Titel: Zündfunken Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction Love Pistols/Sex Pistols (siehe Informationen) FSK: ab 16 Kategorie: Parallelwelt Erstellt: 23.08.2008 Disclaimer: "Sex pistols/Love Pistols" gehört Tarako Kotobuki. #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# #~+~# Zündfunken Kapitel 1 - Eine schonungslose Analyse »Ich könnte genauso gut tot sein.« Wenn er sie beobachtete, beiläufig, ohne Interesse, lediglich eine Registrierung von Informationen der Umgebung, die sein Gehirn automatisch vornahm, wurde ihm deutlich, dass sie etwas darstellen, das er nicht zu erreichen glaubte. Nicht, dass es ihn kümmerte. Golfschläger in einem kostspieligen Beutel, helle Stoffhosen, Pullunder in gedeckten Farben mit dezenter Musterung und in der gleichen Fabrikation eine Mütze. Ja, sie hatten etwas erreicht und genossen nun ihren wohlverdienten Lebensabend. Oder so ähnlich lautete es doch in den Werbebotschaften? Er sah Männer und Frauen im Seniorenalter, die sich geschäftig ihre freie Zeit mit Kurzweil vertrieben. Und spürte nichts. Nicht einmal mehr dumpfes Bedauern oder einen Anflug von Melancholie. Er war 37 Jahre alt, geschieden und lebte allein. Eigentlich hätte er genauso gut auch tot umfallen können. #~+~# Tetsuo Morioka existierte mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, ohne es darauf angelegt zu haben. Sechs Tage in der Woche stand er mit dem dezenten Schnurren des Funkweckers auf, schüttelte den Futon aus und verstaute ihn akkurat im Wandschrank. Anschließend schlurfte er in flachen Pantoffeln hinüber zur Küchenzeile seines Einzimmer-Appartements, hängte sich die Kochschürze um und kordelte sie exakt unter dem Bauchnabel fest. Sein nächster Griff galt dem kleinen Radio, das er ebenso pünktlich zu Beginn des morgendlichen Nachrichtenblocks aktivierte. Der Reis des Vorabends wurde aus dem Kocher warm und duftend in eine Schüssel befördert, eine genau abgemessene Menge, bevor er wie jeden Morgen ein Eieromelett in der quadratischen Pfanne zusammenrührte, es zusammenrollte und in einzelne Streifen schnitt. So füllte er eine zweite Schüssel, verteilte dann am Abend zuvor gekauften Fisch und Gemüsestreifen in ein Schälchen. Komplettiert wurde seine erste Mahlzeit mit zwei Bechern grünem Tee. Arrangiert auf einem kleinen, klappbaren Tablett kniete er in Pyjama und Kochschürze auf den Tatami, aß blicklos und lauschte geistesabwesend den körperlosen Stimmen aus dem Äther. Exakt eine Viertelstunde später beendete er das Frühstück, spülte das benutzte Geschirr ab, stellte das Radio aus und hängte die Kochschürze ordentlich an ihren Platz zurück. In der winzigen Nasszelle kam er der Körperpflege nach, kämmte vergeblich durch die naturgewellten, schwarzen Haare mit ihren vereinzelten silbernen Fäden. Vor Jahren hatte er, um der Ordnung genüge zu tun, einmal den Schädel derart scheren lassen, dass es einem Kahlschlag nahekam. Man hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass seine Kopfform ohne die kaschierende Fülle der ungebärdigen Naturwellen nicht gerade attraktiv sei. Fortan bildete sein Schopf die einzige Ausnahme in seinem akkurat kontrollierten Erscheinungsbild. Im Kleiderschrank reihten sich mattschwarze Anzüge, dazu einförmig weiße Hemden und unifarbene Krawatten in kleidsamen Schwarz. Reihum kamen sie wie Uniformen zum Einsatz, wurden in der Wäscherei gereinigt und erwarteten ihren nächsten Auftritt. Auch die unförmigen Galoschen folgten diesem Schema. Sofern die Witterung es gebot, ergänzte das eintönige Ensemble ein schwarzer Regenschirm, ein Trenchcoat oder ein Wollmantel. Ausgestattet mit einer altmodischen Herrenhandtasche an einem mehrfach ersetzten Trageriemen erreichte Tetsuo den Vorortzug treffsicher, glitt im Gedränge der Pendler in den Bauch der gleißenden Stahlschlange und schaukelte für die nächste Stunde zu seiner Arbeit. Wenn er sich mit einer Karte am automatischen Zeiterfassungsgerät anmeldete, wies es stets die gleiche Uhrzeit aus. Tetsuo nahm immer denselben Aufzug in das 14. Stockwerk, nickte abgehackt ohne Blickkontakt und murmelte kaum hörbar die pflichtgemäßen Morgengrüße an die bereits Anwesenden. Er hatte vor 15 Jahren nach seinem Studium in dem Konzern angefangen und war noch immer in derselben Abteilung, erledigte die gleiche Arbeit. Daten sammeln und auswerten, Analysen erstellen und weiterleiten. Eine krisensichere Beschäftigung, zweifellos, denn es gab immer irgendetwas zu erfahren oder zu wissen. Und Daten fielen ständig an. Eine kleine Cateringfirma brachte zur Mittagszeit die bestellten Menüs. Um vier Uhr trank Tetsuo eine kleine Tasse Pulverkaffee mit einem Stück Würfelzucker und einem Spritzer Zitrone. Um Punkt sieben Uhr verließ er das Gebäude, erwarb in einem Supermarkt in der Bahnstation Nahrungsmittel und Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs, bevor er in den Zug zu seinem Appartement stieg. Diszipliniert öffnete er erst die Post, bevor er sich eine Suppe zubereitete und die Speisen für das Frühstück zusammenstellte. Dann kontrollierte er seinen kleinen Computer auf Neuigkeiten des Tages, bevor er rasch duschte, in seinen Pyjama schlüpfte und den Futon ausbreitete. In traumlosen Schlaf fiel. Solcherart spulten sich Wochen, Monate und Jahre ab. Ein eintöniges Einerlei, das ihm die Vorstellung, er möge bis zum Pensionsalter in diesem Rhythmus weiterverfahren, einen milden Schrecken einflößte. Andererseits: er rechnete nicht damit, dieses Alter je zu erreichen. Insgesamt, das stellte er selbst lethargisch fest, lebte er ohnehin nicht. Er funktionierte. Wie eine präzise Maschine. Oder ein Roboter. Das war nicht verwerflich oder schlecht. Bloß... bedauerlich. Weil er noch mit einem Funken daran glaubte, es könne etwas anderes geben. Wenn endlich dieser Funken erloschen wäre, dann hätte er seinen Frieden gewonnen. #~+~# Tetsuo schlüpfte in den kleinen Würfel am äußersten Ende des Großraumbüros, direkt neben den Toiletten gelegen und deshalb nicht sonderlich beliebt. Ihn kümmerte das nicht, er saß seit seinem ersten Arbeitstag in diesem kleinen Geviert, starrte aus dem winzigen Fenster, das sich nicht öffnen ließ, auf die benachbarten Bienenstöcke, in denen andere Drohnen ihrer bedeutungsarmen Tätigkeit nachgingen. Er selbst war auch eine Drohne, die für die Bienenkönigin, die Firma, tagein tagaus arbeitete. Nützlich, solange er sie begattete. Er war nichts Besonderes, seine Aufgabe war nicht erhebend. Wäre er verschwunden, würde ihn übergangslos ein anderer ersetzen. Nun ja, vielleicht nicht mit der gleichen Ausdauer...oder mangelndem Ehrgeiz? Die Datenanalyse war karrieretechnisch definitiv eine Sackgasse. Man konnte sich weder profilieren, noch kreativ aus der Masse der Beschäftigten herausragen und Höherstehende auf sich aufmerksam machen. Die tägliche Arbeit war eintönig, eine immer gleiche Beschäftigung mit Anfragen, die eingeordnet wurden, um dann mit den entsprechenden Rechenmodellen Antworten zu liefern. Gefragt waren weder Vorschläge noch Innovationen, man musste simpel den Erwartungen entsprechen. Tetsuo fühlte sich nicht demotiviert oder eingeschränkt. Er war eine Drohne, die ihre Aufgaben erledigte und sich nicht damit aufhielt, in der Arbeit einen Sinn zu suchen oder persönliche Bereicherung. Man musste arbeiten, also arbeitete er. Und man konnte sich an alles gewöhnen. Überhaupt, warum befrachteten viele Zeitgenossen ihre Broterwerbstätigkeit mit großen Erwartungen an ihre Bedeutung? Saß am Ende wirklich jemand da und prüfte jeden Tag auf besondere Leistungen ab? Wenn man tot ist, ist man tot und alles ist aus. Vergessen. Gefühle und Leistungen, Makel und Tugenden. Es erschien ihm vermessen, die eigene Existenz so hoch einzuordnen, dass man ständig anderen Zielen nachjagte. Man musste realistisch sein, sich bescheiden. Das war ihm nie sonderlich schwergefallen. Er war das einzige Kind zweier durchschnittlicher Menschen, aufgewachsen in einem belanglosen Haushalt. Seinen Vater erlebte er nur als abwesend. Lediglich an Sonntagen sah er ihn nicht nur am Abend vor dem Schlafengehen, sondern auch morgens, wenn der sich aufmachte, um mit anderen Männern den Tag an einem künstlichen Weiher mit Angeln zu verbringen. Seine Mutter vertrieb sich die Zeit in diversen Nachbarschaftskomitees. Und er, das Einzelkind, lernte. Weil es nichts anderes zu tun gab. In seiner Jugend konnte man sich nicht mit einem Fernseher oder Computerspielen ablenken. Man ging zur Schule. Wenn man sportlich war, in einen entsprechenden Club und oft in die Paukschulen. Kameraden begleiteten einen auf dem Schulweg, aber das bedeutete nicht, dass man auch befreundet war. Er blieb also ein durchschnittlicher Junge mit einem passablen Schulabschluss, der auf Anraten seiner Lehrer an einer mittelprächtigen Universität studierte und unspektakulär diplomierte. Nachdem er in dem Unternehmen, für das er als Aushilfe während des Studiums gearbeitet hatte, eine feste Anstellung gefunden hatte, legten ihm seine Eltern nahe, er möge ausziehen, wie es sich gehörte. Folglich suchte sich Tetsuo ein winziges Appartement, ging seiner Arbeit nach. Besuchte in den wenigen Urlaubstagen, die er beanspruchte, seine Eltern, die sich eine günstige Bleibe auf dem Land gesucht hatten in der vagen Vorstellung, es möge dort gemächlicher zugehen. Unspektakulär verliefen die folgenden Jahre, bis man ihm kurz vor seinem 29. Geburtstag eine Kollegin vorstellte und dezent andeutete, er sei bereits in einem fortgeschrittenen Alter und solle über eine Ehe nachdenken. Tetsuo dachte nicht sonderlich intensiv darüber nach. Er hatte sich nie bemüßigt gefühlt, eine Beziehung zu unterhalten, geschweige denn körperliche Intimität zu suchen. Ihm erschien es unnötig, in seinem Alter verpasste Gelegenheiten zwanghaft nachzuholen. Wie es anderen Menschen gelang, sich in Gefühlsverwirrungen zu stürzen, war ihm ein Rätsel. In seinen Arbeitstag passte es zumindest nicht, auch wenn er akzeptierte, dass die nächste Station in seinem Leben wohl eine Eheschließung sein musste. Die Kollegin, zwei Jahre jünger als er, o-beinig, ein wenig übergewichtig und mit einer nicht vollkommen spurlos verheilten "Hasenscharte" gestraft, die ihre Attraktivität nicht erhöhte, hegte keine besonderen Erwartungen. Vermutete er. Höflich begleitete er sie zu den Rendezvouszielen, die sie vorschlug und besuchte nach dem zehnten Treffen ihre Eltern. Eine schlichte Zeremonie schloss sich sechs Monate nach dem Kennenlernen an. Denn ihnen war auch durch die fortwährenden Erinnerungen ihrer Umgebung durchaus bewusst, dass sie Restposten in einer Konsumwelt waren, die sich mit dem begnügen mussten, was übrig blieb, da ihre "Kaufanreize" arg zu wünschen ließen. Tetsuo akzeptierte die Ehe mit ebensolcher Genügsamkeit, wie er sein gesamtes Leben annahm. Er mietete eine größere Wohnung und lebte wie gewohnt weiter. Keineswegs hätte er Reiko, seiner Frau, verboten, weiterhin ihrer Arbeit nachzugehen, doch die Eltern hielten ihr vor, sie täte gut daran, sich traditionell als Hausfrau einzurichten und rasch ein Kind aufzuziehen. Unerfahren und nicht sonderlich neugierig, aber gutwillig lernte Tetsuo Intimverkehr kennen. Reiko hatte ihm gewisse Erfahrungen voraus, was ihn nicht bekümmerte. Sehnsucht empfand er jedoch nicht, und zum Verführer fehlte ihm wirklich alles. Sie lebten zwei Jahre nebeneinander her, wie er es von seinen Eltern kannte. Er arbeitete und pflegte an Sonntagen sein einziges Hobby. Reiko kümmerte sich um den Haushalt und nahm gegen den Wunsch ihrer Eltern eine Halbtagsbeschäftigung auf. Dann bat sie ihn um die Scheidung. Vermutlich, -und nach entschiedener Meinung seiner Eltern-, hätte Tetsuo aufbegehren müssen, um seine Ehe kämpfen. Doch er trank gelassen den Tee, studierte die Schriftstücke und setzte sein Namenssiegel ohne besondere Gefühlsregungen unter die Scheidungspapiere. Reiko war ein sympathischer Mensch, er wünschte ihr alles Gute, warum also ihrem Glück im Wege stehen? Offenkundig hegte sie andere Erwartungen an ihre Lebensgestaltung, folglich führte an einer Trennung kein Weg vorbei. Sie waren nie vertraut miteinander gewesen, sondern zwei Menschen, die sich in einem Alltag arrangierten, der sich gelegentlich überschnitt. Tetsuo zog in ein Einzimmer-Appartement und führte unbeeindruckt sein bisheriges Leben fort. Er vermisste Reiko nicht, zürnte nicht, fühlte sich weder abgestempelt noch ausgestoßen. Als sie ein halbes Jahr später ihre Verlobung mit einem Kollegen bekannt gab, den sie während ihrer Halbtagstätigkeit kennengelernt hatte, beglückwünschte Tetsuo sie höflich. Seine Eltern nahmen ihm dagegen übel, dass er es versäumt hatte, ein ordentliches Leben als Ehemann und Vater zu führen. Für sie war er nun ein Gescheiterter, nicht nur geschieden, sondern beruflich ebenfalls auf dem Abstellgleis gelandet. Deswegen schien es an einem Morgen wie diesem durchaus verständlich, dass Tetsuo, der mit Schule, Studium, Arbeit, Ehe und Scheidung alle Lebensphasen bereits hinter sich gelassen hatte, der Aussicht, weitere 30 Jahre fortzuvegetieren, bis er als Rentner golfen konnte, mit einigem Abscheu begegnete. »Dabei kann ich Golf nicht ausstehen«, er löste den Blick vom Fenster, konzentrierte sich auf die heutige Routine. 30 Jahre weiter so? »Nein«, dachte er gleichgültig, »wenn nichts mehr weiter kommt, kann ich genauso gut tot sein.« #~+~# Es gab eine Sache in seinem unspektakulären, durchschnittlichen und langweiligen Leben, die für gewisse Höhepunkte sorgte. In bescheidenem Rahmen selbstredend. In der Grundschule hatte er eher zufällig einen Artikel über den britischen Arzt Nathaniel Bagshaw Ward gelesen, der sich einen Namen als der Erfinder der so genannten Wardschen Kästen machte. Dabei handelte es sich um kleine, oftmals komplett abgeschlossene Gewächshäuser, die autark ein kleines, eigenes Ökosystem bildeten. Die Möglichkeiten faszinierten ihn, einen unsportlichen und unpopulären Jungen, der sich aus Gewohnheit absonderte und nur widerwillig kommunizierte. Was lag also näher, als die Bibliothek, die man ohnehin zwecks Lernen aufsuchen musste, nach einer "Bauanleitung" abzusuchen? Tetsuo wurde fündig, denn auf dem Prinzip der Wardschen Kästen beruhend gab es für Schüler Anleitungen, wie man einen Flaschengarten herstellte. Ein Glasgefäß, poröse Steinchen, Erde, Pflanzensamen, hier und da einen Regenwurm, ein wenig Wasser und eine stabile Position, nicht direkt der prallen Sonne ausgesetzt, aber hell genug, mit milden Temperaturen: mehr benötigte man nicht! Er versuchte sich daran. Zunächst bescheiden mit einfachen Farnen und Moosen, dann mit exotischeren Pflanzen, die hübsch blühten. Dekorative Elemente wie bemerkenswert geformte Steine potenzierten den erstaunlichen Erfolg seiner kleinen, sich selbst versorgenden Gärten. Für die Menschen, die selten Pflanzen um sich hatten, in Stahl- und Betonwüsten lebten, stellte so ein kleiner Flaschengarten, der keinerlei Betreuung bedurfte, sondern genügsam vom eigenen Wasser lebte, einem steten Wandel von Kohlendioxid und Sauerstoff durch Photosynthese folgte, eine Bereicherung ihres Alltags dar. Außerdem verschaffte es ihrem "Schöpfer" eine seltene Anerkennung, die er nur heimlich und bescheiden genoss. Stattdessen galt es, Versuche und Fortschritte ordentlich zu dokumentieren und gegen eine kleine Gebühr seine kleinen Welten an Liebhaber zu vergeben. Diese Freizeitbeschäftigung pflegte er noch immer, auch wenn es keine Schulhefte mehr waren, in denen er seine Erkenntnisse festhielt. Auch nutzte er das Internet, um sich zu informieren, mit anderen Enthusiasten auszutauschen und seine Kreationen zu vermitteln. Weder Reiko noch seine Eltern hatten die geduldige, konzentrierte und oftmals filigrane Beschäftigung zu schätzen gewusst. Es war eben ein Hobby, und man konnte nur hoffen, dass wirklich keines dieser unerfreulichen Insekten oder Würmer entkam! Zudem erschien es seinem Vater als Sakrileg, dass der eigene Sohn in dem Zoofachhandel, in dem der Vater auch den lebenden Köder für seine sonntägliche Angelroutine erstand, Tiere kaufte, um sie jahrelang in einem Glasbehälter leben zu lassen! Eine Verschwendung sondergleichen! Tetsuo ließ sich nicht abhalten. Man konnte durchaus mit einigem Geschick heimlich eine kleine Wurmfarm halten, um nicht auf die Erwerbungen des Fachhandels angewiesen zu sein. Ebenso war es möglich, Setzlinge oder Samen zu erlangen. Steine fanden sich auch, wenn man genau seine Umgebung sondierte. Und wenn es an ihnen mangelte, konnte man ja auch Muscheln benutzen, die eine besonders robuste Schale hatten und ohnehin nur als vernachlässigtes Souvenir verstaubten. Er blieb dieser ungewöhnlichen Leidenschaft treu, konnte sich stundenlang in den Pflegearbeiten verlieren und gestaltete die Ökosphären innen ebenso schön wie außen die Glasbehälter. Längst verfügte er über einen Satz selbst gefertigten Spezialwerkzeugs für jede Glasbehälterform, hatte sich Glasmalfarben beschafft und arbeitete mit Schablonen, um den Kundenwünschen zu begegnen. Es waren Herausforderungen, die er nach einer genauen Konzeption, dem Arrangement und abschließend dem heheren Moment der luftdichten Versiegelung mit einem wohlverdienten Schluck Sake feierte. In diesen Stunden, am Sonntag, gehörte er sich selbst. Frei und ungebunden, ohne Zwänge oder ein striktes Protokoll der Routine. Tetsuos bloße Existenz verwandelte sich temporär in Leben. #~+~# Kazuya Nakai betrat das Gebäude nicht, nein, er stürmte es, eingehüllt in eine Wolke Optimismus und gute Laune. Strahlend, charismatisch, selbstbewusst, zielstrebig: er war das Idealbild eines jungen, aufstrebenden, attraktiven Managers. Und nicht nur das: er glaubte an die Bedeutung seiner Arbeit, sah sie nicht als eine lästige Stufe auf der Karriereleiter nach ganz oben! Lächelnd grüßte er nach allen Seiten, komplimentierte hier oder da eine andere Frisur, ein hübsches Kostüm, eine gemusterte Krawatte. Kazuya mochte seine Mitmenschen, ohne für ihre Eigenheiten blind zu sein. Er wusste um seine naturgegebene Fähigkeit, sie lenken zu können und befand für sich selbst, dass es für alle Beteiligten doch angenehmer war, wenn man höflich und respektvoll miteinander umging, einander freundlich begegnete. Das fiel ihm nicht schwer, unzweifelhaft in seiner Abstammung begründet: ein Katzenschwergewicht, Marke asiatischer Leopard. Gute 1,85m groß, sportlich-dynamisch, dezent gebräunte Haut mit zahlreichen Sommersprossen, nussbraune Haare mit golden schimmernden Strähnen. Dazu kontaktfreudig, sozial kompetent, mit einer raschen Auffassungsgabe und einem guten Gedächtnis gesegnet. Außerdem sorgten seine Pheromone mit seiner charismatischen Ausstrahlung dafür, dass er wirklich jedes Paar Knie weich werden lassen konnte. Mit anderen Worten: er war zum Erfolg verdammt, weil sein ganzes Wesen darauf programmiert war. Deshalb kümmerte es ihn auch nicht, wenn man ihn hinter vorgehaltener Hand belächelte, weil er trotz seiner internationalen Ausbildung und Erfahrung ausgerechnet in der Controlling-Abteilung mit den Restposten und Abgelegten gelandet war. Im Gegenteil, es war ihm ein Vergnügen, die Spötter eines Besseren zu belehren. Schön, es mochte dem Ego schmeicheln, wenn man gleich zu Beginn in der Presseabteilung startete, aber wer beeinflusste die höchsten Etagen denn wirklich? Der, der wusste. Der die Zahlen kannte, die Trends, die Strömungen. Die Wirtschaftsdaten des Markts und der Konkurrenten. Und folgerichtig war er der richtige Mann an der richtigen Stelle. Man konnte einwenden, dass ein Mann gar nichts zu bestellen hatte, wenn er eine Abteilung anführte, die aus Fensterplätzlern, Abgeschobenen, Berufsanfängern, nicht sonderlich attraktiven Büroblumen und neurotischen Sonderlingen bestand. Kazuya zwinkerte und konterte diesen Einwand selbstbewusst, dass es möglich war, jeden Mitarbeiter zur Zusammenarbeit zu bewegen. Immerhin verbrachte man die meiste Zeit der Woche miteinander! Niemand wollte doch sein Leben hier apathisch und missachtet fristen, richtig?! Als er vor einem halben Jahr eingetreten war, untypischerweise von dem Abteilungsleiter im Stich gelassen, der ihn der Belegschaft vorstellen sollte, hatte Kazuya die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Und zwar mit sehr kräftigem Griff. Er hatte sich einfach selbst mit jedem seiner Mitarbeiter bekannt gemacht, unzählige Knie weich werden lassen und für sich geworben. Seine Idee vorgestellt, dass sie hier etwas Besonderes, Wichtiges leisteten und deshalb eine gute Gemeinschaft von Spezialisten seien, ohne die es die Produktion und der Verkauf erheblich schwerer hätten. Für einen Kapitän, der den Kurs bestimmen sollte, war der Ausguck wichtig und der Mann am Lot. Wer nicht wusste, wie die Sterne standen und wo sich Untiefen verbargen, der scheiterte! Mit blumigen Metaphern und seiner stürmisch-sonnigen Gemütsverfassung ging er aus dieser ersten Feuerprobe siegreich hervor. Aber das war nicht alles, nein, noch längst nicht! Kazuya nutzte seine Erfahrungen aus dem Ausland. Und tat folgerichtig Dinge, die einem japanischen Manager niemals in den Sinn gekommen wären: er lieferte nicht nur die bestellten Analysen, sondern ergänzte sie selbstsicher mit anderen Daten und eigenen Einschätzungen! Das bedeutete für seine Mannschaft, dass sie mehr bearbeiten mussten als gewohnt. Doch er belohnte diese Expansion mit der Möglichkeit, kreativ und frei Vorschläge für weitere Analysen zu bringen, damit man Anfragen nicht nur beantwortete, sondern auch einen umfangreichen Panoramablick auf die Gesamtsituation bekam. Wer als "Altes Eisen/Fensterplätzler" abgeschoben worden war, konnte plötzlich mit der jahrelangen Erfahrung punkten. Immerhin entwickelte man ein Gespür, einen Riecher für Entwicklungen, wenn man wahre Ewigkeiten Daten ausgewertet und eingeordnet hatte! Die "alten Hasen" waren ihm dankbar, dass er ihnen mehr Verantwortung übertrug, ihnen zuhörte und damit Respekt zollte. Für die jungen Berufsanfänger, die eigentlich bloß weg wollten und für die weniger attraktiven Zierpflanzen des Büros dachte sich Kazuya etwas Anderes aus. Warum nicht jeden Nachmittag für eine Stunde Gymnastik treiben? Eine sitzende Tätigkeit förderte die Haltung nicht gerade, die Figur verkümmerte und man fühlte sich am Abend ausgelaugt, ohne etwas konkret getan zu haben. Er ordnete also selbstherrlich an, man möge leichte Sportkleidung mitbringen, es gehe zum Betriebssport zwischen halb Fünf und halb Sechs, das sei eine gute Zeit für den Biorhythmus. Dass er sich selbst als "Vorturner" betätigte, verblüffte die Spötter. Auch, dass er selbst eine Wäscherei beauftragte, nicht nur täglich die Handtücher in den Waschräumen zu reinigen, sondern auch werktäglich die Sportbekleidung, damit sie am nächsten Tag sauber und gepflegt wieder zur Verfügung stand. Gesunde, bewegliche, aufgeweckte Matrosen an Bord seines Seglers, genau das wollte er! Man staunte also nicht schlecht, wenn die Zahlenspechte gemeinsam in den Keller fuhren, um dort den selten genutzten Sportraum und die Umkleiden zu bevölkern. Kazuya, der eine Trainerlizenz in seiner Schulzeit erworben hatte, die ihn berechtigte, Grundschülern auf die Sprünge zu helfen, stellte sich mit lateinamerikanischer Musik im richtigen Pulsrhythmus ein Programm zusammen, das jung und alt absolvieren konnte. Für ihn wenig erstaunlich zog seine Abteilung mit, beteiligte sich am Sportprogramm. Weil man tatsächlich fitter wurde, zumindest dem eigenen Gefühl nach. Kein schlechtes Gewissen mehr, wenn man sich abends einfach nicht mehr in ein Fitnessstudio schleppen wollte! Den ersten Samstag im Monat organisierte er auch Abendunterhaltung. Ging mit den Ausgehwilligen in Nachtclubs oder gemütliche Lokale. Vernissagen, Kinopremieren oder Sondervorstellungen, Museen, die Sternwarte: es gab nichts, das Kazuya abgeschreckt hätte. Die Zierpflanzen des Büros hatte er im Handumdrehen für sich gewonnen, denn mit ihm wagten sie sich auf den Markt der Einsamen Herzen! Manche der alten Hasen brachten die Ehefrau mit, die sich ungewohnter Aufmerksamkeit erfreute. Als wäre die Arbeit urplötzlich ein Jungbrunnen geworden! Kazuya hielt die Ohren für den Flurfunk offen und registrierte genau, wie seine Abteilung in der Rangliste kletterte. Es war bereits attraktiv, bei ihnen zu arbeiten! Dass er weiterhin unter dem Druck stand, diese erstaunlichen Leistungen zu bringen, war ihm jedoch durchaus bewusst. Aber wie ein Spieler, der eine unglaubliche Glückssträhne hat, flog er im Höhenrausch dahin, verdrängte die Angst vor dem unweigerlichen Absturz in die Normalität. Solange er die an ihn gestellten Erwartungen übertraf, konnte nichts passieren. Jeder Taschenspielertrick, den er gelernt hatte, jeder Bluff, jede Chance brachte ihn weiter. Bis er sichere Gestade erreicht hatte und verschnaufen konnte. #~+~# Wie immer traf Kazuya ein wenig später als seine Mitarbeiterschaft ein. Das war durchaus beabsichtigt, denn er wollte, dass sie alle pünktlich kamen und eifrig arbeiteten, wenn er durch die Büros marschierte, fröhlich grüßte. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich ihm von ihrer besten Seite zu zeigen. Dann betrat er sein Büro, ließ sich von der ältlichen Vorzimmerdame, die ihn bereits wie einen Schwiegersohn behandelte, die gewohnten Auswertungen bringen. Die Routine bestand darin, die ermittelten Daten mit den Anfragen aus der Chefetage zu vergleichen. Und dann eigene Ideen zu entwickeln, wie man die Anforderungen noch übertreffen konnte. Er kannte seine Mannschaft mittlerweile gut genug und wusste genau, wem er welche Aufgabe übertragen konnte. Wie er formulieren musste, um jeden davon zu überzeugen, dass sie beste Freunde und Verschwörer auf dem Weg nach oben waren. Allerdings... Kazuya nippte an seinem Tee, Jasmin, lieblich duftend und perfekt zubereitet. Er hatte die alten Hasen und die jungen Hüpfer für sich gewonnen, was genau 99% der Belegschaft entsprach. Es gab nur eine Person, die im mittleren Alter war, nicht mehr Twen, aber auch noch nicht Seniorenanwärter: Analyst Morioka. Kazuya hatte es bisher nicht schwierig gefunden, mit jüngeren, gleichaltrigen oder Angehörigen seiner Eltern-oder Großelterngeneration zu kommunizieren. Er konnte wahlweise großer Bruder, umschwärmter Chef, Aufsteiger-Idol, Schwiegersohn oder Enkel sein, brillierte in jeder Rolle. Dieser Morioka allerdings... Es waren nicht bloß die zehn Jahre Altersunterschied, nein, es war die gesamte Persönlichkeit, die sich ihm entzog. Kazuya wusste schlicht nicht, was hinter den tintenschwarzen Augen vorging. Die Biographie stimmte ihn nicht auf den Menschen ein, den er vorfand. Gut, in dem Alter geschieden, das war nicht sonderlich bemerkenswert. Dazu aber seit 15 Jahren in dieser Abteilung? Nun, möglicherweise Inkompetenz oder mangelnder Ehrgeiz. Allein leben in einem winzigen Appartement? Folgerichtig, wenn auch etwas...bedauerlich. Aber stets abwesend bei den samstäglichen Unternehmungen?! Die Gelegenheit boten, sich eine neue Ehefrau auszusuchen? »Überhaupt!« Das hatte sich Kazuya bei der ersten Begegnung gefragt, »wieso bekommt er weiche Knie (was verständlich und beabsichtigt war), strahlt aber nicht die geringste Spur von... sexuellem Interesse aus?!« Für ein Schwergewicht wie ihn war es ein Leichtes, diese unbewusste Körpersprache zu lesen. Und ein Hundeleichtgewicht wie Morioka sollte schwanzwedelnd und speichelnd vor ihm Männchen machen! Das geschah nicht. Es passierte nie. Als ob Morioka selbst ein Neutrum war, ein innerlich androgyner Typ, der sich für gar kein Geschlecht oder Geschlechtsleben interessierte. Tatsächlich verhielt es sich wohl noch komplizierter, aber Kazuya war es zu seiner Verblüffung immer noch nicht gelungen, dieses Mysterium zu ergründen. Warum überhaupt? Sich solcher Mühen für einen einzigen Mitarbeiter unterziehen? Kazuya blickte aus dem Fenster, nippte an seinem Tee, in eleganter Pose an seinem Schreibtisch angelehnt. Er wollte Moriokas Vertrauen. Seine Komplizenschaft. Einen Verbündeten. Von all den anderen unterschied sich der so durchschnittlich und farblos wirkende Mann durch seine Fähigkeiten. Es war nicht nötig, Morioka etwas zu erklären. Anforderungen zu wiederholen. Er begriff und erledigte. Wortlos. Gerade deshalb verstörte es Kazuya, dass dieser kluge, erfahrene Mann hier versauerte. Ihm keine Gelegenheit bot, hinter die eiserne Festung zu schauen und zu erkennen, wer Morioka eigentlich war. Es forderte ihn heraus, selbstredend! Er hatte ja auch seinen Stolz als Schwergewichtler! Andererseits... zweifelte er. Dabei war es undenkbar, sich in dieser Hinsicht zu übernehmen! Praktisch unmöglich! Diese Zweifel beschäftigten ihn, machten ihn nervös. Weil er sich eigentlich solche Abschweifungen nicht leisten konnte auf seinem Höhenflug. Als ob alles zu gut war, um WAHR zu sein. Langsam wandte er sich um, sortierte die Blätter auf seinem Schreibtisch. Die meisten Auswertungen erhielt er elektronisch, über das Netzwerk eingespielt, doch das papierlose Büro war auch hier trotz oder gerade wegen des Fortschritts nur Wunschdenken. Morioka bürstete ihn einfach gegen den Strich. Deshalb hatte er etwas angefangen, was ganz und gar nicht zu ihm passte. #~+~# Kapitel 2 - Veränderte Konditionen Es war nicht so, dass Tetsuo seinen Arbeitstag in geistiger Abwesenheit verbrachte. Hätte man ihn gefragt, so wäre er wohl in der Lage gewesen, die Anfragen und Auswertungen zu benennen, die ihn beschäftigt hatten. Doch das hatte nichts mit ihm, mit seinem Kopf zu tun. Der war, wie Tetsuo vermutete, leer. Auf Testbild geschaltet, in den Leerlauf. Die Drohne musste bloß ihren Instinkten folgen und starb anschließend, wenn sie nicht mehr benötigt wurde. Da war keine tiefe Reflexion oder geistige Anstrengung gefragt. Also lief in seinem Kopf auch kein bunter Film ab, während er arbeitete. Eigentlich war ER gar nicht anwesend. Bloß die Drohne. Die Eiszeit seiner Persönlichkeit endete erst, wenn er in den eigenen vier Wänden seinem Hobby frönte. Dann wurde die Drohne wieder zu einem eigenen Universum, das unter den Namen Tetsuo Morioka existierte. Jahrelange Übung hatte diese Grundhaltung verfestigt. Deshalb kümmerte er sich nicht um abwertende Bemerkungen von Kollegen oder Pöbeleien in der Bahn, Koberer auf den Straßen oder Geplauder der Angestellten des Cateringdienstes. Es fand schlichtweg in seinem Universum nichts statt, bis er wieder zu Hause war. Was die Drohne betraf, nun, wen kümmerte es schon? Sie war eine Drohne, darauf programmiert und konditioniert zu arbeiten, nichts weiter. Das Kurznachrichtenprogramm im unteren Drittel seines Bildschirms flackerte. Ein Signal, dass er zu Abteilungsleiter Nakai kommen sollte. Strategische Besprechung. Was auch immer. Tetsuo erhob sich gleichgültig wie ein Automat und kam der Aufforderung nach. #~+~# Das erste Mal war es zwei Wochen nach seinem Einstand als neuer Abteilungsleiter passiert. Er wollte seine Strategie endlich in die Tat umsetzen, mehr und andere Analysen liefern. Wenn er das Thema zur Sprache brachte, verstohlen, verklausuliert, dann fiel immer wieder Moriokas Name. Als wäre der farblose Mann der Einzige, der ihm die gewünschten Informationen zugänglich machen könnte. Um sich die Zusammenarbeit mit diesem merkwürdigen Morioka angenehm zu gestalten, hatte er sich eine Taktik überlegt, die eigentlich nicht zu kontern war. Beim Eintreten bereits, als er sich zuvorkommend hinter seinem Schreibtisch erhob, verströmte er die komplette Dosis Pheromone und sympathisierendes Verständnis. Teilweise stellte sich der erhoffte Erfolg sofort ein: Morioka, leicht gebeugt und unspektakulär mit einem Hang zu Selbstvernachlässigung, taumelte an der Tür und musste sich gegen den Rahmen lehnen, um nicht in die Knie zu brechen. So weit, so gut. Überfürsorglich nahm er ihn beim Arm, schloss lächelnd für seine Vorzimmerdame die schalldicht gedämpfte Tür und dirigierte Morioka zum Besprechungsbereich, wo sich tiefe Sessel und eine mehrsitzige Couch befanden. Auf dem niedrigen Beistelltisch hatte er vorausschauend Dokumente verteilt, das Ensemble mit Teegeschirr und kleinen, traditionellen Süßigkeiten garniert. Lächelnd wie ein Haifisch spulte er seine vorbereitete Rede zur Einführung ab, warb verschwörerisch um Moriokas Wissen, dessen Talente und Fähigkeiten, erbat sich dessen Meinung. Doch der sah ihn bloß an, kommentarlos, reglos. Nicht etwa kritisch oder ablehnend. Nein. Unbeteiligt. Als ginge ihn das nichts an. Als warte er darauf, dass endlich die konkrete Arbeitsanweisung erteilt werde. Das war...irritierend. Aber nicht völlig befremdlich, denn es konnte ja durchaus sein, dass die Überdosis Pheromone schlichtweg sämtliches Blut nach Süden gepumpt hatte! Unterversorgung im Gehirn! Kazuya war aufs Ganze gegangen, hatte Morioka direkt und intim angesprochen, beim Vornamen und wie einen Gleichaltrigen. DAS hätte nun zumindest eine gewisse Reaktion provozieren müssen. Doch die schwarzen Augen blieben so unbewegt und blank wie stets. Vielleicht war es eine aufflackernde Panik, er könne mit seinen hochfliegenden Plänen scheitern. Möglicherweise ärgerte ihn auch die stoische Gleichgültigkeit, verletzte seinen Stolz. Er hatte sich erhoben, über Morioka gebeugt, den Gürtel aus dessen Hosenschlaufen gezogen und damit die Handgelenke des älteren Mannes aneinandergezurrt. Hose und Unterhose auf die Knöchel gezerrt, Anzugsjacke und Hemd aufgeknöpft, bevor er die merkliche Erektion gepackt, massiert und zum spritzenden Erguss auf den bleichen Torso getrieben hatte. Morioka hatte weder protestiert, noch sich gewehrt. Er atmete bloß schneller und stöhnte kehlig, als ihm Erleichterung verschafft wurde. Das war zweifellos eine ungewöhnliche Haltung, und Kazuya begriff in diesem Moment, dass er nicht Herr der Situation war. Aber auch nicht Morioka unterlegen, dem er sich mit seiner sexuellen Belästigung förmlich ausgeliefert hatte. Vielmehr kümmerte es Morioka nicht, ob und wie die Lage war. Kazuya tupfte die weiche, ein wenig schlaffe Haut ab, befreite die Handgelenke und richtete Moriokas Bekleidung. Anschließend übergab er ihm die Arbeitsaufträge, die er eigentlich aufwändig und wortreich hatte erklären wollen, um sich einzuschmeicheln, für sie zu werben. Morioka stand auf, verbeugte sich an der Tür knapp und ging. Am nächsten Morgen dann fand Kazuya die gewünschten Ergebnisse mit allen anderen Auswertungen auf seinem Schreibtisch vor. Keine Anzeige, keine Beschwerde, kein Kommentar. Und er musste sich die Frage stellen, ob Morioka ihn überhaupt wahrgenommen hatte. Oder bloß seinen Körper den unerklärlichen Zudringlichkeiten des Abteilungsleiters ausgeliefert. Etwas Unvermeidliches hingenommen hatte. Kazuya forschte also unauffällig nach. Es musste doch eine Erklärung für Moriokas ausbleibende Reaktion geben! Der Antwort war er auch nach einem halben Jahr in der Firma keinen Schritt nähergekommen. Es klopfte, seine Vorzimmerdame lächelte mütterlich und ließ Morioka ein, der sich wie immer knapp verbeugte, dann die Tür schloss. Wartete, an welchen Platz Kazuya ihn wohl dirigieren würde. Manchmal war es die Couch. Dann das Fenster mit der breiten Bank. Der Schreibtisch. Oder zwischen zwei Stahlregalen im engen, fensterlosen Aktenraum. Alle zwei bis drei Tage bestellte Kazuya Morioka ein, für eine dreiviertel Stunde in der Regel. Strategie-Besprechung betitelte er es vor der Belegschaft, denn sie hatten ja alle ihre Spezialaufgaben. Gleich beim zweiten Mal war er aufs Ganze gegangen. Er spürte, dass Morioka keine Erfahrungen mit Analsex hatte. Selbst intimer Körperkontakt schien dem älteren Mann fremd zu sein. Kazuya trumpfte auf in seiner Rolle als "Meister", als "Herr" und Intimus. Er kannte sich aus, wusste, was er wollte und auch, was manchem anderen in der Vergangenheit großen Lustgewinn bereitet hatte. Folglich gebot er Morioka, der zu Tetsuo wurde, orderte ihn zu seinem eigenen Bedürfnis herum und horchte in den älteren Mann hinein, wenn er mit ihm schlief. Irgendwo in diesem Körper MUSSTE sich einfach der wahre Tetsuo Morioka verbergen! Dessen Körper offenkundig nichts gegen den Sex einzuwenden hatte. Das erstaunte Kazuya noch immer. Wieso war Morioka selbst so unbeteiligt und distanziert, zeigte aber beim Intimverkehr weder Scheu noch Scham? Nicht, dass Kazuya sich darüber beklagt hätte. Er mochte das gute Gefühl danach, jeden Höhepunkt davor und auch die Verführung als kunstfertiges Spiel. Morioka spielte nicht. Er kam, wurde genommen, kam zum Höhepunkt, manchmal erneut und ging wieder. Also schwankte Kazuya zwischen Entspannung, die ihm die körperliche Betätigung verschaffte und einer gewissen Verärgerung, die nicht aufgeben wollte, den echten Morioka hervorzulocken. An diesem Morgen löste er sich schwungvoll aus seinem Bürosessel, streckte auffordernd die Hand aus. Ohne ein Wort kam Morioka näher, trat hinter den Schreibtisch ans Fenster. Kazuya lächelte seinem Spiegelbild in der Scheibe zu, löste geschickt unter den Armen des älteren Mannes hindurch die Knöpfe, streifte Jacke und Hemd ab. Er mochte es, wenn Morioka beinahe nackt vor ihm stand, in den leichten Baumwollschlappen der Firma, darüber schwarze Herrensocken, die sich kontrastreich von der bleichen Haut und der spärlichen Behaarung abhoben. Er selbst wahrte die Form, ließ gerade mal die Hosen hinunter oder streifte das maßgeschneiderte Sakko von den athletischen Schultern. "Ich war am Wochenende in einem großen Thermalbad", raunte er Morioka in ein Ohr, während er dessen Hose Richtung Boden verabschiedete, "es gab dort für unterschiedliche Badekulturen rund um den Globus eigene Räume." Morioka schwieg, blickte leer aus dem Fenster. Registrierte mutmaßlich die aneinander geschmiegten Silhouetten gar nicht. "Außerdem hatten sie auch in einem kleinen Museum antike Utensilien ausgestellt." Kazuya knabberte an einer Ohrmuschel. Seine Hände streiften kraftvoll über den weichen Unterbauch, bevor er sie zu Fäusten ballte und massierend über die Beckenknochen rieb. "Verrate mir, Tetsuo, magst du lieber Dampfbäder? Oder Sauna?" Kazuya saugte die Haut am Nacken so fest an, dass ein Bluterguss entstand. Unglaublicherweise konnte er Morioka Knutschflecken verpassen, ohne dass sie den älteren Mann in Verlegenheit zu bringen schienen. Denn niemand unterhielt sich mit ihm oder sah ihn an. Bemerkte die sichtbaren Zeugen einer passionierten Beziehung. Morioka keuchte ob der Zähne, die perfid in seinen Nacken schlugen, wehrte sich jedoch nicht. Wie immer in dieser Position ruhten seine nackten Unterarme auf der Fensterscheibe, stützten sie beide ab. "Hmm", brummte Kazuya unzufrieden, "da deine Zunge kein Interesse hat, mir eine Antwort zu geben, habe ich für sie eine andere Beschäftigung!" Damit drehte er Morioka schwungvoll an den Schultern herum und nahm selbst den Platz am Fenster ein, bequem auf der vorstehenden Bank sitzend. Er spreizte die Beine und kreuzte die Arme im Nacken. "Ich erwarte, dass du mich verwöhnst." Ohne merkliches Zögern ging Morioka nackt bis auf Socken und Schlappen vor ihm auf die Knie, zog den Reißverschluss der Anzughose herunter und hob Kazuyas Penis umsichtig über den knappen Bund des Slips. Der mochte es nämlich nicht, mit blankem Hinterteil auf der kalten Bank auszuharren, um sich möglicherweise auch noch eine Infektion einzufangen! Wie er es gelehrt worden war, begann Morioka mit den Händen, durchaus geschickt, wenn auch mechanisch, bevor er den Kopf über Kazuyas Schritt beugte. Der erlaubte sich den Luxus, über die schwarzen Naturwellen mit ihren vereinzelten silbernen Fäden zu streicheln. Er war nicht leise, wenn ihm etwas gefiel, feuerte Morioka an. Dem das vermutlich vollkommen gleichgültig war, doch Kazuya verdrängte den verstörenden Gedanken eilig. Morioka war gut. Morioka tat ihm gut. Mehr wollte er gar nicht mehr wissen! Bevor er sich nicht mehr kontrollieren konnte, schob er eine Hand von Moriokas Schopf unter dessen Kinn, gab das Signal, dass der sich wieder erheben konnte. Kazuya streifte sich selbst das Kondom über, verteilte Gleitcreme, bevor er sich Morioka zuwandte, der wie gewohnt mit den Unterarmen die Fensterscheibe abstützte. Ein leichtes Zucken, ein automatischer Reflex, das war die einzige Reaktion, die Morioka zeigte, wenn Kazuya mit den Fingern dessen Schließmuskel penetrierte. Dann atmete der ältere Mann tiefer, entspannte sich und reduzierte die Spannung auf ein normales Maß. Um ihn abzulenken, denn Kazuya wusste, dass Analsex nicht unbedingt angenehm war im Anfangsstadium, leckte er ihm über die Wange, die Schläfe, während er ihn inwendig streichelte. Sich den Weg schaffte, um in Morioka einzudringen. Auch wenn es lediglich der Körper war, den er eroberte. Mit dem er eine temporäre Verbindung schuf. Wenn Kazuya Morioka von hinten nahm, legte er unwillkürlich die Hand auf den weichen Unterbauch, als könne er spüren, wo das Ziel lag. In welche Richtung er vordringen musste, um Morioka zum Höhepunkt zu stoßen. Oder zu wippen. Zu wiegen. Manchmal bloß zu vibrieren. Kazuya koordinierte seine Bewegungen, streichelte mit der Linken die Erektion seines Partners, während die Rechte den Unterleib dirigierte, eine Gegenbewegung zu seinem Hüftschwung initiierte. Moriokas Lider flatterten, das hatte er bemerkt, seine Lustlaute wurden kehliger, tiefer, konnten nicht mehr durch konzentriertes Atmen unterdrückt werden. Diese wenigen Augenblicke, wenn Morioka bei ihm zu sein schien, sich in der Leidenschaft ihrer Vereinigung wand, nicht mehr entfliehen konnte, liebte Kazuya. Dann vermisste er nicht die kleinen Neckereien und Komplimente, die zärtlichen Scherze und liebevollen Gesten, das gemeinsame Lachen und Kichern, die wärmende, vertrauliche Umarmung danach. So, wie es bei anderen funktionierte. Doch Morioka war nicht wie andere. Das hatte er akzeptiert. Aber es genügte ihm noch längst nicht. #~+~# Wortlos nahm Tetsuo die Anweisungen auf Papier entgegen, verbeugte sich knapp und verließ das Büro des Abteilungsleiters. Längst waren sie dazu übergegangen, nicht mehr die Wünsche und Erwartungen zu besprechen, die ihn alle zwei bis drei Tage in das Büro orderten. Tetsuo war es schlichtweg gleichgültig, was Abteilungsleiter Nakai erzielen wollte. Wenn der ein strategisches Ziel benannte, verschaffte ihm Tetsuo die entsprechenden Informationen und Analysen. Das war seine Arbeit, letztendlich. Die Anweisungen waren kurz gefasst, präzise und zeugten von der Qualifikation Nakais, das erkannte Tetsuo an. Auf eine desinteressierte Weise. Er nahm sie hin, wie er es akzeptierte, dass sein Körper zum Beischlaf genutzt wurde. Das war nicht schlecht oder verwerflich, denn immerhin führte es zu einem verbesserten Bewusstsein seines Organismus, der neben Nahrung, Schlaf und Witterungsschutz nun auch auf andere Weise gefördert und trainiert wurde. Abschließend jedoch...war es ohne Bedeutung. Zweifellos auch für Abteilungsleiter Nakai, der sich mutmaßlich keine Gedanken darüber machte. Immerhin war der ein Katzenschwergewicht. Für Tetsuo änderte das gar nichts. Sein Leben fand nur an Sonntagen in seinen eigenen vier Wänden statt. Die übrige Zeit existierte bloß die Drohne, der er seinen Körper lieh. #~+~# Kazuya wusste nicht, wann genau es begonnen hatte. Dass es nicht bei einmal blieb. Dass es länger dauerte. Oder dass er Morioka mit erotischem Spielzeug traktierte. Da waren diese hübsch bemalten Klammern für die Brustwarzen gewesen. Eine Penismanschette, mit temperaturempfindlichem Gel gefüllt. Dildos und Vibratoren. Obwohl er Moriokas Körper nicht als Marionette oder gar Sexpuppe betrachten wollte, trieb ihn sein verletzter Stolz mit regelrechter Verzweiflung dazu, eine Reaktion des älteren Mannes hervorzulocken. Es MUSSTE einen Weg geben, Tetsuo zu erreichen! Wenn das Spielzeug keine Wirkung tat, nicht die ledernen Fesseln oder geschnürten Mieder und Halfter, wenn er umsonst Zärtlichkeiten flüsterte, Morioka wie einen Geliebten umwarb, ihn verwöhnte! Seine eigene Besessenheit bereitete Kazuya zunehmend Kopfzerbrechen. Sie lenkte ihn in gefährlicher Weise von der Arbeit, von seiner Strategie ab. Es durfte nicht sein, dass er bereits beim lautlosen Schließen der Tür darüber grübelte, wie er Morioka beim nächsten Mal behandeln sollte. Welche Hilfsmittel er noch nicht erprobt hatte. Außerdem, das setzte ihm zu, es durfte niemand etwas merken. Günstlingswirtschaft war ihm zuwider, deshalb wollte er vermeiden, dass der Eindruck bei seiner Mannschaft entstand, er bevorzuge ausgerechnet den Sonderling Morioka! Aber wie, WIE sollte er ihn erreichen?! Der Gedanke kreiselte unaufhörlich in seinem Kopf. Reichlich verbittert nach einem langen Tag fragte er sich, ob er nicht einem Phantom nachjagte. Morioka lebte wie ein Uhrwerk, immer gleich, präzise, aber ohne Emotionen. Unbeteiligt und distanziert. Als ob man sich in eine Maschine verliebt hätte und nun beklagte, dass sie nur ihrem Zweck entsprach und keinen Jota darüber hinaus! Doch noch wollte Kazuya sich nicht geschlagen geben. Ein Dreivierteljahr, all überall Lobeshymnen auf seine Abteilung, seine Erfolge. Letztendlich zählte nur der Krieg, nicht jede einzelne Schlacht, aber für sein Selbstverständnis, sein Ego war es unverzichtbar, dass er diese eine Schlacht auch noch für sich entschied. Es ging nicht mehr länger um Morioka als Verbündeten, als Mitwisser und fähigen Assistenten. Sondern um Tetsuo, den unbekannten Mann hinter der Person, mit der Kazuya eine uneingestandene Beziehung führte. Sein Plan sah vor, die letzte Trennlinie zu überwinden, die er bisher respektiert hatte: Tetsuos privaten Rückzugsraum. Wenn der widerspenstige Morioka es schon ablehnte, die samstäglichen Veranstaltungen der Abteilung mit seiner Anwesenheit zu beehren, dann wollte Kazuya eben dafür sorgen, dass er allein dessen Privatsphäre eroberte. Deshalb verschaffte er sich einen Grund, um mit Morioka eine Geschäftsreise unternehmen zu können: eine Abstimmung mit einer anderen Filiale im Süden. Geschickt verpackte er die Begleitung durch Morioka vor seiner Mannschaft als eine Möglichkeit, ihre Teamfähigkeit und ihren Zusammenhalt in Zeiten angespannter Personaldecke unter Beweis zu stellen. Und wer wollte nicht einmal demonstrieren, wie gut er inzwischen mit der Materie umzugehen verstand? Wenn nicht Morioka wie stets die Aufgabe an sich nahm? Der Ansporn schien zu funktionieren, und Morioka selbst leistete keinen Widerstand, sondern betrat das Gebäude zum ersten Mal seit mehr als 15 Jahren mit einer Reisetasche, die er üblicherweise nur zu Besuchen bei seinen Eltern verwendete. Kazuya gratulierte sich selbst zu dieser Taktik. Jetzt KONNTE ihm Tetsuo nicht mehr entwischen! #~+~# Tetsuo nahm die verordnete Reise über das Wochenende als eine kleine Nickeligkeit seines Schicksals hin. Er konnte durchaus ein paar Mal im Jahr den heiligen Sonntag opfern, etwa, wenn er seine Eltern besuchte. Es bedeutete lediglich, dass er sicherstellen musste, keiner seiner Flaschen oder Wardschen Gärten wäre in einem Stadium, das dringender Betreuung bedurfte. Augenblicklich jedoch arbeitete er an einem besonderen Exemplar, das über die üblichen Geschenke an Frauen von besonders originellen Verehrern hinausging. Orchideen hatte er immer wieder mal verwendet, Miniatur- oder Paradiesgärten gefertigt, um das Auge zu erfreuen und das Herz der Liebsten zu erobern. Dieses Mal jedoch stellte er sich einer komplexen Herausforderung, denn es gab ausreichend blühende Pflanzen, die einer schwierigen Hege bedurften, um zu gedeihen. Da kam es auf jede Komponente an, auf jedes Insekt, jeden Wurm, jede Konstellation, um das Werk wirklich zu perfektionieren. Selbstredend war es ärgerlich, dass er mit seinem konzentrierten Studium der Referenzliteratur aussetzen musste, aber Tetsuo war vorsichtig genug, keinen Hinweis auf seine liebste Beschäftigung zuzulassen. Auch das Reisegepäck durfte keine Rückschlüsse erlauben! Es war ihm durchaus bewusst, dass Abteilungsleiter Morioka zunehmend hartnäckiger darin wurde, ihm eine Reaktion zu entlocken. Von ihm nun wohl auch erwartete, für die freie Zeit zwischen den Terminen zur Verfügung zu stehen. Tetsuo kümmerte das nicht sonderlich. Er klinkte sich stets aus, überließ seinen Körper dessen gefälligem Vergnügen und fand sich nur wieder ein, wenn er er selbst sein konnte. Folglich akzeptierte er auch kommentarlos, dass sie ein Zimmer teilten und der Abteilungsleiter darauf bestand, mit ihm gemeinsam in dem Businesshotel die heißen Bäder zu besuchen. Vor anderen Gästen forcierte Nakai das Gespräch glücklicherweise nicht, sodass Tetsuo gewohnt unbeteiligt und abwesend agieren konnte. Ungerührt ließ er sich auch in das enge Bett ziehen, bevor der Abteilungsleiter wie erwartet mit ihm schlief. Ohne Kondom, was eine Premiere war, aber Tetsuo wischte kurz aufwallenden Ekel beiseite. Es gab schließlich Wasser und Seife! Etwas mehr Zeit für den Toilettengang, und das Thema wäre erledigt. #~+~# Kazuya hob Tetsuos Kehrseite sanft an, bevor er mit Geschick den Analstöpsel einführte. Wenn Tetsuo schon meinte, ihn mit stoischem Schweigen und völliger Indifferenz ärgern zu müssen, dann wollte er dafür sorgen, dass sein widerspenstiger Gespiele sich eine ganze Weile an ihn erinnerte. An das Sperma in dessen Leib. Die klebrige Hitze ihrer Vereinigung. Er zerrte Tetsuo auf die Beine, drängte ihn zum zweiten Bett, schlug es auf. Das Laken war noch kühl und glatt, nicht wie das Schlachtfeld ihrer Intimitäten bereits deutlich gezeichnet. Es war eng, natürlich, aber das entsprach Kazuyas Absichten: er konnte sich ungeniert an den nackten Leib des älteren Mannes schmiegen, ihn selbst im Schlaf nicht entkommen lassen. Und am Morgen, das nahm er sich vor, da wollte er noch einmal mit Tetsuo schlafen, bevor sie nach einem luxuriösen Frühstück zurückfuhren. Beinahe, blinzelte er schläfrig, war es so wie ein Wochenendrendezvous mit einem Liebsten. #~+~# Tetsuo erwachte und fühlte sich wie gerädert. Eng, heiß, stickig: die Nähe des Abteilungsleiters hatte ihm erholsamen Schlaf verwehrt. Der duldsame Tetsuo empfand den anderen Mann plötzlich als unerträglich lästig. Er hatte ihn bisher nicht beachtet, wie eine aufdringliche Plage akzeptiert, doch der Langmut schien für gefährliche Augenblicke verloren zu sein. Bevor er sich selbst daran hindern konnte, studierte er den Jüngeren. Die attraktive Erscheinung, die im Schlaf gelösten Züge, das leichte Lächeln, das um die Mundwinkel spielte. »Warum«, brodelte die Wut in Tetsuos Magengrube, »warum muss der Kerl ausgerechnet mir nachsteigen?! Wieso sucht er sich nicht jemand passenden?!« Ein internes Alarmsystem warnte Tetsuo postwendend, dass er im Begriff war, sich in einen Strudel hineinziehen zu lassen, der ihm gar nichts außer weiteren Ärger einbringen würde. »Warum regst du dich auf?«, besänftigte er sich selbst, »nach diesem Tag ist es vorbei. Heute Abend hast du deine Aufzeichnungen komplett, denk lieber daran! Was macht das bisschen hier schon aus? Streif es ab, streich es aus deinem Gedächtnis! Das ist nicht wichtig.« »Richtig«, pflichtete sich Tetsuo ruhig bei, »das ist nicht wichtig.« Abteilungsleiter Nakai war nur ein vorübergehendes Ärgernis. Bald würde der sich zweifelsohne eine andere Abteilung aussuchen können, wenn ihn die Leitung des Konzerns dazu aufforderte. Sie hatten nichts gemein, und die Überschneidung ihrer Biographien würde sicherlich in Kürze beendet sein. Also, was spielte es für eine Rolle? #~+~# Kazuya wachte allein auf, registrierte nach einem hastigen Wischen der Strähnen aus den Augen, dass das zweite Bett bereits ordentlich gemacht worden war. Abrupt setzte er sich auf. "Tetsuo?" SO war das nicht geplant gewesen! Er schleuderte die Bettdecke beiseite, schwang die Beine über die Bettkante und federte in die Höhe. Doch das kleine Badezimmer war verlassen, ebenfalls in akkurater Ordnung. Lediglich die Reisetasche erinnerte daran, dass ihr Besitzer hier gewesen war. Und mutmaßlich zurückkehren würde. Wütend und verletzt durch seine enttäuschten Erwartungen duschte Kazuya und kleidete sich an. Wahrscheinlich hatte Tetsuo seine Absichten erkannt und war zum Frühstück geflohen, um sich dort vor ihm sicher zu fühlen! Na warte! Als Kazuya in den Saal fegte, der den Mahlzeiten diente, entdeckte er den farblosen Morioka erst nach einem konzentrierten Rundumblick. Krummbucklig über Dokumente gebeugt, hinter künstlicher Bepflanzung beinahe unsichtbar. Erbost stürmte Kazuya heran und versetzte pointiert, "wieso hast du mich nicht geweckt, Tetsuo?" Morioka sah auf, mit dem gewohnten blanken Blick in den tintenschwarzen Augen, murmelte dann ebenso unbeteiligt eine formale Entschuldigung. Allein seine gute Erziehung hinderte Kazuya daran, diesem unverschämten Tetsuo für die freche Lüge eine Szene zu machen. Stattdessen traf er die Wahl des Menüs und aß schweigend. Das hob seine Laune ein wenig an. Und natürlich die Phantasien, wie er trotzdem noch einen Sieg erringen konnte. Zu seinem Recht auf das morgendliche Schäferstündchen kam. Kazuya entschied sich für die Zugtoilette. Er signalisierte Tetsuo, ihm zu folgen, drängte ihn dann in die enge Kabine und verriegelte die Tür. Romantischer wäre es im Hotel gewesen, das sollte Tetsuo jetzt klar werden, aber da er sich absichtlich entzogen hatte, musste es eben eher unbequem und prosaisch ablaufen! Tetsuo schwieg, wie immer. Ließ sich die Hosen herunterzerren und gegen die Tür pressen, durchaus schmerzhaft. Dann hielt Kazuya inne, hatte den Analstöpsel ertastet, den er vollkommen aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. "Wieso hast du ihn nicht herausgenommen?", raunte er irritiert, "ich habe nicht verlangt, dass du ihn so lange trägst." Aber er hatte Tetsuo auch nicht gesagt, der möge ihn entfernen. Und wie eine Maschine ohne den nächsten Befehl hatte der einfach so verharrt, wie man ihn zurückließ. Kazuya spürte, wie seine aggressive Leidenschaft verpuffte. Die Glieder wurden ihm schwer, eine Last drückte sich auf seine Schultern. War Morioka ihm wirklich über? Kam er einfach nicht an ihn heran? Gab es nicht die kleinste Lücke? Würde er Tetsuo nicht finden, kennenlernen? Er drehte ihn um, stützte die Hände flankierend um dessen Kopf auf. Betrachtete das ruhige Gesicht. »Ich kann nicht aufgeben«, das wurde ihm mit seltsamer Gewissheit klar. »Ich brauche die Antwort auf den Menschen hinter dieser Fassade.« Auch wenn er Morioka gleichgültig war, umgekehrt traf das nicht zu. Kazuya gestand sich ein, dass er den falschen Weg gewählt hatte, das Mysterium zu lösen. Also neigte er sich vor, senkte die Lider und begann damit, Tetsuo Morioka zu küssen. #~+~# Tetsuo hatte keine Schwierigkeiten mit Würmern oder Insekten, Larven, Puppen oder ähnlichem. Diesen Kontakt war er gewöhnt und sah ihn auch nicht als "schmutzig" an. Er arbeitete üblicherweise mit Handschuhen, sehr vorsichtig, um die Tiere nicht zu verletzten oder etwa die bald abgeschlossene Ökosphäre zu verunreinigen. Speichel austauschen mit anderen Menschen, das kam ihm widernatürlich und recht ekelhaft vor. Wenn er Reiko geküsst hatte, war das trocken, mit geschlossenen Lippen und züchtig erfolgt. Abteilungsleiter Nakai küsste ganz anders. Hungrig, verzweifelt, aufdringlich, feucht, erobernd. Tetsuo schluckte unwillkürlich, keuchte gegen irrationale Erstickungsängste an, wich der gelenkigen Zunge aus, die seinen Mundraum wie eine Räuberhöhle bestrich, jeden Millimeter in Besitz nehmen wollte! Ihn schwindelte. Langsam fühlte sich die Drohne bedroht. War etwa der Zeitpunkt gekommen, wo sie im Liebesakt sterben sollte? #~+~# Kazuya verzichtete, keineswegs schweren Herzens, auf einen hastigen, groben Akt in der Zugtoilette. Etwas, eine Ahnung nur, hatte ihn erreicht. Das Gefühl, als hätte sich Tetsuo für einen Wimpernschlag verspannt, gegen seine Küsse verwahrt. Es GAB also doch irgendwo in der uneinnehmbaren Mauer einen Widerstand, der reagierte. Folglich musste er schieben, drängen, drücken, jede Ritze erkunden, jeden Stein anheben, -figurativ gesprochen-, um Tetsuo hinter Moriokas Fassade zu finden. Der nächste Schritt bestand für ihn darin, sich nicht schnöde am Bahnhof zu trennen, sondern Tetsuo einfach zu dessen Appartement zu begleiten. Er spürte Ratlosigkeit und, winzig zwar aber nicht zu verfehlen, eine gewisse Abwehr. Tetsuo wollte ihn nicht hineinbitten, sah sich aber nicht in der Lage, die Geste der Höflichkeit zu verweigern. Natürlich war es in Japan unüblich, dass Vorgesetzte einfach in der Privatwohnung einmarschierten. In anderen Ländern dagegen, das wusste Kazuya aus eigenem Erleben, galt es als ganz normal, zum Abendessen oder einer Grillparty eingeladen zu werden. Eine Form der Beziehungspflege eben. Er konnte verstehen, dass die beengten japanischen Wohnverhältnisse nicht eben gerade für eine Stippvisite, geschweige denn mehr!, den angemessenen Rahmen bieten konnten, trotzdem wählte er diese Taktik. Weil eine Wohnung, besonders eine kleine, sehr viel über ihren Bewohner aussagte. Man konnte nicht einfach die eigenen Vorlieben in mehreren Räumen verschwinden lassen, Salons aufbieten oder ein geräumiges Wohnzimmer und ein Gästebadezimmer, um neugierige Besucher in Schach zu halten! Tetsuo schloss langsam auf, und jede winzige Verzögerung bewies Kazuya, dass er auf dem richtigen Pfad wanderte. Hier war der Schlüssel zum wahren Tetsuo in greifbarer Nähe! Das Appartement war selbstredend klein, aufgeräumt dank der Wandschränke und Tetsuos Hang zur Ordnung. Er mochte es nicht, wenn Dinge herumlagen, sich unmanierlich stapelten oder den Eindruck eines quietschbunten, bis zum Bersten gefüllten Kramladens vermittelten. Bevor er ein Wort über die Lippen bringen konnte, hatte sich Kazuya bereits der Schuhe entledigt, die Reisetasche abgestellt und streifte neugierig durch den bescheidenen Raum. Sollte man Tee anbieten? Oder gleich den Futon ausbreiten? Von dem unerwarteten Zynismus seiner inneren Stimme überrascht zögerte Tetsuo. Aber es war ohnehin zu spät, die kleine Schmucknische abzudecken, die es in jedem Haushalt gab. Üblicherweise stand dort der Familienaltar, begleitet von einem kunstvollen Blumengesteck oder einem jahreszeitlich angepassten Rollbild. Auch Tetsuo hatte einen sehr bescheidenen Altar aufgebaut, auf dem die ausgeblichenen Porträts der Großeltern standen. Er hatte sie nie richtig kennengelernt und deshalb keine besondere Erinnerung an sie. Da er Räucherwerk verabscheute und auch keine Kostbarkeiten besaß, nutzte er die Nische auf andere Weise. Oben auf dem eingefügten Regalbrett wachten die Großeltern in ihren altmodischen Bilderrahmen, darunter befanden sich seine kleinen Universen. Und noch tiefer, verdeckt unter einer dunklen Plane, die Wurmfarm, die er eigens aufgebaut hatte. Natürlich fiel Kazuyas Blick auf die beiden Wardschen Kästen. In einem waren lediglich die Fundamente für ein neues Universum gelegt, nämlich die ersten Bodenschichten ohne Bewohner oder Pflanzen. Nummer Zwei war ein klassischer Flaschengarten, allerdings in einer außergewöhnlich geformten, sehr schönen Flasche. Eine Herausforderung, sie zu gestalten, da der Flaschenhals recht eng war und die Glasfärbung von einem satten Tiefblau. Doch das Experiment war gelungen, und Tetsuo hatte sich noch nicht von diesem Wunderwerk trennen können. "Was ist das?" Kazuya beugte sich in die Nische, ging sogar auf die Knie und bestaunte die Flasche samt Innenleben. Neugierig wandte er sich zu Tetsuo um. "Ist das ein Miniaturgarten? Wer hat ihn gemacht? Wie sind die Sachen da reingekommen? Ist es ein Trick?" Tetsuo blinzelte, von dieser Fragenspringflut in die Enge getrieben. Er hatte keine Mühe, wildfremden Personen, die er nicht zu Gesicht bekam, die Prinzipien der Wardschen Kästen ausführlich zu erklären, über seine Erkenntnisse in Sachen Gestaltung zu dozieren. Doch Jahre des Versteckspiels und der Missachtung hatten ihm den Mund verschlossen und die Kehle zugeschnürt, wenn es darum ging, jemandem Aug in Aug sein Hobby vorzustellen. Enthusiastisch hob Kazuya die Plane an, spähte darunter. "Und das ist eine Wurmfarm, oder? Phantastisch!" Er ließ die Plane wieder sinken, kam auf die Beine. "Einer meiner Cousins hatte eine riesige Ameisenfarm in einem gewaltigen Glasbecken. Lebte in Texas. Ich fand's damals herrlich, die Ameisen zu beobachten", er lächelte sonnig, "heute würde mal wohl von Tierquälerei sprechen, nicht wahr?" Tetsuo musterte den Abteilungsleiter wie einen Marsmenschen. Er hörte die Worte, zweifellos, aber sie ergaben keinen Sinn. Warum sollte sich jemand für seine Arbeit hier interessieren? Auch noch eine Person aus der Firma?! Die doch hundertprozentig ein Golf-Anwärter im Alter war?! "Das ist also dein Steckenpferd", Kazuya schmunzelte, "überraschend, das gebe ich zu. Aber sehr schön. Du hast künstlerisches Talent." Die Komplimente perlten spurlos an Tetsuo ab. Er wusste mit der Situation nichts anzufangen. Was wurde jetzt von ihm erwartet? Wenn er rasch den Futon ausbreitete, würde er dann in einer Stunde endlich allein sein können und an seinem aktuellen Projekt arbeiten? "Darf ich zusehen, wie du daran arbeitest?" Kazuya nahm Tetsuos Hände, der die impulsive Geste erstarrt über sich ergehen ließ. Warum heuchelte der Abteilungsleiter Interesse? Dessen bedurfte es doch gar nicht, er verweigerte sich dem Sex doch nicht! "Na?", hakte Kazuya unterdessen nach, den Kopf keck auf eine Seite gelegt, die Parodie eines neugierigen Vögelchens. "...ich betreibe noch Nachforschungen", würgte Tetsuo mühsam hervor. Er wollte allein, für sich sein. Der aufdringliche Abteilungsleiter sollte verschwinden und mit ihm die unsäglich banale, eintönige, farblose Welt, in der er lediglich existierte, aber nicht lebte. Tetsuo wollte nicht, dass sie wie ein Virus übergriff und sein Leben verseuchte. #~+~# Kazuya erkannte, dass er eine Schlacht schlug, die er auf diese Weise im Augenblick nicht gewinnen konnte. Tetsuo starrte ihn an, dann verschwand er und machte Platz für Morioka. Den Roboter, der ihm zuarbeitete. Aufgeräumt hielt Kazuya also auf den Eingang zu, schlüpfte in seine Schuhe. "Bitte sag mir Bescheid, wenn du es zusammensetzt, ja? Ich möchte es wirklich gern sehen!" Die Verständnislosigkeit verschwand nicht aus dem reglosen Gesicht, ebenso wenig schenkte ihm Morioka ein Grußwort. Vor dem Haus hielt Kazuya inne, blickte an der Front nach oben. Es erschien paradox, dass ausgerechnet eine leblose Marionette wie Morioka in sich einen Tetsuo verbarg, der Leben erschuf. Aber es bestärkte Kazuya auch in seiner Einschätzung, dass es mehr von Tetsuo gab, als er bisher gesehen hatte. Irgendwo hinter den Schutzmauern befand sich ein Mann, der das Leben liebte, der nicht nur beim Sex unerwartet ungehemmt und leidenschaftlich war. »Man muss ihn bloß hervorlocken«, gab er sich selbst eine Losung aus. Hatte vielleicht die Scheidung Tetsuo so sehr verletzt? Oder hatte ihn jemand wegen seines Hobbys verspottet? Schwungvoll setzte sich Kazuya in Bewegung. Er hatte zwar den gewünschten Beischlaf nicht nachholen können, er fühlte sich jedoch so, als habe er einen viel bedeutsameren Erfolg errungen. #~+~# Tetsuo war verwirrt. Ratlos. Irritiert. Und wurde deshalb nervös. Obwohl Abteilungsleiter Nakai ihn lediglich als Arbeiter und Sexspielzeug benötigte, war er ihm nach Hause gefolgt, hatte aber keinen Sex forciert. Was bedeutete das? Für morgen? Für die nächsten Tage? Seltsamerweise hatte Tetsuo nicht das Gefühl, dass Nakai ihn bloßstellen würde, indem er das Steckenpferd zum Gesprächsthema der Abteilung lancierte. Es wäre ihm allerdings sehr viel lieber gewesen, es hätte sich nichts geändert. Es gäbe weiterhin eine saubere Grenzlinie zwischen Existenz und Leben, Arbeit und Hobby. Doch sie war überschritten worden. Und wie sich zeigte, hatte Nakai nicht die Absicht, diesen Fehltritt einmalig sein zu lassen. Er wurde wie gewohnt alle zwei bis drei Tage zur Strategie-Besprechung einbestellt und agierte als Spielzeug für die physischen Bedürfnisse. Immer öfter erkundigte sich Nakai nach seinen Plänen nach der Arbeit, erschien sogar am Sonntag vor Tetsuos Appartement! Dann brachte er meist etwas zu essen mit, eine Fachzeitschrift, die ihm ins Auge gefallen war, oder er zwang Tetsuo beinahe handgreiflich, das Sanktuarium seiner Wohnung zu verlassen, um sich einen Kinofilm anzusehen oder durch Einkaufspaläste zu flanieren. Jedes Angebot brachte Tetsuo in größere Verlegenheit und steigerte seine Unruhe. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt, konnte nicht mehr nach Gusto an seinen Kästen und Flaschen arbeiten. Wie sollte er aber vehement genug ablehnen?! Nakai ignorierte seine Proteste, die höflich formuliert in der Morioka-Maske wenig Eindruck machten, da sie eine grundsätzliche Gleichgültigkeit und Schicksalsergebenheit transportierten. Er erwartete keineswegs, dass Morioka Konversation betrieb, ihm Antworten gab, sich an der munteren Plauderei beteiligte. Dass der beim Einkaufsbummel tatsächlich etwas anprobierte, erstand oder seine Einschätzung zu Nakais Wahl kundtat. Eigentlich, resümierte Tetsuo irritiert, war er bloß Statist in einer bizarren Inszenierung. Nicht anders als die Drohne in der Firma... allerdings fühlte er sich nicht wie die Drohne. Denn er fühlte. Er war nicht konzentriert, auf seine Aufgabe fixiert. Es gab schlichtweg keine Aufgabe und damit auch keine Ablenkung. Zum ersten Mal seit Jahren litt er unter Stress. Auch körperliche Beschwerden stellten sich ein, sein Magen gebärdete sich gereizt, seine Haut maskierte sich mit Flecken und seine Augen schienen einzutrocknen wie verschrumpelte Rosinen. Er hatte keine Erfahrung damit, seine Verstörung in Worte zu fassen. Oder jemanden zu benennen, dem er diese Worte hätte anvertrauen können. Soweit er sich erinnern konnte, fiel er immer nur auf sich selbst zurück, war sich selbst der einzige Horizont. Und jetzt wusste er nicht weiter. Vermutlich würde es helfen, wenn er ein Mal, nur EIN MAL überreagierte, Nakai von sich stieß, ihm ins Gesicht brüllte: "lass mich allein!" Aber das war eine Hürde, die er nicht nehmen konnte. Selbst wenn er den Vorsatz fasste, scheiterte er an seiner jahrelangen Übung darin, zu schweigen und sich hinter der Drohne zu verschanzen. Sie sprang in diesem ungünstigen Moment einfach ein, knebelte ihn, lähmte ihn und verwandelte ihn in die Puppe, die körperlich existierte, aber keinen Lebensfunken in sich barg. Immer öfter saß er vor seiner letzten Arbeit, die Hände auf den Oberschenkeln, die Werkzeuge und Utensilien griffbereit, doch er spürte, dass es nicht der richtige Augenblick war. Dass er wieder zögern, die Hände unverrichteter Dinge fallen lassen würde. Die ungelöste Qual raubte ihm den Atem. #~+~# Kazuya beobachtete Tetsuo mit einem Stirnrunzeln der Sorge. Mittlerweile hatte er Übung darin einzuschätzen, ob er Morioka oder Tetsuo vor sich hatte. Tetsuo konnte sich nicht mehr so leicht verkriechen, aber nun stand in den tintenschwarzen Augen ein Ausdruck der Verstörung, der Kazuya wehtat. Vielleicht war seine Rosskur doch zu drastisch? Konnte er es tatsächlich verantworten, dass Tetsuo so elend wirkte, sich ihm zwar nie offen widersetzte, aber innerlich zerbrach? Er strengte sich an, noch zärtlicher, noch liebevoller zu sein, öfter einfach zu schweigen, damit die Silben Tetsuo nicht zuhagelten. Allerdings zeichnete sich kein schneller Erfolg ab. Tetsuos tintenschwarze Augen blieben auf ihn geheftet, was durchaus schmeichelhaft hätte sein können, wenn er in ihnen nicht nervöse Sorge und ängstliche Verwirrung gelesen hätte. »Dabei will ich dir doch gar nichts Böses«, seufzte Kazuya, streichelte über den mit silbrigen Fäden vereinzelt durchzogenen Schopf, der mechanisch über seinem Schoß kreiste. "Genug", beschied er sanft, fasste unter das spitze Kinn, lächelte in Moriokas Augen. Ein zarter Kuss auf die Stirn genügte, um Tetsuo in Erscheinung treten zu lassen. Kazuya bevorzugte eindeutig die bequemen Polster des Dreisitzers. Und Tetsuo, bloß bis auf die Socken, ihm zugewandt. Das mochte nicht die ideale Position sein, aber er liebte es, sich Küsse zu stehlen. Bloß kein eiliges Raus-Rein-Gestampfe wie bei einem Kolben! Vor allem nicht, wenn er jemanden wirklich sehr mochte. Wie gewohnt bedeckte er die helle, in der letzten Zeit fleckige Haut mit Küssen, liebkoste den älteren Mann und gestattete sich frech einen tieferen Abdruck als Siegel seiner Zuneigung. In seinem Leben hatte es immer wieder Frauen und selten auch Männer gegeben, denen er sich über eine gewisse Frist intensiv gewidmet hatte. Die Maxime lautete: beide sollten ihren Spaß haben, geben und nehmen. Seiner Kunstfertigkeit war er recht sicher, fragte sich manchmal jedoch, ob es ihm nicht an anderen Fronten gebrach. Zum Beispiel dem Durchhaltevermögen für eine Beziehung. Andererseits, das hatte er auch Tetsuo bei seinen Besuchen munter schwatzend anvertraut, war seine familiäre Situation nicht gerade geeignet, in dieser Hinsicht allzu große Erwartungen erfüllen zu können. Er hatte Eltern, ohne Zweifel, sie waren bloß nicht miteinander verheiratet. Es gab natürlich eine große Familie, und er hatte im Verlauf seines Lebens bei jedem Zweig eine Zeitlang gewohnt. Notgedrungen hatte er sein Talent, rasch Sympathien zu wecken, schnell Anschluss zu finden und unerschrocken auf neue Situationen zuzugehen, erheblich ausbauen und verfeinern müssen. Aber was erwartete man auch bei einem Kind, das gezeugt worden war, um die geschäftlichen Beziehungen zweier bedeutender Schwergewichtsdynastien zu vertiefen? Kazuya raubte einen leidenschaftlichen Kuss und berauschte sich wie jedes Mal daran, dass der zugeknöpfte Morioka, dessen späte Ehe nach nur zwei Jahren bereits als gescheitert galt, in einer Hinsicht weder schamhaft zurückhaltend noch bange gehemmt agierte. Wenn er einen Kuss initiierte, wurde der ebenso feurig erwidert. Und wenn er endlich in den willigen Leib unter sich eindrang, atemlos ob der glühenden Hitze und seinem Bemühen, sich zurückzuhalten, dann bot ihm Tetsuo bis zur Ohnmacht reichenden lustvollen Widerstand. Hier wurde definitiv nicht nur EIN Partner verwöhnt. Er krümmte sich zusammen, leckte über die geteilten Lippen, stöhnte unterdrückt in ihrem verschlungenen Tanz, blies keuchend seinen fiebrigen Atem über das Ziel seiner Anstrengungen, bevor er sich mit Tetsuo erneut duellierte. Wenn es nur immer so bliebe! Wenn er nur endlich herausfand, wie man diesen Tetsuo in den Alltag lockte! #~+~# Tetsuo ertappte sich dabei, dass er blicklos aus dem winzigen Fenster starrte, den Monitor ignorierte, der noch immer auf seinen nächsten Befehl wartete. Die Drohne hätte nicht müßig Löcher in die Luft gestarrt! Doch wo auch immer sie hergekommen war: im Augenblick gelang es ihm einfach nicht, sie zur Arbeit erscheinen zu lassen. Folglich war er selbst hier, noch leicht erhitzt von der körperlichen Interaktion und der Schädel blankgeputzt. Er hätte nach eigenem Gefühl nicht mal das kleine Einmaleins aufsagen können! Dabei sollte er doch arbeiten, gewissenhaft seine Pflicht erfüllen. Eine gute Drohne sein. Aber er konnte nicht. Abgespannt, müde, verunsichert und deshalb wütend auf sich selbst schleppte er sich von Tag zu Tag. Verachtete sich selbst für die Feigheit, sich vor den prüfenden Blicken des Abteilungsleiters wegzuducken und vorzugeben, dass es ihm nichts ausmache. »Wozu?« Der Gedanke schmuggelte sich in seinen von diffusen Kopfschmerzen geplagten Kopf. Tetsuo erschreckte sich nicht, sie waren alte Bekannte. Vertraut miteinander. Sorgsam verpackte er die ungewöhnlich geformte, schöne Flasche mit ihrem kleinen Universum, damit sie sicher ihre stolze Empfängerin erreichte. Länger als schlappe Blumensträuße und abgeschmackte Komplimente aufdringlicher Verehrer würde sie sich an dieser Schönheit erfreuen. »Wozu?« Hektisch kontrollierte er die Uhrzeit, spürte das aufgeregte Trommeln seines Herzschlags und widerte sich selbst mit einem leichten Schweißfilm auf der Haut an. Heimlichkeiten in der eigenen Wohnung! Weil er Abteilungsleiter Nakai ausweichen wollte, der ohne Zweifel in Kürze vor der Tür stand. Und ihn wieder belagerte, keinen Rückzugsort mehr übrig ließ. Überall und jederzeit musste man Drohne sein! Hastig kontrollierte er, dass das Versteck des ambitionierten Kastens noch vor neugierigen Blicken sicher war. Er wollte nicht, dass Nakai davon wusste, sich einmischte, nach Fortschritten fragte und ständig seine Arbeit verfolgte! Tetsuo wusste, dass mangelnde Konzentration bei der Planung oder der Ausführung eine Welt von lebenden Wesen zerstören konnte. Schließlich war er der "Vater", der Schöpfer und damit verantwortlich. Sie, diese kleinen Welten, waren die Antwort auf die alte Frage des Wozu. Wenn er sich müßig bis gleichgültig die Frage stellte, warum er fortfuhr zu existieren. Abgesehen natürlich von der Gewohnheit. Zu existieren war in der Regel nichts Anderes, denn den Tod konnte man sich nicht vorstellen. Und blieb folglich bei dem, das man kannte. Angespannt kniete er nun auf den Tatami, wie ein Hund, der er schließlich auch war, die tintenschwarzen Augen auf die Tür gerichtet. Wie immer würde er zusammenzucken, wenn die Klingel ihren mechanischen Big Ben-Glockenklang erzeugte. Geschlagen und von sich enttäuscht, ja, angewidert, schickte er sich in die unvermeidliche Invasion des Fremden in sein trautes Heim. #~+~# Kazuya lächelte trotz des elenden Wolkenbruchs selbstzufrieden, balancierte er doch zwei Portionen appetitlichen Sushi, eine leckere Mischung aus rohem Fisch und Gemüse in den kleinen Klebereisrollen. Dazu noch eine gerade populäre Komödie, süßen Pflaumenwein zum Aufheizen: wer würde das nicht mögen? Munter betätigte er die Türklingel, sprudelte gut gelaunt seine Begrüßung und die üblichen Floskeln beim Eintreten hervor. Setzte seine guten Gaben ab, um aus den knöchelhohen Regenstiefeln zu schlüpfen, seinen praktischen, australischen Staubmantel mit dem großen Kragen und den dazugehörigen Lederhut der bescheidenen Garderobe anzuvertrauen. Er spürte den nervösen Blick auf sich ruhen, lächelte unwillkürlich beruhigend und kurbelte instinktiv die Pheromonverbreitung an. "Ich habe ein bisschen Sushi mitgebracht", er schwenkte die Tüte mit den Schätzen, nunmehr in dicken Socken, modisch gebleichten Blackdenimjeans und einem alten T-Shirt seiner Universität. "Wir gucken uns eine Komödie an, was meinst du? Ist doch gemütlich, wenn das Wetter uns schon so einen Streich spielt." Tetsuo, den er unverkennbar vor sich hatte, antwortete ihm nicht, kniete noch immer untätig auf den Tatami. Erhob nicht mal Einspruch, als sich Kazuya ungeniert an dem Geschirr vergriff, ihr Abendessen improvisierte. Er kannte sich bereits gut genug mit Tetsuos spärlichem Einmannhaushalt aus, um exakt zu wissen, was sich in der beklemmenden Ordnung wo befand. Selbst als er die Speisen auf dem winzigen Klapptisch arrangiert hatte und seinen stummen Gastgeber aufforderte, herzhaft zuzulangen, bereits mit einem winzigen Becher Pflaumenwein angeheitert, schwieg der. Weniger eisern als... verstört. Kazuya musste sich anstrengen, um diese Reaktion nicht zu beachten, unverändert gehobene Laune zu verströmen. Außerdem freute er sich wirklich darauf, die beengten Verhältnisse ausnutzen zu können, wenn er selbstherrlich Tetsuos Computer als Kinoleinwand umfunktionierte, sich hinter den älteren Mann schob, die Arme um dessen Taille schlang und ihn an sich zog. Sich selbst als Stütze und Kissen präsentierte, damit sie in Tuchfühlung die Komödie verfolgen konnten. Allerdings war es kein ungetrübtes Vergnügen, sich mit Tetsuo Spielfilme anzusehen. Er wehrte zärtliche Gesten nicht ab, ließ sich biegen und knuddeln. Wie ein Stofftier. Nur sein Mienenspiel blieb ausdruckslos, während in den tintenschwarzen Augen, die verstärkt Ringe zur Zier trugen, bange Sorge stand. »Wovor fürchtest du dich bloß?«, unwillkürlich verspürte Kazuya den Drang, beschützend die Arme zu öffnen, den älteren Mann an seiner Brust zu bergen und ihm zu versichern, dass der bei ihm sicher war, ihm nichts geschehen konnte. Insgeheim fragte er sich, ob ER selbst nicht der Grund für diese Angst war. Glaubte Tetsuo vielleicht, er würde es ihm übelnehmen, wenn der ihn zurückwies? Selbstredend, Kazuya zwang sich zur Ehrlichkeit, wäre er enttäuscht und verletzt, weil er sich einredete, stets das Beste für beide im Sinn zu haben und den jeweiligen Partner zu verwöhnen. Aber er würde niemals so tief sinken, eine Ablehnung mit Sanktionen zu belegen! "Gefällt es dir?", reizte er seinen eigenen Teufel, hauchte einen Kuss auf den lockigen Schopf vor sich. Obwohl die Komödie ein Feuerwerk von Albernheiten produzierte, hatte er Tetsuo nicht ein Mal lachen gehört. "...es ist ein sehr amüsanter Film", antwortete der mit ausdrucksloser Stimme, zitierte wörtlich den Werbeaufdruck der DVD-Hülle. »Ja, das merke ich!«, grummelte Kazuya innerlich. Bisher war es ihm immer gelungen, etwas zu finden, das seine Partner begeisterte. Essen gehen, Picknick, Sternwarte, Kinofilme, Festivals, Messen, Museen, Konzerte oder Vernissagen, Fluss- oder Seefahrten im Mondschein, Sportveranstaltungen, Wasser- oder Flugsport, Wandern, Klettern, Radtouren... schier endlos war die Liste der Vergnügungen, die er organisiert hatte, um Freude zu bereiten. Manchmal reichten kleine, beiläufige Gesten wie ein Spaziergang um Mitternacht Hand in Hand aus, manchmal erzeugte er die größte Wirkung mit einem Tandemsprung aus einem Motorflugzeug. Wozu war das Leben denn sonst gut, wenn man es nicht jede Minute genoss? Welchen Sinn hatte es, sich den Spaß zu versagen, auf später zu verschieben? Carpe diem, das war sein Motto. Man wusste schließlich nie, was der nächste Tag brachte, wo man sein würde. Ob man sich noch denselben Pfad teilte oder bereits in unterschiedliche Richtungen weitermarschierte. Allein Tetsuo schien gegen seine konzertierten Bemühungen resistent. Vielleicht würde es ihm ja besonderes Vergnügen bereiten, wenn sie an einem seiner Gärten arbeiteten, doch Kazuya hatte peinlich genau registriert, wie sich der ältere Mann dagegen sträubte, ihn zu beteiligen. Und er hatte es nicht übers Herz gebracht, seine Teilhabe zu forcieren. Nicht einmal sein angelesenes Wissen zu diesem Thema konnte Tetsuo überzeugen, seine stumm-feindselige Haltung aufzugeben. Das hatte dazu geführt, dass Kazuya sich ein elektronisches Pseudonym zugelegt hatte und mit dieser Camouflage getarnt mit einem Tetsuo plauderte, der sich fachkundig und freundlich zeigte. In anonymen Gesprächsräumen eines virtuellen Territoriums, wo man einander nicht sah, keine Stimme hörte, keine Nähe aufbauen konnte. Es war schmerzlich und frustrierend zugleich für Kazuya, sich einzugestehen, dass eine imaginäre Figur Tetsuo mehr Worte entlocken konnte als der Mann, der mit ihm arbeitete, mit ihm aß und mit ihm schlief. Da musste er sich wohl mit der erzwungenen Intimität der Umarmung hier auf den Tatami zufriedengeben, seine Enttäuschung wegschmusen und gegen die aufsteigende Kälte in seinem Herzen den süßen Pflaumenwein trinken. #~+~# Tetsuo atmete erleichtert auf, als er endlich Nakai verabschiedet hatte. Wortlos, natürlich. Seine Hände zitterten wieder leicht, ließen nicht zu, dass er ihnen die fragilen Arbeiten anvertraute. Und da war auch diese Unpässlichkeit, ein Druck in der Magengegend. Insgesamt fühlte er sich nicht mehr in der Stimmung, für die kurze Frist, die ihm noch vor dem Schlafengehen blieb, an seinem aktuellen Projekt zu arbeiten. Er rollte den Futon aus, verbannte den Abend entschieden aus seinem Gedächtnis, kuschelte sich in der gesteppten Decke neben einer Lampe ein, um seine Notizen und die Studien zu der geplanten Bepflanzung zu vergleichen. Noch nie hatte er so lange für eine neue Welt benötigt. #~+~# Kazuya seufzte, streckte und reckte sich katzenhaft, entschloss sich zu einer Aromadusche, bevor er unter die hautschmeichelnden Laken kriechen wollte. Geschätzte vier Stunden Schlaf, so viel blieben ihm noch nach der Heimfahrt mit der letzten Bahn zu seinem Appartement in einem mondänen Gebäude. Aber man konnte schließlich nicht ablehnen, wenn die Geschäftsleitung für die erfolgreiche Veränderung in der Produktion ein gemeinsames Essen ansetzte, nicht wahr? Dass so ein Gelage dazu tendierte, zeitlich auszuufern und üppige Polster hinterließ, war ebenso unvermeidlich. Trotzdem hatte er sich über die verdiente Anerkennung sehr gefreut, denn sie war der beste Beleg dafür, dass seine Strategie erfolgreich war. Sie konnten es bis nach oben schaffen! Mit einem wohligen Gefühl von Stolz und einem Quäntchen Erleichterung ließ sich Kazuya von den Massageduschen die Anspannung vom Leib spülen. #~+~# Es war keine Angelegenheit von Schuld. Die Verantwortlichkeit war eindeutig. Tetsuo kniete vor dem zurückhaltend mit einem filigranen Fleur de lis-Muster beklebten Glaskasten. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt gewesen. Eine Symphonie in Elfenbein und dezentem Veilchenblau, exakt angemessen der Veilcheniris, Florentinische Schwertlilie. Er hatte unzählige Bilder studiert, um die Komposition der Gestaltungselemente zu perfektionieren. Die Schwertlilien mit großer Sorgfalt gehegt. Und endlich, nach einer sehr, sehr langen Zeit einen freien Sonntag dazu genutzt, alles miteinander zu verschmelzen. Ein Meisterwerk. Atemberaubend schön. Eine fremde Traumwelt, deren feinen Duft man nur ahnen konnte. Nun starrte er verständnislos auf die fauligen Überreste der Pflanzen. Bakterien? Ein Virus? Schädlinge? Tetsuo konnte es sich nicht erklären. Kleinere Rückschläge hatte er durchaus manchmal erlitten, aber inmitten seines gläsernen Kokons lebte nichts mehr. Selbst die Nützlinge waren verendet. Er hatte sich mit einer starken Lupe davon überzeugen müssen. Irgendetwas war in seine hermetisch abgeschlossene Welt gelangt, als er sie zusammenfügte und hatte die gesamte Schöpfung getötet. Binnen des Tages, den er widerwillig der Firma geopfert hatte. Am Morgen noch, dessen war er sicher, hatte nichts auf diese Katastrophe hingedeutet! Tetsuo wiegte sich ungläubig vor und zurück, versuchte, seine Trauer, den unerträglichen Schmerz über diesen Verlust irgendwie auszudrücken. Worte zu finden. Tränen. Wut. Aber er fühlte gar nichts mehr außer hohler Wehmut und einem dumpfen Bedauern. #~+~# Kapitel 3 - Ein (voreiliger) Entschluss und die Folgen Kazuya betrat seine Abteilung ein wenig später als gewohnt, aber er hatte schließlich den anderen Beteiligten an der kulinarischen "Besprechung" auch angeboten, diesen Montag später zu beginnen. Wenn er also zu früh käme, beschämte er seine Mitarbeiterschaft, was auf jeden Fall verhindert werden musste. Er lächelte, noch immer ein wenig müde, denn aus irgendeinem Grund hatte er sich trotz des Triumphs nicht recht erholen können. Vor ihm lagen wie stets die Anforderungen und Antworten. Wie gewohnt wühlte er sich binnen einer Stunde durch die elektronischen und auf Papier gebannten Arbeitsaufgaben und -ergebnisse. Dann gestattet er sich, obwohl es bereits auf Mittag zuging, eine strategische Besprechung. Vielmehr spürte er mit einiger Überraschung, dass er sie brauchte. Er wollte Tetsuo. Doch auf seine elektronische Aufforderung erschien niemand. Irritiert erhob sich Kazuya, schlenderte betont beiläufig zu seiner Vorzimmerdame, die ihn strahlend mit mütterlichem Stolz empfing. "Können Sie wohl so nett sein, Herrn Morioka zu mir zu bitten? Die Besprechung", ergänzte er lächelnd. "Herr Morioka? Oh...", die Verlegenheit auf dem sonst so gelassenen Gesicht verstärkte die unspezifische Unruhe, die Kazuya plagte. "Ist er nicht erschienen? Hat er sich vielleicht krankgemeldet?", sofort erwog er mögliche Gründe, warum ausgerechnet der pflichtbewusste, wie ein Uhrwerk agierende Morioka nicht zur Arbeit angetreten war. "Ich frage sofort in der Personalabteilung nach!", bewies seine Vorzimmerdame Effizienz, "üblicherweise informiert man uns!" »Ja«, dachte Kazuya dumpf. Was aber, wenn Tetsuo sich nicht gemeldet hatte? Nicht hatte melden können? Seine offenkundige Besorgnis überraschte die Mitarbeiter, die eifrig lauschten, was ihr Abteilungsleiter mit der Vorzimmerdame diskutierte. Wie er veranlasste, dass man die Privatnummer von Morioka anrief, dann die Vermietungsgesellschaft des Appartementblocks. Dort herrschte gerade helle Aufregung, denn es hatte einen Gasalarm gegeben und sicherheitshalber sollten alle Bewohner evakuiert werden. Kazuya gab eilig Instruktionen für die Zeit seiner Abwesenheit, dann orderte er einen Dienstwagen und pilotierte selbst in die Vorstadt zu Tetsuos Appartement. Wie hätte er auch arbeiten können, mit dieser Ungewissheit?! #~+~# Aufgrund des Gasalarms hatte man das Wohnviertel weiträumig abgesperrt. Kein ziviles Fahrzeug und kein Passant durfte die Absperrungen passieren. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass das Gasleck eine Explosion nach sich zog! Über abgeschirmte Kommunikationswege steuerte die Einsatzleitung die Posten, erhielt dann die überraschende Mitteilung, man habe aufgrund des Anschlags eines der Spürhunde eine Wohnungstür eingeschlagen. Doch es war nicht das Gasleck, das die Aufmerksamkeit des Tiers erregt hatte. Sondern ein Mann, der in seiner Dusche in einem Anzug saß, beide Handgelenke kundig aufgeschnitten. Ohne merkliche Lebenszeichen. #~+~# Kazuya reihte sich ungeduldig in die Schlange der anderen Menschen ein, die erfahren wollten, wann sie wieder in ihre Wohnungen oder Geschäfte zurückkehren durften, ob ihre Haustiere in Sicherheit waren oder wie lange dieser Einsatz denn noch dauere. Er drängte sich mit der Behauptung vor, ein Mitarbeiter werde vermisst, ob man nicht feststellen könne, was mit ihm geschehen sei?! Ob er vielleicht hilflos in der eigenen Wohnung gefangen sei?! So erhielt Kazuya die erschreckende Nachricht, dass man einen gewissen Tetsuo Morioka in lebensbedrohlichem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert hatte. Nach einem offenkundigen Versuch, Suizid zu begehen. #~+~# Mit Übung und eisernen Nerven gelang es Kazuya, das Aufsichtspersonal zu becircen, um zu Tetsuo vorgelassen zu werden. Oder vielmehr vor die massive Scheibe, die die Patienten der Intensivstation abschirmte von der gefährlichen, verkeimten Außenwelt. Tetsuo ähnelte noch mehr als gewöhnlich einem Roboter durch die Schläuche und Kabel, die ihn mit einem Maschinenpark verbanden. Als ob ein mechanischer Parasit ihn befallen hätte und mit zahllosen Tentakeln das Leben aus seinem Körper saugte. Obwohl es zweifellos umgekehrt war, doch Kazuyas überreizte Nerven konnten sich nicht von dieser grotesken Assoziation befreien. »Warum?«, flüsterte er lautlos, blinzelte mit brennenden Augen. Was war geschehen, dass Tetsuo sein Leben einfach wegwarf? Ein höfliches Räuspern konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den behandelnden Arzt, einen Spezialisten aus dem Nahen Osten. Ob es ihm vielleicht möglich wäre, die Angehörigen zu verständigen? Von diesem "Unfall?" Es bestünde, man könne das nicht mit Sicherheit ausschließen, die Möglichkeit, wohlgemerkt keine absolute Wahrscheinlichkeit, dass der Patient... Kazuya presste die Lippen mit aller Macht zusammen, würgte seine aufsteigende Verzweiflung herunter. Selbstverständlich wollte er diese Aufgabe erfüllen. Denn nun MUSSTE er herausfinden, was Tetsuo antrieb. Um dieses Feuer erneut anzufachen! #~+~# Ohne sich besondere Gedanken zu machen, konnte Kazuya der Wohnungsvermietungsgesellschaft einen Zweitschlüssel abschmeicheln. Nachdem die Einsatzleitung unzweifelhaft versichert hatte, dass der Mieter Morioka weder für ein Gasleck noch für den anschließenden Alarm verantwortlich war. Allerdings hatte er dadurch das Glück gehabt, rechtzeitig gefunden zu werden. Rechtzeitig? Kazuya knirschte mit den Zähnen, das stand noch in den Sternen, hing an einem sehr dünnen Faden. Er betrat die vertraute Wohnung, durch eine provisorische Tür gesichert nach dem gewaltsamen Eindringen der Einsatzkräfte. Schmutzige Stiefelabdrücke auf den Tatami, eine blutige Spur notdürftig verwischt aus der engen Nasszelle. Aber so sehr sich Kazuya auch bemühte, konnte er doch keinen Abschiedsbrief finden. Im bescheidenen Adressbuch fanden sich gerade ein Dutzend Einträge. Kazuya holte tief Luft, bevor er den Anruf absetzte. Auch er sprach wie das medizinische Personal von einem "Unfall", den Tetsuo erlitten hatte. Ob die Eltern anzureisen wünschten? Von der Firma werde man selbstverständlich jede Hilfestellung leisten! Er hinterließ seine Nummern und legte dann auf. Wie lange lief wohl der Anrufbeantworter? Wo konnten Tetsuos Eltern sein? Verreist? Oder lediglich spät unterwegs? Langsam durchquerte er das winzige Appartement wie ein Löwe im Käfig. Dann besann er sich plötzlich der Schmucknische. Tetsuo würde sich sicherlich um seine kleine Welten sorgen, nicht wahr? Doch zu Kazuyas Entsetzen war die Schmucknische leer. Der winzige Altar war verschwunden, auch die Wurmfarm. Hastig schnellte er hoch, riss die Wandschränke auf. Dort, in Taschen, Kartons und große Müllsäcke verpackt, mit sorgfältig aufgeklebten Zetteln versehen, fand sich Tetsuos Hab und Gut. Bereit für die Müllabfuhr, die Eltern und eine Hilfsorganisation. Kazuya fegte es förmlich die Beine weg. Er brach in die Knie, hob die Plastikplane an. Das gläserne Behältnis der Wurmfarm war blank, sauber gespült. Die Bewohner vermutlich umgesiedelt. Der kunstfertige Fleur de lis-Garten dagegen war in seinem Zustand der völligen Katastrophe belassen worden. Mit einer Geste des verzweifelten Abscheus ließ Kazuya die Plane sinken, presste die Handballen gegen die Tränen, die aus seinen Augen über seine Wangen rannen. Tetsuo hatte keinen "Unfall" erlitten. Sondern planmäßig seine Existenz aufgelöst. Und es für unnötig befunden, eine Nachricht für jemanden zu hinterlassen. #~+~# Als Kazuya am nächsten Tag zu den üblichen Besuchszeiten in der Intensivstation erschien, hatte er Toilettenartikel und Bekleidung in einer Reisetasche dabei. Tetsuos Eltern hatten sich noch nicht gemeldet. Er stand lange an der Scheibe, betrachtete die verkabelte Gestalt. Stolz und zuversichtlich hatte der behandelnde Arzt ihm anvertraut, dass es gelungen sei, den Kreislauf zu stabilisieren. Die Organe waren nicht geschädigt, und man hatte die in erheblichen Maße verletzten Adern mit der neusten Technik wieder verschließen können. Ein Vorteil von besonders scharfen Klingen, dass sie das Material sauber trennten. So konnte man bisher sogar erfolgreich Nachblutungen verhindern. Trotzdem, das wurde Kazuya mit Bedauern versichert, könne man das künstliche Koma noch nicht beenden. Denn ungeachtet der erheblichen Verbesserung sei der Zustand des Patienten noch sehr ernst, und ein Schock konnte erhebliche Auswirkungen haben. Besonders bei einer fragilen Psyche. Kazuya nickte mechanisch, bedankte sich dann mit mühsamer Höflichkeit. Als letzter Besucher trennte er sich schließlich von der Scheibe, straffte seine gutgewachsene Gestalt energisch. Jetzt aufzugeben kam nicht in Frage! Und das bedeutete für ihn, in Tetsuos Appartement zurückzukehren, um dort die alten Verhältnisse wiederherzustellen! #~+~# Fünf Tage nach seinem missglückten Selbstmord erwachte Tetsuo langsam, unter der Aufsicht von medizinischen und technischen Argusaugen. Schwerfällig kämpfte sich sein Gehirn in die Gegenwart zurück, trieb sein Bewusstsein an, sich endlich um Aufnahmebereitschaft zu bemühen. Nach mühsamer Entdeckungs- und Assoziationsarbeit kam Tetsuo zu dem Schluss, dass er sich in einem Krankenhaus befand. Und mutmaßlich damit gescheitert war, der elenden Tretmühle ohne Perspektive zu entfliehen. Er war noch zu schwach, um geschlagen zu seufzen. Nun würde er sich wohl wieder in seine Existenz dreinschicken müssen. #~+~# Es war eine denkbar unbehagliche Situation, und Kazuya wünschte sich mit wachsender Verzweiflung auf die andere Seite des Planeten. Höflich zu warten, während die Eltern am Bett des Patienten saßen, hatte sich bestimmt niemals so nervenzehrend erwiesen wie in diesem Fall! Tetsuo lag zusammengeschrumpft, noch immer mit diversen Apparaturen verbunden, unter den blütenweißen Decken, ein fahles Gespenst mit tintenschwarzen Augen, die aus einem hohlwangigen Gesicht teilnahmslos ins Leere starrten. Seine Eltern saßen stumm neben dem Bett, durchschnittliche Leute fortgeschrittenen Alters, die offensichtlich nicht wussten, was sie an diesem Ort taten. Mit einem Sohn, dessen "Unfall" unzweifelhaft ein Selbstmordversuch gewesen war. Kazuya hatte auf Ermunterung, Trost, vielleicht Vorwürfe und Angst gesetzt, zumindest irgendwelche Emotionen, doch hier spielte sich ein taubstummes Drama ab, das ihm die Kehle zuschnürte. Diese drei Personen waren Fremde füreinander und unfähig, die trennende Hürde zu überwinden. Sie wussten miteinander nichts anzufangen und sahen mutmaßlich auch keinen Anhaltspunkt, warum sie sich interessieren sollten. Hier einen Zündfunken zu erhoffen, der Tetsuos Lebensgeister wieder anfachte, war verlorene Liebesmüh! Endlich erhoben sich die beiden Senioren, sonderten knappe Floskeln ab, wollten wieder nach Hause, nun, da Tetsuo ja fast wiederhergestellt war. Er wurde ermahnt, der Firma und den Kollegen Dank zu zollen, rasch wieder zur Arbeit zu gehen, weil das Auskommen in der heutigen Zeit oberste Priorität haben musste. Und angehalten, dem Krankenhauspersonal und den Einsatzkräften Geschenke zu übergeben für die auferlegte Belästigung. Tetsuo regte sich nicht, murmelte tonlos eine bedeutungslose Floskel und ließ seine einzigen Angehörigen ziehen. Kazuya verneigte sich höflich, tauschte weitere Banalitäten aus, bis er endlich an Tetsuos Bett herantreten und mit ihm allein sein konnte. Soweit dies in einem Mehrbettzimmer möglich war. Er verschmähte die einfachen Hocker, nahm auf der Bettkante Platz und kaperte eine Hand, die nicht an einem Schlauch hing. Beugte sich vor, um mit der freien Hand über Tetsuos farblose, eingefallene Wangen zu streicheln. Ein Kloß würgte ihn erstickend im Hals, und er blinzelte heftig. Am Liebsten hätte er seine Vorwürfe, die Ängste und Sorgen herausgeschrien, eine Erklärung eingefordert, doch er wusste, dass Tetsuo darauf nicht reagieren würde. Schlimmer noch, wahrscheinlich würde der ältere Mann eine nichtssagende Entschuldigung vorbringen, um der Form genüge zu tun. Und DAS würde Kazuya zu einer weiteren lästigen Plage degradieren, die man eben erduldete! Nach einer Weile begann er einfach, von seinem Tag zu erzählen. Was sich in der Firma ereignet hatte. Was ihm durch den Kopf gegangen war. Welche Pläne er für die Zeit schmiedete, wenn Tetsuos Zustand so stabil war, dass er nach Hause entlassen werden konnte. Kazuya erhielt keine Antwort, aber das demoralisierte ihn nicht. Denn die tintenschwarzen Augen ruhten auf ihm, und es war Tetsuo, der ihn ansah. #~+~# Die schweren Verbände zogen sich um den Handteller gewickelt bis beinahe zu den Ellenbogen. Täglich mussten sie von einer Ambulanz in der Nähe seines Wohngebäudes gewechselt werden. Keine leichte Aufgabe, denn Tetsuo hatte schnell und mit der Präzision gearbeitet, mit der er seine kleinen Ökosphären unter Glas komponierte. Je ein tiefer, exakter Schnitt entlang der dicht unter der Haut liegenden Vene. Säuberlich zuvor mit einem Faserstift markiert, falls der Blutverlust ihn behinderte. Zuerst hatte er mit der etwas ungelenkeren Linken das Tapeziermesser benutzt, dann mit der kräftigeren Rechten seine vermeintlich letzten Handlungen in dieser Welt abgeschlossen. Wenn er darüber nachdachte, oder wenn er dem Psychologen des Krankenhauses antworten musste, so schien ihm sein Tod die folgerichtige Konsequenz aus den Ereignissen zu sein. Natürlich war es schmählich, dass er seine unbedeutende Existenz beenden wollte, ohne einen namhaften Grund zu haben, eine Heldentat vorzuweisen, eine Ehrenschuld zu begleichen oder im Zustand völliger Verzweiflung gewesen zu sein. Tetsuo wusste, dass es sich nicht so verhielt. Er war weder depressiv gewesen, noch außer sich in einem hysterischen Zustand, der das klare Denken vernebelte. Nein, sein Selbstmord war der Schlusspunkt unter ein Leben, das sich selbst erstickt hatte. Ohne eine nennenswerte Perspektive (Golf!) in Aussicht, von seinem elenden Alltag gelangweilt und bis zur Unerträglichkeit ermüdet hatte er in einem kritischen, allerdings durchaus absehbaren Moment festgestellt, dass ihm auch seine geheime Leidenschaft nicht mehr viel bedeutete. Dass er sie aufgeben konnte. Und wenn nichts mehr wichtig war, warum sich dann weiter plagen? Das Unvermeidliche herauszögern? Zu welchem Zweck? Er kannte keine Antwort darauf, wusste kein Argument und deshalb, ganz logisch und korrekt analysiert, war sein Tod gerechtfertigt und keineswegs verwerflich. Immerhin hatte er sich nach bestem Vermögen darum bemüht, die Belästigungen für seine Umgebung so gering wie möglich zu halten! Was sie offenkundig nicht zu schätzen wusste. Er spürte, dass Nakai ihm keinen Vorwurf machte, doch hinter der Munterkeit, mit der er auf ihn einplauderte, konnte Tetsuo eine ratlose Traurigkeit ausmachen. Es durfte bezweifelt werden, dass jemand wie der Abteilungsleiter verstehen würde, was ihn zu diesem Schritt bewegt hatte. In Ermangelung von Alternativen und gewissermaßen nicht sonderlich dazu befähigt, sein Leben zu beenden, nahm Tetsuo also die alte "Gewohnheit" wieder auf. Existierte. Mit Medikamenten ausreichend stabilisiert und von ärztlichen Ratschlägen verfolgt kehrte er in den grauen Alltag zurück. Nicht allein, denn Nakai hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn abzuholen, bestand eigensinnig darauf, die Reisetasche zu tragen und drängte sich bei jeder Möglichkeit auf, die auch nur den Hauch der Gefahr bedeutete, dass Tetsuo seine Hände gebrauchen könnte. Obgleich er weder Sehnen noch Muskeln irreparabel beschädigt hatte, musste für die Wundheilung eine gewisse Ruhestellung gewahrt bleiben. Sodass er quasi ohne Hände auf sich gestellt war. Stumm und jeden Gedanken über die nächsten Minuten hinaus verbannend ließ sich Tetsuo in unerhörtem Luxus, nämlich per Dienstwagen, nach Hause chauffieren. Nakai hatte ihm anvertraut, in der Firma werde seine Abwesenheit als unfallbedingt betrachtet, er habe sich die Handgelenke verletzt und bedürfe der Rücksichtnahme, wenn er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wolle. Was weniger eine Frage war als eine Notwendigkeit, denn Tetsuo war sich der bedrohlich hohen Rechnungen bewusst, die ihm das Krankenhaus nach einer Anzahlung und den spärlichen Leistungen der privat abgeschlossenen Krankenversicherung in Aussicht gestellt hatte. Und schon wieder wurde die reine Existenz lästig! #~+~# Kazuya schwang die Reisetasche und hielt mit Argusaugen Ausschau nach potentiellen Quellen der Überanstrengung. Obwohl Tetsuo die Finger bewegen konnte, trotz des steifen Verbands, wollte er verhindern, dass sich der ältere Mann durch gleichgültiges Verhalten im Heilungsprozess zurückwarf. Selbstbewusst schloss er die ersetzte Eingangstür zu Tetsuos Appartement auf, stellte die Reisetasche ab und half dem Wohnungsinhaber, sich von Schuhen und Jacke zu befreien. Er lächelte, als er den irritierten Blick der tintenschwarzen Augen über den Raum wandern sah. Ja, das war nicht das Appartement, das Tetsuo in Erinnerung hatte und mit gutem Grund: Kazuya hatte sich nützlich gemacht. Zuerst waren es nur die Tatami gewesen, die ersetzt werden mussten. Der Boden darunter war jedoch in derart schlechtem Zustand, dass Kazuya ungeniert mit der Vermietungsgesellschaft verhandelt und eine alternative Lösung herausgeschlagen hatte. Nun fand sich Kirschbaumholzlaminat, dunkel, mit einem rötlichen Schimmer und sehr edel. Als nächstes hatte er Tetsuos für sein Ableben verpackte Habseligkeiten wieder ausgeräumt, an ihre angestammten Plätze verbracht und sich dann entschlossen, der kahlen Ordnung etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel die verschossenen, vergilbt wirkenden Vorhänge mit Schiebepaneelen zu vertauschen, die stilisierte Kirschblüten präsentierten. Die eintönige Pendellampe mit Zug war modernen Beleuchtungskörpern mit warmem Schimmer gewichen. Tetsuo bewegte sich vorsichtig, ja, beinahe misstrauisch durch sein Appartement, auf den Platz zu, von dem sich Kazuya die größte Wirkung erhoffte. Vor der Schmucknische hielt der ältere Mann inne. Wie zuvor fand sich der winzige, vernachlässigt wirkende Altar, doch darunter stand, als Zierde, Kazuyas erster eigener Versuch einer Ökosphäre. Bewaffnet mit den gefundenen Notizen, den Ratschlägen aus dem Internet-Forum und der vor Energie berstenden Absicht, ein unübersehbares Zeichen zu setzen, hatte er in Höchstgeschwindigkeit eine exquisite, große Glasvase mit einem kunstvollen Verschluss gefüllt. Nicht etwa in der zurückhaltend-klassischen Weise des Spezialisten. Sondern mit bunten Kieselsteinen für Aquarien, Plastikfiguren und einem winzigen Schloss aus einem Kinderspielzeuggeschäft und dazu Moose, Farne, Bambus und Seegräser angesiedelt. Das Ensemble glich einem Freizeitpark-Wunderland mit Fabelwesen, die in einer kunterbunten, farbenprächtigen Welt lebten, mysteriös eingeschlossen von einem kleinen Wald. Tetsuo ging langsam auf die Knie, die Hände unwillkürlich erhoben, als könne er sie nutzen, um das Glas zu berühren. #~+~# Es war hübsch. Eine Welt, die zu jemandem wie Abteilungsleiter Nakai passte. Katzenschwergewicht. Jemand, der frei herauslachte, charmant und voller Esprit sprach, einen Draht zu seinen Mitmenschen hatte. Der eine kitschige, lachende Sonne aufhängte über einem Schloss, das wie aus Zuckerguss gemacht schien. Wo es tapfere, gutaussehende Prinzen und schöne, tugendhafte Prinzessinnen gab. Das war nicht Tetsuos Welt. Plötzlich spürte er einen Stich Wehmut. Wie mochte es wohl sein, an Nakais Stelle? Perfekt zu sein, alles zu erringen, nicht unverdient, sondern durch die Natur bereits mit Talenten reich gesegnet? Der ging anmutig hinter ihm auf die Knie, schlang die Arme unter Tetsuos hindurch, zog ihn gleichsam an die Brust und auf den Schoß. Schmiegte eine Wange an Tetsuos. Und sprach kein Wort. #~+~# Tetsuo kehrte zur Arbeit zurück. Die Bandagen und Stützschienen waren ihm zwar hinderlich, aber er konnte sich doch im Alltag zurechtfinden. Eingestandenermaßen konnte er noch immer nicht die Manschetten zuknöpfen und musste sich mit der lästigen Krawatte abmühen, aber seine gewohnte, beharrliche Ruhe sorgte dafür, dass ihn diese Behinderung nicht inkommodierte. Auch die Tätigkeiten im Büro ließen sich, mit etwas Umsicht, meistern. Etwas jedoch hatte sich verändert: es schien unmöglich, einen Tag ohne Nakai zu verbringen. Der schenkte ihm einfach Besteck, weil das Halten von Essstäbchen sich als problematisch erwies, suchte ihn entweder nach der Arbeit zu Hause auf, um bei den Kleinigkeiten des Alltags zu assistieren, oder nahm ihn in der Firma in Beschlag. Mit unermüdlicher Sorge kümmerte er sich. Tetsuo war das nicht gewöhnt und fühlte sich durchaus belagert. Er mochte es nicht, wenn Aufhebens um ihn gemacht wurde, jemand ihm half, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Außerdem, das stand fest, hatte sich seine grundsätzliche Befindlichkeit nicht geändert. Nur dass er nun zu sehr unter Beobachtungsdruck durch den Abteilungsleiter stand, um ernsthaft zu erwägen, wie es weitergehen sollte. Er ließ sich wie zuvor treiben, jedoch ohne die bescheidenen Höhepunkte, die ihm seine Liebhaberei in all den Jahren zuvor geschenkt hatte. »Wann«, fragte er sich, »hat das angefangen? Dass ich alles aufzugeben vermag?« Diese Frage hatte ihn in der Zeit im Krankenhaus beschäftigt, als er sich frei bewegen durfte, aber noch nicht stabil genug war, um entlassen zu werden. Auf der Dachterrasse hatte sich ein alter Mann neben ihn gestellt und geredet. Nicht mit ihm, eher mit der freien Luft, doch Tetsuo hatte zugehört. Mangels Alternativen oder dem Streben danach. Unentwegt erzählte der ältere Mann von seinem Bonsai. Bei besagtem Baum musste es sich um eine Pflanze handeln, die ihrem Besitzer an Jahren nicht nachstand. Er vermisste seinen Bonsai, den er wie einen engen Freund ansprach, jeden Tag pflegte und betreute. Das war keine bloße Pflanze mehr, sondern ein Lebewesen mit Ansprüchen und Eigenheiten, die man respektierte. In Tetsuos Ohren hatte es wie eine Liebeserklärung geklungen. Und er hatte sich unwillkürlich selbst gegenübergestellt. Er wusste, dass die Hege und Pflege dieser kunstvollen Zierbäumchen strengen Regeln folgte und enorme Aufmerksamkeit einforderte. Man konnte einen Bonsai nicht einfach wachsen lassen oder mal eben eine Woche in Urlaub fahren. Wie anders nahm er sich dagegen mit seiner Liebhaberei aus. Als wäre schon von Anfang an der Grundstein dafür gelegt, dass die kleinen Welten, die er zusammengestellt hatte, ihn verlassen würden. Im Anfang lag bereits das Ende, der Abschied. Er empfand durchaus Stolz über ein gelungenes Werk, er behandelte Pflanzen und Tiere rücksichtsvoll, aber eine intime, emotionale Beziehung ging er niemals ein. Und nun, in dieser trügerischen Zeit, die zu lang war und dazu verführte, sich über sich selbst Gedanken zu machen, da musste er sich fragen, ob es irgendetwas in seinem Leben gab, das er nicht bereit war aufzugeben. Die Antwort darauf war eindeutig: nichts. Er konnte seine Eltern aufgeben, ohne Verstimmung oder Hass, einfach, weil sie einander nichts mehr zu sagen hatten. Das bedeutete nicht, dass seine Zuneigung und pflichtgemäße Dankbarkeit verschwunden war, aber er fühlte, dass er durchaus fähig war, sie in ihre Zukunft zu verabschieden. So wie er Reiko verabschiedet hatte. Er konnte es, weil er nicht daran glaubte, dass irgend etwas im Leben von Dauer war. Verlässlich und konstant. Abgesehen natürlich vom Abschied. Hatte er deshalb einfach aufgegeben? Immer aufgesteckt, oft nicht einmal gekämpft? Von vornherein verzichtet? Woher kam diese Überzeugung? Tetsuo konnte sich diese Frage nicht beantworten. Aber in ihm nährte sich ein Zweifel. Ob es eine unumstößliche Wahrheit sein musste, dass nichts Bestand hatte. Dass man alles aufgeben musste, über kurz oder lang. Dass es keinen Unterschied machte, ob man einen Teil seiner Lebensspanne aus eigenen Stücken aufgab, weil man ohnehin sterben musste. Wie mochte es wohl sein, so zu leben wie der alte Mann? Wie Nakai? Von Leidenschaft erfüllt, von einer Überzeugung beherrscht, die suggerierte, dass die Opfer des Alltags es wert waren? Weil man unerschütterlich, trotz Zweifeln, für eine Sache lebte, an sie glaubte? Konnte es wirklich sein, dass Nakai an ihn glaubte? Nicht bereit war, ihn einfach aufzugeben? »Warum?« Tetsuo verstand es nicht, denn ER war mehr als willig gewesen, sich selbst aufzugeben. Was war das Geheimnis, das sich vor ihm selbst verbarg? Warum konnte Nakai nicht auf ihn verzichten? #~+~# Kazuya war weit davon entfernt, sich selbst diese kritische Frage zu stellen. Der Arbeitsalltag ohne Tetsuos Unterstützung hatte ihm dessen Aufgaben auch noch aufgebürdet, und wenn er dann abends das Unternehmen verließ, eilte er sofort ins Krankenhaus. Die wenigen Stunden Schlaf, die er sich gönnte, waren ebenfalls nicht von Erholung, sondern von wirren Visionen geprägt. Er wusste nur eins mit Sicherheit: alle seine Anstrengungen, Tetsuo kennenzulernen und dessen Lebensfunken anzufachen, waren vergeblich gewesen. Das kratzte nicht nur in erheblichem Maße seinen Stolz und sein Selbstbewusstsein an, nein, es rührte direkt an seinen Glaubensgrundsätzen. Obwohl sie so viel Zeit miteinander verbracht hatten, einander körperlich durchaus begehrten, war es Tetsuo möglich gewesen, sich ohne ein Wort aus dem Leben stehlen zu wollen. Ohne einen für Außenstehende ersichtlichen Grund. Kazuya konnte nur vermuten, dass der Lebensüberdruss, den er hinter der Maske Moriokas vermutet hatte, vom letzten Tropfen in das Fass, der totalen Zerstörung des Flaschengartens, die Ursache gewesen war. Er konnte es verstehen, als eine gewisse logische Konsequenz, aber nicht begreifen. Wie konnte jemand das Leben negieren? All die kleinen, schönen Dinge des Alltags einfach verabschieden? Hatte es Tetsuo gar nichts bedeutet, dass sie einander nähergekommen waren? Dieser Umstand fraß an Kazuyas gewohnter Gelassenheit. Er fühlte sich müde und abgespannt, musste sich anstrengen und selbst genau beobachten, um keine Fehler zu begehen. Auch wenn er nun täglich Tetsuo besuchte, danach trachtete, ihn rasch wieder in den Arbeitsalltag einzubinden, konnte er nicht sicher sein. Was auch immer der Anlass gewesen war: er konnte nicht überzeugt sein, dass sich nicht ein weiterer Versuch anschloss. Dass Tetsuo einfach einen Augenblick der Unaufmerksamkeit ausnutzen würde. Die Vorstellung war unerträglich. Es MUSSTE einfach eine Möglichkeit geben, Tetsuo im Innersten zu erschüttern! Sein Herz zu packen, aufzutauen und es nicht mehr loszulassen! Allein der Gedanke, einen Augenblick Lebenszeit zu verlieren, sollte ihm Pein bereiten! Aber wie konnte man einen Menschen dazu bringen, das Leben zu lieben? #~+~# Tetsuo hätte sich gerne in die routinierte Monotonie seiner Arbeit geflüchtet, doch sein gesundheitlicher Zustand und Nakai in einer unüberwindlichen Kombination ließen das nicht zu. Tatsächlich war es ihm nicht möglich, wie gewohnt eine Tastatur zu bedienen, sodass er sich gezwungen sah, mehr schlecht als recht mit der Maus zu operieren. Einfacher wäre es gewesen, mit der Stimme den Computer zu lenken, doch derart komplizierte Programme benötigten eine gewisse Zeit und besondere Befehlsfolgen, um die gewünschten Abfolgen durchführen zu können. Deshalb kämpfte er auf verlorenem Posten mit der Bildschirmtastatur, die viel zu behäbig war, um dem notwendigen Arbeitstempo beim üblichen Pensum Rechnung zu tragen. Nakai nutzte diesen Umstand natürlich aus, quartierte ihn förmlich in sein eigenes Büro ein und übernahm mit flinken Fingern die Arbeit. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, jeden Tag eine Pause für ihr Schäferstündchen einzulegen. Tetsuo ließ sich die körperliche Intimität gefallen, genoss sogar, auch wenn er das nicht registrieren wollte, die Entspannung, die die rein physische Anstrengung mit sich brachte. Nakai war ihm vertraut, seine Aufmerksamkeit schmeichelhaft und der Akt selbst erfüllend angenehm. Durchaus erstaunlich, bedachte Tetsuo, wenn man sich daran erinnerte, wie unbeweglich und aussichtslos unterlegen er immer bei den Leibesertüchtigungen gewesen war. »Möglicherweise«, schmunzelte er melancholisch, »gibt es nur eine 'Sportart', in der ich recht erfolgreich bin.« Gedanken über die Zukunft strich er, ebenso eine vage Enttäuschung darüber, dass sich seine Eltern nach seiner Entlassung nicht mehr gemeldet hatten. Man ging eben zum Alltag über. Und in Kürze würde alles wieder so sein wie vorher. #~+~# Kapitel 4 - Ein waghalsiges Unterfangen Kazuya war sich bewusst, dass er etwas Verwerfliches und Unentschuldbares tat. Mit Vorsatz, Wissen und Wollen. Aber in einer verzweifelten Lage musste man jede Möglichkeit, und sei sie noch so unmoralisch, ergreifen. Und auch wenn er durchaus selbstsüchtig handelte, hoffte er auf Nachsicht. #~+~# Tetsuo betrachtete kritisch seine Ellen, drehte die Arme. Deutlich zeichneten sich die Narben ab, würden ihn für den Rest seines Lebens kennzeichnen als einen, der Hand an sich gelegt hatte. Es überraschte ihn, wie schnell die Wundheilung vonstatten gegangen war. Er bewegte die Finger, ballte die Fäuste und registrierte, dass es keine Einschränkungen gab. Hätte er nicht die Narben zum Beweis, so würde er wohl daran zweifeln können, dass er einmal genug Energie aufgebracht hatte, um seinem irdischen Dasein ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Vier Wochen waren seit der folgenschweren Entscheidung vergangen und eigentlich, zumindest nach den ersten Voraussagen der Ärzte, sollte Tetsuo nun auch keine Medikamente mehr zur Stabilisierung seines Kreislaufes benötigen. Merkwürdigerweise fühlte er sich am Morgen jedoch oft schwindlig und von einer leichten Übelkeit geplagt. Nicht etwa, dass er tatsächlich hätte brechen müssen, aber eine Ahnung von Unwohlsein nötigte ihm die Furcht auf, er könne doch einmal eilig einer Toilette bedürfen. Besonders unangenehm, wenn man sich für eine einstündige Fahrt zur Arbeit rüstete! Deswegen hatte er auch bei der letzten Inspektion seiner Arme, die nun ohne lästige Verbände langsam wieder an ihre gewohnte Beweglichkeit herangeführt werden konnten, um eine Analyse einer Blutprobe gebeten. Nachdenklich drückte er die elastischen Gummibälle, die ihm helfen sollten, die frühere Muskelkraft zu regenerieren. Man hatte ihm die Ergebnisse für den nächsten Tag zugesagt, und er erhoffte sich nun Aufklärung. #~+~# Kazuya blickte auf, als seine Vorzimmerdame klopfte und sein Büro betrat, ein wenig irritiert. "Herr Morioka bittet um ein Gespräch", verkündete sie. Ihre Verwunderung konnte Kazuya durchaus nachvollziehen, denn diese förmliche Einleitung nahm sich seltsam aus bei zwei Männern, die seit der Rückkehr so eng zusammenarbeiteten. "Aber selbstverständlich. Ich lasse bitten", lächelte Kazuya aufgeräumt und erhob sich. Man merkte ihm nicht an, dass sein Herz vor Nervosität Kapriolen schlug. Diesen Augenblick hatte er zigmal in Gedanken durchgespielt, herbeigesehnt und gefürchtet. Tetsuo verneigte sich wie gewohnt knapp an der Tür, bevor er sie hinter sich schloss. In den tintenschwarzen Augen funkelte eine ungewohnte Erregung, die zweifellos auf großen Zorn zurückzuführen war. Weil Angriff die beste Verteidigung war und Kazuya bezweifelte, dass die fest aufeinander gepressten, blutleeren Lippen ihm die Verwünschungen, die sie gerne ausgesprochen hätten, auch ins Gesicht schleudern würden, legte er selbst los. "Ich werde mich nicht entschuldigen", er räusperte sich angespannt, trat hinter seinem Schreibtisch hervor, "denn für das, was ich getan haben, gibt es keine Entschuldigung. Ich tat es mit voller Absicht." Tetsuo blitzte ihn an, die Fäuste geballt. Doch Kazuya wagte zu bezweifeln, dass sein Gegenüber jemals Hand an einen anderen Menschen gelegt hatte. Er hielt in intimer Distanz vor Tetsuo inne, wich dessen Blick nicht aus. "Ich habe alles versucht, damit du Lebensfreude entwickelst. Aber ich bin gescheitert", seine Augen strichen kurz über die unter der Anzugjacke verborgenen Ellen. "Das ist die einzige Möglichkeit, dich zum Leben zu zwingen. Weil du es niemals über dich bringen wirst, ein anderes Lebewesen einfach zu töten." Eine kühne Behauptung, zweifellos und auch ohne Rücksicht auf all die Lebewesen, die zum eigenen Überleben getötet wurden. Aber das war nicht der Augenblick für Haarspaltereien. "Dieses Kind", wisperte Kazuya mit belegter Stimme, "braucht dich. Vielleicht sein ganzes Leben lang." Und deshalb KONNTE Tetsuo sich nicht umbringen. Weil man ein Kind nicht einfach wie eine Wurmfarm auswildern konnte. Dankbar bemerkte Kazuya, wie sich Tetsuos Körperhaltung veränderte. Die Schultern sackten herab, die Hände öffneten sich. Schließlich wandte sich der Ältere ab, wollte zur Tür gehen. Kazuya konnte das nicht zulassen. Nicht mit diesem erstickenden Schweigen! Er riss Tetsuo an der Schulter herum, presste ihn gegen die schallschluckende Polsterung der Tür und küsste ihn begehrlich. Wieso antwortete Tetsuo ihm nicht?! Wieso schrie er ihm nicht seine Gefühle ins Gesicht?! #~+~# Tetsuo fühlte sich schwach in den Knien, geschlagen, auf verlorenem Posten. Wie lächerlich, sich einzubilden, dass er Nakai die Meinung geigen würde! »Überhaupt«, zerfleischte er sich selbst unnachsichtig, »was für eine Meinung?!« Hauptsächlich war er von der Enthüllung des Arztes vollkommen überrumpelt und in einen leichten Schockzustand versetzt worden. Er hatte sich niemals, nicht mal während der Zeit seiner Ehe, Gedanken über Kinder gemacht. Gut, die meisten Ehepaare schafften sich ein Kind an, weil es dazu gehörte, sozusagen Standard war, also hatte er in diffuser Erwartung damit gerechnet, auch eines Tages in den Zustand "Eltern" überwechseln zu müssen. Doch darüber nachgedacht hatte er nie. Geschweige denn eine Empfängnis in irgendeiner Weise gefördert. Nun war er hilf- und ratlos. Er wusste kaum etwas über die komplizierte Schwangerschaft von männlichen Madararui. Der einzige Anker zur Zukunft war die Visitenkarte einer Klinik mit einer speziellen Abteilung zu diesem Zweck. Was nun?! Tetsuo wusste, dass Nakai einen Nerv getroffen hatte. Er konnte UNMÖGLICH auch nur erwägen, sich den Leib aufschneiden zu lassen, um das darin wachsende Kind zu entfernen. Und, so wie er sich selbst kannte, wäre das auch ein viel zu großer Anspruch an seine mangelnde Entscheidungsfreude gewesen. Aber einfach aussitzen? Das ging definitiv nicht. SO VIEL war ihm auch bewusst. Reflexartig schlang er die Arme um Nakais Nacken, hielt sich an ihm aufrecht. Der ihn küsste, umklammerte, sich so eng an ihn presste, dass Tetsuo nach Luft rang. "...ich will, dass du lebst! Das war die einzige Möglichkeit! Tetsuo...", hörte er immer wieder die heiser hervorgestoßenen Beteuerungen. Obwohl ihm der Abteilungsleiter doch zunächst versichert habe, dass es keine Entschuldigung dafür gab, ihn getäuscht und geschwängert zu haben, hielt er sich nun mit Rechtfertigungen auf. Tetsuo verstand die Erklärungen durchaus, doch der Beweggrund, ausgerechnet ihn zu etwas Besonderem zu machen, der fehlte ihm noch immer. ER kannte sich schließlich seit Jahren und WUSSTE, dass er nichts Besonderes war. Ein unbedeutender, 37 Jahre alter Mann, ein Verlierer mit Dutzendgesicht, der von diesem Planeten verschwinden konnte, ohne dass es irgendeinen Unterschied machte. Zum ersten Mal in seinem Dasein als Analyst hatte er Angst, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. #~+~# Kazuya spürte das merkliche Zittern, auch wurde Tetsuo in seinen Armen schwerer. Vermutlich ein Schock! Und, soweit er seinen bescheidenen Kenntnissen trauen durfte, sorgte die Schwangerschaft eines Mannes für eine rapide, fast gewaltsame Umstellung des Hormonhaushaltes zum Wohle des ungeborenen Kindes. Das war sehr kräftezehrend und keineswegs einfach auszuhalten. "Komm!", er schlang einen Arm um Tetsuso Taille, legte sich dessen Arm über die Schulter und führte ihn zum Dreisitzer, dirigierte ihn auf die Polster, wo der Ältere sich ausstrecken sollte. "Würde ein Glas Wasser oder vielleicht Tee helfen?", erkundigte er sich besorgt, streichelte vertraut die unbezähmbaren Locken aus dem blassen Gesicht. Die tintenschwarzen Augen flackerten, ein dünner Schweißfilm bildete sich auf Tetsuos Gesicht. Rasch knöpfte Kazuya ihm das Hemd auf, entfernte die Krawatte, musterte ihn verunsichert. "Bitte sprich mit mir!", bat er nervös. "...kannst du es sehen?" Verwirrt blinzelte Kazuya, dann begriff er, lächelte betont zuversichtlich und löste Tetsuos Hosengürtel, zog den Reißverschluss herunter, um die Hose über dessen Hüften zu streifen. Er legte eine Hand auf den Unterbauch, ließ sie warm dort ruhen. "Es ist hier", antwortete er sanft, "wie ein kleines, sehr helles Licht." Als Schwergewichtler war es ihm natürlich möglich gewesen, die Schwangerschaft zu erkennen. Zum Teil, weil er sie erwartet hatte und auch, weil er entsprechende Fähigkeiten besaß. Unwillkürlich wanderte Tetsuos Hand tiefer, schob sich unter seine auf den Stoff der Unterhose. Ein Leichtgewicht, das wusste Kazuya, würde erst kurz vor der Geburt den Widerschein der Seele wahrnehmen. Und nicht wissen, welche Art sich dahinter verbarg. Das konnte er auch noch nicht erkennen, aber selbst wenn er es entdeckte, wäre es für ihn ohne Belang. Ob das Kind zu den Katzen oder den Hunden gehörte, Schwer-, Mittel- oder Leichtgewicht sein würde, spielte für ihn keine Rolle. Solange es lebte, würde es dafür sorgen, dass Tetsuo sich nicht aufgab. #~+~# "Ich bin etwa am Ende der dritten Woche", murmelte Tetsuo, eher an sich selbst gerichtet als an den Abteilungsleiter. Plötzlich fühlte er eine große Ruhe in sich, die panische Verwirrung verschwand. Es war albern und höchst lächerlich, sich wie ein kopfloses Huhn aufzuführen! Der Arzt hatte ihm geraten, rasch einen Termin in der Spezialklinik zu vereinbaren und sich dort untersuchen zu lassen. Männliche Schwangere benötigten oft ergänzende Medikamente, um mit den abrupten Stoffwechsel zurecht zu kommen. Außerdem musste das Kind überwacht werden, damit es ihm an nichts fehlte. Tetsuo setzte sich auf, richtete seine Hose, knöpfte sein Hemd zu. Zunächst musste er in jedem Fall telefonieren. Dann benötigte er sicherlich Medikamente. Fachliteratur. Eine Ausstattung für das Kind. Einen Finanzplan für die Zeit nach der Geburt. Wenn die Abschätzung des Arztes stimmig war, blieben ihm noch ungefähr sechs Wochen zur Geburt. Es gab also viel zu tun! #~+~# Kazuya verfolgte mehr als überrascht, wie sich Tetsuo wieder ankleidete und erhob. "Geht es dir wieder besser?", hastig beugte er sich vor, erhaschte ein Handgelenk. Ein konzentrierter Blick aus tintenschwarzen Augen versicherte ihm, dass er tatsächlich Tetsuo und nicht etwa Morioka vor sich hatte. "Danke", antwortete der Ältere ihm nun knapp, "Entschuldigung, aber ich muss telefonieren. Dann sollte ich auch besser die Personalabteilung informieren. Ich werde mich etwas verspäten für unsere heutige Analyse." Kazuya war derart verblüfft, dass er Tetsuos Verbeugung automatisch kopierte und erst mit dem leisen Schließen der Tür begriff, dass es ihm zumindest gelungen war, Tetsuo zu beschäftigen. Aber ob er damit wirklich sein Ziel erreicht hatte, ließ sich noch nicht sagen. #~+~# Tetsuo ging die Schwangerschaft mit entschlossenem Ernst an, hochkonzentriert und analytisch. Er stellte eine Liste mit Prioritäten auf, prüfte seine finanziellen Möglichkeiten und sandte seinen Eltern pflichtschuldig eine kurze Notiz darüber, dass sie in Bälde einen Enkel erwarten konnten. Wie ihre Reaktion ausfiel, interessierte ihn aber nicht. Zunächst war das Kind nur ein abstraktes "Projekt", das man erfolgreich beenden musste. Den Kopf angefüllt mit zu erledigenden Punkten und offenen Fragen ignorierte er die Besorgnis des Abteilungsleiters, nicht absichtlich, aber ungerührt. Glücklicherweise bekam er sogar noch am selben Tag nach Dienstschluss einen Termin in der Spezialklinik. Der erste Schritt, um sich darüber zu informieren, was ihn erwartete. #~+~# Tetsuo hielt überrascht inne, als er Nakai vor der Pforte der Spezialklinik erkannte. Es war bereits recht spät und regnete in Strömen, weil die Taifunsaison bevorstand. Hatte der Abteilungsleiter nicht eine späte Besprechung mit dem Vorstand gehabt? Was tat er nun hier? "Ist alles in Ordnung?", erkundigte sich Nakai bei ihm, griff begehrlich nach der Plastiktüte, in der sich die Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel befanden, die Tetsuo während der Schwangerschaft einnehmen musste. Hauptsächlich sein Mineralienhaushalt war noch erheblich von seinem versuchten Suizid beeinträchtigt. "Ja", antwortete er vorsichtig, studierte den jüngeren Mann misstrauisch. Warum hielt der Abteilungsleiter es für nötig, hier auf ihn zu warten? Hatte der nicht sein Ziel erreicht? #~+~# Kazuya seufzte erleichtert. Er war sich bereits im Vorfeld darüber im Klaren gewesen, dass eine Schwangerschaft mit 37 Jahren bei einem Mann, auch bei einem Leichtgewicht, nicht ganz unproblematisch sein konnte. Und er wollte auf gar keinen Fall Tetsuos Zustand verschlechtern! Die prallgefüllte Tüte mit dem Aufdruck der Spezialklinik hatte ihm im ersten Moment einen gehörigen Schrecken eingeflößt. Sein Plan war zwar weit entfernt davon, als narrensicher zu gelten, aber er hatte optimistisch auf den bestmöglichen Verlauf gehofft. "Worauf müssen wir achten? Welche Nahrungsmittel solltest du essen?", sprudelte er besorgte Fragen heraus, "wie oft musst du zur Untersuchung? Soll ich dich nicht besser fahren? Sind Komplikationen zu befürchten?" Die tintenschwarzen Augen studierten ihn. Überrascht und reserviert. Als stünde es ihm nicht an, so viel Interesse zu zeigen. Eilig verwahrte er sich gegen den angenommenen Vorwurf. "Tetsuo, ich stehe für meine Verantwortung ein! Bitte beziehe mich ein, ja? Es ist ja auch mein Kind." Etwas flackerte in Tetsuos Blick. Kazuya verstummte. Hatte er etwa Tetsuos Lebensfunken angefacht, ihn aber an das Kind verloren? #~+~# "...ich bin müde", stellte Tetsuo leise, beiläufig fest. Vor allem aber war er erschöpft von der Realität, die so unvermutet und unablässig auf ihn einprasselte. Der Erkenntnis zum Beispiel, dass nicht in sechs Wochen alles vorbei war. Nein, dass er sich ein Leben lang mit Abteilungsleiter Nakai auseinandersetzen musste, weil es auch dessen Kind war. Plötzlich durchfuhr ihn ein eisiger Schreck: wenn es nicht allein SEIN Kind war, das heranwuchs, wäre es dann wie immer? Würde er es einfach aufgeben können, sich jetzt schon distanzieren?! Er ballte unwillkürlich die Fäuste, presste die Lippen aufeinander. DAS durfte nicht geschehen! "Ich bin müde", beruhigte er sich selbst eilig, nur deshalb drängten sich solche gefährlichen Gedanken auf! Nach Hause gehen, etwas Leckeres essen, noch ein wenig in den Broschüren blättern, die ihm Dr. Higawa gegeben hatte! Eine warme Dusche, ein gemütliches Bett. Köstlicher Schlaf. Und am nächsten Morgen könnte er mit neuer Energie die offenen Fragen beantworten. #~+~# "Ich bringe dich nach Hause", bot Kazuya sofort an, als er die leisen Worte hörte. Außerordentlich dankbar dafür, dass Tetsuo ihm nicht direkt verbot, sich einzumischen. Jede Anteilnahme am Schicksal ihres Kindes schroff zurückwies. Kazuya hakte sich vertraulich unter, balancierte Regenschirm und Plastiktüte geschickt aus. Zugegeben, über das Kind selbst hatte er sich noch keine ausführlichen Gedanken gemacht. Er zweifelte jedoch nicht daran, dass er es lieben würde, denn es war ja auch SEIN Kind! Immer wieder, auch in der Bahn, warf er hastige Seitenblicke auf Tetsuo, dessen erschöpfter Blick in die Ferne gerichtet war. »Ich weiß nicht einmal, ob er mich überhaupt mag«, der Gedanke stand uneingeladen in großen Lettern vor seinem inneren Auge. Oder ob Tetsuo fähig war, einen anderen Menschen ins Herz zu schließen. #~+~# Tetsuo verabschiedete Abteilungsleiter Nakai geistesabwesend vor seinem Appartementhaus, betrat seine kleine Wohnung und absolvierte die tägliche Routine wie ein Schlafwandler. Dann, nach einer kräftigenden Suppe, ließ er sich frisch geduscht nieder, um die Packungsaufschriften der verschiedenen Schachteln zu studieren und nahm einen blanken Collegeblock zur Hand. Ab sofort, entschloss er sich, würde er genau seinen Tagesablauf durchplanen müssen. Er hatte ja nicht mehr viel Zeit, und danach... Tetsuo ließ sich auf den Rücken sinken, studierte die Zimmerdecke mit der neuen Lampe. Wie sollte er Kindererziehung und Broterwerb kombinieren? Außer Frage stand es, im ersten halben Jahr auch nur an eine Teilzeitbeschäftigung zu denken. Das Kind würde ihn brauchen, von ihm vollkommen abhängig sein. Er seufzte leise, streichelte unwillkürlich über seinen flachen Unterbauch, der ihm nicht verriet, dass sich unter der Bauchdecke ein winziges Wesen befand. »Nachdenken«, dachte er schläfrig, »ich muss darüber nachdenken!« #~+~# Kazuya erreichte die Firma ungewohnt früh, wie es ihm des Öfteren nach Tetsuos "Unfall" passiert war. Die Mitarbeiterschaft erklärte sich das mit der Doppelaufgabe, die ihr brillanter Anführer zu erfüllen hatte und sah ihm seinen Eifer nach. An diesem Morgen aber fühlte sich Kazuya weniger eifrig als nervös. Tetsuos distanzierte Reaktion verunsicherte ihn stärker, als er es sich eingestehen wollte. Außerdem, das war ihm erst beim Hin- und Herwälzen auf der Jagd nach ein wenig erholsamem Schlaf aufgegangen, musste mittlerweile das gesamte Haus wissen, dass sie einen männlichen Schwangeren unter sich hatten. Würde man über Tetsuos Partner spekulieren? Hätte man ihn im Verdacht? Nicht, dass Kazuya die Verantwortung abgestritten hätte, es war lediglich die Aussicht darauf, dass man ihm sittenwidriges Verhalten und sexuelle Belästigung vorhalten könnte! Er seufzte und nippte an seinem Jasmintee. »Ich habe noch Schlimmeres getan«, bekannte er erneut vor sich selbst, »der Weg zur Hölle ist wirklich mit guten Absichten gepflastert.« Überrascht fegte er herum, als Tetsuo sein Büro betrat. Der verbeugte sich knapp nach einem ebenfalls irritierten Blick. Offenkundig war Kazuya das höfliche Klopfen an der Tür entgangen. "Wie geht es dir?", sprudelte er sofort heraus, ließ die Teetasse hastig auf ihren Untersetzter sinken, "konntest du einigermaßen schlafen?" Zum ersten Mal außerhalb der intimen Momente des Beischlafs registrierte Kazuya in Tetsuos Gesicht ein Mienenspiel: der ältere Mann zog kritisch die Augenbrauen zusammen. "Danke, ich befinde mich wohl", antwortete er bedächtig, studierte seinen Vorgesetzten vorsichtig. "Ich bin wegen der Besprechung hier", ergänzte er distanziert, "ab heute kann ich wieder an meinem Arbeitsplatz arbeiten." Kazuya spürte, wie seine Schultern herabsackten. Es hatte ihm gefallen, Tetsuo um sich zu haben, neben ihm zu sitzen und rasch zu tippen, während dessen ruhige Stimme leise die Eingaben diktierte. "Bist du sicher? Du könntest dir eine Zerrung zuziehen, wenn du zu früh die Sehnen beanspruchst", versuchte er sich an einem Einwand. "Ich möchte es bitte versuchen", Tetsuo verneigte sich vor ihm, die formelle Abwehr der fürsorglichen Ablehnung. Dieses Mal seufzte Kazuya laut, "nun, wenn du es so gerne möchtest." Er fühlte sich nicht fähig, Tetsuo zu überreden, mit Charme und Liebreiz zu belagern, bis der nachgab. Ohne darüber nachzudenken, zog er den älteren Mann in seine Arme, schloss für einen Moment die Augen. Wie konnte man einem anderen Menschen so nahe sein und gleichzeitig so weit entfernt? #~+~# Tetsuo war weit davon entfernt, den Abteilungsleiter abweisend oder unfreundlich behandeln zu wollen. Vielmehr war er sich seiner Wirkung gar nicht bewusst. Zum ersten Mal hatte er Nakai wirklich angesehen. Nicht als Gesamtkunstwerk der Natur, als eine Summe, die Nakai hieß und Vorgesetzter war, sondern in Details. Die gebräunte, leicht gefleckte Haut, die unwillkürlich an eine Raubkatze erinnerte. Die schönen, nussbraunen Haare mit den glänzenden Strähnen. Die athletische Statur, die Körpergröße. Nakai war attraktiv, keine Frage, nur hatte für Tetsuo ein solches Attribut bisher keine Bedeutung gehabt. Nun fragte er sich, wie sein Kind aussehen würde. Konnte es die Haarfarbe erben? Vielleicht diesen lockenden, stets zärtlich lächelnden Mund? Die dichten Wimpern? Vielleicht die klassische Nase? »Wenn es einige seiner Züge erbt, wird es bestimmt sehr viel hübscher, als ich je gewesen bin«, konstatierte er für sich selbst. Und das war ein durchaus beruhigender Gedanke, denn er wollte für sein Kind ein anderes Leben als das eigene. Jeder wusste schließlich, dass attraktive Menschen es leichter hatten, nicht so schnell ausgegrenzt wurden. Vielleicht würde es sich mal für seinen durchschnittlichen, belanglosen Vater schämen, aber Tetsuo war zuversichtlich, dass er diese Zurückweisung ertragen konnte. Außerdem konnte man ja darüber sprechen und es als Ansporn klassifizieren, dass jeder über das Beispiel seiner Eltern hinauswachsen konnte! Da ihn Gedanken dieser Art beschäftigten, bemerkte er kaum, dass Nakai verunsichert war, ihn nicht einmal zu überzeugen versuchte, noch länger in dessen Büro zu kampieren. Überrascht ließ er sich umarmen, blitzartig in die Realität zurückgeholt. Der Geruch des Aftershave war ihm vertraut genug, das seidige Streichen der Haare an seiner Wange ebenso, die Kraft in den Armen... und trotzdem spürte er eine Veränderung. In seinem Körper brodelte es, wie eine jäh auflodernde Flamme. Sein Herz nahm Tempo auf, er atmete schwerer. Schmiegte sich enger an den jüngeren Mann. Dr. Higawa hatte ihm unverbrämt anvertraut, dass manche Männer während der Schwangerschaft zu besonders heftiger Lust neigten, ein starkes Bedürfnis nach Sex mit ihrem Partner hatten. Das war normal und der Gesundheit des Kindes keineswegs abträglich. »Zu denen muss ich mich wohl auch zählen«, stellte Tetsuo fiebrig fest, drängte einen Oberschenkel in Nakais Schritt. Plötzlich wollte er nichts Anderes, als sich die Kleider vom Leib zu reißen und Nakai dazu zu bringen, mit ihm zu schlafen. So leidenschaftlich es nur ging. #~+~# Kazuya hatte das Gefühl, unabsichtlich in eine Hitzewand gelaufen zu sein. Von einem Moment zum nächsten glühte er förmlich. Und begriff mit einiger Verzögerung, dass er nicht in Flammen stand, sondern Tetsuo derartig massiv Pheromone ausstrahlte, dass ihm die Knie weich wurden. Einem Schwergewichtler! "...willst du?", hörte er sich selbst heiser krächzen, kaum noch fähig, die Balance zu halten. Die tintenschwarzen Augen spießten ihn förmlich auf, drehten ihn über offenem Feuer und verschlangen ihn gierig. Kazuya konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals jemand derart angesehen hatte, mit beinahe wölfisch anmutender Lust. Dieses Mal war es auch nicht allein seine Initiative, ohne nein! Ebenso hastig und fiebrig zerrte Tetsuo an seinen Kleidern, drängte ihn zum Dreisitzer, biss ihn fast während ihrer ausgehungerten Küsse. Für Zärtlichkeiten blieb weder Zeit noch Gelegenheit. In einem archaischen Kampf, leidenschaftlich und rücksichtslos gegen etwaige Verletzungen geführt, schlangen sie Glieder um- und ineinander, wälzten sich vor und zurück, scheinbar unkoordiniert und doch zielgerichtet. Tetsuos brünftiges Stöhnen, als er endlich in ihn eindrang, ließ Kazuya erschauern. Was noch an Scheuklappen, Hemmungen oder Rücksichten vorhanden war, wurde weggespült. Er folgte Tetsuos Wünschen und konzentrierte sich nur auf einen Aspekt. Vögeln. #~+~# Tetsuo fühlte sich erstaunlich gut. Gelöst. Aufgewärmt. Entspannt. »Das sollte ich öfter tun«, beschloss er spontan. Dummerweise waren zwei Beteiligte vonnöten, und er vermutete stark, dass es ohne einen geübten Partner wie Nakai keineswegs so herrlich sein würde. Der nun neben ihm auf der Polsterkante balancierte, zum ersten Mal splitterfasernackt, ihm über den Leib streichelte und immer wieder seine Schläfe küsste. "Alles in Ordnung?" Wieso bloß klang seine Stimme so besorgt? Tetsuo hielt das für merkwürdig. War der Abteilungsleiter nicht auf seine Kosten gekommen? Hatte er sich etwa zurückhalten müssen? "Danke, es geht mir gut", versicherte er aufgeräumt, setzte sich auf und wischte sich klebrige Strähnen aus dem Gesicht. Voller Energie und Tatendrang konnte er nicht länger herumliegen. Arbeit musste getan werden! Es gab noch viel zu tun, außerdem musste er pünktlich seine Medikamente einnehmen. Er erhob sich, ungewohnt gelenkig, schlüpfte rasch in seine Kleider, nachdem er sich eher nachlässig mit Taschentüchern gesäubert hatte. Nun empfand er Küsse und den Sex nicht mehr als ekelhaft oder abstoßend, sondern als ganz natürlich. Deshalb war es auch nicht geboten, sich mit Kernseife abzuschrubben. "Haben Sie eine Liste der besonderen Anforderungen für die heutigen Analysen?", erkundigte er sich beiläufig, längst wieder im höflichen Mitarbeitermodus, aber weit von der Teilnahmslosigkeit der Drohne entfernt. "...ich gebe sie dir gleich", langsam erhob sich auch der Abteilungsleiter, studierte ihn. Tetsuo verbeugte sich höflich, weil er vermutete, auf irgendeine Weise Unwillen erregt zu haben, wollte das aber weder eruieren, noch sich damit aufhalten. Er bedankte sich artig, verließ das Büro und achtete darauf, dass niemand den vollkommen entblößten Abteilungsleiter zu sehen bekam, der die Stirn an die kalte Fensterfront lehnte und in die Tiefe sah. #~+~# Kazuya war ratlos und nippte nachdenklich an seinem eisgekühlten Whiskey. Er hörte weder die dezente Barmusik noch die gedämpften Gespräche der anderen Gäste. Interessierte Blicke ignorierte er geistesabwesend, konzentrierte seinen Blick auf die Eisklumpen, die in bizarre Formationen gepresst worden waren. »Du machst dich lächerlich«, hielt er sich selbst vor. Und spielte damit auf die Tüte an, die neben seiner Ledertasche auf dem Boden stand. In ihr befanden sich winzige Strampelanzüge, Käppchen und Mützen, spezielle Fläschchen und eine kleine Schlafschaukel. Wie ein durchgedrehter, werdender Vater hatte er in dem Spezialgeschäft munter eingekauft, war auf einer euphorischen Begeisterungswelle geritten, die sich auch durch die exklusiven Preise nicht einschüchtern ließ. Tatsächlich WAR er ja auch ein werdender Vater... nur durfte bezweifelt werden, dass er in den Genuss der Vaterschaft kam. »Idiot«, betitelte er sich deprimiert. »Das hast du dir selbst zuzuschreiben! Tja, was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!« Hätte er Tetsuo nicht am Anfang unbedingt für sich einnehmen wollen und ihn sexuell genötigt, dann... »Dann würde er mich jetzt nicht bloß als Rammelobjekt betrachten.« Er seufzte, spülte den Kloß in seinem Hals mit Whiskey herunter. Für einen Augenblick zumindest. »Du bist so ein Idiot.« Er würde als Zahlonkel enden. Als der Typ, der Tetsuo geschwängert hatte und dafür Unterhalt überwies. Eine traurige Gestalt ohne Bedeutung. Und so sehr er sich anstrengte: er konnte daran nicht einen positiven Aspekt erkennen. #~+~# Kapitel 5 - Dreier-Konstellation Tetsuo betrachtete einigermaßen verblüfft die Einkaufstüte, die an seiner Wohnungstür deponiert worden war, als er am Morgen sein Appartement verlassen wollte. Es konnte nur eine Person geben, die um seine "Umstände" wusste, seine Adresse kannte und verrückt genug war, Unsummen für winzige Kleider auszugeben. Unversehens kniete er sich hin, breitete einen Strampelanzug auf seinem Oberschenkel auf. Das zugehörige Kind konnte bequem in seiner Hand ruhen. »So winzig...«, dachte er benommen und spürte eine ungeahnte Zärtlichkeit in sich aufsteigen, »in einer Hand...«. An diesem Morgen verpasste er seinen gewohnten Zug, doch das kümmerte Tetsuo nicht einen Deut. Versonnen lächelte er vor sich hin, registrierte seine Umwelt kaum. Er konnte es nicht abwarten, sein Kind kennenzulernen. #~+~# Kazuya zögerte, knabberte unbewusst an seiner Unterlippe. Es war der erste Sonntag nach Tetsuos Entdeckung, dass er schwanger war und nun fragte Kazuya sich, ob er wie gewohnt in dessen Appartement "einbrechen" und ihn zu einem Ausflug überreden sollte. Andererseits regnete es, der Himmel war nicht zu erkennen, die gesamte Welt hinterließ den Eindruck, sich selbst ersäufen zu wollen. Deprimierend war noch eine euphemistische Umschreibung für die herrschende Atmosphäre. Aber allein die Vorstellung, den Sonntag ohne Tetsuo zu verbringen, lähmte ihn. Er MUSSTE einfach einen neuen Anlauf nehmen, um ihn davon zu überzeugen, dass er auch teilhaben wollte. Dass es nicht nötig und sogar recht grausam war, alles selbst erledigen zu wollen. Doch wie sollte er Tetsuo überzeugen? Der die ganze Woche engagiert arbeitete, mit einem abwesenden Lächeln in der Mittagspause seine Mahlzeit verzehrte und für irgendwelche Bemerkungen überhaupt nicht empfänglich war. Der jeden Tag in sein Büro kam, heftigen Sex einforderte und dann gelöst hinausspazierte, als hätte es keinerlei Bedeutung. Den es nicht kümmerte, dass man über den "Erzeuger" seines Kindes spekulierte und verrückte Dramen erfand, die den "Unfall" mit dem Nachwuchs in Verbindung bringen sollten. Für Kazuya durchaus erstaunlich traute niemand IHM zu, für Tetsuos Schwangerschaft verantwortlich zu sein. Obwohl sie jeden Tag geraume Zeit hinter verschlossenen Türen verbrachten. Nun stand er hier, nass und unschlüssig, eine Familienkomödie in der Tasche, einen eingepackten Kuchen, von dem er nicht einmal wusste, ob er Tetsuo schmecken würde und zögerte. »Was ist eigentlich los mit dir?!«, fragte er sich selbst wütend. »Seit wann benimmst du dich wie ein Mondkalb?« Kazuya seufzte. Irgendwann, seit dem ersten Mal und dem Augenblick jetzt, hatte er sich gegen jede Erwartung und Wahrscheinlichkeit in Tetsuo verliebt. Schleichend, unbemerkt. Deshalb war er, der auf Erfolg programmiert war, sich jeder Situation anpassen und wie der Teufel flirten konnte, jetzt hilflos und verunsichert. Weil Tetsuo ihn offenkundig nicht liebte. #~+~# Tetsuo, der seine Freizeit oft in Pyjamas verbrachte, öffnete auf das zaghafte Klingeln sofort. Er hatte aufgeräumt und einen Plan aufgezeichnet, wie er was unterbringen würde, wenn das Kind geboren war. Kazuya tropfte ihm auf die Schwelle, wirkte ungewohnt blass und zögerlich. "Bitte", gestikulierte Tetsuo geschäftig, musterte den Eintretenden einen Augenblick, bevor er ein Handtuch produzierte. "Guten Morgen", murmelte Nakai, versuchte sich an einem Lächeln, das zu einem kläglichen Grinsen verunglückte, "ich habe einen Film mitgebracht. Aber vielleicht möchtest du ja etwas anderes...?" Ein verschmitztes Lächeln zauberte sich in dessen Mundwinkel. #~+~# Kazuya blinzelte, drehte sich dann langsam auf die Seite. Es dämmerte bereits, auch wenn der endlose Regen keinen wesentlichen Unterschied in der Tageszeit machte. Tetsuo lag neben ihm und schlief. »Ich kann's nicht glauben«, Kazuya betrachtete im Zwielicht das vertraute Gesicht. Ohne die Morioka-Maske sah Tetsuo wirklich nicht wie ein 37-Jähriger aus. Nun, das konnte wohl auch daran liegen, dass sie heute, nur von Nickerchen und kleinen Imbissen abgesehen, beinahe ununterbrochen Sex gehabt hatten. Tetsuo wollte es so. Kazuya senkte den Kopf auf dessen Brustkorb, seufzte leise. Er wäre gern geliebt worden. Mit Zärtlichkeiten und Liebkosungen bedacht. Geneckt, verwöhnt. Es war natürlich nicht so, als hätte er ihre leidenschaftliche Vereinigung nicht genossen, im Gegenteil! Aber es fehlte ihm etwas Entscheidendes. Das Herz. Er wünschte sich, seinen Vornamen von Tetsuos Lippen zu hören, ein bisschen Süßholz zu raspeln und ebensolche Paraden zugedacht zu bekommen. Aber Tetsuo flirtete nicht, redete nicht, spielte nicht. Trotzdem, das musste man als positives Signal rechnen!, hatte er ihn eingeladen, hier mit ihm zu schlafen. Andererseits konnte es der umgekrempelte Hormonhaushalt sein... Kazuya schloss die Augen, konzentrierte sich verzweifelt auf den langsamen Herzschlag unter ihm. Tetsuo lebte, war gesund und voller Energie. Mehr hatte er sich nicht zu wünschen! #~+~# Tetsuo verdrängte das berauschende Gefühl des Unwirklichen. Es war KEIN Theaterstück, in dem er sich befand, sondern die Realität, aber manchmal zweifelte er daran. Denn sein Leben war wie ausgetauscht, voller Farben und Melodien. Dazu trug er selbst nicht unerheblich bei, denn ohne es zu bemerken, summte er oft vor sich hin, lächelte versonnen. Dachte voller Neugierde an das Kind, dessen Seelenlicht er noch immer nicht erkennen konnte. Deshalb musste Kazuya es ihm beschreiben, die Hand auflegen. Tetsuo wusste nicht, dass es ihm möglich war, gute Laune zu haben, unbekümmert dem täglichen Trott ein Lächeln zu schenken und seines Weges zu gehen. Er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben außerhalb seiner Wohnung und ohne sein Hobby großartig. Sein gesundheitlicher Zustand wurde für gut befunden, er hatte keine Beschwerden, und auch die Kraft seiner Finger kehrte rasch wieder. Das Kind beflügelte ihn. Er genoss den täglichen Sex im Büro, kehrte entspannt und gelöst zu seiner Arbeit zurück und strich die Tage ab. Nach der Geburt würde er unbezahlten Urlaub nehmen müssen, denn das Kind brauchte ihn schließlich! Die Aussicht darauf war zu herrlich, um nur eine Minute mit schlechter Laune zu vergeuden! Er schmückte sein karges Appartement mit den von Kazuya geschenkten Kindersachen, bastelte aus buntem Papier Mobiles oder Blumen, die er ans Fenster klebte. Alles sollte farbig, hübsch und lebensfroh sein, ein kleines Paradies! Und plötzlich empfand er auch Kazuyas Flaschengarten nicht mehr als unpassend. Vielmehr wäre es die perfekte Kulisse, um seinem Baby Märchen und Geschichten zu erzählen! »Drei Wochen«, dachte er vergnügt, »in drei Wochen bist du endlich da!« Es schien ihm unvorstellbar, dass Frauen die Geduld für neun ganze Monate aufbringen mussten. Zum ersten Mal stellte Tetsuo fest, dass das Leben schön war. #~+~# Kazuya klopfte leise, war sich der späten Uhrzeit und des Wochentags durchaus bewusst. Aber er wollte Tetsuo noch mal sehen, fühlte sich nach einer langen Sitzung mit dem Vorstand ausgelaugt. Bis zum nächsten Tag KONNTE er nicht warten. "Kazuya?" Tetsuo öffnete ihm im Pyjama, lächelte dann nachsichtig, winkte ihn hinein. Er zögerte, spürte einen gewissen Schwindel. Hatte Tetsuo ihn eben, ganz beiläufig, bei seinem Vornamen angesprochen? Einfach so? "Ich mache dir etwas Suppe warm", hörte er die ruhige Stimme, taumelte in das Appartement und stieg mechanisch aus seinen teuren Schuhen. Er hängte seinen Trenchcoat an den Nagel, stellte seine Tasche ab und trat hinter Tetsuo, umarmte ihn und streichelte unter dem Stoff über die gespannte Bauchdecke. Nun sah man bereits ein wenig, dass hier ein Kind hauste. Tetsuo stöhnte leicht, "deine Hände sind eiskalt!" Aber Kazuya bemerkte, dass es keine Beschwerde war, sondern ein lustvoller Kommentar zur Erregung, die sich in der Hose abzeichnete. "Entschuldige", flüsterte er rau, küsste Tetsuos Nacken. "Bitte, darf ich bleiben?" "Ja", Tetsuo wand sich in seiner Umarmung, hatte die Kochplatte bereits abgestellt. Die tintenschwarzen Augen waren von Lust beschlagen, schoben Kazuyas Hand unterhalb der Bauchdecke in den Schritt. Kazuya verdrängte den zynischen Gedanken, dass er sich gegen Sex ein warmes Lager und eine Suppe erkauft hatte. #~+~# Tetsuo erwachte, als Kazuya sich ankleidete. Es war früh, sehr früh, aber die ersten Bahnen verkehrten schon, weshalb es Kazuya für angebracht hielt, seinem Appartement eine Stippvisite abzustatten, um sich umzuziehen. "Geh noch nicht", hörte er Tetsuo schläfrig raunen, dann blockierte ihm der ältere Mann nackt den Weg. "Ich muss nach Hause, mich umziehen", erklärte er widerstrebend, denn von Tetsuo strahlten unwiderstehliche Wellen von Pheromonen ab. "Dann mach's mir schnell", Locken klemmten in den Wimpern, Tetsuo schien gar nicht richtig wach, aber seine Hand umklammerte Kazuyas Knopfleiste in Brusthöhe. "Du wirst dich erkälten", mahnte er, "und wir sehen uns doch gleich im Büro." "Bitte", Tetsuo schmiegte sich an ihn, wischte sich Schlaf aus den Augen, "es dauert doch nicht lange." Resigniert, weil ihm mehr als bewusst war, welche Rolle er spielte, schickte sich Kazuya drein. Drehte Tetsuo um, ließ die Hosen herab, um mit seinem warmen Leib dessen Kehrseite abzuschmirgeln, während er die Erektion massierte. Tetsuo stöhnte genüsslich, wand sich aufreizend vor ihm, ging vollkommen in der Leidenschaft ihrer Vereinigung auf. Kazuya entschädigte sich, indem er Tetsuo recht grob herumbog, um ihn hart auf den Mund zu küssen. Diese Aktion brachte ihm aber nicht etwa einen Tadel ein, nein, Tetsuo war zu engagiert in seinem eigenen Wohlbefinden, um darauf zu reagieren. Erst nach der schnellen Nummer durfte Kazuya zur Bahnstation eilen. Ihm erschien das, was jeder Mann als Traum hegte, nämlich einen sehr willigen Partner zu haben, wie ein Albtraum. Er war schließlich mehr als ein Schwanzfortsatz! #~+~# Tetsuo bemerkte am Ende der achten Woche seiner Schwangerschaft, dass etwas nicht in Ordnung war. Kazuya cremte ihm wie gewohnt den Bauch ein, damit die strapaziöse Weitung für das Kind die Haut nicht zu sehr in Mitleidenschaft zog. Doch er plauderte nicht wie früher munter dahin, dippte Küsschen auf erreichbare Fleckchen Haut oder schmiegte seine Wange an Tetsuos. Nein, Kazuya wirkte bekümmert und in sich gekehrt. Zögerlich studierte Tetsuo ihn und fragte sich, ob es eine unangemessene Einmischung war, wenn er sich nach dessen Befinden erkundigte. Immerhin war ihm Kazuya keine Rechenschaft schuldig! "Fühlst du dich nicht gut?", wagte er sich endlich auf unbekannte Gefilde. In Kazuyas Augen blitzte für einen Augenblick Überraschung auf. Dann lächelte er gequält, "nun ja, ich schlafe in letzter Zeit nicht mehr so gut. Ich bin ein bisschen...müde." Konzentriert bemühte sich Tetsuo, die Botschaft zu analysieren. Welche Offerte sollte er Kazuya machen? Konnte er überhaupt etwas tun? War es ein versteckter Vorwurf, dass er Kazuya zu sehr in Beschlag nahm? Die Anstrengung, sich in diese unbekannte Situation einzufinden, zeichnete sich deutlich in seiner Miene ab. Kazuya schmunzelte matt, hob die Hand, um über Tetsuos Wange zu streicheln. "Keine Sorge. Das geht sicher vorüber. Wäre es dir recht, wenn ich einfach nur neben dir schlafe?" »Also kein Sex«, stellte Tetsuo fest, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Wahrscheinlich war er mit seiner ständigen Lust einfach zu anspruchsvoll. Jeden Tag dreimal entsprach ja auch nicht unbedingt der Norm... wenn man den Statistiken glauben konnte. "Natürlich", antwortete er beruhigt, denn es stand ja zu erwarten, dass mit der Niederkunft auch sein sexueller Appetit gewaltig zurückgehen würde. Trotzdem überraschte es ihn, dass Kazuya sich im Schlaf eng an ihn schmiegte und seine Hand nicht loslassen wollte. #~+~# Tetsuo sortierte gerade die tägliche Menge an Medikamenten auf seinem kleinen Schreibtisch, als ein heftiger Schmerz ihn förmlich vornüberkippen ließ. Er landete unsanft auf allen Vieren, presste die Lippen aufeinander, um nicht vor Qual zu schreien. Blindlings, da ihm Tränen über die Wangen liefen und seine Sicht trübten, riss er das Telefon am Kabel herunter, drückte auf eine Kurzwahl. Eine neue Schmerzwelle ballte ihn zu einem kompakten Paket des Elends, das nur noch atemlos wimmern konnte. Kazuya stürzte herein, hatte zu seiner Überraschung am Telefon nichts weiter als ein gequältes Winseln vernommen. "Tetsuo!", sofort kniete er sich neben den älteren Mann, erkannte dank der Lektüre der Broschüren die Situation sofort: das Kind wollte geboren werden! Sein erschrockener Ruf alarmierte auch die Belegschaft, die sich neugierig in das winzige Geviert drängte. "Rufen Sie die Klinik an", verteilte Kazuya mit überschlagender Stimme Anweisungen, "Sie, reservieren Sie mir sofort einen Dienstwagen!" Es gelang ihm, den gepeinigten, halb ohnmächtigen Tetsuo auf den Bürostuhl zu heben, dann rollte er bereits mit hohem Tempo auf die Fahrstühle zu. Warum dauerte das bloß so lange?! Tetsuo ächzte und wimmerte ununterbrochen, die Arme um den Leib geschlungen, ein Bild der Marter. "Wir schaffen das, gleich sind wir beim Auto", versuchte Kazuya ihn zu ermutigen und sich selbst die Angst zu nehmen. Er hatte nicht erwartet, dass die Wehen so furchtbar sein würden. Der Aufzug schien sich Ewigkeiten trotz Expressfahrt aufzuhalten, dann spurtete Kazuya mit dem Bürodrehstuhl und der kostbaren Last durch das Parkhaus zu den Dienstwagen. Geistesgegenwärtig drückte ihm ein verdutzter Fahrer die Schlüssel in die Hand, bevor er den barschen Befehl entgegennahm, den Bürodrehstuhl wieder nach oben zu bringen. Mit Tetsuo auf dem Rücksitz startete Kazuya. Die Klinik war nicht allzu weit entfernt, der morgendliche Stoßverkehr hatte sich auch schon aufgelöst, aber die gequälten Laute, die an sein Ohr drangen, zerrissen Kazuya das Herz. Nun wunderte es ihn wirklich nicht mehr, dass Frauen als belastbarer und zäher galten, denn nur die äußerste Anstrengung hielt ihn aufrecht. Glücklicherweise kannte sich die Klinik mit derartigen Notfällen aus. Bevor Tetsuo auf den Tragestuhl befördert wurde, hatte man ihm bereits eine Maske übergestreift, die ein Sauerstoffgemisch verteilte, das mit Schmerzmitteln versetzt worden war. Die Bauchkrämpfe waren das einzige Anzeichen dafür, dass sich die von den Würmern erzeugte Nährkammer aufzulösen drohte. Angesichts der routinierten Reaktion beruhigte sich Kazuya ein wenig. Ihm wurde bedeutet, dass er zurückzubleiben hatte. Auf den letzten Gang konnte er Tetsuo nicht begleiten. #~+~# Kazuya war sich bewusst, dass ein einsatzfreudiger Vorgesetzter längst an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt wäre. Und nicht bloß telefonisch mitgeteilt hätte, wo er im Notfall zu erreichen sei. Eine elend lange Stunde verstrich. Tetsuo war im Operationssaal, wo man das Kind zur Welt brachte. Einen kleinen Eingriff nannten es die Chirurgen. Nur eine winzige Narbe unter dem Bauchnabel. Und manche operierten sogar nur mit örtlicher Betäubung oder dem Einsatz von Akupunkturnadeln. Kazuya betete dafür, dass alles gut ging. Dass sich Tetsuo von den unsäglichen Schmerzen erholte. Und er machte sich Vorwürfe. Warum hatte er nicht wie jeder andere auch darauf bestanden, dass sich Tetsuo ab der achten Woche vorsorglich ins Krankenhaus begab? Warum ließ er sich überreden?! Dr. Higawa trat lächelnd auf ihn zu. Taumelnd vor Anspannung kam auch Kazuya auf die Beine, "geht es ihnen gut?" "Ah, ein gesundes, hübsches Mädchen für Herrn Morioka", bemerkte Dr. Higawa jovial, "sie wird gerade in den Brutkasten gelegt." "Aber Tetsuo, wie geht es ihm?" Kazuya wischte sich unwillkürlich die nassen Handflächen an den Oberschenkeln ab. Dr. Higawa klopfte ihm beruhigend auf eine Schulter, "nur die Ruhe, Herr Nakai. Ihrem Partner geht es gut, aber erst mal muss er langsam aus der Narkose aufwachen. Geben Sie ihm ein bisschen Zeit, sich zu erholen." Kazuya nickte automatisch, bemühte sich um ein Lächeln, "darf ich das Baby schon sehen?" Er durfte und wurde zu einer großen Glasscheibe geführt. In einem großen Brutkasten mit zahlreichen Eingriffslöchern und Kabeln aller Art lag ein winziges Wesen unter einem schmalen Tuch. Man konnte lediglich ungefähre Formen ausmachen. Kazuya erkannte, dass das kleine Mädchen, gerade mal so groß wie seine Hand, zu den Hunden gehörte. Also nach Tetsuo kam. Wie in den Broschüren aufgezählt beobachtete er, ob sie ohne Hilfsmittel atmete, keine Sonden zur Ernährung oder zum Ausscheiden benötigte. Tatsächlich klebte nur eine einzige, winzige Membran auf dem kleinen Körper, gab den Herzschlag an eine Aufzeichnungseinheit weiter. "Machen Sie sich keine Sorgen", eine Schwester sprach ihn freundlich an, "wir kümmern uns um die Kleine. Es ist ganz normal, dass die Kleinen am Anfang nur schlafen und essen." Kazuya lächelte mechanisch, hatte diesen Umstand weder erwogen, noch in Frage gestellt. Ihn verlangte es vor allem danach, Tetsuo zu sehen. Ihn um Verzeihung zu bitten für die Qualen, die er ihm auferlegt hatte. #~+~# Der Schock über die Schmerzen führte dazu, dass Tetsuo erst am frühen Abend aus der Narkose erwachte. Vorsorglich hatte man ihn verkabelt, um die Körperfunktionen zu überwachen. Ein Infusionsbeutel glich den Blutverlust aus, eine Nährlösung versorgte seinen Kreislauf. Dr. Higawa suchte ihn auf, kontrollierte den Pulsschlag, studierte die Augen und lächelte zufrieden. "So weit, so gut", stellte er munter fest, "meinen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter. Kerngesund und bildhübsch." Tetsuo lächelte erschöpft, "wann darf ich sie sehen?" "Im Augenblick noch nicht", nun wurde der Ton väterlich-streng, "denn Ihre Aufgabe, Herr Morioka, ist noch nicht abgeschlossen." Damit zog er sich einen schmalen Schemel heran, deutete auf die Infusionsschläuche. "Sie sehen ja, wir gleichen den Blutverlust aus und führen Ihrem Kreislauf Nährstoffe zu. Ihre Krämpfe waren sehr heftig, und die Analyse der Plazenta hat ergeben, dass Ihnen vermutlich eine sehr anstrengende und kurzfristige Umstellung Ihres Hormonhaushaltes bevorsteht." Unwillkürlich wich Tetsuo das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht. "Wir werden die Auswirkungen mit Medikamenten behandeln. Das beeinflusst aber den Heilungsprozess der Operationsnarbe." Dr. Higawa wies mit einer Kopfbewegung auf Tetsuos Unterleib, der in einem festen Verband eingeschnürt war. "Deshalb müssen Sie unter Beobachtung im Bett bleiben, bis wir sicher sein können, dass Sie das Ärgste hinter sich gebracht haben." Ohne es recht zu verstehen, wischte sich Tetsuo über die Augen, blinzelte heftig, doch die unerwarteten Tränen ließen sich nicht vertreiben. Er hatte sich so sehr auf das Kind gefreut und nun musste er warten?! Das schien so grausam, dass er Mühe hatte, ein Schluchzen zu unterdrücken. "Bitte", Dr. Higawa klopfte ihm behutsam auf die Schulter, entzog einem Spender Zellstofftücher, "beruhigen Sie sich. Ihre kleine Tochter ist in den besten Händen. Und so bald wie möglich werden wir Sie beide zusammenführen. Sie haben doch schon so lange ausgehalten und bestimmt ein langes Leben miteinander, da werden ein paar Stunden nicht ins Gewicht fallen." Tetsuo teilte diese Auffassung emotional überhaupt nicht, aber er war nicht in der Lage, zu protestieren oder etwas zu ändern. Dr. Higawa, der die hormonellen Auswirkungen durch jahrelange und auch persönliche Erfahrung als Vater zweier Kinder kannte, drückte noch einmal aufmunternd die Schulter seines Patienten und empfahl ihm fröhlich, sich noch ein wenig auszuschlafen. Beim Aufwachen würde die Welt ganz sicher besser aussehen! Obwohl Tetsuo es nicht für möglich hielt, fiel er in einen leichten Schlaf. Als er aufwachte, war es dunkel. Eine Hand streichelte über seine Haare. Mühsam wandte er den Kopf, blickte in ein müdes, blasses Gesicht. Kazuya. Der kaum verständlich murmelte, wie sehr ihm alles Leid tue, dass er nicht gewollt habe, dass so etwas passiere. Alarmiert entzog sich Tetsuo, setzte sich ohne Rücksicht auf den Verband auf. "Ist etwas mit dem Baby?!", erkundigte er sich schrill. Kazuya blinzelte verwirrt, schüttelte dann den Kopf. Fischte in der Brusttasche seines Sakkos herum, bis er sein Mobiltelefon herausgeangelt hatte. Er drückte einige Knöpfe und überreichte es Tetsuo, der noch immer mit erhöhtem Pulsschlag auf eine Erklärung wartete. Das winzige Display spulte artig die Aufnahmen ab, die Kazuya durch die Glasscheibe gemacht hatte. Tetsuo keuchte, kniff die Augen zusammen, wollte kein einziges Detail verpassen. "Sie ist so winzig!", flüsterte er schließlich andächtig, "und so niedlich!" Tatsächlich war die wahre Seelenform, die kleine Kinder noch nicht nach Belieben verbergen konnten, einem Welpen zum Verwechseln ähnlich. "Vielen Dank!", er wandte sich zu Kazuya herum, wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln, "danke vielmals!" Auch wenn es nur über ein winziges Display war, so hatte er doch seine kleine Tochter endlich gesehen! Kazuya betrachtete ihn verwirrt, setzte erneut zu einer Entschuldigung an für die Schmerzen, die er Tetsuo zugefügt hatte, doch der wedelte ungewohnt ungeduldig weitere Ausführungen weg. "Es gibt kein Grund, sich zu entschuldigen! Es geht mir wirklich gut, auch wenn ich wegen der verflixten Narbe nicht aufstehen darf!", versicherte er energisch. "Dank dir konnte ich meine Kleine wenigstens schon mal sehen!" Das kurze Zusammenzucken des Abteilungsleiters entging ihm völlig, nicht aber dessen schlechter Allgemeinzustand. "Kazuya, bitte geh nach Hause und schlaf dich aus. Es geht nicht an, dass du so viel Zeit hier verbringst", ermahnte er ihn streng. "Denk an die Kollegen und die Arbeit! Mir geht es gut, und ich werde noch eine Weile zur Beobachtung bleiben müssen, aber das hat nichts zu bedeuten." Solcherart hinauskomplimentiert blieb Kazuya nichts Anderes als der Rückzug übrig. Während ihn ein Taxi nach Hause fuhr, konnte er nur an zwei Dinge denken: Tetsuos vor Schmerz verzerrtes Gesicht und dessen hingerissene Begeisterung für SEINE Tochter. »Ich habe ihn verloren.« #~+~# Am nächsten Tag bemühte sich Kazuya angestrengt, eine gute Miene zur Schau zu stellen. Er berichtete erneut über die glückliche Geburt und dass Vater und Tochter wohlauf waren. Man besorgte in der Mittagspause rasch ein kleines Geschenk und eine förmliche Glückwunschkarte, die er am Abend ins Krankenhaus mitbringen sollte. Kazuya spulte seine Routine wie in Trance ab. Er hasste den Gedanken, dass alle ihn für einen besonders fürsorglichen Vorgesetzten hielten, dass er fortan so tun musste, als wäre er nicht weiter involviert. Beladen mit der Übernachtungstasche, die Tetsuo bereits nach der sechsten Woche gepackt hatte, kehrte er am Abend in die Klinik zurück. Tetsuos Bett war verlassen. Beunruhigt stellte er die Tasche zu den Geschenken, bat die Stationsvorsteherin um Hilfe. Sie hing förmlich an seinen Lippen, konnte ihm aber nicht sagen, wo sich Tetsuo befand. Es lag jedoch die Vermutung nahe, dass sich Tetsuo entgegen der Anweisungen, sich zu schonen, davongestohlen hatte und in der Neugeborenenabteilung seine Tochter bewunderte. Kazuya wurde lediglich bis zur Glasscheibe für die Besucher vorgelassen. Hinter der Scheibe erkannte er Tetsuo, begleitet von einem mobilen Infusionsständer, der ungerührt und ausgesprochen geschickt mit den aufgesetzten Handschuhen im Brutkasten hantierte, das kleine Mädchen mit einer Pipette fütterte. Kein Wunder, wenn man bedachte, mit welchem Geschick er seine kunstfertigen Glaskästen komponiert hatte. Schwermut überkam Kazuya wie eine dunkle Regenwolke. Tetsuo wirkte verändert, strahlte, redete offenkundig mit dem Handvoll Madararui in dem Brutkasten. »Und ich bin vergessen. Nur eine Fußnote.« Langsam wandte er sich ab, ging schweren Schritts zum Ausgang. #~+~# Tetsuo ignorierte den Verband und die lästigen Stiche der Narbe. Was bedeutete ein bisschen Schmerz gegen das unbeschreibliche Glück, sein kleines Mädchen endlich sehen zu können?! Artig ließ er sich Blut abnehmen, schluckte Medikamente und hielt die Übelkeit aus, mit der sein Organismus auf die vehemente Hormonveränderung reagierte. Nichts jedoch änderte sich an den Gefühlen, die er seiner Tochter entgegenbrachte. Liebe auf den ersten Blick. In seinen Augen war sie perfekt, wunderschön und absolut liebenswert. Er beobachtete hingerissen, wie sie gähnte, im Schlaf mit den Zehen zuckte und hungrig an der Pipette saugte. Dass die kleinen Madararui, die von Männern geboren wurden, in den ersten drei Lebensmonaten sehr viel aufzuholen hatten, da sie nur knapp 200 Gramm bei der Geburt wogen, war ihm hinlänglich bekannt. Also konnte ihr Alltag nur aus essen, wachsen und erschöpft schlafen bestehen. Tetsuo hatte sich entschlossen, seine kleine Tochter Hikaru zu taufen. Ob sein Vater bereit war, sie ins Familienregister aufzunehmen, war eine Frage, die ihn nur marginal beschäftigte. Hikaru war sein kleines Mädchen, und daran würde niemand etwas ändern können. Es überraschte ihn zwar, dass Kazuya lediglich Wäsche zum Wechseln, Obst und Süßigkeiten hinterließ, aber er schrieb das der Arbeit zu. Immerhin fehlte jetzt eine Person, und der Abteilungsleiter musste das auffangen. Außerdem bestimmte Hikaru seinen Tag. Da er die Säuglingsschwestern und -pfleger davon überzeugt hatte, dass er sehr wohl fähig war, seine Tochter zu betreuen, durfte er selbst Hand anlegen. Das war durchaus nicht üblich, wie man ihm erläuterte, da die Madararui-Kinder doch recht zerbrechlich und manche auch für Infektionen anfällig waren. Andererseits konnte niemand bestreiten, dass Vater und Tochter sich bester Gesundheit erfreuten und augenscheinlich bestens miteinander auskamen. Fünf Tage nach der Geburt, beide mit einem losen Verband um die Körpermitte, verließen Tetsuo und Hikaru die Klinik. Inzwischen hatte das kleine Mädchen ein Kilo Gewicht und lag schon recht sicher in dem Tragebeutel vor der Brust ihres Vaters. Tetsuo zwirbelte sich die überlangen Haare in einen kurzen Zopf, ignorierte die vermutlich verwilderte Erscheinung und sah sich nach einem Taxi um. Da bemerkte er Kazuya, der zögerlich die Hand hob, ihm ein Zeichen gab. "Guten Tag!", begrüßte Tetsuo ihn munter, "so eine Überraschung. Wir haben gerade schon überlegt, ob wir nicht doch die Bahn nehmen sollen." Kazuya lächelte matt, streckte die Hand nach dem Gepäck aus. "Ist doch selbstverständlich, dass ich dich... euch abhole." Die kurze Fahrt verlief schweigend, aber Tetsuo störte sich nicht daran, summte Hikaru etwas vor. Sie schlief, wie die meiste Zeit, aber man konnte ja nicht wissen, ob sie nicht doch etwas von ihrer Umgebung mitbekam! Die Forschung hatte zumindest noch keine Erklärung dafür gefunden, wie das Gehirn der Madararui es vollbrachte, innerhalb dreier Monate den Entwicklungsvorsprung anderer Säuglinge aufzuholen. Auf der Türschwelle seines Appartements wurzelte Tetsuo erstaunt an: ihn empfing saubere, leicht aromatisierte Luft, eine frische Blumengirlande schmückte den Eingang. In einer Ecke waren die kleinen Geschenke für das kleine Mädchen deponiert, als könne sie selbst gleich spielen wollen. "Oh, vielen Dank!", freute er sich ohne Scheu, "das ist ja herrlich!" Kazuya stellte das Reisegepäck und ergänzte leise, er habe sich auch die Freiheit genommen, einige Lebensmittel und alltäglichen Bedarf zu besorgen. "Wirklich, ich danke dir! Das ist so lieb!", Tetsuo strahlte ihn an, drückte ihm kurz die Hand, bevor er die Schlafschaukel in Augenschein nahm und offenkundig erwog, ob er sich schon von Hikaru im Brusttragebeutel trennen konnte. Kazuya räusperte sich kurz, straffte dann seine athletische Gestalt. Er müsse noch mal zurück zur Firma, den Wagen abgeben und auch noch einige Aufgaben erledigen. Tetsuo drückte zwar sein Bedauern aus, aber er überredete ihn nicht zum Bleiben. #~+~# Der kurze Abschied bedeutete keineswegs, dass Tetsuo Kazuyas Freundlichkeit nicht zu schätzen wusste. Wie auch die Fürsorge und Freigiebigkeit. Allerdings ließ sein Tagesablauf nicht allzu viel Zeit übrig, um sich Gedanken über den jüngeren Mann zu machen: Hikaru bedurfte ständig seiner Aufmerksamkeit. Sorgsam führte er das Tagebuch, kontrollierte die Körpertemperatur, denn ein Fieber konnte für so ein kleines Mädchen noch tödlich sein, notierte die Gewichtszunahme und absolvierte die Kontrollbesuche in der Klinik. Dass Hikaru pünktlich alle zwei Stunden mit einer speziellen Flüssignahrung gefüttert werden musste, verhinderte ebenso erfolgreich sämtliche anderen Aktivitäten. Tetsuo konnte zu seiner eigenen Überraschung mit diesen Herausforderungen gut umgehen. Er wachte pünktlich auf, fühlte sich trotz fehlendem Tiefschlaf nicht angestrengt und hatte keine Mühe damit, sein kleines Mädchen bei Laune zu halten. Die erste Woche verstrich, ohne dass er einen Besucher gehabt hätte, was Tetsuo nicht beunruhigte. Solange es ihnen beiden gut ging, konnte die Welt tun, wie ihr beliebte. Das tat die Welt ohnehin, für Kazuya jedoch wurde sie zu einem abgrundtiefen Jammertal. Er konnte nicht richtig schlafen, fühlte sich beim Aufstehen wie gerädert und litt unter fortwährenden, peinigenden Kopfschmerzen. Als hätte es ihn nicht bereits genug mitgenommen, dass Tetsuo sich als absolut resistent gegen seinen Charme und jede einzelne Bemühung erwies, seine Zuneigung zu gewinnen! Angeblich war es nur eine Redensart, dass man an gebrochenem Herzen leiden konnte, aber für Kazuya fühlte sich sein eingeschnürter Brustkorb nicht so an, als habe er die Metaphorik begriffen. Und er machte Fehler. Vielleicht, weil es ihm physisch bereits nicht gut ging, möglicherweise auch, weil er sich kaum konzentrieren konnte, mehr als einmal geistesabwesend ins Leere starrte. Zündende Ideen, Vorschläge, umfangreiche Interpretationen der Trends? Kazuya blieb sie schuldig. Dass er um dieses Manko wusste, hob seine Stimmung nicht, sondern reizte ihn noch zusätzlich. Am Samstag war es schließlich so weit, dass er nur noch fähig war, in sein Büro zu stürmen, bevor er vor den Mitarbeitern eine heftige Kritik herausbrüllte. Er kannte ihre Grenzen, doch in diesem gefährlichen Augenblick waren sie ihm unerträglich in ihrer Beschränktheit. Zitternd stützte er sich auf seinem Schreibtisch ab, würgte an Galle. Er konnte so nicht mehr weitermachen. #~+~# Tetsuo hatte Hikaru gerade aus der Schlafschaukel gehoben und summte beruhigend vor sich hin, damit sie ihm nachsah, dass das Fläschchen erst auf die richtige Temperatur gebracht werden musste, als es an der Tür klopfte. Ziemlich energisch. Verblüfft schob Tetsuo erst den Wärmetopf von der Herdplatte, wiegte Hikaru sanft, bevor er an die Tür trat, misstrauisch hinausspähte. Kazuya lehnte im Rahmen, grau im Gesicht, vom Wind zerzaust und leicht zitternd, weil der Regen vom Wind abgekühlt worden war. "...komm herein." Tetsuo gab die Tür frei, wollte ein Handtuch holen, entschied sich dann aber dagegen. "Steig erst mal unter die Dusche, dann habe ich auch eine Suppe fertig", kommandierte er. Sein Rücken war abweisend genug, dass ihm wortlos Folge geleistet wurde. "Das ist sehr merkwürdig", vertraute er Hikaru an, die müde zu ihm hochblinzelte und auf ihr Fläschchen wartete. Geschickt setzte Tetsuo Suppe auf, wiegte Hikaru in seiner Armbeuge, während er sie mit der Flasche fütterte. Es erfüllte ihn mit Stolz, wie schnell seine kleine Tochter wuchs und dass sie bereits versuchte, selbst die Flasche abzustützen. Er hängte den Bademantel, den Kazuya ihm für den Klinikaufenthalt gekauft hatte, an den Haken der Schiebetür zur Nasszelle und hoffte, dass Kazuya sich selbst bedienen mochte. Denn außer diesem Kleidungsstück würde wohl kaum etwas von seiner spärlichen Garderobe passen. Mit einem Handtuchturban ließ sich Kazuya schließlich artig auf dem Laminat an dem kleinen Klapptisch nieder, den Kopf gesenkt, wortlos. Tetsuo sondierte die Lage kritisch, denn so einen Kazuya hatte er bisher nicht erlebt. Mutmaßlich war etwas passiert. Aber dass Kazuya ausgerechnet zu ihm kam, erstaunte ihn doch. Kurzentschlossen ging er gelenkig in die Knie, hob Hikaru an und legte sie dem völlig überrumpelten Kazuya in die Armbeuge. "Bitte halte sie noch einen Moment, ja? Ich sehe eben nach der Suppe." Er schmunzelte an der Küchenzeile, als das von ihm erwartete Keuchen der Überraschung erklang. Zweifellos hatte Hikaru auch Kazuya ihren patentierten, absolut unwiderstehlichen Zauberblick geschenkt und ihn damit in den Bann geschlagen! Tetsuo lächelte also hocherfreut, als er mit zwei Schalen Suppe an den niedrigen Tisch trat und sich auf die Knie niederließ. "Ich vermute, die grünen Augen stammen von deiner Familie", eröffnete er leichthin das Gespräch. Zu seiner Befriedigung hielt Kazuya das winzige Mädchen nicht etwa steif und angespannt, sondern sicher auf dem Arm, streichelte mit der freien Hand über den Flaum auf dem Köpfchen. Da zeigte sich, wie Tetsuo vermutete, das Erbe seiner Familie, nämlich widerspenstige, schwarze Naturwellen. "...mein Vater hat grüne Augen...", bestätigte ihm Kazuya heiser. "Sie ist hinreißend, nicht wahr?", Tetsuo konnte seinen väterlichen Stolz nicht unterdrücken. Kazuya nickte stumm, hielt den Blick auf das Baby konzentriert. "...ist es sehr anstrengend?", erkundigte er sich schließlich. "Oh, kaum der Rede wert", beruhigte ihn Tetsuo, legte geschäftig Löffel aus, "ich habe mich schon daran gewöhnt. Wir zwei kommen gut zurecht, nicht wahr, mein Herzchen?" Hikaru gähnte müde. Tetsuo lachte leise, streckte die Hände aus und nahm sie mit einer Hand hoch auf seine Schulter, wiegte sie sehr vorsichtig. "Sie wächst sehr ordentlich", teilte er Kazuya mit, "aber das ist noch anstrengend für sie, deshalb schläft sie viel." Sodass er sie nun in die Schlafschaukel bettete, die winzige Schlummerdecke zurechtzupfte und sich überzeugte, dass seine Tochter sich nicht im Schlaf auf den Bauch drehen konnte. "Ah, bitte iss doch! Es ist draußen ja scheußlich kalt geworden", forderte er Kazuya auf, nahm die eigene Schüssel hoch und saugte vergnügt Nudeln ein. Auch Kazuya verzehrte seine Suppe, schweigend, den Kopf gesenkt. Es schien unangebracht, ein Gespräch zu forcieren, wie Tetsuo empfand, also befasste er sich damit, das benutzte Geschirr einzusammeln, auf der Küchenzeile das nächste Fläschchen bereitzustellen und sich dann zu Kazuya umzuwenden. Der kauerte noch immer mit herabgesackten Schultern krummbucklig auf dem Laminat, ein ungewohntes, Mitgefühl erweckendes Bild. Allein, Tetsuo verfügte nicht über Erfahrung, wie man jemandem Trost zusprach. Das war ihm bisher noch nie abgefordert worden, und Hikaru war noch zu klein, um solche Ansprüche an ihn zu stellen. Analytisch, wie er trotz der Veränderung durch die Geburt noch immer war, kalkulierte er seine Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Übereinstimmungen der Gegenwart und kam zu dem Schluss, dass Kazuya gekommen sein musste, um mit ihm Sex zu haben. Solange er Hikarus Bedürfnisse darüber nicht vernachlässigte, hatte Tetsuo keine Einwände. Zwar hatte sich sein Fokus vollkommen auf andere Aspekte verlagert, aber er ging positiv davon aus, dass auch ohne den Hormoncocktail der Schwangerschaft ausreichend Lust erzeugt werden konnte, um seinen Mann zu stehen. Wortlos schob er also den Wandschrank auf, rollte den Futon auf dem Laminat aus und ergänzte die übliche Variante um eine weitere Steppdecke und ein zweites Kissen. Betäubt verfolgte Kazuya diese Maßnahmen, bevor er erstickt krächzte, "deshalb bin ich nicht gekommen!" Tetsuo kniete sich auf den Futon, suchte die fiebrig glänzenden Augen in dem erschöpften Gesicht. "Oh, ich ging davon aus, es würde dir gefallen", erklärte er seine Vorgehensweise in neutralem Tonfall. "Du bist nicht meine Mätresse, zu der ich komme, um zu essen und zu vögeln!", fauchte Kazuya aufgebracht. Denn leider hatte er genau das getan, finanzierte Tetsuos Lebensunterhalt seit der Beurlaubung und wollte verwöhnt werden. Oder zumindest angehört. "So habe ich mich noch gar nicht betrachtet", antwortete Tetsuo ihm nachdenklich. Doch bevor er Kazuya ehrlich versichern konnte, dass es kaum einen Unterschied zwischen einer Geliebten und seiner Position gab, fuhr ihm Kazuya hastig über den Mund, "deshalb bin ich nicht hier!" "...dann bist du sicher müde", wagte der ältere Mann sich auf unbekanntes Terrain, denn für ihn war es Neuland, sich um die Bedürfnisse anderer Sorgen machen zu müssen. "Ja", nahm Kazuya erschreckend erleichtert den Faden auf, "nur ein wenig...müde. Schlaf. Mir fehlt...Schlaf." Tetsuo schlug statt einer verbalen Einladung die Decken auf, aktivierte ein fahl glühendes Nachtlicht, das eigentlich für Kinderzimmer gedacht war und streckte sich selbst aus. Kazuya kroch neben ihn, nackt, da er den Bademantel abgestreift hatte. Schmiegte sich wärmesuchend an ihn, ohne erotische Absichten, wie Tetsuo bemerkte. Die Geste erinnerte ihn eher an die instinktive Reaktion seiner kleinen Tochter, die unwillkürlich seine Nähe suchte. Schutz. Geborgenheit. Zuneigung. Er zupfte die Decken zurecht und legte sanft einen Arm um den athletischen Mann, der erschöpft bereits in tiefen Schlaf gesunken war. #~+~# Kazuya erwachte, ohne genau bestimmen zu können, wie lange er geschlafen hatte. Der Futon neben ihm war verlassen, die Decke nachlässig zurückgeworfen. Er rollte sich auf den Bauch und blickte sich um. Tetsuo stand, in den offenen Bademantel gehüllt, neben der Schlafschaukel, summte leise und fütterte Hikaru. Sein Profil im Dämmerlicht der Nachtleuchte wirkte entspannt und glücklich, in den Mundwinkeln tanzte ein übermütiges Lächeln. Dann küsste er seine kleine Tochter sanft auf das winzige Haupt, vertraute sie der Schlafschaukel an und verharrte noch einen Moment, in friedlich-entspannter Betrachtung. Als er sich umwandte, bemerkte er Kazuya. "Oh", flüsterte er entschuldigend, "habe ich dich aufgeweckt?" Der schüttelte langsam den Kopf, lupfte einladend die Bettdecke. Noch immer gehobener, um nicht zu sagen beschwingter Stimmung entledigte sich Tetsuo des Bademantels und kroch unter die warmen Baumwollschichten. Kazuya beugte sich über ihn, studierte die gelösten Züge einen Moment, bevor er sich leise erkundigte, "bist du glücklich?" Tetsuo strahlte fröhlich, "sehr. Über alle Maßen." Er stemmte sich auf die Ellenbogen und ergänzte ernsthafter, "ich danke dir. Du hast mir ein unvergleichliches Geschenk gemacht." Halb über ihm kauernd kämpfte Kazuya mit sich, ließ aber keine verräterische Äußerung entschlüpfen. Stattdessen beugte er sich vor, um Tetsuo zu küssen. Der ließ sich bereitwillig auf den Futon sinken, stellte die angewinkelten Beine auf und lud Kazuya ein, mit ihm intim zu werden. Sie waren einander schließlich so vertraut, dass er nur zu gern seinen Dank zollen und sein Glück teilen wollte. #~+~# Als Kazuya am Morgen erwachte, hatte sich Tetsuo bereits einen Pyjama übergestreift und stellte ein Frühstück zusammen. Hikaru schlief im Brusttragebeutel. "Guten Morgen", begrüßte er ihn munter, "fühlst du dich besser? Konntest du ein wenig schlafen?" "Danke", murmelte Kazuya, dem allzu bewusst war, dass er ganz gegen seine Absicht Tetsuo tatsächlich wie eine Zweitfrau behandelt hatte. Nun, leidlich erholt und im Zeitdruck, da er sich für die Arbeit noch umkleiden musste, konnte er keine Zeit mehr an eigene Befindlichkeiten verschwenden. Er frühstückte eilig, half dann, den Futon zu verstauen, schlüpfte in seine Bekleidung vom Vortag und traf Anstalten, Tetsuos Appartement zu verlassen. In der Tür drehte er sich jedoch ruckartig um. "Kann ich morgen... wäre es dir recht, wenn ich morgen zu Besuch käme?" Tetsuo stellte das unbewusste Summen ein und zwinkerte, "du kannst uns gern jederzeit besuchen. Wir freuen uns." Kazuya verbeugte sich knapp, bevor er mit eiligen Schritten davonmarschierte. #~+~# Es konnte keinen vernünftigen Zweifel geben. Kazuya lehnte sich schwer in die Halteschlaufe, verfolgte die träge ablaufenden Tropfen auf den Scheiben des Zugs. Ohne Tetsuo Moriokas Nähe würde er zusammenbrechen. Untergehen. Und mit ihm die Abteilung, die er in so kurzer Zeit reformiert hatte. So unwahrscheinlich es auch jedem erscheinen mochte: der perfekte Kazuya Nakai hatte sich in die eigene Grube befördert. Nicht, dass Kazuya sich selbst für vollkommen gehalten hätte. Das war die Erwartung der anderen, die er als Messlatte akzeptieren und befriedigen musste. Doch nie zuvor war es ihm so schwer erschienen, so belastend, so unerträglich. Aus der lächerlichen Eitelkeit, auch Tetsuo für sich einzunehmen, ihn restlos zu becircen, hatte sich ein anderes, erschütterndes, tief wurzelndes, umwälzendes Gefühl entwickelt. Vielmehr noch als ein Gefühl. Ein Bedürfnis. Er brauchte Tetsuo. Jeden anderen Menschen in seinem Leben konnte er munter verabschieden, bei Gelegenheit mal treffen, ohne Eifersucht in eine andere Zukunft entlassen. Nur Tetsuo nicht. Ohne wirklich erklären zu können, WARUM es sich so verhielt. Wann genau sein lächerlicher Ehrgeiz in eine gierige, abhängige Liebe gewandelt hatte. Kazuya schnitt sich selbst eine Grimasse. Er war Analyst, klug und ehrlich genug, um sich selbst nichts vorzumachen. Es gab einen Menschen, der all die Bedürfnisse, die ihn plagten, erfüllen konnte. Nun musste er nur noch Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn für sich einzunehmen. #~+~# Kapitel 6 - Glücksformel Tetsuo sortierte gerade die winzigen Strampelanzüge, als es höflich an der Tür klopfte. Hikaru an seiner Brust gurgelte leise, noch nicht müde genug, um nach dem Genuss ihres Fläschchens gleich wieder einzuschlafen. Erfreut lächelte Tetsuo, als er Kazuya vor der Tür erblickte, bepackt mit zahlreichen Plastiktüten, die auf einen großen Lebensmitteleinkauf hindeuteten. "Bitte, komm doch rein", lud er gastfreundlich in das chaotisch wirkende Zimmer, "ich bin mit der Wäsche noch nicht ganz fertig." Kazuya stieg aus seinen eleganten Slippern, verteilte die Lebensmittel und deponierte die Tortenstücke, die er erstanden hatte. Dann, mit all seinem Mut, bat er Tetsuo darum, Hikaru nehmen zu dürfen, bis sie für die Schlafschaukel müde genug war. Lächelnd vertraute Tetsuo ihm das kleine Mädchen an, beobachtete stolz, wie entspannt Kazuya nach einigen Augenblicken wirkte. Das war noch besser, als das Beobachten einer abgeschlossenen Welt in einem Glaskasten. "Ich bin schon neugierig darauf, wie sie aussieht", bemerkte er leichthin, verteilte die winzigen Kleidungsstücke in verschiedene Plastikkörbchen, "ich hoffe, sie sieht dir ähnlich. Schöne Menschen haben es leichter im Leben." Kazuya sah zu ihm auf, ließ Hikaru auf seinem Oberschenkel im Schneidersitz ruhen. "Denkst du das wirklich? Dass es so viel leichter ist, wenn man recht passabel aussieht?" Tetsuo runzelte leicht die Stirn, kämmte überlange Naturlocken hinter die Ohren. "Nun, du bist sehr attraktiv. Jeder möchte gern in deiner Nähe sein, deine Aufmerksamkeit erringen. Die Leute behandeln dich freundlich", erklärte er, durch den bitteren Tonfall des jüngeren Mannes wachsam. Der zog eine Grimasse, "bei dir hat mein Aussehen offenkundig versagt. Und es ist keineswegs ein Vergnügen, von anderen hofiert zu werden, wenn sie es gar nicht ehrlich meinen." Langsam ließ sich Tetsuo vor Kazuya nieder, studierte ihn überrascht. "Aber ich finde dich auch sehr attraktiv", widersprach er zögerlich, "du hast ein angenehmes Auftreten, bist sehr aufmerksam und zuvorkommend." Kazuya senkte den Kopf, strich mit einem zitternden Zeigefinger über den Rücken von Hikaru, die sich bequem auf seinem Oberschenkel zusammengerollt hatte. "Was nützt das alles mir, wenn du mich nicht lieben kannst?!", stieß er erstickt hervor. Für eine geraume Weile war nicht mehr zu hören als angespannte Atemzüge und das zufriedene Gurgeln des winzigen Mädchens. "...ich habe nicht gedacht...", Tetsuo suchte nach Worten, "dass...dass du so viel für mich empfindest." Diese Feststellung entsprach nicht nur seiner Wahrnehmung, sondern auch seiner Wahrheit. Vom Abteilungsleiter Nakai war Kazuya für ihn ein außergewöhnlich freundlicher und großherziger Freund geworden, der ihm das größte Glück seines Lebens beschert hatte. Die offenkundigen Unterschiede in gesellschaftlicher, familiärer und altersmäßiger Hinsicht jedoch schienen ihm Rechtfertigung genug, dass das Katzenschwergewicht lediglich besonders hilfsbereit und selbstlos gehandelt hatte. Niemals aber eine dauerhafte Verbindung anstrebte. Man wusste ja, dass Schwergewichtler rar waren, sich durch Promiskuität auszeichneten und bereits in Kinderschuhen verlobt wurden! Was hätte ein 37 Jahre alter, geschiedener, durchschnittlicher, langweiliger Mann, seines Zeichens Hunde-Leichtgewicht, da zu bestellen gehabt? Allein schon auf etwas mehr als eine lockere Freundschaft zu hoffen, wäre vermessen gewesen! Kazuya stieß ein gequältes Auflachen aus, "wirklich, ich bin entsetzt! Du billigst mir gleichzeitig so viele positive Charaktereigenschaften zu und gehst doch davon aus, dass ich dich für ein kurzweiliges Vergnügen missbrauche?" "Aber nein!", protestierte Tetsuo in die Enge getrieben, "ich habe nur angenommen, dass du besonders nett sein wolltest!" "So ein Samariter bin ich aber nicht!", begehrte Kazuya verzweifelt auf, zuckte heftig, sodass Hikaru ein grollendes Grummeln absonderte, da sie gerade im Begriff gewesen war, recht gemütlich einzuschlafen. Besorgt beugte sich Tetsuo vor, wollte sie lieber von Kazuyas Oberschenkel evakuieren, doch der packte ihn bei den Handgelenken und drehte sie recht grob ins Licht, damit man die tiefen Narben sah. "Was auch immer ich tue, ich KANN dein Herz einfach nicht erweichen!", warf er ihm heftig vor, "NICHTS macht auf dich Eindruck! Warum liebst du mich nicht?! Was stimmt denn nicht mit mir?!" Dieser Aufschrei klang so verzweifelt, dass Tetsuo zusammenzuckte. Hikaru war Lärm dieser Art nicht gewöhnt und begann protestierend zu greinen. Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, seine kleine Tochter zu beruhigen und Kazuya irgendwie zu verstehen zu geben, dass er schlichtweg niemals in dieser Richtung Gedanken gewälzt hatte, verharrte Tetsuo in höchster Anspannung. Da ließ Kazuya unerwartet seine Handgelenke los, hob mit gebeugtem Haupt Hikaru von seinem Bein auf den Arm und wiegte sie behutsam. "...entschuldige, Kleines, ist ja gut...", murmelte er erstickt, aber das es keineswegs gut war, zeigten die Tränen, die auf Beine und das Laminat tropften. Hikaru war durchaus zufrieden, stellte den Protest ein und gähnte herzhaft. Tetsuo rutschte vorsichtig näher, legte dann sehr scheu die Arme um Kazuya, barg dessen nasses Gesicht an seiner Schulter. "Es tut mir leid", entschuldigte er sich beschämt, "ich wollte dich nicht verletzen." Kazuya stöhnte etwas Unverständliches, schlang den freien Arm um Tetsuos Taille. Der nahm sich endlich die Zeit, um über seine eigene Befindlichkeit hinauszudenken. Er WAR unbestreitbar glücklich. Weil es Hikaru gab, die schönste, liebenswerteste, klügste Tochter der Welt. Und dass Hikaru lebte, hatte sie auch maßgeblich Kazuya zu verdanken. Wäre es da nicht mehr als recht und billig, wenn er Kazuya dessen Wünsche erfüllte? Er mochte den physischen Kontakt mit dem jüngeren Mann, er schätzte dessen Intelligenz, die Manieren waren vorbildlich, sein Auftreten gewinnend, ja, es gab wirklich NICHTS an ihm auszusetzen. Bloß hatte Tetsuo bisher nie angenommen, dass er ein begünstigter Empfänger dieser Tugenden sein könnte. So etwas kam in der Realität schlichtweg nicht vor. Jeder halbwegs taugliche Analyst hätte ihm versichern können, dass die Chancen, jemanden wie Kazuya Nakai für sich zu interessieren, nahe dem Nullpunkt lagen! Vorsichtig wich er ein wenig zurück, umfasste mit beiden Händen Kazuyas gerötetes Gesicht, lächelte beklommen und küsste ihn zaghaft. Recht unerwartet, dass sein Herz so heftig schlug! SO VIEL Angst musste er doch nun wirklich nicht haben, dass Kazuya sich gegen ihn wehren würde! Der empfing den Kuss, rappelte sich dann auf, um Hikaru zu ihrer Schlafschaukel zu bringen. Mit abgewandtem Gesicht murmelte er eine formale Entschuldigung, sich kurz frischmachen zu wollen und verschwand in der kleinen Nasszelle. Tetsuo saß unbehaglich auf dem Laminat und fragte sich ratlos, wie er nun vorgehen sollte. Was konnte er sagen, damit Kazuya sich beruhigte? Ihm Glauben schenkte, dass er wirklich gern mit ihm zusammen war? Von Liebe wollte Tetsuo nicht sprechen, denn das schien trügerisches Gelände zu sein. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er ein überwältigendes, beängstigendes und euphorisierendes, rauschhaftes Gefühl wie Liebe empfunden, als er Hikaru gesehen hatte. Das konnte man wirklich nicht mit seinen Empfindungen für Kazuya vergleichen. Da gab es Lust, Wohlwollen, Verbundenheit, Freundschaft, Fürsorge, durchaus, doch all diese einzelnen Aspekte unter einen Hut zu bringen, den man Liebe betitelte? Nein, wohl kaum. Dazu hatten diese Empfindungen viel zu viel Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Als Kazuya die Nasszelle wieder verließ, hatte er sich gefasst. Zeigte einen Abglanz seines gewohnten Lächelns und entschuldigte sich mit bemüht heiterem Tonfall für seinen Gefühlsausbruch. In der Erwartung, dass Kazuya sich rasch verabschieden wolle, kam Tetsuo auf die Beine, fasste ihn tollkühn an einem Handgelenk und sprudelte eilig heraus, "bitte, geh noch nicht!" Ohne die falsche Maske der Jovialität wandte Kazuya ihm das Gesicht zu, müde, geschlagen und von einer verloren geglaubten Schlacht gezeichnet. "Ich weiß nicht...", Tetsuo zögerte, um Worte verlegen, die er noch nie hatte zusammenklauben müssen, "sag mir, was ich tun soll, bitte! Ich kenne mich nicht aus." Kazuya antwortete ihm nicht, zog ihn aber in eine erstickende Umarmung, presste ihn fest an sich. "...du fehlst mir so sehr", vertraute er unglücklich einem Ohr an, "ich schaffe es nicht mehr ohne dich." Hilflos streichelte Tetsuo über Kazuyas Rücken, hatte plötzlich Mühe zu schlucken. Dass ausgerechnet er dafür verantwortlich war, die Person, die ihn mit so einem unbeschreiblichen Glück gesegnet hatte, in derartige Verzweiflung zu versetzen, traf ihn unerwartet bis ins Mark. »Sei kein Esel«, ermahnte ihn die Stimme, die seit jeher nihilistisch seine Existenz kritisiert und an einer hohen Latte gemessen hatte, »wenn er dich will, dann nimm ihn gefälligst! Was hast du schon zu verlieren?« Außerdem, das durfte man nicht vergessen, konnte es ja sein, dass sich diese Gefühle auch nach zwei Jahren verloren, nicht wahr? Und bei seiner ersten Ehe hatte er die zwei Jahre schließlich auch nicht bereut, oder? Unwillkürlich begann er zu summen, flocht in die Melodie die Beteuerung ein, er sei ja da, alles sei in Ordnung. So beruhigte er Hikaru stets, wenn sie ein wenig quengelig war. Kazuya kämpfte ein Schluchzen herunter, lehnte die Stirn gegen Tetsuos. Es erschöpfte ihn, seine unbeherrschbaren Gefühle, die sich nicht der Vernunft unterwerfen wollten, die einfach für ihn entschieden hatten, dass es Tetsuo sein musste! "Ich bin doch hier", wiederholte der gerade, ging ein wenig in die Knie, um auf diese Weise unter das gesenkte Haupt zu spähen, Kazuyas Blick einzufangen. Der lächelte matt, richtete sich auf. "Warum kuscheln wir nicht ein wenig, hm?", Tetsuo gab sich alle Mühe, "dann können wir auch deine Torte essen!" Der Entscheidungen müde ließ sich Kazuya artig entkleiden, unter die Steppdecke des rasch ausgerollten Futon schieben. Tetsuo gesellte sich zu ihm, bugsierte Kazuyas Haupt auf seine Brust, kraulte sanft die nussbraunen Haare mit den glänzenden Strähnen. Erleichtert senkte er ebenfalls die Lider, als ihm die tiefen Atemzüge verrieten, dass Kazuya in erschöpften Schlaf gefallen war. #~+~# Hikaru hatte selten Grund, auf sich aufmerksam zu machen. Nun sah sie sich jedoch gezwungen, energisch zu quäken, weil sie sich noch immer in der Schlafschaukel befand und niemand Anstalten unternommen hatte, ihre Windel zu wechseln und ihr Fläschchen zu präsentieren! Ihr durchaus kräftiger Protest ließ Tetsuo hastig hochschrecken, der erst zur Schaukel eilte, Hikaru hoch auf seine Schulter hob und dann eilends durch die chaotische Wohnung schwirrte, wobei er sich bemühte, nicht über den Schläfer auf dem Futon zu stolpern. Den versetzte die herrschende Aufregung in eine unruhige Lage, sodass auch Kazuya sich aus dem Traumland verabschiedete und aufsetzte. Tetsuo, die Haare vollkommen zerzaust, den Pyjama falsch geknöpft und ein Hosenbein bis über das Knie hochgestreift, warf ihm einen verlegen-freimütigen Blick zu, bevor er Hikarus Durst stillte. Als sie zufriedengestellt hoheitsvoll ein Frätzchen zog und bereit war, wieder ihrem gemütlichen Nest anvertraut zu werden, erhob Kazuya sich. Er stellte sich direkt hinter Tetsuo, der lächelnd die Schaukel bewegte, schob die Linke unter dessen Pyjamaoberteil, während er mit der Rechten herzhaft und gezielt zwischen dessen Beine griff. Stöhnend wand sich Tetsuo, versuchte, sich einzurollen, doch Kazuya kannte ihn viel zu gut, konterte jedes Ausweichmanöver. Ohne viel Federlesens streckte Tetsuo die Waffen, wand überkopf einen Arm hinter Kazuyas Nacken, stahl sich in einer halben Drehung seines Oberkörpers hungrige Küsse. Kazuya wusste um jede einzelne Vorliebe und spielte seine intimen Kenntnisse gnadenlos aus. Atemlos, taumelnd kam Tetsuo in seiner Rechten, lehnte schwer an seiner Seite, die Hosen auf den Knöcheln, das Oberteil bis auf die Ellenbogen heruntergeschoben. Er blinzelte im Hormongewitter, fing Kazuyas begehrlichen Blick auf. Der hatte längst noch nicht genug, war gerade erst in Schwung gekommen. "Noch mehr", flüsterte Tetsuo gefällig. SO schwer war es doch gar nicht, Kazuyas Wünsche zu erfüllen! #~+~# Es dämmerte, als Kazuya die Augen aufschlug. Pünktlich jedes Mal, wenn Hikaru gefüttert worden war, hatte er Tetsuo auf den Futon zurückgezogen und mit ihm geschlafen. Er hatte nicht genug davon bekommen können, ihn zu spüren. Die ungeschminkte Lust zu sehen, das kehlige, anfeuernde Stöhnen zu hören. Für Kazuya bestand kein Zweifel daran, dass Tetsuo den Sex mit ihm genoss. Es mochte. Vielleicht tat er ihm auch nur einen Gefallen, doch SO häufig wäre das wohl ein wenig vermessen anzunehmen. Hoffte Kazuya, wischte sich Strähnen aus den Wimpern. Ein Schatten sperrte die Dämmerung aus, dann spürte er Tetsuos Atem, der nackt neben ihm kniete und ihm Hikaru auf die bloße Brust legte. Sie gab ein mattes Gurgeln von sich, schien jedoch dem temporären Ruheplatz nicht abgeneigt. Kazuya legte behutsam die Hand um den Säugling, kraulte mit der Daumenspitze den zarten Nacken sehr vorsichtig. Neben ihm streckte sich Tetsuo auf der Seite aus, stützte den Kopf in die Hand. "Was meinst du", erkundigte er sich leise, zwinkerte übermütig aus tintenschwarzen Augen, "wollen wir deine Torte endlich anknabbern?" "Wenn sie eingeschlafen ist", gab Kazuya flüsternd zurück. Er war immer überrascht, welche Hitze Hikaru verströmte. Wie bereitwillig sie sich in seine Handfläche schmiegte. Als sie sich nicht mehr regte, der Herzschlag an seiner Brust regelmäßig und langsam war, setzte er sich gelenkig auf, kam auf die Beine und transportierte das winzige Mädchen in die Schlafschaukel. »Wie seltsam«, ging ihm durch den Kopf, er, der eine große, weit verzweigte Familie hatte, war nun Vater einer kleinen Tochter. Konnte, wenn er es nur geschickt genug anstellte, eine eigene Familie haben, die ihn nicht munter herumreichte. Warum hatte er diese Möglichkeit nie zuvor erwogen? Warum immer wechselnde, kurze Partnerschaften gepflegt, bei denen abzusehen war, dass sie nicht für die Ewigkeit geschlossen waren? Tetsuo erwartete ihn auf dem Futon, noch immer nackt, dafür aber mit den Tortenstücken ausgerüstet, die endlich auf ihren Verzehr warteten. Er lächelte einladend, verbannte zerzauste Naturwellen hinter die Ohren. Kazuya nahm ebenfalls Platz, seinen Teller entgegen und kaute manierlich die kleinen Portionen, die er mit einer zierlichen Gabel abtrennte. Innerlich quälte ihn Nervosität. Wie sollte er bloß die richtigen Worte finden? Welcher Zauberspruch traf den Nerv? Tetsuo nahm ihm den Teller aus der Hand, stellte ihn beiseite und kletterte auf Kazuyas Schoß. Offenkundig willig, ihre serielle Freizeitbeschäftigung erneut aufzunehmen. Die Arme locker um Tetsuos Hüften gelegt studierte Kazuya unruhig die tintenschwarzen Augen. "Keine Lust mehr?", neckte ihn der Ältere freundlich, küsste ihn auf die Mundwinkel. "Tetsuo...", Kazuya nagte an seiner Unterlippe, überschlug hastig mögliche Formulierungen und ihre eventuellen Auswirkungen, "willst du nicht zu mir ziehen? Meine Wohnung ist groß genug, sie ist sonnig, hat einen ganz neuen Teppichboden und eine tolle Aussicht..." Er brach ab. Das klang doch wieder exakt wie der Idiot, der behauptete, Tetsuo nicht als Mätresse zu betrachten, um bei der nächsten Gelegenheit mehr als bereitwillig auf dessen Lager zu sinken! "Warte!", stieß er eilig hervor, verhinderte jede Äußerung des älteren Mannes. "Würdest du... ich meine, kannst du...dir vorstellen, mit mir zu leben?", stotterte er sich unbeholfen durch seine aufgewühlten Gefühle, verwünschte seine flatternden Nerven. Tetsuo rückte noch ein wenig höher auf seinem Schoß, schmiegte sich an. "Willst du das denn?" "Natürlich!", platzte Kazuya vehement heraus. "Dann werden die Leute aber denken", Tetsuo studierte ihn ernst, "dass Hikaru dein Kind ist. Dass wir eine Affäre haben." "Und?!", blaffte Kazuya überrascht, "Hikaru IST auch mein Kind!" "Sicher", Tetsuo bewies Geduld, "aber damit ruinierst du doch deine Zukunftsaussichten. Du kannst doch nicht mit einem alten, geschiedenen, alleinerziehenden Mann zusammen sein." "Warum nicht?!", blökte Kazuya aufgebracht, "was kümmert mich Alter oder Familienstand?! Ich will mit dir leben, unsere Tochter betreuen und es ist mir gleich, was andere dazu meinen mögen! Das ist MEIN Leben und MEINE Entscheidung!" "Und du wirst das nicht bereuen?", Tetsuo gab nicht nach, "das ist ein ziemlich schlechtes Geschäft." "Das ist nicht wahr!", schnaubte Kazuya, verstärkte seinen Griff um Tetsuos Hüften, ließ sich dann schwungvoll nach vorne fallen, sodass der ältere Mann auf dem Rücken landete. "Bitte", wisperte er eindringlich, "ich werde alles tun, damit du glücklich bist. Wenn du nur einwilligst! Bitte... bitte!" "Ich BIN glücklich", Tetsuo hob die Hände, um über Kazuyas Brustkorb zu streicheln, "aber ich möchte nicht, dass du dich verpflichtet fühlst." "Ich will aber verpflichtet sein!", trotzte Kazuya kindlich, setzte sich frustriert auf, "liebe Güte, wenn du eine Frau wärst, dann hätte ich dich bereits in ein piekfeines Restaurant geschleppt und wäre dort vor dir auf die Knie gefallen mit einem Ring, damit du nicht kneifen kannst!" Tetsuo, der gerade richtigstellen wollte, dass er mit Verpflichtung etwas Anderes im Sinn gehabt hatte, schluckte die Erwiderung herunter, blinzelte perplex. "Du...willst mich heiraten?", hakte er ungläubig nach. "Herrje, NATÜRLICH!", Kazuya raufte sich ganz gegen sein Image die Haare, "wenn du nur ja sagen würdest! Mit Ring und Feier und Familienregister und allem Drum und Dran!" Dann sackte er wieder in sich zusammen und murmelte matt, "wenn du mich nur lieben könntest." Entschlossen fasste Tetsuo die mutlos heruntergesunkenen Hände. "Dann frag mich doch", drängte er entschlossen. Er KONNTE es besser als beim ersten Mal machen, davon war er überzeugt. Außerdem wäre es für Hikaru sicher auch besser, wenn sie zwei Erwachsene hätte, denen sie sich anvertrauen konnte. "Willst du denn?", erkundigte sich Kazuya leise, beinahe schüchtern, "willst du mich heiraten?" "Ja!", Tetsuo drückte die Hände fest, "ja, ich will dich heiraten! Ich werde mir Mühe geben, ein guter Ehepartner zu sein", versprach er artig. Kazuya entfuhr ein ersticktes Lachen, dann kippte er vornüber auf Tetsuo, umarmte ihn und schluchzte vor Erleichterung. "Gott sei Dank... liebe Güte...danke...", wiederholte er immer wieder heiser. Tetsuo streichelte ihm beruhigend über den Rücken, erwiderte den hastigen Kussregen schmunzelnd. Vielleicht hatte er bloß einen Fehlstart gehabt und das richtige Leben lag noch vor ihm? Und sah bestimmt nicht nach weiteren dreißig Jahren Ödnis bis zum Golf-Exitus aus! #~+~# Kazuya lächelte zufrieden, als er sein Appartement betrat. Seit zwei Wochen wohnten nun Tetsuo und Hikaru bei ihm, oder vielmehr sie alle zusammen, und das hatte alles verwandelt. Kindersachen lagen auf den Möbeln, zahlreiche Geschenke seiner weit verzweigten Familie, die es mit unbekümmerter Freude aufgenommen hatten, zwei weitere Mitglieder willkommen zu heißen. Außerdem konnte niemand sich dem Charme der kleinen Hikaru entziehen, am wenigsten ihr Großvater, Kazuyas Vater, dessen grüne Augen sie geerbt hatte. In der großen Familie hatte es noch nie einen Hund gegeben, weshalb sie unter seiner Enkelschar eine Sonderposition inne hatte. Er streifte die Schuhe ab, folgte dem Duett ins Badezimmer. Tetsuo, bunten Schaum auf der Nase und dem ungekämmten Schopf, badete Hikaru in einem kleinen Plastikbecken, während beide sangen. Vielmehr krähten, dafür aber mit vollem Lungeneinsatz. Kazuya lachte lauthals, ging in die Hocke, tupfte sich ebenfalls Schaum auf den Kopf und stimmte mit ein. Ganz gleich, wie hart die Anforderungen waren, welche boshaften Andeutungen und Sticheleien es gab, weil er sich mit einem alten, abgehalfterten Leichtgewicht von unsäglich durchschnittlicher Erscheinung und entsetzlich langweiliger Gemütsart zusammengetan hatte: wenn er seine kleine Familie sah, konnte er diese Last abstreifen. Er nahm Hikaru aus dem Planschbecken, wickelte sie ohne Rücksicht auf nasse Flecken in ein flauschiges Handtuch ein und schnitt ihr Grimassen, während er sie abtrocknete. Sie zog einen ungnädigen Flunsch, weil sie gern planschte, war aber bereits müde genug, um nach der abendlichen Fütterung, die nur noch einmal in der Nacht wiederholt werden musste, artig in ihrer Schlafschaukel wegzudösen. Tetsuo lächelte Kazuya vergnügt an, tischte eine kleine Stärkung auf und erkundigte sich gut gelaunt nach dessen Tag. Kazuya berichtete Tetsuo von den Anforderungen und seinen Ideen, der neuen Strategie und dem Büroklatsch. Es tat gut, sich mit jemandem zu unterhalten, der das Sujet verstand, handelnde Personen kannte und ausreichend Distanz hatte, um ihm weitere Anregungen zu geben. Bedauerlicherweise sah die Firmenpolitik vor, dass Ehepaare dort nicht arbeiten durften. Was für "Lebensgemeinschaften" diskutabler Art genauso galt. Für Tetsuo war das nicht unbedingt ein Rückschlag, denn er hatte keine Angst davor, sich für eine Teilzeitbeschäftigung in anderen Firmen zu bewerben. Jetzt nicht mehr. Mit Hikaru, die so unerschrocken ihren "Nachteil" ausglich, in Gewicht aufholte und auch sonst mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit die Fortschritte normaler Säuglinge vorlegte, konnte man nicht verzagt, kleinmütig oder gleichgültig bleiben. Im Augenblick jedoch beschränkte er seine Aufgabe als "Hausfrau" auf die Versorgung seiner Lieben. Bildete sich nebenher weiter, wenn Hikaru schlief und genoss den unerhörten Luxus, sie ganz für sich allein zu haben. Es gab doch etwas, das er wirklich gut konnte, wie er sich selbst versicherte. Leben aufzuziehen und zu versorgen. Kazuya trat an seine Seite, um das Geschirr abzutrocknen. Die beste Gelegenheit am Tag, sich etwas zu erzählen oder einfach nur in vertrautem Schweigen zusammen zu sein. Tetsuo entledigte sich seiner Schürze, hängte sie ordentlich auf und streckte die Hand nach Kazuya aus. Ihm hatte das neue Domizil gleich gefallen. Vor allem, weil es in Kazuyas separatem Schlafzimmer ein großes Doppelbett im europäischen Stil gab. Frivol. Und sehr praktisch. #~+~# Ruhelos tastete Tetsuo neben sich, doch es half nichts: die andere Hälfte des großen Bettes war leer. Er rollte sich mit zusammengepressten Lippen auf den Rücken und funkelte die Zimmerdecke an. Warum musste Kazuya ausgerechnet jetzt eine Woche auf Dienstreise sein?! Nicht, dass ihm jeder andere Zeitpunkt für eine Trennung genehm gewesen wäre. Wütend senkte er die Lider, fest entschlossen, nicht wie am Vortag in Tränen auszubrechen. »Wenn ich doch nur...«, aber Vorwürfe halfen nicht. Er verstand sich nicht auf die richtigen Worte, um ihr Telefonat auf ein Level zu heben, das Befriedigung versprach. Automatisch glitten seine Hände über seinen nackten Leib bis hinunter zu den aufgestellten Beinen. Einen Pyjama trug er im Bett seit langem nicht mehr. Wozu auch? Obwohl Rechte und Linke mehr als geübt waren, ihn von seiner Qual zu erlösen, konnte doch nichts sein Bedürfnis wirklich stillen. Er brauchte Kazuya. So sehr, dass ihm erneut verflixte Tränen aus den Augenwinkeln rannen. #~+~# Bereits als er die Wohnungstür öffnete, hörte er das leidlich vertraute Quietschen, Klingeln und Klappern. Hikaru, ihr kleiner Wirbelwind, war mit knapp fünf Monaten noch recht zierlich, weshalb sie sich entschlossen hatten, ihr eines dieser modernen Rollwägelchen zu kaufen, in dem sie bequem sitzen und sich mit den Beinen abstoßen konnte. Sie krabbelte nämlich zu gerne unter die Möbel und war dann nur schwer herauszubefördern. Ein glückseliges Quieken begleitete die von Kollisionen unterstützte Annäherung. Kazuya lachte, fischte seine kleine Tochter aus dem Kunststoffgeschoss und wirbelte sie hoch über sich durch die Luft, brummte dabei wie ein alter Doppeldecker. Hikaru kicherte lautstark und sonderte helle Laute der Begeisterung ab, wenn sie hoch über dem Kopf ihres Vaters im Kreis flog. Der hoffte im Stillen, dass sie ihre Begeisterung für Karambolagen ablegte, wenn er in der Pflicht stand, ihr das Radfahren beizubringen. Geübt setzte er sie auf seinen Schultern ab und spazierte durch das Wohnzimmer zum Balkon, wo Tetsuo gerade Wäsche einsammelte. "Hallo Schatz", scherzte er liebevoll, "hast du mich vermisst?" Der ältere Mann mit den silbrigen Fäden in der Mähne schwarzer Naturwellen zwinkerte und log ungeniert, "kein bisschen!" "So so", brummte Kazuya amüsiert, tauschte einen langen Kuss aus, der erst von Hikarus Protest beendet wurde. Sie wollte wieder ins Erdgeschoss, um mit den Möbeln zu kollidieren! "Ich habe schon ein Bad eingelassen", raunte Tetsuo in ein geneigtes Ohr, "wenn ich Hikaru gefüttert habe, können wir auch essen." Und sofern es ihm gelang, die kleine Diva davon zu überzeugen, dass der von ihr innig geliebte Apfelbrei besser in ihrem Mund als um ihn herum verteilt schmeckte. #~+~# Kazuya packte seine Reisetasche aus, während er sich beiläufig die nassen Haare trocknete. Seine gehobene Stimmung hatte einen leichten Dämpfer erhalten, doch das wurde dadurch ausgeglichen, dass er sich in einer Vermutung bestätigt sah, die ihm Sorgen bereitet hatte. Er gesellte sich zu Tetsuo in das zweite Zimmer, wo Hikaru in ihrer Schlafschaukel auf das allabendliche Singen bestand. Dafür hatten ihre becircten Väter es sogar auf sich genommen, zahlreiche Kinderlieder zu lernen. Begleitet vom rhythmischen Klatschen trugen die beiden Herren ihr ein Ständchen vor, das die grünen Augen zum Leuchten brachte, bevor die Anstrengungen des Tages ihren Tribut forderten und zum Gähnen animierten. Einige halbherzige, noch unartikulierte Proteste später war Hikaru eingeschlafen und entließ ihre Erziehungsberechtigten auf Zehenspitzen. Tetsuo fasste Kazuyas Hand, lächelte herausfordernd, "erst essen oder erst ins Schlafzimmer?" "Erst reden", bestimmte der streng, drängte Tetsuo gegen eine Anrichte im Wohnzimmer, funkelte in die tintenschwarzen Augen. "Wann hattest du die Absicht, mich auch einzuweihen?" Tetsuo besaß den Anstand, peinlich berührt bei seiner Heimlichkeit zu erröten und unter sich zu blicken. "He, versuche nicht, mir auszuweichen", Kazuya fasste ihn am Kinn, hob es an. "Du müsstest doch wissen, dass es sinnlos ist, mir das zu verschweigen." Und damit streifte er über Tetsuos Unterleib, wo ein winziges Seelenlicht glomm. Der räusperte sich nervös, "ich dachte nicht, dass du es billigen würdest", verteidigte er sich. Schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, "ich weiß doch, dass dich die Geburt schockiert hat, weil ich damals so halsstarrig war. Aber", flehend sah er in Kazuyas Gesicht, "ich werde nicht mehr so dumm sein! Bitte, du weißt, dass ich ein guter Vater bin! Und Dr. Higawa sagt, dass es bis zum 40. Jahr gut möglich ist, Kinder zu bekommen! Ich werde mich auch an alle Anweisungen halten, ganz bestimmt!" Bevor er seine Beteuerungen ergänzen konnte, versiegelte ihm Kazuya mit einem gebieterischen Finger die Lippen. "Du hättest mich doch einweihen können", tadelte er leise. "So etwas kannst du nicht einfach allein entscheiden." Selbstverständlich hatte Kazuya recht, Tetsuo wusste das. Und es gab keine Rechtfertigung für seine Heimlichtuerei. Nachgerade ein Betrug an seinem Lebenspartner! Er senkte den Kopf, nagte an seiner Unterlippe, doch was konnte er noch zu seiner Verteidigung anführen? Kazuya schloss ihn in die Arme, wiegte ihn leicht. "Ich dachte mir schon, dass etwas nicht stimmt, weil du so seltsam am Telefon klangst. Ich habe mir Sorgen gemacht." "...tut mir leid", drang es erstickt an seiner Brust. "Ich schätze, ich habe die Lektion verdient", unbeeindruckt hauchte Kazuya einen Kuss auf den verwuschelten Schopf. "Wenn ich die Kondome vertauschen kann, ist das für dich auch kein Problem." So gesehen handelte es sich durchaus um eine gerechtfertigte Revanche. "He", dippte er einen Kuss auf Tetsuos Stirn, "du wirst dich ganz genau an die ärztlichen Verordnungen halten, versprochen?" "...Ehrenwort", murmelte Tetsuo, schielte, noch immer etwas verunsichert, nach oben. Er bezweifelte, dass er Kazuya vermitteln konnte, wie sehr er sich nach weiteren Kindern sehnte. Woher er das Vertrauen nahm, für sie gut sorgen zu können. Kazuya lächelte zärtlich. "Ich nehme an, dass ich in nächster Zeit besser nicht verreise, hmm?", spielte er neckend auf den Notstand südlich des Gürteläquators an. Tetsuo errötete ertappt. An seinem sexuellen Appetit gab es wirklich nicht das geringste auszusetzen. "Wir essen später", entschied Kazuya großzügig, überrumpelte Tetsuo, der sich plötzlich auf den Armen des jüngeren Mannes wiederfand. Erleichtert auflachend schlang er die Arme um dessen Nacken, rieb ihre Nasenspitzen aneinander. "Danke schön", quittierte er artig den Liebesdienst. Kazuya zwinkerte. Er hatte sich längst mit der Aussicht angefreundet, dass Hikaru noch zwei oder drei Geschwister bekommen würde, bis Tetsuo dazu überredet werden konnte, aus gesundheitlichen Gründen die Produktion einzustellen. Ob er nun Vater von einem Kind oder vier Kindern war, das machte für Kazuya keinen großen Unterschied. Hauptsache war doch, dass sie alle glücklich miteinander wurden. Und dieses eine funkelnde, unauslöschliche Feuer in sich trugen: die Begeisterung dafür, am Leben zu sein. #~+~# Ende #~+~# Vielen Dank fürs Lesen! kimera