Titel: Revolution Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction Love Pistols/Sex Pistols (siehe Informationen) FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Erstellt: 20.07.2008 Disclaimer: "Sex pistols/Love Pistols" gehört Tarako Kotobuki. +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ +#~#+ Revolution Kapitel 1 - Der Auftrag "O'Neil, bewegen Sie Ihren schnuckeligen Hintern zum Boss, aber pronto!" Stuart O'Neil, jüngster Ermittler der westaustralischen Polizeikräfte und Spezialist für Wirtschaftskriminalität mittels moderner Informationstechniken, fletschte die kräftigen Zähne zu einem bärbeißigen Grinsen. Gloria Swanson, definitiv nicht verwandt mit der berühmten, amerikanischen Schauspielerin und Produzentin, blies ihm einen korallenroten Kuss zu, bevor sie sich abwandte, amusikalisch untermalt von den quietschenden Rollen ihres überlasteten Bürodrehstuhls. Kein Wunder, die gloriose Gloria, wie man sie hinter ihrem sehr breiten Rücken nannte, wog über 120 Kilo und konnte mühelos als Litfaßsäule Reklame machen. Ihre Hauptaufgabe, neben der blitzschnellen Verbreitung von Klatsch, bestand darin, Sekretariat und Nachrichtenzentrale, somit das Nervenzentrum des Polizeihauptquartiers des westaustralischen Bundesstaats zu präsentieren und ungeachtet ihrer mächtigen Persönlichkeit handhabte sie ihre Aufgabe mit Herzblut, Engagement und schier unzähligen unsichtbaren Tentakeln, die gleichzeitig die verschiedenen Kommunikationsgeräte bedienten. Gratis dazu gab es verbale "Streicheleinheiten" für das Kollegium. Stuart wischte sich rasch über die dunkelblauen Hosen, kontrollierte unauffällig sein hellblaues Hemd auf Schweißflecken. Er trug seine Uniform, weil eigentlich eine Razzia im Hafen geplant war, doch es hatte nun den Anschein, als wäre er nicht mit von der Partie. Mit langen, ruhigen Schritten marschierte er den Flur hinunter, ließ den Unterkiefer einmal kreisen, bevor er an der schweren Tür klopfte und unverzüglich eintrat. Sofort spürte er den Luxus der höchsten Amtsposition: die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren und verteilte beinahe frostig anmutende Luft. Augenblicklich registrierte Stuart feine Wasserperlen, die sich auf seiner Oberlippe und der Stirn sammelten, sichtbare Zeichen für die Anstrengung seines Körpers, den plötzlichen Klimawechsel zu verarbeiten. "Ah, O'Neil", gewohnt jovial winkte ihn der Polizeipräsident heran, stopfte geschickt seine Pfeife. Rauchverbote galten in diesem Büro definitiv nicht. "Setzen, setzen!", knurrte der bullige Mann mit dem weißen Haarkranz alarmierend aufgekratzt, deutete mit dem Mundstück einladend auf die stoisch wartenden Ledersessel vor seinem imposanten Schreibtisch. Stuart wusste aus Erfahrung, dass man in kürzester Zeit auf dem Leder klebte, um dann beim Aufstehen peinlich quietschende Geräusche auszulösen. Außerdem, zumindest galt das für ihn mit seinen Zwei-Meter-Körpermaßen, hockte man unangenehm gequetscht, die Ellenbogen in die Seiten gepresst und das Kinn beinahe auf den Kniescheiben. Wahre Foltermöbel! Trotzdem musste er der Aufforderung Folge leisten, faltete sich also artig zusammen und schickte sich ins Unvermeidliche. "O'Neil", dicke Rauchwolken quollen hervor und wurden in einem Sog zur Decke gezogen, "wissen Sie über Kagoshima Bescheid?" "Unsere Partnerstadt?", Stuart lupfte fragend die Augenbrauen. Was ging da vor? Wäre es klüger gewesen, Gloria vertraulich im Vorfeld um Auskunft zu bitten? "Genau!", nickte der Polizeipräsident majestätisch, musterte Stuart aufmerksam, der dem prüfenden Blick standhielt und abwartete. "Jaaaaaa", endlich, unerträgliche Ewigkeiten später ließ sich der ältere Mann zu einer Erläuterung hinab, "die Japaner, das ist ein interessantes Volk." Stoisch erwiderte Stuart den von Rauchwolken maskierten Blick. Eine gewisse Vorahnung drängte sich auf, doch er schob sie energisch beiseite, ließ sich nichts anmerken. Man lernte nicht mit Randall O'Neil Pokerspielen, wenn einem die Gedanken von der Nasenspitze abzulesen waren! "Tschaaaa!", verkündete sein oberster Vorgesetzter schließlich nichtssagend, aber energisch, lehnte sich vor, um eine einsame Aktenmappe aufzuklappen, nachlässig zu überfliegen, bevor er sie exakt um 180° drehte, zu Stuart schob. Der musste sich unbequem nach vorne kippen, um Interesse zu markieren. "Wir haben da so ein Austauschprogramm", wurde Stuart gleichzeitig akustisch zur Kenntnis gebracht, "also, international. Getty von der Sitte ist gerade in Miami, da hat sich das Innenministerium vom Außenministerium aufhetzen lassen, dass wir auch andere Kontakte besser pflegen sollten. Tja, und über Kagoshima gab's dann die Verbindung zu Tokio." Stuart lehnte sich langsam zurück. Jetzt benötigte er nicht mal mehr Ahnungen, um zu wissen, was folgte. "Tja, nun, also!", die Pfeife produzierte einen stark aromatischen Geruch, der sogar den Anstrengungen der Klimaanlage trotzte, "die Japaner wünschen einen Austausch von Kollegen, ein bis zwei Monate, hauptsächlich Internet-Kriminalität und dergleichen." Der gewaltige Drehstuhl schwenkte lautlos herum, ermöglichte seinem Inhaber einen berauschenden Blick auf das endlose Wasser jenseits des Hafens, "ich kann natürlich so eine Offerte nicht ablehnen, internationale Verwicklung, diplomatische Unerfreulichkeiten und so weiter, auch wenn wir nicht gerade üppig besetzt sind. Genelli und Porter kann ich nicht losschicken, die haben ja Familie, kleine Kinder. Eqho hat Urlaub und Frank hat's mit den Venen, keine langen Flüge, Sie wissen ja Bescheid." »Richtig«, dachte Stuart. Die Schar seiner Mitstreitenden für Recht und Ordnung war recht überschaubar, deshalb blieb die Auswahl für diese öffentlichkeitswirksame Aktion klein. "Und ich dachte mir, hey, dachte ich, O'Neil hat doch eine japanische Großmutter, richtig? Der Bursche ist jung, fähig und belastbar!", damit strahlte Stuart ein gelbes Pferdegebiss zustimmungsheischend an. Der richtete sich ein wenig gerader auf, auch wenn der Sessel seine Bemühungen nicht unterstützte. "Nun, stimmt, meine Großmutter stammt aus Japan, aber ich war noch nie da. Wir haben keine familiären Bindungen mehr", antwortete Stuart bedächtig. "Na, da können Sie ja nun neu anknüpfen, Wurzeln und so!", die Pfeife beschrieb einen vagen Halbkreis, wurde dann wieder vertraulich gesaugt, "wie auch immer. Wir wollen diesen Japsen beweisen, dass sie es nicht mit einem Haufen Strauchdiebe und Halsabschneider zu tun haben, die sich bloß an den Eiern kratzen und dumm aus der Wäsche gucken." Stuart unterdrückte ein Grinsen. Diese Ansprache hätte der Polizeipräsident sicherlich nicht vor Publikum gehalten und sie deutete darauf hin, dass er sich über etwas geärgert haben musste. "Ich sage Ihnen was, O'Neil!", das Mundstück der Pfeife richtete sich anklagend auf Stuart, "mir stehen diese vermaledeiten Snobs bis hier, und ich bin diese verdammten Briten gewöhnt!" Mit unerwartetem Schwung stemmte sich der ältere Mann auf die Beine, paradierte vor seiner kostspieligen Aussicht auf und ab, "diese Typen wollen mir frech kommen mit ihrer ach so uralten Geschichte, dabei weiß doch jeder, dass der Haufen von Chinesen und Koreanern durchmischt wurde! Die glauben, wir merken nicht, wenn sie uns verarschen wollen!" Nun klappte sich Stuart ebenfalls auseinander und in die Höhe. "Wo genau liegt das Problem?", erkundigte er sich wachsam. Gegen einen kurzweiligen Austausch hatte er keine prinzipiellen Einwände, doch irgendetwas ging hinter den Kulissen vor, und er wollte verdammt sein, wenn er nicht herausbekam, was es war! Ein Blick aus Adleraugen sezierte ihn kritisch, dann wurde die Pfeife ihrem Ständer auf dem Schreibtisch anvertraut, "O'Neil, das bleibt hier unter uns Chorknaben, aber ich habe da was läuten hören, als sei der wahre Grund für diese dämliche Austauschgeschichte keine PR-Aktion, sondern gewisse 'diplomatische Vereisungen' wegen Ermittlungen der Spionageabwehr." »W-O-W«, formulierte Stuart lautlos. Mit den Streitkräften und den militärischen Organisationen ihres Vaterlandes hatte er bislang noch keinen dienstlichen Kontakt gehabt. "Also, was soll ich tun?", die Frage musste nun eine Antwort finden. Den tumben Touristen aus Downunder spielen? Oder den kompetenten, scharfsinnigen Ermittler? "Die werden sich garantiert nicht in die Karten gucken lassen, verdammte asiatische Rätselhaftigkeit und dieser Scheiß", der Polizeipräsident knirschte hörbar mit den Zähnen, "also spielen wir das gleiche Spiel: Sie zeigen Ihnen das, was wir auch am Besuchertag unseren interessierten Mitmenschen präsentieren, und keine Unze mehr. Schützen Sie zur Not Verständigungsprobleme vor, Lost in translation usw.! Wenn's hart auf hart kommt, lassen Sie einen von unseren Fuzzis aus der Botschaft antanzen, der soll dann die Konversation übernehmen." »Na, DAS klingt doch nach einem netten Programm zur Völkerverständigung!«, subsumierte Stuart zynisch, wischte sich unauffällig mit dem Handrücken über die Oberlippe. "Werde ich allein reisen, oder bilden wir eine australische Mannschaft?", eruierte er die näheren Umstände von einer anderen Seite. Die Pfeife kam wieder zum Einsatz, wurde befeuert und leidenschaftlich gesaugt. "Keine Chance", nuschelte der Polizeipräsident, "außer dem Diplomaten-Gesocks vor Ort haben Sie keine Unterstützung. Soll ja wie ein freundliches Programm zur Verbesserung der internationalen Ermittlungsarbeit aussehen." Stuart unterdrückte ein Seufzen. Was er vom heutigen Japan wusste, beschränkte sich auf Menschenmassen, hochmoderne Metropolen und eine komplexe Schriftsprache, eine geschlossene Gesellschaft, die sich nicht leicht erschloss, nicht zu vergessen der gewaltige wirtschaftliche und finanzielle Einfluss. Wenn man's versaute, konnte man im großen Stil Ärger heraufbeschwören, so viel war ihm klar. "Wann geht's los?", schickte er sich drein, immerhin galten die Aussies ja als optimistisch und kämpferisch in schwierigen Situationen! "In zwei Tagen", nun plumpste der Polizeipräsident wieder in seinen Drehstuhl, schmauchte zufrieden vor sich hin. "Schnappen Sie sich die Unterlagen bei Gloria", erteilte er Anweisungen, "keine Sorge, O'Neil: als Nachfahren von Strauchdieben und Halsabschneidern sind wir mit allen Wassern gewaschen!" Stuart erwiderte das boshafte Grinsen durchaus amüsiert. +#~#+ "Is das wahr?", Glenns Stimme klang verzerrt über den Äther, statische Störungen knisterten im Lautsprecher. "Na, soll ich dir was mitbringen?", Stuart neckte seinen jüngeren Bruder entspannt, nippte an seiner gekühlten Ingwerlimonade und lehnte sich bequem in seinem Feldstuhl zurück. "Vielleicht für Gussie ne Kleinigkeit", brummte Glenn gewohnt nachdenklich und Stuart sah förmlich das Bild seines Bruders vor sich, der sich den unvermeidlichen Hut in den Nacken schob, das stoppelige Kinn kraulte. Gussie, eigentlich Augusta, war Glenns Frau und der umtriebige Dynamo ihrer kleinen Familie. "Ich seh, was ich machn kann", versprach Stuart grinsend. Als wenn er auf Reisen gehen und seine Familie nicht mit Souvenirs bedenken würde! "Haste Nana schon erreicht?", Glenn kaute auf irgendetwas, so klang es zumindest über Funk. "Poppa sagt, sie is rausgeflogen, so ne Mädeltour", erklärte Stuart, spülte mit Ingwerlimonade nach. Wahrscheinlich konnte er mit seiner Großmutter, die sie seit Kindesbeinen bloß Nana riefen, nicht mehr sprechen, bevor er in das ihm fremde Land der aufgehenden Sonne abhob. Wenn sie mit ihren Nachbarinnen zu einer Mädelstour abhob, dann konnte das durchaus eine Weile dauern, wenn man die verstreuten, kleinen Farmen in den Heartlands besuchte. "Meld dich eben über Satellit", schlug Glenn das Offenkundige noch mal vor, ein ehrenwerter Versuch seinerseits, eine Konversation auszudehnen. "Werd ich. Bis dann, Kumpel!", verabschiedete sich Stuart so herzlich wie lakonisch. Zwischen ihnen bedurfte es selten der Worte, man sparte lieber den Speichel und sprach durch Taten. Außerdem, wenn ihm der Sinn danach stand, konnte er auch in der Fremde seine Familie erreichen, denn alle Farmen, selbst im hintersten Outback zwischen Schafen und Steppengras, waren über Satellit mit dem weltweiten Netz verbunden. Wenn es mal mit dem Funk nicht klappte. Stuart leerte nachdenklich seine Flasche, rieb sich mit ihr über Stirn und Nacken, kühlte die Haut mit dem Kondenswasser. Die Temperaturen in Tokio wären vergleichbar schwül, das hatte ihm die meteorologische Auskunft verraten. Am Fußende des Feldbettes wartete bereits seine gepackte Tasche, im Rucksack daneben ragten Reiseunterlagen, das Ticket und sein Pass mit dem Sondervisum heraus. "Wenigstens muss ich die Mitbringsel nicht schleppen", fasste er halblaut seine Situation zusammen, angenehm erregt durch die Aussicht auf ein Abenteuer und ungeduldig, weil es nichts mehr zu tun gab, aber ein Aufbruch noch auf sich warten ließ. Er erhob sich aus seinem Feldstuhl, klappte ihn ordentlich zusammen und schob ihn in die Nische neben dem winzigen Schreibtisch, wo sich Funkgerät, Laptop und eine Mikro-HiFi-Anlage um den Platz stritten, dann sank er auf sein Feldbett, verschränkte die Arme bequem im Nacken, studierte das Lichterspiel der Stadt an der Decke, ein atmosphärisches Schattentheater. Was wusste er über die Familie seiner Großmutter? Würde man ihn vielleicht darauf ansprechen? Haruko Yoshida, das 'schöne Mädchen', war ohne Abschiedsblick aufgebrochen, bevor der Krieg die Welt verändert hatte, eine eigensinnige, zierliche Person, die sich weigerte, den ihr bestimmten Mann zu heiraten, sondern entschied, lieber in einem fremden Land mit einer unbekannten Sprache hart zu arbeiten, um unabhängig zu leben. Diesen unbändigen Freiheitsdrang besaß sie noch immer, selbst in fortgeschrittenem Alter eine attraktive Frau mit einer scharfen Zunge. Die Fünfzehnjährige hatte sich entlang der Eisenbahnlinien durch das Land gearbeitet, bis sie in York gelandet war, um dort bei der Schafzucht ihre Talente zu beweisen. John "Digger" O'Neil hatte sich sofort in die schöne Haruko verliebt, doch sie hatte sein Werben erst akzeptiert, als er von den Goldfunden, die ihm seinen Spitznamen verliehen, eine eigene Farm gekauft hatte. Ihr Großvater war vor der Geburt der Enkel gestorben, doch für ihre Nana war er der "einzige Kerl auf Erden, der begriffen hat, wie ich ticke." Dass es eine liebevolle, harmonische Beziehung gewesen sein musste, wurde Stuart immer dann klar, wenn er bemerkte, wie zärtlich sein eigener Vater, Poppa gerufen, mit ihrer Mutter Victoria umging. Er hatte offenkundig ein gutes Vorbild gehabt. Seine Eltern und die Großmutter lebten noch immer auf der Farm in der Nähe von York, beschäftigten sich mit vielerlei Dingen, die für ihren Lebensunterhalt sorgten. Sie liebten das Leben in der Abgeschiedenheit, in der auch Stuart aufgewachsen war. Glenn blieb den familiären Wurzeln treu, hatte eine der alten Farmen übernommen und züchtete dort Kamele und Strauße, die weniger anfällig waren als die Schafe, die mit der zunehmenden Versalzung der Böden nicht klar kamen. Außerdem engagierte sich die gesamte Familie in der Aufforstung und Renaturierung ihres geliebten Heartlands. »Ich bin als Einziger aus der Art geschlagen«, schmunzelte Stuart und senkte die Lider. Schon hatte er das Gefühl, die Hitze zu spüren, den kräftigen Geruch der Tiere zu riechen, die machtvolle Geräuschkulisse der Stille zu hören. Das Leben zu Hause unterschied sich gewaltig von seinem Alltag in Perth als Angehöriger der westaustralischen Polizeikräfte. »Ob ich es noch kann?«, fragte er sich müßig. Haruko hatte ihrem neugierigen Enkel ihre Muttersprache beigebracht, ein großes Geheimnis zwischen ihnen beiden. Würde es ihm nun helfen zu verstehen, was ihn in der Fremde erwartete? +#~#+ Durch genug Kaffee aufgeputscht, um eine Plantage zu leeren, bestieg Stuart am nächsten Abend eine Qantas-Maschine nach Tokio. Für die nächsten zehn Stunden würde er sich daran gewöhnen müssen, seine Mitmenschen um fast zwei Köpfe zu überragen, überall zu groß, zu breitschultrig und grundsätzlich zu exotisch zu sein. »Was soll's!«, zuckte er mit den Schultern, ließ sich vom Bordprogramm berieseln und versuchte, sich in die japanische Synchronisation einzuhören. Immerhin würde er sich bald in einer potentiell feindselig eingestellten Umgebung bewegen! +#~#+ Am Vormittag landete Stuart planmäßig in Narita, dem internationalen Flughafen von Tokio. Bevor er sein Gepäck auflesen konnte, wurde er von den anderen Reisenden, Geschäftsleuten und heimkehrenden Tourismus-Betreibenden, abgesondert, um seinen ständigen Begleiter in Tokio kennen zu lernen: Yukio Honda. Stuart verkniff sich jede halbherzige Annäherung an die Gepflogenheiten des Landes, streckte forsch die Hand zum Gruß aus und befleißigte sich einer besonders 'australischen' Aussprache. Yukio Honda, Polizeiinspektor, Mitte Zwanzig, eher zierlich gebaut, lief hinter der Nickelbrille unübersehbar rot an, fasste eingeschüchtert und darum recht zaghaft nach der kräftigen Hand und stotterte in steifem Schulenglisch eine förmliche Begrüßung. Mit einem Lächeln verbeugte sich Stuart leicht, versicherte, dieses Mal ausgesprochen bemüht, ein Standard-Britisch zu Gehör zu bringen, dass er sich über den Empfang freue und gern Yukios Bekanntschaft mache. Der musterte ihn immer noch nervös und gab Stuart auf diese Weise Informationen über seine wahre Seele, obwohl der sich betont zurückhielt, aber der Schreck schien stark genug gewesen zu sein, die übliche Selbstkontrolle zu überwinden. »Sieh an!«, registrierte Stuart nachdenklich, »ein Hund, Leichtgewicht vermutlich.« "Ich nehme an", füllte er die Gesprächslücke gelassen, "dass es üblich ist, Visitenkarten auszutauschen, aber meine sind leider im Diplomatengepäck gelandet. Ich hoffe, wir können das noch nachholen?" Er schenkte Yukio ein freimütiges Grinsen. Der verbeugte sich beinahe reflexartig und versicherte in seinem steifen Englisch, dass das selbstverständlich kein Problem darstelle und erbot sich, Stuarts Reisetasche zu tragen. "Oh, nich nötig, Kumpel!", antwortete ihm Stuart feixend, erprobte die Verständigungsmöglichkeiten, während er die Reisetasche zusätzlich zum Rucksack über einen Arm streifte. Ihm entging die verwirrt-nervöse Reaktion des jungen Polizeiinspektors keineswegs. »Sieht so aus, als hätte ich jede Menge Spielraum für 'Verständigungsschwierigkeiten'«, konstatierte er gelassen. Yukio ging voran, immer mit einem Seitenblick nach hinten, ob der hünenhafte Kollege aus dem fernen Perth nicht in der Menge verloren ging. Tatsächlich musste sich Stuart konzentrieren, das Heer der wuselnden Männer mit ihren schwarzen Schöpfen nach dem einen zu durchforsten, der ihn ungefährdet in das Innere der Metropole lotsen sollte. Es verhielt sich natürlich nicht so, dass alle Männer sich ähnelten; auch hier gab es krause Schöpfe, blondierte, gefärbte, Glatzen und hier und da exzentrisch toupierte Wellen, aber der Eindruck, in eine Armee gleichförmig gestalteter Arbeitsdrohnen zu geraten, wollte sich nicht abschütteln lassen. Beinahe dankbar lächelte er einem dunkelhäutigen Mann zu, der sich in einem merkwürdigen, amerikanischen Slang mit einer schrill blondierten Asiatin unterhielt. Sollte nicht eine Vertretung der australischen Botschaft am Flughafen warten? Suchend blickte Stuart um sich herum, doch niemand wirkte sein Heimatland repräsentierend. Dafür wartete direkt vor dem Haupteingang, zweifellos ein besonderes Privileg, ein gepanzerter Polizeiwagen. Zwei junge Männer in Uniform sprangen förmlich in Habachtstellung, salutierten mit starrem Gesicht. Aus einer Laune heraus beschloss Stuart, das dämliche Landei zu geben, klopfte ihnen auf die Schulter und schüttelte schwungvoll die Hände der vollkommen verdatterten Männer, die ihn weder verstanden, noch wussten, wie sie mit diesem merkwürdigen Barbaren umgehen sollten. Breit grinsend ließ sich Stuart, um sein Gepäck erleichtert, auf den Rücksitz sinken, versuchte die knappen Anweisungen zu übersetzen, die Yukio den beiden Beamten gab. Vorsichtig genug ließ der sich nicht dabei ertappen, das befremdliche Gebaren des Gastes zu erklären, hockte in seinem dunkelgrauen Anzug steif neben Stuart. Der konnte es sich nicht sonderlich bequem machen, denn der Fond war kaum geeignet für Männer seines Formats. Andererseits, wer seit früher Jugend Kleinflugzeuge und die ultraleichten Mini-Hubschrauber geflogen hatte, auf Kamelen ritt und in alte Grubentunnel kroch, der konnte auch mit einem beengten Rücksitz umgehen! "Eine atemberaubende Stadt!", bemerkte er jovial, "gewaltig, auch von oben!" Immerhin hatte er das Panorama im Anflug genießen können und für einen Mann, dessen Heimatstadt nicht mal 4.000 Einwohner zählte, war Tokio ein urbaner Albtraum. "Sagen Sie, Kollege, was ist das da?", aufs Geratewohl wies Stuart auf ein Gebäude in der Nähe. Daraufhin spulte Yukio das 'Tourismusprogramm' ab, indem er wie ein Automat die Sehenswürdigkeiten links und rechts ihrer Strecke in kurzen Worten erklärte. Stuart bemühte sich, genug Aufmerksamkeit vorzugeben, während er nach den zahlreichen, englischsprachigen Schildern Ausschau hielt. Man hatte ihm versichert, er werde auch ohne intime Kenntnisse der japanischen Schrift zurechtkommen. Davon war er nun keineswegs überzeugt und seine Sprachkenntnisse reichten bei weitem nicht aus, den Konversationen zu folgen, so viel stand für Stuart bereits fest. Nichtsdestotrotz, Strauchdiebe und Halsabschneider kamen schließlich überall zurecht, keine Sorge, Kumpel! +#~#+ Yukio Honda wischte sich zum wiederholten Mal die feuchten Handflächen an der Hose ab, so unauffällig, wie es ihm möglich war. Ihm schwante, dass es ein Fehler gewesen war, allein zum Flughafen zu fahren, um den unbequemen Australier abzuholen. Nichts in ihren Informationen hatte daraufhin gedeutet, dass der Mann Ende Zwanzig, der dort porträtiert wurde, eine derart BEDEUTSAME Person darstellte! Wahrscheinlich würde man ihm die Beleidigung anlasten. Yukio Honda verwünschte die ausweglose Situation und führte den riesigen Mann durch das Polizeipräsidium. +#~#+ »Sie haben's also doch nicht vergessen«, Stuart schüttelte eine weitere Hand, die erste, die sich ihm ganz automatisch entgegengestreckt hatte. Die Botschaft hatte einfach die Vertretung direkt zum Polizeipräsidium gejagt, dort konnte man ja erst mal nett plauschen und bereits die Gastgeschenke überreichen, die mit dem Diplomatengepäck eingetroffen waren. Wappen, Wimpel, Informationen auf Japanisch und einen Stoffkoala in der Uniform der westaustralischen Polizeikräfte: nicht sonderlich originell, aber immer gern von der Ein-Frau-starken Presseabteilung verteilt. Sidney Granger, der Vertreter der australischen Botschaft, ein rotgesichtiger Mann mit Spitzbauch und britischem Tropenanzug, psalmodierte im Diplomatenkauderwelsch, übernahm die Honneurs und versicherte unermüdlich, was für eine herausragende Chance die Vertiefung des Erfahrungsaustausches auf internationaler Ebene sei. Die Übersetzung seines gestelzten Vortrags übernahm ein überschlanker, undurchsichtig wirkender Vertreter des japanischen Innenministeriums, während die Angehörigen der Polizei-Elite unisono dezent nickten, beifällig Nichtssagendes murmelten. Stuart wünschte sich, der ganze Zirkus wäre schneller vorbei, diese lächerliche Scharade von blasierter Höflichkeit, die verdecken sollte, dass man von seiner Person einigermaßen konsterniert war. Das entlockte ihm ein heimliches Feixen. Grangers scheinbar beiläufiges Kompliment, dass sie einen fast gleichaltrigen Kollegen zum Flughafen gesandt hatten, war einer versteckten Beleidigung gleichgekommen, denn damit hatte man eine gewisse Geringschätzung des Gastes ausgedrückt, was zu einer merklichen Nervosität beigetragen und die Atmosphäre um einige Grade abgekühlt hatte. Endlich, kurz nach Mittag, löste sich die Gesellschaft auf. Stuart sagte zu, Granger am späten Nachmittag wegen einiger Formalitäten in der Botschaft zu treffen, folgte anschließend Yukio und dessen Vorgesetztem, dem Leiter der Abteilung für Wirtschaftsdelikte, zu ihren Arbeitsplätzen. Gendo Momose, der Leiter, machte auf Stuart einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits wirkte der Mann in den mittleren Jahren eher wie ein Profi-Sportler mit seiner dynamischen Ausstrahlung, der attraktiven Sonnenbräune und der eleganten Welle in den makellos schwarzen Haaren, andererseits spürte Stuart ein ungeniertes Studieren und Sezieren in jedem Blick. Gendo Momose hatte das Gebaren eines Machtmenschen, der sich unter einer Lackschicht von werbendem Charme verstecken wollte. »Nicht gut genug«, Stuart verschanzte sich hinter einem zähnestarrenden Grinsen. Seine Neugierde, unter jeden Stein zu sehen, war geweckt. +#~#+ Nach einem für Stuart ungewohnten Mahl in der großen Kantine des Hauptquartiers, das er ohne Scheu mit Besteck statt Essstäbchen bewältigt hatte, wurde ihm von Abteilungsleiter Momose sofort in Aussicht gestellt, dass er doch das liebe Kollegium über seine Tätigkeit bei den westaustralischen Polizeikräften informieren sollte, am Besten per Vortrag mit einer schicken Präsentation. Stuart unterdrückte ein Aufstöhnen, denn er sah sich schon in einem der stickigen, kleinen Büro-Kämmerlein, die man für Besprechungen nutzte, eingepfercht zwischen den bedrückend engen Wänden stundenlang am Computer herumbasteln, dem er erst beibringen musste, auf ein anderes Sprachsystem zu reagieren. Doch was half das stumme Klagen?! Es war ja schließlich seine Aufgabe, für Aufklärung zu sorgen, oder nicht? Yukio stattete ihn artig mit einer kleinen Nische im Großraumbüro aus, in dem erstaunlich arktische Temperaturen vorherrschten, händigte ihm mit großer Geste einen winzigen Laptop aus, den man eigens vorbereitet hatte, damit der fremde Gast sich leicht zurechtfand. Außerdem konnte Stuart auf ein elektronisches Wörterbuch zurückgreifen, das die Verständigung und Übertragung ihres spezifisches Vokabulars unterstützte. Zusammengeklappt wie ein Liegestuhl hockte Stuart artig in seiner Nische, entwickelte erste Anflüge einer ausgewachsenen Klaustrophobie, malte altmodisch auf seinem Block herum, wer ihm in welcher Funktion vorgestellt worden war, unterstützt durch die eingesammelten Visitenkarten. Er zog Verbindungslinien zwischen Namen und kontemplierte, was man ihm gesagt und was er gehört hatte. Das unterschied sich durchaus. Die Kollegen hier waren alle nervös, Abteilungsleiter Momose ausgenommen. Offenkundig erwarteten sie, dass es eine schwierige Mission werden würde, einen Monat lang diesen lästigen Australier zu babysitten. »Fragt sich bloß, warum?«, Stuart malte ein Fragezeichen aus, weit entfernt davon, seinen Vortrag vorzubereiten. Was waren das für Verwicklungen? Hatten sie etwas mit ihrem Einsatzgebiet zu tun? Oder ging es um mehr? Entschlossen erhob er sich, darum bemüht, nicht versehentlich etwas zu Boden zu reißen oder die Nachbarnische in starke Vibrationen zu versetzen. "Tschuldigung, Kollege, aber wär's für Sie okay, wenn ich kurz bei der Botschaft vorbeischaue?", wandte er sich mit betont breitem Australisch an Yukio, der für einen Moment entsetzt und verängstigt wirkte. Eilfertig erhob der sich, bereit, den unangenehmen Fremden zu begleiten, doch Stuart beging absichtlich den nächsten Fauxpas, indem er Yukio an einer Schulter wieder auf den Bürodrehstuhl drückte. "Nich doch, ich schaff das allein, keine Sorge, Kumpel!", versicherte er treuherzig, "warum treffe ich Sie nich später hier? Vielleicht können Sie mir gefällig sein und herausfinden, ob ich das nette Spielzeug da auch ausleihen kann?" Mit dem Daumen wies Stuart hinter sich, wo der winzige Laptop vereinsamt auf dem Schreibtisch ruhte. "Selbst-selbstverständlich werden wir Ihnen den Computer zur Verfügung stellen", krächzte Yukio, sichtlich bemüht, eine steife Distanz aufrechtzuerhalten. Stuart vermutete, dass er den zierlichen Japaner mit der Unterstellung beleidigt hatte, man würde ihm den Computer nicht anvertrauen wollen. "Prächtig!", dröhnte er unerschrocken, klopfte Yukio schwungvoll auf den Rücken, "so n schnuckliges Ding haben wir bei uns nich!" Das entsprach sogar der Wahrheit, da es für ihre Zwecke zu schmal und zierlich war, vermutlich nicht gern im Außeneinsatz mit Flugsand und großer Hitze in Kontakt kommen wollte. Obwohl Yukio sich wacker mühte, war Stuart nicht von seinem Vorhaben abzubringen, sich allein bis zur australischen Botschaft durchzuschlagen. Was sollte schon schiefgehen? Immerhin hatte er nun eine dieser Chipkarten, mit denen man im Untergrund durch die Schleusen marschieren konnte. Wenn man denn herausfand, welche Linie zum gewünschten Ziel führte! Ausgerüstet mit der Beschreibung studierte Stuart sorgsam die Zeichen, verglich sie mit dem labyrinthischen Streckenplan und entschied sich gemächlich für eine Option. Er hatte bereits amüsiert festgestellt, dass NIEMAND einen zwei Meter großen Hünen drängte, nicht mal in den Stoßzeiten. Er quetschte sich in ein Abteil, immer darauf bedacht, sich nicht den Schädel einzuschlagen. Scheinbar war er wirklich zu groß für diese exotische Welt! Stuart zählte die Haltepunkte ab, strengte sich an, die melodischen Anweisungen zu verfolgen und ignorierte die durchaus neugierigen Blicke, vor allem der jungen Frauen. Im Strom der Pendelnden ließ er sich wieder an die Oberfläche schwemmen, blickte sich suchend um und konsultierte erneut die Anweisungen auf der Rückseite der Visitenkarte, dann marschierte er entschlossen voran, stellte in Gedanken eine Liste auf, die es abzuarbeiten galt. Wichtig war es, sich die einheimische Währung zu besorgen, um ein Beispiel zu nennen. Anschließend wollte er sich auch noch bei seiner Familie melden. Zuvorderst musste er jedoch in Erfahrung bringen, was hier gespielt wurde. +#~#+ "Ah, O'Neil! Schon Heimweh?", Granger begrüßte Stuart feixend, winkte ihn zu seinem überfüllten Schreibtisch heran. Stuart schenkte sich eine Antwort, ließ sich in den Sessel fallen, der ihn erfreulicherweise nicht zu einer kauernden Haltung zwang. "Wo haben Sie Ihren wieselflinken Begleiter gelassen?", Granger gefiel sich offenkundig in der Rolle des Animierenden für abgeschmackte Anspielungen, wie Stuart gelinde gelangweilt feststellte, doch wenn man sich weigerte, die Bühne für dieses Schmierentheater zu geben, würde sich dieser Pflichtbesuch hoffentlich rasch erledigen! Kommentarlos musterte er Granger, der schließlich die Nachricht dechiffrierte und übergangslos zum geschäftlichen Teil kam. Er schob Stuart einen USB-Stick zu, "benutzen Sie das da, wenn Sie mit der Heimat Kontakt aufnehmen wollen. Es verschlüsselt die Nachrichten und wählt sich auf einem Server ein, den wir betreuen und der sich auf dem Botschaftsgelände, somit exterritorial befindet. Glauben Sie mir", das rote Gesicht zeigte eine verkniffene Miene, "Sie stehen unter Beobachtung." Stuart verstaute den USB-Stick in seiner Hosentasche, fokussierte sich auf seinen Gegenüber. Diese Fähigkeit, sich vollkommen und alert konzentrieren zu können, gleichsam wie ein Brennglas das Objekt seiner Aufmerksamkeit zu durchleuchten, trug nicht unwesentlich zu seinen Ermittlungserfolgen bei. Wenn er endlich den Verdächtigen gegenübersaß. "Worüber sprechen wir hier eigentlich?", hakte er geduldig nach. Er bezweifelte, dass Granger ihm Details geben würde, doch allein die generelle Richtung reichte ihm bereits aus. Dieser kramte auf seinem überquellenden Schreibtisch herum, bis er endlich eine zerdrückte Packung Kaugummi ausgegraben hatte. Er bot Stuart einen Streifen an, doch der lehnte ab. Nachdem Granger umständlich den Kaugummi ausgewickelt hatte und energisch in seinem Mund massierte, beantwortete er weit zurückgelehnt Stuarts Frage, "es geht um Wirtschaftsspionage. Und mehr als das." Stuart lupfte sparsam eine Augenbraue. Granger erhob sich aus seinem Bürodrehstuhl, paradierte in seinem Büro auf und nieder, was Stuart an den eigenen Vorgesetzten erinnerte. Offenkundig half Bewegung, wenn man schlechte Nachrichten an andere delegierte. "Wir haben angefangen mit Burgen, Wassergräben und Fallgruben. Dann steigerte sich alles bis zum Kalten Krieg", dozierte Granger düster, "aber der nächste Krieg tobt schon längst und er wird elektronisch ausgetragen. Über winzige Krieger, Trojaner, Bits und Bytes, weil alles vernetzt ist, Videokameras, Web-Kameras, Zugangssysteme, Alarm- und Sicherheitssysteme, alles durch Software gesteuert. Die kann man infiltrieren, verändern, ganze Systeme kapern." Er blieb neben Stuart stehen, beugte sich vor, eine Hand auf Stuarts Schulter, "Sie wissen, was ich meine. Wer heute viel Geld in Forschung investiert, muss vor allem sicherstellen, dass die Ergebnisse nicht an andere weitergegeben werden, wenn man den Einsatz nicht verlieren will. Wir reden hier nicht von Kleinkram wie Spam oder Phishing. Es geht um wirklich große Geheimnisse." Das schmeckte Stuart gar nicht, es klang zu sehr nach James Bond. Oder der Matrix. "Reden wir hier über militärische Geheimnisse oder was?", erkundigte er sich bissig. DAS war selbst für ihn eine Nummer zu groß. "Keine Angst!", Granger klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter, "diesen Part übernehmen andere. Unsere Abwehr, um präzise zu sein. Aber es geht auch um die scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten. Unsere Taktik, um den physischen Lagerstätten bestimmter Daten oder der Software auf die Spur zu kommen. Wie man mit verschlüsselten Übertragungen umgeht. Kurz gesagt: sie wollen herausfinden, wie wir unsere Erfolge erreichen." Das mochte durchaus ein vitales Interesse sein, aber Stuart schluckte diese simple Erklärung nicht. "Wir reden hier nicht von einem Schwellenland, sondern von einer führenden Nation in Sachen Technik und neue Medien", hielt er Granger vor, "warum sollten ausgerechnet die Japaner darauf angewiesen sein herauszufinden, wie wir auf die Jagd gehen?" "Ich schätze", Granger verschränkte die Hände auf dem Rücken, "DAS sollen Sie herausfinden. Könnte doch sein", er grinste listig, "dass sie jemanden oder etwas suchen, den/die/das sie mit ihren Methoden nicht aufspüren konnten?" Nachdenklich schälte sich Stuart aus dem Sessel, tastete unwillkürlich nach dem USB-Stick in seiner Tasche, "kann ich von hier aus meine Familie kontaktieren?" +#~#+ Ausgerüstet mit einer Liste wichtiger Kontaktadressen wanderte Stuart zurück zum Bahnhof, wo er zunächst seine Barschaft umtauschte, sich der Herausforderung stellte, an einem der allgegenwärtigen Automaten etwas zu trinken zu flippern. Er wischte sich über die Stirn und wünschte sich, seinen zuverlässigen Rindslederhut nicht in der Reisetasche verstaut zu haben. Wie konnten die Japaner das bloß aushalten? In den Gebäuden und der Bahn wurde bis an die Fröstelgrenze gekühlt, während man unter freiem Himmel mit hoher Luftfeuchtigkeit und nahezu tropischen Temperaturen konfrontiert wurde. Beinahe fühlte sich Stuart wie der berühmt-berüchtigte Crocodile Dundee, der sich ja auch entschlossen hatte, lieber auf seine gewohnte Lebens- und Bekleidungsweise zurückzugreifen, denn genau das plante er jetzt auch. »In was für eine verdammte Schlangengrube bin ich da geraten?!«, Stuart nahm einen weiteren Schluck grünen Tees aus einer Dose, musterte mit einem Seitenblick den Rückgabeautomaten. Er musste in Ruhe über die Situation nachdenken, doch zweifelsohne erwartete ihn Yukio bereits im Polizeipräsidium. "Prächtig", brummte Stuart, ignorierte das schrille Quietschen einiger Teenager, die ihn offenkundig für eine Sensation hielten. Er durfte den Stress dieser Menschenmassen und der undurchsichtigen Situation nicht an sich heranlassen, sonst würde er unweigerlich Fehler begehen, also wappnete er sich für die bevorstehenden Herausforderungen, fütterte unfallfrei den Rückgabeautomaten und drängte sich wie ein Klippfisch in die Pendelndenmassen unter die Erdoberfläche. Abgezählte Stationen später, eingepfercht zwischen uniform gekleideten Büroarbeitenden, hatte sich Stuarts Zuversicht wieder eingefunden. Immerhin hatte er schon ohne größere Katastrophen seine Ziele mit der U-Bahn erreicht, ausreichend Bargeld umgetauscht und seine Familie elektronisch über die erfolgreiche Ankunft informiert! Als er in das Polizeipräsidium eintrat, hielten ihn zwei uniformierte Frauen auf, verlangten seinen Ausweis zu sehen, höflich, aber bestimmt. Artig kramte Stuart den Ausweis hervor, den Yukio ihm ausgehändigt hatte, nahm die in stockendem Englisch vorgetragene Belehrung geduldig hin, dass er seinen Ausweis aus Sicherheitsgründen stets sichtbar zu tragen hatte, dann durfte er sich mit dem Aufzug an den Aufstieg machen, wo ihn Yukio bereits beim Aussteigen empfing, sichtlich besorgt, der eigenwillige Strauchdieb hätte sich bereits am ersten Tag seines Aufenthalts Schwierigkeiten eingehandelt. Stuart blendete sein harmlosestes Landei-Grinsen auf und schwärmte ungeniert in seiner Muttersprache von der Großstadt. Er erkannte genau, wie schwer es Yukio fiel, verständliche Informationen zu übersetzen, registrierte die mühsam unterdrückte Verzweiflung. "Wie steht's mit Feierabend?", beendete er schließlich die Qual des zierlichen Japaners, verzichtete auf ein übertriebenes Schulterklopfen. "Natürlich", Yukio verneigte sich erneut leicht, versorgte Stuart mit dem winzigen Laptop und einem Mobiltelefon, bevor er sich von seinen Kollegen verabschiedete, die zerstreut den Gruß erwiderten. Stuart verzichtete auch dieses Mal bestimmt darauf, dass Yukio ihm sein Gepäck abnahm, schulterte Rucksack und Reisetasche und folgte seinem 'Wachhund' aus dem Polizeipräsidium zum nächsten Bahnhof. Yukio erklärte ihm, dass er in einem Wohnheim für ledige Polizeiangehörige übernachten würde, er selbst sei ebenfalls dort untergebracht, allerdings müsse man die Linie zweimal wechseln. Mit einem breiten, unbekümmerten Grinsen kommentierte Stuart diese Erklärung. Er hatte nicht erwartet, dass man ihn in einem Hotel unterbrachte. Wenn sie mal Delegationen aus anderen Bundesstaaten oder gar Ländern zu Besuch hatten, dann war es Ehrensache, dass sie bei den betreuenden Mitarbeitenden und dessen Familie lebten. Hier, im Land der Wohnkäfige wie Hühnerbatterien, konnte man das selbstverständlich nicht erwarten. Während der Bahnfahrt, die Stuart vollkommen damit in Anspruch nahm, sich Stationen und typische Erkennungsmelodien zu merken, schwiegen sie beide, dennoch entging es Stuart nicht, wie Yukio ihn von der Seite musterte. »Was für ein Problem hat er mit mir?«, fragte er sich nachdenklich, »liegt es nur daran, dass ich ihm aufgehalst worden bin? Ist es etwas Persönliches? Oder steckt da diese merkwürdige Geschichte dahinter?« Das Wohnheim erwies sich als weiterer Hochhausblock in einem gleichförmigen Komplex von Wohntürmen. Yukio stellte Stuart am Empfang vor, präsentierte den Ausweis, den Stuart bereits im Polizeipräsidium vorzuzeigen hatte, damit man sich an der Pforte auch seiner erinnerte, führte ihn dann zu den Aufzügen. Nach Einheiten getrennt waren die Stockwerke aufgeteilt, je höher man kam, umso besser wurde die Aussicht, weshalb sich die Elite unter dem Dach einquartierte. Yukio signalisierte ihren Ausstieg in mittlerer Höhe. Er machte Stuart mit der winzigen Teeküche bekannt, in der es lediglich Heißwasserautomaten und Mikrowellen gab, zeigte ihm die Funktionsweise der gewöhnungsbedürftigen Hightech-Toiletten und Duschen, erläuterte den Service der hauseigenen Wäscherei im Untergeschoss und überzeugte sich noch einmal höchstpersönlich, dass Stuart sich in dem winzigen Zimmer zurechtfand. "Wirklich sehr hübsch, Kollege!", versicherte Stuart treuherzig, pickte eine laminierte Karte auf, die einen Querschnitt des Hauses zeigte und auf das Angebot der Verkaufsautomaten im Untergeschoss aufmerksam machte. Für einen Monat würde es sich wohl aushalten lassen, beschloss er stumm, verabschiedete Yukio, der ein Stockwerk tiefer hauste. Angesichts der festgelegten Zeiten, in denen das Duschen erlaubt war, um nicht mit den anderen Mitbewohnenden des Stockwerks einen Stau zu verursachen, entschied sich Stuart, gleich unter die Dusche zu springen, nachdem er die einschüchternd moderne Toilette aufgesucht hatte. Die Haare noch feucht, aber endlich bequem in Jeans und T-Shirt gehüllt, die Klimaanlage auf ein erträgliches Maß eingestellt kramte Stuart Münzen zusammen, die er konzentriert studierte. Er lud sich selbst zum Abendessen ein, fuhr mit dem Aufzug in das Untergeschoss, den Ausweis lässig an eine Hosentasche der Jeans geheftet. Hier gab es keine zweisprachigen Hinweise, doch genügend Bilder, die dafür sorgten, dass Stuart sich einen Plastiknapf mit einem Nudelgericht erstand, einige dubios aussehende Riegel als Nachtisch flipperte und mit der Ausbeute wieder in sein Stockwerk zurückkehrte. Sein Erscheinen löste auch hier kaum verborgene Neugierde aus, sodass er jovial grüßte, breitbeinig den Gang entlangspazierte, bis er die Teeküche erreichte, sich dort einreihte, bis er die Gelegenheit bekam, mit heißem Wasser das Trockenfutter im Napf in eine genießbare Masse zu verwandeln. Da niemand zu einem Schwätzchen aufgelegt schien, balancierte Stuart den Napf zurück in sein Zimmer, pflückte die Riegel aus seinen Taschen und schaufelte hungrig sein Abendessen in den Mund. »Wichtig!«, ermahnte er sich, »Yukio fragen, wo man günstig und gut essen kann!« Denn eine Diät mit diesem Trockenfutter, das würde er keinen Monat aushalten können! Anschließend stopfte er den USB-Stick in den winzigen Laptop, beobachtete die Veränderungen, die die enthaltene Software verursachte. Erwartete man wirklich von ihm, dass er verschlüsselte Nachrichten nach Hause schickte? Doch welche und an wen? Nachdenklich rieb sich Stuart das Kinn, löste den USB-Stick schließlich und legte ihn beiseite. Seinen Vortrag, den er nun vorbereiten musste, den würde er nicht verschlüsseln! +#~#+ Am nächsten Morgen spürte Stuart die Nachwirkungen der Kaffee-Orgie und den Jetlag. Er hatte sich gewissenhaft vorbereitet, war deshalb erst spät auf die Matratze gesunken, die Füße über das Bettende hinausragend. Nun, obwohl es für seine Verhältnisse recht spät war, da sie die morgendliche Kühle gern ausnutzten, fühlte er sich ausgelaugt und nicht auf der Höhe, das galt es jedoch tunlichst zu verbergen. Yukio begleitete ihn nun auf Schritt und Tritt, hatte sich merklich gefangen. Wenn er über die Qualität des Vortrags enttäuscht war, zeigte er es nicht. Stuart dagegen bemerkte überrascht, dass auch Abteilungsleiter Momose sich zur Anwesenheit herabgelassen hatte. War es für die Untergebenen zweifellos ein Pflichtbesuch, so hätte er doch nicht vermutet, den undurchsichtigen Vorgesetzten im Publikum zu sehen. Absichtlich hatte er sich auf die 'kleinen' Fische beschränkt, mit denen sie sich befassten, allgemeine Beispiele benannt, die man auch den Laien zum Tag der Offenen Tür präsentieren konnte, Vorsichtsmaßregeln für den elektronischen Kommunikationsverkehr aufgezählt, die wohl jede/r/s herunterbeten konnte. Er wartete nun geduldig darauf, dass jemand sich die Blöße gab, nach den Dingen zu fragen, die tatsächlich für seine Gastgebenden von Interesse waren, doch niemand hakte nach. Stattdessen befleißigten sich die Zuhörenden artig darin, die offenkundigen Parallelen zur eigenen Vorgehensweise zu bekräftigen. »Fein!«, konstatierte Stuart, »auch gut.« Wenn niemand intime Details erfragen wollte, konnte er auch gut damit leben, einen Monat in der Fremde zu verbringen, ohne auf irgendwelche unerfreulichen Angelegenheiten von internationaler Tragweite zu stoßen! Beim Mittagessen erkundigte sich Stuart nach Möglichkeiten, wie und wo er in der Nähe ihrer Unterkunft essen gehen konnte, und auch, welche Souvenirs es von Tokio gab, die man nach Hause mitbrachte. Yukio erbot sich, ihn zu begleiten und die Verhandlungen zu übernehmen. Er riet dazu, in den entsprechenden Geschäften, die sich auf Souvenirs aller Art spezialisiert hatten, gleich den Auftrag des Versandes in die Wege zu leiten. Das erspare den unbequemen und kostspieligen Transport über den Flughafen und den Zoll. Bereitwillig akzeptierte Stuart den Vorschlag, staunte über die bereits perfekt zusammengestellten Souvenir-Kisten, entschied sich für eine Auswahl mit Lebensmitteln, die als Spezialitäten der Region galten. Das musste für das Kollegium reichen! Auch die eigene Familie wurde mit einer Auswahl Spezialitäten bedacht, doch die persönlichen, kleinen Mitbringsel wollte er erst später erstehen. Bevor Yukio am Aufzug in seinem Stockwerk verabschiedete, erkundigte sich Stuart nach den Plänen für den morgigen Tag. Yukio überraschte ihn, indem er erklärte, sie würden sich auf der Straße umsehen und umhören, damit Stuart einen Eindruck von der direkten Ermittlungsarbeit bekäme. »Endlich raus aus dem Würfel!«, dachte Stuart zufrieden, der das winzige Büro-Separee gründlich satt hatte. Außerdem wartete er geradezu auf eine Gelegenheit, den Crocodile Dundee zu geben! +#~#+ So zahlreiche, zum Teil imposante Spielhallen und Vergnügungspaläste kannte Stuart bisher nicht. Er bewunderte die japanische Bevölkerung für den Einfallsreichtum, sich mit elektronischen Gerätschaften aller Art Kurzweil zu verschaffen. Tanzmatten, Pachinko-Geräte, Simulatoren, Karaoke, das waren lediglich einige Begriffe für eine blinkende, funkelnde, lärmende, kakophonische, beinahe erschlagende fremde Welt, die zwischen Wunderland und Science Fiction schwankte, die auf niedlich getrimmten Figuren, die überall prangten oder sogar in Kostümen auf und ab paradierten, gleichzeitig aber das Heer der uniformen Arbeitsdrohnen, die hier Ablenkung und Betäubung suchten. Stuart resümierte für sich, dass ihm diese künstliche Welt trotz all ihres elektronischen Charmes und seiner beruflich bedingten Affinität nicht behagte. Er sehnte sich plötzlich unerwartet stark nach dem freien Himmel, der Weite von Feldern und Grassteppen, der Einsamkeit der elterlichen Farm. Yukio führte ihn erbarmungslos durch Internet-Cafés, In-Läden, ein ganzes Viertel namens Akihabara, ein Technik-Mekka, zur Vergnügungsmeile, wo sich zwischen die Arbeitsdrohnen aufgeputzte Nachtarbeiter mischten. Kommunikation primär per Mobiltelefon, nicht mehr direkt, vis-a-vis, ständiges Zwitschern, Piepsen und Lärmen, die Augen entweder fiebrig-aufgedreht oder stumpf-erschöpft, alle auf der Suche nach etwas, doch Stuart wusste nicht, was genau sie hier zu finden hofften. Ruhe? Intimität? Oder bloß Ablenkung, Flucht vor der eigenen Realität? Andererseits war ihm auch noch nicht klar, warum Yukio diese anstrengende Tour de force durchzog. Welcher Zweck steckte dahinter? Fürs Erste begnügte sich Stuart mit der Erkenntnis, dass man hier ohne Mobiltelefon und ständige Erreichbarkeit nicht zu existieren schien. Die winzigen Geräte waren praktisch für die gesamte Lebensplanung zuständig, nicht nur ein Kommunikationsmedium. Endlich zeigte Yukio ein Einsehen, verkündete in einer Großraumdiskothek, dass es sich um die letzte Station auf ihrer Liste handelte. Erleichtert ließ sich Stuart auf eine Ledereckbank sinken, atmete tief durch. Die fremdartigen Eindrücke verschwammen vor seinen Augen, in seinem Schädel pochte es bereits energisch, um auf den Schlafmangel und den einsetzenden Jetlag hinzuweisen. Um sich abzulenken, erklärte er Yukio, dass er mit dem Kollegium nach Feierabend ab und zu mal ein Bier in einem nahe gelegenen Wasserloch zischte, wo sie auf eine Sportübertragung blicken konnten. Ansonsten spielte sich das soziale Leben tendenziell eher in den eigenen vier Wänden ab, auch wenn es durchaus Kneipen, Restaurants, Kinos und andere Vergnügungsstätte gab. Yukio zuckte mit den Schultern, nuckelte an einem farbenprächtigen Cocktail. "Wir haben zu Hause nicht viel Platz", erläuterte er lapidar, um Stuart eingehend zu mustern, zum ersten Mal nicht heimlich und verstohlen. "Was wollen Sie wissen, Partner?", Stuart zwinkerte und lehnte sich bequem zurück. "Wieso sind Sie zur Polizei gegangen?", Yukio errötete leicht, "ich meine, Ihre Familie besitzt doch Land und eine Farm?" Stuart nickte, spülte mit Bier nach, "stimmt. Mein jüngerer Bruder Glenn ist in die Fußstapfen meiner Familie getreten." Er lächelte, "ich schlage ein bisschen aus der Art. Schätze, meine Neugierde hat mich angeleitet. Ich habe mich beworben und mal abgewartet, ob sie mich wirklich nehmen." Der zierliche Japaner kontemplierte schweigend über diese Antwort. Sie schien ihn noch nicht zufriedenzustellen. "Passt der Beruf nicht zu mir?", erkundigte sich Stuart lächelnd, gab eine Steilvorlage. Yukio zögerte, straffte sich dann, vom Alkohol ermutigt, "es ist nur so, dass ich nicht vermutet hätte, dass jemand wie Sie als Polizist arbeitet." "Jemand wie ich?", wiederholte Stuart gedehnt, "ach so..." Er drehte die Bierflasche in seinen Händen, als studiere er beiläufig das Etikett, "tja, DAS spielt bei uns keine große Rolle." Fast konnte er Yukios ungläubiges Staunen auf seiner Haut spüren. Stuart hob den Blick und lächelte freimütig in das blasse Gesicht des Japaners. Erklärte sich so dessen nervöse Reaktion bei ihrem Kennenlernen? »Du hast wohl erwartet, dass ich dich herumschubse und mich ordentlich aufblase, wie?« Die Versuchung, Yukios Schopf aufmunternd zu kraulen, war kaum zu unterdrücken, doch wenn er glaubte, den Graben überwunden zu haben, so sah sich Stuart bald getäuscht. Statt sich offener zu zeigen, gab sich Yukio noch zugeknöpfter als auf dem Flughafen und wimmelte ungewohnt barsch ein paar junge Frauen ab, die ihnen Gesellschaft leisten wollten. Im winzigen Zimmer im Wohnheim fragte sich Stuart, der die Matratze auf den Boden befördert hatte, ob man nun doch noch die Katze aus dem Sack lassen würde, oder ob seine wahre Seele gerade das verhinderte. +#~#+ Stuart war sich des Handicaps genau bewusst: was nützte es, auf die Anzeige zu starren, die sich eilig aufbaute, wenn er doch nur zwei Silbenalphabete lesen konnte?! Man hatte ihn eingeladen, bei der Suche nach verbotenen, da illegalen Inhalten im Internet zu suchen, außerdem wurden verschiedene Auktionsplattformen auf die Verbreitung von Plagiaten hin durchforstet. Hier konnte er lediglich Zaungast spielen, denn ohne intime Kenntnisse der Schriftzeichen verstand Stuart nicht, was sich da abspielte und langweilte sich inzwischen merklich. Diese Arbeit hier unterschied sich nicht von der Vorgehensweise daheim. Zumeist setzten sie kleine, virtuelle Roboter ein, die das Durchforsten der unzähligen Webseiten übernahmen. Interessant wurde es dann, wenn sich vielversprechende Ergebnisse fanden und man nach den Anbietenden in der realen Welt suchte. Gab es eine Möglichkeit, sie zu belangen? Wo stand der Server? Wie hielt es das Land mit den Rechten? War dort erlaubt, was in ihrem Land verboten war? Stuarts Spezialgebiet beschränkte sich allerdings nicht auf diese Arbeit, die die Sitte und den Zoll beschäftigte. Er konzentrierte sich auf virtuelle Angriffe auf Wirtschaftsunternehmen, die belagert und unterwandert werden sollten. In den Firmen selbst prüfte er die Software zur Buchführung, ob sich nicht versteckte Schlupflöcher fanden, um Geld abzuzweigen oder zu waschen. Spähte sich die Konkurrenz aus oder organisierten sich Angriffe, um unliebsame Gegenstellen mit sinnlosen Anfragen zu überfluten, bis die Maschinen unter der Last zusammenbrachen, so war er in seinem Element. Dabei bestand die wichtigste Devise darin, der anderen Seite begreiflich zu machen, dass sie nicht unerkannt und unantastbar in der elektronischen Welt unterwegs war, sondern in der Realität gefasst werden konnte, dass das weltweite Netz kein rechtsfreier Raum war. Abteilungsleiter Momose forderte ihn nun auch noch zu allem Überfluss auf zu erklären, wie sich die Spezialisierten die Arbeit aufteilten, wie sie vergleichbare Fragestellungen bei der Ermittlungsarbeit angingen. »Zeitverschwendung«, Stuart fragte sich, ob es die nächsten Wochen so weitergehen würde: überflüssige Fragen mit längst bekannten Antworten bedenken, über Schultern auf unleserliche Zeichen starren und in einer inszenierten Situation wie eine lästige Bürde 'geparkt' werden, bis die Aufenthaltsdauer abgelaufen war. »Wie hätten sie reagiert, wenn ich, sagen wir, ein Leichtgewicht gewesen wäre?«, haderte Stuart stumm mit der Situation. Wenn hier so hierarchisch und arrogant gedacht wurde, wie Yukios Reaktion suggerierte, dann konnte man wohl annehmen, dass sie versucht hätten, ihn zu beeinflussen. Doch um was preiszugeben? Stuart massierte sich die Nasenwurzel. Die Kopfschmerzen ließen sich einfach nicht vertreiben. Sollte er Yukio um Hilfe bei der Beschaffung von entsprechenden Tabletten bitten? Stattdessen erkundigte er sich nonchalant, wo denn das Kollegium hier seine körperliche Leistungsfähigkeit trainierte. Er benötigte dringend Bewegung, um über eine neue Taktik nachzudenken. Da kam es ihm gerade zupass, dass die Polizeikräfte auch über eine Schwimmhalle verfügten. +#~#+ Ohne es zu beabsichtigen zog Stuart die Aufmerksamkeit rasch auf sich. Vielleicht lag es an seiner überragenden Größe oder der dezent gebräunten Haut, die ein leichter, goldschimmernder Haarteppich bedeckte? Ausgestattet mit einer Badekappe, die ein Verschlussband ums Kinn anbot, näherte sich Stuart dem Becken mit den abgesteckten Bahnen. Die Halle war nicht sonderlich hoch, krönte mehrere Etagen mit Sportplätzen aller Art, vom Bogenschießen über Basketball bis zum Leichtathletikfeld, sodass man lediglich Startblöcke vorhielt, nicht aber einen Sprungturm. Er schnupperte konzentriert, erwog, ob der Gehalt an chemischen Reinigungsmitteln, die das Wasser säuberten, gerade noch zuträglich war, oder ob er besser auf die ebenfalls entliehene Schwimmbrille zurückgreifen sollte. Ein wenig widerwillig stülpte er sich die Badekappe über den dichten Schopf, verzichtete jedoch trotzig auf das Kinnband. Wenn man schon Mühe hatte, die eigene Minipli in das Gummiungetüm zu stopfen, bestand wohl hinreichend Sicherheit, dass er nicht unversehens seines Häubchens verlustig gehen würde! Wohlerzogen ließ sich Stuart ins Wasser gleiten, für seinen Geschmack ein wenig zu warm, passte eine Lücke in der Kette stoisch Runde für Runde drehender Schwimmenden ab und kraulte gemächlich. Seine hochgewachsene Statur bot ihm besonders im Wasser viele Vorteile, denn er verfügte nicht nur über lange, muskulöse Beine, sondern über einen athletischen Oberkörper mit breiten Schultern, der die schlanken Hüften betonte. Natürlich, das gab Stuart gern zu, war er auch durch seine wahre Seele im Vorteil, wenn es um das spritzige Nass ging. Sofern es seine Zeit erlaubte, gönnte er sich im nahegelegenen Ozean Wassersport jeder Art, sei es Surfen, Tauchen, Segeln oder Wasserski. Für einen jungen Mann, der abgesehen vom Avon River nicht viel Wasser zu Gesicht bekam, war der Ozean vor der Haustür in Perth eine unwiderstehliche Verlockung. Nach nicht einmal einer Runde im Seniorentempo waren seine Muskeln geschmeidig, verlangten danach, dass er das Tempo steigerte, sich pfeilschnell wie ein Torpedo durch die Fluten katapultierte. Folgerichtig scherte er aus und beobachtete im treibenden Schatten einer Absperrung aus Schwimmkugeln, wie sich die Ehrgeizigeren tummelten. Kurzentschlossen reihte er sich ein und signalisierte treuherzig, dass er auch gern an einem der kleinen Wettkämpfe teilnehmen wollte. Glücklicherweise fühlten sich die Anwesenden nicht durch seine Körpergröße abgeschreckt, sondern boten ihm grinsend einen Platz an. Immerhin waren Japaner ein Inselvolk, von Wasser umgeben, da herrschte doch bestimmt Gleichstand! Stuart genoss das Kräftemessen, er war ein guter, konditionsstarker Schwimmer, der geübt mit seinen Reserven haushalten konnte. Für die Champions, die sich einfanden, dem langen Lulatsch mal zu zeigen, wie schnell sie waren, gab er einen anspruchsvollen Gegner ab. Kurzatmig, aber lachend und angenehm erschöpft hievte sich Stuart einige Zeit später aus dem Becken. Er schüttelte Hände von Kontrahenten und ließ sich ungeniert einladen, doch am Abend mit den neuen Bekannten auszugehen, essen, trinken, über Australien und die kulturellen Gemeinsamkeiten plauschen. Außerdem, vertraute ihm ein Kollege an, den Stuart auf knapp 15 Jahre geschätzt hätte, zog ein großgewachsener, gutaussehender Ausländer immer die hübschesten Mädchen an! Davon konnte man nur profitieren! Grinsend verabschiedete sich Stuart, um in das Wohnheim in Reichweite zurückzukehren. Dort erinnerte ihn das absichtlich 'verlegte' Mobiltelefon daran, dass Yukio ihn am nächsten Tag in der Frühe erwartete, um eine Aufstellung zu verfassen, welche technischen Gerätschaften ihnen für ihre Aufgabe zur Verfügung standen. Stuart war sich recht sicher, dass sie mit ihrer eher ungewöhnlichen Ausstattung nicht so gut wie seine Gastgebenden abschneiden würden, aber was zählte, das war schließlich der Erfolg! Und, das konnte man nicht verhehlen, sie waren alle mehr oder weniger vom Bastelfieber infiziert, treu der Legende vom uraustralischen Einwanderer, der die Gelegenheiten erkannte und improvisierte. Pflichtschuldig verstaute er das Mobiltelefon neben den USB-Stick, kontrollierte noch einmal sein Erscheinungsbild. Jeans, ein Polohemd, bequeme, aber saubere Sneaker: damit sollte er doch die Kriterien erfüllen, oder nicht? +#~#+ Der Abend verlief tatsächlich sehr viel erfreulicher als die Tour mit Yukio. Eine recht bunte Truppe hatte sich zusammengefunden, zumeist junge Beamte, die vom Land in die Stadt gekommen waren. Die gemeinsame Heimatprovinz bildete die Basis für das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander. Außerdem, das vermerkte sich Stuart schweigend, residierten seine Begleiter in den unteren Etagen des Wohnheims, standen also in der Hierarchie weit unten, Berufsanfänger, noch unbekümmert und neugierig auf den Gast aus Downunder. Man verständigte sich eben mit Gesten, wenn die Worte fehlten! Stuart studierte die munteren Nachtschwärmer unauffällig. Ausnahmslos waren es 'Affen', was durchaus seltsam anmutete, auch wenn rund 70% der Bevölkerung diesem genetischen Erbe angehörten. Trauten sich andere nicht, mit ihm gesehen zu werden? Für ihn, definitiv ein Schwergewicht, dem 'Drachen'-Erben angehörend, in seiner wahren Seelenform ein gewaltiges, australisches Salzwasserkrokodil, hatte sich niemals das Problem ergeben, in genetischen Hierarchien zu denken. Selbstverständlich hatte Poppa es übernommen, seinen Söhnen die elitären Vorstellungen der Madararui nahezubringen, doch für ihren Alltag bedeutete es gar nichts. Es zählte, was man wie tat, nicht, wer man war. »Allerdings hatten wir auch viel Platz und wenig Nachbarn«, sinnierte er nachdenklich. Hier, wo man auf engstem Raum lebte, sich nicht aus dem Weg gehen konnte, waren Konflikte und strenge Regeln vielleicht dringend erforderlich. Trotzdem bedauerte er Menschen wie Yukio, die sich widerwillig fügten, unter ein Joch beugten, von Groll und Misstrauen erfüllt. Diesen Eindruck hatte er zumindest gewonnen. Stuart wischte die deprimierenden Gedanken beiseite, widmete sich dem Unterhaltungsprogramm. Es wäre doch gelacht, wenn er nicht voller Inbrunst beim Karaoke mithalten könnte! +#~#+ Kapitel 2 - Eine heiße Spur Zunächst maß Stuart der angespannten Atmosphäre höflich keine besondere Beachtung bei, immerhin war er ja Gast, doch es entging ihm nicht, dass alle Zugehörigen der Abteilung an ihren Bildschirmen klebten, in stiller Konzentration arbeiteten, während er selbst einer unnützen Tätigkeit nachging, nämlich ein Memorandum darüber zu verfassen, welche organisatorischen Schnittstellen die Zusammenarbeit sicherstellten. »Zum Beispiel«, dachte er ungewohnt zynisch, »dass wir ein kleiner Haufen sind, die sich über den Flur die Neuigkeiten zubrüllen können.« Um sich ein wenig Bewegung und Ablenkung zu verschaffen, erhob Stuart sich und wanderte zu den allgegenwärtigen Automaten, in der Hoffnung, er könne einen Kaffee mit Koffein, viel Zucker und richtiger Milch ergattern. Zu seiner Überraschung postierte sich ein uniformierter Mann am Verkaufsgerät neben ihm, flipperte sich ein Instant-Menü, während zusammengefaltet aus der Jackentasche ein Papierausdruck ragte. Dieser Ausdruck, obgleich nur ein marginaler Ausschnitt sichtbar, jagte einen energischen Schub Adrenalin durch Stuarts Adern. Er HATTE diesen Aufbau, dieses Signet, schon einmal gesehen! Unauffällig folgte er dem Mann bis zu den Aufzügen, erhaschte einen Blick auf die Stockwerksanzeige. Der Zufall spielte ihm auch noch in die Hand, in Person eines Nachtschwärmers, mit dem er sich über die Qualität der australischen Weinsorten radebrechend ausgetauscht hatte. So erfuhr Stuart, dass der Beamte mit dem verräterischen Ausdruck in der offenen Jackentasche zum Inlandsgeheimdienst gehörte oder zumindest in diesem Stockwerk arbeitete. +#~#+ Stuart sondierte die Lage, bevor er den USB-Stick an den winzigen Laptop anstöpselte. Würden die wenigen Stichworte, die er auf dem Ausdruck erhascht hatte, genügen? Seine Neugierde jedenfalls befahl ihm, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen, wenn man ihn schon mit 'Routineermittlungen' abspeiste, denn diese Erklärung hatte ihm Yukio auf seine Frage hinsichtlich der emsigen Betriebsamkeit geliefert, sich dann taub gestellt. »Das funktioniert auch andersrum!« Stuart fragte sich, welche Seite sowohl in Englisch als auch in Japanisch publiziert wurde und den Inlandsgeheimdienst auf den Plan rief. Konzentriert prüfte er die Treffer der Suchmaschinen, ließ gleich mehrere gegeneinander antreten. Die übliche Mischung aus finanzierten Verweisen führte die Trefferliste an, dann jedoch sackte ihm der Kiefer herunter: eine Webseite schien auf zahlreichen, vollkommen unterschiedlichen Adressen zu existieren. Betätigte er die Aktualisierungsfunktion, wechselte die Adresse blitzschnell! "Da hol mich doch der Teufel!", fluchte Stuart leise, aber beeindruckt. Er MUSSTE wissen, was hinter dieser aufwändigen Inszenierung steckte! Folgerichtig aktualisierte er die Treffer, um rasch auf den Chamäleon-Verweis zu klicken. Die Seite, die sich öffnete, war unspektakulär aufgemacht, lediglich das Signet stach heraus, ein roter Flakon, aus dem eine schwarze Sprühwolke entwich. Der Text war eingängig, wenn auch nicht gerade erhellend. [Das Ende der Tyrannei ist gekommen. Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten. Freiheit vom Instinkt! Achte auf die Zeichen!] Stuart runzelte die Stirn, rieb sich konzentriert das Kinn. Als er erneut den elektronischen Verweis betätigte, wurde ihm eine Fehlermeldung angezeigt: die Seite war nicht mehr zu erreichen. "Wie stellen die das an?", Stuart lehnte sich zurück, erneuerte wieder und wieder die Suchergebnislisten. Unzählige temporäre Webadressen formierten sich, um Sekunden später nicht mehr zu bestehen. Wer auch immer hinter dieser seltsamen Aktion stand: der Einsatz war enorm. "Aber was bedeutet es?", er nippte an seinem Kaffeemischgetränk. Wieso würde sich ein Inlandsgeheimdienst dafür interessieren? Steckte hinter dieser merkwürdigen Aktivität eine terroristische Vereinigung? Hinter ihm gab es einen kleinen Auflauf in einem Karree, unterdrückte Diskussionen. Uneingeladen nutzte Stuart seine überlegene Körpergröße, spähte über die Köpfe der anderen hinweg und studierte den Bildschirm. Dieses Mal war es keine Webseite, die das Signet schmückte, sondern offenkundig eine elektronische Nachricht. Um die größtmögliche Verständigungsrate zu erreichen, war der Text im Silbenalphabet Katakana gehalten. Unter den bereits bekannten Slogans schloss sich ein weiterer Satz an, der unerwartet das Mysterium lüftete. [Frei und ungezwungen wie die 'Affen' wollen wir leben, nicht länger Sklaven unserer Sinne!] Die Aufregung unter dem Kollegium war allerdings nicht allein durch den Inhalt einer elektronischen Mitteilung entstanden, nein, wie es schien, überschwemmten die elektronischen Nachrichten förmlich das Netz, reduzierten merklich die Geschwindigkeit und die blassen, ratlosen Gesichter verrieten Stuart, dass bislang sämtliche Anstrengungen, die Urheberschaft oder der Quelle dieses massiven Angriffs auf die Spur zu kommen, ins Leere liefen. Stuart zog sich in seinen Würfel zurück, um ungestört und unbeobachtet nachdenken zu können, denn das war ein Arbeitsmittel, nach dem ihn noch niemand gefragt hatte. +#~#+ Am späten Nachmittag konnte Stuart im Fernsehen verfolgen, wie Nachrichtensender die Entwicklung des Tages kommentieren. Schier unermüdlich wurden die elektronischen Nachrichten in die virtuellen Postfächer geschaufelt, bauten sich selbständig in Chats auf, bestehend aus fragmentierten Datenpaketen, die sich zusammensetzten, um sich selbst wieder zu löschen und die Spuren zu tilgen. Eine vergleichbare Aktion hatte es bisher noch nicht gegeben. Wildeste Spekulationen schossen ins Kraut, denn dieses Phänomen war nicht auf den japanischen Raum beschränkt. Rund um den Globus wurde von den Beeinträchtigungen berichtet, die Regierungen unter Druck setzten, eine Erklärung zu finden. Seltsamerweise schien der massive Angriff sich nicht auf Unternehmen zu konzentrieren, einen wirtschaftlichen Schaden anzurichten, sah man von der verlangsamten Übertragungsgeschwindigkeit im weltweiten Netz ab. Eine hochentwickelte, geradezu perfide Technik wurde eingesetzt, doch was beabsichtigten die Verfasser dieser kryptischen Botschaft?! Plötzlich kam Stuart eine verwegene Eingebung in den Sinn. Sie schien, zunächst zumindest, vollkommen absurd, doch bei näherer Betrachtung keineswegs so substanzlos, wie der erste Eindruck vermuten ließ. »Wenn ich die Puzzleteile zusammensetze«, Stuart erhob sich, klappte den winzigen Laptop zu, »dann ergibt sich ein ziemlich hässliches Bild.« Von der hektischen Betriebsamkeit und wachsender Verzweiflung abgelenkt erteilte ihm Yukio beiläufig Demission, sich noch mal zu seiner Botschaft aufzumachen, doch Stuart hatte keineswegs die Absicht, sich dort einzufinden. Er wollte lediglich die bescheidenen Kenntnisse über die bisher besuchten Lokalitäten nutzen und sich ein Internet-Café aussuchen, von dem aus ein Telefonat ohne die Gefahr des Lauschangriffs möglich war. Er benötigte beinahe eine Stunde, um seinen Zielort zu erreichen, eingequetscht in Menschenmassen, in zu intimer Weise mit fremden Körpern vertraut, eingehüllt in Wolken von Parfüm, Aftershave und Schweiß. Ein Übriges trug die Klimaanlage bei, die direkt über seinem Kopf das olfaktorische Potpourri zu verwirbeln schien. Verschwitzt, aber entschlossen, die aufgestaute Aggression in Arbeitsenergie umzusetzen, ließ sich Stuart in den winzigen Stuhl sacken, studierte konzentriert die Offerten, die auf unzähligen eingeschweißten Flugblättern um seine Aufmerksamkeit buhlten. Er bemühte den winzigen Computer, um sich bei der Übersetzung helfen zu lassen, bevor er ein Auslandsgespräch anmeldete. "Frank?", erfreut registrierte Stuart das dumpfe Grunzen, die gewohnte Begrüßung seines Kollegen. Kurz und knapp schilderte er ihm sein Auskunftsersuchen. Mit dem abgesicherten Computer, mehreren Programmen, die die Spuren verwischten und einer hochkomplizierten Verschlüsselungsmethode beschaffte sich Frank am anderen Ende der Leitung die Erkenntnisse. "Großes Ding am Laufen", bemerkte er knapp, eine Abfolge gutturaler Laute. Selbst wenn jemand hier hätte lauschen wollen: verstanden hätte er nichts. Stuart lächelte grimmig, "wirst sehen, der Strauchdieb hier hat ein Näschen für Schweinereien." Wieder antwortete ihm ein Grunzen, mutmaßlich bestätigend. Stuart bestellte sich die Liste mit den Ergebnissen als Bildschirmabgriff, den Frank ihm rasch an die Adresse des Internet-Cafés faxen sollte, auch hier über mehrere Stationen, um die Verfolgung zu erschweren. Kommentarlos erfüllte Frank ihm den Gefallen, schnaubte ungewohnt feinfühlig über den Äther und kappte die Leitung, "pass auf dich auf, Kumpel." »Genau das habe ich vor«, versicherte Stuart entschlossen, doch vorher musste er herausfinden, ob die vage Idee eine Fata Morgana oder tatsächlich eine heiße Spur war. +#~#+ Ausgerüstet mit dem Bildschirmabgriff, der es unmöglich machte, die enthaltenen Informationen abzufangen, wühlte sich Stuart mühsam durch das weltweite Netz. Zu Hause hätte er schnell gewusst, wie er Anschriften und Telefonnummern auftrieb, doch hier, in der Fremde, machte ihm nicht nur die ungewohnte Schrift zu schaffen. Außerdem wusste er nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb. Wann lief das Ultimatum ab? Und wie sah diese Revolution genau aus? Stuart wusste, dass er sehr viel schneller an sein Ziel gelangen würde, wenn er nun auf Yukios Nachrichten reagierte, sich den zierlichen Japaner als Hilfe holte, doch sein Instinkt warnte ihn davor, sich Yukio anzuvertrauen. Darüber hinaus wollte er niemanden in die Sache hineinziehen, denn schlussendlich ermittelte er unerlaubt in einem fremden Land, missachtete das Gastrecht aus primitiven Gründen. Neugierde, zum Beispiel. Oder Selbstherrlichkeit. Zwei Stunden später, die Augen trocken und ermüdet von der Anstrengung, sich durch unzählige Webseiten zu arbeiten, hatte Stuart sein Ziel erreicht. Vorerst. Da die Welt noch nicht aus den Angeln gehoben schien, entschied er für sich, dass eine ordentliche Mütze Schlaf ihm nun am Besten diente. +#~#+ Ob es der Mangel an Herausforderungen als 'Gast-Dozent' war oder das angestrengte, konzentrierte Überprüfen seiner vagen Eingebung: Stuart schreckte in Schweiß gebadet aus Albträumen hoch, die sein Herz rasen ließen, ohne dass er sich nach dem Aufwachen noch an ihren Inhalt erinnern konnte. Aber sie hatten ihm einen ordentlichen Schrecken versetzt. Um das Adrenalin abzubauen, legte sich Stuart unter der Dusche, blind für die verstohlen-neugierigen Blicke der anderen Männer, einen Ablaufplan für den Tag zurecht. Es hätte keinen Sinn, sich mit etwas Anderem, Banalen zu befassen: sein Kopf war förmlich zugekleistert mit den Möglichkeiten und Hindernissen, um seine Theorie abzuklopfen. Folgerichtig musste er sich einen Weg ausdenken, um allein seine Nachforschungen zu betreiben. Allerdings durfte er auf keinen Fall zulassen, dass seine 'Gastgeber' Verdacht schöpften. Frisch geduscht und mit mehr Koffein aufgeputscht, als ihm guttat, betrat Stuart später das Polizeipräsidium. Die Atmosphäre hatte sich verändert, was nicht verwunderlich war. Auf dem Weg zu seiner temporären Arbeitsstelle hatte er ausreichend Gelegenheit gehabt, sich mit den Schlagzeilen vertraut zu machen. Dementi auf Dementi von großen Werbe- oder Filmvertriebsfirmen, die diese Form von Guerilla-Werbung durchaus schon betrieben hatten, wenn auch bei Weitem nicht so ausgefeilt und innovativ, stattdessen Spekulationen über die Botschaft, die darin gipfelten, dass manches Medienorgan an die Giftgasanschläge in der Tokioter U-Bahn erinnerten. Sollte hier ebenfalls gewaltsam ein Umsturz herbeigeführt werden?! War das Signet eine Anspielung auf die Giftgasattacke?! Stuart schauderte, während er geduldig im Aufzug über die Köpfe der anderen Reisenden hinwegspähte. Er verstand sehr gut, wie besorgt die japanische Bevölkerung über die Möglichkeit war, dass sie erneut Ziel eines heimtückischen Mordanschlags werden konnte, ohne Vorwarnung und Mitgefühl für die Opfer. Außerdem war es kaum zu vermeiden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. »Doch wenn ich richtig liege, ist kein Anschlag zu befürchten«, machte er sich Mut, schob sich im richtigen Geschoss zu den Aufzugtüren. Man konnte auch hier die Anspannung mit den Händen greifen, eine unsichtbare, statische Aufladung, die jeden elektrisierte. Ohne Zweifel befasste sich der Inlandsgeheimdienst immer noch mit dieser seltsamen Aktion. »Fragt sich: ziehen sie dieselben Schlüsse wie ich?« Stuart meldete sich im Großraumbüro, doch von Yukio war nichts zu sehen. Höflich erkundigte er sich bei einem der zahlreichen Kollegen, die mit übermüdeten Augen auf Bildschirme starrten, nicht wagten, ihren Platz zu verlassen, da die gesamte Abteilung unter Zugzwang und öffentlichem Druck stand. Ihm wurde beschieden, dass Abteilungsleiter Momose Yukio zu sich bestellt habe. In den frühen Morgenstunden hätten sich alle Abteilungsleiter zu einer Krisensitzung zusammengefunden, doch man munkelte bereits, dass außer Schuldzuweisungen kein Ergebnis, geschweige denn gesicherte Erkenntnisse verkündet worden seien. »Frühstück wäre nicht schlecht«, Stuart zögerte, sich in seinem Separee einzufinden, denn er hatte den Eindruck, dass er dort eine lange Zeit an den Monitor gefesselt sein würde. Dann doch lieber für eine einigermaßen substantielle Basis sorgen! Außerdem, so beschämend es sich ausnahm: er war neugierig, ob er nicht doch einen Blick auf Yukio erhaschen konnte. Aufgrund dessen Körpersprache schien es ihm seltsam, dass Yukio Momose so etwas wie Sympathie entgegenbrachte. Für ihn musste der Abteilungsleiter einfach ein weiterer Vorgesetzter in der beruflichen Karriere sein, den man hinzunehmen hatte. Momoses Büro war zu Stuarts Überraschung jedoch verwaist, stattdessen markierte die Beschilderung der Eingangstür, dass der Besprechungsraum okkupiert wurde. Ein wahnwitziger Impuls trieb Stuart an, den Türknauf neben dem Besprechungsraum zu drehen. Es konnte nur ein schicksalhafter Glücksfall sein, dass der winzige Abstellraum nicht verschlossen war! Für Stuart reichte diese Geste von Madame Fortuna jedoch aus, sein spontan erwogenes Vorhaben umzusetzen. Zum Teufel mit den Bedenken! Stuart blockierte die Tür hinter sich, sah sich dann in dem kleinen Raum um. Auch hier erwies sich die recht altmodisch gestaltete Belüftungsanlage als geräumig und offen zugänglich, wenn man zwei Vorratskisten mit Verbrauchsmaterial aller Art aufeinanderstapelte und eine Montageplatte aus ihrer Verankerung hob. Ohne Rücksicht auf seine Kleider oder die blamablen Umstände einer Entdeckung stemmte sich Stuart in die quadratische Öffnung, betete, dass die Konstruktion ihn tragen möge und kroch in den finsteren Tunnel. Er konnte sich nur mit Zehen und Händen weiterschieben, mehr Platz gab es nicht. Allerdings musste er nicht allzu tief in die labyrinthischen Belüftungssysteme eindringen: die nächste Lichtquelle bot ihm die von Lüftungsgittern gefilterte Ansicht auf den Besprechungsraum. Hätte die Anlage nicht so vehement in seinen Ohren gedröhnt, wäre ihm wohl vor der optischen Erfassung eine akustische Warnung zugegangen, die seine schockierte Reaktion gemildert hätte. In Ermangelung dieser Vorwarnung sah er sich unvermittelt heftigen Kopulationsaktionen gegenüber. Beinahe gewalttätig stieß Momose immer wieder in Yukios Kehrseite, der über einen Tisch gekrümmt eine Faust förmlich in seinem Mund ballte, um keine verräterischen Laute entschlüpfen zu lassen. Angewidert zog sich Stuart auf demselben Weg zurück, den er gewählt hatte, verwischte seine Spuren und klopfte sich den schwärzlichen Staub von den Kleidern, soweit es ihm möglich war. Möglicherweise lag er ja falsch mit seiner Vermutung, aber nach diesen Impressionen glaubte er nicht, dass Yukio und Momose eine gewisse Zuneigung verband. »Oder ich bin hoffnungslos naiv«, das war die zweite Option für Stuart. Als Augenzeuge erlaubte er sich das Urteil, dass hier Wollust, Triebbefriedigung und Machtgelüste ausgelebt wurden, was für ihn auch erklärte, warum sich Yukio so ablehnend ihm gegenüber verhielt. Glaubte der Japaner vielleicht, dass alle Schwergewichte so manipulativ waren?! »Wenn er aber«, Stuart verließ mit nonchalantem Gesichtsausdruck die Abstellkammer, marschierte zu den Automaten, »sich nicht gegen Momose zur Wehr setzen kann, dann muss ich mich vor ihm hüten.« Sofern Momose nämlich vermutete, dass Stuart ihm etwas vorenthielt, müsste er bloß Yukio unter Druck setzen und der würde zweifelsohne einbrechen... "Denk nach!", ermahnte sich Stuart halblaut in seiner Muttersprache, zog Tee und Cola, fügte anschließend noch einige teure Schokoladenriegel hinzu. Er kehrte an seinen Platz zurück, klappte den winzigen Laptop wieder zu, dann holte er das Mobiltelefon aus der Tasche, deaktivierte es und schob es in eine Schublade. Anschließend malte er eine kurze Nachricht an Yukio auf, fabulierte, er sei in wichtigen Familienangelegenheiten kontaktiert worden, werde deshalb auch noch mal in der Botschaft vorbeischauen. Er klemmte die Nachricht unter die Dose Tee, die er geflippert hatte, warf einen raschen Blick auf Yukios zugepflasterten Arbeitsplatz. Mitgefühl und Bedauern erfüllten ihn, doch er sah keine Möglichkeit, Yukio zu helfen. Um die beiden potentiellen 'Spione' Telefon und Laptop befreit fühlte sich Stuart gleich besser, als er das Polizeipräsidium verließ. So konnte man ihn wenigstens nicht orten, bis auf den USB-Stick, den er noch nicht eingehend untersucht hatte. »Macht nichts!«, energisch drängte er sich in den Untergrund, entschlossen, für den Notfall die wichtigsten Vorkehrungen zu treffen, indem er im Wohnheim packte, sich Geld und alle Papiere einsteckte. »Wie gut, dass ich bereits die Geschenke gekauft habe«, bemerkte er selbstironisch. Jetzt würde es vermutlich ein wenig heikel werden, wenn er überhaupt Erfolg hatte! Stuart schulterte seine Reisetasche und den unverwüstlichen Rucksack, verließ nach einem letzten kontrollierenden Blick seine Unterkunft. Wenn die Pförtner von seinem Auftreten irritiert waren, so ließen sie es sich nicht anmerken oder unternahmen Anstrengungen, ihn aufzuhalten. Ihn zog es zur nächsten Bahnstation, denn wie er bereits gelernt hatte: hier befand sich der kommunikative Mittelpunkt des Einzugsgebiets. Kurzentschlossen verstaute er seine Reisetasche in einem Schließfach, suchte anschließend nach einem Internet-Café. Leidlich vertraut mit den Angeboten ließ er sich an einem Platz nieder, um den Obolus der Benutzung ärmer und erwog das nächste Vorgehen. Er hatte nicht die Absicht, noch einmal über eine Internet-Recherche mit USB-Stick mögliche Verfolgende auf sich aufmerksam zu machen. Zudem, das war keineswegs ausgeschlossen bei der Raffinesse, die die Initiierenden der Revolution bisher an den Tag gelegt hatten, konnte es sein, dass seine Anfragen als Suchmuster abgefangen wurden und sie aufscheuchten. »Wäre übel!«, stellte er mit konzentriert gefurchter Stirn fest, »ohnehin schon schwierig genug«, eine Person aufzustöbern, die er nicht kannte und die zweifellos auch kein Interesse daran hatte, mit ihm bekannt zu werden. Zunächst jedoch galt es sich abzusichern, deshalb meldete sich Stuart bei einem Kollegen von der Küstenwache in Darwin und bat ihn, eine Nachricht über Funk an seinen Bruder weiterzuleiten. Die Nachfrage, ob sich der Zustand ihrer Großmutter verschlechtert hatte, würde bei Glenn hoffentlich die richtigen Gehirnwindungen zum Glühen bringen! Als Kinder hatten sie sich einige 'Codes' ausgedacht, um einander aus Schwierigkeiten aller Art zu helfen. Nachdem er sich freundschaftlich bedankt hatte, atmete Stuart tief durch. Vielleicht war es paranoid, doch er wollte so wenige Spuren wie möglich hinterlassen, deshalb galt es, jeden Schritt genau zu planen. Rasch strickte er sich eine halbwegs glaubwürdige Geschichte zurecht, die er zum Besten zu geben trachtete, dann wählte er eine der Nummern an, die Frank ihm gegeben hatte. Am anderen Ende zwitscherte freundlich eine Frauenstimme, und Stuart bemühte sich mit pseudo-französischem Akzent, seine Bitte zu formulieren. Wie nicht anders zu erwarten, immerhin war der Shashado-Kosmetikkonzern ein internationales Unternehmen, leitete ihn die freundliche Dame an eine Kollegin weiter, die ihn besser verstand und in steifem Oxford-Englisch seine Geschichte abklopfte, bevor sie ihm gnädig zusagte, sich zu erkundigen. Stuart wartete geduldig die Zweitanrufe ab, die im Hintergrund absolviert werden mussten, denn immerhin hatte er sich als alter Studienfreund ausgegeben, der für einige Tage in Japan weilte und gern eine Stippvisite bei seinem alten Freund vornehmen wollte. Schließlich teilte ihm die Frau bedauernd mit, dass sein geschätzter Freund derzeit unbezahlten Urlaub genommen habe und nicht zu erreichen sei. Höflich bedankte sich Stuart, heuchelte gebührend Enttäuschung, bevor er sich zufrieden mit Calpis belohnte. Er hatte nicht erwartet, dass sich Joao Inugawa an seinem Arbeitsplatz aufhalten würde. Forsch wählte er die nächste Nummer an, von der er nicht einmal genau wusste, wie Frank sie in Erfahrung gebracht hatte. Obwohl er es über zwei Minuten lang läuten ließ, nahm niemand ab, nicht mal ein Anrufbeantworter meldete sich zum Dienst. »Fragt sich bloß, wo du dich verkrochen hast«, Stuart suchte den Stadtteil im Internet und wühlte sich mühsam zu verschiedenen Stadtplänen durch, die von Geschäften zur Verfügung gestellt wurden. Wo würde sich ein junger Mann verstecken, der mutmaßlich der Schlüssel zu einer Revolution war? Würde der eher die Nähe zu seiner Wohnung oder zu seinem Arbeitsplatz suchen? Bei Freunden unterkriechen? "Das Problem ist, dass ich dich nicht gut genug kenne. Noch nicht!", murmelte Stuart halblaut vor sich hin. Er trommelte grübelnd mit den Fingern auf der minimalen Tischplatte jenseits der Tastatur, studierte seine Notizen. Mit einem Ruck tätigte er den dritten Anruf, entschlossen, mit seiner Geschichte hier ebenfalls den ersten Versuch zu wagen. Auch hier hatte er keinen Erfolg: Joao war nicht zu seinen Eltern zurückgekehrt. Nachdenklich überflog er die winzige Biographie seines Zielobjekts. Joao Inugawa war zwei Jahre jünger als er, ein Wunderkind, Doktor der Chemie und Biologie, dazu noch Absolvent einer weltbekannten Ausbildungsstätte für Parfümeure, unverheiratet, derzeit bei einem großen, japanischen Kosmetikkonzern beschäftigt. »Außerdem gehörst du laut Madararui-Verband zu den Hunden, bist ein Schwergewicht!«, was es noch seltsamer machte. "Wo verbringst du deine Freizeit?", Stuart rieb sich energisch über das Kinn. Oder...halt! Abrupt setzte sich Stuart auf. War die bessere Frage nicht eher: wie ist ein Parfümeur an ein paar ausgefuchste Computer-Geeks geraten? "Und wie komme ich an sie heran?", grimmig malte Stuart auf seinen Notizen ein Fragezeichen aus. Wäre er jetzt in seinem eigenen 'Revier', wüsste er genau, wie man sich in der Szene Schützenhilfe organisierte, doch in diesem fremden Land wusste er nicht einmal, ob es eine vergleichbare Gruppe gab, die man kontaktieren konnte. »Wen könnte ich fragen?«, ungeduldig sprang Stuart auf, sah sich um. Allerdings war ja nicht nur die Hürde der Verständigung zu nehmen, er musste auch erklären, was GENAU er suchte, zweifellos auch, warum. Um ihn herum schienen sich die anderen Personen jedoch auf Spiele oder elektronische Kommunikation zu konzentrieren. Stuart sammelte seine Habseligkeiten ein, marschierte auf die Angestellten zu, die gelangweilt auf einen Bildschirm starrten. Merkwürdige Ausländer, die kein eigenes Telefon hatten und denen man wirklich alles erklären musste, gehörten zu ihrem Alltagsgeschäft. Nachdem er seine Rechnung beglichen hatte, hakte Stuart nach, wo sich Computer-Begeisterte treffen würden, Untergrund-Programmierende, Digital-Begeisterte, Bastelnde, künstlerisch Tätige. Man musterte ihn ratlos, entschied nach einer langwierigen Konferenz endlich, dass ein großes Internet-Café im Technikviertel die beste Möglichkeit bot, sich mit der Szene bekannt zu machen. Mit einem aufrichtigen Dank verabschiedete sich Stuart, betrat die Bahnstation. Er entschied, zunächst die Adresse von Joao zu besuchen, bevor er sich zum Café aufmachte. Zur Mittagszeit war es erfreulich ruhig, sodass Stuart sogar einen Sitzplatz ergattern konnte, sich ein wenig ausruhte. Was erhoffte er sich eigentlich, wenn er wider Erwarten Joao aufgestöbert hatte? Antworten, selbstverständlich. »Und dann, Kumpel?«, triezte er sich selbst, »tja....« Das wusste er selbst nicht zu sagen. Er konnte niemanden verhaften, Himmel, es hatte ja noch nicht mal ein Verbrechen stattgefunden! Diese gesamte Aktion diente lediglich der Befriedigung seiner Neugierde. »Erstmal muss ich ja Erfolg haben«, verschob er die fruchtlosen Erwägungen auf später. Nachdem er die Bahn verlassen hatte und wieder an die glühende, schwüle Oberfläche zurückkehrt war, musste Stuart mehrfach fragen, bis er das richtige Wohnhaus aufgespürt hatte. Er stieg über die Außentreppen in das zutreffende Geschoss hoch, klopfte dann energisch an der abweisend verschlossenen Tür. Nichts rührte sich. Das hätte ihn auch gewundert. Trotzdem spielte er seine Rolle als dickschädeliger Ausländer weiter, trommelte betont fröhlich weiter gegen das Türblatt und dröhnte guttural seine Rufe nach dem guten Freund Joao heraus. Endlich erbarmte sich jemand, eine verhärmt-frostige Hausfrau in einem altmodischen Kittel. Stuart markierte den jovialen Besucher, grüßte sie ungelenk, aber freundlich. Daraufhin wurde ihm einsilbig beschieden, dass der Meister nicht anwesend sei. Verreist. Seit ein paar Tagen. Etliche Hand- und Fußbewegungen später, denn Stuart gab sich begriffsstutzig und des Japanischen nicht mächtig, konnte er sich mit betrübter Miene verabschieden. Was ihm die sauertöpfische Nachbarin in ihrer Verärgerung über den dämlichen Ausländer unvermutet mitgeteilt hatte, stimmte ihn tatsächlich zuversichtlich. Offenkundig erhielt 'Meister' Joao nie Besuch, lebte zurückgezogen. Was nun die potentiellen Verstecke reduzierte, hoffte Stuart. Er gönnte sich rasch eine japanische Pizza-Variante, bevor er sich wieder ins Getümmel stürzte. Eine knappe Stunde Fahrtzeit später stand er vor dem gewaltigen Internet-Café, umspült von Menschenmassen, die sich inmitten der Kakophonie unzähliger Lautsprecher mit Werbesprüchen und dem Leuchtzirkus der Reklame wohlfühlten. Stuart selbst fühlte sich benommen und schwindlig, wollte rasch raus aus dem Geräuschbrei, weg von dem grauenhaften Lichtreigen. Im Inneren des Cafés herrschten wie gewohnt frostige Temperaturen vor, fluoreszierende Markierungen wiesen den Weg. Die Dunkelheit überraschte Stuart angenehm, dessen Kopfschmerzen sich flugs verabschiedeten. Blieb die Frage, wie er nun vorgehen sollte. Er bewegte sich ein wenig an die Seite, um nicht den Weg zu blockieren, gewöhnte seine Augen an die Semi-Finsternis, die allein von den Markierungen und Bildschirmen erhellt wurde. Es gab keine Bedienung, aber irgendwo im hinteren Ende eine Bar, wie er vermutete. Wem die Lichtverhältnisse zu unsicher waren, der benutzte einfach das allgegenwärtige Mobiltelefon, um sich den Weg zu erhellen. Stuart selbst, eines verräterischen Handys ledig und augenblicklich ein wenig ratlos, spähte auf der Suche nach Inspiration im Kreisrund umher. Endlich fiel sein Blick auf einen Monitor, der nicht seltsame, dreidimensionale Gebilde in berauschenden Farben präsentierte, grafische Darstellung des verschlungenen Klangteppichs, der atmosphärisch in der Elektronik-Grotte schwebte, nein, diese große, multimediale Leinwand bildete, zumindest vermutete Stuart das, Unterhaltungen in einem Chat-Room ab, also ein Schriftgespräch in einem Netzwerk. Bunte Farben, tanzende Miniatur-Bildchen, die Emotionen transportieren sollten, das kannte er natürlich, doch der Rest blieb für ihn kaum leserlich, da er nur schwerfällig die beiden Silbenalphabete entziffern konnte, doch mit den komplizierten Schriftzeichen auf Kriegsfuß stand. Wer schrieb dort? Konnte es sein, dass dieser Raum selbst, immerhin ja ein Café und somit Treffpunkt für Kontaktsuchende, diese besondere elektronische Bühne anbot, um sich anzuflirten? Aus alten Filmen kannte er noch die Vorgängerversion des Kennenlernens mit Telefonen an jedem Tisch. Erfragte man bei der Bedienung höflich die Tischnummer, konnte man das Objekt des Interesses einfach anbimmeln. Diese altmodischen Zeiten waren zwar vorbei, andererseits blieb die Idee zeitlos, weshalb er sich entschlossen auf ein Grüppchen in der Nähe der großen Leinwand zubewegte. Irgendjemand hatte sich bisher immer neugierig gezeigt, mit einem großgewachsenen, waschechten Ausländer/Australier Kontakt aufzunehmen! Also konnte er mit Optimismus ein Gespräch initiieren und sich Gewissheit über die technische Unterstützung beim Anbandeln holen! Da seine Zielgruppe aus mittelgroßen, japanischen Studenten bestand, schindete er sofort Eindruck, überragte er die kleine Gruppe doch um zwei Köpfe. Trotzdem räusperte er sich höflich, besann sich dann aber der fremden Gepflogenheiten und schickte eine Entschuldigungsfloskel hinterher, mit der man üblicherweise auf sich aufmerksam machte. Ob man ihm wohl helfen könne? Er suche jemanden, auch ohne Mobiltelefon, wäre das über den Chat möglich? Dabei gestikulierte er ausladend Richtung multimedialer Leinwand, lächelte gewinnend und erreichte sein Ziel: eine junge Frau mit elegant hochgesteckten Haaren und einem A-förmigen Kleid aus den Sechzigern sprudelte erfreut in einem unerwartet verständlichen Englisch auf ihn ein, hakte sich bei ihm unter und spazierte zielsicher durch die Finsternis auf einen freien Platz zu. Barhocker unter dem Tisch mit Bildschirm, kleine Getränkehalter warteten auf abgestellte Durstlöscher und indirekte Beleuchtung half bei der Bedienung von Tastatur und Maus. In dem kleinen Schwatz mit Makiko-chan erfuhr Stuart von ihren Studienfächern, Anglistik und Biologie, von ihrer Familie, ihrer Heimat, der Unterkunft im Wohnheim und der Suche nach dem perfekten 'Boyfriend'. Beeindruckt blinzelte er, denn offenkundig hatte Makiko-chan die Kunst perfektioniert, ohne Luft holen zu müssen wie ein Schnellfeuergewehr Silben auf ihn abzuschießen. Mit besonderem breitem Australisch antwortete er artig auf ihre Frage, wen er denn suche, was er in Japan so mache und ob sich daheim eine Freundin gefunden habe. Freundlich übernahm sie die Bedienung der Tastatur, schickte in den elektronischen Äther die Frage nach Joao Inugawa, ergänzte auf Stuarts Bitte hin seine Frage um eine kurze Erklärung, er sei Stuart O'Neil aus Australien, wolle mit ihm über Pheromone sprechen. Makiko-chan bedachte ihn mit einem überraschten Blick, fragte sich wohl, ob das eine besonders merkwürdige Form von Anmache war. Stuart grinste bloß, "ein alter Scherz." Dann warteten sie, ob sich eine Reaktion zeigte. Während Makiko-chan die sich rasch abspulenden Unterhaltungen, die nicht in einem separierten Chat-Room geführt wurden, studierte, sah sich Stuart beiläufig um. Er wollte auf keinen Fall verpassen, wenn sich irgendjemand eilig dem Ausgang zuwandte, denn es stand ja durchaus zu befürchten, dass sich der Parfümeur wie manche chemische Verbindung verhielt und leicht flüchtig war. Da tippte ihn Makiko-chan an. Es gab also eine Antwort, die er auch ohne Übersetzung verstand, denn der anonyme Gesprächspartner forderte ihn auf Englisch auf, ihm in einen privaten, elektronischen Raum zu folgen. Artig ließ sich Stuart von Makiko-chan lotsen, bevor er selbst die Tastatur in Besitz nahm. Die nächste Nachricht war kurz und bündig. >Was willst du?< Stuart zog konzentriert die Augenbrauen zusammen, bevor er flink tippte und dankbar war, wieder vertraute Schriftzeichen zu erzeugen, keine Auswahl von kunstvollen, aber unverständlichen Ideogrammen. >Mit dir sprechen. Über Flakons und die Revolution.< Die Antwort ließ auf sich warten, sodass Stuart sich kritisch umblickte, doch es war nicht einfach, in der Dunkelheit und dem munteren Treiben jemanden auszumachen, der sich davonstehlen wollte. Ein Signal zeigte ihm akustisch an, dass endlich eine Reaktion erfolgt war. Sie bestand in einer Adresse und einem elektronischen Verweis. Stuart aktivierte ihn und wurde auf einen Umgebungsplan geleitet. Offenkundig der nächste Treffpunkt? Makiko-chan, die recht verwundert dieser merkwürdigen Konversation gefolgt war, zeichnete ihm die Adresse auf, damit er sie vorzeigen konnte, wenn er sich auf dem Weg verirrte, malte noch rasch wesentliche Merkmale auf ein Notizblatt. Lächelnd legte sich Stuart Makiko-chans Arm um den eigenen, führte sie zur Bar und bestand darauf, ihr für die Assistenz großzügig etwas nach Wahl zu spendieren. Makiko-chan strahlte und bedauerte ausführlich in Hochgeschwindigkeit, wie schade es doch sei, dass Stuart schon bald abreisen musste, denn er wäre wirklich der perfekte 'Boyfriend'. »Schönes Kompliment«, dachte Stuart, nachdem er sich verabschiedet hatte, »aber das wage ich zu bezweifeln.« Wieder kletterte er in den Untergrund hinab, bestieg eine U-Bahn, die sich mit Berufsreisenden, aber auch mit Nachtschwärmenden gefüllt hatte, die sich gerade aufwärmten und munter schwatzten. Stuart konzentrierte sich auf die Skizze, achtete jedoch mit halbem Ohr auf die Ansagen, um nicht die ihm bisher fremde Station zu verpassen. Hatte er wirklich mit Joao korrespondiert? Daran hatte er mittlerweile erhebliche Zweifel, denn dafür waren zu wenige Fragen gestellt worden. »Ich zum Beispiel hätte wissen wollen, woher zum Teufel dieser komische Australier mich kennt!« Doch alle Zweifel führten ihn nicht weiter, er musste sich auf das Abenteuer einlassen und Selbstvertrauen haben. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass die Station ausgerufen wurde, schloss sich einem spärlichen Schwarm an, der auf den Bahnsteig und Richtung Erdoberfläche drängte. Er sah sich um, doch niemand schien ihm mehr Aufmerksamkeit als üblich zu schenken. Nun ja, da er nicht wusste, wie Joao Inugawa aussah, hatte es auch keinen Sinn, nach ihm Ausschau zu halten. Inzwischen war es dunkel geworden, was die Stadt durchaus veränderte, in ein schrill leuchtendes, gefährliches Märchenland verwandelte, denn nicht alle der hübschen Vergnügungen, die sich anboten, waren ohne unerfreuliche Nebenwirkungen. Stuart wusste das und studierte seine Notizen wachsam, bevor er sich auf den Weg machte. Das Ziel, so stellte es sich heraus, war ein Karaoke-Schuppen im zweiten Untergeschoss eines mehrstöckigen Hauses, schummrig beleuchtet und offenkundig nicht in erster Linie für die Liebhaber eines Goldkehlchenwettbewerbs gedacht, sondern als intime Separees. Im kleinen Salon, wo man bei einem stiernackigen Mann in einem schrillen Papagallo-Anzug ein Separee mieten konnte, musterte man ihn kritisch, denn er war ohne Begleitung aufgetreten, doch das schreckte Stuart nicht. Hier zahlten sich betont joviales Auftreten als Ausländer und eine imposante Körpergröße aus! Er erklärte freimütig, dass er noch einen Gast erwarte, man sei verabredet. Wenn sie netterweise mitteilen könnten, dass der Australier Stuart O'Neil in Nummer 7 logiere. In Kabine 7 harrte er nun aus, den Rucksack abgestellt, auf einem mit abgewetztem Stoff bezogenen Sofa wartend, beäugte die Maschinerie, Mikrofone, Bildschirm und Anlage. Ein gelangweilter Kellner in einem fleckigen Livree materialisierte sich und nötigte zur Getränkebestellung. Der Einfachheit halber orderte Stuart Bier und japanisches Knabbergebäck, was ihm einen scheelen Blick einbrachte. Der dumme Ausländer verstand wohl nicht, dass er nicht wirklich in einer Karaoke-Bar gelandet war! Um die 'teure Investition' wenigstens zu genießen, öffnete Stuart eine Bierflasche und schob sich etwas Knabberzeug in den Mund. Müßig studierte er die angebotenen Titel, erkannte nicht viel, da er wieder einmal an der Hürde der fremden Schriftzeichen scheiterte. Unerwartet öffnete sich die Tür und Stuart sprang auf die Beine. Vor ihm stand wieder der gelangweilte Kellner, grunzte etwas und gab den Weg frei. Hinter ihm zögerte im Halbdunkel der spärlichen Beleuchtung ein schlanker, erstaunlich großgewachsener Mann, maskiert durch einen Regenparka mit Kapuze. Stuart komplimentierte lautstark den Kellner auf den engen Flur, der wohl noch ein Trinkgeld erhofft hatte, nun aber fürchten musste, dass der Lärm andere Gäste des Etablissements störte. Kaum hatte sich der Kellner entfernt, wandte sich Stuart um, studierte die Gestalt, die zusammengekauert auf dem Sofa Platz genommen hatte, doch der Regenparka und die Kapuze, die nicht nur die Haare verbarg, sondern auch das Gesicht durch den Schattenwurf tarnte, hob noch nicht den Schleier des Mysteriums. "Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Meine Name ist Stuart O' Neil. Aus Australien." "Ich kenne Sie nicht", die Stimme klang richtig matt, jedoch ohne einen Akzent. "Stimmt, wir kennen uns noch nicht", Stuart war in zwei Schritten beim Sofa, wo trotz der Camouflage sein unbekannter Gast heftig zurückwich und einen Rucksack wie einen Schutzschild vor sich positionierte. "He!", Stuart hob die Hände und ging in die Hocke, wollte damit seine einschüchternde Körpergröße ein wenig reduzieren, "ich will Ihnen nichts tun." Eine Antwort blieb aus, also erhob sich Stuart, um sich mit seinem Bier bewaffnet am äußersten Rand des Sofas niederzulassen und geräuschvoll einige Knabberteilchen zu zerkauen. Trotzdem beäugte er seinen Gast aufmerksam, registrierte die Knitter in der ausgebleichten Jeans, Schmutzstreifen am Bund, der zu den fleckigen, ehemals weißen Turnschuhen passte. "Sie waren gar nicht im Café, oder?", eröffnete er die Konversation erneut. Unter der Kapuze zuckte es, die erste Regung, die Stuart nach dem heftigen Zurückweichen feststellte, denn bisher kündete Joaos Körpersprache von großer Anspannung, war stocksteif. Stuart wappnete sich mit Geduld. Wenn er die Dame bei Shashado richtig verstanden hatte, dann hatte Joao bereits seit fünf Tagen unbezahlten Urlaub. Konnte er seit dieser Zeit auf der Flucht sein, sich verstecken? Wartete auf das Unvermeidliche? "Ich nehme an, einer deiner Freunde hat mich hierher geschickt, weil du Hilfe brauchst", behauptete er tollkühn. Ob die Computer-Nerds ihn abgeklopft und für ungefährlich befunden hatten? "Wäre es möglich, dass du die Kapuze abnimmst?", erkundigte er sich, unterließ aber tunlichst jede Annäherung. Wieder erhielt er keine Antwort, nicht einmal einen Protest darüber, dass er vertrauliche Worte gewählt hatte, die jemandem mit Joaos Bildungsstand durchaus auffallen mussten. Nun seufzte er leise, wechselte die Taktik, "wie wäre es mit einem Bier und etwas von diesem Knabberzeug? Bitte greif doch zu!" Das zusammengesunkene Bündel mit den hochgeschobenen Schultern reagierte nicht. »Wie soll das was werden?!«, Stuart verfügte über eine geschulte Geduld, doch sie schien sich gerade jetzt, in diesem kritischen Moment zu verabschieden. Was sollte er bloß anfangen, mit jemandem, der ihm nicht mal sein Gesicht zeigte, sondern wie ein Wichtel mit dem schäbigen Sofa verwurzelte?! "Hör mal, Joao!", er richtete sich zu seiner imponierenden Körpergröße auf, "ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht mit mir sprichst. Also, was soll ich tun, damit du mit mir redest, hm?" Keine Reaktion, noch immer nicht! Stuart ging vor Joao in die Hocke, legte ungeniert die Hände auf dessen Knie, "he, Kumpel, alles in Ordnung?" Joao schreckte ruckartig hoch, und Stuart begriff, dass er seinen Vortrag vermutlich würde wiederholen müssen, weil sein Gast eingenickt war, doch bevor er einen weiteren Anlauf wagen konnte, fummelte Joao hektisch in einer Parkatasche herum, geriet in Turbulenzen und fiel vom Sofa. "Ei der Daus", kommentierte Stuart diesen Absturz schließlich wie Großmutter Nana mitfühlend, wartete aber feinfühlig, bis Joao wieder saß, noch eingekrümmter als zuvor, dieses Mal aber definitiv wach, denn er umklammerte das rechte Handgelenk und zischte unterdrückt. "Verstaucht, wie?", Stuart griff hinter sich, packte eine Bierdose, eisgekühlt und kondensierend. "Hier, kühl die Schwellung damit ab. Ich schaue mal, ob ich etwas zum Verbinden habe", damit erhob er sich und kramte in seinem Rucksack herum. Eine der Angewohnheiten eines Polizisten, immer ein Stofftuch in Reichweite zu haben, erwies sich auch in dieser Lage als hilfreich. Man wusste schließlich nie, was der Tag so mit sich brachte und ein sauberes (Taschen-)tuch stand jedem Mann gut an! Als Joao alarmiert wich, sich gegen die Rücklehne des Sofas presste, zückte Stuart einfach seinen Dienstausweis, hielt ihn geduldig hin, "du musst wirklich keine Angst haben! Hier, siehst du? Mein Name, meine Dienst-Nummer, Mitglied der stolzen Polizeikräfte von Westaustralien! Jetzt lass mich dein Handgelenk mal anschauen, ja? Ich bin seit gefühlten hundert Jahren Pfadfinder, du bist also bei mir in den besten Händen!" »Oder auch den größten/gröbsten Pranken«, stellte Stuart überrascht fest, als er behutsam mit einer Hand die Fingerspitzen fasste, das im Regenparka anonym eingetütete Bündel zu Eis erstarren ließ. Entweder täuschte die Verkleidung oder aber sein Gegenüber war tatsächlich sehr zartgliedrig, fast fragil zu nennen! »Jedenfalls niemand, der grobe Arbeiten verrichtet«, so viel konnte er aus den eleganten Fingern schon ablesen. Im Vergleich zu seinen sonnengebräunten, von der Landarbeit gezeichneten Händen war auch zu konstatieren, dass Joao Asiate sein musste. So schöne Hände bei einem Mann sah man bei Europäern oder Amerikanern wirklich selten, befand Stuart. Nachdem er das versehrte Handgelenk nahe genug in seine Richtung dirigiert hatte und das unterdrückte Winseln geflissentlich überhörte, faltete er das große Stofftuch mit dem Koala-Aufdruck in einen elastischen Streifen, fixierte damit das Gelenk sorgsam. "Jetzt solltest du die Hand ruhig halten, am Besten eine Weile nicht benutzen, dann kommt sicher wieder alles in Ordnung", mühte er sich, Joao aufzuheitern. »Steif wie ein Brett.« Stuart kam schließlich aus der Hocke hoch, stemmte die Hände in die Seiten. Obwohl Joao offenkundig vollkommen erschöpft und übermüdet war, immerhin nickte er einfach im Gespräch mit einem Fremden ein!, gelang es dem wenig jüngeren Mann trotzdem, bei jeder Annäherung zu versteinern. »So geht das nicht weiter!«, beschloss Stuart energisch, griff einfach blitzartig zu, um die lästige Kapuze vom Kopf zu streifen, damit er endlich sehen konnte, mit wem er sich da unterhielt, nun gut: wer während seines Monologs weggedämmert war. Einen erschreckten, heiseren Laut später verkroch sich Joao fast im Sofa, verheddert in den Trägern seines Rucksacks, sonst wäre er ohne Zweifel auf den Gang geflohen. Stuart dagegen keuchte überrascht. Unter der Kapuze hatte sich ein prachtvoller Schopf leicht zerzauster, aber ungemein schöner, blauschwarz schimmernder Korkenzieherlocken verborgen! "WOW", ächzte er laut, unterdrückte das Verlangen, unanständig, aber bewundernd zu pfeifen. »Für solche Haare würden ne Menge Leute töten«, schoss ihm durch den Kopf, und er musste seine Kinnlade wieder zwischen den Knien einsammeln. Um sein peinliches Starren ein wenig zu kaschieren, ging er wieder in die Hocke und angelte ungeniert in Joaos rechter Jackentasche, eindeutig im Vorteil durch dessen Verstrickung mit den eigenen Rucksackträgern und der lädierten Hand. "Hör mal", er wippte auf die Fersen zurück, beäugte den unscheinbaren Zylinder in seiner Hand, "ich schlage dir einen Tausch vor: du nimmst die Sonnenbrille ab und ich gebe dir das Ding hier." In dem bleichen, herzförmigen Gesicht zuckte kurz ein Nerv, blendend weiße Zähne lugten hinter rauen Lippen hervor, zerbissen die ohnehin malträtierte Haut, bevor die unverletzte Hand nach oben reichte, eine mondäne Sonnenbrille mit violetten Gläsern entfernte. Dieses Mal, das wusste Stuart mit Sicherheit, gab es keinen Weg, sein Staunen zu tarnen. Er hörte sich selbst, merkwürdig distanziert, vernehmlich nach Luft schnappen, in den Bann geschlagen von der exotischen Schönheit des Parfümeurs. Wie konnte man auch erwarten, dass ein Japaner dunkelgrüne Augen, in lange, dichte, schwarze Wimpern eingefasst ohne Vorwarnung auf die Umwelt losließ?! Endlich konnte Stuart sich wie ein Hund schütteln, streckte die Hand aus und gab den Zylinder heraus. Nicht einen Augenblick später taumelte er überrascht zurück, weil ihn mehrere Dosen eine Sprühnebels trafen. Er wischte sich über das Gesicht, nieste heftig. Zeitgleich bemühte sich Joao mit zusammengebissenen Zähnen, seine Turnschuhe von den Rucksackträgern zu befreien. »Na, jetzt weiß ich Bescheid!«, grimmig versperrte Stuart die Tür, verhinderte eine hektische Flucht. "Tschuldige, Kumpel, aber so einfach geht's nich!", versetzte er gedehnt, richtete sich zu seiner imponierenden Körpergröße auf und stellte die Schultern aus. Joao versteckte sich hinter dem Sofa in der anderen Ecke, den Rucksack vor sich gepresst, trotzig und verängstigt zugleich. Stuart ließ die Arme sinken, atmete tief durch, "warum fangen wir nicht noch mal von vorne an, hm?" Er wischte sich durch die kurzen Haare, rieb sich gedankenverloren über das Kinn und kniff die Augen ein wenig zusammen, als blende man ihn, "also, ich heiße Stuart O'Neil, aber du kannst mich gerne wie meine Freunde Stu nennen. Ich arbeite in Perth, Westaustralien, bei der Polizei. Ich lebe allein, meine Familie, Nana, Poppa und Mom in der Nähe von York, einer Kleinstadt. Mein jüngerer Bruder Glenn und seine Frau Gussie haben eine eigene Farm, ebenfalls in der Nähe von York." Nachdenklich rollte Stuart mit den Schultern, "schätze, ich sollte damit weitermachen, warum ich hier bin, oder?" Scheinbar gedankenlos gab er die Tür frei, hockte sich wieder auf das Sofa und spülte sich den Mund mit dem Bier aus. "Das Ganze verhält sich so", knüpfte er an den Gesprächsfaden an, "derzeit gibt es irgendwelche diplomatischen Magenverstimmungen zwischen meiner Heimat und deiner, deshalb hat man einen Austausch von Beamten organisiert, damit sich die Wogen wieder glätten, weil wir ja alle gute Freunde sind." Grimassierend zerkaute Stuart eine Handvoll Knabbereien, "so bin ich hier beim Kollegium im Präsidium gelandet. Da habe ich dann auch von den Botschaften über die bevorstehende Revolution erfahren. Eigentlich", er studierte den bleichen Joao eindringlich, "war das nur ein Hirngespinst, dem ich nachgejagt bin, weil mein Kollege hier, Yukio Honda, keine Zeit hatte, sich um mich zu kümmern." Stuart blendete sein prachtvolles Gebiss auf, "wahrscheinlich verdanke ich ihm sogar unser Treffen hier. Er kann mich nämlich nicht ausstehen, weil er glaubt, dass alle Schwergewichte nur darauf aus sind, sich überall rücksichtslos durchzusetzen." Er lehnte sich vor, stützte die Unterarme mit gefalteten Händen auf seine Oberschenkel und ergänzte leise, "allerdings kann ich es ihm nicht verdenken. Zufällig habe ich mitbekommen, dass sein Boss ihn im Büro vögelt." Heimlich schielte Stuart hoch, wartete auf eine Reaktion. Joao wirkte noch fahler, totenbleich, präzise formuliert, erstarrt und verängstigt. »Dabei solltest du eigentlich mehr Selbstvertrauen haben, oder funktioniert deine revolutionäre Erfindung nicht?« Um die bedrohliche Gesprächspause mit weiterem Gewicht zu belasten, leerte Stuart seine Bierdose, drückte sie geübt zusammen. "Wo war ich? Ach ja, das Hirngespinst", er starrte Joao nun unverwandt an, Pokerface a la O'Neil, kein Blinzeln. Dann lächelte er maliziös, "mich hat die Wortwahl zuerst stutzig gemacht, dann noch Yukios Verhalten mir gegenüber und plötzlich kam mir die wahnwitzige Idee: was wäre, wenn jemand eine Möglichkeit gefunden hätte, unsere Pheromone auszuschalten?" Ein Rinnsal Blut sickerte langsam aus Joaos Mundwinkel hinunter zum Kinn. "Und wie ich darüber nachdenke", Stuart gab Joao keinen Augenblick aus seinem sezierenden Bannblick frei, "da scheint mir alles ganz plausibel. Man nehme einen Parfümeur, Absolvent dieses renommierten Instituts in Versailles. Man gebe ihm ein großes Labor bei einem bekannten Kosmetikkonzern, kombiniere ihn mit einigen Computer-Freaks und schon ist die Revolution perfekt." Joao reagierte gar nicht mehr, das Blut hatte sein Kinn erreicht, tröpfelte auf den Regenparka. "Deswegen hast du mich doch auch vorhin eingenebelt, oder nicht? Demnach glaubst du daran, dass deine Erfindung funktioniert, nicht wahr?" Langsam erhob er sich, fischte aus einer Hosentasche ein Zellstofftaschentuch, streckte es Joao hin, tippte sich selbst mit der freien Hand aufs Kinn, um anzudeuten, zu welchem Zweck seine milde Gabe Verwendung finden sollte. Als Joao keine Anstalten unternahm, sich von seinem Rucksack zu trennen und die unverletzte Hand auszustrecken, legte Stuart das Taschentuch einfach in Reichweite ab, richtete sich wieder bequem ein, die Arme raumgreifend auf der niedrigen Lehne abgelegt. "Was uns zum Hier und Jetzt führt. Ich habe weder Yukio noch jemandem anderen von der hiesigen Polizei Bescheid gesagt, aber ich weiß, dass der Inlandsgeheimdienst auf diese Revolution angesetzt ist, dass die Leute Angst haben, es stehe ihnen ein zweiter Giftgasanschlag wie damals in der U-Bahn von dieser ominösen Sekte bevor. Ich nehme an, dass deshalb deine Freunde dafür gesorgt haben, dass wir uns treffen", Stuart richtete sich auf, beugte sich vor, wies unmanierlich, aber pointiert auf Joao mit seiner Rechten, "weil du nämlich bis zum Hals in Schwierigkeiten steckst." Joao brachte noch immer kein Wort über die Lippen, dafür folgte ein weiteres Rinnsal Blut dem ersten bis zum Kinn. Grummelnd kam Stuart auf die Beine, "so, an der Stelle wäre es ganz günstig, wenn du auch mal was sagen würdest. Ich habe nicht vor, dir was zu tun, also, wie wär's mit ein paar Worten für den feschen Australier hier?" Dabei grinste er breit in seiner besten 'dämlicher Aussie-Touristen'-Rolle. "Mir ist schlecht", verstand er gerade noch, bevor Joao den Rucksack fahren ließ, eine Hand vor den Mund presste und blindlings zur Tür taumelte. Stuart unterdrückte einen Fluch, sammelte rasch seine Habseligkeiten und die Sprühdose ein, warf sich abschließend auch noch Joaos Rucksack über die Schulter, bevor er die Verfolgung aufnahm. In der schmutzigen, wenig einladend riechenden Toilette fand er Joao über ein Loch gebeugt, zitternd und würgend. »Was für ein Dreckstall!«, Stuart balancierte das Gepäck aus, feuchtete ein Taschentuch mit lauwarmen Leitungswasser an, bevor er Joao an der Schulter hochzog, gegen die Wand drängte und ihm trotz der verzweifelten Gegenwehr das Gesicht sauber wischte. "Wir gehen", gab er knapp die Losung aus, stülpte Joao die Kapuze über die Lockenstränge, hakte ihn herrisch unter und marschierte mit langen Schritten zum Ausgang. Da er die 'Dienstleistungen' des Etablissements per Vorkasse ausgeglichen hatte, ließ er sich nicht auf einen 'Schwatz' mit dem Türsteher ein, sondern knurrte etwas Bedrohliches in seiner Muttersprache, bevor er Joao auf die Straße zerrte. Der taumelte ungelenk, wollte sich losmachen, doch Stuart zischte ihm zu, dass Flucht aussichtslos sei ohne Rucksack oder die Sprühdose. Er spürte förmlich, wie seinen widerwilligen Begleiter der Mut verließ, die schmalen Schultern herabsackten. Stuart warf den Kopf in den Nacken, suchte die prahlerisch blinkenden Leuchtanzeigen nach Stundenhotels ab. Weit konnte er Joao nicht schleppen, das war selbstverständlich, aber doch wenigstens entfernt genug, damit sie nicht eventuell Verfolgende auf sich aufmerksam machten. In einer Gasse fand er ein handtuchschmales Gebäude mit einem teilweise lädierten Reklameschild, überschlug seine Barschaft und entschloss sich, es zu wagen. Hier gab es keine digitalen Aufnahmen der Zimmer, sondern einen bescheidenen Tresen neben einer Pinnwand mit einfachen Fotos. Er bestellte auf Japanisch ein freies Zimmer, bitte schön für die gesamte Nacht, zählte die Scheine ab und nahm einen Schlüssel mit einem winzigen Holzperlenanhänger an sich. Aufzüge fehlten, also hieß es, die enge, steile Treppe hoch zu steigen, bis er endlich ihr Zimmer kurz unter dem Dach fand. Behutsam dirigierte er Joao vor sich hinein, blockierte die Tür und warf die Rucksäcke ab, rollte mit den Schultern. Auf dem Boden wartete ein aufgeschlagener Futon, in der normalen Größe, was bei Stuart ein bekümmertes Seufzen auslöste. Er war einfach zu groß für diese Miniaturwelten! Joao sank in einer Zimmerecke auf die Knie, rollte sich zusammen, das Gesicht unter der Kapuze versteckt. Für einen langen Moment studierte Stuart das Häufchen Elend und kam zu dem Schluss, dass Joao am Ende seiner Kräfte war. Vielleicht wussten dessen Freunde um den schlechten Zustand und hatten deshalb die Initiative ergriffen, sie zusammenzuführen? Stuart kramte seinen Dienstausweis und den Reisepass aus seinem Rucksack, legte beides vor Joao ab, dann begann er, sich bis auf seine Unterhose auszuziehen, sprühte sich anschließend gründlich mit Joaos Erfindung ein. Als er erneut nieste, bemerkte er, dass Joao ihn beobachtete, grau im Gesicht, aber noch einigermaßen aufnahmefähig. "Hier", Stuart stellte die Dose neben seine Personalpapiere, hockte sich dann neben den Futon, "was noch? Was soll ich noch tun, damit du keine Angst vor mir hast? Sag's mir bitte." Joao schwieg, nagte an der lädierten Lippe, verzog unwillkürlich das Gesicht, als er sein eigenes Blut schmeckte. "Willst du meine wahre Seele sehen? Ja?", Stuart ließ sich auf dem Futon nieder, "ist es das?" Üblicherweise konnte sich ein Madararui nicht weiter entblößen, wurde verwundbar und lieferte sich aus, wenn seine wahre Seele hervortrat. "Na gut", Stuart beantwortete seine Frage selbst, schloss die Augen und konzentrierte sich. Selbst für ein Schwergewicht wie ihn war es nicht einfach, die wahre Seele hervorzulocken, denn sie zeigte sich nur in emotionalen oder körperlichen Ausnahmesituationen, aber er war ein Premium, beherrschte sämtliche Geheimtechniken und wusste deshalb auch, wie er sich in den erforderlichen Zustand versetzen konnte, um seine wahre Seele zu offenbaren. Keuchend und benommen kippte er schließlich nach vorne auf die leichte Matratze. Vor seinen Augen tanzten schwarze Flecken, doch er konnte erkennen, dass Joao ihn sichtbar eingeschüchtert musterte, in gebotener Entfernung blieb. Kein Wunder, ein australisches Krokodil, der Drachengattung zugehörig, das WAR imponierend! "Was noch?", Stuart wischte sich Speichel vom Kinn, "Joao?" "...deine Arme...auf den Rücken", Joao krächzte heiser, die dunkelgrünen Augen huschten besorgt über Stuarts Gestalt. War es nicht doch eine Falle? Der drehte sich herum, glitt von seinem bequemen Schneidersitz auf die Knie und bog gehorsam die Hände auf den Rücken. Mannhaft unterdrückte er ein nachsichtiges Grinsen, als er spürte, wie ungelenk und unkundig Joao versuchte, ihn einhändig zu fesseln. »So so!«, dachte er im Stillen, »du hast furchtbare Angst davor, dass ich dich anfasse. Geht es dir wie Yukio?« Als er nun scheinbar sicher vertäut auf dem Boden saß, glitt ein Teil der Anspannung von Joao ab. Er schälte sich aus dem Regenparka und studierte eingehend Stuarts Dokumente. "Es hätte keinen Sinn, mich zu töten", versicherte er heiser, "es kann nicht mehr aufgehalten werden." "Ich habe nicht die geringste Absicht, dir etwas zu tun. Könnte aber sein, dass andere das anders sehen", ergänzte Stuart ernst, "es könnte auch sein, dass sie erfahren wollen, wer deine Verbündeten sind. Und dich foltern, um an die Wahrheit zu kommen." Joao wurde weiß, ließ Stuarts Reisepass sinken. "Wenn ich dich finden kann", Stuart starrte Joao eindringlich an, "dann können andere das auch. Deshalb bist du doch auch untergetaucht, nicht wahr?" Ihm wurde keine Antwort zuteil, denn Joao erhob sich, sammelte seinen Rucksack ein und verzog sich in das kleine Separee, wo sofort Wasser rauschte. Stuart seufzte, überprüfte rasch die Kunstfertigkeit seiner Fessel. Er hatte gelesen, dass in Japan die Fesselkunst besonders bizarre Blüten trieb, doch Joao war offenkundig ein absoluter Novize auf dem Gebiet. »Umso besser«, er behielt die transparente Schiebetür im Auge. Jetzt, wo er Joao aufgestöbert hatte, musste er sich endlich die Frage gestatten lassen, wie es weitergehen sollte. Recht haben war ja ganz nett für das gebauchpinselte Ego, doch dieser Zustand hielt nicht lange an. »Am Ende wollten diese Nerds, dass ich ihn mitnehme«, in Stuarts Kopf formte sich ein Plan. Plausibel wäre das durchaus, denn er hatte den Eindruck, dass Joao nicht mehr in der Lage war, sein Versteckspiel aufrechtzuerhalten. Einfacher wäre es, im Ausland unterzutauchen, bis die sprichwörtliche Stinkbombe geplatzt war. Während er im Geist diese Option abwog und für den Notfall eine Strategie entwarf, verließ Joao das Separee. Die schmuddelige Jeans war einer dünnen, zerknitterten Pyjamahose gewichen, das Oberteil bestand aus einem ebenso zerdrückten Unterhemd. Beide Kleidungsstücke betonten die überschlanke, bleiche Gestalt. Wortlos streckte sich Joao neben Stuart auf dem Futon aus, kehrte ihm den Rücken zu. "Schlafen ist eine gute Idee", grummelte Stuart enttäuscht, rollte sich auf eine Seite und beschloss, zu warten, bis Joao eingeschlafen war, um die Fesseln zu lockern, damit er die Hände wenigstens nach vorne nehmen konnte. "Sag mal, wie denkst du über eine Reise nach Australien?", ein wenig Triezen schadete nie! Wenn Joao Gedanken wälzte, so vertraute er sie Stuart nicht an. Zu einem Ball zusammengerollt dämmerte er weg. Stuart dagegen nutzte die Zeit, aus dem vagen Plan eine Kriegstaktik zu formen. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er kopfüber in eine riesige Affäre gestolpert war und nun nicht mehr weichen konnte. Nein. Er WOLLTE nicht mehr weichen. +#~#+ Irgendwo im Treppenhaus schlug eine Tür vernehmlich an eine Wand. Stuart schreckte hoch, blinzelte heftig und entsann sich wieder, wo er gerade logierte. Er stützte sich auf die Ellenbogen auf und wandte den Kopf. Joao hatte sich neben ihm im Schlaf auf den Rücken gedreht, wirkte jünger, als sein Alter vermuten ließ, vor allem aber vernachlässigt und schutzbedürftig. Verletzlich. Stuart streifte sich skrupellos die ungeschickt angelegten Handfessel ab, kam auf die Beine und wechselte in das Separee, um sich zu erleichtern und zu erfrischen. Dann schlüpfte er wieder in seine Kleider vom Vortag, denn seine Wäsche befand sich noch im Schließfach in der Bahnstation. Er kniete sich neben Joao auf den Futon und streichelte behutsam die Korkenzieherlocken aus dessen herzförmigem Gesicht. Dabei wurde ihm erneut bewusst, dass er noch niemals zuvor einen so schönen Mann gesehen hatte. »Natürlich ein bisschen arg bleich und mager«, korrigierte er sich eilig, aber das hinderte sein Herz nicht daran, wie eine Kriegstrommel zu donnern. »Reiß dich zusammen!«, rief er sich stumm zur Ordnung, »du hast doch gemerkt, dass er ein Problem mit dir hat! Mach's nicht noch schlimmer! Bist du ein Profi, oder was?!« Stuart stoßseufzte geschlagen von seinem strengen Gewissen, »Yepp, Kumpel, hab's kapiert. Hände auf den Rücken, schon klar!« "Joao? Joao, aufwachen", er wisperte eindringlich auf Japanisch, entfernte sich artig für den Fall, dass Joao schon im Aufwachen selbst bemerkte, dass er ohne Erlaubnis liebkost worden war. Tatsächlich blinzelte Joao, dann sah er verstört an die Zimmerdecke, rollte sich ungelenk auf die Seite, um die Herkunft der unbekannten Stimme zu orten und erwischte natürlich wieder das mutmaßlich verstauchte Handgelenk. Ein Winseln später hockte er wie ein Häufchen Elend auf seinen Fersen, umklammerte sein Handgelenk zusammengekrümmt. "Denkst du, hier gibt's Eiswürfel?", Stuart hielt das zwar für ausgesprochen unwahrscheinlich, aber er wollte wenigstens den lauteren Versuch unternehmen, Joao von dessen Elend abzulenken. Müde, bange Augen blickten ihn an, leicht verschleiert, aber immer noch so wundersam dunkelgrün, dass Stuart stumm staunte, verzaubert. "...wie spät ist es...bitte?", klang Joaos Stimme noch brüchiger und rauer als am Vortag? Stuart konsultierte seine Armbanduhr, nannte die Zeit und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. "Zieh dich bitte rasch an, damit wir hier verschwinden können", forderte er Joao auf, um dann aufgeräumt das Tagespensum zu erklären, "als Nächstes holen wir uns irgendwo Wegzehrung und sammeln mein Gepäck ein, dann flitzen wir zu meiner Botschaft, um für dich ein Eil-Visum zu besorgen. Dann sehen wir zu, dass wir im nächsten Flieger Downunder sitzen." Joao rührte sich nicht von der Stelle, aber seine Aufmerksamkeit hatte sich von der lädierten Rechten Stuart zugewandt. "Ich erklär's dir", der bemühte sich um ein britisches Englisch, da er sicher sein wollte, dass Joao ihm auch folgen konnte, "du willst deine Freunde und deine Familie nicht in die Sache mit hineinziehen, also tauchst du unter. Doch wie lange noch, bis die Revolution startet? Kannst du so lange durchhalten? Was dann? Ich habe dich gefunden, also ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere das auch können und dich erwischen. Die Alternative besteht darin auszureisen, solange niemand dich zur Fahndung ausschreibt. Du kannst natürlich", Stuart beschrieb großzügig einen weiten Bogen, "auch bei anderen Leuten im Ausland unterschlüpfen, Frankreich oder Spanien, da hast du ja Verbindungen. Allerdings", Stuart kam aus der Hocke hoch, blickte auf Joao hinunter, "dort werden sie dich sicher schnell aufstöbern. Darum komm mit mir. Ich kann dir fix ein Visum besorgen. Wer sollte vermuten, dass ausgerechnet ein Polizist dir Unterschlupf gewährt, hm?" Als Joao nicht reagierte, schnappte sich Stuart dessen Sprühdose, nebelte sich gründlich ein, nieste und sank vor ihm auf die Knie, "wir haben keine Zeit, Joao! Ich zwinge dich nicht, ich wickle dich nicht ein, also, wie steht's?!" Der Angesprochene wandte den Kopf ab, nagte an seiner Unterlippe, sichtbar angespannt und ratlos. Stuart schnellte elastisch vom Boden hoch, schnappte sich seinen Rucksack, "gut, deine Entscheidung, das respektiere ich." Doch noch bevor er Joao den Rücken gekehrt hatte, hielt ihn dessen heiserer Ruf auf, "ich komme mit!" So unbeholfen und wacklig wie am Vorabend kam nun auch Joao auf die Füße, stolperte in das Separee, um sich eilends zu erleichtern, eine Katzenwäsche zu absolvieren und dann mit Widerwillen in ein zerknittertes Hemd und die schmutzige Jeans des Vortags zu steigen. Nach einem kontrollierenden Blick in die Runde entschied Stuart, dass sie nichts vergessen hatten und deshalb aufbrechen konnten. Auf der Straße, noch in die Morgendämmerung gehüllt, schob er Joaos Korkenzieherlocken unter die Kapuze, maskierte ihn mit der Sonnenbrille und fasste ihn ungeniert bei der Hand. Joao wollte sofort aufbegehren, aber Stuart zischte ihm grollend zu, er wolle doch nicht einfach entdeckt werden, oder? Dann müsse er für eine kleine Weile die weibliche Hälfte eines tumben Ausländerpärchens spielen! Solcherart eingeschüchtert hüllte sich Joao in Schweigen, begnügte sich damit, stumm die Wegzehrung entgegenzunehmen, die Stuart besorgte, bevor die erste Bahnfahrt des Tages anstand. Es war noch nicht so voll wie zur Stoßzeit, deshalb konnte er Joao auf einen Sitzplatz bugsieren, ihre Rucksäcke wie mobile Poller daneben. Er wollte nicht, dass jemand sie für etwas anderes hielt als ein ziemlich rücksichtsloses, da mit den einheimischen Gepflogenheiten unvertrautes Pärchen. An der Bahnstation angekommen löste er seine Reisetasche aus, öffnete sie und drückte Joao noch unbenutzte Hosen und ein T-Shirt in die Hand. "Kommst du auf der Damentoilette klar?", erkundigte er sich leise, immerhin sollte die 'Camouflage' noch eine Weile aufrechterhalten werden. Joao zog im Schatten der Kapuze eine Grimasse, presste dann die Wäschestücke an sich und huschte in die große Bahnhofstoilette. Für Damen. Stuart tat es ihm nach, allerdings in der Abteilung für Herren, wechselte dort zwischen zahlreichen Angestellten und frühen Schülern seine Kleider, strich sich über die Wangen. Doch Zeit, sich zu rasieren, die hatten sie einfach nicht! Also wartete er auf Joao, der sich eilig zu ihm durch die Pendlerströme durchdrängte. Schweigend suchten sie sich die Linie, die sie zur australischen Botschaft bringen würde. Durch ihr Gepäck war es recht einfach, sich einen winzigen, privaten Raum in der Bahn zu verschaffen. Stuart musterte Joaos eingesunkene Gestalt besorgt, doch mehr, als flüsternd seine Schulter anzubieten, konnte er nicht tun. Als sie endlich wieder in der Nähe der Botschaft ans Tageslicht kamen, zeigte sich bereits, dass der neue Tag schwül-heiß werden würde. Stuart warf einige Münzen in einen Automaten, kaufte Getränke und nötigte Joao, gleich eine Dose Tee zu leeren, dann wies er auf den Regenparka, "zieh ihn am Besten aus, sonst schwitzt du zu sehr. Also, gehen wir rein!" Im Eingang wurden die Besuchenden auf ihr Begehren hin befragt, und Stuart ließ sofort nach Granger schicken, zückte seinen Dienstausweis. Immerhin befand er sich ja auf heimatlichem Boden! Granger ließ sie dann auch in sein Büro bitten, starrte Joao so unverbrämt ein, dass dessen fahle Wangen sich einfärbten. "Danke, dass Sie mich so früh empfangen", Stuart lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, denn es ärgerte ihn durchaus, wie sezierend sich Grangers Blick auf Joao richtete, "ich muss in einer dringenden Familienangelegenheit sofort zurück und würde gleich auch meinen Bekannten Joao Inugawa mitnehmen. Wie schnell kann er ein Touristenvisum bekommen?" Hinter seinem zugebauten Schreibtisch runzelte Granger die Stirn, lehnte sich so weit zurück, dass das Hemd über seinem Spitzbauch gefährlich spannte, den Knöpfen noch größere Verantwortung übertrug. "Das ist nicht so einfach", beschied er gedehnt, "die Terrorgefahr, und so weiter. Ist wohl ein Kurzbesuch, wie? So wenig Gepäck", damit wies er spitzfindig auf Joaos Rucksack. "Schätze, dann sollten wir uns beeilen", Stuart kam wieder hoch, funkelte finster auf Granger hinab, kramte dann den USB-Stick aus seiner Hosentasche, "hier, Ihr Eigentum." "Man dankt", Granger erwiderte den wütenden Blick gelassen, "Sie haben ihn wohl nicht häufig benutzt, wie?" Stuart sparte sich die Antwort, wusste nun aber, dass der USB-Stick tatsächlich eine Art Peilsender haben musste, denn sonst hätte Granger nicht wissen können, dass er den USB-Stick mit seinem Gepäck im Schließfach aufbewahrt hatte, um nicht mehr aufzuspüren zu sein. "Komm!", drängte er Joao zum Aufbruch, schnappte ihr Gepäck, nickte Granger zu. Am Ende des Flurs sah er sich um, aber Granger hatte keine Anstalten unternommen, ihren Aufbruch zu verfolgen. Mahnend legte er den Finger auf den Mund, signalisierte Joao, der möge schweigen, dann lauschte er an Türen, kramte seinen Dienstausweis hervor. In dem ledernen Etui befand sich auch ein 'Freund und Helfer', mit dem man ein recht einfaches Schloss öffnen konnte. Hier, innerhalb des Sicherheitsbereichs, benötigte man keine aufwändigen Schlösser mehr. Das Büro schien durchaus genutzt zu werden, doch vermutlich war der/die/das Inhabende noch nicht im Dienst. Stuart winkte Joao eilig hinein, nahm sich dann das Telefon vor. Zunächst erprobte er, ob es abgesperrt war, erkannte das Modell und überlistete die kleinen Sicherheitsvorkehrungen, schaltete auf die Werkeinstellungen zurück und rief seinen Bruder Glenn an. Zu seinem Glück war Gussie auf dem Posten, die Ortszeit war eine Stunde hinter der Tokioter Zeit. Ohne Umschweife erklärte er, wegen der Erkrankung ihrer Großmutter sofort zurück zu fliegen, allerdings mit Übergepäck. Ob sie ihm rasch einen Flug raussuchen könne? Er hörte Gussies Finger über die Tasten fliegen, warf Joao einen Blick zu. Der lauschte tatsächlich, ob sich jemand über den Flur dem Büro näherte. Diese Initiative entlockte Stuart ein Lächeln und einen hochgereckten Daumen. Gussie gab ihm mehrere Flüge an, abhängig von seiner Möglichkeit, sich loszueisen. Er bedankte sich knapp und bestellte Grüße an das 'alte Warzenschwein', im Vertrauen darauf, dass Gussie sofort Glenn kontaktieren würde, denn der konnte seine kodierten Anweisungen entschlüsseln. Im Anschluss wählte er Glorias Nummer an. Wenn er schon Schützenhilfe benötigte, dann musste er ein gewisses Risiko eingehen! Gloria meldete sich gewohnt munter, aber misstrauisch, denn sie kannte die Nummer ja nicht. Stuart unterbrach ihren Redefluss eilig, "Gloria, Süße, hier ist Stu! Kannst du mir helfen, ein Eil-Visum zu bekommen? Ich hocke hier in der Botschaft, und die müssen erst noch den Faustkeil erfinden!" Das zwar eingestandenermaßen übertrieben, aber er wollte Glorias Ehrgeiz anstacheln. Wenn sie Joao durch den Computer jagte, das Ergebnis dann über Fax direkt in die richtige Abteilung sandte, würde es nicht so lange dauern, hoffte er. Gloria schnaubte, "jetzt sag mir nicht, du hast dir ne Geisha aufgerissen und schleppst sie ab?" "Fehlanzeige", Stuart rollte mit den Augen, "hör mal, ich kann nicht länger sprechen! Hast du die Nummer vom Fax? Danke, ich schulde dir was!" Stuart beendete eilig das Telefonat und atmete tief durch, »wie gut, dass ich gleich in den ersten Tagen die Souvenirs besorgt habe!« Er wollte jetzt lieber nicht daran denken, wie er Gloria ihre Hilfe zu vergüten hatte. Rasch schulterte er ihr Gepäck, winkte Joao dann, ihm zu folgen. Er reihte sich mit ihm in die Schlange derer ein, die ein Einreisevisum beantragen wollten. Hastig füllte Stuart die Formulare aus, gab sich selbst als Bürgen an, staunte nicht schlecht, als Joao bereitwillig sein Sparbuch zückte, um eine Kopie anzufertigen, die als Garantie dafür diente, dass er fähig war, seinen Lebensunterhalt für die maximal 90 Tage Aufenthalt zu finanzieren. Selbst sein Namenssiegel hatte er eingesteckt, ergänzte damit die Unterschriftsleiste. Als sie an den Schalter traten, winkte die junge Bedienstete bereits mit dem Fax. "Normalerweise müssten Sie drei Tage warten", erklärte sie Joao treuherzig, der schon wieder matt wirkte, "wir kommen kaum nach mit den Formalitäten." Stuart präsentierte sein Gebiss vollständig, "er ist ein Freund von mir." Er klappte seinen Dienstausweis auf. "Na, dann ist ja alles in Ordnung!", Sie strahlte zu Stuart hoch, "viel Vergnügen in Oz, Mister Inugawa." Joao nickte bloß erschöpft, wurde von Stuart auf die Straße vor die Botschaft bugsiert, nun auch noch seines Rucksacks ledig. "Wir legen besser einen Zahn zu", murmelte Stuart, "bevor irgendwer anfängt nachzudenken. Willst du noch etwas essen oder trinken, bevor wir nach Narita fahren?" "Was ist mit dem Flug?", Joao wischte sich über die Stirn, ächzte unter der Hitze, die keine Klimaanlage verscheuchte. Auch Stuart brach der Schweiß aus. "Kein Problem, ich habe einen offenen Rückflug, und für dich kann ich gerade noch ein Ticket auslegen", feixte er aufmunternd. Wenn sie nur endlich in der Luft wären! Dann könnte er befreit durchatmen. +#~#+ Da die Stoßzeiten gemächlich abebbten, fühlte es sich nicht ganz so wie in einem türkischen Dampfbad an, aber beinahe. Trotz der Klimaanlagen stand die Luft im Abteil förmlich, es stank nach Schweiß, Rasierwasser und Parfüm. Stuart fragte sich, ob er selbst auch schon so elend wie Joao aussah, der ein lädiertes Zellstofftaschentuch vor den Mund presste und von winzigen, schimmernden Tröpfchen benetzt war. Matt und in Stuarts Fall auch grimmig kletterten sie endlich auf den Bahnsteig. Zielgerichtet hielt Stuart auf den Schalter seiner Fluggesellschaft zu, denn er musste ja seinen Rückflug umbuchen lassen, auf den nächsten freien Flug nach Hause, für den noch zwei Plätze zu ergattern waren. Dummerweise hoben die Flüge alle erst ab 20 Uhr Ortszeit vom Boden ab, sodass sie noch mehrere Stunden unbequemer Wartezeit totzuschlagen hatten. Missmutig studierte Stuart die Möglichkeiten von Zwischenstopps, doch keine alternative Route beschleunigte ihr Fortkommen. "Fein!", brummte er grimmig, "wenigstens ein Direktflug. Wenn Glenn uns einsammelt, können wir auch noch zeitig verschwinden." Dazu musste er seinen jüngeren Bruder lediglich über ein elektronisches Schwarzes Brett über die exakten Flugdaten informieren. Zunächst beschloss Stuart aber, dass ein zünftiges Mittagessen angebracht sei. Er hatte keine Lust, die eingetauschten Yen mitzunehmen, also lieber in Wegzehrung umwandeln, die man nicht am Schalter als Übergepäck aufgeben musste! Zu seiner durchaus freudigen Überraschung langte Joao ordentlich zu, selbstredend manierlich, doch unverkennbar hungrig. Schweigend suchten sie sich Sitzplätze in einer Wartezone, denn nach Flanieren in den Einkaufsmeilen stand ihnen nicht der Sinn. Joao wickelte sich in seinen Regenparka, rollte sich wie geübte U-Bahn-Schlafende ein und döste allem Augenschein nach. Stuart verfolgte mit wachsender Anspannung die abwechselnden Informationsschnipsel auf einer Videoleinwand. Reklamefilmchen wechselten sich mit nach seiner Auffassung exzessiven Wetterreportagen ab, unterbrochen von Kurznachrichten. Auch heute bestimmte das seltsame Phänomen einer unbekannten revolutionären Gruppierung die Schlagzeilen. Noch immer wurde in alle Richtungen spekuliert, doch Stuart wollte sich davon nicht einlullen lassen. Er HATTE einfach Glück gehabt, aber das konnten andere auch und deshalb wuchs sein Unbehagen mit jeder Stunde, die sie hier zur Untätigkeit verdammt ausharren mussten. Dass Joao trotz der Anspannung schlafen konnte, irritierte Stuart zusätzlich. Vielleicht war es auch nur die allgemeine Erschöpfung? Endlich konnten sie aufstehen, Stuarts Gepäck aufgeben, dann hieß es warten, bis sie durch die Schleusen gewunken wurden, um final den Flieger zu besteigen. Ihre Plätze lagen nicht allzu weit voneinander entfernt, sodass Stuart ein wachsames Auge auf seinen schläfrigen Begleiter haben konnte. Er sackte mit einem Seufzer tiefer in die Polster, als das Flugzeug den Bodenkontakt verlor, auf die Minute pünktlich. »Niemand hat versucht, uns rauszuholen!«, frohlockte er erleichtert. Bis zu diesem Augenblick war ihm selbst gar nicht bewusst geworden, wie angespannt und nervös er agiert hatte, so sehr, dass ihm nun die Muskeln schmerzten. Der zehnstündige Flug verlief ereignislos, und beide nutzten ihn, sich zu regenerieren. Ein staubiger Wind, der vom Landesinneren Hitze versprach, zerzauste ihre Haare, als sie aus der Abfertigungshalle traten. Die Sonnenbrille und seinen unverwüstlichen Rindslederhut aufgesetzt hielt Stuart nach seinem Bruder Ausschau. Ein hochachsiger, umgebauter Jeep blendete kurz auf. Stuart grinste erleichtert, na klar, Glenn hatte den 'Bastard' genommen, wie die eigenwillige Konstruktion getauft worden war! Von einer akuten Woge optimistischen Elans aufgeputscht marschierte Stuart vollbepackt mit weit ausholenden Schritten los, sparte sich die verbale Erklärung des Offenkundigen: dass sein Bruder sie abholte. Inzwischen hatte sich auch Glenn aus der Fahrerkabine geschwungen. Ein wenig kleiner als Stuart zeichnete er sich durch eine vergleichbare athletische Statur aus, der Teint ein wenig dunkler. "Alles bereit", brummte er gesprächig, entfernte dann die gewaltige, verspiegelte Sonnenbrille, um Joao die Rechte entgegenzustrecken, den Hut leicht gelupft, "wie geht's, Kamerad? Ich bin Glenn. Glenn O'Neil." Zögernd schob Joao seine Hand in die kräftige, krächzte heiser seinen Namen und fügte die steife britische Kennenlernfloskel an. "Bin mir sicher, dass es uns allen ein Vergnügen is!", kürzte Stuart schnodderig die Honneurs ab, "machen wir uns aus dem Staub." Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Wind mit den Sandkörnern im Gefolge nahm an Stärke zu, ähnelte einem groben Hagel. Stuart deponierte das Gepäck kurzerhand auf der hinteren Bank des Geländefahrzeugs, rutschte dann neben Joao, der sich trotz der großzügigen Maße des Wagens bedrängt fühlte und die Schultern schützend hochzog. Die Brüder schwiegen einmütig, ab und zu knisterte und knatterte das Funksprechgerät. »Jetzt ist auch nicht die Zeit für langatmige Legenden!«, befand Stuart, trotzdem war er seinem jüngeren Bruder dankbar, dass der keine Fragen stellte, obwohl sie ihn sicher beschäftigten. »Dabei bin ich nicht mal sicher, ob ich Antworten habe«, gestand er sich ein. Er HATTE eine impulsive Entscheidung getroffen, unzweifelhaft, doch selbst der spontane Impuls resultierte in vorangegangenen Entwicklungen. »Offenkundig bin ich für internationale Affären und in diplomatischen Angelegenheiten eine Null«, stellte er sich selbst ein Zeugnis aus. Die bekannte Landschaft, das Gefühl, nach Hause zu kommen, besänftigte ihn. Wie sehr hatte er die Weite, den schier grenzenlosen Himmel vermisst! Stuart griff in die allgegenwärtige Kühlbox, fingerte gekühlte Ingwerlimonade in Flaschen heraus. Glenn grunzte etwas, schluckte sparsam, während Joao reserviert seine Flasche in den Händen drehte. "Schmeckt gut", ermunterte ihn Stuart, nickte ihm zu. Eingeklemmt und zu höflich, um abzulehnen, kostete Joao schließlich tapfer. Heimlich grinste Stuart gegen seine Flaschenöffnung. Wenn Joao sich mit der Ingwerlimonade anfreunden konnte, dann würden auch die nächsten Tage gut verstreichen. "Schon mal hier gewesen?", Glenn maskierte sich gegen die aufsteigende Sonne des Morgens mit seiner futuristischen, verspiegelten Sonnenbrille. "Nein, ich war noch nie in Australien", antwortete Joao artig, spülte gegen den Staub mit der Ingwerlimonade nach. "Schätze, Stu hat nicht erwähnt, dass wir hier ein bisschen sparsam mit Besiedelungen ausgestattet sind", kurz blendete Glenn seine kräftigen Zähne auf. "Es ist eine erfreuliche Abwechslung", murmelte Joao. Stuart neben ihm mutmaßte, dass es im Inneren der Fahrerkabine des 'Bastard' noch keinen merklichen Unterschied zu den Zuständen in den japanischen Beförderungsmitteln zu bemerken gab. Eine Tour der Sehenswürdigkeiten verbat sich mangels Möglichkeiten, also sprang er mit anderen Informationen ein, "York, da wo Glenn und ich geboren sind, ist die älteste Inlandssiedlung hier in Westaustralien, liegt am Avon, außerdem an der Bahnlinie und an der Autobahn. Ist unser Verwaltungssitz." Glenn wechselte sich nun mit seinem älteren Bruder ab, "werden wir heute aber nicht hinfahren, sondern auf meine Farm. Ist schon reichlich spät." Das musste Joao merkwürdig anmuten, denn nach seiner überschlägigen Rechnung erreichten sie die Nähe von York bei dem mäßigen Tempo spätestens in einer Stunde, also knapp nach sieben Uhr in der Frühe! Stuart lächelte über Joaos Verwirrung und streute weitere Informationen wie Brosamen aus, "Stu hält Strauße und Kamele. Außerdem arbeitet er am Renaturierungsprogramm der Regierung mit." Der jüngere Bruder grunzte, "Tropfen auf dem heißen Stein, aber einer muss ja!" Dann beschleunigte er und griff nach dem Signalhorn. Die Antwort kam sofort, ein tieferer Dreiklang. Stuart schnappte sich den Sprechfunk und grüßte den Roadtrain, der wie eine surreale Rakete neben ihnen über den Asphalt schoss. Joao konnte der Unterhaltung kaum folgen, fragte sich im Stillen, wieso man behauptete, hier würde Englisch gesprochen, wenn dieses eigentümliche Idiom sich derartig unterschied. Glenn ließ sich wieder zurückfallen, scherte hinter dem Roadtrain ein. "Wird uns mitziehen. Haben mal wieder Staubteufel vor uns", erläuterte Glenn, aber Joao begriff den Inhalt dieser Mitteilung erst, als er bemerkte, wie auf der gegenläufigen Spur eine Staubsäule tanzte, einem Orkan ähnlich. Im Windschatten des gekoppelten Lastzugs waren sie einigermaßen vor dem Prasseln der Staubkörner geschützt. "Außer der Eisenbahn haben wir kaum öffentliche Verkehrsmittel auf dem Boden", Stuart lehnte sich ein wenig zu Joao rüber, "dafür lernen wir schnell, wie man abhebt." Er zog seine Sonnenbrille herunter, um Joao zuzuzwinkern, "vielleicht haben wir ja Zeit, dann hebe ich mit dir mal ab." Glenn grunzte, "soll ich deinem Boss ausrichten, dass du wirklich mal Urlaub nimmst?" In seiner Stimme schwang ein milder Vorwurf mit, den Stuart nicht überhören konnte. "War viel los in letzter Zeit", brummte er abwehrend. Es verhielt sich ja nicht so, als wäre er nicht gern zu 'seinen Leuten' gefahren, doch aus irgendeinem Grund hatte er sich einfach mit der Arbeit mitreißen lassen. Über seine wahren Beweggründe wollte er lieber nicht nachdenken. "Poppa, also mein Vater", lenkte er eilig ab, "ist früher auch mal Roadtrains gefahren." "Hat nix ausgelassen", ergänzte Glenn knapp, "hatten auch mal Schafe. Jetzt hütet er Rinder." "Wenn er nich beim Weinanbau hilft", Stuart grinste stolz über die Vielseitigkeit ihres Vaters, "meine Mom stammt aus einer Winzerfamilie." "Hat sie dir gesagt, dass sie wieder mit ihrem Wasserrecycling-Projekt herumbastelt?", Glenn drehte sich kurz zu Stuart um. Der schüttelte den Kopf und schämte sich ein wenig, weil er den Kontakt mit der Familie hatte schleifen lassen. In diesem Augenblick knackte das Funkgerät. Glenn griff selbst zu, noch immer sicher im Windschatten des riesigen Lastzugs. Ebenso knapp wie ihr Gatte teilte Augusta 'Gussie' mit, dass sie gleich mit dem Mosquito abheben würde, weil eine Nachbarin um Hilfe gebeten habe. Die Wehen kämen wohl in kürzeren Abständen, und jemand müsse auf die anderen Kinder aufpassen. "Meine Gussie is ne erstklassige Krankenschwester", verkündete Glenn sichtlich stolz, "sie geht unseren Fliegenden Ärzten zur Hand, wenn Not am Mann is." Joao, der sich stets höflich dem jeweiligen Sprecher zugewandt hatte, schwirrte der Kopf. Diese Welt war ihm völlig fremd, wirkte bedrohlich wild und unerwartet schwer verständlich. Bisher hatte er immer in Großstädten, ja, Metropolen gelebt, sodass er sich einer unbekannten Erfahrung gegenübersah und ausgeliefert fühlte. Da wusste er noch nicht, was für ein Abenteuer ihn erwartete. +#~#+ Kapitel 3 - Unter Tage Der 'Bastard' knackte vernehmlich in der Garage, während Glenn ohne Federlesen Joao ein Kleiderbündel in die Hand drückte. "Nehmt aber euren Kram mit, nur zur Sicherheit", bekundete er aufgeräumt, kehrte Joao den Rücken zu, der fassungslos seine Bekleidung musterte, weite Hosen und ein ebensolches Hemd, dazu ein Tuch, alles irgendwie an die Wüstenmontur von Tuareg erinnernd. Stuart schlüpfte derweil ohne Hemmungen in einen vergleichbaren Anzug, schnallte seine Stiefel am Schaft zu, um sich möglichst wenig Sand einzufangen, wickelte sich anschließend das Staubtuch um den Hals. Er begleitete seinen Bruder mit dem Gepäck zu einem der zahlreichen mit Pfählen abgegrenzten Pferche. "Drei geb ich euch mit. Sind ruhige Tiere", Glenn schnalzte, trieb die Kamele mit einer Gerte vom sandigen Boden auf die Beine. Nacheinander holte er sie aus dem Pferch, hieß sie knien, damit er die Lasten verteilen und die Sättel austarieren konnte. "Bleibt's bei Elf?", brummte er Stuart zu, der mit den drei Dromedaren Bekanntschaft schloss. Dass Glenn ihnen keinen Maulkorb überzog, bedeutete, dass es sich um besonders geduldige Vertreter ihrer Gattung handeln musste. Er nickte knapp, kontrollierte seine Uhr, ob der Kompass auch seinen Dienst tat. "Verflixt hübscher Bengel", Glenn musterte seinen älteren Bruder inquisitorisch, immerhin war es Ewigkeiten her, seitdem der die Familie um Hilfe bitten musste. Stuart blickte in die ebenso blitzblauen Augen seines Bruders. "Komplizierte Sache", verkürzte er die Situation auf zwei simple Begriffe. Dolmetschen war nicht erforderlich, dazu kannten sie einander zu gut. Glenn nickte kurz, sah sich dann nach Joao um, der in die fremden Kleider gestiegen war. Die mondäne Sonnenbrille mit den violetten Gläsern wirkte deplatziert unter dem breitkrempigen Strohhut, den Stuart ihm überantwortet hatte. "Gut", der Polizist ließ aufgeräumt die muskulösen Schultern kreisen, "schon mal auf nem Dromedar geritten?" Hatte Joao nicht. Das änderte sich aber in kürzester Zeit. +#~#+ Noch war die Hitze erträglich, deshalb sah Stuart keine Schwierigkeiten dabei, mit Joao und den drei Dromedaren einem unsichtbaren Trampelpfad zu folgen. Für eine kurze Strecke waren sie dem Weg gefolgt, den Mitarbeiter von Glenn nutzten, wenn sie mit den Dromedaren Reisende für einen Tagesausflug mit Picknick und einer Grubenbesichtigung ausführten, immerhin brauchten auch Dromedare Beschäftigung und waren nicht nur ihrer Milch und ihres Fleisches wegen geschätzt! Stuart kannte jeden Stein, jeden Hügel, jeden verkrüppelten Baum, jeden Strauch oder ausgetrockneten Flusslauf. Früher hatten sie robuste Mulis gehalten, um sich in der weiten Steppe fortzubewegen, doch bei den klimatischen Bedingungen waren Kamele tatsächlich die erste Wahl. Obschon er nicht das besondere Gespür seines jüngeren Bruders besaß, konnte Stuart ausreichend mit den Tieren umgehen und kannte die Tourismustour. Wichtiger jedoch: er konnte wie im Schlaf dem ungekennzeichneten Trampelpfad folgen, der sie zu 'Digger's dome' leitete, den sie hoffentlich ohne Zwischenfälle in zwei Stunden erreichen würden. Er wandte sich sicher im Sattel herum, überzeugte sich, dass Joao weder seekrank war, noch abzustürzen drohte. Dessen Nervosität hing noch immer greifbar in der Atmosphäre, was Stuart nachvollziehen konnte. Wie gut, dass die Dromedare sich davon nicht beeinflussen ließen, sie waren ja auch Touristen jeder Kategorie gewöhnt! Aus der oberflächlich eintönigen Landschaft von Steppengräsern, verkrüppelten Bäumen und dornenbewehrten Sträuchern erhoben sich immer wieder Felsformationen wie vergessene Spielsteine von Riesen. Die Witterung hatte sie zu bizarren Formen modelliert, Kanten abgeschliffen. Auf eine etwas höhere Erhebung, einem winzigen Gebirge, hielt Stuart jetzt zu, doch unter diesem Gesteinshaufen verbarg sich mehr, als es den Anschein hatte. Geübt schnalzte er mit der Zunge, stieß einige kehlige Laute aus, damit sich die Dromedare im Schattenwurf des Gesteins niederließen. Er kletterte von seinem Sattel, stützte dann Joao ab, der kraftlos ebenfalls die der Sonne abgewandte Seite wählte, auf den Boden sank. Priorität hatte zunächst die Versorgung der Dromedare. Obwohl Stuart sicher war, dass die domestizierten Tiere keine Anstalten unternehmen würden, sich zu weit zu entfernen, um einer wildlebenden Horde zu folgen, fädelte er ein Kunststoffseil durch Ösen, die ins Gestein getrieben worden waren, bildete ein Karree mit einem versteinerten Baum und einem kleineren Felsen in der Nähe. Dieser einfache Pferch genügte üblicherweise, die Dromedare zu beherbergen. Befreit von den Sätteln und ihrer Last nutzten sie die Gelegenheit, sich an Gräsern und Sträuchern gütlich zu tun. Stuart wählte einen widerstandsfähigen Kunststoffbeutel, der die Kalebassen und ledernen Trinkhüllen vergangener Tage ersetzte, ging neben Joao in die Hocke und drückte ihm behutsam das elastische Gefäß in die Hand. Darin befand sich abgekochtes Wasser, mit einem isotonischen Pulver versetzt, um den Mineraliengehalt im Körper zu regulieren. Insbesondere mit dem Klima nicht vertraute Menschen neigten zu heftigem Schwitzen und vergaßen das Trinken, bis Übelkeit, Schwindelgefühl, allgemeine Ermattung und Überhitzung sie niederstreckte. "Ich gehe voraus und räume ein bisschen auf, ja?", raunte er Joao zu, der bleich vor Anstrengung Schluck um Schluck langsam in den Mund rinnen ließ. Rasch kam Stuart hoch, ärgerte sich über das Prickeln seiner Fingerspitzen, die zu gern den korkenzieherlockigen Schopf gestreichelt hätten. Bloß eine kleine Aufmunterung! »Wie gut - er trägt nen Hut!«, ermahnte er sich grimmig, streifte widerstandsfähige Handschuhe über, zog die Taschenlampe kräftig auf und betrat die familieneigene 'Sommerfrische'. Langsam bereitete ihm seine Schwäche für Joao wirklich Sorgen! Rational gesehen, professionell, realistisch-DURFTE er auf gar keinen Fall einem Anflug von Verliebtheit und Narretei nachgeben. Romantisch, optimistisch und lustgetrieben war er nicht sicher, dass er bloß unter einem akuten Anfall von Liebeskrankheit litt. »Vielleicht ist es etwas Ernstes«, der Gedanke entschlüpfte flugs und hieß ihn abrupt im Eingang der natürlichen Höhle innehalten. "Bau keinen Scheiß!", fauchte er sich selbst unterdrückt an, »lüfte mal dein marginal vorhandenes Resthirn ordentlich durch!« Zu diesem Zweck diente körperliche Arbeit recht gut, weshalb er zunächst einmal die Beleuchtungsanlage aktivierte. Als sein Großvater damals durch die natürlichen Höhlen, die vor Jahrmillionen ein Fluss geschaffen haben mochte, gekrochen war, hatte er erzführende Adern entdeckt, anschließend Stollen in die Tiefe durch das Gestein getrieben, bis es sich nicht mehr lohnte, an dieser Stelle weiter Mineralerze zu fördern. Insgeheim hatte er wie alle auf Gold gehofft, doch ausgerechnet hier, an seinem Lieblingsplatz war er nicht fündig geworden. Dafür aber hatte er die die schönsten Höhlen für seine Familie gestaltet und noch heute zogen sie sich hierhin zurück, bei Familienausflügen oder wenn die Erwachsenen mal allein sein wollten. An den Wänden schimmerten noch winzige Erzadern, dazu fluoreszierende Gewächse, die trotz der Trockenheit der Steppe tapfer ihren Lebensraum behaupteten. Gemeinsam mit Nana hatte ihr Großvater diese Höhlen, soweit sie über 'Kamine' und Lichtschächte nach außen verfügten, mit einer geschickten Kombination an spiegelnden Flächen ausgestattet, die per Ketten- oder Seilzug ausgerichtet werden konnten, auf diese Weise in das dunkle Innere der Höhle das aufgefangene Sonnenlicht weiterleiteten. Dazu galt es für Stuart zunächst, die mit der blinden Seite nach oben gekippten Spiegel umzukehren. Diese Maßnahme verhinderte, dass sich Dreck auf der reflektierenden Fläche sammelte, denn die meisten Schächte waren so schmal, dass sie als Enkel nicht zu Reparaturzwecken hineinklettern konnten. "Es werde Licht", kommentierte Stuart, wie jedes Mal hocherfreut. Für ihn glich dieser Augenblick der Weihnachtsbaum-Illumination in seiner Kindheit. Mit der Taschenlampe leuchtete er sämtliche Ecken aus, veranstaltete ordentlich Krawall, um gefährliche Untermieter zu verscheuchen. Zufriedengestellt, dass keine Gefahr drohte, überprüfte er die Wasservorräte. Tief unten in der Erde sammelte sich das Grundwasser, sickerte langsam von der Oberfläche herab. Dazu gab es noch eine natürliche Zisterne, die in einiger Entfernung neben einem weiteren Geröllhaufen entstanden war. Üblicherweise reichte das Wasser aus, doch Stuart beherzigte die Ermahnungen seiner Eltern, die nur das Notwendigste beanspruchten, nicht über die Möglichkeiten der Natur hinaus einem Luxusbedürfnis frönen wollten. Er holte den Schöpfeimer, der umgekehrt in halber Höhe hing, nach oben, rieb ihn mit dem feinen Sand aus, der in einer abgedeckten Schubkarre lagerte, dann ließ er den Eimer wieder hinab, schöpfte Wasser und transportierte seine Last bis zu einer steinernen Bütte im Schattenwurf der Felsen. Sofort näherten sich die Dromedare, darauf geeicht, keinen Tropfen Wasser zu vergeuden, schlürften lautstark. Währenddessen wiederholte Stuart seinen Gang, schöpfte sechs Eimer voll, bis er befand, dass es erst mal genug sei für die Tiere. Zeit, sich um die Bequemlichkeit seines Begleiters zu kümmern! Dazu hängte er die Hängematten aus Kunststoff auf, versorgte sie mit eingerollten Decken, bevor er Mosquitonetze über ihren Schlafplätzen montierte. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit sich nicht unversehens ein ungebetener Bettgast vom Stützgebälk herabließ. Vor dem Eingang baute er den solarbetriebenen Kocher auf, verstaute in dessen Inneren die Kartoffeln und Äpfel, die Stuart ihnen eingepackt hatte. Sie würden durch die Hitze in dem 'Backofen' ein leckeres Mittagessen abgeben! Auf dem Kocher setzte er Wasser auf. Als er sich aufrichtete, schon ordentlich erhitzt durch die Sonne, die langsam dem Zenit entgegen wanderte, stand zu seiner Überraschung Joao neben ihm. "Kann ich vielleicht behilflich sein?", erkundigte der sich höflich, jedoch immer noch nervös. "Ah!", Stuart behalf sich mit einem breiten Grinsen, schob den Lederhut in den Nacken, "tschuldige, ich bin ein langsamer Aufräumer!" Einladend streckte er Joao die Hand hin, "na, Tour durch unsere 'Eremitage' gefällig?" Joao stutzte, ergriff die dargebotene Rechte zögerlich, durchaus verständlich, wie Stuart konstatierte, der sich innerlich die Eselsohren langzog. Warum, zum Teufel, musste er ständig so gedankenlos agieren?! Joao war weder ein Kind, noch eine Frau, deshalb verbat es sich grundsätzlich und überhaupt, mit so einer Geste zu provozieren! Außerdem kannte er doch Joaos Reaktion auf Körperkontakt! »Herzlichen Glückwunsch!«, trat er sich zynisch gegen das Schienbein, »JETZT hast du es geschafft! Wir sind beide verlegen, bravo!« Um die unglückliche Situation nicht noch stärker zu betonen, hielt er eilig auf den Eingang zu, Joao im Schlepptau. "Mein Großvater hat hier nach Erz geschürft und als es nicht mehr viel zu erbeuten gab, wurde aus den Höhlen und den Stollen unser Familiengeheimnis. Glenns Touren gehen nur zu anderen Stollen, niemals hierher, deshalb wird man uns hier auch nicht finden", plapperte er wie aufgezogen, bevor er am unsicheren Stolpern Joaos erkannte, dass dessen Augen sich noch nicht mit der Semi-Dunkelheit angefreundet hatten. "Das ist das Lichtsystem", bedeutete er, gestikulierte mit beiden Händen und schuf damit die Gelegenheit, sie aus der unbehaglichen Situation zu befreien. Er zeigte Joao ihren Schlafplatz, demonstrierte den Kurbelbetrieb der Taschenlampen und erläuterte, warum sie feinen Sand aussiebten, zum Trocknen auslegten und dann in der Schubkarre aufbewahrten, "statt Wasser." Stuart rieb sich die Körner zwischen den Händen, "reinigt auch." Dann stellte er Joao die Outback-Toilettenausrüstung vor. Sie bestand aus einer Schaufel, an die ein geschickter Handwerker eine Halterung für einer Rolle Toilettenpapier, einen Haken für ein Säckchen Sand und eine Klammer für eine Laterne montiert hatte. Die Gesamtkombination nahm sich kurios aus, war aber, wie Stuart grinsend bekräftigte, praxiserprobt und nicht zu schlagen. Joao nickte blässlich, dunkle Schatten der Erschöpfung unter den Augen. "Willst du dich nicht ein bisschen hinlegen, während ich den Rest auspacke?", Stuart studierte die angespannte Miene des Parfümeurs eindringlich. Sie waren hier sicher, weil diese 'Residenz' in keiner Karte verzeichnet war, weg von GPS-Ortung, ohne Funk oder Satellitenempfang, damit gleichzeitig auch außerhalb der Reichweite von ärztlicher Hilfe, wenn Joao sich nicht mit den Umständen vertrug. Dankbar nickte der, ließ sich sogar von Stuart beim Einstieg in die Hängematte assistieren. Der Polizist vertraute den großen Strohhut einer Leiste an, die man in einen Stützbalken getrieben hatte, wandte sich dann noch einmal um. "Möchtest du, dass ich dir eine Kerze anzünde?", fragte er leise nach. Zwar genügte das reflektierte Sonnenlicht durchaus, doch er wollte verhindern, dass Joao sich ängstigte, weil er in einer ungewohnten Umgebung war. "Es geht schon", zeigte ihm Joao tapfer die Zähne, sank wieder auf der Decke zusammen, konnte sich nicht in eine embryonale Haltung zusammenrollen, da die Eigentümlichkeiten einer Hängematte es verhinderte. "Wenn etwas ist, ruf nach mir", Stuart justierte das Moskitonetz, "ich bin in der Nähe." Tatsächlich sichtete er die Vorräte und Ausrüstungsgegenstände, die Stuart so umsichtig wie gewohnt eingepackt hatte: Kleidung zum Wechseln, selbstredend, vor allem aber marinierte und danach getrocknete Fleischstreifen, Dörrobst, Nüsse und in elastische Behälter gepresste Pasten aus Gemüse und Kräutern, Tee- und Kaffeepulver, Ingwerpastillen, Tabletten zum Desinfizieren von Wasser, ein komplettes, sehr kompaktes Erste Hilfe-Set und jede Menge kleiner, notwendiger und praktischer Dinge, die man für das Leben in freier Wildbahn benötigte. Stuart überschlug im Geist die Reserven und kalkulierte ihre längste Aufenthaltsdauer. Mehr als eine Woche war nicht drin, lautete sein Fazit. Andererseits: wenn man es realistisch betrachtete, mussten sie beinahe stündlich damit rechnen, dass endlich jemand begriff, welche Botschaft über das Internet transportiert worden war und sich flugs auf die Suche nach dem Genie hinter der Pheromon-Neutralisations-Revolution machte. Inzwischen hatte sich das Wasser ausreichend erhitzt, dass er eine große Kanne Tee zubereiten konnte. Auch die Kartoffeln und die Äpfel schrumpften und glühten artig vor sich hin, sodass das Mittagessen in Bälde gesichert war. »Wenn es ihm genügt«, Stuart hockte sich neben die Dromedare, verzichtete aber auf das Wiederkäuen von Gras. Wenn sie als Kinder hier waren, hatte es ein leichtes Mittagessen gegeben, eine Siesta, um dann, wenn die größte Hitze nachließ, in ein opulentes Picknick zu münden, bevor sie in der Dämmerung auf Entdeckungstour gingen. In der Nacht suchten sie sich die besten Plätze, um die Sterne zu betrachten, die man glaubte, vom Firmament pflücken zu können, so nah erschienen sie. Selbstverständlich wurden wundersame Geschichten erzählt, von Fabeltieren, von Wiedergängern und verzauberten Menschen, von Verschwundenen und Verschollenen, von unheimlichen Erscheinungen und natürlichen Phänomenen. Später dann hatten sie ihre Stelldicheins hier gehabt. »Nun ja, Glenn bestimmt mit Gussie«, korrigierte er sich mit einer Grimasse. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: er selbst hatte niemals in Erwägung gezogen, eine Freundin hierher zu bringen, der Familie vorzustellen. Wenn er sich, was selten vorkam, verabredete, man einander Intimitäten gewährte, so erschien ihm alles zu seiner Existenz als Polizist in Perth zu gehören. Hier, auf dem freien Land, als Sohn und Enkel, da war er sein eigener Doppelgänger, wie eine gespaltene Persönlichkeit. Nein, eigentlich war er ganz er selbst, aber doch nicht der Mann, der mit Frau und Kind leben wollte, fernab der städtischen Vergnügungen, des pulsierenden, rasch dahingleitenden Alltags. In Perth flog er ungebunden, leichtlebig beinahe, hier wurzelte er, war unverfälscht und direkt. Stuart wusste, dass er seiner Familie dankbar sein musste, weil sie ihn nicht mit ihren Erwartungen bestürmten. Niemand verlangte, dass er es seinem jüngeren Bruder gleichtat, eine Familie gründete, ein ordentliches Domizil bezog, weniger um die eigenen als die Bedürfnisse seiner Lieben kreiste. Diese Freiheit war berauschend, gleichzeitig verführerisch, sich überhaupt nicht zu binden, sich auf niemanden über die eigene Bequemlichkeit hinaus einzulassen. Da nutzte es auch wenig, wenn man auf die festen Prinzipien verwies, die da lauteten: kein Techtelmechtel im Kollegium und kein Hallali auf 'Kundschaft'. Das reduzierte den Kreis möglicher Liebschaften auf die Wassersportbegeisterten, die er manchmal traf, wenn er sich an freien Tagen vergnügte. Hier, zu Hause, wo jeder jeden kannte, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, Anschluss zu suchen, auch deshalb, weil die ländliche Bevölkerung SEHR übersichtlich war. »Jetzt mit Joao herzukommen«, Stuart rieb sich nachdenklich das Kinn und knurrte über die merklichen Bartstoppeln. Hatte Glenn ihm irgendwo ein Rasiermesser eingepackt? Er wollte wirklich nicht wie ein Buschräuber aussehen, wenn sie zurückkehren würden! Zurückkehren...wann? Und vor allem: und dann? Stuart unterzog seine Motive einem Kreuzverhör. Wieso war es ihm bloß so zwingend logisch vorgekommen, Joao mit nach Hause zu nehmen und hier zu verstecken?! Wäre es nicht klüger gewesen, ihn nach irgendwo reisen zu lassen?! Wieso hatte er sich ohne Skrupel 'von der Truppe entfernt', riskierte seinen Job und internationale Verwicklungen? »Wieso fühlt es sich so richtig an?!«, das beschäftigte ihn nun, da er sich in Sicherheit wähnte, verstärkt. Wenn der Inlandsgeheimdienst und Hondas Kollegen auch nur einen Schuss Schrot wert waren, dann würden sie auf der Suche nach dem verlustig gegangenen Australier in Nullkommanichts auf die Ausreise stoßen, auf die Botschaft, das Eil-Visum. Auf einen Mann, der als Genie galt, Doktortitel in Biologie und Chemie besaß und Parfümeur war, rein 'zufällig' auch im unbezahlten Urlaub. Betrachtete man seine Aktionen von dieser Warte aus, hatte er alles andere getan, als Joao zu helfen. »Nein, ich musste ja den Helden spielen! Klappe halten und aussitzen wäre ja zu clever gewesen«, haderte er mit sich selbst. »Vielleicht hätte ich ihn auch mit dem Parfüm einnebeln sollen«, spekulierte er in grimmigem Scherz, stutzte dann. Konnte es sein, dass Joao ihn umgekehrt beeinflusst hatte? "Mach dich nicht lächerlich!", knurrte er sich an. Pheromone mochten Triebe beflügeln, Abwehrreaktionen bewirken, alarmieren, aber sie dienten zweifelsohne nicht dazu, dass man einen Fremden mir nichts dir nichts nach Hause mitnahm. »Wahrscheinlich behauptest du gleich noch, er hätte dich hypnotisiert!«, verspottete er sich selbst, doch die Unruhe, die ihn erfasst hatte, wollte sich nicht vertreiben lassen. WARUM? Warum riskierte er für einen Fremden Kopf und Kragen? Um sich Zeit zu verschaffen, schraubte sich Stuart vom Boden hoch und erprobte den Zustand der 'Backofenbewohner'. Sie waren gar, geschrumpft, aber köstlich und durchaus noch saftig. Stuart rollte eine kleine Matte aus, dekorierte das Picknick mit Campinggeschirr und betrat die Höhle, um Joao zu wecken. Mit vollem Magen konnte man viel leichter die Hirngespinste austreiben und verlor sich nicht in wirren Spekulationen! Vorsichtig fädelte er das Mosquitonetz auseinander, hielt mit der Rechten die Hängematte, während er sich über Joao beugte und dessen Namen raunte, doch erst, als er den jüngeren Mann behutsam an der Schulter fasste, konnte er ihn aus einem tiefen Schlaf wecken. "Mittagessen", erklärte er rau, legte sich Joaos Rechte ungefragt auf die Schulter, damit der unfallfrei den ungewohnten Ausstieg aus seiner luftigen Schlafstatt bewältigen konnte. Kaum, dass Joao auf den Stiefelsohlen stand, entschuldigte er sich dafür, die Schuhe nicht abgestreift zu haben. Sein Gastgeber beruhigte ihn, im Gegenteil, das sei eine kluge Entscheidung gewesen. Erst wenn es abkühle, könne man das Schuhwerk vom Fuß trennen, sonst handele man sich leicht Blasen und Quetschungen ein, weil die Gefäße in den Gliedmaßen bei großer Hitze anschwollen. Dagegen sei eine Sandmassage vor dem Schlafengehen einfach paradiesisch! Joao musterte ihn eindeutig verwirrt, stolperte aber widerspruchslos hinter ihm her. Als er das Picknick erblickte, huschte ein überraschtes Lächeln über die angespannten, erschöpften Züge. "Ist nicht das Ritz", schränkte Stuart schulterzuckend das kulinarische Angebot ein, "ich hoffe, du genießt es trotzdem." Das ließ sich Joao nicht zweimal sagen, schnupperte begeistert das Aroma der Backofen-Äpfel und kaute seufzend Nüsse, bevor er sich an die Fleischstreifen wagte. Stuart erklärte zwischen seinen Bissen, dass es sich um Straußenfleisch handelte, das sein Bruder in einer speziellen Mischung marinierte, bevor er es wie das Dörrobst trocknete, allerdings ohne Schwefel. Erstaunlicherweise sei dieses Produkt sehr beliebt und sorge für gute Umsätze. Joao kaute gründlich, nippte an seinem Tee. Ihm sagte das frugale Mahl durchaus zu und nicht nur, weil er großen Hunger hatte. Anschließend zeigte Stuart ihm, wie man mit dem feinkörnigen Sand Geschirr reinigte und das 'Spülmittel' dann in der Sonne trocknen ließ, bevor man es erneut zum Einsatz brachte. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Dromedare versorgt waren und in der Mittagshitze dösten, beschloss er, es ihnen gleichzutun. "Warum hängen wir nicht noch ein bisschen rum?", schlug er Joao vor, der nachdenklich die winzigen, glitzernden Adern im Gestein betrachtete, "ruhen wir uns aus, bis es kühler wird." Tatsächlich schlief Stuart sofort ein, nachdem er Joao wieder sicher in dessen Hängematte bugsiert hatte. An die ungeklärte Frage nach seinem ureigensten Beweggrund dachte er nicht mehr. +#~#+ Erstaunlich erholt wachte Stuart auf, sondierte zunächst die Lage, bevor er sich geübt aus der Hängematte rollte und gewandt landete, ohne sich zu verheddern oder unfällig das Mosquitonetz zu erlegen. Dann bemerkte er überrascht, dass die nachbarliche Hängematte unbemannt war. "Joao?", prüfend sah er sich um, topfte seinen vertrauten Lederhut auf und steckte die Sonnenbrille ein, "Joao?!" Leicht beunruhigt, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass sein Begleiter allein in der Gegend herumspazierte, trat Stuart vor den Höhleneingang. Er hätte Joao warnen sollen, das nagte nun vorwurfsvoll an seinem Gewissen, denn immerhin war Joao weder Pfadfinder noch wüstentauglich! Dass er sich in diesem Punkt zu weit aus dem Fenster wagte, erkannte Stuart, als Joao ein wenig ungelenk heranmarschierte, offenkundig nicht ganz Herr der geliehenen Stiefel. Über die Schulter trug der Parfümeur die Schaufel als Toilettenaccessoire, eine unmissverständliche Erklärung für seine Abwesenheit. Erleichtert ging Stuart ihm entgegen, verdrängte die nörgelige Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn pointiert darauf hinwies, dass er sich wie eine übergroße Glucke aufführte und damit bloß niedrige, liederliche Motive verdecken wollte. "Ich habe dich vermisst", lächelte er Joao betont unbekümmert an, "fühlst du dich besser?" "Danke schön", antwortete Joao steif, wirkte noch immer ein wenig nervös in seiner Gegenwart. Um keine weitere peinliche Gesprächspause entstehen zu lassen, schlug Stuart vor, sich ans Abendessen zu begeben, denn für die einsetzende Dämmerung und den Abend hatte er eine kleine Exkursion in die nähere Umgebung vorgesehen. Zunächst aber machte er Joao mit den Pasten vertraut, die zwar wie Astronautennahrung in die flexiblen Behälter gequetscht wurden, aber auf den vom Mittagessen noch überzähligen Kartoffeln sehr gut schmeckten. Dazu noch eine Handvoll süße Rosinen und Tee, schon mundete das Mahl! Zumindest hatte Stuart den Eindruck, dass er es sich nicht vollends aufgrund des Menüs mit Joao verscherzt hatte. Doch wie sollte er die seltsame Spannung überwinden, die zwischen ihnen herrschte? Er hielt an seinem ersten Plan fest, nämlich dem Spaziergang, hängte sich einen Wasserbeutel um, schnappte einen Holzknüppel und eine Taschenlampe, dann bat er Joao, ihn zu begleiten. Im Zwielicht der Dämmerung hatten sie die besten Chancen, die Flora und Fauna kennenzulernen, die sich die nachlassende Hitze zunutze machte und umtriebig ihren Geschäften nachging. Stuart betätigte sich als Fremdenführer, erklärte und wich dann, als die Dunkelheit die Schatten endgültig verschluckte, auf alte Geschichten aus, die man sich gern erzählte, wie zum Beispiel die ersten Siedler den Westen erreicht und in das Landesinnere vorgestoßen waren, über die australische Version eines Goldrausches, von unheimlichen Begegnungen mit ungewöhnlichen Tieren und mysteriösen Gestalten. Joao hielt Schritt und lauschte höflich. Sein besonderes Interesse, vermutlich beruflich bedingt, galt den Gewächsen, die er neugierig betrachtete im Pegel der Taschenlampe, bevor er ein ums andere Mal die Blätter zerrieb, um ihr Aroma zu erfahren. Gemeinsam erreichten sie schließlich einen Felsen, der wie ein schmales Plateau aus der Steppe herausragte. Der perfekte Ort für eine ausgedehnte Rast, wie Stuart befand, der Joao beim Aufsteigen behilflich war und sich dann lächelnd niederließ. Das von der Erosion glatt polierte Gestein speicherte die Sonne, sodass man die Wärme noch durch die Hosen spürte. Die Arme im Nacken verschränkt studierte Stuart das Himmelszelt, streckte spielerisch die Hand aus, als wäre es wirklich möglich, sich einen Stern vom samtigen Firmament zu pflücken. "...schön", hörte er Joao neben sich andächtig flüstern, der sich nur zögerlich ausgestreckt hatte. "Ja", auch Stuart senkte die Stimme, "wenn man in der Stadt ist, vergisst man oft, wie schön es ganz ohne die künstliche Beleuchtung sein kann." Er löste eine Hand, um mit der Fingerspitze die Sternenkonstellationen nachzufahren, die er erkannte. Nicht nur Seefahrende hatten sich am Himmel orientiert, auch die nächtlich Wandernden in den unwirtlicheren Regionen des Landesinneren. Stuart genoss die Stille, das heißt die Abwesenheit menschlicher Laute und mechanischer Signale aller Art. Selbstredend umgab sie auch hier eine Geräuschkulisse, doch es war ein ganz anderes Universum, das sich da produzierte. Keine banalen Gespräche, keine lautstarken Telefonate, kein trunkenes Geschrei, kein leidiges Gezänk: beinahe kam sich Stuart wie ein Misanthrop vor in seiner Erbauung über die Freiheit von menschlichen Äußerungen. Er fand es jedoch angenehm, die eigenen Gedanken zu hören, nicht durch Tausenderlei abgelenkt zu werden. Da konnte er durchaus nachvollziehen, dass mancher Zeitgenosse Zuflucht in Klöstern suchte, um dem ständigen Kommunikationszwang, -allzu oft ohne irgendeine Botschaft!-, zu entgehen. Seine 'Kirche' war die Welt hier draußen. "Was denkst du?", fragte er nach einer längeren, gemeinschaftlichen Schweigepause, "kannst du es hier ein Weilchen mit mir aushalten?" Neben ihm setzte sich Joao auf, zog die Knie vor die Brust und umarmte sie eng. "Ich bin es nicht gewöhnt", bekannte er stockend, "ein Leben außerhalb der Stadt. Es ist", er suchte nach dem richtigen Wort, "einschüchternd." Stuart schmunzelte. "Genau dasselbe habe ich über Tokio gedacht", antwortete er verschmitzt. Joao wandte den Kopf und musterte Stuart durchdringend, der überrascht dieses eingehende Studium seiner Selbst über sich ergehen ließ. War seine Bemerkung für Joao ein Affront? Sollte er sich lieber entschuldigen? Da erlöste ihn der Parfümeur von seiner Unsicherheit, "warum hilfst du mir?" +#~#+ Manche Fragen, das hatte Stuart schon lange für sich festgehalten, klangen einfach, ließen jedoch kaum eine einzelne, schlüssige, unveränderliche Antwort zu. »Warum liebst du mich? Was für einen Sinn willst du deinem Leben geben? Warum hast du im Affekt getötet? Warum siehst du dir verbotene Pornografie an? Warum hast du das Geld veruntreut nach zwanzig Jahren Betriebszugehörigkeit?« Wenn Emotionen, vage oder unterdrückte Gefühle und ungeklärte Erwartungen aufeinanderprallten, gab es unzählige Motive. Sie bildeten ein Kaleidoskop, schillernd, bunt, Bruchstücke eines gewaltigen Mosaiks, doch eine Garantie, ob mal auch alle Teile zusammenpuzzlen konnte, existierte nicht. Man musste mit der Unwägbarkeit leben lernen, akzeptieren, dass Gefühle sich wandelten und Menschen sich veränderten. Die Reaktion auf diesen Sachverhalt reichte von rücksichtsloser Missachtung bis zu quälender Introspektive und zerfleischender Selbstanalyse. Stuart hatte sich darauf geeicht, zumindest ehrlich über seine Motivation nachzudenken und so offen wie notwendig zu antworten, allerdings konnte er nicht verhehlen, dass er derartigen Fragestellungen gern auswich. »Warum helfe ich dir?« Über ihm blinkten die Sterne bei jedem Blinzeln, unter ihm kühlte langsam die steinerne 'Matratze' aus. Nun, zunächst war er neugierig gewesen, wollte sich selbst eitel bestätigen, dass er die richtige Fährte gefunden hatte. Dieses Bedürfnis gehörte zu seinem Beruf und seiner Berufung. »Aber warum hilfst du ihm?!« "Vielleicht", formulierte er bedächtig, die Augen leicht zusammengekniffen, als könne er aus dem glitzernden Reigen in der eisigen Kälte des Weltalls die verborgene Botschaft entschlüsseln, "vielleicht will ich einfach, dass der Außenseiter gewinnt." Dankbar für eine schlüssige Erklärung führte er seine Antwort aus, "weißt du, hier, wo ich lebe und aufgewachsen bin, da spielte es keine Rolle, ob du ein Affe oder ein Drache oder sonst was bist. Ob Leicht-, Mittel- oder Schwergewicht." Er rappelte sich auf, um die Ellenbogen als Stütze zu wählen. "Natürlich haben mir meine Eltern erzählt, was es mit den Madararui auf sich hat und wie man sich in Gesellschaft verhält, aber dieses hierarchische Denken, die strenge 'Nachzucht' von Nachkommen-, das ist mir völlig fremd", Stuart grimassierte gequält, "lächerlicherweise schockiert es mich immer noch, wenn ich sehe, wie unsere besonderen Fähigkeiten ausgenutzt werden, um uns über unsere Instinkte zu manipulieren." Dabei flackerte unwillkürlich die Beischlafszene vor seinem inneren Auge auf, die er aus der Belüftungsanlage beobachtet hatte. Elastisch stieß er sich in eine bequeme Sitzhaltung hoch, wandte den Kopf zu Joao herum, "ich denke, dass es mutig und selbstlos, ja, heldenhaft ist, sich für andere einzusetzen. Du hättest das nicht tun müssen, aber ohne Rücksicht auf deine persönliche Situation fühlst du dich dem Wohlergehen deiner Mitmenschen verpflichtet!" Was für eine Brandrede, die er da in die Nacht geschmettert hatte! Nun röteten sich seine Wangen merklich, er spürte die Hitze durch den Kontrast mit der auffrischenden, angenehm lauen Brise. "Ähm", bemühte er sich eilig, den Eindruck ein wenig zu korrigieren, "ist natürlich nett, wenn etwas von dem Ruhm abfärbt." Er hüstelte und hoffte, der Scherz war nicht zu vermessen. Joao neben ihm schwieg versonnen, hinter dem Schopf dichter Korkenzieherlocken abgeschirmt. "Es hätte auch genügt", kommentierte er schließlich Stuarts Einlassungen, "wenn du mich auf die Gefahr aufmerksam gemacht und mir geraten hättest, das Land zu verlassen." »Jaaaaa«, seufzte Stuarts innere Stimme gepeinigt, »JETZT stecken wir aber in der Zwickmühle! Irgendwelche cleveren Eingebungen, Einstein?!« Clever wohl kaum, aber altbewährt: Angriff war die beste Verteidigung! "Tjaaaa", dehnte Stuart den Vokal, "sah mir aber nicht so aus, als hättest du das allein geschafft." Die einsetzende Stille um sie herum verlieh seiner Bemerkung ein Gewicht, das er am Liebsten mit einem Scherz weggefegt hätte, doch sein Kopf erwies sich als jeder humorvollen Replik ledig. Blankgeputzt, um genau zu sein. "Ich möchte bitte zurückgehen." Klang Joaos Stimme nicht steif und distanziert? War der Parfümeur jetzt sehr verärgert? Persönlich getroffen? Beschämt und wütend über seine Unfähigkeit, Joaos und seine eigenen Motive hinter ihrer gemeinsamen Flucht zu ergründen, kletterte Stuart flink vom Felsen, streckte automatisch eine helfende Hand hin. Als ihm seine unbewusste Geste auffiel, zögerte er, die Hand zurückzuziehen. Würde Joao sie ergreifen, höflich und reserviert? Oder würde er sie übersehen, aus eigener Kraft herabsteigen, ihn ignorieren? Er spürte, wie sich Joaos Finger vorsichtig über seine eigenen Fingerkuppen schoben, zum Handteller wanderten, bevor er selbst behutsam die Hand um die des Japaners schloss, nicht anders konnte, als im Sternenlicht hochzublicken in das faszinierend schöne Gesicht des anderen Mannes. Joaos Augen lagen im Schatten, nur ein Zucken der Mundwinkel verriet dessen Gefühle. Unsicherheit, Nervosität, zumindest glaubte Stuart, Joaos Körpersprache dahingehend zu entschlüsseln. Er ging voran, langsam, um nicht die Taschenlampe aktivieren zu müssen, hielt sie mit dem Knüppel in einer Hand, den erleichterten Wasserbeutel umgeschlungen, den Lederhut auf dem Rücken. Wann war der geeignete Zeitpunkt, die Verbindung ihrer Hände zu lösen? Nicht, dass er das unbedingt wollte, eher im Gegenteil! Er mochte die schlanken Finger, diese elegante Rechte, die in seiner Linken sicher umschlossen ruhte. Ein vertrautes und gleichermaßen erregend prickelndes Gefühl! "...ich wollte mich nicht verstecken", Joao räusperte sich verlegen, flüsterte. Um es sich nicht erneut zu verderben, denn der Japaner kam ihm schließlich entgegen, übersah großzügig die unbedachten Bemerkungen zuvor, schwieg Stuart, beschwor sich selbst, bloß aufmerksam zuzuhören, auf keinen Fall aber erneuter Dummheit den Vorzug zu geben! Joao hinter ihm wischte sich fahrig mit der freien Hand durch die Korkenzieherlocken, nestelte an dem Band, das den großen Sonnenhut auf seinem Rücken hielt. "Ich hielt es für unangemessen, nicht offen und ehrlich für das einzustehen, was ich getan habe", Joaos Stimme verlor den rauen Klang der Nervosität ein wenig. Er holte hörbar tief Luft, für einen offenbarenden 'Sprint'. "Den unbezahlten Urlaub habe ich lediglich eingereicht, weil ich vermeiden wollte, dass man mich als Experten zu meiner eigenen Erfindung hinzuzieht", er lachte gequält auf, "ein sehr eitler Gedanke, aber ich bin tatsächlich einer der sehr wenigen Parfümeure in Japan. Es lag also nahe, dass sich die Medien bei mir melden würden." Abrupt blieb er stehen, zwang auch Stuart, rasch in ihrem langsamen Spaziergang innezuhalten. "Es hat keinen Sinn, mich zu töten oder zu verletzen", presste er mit mühsam unterdrückter Gewalt hervor, "die Veröffentlichung KANN nicht mehr aufgehalten werden!" Stuart kehrte sich vollends Joao zu, dankbar, dass seine Hände an ihre jeweilige Aufgabe 'gebunden' waren, denn unwillkürlich wollte er einen Korkenzieherlockenstrang aus Joaos Gesicht streichen. "Ich will dir nichts antun. Oder verhindern, dass die Revolution stattfindet", bekräftigte er ernst. Joao presste die Lippen zusammen, wollte sich offenkundig selbst daran hindern, vermeintlich Verräterisches herauszusprudeln, doch der Damm war längst gebrochen und es verlangte ihn danach, Stuarts Wahrnehmung seiner Motive zu korrigieren. "Ich habe bloß an mich gedacht!", stieß er wütend hervor, "endlich, nach Jahren habe ich es geschafft, da WOLLTE ich es allen zeigen!" Seine Linke zitterte, er ballte sie zur Faust, "so verblendet!!" Sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzlichen Grimasse. "Ich bin erst aufgewacht, als mich einer meiner", er zögerte, leckte sich über die Lippen, "meiner Freunde warnte, dass ich besser für eine Weile unsichtbar werden sollte." Joao schnaubte ein verächtliches Auflachen über seine vergangene Euphorie. "Ich wollte ein Held sein, aber tatsächlich bin ich bloß das Jungfräulein in Not", setzte er sich selbst herab, "ich bin unfähig, auf mich allein gestellt zu überleben." "Das würde ich nicht sagen", Stuart mischte sich entgegen seinen festen Absichten in die Selbstzerfleischung ein, "du hast es doch hierher geschafft. Hier, wo wir nicht geortet und nur sehr schwer aufgestöbert werden können. Also", er zwinkerte breit grinsend, "ich würde behaupten, dass du sehr gut überleben kannst. Und ein Held bist." Abschätzig schnalzte Joao mit der Zunge, eine recht ungewöhnliche Geste für einen Japaner, befand Stuart. "Ich bin bloß ein Idiot. Der Narr aus dem Kartenspiel", konterte er bissig, offenbarte zum ersten Mal ungefilterte Emotionen, "hätten mich meine Freunde nicht gewarnt und zugelassen, dass ich immer wieder mit ihnen in Kontakt trete, wäre ich wahrscheinlich längst entdeckt worden." Er wandte sich von Stuart ab, drehte den Kopf weg, blickte auf die dunkle Grassteppe hinaus. "Wenn ich nicht so von mir und meiner Genialität", er spuckte die Silben mit ätzendem Ingrimm aus, "überzeugt gewesen wäre, hätte mir gleich klar werden müssen, dass ich wahrscheinlich nicht der erste Entdecker der Formel bin." Joao atmete hörbar tief aus, es klang wie ein deprimiertes Seufzen. "Irgendjemand hat bestimmt schon vor mir diesen Punkt erreicht, aber diese Person hat es nicht geschafft, ihre Entdeckung zu veröffentlichen", er schnalzte noch einmal verächtlich mit der Zunge, "der Gedanke kam mir in der Nacht, nachdem mir ans Herz gelegt worden ist, besser eine Weile zu verschwinden. Nur zur Sicherheit." "Möglich ist das schon", pflichtete Stuart bei, auf Joao konzentriert. Indirekt hatte der ihm ja nun bestätigt, dass die Revolution in der Veröffentlichung der Formel lag, die alle dazu befähigte, die Pheromone der Madararui lahmzulegen, wenn man sich vor Willkür und Manipulation schützen wollte. »Und ich brenne darauf zu erfahren, WARUM er überhaupt nach dieser Formel geforscht hat!«, doch er wollte diese Enthüllung auf keinen Fall forcieren, um das Vertrauen nicht zu gefährden, das der so misstrauisch wirkende Joao unerwartet in ihn gesetzt hatte. "Ich habe keine Beweise, aber es erscheint mir immer wahrscheinlicher", seufzte der Parfümeur gerade, um leiser und melancholischer fortzufahren, "tatsächlich handelt es sich um eine recht einfache Formel." "Hier wird dir nichts passieren!", bekräftigte Stuart impulsiv, drückte Joaos Hand versichernd, "ich stehe dir zur Seite!" Joao wandte sich um, lächelte schief zu ihm hoch. "Obwohl du nun weißt, dass ich kein Held bin? Kein Abglanz meiner goldenen Glorie auf dich fallen wird?", hakte er spöttelnd nach. "Für mich", Stuart fühlte den Fokus der dunkelgrünen Augen auf sich gerichtet, die eine Ameisenarmee durch seinen Leib jagten, "für mich bist du ein Held und nichts wird meine Einschätzung ändern können." Beinahe schon befürchtet reagierte Joao mit einem tadelnden Zungenschnalzen, das wie ein Peitschenhieb in der Nacht klang, aber er widmete Stuart keinen Widerspruch, sondern setzte einen Fuß vor den anderen, bis Stuart wieder artig die Führung übernahm. Sie hingen ihren eigenen Gedanken nach, bis sie ihre höhlenartige Unterkunft, 'Digger's Dome', erreichten. Die Dromedare regten sich, doch es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Stuart leuchtete ihren Weg bis zu den Hängematten aus, entzündete dann eine der Kerzen in einer Sturmlaterne, die er über dem 'Waschbecken' abstellte. Durch das gemeinschaftliche Schweigen verbunden rieben sie sich mit dem feinen Sand ab, so reserviert wie Fremde in einem öffentlichen Toilettenraum, damit die Diskretion dieser intimen Verrichtungen gewahrt blieb. Trotzdem ließ es sich Stuart nicht nehmen, Joao beim Einstieg in die Hängematte behilflich zu sein. "Hier", er drückte er Joao eine aufgezogene Taschenlampe in die Hand, "falls du mal raus musst." Dann glättete er die Stoffbahnen des Moskitonetzes, bevor er sein eigenes Lager aufsuchte. Obwohl ihr erster Tag hier anstrengend gewesen war, so konnte er noch nicht abschließen, einfach einschlafen, zu viel kreiste lärmend in seinem Schädel umher, verlangte nach einer befriedigenden Antwort. "Heute oder morgen", Joaos Stimme klang gedämpft, und Stuart stellte sich vor, wie der schlanke Japaner sich zusammenrollte, noch im Schlaf versuchte, sich selbst zu schützen. "Die Veröffentlichung?", brachte er sich ein, wandte den Kopf, um Joaos leise Worte besser verstehen zu können. "...ungefähr. Bin nicht sicher", murmelte der Parfümeur dumpf. Befürchtete er immer noch Verrat und Gefahr, wenn er Stuart eine zeitliche Dimension mitteilte? Stuart hoffte inständig, dass es ihm zügig gelang, Joao zu beweisen, dass er ihm ganz sicher nichts antun wollte! Ungewohnt heftig zehrte es an seinem Optimismus, dass der Mann, der sein Herz in solche Turbulenzen versetzte, eine schlechte Meinung von ihm hatte und nur der Not gehorchend sich gezwungenermaßen mit ihm abgab. "Ich verstehe von diesen Dingen nichts", wisperte Joao matt, "aber die Formel ist in kleine Nachrichten eingebaut mit einer Art Wecker. Wenn die Zeit abgelaufen ist", er klang ein wenig hilflos, wiederholte mutmaßlich, was man ihm selbst anvertraut hatte, "dann verbinden sich die Bruchstücke von selbst. Überall wird die Formel zu lesen sein." "Klingt, als hätte man da verschiedene Schadprogramme einem guten Nutzen zugeführt", analysierte Stuart besänftigend, "der einzige Weg, die Revolution noch aufzuhalten, wäre der komplette Absturz des Internets, oder?" Nicht, dass irgendeine Regierung oder ein privater 'Interessenverband' das wagen würde. "Vielleicht", Joao gähnte unterdrückt. "Es gibt keinen Weg zurück mehr", diese Aussage schwebte gehaltvoll in der Dunkelheit, senkte sich in ihrer Bedeutung auf sie nieder. "Gut", bekräftigte Stuart schließlich. "Lass uns morgen", er korrigierte sich grinsend, "ein bisschen später weitersprechen." "...dann...gute Nacht", drang es kaum hörbar aus Joaos Ecke. "Schlaf gut", wünschte Stuart herzlich, aber rücksichtsvoll gedämpft. Seine Neugierde verwies er auf ihren Platz. Joao würde ihm schon verraten, was er wissen wollte, wenn er dazu bereit war. +#~#+ Als Stuart aufwachte, leicht desorientiert, denn er hatte von Tokio und Yukio geträumt, der ihn hasserfüllt durch die Häuserschluchten jagte, hörte er das morgendliche Blöken und Rufen der Dromedare. "... komme schon", knurrte er kehlig, kletterte aus seiner Hängematte, schüttelte seine Stiefel aus, bevor er sich seine Sonnenbrille und den Lederhut griff, dem Sonnenlicht folgte. Es war noch früh, aber die Dromedare waren ihr Frühstück mit Tagesanbruch gewohnt und verlangten nach Wasser. "Jajaja, bin unterwegs", Stuart verschwendete keine Zeit damit, auf mächtige, schmale Schädel zu klopfen, sondern kehrte in die Höhle zurück, schöpfte Eimer um Eimer, mit denen er die Bütte auffüllte. "...fein", grummelte er. Wenn er schon auf den Beinen war, warum nicht auch gleich Wasser für Tee aufsetzen? Es würde ohnehin eine Weile dauern, bis die Sonne genug Strahlkraft entwickelte, um den Solarofen in Betrieb zu setzen. Nachdenklich musterte er den Himmel, rieb sich über das Kinn. Die Luft war bereits drückend schwül, aber er schmeckte auch eine Ahnung von Sand, wenn er Luft einsog. "Hmmm", kommentierte er nachdenklich. Konnten sie mit Sandstürmen rechnen? Stuart unternahm einen Rundgang, kontrollierte die Installationen, überprüfte die Vorräte und studierte schließlich Joao, der sich im Tiefschlaf befand, die Taschenlampe umklammerte, die Knie unbequem vor den Leib gezogen, ein kompaktes Paket. Sanft kämmte er mit den Fingerspitzen Korkenzieherlocken beiseite, versuchte, Joaos wahre Seele zu erkennen, die flackernd sein reales Erscheinungsbild überlagerte. »Liegt wohl an seiner emotionalen Situation«, konstatierte Stuart stumm, denn üblicherweise waren Schwergewichte wie sie sogar in der Lage, im Schlaf ihre wahre Seele zu verbergen. Beschämt wandte er sich abrupt ab, als der Wunsch übermächtig wurde, Joaos wahre Seele zu sehen, für einen verräterischen Moment zu hoffen, der würde ausreichend nervös sein, die Selbstkontrolle zu verlieren! "Mistkerl! Vollidiot! Abschaum!", bedachte Stuart sich vor dem Eingang mit Kosenamen, stapfte wütend auf und ab. Dass Joao ihm gefiel, viel mehr, als wahrscheinlich für sie beide gut war, bedeutete noch lange nicht, dass er seine Manieren vergaß!! »Was haben wir vereinbart?!«, fauchte ihn sein Gewissen entsprechend erbost an, »du wolltest dich beherrschen! Er ist dein Gast!! Denk endlich mit dem Gehirn, bevor du alles versaust!!« "Ist ja gut!", schnappte Stuart laut zurück, marschierte in die Höhle, griff sich das Toilettenaccessoire und trottete missmutig durch die Grassteppe. Als er meinte, sich weit genug entfernt zu haben, wählte er einen Platz aus, wo ihn ein Felsen etwas abschirmte. Aufmerksam studierte er den Grund und die Umgebung, bevor er die Hose öffnete und sich erleichterte. Nicht ganz so effizient wie die Kamele, aber jahrelang geübt nutzte sein Leib auch jede Flüssigkeit sparsam aus, weshalb die 'stehenden Ovationen' kurz ausfielen. »Oh nein! Hände weg!«, befahl ihm sein Gewissen angewidert, aber Stuart ließ die Ermahnung links liegen. Er stützte sich mit der Linken am Felsen ab, während er mit der Rechten sein Glied massierte, die Lider senkte, Joaos Stimme hörte, dessen Geruch witterte, Korkenzieherlocken, dunkelgrüne Augen mit dichten, langen Wimpern, schlanke Hände vor sich sah. Stuart stöhnte zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, als der Erguss kam, lehnte sich schwer an das Gestein, die Knie weich, am ganzen Leib bebend. Sein Herz raste wie nach einem Hundertmeterlauf. »Verflucht!«, dachte er, rollte sich mit dem Rücken gegen den Fels und japste heftig. Ihn schwindelte, in seinem Schädel pochte es schmerzhaft. »Du Idiot!«, auch seine innere Stimme klang leicht panisch, »wieso hast du nicht erst was getrunken?!« Er versagte sich die offenkundige Antwort, zwang sich, tief zu atmen, konzentrierte sich auf Hände und Füße, bis er sie wieder spürte, richtete dann ungelenk seine Hose, nachdem er den Kampf mit dem Sandsack gewonnen hatte. "Geht schon", sprach er sich selbst heiser Mut zu, immerhin war er nicht weit von der Höhle weg, die Sonne stieg erst am Himmel auf, und er hatte seinen schützenden Hut plus die Schaufel als Stütze, wenn ihm wieder schwindlig wurde. Bloß nicht an die Kopfschmerzen denken, an den taumelnden Kreislauf, an die glühende Luft mit den Sandkörnern darin! Stuart löste sich von dem stützenden Massiv, fixierte mit zusammengekniffenen Augen trotz der Sonnenbrille sein Ziel. Dann marschierte er in einem gleichmäßigen Trott los, nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Dass er gut mit seinen Kräften gehaushaltet hatte, bewies sich, als er die Höhle erreichte und noch Zeit fand, dass geschöpfte Wasser durch einen Kieselsteinfilter laufen zu lassen. Primitiv, aber wirkungsvoll. Schluck um Schluck ließ er über seine Zunge rinnen, zwang sich zur Geduld. »Du Dämlack!«, tadelte ihn sein Gewissen erleichtert, »du lebst hier seit deiner Geburt und dann passiert dir so etwas?! Mann, wie peinlich ist das denn?!« »Warum behalten wir das nicht einfach für uns, hm?«, verhandelte er mit sich selbst. Der Warnruf war angekommen, und außerdem plagten ihn ja noch immer die Kopfschmerzen. »Und dann hast du dir einen von der Palme gewedelt mit IHM!«, NATÜRLICH musste sein Gewissen nachtreten! »Maul halten!«, knurrte Stuart innerlich zurück. Es war ja nicht so, dass er nicht wusste, was die Stunde geschlagen hatte!! Um sich von dem Schrecken abzulenken, raffte Stuart sich auf, prüfte, ob das Wasser, das er aufgestellt hatte, bereits erhitzt worden war, immerhin kroch die Sonne beängstigend zielstrebig über den Horizont. Als er gerade für das Frühstück etwas von ihren Vorräten abzweigte, gesellte sich Joao zu ihm, die Korkenzieherlocken mit einem losen Stofftuch zusammengefasst. "Guten Morgen", wünschte er höflich, wirkte aber auf Stuart so matt, wie der sich gefühlt hatte, als er beinahe umgekippt war. "Morgen", grummelte Stuart, "iss und trink erst mal was, bevor du rausgehst." Joao hielt überrascht inne. "Ich wollte mir bloß das Gesicht abreiben", präsentierte ein kleines Eimerchen mit Sand. "Gut, aber nicht weggehen", bestand Stuart störrisch auf seiner Anweisung, "könnte mich irren, sieht aber nach nem Sandsturm aus." Reserviert nickte Joao, bevor er sich vor die Höhle hockte, interessiert beäugt von den Dromedaren, die sich ihre Paarhufe vertraten. Mit dem feinen Sand rieb er sich über das Gesicht, hustete, als eine jähe Böe ihm die Körner entgegenblies. "Ist ein Sandsturm hier sehr gefährlich?", erkundigte er sich, als er es sich neben Stuart auf einer Decke im Zwielicht der Höhle gemütlich machte. Es war dunkler als am Tag zuvor, was darin begründet war, dass Stuart einige der Spiegelkonstruktionen umgekehrt hatte. Er wollte verhindern, dass der Körnerbeschuss durch den auffrischenden Wind Schaden anrichtete. "Hauptsächlich unangenehm", antwortete Stuart, versorgte Joao mit Tee, "vor allem, wenn man die Orientierung verliert. Es liegt an der Erosion und dem Raubbau, dass es jetzt hier solche Stürme gibt. Deshalb bemühen sich meine Leute auch um die Aufforstung und Renaturierung." Die ausführliche Erklärung, das musste ihm nicht erst sein Gewissen quittieren, resultierte aus seiner verunsicherten Haltung Joao gegenüber. Wie sollte er auch unbekümmert agieren, wenn ihm noch immer ein Schreck in den Gliedern saß, nachdem er sich ein erotisches Intermezzo mit einem imaginären Joao geleistet hatte?! "Und was geschieht mit den Dromedaren?", Joao langte mit gutem Appetit zu, konnte nicht ahnen, welcher Sturm bereits in der Höhle tobte, ihm direkt gegenüber. "Sie bleiben wahrscheinlich draußen", Stuart strengte sich an, an alle möglichen anderen, wesentlich wichtigeren Dinge als seine Verwirrung zu denken, "ich weiß nicht, ob ich sie in die Höhle treiben kann." Er spülte den Kloß in seinem Hals mit Tee runter, "wird vielleicht auch nicht so wild. Aber wir bleiben besser in der Nähe." "Verstanden", Joao lächelte sehr vorsichtig, "allerdings müsste ich doch mal kurz austreten." "Ich begleite dich!", platzte Stuart sofort heraus, "keine Widerrede!" Joao runzelte die Stirn, enthielt sich aber eines Kommentars. Für den sorgte bereits Stuarts innere Stimme: »Idiot.« »Yepp«, pflichtete Stuart ihr seufzend bei und hoffte, dass es nicht noch schlimmer wurde. +#~#+ Wie angekündigt begleitete Stuart Joao, zog sich dann diskret einige Meter zurück und kehrte dem Japaner den Rücken zu. Inzwischen war nicht mehr zu verkennen, dass ihnen ein temporärer Wetterumschwung drohte: obwohl die Luft noch immer flirrte vor Hitze, drückend und lähmend wie Mehltau auf der Landschaft und ihren Bewohnern lag, bezog sich doch der Himmel, wechselte die Farbe, verhüllte die Sonne, so, als schwebten der Sand in den Luftschichten über ihnen wie ein körniger Film, der sich nach Belieben auch senken konnte. Stuart knirschte mit den Zähnen, schmeckte Abrieb. "Verdammter Sandsturm", knurrte er, denn so hatte er sich seinen Aufenthalt natürlich nicht vorgestellt und wenn es stimmte, dass am heutigen Tag die Frist ablief, die Revolution begann, dann wäre es auch nichts mit ihrem Notkommunikationsmittel. »Allerdings nur im schlimmsten Fall«, wie er sich selbst beruhigte, denn bis elf Uhr in der Nacht würde ein Sandsturm wohl kaum toben! Hinter ihm räusperte sich Joao höflich. "Gehen wir", Stuart packte die Schaufel, stapfte voran. Dann, für ihn selbst unerwartet, übernahm sein Mund ohne Regieanweisungen von oben, die Entschuldigung, "tut mir leid, dass ich so mies gelaunt war. Bin heute Morgen beinahe umgefallen beim Austreten. Zu wenig getrunken." Er schickte ein beschämtes Auflachen hinterher, "schätze, der Jetlag hat mich doch noch erwischt." "Geht es dir jetzt denn besser?", Joao schloss zu ihm auf, beugte sich vor, um Stuarts Gesicht zu betrachten. Der blieb trotz der böigen Schauer von Sand stehen, lächelte erleichtert, "bloß noch Kopfschmerzen, aber die habe ich mir redlich verdient." "Vielleicht sollten wir uns noch etwas ausruhen?", schlug Joao japanisch-diplomatisch vor, "ich bin sicher noch nicht auf die veränderten Klimabedingungen hier eingestellt." »Süß«, seufzte eine verräterische Stimme in Stuarts Inneren, »er nimmt die Schuld auf sich, damit wir uns erholen können!« »Quatschkopf, er ist bloß höflich!«, höhnte eine andere Stimme ätzend, »bild dir bloß keine Schwachheiten ein, sonst haut es dich postwendend wieder aus den Latschen!« Was es tunlichst zu verhindern galt, darin war sich Stuart mit seinem Erinnyenchor durchaus einig. "Bunkern wir uns ein", antwortete er laut, schickte Joao in ihr 'Wohnzimmer' vor, während er die Dromedare versorgte, noch einmal Wasser austeilte und sich überzeugte, dass sie sich nicht verletzen konnten. Er befürchtete nicht, dass sie sich entfernen und verlaufen konnten, denn dazu waren sie zu klug. Hier, im Windschatten der Felsen, ließ es sich besser den Sturm aussitzen! Anschließend blockierte Stuart nach und nach auch die übriggebliebenen Reflektionsflächen, fand Joao neben eine entzündete Sturmlaterne gekauert. Im Inneren, gut geschützt vor der unbarmherzigen Hitze, kam Stuart seine Schwäche plötzlich lächerlich, wie eine Illusion vor. "Soll ich das Licht löschen?", erkundigte sich Joao zögerlich. "Nein, nicht nötig", Stuart lächelte ihm aufmunternd zu, wurde sich seiner Rolle als Fremdenführer und Gastgeber wieder bewusst, "was meinst du, wollen wir uns Gruselgeschichten erzählen?" Er hängte seinen Lederhut auf, verstaute die Sonnenbrille, "ich habe gehört, dass es in Japan besonders viele unheimliche Märchen und Legenden gibt." Joao richtete sich auf, kletterte in seine Hängematte, die Augen auf das Kerzenlicht konzentriert, "ich habe mal einen Film über Australien gesehen, bei dem Mädchen spurlos verschwunden sind." Stuart grübelte einen Moment, dann hellte sich seine Miene auf, "ach ja, 'Picknick am Valentinstag', nicht wahr?" Er grinste spitzbübisch, "das war allerdings nicht hier. Obwohl..." Im Kerzenlicht funkelten Joaos Augen. "Ist es wahr? Hat man sie wirklich nie gefunden?", in seiner Stimme schwang Unbehagen mit. Tapfer widerstand Stuart dem Wunsch, zu Joao zu gehen, ihm über die Locken zu streichen. Stattdessen kletterte er schwungvoll in die eigene Hängematte, ließ sich wie Joao auch auf eine Seite sinken. "Es ist nur ein Roman", verriet er besänftigend, "nur eine Geschichte. Vorstellbar ist es natürlich, dass Menschen hier verschwinden, aber dafür gibt es immer Erklärungen." Ihm gegenüber rollte sich Joao ein, wich seinem Blick aus. "Eigentlich", er räusperte sich, "ich würde es vorziehen, keine Gruselgeschichten zu hören." "In Ordnung", versicherte Stuart sofort, "willst du lieber die peinlichsten Momente meines Aufenthalts in Japan erfahren?" Das brachte ihm ein amüsiertes Lächeln ein, das erste, das Joao ihm schenkte, ohne jede Vorsicht oder Zurückhaltung. "Erzähl mir bitte etwas von dir." Täuschte Stuart sich durch den Schattenwurf der Laterne, oder färbten sich Joaos Wangen tatsächlich ein wenig ein? "Hmmm", grübelte Stuart laut, "das bin ich eigentlich nicht gewohnt, aber wenn du gleich einschlafen magst", provozierte er neckend. Joao verzichtete auf eine Replik, hielt den Blick auf Stuart gerichtet. "Na fein", um nicht wieder in Versuchung zu geraten, drehte sich der Polizist auf den Rücken, verschränkte die Hände unter dem Hinterkopf, "dann arbeite ich mich vom Steckbrief in die Details. Tja, also, Stuart O'Neil, ältester Sohn von Randall und Victoria O'Neil, älterer Bruder von Glenn O'Neil. 1,98m groß, Gewicht ausreichend vorhanden, Augen blitzblau, Haare struppig und in gewaschenem Zustand schwarz." Ein leises Lachen ermunterte ihn, auf diese Weise fortzufahren. "Ich kann alles fahren oder fliegen, was einen Motor hat, auch wenn ich nicht immer eine Lizenz vorweisen kann", gab er treuherzig zu, "ach ja, Sternzeichen Jungfrau, Blutgruppe A, die anderen Faktoren vergesse ich ständig. Hobbys hätte ich gern, aber ich bin mit meiner Arbeit verheiratet. Trotzdem treibe ich mich in meiner Freizeit entweder am Wasser herum oder bei meinen Leuten auf der Farm. Lieblingsfarbe habe ich keine, essen tue ich alles Mögliche gerne, vor allem, wenn ich es nicht selbst kochen und hinterher aufräumen muss." Er wandte den Kopf, um Joaos Reaktion zu beobachten. Der schmunzelte vergnügt. "Was gibt's sonst noch?", Stuart grübelte, "tja, ich spreche ein wenig Französisch, und Nana hat mir Japanisch beigebracht. Ansonsten bin ich durch und durch Bulle, ermittle mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität. Außerdem habe ich noch eine Zusatzausbildung als Fernmeldetechniker und war ziemlich lange Pfadfinder, auch wenn unsere Truppe bloß aus vier Leuten bestand." Betont beiläufig ergänzte er seine Selbstdarstellung, "tja, derzeit 28 Jahre alt, ledig, wohne in einem kleinen Appartement in Perth, WENN ich mal nicht arbeite. Nie verlobt, nie verheiratet oder sonst wie angebunden." "Wie viele Kinder?", Joao spielte das Spiel mit. "Keine, von denen ich wüsste", parierte Stuart bereitwillig, "also, was möchtest du noch erfahren?" "Warum bist du Polizist geworden?", Joaos Frage klang in einem leichten Singsang wie etwas, was Stuart schon unzählige Male hatte erklären müssen, zumindest schien Joao das zu vermuten. Tatsächlich sah sich Stuart eher selten mit dieser Situation konfrontiert. Wem er bei der Arbeit begegnete, der wusste Bescheid oder wollte gar nicht erst Bescheid wissen. Und privat? Da verriet sich einfach die Gesellschaft, wenn man sich zu Unternehmungen am Wasser traf. "Tja", unwillkürlich löste Stuart die Hände unter seinem Hinterkopf, rieb sich über das Kinn, "ich schätze, ich war schon immer neugierig. Hab mich einfach beworben, die Aufnahmeprüfung geschafft, war auf der Akademie und zack! Plötzlich Bulle!" Er grinste einnehmend. "Hat deine Familie denn keine Einwände erhoben?", Joao rollte sich herum, studierte Stuart wissbegierig. Geschmeichelt von diesem Interesse strahlte Stuart freimütig, "nun ja, sie waren zunächst schon überrascht, aber meine Familie hat mich immer unterstützt. Poppa, also mein Vater, der hat eine Menge Jobs gemacht und ist fest davon überzeugt, dass man nie aufhören kann, etwas Neues zu lernen." "Aber", Joao war noch nicht zufriedengestellt, "haben sie nicht erwartet, dass du als Ältester die Familienfarm übernimmst? Dass du früh eine Familie gründest? Ein Leben als Polizist ist doch sehr gefährlich!" Unverändert schmunzelte Stuart. "Das ist wahrscheinlich ein kultureller Unterschied", neckte er Joao, "ich muss solchen Erwartungen nicht entsprechen. Meine Leute erwarten, dass ich für mich selbst einstehe. Alles andere ist mir allein überlassen." Joao brütete über Stuarts Antwort, versteckte sich hinter den Korkenzieherlocken, kompakt zusammengerollt. Stuart setzte sich auf, schaukelte leicht und nutzte die Gelegenheit, seinen Gast ausgiebig im Kerzenschimmer zu betrachten. Was beschäftigte Joao derart? War das, was er selbst für vollkommen normal und nicht weiter erwähnenswert hielt, für den Parfümeur eine unerhörte Sensation? "Haben sie denn nie versucht", Joao rang nach Worten, "die Linie fortzusetzen? Eine Vereinbarung geschlossen, mit einer anderen Familie?!" Er klang so ungläubig, so zweifelnd, dass Stuart seine aufkommende Verachtung für diese 'Nachzucht-Praxis' beiseite schob. "Nein", antwortete er fest, "das spielt in meiner Familie keine Rolle. Wir sind Schwergewichte, das stimmt, aber wir könnten genauso gut Affen oder Leichtgewichte oder ein bunter Mix sein. Wichtig ist doch, dass wir uns verstehen, zusammen leben wollen! Dieses ganze hierarchische Denken und Tun einer arroganten Oligarchie", nun knurrte er doch abschätzig, "das ist doch bloß Selbstbetrug und Angst vor Veränderungen." Bissig ergänzte er in das eintretende Schweigen, "ich frage mich ohnehin, ob nicht einige der großen 'Lobbyisten' schwer inzuchtgeschädigt sind." Er hörte Joao erschrocken keuchen ob dieser quasi blasphemischen Ansicht und bleckte grimmig die Zähne. Obwohl Stuart noch eine Weile wartete, erhielt er keine Antwort mehr oder wurde hinsichtlich seiner Person befragt. Innerlich seufzend, weil er Joao wohl unvermutet heftig schockiert hatte, sank er in seine Hängematte zurück, schloss die Augen. Es war trotz des massiven Gesteins nicht gerade erfrischend, sodass er wegdämmerte, vage auf das mögliche Tosen eines Sandsturms lauschte. +#~#+ Dem Zifferblatt seines Multifunktionschronometers zufolge musste es später Nachmittag sein, als Stuart sich ein wenig bleiern in den Gliedern Richtung Boden begab. Zu seinem Glück verfehlte er das Moskitonetz und landete auch keinen Salto Mortale mittels Hängematte, obwohl Kapriolen nicht zu vermeiden waren. Die Kerze in der Laterne hielt sich wacker, die Luft stand schwer und staubig. Vielleicht waren sie doch von einem Ausläufer des Sandsturms gestreift worden? Stuart lauschte konzentriert und registrierte beruhigt die tiefen Atemzüge seines Gastes. Es schien ungefährlich, Joao ein wenig länger sich selbst zu überlassen, also marschierte Stuart zum Ausgang der Höhle, wollte nach den drei Dromedaren sehen. Sie standen bereits wieder unter einem wolkenfreien Himmel, ließen sich grasend die sengende Nachmittagssonne auf den Pelz brennen. Er holte einige Äpfel aus ihrem Proviant und fütterte die eingestäubten Tiere, die so geduldig ausgeharrt hatten, bis die Schlechtwetterzone sich verzogen hatte. »Apropos Schlechtwetterzone«, Stuart rieb sich das stoppelige Kinn, »was soll ich mit dem Tiefausläufer da drinnen anstellen?« Ohne Zweifel hatten seine freimütigen Reden und seine Einstellung Joao getroffen, ja, möglicherweise sogar beleidigt. Selbstkritisch hielt er sich vor, wenig diplomatisch mit seinen Ansichten und Überzeugungen hausieren gegangen zu sein, was man als Gastgeber doch eigentlich vermeiden sollte. Wie aber nun wieder Gutwetter machen? Zunächst mal, weil es seinen Händen etwas zu tun gab und seinen Kopf frei machte in mehr als einer Hinsicht, schnappte sich der Polizist einen kleinen Handspiegel und ein altmodisches Rasiermesser. Nachdem er Joao demonstriert hatte, wie man mit gekauten Pfefferminzblättern aus der Überlebensausrüstung die Zähne sauber und den Mund frisch hielt, ging es natürlich nicht an, Rasierschaum anzurühren und kostbares Nass zur Befriedigung der persönlichen Eitelkeit zu verschwenden! Aber auch hier hatten die Vorfahren Pionierarbeit geleistet: war man geschickt genug, konnte man die lästigen Stoppeln einfach von der Haut schaben. »Hat sogar was Biblisches, 'oh Haupt voll Blut und Wunden'«, dachte Stuart ungeniert profan an seine ersten Versuche zurück. Hatte man den Dreh erst mal raus, gelang das Unterfangen. Außerdem: bei den Römern hatte es ja auch funktioniert! Leidlich zufrieden gestellt mit zwei leichten Kratzern, die kaum bluteten, nickte Stuart seinem Spiegelzwilling entschlossen zu. »Erst Abendessen, dann Friedenspfeife!« Mit Beginn der Dämmerung frischte der Wind auf, trieb jedoch keinen Flugsand oder Körner vor sich her, sodass Stuart entschied, kurzerhand das Mahl in ein Picknick umzuwandeln. Er verstaute die Nahrungsmittel und das notwendige Zubehör, kontrollierte Taschenlampen und Laternen, füllte die Wasserbeutel, bevor er Joao aus dem Dornröschenschlaf weckte. Der wirkte noch immer in sich gekehrt und distanziert, fügte sich kommentarlos Stuarts betont munteren Anweisungen und trottete hinter ihm her zum Picknickort, einer Gruppe ominös aneinander lehnender Felsen, die die Erosion noch bizarrer gestaltet hatte. Geschäftig breitete Stuart die Decke am Fuß des Gesteinsensembles aus, tischte auf und bat Joao, ordentlich zuzugreifen, weil sie ja das Mittagessen übersprungen hatten. Eine günstige Gelegenheit, sich innerlich zu wappnen, denn die Etikette verbat es ja, während des Speisens das Mundwerk zu anderen Zwecken zu missbrauchen! Endlich, einige Nüsse und etwas Dörrobst später, stellte sich Stuart tapfer der angespannten Atmosphäre. "Joao, ich möchte mich entschuldigen. Ich habe vorhin frank und frei meine Meinung ausposaunt und nicht daran gedacht, dass ich dich damit verletze." Joao, der gerade die Kerze in der Sturmlaterne illuminiert hatte, staunte ihn aus dunkelgrünen Augen überrascht an. Als ihm selbst diese Reaktion bewusst wurde, räusperte er sich eilig und versicherte, dass es keinen Anlass zu einer Entschuldigung gebe und verletzt sei er keineswegs. "...nur...in Gedanken", ergänzte er zögerlich, knetete und massierte die eleganten Finger unruhig. "Machst du dir Sorgen, ob alles geklappt hat?", Stuart nahm mitfühlend den Faden auf, "keine Angst, wenn es Schwierigkeiten gibt, informiert mich Glenn." Die skeptisch gelupfte Augenbraue in dem herzförmigen Gesicht des Parfümeurs sprach unverkennbar ihr Urteil. "Schon klar", Stuart grinste lausbübisch, "kein Telefon, kein Funk, nicht mal Trommeln oder Rauchzeichen...ABER!" Er zwinkerte, klopfte auf eine Tasche, "wir haben eine Pistole, die Leuchtsignalgeschosse abfeuern kann." Ernster führte er aus, "ich habe mit Glenn vereinbart, dass wir bei Schwierigkeiten um Elf eine Rakete abfeuern, damit der andere Bescheid weiß. Hier in der Gegend ist es nicht sonderlich wahrscheinlich, dass wir damit Dritte auf uns aufmerksam machen." Joao schwieg versonnen vor sich hin. »Komm schon!«, beschwor ihn Stuart stumm und strengte sich an, nicht allzu auffordernd zu starren, »rede mit mir! Erzähl mir, wo der Schuh drückt!« Als hätte das stumme Flehen ein Echo gefunden, gestand der Parfümeur leise ein, "ich mache mir keine Sorgen um die Veröffentlichung." Er stieß heftig Atem aus, holte tief Luft, "ich weiß bloß nicht, wie es weitergehen soll." "Ah", um den Gesprächsfaden nicht erneut ausfransen zu lassen, brachte sich Stuart sofort ein, "glaubst du, dass man dir bei Shashado kündigen wird? Oder die Rechte an der Formel einklagen?" "Nein-nein!", wedelte Joao in einer eleganten, typisch japanischen Geste diese Mutmaßungen weg, "mein Arbeitsvertrag umfasst die Kreation von Parfüm aus Duftstoffen und die Erforschung, nichts weiter." "Stimmt", erkannte Stuart das Wesentliche rasch, "dein Anti-Madararui-Pheromone-Parfüm ist geruchlos!" Das konnte er sogar aus eigener Erfahrung bestätigen. "Allerdings wird man sicher die Kündigung aussprechen", Joao zuckte mit den Schultern, was im Kontrast zu seiner üblichen, asiatischen Körpersprache stand, "vielleicht sogar auf Schadenersatz klagen." "Hätten sie damit Erfolg?", Stuart mochte sich lieber nicht vorstellen, was ein solcher Prozess bewirkte, vor allem nicht, wenn man die amerikanischen Pendants ins Kalkül zog. "Nun ja", Joao kämmte Korkenzieherlockenstränge auf die Schultern, "es gehört zu meinem Aufgabengebiet, dass man Duftkreationen in der Praxis überprüft. Ich hatte zumeist studentische Hilfskräfte, die für wenig Geld als Testobjekte im Einsatz waren." Stuart pfiff anerkennend, "da konnte man zwischen die 'normale' Pheromonforschung ruhig auch mal die Konstellationen mit den Madararui-Pheromonen erproben, richtig?" Joao zog die Knie vor den Leib und umarmte sie eng, "ich habe mein Budget nie überzogen und pünktlich sogar prämierte Arbeit abgeliefert. Das ist den Unterlagen vollständig zu entnehmen." "Na, das hört sich ja gut an", bemühte Stuart sich eifrig um Optimismus, obwohl er skeptisch war. Unterlagen tendierten in so bedeutenden Angelegenheiten sehr schnell dazu, einen 'zufälligen Tod' im Ofen oder Aktenvernichter zu erleiden. "Schwierig war", Joao sprach ohne Aufforderung weiter, "eine Mischung zu finden, die geruchlos ist, aber lang anhaltend wie die Basisnote bei einem Parfüm, auf alle Madararui gleich wirkt und sehr robust ist, nicht leicht verdirbt." "Verstehe", nickte Stuart, um im selben Atemzug nachzuhaken, "was ist eine Basisnote?" "Parfüm", Joao löste eine Hand und zählte mit den Fingern mit, "besteht aus drei einander folgenden Duftnoten. Das, was du sofort, als Erstes wahrnimmst, ist die Kopfnote. Damit verlockt und verführt man zum Kauf. Anschließend, also die nächsten Stunden, folgt die Herznote. Sie ist nicht so marktschreierisch, gibt den Charakter des Parfüms wieder. Zuletzt kommt die Basisnote. Dieser Duft ist lang anhaftend, sozusagen die Seele des Parfüms." Der Polizist pfiff beeindruckt, "ich gebe mich als Banause zu erkennen. Bisher habe ich mir nie Gedanken über Parfüm gemacht!" Im Kerzenlicht lächelte Joao nachsichtig. "Eigentlich sind wir von 'Parfüm' im weitesten Sinne ständig umgeben, obwohl es immer noch die Königsklasse darstellt", fügte er an, "seitdem man erkannt hat, wie wichtig das Zusammenspiel Schmecken und Riechen für den Menschen ist, wird nahezu alles mit Duftstoffen versetzt. Nicht nur Hygiene- oder Kosmetikartikel, auch Stoffe sowie Nahrungs- und Genussmittel." Er löste die Hände, um in graziösen Gesten seinen Vortrag lebhaft zu untermalen, "wenn wir heute einkaufen gehen, werden geschickt Duftstoffe versprüht, um unser Verhalten zu steuern. Erdbeeren sollen süß riechen, auch wenn die Natur ihnen diese Nuance gar nicht verliehen hat. Bei Süßwaren erwarten wir den Geruch von Vanille und Kakao, zu Festtagen zusätzlich von Zimt und Anis. Wenn wir dann auf die Kundentoilette gehen, riechen wir Zitrusdüfte, weil das Sauberkeit suggeriert entsprechend unseren Kindheitserinnerungen." "Das hört sich für mich so an, als hätten wir auch dringend ein Neutralisierer-Spray gegen Kauf-Manipulationen nötig", scherzte Stuart. "Hmmm", Joao richtete sich im Schneidersitz ein, "so etwas Ähnliches gibt es schon für unerwünschte Gerüche. Ich pflichte dir aber bei: die Grenzen zwischen Kaufunterstützung und ungenierter, gezielter Manipulation sind fließend." "Dein Talent ist in jedem Fall sehr gefragt, wenn das Ausmaß der Manipulationen durch Pheromone bekannt wird", spielte der Polizist auf die Madararui an, "ich glaube, ein Job und Ruhm sind dir sicher." Über Joaos Gesicht zogen düstere Wolken, er presste die Lippen fest aufeinander. »Autsch! Fauxpas!«, Stuart versetzte sich innerlich einen Tritt und bemühte sich, den Fehler rasch auszubügeln, "überlegst du deshalb, wie du weitermachen sollst? Willst du vielleicht eine ganz neue Richtung einschlagen?" "Wie ist die Aussicht von da oben?", erkundigte Joao sich plötzlich, kam auf die Beine. "Nun, es ist klar", mit gerunzelter Stirn folgte Stuart seinem Beispiel, studierte erst Joao, dann die Felsengruppe. Konnte man es wirklich wagen? "Warte einen Augenblick", bat er sich temporären Dispens aus, sammelte ihre Habseligkeiten ein, bevor er die Laterne an sich nahm. "Ich werde vorgehen. Sei bitte vorsichtig, es könnte durch den Flugsand rutschig werden", hielt er Joao zur Wachsamkeit an. Ohne Hast, den Bügel der Laterne zwischen den Kiefern eingeklemmt, begab er sich an den Aufstieg. Tritt um Tritt, die Hände frei, um notfalls einen Halt zu greifen, hatten sie es schneller geschafft, als Stuart vermutete. Auf dem kahlen Plateau des größten Felsen angekommen breitete er zunächst wieder die Picknickdecke aus, damit sie sich bequem niederlassen konnten. Joao unternahm jedoch keine Anstalten, sich wieder zu ihm zu gesellen. Er stand recht weit vorn an der abschüssigen Klippe, überblickte aus der Höhe die nunmehr nächtliche Landschaft. »Du warst mal wieder zu forsch!«, verpasste sich Stuart innerlich kopfschüttelnd einen Rüffel, »von dir könnte ein Elefant im Porzellanladen noch etwas lernen.« Sollte er es riskieren und eine persönliche Frage stellen? Da ersparte ihm Joao die nervöse Unannehmlichkeit, "ich habe mein ganzes Leben darauf hingearbeitet, Parfümeur zu sein." Für einen Moment wandte er Stuart den Kopf zu, der im Schattenwurf der Laterne nur eine versteinerte Maske erkannte. Sie korrespondierte mit der Bitterkeit in Joaos Stimme, "allerdings bin ich auch erblich vorbelastet. Ich habe also bloß meine naturgegebenen Möglichkeiten genutzt. Ein Genie bin ich nicht." Stuart konnte nur partiell folgen, denn auch wenn Joao ein Hunde-Schwergewicht war, bedeutete das noch längst nicht, dass er sensorische Vorteile vor anderen hätte. Joao bot ihm wieder das Profil, blickte in die Ferne, über sich die funkelnden Sterne, von Sandstürmen unbeeindruckt. "Lagotto Romagnolo, mein mütterliches Erbe. Perro de Agua Espanol väterlicherseits. Einige der seit Jahrhunderten gezüchteten Eigenschaften sind auch den Madararui erhalten geblieben", ergänzte er verächtlich. Unbehaglich registrierte Stuart die Spannung, die den Parfümeur erfasst hatte, eine unerfreuliche Starre, die sich wie ein Panzer um seine Emotionen legte, um sie einzukerkern. "Möchtest du eine Gruselgeschichte hören?", die rhetorische Frage troff von ätzender Ironie. Ohne eine Aufforderung abzuwarten senkte Joao leicht den Kopf, von seinen herrlichen Korkenzieherlockensträngen verborgen, unsichtbar, nur eine bemüht amüsierte Stimme in der Nacht. "Es war einmal eine sehr alte, sehr traditionsverhaftete Familie, die sich in den Kopf setzte, ihren Status bis zur absoluten Perfektion zu treiben. Wie immer waren es die Mütter und Ehefrauen, die ihre Ziele rigoros verfolgten. Schon von Kindesbeinen an verflochten sie die Geschicke von Familien, planten, verhandelten und schlossen Vereinbarungen. Doch aller Ruhm, alle Perfektion in der Abstammung half nichts, wenn man nicht die Mittel hatte, sich entsprechend in Szene zu setzen", er räusperte sich, doch Stuart bemerkte den Kloß im Hals des Japaners. Ihm graute vor der Enthüllung, auch wenn er vermutete, dass sie seine Neugierde befriedigen würde. Andererseits fürchtete er sich auch vor der Hilflosigkeit und Wut, die ihn unzweifelhaft überkommen würden, wenn er Leid und Kummer erfahren, aber nicht abwenden konnte. "Die einzige Tochter beschloss, einen heimlichen Kontakt mit einem jungen Mann aus Spanien aufzunehmen. Sie veranlasste ihn schließlich, nach Japan zu kommen, wo ihre Familie seit Langem ansässig war. Auf den ersten Blick verliebte sich der junge Spanier in die junge Frau, die mit ihrem exotischen Erbe warb. Ohne Einwilligung der Elternpaare kamen die beiden zusammen, und erstaunlich rasch zeigte diese Annäherung Früchte." Nun deutete Joao eine spöttische Verbeugung an. "Selbstredend war es eine Schande, ungeachtet der perfekten Möglichkeiten der Erbmasse, dass unverheiratet ein Kind auf dem Weg war. Schlimmer noch, beide trennten sich aufgrund widerstreitender Interessen noch vor der Geburt! Aber nun, durch das Kind, hatte die Familie einen Joker im Ärmel und die junge Frau konnte sich, noch immer ledig, nach geeigneteren Partnern umsehen. Sie fand sie auch, bis sie es sich leisten konnte, einen Mann zu heiraten, der nicht unbedingt das perfekte Erbe zu garantieren verstand, aber dafür großzügige Mittel zu seiner Verfügung hatte." Joao faltete die Hände auf dem Rücken, kopierte eine beschwingte Geste, doch sie scheiterte an seiner Anspannung. Zur Ablenkung paradierte er an der Sprungkante auf und ab, vier Schritte exakt. "Springen wir ein wenig in der Zeit. Das Kind, ein Junge", er schnalzte mit der Zunge, "verbringt seine Tage in Bildungseinrichtungen, die auch von anderen hochstehenden Madararui-Sprößlingen bevölkert werden. Er begreift rasch, dass sich die Realität der Madararui von dem unterscheidet, was bei den 'Affen' üblich ist." Zum ersten Mal wandte er sich direkt Stuart zu, der unbehaglich auf der Picknickdecke die Stellung hielt, die Beine locker angewinkelt, die Ellenbogen auf sie gestützt. "Es ist normal, dass man einen Elternteil gar nicht mehr zu sehen bekommt, dass man schon kurz nach der Geburt Gegenstand von Verträgen zur Fortsetzung der Familienlinie wird, dass man zahlreiche Halb- und Stiefgeschwister haben kann." Eine lange Pause trat ein, in der Joao auf den felsigen Grund blickte, wiederholt widerspenstige Strähnen zu bändigen versuchte. Endlich hob er den Kopf an, setzte seine 'Gruselgeschichte' fort. "Inzwischen ist der Junge zehn Jahre alt. Er hat drei jüngere Halbgeschwister, einen Stiefvater bekommen, doch er trägt weiterhin den Namen seiner Mutter. Er würde sich fremd fühlen, wie ein Eindringling, wäre er nicht zumeist außer Haus. Er lernt gern und leicht, weil es für ihn eine geordnete Welt ist, die unerschütterlich feststeht." Ein unerwartetes Zittern durchlief Joaos Körper. Er reagierte augenblicklich mit einer steinernen Starre, wollte mit einem starken Willen das sensible Fleisch bezwingen. Mehrfach musste er tief Luft schöpfen, bevor er seine Erzählung aufnehmen konnte. Die bittere Ironie lag noch immer in seiner nun rauen Stimme. "Eines Tages ist der Junge auf dem Heimweg. Er will nicht mit seinen Geschwistern abgeholt und chauffiert werden, entzieht sich der Kontrolle. Man überfällt ihn, betäubt und entführt ihn." Die Fäuste geballt bot Joao Stuart lediglich sein Profil, teilweise von Korkenzieherlocken verdeckt. Was jedoch sichtbar war, wirkte wie eine marmorne Maske im Sternenglanz. "Drei Tage behielten sie den Jungen. Sie wollten von seinem Erbgut profitieren. Da ihnen die Mutter eine Vereinbarung verweigert hatte, nahmen sie sich eben die Freiheit der Selbsthilfe." Stuart spürte eine eisige Kälte in seinen Gliedern, schloss hörbar den Mund, weil ihm fassungslos der Unterkiefer heruntergeklappt war. Was hatten sie Joao angetan?! Der lachte leichthin, doch ätzend in distanzierter Verachtung. "Dann lieferten sie den Jungen zu Hause ab und zahlten eine hohe Summe als Kompensation 'für die Unannehmlichkeiten'. Damit war für die Familie alles wieder im Lot, ein perfekter Ausgleich. Außerdem hatte der Junge nun Einblick in das, was jeden Schwergewichtler der Madararui erwartet, sobald er geschlechtsreif ist. Besser noch, würde etwas durchsickern, so hätte er bereits einen enormen Ruf. Ha!" Joao wischte sich mit dem Handrücken über die nassen Wangen, beperlt von Tränen, die unablässig aus seinen Augen quollen. "ALLES war bestens! Ein hübsches Taschengeld für die Frau Mama, kostenlose Aufmerksamkeit und eine Würdigung ihrer Anstrengungen zum Familienerhalt!" Obwohl er immer ärgerlicher rieb, schniefte, konnte er den ungleichen Kampf nicht gewinnen, also wandte er sich zu Stuart herum, der entsetzt auf dem Boden ausharrte, den Parfümeur im Laternenlicht betrachtete. "Sie haben es vergessen", Joao lachte erstickt, ein kläglicher Laut, der eher einem Schluchzen glich, "aber ICH konnte es nicht! Für mich war NICHTS bestens!" Er beugte sich über Stuart wie ein Racheengel, bis zum Bersten gefüllt mit Zorn, Schmerz und Selbsthass, brüllte seinen Gram in die Nacht hinaus, "sie haben mich wie einen Zuchtbullen benutzt! Ich wusste von nichts!" Er zischte hasserfüllt, "aber DANACH, oh ja! DA wusste ich Bescheid, keine Frage! Da habe ich endlich verstanden, wie die Welt funktioniert!" Geräuschvoll zog er die Nase hoch, flüchtete sich in den Zorn, wählte Stuart als stumme Bühne für seine Aussprache mit sich selbst. "Ich bin KEIN Held, begreifst du das nun?! Ich habe diese Revolution angezettelt, um mich zu rächen! Ich will sie alle am Boden sehen, in der Bedeutungslosigkeit! Dieses ganze widerwärtige System, ihre ekelhaften Machenschaften, diese Intrigen und der Dünkel, ihre verdammte Arroganz: alles will ich zerstören! Sie sollen lernen, wie sich das anfühlt, wenn 'alles bestens' ist!" Schon wieder flossen die agitiert funkelnden Augen über, bemühte sich Joao mit wachsender Hysterie, die Fluten einzudämmen, hustete, weil er zu schnell nach Luft rang, zitterte unter Erleichterung und Anspannung gleichermaßen. Stuart hatte nicht einmal einen Fluch auf den Lippen, er war erschüttert von dieser beiläufigen Tragödie, aber auch verunsichert, weil er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Wohlfeile Worte des Trosts konnten hier nicht helfen, nicht bei einem aufgestauten Kummer, der über Jahre konserviert und gepflegt wurde, um den Antrieb für einen Vergeltungsschlag darzustellen. Üblicherweise hätte er ohne zu zögern seine Arme und Schultern als Stütze geboten, doch nun hinderte ihn das Wissen um Joaos Trauma daran, ganz automatisch körperliche Nähe zu suchen. »Feiger Egoist!«, beschimpfte er sich selbst, »was ist schlimmer? Dass er ohne Hoffnung und allein weint, oder dass du vielleicht einen Anschnauzer erntest?!« Konsequent begab sich Stuart also auf die Knie, hob eine Hand, streckte sie Joao entgegen, damit der die wenigen Millimeter überwand, sie ergriff. Für einige Wimpernschläge hielt Stuart die Luft an, dann schlossen sich wirklich die Finger um seine Hand. Er erwiderte den Druck, nahm das verspannte Klammern nicht übel, sondern kam betont gemächlich auf die Beine. Stand er erst mal aufrecht, würde sich der Größenunterschied von beinahe zwei Köpfen störend bemerkbar machen. »Bitte lass mich nicht bedrohlich auf ihn wirken!«, wünschte er im Stillen, konzentrierte sich auf das gebeugte Lockenhaupt. Wenn Joao doch nur den ersten Schritt täte, so tapfer war, mit einer kleinen Bewegung zu signalisieren, dass er sich nicht bedrängt fühlte, wenn sie die trennende Distanz überbrückten! Der schluchzte nun laut, untröstlich, weniger wie ein Erwachsener als ein völlig verängstigtes Kind, das dringend Zuspruch brauchte, eine Versicherung benötigte, dass es nicht allein war, dass alles gut werde, irgendwie. Dunkel zeichneten sich die Tränen ab, die auf den felsigen Grund tropften. Mit dem Ruck, den Stuart sich selbst gab, weil sich ihm förmlich der ganze Brustkorb zuschnürte aus Mitgefühl und Wut, bewegte er sich nach vorne, dirigierte den schlanken Japaner mit dem freien Arm gegen seine Brust, streichelte in breiten Schwüngen über die verspannte Rückenpartie, wartete geduldig, bis seine andere Hand entlassen wurde, damit sich Joao an seinen Hemdschößen festklammern konnte, mit den salzigen Fluten den Stoff tränkte. Zärtlich kreiste er über den zuckenden Schultern, atmete tief durch. "Mein Held", raunte er sonor auf die Lockenpracht hinab, "bist du. Und bleibst du." +#~#+ Kapitel 4 - Unwiderstehlich Als sie sich auf den Rückweg machten, ging Stuart voran, langsam, in Gedanken und doch sehr präsent. Joao folgte an seiner Hand, hinter ihm, den Kopf gesenkt, hinter den prachtvollen Lockensträngen verborgen. »Was soll ich jetzt tun?!«, fragte der Polizist sich und würgte an der Scham, die ihn überkam, weil er sich selbst an die erste Stelle setze. »Na und?!«, blökte sein Trotz aufbegehrend, »warum denn auch nicht?! Ich kann keine Gedanken lesen, aber meine eigenen Gedanken wenigstens nach außen transportieren! Damit beziehe ich ihn doch mit ein!« »Ja«, antwortete Stuart sich säuerlich, riskierte einen Schulterblick, »aber es ist schon ziemlich klar, was dabei rauskommen wird!« Das stimmte ihn gar nicht froh. Er wusste, so viel Ehrlichkeit nötigte er sich ab, dass er Joao sehr gern hatte, nicht nur auf eine platonische Weise, andererseits, nun, da er einen Einblick in Joaos Vergangenheit, dessen aufgewühltes Seelenleben und die Hintergründe für die Revolution erhalten hatte, konnte man sich mühelos ausrechnen, wie die Chancen dafür standen, dass Joao irgendjemanden auch nur in seine Nähe ließ. »Zum Platoniker bist DU nicht geboren!«, versetzte ihm seine Libido einen Tritt gegen das mentale Schienbein. »Stimmt«, gab Stuart zähneknirschend zu. Wie oft konnte man sich in der Bewegung bremsen, dem Impuls widerstehen, ohne dass man frustriert eine Aggression aufbaute, die sich im schlechtesten Moment in einer Explosion demonstrierte?! Sie erreichten schweigend ihre Unterkunft, entledigten sich der Picknickutensilien. Joao schlüpfte aus den Stiefeln, massierte im feinen Sand seine Füße, ein kompaktes Paket, das jeden Blickkontakt vermied. Stuart entschied, die betonte Distanz jetzt nicht zu thematisieren, denn noch war die Situation einfach zu angespannt. Schlaf würde ihnen gut tun, und im Traum konnte man einen Teil des Tages so verarbeiten, dass sich möglicherweise bereits ein Fingerzeig für die Lösung bot. Sie lagen bereits unter den Moskitonetzen in ihren Hängematten, da krächzte der Parfümeur trocken, "ich beneide dich um deine Familie, deine Kindheit." Den Kopf gewandt antwortete Stuart nach einem kurzen Zögern, "es tut mir wirklich leid, was dir geschehen ist. Das ist furchtbar, und ich halte deine Reaktion für mutig und richtig." "Du findest Rache richtig? Ein Polizist?", Joao klang dumpf herüber, offenkundig wie am Anfang ihrer Beziehung schützend zusammengerollt. "Das ist keine Rache", stellte Stuart energisch klar, "Rache wäre gewesen, wenn du dich an deinen Peinigern direkt vergriffen hättest! Aber das tust du nicht, du denkst viel weiter! Wenn dieses spezielle Parfüm Erfolg hat, wird es erstmals eine Gleichberechtigung geben! Das ist eine neue Lebensqualität für jeden, der unter den Manipulationen von Schwergewichtlern zu leiden hat!" Sein leidenschaftliches Plädoyer endete damit, dass er beinahe mit seiner Hängematte einen Salto geschlagen hätte, weil er den Drang zu gestikulieren, um die Bedeutung seiner Rede zu unterstreichen, nicht unterdrücken konnte. "Ich würde sagen, ich räche mich sogar an Leuten, die mir nichts getan haben", so einfach ließ Joao sich nicht umstimmen, "das ist beinahe Sippenhaft." "Unsinn!", brauste Stuart temperamentvoll auf, "was ist daran schlecht, wenn man die Pheromone neutralisiert, mit denen einige sich unerlaubte Vorteile verschaffen?! Wer sich ihrer nicht manipulativ bedient, hat doch nichts zu befürchten!" Ernsthaft in Gefahr, sich unsanft eine Etage tiefer zu befördern, kletterte der Polizist aus seiner Hängematte, "im Gegenteil! Was wäre besser, wenn man sich nun sicher sein könnte, dass man aus freien Stücken und eigener Entscheidung handelt, als sich ständig fragen zu müssen, ob einen die beeinflussten Hormone zu etwas treiben?!" "Aber darin besteht doch auch eine Gefahr", Joao schwang die Beine über seine Hängematte, "was bedeutet das für die Gesellschaft? Überall Misstrauen, Beziehungen werden in Frage stellt! Die gesamte Politik der Madararui beruht doch darauf, dass wir den Affen den direkten Kontakt zu unseren Instinkten voraus haben! Wenn wir diese Instinkte nun darauf reduzieren, dass wir nur noch wahrnehmen, aber nicht mehr selbst beeinflussen können, dann gefährden wir doch die Grundpfeiler unserer eigenen Existenz!" Stuart schwang das Moskitonetz zurück und baute sich neben Joaos Hängematte auf, "was ist daran so schlimm?! Ständig wird gejammert, dass unsere Zahl abnimmt, dass wir aussterben, dass wir von den Affen überrannt werden." Er schlug die Faust in die offene Handfläche, "ist es denn unvorstellbar, dass wir einfach ein evolutionäres Auslaufmodell sind?! Retten uns unsere Instinkte denn vor den Herausforderungen der Gegenwart?! Gibt es überhaupt einen Grund, warum wir snobistisch und elitär auf die Affen herabsehen? Sind wir ihnen wirklich überlegen? Hat irgendwer mal darüber nachgedacht, wie totalitär und brutal die 'Regeln' der Madararui sind?! Wie kann es in Ordnung sein, dass man ein Kind wegen seines Samens entführt und wie einen Zuchtbullen behandelt?!" Kaum waren die hitzigen Worte hervorgestoßen, schlug Stuart sich erschrocken die Hand auf den Mund. Wieso hatte er sich bloß zu dieser Wutrede hinreißen lassen?! "Es--es tut mir leid!", stammelte er hastig, fasste unwillkürlich nach Joaos Schultern, "wirklich, entschuldige! Ich habe nicht nachgedacht und es ist einfach rausgerutscht!" Für einen langen Augenblick blieb es sehr still, nicht einmal der Kerzendocht der Laterne knisterte, dann zuckten Joaos Schultern, doch es war nicht das erschütternde Weinen, das sich vorher auf diese Weise bemerkbar gemacht hatte: der Parfümeur lachte! Zuerst leise, rau, unterdrückt, sich steigernd, bis er mitsamt der Hängematte heftig schwankte, eine Hand vor den Mund, die andere auf das Zwerchfell gepresst. Auch wenn diese Reaktion für Stuart gänzlich unerwartet kam, war er doch froh, dass Joao ihm augenscheinlich nicht zürnte. Behutsam stabilisierte er die Hängematte, hoffte, dass sich unter den Locken die dunkelgrünen Augen zeigen würden, damit er sich versichern konnte, dass sein Eindruck ihn nicht trog. "Du sprichst wie ich", Joao wischte sich über das Gesicht, noch immer verborgen unter der Haarpracht, "exakt meine Rechtfertigung. Noble Gesinnung, moralischer Anspruch statt lächerlicher Selbstbehauptungsgelüste." Er seufzte leise. "Eigentlich", seine Stimme zitterte unsicher, musste tiefen Atemzügen den Vortritt lassen, "eigentlich habe ich nur Angst vor der Erkenntnis, dass ich in eine Ecke gekrochen bin, die ich nicht verlassen kann, weil ich nicht mehr den Mut habe, das Risiko auf mich zu nehmen." Stuart ging vor der Hängematte auf die Knie, stützte sich an den geflochtenen Stricken ab. "Was du bisher vollbracht hast, ist bereits mutig gewesen. Du kannst dir vertrauen", schlug er für Joaos' Traute eine Bresche, "du bist viel stärker, als du annimmst!" "Nein", der Parfümeur lachte kläglich auf, "du hast eine zu hohe Meinung von mir. Ich bin kein großer Revolutionär mit tollkühnen Visionen! Ich bin nichts weiter als ein neurotischer Spinner, der sich in eine fixe Idee verrannt hat." "Bist du nicht!", widersprach Stuart in kindlichem Trotz, "das stimmt nicht!" Er kam mit Schwung auf die Beine, sah sich um, hob sogar die Laterne an. "Wo ist die Dose?", fragte er schließlich ratlos. "Dose?" Erstmalig konnte er wieder die dunkelgrünen Augen im Kerzenlicht betrachten. "Dein Spezial-Parfüm." "Oh", hastig senkte Joao den Kopf, schaukelte unruhig mit der Hängematte, "ich habe sie nicht mehr." "Hast du sie verloren?", Stuart konnte es kaum glauben. "Nein", murmelte der Japaner kaum hörbar, "sie war leer. Am Flughafen. Weggeworfen." "Oh", kommentierte Stuart, plumpste kraftlos in seine Hängematte, um dort ebenfalls heftige Schwingungen auszulösen, "verdammt." "Warum?", Joao klang nervös. Stuart seufzte, "ich nehme mal an, du kannst hier deine Spezialmischung nicht fabrizieren, oder?" "Nein", gestand Joao ein, mittlerweile deutlich alarmiert. "Verdammt", wiederholte sich Stuart eloquent, seufzte erneut vernehmlich. Für eine Weile hörte man nur das leise Quietschen der Kunststoffseile, die seine Hängematte in den Ringen hielt. "Weißt du", bekannte der Polizist endlich, "ich möchte dich gern umarmen und dir klar machen, dass du mutig und stark bist, dass du aus eigener Kraft diese 'Ecke', in der du dich versteckt hast, verlassen kannst." Er hob den Kopf an, wich den dunkelgrünen Augen nicht aus, die ihn besorgt fixierten. "Wenn du mich einnebelst, kann ich sicher sein, dass du weißt, dass ich nicht vorhabe, dich zu manipulieren. Ich will einfach nur", er brach ab, ballte die Fäuste. Dummerweise war es nicht 'einfach nur'. Ehrlicherweise musste er zugeben, dass er selbst gern als 'Alternative zur Ecke' dienen wollte, als Rettungsleine, als Anker. "Weißt du", kopierte Joao rau Stuarts Worte, "mein Ziel werde ich nicht erreichen." Er senkte den Kopf und lachte bitter über sein idealistisches Selbst, "sie werden mich wahrscheinlich verstoßen, mehr aber nicht. Begreifen, was mich bewegt hat, so viele Jahre zu investieren, so lange Geduld zu üben, das werden sie nie." Mitfühlend betrachtete Stuart den Lockenschopf, spürte das lästige Kribbeln seiner Glieder, die ihn förmlich antrieben, sich zu erheben, durch körperliche Nähe Trost zu spenden. Aber das durfte er nicht, wenn er Joao nicht verschrecken wollte, der vertraute ihm schließlich, auch ohne sein Abwehrspray! "Dann sind sie Idioten, die deiner Aufmerksamkeit nicht wert sind!", knurrte er schließlich, "wenn sie dich verstoßen, dann sag dich umgekehrt von ihnen los." »Und komm zu mir«, murmelte seine innere Stimme, »werde zu einem Teil meiner Familie!« Ihm gegenüber rollte sich Joao wieder ein, zupfte die Decke über sich zurecht. Schicksalsergeben, immerhin war es schon spät, respektive früh, folgte Stuart seinem Beispiel, streckte sich bequem in seiner Hängematte aus. "Schlaf gut, Joao", wünschte er gedämpft, nicht sicher, ob sein Gast schon weggedämmert war. Eine Weile blieb es still, Stuart studierte die Innenseiten seiner Augenlider ermüdet, da hörte er, beinahe traumgleich, Joaos Stimme, "Stu? Danke, für alles." +#~#+ Der Morgen kam zeitig und erinnerte Stuart daran, dass müßige Hände hier nicht anzutreffen waren. Dromedare füttern, Wasser aufsetzen, Frühstück zubereiten, Vorräte kalkulieren, das Wetter beobachten, sich trocken rasieren: er hatte genug zu tun, um sich nicht in Gedanken über die letzte Nacht zu verlieren. »Könntest dich auch mal waschen!«, rümpfte seine innere Stimme die Nase, »stinkst wahrscheinlich schon wie ein Iltis!« »Hrmpf!«, ließ sich Stuart nicht auf Diskussionen ein, sondern schüttelte seine Kleidung aus, wählte den Restposten unbenutzter Wäschestücke, hängte sie in Reichweite auf, bevor er begann, sich sandzureinigen. Die Dromedare ignorierten seine Anstrengungen, während er kurzentschlossen auch das letzte textile Feigenblatt verabschiedete. So ging das Schrubben ja schneller, und wer sollte schon gucken? Joao zum Beispiel, der sich hastig räusperte, als Stuart Anstalten unternahm, nach seiner Unterhose zu angeln. Normalerweise hätte der Polizist keine besondere Verlegenheit gegenüber einem anderen Mann gezeigt, denn das war er schließlich dienstlich gewöhnt, doch das hier war Joao, der zierliche, überaus attraktive Japaner mit den herrlich dunkelgrünen Augen und dem appetitlich verstrubbelten Lockenkopf! Stuart fühlte förmlich, wie ihm die Röte in den Kopf stieg und reflexartig seine Hände bestrebt waren, die Blöße zu verdecken. Die beschämenderweise ausgerechnet jetzt verräterisch expandierte!! Mit einem Stoßgebet an zufällig diensthabende Götter jeder Fakultät hoffte Stuart, dass der Parfümeur sich abkehren würde, ihm Pardon gewährte, doch Joao tat ihm diesen Gefallen nicht. Stattdessen starrte er ihn unverwandt an. "Entschuldigung", murmelte Stuart schließlich. Joao musste schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht erkennen, wie sehr er sich über dessen morgendlichen Anblick 'freute'! "Ich weiß nicht, was ich tun soll", wisperte der Japaner, unverwandt auf seinen erregten Gastgeber konzentriert. Unversehens blinkten Tränen in seinen Augen, presste er die Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß entfärbt mit seinem Teint verschmolzen. Stuart erinnerte sich an sein Angebot in einer ähnlichen Situation, als er auch um Joaos Vertrauen geworben hatte. "Fessle mich." +#~#+ Joao hatte noch immer nicht gelernt, wie man fachkundig verschnürte, stellte Stuart beiläufig fest, als er den Stein an seiner nackten Kehrseite spürte. Er musste darauf achten, sich nicht versehentlich selbst zu befreien, ermahnte sich deshalb, sich vollkommen Joao auszuliefern. Im Schatten des Felsens am Eingang stand er mit dem Rücken zum Massiv, die Hände gefesselt, nun bar und bloß dem Betrachter ausgeliefert. Dass ihm nun auch noch die Augen verbunden wurde, jagte ein unwillkürliches Zittern durch seinen Körper, tat jedoch seiner demonstrierten Erregung keineswegs Abbruch. Er spürte Joaos Atem auf seiner Brust, die schlanken, eleganten Finger, die zögerlich und sehr behutsam über seine Haut glitten. Der Parfümeur wollte ihn nicht verführen oder reizen, das war unverkennbar. Kontakt aufnehmen, ohne sich einer möglichen Gewalttat auszuliefern, darum ging es. »Aber lange hältst du das nicht aus!«, mahnte ihn seine innere Stimme, weil jede flüchtige Berührung von IHM stammte. Weil er davon geträumt hatte, dass ER ihn liebkoste, auf genau DIESE Weise wahrnahm. Joaos Fingerspitzen strichen über Stuarts Lippen, der sie teilte, mit der Zungenspitze die Kuppen empfing. Der Japaner zögerte erschrocken, stieß heftig Atem aus. »Hab doch keine Angst!«, bettelte Stuart stumm, »ich will dich verwöhnen, dich lieben und dir Mut machen!« Da war es an ihm, heftig zusammenzuzucken, denn Joao umschloss mit einer so bewunderten Hand seine Erektion! "Uhooohhhhh...", stöhnte der Polizist kehlig, schwankte leicht. Wie sollte er bloß widerstehen, wenn Joao ihn DA festhielt?! Der zögerte, räusperte sich schließlich nach einem tiefen Seufzer. "Ich...ich weiß nicht, wie ich...wie ich...", brach er ab, schnalzte wütend die Zunge. Selbst auf die Distanz und in der sich rasch aufheizenden Luft vor der Höhle konnte Stuart spüren, wie Verlegenheit den Japaner erfasste. "Darf ich es dir zeigen?", erkundigte Stuart sich mit rauer Stimme. Er wollte es sehr, unbedingt sogar, doch es war Joaos Entscheidung. Wenn der nicht selbst den Mut aufbrachte, ihm vertraute, würde er seine gewohnte 'Ecke' so schnell nicht verlassen können. "Versprich", Joao räusperte sich, "versprich, dass du mir nicht wehtun wirst!" "Ich verspreche, dass ich dir nicht wehtun werde", antwortete Stuart prompt, "ich werde nichts tun, was du nicht möchtest. Bitte hab keine Angst vor mir." Anstelle einer Antwort löste der Parfümeur die Fesseln, studierte den Polizisten, der blinzelnd der Helligkeit begegnete. Wortlos streckte der eine Hand aus, nahm mit der anderen seine Kleider und führte Joao ins Innere. In ihrem 'Schlafzimmer' breitete er eine Decke aus, wählte einige Kissen und justierte die Moskitonetze so, dass sie den Boden erreichten und sie wie ein Kokon umgaben. Eingeschüchtert kauerte sich Joao neben ihn, von eigener Hand entkleidet, aber deutlich befangen. Stuart platzierte sich im Schneidersitz, streckte eine Hand nach Joao aus. "Komm, ganz nah", bat er ihn mit sonorer Stimme leise, hievte den vor ihm knienden Japaner mühelos auf seine muskulösen Oberschenkel. Joao keuchte erschrocken, ließ aber tapfer seine Arme um Stuarts Schultern drapieren. Auf diese Weise verringerte sich ihr Größenunterschied erheblich. Zunächst tat der Polizist nichts anderes, als eine Hand auf Joaos Nacken zu legen, deutlich gedämpft von den wilden Korkenzieherlocken, während er ihn mit dem anderen Arm eng an sich zog, seine Wange an Joaos schmiegte. Umarmen und festhalten, das war das Gebot der Stunde. Geduldig wartete Stuart, wiegte sie behutsam, passte den Moment ab, in dem sich der Parfümeur vollends entspannt hatte, ruhig in seiner Umarmung aushielt, ja, sich sogar anlehnte. Er wandte den Kopf leicht, platzierte den ersten, sanften Kuss auf die zarte Wange, arbeitete sich ohne Hast unter die schönen Locken, spielte mit dem unverwundeten Ohrläppchen. Mit der Zungenspitze markierte er neckend seine Spur bis zum spitzen Kinn in Joaos herzförmigem Gesicht, zog sich dann einen Moment zurück, um die flatternden Lider über den fest geschlossenen Augen zu studieren. Selbst im Zwielicht konnte er die dichten, langen Wimpern erkennen, die ihn so faszinierten. "Du bist so schön", rutschte ihm unversehens kehlig heraus. Die Antwort folgte postwendend, denn Joao lief merklich dunkel an, presste eilig das Gesicht in Stuarts Halsbeuge. Der verlegte sich ablenkend darauf, über den schlanken Leib mit der sehr hellen Haut zu streicheln, die sich abzeichnenden Knochen unter seinen rauen Händen zu bedauern. Er wünschte sich, Joao Koseworte zuzuraunen, dessen Gesicht mit Küssen zu benetzen, nicht ein Fleckchen auszusparen, aber das musste warten, wie ihm sein unbedachtes Kompliment bewiesen hatte. Mit einer Hand spielte er in den Korkenzieherlocken, mit der anderen tanzte er über die Knorpel des Rückgrats und wippte perfiderweise minimal mit den Hüften, nutzte die Stärke seiner Muskeln. So konnte er nicht nur Reibungshitze erzeugen, sondern sich auch ein wenig schadlos für seine Ausdauer halten. Joao versuchte reflexartig, ihm auszuweichen, doch die Hand auf seinen unteren Lendenwirbeln arbeitete dagegen. Einige aussichtslose Ausbruchversuche später gab er seine Zuflucht an Stuarts Halsbeuge auf, presste die Stirn gegen seine, keuchte hastig. Stuart flirtete ungeniert mit der Nasenspitze, raunte dann kehlig, "ich möchte dich küssen, bitte, darf ich?" So rasch stieß er die Silben hervor, dass Joao blinzelte, nicht verstand. Er ersparte sich eine Wiederholung, dippte einen federleichten Kuss auf die fragend geschürzten Lippen, zog sich rasch zurück. "Mehr?", krächzte er sonor, tauschte einen Eskimokuss aus. Sein Gespiele rang unter gesenkten Lidern nach Atem, verstärkte die Umklammerung der muskulösen Schultern. "Hm?", auffordernd stupste er Joaos Nasenspitze an, rotierte gleichzeitig mit den Hüften, was in ihrem engen Kontakt nicht ohne Wirkung blieb. "..iya!", quietschte Joao, spannte seinerseits die Oberschenkel an, die wie eine Zange um Stuarts Hüften drapiert waren. Zeitig genug erinnerte der sich daran, dass im Japanischen diese Äußerung missverständlich war, selbst wenn sie in seinen Ohren wünschenswert nach einer Zustimmung klang. "Ja? Nein?", erkundigte er sich höflich, verstärkte seine Hüftbewegungen. "..ja...ja! JA!", stieß der Parfümeur keuchend hervor, zitterte vor Anspannung. Stuart lächelte unwillkürlich, konzentrierte seine Aktivitäten auf Joaos Lippen, küsste ihn behutsam, zärtlich, wartete geduldig, dass sie sich teilten, ihn einließen. Es gefiel ihm ausnehmend gut, wie rasch sich die beiden Kundschafter verstanden, einander streichelten, sich einrollten und dazu lockten, sich zu folgen. Ehe er es sich versah, schwankte er selbst, den Kopf in den Nacken gelegt, Joao abstützend, küsste so leidenschaftlich und ausgehungert wie seit langem nicht mehr. Der Japaner kniete auf seinen Oberschenkeln, fixierte seinen Kopf mit beiden Händen, die ihn erstaunlich kraftvoll dirigierten, während gleichzeitig die herrlichen Korkenzieherlocken auch auf seine Schultern rieselten, ihn einhüllten. »Das ist wie im Traum!«, stöhnte seine Libido begeistert, »das IST mein Traum!« Mit beiden Armen umschlang er Joao begehrlich, presste ihn so eng an sich, dass kein Löschblatt mehr Platz gefunden hätte, nutzte die Gelegenheit, da der Parfümeur schwindelig nach Luft rang, den Kopf in den Nacken gelegt, um über dessen Kehle zu lecken, seinen Weg vom Schlüssel- zum Brustbein hinunter zu küssen, bevor er umschwenkte, sein Gewicht minimal verlagerte. Die Körpertäuschung bereitete kein Foul vor, sondern lenkte Joao von der Absicht ab, sich an einer Brustwarze gütlich zu tun. Stuart stöhnte laut vor Genuss, denn hier handelte es sich um eine seiner heimlichen Vorlieben. Er konnte nicht genug bekommen von der zarten, empfindlichen Haut, der unerwarteten Hitze, die ihn empfing und selbstredend den Möglichkeiten, seine Aufwartung zu machen! Dabei vermisste er nicht einmal die besondere Beschaffenheit einer weiblichen Brust, gegen die man sich so herrlich schmiegen konnte, nein, Joao fing ihn mit seinem eigenen Zauber ein. Vergleichsweise zart war die Haut, kein rauer Teppich sorgte für Schmirgelpapierqualität bei Kontakt und selbst der knochige Brustkorb darunter störte die reizvolle Sensation nicht. Joao unterdessen taumelte, klammerte sich an Stuarts muskulöse Oberarme, weil ihm die Knie so weich wurden, dass er zitternd herabsackte, auf seinen Fersen landen wollte. Wie konnten sich bei einem MANN in der Brust solche Fixpunkte befinden?! Beinahe erwartete er von sich selbst, in Panik zu verfallen, weglaufen zu wollen, vor der in ihm brodelnden Leidenschaft zu fliehen, doch sein Körper belehrte ihn eines Besseren. Er WOLLTE schlicht nicht, dass Stuart von ihm abließ. Mit jedem flatternden, bebenden Herzschlag streifte er seine verhasste, bange, kindliche Hülle ab, wollte endlich aus dem selbst gesponnenen Gefängnis ausbrechen, wie ein Schmetterling zur Sonne fliegen! Einer?! Nein, Abertausende! So viele, wie in seiner Magengrube tanzten, sein Herz flimmern ließen! Man musste es nur wagen, nur allen Mut zusammennehmen! Sich gehen lassen im Vertrauen darauf, dass der blauäugige Hüne namens Stu den Bann der Vergangenheit aufhob. Entschlossen, seine Ängste zu vertreiben, fing Joao erneut Stuarts Kopf ein, benetzte ihn mit Küssen, bevor er sich enger an dessen Leib schmiegte. Mit welchem Neid hatte es ihn erfüllt, Männer wie Stuart zu sehen, die athletisch gebaut mit 'Pelz' prahlen konnten, groß gewachsen, kantig-attraktiv und die über eine sonore, tiefe Stimme verfügten! Richtige Kerle eben! Er selbst kam sich im Vergleich minderwertig vor, mit einem knabenhaften Körperbau gestraft, zierlich, sehnig, schmal, ohne jedes Merkmal potenter Männlichkeit. In diesem düsteren Augenblick der Selbstkritik raunte Stuart stockend an seinem Ohr, "du hast die prächtigsten Haare der Welt." Ja, Joao spürte in diesem hitzigen Kompliment, dass erneut ein Bewunderer seinem Kopfschmuck zum Opfer gefallen war, sich nicht lösen konnte aus dem seidigen Korkenziehergeriesel, das bis über seine Schulterblätter reichte. "Du findest es nicht", er zögerte, befeuchtete die eigenen Lippen mit der Zungenspitze, plötzlich atemlos, "weibisch? Tuntig?" Der Polizist, der unentwegt eine leichte, kreisende Bewegung aufrecht erhalten hatte, während sie einander liebkosten, hielt abrupt inne, ließ sich dann ein wenig nach hinten sinken, ausreichend auf Distanz zu Joao, damit er ihm in die dunkelgrünen Augen sehen konnte. "Nichts an dir", grollte er sonor, in abgetrennt hervorgebellten Silben, "nichts ist tuntig oder weibisch." Unversehens, eine Hand schützend unter dem Hinterkopf, die andere schräg um die Hüfte geschlungen fand sich Joao auf dem Boden wieder, rücklings ausgestreckt, Stuart über ihm auf allen Vieren kauernd. "Du bist schön", bekräftigte der Polizist eindringlich, wiederholte sein Urteil vehement, "hörst du?! Du bist schön! Wunderschön!" Für einen Augenblick erstarrte Joao, spürte, wie die Schatten der Vergangenheit mit eisigen Klauen seinen Mut zerreißen wollten. Sein Atem stockte, da strichen Stuarts Hände bereits über seinen Leib, streichelten, liebkosten, neckten, zeichneten, kraulten und karessierten. Unzusammenhängend stieß der Australier in seiner Muttersprache kehlige Worte aus, wollte Beweise anführen für seine Bewunderung. "Ich mag deine schlanken Fesseln! Und deine Zehen! So perfekt und elegant!", die Hände wanderten nach oben, gefolgt von ihrem Besitzer, der ein flammendes Plädoyer ansetzte, "du bist schlank! Wenn du dich bewegst, bist du so graziös! Und deine Haut ist wunderbar weich!" Die Fingerkuppen zogen die anmutige Linie von schmalen Hüften bis unter die Achseln, während ihr Besitzer wie ein Tiger im Sprung über seinem Opfer kauerte, "kein filziger Pelz! Keine erschlafften Schwabbelmuskeln!" Unerwartet, als müsse er sich von einer Benommenheit befreien, schüttelte Stuart den Kopf wie ein Bär, der dem Wasser entsteigt, blinzelte heftig. "Du bist schön", flüsterte er mit einem zittrigen Lächeln, musste sich mit einer Hand aufstützen, während die andere wie magnetisch angezogen in den Korkenzieherlocken verschwand. Stumm, der Herzschlag Stakkato trommelnd, studierten sie einander, bemerkten kaum die winzigen Staubpartikel, die im weitergeleiteten Sonnenlicht tanzten. Es gab nichts mehr zu leugnen: sie waren bereits hoffnungslos angezogen vom jeweils anderen. Stuart fing mit der freien Hand, die sich erstaunlich mühelos aus der liebkosten Lockenmähne löste, Joaos Hand ein, legte sie sich aufs Herz. Er ahnte, dass seine große Gestalt, die darin verborgene Kraft und seine intimen Kenntnisse des zwischenmenschlichen Liebesaktes ihn für Joao zu einer potentiellen Bedrohung machten. Nicht möglicherweise herumstreunende Pheromone konnten ihm gefährlich werden, nein, sein eigener Körper genügte schon, um den zierlichen Mann unter ihm stocksteif erstarren zu lassen, deshalb wollte er unbedingt eine gewisse körperliche Distanz wahren, sich nicht auf den reizvoll ausgestreckten Japaner sinken lassen, sondern forcierte mit der flachen Handfläche auf seinem Brustkorb, dass Joao genau spürte, wie nervös und aufgeregt er war. Behutsam löste er die elegante Hand schließlich von seiner pelzrauen Haut, führte sie an seiner Seite hoch über die Schultern, damit sie sich um seinen Nacken legen konnte. Währenddessen gab er die dunkelgrünen Augen nicht für einen Wimpernschlag lang preis. Vorsichtig, in durchaus fragiler Stabilität, balancierte er ihr Gewicht aus, bis er Joao vom Boden heben und wie zuvor auf seinen Oberschenkeln absetzen konnte. Man hätte meinen können, dieser 'Stillstand', die Unterbrechung in ihrem Liebesakt, wäre für den Fortgang ein enormer Hemmschuh gewesen, die Stimmung sei nun deutlich abgekühlt, doch das Gegenteil war der Fall. In Stuarts Brustkorb flatterte der nahezu hysterische Vogel seines Herzschlags heftig, trieb ihm winzige Perlen auf die Stirn. Joao dagegen schien nach Luft zu schnappen wie ein Sprinter nach gelungenem Lauf. Die zitternden Fingerspitzen, die hauchzart über Stuarts Schläfen glitten, verrieten den erregten Gemütszustand des Parfümeurs. Ansatzlos schloss Stuart die muskulösen Arme um Joaos Rücken, zog ihn in eine derart enge Umarmung, dass sie unisono aufstöhnten, einander umklammerten wie Ertrinkende, mit einem schmerzhaften, eisernen Griff. Die eintretende Atemnot beendete schließlich diesen allzu harten 'Clinch', nötigte sie, ein wenig zurückzuweichen, sodass wenigstens das Luftholen gestattet wurde. Der Australier befleißigte sich, trotz verschleiertem Blick und leichtem Schwindel, flink darauf, Joaos Gesicht mit Kussspuren zu zieren. Diese zärtlich-neckende Beschäftigung bot jedoch nur die Tarnung für seine tatsächliche Absicht: er dirigierte eine Hand zielstrebig zwischen ihre bebenden Leiber und schloss beide lebhaft erhitzten Erektionen ein. Joao stieß in Reaktion so einen kehligen Laut der Erregung aus, dass Stuart die Röte in die Wangen schoss. Er lenkte den Japaner mit leidenschaftlichen, tiefen Küssen ab, raubte ihm den Atem, um einem verlegenen Rückzug das Wasser abzugraben. Mit allem Verve, den er aufbringen konnte, wollte er, dass Joao sich gehen ließ. Besonders auf diese Weise! Dann, für ihn überraschend, war seine emsig auf und nieder streichende, massierende Hand nicht mehr allein. Ihr eleganter Partner zeichnete sich durch ein derart perfides Geschick aus, dass der Polizist hörbar mit den Zähnen knirschte, um nicht vorzeitig den Fanfarenstoß zu absolvieren! In der Tat: Joao kannte sich aus. Er wusste (und vermutete bänglich bei seinem Partner), dass seine mangelnde Erfahrung und die Angst vor jeder Art von körperlicher Auslieferung ihm zum Nachteil gereichten, allerdings war die Scheu anderen gegenüber kein Anlass, sich selbst ebenso kühl zu behandeln. Ganz für sich, allein im 'stillen Kämmerlein', stellte Joao sich selbst ein ganz ordentliches Zeugnis aus. Er war weder Held noch Vorbild, aber er bemühte sich, andere nicht gedankenlos oder vorsätzlich zu verletzen, er trennte den Müll, sparte Energie und wusch sich immer nach dem Toilettengang die Hände. Mit anderen Worten: er wusste sich selbst zu schätzen und sah keine Notwendigkeit, seinem Körper eine angenehme, erlösende Selbsterfahrung zu versagen. Diese Kenntnisse waren recht universell zu gebrauchen, weshalb er auch hier, in diesem Augenblick, die Führung übernahm. Die Lippen gegen seine Stirn gepresst mühte sich Stuart, den Höhepunkt hinauszuzögern. »So gut«, wiederholte sich sein Urteil in einer Endlosschleife, wusste er nicht zu sagen, ob er diese Feststellung lediglich gedacht oder auch ausgesprochen hatte. So gut hatte er sich lange nicht mehr gefühlt! Und er wollte in dieser Ekstase untergehen! +#~#+ »Gut, dass wir sitzen«, konstatierte sein Gehirn schwerfällig, trieb mühsam die versprengten Truppen des Verstandes zusammen. »Yepp«, pflichtete Stuart heiser, atemlos und glühend erhitzt, stumm bei. Außerdem war er dankbar dafür, dass er in seiner sehr heftigen Erlösung nicht versehentlich Joao mit einem Körpertreffer ausgeknockt hatte. »Jaaaaa.....«, pflichtete seine Libido gedehnt und, zumindest für den Moment gesättigt, bei, »jaaaaa, doch, das hatte was.« »Weckt aber keine verschütteten Erinnerungen, wie?«, schnaubte gehässig seine innere Stimme, die immer bemüßigt war, ihn von euphorischen, hormongesteuerten Höhen wieder auf den banalen Boden des Alltags herunterzuholen. »Neee«, die Libido flözte sich provozierend, »so was hatten wir noch nicht.« Und dieses Urteil beruhte nicht auf dem auslösenden Kontakt mit einem Mann. Stuart verdrängte die widerstreitenden Stimmen entschlossen, zwinkerte energisch, bis sein Blick wieder klar war und sich jeder Schleier der orgiastischen Erfüllung verzogen hatte. Dass ES ihn 'erwischt' hatte, war bereits er- und anerkannt, nicht jedoch, wie sehr er sich körperlich auf Joao eingelassen hatte. Ungewohnt heftig schlang er die Arme um den Parfümeur, der keuchend mit der Stirn gegen seinen Brustkorb lehnte, brachte erneut ihre Haut in aufreibenden Kontakt. Er wollte, dass sich alles vermischte, ihre Körpersekrete, ihre Hitze, ihr Verlangen! Joao ließ ihn gewähren, lehnte mit herabgesunkenen Armen an seiner Seite, rang noch immer leise pfeifend nach Luft. "Joao?", besorgt umfasste Stuart das spitze Kinn, lüftete es sanft, bis er Augenkontakt aufnehmen konnte, "alles in Ordnung?" "...schwindlig...", die Lider des Japaners flatterten unstet, ein Rinnsal Speichel sickerte aus seinem Mundwinkel herab. Ohne Zeit zu verlieren legte Stuart eine Hand in den fragilen Nacken unter der Lockenpracht, die andere drückte sich in die Kniekehlen, dann fand sich Joao ausgestreckt auf der Decke wieder, die Beine aufgestellt, damit das Blut sich schneller Richtung Kopf bewegte. "Ich bringe dir Tee", versprach Stuart, liebkoste mit dem Handrücken eine entflammte Wange zärtlich, "einen Augenblick nur." Unter ihm lächelte Joao schwach, die Augen geschlossen. Mit Hermesflügeln machte sich Stuart am Geschirr zu schaffen, füllte von der gewaltigen Thermoskanne in die praktischen Kunststoffbecher um, dann kehrte er an Joaos Seite zurück. Der lag noch immer, die Beine angewinkelt, auf der Decke, einen Arm locker um den Kopf in die ausgebreitete Lockenpracht gelegt, den anderen über die Augen. "Ich helfe dir auf", kündigte der Polizist an, bevor er auf die Knie sank, behutsam einen Arm unter die knochigen Schulterblätter schmuggelte und seinen Gast langsam in die Senkrechte beförderte. Die eigene Brust als bequeme Lehne im Einsatz hielt er Joao zuvorkommend die Tasse an die Lippen, mahnte rau, der möge sich vorsehen, der Tee sei recht heiß. Joao nippte nur, sank dann schwerer gegen Stuart, der sich auch den Mund spülte, um im Anschluss Korkenzieherlocken aus dem herzförmigen Gesicht zu vertreiben. "Geht's schon besser?", erkundigte er sich besorgt, fand den Japaner ein wenig zu blass für ihre erotische Auseinandersetzung. "...nur müde...", murmelte der zaghaft. »Wahrscheinlich fällt der Druck gerade von ihm ab«, diagnostizierte seine innere Stimme mitfühlend, »komm in die Hufe, Stu! Lass ihn schlafen!« Außerdem gab es ohnehin nichts zu tun, denn die Sonne näherte sich über ihren Köpfen dem Zenit. Es war schlicht und ergreifend viel zu heiß, um sich anzustrengen oder gar eine Exkursion in Angriff zu nehmen. Mit sanftem Nachdruck gelang es Stuart, Joaos Arme um seinen Nacken zu dirigieren, denn er beabsichtigte, den Parfümeur aufzuheben und in der Hängematte abzusetzen. Willig ließ Joao alles über sich ergehen, rollte sich leise seufzend auf der Decke zusammen, die ihn von den harten Netzmaschen schützte. "Darf ich unterkriechen?", Stuart dippte einen neckenden Kuss auf die ihm dargebotene Wange. Der Japaner blinzelte matt mit flatternden Lidern, murmelte etwas, das Stuart unverschämt als Zustimmung dechiffrierte und verabschiedete sich aus der Realität in Morpheus' kundige Hege. Ohne zu zögern kletterte Stuart geschickt auf das luftige Lager, schmiegte sich an Joaos zierliche Gestalt. Der kehrte sich schließlich, nach einigem Manövrieren und Ausbalancieren, zu ihm um, legte seinen müdes Haupt auf Stuarts Brustkorb zur Ruhe. Stuart schloss sanft seine muskulösen Arme um den schlanken Schläfer, lächelte unbewusst vor sich hin. Es fühlte sich so natürlich an, Joao nahe zu sein, dass er zu hoffen wagte. +#~#+ Stuart erwachte, weil seine innere Weckuhr empört Alarm schlug. Ursache für den Tumult war die lautstarke Ankündigung seines Magens, 'gleich mal nach oben zu kommen', wenn nicht bald die längst fällige Fütterung der Raubtiere stattfand. Dezent indigniert ob des Aufruhrs weiter südlich brummte der Polizist, knuffte sich selbst in die protestierende Stelle und erwog seine Möglichkeiten. Konnte er es wagen, sich aus der Hängematte zu stehlen, um etwas Nahrhaftes aufzutreiben? »Wagen schon«, beantwortete er die eigene Frage mit gerunzelter Stirn. Allerdings hätte nicht einmal ein Schlangenmensch vermocht, sich derart herumzuwinden, dass sein Bettgast ohne Beeinträchtigung blieb. Mit anderen Worten: wollte er das Lager verlassen, würde er Joao aufwecken müssen. »Andererseits!«, das Votum fiel eindeutig aus: bevor sonores Grummeln noch stärker um sich greifen konnte, akzeptierte Stuart die traurige Realität: der Geist war willig, das Fleisch gierig und sich selbst am Nächsten, zum Teufel mit den Kavalieren! Behutsam strich er über Joaos knochigen Rücken, kraulte den Nacken durch den seidigen Lockenwust. Schlaftrunken und zweifelsohne nicht so erholt wie Stuart kam Leben in die zierliche Gestalt, rappelte sich Joao auf, um festzustellen, dass man auch in einer Hängematte seekrank werden konnte. "Langsam", schmunzelte Stuart, der oft genug selbst einen unrühmlichen Ausstieg auf die harte Muttererde hingelegt hatte, hielt die Ellenbogen des Japaners fest genug, damit der sich auf seiner Brust hochstemmen konnte, verschleiert blinzelte, prustete, um sich hartnäckiger Lockenstränge zu erwehren, die wie Schwedische Gardinen die Aussicht zensierten. "Hey, Joe", schnurrte Stuart in einer grenzwertigen Jimi Hendrix' Kopie, half tatkräftig mit, das herzförmige Gesicht freizulegen. "Ah!", feixte er dann, als wäre gerade die Sonne aufgegangen, "Willkommen zurück!" Zu seiner Überraschung zuckten Joaos Mundwinkel verräterisch, obwohl sich der Parfümeur einer betont hochnäsigen Mimik befleißigte. "Hast du keinen Hunger?", platzte Stuart unverbrämt heraus, kam knapp einem lautstarken Kollern aus seinem Magen zuvor, das nun keines Entrees mehr bedurfte. "Genügt es, wenn ich mich erhebe, oder laufe ich trotzdem Gefahr, von dir verschlungen zu werden?", Joao bemühte sich um einen schnippisch-arroganten Tonfall, doch Stuart hörte lediglich heraus, dass es hier jemanden zu vernaschen, ja, sogar zu verschlingen gab und er wollte auf gar keinen Fall den Eindruck herrschen lassen, er ziehe seinen Magen der Aussicht vor, sich an der süßen Sünde mit Joaos lieblichem Leib zu berauschen! Da die Hängematte sich ohnehin in einer leichten Schwingung befand, nutzte er geschickt den pendelnden Ausschlag, sich den Parfümeur einzufangen, vorsichtig selbstredend, denn in Körpergröße und -gewicht war er Joao überlegen, und ihn wie ausgehungert mit Küssen zu bedecken! Als wäre das nicht forsch genug, knabberte er zusätzlich, leckte, übte sich im Eskimogruß und attackierte sogar mit scharfen Zähnen! Joao protestierte halbherzig, doch als Stuart zu seiner Geheimwaffe griff und an der Halsbeuge des Japaners ansetzte, blubbernd die Lippen flattern zu lassen wie ein schlappmäuliger Kugelfisch, war es um Joaos Contenance geschehen. Das Prusten wurde zu einem veritablen Lachanfall, der in einem atemlosen Kichern endlich ein fröhliches Ende nahm. Stuart, sehr mit sich zufrieden, studierte die gelöste Miene seines exotischen Gastes. So hatte er Joao noch nie gesehen, es schien ihm, als habe er sich in dieser Sekunde erneut rettungslos bis über beide Ohren verliebt, spürte noch den Blitz, der eingeschlagen hatte, roch das Ozon der Lust. »Jeden Tag!«, schwor er sich heißblütig, »jeden Tag will ich dich zum Lachen bringen!« Zunächst aber begnügte er sich damit, die trudelnde Hängematte zu verlassen und Joao beim Ausstieg behilflich zu sein. "Kann ich mich vielleicht vorher waschen?", erkundigte sich der Japaner, ein wenig verlegen, immerhin, das wurde dem Polizisten verspätet bewusst, hatten sie sehr aufreizende, feuchte und intensive Momente miteinander geteilt. "Du hast recht", nickte er energisch, »so viel Zeit muss sein!« Diese stille Ermahnung schickte er seinem ungeduldig grollenden Magen herunter. Ganz in seiner Aufgabe aufgehend bemerkte er kaum, dass Joao recht verlegen im Hintergrund blieb, es vermied, sich dem direkten Blick auszusetzen. Diese Scham hätte er verabschieden können, denn Stuart breitete emsig ein schweres Packtuch aus, musterte die von ihm mit je einem Knoten versehenen Stoffenden und rieb sich nachdenklich das Kinn, unbeschwert hockend im Adams Kostüm. "Müsste gehen", beschied er schließlich, denn die Sanddusche wollte auch wiederverwertet werden" "Ja!", energisch schlug er sich mit den Handflächen auf die Oberschenkel, grinste über das klatschende Geräusch und wandte sich um, postierte den feinen Sand in Reichweite. "Na, wollen wir?", streckte er abschließend Joao die Hand hin, zwinkerte aufgekratzt. Der errötete, griff aber eilig zu und überbrückte die Distanz, in der trügerischen Hoffnung, aus der Nähe sei es nicht möglich, sich auf so viele Details zu konzentrieren. Gemeinsam traten sie auf die Decke, dann beugte sich Stuart schon tatendurstig, um ordentlich Sand zu fassen. "Wäschst du meinen Pelz, wasch ich deinen!", verkündete er munter, grimassierte frech, "du hast mit mir allerdings mehr Arbeit." Ohne viel Federlesens rieselte er den Sand auf die von Locken kurzerhand befreiten Schultern und Schlüsselbeine des Japaners, strich dann mit Unterstützung der Körner über dessen Haut, eine schmirgelnde Massage, nicht grob, aber doch so ungefiltert, dass Joao das Blut in die Wangen stieg. Wie beschämend, Stuart hatte kaum seine Brustwarzen erreicht!! Der, im Vorteil durch Joaos zögerlichen 'Waschhandlungen', nutzte seine Kenntnis über sensible Körperpartien des Japaners sans gene aus. »Eine gründliche Wäsche eben!«, verteidigte er sich vor sich selbst, ließ sich auf die Knie sinken, »vollkommen harmlos!« Diese Meinung teilte Joao keineswegs, der sich keuchend auf den muskulösen Schultern seines perfid-liebevollen Peinigers abstützte. Stuarts Hände waren flink und grundsätzlich an Orten, an denen gerade noch seine eigenen akzeptiert werden mussten! Wenn jedoch nicht bald ein Wunder geschah, dann würde sein Körper die ganze Waschaktion ad absurdum führen. Tollkühn griff Joao in die kurzen Haare des Australiers, zwang dessen Kopf in den Nacken und rollte sich über ihm zusammen, bis er bequem den Protest ersticken konnte. Erst sollte es in höchster Not des Stolzes bloß ein Ablenkungsmanöver sein, doch Geschick, Lust und Hingabe sorgten schnell dafür, dass Joao in die Knie ging, auf den vertrauten Schoß gehoben wurde und Stuart ebenso leidenschaftlich umarmte und karessierte, wie es der Polizist umgekehrt tat. Das blieb nicht ohne Folgen, trotz Hunger und Verlegenheit. Aneinander gelehnt warteten sie darauf, dass Herzschlag und Atem sich wieder beruhigten. Körpersekrete trockneten ungestört ein, erneuerten die Spuren des Vormittags. "WoW...", murmelte Stuart an Joaos Ohr, drückte ihn fest an sich. "Es tut mir leid", drang zu seiner Verwirrung unter der Lockenpracht sehr gedämpft hervor. "Warum? Was ist?!", sofort läuteten die Alarmglocken bei ihm, rissen ihn aus der postkoitalen Zufriedenheit. Es blieb länger still, aber dem Körperkontakt nach zu urteilen gründete diese Verzögerung darauf, dass Joao mit sich rang, was die Botschaft betraf. "Ich kann nicht weitergehen", wisperte er schließlich, die Arme sichernd um den kräftigen Nacken des Polizisten geschlungen, hier versteckt, vor allem vor prüfenden, entlarvenden Blicken. Stuart wartete, wollte nicht drängen, auch wenn die aufkommende Besorgnis seine Nervosität anheizte und seinen Herzrhythmus aus dem Takt brachte. "Ich möchte nicht wie eine Frau behandelt werden!", sprudelte Joao hastig heraus, weniger eingeschüchtert als mühsam in Zaum gehalten. Während er ängstlich auf eine Reaktion wartete, recht lange!, versuchte Stuart seinerseits zu ergründen, wie er diese Äußerung zu verstehen hatte. Konnte er sich verhört haben, ein Wort missverstanden, unterhielten sie sich doch zumeist auf Japanisch? Er war im Begriff, eine Frage zu formulieren, als sich plötzlich Verständnis einnistete, gemeinsam mit einer scheuen, schlanken Hand, die seine Gesäßfalte entlang Richtung Boden strich. "....oh...", antwortete er eloquent, ließ ein erleichtertes Auflachen folgen. Doch wie seine Empfindungen in die passenden Worte kleiden? Derlei Vokabular hatte Nana nicht weitergegeben! "Mach dir keine Gedanken", bemühte er sich zunächst auf Japanisch, um in seine Muttersprache zu wechseln, "ich habe nicht vor, jetzt mit Anal-Sex anzufangen." Joao versteifte sich blitzartig in seinen Armen, dechiffrierte offenkundig eine andere Botschaft, sodass Stuart eilends den Offenbarungseid leistete. "Ich bin sehr verliebt in dich", prompt schoss ihm Farbe in die Wangen, "ich möchte gern alles tun, was uns beiden gefällt. Allerdings", er räusperte sich, "das DA", klopfte er sich selbst auf die Schwarte, "ist nicht mein Fall. Weder aktiv noch passiv." Joao schob ihn ein wenig von sich, um die geeignete Distanz für Augenkontakt ohne steifen Nacken zu gewinnen. "Willst du es denn nicht richtig tun?", hakte er drängend nach, schwankte zwischen Hoffnung und Misstrauen, "wenn ich eine Frau wäre, dann..." "Stopp!", der Polizist siegelte Joaos Lippen ebenso energisch, "Was soll das bedeuten, 'richtig'?! War es nicht gut genug? Dann sag mir, was du dir wünschst!" Durchaus gemein, laut zu werden, den schönen Japaner in die Enge zu treiben, doch in der Liebe war schließlich einiges an Einfallsreichtum geboten, wenn man Amors Segen erhalten wollte, nicht wahr? Entsprechend 'Drehbuch' reagierte der Parfümeur auch mit einer hastigen Verneinung, es SEI gut gewesen! Nichtsdestotrotz, ein Mann wolle doch immer...! "Nur das Eine, oder wie?!", übertrieben beleidigt schnaubte Stuart finster, "da hast du ja eine tolle Meinung von mir!" Er zählte an den Fingern auf, "ich bin also sexsüchtig, total blind, weil ich dich wohl für eine Frau halte, inkonsequent, weil ich dich nicht so behandle, außerdem unerfahren und total lendenlahm, wenn mir das schon reicht, wie?!" "Das habe ich nicht gesagt!", verteidigte sich Joao heftig, "ich will doch bloß nicht, dass du..." Abrupt verstummte er, presste die Lippen zusammen, damit kein verfängliches Wort ihn preisgeben konnte und wandte sich ab, schlug die dünnen Arme um den zierlichen Leib, versteckte sich hinter den knochigen Verteidigungsmauern. Stuart spürte sofort Mitgefühl und einen Stich Reue, weil er Joao derart nötigte, ihm ALLES anzuvertrauen. »Aber wenn wir unsere Erwartungen nicht austauschen, Vorlieben und Abneigungen, wie soll dann etwas aus uns werden?!«, verteidigte er sich vor sich selbst. Ohne Federlesens schmiegte er sich an den Parfümeur an, kerkerte ihn in seinen muskulösen Armen ein. Leise raunte er seine Worte durch den Lockenschirm, der als Sichtschutz fungierte, "Joao, kann das sein? Dass du mich auch magst?" Als ihm keine Antwort zugestanden wurde, erinnerte er sich optimistisch an die juristische Konstruktion des konkludenten Schweigens, weshalb er lächelnd fortfuhr, "selbst wenn du eine Frau wärst, würde ich DAS nicht mit dir machen. Ich habe gehört, dass es schmerzhaft ist, besonders, wenn man keine Erfahrung hat. Ich HABE keine Erfahrung und nicht den Wunsch, das zu ändern." Er zögerte, bevor er erneut ansetzte, "es sei denn, du wünschst es dir." Joao gönnte ihm noch immer keine Entgegnung, schien jedoch, zumindest meinte es der Australier, sehr viel entspannter in seiner Umarmung zu stehen. "Sag", ließ er nicht nach, "möchtest du es? Willst du DAS mit mir tun?" "Ich?!", lockige Seidenstränge schlugen gegen Stuarts Brustkorb, als Joao den Kopf ruckartig wandte, "ich würde dir so etwas NIEMALS antun!" Stuart nutzte die Gelegenheit, mit den Fingerknöcheln sehr zärtlich über eine von Empörung erhitzte Wange zu streicheln, "aber ich soll dir so etwas antun wollen?" "Nein", geschlagen senkte Joao den Blick, wich allerdings nicht vor der Liebkosung zurück. Unerwartet für sie beide zog Stuart ihn in eine enge, beschützende und beinahe erstickende Umarmung. Was hatten sie ihm damals angetan?! Vor Wut, die kein Ziel mehr finden konnte, nichts mehr zu bestellen hatte, knirschte der Polizist heftig mit den Zähnen. "Wollen wir", er zwang sich selbst, die Kiefermuskeln wieder zu entspannen, "wollen wir einander versprechen, uns DAS nicht zuzumuten?" "Ja, ich verspreche es", pflichtete ihm Joao bereitwillig zu, streichelte scheu mit den Handflächen über Stuarts Rückenpartie, tröstend. Der blickte auf das prächtige Lockenhaupt an seiner Brust, die zierliche Gestalt mit der hellen Haut, schlank, fragil, empfindsam und ungeheuer mutig, dass ihn eine überbordende Woge der Liebe davonspülte. Ein ozeanisches Gefühl, das ihn innerlich vollkommen auskleidete. "Ich liebe dich", flüsterte er heiser, drückte einen Kuss auf den lockigen Schopf, verstärkte seine Umklammerung unbewusst, "ich liebe dich so sehr, Joao." +#~#+ Joao hatte vorgeschlagen, das Abendessen im Schatten des Eingangs zu verzehren, denn von der geräumigen Höhle hatten sie beide für diesen Tag genug gesehen. Die Hitze des Tages ließ nach, die Dromedare wurden wieder munter, um sich eifrig die 'Speicher' mit Wasser zu füllen und gemächlich nach Grünzeug Ausschau zu halten. Stuart ließ sie laufen, fürchtete nicht, dass sie sich zu weit entfernen würden, denn in der Nacht blieben sie gern zusammen, um zu schlafen. Er selbst fühlte sich weniger munter als in friedvoller Stimmung. Das Herz ruhig, der Magen ruhig, der Kopf ruhig: das musste gewiss Liebe sein und im Augenblick war wirklich ALLES perfekt! Man musste natürlich davon ausgehen, dass dieser Zustand vorübergehend war, die Wirklichkeit und die Zwänge der Gesellschaft ihnen zusetzen würden, aber das konnte warten! Befand der Polizist. Auch Joao erschien ihm ruhiger, ließ die beiläufigen Gesten der Zärtlichkeit geschehen, ohne zusammenzuzucken oder sich zurückzuziehen. In der Tat war Joao in Gedanken sehr geschäftig, aber auf eine gelassene Weise. Er betrachtete den hochgewachsenen, athletischen Australier und wunderte sich einmal mehr. Wieso hatte der sich in ihn verliebt? Sie waren beide Männer. Stu hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er nicht homosexuell war. Warum also...? Umgekehrt sondierte er seine Gefühle. Wieso war er verliebt? Weil Stu der Schutzengel war, den er in höchster Not benötigt hatte? Weil der Entscheidungen treffen und konsequent durchziehen konnte? Weil der groß war, attraktiv, unerschrocken und einfallsreich? Hatte er vielleicht eine Schwäche für Abenteurer?! Nein. Wertschätzung, Respekt, Nachsicht, Güte, Zärtlichkeit, Mut, diese Eigenschaften hatten sein Herz erobert, es ganz ohne Pheromone oder Schliche, verlogene Komplimente oder Gewalt geschafft, den Eisernen Vorhang zu unterminieren. Stu war wie ein bester, enger, vertrauter Freund und gleichzeitig noch ein Liebhaber, der sich zurücknehmen konnte, wenn es angezeigt war. In diesem Augenblick bemerkte der Polizist den trägen Blick aus den dunkelgrünen Augen und zwinkerte grinsend. »Er sieht aus wie jemand, der gerne und aus vollem Hals lacht«, diagnostizierte Joao lächelnd. Auch das war sehr anziehend, definitiv erotisch. "Gehen wir noch ein bisschen?", Stuart streckte ihm erwartungsvoll die Hand entgegen. Der Japaner griff entschlossen zu, verschränkte ihre Finger miteinander. Jeden Augenblick wollte er sich einprägen, in sein Gedächtnis ätzen, denn die Zeit konnte niemand anhalten. Schweigend spazierten sie gemächlich durch die Grassteppe, dieses Mal ohne Erzählungen von Gespenstern oder Entdeckungen vergangener Forscher. Es dämmerte bereits, als sie eine Rast einlegten, Wasser schluckweise tranken und die nacheinander erstrahlenden Sterne zählten. "Willst du meine wahre Seele sehen?", erkundigte sich Joao unerwartet, brach ihr Stillschweigen. Stuart betrachtete ihn aufmerksam, bevor er mit einem sanften Lächeln antwortete, "sehr gern sogar." "Dann hilf mir bitte", entschlossen dirigierte der Japaner seinen Gastgeber gegen das Felsgestein ihres Rastplatzes, stieg auf die Zehenspitzen. "Nicht aufhören!", gebot er streng. Womit, das erklärte sich ohne Worte, denn er initiierte einen leidenschaftlichen Kuss, selbstredend nicht genug, ihn einer Ohnmacht nahe zu bringen, aber doch ausreichend reizvoll, Stuart zur Beteiligung zu überreden. Der schlang die Arme unter Joaos Achseln hindurch, beugte sich vor, den Größenunterschied zu überwinden, versiegelte die glühenden, lockenden Lippen äußerst engagiert. Immer fiebriger steigerte sich ihr Austausch von Energie, Lust, Hingabe und Speichel, bis der Parfümeur in seinen Armen schwer wurde, benommen und schwindlig ohne ausreichend Sauerstoff in die Knie ging, halb besinnungslos wurde. In diesem Augenblick trat die wahre Seele hervor, präsentierte einen wunderschönen Hund mit dicht gelocktem Fell, das in dicken, schwarzen Schotten herunterhing. Schwungvoll fasste Stuart zu, hob sich Joao auf die Arme, bevor der ihm zu Füßen sinken konnte, wartete verzaubert, bis das Seelenbild verblasste, der Japaner wieder zu sich kam. "..hat's... geklappt...?", krächzte Joao atemlos, blinzelte. "Hmmm", nickte der Australier, hob Joaos Kopf und Schultern an, dippte einen Kuss auf dessen Stirn. "Sehr attraktiv", wisperte er lächelnd, "in beiden Versionen." Dann stellte er ihn wieder auf die Beine, ging vor ihm leicht in die Knie, "komm, ich nehme dich Huckepack!" "Bin ich nicht zu schwer?", trotz dieser fürsorglichen Nachfrage umschlang Joao bereits Stuarts Hals, klemmte die Beine um dessen Taille. "Ach was", winkte der amüsiert ab, "gerade fühle ich mich, als könnte ich klafterweise Bäume ausreißen!" "Ich dachte, deine Familie nimmt an diesem Aufforstungsprogramm teil?", mahnte ihn der Parfümeur streng. "Wie gut", Stuart grinste frech in die Nacht, "dass ich dann mit dir beschäftigt bin, nicht wahr?" "Frechheit!", tadelte Joao gespielt indigniert, knabberte tollkühn an einem Ohr. Stuart lachte laut und erfüllte mit den Vibrationen vor allem Joaos Herz. Ihm gefiel die Wärme, der vertraute Kontakt, der Geruch, einfach alles. Stuart fühlte sich tatsächlich beschwingt und auf Freiers Füßen, mit anderen Worten: er schwebte förmlich dahin. Außerdem wog Joao auch beängstigend wenig für einen Mann seiner Größe, hätte gut und gerne noch öfter einen Nachschlag nehmen sollen! Er strebte auf ein bestimmtes Ziel zu, das er mit Joao in dieser Nacht besuchen wollte, ein wenig abgelegen, aber wild-charmant, ein ganz privater, verwunschener Ort, zumindest für die wüstenartigen Verhältnisse. Etwa fünfzig Meter trennten sie noch vom Ziel, als sich mit großer Geschwindigkeit ein roter Streifen wie ein Kometenschweif am nächtlichen Firmament abzeichnete. Er detonierte lautlos zu einer glühend roten, kleinen Kugel, die in farbigen Splittern Richtung Boden segelte. Beide verharrten, dann richtete sich Stuart langsam auf, ließ Joao von seinem Rücken gleiten. "Glenn." +#~#+ Kapitel 5 - Verantwortung Hatte er sie immer gehalten, oder waren die Finger erst kürzlich in seine Hand gekrochen, hatten sich eingenistet und verschränkt? Stuart spürte den Daumen, der über seinen Handrücken streichelte, tröstend. Er atmete tief durch. Und noch einmal. Dann seufzte er laut. Es war natürlich damit zu rechnen gewesen, dass irgendwann ihre Idylle hier ein Ende fand. Selbstredend musste eine Warnung von Glenn kommen, eingedenk der Situation, vor der sie hierher geflüchtet waren. Trotzdem. Trotzdem verstopfte ein Kloß Stuarts Kehle, verlor sich seine Kraft und die Wolke Sieben, auf der er wie gepolstert dahingeschwebt war. "Wir müssen morgen zurückkehren, nicht wahr?", Joao klang gefasst. "Ja", murmelte der Polizist gepresst. "Dann haben wir noch ein paar Stunden", auffordernd zog ihn Joao am Arm. Unwillkürlich huschte ein dankbares Lächeln über Stuarts Gesicht. Er nahm wieder ihren gemütlichen Gang auf, sie gingen auf gleicher Höhe nebeneinander, über einen festen Handgriff verbunden. Das Ziel, das er angesteuert hatte, erwies sich als ein recht zierliches Felsplateau, beinahe plan und nur um Hüfthöhe noch aus dem Boden ragend. Wenn die Gräser höher standen, hatte man das Gefühl, über ihnen wie auf einem fliegenden Teppich zu schweben. "Bride's bed", erklärte er, ein wenig verlegen, "ist noch warm." Joao legte Hand an bzw. auf, kletterte dann schwungvoll auf das Plateau. Stuart folgte ihm, legte die Wasserration ab und hob sein Hemd über den Kopf, nachdem er den unvermeidlichen Hut abgelegt hatte. Er breitete sein Hemd aus, um den Stein zu bedecken, eine etwas angenehmere Unterlage zu anzubieten, obwohl die Witterung das Felsplateau jahrhundertelang abgefeilt hatte. Unerwartet folgte Joao seinem Beispiel, ließ sich dann hinabsinken, den Blick zum Firmament gerichtet, die Hände im Nacken verschränkt. "Es ist so schön hier", seufzte er andächtig. "Ja", brummte der Australier, rollte sich auf die Seite, schmuggelte ein Knie zwischen Joaos Beine, um sein sorgenumwölbtes Haupt auf die knochigen Brust des Japaners zu betten. Zögerlich strichen die eleganten Finger durch die kurzgeschnittenen Haare, bemühten sich hilflos, den Kummer zu lindern. Dass es ausgesprochen dämlich war, nicht sogleich zum 'Digger's dome' zurückzukehren, musste ihm sein Gewissen nicht erst in leuchtenden Buchstaben vor die geschlossenen Augen projizieren. Eigentlich war er nicht der Typ, der den Kopf in den Sand steckte und hoffte, wenn er nichts sah, würde man IHN auch nicht sehen. Trotzdem. Trotzdem war er nun wütend und traurig und enttäuscht und verzweifelt und mutlos zugleich, denn die Rückkehr bedeutete den Abschied. Die Gesellschaft meldete ihre Ansprüche an, und sie mussten ihren Tribut zollen, was blieb ihnen auch übrig? "Stu?", Joao kraulte ihn hinter den Ohren, so sanft, dass der Polizist leise seufzte. Es tat viel zu gut, was Joao ihm zugedachte. Und der Entzug... unwillkürlich erzitterte Stuart. Bei einer weiteren Narbe auf seinem wie ein Veteran gezeichneten Herz würde es nicht bleiben, dazu hatte er sich zu sehr eingelassen. "Stu?", wiederholte der Parfümeur leise seine Äußerung und registrierte überrascht, dass sich ein feuchtes Gesicht blitzartig in seiner Halsbeuge vergrub, das auf seinem Körper lastende Gewicht potenzierte. Er umschlang den muskulösen Oberkörper so fest es nur ging, presste die Zunge gegen den Gaumen und blinzelte verschleiert hoch zu den Sternen. Was würde sie erwarten? Warum war Stuart so unglücklich, als wisse er schon mehr? Schniefend stützte sich der Australier schließlich auf die Ellenbogen auf, klimperte energisch mit verklebten Wimpern, räusperte sich erstickt. "...das wird schon", ein fahles Grinsen wurde auf sein Gesicht gezwungen, "kein Problem." Gerührt lächelte Joao, wischte mit den Händen behutsam über die nassen, erhitzten Wangen des Polizisten. Der zog eine verlegene Grimasse, angelte ihre Wasserration heran, um erst Joao, dann sich selbst einen Schluck zu genehmigen, finster in die Nacht zu starren. "Stu", Joao unternahm wacker den dritten Anlauf, strich auffordernd über die behaarte Brustpartie. Dieses Gefühl jagte prickelnde Ausläufer der Erregungen durch seinen Körper, konzentrierte sich in seinem Unterleib. "Ja?", Stuart kämmte ihm einige Locken aus dem Gesicht, studierte ihn im Licht der Sterne. Man hätte sie förmlich vom Himmel pflücken können, so nahe waren sie ihnen hier! Eine laue Brise ließ die Gräser und hohlen Halme flüstern, streifte sie wie eine zärtliche Liebkosung. "Hilf mir bitte beim Ausziehen", errötet, aber unerschrocken gab Joao seine Forderung aus. Einen langen Augenblick betrachtete ihn der Polizist, dann gab er sich einen merklichen Ruck. Gemächlich, so als hätten sie alle Zeit der Welt, entkleideten sie einander, bevor sie sich auf den Stein lagerten, dem 'Bride's bed', sich streichelten, im Arm hielten, mit sanften Küssen bedeckten, melancholisch und hoffnungsvoll zugleich. +#~#+ Im Morgengrauen führte Stuart Joao zurück zu ihrer Unterkunft. Die Dromedare tönten ihnen schon ungeduldig entgegen, sie hatten Durst und ahnten wohl anhand der Anspannung der beiden Menschen, dass heute kein Tag des Müßiggangs mehr anstand. Schweigend packten sie, aßen nebenher ihre Rationen, versorgten die Dromedare gemeinsam und sammelten das Gepäck, so, als hätten sie schon immer ein Gespann gebildet. Stuart belud das Pack-Dromedar, bevor er ein letztes Mal in den 'Digger's dome' zurückkehrte, nach und nach die ausgeklügelte Lichtreflektionskonstruktion umkehrte, ihre 'Aufenthaltsräume' kontrollierte und schließlich vor den Eingang trat. Joao wartete, ein wenig unruhig. Staub tanzte in der Ferne, vom Wind aufgewirbelt. "Du musst dich ordentlich einpacken", Stuart wickelte Joao wie eine Mumie ein, überfürsorglich, "trink immer genug Wasser. Wenn du keins mehr hast, sag mir unbedingt Bescheid." Joao nickte bloß, nutzte die Gelegenheit, bevor ihm ein feines Tuch als Staubschutz vor Mund und Nase bis unter die Sonnenbrille gebunden wurde, um Stuart lange zu küssen. Der nickte bloß, grimmig, band dann seinen eigenen Hut fest, maskierte sich selbst und assistierte Joao beim Aufstieg auf das Dromedar. Die Tiere mochten die Wüstenwinde nicht sonderlich, konnten aber dank langer Wimpern noch recht gut sehen. Sie wollten wieder zur Farm, nach Hause, ging man von ihrem Tempo aus. Stuart führte ihre kleine Karawane, musste sich auf die Strecke konzentrieren. Ihm gefiel der Horizont gar nicht, eine Farbe, die auf Ungemach hindeutete, doch mit ein wenig Glück wanderte der Sturm in die andere Richtung. Er sollte recht behalten, allerdings brannte nun die Sonne unbarmherzig ohne einen filternden Staubschleier direkt auf sie herab. Nun hieß es, nicht eindösen, sich nicht einlullen lassen! Immer wieder wandte er sich um, doch Joao, bis zur Unkenntlichkeit vermummt, hielt sich tapfer aufrecht. An ihrem Rendezvouspunkt bemerkte Stuart zu seiner Überraschung zwei Dromedare und seinen Bruder Glenn, wie für eine seiner Touristentouren gekleidet. »Was soll das?!«, fragte er sich, kniff trotz der Sonnenbrille die Augen zusammen, als könne ihn eine Fata Morgana narren, doch das Bild änderte sich nicht. Wieso war Glenn ohne den Transporter hier, stattdessen mit Dromedaren?! Dann bemerkte er das kleine Blinken von Leuchtkörpern, die man flexibel in den Boden stecken konnte, zum Beispiel, um einen Landeplatz zu markieren. Plötzlich krampfte sich sein Magen zusammen. Es war jedoch nicht nötig, die Dromedare anzutreiben, die von selbst einen Galopp einlegten, der zur Seekrankheit nötigte. Glenn antwortete seinen Tieren mit gutturalen Kommandos, holte aus dem Schatten des Felsbrockens, der ihnen als Markierungspunkt diente, flexible Beutel, die er den Dromedaren wie Futtersäcken umzuhängen gedachte. Sie enthielten allerdings Wasser. Mühelos kletterte Stuart von seinem Reittier, nachdem er ungeduldig den Einklappprozess der Gelenke abgewartet hatte. "Was ist passiert?!", ersparte er sich eine Begrüßung. "Ärger", grummelte Glenn gewohnt gesprächig, hielt dann inne, spähte über die Schulter seines älteren Bruders hinweg. Der fegte eilig herum, als er sich Joaos erinnerte. Dessen Dromedar wartete artig auf den Wasserbeutel und interessierte sich nicht sonderlich dafür, dass der Reiter langsam zur Seite vom Sattel kippte. "Joao! He!", Stuart fing den Sturz ab, legte ein leichenfahles Gesicht unter dem Staubtuch frei. "Hitzschlag?", Glenn beugte sich über seinen knienden Bruder, schnalzte mit der Zunge, bevor er unaufgefordert den weiten Umhang löste, den der seinem Gast umgewickelt hatte.Er tränkte den Stoff mit Wasser, folgte Stuart in den Schatten des Felsblocks, half ihm, Joao die Kleider auszuziehen und ihn anschließend in den nassen Stoff zu wickeln. Das sollte für den Augenblick helfen, die Körpertemperatur zu senken. "Überanstrengung", korrigierte der Polizist erleichtert, kämmte wirre Locken aus dem herzförmigen Gesicht. DAS hatte er zu verantworten. "Wir haben nicht viel Zeit", Glenn erhob sich, verteilte das Gepäck, reichte seinem Bruder aus einer Kühltasche Ingwerlimonade. "Was ist los?", Stuart musste nun, zwischen Schlucken, die er sich selbst gönnte und denen, die er Joao einflößte, die unbarmherzige Realität erfahren, damit er angemessen reagieren konnte. Glenn kauerte sich zu ihm in den Schatten, lupfte die allgegenwärtige Sonnenbrille und schob den Hut in den Nacken. "Dein Freund da", er wies mit dem Kinn auf Joao, "hat übers Internet seine Formel verbreitet, samt Forschungserfolgen und einfacher Nachbrau-Anleitung." Er kramte in einer Hosentasche, beförderte selbst gemachte Ingwerbonbons ans grelle Tageslicht, nötigte seinen Bruder, ebenfalls eins in den Mund zu schieben, "gab mächtig Aufruhr. Haben rausgefunden, dass er ausgereist ist. Tja." "Was noch?", Stuart konnte sehen, wie sein Bruder abwog, wie er die wirklich üblen Neuigkeiten verbal 'verpacken' konnte, um ihn nicht zu erschrecken, "Glenn!" "Ja", brummte der Jüngere, dirigierte das Bonbon in die andere Backe, fasste den Bruder dann in einen stählernen Blick, "dein Freund wird als Terrorist gesucht und gegen dich läuft ein Auslieferungsgesuch als Terroristenhelfer." "...was?! WAS?!", obwohl Stuart Joao auf seinem Schoß und gegen seine Brust gebettet hielt, gelang es ihm, nach hinten zu kippen. "Kommt noch mehr", Glenns düstere Miene ließ keinen Zweifel aufkommen, "so'n paar Japse sind bei Poppa und Mom aufgekreuzt, wollten wohl dafür sorgen, dass ihr beide auf jeden Fall eingesackt werdet. Poppa hat Dundee losgelassen, da sind sie abgehauen. Hat deine Kollegen angerufen und Anzeige erstattet. Die Botschaft hat großen Heckmeck gemacht." Stuart spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Man hatte seine Eltern bedroht, wollte ihn und Joao heimlich aus seinem Heimatland verschleppen?! Waren das CIA-Methoden, oder wie?! "Mom hat über Freunde Gussie kontaktiert. Die ist heute Morgen in meinen Klamotten nach Perth abgezittert. Als die Halunken ihr gefolgt sind, konnte ich mich aus dem Staub machen." "Verdammt", murmelte der Polizist tonlos. "He, halb so wild, Kumpel", Glenn klopfte ihm beruhigend auf die Schulter, "vor Dundee haben sie Schiss, und meine Gussie hat gestern Abend Schießübungen absolviert. Uns passiert schon nichts." »Aber das hält nur so lange an, wie niemand Dundee tötet«, dachte Stuart beklommen. Die kleine 'Handtasche' gehörte eigentlich nicht in diese trockene Gegend, war aber ein Findelkind, das sich von ihrem Vater wie ein Hund an der Leine führen ließ, niemals Schafe oder Rinder getötet hatte und gern unter einem alten, umgedrehten Boot schlief. Krokodile zu halten war nicht unbedingt eine Absonderlichkeit in Oz. Oder dass Gussie, seine patente Schwägerin, eine herausragende Schützin war. Aber er wollte sich lieber nicht ausmalen, was ihre Gegner unternehmen würden, wenn sie unter Erfolgsdruck standen. "Was jetzt?", unbewusst streichelte er Joaos Lockenstränge, als könne ihn diese Beschäftigung seiner Finger trösten. Glenn bemerkte die Selbstverständlichkeit der Geste, ließ sie aber unkommentiert. Er war ja nicht von gestern, was seinen verrückten Bruder betraf! "Nana kommt mit Mathilda, sammelt euch hier ein. Bei Jock und Minnie könnt ihr euch erholen. Und dann", er rieb sich das Kinn, "sieht's wohl danach aus, als stellt ihr euch besser unseren Leuten." Stuart schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Das lief noch viel schlimmer aus dem Ruder, als er befürchtet hatte. Terroristen. Irgendwelche Verfolger. »Wir hatten Glück, dass wir hier so weit weg von allem sind, sonst hätten sie mit uns leichtes Spiel gehabt«, konstatierte er bitter. "Wird schon", versicherte ihm Glenn, klopfte ihm auf die Schulter. Trotzdem wanderte auch sein Blick immer wieder in den Himmel. +#~#+ Gefühlte Ewigkeiten später, in denen Stuart noch einmal Joaos Einwickeltuch mit kostbarem Wasser tränkte, hörten sie das Rotorengeräusch der Sikorsky S-58. Der Hubschrauber war ursprünglich für Transporte vor allem von Material oder Truppen im Vietnamkrieg konzipiert worden und schon seit Langem außer Dienst, doch Jock, ein Nachkomme einer vom Minenbau zu großem Reichtum und Einfluss gekommenen Familie hatte das bemitleidenswerte Gerippe gekauft, instandsetzen lassen und benutzte die selbstredend "Mathilda" getaufte Maschine für die Arbeit und sein Privatvergnügen. Sie war deshalb in den Firmenfarben leuchtend orangefarben lackiert worden und mit künstlerischem Anspruch in ein hübsch lächelndes Mädchen verwandelt. Und Mathilda konnte tanzen! Allerdings nicht unter Jocks Führung, der seit einer Grubengasverpuffung erblindet war, doch seine zwanzig Jahre jüngere Frau Minnie, eigentlich Minh Ha, flog mit großer Sicherheit alles, was vom Boden abheben konnte. Ihr Geschäftssinn und die innige Liebe verband das Paar, mit dem Nana seit Ewigkeiten befreundet war. Mühelos und exakt setzte Mathilda auf dem improvisierten Landefeld auf. In der Kanzel erkannten die Brüder nicht nur Minnie mit ihrem kecken Kurzhaarschnitt, sondern auch ihre Großmutter Nana, die winkte. Stuart nahm Joao auf die Arme, ließ ihn sich von Glenn in die offene Ladeluke reichen. Mathildas geräumiger Bauch konnte eine Menge Lasten transportieren, doch an den Seiten hatte man auch für Klappsitze mit festen Gurten gesorgt. Nana half ihm, ausreichend Sitze abzuklappen, damit sie Joao sicher verschnürt dort unterbringen konnten, während Glenn zwischen Fels und Hubschrauber hin und her flitzte, um das Gepäck zu übergeben. Es wäre nicht gut, wenn man Habseligkeiten bei ihm fände, die auf die beiden Gesuchten hinwiesen. Mit einem Headset ausgerüstet konnte sich Stuart auch endlich mit der Zwei-Frau-Besatzung unterhalten, denn die Rotoren liefen geräuschvoll. Minnie blinkte zum Abschied, dann hob Mathilda ab, ließ Glenn und seine kleine Karawane zurück. Das nächste Ziel wäre die Farm von Jock und Minnie, von den Vorfahren vorausschauend wie eine autarke Festung ausgebaut. "Junge, was ist mit deinem Freund?", Nana hielt sich ebenfalls nicht mit Präliminarien auf. "Er ist sehr erschöpft", murmelte Stuart kleinlaut. Wäre er bloß vernünftig gewesen! "Na, wenigstens scheint er nicht luftkrank zu werden", Minnie lachte ihm amüsiert ins Ohr, wie immer auf das Positive konzentriert. Der Polizist seufzte, "tut mir leid wegen dem Ärger." "Ach was!", die Pilotin kicherte, "Jock hat mächtig Spaß an der Sache! Er findet's ganz mies, einen Helden so zu verleumden und wittert die Gelegenheit, es mal der Elite heimzuzahlen." Obwohl es keineswegs komisch war, konnte Stuart ein Grinsen nicht unterdrücken. Jock war wie jeder typische Australier auf der Seite der 'Underdogs', der kleinen Leute, die dem mächtigen Klüngel den Kampf ansagten und ließ keine Gelegenheit aus, mit seinem Einfluss die 'gerechte' Sache zu unterstützen. "Außerdem müssen wir deinen Freund erst mal aufpäppeln, wie mir scheint", Nana schien also doch nicht allzu wütend auf ihn, "Glennie sagt, es wäre ein verflixt hübscher Bursche." Zu seiner Verlegenheit lief Stuart rot an, brummte etwas Unverständliches in das Mikrofon. Wichtig war jedoch, dass sie für den Augenblick beide in Sicherheit waren. +#~#+ Ebenso gekonnt wie zuvor setzte Minnie Mathilda auf dem Vordach des gewaltigen Anwesens ab, wurde von ihrem Mann und einigen Angestellten empfangen, die sofort assistierten, das Gepäck auszuladen, die Mathilda in den angeschlossenen Hangar mittels Rollbahn zu befördern und aufmerksam Getränke anzubieten. Jock umarmte seine Frau, küsste sie schmunzelnd auf die Wange, bevor er nach Nana auch Stuart in eine vertraute Umarmung zog. Dann glitten seine Finger kundig über Joaos bleiches Gesicht, der sich noch immer in einem Dämmerzustand befand. "Verflixt hübscher Bursche!", konstatierte er mit Kennermiene, bat dann, dass man ihren Gast in ein Gästezimmer bringe und gleich dafür sorge, die medizinische Betreuung vorzunehmen. Stuart wollte sich eigentlich nicht von Joao trennen, aber Nana packte ihn unmissverständlich am Gürtel, "wir müssen reden. Jetzt." Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Parfümeur, schickte sich aber drein. Im Augenblick konnte er nichts für ihn tun. Jock hakte sich bei Minnie ein, durchaus ein Unterfangen, da sie ein gutes Stück kleiner war, geleitete sie dann in ihr großes Medienzimmer. Dort musste sich der Polizist mit den Schlagzeilen der letzten Tage befassen, von den nationalen bis zur internationalen Presse. Das sah gar nicht gut aus. Mit wachsendem Entsetzen verfolgte er, wie sich zeitgleich rund um den Globus die Formel enthüllt hatte, mit zahlreichen Informationen und der Anleitung, wie man sie zu einem geruchlosen Stoff komponieren konnte, der Madararui-Pheromone außer Gefecht setzte. An sich nichts Gefährliches, doch gerade in Japan, das man schnell als Herkunftsort identifiziert hatte, brach eine Welle der Hysterie aus. Beinahe ununterbrochen wurden in den beengten Zügen Wolken des neuen Präparats freigesetzt, Anzeigen erstattet wegen Nötigung, sexueller Belästigung, Erpressung. Scheidungen wurden eingereicht, es gab körperliche Auseinandersetzungen, öffentliche Empörung der Elite über die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung im Staat. Alles gipfelte darin, dass man die beiden einzigen, identifizierbaren Personen als Terroristen einstufte, weil sie einen Umsturz geplant hatten und die öffentliche Sicherheit beeinträchtigten. "...das ist doch Irrsinn!", würgte Stuart schließlich hervor. Sie und Terroristen?! Einfach lächerlich! "Schätze, ihr seid einigen Leuten heftig auf die Zehen gestiegen", Jock klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, "keine Sorge, Stu, es gibt auch gute Nachrichten." Etwa in Form von Internet-Aktionen, die die neuen 'Helden' feierten, weil endlich jemand ihnen die Freiheit gab, sich gegen den Einfluss von 'stärkeren' Madararui zu wehren, die ihre Kräfte missbrauchten. Es gab ja nicht nur auf der privaten Ebene ausreichend Grund zur Klage in dieser Hinsicht, nein, auch geschäftlich, im gesamten gesellschaftlichen Leben regierte diese unsichtbare 'Hackordnung', ein archaisches Prinzip der 'Rassenreinheit'. Man musste kein Terrorist sein, um sich gegen diese 'natürliche' Ordnung zu wehren, sie ausschalten zu wollen. Er schüttelte den Kopf über die Sprecherin einer Müttervereinigung, die sich beklagte, dass nun das System der Partnerwahl vollends ausgeschaltet werde, wenn man sich seiner naturgegebenen Vorteile nicht bedienen könne. »Wer«, dachte er mit aufsteigender Wut, »wer spricht denn für die Leichtgewichte, die missbraucht und manipuliert werden? Sind sie weniger wert? Zählen die Sorgen ihrer Mütter nicht?!« Er fühlte sich stark an die Täter-Opfer-Umkehrung erinnert, die ihn häufig in seinem Beruf beschäftigte. Für die Opfer gab es nie eine Gewinnsituation. Wehrten sie sich nicht, unterstellte man ihnen, einverstanden zu sein, taten sie es doch und erlitten noch größere Schäden an Leib, Leben und Seele, waren sie selbst dafür verantwortlich, weil sie den Täter provoziert hatten. Diese Un-Logik drängte sich ihm hier auch auf. "Höchste Zeit, dass dieses widerliche Hierarchie-Denken zusammenbricht!", knurrte er finster. "Erst mal wird was Ordentliches gespachtelt", setzte Jock Prioritäten, "dann sehen wir weiter." In Ermangelung von Alternativen gesellte sich Stuart artig an die BBQ-Tafel des Gastgebers, langte zu seiner eigenen Überraschung kräftig zu. Dann jedoch brodelte seine unterschwellige Unruhe wieder hoch. Wieso war Nana noch immer nicht von Joaos Gästezimmer zurückgekehrt? Ging es ihm etwa schlechter?! Unter dem Vorwand, seiner Großmutter etwas zu essen bringen zu wollen, entschuldigte sich der Polizist von Jock und Minnie, balancierte gekonnt Teller, Besteck und Halbliterglas Ingwerlimonade, während er forsch in den Gästetrakt marschierte. Die Zimmertür war lediglich angelehnt, was es ihm ersparte, seine Last abzustellen, um höflich anzuklopfen. So räusperte er sich bloß und drängte sich in den großzügig geschnittenen Raum. Im Halbdunkel lag Joao unter einer dünnen Decke, in einen leichten, durchscheinend gewirkten Pyjama gehüllt. Nana saß auf einem niedrigen Hocker neben dem Bett, hatte eine Hand des Japaners okkupiert, streichelte sie wie ein pelziges Haustier und wisperte beruhigend in ihrer Muttersprache. "Ich löse dich ab, Nana", erklärte Stuart, etwas verlegen, seinen Auftritt. Ob seine Großmutter bereits bemerkt hatte, dass Joao nicht nur ein Freund war? "Feines Schlamassel haste da angerichtet", richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den älteren Enkel. Der schwieg klug, denn es gab keine Verteidigung gegen diese Feststellung. Sie musterte ihn eingehend, wandte sich dann wieder dem Patienten zu, der sich trotz flatternder Lider anstrengte, nicht einzuschlafen. "Ruh dich aus", verordnete sie streng, winkte Stuart energisch heran, "und du auch! Uns steht noch ein harter Kampf bevor." Damit erhob sie sich, räumte den Hocker beiseite und nahm so mühelos, als hebe sie eine Feder an, das Geschirr samt ihrer Mahlzeit, um den Raum zu verlassen. "Na, du?", vorsichtig setzte sich Stuart auf die Bettkante, strich über Joaos Stirn. Jemand hatte die schönen Lockenstränge zu einem Zopf gebunden, der jetzt über einer Schulter auf der Decke ruhte. Joao presste sein Gesicht in Stuarts offene Handfläche, strahlte noch immer eine enorme Hitze aus. "Das wird schon wieder", versprach der Polizist zuversichtlicher als er war, beugte sich vor, um zärtlich die trockenen Lippen des Parfümeurs zu küssen, "schlaf dich erst mal aus." "...bleib hier... bitte...", drang es kaum verständlich zu ihm hoch, als er sich anschickte, seiner Großmutter zu folgen. Joaos dunkelgrüne Augen glänzten fiebrig, beschämt und trotzig warb seine Miene darum, ihn nicht allein zurückzulassen. "In Ordnung", Stuart streifte sich die Kleider bis auf die Unterwäsche ab, lupfte die dünne Decke und streckte sich kurzerhand neben Joao aus. »Nur ein kleines Nickerchen...« +#~#+ Das kleine Nickerchen dehnte sich erheblich aus, denn Stuart erwachte erst, nachdem sein Magen ihn knurrend an den Leerstand erinnerte. Außerdem dämmerte es bereits, wie ihm der Lichtschimmer durch den Sonnenschutz verriet. Er drehte sich auf die Seite, um Joaos Zustand zu erkunden. Behutsam streckte er im Zweilicht die Hand aus, fädelte Lockenstränge vorsichtig beiseite, bevor er mit dem Handrücken die Temperatur erkundete. Sie schien ihm auf einem normalen, 'kuschelwarmen' Niveau. Die Gunst der Gelegenheit nutzend liebkoste er sanft eine Schläfe, da ihr Besitzer verhindert war, ihm Distanz zu gebieten. Darin hatte er sich jedoch getäuscht, denn unvermittelt blickten ihn die dunkelgrünen Augen klar und offen an. Stuart spürte, wie verlegene Röte vulkangleich in seinem Gesicht eruptierte. Lächerliche Reaktion! Glücklicherweise verbot sein Verstand seinem Mundwerk, mit Geplapper alles zu kaschieren, sondern lenkte die Hand, einfach weiter zu streicheln. Ebenso schüchtern wie er selbst diese Annäherung empfand, legte sich eine schlanke Hand auf seine und hielt sie damit auf der Schläfe fest. "...wie geht's dir?" Warum musste er jetzt so grauenvoll krächzen?! Im Schattenspiel, das das nachlassende Tageslicht aufführte, konnte er ein Zucken in den Mundwinkeln erkennen und hoffte, es möge ein Lächeln sein. "Viel besser, vielen Dank", Joao klang nicht wie ein Reibeisen! "Das ist gut", seufzte der Polizist durchaus erleichtert, robbte näher heran und tupfte ihre Nasenspitzen aneinander, bevor er wieder den Abstand einrichtete, der ihnen einen bequemen Blickkontakt ermöglichte, "entschuldige, dass ich dich so angetrieben habe." Joao lächelte jetzt breiter, verzichtete auf eine Antwort. Schweigend studierten sie einander in dieser intimen Nähe, nur ab und an ein Blinzeln. "...wie schlimm ist es?", beinahe betäubend ruhig drang Joaos Stimme an sein Ohr, trudelte zunächst herrenlos unter der Oberfläche, bis Stuart aus der träumerischen Versunkenheit in die traurige Gegenwart zurückkehrte. Was sollte er antworten? Er seufzte leise, aber vernehmlich. "Nana hat dir noch nichts gesagt?", erkundigte er sich schließlich tapfer. Joao schloss die schlanken Finger um seine Hand, drückte sie bestärkend, "ich kenne nur ihren Namen. Sie wollte mich beruhigen wegen des Fiebers." Stuart zog ihre verbundenen Hände an die Lippen, hauchte einen Kuss auf die Fingerkuppen des Parfümeurs. "Dann fange ich wohl besser von vorne an", schickte er sich mit einem gequälten Auflachen drein, doch bevor er die schwerwiegende Aufgabe in Angriff nahm, zog er Joao in seine Arme und drehte sich auf den Rücken, den schlanken Japaner über sich drapiert. Er holte tief, sehr tief Luft, was für ein dezentes Fahrstuhlgefühl bei Joao sorgte, dann legte er los, "Agenten oder so etwas Ähnliches sind gestern bei meinen Eltern und bei Glenn aufgetaucht. Der hat dann entschieden, dass es zu gefährlich ist, wenn er uns nach Hause holt, deshalb sind wir mit Nana zu Jock und Minnie geflogen. Hier findet man uns nicht so leicht, und wir können uns überlegen, was wir tun." DAS war eine zensierte und recht bekömmliche Version, befand Stuart. Unglückseligerweise war der Parfümeur ausreichend wiederhergestellt, um sein altes Misstrauen zu pflegen, "wer genau sucht uns und warum exakt?" "Jaaaa....", Stuart suchte nach einer schonenden Formulierung der Antwort und erntete für seine ausgedehnte Bedenkpause einen bangen Blick, gefolgt von versteinernden Gesichtszügen. Fraglich allerdings, ob eine galoppierende Phantasie schlimmere Visionen als die Gegenwart entwarf. "Stu?", die Stimme des Japaners klang dünn wie Glas. Der seufzte wieder, verstärkte seine Umarmung merklich und räusperte sich. "Sie suchen uns als Terroristen und haben rausgefunden, wie wir aus Japan rausgekommen sind. Deshalb der Hubschrauberflug", endete er lahm. Joao ähnelte inzwischen einem Brett, stocksteif und selbst im Zwielicht mittlerweile fahl. "...Terroristen?", schrillte er erstickt. "Das ist natürlich Blödsinn!", bemühte sich Stuart, ihn zu beruhigen, streichelte ihm über den Rücken. Der Parfümeur drehte den Kopf auf die Seite, schmiegte die Wange an Stuarts Brustkorb. Das hatte den taktischen Vorteil, jedem Blick auszuweichen. "Es ist kein Unsinn", wisperte Joao gepresst. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, seine Finger gruben sich unbewusst tiefer in Stuarts Oberarme, "wusstest du, dass es in Japan noch die Todesstrafe gibt?" Für einen Moment blieb alles still, dann schnellte der Polizist ruckartig in eine sitzende Position, hielt Joao in den Armen eingeschlossen, wiegte sie beide, "wir sind doch keine Terroristen! Wir haben niemandem etwas getan! Das ist bloß heiße Luft, nichts weiter!" In diesem äußerst unpassenden Moment knurrte sein Magen vernehmlich. Joao verkroch sich in der Umarmung, schmiegte das Gesicht in Stuarts Halsbeuge. Nur noch einen Augenblick länger! »Wie dumm!«, dachte er gepeinigt, »wollte ich nicht als Held für alles geradestehen?! Und den Heldenstatus erringt man bekanntlich durch den Tod. Aber jetzt...« Jetzt wollte er leben, eine Zukunft haben, es wagen, sich rettungslos und vertrauensvoll zu verlieben! »So ein schöner Traum...«, er schluckte an bitteren Tränen. Es tat sogar körperlich weh, ihn zu beerdigen. "Noch ist nichts verloren!", beschwor ihn Stuart unterdessen eindringlich, verwirbelte mit einer Hand die Lockenstränge, während er mit der anderen über Arme und Rücken des Parfümeurs strich, "wir kriegen das hin! Das wird wieder, ganz bestimmt!" Angestrengt bemühte Joao sich, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen. Erst, als es einigermaßen zu sitzen schien, wie eine schlecht angepasste Prothese, hob er den Kopf und begegnete Stuarts bekümmertem Blick. "Ich werde mich meiner Verantwortung stellen", verkündete er mit beherrschter Stimme, "ich habe nichts Falsches getan." Das war zwar nicht gleichbedeutend mit einem glücklichen Ausgang, aber für ihn selbst von Bedeutung. Wenn es zum Schlimmsten kam. +#~#+ Obwohl sich Stuart für dieses kleinliche Gefühl schämte, war er doch erleichtert darüber, dass Joao seine Fassung wiedergefunden hatte. So war es auch viel einfacher, endlich wieder etwas zu tun! Peinlich, dass er dem Klischee entsprach und sich mit Aktivitäten ablenken wollte, doch der Polizist kannte sich gut genug: nur reden und Pläne wälzen, das behagte ihm gar nicht. Er wollte etwas unternehmen. Der erste Schritt bestand darin, eine Dusche vorzuschlagen. Reinigung mit Wasser, großer Luxus! Joao schien durchaus angetan von dieser Offerte, zögerte aber einen Moment, als Stuart wie selbstverständlich seine Hand ergriff, mit ihm das feuchte Vergnügen teilen wollte. Der Australier schwieg, versuchte sich nicht in Überredung oder schalen Scherzen. Der Parfümeur musste selbst entscheiden, ob er es für zu gewagt befand, als Gast mit dem Liebhaber die Nasszelle zu besuchen. Wagemutig votierte Joao für Gesellschaft. Er wollte nicht allein sein, war es schon für viel zu lange gewesen. Außerdem hinderte ihn Stuarts Gegenwart daran, in Panikanfällen zu verzweifeln. Andererseits rang er um Beherrschung, denn Stuarts fürsorgliche Assistenz beim Waschen erinnerte ihn perfid und nahezu unerträglich daran, was er aufgeben musste. Er konnte sich nicht entsinnen, dass ihn jemand jemals so liebevoll eingeschäumt hätte, aufmerksam um ihn kreiste, ihn zuvorkommend observierte, um keine Gelegenheit zu Handreichungen zu verpassen, als wäre er von besonderer Bedeutung. Joao revanchierte sich, zunächst scheu, dann energisch, als wolle er seine Unerfahrenheit negieren. Stuart schien es ihm zumindest nicht nachzutragen. Die Bekleidungsfrage löste sich von selbst, denn ein dienstbarer Geist hatte jeweils eine Garnitur ihrer Kleider frisch gewaschen und gefaltet abgelegt. Damit waren sie zweifellos nicht für eine Soiree angemessen gekleidet, befand der Polizist, doch wenn er es sich nicht sehr in Jock und Minnie täuschte, so erwartete sie eine zwanglose Grillfeier, bei der man hoffentlich eine Strategie entwerfen konnte, wie der nächste Tag anzugehen war. Bemüht zuversichtlich nahm Stuart Joao an der Hand, ging voraus. Für einen bangen Moment fragte er sich, ob diese, ihm nur leihweise überlassene Hand rasch zurückgezogen wurde, wenn sie auf andere stießen. Tatsächlich versteifte sich der Griff merklich, als sie sich auf der großen Terrasse ihren Gastgebern und einigen geladenen Nachbarn plus Mannschaft gegenübersahen. Wie gewohnt ging es angeregt, aber nicht zu laut, lässig, doch mit Stil, zu. »Depp!«, schalt sich Stuart stumm, »wieso wirst du jetzt nervös?!« Lächerlich, ganz bestimmt und dennoch, sein Herz klopfte bis zum Hals, als würde er seinen Eltern die erste Freundin vorstellen! Glücklicherweise mischte sich Nana ein, bevor er die Chance wahrnahm, sich nachhaltig zu blamieren. Sie erkundigte sich auf Japanisch, ob Joao wieder bei Kräften sei. Der krächzte, merkwürdigerweise aus dem Konzept gebracht, eine Antwort. Sofort regte sich Stuarts Beschützerinstinkt: Joao war ganz allein lauter Fremden ausgeliefert, die nicht mehr von ihm wussten, als die Neuigkeiten herausposaunt hatten! Instinktiv schlang er den Arm um die schmalen Schultern des Parfümeurs, stellte sein breites Kreuz aus, als erwarte er eine Attacke. "Meine Güte, was für eine Augenweide!", schnalzte Minnie anerkennend mit der Zunge, "so ohne die ganze Verpackung sehe ich das jetzt erst!" Was sie für eine erbärmliche Nachlässigkeit zu halten schien. "Dann möchte ich auch mal gucken!", Jock übergab seinen Posten am Grill einem feixenden Nachbarn, bewegte sich trotz des Trubels sicher zu ihnen hin. Eng aneinander geschmiegt, obwohl alle ihnen wohlgesinnt waren, registrierte der Australier, dass sich sein zierlicher Freund von der Summe einströmender Informationen und Kontaktaufnahmen bedroht fühlte. "He, sind wir hier auf nem Basar, oder was?!", hollerte er grollend, "rückt ihm doch nicht so auf den Pelz!" "Eifersüchtig, wie?", Minnie stippte ihm spitze Finger in die kurzen Rippen, feixte vor Vergnügen, "sei mal nich so knauserig, Stu!" Jock nutzte die Ablenkung, um ein ruhiges Lächeln aufzusetzen und die Hände anzuheben. "Erlaubst du mir, dich anzuschauen?", erkundigte er sich gelassen, in einem väterlichen Tonfall, der die Frechheit seiner Ehefrau mit Nachsicht betrachtete. "Natürlich", murmelte Joao. Was hätte er auch sonst antworten sollen?! Er konnte ja nicht ahnen, dass Jock sich bereits die Freiheit genommen hatte und jetzt diese Geste nutzte, um für Vertrauen zu werben. Dankbar für Stuarts athletische Gestalt, die seinen Rücken schirmte, fühlte er sich weniger eingekerkert als in Sicherheit. Verblüffend, denn so hätte er früher niemals geurteilt! Unterdessen glitten die Fingerspitzen mit sanftem Druck über sein Gesicht, von der Stirn bis zum Kinn, dann streiften sie über seine Locken bis zu den Schultern. "Sieh mal einer an!", ein verschmitztes Grinsen zauberte zahlreiche Falten in Jocks sonnenverbranntes Gesicht, "wirklich ein schöner, junger Mann." "Klar doch!", beeilte sich Stuart, von Joaos offenkundiger Attraktivität abzulenken, bevor dem die Schamröte den Kopf erhitzte, "gibt's hier auch was zu essen, oder müssen wir's erst ausbuddeln?!" Nana ahndete seinen Kommentar mit einem festen Schlag auf den Hintern. "Manieren!", gebot sie, löste demonstrativ seinen Arm von Joaos Schulter, "wir beide werden uns mal ein bisschen unterhalten." Sie entführte ihm Joao!! Seine Fassungslosigkeit war ihm wohl überdeutlich ins Gesicht geschrieben, denn Minnie prustete laut los, klopfte ihm tröstend auf die Schulter, wobei sie sich auf die Zehenspitzen recken musste. "Was hast du erwartet?", neckte sie ihn, "sie wird strenger als Vic sein." Das brachte Stuart auf andere Gedanken, denn er hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit seinen Eltern zu besprechen. "Alles in Ordnung", Jock konnte Gedanken lesen, "Glennie hat über ein paar Kumpels Entwarnung gefunkt." "Wenigstens ein Lichtblick", seufzte Stuart, stützte die Hände in die Hüften und nutzte seine Körpergröße aus, um sich einen Überblick zu beschaffen, "was brutzelt denn da Feines? Strauß?" "Das will ich meinen!", Jock zwirbelte seinen kunstvoll geformten Schnurrbart, "na los, Essen hält die Seele zusammen!" "Und die Seele hier ist ein bisschen mager", Minnie kniff Stuart in die Seite, sprang dann außer Reichweite seiner rächenden Hand, "ich hole Bier, Jungs!" Jock schmunzelte. "Das ist mal eine Frau, die die richtigen Prioritäten setzt", scherzte er. Stuart warf einen Blick auf die Ecke, in die Nana Joao entführt hatte und hoffte inständig, sie würde ihm nicht zu sehr zusetzen, die Lage war schließlich schon kompliziert genug. Er leistete Jock am Grill Gesellschaft, bis er beauftragt wurde, zwei Teller zu beladen, dann bewegte sich sein Gastgeber geschmeidig trotz der Blindheit ins Haus. Vor dem großen Bildschirm im Wohnzimmer warteten in einem Sektkühler weitere Flaschen des mit Ingwer gewürzten Biers. "Ban sagte mir, es gebe etwas Neues. Das müssen wir uns angucken", erklärte der Gastgeber den Abstecher weg vom freien Himmel. Angespannt klappte Stuart seine langen Glieder ein, balancierte den Teller auf den Knien und harrte in zwiespältiger Erwartung der Bilder. Er konnte einen Laut der Verblüffung nicht unterdrücken, als ihm unvermittelt in den Lokalnachrichten sein eigener Vater entgegensah. Der hatte die Leine von Dundee in der einen, eine Mistgabel in anderen Hand und trug einen besonders finsteren Ausdruck zur Schau, während er darüber wetterte, dass irgendwelche dahergelaufenen Unholde seine Familie bedrohten und wegen dämlichster Hirngespinste irgendwelcher Perversen, die ungestraft grapschen wollten, seinen Sohn verschleppen wollten! Stuart war beeindruckt, denn sein Vater huldigte sonst hingebungsvoll der Familientradition und sprach weder viel noch in solch blumiger Ausdrucksweise. Nun aber, eine Kamera vorm Gesicht, den träge blinzelnden Dundee an seiner Seite und offenkundig empört über den Landfrevel legte er feurig los. Jock lachte laut neben Stuart, köstlich amüsiert, obwohl er nur der Akustik folgen konnte. "Die Leute werden es lieben!", verkündete er aufgekratzt, "ich gehe jede Wette ein, dass sie schon Parolen ausgegeben haben!" In einer dünnbesiedelten Gegend wie ihrer Heimat war es lebensnotwendig, dass man sich und die Nachbarn informierte, einander beistand. Ausländische Agenten, die ungesehen herumschleichen wollten, hatten einen schweren Stand, vor allen Dingen, wenn sie ältere Farmer auf ihrem eigenen Grund und Boden herumschubsen wollten. Das sprach den Rebellen in jedem Australier an! Die Lokalreporterin, in respektvollem Abstand zu Dundee, leitete im Scheinwerferlicht über zur Redaktion, denn gerade gebe es eine Antwort der Außenministerin. "Hui!", Jock grinste in freudiger Erwartung. Besagte Dame zeichnete sich auch dadurch aus, dass sie Diplomatie nur so lange duldete, wie man ihr nicht 'blöd kam mit der Schwätzerei'. Ihre Hemdsärmeligkeit machte sie populär, weil man Charakter schätzte, da konnte das diplomatische Korps noch so oft mit den Augen rollen. Die rüstige Sechzigerin stand auf einer Veranda, leger in Stoffhosen und eine Bluse mit Koala-Aufdruck gekleidet, als habe man sie gerade bei einer kleinen Grillfeier unterbrochen. "Wir haben Post von unseren Freunden aus Japan erhalten", singsangte sie spöttisch in der Parodie einer Telekommunikationsfirma, "mit der höflichen Bitte, zwei Terroristen auszuliefern." Nun zeichnete sich eine steile Zornesfalte auf der geröteten Stirn ab, "dazu will ich meinen hochgeschätzten Freunden in Tokio Folgendes sagen: erstens, wir liefern keine australischen Staatsbürger aus, besonders nicht, wenn damit eine derart lächerliche Anklage verbunden ist. Zweitens finde ich es respektlos und frech, dass irgendwelche Agenten eingeschleust werden, die versuchen, australische Bürger zu verschleppen und deren Angehörige bedrohen." Sie lächelte wie ein Piranha, "vorausgesetzt, unser australischer Mitbürger, der einen japanischen Bekannten zu einem Besuch in unserem herrlichen Land eingeladen hat, findet sich wieder aus dem Hinterland ein", das Gebiss blitzte in der Gewissheit, dass es niemandem gelingen würde, einen gewitzten Australier im Outback aufzustöbern, "dann dürfen Sie sich noch einmal mit einem Gesuch an uns wenden. Allerdings sollte die Anklage dann vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erhoben worden sein." Sie knurrte nun ohne zuckersüße Miene, "wir unterstützen keine rechtsfreien Geheimprozesse a la Guantanamo." Jock brüllte vor Lachen heraus, "sehr DIPLOMATISCH!" Vermutlich erwog der Korps gerade, komplett den Abschied einzureichen. "Australien steht für die Freiheit jedes Einzelnen von Unterdrückung oder Nötigung. Diese großartige Erfindung, die als Geschenk an die gesamte Welt übergeben worden ist, verleiht den Opfern eine Chance, sich zu wehren. Es ist eine lobenswerte Gabe, deren Entdecker man feiern und nicht verfolgen sollte." Dann nickte sie, das Signal dafür, dass ihre Ansprache, die zweifelsohne nicht ausgearbeitet, abgeklopft und vom Mitarbeiterstab autorisiert worden war, ihr Schlusswort erhalten hatte. In der Redaktion schaltete man zu einer Gesprächsrunde um, wo eifrig die Antwort der Außenministerin bewertet wurde. "...wie lange wird das vorhalten?", murmelte Stuart. Er bezweifelte stark, dass der Internationale Gerichtshof auf die lächerliche Idee verfallen würde, sie anzuklagen. Sie hatten schließlich niemanden angegriffen oder verletzt! Kein Staat wankte in seinen Grundfesten. »Nur ein paar mächtige Lobbyisten schreien Zeter und Mordio!« Die Reaktion gemahnte an die alte Volksweisheit vom Rauch und dem Feuer. Man musste sich doch fragen, was alles darauf beruhte, dass Pheromone auf den Gegenüber freigelassen wurden! "Wird einigen zu denken geben", Jock zwirbelte ein Bartende vergnügt, "man muss auf die positive Veränderung hinweisen. Auf die gesellschaftliche Wirkung." Stuart wandte den Kopf, studierte den älteren Mann, "was heckst du gerade aus?" Der erhob sich schwungvoll, "ich brauche noch Treibstoff." Der Polizist blieb allein zurück, den Blick auf den Teller gerichtet, in Gedanken weit weg. Wie mochte es wohl Yukio Honda ergangen sein? Und dessen Vorgesetzten? »Eigentlich«, seufzte er stumm, »haben wir doch alles richtig gemacht. Und trotzdem habe ich das Gefühl«, dass es nur eines winzigen Fehltritts bedurfte, um sie von der Sicherheit aus dem Auge des Wirbelsturms in die Katastrophe zu befördern. +#~#+ Joao folgte notgedrungen der zierlichen Frau, die sich ihm als 'Nana, Stus Oma' vorgestellt hatte. Obwohl sie äußerlich, abgesehen von der Sonnenbräune, nicht sonderlich von anderen japanischen Frauen zu unterscheiden war, irritierte ihn ihre Gestik und die unbewusste Körpersprache. Es schien ihm, als schaue er auf ein Rätselbild und solle herausfinden, wo der Fehler sei. "Setzen wir uns", ihre Aufforderung kündete davon, dass sie gehorsame Folgsamkeit gewöhnt war. Eingeschüchtert und beschämt sackte der Parfümeur in sich zusammen, erwog, sich geradeheraus zu entschuldigen, um sie wenigstens milder zu stimmen. "Trink erst mal was", sie schenkte ein grünlich schimmerndes Getränk aus, ließ eine Limonenscheibe hineingleiten und reichte ihm das mit einem Zuckerrand dekorierte Glas. Überrascht kostete Joao, denn was wie ein Cocktail anmutete, war eine Mischung aus grünem Tee, scharfem Ingwer und der Säure von Zitronenspritzern. "Wundre dich nicht, eiskalte Getränke treiben einem bloß den Schweiß auf die Stirn", erklärte sie ihm, nahm einen ordentlichen Schluck aus ihrem Glas. "Danke schön", wisperte Joao angespannt. Vorwarnungslos steuerte Nana direkt auf ihr Anliegen zu, "du bist einigen sehr mächtigen Leuten ziemlich auf die Zehen gestiegen, wie?" Die Frage war rein rhetorischer Natur und nicht dazu geeignet, sie anders als mit einer gemurmelten Entschuldigung zu kommentieren. "Was wolltest du tun, wenn die Bombe geplatzt ist?", interessierte sich Nana, ohne Häme, aber mit streng fokussierter Aufmerksamkeit auf den jungen Japaner. Der schwieg, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, wagte nicht, in die scharfen Augen zu blicken, die von einem feinen Netz Falten eingefasst waren. "Wolltest wohl den Heldentod sterben, hm?", die japanische Formulierung ließ ihn zusammenzucken. Tatsächlich hatte er leichthin diese Option ins Auge gefasst, doch nun, in der Realität, wollte er davon Abstand nehmen, kilometerweit. "Kannst froh sein, dass Stu dich aufgegabelt hat, sonst wärst du jetzt schon verschwunden", Nana ließ keinen Zweifel daran, dass ein 'endgültiges' Verschwinden beabsichtigt worden wäre. "Es tut mir wirklich sehr leid", flüsterte Joao hilflos. "He!", unversehens hatte Nana über den Tisch gelangt und sein spitzes Kinn fest umschlossen, zwang ihm Augenkontakt auf, "es war ziemlich gescheit, sich für Stu zu entscheiden. Der ist clever, mein Enkel. Eine richtige Spürnase." Sie grinste, ließ perlenfeine Zähne erkennen, "ich wette, da waren einige stinksauer, dass der dämliche Aussie so erfolgreich war!" Joaos Kinn erhielt Demission, dafür tätschelte sie eine Wange, "sollen wir deine Leute kontaktieren? Damit sie wissen, dass du in Sicherheit bist?" Für einen langen Moment konnte der Parfümeur bloß perplex in die schwarzen Augen starren, unfähig zu entschlüsseln, wer 'deine Leute' sein könnten. "Meine Familie?", fragte er schließlich verwirrt zurück, als sei dieser Gedanke völlig abwegig. "Man könnte das sicher arrangieren", Nana studierte ihn eingehend. "Danke schön, das wird nicht nötig sein", antwortete Joao angestrengt. Er hegte keinen Zweifel daran, dass seine Familie diese neue Eskapade als weiteren Beweis dafür nehmen würde, sich von ihm loszusagen. Eine Enttäuschung auf der ganzen Linie, schon immer. "Aha", kommentierte Nana seine Entscheidung und legte ein großes Gewicht in die Vokale. Wortlos erhob sie sich, sammelte am Büfett allerlei Köstliches auf zwei Teller, bevor sie wieder zu ihrem Platz zurückkehrte. "Guten Appetit, Herzchen!", wünschte sie so leutselig, als hätte man das gegenseitige Kennenlernen nicht mit einem sezierenden Gespräch begonnen. Joao hatte zwar das Gefühl, er könne keinen einzigen Bissen herunterbringen, doch sein Magen stimmte ihn leise knurrend um. Es roch viel zu lecker, um sich ein Nachtmahl entgehen zu lassen! Ab und an unterbrach Nana ihr Schweigen, deutete auf die Speisen und erklärte ihm, was er gerade verkostete, dabei sprach sie wieder Englisch mit ihm oder zumindest das, was die Australier sich zu eigen gemacht hatten. Während sie lässig Macadamia-Nüsse über Pfefferminzeis verteilte und löffelte, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. "Ich erzähle dir was von mir", die schwarzen Augen forderten streng Aufmerksamkeit ein, "als ich 14 wurde, sagten mir meine Eltern, ich müsste heiraten. Einen älteren Mann." Ihre Zähne blitzen wieder auf. Wie eine Drohung. "Er hatte Geld, vor allem aber", sie funkelte in die Vergangenheit, als gebe es erneut diesen Kampf um Willensstärke auszufechten, "er war ein Schwergewicht. Er wollte mich, also mussten meine Eltern nachgeben." Klirrend wie Glas ergänzte sie, "das wurde erwartet." Geräuschvoll zerkaute sie eine besonders große Nuss, "ich wollte nicht. Diese Willkür, die Ohnmacht meiner Eltern, die Geringschätzung eines Lebens: das hat mich von jeher wütend gemacht." Etwas versonnen lächelte sie über ihr junges Selbst, "eigentlich war ich immer wütend. Daran haben auch die Prügel nichts geändert." Joao betrachtete sie erschrocken. Familiengeschichten kannte er, abgesehen von der eher unglücklichen Episode seiner eigenen Entstehung, kaum. Üblicherweise wollte er auch nicht mehr erfahren, als Zuhörer in den Sog eines fremden Schicksals gerissen werden, eingebunden und beteiligt gegen seinen eigenen Wunsch. "Tja", Nana legte den Kopf auf die Seite und den Eislöffel in die Schale, "ich war wütend und egoistisch. Aber ins Wasser gehen, das wollte ich auch nicht. Da habe ich meine Chancen genutzt, bin ausgerückt und habe mich nach Australien eingeschifft." »Und der Familie eine untilgbare Schande zugefügt«, doch das musste sie nicht aussprechen. "Gefährliche Angelegenheit, damals", sie lächelte bissig, "aber es erschien mir besser, durch eigene Entscheidung in Freiheit das Leben zu verlieren, als wie eine Sklavin vor sich hinzuvegetieren." Sie stellte die benutzten Teller aufeinander, räumte sie beiseite, um freier gestikulieren zu können, "er war kein schlechter Mensch, aber die ganze Einstellung, ja, die ganze Gesellschaft, die konnte ich nicht ertragen. Also habe ich alles hinter mir gelassen, um ganz neu anzufangen." Ein Grinsen ließ sie lausbubenhaft und sehr jung wirken, "hier ist auch nicht alles Gold, keine Frage. Es gibt noch viele Probleme zu lösen. Aber", sie hob markierend den Zeigefinger an, "nur hier kann ich sein, wie ich bin." Zur Betonung legte sie eine Pause ein. Das Schweigen verlieh ihren Worten eine bedeutsame Note. "Was du da getan hast", wechselte sie übergangslos zur aktuellen Situation über, "war nobel. Eine gute Sache. Ich kann mir vorstellen, dass viele Eltern dankbar sind, wenn wenigstens ihre Kinder nicht gezwungen werden, sich einer widerlichen Zucht-Hierarchie unterzuordnen. Wenn ich wüsste, dass jemand meinen Sohn oder meine Enkel wegen ihres Madararui-Erbes quälen würde, würde derjenige sich schnell nen Stein an die Füße binden und ein langes Bad bei den Fischen vorziehen." Das düstere Glitzern in den schwarzen Augen verriet Joao, dass man diese Ankündigung nicht als Drohung, sondern als Versprechen zu verstehen hatte. "Ich bin ein Schlangen-Schwergewicht", erläuterte sie das, was ihm bisher nicht möglich war zu erkennen. "Ich habe alle Tricks drauf", versicherte sie ihm ohne Prahlerei, "deshalb bin ich nicht unter die Räder gekommen. Mein Digger, also John, mein Mann, der war ein stinknormaler Affe. Der beste Mann auf diesem Planeten", ergänzte sie, und ihre Züge wurden weich. "Da habe ich natürlich nicht erwartet, dass Poppa, also Stus Vater, auch ein Schwergewicht sein würde. Und Vic, die hat dann dafür gesorgt, dass ihre beiden Jungs auch noch richtige Krokos sind", sie seufzte, "ironisch, wie? Meine Enkel sind Premium-Qualität, aber angestrebt hatten wir das nicht." Joao entschlüsselte die Botschaft dieses Ausflugs in die Vergangenheit: obwohl es den Anschein hatte, als wären die O'Neils ebenfalls eine typische Madararui-Familie mit Ambitionen, verhielten sich die Hintergründe doch anders. Hier konnte er zumindest mit einem gewissen Wohlwollen seiner waghalsigen Aktionen rechnen. "Was raten Sie mir?", brachte er tapfer hervor. Nana stützte das Kinn in beide Hände, betrachtete ihn so prüfend, dass Joao vor Verlegenheit die Röte in die Wangen stieg. "Mach eine Show." Als sie Joaos Verwirrung bemerkte, führte sie mit viel Schwung aus, "du musst Sympathien gewinnen, deine Motive offenlegen! Möglichst weltweit müssen die Menschen dich sehen und sich mit dir solidarisieren! Es muss jedem bewusst werden, dass es nur eine richtige Seite gibt, nämlich deine!" Sie erhob sich, streckte Joao beide kleinen Hände hin, die er ergriff, sich erstaunlich energisch auf die Beine gezogen fand, "wenn du im Licht der Weltöffentlichkeit stehst, ist es für deine Gegner viel schwerer, an dich heranzukommen. Sie bleiben schließlich gern im Schatten und schlagen aus dem Hinterhalt zu." Das leuchtete Joao selbstredend ein, aber er konnte die Tatsache nicht verdrängen, dass man ihm vorwarf, ein Terrorist zu sein. Wer würde einem mutmaßlichen Terroristen überhaupt zuhören? Er ließ sich zwar gehorsam von Nana wieder in den Trubel der munter Feiernden ziehen, gab ihr aber zu bedenken, "werde ich überhaupt eine Gelegenheit zu einer Erklärung haben? Ich werde doch ausgeliefert." Nana wandte sich zu ihm um, stützte eine Hand in die schlanken Hüften. "Wir sind hier in Oz, dem Zauberland. So etwas kriegen wir", sie schnippte laut mit den Fingern, "mit links hin. Jock hat bestimmt schon Strippen gezogen." Der befand sich gerade am Grill, um die letzte Ration ordentlich zu erhitzen. Sein vergnügter Gesichtsausdruck verriet, dass die letzten Neuigkeiten sehr erfreulich sein mussten. Joao warf hastige Blicke um sich, überrascht von seinem Bedürfnis, Stuart bei sich zu wissen, wenigstens für die kurze Galgenfrist, die ihm blieb. Auch Stuart suchte nach ihm, wirkte ernüchternd ernst. "Darf ich bitte...?", schüchtern zupfte der Japaner an Nanas Hand, die ihn so unbeirrt hinter sich her zog. Eine Augenbraue lupfte sich mokierend, Joaos Kopf glühte vor Scham, da gab sie ihn frei. Erleichtert machte er kehrt, spürte schon Wimpernschläge später Stuarts Arm vertraut um seine Schultern, der sich über ihn beugte, die verwirrten Lockenstränge nutzte, über Joaos angespanntes Gesicht zu streicheln. "Alles in Ordnung?", erkundigte sich der Polizist besorgt. "Und selbst?", Joao gelang ein Lächeln, denn er wollte Stuart beruhigen. Der hatte ohnehin mehr als genug für ihn gewagt. "Ich glaube, dass Jock etwas ausgeheckt hat. Für morgen Früh", Stuarts blaue Augen wirkten trübe. "Du meinst, bevor man mich ausliefert", Joao nickte. Er registrierte das Zucken der Sehnen in Stuarts markantem Gesicht und bedauerte seine knappe Äußerung sofort. "Noch mal verstecken wird uns nicht helfen", brummte der Polizist bitter. "Du hast schon so viel für mich getan", Joao hob die Hand, streichelte über eine frisch rasierte Wange, "ich muss jetzt für mich selbst einstehen." "Aber nicht allein!", begehrte Stuart heftig auf. Joao wurde sich der plötzlichen Aufmerksamkeit bewusst und schrumpfte in sich zusammen. "...entschuldige", der Australier atmete tief durch, fasste Joao dann bei der Hand und führte ihn von der Terrasse in die Dunkelheit des gepflegten Geländes. Schweigend spazierten sie nebeneinander die Kieswege entlang, gewöhnten ihre Augen an das schwache Licht der zahlreichen Sterne über ihnen als Wegweiser. "Ich weiß nicht, was ich noch tun kann", brachte Stuart angespannt hervor. Seine Hand wurde fest gedrückt, "du hast alles getan, Stu." Joao bewegte ihn zum Innehalten, reckte sich auf die Zehenspitzen, "vielen Dank. Von ganzem Herzen." "Aber es ist nicht genug!", protestierte der Polizist verzweifelt, erwiderte den scheuen Kuss mit ungebremster Leidenschaft, umarmte den zierlichen Japaner und presste ihn so fest an sich, als könnten sie miteinander verschmelzen. "Es ist nicht genug", wisperte er gequält. Joao überlegte fieberhaft, wie er Stuart trösten konnte, ihm Mut machen, ohne dass es in ein lächerliches Versprechen mündete, das er nicht halten konnte. "Bitte gib mich nicht auf", flüsterte er eindringlich gegen den Brustkorb, der sich unter heftigen Atemzügen bewegte, "bitte glaube an mich, damit ich einen Ort habe, an den ich zurückkehren kann!" Stuarts Antwort bestand in einer erstickenden Umarmung, bevor er Joao wieder Atemluft zugestand. "Versprochen", murmelte er leise. "Fein", bemühte sich der Parfümeur um einen munteren Tonfall, "dann werde ich auch tapfer sein." "Bist schon tapfer genug", befand Stuart traurig. Seine eigene Machtlosigkeit peinigte ihn. Gerade jetzt, wo er sich so unerwartet verliebt hatte, sollte er aufgeben?! Joao streichelte ihm über die Wange. Er wusste zu genau, wie sich Stuart fühlte. Der beugte sich tief genug, um in Joaos geneigtes Ohr flüstern zu können, "verbring die Nacht mit mir. Bitte." "Gern", Joao nutzte die günstige Gelegenheit, einen raschen Kuss zu platzieren. Hand in Hand setzten sie ihren gemächlichen Spaziergang fort, den der Polizist zu einem kleinen Rondell lenkte, in dessen Innerem er eine gewaltige Schaukel aus Redwoodholz erwartete. Unverändert hing sie dort wie ein Kuschelnest, breit wie ein Doppelbett und komfortabel mit einem dünnen Polster bedeckt, auf dem sich Kissen unterschiedlicher Größe tummelten. Stuart ließ Joao, der ehrfürchtig über das schöne Holz strich, den Vortritt, machte es sich dann neben ihm bequem. Der kuschelte sich an seine Seite, den Kopf auf dessen Brust abgelegt, einen Arm quer über den straffen Bauch gespannt, als müsse eine Flucht verhindert werden. Aber auch Stuart postierte einen Arm um die schlanken Schultern, den anderen tiefer, um über Joaos untere Lendenwirbel zu streicheln. Sie dösten gemeinschaftlich vor sich hin, versuchten, die Ängste und Sorgen auf später zu vertagen. Wie schnell hatte sich ihr komplettes Leben verändert, die Perspektive, die Zukunft. Aber selbst wenn man sich bemühte, man konnte ein ganzes Leben nicht in wenige Tage pressen. Gab es überhaupt eine gemeinsame Zukunft? Im Alltag? So viele ungeklärte Fragen, kleine Details im Zusammenleben, die nicht angesprochen oder vorsichtig erkundet waren, denn über allem hing das Damoklesschwert der Pheromon-Formel. +#~#+ Die Betriebsamkeit des frühen Morgens, der sich durch einen leichten Dunstschleier auszeichnete, weckte sie aus ihrem Schlummer. Beide zögerten merklich, der erste zu sein, ihrer Gesellschaft zu entsagen, sich entschlossen zu erheben, um dem Unvermeidlichen entgegenzutreten, also blickten sie in den trüben Himmel, die Finger verschränkt, warteten auf das letzte Signal, sich endlich aufzumachen. "Joao?", Stuart räusperte sich heiser, wandte den Kopf zur Seite. "Ja?", der Japaner schielte nach oben, wirkte blass. "Du kommst doch wieder zu mir, nicht wahr? Wenn das", er knirschte mit den Zähnen, "wenn es vorbei ist, dann, ich warte hier auf dich! Egal, wie lange es dauert!", endete er drängend und laut. Das war das nächste, was er als Eheantrag formulieren konnte. "Wenn ich dich schon nicht überreden kann, hier zu bleiben", abrupt setzte er sich auf, "wenn du kein politisches Asyl beantragen willst..." Weiter kam er nicht, presste die Lippen aufeinander, schloss die Augen. So gern wollte er ein Versprechen einfordern, eine Garantie erlangen! "Ich verspreche, dass ich wieder zu dir komme", Joao lächelte tapfer, kämmte die Lockenstränge aus dem Gesicht. Stuart war allerdings nicht zum Lachen zumute. Während er den Japaner betrachtete, sank ihm das Herz immer tiefer, denn Joao wirkte so zerbrechlich, so wehrlos! Wer würde ihm beistehen, ihn beschützen, Quälereien verhindern?! Seine Reaktion musste ihm mühelos von der Miene abzulesen sein, da Joao ebenfalls seine Contenance verlor, die Finger in die Matratze grub. Das war zu viel! Der Polizist beugte sich vor, fädelte blitzartig die Arme unter die zierliche Gestalt und katapultierte sie förmlich nach oben, um sie an seine Brust zu pressen, als könnte diese Einkerkerung das Bevorstehende verhindern. Die Zunge gegen den Gaumen geklemmt würgte Stuart an der kindlichen, flehentlichen Bitte, ihn doch nicht alleinzulassen, nicht wegzugehen! Ein Erwachsener, selbstredend, wusste, dass es egoistisch war, dem Partner eine solche Forderung zuzumuten, wenn es doch keinen Ausweg gab. Auch noch Schuldgefühle einreden?! Unanständig! Also schwieg er, kämpfte darum, ruhiger zu atmen, sich nicht anzuhören, als wolle er gleich in pathetisches Schluchzen ausbrechen, auch wenn ihm danach war, sich wie ein verwöhntes Balg zu verhalten, spontan seinen aufgewühlten Gefühlen nachzugeben. Joaos dünne Arme wickelten sich um seine Taille, erwiderten die Umklammerung. "Ich komme wieder", wisperte er erstickt gegen Stuarts Brust, "ganz bestimmt! Ich komme zu dir zurück!" Nur langsam beruhigten sich ihre Gemüter auf eine Ebene, die es ermöglichte, sich dem Ungemach zu stellen. Es war Joao, der sich aus ihrer Versunkenheit schlängelte, die Beine über den Rand der Schaukel schwenkte und wackelig zu stehen kam. Er zupfte seine Kleider zurecht, streckte dann stumm die Hand nach Stuart aus. Der Dunst hatte sich verzogen, ein neuer Tag brach an. Zeit zu gehen. +#~#+ Jock erwartete sie bereits, munter und entschlossen, für den mutigen Parfümeur, der gegen die Goliaths der Lobbys und Eliten einer überholten Hierarchie des Stammbaum-Diktates das Beste herauszuholen. In einem Kleinbus ging es los, Assistenten an Bord, dazu Jock und Nana, die ihren Enkel mit Argusaugen verfolgte. Der hatte sich neben Joao platziert, den Arm um die schmalen Schultern gelegt und brütete stumm vor sich hin. Wie vereinbart liefen sie ein Fernsehstudio an, wo man Joao sofort beiseite nahm, um ihn für seine Erklärung vorzubereiten. Mit trotzig verschränkten Armen verfolgte Stuart das Treiben dieses Bienenstocks, wo ständig irgendwelche Personen um Joao herumschwirrten, Notizen reichten, nachfragten, ihm keine Minute der Besinnung mehr gönnten. Jock plauderte unterdessen mit einem Mann, der als Vermittler zwischen der Polizei und dem Außenministerium fungierte. Es bestand zwar ein Auslieferungsgesuch, aber die Worte der Außenministerin hatten Wirkung gezeigt: wenn Joao Australien verlassen wollte, dann nur auf freiwilliger Basis. Es galt in der Folge zu verhindern, dass die ominösen Einsatztruppen, die eingeschmuggelt worden waren, für eine Entführung optionierten. Als Joao sich endlich erheben durfte, staunte Stuart nicht schlecht. Man hatte ihm einen eleganten Anzug gebracht, dessen Farbe exakt mit dem bezaubernden Dunkelgrün seiner Augen korrespondierte. Die prachtvollen, schwarzen Lockenstränge waren zu einem losen Zopf am Hinterkopf gebündelt worden und umrahmten ein blasses, makelloses Gesicht, dessen exotische Schönheit den Betrachter in seinen Bann schlug. Joao lächelte ihm gefasst zu, dann wurde er auf einem Stuhl positioniert und für die Aufnahmen vorbereitet. Obwohl man Notizen verfasst hatte, damit die Gebärdendolmetscherin und der Simultanübersetzer, der Joaos englische Ansprache in dessen Muttersprache transkribierte, ihrer Aufgabe nachkommen konnten, wollte Joao frei sprechen, sich nicht an einem Blatt Papier festhalten. Ton- und Lichtproben, Testaufnahmen, dann expedierte man alle hinaus, die nicht unmittelbar mit dem Geschehen befasst waren. Widerwillig ließ sich Stuart mit Nana verbannen, verfolgte das Weitere über einen Monitor vor dem Studio. Es wurde heruntergezählt, denn Jock verfolgte die Absicht, sofort zu senden, keine Aufzeichnung, die man stören oder verändern konnte. Beiläufig fragte der Polizist sich, ob Joaos Verbündete, die Technik-Jünger, erneut hilfreich eingreifen würden, wenn eine Einspeisung oder Übertragung im Land der aufgehenden Sonne behindert werden sollte. "Läuft gleichzeitig übers Internet", verriet Jock, kaute gut gelaunt auf einem Bonbon herum, denn nicht mal das siegreiche Schmauchen einer großen Zigarre war vom generellen Rauchverbot ausgenommen. "Ich wünschte, alles wäre schon vorbei!", knurrte Stuart bitter. Der Bildschirm teilte sich nun, zeigte auf einer Hälfte das Studio, auf der anderen die Aufnahme, die man als Zuschauer geboten bekam. Joao registrierte den Wink, die Aufnahmeleuchte ergänzte den Beginn. Tapfer lächelte er in die Kamera, verzichtete darauf, nervös an den Haaren zu nesteln oder die Finger in den Stoff des Anzugs zu graben. Sie ruhten verschränkt auf seinem Schoß. "Guten Tag. Meine Name ist Joao Inugawa. Ich bin verantwortlich für die Entdeckung und Verbreitung der Formel, die die Wirkung von Madararui-Pheromonen verhindert." Sein Gesichtsausdruck wandelte sich zu Ernst, seine Stimme wurde eindringlich. "Ich bin der Einladung eines sehr guten Freundes gefolgt und habe meinen Urlaub hier, in Westaustralien, verbracht. Erst gestern habe ich durch die Medien erfahren, dass meine Entdeckung, die ich der gesamten Welt und allen Gesellschaften frei zur Verfügung gestellt habe, in meiner Heimat große Aufregung ausgelöst hat." Joao verneigte sich um einige Grade. "Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn Sie durch die Verbreitung meiner Entdeckung geschädigt worden sind." Er richtete sich wieder auf, verschränkte die Finger ineinander, nachdem er sie für die tradierte Geste der Entschuldigung auf den Oberschenkeln abgelegt hatte. "Es lag nicht in meiner Absicht, dass Menschen verletzt werden. Ich wollte vielmehr helfen. Für Chancengleichheit sorgen und Ungerechtigkeit beenden." Für einen Moment wanderte sein Blick ins Leere, schwieg er, löste Nervosität aus. Hatte er etwa den Faden verloren? "Ich werde Ihnen offenbaren, was mich angetrieben hat." Joao war keineswegs aus dem Konzept gebracht, sondern hatte mit der kleinen Pause die Kraft gesammelt, die es einem schüchternen Menschen abforderte, eine große Verletzung der gesamten Welt anzuvertrauen. "Meiner Abstammung nach bin ich ein Hunde-Schwergewicht." Ein Schatten huschte über sein Gesicht. "Als ich zehn Jahre alt war, wurde ich von Samenräubern entführt. Man ließ mich frei und zahlte meiner Familie eine großzügige Entschädigung. Damit war alles in Ordnung." Er räusperte sich erstickt, verhakte die Finger so kraftvoll ineinander, dass sie sich weiß abzeichneten. "Aber für mich nicht. Ich habe diese Willkür und Tortur nie überwunden." Mit einer eleganten Geste wischte er sich trotzig die Tränen aus den Augenwinkeln. "Meine Talente haben es mir ermöglicht, einen Beitrag dazu zu leisten, dass niemand mehr gegen seinen Willen handeln muss." Kämpferisch funkelten die dunkelgrünen Augen in die Kameras. "Wollen wir nicht alle sicher sein, dass wir frei in unserer Entscheidung, unseren Gefühlen sind? Dass es unser eigener Wille ist? Ist ein Schwergewicht mehr wert als ein Leichtgewicht?" Joao schüttelte grimmig den Kopf. "Das denke ich nicht! Auch wenn wir über Fähigkeiten verfügen, die andere erheblich beeinflussen können, so dürfen wir sie nicht dazu einsetzen, anderen unseren Willen aufzuzwingen!" Er seufzte leise. "Aber gerade die Nachrichten, die ich gestern aus meinem Heimatland gesehen habe, lassen mich glauben, dass es Unzählige gibt, die ihre besonderen Talente ausgenutzt haben." Joao löste seine verkrampften Finger voneinander, straffte seine zierliche Gestalt. "Ich bin angeklagt, ein Terrorist zu sein, weil ich für Chancengleichheit einen Beitrag geleistet habe, gegen Rassismus und Unterdrückung, gegen eine gesellschaftliche Hierarchie, die den Stammbaum über alles stellt." Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. "Ich frage mich aber, was die Väter und Mütter, die Brüder und Schwestern sagen, wenn sie erfahren, dass sich ihre Kinder, ihre Geschwister ausbeuten und nötigen lassen müssen, sexuelle Gewalt erfahren, ihr Wert davon bestimmt wird, was ihre Gene enthalten? Sind wir Madararui denn bloß Zuchtobjekte?!" Er holte tief Luft, schüttelte die Empörung ab. "Ich bin vielleicht ein Träumer, ein Idealist, aber ganz sicher kein Terrorist. Deshalb werde ich freiwillig nach Japan zurückkehren und mich der Anklage stellen, die ich für ungerecht halte." Die Kamera eindringlich fixierend beugte er sich ein wenig vor, reduzierte die Distanz. "Ich bitte Sie eindringlich, mit meiner Entdeckung verantwortungsvoll umzugehen. Sie ist ein Geschenk für alle, damit wir frei sein können von Misstrauen, von Missbrauch und von Erpressung. Wir können unser Miteinander noch verbessern. Denken wir daran, dass die Menschenrechte uns gebieten, keinen anderen wegen seiner Hautfarbe, Rasse, Nationalität oder religiösen Überzeugung zu diskriminieren. Das Gleiche MUSS auch für die Abstammung gelten." Wortlos murmelte er einen Dank, für den Aufnahmeleiter das Zeichen, auf die Kommentatoren umzuschwenken. Stuart hielt sich nicht damit auf, den Diskussionen zu lauschen, er wollte zu Joao. Der jedoch war bereits wieder umzingelt, wurde abgenabelt von Mikrofon und Verstärkern, vom Makeup befreit und aus dem leihweise überlassenen Anzug gewickelt. Als Stuart endlich an Joao herankam, der in sich gekehrt jeder Anweisung Folge leistete, stand bereits der Vermittler neben ihm. "Tja", brummte der aufgeräumt, "jetzt ist die letzte Chance, es sich anders zu überlegen." Doch Joao schüttelte müde den Kopf. Einen Rückzieher nach seiner Rede?! Ausgeschlossen. "Ich habe nichts Unrechtes getan", erklärte er leise. "Das ist heutzutage keine Garantie", grummelte der Vermittler, "nun, dann wollen wir mal. Auf einem abgetrennten Bereich des Flughafens findet die Übergabe statt." "Ich komme mit!", mischte sich Stuart ein, zog Joao in dem zerknitterten Aufzug des Vortags besitzergreifend an sich. "Darüber bin ich schon informiert", din nachsichtiges Grinsen wurde ihm gewidmet, dann winkte der ältere Mann, ihm zu folgen. Selbstredend war auch Nana dabei, als sie in eine abgedunkelte Limousine stiegen, die von Polizeifahrzeugen und Motorrädern eskortiert wurde. Joao lehnte sich mit geschlossenen Augen an Stuarts Schulter, ließ seine Finger in dessen Händen ruhen. Viel zu schnell für ihren Geschmack erreichten sie den Flughafen der Hauptstadt des Bundesstaates. Waren wirklich erst einige Tage vergangen, als sie hier gelandet waren? Stuart knirschte hörbar mit den Zähnen. Sein Magen schlug Kapriolen, protestierte nicht nur gegen das ausgefallene Frühstück, sondern auch gegen die emotionale Anspannung. Über abgesicherte Wege führte man sie in das Gebäude hinein. Der Vermittler erklärte die Sicherheitskräfte, die sie einschlossen, als notwendige Vorkehrung gegen angedrohte Attentate. Vor einem Rollfeld endete der Marsch. In Sichtweite wartete eine kleine Sondermaschine, Uniformierte standen an der Treppe zum Einstieg. Joao umklammerte Stuarts Hand mit aller Kraft, bevor er sie langsam freigab. Dafür griff Nana zu, packte Stuart hinten am Gürtel seiner Hose, damit er nicht den Kopf verlor, Joao daran hinderte, in Begleitung des Vermittlers und zweier Sicherheitskräfte auf die Rollbahn zu treten. "Ich komme zurück", Joao drehte sich um, lächelte fahl, "warte auf mich." Stuart brachte kein Wort hervor, er konnte kaum schlucken. Er presste die geballten Fäuste mit den Knöcheln gegen das Glas, beobachtete ohnmächtig, wie man Joao Handschellen anlegte und die Treppe zum Flugzeug hochschob. Kaum bemerkte er die kleine, energische Hand, die über seinen Rücken streichelte. Noch lange, als das Flugzeug bereits abgehoben hatte, lehnte er bewegungslos an der Scheibe. Es schien ihm, als hätten sie einen gewaltigen Fehler begangen. +#~#+ Kapitel 6 - Aufbruch Stuart schwieg den ganzen Tag, starrte dumpf auf die Bilder, die sich in den Medien wiederholten: Joaos Rede, der Abflug in Handschellen und die Ankunft in Tokio, wo man ihm als Terroristen Fußfesseln anlegte und ihn abführte. Seitdem gab es keine Neuigkeiten mehr, dafür aber eine Schwemme von Protesten aus aller Welt, die forderten, man möge auf der Stelle die lächerliche Anklage fallen lassen und den tapferen, jungen Mann freilassen! Das tröstete Stuart gar nicht. Er brachte gerade noch ausreichend Energie auf, um unbezahlten Urlaub zu bitten, dann setzte er sich neben Dundee auf die Veranda, kraulte das alte Krokodil zwischen den Augen. Wie sollte es bloß weitergehen?! +#~#+ Eine gesamte Woche verstrich ohne Nachrichten aus der Untersuchungshaft. Das Bombardement der Freilassungsforderungen setzte die japanische Regierung sowohl national als auch international unter Druck. Es schien unglaublich, dass man überhaupt noch eine Anklage aufrecht erhielt! Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, indem man der Gesellschaft einen solchen Dienst erwies?! Stuart verbrachte die Woche bei seinen Eltern, packte bei der Arbeit mit an und kraulte jeden Abend auf der Veranda den alten Dundee. Er schuftete fast pausenlos, um nicht nachdenken zu können, damit die Zweifel sich hinten anstellen mussten, erst dann hochkamen, wenn alles wieder in Ordnung war. Ohne seinen Körper an die äußeren Grenzen zu treiben, war er überzeugt, würde er verzweifeln, kleinmütig werden, nicht der ferne Rückhalt sein, den er Joao versprochen hatte. Langsam, zähneknirschend akzeptierte er, dass es allein dessen Entscheidung war, ob er sich der unwägbaren Gnade eines mutmaßlichen Schauprozesses ausliefern wollte, aber es war keineswegs ein fröhlicher Frieden, der sich wie ein Geschwür in ihm ausbreitete. Zutreffender wäre eine gärende, unterschwellig kochende Wut auf die gesamte Welt gewesen, die noch kein Ventil fand. Stuart spürte die Sorge seiner Familie um seinen Gemütszustand, sah sich aber außerstande, um ihretwillen vorzugeben, es ginge ihm besser. Ermattet verfolgte er wie seine Eltern und Nana die Nachrichten, längst einer angespannten Erwartungshaltung entwachsen. Dieses Mal wurde er jedoch überrascht, als man mit einer exklusiven Eilausstrahlung den Ablauf unterbrach. Unerwartet hatte man den Prozessauftakt vorverlegt, gestattete Aufnahmen aus dem Gerichtssaal. Der Kommentator erklärte, man habe dem Anwalt des Verdächtigen erst an diesem Tag eine Kontaktaufnahme mit seinem Mandanten gestattet, aus Gründen der Sicherheit. Dann blendete man eine kurze Aufnahme von Joao ein. Unmöglich, das Aufstöhnen des Entsetzens zu unterdrücken! In einem Gefangenenoverall gekleidet war Joao ein abgemagertes Gespenst seiner selbst. Und man hatte ihn kahlgeschoren. Die nächste Aufnahme wechselte wieder zur Moderatorin der Nachrichten, die von einem Blatt ablas, dass man den Prozess habe abbrechen müssen, weil der Verdächtige zusammengebrochen sei und nicht verhandlungsfähig. Er habe sich außerdem seit seiner Auslieferung zu sprechen geweigert. Stuart kam langsam vom Sitzhocker hoch, die Fäuste geballt. "Sie bringen ihn um", wisperte er tonlos, um dann ansatzlos außer sich zu schreien, "die Verbrecher ermorden ihn!!" "Werden sie nicht", antwortete ihm Nana ruhig. "Sieh ihn dir doch an!", brüllte Stuart, "dieser Quatsch von Terrorist ist bloß ein Vorwand, um ihn umzubringen! Rache, das wollen die!" "Stu!", mahnte ihn seine Mutter besorgt, denn schließlich war das keine Art, die eigene Großmutter anzugehen, als stünden sie nicht auf seiner Seite! Er war sich durchaus bewusst, dass er sich ungerecht aufführte, deshalb zog Stuart selbst die Notbremse, stürmte aus dem Haus. Von einem Trab fiel er in einen Sprint, bis er weit genug weg war, um sich den Frust seiner Hilf- und Machtlosigkeit von der Seele zu brüllen. Nana dagegen blieb gelassen, "die können sich keinen Märtyrer leisten. Schätze, sie werden ihn bald ausreisen lassen." Sie hatte jedoch Verständnis dafür, dass man momentan keine kühlen Überlegungen an ihren Enkel herantragen konnte. Wie sehr ihm der zierliche Japaner mit der verzweifelten Heldentat am Herzen lag, konnte ihnen in der letzten Woche kaum entgangen sein. "Mach dir keinen Kopp", tröstete sie ihren verlegenen Sohn burschikos, "kommt alles in Ordnung." "So kenn ich ihn gar nich, Nana", brummte Poppa ratlos. "Tsstss!", feixte sie, "er will den kleinen Japaner haben! Ist doch sonnenklar!" Jetzt musste man bloß alles vorbereiten, denn zweifellos würden sie bald einen Hausgast haben! +#~#+ Stuart dagegen versuchte erneut, eine Einreiseerlaubnis zu erhalten, doch an der Erklärung, die gesamte Familie O'Neil befinde sich aufgrund der Verwicklung im Status der 'persona non grata' hatte sich nichts geändert. Er konnte nicht zu Joao kommen. Den hatte man in ein Militärkrankenhaus eingeliefert, um sich nicht den Vorwürfen auszusetzen, man vernachlässige die Gesundheit des Verdächtigen. Jetzt wurde täglich ein Bulletin herausgegeben, doch die Mitteilungen waren wenig erfreulich. Joao baute immer noch ab, galt als apathisch und verweigerte weiterhin jede Auskunft. Eine weitere Woche später erfüllte sich Nanas Prophezeiung: man ließ die Anklage fallen und gestattete Joao die Ausreise, falls sich ein Land fand, das bereit war, ihn aufzunehmen. Darin bestand jedoch kein Mangel, denn niemand glaubte ernsthaft, dass man Joao dafür verantwortlich machen konnte, die Unruhe in der Bevölkerung verursacht zu haben, weil man erkannte, wie häufig Entscheidungen durch die Pheromone beeinflusst worden waren! Auch die Ausreise begleiteten Agenten, akkompagniert von den Hinweisen auf angedrohte Attentate, weshalb erneut Sicherheitskräfte einen Bereich des Flughafens absperrten. Stuart nutzte die Bekanntschaft mit Mitarbeitern des Zoll aus, ließ sich einschleusen. Er konnte unmöglich einfach darauf warten, dass man Joao irgendwann aus staatlicher Fürsorge entließ! Hatte er nicht erklärt, für ihn zu bürgen, Gastgeber zu sein?! "Stell bloß nichts Blödes an!", mahnte ihn sein Bekannter, als er ihn zu einem Aussichtspunkt oberhalb des Rollfelds führte, "die sind reichlich nervös hier. Wäre übel, wenn dem Jungen ausgerechnet bei uns was zustoßen würde." "Wäre übel, wenn ihm überhaupt was zustoßen würde", knurrte Stuart grimmig. Er beobachtete, wie man Joao die Treppe hinunter half, ihn dann den australischen Vertretern übergab. Joao trug keine Fesseln mehr, der kahle Kopf war von einem groben Tuch verhüllt. Langsam und unsicher bewegte er sich in der Eskorte zum Gebäude. Stuart öffnete einen Sicherheitsverschluss, kletterte auf die Brüstung und ließ sich auf den Boden eine Etage tiefer fallen, rollte elegant ab. Er ließ sich nicht vom warnenden Ruf seines Freundes aufhalten, sondern preschte unbeirrt auf die kleine Gruppe zu, "Joao! Joao!" Sofort kam Bewegung in die Sicherheitskräfte, doch Joao krächzte hastig, "Stu!", schlug kraftlos auf die Schutzwesten, damit niemand versehentlich auf den Polizisten anlegte. Der Vertreter der Regierung, der sich jovial als Wally vorgestellt hatte, gab mit einem Wink Entwarnung und ließ auch Joao entwischen, der ungelenk wie ein Füllen auf Stuart zuhielt. Der stürmte heran, fasste ihn an den Hüften und schleuderte ihn hoch in die Luft, um ihn aufzufangen und fest an sich zu pressen. Joao schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte das Gesicht in Stuarts Halsbeuge. "Joao!", stöhnte der immer wieder, hielt ihn umschlossen und schluckte, als er den Japaner weinen hörte. Er wusste nicht, ob die Ursache Erleichterung, Erschöpfung oder Freude war. In ihm selbst kochte die Wut wieder hoch, weil er das Gefühl hatte, nicht mehr als ein paar dünne Knochen zu umschlingen! Ganz zu schweigen von den schönen Locken, die man aus reiner Bosheit abgeschnitten hatte! "Jetzt ist alles gut", raunte er beherrscht, "wir sind wieder zusammen. Meine Familie wartet schon auf uns." "Das wird noch ein Weilchen warten müssen", mischte sich Wally ein, lächelte verbindlich, "zuerst kommt der Gesundheitscheck." Als er Stuarts sturmumwölkte Miene registrierte, ergänzte er gelassen, "das ist Routine. Wäre doch schlecht, wenn unser Ehrengast unerwartet erkranken würde. Wir wollen bloß sichergehen." Dem konnte man sich schlecht verschließen. Stuart bestand darauf, Joao zu begleiten, denn er trug ihn auf den Armen und war nicht gewillt, ihn freizugeben. Konsterniert betrachtete er die ausgemergelte Gestalt seines Freundes, als er ihm half, sich partiell zu entkleiden, um die ärztlichen Untersuchungen durchführen zu lassen. Die helle Haut zeigte sich rau und fleckig, die Nägel waren eingerissen, und insgesamt war sein Zustand besorgniserregend. Ohne Infusionen wollte die behandelnde Ärztin ihm keine Demission erteilen, deshalb saß Stuart nun auf einem niedrigen Hocker neben einer Liege und hielt Joaos Hand, streichelte über den mageren Flaum auf dessen Kopf. Die dunkelgrünen Augen ließen ihn nicht los, obschon er bemerkte, wie erschöpft Joao war, dennoch lächelte der mit ausgefransten Mundwinkeln. Als endlich die zweite Infusion durchgelaufen war, durften sie das Krankenhaus verlassen. Glücklicherweise hatte Wally ihnen den Gefallen erwiesen, die Presse zu informieren, dass der prominente Ehrengast sich von den Strapazen des Gefängnisaufenthalts erholen musste und deshalb um Verständnis bat, wenn er sich ihren Fragen nicht stellte. Die Sonne ging bereits unter, als Stuart Joao in seinen Wagen half, ihn fürsorglich anschnallte und ein Nackenhörnchen vom Rücksitz auflas, damit Joao auch im Auto der Erholung frönen konnte. Über Funk kontaktierte er Poppa auf der Farm, sie seien endlich auf dem Heimweg. +#~#+ Als er auf die Zufahrt zur Farm einbog, prangten die Sterne bereits am Firmament und die Hitze des Tages reduzierte sich. Auf der Veranda warteten seine Eltern und Nana. Stuart half Joao behutsam aus dem Auto, befreite ihn vom Nackenhörnchen und legte den Arm um die überschlanke Taille. Joao lehnte sich nervös an ihn, denn ihn plagte die Frage, wie wohl Stuarts Eltern ihn aufnehmen würden, immerhin hatte er Stuart in seine aufrührerischen Angelegenheiten verwickelt! Nana kam ihnen zuvor, zog ihn hinunter in eine Umarmung und wisperte ihm auf Japanisch ins Ohr, dass sie ihn alle, am Meisten aber Stu, furchtbar vermisst hätten! Dann schüttelte er Hände, bemerkte, dass auch in Natur Vater und Sohn sich sehr ähnlich sahen. Die Honneurs wurden kurz gefasst, denn erstens mussten die 'Jungs' hungrig sein und zweitens sollten sie vorher noch duschen! Wie gut, dass Joao seine Kleider zurückgelassen hatte, die seien alle gewaschen und gebügelt! "Sie freuen sich", erklärte Stuart ein wenig verlegen die Begrüßung seiner Familie, half Joao, sich im großzügigen Badezimmer der Farm auszuziehen. "Ich freue mich auch", flüsterte Joao, dessen Stimme sich erst langsam wieder an die Beanspruchung gewöhnen musste. Fürsorglich platzierte Stuart einen kleinen Plastikhocker in der Dusche, dirigierte den verlegenen Joao auf den Sitz und zog sich selbst rasch aus. Dann schnappte er sich die Handbrause und Duschgel, um den zierlichen Japaner vorsichtig einzuschäumen. Kein Fleckchen Haut ließ er aus, registrierte bekümmert den schlechten Zustand. "Creme", murmelte er vor sich hin, so konzentriert, dass Joao über den Eifer schmunzelte, sehr sanft über den schwarzen Schopf strich. Kniend konnte Stuart ihm direkt in die dunkelgrünen Augen sehen, betrachtete ihn stumm, die nassen Hände auf den Oberschenkeln. "Danke", flüsterte Joao lächelnd. Stuart schluckte, wusste, dass diese ruckartige Bewegung ihm anzusehen war. Er stemmte sich von den Fersen hoch, legte die Arme um Joao und hielt ihn fest, von starken Emotionen ergriffen war er dennoch unfähig, nur eine Silbe über die Lippen zu bringen. Die Augen geschlossen lehnte er sich an Joao an, atmete tief durch, so oft, bis ihm schwindelte. Der Parfümeur nutzte die Gelegenheit, Stuart ebenfalls mit Duschgel einzuseifen, zumindest soweit seine dünnen Arme reichten. Schließlich schloss sich auch der Polizist wieder der Reinigungsaktion an. Die Handbrause wechselte immer wieder den Besitzer, während sie den Schaum abspülten, dann hüllte Stuart Joao in ein großes, flauschiges Badetuch, tupfte ihn so vorsichtig ab, als befürchte er, die Haut zu beschädigen, wenn er zu grob reiben würde. Joao blinzelte Tränen der Rührung weg. Es schien ihm, als habe man ihm niemals zuvor so viel Wärme, Fürsorge und Liebe entgegengebracht, ihn wie eine zerbrechliche Kostbarkeit behandelt. Er schob die beschämende Tränenseligkeit auf seine schlechte Konstitution und stemmte sich energisch auf die Beine. Lange genug hatte er sich elend gefühlt, jetzt wurde es höchste Zeit, wieder Tritt zu fassen! Das hinderte ihn allerdings nicht daran, es leise seufzend zu genießen, wie geschickt Stuart ihn mit einer Körperlotion bedachte. Er glitt in den ausgelegten Freizeitanzug, Leinenstoff in chinesischem Schnitt in einer Farbe, die seine Blässe nicht kränklich wirken ließ. Unterdessen hatte Stuart bereits seine Jeans übergestreift und frottierte sich energisch die schwarzen Haare. Wie gewohnt frisierte er sich ohne Spiegel mit den Fingern, nachdem er ein T-Shirt angezogen hatte. "Glaubst du, du kannst etwas essen?", richtete er, ein wenig rau, das Wort an Joao, immerhin waren sie gewarnt worden, dass der Japaner sich nach seiner Askese erst wieder langsam an richtige Mahlzeiten und größere Mengen gewöhnen musste, wollte er sich nicht Magen- und Darmprobleme verschaffen. "Ich habe Appetit", versicherte Joao ungewohnt optimistisch, denn eine Ahnung vom Menü wehte ihnen bereits entgegen. "Fein!", zärtlich streichelte Stuart mit dem Zeigefinger über Joaos Schläfe, vermisste die prachtvollen Lockenstränge schmerzlich, "dann wollen wir mal." Wie gewohnt traf man sich nicht im vornehmen Esszimmer, das selten genutzt wurde, sondern in der großen Wohnküche. Kleine Häppchen präsentierten sich auf bunt zusammengewürfeltem Geschirr, erinnerten an ein Büfett. Ohne viel Federlesens fand sich der Parfümeur auf eine breite Eckbank geschoben, Kissen zum Sitzen, Kissen für den Rücken, erst grünen Tee, dann doch lieber ein Glas Ingwerlimonade: Joao war der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bevor er nervös werden konnte ob der konzentrierten Aufwartung, plumpste Nana grinsend neben ihn und klopfte ihm beruhigend auf den Oberschenkel, "keine Angst, so schlimm sind wir nicht immer." Joao räusperte sich, um sich zu bedanken, für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, in jedem Fall zu beweisen, dass er über ein Mindestmaß an Manieren verfügte, allein, er kam gar nicht zu Wort! Nana legte ihm von rechts vor, Stuart konterte von links und dessen Eltern nickten ihm auffordernd zu, sich doch wie zu Hause zu fühlen, ungeniert zuzugreifen! Dabei wurden ihm freundlich Offerten in Aussicht gestellt, was er unternehmen könne, hier, zur Erholung! Nicht zu vergleichen mit Tokio, natürlich, aber langweilig werde es nie! Er war dankbar, dass Stuarts muskulöser Arm sich um seine Schultern legte, ihm eine Lehne bot. Beregnet von so viel Freundlichkeit und Sympathie wäre er am Liebsten auf der Stelle eingeschlummert, endlich in Sicherheit und geborgen. "Für heute reicht's wohl", verkündete Nana schließlich großmütig, "ich schlage eben mal im Gästezimmer das Bett auf." "Nichts da!", grummelte Stuart, der sich mit seiner Eifersucht lächerlich vorkam, weil er Joao am Liebsten für sich allein gehabt hätte, "Joao schläft in meinem Zimmer." "Vielleicht fragst du ja erst mal, hmm?", Nana fokussierte ihren streitbaren Enkel mit einem unbeirrten Starren. Sie konnte HERVORRAGEND pokern. Es wurde still, eine Willensprobe, während Joao ratlos zwischen den Rivalen hin und her blickte, nicht wusste, wie er den scheinbaren Konflikt entschärfen konnte. "Frechdachs!", feixte Nana endlich, verpasste Stuart einen Nasenstüber, "dafür mistest du morgen aus, verstanden?" "Hrmpf!", nickte der Polizist brummig. Austricksen war Nanas Spezialgebiet! Wenigstens konnte er sich aber nun mit Joao exklusiv zurückziehen und mit ihm das Bett teilen. Durchaus verlegen tappte der hinter ihm her, an der Hand geführt wie ein Kind. Auch Stuart war ein wenig verunsichert, weil ihm mit Verspätung aufging, dass er sich wie ein Haustyrann aufgeführt hatte. "Hör mal", wandte er sich vor seiner Zimmertür um, "wenn du lieber im Gästezimmer schlafen willst, ist das absolut in Ordnung", sprudelte er hastig hervor, um Schadensbegrenzung bemüht, "ich kann das verstehen! Immerhin bist du ja hier, damit du dich erholst! Es macht auch keine Umstände! Du musst nicht höflich sein, ja?" Joao kommentierte den Ausbruch mit einem amüsierten Lächeln, das der Polizist erst selten erblickt hatte. "Möchtest du", wisperte er heiser, "dass ich in deinem Zimmer übernachte?" "Definitiv!", antwortete Stuart wie aus der Pistole geschossen. "Dann ist ja alles geklärt", befand der Japaner, zwinkerte und strich mit der freien Hand über das Türblatt. Er war neugierig auf das, was sich dahinter verbarg. Stuart kam der stummen Aufforderung nach und gab den Zutritt zu seinem ehemaligen Reich frei. Er selbst hielt sein Zimmer für unspektakulär und nicht sonderlich wohnlich, im Vergleich zu früher, das gestand er ein, war es aber sehr viel sauberer und aufgeräumter. Der Parfümeur entschlüpfte ihrer Verbindung und ambulierte langsam durch den Raum. An der Wand fand sich ein großes Bett, passend für einen großen, jungen Mann. Jemand hatte bereits ZWEI Kopfkissen und ZWEI Decken platziert und einladend aufgeschlagen. Dazwischen thronte ein recht zerrupft wirkendes Plüschkrokodil. Unter dem Fenster, der Tür gegenüber, stand ein Schreibtisch mit einem Holzstuhl, der zu einer aufrechten Haltung zwang. Der Schreibtisch verfügte über einen hübschen Aufbau mit Schubladen und Buchstützen. Hier lag nichts unnütz herum. Dem Bett gegenüber residierte eine alte, offenkundig handgefertigte Kommode mit einem Spiegel und einer Vertiefung für eine Waschschüssel. Ein seitlich montierter Holm wartete auf ein Handtuch. Liebkosend streichelte Joao über das polierte Holz, schnupperte verstohlen. Dezent roch es nach Bienenwachs, aber auch nach dem künstlichen Duft von Waschmittel. Zweifellos lagerten hier Textilien. In Ermangelung eines Kleiderschrankes entdeckte er am Fußende des Bettes eine gewaltige Seemannstruhe, die, ihrem Aussehen nach zu urteilen, bereits einige Male um die Erde gereist sein musste, bevor sie hier ihren Heimathafen gefunden hatte. Kleine Einlegearbeiten bildeten einen rustikal wirkenden Schmuck. Vorsichtig ließ Joao sich auf der Bettkante nieder, die Hände im Schoß abgelegt, studierte das ihn umgebende Panorama. An den Wänden hatte man hinter einfachen Glasscheiben Urkunden gerahmt, die belegten, dass Stuart wirklich alles fliegen konnte, was fähig war, vom Boden abzuheben. "Sieht ein bisschen dröge aus, wie?", der Polizist nahm neben ihm Platz, folgte seinem Beispiel und sah sich langsam um. "Keine nackten Frauen an den Wänden, keine herumliegenden Männermagazine, keine schnellen Autos", er grinste. "Sah es früher auch so aus?", erkundigte sich Joao heiser. Er wollte gern wissen, wie der Australier als Jugendlicher gewesen war. Ob man wohl ein paar Fotos anschauen konnte während seines Aufenthalts hier? "Na ja", Stuart zuckte mit den muskulösen Schultern, "ich war meistens draußen unterwegs. Ohne Computer oder Fernseher." Er lächelte, "ich habe sogar in der Garage meine Schulaufgaben gemacht, weil das Funkgerät dort steht. Hier war ich bloß zum Schlafen und", er zog eine Grimasse, "um meine Klamotten herumliegen zu lassen, wie Nana sagen würde." Joao schmunzelte. "Ich finde, es sieht sehr ordentlich aus", komplimentierte er seinen Freund. "Ja, du würdest auch schnell ordentlich werden, wenn Nana dir Käfer ins Bett steckt!", offenbarte Stuart recht eigenwillige Erziehungsmethoden. Gemächlich schmuggelte er einen Arm über die Bettdecke um den Japaner herum, bis er ihn ein wenig näher zu sich ziehen konnte. "Und, wie sah dein Kinderzimmer aus?", wollte er wissen. Jetzt war es schließlich möglich, mehr über Joao zu erfahren! Der konzentrierte sich auf den Fußboden, wie es schien, mit einer distanzierten Miene. »Uhoh!«, seufzte Stuart innerlich auf, »ganz falsches Thema!« Er fürchtete schon, Joao gekränkt zu haben, als der aufhörte, unbewusst seine Finger zu kneten und ihm antwortete. "Wir haben zumeist aus dem Koffer gelebt. Meine Mutter", er zögerte, ein harter Zug kerbte sich um seinen Mund ein, "sie ist mit uns oft umgezogen. Anfangs habe ich meinen Futon irgendwo ausgerollt, dann später mit meinen Halbgeschwistern zusammen." Er räusperte sich, "je nach Partner haben wir mal hochherrschaftlich und mal sehr bescheiden gehaust." Stuart strich sanft über Joaos Oberarm, wollte sich gleichsam für die schmerzliche Frage nach der Vergangenheit entschuldigen und ihn versöhnlich stimmen. "Als diese Sache... passiert war", Joao hob den Kopf an, bot ein straffes Profil mit verschlossenen Gesichtszügen, "da habe ich mich ununterbrochen um Stipendien und Auslandsaufenthalte bemüht, mal hier, mal dort in Wohnheimen oder Studentenunterkünften." Er wandte sich Stuart zu, setzte ein bemühtes Lächeln auf, "ich bin eben ein Kofferkind. Meine Wohnung hätte dir nicht gefallen, die sah aus, als wäre ich auf der Durchreise, obwohl ich fast drei Jahre dort eingemietet war." Ein etwas bedrücktes Schweigen breitete sich aus. Mit plötzlicher Eindringlichkeit wurde Stuart bewusst, dass er gar nicht wusste, wie Joao seinen Alltag gestaltete, was er sich erhoffte und was ihm missfiel. Konnte es sein, dass sie außerhalb von gefährlichen Situationen gar nicht harmonierten? Würde Joao überhaupt Gefallen daran finden, sesshaft zu werden? »Oder spielt er ein Weile mit, bis er feststellt, dass es einfach nicht auszuhalten ist mit mir?« Da lehnte sich der Japaner an ihn, schmiegte sich scheu an seine Seite. "Seltsam", murmelte er versonnen, "es ist das erste Mal, dass ich nicht auf der Flucht bin. Jetzt", es klang beinahe ehrfürchtig, "bin ich frei." "Bisschen beängstigend, wie?", zeigte Stuart Anteilnahme. Er bezweifelte, dass Joao bereits das Trauma seiner Vergangenheit und die verzweifelt betriebene Isolation von zwischenmenschlicher Nähe überwunden hatte, "ich bin ja bei dir." Joao senkte die Lider müde, aber glücklich, "kein Grund mehr, sich zu fürchten." "Genau!", der Polizist nutzte die Gunst der Stunde und küsste behutsam die malträtierten Lippen, "wir passen aufeinander auf." Da gehörte es zur Selbstverständlichkeit, Joao aus den Kleidern zu schälen, ihm leihweise Boxer und T-Shirt überzustreifen und die dünne Decke um ihn zu drapieren. Das Stoffkrokodil wurde aufs obere Ende des Kopfkissens gesetzt, dann erhob sich Stuart, ließ die Rollos am Fenster herunter, bevor er sich selbst bettfertig machte und ins Badezimmer wechselte, damit die Beißerchen zu ihrem Recht kamen. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, schlief Joao bereits tief und fest, mit Stuarts Stoffkrokodil im Arm. +#~#+ Trotz der Aufregung des Vortags erwachte Stuart zur gewohnten Zeit. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite und streckte im Halbdunkel die Hand nach dem süßen Schläfer neben sich aus, streichelte über die seidig weiche Wange. Schlaf musste wahre Wunder wirken, erinnerte er sich doch empört Joaos verheertem Zustand nach der Entlassung. Allein, müßig herumliegen, das ging nicht an, denn sein Pflichtgefühl mahnte ihn, das am Abend geleistete Versprechen zu erfüllen: ausmisten! Widerwillig, aber entschlossen schwang er die Beine über die Bettkante, federte hoch und bewegte sich souverän in der Semi-Finsternis seines Zimmers. Vertraut genug war es ihm, dass er ohne Kollision das Fenster erreichte, die Rollos leicht lupfte, damit er sich aus der Seemannstruhe Bekleidung auswählen konnte. Anschließend verließ er auf Zehenspitzen den Raum, um sich Appetit fürs Frühstück zu erarbeiten. +#~#+ Stuart arbeitete routiniert und gründlich, in gleichmäßigem Tempo und ohne unnötigen Krafteinsatz. Die Sonne wanderte langsam höher, während auch der Rest der Familie den anstehenden Arbeiten nachging, schweigend, aber wohlgestimmt. Als er das Haus wieder betrat, auf Socken, da die Gummistiefel vor der Tür abtrockneten, roch er bereits Eier und Frühstücksspeck, zweifellos dem besonderen Anlass geschuldet, denn seine Mutter achtete üblicherweise darauf, dass sie sich abwechslungsreich und ordentlich ernährten. "Rasier dich auch gleich!", mahnte ihn Nana, als er das Badezimmer ansteuerte, um den Schweiß abzuduschen. "HmmHmm", stimmte der Polizist zu. Wer wollte schon beim Frühstück ein haariges Stachelschwein ansehen müssen? Frisch gewienert von Zehen bis Schädeldecke und dank Elektrorasierapparat ohne blutige Souvenirs tappte er auf Zehenspitzen in sein Zimmer, spärlich mit einem Handtuch bedeckt. Seine erste Garnitur des Tages drehte sich bereits in der Waschmaschine, also musste Ersatz her. Kaum hatte er die Kommode erreicht, hörte er Joaos heisere Stimme krächzen, "ich stehe gleich auf!" Danach klang es keineswegs, aber die Absicht genügte, Stuart zu einem Abstecher Richtung Bett zu veranlassen. Er setzte sich auf die Bettkante, tastete im Halbdunkel vorsichtig nach Joaos Wange und streichelte sie. "Bleib liegen und schlaf noch ein wenig", raunte er zärtlich, genoss die dezente Wärme, die in seine Handfläche strömte. "Ich bin wach", murmelte der Japaner mit schwerer Zunge, "ich möchte keine Umstände bereiten..." "He", tief über den Parfümeur gebeugt folgte Stuart dem Atem, dippte einen Kuss auf die Lippen, "ist noch früh. Träum was Feines, hm?" Damit streichelte er über die Wangen, die Schläfe hoch bis zum Haarflaum, der bereits begann, sich in winzige Löckchen zu drehen. Unter sich hörte er ein Seufzen, registrierte dann lächelnd, wie die Atemzüge tiefer wurden, die Anspannung aus dem zierlichen Körper wich. "Ich liebe dich", flüsterte Stuart in der Heimlichkeit seines dunklen Zimmers, küsste Joaos Stirn und gab langsam den Platz auf der Bettkante wieder auf. Lautlos wählte er seine Kleider aus Kommode und Seemannstruhe aus, bevor er sein Zimmer verließ. +#~#+ Kurz vor dem Mittagessen verzog sich Stuart vom Freien in die Garage. Hier gab es immer wieder etwas zu reparieren oder überholen. Nana war mit dem Reiseflugzeug beschäftigt, also ging er seinem Vater zur Hand, der die Landmaschinen wartete. Hin und wieder knisterte das Funkgerät, wenn sich Bekannte oder Freunde meldeten. Oder auch Vorgesetzte, um mitzuteilen, dass man wieder anzurücken hatte, unbezahlter Urlaub hin oder her. Stuart konnte sich nicht weigern, immerhin hatten das Kollegium für ihn die Stellung gehalten, während er so unerwartet in das Abenteuer der Revolution verwickelt worden war. "Kannst Joao ruhig hier lassen", versicherte ihm Poppa aufmunternd, "bisschen Unterhaltung schadet nichts." »Schon«, dachte Stuart und bedankte sich laut für das Angebot, »aber ich möchte ihn bei mir haben, mich nicht schon wieder von ihm trennen müssen.« Dieses Gefühl, so egoistisch, fordernd und selbstherrlich, war ihm fremd. Was nicht hieß, dass er es nicht erkannte: verflixt verliebt! Da musste man wirklich wie ein Schießhund aufpassen, dass man sich nicht auch so benahm, wie der emotionale Cocktail es einem eingab! "Stu", seine Mutter betrat die Garage, "hilf mir nachher mal mit dem Grill, ja? Gussie hat eben angerufen, sie kommt heute Abend mit Glenn." "Ha, sie is sicher neugierig auf deinen Schatz!", neckte ihn Nana, die Schweißerbrille auf den Kopf geschoben. "Nach dem werd ich besser mal schauen", entzog sich Stuart einer verbalen Kabbelei und wechselte ins Haus hinüber. Spontan beschloss er, ein paar Kleinigkeiten zusammenzupacken und Joao zu einem Picknick auszuführen. Dabei konnte er ihm auch ein wenig die Farm zeigen und erklären, wo er aufgewachsen war. Ebenso leise wie am Morgen betrat er sein Zimmer, doch dieses Mal blieb er nicht unbemerkt: Joao saß, gegen beide Kissen gelehnt, halb aufrecht, hielt das Stoffkrokodil in den Händen und kontemplierte. Zumindest nahm Stuart das an, denn was sonst hätte man im Halbdunkel hellwach tun können? "Gut geschlafen?", erkundigte er sich lächelnd und steuerte seinen gewohnten Sitzplatz auf der Bettkante an. "Entschuldige, dass ich das Frühstück verpasst habe", Joaos Stimme klang nicht mehr so strapaziert, doch ein wenig Unbehagen war nicht zu überhören. "Kein Problem", unwiderstehlich zog ihn der arg gestutzte Schopf an, über die winzigen Löckchen zu streicheln, "was hältst du von einem Picknick?" "Das klingt sehr gut", antwortete der Parfümeur artig, lehnte sich ein wenig vor, damit er die Stirn gegen Stuarts lehnen konnte. "Ist es sehr schlimm?", erkundigte er sich leise. Stuart stutzte, grinste dann betont frech. "He, denkst du etwa, ich wäre nur wegen deiner Lockenmähne in dich verknallt?!", das klang forsch und locker, obwohl es ihm gar nicht unbedingt danach zumute war. Zu gern hätte er gehört, dass Joao ihn auch liebte. Zumindest ziemlich gern hatte, auch ohne Bedrohung, im Alltag, wenn er die Wahl hatte. Die Unsicherheit setzte Stuart zu. Unversehens wickelte er die Arme um Joao, zog ihn in eine enge Umklammerung. "Sie wachsen ja wieder", murmelte er, um irgendwie die beklemmende Stimmung zu überbrücken, zu der erst kürzlich gewonnenen Vertrautheit zurückzukehren. "...machst du dir Sorgen?", Joao schien genau zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, streichelte ihm beruhigend über den Rücken. Stuart wagte sich tollkühn aus der Deckung, "hast du über uns nachgedacht?" Puh, da war es heraus! Das Konglomerat aus Unsicherheit, unterdrückten Zweifeln und Nervosität angesichts einer vollkommen neuen Situation. Joao schob sich aus der Umarmung, legte die Hände flach auf Stuarts Brustkorb. "Ich bin nicht hier, weil es der einzige Ort ist, an den ich gehen kann", antwortete er bedächtig, "sondern weil ich es endlich wagen möchte." Er bettete Stuarts Gesicht in seinen eleganten Händen, liebkoste es mit sanft kreisenden Daumen, "ich möchte mich auf dich einlassen und dir vertrauen." "Ich auch", brummte der Australier rau, lehnte nun seine Stirn an, "glaubst du, wir halten es miteinander aus?" "Ganz sicher", Joao lachte leise, "wer könnte einem Mann widerstehen, der so ein knuffiges Plüschkrokodil im Bett hat?" "Das ist mein Kinderzimmer", hielt der Polizist für das Protokoll fest, atmete aber erleichtert auf. "Ich glaube", er entführte das arg geliebte Krokodil aus Joaos Schoß, um die Konkurrenz auszuschalten, "du solltest DIESES Krokodil hier ein bisschen besser kennenlernen. Dann kann ich dir nämlich auch Löcher in den Bauch fragen!" Joaos Hände wanderten auf die breiten Schultern, ruhten sich dort aus. "Was möchtest du wissen?", fragte er schließlich leise. Es verhielt sich nicht dergestalt, dass er Stuart etwas verschweigen oder ihn im Ungewissen lassen wollte, er war bloß vorsichtig. "Willst du noch duschen, oder können wir gleich verschwinden, wenn ich die Küche geplündert habe?", erkundigte sich der Australier grinsend, in der sicheren Erwartung, dass er Joao ausgekontert hatte. Der schmunzelte, mehr über das breite Grinsen als das Manöver. "Ich würde gern noch duschen, wenn's gestattet ist." "Selbstverständlich, der Herr!", neckte ihn Stuart, stahl sich frech einen Kuss und federte elastisch in die Höhe. "Wenn du fertig bist, komm einfach in die Küche. Ich bin 'Der-mit-dem-Fresskorb-schwankt'", scherzte er. Als der Polizist sein Zimmer verlassen hatte, wartete Joao noch einen Augenblick, bevor er sich vollends aus dem Bettzeug schälte, aufstand und das Bett machte. Das Krokodil ließ er auf dem Kissenturm thronen. »Es wird Zeit«, wiederholte er seine Überlegungen, »nimm dein Leben wieder in die Hand!« Dieses Mal, davon war er überzeugt, würde er den Schatten vertreiben können. +#~#+ Stuart war ein geübter Picknicker und hatte deshalb keine Mühe, den Deckelkorb mit Geschirr und Leckereien aller Art zu füllen. Er organisierte auch zwei Kissen und eine bequeme, nicht zu dünne Decke, sammelte das Sonnensegel ein, das um zwei dünne Stangen gewickelt worden war und entschied schließlich, dass die Expedition beginnen konnte. Er summte vor sich hin, tatsächlich beladen bis zu Hutkrempe, die Sonnenbrille im Ausschnitt des T-Shirts baumelnd und wartete auf Joao. Der trat ein wenig zögerlich hinaus, den Kopf mit einem Tuch dekoriert, auf das er den unerlässlichen Hut gepflanzt hatte. Die weiten Hosen und das lockere Hemd aus Leinenstoff schlotterten noch stärker als vom Modeschöpfer beabsichtigt um ihn herum, doch diesem Umstand konnte er momentan zumindest nicht abhelfen. "Kann ich etwas tragen?", wollte er sich auch nützlich machen. Zwinkernd vertraute ihm Stuart die Decke und die Sitzkissen an. "Sehr wichtige Aufgabe!", wie er betonte. Joao nahm diese fürsorgliche Zurückweisung gelassen hin. Im Laufe der Zeit, wenn er wieder richtig auf den Beinen war, dann würde er Stuart schon beweisen, dass er kein Schwächling war, sondern sehr zähe! Die Sonnenbrillen auf dem Nasenrücken spazierten sie gemächlich los, schlenderten nebeneinander über die Wirtschaftswege der Farm. Zur Mittagszeit sorgte die Sonneneinstrahlung am nahezu wolkenlosen Himmel dafür, dass Flora und Fauna etwas gedämpfter ihren Geschäften nachging. Man wollte kaum glauben, dass es in einigen Monaten so heftig regnen konnte, dass man knöcheltief im Schlamm watete. Im Augenblick regierte jedoch der Staub und das Meer widerstandsfähiger Gräser, die in der hitzigen Brise wogten und leise rauschten. Unter den Baumgruppen, die tapfer die Steppe überragten, hatten sich einige Büffel niedergelassen. Nachdem seine Eltern schon vor einigen Jahren die Schafzucht aufgegeben hatten, dienten die eingeführten Büffel als 'Rasenmäher' und lebten in einem kleinen Verband auf dem weitläufigen Gelände. Die Tiere waren an Menschen gewöhnt, ließen sich deshalb auch artig melken und mit Büffelmilch konnte man einige Delikatessen erzeugen, was ein Zubrot für die Familie bedeutete. Joao rückte unwillkürlich ein wenig näher an Stuart heran, obwohl die Rinder keine Anstalten unternahmen, sich ihretwegen aus der Ruhe bringen zu lassen. Dann schlossen sich, durch einen wuchtigen Zaun abgetrennt, um die Büffel fernzuhalten, die Haferfelder an. "Heißt es nicht Weizengürtel?", platzte Joao mit der offenkundigen Frage heraus. "Stimmt", Stuart lächelte, "früher hatten wir hier auch Weizen. Aber Poppa hat umdisponiert, weil Weizen den Boden stark auslaugt und viel Wasser benötigt. Deshalb ist er auf Hafer umgestiegen. Den kann man auch gut nutzen, und er ist sehr anspruchslos." Der Parfümeur betrachtete die Landschaft, die sie gemächlich durchwanderten und versuchte sich zu entsinnen, wo er zum letzten Mal Vergleichbares erblickt hatte. Auf einer Busreise durch Frankreich? Stuart lächelte und beschloss, den Fußweg bis zu dem ihm genehmen Picknickplatz zu verkürzen, indem er an der Mission 'Informationsbeschaffung' arbeitete. Dazu gab es schließlich eine klassische Einstiegsmethode. "Joao, wenn du auf eine einsame Inseln fahren würdest, welche drei Dinge würdest du unbedingt mitnehmen?" +#~#+ Als sie eine Viertelstunde später, in der Nachbarschaft des Avon-Flusses, ihr Ziel erreichten, hatten sie einander neckend und lachend diverse persönliche Vorlieben und Abneigungen anvertraut. Erstaunlicherweise, zumindest für Stuart, zeichnete sich ab, dass ihre Sozialisation, obwohl sie in verschiedenen Ländern auf unterschiedlichen Kontinenten aufgewachsen waren, sehr ähnlich verlaufen war, vor allem Dank des amerikanischen Lebensstils, der sich im Ausland sehr gut in Form von Film und Fernsehen, Musik und anderen Unterhaltungsformen verkaufte. Stuart hatte es jedoch vermieden, an schmerzlichen Themen zu rühren, etwa der Familie oder dem Trauma der Entführung und Misshandlung. Um ihre Stimmbänder ein wenig zu schonen, bauten sie gemeinsam das Sonnensegel auf, das Stuart an den unteren Ästen einer gewaltigen Platane befestigte und mit Hilfe der beiden flexiblen Stangen aufspannte. Rasch wurde in diesem doppelten Schatten die Decke ausgebreitet, die Kissen deponiert und mit einem erleichterten Ächzen stießen sie mit Plastikbechern an, um ihre Kehlen mit Ingwerlimonade zu durchspülen. Schweigend betrachteten sie den trägen Fluss in einiger Entfernung, lauschten der Brise, die das trockene Laub rascheln ließ und sich an ihre Haut schmiegte. "Das ist ein sehr schöner Platz", komplimentierte Joao die Entscheidung des Australiers. "Lohnt den Fußweg", pflichtete ihm Stuart bei, übernahm die Gastgeberrolle und dekorierte die Decke mit den apportierten Köstlichkeiten. Sie schmausten zufrieden vor sich hin, bis der Polizist sich entsann, dass er zum Thema 'Leibspeisen' und 'Kochkünste' ausstehende Erkundigungen einzuziehen hatte. Es wurde rasch amüsant, weil sie beide sich zu katastrophalen Kochunternehmungen bekannten, die ausführlich und lebhaft geschildert wurden. Sie räumten gemeinschaftlich die Decke wieder frei, bevor sie Ameisen einluden, dann ging Stuart mit gutem Beispiel voran und streckte sich der Länge nach aus. Joao folgte und erkannte die Gelegenheit, wenn man so in den Himmel durch das Sonnensegel und das Geäst gefiltert sah, die delikateren Fragen aufzuwerfen. Recht unvermittelt, zumindest für Stuart, setzte er an, "was muss man nachweisen, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen?" "Du willst schon nach Arbeit suchen? Hier?", der Polizist klang ehrlich überrascht, wandte den Kopf, um das Profil des Parfümeurs zu betrachten. "Wenn ich bleibe, muss ich arbeiten", antwortete ihm Joao, kopierte die Kopfhaltung und blickte in die blitzblauen Augen, "du möchtest doch auch, dass ich bleibe, oder?" "Selbstverständlich!", Stuart deklamierte heftig, "ich will mit dir zusammen sein!" Das war alles andere als manierlich formuliert, entsprach aber den ungeschminkten Tatsachen. "Et voila!", demonstrierte Joao mit einer eleganten Handbewegung die logische Konsequenz, "also brauche ich eine Arbeit. Und eine Arbeitserlaubnis, oder ist das nicht möglich bei meinem Touristenvisum?" In dieser Hinsicht fehlten Stuart die notwendigen Auskünfte. "Warum vertagen wir das nicht? In Perth können wir das gemeinsam herausfinden", er stockte. "Hmm?", schnurrte Joao leise, der gern erfahren wollte, was sich hinter diesem Zögern verbarg. Etwa die Sorge, die Stuart am Morgen bekümmert hatte? "Da muss ich dir noch etwas gestehen", gab sich der Polizist angemessen zerknirscht, "mein Vorgesetzter hat mir Order gegeben, wieder zur Arbeit zu erscheinen." "Wann geht's los?", Joao zeigte keine Enttäuschung oder Verärgerung, was Stuart durchaus erleichterte. "Morgen muss ich zurückfahren, sonst komme ich am nächsten Tag nicht aus dem Bett", murmelte er trotzdem reuig, hoffte auf Milde. "Darf ich mitkommen?", Joao rollte sich auf die Seite und rutschte an ihn heran, bis er bequem lag, den Kopf auf Stuarts Brustkorb gebettet. "Sicher!", bekräftigte der, um dann, ein wenig zögerlicher, zu ergänzen, "du kannst natürlich auch bleiben. Ich meine, wenn ich arbeite, dann", er brach ab. Joao wartete geduldig auf die Fortsetzung, kreiste behutsam mit der Linken über die athletische Brust. Stuart atmete vernehmlich tief durch. "Vorher", er räusperte sich, "vorher war mein Job immer ein Thema. Ich bin praktisch damit verheiratet, weshalb ich nur selten zu Hause bin." "Hast du denn schon mal mit jemandem zusammengelebt?", torpedierte sich Joao in trübe Gewässer. "Nicht wirklich", gestand der Polizist ein, rieb sich automatisch das Kinn, "es ist immer gescheitert, weil ich eben zeitlich stark gebunden war. Na ja", ergänzte er, "es war auch ganz praktisch, sich bloß unverbindlich zu treffen, ohne Verpflichtungen." »Mit anderen Worten«, dolmetschte Joao, »hier und da Kuschelstunden, aber keine ernsthafte Bindung.« "Weißt du", schlug sich Stuart in gedämpften Tönen durch einen emotionalen Dschungel, "am Anfang war ich ziemlich naiv und wollte natürlich auch jemanden bei mir haben, den ich bis ans Ende meiner Tage liebe." Er grinste nachsichtig über seinen jugendlichen Optimismus. "Aber im Alltag merkt man schnell, warum Märchen in Büchern stehen." Nachdenklich streichelte er über Joaos Rücken. "Ich habe meine Arbeit und meine Familie immer, ganz automatisch, an die erste Stelle gerückt. Dann ging's schleichend auseinander, jeder hat sein eigenes Leben gehabt, und irgendwann ist man befreundet, wünscht sich alles Gute und das war's." Er seufzte leise, "weil das so bequem ist, bleibt's auch dabei. Unverbindlich ein bisschen Spaß haben und dann wieder nach eigenem Gusto leben." Sie schwiegen gemeinsam, schwermütig, auch ein wenig ratlos, dann nahm Stuart den Faden wieder auf, "das Verrückte daran ist: man gewöhnt sich so daran, dass es normal wird. Wenn es einem gerade nicht in den Kram passt, dann lässt man es einfach. Unglaublich", brummte er ironisch, "wie unbedeutend Sex einem nach einer ganzen Weile vorkommen kann." Joao lachte leise. Um Stuarts Offenheit zu belohnen, steuerte er seinen Teil bei. "So weit bin ich nie gekommen", wisperte er, verwünschte die verlegene Röte in seinen Wangen, "die Vergangenheit war einfach zu präsent." "Seltsam", Stuart drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, "ich hätte gewettet, dass du dich vor Angeboten kaum retten konntest." Nun war es am Parfümeur zu seufzen, "ich bin immer distanziert und kühl geworden, wenn ich gespürt habe, dass jemand sich für mich interessiert. Und dann hatte ich für die Unbelehrbaren auch eine Spezialmischung zur Abschreckung." "Wie denn, noch ein Zaubermittel?", solch rabiate Gegenwehr hätte er Joao nicht zugetraut. Der zuckte mit den Schultern, "bloß eine spezielle Mischung, die brennt und erbärmlich stinkt. Rein in die Sprühdose, und fort sind alle Verehrer!" Neben ihm lupfte der Polizist eine Augenbraue. Das klang erstaunlich militant für den zierlichen Mann an seiner Seite. Unerwartet für ihn setzte sich Joao auf, blickte auf ihn herunter. "Aber das ist vorbei. Jetzt bin ich stark!", versicherte er und bleckte unwillkürlich die Zähne, "ich werde ein neues Leben anfangen!" Lächelnd bot er Stuart das Profil, "vielleicht ist es ganz gut so, dass ich keine Wohnung, keinen Job und keinen Ruf mehr habe. Pleite, aber glücklich." Zwinkerte er leichthin, "jetzt zähle nur ich selbst." "Du HAST eine Wohnung und bist auch nicht mittellos!", korrigierte Stuart streng, angelte sich Joao heran, um ihn fest auf sich zu ziehen, "was mein ist, ist auch dein, verstanden?!" Über ihm kicherte der Japaner frech, "klingt verdächtig nach einem Antrag!" "Hatte ich den nicht schon mal gemacht?", konterte Stuart grummelnd, um die dunkelgrünen Augen ins Visier zu nehmen. "Das ist mein voller Ernst", versicherte er leise. "Ich weiß", raunte Joao zärtlich zurück, streichelte mit den Fingerspitzen über das markante Gesicht des Australiers. "Aber ein 'wir' muss auf zwei starken Beinen stehen", gab er zu bedenken und hinderte mit einem gebieterischen Finger die Gegenrede an ihrer Quelle, "ich werde dir beweisen, dass ich wirklich stark bin. Ich werde dir ein ebenbürtiger Partner sein." Das klang derart entschlossen und selbstbewusst, dass Stuart blinzelte, sich fragte, ob er den Japaner vielleicht unwissentlich gekränkt hatte mit seinem Angebot. "Hör mal", setzte er unsicher an, "wenn ich da was Falsches gesagt habe..." Über ihm runzelte Joao die Stirn, "wie meinst du das?" »Weia!«, konstatierte Stuarts innere Stimme augenrollend, »Kommunikation für Anfänger!« In der Tat, das Miteinanderreden mussten sie wirklich noch lernen! "Ich halte dich nicht für schwächer", tapfer wagte sich Stuart an den zweiten Anlauf und hoffte, dass er seine Gedanken auch so formulierte, wie sie durch seinen Kopf gingen, "ich will nur nicht, dass du meinst, du müsstest alles allein schaffen!" Joaos Nase krauste sich. "Ich meine damit", hastig ruderte Stuart gegen kommunikative Untiefen an, "ich möchte dir helfen! Schließ mich nicht aus, lass mich etwas tun!" "Hast du Angst, ich würde dich nicht brauchen?" Wie konnte Joao bloß so ansatzlos ins Schwarze treffen?! Der Australier spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, trotz der mittäglichen Hitze. Er seufzte laut und verdammte seinen panischen Herzschlag. Melancholie überkam ihn wie eine unerwartete Schlechtwetterwolke am strahlenden Himmel. "Ich weiß, dass wir beide auch alleine klarkommen", antwortete er bedächtig, studierte das große Augenpaar in dem herzförmigen Gesicht über ihm, "aber Klarkommen ist ja nicht alles, oder?" Der Parfümeur schwieg, betrachtete Stuart so eingehend, dass dem schwindelig vor Ungewissheit wurde. Andererseits, früher oder später hätte Joao doch ohnehin erkannt, dass er sich endlich freigeschwommen hatte, seine Vergangenheit abgestreift und jetzt vollkommen frei darin war, ein anderes Leben zu führen! Suchend blickte er in das blasse Gesicht, das plötzlich versteinerte, ausdruckslos wurde. Bevor er hastig etwas sagen konnte, hatte sich Joao gewaltsam von ihm losgerissen, war taumelnd auf die Beine gekommen und einige Schritte in die pralle Sonne gestolpert, wo er bebend mit beiden Oberarmen seinen Leib zu umklammern versuchte. Auch Stuart schraubte sich hoch, durchaus erschrocken über die Verwandlung. Als wäre jedes Fünkchen Leben aus dem attraktiven Mann gesaugt worden! Ohne Gegenwehr ließ sich Joao einfangen, dann wickelte sich der Polizist wie eine Schutzwehr um ihn, schirmte ihn ab. Starr und steif verharrte der Japaner in der Umarmung. "Alles wird gut!", raunte Stuart beschwörend, angestrengt bemüht, die Ursache für diese Reaktion auszuloten. Wortwahl, Gestik,missverständliche Botschaften? Joao presste das Gesicht auf seine Brust, grub die Finger ins Fleisch. "...komisch", flüsterte er tonlos, "mir ist gerade erst aufgefallen, wie unerträglich es ohne dich wäre." Hatte das etwa den Schockzustand ausgelöst? "Ich bin hier!", beruhigte Stuart eindringlich, "ich lasse dich nicht allein! Wir gehören zusammen." "...beängstigend..." Er hatte Mühe, die Stimme des Japaners zu hören, da der sich förmlich gegen seinen Leib presste, inzwischen den T-Shirt-Stoff mit einem heftigen Griff malträtierte. "...dieses Gefühl ist so... überwältigend..." "Ich weiß", murmelte er beruhigend, "ich weiß ganz genau, was du meinst." Wenn einem ohne Vorankündigung das Herz stehen blieb, der ganze Körper von Eisschauern erschüttert wurde, man einen Tunnelblick bekam und glaubte, nie wieder einen Atemzug tun zu können. Liebe hatte wirklich wenig mit ihrer romantischen Vorstellung gemein. "Schätze", krächzte er heiser und kraulte mit einer Hand die winzigen Löckchen auf Joaos Hinterkopf, "wir müssen es miteinander aushalten. Scheint ja so, als gehörten wir einfach zusammen." "Hast du keine Angst?", hörte er Joao, bevor der das Kinn in seine Brust bohrte, zu ihm aufsah. »Herrje!«, dachte Stuart hilflos, »solche Gespräche habe ich noch nie geführt!« Auch wenn er langsam ein gewisses Gespür dafür entwickelte, was Joao ausdrücken wollte. "Schon", gestand er ein, zog eine klägliche Grimasse, "aber es nicht zu tun", er holte tief Luft, "DAS wäre nicht auszuhalten." Langsam zeichnete sich ein Lächeln auf Joaos Zügen ab, schlich sich ein wie ein Dieb. "Stimmt", pflichtete er dem Polizisten ermuntert bei. "Dann", der konnte es nicht lassen, musste reizen, die Grenzen ausloten, "nimmst du an?" Joao lachte, herzlich, frei heraus und sehr amüsiert. Ein Anblick, der Stuart den Atem raubte, ihn stumm staunen ließ, weil er nicht glauben konnte, mit welcher Intensität er Joao in diesem Augenblick liebte. "Ja", nickte der Japaner recht kontinental, "JA! Unbedingt und uneingeschränkt ja!" Da nutzte Stuart seine Position aus, rettete sich aus der tiefen Demut über dieses unendliche Glück, Joao begegnet zu sein, ihn lieben zu dürfen: er hielt ihn gut fest, um sich wild im Kreis zu drehen, ihn wie auf einem Karussell zu schwenken! Bald schon quietschte Joao vor Vergnügen, lachte noch mehr. Die lähmende Spannung der Angst und Ungewissheit, der Selbstzweifel und Erkenntnis der eigenen Schwäche fiel von ihnen ab. Den Parfümeur wie eine Jagdbeute über die breite Schulter gelegt steuerte Stuart ihren Picknickplatz unter dem Sonnensegel wieder an, ging bedächtig in die Knie, um seinen wertvollen Schatz fürsorglich abzulegen. Der zog ihn energisch am T-Shirt, wollte sich nicht allein ausgestreckt am Boden finden. Stuart jedoch hatte andere Pläne, nun, da er endlich in den Genuss gekommen war, Joao lachen zu sehen und zu hören. Mit spitzen Fingern stippte er mal hier, mal da in das Leinenhemd, suchte die kitzeligen Körperpartien seines Liebsten. Naturgemäß zog das Protest und eine Gegenattacke nach sich, die beiden rangen spielerisch miteinander, wer schneller auszuweichen vermochte und gleichzeitig die bessere Kitzelattacke aufwarten konnte. Atemlos von Kichern und Kreischen sackten sie einträchtig nebeneinander auf die arg zerknitterte Picknickdecke, schoben verschwörerisch die Finger ineinander, um abwechselnd auf die Verbindung einen kurzen Druck auszuüben. Synchron wandten sie den Kopf zur Seite, um in das jeweilige andere Augenpaar zu blinzeln, dann lächelte Joao, rollte sich auf die Seite, um sich den gewohnten Ruheplatz auf Stuarts Brustkorb zu sichern. Der legte den Arm um die schmalen Schultern, umfasste mit der anderen Hand vorsichtig die elegante, die auf seinem Bauch ruhte, hob sie an die Lippen, um einen Kuss in den Handteller zu platzieren und dann die schlanken Finger darum zu biegen. Joao gab ein leises Geräusch von sich, das eine verführerische Melange aus Lachen und Schnurren war. Stuart lächelte beseelt vor sich hin und schloss die Augen. Das Leben war schön. +#~#+ Kapitel 7 - Heimathafen Nach einer gemütlichen Siesta war das Mittagessen restlos verdaut und sie beschlossen, sich ein wenig die Füße zu vertreten. Gemeinsam bauten sie das Sonnensegel ab, sammelten ihre Utensilien ein und spazierten gemächlich, Hand in Hand, am Ufer entlang, bis Stuart einen Pfad einschlug, der sie wieder durch die Felder führte. Obwohl es sehr warm war, strich der Wind sanft über ihre Kleidung und sorgte dafür, dass man die Atmosphäre keineswegs als drückend empfand. Über den Feldern schwebte in einiger Entfernung ein gewaltiger Wasserturm neben einer imposanten Scheune. Augenblicklich lagerte nicht viel hier, der Hafer für das Vieh wurde, wie Stuart erklärte, in einer anderen Silage aufbewahrt. Es roch im Inneren der Scheune eindeutig nach trocknenden Gräsern, durchaus angenehm, wie Joao empfand. In einer freien Ecke des festgestampften Lehmbodens deponierten sie ihre Picknickhabseligkeiten, dann lud der Polizist zu einer 'Kraxltour' auf den Wasserturm ein. Eine sorgsam gepflegte Steigleiter in einer mit großen Stahlringen umschlossenen Röhre führte bis auf die oberste Plattform des Wasserturms. Hintereinander arbeiteten sie sich Holm für Holm bis hinauf, atmeten dann erleichtert auf. Sie befanden sich ungefähr 30m über dem Boden, eine durchaus beeindruckende Höhe, doch lieber konzentrierte sich der Blick auf die Ferne, zur Sicherheit den Handlauf umklammert. Stuart deutete mit der freien Hand in die jeweilige Richtung und erklärte, was man erkennen konnte, welches Gebäude zu welcher Farm gehörte, wo von hier aus Perth lag und ergänzte, dass ihr Wasserturm, der das Regenwasser sammelte, der größte in der Gegend war, alles dem Weizenanbau geschuldet, der aufwändiger Pflege bedurfte. Nun aber, da sie auf Hafer umgestiegen waren und die Viehhaltung eingeschränkt hatten, konnte man mit dem Wasservorrat dafür sorgen, dass Bäume und Sträucher die ersten kritischen Jahre nach dem Einpflanzen überstanden, natürliche Hindernisse für die Erosion bildeten und halfen, die drohende Versalzung der Böden abzuwenden. Vorsichtig begaben sie sich wieder an den Abstieg. Joao lachte erleichtert auf, als er wieder den Boden unter den Füßen hatte. So schön die Aussicht gewesen war, er hatte doch insgeheim gefürchtet, durch Unachtsamkeit von einer Sprosse abstürzen zu können. Gemeinsam kehrten sie in die Scheune zurück, allerdings hatte Stuart noch längst nicht den Rückweg zur Farm ins Auge gefasst, schließlich brach gerade erst der Spätnachmittag an! Er legte sich die Decke über die Schulter, nahm Joaos Hand und dirigierte ihn auf einen der Heuböden der obersten Etage. Durch eine Luke konnte man auf die wogenden Felder sehen. Auf dem mächtigen Holzbalken rollte er die Decke aus, ließ sich auf ihr nieder, blickte zu Joao auf, der vor ihm stand, noch immer an der Hand gehalten. Auch ohne Worte konnte er Stuarts Absicht entschlüsseln: hier waren sie ungestört und es war nicht nötig, sich zurückzuhalten. Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Parfümeurs, als er sich graziös auf den Oberschenkeln des Australiers einrichtete, die Arme um dessen Nacken schlang und aus nächster Nähe in die blitzblauen Augen sah, schmunzelte, als Stuart Eskimoküsse initiierte, genüsslich seufzte, weil die kraftvollen, großen Hände unter dem lockeren Leinenhemd über seinen Oberkörper strichen. Stuart dagegen liebte die zarte Haut, die schamhaft errötenden Brustwarzen, das geschmeidige Winden und Wenden des Japaners, der sich seinen Liebkosungen auslieferte, ihn im Gegenzug leidenschaftlich küsste. Mochte Joao sich auch sonst als unerfahren einstufen, auf diesem Gebiet erkannte ihm Stuart wahre Meisterschaft zu. Er jedenfalls konnte nicht genug bekommen von den wilden Zärtlichkeiten, wollte noch mehr schmecken, noch mehr kosten, riechen, fühlen, streicheln, festhalten! Der Hunger schien sich niemals ganz stillen zu lassen. Blind vor Lust und keuchend beschäftigte er eine Hand damit, Hosen zu öffnen, zu lockern, dann in die Hand zu nehmen, was sich magisch anzog. Glühend heiß muteten ihn ihre Genitalien an, förmlich berstend von der Lust, die sie hervorgerufen hatten. Joao bog sich in seinen Armen, bot ihm die Kehle an, die rosig-alerten Brustwarzen, das zerbrechlich zarte Schlüsselbein. Jede Geste eine Versuchung, der man simpel erliegen musste! Sie fanden den gemeinsamen, IHREN treibenden Rhythmus, steigerten sich fiebrig bis zum orgiastischen Crescendo, das sich in einem feuchten Feuerwerk entlud. Aneinander gelehnt, umschlungen, keuchten sie unisono, zwinkerten ermattet, bevor sich ein verschwörerisches Grinsen in ihre Züge stahl. "Davon habe ich geträumt", raunte Joao im Schutz ihrer Umarmung, leckte über Stuarts Ohrläppchen und schmiegte das Gesicht in dessen Halsbeuge. "Da bist du nicht allein", murmelte der Australier, dirigierte eine schmale Schulter in Kussreichweite. Joao zu lieben versetzte ihn jedes Mal in einen regelrechten Rausch und erfüllte ihn danach mit Dankbarkeit und Demut, dass es Joao gab, dass sie einander begegnet waren, dass er dessen Nähe suchen, sein Leben teilen durfte. Dass Joao seine Gefühle erwiderte. "Ich liebe dich", hauchte er sanft in eine geneigte Ohrmuschel. Es spielte keine Rolle, ob er ebenfalls eine Antwort erhielt, ihre Taten sprachen für sich. +#~#+ In besonders friedlicher Stimmung kehrten Joao und Stuart mit Einbruch der Dämmerung auf die Farm zurück, wo Gussie und Glenn bereits eingetroffen waren und die gesamte Familie O'Neil eifrig die Vorkehrungen für einen gemütlichen Grillabend traf. Stuart wusste, dass Joao am ganzen Leib Spuren seiner glühenden Liebe trug, zum Teil sehr sichtbar. Sein Herz hüpfte und flatterte vor Freude, wenn er sich daran erinnerte, dass er selbst ebenfalls gefleckt war, da Joao mit gleicher Münze heimzahlte! Andererseits war falsche Scham nicht angebracht. JEDER wusste, dass sie nicht bloß eine besonders innige Freundschaft pflegten. Glenn rieb sich nachdenklich das Kinn und schlug seinem älteren Bruder dann gratulierend auf die Schulter, wie gewohnt ohne große Worte. Es war das erste Mal, dass er seinen Bruder dabei beobachten konnte, wie der ein Lächeln inneren Friedens kultivierte, frei von der gewohnten aufgeladenen Anspannung war. Ein Teil des stets unter der Oberfläche lauernden Drucks schien sich gelöst zu haben. Gussie dagegen, Glenns Frau, konzentrierte sich auf Joaos Haare, die bösartige Unmenschen grausamer Weise auf einen winzigen Rest zusammengestutzt hatten! Im kompletten Gegensatz zu ihrem Mann konnte sie munter drauflos plaudern und frönte dieser Kunst mit Begeisterung. In kürzester Zeit hatte sie Joao sämtliche Auslandsstationen seiner schulischen und beruflichen Karriere entlockt und kannte jede seiner Parfümkreationen. Sie wollte alles über Tokio erfahren, was man dort gerade trug und welche Musik aktuell populär war. Aus dem Mund einer Frau, die zumeist Arbeitsoveralls trug und noch nie ihren Heimatkontinent verlassen hatte, durchaus ein kurioses Interesse, doch Gussie liebte die technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts und lauschte ständig dem Internetradio mit den unzähligen Sendern rund um den Globus. Die Zeit verging wie im Flug, und Stuart bemerkte erfreut, dass Joao nicht mehr so reserviert war, sondern sich offenkundig integriert fühlte. Dass seine neue Familie ihn vom ersten Augenblick an adoptiert hatte, verstärkte die zarte Bindung noch. Gegen Mitternacht verabschiedeten sich Glenn und Gussie, selbstredend nicht, ohne eine Einladung ausgesprochen zu haben, unbedingt bald mal zu Besuch zu kommen. Geübt verstauten die O'Neils anschließend die Grillutensilien, packten die Reste, die man den Gs nicht hatte mitgeben können, in den Kühlschrank und bevölkerten nacheinander das Badezimmer, um sich zur Ruhe zu begeben. Nur Nana wartete, zupfte Joao am Ärmel und zerrte ihren Enkel am Saum hinter sich her. Neugierig ließen die beiden sich die heimlichtuerische Order gefallen und folgten Nana in die Garage. Dort öffnete sie eine der zahlreichen kleinen Schubladen ihres Werkzeugschranks und entnahm ihr eine kleine Schachtel. Darin befanden sich winzige Goldnuggets, die man mit einer Öse versehen hatte, damit sie an einer Kette getragen werden konnten. "Hier", an jedem Hemdausschnitt wurde gezogen, damit der Träger sich tief genug beugte, um ein Überstreifen des Geschenks zu ermöglichen. Sehr zufrieden mit sich rieb die alte Frau ihre Handflächen aneinander, "fein! Dachte schon, die Dinger müssten hier vermodern!" Sie kniff Stuart in eine Pobacke, "weil du dir so viel Zeit gelassen hast." "Aber Nana!", protestierte der Polizist, doch ein Zungenschnalzen schnitt ihm das Wort ab, "keine Widerrede! Das ist von meinem Digger und mir für euch Jungs. Auch wenn die Zeiten mal nicht so rosig sind und ihr euch am Liebsten vermöbeln würdet: bleibt zusammen und redet miteinander." "Vvv-Vielen Dank", stotterte Joao dunkelrot vor Verlegenheit. Nana lächelte, ihre kleinen Zähne blitzten auf. "Er hat sich verflixt viel Zeit damit gelassen, den Richtigen zu finden", sie streichelte Joao über die Wange, "aber ich muss sagen, dass ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis bin." Der Japaner wirkte, als würde er gleich vor Scham in Ohnmacht fallen, deshalb sicherte Stuart vorsorglich die schmale Taille, um Stürzen vorzubeugen. "Du bringst ihn in Verlegenheit!", schnaubte er Nana an, "außerdem waren wir beide ziemlich beschäftigt!" "Schnickschnack!", winkte sie kategorisch ab, "seht zu, dass ihr in die Falle kommt. Morgen fliegen wir ne Runde!" +#~#+ Nana hielt nicht viel von Langschläfern. Aus diesem Grund war es auch kaum verwunderlich, dass sie ein zeitiges Frühstück ansetzte, herrisch an Zimmertüren pochte und darauf bestand, dass alle anderen auch in Form waren, ihrem Rhythmus zu folgen. Nach einer gemeinsamen, erotischen Dusche ließen sich Joao und Stuart allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Durchaus erstaunlich für sie beide kamen sie gut mit der Gegenwart des anderen zurecht. Sie fühlten sich weder erstickt, noch eingeengt, belagert oder in eine Ecke getrieben, zur Höflichkeit und Selbstkontrolle gezwungen, um den Partner nicht durch einen Gefühlsausbruch zu verletzen. "Habt ihr was zu trinken? Halsbonbons? Sonnenbrillen?", Nana kontrollierte die beiden jungen Männer streng, bevor sie den Zutritt zum kleinen Reiseflugzeug gestattete. Serienmäßig war die einmotorige Cessna für sechs Passagiere vorgesehen, dazu noch Stauraum für Gepäck. »Das perfekte Familienflugzeug«, hatte Nana damals entschieden und hielt ihr geliebtes Fortbewegungsmittel seit fast 30 Jahren in Bombenschuss. Stuart hatte sich neben Joao eingenistet, half ihm dabei, die Kommunikationseinrichtungen aufzusetzen und in Betrieb zu nehmen. Es war einfach angenehmer auf diese Weise, als gegen den Motor anzubrüllen. Mit routinierter Leichtigkeit ließ Nana das kleine Reiseflugzeug den geteerten Zufahrtsweg entlang rollen, gab geübt Gas, um schließlich mühelos den Boden unter den Rädern zu verlieren. Der Polizist hielt die Hand des Japaners, denn diese Art von Fliegen hatte nichts mit den großen Passagierflugzeugen gemein. Hier spürte man den Wind, die Erschütterungen, die Kraft des Motors. Nana setzte zu einer gemächlichen Kurve über die Farm an, wackelte mit den Flügeln, damit auch Poppa und Vic etwas geboten wurde, die vor der Garage standen und winkten. Joao atmete hörbar aus. "Na, gefällt's dir?", Nana war sichtlich stolz. "Überwältigend", murmelte der Parfümeur, klebte an dem kleinen Fenster und studierte die Welt aus der Vogelperspektive. "Als nächstes nehme ich dich dann auf dem Ultraleichthubschrauber mit", neckte ihn Stuart. "...wirklich?", klang es recht gepresst aus dem Kopfhörer, was ihn zu einem amüsierten Lachen reizte. Er drückte Joaos Hand ermutigend, lächelte in das ein wenig käsig wirkende Gesicht. In einigen Augenblicken, wenn sie über dem Avon waren, die Sonne sie blendete, dann würde Joao zweifellos seine Beklommenheit vergessen, einfach fasziniert sein. Zumindest bis zur Landung. +#~#+ Am frühen Nachmittag, nach einer kurzen Siesta in einer Hängematte hinter der Garage, packten sie Stuarts Auto voll. Eigentlich hätte es sich nur um ihr Gepäck handeln dürfen, doch wie überall auf der Welt ließen die weiblichen Haushaltsangehörigen nicht zu, dass die beiden jungen Männer ohne diverse Kunststoffbehälter mit abgepackten Nahrungsmitteln in die große, feindliche, mutmaßlich unterversorgte Welt aufbrachen. Stuart seufzte geplagt und kämpfte mit der Kühlbox, die bis zum Bersten mit Ingwerlimonade aus eigener Herstellung gefüllt war. "Warte, du musst noch eine zweite Garnitur Bettwäsche mitnehmen!", seine Mutter stand Nana in Fürsorglichkeit nicht nach, "damit du auch was zu wechseln hast, Stu! Und zieh nicht diese Grimasse, ich habe Augen im Hinterkopf!" Es ließ sich wirklich einfacher an, die beiden Frauen gewähren zu lassen. Poppa klopfte seinem ältesten Sohn verstohlen auf den Rücken, um ihm Mut zu machen: die Tyrannei hielt nicht ewig an, und als kluger Mann wartete man simpel ab, bis sich der Sturm gelegt hatte. Joao stand ein wenig abseits, betrachtete die Farm und bemerkte nicht, dass das 'Haustier' der O'Neils die Hitze der Verandabretter genießen wollte. Unversehens trat der Japaner einen Schritt zurück, stolperte über das schuppige Hindernis und landete unsanft auf den mächtigen Bohlen. Dundee ließ ein dumpfes Kollern hören. Vor Schreck konnte Joao keinen Muskel mehr rühren, die Beine vom Rumpf der Echse ziehen oder aufstehen. "Können wir bitte endlich los?", quengelte Stuart gerade wider besseres Wissen, "Joao, hilf mir mal hier!" Da bemerkte er den völlig verängstigten Freund und Dundee, der seine gewaltigen Kiefer aufgesperrt hatte und Joao Einblick bis zur Schwanzspitze mindestens bot. "Lass das, du alter Schlingel", schnaubte er das Krokodil an, griff über den schuppigen Schädel, um Dundee zwischen den Augen zu kraulen. An einigen Punkten, das hatte er bereits als Kind gelernt, waren Echsen sehr empfindlich und die Reize lösten eine Art Ruhetrance aus. Dundee, der alte Genießer, sein Leben lang an Menschen gewöhnt, ließ sich gern kraulen. "Keine Angst", Stuart streckte Joao die freie Hand hin, "Dundee tut dir nichts. Er sitzt manchmal stundenlang hier herum und fängt Fliegen mit offener Klappe." Joao rührte sich keinen Millimeter, starrte noch immer schockiert auf das urzeitliche Geschöpf. "Na komm!", Stuart ging vor ihm in die Hocke, schob die Arme unter Joaos Achseln und stellte ihn schwungvoll im Aufstehen auf die Beine, "lass uns fahren, ja?" Unter dem Eindruck der gewaltigen Krokodilschnauze wäre Joao ihm auch barfuß auf den Mond gefolgt. Gewohnt lakonisch-herzlich verabschiedete sich der Polizist von seiner Familie, verfolgte amüsiert, wie die weiblichen Haushaltsangehörigen Joao tröstend über den gestutzten Schopf strichen, ihm versicherten, er sei jederzeit willkommen und solle sich bloß nicht von Stuart ärgern lassen! Poppa verzichtete auf gute Ratschläge oder Reden, er schüttelte dem Japaner einfach gutmütig die Hand. Dann durften sie schließlich doch langsam die Ausfahrt entlang zur Hauptstraße rollen. "Tja, jetzt geht's los", verkündete Stuart, lächelte Joao an. Es fühlte sich so spannend an wie der Beginn eines großen Abenteuers. +#~#+ Stuart stöhnte gequält, als der Wecker mit einem enervierenden Alarmton darauf aufmerksam machte, dass die Arbeit rief, ihn daran erinnerte, dass er nicht sonderlich viel Schlaf verbucht hatte. Neben ihm seufzte Joao im Schlaf, drehte sich auf die Seite. Der Polizist gönnte sich den Luxus, seinen Gefährten schweigend zu betrachten, umzingelt von Gepäck und zahlreichen Mitbringseln, in seinem recht schmalen Bett, splitternackt und völlig entspannt. Er wusste, dass sein Appartement für zwei Männer, auch wenn sie es gewohnt waren, ihre Zeit zumeist außerhalb zu verbringen, sich definitiv zu beengt ausnahm. Außerdem, das hoffte er mit klopfendem Herz, würde er sehr viel mehr Zeit zu Hause verbringen als vorher. "Wir brauchen ein anderes Bett", stellte er halblaut fest. Das einfache Gestell schien jedenfalls der Belastung nicht längerfristig gewachsen. Vorsichtig wickelte er sich aus seiner Decke und kletterte behutsam über Joao hinweg. Er tappte in die kleine Nasszelle, duschte sich, entschied sich geistesgegenwärtig für eine Nassrasur, um keinen Lärm zu machen und trocknete sich flink ab. Anziehen und ein kleines Frühstück, das stand normalerweise auf dem Plan, wobei er ja gewöhnlich auf niemanden Rücksicht nehmen musste. Heute Morgen tappte er auf dem engen Raum jedoch auf den Zehenspitzen umher, kleidete sich an und studierte ratlos die erheblichen Nahrungsmittelberge, die sich dank der Familie auftürmten. Er hätte gern mit Joao gefrühstückt, andererseits war es äußerst unfair, seinen Freund deshalb aus dem Schlaf zu reißen, wo der sich den ganzen Tag über allein hier aufhalten musste! Stuart staunte über sich selbst, denn SO VIELE Gedanken hatte er sich vorher noch nie gemacht. Allerdings gab es auch wenig Gelegenheiten dazu, denn üblicherweise lud er sich keine Gäste über Nacht ein. Möglichst lautlos erhitzte er Wasser für einen Pulverkaffee, öffnete Vorratsdosen und sortierte sich ein Gabelfrühstück zusammen. Er stellte sich ans Fenster, betrachtete die erwachende Stadt und schmauste zufrieden vor sich hin. Es fuchste ihn zwar, dass er Joaos ersten Tag in Perth nicht persönlich betreuen konnte, doch die Zeichen standen gut dafür, dass sie lange Zeit miteinander hier verbringen würden. Was machte da schon ein Tag aus? Schließlich war ja nicht die Dauer, sondern die Intensität entscheidend, oder? Als er sich die Zähne putzte, drang das Geräusch des laufenden Wassers auch zu Joao durch, der sich noch schlaftrunken und verwirrt aufsetzte, erst einmal Revue passieren lassen musste, wie er an diesen Ort gekommen war. "Stu?", erkundigte er sich heiser, blinzelte. "Oh, guten Morgen", der Polizist lächelte, "entschuldige, ich habe mich wirklich bemüht, dich nicht zu wecken." "Du musst zur Arbeit? Wie spät ist es?!", bestürzt wollte sich Joao auch aus dem schmalen Bett erheben, verwickelte sich allerdings in der anhänglichen Decke und wäre beinahe in die Kisten gestürzt, wenn Stuart nicht vorausschauend zugegriffen und ihn abgefischt hätte. "Langsam!", lachte er leise, "bin zwar geschmeichelt, wenn du SO einen Einsatz zeigst, aber leg dich ruhig noch ein wenig aufs Ohr, ja?" "Ich kann doch nicht hier faul herumliegen!", protestierte Joao, zupfte eilig Stuarts Hemd zurecht, in das er sich instinktiv geklammert hatte, "mein neues Leben fängt gerade an!" "Schon", gestand ihm Stuart zu, küsste ihn zärtlich auf die Stirn, "aber die Nacht war kurz, und die Ärztin sagte ausdrücklich, dass du dich erst erholen musst!" "Ich BIN fit", murmelte Joao, konnte aber nicht verhehlen, dass der überstürzte Start in den Tag seinem Kreislauf gar nicht gefiel. Stuart umarmte ihn, wiegte sie beide leise summend. Es war natürlich ein wenig unvorsichtig gewesen, nach dem Ausladen und Gepäckverstauen noch miteinander zu schlafen, obwohl es recht spät beziehungsweise früh war, doch darauf verzichten? Wo die Atmosphäre zwischen ihnen so aufgeladen geknistert hatte? Unmöglich. "Hör mal", neigte er sich herunter an ein Ohr, "heute ist noch ein Urlaubstag für dich, ja? Schlaf noch ein wenig, dann frühstückst du in aller Ruhe und tust nur, was du magst. Heute Abend essen wir dann zusammen und schmieden Pläne, in Ordnung?" Joao seufzte, vermisste plötzlich die nackte, für ihn so angenehm behaarte Brust, die jetzt fern unter dem Stoff verborgen war, "einverstanden." "Sehr schön", grinste der Polizist, fasste Joao ohne Vorankündigung unter und platzierte ihn wie eine Prinzessin von seinen Armen wieder auf das Bett, sortierte die Decken und stopfte sie sorgsam um Joao fest. Für einen langen Augenblick lächelten sie sich verhalten an, widerstanden der Versuchung. "Bis heute Abend", murmelte Stuart schließlich, küsste Joao zärtlich auf die Lippen. "Hab einen schönen Tag", antwortete der leise, folgte ihm mit den Augen, bis der Polizist die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte. Er zweifelte daran, noch einmal einschlafen zu können, doch sein Körper belehrte ihn eines Besseren. +#~#+ Stuarts erster Gang nach dem großen Hallo seiner Kollegen führte ihn an der gloriosen Gloria vorbei zum Polizeipräsidenten. War es wirklich kaum mehr als einen Monat her, dass er hier gesessen, der schnoddrigen Rede über den Zweck des Informationsaustausches gelauscht hatte? "Mann, Mann, Mann, O'Neil!", das gelbe Pferdegebiss schloss sich um die unvermeidliche Pfeife, "da schicke ich Sie los, um ein bisschen Reklame für uns zu machen, DAMIT die diplomatische Vereisung abgetaut wird, und was machen Sie?!" Abwarten und schweigen. Im Augenblick zumindest. "Kumpel!", das Mundstück der Pfeife wurde auf Stuart gerichtet, "für diese Aktion sollte ich verdammtes Schmerzensgeld verlangen! Täglich jammerten diese schmierigen Heulbojen von Außenministerium mir die Ohren voll! Wollten mich rausschmeißen, weil ich angeblich nen notorischen Terroristen nach Japan geschickt habe!" Er feixte, "konnte mir nicht verkneifen, ihnen zu sagen, dass die ja gerade nen Nachkommen von Buschräubern, Halsabschneidern und Halunken erwartet haben." Die Pfeife wurde abgelegt, und der Polizeipräsident richtete sich in seinem gewaltigen Drehstuhl auf, "Kumpel, jetzt sagen Sie mir mal die Wahrheit: die haben Sie kaltgestellt, oder? Da haben Sie sich selbst schlau gemacht und den Duft-Knaben allein aufgestöbert! Verflixt hübscher Bengel übrigens." Ein wenig gequält nickte Stuart. "AHA!", zufrieden schmauchte der ältere Mann wieder, lehnte sich bequem zurück, "wusste doch, dass wir die besten Spürnasen haben! Auch wenn wir von Buschräubern und Halsabschneidern abstammen!" Dazu gab es nichts zu erwidern, befand Stuart. Er hätte zweifellos ohne Joaos anonyme Freunde nicht so schnell Erfolg gehabt, doch das ging niemanden etwas an. Der Polizeipräsident musterte ihn eingehend, "nehme mal an, dass Sie den Pseudo-Terroristen persönlich betreuen, richtig?" DAS war eine nette Umschreibung... "Stimmt", Stuart hatte nicht die Absicht etwas zu verheimlichen, wenn ohnehin jeder die richtigen Schlüsse zog. "Bisschen klein, Ihre Bude, für zwei, oder?", die Pfeife erlitt erneut eine Verbannung, während eifrig im Schreibtisch gewühlt wurde, "habe da was für Sie. Muss mich ja ein bisschen für den Spaß bedanken." Ein boshaftes Grinsen bleckte das gelbe Pferdegebiss bis zum letzten Backenzahn, "war richtig amüsant, wie das Diplomatengesocks sich gekrümmt hat, erst Gebrüll, dann plötzlich Jubel, weil Sie so ein Menschheitsfreund sind." Stuart lupfte sparsam eine Augenbraue. Zwar verdankte er der letzten 'Gefälligkeit' seines obersten Vorgesetzten das unglaubliche Glück, Joao begegnet zu sein, aber trotzdem hegte er gewisse Befürchtungen. "DA isses doch!", fischte der eine bunte Karte heraus, stieß sie über die blanke Schreibtischplatte zu Stuart hinüber, "N Kumpel von mir. Fahren Sie gegen Neun vorbei, werden schon erwartet." "...danke?", verwirrt studierte der Polizist die Aufschrift, eine Adresse in Freemantle, der Hafenstadt bei Perth. "Gut, dann mal ran an die Arbeit, nicht wahr?", der Polizeipräsident verschwand hinter dichten Rauchwolken, die Audienz war beendet. +#~#+ Joao wachte zum zweiten Mal an diesem Tag am späten Vormittag auf, streckte und räkelte sich. Im Gebäude war es recht still, und auch der Verkehr der Straße drang nur gedämpft hinauf. Gemächlicher als am Morgen kletterte er aus dem Bett, sortierte die Bettwäsche und blickte sich um. Tatsächlich, ein wenig beklemmend war es schon, doch das lag sicherlich an den vielen Mitbringseln, die sie noch nicht abschließend verstaut hatten! Er holte sich Leibwäsche, eine Stoffhose und ein weites Hemd mit Rüschenbesatz aus seiner Reisetasche, duschte dann und betrachtete sein mageres Erscheinungsbild im Spiegel. Wirklich, ohne die Korkenziehermähne sah er ungesund dürr aus! "Kaschieren wir eben!", sprach er sich selbst Mut zu. Ein herzhaftes Frühstück konnte ja schon Einiges dazu beitragen, sein verheerendes Äußeres zu verbessern! Anschließend, nachdem er artig das benutzte Geschirr gereinigt hatte, suchte er sich einen Hut und eine Sonnenbrille heraus, verstaute etwas Geld, das ihm Stuart aufgedrängt hatte. Keineswegs wollte er den Tag allein im Appartement verbringen, schlimmstenfalls noch von der Glotze gehütet! Er packte sich in seinen Rucksack noch etwas Verpflegung und nahm den Ersatzschlüssel an sich. Wenn man mehr als einmal im Ausland allein gelebt hatte, dann fand man sich auch allein zurecht! Auf der Straße sah er sich um und spazierte dann gemächlich los. Es war warm, doch eine angenehme Brise sorgte dafür, dass man gut vorankam, auch wenn Joao nicht beabsichtigte, gleich am ersten Tag in Erfahrung zu bringen, was notwendig war, um hier arbeiten zu dürfen. Außerdem wäre dann ja noch die nicht unwesentliche Frage zu stellen, wie er seine Berufserfahrung und die Abschlüsse vermarkten könnte. Wenigstens beherrschte er die Sprache, das sollte doch ein Vorteil sein! Joao folgte einfach seiner Neugierde, sah sich wissbegierig um, prägte sich den Rückweg gut ein. In einem kleinen Laden für Touristen erwarb er einen Stadtplan und suchte sich dann in einem Park eine Sitzgelegenheit, um ausgiebig die Möglichkeiten zu studieren. Er war überrascht festzustellen, dass Perth eigentlich aus verschiedenen Gemeinden bestand, die sich zu einem Großraum zusammengeschlossen hatten, dass es einen kostenfreien Bustransport gab, den er nutzen konnte, um seinen Aktionsradius zu vergrößern. Deshalb entschloss sich Joao, zum Tourist zu werden und seine neue Heimat zu erkunden. +#~#+ Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit ließ Stuart pünktlich den sprichwörtlichen Hammer fallen und flitzte nach Hause. Er hatte genug davon, jedem die beschönigte Version davon zu berichten, was sich in Japan ereignet hatte. Als er atemlos in sein Appartement stürzte, fand er es zu seiner völligen Verblüffung verlassen vor. Wo war Joao?! Eingedenk der Verabredung, die ihm aufgenötigt worden war, verschob er seine Bedenken und tauchte in der Dusche ab, wechselte in Jeans und Polo-Shirt. Was auch immer ihn erwarten würde, das schien formal genug zu sein. Leicht beunruhigt stellte er einen kleinen Imbiss zusammen, kramte sogar Kerzen heraus, die allerdings in der warmen Atmosphäre keine lange Halbwertszeit hatten. "Beinahe romantisch!", seufzte der Polizist ratlos. Aber was tun, wenn Joao nicht bald auftauchte?! Hatte er ihn vielleicht gekränkt, weil er heute Morgen so schnöde zur Arbeit gegangen war? In diesem Moment hörte er den Schlüssel in der Tür, dann fiel ihm auch schon ein abgekämpfter, aber lächelnder Joao in die Arme. "Oje, du bist schon da?!", krächzte der Japaner erschrocken, "tut mir so leid, ich wollte gar nicht so spät.., aber weißt du, ich bin herumgefahren und war im Park und am Fluss..." Wortlos presste Stuart Joao an sich, drückte einen Kuss auf die winzigen Löckchen. Er konnte kaum glauben, wie angespannt und ängstlich er bis zu Joaos Rückkehr gewesen war! "Ich wollte dir keine Sorgen bereiten, entschuldige bitte", wisperte Joao beschämt, streichelte großflächig über den athletischen Rücken. "Blöd von mir", murmelte Stuart, "ich hab gedacht, du würdest den ganzen Tag hier sein. Als ob du ohne mich nichts unternehmen könntest! Doof!" "Ich hätte dir etwas sagen sollen", der Parfümeur fing Stuarts Gesicht mit beiden Händen ein, "ich werde nicht mehr so gedankenlos sein, versprochen!" "Ach was", der beugte sich vor, tauschte einen Eskimokuss aus, "ich bin bloß verwöhnt! Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass wir nicht immer zusammen sein können. Erwachsene Menschen arbeiten eben und kriegen das auch hin, also besteht ja noch Hoffnung für mich", scherzte er. Joao kicherte amüsiert über dieses charmante Kompliment und die Liebeserklärung, stemmte sich dann auf die Zehenspitzen, um einen leidenschaftlichen Kuss zu initiieren. "Also", raunte Stuart gedehnt, "magst du vorher oder nachher duschen?" Wen kümmerte es schon, wenn das Bettgestell zusammenbrach?! +#~#+ "Weißt du, worum es dabei geht?", Joao warf Stuart einen fragenden Blick zu, während sie gemeinsam nach Freemantle fuhren. "Ich habe keine Ahnung", versicherte Stuart friedlich, denn ihm ging es so richtig gut. Joao grinste verstohlen, da man Stuart so einfach vom Gesicht ablesen konnte, weshalb der derart gute Laune hatte. Er legte eine elegante Hand flach auf Stuarts Oberschenkel. "Stu... ist es dir genug?" "Hmm?", ein Seitenblick streifte ihn, "was meinst du?" Joao leckte sich nervös über die Lippen. Gute Vorsätze waren einfach, bis man sie in die Tat umsetzen musste. Die freie Hand zur Faust geballt konzentrierte er sich auf die Straße vor ihnen, dankbar für die Sonnenbrille. "Ich bin unerfahren", murmelte er verlegen, "und ein Mann. Ich kann dir nicht das bieten, was..." "Halt! Stopp! Auszeit!", Stuart gestikulierte, im Vorteil durch eine rote Ampel, "wir haben was vereinbart: wir reden drüber." Der Australier holte tief Luft, plötzlich meilenweit weg vom seligen postkoitalen Frieden. "Ich vergleiche dich nicht", stellte er energisch klar, "ich vermisse nichts. So komisch das ist: mir geht's in erster Linie darum, dass beide sich wohlfühlen. Und was dazu beiträgt, ist mir willkommen." Er zog eine Grimasse und fuhr an, "also, ICH fühle mich gut. Was ist mit dir? Fehlt DIR etwas?" Joao zögerte, streichelte unruhig über Stuarts Oberschenkel und nagte an der eigenen Unterlippe. "Raus damit!", Stuart bog artig ab, wie ihm das Navigationssystem signalisierte. Bald mussten sie ihr Ziel erreichen, und er wollte nicht so verlegen wie im Augenblick auftreten. "Vielleicht...vielleicht würde ich gern mal etwas anderes ausprobieren?", brachte Joao mit dünner Stimme hervor. "In Ordnung", Stuart nickte tapfer, "wir tun's, wenn du's tun willst. Wenn die Zeit da ist, sag's mir und los geht's!" Immerhin war er Pfadfinder, allzeit bereit, da wäre es doch eine Schande, vor ein bisschen experimentellem Sex zu kneifen! Wobei er Joao hoch anrechnete, dass der das Thema angeschnitten hatte, trotz der traumatischen Kindheitserfahrungen und der Tatsache, dass Stuart ihn unter keinen Umständen mehr herausgeben wollte! Obwohl sie einander vor nicht allzu langer Zeit versprochen hatten, sich gewisse Dinge nicht anzutun. Andererseits konnte er verstehen, dass der neu erwachte Lebenshunger auch danach verlangte, Erfahrungen zu sammeln, die bisher tabu gewesen waren. Der Japaner lachte leise, reckte sich im Sitz, um Stuart auf die Wange zu küssen. "Du bist wundervoll", flüsterte er ihm auf Japanisch zu, durchaus ernst gemeint. "Naaaa!", winkte Stuart verlegen ab, "ich bin bloß verflixt verliebt. Löst irritierenderweise meine besseren Charaktereigenschaften aus." Das Navigationssystem gratulierte ihm auch, allerdings zum Erreichen des ausgewählten Fahrtziels. "Aha", brummte der Polizist und steuerte den Besucherparkplatz vor einem hohen Zaun an. Ihr Ziel war eine private Bootsanlage neben einem kleinen, dreistöckigen Parkhaus? Sie verließen das Auto und hielten auf den Eingang zu. Am Tor befand sich eine Kamera, die sich automatisch auf sie ausrichtete. Eine Frauenstimme, die verdächtig nach Marilyn Monroe klang, forderte sie auf, in die Kamera zu sehen und den Rufknopf zu betätigen. Ein melodischer Dreiklang ertönte, dann dröhnte eine extrem unharmonische Stimme gut gelaunt aus der Gegensprechanlage, "jawollja, wohin soll's denn gehen?" Stuart runzelte die Stirn, schwenkte die kleine Karte und erklärte, wer sie geschickt hatte und dass sie für neun Uhr angemeldet waren. "Sieh an, sieh an!", aufgekratzt kommentierte die Stimme die Erklärung, "dann mal rein mit euch, Jungs! Der alte Zausel, der euch entgegenkommt, das bin ich!" Verblüfft warf Joao Stuart einen Blick zu, der mit den Achseln zuckte und auf das einladende Summen hin das Tor aufdrückte. Gefährlich klang das nicht, bloß seltsam. Sie folgten dem asphaltierten Weg einen künstlichen Damm hoch, auf dessen Kamm sie ein alter Mann in einem Lederkostüm mit Cowboy-Hut erwartete. Der gelblich gefärbte Bart war in mehrere Knoten gebunden, die Haare boten das gleiche Schauspiel. Ein gutes, künstliches Gebiss wurde präsentiert, dann klappte der alte Mann unternehmungslustig die verspiegelten Gläser seiner Sonnenbrille hoch, drückte ihnen nacheinander die Hand und stellte sich vor, "Cuthbert Fredriksen, aber alle nennen mich Cuddie. Sie sind O'Neil, nicht wahr?" "Stuart O'Neil", bestätigte der und übernahm die Honneurs, "das ist mein Freund Joao Inugawa." "Der Junge aus der Glotze! Ne echte Schande, dass die dir die Haare abgesäbelt haben!", sofort klappte Cuddie eine kleine Dose vor ihnen auf, "nehmt euch ein Bonbon, Jungs! Dann machen wir ne Tour!" Die Tour begann damit, dass ihr quecksilbriger Führer ihr Augenmerk von seiner ungewöhnlichen Erscheinung auf die Umgebung lenkte. Und die hatte Reizvolles zu bieten! Unter dem Damm, auf dem sie standen, führte ein fester Steg zwischen zwei Reihen beeindruckender Schiffe hindurch, Dschunken, um präzise zu sein. Die meisten hatten allerdings keine Segel mehr an den Masten, sondern quer über das Deck gespannt, um sich darunter einen Freiluftgarten mit Sonnenschutz zu verschaffen. Dafür wehte Wäsche bunt wie Flaggen, kleine Satellitenschüsseln krönten den Mastbaum, und auf den Aufbauten selbst hatte man Sonnenkollektoren ausgerichtet. "Dann gehen wir mal runter, nicht wahr?", Cuddie hoppelte bequem den Weg hinab, sichtlich in seinem Element. "Was ist das hier?", flüsterte Joao Stuart entgeistert zu. "Hausboote", konstatierte der mit leuchtenden Augen. Jemand hatte die Dschunken zu richtigen Hausbooten ausgebaut! "Jawoll, mein Sohn, Hausboote!", Cuddie erwartete sie am Steg, "aber Hulks, also ohne Antrieb. Gut befestigt. Versorgungsleitungen zum Land, Gas, Wasser, Elektrizität und Abwasser!" Er wies auf ein Gebäude hinter dem Damm, "Kläranlage, Generatoren, kleines Umspannwerk. Außerdem", er zupfte an seinem kunstvoll knotengeschmückten Bart, "gibt's natürlich auch ein drahtloses Netzwerk hier! Flott ins Internet? GAR KEIN PROBLEM!" Wieder präsentierte sich die gesamte Garnitur teuren Zahnersatzes. Ungläubig bestaunte Joao die Dschunken. Er kannte sie bloß aus dem Fernsehen. Die hochgezogenen Aufbauten, die flachen Kiele, die eigentümliche Form... wie kamen sie hierher? "Da sind wir schon", Cuddie balancierte über einen breiten, gut gesicherten Steg auf das äußerste Hausboot in der rechten Reihe. Stuart folgte ihm, fasste Joao automatisch an der Hand. Über das Deck spannte sich ebenfalls ein Sonnensegel, und jemand hatte einen Klapptisch mit Stühlen aufgestellt. "Ich zeig euch alles", Cuddie präsentierte das Innenleben der Dschunke, bestehend aus einem hübschen Badezimmer mit Toilette, hervorragend eingebaut und mit Holz verkleidet, einen Koch- und Wohnraum mit offenen Regalen als Raumteiler sowie ganz romantisch ein Schlafzimmer mit Blick aufs Wasser. Joao strich begeistert über die Einbauten, schnupperte neugierig hier und da, lauschte begierig Cuddies Erklärungen, der ihnen grinsend verriet, dass er jedes einzelne Schiff selbst gekauft, überführt und ausgebaut hatte, weil er das konnte, es ihm gefiel und er sich als alter Seebär nicht ganz wohl auf dem Land fühlte. Ihm selbst gehörte die größte Dschunke, die man kunstvoll mit chinesischen Drachen verziert hatte. Sie war noch seetüchtig, als einzige unter den Hulks. Als sie wieder an Deck zurückkamen, stellte Cuddie aus einer Kühlbox Ingwerlimonade auf den Tisch, schenkte ein. "Na, was meint ihr? Interessiert? Dann lest euch in Ruhe den Mustermietvertrag durch, Jungs. In ner halben Stunde gibt's dann frisch gegrillten Fisch bei mir, und wir schwatzen noch ein wenig!", damit hopste er munter über den Steg davon. Stuart sackte auf einen Stuhl und nahm sofort einen großen Schluck des kühlen Getränks. Der Polizeipräsident hatte ihm eine neue Wohnung vermittelt?! Joao lehnte sich an ihn, überflog ebenfalls den Vertrag. "Können wir uns das denn leisten? Bis ich Arbeit gefunden habe?", erkundigte er sich betont gelassen. "Hrmpf!", grummelte Stuart und kniff Joao sanft in die Nasenspitze, "sag schon, dass es dir hier gefällt!" Artig gab Joao also den Papageien, "Stu, es gefällt mir hier." "Ja-a", er hob Joaos spitzes Kinn an, küsste ihn liebevoll, "ich find's auch unglaublich! Sogar das Bett ist groß genug." Der Japaner lachte, "das ist in der Tat ein sehr erfreulicher Umstand." Nun musste auch Stuart grinsen, "gehen wir mal eben runter, die Stabilität testen?" Joao stand bereits, klemmte den Mustervertrag unter ein Glas. Hand in Hand kletterten sie unter Deck, betraten das Schlafzimmer und ließen sich einfach rücklings auf die Matratze fallen. "Wir können sicher eine Nacht über die Entscheidung schlafen", mutmaßte Stuart, drehte den Kopf Joao zu. "Sag, dass es dir gefällt!", neckte der ihn, rollte sich dann auf den Polizisten, blickte in die blitzblauen Augen, "es fühlt sich perfekt an." Stuart fasste Joao vorsichtig unter den Achseln, um ihn in bequeme Kussreichweite zu ziehen. Nach einigen Minuten sehr intensiver Verhandlungen gestattete er Joao, sich wieder aufzurichten, von ihm zu rutschen und auf den Rücken zu rollen. "Irgendwo habe ich nen Kugelschreiber", brummte er. Neben ihm lachte Joao leise, "wie gut, dass wir noch nicht alles ausgepackt haben." "Hmmhmm, sehr praktisch", pflichtete ihm der Polizist bei, setzte sich auf. Es wäre besser, das Schlafzimmer jetzt zu verlassen, bevor er sich zu einer verfrühten Einweihungsfeier hinreißen ließ! "Na los!", streckte er Joao die Hand hin, "malen wir unseren Otto, damit uns keiner zuvorkommt!" Er konnte sich nämlich vorstellen, dass diese Wohngelegenheit durchaus gefragt war. Ihre Vormieter waren nur ausgezogen, wie Cuddie ihnen berichtet hatte, weil sie doppelten Nachwuchs erwarteten. Sie wechselten zurück auf das Deck, unterzeichneten den Vertrag unter Angabe ihrer Namen und betrachteten fasziniert, wie sich die untergehende Sonne auf dem Wasser spiegelte. Eine vertraute Melodie kam Stuart in die Ohren, wehte von irgendwo herüber, vielleicht von der Drachenperle, Cuddies Dschunke? Jeder Australier erkannte die Melodie: Waltzing Matilda. Er fasste Joao bei den Hüften, grinste auf ihn hinab, "lass uns tanzen!" "Tanzen?!", leichte Panik stieg in die dunkelgrünen Augen, "Stu, ich kann gar nicht..." Aber Stuart wusste es besser. Joaos Arme um den Nacken gelegt führte er ihn gekonnt, drehte sie schwungvoll im Kreis und ließ Joao sogar hoch in die Luft wirbeln, um ihn sicher wieder aufzufangen! Bald jauchzte der Parfümeur vor Vergnügen, lachte ihm aus vollem Hals an, strahlte vor Glück. Stuart lächelte hingerissen. Seine Walz hatte ihn bis nach Tokio geführt, in eine Revolution verwickelt und an den Rand der Verzweiflung gebracht, doch jetzt hatte er endlich das Ziel seiner Reise erreicht. Joao Inugawa, den Mann, den er liebte. +#~#+ ENDE +#~#+ Vielen Dank fürs Lesen! kimera