Titel: Schöne Bescherung Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Romantik Ereignis: Adventskalender 2016 Erstellt: 01.12.2016 Disclaimer: alles Meins ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? ?~? Schöne Bescherung Kapitel 1 - Landflucht! "Nicht mehr als ein Marketing-Trick!" Knurrte Justus und blinzelte Regentropfen aus den Wimpern. Klar wie Kloßbrühe, warum Weihnachten auf den Tag nach der Wintersonnenwende fiel: danach konnte es schließlich nur aufwärts gehen, die Tagen wurden von selbst länger und lichter! Weihnachtlich gestimmt war er selbst keinesfalls. All überall plärrte einem mehr oder weniger harmonisch bis zum Spontan-Tinnitus jahresendzeitlicher Besinnungsmatsch in die Gehörgänge. Vergiftet von verklärt-lächerlichen Vorstellungen zu einer "weißen" Weihnacht und beschaulich-anheimelnder Atmosphäre. Niemand erwähnte Schneekanonen, zurückweichende Gletscher, Lawinen, Geröll- und Felsabgänge, immense Kosten, Zerstörung gewachsener Natur. Geschweige denn die vielen halsbrecherischen Einsätze von Bergrettung und Ärzteschaft! Bezahlt ja alles die Kasse... Dumm nur, dass alle die Kasse waren und die Beiträge ohnehin ständig stiegen, weil die, die nicht dem üblichen Alltags-Darwinismus zum Opfer fielen, sich in großer Zähigkeit am Leben festhielten und neue Altersrekorde in der breiten Masse aufstellten. Außerdem, weiße Weihnacht war Humbug, wenn man sich vergegenwärtigte, dass der geplagte Globus sich langsam einem dürr-heißen, verödenden Tod entgegenschwitzte. Mochte man es noch drollig finden, lächerliche Figuren wie Flamingos oder Erdhörnchen (!!!) mit Schal und Pudelmütze zu dekorieren, gehörten längst Feuersbrünste, maßlose Überschwemmungen, Starkregen und anhaltende Trockenheit zum "Wohlklang" des Jahresendes, abhängig von der Region, in der man sich gerade befand (oder schon unter Wasser stand, was aus Südsee-Paradiesen zukunftsfreie Untiefen mit vormaligen Besiedelungsresten machte). Also kein "weißes" Weihnachten. Stattdessen matschiger Regen, Glättegefahr mit Unfällen, schlechte Sicht durch treibende Dunstschleier, diverse Verkehrsunfälle in der allgegenwärtigen Dämmerung, die Armageddon zu einem fröhlich-erlebnisreichen Spektakel im Vergleich erklärten. Weltuntergang war sowieso. Doch das sollte niemanden aufhalten oder stören! Wer nicht selbst durch sinnentleerten Konsum überflüssiger bis umweltzerstörerischer Wegwerfartikel allein die Euro-Zone samt der herbeigeflehten Inflation rettete, konnte durch die aktuelle Variante des bewährten Ablasshandels sein Gewissen erleichtern (oder sich wahlweise eine höhere Moral erkaufen). Wer nicht marktschreierisch in die unzähligen virtuellen und nur noch seltenen Tempel angeblicher "Wunscherfüllung" getrieben wurde, um sich mit weiterem Ballast das Leben zu erschweren, der wurde bei jeder passend-unpassenden Gelegenheit ermahnt, auf alle Fälle auch abzugeben, am Besten liquide Vermögenswerte, um anstelle der herstellenden Industrie die Sozialindustrie der Hilfeleister zu unterhalten. Alles Marktplätze, bewährt, hin und wieder auch benötigt, jedoch auch aufgeblasen und konstruiert, sich vor allem selbst zu erhalten. Natürlich, im wahrsten Sinne des Wortes, Selbsterhaltungstrieb stand über allem, nicht nur bei biologischen Organismen, auch bei künstlichen Organisationsformen! Justus konnte der Absurdität dieses temporären Wahnsinns nichts abgewinnen. Da konkurrierten die exotischsten Gerichte mit prall gefüllten Adventskalendern, während gleichzeitig schon für die Bikini-Figur in spe noch eine neue Trend-Diät propagiert wurde. Passend dazu allerlei Mittelchen, die angegriffenen Nerven zu domptieren, mal auf-, mal abgeputscht, im Hindernisparcours der Erwartungen, vollkommen unrealistischer Vorstellungen, vom allseits bekannten Termin überrascht. Garniert mit mehr als einer Prise moralischen Drucks, sich auch ordentlich zu schämen für das eigene Verhalten, die mangelnde Selbstlosigkeit, die Oberflächlichkeit der eigenen Existenz, ganz ohne Sack und Asche. Man musste aber nicht. Niemand wurde gezwungen. Man konnte sich auch mit steifer Brust und gerecktem Kinn erklären, als Jahresendzeit-Terror-Asket, der weder in Geschenkerausch verfiel, ganz sicher nicht wichtelte, keinen unnötigen Verpackungsmüll durch Kalender-Plastik-Pappe und aufwendiges Dekopapier beförderte, sich keine unnützen Kalorien anfraß, nichts kitschig-lächerlich-geschmacklos-überbordend ausschmückte, keinen Baum abholzte, der dann elendig mit giftigem Glitter besprüht unter tödlichem Nadeln im Wohnzimmer dahinsiechte. Selbstredend kein kluger Akt der friedlichen Anpassung, vielmehr das absolute Eckestehen bis in die Ewigkeit. "Und überhaupt!" Pflegte seine Mutter zu schimpfen. "Wer nicht feiern will, der darf auch keine Feiertage haben!" "Überaus christlicher Gedanke, nächstenliebend und nachsichtig." Stichelte Justus trocken zurück. "Soll ich nach Scheiterhaufen, Nägeln und Holzbalken Ausschau halten? Und wenn dieser ganze Zirkus irgendwas mit ehrlicher Überzeugung zu tun hat, dann macht es bestimmt keinem was aus, UNBEZAHLTEN Urlaub zu nehmen, richtig?" Woraufhin ihm jedes Mal mit bestechender Sicherheit der Konter zugedacht wurde, er sei ein "gottloser Gesell" in literarischer Anmutung. »Stimmt!« Dachte Justus, für einen Moment aufgeheitert in dieser Reminiszenz. »Das ist ein Faktum.« Und, zumindest in seiner eigenen Lesart, ein Kompliment, da er reaktionär-leidenschaftlich seit seiner Jugend jede Form von organisiertem Gottglauben und eifernder Frömmigkeit verabscheute. Also Schluss mit dem Gedöns! Was ihm, sah man mal von der Familie ab, leicht fallen sollte. Theoretisch. Praktisch gestaltete sich mit unverrückbarer Gewissheit zu den offiziellen Feiertagen das Aufeinandertreffen der lieben Verwandten in einen immerwährenden Horror-Trip. Schon die Anreise enervierte, Hektik, Überbuchungen, Gedrängel, grundsätzlich all die anderen, die nervten, lärmten, müffelten, rempelten, sich breitmachten! Jedes Jahr weitere Scheußlichkeiten rund um das in die Jahre gekommene Eigenheim, die man komplimentieren sollte... wenn einem nicht vor Entsetzen die Spucke wegblieb. In Loriotscher Anmutung der "Herr" des Hauses in seinem Keller(Hobbyraum)-Refugium, wortkarg, auf ein frühes Delirium durch Spirituosen hoffend. Die liebenswerte Cousine ("es war uns keine Tochter vergönnt"), die samt ihrem Luftblasen schwadronierenden männlichen Gespons und der drei "aufgeweckten" Sprösslinge vorbeischaute. (Leider nicht effektiv genug, den Eingang fanden sie immer pünktlich zum Essen!) Mit dem Ergebnis, dass man die paradiesische Schlange eigenhändig mit allen Äpfeln bis zum Platzen vollgestopft hätte, um jede Form der Vermehrung zu verhindern. Die üblichen Themen, die einer Inquisition mit angeschlossenem Selbsterniedrigungsanteil den Rang abliefen, Karriere, Heirat, Nachwuchs, die erste Milliarde (nicht vorhanden und ganz sicher nicht gewollt). Justus empörte sich darüber, dass man jedem, der nicht kopulations- und reproduktionsfreudig das Gelände durchstreifte, hedonistischen Egoismus und mangelnde Verantwortungsreife unterstellte. Man dies aber nie hörte angesichts von Überbevölkerung, Landverödung, Klimawandel und Ressourcenverschwendung. Zudem konnte man mit mathematischer Unterstützung die Wahrscheinlichkeit der Zeugung des nächsten Einsteins oder Mozarts in der eigenen Dynastie für so gering erklären, dass der Weltgemeinschaft kein Verlust zugemutet wurde. Auf den Demographiewandel angesprochen, der das Rentensystem bei fehlenden Einzahlern in spe über Gebühr belastete, was durch Unterlassen (der Reproduktion) ebenfalls von einem egozentrischen Mangel an Verantwortung zeugte, konterte er regelmäßig seine Mutter mit dem unverblümten Hinweis darauf, dass all die alten Rentner und Pensionäre ja auch in großer Zahl mit starrsinniger Hartnäckigkeit nicht den Löffel pünktlich abgaben, wenn ihr Anteil an den Vorauszahlungen längst aufgezehrt war! Wo war da die solidarische Verantwortung? Justus genierte sich solcher Aussagen gegen die werte Frau Mama keineswegs, denn er wusste genau, woher seine scharfe Zunge stammte. Und wie sprach der Volksmund so treffend: Hoffnung ist lediglich ein Mangel an Information. "Warum soll ich mir das antun?" Fragte Justus sich in krawalliger Stimmung, schob sich im Pulk aus der Straßenbahn, obwohl er nun länger zu laufen hatte, doch ihn verlangte nach Bewegungsfreiheit. Raus aus dem künstlichen Gestank von billigem Parfüm, angekokelten Mandeln, versengter Schokolade und übelkeiterregendem Glühwein-Destillat. Es war ein Teufelskreis, den man aus Gewohnheit, Rücksicht und vergeblichen Harmoniebestreben immer wieder beschritt. "Dieses Mal nicht!" Legte er sich fest und spürte, wie sich seine Schultern selbst durchdrückten, die klamme Feuchtigkeit der längst nicht mehr wasserabweisenden Jacke ignorierten. Kein Horrortrip, keine Geschenke, kein verhasstes Konsensverhalten. "Ich bin raus." Bestärkte er sich selbst und justierte die alte, verfilzte und damit erstaunlich zähe Inka-Mütze. Wenn das mal kein Grund zum Lächeln war! ?~? Justus meldete sich beim vierzehntägigen telefonischen "Rapport" an der Heimatfront (die längst nicht mehr seine Heimat war) mit beschwingter Heiterkeit für die Feiertage ab. Nein, er würde nicht kommen. Und nein, er würde keine Geschenke für die schwatzhafte Cousine, ihren dämlichen Popanz von Ehemann und die drei ungezogenen Bälger, die man vorausschauend schon vor ihrer Empfängnis verhütet hätte, versenden. Ja, selbstverständlich tue er das aus reinem, ihm sehr wohlgefälligen Egoismus. Und nein, es stecke keine Frau dahinter. Auch kein Mann, Transsexuelle, Transvestiten, Unentschiedene, für alles Offene oder Aliens oder Kombinationen aus allen Möglichkeiten. Nicht mal arbeiten müsse er! Justus wusste, dass seine Mutter in gewohnter Manier seine Entscheidung nicht als solche ernst nahm, sondern als lästigen Geräuschmüll in ihrem Wortschwall kategorisierte. Er würde schon kommen. "Werde ich nicht." Schmunzelte Justus und überschlug im Geiste, wie viel Zeit, Nerven und Stress er sich ersparte, weil er nun nicht mit der Deutschen Bahn über Tickets verhandeln musste, die ihn unter größter Unbequemlichkeit, mit garantierter Verspätung und für enorm viel Geld an den Ort der Qualen transportierte. Kein Hirnzermartern über überflüssigen Tand, der die Umwelt schädigte, nicht benötigt wurde, durch die Gegend geschleppt werden musste! Vielmehr galt es nun in aller Muße, tiefentspannt, die freie Zeit (keine Feiertage!) zu nutzen. Wenn es ohnehin trüb bis nass, dunkel und abweisend war, konnte man es sich gemütlich machen, Kleinigkeiten ohne Chichi verspeisen, die Stunden vergessen bei Spiel oder Lektüre. Kein Streit, keine Protzereien, keine Spiegelfechterei. Man musste sich nicht in einen feinen Zwirn zwängen, sondern konnte es bequem halten. Die Vorfreude entlockte ihm ein kindliches Kichern. Pizza, Popcorn, Kellerbier, Jogginganzug und alle Folgen der "Dünnen Mann"-Serie hintereinander...klang das nicht einfach perfekt? ?~? Justus wusste, dass eine Strategie vonnöten war, wenn man sich beruflich-gesellschaftlichen Verpflichtungen entledigen wollte. Das lächerliche "Wichteln" war ihm seit der Grundschule verhasst, weshalb er es bei seinem Arbeitgeber, einem Software-Dienstleister, für besonders albern hielt. Angeblich sollten derlei Kinkerlitzchen als "Team-Building"-Maßnahme die Zusammenarbeit verbessern, doch das hielt Justus für Blödsinn. Eine adäquate, zeitnahe und ungefilterte Weitergabe von Informationen zur Arbeitsabwicklung war nach seiner Auffassung für den "Betriebsfrieden" erheblich wichtiger. Zudem wollte er nicht als "Privatperson" aufschlagen, sondern eine professionell-berufliche Distanz zu seinen Kolleginnen und Kollegen wahren. Zu enge Beziehungen führten schließlich häufig zu Stress und Auseinandersetzungen! Geschicktes Vorgehen tat Not. Indem man dezent auf die unwürdigen Arbeitsbedingungen für die billigen Objekte hinwies. Die letzten vernichtenden Kritiken zu aus China importierten Waren, die gar nicht zulässig waren in der EU. Kinderarbeit bei der Kakaoernte. Schadstoffbelastungen in Exotika, Problematik der Entsorgung bei Elektronikartikeln (seltene Erden, Ausbeutung in Afrika), schlechte Ernten bei Haselnüssen und Kaffeebohnen... Schlagzeilen gab es genug, die Tageszeitung versorgte ihn schon mit den richtigen Stichworten. Zu kurz gesprungen wäre es jedoch, sich nur auf die negativen Aspekte der albernen "überflüssiger Murks"-Rund-Tauscherei zu stützen! Positive Alternativen mussten her. In subversiver Einflüsterung gelang es ihm, eine gefällige Änderung zu erwirken: man traf sich in der kleinen Teeküche, schmierte rustikal Stullen mit Aufstrichen aus der Region (Gemüse und Getreide). Dazu kam noch Apfel-Rotkohl-Kompott, Gerstenkaffee und die "rosa Spendensau" mit Tütü aus Porzellan, damit das örtliche Tierheim wilde Katzen kastrieren konnte. Sinnvoll, pragmatisch, stressfrei, zwanglos (die Teeküche war klein), ohne saisonales Gedudel...hochzufrieden sah Justus sich auf dem richtigen Weg für SEINE Jahresendzeitfreizeit! ?~? »Also DOCH!« Knurrte Justus inwendig. Sie hatte es getan! Trotz der vorgeblichen Weigerung zu akzeptieren, dass er nicht wie all die Jahre zuvor an den Feiertagen einschlagen würde, um den gewohnten Horror irgendwie zu überstehen, sondern sich dieses Jahr fernzuhalten, ohne Reue oder Bedauern, ganz und gar egoistisch und ungezogen, hatte sie zum Gegenschlag ausgeholt! "Perfid!" Grummelte er halblaut, dankbar dafür, dass er grundsätzlich nicht selbst ans Telefon ging, sondern den elektronischen Aufzeichnungsknecht vorschickte. Vanessa zwitscherte auf ihre unnachahmliche Art süffisante Fragen nach Befinden (ohne "Geisteszustand" je auszusprechen) und drohte ein gelegentliches Treffen an! Was Justus keinesfalls zu absolvieren gedachte. Überhaupt, weibliche Solidarität gehörte in solchen Fällen als Verbrechen im Krieg der Geschlechter geächtet! Und gezielte Taubheit, wenn man verkündete, was man unter keinen Umständen zu tun gewillt war! Justus bekannte sich dazu, noch nie verliebt gewesen zu sein und den Umständen, die dies verhinderten, überaus dankbar. Schließlich zeigte Verliebtheit bedenkliche Übereinstimmung mit gewissen psychischen Krankheiten, unter anderem Schizophrenie! In seinen ganzen drei Beziehungen war er auch nicht der Initiator gewesen. Man hatte ihn angesprochen und ihm war kein Argument eingefallen, das eine Zurückweisung gerechtfertigt hätte. In der Schulzeit kam selbstredend eine gewisse, nicht zu leugnende Neugierde auf die physischen Aspekte dazu, auch wenn er, in der Rückschau, die ganze Aufregung darum für übertrieben hielt. Am Ende des Tages (oder nach einer Viertelstunde) war man eben leidlich erschöpft, hatte sich hoffentlich nichts ausgerenkt oder sonstwie lädiert und verspürte eine körperliche Erleichterung/Befriedigung. Die manch einer nach erledigter Gartenarbeit oder einer großen Runde um den Park auch empfinden mochte. Der Abschluss der Schulzeit führte zum einstimmigen Ende. Beziehung Nummer zwei zwang aus Unterbringungsnot rasch dazu, sich ein winziges Appartement zu teilen. Obwohl seine Freundin, ebenfalls studierend, eine ruhige, ausgeglichene und sehr umgängliche Person war, hatte er sich nach kurzer Zeit dabei ertappt, stets auf Zehenspitzen wie ein notorischer Gast zu agieren. Nicht er selbst zu sein, sondern in vorauseilender Höflichkeit Verhaltensweisen zu adaptieren, die den häuslichen Frieden auf keinen Fall gefährdeten. Das tat ihnen beiden nicht wohl, denn in dieser durch ausgeprägte Rücksicht mündenden Verfahrensweise blieb eine unüberbrückbare Distanz, die sie schlussendlich zu WG-Genossen machte. Und dann Vanessa. Im Nachhinein betrachtet ein gefährlicher Lapsus. Zugegeben, konnte man eine Freundin aufweisen, ersparte das mögliche Hofieren und zeugte von einem gewissen Prestige. Man hätte besser aufpassen müssen, statt sich bequem wie in der Vergangenheit auf einen Versuch einzulassen! Justus bestand, durchaus geläutert von der Erfahrung des "ewigen Gastes" im eigenen Heim auf getrennte Einsatzbasen. (In seinem Fall ein Einzimmerappartement in einer recht vernachlässigten Mehrfamilienwohnungsanlage aus den späten Sechzigern.) Doch ansonsten verließ er sich darauf, dass ER ja nicht der Interessent war. Die Reißleine zu ziehen erwies sich jedoch als sehr viel schwieriger. Mahnende Momente gab es zuvor in ausreichender Anzahl. Justus zeigte sich beim Kennenlernen der Eltern keineswegs als nervös, denn sie waren für ihn eben bloß neue Bekannte. Auch wenn es ihn grauste, welch Loriotsche Prägung dieses Ehepaar schon genommen hatte: anstelle des Hobbykellers/-raums als natürlichem Schutzreservat des männlichen Pendants war das Dach ausgebaut worden. Wo dank Großbildschirm der Herr des Hauses sein Refugium hatte, um sich vor der besseren Hälfte zu "verflüchtigen". Die bewies samt ihrer Tochter dieselbe unerfreuliche Einstellung, die Justus auch bei seiner eigenen Mutter mit steter Regelmäßigkeit auf die Palme brachte: Männer waren zu groß geratene Kinder, die der Aufsicht und Führung bedurften. Der kluge Mann schickte sich drein, um seinen Frieden zu haben und unterließ es, die Vorstellung zu widerlegen, er könne kein Küchengerät (außer dem Kühlschrank und dem Kapselheber für die Bierflasche) bedienen. Sei genetisch unfähig, sich eigene Bekleidung zu kaufen, geschweige denn zu erkennen, wann sie nicht mal mehr als Putzlumpen taugte oder DRINGEND einer Reinigung/Entseuchung bedurfte. Justus machte die damit einhergehende Betüttelei in herablassend-belehrendem Tonfall rasend. Wie konnte man ihn für derart lebensuntüchtig halten, während er gleichzeitig beruflich durchaus kapabel war, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne dass man ihn an der Leine führte?! Entsprechende sarkastische Bemerkungen blieben unbeachtet. Stattdessen drehte die weibliche Gewitterfront die Schraube noch eine Umdrehung weiter: ständige, LAUTSTARKE Unterhaltungen darüber, wer zuletzt wen geheiratet hatte. Wo sie bauten/einzogen/residierten und wie viele Kinder/Haustiere sie sich zugelegt hatten. Ihm hatte es nach der x-ten Auseinandersetzung gereicht. Er hatte in aller Deutlichkeit Vanessa darum gebeten, ihn doch zu verlassen/Schluss zu machen, weil er grundsätzlich kein Interesse daran hatte, auch nur eine der ständig diskutierten Zukunftsoptionen für sich in Anspruch zu nehmen. Er wollte kein Haus bauen, sich dann in Keller/Dach/Garage/Hobbyraum verbannen lassen, zu einem Haustier/zusätzlichen Kind seiner Gattin degenerieren und sah sich GANZ SICHER nicht als Super-Papi für eine Rotte ungezogener Bälger. Ihm wurde bei den Hosenscheißern nicht das Herz weit, er reagierte nicht mal auf Katzenvideos im Internet! Tja, aber was sah er dann für seine Zukunft? Unsäglich mangelnden Ehrgeiz, würde wohl die werte Frau Mama diagnostizieren. Denn Justus mochte sein Leben genau SO, wie es sich gerade verhielt: einen interessanten Job, selbst bestimmte Freizeit, auskömmliches Einkommen, hin und wieder mal eine kleine Flucht aus dem täglichen Einerlei. Er sehnte sich weder danach, der erste Mensch auf dem Mars zu sein, noch Super-Athlet, Weltenretter oder Multi-Millionär. Schlicht und einfach wollte Justus, dass er die Bilanz jeden Tags für sich selbst beeinflussen konnte. Dass er sich im Spiegel ansehen und nach einigen Faxen bekunden konnte: ganz passabel, alter Schwede! Und damit referierte er nicht auf das Äußerliche (auch wenn das durchaus tageslichttauglich war), sondern auf die Einstellung. Sich selbst treu zu bleiben. All die anderen Ziele/Phantasien, die man(n) angeblich hegen sollte/musste, die sagten ihm schlicht nicht zu. Punkt. Außerdem war es genau genommen doch ausgesprochen rücksichtsvoll, nicht irgendwelchen Vorstellungen nachzuhecheln, die man nicht erfüllen konnte oder wollte, richtig?! Das ersparte den Beteiligten Zeit, Kummer und Streitereien. "Wenn die anderen Beteiligten das nur einsehen würden!" Schnaubte Justus grimmig. Ein Plan tat somit Not, um die weibliche Sturmfront zurückzuschlagen! ?~? "Ganz schön fies!" Bekundete Markus schnaufend Mitgefühl. Er wusste, wovon er sprach, denn seine heilige Zuflucht war der sonntägliche "Tatort" in der Glotze. Die einzige Freizeit, in der er "existieren" durfte, ohne dass der Nachwuchs in Schach gehalten oder "Beziehungsarbeit" geleistet werden musste. "Und jetzt?" Raj wischte sich mit dem Handtuch Schweiß aus den dichten, schwarzen Haaren. "Tja!" Schnaubte Justus. "Das ist die Frage." Wobei er sich hier beim wöchentlichen "Zirkeltraining" im Sportverein von seinen Geschlechtsgenossen Inspiration erhoffte. Fernab der Leistungs-Brummer in Fitnessstudios oder der Ultra-Irgendwas-Masochisten in der freien Wildbahn. "Vielleicht solltest du abtauchen?" Offerierte Markus eine Idee. "Verreisen?" Justus lupfte kritisch eine Augenbraue. Den Stress wollte er sich ja gerade ersparen, außerdem, wohin? Und war nicht schon alles ausgebucht? Oder von genau DEM Spektakel geprägt, das er kategorisch ablehnte? "Genau!" Raj grinste und präsentierte sein strahlend weißes Gebiss. "Du musst ja nicht weit weg! Sondern bloß dahin, wo es nur schlechten Empfang gibt und nicht viel los ist." "Wir reden jetzt hier aber nicht über ein Kloster, oder?" Hakte Justus argwöhnisch nach. "Iwo!" Raj feixte. "Ich glaube, ich habe da einen ganz heißen Tipp für dich!" ?~? Ganz ohne Diskussion: es war unfein, fremden Gesprächen zu lauschen. Parsival, von allen jedoch nur Percy gerufen, tat es trotzdem, ungeachtet seines ausgeprägt schlechten Gewissens. Doch es war schlicht zu verlockend, zu faszinierend, den drei Altersgenossen zuzuhören! Dass einer es tatsächlich wagte, sich zu widersetzen! Der eigenen Mutter! Während er seine verkrampfte Rückenmuskulatur zu entspannen suchte, bewunderte er die Tollkühnheit dieses Entschlusses. Die unerschrockene Leidenschaft, sich von allen Fesseln loszuschlagen. Für ihn nicht mal ein Traum! Dennoch verfolgte ihn das Gespräch selbst auf dem Heimweg, als er erschöpft mal wieder imaginären Kassensturz machte und sich der schier unendlichen Liste in seinem Notizbuch entsann. Nie war es genug, nie nahm es ein Ende. Natürlich war es sein Fehler, das ließ sich nicht leugnen. Hätte er doch wenigstens einen Funken des Mutes, mit dem der Mann, den sie Justus gerufen hatten, nur so um sich sprühte! ?~? Justus schulterte eine kleine Reisetasche und beäugte den leeren Bahnsteig der S-Bahnstation. Die benachbarten "Park-and-Ride"-Plätze für die Pendler waren geräumt, vom Himmel dräuten finstere Wolken mit einem üppigen Schauer. "Heiligabend für Genießer!" Grummelte er leise. Da bemerkte er, dass er nicht allein das entfernte Ende des Bahnsteigs anstrebte: zögerlich folgte ihm eine schmächtige Gestalt mit einem Rucksack, etwas unpassend in einen Trenchcoat und Anzug gekleidet. Und bereits jetzt in der aufkommenden steifen Brise erbärmlich schlotternd. "Ah, kennen wir uns nicht?" Justus wandte sich herum. "Sportverein, richtig?" Hastig nickte der magere Mann und soufflierte heiser. "Das stimmt. Percy." "Genau, Percy!" Justus schüttelte eine schmale, eiskalte Hand, entsann sich jedoch keines längeren Gesprächs. Dass man sich unter Sportskameraden duzte, half ihm ein wenig aus der Verlegenheit. "Wohnst du hier in der Nähe?" Betrieb er höflich Konversation, registrierte am zögerlichen Begleitschritt jedoch, dass seinem Weggefährten die Zielstrebigkeit abging. "Nein, ich bin lediglich..." Stotterte Parsival verlegen. "...ich bin auf dem Weg zum Hofgut... Justus." Die schüchterne Ergänzung seines Vornamens ignorierend wurzelte Justus verblüfft an. "Wie, du auch?! Verbringst du auch die Feiertage dort?" Ein nervöses Nicken, beide Rucksackgurte von bleichen Händen umklammert, als könnten sie nicht nur dem Transportgut Halt geben. "So ein Zufall." Kommentierte Justus nach einer grausam zähe verstreichenden Spanne. Hatte dieses halbe Hemd ihr Gespräch etwa belauscht und befand sich auch auf der Flucht? Bevor er jedoch der Wahrheit auf den Grund gehen konnte, baute sich vor ihnen ein wettergegerbter Kapitän an Land auf (deutete man Zweireiher und Schiffermütze richtig). "Sind die Herren auf dem Weg zum Gut raus? Dann zeig ich euch mal den Weg, wie? Sieht übrigens nach Dusche aus." Gestikulierte ein krummer Zeigefinger Richtung Firmament. "Ach ja, Hinnerk mein Name. Ich wohne da." "Sehr angenehm." Fing sich Justus sofort. "Justus, und das hier ist mein Sportskamerad Percy. Schaffen wir es denn noch vor dem Regen?" "Tschaa." Antwortete Hinnerk gedehnt. "Kommt drauf an, wie schnell wir marschieren, wie?" Das sollte, fand Justus, kein größeres Problem darstellen. Er hatte sich, in Erwartung, auf dem Land und quasi in die vor-elektronische Steinzeit katapultiert zu werden, festes Schuhwerk, robuste Kleidung für den Außeneinsatz jenseits der Zivilisation und eine üppige Portion Zynismus zugelegt. Parsival folgte ihnen mit leichter Distanz, stemmte sich gegen die Böen, wirkte erschreckend unvorbereitet mit den Collegeslippern unter seinem Anzug. Die mühsam zu einem Seitenscheitel geklebten, schwarzen Locken flusten bereits wild auf, sein ausgezehrtes Gesicht schimmerte bleich. Von der asphaltierten Straße ging es runter auf einen geschotterten Feldweg, in der früh einsetzenden Dämmerung bald nicht mehr leicht auszumachen. Hinnerk und Justus paradierten mit ausgreifenden Schritten synchron, sparten sich Worte, die ihnen der Wind von den Lippen riss. Leidlich in ihrem Windschatten stolperte Parsival hinterher. Da ertönte ein melodiöses Klingeln, ein großer Leuchtpegel näherte sich rasch. "Ah!" Hinnerk lupfte die Schiffermütze und winkte. "Da is Bart!" Während Justus gegen Assoziationen mit einem zitronengelben, Backstein-Frisur tragenden, notorischen, jugendlichen Delinquenten ankämpfte, näherte sich mit bemerkenswertem Tempo ein Gespann. Vorne robustes Hollandrad, hinten Anhänger. Und darauf strampelte nachlässig ein Frackträger ohne wehende Schöße, aber mit Zylinder. "Guten Tag!" Man bremste schwungvoll, lupfte den vornehmen Hut und entblößte kupferrote Kringellocken, an den Seiten und am Hinterkopf akkurat gestutzt, nur auf dem Schädeldach in quirliger Freiheit. "Hinnerk, sind das die Gäste für die Feiertage?" Justus studierte im Zwielicht den Schornsteinfeger/Kaminkehrer (wie auch immer die moderne Variante jetzt gerade hieß) und streckte forsch die Rechte aus. "Ganz recht. Justus, freut mich!" "Bartholomäus, aber Bart reicht völlig." Der Händedruck war warm, fest und völlig schmutzstreifenfrei. Herr Aschenputtel war wohl nicht durch einen Kamin gekrochen. "Und du musst dann Parsival sein." Bartholomäus griff unerschrocken eine bleiche Hand. "Bart, hallo!" Hinnerk und Justus wandten sich unisono herum, starrten das klapprige Gestell im Trenchcoat an. PARSIVAL?! "...Percy." Krächzte das Objekt ihrer Verblüffung nervös und entschlüpfte gleich wieder dem Zugriff. "Sehr angenehm." Einen Augenblick länger, als für Parsivals ausgefranstes Nervenkostüm zuträglich war, studierten ihn hellbraune Augen konzentriert, wenn auch sehr freundlich. "Nun, dann ladet euer Gepäck mal in meinen Anhänger." Ein Daumen dirigierte die Ballastabwurfstation an. "Ich fahr schon mal voraus." Justus dankte höflich, die Offerte kam ihm durchaus gelegen, während Parsival nervös an seinem Rucksack nestelte, nach seinem Smartphone fahndete. "Oh, das kannst du ruhig stecken lassen." Bartholomäus lächelte entspannt. "Hier gibt es schon seit der letzten Weggabelung keinen Empfang mehr. Aber wenn du magst, kann ich dich auf dem Gepäckträger mitnehmen, Percy. Mit den dünnen Sohlen deiner Schuhe wirst du auf dem Rest der Strecke Probleme bekommen." "...das geht doch nicht!" Parsival wich unbehaglich zurück. "Ich bin viel zu schwer, und ich möchte keine Umstände...!" "Sind keine." Schmunzelnd klopfte Bartholomäus auf den klobigen Akku. "Ich habe elektrische Hilfe, wenn mir die Puste ausgehen sollte. Komm schon!" "Ja, wir sollten uns besser mal sputen, wie?" Hinnerk marschierte schon los. Justus folgte ihm, denn langsam wurde es doch arg dunkel und er wollte sich nicht durch einen ungeschickten Tritt die Haxen lädieren! Parsival wrang die eisigen Hände, fühlte sich unbehaglich, starrte auf die ausgestreckte Rechte, die ihm auf den Sozius helfen wollte. "Komm ruhig." Bartholomäus lächelte im Schein der LED-Leuchte. "Und halt dich gut fest." Steif und ungelenk kletterte Parsival, solcherart genötigt, auf den Gepäckträger, mit seinem Trenchcoat ringend. "Schön." Stellte Bartholomäus zufrieden fest und trat mit Schwung in die Pedalen. Nach einigen krubbeligen Metern auf der Schotterpiste hatte er schon ordentlich Fahrt aufgenommen, preschte an den beiden Marschierenden vorbei. "Leg die Arme um mich." Wies er Parsival an. "Weißt du, es bringt Glück, wenn man einen Schornsteinfeger berührt!" In seiner sonoren Stimme schwang derartig viel gelassene Heiterkeit, dass Parsival beschämt errötete und die Schultern noch höher zog. ?~? Das Hofgut, vordem ein Aussiedlerhof, davor eine säkularisierte Domäne, lag etwas abseits und bestand aus zahlreichen Wirtschafts- und Wohngebäuden, die über die Jahrhunderte hinweg immer wieder verändert, abgebrochen und neu aufgebaut worden waren. Der Unterhalt solch großer Anlagen war schwierig, wollte man nicht in Massentierhaltung und Hightech investieren. Was die gegenwärtigen Betreiber nicht im Sinn hatten. Die wenigen Tiere, die hier wohnten, bekamen entweder ein Gnadenbrot oder dienten der Erhaltung alter Nutztierrassen, die modernen Leistungsansprüchen keineswegs gerecht wurden. Aber sie hatten hier eine Heimat, das Gut genügte, sie zu ernähren, und sie leisteten ihren Beitrag zur Landschaftspflege und Versorgung. Man betrieb Wechselfelderwirtschaft, Gemüse- und Kräuterbeete, Randstreifen mit gemischter Vegetation, dazu kamen noch Obstbäume und -sträucher. Man konnte kleine Feldabschnitte "pachten", um dort vorbereitetes Gemüse und Salate zu ernten. Es gab einen Hofladen, eine Hobby-Imkerei, eine geräumige Backstube, eine Besenwirtschaft und natürlich in den ehemaligen Stallungen die Pension. Durchaus auch für Dauermieter zugelassen. Eine große "gute Stube" diente der Beköstigung, aber auch der Unterhaltung, dazu gab es in der alten Scheune Platz für eine Tischtennisplatte, für Schaukeln oder Kreide-Mandalas auf dem Betonboden. In der Werkstatt konnten einmal im Monat defekte Lieblinge repariert werden, ein entsprechender Verein hatte sich gefunden. Vielleicht schlug hier das Herz nicht so schnell wie in der nächsten Ortschaft am Rande der Stadt, aber langweilig wurde es gewiss nicht! Bartholomäus pilotierte souverän vor den umgebauten Stallungen, als die ersten dicken Tropfen auf das altertümliche Pflaster klatschten. Rasch reichte er dem ausgekühlten Parsival Rucksack und Reisetasche, befestigte eine aufgerollte Plane über seinem Anhänger und bewegte sein Gespann zur offenen Scheune, wo sich andere Gefährte drängten. Parsival zögerte nervös, registrierte das freundlich ausgeleuchtete Fenster zur guten Stube und hastete mit seinem ungeeigneten Schuhwerk hinüber, eigenes und Fremd-Gepäck apportierend. Bevor er klopfen konnte, öffnete sich die breite Tür und eine kräftige Frau in Jeans, Sweatshirt und Galoschen empfing ihn. "Immer herein, wir haben geheizt!" "...danke schön. Guten Abend, ich hatte reserviert..." Weiter kam Parsival nicht, weil Bartholomäus hinter ihm erschien, die Hände um seine Schultern legte und ihn weiterschob. "Stine, das ist Percy! Hinnerk kommt gleich mit Justus. Ist die Sauna gerade frei?" "Nimm dir den Schlüssel, Bart. Hast du die Post schon verteilt?" Bartholomäus nickte lächelnd und angelte hinter dem Tresen von einem imposanten Schlüsselbrett zielsicher ein Exemplar. Kaperte Parsivals Handgelenk und führte ihn durch eine geteilte Tür hinaus, unter dem vorstehenden Dach die Stallungen entlang bis zu einem gemauerten Gebäude, wo er ein Vorhängeschloss an einem Riegel öffnete. Die Tür selbst, mit Herzchen-Ausschnitt, wurde umgehend mit einem Anhänger bestückt, der [Besetzt, bitte komm später wieder] letterte. Parsival bremste erschrocken auf dem gefliesten Boden, denn er konnte unter dem aufflammenden Licht einer Stahllaterne erkennen, dass er sich vor einer abgesenkten, offenen Dusche befand, während man ein kleines Holzhäuschen an die Gebäudewand gesetzt hatte, das unzweifelhaft als Sauna zu erkennen war. "Oh, ich glaube nicht..." Begann er verunsichert. Er hatte noch nie sauniert, jedoch schon schlimme Geschichten über die Missachtung der strengen Etikette, über Ohnmachtsanfälle und Kreislaufzusammenbrüche gehört. Außerdem war er es nicht gewöhnt, sich vor Fremden vollständig zu entblößen! "Das wird dich aufwärmen!" Versicherte Bartholomäus ihm, streifte sich bereits seine adrette, traditionelle Arbeitsbekleidung vom Leib. "Durch die Backstube nebenan nutzen wir die Energie optimal." "Aber ich weiß nicht, ob ich das vertrage." Murmelte Parsival hilflos, denn er wollte niemanden verärgern und fühlte sich durch die entwaffnende Freundlichkeit, mit der Bartholomäus ihm begegnete, ausgekontert. "Ich werde auf dich Acht geben, Percy." Versicherte Bartholomäus aufmunternd. "Und ich werde die Aufgüsse reduzieren, ja?" Mangels intimer Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge schickte sich Parsival drein, wickelte sich durchgefroren aus seinen unzureichenden Kleidern, schämte sich ob seines klapprigen Erscheinungsbildes. Unterdessen hatte Bartholomäus bereits die Vorbereitungen in der kleinen "Hütte" getroffen, schob Parsival vor sich unter die offene Dusche, reichte eine Kordelseife weiter, damit man sich sauber dem Vergnügen widmen konnte. Obwohl kein Luftzug ging, zitterte Parsival und folgte ohne größeren Widerstand zu den schlichten Holzbänken, ließ sich artig ein Handtuch für die delikaten Körperpartien reichen und ergab sich dem stärkeren Willen. In der Hütte war es erstaunlich gemütlich, die warme Luft nur dezent angereichert mit Zitronenmelisse, wie Bartholomäus ihm erklärte. Davon hatte man immer genug und trocknete die Ausbeute, um die ätherischen Öle hier zu nutzen. "Und, ist es schon besser?" Ungeniert hockte sich Bartholomäus vor ihn und erprobte an den schmalen Händen, ob sie schon angenehmer temperiert waren. Parsival nickte hastig und schloss einen aufrichtigen Dank an. Tatsächlich vergaß er seine Scham, denn mit der Wärme lösten sich auch andere Verkrampfungen und Verspannungen, die ihn seit gefühlten Ewigkeiten quälten. Weil er sich jedoch gerade so wohl fühlte, meldete sich mit vernichtender Vehemenz sein Gewissen. Was HATTE er bloß GETAN?!! Automatisch krümmte er sich zusammen, sich selbst umklammernd, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Doch jetzt war es zu spät! "Geht es dir nicht gut?" Besorgt ließ sich Bartholomäus flink neben ihm nieder, legte ihm den Arm um die eingezogenen Schultern. "Doch! Es ist alles in Ordnung!" Stammelte Parsival hastig, zwang ein unglaubwürdiges Lächeln auf seine verzerrte Miene. "Ich sollte nur nicht... ich meine, ich hätte besser nicht...!" Bartholomäus betrachtete ihn aus nächster Nähe aufmerksam. "Gefällt es dir hier?" "Ja, es ist sehr schön, danke, wirklich!" Haspelte Parsival hilflos, von diesen simplen Fragen in die Ecke gedrängt. Wieso konnte er bloß nicht überzeugend lügen?! Immerhin wäre es für einen guten Zweck, um niemanden zu verletzen! "Dann ist es gut, dass du hier bist, richtig?" Die sanfte Schlussfolgerung, mit einem Lächeln getarnt, unterminierte Parsivals hoffnungslose Versuche, sich hinter Ausflüchten und Halbwahrheiten zu verschanzen. "Ja, schon... ich.. ich..." Mit einem gequälten Seufzer brach Parsival schließlich die lächerlichen Anläufe für eine erfolgreiche Verneblung ab. Sich selbst umklammernd, bis die Fingerknöchel deutlich hervortraten, flüsterte er in Richtung seiner spitzen Knie. "Ich sollte eigentlich nicht hier sein. Sondern bei meiner Mutter. Und der Familie. Aber ich bin einfach nicht gefahren. Sondern hierher gekommen. Und ich habe nichts von der Gratifikation gesagt." Ihm schnürte sich die Kehle zu. All die verlangten Geschenke, das Geld, er hatte es abgeliefert, weil man es eben der Familie schuldete. Zum ersten Mal jedoch hatte er ganz egoistisch in einem Anflug von Trotz nach der denkwürdigen Trainingsstunde im Sportverein für sich behalten, dass es etwas mehr Geld als üblich in diesem Monat gab. Um es für sich zu nutzen. Um zu verschwinden, unterzutauchen, für die wenigen Feiertage außer Reichweite zu sein. "Vermisst du es?" Bartholomäus' ruhige Stimme drängte sich durch die panischen Horrorvorstellungen, die ihm vorhielten, dass sein angeblicher Mut tatsächlich nicht weit reichte. "Nein! Das heißt.." Parsival zog die Schultern noch höher. Wenn er tief in sich ging und ganz ehrlich war, dann fürchtete er sich vor dem Aufenthalt bei 'der Familie'. Eine Quälerei, ein Spießrutenlaufen, ein ständiger Quell der Verachtung. Eine warme Hand drückte sanft seine Schulter. "Ist es dann nicht gut, hier zu sein?" Eine Menge Orte und Zeiten waren besser, als bei 'der Familie' zu sein, bloß durfte er das nicht mal... nun ja, aussprechen. Gedacht hatte er es oft genug, um sich zu schämen. Irgendwie hatte es von Anfang an nicht funktioniert. Vorwürfe oder Schuldzuweisungen halfen nicht. Eine Hand streichelte sanft über sein knochiges Rückgrat, beruhigend, aufmunternd. Sie forderte nichts ein, verlangte keine Erklärung. Die Augen fest zukneifend, als könne er sich damit selbst unsichtbar machen, erzählte Parsival mit stockenden Worten von seiner waghalsig-tollkühnen Flucht. Von einem früh verlorenen Vater, dem emeritierten Professor, dessen erste Frau das Geld mitbrachte, während die zweite, seine Mutter, sich über die Vermögensverhältnisse im Irrtum und auch rasch in Witwenschaft befand. Die Erwartungen der großen, verzweigten Familie, die nach Unterstützung verlangte, nach teuren Geschenken, nach der Übernahme ärztlicher Behandlungskosten. Wie er in dieser Hierarchie den niedrigsten Platz einnahm, sich unterordnen musste, alles abliefern und beschaffen, um den Frieden zu wahren, obwohl er ein Außenseiter, ein Fremder blieb. Die ständigen spitzen Bemerkungen, die unverhohlene Enttäuschung, dass er nicht mehr verdiente, keinen größeren Einfluss besaß, über keine akademischen Weihen verfügte. Parsival war sich bewusst, dass man ihn ausnutzte, seine Unsicherheiten genüsslich auskostete. Mit einer strengen Teamleiterin, die Fairness lebte, wurde es besser. Mit der winzigen Wohnung in der Stadt auch. Aber es war nie genug, nie entschlüpfte er dem würgenden Gängelband der Verpflichtungen so ganz. Selbst in diesem Jahr hatte er bis zur Selbstaufgabe sämtliche Forderungen erfüllt. Nur die eine nicht: er war nicht wie jedes Jahr angereist, um sich terrorisieren und verlachen zu lassen. "Aber es ist nicht ihre Schuld." Er schüttelte den Kopf beharrlich. "Sie kann nichts dafür, weißt du? Es ist so ein... unseliges System. Und ich verstehe ja auch, dass sie die Entbehrungen ausgleichen und ihr Leben genießen will, wirklich!" Immerhin war sie seine Mutter, hatte ihn allein seit seinem vierten Lebensjahr durchbringen müssen, ohne die zuvor gekannten Annehmlichkeiten ihrer kurzen Ehe. Bartholomäus kommentierte die Erklärungen nicht, wich jedoch auch nicht von Parsivals Seite. Nach einer längeren Pause, in der sich Parsivals nervöse Verzweiflung in Resignation wandelte, ergriff er gelassen das Wort. "Bist du nicht froh, hier zu sein?" Durch die feuchte Hitze einiger chronischer Verspannungen ledig seufzte Parsival. "Gerade in diesem Moment schon, bloß..." Deutete er dräuenden Ungemach an. "Dann sollten wir den Moment nutzen." Befand Bartholomäus lächelnd, fasste Parsivals Kinn und tupfte dem Verblüfften einen Kuss auf die Lippen. ?~? Es wäre sehr unhöflich gewesen, auf den letzten Metern zu beschleunigen, um nicht richtig nass zu werden, also blieb Justus an Hinnerks Seite, der die Wetterkapriolen mit Gleichmut hinnahm. Auf dem geräumigen Hof mit der Pflastersteineinfassung zeigte sich niemand mehr, dafür lud einladend ein warmes Licht dazu ein, sich bei der guten Stube vorzustellen. Hinnerk tippte sich kurz an die Schiffermütze. "Da gehts rein, Kamerad. Ich seh mal nach meiner Post!" Justus nickte mit einem knappen Dank und goutierte die Qualität seiner regenabweisenden Bekleidung. Sonst hätte er sich doch recht klamm gefühlt. Er klopfte und trat ein, angenehm überrascht von der Gemütlichkeit, die der große Raum dennoch ausstrahlte. "Ah, Justus, nicht wahr?" Hinter einer Theke erwartete ihn eine kräftige Frau mit entschlossener Miene. "Willkommen! Ich bin Stine. Gehört die Reisetasche zu dir?" "Angenehm! Ja, der Rucksack ist jedoch nicht mein Eigentum." Klärte Justus auf. "Dachte ich mir schon." Nonchalant warf Stine sich das Gepäckstück über eine Schulter. "Dann zeig ich dir mal dein Zimmer und führe dich kurz herum. Bart hat gerade mit einem anderen Gast die Sauna besetzt, da musst du dich ein wenig gedulden, aber dann ist sie auch frei." "Danke." Nickte Justus und nahm seine Reisetasche. Nach Sauna stand ihm jedoch nicht der Sinn, auch wenn die Witterung das vielleicht provozierte. Er mochte keine ausgedehnten Schwitzbäder, und feuchte Raumluft schon gar nicht! Der kleine Rundgang, entlang der Dächertraufen trocken zu bewältigen, führte ihn vorbei an Wirtschaftsräumen, offenen und geschlossenen Stallungen, technischen Einrichtungen und zur Unterbringung von Gästen und Mietern. Dabei erklärte Stine in knappen Sätzen die "Hausregeln". Tiere waren Mitbewohner, zwar an Menschen gewöhnt, aber kein Streichelzoo oder Kumpelersatz. Sie wollten nicht gefüttert werden, und jeder respektiert den Lebensraum des anderen. Für Justus kein Problem (nicht nur aufgrund seiner Unempfindlichkeit für Katzenvideos), er war nicht mit Tieren vertraut und baute darauf, dass sie ihn in Ruhe ließen, wenn er ihnen die gleiche Höflichkeit zugestand. Technische Einrichtungen durften nicht betreten werden, aus Sicherheitsgründen. Es gab überall Trillerpfeifen und Erste Hilfe-Koffer, dazu Feuerlöscher. Für alle gemeinsam gab es eine Müllsammelstation (Trennung selbstverständlich), denn die Müllabfuhr kam nicht so weit, weshalb die Container selbst zur Annahmestelle transportiert werden mussten. Und je weniger Müll anfiel, umso besser. Eine Waschmaschine stand allen zur Verfügung, Leinen und Ständer ebenso. Fürs Bügeln sollte man sich melden, denn hier wurde nach Urgroßmutter-Art ein altes Eisen benutzt, was zuvor in der Bäckerei auf Temperatur gebracht wurde. (Justus vermutete, dass Bügeln nicht häufig zur Debatte stand... er arbeitete selbst mit der "Handkanten-Technik"). Für die persönliche Hygiene gab es einen Waschraum mit Duschkabinen, die Komposttoiletten waren umgebaute Bauernschränke, was er für sehr originell hielt. Das Brauchwasser wurde aufgefangen und in einem biologischen Klärteich gereinigt. Weshalb die strenge Regel galt, an Wasch- und Reinigungsmittel nur zu nutzen, was angeboten wurde, um zu verhindern, dass sich gefährliche oder nicht auf biologischem Weg abbaubare Stoffe dort ablagerten. Auch dies für Justus kein Problem, denn er fand nicht, dass sein persönliches Erscheinungsbild allzu viel Eitelkeit rechtfertigte. Bloß Nassrasuren wollte er nicht erproben müssen, doch zu seiner Erleichterung hatte er im Waschraum auch Steckdosen entdeckt. Sein Zimmer stellte sich ihm als schlicht-gemütlich vor, der Boden zwar betoniert, aber mit bunten Flickenläufern ausgelegt, das Bett groß und einladend. Dazu ein kleiner Sekretär mit Stapelhocker darunter, bunte Vorhänge vor dem kleinen Fenster, ein umlaufendes Regalbord und ein mit einem weiteren bunten Vorhang verdecktes, offenes Regal für die persönlichen Habseligkeiten. Es gab keine Heizung, dafür ein Belüftungssystem mit Wärmetauscher, denn man hatte ja die Bäckerei, die ordentlich Hitze erzeugte. Und es gab ja auch noch einen Kachelofen in der guten Stube für die besonders Verfrorenen! Justus nahm seinen altmodischen Bartschlüssel entgegen, bedankte sich noch mal und verabschiedete sich bis zum Abendessen. Vollpension war hier zweifellos die beste Wahl, und für die Mieter, die wochentags berufstätig waren, gab es die Option "Frühstück" und "Frühstück/Abendbrot". Er stellte seine Reisetasche ab und schlüpfte aus seiner Jacke. Durch die groben Schmutzabweiser musste er zwar nicht fürchten, Dreckstapfen zu hinterlassen, dennoch wechselte er die Schuhe, wählte einfache Schlappen. Der Pyjama fand seine temporäre Heimat unter dem Kopfkissen, der Kulturbeutel nahm im Regal Platz. Und jetzt? Zum Abendbrot blieb genug Zeit, aber Justus stand nicht der Sinn danach, sich in die mitgebrachte Lektüre zu vertiefen. Warum also nicht mal nachschauen, was so in den Gemeinschaftsräumen geboten wurde? Hatte Stine nicht eine große Bibliothek erwähnt ("Büchersammlung, noch zu gut zum Verheizen", so der Wortlaut)? Und auch diverse andere Freizeitgestaltungsmöglichkeiten? Justus schnappte sich wieder seine robusten Stiefel, löschte das Licht und schloss hinter sich ab. Wäre auch mal interessant zu erfahren, was den seltsamen Percy ausgerechnet jetzt hierher geführt hatte, oder nicht? ?~? Parsival wurde von dieser sanften Aufmerksamkeit vollkommen überrumpelt. Ihm kam nicht einmal der Gedanke, zurückzuweichen, zu protestieren oder gar zur Gegenwehr zu schreiten. Er staunte vielmehr ungläubig in die braunen Augen, die keinerlei Arglist oder Gemeinheit offenbarten. Ein leichtes Lächeln kräuselte Bartholomäus' Lippen, bevor er ermutigt von der Reaktion die Lider senkte und seine Liebkosung wiederholte. Ein wenig länger, intensiver, mit einer Andeutung von sehr viel mehr, wenn seinem Kundschafter Zutritt gewährt werden würde. Er konnte nicht ahnen, dass Parsival keine Vorstellung davon hatte, wie er sich verhalten sollte. Hin und wieder einen Schmatz auf die Wange, ein nachsichtiges Tätscheln auf den Kopf, das waren die einzigen positiven Erlebnisse von Körperlichkeit in seinem Erfahrungsspektrum. Sehr viel besser hingegen kannte er sich mit Ellenbogenstößen, grobem Raufen seiner Haare, vermeintlich freundlichen Schlägen ins Kreuz aus. Vage erinnerte er sich daran, dass er vermutlich schockiert zu sein hatte. Immerhin wurde er hier unaufgefordert geküsst. Und auch noch von einem Mann. Allerdings, das konnte man nicht bestreiten, war jede Geste bisher freundlich und zugewandt erfolgt, hatte nichts von ihm gefordert. Würde er auf Distanz gehen, vermutete Parsival, wäre von Bartholomäus wohl keine wütend-aggressiv-heftig-verächtliche Reaktion zu erwarten. Möglicherweise ein wenig Bedauern... Die Hände, die seine hielten, waren warm, vertrauenswürdig, nicht klammernd, nicht beherrschend. Er konnte ihrem Griff entschlüpfen, wenn er wollte. Aber er wollte nicht. Denn es fühlte sich schön an, so aufmerksam und sanft behandelt zu werden. Würde es aber ein dickes Ende geben? Eine bittere Rechnung, einen bösen Preis zu zahlen? "...magst du das?" Hörte er Bartholomäus' leise Stimme. Parsival nickte bloß, ganz leicht, kaum merklich. Als bestünde die Gefahr, die Wohltat zu verschrecken durch impulsive Reaktionen. "Fein." Bartholomäus klang keineswegs spöttisch oder überheblich, vielmehr dezent erfreut. "... nicht aufhören, bitte." Flüsterte Parsival tollkühn, die Augen fest zugekniffen. Nur noch ein wenig mehr. Ganz bescheiden, er wollte nichts Ungebührliches verlangen, bloß noch wenige Augenblicke länger die "Sonne" dieser Aufmerksamkeiten genießen. "Gern." Das Lächeln schmunzelte in diesem Wort stärker, was Parsival erröten ließ. Die Färbung seiner bleichen Wangen erhöhte sich noch, als Bartholomäus sich geschmeidig hinter die unentschlossene Phalanx schmuggelte, eine nervöse Zungenspitze anflirtete. Parsival japste vor Schreck, doch bevor er sich schamhaft und demütig zurückziehen konnte, tupften sich federleichte Küsse auf sein Gesicht, versicherten ihm, dass es keinen Grund gab, den Mut sinken zu lassen. Außerdem, -das flüsterte ihm ein dünnes Stimmchen in seinem Hinterkopf ein, der magere Trotz, der einfach nicht verschwinden wollte-, wenn er schon so weit gekommen war, dann sollte er nicht mehr umkehren. Denn dazu war es viel zu spät! ?~? Justus hatte die Büchersammlung gefunden, dazu noch diverse Sport- und Spielgeräte, die Werkstatt inspiziert und folgte nun seinem Riecher. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn es duftete köstlich aus der Backstube. Für ihn eine große Versuchung, eine, der er nicht widerstehen konnte. Denn hier mischte sich nicht nur der Geruch knackiger Brotkrusten mit einer Ahnung von gerösteten Zwiebeln, sondern auch der etwas herbere Geruch von angesetzten Naturteigen. Da Stine kein ausdrückliches Verbot ausgesprochen hatte, betrat er also die Backstube, die im vorderen Teil mit offenen Flechtkörben und Holzregalen Verkaufsflächen anbot. Neben einer altmodisch wirkenden Registrierkasse ("wir akzeptieren kein Plastikgeld") fanden sich auch Stapelfächer für andere Produkte des Hofes. Und eine gewaltige Liste an eingekochten und eingemachten Produkten, die in der "Erdmiete" auf Interessenten warteten und ebenfalls geordert werden konnten. Auf Käufer wartete zu dieser Stunde an Heiligabend jedoch niemand, dafür drang durch eine offene Tür der köstliche Geruch, der Justus angelockt hatte. Dahinter befand sich das Herz der Bäckerei, große, hölzerne Arbeitstische, glatt poliert trotz Mehlschleier, Stapelwagen mit geflochtenen Formen, Bleche und Holzplatten mit ungebackenen Laiben. Der Ofen selbst war gemauert, mit einem altertümlichen, schweren Eisenriegel gesichert, etwas, das Justus zuletzt in einer Pizzeria gesehen hatte, die sich (zu Recht) ihrer besonderen Pizzaböden rühmte. "Kann ich helfen?" Auf diese Ansprache hin pirouettierte Justus erschrocken um die eigene Achse, bevor ihm ein deutlich vernehmliches "ach du Schande!" entwich. ?~? Auf ganz unbewusste Weise hatten sich Parsivals Arme um den muskulösen Nacken geschlungen, wurde sein überschlanker Körper gestützt, damit er immer engagiertere Kostproben von Bartholomäus' versierter Kunstfertigkeit in oraler Aufmerksamkeit nehmen konnte. Kaum zu glauben, wie heiß eine Zunge sich anfühlte, obwohl man selbst in der Sauna residierte und eigentlich schon fiebrig brodeln müsste! Parsival war leicht benommen und eindeutig kurzatmig, als Bartholomäus mit einem munteren Lächeln ein wenig Distanz zwischen sie brachte und vorschlug, man möge sich besser abkühlen, ihre Aufenthaltsdauer in der Sauna sei schon überzogen. Unsicher auf den blanken Füßen folgte Parsival, wartete hormonvernebelt darauf, dass sich sein Verstand mit quälender Scham einfinden würde. Doch es tat sich nichts, nicht mal unter der lauwarmen Handbrause, unter sanften Handreichungen. Verzaubert blinzelte er in die braunen Augen, bewunderte die flammenden Funken in den roten Haaren. Ließ sich in einen fremden Bademantel einhüllen, bevor Bartholomäus die Handtücher artig auf einen Wäscheständer deponierte. Ihre Kleider aufsammelte, Parsival bei der Hand nahm und in Badelatschen vorschlug, sein Zimmer aufzusuchen. JETZT hätte man Einwände erheben müssen. Formal gesehen. Parsival blieb jedoch stumm, denn die warme Hand, die seine hielt, forderte ihm gar nichts ab, zerrte nicht, zwang nicht. Grundsätzlich ging von Bartholomäus nichts Selbstherrliches, Dominierendes aus. Auch fühlte Parsival sich nicht manipuliert, denn damit kannte er sich durchaus aus, auch wenn er selten opponierte, sich ausnutzen ließ, weil es ihm den Pfad des geringsten Übels darstellte. Der Weg war nicht weit, und rasch entzog Bartholomäus seinen eigenen Hosen einen schlichten Bartschlüssel mit Anhänger, öffnete die Tür. Sein Zimmer erwies sich als gemütlich, nicht überladen. Das umlaufende Regal gut gefüllt, das breite Bett an der Wand bunt bezogen, ein Stapelhocker artig unter dem kleinen Schreibtisch auf einen Gast wartend. "Schlüpf unter die Decke." Schlug Bartholomäus vor, während er seine Kleider einem geflochtenen Korb anvertraute, seine uniforme Arbeitskleidung auf einen Bügel hängte, den Zylinder auf dem Schreibtisch absetzte. Parsivals Kleidung residierte sogleich auf dem hervorgezogenen Hocker. Zögerlich folgte Parsival der Einladung, studierte Bartholomäus' selbstsichere Bewegungen. Der nahm auf der Bettkante Platz, ihre Badelatschen darunter sortierend, betrachtete Parsival aufmerksam. "Ist es dir warm genug?" Hastig nickte Parsival, ein wenig ratlos, wie er sich nun verhalten sollte, denn er hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie es weitergehen konnte. "Ich möchte dich küssen. Lässt du mich?" Bartholomäus zeigte nicht mal einen Anflug von Verlegenheit. Erneut nickte Parsival, weniger hastig als zuvor. Nun bewahrte ihn die fehlende schwüle Hitze der Sauna zwar davor, gänzlich (metaphorisch) den Kopf zu verlieren, doch die überwältigende Leichtigkeit seines Empfindens entzog ihm jede Bodenhaftung. Alles wirkte so selbstverständlich und folgerichtig! Bartholomäus' Schlüpfen unter die Decke, das Abstreifen der Bademäntel, das Ausdehnen der Liebkosungen auf den gesamten Leib, das Herantasten an vorher fremde Gefilde, die geteilte Wärme, die fliehenden Atemzüge. Für Verlegenheit und Furcht vor den Konsequenzen blieb schlichtweg kein Raum. Parsival verfügte nicht über einschlägige Erfahrungen, was die förmlich detonierenden Reaktionen seines Körpers betraf. Ja, er konnte sich nicht einmal vorstellen, voller Verlangen die Fingernägel in fremdes Fleisch zu graben, leise stöhnend ein Da Capo anzufeuern, sich überschlagende Wellen von Hitze bis in die letzte Körperzelle zu verspüren. Bartholomäus überwältigte ihn, ohne Zwang ausüben zu müssen, simpel mit der Generosität seiner Aufwartung. Und er bot mit der sanften Frage "mehr?" eine Steigerung dieser überflutenden neuen Erfahrungen an. Parsival, der sich so geschmeidig-gelenkig und lebendig wie noch nie im Leben fühlte, Kräfte registrierte, die er nie zu besitzen erwartet hätte, zögerte nicht mal einen Wimpernschlag. Er wollte nicht nur mehr, er verlangte nun, da er ohnehin jenseits von allen Sicherungssystemen, Fallschirmen und Gewissheiten im freien Fall flog, ALLES zu erfahren. Und darum musste er nicht einmal demütig bitten! ?~? Niemand konnte es für einen diplomatisch geschickten Schachzug halten, beim ersten Aufeinandertreffen des Meisters über die köstlich duftenden Leckereien ein derart vernichtendes Urteil herausplatzen zu lassen. Justus hätte seine spontane und ungehobelte Bemerkung gern verwünscht, doch dazu blieb nach einem Augenblick weder Zeit noch Entschluss. Ihm gegenüber stand ein ausgesprochen bemerkenswert proportionierter Mann. Breitschultrig, schmale Hüften, klassische Gesichtszüge, wie ein Modell etwa für Jean-Paul Gaultiers berühmte Parfüm-Reihe "Le male". Es fehlten bloß noch ein eng anliegendes, zierlich geringeltes Hemd und Matrosenhosen. Diese Perfektion wurde korrigiert durch ein schmales Oberlippenbärtchen, das an die geschniegelten Gigolos der Zwanziger erinnerte. Dazu die schwarze Locke, die aus den gestriegelten, glänzenden Wellen in die Stirn entkommen war. Schwarze Augen unter schmalen Augenbrauen, sinnliche Lippen, die Hände nun in die Hüften gestützt: ein Film-Gondoliere ohne flachen Strohhut. Man konnte förmlich das Klischee greifen, dieser Mann verkörperte es so perfekt, dass man sich nach einer Persiflage, einem erkennbaren Bruch in der Darstellung sehnte! Der frostige Blick ließ Justus hingegen begreifen, dass sein Gegenüber nicht nur seine spontane Äußerung vernommen hatte, sondern auch gewisse Vermutungen hegte, was ihren Ursprung betraf. Und darüber keineswegs erbaut war. "...der Informatiker oder der Buchhalter, nehme ich an." Selbst die dunkle Stimme schnurrte mit Akzent, der etwas Sinnlich-Verführerisches hatte und "CASANOVA" schrie. "Der Pizzabäcker? Mit Operetten-Vorliebe?" Platzte Justus sofort angriffslustig heraus. Er fühlte sich herausgefordert, obwohl ER selbst den Auftakt gegeben hatte. "Genau!" Fauchte sein Gegenüber grimmig. "Außerdem noch Verwandte auf Sizilien und Besitzer von zweifarbigen Eintänzer-Schuhen und nie ohne Einstecktuch im Anzug unterwegs!" "Originell!" Ätzte Justus zurück. "Hoffentlich ist die Pomade da auch biologisch abbaubar!" "Darüber muss sich ein Bit-Bastler mit Hipster-Survival-Klamotten für den Großstadtdschungel nicht das digital ausgelagerte Gehirn zerbrechen!" "Hipster?!" Fauchte Justus enragiert. "Trag ich etwa Läusewärmer und Zottelbart?! Oder Streichholzhosen?!" "Vielleicht bist du ja ein Spätzünder, hm?" Grinste der Bäcker süffisant-spöttisch. "Und höchstwahrscheinlich hast du keine Ahnung, Herr Gigolo!" "Gennaro, mein Name ist Gennaro. Bist du nicht etwas zu lange von deinem digitalen Hirn weg? Sind das schon Entzugserscheinungen?" "Ich habe keine Entzugserscheinungen, ich bin nämlich kein Smombie! Aber bei dir hat sich wohl das Mehl im Verstand abgesetzt, wie?!" "Oh, der Herr Software-Ingenieur gesteht der niedrigen Kaste der Handwerker Verstand zu! Wie großmütig!" "Generell schon, nur in diesem speziellen Fall hege ich Zweifel, besonders, was den Geschmack betrifft!" "Und das von jemandem, der kein Fünkchen Persönlichkeit besitzt!" "Wenigstens laufe ich nicht herum wie ein lächerliches Abziehbild von einem italienischen Eintänzer!" "Ach ja?! Macht dir wohl Angst, was? Fürchtest du, ich könnte dich antanzen?!" "Pah! Als ob ich davor Bammel hätte! Lächerlich!" Mittlerweile standen sie fast Nasenspitze an Nasenspitze, die geballten Fäuste in die Hüften gerammt, einander fixierend, vor Zorn gerötet. "Hast du nicht, sieh an! Wohl ein Nahkämpfer, wie? Was ist denn deine Spezialität, Nasi Goreng?!" "Ich kann dir mal kräftig vors Schienbein treten! Aber das versaut dann deine schicken Höschen!" "ICH kann eine Waschmaschine bedienen! Und im Gegensatz zur erlauchten Creme der Hirnakrobaten habe ich noch zu arbeiten! Heb dich also hinweg, Herr Unsympath!" "Justus! Und lieber Unsympath als die lächerliche Kopie eines schmierigen Vaudeville-Conferenciers!" "Da hat der Maurer das Loch gelassen!" "Danke, ich ERKENNE eine Tür, wenn ich sie sehe!" Dass die besagte nicht flog, war einzig dem Stopper zu verdanken, der das unsanfte Anschieben von begehrter Kundschaft verhindern sollte. ?~? Bartholomäus streichelte behutsam über feuchte Strähnen und zupfte die wärmende Bettdecke über eine knochige Schulter. Er war mehr als angenehm überrascht, beinahe sogar euphorisch, denn mit einer derart positiven Reaktion hatte er keineswegs gerechnet. Ein heiseres Krächzen ertönte, also beugte er sich vor, um eine nun faltenfreie Stirn sanft zu küssen. "Ich hole dir etwas Warmes zum Trinken." Versprach er. Verschleierte Augen blinzelten zu ihm hoch, ihr Besitzer kämpfte mit unerwarteter Erschöpfung. "...mein Rucksack... das Zimmer..." "Ich kümmere mich darum." Versicherte Bartholomäus beruhigend. "Ruh dich ein wenig aus." Parsival murmelte einen kaum verständlichen Dank, doch Bartholomäus nahm dies nicht krumm, denn er wusste durchaus, welche Anstrengung er seinem Partner zugemutet hatte. Dessen völlige Unerfahrenheit er sofort registriert aber keineswegs als hinderlich angesehen hatte. Er erhob sich mühelos, kleidete sich rasch an, überprüfte noch einmal sorgsam, ob Parsival auch warm eingepackt war und tief atmete. Dann brachte er die Solarblume mit ihrem gedämpften Schein zum Einsatz und verließ sein Zimmer, um sich seinen Aufgaben zu widmen. ?~? Justus drehte den Schläger und drosch erneut mit großer Verve auf den angebundenen Softball ein. Praktisch, denn so konnte man auch allein spielen, und die Schnur verhinderte, dass man sich umständlich auf die Suche nach dem runden Objekt begeben musste. Wie konnte DAS bloß passieren?! Eigentlich wollte er die kurze, aber heftige Auseinandersetzung mit dem hauseigenen Bäcker gar nicht thematisieren, aber er kam nicht umhin zu konstatieren, dass die aufgestaute Energie ihn hier bei der Ballprügelei befeuerte. Wieso war er sofort explodiert und hatte sich derart ungezogen aufgeführt?! Und warum hatte dieser italienische Gigolo-Verschnitt sofort darauf geantwortet?! Justus konnte sich beim besten Willen, -und er bemühte sich angestrengt, denn ihn plagten erhebliche Selbstzweifel!-, nicht entsinnen, wann er sich jemals derart benommen hatte. Das war nicht nur ärgerlich, weil er frisch gebackenes Brot wirklich liebte und jeder Süßigkeit vorzog, sondern nachgerade unheimlich! Dieser unverschämte Kerl hatte ihn mühelos dazu gebracht, sich wie ein... ein Idiot aufzuführen! Seine ganze gute Kinderstube hatte er auf einen Schlag vergessen! Und alles nur wegen eines lächerlichen Impulses... Justus bemerkte, dass es ihn erheblich verunsicherte, GENAU zu ergründen, warum ihm die drei Worte herausgerutscht waren. "Nur drei Tage!" Zwang er sich selbst auf ein anderes Gleis, während der leidgeprüfte Ball geschmettert wurde. "Kann ich auch ohne!" Außerdem, wenn er wie angemeldet Vollpension bekam, konnte man ihn ja nicht einfach so vom Brotteller ausschließen, oder?! Moment mal...saß der Kerl etwa nachher auch noch dabei? Vielleicht sogar am selben Tisch?! Justus donnerte Schlag um Schlag, zerrte sich irgendwelche Sehnen, die er gar nicht kennenlernen wollte und schnaufte wie ein alter Heizkessel. Na toll, das hatte er ja prima hingekriegt! Fast so wie Weihnachten zu Hause mit der lieben Familie! Anspannung, Stress und Streit! ?~? Stine verlor kein Wort darüber, dass Bartholomäus aus der Warmhaltekanne Tee in zwei Becher abzapfte und den Zimmerschlüssel für den zweiten Feiertagsgast entgegennahm. Sie hatte genug zu tun und wusste es zu schätzen, dass er sich einbrachte, kümmerte. Man konnte sich auch darauf verlassen, dass er nach einem Saunagang die Handtücher zum Abtrocknen aufhängte, Badelatschen und -mäntel gleich zurückbrachte (ihnen wuchsen erstaunlicherweise nicht Flügel, um sich selbst zurück zu befördern) und auch sonst anpackte, ganz ohne Aufforderung. Bartholomäus nahm sich noch einen Augenblick Zeit, um Ursel zuzusehen, die in monotoner Gleichförmigkeit Kartoffeln schälte. Sie sprach nicht mehr, verstand auch nicht mehr sonderlich viel von dem, was um sie herum vorging, aber ihre motorischen Fähigkeiten waren verlässlich. Es schien ihr jedenfalls gut zu tun, wenn sie etwas mit den Händen machen konnte. Und ihre Familie war froh, dass noch ein teurer Heimaufenthalt vermieden werden konnte. Vielleicht erinnerte sie sich auch an ihre Kindheit auf einem Bauernhof? Er war sich nicht sicher, ob sie seine ruhige Aufmerksamkeit registrierte, fand jedoch, dass es auch nicht schaden konnte. "Das machst du gut, Ursel." Lobte er leise. "Vielen Dank." Wenn sie die Worte nicht mehr mit ihrer Bedeutung erreichten, so tat es vielleicht das Timbre seiner Stimme. Bartholomäus nahm die beiden Teebecher auf, den Schlüssel für Parsivals Zimmer sicher in seiner Hosentasche, und kehrte zu seinem überraschenden Bettgenossen zurück. Der schlief fest, mit leicht geröteten Wangen, warm eingepackt und allem Anschein nach seiner zahlreichen Sorgen für den Moment ledig. Lächelnd schmiegte sich Bartholomäus an seine Seite und betrachtete mit aufgestütztem Kinn das spitze Gesicht. Wirklich nett, sich so kennenzulernen! ?~? Gennaro betrieb die Backstube allein, auch wenn die Arbeit durchaus für mehrere Personen gereicht hätte. Es fand sich nur im Moment weder ein Lehrling noch ein Kollege, der bereit gewesen wäre, hier draußen sein Handwerk auszuüben. Auch an Feiertagen gab es Einiges vorzubereiten, denn gutes Brot, bekömmliches Brot, das musste gehen. Reifen. Seine Zeit bekommen. Und weil ein Reifeprozess Zeit erforderte, musste man immer in die Zukunft planen, nicht nur bei Vorräten, sondern grundsätzlich. Gennaro wusste, dass seine Leistung geschätzt wurde. Man kam nicht nur zum Hofladen, um Brot und anderes Backwerk einzukaufen, nein, man orderte auch im Voraus, sodass Gennaro frühmorgens zahlreiche Beutel und Brottüten zu packen hatte. Einige der Mieter nahmen auf ihrem Weg zur Bahnstation oder zur Arbeit die Beutel mit und verstauten sie an Briefkästen oder Türklinken, andere musste Gennaro selbst übernehmen. Aber es lohnte sich, wie er fand. Natürlich wurde man nicht reich, das Tagespensum war hoch, aber er war sein eigener Herr und in seinem handwerklichen Selbstverständnis sehr zufrieden. Hin und wieder fiel ihm der Papierkram lästig, auch Behördenbesuche bereiteten ihm Umstände, doch ein besseres Leben als dieses konnte er sich nicht vorstellen. Vielleicht, das würde die Zukunft zeigen, kamen noch mehr Mieter auf das Hofgut. Oder andere Gewerbetreibende. Ein Friseur vielleicht? Oder ein Arzt? Er wollte jedenfalls dazu beitragen, dass das Hofgut prosperierte. Immerhin war hier seine Heimat, sein Zielhafen! Nun knetete er mit sehr viel mehr Engagement als nötig kleine Brotlaibe, die dann wieder in ihre Formen gesetzt wurden. Dieser unverschämte Blick! Und ihm als Erstes so etwas zu sagen! Eine bodenlose Frechheit! Aber es war nicht nur eine für ihn ganz uncharakteristische Wut, die seine Muskeln jetzt polierte, weil er die Energie loswerden musste. Nein, da war auch... profunde Enttäuschung. Dabei kannte er diesen unverschämten Stoffel nicht mal! Als Stine beiläufig die Professionen der beiden Gäste erwähnt hatte, registrierten diese Informationen sich in seinem Hinterkopf nur beiläufig, denn im Detail konnte er sich nicht viel darunter vorstellen. Und in seiner Rage hatte er sich nun all der Vorurteile bedient, die ihm gerade in den Sinn gekommen waren, um sich für diese abschätzige Musterung zu revanchieren. Vor Dritten durfte er so ein Spektakel aber auf keinen Fall wiederholen. Zahlende Gäste waren wichtig, auch wenn man sich von ihnen keine Frechheiten gefallen lassen musste! Also bloß auf großen Abstand zu diesem ungezogenen Technik-Hirni gehen! ?~? Das sanfte, jedoch stete Streicheln seiner Wange weckte Parsival schließlich aus seinem tiefen Schlummer. Er blinzelte verwirrt in den fremden Raum, dann füllte ein freundliches Licht seinen Horizont aus, mit einem amüsierten Lächeln in den Mundwinkeln. "Entschuldige, dass ich dich wecke, aber es gibt gleich Abendbrot, und ich glaube, du bist auch hungrig." Wie zur Bestätigung machte sich Parsivals Magen vernehmlich bemerkbar. Ihm schoss vor Verlegenheit die Farbe in die Wangen. Er wusste nicht, wie reizvoll sein Gegenüber diese Entwicklung fand. Rasch setzte er sich auf, unterdrückte ein Husten. "Hier." Bartholomäus reichte ihm einen Becher. "Leider schon kalt, aber du hast so schön fest geschlafen, da wollte ich warten." "Danke schön!" Parsival nippte und wiederholte hilflos. "Vielen Dank!" Er wusste, dass er diese Aufmerksamkeit nicht verdient hatte, keine der liebevollen Gesten... und nun drängte sich auch mit Macht die Erinnerung an die letzten Ereignisse in sein Gedächtnis. Prompt verschluckte er sich und hustete. "Geht's wieder?" Bartholomäus streichelte ihm über den bloßen Rücken, legte ihm dann eine sehr bunte Strickjacke in gewaltigen Dimensionen um die Schultern. Sie war so oft gewaschen worden, dass die ursprünglichen Maschen zu einem einzigen, dichten Filz verwachsen waren. "...danke." Nickte Parsival hastig, konnte aber den Blick nicht von den warmherzigen, braunen Augen abwenden. Bartholomäus zwinkerte, während das Deckenlicht Funkel aus seinen roten Locken schlug. "Ich habe ein paar von deinen Sachen mitgebracht, damit du dir etwas überziehen kannst." Verkündete er mit gelassener Selbstverständlichkeit. Er nahm Parsival den Becher behutsam aus den Händen, sammelte den kleinen Stoffstapel vom Hocker und bugsierte ihn auf die Decke, in bequemer Reichweite. Obwohl Parsival sich nach einem erneuten Dank darum bemühte, rasch in seine Kleider zu gleiten, knickten ihm prompt die Knie ein. Bevor er jedoch unsanft auf den Betonboden plumpsen konnte, fing ihn Bartholomäus mit einem beherzten Griff unter die Achseln ab. "...Entschuldigung!" Wisperte Parsival verschreckt, registrierte das seltsame Zittern und Summen seines Körpers. "Das haben wir gleich." Bartholomäus schien um keine Lösung verlegen zu sein, aber auch nicht von dieser Entwicklung sonderlich überrascht. Er wandte sich dem offenen Regal hinter dem zurückgeschobenen Vorhang zu, entnahm einen kleinen Tiegel und schraubte ihn auf. "Die Salbe wird deine Muskeln und Sehnen warm halten." Erläuterte er unverdrossen, verteilte die von seinen Fingern erhitzte Creme großzügig auf Parsivals verlängertem Rückgrat, in den Kniekehlen und Ellenbeugen, um die Knöchel, im Nacken und entlang der Schlüsselbeine. Tatsächlich breitete sich unvermittelt eine gewisse Hitze aus, die es in Parsivals Magen kribbeln ließ. Dennoch gelang es ihm nun, sich unfallfrei aufzurichten und anzuziehen. Dann streifte ihm Bartholomäus auch die große Strickjacke über. "Bis dir warm genug ist, ja?" Parsival nickte hilflos, denn er wusste nicht, wie er seinen tiefempfundenen Dank ausdrücken sollte. Bloße Worte blieben fahl und blass zurück. Bartholomäus lächelte sorgenfrei, küsste ihn auf eine errötete Wange und nahm seine Hand wie das Selbstverständlichste der Welt. "Gehen wir was essen." Entschied er und apportierte umsichtig auch die beiden Becher. ?~? Justus näherte sich der guten Stube mit einer gewissen Vorsicht. Zwar hatte er genug Frustration "ventiliert", indem er sich körperlich verausgabt hatte, doch zweifelte er nicht daran, dass der karikatureske Bäcker ihn erneut anstacheln würde. Durch bloße Existenz in Sichtweite. Ein Umstand, über den er nicht nachzudenken wünschte. Folgerichtig nahm er auf Hinnerks Fingerzeig hin einen Platz ein, der für Gäste reserviert war (auch, um die Ordnung der "Stammplätze" nicht durcheinander zu bringen). Einen offiziellen Startschuss gab es nicht, dafür registrierte Justus nicht nur mit Erleichterung, dass der Stein des Anstoßes noch nicht zugegen war, sondern auch, dass es noch mehr Tafelteilnehmer gab, darunter sogar drei Kinder im Grundschulalter. Offenbar lebten hier sogar Familien! Das hatte er, angesichts der Zimmerdimension, nicht erwartet. Andererseits, wenn man, wie augenscheinlich die meisten der munteren Bewohner, den Tag außerhalb verbrachte, störte das bescheidene "eigene" Reich wohl nicht das Befinden. Mit aufkeimendem Appetit studierte Justus das Angebot. Brot, Gläser mit süß Eingemachtem oder sauer Eingelegtem, gedämpftes Gemüse, statt Butter Öl im Kännchen, Kompott und Getreidebrei, Rohkost in Form von Wintersalat oder Scheiben von eingelagerten Rüben und Möhren. Lecker schmecker, seine Neugierde war definitiv geweckt. Er war durchaus vorgewarnt worden, dass hier hauptsächlich Erzeugnisse der Region auf den Tisch kamen, dazu statt Fleisch Hülsenfrüchte, doch das schreckte ihn ganz sicher nicht ab. Immerhin zählte er sich (nein, nicht zu den Nerds!) zu den "klimainteressierten Gourmets", wie das kleine Restaurant ("Kantine" passte nun gar nicht) seine Zielgruppe betitelte, das die umliegenden Bürokomplexe versorgte. Wenn man sich nicht selbst darum bemühen musste, begrüßte Justus dieses Anliegen durchaus. Er konnte nicht kochen, hatte dafür auch gar keinen Platz und verließ sich auf die Expertise der Personen, die mit Talent, Fleiß und Fachkenntnis ihrem Beruf nachgingen. Ihm reichte es völlig, begeisterter Esser zu sein! Trotz seines engagierten Erprobens der erstaunlich vielfältigen Abendbrottafel entging ihm nicht, dass der klapprige Bursche (Percy! Nicht vergessen, Percy war der Name!) in Begleitung des Schornsteinfegers eintraf. Nun in eine überdimensionierte Strickjacke gewickelt, die ihn noch schmaler und kindlicher wirken ließ, trotz der spitzen Gesichtszüge. Auch sein Begleiter hatte sich verändert, naturgemäß, denn im vollen Ornat seines Berufs setzte sich Bartholomäus nicht an den Tisch. Nach dem Saunieren und dem sehr anregenden Intermezzo zwischen den Laken wählte er sich die Freizeitkluft, die viele hier präsentierten: robuste Arbeitshosen, darüber ein Sweatshirt und eine ärmellose Weste. Praktisch für den nächsten Einsatz mit diversen Taschen, reflektierenden Nähten und schwer verwüstlich. Obwohl Justus sich nicht für einen Experten hielt (und eifrig kaute), konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden ja rapide Busenfreunde geworden waren. Oder kannte der dürre Bursche die Leute hier schon? Überhaupt, das musste er mal herausfinden, war es doch kein Zufall, dass sie sich fast gleichzeitig hier eingefunden hatten? Wieso aber dann der lächerliche Aufzug vorhin am Bahnsteig?! Völlig ungeeignetes Schuhwerk, Trenchcoat zum Anzug und ein abgewetzter Rucksack? Bevor ihn sein Hercule Poirot-Gen verleitete, sich auf die Spur zu setzen, um das Geheimnis zu entdecken, traf auch Gennaro ein. Was bei Justus sogleich den Hahnenkamm anschwellen ließ! (Zugegeben, anderen hätten sich wohl die Haare aufgestellt, aber Justus sorgte dank einer gründlichen Rasur dafür, dass die sich galoppierend ausbreitenden Geheimratsecken und Wüsteneien nicht ins Auge fielen, weil man gleich gar nichts mehr sah). Der Kerl war einfach unglaublich! Tatsächlich, zweifarbige Schuhe, lange Hose mit einer eingebauten Bügelfalte so scharf wie eine Rasierklinge, darüber ein Pullunder im Rautenmuster mit einem Hemd, der Kragen offen! Frisch aus der Zeitmaschine! Wie ein bunter Hund, dazu noch, das KONNTE man nicht ignorieren, vollkommen overdressed! Und dann diese Figur! Allerdings schenkte niemand dem Vaudeville-Fatzke besondere Aufmerksamkeit! Schlug der hier immer so auf?! Wenigstens, man musste ja für jede Gnade dankbar sein, in größtmöglicher Entfernung! ?~? Parsival probierte ungeachtet seines empfindlichen Magens vom reichhaltigen Angebot, achtete aber streng darauf, bloß nicht mehr als kleine Happen zu verzehren. Auch wenn er Urlaub hatte! Denn man musste ja bedenken, dass er es nicht gewöhnt war, üppig zu speisen, ausreichend Zeit zu haben. Und in der letzten Zeit war er abends viel zu erschöpft gewesen, zu besorgt, dass das Geld reichen würde, dass er gleich ganz darauf verzichtet hatte. Ermuntert von Bartholomäus' gelassener Aufmerksamkeit, der ihm auch noch einen Schuss Likör in den Tee verabreichte, wagte er sich an das Abenteuer, an Heiligabend nicht mit nervösen Magenkrämpfen unter Dauerfeuer von Bosheiten und Verachtung stumm auf ein Ende seiner Qualen zu hoffen. Sondern im Anschluss, nachdem man gemeinschaftlich abräumte und per Hand die Keramik abgewaschen, abgetrocknet und verstaut hatte, an Gesellschaftsspielen teilzuhaben. Parsival war darin nicht geübt, er wusste auch, dass man ihm allzu leicht vom Gesicht ablesen konnte, wie er eine Situation einschätzte. Das spielte jedoch keine Rolle, wenn man würfelte, Figuren über bunte Spielflächen bewegte, lachte und sich neckte. Eine solche Kameradschaft hatte er noch nicht erlebt, deshalb glühten seine Wangen bald vor Freude und er hielt eifrig bei jeder Partie mit. ?~? Gennaro hatte durchaus den Blick registriert, den ihm der Bit-Bastler zugeworfen hatte. Nicht verwunderlich, denn die übrigen Anwesenden kannten ihn ja und begrüßten ihn freundlich. Dabei sollte der Digital-Dengler sich nicht so aufspielen! Mit der randlosen Brille, der rasierten Rübe und diesen gewöhnlichen Outdoor-Klamotten bewies er schließlich nur, dass er selbst vollkommen einem Klischee entsprach! Beinahe erwartete Gennaro, dass seine unerschrockene Gegenwehr zu einer Beschwerde bei Stine geführt hatte, doch sie erwähnte keine Klage der beiden Gäste. Nun, der kleine Buchhalter trug bereits Barts allseits bekannte Strickjacke, strahlte aus jedem Knopfloch, -da würde es wohl nur Lob geben. Zumindest vorerst. Er empfand ein wenig Mitleid mit ihm (wie war der Name? Aus einer Wagner-Oper, richtig?). Unzählige fühlten sich von Bartholomäus angezogen, dessen etwas ungewöhnliche Art sie alle ermunterte. Und bisher hatte er noch nie eine Bitte abgeschlagen. Alles lief rosarot, bis sie dann endlich begriffen, dass er jedem gegenüber nett war. Aber ganz sicher nicht der Typ, dem man in "Eisen schlagen", sprich kapern, beringen und für sich allein vereinnahmen konnte. Wenn sie dann enttäuscht von Trennung das Wort führten, reagierte er genauso nett und gelassen wie zuvor. Ohne Bedauern, ohne Verzweiflung, ohne das große Drama, das man geprägt war zu erwarten. Armes Bürschchen! So, wie er Bart ansah, würde es ihm sicher das Herz brechen zu erkennen, dass er ihn nicht für sich gewinnen konnte! Gennaros leichte Melancholie verabsentierte sich, als er, ganz ohne bewusste Absicht, nach einer Gruppe Ausschau hielt, der er sich, zumindest noch für ein kurzes Weilchen, anschließen konnte. Immerhin hatte er sehr zeitig aufzustehen, Feiertage hin oder her. Außerdem bekam seinem Biorhythmus die Routine am Besten. Der unerträgliche Software-Fummler spielte tatsächlich mit beim Turmbau! Die ganze Arroganz und eingebildete Attitüde schien verschwunden, während er, die Brille auf die Nasenspitze gerutscht, mit den Kindern ausbaldowerte, welchen Stein man wo ziehen konnte, um noch ein Stockwerk zu ergänzen, ohne das gesamte Konstrukt zum Einsturz zu bringen. Gennaro entschied, lieber gleich zu Bett zu gehen. ?~? Parsivals Euphorie wandelte sich in eine selige Müdigkeit. Ohne Bartholomäus' Assistenz hätte er wahrscheinlich nicht mal seine Füße mehr gefunden! "Danke, danke schön!" Lächelte er blinzelnd in das freundliche Gesicht. "Bist du glücklich?" Die braunen Augen funkelten. "Sehr!" Nickte Parsival hastig und taumelte prompt leicht. "Ich auch." Vertraute Bartholomäus ihm leise an, fasste ihn um die schmale Hüfte. "Das war ein schöner Tag." Der nun zu Ende ging. Ein Gedanke, der Parsivals Freude trübte. "Bleib noch, bitte!" Impulsiv wandte er sich in der leichten Umarmung zu seiner Abstützung herum. "Lädst du mich in dein Zimmer ein?" Ohne einen Anflug möglicher spöttischer oder gar anzüglicher Untertöne reagierte Bartholomäus auf die Frage. "Ja! Ja, komm bitte zu mir!" Plapperte Parsival hastig, nickte wie aufgezogen. Dabei bezweifelte er, dass er sein Gästezimmer ohne Schwierigkeiten finden würde. "Vielen Dank." Bartholomäus lächelte erfreut. "Das tue ich gerne." Und weil er sich mühelos und geübt zurechtfand, gelang es nicht nur, Parsivals temporäre Unterkunft zielsicher zu erreichen, sondern auch, sich unfallfrei zu entkleiden und unter die einladenden Decken zu schlüpfen. Parsival fielen die Lider zu, als sein Schopf das Kopfkissen berührte. Bartholomäus schmunzelte und löschte das Licht. ?~? Kapitel 2 - Schöne Bescherung! Miles Davis mischte sich mit der frühmorgendlichen Stille in der Backstube. Das letzte Lied, dann würde er die Langspielplatte wechseln. Ihre Federautomatik reichte gerade aus, um bei normaler Geschwindigkeit eine LP abzuspielen. Dabei erwies sich das umgebaute Grammophon als äußerst robust und versorgte ihn mit Swing und Jazz, ohne andere zu stören. Er blickte überrascht auf, als die Tür zur Backstube geschlossen wurde. Bartholomäus schenkte ihm ein freundliches Lächeln, trat wie gewohnt zur kleinen "Frühstücksecke", wo frische Wecken dampften, dazu eine Thermosflasche mit Kaffee und ein offenes Glas Marmelade. "Mit dir habe ich heute nicht gerechnet." Bekannte Gennaro, als Bartholomäus sich einen Becher aufstellte. "Ich dachte, du wärst bei dem kleinen Buchhalter." "Parsival schläft." Bartholomäus zeigte wie gewöhnlich weder Verlegenheit noch Verärgerung über die unterschwelligen Andeutungen. "Pompöser Name für so eine halbe Portion." Murmelte Gennaro, einmal mehr von der seltsamen Unzulänglichkeit erfasst, die Bartholomäus' Gebaren in ihm auslöste. So gern er ihn hatte, -und das tat er wirklich!-, so irritierend empfand er dessen Ausgeglichenheit in solchen Situationen! "Sein Vater war Professor für Musikgeschichte." Erläuterte Bartholomäus unbefangen. "Und mir gefällt der Klang." Gennaro seufzte, wischte sich die Hände an der weißen Schürze, bevor er die LP sehr vorsichtig von ihrem Teller hob. "Hat er keine Familie mehr?" Bartholomäus kaute rasch, bevor er antwortete. "Doch. Aber jetzt ist er hier." Was nicht zu übersehen war und gar nichts erklärte. Allerdings eine typische Bart-Aussage! "Scheint ein ganz netter Bursche zu sein?" Fischte Gennaro erneut im trüben Teich der Andeutungen. "Er ist sehr lieb." Bestätigte Bartholomäus ihm lächelnd, nahm dann den Korb mit den Brotbeuteln, leerte rasch seinen Becher. "Bis später dann!" Schon verließ er geschäftig die Backstube, die morgendliche Auslieferrunde vor dem tatsächlichen Frühstück in Angriff nehmend. Gennaro kurbelte, dann schraubte sich swingend eine Klarinette in angenehme Höhen. »Armer Kerl!« Dachte er. »Zu Weihnachten ein gebrochenes Herz!« Denn daran bestand für ihn kein Zweifel. ?~? Nach einer etwas ungewohnten Katzenwäsche und einem üppigen Frühstück entschied Justus, dass er sich ordentlich das Hirn durchpusten lassen wollte. Was er an freien Tagen ohne terminliche Verpflichtungen gern tat. Dazu gehörte es, dass er sich über sein elektronisches Lesegerät einen inspirierenden Fachartikel vornahm (gedruckt wurde nur noch sehr selten), ein komplexes Problem aufstöberte... Und dann beschwingt durch die Gegend marschierte, bis ihm eine Lösung einfiel. Spazieren gehen ohne Ziel, das funktionierte nicht bei ihm. Aber sich bewegen, während das Hirn gleichzeitig ohne Zwänge in alle Richtungen Salti schlagen konnte, das klappte vorzüglich. Gut gerüstet mit seiner (ungezogenerweise von diesem aufgeblasenen, öligen Halbwelt-Gigolo-Verschnitt schlecht beleumundeten) Outdoorbekleidung, einem Taschenkompass, etwas Proviant und einer altmodischen Karte machte er sich auf den Weg. Allerdings nicht allein, denn Lupo, der Berner Sennhund, entschied, sich als Eskorte anzudienen. Justus war einen Augenblick aus dem Konzept gebracht, da seine Erfahrung als Tierhalter bei Null stand. Musste er Hundehäufchen-Tüten mitnehmen? Eine Leine? Würde das Tier überhaupt auf ihn hören?! Lupo löste dieses schwerwiegende Problem ganz von allein: er paradierte voran, mit Halsband und Hundemarke, ohne Leine und Tüten. Als gut erzogener Hund wusste er, wie er sich zu verhalten hatte. Außerdem war er an Gäste aller Art gewöhnt, von den hysterischen Anflauschern bis zu den verängstigten Fluchtwilligen. Mit diesem Exemplar hier würde es schon gehen, befand er. ?~? Parsival erwachte, als Bartholomäus wieder zu ihm unter die Decke schlüpfte, nach frischer Morgenluft und einem Hauch gebackenen Brotes duftend. "Oh, muss ich aufstehen?" Verwirrt tastete er um sich, denn Bartholomäus hatte das Licht gelöscht und Parsivals Orientierungssinn benötigte visuelle Unterstützung, um ihn unfallfrei in die Senkrechte zu befördern. "Lass uns noch ein bisschen kuscheln." Von Bartholomäus allerdings durfte man sich keine Starthilfe erwarten. Andererseits war es unter der Decke auch wohlig warm, niemand drohte mit Konsequenzen... Parsival robbte wagemutig näher und ließ sich umarmen. Wahrscheinlich verlangte die Etikette nach Konversation, doch ihm wollte nichts Gescheites einfallen. Viel zu herrlich fühlte sich die Freiheit an, ungezwungen zu genießen, was hier offeriert wurde! Zumindest bis zu dem Moment, als sich lärmend sein Magen bemerkbar machte. Er kollerte dumpf. Bartholomäus kicherte leise, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. "Wollen wir frühstücken?" Beschämt seufzend folgte Parsival seinem Beispiel, setzte sich auf. "Komisch, dabei habe ich gestern Abend doch so viel gegessen!" "Landluft." Erklärte Bartholomäus, das Licht aktivierend. "Regt den Appetit an!" Durchaus ungewohnt, doch Parsival registrierte, dass er guter Dinge war. Er kam auf die Beine, dieses Mal ohne Zittern und weiche Knie, streifte sich rasch Hemd und Anzughose über Unterwäsche und Socken, bevor er Bartholomäus folgte, um sich mit einer raschen Wäsche halbwegs ausgehfein zu machen. Die morgendliche Tischgesellschaft war sehr übersichtlich und auch ruhig. Dabei ging es durchaus familiär zu, man trug auf und wieder ab, sammelte Geschirr ein, spülte und trocknete ab. Selbst der Herr über die Backstube, Gennaro, wie Bartholomäus ihn vorstellte, fand sich ein, um ein zweites Frühstück zu verputzen. "Was möchtest du heute tun?" Erkundigte sich Bartholomäus unterdessen ganz unbefangen. Parsival schlug die Stirn in Falten, denn darüber hatte er sich bei seiner überstürzten Flucht keine Gedanken gemacht. Freie Tage waren bei ihm grundsätzlich zugepflastert mit Verpflichtungen, Besorgungen und deprimierenden Panikattacken vor der nächsten Forderung der Familie. Ratlos blickte er Bartholomäus an, der schmunzelte und vertraulich wisperte. "Magst du mit mir einen Spaziergang machen?" Eifrig nickend entschloss sich Parsival, möglichst jeden Augenblick mit Bartholomäus zu verbringen, ganz gleich, wie der Tag sich gestaltete. Denn allzu deutlich stand ihm die drohende Vertreibung aus dem Paradies vor Augen. Vor den Spaziergang hatten die Umstände jedoch Parsivals völlig unzureichende Garderobe gesetzt. Was ihn veranlasste, sich mehrfach unglücklich zu entschuldigen, musste er doch fürchten, Bartholomäus' Gesellschaft verlustig zu gehen. Der jedoch erhob keinen Vorwurf über die offenkundige Selbstvernachlässigung, mangelhaftes Schuhwerk, unzureichende Jacke, fehlenden Wetterschutz. "Wir wissen uns zu helfen." Verkündete er stattdessen mit einem amüsierten Zwinkern. Wickelte Parsival zur Strickjacke noch in seinen eigenen Anorak und "borgte" ein paar Stallgaloschen aus, die mit zwei Paar dicken Wollsocken auch an Parsivals Füßen hängenblieben. Der lief nun zwar wie mit Bleigewichten auf dem Meeresgrund, aber ohne große Eile bestand keine Stolper- und Sturzgefahr. Außerdem bot sich ihm auf diese Weise das Privileg, sich bei Bartholomäus im Arm einzuhängen. Der sprach nicht viel, erläuterte nur hier und da entlang des Feldwegs Pflanzen oder Spuren. Dann, nach einem Wäldchen, erhob sich vor ihnen fast unvermittelt ein Aussichtsturm. Auf den ersten Blick eine durchaus wacklige Angelegenheit, denn ein Spinnennetz an Stahlseilen stabilisierte die Konstruktion, die sich gewunden in die Höhe zu einer Plattform schraubte. "Ich gehe voran." Verkündete Bartholomäus, die braunen Augen vor Begeisterung funkelnd. "Schau einfach auf mich." Parsival wusste nicht, ob er Höhenangst hatte oder schwindelfrei war. Ihn beschäftigte allein schon das riskante Unterfangen, in der übergroßen Jacke mit den schweren Galoschen keinen Fehltritt hinzulegen. Bartholomäus wartete jedoch geduldig, in seinem schwarzen Zwirn (jedoch ohne Zylinder) vornehm anzuschauen. Er drängelte nicht, zeigte keine Spur von Missfallen über die geringe Geschwindigkeit ihres Fortschritts bis zur Kanzel. Staunend wandte Parsival sich um, Panoramablick über die höchsten Wipfel. Sich jagende Wolken, Wiesen, Felder, in der Distanz Häuserdächer, Strommasten, Asphaltbänder. Bartholomäus sorgte für Orientierung, indem er die Blickrichtung mit Himmelsrichtungen kombinierte. Dabei schlang er ungeniert die Arme um Parsival, wärmte dessen Rückenpartie noch zusätzlich durch seine Nähe. "Das ist wirklich toll hier! Gut versteckt wie ein Adlerhorst." Komplimentierte Parsival den Höhepunkt ihres Spaziergangs. "Elmore, -das ist mein Ziehvater-, glaubt, dass hier früher bestimmt mal etwas Ähnliches vorhanden war, bevor man einen Forst angelegt hat." Erklärte Bartholomäus. Parsival zögerte, denn mit 'Ziehvater' konnte er nicht viel anfangen. Durfte er aber nachfragen? Oder war das impertinent neugierig? Unterdessen rieb Bartholomäus seine warme Wange an Parsivals kühler. "Ich habe allerdings keine Spuren mehr gefunden. Dabei bin ich recht geübt, denn ich war öfter bei Kampagnen dabei." Nun musste Parsival doch den Kopf drehen, weil er gar nicht mehr folgen konnte. Bartholomäus lächelte, drückte ihm einen Schmatz auf die Wange. "Wenn du willst, erzähle ich dir mehr, wenn wir wieder unten sind. Die Wolken da sehen nach Regen aus." Nachdem sie ohne größere Schwierigkeiten wieder auf die feste Scholle zurückgekehrt waren, nahm Bartholomäus einfach Parsivals kalte Hand, verstaute sie in seiner Jackentasche und erzählte ihm von seiner Familie. Von seinem Vater, der noch vor seiner Geburt bei einem Steinschlag gestorben war. Von der Mutter, Wilhelmina, die einen alten Bauernhof außerhalb bewirtschaftete, ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau von Kräutern und Früchten sowie deren Verarbeitung verdiente. Und von Elmore, seinem Ziehvater, einem Amerikaner und Professor für Mediävistik, der nicht nur Theorie lehrte, sondern auch Sondierungen und Ausgrabungen organisierte. Der sich für alles begeistern konnte, neugieriger als eine Katze war (wie seine Mutter zu sagen pflegte) und es liebte, zu ihr auf den Bauernhof zu pendeln. Denn da konnte man ja ausprobieren, was die Alt-Alt-Altvorderen gewusst und getan hatten! Bartholomäus hatte sich das Lebensmotto seines Ziehvaters zu eigen gemacht: lasst uns froh und munter sein! Sehr unterhaltsam berichtete er Parsival also von Ausgrabungen, kleinen Entdeckungen, Staunenswertem und scheinbar Banalem. Und Parsival lauschte gebannt der warmen Stimme, die ihm so viel persönliches Erleben anvertraute. So störte es beide auch nicht sonderlich, als sie recht nass bei den Tieren ihre Aufwartung machten, bevor sie sich unter einer Traufe aus nassen Jacken wanden. "Wir hängen sie in den kleinen Trockenraum." Abwärme gab es ja genug durch die Backstube. Parsival nickte folgsam, wagte dann jedoch einen für seine Verhältnisse tollkühnen Vorschlag. "Ob wir wohl kurz in die Sauna gehen können? Wenn niemand anders sie benutzt?" Es wäre ungezogen gewesen zu leugnen, dass er eine minimale Hoffnung auf sich erfüllende Hintergedanken hegte. Andererseits hatte er seit seiner Anreise (erst gestern!) so viel Glück erlebt, dass er bereit war, auch eine harsche Absage zu akzeptieren. Solange er sich zu fragen traute! "Gute Idee!" Lobte Bartholomäus. "Ich schau, ob der Schlüssel am Brett hängt! Lös du inzwischen deine Schuhe gegen die Galoschen aus, ja?" Und schon wischte er beschwingt von dannen, glitzernde Tropfen in den roten Locken. Parsival lächelte hingerissen von seinem unfassbar glücklichen Geschick und beeilte sich, zur Sauna zu kommen. ?~? Gennaro hatte sich einen bestimmten Rhythmus angewöhnt, zu dem auch eine Siesta (oder Mittagsruhe) gehörte. Nicht etwa den Temperaturen geschuldet, sondern einer gewissen Ruhephase, bevor er sich an das Nachmittagsgeschäft begab. Üblicherweise störte nichts seine Ruhe. Der heutige Tag, dazu noch der erste Weihnachtstag, wich jedoch von dieser gewohnten Routine ab. Denn er konnte, wenn auch gedämpft, die Aktivitäten seines Zimmernachbarn hören. Nun ja, es konnte wohl nicht überraschen, dass Bartholomäus die Gelegenheit nutzte, mit dem kleinen Buchhalter auf Tuchfühlung (oder eher darunter, ganz ohne hinderliche Textilien) zu gehen. Der Bäcker drehte sich auf den Rücken und seufzte. Empfand er etwa ein wenig Neid? Besser nicht, denn zu klagen gab es keinen Grund! Versicherte er sich zumindest selbst streng. War er hier nicht Herr seines eigenen Schicksals, so, wie er sich das erhofft und hart erkämpft hatte?! Schön, manchmal schien es etwas ärgerlich, dass Bartholomäus, der sich nicht mal darum bemühte, die Herzen bloß so zuflogen. Doch ausgleichenderweise zeigte der kein besonderes Interesse, weshalb es auch ein gerüttelt Maß an Kritik abzuholen gab. (Was den Kerl nicht mal stört!) Gennaro entschied schließlich, seiner Ruhepause früher zu entsagen, denn er wollte seiner Phantasie nicht auch noch Nahrung geben, wie die beiden Turteltauben da nebenan sich beglückten. Er zog sich also an und verließ sein Zimmer, zurück in die Backstube. Dort jedoch fand er gänzlich unvermutet unerwünschten Besuch! ?~? Die himmlische Dusche hatte Justus' Spezialoutfit keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Auch wenn er damit nicht Amazonas-Regenfälle oder arktische Gefriergrade erprobte. Nun aber, artig im Trockenraum die äußere "Regenhaut" abgepellt, verspürte sein Magen, der zuvor das Gehirn zwecks Problemlösung klaglos mit Blut und Nährstoffen versorgt hatte, ein eigenes, dringliches Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Stine hatte ihm bedeutet, sich zum allgegenwärtigen Eintopf, der stets auf dem Ofen schmurgelte, passendes Backwerk zu holen. Eine Stiege, wenn er so zuvorkommend wäre. Die Aussicht, sich in die köstlich duftende Höhle des Salon-Löwen zu wagen, behagte Justus zwar nicht uneingeschränkt, aber der Eintopf lockte, sein Magen saß am Drücker und duldete keine Feigheit vor dem Feind. Was nicht gleichbedeutend mit einer nonchalanten Reaktion war, als unvermittelt hinter ihm der Meister des Mehls aus dem Boden wuchs, weshalb Justus mit der Stiege taumelte. "Vorsicht!" Schimpfte der weiße Riese sofort. "Selber Vorsicht!" Fauchte Justus zurück, denn man schlich sich ja wohl nicht an Schwertransporte heran! "Ich übernehme die niedrigen Dienste, Herr Gast!" Ätzte es ihm entgegen, die schwarzen Augen funkelten agitiert. "Danke, nein, die Bitte wurde an MICH herangetragen, Herr Mehlwurm!" "Nur in Unkenntnis meiner verkürzten Mittagspause!" Die Stiege wurde nun von vier Händen umklammert. "Nicht ausreichend heiß für die Siesta?" Justus ließ nicht locker. Das wäre doch gelacht! "Zu heiß nebenan!" Feuerte Gennaro zurück. "Und jetzt lass los!" "Bestimmt nicht!" Justus stemmte sich dagegen. "Lass DU los!" "Das sind MEINE Brötchen!" Auf Kindergartenniveau ging es weiter, wenn auch mit juristisch angehauchtem Schlenker. "Das da nicht! Das ist für meinen Eintopf-Anteil!" Stritt Justus grimmig weiter. "Du kannst es drinnen bekommen!" Ärgerlicherweise zeigte der verhinderte Burlesque-Vortänzer größere Muskelkraft! "Ich hab's JETZT hier schon! Kümmer dich lieber ums Brot!" "Seit wann versteht ein Digital-Dödel was davon?!" "Und was weiß so ein halbseidener Fatzke von Software?!" "Baumwolle und Leinen, Schlaumeier!" "Trotzdem ein eingebildeter Geck!" "Kleingeistiger Spießer!" Bevor sich die Auseinandersetzung in das jeweilige Vokabular gegenseitiger Zeihungen verabschieden konnte, knackte der Kunststoff der Stiege warnend und vernehmlich. Beide Männer starrten einander an, enragiert, vom Material zu einem temporären Waffenstillstand gezwungen. Gennaro wandte zuerst den Blick ab, atmete tief durch, was durchaus imponierende Brustmuskeln in Szene setzte. "Kannst du BITTE dein Brötchen nehmen, damit ich die Stiege hinüber tragen kann?" Formulierte er gezwungen höflich. Justus wartete noch einen Moment länger, aus Prinzip und Empörung, dann ließ er die Griffe los und schnappte sich das von ihm persönlich ausgewählte Gebäckstück. "...danke." Ohne ihm einen Blick zu schenken machte Gennaro kehrt und überquerte den Hof in großen Schritten. Selbstredend musste Justus denselben Weg einschlagen, immerhin erwartete ihn ja sein Eintopf. Aber auch er gab sich große Mühe, Blickkontakt zu vermeiden und möglichst unbeeindruckt über das Kopfsteinpflaster zu schlendern. Obwohl der Eintopf sehr lecker und das Brötchen knackig war, drückte ihm die unentschiedene Auseinandersetzung aufs Gemüt. ?~? Als Parsival erwachte, fand er sich allein in Bartholomäus' Zimmer. Der hatte jedoch die kleine Solarblume aktiviert, die ein wärmend-dämmriges Licht erzeugte. Wahrscheinlich half Bartholomäus wieder irgendwo aus oder machte sich nützlich! Sich wohlig räkelnd und streckend seufzte Parsival leise. Alles war so unerwartet und neu und phantastisch! Obwohl er Bartholomäus seine Unerfahrenheit gestanden hatte, davor verzagte, ihm selbst Wünsche zu erfüllen, damit der sich ebenso herrlich fühlen konnte, hatte der ihn nicht verspottet oder herablassend belehrt. Sondern schlicht vorgeschlagen, einfach mal zu schauen, wie weit sie kämen. Voller Vertrauen in ihre Fähigkeiten, in ihren übereinstimmenden Willen, "froh und munter" zu sein! Und alles war einfach wunderbar! Die Küsse, die Nähe, die explodierende Hitze, die unvermutete Kraft, die man freisetzen konnte! Parsival entschied, dass er Sex mochte. Nun, zumindest all das, was er mit Bartholomäus geteilt hatte. Die Quälereien der Verwandtschaft, die ihm jede Hoffnung geraubt hatten, man möge ihn in diesem Aspekt auch nur ansatzweise akzeptabel finden, lösten sich in boshafter Gehässigkeit auf. Natürlich musste er zurück, in sein "altes" Leben. Zu seiner Arbeit. Aber ins Bockshorn jagen lassen, das wäre vorbei! Parsival setzte sich auf, fischte nach der verfilzten Strickjacke, wickelte sich hinein. Ein anderes Leben, ein frohes und munteres, war möglich. Er schuldete nicht auf ewig für die Gnade, existieren zu dürfen, strikten Gehorsam und erzwungene Selbstlosigkeit! Man müsste es allerdings schlau anstellen, denn Parsival gab sich keinen Illusionen hinsichtlich seiner Onkel, Cousins und anderer entfernt Verwandter hin. Sie wähnten sich seiner ja sicher. Er überraschte sich selbst mit dem Willen, sie auszutricksen. Für sich selbst einzustehen. Was für eine unglaubliche Kraft es doch verlieh, sich geliebt zu fühlen! ?~? Er konnte sich nicht auf ein neues Problem konzentrieren, weil diese lächerliche Unzufriedenheit an ihm nagte. Und deshalb entschied Justus, sich den Schädel freizupusten, indem er sich nach einer körperlichen Betätigung umsah. So musste der Ball an der Schnur herhalten, bald von drei Zaungästen interessiert beäugt. Sie waren es auch, die vorschlugen, mit einem Indiaca-Verschnitt weiterzumachen. Dieses Gebilde bestand aus einem mit einem alten Tennisball gefüllten Waschlappen, an den man einige bunte Bänder geknüpft hatte. Ziel war es nun, das Gebilde über einen niedrigen Querbalken zu befördern, ohne dass eine Bodenberührung stattfand. Gar nicht so einfach, wie Justus bald feststellte, denn die halben Portionen waren offenbar geübt. Schlimmer nahm es sich aber aus, dass eines der Schlitzohren ausgerechnet Gennaro herbeilockte. OHNE zu erwähnen, wer da schon mit hochrotem Kopf und steifem Nacken in allerlei Verrenkungen einen Absturz des Quasi-Indiaca zu verhindern versuchte! Natürlich hätte man sich zurückziehen können. Vernünftig wäre es gewesen. Aber in stiller Fortsetzung der kaum vergangenen Auseinandersetzung traten die beiden Männer gegeneinander an. Kümmerten sich auch nicht um den Ordnungsruf der Eltern, die ihre Sprösslinge pünktlich zum frühen Abendessen abkommandierten. Justus verwünschte Geschmeidigkeit und Durchhaltevermögen seines Gegenüber. Aufstecken galt aber nicht! Er versuchte sich etwas Luft zu verschaffen, indem er das Gebilde möglichst hoch Richtung Dach beförderte. Das tat seinem leidgeprüften Nacken weniger gut, aber das ließ sich nicht ändern. Was dann kam, konnte man vorhersehen, wenn sich zwei unbedingt gegenseitig übertrumpfen wollten, aber auf dem Zahnfleisch gingen: sie rempelten einander an, kamen ins Stolpern. Justus kollidierte mit einem Stützpfeiler, und Gennaro hatte Mühe, sich mit beiden Händen abzufangen. "Foul!" Beschwerte Justus sich, lehnte aber am Pfeiler, um zu verschnaufen. "Ich war dran!" Widersprach Gennaro, schüttelte mühsam die Schultermuskeln aus. "Schummelpriester!" Schimpfte Justus aufmüpfig. "Streithammel!" Konterte Gennaro wütend zurück. Und wie die allgemeine Dynamik bei derart elaborierten Konfrontationen sich entwickelte: man schubste sich gegenseitig vor die Schultern. "Lackaffiger Macho!" Justus versuchte, sich einen Ausweg zu sichern, denn er spürte wohl, dass er Gennaros Energiereserven nichts mehr entgegenzusetzen hatte. "Zankarsch!" Ein weiterer Stoß keilte Justus nun in einer Ecke ein. "Du hast angefangen, du eitler Italo-Schnösel!" "Gar nicht wahr, du arroganter Stiesel!" "Wohl wahr! Rabatt-Gigolo!" Nun reichte es Gennaro. Er klemmte Justus Schultern mit aller Kraft seiner Hände ein, beugte sich vor und zischte. "Ich wäre an deiner Stelle still! Ich bin nämlich stockschwul, also pass lieber auf, wen du hier als Gigolo verunglimpfst!" Justus lachte heiser auf, betont verächtlich. "Was denn, soll mir das Angst machen?! Uiuiui, soll ich DIR abnehmen, dass du MIR an die Wäsche gehst?! Ist ja wohl lächerlich!" Wo der Kerl ihn ständig herabgewürdigt... Die aufgebauschte Selbstsicherheit vaporisierte unter Gennaros Attacke, der das aufmüpfige Schandmaul versiegelte. Dazu die dominante Linke löste und dort zupackte, wo Greifgut sich besonders anbot. Ein erstickter Laut verließ Justus' Kehle. Er versuchte vergeblich, Gennaro von sich zu stoßen, der sich entschieden dagegenstemmte. Endlich wich er zurück, starrte Justus ebenso keuchend an wie der ihn. Sich eilig den Mund mit dem Handrücken abwischend hetzte der abrupt an ihm vorbei, suchte stolpernd das Weite. "...oh, verdammt!" Wisperte Gennaro leise, die Fäuste ballend. ?~? Bartholomäus ließ sich in sein Zimmer ein, freudig überrascht, dass Parsival schon aufgewacht war, sich angekleidet hatte. "Hast du Hunger? Es gibt Abendbrot, und wir machen auch Waffeln! Ich hab vorhin den Teig angesetzt." Ließ er Parsival wissen, streichelte ihm unbefangen durch die wirren Strähnen. "Das klingt lecker!" Ein sanfter Kuss landete auf Bartholomäus' Lippen, der ihm ein breites Lächeln entlockte. Es gefiel ihm sehr, wenn seine Umgebung glücklich war. "Dann gehen wir, ja?" Nahm er Parsivals Rechte in Beschlag. "Ich möchte mit dir heute noch viel Spaß haben!" Parsival kicherte leise, drückte die warme Hand versichernd. "Ich auch!" Denn den Rückhalt, den er sich jetzt verschaffte, den würde er bestimmt brauchen, wenn er sich aufmachte, ein ganz neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen! ?~? Gennaro zog sich nach einem kurzen Abendessen aus der guten Stube zurück. Er hatte Justus nicht erblickt und zweifelte daran, dass der ihm noch mal über den Weg zu laufen wünschte. Also widmete er sich lieber der Tätigkeit, die ihm nicht nur den Lebensunterhalt sicherte, sondern auch in schwierigen Zeiten immer einen Anker bot. Mischen, kneten, auf die Arbeit von natürlichen Enzymen und Hefen lauschen, nochmal kneten, hier drehen, da wenden. Vorräte überprüfen, eine kleine Marge Zwieback herstellen, süße Zöpfe flechten. Und als dann nichts mehr zu tun war, gönnte Gennaro sich eine Viertelstunde in der Sauna, um die schmerzenden Glieder zu entspannen, bevor er vollkommen erschöpft in sein Bett sank. ?~? Parsival ignorierte die eigene strenge Regel zum "Mini-Häppchen-Verzehr" mit Vorsatz, also Wissen und Wollen. Schließlich gab es genug, er nahm niemandem etwas weg, frönte auch keineswegs lässlicher Völlerei! Er ließ es sich bloß richtig schmecken. Wischte all die einzäunenden Vorschriften, die er sich selbst gemacht hatte, beiseite. Niemand von der Familie war hier, niemand konnte ihn maßregeln, demütigen, verspotten. Außerdem brauchte er auch Energie zu seiner Kampfeslust! Wenn er ein neues Kapitel aufschlagen wollte, musste Schmackes vorhanden sein! Bartholomäus schien sich auch nicht an seinem Appetit zu stören. Außerdem pflegten sie sehr gute Laune beim ausgelassenen Spiel mit den anderen Amüsierlustigen in der guten Stube. Als man schließlich beizeiten die Spielbretter hochklappte, um sich ins private Refugium zurückzuziehen, fasste Parsival tollkühn nach Bartholomäus' Rechter. "Darf ich dich heute wieder zu mir einladen?" Bat er mit klopfendem Herzen, die Wangen noch gerötet vom eifrigen Spiel und der Aufregung. "Sicher darfst du!" Grinste Bartholomäus spitzbübisch. "Tust du es auch?" Die kräftige Hand ein wenig fester drückend nickte Parsival eilig. "Bitte übernachte bei mir, ja?" "Ist mir ein Vergnügen." Schmunzelte Bartholomäus. "Dann kann ich auch noch ein wenig schmusen." Verständlicherweise traf diese Nachtgestaltung nicht auf Gegenwehr, löste bei Parsival aber gelindes Staunen aus: konnte es sein, dass Bartholomäus ihn auch ein wenig mehr als jeden Beliebigen mochte? Selbstverständlich hatte er die ein oder andere Bemerkung durchaus richtig verstanden, nach der Bartholomäus sehr beliebt war, aber eben ohne Präferenzen. Weshalb man gut daran tat, sich nicht in traditionelle Vorstellungen von "Besitzansprüchen" zu versteigen. Auf so etwas wagte Parsival nicht mal zu hoffen. Und wenn es sich so ausnahm, wie er es bisher erlebt hatte, nämlich als einschränkende, fesselnde Fron, dann konnten ihm solche "Privilegien" wirklich gestohlen bleiben! Nach einer Katzenwäsche und der Zahnpflege huschten sie also rücksichtsvoll leise zu Parsivals Zimmer, entkleideten sich und schmiegten sich unter der Decke zwecks Temperaturanstieg aneinander. "Das war ein richtig schöner Tag." Stellte Bartholomäus zufrieden fest. "Ja!" Pflichtete Parsival ihm bei. "Schade, dass ich morgen schon abreisen muss." "Nun..." Immer noch in leichtem Tonfall antwortete Bartholomäus. "...du kannst wiederkommen und andere schöne Tage hier verbringen." Parsival lächelte und liebkoste eine straffe Bauchdecke in sanften Kreisen. "Das ist wahr." Wisperte er leise. Nein, er durfte sich wirklich nichts einbilden! Andererseits bedeutete Bartholomäus' unkonventionelle Einstellung auch, dass er hier wohlgelitten wäre, wenn er wiederkäme. Bartholomäus innere Stärke bewundernd nahm sich Parsival vor, seinem Beispiel zu folgen. Fortan froh und munter zu sein, sich nicht mehr seelisch und psychisch knechten zu lassen. ?~? Justus war froh, dass sein Zimmernachbar, der kleine Buchhalter, sich nicht lautstark mit seinem geliebten Schornsteinfeger vergnügte. Er hatte nämlich Mühe, eine gewisse Schockstarre abzuschütteln, die ihn selbst erstaunte. Und erschreckte. Bisher hatte er sich für recht passabel gehalten, nicht spektakulär, kein Anlass für Eitelkeiten. Wenn sich ihm weibliche Interessenten annäherten, dann gemächlich, quasi mit Vorwarnung und Gelegenheit, sich rechtzeitig zu entziehen, bevor es ungemütlich wurde. Außerdem hielt er es grundsätzlich für lächerlich, dass manche Geschlechtsgenossen glaubten, Schwule seien wahllos und vor allem geschmacksfrei, sich ausgerechnet an die größten Krakeeler und Hysteriker heranzumachen. Dabei wäre es gerade denen doch ein Leichtes, für den unwahrscheinlichen Fall einer eindeutigen Offerte mit genau den Absagen zu antworten, die sie gewöhnlich von Frauen erhielten, die sie mit blöden Sprüchen belästigten! Und jetzt...jetzt hatte er sich überrumpelt und hilflos gefühlt angesichts eines intensiven Kusses. Ganz zu schweigen von dem eindeutigen Griff in seine "Besteckschublade"! Wieso war das passiert?! Justus konnte nicht von sich weisen, dass er sich ungeniert in einen albernen, kindischen Streit hineingesteigert hatte. Es genossen hatte, sich zu "zoffen", immer noch einen draufzulegen. Wenn schon seine Kondition nicht zuließ, dass er diesen lackierten Muskelprotz im Spiel einnordete! Er hätte... hätte ihm eine kleben sollen! »Klar doch, das sähe dir ähnlich!« Verspottete er sich selbst bitter, denn körperliche Zudringlichkeiten lagen ihm fern. Er wollte schließlich auch nicht attackiert werden! Aber er hatte nicht anders als mit Flucht reagieren können, den Kopf vollkommen blankgefegt. Wieso... wieso hatte dieser Kerl ihn geküsst?! Sie konnten sich schließlich nicht ausstehen, Antipathie auf den ersten Blick, richtig?! War das jetzt eine perfide Masche, ihn in den Wahnsinn zu treiben, weil er sich den Kopf zerbrach, was er gar nicht wollte, aber sich sonst mit nichts befassen konnte?! "Mistkerl! Drecksack!" Schimpfte Justus kleinlaut und zog sich die Decke über den rasierten Schädel. Trotzdem wälzte er sich noch lange unruhig hin und her, bevor er in einen matten Schlaf fiel. ?~? Gennaro erwachte nicht sonderlich erholt, dennoch routiniert zur gewohnten Zeit. Er spulte sein übliches Programm ab, legte sich jedoch Bar-Jazz auf, um nicht in trübsinnige Gedanken und Selbstvorwürfe zu verfallen. Eine Entschuldigung war angezeigt und er würde sie, gesetzt den Fall, ihr Adressat verweigerte ihm nicht die Begegnung bis zur Abreise, auch aussprechen. Seinem Gewissen verschaffte es, hoffentlich, etwas Erleichterung. Allerdings hatte der Alltag vor diesen Büßergang noch die Konfrontation mit Bartholomäus gesetzt. Der wie selbstverständlich erschien, um sich ein Katzenfrühstück zu besorgen, bevor er die gewohnte Runde mit den Brotbeuteln absolvierte. "Wieso bleibst du nicht bei deinem Schatz?" Erkundigte sich Gennaro spitz. Denn ER hätte vermutlich jede Minute genutzt, sollte sich jemals ein verlässliches Herzblatt finden. "Oh, Parsival schläft." Wurde ihm beschieden, in gemütlicher Gelassenheit. "Er wird mich nicht vermissen." "Darauf würde ich nicht wetten!" Schnaubte Gennaro düster. "Mir scheint, er hat dich ziemlich gern." Bartholomäus spülte mit seinem Anteil Kaffee nach. "Ich mag ihn auch." Ob so viel Selbstvergessenheit aufstöhnend knurrte Gennaro. "Und du denkst nicht, dass ihr dann zusammen sein solltet?! So häufig wie möglich?" Ihn traf ein amüsierter Blick, was sein Temperament nicht gerade herunterkühlte. "Das sind wir doch." "Aber er reist heute ab!" "Stimmt. Ich bringe ihn zur Station." "Herrje, willst du mich ärgern, oder was?! Denkst du nicht, dass du ihm fehlen wirst, dass er traurig ist?!" Bartholomäus studierte ihn aufmerksam. "Nein, tatsächlich denke ich das nicht. Er weiß doch, wo ich bin. Also kann er mich sehen, wenn er das möchte." Gennaro fauchte bloß resigniert. Irgendwelche Gehirnwindungen funktionierten bei Bartholomäus offenkundig anders. Hopfen und Malz waren verloren! "Ich glaube..." Die Beutel einsammelnd wandte der sich ihm zu. "... dass du besorgt bist. Und nicht wegen Parsival." "Vielleicht habe ich auch einfach nur einen gebrauchten Tag erwischt!" Knurrte Gennaro im Rückzugsgefecht. Er wollte nicht ausgerechnet vor dem Liebling so vieler eingestehen, welchen Bock er da geschossen hatte! "Versuch, das zu ändern." Zwinkerte Bartholomäus ihm auf der Türschwelle zu. "Es ist doch noch früh! Der Tag kann noch gut werden!" "Pah!" Winkte Gennaro ab, verschwand in seiner "Brut- und Ruhekammer". Wie sollte dieser Tag sich noch steigern?! ?~? Parsival lächelte unwillkürlich, als Bartholomäus auf Zehenspitzen hereinschlich, um Lautlosigkeit bemüht war. Er lupfte die Bettdecke einladend im dämmrigen Schein der Solarblume. "Oh, guten Morgen!" Bartholomäus' Stimme klang gewohnt gelassen. "Habe ich dich geweckt?" "Nein, und auch dir einen guten Morgen." Schmunzelte Parsival ungeübt. "Ich habe lediglich einen Kuschelpartner vermisst." "Dem kann abgeholfen werden." Lachte Bartholomäus leise, schlüpfte unter und nahm Hautkontakt auf. "Hmm!" Stellte Parsival fest. "Du riechst sehr lecker! Nach Brot und frischer Luft." "Meine ersten beiden Stationen heute." Bartholomäus küsste eine warme Wange. "Morgendliche Routine." Parsival zwirbelte tollkühn eine rote Locke, streichelte dann mit den Fingerspitzen behutsam über die markanten Gesichtszüge. Drehte Bartholomäus also jeden Morgen diese Runde auf dem Fahrrad, noch vor der Arbeit? Wirklich bewundernswert und einsatzfreudig für die Gemeinschaft! "Danke." Wisperte er und wusste, wie wenig die fünf Buchstaben transportieren, wie gewaltig die Liste war, die er aufzuzählen hatte, um alles zu berücksichtigen, was Bartholomäus ohne Aufhebens tat. "Wirklich, ich danke dir... für einfach alles!" Ob dieser leidenschaftlichen Deklaration verblüfft stützte sich Bartholomäus auf und studierte trotz mangelnder Lichtverhältnisse seinen Bettgenossen. "Nun... gern geschehen, aber ich bin mir nicht bewusst, etwas Bemerkenswertes geleistet zu haben." Formulierte er schließlich vorsichtig. "Und auch dafür danke ich dir." Flüsterte Parsival, die Hände um die warmen Wangen gelegt, applizierte einen sanften Kuss auf die beinahe schon vertrauten Lippen. Ohne Bartholomäus' etwas ungewöhnliche Einstellung hätte er wohl nie den Mut gefunden, sein Glück zu suchen! Dieser betrachtete ihn noch einen Moment länger, schob dann jedoch nachsichtig Grübeleien über Ursache und Wirkung seines Handelns beiseite. Seine Radtour durch die Nachbarschaft hatte ihn angenehm aufgewärmt und er war willens, einen Teil dieser inneren Glut zu teilen! Dabei kam ihm Parsival mit wachsender Selbstsicherheit euphorisch entgegen, denn er genoss die besondere Lebendigkeit in diesem intensiven, intimen Austausch. ?~? Justus packte rasch und erklärte seinem grummelnden Magen, er solle sich gefälligst beherrschen. Man musste den richtigen Zeitpunkt abwarten, um nicht auf den FALSCHEN zu treffen! Denn, auch wenn er es sich nur widerstrebend eingestand, wollte er dem ERZFEIND nicht über den Weg laufen. Und ein ERZFEIND musste er sein, nach dieser Attacke gestern! Das war schließlich... sexuelle Belästigung gewesen! Bloß würde Justus den Teufel tun und das irgendwem berichten! Nichts war peinlicher, als von einem anderen Mann angemacht zu werden! Er vergewisserte sich, dass niemand über den Hof in Sichtweite spazierte, der auch nur annähernd Ähnlichkeiten mit dem ERZFEIND aufwies. Straffte sich dann trotz quietschender Glieder, die die unbequeme Nacht nicht genossen hatten, um hastig die Strecke zur guten Stube zurückzulegen. Eine kleinere Frühstücksgesellschaft tummelte sich schon in gedämpfter Stimmung, zu dieser frühen Stunde am zweiten Weihnachtstag artig zurückhaltend. Manche hatten ja eine sehr kurze Nacht hinter sich nach dem langen Spieleabend! Sich rasch bedienend suchte Justus sich ein ruhiges, solitäres Plätzchen und gönnte sich das Vergnügen frischer Backwaren ohne viel "Dekor" in Form von Belag. Zugegeben, der ERZFEIND verstand sein Handwerk, das konnte man nicht bestreiten! Außerdem, das Glück war Justus wohl hold, denn er musste sich nicht beeilen, da er beiläufig hörte, dass Gennaro in der Backstube werkelte und lediglich kurz vorbeigeschaut hatte, um sich mit Flüssignahrung zu versorgen. Sein Geschirr abräumend und brav eingereiht in die Gruppe der Tellerwäscher ohne Millionärsambitionen überdachte Justus seine Möglichkeiten. Es fuhren dank Feiertag nur sehr wenige Züge, trotzdem konnte er sich zeitig verabsentieren. Andererseits musste er sich auch nicht sputen, denn zu Hause boten sich ihm recht wenig Unterhaltungsmöglichkeiten. Man könnte also noch mal eine Runde drehen, ein weiteres Fachreferat im Kopf (und BLOSS nicht den ERZFEIND in Gedanken dabei!). Das Mittagessen mitnehmen (inkludiert war es ja auch für den Abreisetag) und sich dann verabschieden. Entschlossen, diesem Plan zu folgen, überquerte Justus den Platz, putzte sich rasch die Beißer und begab sich zum Trockenraum, um dort seine abschätzig bewertete Outdoorkleidung aufzusammeln. Er schlüpfte gerade in die Ärmel, als sich Gennaro hinter ihm aufbaute. Erschrocken wirbelte Justus herum und fauchte reflexartig. "Was?!" "Nichts!" Konterte Gennaro ebenso überrascht von der heftigen Reaktion. Einen Augenblick lang funkelten sie einander an, schon wieder das Fell gesträubt wie Katzenstreuner in einer Sackgasse. Mit einer Körpertäuschung wagte Justus den Ausfall, um an Gennaro vorbeizuwischen. Der setzte ihm nach und packte ein Handgelenk. "He!" Protestierte Justus sofort, versuchte sich mit einem Ruck aus dem festen Griff zu befreien. "Jetzt warte doch mal!" Die schwarzen Augen blitzten, die Augenbrauen beschrieben scharfe Konturen. "Will ich nicht!" Schon erreichte man mühelos das kindische Niveau des vorangegangenen Zanks. "Mann!" Gennaro rang sichtlich mit sich. "Ich will mich bloß... entschuldigen, okay?!" Justus knurrte. "Ja, hört sich absolut danach an!" Um Fassung bemüht antwortete Gennaro. "Es tut mir leid, dass ich gestern...übergriffig wurde. Das war nicht richtig." Oberwasser verspürend setzte Justus gnadenlos nach. "Ach, und damit ist es jetzt getan?! Das war glasklar sexuelle Belästigung und Nötigung! Dafür kommt man in den Knast!" Gennaro gab sein Handgelenk wieder frei, wandte sich halb ab. "Tu, was du nicht lassen kannst." "Fein, das werde ich auch!" Schimpfte Justus. "Ist ja bestimmt nicht das erste Mal! Obwohl ich angenommen hätte, dass man Verachtung und Herabsetzung anders kommuniziert." Ergänzte er spitz. Zwei Schritte entfernt stoppte Gennaro abrupt, fegte dann mit geballten Fäusten herum. Er hatte sich wirklich beherrscht, quasi auf die Zunge gebissen, um die Entschuldigung zu formulieren und NICHT auf jede Provokation zu reagieren, aber ihm vorzuwerfen, er habe mit einem Kuss "Verachtung und Herabsetzung" demonstriert, DAS konnte er so nicht stehen lassen! "Ich hab' dich nicht geküsst, weil ich dich verachte und herabsetze!" Donnerte er grimmig. "Außerdem bist DU es doch, der mich verachtet!" "Stimmt ja gar nicht!" "Ach ja, und was soll dann dieses ständige 'Gigolo', 'halbseidener Fatzke', 'eitler Geck' und 'Italo-Schnösel'?!" "Selbst schuld, guck dich doch mal an!" Die Fäuste in die Hüfte stemmend baute sich Gennaro bedrohlich auf. "Was ist DEIN Problem?! Was kümmert's dich, wie ich mich kleide?! Bist du neidisch, oder was?!" "Neidisch?! So'n Quatsch! Als wenn ich wie ein schmieriger Eintänzer aussehen wollte!" "Nein, ist ja auch unvorstellbar, so durchschnittlich und belanglos, wie du daher kommst!" "Ich bin eben kein eitler Selbstdarsteller, der sich wien Pfau herausputzt!" "Weil dir der Schneid fehlt, anders zu sein! Und deshalb ätzt du mich hier an!" "Dazu braucht es keinen Schneid, bloß mangelnden Geschmack! Und nicht jeder ist an allem interessiert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist!" "So, aha, ist ja sehr interessant, ich bin also nicht bloß optisch ein Gräuel, sondern auch noch unersättlich! Ist ja ein Wunder, dass du jetzt noch unbefleckt vor mir stehen kannst, wie?!" "Ha, wag dich nur, aber dann kannst du was erleben! Ich werde mich nicht mehr zurückhalten!" "So siehst du auch aus, da zittern mir ja die Knie!" "Jede Wette, wenn ich meins in dein Glockenspiel ramme, du Aufreißer!" "Wer sagt, dass du dazu kommst, Mister Universe?!" "Ich werd dir so was von nen Scheitel ziehen!" "Davon träumst du!" "Von wegen!" "Klar doch!" Und wieder standen sie einander gegenüber wie Kampfhähne, die sich gegenseitig die Klauen spüren lassen wollten. Aufgepumpt, alle Sehnen angespannt, kurzatmig, typische Heißsporne mit dem gefühlten Alter von -2 Jahren. Allerdings wollte sich der unbedingt erforderliche Tunnelblick mit einem singulären Gedanken nicht einstellen. Im Hinterkopf hauste durchaus noch der Verstand, ein gehässiger Beobachter der Szene. Der das Zögern ausnutzte und jeweils funkte. »Na, wie drollig, ziehen wir uns jetzt an den Haaren? Weil wir's nicht mögen, wenn uns einer über ist?!« Ruckartig wandte sich Gennaro ab. Er wollte nicht streiten, aber JEDES MAL, wenn sie sich begegneten, lief mit Überschallgeschwindigkeit einfach alles schief. Schlimm genug war es ja schon, also besser Leine ziehen, aber pronto! Bevor er die Selbstkontrolle abgab und sich etwas wie am vorigen Abend ereignete! Justus wusste, dass er die sehr leidige Angewohnheit hatte, zu überziehen, wenn er mal in Fahrt war. Selbst goldene Brücken halfen da nicht. "Ha, kneifst du etwa?!" Kam für ihn daher nicht überraschend aus seinem Mund, auch wenn sein Verstand geplagt aufseufzte. "Willst du, dass ich dich sturmreif küsse und deinen Schwanz Rumba tanzen lasse?!" Zischte Gennaro über die Schulter. WIESO war dieser Kerl so furchtbar hartnäckig?! "Du kannst wohl immer nur an das Eine denken!" Giftete Justus zurück, vergrößerte jedoch instinktiv den Abstand zwischen ihnen. "Nein, das waren schon zwei Sachen!" Korrigierte Gennaro, die Fäuste ballend. "Und glaub nicht, dass ich dazu nicht fähig wäre." "Soll mich das etwa beeindrucken?! Ist ja wohl nicht weltbewegend!" "...gestern hat's gereicht, dich in die Flucht zu treiben." Justus fauchte tonlos. Argumentativ bewegte er sich ohnehin auf dünnem Eis, denn einerseits die libidinöse Drohung abzutun und gleichzeitig Knast zu fordern, das widersprach sich erheblich. "Lag vielleicht an der Performance!" Ätzte er nach einem Augenblick aggressiv zurück. "...da spricht wohl ein echter Könner, wie?" Gennaro drehte sich langsam herum, blitzte Justus an. Nein, er war nicht so selbsteingenommen zu glauben, er könnte irgendwelche Rekorde erlangen, denn so häufig, vor allem in letzter Zeit, war ihm keine Gelegenheit vergönnt, seine oralen Fähigkeiten zu trainieren. Andererseits HATTE er den verschreckten Gesichtsausdruck dieses streitsüchtigen Digital-Desperados noch GENAU vor Augen. Und der kündete nicht von Ausführungsmängeln oder geschmacklichen Untiefen. "Werd ich dir gerade auf die Nase binden!" Triumphierte Justus unterdessen, einen fiebrigen Glanz in den Augen. Offenbar, so bestätigte sich Gennaro seinen Eindruck, liebte dieser Bursche Konfrontationen... solange man nicht auf Tuchfühlung ging. »Aber ich kann ihn schlecht an den Haaren ziehen!« Konterte er seinen eigenen Gedanken über diese kindische Auseinandersetzung. »Er hat ja keine!« "Tja, aber ich würde mir an deiner Stelle mal Gedanken machen, ob ich nicht auch für Kerle ein Schmankerl bin?" Schnurrte er mit kalkulierter Bosheit zurück und strich sich manieriert über den schmalen Oberlippenbart in exakt der schwül-unanständigen Gestik, die man aus entsprechender Pornographie kannte. Kombiniert mit einem Augenaufschlag und der Ahnung einer Zungenspitze zwischen den Lippen. Prompt wurde Justus erst bleich, dann stocksteif vor Zorn. "Lächerlich!" Zischte er durch die Zähne. Gennaro wandte sich mit einem Lächeln ab, denn er fand, es sei nun in ausgewogenem Gleichstand Zeit, diese gefährliche Verbal-Rauferei zu beenden. »Komm schon, du hast genug zu tun!« Hielt er sich selbst an. »Ohren auf Durchzug und Ende!« Er marschierte in seine Backstube, zog seine Schürze von ihrem vertrauten Haken. Doch bevor er sie wie gewohnt um die Taille kordeln konnte, hörte er heftige, ausgreifende Fußstapfen hinter sich. »Wieso weiß der Kerl einfach nicht, wann er aufhören soll?!« Verzweifelte er innerlich, fegte herum. Justus stand vor der Theke zwischen den Körben und Regalen. "Ich benötige Proviant. Einkaufen darf ich hier ja wohl?!" Geiferte er mit funkelnden Augen grimmig. "Sag bloß, dir schmeckt's hier und du würgst es nicht mühevoll mit Verachtung herunter?" Ätzte Gennaro im gleichen Tonfall zurück. "Kann gerade noch an mich halten!" Fauchte Justus, die Fäuste geballt, mehrdeutig und aufgebracht. Wie der berüchtigte Stier vor dem roten Tuch. Gennaro fragte sich, ob es helfen würde, wenn er mit seiner weißen Schürze wedeln würde. Friedensfahne oder Auftakt zur Raserei? "...dann hör doch damit auf!" Wisperte er süffisant, wandte sich ab, um in seine Backstube zu treten, weg vom Verkaufsraum. Hinter sich knurrte Justus vernehmlich, folgte ihm dann. "Na warte, du schmieriger, aufgeblasener, unverschämter Geck...!!" Neben dem Türbogen wartend fasste Gennaro die Schultern, wirbelte den vor Empörung unvorsichtigen Justus herum. Schleuderte ihn gegen die grob verputzte freie Wand zwischen zwei Stapelwagen und nutzte den Augenblick des erschreckten Luftschnappens, um auf dessen Lippen notzulanden. Allerdings mit aller Intensität und Leidenschaft, die durch ihrer heftigen Auseinandersetzung angestachelt worden war. »Wenn der Bursche auch alle Haltesignale und Warnzeichen ignoriert!« Rechtfertigte Gennaro sich vor sich selbst für diesen erneuten Übergriff. Aber er verspürte keinen Triumph, als Justus kehlig aufstöhnte, sondern gab die Schultern frei. Umklammerte ihn noch vehementer, presste ihre Hüften so aneinander, dass kein Zweifel aufkommen konnte, wie erregt sie beide waren. Nun hätte Gegenwehr kommen müssen. Beinahe erwartete er es. Oder, wahrscheinlicher, das schockartige Einfrieren jeder Regung, das Erstarren vor Ekel, Entsetzen und Abscheu. Stattdessen hörte er jedoch die schweren Schritte von Galoschen im Verkaufsraum. Hastig löste er die Linke und presste sie Justus auf die Lippen, dessen Augen hinter der randlosen Brille sich geweitet hatten. Wenn man sie jetzt erwischte! Skandal ohnegleichen, nicht nur wegen geröteter Wangen, fiebrig-glänzender Augen, speichelfeuchter Lippen, sondern sub-äquatorialer Standing Ovations! Gennaro funkelte aus tiefschwarzen Augen, spürte sein Herz so heftig rasen wie vermutlich auch Justus'. Aber er ließ nicht los, gab nicht nach. Stine würde bemerken, dass er nicht da war. Und mit den schweren Galoschen kam sie nie in die Backstube. Endlich hörten sie, wie nach einem kurzen Schnauben die klobigen Schritte sich entfernten. Justus sackte ein wenig in sich zusammen. »Perfekte Gelegenheit!« Registrierte Gennaro mitleidlos und ging erneut zur Attacke über. Bei einem Piraten hätte man wohl von haltloser Plünderung ohne Gefangene gesprochen. Schließlich gelang es Justus doch, ihn etwas von sich abzudrängen, schwer atmend. Vor allem aber mit merklichem Notstand, der gekrümmten Haltung nach zu urteilen. Es war jedoch unzweifelhaft, dass keiner von ihnen es auch nur einige Schritte weit schaffen würde angesichts der gewaltigen Anballung, die die Hosenlätze bis zur Belastungsgrenze ausbeulte. Nicht zum ersten Mal stahl sich Gennaro hastig-heimlich eilige Aufmerksamkeit. Er vermutete jedoch zu Recht, dass Justus weder jemals in solche Bedrängnis gekommen war, noch irgendwer sich ihm derart ungehemmt und leidenschaftlich an den Hals (aber auch sehr viel tiefer) geworfen hatte. Er übernahm also die Initiative, griff zu, löste die Gürtelschnalle und zog den Reißverschluss herab, dann mit Schwung Hose und Unterwäsche. Justus stöhnte protestierend auf. Ein bitterböser Blick traf Gennaro, der zähnestarrend grinste, weil er sich selbst die gleiche Behandlung antat und dann die Distanz tollkühn auf unter Null reduzierte. Geübt zufasste und Widerworte mit seiner Zunge knebelte. Mit der freien Hand gelang es ihm auch, Justus' Arm um seinen Nacken zu dirigieren, damit der ihm nicht mit weichen Knien wegrutschte. Vermutlich verwünschte der ihn gerade, weil er nicht nur wusste, was er tat, sondern nicht einmal den Versuch unternahm, das Tempo zu reduzieren, ihn nur an einer Front zu bestürmen. Unerfreulichen Erfahrungen geschuldet zögerte Gennaro jedoch nicht, man musste die Beute schlagen, wenn sie sich noch nicht sortiert und gesammelt hatte. Und er wollte nicht aufhören, auf keinen Fall! Das bittere Ende käme ohnehin, nicht zum ersten Mal, aber jetzt, in diesen Sekunden, konnte er sich Hals über Kopf in seine Lust stürzen, nur in jedem Wimpernschlag leben! Die Augen geschlossen, auf Haut- und Tuchfühlung operierte er geübt und selbstsicher, lauschte beiläufig auf das Keuchen und Ächzen an seiner Wange, von Justus' Armen umklammert, als hinge dessen Leben davon ab. Nun, zumindest die Selbstachtung, wenn man nicht beschämend ausgekontert in die Knie sacken wollte! Nachdem der gemeinschaftliche Salut abgeschossen war, fahndete Gennaro nach einem Papiertaschentuch in seiner Hosentasche, gegen den Anflug von Melancholie ankämpfend. Gleich würde er wohl weggestoßen, angestarrt wie ein tollwütiges Tier. Mit genug Spucke und Geistesgegenwart käme eine Schimpftirade. Das Taschentuch ballend trat er selbst zurück, ging in die Hocke, um seine Hose wieder von den Knöcheln aufzufädeln, sich manierlich herzurichten. Justus lehnte noch immer an der Wand, die Fingerspitzen in den groben Verputz gegraben, flach atmend. Eindeutig verstört. Vorsichtig, auf eine Attacke gefasst, beförderte Gennaro auch dessen Hosen wieder an ihre angestammte Stelle, richtete sich auf. Eine steile Falte fand sich zwischen den Augenbrauen, die Pupillen blieben auf ihn gerichtet wie ein Suchscheinwerfer. Bevor er jedoch besorgt Erkundigungen einziehen konnte, wischte Justus an ihm vorbei und floh stolpernd aus der Backstube und dem Verkaufsraum. Die Augen schließend schluckte Gennaro mehrfach, zerdrückte das Taschentuch zu einem komprimierten Ball. "Verdammt." Stellte er treffend fest. ?~? Justus hetzte mit eiligem Sturmschritt vom Hof den Kiesweg entlang. Ohne seine wärmende Outdoorbekleidung, ohne Ziel, blindlings. Er brauchte einfach Bewegung, den kalten Luftzug, den leichten Nieselregen. Irgendwas, um seinen offenbar heißgelaufenen und damit deaktivierten Verstand wieder runterzukühlen und in Betrieb zu nehmen! So bemerkte er in seinem strammen Marsch nicht mal, dass sich Lupo angeschlossen hatte, der von Menschenführung eine Menge verstand. Dieses Exemplar hier verströmte den starken Odeur vollkommener Verwirrung, was häufig zu Aufregung führte. Also heftete er sich lieber mal an die Hinterpfoten und achtete darauf, dass sie sicher wieder heimfanden, wenn die Energie nachließ. Dazu benötigte Justus lediglich zehn Minuten. Dann spürte er die nadelfeinen Stiche des einsetzenden Regens, seine unzureichende Bekleidung, dezente Orientierungslosigkeit. Und den Umstand, dass sein Verstand ihm signalisierte, ER habe das Problem weder verursacht noch die Arbeit eingestellt! Das wäre ja auch eine bequeme Lösung, nicht wahr? Temporäre geistige Umnachtung! Aber so einfach war es nicht. Sich vorbeugend, auf die Oberschenkel aufstützend, schnaufte Justus durch, als hätte er einen Langstreckenlauf hinter sich gebracht. Er wollte auf keinen Fall Ursachenforschung betreiben. Anteile am Geschehen zuschreiben, Trends analysieren, Fakten gewichten. "... heim..." Krächzte er Lupo zu, der neben ihm saß und gelassen die Fortentwicklung verfolgte. "Ich will heim!" Das Stichwort auffangend, auch, weil es nun wirklich ungemütlich zu werden drohte, erhob sich Lupo und führte in moderatem Tempo zurück zum Hofgut. Artig lieferte er den seltsamen Menschen wieder ab und holte sich bei Hinnerk eine kleine, heimliche Belohnung ab. Dann trollte er sich in der guten Stube zum Ofen und ignorierte souverän die zwei Katzen, die sich schon eingefunden hatten. ?~? Vor seinem Zimmer lehnte eine Papiertüte. [Komm gut heim. P.S. Die Kasse ist heute geschlossen.] Justus spähte nicht in die Tüte, denn er konnte sich vorstellen, was er finden würde. Und nun konnte er auch seine Schulden nicht begleichen, denn er wollte kein Geschenk erhalten, musste es jedoch akzeptieren... Mit einem Ruck riss er sich los, sammelte seine gepackte Tasche auf, stopfte die Tüte dazu, eilte zum Trockenraum hinüber, um seine Habseligkeiten zu vervollständigen. Trotz des auffrischenden Windes und bei eisigem Regen checkte er bei Stine aus. Noch vor dem Mittagessen, was sie nicht zu erwähnen vergaß. "Ich muss heim." Entgegen seiner üblichen Eloquenz verzichtete Justus auf farbenprächtige Schnörkel, Ausführungen und Metaphern, sein "Verkaufs"-Agent hatte noch Ferien. "Am Bahnhof musst du aber noch warten, bis der Zug kommt." Wies Stine ihn auf weitere Kalamitäten hin. "Hier, nimm wenigstens einen Thermosbecher mit Brühe mit! Keine Angst, morgen sammelt ihn einer von uns ein." Widerwillig machte Justus diese Konzession, er brauchte einfach Bewegung, um nicht mehr nachzudenken. Und wenn er fror, lenkte ihn das ab. Sich die Kapuze überziehend, den Thermosbecher (als Eigentum des Hofguts gekennzeichnet) in der Hand, verließ er fluchtartig das Gelände. Nichts wie weg! ?~? Parsival wäre der Abschied am Abend, rechtzeitig, um den letzten Zug zu erreichen, sehr schwer gefallen, hätte er nicht ein Ziel vor Augen gehabt. Nach einem weiteren Tag mit Sauna, Liebe, leckerem Essen, viel Lachen und Kuscheln, fühlte er sich jedoch ermutigt und gestärkt. Und Bartholomäus brachte ihn tatsächlich noch zum Bahnhof, obwohl es bereits wieder dunkel war und er ihn schon auf dem Sozius seines Gespanns hierher befördert hatte! "Danke." Wiederholte er zum ungezählten Mal, empfand das Wort dürr und unzureichend für all die Emotionen und Augenblicke, die er damit umklammern wollte. "Gern geschehen." Bartholomäus lächelte ihn gelassen an. "Es ist schön, dass du hier warst." "Darf ich wiederkommen?" Parsival drückte tapfer die warmen Hände, die seine hielten. "Klar." Bartholomäus hauchte seinen Atem auf die Handrücken. "Meine Nummer hast du ja. Hinterlass mir einfach eine Nachricht, dann hole ich dich ab." "Danke." Sich ein wenig reckend tupfte Parsival einen Kuss auf die schmunzelnden Lippen. "Wirklich, vielen Dank für alles, Bartholomäus." "Liebend gern." Zwinkerte der gänzlich unbeeindruckt von Konventionen. "Dann komm gut nach Hause, Parsival. Bleib froh und munter." Heftig nickend löste sich Parsival widerwillig und trat über die Zugschwelle in die Lichtschranke. "Das werde ich!" Die Türen schlossen sich mit einem pneumatischen Zischen, dann setzte sich der Zug auch in Bewegung. Parsival blieb an der Tür und winkte, etwas gehemmt. Er erwartete nicht, dass Bartholomäus sich noch lange hier aufhielt, doch der schien wie gewohnt nicht an gewöhnlichen Verhaltensweisen interessiert, sondern spazierte den Bahnsteig entlang, mit einem Arm winkend. Ihn nicht mehr sehen zu können versetzte Parsival einen Stich, doch er straffte seine magere Gestalt. Suchte sich einen Sitzplatz, den Rucksack artig auf dem Schoß abgestellt, obwohl in den einzelnen Abteilen genug Platz verfügbar war. Jetzt hieß es, tapfer zu sein. Eine Mission zu erfüllen. Ihn würde ein harter, hässlicher Kampf erwarten. Aber er fühlte sich bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen. ?~? In der Backstube brannte noch Licht, als Bartholomäus von seinem Gespann zur guten Stube gehen wollte. Also absolvierte er eine Stippvisite, um nach Gennaro zu sehen. Der knetete und prügelte noch auf große, offenbar sehr widerspenstige Teigklumpen ein... ungewöhnlich, denn die übliche mehrfache Gärung sorgte sonst für eine geschmeidige Gefälligkeit. "Neues Sportprogramm?" Erkundigte er sich interessiert, wischte sich durch die feuchten Locken. Vom Regen lag noch ein Dunstschleier in der Nachtluft. "Bah!" Knurrte Gennaro, ließ seine Muskeln spielen, während er rollte, presste, faltete und drückte. "Wer hat dich denn so verärgert?" Bartholomäus ließ nicht locker. Er mochte Gennaro, auch wenn er wusste, dass er nicht immer dessen Wohlwollen hervorrief. "Wer sagt, ich sei verärgert?!" Ein grimmiger Blick streifte Bartholomäus. "Vermutlich jeder, der dich hier so wüten sieht." Mutmaßte er gelassen. "Geh nicht so zornig schlafen, ja?" Gennaro ließ einen besonders großen Klumpen hart auf seine Arbeitsfläche plumpsen, schnaubte. "Ich hab's mir nicht ausgesucht, okay?! Ich..." Aber dann verstummte er. Denn, das ließ sich nicht leugnen, -er konnte es einfach nicht-, er HATTE Einfluss genommen. Wider bittere Erfahrungen und besseres Wissen. "Überhaupt, du hast gut reden mit deinem kleinen Buchhalter!" Wandte er sich zu Bartholomäus herum. "Ihr wart ja förmlich unzertrennlich!" »Dabei...« Das hörte Bartholomäus deutlich, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde. »...willst du niemanden für dich selbst haben! Strengst dich nicht mal besonders an, als käme immer wieder jemand, der sein Herz an dich verliert, während...!« Ja, darin waren sie nicht einer Meinung, denn Gennaro suchte den EINEN. Den Boyfriend, den Freund, der auch Liebhaber war, den, der ihn zu seiner Priorität machte. Tief ausatmend seufzte Gennaro, ließ die mächtigen Schultern sinken, im Begriff, sich gleich für seinen Ausbruch zu entschuldigen. Beherrscht, zurückgenommen, stets an sich haltend. Bartholomäus tat das, was er gewöhnlich unternahm, wenn Gennaro frustriert, unglücklich und niedergeschlagen wirkte: er zog ihn in eine Umarmung. Das bot für einen Moment Wärme, Unterstützung, Auszeit von Tapferkeit, Selbstdisziplin, Altruismus. "...okay." Murmelte Gennaro, löste sich von ihm. "Mir geht's schon besser." Die schwarzen Augen studierend gab Bartholomäus ihm ein wenig Raum, lächelte dann aufmunternd und schnurrte melodiös wie Paulchen Panther. "Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage!" Wie erhofft grinste Gennaro, der dünne Schnurrbart zuckte amüsiert. "Schon verstanden! Jetzt ab mit dir, morgen geht's wieder früh auf die Piste!" Lässig salutierend verabschiedete Bartholomäus sich für die Nacht. Er war immer zuversichtlich, denn das gab den nötigen Impuls zum Glücklichsein. ?~? Kapitel 3 - Gute Vorsätze, Missetäter und ein neues Jahr Parsival hatte mit Konsequenzen und Rückschlägen gerechnet. Sich nach bestem Vermögen vorbereitet. So konzentriert und schnell wie möglich jeden einzelnen Punkt seiner Mission in Angriff genommen. Ein Restrisiko blieb natürlich, aber er akzeptierte es als Zins für seine jahrelange Untätigkeit. Trotzdem. Trotzdem war er geflohen, Hals über Kopf, ausgelaugt, hilfsbedürftig. Hoffnungsvoll, weil Bartholomäus ihm sofort zugesagt hatte. Als Parsival nun aus dem Zug stieg, wartete Bartholomäus bereits auf ihn, ohne seine gewohnte Uniform, denn an diesem Freitag hatte er nichts mehr zu erledigen gehabt. Über seinen Arm gelegt die verfilzte, bunte Strickjacke für Parsival. Der wollte sich sogleich bedanken, entschuldigen, doch nach einem Blick auf die kaum verschorfte Wunde auf Parsivals rechter Wange zog Bartholomäus ihn einfach in die Arme. Hielt ihn fest, kümmerte sich nicht um seine Umwelt. »Nur noch einen Augenblick länger.« Verhandelte Parsival mit seinem Gewissen. »Nur noch ein Momentchen...« Wo er sich stützen lassen konnte, voller Vertrauen auf Schutz und Nachsicht. Ganz egoistisch und unverschämt. Bartholomäus gab ihn langsam frei, nahm ihm den Rucksack ab, um die Strickjacke über den allzu leichten Trenchcoat zu wickeln. "Ich habe von meiner Mutter eine Salbe." Erklärte er leise, sehr gefasst, ohne das übliche warmherzige Lächeln. "Wir bringen das in Ordnung." Parsival nickte eilig, einen Kloß im Hals. Er ließ sich mit Bartholomäus' Arm um die Schultern zu dessen Fahrrad führen, ohne den gewohnten Anhänger, nahm auf dem Sozius Platz, sein Rucksack im vorderen Korb verstaut. "Alles wird wieder gut." Versicherte Bartholomäus ihm, legte sich Parsivals Arme um die Taille, streichelte kurz über die kalten Hände. "Wir schaffen das." Bereits getröstet und ein wenig gestärkt schmiegte sich Parsival an, so gut es ging. Die holprige Fahrt dauerte ihnen beiden lange, denn so konnten sie nicht miteinander sprechen, obwohl der eine so viel zu berichten, zu erklären, zu entschuldigen und zu erbitten hatte. Während der andere sich konsterniert fragte, was wohl geschehen war, Parsival innerhalb nur einer Woche so zu verändern. Als sie das Hofgut erreichten, hielt Bartholomäus vor der Bäckerei an, ließ Parsival absteigen. "Geh zu Gennaro hinein, damit du dich aufwärmst. Ich komme rasch nach, dann unterhalten wir uns." Folgsam nickend stolperte Parsival mit steifen Gliedern in den Verkaufsraum. Aus der Backstube hörte er Gennaros Stimme. "Bin gleich da, Augenblick!" Er vermutete wohl eine andere Person, deshalb wagte sich Parsival tollkühn bis zum Türsturz, wo er sah, wie Gennaro Bleche in die Stapelwagen einschob. "Entschuldigung..." Leitete er seine Anwesenheit ein. Überrascht wandte sich der Bäcker zu ihm um, erstarrte dann erkennbar, bevor er, sich die Hände an der Schürze abstaubend, entschlossenen Schritts auf Parsival zuhielt. "Was ist mit dir passiert?!" "Oh, nur eine Schramme." Wollte er beschwichtigen, doch Gennaro hatte ihn schon am Arm genommen, zu einem Hocker geführt und Platz zu nehmen genötigt. "Du bist ja steif vor Kälte! Hier, nimm einen Weck!" Schon fischte Gennaro aus einem großen Korb ein warmes Gebäck, schenkte in einen Becher aus seiner Thermoskanne Tee aus. "Erst mal musst du dich aufwärmen!" "Danke... vielen Dank!" Wiederholt nickend nahm Parsival die guten Gaben an, biss zu und nahm einen kräftigen Schluck. Himmlisch! Ohne dass er dies beabsichtigte, begannen ihm Tränen über die Wangen zu perlen, schlicht der Erleichterung geschuldet. "Ach herrje!" Stellte Gennaro fest, tupfte mit einem Küchentuch vorsichtig. "Jetzt ist ja alles gut, Percy." Er wandte sich um, als er Schritte hörte, und wie vermutet kam Bartholomäus zu ihnen, ging vor Parsival in die Hocke und studierte dessen lädierte Wange. "Entschuldigung...ich bin nur so froh.." Stammelte Parsival und rang um Beherrschung, blinzelte durch den Tränenfilm, schniefte leise. Das Küchentuch übernehmend legte Bartholomäus ihn trocken, richtete sich dann auf, um die schmalen Schultern zu massieren, durch die verwirrten Locken, die längst ihrem Seitenscheitel entflohen waren, zu streicheln. Unterdessen hatte Gennaro alle Bleche verteilt. Wortlos drückte er auch Bartholomäus einen warmen Weck in die Hand. In der guten Stube war es schon recht voll, denn übers Wochenende zum Neujahrstag waren schon einige Gäste angereist, die ein ruhiges Silvester mit einer Nachtwanderung verbringen wollten. Nicht der geeignete Ort, sich jetzt auszusprechen. Er wollte sich in den Verkauf zurückziehen, doch Bartholomäus' Linke auf seinem Arm hielt ihn auf. Also blieb er, ein wenig unbehaglich. Parsival, der seinen Weck bis auf den letzten Krümel verzehrt hatte, begann, den Blick auf seine den Becher umklammernden Hände gerichtet, zu berichten. Davon, dass er sein Leben vollkommen verändern wollte. Wie er schnell ein neues Bankkonto eröffnet und dank der veränderten Gesetzgebung dabei unterstützt wurde, das alte rasch aufzugeben. Von dem Vermieter, einer städtischen Gesellschaft, die sich trotz der Feiertage erfreut zeigte, dass er sein Mietverhältnis zu beenden beabsichtigte. Denn dann könne man renovieren, ohne eine Ersatzwohnung anbieten zu müssen. Von der Kfz-Versicherung, die nicht begeistert war, dass er kurz vor dem Jahreswechsel die Verlängerung verweigerte und kündigte. Weil er frei sein wollte von all den zehrenden Verpflichtungen der Vergangenheit. Und wie dann die Mutter mit einem Cousin und dem Auto, für das er die Beiträge zahlte, aufgekreuzt war, noch ahnungslos ob seiner Absichten, aber allein schon erbost darüber, dass er sich für die Feiertage ihrem Zugriff entzogen hatte. Wie sie ihn vor den Kollegen genötigt hatte, ihm all sein Bargeld als Kompensation für das Benzin zu geben. Und wie dann der Cousin ihm zur Verdeutlichung seiner Position mit der flachen Hand und dem schweren Ring ins Gesicht geschlagen hatte. "Ich wusste ja, dass es schwer wird, und ich wollte es schaffen, bloß nur für ein Weilchen..." Parsival stockte. Nur für das Wochenende erhoffte er sich eine sichere Zuflucht und Auszeit. Dass alle Zimmer ausgebucht waren, hatte er nicht geahnt. Und Bartholomäus hatte ihm auf die knappe Bitte, ihn sehen zu dürfen, gleich eine Zusage erteilt, ganz unabhängig von der Zimmerfrage. SEIN Bett war schließlich groß genug für sie beide! Gennaro, der sich erschrocken, konsterniert und erschüttert gezeigt hatte, staunte stumm. Bartholomäus hatte tatsächlich so prompt reagiert, ihn sogar um einen Besuch gebeten?! Mein lieber Schwan, konnte es sein, dass hier besondere Gefühle im Spiel waren?! Bartholomäus hatte Parsival unterdessen auf die Füße gezogen und hielt ihn in seinen Armen. Wie konnten sie so etwas tun? Das war nicht in Ordnung, nicht zu rechtfertigen, auch wenn sie ein gewisses Mitleid verdienten, weil ihr Dasein offenbar aus Missgunst, Eifersucht und Geltungsdrang zu bestehen schien. "Vielleicht ruht ihr euch noch ein wenig aus, und du benutzt die Salbe." Ließ Gennaro sich vernehmen. "Wir haben ja noch ein wenig Zeit bis zum Abendbrot." Auch wenn er selbst noch an seinem Herzschmerz zu knabbern hatte, war er entschlossen, den beiden zu helfen. Bartholomäus nickte knapp, löste einen Arm und dirigierte Parsival zum Hof hinaus, dessen Rucksack am Tragegurt fest umklammernd. Nein, das war nicht in Ordnung, und er mochte keinen Unfrieden in seinem Alltag. Dagegen musste etwas unternommen werden! ?~? In Bartholomäus' Zimmer angekommen verstaute der zunächst Parsivals Rucksack, wickelte ihn dann umsichtig aus Trenchcoat, Strickjacke und Anzug, dirigierte ihn dann unter die Bettdecke. Parsival kuschelte sich ein, ließ sich dann sehr sanft die lädierte Wange behandeln. Bartholomäus streifte sich seine Kleider ab bis zur Unterhose, glitt dann an seine Seite und drapierte sich vorsichtig Parsival auf seine Brust. Seine Hände streichelten über wirre Locken, das knorpelige Rückgrat, die raue, dünne Haut, hervorstehende Knochen und Sehnen. "Erzähl mir, was du die Woche schon alles geschafft hast." Bemühte er sich in der gewohnten Weise um das Positive. Die Liebkosungen genießend berichtete Parsival also vom Entgegenkommen bei Bank und Vermieter. Aber auch vom Hausverbot des Verwalters ihres Geschäftsgebäudes, der seine sämtliche Verwandtschaft bei derartigen Auftritten nicht auf dem Gebäudekomplex sehen wollte. Sehr unangenehm, aber gleichzeitig auch eine Entlastung, wie Parsival offen bekannte. Nach DIESEM Schauspiel musste er nicht mehr herumdrucksen, sich verlegen erklären, warum seine Situation sich so unvorteilhaft für ihn ausnahm. "Ich werde das tun, weißt du?" Raunte er an Bartholomäus' Brust. "Es gibt nichts mehr von mir! Ich zahle keine Raten mehr für das Auto, auch keine Versicherung. Niemand außer mir selbst kann noch an mein Konto. Sie müssen endlich für sich selbst sorgen!" Etwas verlegen ob seines energischen Ausbruchs wechselte er zu seinem Herzenswunsch über. "Na ja, und weil hier noch Zimmer zu vermieten sind, habe ich gehofft, es würde niemanden stören, wenn ich auch als Mieter dazu käme. Ich halte meine Sachen in Ordnung, ich kann anpacken und was ich noch nicht beherrsche, das werde ich mir schnell aneignen!" Beinahe flehentlich lief sein Plädoyer aus, als fürchte er, Bartholomäus könne etwas einzuwenden haben, sich bedrängt fühlen von einer möglichen Nähe. "Ich freue mich." Drückte der, diese Sorge ahnend, einen Kuss auf die sich aufwärmende Stirn. "Und ich helfe dir beim Umzug. Je mehr Mieter mit vielen unterschiedlichen Fähigkeiten, umso besser. Das wird bestimmt schön!" "Ich gebe mir alle Mühe!" Versicherte Parsival, sich kurz aufstützend, um in den braunen Augen nach den besorgniserregenden Wolken zu forschen, die er zum ersten Mal in der Backstube bemerkt hatte. "Das tust du immer, nicht wahr?" Lächelte Bartholomäus neckend. "Ein besonders liebenswerter Charakterzug, finde ich." Errötend blinzelte Parsival verlegen, flüchtete sich in die Bauchlage, die Wange an die warme Brustpartie schmiegend. "Jetzt kannst du dich aber erst mal ausruhen." Verkündete Bartholomäus entschieden. "Wir entspannen uns hier gemeinsam und schmieden später Pläne." Parsival schnurrte innerlich, weil er das "wir" gar nicht hoch genug schätzen konnte. ?~? Bartholomäus setzte tatsächlich alles daran, Parsival zunächst auf ganz andere Gedanken zu bringen. Da die zahlenden Gäste sich förmlich die Klinke der Sauna in die Hand gaben, spazierte er eben mit Parsival, sehr warm eingepackt, über das Gelände, um ihm seine neue Heimat im Detail vorzustellen. Denn, daran gab es für ihn keinen Zweifel, Parsival passte gut zur ihrer Gemeinschaft. Und mehr Mieter brachte auch ihr Zukunftsprojekt näher, nämlich andere Gebäude, die man eher konservierte als nutzte, entsprechend umzubauen. Wenn man sich gut verstand, auf gemeinsame Regeln verständigte, dann konnte man schließlich auch beschränkten Raum teilen, ohne dass es zu Reibereien kam. Jemand wie Parsival, der ohnehin stark zurückgenommen und bescheiden gelebt hatte, würde sich da umso leichter einfügen. Zum Abendbrot gesellte sich auch kurz Gennaro, der eine längere Schicht am letzten Tag des Jahres zu absolvieren hatte, denn für die nächtliche Wanderung galt es, jede Menge Proviant zu backen. Weshalb er eigentlich zeitig zu Bett gehen sollte. Doch seine Neugierde ließ ihn ein wenig den Zapfenstreich ausdehnen. Der stets nonchalante, gelassene Bartholomäus bemühte sich über das höfliche Maß hinaus? Wenn das mal keine Sensation war! Bartholomäus selbst schien das gar nicht zu bemerken. Es erleichterte ihn, dass Parsival trotz der auffälligen Wunde in seinem blassen Gesicht lächelte, mit gesundem Appetit aß und voller Zuversicht war. Da er gern von Menschen umgeben war, die sein Motto teilten und daraus auch kein Hehl machte, entging ihm Gennaros sezierender Blick. Vielmehr glaubte er, dieser wolle Neuigkeiten über Parsivals Sportkameraden Justus erfahren, ohne sich dies einzugestehen. Doch da gab es nichts zu gewinnen, denn Parsival erwähnte im Zuge seiner Planungen, sein Leben neu zu gestalten, dass er auch den Sport aufzugeben gedachte, weil es zeitlich zu knapp werden würde. Das müsse jedoch warten, da Winterferien gleichbedeutend mit "Sportbetriebsferien" waren, denn man nutzte eine Schulturnhalle. Bartholomäus zwinkerte Gennaro zu, der schnaubte, sich so ertappt zu sehen, und verkündete, er werde sich zurückziehen, es sei ja noch viel in einigen Stunden zu erledigen. Ob dieses abrupten Abschieds warf Parsival Bartholomäus einen erschrockenen Blick zu. Der beugte sich hinüber und tupfte einen sanften Kuss auf die einladenden Lippen. "Alles gut, Parsival." Und bald würde es noch besser werden, nahm er sich fest vor. ?~? Die Gunst der sehr frühen Stunde nutzend verließ Bartholomäus das kuschelige Nest, um sich rasch anzukleiden, eine Katzenwäsche zu absolvieren und dann die samstägliche Auslieferungsrunde zu drehen. Gennaro schien trotz Hochdruck und pulsierendem Swing guter Dinge und wirbelte durch die Backstube, als wolle er im nächsten Augenblick abheben. Überall trockneten, knackten und knusperten frisch der Gluthitze des Ofens entkommen Laibe, Wecken, Schrippen, Brötchen und Brezeln, mal herzhaft, mal pikant, mal süß. Von diesem Duft umfangen küsste Bartholomäus Parsival wach, um ihn in die Sauna zu entführen. Morgenstund sorgte für freien Zugang! Anschließend luden sie sich beide in der Backstube ein, zu einem improvisierten Frühstück. Mit dem Versprechen, später erneut zu helfen, ließ Gennaro sie ziehen, nicht zu Unrecht vermutend, dass Bartholomäus beabsichtigte, die gerade erst verzehrten Kalorien wieder in pure Energie umzuwandeln. Parsival hatte selbstredend nichts einzuwenden, ließ sich entblättern und verwöhnen, von der bebenden Leidenschaft erfüllt, die Bartholomäus so mühelos in ihm entfachte. Außer Atem, erhitzt und doch so geschmeidig wie selten richtete er sich an Bartholomäus' Seite ein, raunte ihm heiser seinen Dank zu. Der antwortete nicht wie zuvor in charmanter Lässigkeit, dass es ihm ein Vergnügen sei, nein, er umschlang Parsival fest, sah ihm tief in die Augen und bekannte seine Motivation. "Ich will mit dir zusammen sein. Weil ich dich begehre." ?~? Gennaro schloss sich dem nächtlichen Zug durch die Gegend an, immerhin holperten in zwei Bollerwagen seine handwerklichen Meisterstücke! Ein wenig melancholisch betrachtete er die ineinander verschränkten Finger, das vertraute Lächeln und Zwinkern der beiden Turteltäubchen vor sich. Wobei sie, das musste man ehrlicher Weise zugestehen, weder enervierend noch albern agierten und ihre Umwelt damit auf die Palme brachten. Zum Jahreswechsel unternahm man einen nicht allzu weiten Gang durch die Landschaft. Bis man ein freies Feld erreichte, dort ein Feuerrad mit Reisig und Stroh bestückte, das sich durch die Hitzeentwicklung beim Brand immer schneller drehte. Es wurden weder Raketen abgefeuert noch Böller verschossen, um Flora und Fauna nicht zu verschrecken. Stattdessen gab es aus der mobilen "Feldküche" der Bollerwagen alkoholfreien Treibstoff und Arbeit für die Beißerchen. Die freudig erregte Stimmung schlug sich in Wispern und leisem Lachen nieder. Man zählte gemeinsam die Sekunden herunter, dann wünschte man sich einen gelungenen Start, schüttelte Hände, klopfte Schultern oder umarmte seine Nachbarn und Freunde. War das Feuerrad heruntergebrannt, kehrten die ersten langsam unter Einsatz von Laternen zum Gut zurück, gemächlich, andächtig oder nur leise plaudernd. Ganz anders als die hitzig-überdrehten Partys, die Gennaro früher besucht hatte. Hochgetaktet, auf Spektakel abonniert, dazu noch mit dem latenten Druck, Anschluss zu finden, sei es auch nur für diese kurze Nacht. Die Atmosphäre hier sagte ihm stärker zu, enthielt nicht die hektische Hysterie und Verzweiflung der früheren Jahreswechsel seines Lebens. Es wäre natürlich schön gewesen, ebenfalls eine Hand halten zu können, jemanden, der den besonderen Glanz in den Augen hervorrief, einen "Lieblingsmenschen", neben sich zu haben. So musste er sich damit bescheiden zu wissen, dass andere dieses Glück erreicht hatten, ohne selbst zu begreifen, wie sehr sie seinem Ideal entsprachen. Andererseits war das neue Jahr noch ziemlich jung, und nur ein Hasenfuß hätte schon gleich die Flinte ins Korn geworfen! ?~? Wieder wartete Parsival die letzte Bahn am diesem Feiertag und Sonntag ab, in seine kleine Wohnung zurückzukehren. In seinem Rucksack befand sich der unterzeichnete Mietvertrag, ein wenig Proviant, und seine magere Gestalt war in die Strickjacke gewickelt, die Bartholomäus sich standhaft weigerte zurückzunehmen. "Sprich mir einfach auf die Box, dann komme ich zu dir und helfe dir packen." Erinnerte Bartholomäus konzentriert. "Ich kann bestimmt den kleinen Transporter ausleihen. Dann haben wir in Nullkommanichts deinen Umzug erledigt." Sein entschlossener Eifer rührte Parsival, der sich ein wenig genierte, Bartholomäus seine schäbige Unterkunft zu zeigen. Hätte er jedoch schon gepackt, würde es vielleicht gar nicht so sehr ins Gewicht fallen, denn schließlich sah es bei einem Umzug immer wie Kraut und Rüben aus, richtig? "Alles wird gut." Versicherte er Bartholomäus, umhalste ihn für einen letzten Kuss, bevor der Zug einfuhr und sie sich trennen mussten. "Bleib froh und munter!" Antwortete der ihm, drückte ihn ein wenig stärker, bevor er ihn freigab. Lächelnd stieg Parsival ein, gefühlte zehn Zentimeter größer und 100 Kilo kräftiger und selbstbewusster. Um das Glück zu gewinnen, das er an diesem Wochenende erneut erfahren hatte, würde er sich richtig ins Zeug legen und keine Mühe scheuen! ?~? Es verhielt sich keineswegs so, dass er es gewollt hätte! Nein, nachgerade gezwungen wurde er! Justus knurrte, um der Form zu genügen, vor sich hin, apportierte die große Reisetasche. Ja, er war sich bewusst, dass der moderne Mensch heute so ein rollendes, leichtgewichtiges Monster durch die Gegend chauffierte! Doch dieses Aushängeschild des polyglotten Weltreisenden wäre ziemlich schnell in einen bockenden Hackenbeißer mutiert, wenn man die Kieswege in Betracht zog. Also die Reisetasche auf den Buckel gewuchtet und den Zug verlassen. Es nieselte, natürlich. Und unverhofft sah man sich einer Erscheinung wie aus dem Zeitlabor gegenüber: tatsächlich flache Schiebermütze zu Knickerbockern in Tweed! Typ englischer Land-Edelmann der Zwanziger! "Was tust du hier?!" "Und was tust du hier?!" "Darf ich vielleicht keinen Urlaub haben?!" "Hier, in der Pampa?!" "Bin ich doch richtig, oder hast du deine Safari verpasst?!" "Ich jage höchstens Betthäschen, aber kein Großwild!" "Guck mich gar nicht so an, ich bin quasi ne Schwarze Mamba!" "....habe ich etwas anders in Erinnerung..." "Darüber will ich nicht reden! Überhaupt, hast du nichts zu backen?!" "Der Teig ruht." "Hättest dir ein Beispiel daran nehmen können!" "Und damit die Gelegenheit verpassen, einen Mann auf der Flucht vor der Frauenfront zu studieren?" "Das ist keine FLUCHT, das ist ein taktischer Rückzug! Außerdem, was verstehst du denn schon davon?!" "Nichts, deshalb bin ich ja auf Anschauungsunterricht geeicht!" "HIER gibt's jedenfalls nichts zu sehen, klar?!" "Stimmt, ich vermisse die weiblichen Horden im Gefolge." "Sicher, deshalb verziehe ich mich auch hierher! Damit mir die Hyänen gleich auf den Haxen sind!" "Hätte nicht gedacht, dass da so starke Emotionen im Spiel sind." "Spar dir bloß das süffisante Grinsen, ja?! Du hast keine Ahnung, wie hartnäckig und skrupellos die sind!" "Und dir auch noch an die Wäsche wollen, richtig?" "Quatsch! So ein notgeiler Depp bin ich nicht, dass die Nummer bei mir ziehen würde! Ha!" "Schade, das wirft meine gesamte Planung über den Haufen." "Planung?! Was für ne Planung?! Nein, ich will's NICHT wissen! Ich habe URLAUB! ER-HO-LUNG!" "Ja, aber ein Viertelstündchen wirst du doch erübrigen können..." "Zieh mich hier ja nicht auf, klar?! Ich hab schon so die Schnauze voll, die Anflirterei fehlt mir gerade noch!" "Wenn sie dir fehlt, habe ich ja Chancen..." "Noch so'n Kalauer, und ich verpasse deinem Tweed-Clownsanzug ein neues Muster!" "Was denn, willst du mir etwa die Klamotten vom Leib reißen?" "Ganz bestimmt nicht! Dieser alte Kram ist bestimmt von Motten-SCHAREN bevölkert!" "Na, wenn das so wäre, stünde ich hier textilfrei..." "Bloß nicht! Das ist Erregung eines öffentlichen Ärgernisses!" "Oh, wenn man's richtig anstellt, ist es Erregung eines öffentlichen Bedürfnisses, copulatio in spe coram publico!" "Spar dir dein versautes Latein! Ich hab hier keine Bedürfnisse, verstanden!" "Bist du dir da so sicher? Käme vielleicht auf einen Versuch an..." "Hände auf den Rücken! Und Distanz, aber pronto!" "Auf einmal so schüchtern?" "Ich bin nicht SCHÜCHTERN, ich bin erholungsbedürftig!" "Oh, da ließen sich schon sehr erholsame Möglichkeiten finden..." "Versuch's erst gar nicht, klar?! Seh ich vielleicht wie'n FBI-Fuzzie aus, der auf Fingerabdrucksammlungen an der eigenen Figur steht?!" "Wenn wir jetzt nach der Optik gehen..." "Spar dir bloß deine Nerd-Klischees! Ich bin KEIN Nerd! Nur weil ich 'irgendwas mit Computern' mache, bedeutet das nicht, dass ich notorisch auf den neuesten Technik-Schnickschnack abfahre!" "Ah, da hat mich dieser Outdoor-Naturburschen-Auftritt doch glatt in die Irre geführt..." "Horch mal, du säuselnder Eintänzer, ich habe JETZT schon übelste Laune, mach's also nicht schlimmer!" "Ach, das ist noch steigerungsfähig? Und nicht dein Normalzustand?" "Nur zu deiner Information, ich bin üblicherweise ein sehr umgänglicher, geduldiger und pflegeleichter Homo sapiens. Allerdings strapazierst du gerade TIERISCH meine Nerven!" "Durch pure Existenz und Gegenwart, nehme ich mal an." "Exakt! Kannst du dich also mal spontan subtrahieren?" "Sorry, aber Wegbeamen gehört nicht zu meinen trainierten Fähigkeiten. Stell dir doch einfach vor, ich wäre nicht hier." "Leichter gesagt als getan, wenn du mir quasi in den Hacken stehst!" "Also wirklich, das ist schon katholischer Abstand!" "Wie wäre es mit zehn Schritt vom Leib?!" Über die Schulter rufend wollte Justus gerade die nächste Spitze ihrer engagierten Kabbelei fortsetzen, als er mit seinem raumgreifenden Schritt beinahe in das Heck einer Limousine rannte. "Was soll der Mist denn?!" Schimpfte er, denn der Kiesweg war blockiert, man musste umständlich um das Gefährt herum marschieren. "Welcher Depp parkt denn hier?!" Was selbstverständlich auf dem Wirtschaftsweg zum Gut nicht erlaubt war. Und dann noch so ein schwarzer Angeberschlitten mit vier Augenringen! "Oh, verdammt!" Stellte Gennaro fest, beäugte das Kennzeichen mit düsteren Ahnungen. "Böser Besuch?" Ulkte Justus humorlos, nahm die Reisetasche von der Schulter, studierte Gennaros angespannte Haltung. "Das könnte Parsivals Familie sein." Erläuterte Gennaro und beschleunigte seine Schritte. "Wer?" Justus fiel neben ihm in den Laufschritt, denn das fehlte ja noch, dass ihn dieser Landlord-Verschnitt abhängte! "Percy!" Dolmetschte Gennaro besorgt. "Dein Sportkamerad. Er hat Ärger mit seinen Leuten und zieht zu uns. Eigentlich müsste er mit Bart gerade seine Wohnung ausräumen." "Na toll!" Schnaubte Justus grimmig. "Da will ich den einen Krawall hinter mir lassen, und jetzt so was! So viel zu ER-HO-LUNG!" Gennaro war im Begriff, etwas über Egozentriker zu äußern, deren Leid ja äußerst beklagenswert war, doch Justus stoppte ihn mit einem unerwartet kräftigen Griff um den Unterarm. Er schnüffelte wie ein Trüffelschwein, verzog dann die Miene. "Bewegung!" Kommandierte er Gennaro, während er in Laufschritt fiel. Das Gut kam mit der nächsten Biegung in Sicht und Justus beschleunigte noch, als er drei schwarz vermummte Gestalten erblickte, die sich Büsche und hohe Gräser zur Tarnung gewählt hatten. "Die wollen die Bude abfackeln!" Brüllte er und sprintete los, die Reisetasche zwecks Balance schwingend. "Ich-glaub's-geht-los! Seid ihr noch ganz sauber, oder was?!" Trotz seines wütenden Geschreis überrumpelte er einen der Buschhocker und streckte ihn mit der Reisetasche fachmännisch nieder. Nummer 2, aus den Knien federnd, preschte ihm entgegen. "Vorsicht!" Gennaro nahm ebenfalls Tempo auf, doch da wurde der Angreifer bereits mit einem eleganten Schulterwurf in die Brennnesseln befördert. "Hol Hilfe!" Justus wandte sich Nummer 3 zu, der tatsächlich einen Molotow-Cocktail balancierte. Es stank nach Brennspiritus und Grillanzünder. Für einen Moment im Zwiespalt zögerte Gennaro, hielt dann aber auf die nächste Feueralarmstation zu. Pustete mit aller Kraft in die Trillerpfeife und drehte an der Kurbel für die Sirene, die hier ihre rostige Altersruhe hatte finden sollen. Entfernt hörte er Gebell, Rufe und auch die Tiere, doch er hatte keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren. Allein würde Justus gegen drei nicht bestehen können! Da hatte er jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Justus hatte sich nicht nur aus der Flugbahn des Brandbeschleunigers in der Glasflasche gedreht, sondern die Attacke erwidert, bevor sein Gegenüber das Springermesser zum Einsatz bringen konnte, mit dem sie Stofflappen zersäbelt hatten. Ein wuchtiger Tritt vors Schienbein, gleichzeitig mit beiden Händen flach gegen den Kopf gedroschen und dann den spitzen Ellenbogen von hinten in die untere Lende gerammt. "Euch werd ich helfen, ihr Drecksäcke! Hier herumzündeln wollen! Und du, bleib unten, sonst setzt's was!" Gennaro zwang schweigend den Brennnessel-Lander wieder mit verdrehtem Arm auf die Knie, dann hörte er auch schon, wie Verstärkung herbeigerannt kam. Justus schien allerdings nicht zu bremsen. "Obacht, wir brauchen eine Decke, da flämmst es! Und Stricke, aber fix!" Während eine Plastikplane eilig herbeigeschafft wurde, um das Feuer zu ersticken, fesselte Justus mit groben Stricken die drei verhinderten Brandschatzer. "So, jetzt werden wir uns unterhalten." Verkündete er grimmig, als Stine dazu kam, ein schluchzendes Kind bei sich, das eine Laufente im Arm hielt. "Was denn, auch noch Tiere tot getreten?!" Erfasste Justus mit einem Blick die Situation, zog die Fesseln noch enger. Die Flüche, die er nicht verstand, kümmerten ihn wenig. Vielmehr packte er den kräftigsten der Drei, der am Lautesten herumgebrüllt hatte und bog dessen Arm herum. "Sind da noch mehr von euch unterwegs?" Erkundigte er sich frostig. Auf die Verwünschungen hin bog er den Arm im Gelenk in einen unnatürlichen Winkel und wartete geduldig, bis das Wehgeschrei in Keuchen endete. "Ich frag dich nicht noch mal. Immerhin hast du ja noch einen Arm. Im Augenblick jedenfalls noch." Stellte er ungerührt fest. "Also?!" "Nur wir! Aber warte, wenn Polizei kommt..." "Oh, da mache ich mir so gar keine Sorgen!" Antwortete Justus kaltschnäuzig. "Erst mal dauert es ja, bis irgendwer die Polizei alarmieren kann. Und dann haben irgendwelche Idioten die Zufahrt hierher mit ihrer hässlichen Karosse blockiert. Das kann also dauern." "Und jetzt?" Stine wandte sich Justus zu, der so selbstherrlich das Kommando an sich gerissen hatte. "Na, ich finde jetzt mal heraus, wer die Herren sind." Justus lächelte diabolisch. "Und für die Spurensicherung werden wir hier nichts mehr verändern. Deshalb..." Er zog an einer Fessel, was Geschrei auslöste. "...solltet ihr das Maul halten, wenn ihr nicht absaufen wollt. Sieht verdammt nach nem ordentlichen Guss aus." ?~? Gennaro übernahm es, bis zum Empfangsbereich des Mobilanbieters zu marschieren und einen Hilferuf abzusetzen. Dann warnte er Bartholomäus, dass sie besser aufpassten, nicht auch überfallen zu werden. Offenbar war Parsivals Familie doch nicht zu dumm herauszufinden, wohin er sich verziehen wollte. Als er zurückkehrte, hockte Justus im strömenden Regen vollkommen unbeeindruckt zwischen den drei Gefangenen, die tatsächlich in größer werdenden Pfützen auf dem Bauch lagen. "Na, willst du immer noch defätistische Äußerungen über meine Bekleidung machen?" Schnurrte Justus ihn an, bester Laune. Gennaro seufzte bloß und ging neben der toten Laufente in die Hocke. Wahrscheinlich hatte die kleine Schar neugierig die ungebetenen Besucher inspiziert... und die hatten sich bösartig revanchiert. Wenn Lupo nicht mit Hinnerk unterwegs wäre... Traurig ließ er die Fingerspitzen über den weichen Flaum unter der Brustpartie gleiten. Eine hämisch klingende Bemerkung ignorierte er, doch Justus hielt sich nicht zurück. "Maul halten, sonst finde ich raus, wie ich dich noch mehr verschnüren kann, klar?!" Zu Gennaros Verblüffung löste das tatsächlich Schweigen aus, denn offenbar erkannten die drei Missetäter, dass Justus wirklich keine Sorgen hegte, was die Polizei betraf. Oder Anzeigen zur exzessiven Gegenwehr. "Und so viel zu meinem Urlaub. Ruhe und Frieden." Resümierte er unter dem Wolkenbruch. "Dafür bin ich raus in die Pampa." "Wenigstens haben dich die weiblichen Hyänen noch nicht aufgespürt." Seufzte Gennaro. "Ja, danke für die Erinnerung! JETZT fühle ich mich gleich besser, wo es noch schlimmer kommen kann!" Den Kopf schüttelnd gab Gennaro auf. So hatte er sich seinen Samstagmorgen ganz sicher nicht vorgestellt! ?~? Es dauerte tatsächlich eine ganze Weile, bis eine veritable Mannschaft anrückte. Man musste schließlich erst einen Experten für Brände herbeischaffen, einen Mannschaftswagen, um die drei Übeltäter aufzulesen, dazu noch einen Abschleppwagen für die Limousine, in der Beweise zu sichern waren, was den Transport der Brandbeschleuniger betraf. Es verging auch einige Zeit, bis alle Zeugenaussagen aufgenommen waren. Selbst die getötete Laufente wurde mitgenommen. So bot sich Parsival und Bartholomäus, die zu zweit den Umzug gestemmt hatten, eine sehr gedrückte, ernste Stimmung, als sie besorgt ob Gennaros Anruf eintrafen. Selbstredend blieb es Parsival nicht erspart, die Identität seiner Verwandten zu bestätigen und ebenfalls eine ausführliche Aussage zu Protokoll zu geben. Ihn schockierte das, was geschehen war, und entsetzte, was gerade im letzten Moment hatte abgewendet werden können. "Das habe ich nicht geahnt! Es tut mir so leid! Wenn ich es irgendwie gutmachen kann..." Entschuldigte er sich bei Stine in der guten Stube, wo sich fast alle aufhielten, denn es regnete nun Bindfäden. "Schlimmeres wurde ja verhindert." Klopfte sie ihm ernst auf die knochige Schulter. "Es ist nicht deine Schuld, Percy." Rational gesehen traf das natürlich zu, aber Parsival wusste aus leidvoller Erfahrung, dass immer etwas hängen blieb. Ein negativer Impuls mit ihm verbunden war, denn ohne seine Anwesenheit hätte es diese Aufregung nicht gegeben. Ganz zu schweigen von der Laufente, die mutwillig getötet worden war. Dabei sollte es doch so ein herrlicher Tag werden, endlich frei und wohlgelitten, die besten Voraussetzungen, zukünftig froh und munter zu sein! Bartholomäus schlang ihm einen Arm um die Schulter. "Sei nicht so traurig, Parsival. Sie wollten alles zerstören und unsere Gemeinschaft hier vergiften, aber das gelingt ihnen nicht. Der Hof ist intakt, wir sind alle sicher und wohlauf. Zusammen sind wir stark. Ich finde, das sollten wir feiern! Wir sind hier und wir bleiben!" "...da hast du schon Recht." Pflichtete Stine ihm nach einem kritischen Augenblick bei. "Na schön, dein Vorschlag, also solltest du dich auch tummeln!" Bartholomäus salutierte gekonnt mit dem freien Arm, drückte Parsival dabei sanft an sich. "Unbedingt! Und ich hoffe auf viele Helfer!" Zwinkerte er lausbübisch in die Runde, was ihm nachsichtiges Gelächter einbrachte. Parsivals Habseligkeiten konnten auch noch später in seinem neuen Zimmer verstaut werden! ?~? "Bloß kein Aufguss! Ich will hier nicht zerfließen!" "Ich verspüre auch nicht den Wunsch, dich aus dem Abfluss zu pflücken." "Reizend, dabei habe ich die Hütte gerettet!" "Und außerordentlich spektakulär. Hätte nicht gedacht, dass du so an den Mann gehst!" "Pah, ich höre GENAU, was du da unterschwellig andeutest!" "Das war ein Kompliment zu deiner imponierenden Kampftechnik! Und wie du auf gleich drei Männer losgegangen bist..." "Die wollten die Bude abfackeln, das konnte man doch riechen! Im Übrigen weise ich darauf hin, dass ich Pazifist bin!" "Erstaunlich, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen." "Eben! Ich bin ein SEHR friedliebender Mensch. Solange sich alle an diese Regel halten. DIE waren auf Stunk aus." "Und du hast sie alle auf die Bretter geschickt! Oder vielmehr auf die Grasmatte gelegt!" "Kannst du vielleicht mal mit diesen Anspielungen aufhören, ja?! Nur kein Neid, sag ich bloß!" "Ach du Güte, wärst du nicht enttäuscht, wenn ich als schmieriger Charmeur aus der Rolle falle?" "Von wegen! Aber denk ja nicht, mich würde dieses Gesäusel wuschig machen!" "Trotzdem bist du jetzt hier." "Um mich aufzuwärmen, klar? Und meine Klamotten müssen ja auch mal trocknen!" "Der urbane Dschungelanzug für den Nahkampf." "Wenigstens müssen MEINE Klamotten jetzt nicht drei Tage vorm Ofen hängen, bis sie abgetrocknet sind! Überhaupt, woher hast du diesen überkandidelten Aufzug bloß?!" "Ach, interessierst du dich für meinen Schneider?" "Bestimmt nicht! Der müsste ja auch schon scheintot sein!" "Bei zeitlosen Klassikern ist das keine zwingende Bedingung." "Vielleicht in den schottischen Highlands oder sonst wo, aber hier?! Fragt dich eigentlich keiner, wo der Zirkus seine Zelte aufgeschlagen hat?!" "Tsktsk, und eben hattest du mich schon beim Varieté verortet. Entscheide dich mal!" "Wohl eher beim Karneval oder Kostümverleih! Dauernd eine andere Maskerade." "Nichtsdestotrotz immer ich. Wenn dich allerdings meine Bekleidung ständig aufbringt, solltest du doch jetzt zufrieden sein." "He, das klingt ja so, als wäre ich scharf darauf, dich hier nur mit Handtuch zu beglotzen!" "Bist du nicht?" "Absolut nicht! Das fehlte mir auch gerade! Herrn Komplimente-Fischer auch noch Stielaugen machen, bloß weil er hier wie Adonis herumhockt!" "Also, mich würde das nicht stören! Ich wusste bisher nicht, dass ich dir so sehr gefalle." "Mir?! Von mir ist hier gar nicht die Rede, ich spreche ganz objektiv! Sieht doch jeder, Symmetrie, Goldener Schnitt, perfekte Proportionen. Überall Muckis, dazu noch Waschbrettbauch! Und dann diese Frisur! Definitiv unsportlich!" "Meine Haare sind unsportlich?" "Nicht nur die, grundsätzlich alles! Absolut unfair! Immer wie aus dem Ei gepellt! Selbst nach ner Prügelei noch schniegelpoppig-adrett mit unkeuschen Untertönen!" "Unkeusche Untertöne? Ehrlich? Deshalb kannst du mich nicht leiden?" "Was heißt hier 'nicht leiden'?! Es ist einfach eine Sauerei, dass einer so perfekt ist und dann auch noch herumscharwenzelt wie ein Pfau! Da ist kein Rock vor sicher!" "Dir ist aber schon klar, dass ich schwul bin, oder?" "Das hat doch damit nichts zu tun! Als ob das irgendwen abhalten würde! Die gehen ran an den Mann, so schnell kannst du gar nicht verduften!" "Wirklich? Tut mir leid, dich da zu enttäuschen, aber das ist mir weder jemals passiert, noch habe ich daran ein Interesse." "Eben! Und das ist ja so unsportlich!" "Moment mal, bist du etwa neidisch?" "Quatsch! Denkst du etwa, ich würde mich darum reißen, von der weiblichen Rotte gestellt, geschlagen und erlegt zu werden?! Bloß nicht!" "Nun, theoretisch könntest du dich ja wehren wie vorhin." "Ja, da staunste, was? Ich sag nur Selbstverteidigungsgruppe im örtlichen Turnverein! Verlernt man nicht, sehr praktisch im Alltag." "Überaus beeindruckend. Du musst gefürchtet gewesen sein." "Das will ich meinen! Gab genug Deppen, die meinen, dass es lustig ist, den bebrillten Eierkopf zu verdreschen. Die meisten haben es nach dem ersten Versuch kapiert und sich ein anderes Hobby gesucht." "Dann überrascht es mich, dass du mich nicht verprügelt hast." "Na, Verzeihung, da war ich eben etwas perplex! Ich kann ja nicht ahnen, dass ich hier angeflauscht werde!" "Tatsächlich? Kam mir aber sehr provoziert vor." "Überhaupt nicht! Ich habe NOCH NIE irgendwen dazu angehalten, mir an die Wäsche zu gehen!" "Wirklich, du bist der Typ passiver Genießer? Wie man sich täuschen kann..." "Was heißt hier 'Genießer'?! Ich hatte lediglich keinen akuten Grund, die Avance abzuwehren! Als höflicher Mensch ist man ja in gesittetem Rahmen entgegenkommend." "Dann hatte ich also unverschämtes Glück, dass du mich gleich zwei Mal nicht massakriert hast, wie? Nebenbei, welcher Grund hat mir den das Leben gerettet?" "Jetzt übertreib mal nicht so, ich habe diese Vögel bloß leicht lädiert! Als ob ich dauernd irgendwen abmurksen würde!" "Das ist keine Antwort auf meine Frage." "Und ich bin hier nicht in der Schule und muss schlaue Antworten geben!" "Also weichst du mir aus? Dann muss es ja ein sehr gewichtiger Grund sein!" "Pah, könnte genauso gut Unlust gewesen sein, mir die Pranken zu verstauchen, wenn ich deinen Luxuskörper in die entgegengesetzte Richtung torpediere!" "Ich hatte jetzt nicht den Eindruck, dass du unter einem Lustmangel leidest..." "Verdreh hier nicht alles, ja?! Überhaupt, warum muss ich mich hier rechtfertigen, dir nicht eins auf die Nase gegeben zu haben?! DU hast doch angefangen!" "Aber du hast mitgemacht!" "Und?! War das nicht deine Absicht?!" "Zumindest meine wilde Hoffnung." "A-HA! Obwohl du mich nicht ausstehen kannst! Ganz schön perfid!" "Ich habe nie behauptet, dass ich dich nicht ausstehen kann..." "Von wegen, du hast mich als NERD bezeichnet! Meine Klamotten runtergemacht, mich sogar als HIPSTER deklariert!" "Und DU warst von der ersten SEKUNDE an gehässig zu mir, hast mir ständig irgendwelche schmierig-sexuellen Motive unterstellt!" "Das liegt eben an deinem Auftritt! Dieser so perfekten Verschalung eines Posers, dass einem ganz anders wird!" "Übel oder wuschig?" "Was spielt das für eine Rolle?! Jedenfalls trägst du Mitverantwortung!" "Dass du mich nicht leiden kannst, weil ich so attraktiv wie ein notorischer Verführer FÜR DAMEN aussehe, obwohl ich dir gesagt habe, dass ich nur auf Männer stehe?!" "Genau! Teilweise zumindest! Denn ICH habe auch nie gesagt, dass ich dich nicht leiden kann, klar?!" "Aber dein vorgeblich mickriges Selbstwertgefühl hält es in meiner Gegenwart nicht aus, weil ich aussehe, wie ich aussehe?!" "Das ist nicht mickrig! Und guck dich doch mal an! Allein schon diese Frisur! Wieso liegen die immer passend?!" "Guter Frisör?" "Von wegen, das ist garantiert eine Teufelei! Wer so gut aussieht, MUSS definitiv eine Macke haben, sonst gerät das natürliche Gleichgewicht durcheinander!" "Sag mal, das glaubst du doch nicht ernsthaft, oder?! So eine dämliche Verschwörungstheorie!" "Das ist nicht dämlich, sondern empirische Logik! Gut, man könnte deinen gruseligen Klamottengeschmack einbeziehen, aber selbst der ist ja in sich stimmig, was wiederum als Macke ausscheidet." "Ich kann nicht glauben, dass du mir einen gruseligen Geschmack unterstellst, selbst aber offenbar Bondage-Spezialist bist!" "Bondage? Ach was, bloß drei Wochen Chiemsee-Segel-Camp und Dauerregen. Da lernt man ganz fix alle möglichen Verschnürungstechniken! Mit irgendwelchem Sex-Kram hat das nichts zu tun!" "Was für eine Verschwendung deiner natürlichen Talente!" "Komm mir bloß nicht so! Ich hab's nicht nötig, irgendwen festzutüdeln, um meine Viertelstunde Entspannung zu absolvieren!" "Nur eine Viertelstunde? Ganz schön eilig... oder sollte ich sagen, knauserig?" "Pah, du kommst vermutlich einfach nicht zu Potte! Und das ist ja wohl mal so was von ineffizient!" "Beim letzten Mal gabs aber keine Klagen von dir." "Ich war überrumpelt, das sagte ich ja schon!" "Und trotzdem bist du schon wieder hier." "Na und?! Ich kann ja wohl Urlaub machen, wo ich will!" "Ausgerechnet hier, wo dir ein notorischer Casanova ständig an die Wäsche gehen könnte?" "Hast du nicht was zu tun?! Backen und sonst was?! Außerdem habe ich keine Angst vor dir!" "Dafür hast du aber bestimmt sehr häufig an mich gedacht, nicht wahr?" "Bild dir bloß nichts ein! Ich habe UNMENGEN andere Gedanken im Kopf!" "Ich könnte für eine temporäre Reduktion sorgen..." "He, Hände weg! Schluss jetzt, mir ist's zu heiß!" "Wir sollten ohnehin aus der Sauna, die Zeit ist fast um." "Hat keiner gesagt, dass du auch raus musst! Kannst hier ruhig weiter verschrumpeln." "Käme das deinem Geschmack denn eher entgegen als meine normale Perfektion?" "Pah! Mach was du willst, bin ja nicht deine Mutter!" Justus verließ das Sauna-Kabäuschen und steuerte die offene Dusche an. Nicht ganz einfach, denn er hatte seine Brille bei seinen Kleidern abgelegt, da sie ohnehin nur beschlagen wäre. Unter dem lauwarmen Pusselstrahl (Wasser sparen dank Luftbeimischung) registrierte er eine beschämende Erleichterung darüber, dass er aufgrund der unerwarteten Auseinandersetzung mit den drei Übeltätern seine nervöse Aggressivität Gennaro gegenüber verloren hatte. Dass der Kerl ihn auch eigens an der Bahnstation abholen musste! Rasch wich er ihm also aus, als Gennaro ebenfalls zur Brause kam, die Sauna anständig hinterlassend. "Was denn, nicht eiskalt?" Schnurrte er Justus zu, der sicherheitshalber gleich seine Brille justierte, bevor er sich abtrocknete. "Seh ich vielleicht wie so ein fanatischer Gesundheitsapostel oder Mucki-Macho aus?! Wenn die sich die Pinkulatur verkühlen wollen, bitte sehr, solange sie nicht in meiner Krankenkasse sind! Aber ich hab's nicht nötig, den Macker zu markieren!" Mal grundsätzlich, was brachte auch die Selbstkasteiung, wenn man vielleicht unter einen Laster geriet?! Da konnte man noch so fit wie ein Turnschuh sein, Matsch war Matsch! "Wir können die Bademäntel und Latschen nehmen." Machte sich Gennaro bemerkbar, strich sich beiläufig durch die nassen Haare. Justus warf ihm einen bitterbösen Blick zu, der ihn überrascht innehalten ließ. "Was ist?" "Da!" Erbost mit anklagendem Finger deutete Justus auf Gennaros schwarze Locken. "Schon wieder! Vielmehr immer noch!" Gennaro blinzelte verblüfft, begriff dann. Und streckte Justus die Zunge raus. "Du bist doch neidisch!" "Und du unfair! Wieso sieht der Putz immer wie geleckt aus?!" Und ehe sich beide versahen, hatte Justus die Rechte gehoben und wirrte wild über Gennaros Schädeldecke, die Symmetrie der nassen Locken in Unordnung zu versetzen. Reflexartig packte Gennaro die zerwühlende Hand, fing dann auch die Linke ab, die automatisch zur Hilfe kommen wollte. Und weil sie nun in intimer Distanz standen, ging er zur Attacke über, küsste Justus so verlangend wie beim letzten Mal im Trockenraum. Beinahe erwartete er, trotz der umklammerten Hände, durch einen Selbstverteidigungstrick schmerzhaft außer Gefecht gesetzt zu werden. Doch Justus schob ihn erst nach einer ganzen Weile unter Protestgeräuschen von sich. "Genug jetzt! So kommen wir nie über den Hof!" Schimpfte er, wies mit dem Kinn auf sich deutlich abzeichnende Muskelschwellungen in Schritthöhe. "Dann komm mit zu mir!" Offerierte Gennaro hastig, sich die Lippen leckend. Prompt traf ihn ein grimmiger Blick, der ihn als gewissenlosen Verführer brandmarkte. Hilflos zuckte er mit den Schultern, denn seine Geste hatte einem Reflex gedient. "Willst du mir etwa deine Briefmarkensammlung zeigen?" Knurrte Justus ihn an. Wie immer in Vorwärtsverteidigung. "Ich will mit dir die Laken zerwühlen." Stellte Gennaro richtig. Verniedlichende Metaphern wirkten lächerlich, wenn man Mühe hatte, sich zu beherrschen, und das für alle (oder zumindest die einzige andere Person in Reichweite) sichtbar. Justus musterte ihn kurz, reckte dann das Kinn. "Aber mein Pöter ist tabu, klar?! Da steckt niemand irgendwas rein. Und ich halte es umgekehrt genauso, capice?!" Gennaro hatte Mühe, ein erregtes Auflachen zu unterdrücken. "Ich verspreche, dass dein Pöter sicher ist." Antwortete er feierlich. "Na schön." Um seine Nervosität zu verbergen rollte Justus die Schultern, die natürlich nicht annähernd so beeindruckend wie Gennaros waren. "Bevor mir die Kronjuwelen einfrieren, her mit dem Gelump!" Artig reichte Gennaro einen Bademantel weiter, schlüpfte selbst in das zweite Exemplar und stapelte ihre abgelegte Wäsche rasch in einem geflochtenen Korb. Er wollte nicht darüber nachdenken, warum er sich auf diesen unmöglichen Kerl einließ, der sich fortwährend nur mit ihm zu streiten schien. Wenn sie nicht gerade auf anderen Gebieten wetteiferten. Aber vielleicht war es der Umstand, dass Justus ihm den Korb abnahm, damit er sein Zimmer aufschließen konnte. Oder der Moment, wo der Korb auf den Boden plumpste und Justus ihn geradezu gierig küsste. »Du lernst es wohl nie!« Jammerte eine Stimme in seinem Hinterkopf, doch er ignorierte sie geflissentlich und übernahm die Führung. ?~? Bartholomäus war entschlossen, eine kleine Feier auszurichten, deshalb musste die gute Stube dekoriert und ein leckeres Buffet geplant werden. Außerdem holte er schon Spiele heraus, aber auch den alten Plattenspieler mit der Stereoanlage, falls man das Tanzbein schwingen wollte. Parsival half schweigend, immer darauf bedacht, sich nützlich zu machen. Währenddessen kreisten seine Gedanken immer um den einen Punkt: was hatten sie sich bloß dabei gedacht?! Niemand konnte schon ahnen, dass er den Geldhahn zugedreht hatte, das ganze Ausmaß seiner Abkehr war noch nicht publik. Und trotzdem. Trotzdem waren sie hierher gefahren, eine nicht unbeträchtliche Strecke, um seine neue Heimat niederzubrennen?! Obwohl sie gesehen hatten, wie viele Menschen und Tiere hier lebten?! Unvermittelt zog Bartholomäus ihn in eine enge Umarmung, hielt ihn fest an sich gedrückt. "Es ist doch gut gegangen!" Wiederholte er leise an Parsivals Ohr. "Wir sind jetzt hier, zusammen, gesund. Denk nicht mehr an sie!" Es klang so ernst, so besorgt, dass Parsival sich noch mehr schämte und zu einer kläglichen Entschuldigung ansetzte. "Nicht!" Bremste Bartholomäus ihn aus. "Laste dir nicht ihre Verantwortung auf. Ich möchte mit dir froh und munter sein!" Hastig nickte Parsival, streichelte verlegen über den kräftigen Rücken. Bartholomäus bemühte sich so sehr um ihn, während er nur um sich selbst kreiste! "Ich möchte auch, dass wir froh und munter sind." Wisperte er und straffte energisch die schmalen Schultern. "Immerhin ist heute unser erster gemeinsamer Tag hier!" "Genau!" Endlich erschien auf Bartholomäus' Zügen das gewohnt lässige Lächeln wieder. "Lass uns das richtig feiern." Sie tauschten einen kurzen Kuss, Bartholomäus zwinkerte, Parsival errötete leicht und blinzelte scheu zurück. "Also, was brauchen wir denn noch?" Mit tänzerischer Anmut wirbelte Bartholomäus Parsival aus seinen Armen in eine elegante Drehung. "Vor allem mehr Licht." Stellte Hinnerk fest, der seine Zeitung kaum mehr lesen konnte und sich nun hoch stemmte. "Und dann, Jungs, gehen wir in die Kombüse, denn Stine kann sicher Unterstützung brauchen!" ?~? Justus kraulte ihm schon wieder durch die Locken! Gennaro konnte ein träges Raubtierlächeln nicht ganz unterdrücken und schmiegte sich bequem an ihn. "Wirbel." Stellte der gerade entschieden fest. "Ganz perfid! Kein Wunder, dass alles immer wie geschniegelt aussieht!" "Kannst du mich deshalb immer noch nicht leiden?" Justus seufzte geplagt. "Na schön, ich GEBE ZU, dass ich ein klein wenig von dir eingenommen bin, in Ordnung?! Immerhin sind deine Backwaren sehr lecker." "Vielen Dank für die Blumen! Also finden wenigstens meine inneren Werte bei dir Anklang." "Die äußeren sind auch recht akzeptabel." Gab Justus widerwillig nach. "Und es sollte meinen 'gruseligen Klamottengeschmack' etwas aufwiegen, dass ich keine weibliche Hyäne bin, die dich als Beute stellen, schlagen und erlegen will." "Okay, das sind ein paar Bonuspunkte extra! Reicht das jetzt?!" "Damit du mich magst? Sag du's mir!" "Wieso ich?! Außerdem, warum soll ich hier allein die Hosen runterlassen?!" "Die wir gerade nicht mal anhaben..." "Darum geht's nicht! Wieso sagst DU nicht mal, warum du mich zwar nicht verknusen kannst, aber trotzdem das Herrengedeck ordentlich poliert hast!" Gennaro stützte sich auf und betrachtete mit kritisch gebogenen Augenbrauen das dezent errötete Gesicht. Er konnte jetzt natürlich mit derselben Münze antworten, ihre losen Zungen schenkten sich ja nichts, doch dann würden sie sich immer weiter im Kreis drehen. Hübsch artig auf Abstand, damit auch ja nicht mehr daraus werden konnte als die gegenseitige Bedürfnisbefriedigung. "Ich mag dich." Gennaro schluckte tapfer. "Sogar sehr. Dass du mich sofort abgelehnt hast, war ein Schlag ins Kontor." "Herrje, ich war bloß erschrocken! Und mittlerweile solltest du wissen, dass ich gelegentlich ein klitzekleines Problem damit habe aufzuhören, wenn's um Auseinandersetzungen geht." "Und du kannst dir nicht vorstellen, dass wir Gemeinsamkeiten haben." "Oh doch, kann ich wohl! Essen zum Beispiel! Und Indiaca. Atmen. Aufrechter Gang. Ordnung..." Nach einem kräftezehrenden Kuss ließ sich Gennaro wieder auf Justus' heftig pumpenden Brustkorb sinken. "Ich mein's ernst." Murmelte er rau. "Ich mag dich. Selbst wenn du unausstehlich bist." "Reizend!" Knurrte Justus keuchend. "Vielleicht bin ich bloß vorsichtig?!" "Was kann ich dir schon tun?" Fragte Gennaro noch leiser. "Na, es gibt ja wohl auch männliche Hyänen, oder?!" Schimpfte Justus herausfordernd. "Da ist man dann plötzlich Elton John-Verschnitt mit Puschen, Pudel und Puber-Tieren, die man adoptiert hat!" "Und du hast was gegen Puschen." Neckte Gennaro ironisch. Für einen beängstigend langen Moment blieb es sehr ruhig, aber er registrierte genau die angestrengten Atemzüge. Schluckte Justus gerade weitere Konter herunter? "Schau, ich mag mein Leben einfach so, wie es ist." Zum ersten Mal hörte er Justus ganz sachlich sprechen, ohne Spott, Herausforderung oder Sarkasmus. "Ich mag meinen Job, meine Freiheit. Ich bin definitiv nicht der Frau-Kind-Kegel-Gspusi-Haus-Auto-Boot-Haustier-Typ. Und ich steh ganz sicher nicht auf die Dramen, den übertriebenen Beziehungs-Hokuspokus a la Seifenoper. Ich mach mein Ding, und damit hat sich's." Er atmete tief durch, fast befreit. "Und ich? Gibt's für mich da auch einen Platz?" "Darüber können wir reden." Justus strich langsam über die modellierten Muskelpartien. Wirklich, der Kerl sah einfach ZU GUT aus! Und fühlte sich auch noch so an! Zu seiner Überraschung stemmte sich Gennaro hoch, setzte sich neben ihn. "Ich lebe und arbeite hier. Ich mag es hier. Mein Leben ist also alles andere als spektakulär. Aber ich wünsche mir einen festen Freund. Einen, der damit klarkommt, dass ich nicht abhängig sein will." Justus zog eine Grimasse. "Dann sollte ich dir lieber gleich sagen, dass ich in Sachen Beziehung ein gebranntes Kind bin. Ich brauche Freiraum, und ich turtele nicht so herum wie die zwei Eumel nebenan." "Hmm." Stellte Gennaro fest. "Klingt für mich so, als hätten wir mehr gemeinsam als gedacht. Oder?" "Käme auf den Versuch an." Justus verschränkte die Arme unter dem Hinterkopf. "Aber in Sachen Pöter bin ich NICHT umzustimmen!" Das entlockte Gennaro ein schelmisches Grinsen, und er war überzeugt, dass Justus darauf abgezielt hatte. In diesem Moment klopfte es an seine Zimmertür. "Gennaro? Kommst du in die Backstube? Wir brauchen für heute Abend noch was Schnelles!" Sich kräftig über das Gesicht reibend seufzte Gennaro. "Ja, bin auf dem Weg, Bart!" Rief er durch das Türblatt. "Na dann, viel Erfolg!" Grinste Justus, sich aufrichtend. "Ich ERHOLE mich dann mal in meinem Zimmer." "Von wegen, du hilfst mit!" Gennaro schlüpfte schon in seine Kleider. "Außerdem hab ich noch deinen Zimmerschlüssel!" "Was?! Sklaventreiber! Hinterlistiger Rosstäuscher!" "Du kannst mich gern in der Backstube filzen, abtasten und durchsuchen!" Schon wischte Gennaro aus Justus' Reichweite und feixte auf der Türschwelle. Justus streckte ihm die Zunge raus und ließ sich demonstrativ rücklings auf die Matratze plumpsen, die Arme trotzig vor der Brust verschränkt. Dann seufzte er profund und rieb sich wie Gennaro zuvor kräftig mit beiden Händen das Gesicht. "Schöne Bescherung!" Grummelte er vor sich hin. Aber SO schlimm war dieses Weihnachtsgeschenk mit Nebenwirkungen gar nicht. Denn bisher war ihm noch niemand begegnet, mit dem er sich so anregend kabbeln konnte. Oder der ihm einfach nicht aus dem Sinn wollte! Vielleicht sollte er sich auch mal erkundigen, wie es hier mit den zu vermietenden Zimmern stand... ?~? Aus der Backstube drang trotz der frühen Stunde am Sonntagmorgen sehr lebhafte Musik. Motown-Klassiker, vermutete Bartholomäus, der sich wie immer einfand, um vor der Auslieferung der Brotbeutel ein erstes Frühstück zu verzehren. Obwohl die Nacht EXTREM kurz gewesen war, lächelte Gennaro vergnügt vor sich hin und wirbelte in tänzerischer Eleganz durch sein Reich. "Du siehst glücklich aus." Stellte Bartholomäus zufrieden fest. "So ist es! Du kannst dich aber auch nicht beklagen, richtig?" Schmetterte Gennaro aufgekratzt zurück. "Stimmt." Bartholomäus bediente sich beim stark gesüßten Kaffee. Das erklärte natürlich ein wenig die aufgedrehte Quirligkeit seines Freundes. "Und Percy? Schläft noch?" Nicht sehr subtil, aber Gennaros durchaus prüfender Blick störte Bartholomäus nicht. "War ein langer Tag gestern." Erklärte er und biss genussvoll in ein noch warmes Zwiebelbrötchen. Er war zuversichtlich, dass Parsival bald seine latenten Schuldgefühle überwinden würde. "Er hat dich sehr gern." Gennaro gesellte sich zu ihm, nippte an seinem Becher und studierte den Freund gedankenvoll. "Ich habe ihn auch sehr gern." Lächelte Bartholomäus, der ahnte, worauf diese Unterhaltung hinauslief. Dazu musste er nicht auf die leichte Falte zwischen den schwarzen Augenbrauen achten. "Es wird ihm das Herz brechen, wenn es aus ist." Behauptete der Bäcker sorgenvoll. "Nein, wird es nicht." Entgegnete Bartholomäus gelassen. Denn einen so kleinen Horizont hatte er bei Parsival ganz sicher nicht festgestellt. "Aber wir werden uns beide jede Mühe geben, damit diese Situation gar nicht erst eintritt." Zwinkerte er selbstbewusst. "Selbst gegen einen ganzen Clan, dessen Angehörige offenbar nicht alle Tassen im Schrank haben?" "Ich denke, dass wir sehr viel mehr Verbündete und Helfer haben, also mache ich mir da keine Sorgen." Gennaro seufzte betont. "Deine Zuversicht ist wirklich entwaffnend!" Bartholomäus grinste und kaute entspannt, aber seine braunen Augen ließen Gennaro nicht aus ihrem Fokus. "Er ist also doch absolut dein Typ, nicht wahr?" Schnurrte er sanft. Üblicherweise hätte Gennaro demonstrativ geschnaubt, weil Bartholomäus ihn zwar gut kannte, aber nicht wirklich WISSEN konnte, ob ein potentieller Kandidat tatsächlich zu ihm passte. Auch wenn er optisch schon genau in die engere Auswahl eingeordnet werden konnte. Aber an diesem Morgen zehrte Gennaro noch vom vorangegangenen Tag, vor allem dem Abend. "Hast du gesehen, wie er getanzt hat?! Jitterbug, Twist und sonst was?" Er kicherte noch in lebhafter Erinnerung. "Dieser Mann ist eine absolute Wundertüte!" Und noch niemand hatte ihm so lausbübisch-selbstbewusst mit kindlicher Begeisterungsfähigkeit gestanden, wie er die werte Mutter ausgetrickst hatte. Die zwar die Tanzstunden angeordnet und bezahlt hatte, aber ihrem unwilligen Sohn die Auswahl der Kurse überlassen hatte... Weshalb er keine "Schränke schob", also Standard- und Gesellschaftstänze außen vor ließ, sondern sich bei der verpönten Variante mit sportlichem Charakter eingeschrieben hatte. Das konnte man angesichts seiner üblichen scharfen Zunge, seiner nicht gerade auffälligen Bekleidung und seines granteligen Gebarens auf keinen Fall vermuten. Doch Gennaro hatte schon begriffen, wie Justus tickte, nämlich durchaus scheu und energisch freiheitsliebend. Er wollte schlichtweg nicht gegängelt werden, um in Loriotscher Rollenverteilung im "Hobbyraum" den letzten Rest seiner Selbständigkeit beim Heimwerken zu verteidigen! Ein Standpunkt, mit dem Gennaro gut leben konnte, wenn er sich dafür weiter mit Justus kabbeln, ihn küssen und mit ihm albern herumtoben konnte! "Jetzt hast du eine ganze Woche, um ihn noch besser kennenlernen zu können." Lächelte Bartholomäus. "Das wird bestimmt prima." "Das hoffe ich zumindest." Gab sich Gennaro ein wenig zögerlich, aber eigentlich hegte er keine Zweifel. Nicht, wenn man einen völlig erschöpften Justus vor seinem Zimmer ablieferte, dafür einen Schmatz auf die Backe bekam und die schlaftrunkene Empfehlung, sich vor den Bettwanzen zu hüten! Bartholomäus leerte seinen Becher und las die Brotbeutel auf. "Alles in allem eine schöne Bescherung, nicht wahr?" Zwinkerte er Gennaro zu, der unbewusst im Takt der Musik tänzelte. "Ja ja, du getarnter Weihnachtsmann, nun tritt aber in die Pedalen!" Winkte der verlegen-ungeduldig, doch das Lächeln wich keinen Wimpernschlag aus seinem Gesicht. Sehr zufrieden mit sich und der Welt trat Bartholomäus in die Dunkelheit. Wenn einer Glück brachte, dann ja wohl er! Und das das ganze Jahr über! ?~? Ende ?~? Vielen Dank fürs Lesen! kimera