Titel: Jagd nach dem Richtigen Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original + Fan Fiction FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Valentinstag 2015 Erstellt: 21-01-2015 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen. Die Serie "Sex/Love Pistols" wird von der Mangaka Tarako Kotobuki gezeichnet und erscheint bei Libre (siehe Informationen). Hidekuni und Maximilian Seymore sowie David und Richard Woodville gehören zu ihrer Serie, alle anderen Charaktere habe ich ungeniert frei erfunden. Da die Serie noch läuft, ist Hidekunis "Werdegang" reine Spekulation! (Übrigens entsprechen die real existierenden Schauplätze NICHT dieser Realität, Ähnlichkeiten sind zufällig und nicht beabsichtigt!) Hidekuni und Beaumont laufen sich zuerst in "Szenen" über den Weg. *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* *~* Jagd nach dem Richtigen Kapitel 1 - Der schlimmste Valentinstag aller Zeiten! »Bitte, bitte, bitte, lass den Kelch an mir vorübergehen!« Hidekuni Seymore, Sohn des berühmten britischen Architekten Maximilian Seymore und des Bildhauers David Woodville, richtete eine ungezielte, aber eindringliche Petition an jede nur verfügbare Gott- oder Wesenheit mit Einfluss auf sein persönliches Geschick. Es half leider nicht. "Ah, das ist ja Seymore! Vaudeville hier sucht noch einen Kollegen, nicht wahr? Sie verstehen sich ja auch blendend, so, so, aha, das passt ja hervorragend!" Professor Ghambri lächelte vage in ihre Richtung, da seine Gleitsichtbrille wie gewohnt ein komplettes Album Fingerabdrücke, Spuren der letzten Mahlzeiten und diskrete Zahnpastasprenkel zierten. Ebenso offenkundig war er geradezu euphorisch gestimmt, was die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen für die Referate in angewandter Mathematik betraf. Hidekunis gute Erziehung verhinderte um Haaresbreite, dass er die Augäpfel in den Höhlen verdrehte, ein gewaltiges Stöhnen der Verzweiflung aus tiefstem Herzensgrund entließ. Die Ursache seines Ungemachs ließ sich ungeniert neben ihm nieder, schmetterte eine vom jahrelangen Gebrauch schmierige Ledertasche auf den Tisch, feixte breit, während die tiefschwarzen Augen herausfordernd funkelten. "Eh, Muschi." Nuschelte Beaumont Vaudeville. Das stellte in seinen Kreisen wohl das Äquivalent einer höflichen Begrüßung dar! Hier, im exklusiven Internat der Madararui in der Nähe von London, teilte niemand diesen höchst dubiosen Kreis, ja, man floh förmlich mit angewidertem Gesichtsausdruck seine Nähe. Er hingegen pflegte eine klettenartige Gefolgschaft zu Hidekuni, was diesen zum bequemen Opfer der Umstände kürte. Lieber den artigen, liebenswerten Hide vorschlagen, als selbst neben dem Kotzbrocken ausharren zu müssen! Beaumont Vaudeville passte in keinerlei Hinsicht in diese vornehme und elitäre Gesellschaft. Seine schwarzen Augen starrten stets ohne merkliches Blinzeln stechend, herausfordernd, durchbohrend in jeden Gegenüber, der nicht eiligst das Weite suchte. In seiner Ahnenreihe schienen sich erstaunliche Einflüsse verewigt zu haben. Zu kantigen Zügen trug er einen bräunlich-rötlichen Teint, kahl rasierte Schädelseiten und auf dem Oberkopf einen langen, tiefschwarzen Zopf. Beide Brauen wiesen zahlreiche silbrige Stecker auf, in den beiden Ohrläppchen befanden die große Löcher, die durch Ringe erzeugt wurden. Seine Schwimmergestalt, sehr ausgeprägte Schultern, schmale Hüften, muskulöse Arme und Beine hüllte er hauptsächlich in Ledermonturen, also Hose und geschnürte Weste, dazu halbhohe Stiefel und ein verwaschenes Hemd. Das obligatorische Schulsakko kordelte wie ein blauer Drecklumpen um seine Mitte. Er war schlichtweg eine Zumutung. Leider jedoch eine von der Kategorie, die man nicht so einfach verabschieden konnte: Beaumont Vaudeville war ein Drachen-Schwergewicht, ein mächtiger Alligator. Hidekuni bemühte sich, "Beau" auf Distanz zu halten. Der kapitale Bursche verfügte über einen gespenstischen Instinkt dafür, ihn trotz aller Finessen und Hakenschläge aufzustöbern! Dabei sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass die anfänglich demonstrative Abneigung des Amerikaners aus den morastigen Untiefen in geradezu perfid-schurkische Avancen umgewandelt worden war. Beaumont hatte ihn nach ihrem Kampf doch einfach geküsst, auf den Mund! Diese Erinnerung löste ein Grausen aus, dass Hidekuni die Haare aufstellte, ihn frösteln ließ. Er konnte diesem aufgeblasenen, unerträglich arroganten, kaum verständlich vor sich hin schnoddernden Alligator dank eines väterlichen Erbes durchaus Paroli bieten! Es zermürbte ihn, wie seine Freunde und Mitschüler auf Distanz gingen, weil sie nicht in Beaumonts Nähe geraten wollten. "Denkste, du schnallst was?" Nuschelte der ihm gerade in den unwilligen Gehörgang, blendete seine perfekten Zähne auf. Hidekuni funkelte aus meerblauen Augen Orkanstürme zurück. Verflixte Höflichkeit, die ihm da in die Parade fuhr! *~* "Na, noch eine Teamarbeit mit Crocodile-Beau?" Ein schadenfroher Ruf ließ Hidekuni grimassieren (dezent, die Manieren!), der sich in sein Zimmer begab. Wie sollte er bloß diese Plage loswerden?! Warum kaprizierte sich der Kerl so auf ihn?! Darauf konnte Hidekuni keine Antwort finden. Das Ungemach selbst konterte regelmäßig mit vulgär-schlüpfrigen Andeutungen, die darauf hinausliefen, dass das weiße, blonde, blauäugige Pussy-lein sich irgendwo sehr pervers herumzutreiben pflegte! Was es aufzudecken galt! »Von wegen!« Dachte Hidekuni, der schon aus Rücksicht auf seinen Papa ungebührlichen Ausschweifungen eine Absage erteilte. Ja, sein Daddy wirkte hin und wieder ein wenig enttäuscht, dass er nicht dazu neigte, über die Stränge zu schlagen. Bei zwei so gegensätzlichen Männern als Eltern, die sich und ihn aus ganzer Seele liebten, konnte er nicht ohne Rücksicht auf Verluste dem einen oder anderen Impuls unbedacht nachgeben. Zugegeben, hin und wieder hatte er in der Vergangenheit von interessierten Damen eine Offerte akzeptiert, nicht immer nur aus rein edukativen Gründen. Dank Beaus unerträglicher Anwesenheit fühlte er sich nun wie ein Paria, ausgegrenzt und abgespalten von den Cliquen und Grüppchen der Jugendlichen! Die Rückkehr nach dem Jahreswechsel hatte ihm dies besonders vehement vor Augen geführt, noch in seliger Wärme der Liebe seiner Väter eingehüllt, von amüsanten Grüßen seiner Halbbrüder und deren Freunde in Japan erfreut: allein schon die Gefahr, Beaumont würde sich unerwartet in ihrer Mitte materialisieren, knurrend, guttural grunzend, verächtlich blickend, sorgte dafür, dass niemand ihn über seine Ferien befragte oder mehr als ein, zwei Sätze an ihn richtete. Tat Beau das absichtlich, isolierte er ihn, um ihn kleinzukriegen? Doch warum? Zu welchem Zweck? »Was habe ich dir, verflixt noch eins, getan?!« Zürnte er still, ballte in den Taschen seines Dufflecoats verborgen die Fäuste. »Hasst du mich allein wegen meines Aussehens, meiner Herkunft?!« Das wäre...dumm. Viel zu einfach. Und...dumm. Eines konnte man Beaumont Vaudeville wirklich nicht nachsagen, nämlich dumpfe Idiotie. Man musste durchaus einen sehr wachen Verstand haben, um den Stipendiumstest im Internet so erfolgreich zu absolvieren, dass man hierher eingeladen wurde. Wenn Beaumont aber nicht dumm war, warum diese Quälerei? *~* "Hast du deinen Siamesen aus der Hölle abgehängt?" Hidekuni sah sich verstohlen um, ächzte leise. "Ich will es nicht beschreien. Du sagtest vorhin, dass du mich sprechen wolltest?" "Ja, es geht um das Valentinstag-Wochenende! Wir bereiten eine sehr zünftige Sause vor. Du solltest unbedingt mitmachen. Aber ohne dein Anhängsel, versteht sich." "Versteht sich." Wiederholte Hidekuni neutral, nahm den eilig in seine Rechte gedrückten Handzettel an sich. Selbst die Elite hatte Stufen, Level, Kreise. Nicht alle waren überall gleichermaßen willkommen. Ihm gebührte die Ehre, an dieser relativ exklusiven Feier teilzuhaben, die mutmaßlich extrem feucht-fröhlich und durchaus orgiastisch angelegt war. Nicht verwunderlich, in ihrem Alter, unter stetem Erfolgsdruck und als Madararui noch stärker mit ihren Instinkten verbunden! Da er seit Beaumonts Erscheinen über die Wochenenden regelmäßig zu seinen Vätern floh, zögerte Hidekuni mit einer Entscheidung. Eigentlich verspürte er keine große Lust auf eine ausufernde Fete, hätte aber eine kleine, nette, gesellige Runde sehr geschätzt. Eine Entscheidung stehenden Fußes wurde ihm erspart, da man melodisch-drohendes Pfeifen hörte: Beaumont hatte seine Fährte wieder aufgenommen. *~* "Nanana, Pussy, wo wolln wir n hin, hä?!" Hidekuni fauchte unwillkürlich, als urplötzlich eine große Hand seinen scharf gebügelten Kragen packte, ihn abrupt in seinem eiligen Gang bremste. "Was zum...?!" Er räusperte sich, rang um Beherrschung, hörte das Knirschen der beanspruchten Nähte. "Hättest du wohl die Güte, mich AUGENBLICKLICH freizugeben, Vaudeville?!" "Nö." Der gewaltige Alligator funkelte feindselig aus den tiefschwarzen Augen. "Hast wohl gedacht, du könntest dich auf Katzenpfötchen absetzen, wie? Nix da, Muschi!" In Hidekuni brodelte es, was lediglich die zusammengezogenen, blonden Augenbrauen verrieten. Noch saß sein Schutzpanzer aus guter Erziehung fest wie eine Rüstung. "Ich erlaube mir, dich darauf hinzuweisen, dass die Nähte ausleiern. Im Übrigen bin ich dir über meine Freizeit keine Rechenschaft schuldig." "Dein Kasperle-Anzug ist mir schnuppe." Knurrte Beaumont unbeeindruckt. "Rumpoussieren auf dieser Bums-Fete mit Puffbrause, das kannste knicken!" Seine grimmig-frostige Miene trotz der bräunlich-rötlichen Hautfarbe versprach sicheres Ungemach bei Zuwiderhandlung. "Für wen hältst du dich?!" Mit einem Ellenbogencheck, der auf imponierend trainierte Bauchmuskeln traf, befreite Hidekuni sich, leider unterstützt von der Zurückhaltung seines Erzfeindes/Schattens/aufgezwungenen Dauerbegleiters. Dessen Fäuste schlugen wie Dampframmen gegen die Wand rechts und links von Hidekunis artig gestriegelten blonden Strähnen. "Für WEN hältst du dich, Miezekatze, hä?!" Hidekunis berückend meerblaue Katzenaugen funkelten zornig, während er mit beiden Händen den Sitz seines Smokings glättete. "Geh mir aus dem Weg, Vaudeville." Forderte er beherrscht, sehr leise. "Keine Chance." Schnodderte der Amerikaner in unsäglichem Akzent zurück, die breiten Schultern ausgestellt. "Ziehst du es vor, dass ich dein Verhalten dem Dekan melde?" Schnurrte Hidekuni ernsthaft aufgebracht. "Versuch's." Beaumont blendete sein Raubtiergebiss auf. »Fein! Wie der Herr wünschen!« Dachte Hidekuni, fischte in seiner Hosentasche möglichst unauffällig nach dem Personenalarm, den er sich jüngst heimlich zugelegt hatte. Ein bescheidenes Kästchen, Knopfbatterie-betrieben, das bei Aktivierung einen durchdringend-enervierenden, grellen Sirenenton aufheulen ließ, der alles in die Flucht zu treiben pflegte. Versprach der Hersteller. Zu spät warnte ihn ein Aufblitzen in den tiefschwarzen, stechend blickenden Augen. Die gewaltige Pranke zerriss nicht nur die starken Nähte seiner Hosentasche, sondern drohte auch gleich, seine eigene Hand zu zerquetschen. "Oh nein, mein Kätzchen, so nicht!" Knurrte der Alligator, blockte Hidekunis Linke, bevor er mit dem Knie hart dessen Solarplexus grüßte. Der unerwartete Schmerz war so heftig, dass Hidekuni für Sekunden das Bewusstsein verlor. *~* "So ein verfluchter Scheißkerl!" Eingesperrt in seinem Zimmer gönnte sich Hidekuni den unzivilisierten Ausbruch seiner akuten Empfindungen. Nicht nur, dass der verdammte Alligator die Tür effektiv blockiert hatte, nein, sämtliche Bekleidung minus eines einzigen Seidenpyjamas und eines Paars flauschiger Socken war entfernt worden! Außerdem schmerzte seine Rechte, von seinem pochenden Magen ganz zu schweigen. "Drecksack! Blöder, eingebildeter, aufdringlicher, unmanierlicher...Amerikaner!" Hidekuni atmete tief durch. Alles in ihm widerstrebte dem Eingeständnis der Niederlage. Er MUSSTE einfach zu dieser Fete gelangen, es ging ums Prinzip! Außerdem war es Freitagabend, morgen Valentinstag, am Wochenende, wo man sich auch endlich amüsieren konnte, ohne strenge Aufsicht durch das Personal des Internats! Die meisten beabsichtigten tatsächlich, sich nach der Feier (wenn nicht gleich währenddessen) in einem Hotel einzumieten, dort ungeniert-hemmungslos-orgiastisch Austausch zu pflegen. Er selbst wollte eigentlich zu seinen Vätern fahren, auch aus einem anderen Anlass. Zuvor hätte er gerne mit seinen Schulkameraden eine vergnügliche Zeit verbracht! "Was tun?" Artig im Pyjama ins Bett schlüpfen und schlafen, das stand nicht zur Debatte. Hilfe rufen? Die Fahndung nach seinem Mobiltelefon führte zur Erkenntnis, dass der verwünschte Alligator auch hier keine Lücke gelassen hatte. Natürlich, Computer... "Hat er ein Umzugsunternehmen gemietet, oder was?!" Hidekuni stemmte grimmig die Hände in die Hüften. Wenn er sein Zimmer verlassen wollte, musste er einen anderen Weg finden, um auf seine prekäre Lage aufmerksam zu machen. Die einzige gute Nachricht bestand immerhin darin, dass ihm dieser unerträgliche Mistkerl seine Anwesenheit nicht aufdrängte! *~* Vage Schemen führten einen seltsamen Veitstanz vor seinen Augen auf. Hidekuni stöhnte, versuchte sich, trotz verklebter Wimpern und schmieriger Sicht, zu orientieren. Er fror erbärmlich. Etwas stank in direkter Nähe, was ihm die Galle hochtrieb. Ein mächtiger Schatten legte sich über ihn. Glühend heiße Handflächen umfassten seine Wangen, überstreckten seinen Kopf. Eine sonore Stimme fluchte unterdrückt. "Merde~merde~merde!" *~* Beaumont konzentrierte sich auf die nächsten Schritte, ignorierte die verstreichende Zeit. Es half gar nichts, in Panik zu geraten. Während er mit dem linken Arm den fiebernden, zuckenden Hidekuni hielt, brauste er mit der Rechten den nackten Leib ab. Wie lange würden sie brauchen, um sich zu befreien? "Wir checken aus, Katerchen!" *~* "Sie sind sicher?" Der Taxifahrer schenkte Beaumont einen zweifelnden Blick. "Absolut, Meister!" Beaumont salutierte, achtete dabei sorgsam darauf, dass sein "stockbesoffener" Kumpan nicht aus seinem Zugriff rutschte. "Bisschen Seegang gegen Katzenjammer!" Behauptete er. »Bekloppte, verzogene, reiche Idioten!« Erkannte er unsichtbar auf der Miene des Chauffeurs, blendete bekräftigend die Beißer auf. Er wartete, bis der Mietwagen gewendet hatte, sie am sehr frühen Samstagmorgen im frostigen Matsch am Zaun des Clubgeländes allein ließ. Von Hidekuni kam kein Laut. Geschickt dirigierte Beaumont seinen Begleiter hinter sich, ging leicht in die Knie, um ihn Huckepack zu nehmen. So konnte er auch leichter den gestohlenen Zahlencode am Türschloss eingeben, sich auf die Suche nach der "Remmy III" begeben. *~* Zwei unbesetzte Schleusen hatte Beaumont schon problemlos hinter sich gebracht, als Hidekuni mit einem erbärmlichen Röcheln zu den Lebenden zurückkehrte. "Morgen." Grüßte er auf die mit Lederpolstern belegte Sitzbank. "Wo bin ich?" Hidekuni sammelte Eindrücke, winselte beim Aufsetzen auf. Beaumont warf ihm einen kritischen Schulterblick zu, antwortete ungewohnt verständlich. "An Bord der Remmy III und hoffentlich für eine Weile in Sicherheit." *~* Zu behaupten, er fühle sich nicht ganz auf der Höhe, wäre eine euphemistische Beschreibung seiner Situation gewesen: ein seifiger Geschmack im Mund, elendes Pochen in seinen Knochen, dann dieser stechende Schmerz in seiner Leiste... "Okay, halt dich fest!" Wies Beaumont ihn knapp an. Ein Ruck ging durch das Motorschiff. Beaumont öffnete die niedrige Kabinentür. Hidekuni konnte durch die niedrigen Fensterscheiben beobachten, wie der hochgewachsene Mann ohne erkennbare Anstrengung das kleine Motorschiff vertäute. "Wo sind wir?" Hidekuni wickelte sich die grobe Decke enger um die Schultern. Beaumont wischte Schneegriesel von seinem Flanellhemd, warf den schweren schwarzen Zopf auf den Rücken. Seine tiefschwarzen Augen inspizierten Hidekuni mit Röntgenblick. "Wir sind ziemlich weit draußen." Der Amerikaner ging vor Hidekuni trotz der Enge in die Knie, schlug unaufgefordert Decke und Parka auseinander, wühlte Hidekunis hilflose Gegenwehr auskonternd unter Flanellhemd und Jogginghose nach den Boxershorts. Hidekuni entwich ein scharfes Zischen, als seine Leiste freigelegt wurde, die ihn ohnehin grausam plagte. "Au! Was tust du da?!" "Nachsehen, ob sich die Wunde entzündet." Knurrte der Alligator konzentriert, tastete eine kleine Schwellung ab. Obwohl Hidekuni sich um stoische Haltung bemühte, tropften ihm Tränen des Schmerzes auf den bräunlich-rötlichen Handrücken. "He." Ungebeten streckte Beaumont Hidekuni auf der knappen Bank aus, legte dessen Beine hoch, wischte sanft Tränenspuren von dem schmerzbleichen Gesicht. Hidekuni keuchte, versuchte, durch kontrollierte Atmung sein Leid zu lindern. "Schschsch." Raunte Beaumont sanft. "Das Schlimmste ist ja vorbei, Kätzchen. Ich mach dir gleich was Gutes zu trinken. Dann schläfst du noch etwas." "Bin-nicht-müde!" Wisperte Hidekuni durch die Zähne, der bezweifelte, dass erneuter Schlaf ihm Linderung bringen konnte. "Das kommt schon noch." Hörte er da etwa ein Schmunzeln von diesem unmöglichen Kerl?! Nur wenig später wurde er unbarmherzig aufgesetzt, musste aus einem henkellosen Becher etwas Scharfes, Sämiges schlucken. Beaumont ließ keine Abwehrversuche zu, hielt ihn fest in seinem starken Griff. "...warum..." »...bist du so gemein zu mir...?« *~* Es dämmerte bereits, als Hidekuni langsam wieder zu sich kam. An die kleinen Kabinenfenster schmiegten sich zu gleichen Teilen Regentropfen und Schneegriesel. Im Motorschiff war es dunkel und sehr frisch. Sein Atem kondensierte im Zwielicht. Mühsam setzte Hidekuni sich auf, sah sich um. Er war allein. "Was geht hier vor?" Zögerlich schlug er die wärmende Decke auf, studierte sein eigenes Erscheinungsbild: Jogginghosen, Flanellhemd, speckiger Parka, zwei Paar Wollsocken, T-Shirt, Handtuch um seinen Hals. Ausnahmslos alles trug den unsichtbaren Stempel "Eigentum von Beaumont Vaudeville". Hatte der ihn wirklich im Niemandsland auf einem kleinen Schiff allein gelassen?! In diesem Moment ging ein Ruck durch das kleine Wassergefährt, als schwere Stiefel sicher landeten. Hidekuni, der sich den Kopf angestoßen hatte, unterdrückte mannhaft einen Kraftausdruck. Wirklich, mit seiner Selbstbeherrschung stand es nicht mehr zum Besten! "Ah, du bist wach!" Ein nasser Yeti, der einen kristallinen Panzer auf dem Deck ausschlug, sich in die Kabine zwängte, klang ungeniert fröhlich, brachte einen Schwall frischer, klarer Luft in die abgestandene Atmosphäre der Kabine. Hidekuni funkelte energisch in die tiefschwarzen Augen. "Was wird hier gespielt?!" Beaumont grinste feist, bis zum letzten, blendend weißen Backenzahn. "Süß schaust du aus, Pussylein, wenn du so empört bist!" Gurrte er guttural. "Lass den Unsinn!" Hidekuni war nicht zu Scherzen aufgelegt. "Warum hast du mich entführt?! Meine Väter erwarten mich, ist dir das klar?" Das Alligator-Zähneblecken reduzierte sich auf ein amüsiertes Lächeln. "Alles zu seiner Zeit, Schatz! Wenn du zum Valentinstag ordentlich die Wanten zum Wackeln bringen willst..." Eine obszöne Hüftbewegung demonstrierte die Offerte unmissverständlich. Hidekunis attraktives Gesicht bewölkte sich rapide. "Erstens gibt es hier keine Wanten, du Banause!" Fauchte er grimmig. "Zweitens VERABSCHEUE ich dich!" "Huiiii, harte Worte!" Beaumont lachte unbeeindruckt, wandte sich gänzlich gelassen herum, um den Motor zu starten. "Was hast du vor?! Wohin fahren wir?" Hidekuni hielt sich sicherheitshalber fest. "Ich mache uns los. Wir treiben ein wenig höher bis hinter die nächste Schleuse." Beaumont erläuterte sachlich. "Ich will nicht hier mit Eisplatten festsitzen. Bin die Strecke vorhin abgegangen, während du Dornröschen gespielt hast." "Ich will hier aussteigen!" Verlangte Hidekuni weniger energisch als hilflos. Er hatte nicht die geringste Idee, wo sie sich befanden, aber wenn sie auf einem Kanal eingeschlossen wurden, wollte er nicht dabei sein! "Sei nicht albern!" Wies der Amerikaner ihn streng zurecht. "Hier draußen ist gar nichts. Bei dem Wetter würdest du dir noch schlimmer schaden als jetzt schon. Hier!" Entschieden wurde er am Arm zum Steuerrad gezogen. "Halt sie gerade, während ich die Leinen löse." "Das magische Zauberwort heißt 'bitte'!" Schimpfte Hidekuni leise, folgte jedoch den Anweisungen, während er beobachtete, wie gelenkig Beaumont trotz des zunehmenden Schneetreibens die Remmy III aus ihren Banden befreite. Unter Ausnutzung einer leichten Strömung näherten sie sich der nächsten Schleuse. Bald konnte man kaum die Hand vor Augen sehen, so dicht wirbelten die Flocken. Wieder war es Beaumont, der unbeirrt nach draußen kletterte, per Hand und Körperkraft die Schleusentore öffnete, damit Hidekuni die Remmy III in die Schleusenkammer steuern konnte. Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie die Schleusenkammer durch das andere Tor verlassen durften. Inzwischen heulte der Wind um die kleine Kabine wie ein Höllenhund. "Puh!" Beaumont schlug die muskulösen Arme um sich, ging mehrfach in die Hocke. "Euer Winter ist echt eine elende Sauerei!" Hidekuni antwortete nicht, sondern hielt den Kurs. "In Ordnung, da vorne geht ein kleiner Seitenarm ab. Da werden wir uns für die Nacht einnisten." Ordnete Beaumont an, schüttelte die mächtige Schulterpartie, um die Kälte zu vertreiben. Kleine Stege und Poller verrieten, dass hier im Sommer häufiger Boote zu ankern pflegten. "Können wir nicht irgendwo an Land übernachten?" Hidekuni beäugte Beaumont besorgt. Es handelte sich bei dem Motorschiff schließlich nicht um ein Hausboot! Keine Heizung, keine sanitären Anlagen... "Nee, da ist nur im Sommer Betrieb!" Ungezwungen trotz der bedrückenden Enge für zwei groß gewachsene Männer sortierte Beaumont eifrig in der kleinen Kabine herum, nasse Schuhe und Jacke hier, da Decken, Sturmlaterne mit Kerze fürs Licht, ein gewaltiger Marschrucksack aus der Stauklappe... "Nun guck nicht so verzweifelt, hab mal ein bisschen Vertrauen, Stubentiger!" Neckte der Amerikaner grinsend, klopfte auffordernd auf ein Sitzpolster. Entschieden verschränkte Hidekuni die Arme vor der Brust, funkelte aus meerblauen Augen zornig auf den Alligator. "Ich erwarte eine Erklärung!" Erinnerte er mit spitzem Tonfall. Beaumont seufzte übertrieben, rollte mit den stechenden, tiefschwarzen Augen. "Setz dich einfach, ja?! Ehrlich, diese verzogenen, reichen..." "..weißen, perfekten, unfähigen, eingebildeten Gören, richtig?" Ergänzte Hidekuni bissig. Ein filmreifer Augenaufschlag belohnte seine giftige Erwiderung. "Uiii, Schatz, du kannst ja Gedanken lesen!" Hidekuni juckte es förmlich in den Fäusten. Als er sein Gewicht verlagerte, spürte er wieder den Schmerz in seiner Leiste. Reflexartig presste er die Hand auf die Wunde. "Setz dich." Beaumont half einfach nach, indem er ihm mit perfider Gemeinheit in die Kniekehlen stippte. "He! Au, warum...?!" Protestierte Hidekuni ärgerlich, verschluckte jedoch weitere Worte, weil Beaumont über ihm kauerte. Ohne eine höfliche Entschuldigung zupfte der einfach Stoffbahnen auseinander, inspizierte Hidekunis Hüfte. "Ist wahrscheinlich eine verletzte Ader." Diagnostizierte er. "Versuchen wir es mit mehr Wärme!" Bevor Hidekuni sich wieder verschämt bedecken konnte, pflasterte Beaumont eine dicke Schicht wachsartiger Salbe auf den sich abzeichnenden Bluterguss. Das löste nicht gerade angenehme Gefühle aus. "Ich weiß, ist gleich vorbei." Hörte Hidekuni trotz Benommenheit aufgrund angehaltenen Atems den Amerikaner sanft raunen. Ein fadenscheiniges Handtuch wurde um seine Hüfte gewickelt, mit einer Schnur mehrfach fixiert. Seine Leibmitte ähnelte einer Roulade. "Gut." Beaumont reinigte sich die Hände mit Schnee, widmete sich dem Marschrucksack. "Jetzt wollen wir was spachteln! Also, wir haben hier Nudeln in Soße, Kräcker, saure Gurken, oh, Schoko-Aufstrich...!" "Vaudeville!" Hidekuni zischte durch die Zähne, nachdem er wieder saß. "Was-geht-hier-vor?!" Ein blendendes Gebiss präsentierte sich, glitzerte mit den zahlreichen Silbersteckern in beiden Augenbrauen um die Wette. "Aber Schatz, wir feiern gemeinsam den Valentinstag, was denn sonst?" Purrte der Alligator sonor. Natürlich, deshalb hatte dieser unsägliche...Amerikaner ihn erst am Freitagabend eingesperrt und jetzt verschleppt, um Samstagabend auf einem klapprigen Kahn im Nirgendwo... "Was ist gestern Abend passiert?" Kämpfte Hidekuni mit dem harten Weg, der Erinnerungslücken ausfüllen wollte, weil hier GAR NICHTS mehr in Ordnung war. "Oh, gestern, da wollteste ja absolut auf die Rudelbums-Feier, was nich geht!" Schnodderte Beaumont in der seltsamen Diktion lässig herunter. Hidekuni beugte sich leise winselnd ob der Rouladenwickel vor, legte ihm eine Hand auf die Lippen. Er konzentrierte seinen meerblauen Blick auf die tiefschwarzen, selten blinzelnden Augen. "Hör bitte damit auf, Beau. Ich fühle mich schon elend genug." Murmelte er angestrengt. Die Verwandlung vom großspurig-proletarisch agierenden Zerrbild eines Waldläufers aus dem Morast in eine ernsthafte Version eines alerten, selbstsicheren jungen Mannes war bemerkenswert. "Tja, das heißt wohl, dass meine Scharade nicht mehr deinen Beifall findet, hm?" Beaumont rollte eine Plane zu einem Stützkissen, dirigierte es behutsam hinter Hidekuni, der so seine plagende Leiste ein wenig entlasten konnte, jetzt halb lag, halb saß. Er angelte ein Klappmesser aus einer Tasche seiner Cargohose, verteilte Schokoladencreme auf Kekse, reichte einen an Hidekuni weiter. "Na schön, mein Schmusekaterchen, wenn du sicher bist, dass du alles von mir hören willst?" "Ich bitte darum." Hidekuni leckte sich verstohlen die Lippen. Er verspürte lärmenden Hunger, der glücklicherweise noch die Handtuchwickel und Stoffschichten nicht vernehmlich durchdrang! Beaumont reichte Schoko-Doppeldecker weiter, richtete sich ungeniert auf dem schmalen Boden vor der Sitzbank ein. "Nachdem ich dich kaserniert habe, bin ich rüber in den 'Arme Schlucker-Trakt' in meine Bude. Ich dachte mir schon, dass du versuchen würdest, mir zu entwischen, also habe ich mich artig auf die Lauer gelegt." Hidekunis blonde Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen. "Yepp!" Bestätigte Beaumont mit frechem Zungenblecken. "Ich hab bei dir ne Kamera installiert! Während du da Rache- und Ausbruchspläne geschmiedet hast, war ich kurz auf dem Lokus und was zu futtern besorgen. Wie ich zurückkomme, hattest du gerade Besuch. Die Sorte, die dir auf der Schwelle ne fette Injektionsnadel in deinen Luxuskörper rammt." "Wie bitte?!" Hidekuni erstickte beinahe an einem Schoko-Burger, hustete in die vorgehaltene Hand, bezahlte für das Zusammenkrümmen mit Tränen des Schmerzes in den Augenwinkeln. Als er sich keuchend aufsetzte, reichte Beaumont ihm bereits einen Becher kalten Tee hoch. "Eine ziemlich kostspielige Sache." Die tiefschwarzen Augen ließen Hidekuni nicht aus ihrem Fokus. "Mit einer Art Mini-Explosion werden Hormone in den Körper gejagt, so hochkonzentriert, dass die Hersteller garantieren, dass man innerhalb von zwanzig Minuten einen Madararui-Schwergewichtler in Paarungsbereitschaft versetzen kann." Hidekuni starrte gefühlte Ewigkeiten in das markante Gesicht, wandte sich ruckartig ab. "Unsinn. Wer würde denn..." »Ja, wer würde mir das antun? Wer würde mich auf der Türschwelle niederstrecken und dann...?« "Tatsache ist, dass es funktioniert." Bemerkte Beaumont betont sachlich. "Ich war wirklich froh, dass ich eine auf dich abgestellte Dosis vom Gegenmittel hatte, sonst wäre ich vermutlich auch schwach geworden." "...auch...?" Würgte Hidekuni hervor. Plötzlich war ihm eiskalt. Seine Glieder schmerzten wieder. "Hier." Demonstrativ reichte der Amerikaner eine Essiggurke hoch. "Kau die! Los!" Sich die langen Finger ableckend grummelte er. "Keine Angst, mein Pussylein, deine Muschi ist unversehrt. Als deine Kavallerie war ich rechtzeitig zur Stelle. Zumindest bei DER Attacke." "...ich verstehe nicht?" Wisperte Hidekuni benommen. Was hatte das alles zu bedeuten?! Sollte er das etwa als wahr ansehen?! "Na ja." Beaumont kreiste mit den mächtigen Schultern. "Während ich für Ordnung sorgte, dich sicher in deiner verrammelten Bude vermutete, hat jemand gedacht, ein bisschen romantische Stimmung vor der Begattung wäre ganz nett, wollte sich aber nicht in allzu große Unkosten stürzen." Hidekuni starrte blass hinunter auf den großen Mann zu seinen Füßen. "Das war ne ziemlich knappe Nummer. Hatte ich unterschätzt." Der Alligator schnaubte leise, blickte ihm ernst in die Augen. "Was unterschätzt?" Zum ersten Mal sah Hidekuni, wie sich der sonst so selbstgewiss-raubeinige, überheblich auftretende Amerikaner verlegen auf seinen vier Buchstaben herumwand. "Na ja." Brummelte er schließlich. "Deine Allergie gegen Katzenminze." *~* "Tief durchatmen." Empfahl Beaumont, hielt sicherheitshalber seine Rechte auf den beiden eiskalten Händen des attraktiven Katzenschwergewichts. Gerade kämpfte Hidekuni jedoch wenig kleidsam gegen gewaltsames Auswerfen der eben erst gekauten Mahlzeit an. Das konvulsivische Zucken seines Leibs half auch nicht bei den Schmerzen in seiner Leiste. "Schschsch!" Tröstete der Alligator sanft. "Alles ist in Ordnung, Katerchen, alles gut. Schön atmen, ganz ruhig!" Hidekuni fühlte sich nicht ruhig, sondern von Entsetzen, Selbstekel, Panik und vollkommener Verstörung beherrscht. Außerdem tränten ihm schon wieder die Augen. Er hasste es, dass Beaumont annehmen musste, er weine wie eine Memme! "Wir haben's doch hingekriegt!" Flüsterte die sonore Stimme sanft an seinem Ohr. "Ist gut gegangen, alles in allem, richtig?" "...wieso...woher...?" Nicht einmal ein vollständiger Satz wollte ihm über die Lippen kommen! Alles schmeckte wie...!! "Langsam, spül erst mal die alte Socke von der Zunge." Beaumont nötigte Hidekuni einen vollen Becher des kalten Tees auf, dirigierte dessen Kopf auf seine breite Schulter, hielt ihn in den Armen. Sein Schützling sah wirklich elend und verängstigt aus, mit einer Spur Wut über die eigene Schwäche. Nicht wie jemand, der in wenigen Stunden die Volljährigkeit erreichte. "Weißt du, da draußen gibt es jemand, der dich sehr liebt und auf dich aufpasst." Er hauchte einen Kuss auf die fahle Stirn unter den dicken blonden Strähnen. "Der nicht will, dass dir etwas angetan wird. Ich habe dieser Person versprochen, dich zu beschützen, Katerchen. Deshalb ist alles gut. Alles in Ordnung, Hide." *~* Hidekuni wusste nicht zu sagen, wie lange er in dieser tröstlichen Umarmung geborgen halb gelegen, halb gesessen hatte, den Blick auf die Flamme in der Sturmlaterne konzentriert. Nur langsam hatte sein Körper sich beruhigt, war schwer geworden, wärmte sich erneut auf. Das lag zum Teil auch an den gleichmäßigen Atemzügen des Alligators, die sanft über seine Wange strichen. Offenbar döste Beaumont unbeeindruckt von ihrer Lage gemütlich vor sich hin, während er selbst versuchte, die Puzzleteile zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. "Onkel Richard." Wisperte er schließlich entschieden. "Hmmm." Brummte Beaumont sonor an seinem Ohr. "Wirklich ein feiner Kerl, dein Onkel." "Aber warum?" Hidekuni verabscheute, wie kläglich seine eigene Stimme klang. Warum hatte sein geliebter Onkel Richard diesem fremden Burschen sein größtes Geheimnis anvertraut? Nicht nur das, sondern ihn auch eingeschleust, um...? "Ich habe wirklich das Stipendium gewonnen." Der Amerikaner lächelte an Hidekunis Wange. "Mein Kumpel hatte mich angestachelt. Ist bloß so eine Sache: Reise- und Unterkunftskosten muss der Stipendiat selbst bestreiten. Deshalb nehmen üblicherweise so Proleten wie ich gar nicht erst teil." Er schnaubte spöttisch. Hidekuni schwieg beklommen. "Dein Onkel hat mich angesprochen, mir angeboten, alle Kosten zu übernehmen, wenn ich ein bisschen auf dich aufpasse. Eigentlich wollte ich das Angebot sausen lassen." Beaumont seufzte tief. Er nahm Hidekunis Linke in die eigene, studierte den farblichen Kontrast der kraftvoll-eleganten Hände. "Stimmt schon." Raunte er melancholisch. "Das ist ein morastiges Loch, meine Heimat. Die meisten wollen bloß weg, raus in die Zivilisation. Ich liebe diesen Ort. Ich möchte ihn bewahren. Es gibt viele Probleme mit Abwässern, Umweltverschmutzung, Überschwemmungen und der Versalzung. Kein Platz für Industrie, keine Bodenschätze. Trotzdem. Es ist schön dort. Diese Schönheit will ich schützen. Dafür muss man sich in der Welt auskennen, Bücher, Fachzeitschriften, Internet, all diese Sachen." "Also hast du eingewilligt." Wisperte Hidekuni. "Ja." Der Alligator verschränkte ihre Finger übereinander zu einer gemeinsamen Faust. "Dachte mir, mit all diesen vornehmen Schnöseln und Prinzesschen nehme ich es locker auf!" "Tatsächlich." Knurrte Hidekuni durchaus beleidigt. "Absolut!" Lachte Beaumont über die Verstimmung sonor, gab Hidekunis Linke nicht frei. "Was das für ne verdammte Schlangengrube is, war mir gar nich so klar, aber dann fühlte ich mich gleich wie daheim!" DAS war definitiv bösartig formuliert! Hidekuni schnaubte. "Glaubst du nicht, dass dein exzentrischer Auftritt mitverantwortlich ist?" Erkundigte er sich bissig. Der Amerikaner kicherte kess, beinahe kindlich amüsiert. "Sach nur, das passt dir nich?!" Donnerte er in gewohnt schnodderig-unverständlicher Diktion, lachte laut heraus. "Lass das bitte!" Energisch wand sich Hidekuni aus der Umarmung, ächzte ob seiner Leiste, funkelte entschieden auf sein menschliches Stützkissen hinab. "Na schön." Grinsend verschränkte Beaumont die Hände hinter dem Kopf. "Du musst doch zugeben: wäre ich nur so ein kleiner, netter Hinterwälder gewesen, hättest du mich gar nicht beachtet, richtig?" Zu seiner Verlegenheit errötete Hidekuni, wandte eilig den Kopf ab. Leider konnte er nicht negieren, dass die Stipendiaten nicht gerade gern in die Mitte der Elite aufgenommen wurden. "Schau mal!" Blitzartig kaperte Beaumont Hidekunis Rechte, führte sie an seinen Hinterkopf, wo der schwarze lange Zopf seinen Ursprung nahm. Hidekuni blinzelte verwirrt, die blonden Augenbrauen in Konzentration zusammengezogen. "Extensions!" Löste Beaumont zwinkernd das Rätsel. "Cool, oder? Dein Onkel hat sich den Bauch vor Lachen gehalten, als wir mit meiner Verwandlung fertig waren." "Wie meinst du das?" Hidekuni studierte ungläubig den archaisch wirkenden Hünen vor sich, auf der Polsterkante unbequem balancierend. "Alles neu macht das Stipendium!" Feixte Beaumont frech, tippte auf die rasierten Schädelseiten, die Stecker in den Augenbrauen, die Ohrlöcher. "Und natürlich die Naturburschen-Klamotten!" Gegen seinen Willen löste sich Hidekunis Kinnlade, näherte sich seinen Knien. Beaumont half mit ausgestreckter Hand, die unerwünschte Kaltluftzufuhr in den Rachen zu beenden, dirigierte den Kiefer wieder nordwärts. "Gramps hat mich glatt enterbt, als er mich in voller Montur gesehen hat." Blendete er sein komplettes Gebiss auf. "...oh...das tut mir leid." Murmelte Hidekuni ratlos. "Ach was!" Ungeniert klemmte Hidekunis Nasenspitze kurz zwischen Mittel- und Ringfinger von Beaumonts Rechter. Er gab Hidekuni wieder frei. "Er enterbt mich mindestens zweimal die Woche. Der alte Knochen hat so seine Routine, da kann man nichts machen." "Dein...Großvater?" Hasardierte Hidekuni verwirrt. Zu seiner Schande wusste er so gut wie gar nichts über den Mann, der ihm seit dem Semesteranfang an den Hacken klebte. "Urgroßvater. Vater meines Großvaters, Großvater meiner Mutter." Präzisierte Beaumont leichthin. "Der hat mich nur weg gelassen, damit ich mir eine reiche Tussi angle und den Rest meines Lebens Kaviar schlürfe." "Also, Kaviar wird nicht geschlürft." Korrigierte Hidekuni mit schiefem Grinsen. Das beantwortete Beaumont mit einem Zwinkern. "Da kennst du Gramps aber schlecht, Kamerad! Und sein Gebiss!" Gegen seinen Willen entfuhr Hidekuni ein Glucksen. Beaumont lächelte. "Schon besser, Katerchen." Seine Fingerspitze streifte einen hochgezogenen Mundwinkel. "Wieso hast du nicht auf deinen Urgroßvater gehört?" Hidekuni vertrieb die Fingerspitze, funkelte kritisch auf den bequem lagernden Mann. "Tja!" Seufzte Beaumont, studierte Hidekuni aufmerksam. "Ich hatte ja schon eine Aufgabe. Wäre wohl kaum glaubwürdig gewesen, wenn ich dir hinterhersteige und gleichzeitig irgendeine Braut klarmache, oder?" Besonders der letzte Halbsatz klang wieder wie der unerträglich arrogante Crocodile-Beau, den alle mieden. "Außerdem gilt meine erste Liebe meiner Heimat. Ist ein Ort für Spezialisten. Da muss man leben wollen." Der Alligator setzte sich auf. "Deshalb hat mein Onkel dir wohl vertraut." Mutmaßte Hidekuni leise. Nicht gerade nett, diese Rechnung! Beaumont erhob sich, schob Hidekuni wieder in die Polsterecke der Sitzbank. "Wäre ja auch schön blöd, den Bock zum Gärtner zu machen, oder?" "Dann war alles...oh..." Hastig drehte Hidekuni sich zur Wand. Ein wenig geschmeichelt hatte er sich ja schon gefühlt, dass Beaumont ihn so unbeirrbar verfolgte, auch wenn es nahezu unerträglich lästig war. Eine Hand strich langsam über seinen blonden Schopf, besänftigend, tröstend. "Es war lustig, den arroganten Hinterwälder aus dem Süden zu geben." Beaumont balancierte auf der Polsterkante. "Es war einfach, in dich verliebt zu sein. Aber die Sache gestern, das war schon heftig." "Wer hat das getan?" "Das darf ich dir nicht verraten." "Wieso nicht?! Ich....autsch...." Hidekuni, der sich wütend aufrappelte, hielt sich die Seite. "Leg dich wieder hin." Beaumont half unerbittlich nach, legte beinahe drohend seine Rechte auf die Wunde unter den Stoffschichten. "Mich anzufunkeln hilft gar nichts. Ich musste deinem Onkel schwören, nur ihm mitzuteilen, wer dir an die Wäsche will. Er entscheidet und er redet auch mit deinen Vätern." "Aber es geht MICH an! Ich bin schließlich attackiert worden!" "Ja, und DU wirst auch bis zum Abschluss im Internat bleiben! Mit diesen Leuten!" Konterte Beaumont Hidekunis ärgerlichen Ausbruch. Der verlor die lebendige Farbe auf den Wangen. Beaumont atmete tief durch. "Sieh mal, gestern, das waren allein zwei verschiedene Parteien. Die eine hat dir die Injektion reingejagt, um dich anschließend vergewaltigen und nach Möglichkeit schwängern zu können. Die zweite Partei hätte dich mit der Katzenminze unabsichtlich beinahe über den Jordan befördert. Ich bin mit dir hierher abgehauen, weil mir der Boden zu heiß wurde. Weil noch mindestens drei weitere Interessenten auf dich spitz waren. Und DAS trotz meiner abschreckenden Anhänglichkeit!" Nun wirkte Hidekunis Teint selbst im Schein der Sturmlaterne totenblass. "Ich weiß!" Beaumont siegelte ihm mit der flachen Hand den Mund. "Keiner deiner Freunde wäre zu so etwas fähig! Tatsache ist, dass du zu einem Adelshaus gehörst. Du bist nicht verlobt. Deine Eltern predigen die freie Entscheidung aus Liebe. Ein Teil deiner Familie gehört zu den skandalösen Madarames, die IMMER in irgendwelche Eliten-Politik verwickelt sind. Du bist klug, sanftmütig, reich, hast die besten Aussichten und bietest dazu noch eine Augenweide. Quasi DIE Eintrittskarte zur Creme de la creme!" Die schwarzen Augen bannten jeden Fluchtversuch. Hidekunis meerblaue Augen beschlugen. Beaumont seufzte, schluckte, lauschte für einen Moment, lächelte schief. Er beugte sich hinunter, um Hidekuni zärtlich auf die kalte Stirn zu küssen. "Außerdem bist du gerade volljährig geworden, Katerchen. Alles Gute zum Geburtstag." *~* Beaumont rieb unermüdlich über Stoffbahnen, um das Geburtstagskind warm zu halten. Die Tränen an seiner Halsbeuge waren versiegt. Nur ein dezentes Schnüffeln verriet noch eine verstopfte Nase. "Was soll ich jetzt tun?" Es klang so herzzerreißend mutlos, abgrundtief verzweifelt. "Ich sorge dafür, dass du zu deinen Vätern kommst. Ihr esst was Feines, redet und feiert. Du schläfst in einem großen, warmen Bett. Gemeinsam heckt ihr aus, wie es weitergeht. Alles kommt in Ordnung." "...ich habe nicht gedacht, dass es wirklich...dass jemand..." Hidekunis Stimme versagte würgend. "Ich weiß." Beaumont wiegte ihn sanft. "Ist eine sehr hässliche Sache, aber die Gefahr, die man kennt, die kann man auch meistern. Du hast eine Menge Menschen, die dich unterstützen. Das wird schon." "...aber ohne dich..." "Ich bin doch zur Stelle gewesen, richtig? Bis auf ein paar kleinere Blessuren bist du davongekommen. Sogar die Katzenminze hast du überstanden!" Bemühte der Alligator sich entschieden, auf die positive Seite der Bilanz hinzuweisen. "Ich kann mich daran nicht erinnern." Murmelte Hidekuni, schauderte. Eigentlich galt Katzenminze seit Alters her als Aphrodisiakum für alle Katzen, wurde in konzentrierter Form auch gern genutzt. Dass er selbst hochallergisch gegen den Geruch allein reagierte, hatten sie nur durch Zufall herausgefunden. Damals waren seine Väter bei Onkel Richard zu Gast. Man ließ bereits Wasser in die große Wanne ein. Mit seinen drei Jahren hatte er sich artig entkleidet, wartete darauf, in die Wanne gehoben zu werden. Im Hochregal, hinter Schranktüren verborgen, war unterdessen eine Flasche Katzenminze-Massageöl umgekippt. Mit der vom Wasserdampf verdichteten Luft lösten sich auch die festgebackenen Ölreste im Schrank. Seine Väter erzählten Hidekuni später, sie hätten ihn krampfend gefunden, bereits die Lippen bläulich verfärbt. Ohne Vorstellung von der Ursache war es Onkel Richard, der Fenster und Türen aufriss, seinem Papa befahl, ihn zu beatmen, seinen Daddy anbrüllte, den Notarzt zu alarmieren. Erst durch die detektivische Kleinarbeit von Onkel Richard waren sie zur Ursachenermittlung gekommen: eine Allergie gegen Katzenminze. Als Katzenschwergewicht. Ein Test brachte Gewissheit. Üblicherweise stellten sich Hidekuni schon bei der Ahnung von Katzenminze alle Haare auf. Er suchte instinktiv das Weite. Das funktionierte allerdings nicht, wenn man von einer anderen Attacke benommen auf dem Bett in seinem Zimmer lag, eingesperrt und unfähig, zu fliehen. "Du bist auf den Boden gestürzt, wärst fast an deinem Erbrochenen erstickt." Beaumont schauderte. "Ich hab ja Erfahrung mit so einigem, aber das war schon eine Herausforderung." "Sicherlich war es ekelhaft." Hidekuni spürte Scham bei der bloßen Vorstellung, was für ein Bild er geboten haben mochte. "Ich hätte lieber mit dir geknutscht!" Über ihm lachte der Alligator verlegen. "Es war ja meine eigene Schuld. Du hattest nicht den Hauch einer Chance. Da habe ich gemerkt, dass ich doch nicht so cool bin, wie ich eigentlich gehofft hatte." Hidekuni befreite sich aus der Umarmung, blickte Beaumont tapfer in das Gesicht. "Du bist geradezu unbeschreiblich cool." Formulierte er entschlossen. "Ich danke dir. Ich war leider nicht sehr freundlich zu dir. Das tut mir wirklich, ehrlich leid." Beaumont legte den Kopf schief. "Oookay...wer bist du, und was hast du mit diesem sturen, hochnäsigen, stocksteifen Miezekater angestellt?!" "Depp!" Fauchte Hidekuni empört, rammte dem Amerikaner eine Faust gegen den Oberarm. "So is schon besser!" Schnodderte Beaumont mit funkelnden Augen. "Das is MEINE Pussy!" "Oh, na warte, du unsäglicher...!" Der Alligator fing vorausschauend selbst gefährdende Attacken ab, umschlang Hidekuni wie einen Rollmops, hielt ihn sicher in seinen muskulösen Armen. "Siehst du, alles in Ordnung." Raunte er sanft in eine Ohrmuschel, hauchte anschließend einen Kuss auf die weiche Haut dahinter. Hidekuni stellte daraufhin sämtliche Kampfhandlungen ein. Gegen diesen unverschämten Amerikaner schien ihm wirklich kein Kraut gewachsen zu sein! *~* "Gut, da vorne ist eine Rufsäule!" Beaumont wies mit kantigem Kinn in die angezeigte Richtung. Es regnete eisige Nadeln vom Himmel, nicht gerade das beste Sonntagswetter. "Komm mit!" Hidekuni, warm eingepackt in Beaumonts Parka, zupfte an dessen Flanellhemd, das unter einem Poncho aus einer Plane hervorschaute. "Nein, mein Kätzchen." Wiederholte der Alligator geduldig. "Du fährst jetzt mit dem Taxi heim zu deinen Leuten, die schon auf dich warten. Ich bringe die Remmy III zurück, bevor sie noch einer vermisst." "Warum willst du meinen Geburtstag nicht mit mir feiern?!" Beharrte Hidekuni stur auf seinem Standpunkt. Ein Teil seiner Verweigerung rührte auch von der Angst her, plötzlich allein zu sein, bis zum sicheren Hafen seiner Väter. "He!" Beaumont lupfte das energische Kinn mit einem gekrümmten Finger. "Das sind unsere Jobs, verstanden? Du, Geburtstagskind. Ich, supercooler Hinterwälder mit diebischem Geschick. Jeder erledigt jetzt seinen Job, klar?" "Das ist doch hanebüchener Unsinn! Wir müssen..." Beaumont gab Hidekuni erst frei, als sie beide in ernstliche Luftnot gerieten. "Bitte fahr jetzt heim zu deinen Leuten." Wiederholte Beaumont sonor, sehr eindringlich. "Sie sorgen sich und warten schon eine ganze Weile. Bitte, Katerchen." Hidekuni schob die Unterlippe vor, presste die Lippen fest aufeinander. "Nun gut." Murmelte er schließlich knapp. "Dann sehen wir uns demnächst." "Yepp." Knurrte der Alligator, wie man es von ihm erwartete. Er begab sich erst auf den langen Rückweg zur Anlegestelle, als er die Rücklichter des Taxis nicht mehr sehen konnte. *~* Hidekuni zögerte einen Moment, als er vor dem vertrauten Elternhaus stand. Die Fahrt hatte lange gedauert. Er hatte die irritierten Blicke gespürt, weil er durch sein äußeres Erscheinungsbild so gar nicht zur vornehmen Adresse passte. Die Kreditkarte wies ausreichend Mittel auf, war Beaumont offenbar von Onkel Richard ausgehändigt worden, um bei Notfällen eingesetzt zu werden. Zudem hatte der ihn angewiesen, im Katastrophenfall die Nähe von Wasser zu suchen. Aus welchem Grund, das verstand Hidekuni noch immer nicht. Plötzlich flammte im Eingangsbereich die Beleuchtung auf. Seine Väter stürzten heraus, zerquetschten ihn beinahe in ihrer gemeinsamen Umklammerung. Er schämte sich, in den Augen der beiden attraktiven Männer Tränen zu sehen, Sorgenfalten zu registrieren. An diesem Abend blieb er wirklich kaum einen Augenblick allein, weil sie nicht riskieren wollten, dass ihrem geliebten Sohn etwas zustieß. *~* Beaumont zerkaute gründlich seine Wegzehrung, mutmaßlich frittierte Hühnchenteile, aber es konnte sich auch sonst was unter der fettig-krümeligen Kruste befinden. Ihm war es gleich, er benötigte Energie, konnte auf kulinarische Gesichtspunkte nicht allzu große Rücksicht nehmen. Die Videoüberwachung von Hidekunis Zimmer brachte keine neuen Erkenntnisse. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass die gesuchte Beute sich nicht mehr in Reichweite befand. "Na schön." Brummte er entschlossen. Es galt, das Zimmer auszulüften, die restlichen Spuren zu beseitigen, Hidekunis Eigentum wieder aus dem Versteck zurück zu expedieren. Er sollte auch mal in seiner eigenen Bude nachsehen, ob sich dort rächende Vandalen ausgetobt hatten! Eine Mitteilung blinkte auf dem Bildschirm auf. Der Alligator öffnete sie, lächelte versonnen. Offenbar war Onkel Richard höchst erleichtert und dankbar dafür, dass Hidekuni sich wohlbehalten bei seinen Vätern befand. "Dann macht sich der Mohr mal auf die Socken." Murmelte Beaumont, verstaute in seinem Adlerhorst die restliche Ausrüstung. *~* Nein, Papa war nicht umzustimmen gewesen. Hidekuni erlebte nur sehr selten, dass der berühmte Architekt Maximilian Seymore wirklich zornig wurde. Meist beließ er es bei frostiger Höflichkeit, betonter Distanz, einer körperlich spürbaren Abgrenzung, verbat sich Entgleisungen konsequent. Aber es gab auch wenige Situationen, wo dieser Panzer im Arsenal blieb, man das mächtige Krokodil selbst mit einem Dinosaurier-Gedächtnis und sehr scharfem Gebiss erlebte. Sein Daddy, der bekannte Bildhauer und Künstler David Woodville, hatte nervös mit etwas Knete allerlei Gebilde geformt, während sie Maximilian im Nachbarraum vermuteten, wo er telefonierte. "Er meint es nur gut, Liebling." Raunte David schließlich mit schiefem Grinsen. Einem erzürnten Maximilian wagte nicht einmal er, sich in den Weg zu stellen. "Ich weiß, Daddy." Seufzte Hidekuni beschämt. Eigentlich handelte es sich um sein Problem, um sein Leben, um seine Stellung in der Gesellschaft. Es WAR peinlich, wenn die Eltern einschritten und Maßnahmen ergriffen. Aber. Das Krokodil-Schwergewicht mit den blitzenden Augen, ja, den aufgeladenen Barthaaren, sprach ein Machtwort. Nun, ganze zwei: "Keine-Widerrede." Maximilian Seymore war ganz und gar nicht geneigt, Konzessionen zu machen. Es gab eine gewisse Etikette, es gab Regeln. Sich durch erbärmliche Schliche hinterrücks in ihre Familie "einzuladen", dabei seinen geliebten jüngeren Sohn zu verletzen, körperlich, seelisch, DAS verdiente keinerlei Pardon. Er hatte nicht erwartet, dass IRGENDWER so abgrundtief perfid sein konnte, zu derlei Methoden zu greifen, bei seinem arglosen, liebenswerten, freundlichen, offenherzigen Sohn! Das war unverzeihlich. In entsprechenden Worten hatte er die jeweiligen Familienoberhäupter der fünf überführten Parteien über seine Auffassung in Kenntnis gesetzt. Er musste keineswegs zu gegenständlichen Drohungen greifen, das war nicht nötig: man kannte seinen Einfluss, sein Gewicht in der Madararui-Gesellschaft. Auf Diskussionen, Ausflüchte oder Rechtfertigungsversuche ließ er sich gar nicht erst ein. Es stand außer Frage, dass Hidekuni seinen Abschluss im Internat machen würde. Darum wollte er mit aller Deutlichkeit klarstellen, dass auch nur ein gekrümmtes Härchen für Konsequenzen übelster Art sorgte. Mochte es David genug sein, die ertappten Angreifer zu verdreschen, IHM genügte das keineswegs! "Ist ein bisschen alttestamentarisch unterwegs, dein Papa." Murmelte David, liebkoste anstelle der Knetobjekte eine glatte Wange seines jüngeren Sohnes. Hidekuni beließ es bei einer schiefen Grimasse. "Du schaffst das schon, hm, Sportsfreund?" Bemühte sich sein Daddy um Aufmunterung, stippte ihm sanft mit der Faust gegen den Oberarm. "Ich gebe mir Mühe." Seufzte Hidekuni leise. Selbstbewusstsein vorzutäuschen, das gelang ihm einfach nicht. Eine deprimierte Stille senkte sich über sie. "Ist ein verrückter Hund, dieser Beau, hm?" Hangelte sich David zu sachdienlichen Informationen, um das Thema zu variieren. Sein jüngerer Sohn lächelte. "Du machst dir keine Vorstellung, Dad!" "Wie gut, dass wir uns mit ihm bekannt machen werden." Maximilian paradierte in ihr Wohnzimmer, die Gesichtszüge noch immer frostig, wenn auch mit einer leichten Zornesröte angehaucht. "Ich lege großen Wert darauf, deinem Freund persönlich für seinen Einsatz zu danken." David und Hidekuni tauschten einen Seitenblick aus. Diesem Machtwort war ebenfalls nicht zu entkommen. *~* »Da ist jemand wohl fleißig gewesen!« Mutmaßte Beaumont, als er sich ohne erkennbare Anzeichen der wochenendlichen Strapazen zu seinen Kursen aufmachte. Man hielt sie auf Sparflamme, da eine größere Anzahl der vornehmen Zöglinge noch mit den Spätfolgen ihrer Extravaganzen zu kämpfen hatten. Auch Hidekuni fehlte. Diejenigen, die sich zeigten, waren entweder nicht eingeladen gewesen, somit grundsätzlich nicht von Importanz, oder sie schlichen so eilig um ihn selbst herum, dass wohl die Buschtrommel gerührt worden war. Als Phantom oder Ninja ging er zweifellos nicht in die Geschichte ein, deshalb musste er damit rechnen, nicht mehr nur als lästige Zecke in Hidekunis Pelz zu figurieren, sondern als gemeingefährlicher Casanova, der keine Konkurrenz verknusen wollte. Andererseits ging das Semester in Kürze zu Ende und damit auch sein Aufenthalt hier. "Zu spät allerdings für Mardi Gras!" Grummelte er leise. Der "fette Dienstag" gefiel ihm trotz all der Konzessionen für den Tourismus noch immer, auch wenn er selbst in kein Kostüm stieg (die aktuelle Aufmachung ausgenommen). Eine kurze Weile lang schien New Orleans Pracht und Pomp seiner Vergangenheit zu atmen, geradezu gierig nach Leben zu dürsten, wie entfesselt zu tanzen und zu toben! Da nahm er durchaus eine anstrengende Anreise in Kauf, die gewöhnlich in einer heftigen Tirade und prompten Enterbung durch Gramps endete. In einigen Clubs im Großraum London wurden auch Feiern offeriert. Beaumont konnte sich nicht vorstellen, dass die Atmosphäre auch nur annähernd an das Original heranreichte. Mutmaßlich eine eher deprimierende Angelegenheit! Ein Anflug von Heimweh ließ ihn die Reißzähne knirschend reiben. Er vermisste die Hitze, den Geruch, das Schattenspiel, das Wasser, die Freiheit. Und selbstredend Gramps und Sazou. "Ich bin echt ein hoffnungsloser Fall!" Bescheinigte er sich selbst seufzend. *~* Kapitel 2 - Malchance "Merde!" Murmelte Sazou, zog sich unter die hochgezogene Veranda des Clubs vor dem einsetzenden Regen zurück. Mandeville versprach eigentlich immer, ein einigermaßen anständiges Geschäft zu werden, wenn er Geld benötigte. Das war hin und wieder der Fall, beispielsweise, um den Tank zu füllen. Dazu musste er Kunden finden. Wenn der Regen anhielt, nahm die potentielle Kundschaft rapide ab. Sazou schnaubte, hockte mit ausgestellten Knien unter den erneuerten Bodenplanken. Eine Zigarette wäre jetzt angenehm. Oder besser noch, ein Whisky! Dummerweise sah es nicht so aus, als würden Besoffene mit mitleidiger Gesinnung seinen Weg kreuzen. Überhaupt, das musste man feststellen: die Geschäfte ließen arg zu wünschen übrig! Selbst im Rotlichtbezirk konnte er nur noch selten fündig werden. "Merde." Grummelte Sazou ohne rechten Elan, kratzte sich den verwilderten Blondschopf. Die verkletteten Strähnen konnten jeden Figaro in die Flucht treiben. Ihn focht das jedoch nicht an, weil er dort auch sehr gut eine seiner Keramikrasierklingen verbergen konnte. *~* Wenn man die Straße zurück nach Madisonville nahm, dauerte es durchaus, weil niemand Anhalter mitnahm im strömenden Regen. Und weil ein Auto sich eben an die Asphaltroute halten musste. Sazou hielt sich nicht mit derlei Einschränkungen auf. Von Natur aus ein geborener Schwimmer musste er lediglich den alten Einer so nahe wie möglich an sein Ziel bringen, unentdeckt vertäuen können. So konnte er praktisch überall hingelangen. Nicht gerade über die gesamte Breite des Lake Pontchartrain, dafür gab es andere Möglichkeiten. Madisonville selbst war auch nicht gerade sein direktes Ziel. Nein, seine Heimat war ein alter Schwimmkahn, tief im Bayou, zwischen Mangroven und anderen Sumpfgewächsen, wo sich nur die hin trauten, die den Weg kannten. Kein Ort für "Tourismus" oder die Bullerei. Oder die Sozialbehörden. *~* Der Schauer prasselte auf das Wellblech, zauberte eine trügerisch einladende Tanzfläche aus abertausenden Kringeln und Kreisen, grün-braunes, leicht schaumiges Wasser, dampfende Atmosphäre, beinahe ein Dschungel. Sazou räkelte sich auf den alten Brettern, lauschte der stillen Symphonie der natürlichen Trommelwirbel. Die Fauna verhielt sich still. Das tat sie ohnehin, wenn sie auf der Jagd war. Alle anderen schwiegen, weil gegen die Fluten kein Gesang ankam. Sein Magen knurrte schüchtern. Sazou grummelte grimmig. Er hätte jetzt in der Schule sein können, viel mehr sollen. Andererseits langweilte er sich in der einsperrenden Enge, beim dauernden Stillsitzen und dem überflüssigen Blabla, das man ihnen einzutrichtern versuchte. Außerdem konnte er sich nicht motivieren, in der Früh den Weg auf sich zu nehmen, wenn Beau ihn nicht antrieb. "Blödmann!" Zischte er in den nahezu leeren Bretterverschlag. Ja, es war SEINE glorreiche Idee gewesen, Beau auf den beschissenen Anschlag hinzuweisen! Wer hätte auch ahnen können, dass die reichen Sackgesichter, die diesen Mist als Feigenblatt für ihre ausbeuterische Gier benutzten, ihn auch TATSÄCHLICH gewinnen ließen?! Wobei, das musste Sazou widerwillig eingestehen, Beau WAR ein ziemlich heller Kopf. Kapitaler Bursche. Bloß, in der echten Welt, da gehörten solche wie SIE nicht dazu. Was Beau einfach nicht zu kapieren schien, der Depp!! Spielte jetzt irgendwo Babysitter für so einen verweichlichten, aufgeschwemmten, WEISSEN Schönling, Papis Liebling, reich, eingebildet, unfähig, hochnäsig... Sazou drehte sich, spuckte verächtlich in das nahezu stehende Gewässer. Wahrscheinlich wäre Beau auch versaut, wenn er zurückkam! Falls... Die Hände unter dem verkletteten Mopp seiner ehemals weißblonden Strähnen verschränkt funkelte Sazou finster den Blechhimmel über sich an. Wenn Beau schlau war, auf den alten Knochen hörte, würde er eine der reichen, verwöhnten, aufgedonnerten Tussis flachlegen, sich von ihr aushalten lassen. Die könnte ihm auch den ganzen Mist finanzieren, den man brauchte, um in der Welt was zu zählen: Doktortitel, Buchstaben-Salat am Namen, ganz große Nummer! "Pah!" Zischte Sazou abfällig in seine Einsamkeit. Na schön, ihm war unzweifelhaft klar, dass er außerhalb ihrer Heimat keinen Staat machen konnte! Vielleicht, ein wenig, gefiel es ihm hier auch, aber jeder andere, der noch zwei funktionierende Hirnzellen hatte, zog hier Leine, wenn sich die Gelegenheit bot! Bloß Beau, dieser Depp, redete von Umweltschutz, von nachhaltigem Zusammenleben mit der Natur! All diesem Zeug, was die reichen, weißen, WEICHEN Typen faselten, die keine Ahnung davon hatten, wie es WIRKLICH war, hier zu leben! Außerdem würde ohnehin niemand auf ihn hören, da konnte er noch so viel wissen! Es zählten nur die dämlichen Buchstaben! Wie viele Tonnen Papier man verwüstet hatte mit dämlichen Messungen und Statistiken und anderem Quatsch! All diese Wichser wussten doch gar nichts. Er verzog die dünnen Lippen bitter. Nicht, dass er auf Beau angewiesen war, aber es wäre schon schade. *~* Es gab nicht allzu viele von ihrer Sorte in der Gegend. Madararui. Man konnte kein Geld machen. Das Leben war härter. Eigentlich spielte sich ja alles auf der anderen Seite des Sees ab, in New Orleans. Klar, es gab Projekte zur Aufwertung, man wollte Leute aus der Stadt ansiedeln, mit dem Museum auch Forschung betreiben. Das änderte am Grundproblem gar nichts. Wer hier nicht geboren wurde, kam nicht zurecht. Wer hier geboren wurde, suchte meistens das Weite. In den Großstädten hatte man Slums. Hier gab es einzelne Ecken, dem sumpfigen Gelände abgetrotzte Gevierte, wo das hauste, was man großzügig mit Riffraff, weißem Bodensatz, Trash oder Abschaum bezeichnete. In die ehemaligen Cajun-Familien mischten sich auch entflohene Baumwollsklaven, Angehörige der ehemals ansässigen Stämme, ein bunter Mischmasch, den vor allem kennzeichnete, dass sie da waren, wo es nicht mehr tiefer ging. Abgehängt, vergessen, sich selbst überlassen. Wenn man hier geboren wurde, als Schlangen-Mittelgewicht, mit diversen Halbgeschwistern, bleicher Haut und blonden Haaren, hellgrauen Augen, nur ein weiterer Bengel in einem Geviert zwischen freilaufenden Hühnern, baufälligen Hütten, Zivilisationsmüll und ungeklärten Abwässern, wusste man, dass man zur Kategorie "weißer Dreck" gehörte. Nicht gern gesehen war. Hin und wieder kam die Sozialbehörde mit den Bullen, kassierte sie ein, registrierte sie, sortierte, ermahnte, was nicht viel half, selbstredend. Er war ungefähr drei Jahre alt gewesen, als sie ihm billigen Schnaps eintrichterte und einer ihrer Stecher ihm mit einer heißen Nadel und Farbresten seine Sozialversicherungsnummer in den rechten Unterarm ritzte. Wahrscheinlich die einzige Wohltat, die ihm seine liederliche Alte je bescheren würde! Er hatte überleben gelernt, wie all die anderen Bastarde in den ungenehmigten Bruchbuden. Er hatte diesen seltsamen Jungen kennengelernt: Alligator-Schwergewicht, nicht verlumpt, von Dreckschichten gegen fliegende Plagegeister geschützt. Natürlich hatte er, um eine Brücke zu schlagen, dem fremden, größeren Jungen erst mal ins Gesicht gespuckt. Eine wilde Rauferei später sprang er wie gewohnt in das schlammige Wasser, exzellenter Schwimmer und clever genug, eventuell gefährlichen Tieren auszuweichen. Überraschenderweise hatte sich der Alligator nicht abhängen lassen, nicht mal gezögert, mit seinen feinen Sachen in die Brühe einzutauchen. Der Alte im Boot hatte zwar gebrüllt, er solle sofort zurückkommen, doch das schien vergessen. Sie hatten den morastigen Grund aufgewühlt, sich mit Matschklumpen beworfen, sich im Schlamm gewälzt, bis gemeinsames Magenknurren ein temporäres Ende ihrer Beschäftigung verlangte. Im breitesten Cajun hatte der Alligator-Junge ihn aufgefordert, mit ihm einen Fisch zu fangen, dabei ein Messer aus einer am Oberschenkel angebundenen Scheide gezogen. Als sie sich den rohen Fisch teilten, mit antrocknendem Schlamm am ganzen Körper, trotz eines Altersunterschieds von fast drei Jahren, waren sie Freunde geworden. Beau und Sazou. *~* Sazou kannte "normale" Häuser nur aus dem Fernsehen. Das lag daran, dass jemand wie er weder reingelassen wurde, noch irgendwo in der Stadt einbrach. Er hatte seinen Stolz und es nicht nötig, Geld zu stehlen oder Dinge, die Leute in der Stadt in ihren großen Häusern lagerten. Das meiste Zeug war ohnehin viel zu empfindlich gegen Feuchtigkeit! Auch das auf Pontons in mehreren Modulen schwimmende Heim des alten Knochens durfte er nicht betreten. Offiziell. Beau hatte ihn immer mal wieder heimlich mitgenommen, ihm begeistert erklärt, was der alte Drachen da baute. Richtiges Leben auf und mit dem Wasser, statt mit viel Energie und teuren Pumpen Sumpf- und Marschgelände austrocknen und damit unterhalb des Meeresspiegels wohnen, was Damm- und Deichbau erforderte... Für jemanden, der nie ohne Not die Zähne auseinander bekam, war die Eloquenz des Alligator-Jungen ein Phänomen. Vom Mitteilungsdrang ganz zu schweigen. Beau war es auch, der ihn zur Schule schleppte. Immerhin bekam man, wenn man die Anwesenheitsdauer erfüllte (was die Schule bescheinigte), von der Sozialbehörde Lebensmittelcoupons. Wer Hunger hatte, um seinen Anteil ringen musste, ließ sich eben auch unwillig für einige Stunden kasernieren! Da konnte man auch nachgeben, sei es, dem Freund einen Gefallen zu erweisen. *~* »Arsch!« Konstatierte Sazou verächtlich, als der aufgedunsene Mann ihn zu packen versuchte. Blitzschnell zog er mit der Linken eine Keramikklinge aus dem scheinbaren Schmuckband um seinen Knöchel, setzte sie an den speckigen Hals. Der Brummi-Fahrer keuchte überrumpelt. Schweiß sickerte über seine grobporige Haut. "Die Hände hinter die Kopfstütze." Kommandierte Sazou kühl, kauerte auf dem Schoß, die Knie angewinkelt. "Los jetzt!" Drohte er, als seiner Aufforderung nicht prompt Folge geleistet wurde. Ohne Mühe äußerst gelenkig entzurrte er den Gürtel mit der prahlerisch großen Schnalle, wickelte den Ledergurt mit der Rechten so eng um die Handgelenke hinter der Kopfstütze, dass der Mann aufjaulte. Sazou schnalzte abschätzig. "10 fürs Blasen, 20 fürs Bumsen, das war die Vereinbarung." Erinnerte er eisig, funkelte in die blutunterlaufenen Augen. "Jetzt denkst du erbärmlicher Scheißer, du könntest nen Zuschlag bekommen? Mengenrabatt, oder was?! Seh ich aus wie n verdammter Discounter?!" Kehliges Gurgeln. "Blöder Wichser." Urteilte Sazou, kletterte von dem Schoß, wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Schritt sauber, bevor er die kurzen Hosen überstreifte, seine Rasierklinge verstaute. Sein hellgrauer Blick fiel auf das Mobiltelefon im Holster. "He!" Protestierte der Brummi-Fahrer. "Nicht mal gesperrt." Schnalzte Sazou, fotografierte ihn. "Na, wem schicken wir denn das hübsche Bild mit deinem mickrigen Schwanz in der Tüte, hm?" Ging er das Adressbuch durch. "Nein! Bitte, es tut mir leid, ich schwör's!" Sazou schnaubte. "Klar doch." Der Mistkerl war nicht der erste, der noch mindestens einen Gratis-Fick erzwingen wollte oder glaubte, mit weißem Abfall könne man tun, was man wolle, es kratze ohnehin keinen! "Ich geb dir Geld, okay? Wie viel willst du?!" Nun bettelte er auch noch, der Scheißer! Sazou funkelte angewidert auf die klägliche Gestalt hinab. "Hier geht's ums Prinzip, du Penner. Kosmische Gerechtigkeit, von mir aus." Er wählte einen Namen, versandte das Bild, stopfte das Mobiltelefon wieder achtlos in das Holster. "Wem? Wem hast du es geschickt?! Sag schon, wem?!" Sazou antwortete nicht, sondern aktivierte die Warnleuchte, entkletterte dem Führerhaus. Würde sicherlich lustig sein zu sehen, wie die Bullen den Idioten befreiten. Er hatte für heute die Schnauze von seinen Mitmenschen gestrichen voll! *~* Der alte Knochen hatte ihn mal wieder angeraunzt, wollte nicht, dass sein Urenkel mit so einem verwahrlosten Bastard herumhing. Sazou verstand recht gut, was da NICHT ausgesprochen wurde. Also hatte er Beaumont einfach ignoriert, sich wie stets, wenn er keinen Anlass dazu hatte, sich mit seinen Mitmenschen abzuplagen, in den Bayou begeben. Ihn vermisste niemand. Die Alte hatte wahrscheinlich nicht mal den Überblick darüber, wie viele kleine Bälger sie rausgedrückt hatte! Das spielte auch keine Rolle. Er kam selbst klar. Nur die blöden Kids in der Schule kreischten nach Mami und Papi, hatten es nicht drauf! Sazou ließ sich treiben, kletterte durch die Luftwurzeln der Mangroven, beobachtete die ihn umgebende Wildnis. Hier ermahnte ihn keiner, nörgelte, schimpfte. Irgendwann hatte er den alten Schwimmkahn entdeckt und darauf den Mann, der gerade einen kapitalen Alligator auf die breite Laderampe hievte. Ein sehniger, sonnenverbrannter Typ, alte Armeehosen, viel Eisenware, zwei Goldzähne, eisblaue Augen, Bartstoppeln, ledrige Haut mit Falten. "Na, haste Lust, mir beim Ausnehmen zu helfen?" Sazou kroch zögerlich aus seinem Versteck. Er hatte noch nie gesehen, wie man einen Alligator verarbeitete. Durfte er dem Fremden aber trauen? "Kannst dir auch nen Zahn aussuchen, ist n toller Anhänger!" Feixte der Mann mit aufblitzenden Goldzähnen. Um seinen Hals lag eine imponierende Kette, scheinbar mindestens ein Gebiss. "Okay." Entschied Sazou. Im Notfall konnte er immer noch mit dem rostigen Nagel in seiner Hosentasche Distanz schaffen und abhauen. Boyd unternahm keine Anstalten, ihm auf die Pelle zu rücken, überließ ihm tatsächlich einen großen Zahn, zeigte ihm, wie man ein Loch hinein drillte, um den Anhänger zu fertigen. Außerdem gab es frittiertes Alligatorenfleisch mit Maisbrot. Was wollte man mehr? *~* Über Boyd wussten die anderen kaum was: er sprach Cajun, mit einem etwas anderen Akzent, rührte keinen Tropfen Alkohol an. Sazou lernte eine Menge bei ihm, vor allem aber, wie man ein "niedriges Profil" pflegte. Boyd hatte keine Lust auf Bullen oder die Behörden. Er jagte mit Harpunen und Messern, häutete die Alligatoren, bearbeitete sie so gekonnt, dass er eine Menge von der Ausbeute verkaufen konnte, fing Fische und hielt wilde Hühner, konnte Maisfladen backen und tauschte Gemüse ein, kannte sich mit Wunden aus, mit Essbarem in den Sümpfen, mit den Dingen, die die ersten Bewohner schon erkundet hatten. Hin und wieder schickte er Sazou auch weg, zur Schule, wegen der Bullen und der Lebensmittelcoupons, die man auch auf dem Schwarzmarkt eintauschen konnte gegen Sprit und Gas. Sazou verbrachte immer mehr Zeit in dem abgelegenen Wasserarm auf dem Schwimmkahn, schlief dort, lernte von Boyd. Hier gab es zu essen, ein Dach über dem Kopf, keine Prügel, kein Geschrei, keine liederlichen Besoffenen. Gut, hin und wieder steckte Boyd sich ein Pfeifchen an. Das störte Sazou nicht. Niemand kam, ihn zu suchen. Er erzählte auch niemandem, nicht mal Beau, wie viel Zeit er bei Boyd verbrachte. Der redete nicht über sich selbst, legte ihm dar, so weit es ein Grundschüler eben begreifen konnte, warum man den Behörden nicht trauen durfte. Wie verlogen und heimtückisch sie mit süßen Versprechungen lockten. Wenn sie hatten, was sie wollten, warfen sie einen weg. Ließen einen wegsperren oder verschwinden. Einiges deckte sich durchaus mit Sazous Erfahrungen, sodass er an Boyds Weltsicht nicht zweifelte. Außerdem hatte Boyd ihn nie belogen. Hier und wieder mal was ausgelassen. Dafür hatte Sazou durchaus Verständnis. Als Kerl musste man ja nicht ständig alles rausschnattern, so, als hätte man Verbal-Brechdurchfall! *~* Eine Sache gab es, die Sazou wurmte, seine Größe. Klar, er war noch n Kind, ein Shrimp, bloß, für ihn war das kein akzeptabler Zustand! Selbst die Mädchen seines Alters überragten ihn. Außerdem nannten sie ihn "Klappergestell" und "Baby-Gnom". Das war in noch erheblicherem Maße herabwürdigend. Er prügelte sie nicht, weil sie bloß blöde Weiber waren, die man gar nicht beachtete, aber es wurmte ihn doch. Beau überragte ihn locker um zwei Köpfe! Boyd erwies sich als Ratgeber, wenn man wirklich ein richtiger Kerl sein wollte. Ein richtiger Kerl spritzte Männersaft aus seinem Schwanz, der hart wurde und wie ne Eins stand. Sazou mangelte es in dieser Hinsicht an körperlicher Reife. Das Einmassieren von Boyds Männersaft half nicht merklich, also mussten stärkere Geschütze aufgefahren werden, wenn er sich traute. Innere Anwendung wirkte grundsätzlich stärker als äußere, wusste ja jeder. "Du kannst ihn lutschen, Saz, aber es schmeckt wahrscheinlich bitter. Ist ne Gewöhnungssache wie beim Bier." "Wenn's weiter nichts ist!" Entschied Sazou mit blitzenden hellgrauen Augen. Er war es leid, klein, knochig und zu leicht zu sein! Bier hatte er auch schon getrunken. Keine große Sache, ein bisschen Übung, das ließ sich machen. Zuerst leckte er nur ab, lernte, wie er schlucken musste, mit Zunge, ohne Zahnabdrücke. Boyd war ausgesprochen geduldig mit ihm. Tatsächlich schaffte er ein paar wichtige Zentimeter Wachstum. Bloß, bei dem Tempo musste er ja uralt werden, bis er Beau einholte! Boyd rieb sich den Nacken, schenkte ihm seinen eisblauen Blick. "Die Wirkung ist halt nicht so stark, muss ja erst mal runter durch deinen Hals, dann Magen und so...weißte, innen drin, da ist so ein Ding, Prostata. Wenn die massiert wird, treibt's die Männer-Säfte richtig an. Da kommt man eben nur durch die Hintertür ran, kapierste, mein Kleiner? Das is nich ganz einfach bei so ner halben Portion, wie du sie nun mal bist." Sazou wusste nichts von "Pro-Starter", oder wie auch immer dieses Ding hieß, aber er hatte eine ziemlich gute (nach seiner Auffassung) Vorstellung davon, wie wild die Weiber wurden, wenn man ihnen den Ständer reinsteckte. Warum sollte das nicht auch bei ihm funktionieren? "Schön, aber jammer später nich rum, wenn's nicht gleich klappt!" Warnte Boyd ihn aufrichtig vor. "Die Muskeln im Arsch müssen geschmeidig werden. Da biste im Nachteil zu den Weibern." Nichts, was Sazou schrecken konnte. Außerdem war er keine heulende Memme. Mit dem Balsam, das Boyd zurechtmischte, musste er bloß seinen mageren Hintern trainieren. Er würde den dämlichen "Pro-Starter" schon aus dem Winterschlaf aufwecken! *~* Sazou zog den Einer ohne den kleinen Flaschenzug auf die Laderampe. Die wasserdicht verpackten Scheine würden eine Weile vorhalten müssen. Er brauchte wieder Gas für den Kocher. Sein Maismehl-Vorrat war auch erschöpft. Brummelnd kletterte er in die alte Hängematte, ließ die Beine baumeln. Wenn er geschickt genug war, könnte er es vielleicht allein mit einem kleinen Alligator aufnehmen. Allerdings bedeutete das harte Arbeit und recht wenig Lohn, da die Zuchtfarmen die Preise verdarben! Erwischen lassen sollte er sich besser auch nicht. Er seufzte, spuckte geschickt und zielsicher zerkauten Blättermatsch in das träge dahinwabernde Gewässer. »Schwanzgeschmack auf der Zunge, nein, danke!« Der verlogene Drecksack hatte eine Lektion verdient. Sein hässlicher Schwanz unter dem wabbeligen Wanst war verwöhnt, richtig gemolken und massiert worden, und dann startete der Arsch so eine Aktion?! "Drecks-Wichser!" Zischte Sazou. Glücklicherweise waren nicht alle Typen so erbärmliche Arschgeigen. Manche wussten seine trainierte Muschi sehr zu schätzen. Ihm bedeutete weder bumsen noch blasen viel. Eine Möglichkeit, an Bares zu kommen, fairer Austausch. Boyds Lektionen hatte er damals, eher unterbewusst, durchaus kapiert. Er nahm es ihm nicht übel: jeder wusste, dass beide Seiten bei einem Tausch auf ihre Kosten kommen wollten. Für einen trockenen, sicheren Schlafplatz, ausreichend Essen, hin und wieder neue Klamotten und die zahlreichen Lehrstunden ließ Sazou sich gern von Boyd in den Arsch ficken. Es gefiel ihm sogar nach einer Weile, als er auch einen Ständer bekam, Männersaft spritzte. Natürlich redete er nicht darüber. Keiner hätte es richtig verstanden. Jetzt gab es auch keinen Grund mehr, irgendwem etwas zu erzählen. Eines Tages war Boyd einfach verschwunden. Nicht abgehauen, nein, das glaubte Sazou nicht einen einzigen Herzschlag lang. Alle seine Sachen, die Häutemesser, die Machete, die Harpune, alles befand sich noch im Schwimmkahn. Die Leute meinten, ihn hätte vielleicht ein Alligator erwischt, das kam schließlich vor. Wer jagte schon ohne seine Ausrüstung?! Sazou hatte überall nach ihm gesucht, mit Stangen gestochert, sich die Kehle heiser geschrien. Sogar bei dem alten Knochen war er zu Kreuze gekrochen, hatte um Hilfe gebeten. Genutzt hatte es nichts. Wahrscheinlich hatten SIE Boyd doch gefunden, wer auch immer SIE waren, vor denen Boyd sich versteckte. Nach mehr als zwei Jahren erlaubte Sazou sich keinerlei Illusionen mehr: Boyd war tot. Irgendwer hatte ihn aufgestöbert, ermordet und die Leiche verschwinden lassen. Das war im Bayou nicht schwierig, wenn man die richtige Stelle kannte, dort genug Fleisch- und Aasfresser in Reichweite wusste. Seitdem lebte Sazou allein auf dem Schwimmkahn, ohne Hoffnung, aber trotzig und herausfordernd. Warum sollte er auch gehen?! Boyd war nie kleinlich gewesen, er hatte ihn nie verjagt! Wenn es irgendwen störte, dann sollte der sich bloß in Acht nehmen! Beau hatte sich vermehrt um ihn bemüht, ihn immer wieder in die Schule geschleift. Das war manchmal besser, als hier draußen ganz allein über das miese Schicksal nachzugrübeln. Wenn er schon mal in Mandeville war, konnte er auch abends auf die Suche nach Kundschaft gehen oder Kippen schnorren, Bier oder Whisky fürs Blasen verlangen. "Scheiß Konjunkturflaute!" Sazou spuckte erneut gezielt in die braune Brühe jenseits des Schwimmkahns. In letzter Zeit musste er eine erhebliche Pechsträhne verdauen. Wann hatte er das letzte Mal Kippen bekommen? Seit einer Weile trieben sich auch die Bullen herum. Da gab ihm niemand ein Bier oder wenigstens etwas Schnaps aus. Über kurz oder lang musste er sich etwas einfallen lassen. *~* Er hatte es im Fernsehen gesehen, vor einer Weile, durch die Ladengitter, selbstredend. Dass man als Nigger schneller abgeknallt wurde. Keine große Überraschung für Sazou. Mit den Härten der Realität war er durchaus vertraut. Außerdem musste er sich ganz sicher auch zu den "Zähl-Niggern" rechnen, dem Abschaum, kriminell, unter Strom jeglicher Art, enthemmt, insgesamt wertlos, oft genug hörte er das ja. Es erklärte auch, warum er sich nur noch mit größter Umsicht durch die belebten Viertel bewegen konnte. Überall Bullen, ja, selbst in den schmierigeren Läden wurde er schon auf der Schwelle rausgeschmissen! Bloß keine minderjährigen Herumtreiber! Dazu kamen auch die heftigen Unwetter passend zum Jahreswechsel, wie gewohnt. Da konnten sie noch so in den Scheiß-Lügen-Nachrichten erzählen, dass die Konsumlaune stieg: er bekam davon gar nichts mit! Mit einem frustrierten Blick auf Himmel, Windstärken und Regen entschied Sazou, sich beim Hafen in einer weniger frequentierten Ecke einzunisten, das Schlimmste abzuwarten. *~* Der appetitanregende Geruch weckte ihn zuerst. Sazou entfaltete seine Glieder, blinzelte argwöhnisch aus den hellgrauen Augen aus seinem Versteck unter einer Ladebucht. Vor ihm stand eine dampfende Schüssel mit Gumbo, darin ein schlichter Holzlöffel. Sein vernachlässigter Magen knurrte vernehmlich. Sazou weigerte sich, diesem Impuls nachzugeben. Hier hatte niemand was zu verschenken, schon gar nicht an ihn! "Greif ruhig zu." Brummte ein Bariton vor der Ladebucht. Zu ihm gehörten Anglerhosen mit Camouflage-Muster, die schweren Stiefel abgewetzt. Nach einer Keramikklinge tastend beugte sich Sazou wachsam vor. Der Kerl war ein Hüne, musste sogar Beau überragen! Gebaut wie ein doppeltüriger Kleiderschrank, muskulös und so mitternachtsschwarz, wie Sazou noch nie einen Menschen gesehen hatte. Auf dem polierten Schädel tanzten Tropfen, glitzerten in einem gepflegten Bart. Die Gesichtszüge strahlten selbst eine gemütliche Gesinnung aus, etwas in sich selbst Ruhendes, wie man es manchmal bei den Buddha-Figuren in den Vorgärten zu sehen bekam. Sazou schnupperte, witterte, wie ein Tier. Wo musste er attackieren, wenn er aus der blockierten Ladebucht entwischen wollte? Der Riese grinste, enthüllte eine kleine Zahnlücke zwischen den blendend weißen Vorderzähnen. "Wär nett, mein Freund, wenn du mir das Geschirr vor mein Boot stellst. 'Tallulah Belle'." Damit entfernte sich der Gigant mit lässigen, ausholenden Schritten. *~* Es schmeckte. Teuflisch gut. Sazou kaute gründlich, wollte nicht schlingen, weil einem das erfahrungsgemäß nicht bekam. Er hatte vor drei Tagen das letzte Mal eine warme Mahlzeit gehabt, also galt es, dieses Geschenk nicht durch Gier zu verderben. Komische Type. Hin und wieder gab es das. Leute, die von was auch immer besessen, was Selbstloses taten, na ja, vielleicht auch nicht selbstlos an sich, sondern in Erwartung einer anderen Leistung: sich besser fühlen, was Gutes tun. Vielleicht auch besser sein als die, die sich nicht scherten? »Wer weiß, ist auch schnurz!« Rief Sazou sich zur Ordnung. Er würde das Geschirr im Regen ausspülen, seinem Besitzer zurückgeben. Der Bursche wirkte, wenn man die richtige Distanz hielt, tendenziell ungefährlich. War auch kein Madararui. *~* Die Tallulah Belle wirkte ein wenig merkwürdig. Sazou hatte eigentlich einen kleinen Trawler erwartet, wie es sie hier häufig gab, ganz sicher nicht neu, für den Fisch- und Meerestierfang geeignet. Nicht eine Art Hausboot mit hölzernem Rumpf! Ohnehin durchnässt strich Sazou im diffusen Licht der Funzeln am Pier über die Beplankung. War das vielleicht eine Art historischer Nachbau? Oder ein exotisches Format wie diese Dschunken, von denen er mal gehört hatte? Sie lag nicht allzu tief im Wasser, auf einer eher breiten Basis. Kein scharfer, ausgeprägter Kiel, der hohe Wellen zerschneiden konnte. Flachwasser-geeignet also. Er konnte leere, kastenförmige Körbe an Deck erkennen. Fing ihr Besitzer Krustentiere, setzte vielleicht sogar Muscheln aus? "Du kannst ruhig einen Nachschlag bekommen." Bot der Bariton im Schatten der Achteraufbauten an. Sazou zerbiss hastig einen Fluch, weil er den Hünen nicht bemerkt, sich potentiell achtlos verhalten hatte. "Was n das für n Ding?" Schnodderte er betont gelassen, wich unauffällig zurück. Der Riese trat hervor, löste sich aus den Schatten, die lediglich Augäpfel und das aufblitzende Gebiss präsentiert hatten. "Etwas von diesem und etwas von jenem. Vom Typ her ein Flachboot, kein Flitzer." Der unverkennbar stolze Besitzer ging in die Knie, um die vom Regen sauber gespülte Schüssel und den hölzernen Löffel aufzulesen. "Hast du wirklich keinen Hunger mehr? Ich hab mehr als genug." Wiederholte er sein Angebot freundlich. "Bist nich von hier, was?" Knurrte Sazou. Nein, auch wenn sie einander verstanden, sprach der Gigant ein höchst eigenwilliges Cajun. "Florida. Everglades." Antwortete der vage, keineswegs beleidigt. "Fühle mich hier schon sehr daheim." "...is das so..." Grummelte Sazou, die weißblonden Augenbrauen zusammengezogen. Welcher Verrückte siedelte vom Rentnerparadies Florida hierher um?! "Schade, wenn dir's nicht geschmeckt hat." Imponierende Muskeln zogen sich zusammen. "Ich werde mal ablegen. Bist du so nett, die Leinen zu lösen?" Eine Gefälligkeit, die nichts kostete, vor allem, wenn der Magen befriedigt Ruhe hielt. "Merci, mein Freund! Ach ja, mein Name ist Titane!" "Vorausschauende Eltern, was?" Quittierte Sazou frech, schlug sich knapp mit der Faust auf die Brust. "Sazou. Man sieht sich, Florida-Boy!" Jeder andere wäre wohl ob der gezielten Provokation beleidigt gewesen. Titane lachte dröhnend, winkte mit einer großen Hand, während die Tallulah Belle sehr langsam von den Strömungen angeschoben ihren Platz verließ. Zu Sazous Verblüffung schob sich am Heck ein Schaufelrad unter die Wasseroberfläche. Titane manövrierte geschickt sein Flachboot aus dem Hafen. In nördliche Richtung, entlang des Seeufers. *~* Kapitel 3 - Le pecheur Natürlich wollten sie ihn erst nicht reinlassen. So einer wie er, was wollte der schon in der öffentlichen Bibliothek?! Hatte ja nicht mal einen Leseausweis! Sazou konnte, wenn es ihm wichtig war, sowohl eloquent als auch verständlich für seine Sache kämpfen. Es gab keine Handhabe, ihn einfach auszusperren, das wusste er. Zugegeben, er konnte nicht für sich reklamieren, Steuern zu zahlen. Das taten schließlich die wenigsten 15-jährigen! Er hegte auch keinerlei finstere Absichten gegen Inventar und Bibliotheksgut. Alles, was er wollte, war etwas über Boote nachschlagen! Die Tallulah Belle ging ihm schlichtweg nicht aus dem Kopf. Er kannte frisierte Autos, natürlich, vor allem, wenn man die Trümmer ausschlachtete, um aus den Resten einen halbwegs fahrbaren Untersatz zu bauen. Konnte man das auch mit Schiffen anstellen? Vor allem, mit einem Rumpf aus Holz?! Manchmal sah man noch an den versandenden Ufern des Mississippi die faulenden, verrottenden Reste alter Wasserraddampfer. Damals, vor so langer Zeit, konnte sich nicht jeder einen Rumpf aus Stahl leisten, geschweige denn die modernen, sehr leichten Kunststoffverbindungen, die heutzutage in Gebrauch waren. Sazou wusste von Werften, in denen teure Yachten spezialisierte Innenausbauten bekamen. Er hatte auch schon Hausboote gesehen, die einem luxuriösen Caravan in Nichts nachstanden. Trotzdem, ihm war noch nie ein Flachboot wie diese Tallulah Belle begegnet. Dann dieser idiotische Antrieb! Ehrlich, ein Wasserrad?! Wieso kein Dieselmotor?! Rannte innen etwa eine Herde Hamster, um die Riemen in Schwung zu halten?! Was für ein verrückter Kerl musste dieser Titane sein, um auf so einer komischen Scherbel durch die Gegend zu schippern? *~* Ein ungemütlich frischer Wind wehte vom See her. Hier und da verbarrikadierten die ersten ihre gläsernen Ladenfronten. Sazou witterte prüfend, schauderte leicht. Die ganze Atmosphäre blieb ungemütlich. Mit Gefahr rechnete er nicht. Kein Hurrikan, kein Dammbruch. Bloß ein hässlicher Tiefausläufer und ein Wochenende ohne die Möglichkeit, etwas einzutauschen. Maisbrot allein machte nicht satt. Auf kalten Fisch hatte er auch keine Lust. Zwiebeln und Lauch, das fehlte ihm wirklich sehr, der scharfe, aromatische Geschmack auf der Zunge. Stattdessen einen langen Heimweg! Keine schönen Aussichten, aber da musste man durch. Wenn er wenigstens endlich eine Idee gehabt hätte, wie er diese miese Lage verändern konnte! Außerdem, das hatte er zumindest gehört, gab es eine Ausgangssperre ab 22 Uhr. Das bedeutete, er musste den Bullenschaukeln ausweichen, konnte nicht einfach an der Straße entlang marschieren, wo es weniger morastig war, was ihm seine Flipflops dankten. Mist! Sazou kaute an einem eingerissenen Nagel, studierte das Ufer. Bei Tageslicht konnte man sich schon mal schwimmend fortbewegen. In der Dunkelheit gebot die Vorsicht, lieber kein Risiko einzugehen. Die Alligatoren kamen zwar selten in die Siedlungen rein, doch wenn sie mal rausfanden, wie viel in den Mülltonnen an Essbarem wartete, wie leicht man Schoßhündchen oder eingepferchte Hühner erwischen konnte... Plötzlich bemerkte er eine Ahnung vertrauten Duftes in der Luft. Sein Magen rebellierte aufsässig. Sazou knurrte mit. »Zum Teufel!« Entschied er. Außerdem gab es ja noch die Keramikrasierklingen! *~* Die Tallulah Belle bewegte sich kaum, schien in den vom Wind aufgepeitschten Wogen eher geborgen als getrieben. Sazou schaufelte Gumbo, heißhungrig, verführt, vom Geruch, Geschmack, dem heimeligen Schein einer Sturmlaterne. Im Achterdeck, Kombüse/Wohnzimmer/Büro/Aufenthaltsraum, schien immer ein Eintopf aufgesetzt zu sein. Es herrschte Ordnung trotz aufgeschlagener Konstruktionszeichnungen, zu pflegender Werkzeuge, polierter Muschelschalen. Titane lächelte ihm zu, während er geschickt einen der kastenartigen Körbe flickte. In einem Eimer neben ihm tummelten sich winzige Fischchen, gierten nach kleinen Bröckchen Maisbrot. "Wenn du willst, kannst du mitfahren." Bot Titane an. "Ich fahre die nächsten drei Tage im Bayou herum, um ein bisschen zu angeln und die Krabben zu füttern." "Krabben?" Sazou wischte sich mit den Handrücken den Mund. "HmHm." Titane studierte konzentriert seine Arbeit. "Unterm Kiel habe ich die Kästen hier, nehme meine Zucht immer mit. Bei Muscheln klappt das bisher nur mit dieser Sorte." Er wies mit dem gepflegten Bart auf die Schalen. "Sie mögen die Abwechslung. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in Abwässer gerät." Sonst versaute man sich das Muschelfleisch, klar, Sazou kannte dieses Problem! "Hast du das alles selbst ausgeknobelt?" Hakte er, gegen seinen Willen neugierig, nach. Titane lachte. "Oh nein! Ich bin gern draußen, da hab ich oft Zeit, was zu lesen. Ich denke mir: das versuchst du auch mal! Kannst ja nur schlauer werden, richtig?" Sazou lupfte eine Augenbraue. So ganz konnte er den Hünen immer noch nicht einschätzen. Das wurmte ihn. "Dann bist du also Fischer?" Angelte er nach sachdienlichen Informationen. "Hm." Titane ließ die Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen sehen. "Eher Angler, Muschelwirt, Gemüsebauer, Hühnerzüchter, Bootsbauer, Teilzeitingenieur, Schmuckhersteller, Koch..." Er zwinkerte. "Muss ja mächtig stressig sein!" Grummelte Sazou ärgerlich, weil er sich doch ein wenig aufgezogen fühlte. "Nein." Titane schmunzelte. "Mir geht es eigentlich prächtig. Heute habe ich sogar Gesellschaft! Wenn das kein Grund zum Frohlocken ist!" Sazou fiel der Holzlöffel in die fast geleerte Schüssel, als Titane mit seinem gewaltigen Bariton ein bekanntes Kirchenlied anstimmte. *~* Sazou hatte von sich selbst erwartet, spätestens bei Tageslicht einfach über Bord zu springen, sich von dannen zu machen. Seit Beau sich so niederträchtig zu den blöden Briten auf ihre Kleckerinsel aufgemacht hatte, besuchte er die Schule nur noch selten, musste sich daher nicht dazu zwingen, andere Personen über eine längere Zeitdauer zu ertragen. Mit Titane sollte das nicht anders sein. Tatsächlich erwies sich sein Gastgeber als erstaunlich kommod, textete ihn nicht zu, ging ganz normal seinen diversen Beschäftigungen nach. Er verlangte gar nichts im Gegenzug. Sazou durfte sich die gesamte Tallulah Belle inklusive all der verrückten Einrichtungen ansehen, die hier geboten wurden: Gemüsezucht im Gewächshaus, Solarpaneele, kleine Windräder wie gedrehte Zuckerstangen, die ihre Energie in Autobatterien weiterleiteten, hilfsweiser Pedalantrieb für die versenkbaren Wasserschaufelräder, dazu eine Legion an Büchern und Zeitschriften, Vorräte und nicht zuletzt eine Teleskopstange für eine Art Lenkdrachen-Segel. Außerdem verfügte Titane über allerlei Werkzeug, um die Tallulah Belle in Schuss zu halten, seine Köderkästen zu betreiben oder Muschelwindspiele zu basteln. Ein multi-beschäftigter Mann, jedoch ohne Hektik oder missionarischen Sendungseifer. Es schien ihm tatsächlich im Bayou zu gefallen! Sazou schnippelte selbst gezogene Paprika, kraulte Maiskörner von einem Kolben. Zwiebeln und Lauch schmurgelten schon artig für einen leckeren Eintopf, zu dem es ausnahmsweise Reis geben sollte. Von Boyd hatte er sich ein wenig abgeschaut. Unter Titanes diskreter Führung schien es noch viel mehr zu lernen zu geben. Außerdem wollte er sich nützlich machen, erkenntlich zeigen, nicht in der Schuld des Giganten stehen, der ungezwungen in Latz- oder Cargohosen herumlief, dabei imposante Muskeln präsentierte. Zum Neidisch werden! Titane grinste mit der neckischen Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen. "Ist eine Veranlagungssache. Müsste ich wie ein Wilder in diesen merkwürdigen Maschinen trainieren, na, da sähe ich ganz anders aus!" Sazou streckte ertappt die Zunge raus. "Nimmst sowieso viel Platz ein, stell ich mir unpraktisch vor!" Ein bisschen schadlos musste er sich ja halten im Schatten dieses Riesen! Wieder ertönte das tiefe, amüsierte Lachen. Titane grillte grüne Fleischtomaten, eine seiner eigenen Züchtungen. "Ja, kann schon ein bisschen eng neben mir werden. Die Tallulah Belle ist groß genug." Konterte er gelassen. Sazou, der in einer der kleineren Kammer in einer Hängematte genächtigt hatte, entschied, sich lieber auf seine Finger und die Klinge zu konzentrieren. Ihm ging es gerade erschreckend gut. Das bereitete ihm Kopfzerbrechen. *~* Wahrscheinlich resultierte es im nagenden Unbehagen, sich wohl zu fühlen, ohne drohenden Ärger, Prügeleien, Vorhaltungen, Streit, aggressive Stimmung. Titane hatte es sich auf dem Deck gemütlich gemacht, präsidierte auf einem Klappstuhl, die Angeln im Blick, eine alte Baseballkappe zum Schutz gegen die Sonne in die Stirn gezogen. Die Regenpause musste genutzt werden: was man fing, konnte man selbst verzehren oder auch verkaufen. Sazou schlenderte elastisch heran, bemerkte knapp. "Hast gerade nix zu tun, hä?" Der Riese lächelte bloß gelassen. "Kann ich mich ja bedienen. Brauchst nichts weiter zu tun." Sazou kniete sich einfach zwischen die bequem aufgestellten Beine, fasste in Titanes Schritt, legte, ganz Profi, das Zielobjekt frei. "Das ist mal ne Zuckerstange!" Kommentierte er zotig, durchaus beeindruckt. Andererseits, an dem Kerl konnte es wohl nichts Kleines geben, also... "Du bist mir nichts schuldig, Sazou." Raunte der Bariton sanft. Sazou leckte sich über die dünnen Lippen, funkelte aus hellgrauen Augen hoch. "Wir haben's auf deine Art gemacht, jetzt machen wir's auf meine." Das hier war etwas, worauf er sich verstand. *~* Außer ihm hatte keiner "angebissen". Weil die Tallulah Belle keiner Aufsicht bedurfte, hatte Titane ihn in seine Kabine geführt, um auf einer ausgerollten Decke das vorzubereiten, was Sazou offerieren wollte. Sazou hätte es auch an Deck gemacht, sich einfach vornüber gebeugt, an der niedrigen Reling festgehalten. Das sagte Titane nicht zu. "Ich will dir nicht weh tun." Brummte sein Bariton entschieden. Außerdem hatte er passende Gummis für seine kapitale Wünschelrute. Auf einen Streit verzichtete Sazou, immerhin ging die Initiative von ihm selbst aus. Er wollte auch nicht kleinlich erscheinen. Überrascht schnupperte er, als Titane eine kühle, geschmeidige Creme nutzte, um ihn vorzubereiten. Der Geruch war vertraut. Sazou fühlte sich an früher erinnert. Er presste knirschend die Kiefer aufeinander: jetzt bloß nicht sentimental werden! Titane, der hinter und über ihm kniete, summte sonor vor sich hin, begnügte sich nicht schlicht damit, seine Erektion zur Massage einzuführen, sondern glitt mit seinen großen Händen über Sazous Haut, streifte Knochen und Sehnen. "...bin...ein bisschen...blass...für dich...!" Keuchte Sazou. Distanz durch Ironie, sogar Spott. "...mhhmmmm...genau richtig, damit ich dich auch im Dunkeln finde!" Schnurrte Titane sonor, lauschte konzentriert mit all seinen Sinnen, in welchem Tempo er sich vorwagen konnte. Sazou hasste es, wie eine zerbrechliche Prinzessin behandelt zu werden. Er war schließlich ein Kerl, übertriebene Rücksichtnahme grenzte an eine Beleidigung! Bei Titane verzichtete er auf Einwände. Verflucht, der Kerl war wirklich gigantisch! *~* Das sollte nicht passieren! Dass er aufwachte, ein wenig benommen, in einer großen Hängematte, nackt, in eine leichte Decke gewickelt, dem Gefühl nach zu urteilen auch noch gewaschen. Sazou bewegte sich leicht in der bescheidenen, abgedunkelten Kabine, tastete nach seinem rechten Handgelenk. Das breite Perlenband verbarg nicht nur eine alte Narbe am Handgelenk, sondern auch eine weitere Keramikklinge. Langsam zog er die Knie an. Es schmerzte nicht, obwohl er durchaus spürte, dass seine Gegenleistung für Kost und Logis ungehemmt in Anspruch genommen worden war. »Vollidiot!« Bezichtigte er sich selbst, knirschte mit den Zähnen. Ficken war Geschäft. Damit wurde es potentiell gefährlich, wenn man einen Filmriss hatte. Aber er wusste definitiv nicht zu sagen, wie er in die Hängematte gelangt war. Das war ganz und gar nicht gut! Titane schien sich anderweitig zu beschäftigen, deshalb richtete sich Sazou gelenkig in der großen Stoffbahn auf. Wo waren seine Sachen?! Im Zwielicht hinter der vorgezogenen Gardine erkannte er ein säuberlich gefaltetes Hemd, darunter ein paar Bermudas. Sazou schnaubte. Er setzte die bloßen Füße auf den Boden, atmete tief durch. Beanspruchung ja, Pein nein. Nicht, dass er deshalb herumgeheult hätte! Als er sich das große, ja, zeltartige Hemd überstreifte, löste er endlich das Rätsel seines im Hinterkopf manisch brüllenden Argwohns. Etwas stimmte nicht. Nun, da er am eingerissenen Daumennagel kauen wollte, die Brauen kritisch zusammengezogen, sackte die Erkenntnis: Finger- und Fußnägel waren akkurat gekürzt und gereinigt worden. Und zwar ohne seine bewusste Beteiligung! *~* Definitiv eine un-lässige Reaktion, zum Führerstand zu stürmen, sich über den selbstherrlichen Eigensinn des Eigners zu beschweren. Sazou knirschte mit den Zähnen. Sein Stolz bremste ihn nachdrücklich. Souverän bleiben! Titane war auf diese Weise ganz zweifellos nicht zu beeindrucken. Er ließ die Bermudas liegen (die dämliche Kordel hätte er sich zweimal umwinden müssen), marschierte erst in den Multifunktionsraum, um sich mit Spachtelmasse ordentlich zu versorgen, lecker Eintopf, dazu knotig-krubbelige Brötchen, die erstaunlich gut schmeckten. Die Tallulah Belle hatte inzwischen ihre langsame Reise eingestellt, ankerte gemütlich, damit ihr Kapitän einige Körbe mit Krabben, Muscheln oder größeren Fischen ins träge Nass lassen bzw. kontrollieren konnte. Zwei Angeln ausgerichtet nahm Titane gerade auf seinem Klappstuhl wieder Platz, als Sazou sich anpirschte, die halb gefüllte Schüssel in einer Hand, lediglich Hemd-bewehrt. "Ah, ist das Frühstück gut?" Die Zahnlücke blitzte freundlich. Sazou ließ sich demonstrativ mit aufflatterndem Hemd auf einem Oberschenkel nieder, kaute gründlich. "Ich bin von niemandem abhängig." Versetzte er mit scharfem Blick in die schwarzen Augen. "Ist mir gleich aufgefallen." Nickte der Hüne artig, vollkommen unbeeindruckt von dem quasi nackten Jungen auf seinem Bein. "Schmeckt nicht übel." Kommentierte Sazou, belauerte den Bootsführer, um seinen nächsten Schlag vorzubereiten. "Oh, findest du das auch?" Titane grinste über das gesamte Gesicht. "Prima, da kommt ja nichts um!" Ein sehr altertümlicher Ausdruck, den Sazou nur vom alten Knochen kannte. Wenn der widerwillig gestattete, dass Beau etwas mit ihm teilte. Das Gespräch verlief nicht zu seiner Zufriedenheit. Der verflixte Koloss schien nicht aus der Ruhe zu bringen zu sein! Er rutschte energisch auf dem muskulösen Schenkel herum, funkelte bissig in die schwarzen Augen. "Ich bin der beste Fick, den du je hattest!" Behauptete er lauernd. Titanes Gesicht leuchtete auf, als hätte man den Weihnachtsbaum in New York angezündet, ein Schimmern, Glitzern und Strahlen sondergleichen. "Oooh jaaaaa!" Schnurrte er sonor aus tiefstem Bass. "DAS ist ultimativ wahr." Und. Nichts. Weiter. Sazous weißblonde Augenbrauen knitterten in ihrer Verärgerung sogar seine Stirn. Titane lächelte bloß in Cinemascope, zeigte nicht die geringste Verlegenheit. "Pah!" Schnaubte Sazou frostig, aufgebracht und erneut hilflos, rummste die leere Keramikschüssel aufs Deck, schüttelte das Hemd lässig von den Schultern, bevor er elegant über die niedrige Reling ins trödelnde Gewässer sprang. *~* Natürlich hatte der unverschämte Kerl seine Klamotten auch noch gewaschen! Sazou, der im Schutz der Flora am Ufer die langsam treibende Tallulah Belle belauerte, zerbiss einen unflätigen Ausdruck. In der Sonne trocknete Wäsche an einer Leine. Die Lollipops drehten sich nur langsam. Ohne Zweifel arbeiteten die Solarpaneele artig im Dienste ihres umtriebigen Eigners, der vermutlich gerade, weil die Angeln unberührt blieben, seine Pflanzen pflegte, kochte oder sonst was trieb. Er wurde aus dem komischen Kerl einfach nicht schlau! Das beunruhigte Sazou durchaus. Selbstredend würde er seine Kleider zurückholen, schließlich hatte er gerade genug davon, um sie hin und wieder wechseln zu können. Außerdem wollte er nicht die gesamte Strecke bis zu seinem verborgenen Heim nackt zurücklegen. Abgesehen davon hatte er keinen Grund zu klagen, richtig? Geschäft war Geschäft. "Stell bloß nichts Blödes an!" Ermahnte er sich selbst grimmig. *~* In der Sonne aufgeladene Steine genügten, um in Blätter eingewickelte Fische und Maiskolben zu dämpfen. Dazu gab es eine sehr scharfe, dickflüssige Sauce. Sazou, geübter Fingeresser, fischte kleckerfrei einzelne Stückchen, kaute zwischen Appetit und Missmut schwankend. Titane ging mit keinem Wort über die stundenlange Absenz seines Fahrgastes ein, schmauste zufrieden mit, lauschte dabei einem kleinen Radiogerät, das knackend und knisternd über eine lange Distanz ein Baseballspiel übertrug. "Mein Bruder trainiert die Mannschaft." Erläuterte er zwinkernd. "Schickt mir immer die Spielpläne und die Zeiten, wann die Übertragung ausgestrahlt wird." Sazou kommentierte diese Offenbarung nicht. Anhand einiger weniger Fotografien im Arbeits-/Wohn-/Büroraum/Kombüse wusste er, dass Titane vier Geschwister vorzuweisen hatte, zwei Schwestern, zwei Brüder, er mittendrin. Das Thema Familie wollte Sazou nicht anschneiden. Es war nicht nur persönlich, sondern auch unerfreulich, zumindest, wenn er zu einer Auskunft genötigt wurde. Titane schien über, leider, genau ausgerichtete Antennen zu verfügen, die unliebsame Sujets einfach umgingen! Das Baseballspiel langweilte Sazou. Mit den Regeln war er vage vertraut. In einem Sumpfgebiet, wo Boden kostbar war, zählte es nicht gerade zu den favorisierten Freizeitbeschäftigungen. Zumindest nicht, wenn man nicht regelmäßig die Schule besuchte. Ungefragt zog er aus einem Stapel ein altmodisch wirkendes, großformatiges Buch. Darin befanden sich Aufrisse, Schritt- für-Schritt-Anleitungen und skizzierte Darstellungen für den Umgang mit Holz und Elektrik. Wie man verschiedene Dächer aufbaute, Lauben für den Garten, eine Pergola, auch Schaukelstühle, eine Veranda oder ganze Häuser. Für die "schnieken" Projekte interessierte Sazou sich nicht. Alles, was ihm nützlich schien, studierte er mit konzentriertem Blick, blätterte vor und zurück, prägte sich Vorgehensweisen, erforderliche Werkzeuge und wichtige Anmerkungen ein. Boyds altes Hausboot würde schließlich nicht ewig halten, wenn man es nicht hin und wieder reparierte. In der feuchten Atmosphäre faulte und schimmelte ungeeignetes Baumaterial sehr schnell, Alternativen waren nötig. Wenn man nicht gern fragen wollte, musste man sich auf anderem Weg Wissen verschaffen. *~* Sazou spürte Titanes Blick auf sich ruhen, registrierte, dass der einen ganzen Korb Muscheln verarbeitet hatte, längst kein geschwätziger Lokalreporter mehr über den Äther faselte. Wie lange hatte er in sich versunken durch den Folianten geblättert?! Ertappt klappte er das großformatige Buch zu, entfaltete seine gelenkigen Glieder, stopfte das Werk in die Lücke im Stapel. "Ziemlich nützlich, hm?" Titane lächelte. Sein Bariton klang launig. "Geht so." Knurrte Sazou, der sich unangenehm berührt daran erinnerte, dass sein Gastgeber in einer wasserdichten Mappe nicht nur seine Abschlusszeugnisse, sondern auch ein Diplom für Ingenieurswissenschaften aufbewahrte. Vermutlich hielt er ihn für einen funktionellen Analphabeten und liederlichen Ignoranten. Das kratzte Sazou üblicherweise nicht. Bei diesem Giganten wollte er nicht unterlegen wirken! "Und?" Fauchte er deshalb herausfordernd. "Willste jetzt ficken?" Titane schmunzelte, räumte seine Werkzeuge ordentlich auf die Seite. "Das Angebot schlage ich bestimmt nicht aus." Schnurrte er satt wie ein V8-Motor. *~* Die meisten machten es von hinten, fühlten sich wahrscheinlich dabei sicherer. Wurden nicht mit dem Umstand konfrontiert, dass das Loch ohne Titten daherkam. Die traurige Realität ließ sich so besser ignorieren. Sazou, der äußerst gelenkig war, sorgte sich nicht, dass ihm einer dumm kommen konnte. Die an seinem Körper verteilten Keramikklingen waren in Reichweite, seine Zähne scharf, seine üblicherweise schartigen Fingernägel zuverlässig. Schläge konnte er auch zur Not einstecken, bis er zur Revanche ansetzte. Natürlich hielt Titane sich nicht an die Regeln! Er stützte ihn ab, massierte seinen Schwanz, als müsse er AUCH auf seine Kosten kommen! Wanderte mit seinen imposanten Pranken über die gesamte Haut, fingerte bis zum Fluchen, um seine Muschi aufzuwärmen! Als könnte er die verdammte Latte nicht wegstecken! Und das war nur Runde 1. Sazou hatte sich vorgenommen, seinen Handrücken schmerzhaft gekniffen, sich dieses Mal bloß nicht auskontern zu lassen. Immer obenauf, immer Herr der Lage, immer in Kontrolle! Unseliger Weise legte Titane keinerlei Wert darauf, die Führung an sich zu reißen, herrisch, dominant, bestimmend zu agieren! Nein, während Sazou nach Luft schnappte, als der wirklich stattliche Penis seinem Anus entzogen wurde, wechselte Titane unbeeindruckt das Kondom, verteilte großzügig eine erneute Ladung Gleitmittel aus eigener Mischung. Er drehte Sazou auf den Rücken, zog ihn so nahe an seinen Schoß heran, dass er sich mühelos die sehnigen Kniekehlen auf die massigen Schultern legen konnte. Fauchend, die ehemaligen Krallen ausgefahren, zischend, wollte Sazou sich dieser Eigenmacht erwehren, halb in eine Rückwärtsrolle durch den Größenunterschied gezwungen. Titane beherrschte sein Handwerk auch in diesem Aspekt. Mit einer Pranke massierte er die verwünschte Erektion, während die andere von der Gegenwehr unbeeindruckt über den knochigen Brustkorb strich, die blassrosa Brustwarzen reizte. Sazou hätte ihn vermutlich in seinem Zorn angespuckt, doch die Schwerkraft arbeitete ihm zu. Tödliche Blicke quittierte er mit einem aufreizenden Lächeln aus halb gesenkten Lidern. "Oooooh!" Gurrte er sonor. "Das ist wirklich unschlagbar!" Unter ihm zischte Wut. Die hellgrauen Augen blitzten im Laternenschein. Sazou atmete schon schwer, weil die kundige Massage ihre Wirkung nicht verfehlte. Mit den flatternden Wimpern, der feuchten Ladung in seiner Faust, temporär im Vorteil, nutzte er die Nachwirkungen der sich konvulsivisch zusammenziehenden Muskeln, um erneut seine Aufwartung zu machen. *~* Das war nicht sein Stil. Demütigend. Ärgerlich. Trotzdem kletterte Sazou im Morgengrauen über die Reling, schwamm bis zum Ufer, floh im Dickicht des Bayou von der Tallulah Belle. Wenn er noch einen Augenblick länger blieb, in den Armen des schwarzen Riesen, wohlig-geborgen-satt, würde eine Katastrophe eintreten. »Blödmann!« Wies er sich selbst zurecht, während er geschickt über Luftwurzeln kletterte, den morastig-nachgiebigen Boden auf Trittfestigkeit prüfte. Nur weil er mal so richtig durchgevögelt worden war, gleich sentimental zu werden, wie erbärmlich war das denn?! *~* Es war kein Hurrikan, dennoch eine hartnäckige Schlechtwetterzone mit lokalen Tiefausläufern und Orkanböen. Ein schwerer Ast durchschlug die Schweißnaht der beiden Bleche, krachte mitten in den größten Raum des alten Hausboots. Regen durchweichte natürlich sofort die alten Bohlen. Es stank nach faulenden Planken. Dreck und Trümmer mussten rausgeschafft werden. Sazou inspizierte Boyds Heim mit wachsender Verärgerung. Die Dachbleche zusammenzuschweißen, das stand außer Frage. Er verfügte nicht über die notwendigen Mittel. Eigentlich hätten die Planken, die nicht für diesen Zweck gedacht waren, auch ausgetauscht werden müssen. Man benötigte behandeltes altes Holz, nicht den billigen Verschnitt oder umgewidmete Ladepaletten! Die alte Plane, die er zum Schutz gespannt hatte, würde nicht ausreichen. Was aber tun? Wenn er tatsächlich Baumaterial fand (kaufte...), wie sollte er es hierher transportieren? Ohne Auto, nur mit dem Einer?! Sazou stromerte über verschiedene wilde Müllkippen, auf der Suche nach Brauchbarem. Schwimmfähig, das sollte es sein. Die Baumhäuser, die sich manche gebaut hatten, halfen bei plötzlichem Wasseranstieg, wenn ihr "Baum" unterspült wurde, gar nicht. Lange Fußmärsche, quer durch stinkende Brachen, ungeklärte Abwässer, ohne Zeit für sein leibliches Wohl. Schließlich entschied sich Sazou, aus leeren Kanistern, Tonnen, ausgefransten Seilen, Leinen, alten Netzen und den Stangen von Zelten, großen Sonnenschirmen und Markisen, ein Floß zusammenzuzurren. Fürs Erste musste das reichen, bis er einen Weg fand, das Hausboot zu reparieren. *~* Hunger trieb ihn schließlich in den Hafen, in der einsetzenden Dunkelheit. Man mochte so abgerissene Herumtreiber wie ihn nicht. Die harte Arbeit, sich ein neues Nachtlager zu schaffen, hatte Sazou gezeichnet. Schrammen, verschorfende Kratzer, eingerissene Nägel, blaue Ringe unter den hellgrauen Augen, eingefallene Wangen. Sein Magen rebellierte, als er einen köstlichen Duft wahrnahm. Obwohl sich Sazou dafür verachtete, huschte er im Schatten der vertäuten Motorboote bis zu einer leidlich vertrauten Silhouette. Die Tallulah Belle ruhte artig im äußersten Bereich, bei den billigen Plätzen. Sazou kletterte an Bord, ballte für einen Augenblick grimmig die Fäuste. Sein Stolz stand hintenan, wenn er hier ein Geschäft vereinbaren konnte. "Ah, Sazou!" Titane sah von seiner Flickarbeit auf, als er die Kombüse betrat. Sazou bezweifelte, dass sein Geschäftspartner in spe ihn nicht zuvor bemerkt hatte. Schließlich spürte ein Kapitän die Bewegungen seines Schiffes wie den eigenen, verlängerten Körper! "Fährst du wieder raus?" Sazou unterdrückte den beschämenden Speichelfluss in seinem Mund. Verflixt, er würde hier bestimmt nicht sabbern! "Wie immer." Titane erhob sich geschmeidig trotz seiner mächtigen Gestalt, füllte die Schüssel übervoll mit Eintopf, löffelte in eine kleinere Schale duftenden Reis. "Magst du vielleicht noch was essen?" Unaufgefordert nahm Sazou Platz. Er orderte sich streng, langsam zu speisen, artig zu kauen und BLOSS nicht zu SCHLINGEN! "Ich bin auf der Suche nach dieser Muschel hier." Titane zeigte keine Verärgerung über seinen späten, maulfaulen Gast, sondern schob eine Referenzschale über den Tisch. "Die könnte sich vielleicht auch im Korb unter dem Boden züchten lassen. Hast du sie schon mal irgendwo gesehen?" Sazou stellte das gründliche Malmen ein, studierte erst das Objekt, dann den Fragenden. "Schon möglich." Dehnte er Silben. Informationen waren schließlich auch eine Währung! "Hervorragend!" Titane strahlte wie gewohnt seelenruhig. "Ich dachte mir schon, dass ich bloß einen Experten finden muss. Prompt geht's voran! Das muss gefeiert werden! Magst du Limetten-Sorbet?" Schulterzuckend wollte Sazou nicht preisgeben, dass er keine Vorstellung davon hatte, was genau ein Sorbet war. Irgendwas Kaltes, glaubte er sich zu erinnern. Bloß hatte er an Bord der Tallulah Belle weder Kühlschrank noch Eismaschine oder Ähnliches gesehen. Was Titane nicht anfocht, der sich auch auf angewandte Chemie verstand. *~* Wahrscheinlich waren sein voller Magen und die unterschätzten Strapazen ursächlich dafür, dass Sazou sich erneut in der großen Hängematte wiederfand, behutsam gewaschen (die Dreckstriemen fehlten), Schrammen eingepinselt, lädierte Nägel behandelt und um den Kopf festgebunden einen gewaltigen Turban! Blank und bloß, denn er spürte, dass sie Fahrt machten, stampfte Sazou enragiert zum Führerstand. Wie konnte es dieser Kerl wagen, seinen Kopf so perfid einzuwickeln, dass er ohne Hilfe dieses verdammte Konstrukt nicht vom Schädel bekam?! "Bonjour, Sazou!" Titane lächelte trotz des personifizierten Ungemachs sonnig. "Hast du schon gefrühstückt?" "Was soll das?!" Sazou fauchte hoch, ignorierte die intime Distanz selbstherrlich. "Wenn dir nicht passt, wie ich aussehe, schau weg!" Titane grinste gelassen. "Mir gefällt sehr, wie du aussiehst. Ich wollte eben mal deine natürliche Haarfarbe sehen." "Mach~das~runter!" Zischte Sazou giftig, zerrte an der Handtuch-Kordel-Verstrickung. "Gern, Augenblick." Seelenruhig steuerte Titane erst die Tallulah Belle aus der bescheidenen Fahrrinne, bis er den Anker werfen konnte (auf Grund laufen wollte er selbstredend nicht). Sazou platzte unterdessen fast vor Wut. Er sollte sich vernünftigerweise in Geduld üben, hasste es aber, nicht aus der Haut fahren zu dürfen, weil es demütigend und unwürdig war. Er hätte Titane gerne eine Abreibung verpasst, erkannte jedoch, dass ihn das auch nicht weiter brachte. Was seine Frustration nur noch nährte. Ohne Hektik löste Titane Knoten, fädelte Schnüre auf, wickelte die alten Handtücher aus. Sazous verkletteter, wilder Haarschopf, ein wüstes Nest ohne jede Pflege, war mit einer krümeligen Schicht aus Tonerde und anderen Zutaten bedeckt. Eine milde Gabe aus einer der Regentonnen später ließen sich, mit einiger Mühe, Strähnen separieren, zwei Keramikklingen in Sicherheit bringen, bevor Titane, der die Gelegenheit wortwörtlich am Schopfe packte, mit einer Essigspülung weißblonde Kringel zum Vorschein brachte, die wohl seit Sazous Geburt niemand mehr gesehen hatte. "Wunderschön." Lächelte Titane, der vermutete, dass einzelne Strähnen locker bis über die Schulterblätter reichten. "Scheißdreck!" Konterte Sazou giftig, der nach einem Blick auf sein Spiegelbild im Wasser die Ahnung von Attraktivität verabscheute. Brachte Leute bloß auf falsche Ideen! "Ich könnte sie dir flechten. Sie sind leichter zu pflegen und auch nicht im Weg." Bot Titane an, der nicht zu unrecht eine wilde Absäbelorgie ahnte. Das galt es unbedingt zu verhindern. Unter Schmutz, unsteter Versorgung und gezielter Verwahrlosung zeichnete sich ein faszinierend-anziehender Junge ab. Kantig, grimmig, ja, aber wenn es jemals gelang, ihm ein Lächeln zu entlocken... "Wenn's sein muss." Grollte Sazou. Sein Magen legte unmissverständlich ein Veto ein. Titane kam diese Äußerung sehr zupass. Wenn Sazou aß, war er abgelenkt, damit leichter zu frisieren! *~* Sazou hatte sein Wissen um die gesuchte Muschelart preisgegeben. Es gab reichlich zu essen, er konnte sich unbehelligt in eine Ecke rollen und schlafen. Keine Zudringlichkeiten, keine ständige Aufmerksamkeit, keine lüsternen Blicke. Was sich zunächst als wohltuend erwies. Es musste kein Zustand ständiger Wachsamkeit aufrecht erhalten werden. Schleichend, hinterrücks, pirschten sich Zweifel an. Wollte Titane etwa wirklich nichts außer den Fundort der Muschelsorte? Warum hatte er ihn verpflegt und gewaschen und sogar seine Haare...?! »Idiot!« Schallte Sazou sich stumm. Das fehlte gerade noch, etwas zu erwarten! Er war ja schließlich kein Star, da musste er sich auch nichts einbilden! Ficken war ja auch nichts Persönliches, nur dämliche Tussis verwechselten das! Trotzdem. Man wollte nicht um Essen betteln, sondern ebenbürtig sein. Leistung gegen Leistung. Wenn Titane kein Interesse mehr hatte, gut, er war nicht von ihm abhängig, keine Frage, natürlich nicht, aber es lief schon nicht so gut in letzter Zeit. Vielleicht, wenn Beau endlich wieder...aber ob der überhaupt noch mal... »Heul doch!« Ätzte er gegen seine Zweifel. »Markier hier bloß nicht die Memme! Wer nicht will, hat schon! Also reiß dich zusammen, klar, du Depp?!« *~* Sazou erwachte nach einem abendlichen Schmausen in der kleinen Ecke, die er sich zwischen Körben, Zubehör und Regentonnen auf dem Deck der Tallulah Belle an der Reling gesucht hatte. Er wollte ganz sicher nicht in Titanes "Schlafzimmer" in die Hängematte kriechen oder gar eine der anderen kleinen Kabinen nutzen! Unwilliges Brummeln im Bariton klang gedämpft an sein Ohr. Das nahm sich unzweifelhaft als beunruhigend aus, da sein Gastgeber bisher keinen einzigen Anflug von Missmut präsentiert hatte. Auf der anderen Seite studierte der Riese grimmig drei stark beschädigte Wasserkörbe. Üblicherweise ein aus biegsamen Grashalmen geformtes Geflecht, in dem er seltene Fische hielt. Die bewegten sich in ihrem natürlichen Milieu, waren so recht sicher vor Fressfeinden. Sie mussten nicht wie in Aquakulturen üblich besonders versorgt. "Alligator." Stellte Sazou knapp fest. Solche Spuren hatte er auch schon an Plastiktonnen gesehen, in die sich gelegentlich Fische verirrten. Titane spähte grimmig auf die trügerisch ruhige Wasserfläche. "Er folgt uns." Bemerkte er gedämpft. Sazou studierte ebenfalls das Wasser, die Mangroven, winzige Inseln im trägen Lauf, Sandbänke. Alligatoren jagten zumeist in der Dunkelheit. Üblicherweise hielten sie sich von Schiffen und Booten fern. Wenn einer mal auf die Schliche kam, wie einfach er sich bedienen konnte, sei es in den Abfällen einer Siedlung oder wie hier einem Leckerbissen, der ihm nicht entfliehen konnte... "Ich habe schon vier Körbe verloren." Titane grollte leise. "Das wird mir langsam zu teuer." Immerhin waren die exotischen Fische, die er erst langsam aufzog, bis er sie tatsächlich in ihre mobilen Wasserheime entließ, zum Verkauf gedacht. Mit dem bloßen Fuß tippte Sazou an Titanes Spann. Beinahe unsichtbar bewegte sich eine Ahnung durch das seichte Wasser zwischen den Luftwurzeln, Gräsern und angespültem Schlamm. Neben ihm wandte Titane sich herum, griff nach einem langen Bootshaken. "Nein!" Sazou packte energisch ein kräftiges Handgelenk. "Das reicht nicht." Er presste kurz die Lippen dünn zusammen, murmelte. "Wir brauchen eine Harpune, eine Machete, dazu Seile und den Kran. Außerdem noch Ausrüstung." Titane brummte leise, verstaute seinen Bootshaken wieder. Sazou erkletterte unterdessen gelenkig den Bootsaufbau, ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem Dach nieder. Er wollte den Alligator beobachten, ihn einschätzen lernen. *~* Obwohl Titane weniger gemütlich grinsend als gewohnt seinen Abgang verfolgte, stand Sazou zu seiner Entscheidung: er wollte Boyds "Werkzeug" holen, um gemeinsam mit Titane Jagd auf den Alligator zu machen. Der würde bis zum Einbruch der Dämmerung bestimmt Ruhe halten, vermutete er. *~* Der Einer bewegte sich ruhig, weil Sazou sehr geübt darin war, ihn mit dem Paddel in Bewegung zu halten. Das war viel praktischer als ein konventionelles Paar von Rudern, wo man auch noch mit dem Rücken zur Fahrtrichtung herumhockte! Der geringe Tiefgang erlaubte es ihm auch, in sehr seichtem, brackigem Gewässer voranzukommen, sich hin und wieder wie mit einer Stake abzustoßen. Er hatte alles mitgenommen, was Boyd bei seiner Jagd zu nutzen pflegte, in verschiedene Planen und Segeltuch eingewickelt, von ihm sorgsam behütet. Um Schienbeine und Unterarme hatte er sich die einfachen Bleche gebunden, die Boyd meist trug, nicht bequem, aber notwendig. Sich einem Alligator zu stellen, ohne Schusswaffen oder gar Sprengstoffe, das war immer ein Kampf auf Leben und Tod. Man musste nicht nur über Kraft, Ausdauer und Geschick verfügen, sondern eine exzellente Kenntnis von der Beschaffenheit des Gegners haben. Zudem sollte die Ausbeute nicht unnötig beschädigt werden! Boyd grinste immer bezeichnend. Sazou näherte sich dem Ankerplatz der Tallulah Belle, als sein Einer unerwartet einen heftigen Schlag einsteckte. Geübt, mit zusammengebissenen Zähnen, glich er das Schaukeln aus, beobachtete das trübe Wasser. Dass Alligatoren Kanus oder kleine Kähne attackierten, kam nur selten vor... Der hier war nicht nur vor der Dämmerung auf dem Kriegspfad, er lotete auch aggressiv aus, wie es um die Gegenwehr bestellt war! Titane stand an der Reling der Tallulah Belle, den Bootshaken in Reichweite, in einer Pranke eine Signalpistole, wie sie zum notwendigen Gut jedes Schiffs gehörte, falls es in Seenot geriet. Er beabsichtigte wohl, sie ins Wasser zu feuern, um den Alligator zu vertreiben. Sazou lauschte konzentriert auf die Wellenbewegungen. Der Alligator lauerte vermutlich in der Nähe, ein schneller Schwimmer und herausragender Taucher. Wenn er nicht weiterruderte, würde ihn die mäßige Strömung auf die Fahrrinne tragen, weg von der Tallulah Belle. Entschlossen tauchte er wieder das Paddel ins Wasser, zwei Wechsel, verdrehte seinen gesamten Leib, um den Einer aus der Richtung zu bringen, die Geschwindigkeit abrupt zu reduzieren. So traf ihn der zweite Schlag mit der Schwanzspitze weniger heftig, als das Tier beabsichtigt hatte. Er konnte den Panzerkamm vor sich sehen, in direkter Konfrontationslinie mit der Tallulah Belle. »Schlaues Biest!« Fluchte Sazou stumm, alert, das Paddel längs des Einbaums, um sich nicht durch den Schattenwurf zu verraten. Offenbar ahnte der Alligator, dass er sein Heil bei der Tallulah Belle suchen wollte, blockierte den Fluchtweg. Hastig ballte er sich kompakt zusammen, als ein weiterer Rammstoß den Einer in heftiges Schaukeln versetzte. Titane holte kurbelnd den Anker ein, stürmte in seine Kommandozentrale, um die Schaufeln ins Wasser zu setzen. Ein seltsames, tief vibrierendes Dröhnen ertönte. Sazou ließ sich zur Fahrrinne treiben, beobachtete das Wasser und die herannahende Tallulah Belle. Durchaus riskant, was sie da vorhatten. Der Alligator hatte bereits bewiesen, dass er keinerlei Konzessionen machte. Er hob das Paddel wieder an, spürte durch das Schaukeln den Verdrängungsdruck, den das Flachboot ausübte. Auf keinen Fall durfte er vor die Tallulah Belle geraten, sondern musste trotz der Wellen die Längsseite anstreben. Zur Not mit dem Paddel für Distanz sorgen! Ein Schlag am Heck schleuderte den Einer merklich herum. Sazou fluchte unterdrückt, rammte das Paddel ins Wasser, um die Turbulenzen auszugleichen. "Runter!" Brüllte Titane, ließ die Tallulah Belle auf Automatik laufen, während er an der Reling etwas über den Kopf schwang. Sazou begriff, ließ das Paddel fahren, rollte sich zusammen, die Arme über den Kopf geschlagen. Nicht einen Herzschlag später schlug etwas schwer im Einer ein. Die Bleikugel hinterließ eine merkliche Delle, doch der Einer zog kein Wasser. Fieberhaft befestigte Sazou die Leine, die die Bleikugel getragen hatte. Der Einer schoss förmlich an die Tallulah Belle heran. Allerdings gab auch der Alligator nicht auf, ging längsseits, tauchte unter den Einer, um ihn zum Kentern zu bringen. Sazou hatte liebe Mühe, sich samt der Jagdutensilien auszubalancieren. Unterdessen steuerte die Tallulah Belle mit verblüffender Geschwindigkeit die Fahrrinne an. Titane hechtete aus dem Führerstand, zog mit bloßen Händen die Leine heran, schwenkte den Schiffskran mit dem Flaschenzug über den Einer. Sazou verhinderte mit dem Paddel das heftige Anschlagen an die Tallulah Belle. Er ließ es sinken, befestigte mit fliegenden Fingern die vier Krallen des Schiffskrans, hörte schon protestierendes Ächzen der gewachsten Seile, als Titane mit seinen gewaltigen Körperkräften den Einer aus dem Wasser hievte. Die Kurbeln sausten geschäftig. Titane drehte den Kran. Der Einer samt seiner Besatzung schwebte sicher über dem Bootsaufbau der Tallulah Belle. *~* "Versteht keinen Spaß, das Mistvieh." Kommentierte Sazou knapp, reichte Titane die Harpune herunter. Ihm fiel das Aussteigen nicht ganz so leicht durch die Blechschützer. Assistieren lassen wollte er sich auch nicht. Stattdessen inspizierte er kritisch seinen angeschlagenen Einer. "Der ist ein bisschen zu schlau, zu geübt." Titane hob mühelos den Einer aus der Verbindung, quetschte ihn auf das knapp bemessene Deck zwischen den Bootsaufbauten. Sazou schenkte Titane einen mahnenden Blick. "Wir werden clever vorgehen müssen." Ob Titane schon mal auf Alligatorenjagd gegangen war? *~* Es widerstrebte Titane sichtbar, ein Tier töten zu müssen, gleich, ob Fisch, Huhn oder eben einen Alligator. Seine gewohnte ruhige Fröhlichkeit verblasste. Die Zahnlücke wurde nur selten präsentiert. Sazou focht das nicht an. "Er attackiert." Argumentierte er bündig. "Er hat keine Angst vor Menschen. Er hat den Einer angegriffen, obwohl er begriffen hat, dass das kein rivalisierendes Männchen sein kann. Und er hat Geschmack an deinen Fischkörben gefunden, folgt uns sogar." Für ihn waren das Gründe genug, zur Tat zu schreiten. Zudem, das sprach er nicht aus, konnten sie in Ufernähe in Gefahr geraten. Alligatoren wurden ganz zu unrecht ob ihrer Sprintfähigkeiten auf kurzer Distanz unterschätzt. Wenn man mal in den Schraubstock ihrer Kiefer gelangt war, mussten sie einen "bloß" noch ertränken. Wenn der Schock und Blutverlust nicht vorher gnädig den Saft abdrehte! "Wahrscheinlich wird er es im Morgengrauen versuchen. Wo Menschen normalerweise schlafen. Wo sie nur schlecht sehen." Sazou studierte den Schiffskran. Sie würden Köder auslegen müssen, das möglicherweise kapitale Vieh aus dem Wasser ziehen, schnellstmöglich töten. Dagegen standen enorme Kraft, ein schlagstarker Schwanz, eine beeindruckende Panzerung, gefährliche Krallen und ein gewaltiges Gebiss. Boyd hatte immer in den sumpfigen, urwüchsigen Teilen des Bayou gejagt, wo die Alligatoren nicht schnell ins Wasser fliehen konnten. Wo er sich auf Mangrovenwurzeln in Sicherheit bringen konnte, wenn es zu heikel wurde. Die Tallulah Belle konnte nur begrenzt die seichten Ufer befahren. Der Alligator war schlau genug zu erkennen, dass die Kästen mit seiner Beute nicht unter dem Rumpf auf ihn warten würden. "Wir sollten wie folgt vorgehen..." *~* Sazou wusste von Boyd, dass andere, REICHE Typen, anders jagten: Elefantentöter, riesiges Kaliber, Nachtsichtgeräte, jede Menge Hightech. Das Zeug durfte bloß nicht versagen. "Wenn dein Arsch davon abhängt, vom Rest ganz zu schweigen, setz lieber auf die rustikale Methode. Das macht den Unterschied." Boyd schärfte seine Machete. Der Unterschied zwischen Hobby-Safaristen und Jägern, die davon ihren Lebensunterhalt bestritten. Sazou hatte einen Pelikan mit der Schlinge gefangen, ihm das Genick gebrochen. Den imposanten Kadaver hatte er auf die vier letzten intakten Köderkästen verteilt. Titane wirkte nicht glücklich. "Wäre ohnehin erwischt worden." Knurrte Sazou knapp, der sich über seine Rechtfertigung ärgerte. Ein Pelikan, der ihm in die Schlinge ging, würde in kürzester Zeit im Magen eines anderen Fleischfressers landen. Das Vieh war ohnehin zähe und älter, hatte vielleicht irgend eine Vogelseuche, was auch immer! In den blutigen Trümmern des Kadavers waren Widerhaken verborgen, die mit den stärksten Seilen an Bord der Tallulah Belle bestückt wurden. Diese wiederum bündelten sich am Schiffskran. Sie hofften, dass der Alligator, wenn er seine Beute verschlang, ebenfalls am Haken hängen würde. Das war der erste Schritt. *~* Der Ruck war so gewaltig, dass Sazou Titane nicht zu alarmieren brauchte. Mit aller Kraft kurbelte der Riese. Die Tallulah Belle steckte Schwanzschläge ein, erst gegen den Schiffsboden, dann ihre Seiten. Der Alligator wehrte sich mit aller Kraft. Die verräterischen Fleischreste des Pelikans hingen samt der Widerhaken zu tief in seinem Schlund. Der Kran ächzte. Sazou packte Boyds Harpune, rammte sie direkt hinter dem Kiefer in den Leib des Alligators, was dessen Furor nur anheizte. Außerdem hing er nur mit diesem Teil über der Reling. Schwanz und Pranken bearbeiteten wild die Flanke der Tallulah Belle. Die verstärkten Seile zuckten und zischten. Der Kran winselte. Sazou fluchte. Wenn der Kran abriss oder eines der Seile, waren sie geliefert! Die verdammte Harpune saß fest! Er beugte sich mit dem Schiffshaken über die Reling. Hier konnte der Panzer nicht durchschlagen werden. Kurzentschlossen zersäbelte er die Bänder, die die Schutzbleche an Schienbeinen und Unterarmen hielten, kletterte, ohne Titanes Schrei zu beachten, mit Machete und Schiffshaken über die Reling. Er tauchte neben dem Alligator ins Wasser ein, blinzelte, erkannte zu seiner Erleichterung, dass ihr wilder Kampf keine weiteren Tiere angelockt hatte. Mit ausreichend Luftreserven hielt er sich hämmernden Herzens unter dem Kiel der Tallulah Belle, um den Schiffshaken wuchtig in den hinteren Leib des Alligatoren zu rammen, so tief es ging. Der Alligator zuckte und zappelte unberechenbar. Nahe an Atemnot tastete sich Sazou auf die andere Seite, schnappte würgend nach Luft. Er tauchte erneut, registrierte, dass der stabile Schaft des Schiffshakens abgebrochen war, vom Schwanz zerschlagen. Das Wasser färbte sich rot. Die Sicht wurde noch schlechter. Sazou ließ nicht locker. Unter der Tallulah Belle, tatsächlich ihren Rumpf im Rücken, arbeitete er sich vor, zog Boyds Machete mitten über die Unterseite, schlitzte die Haut auf, zerteilte Sehnen. Er hatte Glück: der letzte kontrollierte Schlag des Alligators wischte ihn nur durch den Druck unter der Tallulah Belle weg. Titane gelang es, das Tier bis zu den Hinterläufen aus dem Wasser zu ziehen. Sazou spuckte Wasser und Galle, umklammerte einen der Reifen, der die Tallulah Belle vor allzu engem Kontakt mit Kais oder anderen Schiffen bewahrte. Er sollte sich eigentlich hochziehen, doch ohne ausreichend Luft, mit Klingeln in den Ohren... Starke Arme packten ihn unter den Achseln. Weit vorgebeugt hievte Titane ihn an Bord, blind für die Machete oder andere Gefahren. Der Alligator wehrte sich mit letzter Kraft, blutend, halb gelähmt durch die zerstörten Sehnen. Der Kran winselte. Die Seile protestierten. Sazou keuchte zwar, doch stieß er Titane von sich, sammelte einen weiteren Bootshaken auf, stemmte ihn mit einem heiseren Schrei in den Leib des Alligators, bevor er den Schaft auf den Planken einklemmte. Mit Boyds gewaltigem Jagdmesser stieß er zu, so, wie der es ihm beigebracht hatte. Nach langen Augenblicken endlich endete das Beben des gewaltigen Tiers. Sazou brach erschöpft in die Knie. *~* Kapitel 4 - Verlorene Gewissheiten "Das musst du allein machen." Sazou verschränkte die sehnigen Arme vor der Brust. Seine hellgrauen Augen signalisierten, dass es darüber keine Verhandlungen geben konnte. Titane studierte ihn schweigend, nickte knapp. "Lass uns jetzt etwas essen." Schlug er vor. Das Aufspritzen von Wasser verriet ihm, dass Sazou sich verabsentierte. Für einen Moment zögerte er, lichtete den Anker, steuerte die Tallulah Belle in tiefes, schnelleres Fahrwasser, zurück zur nächsten Stadt und zur Polizei. *~* Sazou ging langsam, rieb sich den grollenden Bauch. Wahrscheinlich hatte er zu viel von der Drecksbrühe, die das Mistvieh aufgewühlt hatte, geschluckt! Außerdem hasste er es, in antrocknenden Kleidern so lange zu Fuß zu marschieren. Der Einer und Boyds Waffen lagen auf der Tallulah Belle. Die würde eine ganze Zeit im Hafen angedockt bleiben. Jedenfalls, bis man geklärt hatte, wie mit dem Viech zu verfahren war! Die komischen Beulen hatten Sazou misstrauisch gemacht. Der verdammte Alligator musste Zeug gefressen haben, was sich nicht leicht verdauen ließ. Man musste nachschauen, er brauchte es ja jetzt ohnehin nicht mehr. Titane entschied, nachdem er die erste Ausbeute in einem Eimer aufgefangen hatte, dass hier besser Spezialisten zum Einsatz kamen. Weil möglicherweise an manchem Artikel noch ein Teil seines Besitzers gehangen hatte. *~* Die nächsten drei Tage blieb Sazou auf seinem zusammengeflickten Floß, ernährte sich von Maisbrei mit Lauch- und Zwiebelresten, wenn er nicht eilig dem Durchmarsch Tribut zollen musste. Es ärgerte ihn, den robusten, unbeugsamen, zähen "Ureinwohner", dass sein Magen-Darm gegen ihn opponierte, er sich in der Folge schwach, tapsig und erschöpft fühlte. Wenigstens regnete es nicht fortwährend, sodass auch Boyds lädiertes Hausboot noch schwamm. Was Titane wohl den Bullen erzählt hatte? Ob sie ihm abnahmen, dass so ein Typ wie er einen Alligator allein erledigte? Er hatte es ihm klipp und klar gesagt: keine Bullen, keine Behörden, keine Fürsorge. Da musste der Florida-Boy allein durch. *~* Fair war das nicht, trotzdem verzichtete Sazou auf Gegenwehr, als Titane gänzlich unvermutet und nahezu geräuschlos auf seinem Floß stand. Niemand hatte ihn hier jemals aufgestöbert. Selbst Beau besaß die Weisheit, ihm nicht heimlich hinterherzusteigen! Titane äußerte weder Bedauern noch eine Entschuldigung, ging einfach in die Hocke, klaubte ihn wie eine Flickenpuppe auf, summte den ganzen Weg bis zu seinem Tretboot vor sich hin. Ein sonores, tröstendes Geräusch, das Sazous verklebte Lider wieder senkte. *~* Der Brei schmeckte ungewöhnlich. Ein anderer hätte zweifelsohne erkannt, dass das an der Schokolade lag. Sazou kannte solche Genüsse nicht. Eigentlich wollte er auch die hartnäckige Hand wegschieben, die da so ungeniert Fütterung betrieb. Sein Magen, der sich endlich wieder berücksichtigt fand, schon Sorge hegte, er müsse sich bald selbst verdauen, blockierte jedes Ansinnen effektiver Gegenwehr. Vage registrierte Sazou, dass die Mondsichel schon stark abgenommen hatte. Also musste ihre Jagd schon eine Weile her sein, richtig? Aber warum war er nicht mehr in Form gekommen? *~* Titane päppelte seinen waghalsig-tollkühn-leichtsinnigen Alligator-Bezwinger geduldig auf. Mit jeder Mahlzeit und dem tiefen, bald fieberfreien Schlaf dazwischen verwandelte sich das ausgezehrte Klappergestell mit deutlichem Mineral- und Vitaminmangel wieder in den alerten, sehnigen Jugendlichen, der sogar einige Zentimeterchen an Größe zugelegt zu haben schien. Sazou schnaubte ob dieser frohen Kunde, verglich nichtsdestotrotz heimlich seine Scheitelhöhe mit den Deckaufbauten. Mehr als einige Wochen lang hatte Titane sich um ihn gekümmert, ihn versorgt, alle Plagegeister ausgetrieben, die seinen geschwächten Zustand ausnutzen wollten. Eine Spur von Existenzangst durchwehte Sazou durchaus. Kratzbürstig wies er sich selbst zur Ordnung: er stand auf eigenen Füßen, war niemandem etwas schuldig, für sich selbst verantwortlich, autark und autonom! Wenn er es nicht mehr selbst auf die Reihe brachte, dann...!! Doch in letzter Konsequenz, als Einsiedler ohne andere Menschen, vor allem ihre Produkte... "Pah!" Fauchte Sazou diese korrigierenden Selbstzweifel an, spuckte verächtlich über die Reling. Für solch einen philosophischen Mist hatte er keine Muße! Er musste den Einer und Boyds Eigentum wieder an sich bringen, schleunigst Mittel und Wege finden, um seine Vorräte zu füllen. Schließlich musste auch noch das verdammte Hausboot am Absaufen gehindert werden! Außerdem~außerdem schuldete er Titane eine Menge. Recht einfach ließe sich dieser Ehrenpreis entgelten, wenn der verflixte Bursche entsprechendes Interesse signalisieren würde! Da könnte man sich über eine längere Dauer von Gratis-Ficks verständigen... Wenn er so perfid darauf beharrte, ihn zu beglucken, genau zu beäugen, ob er auch wieder auf dem Damm war, schied das aus!! Ungebeten den Arsch hinhalten, das kam ja wohl auch nicht in Frage! Während Sazou in ärgerlichem Unmut über sein Problem nachsann und gleichzeitig eine sämige Gemüsepaste herstellte, steuerte Titane die Tallulah Belle Richtung Mandeville. Auf der anderen Seite des Sees explodierten Feuerwerkskörper, zeichneten Raketen Blumen, Sterne und lachende Gesichter, ja, sogar Herzen an das Firmament. "Was n da los?" Sazou starrte kritisch an seiner Seite aus dem Führerstand. Um nicht ungebührlich neugierig oder gar ignorant zu erscheinen, hatte er sich mit frisch gebackenen Fladen getarnt, in die eine Mischung aus Maiskörnern, Gemüse und etwas Fisch eingewickelt war. Titane kaute gründlich, bevor er brav antwortete. "Freitagabend, morgen ist Valentinstag. Dann kommt ja auch Mardi Gras gleich anschließend." "Aha." Schnappte Sazou frostig. Aus dem ganzen Rummel machte er sich nicht viel, weil es zu viele Besoffene, Schläger und Konkurrenz gab. Beau hielt es zwar für eine Gaudi, den Höhepunkt des Jahres, doch ihm war das alles zu verlogen. Glorreiche Vergangenheit, reiches Erbe, kultureller Schatz, pah! Alles geheuchelt! "Deshalb also Mandeville!" Knurrte er bissig. "Wenn du dir ne Nutte anlachen willst, kommste zu spät. Die Weiber machen drüben ihr Geschäft." Schließlich fielen ja immer Horden von Touristen und anderem Gesocks in New Orleans ein, um sich mal so richtig daneben zu benehmen, weil sie glaubten, dass die Leute hier das gewöhnt waren! "Mandeville, weil ich dort für morgen ein paar Bestellungen abliefern will." Korrigierte Titane sanftmütig. "Es wäre schön, wenn DU mir Gesellschaft leisten würdest." Sazou blitzte aus hellgrauen Augen. Die Botschaft konnte man kaum missverstehen! Andererseits enthielt sie das Signal, das ihm gefehlt hatte. "Na schön!" Fauchte er gallig. "Beschwer dich aber bloß nicht, wenn dir die Fickerei zu öde wird!" Damit kehrte er in den Multifunktionsraum der Achteraufbauten zurück, das amüsierte, volltönende Lachen des melodischen Baritons ignorierend. *~* Nachdem sie nur einen temporären, überteuerten Platz an einer Boje ergattern konnten, pedalierte Titane mit seinem niedlichen Tretboot munter zum Pier, seine Lieferwaren gut verstaut, Fische, Krustentiere, Gemüse, alles frisch, gepflegt und bereits für das ein oder andere Liebesmahl am folgenden Tag reserviert. Sazou nutzte die Gelegenheit, seinen Einer genauer zu betrachten. An Deck, in der Sonne harrend, zeigten sich nun vermehrt deutliche Risse. Man hätte wohl öfter Pflege- und Schutzmittel zum Einsatz bringen müssen. Noch konnte er sich in dem Boot fortbewegen. Oder? Wenigstens die Jagdwaffen hatten ihren letzten Einsatz gut überstanden. Großzügig im gespendeten Sackleinen eingeschlagen warteten sie auf ihren Rücktransport. Seufzend erkletterte Sazou die Achteraufbauten, streckte sich dort aus. Wie sollte er bloß all diese Probleme lösen? *~* Sazou verabscheute "So tun als ob"-Spiele! Das war schlichtweg Blödsinn, Mumpitz, Kleister fürs Gehirn! Titane ignorierte diese unterschwellige Abneigung jedoch souverän. Die Freitagnacht war in den Samstagmorgen gewechselt, weil sie sich einen anderen Ankerplatz für die Tallulah Belle suchen mussten. Also verbrachte er eine geraume Zeit im Führerhaus, durchaus mit großer Konzentration, um nicht in eine Untiefe zu geraten. Nun wollte er mit dünner Matte, Kissen, Decken, Kerzenschimmer sein persönliches Valentinstagprogramm absolvieren. Da mochte Sazou noch so vergrätzte Fratzen ziehen, ihn beeinflusste dies nicht! »Na, wird ihm schon langweilig werden, der Firlefanz!« Grollte Sazou, entschlossen, seinen Part wie gewohnt zu leisten. Blasen, bumsen, ratzfatz... Der Gigant übertrat selbstredend wieder die Regeln. Er spielte zunächst noch artig mit, auch wenn er nicht davon abzubringen war, seine gewaltigen Hände über Sazous immer noch mageren Leib wandern zu lassen. Dass er sich Sazou, noch während sie im Begriff der üblichen Ankoppelung waren, auf den Schoß hob, ihn nicht mehr freigab, DAS forderte schon die Gelbe Karte! Allerdings kam Sazou gar nicht dazu, sich zu beschweren (geschweige denn, mit gezückten Keramikklingen für eine Auszeit zu sorgen). Titane ging ernsthaft zu Runde 2 über, verhinderte Handgreiflichkeiten, indem er ihre Finger miteinander verwebte, nicht zuließ, dass Sazou ihm entschlüpfte. Und dann verdiente er sich die Rote Karte, indem er Sazou ausgiebig küsste. *~* Man hätte beißen müssen, aber sofort! Sazou verpasste diesen Impuls. Die Attacke auf seine Lippen, den Raum dahinter, sie überrumpelte ihn schlichtweg. Niemand hatte ihn jemals auf den Mund geküsst. Das gehörte sich einfach nicht, erst recht nicht, wenn er noch nach Gummi bzw. den künstlichen Estern/Holzauszügen schmeckte! Titane übertrat nicht nur ungeniert sämtliche Regeln, nein, er koordinierte seinen gesamten Körper dermaßen geschickt und synchron, dass Sazou von körperlicher Leidenschaft und psychischer Einschüchterung weggeschwemmt wurde. Keinen Augenblick fand, seine Lage zu überdenken, seine Position zu verteidigen. Titanes gesamte körperliche Kraft, seine innere Überzeugung, seine Kunstfertigkeit, sein gesamtes Arsenal zog mit ihm ins Feld, um Sazou zu überrennen und für sich einzunehmen, bis nichts mehr als bedingungslose Kapitulation blieb. *~* Beschämend. Beängstigend. Sazou rutschte aus der Hängematte. Seine Beine wollten ihn nicht tragen, er knickte wie ein neugeborenes Fohlen ein. Ihm klingelte jeder einzelne Knochen im Leib. Er fühlte sich schwer, als hätte die Erdanziehung sich unvermutet verdoppelt. Schlimmer nahm sich jedoch aus, dass Titane ihn in dieser verletzlichen Position überraschte, nicht munter dröhnte, sondern vor ihm in die Hocke ging, die dünnen, bleichen Arme um seinen Nacken wand und ihn hochhob, leise summte, als müsse er ein Kind trösten! Sazou hätte ihn zu gern beschimpft, diese Fürsorge brüsk zurückgewiesen. Seine Schwäche, die er nicht länger verbergen konnte, ließ jedes Aufbegehren verpuffen. Titane hatte auf dem Deck eine bunte Decke ausgebreitet. Darauf warteten verschiedene Speisen, ein einladendes Picknick bei angenehmen Wetter, ohne lästige Nachbarschaft, ohne Zwänge. Trotz des Kissens entwich Sazou ein klägliches Winseln, als der Riese ihn behutsam auf die Planken absenkte. Er biss sich wütend auf die Lippe, wich beharrlich den schwarzen Augen aus, die seinen Blick suchten. Wenigstens das Essen, das würde er ja wohl noch unfallfrei hinbekommen! Später, in einem unbeobachteten Moment, würde er herausfinden, ob er verletzt war, nicht nur Muskelkater vorzuweisen hatte, sondern auch andere Wunden! Eine gewisse Trägheit nach dem üppigen Tafeln musste er gar nicht vortäuschen. Sämtliches Blut schien sich auf die Verdauungsvorgänge zu konzentrieren. Er fläzte sich blank und bloß lässig auf der Decke, während Titane abräumte, artig und wieselflink seinen Beschäftigungen nachging. Einige Zeit später, unter einem improvisierten Sonnensegel, kehrte Sazou langsam wieder in den vorangeschrittenen Tag zurück. »Tolle Idee, du Depp!« Schimpfte er. »Pennst hier weg! VORTÄUSCHEN, das war der Plan!« Mühsam rappelte er sich auf, erprobte die Zuverlässigkeit seiner Glieder. Bruchlandungen auf den Planken waren aktuell nicht zu befürchten. Er konnte sich zumindest von diesem Lotterlager entfernen! Als er in den Kabinengang trat, darauf lauschend, wo sich wohl der Kapitän gerade aufhielt, wuchs Titane lautlos hinter ihm aus der Vertäfelung. "Wie fühlst du dich?" Schnurrte sein Bariton sonor. Muskulöse Arme umschlangen Sazous fahlbleiche Mitte. Ertappt und darüber erschrocken zuckte der zusammen, ein reflexartiges Ausbrechen. Titanes gewohntes Lächeln fehlte, als Sazou ihm schließlich einen trotzig-verstörten Blick zuwarf, sich gegen die Wand drückte. In der Enge, mit diesem Riesen, verspürte Sazou zum ersten Mal schlotternde Angst. Sein Selbstbewusstsein, es mit jedem aufzunehmen, sich überall herauszuwinden, alle auf Abstand halten zu können, verabschiedete sich ankündigungslos. Als Titane die Hand zu seinem Gesicht hob, riss er beide Arme hoch, versuchte, nach draußen zu entwischen. *~* Niemand hatte ihm jemals ein Schlaflied gesungen, ihn unentschlüpfbar in den Armen gehalten, allein durch die physische Präsenz alle Bedrohung zurückgedrängt. Sazou konnte Titane nicht entkommen: starke Arme, trainierte Reflexe, eine warme, nackte Haut, ein vertrauter Geruch, das sanfte Schaukeln der großen Hängematte, stetige, regelmäßige Herzschläge in dem breiten Brustkorb, auf dem seine Wange ruhte, die Vibrationen des Baritons, die ihn durchliefen, wenn sein Besitzer eine Melodie anstimmte. Es tat unbeschreiblich gut und gleichzeitig so weh, dass Sazou Titane mit aller Kraft umklammerte und die Augen fest zukniff. *~* Sein ständig lästiger Magen hatte ihn aufgeweckt. Titane leistete ihm keine Gesellschaft, hatte jedoch wie ein Pfand eines seiner weiten Arbeitshemden um Sazous Oberkörper gewickelt. Etwas unsicher tastete der sich vor, in die Kombüse, wo der Kapitän einen der lädierten Fischkörbe instandsetzte. "Sazou, du hast bestimmt Hunger, richtig? Ich habe dir Gumbo warmgehalten. In dem Topf ist noch Kartoffelbrei." "Merci." Sazou bediente sich, rutschte hilflos auf die Sitzbank, löffelte stumm. Er sollte etwas sagen, doch was?! Wie verhielt man sich in einer solchen Lage, wenn man selbst nicht mehr wusste, was eigentlich los war?! "Ich wünsche mir, dass wir bis nach Mardi Gras zusammen bleiben." Titane studierte Sazous nervöse Miene. "Hier, auf der Tallulah Belle. Tun, was uns gefällt, schlafen, kochen, essen, reden, schweigen." "Und ficken." Ergänzte Sazou. Es klang ganz und gar nicht so schnippisch-ironisch wie beabsichtigt. "Auch das." Titane zuckte mit keinem Nerv. "Mit allem Drum und Dran." Seine Rechte lag offen auf dem Tisch, forderte auf, sie zu ergreifen, den Handel zu besiegeln. Linkisch schob Sazou seine Linke hinein, ließ zu, dass Titane sie mit seiner großen Hand umschloss. "Wenn ich blute, ist Schluss, klar?!" Wisperte er rau. Titane beugte sich vor, hauchte einen Kuss auf den kleinen, bleichen Handrücken. "Ich verspreche dir, dass dir kein Leid von mir widerfahren wird." Er hätte gern abschätzig geschnaubt, aber Sazou brachte nicht mal ein zweifelndes Krächzen hervor. Die feierlich-ernsthafte Miene des Hünen hielt ihn entschieden davon ab. *~* Nichts war wie sonst oder wie etwas, das er vorher schon mal erlebt hatte. Vielleicht verhielt es sich so bei den anderen, bei den reichen, weichen, elitären Leuten in ihren luxuriösen Häusern? Bei denen alles perfekt wirkte, bis ins letzte Detail auf Hochglanz poliert und makellos. Dass man verwöhnt wurde, umsorgt, mit Aufmerksamkeiten bedacht, im Mittelpunkt stand. Sich gleichzeitig Gedanken darüber machte, nicht mehr als angemessen zu verlangen, nicht selbst genug Achtung zu erweisen. Sazou schüchterte es ein, dass hin und wieder seine Fingerspitzen zitterten, wenn er Titane berührte. Dass er mehr als einmal nicht wusste, wohin mit sich, seine Konfusion ihn fast an die Reling trieb. Titane behandelte ihn zärtlich, nachsichtig, verständnisvoll, akzeptierte die kleinen Fluchten, in denen sich Sazous Panik Bahn brach. Niemand, nicht mal Boyd, nahm ihn so liebevoll und selbstverständlich an. Obwohl er sich dagegen wehrte, übermannte ihn die Angst davor, was passieren würde, wenn er sich rettungslos auf diese Zuneigung einließ, wenn nach Mardi Gras alles vorbei war. Als hätte Titane diesen inneren Kampf selbst zu fechten, raunte er zuversichtlich, die kleinen Fäuste umklammert, die in Verzweiflung gegen seinen Brustkorb trommelten. "Es wird immer wieder Mardi Gras sein." *~* "Ich muss nach dem Hausboot sehen." Sazou zwang sich selbst, diese Aufgabe zu bewältigen. Titane betrachtete ihn aufmerksam, lächelte verhalten. "Das verstehe ich. Wenn du willst: ich werde meine gewohnte Tour aufnehmen." Damit transportierte er die Einladung, sich ihm ganz nach Gefallen wieder anzuschließen. "Dann sieht man sich." Hastig wandte Sazou sich herum, kletterte in den Einer, löste die Leine, die ihn längs der Tallulah Belle gehalten hatte. Er wollte nicht, dass Titane bemerkte, wie ihm die Unterlippe zitterte. Weil es eine Schwäche war, und er Schwäche verabscheute und nicht vor ihm schwach wirken wollte! Immerhin war er ein Mann, ein richtiger Kerl! Und wenn sie noch so oft Liebe gemacht hatten! *~* Sein Floß schwamm noch. Das Hausboot hatte sich jedoch erheblich gesenkt, war abgetrieben worden, steckte im Morast fest. Sazou fluchte verhalten. Seine Heimat, seine Zuflucht, SEIN Ort wirkte nun fremd auf ihn. Als wäre die besondere Verbindung zerrissen, sähe er mit anderen Augen auf das traurige Gefährt mit seinem faulenden Gerippe. Eigentlich wäre hier der Gnadentod angezeigt, doch was dann? Sich bei Titane einnisten? Der würde ihn vielleicht sogar gewähren lassen. Das machten nur Tussis! Genau, ein Mann musste auf eigenen Beinen stehen können, kommen und gehen, wie er wollte! Wenn Titane sich nämlich, das durfte man nicht außer Acht lassen, mal eine Trulla aufriss, hieß es ganz sicher "merci et au revoir!" "Merde, alors!" Fluchte Sazou frustriert. Er war wirklich keinen einzigen Schritt weiter gekommen! *~* Hidekuni kam erst nach einer Woche wieder zurück ins Internat. Eine Erkältung, so hieß es. Besonders auf der Höhe wirkte er tatsächlich nicht. Ernsthafte und schmerzvolle Gespräche waren geführt worden, unangenehme Wahrheiten, die Onkel Richard präsentierte. So sehr er seinen älteren Bruder und Maximilian liebte und schätzte: als Künstler waren sie für die harten Realitäten nicht gerade prädestiniert. Auf ihre zartfühlenden Empfindungen konnte er jedoch keine Rücksicht nehmen, wenn die Unversehrtheit seines Lieblingsneffen auf dem Spiel stand. Hidekuni hatte sich immer von Freunden und Vertrauten umgeben gefühlt. Er mochte seine Halbbrüder, deren Halbgeschwister und auch deren Mutter Karen. Selbst mit der Mutter seiner älteren Halbbrüder hatte er sich arrangiert. Bis Onkel Richard Klartext redete. Der Kreis der Personen, denen er rückhaltlos vertrauen konnte, schrumpfte derart rapide, dass er sich elend in sein Bett verkrochen, Krankheit vorgeschützt hatte. Ein gebrochenes Herz schmerzte ja auch, nicht wahr?! Ihm graute vor der Rückkehr ins Internat, auch wenn er um die Unvermeidlichkeit aus guten Gründen wusste. War er mit Blindheit geschlagen gewesen, so leicht zu täuschen? "Eh, Pussy." Kollerte Beaumont in der vertraut-verschleppten Diktion. Hidekuni wirbelte auf dem Absatz herum, registrierte die verwegen-vernachlässigte Gestalt des vorgeblichen Waldläufers. Eine Silbe zerbröckelte auf seiner Zunge, bevor er sie staubtrocken aussprechen konnte. Das Alligator-Schwergewicht zwinkerte kaum merklich, bevor er die gewohnt stoisch-arrogante Miene präsentierte. Hidekuni kümmerte es nicht. Er spürte seine Zehen nicht mehr. In seinen Ohren pfiff es schrill. Er warf sich benommen in die letzte Zuflucht, die ihm seine Situation zu bieten schien. *~* "Ich hab gesagt, die Erkältung hätte Schnappatmung bei dir ausgelöst." Beaumont kontrollierte durch Handauflage glühende Wangen. Hidekuni wirkte elend. Die Ursache lag in seiner verwundeten Psyche. "Geh nicht, bitte!" Wisperte er dementsprechend auch flehentlich, umklammerte Beaumonts Rechte. Für einen sehr langen, in Hidekunis Empfinden ewigen Augenblick, studierte der Alligator ihn eindringlich, seufzte leise. "Also gut, aber ab morgen wirst du wieder deine Kurse besuchen, verstanden?" Hidekuni würgte sichtlich, nickte tapfer. Wenn sein Herz doch nicht so schmerzen würde! *~* Beaumont spielte seine alte Rolle weiter, auch wenn er wusste, dass einige möglicherweise zweifelten: er belauerte Hidekuni, vertrieb durch bloße Anwesenheit Interessenten, ganz das aufdringliche, unerträgliche Ekel mit fürchterlichen Manieren und unterirdischem Geschmack. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Hidekuni ihm nicht mehr zu entwischen suchte oder seine Gesellschaft mied. Vielmehr schien es ihm Sicherheit zu geben, dass der unsägliche Prolet aus den Südstaaten ständig in seiner Nähe herumlungerte! »Dabei reise ich doch bald ab!« Seufzte er im Stillen. Danach musste Hidekuni allein zurecht kommen. Er schulterte nachlässig eine Plastiktüte mit Notizbüchern, trödelte als einer der letzten aus dem Vorlesungssaal. Die meisten strömten schon zur Mensa, schwatzten, hielten nach Freunden Ausschau. Hidekuni konnte er nicht entdecken, was ihn sofort alarmierte. Auf dem Weg von dessen Hörsaal lag nur ein großer Waschraum. Beaumont beschleunigte, als er gegen den Strom der Kommilitonen anpreschte. *~* Hidekuni hatte die Einladung höflich abgelehnt. Ihm stand einfach nicht der Sinn nach einer geselligen Runde, wenn er mit seinen Nerven noch derartig zu Fuß war. Sie warfen ihm Arroganz vor, grundsätzlich mit seiner übertriebenen Zimperlichkeit die Atmosphäre nachhaltig vergiftet zu haben! Die Elite hielt zusammen, unterstützte sich, knüpfte hier Bande fürs (Über-)Leben! Er, Papis Liebling, klammerte sich an die Schürzenzipfel, jammerte, verstieß gegen den Kodex, petzte bei den verknöcherten Alten! "Ich werde darüber nicht diskutieren." Mit der Schulter versuchte Hidekuni, sich aus dem Kreis der fünf Gleichaltrigen zu schieben. "Dir müssen mal deine Grenzen aufgezeigt werden!" Knurrte einer bedrohlich. Schon heizte sich die Luft auf, sechs Schwergewichte auf engstem Raum, von denen einige sämtliche Tricks beherrschten. In guter Verfassung für Hidekuni keine Gefahr, nun eindeutig in der Minderzahl, in der Defensive, konnte er nicht reüssieren. "Eh, Miezekatze, treibsu unzüchtige Spielchen hier?!" Polterte Beaumont herein, bleckte das Raubtiergebiss. "Verpiss dich, Vaudeville!" Schnauzte einer. Als Alligator zu den Drachen-Schwergewichten gehörend genügte allein seine Präsenz, Hidekunis Nachteile zu verringern. "Suchstu Streit, Petzy, oder wie?" Pöbelte Beaumont unbeeindruckt einen stattlichen Braunbären an. Gleichzeitig dirigierte er Hidekuni hinter sich. "Sach nur, deine Filzläuse sin schon eingegangen?" Diese unverschämte Anspielung musste mit einer Rechten geahndet werden, der Beaumont auswich, warf dabei die Mülltonne lautstark um. Nämliches Scheppern rief einen Lehrkörper auf den Plan, dem ebenfalls der Magen in den Kniekehlen hing, der deshalb schlecht gelaunt auf Verzögerungen, die er nicht ignorieren durfte, reagierte. "Was tun Sie noch hier?! Sie, Vaudeville, sammeln Sie die Mülltonne auf! Begeben Sie sich in den Speisesaal und albern Sie nicht hier herum!" *~* Obwohl er keinen Appetit verspürte, kaute Hidekuni sorgfältig ein Menü, das ihm geschmacklos schien. Beaumont spachtelte wie gewohnt mit boshaften Bemerkungen über die Britische Küche, erwiderte finstere Blicke über die Tischbreite mit frechem Feixen. "Na los, Pussy, hau wech den Scheiß, dann ab zu unserem Mathe-Date!" Kommandierte er ungeniert, schnappte sich den unangerührten Nachtisch. "Das...! Also, Beau...!" Protestierte Hidekuni matt. Wenigstens den Schokoladenpudding hätte er doch gerne... Außer Sichtweite an einem kleinen Tisch für Lerngruppen stellte Beaumont den Pudding ab (Nahrungsmittel waren streng verboten, um Verschmutzungen zu vermeiden), fasste Hidekunis kalte Hände, massierte sie. "Hör mal, Hide, langsam musst du wieder auf die Beine kommen, klar?" Ermahnte er leise. "Lass die Idioten nicht zu dicht an dich ran. Die wittern, wenn einer nicht auf der Höhe ist!" Hidekuni lächelte schief. "Ich bemühe mich durchaus, weißt du? Es ist nur nicht so einfach." Seufzte er geknickt. Beaumont grummelte grimmig. "Schön und gut, iss wenigstens anständig! Das Zeug hier ist zwar erbärmlich, aber um kämpfen zu können, braucht man Energie!" "Sagt der, der meinen Schokopudding gemopst hat." Murmelte Hidekuni schmunzelnd. Der Alligator knurrte. "Den kriegst du, wenn die alte Wachtel aufhört, ständig hierüber zu starren. Los, klapp deinen schlauen Rechner auf! Tun wir wenigstens so, als würden wir lernen!" *~* Hidekuni ertappte sich dabei, Beaumont zu grollen, wenn der in seine Rolle schlüpfte, sobald sich jemand näherte. Er wollte den wahren, den echten Beau an seiner Seite haben, nicht das nervtötend-arrogante Zerrbild mit Kodderschnauze und unerträglichen Manieren! Außerdem wurde der Spott hässlicher. Dass das Biest Prinzesschen Rühr-mich-nicht-an bewachte. Dass er zu fein, zu hochnäsig war, um eine Verbindung, ja, eine Verlobung einzugehen. Sich für zu erhaben ansah, um auch nur eine der Offerten, der Einladungen, der Rendezvous ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Briefchen unter der Tür, Karikaturen, Getuschel, abschätzige Blicke: nichts schien sich zu bessern. Seine Magenschmerzen drohten chronisch zu werden. Er schlief schlecht, konnte seine Miene nicht mehr entknittern. "Es ist genug." Entschied Hidekuni, mehrfach im Gang angerempelt, ausgegrenzt, ignoriert. Beaumont paradierte mal wieder breitbeinig heran, den Schulblazer wie einen Lappen umgekordelt, knurrte Unverständliches. Die Kavallerie, ihn zu retten. Hidekuni ließ seinen Rucksack auf den Boden sinken, schlang die Arme um den überraschten Amerikaner, küsste ihn äußerst unzüchtig auf den Mund. *~* "Das ändert nichts, Katerchen." Raunte Beaumont leise, hielt den zitternden, erschöpften Freund unerschütterlich in den Armen. Nun gut, sollten sie glauben, dass er sein Ziel erreicht hatte! Wenn es Hide eine Atempause bescherte. *~* Auch wenn Hidekuni noch so sehr in den Seilen hing, wie die Faustkämpfer treffend formulierten: Beaumont erzwang einen Spaziergang im ungemütlich frischen Nieselregen. Er war es nicht gewöhnt, Händchen zu halten, tat dies aber ungeniert. Immerhin hatte Hidekuni öffentlich, vor aller Augen, seine Aufwartung gemacht! Der schien, seiner gefassten Miene nach zu urteilen, durchaus ein schlechtes Gewissen ob dieser Präsentation zu hegen. "DU weißt, dass ich in Kürze hier die Biege mache, Katerchen." Beaumont seufzte, drückte die kalte Hand, schnaubte Kondensstreifen in die Luft. "ICH weiß nicht, ob der Auftritt bis zum Abschluss wirkt." Ob wirklich diese Brüskierung/Geschmacklosigkeit/Provokation so schwer wog, Hidekuni nicht erneut zu belagern. "Bitte sieh mir nach, dass ich deine Freundschaft so ausnutze." Murmelte es an seiner Seite bedrückt. Beaumont knurrte vernehmlich, hielt in seinem ausgreifendem Schritt inne, blockierte Hidekuni den Weg. "Hör mal!" Herausfordernd packte er die Schalenden über Hidekunis vornehmen Dufflecoat, studierte die meerblauen Augen. "Ich fühl mich jetzt nicht über Gebühr ausgenutzt, weil du meinem UNAUSSPRECHLICHEM Charme erlegen bist, mir dafür die Mandeln polierst!" Er rollte mit den tiefschwarzen Augen, bevor er von Ironie auf Ernsthaftigkeit wechselte. "Ich will verhindern, dass du für diesen Stunt Prügel beziehst." Hidekuni zog eine schiefe Grimasse. "Wenn sie mich ignorieren, für unter ihrer Würde erachten, lassen sie mich wenigstens in Ruhe, richtig?" "Falsch!" Fauchte Beaumont finster, tippte Hidekuni mit der linken Faust ans Kinn. "Für manche macht es das bloß leichter, Miezekatze! Wenn man einem Paria nachsteigt, wer schert sich schon darum?!" Während Hidekuni noch einige Grade käsiger wurde, wedelte der Amerikaner frustriert mit den Armen auf und ab. Impulsiv zog er Hidekuni in seine Arme, umschlang ihn beinahe schmerzhaft. "Katerchen!" Raunte er sanft in die dicken blonden Strähnen. "Ab jetzt musst du kämpfen. Deine Leute wollen, dass du frei bist, zu dir selbst stehst. Zu den anderen und ihrem Scheiß-Korpsgeist kannst du nicht mehr zurück." Er wandte den Kopf, hauchte einen Kuss auf die kalten Lippen, studierte die beschlagenen Meeraugen. "Ich weiß, das ist hier eine verdammte Schlangengrube, Hide, aber es ist auch die Feuerprobe, um richtige Freunde zu finden. Wenn du für dich selbst einstehen kannst, findest du auch Leute, denen du wirklich vertrauen kannst." Hidekuni blinzelte den feuchten Film von seinen Katzenaugen, lächelte kläglich. "Weise Worte, Crocodile-Beau. An deiner Gegenwart zum Beispiel ist mir äußerst gelegen." Der Alligator knurrte sonor, löste die Linke, um Hidekunis Nasenspitze zu kneifen. "Ja, plag mich bloß, du verwöhnte Pussy-Katze!" Hidekuni fing die Linke mit seiner Rechten, hauchte einen Kuss in die kräftige Handfläche. Die sonst so stechend starrenden, tiefschwarzen Augen glommen bekümmert. "Sorry, aber ich kann nicht bleiben." "Ich weiß." Sie teilten ein trübsinniges, mit falscher Tapferkeit gewürztes Lächeln. Natürlich ging es nicht, würde nie funktionieren. Das hinderte jedoch den dumpfen Schmerz nicht. *~* Sazou kämpfte. Das Floß zog an den Halteseilen, hatte ausreichend Spiel, um nicht in Gefahr zu geraten. Das Hausboot krängte in einer immer gefährlicheren Schieflage. Zwei Tage Dauerregen, aufpeitschender Wind, die trübe Brühe drückte verstärkt in die verschlungenen Wasserwege des Bayou. Das mitgespülte Sediment veränderte den Boden, den Lauf, die Strömungsverhältnisse. Sazou hatte mit Seilen und Stangen, die er entbehren konnte, versucht, irgendwie das Hausboot zu sichern. Seine Körperkraft reichte nicht, es wieder aufzurichten. Ständig sickerte Wasser nach. Missmutig hatte er alles, was von Wert war, auf dem Floß verstaut, erschrocken darüber, wie wenig noch blieb. Klatschnass und ermüdet schrie er seine Frustration in den Regen, der jeden Laut verschluckte. Der sandige Boden verwandelte sich in Morast, gab nach. Ganze Placken rutschten unterspült weg. Was tun?! Wieso musste das Wetter jetzt so umschlagen?! Sazou rieb sich den verlängerten Rücken, kletterte wieder in das Hausboot, um Wasser zu schöpfen. So wurde er wenigstens nicht von oben nass! *~* Es waren die zerschlagenen Überreste gewesen, die in einem Strudel verkeilt von den Wellen gebeutelt wurden. Die gleiche Farbe, zumindest die ausgebleichten Reste. Drei Tage Sintflut, und dann das. Die Tallulah Belle befand sich an einem ruhigeren Platz, in sicherer Entfernung von mitgerissenem Treibgut oder umstürzenden Bäumen. Er brauchte Bewegung und auch Gewissheit. Das Tretboot schoss förmlich von der Kraft der Anschläge befeuert in das Labyrinth aus Kanälen. *~* Sazou kniete erschöpft auf den alten Bohlen, unterdrückte einen brennenden Würgereiz. Es stank erbärmlich. Das Holz verfaulte förmlich unter den Regengüssen und dem eindrückenden Wasser, das er kaum noch rausschöpfen konnte. Außerdem wurden von verrottendem Grünzeug Gase freigesetzt, die ähnlich lieblich die Nase reizten. Der kalte Maisbrei in seinem Magen fühlte sich wie ein Backstein an, klumpig und schwer. Er hasste das Knirschen und Knacken der Wände, die er mit den zerschlagenen Wellblechen vom Dach abgestützt hatte. Es erinnerte ihn mahnend daran, dass es nicht genügte, das Hausboot vor dem Absaufen zu bewahren. Darin bestand lediglich EINE Aufgabe! Plötzlich schwankte der Boden unter ihm heftig. Eine gewaltige Silhouette blockierte die Tür, als Sazou müde den Kopf wandte, durchaus perplex. Titane verschwendete keine Zeit, riss ihn an den Oberarmen vom Boden hoch, umarmte ihn so eng, dass Sazou vor Schreck aufstöhnte. "Du lebst! Ich habe dich gesucht, konnte dich aber nicht entdecken!" So zusammenhanglos stammelnd hatte er den gewaltigen Hünen bisher nicht erlebt, so impulsiv und aufgeregt. "Was...also, wieso sollte ich nicht leben?!" Sazou gab das hoffnungslose Unterfangen auf, sich aus den muskulösen Armen zu befreien. Schlimmer noch, er wurde unversehens hinausgetragen, seine Zehen in weiter Ferne zu den gammligen Bohlen darunter. "Ich habe Trümmer gesehen, die zu deinem Einer hätten gehören können." Löste Titane das Rätsel, obwohl besagter Einer artig in Reichweite des Floßes tänzelte. "Ich war die ganze Zeit hier, wie du siehst!" Rechtfertigte Sazou sich unaufgefordert. "Jetzt lass mich runter, ich hab zu tun!" Titane funkelte. Die Zahnlücke verschwand hinter entschieden geschürzten Lippen. "Das ist aussichtslos." Verwies er knapp mit einem Seitenblick auf das Hausboot. "Wenn es nicht absäuft, wirst du im Schlaf von dem fauligen Rest erschlagen!" "Es ist MEIN Zuhause!" Fauchte Sazou, stemmte die Hände gegen die massigen Schultern. "Ich krieg das wieder hin!" Der Riese studierte für einen Augenblick den durchnässten, erschöpften Jungen in seinen Armen, den nur noch sein Trotz auf den verschrammten Beinen hielt. Er drehte sich leicht, schleuderte Sazou von sich, der katzengleich auf seinem Floß auf allen Vieren landete. Titane zögerte nicht, trat wuchtig gegen eine dünne Strebe, die die Wand des ehemaligen Aufbaus auf dem Hausboot hielt. Ein klägliches Ächzen später stürzte der Aufbau vollständig ein, riss die Dachbleche mit, die alle tiefer rutschten, wo das Hausboot bereits im Morast zu versinken drohte. "Du~du SCHEISSKERL!" Explodierte Sazou mit einem heiseren Wutschrei, während Titane vom dem abkippenden Boot ins Wasser sprang, bis unter die Arme einsank, entschlossen das erste Sicherungsband des Floßes löste. Ohne sich auf Sazous zornige Beschimpfungen einzulassen machte er alle Haltebänder los, zog selbst die leichte Last, bis sie sich in Höhe des Einers und seines Tretbootes befand. Sazou begriff, dass Titane beabsichtigte, seine wenigen Habseligkeiten auf beide Wassergefährte zu verteilen. Das widerstrebte ihm aus Stolz, aus Zorn. Weil er so lange um seine Heimat gekämpft hatte, die mit einem Tritt im Morast versank! Er sprang ins Wasser, attackierte Titane, schlug und trat nach ihm, spuckte trübe Brühe, wollte kratzen und beißen. Der Hüne allerdings hatte mit dem Angriff gerechnet, wusste auch, dass Sazou kaum noch Reserven vorweisen konnte. Nachdem der erneut untergegangen war, nach Luft schnappte, sich rächen wollte, obwohl er Mühe damit hatte, sich selbst oberhalb der brackigen Brühe zu halten, fasste Titane ihn unter den Achseln, quetschte ihn förmlich gegen eine krümelig-matschige Uferkante, küsste Sazou so beharrlich und ausdauernd, bis dieser Schläge und Tritte einstellte. Er winselte kläglich, als Titanes Taktik, seinen athletisch-muskulösen Leib gegen seine Front zu reiben, merkliche Wirkung zeigte. Dieses Mal ließ Titane keine Gnade walten. *~* Kapitel 5 - Au revoir Der Regen spülte zumindest die Schmutzspuren und die vermischte Samenflüssigkeit von ihren Körpern. Titane pedalierte nackt, es war ja nicht mit zartfühlenden Augenzeugen zu rechnen, in gemäßigtem Tempo durch die Kanäle. Den Einer hatte er am Tretboot befestigt, sodass es Sazou, ebenfalls blank und bloß, überlassen blieb, mit dem Doppelblatt des Paddels die Richtung auszusteuern. Obwohl es ihn erzürnte, nicht bis zum letzten Atemzug SEINE eigene Entscheidung, sein Heim zu verteidigen, konnte er nicht mehr die Kraft dazu aufbringen. Unvernünftig, ja, unsinnig, das stand ganz außer Frage, trotzdem... Titane verlor keine Zeit, sein Tretboot und den Einer mit dem Schiffskran an Bord der Tallulah Belle zu verstauen, Sazous kläglichen Rest an Habseligkeiten unterzubringen. In eine leichte Decke gehüllt musste Sazou den Eintopf auf zwei Schüsseln verteilen, durfte den Reis nicht ansetzen lassen. "Du kannst nicht einfach so über mich bestimmen!" Platzte er schließlich heraus, als Titane auf der Sitzbank im Multifunktionsraum residierte. "Das stimmt uneingeschränkt." Titane hatte seine gewohnte, innere Ruhe zurückerobert, lächelte gelassen und kaute Reis. Sazou funkelte wütend. "Wieso dieser Mist?!" Der Gigant schluckte, antwortete artig. "Das gesamte Material war verrottet. Ich wollte nicht darauf warten, dass dir etwas passiert. Ich bin von der Sünde des Eigennutzes nicht frei, das ist leider wahr." Die schwarzen Augen fixierten Sazous hellgraue entschieden, auch wenn ein Lächeln in den Mundwinkeln tanzte. Man hätte nun fuchtig darauf bestehen können, niemandes Eigentum zu sein, dass keine Versprechungen gemacht, keine Zusagen gegeben worden waren. Sazou verzichtete mit hängenden Schultern darauf. Er steckte erheblich in der Klemme. Titane bot ihm hier die beste Lösung seines Dilemmas. Allein Stolz hinderte ihn, das konnte er nicht leugnen. Musste er deshalb hier gleich eine Entscheidung treffen? Sazou senkte den Kopf tiefer über seine Schüsseln, schaufelte konzentriert. Wenn ihm keine Antwort abverlangt wurde, wollte er sich erst mal Zeit verschaffen. *~* Sazou lauschte auf das Trommeln der Tropfen und die ruhigen, fast einlullenden Herztöne unter seiner Wange. Titane hatte nichts weiter verlangt, als dass er sich zu ihm in die große Hängematte begab, eine leichte Decke um sie wickeln konnte, bevor er einschlief. Dieser Part wollte Sazou nicht mehr gelingen. Eine innere Unruhe verjagte die wohlige Zuflucht in der sicheren Wärme an Titanes imposantem Körper, weil er vor seiner Entscheidung nicht fliehen konnte. Wenn er bliebe: würde es so laufen wie zuvor? Eigentlich war das absolut unwahrscheinlich. Das, was man hatte, schätzte man weniger, wenn man sich nicht länger darum bemühen musste. Zugegeben, gegen Routine konnte niemand Einwände führen, gesetzt, sie spielte sich auf dem richtigen Niveau ab. Wie sollte es grundsätzlich funktionieren, das Einlassen auf Titane? Sazou knurrte leise über dieses ungelöste Rätsel. Er wusste schlichtweg nicht, wie man üblicherweise zusammen lebte. Woher auch? Das ärmliche Chaos seiner Geburt hatte er hinter sich gelassen, war so oft und weit ausgerissen, dass er keine Idee mehr vorweisen konnte, wie es dort zuging. Boyd verlangte nicht viel. Sie waren eher eine Gemeinschaft von Einsiedlern, die sich unterstützten. Jedenfalls hatte er ganz sicher nicht an ihm geklebt! Gramps und Beau, gut, das war Familie. Alle wussten, dass der alte Knochen Beau quasi aufgezogen hatte. Das schweißte zusammen. Möglicherweise auch die verrückte Zuneigung zu diesem grässlichen Sumpfloch! Wie viele Kinder und Enkel Gramps genau hatte, wusste niemand, vermutlich nicht mal er selbst. Ausnahmslos alle zogen von dannen, sobald sich die erste Chance bot. Beau war nicht der erste Nachkomme, der auf seiner Schwelle landete, den der alte Kerl durchschleppte. Allerdings der erste in der verdrehten Sippe, der blieb. »Aber ich bin nicht Beau!« Zürnte Sazou innerlich. Beau bot dem alten Knochen Paroli, machte sich nichts aus ihren Auseinandersetzungen, war nicht abzuschrecken. Wie funktionierte das? Wenn bei ihm selbst nicht mal die "Blut ist dicker als Wasser"-Bindung arbeitete? Vorsichtig löste er sich aus Titanes Arm, schwang die Beine über die Matte, verließ auf Zehenspitzen die kleine Kabine. Es regnete unbeirrt. Die Dusche massierte ihn und beruhigte seltsam. Nein, er konnte sich nicht auf den Ratschlag anderer verlassen! Sazou stützte sich auf die niedrige Reling, studierte durch den Tropfenvorhang die erkennbare Umgebung. Für Leute wie ihn gab es keine Zukunft, nur eine immerwährende Gegenwart, von einem auf den anderen Tag hangeln, gerade noch so auf der Kante balancieren. Für Pläne war kein Platz! *~* Titane las das Hemd auf, das er Sazou zum Schlafen überlassen hatte, streifte die ausgebleichten Shorts von den muskulösen Beinen. Auf dem Weg an Deck, wo Sazous nasse, bleiche Gestalt im Zwielicht schimmerte, nahm er lediglich die kleine Glasdose mit, in der er das Gleitmittel aufzubewahren pflegte, eigene Rezeptur. Sazou wandte überrascht den Kopf, als er die wärmende Präsenz hinter sich spürte. Titane wirkte, nein, nicht gerade ernst, aber konzentriert, entschlossen. Unwillkürlich prickelte Sazous Haut, stellten sich ihm die feinen Körperhärchen auf. Die große Rechte streichelte über seine Wange, ein immenser Kontrast der unterschiedlichen Teints. Wenn der Hüne ihn küsste, musste Sazou auf die Zehenspitzen steigen, was jede Distanz zwischen ihnen verabschiedete. Ohne ein Wort, aufmerksam, in Körpersprache lesend, suchten sie sich den kleinen Raum zwischen Führerstand und Deckaufbauten. Die Planken unter ihnen waren nass und glatt, nicht jedoch zu vergleichen mit den faulenden Bohlen im Hausboot. Sazou ließ Titane gewähren, sich liebkosen, erkunden, vorbereiten, langsam, geduldig, mit zischenden Atemzügen auf den Schoß heben, mit jedem Keuchen enger mit Titane verbunden, längst unfähig, sich noch tatsächlich zu rühren. Der Gigant stützte ihn, übernahm die dynamisch-treibende Schwungbewegung, raubte Sazou erst den Atem, dann kurzzeitig das Bewusstsein. *~* Er schnaubte reflexartig eine weißblonde Strähne weg, rieb sich die müden Augenlider. Obwohl er allein die große Hängematte bevölkerte, spürte er Titane noch immer. Das war kein Wunder, wenn er sich auch nur ansatzweise entsann, wie der Riese ihn behandelt hatte! Erst sanft, dann energisch, zärtlich, später wild, ohne auch nur einen Hauch von Gegenwehr zu akzeptieren, die ohnehin, da machte Sazou sich nichts vor, während er feststellte, dass mehrere Zöpfe ihrem Rausch nicht standgehalten hatten, zwecklos gewesen wäre. Weil der verflixte Kerl ja nichts tat, was ihm WIRKLICH unangenehm war! Nicht mal die Küsse luden zu Abscheu ein, kein überflüssiges Geschlabber, nein, er mochte sie. Ziemlich, sogar. Es war nicht ficken gewesen oder blasen, obwohl sich, zu seiner völligen Verblüffung, Titane tatsächlich so betätigt hatte. Viel existentieller. Eine Kostprobe genügte, eine Lust, eine Sucht, beinahe Gier auszulösen, die sie nur mit dem jeweils anderen stillen konnten. Pah, was für ein grässlicher Tussi-Scheiß-Porno-Dreck-Satz! Unseliger Weise entsprach er vollkommen seinem aktuellen Empfinden. Sazou stöhnte leise, rieb sich die Schläfen. Jetzt war es vermutlich amtlich: er hatte komplett den Verstand verloren! *~* In der Kombüse wartete wie immer eine nahrhafte Mahlzeit. Der Kapitän der Tallulah Belle selbst nutzte das aufklarende Wetter, um seinen Lieferzusagen zu entsprechen, weshalb ein Hafen angesteuert werden musste. Sazou löffelte sich eine Schale voll, marschierte etwas lendenlahm zum Führerstand, lehnte sich an eine Wand. Titane lächelte breit, die Zahnlücke glänzte. "Bin ich dein bester Fick, oder was?!" Knurrte Sazou bemüht finster und übellaunig. "Definitiv und auch ultimativ, Monsieur, der beste!" Schallte Titane mit gebotener Euphorie in den Bayou. Die hellgrauen Augen belauerten ihn. Weißblonde Strähnen wehten unsortiert um das bleiche Gesicht. "Na schön, will ich mal nicht so sein. Dein Luxuskörper wird sich ja wohl nicht umgewöhnen wollen." Brummelte Sazou gönnerhaft. Oder wollte zumindest so klingen. Der Hüne strahlte so sehr, dass seine Mundwinkel die Ohren besuchten, das Gesicht fast in zwei Hälften spaltete, der Bart knisterte. "Ungemein großzügig, M'sier!" Kopierte er traurige Vorbilder, salutierte zackig. Sazous Miene bewölkte. "Vielleicht bin ich doch zu bleich für dich." Wisperte er, kehrte Titane den Rücken zu, um den Führerstand zu verlassen. Mochte er sich auch Idioten überlegen fühlen, das galt nicht für Hautfarbe oder Herkunft! Titane fing ihn mit einem gewaltigen Arm ein, zog ihn an sich. "Du bist in jeder Hinsicht, in jeder Gestalt, in jeder Verpackung perfekt für mich!" Raunte er sonor, hielt Sazou eng umschlungen. "Das schwöre ich dir, bei meinem Leben." Eine Feststellung. Trotz der Worte kein Pathos, kein übertriebener Nachdruck. Sazous Herz stolperte ungelenk. "Dann lass solche Sprüche. Ich mag so was nicht." Er selbst klang dagegen wie ein eingeschnapptes, schmollendes Kind! "Versprochen, Sazou." Titane küsste seine Wange, summte sanft vor sich hin, unternahm keine Anstalten, Sazou aus seinem Arm zu entlassen. Der schickte sich schließlich seufzend drein, löffelte sein Frühstück eben so. *~* Beaumont konnte Onkel Richard sehr gut verstehen, weil er nun den Unterschied kannte: Hidekuni lächelte viel seltener, reservierter. Seine Manieren blieben perfekt, seine Haltung untadelig. Die spontane Fröhlichkeit, das Funkeln in den meerblauen Augen: im Winterschlaf. Es ärgerte ihn selbst, dass er vermisste, was hinter einem dringend aufzubauenden Panzer sicher verborgen wurde. Die Miezekatze SOLLTE ja eine Rüstung anlegen, um hier zurechtzukommen! Er hatte seine Schuldigkeit getan, konnte nichts mehr beitragen, nur bis Semesterende all das aufsaugen, was ihm in der Heimat nicht so einfach und direkt zugänglich war. Dennoch. Hidekuni so zu sehen war schmerzhaft. *~* "Deine Ergebnisse sind wirklich beeindruckend!" Hidekuni äugte über Beaumonts Schulter, der gerade seine Noten studierte, bevor er den Ausdruck verpackte. "Für einen unkultivierten Hinterwäldler, meinst du wohl?" Grinste der herausfordernd, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte. Hidekuni lächelte verhalten. "Hast du schon alles gepackt?" "Ist ja nicht viel." Beaumont setzte zu einem Vortrag über die reichen, verwöhnten, mit Konsumartikeln überschütteten Luxussprösslinge an, wurde jedoch mit einem Kuss auf die Lippen abrupt gebremst. "Hier." Hidekuni drückte ihm einen Ausdruck in die Hand. "Da fahren wir am Wochenende hin. Du willst doch nicht aus England abreisen, ohne in einem scheußlichen, festungsähnlichen Landhaus übernachtet zu haben, oder?" Beaumont studierte das Blatt mit Aufnahmen, Anreisebeschreibung. Dann die meerblauen Katzenaugen. "Mein Papa hat es vorgeschlagen. Bitte, komm mit." Hidekunis Stimme schwankte leicht. "Die Reservierung lautet aber nur auf zwei Personen." Der Alligator gab keinen Millimeter nach. Hidekuni lächelte bloß unsicher, flehentlich, bange. Der Alligator begriff, schloss ihn fest in seine Arme. *~* Nach einer kräftezehrenden Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die ihnen jedoch Gelegenheit gab, schweigend, durchaus eng beieinander die Zeit verstreichen zu lassen, erreichten sie ein von diversen Generationen und Besitzern entstelltes Gebäude. Unterschiedliche Baustile, Materialien, Vorlieben: ein derart hässliches Ungetüm, dass es einen eigentümlichen Charme versprühte, so grotesk war, dass es reizte. Wie üblich wurden Übernachtung und Frühstück geboten. Ihr Zimmer mit den zwei getrennten Betten zeichnete sich durch krummbucklige Wände aus, alte Balken, hübscher Zierrat, geblümte Stofforgien und ein heimelig bollernder Kaminofen. "Wie gut, dass Walt Disney sich an Neuschwanstein orientiert hat." Kommentierte Beaumont schließlich. So etwas hatte er nicht in England erwartet, wenn es um das Thema Schlösser und Burgen ging! Hidekuni lachte, strich sich fahrig durch die blonden Strähnen. Beaumont entging diese Nervosität keineswegs. Zu behaupten, ER fühle sich ganz Herr der Lage, wäre auch einer unverschämten Lüge gleichgekommen. Er nahm die klammen Hände in seine eigenen, hauchte seinen Atem darauf, massierte sie. Man musste nichts erzwingen, nicht wahr?! "Katerchen." Setzte er sanft an, vermutete, dass Hidekuni noch keine einschlägigen Erfahrungen mit einem Geschlechtsgenossen gemacht hatte. Andererseits, ihm wurden schon die Knie weich, genügten Hidekunis orale Affektionsbekundungen zweifellos höchsten Ansprüchen! *~* Die alten Bettgestelle kommentierten die kleinste Bewegung mit rheumatischem Ächzen und Knacken. Kurzerhand verlegten sie die Spielwiese auf den Boden, vor den Kaminofen, von dem glühenden Schein der Flammen schmeichelhaft gezeichnet. Dass die unerschrockene Miezekatze ausgesprochen attraktiv war, wusste Beaumont bereits. Verletzlich, vertrauensvoll, zärtlich, aufopfernd. Deshalb musste er besonders vorsichtig und einfühlsam agieren, scheute davor, zu viel zu verlangen, zu grob vorzugehen. Das Katerchen hatte schon genug zu verkraften, da wollte er die Schrecken nicht noch vergrößern! Andererseits fand er sich einem trainierten Sportler gegenüber, der einen Entschluss gefasst hatte, von diesem nicht abzubringen war, mochte der Frack auch noch so sehr sausen! Er bedeckte Hidekunis Nacken mit Küssen, streichelte mit aufgefächerten Fingern über die warme Haut, arbeitete sich gemächlich zum Rektum herab. Kondome und Gleitgel, profane Warnungen an hässliche Abstürze aus dem Siebten Himmel, das galt es einzusetzen. "...ich~ich kann das selbst..." Die Wangen glühend vor Wärme und Scham drehte Hidekuni ihm den Kopf zu, rollte sich schon ein. Beaumont dirigierte ihn behutsam auf die Ellen. "Deine Aufgabe ist das Genießen." Ordnete er leise an, streifte sich ein Kondom über einen Finger, applizierte etwas Gel. Mit der Rechten streichelte er die flatternde Bauchdecke, hoffte, die angespannten Muskeln etwas lockern zu können, bevor er den ersten Vorstoß manuell wagte. Rasch erkannte er, dass es seinem Vorhaben am Besten diente, Hidekuni Küsse abzuschmeicheln. Wenn sich die kleine Raubkatze nur nicht so aufreizend bewegen würde! Ihm pochten die Schläfen. Perlen benetzten seine gerunzelte Stirn, weil vor ihm, auf allen Vieren, keuchend-seufzend, sich eine Sinnlichkeit entfaltete, die er nicht erwartet hatte. Eine geschmeidige, glühende, vibrierende Gestalt, die ihn förmlich in sich aufzusaugen drohte. Als er die charakteristische Fellzeichnung des Jaguars bemerkte, zuvor nur einmal kurz vor dem Erstickungstod gesehen, stockte Beaumont der Atem. Für eine Umkehr war es längst zu spät. *~* "...nein...nein!" Entschied Beaumont heiser, presste Hidekuni eng an sich. Der glaubte, es müsse eine weitere Runde absolviert werden. Beaumont zweifelte, dass er seinem Verstand dies zumuten konnte. Dafür küsste Hidekuni ihn, weniger gezielt, noch nachbebend, gab leise Laute von sich, die an ein kehliges Schnurren erinnerten. »So was hätte nicht passieren dürfen!« Kreischte Beaumonts innere Stimme hysterisch. Vielleicht war es ja nur ein Zufall. Trotzdem. Er umklammerte Hidekuni unerbittlich, um jede Versuchung auszuhungern. *~* Nebelbänke, Wasserschwaden. Kein perfektes Wetter, um nach einem Frühstück den Tag mit Wanderungen in der näheren Umgebung ihrer Unterkunft zu verbringen. Beaumont bestand jedoch darauf. Er zumindest musste sein Hirn auslüften, seinem Körper Bewegung (ANDERE Bewegung!) verschaffen, sich selbst gut zureden. Hidekuni protestierte nicht, bestand seinerseits darauf, Beaumonts Hand zu halten. In der Abenddämmerung, die recht früh einsetzte, kehrten sie nach der Teestunde in einem kleinen Gasthaus zurück. "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist." Murmelte der Amerikaner, als Hidekuni sich aus seinen Kleidern schälte. Der hielt inne. Die Schultern sackten merklich herab. Seine gesamte Gestalt versteifte sich. "...oh...das...selbstverständlich." Sprangen Manieren in die Bresche. Ahnend, dass seine Bedenken gänzlich anderer Natur waren als die von Hidekuni vermuteten, durchquerte Beaumont den Raum, nahm dessen Hände in seine eigenen, suchte den meerblauen Blick. "Ich mache mir Sorgen darüber, dass ich dir wehtue, Katerchen." Erklärte er sich betont sachlich. "Das ist kein Wettbewerb im Durchhalten hier." Ein zögerliches Lächeln huschte über das attraktive Gesicht. "Ich fühle mich wirklich wohl, Beau. Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich wiederholen, was wir gestern Abend getan haben." Er schluckte merklich. Beaumont grinste schief. "Ehrlich, Pussycat, ich bin ein toller Jäger, aber als Leibwächter eine Niete. Dein Onkel wird mich erwürgen!" Die Katzenaugen spiegelten das Kaminfeuer wider. "Wird er nicht." Wisperte Hidekuni. "Bitte." »Peinlich!« Schoss es Beaumont durch den Kopf. »Ein Kuss, und er hat mich!« *~* Nein, ein Irrtum war ausgeschlossen. Einmal war Zufall, zweimal möglicherweise ein statistischer Ausreißer, doch beim Tripple, da konnte kein Zweifel mehr bestehen! Beaumont verhinderte mit wackligen Armen gerade noch einen Absturz auf Hidekuni, dessen wahre Seele seinen schönen Körper überlagerte. Die Lider auf Halbmast, die Lippen geteilt, geschmeidig-glühend, geradezu einladend...! Er ballte die Fäuste, trieb sich die getrimmten Nägel in die Handflächen. Hidekuni strahlte mehr als sinnliche Erotik aus. Die kleinste Geste, ein Blick, ein unwillkürlicher Laut: Versuchung pur. Zweifellos Sünde, weil es so überwältigend war, deshalb beängstigend. Man hätte sich ja etwas einbilden können. So selbstbewusst gab sich Beaumont nicht mal in seiner Scharade. Dass das Katerchen JEDES Mal einen mitreißenden Orgasmus durchlebte, dem man sich nicht entziehen konnte, wie ein gewaltiger Sog, ohne Fluchtmöglichkeit. Er WOLLTE sich ja beherrschen, beschränken, Ehrenwort! Doch man hätte aus Stein sein müssen. Hidekunis Linke tastete nach ihm. Beaumont fing sie hastig ein, bevor er erneut der Lust erliegen konnte. Weil er es wollte, weil alles in ihm danach schrie, verlangte, forderte, befahl! Seine Kiefer knackten, so fest presste er die Zähne knirschend aufeinander. Bis zu diesem Wochenende war Sex ganz nett gewesen, unterhaltsam, angenehm, entspannend. Nun begriff er zum ersten Mal die beinahe gewalttätige Leidenschaft, einem anderen Menschen so nahe, so oft und immer wieder aufs Neue kommen zu wollen. Gemeingefährlich. Weil er die Versuchung wie eine pochende, eiternde Wunde spürte, die vielleicht alles ruinierte, umschlang er Hidekuni so fest, dass dieser sich kaum noch rühren konnte. *~* »Du bist echt eine Null!« Bescheinigte Beaumont sich halb ärgerlich, halb resignierend. Wie verdammt notgeil musste man eigentlich sein, um noch vor dem Frühstück einen In-Fight vor dem Kaminofen hinzulegen?! Dabei hatte er sich noch dazu gratuliert, Hidekuni in das rheumatisch quäkende Bett zu schaffen, bevor er in sein eigenes Pendant gesunken war! Jetzt hasteten sie nicht nur als Letzte zum Frühstück, was schon alle Augen auf sie zog, nein, das Katerchen strahlte! Nicht etwa ein Zähne starrendes, Kiefer sprengendes Werbe-Grinsen, ganz und gar nicht! Hidekuni lächelte höflich. Das Meer in den Katzenaugen ruhte sanft. Seine gesamte Haltung, sein Air, ja, seine Seele, alles glänzte/schimmerte/prunkte vor Sinnlichkeit! Jede Geste beschrieb Musik, Tanz, Poesie. Es war schlichtweg zum Verzweifeln! »Wenigstens hat er anständig Appetit!« Bemühte sich sein angekratztes Verantwortungsbewusstsein um einen positiven Aspekt der skandalösen Ausschweifungen. Beaumont hegte keinerlei Zweifel daran, dass Onkel Richard ihn kreuzigen würde, und zwar zu recht. *~* "Willst du das wirklich?" Hidekuni zögerte, ein wenig eingeschüchtert durch Beaumonts grummelig-verlegenes Gebaren während des Frühstücks. "Säbeln, bitte!" Befahl der, bereits der Ohrreifen und aller Stecker in den Augenbrauen ledig, was eine seltsame Narbenzeichnung in seiner rötlich-bräunlichen Haut hinterließ. Mit dem praktischen Taschenmesser trennte Hidekuni nun folgsam den langen Zopf ab, ein weiteres Merkmal des ungehobelten Waldläufers aus dem Süden. Der Alligator erhob sich, ließ die Schultern kreisen, sprang auf den alten Fliesen einige Male auf und nieder. "Gut, streichen wir hier die Segel! Ich hab nen Flug zu erwischen!" *~* Eigentlich wollte er darauf verzichten, Abschiedsszenen, und dergleichen. Wenn sie schon zu Hidekunis Vätern fuhren, um dort dessen Gepäck abzuladen, konnte er es nicht ablehnen, dass David Woodville sie zum Flughafen chauffierte. Ihm war die Überraschung auch am Stärksten anzusehen, als sie eingetroffen waren. Ohne die Accessoires wirkte er, nahm Beaumont an, keineswegs so kriegerisch oder exotisch, trotz seiner Gestalt, Hautfarbe und Haltung. Beide Männer dankten ihm herzlich, sodass er für einen Moment ernstliche Zweifel hegte, ob sie auch nur ahnten, welchen Vertrauensbruch er begangen hatte. Seine Aufgabe war erfüllt, richtig? David, der sie chauffiert hatte, stand ein wenig abseits, während Beaumont den Schalter beäugte. Er konnte noch nicht abfliegen, ohne eine letzte, ernsthafte Warnung auszusprechen. "Katerchen." Er fasste Hidekuni bei der kalten Hand, registrierte das leichte Zittern. Da kämpfte jemand verzweifelt um Beherrschung. Er seufzte leise, stierte betont streng und stechend in die meerblauen Augen. "Ich will, dass du mir was versprichst, hörst du? Lass nur jemanden, dem du ABSOLUT vertraust, so nah an dich heran wie mich gestern, klar? Dein Wort drauf!" Hidekuni blinzelte verwirrt. "Ich kann dir nicht ganz folgen, Beau?" Errötend, diesen Umstand verabscheuend, räusperte der Alligator sich kollernd, bevor er raunte. "Ich mag ja Talent, ein gewisses Geschick und ein kleines Quäntchen mehr Erfahrung als du haben, aber wenn du in Hitze gerätst, bist du vollkommen wehrlos. Es ist natürlich, klar, keine Widerrede, phantastisch, sich so fallen zu lassen, es SO zu genießen, aber es ist auch brandgefährlich, wenn's der falsche Typ ist." Er schnaubte beschämt. Nun musste wahrscheinlich sein ganzer Schädel in Flammen stehen! Nachdem Hidekuni ihn einige Augenblicke mit wechselnden Mienenspiel von Enträtselung über Scham zu traurigem Lächeln angeblickt hatte, seufzte er ebenfalls. "Soll ich dir also versprechen, auf den Richtigen zu warten, wenn ich doch in der Zwischenzeit viel von den Falschen lernen könnte?" Kokettierte er leise. Beaumont biss sich wütend auf die Lippen. Was für ein Stuss fabrizierte er da bloß?! Er war ja wohl kaum in der Position, Hidekuni irgendwas abzuverlangen! "...ich meine...also..." Stotterte er grimmig, seufzte tief, löste die lederne Schnur um seinen Hals, die er sich erst vor wenigen Stunden umgebunden hatte. Er legte sie Hidekuni um den Nacken, verknotete sie geübt. Der Alligatorzahn ruhte zwischen Hidekunis Schlüsselbeinen. Wenig genug, um das Katerchen zu beschützen, das wusste er selbst. "...das...aber er gehört dir! Du hast ihn selbst erjagt, nicht wahr?" Der Alligator lächelte über die Bestürzung in den schönen Katzenaugen. "He!" Er lupfte keck mit einem Finger das aparte Kinn, zwinkerte frech. "Ist es nicht das, was ein Gentleman am Morgen danach tut, hm? Wird dich an mich erinnern und Schmeißfliegen verscheuchen!" Verkündete er großspurig. Hidekuni konnte er so leicht nicht mehr täuschen. Mit Rücksicht auf die anderen Passagiere wurde er nur in eine enge Umarmung gezogen, spürte die Kraft und seine summenden Knochen. "Pass bitte auf dich auf, Katerchen!" Streichelte er einen bebenden Rücken. Als er spürte, dass Hidekuni seine Fassung wiedergewonnen hatte, löste er sich geschmeidig, tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Schläfe, schnarrte. "So long, boys!" Er wagte es nicht, sich noch einmal umzudrehen und würgte noch hoch über der Erde am Kloß in seinem Hals. *~* David warf nervöse Seitenblicke auf seinen jüngeren Sohn, der schweigsam und artig neben ihm saß. Wie eine Marionette, der man die Schnüre durchgetrennt hatte. "Vielleicht verdeckst du den Zahn besser." Spielte er schließlich auf Beaumonts Geschenk an. Man wusste nicht, wie sein geliebter Maximilian darauf reagieren würde. Der lebte nicht nur vegetarisch, sondern gehörte ja zu den Drachen-Schwergewichten als Krokodil, war gelegentlich sehr sensibel, nicht nur, was die Etikette betraf. "Ich glaube nicht, dass es Papa stört." Antwortete Hidekuni geistesabwesend. Beaumont hatte ihm so viel Stoff zum Nachdenken gegeben, dass sein Schädel die Notbremse zog und blockierte, indem ein Gedanke alle anderen überblendete. [Mit Onkel Richard sprechen!] *~* Sazou war an Untätigkeit nicht gewöhnt, was nicht gleichbedeutend damit war, dass er wieder zur Schule gehen wollte. Glücklicherweise verzichtete Titane auf eine derartige Diskussion, sondern ließ Sazou einfach mittun bei dem, was er gerade erledigte. Das Gemüse, ihre Fische und Krustentiere, die Muschelzucht betreuen, die Tallulah Belle in Schuss halten, Windräder und Solarpaneele überprüfen, kochen und backen, putzen, die Neuigkeiten verfolgen, ausbessern, flicken, recherchieren. Sie nahmen sich ja auch noch eine private Auszeit. Sogar recht häufig, wie Sazou stirnrunzelnd registrierte. "Du hast für Sex ne Menge übrig, kann das sein?" Erkundigte er sich schließlich kritisch. Titane feixte amüsiert. "Fürs Liebemachen mit dir." Verbesserte er mit volltönendem Lachen. "Das ist wahr! Auf meine Ehre!" Sazou schnaubte schnippisch. "Das soll das Denkvermögen beeinträchtigen, hab ich mal gehört!" Der Hüne schmunzelte. "Anzeichen für nachlassende geistige Fähigkeiten habe ich bei mir noch nicht festgestellt, aber ich bin zuversichtlich, dass du mich prompt darauf aufmerksam machen wirst." Gurrte er sonor. "Klugschwätzer!" Brummelte Sazou leise. Eine große Hand legte sich warm um seine Wange. "Wenn es dir zu viel wird, sag es mir ruhig." Titane lächelte ruhig und gelassen. "Halte dich nicht um meinetwillen zurück, ja?" In die Enge getrieben biss Sazou einfach in den Daumen, jedoch vorsichtig, funkelte aus seinen hellgrauen Augen hoch in die schwarzen. "So n Weichei bin ich nich! Wenn du später total blöd im Kopf in der Ecke hängst, gib mir nicht die Schuld!" Das konnte Titane definitiv versprechen. *~* Der alte Knochen war dabei gewesen, Sprit für seinen Außenborder zu kaufen. So hatte Sazou auch erfahren, dass Beaumont wieder zurückgekehrt war. Türlich ohne reiche Braut, der Depp! Gramps hatte ihn pflichtschuldig sofort enterbt, aber Nachsicht walten lassen, da der lächerliche Aufputz mit Metall und Kordelzug am Schädel der Vergangenheit angehörte. Sazou entschied, seinem Freund einen Besuch abzustatten. Weil der sich wohl mit seinem vollgepaukten Schädel und den vermurksten Manieren durch den Einfluss der reichen, weißen, blöden, verweichlichten Trotteln nicht vom Ponton traute! "Bin mal unterwegs." Teilte er Titane mit, aus Höflichkeit. Eigentlich schuldete er ihm für einen kurzen Ausflug ja keine Rechenschaft! Sein Einer, abgeschabt, erstaunlich widerstandsfähig, betrachtete man die letzten Ereignisse, steuerte munter und pfeilschnell zum modularen Heim in der Nähe von Madisonville. Er legte an, kletterte auf die Pontons, begegnete Beaumont, der gerade eine der Aufbauten verließ, ihm entgegenkam. "Was treibsn du hier?" Sazous joviale Begrüßung schallte über das leise glucksende Gewässer. Sollte der Bursche bloß nicht annehmen, er hätte ihn etwa vermisst! "He, du schmuddliger Rumtreiber, was...?!" Beaumont stockte mitten in SEINER launigen Entgegnung, starrte seinen drei Jahre jüngeren Freund an. Nicht etwa, weil der sehr viel weniger verwahrlost als sonst auftrat und sich damit nicht mehr ähnelte. Auch Sazou hielt in seinem Schritt inne, inspizierte argwöhnisch die unerwartete Reaktion. "Was is hier los, Saz?!" Mit gefährlich leiser Stimme, die Züge kantig, der tiefschwarze Blick stechend setzte sich der Alligator in Bewegung. Unwillkürlich, auch wenn er sich selbst dafür verachtete, wich Sazou einen Schritt zurück, ging aber nicht so weit, in seiner Verteidigungsbereitschaft nach den Keramikklingen zu tasten, die er nach wie vor am Körper trug. "Hastu n Problem?!" Zischte er grimmig zurück. "Ich?! Ha!" Schnaubte Beaumont mit finsterer Miene, die Augen blitzten. "Du wohl eher!" "Soll heißen?!" Fauchte Sazou, die Fäuste geballt. Welche Laus war diesem überdimensionierten Stänkerer jetzt über die Leber gelaufen?! Wäre er nicht so vertraut mit den markanten Gesichtszügen gewesen, hätte Sazou wohl den Funken der Erkenntnis verpasst, der über Beaumonts Miene huschte. "Du weißt es noch nicht." Murmelte der Ältere tonlos. "Was weiß ich nich?! Laber hier nich so deppert rum!" Polterte Sazou, der sich unbehaglich fühlte. Etwas schien tatsächlich nicht in Ordnung zu sein, und er hatte es noch nicht bemerkt?! "Komm!" Auffordernd streckte Beaumont ihm die Linke entgegen, immer noch strengen Ausdrucks, jedoch mit einem eher mitfühlenden Zug um die Mundwinkel. Als Sazou zögerte, griff er einfach zu, fing den sich herumwindenden Jugendlichen ein, legte ihm behutsam die Rechte auf den Unterbauch. "Von wem bist du schwanger, Saz?" *~* Mit dem Einer hatte er sich nicht aufgehalten. In seinem Zorn, seinem Entsetzen, mit dem VERRAT konfrontiert, der keinerlei Zweifel oder Irrtum zuließ, war er direkt ins Wasser gesprungen, schon immer ein guter Schwimmer, das lag in seiner Natur. Seine Gefühle feuerten ihn an, sorgten für Durchhaltevermögen, sodass er tatsächlich in Madisonville am Pier aus dem Wasser kletterte und keinerlei Erschöpfung verspürte. Titane ließ gerade an der Wasserseite den letzten Muschelkorb über die Reling hinab unter die Tallulah Belle. Mit Anlauf sprang Sazou aufs Deck, ging in die Knie, um eine Keramikklinge blank zu ziehen. Der Hüne verharrte still. Sazou wollte ihm seine Anklagen ins Gesicht schreien, seine Enttäuschung, seine Verachtung. Außer einem kehligen Grollen brachte er keinen verständlichen Satz hervor. Jedes Schwingen der Keramikklinge drängte Titane näher an die Reling, bis kein passives Weichen mehr möglich war. Sazou zog seine Klinge über den schützend hochgezogenen Unterarm. *~* Nichts, nicht mal das Bluten aus einer langen Schnittwunde, verriet, dass Titane ein Madararui war! Keinen Augenblick wackelte die Tarnung, die er aufrechterhielt! Sazou keuchte und heulte vor Zorn, verzweifelt und aufgebracht bis zur Hysterie. Er grub die bloßen Füße in die Planken, rammte mit seiner Körperkraft den Riesen ungebremst, was Titane über die Reling stürzen ließ. Obwohl ihn sein gesamter Leib schmerzte, schaffte es Sazou, bis zum Ende der Besiedlung zu sprinten, wo er sich in den Ausläufern des Bayou unsichtbar machte. *~* "Ich hatte dich eigentlich nur gebeten, ein Auge auf ihn zu haben." Tadelte Beaumont milde, während er eine klebrige Paste auf die gesäuberte Schnittwunde strich. Titane brummte knapp, blendete sein gewohntes Lächeln auf. "Ich HABE ein Auge auf ihn geworfen, aber der Rest hing eben auch noch dran." Scherzte er sonor. Beaumont lupfte eine narbengestückelte Augenbraue. "Du hast dir eine Menge Ärger eingehandelt." Stellte er entschieden fest. "Das täuscht." Widersprach Titane gelassen, sehr selbstgewiss. "Das ist bloß ein kleiner Aussetzer." "Hrmp!" Knurrte Beaumont, wies vielsagend auf die frische Wunde, legte Titane die Linke locker auf den Arm. "Du HAST dir das doch gut überlegt, richtig?" Begehrte er aufrichtig besorgt zu erfahren. Der Hüne schmunzelte, zwinkerte Beaumont zu. "Mit allen Konsequenzen." Antwortete er ruhig. Beaumont seufzte tief, erhob sich, rieb sich die gerunzelte Stirn. "Ist wohl besser, du suchst ihn, sonst stellt er noch was Dummes an." Ein Quantum an Unberechenbarkeit lauerte nämlich durchaus in dem Schlangen-Mittelgewicht. *~* Vom ehemaligen Hausboot und seinem Behelfsfloß ragten nur noch Trümmer aus dem morastigen Matsch. »Wenn Beau hier wäre, würde er mir in den Ohren liegen, den Plastik- und Kunststoff-Dreck rauszuschaffen!« Ging es Sazou durch den Kopf, als er sich auf einer Luftwurzel hinhockte. Das Seitenstechen ließ zwar nach, aber er hatte immer noch einen seifigen Geschmack im Mund, kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben. »Dieser verfluchte Scheißkerl!« In seinem Leben konnte er durchaus schon ein gewisses Maß an Prügeln, Misshandlung, Missachtung und Enttäuschung vorweisen. DERART hintergangen und getäuscht worden war er noch nie worden! Vor allem nicht von jemandem, dem er sich widerwillig und zögerlich so weit geöffnet hatte, dem er vertraut hatte. »Und jetzt?« Ja, DAS war die Millionen Dollar-Frage! Kein Unterschlupf, kein Essen, kein Geld. Dafür schwanger, vermutlich noch nicht so lange, weil er selbst das Seelenlicht nicht "sah". Das änderte nichts am Problem. Neun Wochen, dann musste das verdammte Balg aus ihm rausgesäbelt werden. Andere erledigten so was im Krankenhaus, mit Betreuung, Narkose, in sauberen Laken. Sazou biss sich so fest auf die Lippe, dass die dünne Haut riss, er kupfrig sein Blut schmeckte. WIE sollte er das anstellen?! Ja, er kannte die Geschichte von dem Bergsteiger, der sich einen Arm mit dem Taschenmesser abgeschnippelt hatte! Trotzdem, kam er überhaupt mit seiner Keramikklinge so tief, während er gleichzeitig höllische Schmerzen erlitt?! "...merde..." Also zu Kreuze kriechen, betteln, sich erniedrigen. Wütend wischte er sich mit dem Unterarm über das Gesicht, verteilte Tränen, Schmutz und Rotz gleichmäßig. All die Jahre ohne Probleme, clever, vorsichtig, geschickt, und jetzt diese Pleite! Langsam richtete er sich auf. Hier gab es nichts mehr für ihn. Sackgasse. *~* Titane wartete am Ufer, den Einer vertäut. Die Tallulah Belle ankerte abseits, nahe der Fahrrinne. Sazou blieb in sicherer Entfernung stehen. "Sazou, lass uns reden, bitte." Die sonore Stimme trug mühelos über die Distanz. "Das kommt n bisschen spät, meinste nich?" Schnarrte Sazou giftig zurück. "Warum hat's dir nich gereicht, mich durchzuficken?! All deine blöden Sprüche... WAS HAB ICH DIR DENN GETAN?!" Der Gigant setzte sich in Bewegung, nicht zu schnell, stetig, mit ausgreifenden Schritten. "Bleib weg, hörsu?! Rühr mich nich an!" Sazou zerrte die Keramikklinge heraus, zog eine weitere aus seinem Armband. Titane bremste das keineswegs in seinem Vorwärtsdrang. Er fing die flinken Fäuste an den Handgelenken ein, nutzte die Länge seiner Arme, die er über den Kopf streckte, sodass Sazou mit den Zehen kaum noch Bodenberührung hatte. Seine Miene bot unerschütterliche Entschlossenheit. "Bitte hör mich an, Sazou." Forderte er, ignorierte das Wutgeschrei, das Sazou anstimmte, der sich verzweifelt zur Wehr setzte. Durch die unbequeme Haltung ging ihm jedoch rasch die Luft aus. "Ich habe Beau über unsere gemeinsamen Recherchen kennengelernt." Stoisch lieferte Titane seine Erklärung, wich den zornig funkelnden Augen nicht aus. "Er bat mich, ein bisschen auf dich zu achten, während er weg ist. Es hat ein wenig gedauert, bis du weg von den Kippen und dem Alkohol warst und sie auf der Rotlichtmeile auch stärker kontrolliert haben. Danach konnte ich mich endlich vorstellen. Allerdings habe ich nicht gedacht, dass es so schnell klappt und wir unsere Familie vergrößern können." Sazou schnappte nach Luft. "Was~was redeste für n Scheiß?!" Polterte er empört. "Familie! Und überhaupt..." Ungläubig starrte er hoch in die schwarzen Augen, die ihn unverwandt betrachteten. "Korrekt. Ich habe jeden Ort besucht, wo man dir Alkohol ausgeschenkt oder Zigaretten verkauft hat oder wo du deine Dienste anbieten wolltest, bis nichts mehr übrig blieb." "Lass~lass mich jetzt gehen!" Zischte Sazou, konnte seine aufkeimende Angst kaum verbergen. Titane lächelte leicht. "Was für ein hinterhältiges Monster, denkst du das nicht gerade?" Raunte er sanft. "Ein manipulativer Scheißkerl, der alles nur zu seinen Gunsten dreht!" Er schnalzte mit der Zunge. Seine schwarzen Augen fingen Sazous hellgraue unerbittlich ein. "Ja, das ist durchaus zutreffend. Es ist nicht dein Verschulden, dass ich sofort erkannt habe, wer du für mich bist. Ich bin schon eine ganze Weile auf der Suche nach einem Menschen, mit dem ich mein Leben teilen kann, eine Familie gründen. DU bist diese Person. Ich toleriere nicht, dass du dich körperlich und seelisch ruinierst." Sazou entkam ein gequältes Quäken. "Ach so, alles aus Liebe, verstehe! Ganz toll!" Ätzte er erstickt. Der Hüne seufzte, lächelte. "Ganz recht, ich liebe dich. Ich bin recht gut im Bilde über deine Biographie. Deshalb denke ich, dass wir eine wunderbare Familie haben werden, auch wenn's damit richtig flott geht!" Nun strahlte er tatsächlich. Sazou grauste es. "Das~das ist doch Unsinn! Ich bin nicht mal 16, die werden dir den Arsch aufreißen! Und~und wenn du schon so clever bist, sollte dir klar sein, dass ich der letzte bin, der Kinder braucht! Außerdem trau ich dir nicht! Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du ein Madararui bist?!" Langsam wurde er auf seine nackten Fußsohlen abgesetzt. "Gute Fragen." Nickte Titane, ließ die Handgelenke nicht los. "Ad 1, ich denke, ich werde entsprechende Abbitte leisten. Ad 2, ich bin überzeugt, dass wir beide gute Eltern sein werden. Du weißt zumindest schon exakt, wie es nicht laufen soll, richtig?" Sazou schnaubte verächtlich. "Das heißt noch lange nicht, dass ich es besser mache! Mit dir zusammen, der mich belogen und verarscht hat?!" Eine Augenbraue wanderte dezent höher. "Ich habe dich nicht ein Mal belogen." Stellte Titane richtig. "Ich habe dir nur noch nicht alles erzählt." "Das is ja wohl dasselbe! Zumindest beinahe!" Fauchte Sazou, ließ erst den Kopf hängen, anschließend die Keramikklingen entgleiten. Es gab kein Entkommen, er hatte keine Wahl. Diese erdrückende Wahrheit raubte ihm die letzten Kräfte. "Halt dich fest." Kommandierte Titane leise, hob ihn auf seine Arme. Er trug ihn bis zum Einer, ruderte selbst zur Tallulah Belle zurück. Stumm ertrug Sazou eine Katzenwäsche, wurde behutsam abgetupft und in eines von Titanes großen Hemden gewickelt. Ebenso wortlos stopfte er das hohle Gefühl in seiner Magengegend mit Gemüseeintopf und frischen Pfannkuchen aus, die Titane zauberte. "Die werden mich nicht reinlassen." Wisperte er, den Blick auf seinen Schoß gesenkt. "Es kostet Geld. Ohne Versicherung..." Titane rollte geschickt einen Pfannkuchen ein. "Nötigenfalls müssen wir uns auf mein Geschick verlassen. Ist wie beim Fischausnehmen, richtig? Eine kleine Schaukel für unser Kind habe ich schnell gemacht, und dann ein paar Kreuzstiche..." Sazou war so bleich, dass er seinen Scherz bereute. "Sazou!" Seine große Hand verdeckte die verkrampften kleinen. "Selbstverständlich wirst du im Krankenhaus entbinden, das verspreche ich! Mach dir darüber keine Gedanken, ja?" "...pah..." Flüsterte Sazou bissig. "Warum tauschen wir dann nicht?" Er richtete sich auf, packte die Hand, presste sie auf seinen Unterleib, funkelte Titane kämpferisch an. "Du wirst mich begleiten und KEINEN Augenblick weichen, klar?! Ich will, dass du siehst, welche Schmerzen ich habe, was ich aushalten muss! DU bist dafür verantwortlich, du hängst mit!" Titane lächelte, streichelte mit der freien Hand über Sazous eingeflochtenen Schopf. "Auch das verspreche ich dir." Sein Lächeln intensivierte sich. "Ich bin dir noch eine Erklärung schuldig." Damit enthüllte er vor Sazou seine wahre Seelengestalt. *~* "...das...muss ein interessanter...Stammbaum sein." Wisperte Sazou leise. Titane schmunzelte. "Du siehst, ich habe allen Grund, Zurückhaltung zu üben." Antwortete er. Sazou hatte noch nie von einem weißen Wasserbüffel gehört, geschweige denn eine solche Seelengestalt gesehen. Er wusste vage etwas von einer Roten Liste sehr seltener Madararui, doch diese Kombination war ohne Beispiel. Sie wirkte verzaubernd, wenn die mitternachtsschwarze, mächtige Figur von einer blendend weißen, ebenso bulligen Seelengestalt überlagert wurde. "Ich vertraue dir, Sazou. Ich hoffe, dass du mir auch vertrauen kannst." Titane liebkoste eine bleiche Wange. Das Schimmern reduzierte sich, bis nichts mehr zu erkennen war. "Weiß Beau Bescheid?" Sazou studierte unbehaglich die schwarzen Augen. "Ich glaube nicht, dass er meine Tarnung durchschaut hat." Antwortete Titane ehrlich. Sonst wäre der Alligator vielleicht nicht bereit gewesen, ihm seinen jüngeren Freund ans Herz zu legen. "JETZT wird er sich aber was denken!" Knurrte Sazou grummelig. "Also, was willst du IHM erzählen?" Der Hüne grübelte. "Was meinst du, soll ich ihm die Wahrheit anvertrauen? Immerhin kennst du ihn am Längsten." Beteiligte er Sazou an seinen Erwägungen. Sazou schnaubte. "Also hast du nicht ALLES geplant, wie?! Tja, Beau ist ein hartnäckiger Typ, der lässt nicht locker, bis er weiß, was Sache ist. Du solltest besser zu Kreuze kriechen!" Diese Empfehlung war von einer gewissen Genugtuung begleitet. Titane grinste, erkannte diesen kleinen Stich an. "Das werde ich umgehend erledigen. Morgen." Er erhob sich, streckte auch Sazou die Hand hin. "Augenpflege für dich, Schönheitsschlaf für mich." Bot er an. "Hast du bestimmt auch nötig, alter Mann!" Schnarrte Sazou, griff zu, ließ sich an der Hand in die kleine Kabine führen. Als sie aneinander geschmiegt in der Hängematte kuschelten, grummelte er leise. "Ich werd mich aber nicht entschuldigen! Den Kratzer hast du verdient." Eine große Hand liebkoste sanft seine verspannte Schulter. Regelmäßige Atemzüge wärmten ihn. "Ganz recht, Sazou. Darf ich dir trotzdem einen Kuss geben?" "...einen! Und kein Fummeln, verstanden? Ich bin müde!" Sazou entschied, dass er damit anfangen musste, Grenzen zu setzen. Sonst glaubte dieser Kerl noch, er wäre Wachs in seinen gewaltigen Pranken! Titane seinerseits verzichtete tapfer auf ein dunkles Auflachen über diesen Widerborst. Einfach niedlich! *~* Beaumont nahm die "Enthüllungen" mit großer Erleichterung auf. Es beruhigte ihn auch, dass Titane einen so großen Einfluss auf seinen eigenwilligen, unbeirrbar unabhängigen Freund ausübte, dass der sauber und manierlich auf einem Ponton hockte, mit den nackten Beinen baumelte. "Ärger werdet ihr trotzdem bekommen." Stellte er seufzend fest. Es gab schließlich Regeln. Die besagten, dass gezielte Schwangerschaften vor dem 16. Lebensjahr untersagt waren. "Ich werde zu Kreuze kriechen." Beschied Titane würdevoll, der keineswegs Anzeichen von Reue erkennen ließ. "Und ich werde dir dabei zugucken!" Knurrte Sazou. Seine sorgenvoll gekräuselten Augenbrauen verrieten dem Betrachter, dass seine Rachegelüste sich im überschaubaren Rahmen bewegten. "Oh, für dich haben sie bestimmt auch was Nettes vorgesehen!" Dämpfte Beaumont sofort jeden Anflug von Souveränität. "Du hast ja schließlich mitgemacht." "Was?! Aber ich wusste doch nichts davon!" Protestierte Sazou entrüstet. Der Alligator hielt dem zornigen Blick mühelos stand. "Wurdest du unter Gewaltandrohung zum Beischlaf genötigt? Hast du dich aktiv um die Kondome gekümmert?" Die Konter folgten kühl. Sazou ballte die Fäuste, knurrte wild. Dennoch blickte er nicht einmal zu Titane, um die Beteiligung abzuschieben. "Na dann!" Schnaubte Beaumont gedehnt. "Ich schätze mal, die werden dich dazu verdonnern, deinen Schulabschluss zu absolvieren. Mit Sonderprüfung!" NUN wandte Sazou sich doch Titane zu, starrte ihn panisch an. "Das packen wir schon." Bemerkte der Gigant gemütlich, in ungestörter Seelenruhe. "Ach ja?!" Fauchte Sazou enragiert. "Hast du IRGENDEINE Ahnung, wann ich das letzte Mal in dieser Ödnishölle Zeit abgesessen habe?!" Beaumont schenkte Titane einen bezeichnenden Blick. "Hauptsache ist, dass du die Prüfungen ablegst. Auf deinen Schultern sitzt ein kluges Köpfchen, daher bin ich sehr zuversichtlich." Unbeeindruckt streichelte Titane eine erglühende Wange. Sazou fauchte nun wirklich, kehrte ihnen den Rücken zu, um zum anderen Ende des Stegs zu stampfen. Über die Schulter zischte er Beaumont zu. "Klär meinen Helden mal über meine Mathe-Fähigkeiten auf!" Der Alligator klappte hintenüber flach auf den Ponton und stöhnte leise. Er sah sich schon der grauenvollen Fron von Nachhilfe-Leistungen ausgeliefert. *~* Wider Erwarten zweier Mitglieder des Trios fielen die Sanktionen durch das Madararui-Komitee recht milde aus. Niemand verweigerte in New Orleans die Untersuchung von Sazous Allgemeinzustand. Der kochte allerdings vor Wut, weil Titane es nicht unterließ, das lächerliche Ultraschallbild an sämtliche Mitglieder seiner großen Familie zu senden, überaus stolz und glücklich. Sein Zorn währte aber nicht lange, hin und wieder zweifelte er an dessen Berechtigung. Möglicherweise agierte Titane ja ganz normal? War so ein Verhalten üblich? Von Beau, seinem angeblich besten Freund!, konnte keine Unterstützung erwartet werden. Der verlor nicht nur kaum ein Wort über die ach so tollen Wochen in England, sondern grummelte unzufrieden darüber, ihn für die abzulegenden Prüfungen trainieren zu müssen. Einen Teil der Rätsel hätte auch ein liebenswerter, ausgesprochen gut vernetzter Herr namens Richard Woodville lösen können. Der hielt sich an sein Versprechen und schwieg. *~* Kapitel 6 - Ein unerwarteter Besucher Soleil flickte geschickt einen kleinen Muschelkasten, während ihr drei Jahre jüngerer Bruder Neige in einer Zeitschrift blätterte. Er konnte noch nicht lesen, studierte jede Aufnahme jedoch konzentriert, zerriss oder knitterte gar nichts. "Da kommt Onkel Beau!" Stellte Soleil fest, verließ ihren Aufsichtsposten unter dem Sonnensegel. "Bonjour, ihr zwei Beiden!" Ihr Pate kletterte von seinem Kanu geschickt an Bord der Tallulah Belle, zog je ein Kind in einen großen Arm. "Na, wo sind denn eure Altvorderen?" Schmunzelte er launig. Neige, stets ernst, mit seinen drei Jahren ruhig, still, blond und bleich wie Sazou, aber, da zweifelte er nicht einen Herzschlag, so klug wie Titane. Soleil, die Älteste, quicklebendig, strahlend, munter, ihrem Namen alle Ehre erweisend, der er immer einen "Schoko-Kuss" abschmeicheln konnte, was sie zum Kichern brachte. "Sich lieb haben." Erklärte Soleil. "Und Mirage füttern." "Oh. Nun, da leiste ich euch eben ein bisschen Gesellschaft." Entschied Beaumont. Klar, die Familie lebte auf einem Schiff, das sorgte für Intimität. Die Kinder nahmen die Erklärung ihrer Eltern ganz pragmatisch auf, erkannten schnell die Vorteile: Mazou erwies sich als weniger streng und energisch, während PaTi beste Laune ausstrahlte. Kein Wunder, so, wie da vor Genuss gestöhnt wurde! Aber das war eben etwas, was nur die beiden kosten durften, dafür waren sie ja Eltern. Logisch! Mirage zählte erst ein halbes Jahr, ließ sich mit dem Wachsen ziemlich viel Zeit, obwohl jedes Familienmitglied den jüngsten Spross im praktischen Tragesäckchen durch den Tag und die Nacht schleppte! Sazou hatte sich zwar strikt geweigert, Titanes Logik anzuerkennen, dass ein Altersabstand von drei Jahren ideal und vier freie Kabinen zur Verfügung standen, aber nach sechs Jahren musste man feststellen, dass es ihm gelungen war, seinen zähen, aufbrausenden, fürsorglichen, besorgten Lebenspartner umzustimmen. Beaumont staunte immer wieder darüber, welche Qualitäten die Kinder ihrer Mazou entlockten: der ewig schmuddelige Herumtreiber legte Wert auf Pünktlichkeit, Hygiene und Ordnung. Keine zuckrigen Brausen, kein Junk-Food, und ganz sicher nicht irgendetwas von Fremden! Alle Kinder übernahmen kleine Aufgaben an Bord. Vor dem Schlafengehen las er ihnen etwas vor, achtete strikt auf Ruhe- und Spielzeiten. Keine Löwenmutter verteidigte ihre Brut so wie Sazou! Da musste Titane gelegentlich bremsen. Beaumont arbeitete gern mit dem "Florida-Giant" zusammen, der auch Aufträge an Land annahm, seine Ingenieurfähigkeiten unter Beweis stellte. Bei vermutlich vier Kindern sollte man etwas auf der hohen Kante für die Ausbildung haben, richtig? Neige tippte ihm höflich auf den Handrücken. Beaumont lächelte in die dunkelgrauen, so ernst blickenden Kinderaugen. "Möchtest du, dass ich dir das vorlese?" Ahnte er die Bitte. Neige konnte vermutlich sprechen, bloß hatte das bisher noch niemand gehört. Der kleine Junge nickte entschieden, nahm auf Beaumonts Oberschenkel Platz, in der sicheren Erwartung, dass seine Schwester das andere Bein auch okkupieren würde. "Also schön, was haben wir denn hier...'alternative Antriebe für Hooverjets'..." *~* "Du hast wohl nichts um die Hand, wie?" Bemerkte Sazou gewohnt schnippisch, Mirage an Neige im Tragesäckchen weiterreichend. Na, von lieblicher Stimmung nach ausgiebigem Sex konnte man hier wohl nicht sprechen! Beaumont lupfte artig die Rechte zum Schwur. "Ich bin gerade wegen der Arbeit hier!" "Pff!" Kommentierte Sazou, ordnete das lockere Band um seinen weißblonden Kringellockenschopf. Hätte man ihn nicht besser gekannt: die duftige, in der Sonne golden schimmernde Wolke hätte zu der Fehlannahme verführt, ihn für eine dezent engelhafte Erscheinung zu halten. Nichts lag der Wahrheit ferner! "Mannschaft!" Trompetete Sazou nämlich gerade im Admiralitätstonfall. "Antreten in der Kombüse! Wir backen jetzt Pfannkuchen!" Blitzartig nahmen Soleil und Neige wie die Orgelpfeifen hinter ihm Aufstellung, marschierten artig hinter ihm in den Multifunktionsraum. Die Gluckenmama in Perfektion! Vorausschauend unterdrückte Beaumont ein Glucksen, bis sein bester Freund außer Hörweite war. "Du hättest ihn gestern erleben sollen." Brummte Titane im Bariton an seiner Seite, streifte sich ein buntes Hemd locker über die imponierenden Muskeln. "Der Schrecken des Lehrkörpers und aller anderen Eltern." Das Beaumont verwunderte keineswegs. "Wird nicht leicht sein, wenn Soleil nach den Ferien in die Grundschule geht." Bemerkte er mitfühlend. Sazous Entzugserscheinungen würden sich vermutlich durch übelste Laune präsentieren. "Ich habe eher die Sorge, dass Neige ihr nachläuft." Behauptete Titane schmunzelnd, klopfte Beaumont auf die Schulter. "Gehen wir nach hinten, ins Exil." So bezeichnete er den schmalen Platz zwischen den Aufbauten, in dem die Kinder unter dem Sonnensegel gespielt hatten. "Vielleicht kommt Neige ja mal zu Wort!" Triezte Beaumont herausfordernd. Titane ließ sich wie gewohnt nicht aus der Ruhe bringen oder Reserve locken. Alle drei Kinder hatten ihren eigenen Rhythmus. Darin wollte er sie nicht hindern. Es wäre vermutlich auch nahezu suizidal, bezog man Sazous grenzenlose und unerbittliche Fürsorge ins Kalkül. "Hab schon davon gehört." Beaumont faltete die langen Beine zum Schneidersitz. "Ich war vorhin bei Walt im Laden." "Tatsächlich?" Titane stellte das Sortieren seiner Unterlagen ein, die Neige als Bildlektüre gedient hatten. "Ich dachte, Gramps übernimmt bei euch die Einkäufe?" Übertrieben seufzend wischte sich Beaumont durch die schwarzen glatten Haare, die wild vom Kopf abstanden, längst eine Schere benötigt hätten. "Tut er auch. Allerdings hat mich Mae angerufen, dass er sich mit dem alten Robbards bei Walt im Laden prügelt. Ich wollte nicht, dass sie ihn festnehmen." Titane staunte amüsiert. "Das musst du mir näher erklären." Verlangte er grinsend. "Tja!" Der Alligator knurrte. "So, wie Gramps mir die Sache geschildert hat, war der alte Robbards der Auffassung, dass eine Kiste Zigarren für den ehrenamtlichen Berater nicht zu den steuerfreien Werbekosten gehören. Das konnte Gramps natürlich nicht auf sich sitzen lassen, hat ihm einige alte Geschichten unter die Nase gerieben. Als sie ungefähr beim Bürgerkrieg waren, hat der Alte seine Krücke geschwungen. Gramps hat ihm mit dem Jutebeutel einen Schwinger verpasst. Robbards ist das Gebiss rausgefallen. Da lagen die beiden schon auf dem Boden. Walt hat sich beschwert, dass ich sie getrennt habe, weil es so eine tolle Show in seinem Laden war!" Titanes dröhnendes Lachen beschallte die ruhige Wasser- und Sumpflandschaft. "Ich sollte wohl öfter Einkaufen fahren!" Bemerkte er, köstlich unterhalten, während Beaumont eine Grimasse zog. "Du hast gut lachen! ICH muss mir jetzt die nächsten Tage endlos die Details seiner Heldentat anhören!" Beklagte er vorgeblich vergrätzt. Davon, dass Gramps auf den Umstand, den ollen Robbards in den Staub zu schicken, mächtig stolz war, sich als Held für das freie Unternehmertum im Alter ansah, ganz zu schweigen. "Ich gebe ihm recht." Titane zwinkerte. "Eine Kiste Zigarren pro Jahr für sein Wissen ist doch ein kleiner Preis, nicht wahr?" Ganz zu schweigen davon, dass es ihrer gemeinsam betriebenen, kleinen Firma zugute kam. Beaumont schmunzelte. "Der alte Knochen hat es immer noch drauf." Gestand er ein. So einen Urgroßvater konnte wohl kaum jemand vorweisen! "Aber ich bin TATSÄCHLICH zum Arbeiten gekommen!" Lenkte er ab. "Also, die Lieferdetails sind eingetroffen..." *~* Beaumont bewegte sein Kanu geübt mit großem Geschick. Wie alle anderen auch übte er gleich mehrere Professionen aus: Fischer, Selbstversorger, Ranger, Naturschützer, Gewässerkundler, Ingenieur für Wasserbau, Spezialist für alternative Wohnformen, Handwerker, Pionier bei der Nutzung von natürlichen Exkrementen im Anbau, Koch, Bäcker, Berater politischer Gremien... Jeder Tag war gut gefüllt, doch genau so liebte er es. Außerdem konnte er sich rund um die Welt mit anderen Wasseranrainern austauschen. Sein Holländisch klang mittlerweile sogar verständlich, wenn er sich mit den Freunden dort unterhielt! Ohne die Unterstützung Gleichgesinnter, Titanes willige Bereitschaft, mit ihm eine Firma zu gründen, die Hausboote und Schiffe umweltverträglicher gestaltete, wäre er nie so weit gekommen. Nicht zu vergessen Onkel Richard, der mutmaßlich hinter einem Stipendium steckte, das ihm seinen Abschluss über eine Fernuniversität ermöglicht hatte. Kurz vor ihrem modularen Ponton-Heim kam ihm, mit Motorunterstützung, das Boot seines Urgroßvaters entgegen. "Bin Skat kloppen, bei Mae." Verkündete dieser im Grantelton. "Hast übrigens Besuch!" "Besuch?!" Beaumont stutzte. Das grimmig vorgeschobene Kinn und der unsichtbare Reißverschluss der faltigen Lippen verrieten ihm, dass das Auskunftsbüro mit sofortiger Wirkung geschlossen hatte. Gramps brauste davon. Den Oberkörper drehend blickte Beaumont ihm ratlos nach. Einen geschäftlichen Termin hätte er bestimmt nicht vergessen, oder? Außerdem, WEN würde Gramps allein in ihrem Heim zurücklassen? Notorische Vertrauensseligkeit gehörte jedenfalls nicht zu seinen Schwächen! Etwas rascher als zuvor senkten sich die Paddelblätter wechselweise ins Wasser. *~* Einer dieser neumodischen Kastenkoffer mit Rollen und Zuggriff. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt, die in den Sonnenuntergang blickte, sich träge Luft zufächelte. Beaumont spürte, wie sein Puls sich überschlug, sein Herz kapriolte. "Katerchen?" *~* Hidekuni trug noch immer den artig gekürzten Haarschnitt, den er von der Abschlussfeieraufnahme kannte. Selbstverständlich mit Auszeichnung bestanden, Stolz seiner Väter! Nun in hellen Hosen, einem entsprechenden T-Shirt, geflochtenem Sonnenhut und an den Füßen Segeltuchschuhen. "Überraschung." Lächelten die meerblauen Katzenaugen. Die vertraute Stimme blieb leise. "Das kannst du laut sagen!" Antwortete Beaumont verdattert, zögerte nur einen Moment, bevor er Hidekuni fest in die Arme schloss. Vor sechs Jahren hatten sie sich das letzte Mal persönlich getroffen, dazwischen nur elektronische Mitteilungen, kurze Telefonate. Zeitverschiebung, Studium, das "echte" Leben... "Herzlichen Glückwunsch!" Der Alligator zwinkerte. "Weniger als das hätte ich auch nicht von dir erwartet!" Hidekuni schmunzelte. "Ich bin deiner Empfehlung gefolgt, habe mich bedeckt gehalten. Daher hatte ich ausreichend Muße, mich auf meine Studien zu konzentrieren. Jetzt verfüge ich über den für einen reellen Broterwerb so nützlichen Abschluss in Angewandter Wirtschaftsmathematik mit Schwerpunkt auf Markt-Modellen im asiatischen Raum." Bemerkte er mit selbstironischem Grinsen. Beaumont stutzte kritisch. "Ich habe eigentlich angenommen, dass die einschlägigen Firmen sich um Absolventen wie dich prügeln?" "Bedaure, dich enttäuschen zu müssen." Hidekuni löste sich aus Beaumonts Armen, zwinkerte. "Du bist bisher der Einzige, der sich um meinetwillen ins Schlachtgetümmel geworfen hat." Er setzte den Sonnenhut ab, ergänzte gelassener. "Selbstverständlich liegst du nicht falsch mit deiner Einschätzung. Die meisten meiner Kommilitonen haben entsprechende Verträge unterzeichnet, aber ich, ich habe erst mal genug von der Plackerei." Eine kleine Pause trat ein, in der Beaumont sich angestrengt zu erinnern versuchte, ob diese Erschöpfung, die deutliche Distanz, schon in ihren Mitteilungen zu bemerken gewesen war. Oder ob Hidekuni sie ihm verschwiegen hatte. Eilig entsann er sich auch seiner Gastgeberpflichten. "Komm, bringen wir erst mal dein Gepäck rein. Etwas Flüssiges wäre sicher auch nicht zu verachten, oder?" Mit der ihm eigenen Anmut nickte Hidekuni leicht. "Ich danke dir, sehr aufmerksam! Bitte entschuldige, dass ich dich so unangekündigt überfalle." Der Alligator, bereits den Koffer dirigierend, wandte sich rasch herum, studierte die meerblauen Katzenaugen im Dämmerlicht. "Ich freue mich, Hide. Du bist mir sehr willkommen, immer." Er grimassierte schief. "Vielleicht kann ich dir ja auch beweisen, dass das 'sumpfige Dreckloch' hier gar nicht mal so übel ist." *~* Natürlich hatte sich in Windeseile herumgesprochen, dass ein äußerst attraktiver, sehr kultivierter junger Mann mit blondem Schopf und verzaubernd blauen Augen im Wassertaxi zu Gramps' und Beaumonts Heim gereist war. Dass Gramps sich beim Skatkloppen in vertrauter Runde diesbezüglich ausgesprochen zugeknöpft zeigte, KEIN EINZIGES MAL verkündete, er werde seinen Urenkel enterben, heizte die Spekulationen noch stärker an. Beaumont hingegen stellte, nachdem er Hidekuni ihr gesamtes schwimmendes Heim, die besonderen Einrichtungen zur Hygiene und "Entleerung" präsentiert hatte, fest, dass sein Gast leicht fieberte. Die Anreise musste strapaziös gewesen sein, trotz der Woche Aufenthalt bei Onkel Richard. Auch, da grollte ihm sein Magen mahnend zu, wäre es sträflich gewesen, Hidekunis Erschöpfung zu unterschätzen, die sich auf den Marathon bis zum Abschluss begründete. Er wirkte zudem unzufrieden trotz eines herausragenden Ergebnisses. Der Alligator half seinem Freund in eine rasch befestigte Hängematte, niedrig gehalten, damit ein möglicher Absturz aus mangelnder Übung nicht über Gebühr Schaden anrichtete. "Morgen stelle ich dir Sazou, Titane und ihre Rasselbande vor, ja? Du tust, was immer du magst, in deinem Tempo, in Ordnung?" Wisperte er sanft, streichelte die blonden Strähnen, die feucht auf der Stirn klebten. Hidekuni lächelte matt, die Wangen dezent gerötet. "Bekomme ich wenigstens einen Gute Nacht-Kuss? "Verwöhntes Balg!" Knurrte der Alligator, liebkoste dennoch zärtlich die geschürzten Lippen. *~* »Seltsam.« Konstatierte Beaumont kritisch, beäugte seinen Urgroßvater: kein Wort der Kritik, obwohl Hidekuni nicht mit ihnen frühstückte, sondern noch schlief. Was eigentlich ungezogen war, wenn man den alten Knochen üblicherweise hörte. Lange auf der faulen Haut liegen und den Tag versäumen?! Nicht in seiner Einflusssphäre! "Wahrscheinlich macht ihm unser Wetter zu schaffen." Entschuldigte er Hidekunis Abwesenheit. "Bestimmt hat er zu wenig getrunken." "Wahrscheinlich ist sein bisschen Verstand von diesem ganzen Zahlenmüll versaut." Konterte Gramps bissig. "Muss erst mal ordentlich durchgelüftet werden!" Beaumont knurrte reflexartig, bevor er beinahe erschrocken in das faltige Gesicht blickte. "Schöne Bescherung!" Bemerkte sein Urgroßvater knapp. "Ich bin angeln, falls es jemanden interessiert!" Damit stapfte er grimmig hinaus. *~* Soleil und Neige adoptierten Hidekuni sofort. "Er ist so hübsch!" Strahlte Soleil zahnlückig, machte ihn mit "Schoko-Küssen" bekannt, die die meerblauen Katzenaugen erstrahlen ließen. "Schon ausgestochen!" Jammerte Beaumont mit verdrehten Augen, freute sich über Hidekunis wackere Konstitution. Trotz der drückenden Schwüle, die einem heftigen Gewitter voranging, hielt der sich tapfer. "Du bist ein Idiot!" Stellte Sazou in der ihm eigenen Diplomatie fest. Wieso zum Teufel hatte Beau sich diesen Leckerbissen entgehen lassen?! Gut, der war blond, weiß, vornehm, aus adeligem Haus, aber garantiert reich und gar nicht so blöd! Auch die Figur, nicht zu verachten! Titane, der Mirage gerade aufmerksam fütterte, lenkte von der vernichtenden Einschätzung des Urteilsvermögens seines Geschäftspartners ab. "Wie lange wird er bleiben?" "Keine Ahnung." Beaumont zuckte mit den Schultern, verfolgte überrascht, dass Neige sich auf die Schultern heben, tragen ließ. "Darüber haben wir noch nicht gesprochen." Überhaupt, so richtig unterhalten hatten sie sich noch gar nicht, Alltägliches ausgenommen. "Wenn er Geld hat, muss er sich wenigstens keinen Job suchen." Bemerkte Sazou pragmatisch. "Wird ihm bestimmt bald zu öde hier. Nix mit Jet-Set!" Beaumont schwieg dazu. Hidekuni erschien ihm ruhebedürftig. Die Zeit sollte er sich mindestens hier nehmen können. *~* "Ich fürchte, deinem Urgroßvater ist meine Anwesenheit hier nicht recht." Murmelte Hidekuni, als sie im Kanu eine kurze Verschnaufpause einlegten. "Iwo!" Winkte Beaumont bestimmt ab, drückte ihm eingepackten Obstbrei in einem Schraubglas in die Hand. "Das würde er mir jede Stunde unter die Nase reiben! Nimm's ihm nicht übel, wenn er so knapp ist. Wir haben seit Ewigkeiten keine Gäste mehr gehabt, sind einfach ein bisschen aus der Übung." Lächelte er. Hidekuni legte ihm die Hand auf den Arm. "Bitte sag es mir, wenn ich mein Willkommen überstrapaziere, ja? Leider habe ich mir während des Studiums die Unart angeeignet, zu sehr auf meine eigene Befindlichkeit kapriziert zu sein." "Unsinn!" Widersprach Beaumont energisch, funkelte aus den tiefschwarzen Augen. "ICH will, dass du bleibst und zwar in meiner Nähe. Auch wenn ich jetzt nicht mehr so fesch ausschaue wie im Internat!" Das entlockte Hidekuni, wie beabsichtigt, ein Lachen. Er beugte sich vor, hauchte einen Kuss auf Beaumonts Lippen. "Ich finde dich immer noch ungemein anziehend und attraktiv!" Schnurrte er keck. Die Katzenaugen blitzten. "Ha! Gramps belagert mich dauernd, ich müsste zum Friseur!" Schnaubte Beaumont betont triumphierend. Seine Verunsicherung konnte er damit nicht lange übertünchen. Ganz ohne Zweifel: Hidekuni flirtete mit ihm! *~* Ein heftiges Gewitter tobte sich über dem Lake Pontchartrain aus. Sie hatten es gerade so im heftigsten Guss vor den ersten nahen Blitzeinschlägen zum Ponton-Heim geschafft. "Gramps?!" Beaumont wischte sich mit beiden Händen durch die nassen Haare, was ihrer Fassung nicht half. "Bist du da?!" Als er keine Antwort erhielt, marschierte er in die "Kommandozentrale", funkte einige Nachbarn und Freunde an, bis er die Rückmeldung des Ladenbesitzers Walt erhielt, dass der alte Knochen aus lauter Langeweile wegen des Gewitters die Ladenregale systematisch sortierte. Das war Prügeleien mit anderen Senioren selbstverständlich vorzuziehen, auch wenn Walt sich stets über die kostenlose Unterhaltungsshow in seinem Geschäft freute, da es mehr Kunden als der Discounter anzog, dem er seit Jahrzehnten erbitterten Widerstand leistete. "Gut, danke!" Der Alligator atmete erleichtert aus. "Behalt ihn aber bitte im Auge, ja?" "DAS habe ich gehört, du undankbare Rotznase! Du bist enterbt, verstanden?!" Dröhnte im Hintergrund unverkennbar knarzig die Stimme seines Urgroßvaters. Beaumont grinste, beendete den Funkverkehr mit dem ebenso unmissverständlich vor Vergnügen grunzenden Walt. "Er ist drüben in Madisonville, unter Aufsicht." Bemerkte er zu Hidekuni, der sich mühsam aus seinen nassen, am Leib klebenden Kleidern zu schälen versuchte. "Warte noch etwas!" Bat Beaumont, erhob sich. "Lass uns rasch die Festung hier sturmfest machen. Sieht zwar nicht so aus, als würde es gefährlich, aber der alte Knochen hängt mir monatelang in den Ohren, wenn hier irgendwas zu Bruch geht!" Hidekuni lächelte, heftete sich artig wenn auch tropfnass an Beaumonts bloße Fersen. Der blockierte die wenigen Fensterflächen geübt, verkantete Türen mit Spundwand ähnlichen Vorsätzen, die aufschäumendes Wasser über den Ponton vorbeileiteten. "Tja, igeln wir uns ein." Eine einfache Sturmlaterne genügte. Über den Äther knisterten aus dem alten Radio die Wettermeldungen, das tragbare Funkgerät in Reichweite. Hidekuni wrang ungeübt seine nassen Kleider über einem Eimer aus, bevor er sie wie Beaumont an ausgezogenen Leinen aufhängte. "Ist dir kalt?" Erkundigte sich Beaumont fürsorglich, reichte ein Handtuch weiter. "Die Unterhose muss auch runter, sonst leidet die Pinkulatur." Der Spruch stammte von Gramps, gehörte zu seiner Auswahl "euphemistischer" Umschreibungen, um etwaigen Schamgefühlen gerecht zu werden. "Danke schön." Hidekuni entledigte sich des letzten Feigenblattes, rubbelte sich trocken. "Eigentlich ist mir sogar recht warm." "Wirklich?" Besorgt rückte Beaumont heran, legte die Handfläche auf Hidekunis Stirn. "Hast du Fieber? Schmerzen?" "Ich denke, nein." Gab der blonde Mann leise zurück, lächelte auf eine Art, die Beaumonts Magen in Aufruhr versetzte. »Bau jetzt bloß keinen Scheiß!« Ermahnte ihn sein Anstandsgefühl nervös. "Was ist mit dir? Kein Fieber?" Nun schnurrte, ja, SCHNURRTE diese freche Pussy-Katze provozierend! Streichelte ihm mit beiden Händen über die Wangen, EINDEUTIG in intimer Nähe! "...alles...klar bei mir..." Stammelte der Alligator. Erneut kamen die Warnungen zu spät. Hidekuni glühte, strahlte. Auf der Haut zeichnete sich wie ein schimmernder Zauber das charakteristische Muster der Fellzeichnung eines Jaguars ab. Die meerblauen Augen funkelten becircend. Kein Irrtum möglich: das Katzen-Schwergewicht war in Hitze. Gegen die geballte Macht seiner Pheromone, aller Lock- und Botenstoffe, die seine Sinne überrannten, hatte Beaumont nicht die geringste Chance. "Tu das nicht, Katerchen!" Flehte er matt. Zu spät. Halb zog es ihn, halb sank er hin. *~* »Das ist nicht gut.« Stellte eine hilflose Stimme, einsamer Rufer in der Wüste seines Verstandes, fest. Was nur zu einem marginalen Teil seiner Wahrnehmung entsprach. Tatsächlich WAR es gut. Phantastisch. Phänomenal. Ein klein wenig ausgehungert, unterfordert, vernachlässigt fühlte sich seine Libido ohnehin. Als gelegentlicher "Witwentröster" bei der einen oder anderen Dame in der Nachbarschaft, die keine Absicht hatte, sich zu binden, sondern nur ein wenig Aufmerksamkeit erwartete, verfügte er zumindest hin und wieder über Übung. Doch nicht für die Intermezzi mit Hidekuni. Jeder Partikel seiner Existenz strahlte Verlangen und Lust aus, wollte UNBEDINGT, zwingend, absolut geliebt werden, verwöhnt, über Bewusstseinsgrenzen hinausgetrieben. Perfekt. Eigentlich. »Wenn du nicht der Falsche wärst!« Winselte die kleine Stimme auf verlorenem Posten. *~* Katzenjammer wäre angezeigt gewesen, Ernüchterung, Scham, Verlegenheit, linkische Distanz. Nicht jedoch bei Hidekuni, wie Beaumont verwirrt konstatierte: der sinnliche, anmutige Blondschopf WOLLTE genau DAS, was sie taten, immer wieder aufs Neue. Beaumont konnte sich nicht dazu durchringen, auf die Bremse zu treten, zurückzuweichen. Dazu genoss er es selbst viel zu sehr, ihre Hitze, die Geschmeidigkeit ihrer gemeinsamen Bewegungen, die koketten Herausforderungen, die süßen, aufreizenden, verlockenden Küsse. Flüchtige Berührungen, wenn sie in Gesellschaft waren, genügten schon, ihn in Paarungsbereitschaft zu versetzen. Allein die Rücksicht auf den alten Knochen verhinderte, dass sie allzu schamlos ihrer geteilten Lust nachgingen. In diesem Rausch, schwebend, quasi in einer Parallelwelt unterwegs, die nur aus rosa Wölkchen zu bestehen schien, verlor er einen Punkt aus den Augen, der ihm große Sorge bereitete: dass sie noch immer kein ausführliches Gespräch geführt hatten. *~* "Na endlich!" Knurrte Sazou grimmig, als Beaumont das Kanu längsseits der Tallulah Belle steuerte. "Willst du zur Abwechslung doch mal was arbeiten?!" Beaumont bleckte das blendend weiße Raubtiergebiss, was Sazou unbeeindruckt erwiderte. "Brauchst gar nicht lang hier rumzulungern!" Schimpfte er. "Titane ist schon vorgefahren! Verzieh dich!" Sein ausgestreckter Arm wies die Richtung. "Ich lass Hide hier." Verhandelte Beaumont ungeniert, wusste er seinen Geliebten schon in der Obhut von Soleil und Neige, die ihm aus dem Kanu geholfen hatten. "Seh ich aus wie n Kindergärtner?!" Selbst die weißblonden Löckchen sprühten Funken. Die hellgrauen Augen blitzten Vernichtung. "Hier wird gearbeitet!" "Danke schön!" Konterte der Alligator breit feixend, stieß mit dem Paddel sein Wassergefährt geschickt ab, um zurück in die Fahrrinne und schnellere Strömung zu geraten. "IDIOT!" Schallte Sazou ärgerlich hinter ihm her. ER hatte jedenfalls zu arbeiten! Wenn das reiche Söhnchen hier Wurzeln schlagen wollte, konnte es sich auch nützlich machen! *~* Etwa zwei Stunden hatten Titane und Beaumont bereits das Areal sorgsam geprüft, Proben gezogen, eine grobe Karte korrigiert. Es gab Hinweise, dass durch Versickerung und Einspülungen ungeklärte Abwässer und Pestizide in diesen Teil des Bayou eindrangen, damit schleichend gefährliche Verheerungen anrichteten, weil sich die Natur nicht so schnell auf diese Belastungen einstellen konnte. Möglicherweise konnte man mit bestimmten Gras- und Schilfarten einen Filtereffekt erzeugen. Es war allerdings noch nicht erprobt, ob sich diese Gewächse ansiedelten oder, auch keine Alternative, sich verdrängend ausbreiteten. Damit wäre ihrem Anliegen auch nicht gedient. Gleichzeitig hörten sie ein seltsames, schrilles Zischen. Titane wandte sofort den Kopf, suchte den wolkenlosen Himmel ab, zwischen Blattbewuchs hindurch. Eine rote Sonne explodierte farbenprächtig. "Zurück! Wir müssen zurück!" Kommandierte er harsch, sortierte hastig ihre Habseligkeiten in das Tretboot. "Los, steig in dein Kanu!" "Was ist denn los?!" Alarmiert durch die angespannte Reaktion des Älteren leistete Beaumont rasch Folge, hatte jedoch Mühe, trotz des Verbindungsseils dem Tretboot zu folgen, so rasch arbeitete Titane. "Signalrakete!" Hörte er über dessen Schulter. "Sazou. Wegen des Funklochs hier." Es konnte nichts Gutes bedeuten, wenn Sazou nicht allein mit einer Situation fertig wurde. *~* Es war kein schöner Empfang. Schon von weitem hörten sie Soleil wie eine Sirene kreischen. "PaTi! PaTi!" Titane verdoppelte seine Beinarbeit, kümmerte sich nicht mehr darum, ob Beaumont sein Tempo mit dem Paddel halten konnte. Das tränenüberströmte Gesicht seiner Tochter genügte, ihn direkt auf die Tallulah Belle springen zu lassen, wo Sazou stand, bleicher als gewohnt, sich die rechte Faust rieb. Zu seinen Füßen lag Hidekuni in einer zusammengekrümmten, verdrehten Haltung. "Hab~hab...Gramps...ange~angefunkt." Stotterte Sazou verstört, unter Schock. "Hide?! HIDE?!" Beaumont vertäute hastig sein Kanu, das auch noch das Tretboot festhielt, kniete sich neben Titane auf die Planken. Ein Bluterguss zeichnete sich um die Kinnpartie ab. Es stank nach erbrochener Galle. Hidekuni war ohne Bewusstsein. "Los~los doch!" Titane stieß Beaumont mit der Schulter an. "Hilf mir! Wir fahren Gramps entgegen!" "Was~was ist passiert?" Entsetzt hob der den Bewusstlosen an, schwankend, weil er keine Unterstützung durch ihn erfuhr. "Mach hin!" Donnerte Titane heftig, die schwarzen Augen glühend, zeigte keine Spur seiner üblichen Gelassenheit. Er biss sich auf die Lippen, seine heftig schluchzende Tochter, den in einem Krabbenkasten kauernden Neige und den totenbleichen Sazou so zurückzulassen, doch sie hatten keine Wahl. *~* Gramps winkte bereits, während an den Pontons ein Rennboot mit laufendem Motor wartete. Beaumont hielt Hidekuni in den Armen, wisperte grauenerfüllt. "Sein Herzschlag wird immer schneller!" "Halt ihn ruhig." Kommandierte Titane knapp, ließ den kleinen Außenborder aufheulen, den sie am Tretboot in eine verwaiste Halterung gehievt hatten. "Rüber mit ihm!" Brüllte Beaumonts Urgroßvater, kletterte selbst an Bord des Rennbootes. "Ich hab bereits Bescheid gegeben!" Als sie den Umstieg bewältigt hatten, rammte er Hidekuni eine Spritze mit klarer Flüssigkeit in den linken Arm. *~* "Wirkt etwa eine Stunde." Bemerkte der alte Mann über das Getöse hinweg, als das Rennboot schräg mit heftigen Sprüngen den Lake Pontchartrain überquerte. "Was ist hier los?" Beaumont umklammerte fassungslos die noch immer verkrümmte Gestalt. Er konnte Hidekunis Gegenwart kaum noch spüren. Dessen Herzschlag reduzierte merklich das Tempo. Die flache Atmung wurde immer langsamer. "Überlass mir das Reden, klar?" Knurrte Gramps knarzig, packte mit einer sehnigen Hand Beaumonts schwarzen Schopf, zwang ihm Blickkontakt auf. "Ich regel das, verstanden?!" *~* Im Hafen wartete bereits ein Noteinsatzwagen. Zwei Sanitäter verfrachteten Hidekuni trotz seiner verdrehten Haltung auf eine Liege, sicherten ihn, rasten mit Blaulicht und Sirenengeheul den Pier runter. Der alte Mann drückte ihrem Bootsführer die Hand. "Ich komme mit dem Geld zu deinem Onkel, ja, Junge?" Der, ein gestandener Mann vorgerückten Alters, nickte grimmig, erwiderte den Händedruck. "Alles Gute, Gramps!" "Wird schon, wird schon." Knurrte Beaumonts Urgroßvater, zerrte seinen Urenkel an der Hand die Mole hinunter. "Los, beweg die Hufe, wir müssen ein Taxi kriegen, bevor die verdammten Touristen alles belegen!" *~* Beaumont war in seinem gesamten Leben noch nie ohnmächtig geworden. Als er die Letter über dem Eingang des Klinikgeländes entzifferte und BEGRIFF, sackten ihm jedoch fast die Knie weg. Er musste sich an den alten Mann klammern, während sein Atem in Höchstgeschwindigkeit pfiff. "Ich weiß, Jungchen, ich weiß." Echote es ungewohnt sanft in seinen Ohren, bevor Tränen seine Sicht verwischten. *~* Kapitel 7 - Verzweiflungstat Sie mussten zwei Stunden warten, bis sich eine kräftige Frau vor ihnen aufbaute, noch im grünen Aufzug der Chirurgen. "So, wer von Ihnen beiden hat die Spritze gesetzt, hm?" Ihr strenger Ausdruck wich einem fast schelmisches Grinsen, als sie Gramps ins Visier nahm, die Arme in die Hüften stemmte. "Dass das nicht wieder vorkommt, Großväterchen! Wir wollen doch alle keinen Ärger oder Papierkram, nicht wahr?!" Gramps nickte, knurrte. "Vor allem keinen Papierkram!" Seine Methode und das "Mittelchen" würden ihm Schwierigkeiten einbringen, dessen war er sich bewusst gewesen. Die nette Lady hier wirkte so, als hätte sie Herz UND Verstand! Außerdem sprach sie Cajun, was ihn hoffnungsfroh stimmte. "War ein Notfall." Erklärte er sich grummelnd. "Ja, ich weiß." Ihr Lächeln färbte sich mit Trauer. Sie ging vor Beaumont in die Hocke, legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. "Es tut mir sehr leid. Ich denke, in etwa einer halben Stunde können Sie zu Ihrem Freund. Allerdings befindet er sich in der Regenerationsphase und ist nicht belastbar." Beaumont nickte stumm, brachte kein Wort über die Lippen. Ihm war sterbenselend zumute, und dieser Zustand überforderte ihn. *~* Hidekuni lag blass in einem großen Raum mit anderen Betten, halb aufgerichtet, mit Nährlösung versorgt, die gemächlich aus einer Flasche tropfte. Klebedioden auf seiner Brust fütterten Maschinen mit Werten zu Herzschlag, Puls, Atmung. Beaumont zog sich einen Hocker heran, nahm eine Hand in seine, streichelte sie, küsste sie. Sie hätten reden müssen, unbedingt. Jetzt war es zu spät. *~* "Dank der 'unkonventionellen' Ersten Hilfe Ihres Großvaters dauert es etwas länger, bis der Patient so weit wiederhergestellt ist, dass wir ihn entlassen können." Der Arzt räusperte sich bezeichnend. Beaumont verzichtete auf eine Korrektur. "Glücklicherweise hat sich ja die Frage der Kosten dank der Versicherung geklärt." Beaumont graute davor, was passierte, wenn Hidekunis Krankenversicherung bei seiner Familie ahnungslos Erkundigungen einholte. Andererseits verließ ihn ein Gefühl betäubter Übelkeit seit dem Vortag nicht mehr. Das hatte nichts mit dem lausigen Automatenfraß zu tun, den man hier bekam, während man wartete. "Ich bin allerdings NICHT erfreut darüber, was diese unglückselige Entwicklung ausgelöst hat!" Scharf zischten die Silben an Beaumonts Ohr, der aufmerkte. Der Arzt schenkte ihm einen vernichtenden Blick. "Wir haben nämlich Tests, wissen Sie?! Schon seit einiger Zeit! Die Tragödie wäre VERMEIDBAR gewesen!" Langsam setzte sich Beaumont auf. "Tests? Was für Tests?" Hakte er leise, aber konzentriert nach. Sein Gegenüber wirkte aufgebracht, doch ein Teil der Empörung, das spürte Beaumont, richtete sich nicht gegen ihn oder Hidekuni, sondern gegen die unsägliche Lage, die ohne potentielle Ignoranz hätte vermieden werden können. "Unter zehn Prozent!" Donnerte der Mediziner. "Nach den Blutwerten waren es unter zehn Prozent! Jetzt denken Sie mal an die Symptome! Fieber, Erbrechen, Übelkeit, Völlegefühl, Gelenkschmerzen, Migräne, Schweißausbrüche! Es muss doch vorher schon erhebliche Abstoßungserscheinungen gegeben haben!" Beaumont stützte den Kopf in seine Hände. *~* Es dauerte zwei Tage, bis die Nachwirkungen der Drogendosis aus eigenem Anbau endgültig abgebaut waren. Sie hatten die akuten Schmerzen gelindert, den Rückwandlungsprozess verzögert. Allerdings standen Drogenherstellung (auch wenn es sich um ein pflanzliches Mittel handelte) und ihre Verwendung unter Strafe. Wenn man den Vorfall meldete. Gramps hatte für Beaumont bei Bekannten eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert, da sein Urenkel die Besuchszeiten am Krankenbett verbrachte. Er übermittelte auch Titane und seiner verstörten Familie, dass Hidekuni auf dem Weg der Besserung war. Zumindest körperlich. Als Hidekuni zum ersten Mal tatsächlich seine Umgebung begriff, einordnen konnte, was sich ereignet hatte, blieb Beaumont nichts anderes zu tun, als den schlotternden, schluchzenden Mann fest an sich zu pressen. Die beinahe animalischen Klage- und Wehlaute zerrissen ihm das Herz, vernichteten jeden Anflug von Groll. *~* Er hatte es nicht anders erwartet, dass Hidekuni nach seinem tieferschöpften Schlaf beim Aufwachen das gezeichnete, eingefallene Gesicht verzog, sich ihm den Rücken zukehrend embryonal zusammenrollte, die Arme wie zum Schutz um den Kopf gewickelt. Beaumont sortierte zuerst den Tropf an seinem Ständer in eine bessere Lage, montierte anschließend geschickt den Sturzpräventionseinsatz am Bett ab, enterte es, schmiegte sich einfach an den eingerollten Leib. Er legte einen Arm um die Taille, die Hand behutsam auf den kleinen Wundverband unter dem schlichten Krankenhauskittel. "Saz hat mich ganz zu recht als Idioten bezeichnet." Raunte er rau in den dezent gebräunten Nacken. "Ich habe nicht gefragt. Ich habe nicht bemerkt, wie verzweifelt du warst. Ich habe alles hingenommen, mich in meiner Postkarten-Idylle bequem eingerichtet. Das tut mir leid. Wirklich, furchtbar leid." Er seufzte leise. "Ich hab das nicht ernst genommen, deine Sorgen, das Studium. War ja auch schön simpel, alles für prima und perfekt zu halten! Schöne Vorurteilswelt, alles einfach, man muss nicht nachdenken, nichts hinterfragen!" Hidekuni in seinen Armen war wie erstarrt, eine einzige kompakte Masse. "Ich wünschte, ich wäre nicht so ein Idiot." Wisperte Beaumont kaum hörbar. Er erwartete keine Antwort, aber er wollte auch nicht weichen. Zu lange hatte er kritiklos allem gefrönt, was mit Hidekuni Einzug in seinen Alltag genommen hatte: lachen, Freundschaft, Sex, gemeinsame Zeit. Wie konnte er sich noch als Jäger verstehen, als Hüter, wenn er seinem Instinkt nicht folgte, ihn bewusst ignorierte?! "Ich habe deinen Ratschlag beachtet." Krächzte Hidekuni kaum hörbar, bitter und gallig. "Sechs Jahre lang nach der richtigen Person Ausschau gehalten, jemandem, der NICHT darauf Wert legt, dass mein Papa zum Königshaus gehört. Dass meine Väter berühmt sind, wohlhabend, einflussreich. Keine Verbindung zu den Madarames, kein Elite-Zögling, kein blond-groß-attraktiv." Er spuckte die Silben tonlos aus. "Ich habe niemanden gefunden. Da wurde mir erst bewusst, was für ein wertloser Mensch ich bin. Nur ein Vehikel für fremde Federn in einer einigermaßen augenfreundlichen Verpackung. Dabei dachte ich immer, ich würde geliebt, hätte so viele Freunde!" Er lachte abschätzig über sein früheres Ich. "So viel zu 'Idiotie'! Ein einsamer Depp, der sich bloß in sein Studium, seine Arbeit vergraben konnte! War da auch kein Kunststück, den Abschluss zu erreichen. Und was für einen! Nutzlose Datenwüsten, pompöse Zahlengebirge, nichts davon reell, ohne Wert in der richtigen Welt. Da, wo Leute wie ich sich bewegen, die Eintrittskarte für die nächste hohle Hölle. Mit Kusshand! Ha!" Beaumont biss die Zähne zusammen, bis seine Kiefergelenke knirschten. "Du sagst, dass meine Väter stolz sind. Ja, natürlich, aber ich bezweifle es. Ein Papierverwüster, ein Bürokrat, ein windiger Unternehmensberater. Niemand, der etwas aufbaut, etwas schafft. Wie kann das sein, bei ihren Talenten und Fähigkeiten? Ich bin eine Enttäuschung, das ist die Wahrheit. Ein Popanz, eine Luftnummer, nichts weiter." Er wollte tief durchatmen. Die Qual ließ jeden Luftzug rasseln. "Da habe ich mich GANZ GENAU wie die anderen in dieser Schlangengrube verhalten! Ich habe den einzigen~den einzigen Menschen, der MICH gesehen hat, verraten und betrogen, schon wieder. Mit Absicht. Aber selbst dafür bin ich zu unfähig! Beinahe komisch!" Hidekuni zwang mit schierer Gewalt das Schluchzen zurück, zog die Arme vom Kopf, ballte die Fäuste. "Ich bin ein Monster. Ich wollte ein Kind von dir, das ich ganz selbstsüchtig lieben kann. Nie mehr einsam, bis zum Lebensende eine Aufgabe. Außerdem liebt mein Daddy Kinder..." Nun gab es keine Willenskraft mehr, die dieser vernichtenden Selbstanklage die Tränen kategorisch verbat. Hidekuni schluchzte, wütend, weil er es sich nicht erlauben wollte, verzweifelt, weil der letzte Strohhalm zerbrochen war, beschämt über die Abgründe des eigenen Charakters. Beaumont wich nicht einen Millimeter, rückte nicht ab, gab das Katzen-Schwergewicht nicht frei. »Sechs Jahre lang.« Warum hatte er nichts bemerkt? Durch eine dumme Warnung hatte er Hidekuni in die Enge getrieben, hatte unterschätzt, wie sehr die Ereignisse ihn damals in der Seele getroffen hatten! »Aber das is nich zu ändern!« Schnarrte Gramps' Stimme knurrend in seinem Hinterkopf. Eine stete Ermahnung, sich nicht unnütz zu grämen. Man lebte im Augenblick, glotzte nicht ständig in den Rückspiegel! "Du hast es nicht gewusst, oder?" Flüsterte er rau in Hidekunis Nacken. "Dass es einen Test gibt, der die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Schwangerschaft mit Wurm prognostizieren kann?" Das verbissene Schluchzen/Krächzen/Schnauben hörte abrupt auf. "Unter zehn Prozent." Antwortete Beaumont auf die ungestellte Frage. Hidekuni konnte nicht gewinnen. Es war von Anfang an aussichtslos gewesen. *~* "Ich halte es für angezeigt, dass Ihr Partner sich in therapeutische Behandlung begibt." Die Sozialbetreuerin schenkte Beaumont ein aufmunterndes Lächeln. "Gerade nach so einem tragischen Verlust kann eine unterstützende Beratung sehr hilfreich sein." "Ich werde es ansprechen." Erklärte Beaumont artig. Er hegte entschiedene Zweifel, dass Hidekuni in dieser Verfassung zu Konzessionen bereit war. Die Schotten waren dicht. Der blonde Mann hatte sich in sich selbst verkrochen, schien unwillig, seine innere Einkehr in Selbstverachtung und Schmerz für den Moment zu verlassen. Beaumont wusste, dass es eine Technik gab, die besonders Schwergewichte beherrschten, nämlich einen anderen Madararui quasi zu lähmen, seine Seelengestalt zu berühren und erstarren zu lassen. Ihm war allerdings bis zu diesem Augenblick nicht bekannt gewesen, dass man diese Technik auch in eigener Angelegenheit anwenden konnte. Hidekunis wahre Seele war verschwunden, die meerblauen Katzenaugen leer, eine apathische Gestalt, die zusammengerollt im Bett lag, für äußere Reize oder flehentliche Bitten unerreichbar. "Ich komme morgen wieder und hole ihn ab." Kündigte der Alligator an. Die körperlichen Wunden waren versorgt, der Heilungsprozess ungefährdet, die Rückwandlung nahezu abgeschlossen. Damit stand die Entlassung an, ganz gleich, wie zerbrechlich die Psyche blieb. Ausgenommen, Hidekunis Verhalten ließ eine Gefahr für sich oder seine Umgebung vermuten, die ihm eine Zwangsunterbringung verschafft hätte. Das wollte Beaumont verhindern. Er dachte angestrengt über eine Strategie nach, wie er Hidekunis Familie informieren sollte, wenn die Notwendigkeit unausweichlich wurde. *~* Hidekuni verhielt sich handzahm, schwieg jedoch beharrlich, wich seinen Blicken aus, als sie am folgenden Tag die Klinik verließen. Beaumont nahm es ihm nicht übel, bezweifelte, dass Hidekuni inzwischen einen Plan B ersonnen hatte, was er mit sich und dem Rest seines Lebens anfangen wollte, nachdem er schon alles auf eine Karte gesetzt hatte. In Madisonville wartete das Motorboot des Urgroßvaters. Sie stiegen um, steuerten das schwimmende Ponton-Heim an. Je näher sie kamen, desto nervöser agierte Hidekuni, strich sich fahrig durch die wirren Haare, umklammerte die niedrige Reling mit hervortretenden Knöcheln. "Ich bin sicher, dass Gramps dir nicht böse ist." Bemühte sich Beaumont um Beruhigung, auch wenn er da ins Blaue hinein fabulierte. Tatsächlich wusste er nicht im Geringsten, wie sein Urgroßvater sich verhalten würde. Hidekuni atmete hörbar erleichtert aus, als niemand sie empfing. Die Entspannung währte nur kurz, denn Gramps saß in Beaumonts kleinem Modul. Das Katzen-Schwergewicht fror auf der Schwelle an, zitterte unkontrolliert. "Rein oder raus, du Lauser! Los, setz dich. Und du, Faulenzer, ich bin sicher, dass du ne Menge nachzuholen hast! Anderswo!" Die knarrende Stimme mit Admiralitätsautorität drang direkt ans Kleinhirn, nötigte selbst Hidekuni in seiner schockierten Starre im Reflex neben dem alten Mann auf einem eigens drapierten Kissen Platz zu nehmen. Beaumont warf einen bangen Blick in das faltige Gesicht seines Urgroßvaters. "Tür zu, es zieht!" Donnerte der energisch, signalisierte seinem Urenkel, dass dessen Anwesenheit hier NICHT wohlgelitten war. Schweigend leistete Beaumont dieser Aufforderung Folge. Einen Streit vom Zaun zu brechen würde die Situation auch nicht verbessern. Nachdem leise das Türschloss eingerastet war, setzte sich Gramps eine alte Kiste zwischen die gekrümmten Beine. Er hob den Deckel ab, nahm das erste, stark vergilbte Foto, aus dem Sammelsurium. "Das da ist mein Urgroßvater. Übler Bursche, kann ich dir sagen..." *~* Angespannt horchte Beaumont, während er hastig seine aufgestauten Arbeiten erledigte, auf Türenschlagen, Geschrei, Tränenausbrüche oder wüste Beschimpfungen. Er hörte nichts. Seufzend zwang er sich zur Geduld. Genug zu tun hatte er ohnehin! *~* Gramps schmauchte eine Pfeife, wirkte dabei recht diktatorisch, als Beaumont ihn fragend ansah. "Ich will nachher grillen, klar?! Also sieh zu, dass wir ordentlich was aufzulegen haben!" Ein krummer Daumen wies über eine Schulter nach innen. "Der da kann dir helfen! Und kein Gezänk!" Übertrieben diensteifrig salutierte Beaumont, schenkte seinem Urgroßvater einen giftigen Blick. Konnte der nicht in Hidekunis Hörweite etwas mehr Rücksicht walten lassen? Besagter Mann verließ das Modul, den Kopf gesenkt, dezent schniefend. "Komm!" Beaumont schnappte unaufgefordert ein Handgelenk. "Bevor Käptn Runzelrübe uns über die Planke jagt!" Glücklicherweise folgte Hidekuni ihm artig, entzog ihm auch nicht sein Handgelenk. Da es einfacher schien, zunächst die Arbeitsaufgaben zu verteilen, sich nicht mit schwierigen Themen zu befassen, überließ er Hidekuni in der kleinen Kombüse/Kocheinheit das Zerteilen von Gemüse zwecks Spießpräparation, während er sich mit den Krustentieren und Fischen befasste, eilig eine Marinade mischte, vor sich hin murmelnd auch über zwei unterschiedliche Tunken räsonierte. "Es tut mir leid." Wisperte Hidekuni in seinen Monolog. "Ich weiß. Ich bin dir nicht böse." Beaumont seufzte. "Ich hab ja leider ordentlich mitgemacht." "Nein." Hidekuni schnüffelte manierlich. "Du hattest keinen Grund, solche Niedertracht und Heimtücke bei mir zu vermuten." "He!" Den Rührbesen ablegend wandte sich Beaumont herum, fasste Hidekunis Oberarme, zwang ihm Blickkontakt auf. "Du warst verzweifelt und hattest einfach keine Chance, wie du es jemandem sagen solltest! Ich versteh das! Ich will auch meine Leute nicht enttäuschen, was mir hin und wieder arg die Schnauze knebelt!" Hidekuni lächelte matt, auf eine höfliche, distanzierte Art. Die tiefschwarzen Augen laserten stechend. Der Alligator knurrte wütend. "Hide, guck nicht so! Ich bin ein Idiot, ja, aber kein Depp! Nein, ich war noch nie so verzweifelt wie du. Deshalb bist du noch lange nicht die Ausgeburt der Hölle, oder für was auch immer du dich sonst gerade hältst! Du bist nichts weiter als ein ganz normaler Typ, der ein paar nicht ganz so clevere Entscheidungen getroffen hat, klar?! Das ist NICHT das Ende der Welt!" Die meerblauen Katzenaugen visierten den Boden unter ihren bloßen Füßen an. "Du tust mir weh." Bemerkte Hidekuni schließlich knapp angesichts des festen Griffs um seine Oberarme. "Gut!" Polterte Beaumont zornig. "Das heißt, dass ein paar Sinne noch funktionieren! JETZT wäre es noch ausgesprochen großmütig von dir, nicht ununterbrochen um dich selbst zu kreisen, sondern zurück in die Gegenwart zu kommen!" Hidekuni zischte mit einem Anflug von Temperament, blitzte zurück in Beaumonts Augen. "Verzeihung, dass ich mich seelisch etwas derangiert nach meiner Fehlgeburt fühle!" "Entschuldigung, dass ich mich auch beschissen fühle, weil wir ein Kind verloren haben! Ich habe die Schnauze voll von den selbstverliebten Nebelkerzen, die du ständig zündest!" "Tut mir leid, dass ich so selbstverliebt bin, wenn sonst niemand diese Gefühle für mich hegt!" "Ich bin also niemand, oder was?! Oder ist das nicht wichtig, weil ich der Falsche bin?!" "Das...du hast doch selbst gesagt..." Beaumont riss Hidekuni in seine Arme, hielt ihn so fest, dass sie beide die Zähne aufeinander pressten, um nicht zu ächzen. Bange Herzschläge später schlangen sich auch Hidekunis Arme um ihn, umklammerten ihn mit derselben Vehemenz. "...schsch....nicht mehr weinen, Katerchen!" Tröstete der Alligator sanft. "Ist doch alles gut! Alles wird gut, ich verspreche es! Schschsch...Katerchen, ich bin bei dir." Einige Minuten später, während sie einander noch immer wie Ertrinkende hielten, drängte sich Gramps knarzige Stimme in die Intimität. "Wenn der Fisch anbrennt, leg ich dich übers Knie, Bengel!" *~* Gesittet und ruhig verlief das Abendessen mit Grillspeisen, während sich gemächlich die Sonne am Horizont zum Schlafen verabschiedete. Gramps schnaubte. "Dieser Mann wird sich jetzt mit nem Bourbon in seine Koje verziehen!" "Nacht, alter Knochen." Grummelte Beaumont, der einige giftige Bemerkungen zu dem NUR LEICHT angesengten Fisch geerntet hatte. "Pass bloß auf, Rotznase, ich weiß, wo du wohnst!" Drohte der alte Mann grimmig. Nicht über Gebühr beeindruckt wedelte Beaumont mit der Linken. "Ich werd bestimmt kein Auge zumachen." "Das will ich dir auch geraten haben!" "Gute Nacht, Sir." Verabschiedete auch Hidekuni den Dritten in ihrem Bunde höflich. "Das macht er immer!" Schnaubte Beaumont betont verschnupft. "Damit er nicht AUFRÄUMEN muss!" Irgendwo schlug eine Tür ins Schloss. Hidekuni betätigte sich initiativ, um Schüsseln zu stapeln, assistierte Beaumont, dessen Laune keineswegs so schlecht war, wie er vorgab. Während sie das Geschirr mit Regenwasser abspülten, brummte er. "Wirklich, sechs Jahre komplett ohne?" Der blonde Mann an seiner Seite trocknete gründlich ab. "Galahad. So haben sie mich genannt." Beaumont warf Hidekuni einen fragenden Blick zu. Der erläuterte mit einem gequälten Lächeln. "Ein Ritter der Tafelrunde aus der Artus-Saga. Der perfekte, reine Typ, quasi ein Heiliger. Das Gegenstück zur Eisernen Jungfrau." Er seufzte, die Augen auf seine Hände gerichtet, die brav arbeiteten. "Selbstredend hatte ich anfangs viele Verabredungen, doch bei dem Gedanken, dass sie mich gar nicht wollten, sondern bloß meine fremden Federn, da ging gar nichts mehr. Wie so eine Art Taubheitsgefühl. Ich konnte mir nicht mal mehr vorstellen, einen Kuss zu geben." Ein bitteres Lächeln huschte über seine Mundwinkel. "...wow..." Murmelte Beaumont kleinlaut. So sehr hatte er Hidekuni auf gar keinen Fall verunsichern wollen! "Jetzt sieh bitte nicht so kläglich drein!" Hidekuni touchierte ihn mit dem spitzen Ellenbogen. "Es war meine Entscheidung. Ich habe meine hohen Ansprüche über niedere, körperliche Bedürfnisse gestellt, das ist alles!" "Reizende Formulierung." Bemerkte Beaumont leise, ohne den ironischen Unterton, den er beabsichtigt hatte. "Ich konnte daran glauben und mich auf die Arbeit konzentrieren. Das hat mich, genau betrachtet, auch nicht bereichert, aber das Leben ist schließlich kein Ponyhof, richtig?" Beaumont ließ das Geschirr warten, wandte sich Hidekuni zu. Er wollte diese Linien des Schmerzes, der Selbstverachtung, nicht auf dem schönen Gesicht sehen! "Das reicht jetzt!" Stellte er kategorisch fest. Eine blonde Augenbraue wanderte hoch, in dem arroganten Gebaren, das ihren vorangegangenen Streit erneut aufflammen lassen wollte. Genug. Auf diesem Weg war nichts zu gewinnen. Er drängte Hidekuni mit zwei raschen Schritten gegen eine freie Wand, fing die abwehrend erhobenen Hände ein, presste sie unerbittlich gegen die Verschalung. "Schluss." Verkündete er, setzte darauf, dass Hidekuni ihm nicht die Zunge abbeißen würde, wenn er ihren gewaltsam eingekerkerten Gefühlen körperliche Erleichterung verschaffte. *~* "Was tust du da?" Hidekuni lag bereits flach auf einer dünnen Matratze ausgestreckt, ein feuchtes Tuch auf den geschwollenen Augen. "Dich an mich fesseln, was denn sonst?" Knurrte Beaumont. "Könnte ja sein, dass mein Charme versagt!" Hidekuni hob sein linkes Handgelenk an, auf kurze Distanz an Beaumonts rechtes geknebelt. "Wenn ich nun zur Toilette möchte?!" "Dann gehen wir gemeinsam." Bestimmte der Alligator ungerührt. "Deine dominante Hand ist ja noch frei, oder? Ich werde schon darauf achten, dass du dir keinen Bruch hebst." "Wie überaus zartfühlend von dir!" Fauchte das Katzen-Schwergewicht. Beaumont streckte sich ebenfalls aus, den linken Arm unter den Nacken gelegt. "Sag mal, du hattest doch den Anhänger nicht die ganze Zeit bei dir, oder?" Erkundigte er sich lauernd. Tatsächlich hatte er seinen Alligatorzahn sorgfältig in ein vornehmes Einstecktuch eingeschlagen zwischen der Unterwäsche entdeckt. Der Lederriemen war längst durch eine solide Goldkette ersetzt worden. "Er ist ganz praktisch als Brieföffner." Antwortete Hidekuni schließlich spitz. "Na klar!" Knurrte Beaumont betont ätzend. "Weil Generation Smartphone sich beim Rendezvous noch handgeschriebene Liebesbriefchen im Umschlag zukommen lässt!" "Kann es sein, dass du ein unerträglicher Pedant bist?!" Feuerte Hidekuni verärgert und beschämt zurück. Beaumont atmete tief durch. Kindisch, absolut, aber es freute ihn bis zum Herzklopfen, dass sein Geschenk so geehrt worden war. Wenn es auch als treuer Wächter und Talisman nicht ganz so effektiv funktioniert hatte, wie wünschenswert gewesen wäre. "Entschuldigung." Wisperte Hidekuni leise, von seiner aufbrausenden Widerborstigkeit Äonen entfernt. "Was denn?" Beaumont führte den linken Handrücken an seine Lippen. "Dafür, dass wir uns kabbeln? Das gehört hier zum Lebensstil, Stubentiger!" "Man kann Dinge, die man im Streit gesagt oder getan hat, nicht wieder ungeschehen machen." Erinnerte Hidekuni resigniert. Neben ihm rollte Beaumont sich auf die Seite, rückte näher heran. Er lupfte das feuchte Tuch, nötigte Hidekuni, den Kopf zu drehen, sich ihm zuzuwenden. "Wenn man sich danach in die Augen sehen kann und die Dinge nicht TATSÄCHLICH so gemeint hat, ist es kein Drama. Ich weiß, in deinen Kreisen ist es nicht üblich, sich zu fetzen, da pflegt man andere Methoden, aber zwischen uns ist das doch nicht nötig, oder?" Hidekuni verlagerte seine Balance wieder flach auf den Rücken, legte sich den rechten Unterarm über die Augen. "Was, wenn du mir einmal nicht mehr verzeihst? Was dann?" Raunte er rau. Beaumont robbte näher, richtete sich ungeniert auf dem blonden Mann ein, angeschmiegt, eine Wange auf der Brustpartie abgelegt, wo er den beschleunigenden Herztönen lauschen konnte. "Miezekatze, ich bin ziemlich sicher, dass dieser Zustand nie eintreten wird. Ich kenne dich nämlich recht gut, weißt du? Solange du dir die Mühe machst, mit mir zu streiten, weiß ich, dass wir uns nicht gleichgültig sind." Für lange Atemzüge blieb es still. "Für einen Idioten argumentiere ich ziemlich gut, hm?" Gurrte Beaumont schelmisch. Hidekuni kicherte leise, ein wenig erstickt. Beaumont fiel ein ganzes Felsmassiv vom Herzen. Der Anfang war gemacht. *~* Dass es kein leichter Gang war, wussten sie beide. Beaumont gab sich unerbittlich, Hidekuni schien bereit, seinem Urteil mit Fassung und Würde zu begegnen. Als sie sich im Kanu der Tallulah Belle näherten, ließen Soleil und Titane gerade Kastenkäfige hinab. "Hide! Hide ist wieder da!" Vor Begeisterung überschlug sich das kleine Mädchen beinahe, winkte rudernd mit beiden Armen, strahlte glückselig. Kaum hatte der blonde Mann einen Fuß auf die Planken der Tallulah Belle gesetzt, hing sie schon an seinem Hals, jauchzend und japsend vor Aufregung. "Geht es dir wieder gut? Bist du wieder gesund?!" "Alles wieder in Ordnung." Versicherte Hidekuni gerührt, lächelte mit dezent beschlagenen Meeraugen in das runde Kindergesicht. "Bitte entschuldige, dass ich dir so einen Schreck eingejagt habe." "Du warst doch krank!" Wischte Soleil entschieden diese Einlassung weg. "Du hast ja gar nichts getan! Hier gibt's nicht so viele kranke Leute, deshalb war ich ein bisschen erschrocken." Vertraute sie ihm mit gedämpfter Stimme an. Titane pflückte seine älteste Tochter von Hidekunis Hals, balancierte sie auf einer Hüfte, umarmte den sich langsam aufrichtenden Mann fest. "Das kommt in Ordnung, mein Freund." Raunte er kaum hörbar durch die dicken blonden Strähnen. Neige wartete hinter den Achteraufbauten, studierte Hidekuni stumm, mit wenig kindlich anmutendem Ernst. Das Katzen-Schwergewicht ging in die Hocke, suchte den dunkelgrauen Blick. Langsam wagte sich der kleine Junge hervor, hielt unbeirrbar auf Hidekuni zu, der ganz still wartete, sich nicht rührte. Eine warme Kinderhand streichelte sehr vorsichtig über seine Wange, tröstend. Hidekuni lächelte, auch wenn ihm Tränen in den Augen standen, weil Neige so bekümmert wirkte. "Es geht mir wieder gut." Versicherte er mit belegter Stimme. Ein Mundwinkel zuckte zögerlich nach oben, dann schlangen sich Kinderarme um seinen Hals. "Freunde." Hörte er kaum wahrnehmbar an seinem Ohr. Neige konnte also doch sprechen! *~* Es half nichts: Beaumont stand erheblich in Titanes Schuld, der viele Aufgaben während seiner Abwesenheit ganz allein geschultert hatte. Deshalb musste er Hidekuni auch allein lassen. Von Soleil und Neige war nichts zu befürchten, Mirage schloss er selbstredend auch aus, bloß Sazou... Auch Hidekuni erwartete eine nicht sonderlich freundliche Reaktion von dem sehnig-zerbrechlich wirkenden Mann mit dem weißblonden Kringelschopf, der ihm durch einen beherzten Kinnhaken und den Hilferuf viel Gutes getan hatte, davon vermutlich jedoch nichts wissen wollte. Deshalb zuckte er auch nicht zusammen, als ein unerwartet schmerzhafter Schraubstockgriff sein Handgelenk arretierte. Die hellgrauen Augen funkelten das Versprechen von Verderben nach erheblichen Qualen. "Wenn du noch mal so einen Auftritt in Gegenwart meiner Kinder hinlegst, Milchbubi, filetiere ich dich scheibchenweise." Zischte Sazou vernichtend. Hidekuni, dem sich das Fell aufstellte, zog diese Drohung nicht einen Wimpernschlag in Zweifel. *~* "Saz ist manchmal etwas extrem. Bitte trag ihm das nicht nach. Er liebt die Kleinen über alles. Das hebelt bei ihm gelegentlich die Bremsen aus." Beaumont seufzte, während sie gemeinsam einen Obstsalat zum Abendessen anmischten. "Er wollte mich filetieren." Stellte Hidekuni fest. "Ich bin etwas erstaunt. Eigentlich hätte ich mit einer Tracht Prügel oder Senge oder Hieben gerechnet." Sein semantischer Ausflug verwischte nur unzureichend die verborgene Frage. Beaumont grummelte. "Schön. Ich hätte dir ohnehin etwas mehr über Saz erzählen sollen. Also gut! Du bist einigermaßen sicher, solange er nicht nach den Armbändern am Handgelenk oder Knöchel greift, in Ordnung? Darin hat er nämlich Keramikklingen." "Keramikklingen." Wiederholte Hidekuni mit flacher Stimme. Das verlangte nach ausführlicheren Erklärungen. "Erinnerst du dich, dass ich dir von Siedlungen im Bayou erzählt habe, in die du nicht allein gehen sollst?" Nahm Beaumont den unerfreulichen Panoramaweg. Er wollte seinen ältesten Freund jedoch nicht im schlechten Licht stehen lassen. "No go für reiche, weiße, weiche Pinkel?" Antwortete Hidekuni gedehnt. Der Alligator tippte sanft auf eine gerümpfte Nasenspitze. "Ganz richtig, Naseweis. In so einem Geviert ist Saz geboren worden. Kein guter Ort für niemanden, besonders nicht für ein Kind. Selbst ein verwahrloster Dreckspatz fragt sich, warum er so leben muss, wenn es andere Kinder gibt, die versorgt werden, genug zu essen haben, die man nicht prügelt oder sich selbst überlässt." Hidekuni schwieg betroffen. Der Alligator seufzte. "Gramps war über meine Freundschaft mit Saz auch nicht begeistert. Dauerte sehr lange, bis die beiden warm wurden." Beaumont lächelte schief. "Es ist nur so: wenn du mal ihre Freundschaft gewonnen hast, stehen sie immer an deiner Seite, egal, was passiert. Hauen dich ohne Zögern aus Schwierigkeiten raus. Was Besseres kann dir gar nicht passieren." "Ich nehme an, dass du auch Sazou das Quäntchen mehr an Erfahrung verdankst, von dem du damals gesprochen hast?" Hidekuni senkte den Blick. Beaumont wischte sich ertappt mit beiden Händen durch die schwarzen Haare. "Das~das war damals eine Ausnahmesituation." Damit saß der Haken an der Angelrute noch immer fest, ließ keine Ausflüchte zu. Beaumont atmete tief durch. "Saz hat sich ständig von seiner Familie abgeseilt, ist im Bayou gestreunt und hat sich selbst versorgt. Irgendwann ist er auf einen etwas lichtscheuen Typen namens Boyd gestoßen, hat immer mehr Zeit bei ihm verbracht." Jetzt näherte er sich dem wirklich unschönen Thema, räusperte sich verhalten. "Ich weiß nicht genau, was da gelaufen ist und werde mich hüten, Saz jemals danach zu fragen. Vermutlich hatte dieser Boyd mit ihm Sex. Das kommt leider hier öfter vor." Er atmete tief durch. "Wenn niemand sich ernsthaft beschwert, sieht man über das Problem hinweg. Wenn's nicht juckt, muss man nicht kratzen." Zitierte er ein geflügeltes Wort. An Hidekunis Miene konnte er dessen verständnisloses Entsetzen und die Konsterniertheit ablesen. "Das is hier nicht der Garten Eden!" Formulierte er bissig, seufzte, konterkarierte seine Ansage. "Ich weiß, Sex mit einem Kind, ekelhaft, abscheulich! Es IST ein nettes Feigenblatt zu argumentieren, dass es Saz nicht besser getroffen hätte, wenn man die ganze Sache angezeigt hätte. Die Sozialfürsorge besteht hier darin, dass man gegen regelmäßigen Schulbesuch Lebensmittelcoupons bekommt. Dass hin und wieder, wenn's zu brutal wird, die Polizei eine Razzia durchführt." Beaumont schüttelte den Kopf, die Züge ernst, markant. "Im Bayou hätten sie Boyd oder Saz nie aufstöbern können. Ihn einzusperren in einem Heim, das hätte nie geklappt." Er lächelte traurig. "Saz war nie wirklich ein Kind, so wie du oder ich. Die Chance gab's für ihn nicht. Er hat von Anfang an gekämpft, war auf dem Kriegspfad, mit allen, die ihm zu nahe kommen wollten." "Was ist mit diesem Boyd passiert?" Erkundigte sich Hidekuni leise. Der Alligator rollte mit den breiten Schultern. "Eines Tages war er weg, spurlos verschwunden. Hat nichts mitgenommen. Saz hat überall nach ihm gesucht, ist total durchgedreht. Die Leute meinen, es wäre vielleicht ein Alligator gewesen, hätte ihn überrascht, ertränkt und aufgefressen. Das kommt durchaus vor, aber ziemlich selten. Saz glaubt, dass irgendwelche Typen Boyd verschleppt hätten. Ich weiß es nicht." "Da hast du ihn getröstet." Formulierte Hidekuni betont neutral. Der schwarzhaarige Mann rieb sich den Nacken, rollte mit dem Kopf, verschaffte sich Zeit. "Es ist ziemlich schwierig, jemanden unwiderruflich aufzugeben, dem man sich anvertraut hat, mit dem man gelebt hat, auch wenn das vielleicht nicht sonderlich einfach oder legal gewesen ist. Saz ging es ziemlich schlecht. Ich habe gehofft, dass er aufsteckt, es akzeptiert und sich nicht dabei kaputt macht." Hidekuni nickte knapp, zog die Stirn kraus. "Warum ist er nicht bei dir geblieben?" Beaumont lachte auf, erleichtert, so vergleichsweise nachsichtig aus dem Kreuzverhör entlassen zu werden. Wenn Hidekuni nachrechnete, wäre nicht nur Boyd sexueller Delikte schuldig gewesen. "Wir sind Freunde, aber wir würden uns locker an die Gurgel gehen, wenn wir die ganze Zeit zusammen sein müssten! Nein, Titane ist der einzige Bursche von dem Format, das Saz nachhaltig beeindruckt." "Hmm." Murmelte Hidekuni nachdenklich, sammelte Besteck und Geschirr ein. "Wollen wir draußen essen?" "Gut. Der alte Knochen wird ohnehin gleich Krawall schlagen, wenn wir nicht auftischen!" Obwohl das Kapitel "alte Flammen" damit abgeschlossen schien, entging Beaumont keineswegs Hidekunis nachdenkliche Miene beim Schmausen. Wenigstens lenkte ihn das von seinem Kummer ab! *~* Beaumont wischte sich mit einem feuchten Lappen über den nackten Leib, während die letzten Sonnenstrahlen den Himmel blutig färbten. Zur Entspannung hatte er sich etwas nasse Bewegung verschafft, wollte aber nicht mit den entsprechenden Anhaftungen aus dem Bayou zu Bett gehen. Er stieg aus der alten Bütte, in der er stand, blickte auf, als Hidekuni den Eingang zum Modul blockierte. "Ich schütte nur gerade noch das Wasser weg." Erläuterte er sein Vorhaben, da schmiegte sich der blonde Mann bereits mit aufreizenden Bewegungen eng an ihn, küsste ihn herausfordernd. "...he...das ist keine gute..." "Wieso nicht?!" Unterbrach Hidekuni ihn aufgebracht. "Was stimmt mit mir nicht?!" "Erinnerst du dich daran, dass ich der Falsche bin?!" Knurrte Beaumont grimmig. "Ach ja?! Das hier funktioniert perfekt mit uns!" Fauchte das Katzen-Schwergewicht bezeichnend zurück, packte sehr kräftig mit beiden Händen Beaumonts von körperlichen Anstrengungen modellierte Gesäßpartie. "Du erinnerst dich aber schon, attraktiv, wohlhabend, beste Beziehungen, adlig, studiert?!" Zählte der Alligator die Fakten auf. "Fremde Federn!" Zischte Hidekuni abfällig. "Ich kann es hier sehr wohl aushalten, in deinem angeblich so verrufenen, morastigen Dreckloch!" "Ja, aber wie lange?" Beaumont zwang sich, all die gemeinen, nadelspitzen Gehässigkeiten von Sazou aufzusagen, während ihm sein Pulsschlag beinahe die Gehörtrommeln lädierte. "Keine Partys, Theater, Modeläden, vornehme Empfänge, nicht mal teure Autos!" "Das bedeutet mir gar nichts!" Hidekuni wich zurück, gab Beaumont frei. "Denkst du etwa, dieser oberflächliche Tand wäre mir wichtig?!" "Das ist aber das Biotop für den Richtigen." Argumentierte Beaumont betont geduldig. "Während du hier nur die Falschen antriffst." "Du BIST aber kein Falscher!" Schrie Hidekuni, gänzlich jeder gewohnten Zurückhaltung und jahrelang geübten Manieren verlustig. "Wieso willst du nicht der Richtige sein?!" In Beaumonts Kopf pochten Adern. Er glaubte beinahe, ohnmächtig werden zu müssen. Konnte er wirklich die Ruhe bewahren? "Wieso machst DU mich nicht zum Richtigen, hm?! Bis jetzt war ich bloß der letzte Strohhalm!" Feuerte er scharf zurück. Hidekuni ballte die Fäuste, funkelte blitzend aus meerblauen Katzenaugen. "Aha! Dachte ich mir schon! Du willst also einen Krieger?! Kein kultiviertes, verhätscheltes Weichei?! Fein, wie du wünschst! Ich KANN kämpfen! Dir wird dein eingebildetes, arrogantes Grinsen schon noch vergehen!" Auf DIESEN Satz hatte Beaumont wirklich seit ihrem ersten Aufeinandertreffen im Internat gewartet! Der Hidekuni von damals hätte ihm nie die geballte Macht seiner Emotionen und Frustrationen unzensiert ins Gesicht gebrüllt. "Wenn du meinst..." Feixte er zuckersüß, während er in seinem Inneren wahre Triumphzüge abfeierte. Hidekuni knurrte, wie es nur eine aufs Äußerste gereizte Katze zustande bringen konnte, ging zum Angriff über. *~* Natürlich gebot die Taktik, den blonden Gipfelstürmer nicht einfach gewinnen zu lassen. Das wäre eine noch größere Beleidigung gewesen als jedes Gesuch um Nachsicht. Beaumont spielte seine Erfahrung, die deutlich bessere Konstitution und perfides Geschick aus, achtete darauf, den unter ihm eingeklemmten Mann nicht zu verletzen, als er in geübter Geschmeidigkeit ihren Akt vorantrieb. Hidekuni fauchte, doch bald ging dieses Missfallen in ein erregtes, sinnliches Stöhnen über, verwandelte er sich in den becircenden, unvergleichlichen Liebhaber, der Beaumont vor sechs Jahren in die Ecke getrieben hatte. Das schöne Katerchen zwang ihn immer wieder vor Ehrfurcht und Hingabe in die Knie! Die Lust, der Genuss, die Leidenschaft und gleichzeitige Leichtigkeit: nichts wurde vor ihm verborgen. Hidekuni ließ sich fallen, ohne Netz und doppelten Boden, beinahe beängstigend. Beaumont blieb sich seiner Verantwortung bewusst, niemals dieses Vertrauen, diese ultimative Intimität zu enttäuschen. Außerdem galt es ja den Plan zu beachten... *~* Mit herkömmlichen Methoden war Beaumont nicht beizukommen! Das erkannte Hidekuni am Morgen, durchaus beansprucht, allein in der Hängematte, in die der vorlaute, unverschämte, hinterhältig starke Alligator ihn gehievt hatte! Dennoch kein Grund, einfach aufzugeben, oh nein! Stürmende Wolken zogen über seine Stirn, verfinsterten sein Gemüt. Beaumont bevorzugte also Krieger, Kämpfer, Überlebenskünstler?! »Na schön! Ich kann dich körperlich nicht bezwingen, aber mit Grips kann ich auch dienen!« Und dann würde er sich richtig dafür revanchieren, dass Beau am Abend vor Vergnügen GESCHNURRT hatte! *~* Beaumont paddelte schwungvoll von Madisonville aus zu ihrem Ponton-Heim, seiner Aufgaben ledig und durchaus damit zufrieden. Gramps kam ihm entgegen, in der galligen Stimmung, um bei Mae mit anderen Oldtimern Skat zu kloppen. Das versprach spät zu werden, weil man meist bis in die graue Vorzeit Klatsch und alte Geschichten thematisierte, um sich gegenseitig in die Bredouille zu bringen. Als er das Kanu vertäute, hörte er unerwartet ein beeindruckendes Scheppern, von einem Wehlaut gefolgt. "Hide?! Was ist passiert?!" Erschrocken steuerte er auf blanken Sohlen eilig sein Wohn-/Schlaf-/Büro-Modul an. Kaum hatte er die Türschwelle überschritten, traf ihn ein prall gefüllter Wäschesack in den Kniekehlen, ließ ihn nach vorne fallen. Bevor er sich wütend aufrappeln konnte, kauerte Hidekuni auf seinem Rücken, verdrehte ihm den gefährlichen linken Arm, legte ihm eine lockere Schlinge aus Angelschnur um den Nacken, die er mit dem linken Handgelenk verband. "Was zum Henker soll das?!" Schimpfte Beaumont zornig, bemühte sich vergeblich, sich auf die rechte Seite zu drehen, um sich zu befreien. "Du wolltest doch einen Krieger!" Ungerührt vertäute Hidekuni nach einigem Ringen auch das rechte Handgelenk. "Ich habe mich für eine Jagdtaktik entschieden: stell eine Falle und nutz deine Vorteile." "Das~das ist nicht fair!" Der Alligator keuchte, doch er erkannte die Aussichtslosigkeit seiner Lage. Das Katzen-Schwergewicht einfach vom Rücken schleudern stand nicht zur Debatte. So viel Kraft konnte nicht einmal er aufbringen. "Ich gleiche lediglich, und das aus Fairness-Gründen, meine Nachteile aus." Hidekuni wich und wankte nicht. Jetzt, da er Beaumont genau da hatte, wo der sein sollte, wollte er herausfinden, wie er sich selbst als Kater schlug. *~* Er hatte mit Unbehagen gerechnet, einem gewissen Unwohlsein, möglicherweise auch Schmerzen. Immerhin handelte es sich um eine Premiere, trotz gewisser günstiger Umstände. Zu seiner Erleichterung agierte Hidekuni ebenso entschieden wie umsichtig. SEIN kehliges Aufstöhnen erklang, als er zum ersten Mal in Beaumont eindrang, gefolgt von einem beinahe begierig zu nennenden rolligen Schnurren. "...oooh, das gefällt mir...!" Raunte er rau an Beaumonts Nacken, der sich ohne Armeinsatz kaum abstützen konnte, auf seine trainierten Beinmuskeln verlassen musste, die gerade von anderen Muskelpartien befremdliche, unbekannte Rückmeldungen erhielten. Die starken Arme, die ihn umklammerten, förmlich auf den Schoß des blonden Mannes zogen, präsentierten stolz ihre Fellzeichnung. Beaumont schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, rang nach Atem. Ein elektrischer Impuls jagte durch seinen Körper. Hidekuni lachte beutehungrig an seinem Ohr. "...das wird phantastisch, Beau..." *~* Gramps' lange Abwesenheit auszunutzen war durchaus vernünftig, eine gute Kriegslist. Sich so oft wie möglich in die vorteilhafte Lage bringen, auch. Die alten Angelschnüre lagen längst durchtrennt in einer Ecke, während sie beide der Leidenschaft frönten, Ekstase teilten. »Besser kann's nicht werden!« Entschied Beaumont befriedigt und erschöpft. Jetzt musste er nur noch ein wenig Glück haben. *~* Zunächst blieb es bei kindlichem Belauern: der "Erschreckte" nahm die empfangende Position ein. Ohne Absprache wechselten sie sich einfach nach Lust und Laune ab. Flitterwochen hätten nicht herausfordernder sein können, vorausgesetzt, man feierte jeden Tag die Nacht. "Ich hab jetzt genug von diesem Zirkus!" Beklagte sich Gramps grimmig nach einer Woche, in der er sich selbst recht häufig rar gemacht hatte. Seine krummen Finger platzierten einen Papierbogen zwischen zwei dezent übernächtigte Männer beim Frühstück. "Ich will keinen Widerspruch hören! Versautes Jungpack!" Damit stapfte er vor sich hin schimpfend und grollend nach draußen. Beaumont und Hidekuni wechselten einen verlegen-überdrehten Seitenblick, prusteten beide los. Der Alligator lächelte schließlich ernsthafter. "Und, willst du mich zum Richtigen erklären?" Hidekuni zwinkerte. "Üblich ist eigentlich ein halbes Jahr Probezeit." Schnurrte er, um in einen Ringergriff geklemmt zu werden. Er leistete keine Gegenwehr, sondern betrachtete Beaumonts vertraut-aparte Züge. "Bist du endlich bereit, mein Richtiger zu sein?" Erkundigte er sich verschmitzt. "Schätze, das war ich schon vor sechs Jahren, Katerchen." Konterte Beaumont keck, küsste die zum Protest geschürzten Lippen. "Bleib bei mir, ja?" Das Katzen-Schwergewicht verdrehte die meerblauen Augen, seufzte übertrieben. "Ich fürchte, aus reiner Nächstenliebe und Fürsorge werde ich wohl nicht mehr von deiner Seite weichen können. Sonst hältst du dich immer noch für den Größten!" "Sehr feinfühlig formuliert, Pussy-Kater!" Knurrte Beaumont, konnte die Lachfältchen nicht aus seinen Augenwinkeln bügeln. Hidekuni verzichtete auf eine weitere verbale Salve, legte die Hände um Beaumonts Haupt, dirigierte ihn zu einem sehr ausgiebigen, stummen Meinungsaustausch ins Parterre. *~* "Wir fahren zusammen, ich habe noch etwas zu erledigen!" Verkündete Gramps kategorisch, nötigte die beiden "verwöhnten Gören", ihn über den Lake Pontchartrain zu begleiten. "So!" Er drückte Hidekuni den großformatigen Umschlag in die Hand. "Prinz Zahlendompteur wird jetzt die Registratur füttern. Du kommst mit mir." Er krallte unmissverständlich Beaumonts Handgelenk. "Warte mal!" Protestierte der Alligator, unbehaglich auf die streitsüchtige Stimmung seines Urgroßvaters schielend. "So gut kennt Hide sich hier gar nicht aus!" "Humbug!" Schnarrte der alte Mann entschieden. "Geborene Pfadfinder, die Briten! Nationales Hobby, oder?! Also wird Fähnlein Blondschweif ja wohl in der Lage sein, das Büro der Madararui zu finden! Oder funktioniert sein Schnabel nicht mehr, hä?!" Konsterniert bemühte sich Beaumont um Bewegungsfreiheit. "Soll ich nicht lieber gehen? Ich bin schneller wieder..." "Oh, GENIALE Idee!" Fauchte Gramps. "In DEM Aufzug? Na, das wird die Pfeifen aber mächtig zur Arbeit anspornen!" Beaumont verfluchte seinen Reflex, an sich herunterzuschauen. Was war gegen ausgebleichte Cargohosen und ein Ringer-T-Shirt einzuwenden?! "Sir, ich denke, ich bin der Aufgabe durchaus gewachsen." Schmunzelte Hidekuni, um weitere Auseinandersetzungen zu verhindern. "Recht so! Da, der Knochen ist ein Walkie Talkie, Kanal ist eingestellt. Traue den blöden Smarties nicht!" Mit einem verkrümmten Fingern demonstrierte er knapp die Arbeitsweise, klopfte auf Hidekunis aparte Kehrseite. "Voran, aber flugs!" Hidekuni salutierte schneidig, zwinkerte Beaumont aufmunternd zu. Der knurrte unterdrückt, schickte sich aber drein. Was führte der alte Drachen jetzt im Schilde?! *~* "Wirklich, Gramps, könntest du nicht ein bisschen netter zu Hide sein?" Schnaubte Beaumont. "Wir leben schließlich alle zusammen!" In Kürze, wenn die Registrierung abgeschlossen war, galten sie in der gesamten Madararui-Gesellschaft als Paar. "Bin verdammt nett zu euch verdrehtem Jung-Pack!" Knurrte der alte Mann, beschleunigte jedoch bestimmt. "Dein Prinzchen hat sich auch nicht beklagt, oder?!" Beaumont grollte grimmig. "GENAU solche Bemerkungen meine ich!" "Ach was!" Gramps winkte ab. "Ist der Knabe jetzt dein Märchenprinz, oder wie?! Jammer nicht rum! So ne zarte Pflanze ist der Kater ja wohl nicht, wenn ich eurer Vögelei zuhöre!" Da half nur noch ein entsetztes Husten. "Ich bin zwar alt, aber nicht blöde und erinnere mich an Sex, du Schisser!" Feixte der alte Mann herausfordernd. Der groß gewachsene Alligator entschied, dass er JETZT unbedingt das Thema wechseln musste. "Sag mal, geht's dir nicht gut, oder warum stehen wir vor der Klinik? Du bist doch nicht krank, Gramps, oder?!" Eine Aussicht, die ihn sofort ernüchterte. Der alte Mann hielt inne, legte den Kopf schief, schnalzte nachsichtig mit der Zunge. "Wir sind nicht meinetwegen hier, Grashüpfer!" Es dauerte mehrere Augenblicke, bis Beaumont begriff, ungläubig keuchte, einen Schritt zurücktaumelte, sich mühsam fing. "Hast doch nicht gedacht, mir entginge was, oder?" Ein Schmunzeln kerbte tiefe Falten. "Los, du Held, abgefertigt werden wir immer noch drinnen!" Sein Daumen wies unmissverständlich auf einen fröhlich-bunt geschmückten Seiteneingang. *~* Kapitel 8 - Der Richtige Obwohl Hidekuni sich durchaus bemühte (keine besonderen Pfadfinderfähigkeiten beweisen musste, da man in einer Metropole auf Tourismus eingestellt war, weshalb sich aufschlussreiche Beschilderung fand), erregte seine Anwesenheit ungläubiges Staunen: korrektes Oxford-Englisch, dazu seine Ton in Ton gehaltene Bekleidung von Hose, geknöpftem Hemd mit Sommerhut und geflochtenen Halbschuhen, ein blonder Schopf mit meerblauem Katzenblick... Man kam sogar aus benachbarten Büros, um ihn zu bestaunen! Umständlich lange wurde seine Identität geprüft (unter Tuscheln), man suchte nach Spuren blauen Blutes (nicht zu erkennen), zermarterte sich das Gehirn, aus welchem unverständlichen Grund sich eine derartige Schönheit (mit allen weiteren geflüsterten Attributen) mit einem mutmaßlich dahergelaufenen Sumpfhocker zusammen tat! Hidekuni blieb höflich. Andere Vorgehensweisen versprachen schließlich keinen Erfolg. Er hoffte, dass seine beiden Begleiter sich ebenfalls in Geduld übten, ihm nicht grollten. Zumindest konnte er für sich verbuchen, dass sie alle notwendigen Unterlagen in perfekter Ordnung und vollständig im ersten Anlauf einreichten. Wenn sich jetzt noch die altersschwachen (PC-)Mühlen der Bürokratie ein wenig schneller drehen würden... *~* Gramps hatte keine Mühe, seinen zweiten, sehr elegant auftretenden Schützling sicher zu ihrem Aufenthaltsort zu lotsen. Glücklicherweise erwies sich der kleine Kater als gar nicht so unbeschlagen und ungeschickt im Alltag! Trotzdem huschte für einen Wimpernschlag ein schmerzvolles Zucken über das attraktive Gesicht, als Hidekuni das Klinikgebäude erblickte. Eine lebenslange, traurige Erinnerung, die eine kleine Narbe in seinen Leib und eine gewaltige in seine Seele gekerbt hatte. "Ich bitte um Verzeihung für meine Verspätung!" Eilte er mit langen Schritten zu den beiden Männern, die in einem von niedrigen Hecken und schmucken Büschen gesäumten Sitzbereich unter einem Laubengang gewartet hatten. "Ist alles in Ordnung?!" Der alte Mann feixte, da auch dieser Jungspund IHN nervös beäugte, als wäre er der einzige auf der Vormerkliste für Unpässlichkeiten und Blessuren! "Na, ich hoffe, Fähnlein Blondschweif, dass du dir den Weg zur Registratur gemerkt hast. Wirst da wohl in Bälde noch mal einlaufen müssen." Triezte er mit krächzendem Kichern. Hidekuni blinzelte verwirrt, suchte den tiefschwarzen Blick seines just eingetragenen Lebenspartners. "Verzeihung, aber ich verstehe nicht?" Beaumont brachte keine Silbe über die Lippen. Betäubt, benommen, begeistert, eingeschüchtert, ehrfürchtig, in einem Strudel widerstreitender Emotionen hin und her geworfen. Er nahm schlicht die gepflegte Rechte, presste sie auf seinen Unterbauch, morste blinzelnd mit beschlagenem Blick in die meerblauen Katzenaugen. Auch Hidekuni war sprachlos, trotz herabsackenden Unterkiefers. Wahrlich keine besonders beeindruckende Pose! Seine Linke zitterte, als er sie anhob, um hauchzart über eine straffe Wange zu gleiten, so vorsichtig, als könne er mit einer winzigen Ungeschicklichkeit den Zauber des Augenblicks zerstören und ein Unglück heraufbeschwören. Beaumont lächelte schief, räusperte sich erstickt. "Hast~hast doch nicht geglaubt, dass du mich so einfach auf die Matte schicken kannst, oder?" Der blonde Mann presste die Rechte auf seinen Mund, um aufwühlende Laute zu ersticken, die Katzenaugen überquellend mit Tränen. Die Gewalt seiner Gefühle zuckte durch seine Glieder, erschütterte ihn wie einen Krampfanfall. Es bedurfte keiner weiteren Aufforderung: Beaumont schlang die muskulösen Arme um seinen Richtigen, den Mann, für den er nichts unversucht ließ, hielt ihn fest und summte beruhigende Silben. Der Test, den er am dritten Tag des Klinikaufenthalts absolvierte, Hidekunis bodenlose Verzweiflung und Selbstanklage deutlich vor Augen, zeichnete ihn mit 86-prozentiger Erfolgswahrscheinlichkeit aus. In Verwendung eines gängigen, nicht personalisierten Standard-Wurms. Selbst die hormonelle Umstellung verlief ohne bemerkenswerte Nebenwirkungen. Da fehlte nur noch ein auslösender Streit, um sein geliebtes Katerchen blind dafür zu machen, dass hier der Spieß (nicht nur metaphorisch) umgedreht wurde. "Na los, Leute, schiebt ab! Gibt hier nichts zu sehen!" Gramps machte sich lautstark gallig bemerkbar. "Ist hier doch nicht Hollywood!" Energisch klappste er auch Beaumont auf die Hinterpartie. "Nun, Mommy, Gratulation, aber wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen, sonst fallen einigen noch die Glotzer aus ihrem Dummschädel!" Charmant wie stets und klüger als alle zusammen. *~* "Eigentlich is das Sache der Brauteltern!" Gramps zerlegte fachmännisch sein Krustentier. "Aber von der ollen Bande was zu erwarten, das kannste knicken!" Ein vernichtender Blick traf Beaumont, der sich nur ungern als "Braut" oder "Mom" etikettieren ließ. "Reden wir hier von deiner Enkelin?" Knurrte er spitz zurück, spießte wütend Gemüse auf. "Yepp, von deiner Mum, die dich hier wie n alten Putzlappen hat fallen lassen." Konterte Gramps bissig. "Hat sich nie mehr blicken lassen. Na, sparen wir ne Einladung." Die tiefschwarzen Augen duellierten sich über der Picknickdecke. Hidekuni, noch immer ein wenig angeschlagen, mischte sich tapfer ein. "Es mag vielleicht nicht den Regeln entsprechen, aber meine Väter würden ganz zweifellos gern die Hochzeitsfeier ausrichten. Sir, wenn sie sich mit Ihnen abstimmen, Sie Ihre Erfahrungen und Kontakte einbringen?" Gramps langte unversehens hinüber, packte Hidekuni an einem Ohrläppchen. Eine Erfahrung, die der noch nie gemacht hatte. "Urgroßvater!" Tadelte Beaumont entsetzt, ernstlich böse. Der alte Mann ignorierte die Empörung ungerührt. "Jetzt lausch mir mal, Prinz Blondie, und merk's dir! Du hast diesen ungezogenen Bengel an Land gezogen. Damit gehörst du jetzt zu unserer Familie! Ich red mit dir wie mit ihm!" Ein krummer Daumen visierte Beaumont an, dessen Miene Gewitter versprach. "Ich lass mir von euch Grünschnäbeln keinen Honig um den Zinken schmieren, verstanden?! Schluss mit diesem 'Sir' und dem Schmeichelkram!" Durchaus betroffen nickte Hidekuni eilig. "Ich bitte...ich meine, es tut mir leid! Ich werde zukünftig aufpassen." "Ja, das fehlt gerade noch, dass du genauso unverschämt schwadronierst wie der alte Knochen da!" Fauchte Beaumont mit blitzenden Augen. "Wird bestimmt lustig, Hides Familie zu erklären, warum wir nur zu zweit sein werden bei der Hochzeit!" "Qualität geht vor Quantität!" Feuerte Gramps streitlustig zurück. Wem das nicht passte, der konnte sich ja verziehen! Hidekuni, vom tadelnden Zugriff befreit, warf einen bekümmerten Blick von einem Vaudeville zum anderen. "Vielleicht habe ich einen unpassenden Zeitpunkt gewählt." Zog er seine Bitte beschämt zurück. "Hast du nicht!" Beaumont schraubte sich hoch, streckte Hidekuni die Hand hin. "Ich brauch ne Luftveränderung!" Damit zog er seinen blonden Lebensgefährten entschieden zum Kanu. *~* "Der alte Knochen macht mich manchmal wirklich wahnsinnig!" Knurrte Beaumont vergrätzt, tauchte mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms das Paddel in die trübe Brühe. Hidekuni lachte leise. "Amüsiert dich das?" Durchaus erstaunt warf der Alligator einen Blick über die Schulter zu seinem Geliebten. Das Katzen-Schwergewicht kniete sich, damit er die Arme eng um den muskulösen Brustkorb schließen konnte. "Weißt du, ich glaube, er hat einfach Angst, dass du dich veränderst. Das abstreifst, was dich geprägt hat, nur weil du annimmst, es wäre mir nicht zuzumuten." Hauchte er gute Vorsätze gefährdend sanft in ein Ohr. Beaumont, der einen eindeutigen Schauerregen erlebte, mit Wirkung besonders im Trans-Gürtel-Abschnitt, keuchte. "Aber...das tue ich doch gar nicht! Überhaupt, er MUSS doch nicht ständig so ekelhaft sein oder dir blöde Spitznamen verpassen!" "Solange er dich nicht dauernd Mommy nennt." Hidekuni schmuggelte souverän eine Hand unter den Hosenbund. Postwendend musste hastig das Paddel geborgen werden. "Fuchst dich schon, hmm?" Schnurrte das Katzen-Schwergewicht aufreizend. "Mommy und Prinzchen, das sind keine Ehrenabzeichen für einen richtigen Kerl, nicht wahr?" Ein den eindeutigen Handreichungen geschuldetes Stöhnen wollte sich nicht ersticken lassen. Beaumont knirschte mit seinem Raubtiergebiss. Um nichts in der Welt hätte er das Katerchen jetzt bei seiner Freizeitbetätigung gestört! "Die Ziehmutter meiner Halbbrüder, Karen, die ist ein ebenso harter Knochen wie dein Urgroßvater." Mit einer gelenkigen Zunge markierte Hidekuni rötlich-bräunliche Hautpartien an Kinn und Kehle. "Trotzdem habe ich alle Ferien, die ich schwer arbeitend in ihrem japanischen Landgasthaus verbracht habe, unversehrt überstanden." Beaumonts Fingerspitzen gruben sich fester in die Einfassung des Kanus. "Wir beide müssen uns darüber keine Sorgen machen, Beau, weil wir beide ganz Kerle sind! Mit Baby an Bord und knappen Seiden-Tangas, das kümmert uns doch nicht!" Er zupfte mit den Zähnen behutsam an einem Ohrläppchen. Zur Unterstützung feuerte er die Fanfare ab. Das entlockte Beaumont ein hingebungsvolles Ächzen. Er wandte sich ganz seinem geliebten Katerchen zu, das gerade ungerührt die Hand in das trübe Wasser stippte, um die feucht-sämige Ausbeute abzuspülen. Zärtlich streichelte er durch die dicken blonden Strähnen, lächelte in die meerblauen Katzenaugen. "Ich liebe dich." Hauchte er, dank des Blutmangels im Kopf nicht übermäßig errötend. ENDLICH waren ihm diese Worte über die Lippen gekommen! Kitsch hin oder her, das kümmerte ihn nicht mehr! Hidekuni zwinkerte, küsste ihn neckend. "Dieser Umstand ist mir bereits seit geraumer Zeit bekannt." Spulte er charmant-geschmeidig gehobene Phrasen ab. "Ich darf dir versichern, werter Gefährte, ich empfinde..." Beaumont fasste zu, fing als geübter Jäger die wenig fluchtbereite Beute ein, versiegelte die honigsüße Schmeichelquelle sowohl entschieden als auch sehr gründlich. Warum sollte er hier auch allein mit offener Hose herumsitzen?! Wollen doch mal sehen, wer hier wie oft und lange...!! *~* Hidekunis Väter, Maximilian Seymore und David Woodville, reisten eine Woche vor der geplanten Hochzeitsfeier an. Beaumont fühlte sich ein wenig unbehaglich. Trotz der Absprache vor sechs Jahren war er im Begriff, ihren geliebten Sohn fest an sich und dieses abgelegene Sumpfloch zu binden. Obwohl Hidekuni beste Chancen hatte, ein gehobenes, geachtetes Leben wie seine Väter zu führen. Außerdem hatte sein Katerchen nicht die gesamte Vorgeschichte ihrer scheinbaren Blitzverbindung enthüllt. Das konnte ebenfalls für atmosphärische Spannungen sorgen. Erstaunlicherweise gelang es dem noblen, distinguierten Maximilian, seinem Urgroßvater zahlreiche Konzessionen zwecks Ausrichtung des Festes abzuringen, sodass die "Bräutigam"-Eltern ganz untraditionell die Kosten übernahmen. Sie warteten in der Empfangshalle, einander an dezent klammen Händen haltend. Die beiden Männer im besten Alter erschienen so, wie man sie aus der Presse kannte: Maximilian im gedeckten Sommeranzug, selbstverständlich mit Kappe gegen die Sonne, sein Gatte in Bermudas mit schreiend gemustertem Hawaiihemd, Schlappen und einer verspiegelten Sonnenbrille auf dem Oberkopf. Er stürzte sich auch mit einem wilden Ruf auf Hidekuni, zog ihn in seine Arme, drückte ihn so kräftig, dass der jüngere Mann ächzte. Beaumont, seiner Stütze ledig, streckte zögerlich die Hand aus, um Maximilian zu begrüßen. Ein feines Lächeln zauberte zarte Fältchen in die Augenwinkel, rollte die Mundwinkel sanft nach oben. Auch er wurde recht robust in starke Arme gezogen. "Ich habe den Eindruck, dass wir dir das Glück unseres Jüngsten verdanken." Raunte eine kultivierte Stimme an seinem Ohr. Der Alligator brummelte verlegen, blinzelte nervös. "Vielleicht sollten wir erst mal ins Hotel fahren." Rettete er sich in Diensteifer. "Darf ich einen Teil des Gepäcks nehmen?" "Überanstreng dich bloß nicht!" Dröhnte David, seinen jüngeren Sohn unerbittlich umklammernd. "Du bist bereits ausgelastet, richtig?!" Seine freie Hand wies unmissverständlich auf die dezente Kugel unter Beaumonts legerem Hemd. "Dad!" Mischte Hidekuni sich hastig ein. "Ist das euer gesamtes Gepäck? Dann lass uns zum Taxistand gehen, okay?" Immerhin erweckten die vier attraktiven Männer schon Aufsehen genug. "Sehr vernünftig." Nickte Maximilian, schnappte sich Davids freies Handgelenk. "Sei so nett und geh mir zur Hand, ja?" Auf diese Weise konnte er auch Hidekuni loseisen, der verstohlen Beaumonts Hüfte streifte, ihm so versicherte, dass sie auf einem guten Weg waren. Zumindest vorerst. *~* "Was machstn schon hier? Ehekrach?" Gramps äugte von seiner Gazette auf, kaute geräuschvoll Kaugummi. "Hide wollte allein mit seinen Vätern reden." Antwortete Beaumont müde. "Er kommt später nach. Ich hab ohnehin noch zu arbeiten, sonst steigt mir Titane aufs Dach." Immerhin musste er die Zeit so gut wie möglich nutzen! In zwei Wochen datierte der prognostizierte Geburtstermin. Was Sazou zur spöttischen Prophezeiung veranlasste, er werde vor allem lange den Schlaf vermissen, bis er sich an Augenringe und Kurznickerchen gewöhne! Während er den Computer quälte, seinen unterschiedlichen Aufgaben gerecht wurde, fragte er sich, wie Hidekunis offenes Gespräch mit seinen Vätern verlief, wenn alle Karten aufgedeckt und unangenehme Wahrheiten ausgesprochen wurden. Auch die Fehlgeburt zur Sprache kam. Erstmalig. Er seufzte, rieb sich durch die schwarzen Haare. Wenn sie nur weniger dogmatisch und kategorisch als sein Urgroßvater wären! *~* Beaumont steuerte sein Kanu geschickt an den Pier, wo Hidekuni bereits wartete. Geschickt kletterte der blonde Mann mit wachsender Übung zu ihm, umarmte ihn dann fest, tief durchatmend. "Hide, ist alles in Ordnung? Geht's dir gut?" Erkundigte sich der Alligator erschrocken, streichelte über die muskulös-sehnige Rückenpartie. Das Katzen-Schwergewicht zog sich ein wenig zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen, die meerblauen Augen dezent gerötet. "Ja, mir geht es gut. Alles ist gut. Endlich." Er lächelte ein wenig zittrig, blinzelte, räusperte sich. Beaumont hob die Hand, um sanft durch die dicken Strähnen zu streicheln. Leise wisperte er. "Das war sehr tapfer von dir. Ich bin stolz auf dich." Hidekuni kicherte mit belegter Stimme. Er kokettierte unsicher. "Also bin ich nun dein Held?" "Selbstverständlich. Definitiv. Absolut und uneingeschränkt!" Bevor Beaumont artig weitere Superlative addieren konnte, versiegelte Hidekuni ihm zärtlich den Mund. "Fahren wir heim, ja? Ich bin ausgehungert!" Damit meinte er, wie Beaumont wenig später am eigenen Leib spürte, nicht nur die Sehnsucht nach Speis und Trank. *~* Beaumont betrachtete sich verstohlen im Spiegel, unterdrückte einen leisen Seufzer. Er fand, ganz still und heimlich, dass seine Gala-"Uniform" ein wenig gewagt, um nicht zu sagen, herausfordernd war. Die Lederhosen hatten nämlich einen geschnürten Latz, der mit silbrig gehaltenen Einsätzen seiner "Wohnkugel" für den kleinen Untermieter Rechnung trug. Das wirkte, wie er fand, ausgesprochen frivol. Die kurze Lederweste verdeckte da gar nichts. Sein Katerchen hatte gestrahlt, sich für dieses exzentrische Kostüm begeistert. Wie hätte er da persönliche Bedenken äußern können? Hidekuni hingegen trug Hosen und Weste aus Leinenstoff, in derselben Nuance gehalten wie sein Blondschopf. Ein im Bauernstil gefertigtes Hemd aus feiner, wollweißer ägyptischer Baumwolle ergänzte den Auftritt, der von einem kleinen Einstecktüchlein in der Farbe seiner Augen akzentuiert wurde. Sein freudiges, seliges Lächeln stellte jeden anderen Anwesenden in den Schatten! Gramps blieb trotz der beharrlichen Intervention der beiden Schwiegerväter dabei, seinen einzigen Anzug zu tragen, geschätzte fünfzig Jahre alt und gleichermaßen im Einsatz bei Beerdigungen und Hochzeiten. Dafür jedoch hatte er großzügig sämtliche Bekannten aktiviert, die gegen kleine Oboli Speisen lieferten, die Musik spielten, Zubehör verliehen... Und Walt dazu veranlasst, seine Lizenz zu erneuern, um das hübsche Paar rechtskräftig zu trauen! Es würde also keine vornehm-prächtige Hochzeit, wie sie in den elitären Kreisen üblich war, denen Hidekuni final entsagte, sondern eine wild-lautstark-bunt-bodenständige Feier. Lediglich die Madarames hatten sich entschuldigt. Dafür reiste Onkel Richard an, der Beaumont für einen Moment beiseite nahm, ihm statt einer Entschuldigung, weil der Jäger nicht wie der sprichwörtliche Leopard die Hosen gewechselt, sondern seine Beute für sich beansprucht hatte, abverlangte, er möge Hidekuni glücklich machen. Eine erreichbares, ständiges Ziel, wie der Alligator befand und immerhin Bestandteil ihres gemeinsamen, kurzen Gelöbnisses! Erleichtert nahm er nach der sehr launigen Rede von Walt aus den kleinen Händen von Soleil den schlichten Goldring entgegen, den er Hidekuni auf den Finger schob. Der seinerseits mit einem bezaubernden Lächeln Neige für dessen Ringbewahrerschaft entlohnte. Keck zwinkerte er Beaumont zu, der sich um feierlichen Ernst bemüht hatte, die eigene Aufregung beschämend fand, schlang ihm die Arme um den Nacken, küsste ihn neckend auf den Mund, bevor er ihre Nasenspitzen in Kontakt brachte. Sein Lächeln explodierte in Beaumonts Magengrube wie ein Feuerwerk in einem aktiven Vulkankrater. "Jetz geht der Spaß los!" Kommandierte Gramps lautstark, lockerte den Knoten der verschlissenen Krawatte. Wollten doch mal sehen, ob die alten Sumpfhocker diesen Elite-Burschen nicht die Butter vom Brot nehmen konnten! *~* "Wir sollten jetzt wirklich schlafen." Murmelte Beaumont, beteiligte sich aber an einigen Aufräumarbeiten. "Ich kann nicht, bin hellwach, zu aufgekratzt!" Verkündete Hidekuni wie aufgezogen, wirbelte hin und her. Der Alligator rieb sich die brennenden Augen, fing ein Handgelenk ein, schnappte sich seinen legalen Gefährten. "Gut, erst mal eine Dusche." Verhandelte er. So langsam nutzte sich der Effekt seiner Gala ab. Er hatte Blei in den Gliedern. "Oh, für unsere Hochzeitsnacht!" Hidekuni strahlte, während Beaumont innerlich aufstöhnte. Von Nacht konnte bald keine Rede mehr sein! Eigentlich wollte er bloß noch auf das Gesicht fallen, das Sägewerk in Gang setzen! Er überließ es Hidekuni, das Paddel zu schwingen, bis sie die Pontons erreicht hatten. "Und wenn wir schwimmen?" Das Katzen-Schwergewicht schien nicht kleinzukriegen zu sein! "Zu gefährlich." Bestimmte Beaumont. Bei schlechter Sicht wagten sich auch Alligatoren sehr nahe an menschliche Behausungen heran. Er übernahm die Initiative, Hidekunis Weste aufzuknöpfen, ihn aus seinem elegant-minimalistischen Kostüm zu schälen. Hidekuni hatte seinerseits weniger Arbeit. Lediglich die Schnüre waren zu lösen, da konnte man den Lederpartien entsteigen. Mit Regenwasser, Seife und Waschhandschuh bestrichen sie sich zärtlich, tauschten sanfte Küsse aus, immer in Kontakt miteinander. Tapfer offenbarte sich Beaumont schließlich, blonde Strähnen aus dem sanft geröteten Gesicht streichend. "Entschuldige, Katerchen, aber ich bin absolut erledigt." Hidekuni lächelte. "Ich werde großmütig sein und darüber hinwegsehen, wenn du etwas für mich tust." *~* Die Hängematte, seit einiger Zeit stets zu zweit genutzt, war durchaus gemütlich. Eigentlich hatte Beaumont nichts dagegen, dort nackt zu nächtigen, Hidekuni an ihn geschmiegt, halb auf seinen Brustkorb gekuschelt. Bloß war es schon ein klein wenig peinlich, seine wahre Seelengestalt zu enthüllen, um kollernd, tief aus dem Gedärm heraus, zu schnurren, wie es nur ein Drachen-Schwergewicht/Krokodil vermochte! Aber wenn sein Katerchen ihn darum bat, es die einzige Möglichkeit darstellte, doch noch zu ein wenig Schlaf zu kommen, opferte sich Beaumont entschlossen gegen sein Schamgefühl auf! *~* "Navigator, sind wir noch auf Kurs?" "Aye aye, Kapitän!" Bestätigte Neige artig, tippte sich mit zwei Fingern an die Schläfe. Nicht zu zackig, er wollte weder seinen schläfrigen Bruder Mirage (Rucksackbeutelbewohner) aufwecken, noch die kostbare Ladung vor seiner schmächtigen Brust in Aufregung versetzen. Er blickte vorsichtig zwischen die Stofffalten, aus denen ein winziges Gesicht mit dezent rötlich-bräunlichem Teint, einer Stupsnase und kobaltblauen Katzenaugen zu ihm hoch spitzte. Neige lächelte prüfend. Die winzige Nase krauste sich. Dunkelblonde Strähnen rahmten das Puppengesicht ein. Winzige Mundwinkel zuckten verschwörerisch nach oben. Sehr zufrieden mit dieser Entwicklung streichelte der kleine Junge mit einem Finger über die kleine Stirn. Im Moment war er ein sehr wichtiger, ja, vital importanter Mann, wie der Kapitän, Hide, zu betonen pflegte! Nicht nur für den korrekten Heimatkurs zuständig, den das Ruderboot halten musste (er fand es durchaus merkwürdig, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung zu sitzen, doch Hide erklärte es als traditionelle Fahrweise seiner ehemaligen Heimat und körperliche Ertüchtigung), sondern auch als Mannschaftsführer. Hinten den dezent schnarchenden Bruder auf dem Buckel und vorne seine beste Freundin, Savanna Victoria Vaudeville-Seymore. Sie war gerade erst ein halbes Jahr alt, hatte, auch als kleine Dame, Anspruch darauf, dass er ihr die für sie neue Welt artig erklärte, was er auch emsig, leise tat. Zwar versetzte ihm die Einschulung seiner Schwester Soleil einen heftigen Dämpfer (sie berichtete zwar launig über die Tagesereignisse, aber das machte die Kränkung nicht ganz wett), doch nun konnte er sich eines Privilegs erfreuen, das ihm nur wenige streitig machten! Savi, wie sie kurz genannt wurde, lächelte ihn nicht nur an, was sie erst jüngst gelernt hatte, sondern, wenn man sie ganz behutsam am unteren Nacken kraulte, schnurrte sie! Nur für ihn!! Für Neige stand damit fest, dass sie beste Freunde sein würden. Er würde auf sie aufpassen und sie beschützen, weil sie ja eine kleine Dame war. Ganz sicher nicht zurückweichen, wenn sie einer herumzuschubsen versuchte! DAS war ihm nämlich geschehen, als er Soleil begleitet hatte, um all die anderen Kinder zu sehen. Ein garstiger Angeber hatte ihn einfach umgestoßen und gedroht, er solle abhauen, das sei kein Ort für heulende Babys! Sehr sanft schaukelte Neige seine Mannschaft, behielt die Bayou-Landschaft im Auge. Am Ende geheult hatte der Schubser, mit nassen Hosen. Man durfte sich nicht alles gefallen lassen. Wie Mazou verfügte er über ein erstaunliches Temperament, das jedoch mit der Seelenruhe seines PaTi kombiniert, still und langsam köchelte, bevor es eruptierte. Savi und natürlich auch Mirage würde niemand drangsalieren, dafür stand er schon ein! Während leise die vom Ruder bewegten Wellen an die Bootswand schlugen, lauschte er auf ein kaum hörbares, sehr zufriedenes Schnurren. *~* "Miese Trödelei! Konntest dich wohl nicht losreißen, was?!" Gramps stampfte grimmig heran, jedoch nicht, um beim Ausladen der Einkäufe zu helfen. "Wo ist mein Mädchen? Hier, Kätzchen, komm zu deinem Opa! War doch bestimmt öde, die Einkauferei, hm?!" Hidekuni unterdrückte souverän ein unziemliches Grinsen, während er das Ruderboot vertäute, mit steigender Übung Einkäufe und Transportgut auf den Pontons aufbaute. Selbstredend dauerte das schlichte Einkaufen in Madisonville länger, weil er immer wieder angesprochen wurde, man Savanna Victoria bestaunen wollte, die so zierlich und dennoch perfekt wie ein Püppchen wirkte. Größere Sorgen hegte er selten. In der Reichweite von Gramps oder Neige, ihren konkurrierenden Kavalieren, konnte ihrer Tochter kaum etwas zustoßen. Außerdem baute ihre Existenz ihm Brücken zu den Herzen all der neuen Nachbarn, die ihm zunächst so reserviert begegnet waren. In ihm nur den lebensuntüchtigen, reichen, verwöhnten, blonden Prinzen mit seinem seltsamen Englisch sehen wollten. Durchaus vergnügt und in Vorfreude auf eine Überraschung begab sich das Katzen-Schwergewicht in die "Kombüse". *~* "Noch so n Rumtreiber!" Kommentierte Gramps das Anlegen des Kanus, blickte vorsorglich finster auf seinen Urenkel, damit der es nicht etwa wagte, seine Tochter von ihm einzufordern! Beaumont wusste hingegen um die Vergeblichkeit, das bezaubernde Kätzchen, das er auf die Welt gebracht hatte, seinem knurrenden Beschützer entführen zu wollen. Da genügte es nicht, sich Hände und Gesicht zu waschen, den Mund sorgsam auszuspülen, die Haare zu kämmen: ein Diktator hätte sich nicht schlimmer gebärden können! Er sammelte stattdessen Taschen und kleine Dokumenttonnen auf, Früchte seiner nicht enden wollenden Arbeit. Dem Geruch nach werkelte Hidekuni in der "Kombüse", was angenehme Unterhaltung und keine Laserblicke versprach. "Guten Abend, mein Held!" Schnurrte das Katzen-Schwergewicht beschwingt, ganz Maestro über Töpfen und Pfannen. Der Alligator umschlang eine athletisch-schmale Hüfte, stahl sich einen zärtlichen Kuss. "HmmHMMM!" Leckte er seine Lippen, doch es genügte nicht, das Magengrummeln zu übertönen. Hidekuni lachte. "So viel Vorschusslorbeeren noch vor dem Servieren?! Ich bin geschmeichelt! Da capo!" Grummelnd rieb sich Beaumont die flache Bauchdecke. "Ich bin nicht zum Essen gekommen! Dauernd was anderes." Seufzte er, umschmiegte rücklings seinen Gatten Mitleid heischend. "Ich bin gleich fertig." Besänftigte Hidekuni, strich mit der freien Hand über die muskulösen Unterarme um seinen Leib. "Solange unsere gemeingefährlich charmante Tochter Gramps umgarnt, haben wir auch ein wenig Ruhe." "Vollkommen vernarrt, der alte Knochen!" Brummelte Beaumont leise. Gelegentlich überraschte besagter Senior ihn mit erstaunlich gutem Gehör. "Magst du für mich abschmecken?" Verteilte Hidekuni munter die Aufgaben, zwinkerte Beaumont zu, der tatsächlich ein wenig arg beansprucht wirkte. Aber die Besten konnten es sich eben nicht aussuchen! Artig kostete Beaumont, leckte sich die Lippen. Es verblüffte ihn durchaus, wie schnell Hidekuni diese Aufgabe gemeistert hatte (und DAS mit britischer Küche als Basis!!) und wie viel Freude es ihm zu bereiten schien. Er warf einen prüfenden Seitenblick auf seinen geliebten Gefährten. "Bist du glücklich, Katerchen?" Jeden Abend stellte er diese Frage, Selbstverpflichtung, seinen Schwur immer zu bewahren. Hidekuni zwinkerte, küsste ihn recht ausführlich, bevor er ein wenig auf Abstand ging. "Sehr glücklich, mein Held! Du bist der Richtige, kein Zweifel!" Ebenfalls ein Ritual. Solange sie einander aufrichtig in die Augen sehen konnten, ihre unverbrüchliche Wahrheit. "Die lassen uns verhungern, die Bande! Faules Pack, deine Erzeuger, mein Mädchen!" Unisono verdrehten sich tiefschwarze und meerblaue Augen, tauschten beide Männer ein verschwörerisches Grinsen aus. Man konnte jede Wette eingehen, dass sich Gramps NIEMALS zuvor in seinem Leben so sehr um ein weibliches Wesen bemüht hatte! *~* "Sag mal, ob du wohl, also nur mal so nebenbei, über diese Berechnung...dieses Modell mit den Überschwemmungsgebieten...?" Beaumont tastete sich behutsam vor, während sie das benutzte Geschirr auflasen. Eigentlich wollte er Hidekuni ja nicht in seine eigene Arbeit hineinziehen, immerhin kümmerte der sich schon um den Haushalt, ihre Tochter und hatte diverse Ehrenämter übernommen, wollte dazu noch Prüfungen absolvieren, die ihn als Lehrkraft bestätigten. "Verflixte Modelle, hm?" Schmunzelte Hidekuni. "Also hättest du gern eine zweite Meinung von einem Zahlen-Verwüster?" "Nur, wenn es dir keine Mühe macht!" Beeilte sich Beaumont um Eingrenzung der Arbeit. Er wollte keinesfalls so wirken, als habe er mehr abgebissen, als er schlucken konnte! "Hmmm." Verhandelte das Katzen-Schwergewicht gedehnt. "Was ist dir meine Expertenmeinung mit AUSZEICHNUNG denn wert?" Der Alligator rieb sich das Kinn. "Ich übernehme den Abwasch und räume auf!" Ein Blick in die meerblauen Katzenaugen genügte, um hastig nach weiteren Offerten zu suchen. "Ich könnte...also...was möchtest du denn gern haben?" Schlauer Schachzug! Hidekuni zwinkerte, beugte sich zu Beaumont hinüber, um vertraulich dessen Ohrmuschel zu konsultieren. "Ich stelle mir als Bonus vor, dass du mich heute Nacht zu unserem Liebesnest begleitest, damit wir nicht aus der Übung kommen, wenn Savi gern Geschwister hätte." Beaumont lächelte erleichtert. "Das ist ganz sicher kein Problem! Der Handel gilt!" *~* Beaumont schmunzelte, als er seinen Urgroßvater im Schaukelstuhl, leise schnarchend, vorfand. Die übergeschlagene Decke schützte die kleine Ur-Urenkelin. In Reichweite lehnte an den Aufbauten ein Knüppel. Auf blanken Sohlen entfernte er sich, um zu Hidekuni in das Kanu zu steigen. Die beiden jungen Männer hatten sich, den Frieden und die Ruhe zu wahren, ein Floß mit Zelt konstruiert, abseits vertäut, vor tierischen Besuchern relativ sicher. Mit dünnen Matten und Decken ausgerüstet ein rustikales Liebesnest, wo sie miteinander gemeinsam allein sein konnten, um in Übung zu bleiben, falls die Produktion fortgesetzt werden sollte. Hidekuni stieg zuerst auf die schwimmende Plattform. Nacheinander entzündeten sich bunte Teelichter, warfen ihr Licht auf zahlreiche, große Blüten. Der Alligator konnte im offenen Zelteingang Kissen erkennen, Picknickdecke, die Kühlbox... "...oh...." Hidekuni lächelte ob der Verlegenheit, streckte einladend die Hand aus. "...es tut mir leid..." "Dass du den Liebes-Nationalfeiertag der Amerikaner komplett verschwitzt hast? Oder unsere Flucht nach deiner spektakulären Rettung meines Lebens vor sieben Jahren?" Beaumont kauerte schon auf den Knien, denn das Zelt blieb niedrig gehalten. Er konnte sich nur noch wie ein Wurm krümmen! Wie konnte man den Valentinstag so ignorieren?! Hidekuni lachte nun frei heraus, klemmte Beaumonts Nasenspitze kurz zwischen die Finger ein. "Nicht sehr aufmerksam, mein Lieber!" "Duuhd miä läiiid!" Näselte der Alligator geknickt. Auf allen Vieren kam ihm sein Katerchen entgegen, schnurrte aufreizend, die meerblauen Katzenaugen funkelnd. "Was muss dein Kerl tun, damit du ihn Sternchen sehen lässt, hm?" Grunzte er kollernd in einer erstaunlich guten Kopie seines Gatten. Beaumont grinste schief. Nicht nur Savi verstand es, ihre Bewunderer um den kleinen Finger zu wickeln oder dahinschmelzen zu lassen! Er nahm Hidekunis Rechte auf, küsste den Handrücken mit leichter Verneigung. "Lass mich jeden Tag dein Richtiger sein." Raunte er leise, legte sich die gekaperte Hand auf die Wange. Hidekuni schenkte ihm das Lächeln, das nur und ausschließlich ihm gewidmet war. Ein Versprechen, das mit einem zärtlichen Kuss besiegelt wurde: einander glücklich zu machen. *~* ENDE *~* Vielen Dank fürs Lesen! kimera