tief in den Hosentaschen versenken, scheiterte an der Mangelhaftigkeit ihrer Existenz. Saitou schnalzte tadelnd mit der Zunge. "Wieso hast du aufgehört, alter Mann? Nicht genug Mumm?" Lenkte ihn der ehemalige Sekihoutai ab. Das schattige Grinsen kündete jedoch von angestrengter Pose, und, wie Saitou nicht ganz unzutreffend vermutete, erheblichen Kopfschmerzen. Die schwefligen Augen zogen sich zu lauernden Schlitzen zusammen, während der Schwertkämpfer achtsam die mitgeführten Reisbälle auf einem trockenen Sims ablegte. "Ich vergreife mich nicht an Kindern." Beschied er frostig. "Kindern?! Ich bin kein Kind, du arroganter Stiesel!!" Sanosuke explodierte wie eine chinesische Neujahrsrakete: zu viel Show und Getöse, um über die fehlende Sprengkraft hinwegzutäuschen. "Ja, ja." Wedelte der Polizist mit ungewohnter Ungeduld die sich im nächsten Atemzug formulierten Reminiszenzen an das schnelle Erwachsenwerden des anderen weg. "Verkneif's dir, Trottel." "Du hast mir nichts zu verbieten, klar?!" Der Faustkämpfer schnaubte, die Fäuste geballt. "Ist es nicht so, dass der Sieger alles nimmt? Die Regeln bestimmt? Oder nicht? Der Stärkere hat doch immer recht, nicht wahr?! Wer stört, den entsorgt man. Aber das weiß ein Kettenhund der Meiji sicher besser als ein dummer Bauernsohn!" Saitou taxierte seinen Gegenüber angespannt. Er konnte die Hitzewellen der Erregung spüren, die raschen, rauen Atemzüge, die gebändigte Kraft in dem alerten Körper vor ihm. Und doch sendete der missverständliche Signale aus. "Beleidige meine Intelligenz nicht mit banalen Provokationen." Gab er betont abweisend zurück. "Außerdem muss man sich fragen, warum du bei dieser Meinung ausgerechnet mich als Lehrer um Hilfe gebeten hast." Sanosuke schluckte. Er wollte die mit perfider Genauigkeit gewählten Worte nicht gelten lassen ungeachtet des Wahrheitsgehalts. Er verwünschte sich für den unerquicklichen Drang, einfach drauflos zu reden, zu beleidigen. Als treibe ihn eine unsichtbare Kraft an, stets Unfrieden zu stiften und zu sticheln, bis ihm eine neue, schmerzhafte Lektion zuteil würde. "Du denkst doch, ich bin nicht gut genug für dich, du Mistkerl! Ein Stück Vieh, das man hätte entsorgen sollen, weil es nicht artig unter dem Joch bleiben wollte. Du unterstützt diese Feiglinge der Meijis..." Ein schlanker Finger legte sich auf Sanosukes aufgebissene Lippen, hieß sie verstummen. Die Bernsteinaugen glommen in der Dunkelheit unbestechlich, rätselhaft. "Du wirst mich nicht dazu bringen, dich zu töten oder zu vergewaltigen. Ein besonders guter Schauspieler bist du auch nicht gerade, kleiner Gockel. Geh zu deinen Freunden und schlaf dich aus." Für Wimpernschläge blieb es ruhig. Eine elektrisierte Stille. Enragiert über das Maß der artikulierbaren Laute hinaus warf sich der ehemalige Sekihoutai auf den Polizisten. Saitou fing die Handgelenke erstaunlich mühelos ein, fand sich in einem intimen Tanz mit dem jüngeren Mann, der ihn durch schiere Körperkraft in die Ecke zu drängen versuchte, die Zähne fletschend, die schokoladenbraunen Augen tiefseeschwarz verfärbt. Der frühere Shinsengumi hielt dagegen, stemmte sich in den Boden hinein, als unerwartet der Widerstand ausblieb, er durch die eigene Kraft nach vorne gezogen wurde. Gegen den Jüngeren prallte, der ihn mit einer fließenden Bewegung auf den halbgeöffneten Mund küsste. ~+~ "Ich fordere dich heraus!" Raunte es heiser, atemlos an den dünnen, erstaunten Lippen. Saitou schob ungehindert den Faustkämpfer von sich, auf halbe Armlänge Abstand, studierte die dunklen, entschlossenen Augen argwöhnisch. "Du weißt nicht, was du tust." Versetzte er gönnerhaft. Das löste ein verschmitztes Grinsen auf den attraktiven Zügen seines Gegenüber aus. "Bring es mir bei." Die einkehrende Stille bedeutete beiden, sich gegenseitig aufzuwiegen, Ernsthaftigkeit gegen Misstrauen und Vorsicht. "Geh nach Hause." Wiederholte der Polizist überdeutlich, verschanzte sich hinter der ausdruckslosen Maske seiner gewohnten Kälte, löste sich von dem jüngeren Mann. "Du kneifst?!" In Sanosukes Stimme schwang unverhohlene Überraschung mit. Er folgte dem Schemen durch die Ruine des alten Teehauses. "Du kannst nicht einfach abhauen!" Protestierte er energisch, hob unwillkürlich die Hakama an, um nicht etwa mit rußigen Trümmern zu kollidieren. "Ich habe dich herausgefordert!" "Ja," Versetzte der ehemalige Shinsengumi trocken. "Und du hast heute jede Menge gegen den Schädel bekommen. Bei deiner weichen Birne kann sich sonst was festgesetzt haben." Winkte er boshaft Unbeschriebenes in die stickig-schwüle Nachtluft. "Ich weiß genau, was ich tue!" Brüllte Sanosuke unbeherrscht, die Fäuste geballt. "Ach was?" Saitou kehrte sich halb um, stellte die Hüfte in einer amüsiert wirkenden Pose aus. "Warum willst du dann bei mir in die Lehre?!" Um der Demonstration seiner Überlegenheit die Krone aufzusetzen, hauchte der Polizist in teuflischer Akkuratesse einen Kuss auf die nunmehr Handschuh bewehrte Linke, sandte ihn aus. Sanosuke verharrte in seinem Schritt. Statt einer Schimpfkanonade presste er die Lippen fest aufeinander. Es war nicht richtig von Saitou, sich in einem groben Scherz zu flüchten! Er befand, dass er dessen vernichtenden Spott nicht verdient hatte. Ruhig drehte er sich um, hielt auf das zerstörte Gebäudeinnere zu, wo er seine lädierte Jacke zu bergen beabsichtigte. ~+~ Der Wolf schnellte seinem Schatten gleich durch die schwere Nacht. Die Linke riss den Streithahn an der Schulter herum, während die Rechte den wirbelnden Sturz ausbalancierte, den schlanken Körper eng an den eigenen presste. Saitou zögerte nicht, erstickte den überraschten Laut gründlich, fixierte mit der Linken das Genick in passender Position, eroberte fremde Gefilde, erkundete sie züngelnd, um mit Beute zurückzukehren, die seine scharfen Zähne unter genaue Inspektion nahmen. Aus seiner Kehle drangen ungesteuert raue Tierlaute, vibrierten in seiner Brust, riefen ein Echo hervor, während er animalisch-besitzergreifend Sanosuke küsste, ihm den Atem stahl, die wund gebissene Haut erneut attackierte. Er spürte die glühende Hitze aus dem biegsamen, starken Leib wie ein Leuchtfeuer, das ihn einhüllte, aus der Finsternis hervorlockte. Die Leidenschaft, die ihm zuteil wurde. Langsam, aber bestimmt schob er den ehemaligen Sekihoutai von sich, richtete die Yukata ordentlich, als gelte es, die Spuren dieser blitzartigen Zuwendung zu tilgen. "Versau meine Kleider nicht, Streithahn." Mahnte er leise, kehrte sich um, tauchte rasch im Schutz der verdunkelnden Nachtwolken in die Schattenwelt ab. Sanosuke schwankte, zwischen Indignation über diesen knappen Abschied und profunder Erleichterung. "Ich werde gleich in den Tümpel hier springen, hörst du?! Und mich danach stundenlang im Schlamm aalen!" Drohte er lauthals. Er nahm seine Wanderung in das Innere des alten Teehauses wieder auf, hängte sich seine Jacke um die Schultern, bevor er mit einem verstohlenen Lächeln die Reisbälle im Gi barg. ~+~ Der sehnige, großgewachsene Polizist lehnte sich an eine niedrige Hauswand, illuminierte gedankenverloren und doch wachsam eine Zigarette. Er inhalierte tief. Abgesehen von einer sparsamen Schüssel Nudeln und einem privaten Bad sein einziger Luxus der Entspannung und Selbstbesinnung. Die entsetzlich drückende Schwüle hatte die Stadt noch immer im Griff, erinnerte ihn an eine Zeit vor mehr als zehn Jahren, als sie sein angestammtes Jagdrevier gewesen war. Eine befremdliche Empfindung. Der Drang, sich nach längst verstorbenen Kameraden umzusehen, sich in einem anderen Ornat als der an der Haut klebenden Uniform zu wähnen. Sie hatten sich damals zusammengeschlossen unter dem Zeichen der 'Treue', die Tapfersten und Besten, eine unvergleichliche Truppe versierter Schwertkämpfer, ihrer Überzeugung folgend bis in den Tod. »Ich bin allein übrig. Der Kampf ist noch immer nicht gewonnen. Wie zuvor wandere ich rastlos umher. Wann werde ich einen Augenblick des Friedens finden?« Mit einem sardonischen Lächeln, das die dünnen Lippen kräuselte, schob er diesen sehnsüchtigen Gedanken beiseite. Frieden. Frieden existierte nicht für den einsamen Wolf. Allein die Jagd bestimmte seine Wege, seine Handlungen. Mit dem Stoff bekleideten Handrücken tupfte er sich beiläufig über die Stirn, ließ die flammenden Bernsteinaugen schweifen, blinzelte kaum wahrnehmbar. Er kannte den wirren Schopf mit der roten Bandana, der über der Menge schwebte. Allein die Aufmachung, im glühendsten Sonnenlicht, bannte ihn in stumme Reglosigkeit. Sanosuke wanderte ohne den gewohnt trotzigen, schlurfenden Gang des professionellen Halbstarken mit Unterweltambitionen neben einem zierlichen Mädchen in definitiv unschicklicher Kleidung. »Misao Makimachi.« Registrierte das präzise Gehirn des ehemaligen Shinsengumi. »Enkelin des Hauptmannes der Oniwa Banshu. Verfügt über eine Ninja-Ausbildung, kämpft zumeist mit Wurfgeschossen und Kenpo.« Die schwefligen Wolfsaugen verharrten auf der schlanken Gestalt an ihrer Seite. Aufrecht, durch die ungewohnte Gewandung sehr sorgsam ausschreitend rückte die sonnengebräunte Haut reizvoll gegen den schwarz schimmernden Stoff in den Blick. Der Polizist bemerkte, dass nicht solitär sein Augenmerk dem jungen Schläger galt. Nein, viele Passanten verdrehten sich neugierig die Hälse. Vereinzelt wurden bewundernde Rufe laut. Wenn der Straßenkämpfer sie wahrnahm, ließ er sich nicht beeindrucken, grimassierte jedoch freundlich, sich offenkundig seiner Anziehungskraft nicht bewusst. »Tsstss.« Saitou kniff die Bernsteinaugen zusammen. Das war so überaus charakteristisch für den jungen Mann: wie ein Faustschlag gradlinig und direkt, auf seine Stärke und eine glückliche Fügung vertrauend. Die konnte nach der Erfahrung des älteren Mannes jedoch trügerisch sein. Ungebeten stahlen sich Erinnerungen an ihr letztes Aufeinandertreffen in seine kalkulierenden Gedanken. Er vertrieb sie nicht. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit wollte er nicht auf logische Schlussfolgerungen und Wahrscheinlichkeiten verweisen, seine Vorstellung durchsetzen. Er bezweifelte, dass der Faustkämpfer eine Ahnung hatte, was seine unbedarfte Herausforderung ihm auferlegen würde. Der ehemalige Shinsengumi neigte der Entscheidung zu, die Entwicklung gelassen zu beschreiten, weder zu hoffen, noch zu verbannen. »Kleiner Streithahn, beweise dich mir.« ~+~ Sanosuke grinste, als Misao mit finsterer Miene die Lektionen repetierte, die das Fräulein ihr auferlegt hatte, um sich reifer zu geben. »Da lehrt ein Einäugiger einen Blinden.« Der ehemalige Sekihoutai tätschelte aufmunternd den Schopf des Mädchens. Hatte er Misao zunächst nur als eine anstrengende, unbeherrschte und laute Range empfunden, so fühlte er sich mit jedem Tag stärker zu ihr hingezogen. Ihre Leidenschaft und ihr oft unbesonnenes Eintreten für Gerechtigkeit hielten ihm einen Spiegel vor. »Wie eine kleine Schwester.« Er zwinkerte runter, als Misao eine parodistische Einlage über das Frühstück, das Sanosuke zu seinem Glück ausgelassen hatte, zum Besten gab: die Kochkünste des Fräuleins waren gefürchtet. Ein verschwörerisches Lächeln erhellte die noch kindlich gerundeten Züge. Provozierend hängte sich das Mädchen bei Sanosuke ein. Den kümmerte wenig, was wohl das Publikum denken mochten. Allein Misaos Kampfanzug erregte bereits Unmut und Aufsehen. Der junge Faustkämpfer spürte den Kummer, der erstickend an ihrem Herz nagte, sie übersprudeln ließ vor Energie und Fröhlichkeit, Tatendrang und Erzählungen, die sich ausnahmslos um Aoshi Shinomori und Hannya sowie die anderen drei verstorbenen Oniwa Banshu drehten. Sie waren Spielgefährten und Brüder für ein verwaistes, kleines Mädchen gewesen, dem nur die Erinnerung blieb. Und ein schwärmerisch verehrter Mann, der die Einsamkeit suchte. "Wir könnten es hier versuchen." Schlug er ruhig vor, fürchtete sich gleichermaßen wie seine zartgliedrige Begleitung vor dem Augenblick, wenn alle Stärke verbraucht war, die Verzweiflung sie überwältigte, ihr Schmerz sie zu Boden zwang. Er kannte sich mit diesen Dingen aus. Zu gut. "Ja, das sieht doch ganz manierlich aus." Befand Misao prüfend, schritt ohne anerzogene Scham in die dunklen Gefilde eines kleinen Schneiderladens, vor dessen schmaler Front werbend Hakama und Yukata wehten. "Hallo?!" Ihre Stimme drang gedämpft durch die Unmasse an unterschiedlichen Stoffballen, die den winzigen Raum abdichteten. Ein wieselflinkes Männchen seilte sich mit dem Geschick eines Affen von einem hohen Hängeregal hinab, verbeugte sich mehrfach, ersuchte, das Begehren der verehrten Kundschaft zu erfahren. "Eine Hose für meinen Begleiter, strapazierfähiger Stoff, möglichst in weißer Farbe gehalten." Die Enkelin des Hauptmanns der Oniwa Banshu hielt sich nicht mit kunstfertigem Geplänkel zwecks Geschäftsanbahnung auf. Der kleinwüchsige Besitzer kreiselte um Sanosuke herum, nahm Maß, summierte mit verdrehten Augen, nannte einen Preis, wobei er gleichzeitig bereits einen anderen Stoffturm erklomm, um die zu verarbeitende Ware zu präsentieren. Der junge Faustkämpfer zögerte. Das Angebot war angemessen und das bisher ansprechendste, doch verfügte er über keine Barschaft, die eine solche Investition erlaubt hätte. "Die Hälfte jetzt, den Rest bei Erhalt." Misao zwirbelte ein Beutelchen mit Münzen hervor, zählte sie mit konzentrierte Miene auf eine winzige Handfläche, zwinkerte dem Herren über die Stoffwelten freundlich zu. "Bis zum Anbruch der Nacht wird der verehrte Herr seine neuen Beinkleider erhalten haben!" Schloss das Männchen den Handel ab, notierte sorgfältig mit frisch gestutztem Pinselstrich die Adresse und die ausgehandelte Summe in einem ledergebundenen Geschäftsbuch. "Ich werde es dir zurückgeben." Versprach Sanosuke, als sie wieder in die gleißende Sonnenglut traten, verbarg die Verlegenheit hinter einem breiten Grinsen. "Ach was, Sano, du hast so viel beigetragen zum Aufbau des Aoiya, da ist die Hose zweimal abgegolten. Obwohl ich es ja bedauere, dass du deine schönen Kleider wieder ihrem Besitzer zurückgeben musst." Ihr Augenaufschlag versuchte sich an einem koketten Zwinkern. Ihr geradliniger Charakter ließ wenig mehr als eine Parodie hervortreten. Der ehemalige Sekihoutai schmunzelte in sich hinein, vermied ein weiteres Mal inquisitorische Fragen durch ablenkendes Summen eines populären Volkslieds. Als er sich am Morgen in das Aoiya zurückgeschlichen hatte, von den delikaten Reisbällen ein wenig aufgemuntert, hatte ein Blick in den Wasserspiegel des Eimers aus dem eigenen Brunnen genügt, um ihn eiligst über eine glaubwürdige Erklärung für sein Erscheinungsbild nachdenken zu lassen. Unter der Bandana zeichnete sich an seiner rechten Kopfseite neben der abklingenden Schwellung ein farbenprächtiger Bluterguss ab, der einem Regenbogen Konkurrenz bereiten konnte. Dazu prangte ein kranzförmiges Hämatom auf seiner sehnigen Kehle. Die Tatsache, dass er fremde Kleidung höchster Qualität trug, erforderte auch eine Erläuterung. Er hatte sich, um wenigstens in den Genuss eines kleinen Nickerchens zu kommen, auf die Version beschränkt, er habe wie in den Tagen zuvor in den Slums geholfen, sei bei einem Unfall von einem Balken ungünstig getroffen worden. Von weiteren Trümmern sei seine Hose zerfetzt worden. Der Schlag an den Hals resultiere ebenfalls aus herabstürzendem Dachwerk. Da andere Alternativen angesichts der großzügigen Kleiderspende (besoffen randaliert, beim Glücksspiel in die falsche Gesellschaft geraten) sich ausschlossen, hatte man neugierig zu ermitteln versucht, wer der generöse Gönner wohl sein mochte, der einem offenkundigen Habenichts derart wertvolle Kleider leihweise überließ. Sanosuke hatte sich in dieser Hinsicht wortkarg auf einen älteren Anwohner beschränkt, der die Nachbarschaftshilfe anstelle von anderen Besitztümern entgelten wolle. Zu seinem Erstaunen rief das keineswegs Argwohn hervor. Gut, bei Kenshin rechnete er nicht mit offen geäußertem Misstrauen gegenüber wohltätigen Gesten, doch auch die anderen Mitglieder ihrer kleinen Gemeinschaft schenkten dieser Version Glauben! Im Gegensatz zu ihrem großgewachsenen Freund aus Tokio verstanden sie sehr wohl, dass sein freundliches und offenes Wesen Sympathie erntete, man ihn durchaus sehr schätzen, mit Gaben bedenken wollte. Sei es allein, um sein wildes, freimütiges Grinsen aufblenden zu sehen! "Puuhhh, diese Hitze!" Misao wedelte mit dem langen, geflochtenen Zopf müßig, dirigierte ihren Begleiter spornstreichs auf eine überdachte Passage hin, in der allerlei klebriges Gebäck und Tee offeriert wurden. Sanosuke verstand den Wink, lud seine kleine Gefährtin ein, im erquickenden Schatten eine Pause einzulegen, die Lebensgeister zu erfrischen. Unterdessen bestritt Misao die Unterhaltung, im Gegensatz zu ihrem Auftreten in Gesellschaft jedoch leise und versonnen. "Ich kann einfach nicht glauben, dass ich sie nie wiedersehe! Weißt du, Sano, als ich klein war, kamen sie mir wie meine persönlichen Schutzgötter vor." Ihre großen Augen dunkelten sanft, trotzten dem selbstironischen Lächeln. "Ich weiß, dass man sie auslachte, für hässlich hielt, aber ich konnte das nie verstehen. Für mich waren sie einfach Hannya, Beshimi, Hyottoko und Shikijo. Sie haben sich um mich gekümmert, mich nicht weggejagt oder ausgelacht. Hannya hat mir Kenpo beigebracht, und er brauchte wirklich die Geduld eines Buddha!" Mit einem Zwinkern wischte sie Tränen aus ihren langen Wimpern. "Ich hatte niemals Angst, weil sie die Stärksten waren." Eilig wandte sie den Kopf zur Seite, schluckte hastig Tee. Die zitternden Finger, die die Teetasse hielten, verrieten ihre innere Erregung. Sanosuke leistete ihr schweigend Gesellschaft. "Nun bin ich Hauptmann, aber ich bin nicht geeignet." Misao warf dem ehemaligen Sekihoutai einen verlegenen Blick zu. Ihre Stimme gehörte allerdings einer sehr viel älteren, erschöpften Frau. "Alle sind höflich und unterstützen mich, was mich freut. Aber ich bin kein Hauptmann. Aoshi ist unser Hauptmann." Sie verlor sich in einem tiefen Seufzer. "Er wird zurückkehren." Versicherte der Faustkämpfer nach einem Augenblick versunkenen Schweigens fest. Misao nickte, den Kopf gesenkt, die Finger fest in den Stoff ihrer knappen Hose gekrallt. "Ich vermisse ihn so!" Brach es schluchzend aus ihr heraus, ungeachtet ihrer Anstrengungen, die Haltung zu bewahren. Sanosuke lehnte sich vor, streichelte behutsam mit den Fingerspitzen die Tränen von ihren glühenden Wangen. "Hab Vertrauen, kleine Schwester." Lächelte er aufmunternd und anhaltend, bis Misao ihm ein wackliges Grinsen schenkte. Er bot ihr mit verschwörerischer Geste den Arm, um sie zurück zum Aoiya zu geleiten. ~+~ Sanosuke paradierte in den Ruinen des alten Teehauses auf und nieder, während sein verdrießlicher Blick immer wieder den unheilvoll schweflig gelben Himmel streifte. Es dämmerte bereits. Zumindest hätte es das sollen, wenn nicht die unerträgliche Schwüle ein besonders heftiges Gewitter zusammenzubrauen beabsichtigte. Noch immer keine Anzeichen des ehemaligen Shinsengumi! Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, was der junge Faustkämpfer angesichts seiner verhassten Nervosität nicht willens war, hatte sich der Wolf von Mibu erst zur Nacht angekündigt. Sanosuke wies jede Form der Ratio brütend von sich. Es schien ihm unglaubwürdig, dass ein einziger Mensch unter dieser Glutglocke noch zu klaren Gedanken befähigt war oder in stupider Pflichterfüllung seinen Geschäften nachging. Wer die Möglichkeit besaß, kühlte sich ab, bemühte sich, der statisch knisternden Luft zu entgehen, ruhte im Schatten oder verkroch sich vor den Unbillen der Natur. Schatten bot auch die Ruine, doch die innere Unruhe des Faustkämpfers hielt ihn in steter Bewegung, von Unsicherheiten genährt. Er bereute seine Kühnheit keineswegs. Ebenso wenig beabsichtigte er, die Herausforderung zurückzunehmen. Im unwirklichen Tageslicht konnte er ein gewisses Unbehagen nicht mehr abweisen. Allein der Gedanke, den Wolf von Mibu zu verführen, entbehrte jeder Glaubwürdigkeit! Es getan zu haben, ohne nennenswerte Erfahrung oder intime Kenntnisse, gereichte an vollkommene, geistige Umnachtung. »Ich habe Angst, mich ihm auszuliefern.« Stellte Sanosuke nüchtern, wenn auch gereizt fest. »Wenn wir diesen Schritt tun, ändert sich alles. « Ein sarkastischer Zug schmuggelte sich in sein attraktives Gesicht. »Zumindest für mich.« Er zweifelte daran, dass es dem älteren Mann mehr bedeuten konnte als einen geringfügigen Triumph, wenn er sich ihm unterwarf. Für Saitou mochte es etwas sein, das man im Vorbeigehen mitnehmen konnte, nicht weiter memorabel. »Kein Wunder!« Der ehemalige Sekihoutai schnitt sich selbst eine Grimasse. Er war längst über das Alter der Jungen hinaus, die ihren Körper einsetzten, um ihr Leben zu sichern. Es mangelte ihm, was er allerdings nicht gern eingestand, an praktischer Erfahrung in jeder Hinsicht. Wenn man täglich für eine baufällige Hütte und Nahrung Kämpfe ausführen oder im Glücksspiel tätig sein musste, war man weder für das andere Geschlecht, noch für die käufliche Variante persönlicher Aufmerksamkeit interessant. Die, die ein sexuelles Anliegen an ihn richteten, ekelten den Faustkämpfer eher an, als dass sie ihn inspirierten. Zudem war es gesünder, sich als unabhängiger Kämpfer nicht in die Fallstricke von Beziehungen und Verpflichtungen zu begeben, ausgenommen Gleichgestellte, die da waren: glücklose Spieler, Tagediebe in seinem Alter oder Vagabunden. Sanosuke wühlte sich mit beiden Händen, seit dem Morgen ohne Bandagen, durch die üppige Mähne, knackte die Kieferknochen. »Verdammt, wo bleibt der alte Bastard?! Belästigt wohl wieder irgendwelche flachköpfigen Dumpfbacken!! Wenn er doch nur endlich käme!« Der junge Schläger ließ die Fäuste durch die Luft sausen, streifte sich die gereinigte, noch immer mitgenommene, offene Jacke von den Schultern. Er fixierte einen unsichtbaren Feind mit konzentrierter Miene, der die scharfen Züge des ehemaligen Shinsengumi trug, bevor er zu einer Attacke ansetzte, Gegenwehr imaginierte. Sie blockte, im Ausfallschritt eine neue Angriffsfläche suchte, nach vermeintlichen Füßen trat, mit Ellenbogen und flacher Hand Treffer markierte. Sich in einen wahren Rausch hineinsteigerte, mit winzigen Perlen bedeckt, die in der nachlassenden Glut der untergehenden Sonne golden auf seiner gebräunten Haut glitzerten. "Lücke links unterhalb der Rippen." Tadelte knochentrocken, dunkel eine wohlbekannte Stimme, deren Besitzer es ebenso mühelos im Licht des Tages gelang, seine Anwesenheit zu verbergen. Sanosuke wirbelte herum, funkelte knapp, bevor er einen Blick in die benannte Region warf, um sich von der Stichhaltigkeit der Kritik zu überzeugen. Er konnte das spöttische Grinsen förmlich knistern hören in der aufgeladenen Luft, weil er sich, abgesehen von einem vermeidbaren Fehler in seiner Haltung, zusätzlich noch die Blöße des Zweifels an der Aussage des ehemaligen Shinsengumi gab. Der sich noch nie bei einer tatsächlichen Fehleinschätzung hatte überraschen lassen! "Wo warst du, verdammt?! Ich sitze mir hier den Arsch ab in der verfluchten Hitze, und du treibst dich herum!" Brüllte er unbeherrscht, hielt einige stramme Schritte auf den älteren Mann zu, der sich gelassen seiner Uniformjacke und der weißen Handschuhe entledigte. "Du klingst wie ein keifendes Waschweib." Konstatierte er unbeeindruckt, hakte die scharfen Bernsteinaugen in Sanosukes schokoladenbraune. "Tja, entschuldige!" Die langgezogenen Silben mokierten sich übellaunig und überdeutlich. "Damit kann ich leider nicht dienen! Die Klamotten sind noch nicht völlig zerfetzt." Seine Rechte markierte den Aufbewahrungsort der leihweise überlassenen Bekleidung, die er mit sehr viel Sorgfalt kundig zusammengepackt hatte. "Ich werde sie ohnehin ausräuchern lassen müssen." Folgte eine leichtfüßige Replik, die die Zornesröte auf die Wangen des ehemaligen Sekihoutai schießen ließ. "Du arroganter, eingebildeter, selbstzufriedener Mistkerl!" Baute er seine Wutattacke sorgfältig auf, bevor er sich drohend vor dem Polizisten bremste. "Hier bettelt jemand förmlich um eine kleine Lektion in Sachen Respekt und Selbsterhaltungstrieb." Raunte Saitou, die Augen ebenso warnend zu Schlitzen verengt. "Ha!" Sanosuke schnaubte prahlerisch. "Sagst du nicht immer 'Respekt muss man sich verdienen'? Du erntest bei mir keinen Strohhalm mit abgehobener Kaltschnäuzigkeit und Hoffart." Der ehemalige Shinsengumi lupfte sparsam eine Augenbraue. "Sieh an, sieh an, solch hochgestochene Worte!" Ein boshaftes Grinsen ließ seine wölfischen Züge aufleuchten. "Mir will scheinen, ein gewisser kleiner Ganove versucht, seine Minderwertigkeitskomplexe und Unsicherheiten als ungebildete und glücklose Straßenratte durch Beleidigungen zu kompensieren." Sanosuke erstarrte. Er hatte sich niemals unterlegen gefühlt oder dem Glauben angehangen, dass die Geburt in eine höhere als die vierte Klasse ihn zu einem anderen Menschen machte. Die Absage an diese ungerechte Aufteilung der Gesellschaft hatte ihn vor einem ganzen Leben, wie es ihm anmutete, direkt zu dem Kommandanten Souzou Sagara geführt. Der den kleinen Bauernjungen wie einen Menschen ansah, sich für die Gleichheit der Klassen einsetzte. Ob er Ministern begegnete oder hochwohlgeborenen Fräuleins in ihren Kutschen: Respekt zollte er nur dem Menschen, nicht seiner Geburt oder Klassenzugehörigkeit. Allein Saitou gegenüber fühlte er sich seiner selbst nicht sicher, unterlegen, seiner eigenen Persönlichkeit beraubt. Er hasste dieses Gefühl! Er hasste den Verlust seiner selbst. Er konnte sich selbst nicht ertragen, wenn er auch nur Sekundenbruchteile versucht war nachzugeben, um nicht diesen Zweifeln zu erliegen. »Ich will kein Ding sein in seinen Augen, kein Spielzeug, kein lästiger Junge, kein störender Trottel! Ich will ihm etwas bedeuten, einen Wert haben!!« Ein erschreckender Gedanke! Sanosuke handelte, wie er es gewohnt war, wenn Ängste und Kummer ihn belagerten: er schwang die Fäuste, verausgabte sich körperlich, bis nichts mehr blieb, was Angriffsfläche bot. ~+~ Saitou bemerkte in der veränderten Körpersprache des ehemaligen Sekihoutai rasch, dass sich etwas Ungewöhnliches in dessen sehnigem Leib abspielte. Auch wenn ihn das Resultat, eine von gutturalem Brüllen begleitete Attacke, nicht sonderlich überraschte. Er blockte sicher, studierte aufmerksam das verzerrte Mienenspiel des Jüngeren, der nicht die gewohnte Ernsthaftigkeit oder aber das Glitzern von Amüsement zur Schau trug, sondern vielmehr in Verzweiflung und blinder Wut sein Heil suchte. »Tss Tss. Ist nicht gut für den kleinen Gockel, in Grübeleien zu verfallen.« Notierte er sich gewissenhaft, wartete auf eine Gelegenheit, von der Defensive aus eine handfeste Reaktion zu initiieren. Das erwies sich als schwieriger als erwartet. Zu seinem mit Anflügen von Ärger gemischten Stolz präsentierte der junge Faustkämpfer die Lektionen der vergangenen Tage mit Geschick und ohne Gnade. In seiner unmittelbaren Reichweite musste auch ein versierter Kämpfer wie Hajime Saitou schmerzhafte Treffer einstecken, die ihm indizierten, dass er dieses Mal seinem jungen Gegner ein ernst zu nehmendes Duell bieten musste. Rechtzeitig erinnerte er sich eines Täuschungsmanövers, das er einst bei einem anderen Kampf in der Bakumatsu-Zeit beobachtet hatte, wo man sich nicht mit Geplänkel aufhielt, weil stets das eigene Leben in die Waagschale geworfen wurde. Er drehte sich in eine wuchtige Rechte Sanosukes hinein, stieß kraftvoll einen spitzen Ellenbogen vor dessen Brustbein, nutzte die Sekunden währende Kampfpause, um Sanosukes rechtes Handgelenk zu umklammern, mit dem Hinterkopf einen Rammstoß gegen die Stirn des Jüngeren zu forcieren, sich an dessen Seite vorbei zu drehen. Das Handgelenk noch immer als Geisel drehte er den gesamten Arm auf den Rücken des ehemaligen Sekihoutai, brachte dessen Befreiungsdrehung mit einem heftigen Kniestoß in die untere Lendenwirbelsäule zu einem Halt. Ohne Zeitverzug trat er zweimal hart in die Kniekehlen des Faustkämpfers, verzichtete darauf, die fest an den Körper gepresste Linke zu erobern. Er drückte stattdessen mit seinem gesamten Gewicht den jungen Mann auf die Knie, den Oberkörper zum Boden hin. Dabei operierte er mit Sanosukes rechtem Arm als Hebel in einem qualvollem Winkel. Der gab keinen Laut von sich, auch wenn er zweifelsohne unter Schmerzen litt. "Ergib dich meiner Gnade." Empfahl der ehemalige Shinsengumi leise, zu seiner Verwunderung außer Atem, in ungekannte Kampfhitze verfallen, obwohl er nicht ein einziges Mal seine spezielle Kampftechnik in Reinkultur eingesetzt hatte. Der junge Kämpfer presste die Kiefer aufeinander. Saitou strich mit einer Hand sanft über die verdrehte des ehemaligen Sekihoutai, bevor er dessen Daumen in eine marternde Position verbog. Er hörte das scharfe Einziehen von Atem. Geduldiges Warten. Um sie herum warfen die Trümmer gespenstische Schatten. Der Himmel verdunkelte sich unter der Zusammenballung geladener Wolken, die sich elektrisch knisternd aufheizten, um das erwartete Gewitter losstürmen zu lassen. Ein Blitz setzte ein Schlaglicht. "Du kannst es nur, wenn dein Partner unterlegen ist, oder?! Wenn ich nicht vor dir krieche, wirst du mir kaltherzig den Arm auskugeln." Sanosukes Stimme hing geisterhaft verloren in der prickelnden Atmosphäre gespannter Ruhe vor dem Donnerschlag. Der Wolf von Mibu belauerte seine Beute nachdenklich. Natürlich konnte er darauf hinweisen, dass der kleine Gockel seine Niederlage durch einen ehrlichen Kampf erlitten und sich keineswegs über die Konsequenzen zu beklagen hatte, oblag jenem doch die Initiative. Andererseits, welchen Gewinn brachte es, dem Jungen Schmerzen aufzuerlegen? Sanosuke hatte in seiner Gegenwart mehr als einmal bewiesen, dass er sich auf das Ertragen von Agonie verstand, dass seine Tapferkeit gelegentlich an Dummheit und Starrsinn grenzte. Saitou wusste sehr wohl um dessen Talente und Fähigkeiten. Seine Erfahrung hatte ihm deutlich verraten, dass der Junge auf diesem Gebiet, in dem er ebenfalls eine Herausforderung ausgesprochen hatte, unerfahren und unsicher war. Von ihm ein Entgegenkommen erwartete, wenn er sein Misstrauen aufgab. »Weil ich ihm in dieser Hinsicht überlegen bin. Weil es nicht allein vollbracht werden kann.« Hatte er sich denn tatsächlich in all den Jahren seiner rastlosen Jagd darauf beschränkt, einen gleichwertigen Partner/Gegner zu finden? Der ehemalige Shinsengumi lächelte sanft, bar jeden Gefühls. »Ich habe alle Kämpfe, jedes Duell überstanden, bis heute, der letzte aus meinem Rudel. Vielleicht bin ich in der Tat maßlos geworden in meiner Annahme, dass es keinen Menschen gibt, der mir gewachsen ist.« Dumpfes Donnergrollen rollte heran. Die Vibrationen erschütterten den Boden, gingen durch das Gebälk. Behutsam gab der ältere Mann den misshandelten Arm frei, trat einen Schritt zurück. Sanosuke umklammerte seine Rechte, bestrich sie energisch und grob, um die Blutzirkulation wieder zu beleben, die peinigenden Schmerzen zu reduzieren. Langsam kam er wieder auf die Beine, warf einen prüfenden Blick in die Bernsteinaugen, die in den seltsamen Lichtverhältnissen golden zu schimmern schienen, ein unwirklicher Kontrast zu der elfenbeinfarbenen Haut. Im nächsten gleißenden Blitz studierten sie einander stumm, doch in rapidem Atemschöpfen vereinigt. Als fordere der hohe Luftdruck auch ihnen alles an Stärke ab, was noch verblieben war. Eine Geste.... Wer würde wohl zuerst seine Verteidigungshaltung aufgeben? Sanosuke hob zögerlich den rechten, noch immer schmerzhaft pochenden Arm an, streckte ihn langsam, prüfend, bis seine Fingerspitzen über den schwarzen Stoff des körperbetont geschnittenen Hemds streiften, warme Muskeln und einen bezwingenden Herzschlag ertasteten. Ebenso vorsichtig, in betont ruhiger Bewegung, legte sich die kraftvolle Linke des ehemaligen Shinsengumi um Sanosukes Hand, platzierte sie auf seine Schulter, reduzierte den Abstand zwischen ihnen. Ihre Augen sucht einander intensiv ab: Hinweise, versteckte Absichten, Misstrauen, Vertrauen. Verstand gegen Instinkt, Neugierde gegen Sicherheit. Alles wirbelte in dem verschmelzenden Aufprall ihrer Gedanken umher. Zeit verzögernd bettete Saitou auch Sanosukes andere Hand auf seine Schulter, dirigierte mit den eigenen Hände den schlanken Mann näher an sich heran, zeichnete winzige Kreise auf dessen Kehrseite. Der schwere Donner rollte mit der Macht einer akustischen Druckwelle heran. Ohne bewussten Entschluss schob der ältere Mann seinen jüngeren Partner in den relativen Schutz der verkürzten Säule, die bereits einmal ihrer Intimität Schutz und Halt bieten sollte. Die aufgeladene Luft staute sich erstickend. Es schien beiden Männern, als bewegten sie sich in einem Vakuum mit explodierender Energie, die ziellos ihre Körper zur Angriffsfläche nahm. Mit dem folgenden Blitz wandelten sich die Bernsteinaugen in hellschweflige Flammen, die die markanten Züge des Polizisten mit dem animalischen Air versahen, der seinen Gegnern panische Furcht einzujagen pflegte. Sanosuke begegnete dieser Offenbarung mit einem hingerissenen Luftholen, das sich einem Seufzer ähnlich artikulierte. Saitou nahm sich einen privaten Augenblick Zeit, den jungen Mann zu goutieren. In Kürze würde auch ihn trotz aller Selbstkontrolle der Wahnsinn der ungewöhnlichen Wetterlage übermannen. Er hatte nicht die Absicht, seinem unerfahrenen Gefährten übermäßige Schmerzen oder Unbehagen einzuflößen. Er versagte sich ein aufmunterndes Lächeln, da es doch nur zu Irritationen führen, ihm einen bedrohlichen Ausdruck verleihen würde. So behielt er seine entschlossene Miene bei, drehte den ehemaligen Sekihoutai anleitend in seinen Armen, bevor er dessen Hände fest gegen das altersdunkle Holz der Säule presste, sich an die hochgewachsene Gestalt anschmiegte, mit einem Bein dessen Stand verbreiterte, während seine Hände über die nackte, von Feuchtigkeit überzogene Brustpartie glitten. Aufgeladen zitterte die Haut beim gegenseitigen Kontakt. Ein Umstand, der nur zu überwinden stand, indem man keinen Iota Luftraum mehr trennend zuließ! Der ehemalige Shinsengumi erkundete mit breiten Handstrichen den Torso seines jüngeren Partners, bevor er geschickt die Schleife löste, die die neue Hose auf den schmalen Hüften hielt, sie mit einem genießerischen Knurren gen Boden sandte. Sanosuke erschauerte, ein leichtes Beben, das sich vom Zentrum seines Körpers verzögert in die äußeren Regionen fortsetzte. Sein Atem flog in der knisternden Atmosphäre verdichteter Entladung eilig, schlug sich auf dem polierten Holz nieder, das seine Perspektive und seinen Fluchtpunkt bildete. Wenn er die Augen schloss, fürchtete er, vollkommen orientierungslos zu werden, eine grenzenlose Masse, die unter dem Eindruck der von Schwertschwielen gezeichneten Handflächen Flammenherde beherbergte, die gierig nach neuer Nahrung leckten, sich danach sehnten, erneut entzündet zu werden. »Aber wenn ich mich konzentriere, verliere ich mich nicht! Hoffentlich.« Der ältere Mann registrierte beiläufig jede Regung des sensiblen Leibs, den er in seiner anziehenden Attraktivität erforschte, während er sich selbst aus dem textilen Gefängnis der eigenen Beinkleider befreite, mit zärtlichem Nachdruck die Brustpartie reizte, die sich erwartungsvoll gegen seine Hand stemmte. Er zog seine Hände von der Front ab, um sie parallel über den biegsamen Rücken hinunter bis zu den Lenden gleiten zu lassen, entführte eine Hand der sonnengebräunten Heimat, um behutsam die herabgesunkene Hose von den unsicheren Knöcheln zu zupfen, sie beiseite zu schieben. Er hauchte seinen heißen Atem in den Schritt, wo störend noch ein einfaches Suspensorium harrte. Überwältigt von dieser Avance vernahm er Sanosukes kehliges Stöhnen, von einem behaglichen Erzittern begleitet. »So empfindsam...« Seine Hände vergaßen ihre Direktionen, liebkosten begierig die glühende Haut, schmuggelten sich unter die Stoffstreifen, um dort den Stand der Dinge zu erfahren. Wie erwartet antwortete ein zweites Aufstöhnen dem forschen Vorgehen, bevor ein sehr naher Blitzschlag ein Schwarzweiß-Standbild entwarf, die kraftvolle Verbindung ihrer beiden Schattenwürfe wie eine Sekunden währende Ewigkeit in den Boden kerbte. Saitou lächelte selbstvergessen, ein Zähne starrendes Blecken, bevor er sie in den schutzlosen Nacken versenkte, den Schmerz mit Saugen und Zungenstrich linderte, sich aufreizend an den jüngeren Mann schmiegte. Die Reibungsfläche auflud, die unsichtbare Funken stiebend sie beide infizierte. Er löste mit Verve beide Suspensorien, schleuderte sie von sich, um in direkten Kontakt mit den muskulösen, dennoch mageren Hinterbacken des ehemaligen Sekihoutai zu gehen. Der bebte unter dem neuen Eindruck, nunmehr in eine Realität befördert, die wenig von sanften Liebeleien bereit hielt, sondern in Fleisch und Blut und Schweiß sprach. Ihm wurden die Knie unversehens weich. Ein sichernder Arm bewahrte ihn in aufrechter Haltung, legte sich hart um sein Becken, bohrte die Fingernägel in eine sensible Stelle direkt neben den spitzen Knochen. Ein animalisches Knurren aus den Untiefen eines sehnigen, unbezähmbaren Leibs wanderte durch seinen überwältigenden Sehnsüchten ausgelieferten Körper. Zähne gruben sich tief in seine Schulter, die bereits das Zeichen des Wolfs trug. Sie ließen ihn keuchen, bevor sich der Laut in erschrecktem Luftholen erstickte, als sich kundige Finger mit seinem Unterleib anfreundeten, auf eine fordernde und aufreizende Art. Ihr Sirenengesang, durch die weiche Haut gestanzt, gerieben und gekratzt erweckte einen Ur-Hunger zum Leben, der die schokoladenbraunen Augen schloss, flehende, befehlende Laute aus der trockenen Kehle trieb, bevor sich erste Tropfen Flüssigkeit verloren in den erwartungsfreudigen Tormentoren. Saitou verteilte die erworbene Ausbeute sorgsam, bevor der gewaltige, alles übertreffende Donnerschlag heranrollte, seine Körperhaare abstehen hieß. Fürsorglich, Zeit ermessend, die verblieb, bis der mächtige Schock sie durchlaufen würde, korrigierte er den Stand des jüngeren Mannes, weitete dessen Schritt, schmiegte sich ein letztes Mal versichernd an dessen schlanke Gestalt. Er erprobte mit den Fingern der Rechten den Eintritt in den glühenden Körper, während die Linke ablenkend Genuss verbreitete. Die Ausläufer der Wolkendetonation erschütterten den Boden, streckten tastend ihre statischen Energiefinger in die Höhe. Saitou presste einen feurigen Kuss in den Nacken des jungen Mannes. Mit dem hoch rollenden Energieschock drang er in den erhitzten Körper ein. Sanosuke warf reflexartig den Kopf in den Nacken. Die weit aufgerissenen Augen hielten die abstrakten Zeichen des zertrümmerten Gebälks fest. Sein Mund formte einen stummen Schrei. Instinktiv, ein Blinzeln später, suchte er sich zu befreien, dem ungewohnten Druck zu entgehen. Die beschwichtigenden Hände trösteten und liebkosten beruhigend, zwangen ihn zur Ruhe ihrer ineinander verwobenen Körper, bis die Echi des Donners verklungen waren. Jetzt erst zog sich der ehemalige Shinsengumi behutsam zurück, lauschte in angestrengter Selbstbeherrschung auf die Antwort des gewonnenen Leibs. Der junge Faustkämpfer ächzte, zwischen unterschiedlichsten Empfindungen hin und her getrieben, die plötzliche Einsamkeit ebenso verwünschend wie die schmerzhafte Gemeinschaft. Der Polizist leckte über Sanosukes gespannten Halssehnen, trieb einen spitzen Eckzahn in das Ohrläppchen, während seine verräterischen Hände in steter, marternder Massage über den Torso des jüngeren Mannes herfielen, der sich im Wirbelsturm der Novitäten auf seinen Instinkt verließ, seinem Körper die Regie anvertraute. Der streckte sich sehnend zur Quelle der hitzigen Vereinigung. Saitou begrüßte mit unmerklicher Erleichterung diese Entscheidung, fixierte mit einem sichernden Arm den bebenden Leib, um erneut den engen Eingang zu wählen. In wechselndem Rhythmus zu den prickelnden Liebkosungen des Schritts verließ er Sanosukes Unterleib, um in kürzester Zeit wieder einzukehren. Er konnte die Unerfahrenheit seines Partners daran ermessen, wie der die Fingernägel in das Holz grub, unsicher einen Arm löste und um seinen Nacken zu legen versuchte, sich unruhig in seiner Umarmung bewegte, bevor er sich wieder abzustützen suchte, die Ellenbogen schmerzhaft streckte, Widerstand leistete. Saitou entließ ein kehliges Schnurren, gab endlich seine Selbstkontrolle vollkommen auf, lieferte sich seiner Lust aus. Ungezügelt bemächtigte er sich des sehnsüchtig zitternden Körpers, erschütterte ihn mit Stößen und groben Liebkosungen, bis er den Jüngeren zum Höhepunkt getrieben hatte, sich selbst Befriedigung verschaffen durfte. Im Gefolge zweier kurzer Kanonaden der himmlischen Schlacht löste er sich von seinem Partner, brachte einige Schritte Abstand zwischen sie. Sanosuke, noch immer des Atems ledig und keinesfalls der Sprache mächtig, taumelte gegen den Stützbalken, lehnte sich schwer mit einer Schulter gegen das sichernde Holz. Er betrachtete aufgewühlt unter halb gesenkten Lidern den älteren Mann, der ihm gegenüberstand, den Kopf in einer bedrohlichen Manier gesenkt, die Bernsteinaugen glimmend. Der sich nun, mit einem diabolischen Grinsen die Handfläche demonstrativ ableckte, an der sich die Ausbeute seiner Anstrengungen gesammelt hatte. Der ehemalige Sekihoutai kämpfte gegen den Drang an, sich zu einem winzigen Ball zusammenzurollen, um dem Chaos, das ihn invahiert hatte, Paroli zu bieten. Er wünschte sich dringend eine Auszeit in der beständigen Pflicht, in Gegenwart dieses Mannes hart und unangreifbar zu sein. Doch nicht einmal zu einem ungeschickten Fluchtversuch mochte er seine Glieder rekrutieren! Es blieb ihm nur die trügerische Hoffnung, mit dem altersdunklen Holz zu verschmelzen. Mit zwei gewaltigen, preschenden Schritten ragte der Wolf von Mibu vor ihm auf, seine Miene unleserlich, allein die Schwefel versprühenden Augen unbezwingbare Fixpunkte in Sanosukes Horizont. Ein heftiger Schlag erschütterte das gesamte Ruinenfeld, ließ sie unwillkürlich erstarrt den Atem einhalten. Ganze herrenlose Herzschläge lang. Als habe sich der Himmel über dieser Schlacht erschöpft, lösten sich Legionen von Regentropfen, linderten den Schrecken der Erde. Das sanfte Rauschen dämpfte die gewaltvolle Stille intim ab. Sanosuke entfuhr ein erleichterter Seufzer. Der ehemalige Shinsengumi blinzelte, reduzierter das unheilvolle Feuer seiner außergewöhnlichen Augen, schlang die Arme um den bebenden Leib, zog den jüngeren Mann eng an sich, wiegte ihn leicht, zauste die feuchten, unbändigen Strähnen. Sanosuke Sagara ergab sich dieser Offerte, umklammerte mit aller Kraft den sehnigen Leib, vergrub das Gesicht in der Halsbeuge. Er ließ sich trösten, durch die Nähe eines vergleichbar glühenden Körpers seiner eigenen Gestalt versichern. »Jetzt kann er mich nicht mehr 'Junge' nennen!« Flog ihm zusammenhanglos durch den Kopf, bevor er sämtliche Gedanken ermattet verbannte. ~+~ Kapitel 4 - Zuversicht Saitou wartete geduldig, dass sich sein Blick wieder auf die übliche Schärfe reduzierte, seine gewohnte Ruhe ihn beehrte. »Das war wirklich eine Erfahrung gewesen.« Ein winziges Lächeln irrte über seine dünnen Lippen. Ob man eine Fortsetzung erwägen sollte? Seine Augen inspizierten den unbändigen Schopf auf seiner Schulter, die anmutig-muskulöse Gestalt, die sich an ihn schmiegte. Er war keineswegs abgeneigt, erkannte aber mit leichtem Unbehagen, dass er tatsächlich versucht war, mehr als nur körperliches Vergnügen zu suchen. Dass er Vertrauen schenken wollte. Eine gefährliche, alarmierende Entwicklung. Der Mann in seinen Armen war geradeheraus und ehrlich. Somit potentiell nicht eines Vertrauens würdig, das gelegentliche Ränke und Täuschung beinhaltete. »Nur eine Nachwirkung dieser denkwürdigen Erfahrung.« Beschwichtigte sich der Wolf von Mibu selbst. Zu seiner milden Überraschung löste sich der junge Faustkämpfer von ihm, lächelte ihm vage zu, bevor er ihm den Rücken zukehrte, den ehemaligen Salon durchmaß. Auf einen Flecken zustrebte, über dem in lichter Höhe das Dach Durchlass bot, sodass der Regen in Perlschnüren herabsauste. Sanosuke legte behutsam den Kopf in den Nacken, der noch unter dem Biss des ehemaligen Shinsengumi prickelte, fächerte durch seine wilde Mähne, genoss das abkühlende Gleiten unzähliger Tropfen über seinen Leib. Der Himmel verlor seine ungesunde Farbe zusehends, näherte sich dem üblichen Dunkel der Nacht an. Hier, in diesem kreisrunden Fleck, illuminierte er eine sonnengebräunte Gestalt, die sich dem Vergnügen einer eingehenden Hygiene hingab, mit der Zunge Wasser auffing und begierig schluckte. Sich selbst mit ordentlichen Strichen reinigte, als befände man sich in einem öffentlichen Badehaus mit Seife und Bürsten. Es verging eine geraume Weile, bis der junge Mann bemerkte, dass er sich nicht mehr allein unter der himmlischen Dusche tummelte. Nur eine Armlänge entfernt wischte sich der Polizist die lackschwarzen Strähnen aus dem Gesicht, kühlte den eigenen sehnig-austrainierten Leib gründlich ab. Ohne Anflüge der früheren Furcht studierte der ehemalige Sekihoutai den älteren Mann: die elfenbeinfarbene Haut, die erst unter den Fingerspitzen ihre Geschichte erzählte, die Muskelpartien, die von außerordentlicher Disziplin und Stärke kündeten, die kaum vorhandene Behaarung, von dem dichten Schopf abgesehen. »Wenn seine Augen nicht wie ein unüberwindbarer Bannstrahl fungieren würden, wäre er wirklich anziehend. Auf eine SEHR beunruhigende Weise.« Resümierte der junge Mann zögerlich, lenkte seine Aufmerksamkeit, als er den zwingenden Blick der Bernsteinaugen erneut auf sich spürte, in die Schatten, wo nunmehr ordentlich und trocken ihre Kleider warteten. Die Tatsache, dass der ehemalige Shinsengumi sich nicht die Zeit genommen hatte, sich vollständig zu entkleiden und seinem Hang zu penibler Akkuratesse gefrönt hatte, als er ihn an der Säule geliebt hatte...! Das amüsierte Grinsen verlor sich eingedenk der letzten Worte. »Liebe?« Nein, das konnte ausgeschlossen werden. Hier ging es um die Befriedigung physischer Anziehungskräfte, die sie unter dem Eindruck einer ungewöhnlichen Wetterlage zusammengeworfen hatten. Zudem, was wussten sie beide schon von Liebe? Abgesehen von den Nachteilen, die sie für das reale Leben bereithielt. Der Wolf von Mibu hatte unterdessen die nassen Gefilde verlassen, sich in den Schatten verloren. Allein seine dunkle, trockene Stimme beförderte Sanosuke wieder in die Realität zurück, zusammen mit einem großen, grünen Wurfgeschoss, das er instinktiv auffing. "Zerleg sie, Gockel, aber pulverisiere sie nicht." Der ehemalige Sekihoutai staunte unverhohlen. Saitou hatte eine Melone mitgebracht? Ungläubig ließ er in austarierter Krafteinwirkung seine Faust auf die harte Schale sausen, brach die gespaltene Schutzschicht auseinander. Welchen Grund konnte der kühle, arrogante, selbstbezogene Polizist wohl haben, etwas zu essen bei sich zu führen, wenn nicht ein Funken von Emotion für ihn in dem sehnigen Leib schlummerte?! Auf beiden Armen die Bruchstücke geborgen tastete sich Sanosuke in die Dunkelheit vor, bis er vom wärmenden Schein eines winzigen Feuers angezogen wurde, das der ehemalige Shinsengumi mühelos entfacht hatte. Sie nahmen einander gegenüber Platz auf dem festgestampften Boden, der wohl einstmals einem Separee zugehörig gewesen war, lutschten an den Fruchtstücken, maßen sich mit abwägenden Blicken. Der junge Schläger erhob sich schließlich, ein unberührtes Obstbruchteil in der Hand, überwand den Abstand zu dem ehemaligen Shinsengumi, stellte sich breitbeinig über ihn, bevor er sich langsam auf dessen Oberschenkel hinabließ. Den sezierenden Bernsteinaugen standhielt, einen winzigen Bissen Fruchtfleisch in seinem Mund lagerte und sich vorbeugte. Den drohenden, schweflig gelben Schlitzen Paroli aus Zartbitterschokolade bot, mit einem sanften Kuss die dünnen Lippen aus ihrer reglosen Starre weckte, mit der Zungenspitze Einlass begehrte, um seine erfrischende Ladung zu löschen. In der Tat ließ Saitou ihn gewähren, schmirgelte die vorwitzige Botschafterin sorgfältig ab, als drehe sich sein gesamtes Interesse nur um die Obstgabe. Um sich erneut bequem gegen eine unversehrte Wand anzulehnen. Sanosuke registrierte das amüsierte Zucken der Mundwinkel, lächelte seinerseits, wenn auch aus anderen Erwägungen. Seine Finger legten sich ruhig auf jede Seite des sehnigen Halses. Er begann, das markante Gesicht mit warmen Küssen zu bedecken, gemächlich und nachdrücklich. Ein elfenbeinfarbener Finger auf seinen Lippen bot ihm Einhalt. "Was soll das werden?" Forderte eine kehlige Stimme Aufklärung. Der ehemalige Sekihoutai funkelte angriffslustig. "Nach was sieht es denn aus?" Zischte er zurück, innerlich schmunzelnd über den Verlust der mokierend zuckenden Mundwinkel. Er hatte so etwas vermutet: dem älteren Mann stieß es unangenehm auf, dass sein unerfahrener Partner mehr zu investieren bereit war. "Lass mich einfach ein bisschen nett zu dir sein!" Versetzte er gespielt brummig, konnte ein breites Grinsen nicht völlig kontrollieren, bevor er erneut die dünnen Lippen zum Ziel wählte. "Warum?" Lauerte Misstrauen in der gutturalen Replik. Der ehemalige Shinsengumi zog sich zurück, von seiner eigenen Offenheit überrascht. Sanosukes Daumen begleiteten die scharf geschnittene Unterkieferlinie auf ihrer Gänze bis zum Kinn, während er sich selbstvergessen die eigenen Lippen leckte. "Weil mir danach ist." Versagte er metaphorischen Ausflügen in tiefere Seelenforschung den Gehorsam. Eine winzige Falte über seiner Nasenwurzel war das einzige Indiz für eine gewisse Ungeduld mit der Vorsicht des Älteren. Als er dieses Mal einen Vorstoß wagte, den eigenwilligen Geschmack des ehemaligen Shinsengumi zu kosten, hielten ihn keine Barrieren auf, sodass er mit wachsender Kunstfertigkeit und Begeisterung ein Duell initiierte, in dem sich beide Männer verausgabten, bis fehlender Sauerstoff sie trennte. Sanosuke hielt an seiner Taktik fest, mit zärtlichen Küssen und Liebkosungen Kopf und Brust zu benetzen, weniger zielgerichtet als spielerisch erforschend. Der Wolf von Mibu harrte reglos den neckenden Aufmerksamkeiten, folgte mit scharfem Blick jeder Bewegung des jungen Faustkämpfers, die eigenen Hände, zum Einschreiten bereit, locker auf die spitzen Beckenknochen des ehemaligen Sekihoutai abgelegt. Er hielt sich selbst zur Wachsamkeit an, konnte nicht glauben, dass diese Gesten der Zuneigung ohne eine bestimmte Absicht gewährt wurden, nicht Bestandteil eines Plans waren. Nicht, dass er zu Paranoia neigte! Nein, seine Lebenserfahrung hatte ihm oft genug bewiesen, dass alle nach ihren Zwecken handelten, ob dies nun bewusst oder unbewusst geschah. Sanosuke erwog seine Absichten nicht. Ihn konsumierte die wachsende Begeisterung für sein Engagement vollkommen. Es gefiel ihm, ungehindert zu kosten, zu schmecken, zu benetzen, zu ertasten, die aparten Gesichtszüge zu markieren, das gesamte Wesen des älteren Mannes in sich aufzunehmen. Keine Rücksichten, keine Zweifel, keine Verantwortung. Der Polizist erwartete nichts von ihm. So fühlte sich der ehemalige Sekihoutai frei in seinem Gebaren, beschwingt und leicht, wie aufgeladen nach dem Sturm und der erfrischenden Dusche, berstend vor Energie. Seine Handflächen bargen die starken Kieferknochen sicher, kippten behutsam um einige Grade das Haupt in seiner Obhut, während er sich selbst präparierte, um die aufreizend-knappen Küsse zu verabschieden, stattdessen hungrig und experimentierfreudig in die Tiefen des Wolfsgebisses einzutauchen, forschend zu erkunden, welche Reaktionen er hervorrief, wenn er hier saugte, da kitzelte, dort bestrich, seine Hingabe deutlich fühl- und erfahrbar machte. Saitou ertappte sich bei einem gutturalen, aus seinem Unterleib emporsteigenden Knurren, von einer animalischen Qualität, die ihm selbst die Haare aufstellte. Der Bengel besaß Chuzpe! Noch mehr: seine naiv-gerissene Vorstellung verfehlte nicht, ihre Wirkung bei dem älteren Mann zu hinterlassen. Schlimmer als die Konzentration auf ihre orale Verbindung jedoch erschien dem ehemaligen Shinsengumi die leise Kaskade von Wohllauten, die der junge Mann, vermutlich ohne Vorsatz, absonderte. Sie schmuggelte sich unter seine Haut, unterlief den geschulten Panzer des Desinteresses und der abweisenden Kälte, drang nadelstichfein in sein Herz. Konnte der kleine Gockel nicht wie jeder andere Mensch küssen? Sogar Schmatzgeräusche würde er tolerieren, aber nicht diese archetypische Herausforderung, die allein geeignet war, eine Resonanz in seinem Körper zu erzeugen, der er sich nicht erwehren konnte! Sanosuke fing unterdessen mit der Zungenspitze winzige Speichelspuren auf, bevor er die Stirn an die des Älteren legte, dessen Bernsteinaugen verführte. "Können wir noch mal?" Erkundigte er sich heiser. Seine Hände umrundeten die starken Schultern des ehemaligen Shinsengumi. Der verzog abschätzig die Mundwinkel, verschanzte sich hinter kühler Reserve. "Es ist dein Hintern, der wund wird." Knurrte er ungewohnt zögerlich, wich Sanosukes unternehmungslustigem Zwinkern nicht aus. Der feixte großspurig. "Wenn du ihn noch mal hoch kriegst, Alter, stecke ich ihn auch weg." "Vorlauter Balg, du solltest dich glücklich schätzen, dass ich mit einer Jungfrau so zartfühlend umgegangen bin." Versetzte der ehemalige Shinsengumi scharf. Die Schokoladenaugen bewölkten sich hitzig, als der junge Faustkämpfer ein wenig auf dessen Oberschenkeln zurückrutschte. "Verdammt, musst du immer so verflucht stocksteif sein?!" Fauchte er verärgert. Saitou grinste in kalter Boshaftigkeit. "Wolltest du nicht gerade eben etwas 'Steifes', Trottel?" Schnarrte er scheinheilig. Der junge Mann auf seinem Schoß ballte die Fäuste, kehrte ihm das Profil zu, schluckte offenkundig an einer Replik, die zweifellos zornigen Ursprungs entstammte, holte mehrfach tief Luft, um dann nach einem Stück Melone zu greifen, es bedächtig zu lutschen, den Blick noch immer abgewandt. Der Polizist wartete. Die aufbrausende Art des jungen Faustkämpfers hatte ihm gewöhnlich verlässlich ein Stichwort geliefert, das er zu seinen Zwecken instrumentalisieren und aus jedem Schlagabtausch verbaler Natur siegreich hervorgehen konnte. Dass der Streithahn sich nun beherrschte, Selbstkontrolle ausübte, beunruhigte den älteren Mann, gereichte das doch als Indiz, wie ernst der Jüngere ihr Intermezzo nahm. »Jung und töricht.« Verurteilte er abwehrend, hoffte gleichzeitig wider jede Vernunft, dass Sanosuke es auf sich nahm, den ersten Schritt zu wagen, Vertrauen vorzuschießen, obwohl er nicht mit einer ebenso großzügigen Geste rechnen konnte. In der Tat fokussierte ihn der ehemalige Sekihoutai erneut, beugte sich langsam, beobachtend vor, bevor er Saitou küsste. Sich in dieser Aufgabe verlor, hingebungsvoll Kontakt pflegte, den Älteren unbeabsichtigt durch die kehligen Seufzer des Wohlbehagens erregte. Saitou zögerte nicht länger, ließ seine animalische Instinkte übernehmen. Die umarmten den schlanken Körper eng, näherten sich unter Einsatz kompakter Muskelkraft dem Boden, legten ihre willige Beute ab, um auf allen Vieren über ihr zu kauern, Sanosuke in blitzartigen Attacken in Besitz zu nehmen. Sanosuke ergab sich dem Ansturm, ließ sich dirigieren, überrascht von dem entfesselten Feuer, das den Älteren anspornte, seinen Leib en detail zu erkunden. Wie ein Taschenspieler verstand sich der Polizist darauf, mit der einen Hand für Ablenkung zu sorgen, während die andere bereits eine Invasion in den glühenden, biegsamen Körper vorbereitete. Inmitten dieser Vielseitigkeit knurrte der eifersüchtige Verstand des ehemaligen Shinsengumi warnend, belagerte dessen rauschhafte Libido unerbittlich. »Sieh ihn dir an! Er ist wehrlos, unachtsam, schwach. Liefert sich dir aus. Leichte Kost. Schlägt unsere Ratschläge in den Wind! Glaubt, er könnte uns verführen. Lass ihn spüren, wie groß die Macht in deinem Gebot ist.« Aus seinem Fiebertaumel gerissen studierte Saitou den jungen Mann unter sich, der sich in Lust wand, obwohl er kaum mehr mit den Schultern den Boden berührte, von seinem Partner in Stakkato-Rhythmus penetriert wurde. »Lass ihn spüren, wie groß die Macht in deinem Gebot ist.« Mit einem Zähnefletschen stellte der Polizist seine diesbezüglichen Aktivitäten ein, beschränkte sich darauf, mit den harten Schwielen auf seinen Handflächen die Erektion des ehemaligen Sekihoutai in ein peinigendes Stadium zu forcieren, bevor er es achtlos aufgab. Er reizte andere Körperpartien, an denen sich der junge Faustkämpfer besonders empfindsam gezeigt hatte, um sie ebenso kurz vor dem erleichternden Abschluss zu verlassen. »Lass ihn spüren, wie groß die Macht in deinem Gebot ist.« Von Sanosuke kam kein einziger Laut, keine grollende Klage über die offensichtliche und beabsichtigte Lustqual, die ihm aufgebürdet wurde. Die schokoladenfarbenen Augen verbargen sich hinter den schimmernden Lidern. Den Kopf in den Nacken geworfen bäumte sich der ehemalige Sekihoutai immer wieder auf, grub die Finger tief in den nachgiebigen Boden. »Wieso, verdammter Trottel, wehrst du dich nicht?! Bist doch sonst nicht um ein Widerwort, um eine arrogante Herausforderung verlegen? Dein Starrsinn wird dir nicht helfen.« »Lass ihn spüren, wie groß die Macht in deinem Gebot ist.« Saitou schüttelte die rachsüchtige Einflüsterung wie eine lästige Fliege ab, blinzelte wiederholt, wärmte sich an den stoßweisen Atemzügen, die als einzige die zusammengepressten Lippen passieren durften. »Das ist doch kein Wettstreit in Nehmerqualitäten!« Fauchte er sich selbst an. Er wusste, dass der junge Faustkämpfer nicht nachgeben würde. Es nicht konnte, weil er zu unerfahren war, um eine Alternative zu erwägen. 'Ich verliere niemals!' Der Polizist setzte einen sanften Siegelkuss auf die fahl-weißen Lippen. Selbst aus dieser Erfahrung würde der Streithahn Gewinn ziehen, sie in etwas Positives wandeln! »Dummer, kleiner Gockel, du hast nicht verloren. Ich ergebe mich dir.« Behutsam nahm er wieder den Rhythmus auf, der ihre Körper vereinigte, bemaß die Pausen in abnehmender Länge, verbannte die eigene Selbstkontrolle, genoss die Erschütterungen des Orgasmus, die ihn durchliefen, bevor er seiner eigenen Befriedigung die Zügel schießen ließ. ~+~ Selbst einen austrainierten und kundigen Mann wie den ehemaligen Shinsengumi kostete es einige Minuten, bis er die Kraft fand, sich von seinem erschöpften Partner zu lösen, sich langsam hochzuziehen, die Wand zur Stütze gewählt. Nachdem sein Atem nicht mehr hastig entfloh, dem galoppierenden Herzschlag folgte, schmuggelte er einen Arm um die noch immer bebende Gestalt, stemmte sie in eine sitzende Position in seinen Armen, bot die eigene Brust als Lehne, barg Sanosuke dort sicher. Der ächzte heiser, schmiegte sich unwillkürlich enger in die Umarmung, zog die Beine schützend an den Körper. Saitou wischte mit dem Handrücken widerspenstige Strähnen aus dem erlösten Gesicht, hauchte einen entschuldigenden Kuss auf die Mitte der Bandana. Er wachte, seltsam beruhigt und in Frieden, über den Schlaf des jungen Mannes. ~+~ Der Morgen dämmerte früh herauf. Die Hitze löste dunstige Schwaden aus der aufgeweichten Erde. Der Polizist bettete den Tiefschlafenden umsichtig auf den Boden, dankbar für die Schatten, die noch eine geraume Weile für erquickende Ruhe Sorge tragen würden. Er streifte sich in gewohnter Sorgfalt mit abgezirkelten Bewegungen seine Uniform über, bevor er die mitgenommene, ehedem weiße Jacke aufsammelte, über ihren entblößten Besitzer ausbreitete. Neben die Reste der Melone deponierte er aus dem präparierten Versteck einige Reisbälle. Er klemmte seine Festtagskleidung, die der ehemalige Sekihoutai mit ungewohnter Sorgfalt gefaltet hatte, unter den Arm. Saitou wurde wieder mit jedem Zoll der einsame Jäger, der Wolf von Mibu, der lediglich ein verlorenes Lächeln seinem Gefährten zum Gruß entsandte. Auch wenn es seine Bestimmung war, das Böse zu ahnden und auszumerzen, so konnte gelegentlich eine gute Tat Vieles kompensieren. Zumindest hoffte er das. ~+~ Sanosuke fuhr sich durch den wirren Schopf, verwünschte die allgegenwärtige Hitze, während er sich bemühte, keine zu heftigen Bewegungen auszuführen, um nicht Misao aufzuwecken, die sich wie ein Kätzchen auf seinem Schoß zusammengerollt hatte und schlief. Sein Blick streifte das Fräulein, die ausnahmsweise und sehr wohltuend schwieg, während sie Kenshin mit einem Fächer Erleichterung verschaffte, litt der ehemalige Attentäter doch unter einem milden Fieber. Auf der anderen Seite, im provisorischen Stall, übte Yahiko unermüdlich mit seinem Holzschwert, nachdem ihn Gewaltandrohung endlich aus der mittäglichen Sonnenglut vertrieben hatte. Der ehemalige Sekihoutai erweckte den Eindruck zu dösen, obgleich seine Gedanken sehr aktiv die neuesten Entwicklungen sortierten, die er Misao entlockt hatte. Sie hatte Vertrauen zu ihm gefasst, während diese Bereitschaft bei den anderen Mitgliedern der Oniwa Banshu in dem Maße abgenommen hatte, in dem Sanosuke mit den Spuren des Wolfs von Mibu in den frühen Morgenstunden erschien. Er konnte kaum mehr die Arbeit in den Slums als Erklärung vorschieben, hatten sie auch dort ihre Informanten, sodass er sich einfach auf Kämpfe mit unbekannten Zechkumpanen verlegt hatte. Was die erfahrenen Mitglieder der Ninja-Truppe als Schutzbehauptung mühelos enttarnten. Zu eindeutig war die Beweisstruktur. Allein Misao war arglos in dieser Hinsicht, vom Fräulein einmal abgesehen. Sie sah keine Veranlassung, Sanosuke als potentielles Sicherheitsrisiko auszugrenzen, berichtete ihm infolgedessen davon, dass es in der Stadt zum Ausnahmezustand gekommen war, man kaum noch die eigenen vier Wände verließ, um nicht marodierenden Revoluzzern oder aber einer verunsicherten Polizeipatrouille in die Hände zu fallen. Ob sich die aufgestaute Wut vordringlich gegen die Meiji und ihre Repräsentanten richten würde, oder die Patrioten das erste Angriffsziel darstellten, konnten selbst die Spione nicht erwägen. Dennoch hatte Okina oberste Wachsamkeit angeordnet. Ohne seine Einwilligung war es jedem Oniwa Banshu untersagt, das Hauptquartier zu verlassen. Sanosuke erwog seine Möglichkeiten. Er hielt es für wahrscheinlich, dass potentielle Aggressoren ihre Ortskenntnis unter dem Schutz der Dunkelheit einsetzen würden, wenn sie tatsächlich den ehemaligen Attentäter Battousai zum Ziel ihrer Vergeltungsaktionen wählten. Das bedeutete für ihn, des Nachts auf dem Posten zu sein. ~+~ Sanosukes Plan sah vor, auf die einigermaßen intakten Dachbereiche des alten Teehauses zu klettern, von dem aus er einen guten Überblick über die verwinkelten Gassen und Straßen hatte, die zur Festung der Oniwa Banshu führten. Sollten sich verdächtige Gestalten dort herumdrücken, konnte er eine Leuchtrakete in den Himmel schießen. Er kletterte geschmeidig an einigen Außenstützen hoch, ließ sich rittlings auf einer Dachkrone nieder, als eine Aura von Macht ihn umfing. "Saitou?" Wisperte er ungläubig in die vorspringenden Schatten angrenzender Dachaufbauten. Tatsächlich regte sich in der Dunkelheit eine schlanke Gestalt. "Sano, komm hier herüber, aber vorsichtig." Der scharfe, leise Ton ließ keinen Zweifel daran, dass es dem ehemaligen Shinsengumi ernst war, obgleich Sanosukes Herz vor Aufregung Salti schlug, da der ältere Mann ihn zum ersten Mal mit einem Quasi-Kosenamen bedachte. Langsam erhob Sanosuke sich, machte kehrt, prüfte vor jedem Schritt über die schlüpfrigen Dachschindeln und angesengten Balken, ob sie sein Gewicht zu tragen vermochten. Warnendes Knirschen gellte in seinen Ohren. Er erstarrte, die Augen direkt in glimmendes Bernstein gerichtet. "Scheiße." Flüsterte er reglos. Zu seiner Überraschung befreite sich Saitou von der schützenden Dunkelheit, balancierte auf dem schmalen Dachfirst auf ihn zu, eine weiß behandschuhte Hand nach ihm ausgestreckt. "Wenn ich es sage, spring und lass mich nicht los." Gab der ältere Mann präzise Anweisungen, wartete das Einverständnis des ehemaligen Sekihoutai ab. Der nickte eilig, um auf einen Zischlaut hin mit aller Kraft nach vorne zu springen, sich förmlich in den Leib des Polizisten zu schrauben, der seinerseits eine wirbelnde Umdrehung initiierte, die sie beide vor dem in gesamter Länge einstürzenden Dach retten sollte. Ihr Hort, eine einsame Säule, schwankte unter der Belastung, bevor sie sich, nachdem die staubigen Schuttwolken sich bereits gelegt hatten, anmutig ächzend dem Boden entgegen neigte. Mit einem gutturalen Knurren stemmten sich beide Männer in einer einzigen, instinktiven Bewegung von dem einknickenden Holz ab, suchten ihr Heil in der Landung in dem kleinen Teich. Als Sanosuke sich prustend und fluchend aus den Fluten befreite, dankbar, trotz geringer Wassertiefe unverletzt den Fall überstanden zu haben, hievte sich der ehemalige Shinsengumi bereits an das Ufer, um sogleich sein Schwert zu trocknen. "Was, verdammt noch mal, ist passiert?! Gestern war die Ruine noch nicht so marode!" Bekundete der junge Faustkämpfer sein abklingendes Entsetzen lautstark. "Sämtliche leerstehenden Ruinen werden heute Nacht niedergerissen." Bemerkte der ältere Mann sachlich, wischte sich Strähnen aus dem Gesicht. "Was?! Wieso?!" Eine hochgezogene Augenbraue quittierte diese unüberlegte Äußerung bezeichnend. "Keine Unterschlüpfe für Aufrührer, keine potentiellen Brandherde, keine Hinterhalte." Sanosuke zog eine Grimasse. "Wieso bist du hier?! Doch nicht, um den alten Schuppen selbst abzureißen, oder?" "Trottel." Der ehemalige Shinsengumi bleckte verächtlich die Zähne. "Ich dachte mir, dass ein Hitzkopf wie du sich den nächsten erhöhten Punkt aussuchen würde, um das Aoiya von oben zu bewachen." "Du bist also nicht hier, weil du mich treffen wolltest?" Wich der Faustkämpfer in Scherz aus, ohrfeigte sich selbst metaphorisch, weil er nicht so berechenbar für den älteren Mann sein wollte. "Hpff!" Schnaubte Saitou mitleidlos. "Kannst du überhaupt schon wieder sitzen?" "Sogar fliegen, alter Mann!" Blies sich der Faustkämpfer auf, beäugte mit finsteren Blicken ihren nun ehemaligen Treffpunkt. "Geh nach Hause, Gockel." Mahnte der Polizist ungewohnt milde, verzichtete auf sarkastische Bemerkungen, richtete gleichzeitig seine Uniform wieder her. "Nein!" Bockte Sanosuke widerspenstig. "Vergiss es, Bulle. Ich bin den ganzen verfluchten Tag eingesperrt gewesen!" Die Bernsteinaugen loderten schwefliges Feuer. Die schmalen Augenbrauen formten sich zu einem einzigen Strich des Unmuts. "Ich brauche Bewegung!" Setzte der junge Schläger nach, quittierte die visuelle Herausforderung im gleichen Maße finster. "Wenn du deine Fäuste nicht sinnlos schwingen kannst, bist du wirklich eine Landplage." Komplimentierte der ältere Mann, pirschte sich bedrohlich heran. Sanosuke ging in den Ausgangsstand für einen guten Schlagabtausch. Ein wildes Grinsen erleuchtete seine Züge. "Ich kann auch andere Dinge schwingen, Alter!" Provozierte er zotig, mit sich hebender Laune. Er konnte erkennen, dass Saitou keine Zeit hatte, sich mit ihm auseinanderzusetzen, seine Pflicht ihn an andere Orte rief. Dennoch wies ihn der ältere Mann nicht brüsk ab, sondern widmete ihm seine Aufmerksamkeit. Unterdessen hatte sich der frühere Shinsengumi vor dem Schläger aufgebaut, die glimmenden Augen zu Schlitzen verengt. Allein durch seine Aura verströmte er Macht und kompromisslose Strenge. Sanosukes Herz erhöhte die Schlagfrequenz. Er selbst vergaß sein betont nonchalantes Auftreten, versank in den ungewöhnlichen Zwillingssonnen. Der Polizist studierte seinen Gegenüber mit beruflich bedingter Akribie, während einige Teile seiner Wahrnehmung befremdliche Signale aussandten. Ihn davon unterrichteten, wie berückend dieser gebräunte, Hitze verströmende Körper von unzähligen Perlen benetzt im Zwielicht aussah. Wie verlockend es anmutete, die willig getrennten Lippen zu überwinden, die Finger in die wilden Zotteln des unbändigen Schopfes zu verstricken. Dass ungeschminkte Lust in den dunkelnden Augen stand, ihr Besitzer sich nicht scheute, dieses Verlangen zu enthüllen. "Solltest du nicht den Attentäter bewachen?" Unternahm Saitou einen letzten Vorstoß, den jüngeren Mann von sich abzuschrecken. In Replik legte Sanosuke seine Handflächen wie Brandherde auf die Uniformbrust, intensivierte das lockende Glühen seiner Schokoladenaugen. "Bei dem Lärm sind sicher alle wach." Raunte er mit einem verschmitzten Lächeln. "Außerdem habe ich den gefährlichsten Mann der Stadt hautnah in Überwachung." Der Polizist schnaubte. Wollte sich der Bengel etwa auf Schmeicheleien verlegen?! Bevor er weitere Konversationsversuche unternehmen konnte, hatte sich der junge Schläger bereits initiativ betätigt, küsste ihn hingebungsvoll. Wartete sein Engagement nicht ab, das möglicherweise versagt werden würde, sondern tupfte warme Spuren der Zuneigung über die markanten Züge des ehemaligen Shinsengumi. Der hatte nicht die Absicht, sich mit Tändeleien zu begnügen, wenn seine Einwürfe nicht fruchteten. Er schlang beide Arme fesselnd um den biegsamen Leib, eroberte hungrig die verheißenden Lippen, raubte Atem und bewegliches Gut, knurrte kehlig, forcierte die Vibrationen durch den sehnigen Torso, um ein Echo auf der anderen Seite zu erzeugen. Sanosuke antwortete ihm, eine Melodie aus gutturalen Äußerungen des Genusses, Ansporn und Hingabe zugleich. »Kann dieser Junge denn nie schweigen?!« Blaffte es durch Saitous partiell in Geiselhaft der Libido genommenes Gehirn. »Das ist so erregend!« Mit gewaltiger Willensanstrengung löste er den jüngeren Mann von sich, strich leicht außer Atem über seine Uniformjacke, justierte den Sitz seines Schwertes im Hüftholster. "Ich habe keine Zeit!" Fauchte er scharf. Es konnte als zweifelhaft angesehen werden, dass sich sein Unmut gegen den jungen Faustkämpfer richtete. Der preschte vor, umklammerte Saitous Handgelenke. "Verdammt, lass mich nicht so stehen, Saitou. Deine Lakaien können sich auch mal nützlich machen." Die Bernsteinaugen feuerten glühende Lohe auf die Hände, die seine Handgelenke gefangengenommen hatten. "Loslassen." Knurrte der ältere Mann im Tonfall mörderischer Zukunftsentwicklungen. Zumindest selbstmörderischer im Falle des Ungehorsams. Deutlich zeichnete sich vor ihm der innere Kampf zwischen Stolz und Sehnen ab, den der frühere Sekihoutai ausfocht. Der wollte nicht bitten müssen, andererseits schien das Bedürfnis nach körperlicher Zuneigung dermaßen stark, dass sich keine Alternativen erboten. "Es stärkt deine Selbstbeherrschung." Kommentierte der Polizist trocken, ertappte sich selbst bei der wilden Hoffnung, der Jüngere möge ihm in gewohnter Hitzköpfigkeit einen Vorwand bieten, seine Anwesenheit zu verlängern. Unerwartet ließ ihn Sanosuke los, wandte den Kopf ab. "Vielleicht kannst du es ja ausschwitzen. Ich kann es nicht." Seine Stimme wurde mit jeder Silbe leiser, wehmütiger und verlorener. "Ich kann dich immer noch in mir spüren." ~+~ Der ehemalige Shinsengumi gefror, von kalten Schauern überzogen, deren Herkunft er sich nicht erklären konnte. Genauso wenig die Gewalt ihrer Einwirkungen auf ihn. Nach einer Schrecksekunde bemühte er sich verärgert, diese Emotionen abzustreifen. Er WOLLTE nicht von dieser Art kindlicher Triebhaftigkeit beeinflusst werden! Er war der Wolf, der einsame Jäger in der Nacht. Er hatte keine Verwendung für Sehnsüchte oder Hoffnungen. Gereizt registrierte er, dass der jüngere Mann ihn musterte, seine reglose Haltung verwirrt zu bewerten versuchte. »Geh jetzt.« Kommandierte er barsch seine Glieder, die ihren Gehorsam verweigerten. Sich von einem zögerlichen, werbenden Kuss einfangen ließen, den schlanken Leib an sich pressten, in die Schatten der Ruine leiteten, taumelten unter dem Regen gieriger Liebkosungen, die sie in gleicher Hitze erwiderten. »Das geht nicht!!« Röhrte in fassungsloser Wut ein Part seiner Natur, während der Polizist selbst den ehemaligen Sekihoutai auf ein Podest stemmte, ihm mit den Zähnen die Kleider vom Körper zerrte, besitzergreifend den Torso erkundete, seine Markierungen erneuerte. Den vor Lust stöhnenden Partner rücksichtslos vorantrieb, dessen leidenschaftliche Küsse mit ihrem unvergleichlichen Begleitgeräusch als erotisierende Melodie sein Rückgrat elektrisierte, er sich selbst partiell entblößte, um in geschmeidiger Gewandtheit die Oberschenkel zu positionieren, ihre glatte, muskulöse Ausprägung zu bestreichen. In seinem Kopf, von Wellen des Verlangens umspült, echoten die Worte des Faustkämpfers. "Ich kann dich immer noch in mir spüren." Er erneuerte den Pakt, stützte den sich aufbäumenden Mann, fing die herrenlosen Hände ein, um sie sicher auf seinen eigenen Hüften zu beherbergen, bevor er der Erektion eine eingehende Behandlung zugedachte. Seine Augen brannten unter der Anstrengung, jede Regung Sanosukes zu verfolgen, der keinen Hehl aus seiner Lust machte, ihn anspornte, belohnte. »Nur ein wenig Sex?« Spottete es kühl, lauernd in seinem Hinterkopf. »Belüge dich nicht selbst, Jäger.« Saitou fing einen Blick aus verhangenen Schokoladenaugen auf, die Ahnung eines sanften, zärtlichen Lächelns, stützte sich schwer auf die Balustrade, forcierte ihre Vereinigung. ~+~ Noch immer außer Atem richtete sich der frühere Shinsengumi auf, beschäftigte zitternde Finger damit, die korrekte Bekleidung wiederherzustellen, während seine Augen sorgsam den Anblick des ausgestreckten, vollkommen nackten Partners vermieden. Er lauschte auf die von erlöster Leidenschaft schweren Atemzüge, die unwillkürlichen Bewegungen, die die Rückkehr des Lebens in die biegsame Gestalt verkündeten. Hastig tarierte er sein Hüftholster aus, umklammerte versichernd den Griff, bemerkte in ungekannter Verlegenheit, dass er nicht einmal der Handschuhe verlustig gegangen war in ihrer Intimität. Sie trugen die Spuren von Sanosukes Höhepunkt. Der stemmte sich gerade auf die Ellenbogen, verfolgte den eiligen Aufbruch ohne mimische Einlassung. "Ich nehme an, es gibt keinen Nachschlag?" Rettete er sich mit schiefem Lächeln in die tröstenden Gefilde des Humors. Saitou warf ihm einen kryptischen Seitenblick zu, straffte seine sehnige Gestalt, um von einer Hand, die sich in seine schob, angehalten zu werden. "'jime, wie...?!" Ohne sich umzuwenden drückte Saitou die Finger fest. "Ich werde dich finden, Sano." Er verschwand in der Nacht. ~+~ Im grellen Licht des Morgens lagerte Sanosuke auf einem Dach des Aoiya. Er hatte das Bedürfnis nach Freiheit, nach der Weite des Himmels und nach Ruhe, um seine verwirbelten Gedanken zu beruhigen, die ihn nicht schlafen ließen. Hatte er tatsächlich den gefährlichsten Mann in der Stadt bei seinem Vornamen angesprochen? Sich ausgeliefert, am Rande flehentlichen Bittens, nur um dessen glühenden Leib erneut spüren zu können, das kalte Feuer in dem Körper mit seinem hitzigen Blut zu vermischen? Hätte man ihm das vor der Reise nach Kioto prophezeit, so hätte er sich vor Lachen ausgeschüttet, den Weissagenden des übermäßigen Sake-Genusses bezichtigt. Aber die Dinge hatten sich profund geändert, seit er diese unwirkliche Stadt erreicht hatte. Das erste Mal nach über zehn Jahren, mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit, ordnete er sich den Zielen eines anderen unter, fühlte sich einer Art von Familie verbunden, litt mit jeder Verletzung, jedem Rückschlag, den sie erfahren musste, schmerzhafte Hilflosigkeit und Selbstvorwürfe angesichts Kenshins Zustand. Die plötzliche Akzeptanz von Arbeit und Dienst unter einem Feind der Sekihoutai, weil es die einzige Option schien, den Freund wirkungsvoll zu beschützen. Er vermochte nicht mehr zu sagen, wann er weniger das Kräftemessen aus diesem Anlass gesucht hatte als in egoistischer Sehnsucht die Nähe des älteren Mannes. Wie sollte es weitergehen? Gewöhnlich verschwendete er keine Zeit an große Pläne oder Zukunftsvisionen, da er nicht damit rechnen konnte, lange genug zu leben, um sie zu verwirklichen. Ein Fehler in seinem Metier oder gelegentlich auch in zweifelhafter Gesellschaft konnte der letzte, ultimative sein. Dennoch schlich sich der Dämon der Hoffnung ungebeten in seine Gedanken, wiederholte in penetranter Geduld seine stichelnden Einwürfe und Anregungen. »Eins ist unverrückbar: sobald Kenshin reisefähig ist, verlassen wir diese verfluchte Stadt.« Ermahnte sich der junge Schläger. Auf heimischen Boden war es viel leichter, den Freund zu beschützen. Er konnte in der Not die Bekannten und Kontakte nutzen, um sich mehr Augen und Ohren zu verschaffen, als er es hier jemals vermochte. Außerdem stand nicht zu erwarten, dass in Tokio ähnliche Unruhe und Rebellion vorherrschten. Dort, in der zukünftigen Hauptstadt, duldete die Polizei keine größeren Aufruhrquellen. »Vermutlich aus Furcht vor Saitou!« Ein Grinsen überzuckerte seine Lippen. »Tja...Saitou... 'jime...« Er musste nicht reflektierend in sich gehen, um zu wissen, dass der ältere Mann einen Bereich seines Lebens ausfüllte, den er in diesem Maße nicht in Erwägung gezogen hatte. »Die Frage lautet: werde ich bald genug von ihm haben?« Seine Unerfahrenheit ließ ihn nicht gegenüber anderen Optionen erblinden. Wenn er es tatsächlich darauf anlegte, so versicherte er sich selbst, konnte er eine Partnerin oder einen Partner finden. »Geht es denn hier wirklich nur um Sex?!« Sanosuke drehte spielerisch den Halm mit der Zunge zwischen seinen Lippen. Es war die Kombination von Emotionen, die ihn eroberte. Das Potential der tödlichen Gefahr, die Kälte des älteren Mannes, dessen Erfahrung. Das Risiko, zu vertrauen, ohne jemals in die Gunst des Gegenbeweises zu kommen. Sich mit einem ungezähmten Tier einzulassen, das nach eigenen Regeln agierte, sich niemals in die Karten sehen ließ, absolute Unabhängigkeit verkörperte. Er richtete sich auf, umarmte locker seine angewinkelten Beine, starrte versonnen in die Ferne. »Den Punkt, den ich hier so fahrlässig außer Acht lasse: es gehören zwei zu einem Paar.« Selbst für ein kurzfristiges Vergnügen änderte sich nichts an diesen Grundvoraussetzungen. Sich Illusionen hinzugeben entsprach nicht Sanosukes Selbstverständnis. Aus seiner Erfahrung im Umgang mit dem ehemaligen Shinsengumi konnte er nicht erwarten, dass der für irgendjemanden tiefere Gefühle hegte oder entsprechend agierte. Selbst wenn unwahrscheinlicher Weise der Ältere einen Narren an ihm gefressen hatte, so würde Saitou doch niemals eine Affäre riskieren. »Würde ich es?« Der frühere Sekihoutai spuckte den Halm aus, verfolgte dessen Absturz in den Hof des Aoiya. So gern er sich stolz bescheinigt hätte, seine Liebe offen zu präsentieren, gab es doch in diesem speziellen Fall mehrere Mankos: zum Einen handelte es sich nicht um ein nettes, hübsches Mädchen, vorzugsweise reich, zum Anderen konnte man kaum von Liebe sprechen. Es wäre schwer genug, Kenshin die Situation zu erklären. Der zartgliedrige Schwertkämpfer mochte seine Rolle des unbedarften Friedensstifters so kunstfertig spielen, wie er wollte: er erkannte Lügen sofort. Wie er die Wahrheit über die nächtlichen Aktivitäten seines jüngeren Freundes aufnehmen würde, stand in den Sternen. »Sternen, die ich sehen werde, wenn er die Scheiße aus mir rausprügelt.« Nein, vermutlich würde Kenshin ihn nicht attackieren. Wahrscheinlich käme es noch schlimmer: er wäre verständnisvoll auf eine nachsichtige, mild enttäuschte Weise. Der Faustkämpfer knurrte frustriert. Er konnte sich jetzt vornehmen, Saitou zu vergessen, ihn nicht mehr zu treffen, doch war er überzeugt, dass dieser Entschluss nicht eine Sekunde anhalten würde, wenn er die Aura des anderen Mannes spürte. Dieser Ort, dieses Eingesperrtsein, diese hoffnungslosen Menschen: sie förderten die verrücktesten Eingebungen!! »Wenn wir nach Tokio gehen, wird sich vielleicht alles wieder einrenken!« Floh er in forcierte Hoffnungen. "Sano?" Eine helle Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen. Mit Geschick kletterte Misao zu ihm über das Dach, reichte ihm eine Schale Suppe, die sie balanciert hatte. "Danke, kleine Schwester!" Sanosuke grinste, kostete vorsichtig die Flüssigkeit. Er konnte sich nicht mehr entsinnen, wer in dieser Woche für die Verköstigung zuständig war. "Hast du Heimweh?" Die kleine Ninja hielt sich nicht mit Formalitäten auf, studierte ihn aufmerksam. Der ehemalige Sekihoutai zuckte mit den Schultern, mied ihren Blick. "Ich vermisse das Aoiya auch, wenn ich auf Reisen bin." Plauderte sie, klopfte mit den Fersen auf die Schindeln. "Stärker noch..." Ihre Stimme verlor sich. Sanosuke konnte mühelos den Satz vollenden: Aoshi Shinomori und die vier Freunde, die in den verwünschten Wäldern ihre letzte Heimat gefunden hatten. "Ich weiß, dass man sagt, er sei ein gefühlloses Ungeheuer, aber das stimmt nicht! Zu mir war er sehr nett und geduldig. Er hat sich immer gekümmert!" Der junge Faustkämpfer registrierte die geballten Fäuste, setzte die Schale sorgsam neben sich ab. "Wird über Aoshi geklatscht?" Erkundigte er sich ernsthaft. Misaos offene Züge verdüsterten sich. Ein trotziges Starren schaffte sich Raum. "Die Leute reden immer irgendwas! Sie mögen die Patrioten nicht, die Meiji nicht und auch die Kämpfer der Oniwa Banshu nicht. Sie machen uns Vorwürfe: wären wir nicht so schwach gewesen, wäre ihre Lage jetzt nicht so verzweifelt!" Sanosuke verstand, legte eine Hand schwer auf eine schmale Schulter. "Die meisten haben ein kurzes Gedächtnis. Niemand will sich richtig erinnern." Bestätigte er durch seine eigenen Erfahrungen. "Ich wünsche mir so sehr, dass er zurückkommt!" Misao verkroch sich an der Seite des jungen Schlägers, das Gesicht gegen seine Brust gepresst. »Sie ist noch ein Kind. Ein kleines Mädchen, das versucht, tapfer zu sein, um das Wohlgefallen des verlorenen Hauptmanns zu erringen.« Sanosuke schloss die Arme um die grazile Gestalt. Ihre Einsamkeit schmerzte sein Herz, weil sie ihm zu bekannt war. Er verfügte nun über eine Familie, sehr gute, treue Freunde. Sollte es nicht auch für Misao einen glücklichen Abschluss geben? Mit ernster Miene streichelte er den knochigen Rücken beruhigend, alle verwirbelten Gedanken durch ein Ziel verjagt. ~+~ Die Hände trügerisch gelangweilt in den Hosentaschen versenkt, von einer warnenden Aura der Entschlossenheit und gezügelten Aggression umweht, schritt der junge Faustkämpfer durch die verwinkelten Gassen von Kioto. Man wich ihm aus. Missgünstige, gar hasserfüllte Blicke taxierten seinen Rücken. Instinktiv wagte man nicht, offen dem jungen Mann in den Weg zu treten, beließ es bei demonstrativem Ausspucken und Grimassen des Abscheus. Sanosuke Sagara, der einstmals gefürchtetste, freie Schläger der Tokioter Unterwelt, Zanza genannt, ignorierte die Reaktionen der wenigen Passanten. Teile von ihm empfanden Mitgefühl für die Menschen, die nur zu überleben suchten, durch Shishios perfide Pläne in einen mörderischen Strudel hineingezogen worden waren, von den verstörten Polizeikräften in übermäßiger Härte drangsaliert wurden, ohne Perspektive von Tag zu Tag ausharrten. Er kannte diese unterdrückte Wut, die glimmende Verzweiflung, die Sehnsucht nach einfachen Antworten, nach einer besseren Zukunft. Hier gab es nichts, was er selbst vollbringen konnte, um Abhilfe zu schaffen. Seine eigenen Entschlüsse trieben ihn voran, mit der Unaufhaltsamkeit einer Lawine, die, zu seiner Erleichterung, wie eine Reihe Dominosteine alle Unruhe und Unsicherheiten in seinem Leben niedergerissen hatte. Er sah wieder den Horizont, fand auch sich selbst. Ein Schatten löste sich aus einem Mauervorsprung, verstellte ihm den Weg. "Saitou? Gut, ich habe dich gesucht." Sanosuke bewahrte in geschäftsmäßigem Ton die Ruhe ungeachtet seines sich überschlagenden Herzens. "Was tust du hier?!" Der Wolf von Mibu fletschte die Zähne, keineswegs erfreut, die Stimme tief und bedrohlich. "Es herrscht Ausgangssperre. Über die Stadt ist der Notstand verhängt worden, Idiot! Man könnte dich ohne Verhandlung liquidieren." Der junge Faustkämpfer wischte mit einer abschätzigen Geste die Vorwürfe beiseite. "Ich habe keine Zeit für solchen Blödsinn, Saitou. Ich brauche deine Hilfe." Ohne Vorwarnung stieß ihn der Ältere heftig gegen die Schulter in die Schatten, löste gleichzeitig sein Schwert, um dessen Griff mit ungebremster Wucht unter Sanosukes Unterkiefer zu rammen. Der ehemalige Sekihoutai steckte den schmerzhaften Schlag ein, ebenso das laute Knacken seines gewaltsam überdehnten Genicks, funkelte hitzig, die Fäuste kompensierend geballt. »Ich werde ihm keinen Vorwand geben, mich einzuknasten!« "Ich sagte, ich finde dich, Trottel. Welchen Part hast du nicht verstanden?!" Die Schwefelaugen schlugen goldene Späne. Die Worte wurden zu zischenden Konsonanten verzerrt, weil die Kiefer ihres Besitzers mahlten. Mit entsprechend eisiger Miene antwortete ihm der junge Schläger. "Ich bin nicht dein verdammtes Eigentum, Alter. Ich tue, was mir gefällt." Der Schwertgriff sauste hart, ansatzlos gegen Sanosukes Brustbein, hieß ihn, die Zähne ineinander zu verkeilen, um seiner Reaktionen Herr zu werden. "Habe ich dich dafür trainiert?! Dass du dein Leben wegwirfst, du blöder Bengel?!" Der Jüngere schwieg, studierte die ungewöhnlichen Augen, seltsam von sich losgelöst, von der gewohnten Wut über ungerechtfertigte Übergriffe verlassen. Gerade als er den Eindruck gewann, dass der Polizist die Geduld verlieren würde, ein ausgesprochen rares Ereignis, trennte sie eine schrille Stimme. "Sir, gibt es ein Problem, Sir?" Langsam, widerwillig, die Augen nicht von Sanosukes schokoladenbraunen abwendend zog sich der frühere Shinsengumi zurück. "Nein, Kobawashi, kein Problem. Ich werde diesen Landstreicher aus der Stadt expedieren." Seine behandschuhte Linke legte sich mit der Kraft einer Stahlklaue um den Oberarm des jungen Faustkämpfers, dirigierte ihn an einer Patrouille vorbei, die durch ihre Unsicherheit umso gefährlicher wirkte. Sanosuke blieb stumm, auch, als Saitou darauf verzichtete, ihn vor sich her zu treiben. Er setzte in stetigem Rhythmus einen Fuß vor den anderen, trat mechanisch aus dem engen Herzen Kiotos hinaus, bis sie die Befestigungen hinter sich gelassen hatten, auf dem breiten Weg zwischen offenen Feldern gingen. Unvermittelt, beinahe selbstvergessen, erklärte er sich dem älteren Mann, der wie ein rachsüchtiger Schatten seine Gestalt abschirmte. "Ich werde Kioto verlassen, um nach Aoshi zu suchen, ihn aus den verfluchten Wäldern wieder in das Aoiya bringen." Ein Schnauben ertönte hinter ihm. "Ach was, Trottel, du glaubst, du könntest diesen verrückten Ninja überzeugen an Battousais Stelle? Ziemlich vermessen." Sanosuke legte eine elegante Kehrtwende ein, hielt direkt vor Saitou inne. "Deshalb brauche ich deine Hilfe. Yahiko weiß als Einziger von meinem Plan. Wenn es zu einer Attacke auf Kenshin kommt, will ich sicher sein, dass ein erfahrener Mann ihn beschützt." Der ehemalige Shinsengumi lachte kalt, knapp, blies demonstrativ Rauch in das attraktive Gesicht des Jüngeren. "Phhfff! Warum sollte ich?" Höhnte er kühl. Die Muskeln des Schlägers spannten sich. Vielmehr seine Ruhe wirkte auf den Polizisten bedrohlich, weil sie die Entschlossenheit deutlich transportierte. "Kenshin ist lebend mehr wert als tot, Saitou. Wenn es einem der Revoluzzer gelänge, ihn, den stärksten aller Patrioten, zu ermorden, wäre Kioto nicht mehr zu halten. Anarchie. Das wäre das Ende." Die dünnen Augenbrauen des älteren Mannes vereinigten sich zu einer einzigen kühnen Linie des Missfallens, während sein Gegenüber seine Überlegungen in Worte fasste. "In der Zeit, in der Kenshin Hilfe braucht, kann ich nicht gut genug werden. Du bist der bessere Kämpfer." Eine schmerzliche Grimasse kündete von der Anstrengung, die Sanosuke dieses Eingeständnis bereitete. "Wenn ich Aoshi mitbringe, wird es für Kenshin keinen Grund mehr geben, in dieser verfluchten Stadt zu bleiben. Wir können endlich wieder zurück nach Tokio." "Das ist dein Plan?! Diese jämmerliche..." Die Fingerspitzen des ehemaligen Sekihoutai erstickten die vernichtende Kritik des älteren Mannes. "Du weißt selbst, dass diese Stadt Vergangenheit ist, voll von den Erinnerungen des Bakumatsu. Eine Sackgasse." Sanosuke beschwor die Bernsteinaugen mit ungewohnter Besonnenheit. "Ich will eine Zukunft haben, einen neuen Anfang wagen. Ich mag die Meiji noch immer nicht, aber ich bin bereit, ihnen eine Chance zu geben. Das wird nur in Tokio gelingen." Mit einem gutturalen Knurren pflückte der frühere Shinsengumi Sanosukes Hand von seinen Lippen. Als handele es sich um ein besonders abstoßendes Ungeziefer, das die unverzeihliche Frechheit besessen hatte, sich ausgerechnet den Wolf von Mibu auszusuchen. Dieser Frevel musste geahndet werden. "Was denkst du, wen du vor dir hast, Bengel?! Einen Wachhund?!" Jeder dieser zischenden Silben folgte ein kalkulierter Schlag vor die Brust des ehemaligen Sekihoutai, der sich bald im Rückwärtsgang in einem Feld wiederfand, das hüfthoch dichtem Binsen Heimat bot. Er ballte die Fäuste, unterdrückte zähneknirschend den Drang, auf die offenkundige Provokation angemessen zu antworten. Lediglich seine Augen verengten sich zu unheilvollen Schlitzen, die dem Ausdruck ihres Gegenüber mühelos das Wasser reichen konnten. "Du glaubst, mich herumkommandieren zu können, du hirnloser Grünschnabel?! Hältst dich für einen Mann, wie?!" In der Stimme des Wolfs von Mibu ätzte Spott wie Säure, weidete sich an den aushärtenden Gesichtszügen des jüngeren Mannes, der zunehmend die Beherrschung zu verlieren drohte. "Für dich war ich Mann genug." Entgegnete Sanosuke leise, stemmte die Fersen in den nachgiebigen Boden, wich keinen Fußbreit mehr. In den Bernsteinaugen detonierte ein Blitzschlag. Seine Verlängerung führte eine geballte, weiß gekleidete Linke direkt unter Sanosukes Kinn, der keine Anstalten unternahm, dem Schlag auszuweichen. Als hätte der Treffer, der ihn unsicher schwanken ließ, seine Zähne blutig in seine Unterlippe trieb, eine Kettenreaktion initiiert, hagelte es gezielte Kombinationen auf den jüngeren Mann ein, der in stoischer Langmut weder in die Defensive ging, noch sein Heil in der Flucht suchte. Sich auf seine Nehmerqualitäten verließ. Was den Polizisten aus seiner enragierten Selbstkontrolle brachte, sodass der sein Schwert zückte, den Griff mit aller Macht gegen die Schläfe des ehemaligen Sekihoutai rammte. Ein erstickter Seufzer entfuhr Sanosuke. In malerisch-grausiger Eleganz gaben seine Beine nach, fiel er bewusstlos in die Arme des Wolfs von Mibu. "Du wirst nirgendwo hingehen, du dämlicher, kleiner Gockel." Unter Zuhilfenahme seines scharfen Gebisses befreite sich Saitou von seinen Handschuhen, löste das Schwert einhändig aus dem Holster, bettete Sanosuke auf seinem Schoß. Er untersuchte flink die spannungslose Gestalt auf schwere Verletzungen. In ihm brodelte es. Schweflige Säure schien durch seine Poren zu kondensieren, sich wie ein schmieriger Film auf seinen Körper zu legen. Der dumme Junge hatte nichts begriffen! So wollte er dem besten Ninja der Oniwa Banshu gegenübertreten?! Nicht einmal verteidigt hatte er sich, sondern aus dumpfer Sentimentalität eingesteckt! "Verblödetes Balg!" Fluchte der frühere Shinsengumi, strich über die leichte Schwellung unterhalb der Bandana. "Hast wohl geglaubt, nur wegen einiger Intimitäten würde ich dich verschonen oder dein Schoßhündchen werden, wenn du mich mit großen Augen ansiehst?! Idiot! Ich bin der Wolf, und das bleibe ich bis zum letzten Atemzug." Zu seiner Verblüffung zeichnete sich ein fahriges Lächeln auf den attraktiven Zügen des ehemaligen Sekihoutai ab, den er noch immer auf der anderen Seite des Bewusstseins vermutete. "Was gibt es zu lachen?!" Eine Hand legte sich wie eine Klaue um Sanosukes Kehle, bereit, auf den geringsten Reflex hin ihre Kraft zu erproben. "Ich wollte es nicht glauben, als Kenshin das sagte." Mit geschlossenen Augen grinste der jüngere Mann in den nächtlichen Himmel. "Du sorgst dich wirklich um mich. Das ist nett." "Blödsinn!" Der Polizist spuckte demonstrativ aus. "Ich habe bloß keine Lust, deinen stinkenden Kadaver aus einem Straßengraben zu zerren, weil du deiner üblichen Dummheit die Zügel schießen ließest. Weißt du, dass sie heute bereits zehn Menschen liquidiert haben?! Die waren auch alle so überzeugt von ihrem Glück und ihrer dämlichen Unschuld!" Sanosuke schlug die Augen auf. "Warum willst du mich dann hindern, meine Freunde aus dieser verfluchten Stadt wegzubringen?" Erkundigte er sich ruhig. Der ehemalige Shinsengumi schnaubte verächtlich. "Welche Chance rechnest du dir aus bei einem Ninja?! Du verirrst dich doch bloß! Bei deiner Kondition bist du für den Hauptmann nicht mal ein Frühstück." Der Faustkämpfer feixte, strich sich über die Haare. "Oh, sind wir etwa eifersüchtig, dass mich ein anderer vernaschen könnte?!" Provozierte er boshaft. Saitou stieß ihn von seinem Schoß, richtete sich auf, funkelte auf den sich mühsam Aufsetzenden herunter. "Du solltest deinen Göttern auf Knien danken, dass ich Rotzlöffel weder attraktiv finde, noch für Perversitäten ein persönliches Interesse hege." Er trieb die Finger blitzartig in Sanosukes Schopf, zerrte ihn auf die Beine, um in Entfernung eines Wimpernschlags seinen Satz abzuschließen. "Sonst hätte ich dir eine passende Lektion erteilt." "Ach, ich bin also nur ein Rotzlöffel? Ein Junge? Ein dreckiger Bauer?" In den Augen des ehemaligen Sekihoutai glomm unbeherrschter Zorn. "Natürlich, ich bin es nicht wert, nicht wahr?! Endlich gibst du es zu, alter Mann! Ich bin nur ein billiger Zeitvertreib, richtig? Der artig die Beine breitmacht, wenn es den Bullen mal juckt!" "Wenn du es sagst." Saitou bleckte das starke Gebiss kalt. "Tja!" Der Faustkämpfer wandte sich von ihm ab. "Vielleicht bin ich wirklich nicht mehr als ein schmutziger, kleiner Bauernjunge, den man benutzen und wegwerfen kann, aber für Kenshin bin ich ein Freund, auf den er sich verlassen kann. Du kannst Kenshin Himura für einen Heuchler halten, aber ich glaube an ihn und seine Ideale. Wenn du mich aufhalten willst, wirst du mich töten müssen, Saitou." "Phh, lächerlich! Ich werde dir die Antwort geben, die du verstehst!" Der Polizist ballte die Fäuste. Sanosuke warf die losen Enden der Bandana auf den Rücken und einen Blick auf die sehnige Gestalt hinter sich. "Zwing mich nicht zu wählen, alter Mann." Warnte er leise. "Pff, als ob mich das kümmern würde! Du überschätzt deine Bedeutung ganz immens." Der Wolf von Mibu feuerte schweflige Lohen aus seinen Bernsteinaugen. "Wenn es dich nicht kümmert, warum bist du hier?" Mit einem Lächeln konfrontierte er den älteren Mann. "Eins sag ich dir: es ist verdammt lange her, dass jemand so etwas für mich getan hat. Danke." Mit einem gewaltigen Sprung überwand Saitou den Abstand zwischen ihnen, packte die losen Jackenaufschläge des anderen Mannes, zog ihn eng an sich heran. "Wenn du morgen Früh noch laufen kannst, lasse ich dich ziehen." Zischte er eisig, ungeachtet des Angebots. Die Hände des Faustkämpfers legten sich um sein markantes Gesicht wie Blütenblätter. Die Daumen strichen synchron sanft über die dünnen Lippen des Polizisten. "Gib alles, alter Mann!" Neckte Sanosuke zärtlich, bevor er den ehemaligen Shinsengumi leidenschaftlich küsste. ~+~ Mit einem Ächzen ließ sich Saitou auf die niedergedrückten Halme sinken, einen Arm besitzergreifend um seinen jüngeren Partner geschlungen. Der zitterte noch immer unter den Ausläufern zweier, einander rasch folgender Orgasmen. Der ältere Mann lächelte im Schutz der Nacht selbstzufrieden. Er wusste um seine zweifellos animalischen Qualitäten, unter deren Verwendung er den Faustkämpfer förmlich in die Erde gestanzt hatte, um noch während des Endspurts seines eigenen Höhepunkts in gepflegter Handarbeit den kleinen Gockel erneut an dessen Grenzen zu führen. »Ich werde dich schon kleinkriegen, Bursche!« Schwor er sich. »Für mich sprechen Erfahrung, Selbstbeherrschung und unschlagbare Technik.« Neben ihm zeigte Sanosuke erste Anzeichen der Rückkehr in die Gegenwart. Das rief den ehemaligen Shinsengumi wieder in Aktion. Er drehte den schlanken Leib auf die Seite, bedeckte das entspannte Gesicht samt der gesenkten Lider mit federleichten Zärtlichkeiten. Bevor Sanosuke selbst die Hände auf seine Brust legte, sehnsüchtig seine Lippen auf Einlass belagerte. Wie in den Nächten zuvor entschlüpfte dem jungen Mann die seltsame, gutturale Melodie, die Saitous Haare ganzkörperlich aufstellte, seine Anstrengungen mühelos vervielfachte. Während er den Faustkämpfer mit stets frischem Vergnügen erkundete, die abstrahlende Glut des sonnengebräunten Leibs genoss, führten seine Hände ihr reges Eigenleben, schmuggelten sich in Schritt und den unteren Lendenbereich, um in abgestimmter Perfektion erneut die neuralgischen Punkte zu reizen, die Sanosuke lustvoll stöhnen ließen. Der Wolf von Mibu grinste triumphierend in einen leidenschaftlichen Kuss, leckte Speichelspuren von den weichen Lippen. "Hab dich!" Raunte er kehlig, bevor er sich an einem Ohrläppchen zu schaffen machte. ~+~ Eine Zigarette lässig zwischen den ungewöhnlich in Mitleidenschaft gezogenen Lippen balanciert betrachtete der frühere Shinsengumi den Nachthimmel. Ausnahmsweise sternenklar, was für den morgigen, vielmehr heutigen Tag große Hitze versprach. Er hatte kurzzeitig dem Bedürfnis nach Erholung nachgeben müssen, fühlte sich angenehm schwer und nachglühend wie eine hocherhitzte Keramik. Saitou verwünschte seine Schlaflosigkeit einmal nicht, sondern genoss die Gelegenheit, ohne Störungen einem ausgesprochen privaten Anliegen seine Zeit widmen zu können, nicht von dem beständigen Ruf seiner Verpflichtung angetrieben zu werden. Der junge Mann, an seine Seite gerutscht, drehte sich unruhig, murmelte Unverständliches. Der Polizist setzte sich auf, drückte die Zigarette auf der Erde aus, studierte die bewegten Züge, strich sanft über den wirren Schopf. Um sich sofort zurückzuziehen, als noch schlaftrunken der Faustkämpfer sich in eine sitzende Haltung hoch stemmte, mit dem Handrücken kindlich über die schokoladenbraunen Augen rieb, den Nacken rollte. "Durst." Konstatierte Sanosuke heiser, schenkte Saitou ein entschuldigendes Grinsen, bevor er sich ein wenig wacklig auf die Beine schob, über die sich unmerklich wiegenden Binsen spähte, zielsicher eine Schneise in sie mähte, vor sich hin summend. Saitou zerknitterte ein Lächeln in den Mundwinkeln. Der dumme, kleine Gockel verfügte nicht mal über Proviant und wollte schnurstracks in die verfluchten Wälder marschieren?! Er ließ Gnade walten. »Er hat vermutlich geplant, noch einmal in das Aoiya zurückzukehren, nachdem er mich um Hilfe ersuchen wollte.« Auf einem abgepflückten Halm kauend lagerte Saitou sich bequem, durchlief mögliche Zukunftsperspektiven müßig. Vielleicht würde der kleine Gockel es vollbringen und den Ninja wieder zurück in den Schoß seiner Familie. Dennoch konnte der ehemalige Shinsengumi keine Wendung zum glücklichen Ende erkennen, wenn er seine Erfahrung konsultierte. Sollte er seinem wilden Gefährten abraten? Saitou zupfte den Halm aus seinem Mund, knirschte nachdenklich mit den scharfen Zähnen. Nein, nein, das wäre nutzlos. Der Wildfang würde es wagen, ungeachtet aller Wahrscheinlichkeiten und Erfahrungen. Er sandte einen Blick durch das Binsengras in die vage Richtung, in die Sanosuke verschwunden war. Auch wenn er dies nicht zugab, für ihn war der Faustkämpfer keineswegs ein Junge, ein unmündiges Kind, ließ man die offenkundige Unüberlegtheit und Ignoranz einmal beiseite, sondern ein Mann. Mit Kindern würde er niemals...! Noch weniger angedeutete Sadismen, die er in ihren entsetzlichen Resultaten zu oft gesehen hatte. So wie er sich selbst als frei und nicht zu zähmen einschätzte, so gestand er dem wilden Streithahn eigene Entscheidungen zu. Mit Unbehagen, doch hoffnungsvoll. Immerhin hatte der kleine Gockel sich in der Not des Öfteren als nützlich und einfallsreich erwiesen. Darauf wollte er bauen. Ihm vertrauen. ~+~ Sanosuke erreichte die kleine Quelle, schöpfte mit dem bereitgestellten, langstieligen Becher Wasser, besprengte die unbehauenen Steine, legte die Handflächen aneinander, neigte artig den Kopf. Seine Referenz an die örtlichen Naturgeister war kurz, aber prägnant: danke für das Wasser und den Wolf. Ein breites Grinsen hellte seine attraktiven Züge auf, als er seinen Durst stillte, seinen entblößten Körper von Spuren der Erde, der Gräser und des Staubs befreite. Der verrückte Polizist strengte sich wirklich an, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten! Das sagte mehr als tausendundeine hitzige Beschimpfung. »Er hat was für mich übrig, oh ja!« Sanosuke taufte seine unbändigen Strähnen, wischte sich über das Gesicht. Trotzdem würde er am Morgen, somit in einigen Stunden, in die verfluchten Wälder aufbrechen. Selbst wenn er sich auf allen Vieren bewegen musste. »Allerdings könnte ich noch ein wenig Wegzehrung vertragen.« Er ließ die Hände ausgebreitet über das Meer aus Binsengras streifen, kehrte zu ihrem Lager zurück, wo sich in diesem Augenblick ein misstrauischer, früherer Shinsengumi hochschraubte. "Unterwegs verlaufen?" Erkundigte Saitou sich trocken. Sein Blick klebte jedoch verräterisch auf Sanosukes Torso, der verirrten Tropfen auf seiner sonnengebräunten Haut Heimat bot. Der jüngere Mann grinste unverhohlen, schlang die Arme um den sehnigen Nacken des Wolfs, rückte hautnah an ihn heran. "Du würdest mich doch finden." Seine Zunge glitt spielerisch über eine gesamte Seite des markanten Schädels, vom Unterkiefer bis zum Haaransatz. Eine scharf geschnittene Augenbraue wanderte mokierend nach oben. "Du weißt nicht, wo deine Grenzen sind." Bemerkte der ältere Mann, unterdrückte ein minimales Schmunzeln. "Dafür weiß ich, was gut für mich ist! Reizte der ehemalige Sekihoutai, schmiegte sich gewohnt subtil an den nackten Körper des anderen Mannes. "Unbelehrbar." Knurrte Saitou, ein bedrohliches Funkeln in den Bernsteinaugen. "Unersättlich." Korrigierte ihn sein biegsamer Partner, knabberte prüfend an einer schmalen Unterlippe. Sanosukes Hände glitten in spielerischer Ruhe über die muskulösen Schultern an den Armen hinab, schmuggelten Finger in die schlanken Hände, kreuzten sie mit ihren Pendants, zog den älteren Mann zu sich auf den Boden, dirigierte ihn in einen bequemen Schneidersitz, bevor er sich direkt vor ihm, die schlanken Beine hinter dem ehemaligen Shinsengumi angewinkelt, platzierte. Saitou beschäftigte sich unterdessen damit, versprengte Wasserperlen einzufangen, angenehm erwärmt von der prickelnden Haut zu entführen, nutzte die willige Geschmeidigkeit des Jüngeren. Der vorwitzige Gockel wollte noch eine Runde einlegen?! Hier hatte er einen würdigen Gegner gefunden, der sich nicht die Initiative abnehmen lassen würde! Mit leidenschaftlichem Nachdruck bedeckte er den Jüngeren mit Küssen und Bissen, ignorierte das kindliche Amüsement seines Liebhabers, der ihm die sorgfältig geglätteten Haaren zerwühlte und unleserliche Zeichen auf seinen Rücken malte. Er spürte das freimütige Lachen des früheren Sekihoutai in dem hungrigen Austausch von Atem und Speichel, die reibende Massage seines Gaumens, die ihm kehlige Schnurrlaute entlockte, während Sanosuke genussvoll stöhnte, kerkerte den Jüngeren bestimmt in seinen Armen ein, zauberte immer neue Melodien aus dem bebenden Körper, berauschte sich an der Macht, über die er gebot. Gestattete, dass ihn Sanosuke sanft zu Boden drückte, ihm Liebkosungen angedeihen ließ, forsch und doch sanft, sodass die temperamentvollen Gunstbezeugungen selbst den Wolf von Mibu zähmten. Der sich der Führung ergab, Sanosukes Finger begierig leckte, um dem Jüngeren zu assistieren, bis der mit angezogenen Beinen seine Erektion in sich aufgenommen hatte. Für lange Augenblicke wehte lediglich ihr Atem durch die Binsen, umklammerte Sanosuke die schlanken, kräftigen Hände des älteren Mannes, verwob ihren glühenden Blick miteinander. Behutsam spannte er die Muskeln an, stützte sich mit den Händen auf dem sehnigen Torso ab, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen. Der ältere Mann bleckte unbewusst die Zähne, verfiel gleichsam in Erwartung, ob der ehemalige Sekihoutai Hilfe akzeptieren würde oder es gestattete, dass er mit beruhigenden Strichen die muskulöse Brust bedachte. Seine scharfe Wahrnehmung vernetzte ihn direkt mit seinem agilen Liebhaber. Fast seufzend erleichterte ihn die unerschrockene Zuversicht, mit der der Jüngere die ungewohnte Position erprobte, um sich mit einem zufriedenen Keuchen auf ihm einzurichten. Die Lippen selbstvergessen befeuchtend löste Sanosuke die Hände von Saitou, zerwühlte sich die Haare, initiierte den Rhythmus, den er zu steigern gedachte, wenn seine Muskeln die Bewegung verinnerlicht hatten. Er lehnte sich weiter zurück, erkundete mit den Fingern die eigene Brustpartie, war sich der glühenden Blicke aus den Bernsteinaugen bewusst. Saitou sah sich seines Privilegs beraubt, doch er verfügte nicht über die Reichweite, es zurückzuerobern. In der Tat verspürte er ein ungewohntes Stechen in seiner Brust, mit dem wilden Gockel verbunden zu sein, ohne ihn an sich drücken zu können, den heißen Atem einzufangen oder die unbändige Mähne zu durchpflügen. Sich der Passivität zu ergeben und die lustvolle, selbstabsorbierte Leidenschaft des Jüngeren zu beobachten, der sich in quälender Geduld seinem Höhepunkt näherte, um mit einem hinreißenden Grinsen Saitous Handgelenke fest zu umschließen, sie von ihrer Einsamkeit auf den zerdrückten Gräsern zu erlösen. ~+~ Die hitzigen Strahlen der frühen Sonne empfingen den ehemaligen Shinsengumi, der sich ankleidete, die lackschwarzen Haare justierte, einen langen Blick auf den jungen Mann zu seinen Füßen warf. Der schlief ruhig, die Knie leicht angezogen, von einer aufmerksamen Hand mit der bezeichnenden Jacke bedeckt. [Böse] Der Polizist ging in die Hocke, wischte einige Strähnen aus dem friedlichen Gesicht. Er zog aus seiner Uniformjacke eine verschlungene Kordel in safrangelber Tinktur, befestigte sie an dem bereits verbundenen, linken Handgelenk. "Ich werde dich finden, kleiner Gockel." Raunte er heiser, bevor er sich wieder in den Wolf von Mibu verwandelte, der bereit war, seiner Verpflichtung in Kioto zu folgen. ~+~ Kapitel 5 - Die verfluchten Wälder Sanosuke erwachte mit einem geräuschvollen Gähnen, streckte seine schlanken Glieder räkelnd, bevor er sich aufsetzte, bemerkte seinen vollkommen unbekleideten Zustand ebenso wie seine Jacke, die ihn schützend bedeckt hatte. "'jime." Ein verschmitztes Lächeln wärmte das Gesicht des früheren Sekihoutai. Er schraubte sich geschäftig aus den Binsen, schlüpfte in seine Kleider, bestaunte verunsichert das seltsame Schmuckstück an seinem Handgelenk. Es erinnerte ihn an die Tressen, die an formellen Uniformen oder Schwertscheiden verwandt wurden. Allerdings in einer so ungewöhnlichen Kolorierung? Ein unternehmungslustiges Grinsen spaltete sein Gesicht förmlich: er hatte eine Mission zu erfüllen! ~+~ Das einzig Positive, was Sanosuke über die Natur generell und die verfluchten Wälder im Besonderen sagen konnte, wenn er nicht mit ungehemmten Verwünschungen seinen Mund austrocknete, bestand in der Feststellung, dass die Blätterkronen zumindest die stechende Sonne filterten. Er konnte den Hunger ertragen, auch wenn es seine Konzentration erforderte. Seine größte momentane Sorge bestand darin, sich nicht heillos zu verirren. Wie konnte man nur hier hausen?! An ihm zogen verwachsene, von Ranken und Schlingpflanzen bedeckte Baumstämme vorbei, kündeten von der ungestörten Entwicklung des Waldes, der sich selbst verteidigte durch seine archaische Form. Nach seiner bescheidenen Theorie musste er sich lediglich an die immer unwegsamere Vegetation halten, um den ehemaligen Hauptmann der Oniwa Banshu zu finden, den er im Herzen dieses Gestrüpps vermutete. Dass sich der Fortschritt schwieriger gestaltete, nagte an seiner mühsam trainierten Selbstkontrolle. "Verdammt, wo steckt der Kerl?!" Schwitzend und ächzend zwängte sich der Faustkämpfer durch ein heckenartiges Gewächs, trat in eine überraschend ausgefegte Lichtung, deren Mittelpunkt vier mannshohe Findlinge bildeten. "Wau..." Alarmiert drehte er sich im Kreis, erkundete, ob der zweifellos menschliche Gärtner sich in der Nähe befand und eine Entweihung ahnden würde. Er konnte keine Präsenz wahrnehmen, verlegte sich auf die genaue Inspektion dieses unerwarteten Verstecks. Jemand hatte sich mit der Gestaltung auf eine minimalistische Weise viel Mühe gegeben, sogar Blumen gepflanzt, die in dem schattenreichen Boden gediehen, an der Rückseite der Monolithen immergrüne Ranken drapiert, die in einiger Zeit vermutlich die vier Solitäre zu einer gemeinsamen Einheit verbinden würden. "Was machst du hier?" Die trockene, völlig flache Stimme schleuderte Sanosuke erschrocken herum. Er konnte sich nicht erklären, wie der großgewachsene Mann es vermocht hatte, so lautlos an ihn heranzutreten! Natürlich spürte er in der vorherrschenden Dunkelheit der Hecken und Bäume keinen Schattenwurf. Aber selbst die Ausstrahlung von Körperwärme, der Flug von Atem... Irgendetwas hätte den Ninja doch ankündigen müssen! »Schlimmer als Seta!« Zuckte es durch seinen Kopf. »Bei dem Mistkerl konnte man wenigstens an seinem manischen Grinsen erkennen, dass seine Schüssel einen gewaltigen Sprung aufwies.« Der ehemalige Hauptmann der Oniwa Banshu wirkte dagegen wie ein blinder Fleck in der Wahrnehmung. Eine Fläche, die absorbierte, nichts zurückwarf. »Hey, ich habe heute einen Wolf im Kornbett gehabt!« Munterte er sich selbst auf, grinste großspurig, stopfte demonstrativ die Fäuste in seine Hosentaschen. "Ich bin hier, um dich zu Misao zurückzubringen, Kumpel!" Verkündete er aufgeräumt, suchte den Zugang, den der wenig ältere Mann genutzt hatte, um sich anzuschleichen. Unter überlangen Ponysträhnen nahm er eine Bewegung wahr, die ihm nur verriet, dass Aoshi ihn betrachtete, trotz der Nähe jedoch weder seine Augenfarbe preisgab, noch einen Ausdruck enthüllte. Da der frühere Sekihoutai die Chancen für eine lebendige Konversation als eher gering einstufte, entschloss er sich, die Karten auf den Tisch zu legen. Wie es seiner direkten Art entsprach. "Misao vermisst dich sehr. Sie trauert um ihre Freunde." Sein spitzes Kinn fing die vier Findlinge ein. "Sie bricht unter der Last der Verantwortung zusammen. Du kennst sie, Shinomori, sie würde alles tun, damit du stolz auf sie bist, aber sie hat nicht genug Erfahrung und Härte, um gegen die Anfeindungen zu bestehen." Der Ninja wandte Sanosuke sein Profil zu, den Monolithen zugewandt. "Die Oniwa Banshu ist nicht mehr." Die leisen Worte aus einer nicht länger im Sprechen geübten Kehle verloren sich in einer leichten Brise. Sanosukes Rückgrat lief ein eisiger Schauer hinab, der ihn unbehaglich seinen Stand verändern ließ, so leer, so apathisch klang diese Verkündung. Bevor er jedoch eine passende Entgegnung verlautbaren konnte, schlüpfte der Ninja in einer fließenden, ansatzlosen Bewegung durch trügerisch undurchdringliche Kletterpflanzen. Zerstob wie eine Fieberillusion, was den Faustkämpfer erboste. Seine Neigung, sich mit Mutter Natur auseinanderzusetzen, reduzierte sich auf die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme. Sich von diesem Trauerkloß brüskieren zu lassen: nichts da!! Zudem zehrte er auch von der Zuversicht, die ihm die Reaktion des ehemaligen Shinsengumi eingeflößt hatte. Der hatte offenkundig ausreichend Vertrauen in ihn, diese Angelegenheit selbständig zu lösen. Mit wüstem Fluchen zwängte er sich durch anhänglichen Bewuchs, entdeckte den wenig älteren Mann auf einem kaum erkennbaren Pfad. Was blieb ihm übrig, als seinem selbst absorbierten Führer zu folgen? ~+~ Der verschlungene Weg wies auf eine sich lichtende Fläche, die die Ursache des natürlichen Kahlschlags durch quecksilbriges Murmeln indizierte: ein Bach separierte das Gelände. Der Ninja, trotz immenser Hitze in Staubmantel und schwarzem Kampfanzug, die Kodachi in einer einzigen Schwertscheide geborgen, hielt in gleichmäßigem, gelassenem Tempo auf die in der Sonne glitzernde Wasserfläche zu, stieg in das Wasser hinein. Zu Sanosukes Verwunderung lupfte der Ninja lediglich das Holster, drapierte seine Waffen in ausreichender Distanz, um den beinahe hüfthohen Untiefen nicht die Gelegenheit zu einer ruinösen Beeinträchtigung zu geben. Inmitten des Zentrums des rasch dahin strömenden Flusses hielt der ehemalige Hauptmann inne, schloss die Augen, verharrte reglos, vom Wasser umschlossen. »Eine Übung.« Konstatierte Sanosuke nach abwartender Inspektion, auch wenn er nicht ergründen konnte, welchem Zweck diese Verhaltensweise dienen konnte. Andererseits, gestand er freimütig ein, hatte sich sein Training bisher immer auf die physischen Aspekte beschränkt. Konzentrations- und andere Übungen erschienen ihm im Herzen des Gefechts stets eine unpragmatische Vergeistigung zu demonstrieren. Sein Magen brachte sich in diesem Augenblick in Erinnerung, vertrieb wirkungsvoll Anflüge psychologischer Betrachtungen. Er massierte den grollenden Mahner behutsam mit der flachen Hand, stiefelte am unterspülten Ufer entlang, bis er eine geeignete Stelle erspähte, die sich mit seinen gegenwärtigen Interessen zu decken schien. Der ehemalige Sekihoutai streifte die Schuhe ab, glitt vorsichtig in das Wasser, das sich in einer beruhigten, durch mitgetragenes Geröll separierten Fläche staute. Außerdem bot es zu seiner heißhungrigen Begeisterung kleinen Fischen Heimat, die über den temperamentvollen Zubringer eingewandert waren. Es hieß, geduldig und im entscheidenden Moment blitzschnell sein, um mit bloßen Händen die Beute hart auf das Ufer zu schleudern und jede Rückkehr in das kühlende Nass zu verhindern. ~+~ Nach dem Sonnenstand mussten zwei Stunden verstrichen sein, in denen Sanosuke sich mit mittlerem Erfolg als Fischer betätigt und der Ninja in statuesker Starre verharrt hatte. Mit Geschick die Fische von ihren unverdaulichen Bestandteilen befreit lagerte der ehemalige Sekihoutai am Ufer, kaute vollmundig. Sanosuke hatte, ein Friedensangebot, das seiner jovialen Anlage entsprach, Aoshi aufgefordert, mit ihm zu speisen. Nicht einmal ein Wimpernzucken des Ninja hatte sich in Replik gezeigt. Der Faustkämpfer gewöhnte sich an die seltsame Stille, nutzte sie, um sich der Kontemplation zu ergeben, der er eine geraume Zeit nicht mehr nachgegangen war. Zutreffenderweise gab es so Einiges, das er einer genaueren Betrachtung unterziehen musste. Angefangen mit dem erschreckenden Einfluss dieser verlorenen Stadt, die von Shishio mehr als deutlich die Verwundbarkeit aufgezeigt bekommen hatte, von der Zukunft abgekoppelt worden war. Tokio war das neue Zentrum der Macht, lenkte die Geschicke. Der alten Kaiserstadt blieb nichts mehr als Groll und Wehmut. Die drückende Stimmung legte sich auch auf die Menschen, was ihm bei seinen Arbeitseinsätzen für den Wolf von Mibu nicht entgangen war. Eine perfide Art von Selbstzerstörung schien sie zu wahnwitzigen Taten anzuspornen, wenn sie nicht bereits vom Leben entsprechende Lektionen auferlegt bekommen hatten. Auch zwischen den Gefährten hatte sich Einiges geändert. Sanosuke rieb sich nachdenklich über das spitze Kinn. Er hatte zuversichtlich erwartet, dass niemand Kenshin Himura schlagen konnte. Dass der im Notfall durch ihn und den Polizisten Unterstützung finden würde. Nun erholte sich der frühere Attentäter von schweren Verletzungen. Ausgerechnet der Feind, der arrogante, kalte, unmenschliche Shinsengumi lehrte ihn Geheimnisse des Kampfs und der körperlichen Liebe. »Absurd.« Sanosuke warf einen Blick auf Aoshi, der sich allmählich aus seiner Starre löste, sehr langsam dem Ufer zuwatete. Kenshin war verletzlich, sogar besiegbar. Saitou konnte zärtlich und fürsorglich sein. Und er selbst? »Ich fange an, mich wie ein verantwortungsvoller Erwachsener zu verhalten.« Ein kalter Schauer zuckte durch den Leib des Faustkämpfers. »Welch grausige Vorstellung!« In Tokio dagegen würde sich alles normalisieren, in die bekannten Gleise zurückfallen, überzeugte er sich selbst. Kenshin gesund und munter, keine Schatten aus der Vergangenheit. Er selbst wieder der sorglose Schläger und Herumtreiber, der in den Tag und für das Vergnügen lebte. »Und Saitou...« Sanosuke nagte an seiner Unterlippe, verlor sich in einer ungewohnten Leere. Wenn er nicht mehr als ein kurzweiliges Spielzeug des ehemaligen Shinsengumi war, würde ihm der so kalt und spottend wie zuvor das Leben zur Hölle machen. Die Linke gehoben betrachtete er die seltsame Kordel. »Wenn er aber nun... auf den Geschmack gekommen ist...« Der Faustkämpfer ließ sich auf den Rücken sinken. Diese Option bewegte sich in Regionen, die seiner Vorstellungskraft entkamen. Er konnte keine Szenarien beschwören, die in realitas stattfinden mochten. Den Kopf wendend beobachtete er den Ninja, der einen einzigen Fisch gefangen hatte. Aoshi nagte ihn sparsam ab, so reserviert und leidenschaftslos, wie sich das gesamtes Gebaren darstellte. Die blauschwarzen Haare fielen glatt in schweren Strähnen herab, die seine kantigen Züge verbargen. Die Haut war von einer natürlichen Blässe, seine Gestalt geschmeidig-anmutig, verströmte keinerlei Ausstrahlung ihrer Präsenz. »Unheimlich.« Der ehemalige Sekihoutai schrieb diese Reaktion jedoch partiell der Trauer zu, die den wenig älteren Mann befallen haben musste. Nicht nur der Verlust seiner Männer, auch die Unmöglichkeit, sich als Stärkster zu beweisen und von seinem Gegner der Todessehnsucht bezichtigt zu werden, wogen schwer. Er setzte sich auf, visierte den Ninja an. "Dass die Oniwa Banshu nicht mehr existiert, ist nicht ganz richtig. Die Menschen im Aoiya fühlen sich der Oniwa Banshu zugehörig, ebenso die vielen Ehemaligen, die den Kontakt nicht abreißen lassen." Nahm er den Faden ihrer ungleichen Unterhaltung wieder auf, zupfte einen Grashalm ab, drehte ihn in den Fingern. "Es ist nicht mehr die Oniwa Banshu, die in der Bakumatsu-Zeit ihren Platz hatte, das ist wohl richtig. Misao bevorzugt eine neue Richtung, einen Einsatz für das gemeine Volk, für die Wehrlosen, Unterprivilegierten, Vertriebenen. Einen unblutigen Kampf gegen die schlechten Lebensbedingungen für ein friedliches Miteinander und Hoffnung auf eine ruhige Zukunft." Er räusperte sich, grinste, von seinem Engagement verblüfft. "Aber ihr fehlt die Erfahrung. Gerade jetzt scheint Kioto auf einem sehr schmalen Grat zur Anarchie und Bürgerkrieg zu balancieren. Wenn ein Mann wie du sich anbieten würde, mit deinem Wissen, deiner Kenntnis, deiner Führungsqualität, könnte das die Lage stabilisieren." Er nickte Aoshi zu. Der Ninja kehrte ihm den Kopf zu, in einer verzögerten, doch gleichförmigen Bewegung. "Ich bin ein Krieger." Bemerkte er leise. Sanosuke rieb sich die Finger, massierte sie geschäftig. "Das ist doch aber nicht alles, Kumpel! Hey, ich meine, du bist schließlich der Bursche, der die Oniwa Banshu geleitet hat, da haben andere noch mit Puppen gespielt!" Provozierte er jovial, zwinkerte. "Du weißt selbst, dass dir starke, ältere Männer gefolgt sind, weil du mehr als nur ein Krieger bist. Du bist ein Anführer, und ein umsichtiger dazu. Du sorgst dich. Ich wette, du hast keine Schwierigkeiten, einem ältlichen Ehepaar zu zeigen, wie man ein Dach repariert oder wie man einen Flaschenzug einsetzt oder Brunnenschächte freilegt." Aoshis Blick hinter den überlangen Strähnen blieb unerkennbar. Der Faustkämpfer beugte sich vor, vermittelte seine Ernsthaftigkeit in jeder Faser seines Körpers. "Aoshi, ich habe die Slums gesehen. Die Menschen stehen unter Schock, sie sind ohne Hoffnung und absolut hilflos. Sie sind nicht gebildet, niemand sorgt sich um sie. Also glauben sie, dass sie nichts wert sind, dass man ihnen jegliches Existenzrecht absprechen kann. Ausgestoßen, ausgesetzt, ausgegrenzt." Sanosuke lauschte nach diesem Appell auf seine Herzschläge, zählte ihren beschleunigten Takt stumm. Er hatte seine Worte mit Bedacht gewählt eingedenk der Unterhaltung, die er mit Hannya und Shikijo geführt hatte, noch bevor sie ihr Leben für ihren verehrten Hauptmann gaben. Tatsächlich hatte Aoshi eine bemerkenswerte Anzahl von Verlierern und Ausgestoßenen in seine Ninja-Gruppe integriert, sie gefördert, ihrer Existenz einen Sinn gegeben, ihre speziellen Fähigkeiten aufgezeigt. Durch die Leichen seiner Männer geschützt hatte Aoshi sie nicht als Instrumente betrachtet, als Marionetten, wie der ehemalige Sekihoutai damals bemerkt. Was ein gewisser Polizist zu tun pflegte! Er hatte in Entsetzen und Trauer agiert. Er hatte seine Männer niemals im Stich gelassen, sich stets gekümmert, sie zu einer treu ergebenen Truppe zusammengeschweißt, denjenigen beigestanden, die niemals in ein normales Leben Eingang finden konnten. Plötzlich, als habe ihn ein Blitz erweckt, schraubte sich der Ninja in die Höhe. Es funkelte eiskalt zwischen den blauschwarzen Strähnen auf Sanosuke herunter. "Ich will niemanden mehr führen." Aoshi marschierte steif in den Wald zurück. ~+~ Sanosuke schüttelte seine Glieder aus, folgte ruhig der Richtung, in der der ältere Mann verschwunden war. Er fühlte sich in seinem Eindruck bestätigt: Aoshi trauerte noch immer. Der Tod seiner Männer hatte ihn tief verwundet. Kenshins Worte mochten die Todessehnsucht als beklagenswerte Schwäche entlarvt haben, doch linderte dieses erzwungene Eingeständnis den existentiellen Schmerz nicht. Zweifellos hatte die Oniwa Banshu im Laufe ihrer Geschichte Mitglieder verloren. Dieses Mal jedoch bedeutete es das Ende der kampffähigen Truppe. Die Unmöglichkeit, sich zu rehabilitieren. Zu bestätigen, dass der Einsatz aller Mitglieder gerechtfertigt gewesen war, trotz des Verbots zu kämpfen, trotz der geschrumpften Mannschaft auf fünf Männer. Nach Überzeugung des Faustkämpfers rechnete es sich Aoshi als Versagen seiner eigenen Person an, die Oniwa Banshu ehrenhaft in die Geschichte eingehen zu lassen. Abgesehen von ihrem tragischen Ende bei einem liederlichen Waffen- und Drogenhändler. Wenn es ihm gelang, Aoshis Selbstzweifel zu durchbrechen, damit der sich selbst noch eine Chance gab, bestand die Hoffnung, dass er ihn begleiten würde. Dass Misao ihren Hauptmann wiederfinden würde. Wenn ihn sein Instinkt nicht trog, bekam die Menge der Verlorenen und Gestrandeten einen klugen Mann, der sich um sie bemühte. Sanosuke lächelte. ~+~ Aoshi Shinomori, letzter Hauptmann der Oniwa Banshu, streifte durch die verwilderten Wälder in der vagen Hoffnung, die komatöse Stille, die er in seinen Kopf gezwungen hatte, das bewusste Ausschalten jedes Gedankens, möge sich wiederfinden. Er konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Regelmäßig trieben Bilder auf, die ihn an seine Kameraden erinnerten, mischten sich mit schokoladenbraunen Augen, die ihn nicht verurteilten, mit Vorwürfen bedachten, die er sich selbst machte: feige zu fliehen, weil er sich seiner Verantwortung entziehen wollte. Ein Mann, nein, ein Ungeheuer, das keinen Sinn mehr in seinem Leben sah. Ein Leben, das ihm seine Kameraden geschenkt hatten, das er nicht zurückweisen konnte, ihm aber unerträglich zu führen schien. Wie sollte er Okina oder der kleinen Misao begegnen, die von ihm den Mann erwarteten, der einst ausgezogen war, den Ruf wiederherzustellen, den das Verbot des entscheidenden Kampfes ruiniert hatte? Sollte er erneut Menschen um sich scharen, ihr Vertrauen gewinnen, um sie in erbärmlicher Weise zu enttäuschen und zu verlieren? »Ich bin müde.« Erkannte er beschämt. Sein gestählter Körper, ausgehärtet und vernarbt, widerstand den Strapazen. Allein seine Seele konnte nicht länger den Erwartungen entsprechen. »Wie soll ich ihnen eine Zukunft weisen, wenn ich selbst keine habe?!« Seine Schritte, die ihn in das vertraute Separee der Monolithen geführt hatten, hielten inne, als könne nichts mehr ihnen einen weiteren Zentimeter abtrotzen. Unsicher schwankend neigte er das Haupt vor den Schreinen der Männer, die seine Unzulänglichkeiten toleriert, ihm vertraut hatten. Er brach in die Knie, stemmte die geballten Fäuste in die Erde, bis alle Kraft ihn verließ, er auf die Seite fiel und das Bewusstsein verabschiedete. ~+~ Sanosuke rieb sich den Hinterkopf, drehte sich prüfend im Kreis des Dschungel-artigen Waldes. Der Ninja hatte einige Spuren hinterlassen, die von seiner Anwesenheit zeugten. Sie führten jedoch in perfider Absicht auch ins Leere, sodass der ehemalige Sekihoutai sich erschöpfte, wenn er das Labyrinth aufs Geratewohl durchmaß. Er ertappte sich dabei, den Wolf von Mibu zu visualisieren, der seine Kräfte nicht verschwendete, sondern zuerst die Lage sondierte, Indizien erwog. »Verdammt.« Ein unsicheres Grinsen flackerte über seine attraktiven Züge. »Ich werde doch keine Schwäche für den alten Bastard entwickeln?!« Mit einem Knurren rief er sich zur Ordnung. Erst musste Aoshi zurück ins Aoiya geschafft werden! Alles andere würde sich finden. Also, wohin würde es den älteren Mann regelmäßig verschlagen? Den Fluss? Von da kam er gerade, also eine nachgeordnete Möglichkeit. Schlafplatz? Den hatte er bisher nicht gefunden. Aber...das Grab seiner Freunde! Der ehemalige Sekihoutai schlug die Fäuste gegeneinander, grinste befreit. »Los geht's!« Er zwängte sich durch die vorausschauend markierten Hecken und Büsche, um unvermittelt in dem geschützten Gedenkareal zu einem abrupten Halt zu kommen. "Aoshi?" Ohne weiteres Zögern ging er neben dem zusammengekauerten Mann in die Hocke, fasste behutsam eine Schulter. Der Ninja rollte sich reflexartig von ihm weg, tastete automatisch nach seinen Schwertern, bevor er seinen vermeintlichen Gegner erkannte. "Hey, Kumpel, ganz ruhig!" Sanosuke hob entwaffnend die Hände, studierte in offenkundiger Besorgnis den früheren Hauptmann, dessen fahl-bleiches Gesicht mit wenigen Perlen benetzt war, soweit klebrige Strähnen dies nicht verbargen. "Geh weg." Der Faustkämpfer musste sich anstrengen, den farblosen Lippen die Worte abzulesen, so rau und leise knisterten sie hervor. Angespannt studierte er den zitternden Schwertkämpfer, ließ einige Augenblicke verstreichen. "Nein. Nein, ich lasse dich nicht in Selbstvorwürfen absaufen. Du kannst nicht alles allein schaffen. Dafür sind Freunde da. Die hoffen auf dein Vertrauen in sie. Gib uns allen eine Chance." Ein Schnauben des Abscheus wirbelte wenige Strähnen auf, enthüllte für Sekundenbruchteile das ausgezehrte Gesicht des Ninja. "Du verschwendest deine Zeit, Lakai." Sanosuke blinzelte, kniff die Augen zusammen, leidlich verwirrt und zunehmend verärgert. "Lakai?! Was soll das heißen?" Erkundigte er sich scharf. Aoshi kauerte in der Hocke, die beiden Kodachi blank gezogen aus ihrer solitären Schwertscheide, funkelte arktisch zu ihm hoch, lauernd. "Ich bin nicht blind, Bauer!" Fauchte er kehlig. "Der Wolf hat dich geschickt." Einige Herzschläge verstrichen, bis der Jüngere seine Linke anhob, sie studierte, breit grinste. "Wegen diesem Dings hier?! Ach was!" Winkte er gutmütig ab. "Ich bin aus eigenem Antrieb hier. Saitou hat nichts damit zu tun. Nenn mich nicht Bauer, klar?! Ich hab's nicht mit Mutter Natur!" Der Ninja erhob sich langsam aus der Hocke, die Schwerter noch immer in Angriffsformation, die Schultern nach vorne gebogen, blitzte unter den filzigen Strähnen hervor. "Es sind also nicht seine Besitzzeichen auf deinem Körper?" Wisperte er flach. Der frühere Sekihoutai runzelte die Stirn unter der Bandana. Seine schokoladenbraunen Augen verdüsterten sich. "Niemand besitzt mich, klar? Ganz gleich, wie es aussieht, ich treffe meine Entscheidungen allein. Saitou wollte mich nicht mal gehen lassen." Fügte er an. Ein humorloses Zucken deutete den Äquivalent eines bitteren Lächelns in den Mundwinkeln des älteren Mannes an. "Ich wette, er hat sehr energisch versucht, dich abzuhalten. Seltsam, dass du es doch geschafft hast." Sanosuke knurrte. "Worauf willst du hinaus, Kumpel?!" Aoshi trat einen Schritt zur Seite, als beabsichtige er, einen Kampfplatz abzustecken. "Wenn er nicht gewollt hätte, dass du hierher kommst, wärst du nicht hier." Mit einem knappen Blick auf die Kodachi entschloss sich Sanosuke, die Arme demonstrativ vor der Brust zu kreuzen. "Vielleicht habe ich ihn überzeugt!" Gab er schnippisch zurück, unterdrückte aufkeimende Selbstzweifel resolut. "Natürlich." Ein kehliges Raunen. "Das hört sich ganz nach dem Wolf von Mibu an." Spottete Aoshi. "Ich bin sicher, deine Eloquenz hat ihn in die Enge getrieben." Sanosuke ballte die Fäuste, ermahnte sich, ruhig zu bleiben. "Ist es nicht so?" Der Ninja wechselte die Kampfpose, schlich um seinen Gegenüber. "Dass er genau wusste, dass du grundsätzlich das Gegenteil von dem tust, das er dir aufträgt?" Eine rhetorische Frage, ätzend vor Gift. "Warum sollte er so was planen?!" Erkundigte sich Sanosuke, in gedehntem, reizbaren Tonfall, strengte sich an, seine eigene Verunsicherung zu kaschieren. "Wir sind nicht mehr von Bedeutung. Unsere Aufgabe ist erfüllt." Wisperte der Ninja, kreuzte die Kodachi vor der Brust in einer gefährlich malerischen Bewegung. Das Gesicht des früheren Sekihoutai spiegelte Unverständnis wider. Aoshi umschlich ihn wie eine Katze im Kreisrund. "Wusstest du, dass der Wolf eine exakte Karte von Shishios Festung besaß? Er schwebte niemals in Gefahr." Sanosuke blinzelte ungläubig. Der Ninja lächelte mikroskopisch, bar jeder Sympathie. "Er hat einen Attentäter durch einen anderen ausgeschaltet. Das ist nur effektiv." Flüsterte er kalt. "Jetzt muss diese Episode aus den Annalen der Meiji getilgt werden. Mit allen Zeugen." In Sanosuke arbeitete es fieberhaft. Sein Ausdruck wurde hart. "Was willst du damit andeuten? Dass er mich hierher geschickt hat, damit er Kenshin leichter erledigen kann? Oder damit wir beide uns bekämpfen?" Hakte er frostig nach. "In den Wäldern hier verschwinden ständig Menschen, ganz spurlos." Der Ninja kreiselte in engerem Radius um Sanosuke. "Ob ich es bin, der dich tötet, oder die Geister, die wilden Tiere: wen kümmert das? Der Wolf wird den Überlebenden zur Strecke bringen. Wie er das immer tut." "Das kann nicht sein!" Hielt der Jüngere heftig dagegen. "Saitou hat mich unterrichtet, damit ich Kenshin beschützen kann, bis er wieder gesund ist. Warum hätte er sich die Mühe machen sollen, wenn er ihn umbringen wollte?" Die Klingen beschrieben unweit Sanosukes nahezu unbekleideten Torsos einen Halbkreis. "Was für ein besseres Alibi gäbe es? Wenn der Battousai stirbt, wird es DEIN Verschulden sein, weil du ihn verlassen hast. ER wird meilenweit entfernt sein, bei glaubwürdigen Zeugen." "Das ist Unsinn!! Kenshin ist wichtig für das Land, er ist ein bedeutender Patriot, er tötet keine Menschen mehr! Niemand wäre so dumm, ihn umbringen lassen zu wollen!" Protestierte Sanosuke heftig, schwang die Fäuste nun offen. Aoshi funkelte Unheil verkündend zwischen den Strähnen hindurch. "Das trifft auch für die verstorbenen Minister zu." Bemerkte er in kaltem Hohn. "Nein. Nein, Aoshi, das ist alles nicht richtig!" Der Faustkämpfer schüttelte vehement den Kopf. Die losen Enden der Bandana flatterten in der schwülen Luft. "Wenn Kenshin jetzt sterben würde, würde in Kioto Bürgerkrieg ausbrechen. Das KANN Saitou nicht wollen. Ich traue ihm ja auch nicht besonders, aber den Tod unzähliger Zivilpersonen zu riskieren: das tut er nicht!" "Ha!" Der Ninja schnaubte verächtlich. "Du glaubst, weil er dich hatte, würdest du ihn kennen?! Was weißt du schon von ihm, Bauer? Er ist ein vielfacher Mörder, das Pendant zu Kenshin, wenn auch in den eigenen Reihen. Selbst seine Kameraden fürchteten ihn, weil er nicht zu kontrollieren ist. Du bist für ihn nicht mehr als ein Spielzeug, ein 'Bauernopfer', nichts weiter. Wenn es seinen Zielen dient, schreckt er vor gar nichts zurück. Immerhin hätten die Bewohner von Kioto auch unter Shishio sterben können. Ihr Leben ist somit potentiell 'verfügbare' Masse." Setzte er hasserfüllt hinzu. Der frühere Sekihoutai starrte fassungslos auf seinen Gegenüber. Nicht nur, dass sich der Ninja derart gesprächig zeigte, stellte ein ihm unbekanntes Novum dar. Auch der nur unwesentlich bekleidete Argwohn, von boshaften Spitzen begleitet, konterkarierte das Bild des stets schweigenden, reservierten Hauptmanns. Sehr langsam sanken seine geballten Fäuste, konzentrierte er seinen Blick auf die undurchdringliche Blätterwand des Dickichts, an Aoshis Schulter vorbei. Er ließ ihren Austausch Revue passieren, ohne Hast, war sich sicher: hier präsentierte sich der Wendepunkt ihrer Begegnung. "Was hast du vor, Aoshi?" Erkundigte er sich bedächtig. "Willst du mit mir kämpfen?" Die Klingen schabten übereinander, wurden separiert, in die Grundstellung gen Himmel gerichtet, die Handgelenke verdreht. "Ich habe nicht den Wunsch, dich zu töten." Lautete die flache Replik. Sanosuke unterdrückte ein knappes Lächeln. "Es wäre auch nicht so einfach, da ich nicht vorhabe abzutreten." Quittierte er die Bemerkung, entsprach seiner Reputation. Er nahm den Faden wieder auf, forschte unter den langen Strähnen nach den Augen seines Gegenüber. "Wenn es sich so verhält, wie du glaubst, als schlimmste Folge ein Bürgerkrieg droht: willst du mich nicht zurückbegleiten und ihn verhindern?" ~+~ Er musterte den jungen Mann in seiner provozierenden Aufmachung schweigend. »Sanosuke Sagara, ältester Sohn eines Bauern, Sekihoutai, Gangster, Zanza und nun Freund des Battousai.« Auf den ersten Blick nichts weiter als ein attraktiver Schläger mit einer abstrusen Frisur, abgerissenen Kleidern und einer deutlichen Vorwarnung auf seinem breiten Kreuz. Sie waren einander erst zweimal begegnet. Er hatte den Faustkämpfer niemals in Aktion gesehen, hielt es aber für wahrscheinlich, dass der, nicht nur durch die Unterrichtung durch den Wolf von Mibu, ein ernstzunehmender Gegner war. Zwar keineswegs 'böse', wie die Signatur auf seiner Jacke projizierte, eine Erinnerung an die öffentliche Brandmarkung der Sekihoutai, doch nicht zu unterschätzen trotz seiner Jugend und der trügerisch unbekümmerten Art, die er an den Tag legte. Aoshis Augen wanderten über die nackte, gebräunte Haut, registrierten die Hämatome, die das Brandmal des ehemaligen Shinsengumi verkörperten. »Er hat dich nur benutzt, Junge, spürst du das denn nicht?« Der Ninja drehte die Handgelenke langsam, genoss seine sehnige Kraft, wollte sich allein auf die physische Ebene seiner Existenz zurückziehen. Ein Kampf mit dem Jungen? Seine glatte, von der Sonne liebkoste Haut auftrennen, die Muskelstränge zerfetzen, Agonie in die großen Augen mischen? »Nein.« Er fühlte, gegen seinen erklärten Willen, Mitleid. »Dummer Junge. Du glaubst, dass du frei bist, dass es dich nicht zerreißt, wenn du seinen Verrat entdeckst. Du bist in einem furchtbaren Irrtum gefangen. Du trägst das Band seines Schwertgehänges mit Stolz, weil er dein erster Liebhaber ist. Du kannst einfach nicht erkennen, dass er nicht so empfindet wie du.« Er richtete sich auf, senkte die Arme, stand nicht länger in aggressiver Pose. »Ich bin ein Ninja, vielleicht der beste unter den Lebenden. Meine Fähigkeiten lassen mich in dir lesen wie in einem offenen Buch. Umso müheloser, da du keine Anstrengungen unternimmst, dich zu verhehlen. Dein Optimismus, deine Zuversicht sind bestechend, eine gefährliche Waffe, aber sie wirkt nicht bei einem Wolf. Er wird dich zerreißen und dein Herz fressen, wenn es ihm opportun erscheint. Es sollte mir gleich sein, was dir bestimmt ist.« "Denk an die Menschen, an Misao, an Okina! Sie brauchen deine Unterstützung!" Hörte er die warme, dunkle Stimme drängen. Die köstlich braunen Augen mahnten ernst. "Sie haben dir verziehen, Aoshi. Du kannst doch dein Leben nicht einfach wegwerfen!" ~+~ Sanosuke studierte den Ninja eingehend, bemerkte erleichtert, dass der offenkundig seine kriegerischen Absichten aufgegeben hatte, selbst den Kopf anhob, um ihm zu begegnen. Für einen Wimpernschlag meinte er, einen blaugrünen Blitz leuchten zu sehen. Er blinzelte, wollte sich der Wahrnehmung versichern: sie verschwand. Stattdessen trat der ehemalige Hauptmann der Oniwa Banshu näher an ihn heran. "Sag mir, Bauernjunge, wie soll ein Leben sein, für das vier Leben bezahlt wurden? Welches Leben könnte diesen Preis aufwiegen?" Die Stirn unter der Bandana gerunzelt bewahrte Sanosuke seinen Stand, belauerte die blauschwarzen, filzigen Strähnen, ob nicht doch ein Durchschlupf zu finden sei, um in den Augen des Ninja lesen zu können. "Sie haben dich verehrt und geliebt. Sie wollten dein Leben bewahren, also solltest du in ihrem Sinne handeln, denke ich." Gab er bemüht ruhig zurück. Ein ironisches Aufschnauben antwortete ihm. Unerwarteterweise drehte Aoshi den Kopf weg, bot sein kühnes Profil. "Eitles Geschwätz." Hörte er den Ninja flüstern. "Was willst du denn tun?!" Sanosuke unterdrückte seine Verärgerung nicht länger, fasste nach einem Arm. "Willst du dich etwa verkriechen?!" In einer einzigen fließenden Bewegung wand sich der Ninja aus dem Zugriff, schmetterte gleichzeitig mit aller Gewalt den Griff eines Kodachis hart gegen Sanosukes Schläfe. Vorgewarnt durch das Training mit Saitou gelang es dem Faustkämpfer, die volle Kraft des Schlags zu vermeiden, indem er die Stoßrichtung selbst einschlug, eilends Abstand zwischen sie brachte. "Geh nach Hause, Bauernjunge!" Zischte ihm Aoshi zu, bevor er förmlich im Dickicht zu verschwinden schien. ~+~ Sanosuke entließ einen enragierten Wutschrei, voller Frustration und Enttäuschung. Es war nicht zu verhehlen, dass der Ninja ihn für einen kompletten Idioten hielt. Wie sonst war das fortgesetzte Hinweisen auf seine Klassenzugehörigkeit zu verstehen? Glaubte der etwa, dass das ausreichte, ihn zu einer Attacke zu provozieren?! »Trottel!« Schnarrte Sanosuke lautlos, zuckte zusammen, weil in seinen Ohren die dunkle, kehlige Stimme des Wolfs echote. Konnte es wahr sein, was der Ninja angedeutet hatte? Hatte ihm Saitou tatsächlich die Kordel aus seinem Schwertgehänge umgebunden, um Aoshis Paranoia anzuheizen, einen tödlichen Kampf zwischen ihnen anzustoßen? Was wusste der Wolf über den sonst so stoischen Ninja, das diesen unversöhnlichen Hass hervorrief? Hatten sie nicht gemeinsam gegen Shishio gekämpft? Er ließ sich bequem vor den Monolithen hinab, entwirrte mit beiden Händen seine stachelige Mähne. Aoshi zu überzeugen ließ sich nicht ganz so simpel an, wie er es sich erhofft hatte. Dennoch sah er keinen Grund, seine Mission in Gefahr zu wähnen. Zweifellos musste er ihm recht geben, wenn der ehemalige Oniwa Banshu feststellte, dass er sehr wenig über Saitou wusste. Unbestritten verfügte der nicht über Kenshins sanfte, nachsichtige Art: Saitou war ein manipulativer, eiskalter, arroganter Bastard. Sanosuke lächelte versonnen. »Und auch 'jime.« Der ihn gehalten hatte. Sein Instinkt votierte schlicht, dem Wolf zu vertrauen. Wollte man dessen Grundsatz des 'Aku Soku Zan' folgen, würde Saitou niemals Unschuldige unnötiger Gefahr aussetzen. Ganz gleich, was der Ninja der Oniwa Banshu glaubte. Andererseits konnte die Bedrohung hilfloser Menschen in Kioto möglicherweise der einzige Schlüssel zur Seele des älteren Mannes sein. Sanosuke hatte aus dessen Worten herausgefiltert, dass der Ninja keineswegs unberührt vom Unrecht blieb. Wie aber die Last mindern, die Aoshi zu erdrücken drohte? Kein Mensch konnte vier Leben leben. Er bezweifelte nicht, dass die letzten Krieger der Oniwa Banshu dergleichen nicht verlangt hatten. Sie hatten Aoshi mit ihrem Leben beschützt, weil sie ihm ein erfülltes Leben verdankten, er ihrem Dasein einen Sinn, eine Richtung gegeben hatte. Welch bittere Ironie, dass Aoshi ohne sie in seiner Existenz keinen Wert mehr sah. ~+~ Aoshi starrte in die Wasserstrudel, die sein Körper in Hüfthöhe erzeugte, versuchte seine Gedanken zu konzentrieren, um den transzendenten Zustand völliger Selbstversenkung zu erreichen. Das misslang ihm, wie er mit einer gewissen Resignation feststellen musste. Immer wieder schoben sich die schokoladenbraunen Augen in dem herzförmigen Gesicht vor seine eigene Wahrnehmung. »Ich habe zu viel preisgegeben.« Bedauerte er stumm. »Eine einfache Ablehnung hätte genügt. Wieso war es mir so wichtig, ihn zu überzeugen? Er wird sich nicht abschrecken lassen. Sein Sturschädel ist legendär. Und der Shinsengumi...« Aoshi verkeilte die Zähne ineinander. »Wenn ich zurückkehre, werde ich die junge Ordnung im Aoyia wieder umstoßen. Es ist kein Platz für einen Hauptmann in einem Gasthof.« Spion für die Meiji? Seine Erfahrung hielt von dieser Option sehr wenig. Man würde die Oniwa Banshu ebenso auslöschen wie andere Organisationen zur Bakumatsu. Er schloss die Augen. Unzählige Tropfe perlten in geschmeidigem Strom um seine Fingerspitzen, die nur mit den Nägeln in das quirlige Wasser eintauchten. Die Situation hatte sich gewandelt. Selbst Okina konnte nicht zuversichtlich genug sein, ihre wahren Umstände zu verkennen, sinnierte er innerlich. Er war nicht länger der letzte Hauptmann der Oniwa Banshu, sondern ein Verräter durch seinen Pakt mit Shishio. Ganz gleich, welches Ergebnis sein Einsatz abschließend gehabt hatte. Der letzte Krieger, ein herrenloses Schwert, ohne Ziel und ohne Ehre. Mochten sie ihm verzeihen: ER selbst konnte es nicht. Er hegte keinerlei Illusion über die offizielle Meinung der Meiji-Regierung über seine Person: seine Seite hatte nicht nur den Krieg verloren, sich in moralischen Untiefen in den Diensten eines Gangsters gedemütigt. Nein, er hatte einen umstürzlerischen Wahnsinnigen unterstützt, dessen Umtriebe eiligst aus der Geschichtsschreibung getilgt wurden. Ebenso gründlich und lautlos würde man ihn verschwinden lassen, sollte er sich noch einmal in den Zugriff der Staatsmacht begeben. Nicht, dass es noch eine Bedeutung hatte, hauste er doch hier wie ein wildes Tier, konnte sich nicht überwinden, das Geschenk zurückzuweisen, das ihm seine Männer gegeben hatten. Einen ehrenhaften Tod konnte er nicht mehr erlangen. Er schlug die schimmernden Lider auf, funkelte klaren Blicks durch die verfilzenden Strähnen. Es gab nur noch eine einzige Option, seinen Freunden Ehre zu erweisen: hocherhobenen Hauptes die Hölle anzusteuern. ~+~ Sanosuke hatte das Denkmal der letzten Kämpfer der Oniwa Banshu verlassen, war seinen Markierungen zurück zum Fluss gefolgt. Seit geraumer Zeit befleißigte er sich nicht mehr der Beobachtung des reglosen Ninja im Strom, sondern polsterte sich ein Nachtlager mit allerlei Grasbüscheln, entzündete in fluchender Mühsal ein Lagerfeuer. Er vermutete nicht zu unrecht, trotz der vergleichbaren und für die Jahreszeit untypische Hitze, die sich bereits in Kioto unheilvoll gestaut hatte, dass es in den Nächten unangenehm frisch werden konnte. Es hatte nicht den Anschein, als ob er Aoshi zu einer nächtlichen Rückkehr nach Kioto überreden konnte. »Allerdings ist es auch keine besonders verlockende Aussicht.« Er wischte die losen Enden der Bandana auf seine Schultern. Wenn er sich die Dschungel-artigen Wälder in vollkommener Dunkelheit vorstellte! Seine Rechte inspiziert huschte ein erfreutes Lächeln über seine einnehmenden Züge. Als er seine zerschmetterte Hand nach dem Kampf mit Shishio und Anji erblickt hatte, konnte er sich keinerlei Illusionen über seine Zukunft hingeben: eine Heilung schien unmöglich. Er würde als Krüppel größere Schwierigkeiten im Kampf zu bewältigen haben. Dank der Pflege und dem Geschick sowohl Okinas als auch Saitous fühlte er Zuversicht, die verheilenden Sehnen wieder in Gebrauch nehmen zu können, sie zu trainieren, ihm weiterhin zuverlässig zu dienen. Etwas klatschte zappelnd vor ihm auf die freie Fläche, zuckte konvulsivisch im Feuerschein. Sanosuke hob den Kopf an. Der Ninja stand vor ihm, tropfend, stoisch, unleserlich in seiner Haltung, drei Fische vor seinen Füßen im Todeskampf. Sie musterten einander schweigend. Der Faustkämpfer beendete rasch die Qualen der Tiere, steckte sie auf hastig geschälte Zweige, um sie durch das Feuer rösten zu lassen. Wie gelang es dem verflixten Burschen, einfach aus dem Boden zu wachsen?! Mit grimmiger Miene wendete Sanosuke die Jagdbeute. Selbst Kenshin hatte er spüren können! Aoshi hingegen blieb ein blinder Fleck in seiner Wahrnehmung, ein kalter, luftleerer Raum, der Unbehagen auslöste, sich mit seiner Umwelt tarnte. Einen Fisch weiterreichend fokussierte er den älteren Mann, der im flackernden Schattenwurf noch ausgezehrter, verhärmter wirkte. "Dir ist klar, dass ich dir am Hintern kleben werde wie eine Zecke, bis du mich nach Kioto begleitest?" Nahm er ihren Gesprächsfaden wieder auf. Der Ninja, im Lotossitz, die lange Schwertscheide über die gekreuzten Beine gelegt, blinzelte nicht einmal. Zumindest konnte Sanosuke das nicht ausmachen. "Du hättest die Kleine wenigstens mal in den Arm nehmen können!" Tadelte er unbefangen, partiell schmatzend weiter. "Sie ist Kenshin durch das halbe Land hinterher gelaufen, um dich zu treffen." Aoshi nagte ohne sichtbare Reaktion an seinem Fisch herum. Sanosuke beugte sich vor, parodierte verschwörerische Vertraulichkeit. "Sie ist rettungslos in dich verliebt, Kumpel. Wenn sich eine Frau was in den Kopf gesetzt hat..." Seine verzweifelt-komische Miene nährte sich aus der Erfahrung mit dem Fräulein und der fuchshaften Ärztin. Aoshi entsorgte die Überreste seiner Mahlzeit in einer fließenden Bewegung in die Büsche. Er unternahm Anstalten, sich zu entfernen, als sein jüngerer Gegenüber nach seinem Arm fasste. "Hey, Mann, du hast kein Recht, ihre Gefühle zu ignorieren!" Stellte der hitzig fest. Ein abschätziger Blick loderte auf Sanosukes Hand hinab. Der gab sich unbeeindruckt. "Lass los." Wies ihn eine sehr kühle Stimme heiser an. Ein gefährlich breites Feixen glühte in Sanosukes Gesicht, als er seinen Zugriff verstärkte. "Hör mal, ich mache dir ein Angebot: solange die Sonne noch nicht untergegangen ist, werden wir einen Kampf austragen, Mann gegen Mann, Faust gegen Faust. Wenn ich dich besiege, begleitest du mich nach Kioto und sprichst dich mit Misao aus. Verliere ich, verschwinde ich von hier, und du hast deine Ruhe." ~+~ Kapitel 6 - Komplotte Sanosuke strahlte, von sich selbst eingenommen. Er hatte es wie Kenshin mit Überzeugungskraft und Argumenten versucht. Er hatte sich wie Saitou in lauernder Zurückhaltung bemüht. Ohne messbaren Erfolg. Zeit, wie der Mann zu handeln, der er war, Probleme so zu lösen, wie es ihm sein Instinkt und sein Lebensgefühl eingaben: mit einer ordentlichen, handfesten Auseinandersetzung unter Kämpfern. Auf dem Fluss glitzerte die sterbende Sonne in Flammenfarben, tauchte die Ufergestade in ein unwirkliches Licht. Seine Überzeugung, dass Aoshi auf ein Duell brannte, sich beweisen wollte, trug nur ein Weiteres zu seiner Zuversicht bei. »Ich schaffe es auf meine Weise!« Seine Fingerknöchel schlugen wuchtig gegeneinander. »Sanosuke Sagara ist wieder im Geschäft!« ~+~ Aoshi musterte seinen Gegner abwartend, das tiefe Glühen in den sich hitzig dunkelnden Augen, die frohlockend gekräuselten Mundwinkel. Er wusste, dass sein Gegenüber ein sehr physischer Mensch war, selten in Ruhe verharrte, wenn die Möglichkeit eines Kraftaustauschs bestand. Von einer inneren Flamme befeuert, die blendend hell einen Teil seines berückenden Charmes ausmachte. Langsam streifte er seinen zerfetzten Mantel von den Schultern, wickelte die lange Schwertscheide in ihn ein, bevor er ihn zu Boden gleiten ließ. Schmutzig und verwahrlost nahm sich das Häufchen aus. Er bezweifelte nicht, dass er selbst diesem Bild ebenso entsprach. Er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, seine schwarze Kombination nach der Auseinandersetzung mit dem Battousai und Shishio auszubessern. Es klafften Risse und Brandlöcher in dem mitgenommenem Stoff, enthüllten helle Haut wie Porzellan, im starken Kontrast zu den Textilien und seinen vernachlässigten Haaren. Mit Schwung entledigte sich der Faustkämpfer seiner Jacke, bot Aoshi einen Panoramablick auf die Spuren, die sowohl das Training als auch der intime Kontakt mit Saitou hinterlassen hatten. Aoshi zwang sich zur Passivität, tilgte sämtliche Anzeichen seiner Präsenz. Sanosuke trat ihm gegenüber, die Füße bloß, die Hose tief auf den Beckenknochen reitend, nur marginal mit einigen verschlissenen Bändern bedeckt. An seinem linken Handgelenk baumelte die Zierkordel des Wolfs. Der Ninja ging in Angriffsposition. ~+~ Die Fäuste geballt erwartete Sanosuke gut gelaunt die erste Attacke, wollte aus Höflichkeit dem Älteren den Vortritt lassen. Seine besondere Aufmerksamkeit galt den Attacken mit Beinen und Füßen, die bei einem regulären Faustkampf unüblich waren, aber zum Kenpo gehörten. Er verinnerlichte sich Saitous Ermahnungen, die Ratschläge in Bezug auf die Lücken in jeder Technik. Der Ninja war, wie er es bereits erfahren hatte, unglaublich schnell. Einem Schemen gleich tanzte er um Sanosuke herum. Seine Präsenz war nicht auszumachen, blitzschnelle Angriffe initiierend. Der frühere Sekihoutai nahm einige Treffer ungerührt. Seine Standhaftigkeit verdaute derlei 'Liebkosungen' mühelos, da der ehemalige Hauptmann mit diesen Vorstößen seine Grenzen auszuloten versuchte. Sie trennten sich, wenige Wimpernschläge außerhalb der Reichweite des jeweilig anderen, visierten sich prüfend an. Sanosuke lächelte, Aoshi verweigerte sich stoisch eine Emotion. Der Faustkämpfer stürmte auf den Ninja zu, glich dessen Ausweichbewegung mit einer eleganten Kehrtwende aus, bediente sich einer Schlagserie, mit diversen Bodychecks kombiniert. Aoshi erwiderte diese Ouvertüre mit entsprechender Vehemenz. Die beiden Männer deckten einander mit Attacken ein, ein hochverdichteter, Atem zehrender Austausch. Sie spritzten geschmeidig auseinander, schritten kreisförmig aus, belauerten sich. Der Grund wurde schlüpfrig, nahe an den niedrigen Gestaden. Die Konzentration auf den Gegner ignorierte derlei Hindernisse. Ein weiteres Mal stürzten sie aufeinander los, verkrallten sich in den jeweiligen Oberarmen, bedachten den Partner dieses unziemlichen Tanzes mit wuchtigen Tritten, drehten sich von ihren Kräften potenziert, bis Sanosuke ausbrach, Aoshis Kniekehle traf, sie gemeinschaftlich zu Fall brachte. Der Ninja unterdrückte einen Aufschrei, als er sehr heftig auf polierte Kiesel prallte. Ihn umsprudelte Wasser. Instinktiv, von einer Welle des Zorns über die Ungeschicklichkeit erfüllt trieb Aoshi ein Knie in Sanosukes Unterleib, hebelte ihn über sich hinaus in den tieferen Strom, kam wieder auf die Beine. Sanosuke, triefend nass, schüttelte sich wie ein Bär, begrüßte seinen Gegner mit einem triumphierenden Feixen. Seine schokoladenbrauen Augen funkelten vor Vergnügen. "Sieh mal einer an! DAS verbirgt sich also hinter der Zottelmähne!" Zwitscherte er grinsend. Aoshi fauchte, zerwühlte seine Haare, die der Kontakt mit dem feuchten Nass an seinen Hinterkopf gespült hatte. "Wenn ich nur ein dummer Bauer bin, was bist du, hmm?" Trällerte der Faustkämpfer, streckte ihm in kindlichem Überschwang die Zunge raus. Die Augen schließend mahnte sich der frühere Hauptmann zur Ruhe. Sanosuke war ein fordernder Gegner, verfügte über eine theoretische Kenntnis, die seine Verteidigung sehr effektiv gestaltete. Auch wenn die praktische Umsetzung noch von gewissen Unzulänglichkeiten kündete. Einen direkten Treffer zu nehmen würde ihn einiges an Kraft kosten, auch wenn der Sekihoutai noch nicht vollends wiederhergestellt war. Er spannte seine Glieder an, fokussierte den Gegner fest, hob förmlich vom Boden ab. ~+~ Sanosuke grinste erwartungsvoll, als er den Ninja in Höchstgeschwindigkeit heranpreschen sah, schier auf der Wasseroberfläche dahingleitend. Er erwartete einen Hagel von Schlägen, weitete seinen Stand, die Fäuste geballt. Bevor Aoshi ihn berühren konnte, wechselte der mit einer Schraube in der Luft die Richtung, nutzte einen Fels als Sprungschanze, setzte über Sanosuke hinweg, der sich hastig drehte. Allerdings nicht schnell genug, um zu vermeiden, dass der Ninja mit aller Kraft einen spitzen Stein hart in dessen Rippen rammte. Mit einem erstickten Stöhnen taumelte der Faustkämpfer zurück, von ihm selbst unerwartet durch dieses Manöver ins Wanken gebracht, votierte für einen Rückzug. Seine Rechte mühte sich, die lädierte Körperpartie auf seinem unteren Rückgrat besänftigend zu halten. Die Linke nahm die Verteidigung auf. Aoshi jedoch kam ihm erneut zuvor, unterlief Sanosukes Deckung, kreiselte unter dessen Arm hindurch, um den Stein mit perfider Wucht direkt unter die linke Achsel zu schmettern. Der ehemalige Sekihoutai brüllte gepeinigt und zornentbrannt, trieb die Finger in den reißenden Stoff der Kombination, als ihm schon der Stand unter den Füßen weggetreten wurde, er mit dem Hinterkopf zielgenau auf einen Felsen schlug. Blendende Lichtblitze explodierten vor seinen Augen. Er schluckte das Blut seiner aufgebissenen Zunge, mit galligem Speichel vermischt. Sanosuke wollte sich auf den Rücken drehen, zusammenrollen, wieder auf die Beine kommen, die Zähne ineinander getrieben, die Schmerzen ignorieren. Da hakten sich Porzellan-weiße Finger in seine Haare, zerrten seinen Hinterkopf herunter, bis der Fels gegen seine Schädelwand drückte. Vor seinen aufgerissenen Augen schwebte eine Faust, bereit, ihm mit einem Stein den Schädel zu zertrümmern. ~+~ Aoshi atmete schwer, hob eine in Aggression und Kampfeslust zuckende Faust drohend, um den letzten, schmetternden Schritt zu vollführen. Wenn er das Nasenbein zersplitterte, würden die Trümmer direkt in das Gehirn stoßen, der junge Mann in seinem Zugriff qualvoll sterben. Sanosukes Linke schnellte spritzend aus dem Wasser, umklammerte sein Handgelenk. Blut mischte sich mit Wasser, heißer, fliehender Atem vereinigte sich. Die Rechte folgte an die Oberfläche, legte sich wie ein Druckband eisern um Aoshis Kehle, der keine Anstalten unternahm, ihr auszuweichen. Stattdessen studierte Aoshi den Faustkämpfer unter sich, die Perlen, die aus seinem Haar auf dessen sonnengebräuntes Gesicht hinabtropften. Im Licht der untergehenden Sonne, die lange Schatten warf, einen letzten feurigen Gruß an den sterbenden Tag, brannte der junge Mann unter ihm vor Leidenschaft, vor Leben. Eine Symphonie von unwillkürlichen Regungen, Farben, Geräuschen und Eindrücken. Es war sehr lange her, seit er das letzte Mal einen Menschen getötet hatte. Er hatte das niemals leichtfertig oder in einem Rausch gefangen getan. Aoshi entließ den Stein aus seinem Zugriff, löste die Finger aus den dunkelbraunen Strähnen, zog sich, von Sanosuke ungläubig gestattet, behutsam zurück. Ohne Zeitverzug umfasste er eisern die Handgelenke des Jüngeren, hievte ihn aus dem Wasser auf die Beine, drehte ihn, um die geschlagenen Wunden zu inspizieren. Er hatte einen hinteren Rippenbogen erwischt, wie er ertastete, von Sanosukes zischendem Atemholen begleitet. Unterhalb der linken Achsel sammelte sich Blut für ein schmerzhaftes Hämatom. "Verdammt!" Bemerkte der ehemalige Sekihoutai treffend, blinzelte mehrfach. Der Ninja fasste sein rechtes Handgelenk, zerrte ihn in brütender Unzufriedenheit, so schien es Sanosuke, hinter sich her ans Ufer, um ihm in der unbeeindruckten Manier eines Foltermeisters rücksichtslos Hosen und Bandagen vom Leib zu reißen. Seine indignierten Proteste schallten über das Ufer. Die ungewöhnlichen Augen funkelten ihn zornig an. "Wirst du endlich schweigen, Dummkopf?!" Zischte der Ältere eisig. Er brachte die Jacke des Sekihoutai an sich, um sie zu falten, auf das zuvor mit Grasbüscheln improvisierte Lager zu legen. "Wen nennst du einen Dummkopf?!" Knurrte Sanosuke zurück, ballte die Fäuste, was auf seiner linken Seite einen infernalischen Schmerz auslöste. "Dich!" Schnaubte Aoshi, stieß den Faustkämpfer von sich, säbelte ihm mit einer gleitenden Bewegung die Beine unter dem Leib weg, fing den Stürzenden auf. Er packte Sanosuke auf seine Jacke, legte eine Hand flach auf dessen Kehrseite, um ihn an Gegenwehr zu hindern, nutzte die Verblüffung des Jüngeren aus. "Was hast du dir gedacht?" Tadelte der Ninja kühl, tastete die unteren Rippenbögen. "Dass sich alle artig an die Regeln halten?! Nicht einmal die Stärksten können sich diesen Luxus leisten!" Sanosuke grollte in Defensive, verzichtete auf eine Entgegnung, da Aoshi ihn mit Geschick verband, die lädierten Rippen stützte. "Lass den Arm oben." Mahnte der Ältere. "Ich werde eine Salbe auftragen. Der Schaden sollte sich in Grenzen halten." Der Sekihoutai brummte unter seinem Atem eine Replik. "Du hättest mich ja auch erledigen können." Der frühere Hauptmann der Oniwa Banshu enthielt sich eines Kommentars, da er kauend die Kräuter malmte, die er auf Sanosukes Bluterguss zu verteilen beabsichtigte. Mit einer Grimasse ließ sich Sanosuke verarzten. Der verschlissene Mantel des Ninjas flatterte über ihm, bedeckte seinen Körper. "Hey, ich bin kein Kleinkind!" Beklagte er sich empört, unterließ heftigere Proteste angesichts der Schmerzen. "Schlimmer als das!" Aoshi entledigte sich seiner durchnässten Kleider. "Du bist ein Idiot, der ohne Proviant, ohne Schutz und ohne Waffen in die verfluchten Wälder spaziert. Der sich auf einen Kampf einlässt und glaubt, dass er gegen alles gefeit ist, nur weil ihn der Wolf von Mibu unterrichtet hat!" "Das nennt man Einsatzwillen!" Schmollte der Faustkämpfer, wandte den Kopf, betrachtete den älteren Mann. Die Porzellan-weiße Haut war von Narben übersät, die eine mehr als deutliche Sprache abbildeten: Aoshi hatte einen hohen Preis entrichtet, um sein Alter zu erreichen. »Und das trotz seiner überragenden Fähigkeiten, seiner Talente?!« Sanosuke kaute nachdenklich an einem Ende seiner Bandana, studierte die sehnige Gestalt, die ihm gegenüber am Feuer Platz nahm, die Schwertscheide vor sich abgelegt. "Ziemlich riskant vom Wolf, dich so ziehen zu lassen." Provozierte Aoshi kühl, hinter seinen filzigen Haarsträhnen verborgen. "Vielleicht hat er ja auf meinen Charme gesetzt!" Knurrte Sanosuke pikiert zurück. "Außerdem kann er genauso gut entsprechend deiner Paranoia darauf gesetzt haben, dass du mich nicht tötest." Eine Lesart, die dem Ninja keineswegs zusagen konnte. Die gewohnt unbewegte Miene verriet nichts. "Wirst du mich nun begleiten?" Erkundigte sich Sanosuke unerschrocken, genoss den Schutz des Mantelstoffs. Es begann in fortschreitender Dunkelheit rasch abzukühlen. "Ohne mich wirst du es nicht einmal mehr bis zur Stadt schaffen." Räsonierte Aoshi in sich gekehrt. Seine Gedanken kreisten um die Vorkehrungen, die vernünftigerweise zu treffen waren, wenn der Ausnahmezustand über die Stadt verhängt werden würde. Was zweifelsohne nach einer nächtlichen Ausgangssperre der nächste Schritt war. Nein, Kioto zu erreichen und in die Mauern vorzudringen, das stellte auch für ihn eine gewisse Herausforderung dar. "Aoshi?" Drang die dunkle Stimme, von Mattigkeit befallen, an sein Ohr. Er hob den Kopf ein wenig, um seine Aufmerksamkeitsbereitschaft zu demonstrieren. "Erzähl mir was über Saitou!" Forderte es unterhalb des verwüsteten Haarschopfs. Der Ninja zögerte, beobachtete seinen Gegenüber. Man musste über keine bemerkenswerten Fähigkeiten verfügen, um in dem jungen Mann zu lesen. Der gab sich frank und frei, ungefiltert. Das war in bestimmter Hinsicht geradezu einschüchternd. »Eine Unschuld, die man nicht vermuten möchte.« Ergründete Aoshi die Ursache seiner Befangenheit. »Es ist verstörend, einem Optimismus zu begegnen, der so unzerstörbar scheint.« "Es ist wohl besser, du fragst ihn selbst." Zog er sich reserviert aus der heiklen Affäre, legte einen Ast in das Feuer nach. "Wir kommen nicht gerade häufig zum Reden." Raunte ihm der Jüngere anzüglich zu, seufzte leise. "Kenshin mag ihn nicht, du kannst ihn nicht ausstehen. Eigentlich kann ihn niemand leiden." Fuhr Sanosuke sehr viel ruhiger fort. "Abgesehen von mir." Er lachte nachsichtig. "Ausgenommen unsere erste Begegnung hat er niemals etwas Verwerfliches getan." Aoshis Augenbrauen wanderten mikroskopisch in die Höhe. »Kein Wunder, dass der Wolf diesen naiven Bauernjungen einen Trottel nennt!« Sanosuke stemmte sich unterdessen sehr vorsichtig auf die Ellenbogen, wandte sein Gesicht dem Ninja zu. "Ich weiß nicht, was genau er vorher in der Bakumatsu-Zeit getan hat, da erzählt jede Quelle etwas anderes." Er zog eine abschätzige Grimasse. "Ich sehe, worin sein Leben jetzt besteht. Es ist leicht zu urteilen, wenn man relativ sicher unter Freunden lebt, der Alltag sich gemächlich abspielt." Seine Augen brannten im Feuertanz. "Was für ein Mann muss man sein, um in die Finsternis zu gehen? Zu den Mördern, Verschwörern, Schmugglern. Wo man niemandem trauen darf, es von Spionen wimmelt? Eine ewige Schlacht, ohne Hoffnung auf einen endgültigen Sieg." Seine warme Stimme vibrierte sanft. Der Ninja blieb reglos. "Er ist nicht wie Kenshin, nicht freundlich und auch nicht gerade friedlich." Der Sekihoutai rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. "Aber ohne ihn wäre die Welt schlechter." In Aoshi gärte Widerspruch. Eine beißende Replik sollte derlei verdrehten Unsinn niederschmettern, allein, er konnte die simple Logik nicht entkräften. Saitou hatte in der Tat, obwohl man ihm niemals trauen konnte, er auch nicht vertraute!, seine Variante der Gerechtigkeitsfindung strikt verfolgt. Sein Kampf war einsam, ohne Belohnung, ohne Anerkennung. Vielleicht bedurfte er dieser Wertschätzung nicht. Der frühere Hauptmann der Oniwa Banshu schauderte innerlich bei der Vorstellung, ein solches Leben führen zu müssen. Seine persönliche Biographie brachte ihn näher an die Details heran als den jungen Schläger an seiner Seite. "Ich weiß nicht besonders viel." Erwiderte er auf die Offenbarung bedächtig. "Er soll eine Frau und drei Söhne haben. Niemand weiß mit Sicherheit, wo sie leben. Er sieht sie nur selten, vermutlich, um ihr Leben nicht zu gefährden." Es entging seiner geschulten Wahrnehmung nicht, dass sich der Faustkämpfer bei diesen Worten merklich verspannte. Aoshis Mundwinkel zuckten knapp. Vermutlich hatte der keine Ahnung, dass sein Liebhaber bereits eine Familie hatte, sah es möglicherweise als beschämend an, sich in derartige Bande einzumischen. »Armer Trottel...« ~+~ Sanosuke suchte sich eine weniger peinigende Lage, atmete tief durch, leckte sich über die plötzlich trockenen Lippen. Natürlich hatte Saitou eine Familie. Dumm, etwas anderes anzunehmen! Immerhin war der ein Mann im besten Alter, gehörte zu einer Samurai-Familie, Shinsengumi hin oder her. Seine Virilität konnte man wohl kaum in Zweifel ziehen. Trotzdem schmerzte diese Gewissheit, drang nadelspitz in sein Herz. Er stand also nicht nur in Konkurrenz mit der Berufung des Wolfs, sondern auch mit einer Ehefrau und unmündigen Kindern. »Meine Chancen stehen nicht gut.« Befand er stumm. »Ich bin auch nicht sicher, dass ich sie nutzen will. Nicht, wenn es um Kinder geht.« "Der Anführer der dritten Einheit der Shinsengumi." Hörte er Aoshis leisen Tenor, zwang sich Konzentration auf. Die Ninja der Oniwa Banshu galten als die bestinformierten Spione im ganzen Land. Es stellte eine einmalige Gelegenheit dar, den Wolf von Mibu aus anderen Augen zu sehen. "Es hieß, dass die Männer seiner Einheit die kaltblütigsten und entschlossensten waren. Wenn er ihre Ausbildung beendete, waren sie in den Augen des Wolfs bereit, ihm durch die Hölle zu folgen. Machten sie Fehler, waren unaufmerksam oder nachlässig, so erlitten sie zu recht den Tod." Der ältere Mann hielt seine Starre bei, als könne er zeitweise seine Glieder gefrieren. Eine Gesprächspause breitete sich aus, in der Aoshi das Feuer mit neuer Nahrung versorgte, ihre zum Trocknen drapierten Kleider sortierte. "Bei den Shinsengumi gab es natürlich auch wie in jeder Gruppierung oder auch bei den Patrioten, ihren härtesten Gegnern, Abweichler, Nonkonformisten, Aussteiger. Wer da den Fehler beging, gegen den Kodex zu sprechen oder zu handeln, auf den wurde der Wolf angesetzt. Der brachte sie alle, ausnahmslos, zur Strecke." Sanosuke drehte an einer Strähne, sinnierte über die Parallelen zu Kenshins Werdegang als Battousai: der Zweck hatte auch hier oftmals die Mittel geheiligt. Von dieser Praxis konnte sich wohl keine Partei in der Ära des Bakumatsu freisprechen, wie er unbehaglich erkannte. Nicht einmal die Sekihoutai. "Damals hatte er einen Freund, den Anführer einer anderen Einheit, Okita. Die beiden sollen sich erstaunlich gut verstanden haben, dafür, dass der Wolf üblicherweise nur Befehle erteilte und sich niemals rechtfertigte. Diese beiden waren der Schrecken der Patrioten. Sie waren gerissen, erfahren und unerschrocken. Man versuchte unzählige Male, sie unschädlich zu machen." Der Faustkämpfer beäugte den Ninja mit gespannter Aufmerksamkeit. Also war doch so etwas wie eine Freundschaft mit dem ehemaligen Shinsengumi möglich? Es bestand noch Hoffnung! "Was wurde aus diesem Okita?" Erkundigte er sich wissbegierig. "Er starb." Kam die knappe Replik, bar jeder Emotion. "Und wie?!" Leicht enragiert drehte sich Sanosuke auf die rechte Seite, ignorierte Schmerzen. "Er war lungenkrank, wenn ich mich korrekt entsinne. Das raffte ihn dahin. Kein Heldentod in einer Schlacht, sondern ein blutiges, elendes Dahinsiechen." Der Faustkämpfer schüttelte sich unwillkürlich. Die mitleidlosen Worte prickelten wie Eisschauer auf seinem Leib. "Fortan jagte der Wolf allein. Seine Männer waren ihm lästig. Niemand schien ihm gewachsen zu sein." Beendete der Ninja seinen Bericht. Trockene Äste knackten im Feuer. "Du solltest jetzt schlafen." Mahnte Aoshi, sandte einen scharfen Blick aus, bevor sich die eigenen Lider senkten, er offenkundig im Sitzen zu ruhen beabsichtigte. Sanosuke drehte sich artig auf den Bauch, unterdrückte ein Zischen, richtete sich behaglich ein. "Aoshi?" Stille umfing sie in der fortschreitenden Nacht. "Du hast schöne Augen." Der Ninja presste die Lippen härter aufeinander, was seinem Gegenüber, im Halbschlaf gefangen, entging. ~+~ Kenshin atmete freier, als er den Dachfirst erreichte, sich unbeobachtet fand. Er wusste, dass eine Entdeckung ihm Schelte einbringen würde, die seinen in Mitleidenschaft gezogenen Schädel sprengen könnte. Die Versuchung, sich in der kühlen Nachtluft ein wenig Privatsphäre zu verschaffen, hatte seine Reserve überwunden. So teuer ihm Fräulein Kaoru und auch der grantelnde Yahiko waren: ein Mann benötigte auch mal einen Augenblick der Einsamkeit. Sanosukes Abwesenheit war ihm bereits wenige Augenblicke nach dessen Abschied aufgefallen. Er konnte es in den Augen des einzigen aktiven Schülers der Kamiya-Kampfschule lesen. Sein kurzentschlossener, ungestümer Freund war ausgezogen, den Hauptmann zu finden und zurückzubringen, um Fräulein Misao ihrer gequälten Fröhlichkeit zu entreißen. »Eigentlich obläge mir diese Aufgabe.« Bedauerte er sein verletzungsbedingtes Versagen, wischte eine rote Strähne aus seinen Augen. Er vermisste den großgewachsenen Schläger, dessen Optimismus, die unkonventionelle Art, Problemen zu begegnen, Sanosukes unbedingte Hingabe für die Freunde. Tabakgeruch kräuselte seine Nase. Dennoch entbot er höflich seinen Gruß. "Eine ruhige Nacht wünsche ich, Offizier Fujita." Der sehnige Mann mit den Bernsteinaugen löste sich aus den Schatten, trat sicher über die Schindeln hinweg, um in Armeslänge Abstand ebenfalls auf dem Dachfirst Platz zu nehmen. "Es herrscht Ausgangssperre, Battousai. Du solltest besser artig im Haus warten." Raunte Saitou boshaft. Kenshin überging die Spitze. Ein verbales Duell in Form eleganter Beleidigungen konnte er nur verlieren, wie ihm sehr wohl bewusst war. "Ihr fürchtet in der Tat einen Aufstand." Bemerkte er sanftmütig. "Organisiert?" Der Wolf von Mibu entließ Rauch, folgte den sich windenden, zerfasernden Spuren in der sternenklaren, frischen Nacht. "Möglicherweise." Gab er mit einem arroganten Lächeln weniger als nichts preis. Der rothaarige Vagabund lächelte. "Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine solche Situation eintritt, seid Ihr höchstpersönlich in der Nähe, um das Aoiya und den berühmten Patrioten zu schützen. Seid bedankt für Eure Fürsorge." Der ehemalige Shinsengumi schnaubte, zog an seiner Zigarette, drückte sie mit gewohnter Verachtung aus. Seine scharfen Zähne blitzten auf. "Vielleicht bin ich nur hier, weil ich einem dummen Streithahn versprochen habe, seinen kampfunfähigen Freund zu bewachen." Gab er sarkastisch zurück, weidete sich an dem minimalen Zucken des kleineren Mannes. Für eine geraume Weile knisterte statisches Schweigen in der Nachtluft. "Ihr seid gut beraten, nicht mit ihm zu spielen." Brachte Kenshin schließlich hervor, die großen Augen schweflig glühend. Der sehnige Mann an seiner Seite erhob sich geschmeidig. Die Bernsteinaugen erwiderten den Gift schwangeren Blick. "Du wirst Kioto nicht verlassen, bis ich es gestatte." Versetzte er drohend, bevor die Schatten ihn verbargen. Kenshin starrte reglos in die Nacht. Seine Narben juckten. Er fürchtete dieses Omen. ~+~ Das enervierend heitere Gezwitscher der geflügelten Fauna ließ sich nicht länger ignorieren. Sanosuke kehrte aus behaglichen Träumen über opulente Mahlzeiten im Akabeko langsam in die ernüchternde Wirklichkeit zurück. Er rieb sich die Augen, streckte die Glieder, die dies partiell mit einem stechenden Schmerz quittierten, insbesondere an der linken Körperseite. Anschließend hielt er nach dem unwilligen Gefährten Ausschau. Aoshi saß ihm gegenüber am erkalteten Lagerfeuer, bereits bekleidet, sah man von dem leihweise überlassenen Mantel ab. Wie eine traurige Krähe zusammengefaltet, die lange Schwertscheide im stützenden Zugriff. Einen stärkeren Kontrast zu der erwachenden Natur dieses Spätfrühlingmorgens konnte es wohl kaum geben, befand der Faustkämpfer bedauernd. Lautstark gähnend nahm er selbst die frühe Tageszeit in Angriff, frisierte sich die ungebärdig abstehenden Haare zum aparten Hahnenkamm. Die Schwertscheide tippte bedeutungsschwanger auf seine linke Schulter. Sanosukes Augenbrauen zogen sich zusammen. "Arm anheben!" Kommandierte der ehemalige Hauptmann der Oniwa Banshu reserviert. Mit einem parodierenden Kläffen kam Sanosuke der Aufforderung nach, zog kritisch die Nase kraus: der improvisierte Verband bröckelte in einer weniger angenehmen Duftnote von seiner Haut. "Da wäre wohl ein Bad angesagt." Feixte er versöhnlich, wollte eine Reaktion provozieren, die jedoch ausblieb. Schulterzuckend erhob er sich, hielt auf den Fluss zu, watete zähneknirschend in dessen Mitte. Er reinigte sich mit gehobener Stimmung gründlich, wärmte die schlafesschweren Muskeln auf, um sogleich festzustellen, dass er seinem stets ausgehungerten Magen einen frühen Imbiss zuführen sollte. "Fisch!" Einer Alternative ledig wechselte er in die flacheren Ausläufer am Ufer, haschte nach den sich quecksilbrig windenden Tieren. Die verstanden seinen Schattenwurf als Warnung, torpedierten das Unterfangen. Der Faustkämpfer ließ sich nicht deprimieren. Mit einem sehr breiten, vielversprechenden Grinsen schlug seine Rechte flach auf die Oberfläche, wirbelte Wassersäulen auf. Er horchte in seinen Arm hinein, ob lädierte Sehnen oder die beeinträchtigten Knochen Protest anmeldeten. Es regte sich jedoch keine Beschwerde. Stattdessen wirbelten überrumpelte Fische zielgenau auf den kiesbestreuten Ausläufer des Ufers. Zu seiner milden Verwunderung trat der Ninja bereits heran, tötete Sanosukes zappelnde Ausbeute rasch, spießte sie auf die unverwüstlichen Zweige auf. "Ich entzünde das Feuer." Bot der ehemalige Sekihoutai an. Aoshi negierte diese Offerte. "Wir sollten nicht unnötig Zeit verlieren." Gab er knapp die Losung aus. "Kein Problem!" Sanosukes Fingerknöchel schlugen hart gegeneinander, die Schultern kreisten unternehmungslustig. Während er das kalte Mahl herunterschlang, befleißigte er sich darin, seine nunmehr getrockneten Kleider überzustreifen. Die Bandagen verstaute er zum Zeitgewinn in einer Tasche. Aoshi beschäftigte sich unterdessen damit, die Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen. Selbst die Kieselsteine wurden von ihm mit Zweigen neu justiert. Sanosuke verfolgte dieses Unterfangen mit unverhohlenem Argwohn. Es schien nicht sehr wahrscheinlich, dass sich Menschen in diese übel beleumundete Gegend verirrten. Der Ninja jedoch, in seinen selbstabsorbierten Zustand versunken, gab keinen Hinweis auf seine Beweggründe. Er wählte den Pfad in die Wälder, um in das versteckte Separee zu gelangen, das die vier Findlinge beherbergte. Sein Abschied war stumm. Sanosuke leistete ihm wortlose Gesellschaft. ~+~ »Ich werde nicht zurückkehren, meine Gefährten. Meine Freunde. Wenn es das Schicksal will, werde ich einen letzten Kampf zu bestehen haben, um die Menschen von Kioto vor dem Bürgerkrieg zu bewahren. Auch wenn die Meiji ihnen nicht die Hoffnung bieten können, die wir erstrebt hatten. Wir sehen uns in der Hölle wieder.« ~+~ Sanosuke folgte dem stoisch dahinschreitenden Mann mit Anflügen von Besorgnis. Er konnte dessen Ausstrahlung nicht mehr wahrnehmen, obwohl der Ninja nur wenige Schritte vor ihm das Dickicht durchmaß. Die Vermeidung jedweden simpel begehbaren Pfads hinderte ihr Fortkommen nicht bemerkenswert, erschien dem Faustkämpfer von unnötiger Vorsicht zu zeugen. Wer konnte auch ein Interesse an ihnen inmitten dieser Wildnis haben? Kioto und die Leute dort hatten genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen... Aoshi stoppte abrupt vor ihm, im schattigen, von morgendlichem Dunst verhangenen Wald nicht mehr als ein vager Schemen. In der Absicht, sich selbst ein Bild über die Situation zu verschaffen, verringerte Sanosuke mit zwei weitgreifenden Schritten den Abstand zwischen ihnen. Er wollte neben Aoshi treten, erwischte unterhalb der faulenden Blätterdecke einige lose Äste, die seine Bewegung in eine rapid rollende verwandelte, ihn unter dem hastig ausgestreckten Arm des Ninja wegtrug, direkt einen kleinen Abhang hinab. Mit einem lästerlichen Fluch beendete Sanosuke das Kreiseln, rieb sich den harten Schädel unter der unbeugsamen Mähne, schüttelte die Benommenheit ab. Er blickte in spitz zugefeilte Lanzen, die ihn wie eine tödliche Korona umzingelten. ~+~ Einige Meter oberhalb verschmolz Aoshi mit seiner Umgebung. Sein verschmutzter Mantel tarnte ihn nahezu ununterscheidbar. Seine Augen hingen auf dem lautstark in dunkelsten Tokioter Dialekt fluchenden Gefährten, der mit wütenden, von Selbstvertrauen und ungezähmten Unmut kündenden Gesten in die Phalanx der Spieße wischte, die ihn umzingelnden sechs Männer mit übellaunigen Kommentaren bedachte. Er zweifelte nicht daran, dass der jüngere Mann sich gegen die Angreifer zur Wehr setzen konnte. Ihre Bewaffnung jedoch war nicht zu unterschätzen. Er erkannte Pistolen, Macheten und Schwerter, die die Lanzen wie ein Entree wirken ließen. »Keine Räuberbande, auch wenn die Bekleidung dies andeuten sollte.« Die Nervosität ihrer Reaktion auf Sanosukes unerwarteten Sturz bewies dem Ninja, dass sie in ein Wespennest gestoßen waren. Hätte er Sanosuke früher auf die sie umgebenden Personen aufmerksam machen müssen? Für Reue blieb keine Zeit. ~+~ Sanosuke funkelte angriffslustig in die Höhe. Er konnte seine großgewachsene Gestalt nicht zum Einsatz bringen, da die Lanzen in gefährlicher Nähe seines Halses tanzten. "Verdammte Scheiße, ihr Penner, was soll das hier?? Erst werde ich von den Bastarden aus Kioto rausgeschmissen, und nun, da ich mich in dem verfluchten Gestrüpp hier verirrt habe, geht ihr Säcke mir auf die Nerven?! Die verdammte Scheiß-Provinz ist wirklich keine verfluchte Tour wert!!" Er konnte an den misstrauischen und verwirrten Mienen der Männer, die ihn umringten, ablesen, dass sie an seiner Ausführung Zweifel hegten. Sein Auftritt als der ungestüme und nassforsche Gangster aus Tokios Slums zeigte jedoch auch einen gewissen, ablenkenden Erfolg. »Sie können Aoshi noch nicht entdeckt haben.« Aus diesem Umstand schöpfte der Faustkämpfer Zuversicht. Seinem geschulten Auge war nicht entgangen, dass die Männer überdurchschnittlich gut bewaffnet waren, diszipliniert und sehr wachsam. Definitiv keine Räuber. Vermutlich eher eine organisierte Gruppe von Kämpfern. Wenn sie hier im Wald lauerten, musste das bedeuten, dass sie jemandem einen Hinterhalt legen wollten, vielleicht sogar einer größeren Truppe?? Während sein Gossentheater Schwung aufnahm, auf automatisierten Pfaden seinen Gestus bestimmte, suchte er fieberhaft nach einer Lösung seines Dilemmas. Wenn er attackierte, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er Verletzungen davontrug. Das wäre dem Einsatz in Kioto abträglich. Wartete er ab, bis der Anführer der Gruppe zu ihnen stieß, die Ratlosigkeit seiner Untergebenen beendete, konnte es zu spät sein zu entfliehen. "Was wolltest du in Kioto?" Quäkte in gedämpften Ton einer der Männer zum wiederholten Mal, hoffte offenkundig, Sanosuke würde einen Widerspruch in seine Aussage weben. "Mein Glück aus dem Ärmel schütteln!" Prahlte der Faustkämpfer, imitierte die typische Geste des Würfel Werfens. Geräusche in seinem Umfeld stellten seine Haare alert auf. Es schien, als wolle der Wald zum Leben erwachen. Wie er unbehaglich vermutet hatte, befanden sich hier noch sehr viel mehr Männer, als er direkt sehen konnte. Eine ziellose Flucht durch das Gestrüpp würde ihm nicht unbedingt Rettung bringen, gelänge es ihm, seine Bewacher zu überwältigen. »Außerdem bin ich eine hervorragende Zielscheibe.« Seine partiell weiße Kleidung setzte sich in der dunstigen, schattigen Atmosphäre der urtümlichen Wälder gleißend hell ab. Kugeln zu entgehen mochte Kenshin vollbringen, er selbst konnte dies nicht. Aoshi fiel wie ein Geist aus der Nebelwelt vom Himmel. Nur Sekundenbruchteile vorab blendete seine Präsenz auf, um den Faustkämpfer vorzuwarnen. Der nutzte seinerseits die Gelegenheit, die Männer, die Aoshi nicht mit der Schwertscheide ausgeknockt hatte, von den Beinen zu fegen, seinen einsatzfreudigen Fäusten anzuvertrauen. "Deine Kleider!" Zischte der Ninja. Sanosuke befreite sich hastig, knäuelte ein Bündel, das er an seinen Leib presste, um geduckt hinter dem hochgewachsenen Mann her zu hasten, dessen Führung er sich blindlings anvertrauen musste. Er lief ungebremst in ihn hinein, als Aoshi abrupt innehielt, sich in Erwartung des Überschwangs für einen Aufprall wappnete. "Aussichtslos." Flüsterte er sein knappes Urteil, umklammerte unversehens Sanosukes Handgelenk, zerrte ihn hastig hinter sich her. Er schleuderte den Jüngeren eilends auf den Boden, schloss sich selbst an. Der frühere Sekihoutai ließ diese grobe Behandlung unkommentiert, da er in der angespannten Haltung seines Gefährten Besorgnis erkannte, die ihn beunruhigte. "Umzingelt?" Erkundigte er sich kaum hörbar, zerbiss das Unbehagen, das modriges Laub, abgebrochenes Geäst und feucht-kalter Schmutz auf seiner nackten Haut auslösten. Aoshis gemeißelte Gesichtszüge härteten aus. Er robbte bäuchlings voran, schob die Schwertscheide auf seinen Rücken. Sanosuke folgte, grimassierte, als ein Schuss über seinem Kopf Blattwerk zerfetzte. Einen Fluch unterdrückend rollte er in der vagen Hoffnung, Beschleunigung könnte ihn vor einem fatalen Treffer bewahren, kreiselnd einer weiteren Senke entgegen. Ihre Gegner hielten sich wohl nicht mit Gefangenen auf! Er selbst war nicht talentiert genug, dem Ninja ungesehen zu folgen. ~+~ Aoshi biss die Zähne hart aufeinander. Der Schuss hatte sie aufschrecken sollen, dessen war er gewiss. Dass man so freimütig Munition verschwendete, um sie aus ihrem Versteck zu scheuchen ungeachtet der Tatsache, dass die eigentliche "Beute" von dem Geräusch gewarnt werden könnte, bewies ihm umso mehr, dass Rücksicht hier fehl am Platz war. Er spürte, ohne sich umkehren zu müssen, dass der Faustkämpfer sein Heil im unkontrollierten Absturz suchte, spähte hastig ihre unmittelbare Umgebung aus. Rascheln, Rufe, Schritte: der ungestüme Bauernjunge zog alle Aufmerksamkeit auf sich. »Ohne Rücksicht auf eigene Verluste... Trottel...« Aoshi glitt schemenhaft in einiger Entfernung den Abstieg hinab, hangelte sich in einen witterungsgeschädigten, sich senkenden Baum. ~+~ Sanosuke löste seine Arme, die er schützend um den Kopf gewunden hatte, bedankte sich stumm fluchend bei der morastigen Pfütze, die seinen Sturz abgebremst hatte. Er zog die Beine an, um wieder auf dieselben zu kommen. Ihm blieb nur der Kampf. Das Gelände wurde durchlässiger. Die an Kraft gewinnende Frühlingssonne absorbierte die niedrigen Nebelschwaden rasch. Er drehte sich wild, festigte seinen Stand auf dem trügerisch nachgiebigen Boden, spähte seine Angreifer aus, die sternförmig zu ihm strebten, gezückte Schwerter und Lanzen präsentierten. Der Faustkämpfer lächelte grimmig, ballte sämtliche Muskeln auf imponierende Ausmaße, modellierte seinen attraktiven, sehnigen Körper aus. Eine Aufgabe kam nicht in Frage. Seine Gegner würden kein Gnadengesuch anerkennen. ~+~ Das halbe Dutzend Umstehender belächelte in unruhiger Wachsamkeit den nahezu unbekleideten Gangster, der tatsächlich Anstalten unternahm, seinem unerwarteten Lebensende mit Widerstand zu begegnen! Ihn umkreisend verständigten sie sich mit Blicken allein auf die Taktik, die ohne große Verluste zum Erfolg führen würde. Als ein Wimpernschlag das entscheidende Signal setzte, verdunkelte sich die blasse Sonne. Eisig kalter Wind wirbelte auf. Zwei blanke Klingen glitten lautlos durch die Zeit. ~+~ Für Herzschläge schien alles Leben angehalten zu haben, eingefroren in einer Sekunden währenden Starre. Sanosuke rang nach Luft, löste sich somit aus dem verstörenden Bann, unterdrückte einen Anflug von Ekel angesichts der niedersinkenden, enthaupteten Leichen. Aoshi stand direkt vor ihm, die beiden Kodachi noch immer in der letzten Position, vom Blut, das in den schlüpfrigen Grund sickerte, unberührt. Seine Augen blitzten hinter der filzigen Mähne. Er kehrte auch in die Gegenwart zurück, wies den Faustkämpfer mit einem knappen Kopfnicken an, ihm zu folgen. Den schauerte es insgeheim, während er rasch den Lauf des Älteren aufnahm. War es bereits unheimlich, Kenshin gegen den blindwütig-tobenden Dämonen 'Aoshi' antreten zu sehen, so versetzte ein klar blickender, arktischer und unbewegter 'Aoshi', der kalkulierend tötete, ihn in weitaus bedeutendere Unruhe. Ihre Flucht führte quer durch das Dickicht, ohne Rücksicht auf Atem oder Gestalt. Bald keuchte der Faustkämpfer, spürte unzählige Kratz- und Risswunden auf seiner ungeschützten Haut. Wohin sie sich auch wandten: der Wald wurde lebendig. Es wimmelte schier von menschlichen Lauten und Präsenzen. Endlich hielt Aoshi inne. Ihre lebensrettende Deckung lichtete sich. In ihrem Nacken lärmten die aufgebrachten Verfolger. ~+~ Selbstmörderisch, in die freie Fläche einzudringen. Bis zur Stadt boten die Felder und Wiesen nicht genug Schutz, von der Entfernung ganz zu schweigen. Obgleich sein Äußeres zweifellos kalt und unbewegt wirken musste, prickelten endlose Schauer in Wimpernschlagsentfernung durch Aoshis angespannten Leib. Einen Ausweg. Es gab immer einen. Ein Ninja fand diesen stets. »Da!« Ohne Zeitverzögerung umklammerte er Sanosukes Rechte, die er als empfindsam einstufte, dirigierte seinen Begleiter auf einen umgestürzten Baumstamm zu, der von weiteren entouriert wurde, ein Überbleibsel eines Sturms. Der Faustkämpfer ließ sich manövrieren. Als unversehens der Boden unter seinen Füßen schwand, brannte sich für Sekundenbruchteile seine erschrockene Miene in Aoshis Netzhaut ein, bevor ihn die Dunkelheit verschluckte. Der Ninja schob die Kodachi in die Scheide, folgte dem Ruf der Finsternis. ~+~ »Dunkel.« »Feucht. Sogar sehr.« »Morastiger Geruch.« »Eng. Sehr eng.« Sanosuke zwang aufkeimende Panik energisch in feste Grenzen, auch wenn er über sich nicht einmal mehr Tageslicht erahnen konnte, seine Schultern von Wurzelwerk bedrängt wurden, er bis zu den Waden in schlammiger Konsistenz stand. Er fror, unerklärlicher Weise, von klaustrophobischen Ängsten gemartert. »Zähl die Herzschläge!« Mahnte er sich, verkeilte die Zähne. »Bleib ruhig!« Allein, seine Gedanken wollten nicht vom Aufführen grauenvoller Visionen lassen. Die Tatsache, dass selbst seine ausgestreckten Arme nicht das obere Ende der natürlichen Grube erreichen konnten, tat ein Übriges, ihn in haltlose Furcht zu versetzen. Als habe er die Bedrängnis gespürt, blendete sich der Ninja ein. Wie eine Fackel in der Finsternis machte er seine Präsenz spürbar, rückte nahe an Sanosuke heran. Aoshis Stimme konnte nicht mehr als eine Idee von Lautstärke sein, als er sich hautnah herüberbeugte, um die Situation zu erläutern. ~+~ "Ein umgestürzter Baumstamm. Wir warten, bis sie weggehen. Danach klettern wir heraus. Es besteht keine Gefahr." Die Hitze des anderen Körpers, sein Geruch, der hastige Atem: der Ninja musste sich zur Konzentration zwingen. Alles in ihm schrie danach, Abstand herzustellen. Das scheiterte in der gegebenen Lage nicht nur an der Örtlichkeit, sondern auch an der Mixtur von Emotionen, die in verschwenderischem Übermaß seine Wahrnehmung überfluteten. Der Faustkämpfer litt unter der Dunkelheit und Enge, auch wenn er tapfer seine Beherrschung forcierte. Aoshi wollte, so sehr ihn dies überraschte, dieser Anstrengung assistieren. Ihre Lage war prekär. Er hätte sich selbst mühelos retten können, wenn er den Gefährten verlassen hätte. Eine Option, die niemals ernsthaft zur Debatte gestanden hatte. Wenn man sie wider Erwarten entdeckte, wenn ein wirklich versierter Mann ihre Spuren untersuchte, waren sie verloren. Wie die Ratten im Loch. Er schloss die Augen, was in der Finsternis nicht vonnöten war, blendete den erstickenden Eindruck von verwesender Fäulnis aus seinen Sinnen, konzentrierte sich. Er sondierte die Umgebung, verfolgte die Bewegungen der Feinde, soweit sie Indizien gaben, maß die Zeitspannen ab. Er kannte sehr lange Aufenthalte in der Finsternis und Enge. Es gab schlimmere Situationen. ~+~ Etwas Undefinierbares vermittelte Sanosuke das Gefühl, dass Aoshi sich trotz der Ausweglosigkeit ihrer Lage vorbereitete, sich sammelte, seine seltsame Ausstrahlung radial aussandte. Der Faustkämpfer erstickte ein nervöses Seufzen. War es die richtige Entscheidung gewesen? Er hätte einen offenen Kampf bevorzugt, natürlich. Allerdings wäre es ein aussichtsloser gewesen, ihren Freunden in der Bedrängnis keine Hilfe. »Vertrauen. Ich muss Aoshi vertrauen.« ~+~ Der Ninja öffnete die Augen, wie wohl dies ein futiles Unterfangen war, da die Finsternis sie noch immer in morastiger Umklammerung hielt. Es war jedoch ein Signal, das wortlos den jungen Faustkämpfer beruhigen sollte. Es konnten nicht mehr als 15 Minuten vergangen sein, bekannte es Aoshis trainierte, innere Uhr. Sein Schicksalsgefährte litt bereits unter klaustrophobischem Schüttelfrost. In der Enge ihres Unterschlupfs eine ungefilterte Erschütterung, die ihn gleichsam durchlief. Nach seiner Einschätzung würden sie einige Stunden zu warten haben. Es wimmelte noch immer von fremden, zunehmend feindseligeren Präsenzen um ihr Versteck. Der umgestürzte Baum, mit seinem Wurzelwerk herausgerissen, in einem verschlungenen Netz anderer Gewächse geborgen, bot ihnen einen sicheren Hort. Wenn ihre Spuren zu undeutlich, ihre Verfolger unaufmerksam genug waren. Allerdings wäre alles verloren, würde Sanosuke seine Beherrschung verlieren. Zögerlich, von der Notwendigkeit getrieben, ließ Aoshi die Fingerspitzen behutsam über die nackten Unterarme des jüngeren Mannes gleiten, stählte sich, als reflexartig der Kontakt abbrach, der Faustkämpfer zischend Atem einsog. Es kostete den Ninja Überwindung, erneut die fiebrig-feuchte Haut zu berühren, Sanosukes kräftigen Handgelenke zu umfassen, um seine Hüfte zu dirigieren, während er die eigenen Arme unterhalb der Achseln hindurchschob, eine reservierte Umarmung erlangte. Sanosuke schien das Konzept trotz seiner aufgewühlten Emotionen zu begreifen. In erschreckender Dankbarkeit suchte er Aoshis greifbare Nähe, bezog ihn in seine glühende Ausstrahlung ein. Der Ninja gewährte die Zuflucht, ignorierte die tröstliche Wärme. Er grub stattdessen seine Gestalt in das Wurzelwerk, balancierte seinen Leib aus, zog sich tief in sich selbst zurück, tilgte jedes Indiz ihrer gemeinsamen Anwesenheit. ~+~ Die Mittagssonne verhieß Kioto einen Ausblick auf die Witterung der nächsten Tage: ungewöhnlich sengend brannte sie vom Firmament, zwang die Menschen, sich im Schatten zu bewegen. Was die wenigsten außerhalb der eigenen vier Wände in Angriff nahmen. Das Ausgangsverbot galt noch immer. Ein erschreckendes Gerücht kreiste, sprang in Blitzschnelle über Dächer und Mauern, kündete davon, dass die Hälfte der noch verbliebenen Polizisten abgezogen worden waren. Sie hatten am Vormittag die Stadt verlassen, um in Tokio anlässlich der Verhandlungen mit den Fremdmächten für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Nun war mehr als deutlich, welche Bedeutung Kioto im neuen Gefüge der politischen Strukturen innehatte. Den Menschen in Kioto sagte dies überhaupt nicht zu. Kenshin lehnte sich an eine Wand, sein Schwert auf einer bandagierten Schulter abgestützt, während er der Versammlung der Oniwa Banshu folgte, wenn auch in respektvoller Entfernung. Trotz der Gefahr trafen immer mehr ehemalige Angehörige, die das Zivilleben bevölkerten, auf unterirdischen Wegen ein. Bereit, ihr Hauptquartier zu verteidigen, nachdem die vorangegangene Nacht nicht den befürchteten Übergriff gesehen hatte. Yahiko gesellte sich zum rothaarigen Schwertkämpfer, reichte ihm stumm einen Becher Tee. Bevor sich Kenshin artig auf seine reserviert-höfliche Weise bedanken konnte, schnitt ihm der Junge mit einer knappen Bewegung das Wort ab. "Es gibt keinen Grund, warum die Polizisten ausgerechnet jetzt in Tokio gebraucht werden." Knurrte er mit zusammengezogenen Brauen. "Das ist eine Falle. Sie wollen Kioto an den Rand der Anarchie treiben. Wo ist Saitou, dieser verrückte Bulle?!" Kenshin behielt die Maske des arglos-freundlichen Mannes bei, als auch Misao sich zu ihnen gesellte. Ihre Abwesenheit bei der Versammlung irritierte die beiden. Ein Blick in den finsteren Ausdruck der großen Augen gebot den unbedingten Takt, nicht offen dieses Thema anzuschneiden. "Ein Gewitter wird kommen." Die kleinen Hände bildeten Fäuste. Der frühere Attentäter legte behutsam eine feingliedrige Hand auf die des Mädchens, lächelte begütigend. "Ich bin zuversichtlich, dass auf Regen immer Sonne folgt." Bemerkte er sanft mit leiser Stimme. Die beiden Jüngeren funkelten unisono: philosophische Betrachtungen übten keinen Reiz auf ihre unruhigen Gemüter aus. Allein der Zauber der faszinierenden Augen des Schwertkämpfers dämpfte ihren Unmut. Kenshin wechselte einen Blick mit Okina, der in großem Ernst den Einlassungen seiner Verbündeten lauschte. Waren sie für den Sturm gerüstet? ~+~ Aoshi steckte unsichtbare Fühler, sensorische Nervenstränge, durch die Atmosphäre oberhalb des Erdlochs, sondierte ihre Situation. Er konnte noch immer die Präsenz verschiedener Menschen wahrnehmen. Allerdings in einer Entfernung von ihrem Unterschlupf, die ausreichend für einen Fluchtversuch sein mochte. Nach seiner inneren Uhr musste es auf den frühen Nachmittag zugehen. »Höchste Zeit, um aufzubrechen, mit den Schatten der Dämmerung in Kioto Einlass zu suchen!« Langsam, in geübter Ruhe, aktivierte er geduldig seine Glieder. Prickelnd erwachten sie zum Leben, meldeten sich artig in seinen Diensten zurück. Mit der Rückeroberung seines Leibs wurde ihm auch das lastende Gewicht des Faustkämpfers bewusst, der schwer auf ihm lehnte, in einer gefühllosen Umarmung gefangen. Seine Präsenz radial verstärkt tastete er inquisitorisch nach der des jüngeren Mannes, löste ein konvulsivisches Zucken aus. Speichel sickerte auf seine Schulter, die Sanosukes Kopf einen Rastplatz geboten hatte, als der mit aufflackernder Panik den Verlust seiner Körperkontrolle zu bekämpfen suchte. Die Enge ließ keinen Bewegungsradius frei. Ungezielte Treffer bedeckten Aoshis Arme, seinen Torso, bevor er den Hilflosen in seine Arme einkerkerte, mehrfach schluckte, um ausreichend Feuchtigkeit in Mund und Kehle zu zwingen. "Ruhig, Sano, ganz ruhig!" Krächzte er mahnend, ohne große Zuversicht, dass die Botschaft ihren Adressaten erreichen möge. Die Disziplin des Faustkämpfers erwies sich als überraschend stark. Die Fäuste ballten sich als Reaktion. In beschämender Schwäche überwand der ehemalige Sekihoutai die komatöse Starre seiner Glieder, beschleunigte das Kreisen seines Bluts, stöhnte unter der prickelnden Sensation seiner erwachenden Nervenstränge. Er wurde nachdrücklich aus der Umklammerung gewiesen. Der Ninja spannte sich merklich. "Ich werde nach oben steigen, mich umsehen. Danach helfe ich dir heraus." Die Erklärung, wie Sanosuke wohl wusste, diente dazu, ihn zu beruhigen. Die Finsternis zu erhellen, die lediglich fahl über ihren Köpfen das Wurzelwerk und die Blätter durchdrang, die ihr Versteck tarnten. Schon zischten die Kodachi in dem minimalen Raum, der zwischen ihnen nicht von Körpermasse eingenommen wurde, suchten ihren angestammten Platz am sehnigen Leib des Ninja, der sich in das Wurzelwerk grub, um ohne Schwierigkeiten den Aufstieg in Angriff zu nehmen. Sanoske taumelte gegen die widerwärtig morastigen Wände, unterdrückte krampfhaft angstvollen Brechreiz in der feuchten Kälte seines Verlieses. Jetzt ohne einen vertrauten Körper, der ihn vor den Phantasmen attackierender Würmer, Käfer und anderen Getiers bewahrte. »Lebendig begraben...« Schauer um Schauer hießen ihn erzittern, unterwanderten die verzweifelte Konzentration auf seine Stärke. Wenn Aoshi etwas geschah, war er verloren. Aus eigener Kraft konnte er den Aufstieg nicht bewältigen. Der Ninja hatte bereits Wurzelwerk und Erde herabregnen lassen. Zweifellos war der in solcherart Betätigungen sehr viel erfahrener als er selbst. Wie viel Zeit wohl vergangen sein mochte? Sich die bloßen Arme massierend nagte Sanosuke angestrengt auf einem Ende seiner Bandana. Er war nahezu nackt, von Schmutz überzogen, von Kratzern bedeckt. Wenn sie Kioto erreichten, würde er ein prächtiges Bild abgeben, kein Zweifel! "Sano?" Nur eine Ahnung von Stimme, der Ruf des Ninja. Sanosukes Kopf flog in den Nacken. Unwillkürlich reckte er die Hände sehnend nach oben, sackte einige Zentimeter tiefer in das sumpfige Wasser, das sich am Grund der Grube sammelte. "Hol mich hier raus, Aoshi, schnell!" Mühsam reduzierte er seinen Schrei auf ein heiseres Ächzen. Bewegungen über seinem Kopf, das Schmatzen von komprimierten Erdschichten. In Griffnähe, ein Hosenbein! Der ehemalige Sekihoutai sprang, seine rebellischen Muskeln verfluchend, in die Höhe, suchte den Halt an dem gespannten Bein, grub die mit den zerfetzten Schuhen nur noch rudimentär bedeckten Füße in das Wurzelwerk. Mühsam, die Zähne zusammenbeißend, hangelte er sich an Aoshis Gestalt nach oben. Aoshi hatte seine Kodachi tief in die Erdschicht gebohrt, bot allein durch die Kraft seiner Arme mit starrem Körper eine menschliche Steighilfe. Mit letzter Anstrengung erreichte Sanosuke geblendet die Oberfläche, kroch blind für etwaige Gefahren flach auf den Boden, um sich zu einem Ball zuckender Sehnen zusammenzurollen. Wenige Augenblicke verstrichen. Aoshis Schatten verdeckte seinen Horizont. Energisch zerrten schmale Hände den Faustkämpfer auf die Beine. "Du musst aufstehen und dich bewegen, Sano! Wir haben keine Zeit mehr." Sanosuke stöhnte. Die Stunden in Reglosigkeit hatten seinen Leib nahezu gelähmt, die plötzliche Anstrengung vollkommen ausgelaugt. Der Ninja hielt ihn aufrecht, schüttelte ihn. Unter den verfilzten Strähnen blitzte es eisblau. "Sano! Reiß dich zusammen!" Folgte die Aufforderung barsch. Der lächelte grimassierend, genoss die Stütze einen weiteren Wimpernschlag, bevor er sich löste. "Weiter geht's, Kumpel!" Signalisierte er Aufbruchsbereitschaft mit fahlem Zähneblecken. Jemand würde für diese Tortur einige kräftige Tritte einstecken! Diese Aussicht wärmte den Faustkämpfer. ~+~ Der Wolf führte die Jagd seiner wilden Meute. Er kam über die vermeintlichen Räuber, die im Hinterhalt lagen, wie eine Schimäre der Finsternis, materialisierte sich aus dem hellen Tageslicht. Eine gleißende Klinge, die ansatzlos ihr Ziel fand, treffsicher auslöschte. Die Männer, die in den Uniformen der Kiotoer Polizei seinem Pfad folgten, von seinem unbedingten Willen gefangengenommen wie von einer Droge der Unverwundbarkeit, vergaßen die mörderische Anstrengung, seinem Tempo zu folgen und sich sehenden Auges in die Reichweite und auf das Territorium des Feindes zu begeben. Sein Sturmlauf war der Sog, sie mitzureißen. Ihre Gegner, bald demoralisiert durch das fanatische Feuer in den Augen ihrer ehemaligen Kameraden, suchten ihr Heil in der Flucht durch das Unterholz. Sie hingen der vagen Hoffnung an, ihre Verkleidung möge ihre Identität verschleiern. Der Wolf von Mibu hatte die Losung ausgegeben, dass niemand entschlüpfen durfte, standen doch in Kioto Angehörige als Pfand in der Verantwortung eines jeden. So währte die Treibjagd, bis auch der letzte des geheimen Kommandos eingefangen war, wenige unter ihnen noch lebendig. Saitou verengte die Bernsteinaugen. Seine außergewöhnliche Wahrnehmung, das Gelände eruiert, bemerkte eine Diskrepanz, deren Beschaffenheit er zu ermitteln beabsichtigte. In einer Senke, fauliges Laub über trocknendem Schlamm, schimmerte heller Stoff durch den Schmutz, herab getretenes Geröll und Astwerk. Mit Bedacht näherte er sich dem trügerischen Grund, rührte mit einem Ast den Boden auf, zerrte ehedem weiße Bekleidung an das Tageslicht. Sein schriller Pfiff ordnete die Meute. Allein auf seinen Befehl ausgerichtet stoben die Männer aus dem Wald auf die frühere Kaiserstadt Kioto zu. Die untergehende Sonne tauchte die Ebene und die staubtrocken blinkenden Dächer in ein blutiges Meer. ~+~ Im Aoiya wappnete man sich zur Attacke, die in der angespannten, nahezu unerträglichen Tageshitze unterblieben war. Das durchdringende Singen der Zikaden kündigte mit dem Abendrot die Nacht an. Der Himmel jedoch färbte sich schwefelgelb. Niedrig drängten sich gewaltige Wolken, aufgeladen und gewittrig. Die Bewohner und ihre Verbündeten verteilten sich auf Okinas Geheiß hin strategisch auf dem Gebiet des vorgeblichen Gasthauses, warteten stumm auf die Initialzündung. Der rothaarige Vagabund auf einem der Dächer wandte den Kopf. Er schmeckte eine Ahnung von Regen in dem unheilschwangeren Ozon, das einen gewaltigen Sturm avisierte. Im Innenhof, ohne ihre Schleifen, mit dem hölzernen Schwert gewappnet, trafen seine faszinierenden Augen auf die amtierende Meisterin des Kamiya-Doujou. Ihre großen Augen musterten ihn dunkel vor Sorge, Mitgefühl für seine noch immer bandagierten Glieder, mühten sich, Tapferkeit zu verbreiten, um seinetwillen Ruhe zu bewahren. Kenshins weiche Lippen formten ein aufmunterndes Lächeln, das den ersehnten rosigen Glanz auf die vertrauten Züge zauberte. Der Schwertkämpfer spürte sein geprüftes Herz in Wehmut seufzen. Könnte er nur die Zeit anhalten, diesen Augenblick in der Ewigkeit kristallisieren! Alles, was ihn bewegt hatte, die eigene Seele in die Dunkelheit zu leiten, in Abertausende Splitter zu brechen, wartete dort unten auf ihn. Vielleicht konnte er hoffen, wenn seine Schuld gesühnt war, in der Wärme dieser Zuneigung seinen Frieden zu finden. ~+~ Aoshi pflügte pfeilschnell durch die Felder, registrierte ihre Verlassenheit, die nicht nur dem drohenden Unwetter und der fortschreitenden Dunkelheit geschuldet werden musste, behielt gleichzeitig die Verfolger im Bewusstsein. Sich zu verbergen entbehrte jeden Sinns. Es galt, den Lauf gegen die Zeit zu gewinnen, nicht Häschern aus dem Hinterhalt in die Hände zu fallen. Sanosuke, der ihm mit leichtem Abstand folgte, vollkommen verschmutzt und blutig, kaum noch als Mensch kenntlich, hielt sich erstaunlich wacker, bedachte man die Strapazen, die er zu überstehen hatte. Hinter ihnen lugten vereinzelte Köpfe, in der Dämmerung unidentifizierbar, über den Horizont des Bewuchses. Ihre Zahl wuchs mit jedem verstreichenden Herzschlag. Eine Attacke auf Kioto?! Sammelten sich die Angreifer im Schutz der Dunkelheit, berannten die Schutzmauern? "'shi!" Lenkte der Faustkämpfer die Aufmerksamkeit des Ninja auf sich, die Augen düster zusammengekniffen. Der Angesprochene nickte knapp. Wenn ihre Verfolger die Stadt erreichten, würden sie auf wenig Gegenwehr stoßen, wie es den Anschein hatte: die Tore waren unterbesetzt, die Mauern verlassen. ~+~ Kapitel 7 - Sturm über Kioto Über der traditionellen Kaiserstadt rasten die ersten Wolkenbänke mit dem Elan juveniler Unruhestifter ineinander, bliesen sich imponierend auf, von einschüchterndem Grollen und Donnerschlag begleitet. Gegnerische Fronten formierten sich, drängten sich, vervielfachten in der Enge ihre statische Aufladung. Die Atmosphäre knisterte in elektrischem Potential. Der Mond verbarg sich, die Sterne hielten sich bedeckt. Der erste Blitz initiierte den Sturmlauf über das geduckt harrende Land. ~+~ Sanosuke fehlte Atem und Spucke, einen bezeichnenden Fluch auszustoßen. Direkt vor ihnen schienen auf die komplette Verdunkelung des Himmels hin die Wachhabenden ihren Dienst im Schutz von gemauerten Wänden versehen zu wollen. Die Tore schlossen sich. Spärlicher Fackelschein illuminierte die verwehrten Zugänge zur Stadt flackernd. Der Ninja umfasste Sanosukes Handgelenk, leitete ihn, ohne das Tempo zu reduzieren, vom Hauptweg hinunter, strebte einem versteckten Eingang zu, von dem Aoshi flehentlich erhoffte, man möge ihn noch nicht entdeckt haben. Eine Metropole unter Ausgangssperre und kaum Personal, sie zu sichern! Er zweifelte keinen Augenblick, dass in dieser Nacht sich das Schicksal entscheiden würde. Seine Intuition mahnte prickelnd, er dürfe keine weitere Verzögerung dulden, sondern müsse seinen Freunden zur Hilfe eilen. »Meinen Freunden...« Aoshis Gesicht bewahrte den maskenhaften Ausdruck. In den blauen Augen blitzte Sehnsucht. Ungebremst drängte er seinen jüngeren Begleiter in das Abwassersystem. ~+~ Unheilvoll dräute Finsternis über den verwinkelten Gassen, ein Schattenlabyrinth, durften doch die Laternen aufgrund der Brandgefahr und der Ausgangssperre nicht entzündet werden. Das Firmament senkte sich tief über die unzähligen Dächer, eine brodelnde Masse, die unter dem Druck der sie aufladenden Temperaturschwankungen zu explodieren drohte, sich in vereinzelten Blitzen entlud, die in Donnergeleit zur Erde fuhren. Ozon vergiftete die Luft, verwirrte die Sinne. Die statische Aufladung elektrisierte Mensch und Tier. Adrenalin getrieben kauerten sie in Erwartung der himmlischen Streitmacht, die einen vernichtenden Kampf über ihnen initiierte. Die Abstände zwischen gleißend heller Entladung und erderschütterndem Echo verringerten sich mit jedem Herzschlag, markierten Kioto als das Zentrum des Gewittersturms. ~+~ Der Faustkämpfer biss die Zähne zusammen. Die plötzliche, merkliche Abkühlung gefror seine Glieder, hinderte sein Fortkommen. Es war ihnen gelungen, sich durch ein lichtloses Tunnelsystem zu zwängen, in Verachtung für Geruch und Konsistenz. Allein geleitet durch Aoshis Erinnerungen an diesen Fluchtweg, den man glücklicherweise nicht versiegelt oder gesprengt hatte. »Ist der Wolf nachlässig geworden?« Schoss es Sanosuke durch den Kopf. Es blieb keine Muße, diesem Sachverhalt auf den Grund zu gehen. Sie sprengten in ausgreifenden Schritten durch Kioto, das Aoiya vor Augen, ihre Zuflucht, ihr Schicksal. Aoshi bog um eine Straßenecke, verließ eine Abkürzung, erstarrte. Die winzige Stichstraße, nicht mehr als schulterbreit, mündete in einen Platz. Auf dem hatten sich Männer versammelt, mit Fackeln bewehrt, von Leibwächtern entouriert. Sanosuke, der dem Ninja dicht auf den Fersen war, stürmte in ihn hinein. Seine Ungeschicklichkeit mehrte die Aufmerksamkeit nicht, die man ihnen bereits widmete. Nervosität hatte die Versammelten, die gegen die Ausgangssperre verstießen, besonders empfindlich für etwaige Verfolger gemacht. Ihre geballte Konzentration erfasste die beiden jungen Männer in ihrem gegenwärtigen Zustand von Verwahrlosung. "Verdammt!" Der Faustkämpfer erwog, in eine der anderen Gassen abzutauchen. Rasch verstellte man ihm den Weg. Die Umkehr verhinderten die Schusswaffen, die man auf sie richtete. Aoshi behielt die Hände bei seinen Kodachi, rührte sich allerdings nicht. Er entdeckte unter den Anwesenden den Mann, der vermutlich das Wort als Sprecher der Gruppe ergreifen würde. Seine Intuition trog ihn nicht. Der mit einem leichten Panzer geschützte Mann mittleren Alters und untersetzter Figur herrschte ihn bereits an. "Wer seid ihr Gesindel? Wisst ihr nicht, dass Ausgangsverbot herrscht?! Wer hat euch geschickt?!" "Wir sind auf dem Weg zum Aoiya, dem Gasthaus." Lockte der Ninja mit einer Informationen, trotz des auffrischenden Sturmwinds und der Dunkelheit seinen Gegenüber fest im Blick, lauerte auf eine nonverbale Offenbarung. In der Gruppe entstand Unruhe, bis der Sprecher mit beiden Händen Ruhe gebot. "Gehört ihr dort hin? Zur Oniwa Banshu?" Sanosuke wog die versammelte Kraft ihrer Gegner ab, überließ seinem Gefährten die Konversation. Ihre Gegner wirkten zusammengewürfelt, mit der Gemeinsamkeit, dass sie über Wohlstand verfügten, sich persönlichen Schutz sowie fremdländische Bewaffnung leisten konnten. Ihre Chancen, diesen Häschern zu entkommen, standen nach seinem Eindruck nicht sonderlich schlecht, wollte es ihnen gelingen, eine Bresche in die Reihen der Angreifer zu schlagen, sich zu trennen, um das Labyrinth Kiotos als Fluchthelfer zu nutzen. Allerdings verstrich mit jedem Augenblick der Untätigkeit der Vorsprung, der ihre Verfolger auf Abstand hielt. Entschieden sie nicht bald über ihr Vorgehen, wäre jede Flucht zum Scheitern verurteilt! Der Ninja stellte ähnliche Überlegungen an, entschloss sich, das Wagnis einzugehen. "Wir wollen zur Oniwa Banshu. Lasst uns passieren." "Hüte deine Zunge, Schmutzfink! Wenn ihr zur Oniwa Banshu wolltet, so werdet ihr mit uns gehen. Das ist auch unser Ziel. Wagt nicht, die Waffen gegen uns zu erheben, sonst seid ihr schneller bei euren Ahnen, als euch lieb ist." Aoshi unterdrückte ein knappes Auflachen, das kalt in seiner Kehle brannte. Dieser aufgeblasene Popanz samt seiner Entourage bedeuteten ihm kein Hindernis! Die Tatsache fesselte sein Interesse, dass sich die Gruppe auf demselben Weg wie sie befand. Er kannte die Verbündeten der Oniwa Banshu. Die hier waren keine. Wollten sie das Gasthaus und seine Bewohner angreifen? Oder stellte allein der Battousai ihr Ziel dar?! Mit einem abgehackten Nicken erlaubte er, dass man sie in die Mitte der Formation nahm, auf das Aoiya zustrebte. Obgleich Donnerschlag und Blitzfauchen die Stille zerrissen, drückte ihnen die Einsamkeit der leeren Gassen auf das Gemüt. ~+~ Sie waren aus dem Boden gewachsen wie böse Geister. Im Blendlicht eines taghellen Blitzes materialisierten sich Gestalten in strahlendem Weiß vor dem Gasthaus, das bereits durch Shishios Attacken in Mitleidenschaft gezogen worden war, sich einem erneuten Angriff gegenübersah. Die Bewohner signalisierten sich das Eintreffen ihrer Gegner per Pfiff. Dächer und verbarrikadierte Fenster erwachten zum Leben. "Nieder mit den Meiji! Tod den Patrioten und Rache an den Verrätern der Oniwa Banshu!" Skandierte die aufgefächerte Gruppe, die sich auf dem Vorplatz des Gasthauses sammelte, entzündete Fackeln, johlte. Man hätte sie für einen zusammengerotteten Pöbel halten können, geboten nicht die Waffen, die demonstrativ aufgezeigt wurden, Vorsicht. Im Aoiya nahm man Aufstellung. Die Taktik war bereits festgelegt, Paare fanden sich, um mit einem Ausfall die Reihen der Agitatoren zu lichten, eine Belagerung hinauszuzögern. Die Rebellen, so konnte man sie wohl klassifizieren, bewiesen ihre Entschlossenheit, indem sie weder verhandelten, noch ihre Anschuldigungen zu rechtfertigen suchten. Wie in den Tagen zuvor, in denen man vereinzeltes Aufbegehren durch starke Polizeipräsenz unterdrückt, doch nicht getilgt hatte, galt hier die Überzeugung, dass die Herrschaft der Meiji Kioto und seinen Bewohnern nicht mehr als Unglück eingebracht hatte. Alle, die diese Regierung ermöglicht oder aber nicht verhindert hatten, zählten zu den Hassobjekten jener Rebellen. Die Angreifer waren überraschend gut ausgerüstet. Die ersten Brandsätze flogen per Schleuder auf Dächer und gegen Fenster, mit Öl getränkte Schwämme, die ihre feurige Last verteilten. Man eilte, die Brände zu löschen, während vom Dach aus ein Hagel an Geschossen auf die Belagerer herabregnete, um einen Ausfall durch das Haupttor zu erleichtern. Allen voran schritt der rothaarige Schwertkämpfer, dessen Anwesenheit besonderen Unmut hervorgerufen hatte. In seinem Rücken zu seinem Schutz der einzige Schüler der Kamiya-Kampfschule, das Holzschwert alert erhoben. Ihnen folgten weitere Paarungen, die sich verteilten, einen Keil bildeten, bereit, den Hagel von Brandgeschossen auf das Aoiya einzudämmen. Mit einem Wutschrei, der Losung "Tod den Meiji!", die Gesichter in Hass und Aggression verzerrt, preschten die Rebellen mit dem nächsten Donnerschlag auf die Reihe der Verteidiger zu, die ihren Stand festigte, entschlossen der Attacke in ihr brennendes Auge sahen. Nicht genug, dass man einander mit Waffen begegnete: die zweite Linie der Rebellen entfachte ein gewaltiges Feuer mit zertrümmerten Holzlatten, die ein verhängnisvolles Gut geborgen hatten. Lunte um Lunte in Brand gesteckt katapultierten sie mittels Schleuder oder Armbrust Bomben auf das Gasthaus und seine Verteidiger, die stinkend und splitternd detonierten. Kenshin behielt die Spitze der Angriffsformation bei. Ihn konnte weder der beißende Rauch, noch das Geschrei schrecken. Seine ungewöhnlichen Fähigkeiten teilten heran sausende Bomben in ihrem Flug, wenn sich der zierliche Mann in den Himmel schraubte, um ihren verheerenden Niedergang auf seine Kampfgefährten zu vereiteln. Bald fesselten die Angreifer seine Aufmerksamkeit auf den Boden. Von Blitz und Donner in rascher Folge untermalt spielte sich ein blutiger Kampf ab, der sich am Firmament spiegelte. ~+~ Schon aus der Entfernung, trotz des ungeheuren Getöses von Donnerschlägen, dem statischen Knistern elektrischer Entladungen, vernahmen sie das Geräusch aufeinanderprallender Klingen, Detonationen. Sie rochen den Unheil verkündenden Qualm entzündeten Strohs und Gebälks, mit giftigem Gestank nach Petroleum durchsetzt. Die Gruppe beschleunigte ihren Schritt, erreichte den Vorplatz des Aoiya, wo sie einer chaotischen Kampfszenerie unvermittelt gegenüberstanden. Ihre Anwesenheit blieb schwerlich unbemerkt. Die Rebellen bildeten rasch eine zweite Front, die die Neuankömmlinge mit brennendem Geschosshagel eindeckte. Aoshi und Sanosuke, die die Bedrängnis der Verteidiger mit Ingrimm bemerkten, beschlossen mit knappen Seitenblick, die Front zu überwinden, den Freunden beizustehen, die ihren fanatischen Gegnern unterlegen schienen. Begleitet vom empörten Protestgeschrei, das die kriegerischen Parteien aufforderte, sofort die Kampfhandlungen einzustellen, weil es die repräsentative Elite der Stadt im Interesse der Bürger verlange, verschanzte sich die selbsternannte Bürgerwehr hinter eilends errichteten Schutzwällen, während die beiden jungen Männer im Sturmlauf unbeirrt vom Geschossregen auf die Rebellen zuhielten. Aoshi schwang die Kodachi kreuzweise vor dem Leib. Ihr zischendes Singen zerteilte die abgekühlte Luft. Sanosuke an seiner Seite brüllte mit glühenden Augen aus voller Kehle, die Fäuste geballt. Sie wählten ein schwächeres Glied der Linie, wichen im Zickzack den Brandsätzen und Pfeilen aus, trennten sich, um den Gegner zu überlaufen. In ihrem Rücken begann die Bürgerwehr, Explosionsgeschosse abzuwehren und alles andere auf die Rebellen zurückzuschleudern. Sie scheuten eine direkte Auseinandersetzung, als unerwartet eine weitere Gruppe eintraf, die Versammelten umzingelte. Die Männer trugen die Uniformen unterschiedlicher Einheiten der Ordnungskräfte von Kioto. Eine heterogene Truppe, die schweigend Aufstellung nahm, Gewehre in Anschlag brachte. Mit dem nächsten Blitzschlag verharrten die Kämpfenden in Erstarrung. Schwarz kratzte sich ihr Schattenbild in den staubigen Boden, bevor sich die ersten, erlösenden Tropfen aus den verwundeten Wolkenmassen senkten. "Verrat!" Brüllte eine Stimme. Schlagartig löste sich das skurrile Ensemble der Anwesenden. "Auf meinen Befehl, eröffnet das Feuer!" Erteilte ein sehniger Mann, unter seiner Kappe nicht kenntlich, den Uniformierten Order, lud das eigene Gewehr. Die Rebellen verlagerten ihren Fokus in Todesverachtung und blinder Wut auf die Neuankömmlinge. Es regnete Rauchbomben und Brandsätze, die die Sicht vernebelten, einige der Männer in Brand steckten, die schreiend ihr Heil auf dem Boden suchten, sich in Agonie wanden. Aoshi sprengte auf die Verteidiger des Aoiya zu, die sich eng an das Haupttor zurückgezogen hatten, vor dem Gewehrfeuer die Sicherheit des Hauses suchten. Er ignorierte das Geschrei der Bürgerwehr, das Spannen der Hähne, die auf den Abzug warteten. Eine innere Sehnsucht trieb ihn vorwärts, als könne das in Mitleidenschaft gezogene Haus ihm Frieden schenken. Seine Ohren filterten aus dem Getöse die dunkle, enragierte Stimme des Faustkämpfers heraus. Gegen seinen Willen hielt er inne, kehrte sich um. Sanosuke, schmutzig, blutig und unbewaffnet, rang mit einem gewaltigen Mann, der über seinem Kopf ein verschnürtes Paket umklammerte. Die beiden Männer führten ihren tödlichen Tanz direkt in der Feuerlinie der Gewehre aus, blind für ihre Umwelt, ineinander verkeilt, fest entschlossen, nicht nachzugeben. Der Ninja unterdrückte das Verlangen, lauthals lästerlich zu fluchen. Warum konnte er den Bauerntölpel nicht seinem Schicksal überlassen, das der so leichtfertig herausforderte?! In diesem Augenblick gelang dem Straßenkämpfer eine Attacke, die seinen Gegner ächzend in die Knie brechen ließ. Totenbleich zerfetzte der dunkelhaarige Mann mit der roten Bandana, die im Regensturm um seinen Kopf flatterte, das eroberte Bündel, bis eine Lunte zum Vorschein kam. Aoshi verstand. Er fühlte das Entsetzen in seinem stählernen Herz: der Riese hatte die Bombe auf das Aoiya schleudern wollen. Dieser Explosion wären die Verteidiger nicht entkommen. "Feuer!" Gellte der Befehl. Der Ninja sprang. ~+~ Sanosukes Kopf flog in den Nacken hoch, keuchend über den Resten der gewaltigsten Bombe gekauert, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Einmal mehr dankbar für seine grauenhaften Erfahrungen aus dem Krieg und für die Freundschaft zu Katsuhiro, dem Bombenbauer. Das Echo eines Blitzschlags dröhnte in seinen Ohren. Aoshi flog, die Arme ausgebreitet, ein schwarzer Schemen in der Finsternis, direkt auf ihn zu. Die filzigen Haare wehten unter der fließenden Bewegung auf, enthüllten das maskenhaft weiße Gesicht mit den eisblauen Augen. Dann trafen seine Knie den durchweichenden Boden. Er fiel in Sanosukes Arme. ~+~ Die Garbe der Gewehre hatte ihre feurige Blume gespuckt, Opfer gefunden bei allen, die auf dem Vorplatz umzingelt worden waren, ob Rebell, Bürgerwehr oder Oniwa Banshu. Eine zweite Salve folgte nicht. Stattdessen rollte der abgeschlagene Kopf des Kommandanten der Uniformierten in den feuchten Staub, bot einen Ausdruck der Überraschung, während der Torso langsam zusammenbrach. Im strömenden Regen erschien die Meute des Wolfs, der höchstselbst das Urteil vollstreckt hatte. Es bedurfte keines Befehls. Allein sein schwefliger Blick aus Bernsteinaugen genügte, jegliche Kampfhandlung einzustellen. Der letzte Donner rollte tosend heran, eine gewaltige Druckwelle. Regen rauschte hinab, als wolle die Welt in einer Sintflut untergehen. Das Geheul der Wölfe gellte markerschütternd durch die verlassenen Wälder. Kioto fiel in erlösenden Schlummer. ~+~ Er zitterte. Sanosuke konnte das Beben seiner Glieder sehen, die Erschütterung spüren, die ihn durchlief, eine Verwandtschaft mit Adrenalin vorspiegelte. Ihn regierte kein überschwänglicher Hormonrausch des Triumphs. Er fror erbärmlich, bis zur Erstarrung. Klare, blaue Augen suchten seine vom Entsetzen geweiteten, in einem Gesicht, das sich mit jedem verstreichenden Herzschlag entspannte. "A-o-sh-i..." Brach es stockend über Sanosukes zerbissene Lippen, als er den Mann in seinem Schoß wie ein zerbrechliches Porzellanfigürchen in die Arme bettete, durch den stinkenden Qualm den Geruch von Blut registrierte. Blut, das über seine nackten Beine strömte, tröstliche Wärme spendete, die niemals unerwünschter war. Sinnlose Phrasen tosten in seinem Kopf, Durchhalteparolen, kernige Weisheiten. Keine wollte seiner gelähmten Zunge entschlüpfen. Tränen mischten sich unversehens mit dem alles durchweichenden Regen. Der Ninja hatte sich in die Flugbahn geworfen, um mit seinem Körper ihn und die Bombe vor einem verheerenden Treffer zu bewahren. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Ein Blinzeln. Eine makellos weiße Hand, die seine schmutzig-verklebte Wange streifte, bevor sie zu Boden sackte. "Es ist gut." Wisperte der Ninja matt. Seine Lider senkten sich flatternd, folgten dem scheuen Lächeln, das seine Züge entspannte. "NEEEEIIIIIIIINNNNNNNNN!" ~+~ Kenshin, der sich in Verteidigungshaltung vor die Oniwa Banshu-Angehörigen gestellt hatte, die nicht eilig genug in den Schutz des Gasthauses gelangen konnten, sich kompakt auf den Boden gekauert hatten, um weniger Angriffsfläche zu bieten, erstarrte bei dem qualvollen Schrei. Er kannte diese Stimme. Ihre anklagende Verzweiflung zerriss sein Herz. Das Schwert hastig in die Scheide geschoben hielt er auf den Vorplatz zu, wo im rauschenden Regen eine nahezu nackte Gestalt kniete, eine dunkle wiegend. Gleichzeitig mit ihm näherte sich ein hochgewachsener, schlanker Mann. Der Wolf von Mibu. ~+~ Es durfte nicht sein! Lebten sie nicht angeblich im Frieden, hatten seine Freunde nicht genug Blutzoll entrichtet?! Sanosukes waidwundes Brüllen durchbrach den erstickend einlullenden Singsang der Tropfen. Niemand, NIEMAND, sollte für ihn sterben! Wie eine kindliche Litanei formte sich der trotzige Gedanke in seinem Kopf, wiederholte sich zu einem endlosen Crescendo, als er sich mühsam auf die Beine stemmte, den gefallenen Ninja auf seinen Armen. »Ich will dieses Opfer nicht! Ich will seinen Tod nicht!« Der Faustkämpfer schwankte, von ungefilterter Verzweiflung angeheizt. »Ich WILL es nicht!!« Solange sein Wille unerschütterlich war, er sich standhaft weigerte, die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse zu akzeptieren, solange konnten sie nicht real werden, bewegte er sich in einer Nische außerhalb der Zeit! War der junge Mann mit den eisblauen Augen nicht verloren. ~+~ Der rothaarige Schwertkämpfer wechselte einen scharfen Blick mit seinem sehnigen Gegenüber, versicherte sich, dass der nicht beabsichtigte, eine weitere Enthauptung zu vollführen. Er streckte die kleinen Hände aus, berührte sondierend den Faustkämpfer, der in seinem gegenwärtigen Zustand kaum kenntlich war. "Sano, hörst du mich? Lass mich Aoshi nehmen, bitte?" Bemühte er sich, die Aufmerksamkeit des Freundes auf sich zu lenken. Der Faustkämpfer bewegte sich jenseits der Gegenwart. Seine großen, schokoladenbraunen Augen spiegelten ohne Begreifen die Düsternis des Platzes und ihrer Gestalten wider. Hindernisse in seinem Weg, den er richtungslos nur von einem Fuß auf den anderen verlagernd beschreiten konnte. Saitou schnalzte ungeduldig, trat hinter Sanosuke, schmetterte in einer fließenden, rapiden Bewegung seinen Schwertknauf auf den Hinterkopf des jungen Mannes, der mit einem klagenden Ächzen zusammenbrach. Dem vorwurfsvollen Blick des ehemaligen Vagabunden begegnete er mit einem sardonischen Grinsen. Sie konnten von Glück reden, dass er dieses Mal Gefangennahme vorgesehen hatte. ~+~ Ein gleichmäßiges Rauschen, das Dahingleiten unzähliger Tropfen. In Sanosukes narkotisierter Wahrnehmung zeichnete sich vor der Schwärze seines Erwachens ein Klangteppich des Trosts ab. Der Regen erstickte die Laute von Mensch und Tier. Flüssige Schwermut, die einem bleiernen Himmel entströmen musste. Er schlug die Augen auf, um seine Vorstellung zu überprüfen. Der Raum, in dem er sich befand, konnte von einer einsamen, tranigen Funzel nicht einmal bis zu den entfernten Wänden und der Zimmerdecke ausgeleuchtet werden. Vage Umrisse beschrieben eine massive Tür. Von einem Fenster oder einem anderen Zugang fand er keine Spur. Ein Ächzen unterdrückt stemmte er sich auf die Ellenbogen, blinzelte, um Details in sich aufzunehmen. Seine Lagerstatt bildete ein verwaschener Futon mit einer groben Decke, die seine Blöße bedeckte, da er vollkommen ohne Bekleidung war, sah man von verschiedenen Wundverbänden ab, deren Leinenstoff ebenfalls bessere Tage gesehen haben musste. Die rußende Laterne bot sich als ungelenk geflochtener Docht in einem schmierigen Gemisch dar, die billigste Form einer tönernen Lichtquelle. Aus dem Dunkel im entferntesten Winkel des Zimmers löste sich eine hochgewachsene Gestalt, überwand ohne Hast die Distanz. Sanosuke widerstand der unwillkürlichen Versuchung, gegen die Wand zurückzuweichen, seine Verteidigungshaltung einzunehmen. Trotzig legte er den Kopf in den Nacken, biss sich die Lippen blutig, als die massive Schwellung an seinem Hinterkopf diesen Entschluss übelnahm. Der Wolf von Mibu ging direkt vor ihm in die Hocke, strahlte schlagartig seine unverwechselbare Aura aus, gepaart mit dem Geruch von Nikotin und Regen. Im flackernden Lichtschimmer glühten die Bernsteinaugen unleserlich, prägten Schatten das markante Gesicht. Der Faustkämpfer funkelte in die unbewegte Miene seines Gegenüber, eine kindliche Trotzreaktion, die er vor sich selbst damit rechtfertigte, dass der ehemalige Shinsengumi ohne Gnade jede Schwäche ausnutzen würde. Krächzend räusperte Sanosuke sich, trug mit aggressiver Frechheit seinem Entschluss Rechnung. "Hey, alter Mann, wohin hast du mich verschleppt? Ist das Loch hier deine Bude? Wo ist Kenshin?!" Der Schwertkämpfer musterte den jüngeren Mann mit deutlicher Demonstration seiner Überlegenheit. Die Mundwinkel zuckten geringschätzig. "Derselbe Trottel." Bemerkte er bündig, richtete sich auf. Sanosuke knurrte laut, versuchte, seinen Gliedern Gehorsam abzufordern, um sich ebenfalls in die Senkrechte begeben zu können. Nicht einmal seine Fäuste wollten sich seinem Willen beugen. "Was soll das hier?!" Fauchte er heiser, ignorierte den prickelnden Schmerz in seinen Beinen, als er sie beinahe gewaltsam anwinkelte, um sich auf die Knie zu begeben. Mochte die Wand seinem mühsamen Aufrichten Stütze bieten! "Schweig und bleib liegen, Idiot." Die schmalen Lippen kündeten von Missvergnügen. Und von Anstrengung?! Der Faustkämpfer blinzelte, schrieb diesen Eindruck dem Schattenspiel zu. Es konnte kaum anzunehmen sein, dass der Wolf von Mibu derlei menschliche Schwächen offenbarte. "Du hast mir überhaupt nichts zu sagen, verlogener Bulle!!" Pöbelte er mit mehr Verve, als seine körperlichen Fortschritte hinsichtlich des Aufstehens erlangten, ballte erneut die Fäuste, die diese grobe Behandlung mit pointierter Pein beantworteten. Einen wackligen Stand erreicht, die Knie deutlich bebend und vollkommen ohne Bekleidung lehnte er sich mit ausgestrecktem Arm an der Wand an, zerriss die hochgewachsene Gestalt des früheren Shinsengumi förmlich mit sengendem Blick. Eine Augenbraue zuckte minimal. Ohne Vorwarnung klatschte eine Hand direkt auf seine Ellenbeuge, hieß Sanosuke ungehindert zur Wand zu sacken, während gleichzeitig ein wuchtiger Tritt seine unsicheren Beine bezwang. Mit dumpfen Schlag prallte er auf den dünnen Futon. Ein beschämendes Ächzen entwich seinem Brustkorb. Der grobe Stoff eines Handschuhs umklammerte seine Kehle. Die Bernsteinaugen funkelten wie unheilige Sonnen in der Dämmerung über ihm. "Ich sagte, bleib liegen." Betonte der Polizist jede Silbe einzeln. Sanosuke knurrte, setzte an, wie ein Dreschflegel um sich zu schlagen und zu treten. Kindlicher Trotz, da er seine mangelnde Kondition nicht zu verhehlen wusste. Saitou hielt dagegen, mit der gewohnten Effizienz und Rücksichtslosigkeit. Seine Faust fand die bereits in Mitleidenschaft gezogenen Rippen, Blutergüsse, Schnitt- und Brandwunden, trieb den Atem aus dem jüngeren Mann, der schließlich seine fruchtlose Rebellion aufgab. "Wieso bin ich hier, du Mistkerl? Wo ist Kenshin?!" Wiederholte der ehemalige Sekihoutai stur seine Forderung nach Aufklärung. Er biss die Zähne zusammen, um gegen den Flächenbrand der Schmerzmeldungen aus seinem Leib gewappnet zu sein. "Alle Aufrührer sind im Polizeigewahrsam." Beschied der Wolf kühl, musterte mit zusammengekniffenen Augen die sehnige Gestalt, ob sich nicht doch noch Widerstand sammelte. "Ach ja?! Und wo, verdammt?!" Sanosuke blitzte zornbebend zurück. "Oder bin ich hier, weil du mir eine Spezialbehandlung verpassen willst?! Hä, Bastard?!" Der Ältere schnaubte, unverkennbar amüsiert. "Juckt es dich schon wieder, Bauernlümmel?" Versetzte er Sanosuke einen gezielten Schlag auf die Leisten. "Mit Schwächlingen kann ich mich nicht abgeben." Der Faustkämpfer erstarrte. Die schokoladenbraunen Augen blinzelten ungläubig, als wollten sie die Botschaft, die ihnen übermittelt wurde, in der Körperhaltung bestätigt wissen. Saitou bleckte in boshaftem Vergnügen sein starkes Gebiss. "Wenn du unbedingt die Gesellschaft der anderen Rebellen bevorzugst, lasse ich dich gern in die Kellerverliese bringen. Allerdings solltest du beten, dass der Regen schnell aufhört." Fügte der Polizist in maliziösem Sanftmut hinzu. Sanosuke drehte den Kopf weg. In ihm gärte es, zu einem großen Teil gewürzt mit Unglaube und bitterem Selbstvorwurf. "Wo sind Aoshi und Kenshin?" Wisperte er, schloss die Augen fest. Der frühere Shinsengumi schnaubte über den unbelehrbaren Starrsinn seines Gefangenen. "Dein heuchlerischer Freund, der Battousai, steht unter Arrest im Aoiya. Was den Ninja betrifft, der ist aller Sorgen ledig." Er lächelte humorlos. Der jüngere Mann unter seinen Knien schluckte, ballte die Fäuste, entspannte sich wieder. "Du hattest alles geplant, nicht wahr?!" Seine Stimme raunte geisterhaft in dem schattigen Raum. "Diese ganze Aktion, alles war dein Plan." Saitou setzte sich zurück auf die Hacken, belauerte die reglose Gestalt, die sich weigerte, ihn anzublicken. "Du hast absichtlich die Truppen abgezogen. Du wusstest von dem Hinterhalt in den Wäldern." Verächtliches Schnauben. "Wahrscheinlich hast du die Rebellen sogar ermutigt. Aoshi hatte recht." Schloss Sanosuke müde. Der Wolf wich alert zurück, griff nach seinem Schwert. Sanosuke setzte sich auf, hob langsam den Kopf, um Saitou in die schwefligen Augen zu sehen. "Er war überzeugt, dass du uns umbringen wolltest, weil wir nicht mehr gebraucht würden. Ich Trottel habe dich verteidigt." Ein fahles Lächeln flackerte über die zerkratzten Züge. "Ich wollte nicht glauben, dass du so vermessen bist, eine Welt nur nach deiner Gnade schaffen willst." Der Faustkämpfer schüttelte seine verfilzte, von Harzen und Schmutz verklebte Mähne mit nachsichtiger Qual. "Ich bin wirklich ein Idiot." Bekannte er mit schmerzhaftem Auflachen. "Habe dir die Treue gehalten." Er hob das Handgelenk an, an dem noch immer die safrangelbe Kordel prangte, ließ sie kraftlos sinken. "Du wolltest uns WIRKLICH loswerden." Er hob den Kopf, fixierte Saitou. "Du hast dafür gesorgt, dass das Aoiya und die Oniwa Banshu mit Kenshin zum Ziel der Rebellen wurde. Du hast die Gelegenheit für einen Hinterhalt geschaffen. Du hast zugelassen, dass die Oniwa Banshu ganz allein blieb. Du hast abgewartet, bis alle eingetroffen waren, um erst dann einzugreifen." Seine dunklen Augen glommen schwarz in der Finsternis der kargen Zelle. "Es waren DEINE Männer, vor denen wir in die Stadt geflohen sind!" Sanosuke ballte die Faust, ignorierte den stechenden Schmerz. Der Wolf bleckte die Zähne. "Willst du mir etwa deine Dummheit anlasten?!" Bemerkte Saitou distanziert. "Nicht ICH habe darauf bestanden, den Ninja aus den Wäldern zu locken. Nicht ICH bin blindlings davon gestürmt." Er beugte sich mit mokantem Lächeln vor. "Nicht ICH habe in der Schusslinie gestanden." Sanosuke presste die Lippen fest aufeinander, um den Protestschrei zu ersticken, der aus seinem verwundeten Herz entfliehen wollte. "Du wusstest von den Sprengladungen." Mutmaßte er mit belegter Stimme. Der Polizist lächelte papierdünn. "Selbstverständlich." Sein Gegenüber starrte stumm. "Also hattest du wirklich alles geplant." Wisperte der Faustkämpfer, den Blick auf seine zuckenden Fäuste gerichtet. Saitous Lippen zogen sich über seinem Raubtiergebiss zurück. "Ich bin eben kein Idiot." Bemerkte er bündig. Er verlautbarte geschäftsmäßig, wenn auch unerwartet eine Zusammenfassung seiner Motivation. "Diese Stadt ist wichtig, ein Symbol für unser Land. Wenn wir nicht wollen, dass uns die Fremden überrennen mit ihren Waffen und Soldaten, müssen wir einig und entschlossen sein. Eine Oligarchie, die bereit ist, mit den Fremden Geschäfte zu machen und gegen die Regierung im Untergrund opponiert, schadet dem Land. Insbesondere, wenn sie beschränkten, unfähigen Offizieren die Leitung anvertraut." Ein boshaftes Grinsen flackerte über seine markanten Züge. Sanosuke hob den Kopf an. "Du wolltest, dass sie das Aoiya in die Luft sprengen!" Klagte er an, taub für die vorangegangene Äußerung. "Du wolltest Kenshin aus dem Weg haben und Aoshi.. und mich!" Saitou schnalzte missbilligend. "Idiot..." Begann er. Unerwartet schnell warf sich der Jüngere nach vorn, überraschte ihn mit einem Kopfstoß vor die Brust. Der Wolf wehrte sich energisch, während sie ineinander verkrallt über den staubigen Boden rollten, sich einen Vorteil zu verschaffen suchten, um den anderen zu besiegen. "Ich hasse dich, du Scheißkerl! Bastard! Lügner! Verdammter Bulle!" Wie ein heiseres Klagelied begleitete Sanosukes glühender Zorn ihren Atem zehrenden Kampf, der wenig mit bisherigen gemein hatte. Hier zählte weder Kunstfertigkeit, noch Geschick. Es galt einzig, den anderen vollkommen unter die eigene Kontrolle zu bringen. "Kein Wunder, dass der geprügelte Hund dich besiegen konnte." Reizte Saitou unbarmherzig, bearbeitete die Wunde auf Sanosukes linker Seite. "Du bist schwach und unfähig." In Replik bohrte der Jüngere die Zähne in Kehlenhöhe seines Gegners, was dem jedoch wenig Schaden zufügte, da der den Vorteil seiner Uniform besaß, während Sanosuke unbekleidet war. Der Schwertkämpfer versetzte weiter heimtückische Schläge, ignorierte die ächzend hervorgestoßenen Schmähungen. Er konzentrierte sich darauf, seinen vor Wut unbändigen Gefangenen möglichst rasch außer Gefecht zu setzen, da er einen Nahkampf nur selten gewährte. Sich die Chancen zugunsten des Faustkämpfers wandeln konnten, was es unbedingt zu verhindern galt. Es gelang ihm, sein Schwert zu erreichen, wie bereits mehrfach erprobt den Griff auf Körperpartien, die in seiner Reichweite Verletzlichkeit boten, sausen zu lassen, Sanosukes Umklammerung zu lösen. Der setzte sich seinerseits, bereits blutend und blind vor Rage, mit fliegenden Fäusten zur Wehr. Saitou erkannte den drohenden dreifachen Gipfel, von einer Serie Tritte gedeckt. Er riss zum Schutz sein Schwert hoch, fing den potentiell tödlichen Hieb mit dem Heft ab. Es knackte vernehmlich. Ein heiseres Stöhnen, von einem merklichen Zittern begleitet, durchlief den sehnigen Leib des ehemaligen Sekihoutai. Sanosuke sackte erschreckend lautlos auf dem Boden zusammen. Der Wolf atmete aus. Sein Schwert bohrte sich in das Holz der Bohlen, in seinen Händen verblieben lediglich die geborstenen Reste des Griffs. Nach einigen Herzschlägen reglosen Wartens zupfte er sich die blutigen Handschuhe von den Händen, warf sie achtlos zu den Trümmern seines Schwertes. Er glitt an ein Sims, um ihm eine Tonflasche zu entnehmen. Ohne Zögern ging Saitou geschmeidig in die Knie, las den Bewusstlosen auf, schaffte ihn ungeachtet des Schmutzes, der nun auch seine Uniform verunstaltete, wieder auf den zerwühlten Futon zurück. Er barg den Kopf auf seinem Schoß, umfasste mit der Rechten den spitzen Kiefer. Die Linke träufelte den milchig-weißen Inhalt der Tonflasche in den geöffneten Mund des Faustkämpfers. Behutsam ließ er ihn sinken, als abgezählte Tropfen ihr Ziel erreicht hatten. Saitou begann, die gebrochenen Finger der rechten Hand zu richten, um sich den Handknochen selbst zu widmen. »Dummer Junge, dummer, wilder Streithahn...« Mit den Daumen tilgte er die Spuren der Tränen auf dem erschöpften Gesicht. ~+~ In Sanosukes Ohren rauschte es. Eine gleichmäßige Melodie, die besänftigend die Kakophonie von Schmerzen linderte, die sein unwillig erwachendes Bewusstsein bleischwer entgegennahm. Er wollte nicht erwachen. Er wusste, ohne sich anstrengen zu müssen, auf welcher Erkenntnis dieses Urteil basierte: da draußen, jenseits der narkotischen Stille und Dunkelheit seines Schlafs, lauerte die erdrückende Schuld am Tod eines Freundes. Die Scham des Überlebenden. Die Enttäuschung des 'Dummkopfs', der seinem Herzen und nicht seinem Verstand gefolgt war. Üblicherweise hätte er einer solchen Feigheit keinen Vorschub geleistet. Auch dieses Mal konnte er sie sich nicht erlauben. Die konvulsivischen Krämpfe seiner Leibmitte drängten mit jedem qualvollen Atemzug stärker auf primäre Beachtung. Er krümmte sich, um den versehrten Muskeln Linderung zu verschaffen, rang flach nach Luft, wurde von unnachgiebigen Armen umfangen, von der klammen Wärme des groben Stoffs separiert, mitleidlos aufgesetzt. "Sano!" Eine Handfläche klatschte auf seine Wange. "Auf die Beine!". Die Stimme befehlsgewohnt, schneidend, sodass er unwillkürlich Folge leistete, die Augen noch immer blind verklebt von Mattigkeit. Ein weiterer Krampf hätte ihn in die Knie gebrochen, hinderte ihn nicht ein Arm um seinen Leib. Anschließend führten ihn lautlose, große Schritte davon. Der Boden war unter seinen bloßen Sohlen zunächst hart und kalt, dann feucht und nachgiebig, bevor die überraschende Weite und frische Brise sich in einer Art Gelass mit unverkennbarem Odeur verlor. Der Arm um seine Körpermitte blieb geduldig, stützte seine einknickenden Beine, während Sanosuke sich übergab, galligen Brei spuckte. Sein Magen wand sich, als wolle er sich selbst auswringen, verätzte Speiseröhre und Mundhöhle, die unfreiwillig Passage bieten mussten. Die gequälten Laute, die er um Atem ringend absonderte, wühlten sein betäubtes Gemüt auf, erinnerten sie doch eher an ein Kind, weniger einen gestandenen Mann. Nachdem sich, abgesehen von den manischen Bemühungen seines Leibs, jedwede Spur abzuschütteln, die dem gewaltsam exilierten Gebräu geschuldet war, kein weiterer Erfolg mehr abzeichnete, wurde der Faustkämpfer umsichtig aufgerichtet. Er machte sich ungeschickt los, taumelte einige Schritte blind in die kühle, tröstliche Brise. Es regnete noch immer, endlose, klare Fäden, auch wenn Sanosuke die Lider nicht aufschlug. Wie eine zärtliche Liebkosung glitten sie an seinem nackten Leib herab, löschten Fieberschauer und Schmerz. Er öffnete den Mund, fing mit der Zunge durstig die Tropfen, drehte sich leicht, die Arme ausgebreitet. Vage fragte er sich, weshalb sein Kerkermeister noch nicht die Grenzen setzte, ihn einfing und wie zuvor marterte, bannte diese Unwägbarkeit. Die Augenblicke waren zu kostbar, um sie nicht bis zur Neige auszukosten. Eine warme, schlanke Hand umfasste sein bandagiertes Handgelenk mit festem Griff. Eine grobe Decke um seine Schultern geschlungen trennte die liebevollen Regenschauer von seiner Haut. Für einen Moment erwog Sanosuke Widerstand. Zu verlockend war die Aussicht, den Schmerzen im kalten Guss zu entfliehen! Schließlich gab er nach, rückte näher an den sehnigen Leib, der moderat Wärme verströmte. Wenige Schritte nur, es wurde wieder beengend stickig, der Boden hart und unnachgiebig. Saitou, kein anderer konnte es sein, drehte ihn wie eine Gliederpuppe, löste die schützende Decke, frottierte energisch ohne Rücksicht auf Wundflächen den jüngeren Mann, ließ allein die dampfende Mähne unbeachtet, dirigierte Sanosuke auf den verwahrlost wirkenden Futon, gezeichnet von Staub und unruhigem Schlaf. Er zwang die Kiefer auseinander, über dem Faustkämpfer kniend, öffnete den verplombten Verschluss einer kleinen Flasche. Sanosuke keuchte. Seine Arme schlugen gegen die Schenkel des älteren Mannes. Seine Hände wollten Einhalt gebieten. Allein, die Rechte konnte nicht gegen die Stützverbände agieren, die Linke fand ein eisernes Handgelenk, das Widerstand ignorierte. Überraschend schickte der Wolf eine Erklärung voran, die Stimme aufgeraut. "Trink, Trottel, oder du verbringst die nächsten Stunden auf dem Abort." Der Faustkämpfer stöhnte unter der Last des anderen und der Wahl, die keine war. Er zuckte zusammen beim bitteren Geschmack, der auf seine Zunge perlte, schluckte jedoch im Reflex, wurde von seiner Bürde befreit. Sanosuke rollte sich ungehindert zusammen in eine fötale Haltung, floh in traumfreie Schwärze. ~+~ Saitou studierte den erschöpften Schläfer aufmerksam. Obwohl er die Betäubung durch ein Schlafmohngemisch nutzte, den jungen Faustkämpfer bereits feucht abgerieben, die Wunden desinfiziert sowie auch die Festigkeit der schienenden Verbände überprüft hatte, berührte ihn die Blässe des ehemaligen Sekihoutai, dessen Widerstandskraft als außergewöhnlich galt. Vermutlich hatte die Auszehrung durch die Anstrengungen und die Wirkung der Droge mehr gekostet, als der Polizist erwartet hatte. Er erhob sich geschmeidig, verließ die einsame Zelle, um seines temporären Amtes zu walten. ~+~ Sanosukes Erwachen gestaltete sich dieses Mal weniger quälend, auch wenn er sich vor Schwäche körperlos wähnte. "Komm hoch!" Die heisere Stimme befahl knapp, assistiert von sehnigen Armen, die den ehemaligen Sekihoutai aufsetzten, die grobe Decke von dessen Schultern zogen, um seine Taille drapierten. Der Faustkämpfer versuchte, sich kindlich die Augen mit den kräftigen Handrücken zu reiben. Eine Gewohnheit, der er keine Erfüllung verschaffen konnte, da beide fest bandagiert waren, vor seinem Kopf abgefangen wurden in bestimmtem Griff. "Augen auf!" Kommandierte Saitou. Der ehemalige Sekihoutai gehorchte im Reflex. Sanosuke blinzelte, wurde in den Fokus des Bernsteinblicks gezogen. Ein Lappen wischte energisch über sein Gesicht, von einem maliziösen Lächeln begleitet, das den jüngeren Mann indigniert aufknurren ließ. "Iss!" Ein hölzerner Löffel schmückte seine weniger versehrte Linke. Eine einfache Schüssel heizte seinen Schoß auf. Es duftete nach verdicktem Fleischsaft mit Gewürzen und eingelegtem Gemüse, das auf klebrigem Reis angerichtet war. Sanosuke starrte ungläubig auf die verlockende Speise, ungewohnt zögerlich, weil er keinen Appetit verspürte. "Welches Gift erwartet mich hier?" Krächzte er aggressiv, in die aromatischen Düfte eingewoben. "Tsstss, Dummkopf." Schnarrte Saitou knapp. "Wenn ich dich umbringen wollte, würde ich mir wohl kaum diese Mühe geben." Der Faustkämpfer hob den Kopf, funkelte zornig. "Was liegt DIR an meinem Wohlergehen?! Du hältst mich hier gefangen! Ich bin dir nur im Weg!" Klagte er wütend an. Der Wolf bleckte die starken Zähne. "Idiot. Erstens steht niemand in meinem Weg, zweitens habe ich keine Gefangenen gemacht, und drittens habe ich bereits beantwortet." "Keine Gefangenen?!" Sanosuke ließ den Löffel aus seinem bandagierten Griff sinken. "Was ist mit den Männern in den Kellerverliesen?!" Der Polizist zückte eine Zigarette aus seiner Brusttasche, illuminierte sie, sog den scharfen Geschmack ein. "Welche Gefangenen? Welche Kellerverliese?" Eine scharfe Augenbraue lupfte sich diabolisch. Sanosuke blinzelte, registrierte das einlullende Begleitgeräusch des Regens. "Das kannst du nicht...!" Brach er ungläubig ab. Die schwefligen Augen brannten Löcher in sein Herz. Er drehte den Kopf weg, verweigerte sich der Speise und dem Älteren. Ein knappes, spöttisches Auflachen kommentierte seine Demonstration von Abscheu. "Oh, du meinst die Verräter, die einen Aufstand planten, gegen das Notstandsgebot verstießen? Die öffentliche Ruhe und Ordnung bedrohten, Feuerwaffen und Sprengstoff schmuggelten, gegen ihren Eid verstießen? Die Häuser von Bürgern angriffen, deinen Freund erschossen?" Mokierte sich der Wolf boshaft. Sanosuke wandte blitzartig den Kopf, funkelte ihn voller Zorn an. "Du kannst sie doch nicht einfach ersaufen lassen!" Protestierte er hitzig. Saitou erwiderte seinen Blick kühl, ohne Gefühlsregung. "Du hast sie in eine Falle gelockt!" Krächzte Sanosuke anklagend. Das bewirkte bei dem Polizisten ein Zähneblecken. "Ach, gar?" Die dünnen Lippen lächelten in profundem Amüsement. Der sehnige Mann beugte sich vor, nur Wimpernschläge entfernt von den nahezu schwarzen Augen des ehemaligen Sekihoutai. "Nicht ICH habe ein Komplott geschmiedet." Raunte er kehlig. "Nicht ICH habe das Aoiya angegriffen, meine Untergebenen zu Verrat und Hinterhalt angestiftet." Die Bernsteinaugen glommen giftig. "Du weißt nichts über Politik und die Macht in dieser Stadt, Hitzkopf." Der Löffel wurde aufgesammelt, vor Sanosukes Linke gelegt, während die andere Hand die schmalen Lippen mit der Zigarette in Kontakt brachte. "Es gab von Alters her eine Oligarchie in der Kaiserstadt, mehrere Familienverbände, die über Macht und Einfluss geboten. Sie existieren bis heute. Sie sind wichtig. Solange sie sich miteinander beschäftigen, herrscht ein Gleichgewicht." Er streifte achtlos die Asche ab, lehnte sich lässig gegen die Wand, allerdings alert wie eine Bogensehne. "Es war ungemein praktisch, dass der Anführer der untreuen Einheit so vermessen war, auch die Bürgerwehr mit den ehrenwerten Vertretern rivalisierender Familien in seine Attacke einzubeziehen. Welch eine Erleichterung allerdings, den Honorationen zu demonstrieren, wie vertrauenswürdig die Elite-Einheiten der Meiji-Regierung mit Verrätern verfahren." Sanosuke lauschte, gegen seinen Willen beeindruckt von der blanken Schilderung der Hintergründe. "Was ist mit dem Aoiya?!" Beharrte er. Der Polizist zuckte nachlässig mit den Schultern, inhalierte tief. "Der Stachel im Fleisch. Eine Ninja-Burg inmitten der Stadt. Sehr nützlich, um eine weitere Kraft zum Ausgleich der Mächte zur Verfügung zu haben." Bemerkte er nonchalant. "Dann... wolltest du gar nicht die Zerstörung des Aoiya?" Der junge Faustkämpfer traute der Erklärung nicht ganz. Saitou schmunzelte humorlos. "Sie haben ihren Nutzen noch nicht verloren." Fasste er bündig zusammen. "Und die Menschen? Was ist mit den Armen, mit den Slums?!" Sanosuke ließ nicht locker, studierte das markante Profil eingehend. Der Ältere lachte trocken. "Oh, natürlich, die Ideale der Sekihoutai! Die Freiheit, das Ende der Klassen." Er wandte den Kopf, zog genießerisch an seiner Zigarette. "Das ist Unsinn. Die Menschen wollen keine Freiheit, sondern verlässliche Regeln. Was nützt einem Bauer die Freiheit?! Für ihn ist sein Feld wichtig, das Wetter, die Ernte." Ein spottendes Zwinkern, das Sanosuke die Wut in die attraktiven Züge trieb. "Was weißt DU schon über das Leben eines Bauern?! Immer nur schuften auf Feldern, die man niemals besitzen kann, drangsaliert und ausgepresst, leichte Beute für die Adligen!" Hielt er zornig dagegen. "So eine leichte Beute wie du?" Reizte Saitou boshaft, drückte seine Zigarette aus. Sanosuke fauchte guttural, unterließ jeden Angriff, da er seine Fäuste nicht einsetzen konnte, lediglich ein lächerliches Bild geboten hätte. "Iss endlich." Schnitt der frühere Shinsengumi seinen wütenden Protest ab, drückte ihm wie einem widerspenstigen Kleinkind den Löffel in die Linke. "Welche Rolle hast du mir zugedacht?!" Beharrte Sanosuke trotzig, umklammerte den Löffel. "Wir werden sehen." Gab Saitou sich mysteriös. "Selbst ein Trottel wie du wird einen Nutzen haben." Der Faustkämpfer balancierte den ersten Löffel zu seinen rissigen Lippen, kaute, schluckte gierig. "Und Kenshin?" Erkundigte er sich misstrauisch. Der Wolf lächelte. "Alles zu seiner Zeit." Bemerkte er gelassen. ~+~ Mit einem zufriedenen Grunzen lehnte sich Sanosuke gegen die Wand, blinzelte in den Schein der tranigen Funzel, schob die Schüssel einhändig zurück. Er musterte mit in den Nacken gelegten Kopf den früheren Shinsengumi, der aufrecht im Schatten lauerte. "Was ist mit Aoshi?" Erkundigte er sich leise. "Warum hast du mich gehen lassen?!" Der Wolf zog eine Augenbraue hoch. "Es war doch DEIN Entschluss. Erstaunlicherweise hast du ihn überzeugt, obwohl du noch immer deine linke Deckung vernachlässigst." Sanosuke lachte leise, schmerzlich auf. "Er hätte mich beinahe mit einem Stein erschlagen." Erinnerte er sich. "Er war fest davon überzeugt, dass du mich geschickt hast, damit wir uns erledigen und du dir Kenshin vornehmen könntest. Und dennoch..." Saitou zuckte die Achseln. "Der Ninja ist ehrenvoll gestorben. Nicht den Tod eines Verräters, wie es einem Verbündeten Shishios zugekommen wäre." "Er war kein Verräter!" Bäumte sich der Faustkämpfer wütend auf, stemmte sich in die Höhe, überwand langsam die Lähmung und Schwäche der vergangenen Stunden. "Wer sollte für ihn sprechen? Nicht, dass es noch eine Bedeutung hätte. Die Oniwa Banshu sind Vergangenheit." Bemerkte der Wolf von Mibu süffisant. Sanosuke, der direkt vor ihm stand, fauchte. "Es ist wichtig für die Menschen, die ihm nahe standen, die ihm gefolgt sind! Vielleicht ist es DIR gleich, welche Meinung man von dir hat, aber das gilt nicht für jeden!" Saitou begegnete seinem flammenden Blick mit den Bernsteinaugen, sichtlich amüsiert. "Wie stets begreifst du das Wesentliche nicht." Reizte er spöttelnd den jungen Mann, ließ den Blick betont gemächlich an der noch immer unbekleideten Gestalt hinabgleiten. Der Faustkämpfer widerstand der reflexartigen Versuchung zurückzuweichen, sich schamhaft zu bedecken. Er stierte aggressiv, die Arme vor der Brust verschränkt. "Zwei Tage Schlaf wirken wahre Wunder." Neckte der ältere Mann, um übergangslos ernst zu werden. "Im Morgengrauen wirst du samt dem rothaarigen Unruhestifter nach Tokio aufbrechen. Kein Wort zu deinen Gossenfreunden in den heimatlichen Slums über diese Geschichte." Sanosuke schnaubte höhnisch. "Vergiss es!" Der Schwertkämpfer grub blitzartig die kräftigen Finger in seine Kehle, eine einschüchternde Kopie eines Bisses. "Du willst doch nicht NOCH einen Freund umbringen, oder?" Spielte er kalt auf die Beziehung zu dem Journalisten Katsuhiro an, Sanosukes Gefährten aus der Sekihoutai. Sein Gegenüber spannte deutlich die Sehnen in seinem amiablen Gesicht an, zerbiss jeden Kommentar zischend. "Ich hasse dich, du Mistkerl!" Brachte er endlich verständlich über die Lippen. Saitou lächelte. "Ich hatte dich gewarnt, Trottel." Wisperte er freundlich. "Ja, richtig!" Sanosuke funkelte hitzig, ignorierte den festen Griff um seine Kehle. "Aber ich gebe nicht auf. Ich verliere nicht!" Beharrte er entschlossen. "Trottel." Erfüllte Saitou nachsichtig die Erwartung an seinen gewohnten Beitrag in einer solchen Konversation. Er löste seine Hand vom Hals des Jüngeren, lockerte seine Glieder. "Schlaf." Wies er auf den Futon hin, mit scharfem Blick, der Widerstand als unerfreuliche Entscheidung klassifizierte. Sanosuke verharrte ungerührt, noch immer die Arme gekreuzt, das spitze Kinn hochgereckt. "Ich denke nicht dran. Ich bin nicht müde. Wenn ich ohnehin auf Kenshin treffe, kann ich ja auch gleich schon losgehen." Die schmalen Augenbrauen über den Bernsteinaugen zogen sich zu einer dünnen Linie des Missfallens zusammen. "Du wirst nichts dergleichen tun, Dummkopf. Bis zum Morgengrauen herrscht weiterhin Ausgangssperre. Für Müdigkeit kann ich sorgen." Seine Linke umfasste demonstrativ den Griff seines Schwertes. Sanosuke grinste boshaft. "Ach ja, das ist Nummer 3, richtig? Eins für Kenshin, eins für mich." Spielte er auf die Zerstörung an, feixte provozierend. Der Wolf bleckte die Zähne auf. "Ich habe immer noch ein Schwert für dich, keine Sorge." Seine Anzüglichkeit färbte die Wangen des Jüngeren dunkel. Sanosuke zog den Kopf zwischen die angriffslustig ausgestellten Schultern, fauchte zornig, im vergeblichen Versuch, die Hände zu Fäusten zu ballen. "Wage es nicht, du Mistkerl!! Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich noch mal an mich ran lasse?!!" Sanosuke sprühte seinen Abscheu ungefiltert in das markante Gesicht des Älteren. Dessen dünne Lippen kräuselten sich zu einem mokanten Lächeln. Mit der katzenhaften Eleganz, die in ihrer bedrohlichen Kälte Unvermeidliches suggerierte, löste der sein Schwertgehänge, knöpfte seine Uniformjacke auf, ließ sie zum Schwert neben ihre Ruhestatt gleiten. Sanosuke blinzelte, atmete flacher, bereits mit dem Rücken zur Wand. »Das ist lächerlich!« Geisterte es schrill durch seinen Kopf. »Er ist unbewaffnet und mit einem Ausfallschritt...« Doch das verkannte die Situation: der Wolf bedurfte keiner Bewaffnung. Seine Präsenz invahierte den Raum vollständig, bezwingend und lockend zugleich. Ohne Hast streifte sich der ehemalige Shinsengumi das schwarze Leibhemd über den Kopf, justierte in geübter Geste den Sitz seiner Haare, blendete sein Raubtiergebiss auf. Er umklammerte Sanosukes linkes Handgelenk, die safrangelbe Kordel bedeckt, reduzierte den Abstand zwischen ihnen auf die Entfernung eines Wimpernschlags, funkelte in die großen, schokoladenbraunen Augen. "Ich hasse dich!" Bekräftigte der Faustkämpfer erneut hilflos. "Gut!" Raunte Saitou selbstzufrieden, überwand die Distanz, küsste den Jüngeren leidenschaftlich. ~+~ »Es sind die Haare.« Konstatierte Saitou, während er sich geschmeidig über Sanosuke bewegte, der mit geschlossenen Augen unter ihm in seiner unverwechselbaren Melodie aufreizende Laute sang, von seiner Lust und den rhythmischen Stößen des Partners absorbiert. »Dieser Geruch nach Wald, nach Regen...« Der Polizist tauchte tief hinab, sog das aufgeheizte Aroma auf, forcierte das Tempo mit gebleckten Zähnen. Die bandagierten Hände des Faustkämpfers irrten über seine Schultern, da sie sich nicht festkrallen konnten, wirkten so haltlos ausgeliefert wie der gesamte Leib des Jüngeren. Der Wolf lächelte zähnestarrend. »Und du wolltest dich mit mir messen, kleiner Streithahn? Lächerlich.« ~+~ Sanosuke fiel schwer auf den Futon. Seine Schultern schmerzten von der Anstrengung, sich eine angenehmere Lage zu verschaffen. Die Hände prickelten unter dem fruchtlosen Vermögen, sich in fremdes Fleisch graben zu wollen. »Scheißkerl!« Trieb es mutlos durch seine fiebrigen Gedanken, kommentierte resigniert die Selbstverständlichkeit, mit der Saitou sich löste, ihn wie Abfall auf die Seite schob. »Das bin ich für ihn. Das ist meine Rolle.« Sanosuke presste die Lippen aufeinander. »Er empfindet wirklich nichts. Das verstehe ich nicht!« Sein Herz krampfte sich zusammen, verspannte seinen Brustkorb. Der Druck anklagenden Schluchzens über diesen Verrat ließ ihn fast ersticken, wollte er sich keinesfalls die Blöße geben. »Wie konnte ich mich nur so täuschen? Wie konnte ich ihn jemals bewundern?!« Ein Arm schlang sich besitzergreifend um seine Taille. Sanosuke zog die Arme an die Brust, bereit, sie gegen die muskulöse Brust des Älteren zu schlagen, sollte der ihn tatsächlich wie eine Stoffpuppe in seine Arme ziehen wollen. "Ich habe dich gewarnt, dummer Junge." Saitou raunte leise, kehlig in die filzige Mähne. "Willkommen im Herzen der Finsternis." Ein Zittern durchlief Sanosuke. Seine Zähne bohrten sich blutig in die weiche Unterlippe, zusammengekrümmt auf Ellen und Knien. Er wandte den Kopf, blinzelte durch den trüben Schleier unterdrückter Tränen hinüber, wo sich der Polizist auf dem Rücken ausgestreckt hatte, die Arme im Nacken verschränkt, mit undechiffrierbarem Ausdruck in den vom Schattenspiel verborgenen Zügen. Sanosuke schnaubte geräuschvoll, kletterte auf allen Vieren über den Bettgenossen. Er ließ sich langsam, als handele es sich um nicht mehr als eine weitere Futon-Matratze, auf Saitou hinab, schmiegte die brennende Augenpartie in die Halsbeuge des Älteren, gab dem schmerzenden Druck nach. Die kraftvollen Arme lösten sich aus ihrer Ruhelage, schlangen sich um seine zuckenden Schultern, hielten ihn sicher. Der Wolf schloss die Bernsteinaugen, atmete tief den Geruch seines Gefährten ein, folgte der Schwärze kurzen Schlafs. ~+~ Kapitel 8 - Getrennte Wege "Es ist Zeit." Ein besockter Tritt gegen eine Hüfte weckte Sanosuke aus traumlosen Abgründen, denen er dankbar entfloh. Er setzte sich auf, pflückte die wirren Strähnen aus den Augen, arrangierte sie hinter der Bandana, blickte sich um. Saitou, in gewohnter Uniform, mit blitzsauberen Handschuhen und dem Schwertgehänge an seiner Seite, deckte zwei Schüsseln auf einem Tablett auf, transportierte es in seinem lautlos-geschmeidigen Gang zu Sanosukes Lager, stellte es ab. "Danke." Murmelte der Faustkämpfer, vernachlässigte seine übliche Frechheit und den Mangel an Manieren, der seinem Image die Bodenhaftung verlieh. Sein Magen proklamierte lautstark Appetit. Obgleich ihm die grobe Decke vom Leib glitt, verspürte er keine Kälte, während er eifrig Nudelsuppe und klebrigen Reis mit Eiern verschlang. Die Hitze des Wolfs brannte in seinem Inneren. Für einen Herzschlag fragte er sich in morgendlicher Gedankenfreiheit, wie er den Verlust derselben kompensieren wollte. Seine Augen suchten die des ehemaligen Shinsengumi, der mit stoischer Geduld seinem Nikotin schwangeren Laster frönte. Miteinem Blinzeln ermahnte sich der Faustkämpfer zur Selbstkontrolle. Erwartete er etwa bei diesem Mistkerl Anzeichen von Sympathie oder Bedauern?! »Lächerlich.« ~+~ Es klopfte vernehmlich an der Tür. Die vorangehenden Schritte hatten den Besuch bereits avisiert. Saitou glitt geschmeidig zum Eingang, entriegelte den Zugang. Das offenbarte dem staunenden Beobachter im Adamskostüm unmissverständlich, dass er keinen einzigen Augenblick tatsächlich eingekerkert worden war. Eine weitere Demonstration der boshaften Ironie des Schwertkämpfers. Der tauschte mit dem Unbekannten, dessen Gestalt Sanosuke nicht einmal erahnen konnte, das Geschirr gegen ein in gewachstes Papier eingeschlagenes Paket, das der Wolf öffnete, den Inhalt kräftig ausschlug. Sanosukes Kiefer sackte tief. "Meine Kleider?!" Platzte er verblüfft heraus, schraubte sich in die Höhe, streckte verlangend die bandagierten Hände aus. Allerdings konnte nur die Linke ungelenk den Stoff haschen. "Entfloht, gewaschen und geflickt." Triezte Saitou maliziös, amüsierte sich mit Sanosukes ungeschickten Versuchen des Ankleidens. Ohne Federlesens stieß er den jüngeren Mann kräftig gegen die Schultern, funkelte Eisstürme in die in Protest entflammenden schokoladenbraunen Augen, bevor er Sanosuke in geschäftsmäßiger Effizienz bekleidete. "Schuhe stehen draußen. Verschwinde." Beschied er knapp, befasste sich mit dem Futon, kehrte dem Faustkämpfer den Rücken zu. Sanosuke trat an die Tür, kämpfte mit der Verriegelung, die seiner Linken Schwierigkeiten bereitete. Er schob sie auf, starrte in den Regen hinaus, eine trübe Wand in erstickendem Gleichmut. Er drehte den Kopf, studierte die sehnige Gestalt in ihrer Uniform, die willensstark gebändigte Kraft, den unter der zivilen Oberfläche lauernden Wolf. Seine Augen trafen auf das glimmende Bernstein, als Saitou ihn ins Visier nahm. Sanosuke schritt ruhig auf den älteren Mann zu, ging auf die Zehenspitzen, um den minimalen Größenunterschied zu überwinden, lehnte sich vor, küsste den Reglosen sanft. "Ich gebe niemals auf." Wisperte er mit einem frechen Lächeln, das sein fahles Gesicht erleuchtete. Dann verschluckte ihn der Regen. ~+~ Irgendwo hinter dem feuchten Vorhang der Witterung musste die Sonne die Schatten der Dämmerung vertreiben. Allein, über Kioto hatten die Licht absorbierenden Wolken tief ihr Lager aufgeschlagen, beabsichtigten nicht, sich vertreiben zu lassen. Die verlassenen Straßen und Gassen, die so unverändert schienen, obwohl ein Staatsstreich verhindert worden war, standen knöcheltief in morastigem Schmutz, wenn sie nicht gepflastert waren. Die Kanäle rauschten an ihrer Aufnahmegrenze vorbei. Die weißen Kleider klebten an Sanosukes Haut. Das kümmerte ihn nicht, da er sich darauf beschränkte, die allgegenwärtige Kühle nicht in seine Knochen vordringen zu lassen. »Zeit, diesen Friedhof zu verlassen!« Knurrte er lautlos, um zusammenzuzucken. »Aoshi...« Tropfen aus seinen Wimpern blinzelnd ballte er die Linke marginal, beschleunigte seinen Schritt. ~+~ Obwohl sie auf ihren letzten Reisegefährten warten mussten, standen Kenshin, Kaoru und Yahiko bereits vor dem provisorisch gesicherten Tor zum Aoiya. Kaorus Haarschleife saß tief, entsprach ihrem schweren Gemüt. Selbst das Rot des Regenschirms konnte keine lebendige Farbe in ihr bleiches Gesicht zaubern. Yahiko an ihrer Seite, das Holzschwert umgeschnallt, befleißigte sich einer abweisend-entschlossenen Mimik, nicht bereit, dem Schicksal einen Fußbreit seines starken Willens kampflos zu opfern. Der rothaarige Schwertkämpfer wartete vor ihnen, bereits bis auf die Haut durchnässt, die Arme in den Ärmeln seines Gi geborgen. Unverändert ruhten seine Augen auf dem sternförmigen Platz, in den die Stichstraßen mündeten. Durch eine von ihnen würde eine vertraute Gestalt erscheinen, sich aus den dichten Regenschwaden schälen. Er vertraute dem Wort seines ehemaligen Erzfeindes. ~+~ Sanosuke rieb sich fluchend mit dem bandagierten Handrücken Tropfen aus den Augen, was sie durch den groben Stoff reizte. Er zwang sich, in gleichmäßigem Schritt auf das Tor des Aoiya zuzuhalten, die Schemen, die sich zu drei Personen formten, mit seinem ruhigen Lächeln zu begrüßen. "Sano!" Trompetete Yahiko lautstark, übertönte das gleichförmige Rauschen, winkte wild mit einer Hand, vernachlässigte seine Demonstration von stoischer Gelassenheit und Würde, da er von Erleichterung sichtbar durchdrungen war. Kaoru hob den Blick, senkte den Regenschirm ein wenig nach hinten, um ein aufmunterndes Zwinkern bemüht. Der Faustkämpfer grinste fahl, hielt vor Kenshin inne. Der musterte ihn eingehend. Seine Besorgnis schlang sich wie ein warmer Schleier um die großgewachsene Gestalt des Jüngeren. "Bist du wohlauf, mein Freund?" Erkundigte er sich mit der sanften, höflichen Stimme, die Sanosuke vermisst hatte, umfasste freundlich die Handgelenke des ehemaligen Sekihoutai. Sanosuke schluckte, nickte, um einer Antwort zu entgehen, die seine zugeschnürte Kehle verraten hätte. Kenshins Blick bestätigte ihm eine Befürchtung, die er erfolgreich verdrängt hatte: er wusste über Saitou Bescheid. In diesem Augenblick nonverbaler Spannung lösten sich die schweren Türflügel. Misao trat in Begleitung Okinas unter einem weißen Regenschirm hinaus. Ihre zerbrechlich-grazile Gestalt war ungewohnt in einen förmlichen Kimono mit den Farben der Trauer gehüllt, die Haare hochgesteckt, ihr Gesicht jedoch ungeschminkt. Der Faustkämpfer, der in einigen Schritten Entfernung erstarrte, presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, hielt dem inquisitorischen Blick aus den großen Augen stand. Gemessenen Schritts, durch die Getas und den Kimono gehindert, hielt Misao auf ihn zu. Sie verweilte direkt vor ihm, vom Regen, der sie in Sekundenschnelle durchnässte, unbeeindruckt. Sanosuke blinzelte Tropfen, räusperte sich, wisperte rau. "Verzeih mir, kleine Schwester." Misao musterte ihn reglos. Der Regen drückte die schweren Strähnen tief über die rote Bandana. Seine Schultern schmerzten unter der Last, die sie niederdrückten, dennoch wandte er keinen Wimpernschlag die Augen von dem ausdruckslosen Gesicht. Ein minimales Zucken kräuselte die farblosen Lippen, wurde energisch zurückgebissen. Misao blinzelte, ballte die Fäuste, zwang sich zur Beherrschung. Der Faustkämpfer, der sie um fast zwei Köpfe überragte, lächelte schmerzerfüllt beim Anblick ihres inneren Kampfes, tupfte ungelenk mit der Fingerspitze der linken Hand Tropfen von dem spitzen Mädchengesicht. "Du hast Aoshi zurückgebracht." Stellte Misao kehlig fest, die Stimme dünn unter der Belastung. Dieses Mal verlor sie die Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen, obwohl sie die Zähne förmlich in die Unterlippe spießte. "Verzeih mir." Wisperte Sanosuke unglücklich, bemerkte die kleinen Hände nicht, die an seinen Jackenaufschlägen rissen. "Sano!" Klagte ihr gequälter Schrei in den Regen. Sie presste das Gesicht an den feuchten Oberleib des Faustkämpfers, Halt suchend an seine Kleidung geklammert, während der junge Mann behutsam die Arme um den fragilen Leib legte, sie wiegte. Er legte den Kopf in den Nacken, mischte Salz unter die Tropfen. ~+~ Okina hielt gebührenden Abstand, bis es den Anschein hatte, dass die herzzerreißenden Schluchzer verebbten, trat an das ungleiche Paar heran, legte eine Decke um die zierlichen Schultern der Ninja. Seine Geste gemahnte den Aufbruch. Misao umklammerte Sanosukes Jackenschöße noch immer, verlangte ihm von Tränen blind das Versprechen ab, dass er sie besuchen, ihr schreiben würde. Der nickte stumm, starrte hilflos auf die kleinen Fäuste, die er sich nicht überwinden konnte, von seiner Jacke zu lösen. Kenshins warme Rechte legte sich auf ein verkrampftes Händchen. Seine Ausstrahlung fokussierte die großen Augen Misaos auf sich. "Fräulein Misao, verliert Euren Mut nicht, bis wir uns wiedersehen." Lächelte er sanftmütig. Zögerlich gab Misao Sanosuke frei, um ihn abschließend zu umarmen. "Ich habe dich sehr lieb, kleine Schwester." Raunte Sanosuke kaum hörbar in die ungewohnte Hochsteckfrisur, überraschte sich selbst, so freimütig zu sprechen, auch wenn nur zwei Menschen Zeugnis darüber ablegen konnten. Dieses Eingeständnis schien jedoch den nagenden Kummer zu lindern. Misao zog sich zurück, lächelte bemüht. "Passt auf euch auf!" Wisperte sie heiser, um sich in dem schützenden Arm Okinas zu flüchten, der vorsichtig den schmalen Rücken beklopfte. Er dirigierte seine zierliche Begleiterin in das Innere des Aoiya. Der rothaarige Schwertkämpfer schritt voran, führte seine Freunde auf abgelegenen Wegen zurück nach Tokio. ~+~ Die Dunkelheit bot Trost. Vage Schemen drängten sich in ihre uniforme Schwärze, vagabundierten umher, bevor sie wieder verschwanden. Sich köstliche Ruhe ausbreitete. ~+~ Der athletische Mann studierte seinen Gast eingehend, kaute ungeniert auf einer Wurzel, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus seinem Gesicht ragte. Mit einem selbstzufriedenen Grinsen knackte er seine Mahlzeit, saugte genießerisch malmend den Inhalt ein, um mit einem beiläufigen Tätscheln die ausgestreckte Gestalt zu verlassen. Über der Ebene hing noch immer das Wolkenband. ~+~ Unvermeidlicherweise verlor die Finsternis ihren lieblichen Charakter, drohte mit Orientierungslosigkeit. Die hatte ihren Schrecken darin, dass sie den Drang nach dem Wissen um die Dimensionen forcierte. Ein Universum ausbreitete, das enervierende Botschaften versandte, unermüdlich, um Aufmerksamkeit heischend. Quälend. ~+~ Er zog an der filigranen Pfeife mit ihrem langen Steg, kratzte sich in der hüftlangen Mähne an seinem Hinterkopf, tippte mit einer Fußspitze den unruhig dösenden Gast an, der seit fast drei Tagen auf seinem Futon lagerte. Mit einem verärgerten Schnauben erhob er sich, tastete Stoffbänder ab, die über zwei dünnen Holmen knapp unter dem niedrigen Dach einer Hütte hingen, prüfte den Grad ihrer Trockenheit. Er wechselte zu einer Feuerstelle hinüber, beugte sich über einen großen Topf, um aus ihm weitere Textilbänder zu fischen, mit spritzendem Schwung den Holmen anzuvertrauen. Nach einen weiteren tiefen Zug seiner Pfeife zog er kritisch eine Augenbraue hoch, angelte die abandonnierte Decke von den schlanken Beinen des Ausgestreckten, der sich durch einen wachsenden, unbewussten Bewegungsdrang auszeichnete, wickelte sie energisch unter die fiebrigen Achseln, stopfte sie fest. Er erwog, die nackte Gestalt zu fixieren, um einen Schaden zu verhindern, klopfte achtlos die Pfeife aus, vertraute sie einem Ohr an, auf dem sie wagemutig in seiner rabenschwarzen Mähne thronte, während er sich einen die Geister belebenden Schluck Sake gönnte. Geister fanden sich hier in ausreichender Zahl. ~+~ Obwohl die Dunkelheit anhielt, meldeten assoziierte Gebiete, die er als in seiner Beeinflussungssphäre klassifizierte, Kontakte unterschiedlichster Natur, forderten ihm Entscheidungen ab, agierten in Reflex. Mit jeder verstreichenden Ewigkeit kondensierte Bewusstsein in seinem Refugium. Es verkündete die Vertreibung aus dem Paradies. ~+~ Melodiös vor sich hin pfeifend schleuderte der von Muskeln modellierte Mann Matratze, Decken und Kissen aus, drapierte sie auf ein Gestell, das er mit Stolz als Unikat betrachten konnte. Von straff gespannten Netzen aufgefangen lagerte die Ausbeute auf zwei biegsamen Bambus-Stangen, die ihrerseits auf gekreuzten ruhte, gewöhnlicherweise zum Trocknen von Gewächsen aller Art oder aber Fisch benutzt wurde. Vergnügt und hochgestimmt betrat der Hüne seine Behausung, warf einen prüfenden Blick auf den Gast, der auf den bloßen Tatami des Plateaus ruhte, abgesehen von einem gewaltigen Stützverband nackt. Die Porzellan-weiße Haut benetzte eine dunstige Schicht kondensierten Schweißes. Die Glieder zuckten unwillkürlich, als trieben Albtraumschatten ein grausames Spiel mit dem schlanken Mann. Sein Gastgeber zog die Stirn in krause Falten, ging neben der Gestalt in die Hocke, ließ eine Hand flach auf dem vernarbten Brustkorb ruhen, lauschte konzentriert. Er erhob sich ansatzlos, um einem Regal einen Tiegel zu entnehmen, in ihm eine pulvrige Substanz mit Wasser zu mischen, das er einem gusseisernen Kessel entlockte. Unter den malmenden Bewegungen des Stößels vereinigten sich die unterschiedlichen Ingredienzien, konnten dem Schlafenden geduldig auf die rissigen Lippen appliziert werden. Von einer fiebrig geschwollenen Zunge gierig aufgesammelt sorgte die Medizin für betäubende Ruhe. Zufriedengestellt bedeckte der athletische Mann seinen Patienten mit einem verschlissenen Kimono, warf einen kontrollierenden Blick in die Runde, bevor er die Tür hinter sich schloss. Er machte sich in der Morgenröte auf, mit einer vollgeladenen Kiepe und geschärften Sinnen in die Ebene hinabzusteigen. ~+~ Geräusche. Weniger das dumpfe Pochen verschiedener Schmerzrezeptoren beanspruchten seine Aufmerksamkeit als das wechselnde Spektrum diverser Töne: Wasserdampf entwich einer Tülle, Keramikschalen wurden ineinander gestapelt, Stoff flog energisch durch die Luft, schnitt sie, eine Brise bewegte ein Windspiel, hauchdünne Muschelschalen stießen aneinander, Vogelrufe, vereinzelte Insekten, Grillen und Bienen. Ein samtiger Bass intonierte eine beschwingte Melodie. Ein Trinklied mit derartig zotigem Inhalt, dass sein Gast unruhig den Kopf drehte, als könne er nicht glauben, was seine Ohren registrierten. Er zwang unter großer Anstrengung die bleischweren Lider flatternd von den Augen, bemühte sich blinzelnd, den vagen Schemen vor seinem Fokus schärfend Umrisse zu verleihen. Bald trennte sich Schatten von Licht. Er erkannte neben sich ein Fenster, die beiden Flügel mit hauchzarten Papierfahnen bestückt, auf separaten Schienen getrennt der schwere Laden. Lediglich ein Ausschnitt der Flora war im Rechteck zu sehen, der Fensterladen selbst mit einem kräftigen Stab nach oben ausgestellt. Direkt über ihm drehte sich das Windspiel in der leichten Brise unter einer niedrigen Decke. Den Kopf behutsam nach der Geräuschquelle wendend, die alle Aufmerksamkeit auf sich zentrierte, kam zunächst ein weiteres Fenster in seinen Blick. Vor ihm ein offenes Regal mit allerlei Töpfen, Schüsseln, Tiegeln und kleinen Krügen, während auf der Arbeitsfläche ein Mann hantierte. Hüftlanges, rabenschwarzes Haar in einen nachlässigen Bund gezwirbelt, die sanft gebräunte Haut lediglich in Kniehosen und ein ärmelloses Hemd gehüllt, einfache Strohsandalen unter den Füßen. Man hätte an einen Handwerker oder Bauern denken mögen, der Deskription geschuldet. DIESER geschäftige Mann bot keinerlei weitere Parallelen. Seine Gestalt war von den Waden beginnend auf verführende Weise widersprüchlich. Da zeichneten sich Muskelstränge ab, die von Training und großer Kraft kündeten. Ihr geschmeidiges Bewegungsmuster, die Grazie und Anmut verlieh ihnen einen nahezu weiblichen Air. Mit reinigenden Wimpernschlägen wurde auch der Rest der Hütte inspiziert: die kleine Feuerstelle mit Kamin, weitere Regale, Kisten und Vorratskrüge. Von dem emsigen Umherwandern zu schließen entlud der Mann eine gewaltige Kiepe, verstaute Vorräte, bereitete zeitgleich eine aromatische Speise zu, deren schwerer Duft sich über seinen staunenden Gast legte. "Ah!" Hände klatschten auf Oberschenkel. "Du bist wach. Gerade rechtzeitig." Ungeachtet des Körpergewichtes näherte sich der athletische Mann in elegantem, lautlosen Schritt, ging in die Hocke. Er umfasste mit beschämender Leichtigkeit die ausgestreckte Gestalt, um sie, geschickt ein Kissen zur Polsterung einschiebend, an der Rückwand der Hütte aufzusetzen. "Niitsu Kakunoshin ist der Name, Töpferei die Meisterschaft, und dies ist kein Traum!" Zwinkerten durchdringende, schwarze Augen. Kakunoshin entfernte sich, löffelte in eine einfache Keramikschale aus einem gusseisernen Topf. Sein Gast schloss die Augen, ließ das ihm unbekannte Gesicht Revue passieren: kantige Züge, in ihrer Gesamtheit zu einem attraktiven Ebenmaß verbunden, über dem energischen Kinn weiche, volle Lippen, eine gerade Nase, die schwarzen Raubvogelaugen nur unwesentlich von winzigen Fältchen umringt. Als er die Lider wieder öffnete, explodierte dessen Aura förmlich in sein Bewusstsein. Ein so machtvolles Ki, ein Maß an Lebensenergie, dass es ihm den Atem raubte! Als sähe man direkt in den Kern der Sonne hinein, gleißend, über strahlendes Weiß hinausreichend. "Langsam löffeln." Der samtige Bass beförderte ihn in die Gegenwart zurück. Man reichte Stäbchen und Schüssel, in der sich ein Eintopf schwappend näherte. Der Töpfer erhob sich erneut, ein unruhiger Geist, wie es den Anschein hatte, fingerte aus einem Behälter eine polierte Wurzel, nagte an ihr. Nuschelnd, wenig verständlich hielt er die einseitige Unterhaltung aufrecht. "Tja, aber wie soll ich dich nennen, hm? Wie wär's mit..." Demonstrative Falten kräuselten die Stirn unterhalb des schweren Ponys. Es funkelte es triumphierend. "Ich hab's! Ryuu! Genau, mein kleiner Drache, das ist gut." Sich heranschleichend wie eine Raubkatze nahm er neben seinem perplexen Patienten Platz, den Kopf gesenkt, um hinter dessen filzigen Strähnen die Augen zu fixieren. "Ja, genau. Wie das kaiserliche Siegel aus dem seltenen, blauen Jade. Man sagt, es sei aus den eisigen Kälten des hohen Nordens geschwemmt worden." Der solchermaßen frisch Betitelte rieb sich mit dem Handrücken über die Augen, blickte auf den Eintopf, der unberührt auf seinem Schoß harrte, prüfte die Stichhaltigkeit jedes Eindrucks, der seit seinem Erwachen entstanden war. Und fand kein stimmiges Gesamtbild. "Ihr seid weder ein Töpfer, noch bin ich ohne Namen." Begann er krächzend, die Stimme heiser vom Mangel des Gebrauchs, als die schlanken, kräftigen Finger in seinen wirren Schopf fuhren, aufgefächert Halt fanden, ihn betont in den Nacken schoben. Ein habichtartiges Lächeln enthüllte ein prachtvolles Gebiss. Die schwarzen Augen funkelten unheilvoll. "Merk dir eins, mein kleiner Drache!" Schmeichelte der Bass täuschend samtpfotig. "Ab heute WIRST du Ryuu sein." Er ließ die Hand aus den Strähnen über eine Wange gleiten, unbeirrt von der maskenhaften Erstarrung seines Gegenüber. "Der Ninja der Oniwa Banshu, letzter Hauptmann, Shinomori Aoshi, starb vor vier Tagen." ~+~ Aoshi starrte ungläubig, verfolgte die selbstgewisse Frechheit, mit der Kakunoshin sich ein Stück Hühnchen aus der Schüssel stahl, verzehrte. Seine Seitenblicke waren nicht zu missdeuten: dieser Mann barst schier vor Überzeugung und Selbstsicherheit. "Wo bin ich hier, Meister Kakunoshin?" Zwang er die Silben über seine Lippen, unterdrückte das Verlangen zu ergründen, welcher Natur die Verletzungen waren, die der Stützverband seinem Zugriff entzog. Nach seiner eigenen, bescheidenen Chronik musste er vor dem Aoiya in den Armen des ungestümen Faustkämpfers Sanosuke Sagara verblutet sein. Die Kugel aus dem Gewehr hatte ihn förmlich nach vorne katapultiert, ein viel stärkeres Kaliber als die Streifschüsse der Gatling-Kanone, die seine ersten Wunden im Bereich Feuerwaffen darstellten. Ungeduldiges Schnauben, das nachlässig-aufreizende Wegstreichen von dicken Strähnen, die auf den breiten Schultern ruhten. "Du bist bei mir, selbstverständlich! In angenehmer Abgeschiedenheit vom Rest der so genannten Menschheit." Ein Finger tippte belehrend auf Aoshis Nasenspitze. "Im Übrigen bin ich nicht irgendein Töpfer, sondern ein wahrer Meister, Ryuu!" Setzte der athletische Mann boshaft seiner Ansprache die Krone auf. "Wie bin ich hierher gekommen?" Aoshi wollte sich nicht einschüchtern lassen, von einer ungewohnten Verärgerung ergriffen. "Ich müsste tot sein." "Willst du dich etwa beklagen?!" Schoss sein Gastgeber zurück, zupfte indigniert Aoshis Decke zurecht. "Das ist mal wieder typisch! Da wird man mitten in der Nacht aus dem wohlverdienten Schlaf des Genies gerissen, der Boden voll geblutet, man verbringt mehrere Stunden in Kunsthandwerk, um groben Undank zu ernten!" Ungeduldige Finger entzogen Aoshis unwilligen Händen die Stäbchen, fischten größere Brocken aus der Brühe, pusteten darüber, um sie an Aoshis Lippen zu setzen, mit der beiläufigen Geistesabwesenheit einer geplagten Mutter. "Hast du irgendeine Vorstellung, was für eine Sauerei das war? Ich musste dreimal die Bohlen schrubben! Auf den Knien herumkriechen! Danach mussten die Verbände ausgekocht werden!" Minutiös wurde an den Fingern aufgezählt, die Essstäbchen achtlos hinter ein Ohr in die Mähne geschoben. "Ich musste Medizin anrühren, dich füttern, saubermachen, trockenlegen, ständig den Futon wechseln und auslüften, Wäsche machen! Ich hasse so was!" Die Augen grollten flammend. "Meine Künstlerseele wurde zum Sklave der Niederungen menschlicher Gewöhnlichkeit!" Aoshi blinzelte, schluckte automatisch, nicht mehr fähig, dieser Fütterung a la Vogelmutter Einhalt zu gebieten. "Ich danke Euch für Eure Mühe." Nutzte er steif eine Pause. "Obwohl ich nicht beabsichtigt hatte, Euch mit derlei Ungemach zu belasten." Kakunoshin zog die Nase kraus, grinste spöttisch. "So ein Pech aber auch!" Bemerkte er vorgeblich jovial. "Wer es findet, dem gehört's. Da ich dein Leben gerettet habe, kleiner Drache, verfüge ich auch uneingeschränkt darüber." Die Augenbrauen des Ninja zogen sich missbilligend zusammen. Eine Offenbarung seiner Emotionen, die ihn selbst erstaunte. Weniger jedoch seinen Gastgeber, der sich nachlässig über eine Wade fuhr. "Oh, keine Sorge, ich werde dir großzügigerweise Aufschub erteilen, bis deine Wunde nicht mehr aufbrechen kann." Eine Hand klatschte auf Aoshis Oberschenkel. Ihr Besitzer schraubte sich schwungvoll in die Höhe. "So lange hebe ich dir auch die Schmutzwäsche auf." Aoshi blinzelte mehrfach, doch er wollte einfach nicht aus diesem seltsamen Fiebertraum erwachen. ~+~ Ohne eine Erklärung verließ sein seltsamer und ungebetener Retter die Hütte, schloss die Tür schwungvoll hinter sich, entfernte sich. Aoshi blieb in den wirbelnden Turbulenzen seiner Gedanken zurück, schob die Schüssel behutsam von sich, verdrängte einen Anflug fiebriger Erschöpfung. »Beruhige dich.« Ermahnte er sich selbst, atmete tief und langsam, reduzierte seine Präsenz auf ein vages Funkeln in der Wahrnehmung. Im starken Kontrast zu seinem Gastgeber, der über einschüchternde Qualitäten in dieser Hinsicht verfügte. Wenn er den Worten dieses Mannes Glauben schenken konnte, so war er vom Aoiya an diesen Ort transportiert worden. In der Absicht, sein Leben zu retten. Konnte ein Töpfer, Meister oder nicht, über derlei Geschick und Erfahrung in der Behandlung von Schusswunden verfügen? Hatte er keine Vorbehalte, stand doch zu vermuten, dass sein ungeladener Patient potentiell an einem Verbrechen beteiligt war, jede Assistenz eine strafrechtliche Verfolgung nach sich zog? »Es sei denn...« Der Ninja strich vorsichtig unterhalb der Decke über den steifen Stützverband. Mehrere, straff gespannte Lagen festen Leinens, die vom untersten Rippenbogen bis zu den Beckenknochen seinen Leib bedeckten. Eine weitere, gekreuzte Version schützte seinen linken Oberschenkel. Sanosuke konnte unmöglich verantwortlich sein. Nach Aoshis bescheidener Kalkulation befand er sich unweit von Kioto. Zumindest verbat der hohe Blutzoll, den er entrichtet hatte, größere Entfernungen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der junge Faustkämpfer unter Schock und angesichts des eigenen Zustands diese Aufgabe bewältigt hatte. Warum hatte man ihn nicht im Aoiya behandelt? Aoshi wischte sich mit dem Handrücken über die klamme Stirn, las Feuchtigkeit auf. Vielleicht hatten sie ihn für tot gehalten. Oder man hatte ihnen den Zugang verweigert. Doch irgendjemand war wagemutig genug gewesen, den Verräter und Abtrünnigen unter den Augen der Polizei... In den eisblauen Augen blitzte Erkenntnis. »Saitou!« Er hatte den Anführer der Shinsengumi nur vage, schemenhaft, wahrnehmen können, bevor er zusammengebrochen war. Seine trainierte Auffassungsgabe konnte Momentaufnahmen speichern wie ein detailliertes Gemälde. Der Wolf von Mibu hätte ihn niemals entfliehen lassen. Ihm den eigenen Tod vorzutäuschen, konnte man getrost als chancenlos charakterisieren. War er im Umkehrschluss mit Saitous Billigung gerettet worden? Warum? Durch wen? Sich die Nasenwurzel reibend, um den flirrenden Punkten vor den Augen Einhalt zu gebieten, suchte der Ninja, seine innere Mitte wiederzufinden, um den beschleunigten Pulsschlag zu reduzieren. Der Battousai. Wenn es einen Mann gab, der dem Wolf von Mibu Konzessionen abringen konnte, und das in seiner Position als berühmter Patriot... Wollte er Sanosukes Ausführungen zugrunde legen, war es Kenshin, der ihn gerettet hatte. Dass der lebte, sich im Aoiya aufhielt und der ehemalige Shinsengumi noch keine Anstalten getroffen hatte, den Erzfeind zu vernichten, irritierte Aoshi nur marginal. Der Wolf von Mibu war ein geduldiger Jäger. Also hatte der rothaarige Schwertkämpfer erkannt, dass es noch eine veritable Möglichkeit gab, ihn vor dem Tode zu bewahren. An wen mochte er sich als vertrauenswürdig und in Kioto ansässig gewandt haben?! Seinen Meister. Den dreizehnten Meister der Hiten-Mitsurugi-Schwertkampftechnik. Aoshi unterdrückte ein tadelndes Knurren über die mangelnde Geschwindigkeit seiner Gedanken, rieb sich mit kalten Handballen beide Schläfen. Er wusste, dass er Schüttelfrost zu erwarten hatte. Die Symptome waren ihm leidlich vertraut. Er gestattete sich keinesfalls, dieser Schwäche Vorschub zu leisten. Hatte sich nicht Okina für den Battousai in Kioto nach zwei Männern erkundigt? Der eine war der bekannte Schwertschmied, so viel war dem Hauptmann der Oniwa Banshu nicht entgangen. Und der andere...? Eine Tarnexistenz, die einen Namen verbarg, der ebenfalls nicht mehr als ein Titel war. Seijurou Hiko. In den Monaten, in denen er nach dem Tod seiner Gefährten in den verfluchten Wäldern hauste, hatte er jedes ihm jemals zur Kenntnis gebrachte Detail aus der Biographie des Battousai in Gedanken katalogisiert. Nicht umsonst war er der beste der Ninja der Oniwa Banshu gewesen. Sein Gedächtnis arbeitete präzise wie ein Uhrwerk, vergaß nicht das winzigste Partikelchen. »Ich war besessen.« Er schloss die Augen, wappnete sich gegen die Mattigkeit und verführerische Dunkelheit, die ihn lockte, sich ihr hinzugeben. Warum noch kämpfen? Wozu der Widerstand? Ja, zu welchem Zweck...? Hätte er es vermocht, so hätten sich seine Mundwinkel in bitterer Ironie gekräuselt, ein galliges Lächeln geformt. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich ging, um zu sterben, doch will es mir einfach nicht gelingen.« ~+~ Hiko betrat lautlos seine Unterkunft, lauschte auf die flachen, hastigen Atemzüge des Ninja, der an der Wand herab auf eine Seite gesunken war, nahezu entblößt, die Porzellan-weiße, von Narben versehrte Haut mit einer schimmernden Schicht Schweiß benetzt. Wie in den letzten Tagen und Nächten praktiziert sammelte er einen Lappen auf, ging neben seinem unfreiwilligen Gast in die Hocke, betupfte den fröstelnden Körper. Er hob sorgsam Gliedmaße für Gliedmaße an, um keinen Flecken zu übersehen, wickelte abschließend die Decke um die abgemagerte Gestalt, erhob sich geschmeidig. Es würde eine Herausforderung werden, so viel war gewiss. ~+~ Als Aoshi vom lautstarken Hantieren aus schweren, körperlosen Träumen geweckt seine Umgebung sondierte, stellte er anhand der Sonneneinstrahlung vor dem Fenster fest, dass er einen weiteren Tag verloren haben musste. Die Geräuschquelle, niemand anders als der Schwertkampfmeister, tänzelte zwischen Herdstelle und Regalen umher, anmutig und viril. "Na, Ryuu, endlich wach?" Begrüßte er Aoshi mit einem boshaften Zwinkern, rührte gleichzeitig in einem Topf, band mit der anderen Hand seine Haare zusammen. In ihrem offenen Zustand reichten sie bis an die Hüften hinab. Für einen Mann in den modernen Zeiten des Meiji eher ungewöhnlich, befand der Ninja. Nachdem es ihm gelungen war, sich mit bedauernswert zitternden Armen in eine aufrechte Position zu begeben, erwog er das weitere Vorgehen. Er wusste nur wenig über den dreizehnten Meister der Hiten-Mitsurugi-Schwertkampfschule. Eines jedoch konnte man mit dem Töpfer Niitsu Kakunoshin als gemeinsames Charakteristikum nicht übersehen: einen enervierenden Hang zur Exzentrik. Allein die Aufmachung an diesem Morgen, ein offener Yukata über einem denkbar knappen Suspensorium, sprach Bände. "Euer Schüler Kenshin Himura hat mich hierher gebracht, nicht wahr, Meister Hiko?" Brachte er krächzend die Summe seiner Rückschlüsse zu Gehör. Wenn er seinen Gastgeber überrascht hatte, was Aoshi insgeheim bezweifelte, da er in den schwarzen Raubvogelaugen eine beunruhigende Kenntnis gelesen hatte, deren Ausmaß es noch behutsam auszuloten galt, so zeigte Hiko keinerlei Erstaunen. Vielmehr dozierende Überheblichkeit. "Mein EX-Schüler!" Korrigierte Hiko postwendend, füllte eine verdickte Suppenmasse in Schüsseln. "Außerdem war der dumme Feuerkopf nicht allein. Nein, er musste auch noch einen Polizisten anschleppen!" Eine Schüssel samt Holzlöffel nahm auf Aoshis Schoß Platz, während sich der athletische Mann lässig neben den Ninja auf den Futon sinken ließ, den Rücken an die Wand lehnte, genießerisch das würzige Aroma seiner Kreation einsog. "Der Kerl hatte wirklich eine fiese Visage!" Ein vorwurfsvoller Blick streifte Aoshi. "Dem würde ich nie den Rücken zukehren! Eine hinterhältige Type!" Der Ninja blinzelte. Nach seinem Eindruck konnten sich beide Männer durchaus das Wasser reichen. Vermutlich mit interessanten Giften versetzt. Er starrte auf das Gemisch, das sein Sitznachbar mit Begeisterung verzehrte. Warum die Mühe? Warum den Löffel anheben und eintunken? Warum kauen und schlucken? Seine Lider sanken selbsttätig herab. »Welchen Antrieb sollte ich noch haben?« "Los, sonst wird es kalt!" Ein Rippenstoß eskortierte die Aufforderung. "Außerdem kannst du schon mal mit der Wäsche anfangen! Das klappt ja schließlich auch im Sitzen." Hiko vertilgte die letzten Reste seiner Mahlzeit, erhob sich schwungvoll, ließ das Geschirr demonstrativ neben der Herdstelle sinken, spazierte mit einem anzüglichen Grinsen hinaus. Aoshi schlug die Lider auf, beäugte die Hinterlassenschaften, die seiner Obhut anvertraut worden waren. Er fühlte nicht das mindeste Begreifen für die Notwendigkeit ihrer Erledigung, ebenso wenig, wie er das Verlangen nach Nahrung verspürt hatte. Ein Teil seiner Selbst protestierte gegen diesen abgründigen Nihilismus der eigenen Existenz, verlor diesen futilen Kampf jedoch. Seine vor Schwäche zitternden Hände betrachtend formte sich ein eiserner Entschluss. »Es ist genug.« Mühsam die Decke abgestreift, die ihm hinderlich sein konnte, vergeudete er seine wenigen Kräfte nicht darauf, sich an der Wand hochzuziehen, sondern kroch auf allen Vieren, schwankend und unbeholfen, auf Hikos Kochnische zu. Ein großes, gepflegtes Messer lag in seiner Reichweite, wenn er sich auf die Knie stemmte. ~+~ Der Schwertkampfmeister band seine langen Haare auf den Rücken. Er wischte über die Regale, die seine Kunstwerke enthielten, studierte sie konzentriert. In ihrer Betrachtung konnte er die notwendige Ruhe finden, sich erneut an das Töpferrad zu setzen, seine Seele in jedes einzelne Stück zu legen. ~+~ Seine Handfläche war so feucht, dass Aoshi große Schwierigkeiten hatte, das Heft in festem Griff zu halten. Einer Ohnmacht nahe sackte er auf den Boden, drehte sich keuchend auf den Rücken, stellte das Messer auf seiner Brust auf, ohne es loszulassen. Mit geschlossenen Augen strengte er sich an, sein linkes Handgelenk zu visualisieren, es mit letzter Willenskraft anzuheben, über die Klinge sinken zu lassen. Sofort glitt flüssige Hitze auf seine nackte Brust. Beide Hände rutschten von seinem Körper. Es wurde dunkel. ~+~ Hiko zog die Augenbrauen zusammen, von einer Störung seiner Konzentration verärgert. Welche Ursache...? Mit einem unterdrückten Knurren stürmte er, den langen Zopf und die offene Yukata wie einen Schweif hinter sich her schwingend, aus seiner Werkstatt. Er stieß die Tür zu seiner Unterkunft auf, fand Aoshi in einer sich rasch ausbreitenden Blutlache vor. Eine berückend-entsetzliche Komposition aus Porzellan-weiß, Burgunderrot und Blauschwarz. Ohne Zeitverzug fischte Hiko einige Leinenstreifen, die noch immer zum Trocknen über der Herdstelle hingen, kniete sich neben den jungen Mann, band dessen linken Oberarm ab, bevor er das Handgelenk versorgte. Blutverschmiert überdachte er seine nächsten Schritte. Er erhob sich, breitete die ohnehin besudelte Yukata als marginalen Schutz vor dem Auskühlen über dem Ohnmächtigen aus, bevor er in den Regalen Diverses zusammensuchte, einen Sud ansetzte. Um die verstreichende Zeit zu nutzen, reinigte er sich selbst und Aoshi sorgsam, wischte stumm den Boden auf, deponierte die vollgesogenen Tücher und Lappen in einem Eimer. Danach bettete er den Ninja auf seinen Schoß, platzierte dessen Kopf auf seine Schulter, um sehr geduldig, sei es Tropfen für Tropfen, seinen Kräutersud über die rissigen Lippen des Jüngeren rinnen zu lassen, manuell den Schluckreiz zu initiieren. Hiko hob Aoshi auf die Arme, durchquerte den Raum, legte ihn auf den zerwühlten Futon, schob sich daneben, schloss die reglose Gestalt in seine Arme. »Du unterschätzt mich, kleiner Drache.« ~+~ Ein Erwachen, das Aoshi nicht erwartet hatte, wurde ihm dieses Mal sehr viel grober zugedacht. Ein feuchter Lappen fuhr über sein Gesicht, mit der energischen Qualität einer Hygiene bewussten Mutter. Schwarze Raubvogelaugen funkelten in offenkundigem Missvergnügen. Der Ninja blinzelte, klärte seine Sicht, bemerkte eine weitere Veränderung seiner Lage: seine Handgelenke, abgesehen von dem Wundverband, waren mit einem dünnen Strick aneinander gefesselt. Hiko kniete neben ihm, den Kopf schief gelegt, um Aoshis Position zu kopieren. "Ich bin verärgert. Nicht nur, dass du mich WIEDER von meiner Arbeit ferngehalten hast und ich ERNEUT aufwischen musste, nein, du beleidigst mich, zweifelst meine Entschlossenheit an!" Kräftige Hände umfassten Aoshis Oberarme, setzten ihn schwungvoll aufrecht. "Ich habe ein zweites Mal dein Leben gerettet. Das berechtigt mich jetzt wirklich ohne jeden vernünftigen Zweifel, es zu bestimmen. Was ich ab sofort tun werde." Hiko wischte sich mit dem gleichen Schwung den schweren Zopf auf den Rücken, wechselte zur Herdstelle hinüber, um dort etwas Widerspenstiges vom gusseisernen Topf in eine Schüssel zu befördern. Sein Enthusiasmus in Kombination mit einem unnachahmlichen Dreh aus dem Handgelenk trug den Sieg davon. Ein hölzerner Löffel stak in der frisch umgebetteten Masse. Der Schwertkampfmeister kehrte zu Aoshi zurück, der mit statuesker Miene das Schauspiel verfolgt hatte. Sein Gastgeber richtete sich mit untergeschlagenen Beinen häuslich ein, setzte die Schüssel neben sich ab, um mit dem freien Arm den Ninja wie eine Stoffpuppe heranzuziehen, sich dessen verbundene Arme um den Nacken zu schlingen. Bevor Aoshi erwägen konnte, Protest für lohnenswert zu erachten, saß er auf Hikos Schoß, von einem gräulichen Brei bedroht, der seine Lippen belagerte. Er wandte den Kopf ab. Seine filzigen Strähnen wischten durch das Gesicht des Älteren, der sie mit nachsichtiger Nonchalance beiseite strich, eine Hand um Aoshis Hals legte, mit Nachdruck dessen Kopf in den Nacken dirigierte, auf seine Schulter lagerte. "Du kannst dich bockig wie ein Kleinkind aufführen, kleiner Drache." Bemerkte Hiko beiläufig, während er das Frühstück selbst verkostete. "Das ändert nichts." Mit einer weiteren Landung bestrich er die zusammengepressten Lippen mokierend. "Es schmeckt übrigens besser, wenn man es warm isst. Mach mich nicht verantwortlich, wenn es dir den Mund versiegelt." Die schwarzen Raubvogelaugen blitzten amüsiert über das abweisende Eis in den verborgenen Augen. Den Löffel ungeniert abgeleckt fuhr der Schwertkampfmeister fort. "Du wirst essen. Du wirst dich bewegen. Du wirst mir zur Hand gehen." Aoshi blieb stumm, leistete weniger Gegenwehr, denn abweisende Distanz. Hiko lächelte, bleckte die Zähne bar jeden Humors, wisperte vertraulich in Aoshis Ohr. "Dieser kleine Trick, Ryuu, der wird dir nichts mehr nützen." Die Augen schließend bemühte sich der Ninja um Abstand. Sollte es ihm physisch nicht gelingen, konnte er sich in sein Innerstes zurückziehen, in die abgeschiedene Dunkelheit seiner Seele, unberührt von der Welt. Sobald er sich konzentrierte, seine Gedanken auf die Abgeschiedenheit fokussierte, begann eine fremde Flamme in seinem Inneren zu leuchten. Gleißend hell, als brenne eine Sonne in ihm. Keuchend riss er die Augen auf. Selbst das Tageslicht konnte mit dem Signalfeuer in seiner Seele nicht mithalten! Mit maliziösem Seitenblick registrierte Hiko Aoshis Verwirrung, die sich in Unruhe steigerte, bis der Ninja endlich den Kopf herumwand, seinen Peiniger anstarrte. Der Schwertkampfmeister schmunzelte selbstzufrieden, belud den Löffel erneut, wartete vor den bebenden Lippen. "Das ist nur eine Kostprobe." Raunte er samtig, lupfte die Augenbrauen spöttisch. "Vielleicht bevorzugst du eine stärkere Dosis?" Aoshi schloss die Augen, zuckte unter dem grellweißen Schein in seinem Inneren zusammen, spürte Tränen, als habe er tatsächlich mitten in die Sonne gesehen. »Das kann nicht wahr sein!« Nicht diese unerträgliche Nähe des anderen Mannes, den peinigenden Verlust seines letzten Refugiums, die völlige Auslieferung und Unterwerfung! Ein anderer Mann wäre vermutlich in Raserei verfallen, um sich dieser Qual zu entledigen. Der Ninja verharrte passiv, reglos, senkte den Kopf, gestand eine Niederlage ein, die nicht zu verbergen war. Wie auch immer es dem Schwertkampfmeister gelungen war: er hatte die Grenzen überwunden. Sein gewaltiges Ki eingesetzt, um die Fähigkeit Aoshis, seine Präsenz nahezu vollkommen zu tilgen, auszukontern. Die tränenden Augen aufschlagend studierte Aoshi in der stummen Verlorenheit seines leeren Verstandes die schlanke, kraftvolle Hand, die behutsam auf seiner Taille lag, den muskulösen Arm, der ihn hielt. Seine eigene Gestalt, mager, ausgezehrt, abgesehen von den breitflächigen Narben schmucklos und bleich. Gab es zuvor keinen Grund mehr, dieses Leben fortzusetzen, so verlor sich nun der letzte Anflug Stolz, sich gegen diese Instrumentalisierung aufzulehnen. Er fühlte sich müde, bis in den letzten Winkel seiner Seele. Ein Krieger, der keinen Kampf mehr führen wollte. ~+~ Kapitel 9 - Ein unwiderstehlicher Meister Hiko hielt den jüngeren Mann in einer ausgewogenen Mischung aus dominantem Zugriff und fürsorglicher Sicherung. Ihm entging weder das minimale Beben, das den anderen durchlief, noch die flachen, schwächlichen Atemzüge. Es sorgte ihn ein wenig, dass sich Aoshi derart widerstandslos aufgab, sich nicht zur Wehr setzte. Es nicht konnte? Den Löffel in die breiige Masse geschoben löste er seine Hand, um den Ninja an sich zu ziehen, dessen Beine an seiner Seite anzuwinkeln, als gelte es, den Jüngeren im Schattenwurf seines Leibs zu verstecken. Das blauschwarze Haupt auf seiner linken Schulter gebettet tupfte er nachsichtig feuchte Spuren aus dem fahlen Gesicht, bevor er geduldig, Löffel für Löffel, die zerbissenen Lippen ansteuerte, den Ninja wie einen Säugling fütterte. Der ebenso mechanisch, unbeteiligt, kaute und schluckte, ohne die Augen aufzuschlagen. ~+~ Die Nachmittagssonne lugte zwischen vereinzelten Wolkenbänken hindurch, die in der Talsohle vermutlich ein knappes Regenintermezzo in den Abendstunden absondern würden, als Hiko erhitzt und gut gelaunt von seiner Werkstatt in seine Unterkunft wechselte. Er liebte es, seine Entwürfe in die Tat umsetzen zu können. Wenn sie auch noch nach seiner Vorstellung gelangen, schwebte er in Hochstimmung förmlich über dem Boden, wie es einem wahren Meister gebührte. In seiner Hütte waberte dunstige Hitze, die Fenster geschlossen, um das Sonnenlicht auszusperren. Und dem unfreiwilligen Gast eine erholsame Ruhe zu verschaffen. Der lag, fötal zusammengerollt, auf den Tatami des erhöhten Podests, Handgelenke und Knöchel gefesselt, mit einem Strick verbunden. Anhand der ruhigen Atemzüge ermaß der Schwertkampfmeister, dass Aoshi schlief, allerdings in einer mutlosen Resignation, die dessen minimale Präsenz verriet. Hiko ließ sich neben ihm nieder. Obgleich der Jüngere alarmiert erwachte, regte der sich nicht. Was ihm geschehen mochte, es kümmerte ihn wohl wenig. Mit einer eleganten Hand kämmte Hiko die blauschwarzen, filzigen Strähnen aus der bleichen Stirn, wartete geduldig, dass sich die durchschimmernden Lider hoben, ihr eisblaues Geheimnis enthüllten. "Wir werden den Tag in meinem Badehaus ausklingen lassen." Verkündete er ruhig. "Sollte es mir nicht gelingen, diese wüste Matte auf deinem Schädel zu entwirren, werde ich ihn dir scheren." Aoshi blieb passiv. Einen aufmunternd-boshaften Klaps auf dessen Kehrseite später hatte der Schwertkampfmeister die Verbindung zwischen Händen und Füßen gelöst, stellte seinen apathischen Gefährten auf die Beine. Der Ninja brach in die Knie, nicht fähig, die Belastung allein zu tragen. Ein muskulöser Arm unter den Achseln verhinderte den Sturz. Hiko wickelte sich Aoshis sehnigen Arm um seine Schultern. "Versuch, möglichst das Gewicht auf dein rechtes Bein zu verlagern." Lautete seine knappe Anweisung. Er dirigierte den Ninja zur Tür. Ohne innere Beteiligung ließ der sich bewegen, bemerkte aber, dass sein linkes Bein nicht nur unter der allgemeinen, körperlichen Schwäche litt, sondern der Automatik des Ablaufs nicht folgte. Als sie vor das niedrige Haus traten, schmiegte sich eine hitzige Brise um die beiden Männer, blähte Hikos lose Yukata auf, jagte Schauer über Aoshis Haut, der sich in ungeschützter Blöße der starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt sah. Die wenigen Meter Entfernung zur Hütte, die Hiko großspurig als sein Badehaus bezeichnet hatte, das in direkter Nachbarschaft des Brennofens errichtet worden war, kosteten Aoshi seine letzten Kraftreserven. Der Schwertkampfmeister setzte seinen Begleiter auf einer niedrigen Bank ab. Er kauerte vor dem Ninja, befreite auch die Handgelenke von ihrem Knebel. Hiko entzündete mehrere Lampen, um den kleinen Raum in warmes Licht zu tauchen. Das Badehaus bestand aus wenig mehr als einer gewaltigen Holzbütte, die auf einer gemauerten Heizungsbank ruhte, mit der Abwärme des Ofens von unten versorgt. Daneben hingen Eimer in zwei Reihen, ein Wasserreservoir, um sich kalt abzuspülen oder die Flüssigkeit in der Wanne auszutauschen. Aoshi nahm den würzigen Geruch von Kräutern wahr. Er vermutete, Hiko habe bereits die Bütte gefüllt, mit einem Aroma versorgt, das die Sinne befreien sollte. Zunächst befasste sich der Meister mit der Wundversorgung, indem er sein schmuckes Wandregal konsultierte, das diverse, kleine Laden und Fächer enthielt. Er löste geschickt die Verbände um Aoshis Mitte, dessen Handgelenk und den linken Oberschenkel, umfasste mit der Linken Aoshis Ellenbogen, um mit der Rechten die genähten Wundränder zu inspizieren. Wenig interessiert verfolgte der Ninja die Untersuchung, registrierte beiläufig die winzigen Stiche, die seine Haut wieder zusammenfügten. "Gut." Befand Hiko mit kritischem Nicken, drehte den Jüngeren an den Hüften, um dessen Mitte akribisch zu überprüfen. Hiko sprang mit plötzlichem Elan auf, entnahm dem Wandregal einen Handspiegel, präsentierte seinem gleichgültigen Patienten die Schusswunden, erläuterte knapp. "Drei Kugeln, eine in den Oberschenkel, Knochen knapp verfehlt, aber Muskeln und Sehnen zerrissen. Durch die Zeitverzögerung hatten die sich schon zusammengezogen, sodass du vermutlich eine Behinderung davontragen wirst. Hier!" Ein Finger tippte auf eine Wundstelle. "Neben der Wirbelsäule eingedrungen und abgelenkt. Die zweite ein wenig tiefer, knapp über dem Becken. Musste dich aufschneiden, um sie rauszuholen. Ziemliche Schweinerei. Normalerweise hättest du verbluten müssen." Aoshi fing die schwarzen Raubvogelaugen ein, zum ersten Mal aufmerksam. Nach dem zu urteilen, was er selbst erkennen konnte, hatten die Kugeln in seinem Körper sogar die Richtungen gewechselt, seine Gedärme durchschlagen. Unmöglich für einen guten Arzt, diese Wunden zu versorgen. Wie war Hiko das gelungen?! Der befasste sich bereits mit dem angekündigten Entwirren der filzigen Strähnen, arbeitete sich mit grimmiger Miene millimeterweise durch Aoshis blauschwarze Mähne, säbelte hier und da mit einem kleinen Messer rettungslose Nester ab. Der Ninja nutzte diese Konzentration auf sein Haupt, um hinter den langen Strähnen seinen Gastgeber eingehend zu betrachten, langsam aus der Trance seiner Resignation hervorgelockt durch die rätselhaften Umstände, denen er sein zweites Leben verdankte. »Der Schwertkampfmeister der Hiten-Mitsurugi-Schule.« Soweit er sich entsann, der Dreizehnte in der direkten Reihenfolge. Es gab immer nur einen amtierenden Meister, der seine Kunst lehrte. Demnach war Battousai kein Meister. Der Battousai beherrschte ungeachtet dessen die Geheimtechnik, die aus dem Schüler einen Meister machte. Die traditionell den vorherigen Meister auslöschte. Die letzte Prüfung. Der Mann, der sich so effizient und selbstsicher seines Körpers bemächtigte, um ihn wieder in ein Mitglied der zivilisierten Gesellschaft zu verwandeln, stellte eine imposante Erscheinung dar. Muskulös, gleichzeitig katzenhaft geschmeidig, eine glatte, warme Haut, bis auf eine breite Scharte über der Brust kaum gezeichnet, rabenschwarze Haare bis zu den Hüften. Man konnte sich kaum vorstellen, dass er ohne Frau und Kinder war. Die Hände schlank und kraftvoll, das Gesicht ein anziehendes Ebenmaß aus markanter Männlichkeit und beinahe weiblicher Schönheit, die Augen tiefschwarz und zwingend unter mokant gelupften Augenbrauen. Er konnte keineswegs sein tatsächliches Alter präsentieren, obwohl er die Sonne nicht zu meiden schien, Kontraste und Widersprüche zu einer perfekten Einheit verschmolzen. Aoshi blinzelte, als Hiko ihn auf die Nasenspitze tippte, mit einem spöttischen Grinsen demonstrierte, dass die Studie seiner Erscheinung ihm nicht verborgen geblieben war. "Du versteckst dich gern hinter den Zauseln hier." Er schnickte unter Aoshis Strähnen, enthüllte sekundenlang die eisblauen Augen. "Ich werde sie erst mal belassen. Wenn du mich verärgerst, kleiner Drache, schere ich dir wirklich eine Glatze!" Der Angesprochene verzog keine Miene, zog sich gewohnt vor Anfeindungen, die ihm müßig erschienen, in sein Inneres zurück. Er wurde mit gewaltsamer Deutlichkeit daran erinnert, dass der Schwertkampfmeister sein Ki dort wie eine Leuchtkugel hinterlassen hatte. Die gleißende Präsenz, weißglühend, brannte hinter seinen Augen, trieb seinen Puls hoch, beschleunigte seinen Herzschlag, hieß ihn, nach Atem ringen. "Ryuu!" Tadelte der Ältere nachsichtig. "Du solltest dich besser daran gewöhnen: keine Finsternis mehr." Aoshis Kopf flog hoch, fokussierte den tränenden Blick auf die Raubvogelaugen. "Ist das ein Versprechen?" Ätzte er heiser, kaum verständlich, von einer gallenbitteren Vergeltungssucht erfüllt. Zu seiner Überraschung näherte sich ihm das ruhige Gesicht des Schwertkampfmeisters bis auf Wimpernschlagsentfernung. Ein Finger strich zärtlich über seine Wange, als gelte es, ein scheues, waidwundes Tier zu trösten. Aoshi blinzelte verwirrt. Was bewog Hiko, ihm derart sanftmütig seine Unverschämtheit durchgehen zu lassen?! Der Schwertkampfmeister erhob sich in einer flüssigen Bewegung, dehnte die prächtigen Muskeln beiläufig, bevor er sich die langen Haare auf den Kopf steckte, sie mit einem Tuch hochband. Er streckte eine Hand aus, umfasste Aoshis zögerliche, zog ihn auf die Beine in einen unsicheren Stand. "Lehne dich auf die Wanne." Bedeutete er dem Jüngeren, hob einen Eimer aus der Reihe von der Wand, mit einer Leichtigkeit, als befände sich nichts darin. Hiko goss langsam das Wasser über Aoshi aus, der dem gurgelnden Lauf in die Bodensenke folgte. Hatte Hiko seine Behausung selbst errichtet? Selbst konstruiert?! Ein weiterer Eimer entleerte seinen Inhalt über den Narben versehrten Leib, von einem gründlich abschmirgelnden Lappen begleitet. Der Stand des Ninja schwankte bereits bedenklich. Hiko fasste ihn ohne Vorankündigung unter Achseln und Kniekehlen, hob den Widerstandslosen über den hohen Rand der Bütte in das geheizte Wasser. Aoshi keuchte leise, fand unter sich eine winzige Bank aus gebranntem Ton, die ihm einen Ruhesitz bot, sich von diesem Schock zu erholen. Unterdessen ging Hiko der eigenen Hygiene nach, kontrollierte den aufgetürmten Sitz seiner Haare, bevor er zu Aoshi in die Wanne stieg, den Wasserpegel erheblich anhob. Auf der Oberfläche trieben wenige Blätter und winzige Zweige. Der Ninja vermutete den Ursprung des starken, aromatischen Geruches bei der Fußbodenheizung. Vielleicht ein Räucherbecken...? Obwohl Aoshi sein Leben unter Männern verbracht hatte, schlich sich mit eisigen Klauen Scham in sein Bewusstsein, den wachen Raubvogelaugen derart entblößt ausgeliefert zu sein. »Dummkopf!« Schalt er sich, von der eigenen Emotion überrascht. »Hat er dich nicht bereits tagelang gepflegt?! Sollten ihn deine Narben stören, kann er die Augen schließen! Warum beunruhigt er dich?! Ist es sein verwünschtes Ki, das ein Fegefeuer in deinem Refugium entzündet hat, Gefühle freilegt, die du vergessen hast?!« Aoshi senkte den Kopf, nutzte die dichten Strähnen als Visier, um dem Schwertkampfmeister keinen Einblick in seine eisblauen Augen zu gestatten. Vermutlich zwecklos, bestand eine der Stärken der Hiten-Mitsurugi-Kampfschule darin, die Emotionen ihrer Gegenüber zu erkennen. Er begriff, was ihn aufwühlte und verunsicherte: Hiko fragte nicht. Der Schwertkampfmeister zeigte kein Interesse an den vielfältigen Narben auf seinem Leib, wollte den Ursprung seiner ungewöhnlichen Fähigkeit, sich selbst in der Präsenz auf ein Minimum zu reduzieren, nicht ergründen. Oder kannte er die Hintergründe bereits?! Hiko schloss derweil die Augen, lehnte sich bequem mit ausgebreiteten Armen auf die Kante der Bütte, den Kopf weit in den Nacken gelegt, ein Bild absoluter Entspannung. "Sag mal, Ryuu?" Die dunkle Stimme schmiegte sich trügerisch sanft in Aoshis angespannte Sinne. "Warum hat dich der Wolf davonkommen lassen?" Der Ninja widerstand der Versuchung, die Arme vor der Brust zu verschränken. Er schob die beunruhigenden Entdeckungen und ihre Schlussfolgerungen beiseite, konzentrierte sich auf die im Raum stehende Frage. Hätte Saitou ihn ohne den Battousai erwischt, wäre er wohl unter den Bernsteinaugen gestorben. Warum hatte der berechnende Mann ihn leben lassen? Um Himura einen Gefallen zu erweisen? Sehr unwahrscheinlich. "Nun, Aoshi Shinomori ist tot, von der Bühne abgetreten." Fasste Hiko leise zusammen. "Die Oniwa Banshu sind eine Erinnerung, ihr letzter Hauptmann eine zwielichtige Figur, ein Verräter..." Die Raubvogelaugen fixierten Aoshi. Der atmete zu seiner eigenen Verärgerung schneller. Jeder Versuch, sich zurückzuziehen, bewirkte die gleißende Verstärkung des fremden Lichts in seinem Inneren. "Welchen Zweck verfolgt er?" Der Ninja erwog Möglichkeiten, verwarf sie wieder, bevor er sich zu einer Antwort entschloss. "Vielleicht verfüge ich über Wissen, das ihm nützlich werden könnte?" Vermutete er heiser. "Und ich dachte, dass die Geheimorganisation des Staats alles weiß." Hiko neckte spottend. Aoshi wischte sich durch die Haare, enthüllte die eisblauen Augen für Wimpernschläge ungeschützt. Die Hitze erschöpfte ihn allmählich. Wie es schien, hatte die Konversation mit dem Schwertkampfmeister mehr Mysterien aufgedeckt als Einsichten gewährt. Hiko bemerkte Aoshis nachlassende Widerstandskraft, erhob sich mit einer Grimasse, die den abrupten Abbruch seines Vergnügens bedauerte. Er half ihm aus der Wanne heraus, leitete ihn wieder auf die niedrige Bank, kehrte zur Bütte zurück. Er schüttelte seine Haare aus dem Tuch frei, um es um seine Hüfte zu winden, seine Mähne einzutauchen, sich mit den Händen vom Nacken aus den Kopf zu spülen, die Finger durch die Strähnen zu ziehen. Er wrang die wallende, tropfende Pracht selbstvergessen aus, warf sie schwungvoll nach hinten, als er sich aufrichtete. Aoshi fand sich Tropfen gesprenkelt, blinzelte. Hiko registrierte seinen Blick, grinste breit. "Verzeihung." Obgleich er sie keineswegs erbat. Seine Haare getrocknet ließ er das durchnässte Tuch nachlässig über den Büttenrand hängen, wandte sich dem Wandregal zu, um eine dunkle Flasche zu entnehmen. Ein Knochenkamm folgte. Der Schwertkampfmeister nahm hautnah neben Aoshi Platz, zog den Flakon-Pfropfen heraus. Er träufelte die ölige Konsistenz auf den Scheitel des Ninja, begann, den Kamm durch die blauschwarzen Strähnen zu ziehen. Bald glänzten sie gepflegt und glatt, verwandelten ihren Besitzer in den attraktiven Mann, der sich darunter verborgen hatte. Noch immer ausgemergelt und bleich, aber auf dem Weg der Besserung. Vor sich hin summend drückte Hiko Aoshi Flasche und Kamm in die Hände, kehrte ihm demonstrativ den Rücken zu, um den gleichen Dienst einzufordern. Allerdings währte die Pflege seiner Mähne sehr viel länger als die des Ninja, der sich die angestrengten Armmuskeln rieb. "Komm." Hiko bot seine Schulter, sammelte das nasse Tuch auf, während er gleichzeitig den Ablauf des Wassers freigab. "Wie wäre es mit einer Erfrischung?" Er führte den Ninja langsam über den Hof, half Aoshi auf die Tatami des Podests, spazierte energiegeladen wieder hinaus, offenkundig in der Absicht, das Tuch zum Trocknen aufzuhängen und die alten Verbände zu entsorgen. Aoshi wartete mit gesenkten Lidern, lauschte dem Aufsetzen des Wasserkessels. Der Schwertkampfmeister näherte sich, zog ihn mühelos auf die Beine, wickelte ein Suspensorium um den nackten Mann. Sich selbst anschließend durchquerte er wieder den Raum, nahm eine Sake-Flasche aus einem Regal, goss den Tee auf in eine irdene Kanne, flocht sich die Haare zu einem gewaltigen Zopf. "Ich denke, deine Wunden sollten an der frischen Luft bleiben. Lass uns diesen Tag mit einem guten Tropfen beschließen!" Der Ninja legte den Kopf auf die Seite, bedachte den sichtlich froh gestimmten Mann zurückhaltend. "Ich trinke nicht." Hiko, der vor ihm Teeschalen absetzte, suchte seinen Blick, hielt ihn lange fest, bevor er knapp nickte. In diesem Augenblick wusste Aoshi, dass der Ältere ihn kannte. ~+~ Dem Schwertkampfmeister entging nicht, dass sich sein jüngerer Gefährte verspannte, die Lippen teilte, sein Inneres aufgewühlt wurde, ein minimales Beben den überschlanken Körper durchlief. Instinktiv wollte sich der Ninja in sich selbst zurückziehen, ein Mindestmaß von Privatsphäre wahren. Hikos Ki verhinderte jeden Fluchtversuch, reagierte mit Vehemenz: die stetige Flamme brannte lichterloh. Aoshi rollte sich zu einem ächzenden Ball zusammen, hoffte auf Linderung, wenn er wenig Gegenwehr zeigte, sich anstrengte, sein galoppierendes Herz zu besänftigen. Vielleicht missverstand er die betonte Selbstgewissheit des Älteren? Möglicherweise lauerte der gerissen darauf, ihm Details zu entringen, die er nicht preiszugeben beabsichtigte? Kraftvolle Hände bargen seinen Kopf auf einem muskulösen Oberschenkel. Der Schwertkampfmeister schlürfte seinen geliebten Sake solitär. Die freie Hand legte sich auf Aoshis Brust, reduzierte das fremde Licht auf ein erträgliches Maß. Schweigend verharrten sie, bis der Ninja erschöpft in Schlaf fiel. ~+~ Hiko breitete den Futon aus, hob den reglosen Mann auf die flache Matratze, bedeckte die nahezu unbekleidete Gestalt mit einem dünnen Tuch. Er erwog, die Stricke wieder einzusetzen, entschied sich aber dagegen. Auf seine Fähigkeiten vertrauend räumte er seine Unterkunft auf, kontrollierte Werkstatt und Badehaus, bevor er die Fensterläden herunterklappte, sich neben dem Ninja ausstreckte. Es hatte ihn einiges an Langmut gekostet, sich an die stete Anwesenheit und Nähe eines anderen Menschen zu gewöhnen. Dieser intime Kontakt bedeutete die beste Möglichkeit, den Lebensfunken seines Gefährten anzufachen. So hob er Aoshi auf seine Brust, die von einer breiten Scharte verunziert war, barg den Ninja sicher in seinen Armen, reduzierte das gleißende Licht in dessen Innerem auf ein sanftes Glühen. ~+~ "Ryuu, mach Frühstück!" Ein nachdrücklicher Stoß in Aoshis unversehrte Körperseite drängte ihn, seinen wirren Träumen zu entsagen. Die Lider hebend blinzelte der Ninja in schwarze Augen, die einem unverschämten Grinsen vorstanden, ihn auffordernd anblitzten. Er stemmte sich auf die Arme, registrierte, wie nahe ihm der Schwertkampfmeister war. Dass er förmlich in dessen muskulöser Gestalt genächtigt hatte! Um Würde bemüht erhob er sich ohne Hast, prüfte die Belastbarkeit seines linken Beins, humpelte ungelenk an der Wand entlang tastend zur Herdstelle. Dort stachelte er die Glut auf, füllte Wasser in einen Kessel und einen Topf. Als er sich umwandte, sah er sich Hikos Raubvogelaugen ausgesetzt, die ihm unablässig folgten. Der ältere Mann selbst lagerte bequem auf der Seite, den Kopf in eine Hand gestützt, mit der anderen seinen Zopf glättend. Ohne ihm Beachtung zu schenken beschäftigte sich Aoshi mit der Zubereitung eines frugalen Mahls, balancierte seine Beine aus, um resigniert festzustellen, dass Hiko mit der Ankündigung recht behalten hatte: sein linkes Bein war durch die Wunde verkürzt worden. "Wieso habt Ihr Euch der Mühe unterzogen, mich zu retten?" Erkundigte er sich in beiläufigem Tonfall. Hiko lachte, setzte sich auf, schob die Decke beiseite. "Tja, zunächst mal lungerte mein dummer, kleiner Ex-Schüler mit dem Polizisten auf meiner Türschwelle herum und jammerte. An Schlaf konnte ich ohnehin nicht mehr denken. Du hast mir den Boden versaut." Er hob eine Hand. "Was ich angesichts deines Zustands entschuldigte. Ich könnte natürlich einen Handlanger brauchen, der die Wäsche und all das erledigt, was ich nicht tun will." Ein breites, Zähne starrendes Grinsen begleitete diese Ausführung. "Wieso könnt Ihr derlei Wunden behandeln?" Ließ Aoshi nicht locker, ignorierte die mokierende Aussicht seiner Zukunft. Der Schwertkampfmeister löste sich vom Futon, ordnete ihn gemächlich, öffnete beide Fensterläden. "Ich bin eben ein Genie!" Bemerkte Hiko leichthin. Er trat neben den Ninja, der diese ausweichende Antwort mit einem knappen Blick bedachte, sich unmerklich zurückzog, seine eigene Kühnheit verwünschte. Warum nahm er Anteil am Leben?! Zu welchem Zweck?! »Nicht mehr Krieger, nur noch ein versklavter Krüppel...« Hiko wählte zwei Schalen aus dem offenen Regal. "Ich habe viel gesehen, erlebt und erfahren." Beschied er leise. "Ein Leben zu bewahren ist eine größere Herausforderung, als es zu nehmen." "MEIN Leben ist nichts wert." Bemerkte der Ninja kalt, bewegte sich an der Wand entlang zum Podest, während er beide Schüsseln transportierte. Es blieben nur wenige Wimpernschläge, die Schüsseln abzustellen, bevor ihn eine Hand im Nacken packte, vom Boden löste, in der würdelosen Manier eines Welpen durchschüttelte. "Dein Leben ist sehr viel wert, wenn man allein bedenkt, wie viel ICH bereits in dich investiert habe!" Tadelte Hiko nachsichtig, als handele es sich um einen Retardierten. "Ganz zu schweigen vom Einsatz, den man für den Hauptmann der Oniwa Banshu erbracht hat." Der Ninja erwartete, mit diesem Tadel verächtlich in eine Ecke geschleudert zu werden, fand sich jedoch sanft auf die Füße abgesetzt. Die Raubvogelaugen studierten ihn eindringlich. "Beleidige nicht die Menschen, die dir zur Seite stehen." Lautete Hikos milde Rüge. "Nun will ich essen, kleiner Drache." Was er auch ohne Verzögerung in Angriff nahm. ~+~ Aoshi blieb sich für den Rest des Tages selbst überlassen. Seiner harrten diverse Erledigungen des häuslichen Bereichs, die ihn in das Badehaus führten und auf den Vorplatz, wo er Wäsche auf Stangen zum Trocknen deponierte. Für Sekunden hatte er erwogen, sich zu widersetzen, diesen Anflug von Trotz aber abschlägig beschieden. Es tat seinem geschwächten Leib gut, sich wieder zu bewegen, die erschlafften Muskeln und verhärteten Sehnen durch Beschäftigung zu erhitzen. Gleichzeitig bot sich die Möglichkeit, Näheres über seinen Gastgeber zu erfahren. Wie er vermutet hatte, deutete nichts in den bescheidenen Besitztümern des älteren Mannes daraufhin, dass der mit anderen Menschen zusammengelebt hatte. Es fanden sich wenige Dokumente, nichts aber, das ihm Aufschlüsse über die Biographie des anderen gab. »Oder warum sich ein Mann wie der Schwertkampfmeister nach Gesellschaft eines anderen sehnte.« Der Ninja lagerte im Hausschatten, lauschte auf die Geräusche der sie umgebenden Fauna und das leise, stetige Kreisen des Töpferrads. Hiko war tatsächlich ein Künstler, so viel hatten Aoshi die Schalen und Schüsseln verraten, die er gereinigt hatte. Er kannte sich mit luxuriösen Wertgegenständen aus. Sein verlorenes Leben hatte ihn oft in begüterte Häuser geführt. Wenn auch selten durch den Vordereingang. Dass ihn der Ältere unbewacht ließ, in der Reichweite des gewaltigen Schwertes, das an der Wand lehnte: eine für einen Schwertkämpfer mehr als nachlässige Handlungsweise. Es bewies Aoshi auch, dass Hiko dem Licht, das sein Ki im Inneren des Ninja entzündet hatte, vollkommen vertraute. Und den Fähigkeiten eines Schwertkampfmeisters. Wieso hatte er dem Battousai die letzten Geheimnisse anvertraut und mit der Tradition gebrochen, zu sterben? Oder war es Himura nicht gelungen, den Meister zu besiegen? Von einer seltenen Leichtigkeit befallen, die derart intime Fragen nicht absolut verbat, beschloss Aoshi, Hiko diesbezüglich unter Druck zu setzen. Er hatte nichts mehr zu fürchten, weder Stolz, noch Repressalien oder körperliche Qualen. Das Leben eines Sklaven währte ohnedies nur kurz. ~+~ Der Schwertkampfmeister verließ bis in die Abenddämmerung hinein sein Refugium nicht, arbeitete ohne Unterlass. Die geschlossene Tür verweigerte ungeachtet der Hitze jeden Zutritt, hinderte Aoshi daran, sich unter einem Vorwand Eingang zu verschaffen. Es blieb ihm freigestellt, die Umgebung, so weit ihn seine geschwächten Glieder trugen, zu erkunden. Er konnte seinen ungefähren Aufenthaltsort genauer ermitteln: eine winzige, in den Wald geschlagene Lichtung, auf einer Anhöhe in der Flanke eines Bergzugs, hoch über der Senke von Kioto. Wenn er sich ausreichend gestärkt, seine Kondition verbessert hatte, konnte er ohne Mühe zurück in den Gasthof wandern. Mit einer fahlen Grimasse tadelte er diesen müßigen Gedankengang. Die seltsame Sehnsucht, die ihn auf dem Schlachtfeld erfasst hatte, der verzweifelte Drang, das Aoiya zu erreichen, schien ihm unwirklich und rätselhaft. Konnte er Sanosukes Worten vertrauen, so hatte man ihm verziehen, wie es dem Großmut der wahren Oniwa Banshu entsprach. Auch ein glorioses Scheitern, wenn es mit Einsicht in den Irrweg erfolgte, wurde geschätzt. »Warum wollte ich zu ihnen zurückkehren, in den 'Schoß' der Familie? Weil mir die kleine Misao fehlte, Okina?! Nein.« Gestand er sich ehrlich ein. »Weil ich keinen anderen Sinn mehr in meiner Existenz sah. Es war so einfach und verlockend, sich in ein farbloses Dasein zu flüchten, auf mildtätige Gnade zu hoffen.« Oder den rühmlichen Tod im letzten Kampf zu finden, bevor man ihn in erbärmlicher Weise verurteilte und öffentlich entehrte, mit der Vollstreckung den Ruf der Oniwa Banshu besudelte. Ein Exempel zu statuieren hätte den Meiji nur zweckdienlich sein können. Er gedachte der Worte des rothaarigen Schwertkämpfers. »Bin ich todessehnsüchtig?« Seine Mundwinkel zuckten. Das bittere Lächeln wollte sich nicht finden. Die Züge blieben maskenhaft erstarrt. »Nein. Meine Sehnsucht ist verzweifelter. Ich suche einen Sinn, einen Grund zu leben. Den Schlüssel für meine Existenz, für das Verständnis dieser Welt.« ~+~ Mit verborgener Zufriedenheit registrierte Hiko, dass sein reservierter Patient es sich vor dem Haus auf der kleinen Veranda bequem gemacht hatte, in das schwankende Grün der Bäume und Büsche sah. Er trat an Aoshi vorbei ins Innere, um sich mit einer Schüssel gesäuerten Reis und kleinen, eingelegten Fischbällchen neben ihm niederzulassen, zu schmausen. Seit dem Frühstück hatte Hiko ohne Unterlass gearbeitet. Wenn dieser Fluss von Inspiration und Schaffensdrang ihn begleitete, vergaß er simpel die Zeit und auch die übrigen Notwendigkeiten seines Körpers. Da das Werk vollbracht war, fühlte er sich ausgehungert und euphorisch zugleich, hochgestimmt und mit sich zufrieden. In der zurückhaltenden Höflichkeit, die das Gebaren seines Gefährten auszeichnete, behielt der die stumme Gemeinschaft bei, bis der Schwertkampfmeister sein Mahl beendet hatte, mit frisch aufgebrühtem Tee an seiner Seite Platz nahm. Den Blick unverwandt geradeaus gerichtet ahnte der ältere Mann an den winzigen Indizien der Anspannung bereits, dass dieses Schweigen nicht mehr von Dauer war. "Hat Himura Euch verschont, oder habt Ihr ihn betrogen?" Trügerisch leise schmiegten sich die vergiftenden Worte in eine laue Brise, während die Sonne sich hinter den Gipfeln zur Ruhe begeben wollte. Hiko atmete hörbar aus, gestattete sich die Mahnung an den Ninja. Ihm blieb die Wahl, mit arrogantem Schnauben die Lächerlichkeit einer Niederlage gegen den Feuerkopf zu verhöhnen oder aufrichtig und ungeschönt Vertrauen zu gewähren, um den Jüngeren zu beschämen. "Die Oniwa Banshu ist gut informiert, was die Gepflogenheiten der Hiten-Mitsurugi betrifft." Bemerkte er samtig, löste seine langstielige Pfeife aus ihrem Depot innerhalb des Haarbands, entzündete sie. Einige aromatische Züge später meldete er sich erneut zu Wort. "Es ist wahr, dass ich tot sein sollte. Mein dummer Ex-Schüler hat in der Tat den Geheimschlag unserer Schwertkampftechnik gemeistert. Ein zweistufiger Angriff, dem man unmöglich entwischen kann, geschweige denn ihn parieren." Kleine Rauchwölkchen wanderten in den sich rapide färbenden Himmel. "Gleichzeitig ist das der Übergang zum nächsten Meister. Beherrscht der Schüler sein Handwerk, ist mit dem Tod des Meisters seine Lehrzeit beendet." "Also habt Ihr Euren Schüler betrogen." Resümierte Aoshi, ohne Hiko das Gesicht zuzuwenden, den Blick starr auf die Büsche gerichtet. "Ich sah ihn den Schlag gegen Shishio vollführen. Er war meisterhaft." Der Schwertkampfmeister lächelte, keineswegs durch diesen Affront beleidigt. In dem Wissen, dass seine Gelassenheit und Souveränität stärker als jeder lautstarke Protest den Widerspruch des jüngeren Mannes hervorrufen würden, hielt er seine nachsichtige Patronage aufrecht. "Ihr Samurai glaubt doch immer, dass die Welt schwarz oder weiß ist. Ihr kennt nur Regeln. Versagen die, flüchtet ihr euch in den Tod. Euch mangelt es an Phantasie und Mut." Er wusste, dass er zielgenau ins Mark getroffen hatte. Aoshi fuhr herum. Die eisblauen Augen funkelten. "Wie könnt Ihr so anmaßend sprechen?! Seid Ihr nicht selbst ein Krieger?! Beschönigt Euren schnöden Verrat, die Feigheit, mit dürren Worten?!" Die Raubvogelaugen wichen kein Jota vor ihren eisblauen Pendants zurück. "Ich nenne es Feigheit, vor Zweifeln, vor Existenzfragen, vor unkonventionellen Ideen in den Tod zu fliehen. Im Tod liegt keine Ehre. Es ist das Ende, mehr nicht." Wisperte der Schwertkampfmeister sanft. "Wollt Ihr damit den Tod vieler Krieger als unbedeutend bezeichnen?! Wo wäre die Welt, wo wärt Ihr ohne das selbstlose Opfer unzähliger Krieger?" Die Fäuste geballt visierte der Ninja den älteren Mann an, ungewohnt erregt, stellten sie doch einen verbotenen Widerstreit nach, der ihnen beiden nicht unbekannt war. Hiko klopfte seine Pfeife geruhsam aus. "Ich kann nicht sagen, ob die Welt eine andere wäre. Ich bezweifle, dass irgendjemand dies könnte. Ich habe getötet, zahlreich. Ich habe den Tod gesehen." Seine Finger glitten unerwartet über Aoshis Wange, eine federleichte Liebkosung, die Trost spenden sollte. "Nur im Leben gibt es neue Anfänge, die Chance auf Veränderungen. Zu leben bedeutet mutig zu sein, wieder aufzustehen, falschen Idealen abzuschwören. Ich frage dich: wo wäre die Welt, wenn all diese Krieger für ihre Ziele GELEBT hätten?" Der Ninja schnaubte abfällig. "Ihr sprecht wie die Meiji, wetterwendisch und geleckt!" Der Schwertkampfmeister erhob sich, dehnte und streckte sich gelassen. "Ich bin erstaunt, ausgerechnet von dir derart verurteilt zu werden." Bemerkte er beiläufig, auf der Schwelle der Eingangstür umgewandt. "Immerhin lebt dein Lehrmeister noch. Ich habe meinen getötet." ~+~ Die Nacht zauberte die ersten Sterne an den Himmel. Von Hitze geladen dampfte die Erde noch immer in das abkühlende Firmament. Aoshi harrte auf der Veranda aus. Seine Knochen schmerzten bereits. Das zu ignorieren gelang ihm nicht wie gewohnt, da das wachsame Licht in seinem Inneren jede Unterdrückung von Präsenz ahndete. Hikos Tadel saß tief, zumal der Ninja unerwünschte Zeit hatte, ihre Unterhaltung zu überdenken. Der ältere Mann hatte ebenso gnadenlos wie zielsicher Regionen seines Herzens angesteuert, die er nicht erkunden wollte, weil sie Geheimnisse bargen, die er für immer zu vergessen suchte. »Ich habe niemals einen Kampf gescheut, meine Pflicht erfüllt, auch wenn es mir oft zuwider war. Ich war bereit, für meine Ideale mein Leben zu geben.« Ein Leben, das niemand wollte, wie es schien. »Ich bin geflohen, habe mich versteckt, bei meinen Freunden, bei schaler Vergeltung, bei leeren Titeln, in sinnlosen Auseinandersetzungen. Wäre es mutiger gewesen, mein Versagen einzugestehen? Doch wo und vor wem? Mir selbst?« Seine Mundwinkel zuckten freudlos. »Ich bin nicht dumm genug, mich selbst zu täuschen. Mir mangelt es an Mut, unter den Menschen zu leben, die meine Ideale kannten und nun ein verlorenes Wrack, einen am Leben Gescheiterten, vor Augen haben. Wem hätte ich mich anvertrauen können?« Wer hätte keine Schwäche in solchen Gedanken gesehen? Einen Anführer, der nach vorne stürmte, weil er sich davor fürchtete, was hinter ihm geschah?! Er rieb sich mit den Handrücken über die von Müdigkeit geschwollenen Augen. »Nun sitze ich hier wie ein trotziges Kind, das nicht hineingehen will, weil das ja eine Konzession ist, ein Eingeständnis der Fehlbarkeit.« "Lächerlich." Murmelte er matt. »Wie ist es ihm gelungen zu überleben?« ~+~ Hiko drehte sich auf die Seite, richtete sich geschmeidig auf. Der Platz an seiner Seite war leer. Er wusste den jungen Mann in der Nähe, eine stete Präsenz. Mit einem Grinsen huschte er lautlos auf die Veranda hinaus, wo Aoshi zusammengerollt der allgemeinen Schwäche Tribut zollte, leise schlief. "Kleiner Drache." Tadelte der Schwertkampfmeister mit einem nachsichtigen Kopfschütteln, bevor er in die Hocke ging, ohne die geringste Anstrengung den Ninja auf die Arme hob, zu ihrem Futon transportierte, ihn ablegte. Er streckte sich daneben aus, schlang einen Arm besitzergreifend um die zerbrechlich magere Taille. Aoshi verspannte sich Sekunden während, ergab sich dem Hautkontakt, ging in der rostroten Sonne in seinem Inneren auf. ~+~ "Du hast verschlafen." Weckte eine energische Stimme Aoshi aus wirren Träumen, die ihn immer wieder in abgründige Tiefen stürzen ließen, ohne dass er einen Hilfeschrei absetzen konnte. Automatisiert stemmte er sich in eine aufrechte Haltung, hangelte sich mühsam, von den langen Strähnen in seiner Sicht behindert in einen schwankenden Stand, um trotzig seinen Pflichten nachzukommen. Dem ungemütlichen Schweigen, das nach einer derartigen Auseinandersetzung den folgenden Tag dominierte, die Basis zu verleihen. Hiko schien jedoch mit solcherlei Gepflogenheiten wenig vertraut. Oder ignorierte sie selbstherrlich. Aoshi votierte für das letztgenannte. "Heute wird der Brennofen befeuert. Das heißt für dich, dass ich heute Abend ein Bad brauche." Das markante Kinn zielte bezeichnend auf den Ninja, der vor dem Herdfeuer eine klare Suppe aufsetzte. Der Jüngere nickte knapp, sein Verständnis ausdrückend, den Blick auf seine Arbeit konzentriert. Er kalkulierte im Geiste die Häufigkeit der Wege, die er zum Fluss absolvieren musste, bis die gewaltige Bütte gefüllt, die Eimer randvoll bestückt waren. Es stand ein anstrengender Tag bevor. ~+~ Mit dem Handrücken wischte sich der Schwertkampfmeister, nun ganzer Töpfer mit Leib und Seele, Schweiß von der Stirn. Er begutachtete die letzte Ladung, die er dem Ofen entlockt hatte, um sie nun abkühlen zu lassen. Der Brennvorgang forderte gewöhnlich trotz aller Vorsicht und größten Geschicks Opfer. Zumindest entsprach nicht jedes Werk dem perfektionistischen Sinn seines Schöpfers. Damit wollte er sich befassen, wenn die Aushärtung abgeschlossen war. Hiko entdeckte Aoshi, den er den gesamten Tag über nicht gesprochen hatte, im Schatten der Veranda. Dessen ungeachtet wusste er, dass das Bad gerichtet war, der Ninja seine häuslichen Pflichten lautlos, ohne Klage verrichtet hatte. Obgleich dessen stoische Miene keinerlei Begeisterung oder innere Beteiligung verkündete. »Also spielen wir heute eine andere Scharade?« Der ältere Mann zupfte klebrige Strähnen aus seinem Gesicht. Wenn der kleine Drache beabsichtigte, ihn zu brüskieren, würde er ihn eines Besseren belehren! ~+~ Aoshi erhob sich ein wenig linkisch, weniger metaphorisch als dem stets pochenden Schmerz in seiner linken Körperhälfte geschuldet. Er hatte pflichtgemäß in demonstrativer Kälte seine Aufgaben erledigt. Apathie verbot sich, konnte sie das lästige Licht in seinem Inneren entfachen. Auf das Badehaus zuhaltend erwartete er weitere Anweisungen, um den unwürdigen Schwertkampfmeister zu bedienen. Wenn man noch von einem solchen sprechen konnte. Hatte ihn sein Schüler Battousai besiegt oder nicht?! »Eine Niederlage hätte dem hoffärtigen Mann keineswegs geschadet!« Befand er gallig. Hiko stolzierte an ihm vorbei, zog sich die niedrige Bank heran, löste sein Suspensorium, nahm hochaufgerichtet Platz. "Abspülen, gründlich. Danach meine Haare!" Erteilte er knappe Anweisungen. In Aoshi arbeitete es, eine ungewohnte, sich in den letzten Tagen verstärkende Empfindung. Mehr als einmal hatte er zur Tarnung, immerhin war er ein ausgebildeter Kundschafter, Spion und Geheimagent, als Bediensteter gearbeitet. Eine Anforderung, die seinen Stolz niemals verletzt hatte. In der Nähe seines hochmütigen Gastgebers fühlte er sich gedemütigt und herabgewürdigt. Ohne Kommentar ließ er das Wasser des ersten Eimers über den muskulösen Leib rinnen, rieb die Haut sorgfältig ab, spülte erneut. Um ebenso wortlos auf diese oder jene Körperstelle hingewiesen zu werden, die besonderer Aufmerksamkeit bedurfte oder vernachlässigt worden war. Ein stummer Tadel, der die Wut in seinem Herzen aufkochte. Die Haare des älteren Mannes stellten eine Herausforderung dar, die ihn schließlich in die Knie brechen ließ. In halb gebückter Haltung musste er die schweren Strähnen von ihrem Ansatz bis zu den Spitzen durchpflügen, in einer einzigen, gleichmäßigen Bewegung, zunächst zwecks Reinigung, dann Kopfhautmassage und endlich schimmerndes Öl, um die rabenschwarze Beschaffenheit an das weichende Tageslicht zu befördern. Die Belastung in der unbekömmlichen Haltung überanstrengte ohnehin ausgebrannte Sehnen. Ehe er eine Warnung aus dem Crescendo von stetem Schmerz und Unwohlsein herausfiltern konnte, fand er sich sicher auf dem Schoß des Älteren wieder. Er beabsichtigte sogleich, sich loszumachen, dieser Intimität zu entfliehen. Hiko hielt ihn unerbittlich, fixierte seinen Raubvogelblick auf die eisblauen Augen, die ihre Emotionen zu verbergen suchten, dabei ungewohnten Schiffbruch erlitten. "Deine linke Seite, nicht wahr, Ryuu?" Der fremde Name enervierte den Ninja. Die Vorstellung, einem Drachen zu gleichen, der sich losgelöst zwischen Himmel und Erde bewegte: ein neuerlicher Hohn auf seine verkrüppelte Lage. Die Hände gegen den mächtigen Brustkorb stemmend konzentrierte er sich auf Abwehr, wollte die Umklammerung sprengen, die ihn bändigte. In einem direkten Kräftemessen chancenlos begleitete er seinen Ausbruchsversuch mit Vorwürfen und Schmähungen. "Was kümmert Euch mein Zustand?! Ich bin nur ein Sklave, ein austauschbares Gut! Gebt mich frei! Lieber tot als in Eurer verabscheuungswürdigen Gesellschaft!" "Halt still, Dummkopf, sonst kann ich mir die Wunden nicht betrachten!" Mahnte der Schwertkampfmeister ungeduldig, ignorierte jeden Affront souverän. Was Aoshi umso vehementer aufstachelte. Der Ninja wehrte sich unablässig, die Lippen Streichholz-dünn aufeinander gepresst, um keinen Wehlaut entschlüpfen zu lassen. Endlich entschied Hiko, dass er der Farce genügend Freiraum offeriert hatte: er erhob sich geschmeidig, seine ungebärdige Last auf den Armen, um Aoshi ohne Federlesens in die Bütte zu befördern. Eine Spritzwasserfontäne begleitete das ungraziöse Eindringen in das feuchte Element. Der jüngere Mann kämpfte sich ausspuckend, nach Luft ringend an die Oberfläche. Um von starken Armen auf seinen knochigen Schultern erneut eingetaucht zu werden. Gleichzeitig steigerte der Schwertkampfmeister sein Ki, ließ es zu einer gewaltigen Eruption massieren, die in unkontrollierten Spasmen den ausgemergelten Körper in dem klaren Wasser zucken hießen, bis profunde Erschöpfung jegliche Gegenwehr aufkündigte. Behutsam fasste er unter die Achseln, hielt den jungen Mann, um sich selbst in konzentrierter Aufmerksamkeit über den Büttenrand in das aufgeheizte Nass zu begeben. Auf diese Weise erwies es sich weniger beschwerlich, den Wehrlosen auf die Arme zu nehmen, das Badehaus zu verlassen. Die wärmende Brise erhielt nur wenig Gelegenheit, die benetzten Körper zu trocknen. Der Schwertkampfmeister verschaffte sich Zutritt zu seiner Behausung, legte den reglosen Gefährten auf den Tatami ab, entzündete Lampendochte, bis die sich ankündigende Nacht in goldenem Schein zurückgedrängt wurde. Geschickt mischte er diverse Ingredienzien zusammen, wechselte wieder an die Seite des Ninja, der sich vage zu rühren begann. Er hob dessen Kopf an seine Schulter, um ihm in beharrlicher Geduld eine milchig trübe Mischung einzuflößen. Wie zuvor entschlüpfte dem Jüngeren keine Klage, obwohl er vollkommen unbekleidet seinem Gastgeber ausgeliefert war. Der Schwertkampfmeister begab sich nun daran, Handgelenke und Knöchel mit Stricken zu fixieren, die Haut vor Abschürfungen lediglich durch dünne Stoffstreifen geschützt. Eine kraftvolle Hand legte sich beruhigend auf Aoshis eingefallene Brust, tröstete das rasende Herz, das in Furcht vor dem bannenden Licht hastete, das in der nächsten Sekunde bereits aufflammen konnte. Eine gleißende Strafe für unbotmäßiges Verhalten. "Ich werde deine Wunde öffnen müssen." Erläuterte Hiko sein Vorgehen, die Fesselung, die zahlreichen Lampen. "Vielleicht eine innere Blutung." Seine Raubvogelaugen fingen den eisblauen Blick ein, hielten ihn gefangen. "Es wird noch einen Augenblick dauern, bis das Schlafmittel Wirkung zeigt, Ryuu." Fuhr er fort, in der Manier eines Arztes, der einen angstvollen Patienten zu besänftigen suchte. "Wenn du möchtest, verbinde ich dir die Augen." Aoshi krächzte, sein Äquivalent eines höhnischen Gelächters. Kündete sein Körper nicht von unzähligen Qualen, die er bereits durchlitten hatte? Von Dingen, die er niemals wieder zu erwähnen wünschte? Welche 'Wohltat' schützte ihn vor der fremden Sonne in seiner Brust, welche vor der tückischen Wohlfahrt dieses unheiligen Samariters?! Eine Hand tastete über die linke Körperseite. Aoshi spannte sämtliche Glieder an, verkeilte die Zähne ineinander, rang nach Atem, als die Spasmen von Schmerz nachließen. Unterdessen erhitzte der ältere Mann, die Züge in mysteriöser Fremdheit verschlossen, einige Instrumente. Aoshi, der in den Augenwinkeln seine Umgebung fiebrig sondierte, unwillkürlich gegen die Drogen-bedingte Umnachtung ankämpfte, sah sie als Beweis, dass Hiko mit Problemen dieser Art nicht zum ersten Mal konfrontiert wurde. »Warum fürchte ich mich?! Lächerlich! Wenn er den Kampf dieses Mal verliert, bin ich frei, tot, wie ich es wollte.« In seine wirren Gedanken, die ehrenvolle Tapferkeit vorschützten, denen seine Emotionen angstvoll-verzweifelt widersprachen, schnitt die samtige Stimme des Schwertkampfmeisters. "Du hast mich der Ehrlosigkeit bezichtigt. Ich kann das wohl kaum widerlegen, machte ich mir die Vorstellungen zum Maßstab, die du anzulegen scheinst." Eine Hand kämmte sorgsam lange, blauschwarze Strähnen aus Aoshis Gesicht. Die Raubvogelaugen lächelten bar ihrer gewohnten Selbstherrlichkeit in eisblaue Spiegelseen. "Mein Meister bezichtigte mich auch immer einer gewissen 'Gerissenheit'." Seine weichen Lippen wärmten sanften Spott. "Ich dagegen bevorzuge die Vorstellung, mich der Situation angemessen zu verhalten, meinen Verstand zu gebrauchen und selbst darüber zu urteilen, was ehrenvoll ist." Die langen, nassen Strähnen, nur partiell eingeölt, zu einem schweren Zopf flechtend fuhr er beiläufig fort. "Mein dummer, kleiner Ex-Schüler bedurfte allen Könnens, das die Hiten-Mitsurugi verkörpert, um gegen Shishio zu bestehen. Mehr noch aber als Techniken erforderte es innere Reife und Selbstsicherheit. Überlebenswillen allein ist nicht genug." Aoshi blinzelte heftig gegen die bleischwere Mattigkeit an. Den Verlust des Gefühls für seine Gliedmaßen hatte er längst akzeptiert. Er wollte dieser Offenbarung lauschen, ein wenig verwundert, dass ihm die Motivation so bedeutsam erschien. "Der Feuerkopf hätte sich niemals zugetraut, mich zu besiegen." Die Mundwinkel des Schwertkampfmeisters zuckten generös. "Sein Horizont neigte schon immer zu einer gewissen Begrenzung, moralisch und ethisch bedingt. Er musste lernen, dass er seiner Situation gewachsen war, sich nicht mehr hinter seinem Schüler-Status verstecken konnte." Die durchsichtig schimmernden Lider des Ninja senkten sich unaufhaltsam. Er klammerte sich an die warme Stimme, spürte die Körperwärme des Älteren, der sich zu ihm herunterbeugte, Puls- und Herzschläge kontrollierte. "Wenn ich ihm Zeit gegeben hätte, hätte er erkannt, dass unsere Geheimtechnik tödlich ist. Dass es keine Verteidigungsmöglichkeit gibt. Er hätte gezögert, sich in Spekulationen verloren. Auch wenn der kleine Feuerkopf nur selten mit mir einverstanden war, hätte er meinen Tod durch seine Hand niemals überwunden. Er wollte niemals Meister sein um den Preis meines Lebens." Ein sanftes Lachen glitt wie Wellenspiel durch Aoshis schläfriges Bewusstsein. Das Licht hinter Aoshis Lidern dunkelte nach. Gemächlich und behutsam ließ ihn der Schwertkampfmeister aus der Kontrolle seines Ki. "Ich habe zuvor mit ihm gekämpft. Ich wusste, dass sein Schwertheft lose war, ging das Risiko ein, ihn den tödlichen Streich führen zu lassen, weil ich überzeugt war, es überleben zu können. So sind wir beide Meister. Einer von uns mit diesem Titel, aber wir leben beide noch. Wenn darin keine Ehre liegt, soll es mir gleich sein." ~+~ Hiko konsultierte erneut den betäubten Leib, überzeugte sich davon, dass Aoshi die Grenze überschritten hatte, von den folgenden Eingriffen nichts spüren würde. Ob der junge Ninja wohl seinen sentimentalen Erzählungen gelauscht hatte? Gewöhnlich enthielt sich der Schwertkampfmeister jedweder Rechtfertigung seines Handelns. Wer Verstand besaß, würde die Beweggründe erkennen. Wem dieser mangelte, den erreichten auch wortreiche Erklärungen nicht. »Vielleicht reizt es mich, seine Zweifel zu bestärken? Ihn aufzustacheln gegen die einfältige Philosophie, die man Kindern eintrichtert, um sie zu Marionetten-Kriegern zu formen?« Seine Zähne blitzten im Kerzenschein. »Wahrscheinlich aber will ich meiner Perfektion frönen. Wen ich rette, den rette ich gründlich. Auch vor Borniertheit und dämlichen Idealen berechnender Potentaten.« ~+~ Ein Arm lag beschwerend auf Aoshi nackter Brust, ein Siegelband, das ihn auf der flachen Matratze hielt. Der Eigentümer atmete gleichmäßig und tief an seiner Seite, in einen wirren Kranz ihrem Zopf entflohener Strähnen eingerahmt, von gelöster Schönheit. Im Mondlicht, das durch die aufgeschlagenen Fensterläden ungehindert eindrang, leidlich gefiltert durch papierne Fensterscheiben, konnte er die markant-attraktiven Züge des Schwertkampfmeisters ausmachen, dessen Leib ihn vertraulich wärmte. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit das bittere Gemisch ihn in bodenlose Abgründe fallen ließ? Sein wunder Hals führte Beschwerde, nötigte ihm ein Krächzen ab. In den Schläfer zu seiner Rechten kam Bewegung. Die Raubvogelaugen kontrollierten mit einem langen Blick sein Erscheinungsbild. Der Schwertkampfmeister glitt in einer einzigen gewandten Abfolge in die Senkrechte, hielt auf die Wandregale zu, um einen Becher mit dem Inhalt des gusseisernen Wasserkessels aufzufüllen. Aoshi fühlte Widerstand aufkeimen. Sollte er erneut unter Drogen gesetzt werden, wieder angebunden, um konvulsivische Zuckungen zu verhindern?! Hiko kehrte an seine Seite zurück, wie in den letzten Tagen lediglich mit einem Suspensorium bekleidet, wie ein einfacher, ungelehrter Bauer, hockte sich neben ihn auf den Futon, wischte blauschwarze Strähnen aus dichten Wimpern über eisblauen Augen, offerierte den irdenen Becher. Der Ninja wandte den Kopf ab, die Lippen zu dünnen Linien der Verweigerung zusammengepresst. Ein tadelndes Schnalzen kommentierte diese Absage. "Sei nicht so störrisch, Ryuu! Deine Zunge muss sich doch wie pelziger Schimmel anfühlen!" Eine kraftvolle Hand grub sich unerbittlich unter Aoshis Nacken, bereit, sich an seinem Torso zu erproben, ihn von der Matratze zu heben. Widerwillig assistierte der Jüngere, grub die Fingernägel in den Stoff, um sich selbst aufzurichten, sah sich gegen den nackten Brustkorb gelehnt, ein aufgestelltes Bein als Lehne angeboten. Irritiert wollte er die Hände vom Boden lösen, den Becher in Empfang nehmen, als ihn unangenehm seine körperliche Schwäche haltlos sinken ließ, durch die Voraussicht des Schwertkampfmeisters gehindert, der Tropfen für Tropfen eine dickflüssige Mischung in Aoshis Mund träufelte. Hiko spürte das Schaudern der hageren Gestalt, die die Hitze des Körperkontakts erfuhr, die Intimität ihrer Pose, die verwünschte Wehrlosigkeit des eigenen Leibs. Der Schwertkampfmeister zog den Widerspenstigen an sich, wie er es getan hatte, als dessen Flucht in den Tod ihn in einer blutigen Lache ausgestreckt hatte. Er wickelte sich die langen Beine angewinkelt an den Körper, umarmte knochige Schultern, barg eine klamme Stirn in seiner Halsbeuge. "Ich füge dir kein Leid zu, kleiner Drache." Versicherte er kaum vernehmbar, bestrich mit einer schlanken Hand kraftvoll den verkrümmten Rücken, wiegte den Gefährten tröstend wie ein kleines Kind, bis sie der Schlaf gefangen nahm. ~+~ Aoshi erwachte in der Mittagszeit. Er dankte dem Schicksal, dass sein Gastgeber sich augenscheinlich nicht in der bescheidenen Behausung aufhielt. Dieses Mal hatte er die Untiefen des Schlafs nicht aus Albtraumabgründen verlassen, sondern in der bedachten Manier eines Spaziergangs, der sich mit jedem weiteren Schritt in die Realität zurückbewegte, Ereignisse memorierte und bewertete. Er fürchtete ein wenig die Beschämung, die ihn bei dem Gedanken an die ruhige Reaktion des Älteren befiel. Der hatte keineswegs mit Hohn und Spott auf seine unüberlegten Tiraden und Beleidigungen reagiert. Zu seinem Leidwesen konnte er den Schwertkampfmeister immer besser verstehen. Die Beweggründe, die der Ältere enthüllt hatte, erschienen ihm wenig verwerflich oder exzentrisch. Was sie hätten sein müssen! Eine Allianz mit einer solchen Person wäre ihm, ausgenommen in Pflichterfüllung, niemals in den Sinn gekommen. Diese Pflicht lag zwei lange Leben zurück, hatte sich mit dem Tod der Gefährten in eine schemenhafte Fratze der Vergeltung verwandelt, in den einsamen Tagen danach in Paranoia und Verzweiflung. Wie sollte er Hiko gegenübertreten? Eine beständige Belastung in seinem Leben, eine Investition, die sich nicht auszahlte, ein Sklave, der wie ein Freund umsorgt wurde. Die Tür wurde aufgestoßen. Der Zielpunkt von Aoshis Überlegungen spazierte hinein. Hiko transportierte auf den ausgebreiteten Armen mehrere Lagen Bettwäsche, die zum Trocknen in der Sonne gehangen hatten. "Ah, endlich wach, kleiner Drache? Hervorragend, da können wir gleich essen! Das Frühstück ist ja Ewigkeiten her!" Schnaufte er energisch, verteilte seine Last geschickt in Regale. Aoshi setzte sich langsam auf, den Kopf gesenkt, die dünne Decke bis zu den Wundverbänden um seine Taille gezogen. Der Schwertkampfmeister überging die Befangenheit der Ninja. Dass er sie nicht bemerkt hatte, verwies Aoshi in das Reich des Wunschdenkens. Hiko zerteilte eine Melone, stellte die einzelnen Stücke auf eine kleine Platte. Er wechselte zu Aoshi hinüber, ließ sich auf den zerwühlten Futon sinken, stopfte heißhungrig, von Staub und Hitze gezeichnet, das erste Fruchtstück in seinen Mund. Dabei zerbiss er lautstark die Kerne. Das Fruchtwasser, das seine Mundwinkel hinabrann, wischte er mit dem Handrücken ab, leckte mit der Zunge darüber. Der Ninja blieb unwillkürlich an dieser Zurschaustellung urtümlichen Verlangens hängen. Das brachte ihn Wimpernschläge später in den Fokus der Raubvogelaugen. "Wie fühlst du dich?" Erkundigte sich der Ältere schmatzend, präsentierte ein unverschämtes Grinsen, das die sanfte Nachfrage konterkarieren sollte. Hastig griff der Ninja nach einer Fruchtscheibe, lutschte verlangend an ihr, erkannte den plagenden Durst, den er sich zu ignorieren gezwungen hatte. "Besser." Bequemte er sich zu einer flachen Replik, die Aufmerksamkeit auf seine schlanken, Porzellan-weißen Hände gerichtet, die von Fruchtwasser klebrig schimmerten. "Die Wunde hatte sich glücklicherweise nicht entzündet." Setzte ihn sein Gegenüber in Kenntnis, sprach unvermindert der Melone zu. "Allerdings sollten wir die steife Bandage noch nicht abnehmen. Es bedarf wohl längerer Zeit, bis deine inneren Wunden ausreichend verheilt sind. Vermutlich liegt es an deinem schlechten Allgemeinzustand." Fügte der Schwertkampfmeister in gewohnt selbstsicherer Kritik an. Aoshi wappnete sich, hob den Kopf an. "Warum habt Ihr mich gerettet? Ein weiteres Mal." Die schwarzen Augen studierten ihn eingehend. Hiko lehnte sich zurück, ein nachsichtiges Lächeln auf den markant-attraktiven Zügen. "Habe ich diese Frage nicht bereits beantwortet? Oder erwartest du eine andere Auskunft?" Der Ninja spürte, wie ungewohnte Hitze in seine Wangen stieg. Eilig verbarg er sich hinter seinen langen Strähnen. Hikos samtiges Lachen vibrierte in der Hütte. Ein Fruchtwasser-klebriger Finger tippte auf Aoshis Nasenspitze. "Merk dir eins, kleiner Drache: was ich mir in den Kopf gesetzt habe, das tue ich auch." "Und Euer Entschluss sieht vor, mich als Euren persönlichen Leibeigenen am Leben zu erhalten?" Konnte Aoshi nicht widerstehen, einen Stachel in die Wunde zu treiben. Die gleiche Hand wischte tadelnd lange Strähnen aus seiner Stirn, funkelte stürmisch in die eisblauen Augen. "Sehe ich aus wie ein Sklavenhalter, Ryuu?!" Schnaubte Hiko indigniert. Aoshi erwiderte den kämpferischen Blick, gab nach einigen Herzschlägen auf. "Warum nennt Ihr mich so?!" Er verlegte sich störrisch auf ein anderes Schlachtfeld, von sich selbst wenig angetan, weil er diese Eigenschaft nicht bei sich vermutete. Hiko lehnte gegen die Hauswand, ein Bein nachlässig aufgestützt, den Arm über das Knie gelegt, das andere Bein ausgestreckt. Er betrachtete den Ninja unter halb gesenkten Lidern lauernd. Ein maliziöses Lächeln umspielte seinen Mund. "Es sind wohl deine einzigartigen Augen und deine Herkunft aus dem Land der blauen Jade-Drachen." Er konnte sehen, wie die Porzellan-weißen Züge, die unter seiner Pflege einen sanften, lebendigen Schimmer angenommen hatten, schlagartig jede Farbe verloren, sich die bewunderten Augen weit öffneten, ein Zischen entfloh. "Was sagt Ihr da?!" Wisperte der Ninja fassungslos, vornübergebeugt. Hiko kreuzte beide Arme in seinem Nacken. "Deinen Geburtsnamen kannst du aus nachvollziehbaren Erwägungen nicht mehr benutzen. Da du ihn ohnehin einmal modifiziert hast..." Das bleiche Gesicht nahm marmorne Beschaffenheit an, rang sich Fassung ab. "Woher...?" Heiseres Räuspern. "Woher wisst Ihr...?" Der Schwertkampfmeister lächelte rasiermesserscharf. "Als du in den ersten Tagen im Fieber lagst, besuchte ich das Hauptquartier der Polizei in Kioto. Allerdings ohne deren Wissen." Boshaftes Grinsen. "Wie es das Geschick wollte, fand ich eine Akte. Eine umfangreiche Sammlung, für die man nach dem Tod des Delinquenten wohl keine Verwendung mehr haben dürfte." Aoshi zog sich reflexartig tief in sein Inneres zurück, um ebenso unerbittlich wieder von dem gleißenden Licht herausgetrieben zu werden, eine Hand in seine Brust gekrallt, als könne sie das rasende Herz anhalten. "Ich denke, der gerissene Schnüffler hatte diese freundliche Gabe für mich deponiert." Bemerkte der Ältere mit einem nonchalanten Grinsen. "Saitou." Wisperte der Fokus seiner Betrachtungen einen stimmlosen Fluch. Hiko schloss die Augen, referierte sanft. "Es war einmal ein reicher Adeliger, der bereits ein hohes Alter erreicht hatte, als eines Tages sein Auge auf die Sklaven fiel, die man aus dem fremden Land des großen Drachen transportiert hatte. Wie es der Zufall wollte, fand sich eine junge Frau mit blauschwarzem Haar und den Augen in der Farbe des Himmels unter ihnen. Er wählte sie aus, seine Konkubine zu werden. Obgleich er hochbetagt war, gebar ihm seine exotische Gemahlin einen Sohn, dem sie einen Namen gaben, der ihm Schicksal wurde: blau wie seine Augen und zum Zeichen der Liebe seines Vaters als Erbe eingesetzt. Dies stellte einen Affront gegen die Ehefrau und die älteren Kinder dar. Der Adelige glaubte, sein Reichtum reiche aus, alle seine Erben zu befriedigen, sollte ihn der Tod ereilen. Das Schicksal aber raubte ihm die geliebte Gefährtin zuerst, ließ ihn mit dem Sohn zurück, den er allein erziehen musste. Seine Frist währte nicht lange. Nun blieb der Junge mit den blauen Augen einsam zurück im Kreise der Familie, die den Bastard nicht anerkennen wollte. Im Gegenteil, ihre Rachsucht war stark genug, das Kind an ein Bordell verschachern zu wollen. Keinesfalls sollte er einen Erbteil antreten in Konkurrenz mit den ehelichen Kindern. Bevor der Junge der Ungnade ausgeliefert wurde, fiel das Auge eines Kriegers auf ihn. Der Krieger entschloss sich, den Jungen zu erwerben, da er das Potential in der agilen Gestalt erkannte. So fand der Hauptmann der Oniwa Banshu einen ungewöhnlichen Schüler, der bald seine kühnsten Erwartungen übertreffen sollte. Er lehrte den Jungen auch, seinen Namen verändert zu schreiben: das Blau der Augen verblieb, kombiniert mit Purpur, der Farbe der Mächtigen. Soll ich fortfahren?" Aoshi zitterte merklich, die Fäuste geballt, Knöchel und Lippen schneeweiß unter der Anspannung. Die Raubvogelaugen studierten ihn eingehend, registrierten jede Reaktion. »Er hat alles gewusst. Vom ersten Tag an.« Blitzartig schleuderte Aoshi die dünne Decke über den Schwertkampfmeister, stürzte davon. ~+~ Kapitel 10 - Alte Wunden Hiko wischte den Stoff ärgerlich beiseite, erhob sich. Er hatte auf eine Reaktion gehofft. Die Vehemenz, mit der sie erfolgt war, stimmte ihn zuversichtlich. Allerdings hielt er eine kopflose Flucht in den Frühabend nicht gerade für vielversprechend. Sein ungestümer Gefährte konnte seine Wunden erneut in Mitleidenschaft ziehen oder sich die Glieder brechen. Viel schlimmer jedoch wog der Selbsthass in den eisblauen Augen. ~+~ Er hetzte durch Gebüsche und Wildwuchs, folgte vage einem Pfad, unterdrückte Schmerzen, deren stärkster Beitrag in seiner Brust wütete, gallig in seine Kehle stieg. Er wollte nicht innehalten, sich nicht festsetzen lassen, was in seinem Bewusstsein lauerte. Wohin seine Schritte ihn trugen, kümmerte ihn nicht. ~+~ Hiko unterdrückte ein Schmunzeln, als er dem jüngeren Mann folgte, dessen Spur er nicht verfehlen konnte, da ihn die gemeinsame Verbindung sicher führte. War der kleine Drache tatsächlich vollkommen nackt davon gestürmt! Als er die Richtung erkannte, in die ihn sein Gefährte lenkte, mischte sich ein absichtsvolles Funkeln in seinen Blick. ~+~ Aoshi hörte die Schritte hinter sich, gemütlich, selbstsicher. Er starrte in den Abgrund, der sich unter ihm auftat. Der Felsvorsprung ragte weit hinaus. Ihm direkt gegenüber stürzte sich ein gewaltiger Strom in die Tiefe, mündete in mehrere Wasserbecken, die sich durch eine lieblich grüne Flussaue schlängelte. Kein Sprung konnte den Abgrund überwinden. Eine Umkehr würde ihn direkt in die Arme seines Häschers treiben. Hin und her gerissen zögerte er, welche Option er wählen sollte, als Hiko sich aus dem Buschwerk löste. "Was ist, Ryuu? Willst du fliegen lernen?" Amüsierte der sich leichthin, warf die langen Haare auf den Rücken. Der Ninja wich weitere Schritte zurück, geriet mit dem verwundeten, linken Oberschenkel in ein gefährliches Trudeln. Hiko federte mit Schwung aus dem Stand, schoss auf Aoshi zu, riss ihn mit sich in den Abgrund. ~+~ Instinktiv umklammerte Aoshi die muskulöse Gestalt, schmiegte sich eng an den warmen Leib an, der ihn festhielt, kerzengerade in die Tiefe stürzte. Wie ein Schlag umfing sie Wasser, sprudelten Blasen aufgeregt an ihren verschlungenen Körpern entlang, schlugen wilde Wellen über ihnen zusammen. Unterschiedliche Strömungen und Wirbel tosten den Fluss auf, nicht zu vergessen der Fall über mehrere Meter. Sie saugten gierig an den beiden Männern. Hikos kräftige Beinstöße lenkten sie rasch aus dem Zentrum des Strudels, pilotierten sie geschmeidig und pfeilschnell durch die Wogen, bis er sie an die Oberfläche beförderte. Danach ließ Hiko dem Ninja keine Gelegenheit, seinem festen Griff zu entfliehen, sondern setzte seine besonderen Fähigkeiten und die Techniken der Hiten-Mitsurugi ein, um schier über der Wasserfläche zu tanzen, flinker noch, als es der perfektionierte Schwerttanz des Oniwa Banshu vermochte. In Pirouetten und Schleifen glitt er dahin. Die langen Haare flogen frei trotz ihrer Nässe, ein Kometenschweif, der sie umschmeichelte, jedem Sprung, jedem Salto getreulich folgte. Atemlos hing Aoshi um den kräftigen Nacken, zitterte hilflos, bis Hiko endlich zu einem Stand in hüfthohem Wasser kam, von seinen Strähnen umhüllt, vergnügt in die fiebrigen Augen zwinkerte. "Na, kleiner Drache, hat es dir gefallen?" Er ließ Aoshi fahren, wandte sich um, seinen akrobatischen Tanz fortzusetzen, eine Kata, die der Schwerkraft widersprach. Eine Feier des Lebens und seiner ungewöhnlichen Fertigkeiten. Der Ninja schwankte, die Arme ausgebreitet, als könne er Halt auf der Wasseroberfläche finden, zu einigen Felsen hin, die ihm endlich Stütze boten, seine matten Glieder trugen. Gegen seinen Willen folgte er dem Spektakel, der Verzückung, die dieser Vorführung anhing wie ein unsichtbarer Schleier, den rabenschwarzen Strähnen, die die Luft durchpeitschten, ihrem entblößten Besitzer schlangenartig eine mitternächtliche Korona verpassten. »Hiko wirkt wie ein Gott.« Konstatierte es stoisch in seinem Kopf. Eine schlichte Feststellung dessen, was er angesichtig wurde. »Ich werde niemals wieder so geschmeidig und schwerelos dahingleiten, kann mir nicht mehr entkommen. Reduziert auf das Ungeheuer, das ich bin, ohne Aussicht auf einen Wert.« Er senkte den Kopf, fügte in unzähligen Tropfen stumm salziges Wasser in das sprudelnde Flussbett. ~+~ Mit einigen kräftigen Schwimmzügen, deren es in Anbetracht des lediglich hüfthohen Wasserpegels nicht bedurfte, hielt Hiko auf seinen jüngeren Gefährten zu. Dem musste wohl unterdessen gedämmert sein, dass der scheinbar waghalsige Sprung dem Schwertkampfmeister nichts Neues gewesen war, er um die potentielle Gefährdung wusste, allerdings auch die Sicherheit besaß, Wasseruntiefe und vorspringende Klippen zu vermeiden. Der Himmel färbte sich in abendliches Sonnenuntergangsrot, gleichsam auch das schimmernde Nass wie ein Strom aus flüssigem, glühenden Gold. Hiko hielt vor Aoshi inne, dessen sehnige Arme Halt auf abgeschliffenen Felsen gefunden hatten. Der hielt den Kopf gesenkt, von blauschwarzen Strähnen verborgen vor indiskretem Blick. Winzige Kreise weiteten ihren Durchmesser vor Aoshis Bauch in Höhe der durchweichten Bandagen. Der Schwertkampfmeister verschluckte jede joviale Bemerkung, die ihm Sekunden zuvor noch adäquat schien, die Beklommenheit zu vertreiben, die seine Offenbarung hervorgerufen hatte. Die Hand gehoben, um die Tränen zu trocknen, die über das fahle Gesicht rinnen mussten, näherte er sich Aoshi. Der wich reflexartig zurück, die Arme vor dem Körper gekreuzt, als trüge er noch immer seine Kodachi zur Verteidigung. "Es kühlt sich ab, Ryuu. Lass uns gehen." Bemühte sich der Ältere um einen besonnenen Ton. Als sei er nicht soeben brüsk abgewiesen worden. Der Ninja jedoch wandte sich erstaunlich flink um. Ohne Rücksicht auf seine Verletzungen krabbelte er auf allen Vieren über die Felsen, um sie als Hindernis zwischen sich und Hiko zu setzen, sein Heil in der Flucht zu suchen. Hiko seufzte nachsichtig, nahm die Verfolgung auf. Er haschte den Jüngeren in Hüfthöhe, riss ihn hinab in seichtes Ufergewässer, arbeitete sich an Aoshis Leib hoch. Aus dem Augenwinkel heraus erblickte er ein Handgelenk, umklammerte es, da es einen spitzen Stein hielt, ihm den Schädel einzuschlagen drohte. "Was soll das werden, Ryuu?!" Funkelten die Raubvogelaugen schwarz. "Willst du mich ebenso erledigen wie die anderen?!" Aoshi fauchte guttural, wand sich, wurde schließlich durch die größere Kraft gezwungen, seine Waffe fallen zu lassen, warf sich gegen den Älteren, um mit Schultern, Ellenbogen, Zähnen gegen ihn anzutreten. Der Schwertkampfmeister hielt der Attacke ohne Gemütsregung stand, wartete, bis sich die Kräfte des Jüngeren erschöpften, der keuchend gegen seine Brust sank. Wie mehrfach erprobt hob er den Ninja auf seine Arme, transportierte ihn gelassenen Schritts durch den Wald zu seiner Behausung. ~+~ Matt verfolgte Aoshi die Bewegungen des Schwertkampfmeisters im anheimelnden Schein einer Laterne. Der verstaute Gerätschaften, reinigte die Schüsseln, aus denen sie gerade eine reichhaltige Suppe geschlürft hatten, knotete seine langen Strähnen lose zusammen, um zu ihm zu treten. Hiko lächelte besänftigend auf den ausgestreckten, vollkommen nackten Mann hinab, der reglos auf den Tatami lag, frisch bandagiert. Im Kerzenlicht wirkte die Porzellan-weiße Haut weniger fahl und glanzlos, die eisblauen Augen dunkel und mysteriös. Geschmeidig nahm er auf dem Podest neben dem Jüngeren Platz, stützte eine Hand auf der anderen Seite von Aoshis Taille auf, betrachtete ihn eingehend. "Wenn du den Bann brechen willst, formuliere ihn." Riet er verklausuliert. Er nahm den Futon aus dem Regal, entrollte ihn, legte den Ninja wie eine Puppe ab, sich selbst daneben, wie in den Nächten zuvor einen muskulösen Arm als Versicherung über Aoshis Brust deponiert. Der wünschte sich, die Schmerzen ignorieren zu können, um sich auf die Seite zu drehen, dem Schwertkampfmeister den Rücken zu weisen. Das verbot sich angesichts der Unmöglichkeit, Schlaf zu finden. "Liebst du das Mädchen? Misao?" Drang Hikos Stimme gedämpft, mit schwerer Zunge, an sein Ohr. Aoshi erwog, diese Frage wegen ihrer Indiskretion auszuschweigen, vermisste die innere Entschlossenheit, sich zu verweigern. Er war müde, weit über körperliche Mattigkeit hinaus. "Wie eine Schwester." Gab er heiser zurück. Ein Brummen antwortete ihm. "Sie denkt nicht so über dich." Informierte ihn der Ältere, rückte näher heran, als bedürfe er trotz der verbliebenen Hitze des Sommertags fremder Körperwärme. Aoshi wandte den Kopf, irritiert. "Woher...?" "War hier, mit Kenshins Freunden." Murmelte der Schwertkampfmeister, schmiegte sich an die Seite des Ninja, streifte mit der Nasenspitze dessen Wange. Der blinzelte, spürte die Raubvogelaugen auf sich fixiert, drehte brüsk den Kopf weg, starrte an die Decke. "Es ist unmöglich!" Stellte er steif fest. Blieb unwidersprochen. Hikos Hand streifte über Aoshis Haare, glitt über Wimpern, Nasenspitze und Lippen, als wolle er den Vorhang der Traumwelt über den Jüngeren bringen. "Schlaf, kleiner Drache." Wisperte er sanft, intensivierte die Ausstrahlung seines Ki, bis der Ninja sich entspannte. ~+~ Zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt in der Behausung des Schwertkampfmeisters erwachte der Ninja vor ihm. Er konnte sich nicht erheben, da ein Arm quer über seiner Brust ihn nachdrücklich hinderte. Aoshi wandte den Kopf, studierte die entspannten Züge des Älteren, von wirren, schwarzen Strähnen eingerahmt. Wusste der wirklich alles? Oder hatte Hiko nur eine Vermutung geäußert? Er gab wenige Mitglieder der Oniwa Banshu mit blauen Augen und ebenso wenige Männer mit einer blauäugigen Konkubine. Der letzte Meister der Hiten-Mitsurugi-Schule war ein gerissener Mann. Unmöglich, sich ihn ungeachtet dieser Enthüllungen an seiner Seite vorzustellen! Nur eine Person mit entsprechender Verderbtheit konnte solchen Schmutz tolerieren. "Wie fühlst du dich?" Ansatzlos stützte sich der Ältere auf einen Ellenbogen auf, überraschte seinen Bettgenossen durch das übergangslose Wechseln von Schlaf zu Wachzustand. Hastig wandte Aoshi den Kopf ab. Hiko neben ihm gähnte ohne Scheu, setzte sich räkelnd und streckend auf, lockerte Muskeln und Sehnen auf. Er massierte die Kopfhaut unter der wallenden, vom Schlaf zerzausten Mähne gedankenverloren. Endlich versetzte er Aoshi einen knappen Stoß. "Mach Frühstück, Ryuu." Der erhob sich mit einiger Mühe, hatten seine Verletzungen die Anstrengungen des letzten Abends nicht ohne Verstimmung durchlitten, pochten nachdrücklich auf ihren Protest. Die Lippen fest aufeinander gepresst gestattete sich Aoshi keinerlei Anzeichen von Schwäche. Zudem konzentrierten sich seine Gedanken auf den vordringlichsten Punkt: wie viel wusste der Schwertkampfmeister wirklich? Konnte es möglich sein, dass der den offiziellen Part seiner Herkunft erkundet hatte, seine Aussagen sich darauf bezogen? »Oder...?« Intensiv sondierte der Ninja Wahrscheinlichkeiten, während seine Hände ohne Aufsicht die morgendlichen Verrichtungen absolvierten. Er war der Hauptmann gewesen, für eine nicht unbeträchtliche Zeitspanne. Es konnte kein Geheimnis sein, woher er kam und wie er seinen Posten erlangt hatte. Zumindest kannte Hiko nach eigenem Bekundungen die Umstände seines Aufstiegs. Kannte er sie tatsächlich? Waren es mehr als bloße Rückschlüsse aus dem Tod und Verschwinden diverser Oniwa Banshu, bis Aoshi zum Hauptmann und Nachfolger seines Patrons ernannt wurde? »Gewissheit.« Mit beiden Schüsseln einer dünnen Suppe eingedenk des bevorstehenden Sommertags wechselte er zu ihrer gemeinsamen Lagerstatt hinüber, in der sich der Schwertkampfmeister noch immer gemütlich räkelnd ausstreckte. Aoshi lud seine Last ab, ließ sich steif nieder. Er bestrich mit der Linken seine Seite, als könne der minimale Hautkontakt Aufschlüsse über den Grad seiner Rekonvaleszenz geben. Es fühlte sich nicht mehr befremdlich an, vollkommen entblößt neben dem älteren Mann zu sitzen: das gleißende, stetig brennende Licht in seinem Inneren forcierte eine Akzeptanz der Situation. »Wenig mehr bin ich als ein Haustier.« Konstatierte Aoshi losgelöst. Ein verkrüppeltes Ding, das kleine Handreichungen auferlegt bekam, geduldet wurde. Gezwungen, Stolz und Ehrgefühl zu vergessen, weil es dem selbstherrlichen Mann an seiner Seite so gefiel. »Er fürchtet mich nicht, obgleich er vermutet, dass ich Konkurrenten getötet habe. Nicht zu erwähnen die Menschen, die meinen Weg als Ninja der Oniwa Banshu kreuzten.« Eine unvergleichliche Ruhe bemächtigte sich seiner, als er sich erhob, zur Herdstelle hinüber stakste, niemals wieder geschmeidigen, gleitenden Schritts, ein Messer aufnahm, zu Hiko zurückkehrte. Der hatte keinerlei Anstalten unternommen, die Raubvogelaugen aufzuschlagen oder das Frühstück zu eröffnen. Viel zu einfach, sich auf die niedrige Matratze sinken zu lassen, die polierte Schneide direkt auf der Kehle abzulegen, eine Hand am Griff, die andere auf dem Messerrücken, in intimer Nähe über seinem Gastgeber gekauert. Der hob die Lider auf Halbmast, studierte den Ninja kurz, schloss die Augen, als existiere die tödliche Bedrohung an seinem Hals nicht. "Seid Ihr nicht ein wenig vertrauensselig?" Wisperte Aoshi heiser, von dieser Reaktion nicht sonderlich überrascht, korrespondierte sie mit der Arroganz des Schwertkampfmeisters. "Ich laufe nicht vor meinen Ängsten davon. Ich konfrontiere sie." Wurde ihm schläfrig beschieden. Aoshi studierte die entspannten Züge, den ruhigen Herzschlag, das gleichbleibende Feuer in seinem Innere: Hiko WAR gelassen. Es handelte sich nicht nur um eine aufgesetzte Maske. "Ihr glaubt wohl, ich hätte Skrupel, Euch zu töten?" Bemerkte der Ninja spitz, verkrampfte in der unbequemen Lauerstellung. Eine Replik blieb ihm eine immense Zeitspanne verwehrt. Er konnte sich nicht überwinden, seine Tat zu vollenden. Die schwarzen Augen suchten seinen Blick, in einem sehr stillen Gesicht. Der Ninja zitterte. "Du fürchtest, dass ich um dein Geheimnis weiß." Stellte der Ältere leise fest, ohne Genugtuung. "Du möchtest eher einen Mord auf dich nehmen, als in meinen Augen Verachtung zu lesen." Stumm verharrten sie, einander musternd, der Ninja mit verstärkt bebenden Gliedern, einen hoffnungslosen Kampf gegen die Gewissheit bestreitend. Hiko legte eine Hand behutsam auf die sich rasch hebende Brust seines Gegenüber. Sein Ausdruck blieb unverändert. "Ich weiß, was dir angetan wurde." Formulierte er sehr leise, in reserviertem Bedauern. ~+~ Ewigkeiten verliefen sich, da die Zeit zu kriechen schien. Aoshi verharrte eingefroren in dieser Warteschleife, starrte auf seine zitternden Hände, hörte das Knirschen seiner Zähne, die unter dem Druck der Kieferknochen malmten. Seine Augen brannten in Trockenheit, ein reduziertes Gesichtsfeld, das einzig klar die blanke Schneide und die samtige, wehrlose Halspartie umfasste. Nur ein Zeichen... nur eine Andeutung von Mitleid... Angst... Ekel... Abscheu... Wenn es doch nur käme, so könnte er sich lösen, den Akt vollbringen!! Der Mann in seiner Gewalt regte sich nicht, überließ ihm die Qual der Entscheidung. Mit einem Wehlaut wandte sich der Ninja abrupt ab, ließ das Messer fahren, sodass es dumpf auf dem Futon aufprallte. »Warum zögere ich?!« Er ballte die Fäuste, von Eruptionen erschüttert, Selbsthass, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Nicht ein gestandener Mann mit vielerlei Erfahrung, sondern ein Kind ohne Zuflucht. In seinen Augenwinkel glitt schemenhaft eine Bewegung auf ihn zu. Jegliche Motivation fehlte ihm, er fand sich gegen eine nackte, muskulöse Brust gezogen, von kraftvollen Armen umschlungen. Der Schwertkampfmeister summte leise, tröstend vor sich hin, verströmte eine einlullende Gleichmütigkeit, die Aoshis aufgewühlte Seele besänftigte, ihm die Entscheidung erleichterte. Die schlanken Hände vor das Gesicht gehoben, im Schatten der rabenschwarzen, hüftlangen Mähne geborgen begann er, die Tränen zu vergießen, die er seit Jahren verborgen hatte. Bald steigerte sich sein Schluchzen in wütenden, ungerichteten Protest, ballten sich Fäuste, gegen die Scharte auf Hikos Brust gepresst, eine Anklage an das Schicksal. Verrat, Enttäuschung, Abscheu, Zorn. Eine unerträgliche Melange unterschiedlichster Emotionen brach aus dem jüngeren Mann heraus, mit der Gewalt, mit der er sie so lange unterdrückt hatte. Hiko hielt ihn fest umschlungen, ein greifbares Hindernis und Versicherung zugleich, ein Fixpunkt in diesem Wirbelsturm der Empfindungen. Fremde Silben glitten melodisch über seine Lippen, ein endloser Singsang in samtigen Bass, bis Aoshi endlich erschöpft in Schlaf fiel. Erst jetzt wagten die kraftvollen Hände, behutsam durch blauschwarze Strähnen und über den verkrümmten Rücken zu streicheln. Ein Versprechen zu geben. ~+~ Aoshi erwachte allein, wenn auch nicht verlassen. Er spürte die Präsenz des Schwertkampfmeisters in seiner Nähe, war dankbar für dessen Taktgefühl, ihm Zeit und Raum zu verschaffen, sich zu sammeln. Wie sollten sie einander nun begegnen? Der Ninja fühlte die Gewissheit, über jeden Zweifel hinaus, dass der ältere Mann in der Tat mit einem Wissen vertraut war, das andere das Leben gekostet hatte. Die Knie vorsichtig unter der dünnen Decke anziehend setzte sich Aoshi auf, massierte mit den Fingerspitzen sehr behutsam seine Verwundungen. Ein zögerliches, selten benutztes Lächeln stahl sich auf seine Lippen: Hiko hatte ihn umsorgt wie ein verlorenes Kind. In den Schlaf gesungen, mit einem Lied, das in einer Sprache gehalten war, die Aoshi seit Ewigkeiten nicht mehr vernommen hatte. »Er ist niemals vor mir zurückgeschreckt. Nicht ein einziges Mal.« In ihm wuchs das Bedürfnis, sich mitzuteilen, zu formulieren, was einen gewaltigen Schatten über seine Existenz gelegt hatte, sein Leben geprägt. Entschlossen schälte er sich aus der Lagerstatt, erhob sich vorsichtig, wählte eine Yukata des Schwertkampfmeisters, begab sich auf die Suche. ~+~ Das gleichmäßige Geräusch der Töpferscheibe verwob sich mit dem Rhythmus der emsigen Fauna in der vormittäglichen Hitze, geschäftiges Brummen und Tirilieren, während eine heiße Brise trocken durch die Büsche und Bäume wehte. Aoshi zögerte, die Werkstatt zu betreten. Er versetzte sich selbst einen flachen Schlag auf den rechten Oberschenkel, die drastische Aufforderung, nicht in jungfernhafte Scheu zu verfallen, wo sie nur mehr der Lächerlichkeit gereichen konnte. Dennoch öffnete er sehr behutsam die angelehnte Tür, bewegte sich lautlos in die schmale Hütte, ein wenig überrascht, dass Hiko es vorzog, eventuellem Besuch den Rücken zuzukehren. Arroganz? Oder Selbstsicherheit? Wer konnte diesen Mann ergründen? Statt einer Äußerung winkte ihn eine feuchte Hand ungeduldig heran. Als der Ninja sich näherte, fand er sich ohne Federlesen auf dem Schoß des Älteren, bereits mit Spuren dessen Schaffensdrangs versehen. Die schlanken, kraftvollen Hände umfassten Aoshis, dirigierten sie auf die vage Form eines niedrigen Topfs, bevor Fingerspitzen seinen eigenen rieten, wie sie der kreisenden Masse Gestalt verleihen konnten. Aoshi registrierte die muskulöse Brust in seinem Rücken, den Geruch, der die Werkstatt erfüllte, sich mit dem älteren Mann mischte, seine glühende, besänftigende Nähe, trotz der Energie, mit der gearbeitet wurde. Hiko beließ es nicht bei einem Gesellenstück. Sein jüngerer Schüler wurde aufgescheucht, das Werk in ein Regal für die Bestückung des Brennofens einzureihen, die Yukata um die Hüften zu binden, wieder Platz zu nehmen. Bald war auch Aoshi mit irdenen Streifen verziert, was ihn nicht kümmerte, da er Hikos Freude an der gemeinsamen Unternehmung wie ein prickelndes Leuchtfeuer in ihrer Verbindung spürte. "Und nun allein!" Gebot der Schwertkampfmeister, lehnte sich weit zurück auf dem Hocker, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Ninja visualisierte eine sich verjüngende Vase. Seine Anstrengungen mündeten in ein eher windschiefes Gebilde, das sich zwiebelte wie ein Schneckenhaus. Misserfolge verabscheuend nötigte ihm dieses Ergebnis unerklärlicher Weise ein ungelenkes Lächeln ab, bevor er leise, ungeübt kicherte. "Kein Wunder!" Kommentierte Hiko trocken. "Dein Kopf ist ja ganz wirr, Ryuu!" Er verstrubbelte mit beiden Händen die blauschwarzen Haare derart, dass Aoshi von seinen Oberschenkeln zu gleiten drohte. Reflexartig und simultan umklammerten sie sich beide, eine Trennung durch Sturz zu vermeiden. Sich umwendend studierte der Ninja die Raubvogelaugen, lächelte über das verschmierte Gesicht. Das brachte ihm ein ebenso aufblendendes Grinsen ein, da die Überreste des Tons in seinen Haaren härteten, sie wie einen Stachelschweinrücken gestalteten. Sie neckten einander stumm mit bezeichnenden Blicken und zwinkernden Lidern, bis der Bann sich hob, beide in Gelächter ausbrachen. Langsam reduzierte sich ihr Amüsement. Hiko strich mit einer Hand behutsam über Aoshis Wange, studierte dessen Gesicht intensiv mit einer seltsam konzentrierten Anstrengung. Der Ninja erwiderte diese Aufmerksamkeit mit wachsender Irritation und Unruhe, drehte schließlich den Kopf weg. "Gehen wir zum Fluss, kleiner Drache, oder wagen wir den Sprung?" Hikos Stimme hatte ihren gewohnten dunklen Klang, ein Timbre frei jeder Erklärung für sein ungewöhnliches Gebaren. Erleichtert löste sich Aoshi aus den muskulösen Armen, erhob sich, um sofort in Reichweite der tastenden Finger zu geraten, die energisch seine linke Körperhälfte erkundeten, den Stand des Heilungsprozesses ermaßen. "Gut, gut!" Konstatierte der Schwertkampfmeister, wischte sich durch die Strähnen, die ihrem Zopfband entflohen waren, an der feuchten Haut hefteten. "Geh voran." ~+~ Der Ninja schritt gemächlich aus. Trotz der Baumkronen drangen die glühenden Sonnenstrahlen nur unwesentlich gefiltert hinab, heizten die geschlossene Atmosphäre im Wald auf. Sein linkes Bein pochte unter der Anstrengung, allerdings in tolerablen Graden, wie er befand. Hiko folgte ihm, in ein Schweigen gehüllt, das die Eingebundenheit der Gedanken ihres Besitzers in entfernte Gefilde verkörperte. Obgleich sich der Ältere nicht ausrechnen ließ, vermutete Aoshi beklommen, dass ein Teil dieser Okkupation mit seiner eigenen Biographie in Zusammenhang stand. Um sie zu wissen sowie um möglicherweise unangenehme Details, war eine Sache. Ein persönliches Interesse nicht abstreifen zu können, eine ganz andere. »Wobei ich mir wünsche, dass er ein persönliches Interesse hat.« Der Ninja registrierte das hilflose, ungeübte Lächeln in seinen Zügen an der Spannung der betroffenen Sehnen, die diese Aufgabe höchst selten zu übernehmen hatten. »Ein rätselhafter, sehr mysteriöser Mann, mit Ecken, Kanten und sanften Kurven. Werde ich ihm standhalten können, wenn er Fragen aufwirft?!« Erforschte er sein Inneres, in dem das beruhigende Licht glomm. »Wenn nicht ihm, wem sonst?!« Konterte es feststellend. ~+~ Hiko beobachtete den Mann, dem er ein neues, anderes Leben offeriert hatte, während Partien seiner Gedanken sich mit Unbegreiflichem auseinandersetzten: ein leichtes Hinken, das den geschmeidigen, lautlosen Bewegungsablauf trübte, blauschwarze Strähnen, die ein schmales, ausgezehrtes Gesicht beschatteten, die eisblauen Augen versteckten, die Porzellan-weiße Haut mit ihrem Narbengeflecht, das lediglich Hände und Kopf ausnahm, sanft gerötet unter dem Einfluss der Sonne. Der Schwertkampfmeister las in den Zügen seines Gefährten. Er konnte ermessen, wie wenig Erheiterung und Freude sie auszuprägen gehabt hatten. Aber Aoshi hatte gelacht! Funken hatten in blauen Meeren getanzt, die schmalen Lippen hatten Farbe gefunden, dem ruhigen Tenor der wenig genutzten Stimme eine unerwartete Wärme verliehen. Es konnte nicht verwundern, dass dessen Eltern ihm seinen Namen verliehen, ihn liebten, blind für die tödliche Gefahr: der kleine Drache war ein wunderschöner Mann. Wenn der Ninja sich von seinem Ballast befreite, so, wie dies Minuten zuvor geschehen war, faszinierte er mit einer Ausstrahlung, die ihresgleichen suchte. »Ich kann es nicht begreifen! Niemals!« ~+~ Ungeachtet seiner Fähigkeiten und des jahrelangen Trainings überraschte Aoshi der plötzliche Wechsel von Spazierschritt zu Spurt, die Arme, die sich um ihn schlangen, ihn aufnahmen, als wöge er weniger als eine Handvoll. Das Abstoßen vom festen Grund, wenige Sprungschritte nur, federnd, selbstsicher. Der Boden verlor sich unter ihren Füßen unwiederbringlich. Instinktiv umklammerte er die muskulösen Arme, schmiegte sich in die Gestalt des Älteren, bevor der harte Aufprall auf die Wasserfläche ihm sekundenlang Orientierung und Atem raubte. Er wusste, dass der Schwertkampfmeister sich pfeilschnell drehte, ihn keineswegs, wie zu erwarten stand, freigab, sondern auf dem Rücken pilotierte, durch die kräftigen Beinschwünge angetrieben die Untiefen und Felsen allein in Gewohnheit umsteuerte. Wenige Wimpernschläge später, in die gleißende Sonne blinzelnd, befanden sie sich in ruhigerem Gewässer. Aoshi rollte sich von seinem menschlichen Floß hinab, tauchte in das kristallklare Wasser ein, erprobte seine eigenen Muskelkräfte. Er hielt auf die Uferaue zu, bis er bequem stehen konnte, bevor er sich aufrichtete, damit begann, pflichtschuldig seine Haut von den Spuren der ersten Töpferversuche zu reinigen. Eine Spritzfontäne traf ihn direkt vor die Brust. Hiko feixte ihn kriegerisch an. Aoshi zog die Augenbrauen zusammen, funkelte kühl zurück, setzte seinen bedrohlichsten Blick ein. Der Schwertkampfmeister der Hiten-Mitsurugi-Schule wischte sich die langen, schwarzen Strähnen mit einer gekünstelten Bewegung über eine Schulter, stellte eine Hüfte aus, reckte das Kinn. Die Wimpern wehten einen Tusch. "Du versuchst doch nicht, mir Angst einzujagen, oder?" Zwitscherte er zwei Oktaven über dem gewohnten Bass, während seine Raubvogelaugen glitzerten, der Parodie ihren herausfordernden Charakter einprägten. Der Ninja knurrte guttural, warf sich auf die Wasserfläche, steuerte den Älteren an. Der wich geschickt aus, setzte die flachen Hände ein, um weitere Säulen durchsichtiger Flüssigkeit in den Himmel schießen zu lassen. Das hinderte seinen jüngeren Partner nicht, den vermeintlichen Fehler in einen Angriff zu wandeln, herum zu schnellen, rücklings in Begleitung einer Spritzwasserwelle die Hüften des Schwertkampfmeisters anzusteuern, um in den Nahkampf überzugehen. Hiko wich aus, grinste triumphierend, jagte Fontänen hoch, bis die Welt in Schauern unzähliger Tropfen zu versinken schien, bevor er von den Beinen geholt wurde. Obgleich Aoshi durch seine Verwundungen gehindert war, seine überragenden Fähigkeiten einzusetzen, konnte er die Vorteile des Wassers für sich nutzbar machen. Nicht zu vergessen den unausgesprochenen Wunsch seines Gefährten, die wachsende Spannung zu lindern. Also umwanden sie einander spielerisch, tippten auf Körperpartien, entwischten um Wimpernschläge einem Kontakt, auf ihre Gemeinschaft fokussiert, lächelnd, provozierend, neckend. Haschmich, wie es Kinder liebten, ein ganzkörperliches Prickeln aus Erwartungsfreude, Ausloten der Grenzen, aus sprudelndem Amüsement. Vielleicht albern und wenig tiefsinnig, doch unerlässlich für eine enge Freundschaft. Schließlich ging Aoshi der Atem aus, gefolgt von seinen Kräften. Er ließ sich an die Oberfläche treiben, ausgestreckt, die Augen vor der Sonne geschlossen. Er wusste, dass er lächelte. Nicht das formale Mundwinkelkräuseln, das eine steinerne Maske von guten Absichten transportieren sollte, sondern ein wahrhaftiges, losgelöstes Lächeln, das sich unbezwingbar nicht sorgte, ob es angebracht oder geistvoll war. Ein Schatten fiel über ihn. Nasse Strähnen trieben gegen seine Schultern, bevor Hiko unter sie fasste, ihn auf die Füße stellte. Ein wenig verwundert folgte ihm der Ninja an das Ufer in den Schatten der Bäume. Er hatte vermutet, dass der Schwertkampfmeister wie zuvor über die Wasserfläche tanzen würde, schwerelos sich selbst erfreute. Allerdings wies das attraktive Gesicht des Älteren den unleserlichen Ausdruck auf, den Aoshi bereits in der Werkstatt beobachtet hatte, nachdem die Hand seine Wange verlassen, der intensive Blick der Raubvogelaugen sich verschlossen hatte. Hiko streckte sich auf dem flachen Moosteppich aus, der den feuchten Boden säumte, achtlos die langen Strähnen ausgebreitet, die Arme unter dem Nacken verschränkt. Wachsam nahm Aoshi an dessen Seite Platz, studierte die selbstabsorbierte Gestalt eindringlich. In dem Älteren arbeitete es, so viel konnte er erkennen. Die Umstände erforderten eine Aussprache. Frostige Schauer huschten über den Rücken des Ninja. Man hatte ihn trainiert, bestimmte Dinge nicht zu hinterfragen, selbst wenn sein Intellekt die anderen überragte. Er hatte sich daran gewöhnt, seine Perspektive auf das zu reduzieren, was der unmittelbaren Zukunft der ihm anvertrauten Männer zum Beschwernis werden konnte. »Doch nun...« Er straffte seine sehnige Gestalt, atmete tief ein, konzentrierte sich auf seine innere Gelassenheit, schob Zweifel und Unsicherheiten beiseite. Hiko hätte ihn jederzeit dem Tod überlassen können. "Was stand in dem Dossier über mich?" Erkundigte er sich leise, erkundete die kommunikativen Untiefen nicht direkt. Die Raubvogelaugen fixierten das Blätterdach. "Berichte von Augenzeugen. Nachbarn. Spitzeln. Agenten. Ein Arztbericht." Aoshi zog die Beine an, schlang die Arme um die Knie. Er ignorierte den warnenden Protest der Wunden. Das erklärte Einiges. Er richtete sein Augenmerk auf den Fluss, das glitzernde Band inmitten des saftigen Grüns, die vereinzelten Äußerungen der Fauna. Eine friedliche Idylle. Er fror. "Ich erinnere mich nicht an einen Arzt." Nahm er den Gesprächsfaden wieder auf, zwang seine angespannten Kiefermuskeln zur Kooperation. In seinem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung: Hiko setzte sich auf, schleuderte die Haare aus. "Kämm mal durch!" Geschmeidig setzte sich der Schwertkampfmeister direkt vor ihn, zwang Aoshis Beine aus dem kompakten Paket des Schutzes, wedelte demonstrativ die schwere, feuchte Mähne nach hinten. Aoshi ergab sich, begann, mit den aufgefächerten Fingern durch die langen Strähnen zu streichen, einzelne Partien abzugrenzen, sich in der Betätigung zu verlieren. Er arbeitete schweigend, bis endlich die ungebärdige Masse in einen langen Zopf geflochten war, mit einem biegsamen Grashalm versiegelt. Vor ihm spannten sich imposante Schultermuskeln. Er konnte der Einladung nicht widerstehen, die Finger in sie zu graben, sie geschmeidig zu massieren. Seltsam, den so selbstsicheren und scheinbar egozentrischen Mann in dieser Zurückhaltung zu erleben, die einen explosiven Ausbruch zur Folge haben musste! "Ich bitte um Eure Vergebung für den Angriff." Wagte er einen Schritt in diese fremdartigen Gefilde der Unsicherheit. Hatte er ein arrogantes Schnauben mit beiläufigem Abwinken erwartet, vielleicht sogar erhofft, belehrte ihn der ältere Mann eines Besseren. Er wandte sich um, baute sich vor Aoshi auf, die Beine gekreuzt, hoch aufgerichtet, die Augenbrauen zusammengezogen, die Raubvogelaugen mitternachtsschwarz und hellwach. "Ich habe schon eine Menge gesehen." Hikos Betonung ließ keinen Zweifel über die Vielseitigkeit dieser Erfahrungen. "Ich kann es nicht begreifen! Ich WILL es auch nicht!" Schnauzte er enragiert. Aoshi blinzelte überrumpelt. "Ich habe diese~diese Ungeheuerlichkeiten gelesen! Bei allen Göttern, ich weiß, warum ich diese Gesellschaft aufgegeben habe! Es ist unerträglich!" Hikos Wut war so ungefiltert und urtümlich, dass der Ninja seinen Kiefer ungläubig nach unten sacken spürte. Konnte ein erwachsener Mann, ein Meister einer der tödlichsten Kampfkünste, wirklich wie ein trotziges Kind starrsinnig eine Verweigerungshaltung an den Tag legen?! Der Ältere bot ihm nun das Profil. Die energische Kinnlinie verdeutlichte mehr als alles andere, welche Kräfte sich unter dem eisernen Willen zu beugen hatten. "Ich bin herumgekommen, habe dieses Land bereist, sogar das Meer überquert. Ganz gleich, wo ich auch war, die Menschen scheinen von dem einzigen Ziel besessen, ihren Mitmenschen das Leben zu erschweren! Machtstreben, Gier, Habsucht." Die schwarzen Augenbrauen dräuten düster. "Ich habe Unzählige in ihrem Blut gesehen, zu viele bestattet, wozu?! Wozu diese lächerlichen Anstrengungen?! Warum dieses Leid?! Frauen, Kinder, Greise, Faustpfand für strategische Machtspiele, ihre Existenz ausgelöscht, niemand, der sich ihrer erinnert!" Hiko flocht seinen flammenden Blick in die eisblauen Augen. "Ich bin der letzte Meister der Hiten-Mitsurugi. Wir stehen unparteiisch den Menschen zur Seite, bereit, Tod und die Verantwortung dafür auf uns zu nehmen. Ich habe getötet. Nicht, weil es gerecht war, sondern in der verzweifelten Hoffnung, die Bedrohung für die Hilflosen und Schwachen zu reduzieren. Jahrelang! Dennoch habe ich nichts erreichen können." Ein scharfes Auflachen knisterte in der Luft. "Wahrscheinlich liegt es tief in der menschlichen Natur, zu erobern, zu erniedrigen und zu knechten. Egal, ob Ehefrau, Tier, Natur oder Mitmenschen." Unwillig erhob er sich in einer gleitenden Bewegung, unternahm einige Schritte in die Sonne. Aoshi atmete aus, ein pfeifendes Geräusch, hatte er doch unwillkürlich die Luft eingehalten. In seinem Zorn war der ältere Mann furchteinflößend und verstörend. Weil der es wirklich nicht begriff? Der Ninja betrachtete die kraftvolle Erscheinung, prüfte sein Urteil. Konnte ein solcher Mann wirklich so unschuldig, so losgelöst sein? Er erinnerte sich an die fremdartige Haltung Kenshin Himuras, dessen bis zur Penetranz ausgeübte Freundlichkeit und Nachsicht. Das Bestreben, ohne Entlohnung, bisweilen sogar verachtet und verspottet den Rechtlosen beizustehen. Das Ziel dieser Offenbarung eröffnete sich Aoshi jedoch unmissverständlich: Hiko hatte Einzelheiten erfahren. Da sie beide um die Kenntnis des jeweils anderen wussten, wollte der ihm verständlich machen, was ihn dazu bewegt hatte, den Jüngeren aufzunehmen, am Leben zu erhalten. Eine Rechtfertigung zu geben, warum Hiko seine Fähigkeiten nicht in den Dienst der Mitmenschen stellte. »Damit wirbt er um mein Verständnis. Er will, dass ich bleibe! Würde er sonst solche Mühen auf sich nehmen?!« Eine glühende Welle von Sicherheit und Zuneigung durchlief den sehnigen Ninja. Zu seiner Verlegenheit hatte sich der Schwertkampfmeister unterdessen wieder vor ihn gekniet, studierte ihn eingehend. "Ich kann es nicht begreifen." Wiederholte Hiko eindringlich, eine Spur verloren. "Ihr wäret nicht der Mensch, der Ihr seid, könntet Ihr es." Entgegnete Aoshi sanft, spürte ein Lächeln auf seinen Lippen. Eine kritische Falte kerbte sich in den sichtbaren Teil von Hikos Stirn. Statt einer Fortsetzung ihrer Annäherung erhob er sich, streckte nachlässig eine Hand aus, um dem Ninja auf die Füße zu helfen. "Ich habe Hunger. Gehen wir zurück." ~+~ Mochte manch einer die abrupten Wechsel in Gesprächsthema und Unternehmung als Zerstreutheit missdeuten: Aoshi unterlief diese Fehleinschätzung nicht. Um die hochsommerliche Hitze auszusperren, hatten sie im Morgengrauen die nächtliche Abkühlung hinter den Wänden eingefangen, die Fensterläden geschlossen. Jetzt konnten sie auf den Tatami in angenehmer Dunkelheit und Temperatur ruhen. Vage konnte Aoshi die Silhouette des Schwertkampfmeisters ausmachen, der es sich ihm gegenüber gemütlich gemacht hatte. Es erleichterte ihn, quasi in die Intimität der Finsternis sprechen zu können. Als gebe es keinen Zeugen, dessen Urteil zu fürchten war. "Ich erinnere mich an meinen Vater als einen schlanken, hochgewachsenen Greis, der an einem Stock ging, in lange Gewänder gekleidet, mit dünnem Bart und trüben Augen. Er ließ mir alles durchgehen, verwöhnte mich, hielt mich aber von den anderen Mitgliedern seiner Familie und des Haushalts getrennt. Das fiel nicht sonderlich schwer, da wir einen Flügel seines gewaltigen Hauses allein bewohnten. Fortwährend sprach er von meiner Mutter, ihrem Gesang, ihrer Schönheit. Ich wusste nicht, wie außergewöhnlich mein Stand in der Gesellschaft war, bis er starb." Der Ninja wischte sich durch die Haare, räusperte sich leise. "Wie gewöhnlich ließ ich meinem Temperament freien Lauf, klammerte mich an ihn und schrie. Obgleich er Vorsorge für den Fall seines Todes getroffen hatte, spürte ich, wie sich rapide die Situation veränderte. Seine Familie, die mich mied, wich nicht mehr zurück, erwies mir Respekt, wie ich es gewohnt war. Im Gegenteil, man schlug mich, zerrte mich von ihm weg, sperrte mich ein, bis ich vor Hunger und Kummer zu schwach war, Gegenwehr zu leisten. Ich durfte das erste Mal das Gelände unseres Hauses verlassen in Begleitung der Ehefrau meines Vaters, deren Diener mich an einem Strick hinter sich her zog. Alles faszinierte mich. Ich spürte Aufregung und Neugierde, bis fremde Männer und Frauen mich anzufassen begannen. Niemand hatte mich zuvor berührt, meine Eltern ausgenommen, nicht einmal die Diener meines Vaters. Nun war ich eine Ware, ein Gegenstand, den man entkleidete, anstarrte, den man Bastard schimpfte. Außer mir schlug ich um mich, spuckte, kratzte, wie von Dämonen besessen. Ich wollte davonlaufen. Die Menge der Fremden umzingelte mich, bis jemand in ihre Mitte trat, in die Knie ging, mich betrachtete. Keine Anstalten unternahm, mich festzuhalten oder zu schlagen. Ein kräftiger Mann mit einem runden Gesicht und scharfen Augen, den Kopf kahl rasiert wie ein Mönch. Allerdings krönte seine eindrucksvolle Erscheinung ein gewaltiger Schnurrbart. Er debattierte lautstark mit der Ehefrau meines Vaters, entzog ihr den Strick, hob mich auf seine Schulter. Für einige Münzen kam ich unter die Fittiche des Hauptmanns der Oniwa Banshu." Aoshi lächelte in Erinnerung. "Hauptmann Makimachi brachte mich zu anderen Waisen, die er aufgelesen hatte. Ich wurde ein Schüler. Er selbst traf die Entscheidung, welche Berufung uns bestimmt war, prüfte unsere Fähigkeiten, erkundigte sich regelmäßig nach uns. Entgegen der Gerüchte zwang niemand Menschen in die Oniwa Banshu. Im Gegenteil, wer in die Gemeinschaft eines Dorfes zurückkehren, ein Handwerk erlernen, ein Auskommen finden wollte, den hinderte er nicht. Loyalität verdient man sich. Man kann sie nicht forcieren. Ich blieb, nachdem ich begriff, dass ich nicht in einer anderen Gemeinschaft aufgenommen werden würde, strengte mich an, wollte für den Hauptmann mein Bestes geben." Aoshi lauschte auf das Gleichmaß ihrer Atemzüge, abgeschlossen von der schläfrigen Geschäftigkeit der von Sonne getränkten Welt jenseits dieser Hütte. "Mit der Zeit wurde aus mir ein Ninja, meine Aufträge immer umfangreicher. Allerdings musste ich stets allein agieren, im Verborgenen. Der Hauptmann hatte andere Pläne: meine Fähigkeiten sollten auch seine Mitstreiter für mich einnehmen. Er wollte mich befördern. Bevor mich diese frohe Kunde erreichte, brach ich zu einer Mission auf. Als ich erfolgreich, aber erschöpft zurückkehrte, war der Hauptmann in großer Eile abgereist. Ein schrecklicher Unfall hatte sich ereignet, einzig seine kleine Enkeltochter hatte nahezu unverletzt überlebt. Unruhe breitete sich aus unter den Verbliebenen. Ein Machtvakuum entstand durch diesen 'Unfall'. Ich beschloss, mich bedeckt zu halten und im Morgengrauen auf Trainingsmission zu gehen, soweit kein neuer Auftrag vorlag. Als ich aus dem Badehaus kam, hatte man meine Kleider und Waffen beiseite geschafft. Da erkannte ich die prekäre Lage, in die ich mich begeben hatte, darauf vertrauend, dass die Oniwa Banshu einig unter dem Hauptmann stand. Ich wollte fliehen, wurde allerdings aufgehalten. Ohne Waffen, ausreichende Bekleidung und erschöpft von der Reise." Die Fäuste geballt zog Aoshi die Beine vor die Brust, umklammerte sie, registrierte den raschen Atem, der auch die Anspannung seines Gegenüber in der Dunkelheit verriet. "Sie waren zu zweit, wie Brüder und erfahrene Kämpfer, außerdem betrunken und voller Hass auf einen adligen Bastard, der ihre Position gefährdete. Ich verlor den Kampf. Sie verprügelten mich, schlugen mich halbtot. Und..." Würgend erhob sich Aoshi taumelnd, stolperte ungelenk auf betäubten Gliedern auf die Tür zu, eine akute Übelkeit verzweifelt bezwingend. Er erreichte die nahegelegenen Büsche rechtzeitig, um die letzte Mahlzeit von sich zu geben, sank auf alle Viere, von der Sonne bestrahlt. Hikos Schatten warf sich über ihn. Er wurde auf die Füße gestellt, mit einem feuchten Lappen energisch gereinigt. Eine Hand zwischen seinen Schulterblättern dirigierte ihn wieder in das Innere der Behausung, sperrte Sonnenhitze und Licht aus, platzierte ihn auf den Tatami. Der Schwertkampfmeister streckte sich neben ihm aus, ohne direkten Körperkontakt, sandte seine Körperwärme radial aus. "Ich kenne diesen Teil." Bemerkte er barsch. "Du musst dich nicht quälen." »Ich wünschte, ich könnte ihn aus meinen Gedanken verbannen!« Setzte er in seinen Gedanken hinzu. Mit dem gleichen ungläubigen Entsetzen, das der Arzt vor so vielen Jahren empfunden hatte, als er seinen Bericht niederschrieb, hatte er, ein Mann, dem Gräuel nicht fremd waren, gelesen, was sich zutrug. Es hatte den beiden Angreifern nicht genügt, das damals schmächtige, nicht allzu große Kind nahezu totzuschlagen, ihm Arme und Beine systematisch zu brechen, den Brustkorb einzudrücken, ihre Schwertklingen über Rücken und Brust zu ziehen. In unaussprechlicher Perversion hatten sie sich an dem wehrlosen Kind vergangen, Ninja, oder nicht. Der Arzt hatte Holzsplitter aus dem blutigen Gaumen und Kiefer gezogen, die Keile verursacht hatten, blutigen Schaum aus der Lunge und der Kehle abgesaugt, in der klebriges Sperma sich erstickend verklumpt hatte, das anale Ende des schmächtigen Körpers mit unzähligen Stichen genäht, überzeugt, dass der Junge besser gestorben wäre, als diese Folter zu überleben. Allein Gesicht und Hände hatten sie verschont, um die Übeltat verbergen. Hiko fuhr sich mit beiden Händen energisch über die angespannten Züge, rieb Blut in die straffen Partien. Er hatte so etwas nur einmal gesehen. Die Foltermethode war ihm nicht unbekannt. Zwei Männer, die einer Frau gleichzeitig in ihrer abartigen Geisteskrankheit zugesetzt hatten. Mit einem einzigen Streich hatte er ihren unbeschreiblichen Umtrieben ein Ende gesetzt, ohne Reue oder Bedauern. Eine Stunde neben der Sterbenden ausgeharrt, ihre zerschmetterte Hand gehalten, bis ihr Wille sich erschöpfte, den verwüsteten Körper verlassen hatte. An seiner Seite regte sich der Ninja, überwand die marginale Distanz zwischen ihnen, lagerte sich an Hikos Brust, das Gesicht auf einer Schulterbeuge abgelegt. Eine Pose, in der sie gelegentlich erwachten. Vertraute Nähe. Nach einem Sekunden währenden Zögern umarmte der Schwertkampfmeister den jüngeren Mann fest. »Nein!« Knirschte sein kräftiges Gebiss. »Ich KANN es nicht begreifen.« ~+~ Aoshi fühlte das befremdliche Bedürfnis, den älteren Mann zu trösten, obwohl dieser Part seiner Biographie ihn lähmte, in eine Schockstarre versetzte. Er war schwach gewesen, gutgläubig, vertrauensselig. Ein Kind. "Sie schafften mich zu einem alten Mann, der früher zur Oniwa Banshu gehört hatte, aber verabschiedet worden war. Der sicherte ihnen zu, sich um mich zu kümmern, damit sie dem Hauptmann übermitteln konnten, dass mir nichts geschehen war." Aoshis Finger streiften müßig über die breite Scharte, die die mächtige Brustpartie entstellte. Sein Atem wärmte die Haut. "Der alte Mann war einst gefürchtet gewesen, ein herausragender Ninja, der um alle Tricks und Heimlichkeiten wusste. Allerdings hatte er eine unappetitliche Neigung, Kindern nachzustellen. In meinem Fall konnte er nichts mehr verderben." Seine bitteren Worte verätzten seine Kehle. Er schluckte mehrfach. "Ich blieb bei ihm, drei lange Jahre. Ich schoss in die Höhe, lernte alle seine Geheimnisse, teilte sein Bett. Ich war ein Krieger, der Beste der Oniwa Banshu. Niemand konnte mich besiegen." Aoshi schmiegte sich enger an den reglos lauschenden Mann, schloss die Augen. "Eines Morgens war ich bereit, konnte meine Präsenz vollkommen auslöschen. Er wusste nicht, wo ich mich befand oder was ich plante. Ich erlöste ihn von seinem unsäglichen Verlangen, packte meine Habseligkeiten und kehrte zur Oniwa Banshu zurück." "Nachdem du alle Täter und Mitwisser erledigt hattest." Bemerkte Hiko trocken. Der Ninja, quer über ihm liegend, richtete sich auf. "Sie waren keine Oniwa Banshu. Sie waren nicht einmal Männer." Wie Hiko vermutete hatten sie nicht erwartet, statt des notdürftig zusammengeflickten, halbtoten Kindes einen hochgewachsenen, sehnigen und nahezu unbesiegbaren Mann zu treffen, der emotionslos ihren Tod anstrebte. "Ich wurde der neue Hauptmann. Ich wollte wie Makimachi sein, das Richtige tun, meinen Männern zum Vorbild. Aber ich bin gescheitert." Fast gewaltsam zog der Schwertkampfmeister den jüngeren Mann auf sich hinunter, strich bekräftigend über den Narben gezeichneten Rücken, summte leise vor sich hin. "Du weißt, dass du die wesentlichen Dinge richtig getan hast. Richte dich nach deinen eigenen Maßstäben, nicht nach denen anderer!" Zu seiner Überraschung lachte Aoshi leise, hob sich auf die Ellenbogen, studierte in der Dunkelheit den Mann unter sich. Das ermaß der Schwertkampfmeister daran, dass ihn Atemzüge verändert bestrichen. "Ihr seid einfach unglaublich." Die ruhige Stimme lächelte sanft. "Ihr wollt mich wahrhaftig zurück an das Licht führen." Hiko knurrte eine Warnung, ihn zu verspotten, setzte seine erheblichen Kräfte ein, den Gefährten wieder sicher in seiner Umarmung zu betten, bevor er fremde Worte intonierte, bis sie beide der Schlaf umnachtete. ~+~ Die Hitze ließ Aoshi nicht lange ruhen. Er bemühte sich zwar um Geduld, doch seine prickelnden Glieder wollten nicht länger stillhalten. Er löste sich aus den Armen des Älteren, glitt von ihm herunter, richtete sich auf, wischte die feuchten Strähnen aus seinem Gesicht. Aoshi wandte den Kopf, um den schlafenden Gefährten zu betrachten. Hiko wirkte entspannt, von einer losen Korona rabenschwarzer Haare umgeben. Im Zwielicht eine besänftigende Quelle der Zuversicht. Wie zuvor erfüllte es den Ninja mit Erstaunen, dass der Schwertkampfmeister keine Anstalten unternommen hatte, ihn zu meiden, vor Ekel zurückzuweichen. Langsam ließ er die Finger über den schweren Zopf gleiten, erkundete behutsam, weniger als eine Ahnung nur, die glatte Haut über den modellierten Muskelpartien. Seltsam, einen Mann von Hikos Attraktivität ohne Familie zu wissen. War er von seinem Idealismus getrieben aus der Gesellschaft verschwunden, hatte seine Mitmenschen in ihrem verderblichen Streben aufgegeben, um einen einsamen Frieden in der Abgeschiedenheit zu finden? »Warum akzeptierte er meine Anwesenheit? Ich bin dem Battousai nicht ähnlich, kein Schüler, kein unschuldiges Kind.« "Du bist verdammt anziehend, wenn du lächelst." Bescheinigte ihm Hiko mit maliziösem Grinsen, das selbst das Halbdunkel nicht verhehlen konnte. Der Ninja spürte ein Lächeln auf seinen Lippen. Frappiert von seiner unwillkürlichen Reaktion betastete er sein eigenes Gesicht. Hätte man ihn auf diese Art und Weise angesprochen, als er noch ein Krieger war, hätte er das kaltblütig geahndet. Sein Aussehen, selbst mit dem jahrealten Narbengeflecht, zog noch immer unangebrachte Aufmerksamkeit auf sich. Was ihn des Öfteren in das Dilemma manövrierte, Annäherungen rüde ausweichen zu müssen. Diese Sorge um seine abwehrende Reaktion kümmerte ihn nicht mehr. Ihn beschlich ein Verdacht, den er zu verifizieren suchte. Scheinbar gedankenverloren ließ er sich bequem neben dem älteren Mann hinuntersinken. "Habt Ihr mich deshalb gerettet?" Erkundigte er sich mit flacher, ernster Stimme. Abrupt schoss der Schwertkampfmeister an seiner Seite in die Höhe. "Du denkst, ich würde meine Position ausnutzen?! Für wen hältst du mich?!" Fauchte er in offener Empörung. Seine Raubvogelaugen loderten in der Finsternis. Aoshi drehte sich behutsam auf seine unversehrte Seite, stützte sich vorsichtig auf. "Bin ich nur ein Experiment für Euch? Oder warum duldet Ihr mich an Eurer Seite? Habt Ihr nicht immer allein gelebt?" Selbst in der Dämmerung des Raums, der wenig von der Nachmittagssonne einließ, konnte er erkennen, wie Verärgerung und Spott einen Kampf um die Vorherrschaft ausfochten. "Ich sagte doch schon, dass es eine Herausforderung war! Außerdem ist noch Wäsche zu machen und Holz aufzuschichten für den Ofen! Wenn du nichts zu tun hast, kleiner Drache, gib dich daran!" Der Zopf wirbelte wie ein Peitschenhieb durch die träge Atmosphäre, von seinem Besitzer energisch angetrieben, der dem Ausgang seiner Behausung zustrebte. Ein Bild von Arbeitseifer. "Darum singt Ihr mich mit einem Kinderlied meiner Muttersprache in den Schlaf?" Bemerkte Aoshi lächelnd. In der offenen Tür konnte er die Silhouette des Schwertkampfmeisters ausmachen, muskulös und anmutig zugleich. "Es ist das einzige, das ich kenne." Die Tür schloss den Ninja in der schwülen Dunkelheit ein. ~+~ Kapitel 11 - Annäherung Besonnen absolvierte Aoshi seine Pflichten. In der glühenden Sommerhitze, die sich aufgestaut hatte, konnte übertriebener Eifer seiner Kondition schwächelnde Einbrüche verleihen. Der Schwertkampfmeister hatte sich entfernt, weder seine Werkstatt, noch das Badehaus waren berührt. »Habe ich ihn ernsthaft beleidigt?« Ungeachtet der forschen, selbstbewussten Reden und des sicheren Auftretens umwehte den älteren Mann ein Air der unduldsamen Abstinenz. Mochte man Rückschlüsse aus seinen Worten ziehen, vermuten, er hege keine geheime Absicht, konnte man glauben, dass der Schwertkampfmeister die Gesellschaft anderer mied, sie seit längerer Zeit verweigert hatte. Seltsam, einem Mann zu begegnen, der über gewaltige Fähigkeiten verfügte, nur einen Schüler in 15 Jahren unterrichtet hatte. Der ihn zudem im Streit verließ. Der Battousai hatte sich über die Qualitäten und die Aufgabe der Hiten-Mitsurugi-Kampfschule ausgelassen, autark und unabhängig von jeder Partei und Meinungsführerschaft zu bleiben, um allein der Mission der tätigen Hilfe zu dienen. Allerdings ein absoluter Rückzug aus der Gesellschaft...?! Aoshi fuhr sich durch die klebrigen Strähnen, blinzelte transpirierend Perlen aus seinen Wimpern. »Er weiß nahezu alles über mich und ich so wenig über ihn. Wie soll ich ihn einschätzen?« Die linke Körperhälfte vorsichtig massiert studierte er unfokussiert das farbenprächtige Grün ringsum die kleinen Behausungen, lauschte dem leisen Ächzen des Holzes der Veranda. »Er hätte mich wegschicken können. Warum tut er es nicht?!« ~+~ Hiko genoss das Schattenspiel der Blätter auf seinem Körper, das winzige Prickeln eintrocknender Nässe, die grobe Matratze aus Grashalmen und Moos unter seinem Körper. Wenn er sich treiben ließ, flog die Zeit dahin. Die Notwendigkeiten verloren sich. Er wurde ein Teil eines gewaltigen Ganzen, das jede bedeutungsschwangere Schwere abstreifte. Heute allerdings blieb es bei der Abkühlung und Abgeschiedenheit in der schattigen Flussaue. Lange Jahre war er mit seinen Gedanken und seiner Arbeit allein gewesen, frei von fremden Regeln. Einem eigenen Universum überantwortet. Wenn er die Gesellschaft des Ninja floh, konnte man das wohl als verdiente Atempause betrachten. Schnickschnack!! Die Raubvogelaugen blitzten in das Blätterdach. Die attraktiven Züge boten ein verstimmtes Schmollen. »Tatsächlich weiche ich seinen impertinenten Fragen aus!« Konstatierte der Schwertkampfmeister düster. »Überhaupt, erst kriegt der Bursche die Zähne nicht auseinander, jetzt tormentiert er mich mit Fragen! Bin ich nicht der Sensei, der Ältere?! Wo ist der Respekt, die Ehrfurcht?!« Hiko setzte sich auf, ein Bein angewinkelt, zeichnete verdrossen mit der Rechten Figuren in das nachgiebige Moos. Wenn er es als ganz angenehm einstufte, zur Abwechslung mit einem anderen Menschen zusammenzuleben, war das eine rationale, ethisch absolut akzeptable Entscheidung! Allein die Vorstellung, er wolle seine Position ausnutzen oder sich nach einer solchen Offenbarung Vorteile verschaffen! Die Verletzlichkeit seines Patienten zum Werkzeug wählen, um ihm....niemals!! »Ich könnte ihn wegschicken. Gut, seine Chancen wären nicht besonders gut, wenn er im Land verbliebe. Mit diesen Narben kann ein ehemaliger Schwertkämpfer wohl kaum friedlich einem anderen Beruf nachgehen. Jenseits des Meers... Er könnte andere finden, die einen Anführer benötigten. So, wie er selbst einer Aufgabe bedurfte.« Mit einer gleitenden Bewegung erhob sich der Meister der Hiten-Mitsurugi-Kampfschule, trat in den Sonnenschein und die ruhigen Ufergestade, bis er die Mitte des quecksilbrigen Flussbetts erreicht hatte, in Taillenhöhe umspült wurde. Eine sanfte Sehnsucht umhüllte sein Herz, ließ ihn stumm verharren. ~+~ Aoshi trat aus dem erquickenden Schatten der Blätterdächer in das nachgiebige Ufergrün, setzte seine Füße vorsichtig, um nicht auf den feuchten Gewächsen auszugleiten, endlich im sandigen Grund weiter in das eilig fließende Gewässer hinauszutreten. Während er sich Hiko näherte, der zweifellos um seine Anwesenheit wusste, reflektierte er die sich reduzierende Unterschiedlichkeit ihrer äußeren Erscheinung: hatte er selbst zuvor meist vollkommen verhüllt der Sonne getrotzt, so brachte der rigorose Umgang des Schwertkampfmeisters und die Abgeschiedenheit ihres Refugiums es mit sich, dass die Porzellan-weiße Haut einen warmen Schimmer angenommen hatte. Selbst die Narben glänzten wie poliert, während seine Fußsohlen sich wappneten, ohne den Schutz von Schuhen jeglichem Untergrund zu begegnen. Sein älterer Gefährte war ebenfalls in der Sommerzeit nachgedunkelt, bot das imposante Bild eines archaischen Kriegers mit offen wehender Mähne, deren Spitzen auf dem Wasser dahintrieben, die Augen vor der blendenden Helligkeit bedrohlich zusammengekniffen. »Wie seltsam.« Aoshi lächelte selbstvergessen. »Zuvor hat er den aktiven Part eingenommen, wie es dem Sensei gebührt. Ich habe mich untergeordnet, Folge geleistet, soweit es mir zupass kam. Nun muss ich ihn bedrängen, seine Entscheidung zu treffen.« "Ich habe mein Tagewerk vollbracht, oh ehrwürdiger Meister." Eröffnete er den verbalen Schlagabtausch mit flacher, ernster Stimme, die formale Unterwürfigkeit begleitete. Die Replik bestand in einem übellaunigen Grunzen. Was den Ninja nicht weiter verwunderte. Der Schwertkampfmeister verfügte über einen herausstechenden Intellekt, wusste, was ihm drohte. Aoshi fischte einige Strähnen aus dem Wasser, ließ sie durch seine Hände gleiten. Ein müßiges Spiel. "Ihr wisst, dass Ihr mich fort senden könnt. Vielleicht würde ich jenseits der Meere eine Chance haben. Ein Bastard mit solchen Narben, der sein Können eingebüßt hat..." Fügte er im Plauderton an. Die eisblauen Augen funkelten zwischen den blauschwarzen Strähnen, fokussierten sich auf die ausgeprägte Muskelstruktur von Hikos rückwärtigem Torso unterhalb der schweren Mähne. "Allerdings habt Ihr natürlich das vordringlichste Anrecht auf mein Leben. Immerhin habt Ihr sehr viel investiert." Abrupt fuhr der Schwertkampfmeister herum, entriss in der kreiselnden Bewegung seine Haare Aoshis vergnügtem Kurzweil. "Du willst, dass ich mich dir offenbare?! Oder dass ich das fortsetze, was dich dazu befähigte, den Kinderschänder zu töten?!" Der ungefilterte Zorn des Ausbruchs vibrierte derart energisch in der Luft. Eine Druckwelle, die selbst den Ninja zwei Schritte zurückweichen ließ, bevor er seine Reflexe überstimmte, die Zehen in den Grund bohrte. In dramatische Geste, sie schien angebracht, hob Aoshi den rechten Arm, streckte den Finger aus, Hikos Brust zum Ziel, die Raubvogelaugen fixiert. "Ihr kennt mich wie kaum ein anderer lebender Mensch. Ihr habt mich mehrfach daran gehindert, meiner armseligen Existenz ein Ende zu setzen. Ihr habt mir Obdach gegeben und einen neuen Namen. Ihr WISST, dass ich nicht leben kann ohne eine Aufgabe!" Hiko schnaubte, fegte die Haare mit einer Hand aus seinem Gesicht und von den Schultern. "Das hindert dich wohl kaum, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen! Ich gebe dich frei!" Winkte er betont nonchalant. Der Ninja verringerte den Abstand mit entschlossenem Schritt, fing die ihn demissierende Hand ein, presste sie flach auf seine Brust. "Das könnt Ihr nicht." Wisperte er rau. "Ihr habt dieses Licht angezündet. Ihr habt dafür Sorge getragen, dass ich fühlen muss. Löscht das Licht und ich bin frei." ~+~ Hikos Miene verfinsterte sich um weitere Grade. Es blitzte Gewitter in den Raubvogelaugen. "Du weißt, dass das nicht geht!" Lektionierte er arrogant. "Außerdem ist es kein Ruhmesblatt, vor seinen Gefühlen zu fliehen. Auch wenn man sich nicht von ihnen beherrschen lassen sollte!" Setzte er selbstzufrieden fort. Der Ninja wich seinen Blick keineswegs aus. "Diese Finsternis war meine einzige Zuflucht, als man mich halbtot schlug und vergewaltigte, jeden einzelnen Tag danach zu einer Hure degradierte. Mir abverlangte, nicht in den Kampf zu ziehen, meine Männer bis auf den letzten starben. Ich immer wieder versagte, auch gegen Euren Schüler. Gebt sie mir zurück!! Oder lauft Ihr etwa vor Euren Gefühlen davon?!" Er wusste, dass diese Impertinenz, seine zornige Forderung, das Einkerkern der Rechten des Schwertkampfmeisters auf seiner Brust Konsequenzen haben würde. Ein wuchtiger Stoß beschleunigte ihn nach hinten. Sein linkes Bein gab nach, er brach unter die Wasseroberfläche. Instinktiv mit den Armen wedelnd, prustend, nach sicherem Stand suchend richtete er sich wieder auf, schüttelte glitzernde Perlen ab, blinzelte den älteren Mann herausfordernd an. "Löscht das Licht!!" Hiko fauchte, in eine Angriffshaltung übergehend. Seine Kampfaura umwehte ihn, ließ die rabenschwarzen Strähnen wie eine finstere Korona auffliegen. In Reaktion keuchte der Ninja, eine Hand flach auf sein Herz gepresst, wo sich der Fixpunkt der Energieverbindung zu finden schien. Ihn schmerzte, obgleich er sich nicht widersetzte. Die Präsenz des Schwertkampfmeisters war schlicht zu viel. Der korrigierte seinen Kurs, verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust, reckte das Kinn, dozierte. "Ich denke nicht daran!" Er kehrte Aoshi das Profil zu, belehrte über eine Schulter hinweg. "Ich kann meine Wäsche sehr gut selbst reinigen, habe ich jahrelang getan." Bestätigendes Abnicken dieser Tatsache. Er schlenderte davon, ließ die Handflächen auf die Wasseroberfläche sausen lassen, räsonierte verärgert. "Das ist genau das, warum ich mich von den Menschen zurückgezogen habe! Man gibt ihnen etwas, man hilft, und was passiert?! Sie beschweren sich, sind unzufrieden, meckern, jammern! Tu dies, tu jenes, blablablabla, quengelzeter!" An die Stelle der explosionsartig durch die Druckwellen ausgelösten Fontänen trat das Auswringen der Mähne, von lautem Monolog begleitet. "Das hat man davon! Undank ist der Welten Lohn. Ich hätte Kenshin damals seinen mageren Hintern versohlen sollen, als er anfing, mit irgendwelchen Streunern anzukommen. Aber nein, ich habe mich gekümmert. Das war der Fehler! Jetzt schleppt er mir immer noch alles, was ihm in den Sinn kommt, auf die Türschwelle! Übers Knie hätte ich ihn legen sollen!!" Aoshi verfolgte das selbst inszenierte Drama mit einer prickelnden Mischung von Faszination und Verärgerung. Wie konnte Hiko diesen entscheidenden Moment ihrer Gemeinschaft auf eine lächerliche Ebene hinabziehen?! »Andererseits...« Die Vorstellung, ein noch kleinerer Battousai belagere den Älteren erfolgreich, den wohl stärksten Kämpfer des Landes, und dies in Gefolgschaft räudiger Katzen, verlauster Hunde, gerupfter Vögel und anderem Getier... Ein breites Grinsen entspannte seine steinerne Miene. Unbezwingbar nistete es sich ein, schlug hakenartige Ausläufer in den gesamten, sehnigen Leib, tänzelte spottend umher, bis diese Sensation zu stark wurde, um sie versiegelt zu halten: Aoshi brach in schallendes, heiseres Gelächter aus. Vage bemerkte er, wie sich blitzartig der Ältere aus dem Wasser direkt vor ihm zu materialisieren schien. Er konnte sich nicht halten, im Gegenteil, er schwankte wie ein Grashalm in einem stürmischen Wind des Vergnügens. "Was ist so komisch, hmm?! Lachst du mich aus?!" Hiko stemmte die Hände auf seine Hüften. Die Augenbrauen berührten sich in dämonischem Zorn, boten ein imposantes Bild der indignierten Rechtschaffenheit. Der Ninja bemühte sich, mit einem Handrücken sein Amüsement zu dämpfen, unterlag jedoch erneut. Er fragte sich müßig, ob Hiko ihm nicht absichtlich diese Gelegenheit geboten hatte, um unter Wahrung des Gesichts eine versöhnliche Verbindung zu stiften. Inzwischen sicherte ihn ein Arm des Älteren, stützte seinen von eruptivem Gelächter fragilen Stand. Bis Aoshi den letzten Schritt unternahm, die Arme um den kräftigen Nacken schlang, den Schwertkampfmeister in eine enge Umarmung zog. Im Schutz der schwarzen Haare wisperte er beharrlich. "Ich werde nicht von Eurer Seite weichen." Hikos Hände strichen flach über Aoshis Rücken, spendeten Trost, reduzierten die Erschütterungen. "Ich überlasse dich nicht der Finsternis, Ryuu." Bestätigte er sanft, was das vulkanische Glühen in Aoshis Innerem bereits verkündet hatte. ~+~ Seit dieser Entscheidung waren zwei Tage verstrichen. Aoshi spürte, wie sich seine Mundwinkel zu einer säuerlichen Grimasse verzogen. Ein Novum, dass es ihm nicht mehr gelang, seine Emotionen zu verbergen! Obgleich der Schwertkampfmeister ihn nicht mied, sondern in gewohnter Routine agierte, hatte der eine unsichtbare Distanz adaptiert, die einen unüberwindbaren Wall errichtet hatte. Sie aßen gemeinsam, gingen ihren jeweiligen Beschäftigungen nach, schliefen Arm in Arm... Der Ninja schleuderte ein nasses Laken besonders kräftig aus. Das gespannte Leinen knallte förmlich wie ein Peitschenhieb, schreckte Vögel in den Bäumen in die Flucht. »Er beschäftigt sich stundenlang in seiner Werkstatt, aber das Töpferrad rotiert nicht. Er spricht nicht mit mir, öffnet sich mir nicht!!« Aoshi erschrak vor der Vehemenz seiner eigenen Erregung, den geballten Fäusten, den unwiderstehlichen Verlangen, physische Strafe für diese Missachtung folgen zu lassen. Es schien ihm, als habe das Licht in seinem Inneren eine Schatulle geöffnet, die nicht nur kontrollierbare Emotionen entließ, sondern auch triebhafte Anwandlungen. Die ihn beschämen sollten. Was sie nicht taten, da er sich auf egoistische Weise gerechtfertigt sah. »Warum auch nicht?!« Argumentierte er vor sich selbst, vertraute das letzte Laken den Wäschestangen an. »Es verhält sich ja keineswegs so, dass er mir ausgeliefert ist! Er ist stärker, erfahrener, verschlagener...« War es die drückende Hitze, die selbst hier, in den Anhöhen über dem Talkessel, seit zwei Tagen keine Erleichterung ermöglichte, das Ausbleiben lebenspendenden, regenerierenden Regens? »Ich bin so zornig! Auf diese Welt, auf dieses Wetter, ihn und mich!« ~+~ Selbstabsorbiert sortierte Hiko auf dem Werkstattboden winzige Häufchen geriebenen Steins und Mineralien unterschiedlichster Natur, die ihm dienen konnten, seine Keramik farbenfroh zu gestalten. Er liebte das Experimentieren mit den winzigen Perlen, die er erzeugte, um beurteilen zu können, wie sich das Ergebnis bei einem größeren Werk ausnehmen konnte. Als Autodidakt aus Notwendigkeit und Überzeugung gab er sich Inspirationen und Eingebungen hin, studierte die Natur, riskierte gelegentlich, wenn er in die Stadt hinab musste, einen Blick bei anderen Handwerksmeistern. Langsam jedoch wurde es spät. Er fühlte das Verlangen, nach seinem Gefährten Ausschau zu halten, dessen brodelnde Unruhe er leichthin ignoriert hatte. Scheute er die Konfrontation? Hatte sich sein Einsiedlertum schon derart eingeprägt, dass er sich entzog? Eine Antwort zu finden wurde ihm erlassen. In just diesem Augenblick der Selbstreflexion flog die Tür in den kleinen Raum, wirbelte die winzigen Partikel in ihren Haufen auf. Aoshi stürmte hinein, ein unregelmäßiger Gang durch das verkürzte linke Bein, warf sich auf den älteren Mann, der ihm unbewegt entgegengesehen hatte, schleuderte ihn zu Boden. Ohne eine Erklärung presste er die Handgelenke auf die Bodenbretter, fixierte die Raubvogelaugen unter sich mit feuriger Entschlossenheit, bevor er hinabstieß, den Schwertkampfmeister hart küsste. Ein Glimmen von Schuldbewusstsein materialisierte sich im Bewusstsein des Ninja, als ihm aufging, dass er keine Vorstellung davon hatte, wie man tatsächlich liebte. Wie man intimen Austausch mit einem Menschen pflegte, den man wertschätzte. Sein praktisches Wissen umfasste die Unterwerfung und Befriedigung von Gelüsten. Ein physischer Austausch, Kräftemessen. Sein Körper übernahm die Regie, ließ keinen Raum für vage Vorstellungen zärtlicher Werbung und Annäherung. Seine Zunge marodierte in dem fremden Gaumen, er biss und leckte gierig, zog sich zurück, um die von Staub und Schweiß benetzte Haut zu markieren, während er gleichzeitig ihre Suspensorien ungeduldig löste, seinem Partner nicht die Option zur Beteiligung offerierte. Hiko blieb passiv, stützte, umarmte, wich jedem Widerstand aus, ließ sich erkunden und erobern, gestattete den Porzellan-weißen Händen, ihre Erektionen zu vereinigen und energisch an die Schwelle der Erleichterung zu treiben. Dabei studierte er den jungen Mann, der wechselweise auf ihm lag oder kauerte, mit distanzierter Befremdung, registrierte die unziemliche Hast, mit der der Ninja auf seinen Hüften schwankte, ihn in sich aufnahm, mit Muskelkontraktionen fortsetzte, was er manuell initiiert hatte. Aoshi blieb dagegen unberührt von der unbeteiligten Haltung seines Partners. Sein unmittelbares Universum bestand aus dem Muskel-bespannten Brustkorb, auf den er sich stützen konnte, der pulsierenden Glut, die seinen Unterleib bis an die Schmerzgrenze ausfüllte und dem Verlangen, Tempo, Rhythmus und Härte allein angeben zu können. »Ich will befriedigt sein, und ich werde es!« Beschwor er stumm, die eisblauen Augen in Konzentration geschlossen, zog zischend durch die Zähne Luft ein, um keinen Laut entweichen zu lassen. »Ich kann es!« ~+~ Sehr behutsam löste der Schwertkampfmeister seinen Arm unter dem Haupt des Ninja, setzte sich auf. Sein Leib war gezeichnet von unterschiedlichen Farben Mineralienstaubs, Schweiß und Körpersäften. Er betrachtete einen langen Augenblick die ruhende Gestalt: Aoshi lag auf der unversehrten Seite. Die blauschwarzen Strähnen klebten in dessen Gesicht, verbargen den Ausdruck. Der sehnige Körper wies vergleichbare Spuren auf, zeigte sich allerdings zusammengerollt wie ein geprügeltes Tier. Nicht etwa, dass er dem jungen Mann ein Leid zugefügt hatte: das konnte der sehr wohl ohne fremde Hilfe. Hiko unterdrückte ein Seufzen fehlenden Verständnisses. Geschmeidig erhob er sich, verließ lautlos seine Werkstatt. ~+~ Wie viel Zeit vergangen sein mochte, konnte Aoshi nicht ermessen. Ungeachtet der drückenden Schwüle, die den kleinen Raum heimsuchte, fröstelte er, weil der Schwertkampfmeister nicht an seiner Seite war, seinen Rücken wärmte. Dessen schützende Präsenz ihn nicht umgab. Der Ninja richtete sich auf, rieb sich über die verdrehten, schmerzenden Glieder, durchforstete die nächtliche Finsternis. Wohin konnte der Ältere gegangen sein? Hatte Hiko sich ein bequemeres Lager im Haus eingerichtet? Pflegte er, zur Abkühlung im Wald spazieren zu gehen? Oder hatte ihn Appetit überkommen? Aoshi pflügte enerviert durch seine klebrigen Strähnen, seufzte laut. »Wie soll ich eine Einschätzung treffen, wenn er sich mir einfach nicht offenbart?!« ~+~ Hiko schöpfte Wasser mit den Händen, ließ es über seine nackte Haut gleiten und die Spuren des heißblütigen Intermezzos auf dem Boden seiner Werkstatt davontreiben. In der lauen Atmosphäre am Flusslauf folgten kreiselnde Gedanken dem dahingleitenden Strom, befreiten ihn von lästigen und fruchtlosen Erwägungen. Ohne sich umkehren zu müssen wusste er, dass Aoshi sich näherte, die Harmonie veränderte, seine Verärgerung nur unwesentlich filterte. Wie seltsam, dass sie sich erneut hier fanden. Hiko ging in die Knie, tauchte im Schutz des Wassers davon. Aoshi entging diese subtile Ausweichtaktik keineswegs. Er fühlte sich nicht imstande, seine Unzufriedenheit zu mäßigen. Deshalb vertraute er sich ebenfalls dem Strom an, hoffte, seine Arme würden die Leistung der versehrten Beine ausgleichen. Er erreichte Hiko, der auf dem Rücken dahin schwebte, zwang ihn mit energischem Zugriff auf die breiten Schultern, sich wieder auf die Füße zu stellen, die Aufmerksamkeit dem Gefährten zu widmen. "Es hat Euch nicht gefallen!" Feuerte der Ninja bereits den ersten Vorwurf ab. Um ein Entkommen zu verhindern, grub er die Finger fest in die langen Strähnen. Der Schwertkampfmeister hielt dem eisigen Gewittersturm in den ungewöhnlichen Augen stand. "Stimmt." Bescheinigte er schnörkellos. "Seid Ihr nun von Ekel erfüllt?" Folgte die bittere, leidenschaftliche Anklage, die unausgesprochen eine ganz andere Frage bemäntelte. "Ich verstehe, dass du dir etwas beweisen musstest." Lautete die besonnene Replik. "Ha!" Schnaubte Aoshi, den Kopf abgewandt. "Ich bin also nur meinen primitiven Trieben gefolgt, glaubt Ihr das?! Oder meint Ihr, ich sehne mich danach, immer wieder zu verlieren, weil es mir insgeheim zusagt?!" Die Augenbrauen Hikos schoben sich verärgert zusammen. Seine Gestalt spannte sich merklich. "Ihr seid überheblich und grausam! Ihr habt mich meinen Gefühlen ausgeliefert, verweigert mir jede Möglichkeit, Euch eine Gunst zu erweisen!" Beschuldigte der Ninja unbeeindruckt, von einer hilflosen Verzweiflung ergriffen, die in rückhaltlosen Hass umschlug. "Ich bin Euch nicht gewachsen! Trotzdem demütigt und quält Ihr mich!" "Sei still!" Hiko löste Aoshis Hände aus seinen Haaren, trieb ihn allein durch den Furcht erregenden Ausdruck von Schmerz und Zorn zurück. "Was weißt du darüber, ein unbesiegbarer Mann und ein Genie zu sein?! Es bedeutet ständige Verantwortung und Kontrolle! Denkst du, dass das einfach ist?! Nichts geschieht mir um meinetwillen, sondern aufgrund meiner Fähigkeiten und meiner Stärke! Ganz gleich, was ich auch tue, man wird daraus eine Vorteilnahme schließen!" Ein Stoß vor die Brust ließ den Ninja taumeln. "Was wolltest du?! Dass ich aktiv werde? Es wäre wie früher gewesen, nicht wahr?! Das ist alles so widerlich..." Hiko verzog abschätzig die Lippen. "Also ist es wahr." Aoshi senkte den Kopf, umklammerte zitternd seine Oberarme. "Ihr ekelt Euch vor mir. Ihr wünscht meine Nähe nicht." Brachte er kaum hörbar über die Lippen, fühlte sich einer Ohnmacht nahe, weil ihn schlagartig alle Lebensgeister zu verlassen drohten. "Dummkopf!" Schnauzte der Schwertkampfmeister ungehalten. "Was redest du für einen Unsinn?!" Mit einer resignierten Geste ließ er die Arme heruntersinken, klatschte sie auf die Wasseroberfläche. "Das ist so~so primitiv." Fügte er in moderatem Ton an. "Geht es denn wirklich nur um Macht? Nur um Körper und Kraft? Ist das alles?" Sich sammelnd blickte Aoshi auf, spürte den intensiven Blick des Älteren auf sich wie einen gebündelten Sonnenstrahl. "Ich verstehe nicht...?" Wisperte der Ninja hilflos. Ein schiefes Grinsen erhellte die attraktiven Züge des Schwertkampfmeisters. "Es ist einfach nicht genug!" Erläuterte er seinen reflektierenden Ausbruch mit einem verschwörerischen Zwinkern. Aoshi blinzelte fragend. Hiko raffte bereits seine losen Strähnen zu einem Bündel zusammen, das er über eine Schulter lud, um dort mit flinken Fingern eine Verflechtung zu beginnen. Den konzentrierten Blick von seinem Werk nicht abwendend erklärte er sich im Plauderton. "Weißt du, kleiner Drache, ich bin der Kämpfe müde. Manchmal sind sie kurzweiliges und erfreuliches Vergnügen, doch zumeist nur ein stupider, sinnloser Auftakt für den Tod. Mich zu besiegen ist nicht einfach. Bis heute ist es niemandem gelungen, obgleich Kenshin nahe dran war. Diese Art von Zweikampf, die du ausgetragen hast: sie missfällt mir. Ich mag es nicht, in einen anderen Menschen einzudringen, ihn zu beißen oder anderweitig zu quälen. Wenn es erforderlich ist, tue ich es gleichwohl. Immerhin trage ich eine gewisse Verantwortung." Der Schwertkampfmeister warf den Zopf auf den Rücken, sah intensiv in die eisblauen Augen. "Aber ich mag es nicht." Aoshis Lippen pressten sich zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen. Eine schlanke, kraftvolle Hand umfing seine Wange. "Ich weiß, was du fühlst, Ryuu." Hiko lächelte ungewohnt scheu, legte seine Lippen auf Aoshis unter der Verspannung zuckenden Mund. Eine sanfte Berührung, keinerlei Druck, lediglich ein Verharren im Hautkontakt. Der Ninja wollte in Protest den Gefährten von sich schieben. Wie konnte der beklagen, es, oder er!, sei nicht genug, und nun...! Ein erschrockenes Aufstöhnen entwich ihm. Obwohl sie einander kaum berührten, stand Aoshi in Flammen, raste sein Herz, pulsierte Feuer in seinen Adern. Er spürte Hiko, wie er dessen Präsenz in der Verbindung fühlen konnte, doch um ein Vielfaches verstärkt und intensiviert. Der Schwertkampfmeister lachte leise, sanft, zog sich ein wenig zurück, zeichnete mit dem Daumen Aoshis Lippen nach, während er in die ungläubig aufgerissenen Augen funkelte. "Ich sagte dir doch, dass es nicht genug ist." Neckte er zärtlich. Der Ninja taumelte leicht, um seine Verblüffung abzuschütteln. Er fand sich rasant beschleunigt in der Luft wieder, bevor ihn Hiko im Kreis schwenkte, Aoshis Hüften freigab, den jüngeren Mann in das glitzernde Wasserband eintauchen ließ. Spritzend, um sich schlagend schäumte Aoshi wieder an die Oberfläche, fixierte den Älteren wütend. "Glaubt nicht, dass ich so einfach aufgebe!" Drohte er entschlossen. "Ich werde genauso stark sein wie Ihr! Da werdet Ihr nicht mehr fliehen können!" Hiko lächelte. Seine Raubvogelaugen funkelten in Erregung. "Nur zu!" Lud er mit verschwenderischer Geste ein. "Mein kleiner Drache, ich brenne schon darauf, mit dir eins zu werden!" Aoshi reagierte mit kriegerischem Lächeln, ohne in Verlegenheit zu erröten. "Ihr tut gut daran, Lianren!" Bemerkte er schelmisch. Er registrierte befriedigt den Anflug von Verunsicherung im Gebaren des Meisters der Hiten-Mitsurugi-Schule, der beschleunigt den Heimweg einschlug. ~+~ Eine Nacht später, in brütender Hitze, die jeglichen Vorstoß körperlicher Nähe untersagte, wollte man nicht aneinander festkleben, streckten sie sich beide schlaflos auf den Tatami aus. Aoshi spürte die vertraute Präsenz des Älteren, ließ seine Gefühle offen strömen: die Verbundenheit, seine Bewunderung, den Wunsch nach Freundschaft und Hingabe. Seine fehlende Geduld mit der Witterung und seinen Heilungsfortschritten. Kurz gesagt, er offenbarte sich. Hiko erwiderte diese Geste mit der Intensivierung der ausgetauschten Gefühle, erfüllte den Ninja mit einem ganzkörperlichen, köstlichen Schauerregen. Mit einem leisen Seufzer, der diese unsichtbare und körperlose Verbindung kommentierte, raunte Aoshi in die sie einschließende Dunkelheit. "Sagt, Lianren, wie seid Ihr ein Schwertkämpfer geworden?" Eine besonders unbeherrschte Welle raste durch den sehnigen Mann. Er bäumte sich auf, eine Hand in die Brust gekrallt, wollte sein galoppierendes Herz bremsen. Sofort beugte sich der Schwertkampfmeister über ihn, streichelte die langen Strähnen aus der Stirn, hauchte einen versöhnlichen Kuss auf die ächzenden Lippen, während er den Austausch ungefilterter Stimmungen dezimierte. "Weiß die Oniwa Banshu denn nichts darüber?" Neckte er flüsternd, massierte mit den Fingerspitzen Schläfen und Haaransatz des Ninja, der ein wohliges Seufzen entließ, die Augen schloss, sich vollkommen anvertraute. "Ihr seid eine Legende, ein Mysterium." Gab Aoshi zurück, zog den Gefährten zu sich hinunter. "Ich würde nicht fragen, wenn ich es bereits wüsste." Mit Eleganz entzog sich Hiko dem Zugriff, rollte sich auf den Rücken, bettete Aoshi auf seinen muskulösen Brustkorb, mit einer Hand den Nacken des Jüngeren massierend, während er die Decke seiner Behausung fixierte. "Es ist so lange her, so viele Leben, dass ich mich kaum entsinnen sollte." Eröffnete er leise seine Erzählung, genoss die liebkosende Hand auf seinem Bauch. "Es war einmal ein kleiner Ort, in dem ein Beamter mit seiner Frau und seinem Sohn lebte. Der Beamte, ein ehemaliger Samurai, verfügte über bescheidenen Wohlstand und ließ sich gern von seiner sehr energischen Frau beherrschen, die ihrerseits ihr einziges Kind, einen bildhübschen und genialen Sohn, abgöttisch liebte. Der Junge geriet ständig, ohne eigenes Verschulden, in Schwierigkeiten. Er wollte sich nicht anderen unterordnen oder seine Neugierde auf die Welt bezähmen. Obgleich er wunderschön war, mochten ihn die anderen in dem kleinen Ort nicht sonderlich. Sie fürchteten, er möge eines Tages die Aufmerksamkeit von Besatzern auf sie lenken. In einer Zeit der Bürgerkriege und marodierender Banden keine unwahrscheinliche Vorstellung. Eines Tages kam ein fremder Mann in das Dorf, ein Schwertkämpfer. Niemand wollte ihm Obdach bieten, weil er kein Zeichen seines Lehnsherren aufweisen konnte und selbst verkündete, er habe keinen solchen. Der Junge war neugierig. Da er in seinem Elternhaus das Schwert des Vaters unbenutzt wusste, lud er den Fremden ein, gegen Unterrichtung bei diesen wohnen zu dürfen. Die Eltern waren wenig begeistert, doch sie respektierten das Wort, das ihr Sohn dem Fremden gegeben hatte. Der lehrte den Jungen, wie man ein Schwert zu handhaben hatte. Bald schon zeichnete sich ab, dass der Sohn unvergleichlich talentiert war. Der Schwertkämpfer bot an, ihn als seinen Schüler aufzunehmen. Naturgemäß entsprach dies nicht dem Willen der Eltern. Sie wollten ihrem Sohn bescheidenen Wohlstand und ein regelmäßiges Auskommen sichern, während der Fremde ewige Wanderschaft, bloßes Überleben und den Ausstoß aus der Gemeinschaft verkörperte. Der Junge hatte sich bereits entschieden, weil er endlich eine Möglichkeit gekommen sah, der Kraft, die er in sich spürte, eine Richtung zu geben. So half alles Bitten, Drohen und Flehen nichts: der Junge schloss sich als Schüler dem Schwertkämpfer an." Aoshi hob den Kopf, lächelte über die markante Weise, in der Hiko seine Memoiren zu deklarieren beliebte. Die Züge des Älteren wirkten angespannt, unleserlich, sodass Aoshi sich enger anschmiegte, als könne seine Nähe durch die Barrieren dringen, die der Gefährte errichtet hatte, als er in seine Vergangenheit eingetaucht war. "Der Junge und der Schwertkämpfer zogen umher. Sie trainierten, übernahmen jede Arbeit für ihren Lebensunterhalt. Zumeist wichen sie Siedlungen aus. Bald schon erkannte der Junge, welche Aufgaben sein Meister verfolgte, nämlich den Schutz der Wehrlosen, ohne Ansehen von Stand oder Vermögen und das Verweigern der Assoziation mit einer Gruppierung. Ein einsamer, schwieriger Weg abseits der Gesellschaft. Das kümmerte die beiden wenig, da es viel zu lernen galt und noch mehr zu erproben. Als das dritte Jahr der Lehrzeit anbrach, bat der Junge den Meister um einen Besuch bei seinen Eltern. Er hatte mittlerweile die Könnerschaft seines Meisters erreicht und befand, dass eine Aussetzung des strikten Verbots der Unterbrechung seiner Lehrzeit angemessen war. Der Meister jedoch sträubte sich, lehnte eine Demission kategorisch ab. Der Junge protestierte, verhandelte, drohte, schimpfte, doch konnte nichts den Meister umstimmen. Daraufhin erklärte der Junge, er werde sich lossagen, seinen Weg allein finden. Er habe gelernt, was der Meister ihn zu lehren gehabt habe. Der Meister lachte, tadelte den Jungen, er beherrsche nicht einmal die Geheimtechnik ihrer Schule! Da glaube er, seine Fähigkeiten reichten an die seines Meisters heran?! Also blieb der Junge, um die Geheimtechnik zu erfahren. Endlich gab der Meister nach, sie ihn zu unterrichten. Wieder bewies der Junge sein einzigartiges Können. Der Meister wollte ihn nicht gehen lassen. Infolgedessen wurde der Junge sehr zornig. Schließlich verlangte er doch nicht viel! Er bot dem Meister an, in einem Kampf die Entscheidung zu treffen. Der Meister akzeptierte die Herausforderung und nahm dem Jungen das Versprechen ab, sich den Traditionen ihrer Kampfschule zu beugen. Das gelobte der Junge ungeduldig. Dann traten beide gegen einander an. Der Kampf währte lange, wurde mit Inbrunst geführt, bis der Junge einen Vorteil erkannte, die Geheimtechnik einsetzte. Zu seinem Entsetzen floh der Meister diesem Angriff nicht, sondern nahm den tödlichen Hieb entgegen, lächelte siegessicher, weil er einen würdigen Nachfolger auserkoren und den Jungen überlistet hatte. Der war wenig später der dreizehnte Meister der Kampfschule. Ein vierzehnjähriger Krieger, der seinen Lehrer bestattete, sich schweren Herzens aufmachte, seine Eltern wiederzusehen, um ihnen zu zeigen, was für ein Mann aus ihm geworden war. Die Reise währte lange. Eingedenk seines Versprechens musste der Meister immer wieder Hilfe leisten und in Kämpfe eingreifen, Raubmörder richten, Banden vertreiben. Die Klinge des Jungen färbte sich blutrot. Die Sake-Flasche, die er mit sich führte, um den Opfern eine Gabe zu spenden, war jeden Abend leer. Schließlich erreichte der Meister sein Heimatdorf. Er fand nicht mehr als Gras über verbrannter Erde. Kein Haus stand mehr, kein Baum, kein Brunnen. So sehr er auch suchte, er konnte keinen Menschen ausmachen. Wie besessen forschte er nach dem Verbleib der Bewohner. Monate später endlich hatte er die finale Antwort ermittelt: nicht einmal ein halbes Jahr nach seinem Aufbruch hatte man das Dorf überfallen und alle niedergemacht, nachdem man geraubt und gebrandschatzt hatte. Wer hätte sich dorthin wagen sollen, nach den Leichen zu suchen? So mussten sie wohl ein Raub der Flammen oder der Witterung geworden sein. Keine Gräber, ihren Verlust zu betrauern. Der Junge erkannte in diesem Augenblick die Weisheit des Meisters, der ihm das Leid hatte ersparen wollen, letztlich das eigene Leben opferte, um dieser grausamen Welt den Rücken zuzukehren. Aber der Junge konnte das nicht. So vagabundierte er umher, wie ein gejagtes Tier auf der Fährte der Mörder und Räuber. Unermüdlich wollte er verhindern, was ihn die Heimat und die Familie gekostet hatte. Die Gräber, die er hinterließ, wuchsen auf unermessliche Zahlen. Er tötete ohne innere Beteiligung, längst aller Hoffnung ledig, es mögen friedliche Zeiten anbrechen, folgte seinem Schwur, weil er der einzige Mann war, der Einhalt gebieten konnte. Eines Tages traf er auf einen kleinen Jungen, den er vor dem Tod durch Sklavenhändler rettete, der so unerbittlich an eine friedliche Zeit und das Gute glaubte, dass er beschloss, diesen Jungen als Schüler zu wählen. Er war des Kämpfens müde. Wenn er ein ebenso guter Meister wie sein Lehrer war, so würde der Junge stark und unabhängig sein. Den finalen Streich vollbringen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Der kleine, dumme Schüler war seinem Meister sehr ähnlich. Er wollte nicht geduldig abwarten, bis er stark und befähigt genug war, nicht nur sein Schwert zu führen, sondern die Heimtücke seiner Mitmenschen erkennen zu können. So verließ der Schüler im Streit den Meister. Der musste erneut allein wandeln, bis eine neue Ära anbrach, sodass sich der Meister zurückziehen konnte, endlich in Freiheit seinem Genie Raum lassen, während er darauf wartete, dass der dumme Schüler zurückkehrte, seine Ausbildung abschloss. Als es jedoch soweit war, nach langen Jahren, hatte der Meister sein Leben abseits der Menschen liebgewonnen. Er wollte noch nicht sterben. Zudem musste er erkennen, dass sein dummer Schüler keineswegs ein Meister werden wollte. Also blieb dem Meister nichts anderes übrig, als seinen dummen Schüler freizugeben mit dem Wissen eines Meisters der Kampftechnik und zu hoffen, dass die neue Zeit ihnen beiden in ihrer jeweiligen Entscheidung recht geben würde." Mit einem heiseren Krächzen beendete Hiko seine Erzählung, unternahm keine Anstalten, sich zu regen. Aoshi, der noch immer auf seiner Brust lagerte, bedachte diese knappe Zusammenfassung von vier Jahrzehnten Lebenszeit. Sie hatten alle früh das Töten gelernt, die Einsamkeit erfahren. Nur hatte der Mann, in dessen Armen er ruhte, scheinbar keine Bindungen mehr in Angriff genommen. Weil eine jede mit dem Tod, einer Täuschung oder Streit geendet hatte? Behutsam richtete er sich auf, schob sich höher, um direkt in die schwarzen Augen blicken zu können. In ihnen konnte er trotz der Dunkelheit lesen, was er vermutet hatte: der ältere Mann fürchtete den erneuten Verlust eines Menschen, blieb lieber in Einsamkeit, als diese Qual zu durchlaufen. Aoshi ließ seine Gefühle hinausströmen, konzentrierte sich auf seine Präsenz, während er mit einem besänftigenden Lächeln seine Lippen auf Hikos senkte, ihm Speichel aufnötigte, um die raue Kehle für ihre Leistung zu entlohnen. Der Ältere akzeptierte diese Gabe schnurrend, vermischte ihre Emotionen zu einer pulsierenden Verbindung, die sie bis in den Schlaf begleitete. ~+~ "Absurd." Der Ninja bohrte die nackten Knie in die trockene Erde, lichtete die Reihen der Heilkräuter um weniger wünschenswerte Gewächse, brodelte dabei vor sich hin. Auch zwei Tage nach der biographischen Entblößung des Schwertkampfmeisters hatte der sich wie gewohnt hinter seiner Arbeit verschanzt, gelegentlich eine muntere Melodie pfeifend, gut gelaunt und umtriebig. Ein Umstand, der Aoshi mit wachsendem Groll erfüllte. Ihn irritiert feststellen ließ, wie weit er sich von seinem Alter Ego entfernt hatte: Ninjas waren geduldig, wirkten im Schatten, frei von Emotionen und Gelüsten. Eine ungekannte Verärgerung sorgte dafür, dass er sich vermehrt trampelnd um die kleine Werkstatt kaprizierte, mit eisigen Blicken die hölzernen Wände förmlich zu bersten drohte und das alles unverhohlen! Fürwahr, er war ein anderer geworden. »Ein Drache? Zumindest ein Mann, der gewaltsam zu seinen Gefühlen geführt worden ist. Da er sich ihrer nicht erwehren konnte, der unreifen Launenhaftigkeit eines anderen ausgesetzt ist!« Argumentierte er im Widerstreit mit sich selbst. Wie konnte der Schwertkampfmeister seine Empfindungen so schmählich ignorieren?! Waren sie nicht verbunden durch das Ki? Strafte nicht die gleißend helle Sonne in seinem vereisten Herz jeden Versuch eines Rückzugs unmittelbar und gnadenlos? Weitere Halme folgten ihren unglücklichen Vorgängern auf den wachsenden Haufen Unkrautes. »Ich werde nicht aufgeben! Ich denke gar nicht daran!« Schwor sich Aoshi erneut. »Ihr meint wohl, mich auf Distanz halten zu können, aber das wird nicht von Erfolg gekrönt sein!« Er entließ einen Seufzer der Ratlosigkeit. Lange Jahre hatte er jeden körperlichen Kontakt auf das Strikteste abgewiesen. Allein der Gedanke, man möge ihm solcherart Nähe antragen, hieß ihn Zähne zusammenzubeißen, seine Schwerter fester greifen. Und nun? Nun sehnte er sich danach, mehr zu erringen als die schläfrige Umarmung, einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. »Lächerlich!« In seinem aufgewühlten Herzen war er nicht sicher, ob es verletzender war, dass Hiko mutmaßte, diese kleinen Gesten könnten ihn ablenken von seinem tatsächlichen Bedürfnis oder aber die schlichte Ignoranz seiner Gefühle. Erwartete der ältere Mann allen Ernstes, dass er ihn verführte?! Mit dem Handrücken Schweißperlen abstreifend erhob sich Aoshi schwankend, massierte unwillkürlich seine linke Seite, um im Schatten der Veranda Abkühlung zu suchen. In seinem gegenwärtigen Zustand unbefriedigter und sich aufstauender Zuneigung war er durchaus bereit, Avancen zu machen. Allein~allein, ein Zweifel nagte an seiner Entschlossenheit. Seinen Gedanken ausgeliefert hatte er längst den Punkt überwunden, an dem in der Vergangenheit Ekel und Furcht gestanden hatten: er wollte mit aller Entschlossenheit Hiko für sich gewinnen, seinen Lianren, den Geliebten. Andererseits fürchtete er, einen blinden Fleck in der beunruhigend allgegenwärtigen Auffassungsgabe des Schwertkampfmeisters zu touchieren, eingedenk der letzten Erfahrungen auf diesem Gebiet. Was tun, wenn sich kristallisierte, was zuvor nur eine Ahnung was? Dass der Schwertkampfmeister in der Tat nicht empfand, was Aoshi über sämtliche Grenzen hinaustrieb? Dennoch, SO konnte es nicht weitergehen! Zwei erwachsene Männer waren keine kindlichen Spielkameraden. Mochte ihre Verbindung auch außergewöhnlich und abnorm erscheinen, galten doch universelle Regeln! Zumindest votierte der Ninja dafür. Einen Krug mit erfrischendem Kräutertee apportiert klopfte er knapp am Türrahmen der kleinen Werkstatt, verschaffte sich ohne das Abwarten eines zustimmenden Rufs Zutritt. Hiko kauerte in Hockstellung auf dem gestampften Boden, mehrere Tiegel im Kreisrund verteilt, die unterschiedliche Farbmischungen mineralischen Staubs enthielten. Da der Staub sich nicht nur in den Tiegeln binden ließ, bedeckte ein bunter Dunst winzigster Partikel auch die nähere Umgebung sowie den Töpfermeister selbst, der aus seiner emsigen Konzentration jäh in die Gegenwart gerissen wurde. "Ich bringe Erfrischungen, Meister." Erklärte Aoshi sein Eindringen in ungerührter Kälte. "Da Ihr Eure edle Aufwartung nicht mehr im Haus zu machen pflegt." "Ich ARBEITE." Betonte der Ältere zischend, die Raubvogelaugen in düsterem Ungemach verengt. "Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nichts brauche, wenn ich arbeite." "ICH arbeite auch. Es wäre eine unerwartete Gnade, wenn Ihr dies in gewogener Aufmerksamkeit zur Kenntnis nehmen würdet." Bemerkte der Ninja scharfzüngig. Ohne sich von dem vernichtenden Bannstrahl der schwarzen Augen beeindrucken zu lassen sortierte Aoshi auf der niedrigen Werkbank Keramiken beiseite, um etwas Adäquates auszuwählen, das den Tee aufnehmen konnte. "Hör auf, meine Ordnung zu stören!" Grollte es Unheil verkündend direkt hinter ihm, legten sich kräftige Hände auf sein fragiles Becken, um ihn wie ein lästiges Hindernis beiseite zu dirigieren. Aoshi schlug nach den Händen. Der Becher, kaum gefüllt, ergoss seine Ladung über Tisch, tropfte auf den Boden. Die beiden Kontrahenten funkelten sich enragiert an, schenkten diesem Missgeschick keine Beachtung. "Hört auf, mich wie ein Möbelstück zu behandeln!" Zischte der Ninja zornig. "Ihr habt mich ins Leben zurück gezwungen, also erwartet nicht, dass ich eine Marionette nach Euren Launen stelle!" "Ha! Launen?!" Der Schwertkampfmeister rollte die imposanten Muskelberge seiner breiten Schultern einschüchternd. "Es sind DEINE Kapricen, die hier Unruhe stiften! Ich will nichts weiter als hier arbeiten!" "Tut es doch! Nur zu! Ich hindere Euch nicht! Verschanzt Euch doch, Ihr~Ihr Feigling!" Aoshi sprühte seine unbändige Wut hinaus, die Fäuste geballt wie ein bekannter Kampfhahn. "Ich ein Feigling?! HA!" Bar jeden Amüsements stemmte der Schwertkampfmeister die Hände in die Hüften, kopierte das schallende Lachen eines jovialen Patriarchen. "Warst du zu lange in der Sonne?!" "Ja!" Aoshi schoss vor, stieß die flachen Hände gegen die mächtige, nackte Brust, trieb den älteren Mann gegen die Werkbank. "In EURER Sonne war ich viel zu lange! In diesem gnadenlosen Feuer, das Ihr entzündet habt!" Der Schwertkampfmeister hielt stand, die nackten Füßen mit dem Boden verwurzelt, starrte finsteren Gemüts auf den wenig kleineren Mann hinab. "Was soll dieses pathetische Spektakel?! Wie gewohnt ist Undank der Welten Lohn! Warum bin ich überrascht?!" Höhnte er in vorgeblicher Enttäuschung, wandte sich halb ab. Ein harter Griff in die losen Flechten zwang ihn zurück. Der Ninja knurrte wie ein wildes Tier. "Ihr werdet Euch nicht herauswinden, dieses Mal nicht! Ich habe mir geschworen, nicht aufzugeben, und das werde ich nicht! Übernehmt endlich die Verantwortung für Eure Taten!" "Meine Taten?!" Es kochte sichtbar in Hiko, der seinerseits Aoshis Handgelenk umklammerte, das unverändert seine rabenschwarzen Strähnen bekrallte. "Ja, Eure Taten!" Ein weiterer wütender Schrei. "Ihr habt, wie Ihr stets zu betonen wisst, mehrfach mein Leben gerettet! Ihr tragt die Verantwortung für mein Leben, Ihr habt mich in das Licht gestoßen. Also wagt es nicht, mich weiter in dieser demütigenden Weise zu fliehen! Seid Ihr kein Mann, Hiko?!" Der letzte Vorwurf, mit Verve hervorgeschleudert, hieß die beiden Männer erstarren, bis in die äußersten Nervenstränge angespannt, in minimales Beben verfallend. Die Miene des Schwertkampfmeisters befleißigte sich einer höhnischen Grimasse der Arroganz. "Was erwartest du? Dass ich über dich herfalle? Mich mit dir über den Boden rolle, kopuliere wie ein Karnickel?!" Zwitscherte er in boshaftem Kalkül. Der Ninja studierte dessen Gesicht eine verzehrende Weile lang, bevor sich ein bitteres Lächeln auf seine ungeübten Züge legte. "Ich wünschte fast, Ihr tätet es. Eure Hure zu sein wäre ein Fortschritt, bin ich doch im Augenblick nicht mehr als ein weiterer räudiger Bastard, den Euer Ex-Schüler Euch auf die Schwelle geschleppt hat." Er senkte den Kopf, unerwartet erschöpft von diesem verbalen Schlagabtausch, lauschte auf die zweifellos geistvoll-vernichtende Replik, die ihn wieder in die Verbannung der Wertlosen senden würde. Sie blieb aus. Der Ninja spürte den Blick, der sich auf seine blauschwarzen Strähnen legte, die unverminderte Kraft in der Hand, die sein Handgelenk umspannte. War die Zeit eingefroren? Ein kurzer Aufschub, bis Hiko ihn in das Fegefeuer stieß, seine respekt- und schamlose Selbstoffenbarung ahndete, ihn mit Verachtung strafte und seines Hauses verwies? Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie der Schwertkampfmeister den Kopf wandte, als lausche er auf etwas. Die freie Hand legte sich auf Aoshis, löste den klammernden Griff um die rabenschwarzen Strähnen. Der Schwertkampfmeister kehrte sich um, eine abgenutzte Yukata von einem Haken zu heben, überzustreifen, vor die Tür zu treten. Der Ninja bemerkte auch eine fremde Präsenz. Rasch verbarg er sich im toten Winkel der Tür, registrierte mit einem schmerzhaften Ziehen in der Brust, wie der Schwertkampfmeister ihre emotionale Bindung auf eine vage Ahnung reduzierte. "Meister Kakunoshin, wie ist Euer wertes Befinden?" Eine freundliche Greisenstimme schwebte über die angespannte Stille der Behausungen. "Ich befinde mich wohl, danke der Nachfrage, Meister Hiraga. Mir will scheinen, Ihr werdet mit jedem Zusammentreffen jünger!" Erwiderte der Schwertkampfmeister in höflicher Schmeichelei. Der ältliche Mann, den Aoshi durch den Türspalt eingehend betrachten konnte, war in einen formalen, konservativen Kimono gekleidet, der bei den vorherrschenden Temperaturen seinem Träger einiges an Langmut abverlangte. Hiraga lachte schelmisch. "Das muss wohl an meiner jungen Gattin liegen." Nach einem bezeichnenden Blick auf Hikos Beine, die die Farbverunzierungen trugen, entschied sich Hiraga, sogleich zum Kernpunkt seines Besuchs zu kommen. "Wie ich sehe, seid Ihr sehr beschäftigt, Meister Kakunoshin. Ein Genie Eures Ranges wage ich nicht, zu lange von der gottgegebenen Gnade zu trennen, daher will ich gleich den Grund meiner Anwesenheit bekennen! Ich bitte Euch höflichst, uns heute Abend im Dorf Gesellschaft zu leisten, wenn wir ein gemütliches Fest feiern. Ihr habt uns mit Rat und Tat in so vielfältiger Form beigestanden, dass wir nicht länger beschämt in Eurer Schuld verweilen möchten. Bitte, Meister Kakunoshin, nehmt diese bescheidene Einladung an!" Schon neigte sich der ohnehin vom Alter gebeugte Greis entschlossen dem Boden zu. Die feingeschnittenen Augenbrauen des Ninja wanderten in die Höhe: welch eine unerwartete Eröffnung! Hiko lebte wohl doch nicht so abgeschieden und solitär von jeglicher menschlichen Gesellschaft, wie er zuvor den Anschein erweckt hatte! Würde der Schwertkampfmeister der Einladung Folge leisten? Wie verhielt er sich wohl unter diesen Dörflern, welche Scharade spielte er ihnen vor? Bevor Aoshi entgegen all seiner jahrzehntelangen Gewohnheiten die möglichen Konsequenzen seines Handelns bedacht hatte, trat er hinter der Tür hervor ins Freie, verneigte sich höflich vor dem Fremden, der einen überraschten Laut nicht unterdrücken konnte. Eine knappe Musterung folgte, die Aoshis Anwesenheit und Bedeutung keineswegs erleuchtete, da der analog seines 'Gastgebers' lediglich ein Suspensorium und eine kurze Yukata trug, die lose um dessen Narben versehrten Leib schwang. "Das ist Ryuu, mein Gefährte." Zu aller Verblüffung fand Hiko knappe Worte, die in ihrer Bedeutung atemberaubend waren. Selbst der Ninja kam nicht umhin, den Schwertkampfmeister überrascht anzustarren. Warum hatte der sich keiner Notlüge bedient? "Wie erfreulich, dass Ihr einen Gesellschafter gefunden habt!" Bemerkte Hiraga schmunzelnd. "Ich bin erfreut, Ryuu, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen. Seid Ihr auch ein Töpfer?" Aoshi, der sich nur mühsam von der unleserlichen Miene Hikos lösen konnte, erinnerte sich an die gebotene Höflichkeit, lächelte in reservierter Maske. "Nein, nein, ich gehe Meister Kakunoshin nur in unbedeutenden Dingen zur Hand, wenn er es mir freundlicherweise gestattet." Eine weitere Spitze. Insgeheim fragte sich der Ninja, wie seine Bestrafung aussehen würde, wenn Hiraga sich verabschiedet hatte. »Verdient wäre sie wohl!« Hieß die Aufrichtigkeit ihn gestehen. Der ältliche Mann grinste. "Gestattet mir, auch Euch herzlichst willkommen zu heißen und höflich zu unserem bescheidenen Fest zu bitten." Mit der gebotenen Ehrerbietung akzeptierte Aoshi kühn die Offerte. "Ich bin sicher, im Namen Meister Kakunoshins zu sprechen, wenn ich Eure großherzige Einladung freudig annehme." Unter gegenseitiger Respektsbekundung verbeugte man sich erneut. Hiraga schritt beschwingt, soweit es sein Zustand zuließ, von dannen, ein triumphierendes Liedchen pfeifend. »Wie oft musste er wohl mit einer Absage gegangen sein, um so vergnügt seiner Wege zu ziehen?« Fragte sich Aoshi stumm, den Blick auf die Stelle gebannt, die den letzten, sichtbaren Aufenthaltsort ihres abendlichen Gastgebers markiert hatte. Die Sonne sengte ihm den Leib, lud seine blauschwarzen Haare auf mit glühender Hitze, als der Schwertkampfmeister an ihm vorbei schritt, sich die Yukata von den Schultern schüttelte. Sehr behutsam, doch bestimmt, schloss sich die Tür der Werkstatt. Aoshi blieb allein im Freien zurück. ~+~ Nachdem er, um nicht in den Verdacht zu geraten, seine Hauspflichten vernachlässigt zu haben, die kleine Behausung auf das Ordentlichste gereinigt und aufgeräumt hatte, betrachtete der Ninja versonnen die Auswahl der Kimonos, die sich im Besitz des Schwertkampfmeisters befanden. Sorgfältig in schützende Lagen Stoffs und Papiers gebettet, waren sie aus kostbaren, prächtigen Stoffen gewebt, in ihrer Art jeweils ein Meisterstück. Zudem ihrem Träger zugemessen, sodass ein mehr als prächtiger Auftritt zu erwarten stand. Was blieb ihm selbst, sich einzukleiden? Alles, was er am Leibe trug, war Hiko geschuldet. Seine Ankunft hatte nur in Lumpen bestanden. So konnte er lediglich von seinem 'Gefährten' eine Leihgabe erbitten. Wenn der nur endlich sein Refugium verließe! Inzwischen bedauerte der Ninja seinen wahnwitzigen Vorstoß, der ihm so untypisch für sich selbst erschien. Er fürchtete, dass Hiko ihn seines Hauses verweisen könnte. Was mochte mit all den anderen Schützlingen geschehen sein, die der Battousai aufgelesen hatte? Es fanden sich keine Haustiere, nicht einmal Hühner. Hatte der Schwertkampfmeister sich ihrer auch erledigt, nachdem er sie wieder aufgepäppelt hatte? War ihm jede Gesellschaft auf Dauer zuwider?! Aoshi erhob sich energisch, schritt ohne Rücksichtnahme auf sein protestierendes linkes Bein aus der bescheidenen Hütte hinaus in die nachmittägliche Hitze, entschlossen, seinen Zweifeln und Sorgen durch einen strammen Spaziergang zu entfliehen. Hatte er sich früher in Kontemplation in sein Inneres geflüchtet, blieb ihm diese Option versagt, nährte die grelle Sonne in seinem Inneren. ~+~ Hiko studierte die aufgereihten Tiegel konzentriert, nippte an seinem Becher. Der Ninja verstand es, einen erfrischenden und anregenden Kräutertee zu brauen, daran gab es keinen Zweifel! »Hätte er sich nicht derartig gebärdet, hätte ich ihn dafür gelobt!« Knurrte der Schwertkampfmeister verstimmt. Er hegte keine Zweifel, dass seine Entscheidung, dem jungen Mann jeden Rückzugsraum abzuschneiden durch den Einsatz seines Ki, die einzig richtige war. Es erwies sich als ungewohnt problematisch, sich mit den Konsequenzen zu arrangieren. Da pochte und gärte es. In den eisblauen Augen funkelte und blitzte es: man hätte ohne jede Wahrnehmung sein müssen, um DAS zu übergehen. Mit einem Finger nachdenklich Figuren in den farbigen Staub zeichnend sann der letzte Meister der Hiten-Mitsurugi-Schule über seine prekäre Lage nach. »Was kam über mich, ihn als Gefährten zu bezeichnen, obwohl er mich derart brüskierte?! Warum sollte ich eines Gefährten bedürfen?! Habe ich nicht die Gesellschaft verlassen und Jahre allein gelebt?! Und überhaupt...!« Ein resignierendes Grummeln entfuhr ihm. Da war etwas, knapp außerhalb seiner Reichweite, das er einfach nicht begreifen konnte. Ryuu, sein kleiner Drache mit den ungewöhnlichen Augen, verstand nicht, warum das Verlangen kein Echo fand. »Er spricht einfach eine Sprache, die mir fremd ist!« Beschied Hiko knapp, mit ein wenig Verwunderung darüber, dass er nicht gewohnt souverän solcherlei Ungelegenheiten abstreifen konnte. Da war es doch vorzuziehen, sich auf die Unverschämtheit des Jüngeren zu konzentrieren. Einfach ungefragt eine Einladung anzunehmen, als könne er Hikos Handlungen bestimmen! Der Nachmittag neigte sich bereits dem Abend zu. Wenn er seine Aufwartung machte bei den Gastgebern, musste er ein entsprechendes Geschenk zusammenstellen. Schwungvoll löste er sich vom Boden, betrachtete seine verzierten Beine und entschied, dass vorab eine Konsultation von Wasser und Seife anzuraten war. ~+~ Seine Wohnbehausung war verlassen, allerdings in einem bewunderungswürdigen Zustand. Sogleich regte sich in ihm die Versuchung, dieser perfekten Ordnung den Stempel ureigensten Chaos' aufzudrücken. Ohne viel Federlesens wählte Hiko einen Lappen, tunkte ihn klatschend in einen randvollen Eimer Wasser, begann, Seife aufzuschäumen, sich gründlichst abzuschrubben. Dabei bespritzte er die Bohlen vergnügt, bedeckte sie mit einem winzige Blasen schlagenden Teppich. Frisch gereinigt und leidlich erquickt wählte er flache Strohsandalen, um das Haus zu umrunden, nach seinen Kräuterbeeten zu sehen. Die waren ebenfalls durch die ordentliche Sorgfalt des Ninja gezeichnet. Ohne Mühe konnte er ein Bündel präparieren, das als Gastgeschenk Verwendung finden würde. Hurtig, ein Blick an das Firmament mahnte zur Eile, zurück ins Haus, den angemessenen Kimono auswählen! In diesem Augenblick spürte er auch wieder die verstärkte Präsenz seines Gefährten, die sich ihrer Unterkunft näherte. Der Schwertkampfmeister entschied impulsiv, dass der Abend weniger erfreulich verlaufen würde, wenn die unterbrochene Auseinandersetzung fortgeführt wurde. Er beschränkte sich darauf, auch für den Ninja einen Kimono auszuwählen. Der betrat ein wenig steif den Raum, zögerte in der Tür, senkte den Blick betont langsam, um das Ausmaß der Begleitschäden des Reinigungsprozesses zu betrachten. Die hölzernen Bohlen, die den Boden bis zum Plateau der Tatami bildeten, mussten mit viel Einsatz geschrubbt und poliert werden, wollte man die Spuren von Seife und anderen Flüssigkeiten tilgen. Das stand erneut bevor, nachdem er erst vor kurzem so gründlich Schichten alter Verunreinigungen abgetragen hatte! Aoshi nahm das als seine Strafe stumm an, stieg über die Pfützen hinweg, um ohne Aufforderung beim Ankleiden zu assistieren. Insbesondere der Obi bedurfte einer helfenden Hand. Als der Schwertkampfmeister sich in vollem Ornat präsentierte, die rabenschwarzen Haare in eleganter Zurückhaltung am Hinterkopf hochgebunden, konnte man ihn kaum für einen Mann bereits mittleren Alters halten. Einzig seine trotzige Miene, die Nase leicht gekräuselt, die Unterlippe minimal vorgeschoben, konterkarierte das Bild eines noblen Samurai in würdevoller Erhabenheit. "Du kommst spät!" Folgte auch sogleich der erste Tadel. Aoshi fand sich bereits seiner Yukata ledig, ungeduldig umher gedreht wie eine Puppe. "Und du hinkst schon wieder. Habe ich dir nicht gesagt, dass die Muskeln Überanstrengung nicht kompensieren können?!" Effizient legten die kraftvollen Hände des Schwertkampfmeisters die Stoffbahnen, glätteten, gürteten, kämmten die blauschwarzen Strähnen mit zusammengezogenen Brauen. "Was sollen die anderen von uns denken?! Im Übrigen sage ich dir gleich, dass ich dich bestimmt nicht tragen werde, wenn dir die Beine wehtun!" Nörgeliger Quengelton eines naseweisen Kindes. Der Ninja schwieg. Seine Augen suchten immer wieder den Raubvogelblick, fahndeten nach Anzeichen von vernichtender Ablehnung oder der Andeutung eines Aufschubs, um ihn zu verstoßen. Hiko, dem diese passive Haltung keineswegs entging, der sie folgerichtig der Sorge zuordnete, nutzte die sich bietende Gelegenheit, die seiner maßgeblichen Auffassung nach erforderlichen Verhältnisse herzustellen. Er umfasste tadelnd mit einer Hand ein Handgelenk des Ninja, mit der anderen sein Bündel Kräuter, schritt schnurstracks in Richtung Dorf aus. ~+~ Zu Aoshis immenser Erleichterung zeigte sich der Schwertkampfmeister jovial und freundlich, sprach artig dem Sake zu, tauschte Weisheiten aus, stimmte mit seinem volltönenden Bass Trinklieder an. Es entging dem Ninja nicht, wie interessiert und teilnahmsvoll man den älteren Mann betrachtete. Wie sehnsüchtig manches Augenpaar an seinen Lippen hing. Wie es schien, hatte sein trinkfreudiger Gastgeber sich nicht nur als Töpfermeister hervorgetan, sondern auch als hervorragender Arzt, der auch im Bereich der Nutztiere zur Hilfe schritt, wenn man ihn bat. Aoshi verwunderte das nicht sonderlich. Die Beete und Bepflanzungen, die er in seine ungefragte Obhut genommen hatte, kündeten bereits von der Versorgung mehr als einer Person. Hikos Geschick bei der Wundbehandlung konnte er selbst am Besten bezeugen. Obgleich er sich vorgenommen hatte, in einer Kopie seines verstorbenen Selbst ruhig und passiv zu bleiben, konnte er diesen Entschluss nicht lange aufrechterhalten. Entouriert von jungen Mädchen, die seine Weigerung, Alkohol zu sich zu nehmen, mit freundlichen Gekicher begleitet hatten, wurde er mit neugierigen Fragen bedacht und Aufmerksamkeiten belohnt. Er versuchte sich in einer selten ausgeübten Rolle: er spielte mit den Kindern, führte allerlei Zaubertricks vor, mit denen er vor vielen Jahren seine Geschicklichkeit trainiert hatte, bastelte kleine Windmühlen und Graspuppen, bestaunte bunte Kiesel und Muscheln, lauschte kindlichen Abenteuern. Wie seltsam, dass man ihm ganz ohne Scheu begegnete! Wie rasch ein ungeübtes Lächeln freundlichen Widerpart fand! Zum ersten Mal seit einer langen Zeit fühlte er sich nicht als verkleidetes Ungeheuer unter 'gewöhnlichen' Menschen, sondern wie ein Teil ihrer Gemeinschaft. Er ließ sich tatsächlich am fortgeschrittenen Abend bitten, ein Lied vorzutragen. Dass es ein sehnsüchtiges Stück über die Liebe war, konnte wohl niemand verdenken. ~+~ Hiko schritt beschwingt und sicher trotz der Dunkelheit aus. Der köstliche Sake, den er sich in nicht unbeträchtlicher Menge zu Gemüte geführt hatte, hielt ihn in anheimelnder Wärme und Leichtigkeit gefangen. Vage bemerkte er, dass sein Begleiter hinter ihm zurückzufallen drohte. In der Tat konnte Aoshi trotz aller Bemühungen dem forschen Vorwärtsdrang nicht folgen. Er zollte mit schmerzhaften Verspannungen seinem ausgedehnten Spaziergang zähneknirschenden Tribut. Sie hatten während des Festes wenig miteinander gesprochen. Ihre Augen hatten sich immer wieder taxierend gesucht. Ob sie einander richtig eingeschätzt hatten? Aoshi fühlte sich zu erschöpft, um eine Prognose abzugeben. Sein mittäglicher Wutausbruch erschien ihm befremdlich und beschämend. Mit jeder neuen Facette, die der Schwertkampfmeister beiläufig offenbarte, schien seine Unterlegenheit nur noch deutlicher zutage zu treten. Die Stille des Waldes, von wenigen Warnrufen der Fauna abgesehen, wirkte wie ein Sog auf ihn, trocknete die fröhliche Heiterkeit der letzten Stunden aus, bleichte das farbenprächtige Bild der dörflichen Gemeinschaft. Er selbst sah sich als ein Betrüger, der zugleich falschen Hoffnungen aufgesessen war. Wie oft hatte er in fremden Leben spioniert, im Schatten gelauert, sich hinter einer Maske verborgen? Jetzt, da alle Larven zerbrochen waren, erkannte er, dass ihm ein solches Leben versagt blieb. Dass der Schatten im Schatten verhaftet war. »Es ist unmöglich, sich mit einer neuen Identität irgendwo niederzulassen.« Gestand er sich ein. Ein Teil seiner selbst wäre immer der Ninja, das Ungeheuer, das in blutiger Vergeltung gemordet hatte, um ein furchtbares Geheimnis zu bewahren. Hatte Hiko das längst erkannt, wies ihn deshalb zurück? Duldete ihn aus Großmut, bis er selbst seine wahre Natur begriff? Sich die Schläfen reibend hielt Aoshi inne, lehnte sich an einen Baum, um das pochende Bein zu entlasten. »Ich weiß nicht mehr, was wahr ist und was nicht. Was ich denken soll oder nicht. Vielleicht hatte Sano recht. Ich bin tatsächlich paranoid geworden in meiner Einsamkeit.« Er lächelte traurig in die Dunkelheit, aus der sich Hiko materialisierte, von einem würzigen Aroma, aus Speisen und dem Reiswein komponiert, umweht. "Lass mal sehen!" Schon raffte er den Kimono, begab sich vor dem Ninja auf die Knie, schob die Finger tastend unter dessen Bekleidung, erkundete den linken Oberschenkel. Ein Zungenschnalzen verkündete missmutig, was Aoshi aus eigenem Leid bereits wusste: die Muskeln hatten sich verhärtet und bestraften seine Unachtsamkeit. Die Lider halb gesenkt, den Kopf ermattet in den Nacken gelegt erwartete der Ninja das vernichtende Urteil, kolportiert von einem naseweisen Trotzkopf, der mit kindlichem Ausdruck stets zum Vorschein kam, wenn sich der Schwertkampfmeister zur Ablenkung durch überhebliche Lektionierung aus dem Geschehen zurückzuziehen pflegte. »Wie gern würde ich dir meine Sehnsucht begreiflich machen, einen Schlüssel zu deinem Herzen finden, damit du erfährst, wie sehr du mich bewegt und verändert hast.« In der Tat tauchte Hiko aus der Versenkung seiner knienden Position wieder in die Höhe auf, bereit, sich entsprechend Aoshis Vermutungen tadelnd zu äußern. Der schlang die Arme um den kräftigen Nacken, küsste den Schwertkampfmeister sehr sanft. Ein bitter-süßer Schmerz, diese Lippen zu kosten in ihrem berauschenden Aroma. Und nichts weiter auszulösen als höfliche Sorge um das Befinden. "Halt dich fest, kleiner Drache!" Wisperte es rau an seinem Mund. Aoshi lag bereits im geübten Griff auf beiden Armen Hikos, der ungehindert seinen Weg fortsetzte. Der Ninja vergrub das Gesicht in der Halsbeuge, geschützt durch die rabenschwarzen Fluten. Er wollte lachen und weinen zugleich, doch ihm fehlte die Kraft, sodass er sich einfach der vertrauten Wärme ergab, mit den gleichmäßigen Herzschlägen des Schwertkampfmeisters in Schlaf fiel. Der saß noch eine geraume Weile auf seiner Veranda, zog an seiner langstieligen Pfeife, erwog die seltsamen Wege des Schicksals. ~+~ Aoshi erwachte zeitig, wandte wie gewohnt den Kopf, den sorglosen Schläfer an seiner Seite zu betrachten, eingerahmt von entflohenen Strähnen, das Gesicht alterslos und heiter. Von vorwitzigen Sonnenstrahlen aufgemuntert schüttelte er über seine pathetische Resignation in der vergangenen Nacht den Kopf. Hatte er tatsächlich erwogen, einfach aufzugeben?! Auf die regelmäßigen, sanft streichelnden Atemzüge lauschend zuckte ein spitzbübisches Lächeln über sein Gesicht. Wenn es dem Schwertkampfmeister gelungen war, durch den Einsatz dessen gewaltigen Kis und der unglaublichen Präsenz dafür zu sorgen, dass der Ninja fühlte, so musste diese Verbindung doch auch in umgekehrter Richtung funktionieren?! »Dass man das eigene Begehren projiziert...« Sich vorsichtig aufsetzend studierte Aoshi Hiko aufmerksam, bedachte dessen Worte aus dieser neuen Perspektive. Hatte der ältere Mann nicht mit Verve und einer gewissen Ratlosigkeit bekannt, dass er nicht begreifen konnte, welche Ur-Triebe seine Mitmenschen bewegten? Man konnte wohl kaum abstreiten, dass Hiko stets um sich selbst zu kreiseln pflegte. Weniger einer böswilligen Arroganz geschuldet als einer gewissen Nachlässigkeit, die durch seine isolierte Lebensweise noch gefördert wurde. Wenn es notwendig war, half er, konnte in der Gesellschaft anderer durchaus sicher agieren. Sobald dieser Zwang entfiel, handelte er nach den eigenen Wertmaßstäben, schwebte in anderen Sphären, wenn ihm ein neuer Geniestreich gelang, brütete Stunden über Problemen in großer Konzentration. Was diesem Aspekt seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit betraf, war Hiko nach Aoshis Auffassung über das Stadium eines übermäßig begabten Kindes niemals hinausgetreten. Vielleicht hatten seine körperliche Stärke und die Unabhängigkeit von der Hilfe Dritter dieses Desinteresse bewirkt, schien dem älteren Mann das Konzept des Umwerbens und Besitzens in Zusammengehörigkeit lediglich theoretische Natur. Warum hatte er sonst niemals eine Frau gewählt, Kinder gezeugt? Allein aus der Furcht, sie mögen in seine Fußstapfen treten, eines Tages auf dem Kampf um die Meisterschaft bestehen? Nein. Seine Fingerspitzen tanzten zärtlich über den rabenschwarzen Schopf. Es war an der Zeit, das akademische Interesse an seinen Mitmenschen auf ein sehr Pragmatisches und Umtriebiges zu lenken! Wer mochte sich bessere Chancen ausrechnen können als der Mann, der an seiner Seite lebte und mit ihm verbunden war? ~+~ Hiko runzelte die Stirn unterhalb seiner langen Ponysträhnen in wenig kleidsame Falten, zog verächtlich-ratlos die Nase hoch. Etwas Seltsames belagerte unterschwellig seine Gedanken mit einem kontraproduktiven Störfeuer. Es sorgte dafür, dass er zu unruhig war, sich auf seine gewohnten Arbeiten zu konzentrieren, stattdessen auf und nieder ging, rastlos Dinge aufnahm und wieder absetzte, Skizzen in den Sand stocherte, um sie unvollendet und wenig geduldig zu tilgen. Die Ursache dieser atmosphärischen Störungen selbst war ihm keineswegs so rätselhaft wie ihre lästige Beharrlichkeit: der Ninja legte befremdliche Verhaltensweisen an den Tag, drehte sich spielerisch die langen, blauschwarzen Strähnen um die Finger, bestand darauf, dass die Muskeln massiert und geölt werden mussten, um unerklärliche Schmerzsymptome zu lindern, ließ in gleißendem Sonnenschein Wasser über seinen Körper gleiten, der nur wenig Spuren von Bekleidung trug, summte selbstbezogen vor sich hin, ging beschwingt in seiner Hausarbeit auf, stets ein sanftes, nachsichtiges Lächeln auf den Lippen. Und dieses Lächeln! Es gereichte Hiko dazu, sich die Haare in Ungeduld zu raufen! Was gab es da die Zähne so patronisierend zu blecken?! Was amüsierte seinen zuvor so stoischen, maulfaulen Gast derartig?! Lachte der etwa über ihn, den Schwertkampfmeister der Hiten-Mitsurugi-Schule?! Einen Mann bar jeglicher Unzulänglichkeiten?! Welches Geheimnis der jüngere Mann auch hegen mochte, seine Empfindungen las der Ältere nur zu genau. Eine sogartige Mischung aus samtig-verführerischer Dunkelheit, mal prickelnd-glitzernd wie Tautropfen im Sonnenschein, mal rebellisch und wild in einem turbulenten Wirbel, dann wieder schwer und archaisch wie der gelbe Fluss. Diese Gefühle hatten alle eins gemein: sie waren stark, mächtig und profund bis in Tiefen, die Hiko niemals zu ergründen beabsichtigt hatte. Eine lose Verbindung, den Ninja am Leben zu halten. Nicht aber diese existentielle Nabelschnur, die sie aneinander fesselte! Klatsch!! Eine wuchtige Fontäne löste sich, als der Schwertkampfmeister mit kindlichem Zorn auf die Wasseroberfläche hieb. Kribbeln und Krabbeln unterhalb seiner Haut! War er nicht mehr der alleinige Herr seines Körpers?! Seines Gemüts?! Selbst hier, im kühlenden Strom des Flusses, in den er sich frustriert geflüchtet hatte, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er gemustert und belächelt wurde. Als befände er sich in einem gewaltigen Saal, in dem unzählige Augenpaare allein auf ihn gerichtet seien und er bar jeder Bekleidung stand. Ein weiterer Schauer prickelte über seine Haut hinab. Auch wenn es ihm zuwider war, erwog er für Sekunden den Einsatz körperlicher Gewalt, um dem Ninja diese perfiden Spielchen auszutreiben. Das Unterfangen scheiterte jedoch bereits daran, dass er keinen Vorwurf hinausbrüllen konnte. Wann immer er sich geneigt fühlte, das leidige Thema anzusprechen, lächelte der Ninja in seiner gelösten, sanften Zurückhaltung, verhielt sich derart zuvorkommend und friedlich, dass es schlechterdings unmöglich war, genug Aggression für eine Auseinandersetzung aufzubauen. »Grrrrrrrr!!« Mit wütendem Knurren folgte Schlag auf Schlag. Spritzwassersäulen stiegen in den glühend heißen Himmel auf, brachten keine Linderung. Diese Unfähigkeit nagte am Selbstwertgefühl des Schwertkampfmeisters. Immer hatte er erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Anderes, das sein Interesse nicht zu wecken vermochte, hatte er schlichtweg ignoriert. Nun reizte Unbekanntes beharrlich seine Neugierde. Er konnte nicht die rechte Antwort finden! Mit einer neuen Welle enragierter Verärgerung pflügte Hiko durch den quecksilbrigen Fluss. ~+~ Aoshi faltete das letzte Tuch der Wäscheladung sorgsam zusammen, lächelte stillvergnügt vor sich hin. Hatte er zunächst beabsichtigt, sich in wilder, robuster Weise anzunähern, war ihm bei näherer Erwägung der Eigentümlichkeiten von Hikos Charakter der zutreffende Gedanke gekommen, dessen überragenden Intellekt auf die Probe zu stellen. Mochte der ältere Mann auch erkennen, welche Beweggründe ihn motivierten, würde er dennoch keine rasche Antwort finden können, rechnete sich Aoshi mit klammheimlichem Vergnügen aus. Eine Verführung zu erkennen, stellte nur eine Hälfte der gewaltigen Aufgabe dar, die er dem Schwertkampfmeister aufzubürden gedachte. Dieser Verführung mit entsprechenden Mitteln zu begegnen, ein ganz anderes Metier. Es war nicht notwendig, sich in triebhafter Selbstliebe aufzuzwingen, obwohl der Ninja die manuelle Befriedigung keineswegs ablehnte. Es reichte, sich auszumalen, welche verfänglichen Situationen sich ergeben konnten und die genüsslich weiterzuspinnen. Die Emotionen, die ihn in diesen Phasen durchliefen, waren von derselben Natur wie ihre erhofften realen Pendants, die noch der Erfüllung harren mussten. Sie linderten auch die Schrecken der Vergangenheit in einem Maße, das selbst Aoshi erstaunte. Nichts schien mehr abstoßend oder widerlich, erniedrigend oder verachtend, wenn er tagträumerisch auf der virtuosen Klaviatur der körperlichen Liebe spielte. Was er gerade wieder tat, da sich eintönige Arbeiten besonders eigneten, die Gedanken ungehindert schweifen zu lassen. Wie es wäre, mit dem älteren Haschmich zu spielen, ihm die Augen zu verbinden und immer wieder zu entwischen, hier und da eine Liebkosung zu erschmeicheln, ein knisterndes Spiel aus Spannung und Lust... Da er seine Arbeiten bis auf Weiteres erledigt hatte, entschloss sich Aoshi, nach dem Schwertkampfmeister Ausschau zu halten. Wie in den wenigen vergangenen Tagen auch vermutete er, dass der sich zur Kontemplation im Fluss vergnügte. »Ob er dort wohl immer noch tanzt?« Fast reute es den Ninja, diese unbekannte Spannung auf den Schwertkampfmeister gelegt zu haben. Ihre Ausläufer verleideten mangels Konzentration jedes übermütige Ausbrechen aus dem Alltag des Älteren. Dessen ungeachtet hielt Aoshi beschwingt auf den Fluss zu. Auch ihm konnte eine kleine Erfrischung nur zur Erheiterung gereichen. ~+~ Obgleich er um die Gegenwart des Ninja wusste, der sich selbstvergessen von jeglicher Kleidung entblößte, langsam über das Geröll von den seichten Ufergestaden in den Fluss stieg, befleißigte sich Hiko einer abweisenden Pose, schwamm und tauchte, als gelte es, die modellierten Muskeln zu polieren. Ausläufer erotisierenden Vergnügens pulsierten auch durch seine Glieder, echauffierten ihn in ambivalenter Niederträchtigkeit. Solitär betrachtet bot dieses prickelnde Lauffeuer eine angenehme Abwechslung. Im Konzert mit dem Verursacher und seinen Absichten jedoch eine nicht zu tolerierende Nachlässigkeit! Hiko hegte die nicht zu unterschätzende Vorstellung, dass eine Akzeptanz zu einer gewissen, chronischen Bedürfnisbefriedigung führen würde. Zumindest sprachen sämtliche Erzählungen, die ihm in literarischer und musischer Weise zugetragen worden waren, dafür. Dabei handelte es sich doch nur um primitive Fortpflanzungs- oder Dominanztriebe, die einen Mann mit derartigem Esprit und noch mehr Geist als zu profan und seiner Zeit nicht wert eingestuft werden konnten! »Unbedeutend, nicht zu vergessen, eine Verschwendung von Ressourcen!« Unbefriedigend zudem, weil sich die Bewusstseinsstufe nicht erweiterte, sondern ein, so vermutete er selbstsicher, lediglich lokales Ablaufschema einfachster Strickart bedient wurde. Als erleichtere man sich! Wie konnte dieser unverschämte Bengel es überhaupt wagen, ein Genie seiner Kategorie mit solchem Unsinn zu behelligen?! Auf diese Art mehr als geladen rauschte der Schwertkampfmeister in energischem Elan und finsterster Miene auf Aoshi zu. Ein neutraler Betrachter hätte mühelos das trotzende Kind identifiziert, das sich hinter dieser Maske verbarg. Der Ninja ließ sich mit beiden Händen geschöpftes Wasser über dem Kopf rinnen, kämmte die langen, blauschwarzen Strähnen müßig durch. Erwartungsvoll lächelte er artig in die Gewitterwolken, die in den Raubvogelaugen blitzten. "Hör auf damit!" Brachte Hiko endlich, nach einer quälenden Weile geistiger Revision über die Lippen. "Womit?" Erkundigte sich der Ninja katzenpfotig, drehte Kringel in eine rabenschwarze Strähne. "Du weißt genau, was ich meine!" Polterte der Schwertkampfmeister, schüttelte seine Haare frei, die schlängelnd den muskulösen Oberkörper umwanden. Aoshis Lächeln gewann an Breite. Die Mundwinkel zuckten in Amüsement. Es schien unvorstellbar, dass er vor nicht allzu langer Zeit eine solche Regung als wesensfremd angesehen hatte. "Verzeiht, Meister, aber ich kann Euch nicht folgen?" Entgegnete er höflich in schmeichelndem Tenor, von einem unschuldigen Augenaufschlag begleitet, der einen gewissen Vagabunden in fassungsloses Erstaunen versetzt hätte ob ihrer Ähnlichkeit. "Glaub bloß nicht, dass ich mir das gefallen lasse!" Drohte ihm nun der Ältere wutschnaubend, in ein hilfloses Rückzugsgefecht verfallen, die Hände bereits der Wasserfläche nahe, um wenigstens einen dramatischen Abgang zu inszenieren. Aoshi konnte nicht länger Widerstand leisten. Ihn rührte die Ratlosigkeit seines Gefährten. Geschmeidig umschlang er den kräftigen Nacken, verhedderte sich absichtsvoll in den hüftlangen Strähnen, kam jedem Protest mit einem siegelnden Kuss zuvor. Er erkundete eifrig, was sich so lange verborgen gehalten hatte, kostete, betastete, kitzelte und saugte, bis sich der Sauerstoff endgültig neigte, er sich darauf beschränken musste, vorwitzige Nasenspitzen in ein Duell zu entsenden. Überraschend auch für ihn, da er das erste Mal mit solcher Inbrunst liebte, raste sein Herz wie toll, hatte sich die Spannung, die sie beide aufgeladen hatte, nicht etwa reduziert, nein, sie brandete noch stärker auf. Verlangte Kompensation, Wiederholung! Der Ninja entschied, da ihn ein vages Echo durchlief, sein Glück zu wagen. Er nahm erneut Hikos Lippen in Beschlag, um gleichzeitig eine Hand zu lösen, sie unterhalb der Taille auf Wanderschaft zu schicken. Da der Schwertkampfmeister stets ungezwungen in seiner eigenen Gesellschaft zu agieren gepflegt hatte, war er auch bar jeder Bekleidung in den Fluss gestiegen, fand sich in kundigem Zugriff. Die Festung des trotzigen Widerstands wurde an gleich zwei Fronten berannt. Aoshi hatte keine Zweifel, dass seine Kunstfertigkeit den Sieg davontragen würde. Noch immer jagte durch sein Herz die glühende Sonne widerstreitender Emotionen, Furcht und Neugier, Sehnsucht und Vorsicht, Hingabe und Lust. Seine Anstrengungen intensiviert sandte der Ninja alles aus, was so lange bereits in ihm gärte. Als der Ältere Halt suchend seine Hüften umklammerte, taumelte, wusste er, dass er endlich gehört worden war. Dass Hiko das Wesen der Begierde begriff. ~+~ Rauschzustände waren dem Schwertkampfmeister nicht fremd, arbeitete er in inspirativen Gedankenblitzen jenseits von Zeit und Raum, wenn ihn die Muse seines Genies küsste. Dieser Rauschzustand war gänzlich anders beschaffen. Er hieß, den Verstand, die kühle Ratio, in den Hintergrund treten, archaischen Instinkten die Zügel schleifen zu lassen. Sich gegen einen mächtigen Felsen sinken zu lassen, die fiebrigen Liebkosungen des Ninja mit feuriger Entschlossenheit zu erwidern. Wenn er sich auf die Suche nach dem Wesen eines Dings machte, dann mit all seinen Sinnen, seiner gesamten Kraft! Sie umklammerten einander wechselseitig, rangen um Luft, erkundeten fremde Gefilde, die so vertraut und doch so unbekannt waren, zauberten alerte Glut in aushärtende Glieder, bis endlich, erlösend, sich der Höhepunkt ergoss. Sie sich still und nahezu erschrocken gegenseitig stützten, wie Kinder, die von verbotener Speise gekostet hatten. Es wieder tun würden. ~+~ Im Schatten der Bäume bot dichtes Gras eine angenehme Matratze. Beide Männer ruhten, aneinander geschmiegt, die Blicke in das Blattwerk gerichtet. Endlich wagte Aoshi, das Wort zu ergreifen, die verunsicherte Stille zu brechen. "Seid Ihr mir böse, Lianren?" Erkundigte er sich leise, tastete nach einer Hand, um ihre Finger miteinander zu verflechten. Es währte eine Weile, bis sich der Schwertkampfmeister zu einer Antwort entschloss. "Nein. Ich denke..." Verwirrtes Zögern, als gelte es, mühsam kaum Leserliches zu entziffern. "Ich bin erleichtert. Es ist nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. Ich meine, 'normal' zu sein." Schloss sich eine ironische Erklärung an. Einen neckenden Kuss auf eine muskulöse Schulter gebannt offenbarte sich Aoshi. "Für mich ist es ein Wunder. Ich habe nicht zu hoffen gewagt, jemals zu lieben." "Sind doch wohl eher Triebe." Bemerkte das altkluge Kind naseweis mit des Schwertkampfmeisters raunendem Bass. Das reizte den Ninja zu einem nachsichtigen Lachen. "Lianren, Geliebter, denkt Ihr, die Liebe sei nur für die Seele, den Geist geschaffen? Da wäre wohl ein Körper Verschwendung, meint Ihr nicht?" Ein missmutiges Grummeln vibrierte durch ihre angeschmiegten Körper. "Ich wage zu behaupten, dass sich die Welt verbessern würde, wenn weniger Menschen ihrem Körper nachhingen und mehr ihrem Geist. Sofern vorhanden." Aoshi lachte leise. "Was haltet Ihr von einem Kompromiss? Ein gleiches Verhältnis Körper und Geist?" Er setzte sich auf, um in die Raubvogelaugen blicken zu können, die ihn eingehend studierten. "Fürchtest du keine Willkür, kleiner Drache?" Bemerkte Hiko sehr ernst, glitt mit den Fingerspitzen über die alten Narben, die den Ninja entstellten. Aoshi fing Hikos Hand ein, platzierte sie auf seinem Herzen. Er lächelte gelassen hinab. "Ihr kennt mein Herz, Lianren. Ich kenne Eures. Einen Teil gabt Ihr, um mich in das Leben und zum Licht zu führen. Ich habe nichts zu fürchten." Der Schwertkampfmeister reagierte, wie es Aoshi erwartet hatte: er zog eine schmollende Schnute und die Nase kraus. "Wir werden auf keinen Fall in lyrische Hymnen ausbrechen, Ryuu. Jetzt komm wieder runter, mein Nacken schmerzt schon!" Aoshi tat wie geheißen. Er ließ sich auf den Schwertkampfmeister sinken, erstickte weitere Klagen gründlich und sehr versiert. ~+~ Kapitel 12 - Neuanfang in Tokio "...und dann sind wir nach Tokio zurückgekehrt." Beschloss Sanosuke heiser seine Erzählung, blinzelte in die schwarzen Augen seines Freundes, der in regloser Aufmerksamkeit gelauscht hatte. Ein weiteres Mal wärmte Sake seine Kehle. Er ergänzte seinen Erlebnisbericht um den wichtigsten Aspekt. "Denk daran, Katsu, du darfst niemandem davon erzählen! Schreib bloß nichts!" Der Angesprochene, Katsuhiro, nun bekannt unter dem Namen Tsunan Tsukioka, zog eine minimale Grimasse, die sein stets düster und ablehnend wirkendes Gesicht verzerrte. "Was für eine Überraschung!" Mokierte er sich trocken über die Warnung seines Freundes mit der Hahnenkammfrisur, nippte an seinem Schälchen Sake. Abgesehen von seiner offiziellen Tätigkeit als bekannter, wenn auch zurückgezogen lebender Maler, betrieb er als Journalist einen regen Untergrund-Umsatz mit regierungskritischen Flugblättern. Wie es ihn seine Jugend bei der Sekihoutai verpflichtete, konnte er sich mit den Meiji und ihren gebrochenen Versprechen für ein besseres Leben und eine gerechtere Gesellschaftsform nicht abfinden. Auch wenn er nach einer denkwürdigen Konfrontation mit Kenshin darauf verzichtete, gewaltsam einen Umsturz herbeizuführen. "Und das ist alles?" Die schwarzen Augen fokussierten Sanosuke eindringlich. Der versank scheinbar in den Untiefen seines Sake-Schälchens. "Hu?" Schützte der Faustkämpfer Unaufmerksamkeit vor, blinzelte aus schokoladenbraunen Unschuldsaugen. Katsuhiro stieß einen verärgerten Seufzer aus. "Sano, behandele mich nicht wie einen Idioten. Du verschweigst mir etwas. Das gefällt mir nicht." Sie beäugten einander in gespannter Konzentration: wie würde sich der wenig jüngere Straßenkämpfer entscheiden? Leugnen? Aufbrausen? Oder...? "Ach, Katsu!" Ein Stoßseufzer, von einem schiefen Grinsen begleitet. "Es stimmt, dass ich nicht alles erzählt habe. Ein wesentlicher Part davon..." Ein weiteres Zögern. "Der ist mir selbst noch nicht so ganz klar." Unterhalb des Paisley-gemusterten, exzentrischen Haarbandes zog sich Katsuhiros Stirn in bedenkliche Sorgenfalten. Sano, der ungestüme, wilde, fröhliche Draufgänger, musste länger über einer Angelegenheit brüten?! Besorgniserregend genug, dass der sich insgeheim den Tod dieses Ninja anlastete. Nun auch noch eine weitere Heimlichkeit?! "Ich kann mir nicht helfen." Entgegnete Katsuhiro steif. "Dein neuer Umgang ist keineswegs eine Verbesserung zu den Saufbolden und Spielern, mit denen du dich früher herumgetrieben hast!" Tadelte er spitz. Mit einem Anflug seiner gewohnten Langmut zuckte Sanosuke die Schultern. "Ich weiß, dass du Kenshin nicht ausstehen kannst, Katsu. Es ist nicht seine Schuld. Ich habe es mir so ausgesucht. Ganz ehrlich." Ein feixender Rippenstoß. "Ich brauche 'Action' in meinem Leben, sonst werde ich verrückt." Katsuhiro verdrehte in kapitulierter Verzweiflung die Augen, zerraufte die dunkelbraunen, ungebändigten Zotteln brüderlich. "Sano, du bist nicht zu retten." Der lachte laut, erhob sich geschmeidig, tippte sich an die rote Bandana. "Danke für den Sake und deine Zeit, Katsu. Wir sehen uns!" Der Maler nickte mit einem winzigen Lächeln gravitätisch zum Abschied. Er hegte keinerlei Zweifel darüber, dass sein Wahlbruder sich in Kürze wieder einfinden würde. Auch wenn sie Jahre getrennt gewesen waren, konnte er doch noch immer in den schokoladenbrauen Augen lesen: sie hatten Spuren eines profunden Schmerzes getragen, den er lange, sehr lange, dort nicht mehr gelesen hatte. ~+~ Sanosuke starrte seltsam unbeteiligt hinab auf seinen nunmehr ehemaligen Vermieter. Der wechselte angesichts des ihn um ein vielfaches überragenden Faustkämpfers unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, versuchte wortreich zu erklären, warum es quasi ein Gesetz der Natur war, dass Sanosuke die winzige, windschiefe Hütte, die er sein Heim genannt hatte, an eine Familie vermietet fand. Seine wenigen Habseligkeiten hatte der winzige Mann in weiser Voraussicht angesichts des Rufs seines kampfwütigen, ehemaligen Mieters aufbewahrt. Er überreichte sie in einer verschlissenen Stofftasche. Mit einem gleichgültigen Schulterzucken sammelte der frühere Sekihoutai sein Eigentum ein. Sanosuke entbot einen halbherzigen Gruß, machte sich auf den Weg. Seine Gedanken waren noch immer absorbiert von weitaus wichtigeren Erwägungen. Er hatte geglaubt, die Rückkehr nach Tokio würde die Zeit auf magische Weise zurückdrehen. Er könne dort anknüpfen, wo er aufgehört hatte. Seltsamerweise schien ihn seine Erinnerung über den wahren Zustand der Stadt und ihrer Menschen getrogen zu haben. Die Slums in Kioto: sie fanden sich auch in Tokio. Ein Spiegelbild der traurigen Zustände, der Hoffnungslosigkeit der dort ansässigen Menschen. Merkwürdig, dass er das zuvor niemals wahrgenommen hatte. Lag es vielleicht an seiner ungeduldigen, optimistischen Erwartung an sein Leben, dass sich seine Zukunft auf abenteuerliche, aufregende Weise einstellen würde, im Kreis seiner Freunde? Die ein wenig separiert in den wohlhabenderen äußeren Bezirken lebten. In deren Doujou er so viel Zeit verbracht hatte. Eine Faust geballt, da die andere noch immer straff verbunden war, entfloh ihm eine verärgerte Verwünschung. War Tokio nicht die Zukunft, blickte nicht die ganze Nation auf diese vor Leben förmlich detonierende, geschäftige Stadt?! Dennoch hatte sich nicht viel geändert. Immer, wenn er Katsu verließ, dessen schwarze Augen so schonungslos die Realität demaskierten, stieg in ihm die archaische, alles konsumierende Wut hoch, die sie damals zu Brüdern verschworen hatte. Es war nicht gerecht!! Auf eine der breiten Querstraßen stoßend hielt er inne, wischte sich die ungebärdigen Strähnen aus der Stirn, blinzelte in die Sonne. Was nützte diese Wut?! Gar nichts. Zunächst musste er eine neue Unterkunft finden. Obgleich Kenshin und Kaoru ihn in weiser Voraussicht bereits eingeladen hatten, noch einige Tage in der Kampfschule zu logieren, wollte er das nur als letzte Option in Anspruch nehmen. Er hatte es nicht über sich bringen können, mit Kenshin offen zu sprechen, über Aoshis Tod und Saitou. Nicht, dass das Letztgenannte noch von irgendeiner Bedeutung war. Ein Fiebertraum. Ein schlechter. Er fühlte sich beschämt, eine Seite offenbart zu haben, die ihm selbst bis dato vollkommen fremd gewesen war. Seine ursprüngliche Intention, den ehemaligen Battousai vor Gefahren und Attentaten zu schützen, konnte er wohl kaum noch aufrecht erhalten. »Naaahhh!!« Versetzte er sich selbst einen kräftigen Schlag. »Komm schon, Sano, Hintern hoch und der Welt ins Gesicht gelacht!« Niemals, nie würde er sich unterkriegen lassen!! ~+~ Kenshin marschierte ruhig durch die Gebäude der Kampfschule, eine intensive Inspektion des Zustands, um eventuelle Schäden zu erkennen, die ihre ungewöhnlich lange Absenz verursacht haben konnte. Es würde Einiges zu erledigen sein. Zudem noch die Wäsche... Er entließ einen leisen Seufzer. Fräulein Kaoru schien aus einem ihm nicht ganz verständlichen Grund anzunehmen, dass er eine Präferenz für das Reinigung von Stoffen hegte. Sie nahm sogar gegen einen bescheidenen Obolus Wäsche der Nachbarn an, die sie ihm mit einem strahlenden Lächeln neben den Brunnen stellte. Yahiko, der nach ihrem Aufenthalt in Kioto das unbedingte Streben entwickelt hatte, sich bereits jetzt wie ein Erwachsener zu verhalten in der Hoffnung, dass sich damit auch seine Schwertkampfkünste verbessern mochten, arbeitete schon wieder im Akabeko. Möglicherweise wollte er sich auch nicht den verzweifelten Versuchen des Fräuleins aussetzen, die Frauen aus dem Aoiya mit ihren kulinarischen Fähigkeiten zu beschämen. Und Sano? Kenshin zog die Schleife, die seine flammend roten Haare im Nacken lose zusammenband, hoch auf den Hinterkopf, um sich unter der sengenden Sonne Erleichterung zu verschaffen. Die faszinierenden Augen des Schwertkämpfers verengten sich. Dinge waren geschehen, die ihm nicht zusagten. Er fürchtete um das wilde, ungebärdige Herz seines jungen Freundes. Allerdings, ein kummervolles Knurren verriet seine zweite Natur, er konnte schlechterdings unmöglich die Stimme erheben und anklagen. Er hatte einen vergleichbaren Verrat an dem ungestümen Faustkämpfer begangen. ~+~ Sanosuke grinste, trieb seine kräftigen Zähne tief in das saftige Fruchtfleisch der Honigmelone, wischte sich mit Genuss den wässrigen Saft vom Kinn, leckte seinen Handrücken ab. Die alte Frau, die kaum bis zu seinem Bauchnabel reichte, von ihren Jahren geschrumpft worden war, kopierte mit einem verschmitzten Grinsen seine Geste, bereitete ihrerseits einer Melonenscheibe den Garaus. Sie saßen inmitten einer Gruppe von Bauern und Handwerkern unter einfachen Sonnensegeln auf dem Markt, legten in der Mittagshitze eine verdiente Pause ein. Der Faustkämpfer verspürte die Sehnsucht nach einer angenehmen Siesta. Er verzichtete, da er sich weiteren Anträgen gegenübersah. Obgleich er seine Jacke abgestreift hatte, die Wunden und Bandagen des Abenteuers in Kioto offenbarte, war niemand mehr zurückgeschreckt, seine Dienste zu erkunden. Weil diese kleine, alte Dame es getan hatte, ihn nach artiger Erledigung der Errichtung ihres Sonnendachs ungerührt lobend auf die muskulöse Hinterbacke geklopft hatte. Bescheidene Münzen klingelten in Sanosukes Hosentasche. Dafür war er freundlich aufgenommen, zu den Mahlzeiten eingeladen worden. Er mochte den Markt und dieses muntere Völkchen, das so gelassen am Existenzminimum lebte, ihre humorvollen Sottisen, die scherzhaften Beschimpfungen: sie hatten sein Herz wieder besänftigt, der frustrierten Wut ihre Nahrung genommen. Als sich die Sonne endlich senkte, stand er ein wenig ratlos inmitten der sich rasch leerenden Unterstände, schulterte seine Habseligkeiten. Es war angenehm lau. Eine Nacht am Kanal würde ihm eher wohltun, als in einer der verlausten und verwanzten Zellen unterzukommen, die seinem bescheidenen Geldbeutel entsprachen. "Na, Söhnchen, weißt du nicht wohin mit dir?" Seine erste Kundin blinzelte schelmisch zu ihm hoch, tätschelte in gewohnter Vertraulichkeit seine Pobacken. Mit einem schiefen Grinsen studierte Sanosuke die alte Bäuerin, hob die Schultern nachlässig. "Sieht so aus, Mütterchen!" Neckte er sanft. "Na, komm mal mit, du Lausebengel. Wir werden dich schon irgendwo verstauen." Eine altersfleckige Hand zupfte an seinen vergleichsweise großen, gab mit erstaunlicher Energie die Richtung vor. Zögerlich leistete Sanosuke seiner Gastgeberin Folge, nahm in achtloser Leichtigkeit ihre Kiepe auf die Schulter. Selbstredend hatte er erwogen, sie nach Hause zu begleiten. Die Zeiten waren nicht so ruhig, dass sie vollkommen ungeschützt zu später Stunde in die äußeren Bezirke Tokios wandern konnte. Sich derartig aufzudrängen, eine Gunst zu akzeptieren... "Haste Angst, ich tu dir was, Söhnchen?" Grinste sie mit einem amüsierten Zwinkern hoch. "Mach dir mal keine Gedanken. Ich verdresche keine kleinen Jungs." Sanosuke spürte, wie seine Kinnlade sich gen Boden senkte, ohne dass er es hätte verhindern können, seiner Sprache momentan verlustig gegangen. "Augenblick mal..." Startete er einen jämmerlichen Protestversuch, seine Würde wiederherzustellen. Er stolperte beinahe über seine Füße, als er mit nachdrücklichem Schwung weitergezogen wurde. "Mach mal hin, Söhnchen, wir sind spät dran!" Murmelnd fügte sich der großgewachsene Faustkämpfer, verbarg in seinen Mundwinkeln ein freches Grinsen. ~+~ Hanako, wie seine Gastgeberin hieß, bewohnte eine flache Bauernkate, von einem gepflegten Garten umgeben, in dem wuchs, was sie verkaufte. Zudem schnatterten Gänse und scharrten Hühner, als sie von einer bescheidenen Papierlaterne beleuchtet ihren Heimweg fanden. Geschäftig setzte Hanako Wasser für einen Tee auf, während Sanosuke sich bemühte, die Kiepe zu entladen, sich mit den fremden Gefilden vertraut zu machen. Alles war einfach, spartanisch eingerichtet, sauber und mit rücksichtsvoller Pflege behandelt. Es weckte Erinnerungen an seine Kindheit. Hanako lud ihn ein, ihr zur Nacht Gesellschaft zu leisten, bis sie sich in einen kleinen Raum zurückzog, es dem Faustkämpfer überließ, sich im Hauptraum auf einer Strohmatte einzurichten. Trotz aller Anstrengungen noch leidlich wach resümierte der Straßenkämpfer die Ereignisse des Tages mit gerunzelter Stirn. Wie ungewohnt, ja, untypisch, für ihn, sich so einfach aufnehmen zu lassen! In der Vergangenheit hatte es oft genug Offerten gegeben, angefangen bei seinem Wahlbruder und den Freunden im Doujou, ihn dort unterzubringen. Stets hatte er dies nur temporär wahrgenommen, trotzig auf seine Autonomie bestehend. Warum hatte er heute zugestimmt? »Vielleicht~vielleicht möchte ich nicht allein sein. Allein mit diesen verwirrenden Gedanken, mit den Schuldgefühlen und meiner Wut.« Es erschien ihm wesentlich leichter, dies unter der mütterlichen Obhut einer älteren Fremdem zu bewältigen als in der Gegenwart seiner Freunde. »Es liegt nicht an Katsu oder Kenshin, wenn ich ihnen nicht offen begegnen kann. Es sind meine eigenen Erwägungen, die erst abgeschlossen werden müssen. Ich bin nun eben mal ein Mann der Tat, nicht der Besinnung.« Stellte er selbstkritisch fest, lauschte auf die leisen Geräusche der Tiere, die ungewöhnliche Stille in der Nacht. In seiner gewohnten Nachbarschaft lebte er mit einem steten Klangteppich, der auf seine Art ebenso beruhigend war wie ein raues Schlaflied. Der Faustkämpfer kannte die Kadenzen seiner ehemaligen Umgebung. Auf sie geeicht konnte er sich in Sicherheit wiegen, was seine Reaktionen betraf. Hier draußen jedoch fühlte er sich schutzlos ohne das Labyrinth der winzigen Straßen und Gassen, das Gewirr von Hütten und Verschlägen. »Ein wenig zu nahe an der Natur!« Wie er mit schiefen Grinsen konstatierte. Entschlossen kommandierte er seine Lider in Ruhestellung. Morgen war ein neuer Tag mit neuen Herausforderungen. ~+~ Seit der Rückkehr nach Tokio waren mehrere Tage vergangen. Sanosuke logierte immer noch bei Hanako, begleitete sie auf den Markt, bot dort seine enormen Kräfte und sein Geschick an. Es kümmerte ihn wenig, dass seine alten Bekannten diese Wandelung des früheren Schlägers und Gangsters mit Irritation und Spott begleiteten. Er fühlte sich mit jedem Tag besser, der seine Kräfte wieder stärkte, sein Selbstvertrauen, seine Perspektive justierte. Wenn ihm danach war, in den Tokioter Slums zu helfen, tat er das eben! Mochten andere auch ihre Umgebung ignorieren, jedes freundliche Wort, jede Aufmunterung als verschwendet betrachten: Sanosuke zehrte von dem Dank, den man ihm entbot, der Anerkennung und der losen Gemeinschaft der Bauern auf dem Markt. Während sein Leib in der erstaunlichen Heilungsfähigkeit reüssierte, konnte er seine Gedanken spazieren lassen. Das taten sie ausgiebig. So gern er einen ordentlichen Schlagabtausch noch immer akzeptierte, um sein Können zu erproben, so sehr war ihm nun die sinnlose Auseinandersetzung betrunkener Aggressoren zuwider. Der Tod des Ninja saß tief in seinem Herzen. Ein Mahnmal, wie unerwartet rasch tödlicher Ernst spielerisches Geplänkel und Gedankenlosigkeit einholte. Er fand sich, statt zu würfeln, zu wetten oder zu trinken, bei Hanako, lauschte ihren Erinnerungen an ein bewegtes, vom Schicksal gezeichnetes Leben, während er gleichzeitig die alte Dame mit seinen Beschreibungen über die Kaiserstadt Kioto amüsierte. Mehr und mehr wandelte sich sein Blickwinkel auf sein eigenes Leben. Er lernte durch die Bauern Biographien kennen, die von seiner abwichen. Die er vergessen glaubte durch die Gesellschaft anderer junger Spieler und Gelegenheitstrinker seines Alters. Fragen trieben ihn um. Allzu oft haderte er mit sich, sie an den ehemaligen Battousai heranzutragen, um eine Antwort zu finden. Allerdings befand er Kenshin als tendenziell ungeeigneten Partner. Der hatte eine eingeschworene Verpflichtung zur Wiedergutmachung zu erfüllen. Was blieb ihm? Er befand sich im heiratsfähigen Alter, jedoch ohne Profession, ohne regelmäßige Einkünfte, ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Familie. Das hatte ihm bisher behagt. Seine Unabhängigkeit hieß ihn stets Abstand wahren, sei es um den Preis der Einsamkeit. Wie sollte es weitergehen? Seine Kräfte und sein Können mochten im Kampf von Nutzen sein, im Alltag jedoch sicherten sie gerade sein Überleben. Sollte er sesshaft werden oder sein Glück in der Fremde suchen? Abenteuer, Reisen, Wagnisse, Risiken? Alles hinter sich lassen? Mit einem schmerzlichen Grinsen schüttelte der Faustkämpfer weitere Erwägungen ab wie ein Hund Wassertropfen. Das klang so sehr nach Aoshi, dass es ihm den Atem raubte! War daraus ihre Vertrautheit entstanden? Dass sie sich in einer neuen Zeit fanden, die ihre Träume und erarbeiteten Fertigkeiten nicht mehr benötigte?! ~+~ "Katsu? Bist du da?" Der Maler sah auf, abandonnierte bereits Pinsel und Reispapier. "Komm herein, Sano!" Sanktionierte er das Eintreten des Faustkämpfers, der seine flachen Stoffschuhe bereits gewohnt sorglos abstreifte, ihn von der Mittagshitze leicht errötet anstrahlte. "Hey Katsu, wie geht's?" "Danke der Nachfrage, gut. Womit kann ich dir helfen?" Blitzte ein schelmisches Grinsen auf den üblicherweise unbewegten Zügen des Malers auf. Freimütig ließ sich Sanosuke auf den Tatami neben seinem Wahlbruder nieder, produzierte einen Bogen Papier, von einem breiten Grinsen begleitet. "Ich möchte einen Brief an Misao schicken. Da wäre..." "... ein wenig Unterstützung nicht schlecht!" Vollendete Katsuhiro den Satz, durchwühlte den wirren Schopf des Faustkämpfers. "Also...!" Überrascht blinzelte er, als ihm Katsuhiro das Papier entwand, es sorgsam faltete, damit der Versand und die Zustellung ohne Mühsal erfolgen konnten. Bevor sich Sanosuke des Pinsels mit der Tusche bedienen konnte, reichte er ihm einen Kohlestift, den er gewöhnlich zum Skizzieren in Gebrauch hatte. Die Köpfe vertraulich zusammengesteckt befleißigten sich beide Männer, Sanosukes letzte Erlebnisse zu Papier zu bringen. Dabei zeichnete Katsuhiro als Hilfestellung des Öfteren die Kanji vor, überließ dem Faustkämpfer das erstaunlich sichere Kopieren. Zurückgelehnt studierte der Maler seinen Wahlbruder mit einem Lächeln. Was der auch bemerkte. "Du bist so gut gelaunt! Das ist schön." Bemerkte Sanosuke aufrichtig erfreut, verpasste Katsuhiro einen sanften Stoß gegen eine Schulter. Der wenig ältere Mann zupfte strafend an der Nasenspitze des Straßenkämpfers, neckte ihn. "Ddas könnte öfter der Fall sein, wenn du dich nicht so rar machen würdest." Sanosuke akzeptierte den Tadel mit einem Lachen. "Du hast recht, Katsu, wie gewöhnlich! Ich werde mich bessern, Ehrenwort! Apropos..." Er zog aus dem Hosenbund einen schmalen Umschlag, schob ihn über die lackierte Platte des kurzbeinigen Tisches dem Freund zu. "Ein Teil des Geldes, das du mir für Kioto geliehen hast." Erklärte er grinsend, weidete sich an dem momentanen, profunden Erstaunen des Älteren. "Vielen Dank, Sano. Du weißt, es eilt mir nicht damit!" Versicherte Katsuhiro rasch, verbarg seine Überraschung hinter dem marineblauen Vorhang seines Haars. Er verfolgte schweigend die Anstrengungen seines Wahlbruders, die Spalten zu vollenden, Zeichen für Zeichen akkurat abzubilden, eine merklich rosige Tönung der Konzentration auf den attraktiven Zügen. "Das erinnert mich an früher." Bemerkte er leise, versonnen. "Als taichou uns Lesen und Schreiben beibrachte. Das war nicht einfach." "Nein!" Sanosuke zwinkerte. "Besonders mit mir hatte er es nicht leicht!" Er schwenkte die Linke, die den Kohlestift umklammerte. Voller Einverständnis lächelten sie einander an, bevor Katsuhiro sich nach vorne lehnte, die ungebärdige Mähne dunkelbraunen Haars verstrubbelte. "Du musstest unbedingt mit der falschen Hand schreiben. Er hat dich darin unterstützt." Sanosuke lachte leise. "Ich war so furchtbar ungeduldig, dass jede Übung mit Geschrei und Wutausbrüchen endete." Sein Blick wandte sich ins Leere. Das Lächeln auf seinem Gesicht vergaß die Zeit. Katsuhiro fühlte denselben vertrauten Schmerz, legte tröstend einen Arm um die kräftigen Schultern seines Wahlbruders. "Was, glaubst du, würde taichou heute machen?" Flüsterte der Faustkämpfer leise, lehnte sich in die liebevolle Umarmung. Der Maler erwog Optionen, antwortete schließlich bedächtig. "Wahrscheinlich würde er das tun, was du machst: den Menschen helfen, ihnen Hoffnung schenken." Sich aufsetzend, den Kopf geneigt, musterte Sanosuke Katsuhiro eingehend. "Nein, Katsu, ich denke, er würde die Wahrheit veröffentlichen, wie du das tust!" Erwiderte er bestimmt. Der Maler schmunzelte, zupfte an den abstehenden Strähnen des Faustkämpfers, wie sie es als Kinder getan hatten. "Vermutlich würde er beides gleichzeitig bewerkstelligen." Bot er kompromissbereit an. Sanosuke schnickte glatte, schwere Strähnen neckend von den schmalen Schultern des Malers. "Jede Wette!" Sie tauschten ein freundschaftliches Lächeln. Katsuhiro mahnte, den Brief an Misao zu vollenden. "Sie ist deine kleine Freundin in Kioto?" Stichelte er, um ein breites Strahlen zu ernten. "Wie eine kleine Schwester, alles klar?!" Stellte Sanosuke richtig. Als der Brief verschlossen und gesiegelt war, erhob er sich, umarmte Katsuhiro vorsichtig. "Ich weiß, dass ich dir einige Erklärungen schulde." Wisperte er leise in die marineblaue Mähne. "Gib mir noch ein paar Tage, Katsu." "Solange du mich nicht meidest, werde ich geduldig sein, Sano." Erwiderte der Maler liebevoll, umschloss den ein wenig größeren Freund fest. Obgleich es ihm erschien, als seien mehr als zehn Jahre nur ein Augenzwinkern in Sanosukes fröhlichem Gesicht, konnte der Maler sich nicht täuschen: der Junge, den er wie einen Bruder liebte und verloren geglaubt hatte, wies Veränderungen auf. Nicht nur das befremdliche Band in safrangelber Färbung, das sein linkes Handgelenk wie eine Fessel umschlang. ~+~ "Ah, wie schön, eine leichte Brise vom Meer!" Hanako breitete die Arme aus, als wolle sie einen Vogel im freien Flug imitieren, obgleich sie sich auf der schmalen Veranda ihres Bauernhauses befand, gegen einen Stützbalken gelehnt, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen. Sanosuke trat neben sie, reichte artig eine Schale Tee an, den er frisch aufgebrüht hatte. Sie machten es sich in den wohligen Schatten des sich senkenden Dachs bequem, lauschten in vertrautem Schweigen auf die spärlichen Geräusche der Fauna. Die untergehende Sonne färbte den Himmel bereits in blutrotes Farbenspiel, als Hanako den Faustkämpfer aus seinem versunkenen Dösen weckte. "Sano!" Die Anrede anstelle des gewohnten Koseworts ließ den jungen Mann aufhorchen. "Ich möchte, dass du weißt, dass du in diesem Haus immer willkommen bist. So wie auch deine Freunde." Da die alte Dame sich jeden Blickkontakts verweigerte, mit einem sanften Lächeln ihr Profil bot, nahm sich Sanosuke Zeit, ihre Worte und die verwobene Bedeutung zu enträtseln. Das bedurfte keiner sonderlichen Anstrengung, erinnerte er sich doch zu gut der unterschiedlichen Begegnungen mit Bekannten in den letzten Tagen. Es hatte sich herumgesprochen, dass der ehemalige Gangster Zanza nun scheinbar bekehrt worden war, auf dem Markt arbeitete. Sogar in eine obskure Wohngemeinschaft mit einer alten Bäuerin getreten war! Dies rief Zuschauer und Neugierige auf den Plan, die ihre Meinung selten hinter dem Berg hielten. Das stellte Sanosukes gewöhnlich leicht entflammbares Temperament auf eine größere Geduldsprobe. Er nahm von jeder Rechtfertigung Abstand. Er tat, was er tat, wie stets. Diese Taten allein sollten Zeugnis seiner Überzeugungen sein. Was kümmerte ihn das Geschwätz derer, die reguläre Arbeit als anstößig betrachteten oder eindeutig unappetitliche Gedanken über die Gemeinschaft mit Hanako hegten? Wenn sie beleidigend wurden, was gewöhnlicherweise Sanosukes Ruf verhinderte, würde er dafür sorgen, dass sich eine solche Äußerung oder Geste nicht mehr wiederholte. Er kam jedoch nicht umhin, die Reserve bei seinen Freunden zu bemerken, was den Kontakt mit ihm betraf. Durch seine Handlungen war er für sie zu einer unbekannten Größe geworden, einen Schritt näher an Verantwortung und Reife herangetreten, als sie es selbst wagen wollten. »Was Kenshin und die Bewohner des Doujou angeht...« Er seufzte. Selbst Yahiko war nicht entgangen, dass es unausgesprochene Differenzen gab, die sie einander entfremdeten. Auch wenn der Junge und das Fräulein wenig dazu beigetragen hatten. Aoshis Tod zu seinem Schutz allein stellte bereits einen ausreichenden Anlass dar, sich in Gedanken zu befassen. Dazu addierte Sanosuke stumm Kenshins mutmaßliche Kenntnis über die Verbindung zu Saitou. Wie beschämend, dass es ihm nicht einmal mehr gelingen wollte, mit seinem besten Freund in der gewohnten Weise zu sprechen! Sie standen einander verlegen gegenüber. Die schokoladenbraunen Augen wichen den faszinierenden des ehemaligen Battousai aus. Es mussten Gemeinplätze bemüht werden, um Gesprächspausen, die früher von ihrer Vertrautheit zeugten, eilig aufzufüllen. »Wie kann ich ihm erklären, was geschehen ist?!« Sanosuke raufte sich die Strähnen mit beiden Händen. »Die Crux besteht bereits darin, dass ich selbst meiner Beweggründe nicht ganz sicher bin! Wollte ich wirklich nur Kenshin schützen und selbst stärker werden? Oder ging unbewusst der Drang mit einher, dass ich mit Saitou...?!« Knurrend ließ er die Knöchel seiner Fäuste gegeneinander prallen. Wer konnte schon sagen, was es gewesen war?! Jetzt war er wieder hier, zu Hause, in Tokio! Sein eigener Herr! Auch wenn ihn nichts reute, galt sein Augenmerk nun der Zukunft! Eine kleine, runzelige Hand drückte zärtlich seine Schulter. Die wachen Augen seiner Gastgeberin blinzelten ihn freundlich an. Sanosuke erwiderte das Lächeln instinktiv. "Hanako, ich bin wirklich froh und dankbar für das Angebot. Im Augenblick ist es allerdings nicht so einfach mit meinen Freunden." An einer schmalen Pfeife ziehend musterte ihn die Bäuerin eingehend. "Das dachte ich mir schon. Besonders, als der kleine, rothaarige Lauser heute mit seinem Tofu-Eimer so hilflos vor dir auf und nieder getapst ist." Der Faustkämpfer konnte ein Lachen nicht unterdrücken: der gefürchtete Battousai ein 'Lauser'!? "Ist sicher auch nicht leicht, sich vom Gangster und Schläger zu einer Stütze unserer kleinen Gemeinschaft zu wandeln." Bemerkte sie mit einem Zwinkern. Der junge Mann erstarrte für Herzschläge. "Söhnchen." Eine Hand tätschelte seine Wange. "Hast du gedacht, ich bin so dusselig, einfach jeden in mein Haus zu bitten? TssTss!" Sie brach in fröhliches Gelächter aus. "Warum hast du es getan, Mütterchen?" Schoss es aus Sanosukes Mund hervor, bevor er seiner Zunge die Zügel anlegen konnte. An der schmalen Pfeife ziehend studierte Hanako den Sonnenuntergang. "Manchmal braucht man ein bisschen mehr Schutz als gewöhnlich, bei Menschen, die keine Rechtfertigungen verlangen." "Du dachtest, ich sei so ein Kandidat?" Erkundigte sich der Faustkämpfer, schwankte zwischen Indignation über seine unterstellte Schwäche und verlegener Zustimmung. "Söhnchen." Hanako nickte sehr ernst. "Ich bin schon eine ganze Weile auf dieser Welt unterwegs. Ich habe ein Gespür für Menschen und für Situationen." Sanosuke rief sich die biographischen Eckpunkte des Lebens der alten Frau ins Gedächtnis. Er konnte lediglich zustimmend nicken. Sie hatte in bewegten Zeiten gelebt, als Angehörige der vierten Klasse, drangsaliert, in ein gesellschaftliches Korsett gezwängt, von täglicher, schwerer Arbeit gezeichnet, durch das Schicksal mehr als einmal gestraft: zweimal die Familie zu verlieren, an den Bürgerkrieg und die Seuchen, alle Kinder sterben zu sehen. Ihn schauderte bei der ruhigen Gelassenheit, mit der ihm diese Lebensstationen nahe gebracht worden waren. Sein eigener Weg wies ebenfalls einige einschneidende Erlebnisse auf. Wie er sich eingestehen musste, hatte er die letzten zehn Jahre damit verbracht, in Stagnation einem lebensfeindlichen Ideal zu folgen. Für Hanako zählte das Leben als höchstes Gut, während er selbst in unzähligen Kämpfen seiner verzweifelten Wut zu entkommen versucht hatte. Stets in der Hoffnung, ein Stärkerer möge seiner Richtungslosigkeit ein Ende bereiten. So, wie Aoshi zuletzt in Kenshins Tod seine einzige Bestimmung gesehen hatte. In ihrer Gegenwart erschien ihm sein Gebaren selbstmitleidig und befremdlich. Verstand er sich nicht selbst als Frohnatur, die immer wieder auf die Beine kam? Oder hatte er sich und andere nur getäuscht, wieder mal? Die Augen schließend konnte sich Sanosuke nur wundern: Kenshin hatte den Nebel vertrieben, der seine Perspektive blockiert hatte. Was in beinahe erschreckendem Ausmaß zu Selbsterkenntnissen führte. Ein kleiner Kopf mit strohigen Strähnen lehnte sich an seine Seite. Er drückte Hanako behutsam an sich. »Ich kann noch stärker werden. Mit ungetrübtem Blick.« ~+~ Katsuhiro kontrollierte seine Erscheinung ein letztes Mal in dem halbhohen Spiegel, nickte sich in düsterer Entschlossenheit zu. Er bot wie gewohnt das abweisende, ausdruckslose Gesicht eines undefinierbaren Mannes jüngeren Alters, in unauffälliger, sah man von seinem Haarband ab, aber korrekter, gepflegter Bekleidung. Als er vor die Tür trat, von der sich verdichtenden Dunkelheit der einsetzenden Nacht bereits umschlungen, gestattete er sich einige Sekunden, seine Augen an die reduzierten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Sein Weg währte nicht besonders lange. Er konnte ihn nach einigen Monaten bereits blind finden. Das würde sich als unnötig erweisen, da die ihn umgebende Geräuschkulisse mehr als eindeutig war. Das gewaltige Teehaus erstreckte sich über mehrere Stockwerke, war von einem künstlichen, schmalen Garten umgeben war. Der Zugang über eine hohlrückige Brücke wurde von einer Gruppe bulliger Bewacher belagert. Das Teehaus stellte seit geraumer Zeit seinen nächtlichen Wirkungskreis dar. Man nickte ihm zu. Seine Umhängetasche wurde in nachlässiger Weise einer Pflicht Genüge tuend kontrolliert, bevor er den Empfangsraum betreten durfte. Stimmengewirr, Fetzen von Musik, von Gelächter und groben Scherzen zerrissen, der aufdringliche Geruch schwerer Speisen, Nikotins und Parfums: wie eine erstickende Daunendecke legte er sich Mehltau-schwer auf seine alerten Sinne. Katsuhiro machte einem der Empfangsmänner seine Aufwartung, um wortkarg seine Arbeit aufzunehmen. Das Teehaus bot sehr viel mehr als vergnügliche Unterhaltung in gemütlicher Runde bei Tee. Hier wurden Sake und Pflaumenwein in rauen Mengen ausgeschenkt. Für die Unterhaltung sorgten Männer und Frauen der unterschiedlichsten Kunstfertigkeiten. Ein gewaltiges Bordell, wo man sich entsprechend der eigenen Fähigkeiten verkaufen konnte. Und ein beliebter Treffpunkt wichtiger und mächtiger Männer. Dazu die Ausländer, die ihre fremden Regierungen präsentierten, anders als in der Vergangenheit selbst in der neuen Hauptstadt jede Bewegungsfreiheit genossen. Natürlich nicht unbeobachtet. Unter dem Tarnmantel seines Talents zu raschen, sehr exakten Skizzen und Karikaturen konnte er sich ebenso ungehindert bewegen. Seine Dienste gegen ein bescheidenes Entgelt anbieten, dabei Material und Gerüchte auflesen, die seinen eigenen Bestrebungen, die Regierung zu kritisieren und seinen Mitmenschen die Augen zu öffnen, dienten. "Los, noch eins, Miko!" Dröhnten angetrunkene Stimmen zu seiner Rechten, Katsuhiro erstieg die Treppe in das dritte Geschoss, folgte dem Ruf. Er vermutete in der lautstarken Gesellschaft potentiell interessante Informationen. Als er den offenen Raum betrat, kaum bemerkt, da eine Unzahl an Bediensteten beständig umherschwirrten, ohne Bedeutung für die Gäste, stumme Geister der Bequemlichkeit, stutzte er. Die mit 'Miko' angesprochene Frau, ein boshafter Spott, sang erneut ein zotiges Trinklied, mit dunkler, tragender Stimme, steif und hoch aufgerichtet auf ihren Fersen kniend. Nur ein winziges Beben, das dem geschulten Auge des Beobachters nicht entgehen konnte, verriet die Anstrengung, die es sie kostete. Eine weitere Frau, ebenso wie die vortragende in einen einfachen, allerdings in einer grellen Farbe gehaltenen Kimono gekleidet, schlug eine Laute, die sich um die außergewöhnliche Stimme wand. Katsuhiro studierte rasch die Versammelten: eine Gesellschaft von Männern mittleren Alters. Ihrem Gebaren und der Bekleidung nach zu urteilen nicht gerade arm. Mit einigem Einflussreichtum, schloss man von den herrischen Gesten, mit denen sie die augenblickliche Umsetzung ihrer Wünsche erwarteten. Als das letzte Lied von einem grölenden Chor begleitet sein Ende gefunden hatte, erhob sich die 'Sängerin' mit quälender Langsamkeit, verneigte sich mehrfach, um mit schleppendem Schritt, der nicht allein dem Kimono geschuldet war, an Katsuhiro vorbei auf den Flur zu treten. Für Wimpernschläge streiften sich ihre Blicke, mischten sich schwarz und haselnussbraun. Wie ein Blitz bohrte sich eine Momentaufnahme in das Gedächtnis des Malers. Da wurde er bereits angesprochen, seine Dienste gefordert, ein Bild der verschwundenen 'Sängerin' zu zeichnen, das einer der Gäste zu erwerben wünschte. ~+~ "Du bist sicher, dass es dir gut geht?" Eine skeptisch hochgezogene Augenbraue akkompagnierte die nachdrückliche Frage, als Sanosuke in müheloser Geschicklichkeit Bretter in den gewaltigen Wandschrank einsetzte, der die Ausstattung für die Krankenbetten verwahrte. Mit einem bitterbösen Funkeln bedacht klimperte Megumi Takani, die talentierte Ärztin in übertriebener Pose mit ihren dichten Wimpern, hob eine elegante Hand vor die Lippen, um eine verschreckte Geste zu kopieren. Nicht, dass der Faustkämpfer sie tatsächlich bedrohen konnte oder sie ernsthaft eine Erkrankung in Erwägung zog. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Charaktere und des konstanten Neckens verstanden sie sich gut. Dennoch sorgte sich die Ärztin. "Es entspricht nun mal nicht deiner Persönlichkeit, vor Mittag auf den Beinen zu sein und so unermüdlich ohne Bezahlung zu arbeiten!" Triezte sie ein weiteres Mal, belauerte aus den Augenwinkeln mögliche Reaktionen. Sanosuke zuckte mit den Schultern, setzte ein nonchalantes Grinsen auf. "Ich trage lediglich die Kosten für meine Behandlungen ab." Verschanzte er sich gleichmütig. Auf ihre Anweisung hin stapelte er Decken, Bettlaken und gespendete Wäsche sorgfältig im Wandschrank. "Ken-san "erzählte mir von euren Abenteuern in Kioto." Megumis liebe- und respektvolle Anrede für ihren gemeinsamen Freund. Der Faustkämpfer unterdrückte einen Seufzer. Die Zielrichtung der sich ohne Zweifel anschließenden Frage war nicht zu verkennen. "Sag, quälst du dich wegen Aoshis Tod?" Bestätigte sie seine Vermutungen. Ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen antwortete der jüngere Mann. "Ich bin traurig, weil er ein guter Freund wurde, aber mich zu quälen? Nein, welchen Sinn hätte es?! Aoshi ist tot. Nichts wird ihn wieder lebendig machen." Eine schmale Hand klopfte auf seine Schulter. "Sehr vernünftig gesprochen. Warum fällt es mir bloß so schwer zu glauben, dass sich dein Herz daran hält?" Mit einem ruhigen Blick wandte er sich um, sah der kleineren Frau in das Gesicht. "Wäre es nicht schlimmer, ich würde so schnell vergessen?" Bemerkte er leise. Für Momente blitzte ihn ungefilterte Verblüffung an. Als sei es ohne Vergleich, dass er sich ernsthaft und reif äußern könne. Nicht der faule Spaßmacher und Hitzkopf, den sie kennengelernt hatte! Sie lächelte nachsichtig, legte eine elegante Hand auf die Wange des Faustkämpfers. "Wir sorgen uns um dich, Sano. Wenn die Zeit der inneren Einkehr verstrichen ist, wünschen wir uns deine laute, gefräßige und querulantorische Anwesenheit wieder, verstanden?" Neckte sie mit zuckersüßem Frätzchen. Sanosuke, dankbar für die Demission, die ihn aus sezierender Studie entließ, markierte den ungestümen, unmanierlichen Halbstarken, umfasste die feingliedrige Frau bei den Hüften, um sie wie eine Puppe im Kreis zu schleudern. Dabei knurrte er spielerisch. Die erstaunlich kräftigen Fäuste gegen seinen Brustkorb trommelten vorgeblichen Protest, während die dunklen Augen der Ärztin vor frechem Vergnügen funkelten. "Du wirst dich schon früh genug wieder über mich beklagen!" Versetzte der Faustkämpfer grinsend, entließ seine leichtgewichtige Beute behutsam. "Das liegt nur daran, dass du keine Disziplin hast und dein dummer Hahnenkamm durch jede Mauer in Reichweite gehen will!" Kam ihre boshafte Replik. "Hey, keine Scherze über meine Frisur!" Protestierte der junge Mann beleidigt, die Arme vor der Brust verschränkt. "Du hast keine Vorstellung, wie viel Kunst und Geschick so was verlangt, Fuchsweib!" "Du könntest deine Kräfte viel gewinnbringender einsetzen, indem du beispielsweise den Brunnen mal nachsiehst!" Schwenkte sie einen ganzen Zaun an Hinweisen, ihr dunkles Kichern anschließend. "Wir könnten Yahiko in den Brunnen runterlassen." Überlegte der Faustkämpfer laut. "Wenn wir das Fräulein überreden, dass sie es als Kampfsportübung deklariert." Ein verschwörerisches Grinsen später strebte Sanosuke dem Doujou zu. ~+~ Seine Wahrnehmung hatte sich auf die ungewöhnliche, samtige Stimme eingestellt, um sie sicher aus dem Klangteppich von Gelächter, Gesprächen und Geschirr herausfiltern zu können. Sie klang schwermütig und hoffnungslos, kündete von der Anstrengung, jedem Ton einen weiteren folgen zu lassen. Katsuhiro entschloss sich, obgleich es kaum seiner eigentlichen Aufgabe zuträglich sein würde, hinter das Geheimnis der unglücklichen 'Sängerin' zu blicken. Seine unauffälligen Erkundigungsversuche hatten nur magere Früchte getragen. Das mutete nicht verwunderlich an, da das Personal oft wechselte, man sich gewöhnlich auf das eigene Überleben konzentrierte. Sie war vor einigen Tagen erst aus Kioto gekommen, sprach nur selten und bewegte sich sehr langsam, steif. Ihr Engagement, wenn man es so nennen konnte, da sie keinen Lohn erhielt, sondern nur Unterkunft und Ausstattung gewährt wurde, umfasste die Unterhaltung der Gäste mittels ihrer Stimme. Andere Dienstleistungen waren ihr bisher noch nicht abverlangt worden. Deshalb wurde ihr auch der boshafte Spitznamen 'Miko' angehängt. Als eine verstoßene Priesterschülerin, die tief gefallen war, im Laufe der Zeit auch ihre keusche Zurückhaltung verlieren würde. Katsuhiro studierte sie erneut aus einem schattigen Winkel, versuchte, unter der dicken Schicht von Makeup, mehreren grellen Kimonos und der hochdekorierten Perücke individuelle Züge auszumachen. Etwas berührte ihn merkwürdig, eine winzige Unstimmigkeit. Noch konnte er nicht den Finger darauf legen. Es würde sich ergeben. Wenn er Gelegenheit fand, der seltsamen 'Miko' seine Aufwartung zu machen. ~+~ Ihr Gesangsvortrag endete. Katsuhiro fand sich im Zwiespalt von Neugierde und selbst gewählter Berufung. Einige Männer, die ihm bekannt waren, beugten sich verschwörerisch zueinander. Er brannte darauf, versprengte Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Also musste die rätselhafte Frau warten. ~+~ Von besorgniserregenden Neuigkeiten bedrängt, die er von eifrigen Lippen abgelesen hatte, suchte der Maler ein abgelegeneres Winkelchen in dem gewaltigen Gebäude, um in Ruhe über seine nächsten Schritte nachzudenken. Als er eine steile Hintertreppe hinabstieg, drangen obszöne Schimpfworte in einem stetigen, harschen Ton an sein Ohr. Nicht ungewöhnlich. Sie hießen ihn, sicherheitshalber einen Blick zu riskieren, um keinen hässlichen Überraschung zu begegnen. Einen kleinen Spiegel aus seinem Ärmel gezogen verschaffte er sich ein knappes Panorama einer Nische, erkannte den grellen Kimono sogleich wieder. Die 'Sängerin' kauerte vor einem untersetzten Mann, saugte an einem schwabbligen, fehlfarbenem Glied, während grobe Finger ihre Perücke zerrupften, flache Schläge auf Kopf und Nacken prasselten. Trotz der mühseligen Versuche, Spannung in den gedehnten Muskelstrang zu massieren, verlor der Mann seine Geduld, packte grob den gepuderten und entblößten Nacken, schleuderte die 'Sängerin'` von sich, schloss einen harten Tritt in ihre Seite an. "Verblödete Hure, mach, dass du wegkommst!" Drohte er geringschätzig, um über die leise keuchende Gestalt hinwegzusetzen, schwankend seinen Weg zu der Treppenflucht zu suchen. Katsuhiro verbarg sich in den Schatten, wartete, bis der brutale Kunde verschwunden war. Inzwischen hatte sich die 'Sängerin' an einer Wand hochgezogen. Sie wankte, sich an dem Geländer abstützend, nach unten, bis sie das Erdgeschoss erreichte. Der Maler heftete sich mit artigem Abstand an ihre Fersen, beobachtete, wie sie am Hinterhaus Wasser schöpfte, sich krampfartig in die Büsche übergab, bevor sie sich den Mund ausspülte. Schwerfällig, das linke Bein nachgezogen, hielt sie auf eine kleine Stiege zu, die zu einem Untergeschoss führte. Sie kletterte mühsam die Stufen hinab, klopfte einen Rhythmus gegen das massive Holz einer Tür. Die öffnete sich. Die kauernde Gestalt schob sich schwerfällig in das abgedunkelte Interieur dahinter. Mit einem fotografischen Gedächtnis gesegnet und von Erfahrungen geprägt nutzte Katsuhiro den Vorteil seines Studiums des gewaltigen Teehauses. Er wusste um einen zweiten Zugang zu dem unterirdischen Gelass, konnte sich wieder auf die Spur der 'Sängerin' begeben. Der Geruch, der ihn empfing, bestätigte seine Ahnungen: schwer, süßlich, eine dichte Wand aus Rauch und kondensierendem Wasser. Eine Opiumhöhle. ~+~ Sie lag auf einer der fleckigen, stinkenden Matratzen, damit befasst, die Pfeife zu illuminieren, sich in das narkotische Vergessen der Droge versinken zu lassen. Von einem Impuls getrieben schritt Katsuhiro eilig durch den von Rauch schwangeren Raum. Er hielt die Luft an, um nicht dem verlockenden und betäubenden Geruch des Opiums zum Opfer zu fallen. Er erreichte sie in wenigen Schritten, entwand ihren schmalen Händen die Pfeife, zog sie grob auf die Beine, ignorierte ihre schwachen Versuche der Gegenwehr. Niemand nahm Anteil an der kurzen Auseinandersetzung. Die übrigen Anwesenden waren entweder im fortgeschrittenen Stadium des Selbstverlusts gefangen oder als Angestellte gleichgültig eingestellt gegenüber einer möglichen Gewalttat, die sich nicht in ihrem Verantwortungsbereich abspielen mochte. Katsuhiro, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, umfasste die schmalen Hüften fester, trug seine Gefangene halb, leitete sie halb an. Er setzte sie auf einer steinernen Bank inmitten sorgsam gestutzter Büsche ab, fokussierte die leeren, haselnussbraunen Augen auf sich. Die Perücke war zerrupft, der grelle Kimono mit den Untergewändern fleckig, der Obi zu lose. Unter der dicken Schminke traten die Knochen in ungesunder Härte hervor, kündeten von Entbehrungen und Leid. Katsuhiro hob das spitze Kinn an, kauerte vor der zusammengesunkenen Gestalt in einer niedrigen Position, ohne seinen Stand aufzugeben. "Ist es nicht erbärmlich, so leicht aufzugeben? Kamatari Honjou, große Sense, Mitglied der Zehn Schwerter?" ~+~ Es verstrichen mehrere Atemzüge, bevor die trüben Pupillen langsam den Nebel vertrieben, sich der haselnussbraune Blick klärte. Scharfe, große Augen nahmen ihn wahr. Mit der Vorsicht eines gequälten Tiers, das nicht aus seinem Stupor geweckt zu werden wünschte, jede Veränderung als eine Bedrohung einstufte. Katsuhiro bedurfte keiner weiteren Indizien, obgleich er sicher war, sie auch erlangen zu können. Also hatten sich seine Vermutungen bewahrheitet. "Wer bist du?" Fauchte in heiserer Stimme die 'Sängerin', reglos, angespannt. Katsuhiro richtete sich auf, strich seinen in unauffälligem Muster gehaltenen Kimono glatt, behielt seine ausdruckslose Miene bei. "Niemand, der den Meiji dient, wenn dir das Sorgen bereitet." Entgegnete er in direkter Ansprache. "Phh!" Verächtliches Ausspucken, von quälendem Husten begleitet. "Was kümmern die mich?! Hier wimmelt es doch nur von Spionen, Agenten, Kriechern und korrupten Politikern! Einer gleicht dem anderen! Geschmeiß!" Eine Provokation, um ihn zu testen, wie Katsuhiro mühelos erkannte, während er sich die Zeit nahm, seinen Gegenüber aus der Nähe zu betrachten. "Wieso bist du hier, Kamatari?" Lenkte er das Augenmerk auf den Aspekt, der ihn interessierte, ignorierte die geballten Fäuste. "Was geht dich das an?! Lass mich in Ruhe, Mistkerl!" Blitzschnell wischte aus einem Ärmel eine kurze, aus nadelgespickten Metallkugeln bestehende Kette wie eine Peitsche hervor. Katsuhiro, der eine solche Reaktion gemutmaßt hatte, wich eilends zurück. Er bewahrte seine abweisende Kälte. "Hat man dich also an ein Hurenhaus verscherbelt? Vielleicht ist es ja besser, du richtest dich schnell mit dem Opium zugrunde. Eine so schwache Figur ist nicht einmal den Meiji ein Gegner." Bemerkte er abschätzig, wandte sich ab. "Verzieh dich bloß, du Bastard!" Folgte ihm eine Tirade krächzend hervorgewürgter Schimpfworte, als er den Komplex des Teehauses mit schnellem Schritt, gedankenverloren, hinter sich ließ. ~+~ Kapitel 13 - Schmerzvolle Beziehungen Unter einem Sonnensegel, die glühende Brise mit müdem Fächerschwung in Bewegung versetzt lauschten die Händler auf dem Bauernmarkt mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit den einzelnen Verlautbarungen, die Sanosuke mit konzentrierter Miene vorlas. Er hatte eine Zeitung erworben, die Neuigkeiten aus Kioto berichtete, unterhielt damit in der lähmenden Mittagshitze seine Umgebung. Die einzelnen Meldungen, zensiert und in nichtssagender Prosa ummantelt, kündeten von Ruhe und Ordnung, obgleich man vermuten musste, dass trotz der Niederschlagung von Aufruhr und Revolten nur ein Teil des sich angestauten Drucks entwichen war. Die Stadt noch immer einem Pulverfass glich. Wie gern hätte er seinen Wahlbruder Katsuhiro dazu befragt, verstand der aufgrund seiner Informationen und Verbindungen zwischen den Zeilen zu lesen, den geheimen Code der Journalisten zu dechiffrieren! Die tägliche Beschäftigung und seine eigene Entscheidung, mit sich selbst ins Reine zu kommen, verhinderten ein solches Anersuchen. Dass man das Aoiya wieder in alter Pracht errichtete, hatte ihm Misao bereits mitgeteilt. Ihre Gedanken konzentrierten sich auf den Augenblick und ihren großen Verlust. Da konnte er schlechterdings unmöglich Erkundigungen einziehen wollen, die sich mit den eingesperrten Revoluzzern befassten. Oder dem Wolf, der seinen finsteren Schatten auf die Stadt gelegt hatte. Hastig wischte er sich diesen Gedanken wie lästige Schweißtropfen ab. Kioto war ein schlechter Fiebertraum gewesen, überzeugte er sich einmal mehr. Eine Erinnerung, die man verschloss und ein neues Leben begann! So, wie er es gerade in Angriff nahm. Die Fesseln sprengte, eine nach der anderen, um das zu tun, was ihm am Herzen lag. Was seinen geliebten taichou und Wahlvater stolz machen würde: den Menschen ohne Ansehen ihrer Klasse zu helfen. Auf diese Weise dafür zu sorgen, dass es keine Schranken mehr gab. Dass Gerechtigkeit auch sie erreichte. Für sie wollte er seine Stärke wiedergewinnen. Nicht mehr aus egoistischen, verzweifelten Motiven zum stärksten und gefürchtetsten aller Faustkämpfer werden! Hanako, die an seiner Seite saß, schnupperte argwöhnisch in den heißen Atem des Mittags. "Ich sage euch, da braut sich noch was zusammen!" Prophezeite sie düster. ~+~ Katsuhiro barg sorgsam die gefertigten Kopien vergangener Kämpfer und Krieger in einer Mappe, erhob sich. Er massierte in geübtem Geschick seine Glieder. Wenn er seinen Händler besuchte, mochte diese Produktion für seinen Unterhalt sorgen. Vielleicht hatte sich außerdem der ein oder andere Auftrag für ein Porträt oder ein Wandbild eingefunden? Es fehlten noch Mittel, um ein neues, enthüllendes Flugblatt in angemessener Auflagenzahl zu verbreiten. Er spürte, dass eine gewisse Dringlichkeit nicht zu unterschätzen war. Die Lage spitzte sich zu. Mit raschem Strich durch die marineblauen Strähnen fokussierte er seine düsteren Ahnungen auf die Notwendigkeiten der unmittelbaren Gegenwart. Noch war nichts verloren. ~+~ Der traurige, teilnahmslose Gesang der dunklen, heiseren Stimme leitete ihn ohne Umschweife in das dritte Geschoss des gewaltigen Teehauses. Nach einem kontrollierenden Blick, ob seine Anwesenheit den zahlenden Kunden Missfallen bereiten würde, schob er sich in eine Nische, um Kamataris Vortrag zu lauschen. Das Lied selbst bestand aus zotigen, schwungvollen Zeilen. Die Interpretin verwandelte es in eine melancholische Klage, die so gar nicht zu dem aufgeregten, munteren und Lust gesteuerten Treiben des Hauses passen wollte. Dennoch hörte man ihr zu, ein wenig irritiert, noch nicht ausreichend verärgert genug, um die Unzufriedenheit an der 'Sängerin' auszulassen. Kamatari beendete ihr Solo, versuchte, sich in die Höhe zu schrauben, von ihrem Kimono behindert. Mit einer unsicheren Beschwerlichkeit, die Katsuhiro die Qual ihrer Situation mehr als deutlich plakatierte. Ihr Sitznachbar, ein Frettchen-artiger Mann, legte eine Hand in ihren Nacken, nutzte das verzweifelte Bemühen um Balance, um die 'Sängerin' mit ihrem Gesicht in seinen Schoß zu drücken. Eine unmissverständliche Aufforderung. Sie wehrte sich, schwach, resigniert, wie man es von ihr erwartete, bevor sie den Stoff auseinander schlug, den Mann oral befriedigte. Ihre Demission allerdings hatte sie damit noch nicht erreicht. Die anderen Männer balzten um ihre Gunst. Grobe Scherze flogen, bevor sie herumgereicht wurde, das Zerren den munteren Aspekt verlor. Einer der Aufpasser sandte einen warnenden Hinweis ab, die verehrte Kundschaft möge nicht zu grob 'spielen'. Katsuhiro trat hinaus, stieg die Treppen hinab, um zum schmalen Park zu gelangen. Er wusste, wie lange er zu warten hatte. Es verlangte ihn nach frischer Luft. ~+~ Er erhob sich von der steinernen Bank, als er die schleppenden Schritte durch den Kies pflügen hörte. Ein stolperndes Taumeln, das in einem Fall endete, von einem unterdrückten Wehlaut abgeschlossen. Kamatari hatte es knapp zu einem Busch geschafft. Dort verließen sie ihre Kräfte. Schluchzend übergab 'sie' sich, mit einem gewissen Professionalismus, der von trauriger Übung kündete. Aus den Tränen verschleierten Augenwinkeln bemerkte 'sie' einen Schemen neben sich, der in die Hocke ging, ihre überschlanke Taille umfasste. 'Ihre' Ausbruchsversuche schlichtweg ignorierte, um 'sie' vorsichtig auf den Rücken zu legen, sich selbst daneben kauerte. Geräuschfetzen wehten über ihre Köpfe hinweg. Der Maler presste seine Hand auf die zerbissenen Lippen der 'Sängerin', hoffte, dass die hüfthohen Büsche und Blumen ihre Anwesenheit tarnten. Tatsächlich entdeckte man sie nicht, auch wenn es eine Weile dauerte, bis beide frei atmeten. In Kamataris Fall ein heiseres Röcheln. Katsuhiro legte den Finger an die eigenen Lippen, indizierte Stillschweigen, bevor er einige Blätter aus seiner Tasche zog, eines wählte, es kaute, den verfärbten Brei ausspuckte, sich über die Lippen wischte. "Nimm!" Verordnete er knapp, bot die Blätter an, um mit einem ablehnenden Stirnrunzeln belohnt zu werden. Seine schwarzen Augen funkelten ungeduldig. "Nimm schon, oder willst du ihre Schwänze immer noch auf deiner Zunge schmecken?" Fauchte er in unterdrückter Agitation zurück. Ein stummes Duell spießender Pupillen entbrannte, bis endlich die körperliche Schwäche Kamataris Misstrauen überwand, 'ihre' schlanken Finger verächtlich die Blätter aus Katsuhiros Hand zupften. Mit grober Geste stopfte 'sie' sich demonstrativ ein Blatt in den Mund, riss dabei die ohnehin rauen Mundwinkel auf. Dünne Rinnsale fahlen Bluts glitten 'ihr' spitzes Kinn hinab, achtlos mit dem Handrücken abgewischt. Die mühselig Kauende stützte sich auf einen Ellenbogen, spuckte den labbrigen Brei in die Büsche. Sie sank wieder auf den Rücken, schloss die Augen ermattet. Der Maler studierte 'sie' einen langen Augenblick: die eingefallenen Wangen und die ungesunde Blässe unter der dicken Schicht weißer Schminke, die Spuren von Blut, Blattbrei und Sperma in Mundwinkeln und auf dem Kinn. Von einer Resignation kündend, die an Apathie grenzte. Ohne übermäßige Bedenkzeit beugte er sich vor, schlug die Stoffbahnen der grellen Kimonos auseinander, entblößte wohlgeformte, weiße Beine. Kamatari schlug sogleich nach ihm, bereit, mit einer Schimpfkanonade das vermutete Unrecht zu verhindern. Katsuhiro erstickte jeden Versuch der Abwehr gnadenlos, indem er das linke Bein in Höhe des Kniegelenks betastete. Mit unterdrücktem Keuchen wand sich Kamatari in Agonie auf 'ihre' rechte Seite, streckte die Hände nach 'ihrem' linken Schenkel. Um ihn schützend zu bedecken, vor der Inspektion zu bewahren, die 'ihren' Körper in Schockwellen der Pein versetzte. Katsuhiro ignorierte es, klemmte Kamataris rechtes Bein unter seinem Schienbein ein, bevor er, halb hockend, halb kniend, das linke Bein vorsichtig auf sein angewinkeltes, rechtes hob, sich darüber beugte. Das linke Knie der 'Sängerin' war mit groben Streifen umwunden. Selbst die konnten nicht verhindern, dass es bereits auf das doppelte Maß angeschwollen war, in unheilvollen Hämatomen verfärbt, eine ungesunde Hitze verströmend. "Das muss behandelt werden." Stellte Katsuhiro knapp fest, fixierte die hasserfüllten Haselnussaugen kühl. "Das Opium wird dir da nicht lange helfen." "Lass mich los, du dreckiger Scheißkerl! Bastard! Hurensohn!" Eine weitere heisere Kanonade unflätiger Beschimpfungen schloss sich an. Der Maler gestattete sich ein knappes Lächeln, tätschelte in patronisierender Überheblichkeit den Schoß der 'Sängerin'. Das erstickte jegliche Äußerung. Er schob das Bein von seinem Knie, erhob sich, sah auf die ausgestreckte Gestalt hinab. "Ich kenne jemanden, der diese Verletzung behandeln kann. Triff mich morgen nach Sonnenaufgang am Schrein des Yakushinyorai." Ein verächtliches Zischen fauchte ihm aus zusammengepressten Zähnen entgegen. "Warum sollte ich?!" Seine Tasche justiert entsandte der Maler einen scharfen Blick. "Tu es oder lass es." Damit ließ er die 'Sängerin' und das Teehaus in der Nacht hinter sich zurück. ~+~ Die Hitze, die sich in Tokio staute, hinderte selbst die stoischsten Menschen an einer erholsamen Nachtruhe. Katsuhiro unternahm nicht einmal den Versuch, sich auf einem Futon auszustrecken, in unruhiger Verärgerung zu verfolgen, wie sich eine klebrige Schicht Schweißes seiner Glieder bemächtigte. Viele waren auf den Beinen. Die eine oder andere Aktivität verdeckte seine konspirativen Zusammenkünfte mit möglichen Zuträgern, Augenzeugen und anderen Informanten. Sie bestärkten ihn in seiner Vermutung, dass sich etwas zusammenbraute, das das Land erschüttern konnte. Das Bild, das er mühsam aus den Mosaiken von Gerüchten und Halbwahrheiten zusammensetzte, ergab noch keinen stimmigen Gesamteindruck, sodass es nicht möglich war, Vorkehrungen zu treffen. »Wenn überhaupt!« Er seufzte, kaute auf einem Grasstängel. Eine Angewohnheit, die er eigentlich nur seinem Wahlbruder zurechnete, der damit nicht einmal lächerlich erschien. Katsuhiro hegte für seine Person gewisse Zweifel. Unter dem Tor des Schreins sitzend, dem er zuvor einen knappen Besuch abgestattet hatte, um den Gott mit der Medizindose um Beistand zu ersuchen, wartete er geduldig. Die Leute des Viertels waren bereits auf den Beinen, nutzten die relative Kühle des Morgens. Ein steter Strom an Mensch und gelegentlich Tier passierte seine unbewegliche Gestalt. Er blinzelte überrascht, als jemand sich aus dem Fluss löste und vor ihm innehielt. Eine sehr schlanke, in einen zu kurzen, verschlissenen Kimono gehüllte Person, einfache Strohsandalen ohne Socken an den Füßen. Katsuhiro legte den Kopf in den Nacken, zwinkerte gegen die rötende Sonneneinstrahlung an. Er erblickte ein herzförmiges, fahles, ausgezehrtes Gesicht, dominiert von haselnussbraunen Augen unter dichten, sanft geschwungenen Wimpern, von schwarzen, zu einem knappen Zopf am Oberkopf gebundenen Haaren gekrönt. "Kamatari." Stellte er nach einigen Sekunden des eingehenden Studiums fest. Der junge Mann ihm gegenüber verlagerte unwirsch sein Gewicht, wandte den Kopf ab, beobachtete den Menschenstrom. Ein verächtliches Brummen des Morgengrußes auf den ausgetrockneten, blutleeren Lippen. Katsuhiro lächelte über seine eigene Überraschung. Natürlich konnte das ehemalige Mitglied der Zehn Schwerter nicht in seiner Aufmachung als Frau erscheinen, wenn es um eine ärztliche Untersuchung ging. Wie nachlässig von ihm, nach der 'Sängerin' Ausschau zu halten! Der Maler erhob sich, verfiel wieder in seine ernste, düstere Ausstrahlung. Da der junge Mann vor ihm ohne den Schutz der vielen dünnen Kimonos, der Perücke und Schminke auf seinem rechten Bein schwankte, wurde das Ausmaß seiner Qual nur deutlicher. Ohne Aufforderung fasste er Kamatari am linken Ellenbogen unter, führte ihn die wenigen Stufen hinauf zum Schrein. ~+~ Katsuhiro hatte darauf bestanden, dass sie einen kleinen Wagen mieteten, der sie zur Klinik brachte. Er konnte seine Zeit nicht damit verschwenden, den Stolz und das Misstrauen seines Begleiters wortreich zu entkräften, wenn ein heißer und vermutlich wenig angenehmer Tag vor ihnen lag. Er wartete geduldig, dass die berühmte und auch berüchtigte Bekannte seines Wahlbruders, die fuchsartige Ärztin Megumi Takani, sie in ein Separee rief, um sich die Verletzung zu betrachten. Kamatari neben ihm saß sehr aufrecht. Von einer gewissen Unruhe abgesehen, die die Haselnussaugen immer wieder umherschießen ließen, als erwarteten sie einen Hinterhalt. Der Maler mutmaßte, dass sein schweigsamer Begleiter fürchtete, die Behandlungskosten nicht tragen zu können, trotz seiner offenkundigen Pein nach einem Weg sann, seinen Körper zu überzeugen, dass sein Stolz Vorrang hatte. "Oh, Tsukioka-sensei, welche Ehre, Euch hier begegnen zu dürfen!" Die Ärztin verbeugte sich höflich, ein schelmisches Zwinkern in den ausdrucksstarken Augen. Katsuhiro ertappte sich bei einem verschwörerischen Lächeln. Sein ungestümer und direkter Bruder hatte wohl einmal mehr geplaudert! Er konnte ihm das nicht übelnehmen: diese Frau hatte definitiv etwas Fuchsartiges an sich. Er erwiderte ihre höfliche Verbeugung im gleichen Maß, bekundete in wohlgesetzten Worten seine Freude über ihre Begegnung, komplimentierte das Aussehen seines Gegenüber. Die Ärztin lächelte, strich sich die langen, wie Seide glänzenden Strähnen auf den Rücken. "Mein Freund hier bedarf der ärztlichen Hilfe." Die Vorstellung des Malers signalisierte Megumi, dass es sich um eine Person handelte, die nicht offiziell existieren durfte. "Folgt mir doch bitte." Verzichtete sie auf weitere Höflichkeiten, wies auf ein Separee, gestikulierte dem bleichen, von Schmerz gepeinigten Mann, der so argwöhnisch blickte, sich auf einer niedrigen Liege auszustrecken. Als sie nach einer kurzen Betrachtung des fahlen Gesichts, der Augen und der Zunge den Stoff von den Beinen schlug, wusste sie, warum der Maler mit dem Doppelleben so wortkarg Auskunft über seinen Begleiter gegeben hatte. "Meine Güte!" Entfuhr ihr leise, einen scharfen Blick in die schwarzen Augen entflammt. Kamatari, der von dem stummen Austausch geheimer Informationen genug hatte, stemmte sich auf die Ellenbogen, fauchte heiser. "Ich kann die Behandlung nicht begleichen. Wenn Ihr also so höflich sein wollt, mich gehen zu lassen?!" Der Maler drückte ihn mit der flachen Hand grob auf die gepolsterte Liege hinab. "Ich übernehme die Kosten! Schweig jetzt!" Natürlich weckte diese Eigenmächtigkeit Widerspruch. Kamatari sammelte sich, um mit Zorn und Verachtung seiner Meinung über den Maler Ausdruck zu verleihen. Megumi schritt ein, schob eine Kandare zwischen seine Zähne. Katsuhiro begriff rasch, befestigte eilig die ledernen Bänder in den Ösen, hinderte den in Panik um sich Schlagenden daran, sich zu befreien. Er umklammerte den angespannt zitternden Oberkörper, war sorgsam darauf bedacht, die sehnigen Arme an den Leib zu fesseln. Danach wiegte er den jungen Mann wie ein kleines Kind. "Hör zu!" Megumi band sich ein Kopftuch um, reihte verschiedene Instrumente auf. "Dein Knie ist bereits infiziert. Wenn wir nicht schnell handeln, wird man dir das Bein abnehmen müssen. Ich werde dich lokal betäuben, Kleiner. Wenn du mir Ärger bereitest, werde ich dich mit Vergnügen ausknocken. Haben wir uns verstanden?!" Die haselnussbraunen Augen funkelten über diesen Verrat und in Erwartung grauenvoller Schmerzen hasserfüllt zwischen der Ärztin und dem Profil des Malers hin und her, während Kamatari einen weiteren Versuch unternahm, sich zu befreien. »Wenn er nur die Arme...!!« Katsuhiro gab nicht nach. Seine marineblauen Strähnen streichelten liebkosend über die eingefallenen Wangen. "Sei vernünftig, Kamatari. Wer wird eure Geschichte erzählen, wenn nicht du?" Argumentierte der Maler kaum hörbar. Kamatari versteifte sich, ließ endlich locker, senkte den Kopf im Eingeständnis der Niederlage. "So ist es gut." Megumi verlor keine Zeit, winkte Helfer herbei, die das rechte Bein fixierten, bevor sie begann, mit Injektionen die Schmerz leitenden Nerven zu betäuben. ~+~ Katsuhiro strich mit der freien Hand immer wieder glasklare Tränen von den fahlen Wangen, während seine andere die Umklammerung duldete, die Kamataris Anker in die Welt darstellte. Obgleich sich Megumi darum bemühte, die Schmerzen so gering wie möglich zu halten, konnte nicht verhindert werden, dass der Geruch von Blut und Aseptika ihre Sinne belagerte. Der Maler lächelte sehr vorsichtig auf den jungen Mann hinab, bevor er den Kopf wandte, Megumi beobachtete. Sie las in Konzentration winzige Splitter aus dem offengelegten Verbund von Sehnen und Fleisch, erläuterte mit ruhiger Stimme ihren Assistenten ihr Vorgehen. Eine zerschmetterte Kniescheibe. Man hatte, wie die grobe Narbe verkündete, einige Knochensplitter entfernt, ohne besonderes Geschick darauf zu verwenden. Vielleicht mangelte es ihrem Standeskollegen auch an Erfahrung. Sie mochte kein Urteil fällen. Der Anblick bis zum Bersten angeschwollener Weichkörper erfüllte sie mit Wut. Diese natürliche Reaktion, den zerstörten Puffer für das Gelenk zu ersetzen, hätte ihren Patienten in einigen Tagen ohne Behandlung sein Bein, wenn nicht sogar sein Leben kosten können. Welch eine Verschwendung! Der leitende Arzt trat neben sie, reckte sich, um ihre Fortschritte zu betrachten, war er von schmächtiger Statur. "Wisst Ihr einen Rat, wie wir den fehlenden Knochen ersetzen können?" Erkundigte sie sich kaum hörbar, wartete geduldig auf eine Antwort. Der ältere Mann zupfte an seinem Kinnbart, wisperte bedauernd. "Außer einem Stützverband? Leider nein." Megumi atmete tief ein. »Eins nach dem anderen!« Beschwor sie sich. ~+~ Kamatari ruhte noch eine Nuance bleicher als zuvor auf einem der leichten Feldbetten, die Augen in Erschöpfung geschlossen. "Ich bin froh, dass du heute wenigstens an Leibwäsche gedacht hast." Neckte ihn Katsuhiro spottend, wartete auf eine Reaktion. Der junge Mann fauchte lediglich leise. "Tsukioka-sensei?" Megumi lenkte Katsuhiros Aufmerksamkeit auf sich, winkte ihn beiseite. Ihr ernster Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. "Ich werde ohne Umschweife zur Sache kommen: wir kennen keinen Weg, seine Verletzung zu heilen. Wir können einen Verband anlegen, der das Gelenk ein wenig entlastet. Vielleicht sogar eine Art Korsett, wie es die fremden Frauen tragen. Das ist alles. Zudem ist sein Lebensstil nicht förderlich." Sie studierte den ausgestreckten Mann aus der Distanz. "Er hat Ungezieferbisse am Körper, ich kann Opium an ihm wahrnehmen, er ist stark unterernährt und leidet unter Entzündungen der Mundhöhle." Der Maler nickte. Seinem geschulten Auge waren diese Anzeichen von Verwahrlosung keineswegs entgangen, auch wenn er noch keine Konsequenzen daraus ermittelt hatte. Möglicherweise absichtlich. Megumi ließ derlei Kurzsicht nicht gewähren. "Ihr habt ihn hergebracht. Werdet Ihr Euch um ihn kümmern? Oder dient das nur einer zeitweiligen Wiederherstellung?" Lauerte Argwohn in ihrer Stimme? Katsuhiro warf einen nachdenklichen Blick auf Kamatari. Zugegeben, seine Neugierde und ein gewisses Interesse an der androgynen Schönheit unter dem Lack aus Vernachlässigung und Verkleidung zogen ihn dazu, in den jungen Mann zu investieren. Das Teehaus und die Beschäftigung dort gereichten zu genug Material, um Zeichnungen anzufertigen. Sollte das sein primäres Augenmerk sein... "Die Meiji haben ihn vermutlich als Agenten angeheuert." Vertraute er in gepresstem Ton der Ärztin an. "Wie sie es mit den übrigen überlebenden Mitgliedern der Zehn Schwerter getan haben." "Ach?" Megumi verzog verächtlich die Miene, was ihrer becircenden Schönheit keinen Abbruch tat. "Da müssen sie sich ja sehr um ihn sorgen, wenn sie ihn so luxuriös unterbringen!" Schnaubte sie kühl. Sie zupfte an Katsuhiros Ärmel. "Werdet Ihr Euch um ihn kümmern?" Der Maler wischte die marineblauen Strähnen über seine Schulter, bedachte die unterschwelligen Verpflichtungen. Auch wenn es dem jungen Mann gelungen war, dem Teehaus für einige Stunden zu entkommen, würde die Abwesenheit der hinkenden 'Sängerin' nicht lange unbemerkt bleiben. Es konnte mehr als unerfreulich werden, wenn die Meiji ihren 'Agenten' bei ihm fanden. "Ich komme für die Behandlung auf." Entschied Katsuhiro. "Ich werde dafür Sorge tragen, dass er zur Nachuntersuchung kommt." Seine schwarzen Augen fanden die der Ärztin. "Mehr kann ich Euch nicht zusagen, Takani-sensei." Leidlich befriedigt nickte die Ärztin, versprach, sich bei einem Kunsthandwerker zu erkundigen, der sich auch auf die Anfertigung von Prothesen spezialisiert hatte. Möglicherweise konnte der Mann eine Vorrichtung ersinnen, die das Leben für den jungen Mann erleichterte. Katsuhiro trat neben das Feldbett, streckte eine Hand aus, half Kamatari auf, der die Assistenz widerwillig in Anspruch nahm. Ein Verband bedeckte die frische Wunde. Ein Netz von dünnen Schnüren hinderte den jungen Mann daran, sein linkes Bein zu strecken beziehungsweise zu beugen. "Lass uns gehen." Katsuhiro offerierte seine Schulter, schlang um die überschlanke Taille einen Arm. Kamatari konnte sich lediglich auf einem Bein halten. "Ihr müsst das Netz abnehmen!" Verlangte der junge Mann eindringlich, ignorierte den Maler, nahm die Ärztin in den Fokus seiner Haselnussaugen. "Ich kann nicht arbeiten, wenn ich nicht laufen kann." Megumi, die bereits Anweisung für die Behandlung eines anderen Patienten gab, schenkte ihm einen kühlen Blick. "Ihr werdet den Verband und das Netz lassen, wo es ist. Sonst werdet Ihr bald kein Bein mehr haben. Kommt in einigen Tagen wieder!" Erteilte sie die Demission, wandte sich abschließend anderen Problemen zu. Der junge Mann knurrte verärgert, setzte an, seinen Unmut laut zu äußern. Katsuhiro unterband diese Demonstration von Missfallen, zerrte den humpelnden Mann ohne Rücksicht aus der Klinik, die praktischerweise ohne Höhenunterschiede auf einer ebenen Plattform errichtet worden war. Wie schwierig sich ihr Fortkommen erweisen sollte, bewies die schlagartig einsetzende Hitze, die sie in sengender Mittagssonne empfing und die wenigen Stufen hinauf zu einem kleinen Gasthaus, das einen offenen Ausschank auf einer Veranda anbot. Bereits in kalten Schweiß gebadet keuchte Kamatari nach der kurzen Strecke, zu erschöpft, um Schimpftiraden abzusondern oder seine durchaus kraftvollen Arme gegen den Maler einzusetzen. Der wusste um die potentielle Stärke: ein Mann, der eine dreißig Kilo schwere Sense schwingen konnte, war trotz seiner Behinderung kein leichter Gegner, er selbst im Nahkampf nicht sonderlich erfahren. Der Maler lehnte Kamatari behutsam gegen eine der stützenden Säulen aus altersdunklem Holz, winkte eine wieselflinke Bedienung heran, die ihr Alter Lügen strafte, ihn freundlich begrüßte. Er orderte zwei Schüsseln klarer Fleischbrühe und eine Schüssel Soba, die er Kamatari aufzunötigen gedachte. Sein Begleiter hielt die Augen geschlossen, döste, schenkte seiner Umgebung keine Beachtung, bis die Schüsseln samt ihrem dampfenden Inhalt auf dem schmalen Tisch abgestellt wurden. Argwöhnisch beäugte er den Maler, der ihm eine der Portionen Brühe zuwies, Gemüse und Fleisch mit den Stäbchen herauspickte, bevor er in kleinen Schlucken die Flüssigkeit reduzierte. Langsam, mit Pausen, tat er es schließlich Katsuhiro nach. Welchen Sinn hatte es auch, Nahrung zu verschwenden, die Brühe erkalten zu lassen? Er verzog den Mund, wollte auf die Nahrungsaufnahme verzichten. Sein Magen votierte lautstark dagegen, was eine beschämende Röte in die fahlen Wangen trieb. Seinem Gegenüber entging diese stumme Auseinandersetzung natürlich nicht. Der Maler bemerkte gelassen. "Du musst die Blätter regelmäßig kauen, wenn du nicht elend an den Entzündungen verrecken willst." Kamatari fauchte etwas Unflätiges, fächerte seine schwarzen Haare aus dem straffen Zopf, um sie mit den Fingern zu durchfahren. Ein verwachsener Schnitt entbot sich, die Strähnen verfilzt. Katsuhiro hegte keinerlei Illusionen hinsichtlich fremder Bevölkerung innerhalb des struppigen Schopfes. »Was soll ich tun?« Sinnierte er, gestattete sich eine Gedenkpause. Aus einem Impuls heraus, der seinem Gerechtigkeitsempfinden und der stets köchelnden Wut auf die Meiji entsprungen war, hatte er dem jungen Mann seine Hilfe angeboten. Da er in engeren Kontakt mit den Lebensumständen des anderen trat, verlangte sein Engagement ihm weitere Entscheidungen ab. Megumi hatte sich als sehr klarsichtig erwiesen: würde es ausreichen, die Wunde zu versorgen? War es genug, diese Schmerzen zu lindern, um zu verhindern, dass Kamatari dem Opium sein Leben opferte? »Warum kümmert es mich?« Katsuhiro warf einen konzentrierten Blick auf seinen Gegenüber, der mit erwachender Eleganz die Soba einschlürfte. »Ist es nur Neugierde? Will ich ihn als Spion anwerben? Es gibt so viele und noch mehr Elendsgestalten, die in der Gosse sterben, vom süßlichen Verwesungsgeruch des Opiums umgeben.« Kamatari fing unerwartet seinen Blick auf, hielt inne, studierte den Maler ebenso eingehend. Schließlich setzte er seine hungrige Attacke auf die Nudelspeise fort. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, Kamatari sich mit unverhohlener Verärgerung von Katsuhiro stützen lassen musste, kam er mit knappen Worten zur Sache. "Ich sage es dir gleich, Pinselschwinger, meine Beine mache ich nicht breit!" Verkündete er entschlossen. "Das verlange ich nicht." Stellte Katsuhiro unbeirrt klar, lenkte ihre Schritte auf ein öffentliches Badehaus zu. Er bemerkte, wie sich sein Begleiter versteifte, hastig Optionen zur Abwehr erwog. "Es hat keinen Sinn, sich zu sträuben, Kamatari. Du hast Takani-sensei gehört. Du ähnelst einem verwahrlosten Herumtreiber. Das verschlimmert deine Konstitution." Katsuhiro strebte dem Eingang zu. "Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten!" Zischte der junge Mann, bohrte die Fingernägel in die Schulter des Malers. "Natürlich hast du das, sonst wärst du heute Morgen nicht gekommen." Bemerkte Katsuhiro gleichmütig, entrichtete den Obolus, um zwei kleine Bütten mit Reinigungsutensilien in Empfang zu nehmen. Das Viertel, das das öffentliche Badehaus bediente, bestand aus Handwerkern und kleinen Unternehmern. Es entsprach einem ordentlichen, wenn auch nicht luxuriösen Standard. Man war Fremde offenkundig gewöhnt. Den beiden Männern wurde nur wenig Beachtung geschenkt. Katsuhiro dirigierte seinen unwilligen Begleiter auf einen der niedrigen Hocker, bevor er sich rasch entkleidete, Kamataris fadenscheinige Aufmachung von ihrem Besitzer zu lösen versuchte. Der kommentierte die Assistenz mit einer kaum hörbaren, sehr ausführlichen Aufzählung sämtlicher ihm bekannter Schmähungen, bis er entblößt vor Katsuhiro kauerte. Die Kleider und ihre Habseligkeiten aufgesammelt vertraute der Maler sie dem aufsichtsführenden Badewärter an, der sie achtlos verstaute, den beiden Männern einen lackierten Stein aushändigte, der ihren Regalplatz markierte. Kamatari untergefasst trug Katsuhiro beide Bütten, hielt auf die niedrigen Becken und Spülrinnen zu. Männer und auch Jungen jeden Alters frönten dort der Körperhygiene, schrubbten sich gegenseitig die Rücken, spülten nach, schwatzten, schlossen Geschäfte ab oder lehrten ihren Nachwuchs, bevor sie sich in eines der tieferen Becken hinabließen, um den thermischen Quellen ihren Besuch abzustatten. Katsuhiro wählte zwei entferntere Hocker aus, bugsierte seinen humpelnden Begleiter auf die schmale Fläche, ignorierte das ungenierte Starren der anderen Gäste, die nicht nur die überschlanke, Porzellan-häutige Gestalt Kamataris wahrgenommen hatten, sondern auch den gewaltigen Verband an dessen Knie. Das Objekt des Interesses selbst biss die Zähne fest aufeinander, hielt den Blick gesenkt, die Hände zu Fäusten geballt, die ihre Knöchel deutlich hervortreten ließen. Katsuhiro füllte aus den Bambus-Rohrleitungen die Bütten, goss ihren Inhalt behutsam über seinem verschlossenen Begleiter aus. Von den Füßen angefangen erreichte er langsam den Torso, endlich den Kopf. Sehr gründlich schäumte er die helle Haut und das schwarze Haar ein, schabte die erste Schicht ab, um erneut den gesamten Leib einzubalsamieren. Er ging in seiner Aufgabe auf. Kamatari verbarg unter den Schichten von Schmutz und Verwahrlosung eine nahezu makellose, helle Haut. Bei ordentlicher Ernährung, ausreichend Schlaf, der Rekonvaleszenz vom Opiumkonsum und seiner Verletzung konnte der Maler bereits eine berückende Schönheit prognostizieren. Es verwunderte nicht, dass ein solches Geschöpf nicht ausschließlich seinem biologischen Geschlecht untergeordnet werden wollte, besaß doch sein Begleiter die Charakteristika weiblicher Grazie und Anziehungskraft. Zunächst jedoch mussten lästige Nassauer vertrieben werden, die Kopfhaut sorgfältig behandelt und inspiziert. Die winzigen Bisse in der hellen Haut mit Tinkturen desinfiziert werden. Der Maler machte sich daran, die nassen, schweren Strähnen in ihre vormalige Frisur zu stutzen, das schmale, herzförmige Gesicht mit einem neckenden Pony und gestuften Spitzen einzurahmen, bevor er den Schwalben-artigen Schwung in die Nackenhaare kämmte, die so reizvoll die verlockende Nackenpartie betonten. Ausgesprochen zufrieden mit seinem Werk widmete er sich selbst der Körperpflege, nahm endlich Platz, kämmte seine eigenen marineblauen Strähnen, den Rücken den anderen Gästen zugewandt. Hatte Kamatari die Augen während der Prozedur geschlossen und zu dösen begonnen, so studierte er den Maler eindringlich. Ein wenig verwundert. Das indizierten seine geschwungenen Augenbrauen Katsuhiro, der irritiert den Kamm sinken ließ. Was konnte es sein, dass den anderen so fesselte? Als er begriff, schenkte er Kamatari ein federleichtes Lächeln. Er erntete zu seiner Überraschung ein ebensolches. ~+~ Die Nachmittagssonne stach noch immer in ungeminderter Intensität auf Tokio hinab, als Sanosuke sich eingedenk der unruhigen Warnungen seiner Gastgeberin entschloss, trotz der Hitze das Dach ihres Hauses zu erklimmen, lose Schindeln zu befestigen. »Wenn es erst stürmte, ist es zu spät.« Befand er, wischte sich die Stirn. Sie hatten den Markt frühzeitig verlassen, da ihre Kiepe bereits leer gekauft worden und die sanfte Brise auf dem flachen Land der stickigen Atmosphäre der engen Häuserzeilen vorzuziehen war. Auf dem Dachgiebel reitend fokussierte der Faustkämpfer seiner Aufmerksamkeit vollkommen auf seine Beschäftigung, trieb Nägel in das Holz, prüfte die Belastbarkeit des Dachs sorgfältig. "Sieh an, ein Hahn auf dem Dach, der nicht faul herumkräht." Bemerkte eine vertraute, sonore Stimme, von kehligem Spott begleitet. Sanosuke entglitt in seiner absoluten Überraschung der Hammer, der mit dumpfen Schlag vor dem Haus im Erdreich landete. "Saitou?" Wisperte er fassungslos, blinzelte hoch in Bernsteinaugen, die samt ihrem Besitzer wie eine Luftspiegelung auf dem Dachfirst balancierten, in die gewohnte Uniform gewandet, kalt und unnahbar. Wie konnte das sein?! »Ich habe ihn nicht einmal kommen hören! Oder seine Anwesenheit gespürt!« Der Faustkämpfer starrte. Er verwünschte den Vorteil, den sich der ältere Mann verschafft hatte, indem er mit dem Rücken zur Sonne stand, nur eine Silhouette vor Sanosukes rasch wässernden Augen bildete. In kalkulierter Arroganz entzündete der Polizist eine Zigarette, studierte den jungen Mann unter sich, der die Blendung mit einem unterdrückten Fluch akzeptierte. "Was tust du hier? Ist Kioto schon wieder sicher?" Erkundigte sich Sanosuke betont forsch, ignorierte sein unbotmäßig galoppierendes Herz. »Es war nur ein Fiebertraum! Ein schlechter, vergiss das nicht!« "Ich wollte mit meinen eigenen Augen sehen, dass der berüchtigte Hitzkopf Zanza tatsächlich unentgeltlich schuftet." Bemerkte Saitou boshaft, ging in graziler Eleganz vor Sanosuke in die Hocke, wobei er den schmalen First missachtete. Die schokoladenbraunen Augen funkten mühsam kontrollierte Wut in die schwefligen Bernsteine. "Zanza ist mit meinem Zanbatou Geschichte geworden! Was ich tue, geht dich gar nichts an, Meiji-Bulle!" Zischte der Faustkämpfer mit gezwungener Verachtung in das markante Gesicht. »Warum fällt es mir so schwer, ihn wie früher herauszufordern, ihn zu beschimpfen?! Warum möchte ich ihn schweigend betrachten? Wissen, wie es ihm ergangen ist?!« Mit einem Schnauben richtete sich Sanosuke auf, wandte den Kopf ab, als müsse er sich sorgfältig auf seinen Abstieg konzentrieren. »Vielleicht ist es bloße Höflichkeit. Immerhin waren wir einmal intim. Nun, mehrmals. Aber das ist vorbei. Vorbei!« Er stieg die Leiter hinab, traf auf Hanako, die sich einen breiten Strohhut umgebunden hatte. "Söhnchen, ich gehe auf ein Spiel hinüber zur Nachbarin. Für deinen Freund und dich steht Tee im Haus." Ein neckendes Tätscheln seines Pos, und in beschwingten, kleinen Schritten entfernte sich Hanako. "Viel Spaß und richte meine Grüße aus, Mütterchen!" Besann sich der Faustkämpfer, schüttelte die aus der Hitze resultierende Benommenheit im Schatten der Veranda ab. Wie konnte sie diesen arroganten, beständig rauchenden Bastard von Meiji-Lakaien als seinen Freund kategorisieren?! Drang es verspätet an sein Bewusstsein. Der bereits hinter ihm lauerte, mit maliziösem Tonfall seinen Mangel an Manieren lektionierte. "Willst du mich nicht endlich hineinbitten, 'Söhnchen'?" "Tu doch, was du willst, Mistkerl!" Bellte der Faustkämpfer, trat zum Brunnen hin, um sich Wasser zu schöpfen, es über seinen glühenden Körper auszugießen. Wieder und wieder Wasser aus dem kühlen Grund zu entführen, bis er sich alert genug fühlte, dem undurchsichtigen, älteren Mann erneut gegenüberzutreten. Was auch immer der Wolf wollte: ER würde es ablehnen! Kenshin war stark genug und wieder gesund, sich selbst zu beschützen. Er selbst hatte sich in der letzten Zeit nichts mehr zuschulden kommen lassen, das ihn erpressbar machte. Mit dieser Selbstbeschwörung überquerte er den schmalen Streifen, tauchte wieder in den Schatten der Veranda ein, wo es sich der ehemalige Shinsengumi bereits bequem gemacht hatte. Sich in angemessener Entfernung niederlassend studierte er die rätselhaften Züge des Polizisten ungeniert. "Also, was willst du?" "Wollen? Von dir?" Ein amüsiertes, knappes Auflachen, mit den dunklen, rauen Vibrationen des Tiers, das ihm Patron stand. Sich zur Selbstbeherrschung ermahnend winkte Sanosuke die implizierte Beleidigung schroff ab. "Rede schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit." "Deine Umgangsformen haben sich nicht verändert." Konstatierte der ältere Mann herausfordernd, nippte an seinem Tee. Der Faustkämpfer schnarrte eine ungeduldige Missfallensbekundung, bot dem Wolf sein Profil. "Ich hatte eigentlich deinen Besuch erwartet. Nachdem dir dein ehrenwerter Freund Himura die glückliche Nachricht übermittelt hat." Versetzte Saitou in trügerischer Ruhe, tränkte jede Silbe mit Gift, die die Botschaft in ihr Gegenteil verkehrte. Sanosuke blinzelte, nahm den Älteren ins Visier. "Was soll das heißen? Versuchst du schon wieder, Kenshin etwas anzuhängen, alter Bastard?!" Grollte er misstrauisch, die Fäuste geballt. Sich erhebend glättete der ehemalige Shinsengumi seine Uniform beiläufig. "Wie es scheint, hat Himura dich noch nicht konsultiert." Bevor er sich entfernen konnte, hielt der Faustkämpfer dem Wettstreit ihrer Willensstärke nicht weiter stand. Er ergriff ein Handgelenk, sprang auf die Beine. "Was soll das, Saitou?! Wovon sprichst du? Was hätte Kenshin mir sagen sollen?!" Mit einer einzigen brüsken Bewegung schüttelte der Wolf sein Handgelenk frei, sezierte mit den schwefelnden Augen den wenig kleineren Mann süffisant. "Vielleicht war es auch nicht von Bedeutung." Spielte er seine letzte Äußerung mokierend herunter. Sein Triumph war nicht zu übersehen. Sanosuke knurrte. Seine schokoladenbraunen Augen färbten sich schwarz vor Zorn. "Sag es mir, Saitou!" Forderte er zischend, bereit, sich auf den älteren Mann zu stürzen, sollte der mit seinem aufreizenden Spiel fortfahren. Saitou lächelte eiskalt, bleckte seine imposanten Fänge. "Der Mann, der sich Aoshi Shinomori nannte, lebt." ~+~ Sanosuke wischte sich Spuren von Moos aus Haaren und von seiner durchtränkten Hose, während ihn Hanako mit einer Mischung aus Konfusion und Sorge musterte, Anflüge von Belustigung unterdrückte. "Ich werde den Bastard in Stücke reißen!" Verkündete der Faustkämpfer zwischen zusammengebissenen Zähnen. Seine Augen funkten gnadenloses Verderben. "Warte nicht auf mich, Mütterchen!" Bemühte er sich um Gleichmut. Hanako verweigerte sich dieser simplen Täuschung. Sie fasste nach seiner kraftvollen Rechten, lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. "Sano, sei vorsichtig. Das ist kein Mann, dem man nachstellt!" Warnte sie eindringlich. Der ehemalige Sekihoutai knurrte zustimmend. "Ich weiß. Aber jemand muss ihn in seine Schranken verweisen. Ich schulde ihm eine Tracht Prügel." Er ließ seine Fäuste mit den Knöcheln zusammenschnellen, löste sich, bereit, in das finstere Herz Tokios vorzustoßen. Auf der Spur des Wolfs. ~+~ Es war nicht einfach, den hageren Mann in den Schatten der gewaltigen labyrinthischen Stadt auszumachen. Zu viele Möglichkeiten, wo der seinem Jagdtrieb nachgehen konnte! Sanosuke versagte sich die einfachste und gleichsam unwürdigste Option: in der Polizeistation nach Gorou Fujita zu fragen. Allerdings verspürte er eine gewisse Sicherheit, dass es auch dem älteren Mann zu wenig gewesen war, seine Vorwürfe auszulachen, ihn nach einer kurzen Auseinandersetzung lediglich in den Brunnen zu stürzen. Seine Wut potenzierte sich mit jedem Schritt, der ihn durch die kaum beleuchteten Gassen führte, hieß ihn, beständig die Fäuste geballt zu halten. Er gestattete sich nicht, seine Empfindungen zu überdenken: die gesamte, ungefilterte Aggression sollte seinen Gegner wegspülen. Wie gewohnt machte der unvermeidliche Geruch charakteristischer Nikotinprägung die Honneurs. In einem Torbogen, der zu einer in dieser nächtlichen Stunde verlassenen Tempelanlage führte, lehnte der schlanke Schatten des Wolfs. Die Bernsteinaugen glommen Unheil verkündend aus der undurchdringlichen Schwärze. Mit einem gutturalen Knurren ging Sanosuke ohne weitere Einführung auf den älteren Mann los. Schlag auf Schlag, Tritte, Ellenbogenhaken. Er bot sein gesamtes Repertoire auf, trotz seines nahezu blindwütigen Zorns durchaus in der Lage, koordiniert seine Attacken zu steuern. Saitou spottete in der arroganten, unbeeindruckbaren Kälte, die ihm stets anhaftete. "Sieh an, hat es das gerupfte Hähnchen aus dem Brunnen geschafft? Sind wir so aufgeplustert, dass wir gleich eine weitere Lektion suchen?" Mokierte er sich unbarmherzig. Der Faustkämpfer schnaubte, suchte in seinem dichten Angriffshagel nach Lücken in der Deckung seines Gegners, stieß seine eigenen Vorwürfe abgehackt hervor. "Du WUSSTEST, dass er lebt und du hast mir NICHTS gesagt! War es wenigstens unterhaltsam, mich glauben zu lassen, dass ein Freund mit seinem Leben für meins bezahlt hat, du verfluchter Scheißkerl?!" Der Polizist bleckte seine Fänge, grinste bar jeden Humors. "Warum höre ich keine Vorwürfe gegen den Battousai, deinen so schwärmerisch verehrten Helden? Immerhin war es SEINE Idee!" Trieb er den Stachel des Schmerzes ein weiteres Mal tiefer in die Wunde. Sanosuke versagte sich eine Zerstreuung seines Hasses. Was Kenshin betraf, würde er ihn in Ruhe und mit Überlegung konfrontieren. Das war absolut NICHT der Gegenstand einer Auseinandersetzung mit dem verdammenswerten Lakaien der Meiji! "Sag mir, wo er ist! Ich breche dir deine Knochen und stopfe dein stinkendes Maul damit aus!" Erneut teilte der Faustkämpfer mit aller Kraft und Präzision Schläge aus, kam mit jedem Hieb dem anderen Mann näher, der einen entschlossenen und ebenbürtigen Gegner fand. "So einfach ist das also? Der böse Bulle ist an allem schuld, und der dauergrinsende, heuchelnde Vagabund nur ein Opfer seiner verdrehten Ansichten? Du hast tatsächlich das Gehirn von Federvieh." Setzte Saitou verächtlich hinzu, zog sein Schwert. Mit dem nächsten Wimpernschlag hielt Sanosuke Distanz. Er befand sich, wie er sehr wohl begriff, im Nachteil. "Sag mir, wo Aoshi ist!" Beharrte er dennoch, wechselte in eine Verteidigungspose, bändigte seine Wut. Mochten ihn seine Gegner auch für einen hitzköpfigen Schläger halten: er selbst wusste um seine Stärken, pflegte dieses trügerische Erscheinungsbild, um sie zu täuschen. Ohne Taktik und die Erkenntnis der eigenen Fähigkeiten brachten es auch ungeheure Körperkraft und Nehmerqualitäten nicht weit. "Er ist nirgendwo. DU solltest besser aufgeben, Trottel, bevor du ernsthaften Schaden nimmst." Lautete Saitous knappe Replik, das Schwert wie ein Stoßzahn vorgestreckt. Die Bernsteinaugen inspizierten in der Dunkelheit die beschatteten des Faustkämpfers. Sanosuke schüttelte entschlossen seine ungebärdige Mähne. Die langen Enden der roten Bandana flatterten. "Nein." Versetzte er ruhig, konzentriert. "Ich gebe nicht auf. Niemals." "Idiot!" Tadelte der ältere Mann abschätzig, stieß sich in tödlicher Eleganz vom Boden ab, schoss auf den Faustkämpfer los wie ein Pfeil. Mit einiger Mühe gelang es Sanosuke, sich aus der direkten Angriffslinie im letzten Augenblick herauszuwinden. Der streifende Luftzug markierte ihm jedoch deutlich, wie knapp er entronnen war. In Schlagdistanz konnte er zum Angriff wechseln, hoffentlich schnell genug zahlreiche Treffer landen, um Saitous nächster Schwertattacke zuvorzukommen. Der wehrte mit Geschick die Kanonade an Faustschlägen ab, trat auf Sanosukes Spann, der mit einem unterdrückten Laut der Verblüffung zurücktaumelte, aus dem Gleichgewicht gebracht. Sich nicht rasch genug abfangen konnte, um einen schmerzhaften Fehltritt in eine Bodenabsenkung zu verhindern, die ihn umknicken ließ. Obgleich er sich blitzschnell herumschleuderte, um außer Reichweite zu gelangen, hatte der Wolf seinen Vorteil bereits erwartet, stieß erneut auf ihn zu. Sanosuke blieb nichts mehr, als reflexartig den linken Arm hochzureißen. Die Bernsteinaugen fingen die safrangelbe Kordel ein, die noch immer dicht das Handgelenk umspannte. Statt einer tödlichen Wunde in den Brustkorb reduzierte der Wolf seine ungeheure Angriffskraft auf einen harten Schlag in den Boden, der sich trocken unter seiner Klinge spaltete. Staub wirbelte auf, bedeckte mit einem Schauer von groben Körnern Gesicht und entblößte Brustpartie des Faustkämpfers. Hastig bemühte Sanosuke sich, einen Tritt gegen den älteren Mann zu landen, ihn vielleicht von den Beinen zu holen, um aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu entkommen. Saitou ließ ihm keinen Augenblick der Besinnung. Sanosuke war für Sekunden gelähmt, als ihn die vertraut-verhasste Kampfaura des Wolfs ungefiltert bedrängte. Der ehemalige Shinsengumi, sich seiner Wirkung bewusst, zerrte den Faustkämpfer an dessen Handgelenk auf die Beine, versetzte ihm mit dem Schwertgriff einen wuchtigen Schlag in die Magengrube, schleuderte den Ächzenden gegen die Mauer des Tempels, bevor er seine Schneide mit Sanosukes Halsschlagader bekanntmachte. "Du weißt einfach nicht, wann du aufhören sollst, dummer Junge!" Tadelte er schnarrend durch gepresste Kiefer. Der jüngere Mann registrierte mit einer überwältigenden Mischung aus Angst und Lust das schweflige Feuerwerk in den Bernsteinaugen, die hitzige Brise, die ihn mit jedem Atemzug in Brand steckte. Schauer um Schauer rannen über seine Haut. Sein Herz donnerte in jagenden Schlägen. Jedes hilflose Atemringen brachte die Gefahr der Selbstverletzung mit sich. »Das ist kein fairer Kampf!« Protestierte eine panische Stimme in seinem Hinterkopf. »Lauf weg, liefre dich nicht aus!« Sanosuke konnte nicht mehr tun, als um Atem ringen, die Finger in die Mauer hinter sich graben, die unheiligen Feuer in den Bernsteinaugen keuchend auf eine Eruption belauern. Saitou lächelte arktisch, schob die freie Hand geschützt durch die todbringende Klinge an der Kehle des Jüngeren in dessen Hose. Er trennte achtlos die Bänder auf, die sie auf den schlanken Hüften hielt, begann in diabolischem Amüsement, die beschämende Erektion zu massieren, die sich verunsichert dort aufrichtete. Der Adressat dieser demütigenden Bekundungen errötete, biss sich auf die Lippen, widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen oder den Kopf abzuwenden, um seine Scham über diese Erniedrigung einzugestehen. "Du bist nur aus einem Grund hier." Raunte der Ältere in maliziöser Verachtung, von einem rauen, kehligen Lachen begleitet. "Also sollte ich dir geben, was du so begehrst." Sanosuke wollte widersprechen, seinen Peiniger mit Flüchen belegen, doch ihm fehlten die Mittel. Er war nicht imstande, mehr zu vollbringen, als hilflos die Fäuste zu ballen, all seine Enttäuschung über jeden Verrat, den der Ältere an ihm beging, in seine Augen zu transferieren, um den Bernsteinaugen Paroli zu bieten. Er war machtlos gegen die Reaktionen seines Körpers. Jeder Ausbruchsversuch in diesem Stadium war selbstmörderisch. Ihm blieb sein eiserner Willen, sich nicht besiegen zu lassen. Er presste die Lippen aufeinander, verhakte die Zähne fest, übermittelte mit gefasster Miene dem Wolf seine Verachtung über derart niederträchtige Attacken nonverbal. Der registrierte die Veränderung, reagierte ohne Zeitverlust: seine aufreizenden Bemühungen unterbrochen packte er Sanosuke an einer Schulter, schleuderte ihn herum, presste das Schwert gegen den Nacken des Faustkämpfers. Saitou zog sich mit den Zähnen die obligatorischen Handschuhe von seiner rechten Hand, bevor er sie brutal um Sanosukes Kiefer legte. "Aufmachen. Wag es nicht zu beißen!" Knurrte er kaum verständlich in ein Ohr des Faustkämpfers. Der kam der Aufforderung mit einer beschämten Erleichterung nach, bedeutete es, dass Saitou zumindest nicht plante, ihn ohne gewisse Vorkehrungen zu vergewaltigen. »Überhaupt!« Die Augen schließend saugte der Jüngere an den langen Fingern, spielte mit den gepflegten Nägeln, umkreiste mit der Zungenspitze die glatte Haut mit ihren winzigen Narben und Fältchen. Saitous Atem verbrannte seine Schulter, verfing sich zwischen seinem Brustkorb und der nachlässig übergestreiften Jacke, begleitete die schauernden Atemzüge. Mit unangekündigter Grobheit entzog er dem Faustkämpfer seine Rechte, um dessen Stand mit zwei knappen Fußtritten gegen die Knöchel zu weiten, sich den ersten Eingang in den vor Lust schauernden Körper zu verschaffen. Sanosuke keuchte leise, umfasste seinen Penis selbstvergessen, als drohe ihm nicht eine Enthauptung bei einer ungeschickten Bewegung. Er versuchte, sich von dem initiierenden Eindringen der langen Finger abzulenken. Die verschwanden rasch. Ein Stoß gegen seine Wirbelsäule begleitete den scharfen Tadel des Schwertkämpfers. "Wer hat dir erlaubt, deine Hände von der Wand zu nehmen?!" Sanosuke widerstand dem Impuls, wie ein gescholtener Schuljunge reflexartig der unterschwelligen Aufforderung Folge zu leisten. Saitou bestand auch nicht auf seine Forderung. Mit dem sanften Hinabgleiten der Uniformhosen und dem Lösen des einfachen Suspensoriums kündigte er Sanosuke den Fortgang seiner intimen Erforschung des anderen Leibs an. Der Jüngere seufzte leise, ging leicht in die Knie. Er sammelte sich, um die aus Erwartung, Lust und Furcht aufkeimende Spannung zu reduzieren, als bereits der ehemalige Shinsengumi seinen Körper anal invahierte, um die schlanke Hüfte herumgriff und Sanosukes Rechte ablöste. Dabei als Strafe die starken Zähne in die rechte Schulter des Faustkämpfers versenkte. Der stöhnte guttural auf, bohrte die Fingernägel in die Wand, schloss die Augen, sonderte mit den sich in Intensität steigernden Stößen leise Geräusche der Befriedigung und Hingabe ab. Saitou ließ die verwundete Haut fahren, knurrte verärgert. Er wollte diese seltsame Melodie ersticken, die dem Jüngeren unwillkürlich entschlüpfte, mit Seufzern und Atemzügen akzentuiert wurde. Nicht einmal ein warnender Stoß mit dem Schwertgriff in den Nacken des Jüngeren hinderte ihn. Bald fiel es dem Wolf schwer, sich dem Sirenengesang zu entziehen. Sein Schwert sank zu Boden, als er die Linke einbrachte, um ihre verbundenen Körper im Rausch des pochenden Rhythmus zu verschmelzen. Sanosuke entlud seine angestaute Erregung mit einem erleichterten Stöhnen, bevor er sich von der Wand wegdrückte, nahezu in den älteren Mann drängte, der seinerseits Entspannung in ihm suchte, bis eine glühende Welle sich schier blitzartig bis zu Sanosukes Herz zu fressen schien. Bevor seine Beine in Sekunden währender Erschöpfung nachgegeben konnten, wirbelte ihn Saitou herum, presste seine Schultern hart in die Mauer. Sand und Mörtel knirschte unter dem Druck. Der Faustkämpfer blinzelte, kämpfte gegen seine schweren Lider an, sich bewusst, wie viel Anspannung und Enttäuschung ihn bis zu diesem Augenblick belastet hatten. Der Polizist entblößte seine kräftigen Reißzähne, die üblicherweise hinter den schmalen Lippen verborgen blieben. "Ich sollte dir jede Feder ausrupfen und dich tranchieren." Versetzte er rau, trotz herabgesunkener Hosen keineswegs seiner einschüchternden Präsenz verlustig. "Macht es dich an, mich zu verletzen?" Entwischte es in unbedachter Bodenständigkeit dem Jüngeren, bevor sich seine Lust beschlagenen Augen für Augenblicke über die eigene Direktheit erschraken. "Natürlich!" Grollte der Ältere kalt, obgleich er wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Genauso, wie er es nicht über sich bringen konnte, die verwünschte Melodie zu ersticken, die der Jüngere sang, wenn sie intim wurden. Ihn nicht zu verletzen wünschte, auf Brutalität zugreifen wollte, um sich selbst eine bessere Position zu verschaffen. Sanosukes Rechte wanderte unbeaufsichtigt hoch, berührte vorsichtig die Wange des Polizisten. "Warum hast du mich getäuscht, 'jime?" Knüpfte er an die letzte Auseinandersetzung an, verfiel unwillkürlich in ihre private Ansprache. Saitou schnalzte abwertend, presste mit seinem sehnigen Körper den Faustkämpfer härter gegen die Wand, fing dessen Arme an den Handgelenken ein, spießte sie in Höhe des Kopfes auf. "Weil du ein sentimentaler Idiot bist. Du kannst weder lügen, noch überzeugend betrügen. Du hättest wie gewöhnlich alles verpfuscht." Versetzte er verächtlich. Die Miene des früheren Sekihoutai wandelte sich in grimmige Entrüstung. Bevor sich ein weiteres, in den Augen des Wolfs sinnloses Gespräch entwickeln konnte, erstickte er jeden Protest gründlich, küsste den Jüngeren gierig. Sanosuke sang mit geschlossenen Augen, vergaß ihren Streit. ~+~ Der Tempel bebte in dieser Nacht unter ungekannten Erschütterungen, nährte die Vermutung der Nachbarschaft, es könnten dort Gespenster umgehen. Die waren sehr irdischer Natur und mit ebensolchen Dingen befasst. Was auch immer den Älteren besessen hatte: Sanosuke konnte in den wenigen Augenblicken der Besinnung, wenn er mühsam Atem und Kräfte schöpfte, nur feststellen, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Er fand sich nackt, mit Staub und Schmutz bedeckt, von leichten Blessuren übersät, förmlich über den Boden gestanzt wieder. Auch die Wände im Inneren der offenen Vorhalle trugen seine Spuren. Saitou benötigte unmenschlich geringe Zeit, sich zu regenerieren, bevor er erneut den Jüngeren heranzog, seine Zähne und die Zunge gierig über den sonnengebräunten Körper wanderten. Er sich die sehnigen Beine um die Hüften wand oder den Faustkämpfer auf die Knie zwang, um erneut in ihn einzudringen. Sanosuke war heiser, ohne die Ursache zu kennen. In dem magischen Rausch der Zeitlosigkeit gefangen, den der ehemalige Shinsengumi wie eine süße Droge verströmte, wollte er nicht denken, nicht argumentieren müssen, seine Loyalität nicht diskutieren. Nichts mehr, als sich festklammern und von dieser Leidenschaft verschlungen werden. Die sich ihm allein offenbarte, die ihn verehrte, wie es niemand zuvor getan hatte. ~+~ Saitou starrte auf allen Vieren, seinen sehnigen Körper von Atemzügen zitternd durchquert, auf den jüngeren Mann hinab. Der war in eine kurze Bewusstlosigkeit gefallen, die schokoladenbraunen Augen geschlossen, die aufreizende, lockende Melodie verstummt. Seine Hände formten sich zu Klauen, wollten sich um die ungeschützte Kehle legen, alles Leben aus dem schönen Körper vertreiben. Der Impuls war so überwältigend, dass er sich abwenden musste. Er konnte nicht genug bekommen. Seine animalische Begierde schien ohne Grenzen. Ein anderer als der starrsinnige Faustkämpfer wäre vermutlich längst zusammengebrochen, hätte furchtsam das Weite gesucht. Der verrückte, kleine Streithahn erwiderte seine Attacken mit gleicher Leidenschaft. Als könne niemand außer ihm diesen archetypischen Hunger stillen, ihn mit diesem lebenswichtigen Austausch von Kraft und Körpersäften versorgen. »Verdammt!« In beunruhigender Nähe zu einem Wutausbruch zog sich der ehemalige Shinsengumi zurück, sehnte sich nach einer Zigarette. Nicht mehr lange, sie beide würden sich schmerzhafte Wunden zufügen, er selbst vielleicht Blut ziehen. Es fiel ihm schwer, trotz seiner steten Selbstbeherrschung zu ermitteln, wie oft genau er in den jungen Mann eingedrungen war, welche Wände er ihn förmlich hochgetrieben hatte, wie oft sich der geschmeidige Rücken gegen seine muskulöse Brust gewunden hatte, er mit den wirren, dunkelbraunen Strähnen Spuren in den staubigen Boden gezogen hatte. Eine Hand, sein Knie streifend, riss ihn aus seinen Betrachtungen, als sich Sanosuke mühsam aufzusetzen versuchte. Ein schiefes Grinsen hellte das das von ihrer Lust getriebenen Beschäftigung gezeichnete Gesicht auf, wollte Vertraulichkeit schaffen. Saitou streifte die Hand mit einer brüsken Geste ab, erhob sich, um einen Eimer am Tempel-eigenen Brunnen zu füllen, ihn unangekündigt über dem Überraschten auszugießen. Sanosuke schüttelte sich verwirrt, zwang sich mit einer Grimasse auf die Beine, um an seinem Handgelenk eisenhart umklammert zum Brunnen gezerrt zu werden. Panik stieg in ihm auf. "Hey, ich will nicht schon wieder...!" Ein bedrohliches Knurren unterbrach seinen Protest. Der Ältere spritzte ihn gründlich ab, um sich selbst ebenso sorgfältig zu reinigen. In dem steifen Schritt, der über seine wahre Natur hinwegtäuschen sollte, hielt er anschließend auf den Tempel zu, kleidete sich eilig an. Der Faustkämpfer folgte ihm irritiert, suchte den kalten Blick der Bernsteinaugen. "'jime, was..?" Eine behandschuhte Faust traf in ungebremster Wucht sein Kinn, trieb seine Zähne in die Unterlippe, füllte seinen Mund mit dem kupferartigen Geschmack seines eigenen Bluts. "Was passiert ist, ist vergessen. Halt dich von mir fern, Gossenratte." Grollte der Wolf in kehligem Bass, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Sanosuke schüttelte langsam die Wirkung dieses unerwarteten Volltreffers ab, vollkommen ratlos. Wie konnte der Mann, der ihn mit solcher Leidenschaft und Kunstfertigkeit küsste, so brutal und kalt von ihm Abschied nehmen? Sollte er sich DAS gefallen lassen?! Nur ein Gossenjunge, ein Bauer für den arroganten, adligen Krieger sein, an dem der seine Begierde gestillt hatte?! »Was~was ist mit dem verfluchten Bastard los?!« Seinen mitgenommenen Körper zum Heimweg überredet streifte Sanosuke langsam die berauschende Wirkung der Präsenz des früheren Shinsengumi ab, zwang sich, hinter die Kulissen zu blicken. Die Dinge waren anders, nicht mehr so verspielt, so verschwörerisch wie in Kioto, sondern roher, kälter, konzentrierter. Er hatte seinen besten Freund eine ganze Weile gemieden. Die gewaltige Stadt Tokio bot genug an Ablenkung, um sich dahintreiben zu lassen, neue Freunde zu finden, abhängig von der Unternehmung, die man gerade betrieb. Nichts schien von Dauer, der Zweck regierte jedes Bestreben. Galt dies auch für ihn? Hatte er Aoshi und die quälende Frage um dessen Befinden und Aufenthaltsort für seine eigene Befriedigung geopfert? Seinen Stolz und seine Selbstachtung weggeworfen, um den vergeblichen Versuch zu unternehmen, dem unbarmherzigen, selbstbezogenen Polizisten näherzukommen? Sollte er zulassen, dass man ihn wie Abfall behandelte?! »Nein!« Seine Fäuste ballten sich entschlossen. »Ich bin Sanosuke Sagara, Sekihoutai, der stärkste Faustkämpfer in ganz Japan, und ich gebe nicht auf! Niemals!« ~+~ Kapitel 14 - Der Wolf An diesem Morgen konnte sich Hanako nicht überwinden, ihren jungen Partner aus seinem tiefen, erschöpften Schlummer zu reißen. Die Spuren, die der sehnige, sonnenverwöhnte Körper trug, kündeten von der nächtlichen Aktivität. Sie brach allein zum Markt auf, traf, wenig überraschend, auf einen schmalen Mann mit flammend rotem Haar, der unbehaglich und verlegen Ausschau nach ihrem Begleiter hielt. "Sano schläft noch. Gestern kam dieser Polizist mit den seltsamen Augen vorbei. Danach war er die ganze Nacht unterwegs." Sie konnte mühelos an den faszinierenden Augen ablesen, dass ihr Gegenüber die unterschwelligen Botschaften rasch dechiffriert hatte. Er haderte mit der Unsicherheit, wie er sich verhalten sollte. Auch wenn Sanosuke kaum Andeutungen fallen gelassen hatte, konnte sie doch aus seinem Gebaren schließen, dass er von seinen Freunden enttäuscht worden war. Dem einen wollte er es handgreiflich demonstrieren, während der fragil wirkende Mann vor ihr mit sehr viel mehr Rücksichtnahme behandelt werden würde. "Vielleicht möchtet Ihr ihn besuchen, mein Herr? Ich beschreibe Euch den Weg zu meinem Haus." Offerierte sie munter. Ihr Gegenüber erwog rasch seine Optionen, verbeugte sich endlich mit einem strahlenden Lächeln. ~+~ Katsuhiro fächerte sich in gezwungener Geduld schwüle Luft zu, während er die Vorgänge in der offenen Werkstatt verfolgte. Zwei Gesellen schabten Tierknochen zurecht, rührten den harzigen Lack an, mit dem die Prothesen überzogen wurden, während der Meister selbst jeden Kunden ausführlich befragte, die Anpassungen vornahm. Es gab noch immer ein großes Klientel, wie der Maler mit vagem Unbehagen feststellte. Auch eine Dekade nach der letzten großen Auseinandersetzung fehlende Gliedmaßen, die mit einem Mindestmaß an Funktion ersetzt wurden, um ihren Besitzern den Lebensunterhalt zu sichern. Als die Reihe an ihn kam, wusste der Meister bereits durch die Ärztin, um welche Art von stützendem Verband es sich drehte. Dieses erste Gespräch, zumal ohne den zukünftigen Träger, diente lediglich der Geschäftsanbahnung. Katsuhiro akzeptierte den Preis, den ihm der Meister nannte. Dabei erläuterte der in elegischer Breite die Notwendigkeit jedes einzelnen Buchungspostens der Kosten, vermutlich, um Zweifeln an seiner Ehrlichkeit zuvorzukommen. Der Maler nickte knapp, hinter seiner düsteren Miene der allgemeinen Reserviertheit verborgen, während er kalkulierte, wie weit ihn diese Investition von einer weiteren Veröffentlichung seiner Flugblätter entfernte- Er erwog zu seiner eigenen Verwunderung keinen Augenblick, sein Engagement für den ehemaligen Shishio-Verbündeten einzustellen, sondern begann, als müsse er sich selbst vor Gericht stellen, Gründe aufzuzählen, die für seine Entscheidung sprachen. Nicht nur, dass ein schmerzfreier Kamatari besser singen und attraktiver auf die Gäste des Teehauses wirken würde, nein, er könnte auch viel besser spionieren. Dessen Loyalität würde eher ihm gelten als den schmierigen Meiji-Lakaien, die ihn so grausam getäuscht hatten. Ihm bar jeden Mitgefühls zu verstehen gegeben hatten, dass seine 'großartige Gabe der Zungenfertigkeit' hier einen sehr wertvollen Beitrag leisten würde: auf den Knien, die Genitalien fremder Menschen bedienend! Ihnen ein Schnippchen zu schlagen, einen intelligenten Vertrauten zu gewinnen: das sollte ihm diesen Einsatz wirklich wert sein! Möglicherweise würde er Kamatari auch überzeugen können, ein wenig mehr über die Verbindungen Shishios und seine Biographie preiszugeben. Ein rares Lächeln blinzelte scheu über das Gesicht des Malers, das er eilig hinter seinem papiernen Fächer verbarg. ~+~ Als der rothaarige Schwertkämpfer sich dem kleinen Bauernhaus näherte, erkannte er an den wenigen Geräuschen häuslicher Betätigung, dass sein junger Freund sich dem Vergnügen des Schlafes entzogen haben musste. Obgleich er keine Auseinandersetzung scheute, verlangsamte er seine Schritte. Das Federvieh brach in Spektakel aus, als er auf den winzigen Hof trat. Der Faustkämpfer streckte den Kopf zur Veranda hinaus, um die Ursache des Aufruhrs in Erfahrung zu bringen. "Ah, Kenshin. Ich mache gerade Tee." Schon verschwand der ungebärdige, dunkelbraune Schopf wilder Strähnen wieder im schattigen Hausinneren. Der frühere Battousai wartete höflich, bevor er sich räusperte, mit sanfter Stimme um Einlass nachsuchte. "Ist es gestattet, dass ich eintrete?" Erkundigte er sich höflich. Was eine schiefe Grimasse auf dem Gesicht des Faustkämpfers produzierte. "Sicher, oder willst du den ganzen Tag mit deinem leeren Tofu-Eimer vor der Tür herumlungern?" Versetzte Sanosuke in gewohnter Direktheit, stellte zwei irdene Becher und eine einfache Kanne mit Tee auf den Holzbohlen ab. Ohne Umschweife ließ er sich im Schneidersitz nieder, schenkte den dampfenden Tee aus, bevor er den ersten Augenkontakt ernst aufnahm. "Der alte Bastard war gestern hier, um mir eine freudige Botschaft unter die Nase zu reiben." Ersparte er dem feingliedrigen Mann eine umständliche Eröffnung. Der hielt dem ruhigen, offenen Blick stand, nippte an seinem Tee. "Hat er dir alles erzählt?" Erkundigte sich Kenshin leise, während seine Blicke über den sonnengebräunten Leib hinwegglitten. "Phh!" Schnaubte der Jüngere wegwerfend. "Er kam lediglich, um mich zu provozieren und der gewohnt arrogante Mistkerl zu sein. Schmeißt mich in den Brunnen, dann eine Prügelei..." Ein scharfer Blick aus bitterschokoladefarbenen Augen bohrte sich in das gesenkte, flammendrote Haupt. "Danach kamen wir nicht sonderlich viel zum Reden." Er verbat sich eine Rechtfertigung für die temporäre Gemeinschaft mit dem Erzfeind seines Freundes. Das hätte ihm noch vor einigen Wochen schmerzhafte Sorge bereitet. Nun hatte sich alles geändert. "Ich verstehe." Wisperte Kenshin nachdenklich, studierte seinen Tee wie einen magischen Spiegel. "ICH verstehe nichts, also wäre es sehr NETT, wenn du mir erzählen könntest, was, verdammt noch mal, ihr beiden ausgeheckt hattet!" explodierte der Faustkämpfer endlich, rammte seinen Teebecher mit Nachdruck auf den Boden. In seiner bedächtigen Art, die Sanosuke gelegentlich die Wände hochtrieb, nahm der Battousai einen Schluck Tee, kämmte sich lästige Strähnen aus den Augen und lächelte vage. Er begann leise. "Es gab eine Direktive, wie mit unseren Gegnern zu verfahren war. Shishios Verbündete sollten, soweit sie für die Regierung einen Nutzen darstellten, als Spione angeheuert werden, während Aoshis Schicksal bereits entschieden war." "Verfluchte Meiji! Doppelgesichtige Scheißkerle!" Eruptierte Sanosuke in den sanft vorgetragenen Bericht des ehemaligen Attentäters. "Natürlich messen sie mit zweierlei Maß!" Echauffierte er sich, behielt nur mühsam seinen Sitz. Die ungewöhnlichen Augen des Battousai studierten ihn aufmerksam. "Es entspricht der Tradition aller Parteien, im Frieden wie im Krieg, dass man den Mitläufern seiner Gegner als Spione noch einen geringen Wert zugesteht. Aber Männern, die zu Verrätern geworden sind..." Resümierte er gelassen. "Aber Aoshi war, IST!, kein Verräter!" Warf Sanosuke hitzig ein, die Fäuste unwillkürlich geballt. "Das mag für uns gelten." Gab der rothaarige Schwertkämpfer geduldig zurück. "Er hat seine Prinzipien und seine Treue in den Augen der Regierung verraten, sich persönlichen Zielen untergeordnet, mit einem Feind paktiert. Er ist nicht mehr vertrauenswürdig. Darum wäre er, sobald man seiner habhaft geworden wäre, liquidiert worden." "Wer sollte ihn ermorden? Du? Saitou?" Der Schläger konnte sich einfach nicht über diese in seinen Augen verdrehte Moral beruhigen, funkelte ungezügelte Abscheu und Wut. Kenshin lächelte nachsichtig. "Warum hätten wir ihn dann in der Nacht noch fortgeschafft, Sano?" Wies er sanft auf einen logischen Bruch hin. Der jüngere Mann zögerte. Fetzen seiner Erinnerung drängten sich auf. Die seltsam erschöpfte Gestalt des hageren Polizisten... "Wohin habt ihr ihn geschafft? Wie geht es ihm?" Erkundigte er sich hastig. Der ehemalige Attentäter senkte bedauernd den Kopf. "Das kann ich dir nicht sagen. Er ist wohlauf, mehr weiß ich auch nicht." "Was soll das heißen?!" Der Faustkämpfer stand tatsächlich, von seiner inneren Agitation in die Höhe getrieben. "Wieso sagst du mir nicht, wo er ist?! Auch wenn ich euer Spielchen, mich als 'Beweis' vorzuführen, wirklich niederträchtig finde, kann ich es akzeptieren für Aoshis Sicherheit! Aber mich wie einen Verräter im Dunkeln zu lassen..." Seine Zähne knirschten vernehmlich vor unterdrückter Verbalinjurien. Kenshin erhob sich in geschmeidiger Anmut, legte den Kopf in den Nacken, um den größeren Freund ansehen zu können, während sich seine kleinen Hände besänftigend auf die geballten Fäuste schoben. "Sano, wenn man Aoshi entdeckt, kostet es nicht nur sein Leben und das der Menschen, die ihn beschützen, sondern auch das Saitous und meins. Je weniger bekannt ist, desto ungefährdeter sind wir alle." Dozierte er mit sengendem Blick. "Aber Aoshi...!" Bemühte sich der Faustkämpfer um hilflosen Protest. Sein schmaler Gegenüber erstickte die schwachen Versuche entschieden. "Es gibt nur einen Weg für Männer wie Saitou, Aoshi oder mich, in diesen Zeiten zu leben: mit den Meiji oder gar nicht. Du weißt sehr vieles nicht über unsere Vergangenheit, auch wenn du so früh mit der Sekihoutai in den Kampf gezogen bist." Unvermittelt verlor das gleißende Funkeln seine unerbittliche Kälte. Der bescheidene Mann trat wieder an die Oberfläche. Sanosuke schluckte hart an einer schroffen Replik. Man konnte ihm seine Jugend kaum anlasten, doch er wurde sich einmal mehr bewusst, dass sie eine ganze Dekade trennte. "Bitte!" Eine kleine, warme Hand reichte hinauf, um seine Wange zu streicheln. "Mein Freund, vertraue unserer Entscheidung." Mit einem resignierenden Seufzer nickte der Faustkämpfer seine Einwilligung. Welche Wahl blieb ihm auch?! Schweigend nahmen sie erneut ihre Plätze ein. Kenshin entschloss sich, seinem Herzen Erleichterung zu verschaffen. "Sano." Begann er ein wenig unsicher, wie er seine Gedanken und Sorgen in Worte kleiden sollte. "Es liegt mir fern, mich in dein Leben einmischen zu wollen. Als Freund muss ich dich warnen." Die schokoladenbraunen Augen bezogen sich bereits wieder unwillig ob einer Lektion in Sachen Saitou. Die stille Bekümmerung in den faszinierenden großen Augen des feingliedrigen Mannes untersagte jede barsche Replik des Faustkämpfers. "Ich weiß, dass Saitou dein Wohlergehen etwas bedeutet. Das ist ein ungewöhnlicher Zug für einen Mann seines Schlages." Kenshin entließ sorgsam den Teebecher aus seinem Zugriff, bevor er sein Schwert mit der verkehrten Klinge über die gekreuzten Beine legte. "Als wir in der Bakumatsu-Zeit aufeinander trafen, war er ein gefürchteter Gegner. Auch heute ist sein Können ohne Vergleich." Der Schläger lauschte gespannt ungeachtet einer milden Verwirrung über die Zielrichtung dieser Belehrung. "So, wie es einen Punkt gibt, an dem der Attentäter mein Handeln bestimmt, gibt es einen Punkt, wenn der Mann zum Wolf wird." Der rothaarige Schwertkämpfer lehnte sich leicht vor, berührte eine kraftvolle Hand seines Gegenüber. "Wenn du den Wolf weckst, wird es keine Gnade geben." ~+~ Katsuhiro betrat das Teehaus in gewohnter Aufmachung, bereit für einige hübsche Skizzen, die sein Einkommen erhöhen sollten. Und ganz Ohr, was Gerüchte und Mutmaßungen betraf. Das Geschäft des Etablissements musste florieren, Besucher und Gäste drängten sich. Eine Kakophonie unterschiedlichster Geräusche quoll durch Fenster und Schiebetüren in die Nacht. Die roten Laternen schwankten in der schwerfälligen heißen Brise, die keine Abkühlung von der sommerlichen Glut gestattete. Unter seiner gewohnten Maske der düsteren Unnahbarkeit hielt der Maler Ausschau nach der 'Sängerin'. Er hoffte, 'sie' nicht im Untergeschoss auffinden zu müssen. Langsam flanierte er durch die Geschosse, spähte in Winkel und Nischen, von einer marginalen Unsicherheit befallen, er möge sich in dem jungen Mann getäuscht haben. Als er auf Kamatari traf, in demselben grellen Kimono mit mehreren, fadenscheinigen Stoffschichten, kauerte der, soweit es ihm möglich war, vor einem Gast, erfüllte die Aufgabe, die ihm die Meiji in perfider Rachsucht zugewiesen hatten. Der Gast grunzte und keuchte, spießte die sehnigen Schultern der vermeintlichen Frau mit seinen Fingern förmlich auf, während seine Hüften immer wieder gegen den Kopf stießen. Sich an eine Säule lehnend wartete Katsuhiro, bis der Gast mit erleichtertem Schnalzen seinen Kimono richtete, beschwingt von dannen zog, bevor er sich erneut aus den Schatten löste. Kamatari hatte sich inzwischen auf die Beine gezogen, kaute verbissen, spuckte anschließend in ein fleckiges Taschentuch, das er in den Tuchschichten über seinem schlanken Leib verbarg. Eine angedeutete Geste hinderte den Maler daran ihn anzusprechen. Die 'Sängerin' humpelte weiter, von einer Aufsicht zur Eile angemahnt. Nonchalant, als habe er sich lediglich einen weiteren Kunden erhofft, drehte Katsuhiro seine Runde durch das Haus weiter, nahm einen Becher Sake. Er las von den Lippen der Anwesenden, welches Sujet ihr Gespräch behandelte. Viel Neues kreuzte seinen Weg nicht. Das Panorama in der großen Halle, die an drei Seiten mit einer gewaltigen Bar umgrenzt war, bot durchaus Bedenkenswertes: zahlreiche Fremde, die sich ganz ungeniert und sorglos betranken, in ihren groben, lauten Sprachen dröhnten. Die Zeiten änderten sich. Er war nicht sicher, ob die Röte des Morgens die der Sonne oder die des blutigen Krieges sein würde. ~+~ Da sich keine Gelegenheit geboten hatte, Kamatari ohne das Erwecken von allgegenwärtigem Misstrauen anzusprechen, spazierte der Maler entgegen seiner gewohnt zurückgezogenen Lebensweise am nächsten Morgen durch die Straßen auf dem Weg zur Klinik, verteilte mit einem Fächer die Hitze. Er hatte bereits eine Weile im Schatten des Schreins in der vagen Vermutung ausgeharrt, die 'Sängerin' könnte dort erscheinen. Bei näherer Erwägung erschien es ihm vielversprechender, die Ärztin zu bitten, ihrem widerwilligen Patienten sein Angebot zu unterbreiten. Zumindest verfügte Kamatari nach seiner Einschätzung über genügend Verstand, sich den Verband von ihr wechseln zu lassen. Zumal das Entgelt bereits entrichtet worden war. Als er in der Klinik eintraf, die Hitze stumm verwünschte, bedachte ihn Megumi mit einem kritischen Blick, eröffnete ihm ohne Umschweife, dass sein geheimnisvoller Begleiter bereits wieder gegangen sei. Der Maler verbot sich jede Regung, nickte artig. Was half es, sich über verpasste Gelegenheiten zu echauffieren?! "Ich kann mir vorstellen, dass er zum Tempel unterwegs ist, um seine Verfolger abzuschütteln." Bemerkte sie listig, wischte die langen, seidigen Strähnen auf ihren Rücken. Sie entfernte sich geschäftig, als seien ihr diese enthüllenden Worte niemals entschlüpft. Katsuhiro verließ die Klinik, spazierte gemächlich über die schmalen Wege, die durch eine die Natur imitierende, bescheidene Parklandschaft führten. Die Temperaturen ließen eine andere Fortbewegungsweise bereits nicht mehr zu. Er suchte den Schatten der Bäume. In die relative Ruhe dieser Oase nahe des Tempels drang die vertraute, dunkle Stimme der 'Sängerin'. 'Sie' belehrte mit höflicher Verärgerung. "Ich erklärte Euch bereits, dass ich wegen meiner Lähmung einer Behandlung bedurfte. Habt bitte die Freundlichkeit, mich loszulassen!" Durch die Andeutungen der Ärztin alert auf eventuelle Beschatter und Verfolger achtend beobachtete der Maler konzentriert die Auseinandersetzung, die auch die Aufmerksamkeit anderer Besucher auf sich zog. Kamatari hatte seine Aufmachung als Frau gewählt, ohne die Perücke und die dem Nachtgewerbe zugeordnete Aufmachung. Ein einfacher Sommerkimono und bloße Strohsandalen zeugten von einer sehr bescheidenen Ausstattung einer jungen, ein wenig exotisch frisierten Frau mit heller, makelloser Haut und ausdrucksvollen, haselnussbraunen Augen. Deren rechtes Handgelenk in der schweißigen Umklammerung eines mittelgroßen Mannes gefangen war, der mit hochrotem Kopf Unverständliches hervorstieß. »Ein Agent der Meiji?« Katsuhiro studierte Gestik und Bekleidung, votierte endlich dafür, dass es sich um einen Bediensteten des Teehauses handeln mochte, der ein persönliches Interesse an der 'Miko' hegte. Zumindest kündete sein nicht nur herrisches, sondern auch begieriges Gebaren davon. Sittsam die Beine geschlossen, in einer aufrechten, würdevollen Haltung, bot die 'Sängerin' wenig Anlass, 'sie' derart direkt und vulgär anzugehen. Für jeden Außenstehenden spielte sich dort die abscheuliche Szene einer jungen Frau ab, die den Tempel besuchte, von einem ungehobelten Kerl bedrängt wurde. Sogleich entschlossen sich auch einige der Passanten, Hilfe zu holen, einen Polizisten aufmerksam zu machen. Das konnte dem Aggressor nicht entgehen, sodass er sich mit lautstarkem Fluchen eilends davonmachte. Kamatari erhob sich ebenfalls von der schmalen, steinernen Bank, humpelte an einem einfachen Stock zum Tempel, um sich dort Wasser über die Handgelenke zu schöpfen, das sanft glühende Gesicht abzukühlen. Der Maler bewegte sich auf den Ausgang zu, sicher, dass ihn der verkleidete Kämpfer durchaus bemerkt hatte. Er wählte nach einigen Schritten eine Garküche, um sich dort unter einem Sonnendach niederzulassen, eine Suppe zu bestellen. Als er seine Schüssel geleert und eine kleine Schachtel Süßigkeiten erworben hatte, passierte die 'Sängerin' die Straßenzeile. Er machte sich auf im müßigen Strom der mittäglichen Passanten, langsam neben 'ihr' in den stockenden Schritt zu fallen. Abweichend von den wenigen Frauen, die zumeist in Begleitung unterwegs waren, verfügte Kamatari weder über Sonnenschirm, noch einen breitkrempigen Hut. Eine perlende Schicht der Anstrengung benetzte sein fahles Gesicht. Katsuhiro erkannte die Anzeichen eines drohenden Hitzschlags. Er dirigierte, als sei er der Galan der jungen, bemitleidenswerten 'Frau', 'diese' zu einem kleinen Schrein, vor dessen Stufen man im Schatten eines Kirschbaums rasten konnte. Artig die Süßigkeiten überreichend boten sie das Bild eines scheuen Ehepaars, das sich zur Mittagszeit verabredet hatte. In sittsamen Abstand übernahm es der Maler, ihnen zur Erleichterung ein wenig Luft zuzufächeln, auf die eröffnenden Worte der 'Sängerin' zu warten. "Das Teehaus lässt mich beobachten. Sie mögen es nicht, wenn ihre 'Angestellten' das Gelände verlassen." Wisperte Kamatari, von einer Süßigkeit getarnt, die er behutsam zwischen seine Zähne schob. "Wir müssen die Gelegenheit nutzen." Entgegnete der Maler, setzte seine marineblauen, schulterlangen Haare wie einen tarnenden Vorhang ein. "Wir gehen gleich zu dem Handwerker, der den Stützverband anfertigen wird." "Vergiss es!" Im Schatten einer schlanken Hand funkelte ihn sein Gegenüber warnend an. "Ich kann das nicht bezahlen. Ich habe nichts, was ich dir zu verkaufen hätte." Ein nachsichtiges Schmunzeln glitt über Katsuhiros unbewegte Züge. Er strich durch die von ihm selbst geschnittenen schwarzen Strähnen, als habe sich dort etwas verfangen. Eine Geste der Zuneigung. "Willst du auf halber Strecke feige umkehren? Ich sagte dir bereits, ich will keine sexuellen Gefälligkeiten. Berichte mir, was du hörst und siehst. Das ist alles." "Ich traue dir nicht." Raunte es von süßem Atem umschmeichelt an sein Ohr. Die 'Sängerin' an Katsuhiros Schulter lehnte sich an. Er erkannte die Schwäche, die er zuvor mit düsterer Ahnung prophezeit hatte. Die schlanken Handgelenke massierend beruhigte er den merklich bebenden Mann. Auch Kamatari wusste um seine miserable Kondition, fürchtete das Ausgeliefertsein an die Gnade eines Fremden, der ihm so unerklärlich freundlich gesinnt schien. "Es ist nicht nötig, mir zu trauen, solange du dich nicht aufgibst. Ich bin kein Freund der Meiji, ich werde dir zuhören und die Informationen, die du mir gibst, publizieren, um die Wahrheit aufzuzeigen." Der junge Mann schnaubte resigniert, bekundete seine Zweifel an dieser Darstellung unmissverständlich. Katsuhiro beleidigte diese Äußerung keineswegs. Zudem rechnete er damit, dass Kamatari nachgeben würde. Wenn er leben wollte und die Mission erfüllen, die sein verstorbener Anführer ihm hinterlassen hatte, musste er dieses seltene Hilfsangebot annehmen. Er schob eine weitere Süßigkeit zwischen die blutleeren Lippen, stützte die überschlanke Gestalt sanft. "Gut kauen und schlucken. Dann wird es besser." Riet er neckend, seltsam berührt von der Idylle, die sie ahnungslosen Beobachtern boten. »Wie ein jungvermähltes Paar...« ~+~ Kamatari bewegte sich schleppend und matt neben ihm, als habe das Anpassen der Prothese ihm die letzten Reserven abverlangt. Die bevorstehende Nacht, die ihm keine Ruhe gönnen würde, warf bereits ihren erschöpfenden Schatten über sein Gemüt. Sie hatten wenig gesprochen, in einer fremden Intimität verbunden, die die körperliche Indisposition der 'Sängerin' mit sich brachte. Der Maler hielt inne, gestikulierte seinem Begleiter knapp, einige Augenblicke zu verharren, während er einen winzigen Laden betrat. Er drang in das Dunkel ein, um nach einer kurzen Zeitspanne mit einem makellosen, perfekt ausbalancierten Stab zurückzukehren, der für den Stockkampf geeignet schien. Den man auch als Gehhilfe nutzen konnte, wenn sich der frühere Sensenschwinger in die 'Sängerin' wandelte. Der mit diesem Geschenk Bedachte starrte lange auf das polierte, helle Holz. So stark und vertraut in seiner Hand, gewachsene Zuversicht auf Können und Geschick... Sollte er akzeptieren, sich noch weiter in die Schuld des anderen Mannes begeben? "Ich kann nur einen lebenden, wachen Agenten brauchen." Leistete Katsuhiro mit ausdruckslosem Gesicht verbale Argumentationshilfe, nahm den bisherigen Gehstock, ein trauriges Exemplar aus mürbem Bambusrohr, um ihn zu zerbrechen. "Du hegst zu viel Vertrauen in die Konversationsfähigkeit notgeiler Männer!" Fauchte Kamatari leise, hielt seinen neuen Stab fest umschlossen. Ein schelmisches Schmunzeln erhellte für Wimpernschläge die düsteren Züge des Malers. "Ich habe Vertrauen in dich." Korrigierte er in sanftem Spott, offerierte seinen Ellenbogen zum Geleit. Kamatari gab eine junge Frau, nicht den versierten Kämpfer, der sich darunter verbarg. "Es könnte dich eines Tages reuen!" Warnte ihn der überschlanke Mann, hakte sich ein, kaum vernehmlich, weniger scharf, als die Worte implizierten. Katsuhiros marineblauen Haare streiften dessen fedrig geschnittene schwarze daunenweich, als er Dissens bekundete. Nein, für Reue war in seinem Leben kein Raum! ~+~ Wie verrückt musste ein Mann sein, allein einen Wolf zu jagen? Um wie viel wahnsinniger erst, wenn es sich um den Wolf von Mibu handelte, den letzten aus dem Pack der Shinsengumi? Wie viele Warnungen mussten ungehört passieren? Sanosuke wusste es nicht. Er konnte nicht anders, als sich von Hanako zu verabschieden, durch das Labyrinth der Slums zu streifen. Einen Schatten aufzuspüren, der einer anderen, fremden Welt entsprungen war. Er leugnete nicht, dass er Furcht empfand. Sein Gegner war stark, erfahren und gerissen, hatte dem dummen Gockel unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass das, was auch immer sie für eine kurze Zeit verbunden hatte, vorbei war. Beendet. Die Herausforderung beantwortet. »Nur mich befriedigt seine Antwort nicht. Ich kann ihn immer noch spüren.« Ein schiefes Grinsen flackerte über die angespannten Züge des früheren Sekihoutai. Entgegen aller guten, zahlreichen Gründe! Die Konsequenz seines Bestrebens würde, erwartete er, in Schmerzen und Erniedrigung bestehen. Dennoch... »Ich kann ihn nicht aufgeben. Ich verliere nicht. Niemals.« ~+~ Nur ein ausgemachter Idiot spazierte mit blendend weißen Kleidern in der mörderischen Dunkelheit der Tokioter Slums umher, die Hände in den Hosentaschen versenkt, prahlerisch stolz aufgerichtet. Suchte nach den gefährlichsten, hinterhältigsten Gangstern und Verbrechern, um dort nach ihm Ausschau zu halten. »Hat ihn jetzt sein winziges bisschen Verstand vollkommen verlassen?! Diese erbärmliche, aufgeblasene Gossenratte!« Der Wolf bleckte die Zähne. Es war Neumond und die Welt finster wie zu Anbeginn. ~+~ In den Randbezirken, wo sich noch Wälder fanden, sollte eine Schmuggler- und Räuberbande ihr Unwesen treiben. Sanosuke war angedeutet worden, dass er dort, wenn er seines Lebens verlustig gehen wolle, den aussichtsreichsten Ort geboten bekomme. Wachsam bewegte sich der Faustkämpfer durch die Abstufungen von schwarz. Bäume, Büsche, fremde Geräusche, die sein Herzschlag nahezu überdröhnte. Er konnte nicht zurückweichen. Sein Entschluss stand, zu welchem Preis auch immer. Er fuhr alarmiert herum, sondierte die mokierenden Äste, huschenden Kleintiere. Eine Welt voller fremdartiger Präsenzen, die seine geschulten Sinne untrainiert wirken ließ. Sanosuke fahndete unwillkürlich nach einer Ahnung von Nikotin, dem charakteristischen Geruch der Zigaretten. Ein pathetisches, lächerliches Bild musste er wohl bieten, in blendendes Weiß der Unschuld gehüllt, während in der Schwärze unzählige Augenpaare Verderben kündend seinem träumerischen Pfad folgten. War nicht dort ein Aufblitzen von Schwefel? Ein Geruch stieg in seine Nase, reizte seinen Magen, der unvorbereitet konvulsierte: Blut und menschliche Ausdünstungen. Süßlicher Leichengestank. Einen Handteller auf den Mund gepresst arbeitete sich Sanosuke sehr vorsichtig durch das Unterholz, stürzte nichtsdestotrotz beinahe über einen Kadaver, dessen einzelne Glieder vom Rumpf separiert worden waren. Er ächzte unterdrückt, kletterte über Leichenteile, die von einem kurzen, gnadenlosen Kampf Nachricht brachten, der diesen Teil des Waldes in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Die Schmuggler? Wer konnte derartig gewütet haben? Rivalen? Es war mehr als ratsam, sich eilends zu entfernen. Sanosuke kam nicht weit. Ohne Ankündigung umschlangen ihm kraftvolle Arme, schleuderten ihn herum und schlugen seine Schädelseite hart gegen die knorrige Rinde eines Baums. ~+~ Blut strömte über die betäubte linke Seite seines Gesichts. Nur der Geschmack auf seinen aufgebissenen Lippen bewies ihm, dass es sein eigenes war. Der Geruch mischte sich unter den Gestank gewaltsamen Todes, der ihn wie eine erstickende Wolke umfing. Seine Gegner war stark, kaum auszumachen, ohne sich über die verklebten Augen zu wischen. Das blieb ihm versagt, gab der Klammergriff um seinen Oberkörper nicht ein Quäntchen nach. Er versuchte sich in Tritten und Kopfstößen, schauerte unter dem gutturalen, kehligen Knurren, das sich in brodelnder Vibration sein Rückgrat hinaufarbeitete. "Saitou?" Keuchte er, verzweifelt bemüht, den Kopf zu wenden, um einen Blick auf den Gegner zu erhaschen. Ein Schnauben. Zähne bohrten sich mit der Kraft eines gewaltigen Untiers in seine Schulter. In Sanosuke stieg das Bild Shishios auf, der seinen zierlichen Freund ebenso animalisch attackiert hatte. Panik überflutete ihn schneller, als sein Verstand Schritt halten konnte. Er begann sich zu winden, zu zappeln, wenig effektiv, von wachsender Hysterie gezeichnet. Mit jedem Biss, den die stählernen Reißzähne in seine Schulterpartie, seinen Nacken, seinen Hals prägten, benebelte ihn der Gestank fremden und eigenen Blutes, die unwillkommene Hitze der Flüssigkeit auf seinem Leib, seine von Angstschweiß getränkten Kleider. Die finstere Welt drehte sich wirbelnd um ihn, wieder und wieder schlug er ungebremst in Hindernisse, von dem unsichtbaren Angreifer wie eine Flickenpuppe herumgeschleudert, bis ihn sein Bewusstsein verließ. Nur wenige Augenblicke, doch sie reichten aus, ihm die Kleider vom Leib zu zerren, seinen schutzlosen, nackten Körper mit Tritten über den Boden zu rollen, über verrottende Äste, ausgetrocknetes Laub, klebriges Gras oder staubige Erdkrume. Hand- und Fußgelenk wurden gepackt. Sogleich beförderte ihn der Fremde mit erschreckender Mühelosigkeit weiter, blind für die Schmerzen und Verletzungen, die seine brutale Vorgehensweise hervorriefen. Endlich gelang es dem Faustkämpfer, die Arme an den Körper zu ziehen, mit dem Handrücken das trocknende Blut aus seinen Augen zu wischen. Eine sehnige, elfenbeinhäutige Gestalt kauerte über ihm. Die Wolfsaugen sengten in diabolischem Bernstein. Lackschwarze Haare rahmten ein markantes Gesicht, das große, scharfe Fänge entblößte. Ein Knurren rollte durch den kraftvollen Leib, so archaisch, als gelte es, die Wilde Jagd zu versammeln, steigerte sich in hollernden, dunklen Vibrationen, bis Sanosuke meinte, die tiefe Frequenz allein reiche aus, seinen Herzschlag zum Verstummen zu bringen. Er kannte den Mann. Aber dieses Wesen, diese Bestie... Hände, die Klauen waren, seinen Leib plünderten, Nägel, die krallenartig Blut zogen, während sich Zähne in seinen Körper bohrten und an dem Fleisch zerrten, als wolle ihr Besitzer ihn lebendig verschlingen. »DAS... ist ... der ... Wolf?« Sanosuke startete endlich die ersten Versuche der Gegenwehr, schlug und fauchte, schrie Verwünschungen, vertrieb die peinigenden Zähne aus seiner Bauchdecke. Der Wolf wich zurück. Nahm Maß. Die Klauen wischten blutgierig über die nackte Haut. Ein Lefzen-bleckendes Knurren begleitete die Attacke. Fäuste formten sich, die den Faustkämpfer mit Schlägen eindeckten, während der sich auf dem Rücken wand, vergeblich zu entkommen suchte. Harte Handkanten trafen immer wieder die bereits aufgerissene Schläfe, zielten auf Kehle und Luftröhre, bohrten sich unter Achselhöhle und auf Nabelhöhe in Sanosukes Körper. Der kämpfte an zwei Fronten: gegen seinen Gegner und gleichzeitig mit einer verdrängten, panischen Todesfurcht. Das war kein Mensch, der diese Laute absonderte, der ihn fressen wollte, ohne Kunstfertigkeiten allein seine Beute zu zerstören suchte! Nach seiner Kehle schnappte, mit einem gewaltigen, scharfen Gebiss! In den Bernsteinaugen flackerte ein fremdes Feuer, ohne Ironie, ohne Arroganz. Eine Bestie, die sich keinen Regeln unterwarf. Er schrie, als das Untier in menschlicher Gestalt seine Genitalien nahezu zerquetschte, bevor es ihn auf die Knie warf, in ihn eindrang. ~+~ Sein Körper war ein einziger, hoher, schriller Ton agonisierenden Schmerzes. Der Wolf paarte sich noch immer, rücksichtslos und animalisch, biss und eruptierte in seinem Unterleib, brach ihm fast das Genick, schleppte ihn auf allen Vieren weiter, nagte an seinen offenen Wunden, bevor er ein weiteres Mal in seinen Körper stieß. Sanosuke weinte. Ohnmächtige Wut und unbeantwortete Zuneigung quälten seine umherirrende Seele, die die Qual seines Leibs kaum ertragen konnte, keine Antwort fand auf das Warum. ~+~ Katsuhiro schreckte aus einem bleiernen Schlaf hoch, als etwas gegen seine Tür pochte. War es Kamatari? Hatte man ihn entdeckt? Eine Granate greifend erhob er sich, schlich seine peinigenden Kopfschmerzen verwünschend zur Tür. Der Gestank von Blut und Schmutz ließ ihn zurücktaumeln. Von Erinnerungen erschüttert riss er ohne weitere Vorkehrungen seine Tür auf. Auf der Schwelle lag sein Bruder. Oder das, was ein Rudel Untiere von ihm übriggelassen hatten. ~+~ Kapitel 15 - Alles wagen! Am frühen Abend endlich schlug der Faustkämpfer zur großen Erleichterung seines Wahlbruders die schokoladenbraunen Augen auf, inmitten eines versehrten, geschwollenen Gesichts. Glasklare Tränen betropften seine entstellten Züge. Verzögert begriff er seine Umgebung, fühlte die Hand, die seine eigene hielt. "Sano." Flüsterte der wenig Ältere kläglich, legte seine Stirn auf die bandagierte Brust des Straßenkämpfers, schluchzte befreit. Der schloss ermattet die Augen und dämmerte weg. ~+~ Der Maler tupfte geduldig mit brennenden Augen, die den Mangel der Ruhe in schwärzlichen Ringen trugen, die klamme Stirn des jüngeren Mannes, wachte an seiner Seite, wechselte die Verbände. So entsetzlich ihm die Wunden zunächst erschienen waren, konnten sie sich nicht mit jenen messen, die den Faustkämpfer in nahezu komatöse Erschöpfung zwangen. Sanosuke, wie er leidvoll wusste, konnte großen, physischen Schmerz erdulden, nährte sich aus einer verborgenen Quelle von Trotz und Zuversicht, die ihn Qualen überwinden ließ, die andere in die Knie brachen. Was aber geschah, wenn diese Reserven vergiftet worden waren? Wenn sein unbezwingbarer Lebenswille, sein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten erschüttert worden war?! »Wie kann man nur...?!« Katsuhiro legte den Kopf in den Nacken, seufzte, schüttelte diese lästigen Wehklagen ab. Es gab nichts, was ein Mensch einem anderen nicht antun würde. Zu viel davon hatte er mit eigenen Augen sehen und am eigenen Leib erleben müssen. "Was hast du dir nur gedacht? Wen hast du dir zum Feind gemacht, Sano?" ~+~ Kamatari lauschte auf die ungelenken Versuche, der Shamisen wohlklingende Laute zu entlocken. Er hoffte im Sinne seiner geplagten Ohren, dass bald eine Saite riss und der Malträtierung ein Ende bereitete. Den Stab an seiner Seite, auf einem muffigen Kissen kniend, was der Stützverband erträglich gestaltete, nahm sich diese Nacht nicht so grauenvoll aus wie die letzten, an die er sich ohne Opium benebeltes Bewusstsein erinnerte. Seine Stimme war gefragt, wenn auch nur, um zotige Verse vorzutragen oder wehmütige Heldengesänge alternder Männer zu intonieren. »Wenigstens kein anderer Dienst...« Unversehens ertappte er sich dabei, nach dem merkwürdigen Maler Ausschau zu halten, in seinem Geiste Bruchstücke von Informationen aus zahllosen Gerüchten zusammenzusetzen, um einen Teil der Schuld abzutragen, die auf ihm lastete. Sein Stolz wollte nicht ruhen, dieser Verpflichtung zu entkommen. Die erwies sich als gewaltige Anstrengung. Allein die Aufwendungen für seine Behandlung und den Verband, die Mahlzeiten und zum guten Schluss der Stab, der ihn stützte und schützte: eine enorme Last, wohl wahr. »Tsukioka-sensei...« Wie er sich nannte. Der war in dieser Nacht nicht zugegen. Endlich, als das Morgengrauen in einen weiteren sengenden Sommertag überging, schlüpfte Kamatari in die tröstende Umarmung erschöpften Schlafs. ~+~ Der Nachmittag dämmerte dem Abend in bleierner Müdigkeit entgegen, der lastenden Schwüle geschuldet, die auch die bescheidene Behausung des Malers nicht verschont hatte. An eine Wand gelehnt döste Katsuhiro, von Erschöpfung gezeichnet, neben seinem Wahlbruder. Der ruhte noch immer auf seinem Futon, hing mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen einem heilsamen Schlaf an, der unerträgliche zwei Tage andauerte, zu Katsuhiros Trost aber der Rekonvaleszenz förderlich sein würde. In dieser Überzeugung hatte ihn auch Megumi Takani, die Ärztin bestätigt. Er hatte sie am Morgen in sein kleines Haus gebeten, um sicherzustellen, dass nicht Scham und Paranoia eine medizinische Versorgung seines Bruders gefährdeten. Gewöhnlicherweise vermied er jeden Hinweis auf seinen Schlupfwinkel, ebenso Besuch, um nicht von unliebsamen Überraschungen übermannt zu werden, wenn die Meiji beschließen sollten, seinen Untergrundaktivitäten ernsthafte Konsequenzen folgen zu lassen. "Uhhh... Katsu, ich habe Hunger!" Riss ihn unvermittelt die klägliche, raue Stimme des Faustkämpfers aus seinen Sorgen. Herumfahrend, dass die marineblauen Strähnen wirbelten, inspizierte er den bandagierten, ausgestreckten Freund eindringlich, von erleichterten Fragen begleitet. "Sano! Wie fühlst du dich? Hast du starke Schmerzen? Was ist passiert?" Vor diesem Feuerwerk hastig die Augen schließend stöhnte der jüngere Mann geplagt, zwinkerte neckend. Ein schiefes Grinsen flackerte auf. "Ich habe Hunger." Verkündete er ungerührt. Das trieb den Maler auf die unsicheren Beine, um eilig eine Schüssel Nudeln zu erwärmen, seinem Wahlbruder zu reichen. Der hatte sich unterdessen bequem aufgesetzt, studierte ohne Umschweife seine Verletzungen. "Nicht doch!" Ein tadelnder Schlag auf den Handrücken. Sie wurden der Nahrungsaufnahme zugewiesen, gestatteten den Verbänden ein weiteres unbehelligtes Verbleiben. In Katsuhiro brandete das Verlangen auf, eine Erklärung für die Ereignisse zu fordern, die verschobene Aussprache über die Veränderung des Bruders endlich herbeizuführen. Angesichts dessen Appetits und der Heiserkeit seiner gewöhnlich fröhlichen, dunklen Stimme entschied er sich, eine Kanne Tee zuzubereiten, sich in Geduld zu üben. Nichtsdestotrotz entging Sanosuke die Anspannung des älteren Freundes nicht. Er sammelte konzentriert seine Gedanken. Für die vorherigen Begebenheiten würde die schlichte Chronologie wohl ausreichend sein. Für die vergangenen Nächte allerdings musste er sich selbst einen Weg durch den Dschungel in seinen wirbelnden Emotionen schlagen. ~+~ Sanosuke leerte den irdenen Becher mit einem entschiedenen Zug. "Und dann sagte er, er wolle mich nicht mehr sehen. Alles sei vergessen und zu Ende." Schloss er seine sich über eine Stunde umspannende Erzählung ab. Katsuhiro, der ihm gegenüber auf dem Fußende des Futons kauerte, konzentrierte sich scheinbar auf den Boden seines Bechers, reglos und stumm. Der Faustkämpfer setzte den Becher ab. "Ich war nicht einverstanden. Ich wollte ihn nicht gehen lassen." Wählte er seine Worte mit verlegenem Bedacht. "Daher hörte ich mich um, wo er wohl auf die 'Jagd' gehen würde. Bin in den Wald gegangen, wo sich eine Räuber- und Schmugglerbande herumtreiben sollte, stolperte über eine Menge von Leichen... und ihn." Ein hilfloses, Zähne bleckendes Grinsen wischte über Sanosukes Gesicht. "Er hat dich so zugerichtet." Schloss Katsuhiro tonlos, nahezu unhörbar. Ein eiskalter Schauer rieselte in perfidem Grauen über die Haut des jungen Straßenkämpfers angesichts der Leblosigkeit dieser Äußerung. Bevor er eine beschwichtigende Replik über die Lippen bringen konnte, beschloss der Maler in der Totenstille. "Ich bringe ihn um." Sein Wahlbruder blinzelte, einmal. Er kannte den wenig älteren Mann. Auch eine Zeitspanne von zehn Jahren, die sie von einander getrennt hatte, konnte nichts daran ändern. Katsuhiro glich einem schlafenden Vulkan: wenn es brodelte, zeigte sich das erst mit dem verheerenden, mörderischen Ausbruch. Somit galt es tunlichst zu vermeiden, die letzte Entgegnung des Malers mit Humor abzumildern, wollte er ernsthafte Komplikationen abwenden. "Katsu!" Er beugte sich vor, umfasste die eleganten Hände seines Freundes, um dessen schwarzen Blick in seine schokoladenbraunen Augen zu bitten. "Ich möchte nicht, dass du ihm etwas antust." Der Maler taxierte ihn schweigend, las in seinen Augen, in der gleichen Reglosigkeit wie zuvor, sezierte ihn förmlich. Sanosuke spürte, wie ihm die Farbe in die Wangen stieg angesichts dieser unverblümten Erforschung seiner Motive. "Bist du sicher, dass du noch bei klarem Verstand bist?" Erkundigte sich Katsuhiro mit flacher Stimme, scheinbar unbeteiligt, obgleich die bittere Schärfe seiner Worte diesen Eindruck Lügen straften. Der Angesprochene schluckte schwer an einer unflätigen Entgegnung, die jeder andere geerntet hätte. Der Gedanke an die möglicherweise fatalen Folgen eines Mangels an Selbstbeherrschung hielt ihn im Zaum. So war es Katsuhiro, der nach lastendem Schweigen voller Anspannung erneut das Wort ergriff. "Dieser Bastard ist ein Lakai der Meiji. Er hat mit den Shinsengumi gekämpft. Er exekutiert als Richter über Leben und Tod. Er ermordet im Auftrag feiger Strippenzieher, spielt sie gegeneinander aus, wenn es ihm kommodiert. Dazu setzt er Spitzel und Spione ein, sät Misstrauen und Angst. Er hat dich mehrfach verprügelt, aufgespießt und nun derartig zugerichtet. WAS, verdammt noch mal, denkst du dir eigentlich?!" Mit dem unerwarteten, hasserfüllten Schrei entzog der Maler dem Faustkämpfer blitzartig seine Hände, sprang auf die Beine. Die schwarzen Augen strahlten unkontrollierte Aggression im Radiant aus. Sanosuke atmete tief durch, lächelte besonnen in die verzerrten Züge seines Freundes hoch. "Ich fühle, Katsu. Mein Herz lässt sich nicht so leicht verwirren wie mein Verstand." "Ach, und was fühlst du? Fühlst du die Schmerzen, die Demütigung, die Verachtung?! Fühlst du das?!" Brüllte der Maler zornig, die schlanken Hände zu Fäusten geballt, unversehens in eine Angriffspose verfallen. Der Faustkämpfer legte den Kopf in den Nacken, entblößte sich als verwundbar und passiv, schloss die Augen, ließ den Wutausbruch wie einen Taifun über sich hinwegziehen. "Du bist ein Gangster, ein Spieler, ein dummer, kleiner Bauer für ihn! Abschaum aus der Gosse! Nicht mal ein Spielzeug, nur ein Drecklumpen, mit dem er sich Erleichterung verschafft, wenn er sich langweilt! Hast du deinen Stolz und unseren taichou vergessen?! Willst du ihn verraten, indem du dich an den Eiern von diesem verfluchten Scheißkerl herumführen lässt?!" Mit einem irritierten Blinzeln quittierte der Faustkämpfer das Abgleiten seines Wahlbruders in Vulgaritäten. Er wartete ruhig ab, bis die flachen, hastigen Atemzüge in einem gemäßigteren Tempo über seinen wilden Schopf hinweg sengten. "Katsu, willst du mich anhören?" Erkundigte sich Sanosuke endlich leise. Ein erregtes Auf- und Niedergehen des Malers schloss sich an. Der rang ungewohnt öffentlich mit sich, enthüllte seine Konfusion. Das erfüllte seinen jüngeren Freund, der unter halb gesenkten Lidern dem Paradieren Aufmerksamkeit schenkte, mit wärmender Zärtlichkeit. Wie ungewöhnlich für den so stoisch und düster wirkenden Mann, seine Sorge um ihn so deutlich zu offenbaren! Schließlich erschöpfte sich auch die zornige Unrast des Älteren. Mit einem winzigen Zugeständnis der Versöhnungsbereitschaft nickte er Sanosuke zu, nahm am äußersten Ende des Futons Platz. Sanosuke studierte die Zimmerdecke langmütig, entwickelte seine Gedanken, während er sprach. "Als ich ihn das erste Mal traf in seiner Verkleidung als Verkäufer, die er ja schnell abstreifte, dachte ich genauso wie du. Was für ein arroganter, eiskalter, verlogener Scheißkerl von einem Bullen!" Ein entferntes Lächeln huschte über die von Wunden verfärbten Züge des Faustkämpfers. "Er sticht mich ab, nur um damit Kenshin zu provozieren. Er sperrt mich ein, verleugnet mich, beschimpft mich, traut mir überhaupt nichts zu. Ich habe ihn wirklich gehasst." Die Augen aufschlagend, als könne er die vergangenen Begegnungen an die Decke projizieren, setzte der Jüngere mit ruhiger, dunkler Stimme fort. "Er tut wirklich alles, damit man ihm nicht zu nahe kommt, ihn nicht ausstehen kann. Schlimmer noch, er ist tatsächlich außergewöhnlich gut und psychopathisch hochintelligent, lässt sich von niemandem einschüchtern. Kann arrogant sein, weil er überlegen IST. Weil er nicht prahlt, sondern Fakten verkündet." Katsuhiros Blick eingefangen kreuzte der Faustkämpfer die Arme hinter dem Kopf, an die Wand gelehnt. "Ich habe ihn kämpfen sehen und gegen ihn gekämpft, als er mich trainiert hat. Er IST unglaublich." Als er die Bestrebung des Malers erkannte, ungeduldig eine vernichtende Replik abzusondern, zwinkerte Sanosuke verschwörerisch, Übermittelte nonverbal, dass er die Lobpreisungen der überlegenen Kampfkunst des ehemaligen Shinsengumi nun einstellen würde. "Weißt du, Katsu, auf den ersten Blick sieht es wirklich so aus, als würde Saitou mich demütigen und verletzen. Tatsache aber ist, dass er mehrfach mein Leben gerettet hat. Obwohl ich ein nichtsnutziger, vorlauter, dummer Gangster bin." Aufgerichtet wandelten sich die großen Augen in Bitterschokolade. Katsuhiros Augen verengten sich. Für einen Augenblick fühlte sich Sanosuke an die Paranoia erinnert, die Aoshi vermuten ließ, dass der Wolf einen ganz bestimmten Plan verfolgte, der den unzeitigen Tod des Faustkämpfers nicht favorisierte. "Er hätte mich damals verbluten lassen können, gegen Anji unvorbereitet in den Tod ziehen. Vor dem Aoiya wäre ich erschossen worden oder in die Luft gejagt. Oder im Knast abgesoffen. Und er hätte mich nicht hierher bringen müssen." "Ja, das war wirklich eine Glanzleistung von diesem Mistkerl! Nachdem er dich so zugerichtet hat, dass ich geglaubt habe, ein Haufen tollwütiger Köter hätte dich zerfleischt!" Fauchte der Maler zornig, schloss die Beweisführung ab. Sanosuke jedoch ignorierte dieses Ansinnen. "Katsu, du hast die Leichen im Wald nicht gesehen! Für einen Schwertkampf waren die Bäume und Sträucher viel zu dicht. Als er mich fand, war er unbewaffnet und nackt. Und trotzdem hat er alle getötet. Denkst du nicht, dass er, wenn er es gewollt hätte, mir das Gleiche hätte antun können?!" "Vielleicht warst du nicht gut genug für sein 'Aku Soku Zan'-Sofortgericht?" Mutmaßte der Ältere bar jeden Humors. "Vielleicht juckte es ihn auch bloß noch mal, und er mag ES nicht kalt?" Fügte er vulgär an. Von einer gewissen Erschöpfung befallen, die aus der scheinbaren Unmöglichkeit resultierte, seine Empfindungen argumentativ auszudrücken, schnaubte Sanosuke abschließend. "Es ist ganz einfach, Katsu: er KANN mich nicht töten. Er hat mich auch nicht vergewaltigt, wenn du darauf anspielst. Selbst die Wunden sind nicht wirklich gefährlich. Er hat sich aber große Mühe gemacht, mich abzuschrecken. Das hat NICHT funktioniert." Katsuhiro zuckte unwillkürlich, als habe ihn ein Schlag getroffen. "Was soll das heißen?" Wisperte er fassungslos, beugte sich vor, betrachtete ungläubig die entschlossene Miene des Faustkämpfers. Der lächelte selbstsicher. "Ich werde ihn wieder suchen. Dieses Mal werde ich es nicht vermasseln." ~+~ Zwei Atemzüge entfielen. Eine geballte Faust traf Sanosukes Kinn, ohne jedoch Schaden anzurichten, obwohl eine nicht unbeträchtliche Kraft sie beschleunigte. "Bist du wahnsinnig?! Ich werde dich bestimmt nicht rauslassen, damit du dich noch mal zerfleischen lässt!" Der Maler keuchte vor Wut. Sanosuke preschte seinerseits vor, umfasste das anmutige Gesicht des Malers mit beiden Händen, starrte in die schwarzen Augen. "Katsu." Eine geflüsterte Aufforderung. Der Angesprochene schluckte, erwiderte den Blick trotzig. Die schokoladenbraunen Augen funkelten. "Katsu, ich WILL diesen Wolf. Und er will mich, sonst hätte er sich nicht so viel Mühe gegeben, mich loszuwerden." Ein Lächeln blendete versöhnlich auf. "Nur mit und durch ihn kann ich stärker werden. Vertrau auf mich, bitte." Der Maler schluckte, wollte stur trotzen, fand jedoch seine Stimme nicht mehr. Die Kehle zugeschnürt lehnte er endlich die Stirn an die des Faustkämpfers. "Sano, verdammt!" Würgte er erstickt an Ängsten, ließ sich in eine tröstende Umarmung ziehen. "Ich verliere nicht." Versicherte Sanosuke sanft, aber entschieden. "Niemals." ~+~ Die Dämmerung senkte sich zögerlich über die Stadt. Die Straßen und Gassen verloren ihren belebten Passantenstrom. Auch zwei Tage nach Neumond fiel die Nacht mit bleierner Dunkelheit über der Hauptstadt ein. Katsuhiros Hand zuckte über Skizzenpapier, eine nahezu instinktive Reaktion auf die verzweifelte, resignierende Rastlosigkeit seiner aufgewühlten Seele. Er liebte den hochgeschossenen, stets gut gelaunten und 'wilden', jungen Mann vor sich wie einen Bruder. Es drohte sein Herz zu zerreißen, ihn erneut der zweifelhaften Gnade des kaltblütigen Mörders aus den Reihen der verhassten Shinsengumi auszuliefern. Trotz der Wunden und zahlreichen Verbände, die Sanosuke über Parallelen mit Shishio hatten scherzen lassen, strahlte der Faustkämpfer vergnügt und voller Erwartungsfreude vor sich hin, lüftete den Futon, der ihm für fast zwei Tage Zuflucht geboten hatte, schwungvoll aus, streckte sich und reckte sich, als gelte es einem simplen Wettstreit. »Begreifst du nicht, dass dein Leben auf dem Spiel steht, wenn du den Wolf von Mibu derartig provozierst? Hat er dich nicht gewarnt und ist er nicht konsequent in seinem Tun? Ach, Sano...« Der Stoßseufzer des Malers verhallte in seinem Inneren ungehört. Die einzige Genugtuung, die Katsuhiro blieb, war die verlegen vorgetragene Tatsache, dass es auch dem Battousai nicht gelungen war, Sanosuke zu überzeugen, von dessen Erzfeind Abstand zu nehmen. "Ich werde mal auf die Pirsch gehen!" Verkündete der Straßenkämpfer aufgeräumt, schlug die Knöchel seiner bandagierten Fäuste gegeneinander. Der Maler erhob sich und abandonnierte den Skizzenblock, studierte die attraktiven, spitzen Züge seines jüngeren Bruders stumm. Hinter der sympathisch-direkten Fassade verbarg sich ein wacher Verstand und ein im Überleben geschulter Instinkt. Zehn Jahre hatte der 'wilde Streithahn' überstanden. Katsuhiro legte die Arme um die breiten Schultern des jüngeren Mannes, zog ihn kurz an sich, schloss die Augen. "Pass gut auf dich auf, Sano." Ein aufmunterndes Klopfen auf seinem Rücken später gab er den Bruder frei, funkelte mit arktischer Entschlossenheit seiner schwarzen Augen in die schokoladenbraunen. "Du hast drei Tage, dann suche ich nach dir. Wenn er dir etwas angetan hat, jage ich ihn zur Hölle. Bröckchenweise." Seine kalt-entschlossene Ankündigung dunkelte Sanosukes Augen ab, dämpfte die Strahlkraft des gewinnenden Lächelns für Augenblicke. Dann tanzte der spielerisch-herausfordernde Funke wieder in den trügerischen Untiefen. Der Faustkämpfer rammte die Fäuste gegeneinander. "Keine Sorge, Katsu, sein Fell ist mir sicher!" Prahlte er grinsend, um ohne weitere Abschiedsworte in die verlassene Gasse hinaus zu treten. Obgleich es seiner Gewohnheit vollkommen zuwiderlief, stand Katsuhiro noch lange in der Schiebetür, starrte auf die Stichstraße, die seinen Bruder verschluckt hatte. ~+~ Von einer tiefen Zuversicht beseelt hielt der Faustkämpfer direkt auf den Wald zu, wählte dieses Mal aber einen Pfad, der zunächst das Dickicht und Gehölz umging. Er gab sich Zeit, Geräusche zu identifizieren, die Umgebung kennenzulernen, Geruch, Beschaffenheit, Atmosphäre. Ein Wald stellte eine ganz andere Arena dar als die Straßen, in denen er die meisten seiner Kämpfe in der letzten Zeit bestritten hatte, auch wenn ihm Unterholz nicht fremd war. »Ich mag es nur nicht. Genauso wenig wie Ackerarbeit.« Mit einer Grimasse stellte Sanosuke vor seinem eigenen Gewissen die Fakten klar. Es war nicht leicht, in der Dunkelheit und bei tückischen Schattenspielen, dem gefährlichen Treibgut aus verdorrtem Laub, abgebrochenen Ästen, Geröll und herausragenden Wurzeln einen sicheren Tritt zu behalten. Einbildungskraft und Anspannung trugen ein Übriges dazu bei, dass er Erregungszustände niederzukämpfen hatte. Sein Leib prickelte in unzähligen Schauern, hieß sein Herz dahingaloppieren voller Erwartung. »Ich kann es. Und ich werde es schaffen.« Äste und Zweige biegend wählte er seinen eigenen Pfad durch die verflochtene Wand der Vegetation, bis er eine kleine Lichtung erreichte, die dank Neumond, wenig Erhellendes offenbarte. Sekundenbruchteile später glühte er förmlich in einem Bannstrahl, der ihn paralysierte. Aus dem schwarzen Gehölz zeichnete sich eine sehnige, große Silhouette ab, mit Bernsteinaugen in schwefliger Glut. ~+~ Skizze folgte Skizze, ordentlich verstaut. Das Geheimversteck war inspiziert und in peinliche Akkuratesse versetzt worden. Katsuhiro hatte seiner Unruhe jede Möglichkeit der sinnvollen Beschäftigung geboten. Jetzt erreichte er das Ende seiner bescheidenen, häuslichen Gegebenheiten. Auf- und niedergehend schienen ihn die Wände zu bedrücken, legten sich erstickend auf sein Gemüt. Bis er entschied, der Hilflosigkeit seiner Sorgen zu entfliehen, körperliche Erschöpfung zu suchen, die sein rastloses Gedankenirren beenden würde. In einem einfachen Kimono, die Tasche umgebunden, stürzte sich der Maler in die verschlingende Umarmung der Nacht. ~+~ Sanosuke starrte in die glühend-irisierenden Augen aus einer Entfernung von fünf Metern, verlor sich beinahe in anbetender Verehrung, weil ihr Feuer so fremdartig, diabolisch und anziehend zugleich anmutete. Ein Blitzen der Warnung. Er schauderte kurz, als Erinnerungsfetzen der vorangegangenen Nacht in Gedanken vorbeizogen. Er gedachte des ersten Aufeinandertreffens mit diesem unvergleichlichem Blick: in der Gewitternacht in Kioto, als sie dem körperlichen Verlangen endlich leidenschaftlich nachgaben. Der Verlust der allgegenwärtigen Kontrolle, die animalische Begierde, ein archaischer Hunger, der in den Tiefen der Wolfsaugen loderte. Der Faustkämpfer lächelte, genoss das gutturale Knurren vor der Attacke. »Komm und hol mich, mein Wolf!« ~+~ Ein dünner Film kühlen Schweißes bedeckte Katsuhiros Gesicht, als er endlich sein zielloses Wandern, der Ermüdung gewidmet, einstellte, sich wenig verwunderlich vor der vertrauten Brücke zum Teehaus fand. Diesen Weg, den er so oft in den letzten Tagen eingeschlagen hatte, dass der sich in die Erinnerung seiner automatisierten Beine eingegraben hatte. Noch immer aufgewühlt spielte es keine Rolle im Urteil des Malers, ob er weiter zog oder sich in den Eingeweiden des hohen Gebäudes verlor. Vielleicht würde sich Ablenkung aufweisen, wenn er seine journalistischen Instinkte angesprochen fühlte? ~+~ »Die ultimative Herausforderung!« Ermahnte sich der junge Faustkämpfer, bevor er dem heran sprengenden Mann Paroli bot. Alles an Saitou war fremd und vertraut zugleich. Vergessen die steife Eleganz seiner Bewegungen, die arrogante Linie der dünnen Lippen, das Aroma von Nikotin und dem teuren Öl, die schneidige Uniform. Hier traf er auf den anderen, den wahren Mann. Oder zutreffender den Wolf, der sich in einer menschlichen Gestalt verbarg. Der in raubtierhafter Geschmeidigkeit attackierte und sprang, die kraftvollen Hände wie Klauen mit Sanosukes verflochten. Das bleckende Gebiss schnappte mit den Fängen nach ihm, von gutturalem, grollendem Knurren begleitet, das ungehindert Sanoukes Rückgrat invahierte, in seiner Magengrube explodierte. Tödliche Gefahr und erotisierende Kampfleidenschaft. Der Faustkämpfer hielt den Angriffen stand, wehrte sich mit spiegelgleicher Vehemenz, fauchte, schlug die Zähne aufeinander, ließ seine Muskeln spielen. Wie ein exotischer Tanz mutete ihr Reigen an, über trügerischen Waldgrund hinweg, bevor sie auseinander spritzten, lauernd Büsche in die Distanz einschlossen und wiederholt vorpreschten, um den anderen niederzuringen, zu unterwerfen. Mit jedem neuen Aufeinandertreffen steigerte sich ihre Begierde, diesen Kampf andauern zu lassen, sich immer wieder zu messen, einen Vorteil zu finden, der dem Gegenüber verwehrt blieb. »Ich kann ihm standhalten!« Stellte Sanosuke beglückt fest. »Ich bin ihm ebenbürtig!« Sein gewachsenes Selbstvertrauen fand sich in seinem aufreizenden Lächeln wieder, der Begeisterung, die ihn antrieb, mit aller Kraft und äußerster Konzentration dem Wolf die Stirn zu bieten. Der hatte das Knurren eingestellt, funkelte in animalischer Spannung in die großen Augen seines unerschrockenen Kontrahenten, grollte in dumpfen Basstönen eine Herausforderung, eine Einladung, einen Tanz auf Messers Schneide. Innerhalb des Herzens des unberührten Waldes, von verrottendem Geäst und dichten Flechten und Moosen beherrscht, duellierten sie sich. Auf ein unausgesprochenes Signal synchron gestartet, bereit, mit einem Sprung den Gegner in den tückischen Grund zu schmettern. Der Faustkämpfer trat in seinem Vorwärtsdrang unerwartet in ein Loch. Für Wimpernschläge in seinem Sturm gehindert und aus der Bahn geworfen, um ungebremst gegen einen massiven Stamm zu seiner Linken zu schlagen. Bevor das Blut einer aufgeplatzten Wunde an seiner Stirn die Sicht trübte, fegte ihn ein machtvoller Tritt von den bebenden Beinen. Eine Faust traf seine Kehle. Mangels Sauerstoff verließ ihn das Bewusstsein. ~+~ Katsuhiro streunte ziellos durch Etagen, Räume, Separees, passierte Paare, Gesellschaften, Diskussionen und Schankspiele, ohne dass er einen Fixpunkt für seine unruhigen Gedanken finden konnte. Gesichter glitten wie vergilbtes Herbstlaub an ihm vorbei, gleichförmig, unbedeutend, ohne Anreiz innezuhalten. Niemand fragte nach seinen Diensten, schenkte ihm Beachtung. Wie ein Schemen wanderte er körperlos in einer befremdlichen Welt, die sich unbedeutend ausnahm verglichen mit der Sorge um das Wohlergehen des Bruders. Eine Hand fasste sein Handgelenk. Die taumelnde Welt stand still im ruhigen Glanz von Haselnuss. ~+~ Die 'Sängerin' hatte die Verfolgung des schlanken, in einen schwarzen Kimono gewandeten Malers seit einiger Zeit bereits aufgenommen, verwundert über die reservierte Eleganz seines Auftretens und die Leere in den scharfen Augen. Gänzlich in mitternächtliche Nuancen gehüllt von den Haaren über Bekleidung und Sandalen bot Katsuhiro in der Tat eine außergewöhnliche Erscheinung in dem sommerlich bunten, gewerbsmäßig auffälligen Treiben der Gäste und Bediensteten des Teehauses. Niemand bewegte sich so unbeteiligt, von jedem Reiz unberührt, durch die Geschosse. Kamatari schätzte diese Achtlosigkeit für die Gefährlichkeit ihrer Umgebung als ausgesprochen waghalsig und unbedacht ein. Der Maler konnte mit diesem Gebaren die Verärgerung der Geschäftsleitung auf sich ziehen. Zudem entgingen ihm wichtige Indizien und Gesprächsthemen, die insbesondere an diesem Abend reichhaltige Ernte versprachen! Einen Fluch unterdrückend arbeitete sich die 'Sängerin', den Stab wie eine Standarte eingesetzt, durch die wogende Menge aufgekratzter Menschen, ergriff ein graziles Handgelenk. ~+~ Die grenzenlose Finsternis verlor sich in ächzenden, ungelenken Schattenwürfen, einander überlagernd, der Nachthimmel durch verflochtenes Geäst und Blattwerk ausgespart. Sanosuke blinzelte. Die Lider folgten dem Reflex schwerfällig, verklebt, die Wimpern eingekrustet. Mit seinem Blut, wie er vermutete. Trotz der sommerlichen Hitze, die auch des Nachts keine Abkühlung erfuhr, glitzerten Schauer von Kälte über seine Haut, streiften ihn neckend, lockend. Mit Verspätung entschlüsselte er die Botschaft seiner Nervenenden. Sie kündeten von Gras, Laub und gefilterter Brise auf ungeschützter Haut. Mühsam wollte er sich auf die bloßen Ellen stemmen, gegen ein Übelkeit beschwörendes Schwindelgefühl wappnen, als ein durchdringendes, sonores Knurren Warnung gebot. Ein stechender, glühender und zugleich verboten prickelnder Schmerz konzentrierte die Aufmerksamkeit auf seinen Unterleib, wo der Wolf, die Klauen in seine nackten Oberschenkel gegraben, das Gesicht von seiner Bauchdecke hob, Mund und Kinn blutig, tropfend, wenn ihn das Schattenspiel der Dunkelheit nicht trog. Selbst das kräftige Raubtiergebiss erfuhr mit der rostroten Lackierung eine Trübung seiner gleißenden Strahlkraft. Die sengenden Schwefelaugen lagen ohne Botschaft auf seinem erbleichenden Gesicht. Das Haupt senkte sich wieder, spitze Reißzähne trieben sich in sein Fleisch, von gutturalen Lauten begleitet, zerrend, zupfend. Eine Zunge, die sich tiefer bohrte in die Wunde, Blut aufnahm. In das paralysierte Bewusstsein des Faustkämpfers flohen Bilder von Raubtieren, die sich an ihren Opfern satt fraßen, die langen Schnauzen tief in wehrlose Leiber gruben, in hungriger Ekstase schmatzend und schlingend. Er stöhnte, bog sich dem Jäger entgegen, schloss die Augen vor der verwirrenden Nacht, spürte das Innehalten, das Ablecken der Wundränder, die kundige, gründliche Zunge, die jede Pore, jede Faser seines aufgetrennten Fleisches erkundete. Nach einigen Augenblicken des gemeinsamen Abwartens, von Herzschlägen abgemessen, begann der Wolf seinen glühenden Atem auf die Bauchdecke zu blasen, gleichsam die Nase in den Nabel zu tauchen, Blut einzusaugen, mit saurem Speichel zu vermischen, der beißend in der Wunde brannte. Die Hände vom Boden gelöst, in den sie sich vergraben hatten, wühlte der Faustkämpfer durch die langen, schwarzen Strähnen, wand sich hilflos, von widerstreitenden Empfindungen aufgepeitscht. Er wollte hassen, sich wehren, kämpfen, und zugleich in Begehren untergehen, von einer Leidenschaft verzehrt werden, die ihn buchstäblich verschlingen wollte. Wie es nur der Wolf vermochte. Der ihn abschüttelte, an den Fußgelenken packte, hinter sich herzog, geduckt, geschmeidig den tückischen Grund überwand, den Kontrahenten fahren ließ, im fahlen Sternenglanz mit blutig-schmieriger Fratze auf ihn herabblickte. Giftige Zwillingssonnen, die ohne Regung lauerten. Sanosuke studierte diese animalische Erscheinung voller Verwunderung und Faszination: so verletzlich, so offen war ihm der verschlagene Shinsengumi als Mensch niemals begegnet. Die Begierden, die ihn trieben, konnte er einschätzen, waren sie simpler Natur: Hunger, Fortpflanzung, Überleben durch stete Auseinandersetzung mit seiner feindlichen Umgebung. Wie einfach es war, auf dieser Ebene zu existieren, wie verlockend und trügerisch. Wollte er dem Pfad des Wolfs folgen, seine menschliche Disposition abstreifen, um ein besserer, ein ebenbürtiger Gefährte zu werden? »Ich kann es nicht.« Entschied der jüngere Mann von großer Gelassenheit erfüllt. »Wenn ich mir nicht treu bleibe, habe ich nichts. Ein Teil von mir sind Gefühle und Sehnsüchte, Träume und Leidenschaften. Alle Kraft, alles Stehvermögen, alles Wissen und Können ist ohne Wert, wenn ich sie auslöschen würde.« Die Augen schließend lächelte er leise über diese späte Erkenntnis, konnte sie ihn doch das Leben kosten, das er so lange vehement verteidigt hatte. »Ich fürchte dich nicht, mein Wolf.« ~+~ Kamatari zwinkerte, als gelte es, die Gunst des verschlossenen Gastes zu gewinnen, obgleich die schwarzen Augen mit ihren düsteren Schatten den Fokus bereits auf ihn gerichtet hatten. "Was ist los mit dir?" Zischte die 'Sängerin' unter seinen grell bemalten Lippen, strebte in dem Kimono geschuldeten, kurzen Schritten eine verborgene Nische an, während der Stab ihm sicheres Geleit bot. Der Maler schwieg, doch seine Körpersprache, so gut sie kodiert sein mochte, etwas anderes zu verkünden, konnte ein erfahrenes Auge nicht trügen: Unruhe kochte in dichten Schwaden und brodelnder Hitze hinter dem Schild des stoischen Künstlers. Sein Gegenüber fürchtete, eine ungelegene Eruption des Vulkans möge ihre beider fragile Position erschüttern. "Hör zu!" Kamatari zog einen Fächer in graziler Anmut aus einem Kimonoärmel, um im Schutze des stoffbespannten Schilds seine Nachricht zu verkünden, die auch kein Lippenleser auffangen konnte. Er becircte das fahle Gesicht in der harten Umrahmung der marineblauen Haare. "Viele Ausländer sind hier, vor allem Briten und Preußen. Es geht um Ansiedelungen an den Festlandgestaden, Handelsverträge, Stationierung von Truppen. Waffen und Material... hörst du mich?" Ein für Unbeteiligte spielerischer Klaps ahndete die Unaufmerksamkeit des Malers, der sich entgegen seines üblicherweise selbstbeherrschten Auftretens an eine Wand lehnte, die Augen für Wimpernschläge im Schutz der schulterlangen Mähne schloss. Kamatari kämpfte mit widerstreitenden Interessen: impulsiv wollte er, ganz Kamerad, die Hand auf eine Schulter platzieren, die Sorgen aus dem erschöpften Mann herausschütteln. Andererseits hieß bittere Erfahrung ihn, vorsichtig zu agieren, Unglück stoisch zu missachten, selbst wenn es sich um den eigenen Wohltäter handelte. "Du gefährdest uns beide!" Wisperte er vorwurfsvoll, tippte im Kompromiss mit dem polierten Stab eine Schulter an. Katsuhiro lächelte, minimal, bar jeden Vergnügens. "Wie wäre es mit einem Porträt, schöne Dame? Meine Finger wollen einfach keine Ruhe finden." Zum Beweis bot er die Hände an, die unkontrolliert zittern. So sehr, dass Kamatari sie mit aller Kraft umklammern musste, als er sie instinktiv ergriff. ~+~ Einen kontrollierenden Blick in die Runde entsandt kaperte Kamatari ein fragiles Handgelenk entschlossen, während die andere Hand kokett den Fächer schwang, eine Anweisung verbarg, die zischend seinen grell geschminkten Lippen entwich. "Nimm den Stab und komm, verdammt!" In Trance, die schwarzen Augen glanzlos, gehorchte der Maler der Aufforderung, tauchte ein in die schattigeren Gefilden des Stockwerks, wo die bunten Lampen weniger Licht verbreiteten. Die 'Sängerin' wählte ein Separee, wenig mehr als ein Schrank, dessen Schiebetüren ächzend klemmten, als er die klaustrophobische Enge umschließen sollte. Seinen Schattenwurf auf dem Papier der Türen inspizierend konnte er sich endlich der nagenden Sorge widmen, die sie zusammengeführt hatte. "Was ist los mit dir?" Fauchte Kamatari unverbrämt, schob den Fächer in einen Ärmel. "Du läufst herum wie ein Mondsüchtiger, ausgerechnet heute Nacht! Mir soll es gleich sein, sensei, aber wenn man unsere Bekanntschaft entdeckt, wird es für beide Seiten ungemütlich. Du hast doch sicher kein Interesse daran, dass die Meiji deine publizistischen Tätigkeiten unter die Lupe nehmen?" Wob er bitteren Spott in den ehrenvollen Titel. Katsuhiro zuckte unwillkürlich zusammen. Sein trüber Blick fokussierte sich. Seinen Gegenüber focht dies nicht an. Kamatari fuhr hastig im Flüsterton fort. "Heute sind sehr viele gaijin im Haus. Sie prahlen und schwatzen, trunken von Sake und ihrem Ruhm, glauben, dass niemand sie verstehen kann. Eine ziemlich seltsame Mischung, Holländer, Franzosen, Engländer und Amerikaner, sogar ein Russe und ein Gesandter aus Preußen." Dass die Fremden so unbesonnen in einem öffentlichen, nicht gerade ehrenvollen Haus ungeniert über ihre Absichten sprachen, reizte die stets präsente Wut in den verborgenen Tiefen von Katsuhiros Seele. Wie konnten sie so arrogant sein, zu glauben, man verstünde sie nicht? Wo sich die wenigsten von ihnen der Mühe unterwarfen, die fremde Sprache zu erlernen, ihre Schrift als Wirrwarr unsortierter Bilder bezeichneten?! Als ein Künstler mit nahezu fotografischem Gedächtnis sowie als Journalist, der sich Zugang zu einer Vielzahl von Büchern unterschiedlichster Art verschaffen konnte und sei es über die Vorgabe von Interesse an der fremden Religion mit ihrer 'Bibel', war es ihm möglich, zumindest die Sprache der Briten, aus Handelsgebrauch die der Niederländer und damit das verwandte Französisch zu verstehen sowie einige Brocken von Hochdeutsch aus religiösen Traktaten. Für ihn waren ihre Sprachen von einer anderen Perspektive geprägt. Der Umgang und die Beobachtung des Gebarens der Ausländer lehrten ihn rasch die Hintergründe jeder Absonderlichkeit. "Wie viel hast du verstanden?" Hakte er endlich bei Kamatari nach, der erleichtert den scharfen, harten Blick in den schwarzen Augen begrüßte. "Nicht sonderlich viel, ich musste singen. Es ging jedoch um Waffen, es fielen die Namen von Inseln, von Truppenstärken." Sie sahen einander für besinnende Momente schweigend an. Die 'Sängerin' verlagerte 'ihr' Gewicht, um das verwundete Bein zu entlasten, richtete die hochdekorierte Perücke. "Denkst du, sie werden uns unterwerfen?" Entfloh eine bange Befürchtung. Katsuhiros Lippen wurden schmal. Auch, wenn man es sich nicht gern eingestehen mochte: die Fremden, die man zunächst nur zögerlich in das Land gelassen hatte, hatten sich ihren Freiraum erkämpft, drohten versteckt mit ihrer Überlegenheit. Mehrere hundert Jahre hatte sich Japan abgeschottet, die Bevölkerung entwaffnet, Bauern und Fischer in ihrer Mehrzahl auf das Überleben konzentriert. Innerhalb eines Jahrhunderts drohten fremde Mächte mit stählernen Dampfschiffen, mit Gewehren und Pistolen, unzähligen Maschinen und Soldaten, prahlten mit ihren Atlanten und Weltkugeln, die jeden freien Fleck unter den Kolonialherren aufgeteilt hatten. Was würden sie sehen, in dieser winzigen Inselgruppe auf ihren Karten? Ein weiteres Beuteland voller potentieller 'boys', mit einer veralteten, seltsamen Kultur, ohne Zivilisation und Religion, noch nicht mit der Weisheit des Westens erleuchtet? Oder würde es gelingen, sich schnell genug anzupassen, diesen gewaltigen Sprung in eine hochmoderne, technisierte, von fremden Werten und Anschauungen geprägte Gegenwart zu meistern, damit sie mit den fremden Bestien heulten, nicht deren nächste Mahlzeit wurden? Sie beherrschten ganze Kontinente. Selbst China mit dem Kaiserhaus wurde bedroht, Korea von ihnen belagert. Überall sammelten sie Auserwählte, die sie in ihren fernen Heimatstädten mit der 'richtigen' Hochkultur und den Errungenschaften einer 'erleuchteten' Gesellschaft konfrontierten. Damit die wieder in ihren eigenen Heimatländern von der Überlegenheit der Fremden berichten konnten, von ihren eisernen Dampfrössern, von Wagen ohne Ochsenantrieb, von elektrischer Beleuchtung und Aufzügen, Flugmaschinen und mächtigen Flotten. »Können wir es uns leisten, die schwachen Meiji nach Bürgerkrieg und der Ermordung ihrer charismatischen Anführer noch weiter zu diskreditieren, unser Land noch stärker zu destabilisieren?« Sollte er schweigen, für den Zusammenhalt gegen die Fremden plädieren, die hergebrachten Werte hochhalten, die von der fremden Kultur weggespült werden könnten, weil sie mit einer vermeintlich weniger entwickelten Geschichte verbunden wurden? »Wie werden wir leben, wenn wir die falsche Entscheidung treffen? Lässt man uns überhaupt entscheiden?« Kamatari unterbrach Katsuhiros düstere Gedanken, tippte ihm vor die Brust. "Ich habe nicht genug Zeit gehabt, um diese fremden Sprachen richtig zu verstehen. Ich kenne nur einige Lieder, Bücher aus dem versteckten Tempel beim Hiei und das, was man mir im Krankenhaus eingetrichtert hat. Es ist besser, du überprüfst selbst die Situation!" Stellte die 'Sängerin' klar. "Miko?!" Blökte unerwartet eine raue, unangenehme Stimme auf dem Korridor. Reflexartig trafen sich schwarze und haselnussbraune Augen. So rasch es ihm möglich war, sackte Kamatari auf die Knie, die Lippen ob des Schmerzes zusammengepresst. Er fand Halt an Katsuhiros Kimono, bevor er ihn rasch auseinander schlug, mit fliegenden Fingern das Suspensorium löste, dessen Penis in den Mund einführte. Der Maler keuchte, sammelte sich rasch, als die papiernen Schiebetüren auseinandergedrückt wurden, ihnen widerspenstig einige Sekunden Aufschub verschafften. Kamatari hatte die Fingerspitzen in seine Hüften gegraben. Die kniende Position musste ihn belasten. Der Mann mit den marineblauen Haaren entschloss sich, die Hände tief über die Schultern der 'Sängerin' gleiten zu lassen, bis er sie in die Achseln schieben konnte, die Hüften leicht nach hinten gezogen, damit sich der andere Mann an ihn anlehnen konnte, von seinem Zugriff gestützt wurde. Ein untersetzter, bulliger Typ mit fleischigen Wangen und wulstigen Lippen blockierte den Zugang, starrte auf das Paar, bevor er sich über den geschwollenen Mund leckte, eine obszöne Geste ausführte. "Hey, Miko, man verlangt nach der 'Sängerin', also sieh zu, dass du unseren Pinselschwinger schnell bedienst. Und du wirst dafür bezahlen! Das geht nicht aufs Haus, klar?!" Ein aufgeschwemmter, krummer Finger fixierte Katsuhiro. Ein Tritt gegen Kamataris Bein folgte. "Beiß ihm sein Würmchen nicht ab." Gefolgt von meckerndem Lachen watschelte der Mann davon. Unwillkürlich massierte Katsuhiro die verspannten Schultern des Mannes zu seinen Füßen, wisperte kaum hörbar. "Er ist weg, und sonst ist auch niemand da. Du kannst aufhören." Tatsächlich löste sich die aufreizende Wärme um sein Glied, streifte ein warmer Windhauch es ungeschützt, ließ ihn schauern. Kamatari starrte mit flammenden Blick nach oben, punktierte Katsuhiros Hüften stärker als notwendig mit spitzen Fingern. "Was denn, willst du bezahlen, ohne die Leistung einzufordern?! Nichts da!" Zischte die 'Sängerin'. In den Haselnussaugen loderten ungefiltert Hass und Verachtung, von denen der Maler inständig hoffte, dass sie nicht ihm persönlich, sondern den Umständen galten. Wie angekündigt fand er sich sofort wieder eng umschlossen. Zähne, Lippen, Zunge saugten, nagten, markierten, umschmeichelten, triezten seine Erektion, bis er jedes Geräusch unterdrückend die Schultern warnend packte, sich im Mund seines Partners entlud. Herzschläge verharrten sie wie gebannt. Kamatari zog sich zurück, spuckte in ein Taschentuch aus einer Ärmelfalte, zerkaute ein Blatt, das einem schmalen Beutelchen an seinem Obi entnommen worden war. Rasch bedeckte sich Katsuhiro, von Ärger und Selbstkritik erfüllt, weil er selbst so unbedacht agiert hatte. Jetzt war ihre Beziehung in ein Licht getaucht, das ihm nicht zusagte. Nach seinen eigenen Maximen ging es um den Austausch von Informationen zum Besten der Menschen, die erfuhren, was die Regierung ihnen vorenthalten wollte, um sie weiterhin so unmündig zu halten, wie es ihnen kommod erschien. Eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, die seine Informanten vorhielten, durfte nur im äußersten Notfall geschehen, um die Dekuvrierung zu vermeiden. Einen derartigen Dienst von dem jungen Mann abzufordern, dessen Schicksal ihn unerwünscht stark berührte: er hätte sich ohrfeigen mögen! Stattdessen half er Kamatari behutsam auf die Füße, reichte der 'Sängerin' den Stab. "Honda ist ein Idiot und vermutlich keiner der Spitzel der Meiji." Raunte der junge Mann, hastig kauend. "Er wird trotzdem dafür sorgen, dass du bezahlen musst. Der Kerl hat mich auf dem Kieker." Ein verächtliches Schnaufen. Katsuhiro nickte knapp, fand seinen Atem langsam wieder. "Danke für die Information. Ich werde mich umhören." Bevor er davoneilen konnte, fasste ihn Kamatari am Handgelenk, das Gesicht ernst und ermattet. "An wen hast du gedacht?" Der Maler zögerte einige Wimpernschläge. Ein schmerzliches Lächeln wischte fahl über seine angespannten Züge. "An meinen Bruder. Er ist unter die Wölfe gefallen. Ich konnte ihn nicht aufhalten." Kamataris aufmerksamer Blick streifte über Katsuhiros mitternächtlich gekleidete Gestalt, die Anstrengung, die es ihn kostete, sich aufrecht zu halten, seine Maskerade zu bewahren. "Ich hoffe, dass du ihn gesund und unversehrt wieder triffst." Lächelte die 'Sängerin' vorsichtig, drückte das schmale Handgelenk zum Abschied, bevor er Katsuhiro verließ. ~+~ Sanosuke fühlte sich nicht schwach oder unterlegen, von sich selbst enttäuscht, wie er zuvor vermutet hatte angesichts seiner Passivität, im Gegenteil: er lächelte in die Finsternis. Der Wolf hatte seine Aufmerksamkeit auf Sanosukes Torso verlagert, nagte am linken Brustmuskel, wo ihn die Herzschläge darunter vermutlich verzaubert hatten, während er gelegentlich auf die Halsschlagader an der entblößten Kehle streunte, mit der Zunge ihre Beschaffenheit erkundete, seine Reißzähne als Markierung des nächsten Zielpunkts eingrub. Dem Faustkämpfer blieb nichts, sich zu wehren. Wenn er es in Erwägung gezogen hätte. Seine Handgelenke von Wolfsklauen wurden in den Boden gepresst. Der nackte Mann kauerte auf seinen Hüften, weit nach vorn gebeugt. Erschütterungen und Hunger durchliefen den sehnigen Leib in animalischer Vehemenz. Etwas wich vom Muster der ersten Begegnung mit dem Wolf ab. Der ehemalige Sekihoutai verspürte Gewissheit, das richtige Urteil gefällt zu haben. Saitou hatte seine wahre Natur enthüllt, aber er versuchte nicht mehr, ihn mit Gewalt und emotionsloser Härte abzuschrecken. Er fügte ihm Wunden zu, fraß ihn, dennoch konnte Sanosuke nicht umhin, diese Gesten als Liebesbeweis zu entschlüsseln. Der Hunger, es handelte sich keineswegs um ein Nahrungsbedürfnis, beherrschte den gewöhnlich stoischen Mann in einem Maße, das selbst seinen jüngeren Herausforderer verblüffte. Es schien dem früheren Shinsengumi nicht möglich, seinen Leib auch nur Atemzüge lang sich selbst zu überlassen: stets ruhte eine Klaue auf der versehrten Haut, streifte ihn glühender Atem. »Warum zögert er, weiter zu gehen?« Wunderte sich der Faustkämpfer, nach den schwefligen Bernsteinaugen haschend. Sein schokoladenbrauner Blick blieb unbeantwortet, als fürchte der Ältere eine Konfrontation. Dass der Wolf im gegenwärtigen Stadium durchaus mit dem Konzept der Paarung, wollte man ihre intime Vereinigung derart kategorisieren, vertraut war, wusste Sanosuke. Konnte es sein, dass er geschont wurde, Saitou ihn nicht verletzen wollte? »Deine Rücksicht werde ich erst akzeptieren, wenn du mich als ebenbürtigen Partner anerkannt hast!« Stoben Funken der gewohnten Hitzigkeit in Sanosukes Temperament auf. Er hob die Hüften behutsam wenige Millimeter vom trockenen Grund, schmiegte sich an die nackten Genitalien des Älteren, sang sanft seine Melodie der Verführung, die ihre Wirkung auf den Wolf nicht verfehlen konnte. Der stutzte, starrte auf den jüngeren Mann hinab, entließ die linke Brustseite aus seinem blutigen Biss, knurrte warnend. Dumpfe Vibrationen, die sonor wanderten, auch in den eigenen Unterleib, mit dem der Faustkämpfer unerschrocken Kommunikation pflegte. In würdevoller Gelassenheit, die seine Macht demonstrieren sollte, erhob sich der Wolf, die Klauen in die Schultern seines Opfers gegraben. Das nutzte diesen Freiraum, führte eine Hand an den eigenen Mund, befeuchtete mit der Zunge die Fläche, bevor sie am sehnigen Körper des ehemaligen Shinsengumi entlangwanderte. Ihr Ziel fand, das fortzusetzen, was den biegsamen Hüften verwehrt worden war. Nun jedoch kundiger, nachdrücklicher. Der Wolf bleckte das Raubtiergebiss, die Lefzen hochziehend, entließ ein fauchendes Zischen. Sanosuke lächelte, antwortete mit einem zärtlich-spielerischen Schnurren. Seine Finger tanzten, massierten, lockten, schmeichelten, reizten, synchronisiert mit der Zunge, die die Lippen und Zähne bestrich, die Bernsteinaugen über sich in Bann zog. Wie ein Raubvogel stieß der Wolf hinab, drängte das starke Gebiss zwischen die Kiefer des Faustkämpfers, stahl sich die flinke Zunge, bevor er mit der eigenen den jüngeren Mann erkundete, jeden Zahn, jedes Fleckchen Haut des Gaumens. Gleichzeitig drückte er Sanosuke an den Schultern mit den Klauen in den Boden, warf sein gesamtes Gewicht in die Waagschale, um seine Beute zu fixieren, während er den Unterleib rhythmisch gegen den des Straßenkämpfers rieb. Sanosuke wand sich, stöhnte verlangend, wollte Zärtlichkeiten austauschen, nicht nur in animalischer Gier seinem Trieb gehorchen. Winselnd, summend, saugend bemühte er sich, Saitou zu überzeugen, sein orgiastisches Festmahl in die becircende Melodie zu lenken, die sie gegen alle Vernunft immer wieder zueinander führte. Der ältere Mann zog sich blitzartig zurück, lauschte auf etwas, während eine Klaue den Mund des Faustkämpfers versiegelte. Der mühte sich, auf die Ellen zu gelangen, um selbst zu ermitteln, ob den Wolf etwas aufgeschreckt haben könnte, etwas die lackschwarzen Strähnen fliegen ließ. Ein Schlag traf seine ohnehin verwundete Schädelseite. Saitou raffte ihn wie ein Bündel Lumpen, zerrte ihn tiefer in das Dickicht. Zweige, Blätter, Gräser, Dornen streiften Sanosukes ungeschützten Leib. Er wurde auf die Füße gestellt, eine Klaue deckte seine blutige Wunde in der Bauchdecke ab, bevor sich der großgewachsene, wilde Mann an ihn presste wie eine zweite Haut. Erschrocken stieß der Jüngere Atem aus, stützte sich an der rauen Baumrinde ab, bohrte die Fingernägel in die Borke. Saitous Atem wehte hitzig wie eine stete Flammenlohe über seine nackten Schultern. Unversehens lehnte er sich stärker in den Schwertkämpfer, schmiegte seine strohigen Strähnen in die Halsbeuge, die ein gutturales Knurren produzierte. Von den harten Beckenknochen in seinem muskulösen Hintern aufgespießt bewahrte ihn die freie Hand des Wolfs vor Hautabschürfungen an der Rinde, während sie gleichzeitig seine Erektion ummäntelte, sie mit dem Geschick des erfahrenen Mannes aushärtete. Mit einem erschöpften Lächeln der Zuneigung schloss Sanosuke die Augen und sang sein Liebeswerben für den Wolf. ~+~ Schemen wehten durch sein Bewusstsein, unerwünscht, zu zeitig. Der Wald, der Geruch, die Nacht, die Jagd. Das Prickeln von Gefahr und Herausforderung. Einsamkeit. Stärke. Selbstgewissheit. Ein Körper in seinem Zugriff. Beute... Nein.... kein stechender Geruch von Angst. Laute, die seinen Panzer durchdrangen. Hitze, Schweiß, poliertes Muskelspiel. Er knurrte bedrohlich. »Schweig! Unterwirf dich endlich!« ~+~ Der Faustkämpfer spürte die Anspannung des sehnigen Leibs, als handele es sich um seinen eigenen, hielt sich dazu an, die Ruhe zu bewahren, sich nicht verschrecken zu lassen. Saitou reagierte, wie es einem herausgeforderten Krieger und Wolf entsprach: er kämpfte bis zur Erschöpfung. »So lange halte ich mindestens durch!« Machte Sanosuke sich Mut. »Er wird sich müde rennen an mir. Dann bietet sich die Gelegenheit, durch den Nebel des animalischen Instinktes den Mann anzusprechen. Ihm zu beweisen, dass wir ebenbürtig sind, dass wir einander erfüllen können.« Er ächzte in seine sanften, wortlosen Hymne der Lust und Hingabe, als der Ältere seinen Leib erneut invahierte, seine Wirbelsäule bog, die Wellenkämme ihrer Leidenschaft sie in rapider Folge durchwanderten. Eine Klaue umschloss seine Erektion, beherrschend, diktierend. Der Jüngere ließ sich fallen, alle Barrieren sinken, agierte ebenso unberechenbar und zügellos, fauchte und knurrte, verlangte die Erfüllung seines Hungers, spannte Muskeln geschickt, um seine Forderungen zu unterstreichen. Kaum dass sie einander kurze Erleichterung verschafft hatten, ihre Atemzüge weniger flach flohen, sprengten sie auseinander, durch das Dickicht einander belauernd, Attacken wagend, Blattwerk und Äste zerschlagend, Finten, Kapriolen... Man entwischte um Haaresbreite dem Zugriff, lockte, knurrte, schleuderte eine Herausforderung guttural durch den nächtlichen Wald, erprobte das eigene Geschick auf dem schwierigen Gelände. Wieder gelang des dem Wolf, seinen Gegner zu Fall zu bringen. Er ließ einen Ast hervorschnellen, der Reflexe ansprach, die in Wimpernschlägen den Angriff verschleierten, der den Faustkämpfer an den Hüften zu Boden warf. Ineinander verkrallt rollten sie über Laub und Gras, von Wurzeln und Baumstämmen behindert wie in einem Labyrinth, bis ihre rotierende Irrbewegung zu einem Ende kam. Der Schwertkämpfer legte die kraftvollen Klauen um die Kehle des Jüngeren, während der an den Oberschenkeln seines Angreifers Gefallen gefunden hatte und sie emsig bestrich, für die tödliche Bedrohung seines Halses unempfänglich. Rasch las der Wolf die Handgelenke mit eisernem Griff von seinen Beinen, grub sie über Kopf des ehemaligen Sekihoutai in die weiche Erde, kauerte über ihm, die Bernsteinaugen in Schwefel glühend. Sanosuke grinste spitzbübisch, leckte sich provozierend die Lippen, keineswegs besiegt, während seine großen, schokoladenbraunen Augen, wie dem Wolf nicht entgehen konnte, zwischen dessen glühender Zwillingssonne und dem Unterleib wechselten. Die Versuchung bot mehr auf, als die Zurückhaltung und Disziplin des Mannes dem Wolf bedeuten konnte: in seiner eigenen Welt blieb kein Reiz unbeantwortet. Er senkte seinen Unterleib über dem erwartungsfreudig schneller atmenden Faustkämpfer hinab. Der begrüßte den alerten Paladin mit liebevollem Zungenschlag, neckte und zeichnete keuchend, bis er das Vertrauen erlangt hatte, das es beiden gestattete, eine intime Verbindung einzugehen, Saitou orale Befriedigung zu gewähren. Zu zeitig entschlüpfte der mit verharktem Raubtiergebiss der aufreizenden Falle, umspannte mit den langen Fingern und dem Handteller die Hüften des Straßenkämpfers, um sie auf seine Oberschenkel zu heben, die Fußknöchel auf seine Schultern, um unangekündigt in Sanosuke einzudringen. Dankbar für die Vorbereitung genoss der Jüngere mit anfeuerndem Intonieren seines Liebeszaubers den Austausch von Energie und Dynamik, ihre korrespondierende Leidenschaft und das beiderseitige Durchhaltevermögen. Winzige Sternsplitter des fernen Firmaments vor den flirrenden Augen realisierte Sanosuke ein Faktum, das ihn auflachen ließ: sie machten einander verrückt, weil sie verrückt nacheinander waren, nicht von einander lassen konnten. »Und ich will mehr, noch mehr, alles von dir, mein Wolf!« ~+~ Es dämmerte. Die Beschwerde seines Magens schreckte ihn aus den Tiefen traumlosen Schlafs. Orientierungslos seine Umgebung erkundend fand sich Sanosuke rasch flach auf dem Rücken wieder, an seiner Seite der Wolf, der mit einer Klaue über seiner Brust Besitzansprüche markierte. Ihn auf diese Weise so effektiv wie beschämend an einer Exkursion hinderte. Mit einiger Anstrengung erkannte der Faustkämpfer, dass sie in einer kleinen Senke lagerten, der Ältere Laub und Gras auf sie beide geschichtet hatte, um sie vor der Witterung zu schützen. Der Wolf lehnte auf seiner Elle. Die Schwefelaugen glühten durchdringend auf den Jüngeren hinab, ausdruckslos, unleserlich. Trotz der schmeichelhaften Fürsorge, Sanosuke registrierte seine Akzeptanz der besitzergreifenden Hand auf seinem Brustkorb, musste er sich trennen, wollte sein Magen nicht Alarm schreien ob der groben Vernachlässigung. Morgengrauen hin oder her. Ein sonores Grollen. Der Wolf langte hinter sich, rollte geschickt Blätter zusammen, schob sie in seinen Mund, kaute sorgfältig, stemmte sich hoch, um die Hände auf den Schultern des Faustkämpfers zu postieren. Er beugte sich hinab, dirigierte den mit Speichel versetzten Brei über die Lippen des Streithahns. Sanosuke zögerte nicht, dieses Geschenk einzulassen, zu kauen und zu schlucken. Was ihm zuvor unvorstellbar oder befremdlich erschienen war, das gestattete er ohne Scheu, weil der Wolf es ihm zugedachte. Nicht einmal dieses Eingeständnis der Auslieferung irritierte den Jüngeren. »Weil es wahrhaftig ist. Weil ER wahrhaftig ist.« ~+~ Die Morgendämmerung läutete gewöhnlich das Ende der Jagd, das Ende der Freiheit ein. Saitou begrüßte sie mit einem kalten Funkeln aus den Bernsteinaugen. Den jüngeren Mann in seinen Armen bergend fütterte er ihn mit der mageren Ausbeute seines solitären Streifzugs, als er sich endlich von seinem Gefährten lösen konnte. Mit jedem Lichtstrahl kehrte die unerwünschte Ratio des Mannes in das Bewusstsein des Wolfs, wurde aus einfachen Direktiven ein verschlungenes, komplexes Netz aus Abhängigkeiten und Erwägungen, die in Splittersekunden ihre Formation wechselten und dennoch ohne Fehl jongliert werden mussten. Der verwundete, ermattete Körper, der sich an seinen schmiegte, in einem langsamen, lasziven Rhythmus Funken aus ihrer Haut schlug.... Das zufriedene, harmonische Seufzen aus den aufgerissenen Lippen: zu viel bedeutete es! Ließ ihn schwanken zwischen verabscheuungswürdiger Flucht und eifersüchtiger Zärtlichkeit. Für den Wolf war die Entscheidung einfach: er wollte den Gefährten. Aber der Mann... Mit einem Knurren grub sich Saitou tiefer in die Erde ein, umschloss Sanosuke fest, der im Schlaf begehrlich stöhnte. ~+~ Den mehlig-stechenden Geschmack zerkauter Blätter auf der Zunge jagten winzige, beharrliche Störgewitter durch das Nervensystem des Faustkämpfers. Ein verärgertes Grollen gesellte sich dazu. Er wurde unvermittelt unter einer Achsel gepackt, auf die Füße gestellt, um schlaftrunken dirigiert zu werden. Allerdings wenig sanftmütig, sodass er wiederholt mit massiven Baumstämmen und dornenreichen Gebüschen kollidierte. Das Nadelspitzengetümmel wandelte sich zu einem Flächenbrand. Endlich gelang es Sanosuke, seine somnambulen Sinne aufzuwecken, sich in der frühen Morgensonne eilig zu betrachten. Ein Heer von Ameisen der tückischen Sorte hatte die Senke zu ihrem neuen Angriffspunkt gewählt und gleich damit begonnen, die derzeitigen Bewohner unter Feuer zu nehmen. Im wahrsten Sinne des Wortes, da jeder winzige Biss entsprechend brannte. Ohne weitere Vorankündigung stieß ihn der Wolf eine Böschung hinab, wo das muntere Gurgeln Wasser enttarnte. Der Faustkämpfer stolperte von den Fliehkräften unterstützt hinab, schlug auf das Wasser auf. Der Bach war stärker als die sommerlichen Rinnsale, sein Bett tief. So wirbelte der junge Mann umher, bis er festen Stand fand, wieder an die Oberfläche brach. Saitou agierte ein wenig entfernt in einer merkwürdigen Metamorphose zwischen Wolf und Mann: er schüttelte sich zunächst wild und vehement, knurrend und fauchend, bevor er sich aufrichtete, mit den Händen über die sehnigen Glieder streifte, um die zahllosen, anhänglichen Widersacher zu ertränken. Sanosuke lächelte über den Zwiespalt, der so ungewohnt anmutete angesichts der stoischen Selbstsicherheit des Polizisten. Er ließ sich wieder ins Wasser gleiten, genoss das prickelnde, machtvolle Liebkosen abertausender Tropfen. Er spürte durchaus die Anstrengungen der vergangenen Nacht. Die Anspannung verlor sich langsam, machte den Weg für die zärtliche Wärme frei, die in erschöpftem Zustand sein Bewusstsein bevölkerte. So leidenschaftlich sie einander begehrten, so gelassen und seelenruhig konnte er den älteren Mann studieren, diesen Augenblick festhalten, als solle er nie vergehen. »So friedlich, so unkompliziert.« Der frühere Shinsengumi hielt sich offenkundig nicht mit müßiger Kontemplation auf. Er trat heran, inspizierte den jüngeren Gefährten mit den schwefelnden Augen und begann, eine gründlichere Nachbesserung auszuführen. Die strohig abstehenden, verfilzten Strähnen des Hahnenkamms zu durchpflügen, um die unerwünschten Ameisenbesatzer zu vertreiben, den gesamten Körper zu drehen und zu wenden, mit geschickten Klauen von der anhänglichen Last zu befreien. Der Faustkämpfer bewahrte seine passive Haltung, gestattete diese Freiheit, um hier und da auszubrechen, einzutauchen und seine durstige Kehle zu stillen. Mit jedem Schluck steigerte sich sein Bedürfnis, es schien, als wohne dem Wasser selbst eine zauberische Droge inne, die ihn in ihren Bann schlug, versklavte, ein unerklärliches Verlangen schürte. Bevor er sich in seiner Geistesverwirrung ertränken konnte, lenkte der Wolf die animalische Begierde in die richtigen Bahnen, indem er den schlanken, braungebrannten Körper umfing und Sanosuke hart küsste. Eine Mahnung, ein Besitzanspruch, ein Anker in der tosenden See, eine Höhle im gleißenden Licht. Sich festklammernd erwiderte der Jüngere die Gunstbezeugung mit aller Kraft und Hingabe, stöhnte unterdrückt, um seiner Qual eine Stimme zu verleihen. Er warb um seine Erlösung, die nur Saitou gewähren konnte. Der presste den unerschrockenen Streithahn an sich, brachte ihn zu Fall, gab ihn keinen Wimpernschlag frei, als das Wasser spritzend neben ihnen hochschlug. Er blies seinen Atem in den bedürftigen Mund, rieb seinen sehnigen, kraftvollen Leib gegen den biegsamen Körper, bot den suchenden Händen auf seinem Rücken Halt. »Meins!« Proklamierten seine Sinne, als er ihre alerten Erektionen in Kontakt brachte. »Meins!« Grollte sein Bewusstsein, als der Faustkämpfer die Beine spreizte, ihn lockte. »Meins!« Schnurrte sein Unterleib, als er die Klauen einsetzte, den Gefährten zu präparieren. »Meins!« Fauchte sein wehender Atem, als er in erstickendem Kuss sein forsches Eindringen verkleidete. »Meins!« Flackerte die scharfe Sicht vor seinen Wolfsaugen, als Sanosuke sein einzigartiges Liebeswerben intonierte. »Meins! Meins! Meins! Meins! Meins! Meins!« »Jeder Stoß, jeder Herzschlag, jeder Atemzug, alles bist du. Mein Licht in der Finsternis, mein Wirbelsturm aus Gefühl und Leidenschaft.« ~+~ Kapitel 16 - Der Wolf und der Streithahn »Wie ungewöhnlich und vertraut zugleich...« Auf einem Grashalm kauend studierte Sanosuke die sich träge wiegenden Baumkronen, von hitziger, bedrückender Sommerluft getrocknet. Während sein Rücken auf grasiger Uferböschung lagerte, befand er sich jenseits der Taille noch im sprudelnden Nass, verlor das Vergnügen daran nicht. Heiß und kalt, trocken und feucht. Wolf und Streithahn. Der ruhte neben ihm, die Augen geschlossen, halb verborgen unter den schweren, lackschwarzen Strähnen, die von ihrer rigorosen Ölschicht befreit das aparte Gesicht umzingelten, ihm eine mitternächtliche Korona verliehen. Saitou schlief, ihm zugewandt, auf der Seite liegend, einen Arm um seine Hüfte geschlungen. Sanosuke lächelte, als er die rare Gelegenheit nutzte, einige Strähnen sehr vorsichtig aus dem gewöhnlich verbotenen Gebiet zu wischen, die Züge des Wolfs zu studieren. Wenn er den älteren Mann zuvor gesehen hatte, beherrschten die zwingenden Augen jedes Bild, formten ihn zu einem Eindruck, weniger einem Ensemble unterschiedlichster Ausprägungen, dem sinnlichen Schwung der dünnen Lippen, wenn sie entspannt waren und kein bitterer Scherz sie mokierend kräuselte, das energische Kinn ohne Narben, eine lange, niemals gebrochene, elegante Nase, prägnante Wangenknochen, hoch und exotisch in ihrer Kombination mit den tiefliegenden, mandelförmigen Augen unter pfeilgeraden Brauen. Unversehens, als hätten seine Finger ein Eigenleben entwickelt, liebkoste er sehr sanft, wie Schmetterlingsflügel flüchtig, die straffe Haut, von dem überwältigenden Wunsch gefangen, seine überquellende Liebe zu manifestieren. Einen Ausdruck zu finden, der sich fehlerlos übermittelte, ohne Worte auskam, die doch immer wieder zerstörten statt verbanden. Derartig verzaubert von seinem Engagement in diese Botschaft übersah der Faustkämpfer eine geraume Weile, dass ihn ein schwefliges Auge wachsam musterte. Um blitzartig mit einem herausfordernden Bellen den jüngeren Mann von sich zu schleudern, mit einer gewaltigen Spritzwasserfontäne zu versenken. Als der prustend, sich schüttelnd, an die Tagesoberfläche zurückkehrte, bleckte der Wolf die Fänge, sein Äquivalent eines Lächelns, tobte erneut in wieselflinkem Geschick durch den verwaisten Wald, einen eifrigen Jäger auf seinen Fersen. ~+~ Wie zuvor belauerten sie einander, spielerisch nun, weniger aggressiv. Darauf bedacht, sich zu beschleichen, zu überrumpeln, einander einzufangen, um gleich wieder ein Entschlüpfen zu gewähren. Wie ein kindliches Haschmich, unbeschwert, die Augen mit tanzenden Funken ursprünglichster Begeisterung erfüllt. Der Mittag näherte sich in nahezu unbewegter Luft, legte sich beschwerlich auf die Gemüter, lähmte das muntere Treiben. Er hieß beide Männer, eine Ruhepause einzulegen, als sie nach Essbarem fahndeten, das der Wald kaum bot. Sanosuke umschlang unerwartet den Schwertkämpfer, stahl sich einen Kuss, der Jagd müde. Saitou dagegen schien von einer gewissen Rastlosigkeit befallen, streifte den Jüngeren ab, wanderte solitär durch das Dickicht, ziellos, stets in Bewegung, als könne eine Pause unerwünschte Wirkung auf ihn zeigen. Der ehemalige Sekihoutai folgte notgedrungen, wollte er sich nicht allein verirren in dem urwüchsigen Labyrinth. Mit steigender Zeitdauer spürte er seine Ungeduld sich mit der Ruhelosigkeit des Gefährten ins Unerträgliche potenzieren, sodass er mit enerviertem Fauchen den Wolf ansprang und zu Boden riss, kreiselnd einen Vorteil suchte, eine Entscheidung herbeizwingen wollte, die der seltsamen Zerstreutheit des Anderen ein Ende bereiten konnte. Weit gefächertes, knorriges Wurzelwerk hinderte ihren Zweikampf. Saitou glitt auf die Knie, entzog sich dem Zugriff. Sanosuke warf sich mit konzentrierter Anstrengung nach vorne über den älteren Mann, von animalischem Instinkt angeleitet, die Zähne in dessen Nacken zu graben. Ein Ächzen später versuchte der Polizist, den Aggressor abzuschütteln, woraufhin der Faustkämpfer den Druck seiner Kiefer verstärkte, Knochen und Muskeln zu zermalmen drohte. Saitou verharrte, auf allen Vieren, paralysiert. ~+~ Vorsichtig gab Sanosuke die Arme des Wolfs frei, streichelte über die nackte, verklebte Brust des älteren Mannes, balancierte sein Gewicht aus, immer darauf bedacht, seinen Biss in den kräftigen Nacken nicht zu vernachlässigen. Diese seltene Gelegenheit musste genutzt werden, da sich der allmächtige, nahezu unbesiegbare Satiou in seiner Gewalt befand. Er schmiegte sich noch enger an den knienden Mann, liebkoste jedes erreichbare Glied, während er heftig Luft durch die Nase einzog und entließ, die schweren, lackschwarzen Strähnen des Polizisten durchwehte. Seine Rechte lösend tastete er sich langsam über die muskulöse Brustpartie zum Schlüsselbein, an ihm entlang zur Kehle über das willensstarke Kinn zu den dünnen Lippen, die sein Daumen becircend nachzog, behutsam massierte, von seinem langsamen, wellenförmigen Reiben an der vertrauten Gestalt begleitet. Der Ältere gab nach, öffnete den Mund, leckte über die ihm angebotenen Finger. Sanosuke wagte es, sie hinter die scharfen Reihen des Raubtiergebisses einzuführen, bevor der Wolf an ihnen saugte, von der Wurzel bis zur Nagelspitze, mit der Zunge ziselisiert, gegen den Gaumen gedrückt. Sanosuke keuchte härter, musste sich mahnen, nicht den Nacken fahren zu lassen. Er entzog sich endlich, von Speichel benetzt, der gefährlichen Reichweite der Reißzähne, um zwischen Saitous Beine zu greifen, dort seine Fingerfertigkeit unter Beweis zu stellen. Der grollte und knurrte in sonoren Tiefen, die ihre angeschmiegten Körper vibrierend durchliefen, bekundete seine Zustimmung dieser Behandlung. Berauscht von seiner unerwarteten Machtposition hieß Sanosuke die andere Hand ebenso gründlich benetzen, liebkosen, erkunden, um mit ihr seine Zuwendung spiegelgleich auch sich selbst zu gönnen, da der Wolf allein ihr gemeinsames Gewicht zu tragen hatte. Bald genügte es nicht mehr, in aufreizendem Geschick, sich und den Partner manuell zu bedienen: es musste ihrem gesteigerten Lusttrieb ein anderes Ventil zugewiesen werden. Einen Herzschlag zögernd, sich Mut zusprechend, wählte der Straßenkämpfer die Option, die sich am augenfälligsten und verunsichersten bot. Den Druck seiner Zähne verstärkt dirigierte er seinen Penis, den analen Zugang zu streifen, um Saitous unwillkürliche Reaktion zu erkunden. Der wich nicht wich, protestierte nicht, knurrte nicht. Mit einem entschlossenen Stoß überwand Sanosuke tollkühn den Abgrund, der sie trennte. ~+~ Zum ersten Mal erkannte der Faustkämpfer den berauschenden Sog der Macht, die er ausüben konnte. Wwie erschöpfend es sich ausnahm, diesem Lockruf zu widerstehen. Den älteren Mann in seinem Zugriff auf mehr als eine Weise stimulierend konnte er ihm durch seine Gnade Erlösung gewähren oder sie grausam verweigern, sich an ihm gütlich tun in blindwütiger Raserei, blutig rennen. Oder aber in seine Gesten und Liebkosungen verweben, was ihn bewegte. Für den initiierenden Kontakt wählte seine Libido das primäre Reduzieren des Drucks, der sich in ihnen beiden bis zur Unerträglichkeit gesteigert hatte: ein sich rasch synchronisierendes Muskelspiel beider Körper, die gewaltige Energien umsetzten, als seien sie tatsächlich miteinander seit Ewigkeiten verzahnt. Wenn er mehr Zeit zur Besinnung gehabt hätte, flackerte es für Wimpernschläge in Sanosukes Bewusstsein auf, hätte er sich gefürchtet, zu ungeschickt, zu unerfahren, zu verletzend zu agieren. Wirbelstürme ungeduldiger Hormone zerstoben explodierend in seinen Nervenbahnen, ersparten ihm die Sorge. Er spürte in ihrer intimen Verbindung den rasenden Pulsschlag, das Herz, das seinem Gesellschaft leistete, so verschweißt klebten ihre Körper aneinander, die Wellen von sexuellen Spasmen, die Saitous Orgasmus vorauseilten, bevor er die glühende Entladung in seinem Handteller auffing und sich, obgleich nicht erleichtert, mit einem tiefen Atemzug löste. Die Lust getränkten Wolken in seinem Kopf kondensieren ließ, sich zurückzog, den Schwertkämpfer behutsam an den Hüften auf den Rücken drehte, um sie, dessen Beine auseinander drängend, auf seine Oberschenkel zu ziehen. Er beugte sich tief über den Älteren, der mit geschlossenen Augen verstand und assistierte, erneut invahiert wurde, mit langsamen, runden Stoßbewegungen, von glühenden Atemböen bestrichen, die seine beperlte Haut trockneten. Der Faustkämpfer hob eine stützende Hand vom Boden, die sein Gewicht ausbalancieren sollte, streichelte lange, lackschwarze Strähnen aus dem geröteten Gesicht, versank in der Betrachtung der vertrauten Züge. »So verwundbar und menschlich...« Nicht länger der Wolf, die bedrohliche Bestie. Nein, unter ihm wand sich mit gutturalem Stöhnen aufbäumend, an ihm festklammernd, ein Mann, der schwitzte, der die Zähne nicht mehr bleckte wie ein Tier, dessen Bernsteinaugen vor Lust und voller Fragen dunkel schimmerten. Sanosuke stutzte, von seiner eigenen Beobachtung überrumpelt. »Fragen?« Aber genau das waren sie, über den eingefärbten, hohen Wangenknochen, unterhalb der starken, dünnen Augenbrauen, intoniert von den benetzten Lippen, die entspannt nur Luft passieren ließen. Er kontrollierte seine Bewegungen entschlossen, liebkoste eine Wange, kämmte lange Strähnen aus dem geliebten Gesicht und lächelte atemlos. »Hab keine Angst, ich werde dein Vertrauen nicht verraten. Lass dich fallen, ich beschütze dich.« Ohne den kraftvollen Austausch pumpender Energien zu unterbrechen, bog er sein geschmeidiges Rückgrat bis zur Schmerzgrenze, um die Lippen des Wolfs mit seinen eigenen zu versiegeln, einen Kuss zu schenken. Bar jeder Gier, angefüllt mit Verehrung, Hingabe und Liebe. ~+~ Es war befremdlich, in den Armen gehalten zu werden, einen Körper wie einen Schutzschild um den eigenen zu spüren. Eine Aura voller Entschlossenheit, ihn zu bewahren, sein Wohlergehen zum Zentrum zu machen, umfing ihn in nahezu erschreckender Eindringlichkeit. Atem wischte bedeutsam über sein Gesicht. Weiche Lippen erhitzten zärtlich seinen Mund. Schokoladenbraune Augen glitzerten verführend, neckend und intensiv zugleich direkt vor seinen eigenen, bildeten gewaltige Horizonte. Der Streithahn. Sano. Saitou starrte unbeweglich in das attraktive, lebendige Gesicht. Der Wolf zog sich in die Eisregionen seiner Seele zurück. ~+~ Trotz nicht zu verhehlender Ermattung konnte sich der Faustkämpfer keine Zurückhaltung auferlegen. In ihm brodelte und prickelte es, als beherberge er selbst einen gesamten Volksstamm der Ameisen, denen sie entkommen waren. Sie summten und flitzten, krabbelten und kletterten eifrig in seinem Innersten umher, nicht in der Lage, auch nur einen Augenblick andächtig in Ruhe zu verharren. Wie Lichtfunken tanzte es beschwingt, nahezu trunken, in seinem Bewusstsein: Freude, Überraschung, Dankbarkeit... Liebe. Sich streckend rieb er die eigene Nasenspitze an der des Älteren, hauchte einen lockenden Kuss auf die dünnen, leicht geteilten Lippen, bevor er den Polizisten geschwind auf den Rücken drehte, sich rittlings auf dessen Hüften einrichtete und einem Hund gleich von Kinn bis zum Haaransatz der Stirn die Zunge breit über dessen Gesicht zog. Ganze zwei Reinigungs- oder Affektionsbekundungen später knurrte der Wolf schließlich warnend. Mit einem spitzbübischen Zwinkern stützte Sanosuke einen Ellenbogen auf, um sich darauf zu verlegen, mit den Fingerspitzen die Züge seines Liebhabers nachzuzeichnen, die gestrengen Brauen, die markanten Wangenknochen, den Haaransatz an den Schläfen, das Nasenbein bis zur Spitze, die Umrisse des schmalen, sonst so mokierend zuckenden Mundes, das willensstarke Kinn. Je mehr er in der Betrachtung des älteren Mannes versank, umso stärker legte sich die Faszination eines kostbaren, einzigartigen Kunstwerks auf ihn. Seine Augen konnten sich nicht satt sehen an der Perfektion, die diesen, von ihm so sehr geliebten Menschen in eine Form goss. Die alles verkündete, was man zu wissen benötigte, wenn man nur die Botschaften zu entschlüsseln verstand. Seine Fingerspitzen wurden nicht müde, die Pfade erneut zu verfolgen, während er selbstvergessen in sanften, minimalen Bewegungen seinen Leib an den des Polizisten schmiegte. Er wählte endlich die lackschwarzen Strähnen zum Ziel, deren strikte Verbannung hinter die Ohren gezähmt durch das Haaröl aufgehoben war, die nun frei um das aparte Gesicht schmeichelten, überraschend lang, dicht und glänzend wie Pech. Der Faustkämpfer wusste nicht, dass er verzaubert lächelte, erfüllt von Bewunderung für diesen gemeinsamen Augenblick. Die Teilhabe an etwas besonderem, ihm sehr wertvollen. Saitou konnte dies nicht entgehen. Er las in den schokoladenbraunen Augen klare Botschaften, konnte sein eigenes Spiegelbild erkennen, das er nur selten konsultierte. Das sich von den Zwängen befreit jünger, kulanter, zugänglicher zeigte, die schützende Wehr der Aggression und des Selbstbewusstseins abstreifte. Es war nicht notwendig, zu kämpfen, zu dominieren, allwissend zu sein. Hier galt es nicht, einen Sieg zu erringen. Natürlich war diese Idylle nicht von langer Dauer. Mit einem mentalen Ruck zwang er den Mann in das Refugium zurück, grollte leise, geleitete den Wolf an die Oberfläche. Der mit einem eleganten, mühelosen Hüftschwung ihre Positionen umkehrte, den Straßenkämpfer über das Besetzen seiner Oberschenkel am Boden hielt, sehr langsam und gründlich den Torso des Jüngeren erkundete, jede Narbe bestrich, mit der Zunge erforschte, markierte, jede neue Wunde, die er in Wut oder Lusttrieb hinzugefügt hatte, ebenso zärtlich behandelte. Eine Landkarte schuf, die die Biographie seines ungestümen, unerschrockenen Liebhabers darstellte. Es waren nicht wenige Spuren, die die Zeit und das eigentümliche Leben hinterlassen hatten, nicht zuletzt auch seine eigenen, die er untrüglich erkannte. Er senkte den Kopf. Seine schweren Strähnen strichen über die sonnenverwöhnte Haut, als er die tiefe Verletzung in der Bauchdecke mit Küssen benetzte, das erregte Pulsieren einer Hauptschlagader an seinen Lippen spürte. Hatte der Wolf das Ki seines Herausforderers vollkommen verschlingen wollen? Deshalb das Zentrum attackiert, seine Reißzähne tief in das Fleisch gegraben? Mit gepressten Atemzügen rätselte er den eigenen, instinktiven Motiven nach, ignorierte die Schauer, die er erzeugte. Bis die Hände, die über seinen Kopf glitten, seine Haare durchstreiften, seinen Nacken spielerisch kraulten, ihn sehr vorsichtig wieder Richtung Norden zu dirigieren suchten. Ein Handgelenk eingefangen pflückte der Wolf es aus seiner Mähne, leckte über die Finger, die Handfläche, küsste die schwieligen, mehrfach gebrochenen, Narben starrenden Knochen, bevor er die eigenen Finger mit denen des Jüngeren verflocht und die zweite Hand in Angriff nahm. Er legte beide nun verbundenen Arme leicht angewinkelt neben ihren Köpfen ab, streckte sich auf dem Faustkämpfer aus, drängte ein Bein zwischen die des anderen, versenkte seinen Schwefelblick in schokoladenbraune Untiefen. Vergeblich fahndete er nach Erstaunen oder unterschwelliger Enttäuschung, da er sich als sterbliches, verwundbares Wesen entpuppt hatte. Den Schleier seines mysteriösen Charakters gelüftet hatte, zumindest hinsichtlich körperlicher Aspekte. Sanosuke lächelte auf seine werbende, unbekümmerte und zugleich unverbrämt liebevolle Art, zwinkerte, bevor er die Lider herabließ, den Kopf ein wenig zur Seite neigte, sich dem Schlaf anvertraute. Einige Herzschläge später schmiegten sich lackschwarze, glatte Strähnen und eine knochige Wange an seine eigene. Saitou vertraute sich seiner Fürsorge an. ~+~ Die hereinbrechende Nacht weckte sie mit leidlich erfrischenden Böen, die vereinzelt die dürren, trockenen Blätter rasseln hießen. Der ehemalige Shinsengumi kam geschmeidig auf die Knie, wischte mit beiden aufgefächerten Händen seine lackschwarzen Strähnen bis auf vier besonders insistente Ausreißer aus dem Gesicht, kontrollierte wachsam ihre Umgebung. Unter ihm lag abwartend, gelassen, der Faustkämpfer, studierte seinen älteren Partner. Wenngleich auch keine Gefahr drohte, die sich aushärtenden Gesichtszüge und die steife Eleganz, die langsam in die Glieder des Wolfs von Mibu kroch, signalisierten deutlich, dass nun der Mann an die erste Stelle trat. Der gefürchtetste Schwertkämpfer im Dienste der Meiji. Saitou erhob sich, fasste das linke Handgelenk des Faustkämpfers, zog ihn ohne Geräusche durch den sich rasch verfinsternden Wald. Sanosuke folgte artig, allerdings weniger lautlos und geschmeidig. Er musste sich anstrengen, in der einbrechenden Dunkelheit seinen Weg durch das tückische Dickicht zu erkennen. Gedämpftes Murmeln kündigte ihre Einkehr beim tiefen Fluss an. In der Tat stieg der Polizist behände die kleine Böschung hinab, zog den Partner mit sich, um ihn im Wasser selbst zu entlassen, sich gründlichst abzureiben, immer wieder mit beiden Händen Wasser schöpfend und über seinen Körper gießend. Stiche in nicht gerade moderater Ausprägung bearbeiteten das Herz des Faustkämpfers, der stumm und starr dieser Prozedur zusah, bis er die Aufmerksamkeit des älteren Mannes auf sich gerichtet fand. "Wasch dich." Folgte die klare, raue Anweisung. Es waren die ersten Worte, die sie seit dem Verschwinden des Wolfs in diesem Wald wechselten. Wie stets schienen Worte zu Waffen zu werden, wenn sie einander gegenüberstanden. Auch dieses Mal kostete es Sanosuke einige Anläufe, die Contenance zu wahren, seine Empfindungen zu transportieren. "Nein." Er hob eine Hand, bevor man ihm trotzige Verweigerung vorwerfen mochte. "Ich will dich nicht von mir tilgen. Ich will nicht vergessen." Ein Lächeln huschte, im Zwielicht fast unbemerkt vergehend, über das Gesicht des Wolfs, als er eine Hand ausstreckte, durch die filzig-struppige Mähne des Jüngeren strich. "Dummer Gockel." Die sonore Stimme tadelte zärtlich. "Wir riechen wie wilde Tiere und wir sehen auch danach aus. Das ist niemandem zuzumuten." Die Arme vor der Brust verschränkend schmollte Sanosuke offensiv. "Was interessieren mich andere? Ich mag es, wie du riechst, ich mag, wie du schmeckst und wie du aussiehst. Ich will mich nicht waschen!" Mit einem Zungenschnalzen zog der Polizist den Faustkämpfer heran, hielt ihn um die Taille eng an sich geschmiegt, während er mit der freien Hand Wasser schöpfte und persönlich für eine angemessenere Erscheinung seines Begleiters sorgte. Ausreichend erfrischt und nahezu zivilisiert führte der Wolf sie vom Fluss aus über verschlungene Pfade durch die Dunkelheit, bis sie eine verborgene Senke erreichten, wo sich unter tarnendem Gebüsch und Geäst säuberlich verschnürt ihre Bekleidung fand. Sanosuke seufzte innerlich, während er in Suspensorium, Hose und Jacke schlüpfte, den Liebhaber bei dessen Verwandlung beobachtete. Mit jeder weiteren Schicht verlor sich die ungezähmte, unkomplizierte Wildheit des Wolfs, kehrte die verschlagene, überlebenskluge, arrogante, selbstgewisse Mann-Bestie zurück. Die Mundwinkel zuckten in gewohnter Verachtung. Die behandschuhten Finger tasteten sogleich nach dem komplettierenden Gift der menschlichen Gesellschaft, der Zigarette, deren übelriechendes Aroma in Kürze den Älteren wieder umfangen würde. »Ich möchte die Zeit anhalten!« Wünschte sich der frühere Sekihoutai halb verärgert, halb verletzt. Würde alles verschwinden, was sich zwischen ihnen offenbart hatte? Saitou erweckte den Anschein, solcherart müßiger Gedanken nicht einmal einen flüchtigen Blick zu gewähren. Er entrollte Bandagen, um sie eigenhändig zu befestigen, die gefährlichsten Wunden abzudecken. "Wir müssen noch nicht gehen." Hielt der Straßenkämpfer ihm vor, strengte sich vergeblich an, einen gewissen nörgelndem Unterton zu unterdrücken. "Doch, das müssen wir." Widersprach der ehemalige Shinsengumi beherrscht. "Auf dich warten Hanako und deine Freunde, auf mich wartet meine Arbeit." "Und dann?!" Blaffte Sanosuke streitlustig zurück, die Fäuste geballt. "Jagst du mich wieder, verspottest mich und ignorierst mich?! Alles wieder beim Alten, die Fronten wie gewohnt?! Oder willst du mich heimlich wie eine Hure halten, ein bisschen schmutziges Spielen mit dem Gossengör?!" In den Wolfsaugen glühte der Bernstein. Allein die Disziplin hinderte die durch Erschöpfung angegriffene Geduldsspanne des Älteren, dieser Provokation eine angemessene Antwort zu geben. "Es ist doch so, nicht wahr?!" In Sanosukes aufgebrachtes, sich steigerndes Gebrüll mischte sich seine unterdrückte Verzweiflung. "Es gibt keine Möglichkeit, dass du jemals auch nur erwägen könntest, mit mir zu leben! Ich bin nur Dreck, ein dummer Gammler und Gauner, mit dem du dir Erleichterung verschaffst!" Abgewandt hielt der Wolf auf das lichter werdende Blattwerk zu, das aus dem Wald hinausführte. Schritte hinter ihm, glühender Atem in seinem Nacken, eine kraftvolle Hand, die ihn am Oberarm packte, herumwirbelte. Was er gestattete. "Wag es nicht, mich stehen zu lassen, Hajime Saitou!" Fauchte der Streithahn mit blitzenden, tiefschwarz gefärbten Augen, die Brauen in stürmischem Zorn erbost zusammengezogen, bereit, eine Schlägerei zu inszenieren. Saitou verspürte eine lähmende Müdigkeit, die ihn wie Mehltau befiel, einhergehend mit einer profunden Unduldsamkeit gegenüber lächerlich anmutenden Schwierigkeiten. Hatte er nicht selbst, da er sich geschworen hatte, keiner Selbsttäuschung nachzugeben, seine Situation in verschiedene Richtungen skizziert, die schiere Aussichtslosigkeit einer Beziehung zu einem männlichen, jüngeren, attraktiven Ex-Gangster erkannt? Addierend dazu seine eigene Vergangenheit und Lebensumstände, die jede Art von Liäson zu einem Va-Banque-Spiel mit größtem Risiko gestaltete? Aus diesem gordischen Knotenpunkt sämtlicher, vorstellbarer Komplikationen konnte man keine Führungslinie herausfädeln, die sicher zu einem glücklichen Ende führte. Warum dieser lautstarke Protest, warum nutzlose Vorwürfe?! Sanosuke betrachtete es augenscheinlich nicht aus demselben Blickwinkel. Oder dessen Einschätzung war eine andere. Er glitt Saitou gegenüber in eine Angriffsposition, vorgebeugt, die Schultern angespannt, bereit loszuschlagen. Was er auch tat, mit aller Kraft, mit jedem Quäntchen Frustration und unterdrückter Angst, das er mobilisieren konnte. Ein Hagel mit Faust und Fuß beregnete den älteren Mann. Der frühere Shinsengumi las in seinem Liebhaber, blendete die Antwort aus. Der zügellose Ausbruch war vergeblich. Nicht lange, und seine Geduld war aufgezehrt, lange vor dem absoluten Verschleiß der Ressourcen seines Gegenüber. Der Wolf nutzte die Lücke in der Wachsamkeit des Mannes, kehrte aus seinem Exil zurück, überraschte beide, indem er urplötzlich attackierte, den Faustkämpfer mit einer Finte täuschte, dessen falsche Drehbewegung nutzte, um ihn an Schulter und Handgelenk zu packen und mit Wucht gegen einen Baum zu schleudern. Während Sanosuke Atem einzog, war der Wolf bereits über ihm, hinter ihm, löste mit fliegenden Fingern und dem Geschick eines Taschenspielers Bänder, beförderte unter Einsatz von Knie und Fuß Suspensorium und Hose auf den Boden. Bevor er sich selbst von hinderlichen Stoffschichten befreite, die Hände aufgefächert über die Lenden des Streithahns gleiten ließ, sich an den erschauernden Körper presste, allein durch den Druck seines Leibs die Machtposition hielt. Ein weiterer, rascher Griff zwischen die Beine des Jüngeren, während die andere Hand das Eindringen geleitete. Sanosuke stöhnte hilflos, in Erwartung seiner Penetration. Der Wolf raunte seinen von kehligen Ur-Lauten begleiteten Hunger in hitzigen Atemzügen über die braungebrannten Schultern, verleitete den Faustkämpfer dazu, in instinktiver Entspannung, da der Druck zu schmerzhaft wurde, ein wenig in die Knie zu gehen. Er nutzte diese Reaktion, mit einem harten Rammstoß bis zum Ansatzpunkt den Geliebten aufzuspießen. Sanosukes Aufschrei gellte durch die Nacht, fror ihre erstarrten Leiber fest, bis Herzschlag und Atmung ihren Tribut einforderten. Saitou bewegte sich mit finsterer Entschlossenheit, entlud all die verzweifelte Energie, all seine Wut auf die scheinbare Ausweglosigkeit ihrer Lage, offerierte gleichsam dem jüngeren Partner ein Ventil, mit gleicher Gewalt gegenzuhalten, mittels Muskelkontraktion diese harsche Beiwohnung zu kommentieren. Die Fingernägel in die Borke getrieben beschäftigte Sanosuke Beine und Torso bis über Schmerzgrenzen hinaus, ein Kräftemessen, das ihre gegenseitige Wut kommunizierte. Hier tauschte man keine Zärtlichkeit, kein Vertrauen, keine Zuversicht. Es ging nun allein um Erlösung, Erleichterung. Ballast für einige Augenblicke abschütteln zu können, so, wie sie sich in knapper Zeitspanne nacheinander stöhnend und fauchend entluden. Hastige Herzschläge folgten einander für eine geraume Zeit, der Ältere an den Jüngeren geschmiegt, die sehnigen Arme um dessen Schultern und Brust geschlungen, als wolle er mit ihm verschmelzen, auf eine sehr viel angenehmere, intimere Art als den bloßen Geschlechtsakt. Die Zähne aufeinander gebissen zitterte Sanosuke zu seiner Verlegenheit. Ein ganzkörperlicher Schauerregen, der nicht enden wollte. Jeder Bemühung, diese blamable, unerklärliche Schwäche zu verbergen ereilte eine vernichtende Niederlage. Er wurde entlassen. Zunächst fielen die Arme leblos an seinen Seiten hinab, akkompagniert von dem Verlust der vertrauten Wärme und dem Hautkontakt an seinem Rücken, als der Wolf einen Schritt zurücktrat, in die Knie ging, um vorsichtig und ohne Worte Suspensorium und Hose wieder an ihren zugestandenen Platz zu führen, sich aufrichtete, gesenkten Kopfes verharrte. Der Faustkämpfer, der einen Blick über die Schulter riskierte, kehrte sich um, starrte auf bloße Fingerspitzen, die eine rostrote Spur aufwiesen. Als er den Kopf anhob, begegnete Sanosuke den Bernsteinaugen des Wolfs in einem versteinerten Gesicht. Automatisch flatterte ein schiefes Grinsen, den Gegenüber zu beruhigen, über seine attraktiven, offenen Züge. Ein antrainierter Reflex, belastender Sorge zu entfliehen. Schließlich war Schmerz Schmerz, und er konnte sich rühmen, eine gewaltige Toleranzspanne und Durchhaltevermögen entwickelt zu haben. Also gab es doch keinen Grund zur Betrübnis, nicht wahr? Was erwartete der verrückte Wolf auch, wenn sie keine Vorkehrungen trafen und übereinander herfielen? Was Sanosuke nicht erwartete, ihn vollkommen perplex nach Luft schnappen ließ, war ein Liebhaber, der die Stirn gegen seine lehnte, die Arme und befleckten Hände kraftlos herabhängend apathisch ins Nichts starrte. Um sich tastend und einige Blätter abzupfend übernahm es der ehemalige Sekihoutai, die Blutspuren abzuwischen, die Arme um den sehnigen Mann zu legen und ihn in einer lockeren Umarmung festzuhalten. Er genoss die Art, wie die schweren, lackschwarzen Strähnen ihr erzwungenes Refugium hinter den Ohrmuscheln verließen, seine Wange streiften, das markante Gesicht des Wolfes rahmten. Die Lippen nur Wimpernschläge separiert, sodass sie ihren Atem austauschten, studierte er seinen Liebhaber unschlüssig. Wie ungewöhnlich, dass der Wolf ihm die Führung überließ, sich zurückzog! Der vorlaute, prahlerische Gockel stolzierte in sein Bewusstsein, mahnte ihn, diese einmalige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. "'jime." Wisperte er heiser, brachte die Nasenspitzen in Kontakt. "Ich will dich immer spüren. Ich will mit dir leben. Ich will an deiner Seite stehen." Er hauchte daunenleicht einen Schmetterlingskuss, lächelte über die simple Liebeserklärung, die die Untiefen seiner Gefühle beherbergen sollte, wo doch Taten mehr sprachen als Regalwände dicker Folianten. "Ich wage es, egal, was andere sagen oder denken mögen. Es ist nicht falsch, was wir tun." Da ihm keine Antwort zugestanden wurde, fuhr er fort, den ehemaligen Shinsengumi enger an sich gezogen. "Möglicherweise ist es nicht klug, vielleicht sieht es lächerlich aus, aber ich folge meinem Herzen. Ich habe den Mut dazu." Atemzüge flogen rasch umher. "Ich liebe dich, 'jime." Wisperte Sanosuke kaum hörbar, spürte flüssiges Feuer in seinen Gliedern, die Wangen hochrot, in Freude und Verlegenheit glühend. Endlich kam eine Regung in den Älteren. Wie eine Lawine, zuerst trügerisch winzig, flatterten die Wimpern, loderten Flammen in den Bernsteinaugen auf, kehrte Leben in den erstarrten Körper zurück. Saitou zog den Kopf zurück, hob eine Hand, streichelte Sanosukes Wange versunken, um sich zu entfernen, mit ihrem Partner die schweren Strähnen in der gewohnten Akkuratesse zu fixieren, Handschuhe überzustreifen, endlich eine Zigarette zu illuminieren. Sanosuke beobachtete diese Entwicklung mit nachlassendem Herzschlag, der schließlich seine Tätigkeit vollends einstellte. Sollte das die Antwort sein? Hatte Saitou nicht den Mut, mit ihm....? Ein fahles, geisterhaftes Lächeln zuckte über die hageren, angespannten Züge. "Besprechen wir das zu einem anderen Zeitpunkt." Gab der Polizist seine Entscheidung bekannt, wandte sich ab, um mit steifer Eleganz den Weg aus dem Wald zu beschreiten. Sanosuke seufzte, löste sich vom stützenden Stamm, um ihm zu folgen. ~+~ Die Nacht war lau, als sie unbehelligt und einsam nebeneinander spazierten, nicht eilig, nicht zu ziellos schlendernd. Ihre Handrücken und Fingerspitzen streiften sich beiläufig, immer wieder, neckend, herausfordernd, ohne dass einer jedoch des anderen Hand ergriffen hätte. Sanosuke erkannte ihre Wegrichtung, schmunzelte offen: wie altmodisch und fürsorglich, dass der Wolf ihn nach Hause geleitete! Was der tat, selbst die Veranda des kleinen Bauernhauses betrat, die Schuhe artig abstreifte, bevor er in das Innere einkehrte. Ausgerollt wartete ein einsamer Futon auf den abgängigen Sohn, ein Hoffnungsbeweis seiner älteren Freundin Hanako, der den Faustkämpfer berührte. Wie lange war es her, seit jemand auf ihn gewartet hatte, er eine Heimat besessen hatte, die diesem Begriff gerecht wurde? "Schlaf doch hier." Bot er in gedämpften Flüsterton an. Die Aussicht, am Morgen im rosigen Schimmer in den Armen des Wolfs zu erwachen, stimmte ihn weniger melancholisch. Saitou begegnete solcherart Anwandlung knapp und harsch: er trat dem ohnehin erschöpften Jüngeren die Beine unter dem Leib weg, fing den Fall ab, um ihn wie ein Kind auf dem Futon auszustrecken und mit einer leichten Decke zu versorgen. "Keine Dummheiten, Gockel!" Befahl er mit knurrendem Bass, legte einen sanften Kuss auf den schmollenden Mund, bevor er sich erhob, die Schiebetüren hinter seiner schlanken, sehnigen Gestalt schloss, in seine Schuhe schlüpfte und sich langsam wieder in das Herz der Stadt aufmachte. Von einer steten Wolke dichten Nikotins umhüllt. ~+~ Katsuhiro nickte beiläufig zu dem gleichförmigen, stets schrill intonierten Geschwätz seines Maklers, eine endlose Litanei persönlichen Martyriums mit einer Vielzahl Wehwehchen, die in ihrer gesamten Bandbreite illustriert wurden. Von diesem Punkt aus bewegte sich ihre sehr einseitige Konversation über den neuesten Klatsch und Tratsch des Viertels zum Intimleben von Bekannten und weniger Bekannten des frettchenartigen Mannes. Dessen abstoßende Aufmachung und nervenzehrende Attitüde gereichte dem Händler zu einem seltsamen Schutz von unerwünschten Nachfragen der Behörden und Polizei. Niemand konnte sich diesem Strom an Banalitäten und Selbstbespiegelung auf Dauer aussetzen. Der Maler selbst hatte die ausreichende Geschäftstüchtigkeit seines Händlers erkannt, ließ Nachrichten und Aufträge bei ihm stationieren, um möglichst der Öffentlichkeit fern seiner Beschäftigung nachzugehen. Während er geübt die enervierende Quengelei des anderen Mannes ausblendete, kehrten seine Gedanken wieder zu dem Punkt zurück, an dem sie seit zwei Tagen eine ausweglose Position eingenommen hatten. Zum Ersten vermisste er seinen Wahlbruder mit ängstlicher Wut. Zum Zweiten nagte unterschwellige Unzufriedenheit über das Verhältnis zu Kamatari an seiner stoischen Selbstbeherrschung. Unerwünscht konnte er seine Überlegungen nicht zensieren, die die 'Sängerin' als ein sexuelles Wesen betrachteten. Nicht nur ein körperloser Informant, ein Konglomerat von Kontakten und Beziehungen, ein Potential, das genutzt werden musste zum größeren Besten der japanischen Gesellschaft. Natürlich war seiner Wahrnehmung als Künstler, die das sah, was verborgen werden sollte, nicht entgangen, wie anziehend und buchstäblich schön der junge Mann war, der kaum älter als sein eigener Bruder sein mochte. Eine erstaunliche, unvergleichliche Verschmelzung gegensätzlicher Prinzipien, yin und yang, männlich und weiblich, stark und schwach, in eine einzelne Person gegossen, unter einer brüchigen Schicht von Vernachlässigung und Schmutz hervorstrahlend. Kamatari erinnerte ihn an... Aufmerksamkeit heischend wurde sein Ärmel gezupft, eine Angewohnheit, die den Maler zu einem reservierten, eisigen Rückzug veranlasste, da er derlei vertrauliche Gesten nicht schätzte. "Meister Tsukioka, wollt Ihr diese Aufträge annehmen? Des Weiteren könnte ich noch einen Stoß von besonderen Bildern der Damen zum Verkauf anbieten." Affektiertes Räuspern und Augenrollen in einer grauenerregend schlechten Darbietung verbrüdernder Verschwörung. Katsuhiro nickte knapp, von der Notwendigkeit des Broterwerbs und seiner zweiten, eigentlichen Leidenschaft vom Stolz des Künstlers bekehrt, der sich nicht dem Salär verschrieb, sondern seinem Genie. Auflagen von bekannten, dramatischen Helden der Bürgerkriege sowie von Kurtisanen und Künstlerinnen der Halbwelt gelangen ihm in einer kurzen Zeitspanne in der gewünschten Qualität und dem entsprechenden Farbreichtum. Das konnten nicht einmal die Siebdrucke gefährden. Er senkte sich verabschiedend das Haupt, verbarg sich hinter den mit der breiten, dicken Bandana gebändigten, marineblauen Haaren. Wenn er ausreichend Mittel beschafft hatte, konnte er sich Gedanken darüber machen, welche Botschaft er verbreiten wollte. Wenn Sanosuke wieder kam, worauf er inständig hoffte, da seine Frist binnen Mitternacht ablief, könnte er mit ihm beratschlagen. »Wenn ich jetzt male, beruhige ich meine aufgewühlten Nerven und mein präzises Urteilsvermögen kehrt zurück!« Ermutigte er sich selbst. ~+~ Hanako hatte ihn am frühen Morgen begrüßt, als seien die beiden Nächte und der Tag nicht existent gewesen. Als könne man nicht aus seinen Wunden und seinem Zustand auf Außergewöhnliches schließen. Sie bat den Faustkämpfer, ihr die Kiepe zum Markt zu tragen, wieder in den Garten zu wandern, um dort dem Unkraut ein Ende zu bereiten und kleinere Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen, die auch seine Verletzungen nicht beeinträchtigen würden. Bei Tageslicht erkannte Sanosuke die Weisheit dieser Entscheidung. Sein Leib schimmerte farbenprächtig. Unterhalb der großflächigen Bandagen bot insbesondere sein Unterleib mit der tiefen Wunde in der Bauchdecke einen ernüchternden Anblick. Die Sommersonne wärmte, niemand war zugegen, sodass er sich nicht rechtfertigen musste, wenn er wie ein kleines Kind nur mit einem schmalen Stoffstreifen der Schicklichkeit Genüge tat. Über die körperliche Anstrengung eine Zerstreuung seiner Unsicherheit erlangte. »Sei kein Idiot!« Schalt er sich selbst eindringlich. »Was hast du denn erwartet? Dass er dir seine ewige Liebe in schwülstigen Versen gesteht und nicht mehr von deiner Seite weicht?! Alles Blödsinn!!« Man konnte einen Wolf nicht lieben wie einen Menschen, einen Mann wie Hajime Saitou nicht wie den nächstbesten Nachbarn. Es musste ein Mehr an allem sein, damit man überhaupt eine Chance erhielt. »Und ich habe diese Chance!« Versicherte sich Sanosuke, zupfte energisch Unkraut. »Außerdem bin ich nicht irgendein Kerl, sondern der berühmte Straßenkämpfer Sanosuke Sagara!!« Schritte näherten sich, leicht, elastisch. Der Faustkämpfer sah auf, nicht alarmiert, da er ihren Urheber bereits ausgemacht hatte. Eine feingliedrige Gestalt, die einen runden Strohhut gegen die Sonne trug, dessen scharlachrotes Tuch mit den flammend roten Haaren harmonierte. "Kenshin!" Die Hände an den bloßen Oberschenkeln abgewischt kam Sanosuke aus der Hocke hoch, trat seinem Freund strahlend gegenüber, vergaß vergangene Differenzen wie sein eigenes Erscheinungsbild. In den faszinierend großen Augen des Schwertkämpfers konnte er nicht lesen, aber in den geschürzten Lippen erkennen, dass er eine Ahnung bestätigt hatte, die sein Gegenüber hegte. "Warte, es ist nicht so, wie du annimmst!" Beeilte er sich, einen möglichen Trugschluss zu verhindern. "Es geht mir gut, siehst du?!" Wuchtig schlugen seine geballten Fäuste an den Knöcheln aufeinander, spannte er seine sehnigen Glieder zu ihren anmutigen Muskelsträngen. Kenshin hielt seinem Blick stand, ernst und ohne das gewohnte, sanftmütige Lächeln. Er löste das Band der Schleife, die zweifellos von weiblicher Hand gebunden worden war, stellte den allgegenwärtigen Tofu-Eimer ab, platzierte den Hut darüber. In wenigen Schritten stand er nahe vor seinem Freund. Der stellte jede Zurschaustellung von ungetrübtem Wohlbefinden einstellte, beobachtete schweigend die kleine, kraftvolle Hand, die über die Wunde in seiner Bauchdecke glitt, ohne ihn tatsächlich zu berühren. Als nehme sie eine Witterung auf. Sehr viel energischer wurde er am Handgelenk gepackt, mit der rechtschaffenen Wut eines Elternteils zum Haus gezogen. Dort nötigte ihn der Schwertkämpfer in eine sitzende Position. Mit Geschick und Konzentration studierte er jede Verletzung, drängte endlich den schlanken Straßenkämpfer auf die Tatami, um sich rasch mit der Wundbehandlung zu befassen. Naturgemäß protestierte Sanosuke gegen die Bevormundung. Er fühlte sich nicht schlimmer als nach anderen Kämpfen. Zudem war er ein Mann und kein verzärteltes Bürschchen! "Wenn es einen zum Mann macht, unnötige Schmerzen ertragen zu wollen, ist 'man' wohl ein arg beschränkter Mann!" Versetzte der rothaarige Kämpfer scharf, sandte einen sengenden Blick aus, der seinen jüngeren Freund erstarren ließ. "Wieso hast du nicht Fräulein Megumi aufgesucht, damit sie dich behandelt?" Erkundigte er sich streng. Sanosuke zuckte mit den Schultern, lächelte einfältig. "Ich wollte ihr keine Gelegenheit geben, mich zu verspotten?" Kenshin musterte ihn reglos. Er legte die eigene, kleine Hand auf die klaffende Wunde in der Bauchdecke, schloss die Augen in Konzentration. "Ich bin bei weitem nicht so kundig wie mein Meister. Ich fürchte, dass selbst Saitou eine bessere Versorgung offerieren könnte." Es erstaunte ihn, dass der Wolf von Mibu das nicht getan hatte. Zumindest nicht in dem Ausmaß, das notwendig gewesen wäre. "Bleib bitte liegen." Auf die üblichen, förmlichen Höflichkeitsphrasen verzichtend erhob sich der zartgliedrige Kämpfer, hielt auf eine Kommode zu, deren Schubladen er Verbandszeug, Nähzeug und weiteres entnahm. Er eilte mit konzentrierter Miene nach draußen, nahm sich den kleinen Hauskräutergarten vor in der Hoffnung, etwas zu finden, was den Straßenkämpfer lokal betäuben konnte. Es wäre wirklich vernünftiger, Fräulein Megumi um Hilfe zu ersuchen! Er entschied instinktiv dagegen. Saitou hatte sich bemüht, mit all seiner Kraft und seinem Geschick den eigensinnigen Faustkämpfer von sich zu weisen, ihre Gefühle füreinander zu verbergen. Die Tatsache, dass der ältere Polizist seine eigene Familie niemals zu kontaktieren schien, deutete darauf hin, dass er eine Absicht verfolgte, die dem Schutz dienen sollte. Hatte der Shinsengumi insgeheim darauf spekuliert, dass er, Kenshin Himura, seinen Freund besuchen würde, sich um die Verwundungen kümmerte? Das entspräche dem Kalkül des linkshändigen Schwertkämpfers. »Einerlei!« Trieb er sich zur Eile an. Müßige Spekulationen halfen nicht weiter. Sanosuke studierte unterdessen die Raumdecke über sich geistesabwesend, die nackten Arme unter dem Kopf gekreuzt. Ihm erschienen die Verwundungen nicht so gravierend zu sein. Ein paar weitere Narben, nicht von Bedeutung. Dennoch konnte er nicht leugnen, die bekümmerten Blicke seines Freundes registriert zu haben, der ihm, besonders, wenn er nach durchzechter Nacht im Doujou einen Schlafplatz gesucht hatte, mehrfach bedeutet hatte, dass er über eine gewisse Attraktivität verfügte, die für manchen Betrachter verleitend war. Mit einem Stirnrunzeln schob Sanosuke jegliche Eitelkeit von sich, was sein Äußeres betraf. Das war in seinen Augen nichts, worauf ein Mann sich etwas einbilden sollte. In diese Kontemplation brach der ehemalige Battousai ein, die Ärmel hochgebunden. Er kniete sich neben Sanosuke. "Ich habe nichts gefunden, um eine Betäubung herbeizuführen." Erläuterte er, die Miene ernst, ein wenig fahler als üblich, bevor er eine winzige Knochennadel mit einem Faden versorgte. "Möchtest du etwas zum Beißen?" Erkundigte sich der fragile Mann knapp, merklich betrübt bei der unvermeidbaren Aussicht, seinem Freund Schmerzen zuzufügen. Sanosuke schüttelte den Kopf ablehnend, schloss die Augen, grub die Fingernägel in die Tatami. Wenn er seine Gedanken fokussierte, konnte er der Pein entfliehen. Vielleicht sogar das Bewusstsein verlieren, wenn die Anstrengung zu gewaltig wurde. Was keinesfalls beschämend war, wie er sich versicherte. Kenshin entzündete eine Lampe, um bessere Sichtverhältnisse herbeizuführen. Er desinfizierte die Wunde, begann mit seiner undankbaren Aufgabe. ~+~ Im Prozess, seine Vorstellung auf Pergament und billiges Papier zu transferieren, vergaß der Maler seine Umwelt nahezu vollkommen. Ein Teil seiner selbst wurde stets verzaubert von der Entstehung einer Ahnung auf dem Trägermaterial, der Geburt einer Idee, die für andere greifbar wurde, die Schranken des eigenen Verstandes überwand. Wenn sie sich in ihrer Schönheit entfaltete, Gestalt annahm, war er von Glück und Dankbarkeit erfüllt. Natürlich ärgerte er sich wie jeder Künstler über Nachlässigkeiten und Fehler. Dieser empfindsame Part seiner Seele schwieg niemals, ganz gleich, ob es sich um Dutzende von Darstellungen koketter Kurtisanen oder heroischer Helden handelte, die er bereits zum Trocknen aufgereiht hatte, während er sich damit befasste, etwas einzufangen, was ihn in gewaltigem Maß herausforderte. Konnte es gelingen, Kamataris ungewöhnliches Wesen in ein Bild zu fangen? Aus den zahllosen Skizzen, die er angefertigt hatte, um sie aus seinem Verstand zu exilieren, ein einziges, alles umfassendes Werk zu schaffen? Er zögerte, fächerte Entwürfe, Augenblicksaufnahmen, schraffierte Anmerkungen um sich, wartete auf das Erscheinen der Erleuchtung. Sie war greifbar, neckte ihn, tanzte vor ihm auf und nieder! Er konnte ihren Atem spüren, kristallklares Gelächter, so kurz vor dem Zugriff!! Die schwarzen Augen öffnend wischte er entschlossen seine marineblauen Strähnen auf die Schultern, präparierte einen Pinsel mit Tusche, wählte ein besonders feines Blatt Pergament und setzte an. Schwungvoll, in langen Übungen perfektioniert, von seinen Emotionen zur Einzigartigkeit geformt, fügte sich ein Zeichen unter das andere. Katsuhiro lächelte sanft. ~+~ Kenshin tupfte die Wundränder ab, vertrieb mit einem schmalen Handrücken die klebrigen, flammend roten Strähnen aus seiner Stirn. Sanosuke lag entspannt neben ihm, noch immer kaum bekleidet, von einer trägen Benommenheit erfasst, die sein mattes Lächeln dem Freund verkündete. "Wenn du geschlafen hast, wirst du etwas essen und ausreichend trinken." Befahl der fragile Mann eindringlich, liebkoste eine Wange. Ein gutturales Grunzen antwortete ihm. Die flatternden Lider sanken bereits wieder hinunter. Der Schwertkämpfer blieb noch lange bei seinem jüngeren Freund, bewachte dessen tiefen, erschöpften Schlaf. Saitou war derartig gründlich gewesen, dass es den ehemaligen Battousai schauderte bei der Vorstellung, wie gewaltig die Gefühle sein mochten, die ihn veranlasst hatten, so zu wüten und gleichzeitig bemerkenswert geringen Schaden anzurichten. Sah man davon ab, dass er den wilden, aufbrausenden Streithahn für sich gewonnen hatte. Der an seiner Seite lag, die sonnenverwöhnte Haut golden schimmernd, in anbetungswürdiger Verkörperung von Kraft, Wagemut und Schönheit. Einer menschlichen, keineswegs perfektionierten Schönheit. Er streichelte die ungebärdigen Strähnen zärtlich, bedauernd. »Wenn ich keine Schuld auf mich geladen hätte, hätte ich dich gern umworben. Wenn ich einen Weg gefunden hätte, dir mein Herz anzuvertrauen, hätte ich es gewagt.« ~+~ Als Sanosuke erwachte, neigte sich der Nachmittag bereits seinem Ende entgegen. Entsprechend dem Auftrag seines Freundes holte er die ausgelassenen Mahlzeiten mit vergnügter Befriedigung nach. Er hatte wieder Appetit, die Wunden kommentierten nicht mehr jede Regung. Er fühlte sich ausgeruht und bereit, der Welt mit gewaltigen Faustschlägen zu begegnen. In seine gewohnte Aufmachung gestiegen machte er sich auf, Hanako vom Markt abzuholen. WWnn es sich anbot, seinem Wahlbruder einen Besuch abzustatten, damit der sich höchstselbst von den Qualitäten des Wolfs überzeugen konnte. Mit munterem Maschschritt erreichte er in kürzester Zeit den offenen Platz, wo sich bereits der ein oder andere Stand in Auflösungserscheinungen befand. Einen Grashalm zwischen den Zähnen balancierend näherte er sich Hanako, die er unangekündigt anhob, wie ein kleines Kind auf die Arme nahm, übermütig grinsend und zwinkernd. Ein Bündel Lauch klopfte wiederholt ermahnend auf seine ungebärdige Mähne. Das Tadeln konnte die Freude in den runzligen Zügen seiner älteren Freundin nicht verbergen. Auch die anderen Anwesenden begrüßten ihn freundlich, lachten über seine burlesken Erklärungen für seine Verletzungen, die ein Konglomerat aus ungeschickten Werbungsversuchen, Rache dürstende Gatten, übermäßigen Sake-Konsum und tückische Entwässerungsgräben beinhalteten. Ausreichend dem allgemeinen Gelächter preisgegeben erteilte Hanako ihre Demission. Sanosuke brach auf, durch die verwinkelten Gassen und Straßen zu streunen, bis er sicher war, eventuelle Verfolger abgehängt zu haben. Er klopfte artig an die Tür, betrat nach Aufforderung Katsuhiros kleines Haus. Der hatte sich bereits erhoben, stürzte auf ihn zu, inspizierte mit besorgt-gestrenger Miene die Erscheinung des Bruders. Der Faustkämpfer wusste, dass er nicht besonders gut bei dieser Studie abschnitt. Statt Tadel und Vorwürfen wurde er jedoch in eine enge Umarmung gezogen. Katsuhiro wisperte mit belegter Stimme an seinem Ohr. "Sano, geht es dir gut? Ist es überstanden?" Mit einem Stirnrunzeln schob der Jüngere den Freund von sich, betrachtete die sorgenvollen, schwarzen Augen in dem so düsteren Gesicht. "Katsu, ich bin in Ordnung und noch immer entschlossen, mit 'jime zusammenzuleben." Der Maler seufzte, wandte den Kopf ab, deutete eine geziert überanstrengte Geste mit einer Hand an. "Es hätte mich auch gewundert, wenn es irgendjemandem gelungen wäre, deinen Sturkopf zu kurieren! Hat er wenigstens deine Offerte angenommen?" Ungezwungen ließ sich der Faustkämpfer auf einem Kissen nieder, schob die Jacke angesichts der noch immer erstickenden Temperaturen von den Schultern, räkelte sich katzengleich. "Er wird mit mir darüber sprechen." Verkündete er ernst. "Verdammt noch mal, ich werde ihm keine Chance geben, mich abzuweisen." Für Wimpernschläge verspürte der Maler Mitgefühl mit dem Zentrum von Sanosukes eiserner Entschlossenheit. Das verflog rasch. Man konnte von einem Wolf erwarten, dass der sich selbst zu verteidigen wusste. Sich seiner Gastgeberpflichten erinnernd schenkte er gekühlten Tee aus, nickte dem Bruder zu. "Ich bin sehr froh, dich zu sehen, Sano." Der grinste, ein wenig zu breit, um seine Verlegenheit vollständig zu kaschieren. "Hey, Katsu, fang bloß nicht an, sentimental zu werden, sonst schlage ich um mich!" Ein Schnauben wurde Replik. "Als ob du das nicht ohnehin tust, Rabauke!" Mit brüderlicher Kabbelei überwanden sie die gemeinsame Verlegenheit. Katsuhiro berichtete von seinen Erkenntnissen aus dem Teehaus. Sanosuke hielt seine Auffassung nicht zurück. Er votierte dafür, Aufklärung zu betreiben, den Menschen auf schonende Weise klar zu machen, dass sie nur gemeinsam und einig gegen die Vereinnahmung der Fremden angehen konnten. Wie das zu formulieren war, um nicht sogleich die Meiji-Regierung in Verlegenheit zu bringen, wenn ein Ausländer ein Flugblatt zu fassen bekam, wusste er jedoch auch nicht. Eine heikle Entwicklung. Mit dem Versprechen, in engem Kontakt zu bleiben, damit die Publikation das beabsichtigte Echo erntete, verabschiedete sich der Faustkämpfer von seinem Freund, für Augenblicke abgelenkt durch die zahlreichen Skizzen, die sich bei Katsuhiro stapelten. Ein besonderer Auftrag oder eine neue Muse? Insgeheim schwor er sich, verstärkt auf Katsuhiros Wohl zu achten, bewegte der sich doch in gefährlichen Kreisen, die dessen bisherigen Aktivitäten bei weitem übertrafen. ~+~ Von der Sorge getrieben, er möge etwas Wesentliches in den Allianzen der Fremden verpassen, überwand Katsuhiro seine Beklemmung gegenüber einer erneuten Begegnung mit Kamatari, betrat das Teehaus zur vorgerückten Stunde. Wie konnte er auch im Tenor seines Flugblattes zum Zusammenhalt für Japan plädieren, wenn er selbst aus persönlichen Motiven einen Kontakt scheute?! Anders als an den vorangegangenen Tagen zeigte sich das Gebäude nicht besonders stark frequentiert. Der Maler hoffte darauf, dass das kein Zeichen für eine abgeschlossene Konspiration war. Während er hier und da einen Auftrag erhielt, skizzierte oder karikierte ganz nach Wunsch des Kunden, hielt er Ausschau nach der 'Sängerin'. Weder die dunkle, samtige Stimme schwang in der trägen Atmosphäre, noch konnte er ihn in Konversationen erwähnt finden. Als er schließlich das unterste Geschoss in vagen Befürchtungen betrat, war die gewohnte Opium-Höhle in einem Teilbereich separiert. Mit den zahlreichen Schemen verschmelzend näherte er sich der geschlossenen Gesellschaft, suchte nach bekannten Gesichtern unter der Runde, die sich damit befassten, an den Pfeifen zu ziehen, eine Person in ihrer Mitte herumschoben wie ein sperriges Gut, desinteressiert orale Dienstleistungen einforderten. Das Klima war verächtlich, teilnahmslos und abweisend. Eine Gesellschaft von Halsabschneidern und lichtscheuem Gesindel, die vermutlich unerwartet zu einigem Geld gekommen waren, es sofort umsetzten. Vielleicht auch die Belegschaft eines konkurrierenden Hauses, um hier die Gäste abzuschrecken. Üblicherweise hätte es kluge Voraussicht vermieden, sich einzumischen. Der Stab in der Mitte, die grellen Farben des Kimonos: Katsuhiro wählte den Überraschungsmoment, paarte ihn mit Frechheit, wie es wohl sein unerschrockener Bruder getan hätte. Er fasste die 'Sängerin' um die Taille, ergriff den Stab, wischte hinaus, bevor die Opium-Schwaden ihre Konsumenten freigaben. Kamatari halb ziehend, halb stolpernd erreichten sie die Zuflucht der Gärten, die noch nicht verdorrt waren unter der sengenden Sommersonne. Die 'Sängerin' löste sich, schlug der Länge nach auf den Boden, begann, sich mit erbarmungswürdigen Lauten zu erbrechen. Ein qualvoller Reflex, der sich potenzierte, die überschlanke Gestalt zusammenzog, in Spasmen verkrümmte, während der Maler hilflos daneben kauerte, über den zuckenden Rücken strich. Endlich gestattete es der erschöpfte Leib, dass Katsuhiro den wenig Jüngeren herumdrehte, mühsam aufrichtete, zu einer Bank geleitete, auf der sich Kamatari ausstreckte. Der Kimono, in höchst unschicklicher Weise zerrupft, hätte eine Frau entblößt. Hier jedoch wiesen sich helle Haut, knochige Glieder und Brustpartie, von Entbehrung kündend. Katsuhiro verweigerte sich dem Bedauern, legte den schützenden Stab zu seinen Füßen ab, hob die Beine der 'Sängerin' an, um sich selbst einen Sitzplatz zu verschaffen. Er teilte die Stoffbahnen, bis er das linke Knie freigelegt hatte, die Stützvorrichtung löste, den Zustand des Kniegelenks darunter erkundete. Es gab wenig, was er tun konnte. Ein Arztbesuch musste erfolgen, wollte man die entzündeten, aufgeschwemmten Partien reduzieren. Den Blick hebend bemerkte er glasklare Perlenstränge, die von den gesenkten Lidern über die Schläfen in die verstrubbelte Perücke reichten. So viel Schmerz! Ohne sich mit Skrupeln, Vorsicht oder anderen Bedenken zu befassen, schlug er das Gewand auseinander, begann mit geschmeidigen Bewegungen, die Glieder und den Torso zu massieren, durch die Energie Wärme in die verspannten Muskeln zu kneten. Die 'Sängerin' wehrte ihn nicht ab, gab auch keinen Laut von sich, bis er die korrekte Bekleidung wiederherstellte, beim Aufsetzen assistierte. "Ich bin überrascht, dich zu sehen. Dachte, du würdest mich nach dem letzten Mal schneiden." Krächzte Kamatari mit heiserer Stimme. "Wieso engagierst du dich noch immer für mich?" "Du bist ein Informant?" Bot Katsuhiro nonchalant an, wich dem Blickkontakt aus. Ein bitteres Auflachen ließ ihn diese Taktik aufgeben. "Natürlich, ich habe dir ja bahnbrechende Neuigkeiten serviert, auf die du niemals selbst gestoßen wärst! Hör auf, mich wie einen Idioten zu behandeln, Pinselschwinger!" Fauchte die 'Sängerin' verärgert. Der Maler blinzelte, ignorierte die raue Aufforderung. Dieser grässliche Opium-Geruch haftete ihnen an wie ein Pesthauch! "Also?!" In Rippenstößen verstand sich sein Begleiter, so viel war sicher. Katsuhiro rieb sich brummend die Seite. "Sagen wir, ich habe erkannt, wer du wirklich bist." Gab er preis, erhob sich. Ob man sich beschwert hatte? Suchte man sie vielleicht? "Ach, und wer bin ich?" Schwankend kämpfte sich Kamatari auf die Beine, belastete den Stab. Mit wütendem Funkeln in den Haselnussaugen sezierte er den Gegenüber. Der lächelte. "Benten. Die Göttin der Liebe." ~+~ Kapitel 17 - Tanz auf Messers Schneide Kamatari lachte auf. Nicht die schrille, ätzende Anklage einer Prostituierten, die zu viel Sake und Opium konsumiert hatte, sondern der wehmütige, dunkle Seufzer eines Ungeschlagenen, verzweifelt Hoffenden. "Wie kann ich eine Göttin der Liebe sein?" Ein trauriges Lächeln flatterte über die erschöpften Züge der 'Sängerin'. "Hier gibt es keine Liebe, nur Schwänze, Schläge und Schmerzen." Dabei rieb er sich das Knie, wirkte ohne den Stützverband noch zerbrechlicher als gewöhnlich. "Das wird nicht so bleiben." Kündigte Katsuhiro an. Diese Vorhersage wurde nicht bestritten, da das Teehaus wie eine Schlangengrube mit weitaus unangenehmeren Optionen aufwartete. Die Perücke achtlos richtend lehnte sich Kamatari gegen den Stab, fasste endlich wieder die schwarzen Augen des Malers ins Blickfeld. "Wirst du mich zur Ärztin begleiten?" "Treffen wir uns gegen Mittag beim Badehaus." Gab Katsuhiro knapp zurück, wandte den Kopf, lauschte nach Geräuschen. Unwillkürlich rückte Kamatari näher heran, die Züge angespannt, kampfbereit. Als Katsuhiro den Kopf drehte, streifte er die Nasenspitze der 'Sängerin', lächelte überrascht. Kamatari zog ein schiefes Grinsen, halb entschuldigend über die unerwartete Annäherung, halb mokierend über die vorgebliche Scheu des Malers. "Ich sollte besser hineingehen, bevor Honda mich aufstöbert." Bekundete er in saurer Grimasse. Die Haselnussaugen blitzten verächtlich. Von einem Impuls beherrscht, den er nicht vermutet hatte, hob der Maler die Hände, umfasste das herzförmige Gesicht des anderen Mannes mit sanfter Beharrlichkeit, wob seinen schwarzen Blick in die müden Augen, küsste Kamatari ehrfurchtsvoll auf die geschlossenen Lippen. "Du bist die Göttin der Liebe. Vergiss das nicht." Kehrtmachend entwischte er in die sich verjüngende Nacht, während Kamatari einigermaßen perplex und sehr starr verharrte. ~+~ Um sich abzulenken, was mit fortschreitender Zeitspanne seit ihrem Abschied an seinen Nerven zehrte, setzte Sanosuke all seine Kraft ein, um Hanakos Haus und den Garten in einen präsentablen Zustand zu versetzen. Er begann wie in Kioto bereits initiiert mit einigen Übungen, schloss die Augen, um sich besser den perfekten Fluss der Bewegungen visualisieren zu können. Das hielt zu seiner Verärgerung nicht lange vor, da er weniger der Abfolge der einzelnen Handlungen Aufmerksamkeit schenkte, sondern der Erinnerung an den Mann, der sie ausübte, mit scharfen, schwefelnden Augen seine Konzentration einforderte, ihm alles abverlangte. Verdammte Raffinesse der Verteidigung, er konnte auch anders! Attackieren mit Fuß und Faust, Kopfstöße folgten, eine wütende, vernichtende Schlacht gegen einen abwesenden Gegner, dem er sehr viel lieber eine ganz andere Behandlung hätte angedeihen lassen. Mit einem Ächzen sackte er staubbedeckt nieder, da der Boden unter der anhaltenden Dürre auszutrocknen und aufzubrechen begann, wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. "Söhnchen?" "Ich bin hier!" Gab er Antwort, kam auf die Beine, ein wenig überrascht, dass sich Hanako vom Markt nach Hause begeben hatte und dies in der glühenden Hitze des Mittags. "Komm, Sano, ich habe köstliche Honigmelonen mitgebracht!" Schwenkte sie stolz ihre Errungenschaft, wie zuvor redlich bemüht, den Faustkämpfer zu umsorgen, weil sie der ausgesprochenen Meinung war, dass er sich selbst vernachlässigte. Sanosuke, der üblicherweise davon Abstand nahm, sich zu sehr von Angehörigen des weiblichen Geschlechts vereinnahmen zu lassen, da sie dazu tendierten, Hoffnungen an ihn zu knüpfen, die er nicht willens und in der Lage war zu erfüllen, grinste nachsichtig. Hanako machte es Vergnügen, ihn um sich zu haben. Ihre unkomplizierte Freundschaft ermöglichte es ihm, einen neuen Weg, eine neue Perspektive ins Auge zu fassen. Weg von den erbärmlichen Slums, dem armseligen Glücksspielen und dem seriellen Ertrinken in minderwertigem Sake. Mit ausholenden Schritten näherte er sich dem Haus, entschlossen, seinerseits einen Tadel zu verteilen, da er es nicht für ratsam hielt, wenn eine Dame ihres Alters in der Hitze allein über die Felder marschierte. "Mütterchen..." Über die Initialen seiner Ansprache kam er nicht mehr hinweg. Auf der Veranda, wo Hanako wie ein Kind vergnügt mit den Beinen baumelte, neckisch ihren Strohhut an einer Seite gelupft, saß stoisch und scheinbar unbeeindruckt von der quälenden Glut der Wolf. ~+~ Katsuhiro wartete im Schatten des Badehauses, widerstand der Versuchung, sich den Männern und Frauen anzuschließen, die fröhlich von der Aussicht auf Abkühlung gestimmt im Inneren des Gebäudes verschwanden. Sich mit einem Fächer wenigstens marginale Erleichterung verschaffend hielt er Ausschau nach der 'Sängerin'. Oder nach Kamatari? Würde es ihm gelingen, sich heimlich aus dem Teehaus zu entfernen? In welcher Erscheinung standen seine Chancen am Besten? Der Maler wusste es nicht zu sagen. Ob seine Aktion in der Nacht für Kamatari nachteilige Folgen gehabt hatte? Seine freie Hand ballte sich zu einer Faust. Es gab keine Entscheidung. Er hatte getan, was getan werden musste. Wie hätte er auch zulassen können, dass diese Göttin der Liebe an den widrigen Umständen zerbrach, ihr Lächeln verseucht wurde von den Schmerzen und der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage?! Nein, das konnte er nicht geschehen lassen! Die Konsequenzen wollte er auch tragen. Allerdings tendierten diese selten dazu, sich dem Verursacher zu eröffnen. Er hörte trotz des Geräuschpegels vor dem Eingang das Tappen eines Stocks auf dem Boden, ein sandiges, knappes Mahlen. Sein Kopf flog hoch. Vor Katsuhiro zeichnete sich in einiger Entfernung ein junger Mann in einer ausgewaschenen Yukata ab, die Beine von Knöchel bis Hüfthöhe umwickelt. Katsuhiro näherte sich ruhig, beobachtete seine Umgebung scharf, ob sich nicht ein zu unauffälliger Passant fand. Mochte Sanosuke ihn auch des Öfteren paranoid betiteln: der Maler wusste die Risiken, die seine Beschäftigung mit sich brachte, durchaus zutreffend einzuschätzen. Als er vor Kamatari stand, der mit fahlen Gesicht signalisierte, dass er sie unbeobachtet glaubte, gestattete sich der Maler einen Augenblick, seinen Gegenüber zu betrachten. Kamataris Erscheinung, die an einen Bauern erinnerte abgesehen von dem scheinbar verwachsenen linken Knie, nahm sich kränklich und abgemagert aus. Die Haselnussaugen lagen unnatürlich groß in ihren Höhlen. Die Lippen waren aufgerissen und weiß von Trockenheit. Megumi würde ihm die Leviten lesen, so viel war sicher. Ohne sich um weiteres, potentielles Aufsehen zu kümmern, fasste er Kamatari an dessen linker Seite unter, sodass der den Stab in die Rechte nehmen musste. "Ist dir etwas zugestoßen heute Morgen?" Erkundigte er sich flüsternd. Die 'Sängerin' krächzte heiser, schüttelte den Kopf negierend. "Wenn wir bei Megumi sind, sage ihr alles, damit sie dir helfen kann, Kamatari. Gib dich nicht auf." In Replik schnaufte der Mann an seiner Seite matt, spottend, lehnte sich schwerer auf Katsuhiro, der erschrocken die Wellen hohen Fiebers feucht-heiß auf seiner eigenen Haut registrierte. ~+~ Eine souveräne, erwachsene Reaktion hätte vermutlich darin bestanden, mit einem lässigen Gruß an die beiden heranzutreten, sich auf der Veranda niederzulassen und ebenfalls ein Stück Honigmelone zu schmausen. Sanosuke war meilenweit von jeder dergestalten Reaktion entfernt. Sein Mund öffnete sich, ohne Laute zu produzieren. Er wurzelte auf der Stelle an, unfähig sich zu regen. Seine Augen schienen förmlich aus dem Kopf springen zu wollen. Saitou erhob sich geschmeidig, nahm die freundlich und überaus kokett gereichten Stücke Honigmelone, vorausschauend in Blätter verpackt, an sich, überwand die knappe Distanz, rührte Sanosuke sanft an einem Handgelenk an. Dessen unwillkürlicher Reflex war durchaus sehenswert. Wie vom Blitz getroffen federte der Faustkämpfer hoch, blinzelte heftig. In den Bernsteinaugen funkelte es bezeichnend. Sanosuke leistete stumm Folge. Gemeinsam, ohne eine Berührung, wanderten sie in gemächlichem Schritt durch die Felder außerhalb der Besiedelungen. ~+~ Die Hitze versorgte auch die Klinik mit einer gesteigerten Frequentierung, die in der Mittagszeit langsam abnahm. Megumi hatte tatsächlich die Möglichkeit, sich mit Kamatari zu befassen. Katsuhiro, der mit gestrenger Miene auf einen Platz verwiesen worden war, der sich außerhalb der Hör- und Sichtweite des von Laken abgetrennten Behandlungsbereichs befand, paradierte gelegentlich auf und ab, um sich Bewegung zu verschaffen, mochte er nicht in brütender Glut mit dem Inventar verschmelzen. Er sorgte sich um die 'Sängerin'. 'Deren' Zustand war seiner Meinung nach besorgniserregend. Er hoffte auf die Hilfe der Ärztin, das Fieber zu senken und die peinigende Schwellung am Knie abklingen zu lassen. "Tsukioka-sensei?" Eine schmale Frau verbeugte sich höflich vor ihm. "Würden Sie bitte folgen? Takani-sensei lässt Sie bitten." In der Tat hatte die Ärztin sich auf einem Feldhocker niedergelassen, gestikulierte Katsuhiro, er möge ihrem Beispiel folgen. Ein banger Blick auf die reglose, scheinbar schlafende Gestalt Kamataris. Der Maler konzentrierte sich auf die Frau ihm gegenüber. Megumi hielt sich nicht mit Präliminarien auf. "Die Situation ist alles andere als förderlich für die Gesundheit des Patienten. Er ist unterernährt, leidet unter Appetitlosigkeit und Erbrechen. Sein Blut ist schwach. Zudem hat sich eine Wundinfektion ereignet." Katsuhiro erstarrte. "Ich will Ihnen nichts vormachen, sensei. Kamatari wird nicht lange leben, wenn er in dem Teehaus weiterarbeitet. Alles, was ich tun kann, besteht darin, einen Aufschub zu erwirken, Schmerzen zu lindern. Mehr nicht." Obgleich sich die junge Frau hütete, eine offene Forderung zu stellen, wusste Katsuhiro ihre Worte auszulegen. Wenn es in seiner Macht stand, durfte er nicht zögern, Kamatari aus diesem Elend zu befreien. Die Zeiten waren hart. Sie hatten beide Bürgerkriege überstanden. Mitleid und wohlmeinende Absichten gingen nicht immer konform mit den Möglichkeiten. Einen Spion der Meiji, der vom Tode als Hochverräter begnadigt worden war, seiner Berufung und Strafe zu entziehen: nahezu aussichtslos. Der Maler betrachtete die ausgestreckte Gestalt. Und das, was er darin las, wie sich sein Auge niemals irrte, wenn es das Wesen auf die Leinwand bannte, ganz gleich, wie seine äußere Erscheinung sein mochte. »Benten... Göttin der Liebe...« Wenn es für sie keine Hoffnung gab, auf was wollten die Menschen setzen? Welche Gesellschaft würde es ohne sie sein? Er nahm eine fieberglühende, trockene Hand in seine. "Ich werde mein Möglichstes tun." Versprach er. ~+~ Ausreichend außerhalb der Sichtweite, von einer Rainbegrenzung aus Büschen verborgen, vergaßen Streithahn und Wolf die süße Last der Honigmelonen, halfen einander in knurrender, fauchender Kommunikation aus den Kleidern, um in einem Handgemenge möglichst großflächigen Hautkontakt zu erhaschen. Die Hitze sengte auf sie nieder, ungefiltert vom wolkenlosen Himmel. Eine glühende Brise prickelte trocknend den Schweiß auf den geschmeidigen Körpern, die sich um einander wanden, Hände in ihre Pendants verschränkt, um keinen Vorteil gelten zu lassen. Sanosuke ließ sich zuerst einfangen, kostete gierig den kühlenden Mund mit dessen vertraut-aufreizenden Aroma, sang seine Liebeshymne lockend. Er wollte sich nicht mehr trennen lassen, liebkosen, streicheln, die Reißzähne nachzeichnen. Vergessen waren die Wunden, die Sorgen, seine Befürchtungen. Alles, was zählte, war der Wolf, der ihn hielt, ihn begehrte, seinen Atem teilte. Auch Saitou schien sein Verlangen, seinen Hunger zu empfinden. Dessen kehlige Laute tanzten vibrierend durch den Leib des Faustkämpfers. In seinen Adern pulsierte das flüssige Gold, das sich in den Bernsteinaugen kristallisierte. Sein gesamtes Wesen als Wolf schrie danach, den Mann in seinen Armen in Besitz zu nehmen, ihm Ekstase zu schenken, den anmutigen Körper zu erkunden. Als habe er dies nicht bereits unzählige Male zuvor getan. »Man könnte den Verstand darüber verlieren!« Irrte ein ironischer Gedanke durch die menschliche Hälfte des Wolfs. Er lachte kehlig, bevor er sich dem Rausch ergab. ~+~ Seine Finger kontrastierten in ihrem hellen Ton mit dem sonnenverwöhnten, wenn auch von Hämatomen und Wundverbänden gezeichneten Leib des Faustkämpfers, der in seinen Armen, gemütlich gegen seine sehnige Brustpartie gelehnt, schlief, die Anstrengungen kompensierte, die ihr erneutes Aufeinandertreffen von ihm gefordert hatten. Saitou liebte den wilden Gockel für dessen bedingungslose Hingabe. Ein spöttisches Lächeln kräuselte die dünnen Lippen des ehemaligen Shinsengumi, als er sich dieses Umstands bewusst wurde. »Liebe? Nicht sexuelle Leidenschaft, Freude am Wettstreit, Besitzstreben?« Unbeobachtet hauchte er einen Kuss auf eine entblößte Schulter, sog den Geruch der unbändigen Mähne ein, die sich gegen seine Halsbeuge schmiegte. »Wie unerwartet. Wie gefährlich.« Es war nicht die Zeit, sich Gefühlen hinzugeben. Zu erwägen, die Einsamkeit seiner Berufung zu teilen, einen Gefährten zu wählen. Ihre Welt taumelte auf einem schmalen Grat. Mit jedem verstreichenden Tag zog sich eine Schlinge zu, die sie fangen und richten konnte. Welche Herausforderung, die Bedürfnisse des Streithahns und die Zukunft ihres Heimatlandes zur gleichen Zeit ausbalancieren zu wollen! Er verschränkte die Finger mit denen des Faustkämpfers, ballte eine gemeinsame Faust. »Ich akzeptiere!« Knurrte der Wolf. In seinen Augen funkelte die wilde Hatz. ~+~ Der Streithahn erwachte mit einem Kiefer sprengenden Gähnen, räkelte sich katzenhaft, um die wüste Mähne zu durchforsten, eventuelle Verklettungen aufzustöbern. "Was für ein beschissener Traum!" Murmelte er, fuhr hastig herum. Dabei verfehlte er mit ausgestreckten Ellenbogen nur um Haaresbreite den Polizisten, der mit heimlichen Amüsement der Rückkehr des Streithahns in die Gegenwart beigewohnt hatte. "Hey, du bist noch da!" Mit fliegenden Armen warf er sich um den Nacken des ehemaligen Shinsengumi, presste sich an ihn, lauthals lachend, von einer befremdenden Erleichterung durchdrungen, die eine Augenbraue des Schwertkämpfers in die Höhe wandern ließ. Geduldig harrte er der Erklärung für dieses Phänomen, als sich Sanosuke auf die Fersen zurücksinken ließ, zwischen den aufgestellten Beinen des Wolfs kniend. Die schokoladenbraunen Augen umwarben intensiv die schwefligen des älteren Mannes. "Absolut abartig!" Die zerfetzten Enden der roten Bandana tanzten auf den Schultern, während der frühere Sekihoutai in Erinnerung an das Durchlebte den Kopf schüttelte. "Ich war in einem Wald, es war alles irgendwie dunkel, und plötzlich war da eine Jagd auf einen Mann, dem man den Bauch aufschneiden wollte, um Haare zu finden..." Er schauderte. "Was für ein Blödsinn!" Saitou blieb reglos, gegen den Baumstamm gelehnt, die Hände locker auf dem sandigen Boden abgelegt. Es dauerte, bis sein Urteil stand, von unterschiedlichen Abwägungen gebildet, während seine Augen seinen Gefährten nicht für einen Wimpernschlag aus der Beobachtung entließen. "Es gibt eine Regel im Volksglauben über Werwölfe, Menschen, die sich in Wölfe verwandeln können." Drang seine raue, beherrschte Stimme trügerisch sanft in die Intimität ihrer Nähe. Ihr Tonfall zwang den Faustkämpfer, mit zusammengezogenen Augenbrauen das glühende Bernsteinpaar zu fokussieren. "Man sagt, dass sich das Fell der Werwölfe in den Körper zurückziehe, also nach innen wachse, wenn sie sich als Menschen ausgeben. Aber in den Vollmondnächten, da jagen sie als Wölfe, mit Krallen, Fangzähnen und übermenschlicher Kraft." "Bah, das ist doch dummes Geschwätz!" Wiegelte der Jüngere mit unbehaglichem Schulterzucken ab. "Niemand würde einem Menschen den Bauch aufschneiden, um herauszufinden, ob es ein Werwolf ist, richtig?!" Grinste er feixend. Sein Gegenüber verharrte in stoischer Reglosigkeit, die Mimik unleserlich, nicht das winzigste Zucken von Spott über die Leichtgläubigkeit der Mitmenschen. Verwirrung mischte sich mit wachsender Verärgerung in Sanosukes Miene. Wieso ließ der Schwertkämpfer diese Gelegenheit zur Mokerie aus?! Wie gewohnt, wenn er sich einem Mysterium auf der Spur befand, das es wert war, gelöst zu werden, repetierte er stumm den Verlauf der Unterhaltung. Saitou registrierte das zögerliche, widerwillige Senken des Kopfes, die Hände, deren Fingerspitzen sich gewaltsam in seine Oberarme bohrten, das Auffrischen des Atemrhythmus. Sanosukes Kopf flog ruckartig hoch, die Augen in ihrer schokoladenfarbenen Versuchung weit aufgerissen, das Gesicht in ungesunder Blässe. "Das ist nicht komisch, Saitou!" Brüllte er, schüttelte den Polizisten in seinem Zugriff heftig. Der wehrte sich nicht, hielt den bohrenden Blick seiner Bernsteinaugen fest auf den jüngeren Mann gerichtet. "Sag, dass das nicht wahr ist, hörst du?! Lass diesen Mist, verdammt!" Mit jedem verstreichenden Augenblick gewann die samtige Stimme des Faustkämpfers eine schrillere Note, schraubte sich in unangenehmere Höhen. "Verflucht, Bastard, sag etwas!!" Schrie er schließlich. Die Vehemenz wischte lose Strähnen des lackschwarzen Haars durch die Luft, bevor sie sich wieder anmutig um das hagere Gesicht des ehemaligen Shinsengumi legten. Ein diabolisches Lächeln irrlichterte über die Züge des Älteren. "Sie haben keine Haare gefunden." ~+~ Sanosuke starrte ungläubig. Seine Hände sackten schwer von den Oberarmen, die er umklammert hatte. Er spürte vage, wie seine Augen zu schmerzen begannen, austrockneten, weil er sie fixierte, auf das leichte, nachsichtige Lächeln, das ihn zu verspotten schien. Wie oft waren seine Finger, seine Zunge, seine Lippen über die gewaltige alte Narbe geglitten, die den ehemaligen Shinsengumi nahezu in zwei Hälften spaltete? Müßig hatte er sich gefragt, wem es wohl gelungen sein mochte, einen so versierten, kaltblütigen und gefährlichen Mann derartig zu verletzen. Er hatte keine Antwort erwartet, wie er nur wenig über den Wolf erfahren hatte, was dessen Vergangenheit betraf. "Wie konnte jemand nur so etwas tun?" Brach es endlich fassungslos und erschüttert über seine Lippen. In perfider Gelassenheit strich Saitou über die lange weiße Narbe, von Brustbein bis zum Unterleib. Eine liebkosende Geste, Spott über eine mörderische Attacke. "Ich denke, sie wollten sichergehen, dass sie den Richtigen töten." Bemerkte er lakonisch, bleckte die Reißzähne. "Aber du bist ein Mensch! Wer könnte denn so verrückt sein...?!" Ein amüsiertes Auflachen unterbrach Sanosukes Bemühungen, seine verwirbelten Gedanken zu ordnen. Er funkelte zornig in die Bernsteinaugen, in denen Vergnügen glitzerte. "Wie kannst du darüber lachen?! Das ist nicht komisch!" Zischte er mit geballten Fäusten, vor Wut alle Muskeln anspannend, zum Angriff bereit. Der Wolf lehnte sich vor, lächelte diabolisch, ein Flüstern auf den dünnen Lippen. "Oh doch, mein wilder Streithahn, das ist es." Sich bequem einrichtend gestikulierte er in vorgeblicher Jovialität eines Geschichtenerzählers. "Was ist, mein Gockel, willst du hören, wie der Wolf in die Welt kam?" ~+~ "Es war einmal ein niedrigrangiger Samurai, der mit seiner Frau, seinen beiden Söhnen und seiner Tochter auf einem unbedeutenden Lehen lebte. Er hatte mit der Welt seinen Frieden geschlossen und seine Ambitionen vergessen. Seine Frau, die Bäuerin gewesen war, tat sich mit der höfischen Welt des Lehnsherren schwer, sodass beide die Zurückgezogenheit nahe der Wälder vorzogen. Die Zeiten waren hart, doch hier in der Abgeschiedenheit war es möglich, an den alten Traditionen festzuhalten. Die beiden Söhne erlernten die Schwertkampfkunst, ausreichend Schreiben und Lesen, um dem Lehnsherrn nützlich zu werden, wenn sie das entsprechende Alter erreichten. Der jüngere Sohn allerdings bereitete den Eltern Kummer. Er wollte sich nicht fügen in sein Schicksal, sondern wanderte lieber in den Wäldern umher, wissbegierig auf alles, was seinen Pfad kreuzte. Zudem glich er weder Vater, noch Mutter. Seine Augen waren die eines Raubtiers, seine Zähne scharf und seine Sinne weitaus besser als die aller anderen. Es war Winter. Der Hungertod zehrte das Land aus, als der Junge, gerade acht Sommer zählend, verbotenerweise in die Wälder ging, um dort zu jagen. Auch andere, Ronin und heimatlose Bauern, eine lose Räuberbande, hatten denselben Entschluss gefasst. Dem Jungen waren sie keine Konkurrenz, er stöberte ihre nutzlosen Fallen auf. Da traf er auf einen einsamen Wolf. Der musste alt sein, ausgehungert. Wie es die Wölfe zu tun pflegten, wich er vor dem Menschen zurück und trat in eine der ausgelegten Fallen. Da der Junge die anmutige Schönheit und Freiheit des ungezähmten Tiers bewunderte, die Eleganz und den unbeugsamen Stolz, der den alten Wolf umgab, befreite er den Wolf. Dies bemerkten die Räuber. Nun wussten sie, wer ihre Fallen entdeckt hatte. Sie machten den Jungen und den Wolf verantwortlich für ihre Misere und verfolgten die beiden. Als der Wolf innehielt, folgte der Junge seinem Beispiel. Sie waren lange durch den Wald geflohen. Sie hörten Gesang. Der Junge wusste, dass sie sich in der Nähe eines Baches aufhalten mussten, an dem selbst in diesem strengen Frost die Frauen und Mädchen Wasser schöpften und Wäsche einweichten. Während der Wolf diese Richtung wählte, weil sie seine Flucht erfolgreich sichern würde, zögerte der Junge. Würden die Räuber auf die wehrlosen Frauen und Mädchen treffen, drohte diesen Vergewaltigung und Tod. Also schlug er einen anderen Weg ein und machte sich daran, wild und frei bis zum letzten Atemzug sein Leben zu verteidigen. Er folgte einem Pfad, der die einzelnen Fallen der Räuber streifte und lockte einige von ihnen sogar in diese. Die hartnäckigsten gaben nicht auf und fingen den sich heftig wehrenden Jungen. Sie glaubten, dass er mit dem Wolf paktiert habe, gar kein richtiger Mensch sei. Um sich zu überzeugen, hielten vier Männer den Jungen, während der Anführer das Schwert über die Bauchdecke sausen ließ. Da sie aber kein Fell fanden, wollten sie den Jungen töten, als der sich aufrappelte und einen Abhang hinabstürzte. Er rollte und rollte, überschlug sich mehrfach und kam endlich in tiefem Schnee zu liegen. Es war dort kalt, der Himmel über ihm so weiß wie die Decke, die ihn aufgefangen hatte, ohne Makel, ohne Fehl. Der Junge schloss die Augen und stieß das Lebewohl der Wölfe zum Firmament. Allerdings nahm die Geschichte damit noch nicht ihr Ende. Der Wolf, der direkt zwischen die Mädchen und Frauen gesprungen war, schreckte sie auf, sodass sie angstvoll in das Dorf flohen. Dort sammelten sich die Männer, um den Wolf zu jagen, als die Hunde anschlugen und Blut witterten. Sie fanden den Jungen, starr und steif. Er atmete noch. Der Vater bat den Arzt des Lehnsherren, seinem Sohn das Leben zu retten. In der Kälte kniend nahm der Mann seine Knochennadel und nähte den klaffenden Leib des Jungen zu. Niemand glaubte, dass er überleben würde. Der Junge aber erwachte, und fortan war sein Willen nicht mehr zu beugen. Wie ein Wolf wollte er durch die Welt streifen und strafen, mit seiner unschlagbaren Linken, mit seinem menschlichen Verstand und seinem animalischen Instinkt. Die Räuber, die den Wolf geboren hatten, sahen ihn alle wieder, als er kam, um ihre Strafe zu vollstrecken." ~+~ Saitou zwinkerte bar jeden Humors in die verhangenen Augen des Faustkämpfers, als er sein schauriges Märchen beendet hatte. "Somit könnte man wohl sagen, dass es nicht die angemessene Methode war, einen Wolf zu entlarven." Bemerkte er süffisant. In Sanosuke rotierte das Gesagte mit seinem Bild des Wolfs umher, enthüllte die fehlerhaften Annahmen, die er getroffen hatte. Der Polizist war gar kein Angehöriger des Adels oder der hochstehenden Samurai-Ränge? Er war ebenso leidenschaftlich und freiheitsliebend wie er selbst gewesen? Um seine Erschütterung zu verbergen, kehrte er sich ab, starrte in die Ferne, die so merkwürdig wirkte im Vergleich zu Eis und Not der Erzählung. "Und, ist einer deiner Söhne auch ein Wolf? Du hast doch drei, nicht wahr?" Fauchte er in fehlschlagendem Versuch, ebenso kühl und unbeeindruckt wie der ältere Mann über die Enthüllung hinwegzugleiten. "Eine Frau, drei Söhne." Bestätigte Saitou ruhig. "Keine Raubtieraugen, keine Linkshänder. Keine Wölfe." "Siehst du sie deshalb nicht?" Wagte sich der Faustkämpfer tollkühn auf ungesichertes Gelände. Er konnte keinerlei Anspruch erheben, keine Vorhaltungen machen, da er selbst den Wolf für sich gewinnen wollte. Saitou zündete sich eine Zigarette an, kontemplierte über seiner Antwort, bis Sanosuke die Stille nicht mehr ertragen konnte, herumschnellte, sich kniend vor dem älteren Mann aufbaute. "Erwartet mich das gleiche Schicksal, wenn du genug von mir hast?!" Fauchte er hitzig, die Augen schwarz aufblitzend, die Fäuste zum Schlag erhoben. Eine Rauchwolke trieb müßig vor seinem Gesicht vorbei, als der Polizist lässig einen Arm auf ein Knie ablegte, die Zigarette dort glimmen ließ. "Ist es das, was du fürchtest? Nicht nur Kindern ihren Vater wegzunehmen, sondern verlassen zu werden? Hmmm?" Sinnierte der Ältere spottend, die Lider auf Halbmast gesenkt, als sei er der Fragen überdrüssig. Simultan schlugen Sanosukes Fäuste rechts und links des ehemaligen Shinsengumi in den Baum ein, splitterte Borke umher. Die Nasenspitzen nur Wimpernschläge voneinander getrennt duellierten sie sich mit flammend-eisigen Blicken. Sanosukes Atem flog hitzig und schnell. Er wusste, er würde die Beherrschung verlieren, diese Auseinandersetzung beenden und Spott ernten. Rasch stieß er sich ab, bereit, seine Kleider aufzuraffen und mit ausholendem Schritt seiner Wut und Angst durch Bewegung ein Ventil zu schaffen, als sich ebenso schnell eine Hand einem Schraubstock gleich um sein Handgelenk legte. "Wer hat dir erlaubt zu gehen?" Knurrte der Wolf ungehalten, unterwanderte mit einem weiteren Ruck die Balance des Faustkämpfers, um ihn sicher an seiner Brust einzukerkern. Der jüngere Mann in seiner Umklammerung wehrte sich halbherzig, von einer unwirschen, hilflosen Klage begleitet. "Ich hasse es, wenn du mit mir spielst, mir nie vertraust, egal, was ich tue!" "Tsstss!" Tadelte es kehlig an seiner Wange. "Stell dich nicht dümmer, als du bist, Gockel. Das ist kein Spiel. Das weißt du." Sanosuke ergab sich, seufzte tief, die Arme über Kopf im Nacken des Schwertkämpfers gekreuzt. "Ich weiß." Gestand er leise ein. "Aber so viele Dinge in deinem Leben sind verborgen oder unverständlich." Ein raues, amüsiertes Lachen echote an seinem Hals, während spitze Zähne seine Ohrmuschel anschließend in Beschlag nahmen. "Unverständlich? Und das von dir?" Spottete der ältere Mann neckend, liebkoste seinen Gefährten. "Von einem frechen Jungen, der seinen Vater verließ, um sich einer Rebellenbande anzuschließen?" Hungriges Saugen an der Kehle verhinderte den gewohnten Protest, als sich Sanosuke unwillkürlich aufbäumte, den Kopf weit in den Nacken legte. "Der vorgibt, ein beschränkter, aufgeblasener Trinker und Raufbold zu sein, statt seinen Verstand zu bilden, für Geld Prügel verteilt? Mit einem vollkommen unpraktischen Zanbato?" Saitou hätte die Liste der 'Unverständlichkeiten' im Leben des Faustkämpfers durchaus bis zum Abend fortführen können. Sanosuke wand sich energisch, versiegelte den lästernden Mund des Polizisten gründlich. Als sie sich mangels Sauerstoff voneinander lösen mussten, umarmte er den älteren Mann, kniete zwischen dessen Beinen. "Wirst du mir antworten, irgendwann?" Erkundigte er sich kaum hörbar, voller Ernst. Mit der Rechten wischte der ehemalige Shinsengumi störrische Fransen aus dem attraktiven Gesicht des Straßenkämpfers, lächelte leichthin. "Urteile nach meinen Taten, nicht meinen Worten." Gab er kryptisch zurück, nahm das linke Handgelenk mit der safrangelben Kordel in die eigene Linke. Der Streithahn seufzte profund. Sein gewohntes, freigiebiges Lächeln erstrahlte wieder. "Ich liebe dich, mein Wolf. Ich bin froh, dass du bist, wie du bist!" Versicherte er laut. "Vorlauter Gockel." Knurrte der Angesprochene mit sparsam gelupfter Augenbraue mokierend, um seinem krähenden Gefährten jede weitere Äußerung mit leidenschaftlicher Knebelung zu untersagen. ~+~ Ihr Vorankommen von der Klinik bis zum öffentlichen Badehaus in Katsuhiros Wohnviertel währte eine Nerven zehrende Zeitspanne in ermattender Hitze. Kamatari hielt sich mit eisernem Willen aufrecht, auf seinen Stab gestützt, die haselnussbraunen Augen glasig vor Fieber, schwankend trotz der Hilfe des Malers, der seinen langsamen Schritten Folge leistete. Als sie endlich das kühle Innere erreichten, besorgte er Waschutensilien, zahlte das bescheidene Entgelt. Er hoffte, dass die 'Sängerin' in der temporären Verkleidung als Bauer nicht zusammenbrechen würde. Behutsam dirigierte er die überschlanke Gestalt auf einen niedrigen Schemel, streifte die Yukata von den mageren Schultern, löste den Stoffstreifen, der die magere Taille umspannte. Die Bandagen folgten, legten den Stützverband um das linke Knie frei. Der junge Mann kauerte an Katsuhiros Seite, umklammerte den Stab wie den einzigen Halt in seiner Welt. "Kama-chan." Aufmerksamkeit einfordernd berührte der Maler die glühenden Wangen, lächelte unsicher in die tränenden Augen. "Hab nur noch ein wenig Geduld, bitte, dann wird es dir besser gehen." Versprach Katsuhiro flüsternd. Ohne sich um etwaige neugierige Blicke anderer Gäste zu kümmern, tupfte er sorgsam das erfrischende Wasser über die helle Haut, reinigte sie in sanftem Kreiseln von Schmutz, Schweiß und Spuren Ungeziefers. Die von ihm zuvor gestutzten Strähnen mit ihrem aparten Aufwärtsschwung, der Kamataris anmutige Nackenpartie betonte, schamponierte er liebevoll, spülte sie aus, den fiebrigen Mann mit einem Arm umschlungen, bis ihre schwarze Pracht wie Seide schimmerte. Bei der eigenen Körperpflege legte Katsuhiro das Hauptaugenmerk auf Schnelligkeit und Erfrischung. Es hieß, seinen Begleiter wieder einzukleiden, sich selbst die klammen Stoffe widerwillig um den Leib zu schlingen. Sie trotzten der brütenden Hitze erneut, bis sie sein Haus erreicht hatten, das in einer Reihe ebenso bescheidener, schmaler Gebäude stand. Von den Temperaturen vertrieben herrschte Schweigen vor, zeigte sich niemand außerhalb des Gebäudeschattens, als das ungleiche Paar sich über die einzelnen Platten, respektive die sandige Fläche daneben, der Unterkunft des Malers näherte. Katsuhiro positionierte seine Benten auf dem eilig ausgerollten Futon, löste die schäbige Yukata und die Bandagen, deckte Kamatari mit einer dünnen Yukata aus seiner Kleidertruhe zu. Endlich am Ziel angelangt verließen den überschlanken Mann seine letzten Kräfte. Er schlief sofort ein. Nachdem er sich aufgerichtet hatte, versenkte der Maler die Verkleidungen seines Gastes in einem Eimer zwecks Reinigung. Anschließend setzte er Wasser für Tee auf. Seine Vorräte waren mager, berücksichtigte man die Bedürfnisse eines ausgezehrten, fiebernden Kranken. Katsuhiro entschloss sich, rasch Medizin und einige Nahrungsmittel zu besorgen. Mit einem abschließenden Blick auf den ruhig schlafenden, jungen Mann huschte der Maler mit grimmigem Ausdruck in den Glutofen hinaus. ~+~ Sanosuke schmollte in kindlicher Verärgerung, während er gleichzeitig die Knöpfe der Uniformjacke schloss. Er war sich bewusst, dass der stoische Polizist eine unerhörte Abweichung der Routine vorgenommen hatte, um ihn in der Mittagszeit zu 'beglücken'. Das musste mit verlängerter Einsatzdauer kompensiert werden. Es hinderte ihn jedoch nicht daran, sein Missfallen plakativ zu demonstrieren. "He." Eine Hand umschloss sein spitzes Kinn, fokussierte seine Augen in die Bernsteinsonnen. "Versuch, dich aus Schwierigkeiten herauszuhalten, Gockel, verstanden?" Der Faustkämpfer streckte seine Zunge als Botschafter seiner Antwort heraus, verschränkte die Arme abweisend vor der Brust. "Ich bin kein Kind mehr, klar?! Außerdem könnte ich das Gleiche auch zu dir sagen!" Stellte er akribisch fest. "Mich muss man aber nicht regelmäßig aus einer Zelle auslösen." Erwiderte der Ältere pointiert, genoss ihren neckenden Disput. "Da hätten wir wenigstens einen Futon." Provozierte Sanosuke mit halb gesenkten Lidern, lasziv seine Lippen anfeuchtend. "So verweichlicht ist die Jugend schon!" Spottete Saitou grinsend, kniff mit festem Griff eine Hinterbacke des Faustkämpfers. Der wich protestierend zurück, liebkoste die malträtierte Stelle. Eine Hand auf seinem Schwertgriff ruhend tippte Saitou sich an den Schirm der Uniformkappe. "Bis dann, Gockel." Knurrte er, wendete sich ab. "Wenn du nicht kommst, zerre ich deinen verknöcherten Arsch aus deinem lausigen Büro!" Lautete Sanosukes Abschiedsgruß, bevor er sich selbst in die entgegengesetzte Richtung aufmachte, ein breites Grinsen auf den Lippen. ~+~ Die Zeit bis zur Abenddämmerung verstrich unerwartet zügig für Katsuhiro, der seinen Gast abwechselnd mit Medizin und Suppe fütterte, um den Geschwächten wieder auf den Futon sinken zu lassen und dessen Schlaf zu bewachen. Wie sollte er Kamatari auslösen? Was konnte die Meiji dazu bewegen, einen verurteilten Kämpfer von den Zehn Schwertern, der des Vaterlandsverrats, der Verschwörung und des vielfachen Mordes beschuldigt worden war, aus ihrem peinigenden Zugriff zu entlassen? Keine Frage, die Bestrafung, die man Kamatari zugedachte, war perfid und darauf ausgelegt, den jungen Mann zu brechen, systematisch und ohne Erbarmen. Einen Nutzwert als Agent konnte man dagegen kaum annehmen. Zudem schwirrte das alte Teehaus vor zwielichtiger Gestalten, die sich meistbietend in den Schatten herumtrieben, ohne bereits mit dem Stempel des Verräters gebrandmarkt worden zu sein. »Man müsste zunächst die Agenten entlarven, die auf Kamatari angesetzt waren! Dann die Mitglieder der Regierung oder ihre Beauftragten ermitteln, die eine solche Entscheidung treffen konnten und zu guter Letzt die Beweise und Argumente, die sie zwingen würden, in seinem Sinn zu votieren.« Allerdings wären sie stets auf der Flucht. Seine Tätigkeit als Regimekritiker wäre beendet. Katsuhiro massierte sich die Schläfen. Er musste einen gangbaren Weg finden, ganz gleich, was erforderlich war, wenn er die ausgestreckte Gestalt neben sich betrachtete. Er konnte das sehen, was Kamatari war: die anmutige Vereinigung von Gegensätzen, weibliche Schönheit und Eleganz mit männlicher Kraft, dessen Lächeln, die herrliche, samtige Stimme, das neckende Funkeln in den Haselnussaugen. Der Maler schüttelte in nachsichtigem Tadel den Kopf über die eigene, sehnsüchtige Verehrung. »Seltsam, ich habe ein Jahrzehnt in der Kältestarre des Winters meiner Einsamkeit verbracht. Erwartet mich wirklich ein Frühling?« Der Maler lächelte, beugte sich über den Schlafenden, hauchte einen Kuss auf die trockenen, glühenden Lippen. »Ich gelobe dir, meine Benten: ich befreie dich.« ~+~ Kamatari blinzelte an die bereits vertraute Zimmerdecke, bevor er sich auf die Ellenbogen stützte, an der Wand entlang hoch gleitend aufsetzte. Er fühlte sich gekräftigt und bei klarem Verstand, was er als sehr gutes Zeichen einschätzte. Auch pochte sein zerstörtes Kniegelenk nicht mehr so peinigend wie am Vormittag, als er sich aufgemacht hatte, aus dem Teehaus zu entschlüpfen und den seltsamen Maler zu treffen. Der saß neben ihm, zeichnete mit Kohle auf grobem Papier, die schulterlangen Haare in einem kurzen Zopf zurückgebunden. Winzige Perlen Schweißes glitzerten auf dessen Kehle, als er den Kopf anhob, Kamatari zulächelte. Der erwiderte vorsichtig die freundliche Geste, tastete versichernd nach seinem Stab. Warum kümmerte diesen Mann sein Schicksal? Warum opferte er dermaßen viel Zeit und Geld, wachte an seiner Seite, wusch ihn, bot ihm eine Zuflucht? Um sich abzulenken von der Unmöglichkeit, diese großzügigen Zuwendungen jemals entgelten zu können, streckte er die Hand nach der Zeichnung aus, studierte sie nachdenklich: eine junge Frau in einem farbenprächtigen Kimono voller Schmetterlinge hielt einen Fächer, als habe man sie mitten in einem Tanz eingefangen. Sie lächelte warm, ohne Koketterie oder Anzüglichkeit, während ihre freie Hand sich dem Betrachter offerierend entgegenstreckte. Eine Aufforderung, dem Reigen beizuwohnen. Obgleich er Mühe hatte, sich dem friedvollen, zärtlichen Zauber des einfachen Bildes zu entziehen, erkannte er Charakteristika, die ihn vermuten ließen, selbst das Modell für diese Studie gewesen zu sein. "Aber ich bin keine Frau. Tanzen kann ich auch nicht mehr." Bemerkte er in leiser Kritik, nicht willens, den Maler zu kränken. Andererseits erfasste er die Notwendigkeit, die einer schwärmerischen Verehrung den Riegel vorschieben musste, um größeren Schmerz zu verhindern. Katsuhiro nahm seine Zeichnung entgegen, rollte sie ein, um sie in einem offenen Regal zu verstauen. Er löste das Band um seinen Zopf, bevor er sich herumwandte und Kamatari antwortete. "Ich weiß, wer du bist, Kama-chan. Wenn es einen Weg geben sollte, damit du wieder tanzen kannst, hoffe ich, dass wir ihn finden." Der Angesprochene schnaubte, zupfte sich einige Fransen in die Stirn. "Wie dem auch sei, aber ich werde niemals etwas Ganzes sein, weder Frau, noch Mann!" Betonte er seine Sichtweise. "Warum auch?" Überging Katsuhiro die unterschwellige Aggression in der Replik. "Wer würde die Freiheiten eines Mannes aufgeben, um eine Frau zu werden? Welche Frau könnte erhoffen, wie ein Mann respektiert und geachtet zu werden?" Der Maler schenkte Tee in Schalen aus, platzierte sie neben dem Futon, bevor er Kamataris Blick auf sich zog. "Du kannst von dir sagen, dass du mehr bist, mehr als Mann oder Frau. Reduziere dich bitte nicht auf den kleinen Horizont anderer. Das wäre eine Verschwendung ohne Beispiel!" Beendete er sein leidenschaftliches Plädoyer, barg unversehens Kamataris schlanke Hände in den eigenen. Nach einer längeren Pause, die Kamatari benötigte, um sich zu sammeln, von seiner Überraschung zu erholen, strichen seine Daumen zaghaft über die Handrücken des anderen Mannes, heftete er seinen Blick zu Boden. "Mag sein, Katsu, aber wie soll ich überleben, wenn man mich ächtet?" Der Maler schnaubte zur Unterstreichung seiner Antwort. "Das wird sich zeigen! Ab jetzt stehe ich an deiner Seite." Gegen seinen Willen stahl sich ein Lächeln auf Kamataris Gesicht, schmuggelte sich von Mundwinkel in die Haselnussaugen, bis es die gesamte Fläche erobert hatte. "Erwarte nicht zu viel von mir, Katsu!" Warnte die 'Sängerin' kokett, ließ die langen Wimpern flattern. Katsuhiro erwiderte das Lächeln ernsthaft. "Keine Sorge, ich werde nichts einfordern." Beantwortete er unausgesprochene Befürchtungen ruhig. "Was versprichst du dir dann vor mir?" Platzte es verblüfft aus Kamatari heraus, bevor er sich auf die Lippen beißen konnte, zu seiner Irritation Röte in seinen Wangen bemerkte. Sein Gegenüber liebkoste eine der sich färbenden Wangen sanft mit den Fingerspitzen. "Ich möchte dich singen und tanzen sehen, Kamatari. Dein Lachen hören und wissen, dass ich nicht ohne Ziel gelebt habe." ~+~ Je näher sich der Zeitpunkt schob, an dem Kamatari aufbrechen musste, um wieder rechtzeitig im Teehaus seine Verwandlung in die 'Sängerin', die man verächtlich 'Miko' titulierte, vorzunehmen, umso massiver breitete sich das Schweigen zwischen den beiden Männern aus. Ihnen war bewusst, dass sie sich den Umständen beugen mussten, Geduld zeigen, bevor man erwägen konnte, das 'Engagement' in dem gewaltigen Etablissement zu beenden. Kamatari nahm schließlich den Stab, verstrubbelte die frisch gewaschenen Haare, um seinem abgerissenen, äußeren Eindruck Rechnung zu tragen, trat an die Tür. "Ich werde dich begleiten!" Rasch schulterte Katsuhiro seine Utensilientasche. Kamatari legte sanft, aber bestimmt die freie Hand auf die Brust des Malers. "Das wäre unklug. Honda kann bereits eine Verbindung zwischen uns herstellen, was gefährlich werden könnte. Wenn es uns gelingt, dem Teehaus zu entfliehen, wäre es von Vorteil, wenn man keine Kenntnis von unserer Freundschaft hat." Wimpernschläge verrannen, bis Katsuhiro die gespannten Schultern resigniert senkte, seine Akzeptanz nonverbal signalisierte. "Dann werde ich eben später nachkommen." Bestimmte er missmutig, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Türpfosten. "Ich hebe die saftigsten Gerüchte nur für dich auf!" Neckte Kamatari großspurig, hauchte einen leichten Kuss auf eine Wange des Malers. "Sei vorsichtig." Wich der von ihrer spielerischen Verabschiedung ab, zupfte beiläufig eine Locke im Nacken der 'Sängerin' zurecht. "Geh kein Risiko mehr ein." Kamatari nickte knapp, klopfte mit dem Stab bestätigend auf den Boden, wechselte hinaus in die Nacht. Es würde schwierig genug werden, unerkannt in das Teehaus zurückzukehren und die Fron seiner Strafe zu ertragen. ~+~ Während er in dem vernachlässigten Wildwuchs, der als Garten klassifiziert wurde, rasch den Busch ansteuerte, der seine Kleider verbarg, resümierte Kamatari über seine Beziehung zu dem seltsamen Maler. Wollte der tatsächlich nicht mehr, als ihn glücklich zu sehen? Unternahm keine Versuche, ihn zu bedrängen, wie es die anderen im Teehaus taten? »Ich selbst, würde ich ihn wählen?« Urteilte man nach den Taten, wäre es schlichtweg Dummheit, den Maler zurückzuweisen. Wollte man analytisch eine Prognose wagen... »Verdammt!« Murmelte Kamatari unterdrückt, stülpte seine Perücke über, suchte nach den Schminkdosen. »Ich weiß wenig mehr, als dass er gegen die Meiji arbeitet, weil er ihre Politik für unehrlich hält. Daneben ist er ein gefragter, wenn auch verschrobener Maler. Familie? Lebensgeschichte? Perspektiven?« Er lächelte über sich selbst. »Kama-chan, wach auf, er wird nicht um deine Hand anhalten! Benimm dich nicht wie eine Prinzessin! Du schuldest ihm Dank und wenn es ihn glücklich macht, dich zu sehen, erfülle seinen Wunsch.« Mit einem kontrollierenden Blick inspizierte er seine Verkleidung. »Auftritt der 'Sängerin'!« ~+~ Katsuhiro streifte bereits zum dritten Mal durch das gesamte Gebäude, beobachtete aus den Augenwinkeln seine Umgebung. Legte jemand übertriebenes Interesse an seinem Bummel an den Tag? Konnte dies ein Agent der Meiji sein? Obgleich er Kamatari bei dessen unterschiedlichen Engagements, glücklicherweise als vortragende 'Sängerin', angetroffen hatte, erbot sich keine Möglichkeit, ungestört miteinander zu sprechen. Was ihm jedoch zu Gehör gebracht wurde, bedeutete nichts Gutes. Wie es schien, hielt lediglich interner Streit unter den Fremdmächten sie davon ab, das instabile Land zu invahieren und sich einzuverleiben. Ein strategischer Stützpunkt, ohne großartige Rohstoffvorkommen oder Ähnliches, aber noch nicht verteilt unter den führenden Mächten, die sich argwöhnisch belauerten, ob nicht einer sich unerlaubte Vorteile verschaffen würde. Was sollte er tun? Die Bevölkerung zur Geschlossenheit auffordern, um die Meiji zu unterstützen und den Fremden zu bedeuten, dass sie keine leichte Beute erwarten durften? In der Konsequenz die Politik der Meiji unausgesprochen akzeptieren? Oder seinen Prinzipien und den Idealen der Sekihoutai treu bleiben, die Schwäche der Meiji aufzeigen, Unruhe schüren durch die Unsicherheit der Lage? Was hätte der taichou getan? Katsuhiro runzelte die Stirn. Er mahnte sich, nicht abzuschweifen, wenn er sich in einer prekären Lage befand. Das Teehaus hatte bereits einmal die Szenerie für die unangenehmen Auswirkungen seiner Geistesabsenz geboten. Obgleich "unangenehm" nicht vollkommen zutreffend war, wenn er seine Gefühle aufrichtig studierte. Vielleicht sollte er es für diese Nacht auf sich beruhen lassen? Das unstete Umherwandeln, das schrille Geplauder der umtriebigen Gäste nagte an seiner Geduld. Zudem befürchtete er, auf der Stelle zu treten, was seine Fortschritte hinsichtlich einer Auslösung Kamataris betraf. Als er sich entschlossen vom vierten Geschoss in das darunterliegende arbeitete, Ellenbogen und kräftige Fersen einsetzend, um sich durch den Andrang zu quälen, umklammerten zwei Arme seinen Linken, presste sich ein Leib versuchend an seinen. Bereits im Begriff, eine knappe Absage zu entsenden, stutzte der Maler, als er in Haselnussaugen blickte. Eine hell zwitschernde Stimme umwarb seine Gunst kokett schmeichelnd. Möglicherweise zur Gaudi der Umstehenden auch nur einen Schutzschild erbat, der diese Blume der Nacht in die tiefere Etage geleiten würde. Katsuhiro gab sich galant, wenn auch nicht mehr, als es einem weitläufigen Angehörigen des Personals des Teehauses gebührte. Seine missmutige Miene war ausreichend Beweis, dass er nicht beabsichtigte, sich in die erforderlichen Umkosten zu stürzen, die ein näheres Kennenlernen verursachen würde. Gleichzeitig hielt er hastig Ausschau nach Honda oder anderen Personen, die sich in ihren Schlepptau begaben, spannte die Muskeln seines Arms an, um seine Unruhe an Kamatari weiterzugeben. "Wir müssen reden." Drängte sich die samtige Stimme an sein Ohr, bevor eine Oktave höher schmeichelnde Worte auf ihn einplätscherten. Ein schwieriges Unterfangen, da sich sämtliche Nischen und Separees okkupiert zeigten. Bis der Maler unerwartet auf einen mit Stoffbahnen abgegrenzten Raum stieß, nicht breiter als zwei Tatami. Hastig verband er die beiden Tücher, die ihnen Zugang gewährt hatten, um zu signalisieren, dass diese Enklave auch ihre Besitzer gefunden hatte. Er half Kamatari auf den Futon zwischen einigen Zierkissen, den Arm um die Schultern der 'Sängerin' schlingend, um vertraulich zu flüstern, was ihm Sorgen bereitete. "Kama-chan, heute ist zu viel Betrieb, ich bin nicht sicher, dass man uns nicht beobachtet oder belauscht!" Kamatari lächelte kokett, als habe der Mann mit den marineblauen Haaren etwas Amüsantes berichtet. Er fasste Katsuhiros Schulter, die vertrauliche Geste erwidernd, um im Schatten der langen Haare seines Gegenüber hastig zu raunen. "Man hat drei Agenten auf mich angesetzt, zwei Frauen, ein Mann. Vermutlich keine Meiji. Sie wollen mich möglicherweise anwerben, um Fremde zu unterhalten." Der Maler fuhr die feinen Linien auf den Händen der 'Sängerin' nach, während er mit gesenktem Kopf wisperte. "Das ist nicht gut. Sie könnten alles verlangen." In Reaktion auf diese Bemerkung bohrten sich Kamataris sittsam auf dem Schoß abgelegten Hände in den Kimono-Stoff, bevor er sich zwang, sie zu entspannen. Aufgrund seines kränklichen Erscheinungsbildes und des Hinkens hatte man ihm bisher noch keine der begehrten Kontakte mit den ausländischen Fremden zugewiesen. Er hegte keine Zweifel darüber, was geschehen würde, wenn die, denen ein hübsches Gesicht genügte, feststellten, dass die vermeintliche 'Sängerin' ein Mann war. Waren schon die Männer verachtet, die sich im Teehaus in abgeschiedenen Ecken selbst anboten, weil sie noch niedriger als eine Frau waren, könnte er Gefahr laufen, einfach erschlagen zu werden, wenn seine wahre Erscheinung die Gäste kompromittierte. Dieses Risiko trug er allein, während der Profit, den man sich versprach, wenn man mit einem Mädchen aufwartete, das in den Sprachen der Fremden zu singen verstand und einigermaßen zur Verständigung beitrug, sicherlich immens sein würde. Sozusagen eine Attraktion. "Ich weiß nicht, wie ich sie abschütteln soll." Raunte die 'Sängerin', justierte den Stab, der neben dem Futon ruhte, um ihn in Reichweite zu wissen. "Wir..." Weiter kam der Maler nicht, als sich plötzlich ihr Unterschlupf zu erhellen schien. Das rührte von den sich nach oben rollenden Stoffbahnen her, die eine komplizierte Konstruktion von Spiegelflächen freigab. Einen Fluch unterdrückend glitt Kamatari auf den Futon hinab, posierte ausgestreckt, als sei er von einem leichten Schlummer übermannt worden. Katsuhiro presste die Lippen aufeinander, während er fiebrig einen Ausweg eruierte, um dieser unglückseligen Lage zu entrinnen. Sie hatten in ihrer Hast, einen abgeschiedenen, ruhigen Ort zu entdecken, unversehens einen der exklusiven 'Vorführräume' in Beschlag genommen. Das Lupfen der Stoffbahnen verkündete, dass sich in jedem Separee, in das die Ereignisse von den Spiegeln transferiert wurden, Gäste eingefunden hatten. Ohne die dichten Bahnen konnte man auch gedämpftes Geplauder und Gelächter verstehen, als sich in höflichen Phrasen eine Stimme erhob, um die werten Gäste zu begrüßen, die sich einer anregenden Darbietung erfreuen durften. Diese wenigen Sätze wurden auch in einer anderen Sprache wiederholt, die eisige Schauer über die beiden Männer rieseln ließ. Es war gleichbedeutend mit der Anwesenheit von Fremden im Publikum. Männern, die möglicherweise nach der 'Vorführung' den Wunsch äußern könnten, dass sich die 'Sängerin' zu ihnen gesellen möge. Kamataris Finger wanderten über Katsuhiros, die sich in die Matratze bohrten, auf deren Rand er noch immer kauerte, unentschlossen, mit sich aufstauendem Zorn. Er hatte den Conferencier erkannt, den gehässigen Tonfall sogleich einzuordnen verstanden: Honda, der Kamatari bereits zuvor verfolgt hatte. "Lass uns spielen." Wisperte die 'Sängerin' mit hoher Stimme, als handele es sich tatsächlich um eine der lasziven Koketten, die selbstbewusst ihre Kunden verführte. Der Maler wandte den Kopf. Er studierte die halb gesenkten Lider über den Haselnussaugen, in denen es schalkhaft blitzte, während seine Finger einen mehr als kräftigen Druck erlitten. Die Spiegel wiesen in ihrer Aufhängung und Justierung nur wenig blinde Flecken auf. Sie durften ihre Rolle niemals vernachlässigen, sollte es nicht zu einem Protest des Publikums kommen, wenn es seine Erwartungen nicht erfüllt sah. Was blieb, als der Aufforderung Folge zu leisten? ~+~ Katsuhiro konzentrierte sich bis aufs Äußerste, malte sich einen Ablauf aus, dem er sich anvertraute. Mit nur wenig entblößter Haut zu reizen, Raum für die Phantasie der Zuschauer zu gewähren, wenn er die anmutige Nackenpartie liebkoste, über das Schlüsselbein wanderte. Kamatari raffte geschickt die Stoffschichten des Kimonos zusammen, als sei zu verhindern, dass die Brust dekuvriert würde. Im Sichtschutz seiner Haare, im geschickten Spiel mit Schattenwurf und Kleiderfalten gab er vor, sich an einem kleinen, festen Busen gütlich zu tun, bevor er den Obi lockerte, das unversehrte Bein enthüllte, das sich in wohlgestalteter Makellosigkeit um seine Hüfte wand, als er sich unterhalb des breiten Ziergürtels zwischen den Kimono-Falten verlustierte. Auch Kamatari spielte seine Rolle vollendet, zupfte mal die Ärmel, bis er eine Schulter freilegte, wand sich lasziv, kicherte hinter dem Handrücken, ließ sich fangen und beherrschen. Als könne die Lust, die der Maler verschwenderisch erzeugte, ihn zum willenlosen Werkzeug in den Händen des Partners verwandeln. Dass es weniger um die hohe Kunst der erotischen Liebeswerbung, sondern um eine zeitlich begrenzte Anregung für die zahlende Kundschaft ging, bedeutete für Katsuhiro, sich zu sputen, den seufzend angebotenen Unterleib im beiderseitigen Schatten der Kimonos zu erobern, mit kurzen Grunzlauten die liebliche Symphonie zu kommentieren, die die 'Sängerin' über die purpurrot gefärbten Lippen für 'ihr' Auditorium sang. Nach einigen malerisch-lebhaften "Ausritten" beendeten sie die Vorstellung. Der Maler sank wie ein Raubvogel mit seinem schwarzen Kimono über dem Partner zusammen, der mit geschlossenen Augen der Verzückung nachzuspüren schien, die ihm gestattet worden war. Langsam senkten sich die Stoffbahnen über die Spiegelflächen, reduzierten die Helligkeit in dem Gelass, das sie geschaffen hatten. Lediglich Atemzüge schwangen in der Stille. Katsuhiro stützte sich rasch auf, zog sich ein wenig zurück, fürchtete, trotz aller Bemühungen Kamatari mit seinem Gewicht belastet zu haben, das verwundete Knie zu beeinträchtigen. Eine Hand fasste rasch nach seinem Kimono, zerrte ihn hinunter, wo in den Haselnussaugen, die Schleier trugen, neckendes Funkeln den Nebel durchbrach. "Gib mir einen Augenblick, ja? Deine Vorstellung war wirklich mitreißend." Zwinkerte die 'Sängerin' mit samtig-tiefem Flüstern. Er ließ die freie Hand über die Brustpartie gleiten, wo der Maler noch einige Minuten zuvor mit seinen Lippen rosige Knospen zum Erblühen gebracht hatte. Ein verlegenes Lächeln huschte über dessen angespannte Züge. Er war in seinem emsigen Bestreben, der prekären Situation zu entfliehen, ohne größere Konsequenzen ertragen zu müssen, über das Ziel hinausgeschossen. Ein Windstoß ließ ihn herumschnellen, als ein Schatten über ihm aufragte, Kamatari erschrocken Atem ausstieß. Dann traf ihn ein Knüppel hart. Es wurde Nacht. ~+~ Kamatari keuchte, als die schlanke Gestalt des Malers schwer auf ihn sackte, ihn unter sich begrub, allein seinen Kopf aussparte, der einem viehisch grinsenden Honda seine Aufwartung machen musste. "Hey, Miko, wie wär's mit einer Pussy-Massage, bevor ich dich an die Gäste weiterreiche?" Blökte der Mann, ließ den Knüppel achtlos fallen, um sich hinunterzubeugen, den leblosen Körper Katsuhiros an der Schulter zu packen, wie ein Bündel Lumpen wegzuschleudern. Instinktiv wollte die 'Sängerin' die Beine anziehen, erinnerte sich des versehrten Knies, das dieser Belastung nicht gewachsen sein würde. Der Aggressor schlug bereits den Kimono auseinander, drängte sich zwischen die Beine, griff grob in Kamataris Schritt. Das entrang dem jungen Mann ein hasserfülltes Zischen. Wusste Honda, dass er ein Mann war? Kümmerte es ihn nicht? Ein Handkantenschlag landete in seinem Gesicht. Sofort strömte Blut aus seiner pochenden Nase. Kamatari bekam noch ausreichend Luft, um sicher zu sein, dass kein Knochen gebrochen war. Er entließ winselnde Laute, grub die Finger in den Stoff des Kimono, um seinen Halsausschnitt zusammenzuraffen, wandte den Kopf ab, ein Schluchzen ausstoßend. Honda lachte triumphierend, schnäuzte sich, spuckte aus, geradewegs über Kamataris Kopf hinweg, bevor er dessen Hals attackierte, den schützenden Arm von der Brust zu zerren begann. Blind für den Stab, der perfekt ausbalanciert in Kamataris Reichweite wartete, um mit vollendetem Schwung auf seinen Hinterkopf zu sausen. Eine malerisch-anmutige Bogenbewegung, die noch weitere zwei Male ihr Ziel fand, bis der schwere Mann Kamatari unter sich begrub. Der verlor keine Zeit. Es konnte jeden Moment eine neue Vorführung initiiert werden, Bedienstete eintreten, man nach ihnen Ausschau halten! Das gesunde Knie in den massigen Leib gestemmt gelang es ihm, Honda über sich zu werfen, wie es bei den waffenlosen Kämpfern üblich zu sein pflegte. Er rollte sich auf die Seite, um mittels Stab auf die Beine zu gelangen. Auch Katsuhiro rührte sich wieder, stieß ein unterdrücktes Stöhnen aus, als Kamatari sich beugte, dessen Kopf betastete. "Was für ein Glück, dein Stirnband hat den Schlag abgefangen!" Seufzte die 'Sängerin' erleichtert, um energisch an einem Arm zu ziehen. "Komm, wir müssen hier weg, bevor der Scheißkerl aufwacht." Der Maler streifte seine Hand nachdrücklich ab, wandte sich herum, den gefallenen Mann zu inspizieren. Er glitt sehr langsam von der Hocke in den Stand. "Kamatari, geh allein, aber halte dich von Fremden fern, verstanden?" Raunte er mit flacher Stimme, den Blick nicht von Honda wendend. "Was soll das?" Beunruhigt fasste die 'Sängerin' nach Katsuhiros herabhängender Hand, eine eindringliche Geste, sich eiligst zu erklären. "Der Kerl ist tot." Verzichtete der Maler auf weitere Eingaben, funkelte drohend in die Haselnussaugen, die sich vor Erschrecken weiteten. "Jetzt geh, verdammt! Sie werden vielleicht nach dir suchen!" "Vergiss es!" Fahl-bleich unter der dicken Schicht weißer Schminke umklammerte Kamatari seinen Stab. "Ich lasse dich nicht im Stich!" In den schwarzen, von dunklen Rändern eingefassten Augen loderten eisige Flammen. Der Maler entspannte sich zu einem nachsichtigen Lächeln, signalisierte dem jungen Mann, der unwillkürlich zurückgewichen war, dass keine Gefahr drohte. "Kama-chan, bitte geh hinaus und lenke sie ab. Sing etwas, dann kann ich die Leiche entsorgen." Argumentierte Katsuhiro geduldig. Er rief sich eine Erkenntnis über seinen Gegenüber in das Gedächtnis, die sich unbewusst bestätigt hatte. Einen unentschlossenen Augenblick tanzten Kamataris Finger über das polierte Holz des Stabs. Er nickte knapp, drängte sich durch den von Stoffbahnen sichtgeschützten Eingang. Mit gerunzelter Stirn studierte der Maler den Ausgestreckten, justierte seine Tasche auf der Schulter, quer seinen Torso überspannend, bevor er mit konzentriertem Atemschöpfen den Leichnam vom Boden zog, eine Arm um seinen Nacken gelegt. Es währte zwei gepresste Züge, dann gelang es ihm, seine Last auszubalancieren und den ersten Schritt zu erproben. Sein Plan bestand darin, wie ein Paar betrunkener Männer zu wirken, die schwankend den Ausgang suchten. Bis er das Untergeschoss erreichte, wo er den Leichnam die Treppenstufen hinunterstürzen konnte. Mehr als einmal hatte man bereits in den Vorabendstunden, wenn die Spuren der vergangenen Nacht beseitigt wurden, unglückliche Zecher oder Opium-Süchtige mit gebrochenem Genick gefunden, deren Fehltritt ihr letzter gewesen war. Die größere Sorge würde darin bestehen herauszufinden, ob sich Honda einem anderen anvertraut hatte, was Kamataris und seine Beziehung betraf: Hondas Stellung war nicht bedeutend genug gewesen, um den Conferencier zu mimen. Katsuhiro zweifelte nicht, dass der sich die Falle ausgedacht hatte, in die sie getappt waren. Wenn Kamatari sich nicht geirrt hatte, konnte es durchaus möglich sein, dass die geheimnisvollen Verfolger den Unsympathen angestiftet hatten, um ihren eigenen Zwecke zu dienen. Meiji-Agenten? Yakuza? Oder andere Parteien? Er sehnte sich nach einem Feuer, das Licht ins das Dunkel brachte, es auslöschte. ~+~ Kapitel 18 - Dem Herzen folgend Kamatari ignorierte die sich abzeichnenden Schmerzen in seiner Kehle. Längst hatte es keine Bedeutung mehr, ob seine Stimme weibliche Oktaven umfasste oder ihrem natürlichen Tenor folgte, wenn er Lied um Lied anstimmte. Er bewegte sich sparsam, schritt auf und nieder, nahm nur einen kleinen Radius ein, während er balladeske Geschichten rezitierte, mit seinem Stab kontrapunktisch auf den Boden hieb, seine Mimik sprechen ließ. Eine wechselnde Zuhörerschaft hatte sich um ihn versammelt, lauschte gebannt seinen Vorträgen. Mehr als genug Zeugen zu belegen, dass er sich bis in die frühen Morgenstunden betätigt hatte. Er legte seine ganze Kraft in jeden einzelnen Augenblick, stellte sich vor, wie Katsuhiro die geliebte Benten skizziert hatte. In den Augenwinkeln registrierte er seine Verfolger. Sie schienen das Interesse verloren zu haben angesichts der Menge, die jede persönliche Kontaktaufnahme verhinderte. Hatte der Maler seinen Plan erfolgreich abgewickelt? Kamatari schloss die Augen und sang von der unglücklichen Himmelsprinzessin, die ihren Geliebten nur am Sternenfest sehen konnte. ~+~ Sanosuke wälzte sich unruhig auf dem Futon, bis er entschied, dass es keinen Sinn hatte, sich Schlaf verordnen zu wollen. Die Hitze, die auch in der Nacht nicht abklingen wollte, legte sich bleischwer auf das Gemüt. Er spürte, wie sein Körper sich schmerzlich nach dem Wolf zu sehnen begann. Ein besorgniserregender Gedanke. Der Faustkämpfer nickte ihn gleichgültig ab. Welchen Sinn hatte es, sich Illusionen zu verschreiben? Zwischen ihnen, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick auch erscheinen mochten, hatte es bereits bei ihrem ersten Aufeinandertreffen eine gewaltige Explosion gegeben, die in beiden Männern einen Hunger ausgelöst hatte, der nur von dem jeweils anderen Partner befriedigt werden konnte. Das Ignorieren dieses Bedürfnisses hatte nicht funktioniert. Da sie von der suchterzeugenden Hingabe des anderen gekostet hatten, gab es kein Zurück mehr. »Ich will ihn. Ich meine nicht seine Beleidigungen oder seine arrogante Selbstsicherheit oder seinen Zigarettenkonsum!« Mit einem Mitleid heischenden Knurren entfernte er sich vom Haus, nahm beim Ziehbrunnen Aufstellung, um eine der Kata zu durchlaufen, wie er es in Kioto gelernt hatte. Wenn er trainierte, sich erschöpfte, verband ihn die Erinnerung mit dem sehnigen Mann, dessen Wolfsaugen ihn in Flammen aufgehen ließen, verzehrende, schweflig-gleißende Flammen, konsumierend, bis die Ekstase in Dunkelheit mündete. Alle Grenzen überwindend. Ob Shishio dies ebenso empfunden hatte? Den Kopf schüttelnd verwies Sanosuke diese Assoziation. Hass hatte Shishio vernichtet. Er selbst zog Liebe vor. ~+~ Der Wolf zog an seiner Zigarette, die Berichte memorierend, die man ihm auf winzigen Streifen zugeleitet hatte. Die Dunkelheit hinderte seine Augen nicht, rasch die Inhalte zu überfliegen. Darüber hinaus kannte er den Tenor der Mitteilungen bereits, hatte die Entwicklung erwartet. Informationen allein bedeuteten wenig. Er befasste sich nicht damit, wer sie abgesehen von der Geheimpolizei noch erhielt. Sie zutreffend miteinander verknüpfen zu können und angemessen zu reagieren, sogar vorausschauend zu lenken, Gerüchte zu streuen: DAS bedeutete wahre Kunstfertigkeit. Sie würde allerdings nicht genügen, wenn es den Fremden einfiel, sich temporär zu verbünden, um das kleine Inselreich zu ihrem Expansionsplan hinzuzufügen. Zu viele Puppenspieler verwirrten ihre Fäden hinter den Kulissen. Der Wolf beobachtete sie in der Dunkelheit, die sie selbst bevorzugten, weil sie sich dort unentdeckt glaubten. Seine Fangzähne funkelten spitz. »Meine Gerechtigkeit für mein Land.« ~+~ Kamatari folgte dem müden Strom Bediensteter, die sich Nischen und Separees zum Schlafen wählten, schlüpfte im Schutz fremder Leiber hinaus in den Garten, wo er seine Verkleidung als Bauer deponiert hatte. Zu seiner großen Erleichterung hatte man sie nicht entdeckt. Er konnte auch keine Verfolger ausmachen, sodass er argwöhnte, sie würden ihre Jagd auf die folgende Nacht verschoben haben. Als er sich aufrichtete, bemerkte er einen Schatten neben seinem, wirbelte herum, ließ den Stab wie eine Sense in Kopfhöhe blitzschnell sausen. Eine kraftvolle, schlanke Hand fing den halbkreisförmigen Schlag ab: wenn man in frühester Jugend Sparringspartner für einen ambitionierten Faustkämpfer war, konnte man Einiges einstecken. Wenn man diese Jugend überlebte. "Katsu!" Stieß Kamatari erfreut aus, bevor er sich in einer engen Umarmung fand, besitzergreifend und Halt suchend zugleich. "Ich musste sichergehen, dass man dich nicht verfolgt." Raunte der Maler leise in die wirren Haare, die endlich der erdrückenden Perücke entronnen waren. Nach einigen Herzschlägen lösten sich beide Männer voneinander. Katsuhiro kniete sich, schob die Aufmachung der 'Sängerin' noch tiefer in den verbergenden Busch, bevor er sich erhob, Kamataris Hand in seine nahm. "Nehmen wir den Kanal, zur Sicherheit." Dirigierte er Kamatari hinter das Gebäude, wo der kleine Strom, der den Garten bewässern sollte, einen Teich mit Karpfen versorgte, in einen der unzähligen Kanäle kaskadierte, die die gesamte Stadt labyrinthisch durchliefen. Die 'Sängerin' verzog die Miene, bemerkte schnell, dass die Hitze den Kanälen zugesetzt hatte. Trittsteine ermöglichten ein Durchqueren, ohne dass man mit Unrat und Abwässern in Kontakt kommen musste. "Wenn wir in meinem Viertel sind, wird auch schon die kleine Garküche geöffnet haben, wo es süße Mochi gibt." Stellte Katsuhiro in Aussicht, achtete darauf, dass er Kamatari keine zu großen Schrittweiten zumutete, die dessen Knie belasten konnten. "Ich habe die gesamte Nacht gesungen und getanzt." Bemerkte die 'Sängerin' versonnen. "Wie schade, dass du nicht zusehen konntest." Der Maler lächelte, wandte den Kopf, um seinem Begleiter zuzuzwinkern. "Ich hoffe auf eine private Audienz, verehrungswürdige Benten." Versicherte er mit angedeuteter Verbeugung. Trotz der Erschöpfung entwich Kamatari ein warmes Lachen, das ihn die schwierige Lage vergessen ließ. ~+~ Sanosuke murmelte einen schlaftrunkenen Protest, als ein sehniger Leib sich über ihn platzierte, seine Hände neben seinem Kopf in die Matratze bannte, Finger sich mit seinen eigenen verwebten. Mühsam zwang er seine Lider auf Halbmast, den frechen Usurpator zu ermitteln, als ihn vertraut-erregender Duft umfing, er genießerisch seufzte. "Oh, 'jime..." Weitere Ausführungen wurden kenntnisreich erstickt, da der Wolf keine Absichten hegte, der Gastgeberin seines Gefährten unschickliche Geräusche zuzumuten. Das hinderte ihn nicht, sich hautnah an dem anschmiegsamen Leib einzurichten, den Hunger zu stillen, der begierig in ihnen wütete. ~+~ Weniger als zwei Stunden später erklomm die Sonne das Firmament, den Horizont überflügelnd. Für Saitou das Wecksignal, dem er Folge leistete, sich dem Faustkämpfer entzog, der an seiner Brust geborgen ruhig geschlafen hatte. Seine Uniform auflesend verließ er das einfache Bauernhaus, steuerte den Ziehbrunnen an, sich zu waschen und zu kleiden, bevor er seinen Abschied nahm. Obgleich er keine Zweifel hegte, dass Hanako sehr wohl verstand, welche Beziehung ihn mit dem wilden Streithahn verband, gebot die Schicklichkeit, der alten Dame nicht unvermittelt die nackten Realitäten zu präsentieren. Als er in seine Uniformhosen stieg, deren unvorteilhafter Schnitt stets ein unbewusstes Stirnrunzeln in seine stoische Miene zeichnete, schlangen sich besitzergreifend muskulöse Arme um seinen Oberkörper, schmiegte sich eine struppige Mähne, von einer überraschend samtigen Wange akkompagniert, an seinen nackten Rücken. "Geh noch nicht." Murmelte Sanosuke schläfrig. Seiner Umklammerung mangelte der Nachdruck aber keineswegs. "Mein Dienst beginnt in Kürze, Gockel." Warnte der Polizist knapp, stellte jeder weiteren Störung seiner morgendlichen Routine schmerzhafte Konsequenzen in Aussicht, las man in dem kehligen Knurren. "Es ist immer genug Zeit für eine Trainingsrunde!" Provozierte der Faustkämpfer grinsend, zog mit der Zunge das knochige Rückgrat nach. "Ich fordere dich heraus, Wolf!" Ihr Kräftemessen umfasste zunächst den Versuch, den jeweils anderen zu meistern, was die Umklammerung und einen Befreiungsschlag daraus beinhaltete. Der Wolf hielt einen Herzschlag lang in seiner Gegenwehr inne, genug, um den jüngeren Mann seinen Stand verbreitern zu lassen, die vermeintliche Überlegenheit auf eine verlässlichere Basis zu pflanzen, als bereits sein Hinterkopf ruckartig die Stirn des Faustkämpfers traf. Leidlich benommen währte dessen Unaufmerksamkeit nur Wimpernschläge. Allerdings entscheidende. Mühelos entwand sich der ehemalige Shinsengumi der Umarmung, drängte den Faustkämpfer gegen die gemauerte Einfassung des Ziehbrunnens, zwang die Handgelenke auf den Rücken, während er enttäuschten Protest kundig dämpfte, Sanosuke leidenschaftlich küsste, bis der jeden Widerstand einstellte, in seinem Mund schnurrte und seufzte, seinem Ziel zum Greifen nahe. Ein langes Bein des Polizisten schlang sich um Sanosukes, drückte es in Kniehöhe ein. Mit einem kraftvollen Stoß gegen die Schultern katapultierte der Wolf den Gockel nach vorn, wo der Brunnenrund keinen Halt mehr bot. Mit einem überraschten Schrei schlug der Faustkämpfer klatschend auf die Wasseroberfläche auf, tauchte unter, zappelte sich hektisch zurück an die Scheidegrenze, ausspuckend und farbenfroh fluchend. Ein Schatten verdunkelte den winzigen Ausschnitts des Himmels gute zehn Meter in der Höhe über ihm. Reflexartig duckte er sich unter dem Eimer hinweg, den der Polizist hinabgelassen hatte. "Ein gutes Training." Drang die kehlige, amüsierte Stimme hallend zu ihm hinunter. Die hagere Gestalt des Wolfs entfernte sich aus Sanosukes Blickfeld. Der schlug um sich, wütete eine Weile, bis er sich an einem Aufstieg versuchte. Das gelang erst mit Hanakos Hilfe, die ihr 'Söhnchen' mütterlich abtrocknete, seine Wehklage mit einigen Reiskuchen tröstete. Dabei war sich der Faustkämpfer sicher, ein neckendes Kichern zu vernehmen, wenn er die alte Bäuerin aus den Augenwinkeln beobachtete. »Verdammter Mistkerl! Das zahle ich dir zurück!« ~+~ Katsuhiro erwachte, löste sich aus quälenden Albträumen, weil er seltsame Eruptionen, wenn auch minimal, wahrnahm. »Ein Erdbeben?« Er richtete sich hastig auf, wischte die marineblauen Strähnen aus den Augen, inspizierte Regale und Wände. Hier blieb das Phänomen aus, sodass er sich herumwandte, seinen Gefährten, mit dem er den Futon teilte, betrachtete. Zusammengekauert abgesehen von dem verwundeten Bein zitterte die schlanke Gestalt, die Decke fest um die Schultern gezogen, als böte sie einen zuverlässigen Unterschlupf, der die Welt aussparte. Der Maler streckte eine Hand aus, strich besänftigend über die verspannte Rückenpartie, kämmte mit den Fingern die fransig geschnittenen Haare. "Kama-chan, du bist in Sicherheit." Raunte er fürsorglich, legte sich auf die Seite, schmiegte sich an den verkrümmten Leib an, einen Arm behutsam um den Torso schlingend. Seine Finger liebkosten die krampfhaft in die Decke gebohrten Pendants der 'Sängerin', bis sie sich ergaben, einfangen ließen. "Ich habe Kontakte und einflussreiche Freunde." Wisperte Katsuhiro sanft. "Ich finde einen Weg, um dich zu befreien. Bitte schenke mir dein Vertrauen." Warb er leise, hauchte einen Kuss auf die verlockende Nackenpartie. Geduldig lauschte er den fliehenden Atemzügen, spielte mit den Fingern, die er für sich gewonnen hatte, registrierte die allmähliche Entspannung, die Kamataris Körper weich, nachgiebig formte. "Ich habe noch nie jemanden getötet!" Brach es heiser hervor, von einem gezwungenen Auflachen begleitet. "Wie lächerlich, jetzt die Nerven zu verlieren, nicht wahr?" Endete das Geständnis in einem beschämten Schluchzer. Den Ellenbogen aufgestellt, um seinen Kopf in der Hand abzustützen, betrachtete Katsuhiro das Profil seines Gefährten nachdenklich. "Wie hast du es geschafft, zu Shishios Bande zu kommen? Soweit ich weiß, akzeptierte er nur die versiertesten Kämpfer?" Ein weiterer, gequälter Seufzer, der kaum von einem Schluchzen zu unterscheiden war. Kamatari drehte sich auf den Rücken, ohne die Hand des Malers freizugeben, den Blick an die Decke gerichtet. "Was mich betraf, so war es alles nur ein Scherz!" Würgte er leise hervor. "Eine besondere Demütigung. Meine Aufgabe bestand nämlich nur darin, Botschaften zu übermitteln, seine Partner und Feinde zu verhöhnen, indem er einen verkleideten Mann mit einer Kettensense schickte." Eine Träne glitt über das fahle Gesicht, von den vergangenen Anstrengungen gezeichnet. "Mein Vater ließ mich für den Stockkampf ausbilden, weil ich darin mehr Geschick zeigte als mit dem Schwert. Die Umstellung auf die Sense war nicht zu schwierig. Außerdem war ich in den Tänzen ausgebildet, verfügte über ein gutes Koordinationsvermögen." Vage glitzerte ein melancholisches Lächeln über die spitzen Züge. "Ich hätte alles getan, was er verlangt hätte, ganz gleich, wie erniedrigend es gewesen wäre, weil ich ihm mein Leben verdanke." Die Haselnussaugen suchten flehentlich die schwarzen des Malers. "Er kaufte mir schöne Gewänder, gestattete mir, mich zu kleiden, wie es mir beliebte. Wenn man bereit ist, alles aufzugeben für einen anderen Menschen ohne einen zweiten Gedanken, ist das nicht Liebe?!" Die zusammengepressten Lippen konnten dem Druck nicht lange standhalten, bevor sich Kamataris Verzweiflung in nassen Spuren Bahn brach. Katsuhiro rang mit sich. Eifersucht und Mitgefühl fochten in seinem Inneren, bis er sich besann, Kamatari an seine Brust zog, den zuckenden Leib tröstend bestrich. Die Wehklage seines Gefährten endete in einem lästigen Schluckauf, der beiden schließlich ein die nervöse Spannung brechendes Lachen entlockte. der Maler erhob sich geschmeidig, füllte Tee in zwei Schalen, die er zu seinem Futon transportierte. Kamatari setzte sich auf, ertränkte den widerspenstigen Reflex, bevor er Katsuhiro einen scheuen Blick zuwarf, dessen Stimmung sondierte. Der entschied, seine Emotionen nicht wie gewohnt hinter der missmutigen Maske zu verbergen, sondern erwiderte den suchenden Blick offen. "Ich habe dich enttäuscht." Murmelte sein Gegenüber gehemmt. "Immer, wenn es darauf ankommt, versage ich. Weder Mann noch Frau." Verurteilte er sich selbst. Ungeduldig schnalzend beugte sich Katsuhiro vor, nahm eine Wange Kamataris in Besitz. "Selbstmitleid steht dir nicht. Ich halte es nicht für besonders erstrebenswert, von einem Tod, ganz gleich, was für ein Bastard es gewesen ist, absolut ungerührt zu sein. Durch deinen Einsatz heute Nacht hast du uns vielleicht sogar das Leben gerettet. Alles, was ich von dir erwarte, ist, dass du dir selbst treu bleibst." Sein Daumen versiegelte sanft die wunden Lippen. Nach einem Augenblick seufzte Kamatari resigniert. "Ich kann nicht behaupten, dass ich mich sonderlich mag." Bekannte er leise. "Schon, als ich noch ein Kind war, wollte ich stets von allen geliebt und akzeptiert werden. Wenn ich mit dem Stock kämpfte oder in prächtigen Kostümen tanzte und sang, bewunderten mich alle." Katsuhiros Hand wanderte über Schulter und Oberarm hinunter in den Schoß seines Gegenüber, um dort die nestelnden Hände zu umfassen, als sich seine zweite einfand. "Warum erzählst du mir nicht, wie du zu Shishio gestoßen bist?" Schlug der Maler vor, ein aufmunterndes Lächeln anschließend. Nach einem kurzen Zögern leistete Kamatari der Aufforderung Folge. Seine Miene verriet Katsuhiro, dass er entschlossen war, den Beweis anzutreten, wie verachtenswert er war. "Ich war das jüngste Kind mit der dritten Frau meines Vaters. Wir lebten in einem separaten Haus, damit sich die Wege seiner erwachsenen Kinder und unsere nicht kreuzten. Da er sich um die Zukunft seiner anderen Söhne kümmern musste, ihnen angemessene Posten verschaffte, blieb ich mir meist selbst überlassen. Er gestattete, dass ich auf dem Gelände tun konnte, wie mir beliebte, solange ich ihm in den Kampfkünsten keine Schande machte, die traditionellen Gedichte aufsagen konnte, sauber schrieb, ausreichend rechnen konnte. Um mir die Zeit zu vertreiben, stöberte ich in den alten Truhen und verkleidete mich, studierte kleine Szenen aus den Theaterstücken und Erzählungen ein, die ich in einigen Schriftrollen fand. Natürlich frönte ich meiner Leidenschaft nur, wenn mein Vater nicht zugegen war oder einer der Bediensteten, die im Auftrag meiner Stiefgeschwister spionierten. Eines Tages kehrte er unerwartet zurück, mit einem hochrangigen Ministerialen, dessen Tochter er für mich ausgesucht hatte, was ich nicht wusste. Ich rezitierte gerade einige schlüpfrige Passagen aus einer tragischen Liebesgeschichte, als sie plötzlich im Stall standen, wo ich probte. Mein Vater zögerte keinen Augenblick. Er griff sich einen Riemen und prügelte außer sich vor Zorn auf mich ein. Er war so wütend, dass er sein Herz überlastete und tot zusammenbrach. Ich wusste, dass man mich verantwortlich machen und erschlagen würde, also stürzte ich davon und rannte, bis mich meine Kräfte verließen. Als ich wieder zu mir kam, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Die Welt außerhalb unseres Hofs war so ganz anders als in den Büchern, die ich studiert hatte. Mir wurde schnell klar, dass ich mich prostituieren musste, wenn ich nicht verhungern wollte, aber dieser Gedanke war so abstoßend, dass ich beschloss, mich zu töten. Da stieß Shishio auf mich, vor dem alle zurückwichen, zerrte mich am Handgelenk aus dem Tempel, in den ich geflohen war, um zu sterben. 'Wie wäre es mit einem Tanz?', forderte er mich auf, zog mit seinem Schwert einen Kreis aus Flammen um mich herum. Ich begann, wie von Sinnen zu tanzen, wirbelnd, mich überschlagend." Katsuhiro studierte die konzentrierte Miene seines Gegenüber eindringlich, die verborgene Stärke, die hervorblitzte unter der Schicht aus Selbstverhöhnung und Scham. "Als ich auf den Boden sackte und erwartete, dass er mich töten würde, wie es launenhaften Banditen eben anstand, streckte er eine Hand nach mir aus und half mir auf. 'Komm', zischte er, und ich folgte." Er löste eine Hand aus ihrer Verbindung, zupfte sich durch die Fransen, ließ grazil die Schultern sacken. "Tja, die erbärmliche Geschichte meines Lebens." Zwinkerte er vorgeblich kokett, wischte sich hastig die Augen, als neue Tränen ans Licht drängten. "Hattest du keine Angst vor dem Kampf?" Erkundigte sich der Maler, begleitete die entflohene Hand, um die Spuren der Tränen wegzutupfen. Kamatari schniefte leise, auflachend. "Ich habe trainiert, nicht nur mit der Sense. Seine gesamte Bibliothek durfte ich durchstreifen. Ich war wirklich überzeugt, dass meine Technik nicht zu bezwingen war." Seine Wange schmiegte sich in die tröstende Handfläche des Malers. "Das mit der Sense war übrigens seine Idee. Eine rächende Göttin aus der indischen Mythologie oder etwas ähnliches erschien ihm, als ich tanzte, erklärte er mir. Tja." Um Worte verlegen schloss Kamatari die Augen, seufzte leise. Der Maler fragte sich, wie einsam es wohl gewesen sein musste, in der Gesellschaft der Zehn Schwerter, denen zweifelsohne nicht entgangen war, welches Manko Kamatari anhaftete, nämlich der Hofnarr ihres Anführers zu sein. "Ich bin wirklich pathetisch, nicht wahr? Heule mir hier die Augen aus. Mein Vater hätte mich verdroschen." Ein fahles Grinsen irrlichterte über das angespannte, erschöpfte Gesicht. Sich erhebend wechselte der Maler zu einer Wand, tunkte ein Stofftuch in einen Eimer Wasser, bevor er sich wieder vor Kamatari auf den Futon kniete, behutsam dessen gezeichnete Miene abkühlte, glättete, über Nacken, Schlüsselbein und Kehle wanderte, sorgfältig, zärtlich. Als er den Lappen langsam über die Handgelenke gleiten ließ, schlug Kamatari die Augen auf, studierte den von seiner Aufgabe absorbierten Mann eingehend. Verachtete er ihn? Empfand er Ekel vor so viel Feigheit, dass er deshalb mit dem Tuch hantierte? Oder...? Er beugte sich vor, dankbar für die kurze Distanz, die seinen dem zerstörten Knie geschuldeten Sitz nicht übermäßig strapazierte, fing das ebenmäßige Gesicht des Malers zwischen beiden Händen ein. Er lächelte leicht, um einen Kuss auf die sich fragend teilenden Lippen zu hauchen. Katsuhiro hielt reglos inne, wollte nicht verschrecken. Nur ein winziger Gegendruck, der seine Augenlider rasch sinken ließ, vom Wunsch begleitet, der Moment möge nicht zu rasch verstreichen. Was er nicht tat. Kamatari genoss die zurückhaltende Wärme der fremden Lippen, die ihn nicht gierig bedrängen, einen Speichel triefenden Kundschafter zwischen seine Zähne bohren oder ihn niederringen wollten. Einen Atemzug einschiebend lächelte er unwillkürlich, zwinkerte in die verschleiert wirkenden, schwarzen Augen, die auf Halbmast flatterten, bevor er erneut den Kontakt suchte, neckend, forschend, liebevoll. Der Maler indes hielt ihre Lage für nicht komfortabel genug, legte behutsam die Arme um den fragilen Leib, veränderte die Balance, sodass er Kamatari auf dem Boden ablegen konnte, sich selbst an dessen Seite, allein ihre Lippen verbunden. Seine Finger streiften über die Schläfen die Linie bis zum Hals hinunter, zwirbelten die fransigen Strähnen, während er federleichte Küsse wie Sommerregentropfen auf das sich entspannende Gesicht sprenkelte. Wie schön Kamatari erblühte! Sein zärtlich-neckendes Lächeln strahlte wie eine Sonne durch die Wolken, die sie verdeckt hatten! Ohne innezuhalten erkundete Katsuhiro den überschlanken Leib, liebkoste die glatte Haut, die anmutigen Glieder, legte Spuren aus, die er kreuzte und verließ, wurde zum Jäger auf der Pirsch eines unbekannten Geländes, das er voller Faszination zu erkunden suchte, zu kosten, zu zeichnen. Vage spürte er, wie Kamatari sich samtig seufzend unter ihm wand, die feingliedrigen Finger durch seine Haare tanzten, ihre glänzende Länge durchmaßen. Wenn er sich für Wimpernschläge zurücknahm, konnte er das selbstvergessene Lächeln genießen, das den wenig jüngeren Mann verwandelte, bevor Kamatari sich eines anderen besann, das ein Funkeln der sanften Ironie in die schwarzen Augen zauberte. Ohne Zögern fand sich der Maler in durchaus kraftvolle Arme gezogen, mit einer kaum reduzierten Leidenschaft beglückt, wobei Kamatari keinerlei Scheu mehr zeigte, Aufmerksamkeit einforderte. Etwas, was man einer Frau nicht zugestanden hätte, wie der Maler bemerkte. Das er sehr genoss. Eng umschlungen lagen sie einander anblickend auf der zerdrückten Matratze, atemlos und zögerlich, wie sie fortschreiten sollten. Katsuhiro konnte die Unsicherheit in den Haselnussaugen lesen, die bange Frage, ob man vom ihm erwartete, sich wie die männlichen Prostituierten zu unterwerfen, die Kehrseite zu bieten, um penetriert zu werden. Eine Aussicht, die Kamatari offenkundig verschreckte. Er hob die Hand, liebkoste eine glühende Wange vertraulich. Er wanderte mit krabbelnden Fingerspitzen hinab, bis er den Schritt seines Gegenüber erreichte, dort die unschlüssige Erektion ummantelte. Einander Vergnügen zu bereiten, das war die Losung dieses Augenblicks. Er fuhr massierend damit fort. ~+~ Kamatari folgte spiegelgleich dem Maler, erleichtert, dass ihm eine qualvolle Entscheidung erlassen war, rückte noch näher, das verwundete Bein über die des Malers legend, eroberte die lächelnden Lippen für einen langen, hungrigen Kuss. Sanft, spielerisch, aufmerksam: es schien ihm, dass noch nie in seinem Leben ein anderer Mensch ihn so behandelt hatte wie Katsuhiro. Er fragte sich, ob er nicht besser daran tat, der Vision des Malers Glauben zu schenken. Benten, die Göttin der Liebe zu verkörpern, die sich mutig in die Wellen der Leidenschaft stürzte, in Ekstase sang und tanzte, das Leben feierte. ~+~ Katsuhiro konnte nicht ablassen, den jungen Mann in seinen Armen zu küssen, obgleich er eine profunde Erschöpfung verspürte, einige Augenblicke döste, um erneut auf der weichen Haut zu weiden. Wie einfach war es, Kamatari zu lieben! Wie mühelos, sich in dieser Leidenschaft zu verlieren! Der Maler lächelte träge über sich selbst. »Da verschreibe ich mich einzig der Vergeltung für den Mord an meinen Kameraden, dem Sturz der Meiji. Innerhalb kürzester Zeit, nach einem Jahrzehnt Winterschlaf, bin ich willens, all dies zu opfern für dieses ungewöhnliche Wesen! Fürwahr, eine unerwartete Entwicklung!« Das Objekt seiner Hingabe schmollte im Halbschlummer, kroch in seine Arme, um sich dort bequem einzurichten, mit der Nasenspitze sein Kinn neckend. Einen Kuss auf die Stirn hauchend schloss der Maler seine beschützende Umarmung, wisperte lautlos seinen Liebesschwur. ~+~ Mit jeder verstreichenden Stunde wuchs der Unmut, bis er sich an die Grenze hinaufgearbeitet hatte, in der geballter Zorn seinen Platz einnahm und Sanosukes schokoladenbraune Augen in wüsten Sturm hüllte. Alle Ablenkung, die er sich auferlegt hatte, zeigte sich wirkungslos. Der Markt wurde bereits abgebrochen, ohne dass es ihm gelungen war, seine Energie in körperliche Erschöpfung zu wandeln. Hanako unterdrückte ein nachsichtig-spottendes Lächeln, winkte ihr 'Söhnchen' herbei, damit der hochgewachsene Faustkämpfer die nahezu leere Kiepe schulterte, sie nach Hause beförderte. Sanosuke kam der Aufforderung nach, ging vor der alten Frau in die Hocke, um mit Geschick und beiden Armen ihre fragile Gestalt wie die eines Kindes auf eine seiner Schultern zu setzen. Eine Hand sicherte diesen erhöhten Aussichtspunkt, da richtete er sich bereits auf, entschlossen, mit hohem Tempo dem Bauernhaus in den äußeren Bezirken zuzustreben. Hanako lachte, triezte ihren jungen Freund kichernd. Wie lange war es schon her, dass ein attraktiver Mann sie auf Händen und sogar auf seinen breiten Schultern getragen hatte? Ihr Vergnügen lenkte auch Sanosuke von seiner Verärgerung ab. Das ungleiche Paar wanderte lauthals singend durch die Gassen und sich anschließenden Gärten und Felder. ~+~ Mit Geschick füllte Katsuhiro zerkleinertes Gemüse in die Teigtaschen, drückte die Enden zusammen, um sie in ihrer Kissenform auf einem Dampfsieb zu deponieren, bis es gefüllt war und abgedeckt über das kochende Wasser gehängt wurde. Kamatari lehnte hinter ihm, seit einer schieren Ewigkeit, wie es dem Maler anmutete, damit befasst, dessen lange, marineblaue Strähnen einzeln mit einem pflegenden Öl zu kämmen, was einen seidigen Hochglanz versprach. "So schöne Haare!" Seufzte es an seinem Ohr halb neidvoll, halb bewundernd. "Und ohne dieses schauerliche Band..." Eine Augenbraue lupfend wandte sich der Maler herum, löste Protest aus, weil er die Haarpflege in ihrem Fortgang hinderte. "Was ist an meinem Band auszusetzen?" Tückischen Grund ausmachend, wenn er sich in einer Konversation auftat, wählte Kamatari eine besänftigende Umarmung, schmiegte sich an eine Wange des Malers. "Ich wünschte nur, du müsstest dich nicht verstecken." Erklärte er sich leise, die samtige Stimme voller Ernst. Der Maler senkte den Kopf, streichelte die Handrücken, die sich vor seiner Brust umschlossen, um ihn eingefangen zu halten, lächelte versonnen. "Zu viel Kraft wäre verschwendet worden, wenn ich es nicht getan hätte." Lautete seine Replik, von bitteren Erfahrungen in schattige Nuancen getränkt. Um sich weiterer Erläuterungen zu entziehen, schlüpfte er aus Kamataris Zugriff, erhob sich, um das Dampfsieb aufzusetzen und den Garvorgang zu kontrollieren. Im Nachteil durch das versehrte Bein konnte Kamatari nicht Schritt halten, verzichtete nicht darauf, sich ebenfalls zur Kochstelle zu begeben, dort schweigend den Kamm durch die schulterlangen Haare zu ziehen. Er beobachtete reserviert, wie der Maler eine Soße anrührte, Tee aufgoss, die Teigtaschen prüfte, jeder Handgriff selbstsicher und abgemessen. Ebenso saß die Maske auf dessen Gesicht, abwehrend, undurchsichtig. Den Kamm auf dem eigenen Hinterkopf festgesteckt pirschte sich Kamatari an, schlang die Arme unter den Achseln des Malers hindurch, um sich hautnah an dessen angespannte Gestalt zu schmiegen, den prickelnden Kontakt ohne textiles Hindernis wohlweislich nutzend. Katsuhiro ließ ihn gewähren. Kamatari visierte den nächsten Schritt an, legte das spitze Kinn auf einer Schulterbeuge ab, stimmte sanft ein bürgerliches Lied an, in dem die Seegurke Lust verspürte, sich mit dem Kugelfisch zu messen. Üblicherweise klatschte man begleitend rhythmisch in die Hände, was Kamatari kompensierte, indem er mit den flachen Händen auf Katsuhiros Bauchdecke klopfte, der selbsttätig in sparsame Tanzschritte verfiel. Mit jedem weiteren Vers, der verklausulierte Zoten enthielt, nahm ihr Pas de deux mehr Schwung auf, bis sie wild im Kreise drehten, Katsuhiro die zuverlässige Stütze, die Kamataris Behinderung ausglich. Lachend entschlüpfte ihm der Maler, drehte sich herum, umfasste den überschlanken Mann an den Hüften, um ihn umherwirbeln zu lassen, den Kontakt mit den Tatami zu verlieren. Die Arme fest um Katsuhiros Nacken geschlungen sprudelte Kamatari vor Vergnügen über, ließ sich hinabgleiten, bis er wieder stand, Auge in Auge mit dem Maler, der befreit zwinkerte. "Nun habe ich doch für dich getanzt, gelacht und gesungen!" Neckte er zärtlich, wickelte mit einem Finger eine Strähne auf, die dank seiner Pflege seidig schimmerte. "Bist du glücklich?" Katsuhiro versagte sich eine banale Replik, überwand die geringe Distanz mühelos, küsste seine Benten mit aller Leidenschaft und Hingabe, die er aus tiefstem Herzen empfand. ~+~ "Ich werde dich begleiten." Katsuhiro belud seine Tasche in kompromissloser Entschlossenheit. "Selbst, wenn niemand Fragen über Honda stellt. Diese drei anderen Gestalten könnten dich behelligen!" Kamatari, mühsam die langen Bandagen um seine Beine windend, die den Auftritt eines ärmlichen Bauern mit einer fadenscheinigen Yukata und einem alten Strohhut, den er gefunden hatte, komplettierte, schnaufte verärgert. "Katsu, das Risiko ist zu groß. Vielleicht wollen sie nur meine Fremdsprachenkenntnisse ausnutzen, um mit den Fremden ins Geschäft zu kommen. Möglicherweise wissen sie nichts von meiner Vergangenheit. Ich bin wirklich nicht so bedeutend für die Meiji!" Beendete er seine Argumentation zum wiederholten Male. "Außerdem bin ich nicht vollkommen wehrlos!" Der verlässliche Stab klopfte nachdrücklich auf die Tatami. "Ich folge dir eben mit einigem Abstand." Der Maler wickelte die verbliebenen Teigtaschen in ein sauberes Tuch, das er Kamatari um den schäbigen Gürtel knotete. "Nicht doch!" Wehrte der lachend den Proviant ab. "Wenn sie das riechen, werden sie nicht mehr von mir lassen können." Neckte er grinsend. "Zieh ihnen mit dem Stab einen über." Katsuhiro war definitiv nicht zu Scherzen aufgelegt. "Du bist noch lange nicht gesund. Den Fraß, den man euch dort zumutet, verschmähen selbst die Kakerlaken." Sich abwendend belud er seinen Pinselkasten konzentriert. "Außerdem würde das Fuchsweib mich foltern, wenn sich dein Zustand nicht schnell verbessert." "Das Fuchsweib?" Kamatari zog die Nase kraus, eine Geste, die der Maler erst jüngst entdeckt hatte und einfach hinreißend fand. "Takani, die Ärztin." Erklärte er beiläufig, schloss die Tasche. Für einen Augenblick musterten sie sich schweigend. Kamatari lächelte aufmunternd. "Gut, gib mir einen Vorsprung, ja?" Weiter kam er nicht, da Katsuhiro ihn fest an sich gezogen hatte, nahezu erstickend küsste. "Nur so lange, wie ich brauche, um mich zu 'verkleiden'." Wisperte er an den Lippen seines Geliebten, ließ ihn sehr widerwillig los. Kamatari rollte mokierend die Augen, wandte sich der Tür zu, stolperte ungelenk rückwärts in Katsuhiros Arme, als jemand mit ungestümem Schwung dieselbe aufriss, hinein polterte. "Hi, Katsu!" Schokoladenbraune Augen trafen haselnussbraune, erfassten die vertrauliche Geste, in der der Maler den fremden Mann hielt. "Sano, kannst du nicht erst klopfen?" Herrschte der Maler mit einer Mischung aus Zorn und Erleichterung, während er Kamatari auf die Beine stellte, der den Besucher einzuordnen versuchte. "Kamatari, mein ungehobelter Bruder Sanosuke." Nahte des Rätsels Lösung. Eine Vorstellung vice versa unterblieb, was ihn irritierte. "Ist ja nichts passiert. Ich gehe dann mal. Wir sehen uns später." Wollte Kamatari die Gunst der Stunde nutzen. Insgeheim fürchtete er, dass man auch Katsuhiro zur Zielscheibe wählen würde, wenn der zu oft mit ihm gesehen wurde. Dem war bewusst, dass er von seinem ursprünglichen Vorhaben abweichen musste. Der Faustkämpfer wirkte aufgebracht und unruhig, sodass er seinem jüngeren Wahlbruder wohl seine Aufmerksamkeit widmen musste. Optionen erwägend überraschte es ihn, dass Sanosuke Kamataris Hand um den Stab hart umklammerte, ihn misstrauisch anfunkelte. "Nicht so hastig, Kumpel. Du hörst dich an, als kämst du aus Kioto. Was ist mit deinem Knie, hmm?" Auch Kamataris Laune wandelte sich rapide. Er spürte die Bedrohung, die Kraft seines Gegenüber. Die Fragen taten ein Übriges, ihn in Verteidigungshaltung zu versetzen, die freie Hand zur Faust geballt. "Lass los!" Zischte er wütend, als Katsuhiro sich zwischen sie warf, mit seinem Körper Kamatari schützte, während er Sanosuke ansah, mit der kalten Ruhe eines brodelnden Vulkans. "Gib Kamatari frei, Sanosuke." Wisperte er knapp. Die schwarzen Augen glühten. Perplex von dieser absolut raren Reaktion zog der Faustkämpfer seine Hand zurück, irritiert durch das entschiedene Eintreten seines Freundes. Katsuhiro wandte sich nicht von Sanosuke ab, als er Kamatari bat, ihn später zu treffen. Daraufhin verschwand der in die Nacht, als ihm dämmerte, wer genau Sanosuke war. ~+~ Der Faustkämpfer unterdrückte derweil mannhaft das Bedürfnis, seinen Freund zu schütteln, eine Kanonade an Vorwürfen abzufeuern. Katsuhiro musste doch wissen, wen er da empfangen hatte, auch ohne die Verkleidung! Immerhin war er ein Mann mit den geheimnisvollsten und weitreichendsten Verbindungen, sodass selbst Saitou gelegentlich eine gewisse Verärgerung über den Kenntnisstand des Malers äußerte! Diese Fummeltranse hatte auch die schwere Verletzung von Misao zu verantworten! Abgesehen von dem Engagement für Shishio, der sie in arge Bedrängnis gebracht hatte! Vielleicht spionierte dieser abgerissene Bengel auch und wollte seinen Bruder aushorchen, den Meiji liefern, um selbst seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Die Essenz seiner Sorgen und Befürchtungen komprimierte sich in einem nicht mehr zu unterdrückenden Ausruf. "Hast du eigentlich eine Ahnung, wer dieser Mistkerl ist?!" Katsuhiros Replik fiel denkbar knapp aus. "Ja." Als schossen Stahlwände aus dem Boden, die sie voneinander separierten, bedeutete ihm die Härte in der einzigen Silbe, dass er sich auf einem gefährlichen Territorium bewegte. Das hinderte den Faustkämpfer nicht, auch wenn sein Bruder befremdlich wirkte, sogar sein Aussehen sich verändert zu haben schien. "Der Kerl gehört zu Shishios Schergen! Er ist mit einer Sense auf meine Freunde losgegangen, hat Misao die Rippen gebrochen! Wie kannst du den bloß reinlassen?! Er wird dich verraten! Der ist doch nichts weiter als ne verlogene Bordsteinschwalbe!" Der gewaltige Wutschrei des Malers kam derart unerwartet. Sanosuke konnte sich nicht entsinnen, den nur wenig älteren Mann jemals die Stimme erheben gehört zu haben. Die begleitende Faust traf ihn ungebremst am Kinn, ließ ihn einige Schritte zurücktaumeln. Fassungslos musterte er den fremden Freund, schüttelte seine minimale Benommenheit ab, um in aufkeimender Wut eine Erklärung einzufordern. Katsuhiro kam ihm auch hier zuvor. "Ich warne dich, Sano, lass die Finger von Kamatari!" Zischte der Maler eisig. In den Augen brannten Unheil verkündende Flammen. "Sprich nicht mehr so von ihm. Das werde ich nicht dulden." "Verdammt, Katsu!" Der Faustkämpfer funkelte aufgebracht zurück. "Was soll der Scheiß?! Hast du vergessen, was ich dir von Kioto erzählt habe?!" "Seit wann glaubst du, dass du die Wahrheit für dich gepachtet hast, hm, Sano?!" Der Maler fauchte mit geballten Fäusten. "Was weißt du schon über Kamatari? Du bist doch nur deinem Battousai hinterhergelaufen, nichts weiter! Du hast nicht die geringste Vorstellung davon, was sich hinter Shishios Auftreten wirklich verborgen hat!" "Er wollte Japan erobern mit seiner Mörderbande! Nur die Stärksten sollten überleben! Das genügt doch, meinst du nicht?!" Brüllte der Faustkämpfer zurück, in seiner Ehre getroffen. Ein Stich in seiner Seele verriet ihm, dass er tatsächlich kein übermäßiges Interesse an den Hintergründen gepflegt hatte, sondern sich seinem Freund beweisen wollte. "Du bist doch nur eifersüchtig auf meine Freundschaft mit Kenshin!" Rächte er seine verletzte Eitelkeit. Das ließ Katsuhiro zusammenzucken. "Eifersucht?! Ha! Ich kann nur nicht ertragen, wie du dich von seinem Laienspiel einlullen lässt: der gute Vagabund, der den bösen Attentäter in sich überwunden hat! Sag mir doch, Sano, glaubst du wirklich, dass jeder Mann es in sich hat, ein Battousai zu werden, wie er es war?!" Sanosuke ballte die Fäuste, rang um eine Replik. Er wollte die Situation, Kenshins Lebensumstände, die Bürgerkriege, die allgemeine Not verantwortlich machen. Eines aber kristallisierte sich in seinen Bemühungen deutlich heraus: niemand war wie Kenshin gewesen. Der hatte sich zum Werkzeug anderer degradieren lassen, einen noblen Gedanken verfolgend, der einen hohen Blutzoll verlangte. "Er hat sich geändert." Stellte er das heraus, was ihm am Wichtigsten war. "Er sucht Vergebung für die Morde. Er hilft den Menschen!" Betonte er. "Die Vergangenheit können wir alle nicht ändern." "Soooo?" Schnurrte Katsuhiro trügerisch sanft, während seine Augen Eisblitze versandten. "Aber Kamatari sprichst du die Fähigkeit ab? Einem Mann in deinem Alter, der erst vor zwei Jahren zu Shishio stieß? Der gestern Nacht das erste Mal einen Menschen in Notwehr tötete. Der nie wieder unbeschwert tanzen, nicht einmal mehr gehen wird." In der Defensive verschränkte der Faustkämpfer die Arme vor der Brust. "Er hat nicht gezögert, Misao schwer zu verletzen. Er wollte sie und das Fräulein töten!" "Die ihn zu zweit angegriffen haben, nicht wahr?" Säuselte der Maler arktisch. "Wenn ich mich recht entsinne, sind beide Frauen gesund, während Kamatari bis zum Ende seines Lebens hinken wird, sein Knie zertrümmert ist." "Warum war der Kerl hier, ohne seine Weiberaufmachung? Doch nur, um dich auszuspionieren!" Katsuhiro drehte dem Freund den Rücken zu, wickelte sich sein Band breit um den Kopf, bevor er einen Spiegel zückte, seine Augen mit schwarzer Farbe in düstere Schatten tauchte. "Wenn es so wäre, hätte man ihn genauso behandelt wie die anderen Überlebenden von Shishios Bande, nicht wahr? Er wäre wichtig." Sich umwendend, Sanosuke fixierend zischte Katsuhiro. "Das haben sie nicht getan." Er näherte sich Sanosuke bis auf wenige Zentimeter. Der begriff verspätet, was ihn so befremdet hatte, sah sich außerstande, das in ihren Disput einzuflechten. "Sie haben ihn notdürftig zusammengeflickt und sein Talent als Einladung betrachtet, ihn in das Teehaus zu schaffen, damit er dort Schwänze lutscht und langsam krepiert, entweder an Wundbrand, an Opium oder Verzweiflung. Ich kann mich nicht entsinnen, dass sie den anderen ein solches Schicksal verordnet haben." Der Maler sprach in schneidendem Hohn, jede Silbe scharf wie ein Schrapnell. "Hast du eine Vorstellung, wie das ist, wenn dein Überleben darin besteht, stinkende Körperteile abzulecken, ihren widerlichen Erguss runterzuwürgen, während man dich betascht und misshandelt? Weißt du, wie schwer es ist, sich vor einer Vergewaltigung zu schützen, wenn du vor Hunger nicht mehr denken kannst, dein Körper in Flammen steht und du gleichzeitig wie Espenlaub zitterst? Nun, weißt du es?!" Er stieß Sanosuke hart vor die Brust, der seine Reflexe unterdrückte, sich zur Wehr zu setzen. In den glühenden, schwarzen Augen glomm bitterer Triumph, als sich Katsuhiro ein wenig zurückzog, die Arme sinken ließ. "Ich weiß es, Sano." Raunte er tonlos. "Ich weiß genau, wie das ist." Mit einem Ruck, der die marineblauen Strähnen aufwirbelte, wandte sich der Maler um, sammelte seine Tasche auf. "Darum will ich nie wieder hören, wie du Kamatari beleidigst oder ihn eine Hure nennst. Ich müsste mich fragen, warum du dir eine Hure zum Bruder erkoren hast." In vollkommener Ruhe, als sei der Sturm in seinem Inneren von Augenblick zu Augenblick verflogen, schlang sich Katsuhiro den Trageriemen der Tasche um eine Schulter, korrigierte ihren Sitz. Ein dumpfes Geräusch hinter ihm errang seine Aufmerksamkeit. Er wandte den Kopf. Sanosuke kauerte auf dem Futon. Nach seiner Haltung hatte ihm ihre Konversation förmlich die Beine weggezogen. Die schokoladenbraunen Augen starrten unnatürlich geweitet auf die schlanke Silhouette des Malers. Der konnte verfolgen, wie sich ein Kampf abzeichnete, Unglauben und Fassungslosigkeit mit Schmerz und verdrängter Erkenntnis rangen. Eine Erklärung fanden für die dunklen Ringe, die geschickt gezeichneten Spuren von Missmut und Ablehnung, das unkleidsame Haarband. Katsuhiro hatte es bereits getragen, als der taichou ihn vorstellte, sich entschloss, statt eines aufgeweckten Bauernbengels gleich zwei in seine Obhut zu nehmen. "Aber ich dachte...?!" Entwich ihm eine hilflose Replik. Seine Stimme brach knisternd vor Ungeheuerlichkeiten, die er nicht zu formulieren wagte. Katsuhiro stand vor ihm, in seiner diabolischen, unangenehm wirkenden Aufmachung, musterte ihn lange. Er streckte eine Hand aus, bot Sanosuke an, ihn vom Boden hochzuziehen, sich zu versöhnen. Ein Blinzeln später begriff der Faustkämpfer die freundschaftliche Geste, federte hoch, zog den Maler fest an sich, umklammerte ihn Trost suchend. "Wären wir doch damals nicht getrennt worden!" Wisperte er erstickt, hielt Katsuhiro so eng, dass der nach Luft rang, ihm warnend auf den Rücken klopfte. "Schon gut, Sano, das ist vorbei." Besänftigte der Maler den jüngeren Mann nachsichtig, schob ihn von sich, bereit, Kamatari zu folgen, um wenigstens im Teehaus dessen Wohlergehen sicherzustellen. "Was wolltest du eigentlich mit mir besprechen?" Hakte er über eine Schulter blickend nach, während er Sanosuke mit der gewohnten Ruhe eine Frucht zusteckte, um zu gewährleisten, dass der unverantwortliche, sorglose, kleine Bruder keinen Hunger litt. "Ach..." Der Faustkämpfer senkte den Kopf, empfand seine Verärgerung über das Verhalten des Wolfs am Morgen als banal und kleinkindlich. Katsuhiro schloss die Tür hinter ihnen, fasste Sanosuke an einem Arm. "Ich werde versuchen, Kamatari aus dem Teehaus zu befreien, Sano. Es kann sein, dass ich sehr rasch mit ihm untertauchen muss. Ganz gleich, was passiert, ich melde mich bei dir." Versicherte er sehr ernsthaft. Sanosuke nickte kaum merklich. So ernst war es seinem Freund mit dem abgemagerten Sensenschwinger? "Pass auf dich auf!" Mahnte Katsuhiro gewohnt streng, bevor er sich entfernte. Der Streithahn rief ihm leise nach. "Katsu?" Ein fragendes Funkeln tanzte selbst in der Nacht in den schwarzen Augen, als der Maler sich umdrehte. "Tut mir leid, dass ich nie bemerkt habe, wie schön du bist." Lächelte Sanosuke verlegen, kratzte sich am Hinterkopf. Ein ungläubiges Grinsen irrlichterte über Katsuhiros stoische Miene. Er schüttelte den Kopf, als sei aller Rat der Welt bei einem solchen Bruder vergebens und verschwand. ~+~ Eingedenk der Ermahnungen von Katsuhiro beschränkte Kamatari auch in dieser Nacht, soweit es sich ermöglichte, seine Tätigkeit auf die Unterhaltung der Gäste, sang und tanzte, was die Stimmung aufhellte, von der zehrenden Hitzeperiode ablenkte. Zudem stand er im Licht der Aufmerksamkeit, die verhinderte, dass seine drei Verfolger sich annähern konnten. Die gleiche Wirkung erzielte er auch bei Männern, die eine andere, orale Dienstleistung verlangt hätten. Dadurch lenkte er auch die Beachtung der Geschäftsführer auf sich, die erkannten, dass der Handel mit einem Vermittler der Meiji nicht vollkommen unvorteilhaft für sie war. Würde dies seine Chancen verringern, mit Katsuhiro zu fliehen? Für einen Spion genoss er zu viel Aufmerksamkeit, sodass die Agenten der Meiji sich ebenfalls mit ihm befassen können wollten. Glücklicherweise nahm er aus den Augenwinkeln immer wieder eine schwarzgekleidete, ihm sehr vertraute Gestalt wahr, die unauffällig im Hintergrund über ihn wachte. Katsuhiro würde ihm zur Seite stehen. ~+~ Katsuhiro befasste sich im Augenblick mit den gleichen Optionen, die auch Kamatari erwogen hatte. Allerdings teilte er die Zuversicht seiner geliebten Göttin nicht in gleichem Maße. Zu viele Parteien und Interessengruppen versuchten momentan, einander auszustechen. Ganz zu schweigen von den undurchsichtigen Absichten der Fremden. Wer paktierte mit wem? Wie konnte man dies sich selbst zunutze machen? Ein riskanter Plan entfaltete sich vor seinem inneren Auge, während er der samtigen Stimme lauschte. ~+~ Die Ziegel hielten die Hitze des Tages noch vor, als Sanosuke sich auf dem leicht geschwungenen Dach des Bauernhauses ausstreckte, die Arme unter dem Nacken gekreuzt. Eine leichte, Wärme-schwangere Brise streifte über ihn hinweg. Sein Fokus war auf den sternenklaren Himmel gerichtet. Musste er sich wirklich eingestehen, zu leichtfertig zu urteilen, dumm zu sein? Wie konnte man es sonst erklären, dass er nicht bemerkt hatte, welch unglückselige Geschichte sein Bruder verbarg? »Wieso habe ich nicht nachgehakt, nicht genauer gefragt, als wir uns wiedertrafen?« Ähnlich verhielt es sich bei seinem Wolf. Der vielleicht gar nicht sein Wolf war? Hatte er nicht einfach angenommen, dass Saitou selbstverständlich aus einer hochrangigen Familie stammte, dass er niemals schwach, unterlegen oder hilflos gewesen war? Wollte er Kenshins dunkle Seite nicht sehen, weil sie nicht in sein Bild vom sanftmütigen, bescheidenen Büßer passte? »Falle ich immer auf den ersten Eindruck rein, den ich mir mache?« "Wenn du auf dem Dach zu nächtigen gedenkst, wirst du es allein tun." Knurrte eine raue, mokierende Stimme über ihm. Sanosukes sich träge hebenden Augenlider fanden das hagere Gesicht des ehemaligen Shinsengumi. Der hatte keine Schwierigkeiten, aufrecht auf dem abschüssigen Dach zu stehen oder sich lautlos anzupirschen. Das war dem Faustkämpfer seit ihrem Abenteuer im alten Teehaus in Kioto bekannt. Von den eigenen, wenig erfreulichen Gedanken eingewoben fragte sich Sanosuke, die Lider schließend, was sie wohl in ihm sahen. Seine Trinkkumpane einen lauten, fröhlichen Zecher, der auch mal zuschlagen konnte, wenn es gefährlich wurde. Sein Bruder einen sorglosen, tollkühnen Bengel, der einfach nicht erwachsen werden wollte, alles auf die leichte Schulter nahm. Sein Freund Kenshin einen faulen, gut gelaunten Herumtreiber, der sich durchs Leben schnorrte und dabei versuchte, ohne allzu große Anstrengung seine Kampftechnik zu verbessern. Sein Wolf einen Trottel, der sich keine Gedanken über Verteidigung machte, grundsätzlich nicht arbeiten wollte, jede Verantwortung ablehnte und ohne Ziel dahintrieb im Laufe der Zeit. »Wenigstens tauge ich als Matratze.« Bescheinigte er sich bitter. »Dafür kommt er sogar trotz seiner vielen Pflichten.« "Warum weinst du, Dummkopf?" Schnarrte es in kurzer Distanz. Er wurde bereits an den Jackenaufschlägen in eine sitzende Position gezerrt, mit einem kräftigen Stoß in einer einzigen Wellenbewegung geschüttelt. Der Faustkämpfer schlug die Augen auf, blinzelte durch den lästigen Tränenfilm, der sich unangebrachter Weise seiner Sicht bemächtigt hatte. Gute Frage, wollte er zu seinen vielen Schwächen auch noch Selbstmitleid hinzufügen?! "Nicht wichtig." Brummte er übellaunig, wischte mit dem Handrücken über seine Augen, wandte den Kopf ab. "Willst du mich wieder in den Brunnen werfen?" Erkundigte er sich schnippisch, um die forcierende Gesprächspause zu übergehen, zog die langen Beine an, nutzte seine Knie als Ruhekissen für gefaltete Arme und Kinn. "Das wäre eine bedenkenswerte Option, da es so aussieht, als würde dein Kopf heißlaufen." Bemerkte der Polizist spottend, studierte das Profil des jüngeren Mannes. Die gewohnte, von Verbalinjurien begleitete Schimpfkanonade des Protestes unterblieb. Stattdessen richtete sich Sanosuke auf, eine Hand sichernd an der Dachkrone. "Du bist doch nicht wegen der anregenden Gespräche hier, oder? Gehen wir." Die Bernsteinaugen verengten sich zu Schlitzen. Der Wolf unternahm keine Anstrengungen, seine Irritation in anderer Form zu verlautbaren. Er folgte dem Faustkämpfer in die Felder, wo der achtlos Jacke und Hose abstreifte, sich auf den staubigen Boden sinken ließ, von der andauernden Hitze bereits ausgetrocknet und in spaltende Falten geworfen. Saitou entschied, sich an dem seltsamen Spiel für eine Weile zu beteiligen, schlüpfte aus seiner Uniform, deponierte sie akkurat, bevor er sich zwischen Sanosukes Beine einrichtete, sie auseinander drückte. Er registrierte die geschlossenen Augen, die betont unleserliche Miene, die ausgebreiteten Arme, die eine Wehrlosigkeit implizierten, die ihn verärgerte. Irgendein lächerlicher Gedanke musste sich unter der wüsten Gockelfrisur festgesetzt haben, dass der Streithahn glaubte, sich als Opferlamm des bösen Wolfs präsentieren zu müssen! Er würde der Sache auf den Grund gehen. Mit beiden Händen die Schultern in den Boden pressend beugte sich der ehemalige Shinsengumi hinab, begann, an Sanosukes Gurgel zu lecken, zu saugen, mit den Reißzähnen ihre Konturen zu punktieren, jedes Luftholen und Schlucken seiner Zustimmung bedürftig. Binnen weniger Augenblicke stöhnte Sanosuke vernehmlich unter seiner Aufmerksamkeit, wollte der süßen Folter entrinnen, was Saitou in perfider Umsicht verhinderte. "Was ist los?" Erkundigte er sich kehlig, verlieh seiner Frage durch das Umschließen mit seinen kräftigen Kiefern Nachdruck, als beabsichtige er, die Kehle seines Opfers mit einem Biss zu zerreißen. Der Faustkämpfer sah keinen Nutzen in einer Verweigerung. Immerhin hatte er nichts Neues zu berichten. "Nichts weiter, außer der Tatsache, dass ich begriffen habe, dass ich nur ein nützlicher Idiot bin." Krächzte er heiser. Auch wenn der Polizist durchaus Situationen benennen konnte, in denen er diese Meinung geteilt hatte, ließ er nicht davon ab, Sanosuke zu traktieren, dessen Hals zu bearbeiten, bis der stockend seine letzten Überlegungen preisgab. "So, so." Kommentierte der Wolf trocken, setzte sich auf den Hüften seines Gefährten auf. "Worüber beklagst du dich?" Der fletschte zornig die Zähne. "Würdest du gern ein 'nützlicher Idiot' sein, einer, der einfach für die Realität zu blind ist?!" Mit einem theatralisch überzogenen Seufzer richtete sich der ehemalige Shinsengumi auf dem jüngeren Mann ein, kreuzte die Arme auf der sonnengebräunten Brust, die glühenden Bernsteinaugen schwefelten direkt in die flammenden des Faustkämpfers hinunter. "Wohin ist dein prahlerisches Selbstbewusstsein verschwunden, Gockel? Oder bist du auch zu blind, deine guten Seiten zu sehen?" Lektionierte er streng. "Du bist doch nur hier, weil du mich flachlegen willst!" Fauchte der Faustkämpfer anklagend. "Wenn es dir reicht, versenkst du mich wie Abfall im Brunnen!" Finger schnickten zwecks Erläuterung gegen Sanosukes Bandana-bewehrte Stirn. "Erstens würde nur ein Idiot Abfall im Brunnen versenken, zweitens liegst du bereits flach. Damit wäre meine Mission schon erfüllt." "Du weißt genau, was ich meine, Mistkerl!" Verlegte sich der Faustkämpfer auf das gewohnte Terrain des Beleidigens, versuchte energisch, den älteren Mann abzuschütteln. Der verfolgte mit amüsiertem Schmunzeln die fruchtlosen Versuche. Außer Atem ergab sich der Faustkämpfer endlich. Saitou entschied, dass der Kindereien genug gewesen waren. Er legte sich neben Sanosuke auf die Seite, studierte dessen unverhüllte Rekonvaleszenz, die vertraute Attraktivität des wilden Streithahns. "Weißt du, warum diese Leute deine Gesellschaft wirklich suchen?" Raunte er in die struppig-spitz abstehende Mähne, leckte über die Wange des Straßenkämpfers. Die schokoladenbraunen Augen öffneten sich wieder ihrer Umfeld, nahmen ihn in den Fokus, erwartungsvoll, besorgt, neugierig. Der Wolf grinste, seine starken Fänge bleckend. "Weil du ein untrüglicher Kompass für ihre guten Seiten bist, die sie oft schon vergessen haben." Sanosukes Augenbrauen trafen sich, zwischen Misstrauen und erfreuter Hoffnung schwankend. "Warum bist du hier?" Erkundigte er sich zögerlich. Ein Blitzen wetterleuchtete durch die Bernsteinaugen. Die spitze Wolfszunge glitt über die imponierenden Fänge. "Ich bin hier, weil ich dich fressen will, mit Haut und Haaren!" Grollte der Wolf leise. Die Vibrationen seiner rauen Stimme rasten wie eine Feuerwand durch den Faustkämpfer. ~+~ Der Morgen dämmerte dunstig einem weiteren, glühenden Tag entgegen, als Kamatari und Katsuhiro erschöpft ihren Abschied vom Teehaus nahmen, selbstredend getrennt und zeitversetzt. Während es dem Maler konvenierte, wie die letzten Kunden durch das Portal zu verschwinden, huschte Kamatari eilig, die Perücke bereits abgesetzt, durch das Haus bis zum Untergeschoss, wo die dichten Opiumschwaden sich zu einer süßlichen Nebelbank verdichtet hatten, die eventuelle Verfolger aufhalten würde. Geschickt tastete er sich seinen Weg nach draußen, verzichtete darauf, seine Verkleidung unter dem Busch im Garten zu deponieren. Bei den Latrinen streifte er den auffälligen Kimono ab, umwickelte mit ihm die Perücke, beeilte sich, im Untergewand über die Kanalisation Katsuhiros Wohnviertel zu erreichen. »Ein Bad, ein Futon, eine Mahlzeit.... und Katsu....« Auch wenn sein Knie protestierte, konnte Kamatari nicht innehalten, winzige Hopser in seinen Schritt einzustreuen. ~+~ Der Maler hielt in der angenehm kühlen, abgedunkelten Halle Ausschau nach seinem Liebhaber, der sich trotz früher Stunde munter zwischen den alten Männern hindurch manövrierte, bereits das Unterkleid lässig um die Hüfte baumeln ließ. Katsuhiro nickte knapp. In vertrautem Schweigen reinigten sich beide Männer, massierten einander schmerzende Partien, bevor sie sich eine vereinsamte Ecke wählten, um im heißen Wasser zu entspannen. Kamatari suchte den Blick des Malers, der seine Haare hochgebunden hatte, in die Betrachtung der winzigen Wellen versunken schien, die durch die Bewegungen der Besucher kräuselnd gegen den Beckenrand schlugen. Ohne tarnende Farbschichten, trügerische Schatten und das mächtige Band wirkten die helle Haut und anmutige Gestalt Katsuhiros vergleichbar zart und anziehend, nahezu ätherisch, wenn sich das Licht auf dem Wasser in entsprechendem Winkel brach. "Ist dein Bruder noch wütend auf mich?" Erkundigte sich Kamatari leise, hatte doch der Verlauf ihrer nächtlichen Beschäftigung keinen Raum geboten, sich auszusprechen. Ein schiefes Grinsen störte die Symmetrie der gleichmäßigen Züge. "Manchmal ist er ein wenig unbeherrscht. Er war wütend, weil er das Mädchen, diese Ninja, sehr mag, die du in Kioto getroffen hast." Formulierte der Maler betont neutral. "Oh." Kamatari tupfte sich über die Stirn, zu Katsuhiros linder Verwunderung errötend. "Diese Kleine." Die schwarzen Augen loderten Löcher durch das kleine Tuch, mit dem sich Kamatari emsig das Gesicht abwischte, bis er angesichts der Belagerung aufgab, den Maler ansah. "Sie hat mich mit einem Schlag umgehauen, als ich gerade dabei war, mich umzubringen." Wisperte der überschlanke Mann verlegen. "Ich konnte mich nicht bedanken." Dabei sparte er geflissentlich aus, dass seine Begeisterung, noch unter den Lebenden zu wandeln, erst seit kurzer Zeit bestand. Katsuhiro erhob sich, bot die Hand zur Assistenz an, um mit Kamatari dem Becken zu entsteigen. Eine profunde Müdigkeit lauerte belastend auf seinen Schultern. Er sehnte sich nach erholsamen Schlaf, bevor er sich daran begeben wollte, die Einzelheiten seines Plans auszuarbeiten. Als Kamatari Anstalten machte, in das Unterkleid zu schlüpfen, hinderte er ihn, reichte stattdessen einen honigfarben gefärbten Yukata mit winzigen, braunen Blättern weiter, dessen Herstellung nicht nur eine geraume Weile gedauert hatte, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Drucks den Äquivalent eines Dutzend gemalter Bürgerkriegshelden im Wert darstellte. Der Maler lächelte aufmunternd, als er Kamataris Verkleidung zu einem Bündel schnürte, auf die eigene Maskierung angesichts des kurzen Wegs verzichtete. Kamatari selbst schwieg benommen, strich ungläubig über den Stoff, dessen Farben mit seinen Augen und Haaren perfekt harmonierten, der wie ein Sommertag wirkte. Er stotterte einen Dank, kapitulierte sprachlos vor der Unmöglichkeit, in Worte zu fassen, was er empfand. Mit einem winzigen Lächeln der Selbstzufriedenheit hakte Katsuhiro den Verstummten unter, zollte dem eigenen Sinn für Ästhetik das wohlverdiente Lob. Es war nicht notwendig, dass sich Kamatari aufputzte und einschnürte, um eine verführerische Frau vorzugeben. Ein schlichtes Gewand genügte, seine Schönheit zu umschmeicheln. ~+~ Saitou studierte den Himmel, beugte sich der Notwendigkeit, seinen Dienst antreten zu müssen. Das resultierte in der Konsequenz darin, dass er seinen schlafenden Gefährten auf die Arme nahm, mit dessen zu einem Bündel verschnürten Kleidern auf das Bauernhaus zuhielt. Obgleich man bezweifeln durfte, dass sich jemand in die Felder verirrte, missfiel ihm der Gedanke außerordentlich, den unbekümmerten Streithahn dort ohne Schutz nächtigen zu lassen. Gelenkig aus den Schuhen schlüpfend betrat er mit seiner schlummernden Last den Raum, legte Sanosuke auf dem Futon aus, der seiner geharrt hatte, verschmäht worden war. Als er sich herumdrehte, nickte ihm Hanako zu, reichte unter Andeutung einer Verbeugung eine Schale frischen Tees. Der Wolf bezeugte seinen Dank und Respekt, bevor er das Haus verließ, auf die alte Frau wartete, deren Bedürfnis, mit ihm zu sprechen, nicht ignoriert werden konnte. "Sano ist ein guter Junge!" Versicherte sie eindringlich. Der Polizist erwog die Frage, ob sie vielleicht doch nicht ganz verstand, welcher Qualität ihre Beziehung war, als sie bereits fortfuhr. "Er weiß noch nicht, welchen Weg er einschlagen soll. Ich bitte Euch, behandelt ihn mit Nachsicht, wenn sein Verstand nicht mit seinem Herz schritthalten kann." Der ehemalige Shinsengumi nickte knapp, ein schiefes Zähneblecken unterdrückend. Wie nahm es sich wohl aus, dass ein gefürchteter Mann wie er selbst manchmal keinen anderen Rat wusste, als seinen Liebhaber in einen Brunnen zu stürzen, wenn er seiner Libido nicht mehr trauen konnte? Mit einem angedeuteten Abschiedsgruß wandte er sich dem Weg zu, der durch die Felder zur Stadt hineinführte. Nackte Füße hinter ihm schlugen in den körnigen Belag. Die alerten Reflexe unterstützten seine geschmeidige Drehung, die den heranstürmenden Faustkämpfer in seine Arme springen ließ. "Verdammt, 'jime, geh' nicht ohne ein Wort!" Schimpfte Sanosuke, klammerte sich wie ein Kind fest, schmollend, die Augenbrauen gewittrig zusammengezogen. Saitou erstickte die Farce mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er schob den Streithahn energisch von sich. "Sei nicht töricht, Gockel. Warum sollte ich mich verabschieden, wenn ich wiederkomme?" Versetzte er in dem arroganten, mokierenden Tonfall, der niemals seine Wirkung auf den jüngeren Mann verfehlt hatte. Statt einer Herausforderung, obligatorischen Schmährufen oder anderen Bekundungen von Verärgerung lächelte Sanosuke breit, warf mit beiden Händen Küsse hinter dem ehemaligen Shinsengumi her. Dessen Mundwinkel zuckten ein wenig, bevor er sich hinter der ersten Zigarette des Tages verbarg. ~+~ Kapitel 19 - Kriegserklärung Der Wolf hielt auf das Polizeihauptquartier zu, wo sich auch die Kasernen befanden. Er beabsichtigte, seine Uniform zu wechseln, so bedauerlich auch die Aussicht war, den verführerischen Geruch des wilden Streithahns aus dem Stoff zu bannen. Als er sich noch einen Straßenzug entfernt von einer Kippe in gewohnter Lässigkeit befreite, jagte eine gewaltige Druckwelle, sich in einem Radius von mehreren 100 Metern ausbreitend, auf ihn zu. Erschütterungen wie bei einem Erdbeben folgten, bevor eine ohrenbetäubende Detonation den Himmel in kürzester Zeit verdunkelte. Schwarzer Rauch quoll in einer Säule nach oben, während der beißende, Unheil verkündende Geruch und das Prasseln von Feuer sich durch die totenstillen Gassen fraßen. Saitou zögerte nicht. Seine Instinkte folgerten messerscharf, was sich Wimpernschläge später seinen Augen bot: von einem Explosionszentrum bei den Stallungen aus hatte eine ungeheure Menge Sprengstoffs alle Gebäude auf dem Gelände förmlich zerfetzt. Ausfließendes Lampenöl musste sich entzündet haben, um die nun aufflackernden Brände zu erklären. Häuser, Mauern, Bäume, Kutschen und Wagen: alles, was in den Umkreis geraten war, bot ein Bild der Zerstörung. Langsam, unter Schock, sammelten sich Menschen, bis eintreffende Patrouillen die Losung ausgaben, Löschketten zu bilden. Einzelne Polizisten wagten sich in die Trümmerberge, hofften, Verletzte zu bergen. Der Wolf billigte dieser verzweifelten Unternehmung wenig Erfolg zu. Mehrere Stockwerke auf einen knapp zwei Meter hohen Haufen Schutt, Balken, Bretter: wen nicht die Explosion zerrissen hatte, den hatte die Last der Gebäude zerquetscht. In diesen frühen Morgenstunden konnten sich bis zu 200 Männer in der Kaserne und dem Hauptquartier aufgehalten haben. Obgleich er der Geheimpolizei zutraute, sämtliche Regierungsgebäude und die ministerialen Mitglieder besonders aufmerksam zu bewachen, raste der Wolf durch Tokio, um sich selbst von der Lage zu überzeugen, bis er als letzte Destination den Doujou der Kamiyas ansteuerte. Wenn die Lage prekär wurde, im Hintergrund operiert werden musste mit erfahrenen Männern, würde man über kurz oder lang den Battousai informieren. Besonders, da einige Minister der Meiji große Stücke auf den ehemaligen Patrioten hielten. Als er sich dem Tor näherte, das Einlass in den inneren Bereich des Trainingsgeländes bot, registrierte er die ungewohnte Stille. Kein Geschrei der Kamiya-Frau oder ihres ungezogenen Schülers, keine Stockschläge, keine schnellen Bewegungen auf polierten Brettern im Doujou selbst. Aufmerksam wie gewohnt empfing ihn der rothaarige Schwertkämpfer. Allerdings wirkte er bleich, während die faszinierenden Augen in ihrem schwefligen Goldton denen des Wolfs nicht nachstanden. »Sieh an.« Saitou witterte mit zusammengezogenen, feinen Augenbrauen die Ahnung eines schweren Geruches. "Sie haben die Streuner benutzt." Eröffnete der feingliedrige Mann leise, wies auf einen mit einer Strohmatte notdürftig abgedeckten Haufen. "Verluste?" Erkundigte sich der Polizist militärisch knapp, lupfte die Matte mit der Spitze seiner Schwertscheide, bemerkte die Tonscherben und Stricke um die bereits in Totenstarre verfallenden Kadaver. "Fräulein Kaoru und Yahiko schlafen, um sich von den Strapazen zu erholen." Antwortete ihm der ehemalige Battousai, ließ sich auf der Veranda nieder. Der Polizist bedurfte keiner weiteren Ausführungen. Er konnte sich den Ablauf vorstellen. Man hatte die Streuner eingefangen, ihnen mit Gift präparierte Tonkugeln umgebunden. Dieses schwere Gift entströmte durch einige Löcher, verteilte sich in Bodenhöhe, tötete zunächst die herrenlosen Hunde, die sich zu dem kleinen Mann geflüchtet hatten, der sie heimlich mit Abfällen bedachte. Nur den erfahrenen Sinnen des Battousai war es vermutlich zu verdanken, dass er das Gift identifiziert hatte, bevor die Schlafenden erstickten, ohne auch nur die winzigste Hoffnung auf Entkommen. Ein heimtückischer Mordanschlag. "Ich hörte eine Explosion. Später. Das Hauptquartier?" Erkundigte sich Kenshin in gemäßigtem Tonfall, der den früheren Shinsengumi nicht täuschen konnte. "Man will uns ausschalten." Mutmaßte Saitou kühl. Das reduzierte die Zahl der Verdächtigen nicht gerade. "Ihr seht eine Verbindung?" Die Augen des Battousai glühten. "Warum?" Saitou schnarrte ungeduldig. "Feige Anschläge aus der Entfernung ohne Rücksicht auf Unbeteiligte, keine bis jetzt bekannte Attacke auf Regierungsangehörige." "Jemand aus der Vergangenheit?" Wagte Kenshin eine Vermutung. Die der Wolf nach einigen Augenblicken verwarf. "Nicht wahrscheinlich, dass jemand sich an Patrioten und Anhängern des Shogunats gleichzeitig rächen will." Grußlos wandte sich der Polizist ab, als der zierliche Mann erleichtert bemerkte. "Gut, dass Sano nicht in der Nähe war." Saitou fegte herum. In den Bernsteinaugen loderten Funken sprühend Flammen auf, als er unbewusst die Fänge bleckte, sich anspannte. Wenn der unbekannte Angreifer es nicht nur auf sie als Stützen der Meiji abgesehen hatte, sondern auch auf ihre Freunde und Assoziierten? Kenshin verfolgte erbleichend, wie der Wolf mit übermenschlichen Sätzen davon preschte, sogar dem ehemaligen Himmelsschwert ernsthafte Konkurrenz bot. Obgleich es eine beschämende Erkenntnis war, dankte er dem Umstand, seine kleine Familie beschützen zu müssen. Auch wenn er sie faktisch dem Freund damit vorzog. Wer auch immer ihr Gegner sein mochte: wenn der Hand angelegt hatte an das, was der Wolf für sich reklamierte, würde das Ende der Welt ihn nicht retten können. Es glühte in den verfärbten Augen. »Die Gerechtigkeit des Wolfs hindert kein Schwur der Buße.« Nein, ihn reute dieser Umstand nicht. ~+~ Die Welt verblasste zu Schemen, als der Wolf sie durchschnitt, durch Gassen und Straßen hetzte, bis die träge schaukelnden Ähren der Felder ihn veranlassten, sein Tempo zu reduzieren. Ohne Zeitverlust hatte er den Markt durchquert, wo man gerade beschloss, trotz des verheerenden 'Unglücksfalls' im Zentrum der Stadt, seine Waren feil zu bieten. Sie waren noch nicht eingetroffen. Vielleicht irrte er sich. Als er dünne Rauchfäden sah, die von Schwelbrand kündeten, dort, wo sich einst das bescheidene Bauernhaus erhoben hatte, wusste er, dass seine Ahnung ihn nicht getrogen hatte. Das Schwert gezückt sondierte er mit jedem pirschenden Schritt seine Umgebung, bis er auf Hanako stieß. Eine halb verbrannte, winzige Leiche, vermutlich aus dem brennenden Haus geflohen in unsäglicher Agonie, um hier auf dem staubigen Feldweg mit eingeschlagenem Schädel zu enden. Jemand hatte also ruhig abgewartet, bis das Haus niedergebrannt war, um eventuell Überlebende ohne Mitleid zu ermorden. Er schlüpfte aus seiner Uniformjacke, bedeckte die alte Frau mit dem blauen Stoff. Er näherte sich dem Haus, das nur noch aus verkohlten Balken, zerbrochenen Fensterflügeln und Brettern sowie verschmorten Dachziegeln bestand. Ganz gleich, was es kostete: er würde nicht gehen, bis er Sanosuke gefunden hatte. Noch bestand eine Hoffnung, dass er der Flammenhölle entkommen war. Schlag für Schlag, dem 'Doppelten Gipfel' verwandt, zerlegte er die Trümmer, schleuderte sie beiseite, fokussierte seine Konzentration einzig auf dieses Vorhaben, gestattete sich nicht die winzigste Abschweifung. Balken, Bretter. Wuchtig trafen seine rußgeschwärzten Handschuhe ihr Ziel. Er stutzte. Ein verkohltes Seil ragte aus dem Boden, halb verdeckt. Mit mühsam kontrollierter Hast legte er es frei, schlug auf den Boden ein. Ein prasselnder Hagel, der Holzsplitter regnete. Eine Falltür, die die kleine Bodensenke bedeckte. Sie barg mit Steinen ausgekleidet Vorräte, die kühl und trocken gelagert werden sollten. Grauer Stoff bot sich, ein schwärzliches Gesicht, eine zusammengeschrumpfte Gestalt, die jeden Winkel des Gelasses ausfüllte. Kaum wahrnehmbar huschte flacher, kurzer Atem durch den Mann, der sich dort auf eine Größe gekauert hatte, die einem Kleinkind entsprach. Mit zusammengepressten Lippen benötigte selbst Saitou mehrere Versuche, bis er den kompakten Faustkämpfer befreit hatte. Er eilte zum Ziehbrunnen, füllte den Eimer, um ihn über Sanosuke auszugießen, den Ruß abzuspülen, in erster Linie aber die Körpertemperatur zu senken. Eimer um Eimer tränkte den jungen Mann, ohne eine Reaktion hervorzurufen. Unerwartet zuckte ein Reflex, rang der Faustkämpfer heftig nach Atem. Die verwundeten Lungen rasselten. Sanosuke ächzte in Qual, hustete, wand sich in Spasmen, als sein Körper verzweifelt versuchte, das erstickende Gift auszutreiben. Saitou ging in die Hocke, umklammerte den ungezielt zuckenden Gefährten mit eisernem Griff, bevor er seine Lippen auf die verbrühten des Jüngeren presste, seinen Atem anbot, um die verletzten Lungen zu entlasten. Er hielt Sanosuke so lange, bis sich die Verkrampfung löste, der Faustkämpfer schwer in seinen Armen lang. Wie ein waidwundes Tier winselte, wenn seine Lungen beansprucht wurden. Der Polizist trennte sich widerstrebend von dem glühenden Gefährten, überspülte ihn noch weitere Male mit Wasser, bevor er in den Trümmern wühlte, mit einem Rest Stoff Sanosuke die Augen verband, eine Decke um den zitternden, flach keuchenden Körper wickelte. Darauf vertrauend, dass die Reflexe des Streithahns ihn nicht im Stich lassen würden, schob er sich den jüngeren Mann auf den Rücken, schulterte ihn. Unerträglich warme Arme umschlangen seinen Nacken, Hände gruben sich wechselseitig Halt suchend in seine Schultern, während er die langen Beine unterhalb der Kniekehlen mit seinen Unterarmen sicherte. Die Versorgung des Streithahns war nur ein minimaler Aufschub für ihren Gegner. Der Wolf hatte ein persönliches Interesse daran, dass Gerechtigkeit auch nicht den letzten der Mörder ausließ. ~+~ Durch die gewaltige Erschütterung aus ihrem Schlaf gerissen hatten die beiden Männer eilig ihre Optionen erörtert. Sich unter die Schaulustigen mischen, um vor Ort zu erfahren, was sich zugetragen hatte? Oder besser im Haus bleiben, jede Aufmerksamkeit vermeiden, um nicht in der angespannten Atmosphäre eine Zelle in einem der Reviere teilen zu müssen? Katsuhiro hatte sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Sie waren müde, die Gerüchte hatten eindeutig besagt, dass das Polizeihauptquartier von einer gewaltigen Explosion zerstört worden war, zahllose Tote zu beklagen waren. Auch wenn niemand der offiziellen Auskunft, man vermute einen Unglücksfall, Glauben schenkte, bot sich ein weites Feld für Spekulationen. Ein erneuter Aufstandsversuch? Rebellion von Samurai? Eine kriminelle Bande? Oder ausländische Mächte? Kamatari schmiegte sich erleichtert in die Arme des Malers, der seinen Rücken wärmte. Er fühlte die vergangene Nacht bleischwer auf sich lasten, genoss die beruhigende Sicherheit des kleinen Hauses. Beide schreckten angstvoll hoch, als die Tür unangekündigt beiseite gestoßen wurde, um ebenso rasch wieder einzurasten. Während Kamatari seinen Stab umklammerte, fasste Katsuhiro nach einer winzigen Geheimklappe in der Vertäfelung der Wand. "Lasst den Unsinn!" Fauchte in kehligen Silben eine raue Stimme. Saitou ging die Hocke, um eine reglose Gestalt auf dem Futon abzuladen. Die Decke rutschte hinunter, enthüllte den Faustkämpfer, der mit pfeifenden Atemzügen hilflos auf dem Rücken lag, die Fäuste zuckend. "Sano!" Sofort überwand der Maler die kurze Distanz, hob den Bruder in seine Arme, schrak jedoch vor der hohen Temperatur zurück. "Was...?!" Saitou, der Wolf von Mibu, Sanosukes Liebhaber, duldete keinen Zeitverzug. Er warf einen Flakon auf die Matratze. "Mische es zu drei Teilen mit Wasser und flöße es ihm ein. Er muss ruhen, bis das Fieber gesunken ist." Zu Katsuhiros Verblüffung beugte sich der ehemalige Shinsengumi vor, streichelte mit einem verbrühten Handrücken sanft eine Wange des Faustkämpfers, bevor seine glühenden Schwefelaugen Katsuhiro zum Ziel wählten. "Pass auf ihn auf, bis ich ihn hole." Einen Wimpernschlag später war der Wolf verschwunden. ~+~ "Was hat das zu bedeuten?" Verunsichert die schamhaft hochgerissene Decke sinken lassend rutschte Kamatari heran, studierte den reglosen Faustkämpfer, der wie ein übergroßes Kind in Katsuhiros Armen lag. "Er riecht nach Feuer." Der Maler begann, Sanosuke leicht zu wiegen, durch die angesengten Haare zu streichen, totenbleich. "Ob er im Hauptquartier war?" Mit einiger Mühe stellte Kamatari sich auf die Beine, sammelte Tücher ein, die er in einem Wassereimer versenkte, bevor er sie ausreichend getränkt zu Katsuhiro brachte, damit sie den Faustkämpfer einwickeln konnten. "Nein." Katsuhiro stapelte Kissen unter dem Nacken seines Wahlbruders. "Saitou könnte niemals riskieren, mit Sano dort gesehen zu werden. Es muss etwas anderes geschehen sein." "Wohin ist er gegangen?" Das Pulver aus dem Flakon auf einen Löffel schüttend maß Kamatari die erforderliche Wassermenge ab, füllte einen Krug, bevor er eine Schale einschenkte, an den Maler weiterreichte, der die Mischung Sanosuke einflößte. "Ich weiß es nicht." Murmelte Katsuhiro besorgt. Er hatte eine vage Ahnung. Sie bedeutete, dass er seinen eigenen Plan verschieben musste. ~+~ Man musste schon genau hinsehen, um den winzigen Pfad zu erkennen, der sich durch das Gebüsch und Unterholz wand, stellte der alte Mann fest. Er suchte in einem dem Anlass gebührenden Kimono langsam seinen Weg, schloss, um sich zu unterhalten, während er einen Fuß vor den anderen setzte, sein Stock winzige Löcher in den Grund bohrte, wie in jedem Jahr eine Wette mit sich ab. Deren Inhalt bestand darin, einen eingeschworenen Junggesellen endlich mit dem Paradies der Ehe bekannt zu machen! Man konnte als erfahrener Mann mit einer jungen Frau und als Mandatsträger nicht zulassen, dass ein so begnadeter, wenn auch exzentrischer Künstler sich in seiner Einsamkeit vergrub! Zugegeben, vollkommen allein war Meister Kakunoshin nicht mehr, seit er diesen freundlichen 'Gefährten' gefunden hatte, dessen Status im Dorf angeregt diskutiert wurde. Was bedeutete 'Gefährte'? Schüler? Verwandter? Verständlich, wenn der einsiedlerisch veranlagte Töpfermeister eine solche Verwandtschaft nicht publik zu machen wünschte. Der junge Mann war ja bedauerlicherweise ein Bastard, wenn auch ein sehr hübscher. Mit guten Manieren, höflich, respektvoll, sanft lächelnd, als strahle ein Licht aus seinem Inneren. Sicherlich ein angenehmer Gesellschafter. Eine weitere Herausforderung, die beiden Junggesellen mit den Schönheiten des Dorfes vertraut zu machen! »Dieses Mal werde ich erfolgreich sein!!« ~+~ Abwesend seine linke Hüfte massierend inspizierte der Ninja das Kräuterbeet vor sich. Kein Unkraut drängte sich in die sauber abgezirkelten Reihen. Ein Ergebnis seiner fortwährenden Anstrengungen, die scheinbar beiläufig gezogenen Pflanzen des Schwertkampfmeisters in eine Ordnung zu bringen. Sich mit einem Handrücken über die Stirn wischend hielt Aoshi inne, richtete sich auf. Jemand näherte sich. Seine geschulten Sinne identifizierten die Person lange, bevor sie in Sichtweite der kleinen Lichtung kam, die sein Heim stellte. Die Fauna protestierte nicht übertrieben, sodass sie keine Gefahr bei dem Menschen vermuteten, der ihr Revier durchwanderte. Da Aoshi wusste, dass der Schwertkampfmeister seinen Aufenthaltsort geheim hielt, konnte es kein zufälliger Verehrer der Töpferkunst sein. Er lauschte konzentriert, bemerkte die schleifenden Schritte, das kontrapunktische Aufsetzen eines Gegenstands auf dem federnden Waldboden. »Ah, der Dorfvorsteher!« Sich erhebend nutzte der Ninja die Zeit bis zum tatsächlichen Eintreffen des alten Mannes, um sich zu waschen, Tee frisch aufzubrühen, in eine der Schalen Hikos einige Reis-Plätzchen, die er mit dem Honig der Bienenstöcke bestrichen hatte, zu arrangieren. Wie es der Höflichkeit zu Gebote stand, ging er dem alten Mann entgegen, verneigte sich respektvoll, entbot seinen Gruß, bevor er Hiraga in das Wohngebäude bat. Er spürte die kontrollierenden Blicke des Dorfvorstehers, der den Zustand von Haus und Hof bewertete. Immer wieder billigend nickte, als habe Aoshi einen Prüfungsparcours zu absolvieren, dessen einzelne Station bewertet wurden. "Sagt, Ryuu, Meister Kakunoshin wird doch nicht verreist sein?" Kam Hiraga auf den Zweck seines Besuchs zu sprechen. "Das wäre äußerst bedauerlich." Der Ninja lächelte beruhigend. "Wenn Ihr meine Unhöflichkeit großzügig übersehen mögt, werde ich Meister Kakunoshin aufsuchen und von Eurem Besuch unterrichten." Erwiderte er höflich, verneigte sich, da er entgegen den Regeln der Gastfreundschaft den alten Mann sich selbst überlassen musste. Der Dorfvorsteher, dem die Reis-Plätzchen hervorragend mundeten, erteilte eifrig nickend seine Demission. Frisch gestärkt und ausgeruht würde es sicher leichter, den ungeselligen Mann zu überzeugen! Aoshi verabschiedete sich aufmerksam, um in die mittägliche Hitze zu treten, während Hiraga seine Inspektion wieder aufnahm. Die Wege gekehrt, so entsann er sich, kein Unkraut in den Beeten, die Futons und frische Wäsche ordentlich auf den Stangen aufgereiht, sehr vorbildlich! Die Tatami ohne Flecken oder Schimmel, die Bodenbretter davor poliert, keine umher liegenden Utensilien, die Kochnische sauber und aufgeräumt. An den Wänden trockneten Bündel von Pflanzen, die mit Stößel und Mörser pulverisiert oder lediglich zerkleinert in den unzähligen Töpfen, Tiegeln und Flaschen gelagert wurden, die sich in den Wandregalen drängten. Mit einem Stirnrunzeln gestand Hiraga ein, dass es nicht einfach werden würde, solche Perfektion auszustechen. Aber so schnell wollte er nicht aufstecken! ~+~ Aoshi bewegte sich gewandt durch das dichte Gebüsch, erwog für einen Augenblick, sich über den Felsen in die Tiefe fallen zu lassen, vom Luftstrom abgekühlt, um hart im Wasser einzuschlagen. Ohne des Älteren zielstrebige Kraft nahm sich das Risiko noch zu groß aus, wie er bedauerte. So blieb nichts anderes, als den Weg hinab zum Fluss zu wählen, dort den Schwertkampfmeister von seinem nicht unerwarteten Besucher zu unterrichten. Dass es sich um ein periodisch wiederkehrendes Ereignis handelte, hatte Hiko nicht daran gehindert, missmutig und grollend zu verkünden, er wolle Fische für das Mittagessen fangen. Sich nicht für irgendwelche Frondienste einspannen lassen, insbesondere lebenslängliche! Der Ninja lächelte über die unversöhnliche Weigerung des Gefährten, eine Vermählung in Erwägung zu ziehen, wie ihn auch die unentwegten Versuche des Dorfvorstehers amüsierten. Einen anderen als den eigenen Willen anzuerkennen, sich in die Regeln einer Gemeinschaft einzufügen: für den Schwertkampfmeister offenkundig eine grauenvolle Vorstellung. Ergänzt von einer flammenden Rede, die sämtliche Einschränkungen aufzulisten wusste, die dem armen, bedauernswerten Opfer drohten, das sich in der klebrigen Falle der Ehe gefangen hatte. Der Gerechtigkeit genüge tuend hatte Hiko selbstkritisch seine Eigenheiten keineswegs ausgespart. Es stand zweifellos eine interessante Unterhaltung zu erwarten, in der der schlaue Fuchs sich mit wohlgesetzten Worten daran begab, den misstrauischen Töpfermeister zu überzeugen, dass das Ahnenfest lediglich der Erneuerung ihrer gutnachbarlichen Freundschaft diente! ~+~ Eine Jagd sollte gleiche Chancen für beide Partner eröffnen. Vorausgesetzt, man litt keinen Hunger, befand der Schwertkampfmeister, als er im Fluss auf Fische lauerte. Die Sonne stand in ihrem Zenit, sodass er nahezu schattenlos war, bis zu den Hüften von kühlenden Wellen umspült, die Hände bereit, mit kräftigem Schwung das Zielobjekt weit ans Ufer zu schleudern, wo es den zuckenden Fischen nicht mehr gelingen konnte, das rettende Nass zu erreichen. Dreimal war er bereits erfolgreich gewesen, sodass zumindest die anstehende Mahlzeit gesichert war. Allerdings würde er auch kaum mehr Muße haben, seiner persönlichen Unterhaltung zu frönen. Seine Sinne hatten ihn bereits unterrichtet, dass nicht nur wohlbekannter Besuch eingetroffen war, sondern sich auch sein Drache auf den Weg zu ihm begeben hatte. Dessen unverhohlenes Amüsement versetzte ihn nicht gerade in Hochstimmung. In diesem Jahr, noch weitaus stärker als je zuvor, widerstrebte es ihm, sich als Kuppelgut in einen bizarren Wettbewerb gedrängt zu finden, dessen Preis er nicht zu gewinnen wünschte. »Ha, Ryuu, denkst du, sie stürzen sich nur auf mich?!« Der Umstand, dass sie beide zu Objekten des allgemeinen Interesses geworden waren, stimmte ihn nur Augenblicke in Genugtuung heiter. Dann trübte sich sein Gemüt wieder. »Ich will nicht, dass sie Ryuu umgarnen! Allein, wie sie hinter ihm her schauen! Er ist freundlich und höflich, nichts weiter!!« Untertauchend spülte er sich das befremdliche Gefühl der Eifersucht ab, leidlich geprüft durch die merkwürdigen Emotionen, die die Gesellschaft des jüngeren Mannes in ihm weckte. Natürlich konnte er genauso fortfahren zu leben wie vor dessen Eintreffen. Er wollte es nicht mehr. »Ich frage mich, ob er immer noch so guter Dinge sein wird, wenn sie ihn heute in die Mangel nehmen!« Schnaubte der Schwertkampfmeister vorwurfsvoll. Er registrierte perplex die Gelassenheit, die der herannahende Mann verströmte. Andererseits war es durchaus beruhigend zu wissen, dass der Ninja keine Alternative in Erwägung zog. Nur zu verständlich, immerhin durfte er die erlesene Gesellschaft eines Schwertkampfmeisters, Töpfermeisters und grundsätzlichem Genie genießen! Ganz zu schweigen von der attraktiven Verpackung!! Grinsend schnappte Hikos Falle zu. Ein weiterer Fisch katapultierte durch die Luft, direkt vor die Füße des eintreffenden Ninja. "Ihr wart sehr erfolgreich, Lianren." Spendete Aoshi den wohlverdienten Applaus, schlüpfte aus seinen Strohsandalen, um in das seichte Ufergewässer zu waten. Der Schwertkampfmeister, ungezwungen seine hüftlange Mähne rabenschwarzen Haars auswringend näherte sich ebenfalls, wenn auch nicht in großer Begeisterung. "Der oberste Kuppler inspiziert wohl schon unser bescheidenes Heim? Was denkst du, wird er dich als perfekten Ehemann auf den Markt werfen, Ryuu?" Neckte er den jüngeren Mann, der aufmerksam um den Schwertkampfmeister herumtrat, die langen Strähnen sortierte, in einem schweren Zopf bündelte. Aoshi lächelte sanftmütig, während er sich fragte, ob Hiko seine Worte wohl unreflektiert gesprochen hatte. Oder betrachtete er ihn tatsächlich schon als Lebensgefährten, der gleichen Anteil an seinem Besitz hatte? "Wir sollten ihn besser nicht warten lassen. Man weiß nie, wo der alte Hiraga seine Nase reinsteckt." Brummte Hiko ungnädig. "Fehlt noch, dass er einen deiner Tiegel verschluckt und sich vergiftet." Der Ninja, der die Fische an ihren Schwänzen mit Grashalmen aufgeknüpft hatte und apportierte, funkelte einen aufreizenden Blick aus seinen eisblauen Augen, deren Kaleidoskop erst Hiko zum Erstrahlen gebracht hatte. "Wer sagt, dass es nur Gifte sind?" Wisperte er vertraulich, schlüpfte in seine Sandalen. Über den Raubvogelaugen begrüßten sich misstrauisch die Augenbrauen, während der Schwertkampfmeister eine lässig im Gebüsch aufgehängte Yukata überstreifte. "Du wirst doch nicht etwa Bückware produzieren, oder?!" Aoshi enthielt sich einer Antwort, zwinkerte frech über die Schulter, entließ Hiko in Ungewissheit. Es war ein sehr nachbarschaftlicher Zug, auch weniger potenten Menschen zu einer gewissen Erfüllung zu verhelfen. Dem Ninja bereitete es Freude, mit seinen Kenntnissen über Pflanzen und daraus gewonnene Produkte Anerkennung zu ernten. "Herrlich! Damit ist der gute Ruf dahin!" Hiko steigerte seine Schrittfrequenz, um Aoshis Weg energisch zu blockieren, funkelte auf den Jüngeren hinab, verschränkte die muskelbepackten Arme vor der imposanten Brust. "Ist dir eigentlich klar, dass jedes dämliche Weib von der Windel bis zur Bahre angekrochen kommen wird, um von dir diese nutzlosen Pulver zu erwerben?! Ganz zu schweigen von den Kerlen!! Igitt, sage ich nur!" Obgleich es wohl in der Absicht des Schwertkampfmeisters gestanden hatte, Abscheu und Verärgerung zu transportieren, las Aoshi darin auch Unbehagen und Eifersucht. "Aber was soll ich denn machen?" Gab er sich betont verloren. "Ihr habt selbstredend keinen Bedarf. Alles einfach zu verbrennen..." "Das Problem scheint mir darin zu bestehen, dass du zu viel freie Zeit hast!" Schnurrte der Schwertkampfmeister. "Zu viel Muße für diese Pflanzen." Seine Hand wanderte unter die kinnlangen Ponysträhnen, liebkoste die Wange, während Wellen lustvoller Energie in Aoshis Brust aufbrandeten, die Sonne erglühte, ihm den Atem austrieb. Er schwankte, stürzte in den anderen Arm des Schwertkampfmeisters, der ihn an sich zog, dessen feuriger Hauch über sein Gesicht wehte, die Raubvogelaugen beutegierig. Die dunkle Stimme raunte, flüsterte Zauberworte, denen Aoshi nicht folgen konnte. Ihre Bedeutung verschwamm zu schnell, um sie zu begreifen. Grenzen lösten sich auf vor seinen Augen. Um ihn herum ein Wirbel von Farben, Schatten und Licht, ineinander mündend, endlos kreiselnd. Vage glaubte er, Gras und Blätter zu spüren. Er verlor sich selbst, mischte sich mit seiner Umgebung, ungeteilt und doch Teil von allem. Im Abschied beschenkte ihn Ekstase mit explodierender Euphorie. ~+~ »Zurück...« Sich Gewichte auferlegt näherte sich der Schwertkampfmeister dem Boden, formte seine Gestalt aus, bis er den Körper wieder sein Eigen nennen konnte, in Besitz nahm. Er trennte sich von Empfindungen, einem ungefilterten, gewaltigen Ganzen, küsste Leben in den schlanken Mann in seinen Armen, streichelte über die Glieder, durchmaß die blauschwarzen, glatten Strähnen, hauchte Liebkosungen in die Ohren. Jede Berührung gewann den Geliebten für diese Welt. Wie ein Sirenenruf lockte seine Intimität den Ninja, prickelten die Partien, die bereits verzaubert worden waren, während reglos still die unbevölkerten ruhten. Hiko arbeitete geduldig, zärtlich, flocht die feingliedrigen Finger mit den eigenen, leckte über Brust und Zehen, trieb das Blut an, den Rhythmus aufzunehmen, den Vorgaben des Herzens zu folgen. Aoshi stöhnte leise, erschauernd. Der hünenhafte Mann besänftigte die Klage mit siegelndem Kuss, bevor er sich der ihm schwierigsten Aufgabe widmete, nicht nur die Hülle zu beleben, sondern auch die Leidenschaft zu entzünden. Geschmeidig invahierte er den sich windenden Leib, synchronisierte die wellenförmige Lust, die von einem fernen Zentrum aus kreisförmige Wogen schlug. Er rief über die endlose Fläche des Sonnenmeers nach seinem Drachen, der endlich neben ihm Gestalt annahm. Mit einem Lächeln umarmte der Schwertkampfmeister seinen Gefährten, schoss hinaus an die Wirklichkeit, die schätzungsweise 20 Minuten seit seiner Beschwerde über die möglichen Potenzmittel des Ninja vorangeschritten war. Behutsam entzog er sich dem ermatteten Leib an seiner Seite, sank auf den Rücken, spähte in das Blätterdach. Der Ninja setzte sich ächzend auf, hustete, noch unter Atemnot leidend, massierte sein Herz mit dem Handballen. Hiko erhob sich, schleuderte den Zopf auf den Rücken, strich seine Yukata glatt. Er half Aoshi auf die Beine, lehnte ihn an einen Baum an. Mit einem Lächeln begegnete der dem schweigenden Blick des Älteren, neckte heiser. "Ihr seht: verkaufen oder verbrennen." Hiko schnitt ihm das Wort ab, küsste ihn auf den Mund, unternahm keine Anstrengungen, sich weitergehend zu engagieren, das Territorium zu erkunden. Seine Lippen schmiegten sich an Aoshis, wärmten sich an dem zärtlichen Kontakt. Schließlich brach der Schwertkampfmeister den Bann, beugte sich, um die Fische aufzulesen. Er fasste Aoshis Linke, führte ihn schweigend zu ihrer Behausung. ~+~ Hiraga verbeugte sich höflich, als die beiden Männer eintraten. Der Gruß des Töpfermeisters entfiel gewohnt knapp, wenn es um die ihm offenkundig leidige Frage der Präsenz während des Festes der Ahnen ging. Den Dorfvorsteher störte dies wenig. Meister Kakunoshin war exzentrisch, aber er vergaß nie den gebotenen Respekt. Den alten Mann beschäftigte eher der Umstand, warum beide Männer so schweigsam zurückgekehrt waren. Aoshi unterdessen, der eine allzu präzise Vorstellung von der Ursache hegte, entschuldigte sich lächelnd, um einen der Fische vorzubereiten, auszunehmen und mit Kräutern zu spicken, bevor er ihn in große Blätter einwickelte, um ihn zum Transport bereitzustellen. "Nun, verehrter Meister Kakunoshin, ich kann doch hoffen, im Namen des gesamten Dorfes, dass Ihr und Euer Gefährte uns heute Abend beehren werden? Nicht nur das Gedenken der Ahnen ist zu begehen, nein, wir haben auch einen äußerst vorteilhaften Tausch getätigt und hervorragenden Sake erhalten! Es wäre eine Verschwendung, wenn ein Kenner wie Ihr nicht teilhaben würde!" In den Augen des Greises blitzte es listig. Dieser Offerte konnte sich kein Mann entziehen! Nahm man den asketischen Gefährten des Meisters aus, der bescheiden neben ihm kniete, mit einer Verbeugung den verpackten Fisch überreichte. "Es wäre angemessen, den Ahnen zu danken für ihren Schutz im vergangenen Jahr." Bemerkte Aoshi sanft, ohne Hikos Blick zu suchen. Der Schwertkampfmeister hingegen schien das Interesse an der üblichen Strategie der absoluten Weigerung bis zu einer höchst unwahrscheinlichen Stippvisite in verhandelnden Streckenabschnitten verloren zu haben. "Es ist sehr freundlich von Euch, Meister Hiraga, uns einzuladen. Wir sind geehrt und werden Eurer Einladung entsprechen." Entgegnete er in reservierter Höflichkeit. Ein wenig irritiert ob dieses einfachen Siegs strahlte der Dorfvorsteher nichtsdestotrotz. Möglicherweise fiel den beiden Junggesellen die gegenseitige Gesellschaft zunehmend schwer und sie sehnten sich nach einer weiblichen Ablenkung? Sein Alter Lügen strafend sprang er erfreut auf die Beine, befestigte den Fisch an seinem Stock. "Gut, gut!! Bis heute Abend, da wollen wir trinken, tanzen, singen und feiern!" ~+~ Nachdem beide den alten Mann bis zum Rand der Lichtung begleitet hatten, begab sich Aoshi sofort daran, die verbliebenen Fische auszunehmen, um die Mahlzeit zuzubereiten. Die widerstreitenden Emotionen, die über die Verbindung zu Hiko in sein Herz fluteten, gaben ihm keinen Hinweis darauf, wie er sich verhalten sollte. Ob eine Entschuldigung genehm oder unerwünscht, eine Konversation begrüßt oder abgelehnt werden würde. Der Schwertkampfmeister unterdessen stand in der prallen Sonne, atmete tief und konzentriert, bevor er eine Kata begann, die ihresgleichen suchte. Nur die langjährigen Meister der Kampftechnik konnten hoffen, sie jemals beherrschen zu können. Für Hiko stellte die Bewegungsabfolge eine Basis dar, die ihn verlässlich leitete, wenn er fürchtete, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war erforderlich, sich zu reinigen, loszulassen, das Wesentliche zu erkennen, sonst misslang die Übung, bedeutete dem Kämpfer, dass er noch nicht bereit war, sich den Anforderungen zu stellen. Hiko schloss die Augen, verharrte, sein Problem formulierend. »Er verliert sich. Ohne mich würde er nicht zurückfinden. Ich bin sein Anker, seine Krücke. Das ist nicht richtig. Ich will ihn haben. Darum muss er stark sein. Soll ich es wagen?« Die Augen fest geschlossen nahm er seine Kata wieder auf, überließ die Entscheidung seinem Gefühl, wenn er die Abfolge abgeschlossen hatte. Einige Minuten später, von einer perlenden Schicht Schweißes bedeckt, schlug er die Augen auf, sein Atem noch immer tief und reich. Aoshi hatte auf der Veranda Platz genommen, zwei Schalen arrangiert, während er respektvoll wartete, bis der Ältere an seiner Seite Platz genommen hatte. Der Schwertkampfmeister entsprach jedoch nicht seinen Erwartungen, sondern las einfach die Schalen auf, stellte sie auf der Kochnische ab, bevor er zu Aoshi zurückkehrte, ihn an der Hand mit sich zog, um die Lichtung zu verlassen, in den Wald zu gehen. Der Ninja folgte kommentarlos, wenn sich auch eine gewisse Nervosität in ihm ausbreitete, da er trotz ihrer Verbindung keine Vorstellung davon entwickeln konnte, was Hiko zu tun beabsichtigte. Hatte der seine Wahrnehmung willentlich reduziert? Sie erreichten eine bescheidene Freifläche, die einen Teppich von Kräutern, Gräsern und einfachen Wiesenblumen bot. Beklommen flüchtete sich Aoshi in einen Scherz. "Ihr wollt mich von der Muße der Kräuter kurieren, indem Ihr mich in ihnen liebt?" Statt einer Antwort glitt Hiko geschmeidig in den knienden Sitz, die Hände auf den Oberschenkeln abgelegt, aufrecht und ernst. Der Ninja leistete der nonverbalen Aufforderung Folge, nahm dem Älteren gegenüber in spiegelgleicher Weise Platz, ignorierte die Stiche seiner linken Seite ob der ungeliebten Haltung. Die Raubvogelaugen fixierten die eisblauen Pendants. "Ich habe etwas begonnen, das abgeschlossen werden muss." Befehlend streckte er die Hand aus, in die Aoshi nach einem Augenblick des Zögerns seine legte, die Handfläche zum Himmel gewandt. Der Schwertkampfmeister bedeckte sie mit seiner freien Hand, studierte die Entschlossenheit des Ninja, was auch immer ihm begegnen würde, mit Ruhe und Gelassenheit zu bewältigen. Er schloss die Augen, ließ seine Kraft frei. ~+~ Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu, als Hiko einen Seufzer entließ, sich rücklings in das Gras warf, das bereits einiges an Frische eingebüßt hatte. Der Ninja lag auf dem Rücken. Seine harten, fliegenden Atemstöße fauchten in die sengende Atmosphäre. Sein Körper schien tonnenschwer und federleicht, von ungeheurer Ausdehnung und doch in konkrete Schranken verwiesen, glühend heiß und klirrend kalt. Es musste unmöglich sein, den Kopf zu drehen, doch mühelos gelang es ihm, ebenso leicht, sich aufzusetzen, den zerrupften, rabenschwarzen Zopf durch die Finger gleiten zu lassen. Er beugte sich über den ausgestreckten Schwertkämpfer, küsste ihn sanft. "Wie fühlt Ihr Euch?" Erkundigte er sich leise, eine Wange liebkosend. Hiko zog eine Grimasse des Unmuts. "Die Frage sollte mir gebühren, Ryuu!" Tadelte er quengelnd. Zum ersten Mal bemerkte Aoshi Spuren der Erschöpfung auf dem attraktiv-kantigen Gesicht. "Was kann ich tun, um mich Eures Geschenks würdig zu erweisen?" Studierte er ernst die Raubvogelaugen, entschlossen, sich nicht abwimmeln zu lassen. Die Ellenbogen aufstemmend grinste der Ältere schief. "Wie wäre es damit, gewisse Bückware nicht anzubieten?" Schlug er mit anklagendem Tonfall vor, um sich endgültig in eine sitzende Position zu hieven. Aoshi richtete sich rittlings auf den Hüften des Schwertkampfmeisters ein, während er die Arme um dessen Nacken legte, ihre Nasenspitzen in Wimpernschlagsentfernung. "Ich kann eine bessere Offerte bieten! Nehmt mich für den Rest unseres Lebens." Hiko schnalzte missbilligend. "Seit wann ist es gestattet, dass der Jüngere einen Antrag macht?!" Seine Antwort erreichte Aoshi im nächsten Atemzug, als er ihn leidenschaftlich küsste, dieses Mal keine Zurückhaltung übte. JETZT waren sie einander ebenbürtig. ~+~ Hiko spazierte in gehobener Laune, führte seinen Drachen an der Hand gemächlich durch den nächtlichen Wald zurück zu ihrem Heim. Der Abend hatte sich weitaus besser entwickelt, als er angenommen hatte. Nicht nur wegen des vorzüglichen Sake, den ein fahrender Händler im Tausch für einen Ochsen ausgesprochen günstig in großer Menge im Dorf gelassen hatte. Nach der gewohnten Inquisition, die wie in jedem Jahr darauf abzielte, ihm eine der noch nicht vermählten, beziehungsweise bereits verwitweten Frauen oder Mädchen anzudienen, indem man wortreich die wunderbare Übereinstimmung ihrer Interessen verlautbarte, hatte sich die Zuschauermenge mit einem sehr hohen Anteil selbsternannter Ehestifter Aoshi zugewandt. Der hatte mit sanftem Lächeln und geradezu buddhistischer Bescheidenheit jede Attacke auf sein Intimleben gekontert, höflich, zuvorkommend und stets seinen Schleier des Mysteriums wahrend. Gelinde Anzeichen von Frustration zeigend fokussierte sich die gemeinschaftliche Anstrengung wieder auf den Schwertkampfmeister. Aoshi schlug unerwartet vor, man möge zum Vergnügen aller einen kleinen Wettbewerb improvisieren, um zu eruieren, welche der Bewerberinnen den Geschmack des verehrten Töpfermeisters am Besten treffen würde. Etwa durch ein besonders appetitliches Gebäck? Sofort blitzte Interesse auf. Eine gemeinsame Kochstelle zwecks Konkurrentinnenbeobachtung wurde rasch aufgebaut, einfache Zutaten gestellt. Flink arbeiteten sich Frauen und Mädchen entlang ihrer köstlichsten Rezepte. Zum Amüsement der Umstehenden gesellte sich auch der Ninja dazu. Von einer Entourage Kinder umringt, die dem jungen Mann nicht mehr von der Seite wichen, da er mit ihnen einen 'schauerlichen Geistertrunk' gemischt hatte, um sie darüber hinwegzutrösten, dass sie keinen Sake erhalten würden. Bald duftete es köstlich. Hiko sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen vor der gefährlichen Aufgabe, eine Probe von jedem Werk zu nehmen. Und ein Urteil zu verkünden. "Eine Jury, damit es ein gerechtes Votum gibt!" Rettete er sich vor der betörenden Damenriege, die nicht nur auf den Geschmack des Gebäcks setzen, sondern auch persönliche Vorzüge in die gepflegte Erinnerung rufen wollten. "Stellt die Teller ab ohne Hinweis auf ihren Ursprung!" Bellte Hiraga, der selbstredend der Entscheidungskommission vorsaß. So konnte man noch besser votieren ohne Ansehen der Person. Kritisch, hochkonzentriert und ernst schritt man die Reihe ab, malmte, kaute, schmatzte, schnupperte. Das Urteil fiel unterschiedlich aus. Da eine Einigung erforderlich war, beratschlagte man sich ausgiebig, bis sich ein gemeinsamer Favorit hervortat. "Diese Kombination hier!" Präsentierte Hiraga endlich die kümmerlichen Überreste des Gewinners, strahlte in die Runde. Er wurde mit verblüfft-ratlosen Gesichtern konfrontiert. "So eine Überraschung," Meldete sich Aoshi mit leisem Lächeln endlich zu Wort. "Wie es scheint, hat meine bescheidene Kreation den Geschmack getroffen." Hiko grinste stillvergnügt in der Erinnerung daran, wie er den Ninja einfach bei der Hand gefasst, wieder zum Festplatz geführt hatte. Mit dem knappen Resümee, damit sei die 'Sache' wohl geklärt. "Wie hast du das mit dem Gebäck eigentlich geschafft?" Erkundigte er sich, platzierte einen nachlässigen Kuss auf Aoshis Wange, der unter seinen langen Ponysträhnen hervorzwinkerte. "Die Kräuter am Fluss brachten mich auf den Gedanken." Schmunzelte er. Jede seiner Konkurrentinnen hatte all ihr geballtes Können und Wissen in die Waagschale geworfen. Warum hätte er zurückstecken sollen? Der Schwertkampfmeister lachte, fasste den Ninja um die Hüften, schleuderte ihn tänzelnd in die Luft. Er war offenkundig sehr zufrieden mit sich und der Welt. Hiko entkorkte die Kürbisflasche, in der Wasser des Dorfbrunnens die Wegzehrung bieten sollte, da der vollmundige, süffige Sake bereits die trinkfestesten Gemüter ausreichend ins Wanken gebracht hatte. Hiko nahm zwei Schlucke, verzog die Miene ob des Geschmacks, der so wenig mit der Süße des Reisweins gemein hatte, paradierte schwungvoll weiter. Aoshi lächelte in seinem Schlepp. Die gute Laune des Schwertkampfmeisters war berückend. Plötzlich hielt der inne, begann zu husten. Er ließ die Hand des Ninja los, fasste sich mit beiden Armen um die Leibmitte, versuchte dabei angestrengt, sich zu erbrechen. Gerade noch den von heftigen Würgekrämpfen verursachten Sturz des älteren Mannes abfangend betrachtete ihn Aoshi mit forcierter Konzentration. Was war die Ursache dieser unerwarteten Übelkeit? Er griff nach der Kürbisflasche, um mit Wasser den Aufstieg bitterer Galle zu linder, hielt inne, schnupperte misstrauisch. Obgleich eine Kürbisflasche nicht sonderlich zur Verbesserung des Aromas ihres Inhalts beitrug, nahm er die Ahnung eines fremden Geruches wahr. Der verhieß nichts Gutes. Mit aller Kraft, über die er verfügte, ein gewaltiger Teil davon stammte von Hiko selbst, drückte er den hünenhaften Mann auf den Boden, presste seine Finger auf empfindliche Punkte, um die Spasmen zu beenden, die den Schwertkampfmeister quälten. "Hört Ihr mich, Lianren?!" Beugte er sich über den totenbleichen Mann, dessen Gesicht umfangend. "Ihr dürft Euch nicht erbrechen. Bleibt liegen, ganz still. Ich hole ein Gegenmittel!" Er wollte mehr ausführen, Trost spenden, das Unverständnis in den Raubvogelaugen mildern. Die Zeit fehlte. Jemand hatte das Wasser in der Flasche vergiftet. Hiko war wehrlos, er selbst ohne Waffe und gezwungen, den Geliebten schutzlos zurückzulassen, wollte er dessen Leben bewahren. ~+~ Er flog durch Gebüsche und Hecken, an Bäumen vorbei, zerteilte das Dickicht mühelos auf seinem Weg. Wie anders es sich anfühlte, wenn die Kraft des Schwertkampfmeisters durch seine Adern pulsierte! Sie ließ ihm Raum, sich um die Hintergründe dieser feigen Tat zu sorgen. Wer würde das Wasser vergiften wollen? Ein Dorfbewohner? War die Flasche nicht wie bei allen anderen in die Eimer getaucht worden, die man aus dem Dorfbrunnen hochzog? Galt diese Attacke überhaupt Hiko? Lauerte der heimtückische Giftmörder vielleicht in ihrem Haus? Er reduzierte seine Geschwindigkeit, konzentrierte sich auf das Sondieren der Umgebung, das Abtasten auf eine ungewöhnliche Präsenz, auf eine Störung im bekannten Muster. Er konnte keine entdecken. Ohne Zeitverzug stürmte er in das Wohnhaus, griff zielsicher in der Dunkelheit nach dem Tiegel, der das Pulver verwahrte, von dem er sich verdünnt Rettung versprach. Zur eigenen Beruhigung entzündete er eine Lampe, kontrollierte Pulver und Flasche, bevor er die Mischung vornahm, den Weg zurückeilte, den er gekommen war. Allein die flachen, qualvollen Atemzüge verrieten ihm, dass der ältere Mann noch lebte. Hikos Körper lag ausgestreckt ohne erkennbare Regung. Aoshi bettete Hikos Kopf auf seinen Schoß, flößte Schluck für Schluck ein, was er zuvor zubereitet hatte, während er einen Teil der Kraft, die Hiko mit ihm geteilt hatte, spendete. Es würde eine sehr lange Nacht werden. Sie mussten haushalten mit dem, was ihnen zur Verfügung stand. ~+~ Hiko erwachte mit dem Gefühl, man habe ihn wie einen alten Lappen ausgewrungen und achtlos fortgeworfen. Die klebrigen Augenlider zur Kooperation aufgefordert gelang es ihm, in das durch die Baumkronen gefilterte Morgenlicht zu blinzeln. Ein blauschwarzer Schopf geriet in seinen Gesichtskreis. Schwerfällig krabbelte eine Hand an dem Körper hoch, der über ihm zusammengesunken war, bis er das Haupt erreichte, die Strähnen bestrich. Eine vage Vorstellung über die Ereignisse der vergangenen Nacht kristallisierte sich in den Gedanken des Schwertkampfmeisters. Es war wahrlich keine erhebende: jemand hatte ihnen vergiftetes Wasser mitgegeben. Ein leises Stöhnen entrang sich dem jüngeren Mann. Nach einem Fehlstart gelang es Aoshi, sich aufzusetzen. Wie Hiko feststellen musste, trug auch sein Gefährte die Spuren des heimtückischen Mordversuchs. Dessen schmales Gesicht glomm fahl-bleich wie das eines Gespenstes, die Züge ausgezehrt von der Anstrengung. "He, kleiner Drache." Hiko streifte mit dem Handrücken lange Strähnen, streichelte die hagere Wange, bevor er sich mühsam aufsetzte. "Wie fühlt Ihr Euch, Lianren?" Der Ninja krächzte heiser. Seine aufgerissenen Lippen kündeten von seiner Askese, nicht den geringsten Tropfen an sich selbst zu verschwenden. "Wie das, was ich unzählige Male hinter den Büschen gelassen habe." Bemerkte der Ältere säuerlich mit verzogener Miene, da offenkundig das Antidot die natürliche Entsorgung beschleunigt hatte. Einander stützend kamen sie unsicher auf die Beine, erwogen ihre Optionen schweigend. Gleich in das Dorf zu ziehen, um mit Nachdruck die Aufklärung einzufordern, würde ihren mageren Reserven vermutlich den Rest geben. Das stellte ein gewaltiger Nachteil bei der möglichen Konfrontation mit einem Mörder dar. Außerdem waren sie unbewaffnet, wenn auch nicht vollkommen wehrlos. "Nach Hause." Gab Hiko die Marschrichtung laut vor, verschränkte Aoshis Finger mit seinen. ~+~ Wie vor einigen Stunden war ihre Unterkunft unberührt. Es zeigten sich keinerlei Spuren einer fremden Anwesenheit. Der Schwertkampfmeister bestand darauf, Wasser vom Fluss zu holen, um ein gemeinsames Bad zu nehmen. Er fühlte sich schmutzig und abgespannt. Vergeltung musste warten. Aoshi machte sich daran, ein gut verträgliches Mahl zuzubereiten, was ihnen einen Teil ihrer Kraft wiedergab, den gepeinigten Magen des Schwertkampfmeisters nicht übermäßig belastete. Getrennt voneinander hegten sie entsprechende Gedanken über die Motivation dieses Anschlags. Wie Aoshi mit dem Kenntnisreichtum seiner Erfahrungen bekräftigt hatte: diese Form der Vergiftung konnte nicht durch einen Zufall entstanden sein. Wer war das Ziel gewesen? Der Töpfermeister Kakunoshin mit seinem selbstherrlichen Gebaren, der keine Frau wählen wollte? Der Schwertkampfmeister, der Lehrer des Battousai? Oder der frühere Hauptmann der Oniwa Banshu, Aoshi Shinomori, den man tot glaubte? ~+~ Die große Hitze der Mittagsstunden hatte ihren Höhepunkt überschritten. Hiko warf sich seinen gewaltigen Mantel über, gürtete das Schwert um. Er war für einen Kampf gerüstet, sollte jemand die unverzeihliche Dummheit besitzen, ihn direkt attackieren zu wollen. Oder seinen Begleiter, der eine dunkle Yukata und zwei Sicheln trug, die gewöhnlich nur gegen die Flora zum Einsatz kamen. Der Ninja schlug die Ellen probeweise gegeneinander: unter den fest gewickelten Bandagen um Schienbeine und Unterarme verbargen sich in Ermangelung von Eisenstangen die kräftigen Halme von Schilfrohrgewächsen, die es Aoshi gestatteten, in einem Nahkampf seine Kenpo-Fähigkeiten einzusetzen. Das verkürzte Bein behinderte dies nicht. Schweigend glitten sie durch den Wald, als Krieger wachsam, geschmeidig und entschlossen. Durch die starke Verbindung miteinander entging auch dem Jüngeren nicht, was Hiko in Sichtweite des Dorfes innehalten ließ. Es war zu still. Kein Rauch kräuselte sich in den Himmel, keine bunten Wäschestücke wehten bei den Häusern, kein Hund warnte vor Beobachtern, ob Freund oder Feind. Die Hand auf dem Schwertgriff schritt der Schwertkampfmeister allein in das Dorf, bis er den Anger erreichte, wo sie am Vorabend noch fröhlich gefeiert hatten. Dort fanden sich ihre Gastgeber auch noch, wenngleich in einem grausigen Zustand. Fliegen umschwirrten die verkrümmten Leichen, tanzten über Erbrochenem, taten sich gütlich an Männern und Frauen, Kindern und Alten. Wenn die Hitze bis zum Abend anhielt, würde süßlicher Verwesungsgeruch sich erstickend über das Dorf legen, ein Mantel des endgültigen Schweigens. Er signalisierte Aoshi, sich zu nähern, um allein Haus um Haus zu durchkämmen, Überlebende oder Spuren zu suchen. Der Ninja unterdessen inspizierte den Ziehbrunnen, die Tränken, die man gefüllt hatte, von toten Vögeln und Vierbeinern umgeben. »Ein präparierter Balg eines Kleintieres hätte ausgereicht...« In den Brunnen befördert würde sich das Gift verteilen, auf der Oberfläche schwimmen, mit jedem Eimer einen Teil seiner tödlichen Ladung löschen. Er ballte die Fäuste, als Hiko neben ihn trat, seine Schulter drückte, ihn behutsam beiseite schob. Gekreuzte Schwünge des Schwertes schnitten durch Holz und Stein. Die gemauerte Umrandung sackte in sich zusammen, klatschte Trümmer in den Brunnenschacht hinab auf dem verseuchten Wasser. Damit stellten sie zumindest sicher, dass kein weiterer Argloser, ob Mensch oder Tier, zum Opfer dieses heimtückischen Mordanschlags wurde. Wer im Dorf wäre verrückt genug, das Wasser zu vergiften?! Hikos Gesicht verdüsterte sich bei der Erinnerung an die Nacht zuvor. Möglicherweise der reisende Händler, der so freigiebig Sake gegen Ochsen getauscht hatte? Die eisblauen Augen studierten die Raubvogelaugen konzentriert. Es blitzte. Aoshi fuhr auf dem Absatz herum, strebte hastig auf die Häuser zu. Der Schwertkampfmeister vertraute darauf, dass sein Gefährte der Situation gewachsen war, machte sich an die traurige Aufgabe, den Toten wenigstens eine ehrenvolle Bestattung zu geben. ~+~ Er wusste, dass sie da sein mussten!! Vage konnte er sie spüren. Vielleicht spielte ihm auch seine Hoffnung einen Streich. Aufzugeben stand nicht zur Disposition. Dachkammern, Büsche, winzige Stallungen, Erdgruben: nach und nach stöberte er verstörte, traumatisierte Kinder auf, ganze zehn an der Zahl. Sie hatten wie er von seinem Kräutertee getrunken, da man ihnen Sake nicht gestattet hatte, sodass sie keine Veranlassung hatten, mit Brunnenwasser ihren Durst zu löschen. Vermutlich hatten sie, die angstvoll und verstummt an ihm hingen, jeden Schritt auf Zeitlupe verlangsamten, als die große Übelkeit einsetzte, Hilfe zu leisten versucht. Das Naheliegende getan: Wasser oder Tee gereicht, den man frisch aufgebrüht hatte. Den Tod gebracht, fürchteten sie sicher! Als er sich näherte, hatte der Ältere bereits Strohmatten und Decken aus den Häusern gesammelt, breitete sie über den Leichen aus. Ein Massengrab auszuheben fehlte selbst Hiko die Kraft. Er raunte Aoshi zu, man werde sie am Abend mit Feuer bestatten. Damit gleichzeitig ein Zeichen setzen. Die Mörder sollten wissen, dass sie nicht erfolgreich gewesen waren. Und, wie der Ninja entgegnete, es würden Menschen aus benachbarten Ortschaften kommen, Verwandte, die die Überlebenden aufnehmen würden. Da Aoshi sich nicht bewegen konnte ohne seine Entourage, die stumm und in Schock versunken an seinen Armen und Beinen Halt suchte, oblag es dem Schwertkampfmeister, Vieh und Haustiere, soweit gesund, zusammenzutreiben und zu versorgen, bevor er aufbrach, Wasser am Fluss holte. Langsam folgte ihm Aoshi mit seinem Begleittross, entschlossen, mit den Kindern dort die Hitze und den Schmutz abzuwaschen. Wasser zu trinken, sich zu beweisen, dass das ohne Gefahr geschehen konnte. Sie hielten sich an ihm aufrecht, vertrauten ihm, hatten Freundschaft geschlossen. Er sah sich in der Pflicht, für ihr Wohlergehen Sorge zu tragen. »Wenn der Anschlag mir galt, trage ich auch die Schuld an ihrem Schicksal!« ~+~ Der Schwertkampfmeister begrüßte die Arbeitsteilung. Es fiel ihm leichter, sich auf die körperliche Arbeit der Vorbereitung eines riesigen Leichenfeuers zu konzentrieren, wenn man ihm keinen seelischen Beistand abverlangte. Es gab viel zu erledigen: es musste ein Nachtlager improvisiert werden, die Vorräte geprüft, die Habseligkeiten in den Häusern gepackt, falls jemand Anspruch auf sie erheben wollte. Sein Instinkt sagte ihm, dass sein Gefährte der Adressat dieses Genozids war. Das Dorf war zu arm, um solche Feindschaft zu erwecken, zu abgelegen, zu unbedeutend. Er selbst nicht mehr als eine Legende, ein verschrobener Töpfer, dessen Aufenthaltsort nicht mal der Händler kannte, der exklusiv seine Werke ausstellte. Jemand musste die Verbindung von dem Mischling, der bei einem Töpfer aufgetaucht war, zu dem verstorbenen Hauptmann der Oniwa Banshu gezogen haben. Eine Person, die sich nicht dem offenen Kampf, der direkten Konfrontation stellte, sondern mit Giftmord ohne Rücksicht auf Unbeteiligte agierte. Ein ehrloser, feiger, gerissener Gegner. ~+~ Die Köpfe hoch erhoben, die Hände gefaltet, standen sie nebeneinander, eine kurze Reihe angesichts des gewaltigen Felds, das Fackeln begrenzte, die der Schwertkampfmeister in den Boden gerammt hatte. Von Lampenöl und anderen brennbaren Flüssigkeiten getränkt loderten Flammen den Sternen entgegen, als sie hungrig Stroh, Reisig, Holz und Stoff verschlangen, die die Leichen bedeckten. Der gesamte Dorfanger schien in glühend rotes Licht getaucht, von dicken Rauchschwaden durchsetzt, die sich an den Stoffmasken brachen, die die Betenden vor Nase und Mund gebunden hatten. Sie würden wachen, die gesamte Nacht, die Ahnen bitten, ihre Liebsten freundlich aufzunehmen, durch die kleine Gemeinschaft, die das Leid zusammengeführt hatte, getröstet. »Das, und die Vergeltung!« Schwor Hiko. »Mehr können wir Krieger euch nicht bieten.« ~+~ Da sich ihre Schutzbefohlenen wie Welpen um Aoshi zusammengerollt hatten, sah sich der Schwertkampfmeister seines Privilegs der angenehmen Nachtruhe in intimer Gemeinschaft mit dem Ninja beraubt. Er fügte sich verdrossen in sein Schicksal, in Ermangelung von Alternativen Wache zu halten. Wäre ihr unsichtbarer Gegner vermessen genug, sogleich zu prüfen, wer das gewaltige, noch immer schwelende Feuer entfacht hatte? Mochte es für einen Außenstehenden auch riskant erscheinen, die Aufmerksamkeit solcherart auf sich zu ziehen, zu zweit und nur mit Schwert und Sichel gerüstet: für Hiko stellte dies keine Bedrohung dar. Wenn die lebensverachtende, feindliche Welt, die er geflohen hatte, sein letztes Refugium bedrohte, würde sie einen Kriegsgott finden, der zu viele Höllen durchwandert hatte, um sich kampflos drein zu schicken. Seine Raubvogelaugen wanderten zum Dorfeingang, konzentrierten sich auf den Pfad. Jemand näherte sich. Diese Aura von animalischer Präsenz, gepaart mit kalkulierender Kälte und geschmeidiger Entschlossenheit war ihrem Besitzer leicht zuzuordnen, unverwechselbar und dominant. Er erhob sich, die Hand auf dem Griff seines Schwertes, positionierte sich in breitem Stand vor dem improvisierten Mattenlager unterhalb des Sonnensegels, das er mit Wäschestangen und Decken fabriziert hatte. "Lianren?" In Aoshis leiser Stimme schwang Unbehagen und Ratlosigkeit. Durch die Verbindung ihrer Emotionen und Präsenzen konnte er auch die schlanke Silhouette, die sich ohne Hast, aber fortschreitend näherte, einem Mann, einem Namen zuordnen. Was führte den Wolf von Mibu in diese Einöde? Gerade außerhalb der Schlagdistanz des Schwertkampfmeisters hielt der Polizist inne, seine Hand ebenfalls auf dem Schwertgriff, die Bernsteinaugen unwirklich glimmend in der Dunkelheit. "Wie lange?" Sein scharfes Kinn wies auf die Aschehaufen, die Stimme kehlig, knapp, als koste es ihn Mühe, seinen gewaltigen Kiefern menschliche Laute abzufordern. "Vergiftetes Brunnenwasser, gestern Abend." Entgegnete Hiko ebenso bündig, entließ den sehnigen Mann nicht einen Wimpernschlag aus seinem Fokus. Ohne die Uniform verwandelte sich der Wolf in das, was sich tatsächlich unter der trügerischen Schicht von kultivierter, gelegentlich sogar arroganter Zivilisation verbarg: ein hochintelligentes Tier, das unermüdlich in den Schatten umherstreifte, jagte und erlegte, gerissen, kalkulierend, kaltblütig. Nun unterstrich der schwarz gehaltene Kampfanzug, Hakama und Gi, diesen Eindruck. Selbst Socken und Sandalen trugen die gleiche Kolorierung. Allein die Zierkordeln des Schwertgehänges boten mit ihrer safrangelben Färbung einen Lichtpunkt. Die unbedeckten Hände glommen in ihrem Elfenbeinton gegen das dunkle Tuch. »Seltsam.« Registrierte der Schwertkampfmeister beiläufig. »Ich nehme keinen Geruch seiner Zigaretten auf.« "Ah." Kommentierte der ehemalige Shinsengumi knapp, warf einen Blick auf Aoshi, der sich kaum erheben konnte, ohne eines der anhänglichen Kinder aus dem erschöpften Schlaf zu reißen. Seine Augen fixierten sich auf Hikos Gesicht, studierten es reglos. "Seid Ihr durch den gleichen lächerlichen Schwur wie Euer Schüler gebunden?" Knurrte es guttural zwischen den gebleckten Fängen hindurch. "EX-Schüler." Korrigierte der Schwertkampfmeister beiläufig, wog seinerseits den sehnigen Mann auf. Saitous Frage konnte nur daraufhin abzielen, ihn zu begleiten, obwohl er den Polizisten nicht gerade als einen Freund von Gruppenarbeit einschätzte. Wenn er seine offenkundige Feindschaft mit dem törichten Flammenkopf überwand, dessen Stärke benötigte, musste er einen verwegenen Plan entwickelt haben, der sehr starke Rückendeckung erforderlich machte. "Wenn Ihr wollt, dass ich an Eurer Seite kämpfe, Wolf, sagt mir, was sich hinter diesem Wahnsinn hier verbirgt!" Stellte er laut seine Bedingungen. Ein kaltes Lächeln irrte über die schmalen Lippen. Saitou deutete ein Nicken an. Fürwahr, der verschrobene Töpfermeister verkörperte ein ganz anderes Kaliber als der heuchlerische Rotschopf! Er schien zu verstehen, was den Wolf ausmachte, die Natur seiner Existenz. "Gut." Akzeptierte er mit knappem Nicken. "Es geht um die Zerstörung unseres Landes und unserer Nation, die Unterwerfung unter ein fremdes Joch." Bevor der Schwertkampfmeister diese vorgeblich pathetisch anmutende Prognose abwinken konnte, flammten die schwefligen Bernsteinaugen auf, signalisierten, dass der Wolf von Mibu mit kühlem Verstand nicht zu übertreiben pflegte. "Vor drei Tagen detonierte eine gewaltige Sprengladung im Polizeihauptquartier in Tokio. Etwa zur gleichen Zeit band man streunenden Hunden Giftbomben um, die in den Doujou Eures Ex-Schülers liefen. Jemand warf Brandbomben auf ein Bauernhaus, in dem ein ehemaliger Straßenkämpfer nächtigte." "Sano!" Der Ninja konnte einen entsetzten Ausruf nicht unterdrücken. Den Wolf irritierte dies keineswegs. Seine Augen behielten die Raubvogelaugen des Schwertkampfmeisters im Blick. "Eine alte Frau wurde brennend erschlagen. Unzählige Menschen starben oder wurden verletzt. Der Battousai konnte gerade noch seine Freunde vor einem qualvollen Erstickungstod bewahren. Welche Verbindung steht zwischen diesen Ereignissen?" Obgleich die Frage rhetorische Qualität hatte, beantwortete Aoshi sie leise. "Kenshin, Sano und Ihr seid gegen Shishio für die Meiji angetreten. So wie ich auch." "In der Tat." Ein arktisches Lächeln fegte über die ausgeprägten Züge des ehemaligen Shinsengumi. "Vier Männer, die die Lage stabilisierten. Die Mitglieder der Regierung sind bis zu einem gewissen Grad austauschbar. Aber DIESE Männer, gefürchtet und gehasst, werden noch immer von den Meiji benötigt, um ihre Herrschaft zu sichern." "Aber dann... was ist mit den Oniwa Banshu?!" Der Ninja erbleichte. Seine Freunde und Verwandten, allen voran Misao und Okina, hatten sich entschieden mit Kenshin und seinen Freunden aus Tokio verbündet! Der Wolf knurrte. "In Kioto habe ich für Ordnung gesorgt, nachdem wir dich begraben hatten, Ninja. Außerdem haben die Bewohner des Aoiya nur noch strategisch-politisches Gewicht, kein militärisches mehr." Es gab mit seinem vorgetäuschten Tod keine kämpfenden Einheiten mehr. "Jemand will also die Meiji ohne ihre geheime Rückendeckung lassen." Nahm Hiko den Gesprächsfaden wieder auf. "Wieso wird die Geheimpolizei, die Riege der Spione nicht eingesetzt?" Die Reißzähne blendeten auf. Der Schwertkampfmeister dechiffrierte die Botschaft als Hinweis darauf, dass die bevorstehende Konfrontation nicht nur heikel, sondern auch in großer Gefahr des Verrats stand. "Wohin also?" Schnarrte er missmutig. "Wir werden wohl kaum Zeit zur Muße haben, wenn Ihr von Tokio hierher innerhalb von zwei Tagen gereist seid!" Eine unglaubliche Anstrengung, die gute Organisation, logistisches Geschick und nahezu unbegrenzte Mittel oder entsprechenden Druck erforderte. Nicht zu erwähnen die Vermutung, dass Saitou nicht einen Augenblick geruht oder gerastet hatte. Für einen Jäger nicht ungewöhnlich. "Kioto, dann Osaka." "Kioto?" Echote der Schwertkampfmeister fragend. "Einen Kontakt informieren." Der Wolf wandte sich bereits ab, das Dorf zu verlassen. Hiko drehte sich um, streckte die Hand aus, um die langen Ponysträhnen aus dem Gesicht des Ninja zu streichen, die eisblauen Augen zu studieren. "Ich lasse dich nicht gern allein, Ryuu." Bekundete er sein Unbehagen, liebkoste eine Wange. Aoshis Pupillen streiften das Aschefeld, die schlafenden Kinder, die sich um ihn scharten. "Ich weiß." Bekannte er matt, ein fahles Lächeln aufgesetzt. "Bitte, Lianren, gebt auf Euch acht!" Sich vorbeugend, um nicht über die Kinder steigen zu müssen, küsste der Schwertkampfmeister seinen Gefährten liebevoll. "Bis bald, kleiner Drache." Neckend zerwühlte er die blauschwarzen Strähnen, kehrte sich rasch ab, da Abschiede ihm verhasst waren. Wenige Schritte, und der Geist des Wolfs infizierte ihn, stählte seinen Willen und seine Muskeln. Die Jagd rief. ~+~ Kapitel 20 - Ein irrwitziger Plan Der dritte Tag nach der gewaltigen Explosion im Polizeihauptquartier neigte sich seinem Ende zu. Noch immer waren nicht alle Trümmer abgetragen, alle Opfer bestattet. Die Stadt duckte sich unter der Ungewissheit des Motivs. Von einem 'Unfall' war seit geraumer Zeit nicht mehr die Rede. Den Gesetzen vergangener Attacken zufolge hätte sich ein neuerlicher Anschlag ereignen müssen, um die Regierung zu treffen, da ein Großteil der Einsatzkräfte mit einem Schlag ermordet worden waren. Die gespannte Ruhe hielt an. Katsuhiro war es gelungen, seinem Wahlbruder das Fieber auszutreiben und das qualvolle Husten und Atemschöpfen zu lindern. Der Faustkämpfer erholte sich allmählich von dem Überstandenen. Dennoch fiel es Sanosuke sichtlich schwer, allein in einem geschlossenen Raum zu bleiben. Katsuhiros bescheidenes Haus reichte in diese Kategorie hinein. Der Maler entschloss sich, so lange an der Seite des wenig jüngeren Mannes zu wachen, bis der in der Lage war, mit ihm auszugehen. Drei ganze Nächte, die er Kamatari sich selbst überlassen musste, sorgenvoll jede Minute zählend, die sie voneinander getrennt waren. Kamatari hingegen schien von einer düsteren Entschlossenheit erfasst, insbesondere, als er den sich in Albträumen windenden Sanosuke beobachtete, dessen erlittenes Leid sich in seinen wirren Wortfetzen offenbarte. Was konnten ihm da die Nachstellungen irgendwelcher Figuren im Teehaus bedeuten? Er sang, was seine Lungen und Kehle hergaben, beschwor in den alten Liedern den Zusammenhalt der Menschen, bevor er wie gewünscht die gewohnten Zoten intonierte. Er umgab sich stets mit einem wechselnden Auditorium, entschlüpfte mit wachsendem Geschick und einer Vielzahl von Verkleidungen seinen Häschern. Katsuhiro, der stets seine Hände beschäftigte, seltsame Schnüre drehte, Pulver zerstieß und über skizzierten Karten brütete, sah auf, als sich Kamatari für die Nacht rüstete. In den wenigen Tagen hatte sich der junge Mann so rasch eingelebt, dass man kaum glauben konnte, des Nachts einer koketten 'Sängerin' gegenüberstehen zu können. Er erledigte die Besorgungen, kontaktierte die Klinik vorsichtig, um weitere Medikamente zu beschaffen, ohne den Argwohn der auch dort einquartierten Verletzten des Anschlags zu erwecken. Er besuchte sogar den Doujou, um dort ein weiteres Mosaikteil zu einem düsteren Bild fügen zu können. Langsam erhob sich der Maler, versuchte vergeblich, seine körperliche Erschöpfung zu verbergen, schwieg ratlos, als sie einander gegenüberstanden. Was sollte er auch sagen, welche Bitte, welche Sorge hatte er nicht bereits formuliert? Sein Versprechen harrte immer noch der Erfüllung. Kamataris Mundwinkel wiesen die Spuren der starken Blätter auf, die er 'danach' zu kauen hatte. Der lächelte aufmunternd, umfasste den Kopf Katsuhiros mit beiden Händen, küsste ihn nachdrücklich ungeachtet der Zurückhaltung, die sich zwischen ihnen mit der Ankunft Sanosukes eingebürgert hatte. "Keine Angst." Versicherte er samtig. "Ich weiß mir schon zu helfen, Katsu. Heb mir ein wenig Huhn auf, wenn ich wiederkomme." Lenkte er eilig auf Triviales ab. Der Maler schüttelte den Kopf. "Wir werden heute auch in das Teehaus kommen. Nur wie die Ratten in der Falle zu warten, das wäre zu einfach!" Die starrsinnige Entschiedenheit in den schwarzen Augen mit Unbehagen registriert warf Kamatari ein, dass es nicht besonders klug wäre, den totgeglaubten Sanosuke so ungeniert in der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Sie wären Stümper, wenn sie nicht schon festgestellt hätten, dass es in den Trümmern keine Leiche zu finden gab." Bemerkte der Maler ungerührt. Zudem verfügte er über einen sehr guten Grund, warum er Sanosuke an seiner Seite haben wollte. Das konnte er Kamatari noch nicht enthüllen. ~+~ Die Gäste an diesem Abend waren weniger zahlreich, doch umso entschlossener, sich nicht von der gedrückten Stimmung abschrecken zu lassen. Einige begrüßten sogar den Druck, der die Meiji-Regierung zu zerbrechen drohte, weil sie nicht die Versprechungen hielt, die sie gemacht hatte. Nicht über die Stärke verfügte, sich gegen Interessengruppen durchzusetzen. Kamatari erquickte seine Kehle mit dem dünnen, gesüßten Tee, den man hier ausschenkte, um rasch das Verlangen nach den teureren Angeboten zu regen. Er inspizierte die Besucherschar, die sich im dritten Geschoss bewegte, ohne Gedränge oder lautstarkes Gebaren. Ein Mann mit einer sehr merkwürdigen Bürstenfrisur näherte sich. Die 'Sängerin' erbleichte unter der geschminkten Larve. Chou, der Schwertsammler, ehemals Mitglied der Zehn Schwerter, war vom Battousai besiegt und gefangen genommen worden, ohne am letzten Kampf teilgenommen zu haben. Vermutlich durfte er sich nur auf freiem Fuß bewegen, weil er sich zur Spionage für die Meiji verpflichtet hatte. Wer konnte besser Jagd auf ihn machen als ein ehemaliger Kamerad? Es half nichts, kein Schatten würde ihn verschlucken, bis der Schwertsammler ihn erreicht hatte. Kamatari erlag keiner Täuschung, dass Chou ihn nicht erkannt haben könnte, auch wenn dessen geöffnetes Auge trügerisch ziellos über die Anwesenden streifte. »Er ist ohne sein geliebtes Schwert gekommen.« Stellte Kamatari fest, die Hände um den Stab geballt. »Welchen schmutzigen Trick wird er anwenden?« Ein Zwinkern. Er fand sich dem ehemaligen Waffengefährten gegenüber, dessen Hand begehrlich über seinen Obi streifte, dabei im breitesten Osaka-Dialekt rauen Charme spielen ließ. "Was für eine Schönheit! Die Luft in Tokio muss wahre Wunder wirken! Eine Haut wie Seide und eine Figur so anmutig wie die Benten selbst." Kamatari erschauerte zur eigenen Verärgerung, wollte sich abwenden. Der Griff um seinen Arm hinderte ihn nachdrücklich. "Begleitet mich ein bisschen, meine Schöne und ich werde es Euch lohnen." ~+~ Kamatari spürte die grobe Struktur des Pergaments mit jedem Atemzug über seinen flachen Bauch reiben, wenn sich er sich unwillkürlich bewegte. Der Schwertkämpfer kniete vor ihm, den Kopf zwischen Kamataris Beine vergraben. Allein seine bizarre Frisur stach in ihrem seltsamen Farbton heraus, teilte den Kimono-Stoff, während er begehrlich über Kamataris schlanke Beine strich, sich nicht an dem Verband um das lädierte Knie störte. Ohne viel Federlesen hatte Chou ihn in eine Nische gedrängt, mit einer Hand tief in den winzigen Ausschnitt gelangt, als prüfe er die 'Ausstattung' seiner Erwählten, dabei den Papierstreifen hinuntergleiten lassen, wo ein Band sich um die schlanke Taille wand, um notwendige Utensilien zu verbergen. Die kraftvollen Hände wanderten höher, pressten die Fingerkuppen im Rhythmus der oralen Befriedigung in die mageren Pobacken, nötigten Kamatari ein heiseres Stöhnen ab. Chou agierte wie stets: bodennah, schnörkellos, ein wenig grob. Mit beiden Armen die Stützbalken umklammernd versuchte sich Kamatari auf dem schmalen Sims auszubalancieren. Seine Beine gaben immer wieder nach. Chou hatte seine Anstrengungen noch längst nicht beendet. Das Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich immer stärker in Kamatari aus. Warum handelte der Schwertsammler so? Sollte er nicht Umgekehrtes einfordern? Würde er danach die Standpunkte der Meiji übermitteln? Welche Botschaft enthielt der Papierstreifen? Mühsam ihre Umgebung beobachtend, ob jemand dem merkwürdigen Gast zu lange seine Aufmerksamkeit schenkte, wenn der seine Befriedigung darin fand, eine der Angestellten auf diese Weise zu beglücken, konnte Kamatari der Anspannung und dem eigenen Lusttrieb keine Gegenwehr mehr bieten, ergoss sich in den Mund des Schwertsammlers, rang nach Luft. Matt bemerkte er, dass sich der Schwertsammler aufrichtete, mit dem Handrücken über das Gesicht wischte, den Kimono wieder ordnete, als sei die Tugend noch zu wahren. Bevor er sich vorbeugte, beide Augen geöffnet, um Kamatari etwas zuzuraunen. "Das wollte ich schon immer mal tun, aber Shishio sagte, du seist tabu. Die Nachricht geht an den Pinselschwinger, der viel zu weich für deinen knackigen Hintern ist!" Chous Griff unterstrich, was ihm zugesagt hätte, wäre die Situation eine andere. Kamatari bekämpfte den Zwang, dem Schwertsammler die Faust in das Gesicht zu rammen. Der lachte laut, prahlend, um sich grinsend zu entfernen. Kamatari lehnte sich Trost suchend gegen die Wand, flehte den Maler herbei, der hoffentlich Licht in das Dunkel bringen konnte. ~+~ Katsuhiro wusste, dass etwas geschehen war. Er konnte es an den Haselnussaugen ablesen, den hochgezogenen Schultern, dem gezwungenen Lächeln. Er verwünschte die Tatsache, dass sich Sanosuke auf seine Bitte hin in den unteren Geschossen umsah, in den geliehenen Kleidern mit mühsam gekämmtem und geglättetem Haar kaum noch als der berüchtigte Faustkämpfer kenntlich. Momentan konnte er nicht nach Belieben Kamatari befragen, die Ursache von Kummer und Sorge ergründen. Es galt, sich unauffällig zu verhalten, jede Verbindung miteinander zu vermeiden, soweit sie beobachtet werden konnten. "Komm in den Garten." Raunte Kamatari samtig, wischte an ihm achtlos vorbei, bahnte sich mit dem fahlen Lächeln auf der geschminkten Larve einen Weg, grüßte freundlich, wen sein Blick streifte. Allerdings mit dem Air der Dringlichkeit, die leider keine Muße für Konversation oder weitergehende Angelegenheiten hatte. Der Maler zählte stumm, um seine Ungeduld zu kontrollieren, ermahnte sich, nicht wegen dieses möglicherweise kurzweiligen Ärgernisses die große Perspektive zu vernachlässigen. Endlich befand er genug Zeit für verstrichen, um ebenfalls in gemächlicher Manier in den kleinen Garten vor dem Teehaus zu lustwandeln, wo sich ihm hinter einer Hecke suchende Arme entgegenstreckten. "Greif in meinen Kimono, zum Band." Wisperte Kamatari, die Arme um Katsuhiros Nacken geschlungen, lehnte sich kokett an ihn, um eventuellen Augenzeugen lediglich das gewohnte Prozedere einer Geschäftsanbahnung zu präsentieren. Der Maler folgte wie geheißen der Aufforderung, stieß auf den Papierstreifen. Er versteifte sich unter dem Zittern, das die schlanke 'Sängerin' bei jeder Berührung durchlief. "Was ist passiert, Kama-chan?" Seine Lippen küssten die fragile Nackenlinie, entblößten eine Schulter. "Chou... kam..." Kamataris Fingernägel verhakten sich im Stoff des Kimono auf Katsuhiros Rücken. Er schwankte zwischen Trost und Lust. Es dauerte einige Augenblicke, bis der Maler den Namen einer Person zuordnen konnte. Er schob Kamatari von sich, starrte mit flammenden Augen in einer eisigen Maske den wenig jüngeren Mann an. "Was hat er getan?" Wie war es ihm gelungen, den Papierstreifen an dieser Körperstelle zu positionieren, wenn er nicht ebenso engen Kontakt mit Kamatari gehabt hatte, wie sie beiden diesen nun hatten? Hatte er Kamatari gezwungen, ihn zu befriedigen? Oder gar...?! "Der Kerl ist ein widerliches Ekel!" Ungeachtet der Zurückweisung schmiegte sich Kamatari an Katsuhiro an, umschlang dessen Hüften, den Kopf mit der schweren Perücke auf einer Schulter ablegend. "Die Nachricht ist für dich." Diese Erläuterung ignorierend drängte der Maler Kamatari tiefer in die Büsche, als habe er tatsächlich die Absicht, dort das Geschäft abzuschließen, während er im Schutze der Blätter Kamatari nachdrücklich küsste. "Sag mir, was geschehen ist!" Verlangte er knapp. Daraufhin gan Kamatari seufzend nach, wollte einen sinnlosen Streit vermeiden. "Er war mir mit dem Mund dienlich." Umschrieb er die unangenehme Erfahrung von Gier und Bedrohung, verlorener Selbstkontrolle, die Chou hinterlassen hatte. Die schwarzen Augen glühten wie Kohlen, als Katsuhiro ihn enger an sich zog, tröstend über seinen Rücken mit großzügigen Schwüngen strich. Kamatari hatte erwartet, einen hasserfüllten Schwur erneuert zu hören, den zornigen Ausdruck darüber, dass er sich von Fremden betatschen und erniedrigen lassen musste. Dieses Schweigen wog schwerer. Es trug den Selbsthass des Malers, dem es noch nicht gelungen war, seinen Geliebten aus dieser Halbwelt zu befreien. "Was enthält die Botschaft?" Lenkte er Katsuhiro von stummer Selbstzerfleischung ab. Wer könnte den Maler auf diese Weise kontaktieren wollen? Die Meiji?? Der Maler entzündete ein Streichholz aus dem wunderreichen Fundus seiner Umhängetasche, studierte die Ideogramme konzentriert. Nicht nur sein Gesicht entsagte aller Farbe. Er spürte, wie die Wärme von ihm floh, eine Geräuschkulisse seinen Kopf invahierte, jeden vernünftigen Gedanken übertönte. "Was ist, Katsu?!" Die Hände auf seinen Wangen, die sanften, sorgenvollen Küsse, die sein Gesicht beregneten, die dunkle, samtige Stimme: der Maler schrak zusammen, wurde sich Kamataris bewusst. "Hol deine Sachen, sofort, ich finde Sano. Wir müssen hier weg, aber schnell!" ~+~ Kamatari und Sanosuke saßen Seite an Seite auf dem Futon, verfolgten mit wachsender Ungeduld, wie der Maler in seinem bescheidenen Reich auf und abging, Bambusrohr-Rollen aus den Regalen zog, verborgene Nischen öffnete, weitere Rollen entnahm, ihren Inhalt ausbreitete und studierte. Bevor er sie wieder mit grimmiger Miene verplombte. "Katsu, was, verdammt noch mal, ist los?! Was wollte der blöde Besenkopf von Kama?!" Kamatari unterdrückte ein überraschtes Schnaufen. Zwar hatten sie nur wenige Worte gewechselt seit der Rekonvaleszenz des Faustkämpfers, doch er hatte nicht erwartet, dass der seine Vorbehalte und Ressentiments so rasch vergaß, ihm sogar einen verkürzten Kosenamen zugedachte. "Das tut nichts zur Sache. Wenn er es noch ein einziges Mal wagt, wird nichts mehr von ihm da sein, das man anspucken könnte!" Fauchte Katsuhiro knapp. Die absolute Entschlossenheit seiner Worte ließ die beiden nahezu gleichaltrigen Männer zurückweichen. Der Faustkämpfer zuckte mit den Schultern, während ein Ellenbogen mit Kamataris Seite kollidierte. "Schätze, du hast ordentlich Eindruck auf meinen großen Bruder gemacht!" Ein neckendes Grinsen schloss sich an. Der Angesprochene erwiderte es verunsichert. Die Erinnerung an Chou war ekelerregend und beschämend. Katsuhiros rachsüchtiges Engagement stellte nicht gerade eine Verbesserung seiner Gemütslage dar. "Gut." Der Maler wandte sich ihnen zu. Die Augen glühten unter dem dicken Stoffband. "Wir haben wenig Zeit!" ~+~ Saitou reiste nicht wie ein gewöhnlicher Mensch. Er verlangte Tiere und erhielt sie ohne Diskussion, weil alles erstrebenswerter erschien, als länger in die schwefligen Raubtieraugen blicken zu müssen. Er zwang jedem seinen Blickkontakt auf. Von Kioto nach Osaka verzichtete er auf Beförderungsmittel oder die Hauptstraße. Auf verschlungenen Pfaden, von einem unsichtbaren Kompass geführt jagte er mit hohem Tempo durch die Landschaft. Hiko gewann immer stärker den Eindruck, mit einem nicht vollends menschlichen Wesen unterwegs zu sein, die Bewegungen mehr als geschmeidig, das Wittern, das unwillkürliche Fängeblecken, die Rastlosigkeit. Üblicherweise hätte ihm die Geschwindigkeit wenig Mühe bereitet. Der überstandene Mordanschlag zehrte an seinen Kräften. So erreichten sie Osaka erst gegen Abend. Erstaunlicherweise schien dies den Wolf jedoch nicht anzufechten. Der Schwertkampfmeister vermutete, dass sie sich in einem noch tolerierbaren Zeitrahmen bewegten. "Dort!" Knurrte der ehemalige Shinsengumi. Seine glühenden Augen lösten ein weitläufiges Areal aus dem Gewirr von Häusern, Hütten, Tempeln, Straßen und Gassen. "Was ist dort, und was habt Ihr vor?!" Hiko umfasste den Schwertgriff kontrolliert. Mit jedem Augenblick mutete es schwierigerer an, sich von der ansteckenden Präsenz des Wolfs zu befreien, seinem Verlangen nach Gerechtigkeit und der Vergeltung für die Ermordeten. Er wollte mit den Schatten verschmelzen und sein Urteil vollstrecken, schnell, kaltblütig und endgültig. Jede Verzögerung, etwa durch die Erläuterung seiner Vorgehensweise, versetzte ihn in ungnädigen Groll. "Folgt mir einfach und haltet meinen Rücken gedeckt." Knurrte es kehlig. Die starken Kiefer knirschten unter den konsonantischen Silben. Der Wolf preschte davon, ein fließender Schatten in der Dunkelheit. Hiko brummte eine Verwünschung, tat es ihm gleich. ~+~ Hatte er damit gerechnet, dass sie sofort das große Gelände ins Visier nahmen, vermutlich das Heim einer großen, reichen, sehr alten Familie, sah sich der Schwertkampfmeister bald eines Besseren belehrt. Einem ihm unbekannten Plan folgend arbeitete sich der Wolf durch Osaka, zuerst den Hafen zum Ziel gewählt, unscheinbare Hütten oder Spelunken, in denen Hafenarbeiter und Tagelöhner sich trafen, verlassene Plätze. Der Wolf schnarrte seine Losung 'Aku. Soku. Zan.' Die Männer griffen zu ihren Waffen. Der Wolf schnellte wie ein Kugelblitz durch die sich noch in Formation sammelnden Kleingruppen. Erstarrte Frauen und Männer sahen ihre Leichen sinken, das Glimmen der Bernsteinaugen in der Nacht, das Blecken der Fänge. Dann war der Wolf wieder in der Finsternis verschwunden. Es fiel Hiko schwer einzuschätzen, ob und woran der linkshändige Schwertkämpfer seine Beute erkannte. Sie wirkten zumindest nicht vollkommen perplex, attackiert zu werden. Wusste jemand, dass ein Rachegott auf ihrer Spur wandelte? Ihm selbst blieb wenig zu tun. Was sich vermutlich ändern würde, sobald sie einen Weg in das von hohen Mauern umgebene Areal gefunden hatten. Er folgte Saitou auf ein Gebäudedach, der sich mit katzenhafter Sicherheit über die abschüssigen Dachziegel bewegte. Der hielt inne, entließ ein schauerliches Aufheulen in die Dunkelheit, markerschütternd, Gänsehaut auslösend. Für einen Augenblick meinte der Schwertkampfmeister, ein kaltes Lächeln in der Silhouette des Polizisten aufblitzen zu sehen. Saitou verschwand mit hoher Geschwindigkeit bereits im Vorhof. Sie stießen auf vehementen, verzweifelten Widerstand, unterstützt von diversen Fallen, die einer Ninja-Festung zur Ehre gereicht hätten: Falltüren, Regen giftiger Pfeile, Sicheln, Geheimgänge. Hier gab es keine Unterscheidung mehr wie zuvor. Wer ihnen begegnete, wollte sie töten. Auch Hiko wehrte sich mit aller Kunstfertigkeit in seiner Haut. Der Wolf entwischte geschickt ausgelegten Fallen, überwand einige sogar, signalisierte seinem Begleiter, wo genau sie ausgelegt waren, um ihre Verfolger in den eigenen Untergang laufen zu lassen. Bald klebten sie von Blut, die Klingen schwarz wie die Schatten, die um sie schwärmten. Ein düsterer Reigen, der nur einen Sieger kannte: den Überlebenden. Der Schwertkampfmeister konnte nicht mehr ermessen, wie viele der Gegner er niedergestreckt hatte, wie lange schon ihre Expedition durch den gewaltigen Komplex andauerte. Der Wolf verharrte, bedeutete ihm, mit einem wuchtigen Schlag gigantische, einschüchternde Türflügel zu sprengen. Fackeln loderten zischend unter dem immensen Druck, den Hiko erzeugte. Der Wolf betrat den sich hinter den Flügeln eröffnenden Saal. Ein Thron befand sich am anderen Ende. Wertvolle Wandteppiche entwarfen im Schein der Fackeln gespenstische Szenerien, als sie weiter in die Mitte der Halle vordrangen. "Ich bin hier, Gerechtigkeit zu üben. Und Vergeltung, selbstverständlich." Schnurrte der Wolf kehlig. Ein diabolisches Lächeln tanzte archaische Reigen auf seinem markanten Gesicht. "Ihr werdet dennoch verlieren!" Fistelte eine hohe Greisenstimme. Sie wurde von einer weiteren ruppig unterbrochen. "Genug, alter Narr." Eine Frau, ebenso wie der vom Alter geschrumpfte Mann in prächtige Gewänder gekleidet, entzog sich den Schatten des Throns, ihre maskenhaft geschminkte Miene kalt und unleserlich. "Der Wolf ist uns entwischt." Ein Grinsen verunzierte die puppenhaften Züge. "Aber seinen kleinen Liebhaber, den holen wir uns noch." Lange, goldene Aufsetzer auf ihren feingliedrigen Fingern glommen in komplizierter Gestik, als sie langsam auf Saitou zuschritt. "Der Junge wird sterben mit seinem törichten Freund. Ihr werdet an seinem Verlust zugrunde gehen, Wolf!" Ein amüsiertes Lachen perlte über rubinrote Lippen. "Ihr wart dumm genug, Euer Herz einem dreckigen Straßengangster anzuvertrauen, obgleich Ihr nicht einmal Frau und Kindern diese Gunst gewährt habt. Wie pathetisch!" Verächtlich spuckte sie aus. Hiko beobachtete den Austausch von Beleidigungen mit wachsendem Unbehagen. Was hatte das zu bedeuten?! Hatte der Polizist nicht angedeutet, dass der Junge, Sano, richtig!, den Anschlag überlebt hatte? Saitou bewegte sich nicht von der Stelle, hob sein Schwert in die erste der Gatotsu-Stellungen. "Ihr solltet mich nicht unterschätzen, verehrte Himiko. Euer Plan wird scheitern." Die Angesprochene lächelte bar jeden Humors. "Sie werden ihn foltern, ihn aufschneiden, in Stücke zerteilen und im Meer versenken." Flüsterte sie mit glühenden Augen. "Nie mehr werdet Ihr ihm begegnen!" Den Stand geweitet kräuselten sich die Mundwinkel des ehemaligen Shinsengumi verächtlich. "Ihr mögt den Namen einer Kaiserin tragen und Euren sabbernden Ehemann dazu angestiftet haben, gegen sein eigenes Volk und Land zu agieren, aber ich werde nicht zulassen, dass Ihr reüssiert. Euer Rachefeldzug endet hier." "Das wird er nicht. Selbst meinen Tod wird er überdauern!" Fauchte Himiko, zog aus ihrer kunstvoll arrangierten, mit Haarteilen ausgepolsterten Frisur lange, nadelspitze Kämme, umkreiste den Schwertkämpfer. "Euer widerliches, arrogantes, räuberisches, unkultiviertes, stinkendes Volk soll zerrissen werden, unterjocht von den Fremden, ausgebeutet und erniedrigt! Im Staub sollt ihr kriechen, für eure Untaten bezahlen! Jahrhunderte habt ihr euch daran gemästet, mein Land zu überfallen, mein Volk zu verschleppen, unsere Kultur zu stehlen, nun sollt ihr büßen! Die Meiji werden fallen, ihr werdet hier sterben und dann werden die ausländischen Aasfresser euch mit ihren gierigen Krallen zerreißen! Rache sei den Han, Rache für mein Volk!" Sie attackierte. Der Wolf hielt ungebremst auf sie zu, glitt unter den gefährlichen Kämmen hindurch, während sein Schwert wie ein Blitzschlag durch den Saal raste, den Greis in seinem Thron reglos aufspießte. Mit einem Wutschrei, der weniger dem Tod des Mannes als der Vereitlung eines sorgfältig erwogenen Plans entsprang, hieb Himiko auf den Unbewaffneten ein, kunstfertig und von wahnsinnigem Zorn angetrieben. Hiko wartete, ob sich weitere Gegner einfinden würden. Er zweifelte nicht daran, dass der Wolf seine Gegenspielerin besiegen würde. Tatsächlich lockte Saitou Himiko bis zum Thron, die noch eine Möglichkeit sah, ihren Plan zu vervollständigen, entzog dem Leichnam sein Schwert, um im nächsten Wimpernschlag mit der Nullposition den Schädel der Frau zu spalten. Wenige Millimeter vor einem winzigen, verborgenen Hebel ereilte sie der Tod. Das Schwert verächtlich an dem kostbaren Brokat des Überkleides im Stil der Han abwischend schnarrte der Wolf kalt. "Du hättest dem törichten Alten weiter das Bett wärmen sollen, Prinzessin, statt dich mit mir anzulegen und das, was Mein ist, zu bedrohen." "Wenn es nicht zu viel Mühe bereitet, wäre ich für eine Erklärung dankbar." Brachte sich Hiko in Erinnerung, nachdenklich den Hebel betrachtend. »Noch eine Falle?« Saitou konzentrierte sich auf den Boden, folgte einer Spur, die er in den Fugen der eingelassenen Platten zu erkennen schien, während er beiläufig die Hintergründe beleuchtete. "Alles nahm den Anfang damit, dass der alte Kerl dort bei einer seiner Reisen zum Festland Augen auf unsere kleine Han-Prinzessin warf und beschloss, sie zu seiner Frau zu machen. Als sie erkannte, welche Verbindungen der Lustgreis hatte, stimmte sie zu, um ihren Rachefeldzug umzusetzen. Wir sind nicht sonderlich wohlgelitten im Reich der Han." Er öffnete eine Seitentür, wählte eine Fackel, um dem schmalen Gang zu folgen. "Der alte Idiot ließ sich von seiner jungen Braut ködern. Bald führte sie sein Geschäft. Ihr ehrgeiziges Ziel war die Zerstörung unseres Landes, unserer Nation. Nach all den Bürgerkriegen, mit der zerbrechlichen Regierung und den Fremden von Übersee stellte es sich nicht unerreichbar dar, wenn man nur die richtigen Strippen zog." Mit dem Schwertknauf klopfte er Wandvertäfelungen ab, lauschte auf das Echo, während gespenstische Schattenwürfe über sein hageres Gesicht tanzten. "Shanghai, Kioto, Osaka, Tokio: der Alte hatte viele Verwandte. Einige von ihnen versprachen sich aus dem Engagement für die richtige, die siegreiche Partei großen Reichtum, sodass sie übersahen, welche Schlange sie sich ins Nest geholt hatten. Wer finanzierte Shishio? Der Kerl verfügte über das Potential, das Land zu unterwerfen. Allerdings war er geisteskrank. Das hätte sein Regime vermutlich zeitlich begrenzt. Wer organisierte den Aufstand in Kioto, sammelte dort rebellierende Soldaten und Polizisten, opponierte? Ein Teil der Oligarchie der Stadt. Drückt hier." Unterbrach er seine Erörterung, wies auf ein Paneel, während er gleichzeitig zwei andere betätigte, mit den Zähnen an einer unscheinbaren Schlaufe zog. Ein Luftzug wirbelte auf, hieß die Fackel lodernd zischen. Sie fanden einen weiteren Gang, eng, von Mauern klaustrophobisch umschlossen. "Wie ich schon sagte, ich habe in Kioto aufgeräumt. Ich pflege meine Arbeit gründlich zu tun. Allerdings gibt es Agenten und Verräter auch bei den Polizeikräften, sodass ich nicht erwartet hatte, dass sie einen solchen Anschlag tatsächlich akzeptieren würden." Er hielt vor einer Tür inne, nahm die Witterung auf, bevor ein triumphierendes Glimmen in die Bernsteinaugen trat. "Außerdem sind sich die Regierungsmitglieder nicht alle einig darüber, wie lange sie einen Teufel benötigen." Der Schwertkampfmeister konnte diesen Punkt durchaus nachvollziehen. Es konnte als unmöglich erachtet werden, den Wolf von Mibu zu Gehorsam zu verpflichten. Der wusste um Dinge und Hintergründe, die die Regierung zweifellos gerne in den Nebeln der Vergangenheit versinken lassen würden. Fürchteten sie vielleicht sogar, nur eine Regierung von seinen Gnaden zu sein? Saitou öffnete die Tür, beleuchtete ein gigantisches Arsenal von Schusswaffen. Munition, Explosivstoffen, sogar Kanonen fanden sich. "Damit könnte man einen Krieg anfangen!" Bemerkte Hiko mit scharfem Lufteinziehen. Der Besitz solcher Waffen war strikt untersagt, insbesondere in den Händen einer einzelnen Privatperson. "Nicht nur das." Der Polizist wies auf eine Tür am anderen Ende des Lagers. "Man könnte damit entscheiden, welche der fremden Nationen unser Land in den Staub tritt." Er öffnete die Tür. Sofort umfing sie modrige Zugluft. Ein langer Tunnel führte wieder an die Oberfläche in einiger Entfernung. "Was haltet Ihr von der Drohung, dass in Tokio etwas geschehen wird?" Der Schwertkampfmeister warf einen misstrauischen Blick auf den ehemaligen Shinsengumi, der eine einzelne Zigarette produzierte, sie entzündete. Ein kaltes Lächeln streifte Hiko. Der Wolf entließ den giftigen Rauch der Zivilisation. "Heute Nacht werden wir feststellen, ob mein Trumpf sticht." Die Fänge funkelten im Schein der Fackel. Hiko schnaubte. "Genug der Rätsel..." Seine Augen weiteten sich, als Saitou die Fackel an ihm vorbei zum Ausgang des Tunnels schleuderte. Ein boshaftes Glitzern tanzte in den Bernsteinaugen. "Sagt, Drachenbändiger, wie schnell könnt Ihr laufen?" Die Zigarette überschlug sich mehrfach malerisch in der Luft, bevor sie einen sorgsam mit Stroh- und Reisigbündeln ausgekleideten Kasten mit Munition traf. ~+~ Katsuhiro rieb sich über die brennenden Augen. Der Morgen würde in absehbarer Frist dämmern. Die Zeit zerrann zwischen seinen wunden Fingern. Sie hatten sich aufgeteilt, obgleich er den Gedanken lange von sich gewiesen hatte. In Ermangelung anderer Option blieb dies die letzte Möglichkeit, den gewaltigen Plan umzusetzen. Sanosuke arbeitete sich durch den Hafen. Auch wenn der Maler gewisse Zweifel hegte, dass sein Bruder in der Tat über dem Wasser wandeln konnte. Trotzdem. Sano hielt stets, was er versprach. Er hatte auch zugesagt, sofort nach Beendigung seiner Mission zum Teehaus zu kommen, um Kamataris Rückzug zu sichern. Kleine und große Tongefäße unauffällig hinter sich herziehend beschritt der Maler eilig ein Ziel nach dem anderen, zwang sich, an seine Aufgabe zu denken. An den Preis, der versprochen war. »Es gibt keinen anderen Weg!« Hämmerte er sich mit jedem Schritt in das Bewusstsein. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. So wenig hatte er seiner Göttin offerieren können! ~+~ Das Gebäude war ihm in leidvoller Erfahrung vertraut. In Anbetracht dessen, was er zu vollbringen hatte, erschien es ihm fremd, verunsicherte ihn. Ganz zu schweigen von seiner Tarnung, von jedem längeren Blick, der auf ihm lastete: die schöne Yukata, der umwickelte Stab, seine Haare in einen dünnen Zopf gefasst, der auf seinem Oberkopf thronte, die winzigen Papierblumen, die er in einem Beutel zum Kauf anbot. All dies konnte ihn wohl kaum vollkommen unkenntlich machen. Er hatte keine Gelegenheit mehr, sich in einer Masse vor eventuellen Verfolgern durch seinen Gesang zu schützen, frivole Anersuchen von sich zu weisen. Er spürte, wie seine Hände zu zittern begannen, während er sich von Geschoss zu Geschoss arbeitete, seine Spuren hinterließ. Trost suchend streichelte er das kleine Stoffbeutelchen, das ihm der Maler selbst am Gürtel befestigt hatte, nachdem er den Inhalt, bescheidene drei Kapseln umfassend, rasch erläutert hatte. "Wer bist DU, Katsu?" Hatte seine ungläubige Frage vollkommene Verblüffung reflektiert. Ein Kuss hatte seine Lippen mit hitziger Glut versehen. Als sollte dies Wegzehrung sein, sein nun in Angst frierendes Herz zu erwärmen. Die schwarzen Augen hatten sich in seine geschmolzen, ernst, erschöpft, traurig. "Ich bin der Sprengmeister der Sekihoutai." ~+~ Kapitel 21 - Feuerwerk Es nahm sich natürlich sehr viel leichter aus, wenn Trümmerteile auf dem Wasser trieben, wollte man es in großer Geschwindigkeit überbrücken, merkte Sanosuke kritisch an. Allerdings hinderte ihn der Mangel nicht daran, seine Aufgabe zu erfüllen. Ein kleines Brett vor sich her balancierend, auf dem in Tuch eingeschlagen wahrhaft explosive Ladung ihrer Bestimmung harrte, schwamm er in gleichmäßigen Zügen von Ankerkette zu Ankerkette, die die großen Schiffe vor dem Hafen auf ihrer Position hielten. Darauf achtend, sich möglichst geräuschlos anzunähern, um nicht die Aufmerksamkeit von Rudergängern oder Wachposten auf sich zu ziehen, erreichte er die schweren Trossen, befestigte die Sprengladungen sorgfältig, um sich zum nächsten Punkt treiben zu lassen. Die Schiffe der Fremden, gleich welcher Nation, waren gewaltig. Erprobt, Ozeane damit zu überwinden, riesig in ihren Ausmaßen. Sanosuke zweifelte nicht daran, dass einige auch Kriegsschiffe waren, ganz gleich, wie der offizielle Sprachgebrauch sie zu bezeichnen pflegte. Segelschiffe oder sogar Dampfschiffe: die neue Welt, die die Fremden einführten, faszinierte trotz ihrer unterschwelligen Bedrohlichkeit. Nachdem er sich wieder an das Ufer pilotiert hatte, konzentrierte er sich, stand bis zu den Hüften im Wasser. Sie hatten es niemals erprobt. Nicht einmal Katsu, das Genie der Explosionsstoffe, konnte ihm garantieren, dass es funktionieren würde. »Wenigstens an mir soll es nicht scheitern!« Entschloss sich der Faustkämpfer, sammelte und bündelte seine Kräfte. Schlag um Schlag folgte, Gipfel um Gipfel. Die konzentrierten Druckwellen setzten sich fort, bis sie die Sprengladungen an den Ankerketten erreichten, sie detonieren ließen. Sanosuke konnte aus der Entfernung nicht beurteilen, wie oft er erfolgreich gewesen war. Er nahm die vielen kleinen Papierboote heraus, die sie in Windeseile gebastelt hatten, setzte Talgstummel ein mit Zündschnüren, entzündete sie. Ein kleines Lichtermeer trieb hinaus in die offene See, bildete einen gewaltigen Teppich. Würden die Fremden tatsächlich an ein Fest denken, wenn sie die schwimmenden Kerzen sahen, sich ablenken lassen von der zerstörten Ankerkette? Die See lag ruhig. Vielleicht gelang es sogar. Sanosuke erhob sich. Es galt, Kamatari abzuholen und mit Katsuhiro zusammenzutreffen. ~+~ ['Des Singvogels Käfig zu zerstören, soll ohne Ahndung sein, wenn der Feuerblumensaat wird ausgebracht, wie es bestimmt, wo Götter- und Teufelsweg sich kreuzen.'] Er hatte die Botschaft in klaren, akkuraten Ideogrammen immer wieder gelesen, obgleich die Bedeutung sich bereits in seinem schockgefrorenen Herzen eingraviert hatte. Jemand wusste von seinen Absichten, von seinen Fähigkeiten, die im starken Widerspruch zu seinem öffentlichen Auftreten standen? Mit einem geliehenen Handkarren und einer Schaufel waren sie losgezogen in der Dunkelheit, an die äußeren Bezirke der sich spinnennetzartig ausweitenden Stadt, um an dem bezeichneten Punkt, einer Weggabelung, zu graben. Sehr behutsam selbstredend, bis Sanosuke auf eine Kapsel stieß, die in gelockertem Erdreich stak. Sie enthielt Markierungen auf skizzierten Lageplänen. Katsuhiro erkannte die meisten der dort verzeichneten Destinationen. Sie bestätigten, was er bisher nur vermutet hatte: der gefährliche Wolf von Mibu hatte das Versteck aufgestöbert, wo der Battousai seine Sprengladungen und Bomben vergraben hatte, als Katsuhiro endlich mit den Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Die Meiji zu stürzen. Ein Gebäude, ein entschlossener Mann, der den Tod willkommen hieß. Addierend musste der verschlagene Polizist bemerkt haben, wie verzweifelt er Kamatari aus der Fron befreien wollte, indem er auf die Kenntnisse zurückgriff, die ihm erfolgversprechend schienen. Das Teehaus zu zerstören, um in dem folgenden Chaos auch Kamatari auf die Liste der 'Entwichenen' zu setzen. Denen würde man zweifelsohne nicht nachspüren, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zu den Mitteln stand. All seine Anstrengungen wären umsonst erfolgt, wenn er sich nicht dem Willen des Wolfs beugte, seinen Anweisungen gehorchte. Eine Spur der explosiven Art durch die Stadt legte, Orte bezeichnend, wo auch ihm bereits bekannt geworden war, dass sich dort regierungsfeindliche Opportunisten bewegten, die für den persönlichen Profit keinerlei Hindernis darin sahen, Informationen an die Fremden oder an Rebellen und Umstürzler zu verkaufen. Eine gewaltige Aufgabe, in einer Dimension, die sein gesamtes Können, seine logistische Planung, sein Geschick herausforderte. Die keinen Raum für Misserfolg ließ. Bald würde sich rosig der Tag von der Nacht trennen. Dann war sein Ultimatum abgelaufen. Katsuhiro prüfte den Wind, der wenig mehr als eine zögerliche, schwächliche Brise war, was sein Vorhaben begünstigte. Es war Zeit, seinen Garten mit Feuerblumen zu illuminieren. ~+~ Erleichtert schloss sich Kamatari einer Gruppe später Gäste an, die kurz vor Torschluss endlich den heimischen Gefilden entgegenstrebten, wenn auch ohne sonderliche Eile oder Elan. Es war vollbracht. Beinahe zumindest. Ihn durchdrang prickelnde Freude. Er vertraute auf den Maler, der ihm versichert hatte, es sei das letzte Mal, dass er dieses Haus betreten müsse. Er würde frei sein. Die Botschaft habe es verkündet. Schon kletterten erste rosige Strahlen über die Häuserdächer. Er atmete tief ein, lächelnd, als sie plötzlich aus dem Boden zu wachsen schienen, drei Mann. Einen von ihnen identifizierte er als zu den Verfolgern gehörig, die ihm seit Tagen nachspionierten. Die kleine Gruppe von Männern löste sich rasch auf. Niemand wollte in eine Schlägerei oder Schlimmeres geraten. Kamatari musste sich allein mit dieser Überzahl an Gegnern auseinandersetzen. Er fasste den Stab mit pochendem Herz. Seine Gegenüber, die ihn umkreisten, sich an diesem grausamen Spiel ergötzten, trugen Schwerter und Stichwaffen. Allein die Reichweite seines Stocks würde sie auf Distanz halten, jedoch nicht alle zur gleichen Zeit. Kamataris Knie schmerzte. Er las in den Augen seiner Gegner, dass sie um die Behinderung wussten, keine Eile hatten. Bis er sich selbst durch das hastige Drehen an den Rand des Zusammenbruchs brachte. »Feiglinge!« Fluchte der junge Mann stumm. So feige, wie es war, eine brennende, alte Frau zu erschlagen oder Leute im Schlaf vergiften zu wollen. Seine freie Hand schloss sich um den Beutel an seinem Gürtel, die 'Morgengabe' seines Liebhabers: drei Kapseln, drei unterschiedliche Wirkungen. Blind tastete er nach dem Muster, das sie im Dunkeln leicht erkenntlich machte, presste einen Pfropfen hart in das Gehäuse, schleuderte es von sich auf den Boden. Der Aufprall löste die Zündung aus. Sofort quoll aus den Trümmern stinkender, beißender Qualm, während Kamatari die Überraschung nutzte, einen Angreifer mit seinem Stab wuchtig an der Schläfe zu treffen, ihn in die Knie zu zwingen. Schon kämpften sich die anderen beiden durch den dichten Qualm, als er die zweite Kapsel zündete, den Kopf abwandte, als gleißend-grelles Licht in einer Stichflamme aufloderte, seine Angreifer blendete. Mit dem Stock ihre Kniekehlen in einer kreisenden Bewegung rammend fegte er sie von den Beinen, wandte sich ab, floh. Noch eine Kapsel! Vielleicht konnte er darauf hoffen, dass der Faustkämpfer ihm entgegenlief? ~+~ Die grelle Stichflamme, deren Schein einige Dächer mit ihren polierten Schindeln weitertrugen, erschreckte Katsuhiro bis ins Mark. Kamatari war in Bedrängnis! In diesem Augenblick trat der Sonnenball über den Horizont. Der Maler zündete ein Streichholz, schleuderte es in die zahlreichen Spuren von Pulvergemischen und Flüssigkeiten, die wie ein Labyrinth durch die Stadt reichten, weder von Regen, noch von Wind beeinträchtigt worden waren. Somit in perfektem Zustand. Er rannte los. Detonationen wie Herzschläge, die durch seinen Leib pulsierten, die Feuerbänder in rasender Schnelle, seinem kochenden Blut zu vergleichen. »Kama-chan!!« ~+~ Sanosuke zog unwillkürlich den Kopf ein, als die erste Explosion die Stadt erschütterte, die morgendliche Stille durchbrach. Einfache Knallkörper knatterten, mit denen auf Festen gefeiert wurden. Der beißende Geruch von Feuerwerk und Schwefel wehte ihm entgegen. Er wusste, dass im Nu die gesamte Stadt auf den Beinen sein würde, um zu erforschen, was für ein seltsames Fest das war, wo Explosionen Häuser gezielt beschädigten, flammende Spuren durch die Stadt tanzten. Als habe eine Teufelsschar ihre Hörner gewetzt, um nur ganz bestimmte Mitbürger oder Orte zu brandmarken, während allen anderen ein Spektakel geboten werden sollte. Es kam dem Faustkämpfer schwer an, nicht selbst gaffend stehenzubleiben, seine Bewunderung dem Schöpfer dieses einzigartigen, kurzlebigen Kunstwerks zu zollen. Insbesondere, da er um die Zeitnot und die Konstitution seines Bruders wusste. Er erinnerte sich eisern an dessen knappe Order, Kamatari beim Teehaus zu treffen. Das noch stand, wie er feststellte, als er eilends durch die Straßen fegte. Was ihn verwunderte. Um eine Ecke biegend nahm er bereits trotz der Geräuschkulisse von zahlreichen Explosionen, die in der Stadt widerhallten, die untrüglichen Merkmale einer Auseinandersetzung wahr. Tatsächlich, Kamatari erwehrte sich dreier Männer! Der Stock wahrte die Distanz. An dem unsicheren, schwankenden Stand des jungen Mannes war abzulesen, welche Qual es ihm bereitete. Sanosuke fluchte unflätig, als eine winzige Flammenspur an ihm vorbei sprang, von Stein zu Stein, in hoher Geschwindigkeit über die Brücke huschte, sich im Gebäude verlor. Er wartete nicht ab, um das Resultat zu verfolgen, sondern fasste einen der Kämpfer an der Schulter, blockte rasch dessen Schwerthand ab, schickte ihn mit einem wuchtigen Tritt in die Magengrube zu Boden. Qualm und Rauch stachen ihm in Augen und Nase, als das gewaltige Teehaus von winzigen Explosionen erschüttert wurde, geschickt genug platziert, in ihrer Summe einen Einsturz zu bewirken. Dem zweiten Angreifer ausweichend, der die größere Gefahr bei Sanosuke vermutete, rammte er ihm im Vorbeiflug den Ellenbogen in die Seite, um den Taumelnden an einem Arm zu packen, hart gegen eine Mauer zu schmettern. Kamatari gelang es unterdessen, seinem Gegner einige empfindliche Treffer zu versetzen, sodass der für eine Flucht optionierte, um Verstärkung herbeizuordern. Das verhinderte der Faustkämpfer, riss nach kurzem Spurt den Mann von den Beinen, streckte ihn mit wuchtigem K.o. nieder. Schwer auf den Stab gestützt folgte ihm Kamatari, umklammerte die letzte Kapsel, ein fahles Lächeln auf den ausgezehrten Zügen. Am Ende seiner Kräfte, wie es Sanosuke schien. Sich abklopfend trat er zu dem nahezu gleichaltrigen Mann, als der unerwartet in seine Arme sackte, einer Ohnmacht erlag. "He! Kama, was...?" Der Faustkämpfer fluchte, als seine Hände Halt suchend die schmale Taille umschlangen, statt Stoff nackte, blutige Haut fassten. Es gelang ihm, den Bewusstlosen in seinen Armen zu drehen, um zu erkennen, dass ein Schwerthieb eine blutige, lange Scharte in die makellos glatte Rückenpartie gerissen hatte, zur Pein des überlasteten Knies auch eine gefährliche Wunde addierte. Die letzte Sprengkapsel zwischen die Zähne genommen lud er sich Kamatari auf den Rücken, entfernte sich eilig von den dichten Rauchschwaden und den sich sammelnden Menschen, die aus dem Teehaus strömten. Er floh zu den Außenbezirken der Stadt. Eine blutige Spur markierte ihren Weg. ~+~ Es war ihm gleich, wie synchronisiert sich Detonation an Detonation reihte, wie die Leute lachten, die an ein unangekündigtes Fest glauben wollten, während andere sich bemühten, aus Einsturz gefährdeten Bauten zu fliehen oder die dort ausgebrochenen Feuer zu löschen. Der Plan des Wolfs war perfide genug. Man würde sich fortan fragen, warum dieses Haus, diese Bewohner 'bestraft' worden waren. Sie würden sich unter neugieriger Beobachtung finden, Ziel von Spekulationen und Misstrauen werden, wie stets, wenn Einzelpersonen oder einzelne Gruppen in einer derart beengten Gemeinschaft aus dem Gleichmaß ausbrachen. Spionieren, die Fremden kontaktieren, zu Reichtum gelangen? Vor so vielen Zeugen schlechterdings unmöglich. Unterdessen drangen auch Kanonenschüsse an sein Ohr, aus der Entfernung. Das bedeutete, dass zumindest einige der gewaltigen Schiffe der Fremden erkannt haben mussten, dass sie ihre Ankerposition verlassen hatten, umhertrieben. Würden sie riskieren, Boote auszusetzen, um vielleicht in einen mit dem schwimmenden Lichtern getarnten Ölteppich zu geraten, der leicht in Brand gesetzt werden konnte? Ihre wahre Absicht und Bewaffnung enthüllen? Einerlei, sein Ziel war der Tempel, der ihm und Kamatari immer zum Treffpunkt gedient hatte. Da könnten sie entscheiden, ob Flucht oder Verstecken die bessere Option darstellte. ~+~ Der Faustkämpfer hielt sich nicht mit größeren Abwägungen auf. Er strich über Kamataris Rücken, was ein leises Winseln hervorrief, beschmierte seine Handfläche mit dem Blut des anderen Mannes, presste sie auf eine der Tempelstufen. Zeigte die Richtung, in die er mit Kamatari zu fliehen gedachte. Ob ihnen Häscher ihres gesichtslosen Gegners folgten, vermochte er nicht zu sagen. Die Straßen füllten sich mit Menschen. Gerüchte und Vermutungen wurden ausgetauscht. Er beabsichtigte nicht, sich anhalten zu lassen, um einem aufmerksamen Polizisten die Schwertwunde seines Begleiters zu erklären. Auch wenn es nicht den Gepflogenheiten entsprach, lehnte er Kamatari an eine Mauer an, die das Klinikareal umgab, überstieg sie, wieselte lautlos geduckt über den freien Platz zu einem der flachen Gebäudetrakte, in dem er Megumi Takani vermutete. Zweifellos verwegen, ausgerechnet in die Klinik, wo die Opfer des letzten Explosionsanschlags behandelt wurden, mit einem Verletzten zu kommen, während die selbst gelegten Sprengladungen noch immer die Stadt in Atem hielten. Er wusste keinen anderen Ausweg. Zudem würde Megumi ihm seine Bitte nicht abschlagen. Ihr Schwur, Kompensation zu leisten, hinderte sie ebenso daran wie der des rothaarigen Schwertkämpfers ihn am Töten. Rasch bewegte er sich als Schatten durch die zahllosen Futon-Lager, die Kranke bevölkerten, bis er die grazile, in strenger Eleganz auftretende Frau entdeckte, ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. "Sano?!" Zischte die Ärztin verärgert. "Hast du dich ausgerechnet jetzt geprügelt? Du bist noch nicht gesund, und so viel Blut..." Der Faustkämpfer schüttelte die vom Wasser wieder statisch geladene Mähne, gestikulierte eindringlich, sie möge ihn begleiten, während er im Flüsterton berichtete, ein Freund liege schwerverletzt vor der Mauer. "Ein Schwerthieb? Wie denkst du dir das, hier wimmelt es von Polizei!" Schalt Megumi zischend, obgleich sie bereits die Schürze festband, aus einer Tasche ein Tuch produzierte, die langen, seidigen Haare zu verbergen. "Schaff ihn durch die Hintertür rein in mein Zimmer. Lass dich auf keinen Fall sehen!" Der ehemalige Sekihoutai nickte knapp, huschte davon, um den schwerverletzten Mann aufzuheben, wie angewiesen in das private, bescheidene Zimmer der Ärztin zu transportieren. Sie stellte eine Tasche und den speziell gefertigten Verbandskasten auf, breitete ein Laken auf den Tatami aus, forderte Sanouke auf, Kamatari vorsichtig dort abzulegen, während sie Wasser erhitzte, nach frischem Verbandsstoff fahndete. "Er?" Überrascht schob sie die Laterne näher, als sie neben Sanosuke kniete, um die Verletzung zu inspizieren. "Wo ist der Maler?" Ihre Fäuste ballten sich. Das irritierte den Faustkämpfer. Er sah sich gezwungen, eine knappe Erklärung zu liefern. "Er wird nach Kamatari suchen, wenn er meine Nachricht an unserem Treffpunkt findet. Ich sollte ihn besser abfangen." Schon wollte er sich erheben, als er innehielt, die letzte Sprengkapsel vor der Ärztin ablegte, mit seinen schokoladenbraunen Augen die tiefschwarzen ernsthaft auf sich konzentrierte. "Megumi, wenn du in Gefahr geraten solltest, bis ich mit Katsu wieder hier bin, drück den Auslöser und schleudere die Kapsel von dir." Die Züge der Ärztin verhärteten sich. "Also ist der Feuerzauber da draußen euer Werk? Wer sollte mich hier bedrohen, wenn nicht die Anwesenheit von Bombenlegern und Brandstiftern?!" Aufgerichtet warf Sanosuke ihr einen scharfen Blick zu. "Die Leute, die andere beim lebendigen Leib verbrennen oder im Schlaf vergiften." Dann eilte er hinaus. ~+~ Sie waren nicht da! Katsuhiro spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben, er sich an eine Hauswand lehnen musste, unbeachtet von der wachsenden Menge von Menschen. Der Tempeleingang bot keine ersehnten Gestalten, nur fremde Silhouetten, andere Gesichter. Hatten die drei Kapseln nicht gereicht?! Oh, wenn er doch über mehr Zeit verfügt hätte! Er hätte einen anderen Ausweg gefunden, wäre selbst in das verwünschte Teehaus gegangen! Und Sano? Der Wolf hatte ihm seinen Bruder anvertraut, damit er ihn beschützte und seine Wunden versorgte. Nicht, damit er ihn mit Sprengkörpern in das Meer jagte oder ihm seine gewaltigen Schlagkünste abforderte! Wie betäubt schleppte er sich zum Tempel, zu erschöpft, um sich durch die Stadt zu schlagen, sich gleich die Gewissheit zu verschaffen, dass er gescheitert war, seine Freunde geopfert hatte. "Katsu!" Wisperte es erleichtert an seiner Seite. Ein kraftvoller Arm umschlang stützend seine Hüften, während Sanosuke neben ihm paradierte, mit dem ausladend wiegenden Schritt eines Gangsters, dem ein Viertel gehörte, selbstsicher, prahlend. Sein bloßer von frischen Narben gezierter Torso glitzerte in der Morgensonne verführerisch. Die nackten Füße wirbelten winzige Staubwolken auf. Wo waren seine Kleider?! Und wo Kamatari? Sie entfernten sich von der Menge, nickten grüßend Passanten zu, bis der Faustkämpfer den Hintereingang zur Klinik erreicht hatte, die schmale Tür öffnete, seinen Begleiter mit sich zog, hinter ihnen den Riegel vorlegte. Er stützte beide Arme in Schulterhöhe gegen das Holz, fixierte den Bruder, dessen totenbleiche Miene keine erfreuliche Kunde versprach. "Katsu, versuch durchzuhalten, ja? Kama hat einen Schwerthieb abbekommen. Megumi behandelt ihn in ihrem Zimmer. Wir dürfen uns von niemandem sehen lassen!" Es währte einige Herzschläge, bis die Nachricht von dem Maler zutreffend entschlüsselt worden war. Er eilte bereits geduckt über den Hof, nicht länger willens, die Ungewissheit über den Zustand seines Geliebten zu ertragen. "Ihr!" Fauchte es ihm entgegen, als er seine Umhängetasche absetzte, neben Kamatari auf den Boden sank, eine Hand umfasste. "Ich tue, was Ihr verlangt, Tanaki-sensei, nur rettet meine Benten!" Brach es heiser über seine aufgebissenen Lippen, während er die kalte Hand massierte. Die Ärztin schluckte ihren Tadel hinter dünnen zusammengepressten Lippen hinunter, musterte den Maler abschätzend, der eine Hand löste, über Wangen und Nacken Kamataris zu streicheln. "Wie Ihr meint. Dann werdet Ihr mir assistieren!" Ordnete sie knapp an. "Sano wird Wache halten!" Ein kalkulierender Blick streifte den Maler, der sich erhob, gründlich wusch, die Haare aus dem Gesicht band, neben dem Gefährten kniete, ruhig, wenn auch totenbleich. Es würde ihn lehren, die Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen, wenn er die Schmerzen des Mannes, den sie in seine Obhut entlassen hatte, erfahren würde! Die Unmöglichkeit, den vorherigen Zustand eines Körpers wiederherzustellen! Wie es all diese Schläger und Kämpfer lehren sollte, wenn sie die eigene Machtlosigkeit und die Agonie Unbeteiligter erfuhren, wenn ihre Untat auf geliebte Menschen zurückfiel! ~+~ Sanosuke wandte sich ab. Er kannte die stille, immense Wut der Ärztin über unnötiges Blutvergießen, lächerliche Streitigkeiten. Seinen Bruder auf dem Bußgang nach ihrer Gnade zu sehen verstörte ihn. Katsuhiro bewies seine Ruhe und sein Geschick nicht nur beim Basteln von winzigen Sprengladungen. Er konnte auch das Blut stillen, um die klaffenden Wundränder zusammenzuschieben, damit die Knochennadel den Zwirn durch sie treiben konnte. Vom rechten Schulterblatt bis zur linken Hüfte reichte die Wunde. Es kostete sie in Feinarbeit zwei Stunden, bis Megumi den Zwirn zerbiss, mit Katsuhiros Assistenz einen festen Wundverband legte. Sie lüftete den Stützverband um das linke Knie, das bereits gewaltig angeschwollen war, punktierte es, wand in Essig getränkte Lappen um das zerstörte Gelenk. "Wechselt die Verbände! Ich muss nun meine Patienten versorgen, bevor man misstrauisch wird!" Schnaubte sie knapp, rieb sich die müden Augen. Der Maler verneigte sich auf den Boden vor ihr, wisperte heiser seinen Dank, was sie mit einem beschämten "schon recht" quittierte, um davonzustürmen. Sanosuke beobachtete seinen Bruder mit einem heimlichen Lächeln. Der zupfte das Tuch von seinen Haaren, tunkte es in eine Wasserschüssel, tilgte mit zärtlicher Behutsamkeit die Spuren von Rauch und Schmutz auf der hellen Haut. Er streichelte über Kamataris Wangen und Nacken, löste den Zopf, um die fransigen Strähnen zu kämmen. Obwohl erschöpft strahlte Katsuhiro eine zerbrechliche, zwischen der schneeweißen Haut und den marineblauen Haaren kontrastierende Schönheit aus, die Sanosuke zuvor noch nicht wahrgenommen hatte. Fast neidete er Kamatari die Fürsorge, die ihm zugedacht wurde, diese hingebungsvolle Liebe, die Katsuhiro seiner Benten entgegenbrachte. Sanosuke schüttelte seine Versunkenheit ab. Wo lauerte der Wolf in den Schatten? ~+~ Ihre Wege hatten sich in der Nähe von Kioto getrennt. Den ehemaligen Shinsengumi trieb es zurück nach Tokio. Der Schwertkampfmeister konnte keine abschließende Entscheidung treffen, ob Saitou seinem 'Trumpf' nicht vollends vertraute. Oder noch eine eigene Rechnung im Anschluss an das Massaker zu begleichen hatte. Seinen langen Zopf auf den Rücken geschleudert schüttelte Hiko seine Glieder aus, vertrieb die Schauder der Erinnerung an den Kampf in der Finsternis im Herzen des gewaltigen Hauses. Er war dankbar, wenn er Osaka nie wieder betreten würde, so viel stand fest. Zu lange waren die Kämpfe her, die er in seiner Jugend verfolgt hatte zu gering sein Gerechtigkeitshunger. Zu viel wusste er über die niederen Instinkte der Menschen, ihre zerstörerischen Sehnsüchte. Sein Horizont bildeten im Augenblick ein Futon und sein kleiner Drache, dessen Herzschläge ihn in den Schlaf begleiteten. Alles weitere konnte man danach erörtern. ~+~ Fast zwei Tage waren seit dem Aufbruch Hikos und des ehemaligen Shinsengumi verstrichen, die sich trotz der zahlreichen Ereignisse und Begebenheiten wie eine Ewigkeit ausnahmen, befand Aoshi. Wie der Schwertkampfmeister prognostiziert hatte, fanden sich Neugierige und Nachbarn ein. Sie waren mutig genug, um nach der Ursache des gewaltigen Brands zu forschen, gelangten in das Dorf, fanden dort eine winzige Kinderschar und einen jungen Mann, dessen Schilderung der Ereignisse wahnwitzig gewesen wäre, hätte man nicht die Gerüchte gehört. Heimliche Propaganda über Landesverräter, die mit den Fremden paktierten und vor nichts zurückschreckten! Die in Tokio sogar ein Gebäude mitten in der Stadt in die Luft gesprengt hatten!! Ungeheuerliche Dinge erzählte man sich. Oder, wie Aoshi vermutete, streuten die Oniwa Banshu und andere Zuarbeiter des Wolfs aus, der sich auf scheinbar jede denkbare Strategie zu verstehen schien. Man erinnerte sich schaudernd an die geknechteten Dörfer, die Räuber- und Schmugglerbanden als Unterschlupf benutzt hatten, die versklavten, eingeschüchterten Bewohner. Hatte man Ähnliches an diesem abgelegenen Ort vorgehabt und daher beschlossen, die störenden Bewohner zu eliminieren?! Niemand konnte es sagen. Es war sicherer, diesen Ort der Geister zu meiden, nachdem man sich überzeugt hatte, was geschehen war. Aoshi wischte gedankenverloren mit einem alten Fächer über die beiden kleinen Körper, die zusammengerollt neben ihm schliefen. Er vertrieb lästige Fliegen, die noch nicht begriffen hatten, dass die Zeit des Leichenschmauses längst vergangen war. Er wollte nicht in den verlassenen Häusern und neben dem Aschefeld ausharren. Es würde auch die letzte Nacht sein. Danach würde er Junta und Akari in ihr eigenes Haus im Wald mitnehmen. Seine eisblauen Augen wanderten über die beiden Kinder. Den schmächtigen Jungen mit den unzähligen Zeckenbissen und dem verkrüppelten Fuß, der nur eine zerschlissene Decke, eine Kittelschürze und eine abgenutzte Schale sein Eigen nannte. Wie er aus den Gesprächen hatte erfahren können, hatte man das Kind ausgesetzt am Dorfanger gefunden, es gemeinschaftlich 'durchgefüttert'. Allerdings mit wenig Begeisterung, da der Junge nicht nur verkrüppelt war, sondern auch stumm schien. Der Ninja konnte von ihm behaupten, dass er ihm wie ein junger Hund folgte, in erschreckender Weise dankbar für jede Gunstbezeugung war. Was Akari betraf, die im gleichen Alter wie Junta sein mochte, also etwa sieben Jahre zählte, verhielt sich es anders. Mit ihren Eltern waren ihre einzigen Verwandten gestorben. Ein junges Paar, das bereits den Pockentod ihrer jeweiligen Familien überstanden, sich erst vor einigen Jahren im Dorf angesiedelt hatte, bescheiden im kleinsten Haus am Rand der Lichtung. Niemand würde kommen, stand zu befürchten, um diese beiden Waisen aufzunehmen. Aoshi sann darüber nach, wie er dem eigenbrödlerischen Schwertkampfmeister das Zugeständnis abringen konnte, die beiden Kinder selbst aufzuziehen. Zweifelsohne wäre es keine optimale Kindheit: allein im Wald, ohne den Kontakt zu Gleichaltrigen, mit zwei Kriegern, die von einer Vergangenheit zehrten, die rapide dem Vergessen anheimfiel. Die überholt und rückschrittlich anmutete, als man Kämpfe noch durch Können im Umgang mit dem Schwert entschied, die Welt aus der Inselkette ihrer Heimat zu bestehen schien, ihre Kultur den Gipfel der Entwicklung darstellte. Mit den anderen Kindern waren auch die Tiere und wenigen wertvollen Habseligkeiten verschwunden. Was blieb, waren ein Geisterdorf, ein Aschefeld und seine beiden Schützlinge. Er fuhr herum, als sein Herz eine vertraute, ersehnte Präsenz spürte, sprang auf die Beine, starrte angestrengt in den Wald, ob sich bereits eine Silhouette abzeichnete. Hin- und her gerissen zögerte er, die Kinder zu verlassen, obwohl ihnen kein Übel drohen konnte. Er wollte den Weg hinabzustürmen, sich in die muskulösen Arme zu werfen, Atem von den weichen, wohlgeformten Lippen schöpfen! Endlich blähte eine Brise den gewaltigen Umhang des Schwertkampfmeisters. Er durchquerte langsam das Dorf, bis er wenige Schritte vor Aoshi zum Stehen kam. Ein schiefes Lächeln folgte dem Anblick der Kinder. Eine heisere Stimme kommentierte nörgelnd. "Du wirst mir doch nicht etwa auch alles Mögliche auf die Schwelle schleppen, oder, Ryuu?" Der Ninja lächelte, als er den Gefährten unverletzt antraf, wenn auch erschöpft. Er überwand die Distanz, um Hiko zu umarmen und leidenschaftlich, ausgehungert zu küssen. Der erneuerte die Verbindung, gab einen Einblick in seine Gefühle, die noch immer von den Ereignissen in Osaka getränkt waren, während seine Hände versichernd über den sehnigen Körper glitten, Aoshi liebkosten. "Ich will nicht länger hier bleiben." Raunte er in die blauschwarzen Strähnen, bückte sich, um sich stirnrunzelnd die beiden Kinder in jeweils einen Arm zu laden, geborgen unter seinem weiten Umhang. Aoshi lächelte, sammelte die wenigen Habseligkeiten ein, die um sie verstreut lagen, folgte dem Schwertkampfmeister auf dem Pfad zu ihrem Haus. Hiko hielt inne, die attraktive Miene zu einem schmerzlich-komischen Grinsen verzogen. "Man soll es kaum glauben." Brummte er verdrossen. "Ich habe mir tatsächlich eine Familie angelacht." Bemerkte er schnodderig, die wunderbaren Wege des Schicksals übellaunig erwägend. Aoshi überholte ihn, entsandte einen aufreizenden Blick aus den eisblauen Augen. "Erlaubt mir, Euch zu korrigieren, Lianren. Wenn ich mich richtig entsinne, habe ich Euch bei einem Wettbewerb gewonnen." Ein protestierendes Schnauben warnte ihn. Der Ninja lehnte sich an einen Baum an, um Hiko ausreichend Gelegenheit zu geben, ihm nonverbal in aller gebotenen Ausführlichkeit seine gegenteilige Auffassung auf die Lippen zu diktieren. ~+~ Obgleich sich die Regierung ihrer fragilen Position mit großer Verärgerung und Furcht bewusst war, verzichtete man auf jede Gegendarstellung zu der offiziellen Version, von unbekannter Seite sei ein überraschendes Feuerwerk finanziert worden, um den Zusammenhalt des Volks mit buntem Spektakel zu belohnen. Eilig wurden Feiertage ausgerufen. Bald summte und brummte die gesamte Stadt wie ein Bienenkorb, während sich die fremden Botschafter mit der unangenehmen Aussicht konfrontiert sahen, über keinerlei einheimische Quellen oder Dolmetscher zu verfügen. Selbstredend boten die Meiji an, mit eigenem Personal eventuelle Schwierigkeiten der ausländischen Gäste zu beheben. Insbesondere, wo eines dieser sehr raren Seebeben sämtliche Schiffe losgerissen hatte! Man erwähnte die allseits beliebte Erzählung aus dem Mittelalter, als aufkommender, dichter Nebel die Mongolen-Heerscharen hinderte, die Inselkette einzunehmen. Bei den Anhängern Ihrer Majestät fand diese Anekdote aufmerksame Zuhörer, was sich auf ähnlichen Konstellationen in der Vergangenheit dieses Volks gründete. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Fama über das Seebeben, das die Schiffe der Fremden vertrieben hatte. Man glaubte an göttliche Intervention, fühlte sich, landauf-landab, darin bestärkt, eine gemeinsame Front gegen die Versuche zu bilden, sich unter einem Joch wie andere Völker zu finden. Mochten die ausländischen Mächte auch auf ihre Technik und ihren Fortschritt verweisen: die Nation hatte sich stets ein Vorbild genommen, um es zu übertreffen, durch Notwendigkeit und innere Überzeugung! All dies kümmerte Katsuhiro wenig, der neben seiner geliebten Benten wachte, die Wunden versorgte und Trost spendete. Kamatari hingegen genoss diese uneingeschränkte Aufmerksamkeit, neckte den Maler mit seiner Besorgnis. "Sieh doch nicht so bekümmert drein, Katsu!" Er wischte mit beiden Händen aufgefächert durch die langen, blauschwarzen Strähnen, platzierte einen Kuss auf die fahlen Lippen. "Ich werde mir einfach eine Tätowierung stechen lassen." Er trällerte samtig. "Mein Rücken wird dich entzücken!" Der Maler schnaubte verächtlich, pflückte beiläufig eine Hand, um ihren Handrücken zu küssen. "Noch mehr Narben und Stiche auf deinem Leib?! Nein, danke!" Kamatari rückte noch näher heran, wagte mit seiner Nasenspitze einen kühnen Flirt. "Nimm deine Pinsel!" Mit samtigen Timbre wisperte er an Katsuhiros Mund, während seine Finger über dessen Brust tanzten. "Bemal mich, hmm?" Schnurrte er lasziv, während seine Zungenspitze die Konturen von Katsuhiros Mund erkundete. In den schwarzen Augen des Malers blitzte es. Die haselnussbraunen verlockten auf Halbmast. Katsuhiro hob die Decke an, die ihre beiden kauernden Körper umfing, arrangierte einen winzigen Sichtschutz, um Kamatari hingebungsvoll zu küssen. ~+~ Sanosuke spazierte, die Hände in den Taschen der Hose versenkt, die Kenshin mühsam gereinigt und geflickt hatte, während seine geliebte Jacke aufflatterte. Im Angesicht des drohenden Verlusts hatte er in den faszinierenden Augen des Rotschopfs gelesen, dass der einen weiteren Schritt zur Akzeptanz seiner anderen, dunklen Seite gewagt hatte. Nicht mehr länger maskenhaft lächelte, um über seine wahren Gefühle und Gedanken hinwegzutäuschen. Außerdem, mutmaßte der Faustkämpfer nachdenklich, würde sich der zierliche Mann in Kürze das Herz nehmen, das Fräulein um ihre Hand zu bitten. Dessen war er gewiss. Auf ihre ungestüme und offene, gelegentlich grob-sorglose Art bot sie eine Zukunft, die jenseits vergangener Regeln und Kämpfe lag, verströmte Zuversicht und das Engagement, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Es war sicherlich sehenswert, wenn die Meiji wieder einen Lakaien aussandten, um Kenshin als 'Ausputzer' einzuspannen, den sie fürchteten und hassten. Und mitzuerleben, wie das Fräulein sie vom Hof jagte! Was sie tun würde, um ihren geliebten Vagabunden zu verteidigen wie eine Löwin ihre Brut! Er grinste stillvergnügt, erwog die eigenen Möglichkeiten. Zurück in die Klinik, um den beiden Liebenden Gesellschaft zu leisten, die wenig mehr als einander brauchten? Nein. Spielen und Trinken? Eine Grimasse verzerrte seine regelmäßigen Züge. Dieser Gedanke schien abnorm, als ob er keinen Sinn mehr darin erkennen konnte, seine Zeit auf diese Weise totzuschlagen. Es gab einen Ort, den er aufsuchen musste, nun, da er nicht länger totgeglaubt war. ~+~ Geduldig schabte er mit kleineren Steinen über den Findling, den er auf dem winzigen Grabhügel aufgestellt hatte, dankbar für die Nachbarn, die Hanako bestattet hatten, während er bei Katsuhiro im Delirium lag. Selbst auf dem Markt hatte man ihm, der so unerwartet wieder erschienen war, keine Vorwürfe gemacht. So ein Hausbrand konnte immer wieder geschehen. Es könne nicht sein Verschulden sein, in der Nacht nicht bei Hanako gewesen zu sein. Das vermittelte ihm die seltsame Vorstellung, seine eigenen Erlebnisse, der Mordanschlag, seien nicht mehr als wirre Fieberphantasien gewesen. Bis er sich ermahnte, keinen billigen Fluchtweg zu wählen. Jemand, vielleicht der Wolf, hatte diese Geschichte in Umlauf gebracht, um die Gemüter zu beruhigen. Ein heimtückischer Brandstifter trug wohl kaum zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Er setzte sich auf die Hacken, spürte den Schweiß, der über seinen Körper perlte, einzig im Suspensorium aufgesaugt wurde. Die sengende Sonne unternahm keine Anstalten, die winzigen Spiegel von dem anmutigen Leib zu trocknen. Seine Hände waren weiß bis zu den Unterarmen vom Abrieb, den er erzeugte, um die Oberfläche des Steins zu polieren. Ein Denkmal zu setzen an eine einfache Frau, die einen ehemaligen Gangster aufgenommen hatte wie einen eigenen Sohn und gestorben war, weil man ihrem 'Söhnchen' nach dem Leben trachtete. "Du fehlst mir, Mütterchen." Bekannte er lächelnd im Zwiegespräch. "Ich wünschte, ich hätte etwas tun können." Als er sich langsam aufrichtete, die schmerzenden Glieder ausschüttelte, bemerkte er den Wolf. Der stand, in einiger Entfernung, reglos, beobachtend, wachsam. Das schwarze Tuch seines Kampfanzugs war vom Staub getrübt, die elfenbeinfarbene Haut schmutzig-grau. Allein die Bernsteinaugen schwefelten klar und konzentriert. Sanosuke zögerte, studierte den älteren Mann. Sein Instinkt verbat ihm, auf Saitou zuzustürmen, sich um dessen Hals zu werfen und wild vor Freude zu toben, zu schreien und zu singen. Er konnte nicht sagen, wie lange das Wesen dort bereits lauerte, ihn in seiner selbst absorbierten Beschäftigung beobachtet hatte. Langsam kehrte er dem ehemaligen Shinsengumi den Rücken zu, wanderte durch den Garten, wo er einige reife Früchte und Gemüse erntete, bis er an den Ziehbrunnen trat, seine Ausbeute wusch und ablegte. Er ließ den Eimer in die Tiefe gleiten, beförderte ihn gefüllt nach oben, begoss sich keuchend mit dem erquickenden Nass. Als er die Augen aufschlug, den Eimer noch in beiden Händen haltend, stand der Wolf vor ihm. Wortlos, beobachtend, wie ein wildes Tier, das keine Gefahr witterte, aber ungezähmt keine Annäherung zuließ, sondern abwartete, analysierte. Der Geruch von Explosionsstoffen haftete dem Polizisten an, jedoch vermisste der Faustkämpfer den des Nikotins. Sorgsam auf geschmeidige, gleichmäßige Bewegungen bedacht ließ er erneut den Eimer hinunter, setzte sich bequem auf die Erde, um gründlich das kühle Nass über seine Glieder laufen zu lassen, die Partien zu bedenken, die der ersten Spülung entkommen waren. Auch der Wolf setzte sich, in einer fließenden, kraftvollen Bewegung, die eine Vorstellung davon vermittelte, welche Stärke der sehnige Leib beherbergte. Sanosuke belud den Eimer erneut, streckte eine Hand aus, wartete geduldig auf die wechselseitige Geste. Er umfasste das Handgelenk behutsam, ließ ein wenig Wasser darüber tropfen. Seine schokoladenbraunen Augen verließen die schwefligen keinen Wimpernschlag, um abzulesen, ob seine Initiative willkommen war. Er fragte sich, wie vielen Menschen bewusst war, was dieser ungewöhnliche Mann in derart kurzer Zeit geleistet hatte. Wie mächtig sein Schatten über dem Land lag. Ohne Zweifel würde Saitou nicht direkt daran erinnern, wenn er die Unterstützung der Meiji benötigte. Allein die Vorstellung, welche Macht in diesem Mann schlummerte, musste ausreichen, jede seiner Forderungen zu erfüllen. Jede Geste abwägend beugte sich Sanosuke vor, glitt auf allen Vieren auf den Wolf zu, der nicht eine Regung zeigte. Er setzte sich direkt vor ihn, löste sanft mit den Fingern die Hakama, teilte den Gi, strich ihn von den sehnigen Schultern. Saitou ließ ihn gewähren. Der Faustkämpfer begann, das Brunnenwasser über dem älteren Mann auszugießen, kontrolliert und wachsam. Erst als er sicher war, dass der ehemalige Shinsengumi nichts einwenden würde, schob er sich gegen dessen Rücken, streichelte massierend die Muskelpartien, bevor er den schwarzen Schopf in Angriff nahm. Wieder und wieder spülte er die schulterlangen Strähnen aus, fächerte sie auf, durchmaß ihre erstaunliche Länge, die seidige Glätte, die üblicherweise von pflegendem Haaröl gebändigt wurde. Eine wahre Flut nachtschwarzer Haare schmeichelte um das Gesicht. Sanosuke musste sich zwingen, nicht wie in einem Bann stehend wieder und wieder durch die glänzende Pracht zu streichen, die Veränderung zu bestaunen, die ihm offenbart wurde. Die Bernsteinaugen studierten ihn ohne Unterlass, nicht zu enträtseln ob ihrer Absichten. Sanosuke gab sich nicht geschlagen. Er wählte einige seiner Früchte aus, teilte sie, nahm einen Bissen, um ihn zu kauen, die Lippen des ehemaligen Shinsengumi zu belagern. Ihm Nahrung aufzunötigen, als der Hunger die Zurückhaltung besiegte. Es gefiel ihm, auf den Schoß des Wolfs zu klettern, die Arme um dessen Nacken zu schlingen, ihn wie ein Vogeljunges zu füttern, seinen Mund sauber zu lecken, sich anzuschmiegen. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er den Mann wiedererweckte, der scheinbar vollkommen hinter dem Jagdtrieb des Wolfs verschwunden war. Vielleicht war es notwendig, um solche Anstrengungen bewältigen zu können. Jetzt waren sie wieder vereint, eine Rast durchaus angemessen. Obwohl er nicht unbedingt sofort das 'Rasten' in Angriff nehmen wollte. Ohne Zögern befreite er sich von seinem Suspensorium, richtete sich bequem mit gekreuzten Beinen auf den Oberschenkeln des Polizisten ein. Er lehnte sich an eine Wange, wiegte sich selbst, räkeln sich, stieß dabei leise Laute hervor, die gleichzeitig Bitte, Aufforderung und Anklage enthielten. Hautnah angeschmiegt webte er kehliges Knurren ein, entzog der Umklammerung einen Arm, um selbst Hand an sich zu legen, mit geschlossenen Augen nach seinem Gefährten zu rufen. Sanosuke entwich ein Seufzer, als eine schlanke Hand sich mit maßvollem Druck der Aufgabe annahm, seine eigene verbannte, er sich an den starken Schultern festklammern konnte. Der Wolf ließ sich Zeit, wollte seine Position nicht aufgeben. Die Melodie, die vibrierend zwischen ihnen wanderte, verklang nicht ungehört. Der Faustkämpfer registrierte, wie die zweite Hand mühelos seinen Rücken abandonnierte, mit Geschick das eigene Suspensorium ebenfalls entfernte. Saitou wich zurück, glitt auf die Knie, während seine Hände Sanosuke auf den Boden drückten. Mit einem Schnalzen fixierte der Wolf seinen Gefährten. Die Bernsteinaugen sprühten nachsichtigen Tadel. "Das nächste Mal erwarte ich ein ordentliches Bad und frischen Fisch, Gockel." Raunte es dunkel an der Kehle des früheren Sekihoutai, der den Biss ersehnte, der ihm zugedacht wurde. Er sog Luft ein, stöhnte leise, unaufhörlich, wie ein Zauberwort "'jime", "'jime". Ein Lockruf im Sirenengesang seines Körpers, der sich unter dem Polizisten wand, ausbrechen und eingefangen werden wollte. Der Wolf erneuerte seine Markierungspunkte auf dem Körper, dessen Landschaft er nicht müde wurde zu erkunden, bevor er seine vorherige Beschäftigung wieder aufnahm, Sanosukes Erektion massierte. Der wollte nicht von ihm lassen, küsste seine Wange, leckte über seine Ohrmuschel, verlor sich in der seidigen Flut der Haare. Er fühlte den Hunger des Jüngeren, seine Lust, den Wunsch, dort anzuknüpfen, wo sie einander verlassen hatten. Gleichzeitig seine Scheu, seine Ratlosigkeit, weil er sich einen Wolf zum Gefährten gewählt hatte, der wenig auf Gesellschaft gab. Der keine Verwendung für Herzlichkeit hatte. Der sich nicht zähmen ließ. Der wieder in die Finsternis ziehen würde, mit jedem weiteren Gang die Erinnerung an das Licht verlor, bis selbst das Bedürfnis danach, an dieses zurückzukehren, zu einer vergessenen Erinnerung werden würde. "'jime." Wisperte Sanosuke an seinem Ohr. "Ich liebe dich." Ein befremdliches Konzept für den Wolf. Der Mann dahinter verstand, funkelte mit den Bernsteinaugen, bleckte die Fänge. »Nimm ihn.« Wies er den Wolf an. ~+~ Sanosuke lächelte in die Abendsonne, den Kopf auf einem Unterarm abgelegt, von einer leichten Brise umschmeichelt. Er fühlte die Schwere seiner Glieder und gleichzeitig die Leichtigkeit seines Herzens, seiner Seele. Saitou lag hinter ihm, einen Arm besitzergreifend über seine Brust geschlungen, die dort neckend immer wieder eine knospende Partie bestrich, seine sehnsüchtigen Laute mit dünnen Lippen versiegelte. "Du hast mir verdammt gefehlt!" Bekannte er das, was er seit den Mittagsstunden bewiesen hatte, konnte sich nicht anders als in einem Kraftausdruck behelfen. "Hnf." Kommentierte der Polizist, bestrich mit einem spitzen Knie die Kniekehlen des Jüngeren. Der schmiegte sich enger an, lachte befreit. Wenn es ihm gelänge, den gelösten Mann aus dem Wolf zu locken, wären noch viele Stunden sehr amüsanten und erschöpfenden Zeitvertreibs gesichert! Er zweifelte nicht, dass er auch wieder würde kämpfen müssen, bis an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit gehen. Im Augenblick wollte er nichts anderes, als sich ohne Vorbehalte dem älteren Mann hingeben, Stolz und Egoismus vergessen. 'jime würde es nicht missverstehen. Der Polizist hielt den Kopf in eine Hand gestützt, gab einige Strähnen der dunkelbraunen, ungebärdigen Mähne frei, auf denen er gekaut hatte, behutsam selbstredend, legte seine andere Hand auf die vernarbende Wunde in Sanosukes Bauchdecke. "Hol morgen deinen Kram bei dem Pinselschwinger ab." Knurrte er in Anlehnung an den nachlässigen Sprachstil des Jüngeren, drängte sein Bein zwischen die des Faustkämpfers, um dessen Schritt langsam in einem stetigen Rhythmus mit seinen Oberschenkel zu reizen. Sein Streithahn purrte kehlig, schnurrte ein heiseres "warum?" Er griff mit dem freien Arm hinter sich, um Saitous Nacken zu massieren. "Weil wir nach Osaka gehen. Das Vakuum nach der Explosion wird allerhand Schmutz an die Oberfläche spülen. Das erspart uns die Arbeit, die Ratten aus ihren Löchern zu treiben." Bemerkte der Wolf von Mibu mit maliziösem Knurren, goutierte den schweren Atem seines jüngeren Gefährten. Sie mussten einfach aufeinander reagieren! Er konnte sich nicht vorstellen, wie es anders sein könnte, schoss ihm absent durch den Kopf. "Du~du willst mit mir in Osaka böse Buben jagen?" Der Faustkämpfer schnappte vor Überraschung nach Luft, wand sich enger in der Umklammerung des ehemaligen Shinsengumi, nutzte die aufbauende Reibungsintensität, sich ein wenig an dem Älteren schadlos zu halten. "Ich könnte auch Chou mitnehmen." Spekulierte der Polizist mit amüsiertem Lächeln, da ihm sofort ein vehementer Protest entgegenschallte. "Den?! Diesen widerlichen Besenkopf?! Der hat sich an Kamatari vergriffen! Wer weiß, was der versucht!!" Sanosuke schien ernstlich besorgt, der Schwertsammler wäre vermessen genug, den Wolf von Mibu zu behelligen. Saitou presste einen Kuss in den Nacken des früheren Sekihoutai, konnte das tiefe Lachen nicht unterdrücken, das ihn zu erschüttern drohte. "Das ist nicht komisch!" Enragierte sich der Streithahn, gab widerstrebend seine vorteilhafte Position auf, um sich herum zu rollen, Saitou gegenüberzuliegen. "Der Kerl ist einfach eklig!! Schon allein seine Finger! Er kaut auf seinen Nägeln!!" Eine Grimasse profunden Abscheus verzerrte die attraktiven Züge des Faustkämpfers. Die gerechte Zornesröte, die blitzenden Schokoladenaugen: der Schwertkämpfer ergab sich, fädelte geschickt ein Bein zwischen die des Jüngeren, drehte ihn auf den Rücken, um Sanosuke leidenschaftlich und ausdauernd zu küssen. "He, Gockel." Leckte er über die verführerisch geschürzten Lippen des Faustkämpfers, der ein Bein aufgestellt hatte, mit dem Fuß aufreizend über Saitous Bein bis hoch zu seinen Hüften streifte. "Hmmm?" Seufzte Sanosuke mit trägem Lächeln, die unappetitliche Erinnerung an seinen vorgeblichen Konkurrenten verflogen. "Ich brauche jemanden, der weiß, wie man überlebt. Und warum." Erklärte der Polizist seine Wahl, verflocht ihre Finger in Kopfhöhe miteinander. "Ich habe auch noch Einiges mehr zu bieten." Hauchte Sanosuke lasziv, flatterte mit den langen Wimpern, bevor ein fröhliches Lachen aus seiner Kehle sprudelte, den Auftritt verdarb. Der Wolf lächelte. Eine neue Zeit würde anbrechen, neue Herausforderungen. Die Nächte würden länger und dunkler werden als jemals zuvor. Sano, sein Streithahn, würde ihn aus der Dunkelheit bis zur Morgenröte geleiten. ~ ENDE ~ Vielen Dank fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Nach der beständigen Lektüre des Manga bis zum Ende Kioto-Storyline und dem maßlosen Konsum von Fan Fiction zur Serie, yaoi selbstredend, drängte sich dieses Epos auf und wollte trotz mehrfachem Datenverlust nicht locker lassen. Dass der Gockel und der Wolf zusammengehören, kann man sogar im Manga erkennen (knistert es nicht gewaltig zwischen den beiden? ^_^) Es reizte mich, Sano im Kontrast zu einer Vielzahl von Fan Fictions als durchaus erwachsenen Mann darzustellen und für den Wolf eine Fama zu erfinden, die seinem Auftreten entspricht. Katsu und Kama-chan erscheinen im Manga nur kurz, eher wie Freaks, dabei haben sie einfach Potential und können doch sehr liebenswert sein ^_~ Hiko und Aoshi... Hiko reicht an Charisma durchaus an Saitou ran, hat leider viel weniger Auftritte im Manga, was ich sehr bedauere, denn sein Sinn für Humor ist wirklich herausfordernd. Bei Aoshi stellt sich mir die Frage (unter Spielereien mit den Kanji), wie ein Mann mit blauen Augen zu den Oniwa Banshu stößt. Deshalb habe ich ein Szenario entworfen, das ihn zu einem blauen Jade-Drachen gemacht hat (dieses Siegel existiert übrigens tatsächlich.) Historische Hintergründe, Geographie und auch Zeitdauer etc. sind der Geschichte angepasst, die Namen in der Hepburn-Umschrift übersetzt, soweit mir die Kanji bekannt wurden. Für das chinesische Kosewort habe ich mich einer Umschrift bedient. Es wird nicht für alles eine Erklärung geliefert, da dies weitere Geschichten nach sich ziehen würde, und noch sind die Charas mit sich selbst beschäftigt ^_~