Titel: Fan Fiction "Shiny Star-Rivalen" Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction FSK: ab 16 Kategorie: Romantik Erstellt: 25.09.2017 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen. "Shiny Star" und "Porno Superstar" sind von Nanami gezeichnet und bei Tokyopop auf Deutsch erschienen. Obwohl "Shiny Star" fortgesetzt werden sollte, ist bis heute keine Fortsetzung mehr erschienen. "Da ya think I'm sexy" ist ein Titel von Rod Stewart. Hikaru hat übrigens nicht Rods Frisur übernommen ^_~ Kyousuke Iwaki und Youji Katou sind die Titelhelden von Youka Nittas Serie "Haru wo daiteita/Alive". ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** ~~~>#*** Rivalen Kapitel 1- Konfrontationen Hikaru trommelte gezielt auf den schweren Boxsack ein, der auf seinem geräumigen Balkon vertäut war, verpasste ihm auch gleich ein paar heftige Tritte. Was es nicht besser machte, wie er mit zusammengebissenen Zähnen konstatierte. In einem schwachen Moment hätte er zugegeben, nicht der größte Denker aller Zeiten zu sein, durchaus nicht dazu zu neigen, sich übermäßiger, mentaler Anstrengung zu unterziehen. Deshalb HASSTE er es absolut, in diesem Dilemma zu stecken! Immer noch! Ein wuchtiger Tritt ließ die Kettenglieder des Boxsacks klingeln. Ursache seines seit längerem anhaltenden, fundamentalen Zerwürfnisses mit dem eigenen Seelenfrieden (und der gepflegten Gedankenlosigkeit) war selbstverständlich Masaya. Masaya Kamisaka, 23 Jahre jung, Doktorand an der größten Universität der Stadt, Fachgebiet Molekularbiologie. Wohlhabende Eltern, keine Geschwister, Typ stoischer, großgewachsener, konservativer Schwiegersohn in spe. Unauffällige, langweilige Kleidung, aber exquisit, schwarze Haare in einem gerade noch akzeptabel ausgewachsenen Schnitt. Ein dichter Schopf, der förmlich dazu einlud, ihn ein wenig zu raufen. Frauentyp für die, die einen entsprechenden Lebensstil pflegen wollten. Mit solchen Typen hatte er selbst wenig zu tun in seinem Alltag. Zumindest bis vor einem halben Jahr. Hikaru rammte die gepolsterten Knie in den Boxsack, ließ Schlagkombinationen folgen. Schweiß perlte ihm über den Leib, nur mäßig aufgefangen von einem Top und Trainingshosen. Welche Gottheiten hatte er gegen sich aufgebracht?! Hätte er öfter in einem Schrein vorsprechen müssen? Grimmig wischte er sich Schweiß mit dem Unterarm aus der Stirn, blinzelte, um klare Sicht zu bekommen. Er war ein Star, unangefochten. Nun, seit einer Weile. In einem nicht ganz so üblichen Genre. Vor vier Jahren hatte Suga von Manhunt Film Production ihn angesprochen, in einer äußerst schwierigen Situation. Damals glaubte er nicht einmal im Traum daran, eine solche Karriere vor sich zu haben. Überhaupt so etwas wie eine positive Zukunft! Jetzt konnte er sich ein schickes Appartement leisten, recht geräumig (damit teuer, lebte er im Großraum Tokio!), wurde häufig auch für andere Jobs gebucht, führte regelmäßig die Verkaufslisten an. Schwule Pornofilme verkauften sich auf Datenträgern noch immer sehr gut. Die Manhunt Film Production verbürgte sich für einen gewissen Anspruch. Die Käufer erwarteten Qualität und Unterhaltung. Er selbst war die Nummer 1, DER Hengst, frenetisch verehrt, mit Bergen von Fanpost, Heiratsanträgen, Geschenken. Bis dato. Bis dieser total verdrehte HETERO Masaya aufgekreuzt war! Verflucht, hätte Nishino ihn bloß nicht angesprochen! Erneut prügelte Hikaru mit zischenden Atemzügen auf den Boxsack ein, dessen Kettenglieder quietschten und summten. So ein feiner Pinkel, der nicht mal auf Kerle stand, hatte einfach in ihrem Gewerbe nichts zu suchen! Hikaru angelte, durch die Schutzhandschuhe behindert, nach seiner Trinkflasche, schluckte gierig das isotonische Gemisch darin. Seit dem Auftauchen dieses Spinners hatte er wirklich nur noch Pech gehabt! ~~~>#*** "Das kannst du nicht bringen, Masa!" Tetsu ließ nicht locker, von seinem Gewissen geplagt. Wie gewohnt hatte er das großzügige Appartement betreten. Er bemühte sich erneut, leider vergeblich, an seinen Cousin zu appellieren. Unbeeindruckt kratzte der den Druckbleistift über das Papier des Spiralblocks. "Wenn das rauskommt, was denkst du, was dann los ist?!" Erhob Tetsu die Stimme ein wenig, legte die Dringlichkeit hinein, die er selbst empfand. "Warum sollte es rauskommen?" Antwortete Masaya gleichmütig, hob nicht mal den Blick. "Du echauffierst dich ganz ohne Grund, Tetsu." "Ohne Grund?! Du drehst Schwulenpornos unter deinem richtigen Vornamen, die man überall kaufen kann, und ICH rege mich ohne Grund auf?!" "Exakt." Der gleichmäßige Rhythmus der Bleistiftmine kam nicht mal einen Wimpernschlag ins Stocken. "Hast du den Verstand verloren?" Erkundigte sich Tetsu fassungslos. Selbst ein notorisch selbstbezogener Mensch wie sein älterer Cousin musste doch begreifen, dass eine Karriere, sei sie nun Liebhaberei, Zeitvertreib oder wie auch immer, in einem derartigen Metier sein ganzes Leben ruinierte! "Ich befinde mich ausgezeichneter Gesundheit." Unaufgeregt schloss Masaya seine Notizen ab, klappte den Spiralblock zu, widmete seine Aufmerksamkeit seinem Cousin. "Das wage ich zu bezweifeln!" Fauchte Tetsu bissig zurück. "Was soll das überhaupt werden?! Du willst doch nicht ernsthaft diesen Hikaru ins Bett kriegen?!" Die Studentinnen rannten seinem Cousin nur so nach! Der konnte rechts und links wählen, die würden sich sogar anstellen! Masaya blickte an ihm vorbei ins Ungefähre, eine leichte Falte zwischen den Augenbrauen. "So einfach ist das nicht." Konstatierte er schließlich. "Das will ich meinen!" Giftete Tetsu gallig. "Der Typ ist doch in der Halbwelt zuhause! Oder verlangt er zu viel?" Nun traf ihn ein skalpellscharfer Blick. "Er ist Darsteller, kein Callboy." Stellte Masaya richtig. Dass Hikaru sich nicht prostituierte, stand für ihn außer Zweifel. Er war Augenzeuge gewesen, wie die unangefochtene Nummer 1 der Schwulenporno-Szene sich auf der Toilette übergeben hatte, weil ihn ein älterer VIP eindeutig angegangen war. "Na schön!" Schnaubte sein Cousin aufgebracht. "Was willst du mit diesem Schauspieler anfangen?! Das hat doch keine Zukunft!" Masaya kontemplierte diese Prognose. Niemand vermochte die Zukunft vorherzusagen, auch wenn man gewisse Wahrscheinlichkeiten mathematisch begründen konnte. In der großen Masse verliefen die Biographien im Durchschnitt nicht sonderlich überraschend. Auf individueller Basis existierte eben kein Durchschnitt, wurde die gesamte Breite der Möglichkeiten exploriert. Vieles konnte sich ereignen, mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit, in einem komplexen System, das keine Voraussage auf dieser Mikro-Ebene zuließ. Kein Algorithmus, kein Modell konnte derartige Konstellationen abdecken. ER konnte in der nächsten Sekunde tot umfallen. Nicht zwingend wahrscheinlich, aber möglich. Was wären da all die Gedanken über die Zukunft wert? Masaya erhob sich, räumte seine Unterlagen in die abgenutzte Bowling-Tasche. "Du musst damit aufhören, Masa, wirklich!" Ermahnte ihn Tetsu besorgt. "Das geht noch nicht." Masaya schlüpfte in ein dezent kariertes Hemd eines Outdoor-Bekleidungsherstellers, wischte sich achtlos durch die schwarzen Haare, die ihm unverändert in die Stirn hingen. Nein, er musste Hikaru, die Nummer 1 der Verkaufszahlen, vom Thron stoßen! Schließlich war dies ein Bestandteil ihrer Vereinbarung. ~~~>#*** Suga seufzte übertrieben, die Augen rollend. "Ehrlich, Hikaru-Darling, wann lernst du endlich mal das Zugsystem verstehen?" Hikaru, der nachlässig einen seiner geliebten Cowboyhüte in den Nacken geschoben hatte, fauchte in Selbstverteidigung. "Das war bloß der falsche Ausgang wegen des Gedränges, Suga! Wieso bestellst du mich auch zur Hauptstoßzeit hier ein?! Hättest du nicht anrufen können?" Nishino hielt es für anzeigt einzuschreiten. Er wusste, dass sein Kompagnon dazu neigte, in seinem Enthusiasmus über das Ziel hinauszuschießen, damit Hikaru zu brüskieren. Das endete in einer konsequenten Verweigerungshaltung, war nicht hilfreich. "Wir müssen deinen Terminplan durchgehen." Mischte er sich deshalb betont sachlich ein. "Außerdem haben wir mehrere Projekte in der Planung. Dein letzter Titel 'Hikarus Onsen-Trip' entwickelt sich gut. Es wird langsam Zeit, einen Blockbuster wie 'Love in Okinawa' anzugehen. Ein Nachfolger wird von der Fangemeinde gewünscht." Er schoss einen warnenden Blick auf Suga ab, damit der nicht etwa erwähnte, dass sie ihre Zeitpläne, auch für die Crews und die Besetzung, abstimmen mussten. Weil Masaya mit seinem kometenhaften Aufstieg ebenfalls die gleiche Betreuung wie Hikaru erhielt. "Na schön." Hikaru lehnte sich konzentriert nach vorne. "Machen wir's wie damals, kurze Episoden mit unterschiedlichen Themen als Sammlung, um die Produktion des Langspielers zu überbrücken?" "Hast du schon Ideen?" Nishino lächelte einladend. "Prima, werfen wir doch mal zusammen, was wir haben!" Suga grummelte etwas Unverständliches. "Für den Spielfilm!" Übertönte Nishino ihn konsequent. "Da wollten wir ein Setting im Norden wählen, Schnee, gemütliche Hütte, Thermalbad. Das hatten wir schon länger nicht mehr. Es würde sich gut über den Jahreswechsel bis hinein ins Frühjahr machen." "Wer spielt mit?" Hikaru glättete seine handschriftlichen Notizen in einem kleinen Schreibblock. "Yukio wäre dabei, Shun aus der Onsen-Trip-Produktion. Vielleicht einer der Neuen, mal sehen." Nishino gestikulierte unverbindlich. "Wir orientieren uns am Konzept." Was noch nicht ganz stand, aber funktionieren konnte. WENN Suga sich nicht wieder verhängnisvoll verplapperte. "In Ordnung." Hikaru ließ den Cowboyhut an den Haltebändern auf seinen Rücken gleiten, beugte sich konzentriert über die aufgefächerten Skizzen. "Also, was steht an..." ~~~>#*** "Oh, Kamisaka, dürfen wir uns zu euch setzen?" Masaya ersparte sich eine Antwort. Schon saß die Damenriege, sehr zur Freude seiner Mitstudenten. Sie bewunderten ihn dafür, dass er offenkundig trotz seiner stoischen Art ein Frauenmagnet war. Da diese Bewunderinnen immer im Rudel aufzutreten pflegten, kamen sie auch in der Mittagspause in den Genuss weiblicher Aufmerksamkeit! Masaya folgte zwar dem Tischgespräch, das sich wie zu erwarten um Seminare, schwieriges Lehrpersonal, die nahezu unmögliche Zimmersuche, zu knappe Abgabetermine und Sehnsucht nach Freizeitaktivitäten drehte, brachte sich aber nicht aktiv ein. Obwohl er, in seinen Augen recht unmissverständlich, wenn auch diskret, signalisierte, dass er nicht an einer Freundin interessiert war, schien seine reservierte Haltung nicht abzuschrecken. Eine feste Beziehung hatte er in seiner Studienzeit nicht etabliert, aber durchaus ein wechselseitiges Vergnügen geteilt. Sex war mit Frauen in gewisser Weise einfacher. Zumindest, was die technischen Vorbereitungen betraf. Natürlich spielten die Umstände auch eine erhebliche Rolle, keine Frage. Doch darin, befand er, unterschieden sich Männer und Frauen nicht wesentlich. Seine Partnerinnen hatten alle bereits Erfahrungen, was es bedeutend erleichterte. Keine erwartete einen Heiratsantrag noch im Love-Hotel nach dem Duschen. Das klang zwar zynisch, allerdings nicht ohne entsprechende Beispiele aus seiner Bekanntschaft. "Ehemann-Jägerinnen" nannten sie diese Frauen unter sich, mit gewissem Grusel. Wenn man nicht aufpasste, war man schneller eingefangen, als man blinzeln konnte! Masaya wollte sich auf seine Studien konzentrieren. Sie faszinierten ihn sehr viel mehr als seine Mitmenschen. Es gab so viel zu entdecken, aufzuklären, Theorien zu untermauern oder zu verwerfen! Die Welt strotzte nur so von ungelösten Rätseln! Er selbst hatte ein Faible für methodisches Vorgehen, verlor nie die Geduld, beobachtete genau, formulierte seine Erkenntnisse präzise. Seine Untersuchungsobjekte, Viren, Bakterien, Kleinstorganismen, nahmen von ihm keine Notiz, existierten schlicht, stellten keine Ansprüche. Wie anders als seine Mitmenschen! Die nach Aufmerksamkeit heischten, sein Gefallen erregen wollten. Ihn aber nicht reizten, weil "ihre Rätsel" ihn nicht interessierten! Er langweilte sich regelrecht, wenn er gezwungen war, sich längere Zeit mit den alltäglichen Banalitäten befassen zu müssen. Masaya zwang sich dazu, seinen wandernden Geist, der die verschwendete Zeit aufzuholen trachtete, auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Eines Tages hatte er bei Tetsu im Rekorder diesen Film gesehen. Mit einem jüngeren, nicht gestylten Hikaru, dessen Blick ihn gebannt hatte, mit einem Zauber belegt, der ein Mysterium enthielt. Zumindest eine der Fragen, die ihn seit diesem Moment umtrieben, nicht mehr losließen, hatte sich beantwortet: dieser angebliche Debütfilm, längst vergriffen, mit hohem Sammlerwert und -preis, war der einzige, in dem Hikaru sich hatte nehmen lassen. Es war eine private Aufnahme gewesen, unautorisiert, nicht für Dritte bestimmt. Hikaru hatte diesen Inoue, von dem man nur ein Tattoo erkennen konnte, geliebt. Da war ein Funkeln in seinen Augen, ein Ausdruck auf seinem Gesicht! In keiner der anderen Aufnahmen, die Masaya alle zusammengetragen, ausgiebig studiert hatte, fand sich diese Emotion noch einmal. Noch immer verstand er es nicht, verstand sich selbst nicht. Es fuchste ihn, dass er einfach keine Antwort darauf fand, warum ihm Hikaru nicht aus dem Kopf ging! Nein, es wurde sogar schlimmer. Immer mehr Zeit und Raum beanspruchte Hikaru in seinem Leben, obwohl eigentlich ein Gewöhnungseffekt zu erwarten war! Es hätte bei der ersten persönlichen Begegnung enden müssen, als er ihn sah, etwas kleiner, trainiert, wohlproportioniert, in der lächerlichen Hose mit dem Galaxien-Aufdruck zum schwarzen Hemd, Cowboystiefeln und einem Cowboyhut, sich über einen Schrein-Talisman beklagend. Mit einem spöttischen Lächeln wollte er ihn provozieren, sich selbst beweisen, dass es gar nichts zu entdecken gab. Dass er einem Hirngespinst nachgejagt war. Das hatte nicht gefruchtet. Im Badezimmer des Hotels, standen sie einander gegenüber. Er, der sich selbst bewiesen hatte, dass es keinen Unterschied machte, ob er Oralsex mit einem Mann oder einer Frau hatte. Dass es ihn nicht mal kümmerte, dabei gefilmt zu werden, von anderen Personen in unmittelbarer Nähe beobachtet. Dass Sex, in welcher Variante auch immer, für ihn keine besondere Bedeutung hatte. Und er, der Pornostar Nummer 1, mit den getönten Haaren, gestylt, herausgeputzt, ein Stirnrunzeln präsentierend, von seiner Vorstellung beeindruckt. Nicht von IHM selbst. Nicht an IHM interessiert. Nicht interessiert daran, ihn kennenzulernen. Wieso gab es keine wechselseitige Reaktion?! Wieso kam er selbst nicht von dieser seltsamen Faszination los, während das Objekt seiner Jagd sich nicht in ein Subjekt verwandelte, von ihm ebenso gefesselt war?! Es verlangte ihn danach, Hikaru zu erreichen, ihn GENAUSO in Beschlag zu nehmen wie umgekehrt! Zum ersten Mal musste er sich darum bemühen, einen anderen für sich zu interessieren, für sich zu werben. Masaya glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick. Ihn als angehenden Wissenschaftler erfüllte das damit verbundene Konzept mit tiefem Misstrauen. Natürlich, er konnte eine heftige biochemische Reaktion nachvollziehen, die dem Erhalt der Art diente. Wenn man einander nicht nur sah, sondern auch roch, den Atem schmeckte. Wie sollte das funktionieren bei einem simplen Blick, auch noch zensiert durch optische Technik wie Linsen, zwischengeschaltete Bildverbesserungssoftware und Abspielgeräte?! Nein, das konnte nicht sein. Zudem musste man sich bei sexueller Lust (was er, als empirisch bewiesen, auch gleichgeschlechtlichen Paarungen zugestand) einfach persönlich in intimer Distanz begegnen! Darauf aber eine tiefere Bindung, ein besonderes Verständnis, eine "Seelenverwandtschaft" gar zu begründen, das nahm sich für ihn abenteuerlich aus. Übereinstimmende Interessen, Lebensplanung, Biographie, kultureller Hintergrund, Sozialisation und Erwartungshaltung: DIESE Summe erschien ihm nachvollziehbar und logisch. Also stand er noch immer vor einem Rätsel. So vieles musste er noch entdecken, dem verschlossenen Hikaru entlocken, um auch nur annähernd eine Hypothese, eine Theorie entwickeln zu können, die sein eigenes, vollkommen unlogisches bis abenteuerliches Verhalten erklärte! "Kamisaka?" "Hm? Oh, Verzeihung, ich war in Gedanken." Kehrte Masaya widerwillig, doch äußerlich unbewegt in die Gegenwart zurück. "Hast du nicht mal Lust auf ein Go-Kon? Zur Entspannung! Man kann ja nicht nur arbeiten, richtig?" Er lächelte reserviert. "Vielen Dank für die Offerte. Im Moment bin ich zeitlich stark eingespannt." "Ach, musst du etwa noch nebenher jobben?" "So etwas Ähnliches." Masaya erhob sich geschmeidig. "Ich muss mich jetzt entschuldigen. Ein Reihenversuch ist noch abzuwickeln." Während ihm enttäuschte Äußerungen folgten, strebte Masaya dem Labortrakt zu, leerte unterwegs sein Tablett ordentlich. Er musste pünktlich sein, um das Studio erreichen. ~~~>#*** Hikaru streckte sich unauffällig im Treppenhaus, justierte den unvermeidlichen Cowboyhut, abgestimmt zu seinem Outfit mit knöchellangem Mantel. Endlich Feierabend! Er schnupperte die vom Regen aufgeladene Luft, unterdrückte einen Seufzer, weil sie außerdem mit Abgasen und Schwüle kontaminiert war. Wirklich, gab es in Tokio eigentlich NIE eine erfrischende Brise?! Als er auf den Gehweg trat, überfiel ihn wie gewohnt ein Anflug von Panik. Menschenmassen schoben sich in alle Richtungen. Man konnte den Himmel nur sehen, wenn man den Kopf in den Nacken legte. Ein Horizont existierte gar nicht. Gebäudeschluchten, plärrende Leuchtreklame, dazwischen ein Schilderwald mit Kabellianen. Hastig tastete er nach seinem Telefon, wählte die Kartenoption aus. Leider war sie nicht auf den Meter genau präzise. "Hikaru." Er fuhr herum, erschrocken. Nicht, dass man ihn nicht gelegentlich wagemutig ansprach, dass er nicht souverän lächelnd Fans mit einem kurzen Gespräch charmieren konnte. Oder Frauen entmutigen, die hofften, er sei ein Host. Aber diese Stimme kannte er, sie verfolgte ihn seit einem halben Jahr. Wie die Pechsträhne! "Was willst du?!" Fauchte er, seinen Pulsschlag verwünschend, der galoppierte. "Gehen wir etwas essen." Masaya blieb wie stets ruhig, beherrscht, zog Blicke auf sich, gerade weil er sich nicht um sein Äußeres zu kümmern schien. "Spinnst du? Es regnet!" Verwies Hikaru auf die Bindfadenberieselung. "Ich will heim." "Da isst du bloß diese Energieriegel." Unbeeindruckt rückte Masaya näher. "Außerdem bist du nicht aus Zucker, oder?" Verdammt, wie der Kerl ihn aufregte! "Was ich esse, ist meine Sache! Renn mir nicht ständig hinterher, klar?! Bist du n Stalker, oder was?!" Ärgerlich drehte er sich auf dem Absatz um, schlug wahllos eine Richtung ein. "Das ist der falsche Weg." Unaufgefordert fiel Masaya neben ihm in den gleichen Schritt. "Woher willst du wissen, wo ich hin will?!" Zischte Hikaru aufgebracht, suchte verzweifelt nach irgendeinem Orientierungspunkt. "Wenn du nach Hause willst, solltest du den Bahnhof ansteuern." Antwortete Masaya gleichmütig. "War dein Richtungssinn schon immer so schlecht ausgeprägt?" Nun reichte es! Hikaru fegte herum, stieß Masaya hart gegen eine Häuserfront, wo sich weder künstliche Grünpflanzen im Kübel noch Werbeaufsteller oder Schaufensterfläche fanden. "Kannst du Idiot mal begreifen, dass ich dich nicht sehen will?! Deine Scheiß-Belehrungen kannst du dir sonst wohin stecken, Professor!" Masaya packte seine Unterarme, mit einem Schraubzwingengriff, der keine Flucht gestattete. "Ich will nicht, dass dir was zustößt." Stellte er fest. "Kann dir am Arsch vorbeigehen!" Empfahl ihm Hikaru aufgebracht, aber in gedämpftem Tonfall. "Damit du behaupten kannst, ich hätte mir einen unfairen Vorteil verschafft?" Schoss Masaya geistesgegenwärtig zurück. Der Hinweis auf die von Hikaru angebotene Wette schien diesen bisher zuverlässig zu beschäftigen. Was es zu nutzen galt, wollte er hier punkten! Tatsächlich presste Hikaru die Lippen fest aufeinander, funkelte ihn ärgerlich an. Schließlich drehte er den Kopf weg. "Ach, Scheiße, gehen wir halt essen, du Nervensäge!" Eine seltsame Erleichterung entspannte Masayas Schultern, was er selbst überrascht an sich registrierte. Warum ließ er sich bloß so viel bieten? Konnte Hikaru einfach nicht ignorieren? "Komm." Er fasste einen Ärmel, so fest, dass das Kunstleder knirschte, damit Hikaru ihn nicht verächtlich abschütteln konnte. ~~~>#*** Masaya ignorierte die Seitenblicke, die sich auf Hikaru konzentrierten. Der fiel auf, selbstredend, dafür war er auch ausstaffiert. Ein Star musste den Leuten etwas bieten, ihren Erwartungen entgegenkommen. Das gehörte zum Geschäft. Wer, fragte sich Masaya im Stillen, kannte wohl den echten Hikaru? Nicht aufgebrezelt, sondern wie ein Kind in seine Decke verknäult, ungekämmt, allein in einem großen Appartement? "Nimm vom Algensalat." Er wies mit dem Kinn auf die entsprechende Schüssel. "Will ich nicht!" Knurrte Hikaru. "Der Bröselkram klebt zwischen den Zähnen." Damit referierte er auf die Sesamkörner als Streusel, deren nussiges Aroma den Geschmack perfekt ergänzten. "Grünes Gemüse ist wichtig für die Gesundheit." Dozierte Masaya in ruhigem Tonfall. "Fall ich schon tot um, oder was?! Spiel dich nicht auf, Professor!" Fauchte ihm übellaunig entgegen. Jedes Mal, wenn Hikaru ihm so antwortete, spürte er dessen automatische Abwehr. Sie verletzte ihn, weil sie nicht mal persönlich gemeint war. Ebenso widerborstig zischte Hikaru auch Suga an, wenn auch ohne den bärbeißigen "Professor" im Abgang. Eigensinnig, das hätte Masaya verstanden. Essen war schließlich auch eine Geschmacksfrage, abhängig von persönlichen Erfahrungen und dem kulturellen Umfeld. Hikaru reagierte empfindlich, weil er sich offenbar belehrt fühlte, damit herabgesetzt, in seinem Urteilsvermögen in Frage gestellt. Dabei bemühte sich Masaya wirklich um einen neutralen, konzilianten Umgangston! Was es häufig noch schlimmer machte, wie er nicht umhin konnte zu bemerken. Konnte Hikaru ihn schon deshalb nicht leiden, weil er studierte, sogar einen promovierten Abschluss anstrebte? Sein Selbst, sein Charakter spielte dabei nicht mal eine Rolle, fiel nicht ins Gewicht? Was mochte der Grund sein? Minderwertigkeitsgefühle? Mobbing während der Schulzeit? Masaya seufzte lautlos, fischte selbst Algensalat ab. Er wusste kaum etwas von dem wenig älteren Mann ihm gegenüber in der winzigen Nische eines auf schlichte, japanische Küche ausgerichteten Restaurants. Keinen Nachnamen, keinen Geburtsort, keine Schulbildung, kein Nichts. Das Appartement, geräumig, erwies sich als wenig aufschlussreich: Arbeitsmaterial im weitesten Sinne, Arbeitskleidung, Sportgeräte. Ein möbliertes Appartement mit Dekorelementen wie im Hotel, ohne eigene Note. Selbst die Grünpflanze war künstlich. Es gab keine Fotos, kein Nippes, keine Schulalben, nicht mal einen Hausaltar. Alles war aufgeräumt oder in Wandschränken verstaut. Die rotierenden Putzroboter hatten keine Hindernisse zu fürchten. Im Kühlschrank nichts als Energiegetränke, Nahrungsgels, Kalorienriegel. Vermutlich wäre Astronautennahrung auch noch zu finden gewesen, wenn sie nicht so rar und teuer wäre! Es war kein Zuhause, nur ein weiteres Versteck. Wie die Maske, hinter der sich Hikaru verbarg, der Star. Wo war die Person, die er bei der privaten Aufnahme gesehen hatte? Wie brachte er Hikaru dazu, ihn anzuerkennen, sich ihm zu öffnen? Die Realität holte ihn ein, als er das Schnappen des Feuerzeugs hörte. Sofort griff er über den Tisch, verhinderte, dass die Zigarette mit der Flamme in Kontakt kam. "Hier drinnen nicht rauchen." Zitierte er eine diskrete Mahnung von der Wand neben dem wechselnden Menüangebot. Hikaru funkelte ihn aufgebracht an, schnaubte, verstaute Zigarette und Feuerzeug wieder. Wieso konnte Hikaru mit den anderen munter schwatzen, lächeln, während sich zwischen ihnen ein bleiernes Schweigen ausbreitete? Dabei wollte er so viel in Erfahrung bringen, fragen, verstehen! Masaya studierte das Profil unter den getönten, wie stets kunstfertig zerzausten Fransen, Karamellfarben mit Honig-blonden Strähnen, extravagant, aber perfekt auf Hikarus Teint abgestimmt. "Was?!" Zischte es ihm entgegen. In den Aufnahmen und auch im direkten Gespräch klang Hikarus Stimme stets angenehm, nicht zu tief, mit einem samtigen Timbre. Wenn er mit IHM sprach, wurde daraus ein kurz angebundenes Schimpfen, rau, Silben verschluckend, auf die etwas grobe Art der Tokioter, brüsk klingend. "Ich habe Kaugummi." Masaya langte in die Brusttasche seines karierten Hemdes. "Anstelle der Zigarette." "Brauch ich nich!" Wieder traf ihn ein wütender Blick. "Wir sind ja fertig hier, oder?! Ich will heim." ~~~>#*** Es ärgerte ihn selbst, aber er musste dem lästigen Typen gestatten, mit ihm zum Bahnhof zu gehen. Immerhin waren sie beide auf dem Heimweg! Außerdem~außerdem hatte er keine Lust, ewig im sich verstärkenden Regen durch die Gegend zu irren, bis er im richtigen Menschenstrom die nächste Bahnstation fand. Alle machten sich darüber lustig, dass sein Richtungssinn nicht funktionierte, dass er zu blöd war, sich in Tokio zu orientieren. Er hasste das. Was wussten sie schon, wie es sich anfühlte, überall "fremd" zu sein?! Wenn man versuchte, sich an markante Stellen zu erinnern, um beim nächsten Mal festzustellen, dass ein Haus abgerissen, das Geschäft gewechselt, die Baustelle weitergewandert war?! Dieser eingebildete Schnösel drängte sich ihm auch auf, SAGTE nicht mal mehr etwas! Warum gab der sich überhaupt mit ihm ab?! Nur wegen der verdrehten Idee, mit ihm gehen zu wollen?! In ihn verliebt zu sein?! Schwachsinn! Dazu ständig diese Ermahnungen: "Tu dies nicht, lass das sein, das ist ungesund, pass auf, sei vorsichtig...!« Bevormundete ihn am laufenden Meter! Am liebsten hätte er ihn angeschrien. "Wenn ich so scheiße bin, zieh doch Leine! Verpiss dich einfach, da hast du Ruhe!" Leider stand nicht zu erwarten, dass das funktionierte. Der Kerl ließ einfach nicht locker! »Was hab ich dem Depp denn getan?!« Brodelte Hikaru vor sich hin, wandte in der U-Bahn demonstrativ den Kopf ab. Nicht nur, dass der ihm persönlich fortwährend auflauerte, nein, auch beruflich wollte der ihn ausbooten! Es fiel schwer abzuwägen, was schlimmer war. Hikaru war sich bewusst, dass seine Karriere irgendwann ihr Ende finden würde. Talentierte, gut aussehende Jungs gab es genug, die bei der Stange blieben (in vielerlei Hinsicht), sich an die Spitze kämpfen wollten. Für die es nicht bloß eine Episode in ihrer Jugend war, ein Austoben, bevor sie brav in die Riege der ordentlich Werktätigen einscherten. Aber Masaya, der verdammte HETERO, wilderte in seinem Revier! Schickte sich an, ihn zu überholen! Dabei hatte der weder die Gage nötig, noch war er schwul! Das war... UNFAIR! Nicht mal Pornos interessierten ihn! Oder Sex mit Männern! Nein, es schien, als habe der Kerl sich zu seiner persönlichen Nemesis aufgeschwungen! »Aber was, verdammt noch mal, habe ich denn verbrochen?!« Hikaru zuckte zusammen, als Masaya sein Handgelenk umfasste. "Hier müssen wir raus." Raunte er in die Melodie der Station hinein, die die Reisenden auch akustisch aufmerksam machen wollte. "Weiß ich doch!" Knurrte Hikaru, wühlte sich hastig im Strom aus dem Waggon hinaus. Jetzt nur noch den verdammten Ausgang finden! Gewühl, Gedrängel, Farben, Striche, digitale Schriftbänder, Reklame in Leuchttafeln, die allgegenwärtigen Automaten... Wortlos ergriff Masaya erneut eine mit Ringen geschmückte Hand, fest genug, ein Entschlüpfen rigoros zu unterbinden. Einen Fluch unterdrückend ließ Hikaru sich mitziehen, den Cowboyhut tief in die Stirn gezogen. Wie er diesen aufdringlichen Kerl verabscheute! ~~~>#*** Masaya spürte, dass Hikaru ihm gern entwischen wollte, keine Begleitung bis zu seinem Appartement ertrug. Er selbst konnte sich nicht überwinden, Hikaru diese Flucht zu gestatten. Wieso konnten sie nicht miteinander reden? Es würde nicht leichter werden in naher Zukunft. Auch ihm waren die Verkaufszahlen bekannt. Hatte Hikaru vielleicht Angst vor ihm? Wie sollte er ihm diese Sorge nehmen? "Lass mich los, verdammt! Ich kann allein nach Hause gehen!" Fauchte Hikaru prompt. "Ich will noch mehr Zeit mit dir verbringen." Bekannte Masaya offen. "Was soll das denn?! Geht's immer noch um mein besoffenes Gewäsch?!" "Lass uns das drinnen besprechen." Wich er Hikaru aus. "Das ist MEINE Bude, okay?! Du kannst dich nicht einfach einladen, klar?!" Masaya, der Hikaru hinter sich die Treppe hinaufzerrte, nicht grob, aber bestimmt, hielt auf dem obersten Podest inne. "Ändere doch den Tür-Code." Konterte er beherrscht. "Das mach ich auch! Jetzt hau ab!" Hikaru versuchte, sich zu befreien, aber sie standen schon im Vorraum. "Wir haben noch etwas zu besprechen." Erinnerte Masaya, wischte sich mit der freien Hand durch die nassen Strähnen. "Ich hab dir gar nix zu sagen!" Ärgerlich schleuderte Hikaru seinen Cowboyhut von sich, rieb sich aufgebracht die Hand, die Masaya gehalten hatte. "Ich möchte dein fester Freund sein." Masaya richtete sich zu voller Größe auf. "Ich kann nicht aufgeben." Hikaru zerrte sich den langen Mantel herunter, stieß Masaya grob zur Seite, um an den Wandschrank zu gelangen. "Was interessiert mich, was DU möchtest! Du willst mich vögeln?! Übertriff mich! Aber hör mit diesem Quatsch auf! Kleb nicht an meinen Hacken!" "Es geht nicht um Sex!" Korrigierte Masaya energisch, vertrat Hikaru den Weg im Flur. "Das habe ich dir bereits gesagt." Spöttisch verschränkte Hikaru die Arme vor der Brust, die nur teilweise von einer glitzernden Hemdbluse, kaum geknöpft, verhüllt wurde. "Ach ja?! Du bist also nicht scharf auf mich? Fein, geht mir umgekehrt genauso! Jetzt scher dich raus, an die Uni oder zum Teufel, ist mir gleich!" "Wie kann ich dein fester Freund werden?" Masaya stemmte die Fersen in den Boden, blockierte weiterhin den Zugang zum Appartement. "Gar nicht, du Idiot!" Schimpfte Hikaru, löste seine hämische Pose, ballte die Fäuste. "Krieg das endlich in deinen ach so schlauen Schädel!" "Verachtest du mich, weil ich studiere? Fühlst du dich mir deshalb unterlegen?" Masaya war sich bewusst, dass seine neutral gehaltenen Fragen, ganz sachlich, in den Ohren seines Gegenüber einen ganz und gar anderen Klang hatten. Dennoch. Dennoch musste er sie einfach stellen. Ein Mehr an Informationen gewinnen, irgendwie unter diesen Panzer schlüpfen, den Hikaru beständig trug! "Dir unterlegen?! Was fällt dir ein! Macht dich dein Bio-Mikro-WasauchimmerScheiß zu nem besseren Menschen?! Bild dir bloß nichts ein, Grünschnabel!" "Mache ich dir irgendwie Angst?" Denn, nach einer bekannten Hypothese, wurden starke Emotionen häufig durch Unsicherheit, Unkenntnis und Furcht ausgelöst. Selbst wenn sie sich scheinbar als Wut, Hass, Überlegenheitsgefühle präsentierten. In den dunklen Augen blitzte es. Masaya wünschte, er hätte mehr Erfahrung mit den Studien, die unwillkürliche, körperliche Reflexe übersetzten. Die offenbarten, was Lügen nicht verbergen konnten. Hier spürte er mit einer intuitiven Sicherheit einen Volltreffer, auch wenn er diesen gern wissenschaftlich verifiziert hätte. "Du tickst ja nicht richtig!" Grollte Hikaru, angriffslustig den Kopf gesenkt. "Jetzt verzieh dich, du Spinner!" "Warum hast du Angst vor mir? Ich will dir nichts Böses." Masaya verfolgte entschlossen den gewählten Weg weiter. Zugegeben, er überragte Hikaru leicht, wenn der nicht gerade die Absätze der Cowboystiefel zur Hilfe nahm. Ja, er gefährdete dessen Spitzenposition bei den Verkaufs- und Verleihzahlen. Allerdings nur, weil es die bisher einzige Methode war, ihm näher zu kommen, auf sich aufmerksam zu machen! "Hau ab!" Hikaru packte seine Schultern fest, in der Absicht, ihn aus dem Appartement zu drängen. Rasch umfasste er dessen Handgelenke. "Das hat doch keinen Sinn." Erläuterte er rational. "Ich kenne den Tür-Code, Hikaru. Bitte, setzen wir unsere Unterhaltung in Ruhe fort, ja?" "Ich WILL nicht reden!" Brüllte der Ältere ihn an, die Wangen vor Anstrengung gerötet, ihn auszukontern. Was zu einem lächerlichen Pas de deux im Eingangsbereich führte. "So kommen wir nicht weiter." Masaya gab nicht nach, glich jede Attacke aus, dankbar für die Aikido-Übungen, die er zur Erholung pflegte. "Ohne schlüssige Argumente werde ich weiter mein Ziel verfolgen, dein fester Freund zu sein." Eine sportlich faire Ankündigung, wie er selbst befand. "Ich kann dich nicht ausstehen, okay?! Da läuft nichts, kapierst du das?!" Hikaru stieß ihn unsanft gegen das Türblatt. "Warum magst du mich nicht?" Mit der beharrlichen Geduld, die ihn als angehenden Wissenschaftler so erfolgreich machte, sägte Masaya unermüdlich an der Contenance seines Gegenübers. Eine unangenehme Eigenschaft, wenn sie sich gegen Personen richtete, wie ihm bekannt war. Bisher hatte er sich noch nie derart um einen anderen Menschen bemüht. Hikaru presste die Lippen aufeinander. Seine Fingerspitzen gruben sich schmerzhaft in Masayas Schultern. "Schön." Wisperte Hikaru schließlich. "Du bist ein aufdringlicher Bi-Arsch, der sich bloß zum Spaß in einem fremden Revier herumtreibt, alles kaputt macht, dann Leine zieht! Du nervst mit deiner ständigen Besserwisserei! Ich möchte jedes Mal KOTZEN, wenn du in der Nähe bist! Reicht dir das als Argumente?!" Masaya studierte Hikarus Miene eindringlich auf der Suche nach entlarvenden Reaktionen. Was Hikaru ohne jeden Zweifel auf die Palme brachte. Der versuchte nicht, Masaya rauszuwerfen, sondern sich von ihm loszumachen. Hastig haschte der deshalb nach ihm, reüssierte mit einem halben Ringergriff, sodass Hikaru nichts mehr blieb, als mit den Cowboystiefeln nach Masayas Sneakern oder Schienbeinen zu treten. Ein würdeloses Gewürge. Darauf konzentriert, einen Treffer zu vermeiden, der sehr schmerzhaft werden konnte, da die kantigen Absätze Eindruck zu machen versprachen, verstärkte Masaya seine Umklammerung, bis Hikaru leise winselte. Den Kopf in die gestylte Mähne legend brachte Masaya seine Argumente zu Gehör. "Ich habe kein veritables Interesse an Sex mit anderen Männern, an Pornos, an der Filmerei." Bestätigte er offen. "Ich bin an DIR interessiert. Ich will Zeit mit dir verbringen, dich kennenlernen. Solange sich mir keine andere Möglichkeit bietet, MUSS ich wohl dein Konkurrent sein." "JETZT muss ICH kotzen!" Fauchte Hikaru. "Verdammt, du tust mir weh!" Kaum hatte Masaya seinen Zugriff gelockert, entwischte Hikaru ihm (in den Stiefeln!), sprintete ins Badezimmer, verriegelte die Tür hinter sich. Mit einem Seufzer streckte Masaya seine Arme, schüttelte sie aus. Er schlüpfte aus seinen Sneakern, stellte sie ordentlich ab, bevor er das Appartement betrat. Der Hinweis auf akute Übelkeit schien zumindest nicht zutreffend. Da hätte Hikaru die separate Toilette wählen müssen, notierte er für sich. Die Schiebetür zwischen Wohn- und Schlafraum war zurückgezogen. Die Kissen ruhten ordentlich auf der Rattan-Couch-Kombination. Der kleine Tisch davor blitzte blank. Das große Bett war gemacht, mit einer Tagesdecke versehen, der gewaltige Spiegelschrank geschlossen. Alles wirkte sauber, ordentlich. Und unbehaust. Aus Gewohnheit kontrollierte Masaya den Inhalt des Kühlschranks. Der übliche Dreiklang aus Lebenserhaltungsprodukten ohne Genuss. Langsam ließ er sich auf die Couch sinken, stützte die Stirn in die Hände. Was sollte er tun? Hikaru hatte also Angst vor ihm. Körperlich zumindest schien der sich nicht zu fürchten, ergo musste es andere Gründe geben. Sollte er anbieten, sofort den Vertrag mit Manhunt Film Production zu kündigen? Auszusteigen als Gegenleistung für eine feste Beziehung? Die Wahrscheinlichkeit, dass Hikaru so einem Vorschlag zustimmte, erschien ihm noch nicht groß genug. Noch war er keine existentielle Bedrohung. Was konnte er sonst offerieren? Hikaru hielt ihn für einen Besserwisser. Das traf im eigentlichen Wortsinne nicht zu, argumentierte Masaya für sich. Hikaru wusste sehr wohl, dass Rauchen ungesund war, dass seine Ernährungsgewohnheiten unzuträglich waren, dass er mehr auf sich achten musste. Nicht nur Workout auf dem Balkon und teure Spezialisten für Haare, Nägel und gelegentliche Massagen. Aber er agierte so, als sei es egal. Wie ein trotziges Kind, das bloß auf Widerspruch wartet. Oder das annahm, dass es niemanden scherte, was es tat, sich deshalb ebenso gleichgültig dem eigenen Wohl gegenüber verhielt. Masaya ließ sich langsam gegen die gepolsterte Lehne sinken, richtete den Blick an die Zimmerdecke. Er wusste nichts von Freunden. Yukio wusste nichts von Freunden. Niemand kannte Freunde von Hikaru. Der war nett und umgänglich bei den Dreharbeiten, erschien artig zu den sonstigen Auftritten (wenn er sie fand...), kam hin und wieder zum Umtrunk, plauderte leichthin und unbefangen. Sein Privatleben blieb in all den Jahren ein Buch mit sieben Siegeln. Kein fester Freund. Kein bekannter Liebhaber. Zugegeben, Yukio hatte das etwas spöttisch angedeutet, in seiner Position auch nahezu unmöglich zu realisieren. Die "Idol"-Regeln der Verfügbarkeit galten in gewisser Weise auch für den Star. Was unternahm Hikaru in seiner Freizeit? Selbst beim Einkaufen war der allein gewesen. Obwohl er sich für alltägliche Dinge interessierte, hatte er bei ihrem Kinobesuch beinahe eingeschüchtert reagiert. Da gab es Filme, die er gern sehen wollte, aber die Anstrengung, tatsächlich Karten zu erwerben, zum Kino zu finden, anzustehen: das alles schien zu viel zu sein. "Was stellt er hier allein an?" Masaya blickte sich um. Nichts, was er nicht schon bei seinem ersten Besuch registriert hatte: Arbeitsmaterial, Magazine aus der Szene, Mode, Boulevard, Filme, eigene, Ansichtsexemplare von anderen, Zuschriften, Fan-Briefe, Fan-Wünsche. Zubehör, in Kisten sortiert, dezent verstaut. Beinahe für jede Phantasie war etwas dabei, elektrisch oder manuell, Accessoires, Verbrauchsartikel, Hygienezubehör. Kostüme. Ein Mann, der die Phantasien und Sehnsüchte anderer Männer verkörperte, in Rollen schlüpfte. Die Maske einfach nicht abnahm! Eine Rolle jedoch blieb tabu. Suga hatte es ihm gesagt, Yukio bestätigt: Hikaru ließ sich NIEMALS, von NIEMANDEM nehmen. Nicht mal am Anfang, als es ihm geholfen hätte, mit einem renommierten Partner größere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Darüber gab es keine Diskussion. Suga hatte ihn gewarnt, dass sich an dieser sturen Einstellung über die Jahre nichts geändert hatte. Rollenspiele, Verkleidungen, die unterschiedlichsten Partner: kein Problem, immerhin war er Profi! Nur dieses Thema löste sofort einen Beißreflex aus. War es vermessen anzunehmen, dass dieser Inoue dafür die Verantwortung trug? Offenbarte sich der echte Hikaru nur auf diese Weise einem Geliebten? "Wovor versteckst du dich?" Masaya seufzte, rieb sich kräftig über das Gesicht. "Warum kümmert es mich bloß so?" ~~~>#*** Hikaru pellte sich aus seinen Kleidern, fühlte sich plötzlich schmutzig und unangenehm erhitzt. Dieser ARSCH! Hatte ihn dazu gebracht, in Schuhen im Appartement herumzulaufen, ja, sogar hier ins Badezimmer! Hoffentlich hatten die Absätze keine Kerben im Laminat hinterlassen! "Scheiße!" Donnerte Hikaru die gefliesten Wände an, in der Sicherheit, dass das höchste Stockwerk den Kamineffekt der Geräuschentwicklung nicht auslöste. Er brauchte jetzt sofort eine Dusche! Was nervig war, wenn er an seine Haare dachte, die eine Spezialbehandlung benötigten, um nicht als Wischmopp zu enden. Die Plastiktüten-Variante mit Duschhäubchen behagte ihm auch nicht, es juckte so rasch, dass er regelmäßig doch den Schopf befreite, sich taufen ließ. Während er sich grimmig Seifenschaum einmassierte, dabei gewohnt den eigenen Körper inspizierte, ob es Aktionsbedarf zu entdecken gab, beruhigte sich sein aufgewühltes Gemüt ein wenig. Wie wurde man so einen lästigen Typen bloß los? Bei den meisten Anflauschern reichte eine dezidierte Ansage. Sein Status half dabei. Aber dieser Spinner fiel in eine andere Kategorie. Der behauptete doch glatt, es ginge ihm nicht um Sex! Lächerlich! Viele Idioten vertrauten ihm an, dass sie davon träumten, es IHM zu besorgen! Total unappetitlich und definitiv untragbar. Wenn sie ihm persönlich begegneten, auch noch die Chuzpe hatten, ihm so was zu sagen, konterte er stets eisig damit, dass er nur Profis fickte. Umgekehrt lief gar nichts. An Amateure verschwendete er sich schon gleich gar nicht! Aber der schlaue Herr Professor wollte keinen Sex! Ha! Was denn dann?! Was sollten sie machen, Mathe-Witze austauschen?! Händchen halten?! "Dämlicher Arsch!" Knurrte Hikaru, legte den Kopf in den Nacken, ignorierte die lästige Mähne. Das abperlende Wasser tat gut, streichelte seine Verfassung. Schließlich trat er aus dem Strahl heraus, tupfte sich ab, angelte eine Pflegelotion heran. Die Haut musste verwöhnt werden. Der ungebärdige Mopp auf seinem Schädel residierte im Handtuchturban. Jetzt rief sich eine weitere Komplikation unerwünscht ins Gedächtnis. Das Badezimmer befand sich direkt neben dem Schlaf-/Wohnzimmer. Seine Klamotten ruhten im Spiegelschrank. War der Mistkäfer immer noch in seinem Appartement?! An Nacktheit vor anderen war er als Profi gewöhnt. Abgehärtet. Die Blicke galten nicht ihm als Person, sondern seiner Filmfigur, immer in Bezug auf die Qualität des Ergebnisses. Man sah ja nicht IHN an, sondern nur die Rolle, der er seine Gestalt lieh. Das hier war etwas anderes. Das hier war ein nerviger Arsch, der total angezogen sein Appartement invahierte, während er unbekleidet, unbewaffnet und ALS PERSON auftrat. Verdammt! ~~~>#*** Masaya blickte auf, als energisch die Tür zum Badezimmer geöffnet wurde. In glorioser Unbekleidetheit, sah man von einem Handtuchturban ab, stürmte Hikaru in sein Schlafzimmer, demonstrativ keinen Blick an ihn verschwendend. Vor der gewaltigen Schrankwand mit Spiegelverkleidung pickte der aus einer Schublade einen Slip und einen Pyjama, zog sich an. Noch immer ohne jede Reaktion in seine Richtung wurde im Badezimmer die abgestreifte Bekleidung sortiert, die Wäschebeutel samt der Stiefel zur Tür bewegt. Über den Reinigungsservice war Masaya schon im Bilde. Viele möblierte Appartements verzichteten auf eigene Gerätschaften. Das reduzierte Wartungs- und Betreuungsaufwand. Aus einem Wandschrank exilierte Hikaru einen flachen Bodenwischer, arbeitete vermeintliche und tatsächliche Schuhabdrücke gewissenhaft ab. Zurück im Badezimmer schnappte er sich die Trockenhaube, applizierte sie auf seinem Kopf, putzte sich gründlich die Zähne, während leise summend sein Haar behandelt wurde. Er löschte das Licht, schlug die Tagesdecke zurück, justierte das Kopfkissen mit einem freundschaftlichen Knuff. In betonter Ignoranz der Anwesenheit eines anderen reduzierte Hikaru systematisch die Lichtquellen, stopfte sein Mobiltelefon in die Ladestation, drehte an seinem Lichtwecker, bis er zufrieden war. Dunkelheit senkte sich über das Appartement. Nur ein leichter Schimmer zur Orientierung ging von der Hightech-Beleuchtung aus. Masaya seufzte stumm. Beabsichtigte Hikaru tatsächlich, jetzt einzuschlafen? Trotz ihrer ungeklärten Situation? Was sollte er nun unternehmen? Die Botschaft schien unmissverständlich: geh heim! Also unverrichteter Dinge abziehen, einen neuen Anlauf nehmen? Er erhob sich, wartete, bis seine Augen sich an die winzige Lichtausbeute gewöhnt hatten, suchte sich einen sicheren Weg bis zum großen Bett, ließ sich dort am Fußende auf dem Teppich nieder. "Wegzulaufen hat keinen Sinn, weißt du?" Bemerkte er leise in die Stille hinein. "Ich zerbreche mir ständig den Kopf über dich. Ich weiß nicht mal warum." Die Beine anstellend seufzte er leise. "Wenn's um Sex ginge, wäre das rasch gelöst. Damit habe ich ja mittlerweile ausreichend Erfahrung. Oder darum, einen Star zu kennen, selbst berühmt zu werden, im gewissen Umfang." Er legte den Kopf in den Nacken, weich aufgefangen von Matratze und aufgerollter Tagesdecke. "Das ist nicht die Antwort. Ich will dich kennenlernen, bei dir sein. Nicht dem Star, nicht einer Figur aus den Filmen, keiner Phantasie. Es geht mir gar nicht darum, mit dir zu schlafen, einfach nur so." Hikaru regte sich nicht. Nicht mal ein schnippisches Schnaufen war zu hören. "Ich vermute..." Formulierte Masaya bedächtig, den Faden weiter spinnend. "Ich möchte dich berühren. In deinen Gedanken, in deinem Herzen sein. Ich möchte der Auslöser für den Blick sein, den ich in diesem Video gesehen habe." Masaya raufte sich durch die Mähne. "Ich kann ehrlich nicht sagen warum. Warum du. Warum jetzt. Ich will es verstehen. Nun, so viel davon wie möglich." Schränkte er mit einem dünnen Lächeln ein. Als Erstes offenbarte jede Wissenschaft die Unmöglichkeit, alles erkennen, begreifen, erkunden zu können. Die Welt war zu komplex für den menschlichen Verstand. "Was kann ich tun, um dich zu erreichen? Was kann ich dir anbieten, damit du mir vertraust? Welche Versicherung verlangst du?" Er sprach wie zu sich selbst. Immerhin wälzte er diese Fragen nicht zum ersten Mal. Er erhielt keine Antwort. "Allein komme ich nicht weiter." Raunte er erschöpft in das dunkle Appartement. "Also habe ich keine Wahl, als deinen nächsten Schritt zu erbitten." Ganz gleich, wie unvernünftig er sich verhielt. Wie lächerlich es sich in den Augen Dritter ausnahm. Wie irrational er sich selbst fühlte. Und doch den Eindruck gewann, sich näher zu kommen. Masaya schloss die Augen, gab der Müdigkeit nach. Nur ein wenig dösen, dann... ~~~>#*** "Das glaub ich ja nich!" Schimpfte Hikaru unterdrückt. Natürlich konnte er kein Auge zutun, mit einem Irren in der eigenen Bude! Als er sich wachsam und geschmeidig zum Fußende seines Bettes geschlichen hatte, hörte er bloß tiefe Atemzüge. Der Typ PENNTE, die Rübe auf die gekreuzten Arme abgelegt, einfach vor sich hin! Halb auf SEINER Matratze! Er sollte die Gelegenheit nutzen, Arm auf den Rücken verdrehen, Idiot hochzwingen, rausschmeißen, achtkantig! Noch bevor der einen klaren Gedanken fassen konnte! Gute Idee. Bloß. Der verdammte Tür-Code. Hikaru presste zornig die Lippen zusammen. Aus irgendeinem Grund gelang es ihm einfach nicht, das verfluchte Ding zu dressieren! Er hatte es schon x-mal versucht, weil der Tür-Code vom Makler eingerichtet war, aber jede Veränderung wurde bockig verweigert. Lächerlich machen mit einer Nachfrage wollte er sich auch nicht. Die Hände in die Hüften gestützt erwog Hikaru seine Möglichkeiten. Der Kerl konnte hier nicht einfach übernachten! Das war SEINE Wohnung, verflixt! Allein die Vorstellung, sich miesepetrige Lektionen am Morgen anhören zu müssen, weil er aus der Tube frühstückte, feuerte schon jetzt seinen Blutdruck an! Hikaru ging in die Knie, rüttelte eine Schulter. "He! He, geh gefälligst heim! Das ist hier kein Streunerasyl, klar?!" Eilig brachte er etwas Abstand zwischen sie, als Masaya sich schwankend erhob, offenbar leicht desorientiert. "Los! Geh heim!" Hikaru richtete ihn mit einer Hand im Kreuz Richtung Appartementtür aus. Aber konnte das überhaupt funktionieren? Masaya taumelte schlaftrunken, kollidierte mit einer Flurwand. "Scheiße." Stellte Hikaru fest, krallte die Finger in das Hemd, zerrte Masaya retour, stieß ihn recht grob auf seine Rattan-Couch. Er holte eine leichte Wolldecke herbei, breitete sie aus. "Das ist das einzige Mal, verstanden?!" Packte er Masaya grob in die schwarzen Haare. "Morgen bist du verschwunden, wenn ich aufwache, klar?!" Ärgerlich brummend kehrte er in sein Schlafzimmer zurück, schob die Trennwand energisch zu, kletterte in sein Bett, seine eigene Nachsicht verwünschend. ~~~>#*** Masaya benötigte einige Augenblicke, um sich zu orientieren, als er erwachte: Hikarus Appartement. Wie spät war es? Er schlug die Decke zurück, rappelte sich auf. Das Telefon in der Ladeschale verriet ihm, dass er besser die Beine in die Hand nahm, um nach Hause zu kommen, rasch zu duschen, sich etwas Frisches anzuziehen, zur Universität zu flitzen. Er faltete die Decke ordentlich zusammen, warf einen Blick auf die zugezogene Trennwand. Berliner Mauer. Mindestens. Also ein weiterer Anlauf, später, wenn er sich gesammelt und etwas gegessen hatte, ohne die Benommenheit in seinem Schädel. ~~~>#*** Hikaru malträtierte den Boxsack entschlossen. Eine sehr gute Methode, sich Frustration und Verspannungen zu entledigen. Im Nahkampf hätte er keine Sekunde überstanden. Grundsätzlich vermied er körperliche Auseinandersetzungen. Was ihn daran erinnerte, mit welcher Mühelosigkeit dieser Mistkerl ihn am Vorabend bezwungen hatte! Drecksack! Drecksack! Drecksack! Er wischte sich nach den wuchtigen Einschlägen Schweiß von der Stirn. Wenigstens war der Idiot am Morgen tatsächlich verschwunden. Trotzdem noch da wie eine geisterhafte Präsenz! Weil Hikaru selbstredend wusste, dass der Tür-Code noch immer unverändert, die Beziehung ungeklärt war. Wie wurde er diesen Penner bloß los?! Sex anbieten stand außer Frage. Sich bei Suga beschweren hatte nichts gebracht. Für einen Moment spielte Hikaru mit dem Gedanken, die Universitätsleitung auf das "Hobby" anonym hinzuweisen. Er verwarf den Gedanken angeekelt. Schwule hatten es schon schwer genug, da brauchte man solche Aktionen ganz sicher nicht! Was hatte der Kerl noch behauptet? Dass er Angst vor ihm habe?! "Eingebildeter Saftarsch!" Fluchte Hikaru leise. Er wollte nicht, dass die Nachbarschaft eventuell Unflätigkeiten von ihm hörte. Sie war zwar daran gewöhnt, dass er für seinen Beruf (Model...) extravagant gekleidet zu sein pflegte, aber er wollte sie ganz gewiss nicht mit der Nase darauf stoßen, was er tatsächlich beruflich tat. Da konnte es nämlich schnell Essig mit seinem Mietvertrag sein! Er müsste erneut auf Wohnungssuche gehen, was sein Nervenkostüm ruinieren würde. Er verließ den Balkon, angelte sich ein isotonisches Getränk aus dem kleinen Kühlschrank, leerte es in gierigen Zügen, trotz der speziellen Handschuhe durchaus geschickt. Angst. Hatte er Angst vor diesem Idioten? Ha! Er wechselte in sein Badezimmer, um sich rasch feucht abzureiben. Danach würde er sich mit den Episoden befassen, die Nishino ihm als Mini-Drehbücher aufs Fax senden würde. Im Spiegel inspizierte er sein Gesicht, erinnerte sich daran, gänzlich ungewollt, dass Masaya ihm schon mal einen Schreck eingejagt hatte, als die Sprache auf Inoue kam. Der Kerl hatte ihn gepackt, einfach in seine Haare gelangt, ihn herangezogen! Später hatte er bei seinem Spiegelbild kein Mal gefunden. Doch es hatte sich angefühlt, als hätte ihn dieser Kontakt verbrannt! "Scheißkerl." Wisperte Hikaru unbehaglich. Da lag etwas in dem forschenden Blick, das ihn beunruhigte. So, als könne dieser Mistkäfer ihn durchschauen. Sich dann darüber lustig machen! Nein! Nein, keinen Fußbreit würde er ihm entgegenkommen! Der sollte sich um seine Mikroben und das Kroppzeuch kümmern, statt ihm auf die Nerven zu gehen! ~~~>#*** Es war seltsam. Wenn er im Labor arbeitete, am Computer die Messergebnisse auswertete, funktionierte sein Verstand problemlos. Er fühlte sich im Einklang mit sich selbst. In der Mensa, beim Gang zur Toilette, beim unvermeidlichen Schwätzchen im Flur dagegen verspürte er diese nagende Sehnsucht, kreisten seine Gedanken plötzlich wieder um Hikaru. Er konnte das nicht abschalten. Keine Atemübung, kein Gedächtnistraining, nichts half. Was weckte Hikaru da in ihm? Eine verschüttete Erinnerung? Sprach er vielleicht irgendwelche Rezeptoren in seinem Unterbewusstsein an? Ließ sich deshalb der Gedankenwirbel nicht kontrollieren? Ein älterer Student, mit dem er sich häufig Aufgabenstellungen teilte, hatte ihn unlängst auf seine Gedankenverlorenheit angesprochen. Masaya formulierte daraufhin ganz neutral diese seltsame mentale Fixierung auf eine andere Person. Der Kommilitone hatte gelacht, freundlich, nicht spöttisch. Ihm bescheinigt, er sei wohl ganz außerordentlich verliebt! Dagegen helfe gar nichts! Die häufige Gesellschaft der geliebten Person verspräche eventuell ein wenig Linderung! Besser fühlte er sich leider nicht, auch wenn er jede Möglichkeit nutzte, Hikaru zu begegnen. Wie sollte er es bewerkstelligen, Hikaru für sich zu gewinnen? Wenn man nur wüsste, wovor der Angst hatte! Man könnte effektiv beweisen, dass man anders war, sich anders verhielt. Masaya rieb sich seufzend die Schläfen. Als er die Augen öffnete, signalisierte ein kleines Symbol auf dem Monitor, dass er eine neue Nachricht erhalten hatte. Ja, und da tat sich ein weiteres Problem auf... ~~~>#*** Kapitel 2- Wettstreit Hikaru sortierte sorgfältig Kleider und Accessoires in die beiden leichten Rollkoffer. Die Agentur verfügte selbstredend über einen eigenen Fundus. Dazu konnte vieles auch entliehen werden. In dieser Hinsicht war er durchaus eigen: Kostüme, Kleider, die er tragen sollte, wollte er selbst auswählen, dafür sorgen, dass sie gereinigt waren. Bei den Accessoires legte er genauso viel Wert auf Sauberkeit und die richtige Auswahl. Hygiene- und Verbrauchsartikel, da setzte er sich ebenfalls durch. Keine billigen Zellstofftücher, die sofort zerrissen, keine Saugfähigkeiten hatten, muffig rochen! Keine Kondome, die der Belastung nicht standhielten oder gar unerträglich parfümiert waren! Bondage, Kerzen, Klammern, Sexspielzeug: nur erste Klasse, Qualität, erprobt und sorgsam gereinigt! Außerdem keine Massagegels oder Deos mit aufdringlichem Aroma, kein Mundwasser, das einen von den Füßen holte! Mochte auch mancher von den Neulingen heimlich über ihn spotten: er ging keine Kompromisse ein. Bei derart intimem Austausch mochte Vertrauen ja theoretisch eine Option sein, ER setzte auf Kontrolle. Außerdem empfand er es als unhöflich. Schließlich waren sie Profis, der Austausch rein beruflich-geschäftlich. Die schmuddelige Amateurvariante konnten sich die Leute ja gratis im Internet anschauen! Wenn sie sich nicht angewidert abwandten. Als Profi hingegen verkaufte man Träume. Perfektion. Nicht die graue Realität, den Alltag, die ernüchternde Wirklichkeit. Also! Erneut ging er seine handschriftlichen Notizen durch, um sicherzugehen, dass er nichts vergessen hatte. Der Drehplan war eng, weil sie sich für fünf Tage in einem großen Love-Hotel-Komplex einmieten würden, der für die unterschiedlichen Szenarien die richtige Kulisse bot. Themenzimmer, aber nicht billig oder lächerlich. Das kostete durchaus eine Stange Geld. Es würde sich, daran zweifelte Hikaru nicht, bezahlt machen. In günstigen Absteigen um die Ecke kannten sich ihre Käufer aus, DAS brauchte man ihnen nicht zu servieren. Er strich sich durch die Haare, seufzte. In Kürze würde er zu seinem Hairstylist (Frisöre gab es in dieser Branche nicht!) aufbrechen müssen. Eine halbe Stunde Irrweg eingeplant, auch wenn er alle vier Wochen einen Termin hatte. Wären da nicht diese verflixten Veränderungen zwischenzeitlich... ~~~>#*** Von Yukio kannte Masaya den Drehplan der anderen. Nur wenige der ambitionierten Amateure wurden hinzugezogen. Stundenweise, weil sie anders als die Profis nicht stets so kurzfristig verfügbar waren. Die meisten Amateure waren wie er Studenten oder Mini-Jobber auf der Suche nach einer festen Anstellung. Masaya kontemplierte Yukios kurze Mitteilungen. Der hatte sich schnell an ihn gehangen, seit seinem Debütfilm. Andererseits konnte es auch daran liegen, dass Yukio der erste Mann war, mit dem Masaya Sex hatte. Dass eine Art Schützlingsfunktion von Yukio beabsichtigt war, der energisch darauf achtete, dass keiner der anderen Profis in der empfangenden Rolle ihm den ersten Anspruch streitig machte. Er selbst vermutete, ohne es beweisen zu können, dass Yukios eigentliches Ziel Hikaru war, den der zu provozieren suchte. Offenbar glaubte der zartgliedrige junge Mann, dass Masaya Hikaru näher kommen durfte als andere, sogar in dessen Wohnung war! Was man nicht bestreiten konnte. Auch wenn Hikaru darauf beharrte, Masaya habe ihn dort nur abgesetzt, weil er so betrunken gewesen sei! (Und hatte da nicht etwa die Nacht verbracht, mit ihm gefrühstückt...) Jetzt konnte Masaya nur hoffen, dass Yukio nichts von Sugas Idee wusste und Hikaru mit Anspielungen triezte. ~~~>#*** Eigentlich wiederholte sich alles stets, mit kleinen Varianten. Nach vier Jahren im Geschäft kannte Hikaru alles, jede Stellung aus dem japanischen Kamasutra (48 Hände), Rollenspiele, S/M-Varianten, Referenzen zu jeweils gerade angesagten Filmen oder TV-Dramen, jedes Genre. Die Phantasien und Sehnsüchte ihrer Kunden bezogen sich eben auf ihre Erfahrungswelt. Außerdem sollten Erwartungshaltungen bedient werden. Trotzdem empfand er keine Langeweile. Es war seine Aufgabe, sein Selbstverständnis, eine hervor- um nicht zu sagen heraus-ragende Leistung zu bieten. Das klappte mit einer gut eingestimmten Crew umso besser. Da gab es keine Streitereien, keine Eifersüchteleien, kein Gerangel um mehr Aufnahmen. Jeder kannte seine Position, agierte entsprechend. Die Tage waren bis zum Bersten gefüllt, der Terminplan eng. Für etwas Freizeit oder Albernheiten gab es schlichtweg keine Möglichkeit. Während sie die Zimmer wechselten, die Technik justiert wurde, posierte er für Fotos, schrieb Autogramme, gab Interview-Schnipsel für die Netzgemeinde. Dass Masaya nicht teilnahm, schob er auf dessen eigentliche Beschäftigung, Oberschlaumeier an der Uni sein! Hikaru verbannte das seltsame Gefühl der Anspannung konsequent aus seinem Bewusstsein. ~~~>#*** Die Aufnahmen, bei denen Masaya teilnehmen musste, waren rasch im Kasten: Tiefgarage, eine fensterlose Lagerkammer mit Metallregalen, Putzutensilien, Kartons. Der Neue, Miu, wie er sich nannte, war gut, wenn er auch erschreckend jung wirkte, gerade mal nach 14 Jahren aussah. Offenbar machte es ihm Spaß, vor der Kamera Sex zu mimen. Obwohl Masaya sich nicht übermäßig mit anderen Darstellern befasste, hatte er den Eindruck, dass Miu ein gewisses Charisma für sich einsetzte, rasch bekannt werden würde. Glücklicherweise erwies er sich nicht als anhänglich, zumindest nicht bei ihm. ~~~>#*** Hikaru starrte ungläubig auf den Bildschirm an seiner Wand. Er war versucht, Suga sofort anzurufen, ihm die Meinung zu geigen. Wie konnten sie ihm das antun?! Während sie da im Akkord für die Episoden-Ausgabe schufteten, lancierte Suga gleichzeitig diesen Miu mit Masaya in einem eigenen, halbstündigen Film! Zugegeben, da war auch noch Veteran Hondo, der regelmäßig als grauhaariger Vater/Onkel/Chef/Yakuza-Pate angefordert wurde, ein athletischer Mann, dessen Alter ihm gut zu Figur und Gesicht stand. Die Handlung an sich war nicht revolutionär, aber geschickt in Szene gesetzt: der Veteran gab den Künstler, der sich auf traditionelle, japanische Fesseltechniken verstand, der Neue (verdammt, war der wirklich schon volljährig?!) seine Muse, ihm ganz ausgeliefert und ergeben, während Masaya den Chauffeur mimte, der sich ebenfalls am Neuen schadlos hielt. Die Atmosphäre war beinahe schwül aufgeladen, die Kulissen gut ausgewählt. Man fühlte sich mitgerissen, selbst wenn man wusste, wie sich der Plot entwickeln würde. Zum Abschluss noch einen Dreier! Das hatte Masaya doch noch nie...!! Hikaru zerdrückte unwillkürlich den Energieriegel, den er umklammert hatte. Pornos regten ihn kaum noch an, aber er sah mit den Augen des Profis, dass hier ein Kassenschlager produziert worden war. Niemand hatte ihn gefragt. Er war nicht mal informiert worden. Hikaru erhob sich, stürmte in sein Schlafzimmer, zerrte sich die Kleider vom Leib, wechselte in seine Trainingsklamotten. Kaum hatte er die Spezialhandschuhe übergestreift, setzte er auf dem Balkon bereits dem Boxsack zu. So lief es jetzt also! Suga und dieser Scheißkerl hatten sich offenkundig verbündet, um ihn unter Druck zu setzen! Wenn die Episoden-Sammlung diesen Film nicht vom Thron stieß, hatte Masaya ihn überholt! Sie dachten wohl, dass er nachgeben würde, wie?! Nein! NEIN! NEIN! NEIN! NEIN! ~~~>#*** Masaya passte Hikaru vor einem Fotostudio ab, in dem Aufnahmen für ein Szenemagazin gemacht wurden. Dass er gerade den dritten Agenten für Model-Agenturen abwimmelte, hob seine besorgte Stimmung nicht gerade. Die ausbleibende Reaktion zur Veröffentlichung des Miu-Debütfilms irritierte nicht nur Suga, sondern auch ihn. Allerdings war Hikaru auch Profi, setzte möglicherweise darauf, dass das Ignorieren der gefährlichen Konkurrenz die bessere Wahl darstellte. Würde er ihm auch Verrat vorwerfen? Der Cowboyhut schob sich erkennbar durch den Menschenstrom. Masaya nahm die Verfolgung auf, beschleunigte rasch das Tempo. "Hikaru." Die Krempe tief ins Gesicht geschoben schenkte Hikaru ihm tatsächlich einen Seitenblick. "Du schon wieder." Frostig, mit einer gewaltigen Dosis Gleichmut. So behandelte man lästiges Ungeziefer. "Lass uns zusammen essen." Masaya fiel in den Schritt, nicht schwierig, um sie herum wimmelte es von Leuten. Flucht zumindest schien aussichtslos. "Nein, danke." Kurz angebunden, höflich. "Dabei können wir uns auch unterhalten." Masaya gab nicht auf. "Ich wüsste nicht, dass wir etwas zu besprechen haben." Versetzte Hikaru knapp. "Mein nächster Film ist noch nicht draußen." "Darum geht es mir nicht." Sollte er Hikaru festhalten? Würde diese Maske reservierten Desinteresses fallen? "Dann haben wir nichts zu besprechen." Stellte der gerade unumwunden fest, eisern beherrscht. Masaya griff im Reflex zu, obwohl ihm Wimpernschläge zuvor sein Verstand dringend abgeraten hatte, physischen Kontakt zu erzwingen. Hikaru fauchte ebenso spontan, ballte die Faust. "Bitte rede mit mir!" Masaya stemmte die Fersen in den Gehweg, kümmerte sich nicht um die Blockade anderer Flaneure. "Für wen hältst du dich?!" Zischte Hikaru ihm giftig ins Gesicht. "Lass mich sofort los!" Widerstrebend leistete Masaya der Aufforderung Folge. Brüsk wandte Hikaru sich ab, reckte das Kinn, marschierte ohne weiteren Blickkontakt davon. Masaya heftete sich, in einiger Entfernung, an seine Fersen. Wie gewohnt irrte Hikaru zunächst herum, bis er den richtigen Bahnsteig für seine Linie fand. Das erleichterte es Masaya, ihm zuvorzukommen. Er wählte auch einen anderen Waggon aus, kannte den Weg schließlich. Hikaru wollte nach Hause. Jeder andere hätte vielleicht versucht, in ein Ausgehviertel zu entwischen, in den winzigen Läden, verschachtelten Gassen, Zuflucht zu suchen. Den Cowboyhut abzunehmen, sich einfach ein Regencape zu kaufen, sich praktisch unsichtbar zu machen. Es wäre die perfekte Taktik gewesen. Aber nicht, wenn man sich nur mühsam orientieren konnte. »Woher kommt das wohl?« Masaya hatte recherchiert, immer auf der Suche nach einem Fingerzeig, der eine zusätzliche Verbindung zu Hikaru schuf. Beeinträchtigungen dieser Art erlebte man üblicherweise bei schweren Krankheiten, zumindest, wenn der Orientierungssinn grundsätzlich gestört war. Hikaru hatte weder Mühe, sich in einem geschlossenen Raum zu orientieren, noch verirrte er sich in den Hotels, die ihnen als Drehorte dienten. Möglicherweise lag es also an seiner Methode, sich innerhalb von Tokio zurechtzufinden? Empirische Untersuchungen deuteten darauf hin, dass Männer eher auf Ebene von Plänen ihren Weg fanden, während Frauen tendenziell herausragende Wegmarken memorierten. Emotionale Orientierungspunkte versus Reißbrett. Außerdem schien sich die Fähigkeit der Richtungssensibilisierung mit Erfahrung und Übung zu verstärken. Wer es gewohnt war, sich in einer großstädtischen Umgebung zu lokalisieren, dem fiel das nicht schwer. Wuchs man im Dschungel auf, konnte es nahezu unmöglich erscheinen, wenn man nicht einen Transmitter, eine persönliche Übersetzung fand. Masaya spekulierte, während er gleichzeitig Melodie der Station und Anzeige registrierte. Für ihn ein Klacks, als Tokioter. Wenn Hikaru aber beispielsweise auf dem Land aufgewachsen war, in einer Kleinstadt, wo es keine U-Bahnen gab, keine Leitsysteme, keine Häuserschluchten, keine hochkomplizierten Pläne? Er hätte zweifelsohne Mühe, sich im Alltag zu orientieren. Wo sich kaum etwas veränderte, musste man sich nicht darauf trainieren, bestimmte Landmarken auszuwählen, um nicht in die Irre zu gehen. Das konnte bedeuten, dass Hikaru zugezogen war, in den vier Jahren (mindestens) noch nicht gelernt hatte, wie man dieses Problem löste. Wenn er nicht von hier war, hätte man das nicht hören müssen? Masaya rief sich die seltsame Episode ins Gedächtnis, als sie einen gemeinsamen Kinobesuch absolviert hatten. Wie hatte Hikaru noch formuliert? "Tokio ist eine beängstigende Stadt"? Hmm. Möglicherweise ein wichtiges Indiz. Falls Hikaru von außerhalb kam, stellte das keine Besonderheit dar. Alle strebten nach Tokio, nicht immer freiwillig. Auf dem Land vergreiste die Bevölkerung, es gab nur wenige Arbeitsplätze, für die Jugend auch selten Anreize zu bleiben. Hikaru verwendete unterschiedliche Dialekte in den Aufnahmen, abhängig von der Rolle, die er gerade darstellte. Ihn selbst raunzte er an wie ein Tokioter. Hmm. Warum die Geheimnistuerei? Empfand er Minderwertigkeitsgefühle, weil er auf dem Land aufgewachsen war? Gut möglich. Man neigte dazu, die "Hinterwälder" eher von oben herab zu behandeln. Sie waren viel langsamer getaktet, benötigten mehr Zeit, Erklärungen, Aufsicht und Führung. Dem Renommee des Stars stand es auch besser zu Gesicht, wenn er eben ein flotter Großstädter war, durchaus. Masaya stieg an der Station aus, achtete darauf, auch Hikaru zu entdecken. Der richtige Ausgang... ah, dieses Mal kein Irrweg! In ausreichender Distanz trabte Masaya ihm hinterher, während er an seiner Theorie strickte. Gesetzt den Fall, Hikaru käme tatsächlich nach Abschluss der Oberstufe wie so viele nach Tokio. Was dann? Studiert schien der nicht zu haben, also jobben. Wahrscheinlich, wenn er schwul war, vorsichtige Ausflüge in das Rotlichtviertel, um Anschluss zu finden. War er da auf diesen Inoue gestoßen? Tätowierungen waren außerhalb der Yakuza nicht mehr ganz so verpönt, aber "normale", sprich gutbürgerlich erzogene, junge Menschen hielten sich dennoch damit zurück. Was im westlichen Ausland mittlerweile als nicht mehr bemerkenswert eingestuft wurde, traf auf die weiterhin vorherrschenden, kulturellen Prägungen. Demnach konnte dieser Inoue in eine eher subversive Ecke sortiert werden, Künstler zum Beispiel, Aktivist, vielleicht auch Rückkehrer aus dem Ausland. Also möglicherweise das komplette Gegenteil von Personen, mit denen ein Junge vom Land vertraut war. Hatte die Andersartigkeit, die "Nicht"-Artigkeit, das Unangepasste, Hikaru angezogen? War der so in dieses Milieu geraten? Und dann hatte der Mann, den er liebte, ihre privaten Sexaufnahmen verkauft. Hmm. "Ich rufe die Polizei, wenn du nicht abhaust!" Hikaru wartete zornig im Eingang des Appartementhauses. "Was hat dich so an diesem Inoue angezogen?" Masaya ignorierte die Warnung. "Wieso hast du ihn geliebt?" Hikaru ballte die Fäuste. Die vorgebliche Selbstbeherrschung verflog. "Hör auf, mir nachzuspionieren, klar?! Halt dich aus meinem Leben heraus!" "Unmöglich." Masaya seufzte müde. "Ich will und muss einfach verstehen, warum du mich so anziehst. Ich kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen." "Ach ja?" Ansatzlos ohrfeigte Hikaru ihn. "Hilft das bei der Abkühlung?! Unsere Wette kannst du vergessen! Richte auch Suga aus, dass ich es mit DIR nicht treiben werde!" Masaya wandte ihm das Gesicht zu, von der Attacke überrumpelt. Seine Wange schmerzte, aber er vermutete, dass auch Hikaru die Hand wehtat. "Ich wollte dir keine Angst machen." Murmelte er. Nichts anderes konnte Hikaru zu so einer heftigen Reaktion herausgefordert haben. "Du tickst ja wohl nicht richtig!" Zischte der ihn an, etwas blass um die Nase. Vielleicht über sich selbst erschrocken? "Jetzt hau ab! Verschwinde endlich!" Einen Schritt zurücktretend seufzte Masaya. "Ich wünschte, ich wäre da gewesen, als du hierher gekommen bist. Du würdest dich nicht immer noch vor allem und allen verstecken." Er wandte sich ab, rieb sich leicht über die lädierte Wange. "Gute Nacht, Hikaru." ~~~>#*** Die Dusche half. Ein wenig. Nachdem der erste Schreck, der Zorn und der Schmerz in seiner Hand verflogen waren. Nun verspürte Hikaru bloß noch Nervosität und Sorge. Klar, Masaya hatte ihn bis aufs Blut gereizt, belästigt, ihm nachgestellt, aber... Aber was, wenn er ihn nun verletzt hätte? Wenn sein Gesicht anschwoll, er nicht drehen konnte? Moment, stand etwas auf dem Programm? Hikaru schnaubte grimmig. Seit der Sache mit Mius Debütfilm (der sich wie geschnitten Brot verkaufte) war er sich nicht mehr sicher, dass er über alle Projekte informiert wurde. Wollte man ihn auf diese Weise rausdrängen? War das schon die gelbe Karte? Wurde er zu alt? Zu langweilig? Was nichts daran änderte, dass Darsteller grundsätzlich andere Darsteller nicht so verletzten, dass die Arbeit gefährdet wurde. Eine solche Aktion führte zum sofortigen Rausschmiss. Er konnte sich nicht entsinnen, ob es Spuren gab. Weil der Mistkerl sich weggedreht hatte! Reden konnte der noch... Was, wenn über Nacht alles anschwoll? Wenn der Depp über Tage farbenprächtige Hämatome spazieren trug?! Hikaru stöhnte leise, raufte sich ungeachtet der Konsequenzen den Karamell-farbenen Schopf. Was hatte der Idiot herausgefunden? Warum konnte der ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Hatte Suga ihm etwas gesteckt? Dieses intrigante Luder! "Scheiße!" Stellte Hikaru zutreffend fest. Was tun? Würde der Depp alles ausplaudern? Wenn es zur Entscheidung kam, würde ihm sein Status helfen oder zöge er gegen Masaya den Kürzeren? Möglicherweise könnte er bei der Konkurrenz anheuern. Allerdings nicht, wenn sich herumspräche, dass er einen Kollegen geohrfeigt hatte. Zu Kreuze kriechen? Darum betteln, dass Masaya nichts verriet? Hikaru fühlte sich elend. Seit ihm dieser Kerl begegnet war, ging sein Leben den Bach runter! ~~~>#*** "Dass du nur an deiner Promotion arbeitest, ist doch eine Lüge!" Warf Tetsu in den Raum. Masaya, der Reisbrei löffelte, lupfte unter der struppigen Mähne eine Augenbraue. "Was dir fehlt, ist die Gesellschaft von normalen Leuten! Du musst raus aus dem Labor, weg von diesem Porno-Mist!" Tetsu funkelte ihn an, sichtlich agitiert. "Mir graut davor, dass irgendwer unseren Eltern diese verdammten Filme zeigt! In der Uni, wenn da einer was rauskriegt..." "Wer würde zugeben, solche Filme zu kennen?" Masaya leerte sein Schälchen. Die rhetorische Frage hatte ihn immer beruhigt. "Schon mal was von anonymen Eingaben gehört?!" Giftete Tetsu verärgert. "Ich kapier einfach nicht, was in deinem Schädel vorgeht! Du bist doch sonst so clever!" Ein müdes Lächeln auf den Lippen erhob sich Masaya, um das benutzte Geschirr abzuspülen. "Ich verstehe mich selbst auch nicht." Antwortete er leise. "Aber ich kann nicht aufgeben." "Warum zum Teufel nicht?!" Explodierte Tetsu, sprang auf. "Was WILLST du bloß von diesem Typ?!" "Mehr." Antwortete Masaya, sich auf der Spüle abstützend. "Ich will mehr." Es dauerte eine ganze Weile, bis Tetsu sich erneut äußerte. "Du hast den Verstand verloren, Masa. Du bist besessen. Ernsthaft, wenn du so weitermachst, geh ich zum psychologischen Dienst." Das entlockte Masaya tatsächlich ein mattes Auflachen. "Ich glaube nicht, dass mich das weiterbringt." Dazu wähnte er sich schon viel zu tief drin in dem Irrgarten seiner Gefühle und Gedanken zu Hikaru. ~~~>#*** "Bitte komm, Masaya! Immerhin ist Miu ja quasi auch dein Schützling!" Yukio hatte nicht locker gelassen. Eine Crew-Feier zur Veröffentlichung des Episodenfilms, außerdem die Einführung von Miu mit der gesamten Truppe. Masaya hätte gern abgelehnt, aber es bestand die große Wahrscheinlichkeit, Hikaru wiederzusehen, in einer ungefährlichen Umgebung, wo sie nicht gleich aneinandergeraten würden. Als er eintraf, nicht herausgeputzt, da er geradewegs von der Universität kam, nahm Yukio ihn auch sofort in Beschlag. "Endlich sehen wir uns mal wieder! Ich werde Suga bitten, dass wir miteinander drehen, ja?" Masaya entzog sich behutsam, aber bestimmt den klammernden Armen, gestikulierte zur Erreichbarkeit seines Biers. "Ich dachte eigentlich, das Drehbuch für den Spielfilm stehe schon?" Wich er aus. "Ein paar kleine Clips zwischendurch werden garantiert drin sein!" Yukio lehnte sich unerschrocken an. Seine Augen visierten Miu an, der ihm gegenüber platziert wurde, sich offenbar pudelwohl fühlte, kein bisschen eingeschüchtert. Suga klopfte auf den Tisch zwischen den Sitzbänken. "Trinken wir auf unseren neuen Verkaufshit!" "Kampai!" Schallte ihm artig entgegen. "Begrüßen wir offiziell unseren Neuzugang Miu!" Schloss Suga als nächstes an. Miu erhob sich, verneigte sich artig, zwinkerte lässig. "Hallo, ich bin Miu. Ich freue mich sehr, euch endlich alle kennenzulernen. Ich bitte um eure Unterstützung! Ich bin sehr lernwillig und flexibel!" Das brachte ihm sofort ein paar Lacher ein, während man ihm zuprostete. "Na los, Miu, erzähl mal, wie war's mit Hondo und Masaya?" Ein freches Grinsen auf dem Gesicht hatte Miu keine Schwierigkeiten, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. "Einfach grandios! Ich hatte echt viel Spaß! Und die Nummer auf dem Jaguar war erstklassig!" Man lachte. Miu gewann sofort die Sympathien für sich. "Jetzt sag, wie war dein erstes Mal?" "Kann ja noch nicht lang her sein, so jung, wie du aussiehst!" Ergänzte Yukio etwas spitz. Er erkannte ernstzunehmende Konkurrenz, wenn er sie sah. Was Miu nicht anzufechten schien. "Oh, das ist echt ne Weile her. Mir sind schon immer die Leute nachgestiegen." Erzählte er, als ob es ganz normal sei. "Wie ich so langsam Lust bekam, es auch mal zu tun, da war ich 13, da wollte ich natürlich nicht irgendeinen Pfuscher ran lassen." Er hatte nun alles Interesse auf sich gebündelt. "Ich hab also sondiert, wer so in Frage kam. Die ganzen Bonbon-Onkels nicht, denen lief ja schon vorher das Wasser unter der Brücke zusammen! Die Gockeligen auch nicht, die waren zu sehr auf sich konzentriert. Tja, da habe ich einen älteren Junggesellen aufgetan, den tatsächlich keine Frau zwangsverkuppeln wollte, in der gesamten Nachbarschaft nicht. Echt ungewöhnlich! Ganz gepflegt, zurückhaltend, unauffälliger Typ. Wie ich spitzkriegte, wo er überall gern Stippvisiten abstattete, auch mal so ein 'Stippen' zu sehen bekam, weil die Vorhänge aufschwangen, da dachte ich: der isses! Der muss es drauf haben! Na, da habe ich mich eben vorgestellt und gefragt, ob er mir gern behilflich sein würde, das Blümchen zu pflücken. Und, Leute, er war verdammt gründlich! Hat mich definitiv auf den Geschmack gebracht!" Miu feixte. Alles lachte mit. Masaya hingegen schwieg, die Augen auf Hikaru gerichtet, der unbemerkt dazugestoßen war, aufgebrezelt, von einem anderem Termin kommend. "Ah, Hikaru! Endlich! Schon wieder verlaufen?" Suga kam auf die Beine. "Miu, Hikaru. Hikaru, Miu." "Ich bin ein großer Fan. Zumindest innerlich!" Trällerte Miu in Fahrt, verneigte sich höflich, spielte auf seine zierliche Gestalt an. "Danke schön. Willkommen bei der Truppe." Hikaru lächelte wohltemperiert, neigte knapp den Kopf, suchte sich einen Platz bei Nishino, wahrte demonstrativ Distanz zu Suga, der vom Alkohol angefeuert saftige Anekdoten zum Besten gab. "Du solltest Nishino auch bitten, Clips für uns zu unterstützen." Brachte sich Yukio neben Masaya in Erinnerung. "Im Augenblick bin ich zeitlich stark eingebunden." Wiederholte Masaya die Phrase, die er auch in der Mensa, im Flur und bei jeder anderen Gelegenheit von sich gab. Hikaru nippte bloß an einem Longdrink mit kräftigen Farben, beteiligte sich nicht an den lebhaften Gesprächen, die ihn umschwirrten. Auf Blickkontakt konnte Masaya kaum hoffen. Er spürte unverändert diesen seltsamen Schmerz in seiner Brust: die Unmöglichkeit, sich nicht auf Hikaru zu konzentrieren, die wie ein Tunnelblick wirkte. »Warum siehst du mich nicht an? Was ist das bloß, was mir keine Ruhe lässt?« ~~~>#*** Hikaru verwünschte den Abend, noch mehr die Kombination aus Longdrink und zu viel Wiener Melange, die er unbedacht über den Tagesverlauf hin konsumiert hatte. Er entschuldigte sich, suchte die Waschräume auf, massierte seinen flachen Bauch. Ihm war übel, nicht nur der unbedachten Getränkewahl geschuldet, auch dem ätzenden Szenario. Wie eine Fußnote hatte Suga ihn behandelt! Vor allen lächerlich gemacht! Dabei wusste der doch von dem vorangegangenen Termin! Rangierte er jetzt schon auf dem Abstellgleis? Yukio klebte förmlich an dem bekloppten Stalker, aber der wusste ja schon immer sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen! Hikaru spülte sich wiederholt den Mund aus, verabscheute die klamme Schweißschicht auf seiner Haut. Er sollte besser gehen, bevor es schlimmer wurde. "Brauchst du Hilfe?" Hikaru knurrte zornig, funkelte im Spiegel hoch. "Nicht von dir!" Natürlich. Nicht mal aufs Klo konnte man noch allein gehen! Masaya. Der hinter ihm stand, die Arme herabhängend, in dieser Professoren-/Studierhaltung, die ihn nervte! Als wäre er ein Forschungsobjekt unter dem Elektronenmikroskop! Er richtete sich auf, trocknete sich Hände und Gesicht ab. "Ich habe nicht gewusst, dass ich einsam bin, bevor ich dich traf." Hikaru ballte die Fäuste, wandte sich langsam herum. "Lern damit leben!" "Ging es dir mit Inoue genauso?" Blitzartig packte Hikaru Masayas Hemd an den Aufschlägen, fauchte ihn an. "Hör damit auf! Ich will nichts mehr von dem Typen und dir hören, verstanden?!" Anstatt die Hände von seinem Hemd abzupflücken, schlang Masaya die Arme um Hikaru, legte die Stirn auf dessen Schulter. "Es ist mir elend ohne dich." Murmelte er gequält. Hikaru erstarrte, überlegte fieberhaft, wie er vorgehen sollte. Masaya wegstoßen?! Oder sich frostig selbst befreien, betont distanziert? "Du bist wohl betrunken?" Votierte er für die zweite Option, suchte Abstand. "Nein." Masaya bot ihm ein geisterhaftes Lächeln. "Das hilft nicht weiter." "Natürlich nicht, Herr Professor!" Ätzte Hikaru, fiel aus der Rolle. "Danke großmütigst für die Belehrung!" Masaya seufzte, ließ die Schultern hängen. "Warum fürchtest du mich so sehr? Bin ich ihm doch ähnlich?" "Laber nich rum!" Grob löste sich Hikaru, ignorierte eine weitere Schmerzwelle aus der Magengrube. "Geh heim, leg dich hin, du Idiot!" Aus der zwangsweisen Nähe betrachtet wirkte Masaya nämlich etwas käsig. Selbst der ungezogene Sezierblick erschien stumpf. "Für so nen nervigen Besserwisser gibst du grad n echt bescheidenes Bild ab!" Versetzte Hikaru über die Schulter. Er beabsichtigte, sich ebenfalls rasch davonzumachen. Der Abend schien ohnehin gelaufen. Vielleicht auf dem Weg noch ein Mittel gegen Sodbrennen kaufen...? Hinter ihm ging Masaya in die Hocke, die Hände an das Waschbecken geklammert. "Wenn du jetzt umkippst: ich sammel dich nich auf!" Schnodderte Hikaru weiter, fühlte sich unbehaglich, weil er nicht einfach verschwinden konnte. Wie sähe das aus?! Immerhin arbeiteten sie für die gleiche Agentur... Er hörte Masayas gepresste Atemzüge. War ihm schlecht? Schwindlig? "Verdammt!" Fluchte Hikaru unterdrückt. Er fischte ein Stofftaschentuch heraus, fingerte in seiner Umhängetasche nach dem Flakon mit Pfefferminzöl. Er sprühte einen Nebel in den Stoff, ging neben Masaya in die Hocke, presste ihm das Tuch auf Nase und Mund. "Augen zu und atmen, du Depp!" Kommandierte er grob, löste Masayas Rechte vom Bassin, überließ ihr die Aufgabe, das Tuch zu halten. "Mach Platz!" Fauchte er übertrieben enerviert. "Bin gleich zurück." Noch während er durch den Flur marschierte, sich selbst stumm verwünschte, gleichzeitig darauf hoffte, dass niemand die Situation bemerkte, steuerte er die Treppe nach oben an. In dem schmalen Gang zur Straße hin fanden sich die allgegenwärtigen Automaten. Hikaru flipperte eilig, verstaute sein Mobiltelefon wieder, kehrte forschen Schritts mit der Ausbeute zurück. Vorsichtig äugte er in den Waschraum. Außer Masaya, der sich mittlerweile aufgerichtet hatte, am Bassin lehnte, mit gesenktem Kopf durch das Tuch atmete, zeigte sich niemand. Erleichtert (darüber verärgert) durchquerte Hikaru den Waschraum, entzog Masayas Hand rabiat das Tuch, ersetzte es mit einem Riegel. "Kauen, gründlich!" Zischte er, packte unvermittelt Masayas Schopf im Nacken. "Komm mir nicht mit deinem Scheiß-Gesundheitsgefasel, klar?!" Masaya blinzelte, die Augen gerötet. Das Pfefferminzöl löste Tränenflüssigkeit zum Ausgleich aus. Er biss ohne Widerworte ab, malmte wie befohlen. In demonstrativer Entfernung pellte Hikaru den eigenen Riegel heraus, damit der sich mit Longdrink und Wiener Melange herumschlagen konnte, mümmelte verdrossen. Eine Kippe wäre ihm ja lieber gewesen, auch aus Figurgründen, aber sein Magen zeigte sich schon präventiv unleidlich bei dieser Idee! "Danke, Hikaru." "Pah!" Schnaubte der, entsorgte die Verpackung im Abfalleimer. "Verzieh dich endlich in dein Bett, Laborratte!" Damit ließ er Masaya stehen. ~~~>#*** Dass Suga ihm natürlich noch einen Spruch reindrücken musste, was sie beide so konspirativ lange im Waschraum getrieben hätten, verärgerte Hikaru noch mehr. Dieser aufgedonnerten, sichtlich angetrunkenen Zicke von Chef würde er nicht den Gefallen tun und aus der Rolle fallen! Er entschuldigte Masaya mit einer frei erfundenen Untersuchungsreihe und Überstunden, die nun ihren Tribut forderten. "Oh, wie schade!" Bedauerte Miu laut, der die Gehässigkeit von Suga ignorierte. "Ich hätte gern noch ein wenig mit ihm gequatscht! Er hat's echt drauf, kann gut erklären. Da merkt man schon, warum er auf der besten Uni ist." "Was GENAU hat er dir denn erklärt?" Säuselte Yukio tückisch, der sich vernachlässigt fühlte. "Ach, wir haben über Biolumineszenz gesprochen." Miu pickte ein paar Chipskrümel auf. "Ich war in der Oberstufe in einer AG. Na ja, wir haben natürlich nicht so viele Möglichkeiten gehabt wie an einer Uni. Es war cool, vieles noch mal von einem Profi erklärt zu bekommen. Ist schon spannend, was die da machen. Ich könnte das nicht!" Er feixte in die Runde, lehnte sich bequem zurück. "Ich meine, da hast du mal eine Antwort gefunden, und schon tun sich hundert neue Fragen auf! Echt, das würde mich voll frustrieren!" Dabei grinste er so treuherzig, dass niemand ihm böse würde sein können. Hikaru runzelte im Schutz seiner gestylten Mähne die Stirn. Wirklich jedes einzelne Gespräch mit Masaya hatte sich für IHN wie eine Qual angefühlt! Wieso konnte der stoische Sturkopf und Stalker so normal mit anderen umgehen? Er beobachtete Miu, der ganz munter die Truppe unterhielt, alle einbezog. In dem Film hatte der, seiner zarten Gestalt und dem erschreckend kindlichen Aussehen geschuldet, einen beinahe puppenhaften Mittelschüler gegeben. Makellose, sehr helle Haut, lackschwarze, glatte Haare, dem traditionellen Schönheitsideal entsprechend. Miu hatte sehr gut mit Masaya harmoniert, ebenfalls schwarzhaarig, die sonst so nachlässig franselnden Strähnen geglättet, im schwarzen Chauffeurs-Livree mit weißem Hemd die perfekte Ergänzung. An Yukios blitzenden Blicken erkannte er, dass der auch begriffen hatte, wie unvorteilhaft sich ihre Situation verändert hatte. Mit ihren getönten Haaren, dem dezent gebräunten Teint, der eher westlich-orientierten Aufmachung insgesamt passten sie nicht so gut in dieses Bild. Wären nur zweite Wahl, müssten sich gegebenenfalls anpassen. Sein Magen grollte grimmig. Hikaru entschied, dass er sich genug Demütigungen und Zumutungen ausgesetzt hatte. Mit einem knappen Gruß verabschiedete er sich, bestellte ein Taxi. ~~~>#*** Masaya rieb sich die Augen. Nur noch ein wenig länger, dann wäre auch die letzte Auswertung erledigt. Der Computer rechnete emsig bei jedem eingegebenen Wert. Nicht nur die eigene Untersuchungsreihe musste er abfertigen, sondern auch noch die seiner "Vorgesetzten". So war das eben mit der Seniorität! Dass er selbst eher selten Jüngere mit zeitfressender Kleinarbeit für sich selbst beschäftigte, lag daran, dass er gern das Heft des Handelns in der eigenen Hand hatte. Überdies mochte er seine Tätigkeit ja auch. Meistens wenigstens. Jetzt fühlte er sich erschöpft, nicht nur körperlich. Er sehnte sich danach, Hikaru zu sehen. Nicht den Darsteller in den unzähligen Filmen, auf Postern und Autogrammkarten, in Magazinen. Nein. Den nur wenig älteren Mann, der ihn anfunkelte, auf Distanz hielt, anherrschte, ihm doch half. Vielleicht aus Pflichtgefühl, aus Sorge vor der Reaktion anderer. Trotzdem. Er wollte ihm so viel sagen, ihm versichern, dass es ihn sehr wohl kümmerte, wie es ihm ging, was er tat, was er aß, ob er genug schlief. Dass es nicht wichtig war, woher man kam, ob man einen Akzent hatte, im Dialekt sprach, sich in Tokio fremd fühlte, studierte oder jobbte. Dass es nicht um Sex ging, zumindest nicht bloß für eine körperlich entspannende Auszeit. Doch wie sollte er das bewerkstelligen? Yukio, der ihn recht zuverlässig über Interna auf dem Laufenden gehalten hatte, meldete sich nicht mehr. Offenbar ärgerte ihn die Zusammenarbeit mit dem Neuen, Miu. In diesem Augenblick zuckte sein Telefon. Üblicherweise verstaute er es im Spind, wie alle anderen auch. Bei den Überstunden nahm man es nicht so genau. Masaya erhob sich, studierte das Display, nahm schließlich ab. "Was gibt's, Tetsu?" "Nein." Er seufzte. "Nein, ich bin noch im Labor." "Nein, ich tue nicht nur so." Masaya drückte den Selbstauslöser, sandte, um weitere Tiraden zu unterbinden, ein Foto mit sich und den Versuchsreihen ab. "...ja, ich weiß, aber ich kann hier nicht alles stehen und liegen lassen, nur weil ich müde bin, es mitten in der Nacht ist und ich ausgebeutet werde." "Ich hoffe es." "Nein, ich nehme ein Taxi. Ich muss ohnehin die Kleider wechseln." "Ja, ich verstehe, dass du dir Sorgen machst. Ist eben der Endspurt." Masaya seufzte wieder. Nachdem er aufgelegt hatte, sackte er auf dem Hocker zusammen, wartete, bis der nächste Signalton ihn zu neuen Aktionen aufforderte. Tetsu hatte gut reden! Der war weniger abhängig von der Unterstützung der Doktorväter und älteren Kommilitonen! Allerdings registrierte Masaya auch, dass er nicht genug Energie hatte, seinem Cousin länger zu zürnen. Wenigstens hatte das Bild die Vorhaltungen abgekürzt... Masayas Blick blieb auf dem Medienschrank hängen, in dem sich allerlei Zubehör befand. ~~~>#*** Kapitel 3- Kollision Eigentlich etwas unüblich, dass er für Bademoden gecastet wurde, doch Hikaru sagte sofort zu. Im regnerisch-stürmischen Herbst konnte ein bisschen Sommer-Strand-Gefühl nicht schaden, selbst wenn es ganz und gar künstlich in einem Freizeitpark erzeugt wurde! Das lenkte ihn auch davon ab, dass noch immer der halbstündige Spielfilm mit Miu und Masaya die Verkaufslisten anführte. Der Vorsprung war nicht groß, aber wenn man bedachte, dass er schon vor der Episodensammlung herausgekommen war, konnte man nur konstatieren, dass der Sieg eindeutig war. Bestünde ihre Wette noch. Was sie nicht tat, da hatte er unmissverständlich gekündigt! Außerdem war es doch sehr ärgerlich! Sie hatten so viel Mühe investiert, für viele unterschiedlichen Geschmäcker einen prallvollen Geschenkkorb kreiert! Trotzdem holten sie nicht auf! Erledigt nach einem langen Tag und mit dem beinahe überwältigenden Wunsch, sich SOFORT die künstliche Bräune der Sprühfarbe aus der Dose abzuspülen, betrat Hikaru sein Appartement. Er schlüpfte aus den Cowboystiefeln, hängte den Hut zum Trocknen auf, wickelte sich aus der befransten Kunstlederjacke. Dusche! Pronto! Sein Magen protestierte. Seit dem hastigen Frühstück war er nur mit Tee ruhiggestellt worden. DUSCHE! Auf Socken marschierte Hikaru direkt ins Badezimmer, pellte sich das lose Hemd und die engen Jeans vom Leib, rollte Unterhosen und Strümpfe ab, bevor er ohne Rücksicht auf seine Mähne unter den Wasserstrahl stieg. HACH! Herrlich! Mit besonders milder Seife massierte er sich gründlich ein, um jede Spur der Farbe zu tilgen. Im Bademantel, das Haupt mit Handtuchturban verziert, spazierte er, besser gestimmt, zum Kühlschrank, angelte nach Proteingelee und isotonischem Getränk. DAS sollte auch den Lärm am Gürteläquator abstellen! Als er sich der Couch zuwandte, stutzte er. Wieso lag dort eine Papierhülle herum? Sofort stellten sich ihm ganzkörperlich die Haare auf. War jemand hier? "Masaya?" Hikaru sah sich eilig um, zog aus einem Wandschrank den Wischmopp. Besser als gar nichts und weniger selbstgefährdend als ein Messer! "Masaya?!" Aber nirgendwo rührte sich etwas. Das Appartement enthielt keinen weiteren Besuch, ob gebeten oder nicht. "Dieser miese Drecksack!" Fluchte Hikaru, noch immer Adrenalinstöße verarbeitend, während er den Mopp wieder ordentlich parkte. Die Papierhülle trug keine Botschaft, eine gewöhnliche Einzelverpackung für brennbare Datenträger. Nun fiel Hikarus Blick auf seine Medienlandschaft: eine DVD steckte im Abspielgerät. Man sollte sie gleich zerstören! Rausfischen, zerschneiden und weg! Anschließend noch mal versuchen, diesen verfluchten Tür-Code zu ändern! Hikaru ballte kurz die Fäuste, ließ aber die Wiedergabe laufen, die Arme bewusst ablehnend vor der Brust gekreuzt. Was hatte sich dieser Irre nun wieder ausgedacht? Er erblickte in eher schlechten Lichtverhältnissen einen verstrubbelten Masaya mit Laborkittel, aus dessen Brusttasche eine schwarze Schutzbrille baumelte. Masaya wirkte erschöpft, auf dem Hocker kauernd, vor gläsernen Fronten, die möglicherweise Abzugshauben oder was auch immer darstellten. "Hallo Hikaru. Ich habe mir den Kopf zermartert, wie ich mit dir sprechen kann, ohne dass ich dich sofort gegen mich aufbringe. Ich will dir so viel sagen, aber so weit sind wir nie gekommen. Jetzt habe ich kaum Zeit, dich zu treffen, dabei möchte ich dich unbedingt sehen. Deshalb zeichne ich jetzt auf, was ich dir sagen möchte. Bitte, hör mir zu. Vielleicht verstehst du mich dann besser." "So weit kommt's noch!" Donnerte Hikaru, nicht nur laut, sondern auch auf die Fernbedienung, was das Bild einfror. "Du dämlicher Stalker brichst einfach in meine Wohnung ein, okkupierst meine Anlage! Da brauch ich mir gar nix mehr anhören!" Hikaru keuchte, schreckte vor sich selbst zurück. Masaya war nicht hier, trotzdem explodierte er?! Raste sein Puls?! "Der Kerl treibt mich noch in den Wahnsinn!" Schimpfte er laut, wollte sich selbst auf Kurs bringen. Los doch, die DVD raus, eintüten, anziehen, zur nächsten Polizeistation und Anzeige erstatten! Gut, vorher müsste er sich anziehen. Die blöden Haare trocknen. Rausfinden, wie er zur Polizeistation kam ohne sich zu verlaufen. "Ach, Scheiße!" Deklamierte Hikaru frustriert. Wirklich, seit ihm dieser Kerl begegnet war, klebte ihm das Pech an den Hacken! ~~~>#*** Irgendwie hatte er es überstanden: Schulterklopfen, Umtrunk. In Masayas Ohren klang es nach Wespenschwarm, er konnte nur matt lächeln, anstoßen, dem Alkohol fettige Snacks entgegensetzen. Schlaf. Süßes Vergessen. Samstagsnachmittag, draußen schüttete es so, dass man erwartete, die Tiere würden paarweise laufen. Masaya befand, dass ihn ein Weltuntergang nicht mal mehr gestört hätte. Seine Batterien waren vollkommen leer. Kein Gedanke wollte sich mehr bündig dem nächsten anschließen. Allerdings, wenn es schon zu Ende ging... ~~~>#*** Hikaru erstarrte an der Tür. Im Vorraum standen zwei abtrocknende Sneaker. Ganz bestimmt keines seiner eigenen Schuhpaare! "Dieser Mistkerl!" Er stellte den Regenschirm in die Tropfschale, streifte sich den langen Mantel ab, hängte ihn im Wandschrank auf. Der Cowboyhut des Tages landete am Haken. Hikaru hielt schnurstracks auf sein Wohn-/Schlafzimmer zu. Masaya lag, zur Seite gerutscht, auf der Couch. "Was zum Teufel tust du hier?!" Brüllte Hikaru nach tiefem Luftholen, stemmte die Hände in die Seiten. Sein Auftritt zeigte Wirkung. Masaya schreckte zusammen, rappelte sich in eine sitzende Haltung auf, wischte sich wirre Strähnen aus dem Gesicht. "Du siehst aus wie ein Penner!" Ließ Hikaru ihn abschätzig wissen. "Wenn du nicht sofort hier abhaust, rufe ich die Polizei!" "Ich wollte dich sehen." Antwortete Masaya mit rauer Stimme auf die erste Frage. "Ich wollte dich einfach sehen." "Das hast du ja jetzt, also verzieh dich!" Langsam kam Masaya auf die Beine, leicht schwankend. "Sag mal, bist du besoffen?! Hast du irgendwas eingeschmissen?! Ich kill dich, wenn du in meiner Bude Drogen genommen hast!" Hikaru ballte die Fäuste. Wenn der Idiot das gebracht hatte, konnte er unmöglich die Polizei alarmieren! Raffinierter Drecksack! "Ich bin bloß noch nicht ganz wach." Murmelte Masaya, stützte sich auf der Couchlehne ab. "Der Umtrunk war gegen Mittag..." Er versuchte offenbar zu ermitteln, wie viel Zeit inzwischen verstrichen war. "Ist mir egal, raus hier!" Um keine Orientierungsschwierigkeiten zuzulassen, wies Hikaru mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger Richtung Tür. Masaya löste die Hand von der Couchlehne, tappte zwei wacklige Schritte, wurzelte fest, blickte Hikaru einfach an, durch die überlangen Strähnen. "Was jetzt?! Geh weiter!" Drängte Hikaru, die eigene Nervosität verwünschend. Keinen Schritt zurückweichen, bloß nicht! Hilflos zuckte Masaya mit den Schultern. Es schien, als wisse er nicht mal mehr, wie er einen Fuß vor den anderen setzen sollte. "Komm mir nicht so, klar?!" Hikaru packte zu, zerrte an einer Schulter. Prompt schwankte Masaya ihm entgegen, woraufhin er in panischem Reflex den jüngeren Mann von sich stieß. Der wiederum bemerkte, dass sein Gleichgewicht ausgekontert war, das Trudeln sich verstärkte, weshalb er nach Hikarus Hemdbluse haschte. "He, was...!!" Zu spät. Unkontrolliert stürzten sie neben der Couch zu Boden. ~~~>#*** "Autsch, verdammt!" Hikaru versuchte, sich aufzusetzen, rieb seine linke Seite. Was war das für ein verdammter Krach!? Sein Blick fiel auf den Couchtisch, dessen Beine auf der ihm zugewandten Seite eingeknickt waren, die Platte zerbrochen. "Masaya?" Hastig kam er auf die Knie, sortierte Trümmerteile. Registrierte eine sich gemächlich ausbreitende Blutlache auf dem Laminat. "Masaya?! Masaya, rede mit mir! Augen auf!" Aber da war das Blut! Hikaru keuchte, blinzelte hastig. Handtuch! Er stolperte hoch, eilte ins Badezimmer, zerrte ein frisches Handtuch aus dem Schrank, rannte wacklig zurück zur Couch. Vorsichtig fasste er unter Masayas Nacken, presste den saugstarken Stoff auf die wirre Mähne am Hinterkopf. "Los, rede mit mir! Wach auf, verdammt! Masaya!" Hikaru strich mit der freien Hand klebrige Strähnen aus dem Gesicht. Die Lider flatterten, öffneten sich auf Halbmast. "..." "Komm schon, du Depp, rede mit mir! Das wolltest du doch die ganze Zeit, oder?!" Er hasste den hysterischen Klang seiner Stimme, die Übelkeit erregende Panik, den galligen Geschmack im Mund, die Tränen in seinen Augenwinkeln. "...was...?" "Du Blödmann hast meinen Couchtisch zerstört!" Erklärte Hikaru die Lage, tupfte mit einem Handtuchzipfel Speichel von Masayas Lippen. Die schwarzen Augen blinzelten verzögert. "Und gerade versaust du auch noch mein Laminat!" Hörte Hikaru sich zetern. "Verdammt, nur Scherereien hat man mit dir!" Schon senkten sich die Lider. "Nein, bleib wach! Sieh mich an! Los, Augen auf!" Hikaru schluchzte, wollte wütend sein, verspürte aber bloß Angst. Irgendwie musste er Hilfe holen! Das Handtuch fühlte sich schon ganz warm und nass an! "...Hikaru..." "Was?!" "...Eis..." "Eis? Eis!" Vorsichtig legte Hikaru Masayas Kopf ab, kam ächzend, da vollkommen verspannt, auf die Beine. "Rühr dich bloß nicht!" Forderte er ihn eilig (und überflüssig) auf, rannte zum Kühlschrank. Eisfach, darin lagerten Lutschgels. Er schüttelte sie hastig in ein Küchenhandtuch, kehrte zu Masaya zurück. "Mach die Augen auf!" Verlangte er, obwohl das zweifelsohne nicht für den Einsatz der Kühlbehandlung notwendig war. Es reduzierte seine Panik ein wenig. Masaya keuchte leise, drehte sich, sodass er seinen Kopf auf Hikarus Schoß ablegen konnte, ungemütlich verdreht auf eine Gesichtshälfte. Kalte Finger justierten erst den improvisierten Kühlpack in seinem Nacken, tauschten Handtuch mit Eisauflage. "...es blutet weiter... es hört nicht auf..." Hikaru krallte unbewusst die Finger in Masayas Sweatshirt. Auf seinem Schoß atmete Masaya tief durch. Wieder und wieder. Zitternd, drückte er sich hoch in eine sitzende Haltung. "Was machst du denn da?!" Empörte sich Hikaru schrill. Gegen das Schwindelgefühl ankämpfend durch tiefe Atemzüge übernahm Masaya selbst den Kühlpack auf seinem Hinterkopf. "...hast du...etwas Saures...zum Trinken?" "...Saures..." Hikaru kam mühsam auf die Beine, eilte zu seinem Kühlschrank. Sauer. Sauer. Sauer. Ah! Rasch kehrte er mit einem Limetten-Ingwer-Getränk zurück, öffnete die Dose, half Masaya, einige Schlucke zu nehmen. "...es blutet immer noch..." Mit dünner Stimme justierte er das Handtuch, tupfte vergeblich Rinnsale ab, die auch das Sweatshirt erreichten. "Ruf ein Taxi. Zur Notaufnahme." Krächzte Masaya. Wortlos kam Hikaru seiner Aufforderung nach, marschierte auch ins Badezimmer, um weitere Handtücher zu apportieren, die er Masaya um Kopf und Nacken wickelte. "Kannst du aufstehen? Halt dich an mir fest!" Hikaru spürte, wie ein klammer Schweißfilm seinen gesamten Körper überzog. Was für ein grauenhafter Samstagabend! ~~~>#*** Masaya warf einen müden Seitenblick auf Hikaru, der bleich neben ihm im Taxi saß. Ohne seine Cowboy-Aufmachung, nur in Jeans und Hemdbluse, durchnässt, wirkte der zerbrechlich und verloren. Impulsiv schob Masaya seine Hand in die sich umklammernden, eiskalten des wenig älteren Mannes. Durch eine Infusion, die gegen den Schock helfen sollte, fühlte er sich weniger matt und benommen als am Nachmittag. Nun, er hatte Hikaru gesehen, wie er es sich gewünscht, ersehnt hatte. Die Umstände waren jedoch erheblich verbesserungswürdig: zehn Nahtstiche und eine rasierte Stelle am Hinterkopf, das Sweatshirt blutig, dazu ein Schlamassel in Hikarus Appartement. Nicht gerade die Visitenkarte, die man überreichen mochte. Sie erreichten ihr Ziel, kletterten nach Zahlung per Telefon aus dem Fond. Natürlich regnete es noch immer Blasen auf den Asphalt. Wortlos ging Hikaru voran, forderte seine gekaperte Hand jedoch nicht ein. Er streifte sich die halbhohen Arbeitsstiefel von den Füßen, löste die Schnürsenkel bei Masayas Sneakern. "Komm." Masayas Sweatshirt am Ärmel fassend führte Hikaru ihn durch das Appartement ins Badezimmer, veranlasste ihn, sich auf den Rand der Badewanne zu setzen. Achtlos streifte er sich selbst die nassen Kleider vom Leib, schlüpfte in seinen Bademantel. "Warte einen Augenblick." Masaya verfolgte stumm, wie Hikaru im Schlafzimmer verschwand, zur Küchenzeile im Wohnzimmer wechselte, mit einem Kleiderstapel zurückkehrte. Er setzte diesen auf den kleinen Holztisch neben der Wanne ab, begann, mit einer großen Schere das ohnehin ruinierte Sweatshirt so aufzuschneiden, dass er es Masaya vom Leib wickeln konnte. Er öffnete ihm die Chinos, legte sich Masayas Arme auf die Schultern. "Steh jetzt auf." Gründlich entkleidet führte Hikaru ihn ohne Zeitverzug zur Dusche, nahm die Handbrause, richtete sie auf ihn, wärmte ihn mit dem Wasserstrahl auf. "Ich kann das selbst tun." Bot Masaya leise an. Hikaru wirkte so grimmig, dass er fürchtete, ihn erneut zu etwas zu zwingen, was der verabscheute. "Dann haut's dich hier hin." Knurrte Hikaru, wich seinem Blick aus. "Vergiss es." So wurde Masaya auch eingeschäumt, in sehr leichten Handstrichen, eher einer Ahnung, abgespült, anschließend wie eine Marionette mit Boxershorts und Pyjama bekleidet. "Leg dich jetzt ins Bett." Kommandierte Hikaru grimmig. "Wehe, du fällst tot um!" Keine Option, die Masaya präferierte. Er ließ sich zumindest artig auf dem aufgeschlagenen Bett nieder. Der Verband um seinen Kopf saß fest, ja, drückte sogar ein wenig. So seltsam es war: er fühlte eine gewisse Befreiung, die ihn erheiterte. Bisher war sein Leben immer so unspektakulär verlaufen, geradlinig, konventionell! Nicht mal während seiner Schulzeit hatte er eine Verletzung erlitten, die ihn in die Notaufnahme gebracht hatte. Nun DAS, an einem Samstagabend, noch mit Restalkohol vom Umtrunk am Mittag! Was ihn wie einen versoffenen Rabauken wirken ließ! Tetsu würde einen Anfall bekommen aus Angst vor der Reaktion der Familie. JETZT war er, zumindest in diesem Aspekt, ein ganz normaler Typ, nicht mehr so elitär, so makellos, so perfekt. Abgesehen von den Begleitumständen eine erstaunliche Erfahrung. Er lehnte sich gegen die Wand, schloss die Augen. Das Rauschen von Wasser endete. Nackte Sohlen liefen über Fliesen. Stoff streifte anderes Material. "Wieso liegst du nicht lang?!" Hikaru stand neben ihm, vorwurfsvoll die Hände in die Hüften gestützt, in einem glänzenden Pyjama. Pflaumenblau. "Bitte sag mir nicht, dass du dich übergeben musst!" Schnaubte er. Masaya schüttelte langsam den Kopf, studierte die Karamell-farbenen Haare, nicht gestylt, glatt herunterhängend. Sah man von der Farbe ab, ähnelte diese Frisur der Aufnahme mit diesem Inoue. "Leg dich hin, verflixt noch mal! Da, zwei Kissen, so, wie der Doktor es verordnet hat!" Hikaru kroch auf der anderen Seite unter die große Bettdecke. "Gnade dir Gott, du weckst mich vor morgen Früh!" Drohte er mit betont finsterem Blick, kehrte Masaya den Rücken zu, um den Lichtwecker einzustellen. "Danke, Hikaru." "Schlaf gefälligst. Schnarch bloß nicht!" Masaya lächelte in die rapide eintretende Dunkelheit. Natürlich wäre es bedauerlich, wenn die Erde jetzt schon unterginge, aber allzu schlimm fände er es auch nicht. ~~~>#*** Der sich langsam steigernde Lichtschimmer weckte ihn auf. Und ein gewisser Kopfschmerz, der gegen den Schlaf wütete. Masaya, der auf der Seite lag, der genähten Wunde am Hinterkopf geschuldet, studierte Hikaru, der die Decke wild verknäult umklammernd, noch schlief. Er war sich bewusst, dass er das nicht tun sollte. Er konnte sich auch nicht überwinden, die Hand zurückzuziehen, nicht mit den Fingerrücken sanft über die schweren, glatten Strähnen zu gleiten. Er erinnerte sich an die ebenmäßige, straffe Haut, an den Geschmack von Nikotin und Whiskey. An die heisere Stimme, die ihn aufgefordert hatte zu bleiben, ganz und gar nicht selbstherrlich, sondern in diesem Augenblick demütig. Sofort danach wieder ruppig, über sich selbst erschrocken, die Scharade fortsetzend. An seiner Seite murmelte Hikaru Unverständliches, seufzte, wälzte sich herum, verwirrte seinen Anteil der Bettdecke noch mehr. "Guten Morgen." Warf Masaya leise in den Raum. Neben ihm stellte sich das Räkeln und Gliedersortieren abrupt ein. Hikaru saß aufrecht, starrte auf ihn herunter. "Oh...ah...du lebst noch." Kompliment! Das Umschalten von scheuer Besorgnis zu ruppigem Zynismus erfolgte ernüchternd rasch, auch ohne Alkohol. Sie blickten einander an. Prüfend. Etwas eingeschüchtert. Hikaru seufzte betont. "Du hältst jetzt die Klappe. Ich will nix hören, verstanden?" Damit erhob er sich, marschierte aus dem Schlafzimmer zur Küchenzeile, wo er aus dem Kühlschrank zwei Beutel mit angereichertem Fruchtmus apportierte. "Kein Wort!" Mahnte er mit erhobenem Zeigefinger. "Beim ersten Muckser schmeiß ich dich raus." Masaya schwieg, nuckelte artig, wenn auch nicht begeistert an dem Plastikbeutel. Ganz sicher kein Frühstück für Champions! Nachdem diese Prüfung überstanden war, wurde er aus dem Bett gezogen, im Badezimmer auf einen Klapphocker gesetzt. "Unglaublich, dass du mit der Putzwolle durch die Gegend gerannt bist! Hast du keinen Spiegel?!" Hinter Masaya summte ein Rasierapparat. Hikaru löste den Schutzverband, studierte die rasierte Stelle mit den Nahtstichen. "Suga wird mich häuten." Brummte er missmutig, setzte den Rasierer an. "Halt still!" Auf den Pyjama und die Fliesen rieselte es. "Zappel bloß nich rum, verstanden? Ich weiß, was ich tu!" Masaya verhielt sich wie befohlen statuesk. Der Rasierapparat wechselte zu Kamm und Schere. "Für nen Uni-Schlauberger läufst du grotesk schlampig herum, ist dir das eigentlich klar? Oder ist das Absicht, um die Mädels fernzuhalten?" Hikaru schnaubte. "Ich wette, es kümmert dich nicht! Das ist unprofessionell! Aber es geht dir ja auch nicht um Sex! Oder Pornos! Ha!" Auf dem Boden sammelten sich nun schwarze Haare. "Du hast keine Ahnung..." Stellte Hikaru fest, während er schnippelte und kämmte. "Wie das ist, wenn man dir permanent zu verstehen gibt, dass du nichts wert bist. Ein dämliches Landei, dazu noch schwul." Der bissige Ton verlor sich langsam. "Dich hat man bestimmt immer so akzeptiert, wie du bist! Klar, superintelligent, wohlhabende Eltern, perfekte Schul- und Uni-Karriere, nette, anständige Freunde, immer fleißig und gut erzogen! Fehlt nur noch die richtige Freundin, dann Heirat, Kinder, Haus, großes Auto, steigendes Gehalt mit steigendem Bekanntheitsgrad." Energisch wurden lose Haarabschnitte nach unten gebürstet, um sich auf den Fliesen zu gruppieren. "Über nichts davon verfüge ich." Hikaru verlor nun auch den schnodderigen Tonfall. "Kleines Fischerkaff, ständig Geldsorgen, keine Perspektive. Sich immer fehl am Platz fühlen, anders sein, aber nicht dürfen. Ich hab nicht davon geträumt, als Porno-Darsteller ein Star zu werden! Ich wollte bloß einmal morgens aufwachen und nicht begreifen müssen, dass ich nie tatsächlich ICH sein kann." Masaya öffnete den Mund, erhielt jedoch einen warnenden Knuff in die Schulterbeuge. "Was habe ich zu Klappe halten gesagt?" Grollte Hikaru. "Mir ist nichts in den Schoß gefallen. Ich muss hart dafür arbeiten, diesen kleinen Platz in der Gesellschaft zu verteidigen. Ich bin nicht so blöd zu glauben, dass das ewig funktioniert. Aber ich lasse mir auch nicht alles ruinieren aus einer simplen Laune heraus!" Ruppig klopfte er Masayas Pyjama ab, zog einen angefeuchteten Kamm durch dessen stark gestutzten Schopf. "Ich werd dich nich heiraten, deine Bälger austragen und deine Alten pflegen!" Kollerte er betont grob heraus. "Also vergiss die depperte Idee, mit mir was anzufangen! Such dir ne pflegeleichte, gut dressierte, höhere Tochter!" Masaya erhob sich langsam, betrachtete sein Spiegelbild. Lange Strähnen fielen in die Stirn, rundherum war sein Schopf jedoch stark gekürzt bis rasiert. Er wirkte wie ein Rockstar, fand er selbst. Unterdessen sortierte Hikaru das Werkzeug, begab sich daran, die abgeschnittenen Haare aufzukehren, um sie dem Abfall anzuvertrauen. Als er sich umdrehen wollte, schlang Masaya die Arme um ihn, hielt ihn fest. "Ich will keine Kinder oder eine höhere Tochter. Ich brauche auch keine Hochzeit. Meine Eltern haben genug Geld, sich selbst zu versorgen." Raunte er rau. "Ich will dich. Vor mir musst du dich nicht verstecken. " Hikaru kniff ihn in den Unterarm. "Hab ich nich gesagt, du sollst die Schnauze halten?!" Fauchte er. "Jetzt schalt endlich mal dein ach so schlaues Hirn ein, ja?! Zwischen uns läuft nix, Ende, Aus!" Masaya schloss die Augen, ohne einen Millimeter nachzugeben. "Das ist nicht wahr." Flüsterte er. "Das spürst du doch auch." "Ich spür bloß, dass du an mir klebst, du Depp!" Knurrte Hikaru. "Und dein Maul nicht halten kannst!" "Was kann ich tun, Hikaru?" Masaya ließ nicht locker, auch nicht die Umarmung. "Wie kann ich dich überzeugen, dass es mir ernst ist?" "Gar nicht!" Schnauzte Hikaru prompt. "Mann, kapierst du es nicht?! Du hetero, ich schwul! Du Super-Brain aus Tokio, ich Depp vom Land! Du reiches Söhnchen, ich armer Schlucker! Da gibt's NULL Schnittmenge!" Masaya lachte leise. Was Hikaru gar nicht gefiel. "Was is so lustig, du Penner?! Lass jetz los, bin nich deine Krücke, klar?!" "Ex-Penner." Korrigierte Masaya sanft. Mit diesem Haarschnitt konnte er wohl kaum noch in die Schmuddelkategorie eingeordnet werden. "Ich bin einfach erleichtert, dass wir uns so ähnlich sind." "Ähnlich?! Spinnst du?!" Hikaru fauchte. "Okay, du BIST auf den Kopf gefallen, aber das is jetz ja wohl extrem schwachsinnig!" "Keineswegs." Widersprach Masaya mit einem Lächeln. "Auch wenn mir der Schädel brummt. Wir mögen beide die schlichte, japanische Küche. Wir sind beide zurückhaltend, was Bekanntschaften betrifft. Unsere Aufgaben nehmen wir beide sehr ernst, sind konzentriert bei der Arbeit. Wir haben beide kein Problem damit, allein zu sein. Bis jetzt." Hikaru schnaubte. Zu spät, um glaubwürdig zu sein. "Das bildest du dir doch bloß ein, du Trottel! Mir geht's ohne dich verdammt blendend, danke der Nachfrage!" "Mir nicht. Du fehlst mir. Ich kann das Rätsel nicht lösen, warum ich nicht von dir lassen kann, aber ich akzeptiere es als Faktum." Masaya richtete sich auf. "Kommt überhaupt nicht in die Tüte!" Hikaru nutzte die Gelegenheit, den Armen zu entschlüpfen, drehte sich in Sicherheitsabstand um. "Sortier dein Super-Hirn gefälligst! Du bist doch so n großer Logiker, also begreif endlich, dass mit uns nix läuft!" Nach seinem Hinterkopf tastend antwortete Masaya. "Warum sollte es das nicht tun? Wenn ich dir die Angst nehme, dass ich dich hintergehe, passen wir sehr gut zusammen." Vor ihm blitzte Hikaru förmlich, schnellte vor, um ihn auf den Arm zu schlagen. "Pfoten weg, hat der Doktor gesagt! Jetzt sperr die Lauscher auf: ich HAB keine Angst vor dir! Kapiert?!" "Warum gibst du mir keine Chance, dein fester Freund zu sein?" Übertrieben enerviert rollte Hikaru mit den Augen. "Ehrlich, kannst du mal ne andere Platte auflegen?! Außerdem solltest du wissen, dass DAS schon rein beruflich ne aussichtslose Nummer ist! Ich hab keine Zeit für so was. Privates Herumbumsen stört die Job-Performance. Was auch nem Hetero klar sein sollte." Hübsch ätzend mit giftiger Galle und Spott serviert. "Ich kann auch ohne Sex auskommen." Stellte Masaya ohne Zögern klar. "Zumindest eine Weile. Wenn du nicht gern ausgehst, leiste ich dir einfach Gesellschaft. Wir können auch zusammen essen." "MANN!" Donnerte Hikaru aufgebracht. "Was stimmt nicht mit dir, hä?! Ich bin NICHT interessiert, begreifst du das?" Masaya schwieg, betrachtete Hikaru aber eingehend. Der pflaumenblaue Pyjama, die schweren, glatten Strähnen, das Gesicht mit den dezenten Flecken der Verärgerung, die sehnig-trainierte Gestalt. Das rührte ihn einfach an, nicht sentimental, nicht verniedlichend. Nein, es löste eine bis dato ungekannte, wohlige Wärme in ihm aus. Eine seltsame Vertrautheit. "Jetz glotz nich so!" Schimpfte Hikaru empört, doch die Verunsicherung war ihm anzumerken. "Ich weiß nicht, wie ich das abstellen soll." Bekannte Masaya leise. "Ich möchte es auch gar nicht. Dich zu sehen, bei dir zu sein, das ist einfach ein schönes Gefühl." Er registrierte, dass Worte hier nicht ausreichend waren, diese Emotion zu transportieren. Sie wurden der Tiefe seiner Empfindungen nicht gerecht. "Ehrlich, du nervst!" Schnaufte Hikaru schließlich, hilflos, wandte sich abrupt ab. "Bleib hier!" Bellte er über die Schulter. "Ich such dir Klamotten raus. Wir gehen was frühstücken, damit ich dich endlich loswerden kann!" ~~~>#*** Grummelnd und knurrend hatte Hikaru sich ein Tuch um den Kopf gebunden, da er keine Lust verspürte, sich mit seinem schwierigen Schopf zu befassen. Dazu trug er wie gewohnt eine Hemdbluse, nachlässig geknöpft, Jeans, halbhohe Arbeitsstiefel und die Fransenjacke des Vortags. Masaya war sich recht sicher, dass ihn seine Eltern in Hikarus Kleidern nicht erkannt hätten: im Punk-Stil karierte, enge Hosen, dazu ein auffälliger Gürtel, ein durchsichtiges, schwarzes Hemd zu einer knappen Satin-Weste und eine Kapuzenjacke aus glänzendem, weinrotem Stoff. Er sah aus wie ein prominenter Musiker oder Künstler, wie er selbst fand. Und zog viele interessierte Blicke auf sich. Neben ihm kämpfte Hikaru mit der gewohnten Orientierungslosigkeit. Irgendwo hier hatte er mal eine wirklich gute Nudelsuppe geschlürft! Kleiner Laden, handtuchschmal, in einer Seitengasse bei der Kreuzung...? "Wie wäre es damit?" Masaya wies auf einen Aufsteller hin, der Kundschaft in eine kleine Passage locken sollte. "Na schön." Grollte Hikaru betont widerwillig, insgeheim erleichtert. Das kleine Restaurant befand sich im zweiten Stock, sodass man einen Blick auf die Leute in der bescheidenen Passage werfen konnte. Angeboten wurde von einer recht kurzen Speisekarte, was saisonal verfügbar war, unter Hausmannskost rangierte. "Roll die Kapuze hinten ein wenig auf!" Zischelte Hikaru über den kleinen Tisch hinweg. Er wollte vermeiden, dass man die kahl rasierte Stelle am Hinterkopf, wo sich die Nähte befanden, allzu leicht entdeckte. Immerhin, das war die gute Nachricht, hatte während der Nacht keine Blutung mehr die Kompresse benetzt, die der Verband dort fixierte, sodass sie auf selbige verzichtet hatten. Masaya leistete artig Folge, stützte, während sie auf die Speisen warteten, den Kopf in einer Hand auf, um Hikaru zu betrachten. "Guck nich so, verflixt!" Grummelte der leise. "Mir wächst kein Horn aus der Stirn!" "Das würde mich nicht stören." Lächelte Masaya nachdenklich. "Hast du mal als Frisör gearbeitet?" Hikaru, der schon die nächste Tirade in sehr gedämpftem Tonfall abfeuern wollte, hielt inne, knurrte. "Nicht wirklich." Entschied er sich schließlich doch zu einer grimmigen Einlassung. "Hauptsächlich durfte ich auffegen, Tee servieren, heiße Tücher überreichen. Eben Handlanger- und Grüß-August-Dienste. Was halt so für ein Landei abfällt." Masaya betrachtete ihn. "Hast du deshalb solche Vorbehalte gegen mich? Wegen des goldenen Löffels?" "Und der silbernen Babyrassel, der dicken Brieftasche, der ganzen Verbindungen, des Nasehochtragens." Zählte Hikaru demonstrativ an den Fingern ab. Er wurde bei weiteren Nickeligkeiten vom Servieren der Getränke und bestellten Speisen unterbrochen. Sie hoben die Teeschalen an, nickten sich kurz zu als Toast, nahmen dann einige Schlucke, speisten schweigend. Masaya übernahm die Rechnung, als er von der Toilette kam, bevor Hikaru intervenieren konnte. Inzwischen hatte es aufgeklart. Eine stetige Brise fegte durch die engen Straßen und Gassen. "Du bist also ohne jede Unterstützung hierher gekommen." Nahm Masaya unverdrossen den Gesprächsfaden wieder auf. Wenn er ihren Verdauungsspaziergang lenkte, würde Hikaru in kürzester Zeit völlig die Orientierung verlieren. Was ihre Gesprächszeit verlängerte, wie er hoffte. "Tja, MEINE Eltern haben mich beim Gedanken unterstützt, bloß NIE wieder nach Hause zurückzukehren." Ätzte Hikaru ironisch, während er sich gleichzeitig hilflos umsah. Wo zum Geier befanden sie sich hier?! "Wo hast du überall gejobbt?" Masaya flanierte weiter, in gemäßigtem Tempo. Sein Magen schien zufrieden, in seinem Kopf pochte es dumpf. Irgendwann würde er eine Drogerie ansteuern müssen. Hikaru zuckte in Cowboymanier mit den Achseln. "Mal hier, mal dort. Nicht, dass du dir das vorstellen könntest." "Du hast recht." Pflichtete Masaya ihm bei. "Ich habe wirklich immer nur bei Dozenten oder an der Uni ausgeholfen. Ich musste mich nie bemühen. Man sprach mich immer an. Alles ergab sich immer, ohne große Anstrengungen meinerseits. Deshalb ist es für mich das erste Mal, dass ich mich reinhängen muss. Und will." "Na, Gratulation!" Schnaubte Hikaru betont hämisch. "Willkommen in der Welt der Normalsterblichen!" Ohne auf diese vorsätzliche Gemeinheit einzugehen arbeitete sich Masaya weiter vor. "Wo hast du gewohnt? Ich meine, vor dem Appartement?" Hikaru seufzte vernehmlich. "Warum willst du das alles wissen? Mein Leben ist keine billige Unterhaltungsshow! Ich steh nicht auf deine Analysenummer, klar?" Die Stirn runzelnd kontemplierte Masaya diesen Rüffel. "Ich möchte dich besser verstehen. Ich möchte noch mehr Gemeinsamkeiten entdecken. Ich will wissen, was dir etwas bedeutet, was dich beschäftigt." "Herrje, wozu denn?!" Echauffierte sich Hikaru, riss kurz die Arme hoch. Masaya schmunzelte schelmisch. "Ich erinnere mich deutlich, mehr als einmal erwähnt zu haben, dass ich dein fester Freund sein möchte. Dich kennenzulernen halte ich da für sehr wichtig." "Aber ich WILL nicht!" Buchstabierte Hikaru ihm grimmig, blieb stehen. "Also gib endlich auf!" "Nein." Hikaru fixierte ihn aufgebracht, die Lippen zusammengepresst, die Fäuste geballt in den Taschen der Fransenjacke. Masaya hielt dem Blick stand. "Ach, rutsch mir doch den Buckel runter!" Fauchte Hikaru nach einer halben Ewigkeit, schob sich trotzig an ihm vorbei. "So, ich geh heim! Sieh zu, dass du Land gewinnst!" In seinem Windschatten folgte Masaya geduldig, wartete auf den passenden Moment, um als Scout zu dienen. Er zweifelte keinen Augenblick, dass Hikaru sich mal wieder hoffnungslos verirrt hatte. ~~~>#*** Hikaru erwartete eine Standpauke. Nachdem er dem Vermieter den Schaden gemeldet hatte (glücklicherweise zeigte sich nach dem Aufwischen der Blutflecken keine verräterische Spur mehr auf dem Laminat), wurde ihm mitgeteilt, der Tisch sei bereits ersetzt worden, von einem gewissen Herrn Kamisaka. Was sich nicht so einfach beheben ließ, war zweifelsohne die neue Frisur und der auslösende Anlass. Objektiv konnte man von einem Unfall sprechen, mit ein wenig bösem Willen von einer Attacke, einen ernsthaften Konkurrenten aus dem Feld zu werfen. Außerdem war es streng untersagt, ohne Einverständnis der Agentur das äußere Erscheinungsbild zu verändern. Masaya sah nun UNZWEIFELHAFT erheblich anders aus. Doch Hikaru erreichte keine einzige Kritik, weder direkt, noch über die gewohnte Gerüchteküche. Dafür jedoch nötigte Masaya ihn, sich regelmäßig zum Essen zu verabreden, in seinem Wohnviertel. »Das macht der verflixte Kerl extra!« Schäumte Hikaru, wenn er auf seinem Mobiltelefon die nächste Verabredung erhielt. Typisch Oberlehrer, wollte ihm wohl so helfen, sich wenigstens rund um das Appartementhaus besser zu orientieren! Ein Landei hätte sich wahrscheinlich gebauchpinselt gefühlt, aber ER wusste, dass dieser Gold-Bubi unlautere Absichten verfolgte! Und da war ja da noch die Sache mit den Kippen! Hikaru rauchte. Taten schließlich viele! Klar wusste er über die Gesundheitsgefahren Bescheid, war ja nicht blöd! Ein bisschen was musste man sich zur Entspannung gönnen! Suga plötzlich ein Rauchverbot verhängt, wegen der Haut! Weil man es in den meisten Gebäuden ohnehin untersagte. Außerdem galt es mit einem Mal als Sicherheitsrisiko bei der Krankenversicherung! "Und es stinkt! Selbst mit Mundwasser! Ekelhaft!" Hikaru knurrte. Nichts war schlimmer als ehemalige Raucher! Fanatiker! Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche! Jetzt lag Kaugummi herum. Zuckerfrei. Nahezu ohne Süßstoff. Praktisch geschmacklos. Igitt. Zwangsweise, was blieb ihm übrig, war Hikaru auf Wasser umgestiegen. Wenn er den Drang nach einem Glimmstengel verspürte, trank er Wasser, machte Liegestütze. Lächerlich, aber es lenkte ausreichend ab. Für die Aufnahmen in der Berghütte gingen die Vorbereitungen weiter. In der Zwischenzeit absolvierte Hikaru andere Aufträge, bekam sogar noch einen Viertelstunden-Clip mit Miu. Die übliche Nummer, der Delinquent (er selbst) verführte jüngeren, braven Mitschüler (haha! So viel praktische Erfahrung, wie Miu offenbar schon hatte, einfach lächerlich!). Zumindest die Reaktionen anhand von Fan-Briefen und Verkaufszahlen nahmen sich positiv aus. Auch Masaya wurde nachgefragt, trotz des skandalösen Imagewandels vom attraktiv-mysteriösen Strubbelkopf zum cool-lässigen Rockstar! Hikaru musste zähneknirschend zugestehen, dass Masayas attraktive Statur, seine Körpergröße und der stets forschende, unverwandte Blick für Werbeanzeigen und Model-Aufträge sehr zuträglich waren. Auch wenn Masaya nicht gerade überwältigenden Ehrgeiz an den Tag legte, nun über seiner Promotionsarbeit brütete. Unversehens hatte sich eine merkwürdige Vertrautheit zwischen ihnen eingeschlichen. Obwohl Hikaru sich Ausflügen in seine Vergangenheit verweigerte, konnten sie doch Gesprächsthemen finden: über das Essen, angesagte Kinofilme, Kollegen, Aufträge. Alltäglichkeiten eben. Trotzdem. Trotzdem hegte Hikaru weiterhin eine gewisse Vorsicht. Sich bloß nicht zu sehr einzulassen, nicht zu vertraut zu werden! Irgendwann würde Masaya schon die Reißleine ziehen, definitiv. Zurückkehren in seinen schicken Palast, in seine hübsch-adrette Welt, wo es auf goldenen Gleisen in eine perfekte Zukunft ging. Klare Sache! ~~~>#*** "Was zum..??!" Hikaru wickelte sich eilig in seinen Bademantel, marschierte ärgerlich zur Tür. Wer störte denn ausgerechnet jetzt? Er hatte doch die Mülltermine penibel eingehalten! "Guten Abend." Masaya lächelte, vermummt, mit Baseballkappe und Schal, dazu einen altmodischen Dufflecoat über den gewohnt ausgebeulten Chinos. "Was tust du hier?! Und in diesem Aufzug?!" Fauchte Hikaru nach einem Moment profunder Sprachlosigkeit. Heute war ein wichtiger Werbetermin in einem teuren Club. Alle Darsteller hatten sich verpflichtet, aus dem Ei gepellt pünktlich zu erscheinen. Masaya wirkte wie ein gammliger Student! "Darf ich eintreten?" Brachte sich das Objekt seiner temporären Fassungslosigkeit nachsichtig in Erinnerung. "Du willst doch nicht so heute Abend aufschlagen?!" Hikaru trat widerwillig beiseite. "Hast du den PR-Termin vergessen?!" Masaya schlüpfte aus den gewohnt abgenutzten Sneakern. "Keineswegs. Ich bin direkt von der Uni hierher gekommen, hatte ohnehin nichts Passenderes anzuziehen." "Wie bitte?! Dann kauf dir was!" Schimpfte Hikaru ärgerlich, marschierte in sein Badezimmer. "Was bist du, Fünf?!" Er hängte den Bademantel ordentlich auf einen Kleiderhaken, trocknete sich vollständig ab, ignorierte Masayas interessierte Blicke. Konnte der Depp noch so leger im Türrahmen lehnen! Als ob IHN störte, dass irgendwer ihn nackt beglotzte! "Lüg mir nicht vor, du hättest keinen Anzug!" Immerhin gab es schließlich auch bei der Universität und privat Anlässe, sich formell und korrekt gekleidet zu zeigen. Das mochte bei einem Termin wie ihrem vielleicht etwas altbacken wirken, andererseits stand ein maßgeschneiderter Anzug Masaya mit der hochgewachsenen, wohlproportionierten Gestalt sicher unerfreulich gut! "Ich hätte ihn ja mitnehmen müssen. Man hätte Fragen gestellt." Masaya verfolgte, wie Hikaru mit seiner Frisur kämpfte, die unverändert schweren, glatten Strähnen mit einem Spezialkamm aufzuzwirbeln versuchte. Hikarus Spiegelbild verdrehte enerviert die Augen. "Kannst du nicht mal lügen, du Schnarchsack?! Angeblich hast du doch so n Super-Hirn! Das sollte ja wohl n Klacks sein!" Schmunzelnd lupfte Masaya kurz die Baseballkappe, wischte sich durch die zerdrückten Strähnen. "Ich bin leider ein grässlich schlechter Lügner. Also habe ich mir die Schmach schon lange erspart, bleibe bei der Wahrheit." "Pfff! Du bist bloß faul, das isses! Aber denk bloß nich, dass...!" Was auch immer sich anschließen sollte: Hikaru fegte herum, stierte Masaya förmlich an. "Kappe runter. Sofort." Forderte er. Man konnte imaginäre Colts an den Hüften erahnen, der Sekundenzeiger näherte sich der Zwölfuhr-Mittagsposition. Brav leistete Masaya dem gebellten Befehl Folge. "...wie...wie rennst du denn rum?!" Hikaru hielt, noch immer bar und bloß, direkt auf ihn zu, griff ihm grob in die schwarzen Haare. "Hat sich dein Friseur die Arme gebrochen, oder was?! Sag mal, kämmst du dich nicht, oder wie?!" Masaya lächelte. "Ich wollte sie bei Gelegenheit mal schneiden, hab's aber vergessen." Bekannte er ungerührt. "Mit ner Machete vermutlich?!" Zeterte Hikaru aufgebracht. "Und bis dahin sollte die blöde Kappe auf deinem Schädel eingewuchert werden, was?!" Da half nur ein nonchalantes Schulterzucken. "Herr, schenk mir Geduld!" Forderte Hikaru unterdessen echauffiert. "Du blamierst uns alle, ist dir das klar?!" Er sah schon die ungläubig bis angewiderten Mienen vor sich. Sugas verkniffene Fratze, der natürlich IHM die Schuld geben würde! "Scheiße!" Brüllte Hikaru deshalb zum Frustrationsabbau, stieß Masaya wütend vor die Brust. "Hör zu, du Depp, du wirst jetzt sofort diesen Lahmarsch-Kram ausziehen, klar?! Dann hockst du dich dort hin, rührst dich nicht! WAG es JA NICHT zu grinsen!" Vor sich hin fluchend fegte er aus dem Badezimmer ins Wohn-/Schlafzimmer, eilte hastig hin und her. Unbeeindruckt von diesem Tadel streifte sich Masaya die beanstandeten Kleidungsstücke ab, platzierte sich brav in Unterhosen auf dem Rand der freistehenden Badewanne. In einem knappen Slip erschien Hikaru wieder, mit entschlossenem Blick. "Dass du es weißt: du gehst mir SO WAS von auf die Nerven!" ~~~>#*** "Oh, Hikaru, mal pünktlich? Und mit Masaya..." Sugas Gehässigkeit versandete in Verblüffung, als Masaya sich den ausgeliehenen Mantel abstreifte. Ja, er persönlich fand auch, dass ihm der extravagante Overall mit geschickt platzierten Stoffintarsien aus durchscheinendem Stoff ziemlich gut stand. Ein geradezu skandalöses Kleidungsstück, das jede Menge Raum für Phantasie ließ! "Wieso kommt ihr zusammen?" Yukio misstraute ebenfalls der Situation. "Ich hätte dich auch abgeholt, Masa." Masaya, der einfach den freien Platz an Hikarus Seite okkupierte, antwortete höflich. "Danke, aber ich hatte nichts Angemessenes anzuziehen. Ich bezweifle, dass wir die gleiche Kleidergröße haben." Neben ihm schnappte Hikaru nach Luft. Konnte der Idiot nicht mal in dieser Situation lügen?! Oder wenigstens die Wahrheit ein wenig frisieren?! Frisieren, überhaupt, ha! Während er wieder geschickt Maß und Form in Masayas Schopf gebracht hatte, war zu viel Zeit verstrichen, sich um seine ELENDIGEN, eigenen Haare zu kümmern. Glatt, schwer, langweilig, so hingen sie ihm seit frühester Kindheit um den Kopf, wenn er nicht mit allen möglichen und diversen unerlaubten Mitteln gegen Schwerkraft, Eintönigkeit und fade Beschaffenheit operierte! Aber mit den Spaghettifransen (sehr al dente) konnte er auch unmöglich vor die Tür gehen! Notgedrungen mussten Klammern und Zopfgummi her, um irgendwie manierlich seinem wilden Image zu entsprechen. Was auch zur Folge hatte, dass kein Hut appliziert werden konnte. Wenigstens in Sachen Kleidern brauchte er nicht lange: goldfarbene Hemdbluse zu weißer Kunstlederhose, dazu kurze Cowboystiefel und dezenter Schmuck. "Ihr seid ja erstaunlich dicke miteinander!" Schnaubte Yukio nun beleidigt. "Sogar Klamottentausch wie Busenfreunde!" "Pff!" Lachte Miu, der wie gewohnt die Stimmungskanone gab. "Ich würde Hikaru gern mal in Masas Studentenklamotten sehen! Dazu noch eine schicke Hornbrille. Der perfekte Stanford- Student wäre geboren!" "Das würde mir auch gefallen." Ergänzte Masaya schmunzelnd, bevor Hikaru detonieren konnte. "Vorher muss er aber mal wieder zum Friseur!" Ätzte Suga. "Hoffentlich bleibt das nicht so?!" Hikaru funkelte über den Tisch hinweg. "Keine Sorge, ich pass schon auf!" Presste er aufgebracht hervor. Da beugte sich ein Mitarbeiter des Clubs über sie. "Verzeihung, Herr Masaya? Einer unserer Gäste aus dem VIP-Bereich wünscht Sie zu begrüßen. Sehr nachdrücklich." Das beflissene Gebaren wurde von einer gewissen Hilflosigkeit geprägt. "Ich werde mich rasch darum kümmern." Masaya erhob sich. Er konnte Hikarus besorgten Blick auf sich spüren, gänzlich gegen dessen eingeschworene Gewohnheit, ihm bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Der Angestellte führte ihn in einen anderen Raum, mit Einwegglasscheiben, die es ermöglichten, in andere Ebenen des Clubs zu blicken, aber nicht von dort in dieses Separee hinein. Ein älterer, aber sichtlich auf jung getrimmter Mann erhob sich, streckte ihm die Hand entgegen. Namen wurden genannt. Masaya erinnerte sich: das war also der Kerl, der Hikaru vor einem Dreivierteljahr angegangen war, ihn sogar in die Lippe gebissen hatte. Der ihm nun unaufgefordert zu nahe kam, die Hand auf den Arm legte. Eine Vertrautheit forcierte, die weder bestand, noch von seiner Seite erwünscht war. Komplimente säuselnd, akkompagniert von dem Angebot, ihn persönlich zu fördern, wenn man sich...besser...kennengelernt hatte. Masaya pickte die Hand von seinem Arm, brachte die gesellschaftlich korrekte Distanz zwischen sie. "Vielen Dank für die Offerte. Ich habe kein privates Interesse daran, mit Männern Sex zu haben. Einen schönen Abend noch." Damit ließ er sich selbst aus der Suite hinaus, kehrte unbewegt zurück zum Team der Manhunt Film Production. Hikaru blickte auf, als er sich neben ihm setzte. "Das ging aber flott!" Bemerkte Yukio schnippisch. Masaya zuckte bloß mit den Achseln. "Über Geschmack lässt sich nicht streiten, aber ich kann verstehen, dass manch einer diesen Herrn zum Kotzen findet." Ein ersticktes Glucksen belohnte ihn. Hikaru lehnte sich sichtlich entspannt in die hohen Polster, lächelte nun auch geschäftig in die Runde. Na schön, vielleicht konnte er absolut nicht glaubwürdig lügen, aber einen gewissen Sinn für Humor bewies der Depp doch! ~~~>#*** Es war nicht zu leugnen, Hikaru unterdrückte ein Gähnen, Masaya war der neue Topstar. Leider. In seinen Augen offenkundig nahm der Anwärter auf die meisten Fotos, Visitenkarten, Telefonnummern und private Kontaktofferten diese Option nicht ernst. Klar, wenn man auch in Kürze als Doktor Irgendwas an der Universität einen Lenz schieben konnte (oder durch Mikroskope blickte, was auch immer), musste es ja lächerlich erscheinen! Pah! Für ihn selbst bedeutete es, dass er sich irgendwie abgrenzen musste, sein Revier verteidigen, auch wenn es unzweifelhaft kleiner wurde. Außerdem sollte Suga bloß nicht glauben, er werde jetzt den Hintern hinhalten, um sich noch ein wenig länger in der Spitzenposition zu sonnen! Zimtzickiger Nervsack! "Wir müssen raus." Brachte sich das Objekt der Begierde (NICHT SEINER!) in Erinnerung. Hektisch wich Hikaru einer Hand aus. Er war noch nicht so klapprig, besoffen oder tuntig, dass er einen Arm als Geleit brauchte, um nach Hause zu finden! "Weiß ich!" Knurrte er grimmig. Leider fehlte ihm sein Hut, dessen Krempe er in die Stirn ziehen konnte, um das Blickfeld auf erfreuliche Dinge zu reduzieren. Erneut setzte Schweigen zwischen ihnen ein. Schließlich schnaubte Hikaru frustriert. "Hör mal, ich WEISS, dass dir das hier alles einen Scheißdreck bedeutet, aber solange du im Vertrag bist, reiß dich gefälligst zusammen, ja?! Mein Kleiderschrank ist kein Selbstbedienungsladen, also kauf dir angemessene Klamotten!" Masaya, dem er bemüht unauffällig einen winzigen Vortritt gelassen hatte (in der Dunkelheit sah sein Viertel irgendwie anders aus, verflixt!), wandte ihm den Kopf zu. "Tut mir leid, dir zu widersprechen." Stellte Masaya höflich richtig. "Mir bedeutet es sehr viel, Zeit mit dir zu verbringen. Momentan ist das wohl die einzige Möglichkeit." "Ach, Quatsch mit Soße! Außerdem ist das keine Entschuldigung, wie ein Gammelstudent auftauchen zu wollen!" "Das hatte ich auch nicht vor." Lächelte Masaya amüsiert. "Ich habe mich auf deine Hilfe verlassen." "Frechheit!" Donnerte Hikaru, obwohl ihm die Fakten vertraut waren. "Hast du überhaupt kein Schamgefühl?! Benimmst du dich bei deinen Schlaubergern auch so?!" Masaya schnippte eine lange Ponyfranse aus den Wimpern. "Nein, da verhält es sich umgekehrt. Die meisten nutzen ihre Position aus, um unliebsame, aufwändige oder monotone Beschäftigungen zu delegieren an die, die sich nicht wehren können, weil sie sonst Nachteile erleiden. Immer mit dem Hinweis darauf, dass das schon seit Anbeginn der Zeitrechnung entsprechend gehandhabt wurde, sie ja auch zuvor ausgebeutet worden sind." Hikaru schnaubte, um bloß keinen Anflug von Mitgefühl aufkommen zu lassen. "Ich bin gern bereit, mir Arbeitsbekleidung zuzulegen." Masaya strich beiläufig über Hikarus Fransenjacke. "Allerdings benötige ich dazu zwingend deine Expertise. Ich verstehe mich einfach nicht auf Mode." "Ha, DAS hab ich gemerkt!" Kollerte der schnippisch. Andererseits hatte es ihn schon auf BEFREMDLICHE WEISE mit Stolz erfüllt, wie neidisch oder bewundernd man auf Masayas Auftritt in dem doch sehr frivolen Overall reagiert hatte. "Darf ich dich um Unterstützung bitten?" Schnurrte Masaya in formaler Phrase. "Wann wollen wir das Unternehmen verwirklichen?" Was Hikaru sofort aus gewissen Höhen herunterzog in die wahre HÖLLE von Masayas Gesellschaft. "Jetz brems dich ma!" Schnodderte er ärgerlich. "Ich hab genug um die Ohren, bin bestimmt nich scharf drauf, meine kostbare Freizeit mit dir zu verplempern!" "Wir könnten anschließend was essen gehen." Schmiedete Masaya unverkennbar UNBEEINDRUCKT Pläne, scherte sich keinen Deut um die Ansage seines ranghöheren Kollegen! "Bist du taub, oder was?!" Fauchte Hikaru entsprechend aufgebracht, packte einen Mantelärmel. Seines Mantels, weil der Schnarchsack ein Dufflecoat trug! Wie ein Mittelschüler! Masaya wandte sich prompt zu ihm herum, etwas nahe, der Attacke geschuldet. "Es wäre für alle von Vorteil, wenn du sicherstellst, dass ich euch nicht blamiere." Argumentierte er mit einem feinen Lächeln in den Mundwinkeln. Hikaru funkelte aus nächster Nähe in die so forschend blickenden Augen. "Denk nich, du könntest mich wie die anderen um den kleinen Finger wickeln!" Zischte er. "Ich kann dich nach wie vor NICH verknusen, kapiert?!" Masaya sah ihn einfach an, ohne dass man seiner Miene entnehmen konnte, was er wohl gerade dachte. Ob ihn diese wenig schmeichelhafte Ansage verletzte. "Pah!" Schnaubte Hikaru endlich enerviert. "Steh nich im Weg! Ich will heim!" Ruhig fiel Masaya an seiner Seite wieder in den Schritt, forcierte kein Gespräch mehr. Hikaru brodelte unterdessen vor sich hin. Ihm wurde bewusst, dass er Masaya wieder in sein Appartement lassen musste, wo der sich vermutlich umständlich umzog. In der Zeit wäre auch der letzte Zug abgefahren! Konsequenterweise würde er ihn rausschmeißen. So ein reicher Bengel hatte genug Geld fürs Taxi. Genau. Bloß nicht noch mal morgens in Gesellschaft aufwachen! ~~~>#*** Als Hikaru langsam von seinem Leuchtwecker in die Gegenwart geholt wurde, registrierte er erleichtert die Abwesenheit anderer Personen in seinem Bett. Was leider nicht bedeutete, dass sich nicht ein unerfreuliches Muster abzuzeichnen begann. Auf der Couch lag sorgsam gefaltet eine Decke, darauf residierte ein Kopfkissen und auf diesem wiederum ruhte ein Pyjama. Einer seiner eigenen Pyjamas. Weil er sich wieder hatte breitschlagen lassen! Das Super-Hirn hatte die Akkus seines dämlichen Telefons nicht aufgeladen. Deshalb konnte es auch nicht eine Rechnung der Beförderung begleichen. Hikaru weigerte sich aus Prinzip, dem Prinzchen auch noch das Fahrgeld vorzustrecken. Aus erzieherischen Gründen. Leider hatte zwischenzeitlich heftiger Regen eingesetzt, sodass er Masaya nicht süffisant empfehlen konnte, doch einen Spaziergang nach Hause zu unternehmen, sehr gesundheitsförderlich! Mist! Zwangsläufig bot er also SCHON WIEDER Obdach an! Als er sich der winzigen Küchenzeile zuwandte, erblickte er dort, eingepackt in Schachteln aus Bambus, eine Frühstücksmahlzeit. [Guten Morgen, Hikaru. Vielen Dank für alles. Anbei eine nahrhafte Anzahlung. Ich freue mich auf unsere nächste Verabredung. Masaya] "HRRRRHHHH!" Fauchte Hikaru lautstark, entschied, dass ZUERST der Boxsack herhalten musste. Anschließend würde er sich mit seinen dreimal verwünschten Haaren auseinandersetzen. Etwas später wunderte er sich darüber, wie Masaya wohl das Essen beglichen hatte, wenn doch der bescheuerte Akku von diesem dämlichen Telefon...!! "SCHEISSKERL!" Sein Wutschrei versetzte die Shampoo-, Kur-, Styling- und Wachsbehälter im Badezimmer in Schwingungen. ~~~>#*** Masaya blätterte flink durch die Briefe, Fan-Post. Dank seines Studiums bereitete ihm das schnelle Querlesen keinerlei Mühe. Es frappierte ihn, welche Wirkung er auf ihm wildfremde Menschen ausübte. Nun, nicht er selbst, sondern sein Erscheinungsbild in verschiedenen Rollen. Wie häufig gewünscht, ja, gebettelt wurde, er möge doch mit Hikaru gemeinsam drehen! Selbst wenn es aussichtslos erschiene, sie in glorioser copulatio zu erleben, da sie beide die dominante Position innehätten! Auch Suga bearbeitete Hikaru immer wieder, wie man ihm zutrug. Was zweifellos dessen Widerstand verstärkte. Masaya spürte selbst, dass er nicht mit Hikaru vor der Kamera Intimitäten austauschen wollte. Da würde er nur eine "Rolle" bekommen, nicht mal einen Hauch des echten, des eigentlichen Hikaru erhaschen. Außerdem, das erschien ihm logisch und folgerichtig, war er nicht geneigt, Hikarus persönliche Aufmerksamkeit mit anderen zu teilen. So er diese bekam. Wenn er es nur endlich vermochte, Hikarus Vorbehalte zu überwinden! "Echt, das ist ja ekelhaft!" Tetsu blickte ihm über die Schulter. "Häschen-Briefpapier? Am Ende noch parfümiert!" Masaya räumte die Ausbeute in eine Papiertüte. Die Agentur würde sich um die Beantwortung kümmern, was ihn erleichterte, da er keine Vorstellung hatte, was er schreiben sollte. "Du hast dich echt verändert" Brummte Tetsu, musterte ihn argwöhnisch. "Ach ja? Der Haarschnitt.." "Es ist nicht der verdammte Haarschnitt!" Schimpfte Tetsu. "Sondern dein Verhalten! Früher zählten für dich immer nur deine Interessen! Um andere Leute hast du dich keinen Deut geschert. Jetzt putzt du dich so auffällig heraus, bumst als Hetero Kerle in Pornos und klebst jede freie Minute an diesem Cowboy-Verschnitt! Das bist doch nicht mehr du!" Masaya wandte sich seinem Cousin zu. "Hikaru IST mein Interesse." Korrigierte er gelassen. "Dafür muss ich eben eine gemeinsame Basis schaffen." "Zu welchem Zweck denn?!" Tetsu raufte sich die kurzen Haare. "DER will nichts von dir! Das hat keine Zukunft! Wie lange willst du ihm noch nachrennen, bis du das endlich einsiehst?!" Langsam erhob sich Masaya. Er musste zu einer weiteren Spätschicht an die Universität, vorher auch noch Bücher zurückgeben. "Mir bedeutet die Gegenwart mehr als eine vage Zukunft." Erklärte er. "Ehrlich gesagt konnte ich mich nie in den Szenerien sehen, die andere für mich ausgemalt haben." Bisher hatte er nur auf dem Weg des geringsten Widerstands mangels Interesse nicht dagegen opponiert. "Ach, und was willst du sonst machen?!" Tetsu packte ihn energisch an den Oberarmen. "Eine Altmänner-WG mit einem abgehalfterten Ex-Pornodarsteller, der sich nur noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält?! Denkst du ernsthaft, eine Uni würde so einen Lebenswandel akzeptieren?!" "Das wird sich finden." Masaya räumte seine Bowling-Tasche ein. "Im Übrigen hat Hikaru sehr viel mehr zu bieten. Ich will ihn sehen." Eindringlich fixierte er seinen jüngeren Cousin. "Verstehst du? Ich will ihn sehen. Jeden Tag." ~~~>#*** Kapitel 4- Metamorphose Selbstverständlich und aus Prinzip hatte er abgelehnt. Drei Treffen (nicht VERABREDUNGEN!!) zum Essen, eins zum Einkaufen angemessener Bekleidung und eins zwecks Kinobesuchs. Letztere Option erfüllte ihn ohnehin mit Beklemmungen, nachdem ihm bei ihrem ersten und einzigen Versuch in dieser Richtung ein wildfremder, zierlicher Mann Eis und Popcorn geklaut hatte! Dabei irgendwas in Hochgeschwindigkeit brabbelte, von wegen Zauberer und schnell die Kleider gewechselt! Komische Figuren war er ja gewöhnt, beruflich, aber so was war ihm noch nie passiert! Das hatte ihm Sugas blödes Gewäsch wegen eines verpassten Autogrammtermins in Erinnerung gerufen. Die ziegenbärtige Zimtzicke hatte doch glatt (und vehement) behauptet, er wäre aufgekreuzt! Was er definitiv NICHT war! Gab es möglicherweise einen Doppelgänger da draußen? Vielleicht einen irren Fan, der ihn bis in die Haarspitzen kopierte? GRUSELIG!! Weil ihm diese Gedanken den gesamten Filmgenuss vergällt hatten, nahm er lieber Abstand von weiteren Anläufen in diese Richtung. Diese Stadt war wirklich ein MOLOCH! Selbst die Erinnerung ließ Hikaru leicht schaudern. Trotzig stapfte er los. Diesen Weg von der Agentur aus kannte er. Man musste auch keine U-Bahn nehmen, sich durch verschlungene Farb- und Liniensysteme unterschiedlicher Betreiber winden, den richtigen Ausgang eruieren in Menschenmassen. Nein, exakt vier große Straßenkreuzungen weiter, dem Kompass seines Mobiltelefons vertrauend würde er genau vier Häuser rechter Hand vor seinem Hairstylisten stehen! Hikaru ging recht gern zu Fuß (mittlerweile), auch wenn seine Cowboystiefel nicht für längere Märsche ausgelegt waren. Das war besser als die klimatisierte Enge mit Fremden und die grundsätzliche Orientierungslosigkeit, die sich mit Panik würzte. Direkt nach dem wichtigen Werbetermin (und Sugas blöder Anspielung), nach dem Wutanfall (Masayas Frechheit geschuldet) hatte er angerufen. Reservierungen mussten regelmäßig einen Monat im Voraus erfolgen. Ihm als VIP gestattete man vierzehn Tage Vorwarnungshorizont. Es war wirklich höchste Zeit! Hikaru selbst hielt die zurückgekämmten (heftig mit Gel verklebten) Ponysträhnen nicht für sonderlich kleidsam. Klammern und Spangen schlossen sich wegen des obligatorischen Hutes aus. Außerdem wollte er natürlich sehen, wohin er ging. In den Pony schnauben zwecks freier Sicht funktionierte bei seinen schweren, glatten Strähnen leider gar nicht. Sich gegen einen eisigen Wind stemmend, gut vermummt machte Hikaru sich auf den Weg. Glücklicherweise war Nishino nicht so eine Nervensäge wie Suga, sondern wie immer freundlich und arbeitsorientiert gewesen. Inzwischen stand das Drehbuch für ihren Ausflug zur Hütte in den Schnee. Hikaru konnte erfreut konstatieren, dass viele seiner Vorschläge und Eingaben Berücksichtigung gefunden hatten. Wenn sie sich in solche Ausgaben stürzen wollten, dann gründlich! Wichtig war nun, vollständig zu packen (Nachlieferungen ausgeschlossen). Er wollte sich nicht darüber ärgern müssen, aus Nachlässigkeit zur Improvisation gezwungen zu sein. Gut, dass er sich alles notiert hatte! Mochten ihn auch die anderen auslachen: er beharrte auf seinem Notizbuch. Das brauchte zumindest keinen Strom! War jederzeit einsatzbereit! Während er artig die Kreuzungen abzählte, sich frohgemut nach rechts wandte, hörte er hinter sich eine vertraut-verwünschte Stimme. "Hikaru." Die Augen verdrehend entschied Hikaru, diese menschliche PESTBEULE mit Desinteresse abzustrafen. "Geh weg." "Lass mich dich begleiten. Wir können anschließend auch noch nach einem Outfit für mich suchen." Masaya erwies sich gewohnt dickfellig. "Keine Zeit." Das stimmte zumindest. Die nächste Stunde gehörte ausschließlich seinem persönlichen Wohlfühlprogramm mit Figaro und Kopfmassage! Ärgerlicherweise gereichte die knappe Abfertigung nicht zu einer Abschreckung. Nein, Masaya hängte sich wie immer an seine Rockschöße! »Ist mir egal!« Ermahnte sich Hikaru streng. »Juckt mich KEIN BISSCHEN! Überhaupt, wer hat dem Strolch verraten, dass ich jetzt hier bin?!« Irgendwer in der Agentur hatte ihn offenbar auf dem Kieker! Abgesehen von dem notorischen Suga. Eine kleine Menschenansammlung bremste seinen forschen Marsch. Hikaru sah sich gezwungen, die Krempe des Cowboyhutes etwas zu lupfen, um die Ursache in ihrem vollen Umfang zu ergründen. "...aber...?!" Entfuhr ihm entgeistert. Wo war sein Hairstylist? Die blöden Mini-Bäumchen vor dem schmalen Eingang fehlten. Stattdessen gruppierten sich dort kichernde, junge Frauen. "Sweeney Todd's Sweets Shop?!" Las Masaya an seiner Seite ab. "Grenzwertiger Humor." Hikaru starrte in wachsendem Horror auf das Geschäft, in dem sich sein Herrensalon befinden sollte. Man hatte die vorhandene Einrichtung offenbar umgewidmet, um allerlei grässlich gefärbten Süßkram zu verhökern! Er konnte in Tütchen, Schächtelchen, auf winzigen Kissen und zierlichen Etageren Kuchen, Kekse, Bonbons, Lutscher und andere Kariesbomben identifizieren. "Wo ist mein Hairstylist?" Winselte er entsetzt. Masaya wühlte sich, dank Statur und Größe im Vorteil, sein bestes Rockstar-Lächeln aufpoliert, durch die Menge. Die tadelte ihn nicht etwa, sondern juchzte auf, hielt ihn für ein besonderes Gimmick, da er ganz in Schwarz gekleidet dank Hikarus Frisierkunst besonders attraktiv wirkte. Nicht so blutleer-heruntergekommen-wahnsinnig wie der namensgebende Mann auf den ausgerollten Plakaten. Fassungslos drehte Hikaru sich um die eigene Achse. Er konnte sich nicht geirrt haben! Er erkannte andere Geschäfte in der Nähe! Zumindest einige. Wenigstens das Hotel da! Also... also... was ging hier vor?! Inzwischen hatte Masaya den Rückweg angetreten, behauptete ungeniert in einer Hikaru fremden Sprache etwas, was die ihn umringenden Damen aufseufzen ließ. "Komm!" Fasste er Hikaru bei der Hand, der zu erschüttert war, um ihn gleich abzuwehren. Masaya lenkte ihre Schritte zurück zur nächsten Kreuzung. "Offenbar ist dieses so genannte Pop-Up-Geschäft hier gestern eröffnet worden. Die vorherigen Mieter haben wohl mit illegalen Substanzen unterm Ladentisch gehandelt. Jedenfalls hat es in der vorigen Woche eine Razzia gegeben." "Was!? Aber~aber das war nur ein Herrensalon!" Stemmte sich Hikaru mit wachsendem Groll gegen die Umstände. "Lass uns auf den Schreck etwas trinken!" Ohne Zustimmung abzuwarten preschte Masaya einfach in einen Hauseingang, die enge Stiege hoch, um im höhergelegenen Stockwerk in einem nachgemachten "Wiener Salon" um ein Tischchen für zwei zu bitten. Hikaru entzog ihm nun endlich seine Hand, streifte sich widerwillig den Cowboyhut auf den Rücken. Was für ein HORROR! Was sollte er jetzt tun?! Seit drei Jahren ging er regelmäßig zu seinem persönlichen Hairstylisten, hatte sich nie die Mühe gemacht, nach Alternativen zu suchen. Masaya orderte mit einem Blick auf den wächsernen Gesichtsausdruck seines wenig älteren Begleiters eine heiße Schokolade, für sich selbst einen Othello, den er zu schätzen gelernt hatte. "Du könntest zu einem anderen Frisör gehen?" Durchbrach er nach geduldigem Warten die Stille zwischen ihnen. "Ha!" Fauchte Hikaru, den Kopf noch immer in seine Hände gestützt. "Danke für den Rat, Schlauberger! Das von jemandem, der das selbst nicht auf die Reihe bringt!" Ungesehen dank der Weltuntergangsstimmung lächelte Masaya amüsiert. Wenigstens der Widerspruchsreflex arbeitete noch zuverlässig! "Oder du lässt sie einfach wachsen." Gab er weiter unaufgefordert Empfehlungen. Nun funkelte Hikaru ihn griesgrämig an, verbannte die Hände unter das bescheidene Tischchen. "Sag mal, kapierst du das nicht, oder willst du mir bloß den letzten Nerv rauben, oder was?!" Bevor Masaya antworten konnte, servierte man Masayas Order, hübsch arrangiert. "Was ist das?!" Hikaru beäugte zunächst seine eigene, dampfende Tasse, dann Masayas. "Heiße Schokolade." Masaya zwinkerte. "Allerdings zartbitter, das ist gut gegen den Schock. Ich habe hier Schokolade und Espresso." "Schokolade?! Wie 'süß'? Wie 'Zucker'?!" Hikaru knurrte. "DU trinkst so was, obwohl du mir ständig wegen MEINEN Gewohnheit in den Ohren liegst?!" Masaya hob seine Tasse an. "In Maßen genossen ist Zucker für den Stoffwechsel durchaus empfehlenswert." Hikaru verspürte den Drang, über den Tisch zu langen, Masaya jedes einzelne Ponyhaar auszureißen, das er selbst so kunstfertig frisiert hatte. Da die heiße Schokolade einladend duftete, er ohnehin gewichtigere Probleme zu lösen hatte, sah er großmütig von dieser Revanche ab, nippte erst mal vorsichtig. Seine Zunge reagierte auf Temperaturunterschiede empfindlich. "Du könntest die Gelegenheit nutzen, deine Frisur zu ändern." Masaya trampelte mit Bleigewichten und Schuhgröße 60 auf seinem Feingefühl herum! "Etwas weniger aufwendig vielleicht?" Hikaru atmete tief durch, ballte unter dem Tischchen die Fäuste. "Hast du Haubentaucher eigentlich deinen Vertrag durchgelesen? Wir können nicht einfach mal so eben unser Erscheinungsbild ändern! Das muss alles mit der Agentur abgestimmt sein, klar? Du bist so ein AMATEUR!" "Stimmt." Nickte Masaya schmunzelnd. "Als Amateur frei darin, mir eine andere Agentur zu suchen. Oder zu kündigen." JETZT hatte sich dieser aufgeblasene, arrogante VOLLPFOSTEN einen Tritt mehr als verdient! Leider konnte Hikaru sich nicht entscheiden, wo diese angebrachte Korrekturmaßnahme für konstante Blödheit einschlagen sollte. "Du bist doch der Star, oder nicht?" Schaufelte sich Masaya ungeniert das eigene Grab. "Warum nicht mal etwas ändern? Die Leute überraschen? Oder glaubst du, man erkennt dich mit einer anderen Frisur nicht wieder?" DAS war gehässig! Liebend gern wäre Hikaru nun explodiert. Allerdings~allerdings hatte dieser unverschämte Mistkerl einen wunden Punkt getroffen. Was, wenn er wirklich schon langweilte? Die Cowboy-Yankee-ungezähmter Hengst-Masche WAR sein Markenzeichen. Wenn die Klamotten runter waren, scherte sich niemand um seine Haare. Das Image zählte jedoch als Verkaufsargument, da konnte er nicht mal eben entscheiden, dass es ihn langweilte! Oder ihm zu anstrengend war! Überhaupt, ER konnte als Profi nicht einfach die Agentur wechseln! Kündigen, ha! So konnte nur jemand daherschwadronieren, der sich noch nie hatte durchschlagen müssen! Hikaru nahm einen weiteren Schluck Schokolade, funkelte Masaya ungemütlich finster an. "Hast du schon mal im Park gepennt? In Manga-Cafés? Zwei Tage lang von einer Instant-Nudelsuppe gezehrt? Konntest kaum Kisten schleppen, weil dir vor Hunger schwindlig war? Hast irgendwelchen Typen in Klos einen geblasen, damit du dir wenigstens was zu trinken kaufen konntest? Hm, reiches Söhnchen aus gutem Haus, wie steht's?" Masaya blieb stumm, wandte sich aber nicht ab. "Also red nich so n Scheiß!" Zischte Hikaru gedämpft, aber gallig. "Du hast keine Ahnung von meinem Leben." Er nahm einen weiteren Schluck, um die bitteren Erinnerungen herunterzuspülen. "Deshalb möchte ich dich kennenlernen." Masaya studierte ihn ernst. "Ich möchte alles von dir wissen, Hikaru." "Pff!" Schnaubte der abschätzig. "Wozu? Damit du dich hübsch überlegen fühlen kannst? Und wieder in dein warmes, gemachtes Nest zurückkehren? Dafür steh ich nich zur Verfügung, KOLLEGE." Nun war es Masaya, der an seiner Tasse nippte. "Bedeutet das, du akzeptierst nur jemanden, der exakt die gleiche Biographie vorweisen kann wie du?" Hikaru blitzte zornig über die kurze Distanz des Tischchens hinweg. "Der würd mir wenigstens nich so blöd kommen wie du ständig!" "Er würde dir nicht fortwährend deine Herkunft, dein Elternhaus, deine Lebensumstände vorwerfen, sich nicht mal darum bemühen, DICH zu sehen." Ergänzte Masaya pointiert. Es fiel Hikaru schwer, nicht aus der Haut zu fahren. Na und?! Dann wollte er diesen Super-Hirni eben nicht wahrnehmen, sich keine Mühe geben! War ja wohl seine Entscheidung! Konnte ihn niemand zwingen, sich mit dem Gold-Bubi abzugeben! "Ich hab dir GESAGT, dasses keine Schnittmenge gibt!" Rief er stattdessen mit knirschenden Zähnen in Erinnerung. "Eben das wage ich entschieden zu bezweifeln." Masaya richtete sich zu seiner vollen Größe auf. "Du hast bloß Angst. Angst, dass ich mich wie dieser Inoue verhalte und dich im Stich lasse. Das tue ich nicht." Hikaru erhob sich abrupt. "Du weißt gar nichts!" Zischte er, justierte seinen Cowboyhut. "Fahr zur Hölle!" Mit dieser Empfehlung bahnte er sich eilig einen Weg zur Tür, hastete mit klappernden Absätzen die Stiege herunter, floh auf die Straße. ~~~>#*** Masaya leerte seine Tasse gemächlich, bezahlte die Zeche. Nach seiner Einschätzung konnte er Hikaru mühelos einholen. Der würde sich erst mal zurück zur Agentur bewegen, von dort aus nach Hause starten. Weil er keine Ahnung hatte, wie er sein Frisurproblem lösen sollte und recherchieren musste, welcher Salon in Frage kam. Offenkundig tat es nicht ein einfacher Nachschnitt. Wenn er sich entsann, wie geschickt und ohne jedes Zögern Hikaru sich seinen Haaren gewidmet hatte, die als etwas störrisch galten, sich aufplusterten, stellte sich ihm zumindest die Frage, wie Hikaru sich selbst wohl die Mähne gestalten würde. Ihm hatten die glatten, schweren Strähnen gefallen, wenn auch nicht unbedingt das falsche Blond, das Hikaru in der privaten Aufnahme präsentierte. Während er sich gemächlich auf den Weg zur Bahnstation machte, er benötigte die Agentur nicht als Orientierungspunkt, kontemplierte er die neuen Erkenntnisse über Hikarus Werdegang. Also war der hier allein angekommen, ohne Unterstützung, ohne festen Job, ohne Unterkunft? Hatte sich auf erbärmlichstem Niveau durchgeschlagen? War dieser Inoue da auf den Plan getreten? Hatte ihm Sicherheit gegeben? Konnte er selbst Hikaru denn Sicherheit bieten? Es stand beinahe fest, dass er einen festen Arbeitsvertrag nach seiner Promotion an der Universität erhalten würde. Ein festes Einkommen. Eine solide Perspektive. Selbst wenn seine Eltern sich über seine Partnerwahl echauffieren würden, konnte er damit auch eine eigene Unterkunft mieten. Am Hungertuch müsste er auch nicht nagen. Wirklich kostspielige Interessen pflegte er nicht, also fühlte er sich durchaus gut versorgt. Was Hikaru aber NIE akzeptieren würde. Das sah schließlich nach Gigolo aus! Masaya seufzte leise, blickte sich auf dem Bahnsteig um. Hikaru konnte er dort nicht entdecken. Trotzdem stieg er in die einfahrende Bahn, bezweifelte, dass es Hikaru inzwischen gelungen war, den Tür-Code zu überschreiben. Die Arme verschränkt, Tuscheleien überhörend, studierte er sein Spiegelbild im Fenster. Äußerlichkeiten bedeuteten ihm recht wenig. Leute waren eben Leute. Bis er Hikaru auf dem Fernsehbildschirm gesehen hatte. Etwas fesselte ihn, beschäftigte ihn. War er tatsächlich besessen? In gewisser Weise galt Liebe auch als "wahnhaftes Erleben" der Wirklichkeit, zumindest für eine gewisse Zeitspanne. Das konnte man nicht guten Gewissens bestreiten, die Empirie belegte es. Dennoch. Hikaru veränderte ihn. Er erkannte an sich neue Wesenszüge, Qualitäten. Nicht nur positive, aber das stand zu erwarten. Dennoch mochte er diese Entwicklung seiner Persönlichkeit, fühlte sich, als habe er die Luftblase, die ihn stets umgeben hatte, zum Platzen gebracht. Nicht mehr so perfekt, nach Reißbrett funktionierend, so tadellos, mit Teflon-Eigenschaft, alles an sich abprallen lassend, ohne wahre, innerliche Beteiligung. Der Hikaru, dem er nahe sein wollte, bewirkte all dies. Nicht der selbstbewusst-lässige, ungebundene Freigeist aus den Aufnahmen, sondern der zornige, orientierungslose, grantelnde Hikaru, dem beim Dreh niemals Grobheiten unterliefen, der all seine Kollegen wertschätzend behandelte. Der totenbleich seine Hand im Taxi gehalten hatte nach der Behandlung seiner Risswunde, ihn so behutsam abgeduscht hatte, als wäre er aus Kristallglas. Wie sollte er ihn überzeugen, dass es keine simple Laune war, dass er wirklich sein Partner werden und bleiben wollte? Masaya musste sich eingestehen, dass ihm die Lebenswirklichkeit schwuler Männer noch immer nicht geläufig war. Hin und wieder klang durch die Fan-Briefe etwas durch: Einsamkeit, Isolation, unterdrückte Gefühle und Sehnsüchte, Schuldgefühle, Resignation. Selbst Hikarus Rolle, der lässige Cowboy, schien am Ende immer allein zu sein, rastlos. Neue Abenteuer winkten, aber gab es auch ein Ziel? Oder eine Heimat? Masaya verließ die Bahn, durchquerte den Bahnhof, hielt auf Hikarus Appartement zu. Er ließ sich selbst hinein, in der Gewissheit, dass Hikaru ihm unmöglich zuvorgekommen sein konnte. Im Wohnzimmer fand er wie immer säuberlich verstaut aktuelle Magazine, Szeneblätter und Modezeitschriften für Männer. Er blätterte sie auf, um nach einem Vorbild zu suchen. Man konnte als Star wohl kaum zum Frisör gehen, "bisschen was weg" murmeln. Die Haarfarbe spielte vermutlich auch eine Rolle. Färbte der sie? Oder war das eine Tönung? Masaya seufzte. Hier tat sich eine ganz fremde Welt auf, die er nun zu erforschen hatte. ~~~>#*** Hikaru kochte noch immer, als er die Stufen zu seinem Appartement erklomm. Wieso ließ er sich bloß immer von diesem Mistkerl provozieren, brabbelte Dinge heraus, die niemanden etwas angingen, von denen er selbst nichts mehr wissen wollte?! Konnte der Depp ihn nicht einfach in Ruhe lassen?! War das zu viel verlangt?! Jetzt hatte er auch noch Zeit vergeudet, keine ordentliche Frisur und neue Probleme! Einfach prächtig! Grummelnd schlüpfte Hikaru aus seinen obligatorischen Cowboystiefeln, hängte den Hut an den Haken, verstaute seine Jacke. Moment! Diese verdammten Sneaker...! "Mach, dass du rauskommst!" Fegte er postwendend in sein Wohn-/Schlafzimmer, wo Masaya wie der Herr des Hauses zwischen aufgeschlagenen Zeitschriften residierte. "Ich glaube, da bröckelt was." Deutete Masaya dezent auf Hikarus "Gelierwerk", das die Sicht nach vorne freihalten sollte. Mit einem deftigen Fluch auf den Lippen stürmte Hikaru das Badezimmer. Hoffentlich hatte der Hut die Katastrophe abgedeckt! Wieso trocknete das verdammte Gel so schnell aus?! Er streifte sich die Ärmel der Hemdbluse herunter, angelte den Duschkopf heran, taufte sein geplagtes Haupt gründlich. Nun juckte ihn auch noch seine Kopfhaut! Einfach PRÄCHTIG! Als er sich aufrichtete, reichte Masaya ihm ungezwungen ein Handtuch. "Hau ab, hab ich gesagt!" Patzte Hikaru aufgebracht. "Wie würdest du deine Haare schneiden, wenn du der Frisör wärst?" In sachlichem Tonfall überging Masaya die nachdrückliche Aufforderung, das Weite zu suchen. Hikaru frottierte grimmig. JEDES weitere Wort wäre dem Kerl doch Anlass zu bleiben, also SCHNAUZE halten! Ignorieren! "Was ist mit deiner Haarfarbe? Kann man da selbst was machen?" Masaya verstand offenbar kein Japanisch! Ha, dafür konnte der aber auf Auswärts plappern, na klar, eben der typische Schlaumeier! "Was hast du zu den Mädels in dem verdammten Süßkramladen gesagt?" Knurrte Hikaru, seinen Entschluss verwerfend, da es nicht half, Masaya zu ignorieren oder anzuschweigen. Masaya lächelte. "Ich habe den ersten Absatz des 22. Buchs von Plinius' Naturalis Historia rezitiert. Im Original." Es bestand wenig Gefahr, dass eine der Damen ihn daraufhin zu einem Gespräch auffordern würde. Latein zählte nicht unbedingt zu den gegenwärtigen Verkehrssprachen. Hikaru tauchte unter dem Handtuch auf. "Um was geht's in dem Schinken?" Ätzte er abfällig, kehrte ihm sogleich den Rücken zu. "Es ist eine Sammlung bekannter Erkenntnisse zu Heilkräutern, hauptsächlich." Masaya goutierte die wohlgeformte Rückenpartie. "Plinius' Sammlung galt in der Antike als Standardwerk für eine wissenschaftliche Grundbildung." "Blablabla!" Konterte Hikaru, studierte sein Spiegelbild. Grausig, diese Spaghettifransen! Bleischwer hingen sie wie ein Vorhang ohne jede Fasson um seinen Kopf! Am Ansatz dräute schon die nächste Katastrophe: das mausige Braun erinnerte ihn unliebsam an seine natürliche Haarfarbe. Irgendwelches Kroppzeuch musste sich da in sein Erbmaterial verirrt haben! DAS war ja wohl keine Haarfarbe, das war eine ZUMUTUNG! Uneingeladen schnappte sich Masaya eine lange Strähne. "Tatsächlich, sie sind sehr glatt. Kannst du das nicht als Vorteil nutzen?" "Finger weg!" Unwirsch schlug Hikaru Masayas Hand weg. "Was weißt du schon?! Eine Frisur braucht Volumen, klar?! Aber hier gewinnt bloß die Schwerkraft!" Kommentierte er bitter. "Würdest du auch gleich aufstecken, wenn jemand dich um einen Haarschnitt bitten würde?" Masaya streckte unverdrossen die Hand aus, um nach Hikarus Schopf zu fassen. Reflexartig wich Hikaru aus, prallte hart gegen das Waschbecken. "Au! Verdammt, fass mich nicht an!" Masaya zog langsam seine Hand zurück. "Zeig mir, wie du es machen würdest." Formulierte er ruhig. "Ich helfe dir." Hikaru zerrte sich das Handtuch von den Schultern, schlug damit nach Masaya. "Raus! Hau ab! Verschwinde endlich!" Damit trieb er Masaya gerade weit genug, hastig die Tür schließen zu können, den Riegel herumzudrehen. Ermattet ließ er sich auf den kleinen Beistelltisch sinken, stützte den Kopf in die Hände. Der ganze Abend versaut und keine Lösung in Sicht! Er hätte heulen mögen. ~~~>#*** Masaya betrachtete einen Augenblick das Türblatt, wandte sich dann ab. Sein Blick fiel auf die aufgeschlagenen Magazine, die er, um Unterstützung bemüht, durchgeblättert hatte. Hing Hikarus Seelenheil wirklich von einer Frisur ab? War es dafür nötig, so einen Aufwand zu betreiben? Möglicherweise ging er die Sache auch falsch an. Wollte Hikaru so wenig nach sich selbst aussehen, alles abstreifen, was ihn zumindest äußerlich ausgemacht hatte? Schwierig. Eine Problemlage, die ihm unvertraut war. Aber gar nichts tun? Das war auch keine Option. ~~~>#*** Abgetrocknet sah die Misere keinen Deut besser aus. Hikaru streckte sich die Zunge raus, zog Grimassen. Das half der Notlage auch nicht ab. Es klopfte an der Badezimmertür. "Ich bin nich da, verdammt!" Brüllte Hikaru, ignorierte die Gesetze der Logik konsequent. Eine ausgeschnittene Anzeige quälte sich unter der Schiebetür hindurch. Gerade einen Blick riskierend donnerte Hikaru mit der geballten Faust gegen das Türblatt. "Herrgottnochmal, das ist eine Perücke! Bist du blind?!" Das nächste Zettelchen war auch nicht viel besser. Ein offenbar auf Radau ausgelegtes Küken. Eine Zeichnung. Dieser Depp bot ihm eine verdammte Zeichnung an! Von einem KÜKEN! "Macht's so viel Spaß, sich über mich lustig zu machen, ja?!" Brüllte er durchs Türblatt. Man klopfte höflich. "Besetzt!" Fauchte Hikaru. Es klopfte wieder. "Hörst du schwer?!" "Ich kann die Flasche nicht unter der Tür durchschieben." Informierte Masaya. "Was für eine Flasche?! Wehe, du besäufst dich hier! Dann ist aber der Teufel los!" Kündigte Hikaru aufgebracht an. Es passierte nichts. Hikaru lauschte. Der Kerl würde sich doch nicht hier volllaufen lassen, oder?! "Was für eine Flasche?!" Fauchte er beunruhigt genug durch das Türblatt. Verflixt! Hikaru ballte die Fäuste, rammte sie gegen die Kacheln. Das schmerzte, aber so fühlte er sich etwas weniger hilflos. Nun, genau zwei Sekunden lang. Widerwillig entriegelte er die Schiebetür, schob sie beiseite. Masaya saß bequem daneben angelehnt, blickte zu ihm auf. Er reichte artig eine kleine Flasche an: natürliches Haarfärbemittel mit Henna. Hikaru verdrehte die Augen. "Das reicht gerade mal für einen Schimmer." Seufzte er leidgeplagt. "Was soll ich damit anfangen?" Neben ihm rappelte Masaya sich auf. "Lass es uns damit versuchen. Danach überlegen wir, was für eine Frisur du haben willst." Mit einem gequälten Ächzen sank Hikaru in die Knie. Wieso WOLLTE dieser Kerl einfach GAR NICHTS begreifen?! Unvermittelt zog Masaya ihn in die Arme. "Sei nicht so verzweifelt, bitte. Wo ein Ende ist, ist auch ein Anfang." Na toll, jetzt noch Glückskeks-Weisheiten! ~~~>#*** Masaya verteilte die aufgeschäumte Mischung sorgsam per Kamm, folgte der Packungsanweisung strikt. Hikarus Missmut simmerte noch immer vor sich hin. Masaya hatte sich einen Verbündeten gesucht: pikant gewürzte Erbsenschoten zu knabbern beruhigte Hikarus Magen. Nachdem sie die Kur abgespült hatte, wirkte der Karamellton sehr gedämpft, hatte sich in ein dunkles Aschbraun verwandelt. "Ich hab's ja gesagt." Grummelte Hikaru resigniert. Genau SO wollte er NICHT aussehen! Es überrumpelte ihn daher vollkommen, dass Masaya ihn herumwirbelte, seine Handgelenke hinter seinem Rücken mit der Kordel des Bademantels eng fesselte. "Was~was soll das?! Mach mich los! Spinnst du jetzt total?!" Zeterte er nach einem Schreckmoment. Masaya drückte ihn auf den Hocker herunter, legte ihm ein trockenes Tuch um die nackten Schultern. Mit konzentrierter Miene zog er unterschiedliche Scheitel, verteilte die schweren, trockenen Strähnen. Hikaru verfügte trotz der steten Misshandlung über einen dichten Schopf, dazu einen herausgewachsenen Stufenschnitt, der die Aufzwirbelei zu mehr Volumen unterstützen sollte. Entschlossen griff Masaya zur Schere. "Nein! Lass das bleiben!" Hikaru zuckte zurück. Masaya setzte sich einfach auf seinen Schoß, sodass er nicht mal vom Hocker flüchten konnte. "Vertrau mir." Masaya strich behutsam über glatte Strähnen. "Ich habe nicht die geringste Absicht, dich zu entstellen." "Oh, toll!" Ätzte Hikaru, der Hysterie nahe. "Du hast NULL Erfahrung, bist modisch BLIND und praktisch UNBEGABT!" "Ich kann unfallfrei mit Stäbchen essen." Konterte Masaya. "Seit Jahren schon. Im Labor habe ich keine Mühe mit Pipetten, Pinzetten oder Retorten." "Ist mir egal!" Hikaru drehte den Kopf trotz der Scherenklingen hektisch von rechts nach links. "Lass den Scheiß! Ich will das nicht!" Woraufhin Masaya die freie Hand auf seinen Hinterkopf legte, ihre Stirn in Kontakt brachte. "Ich übernehme die Verantwortung. Ich werde allen sagen, dass ich dich gewaltsam gezwungen habe." Versprach er leise. "Ach, toll!" Schrillte Hikaru erstickt. "Da können sie sich auch gleich noch darüber mokieren, dass ich so ein schwächliches Weichei bin, mich überwältigen lasse!" Tatsächlich traten ihm verwünschte Tränen in die Augen. Masaya überwand die kurze Distanz, küsste Hikaru hauchzart auf die bebenden Lippen. "Schließ jetzt bitte die Augen und halt still." ~~~>#*** Irgendwann, während er die Fäuste am Rücken geballt die Augen zugekniffen hatte, erhob sich der hundsgemeine Mistkerl endlich von seinem Schoß! Außer dem Geräusch der Scherenklingen, rieselnden Haaren und ihren Atemzügen war nicht zu vernehmen. Das setzte Hikaru noch mehr zu, der am Liebsten das ganze Haus zusammengebrüllt hätte. Natürlich war es jetzt zu spät! Er würde entstellt sein. Man würde ihn feuern, auslachen, verspotten. Nicht mal, wenn er sich den Schädel rasierte, auf Knien um die Agentur rutschte, würden sie ihn jemals wieder beschäftigen! Eigentlich konnte er gleich packen. Würde ihm jemand die Kostüme abkaufen, die Accessoires? Wieder ohne Dach über dem Kopf, Männerwohnheim, um Jobs betteln. Ihn schüttelte es. "Ich bin gleich fertig." Der Depp wagte es sogar, ihm über den Rücken zu streicheln! "Prima. Stich mich auch gleich ab, erspar mir die Mühe." Masaya wuschelte ihm einfach durch die Mähne, föhnte wild sämtliche Schnipsel von ihm auf den Boden, dort auf ein Kehrblech. Nachdem Masaya den Gürtel von Hikarus Handgelenken gelöst hatte, rieb der sich mit dem Handrücken über die verklebten Augenlider. Er sollte Gift und Galle spucken! Ihm war jedoch eher nach Heulen zumute. Das hinderte ihn nach eigenem Empfinden auch daran, Masaya sofort einen Kinnhaken zu verpassen. Ungeniert beförderte der ihn auch noch in die Senkrechte, schob ihn vor den Spiegel. Hikaru wollte sich selbst nicht ansehen. Es würde furchtbar sein, klare Sache. Allein schon die Farbe war ein Tiefschlag! Und jetzt... ~~~>#*** Masaya trat hinter Hikaru, blies ihm sanft in den Nacken, wo er einige lange Strähnen übriggelassen hatte. Sie betonten die graziöse, schmale Linie des Rückgrats, das sonst unter dem aufplusterten Wust unterging. "He, du...!" Reflexartig fegte Hikaru herum, die noch feuchten Augen bereits blitzend. "Sieh dich an, bitte." Masaya fing die Fäuste an seinem Brustkorb ab. Hikaru zischte, wandte sich ab, zwangsweise seinem Spiegelzwilling zugewandt. Ja, da blickte ihm kein Cowboy-Yankee mehr entgegen, das konnte Masaya nicht bestreiten. Er fand durchaus, dass die dunkle Haarfarbe mit Hikarus Teint harmonierte. Der nach vorne bewegte Scheitel sorgte für einen Pony. Ab den Koteletten jedoch hatte er rigoros gekürzt und ausgedünnt. So konnte man die feingeschnittenen Ohrmuscheln mit den Steckern ungehindert sehen. Trotz der schweren Glätte der Strähnen wirkte Hikarus Schopf nun beinahe leicht, elegant. Er beobachtete Hikarus Körpersprache.: herabsackende Schultern, gesenkter Kopf. "Denkst du, IRGENDWER nimmt mich so ernst? Als vollwertigen Kerl?" Krächzte Hikaru endlich gequält. Masaya runzelte die Stirn leicht. "Ich kann dir nicht folgen." Antwortete er. "Ja, DAS merke ich!" Fauchte Hikaru aufgebracht. "Du als verdammter Hetero kapierst einfach nicht, wie bei uns Scheiß-Schwulen die Codes gestrickt sind! Ist dir das nie bei Yukio oder Miu aufgefallen?! Wenn ich wie gelackt und geputzt aussehe, nimmt mich doch keiner mehr als Hengst ernst!" "Aber mit der aufgeflusten Mähne, gefärbten Haaren und im Cowboy-Outfit?!" Hielt Masaya pointiert dagegen. "JA, verdammt!" Brüllte Hikaru ihn an. "Es geht nicht um ECHTE Leute, du Idiot! Wir sind Phantasien, larger than life!" "MEINE Phantasie regst du an, und ich bin nicht mal ein 'Scheiß-Schwuler'." Gab Masaya beherrscht zurück. "Also sehe ich keine Schwierigkeiten!" DAS war der Moment, in dem Hikaru besser den Boxsack gewählt hätte. ~~~>#*** Kapitel 5- Sturm, Drang und Dampf Hikaru kannte durchaus die sehr engen Grenzen seiner Wehrhaftigkeit. Das Boxen und Treten gegen den Sandsack diente gewiss nicht der Attacke auf einen Gegner oder wenigstens der Selbstverteidigung. Frustrationsabbau mit möglichst geringer Selbstverletzungsgefahr, darauf waren die Übungen ausgelegt. Schön, es sah auch ziemlich hübsch aus. Aber jetzt rissen bei ihm sämtliche Geduldsfäden auf einmal. Deshalb ging er mit einem Wutschrei auf Masaya los. Der jedoch bewies ein teuflisches Geschick, ihn auszukontern, jede ungelenke, wüste Attacke vorherzusehen, ihr auszuweichen, bis er sicheren Zugriff auf Hikarus Handgelenke hatte. Man konnte sich aber auch als Rammbock betätigen, GAR KEIN PROBLEM! Erneut pflegten sie einen martialisch-unkontrollierten Pas de deux, nach Kollisionen im Badezimmer verlagert in das offene Schlafzimmer. Hikaru konnte nicht mal verständliche Silben brüllen, er zischte und brodelte bloß, suchte nach Möglichkeiten, Masaya wenigstens die Knie irgendwo in den Leib zu rammen! Der wusste sich zu wehren, indem er gar nicht genug Distanz zuließ, die solche Angriffe ermöglichte. Einmal mehr empfand er es als vorteilhaft, sich mit Aikido-Übungen befasst zu haben. Zwar konnte man einen derartigen Einsatzzweck nicht antizipieren, doch Wahrscheinlichkeiten spielten ihm hier erfreulich in die Karten! Während Masaya noch beiläufig darüber sinnierte, wie wohl die Chancen standen, auf jemanden zu treffen, der ihn so feurig, aber inkonsequent bis dilettantisch zu verprügeln trachtete und bei dem er selbst nicht den geringsten Wert auf schmerzhafte Gegenmaßnahmen legte, rammten sie zum wiederholten Mal Hikarus großes Bett. Unseliger Weise knickten Masaya die Knie ein. Er kam ins Trudeln. Hikaru intendierte, die günstige Gelegenheit zu nutzen, Masaya zu Fall zu bringen, ihn dann so was von zu verdreschen! Weniger die Absicht als den möglichen Aufschlagpunkt erahnend initiierte Masaya eine halbe Drehung. Sie beide landeten sehr heftig auf dem Fußende des Bettes, aber zumindest nicht hart eine Etage tiefer auf dem nicht sonderlich gastfreundlichen Teppich. ~~~>#*** "Uff!" Ächzte Hikaru, da Masaya AUF ihm residierte, was so ganz sicher nicht vorgesehen war. Zumindest nicht für eine zünftige Abreibung! Was war das für ein merkwürdiges Knacksen? "Nicht bewegen!" Wisperte der miese Mistkerl an seinem Ohr. "Hättest du wohl gern!" Fauchte Hikaru. Außerdem mochte er es gar nicht, so eingekerkert zu werden. Der Depp wog Tonnen! Wahrscheinlich all die tollen Kohlenhydrate! Es knackte erneut. Nun hielt auch Hikaru die Luft an. Irgendwie nahm sich dieses Geräusch unheilverkündend aus. Er spürte eine leichte Bewegung. Masaya zischte, riss ihn in einer Rolle herum Richtung Kopfende. Dann brachen die verkleideten Ständer am Fußende des Bettes ein. ~~~>#*** "Das ist nicht wahr." Behauptete Hikaru fast flehentlich entgegen der Realität. Sein Bett hatte immer so massiv ausgesehen! Bei unfreiwillig näherer Inspektion stand es auf recht schlichten Stempelchen, die man geschickt mit straffem Stoff verkleidet hatte. Momentan tatsächlich nur noch zwei Stempelchen, denen es gar nicht gefiel, die gesamte Last tragen zu müssen. Masaya räumte wortlos Kissen und Decke beiseite, lupfte die große, durchgängige Matratze an. "Bloß nicht gegen den Spiegelschrank!" Schrillte Hikaru hastig. Er erwartete förmlich, dass wie bei einem Dominospiel gleich die nächste Katastrophe eintrat. Masaya lehnte, leicht außer Atem, denn die Matratze erwies sich nicht nur als unhandlich, sondern auch als schwer, diesen "Dominostein" gegen den verankerten Teil der Schiebewand zum Wohnzimmer. Das Bettgestell präsentierte nur einen sehr einfachen Lattenrost. "Toll." Murmelte Hikaru. "Meine Kaution ist so was von futsch!" Innerhalb kürzester Zeit waren gleich zwei Möbelstücke des Vermieters ruiniert worden. Das würde sich SEHR GUT bei seinem Leumund auswirken! Einfach PRÄCHTIG! "Wir könnten etwas unterlegen." Masaya inspizierte das Fußende. "Bei dem schmalen Rahmen? Vergiss es." Hikaru seufzte. "Außerdem liegen bei mir gerade keine Leichtbetonsteine herum." Masaya schenkte ihm einen prüfenden Blick. "Was?! Ja, ich habe auf dem Bau arbeiten müssen!" Fauchte Hikaru verärgert. "Da nehmen sie nun mal Ungelernte vom Land gern für Hilfsjobs!" "Was ist mit Kartons? Kisten?" Resignierend schüttelte Hikaru den Kopf. In seinem Appartement würde sich nichts Passendes finden. "Wir schrauben eben die anderen Stempel auch ab." Entschied sich Masaya ungerührt für eine pragmatische Lösung. Der Bettrahmen erschien ihm ohnehin verdächtig dünn und leicht. "Spinnst du?! Das Bett gehört mir nicht!" Warf Hikaru ein. Masaya kippte den Bettrahmen samt verankerten Lattenrost schon auf die Seite. "So kann man es aber nicht mehr benutzen." Stellte er knapp fest. "Sieh dir mal die Risse und Splitter an! Ganz schlechte Qualität." "Und?!" Schnaubte Hikaru. "Trotzdem muss ich den Schaden ersetzen!" "Wir reparieren es eben so, dass es nicht weiter auffällt. Winkeleisen?" Masaya schraubte schon die Stempelchen ab. Es ging erschreckend schnell. "Quatsch, Winkeleisen!" Hikaru ging neben ihm in die Hocke. "Sieh dir das doch an! Die Schrauben würden hohl drehen, da ist nicht genug Substanz!" "Sag ich ja." Fühlte Masaya sich bestätigt. "Ganz schlechte Qualität." An seiner Seite verdrehte Hikaru die Augen. "Toll, Professor, kostet mich trotzdem eine Stange Geld!" "Wir ersetzen eben das Bett!" Masaya befand, dass genug Aufhebens um dieses Sperrholzmöbel gemacht worden war. "Ja, DA spricht wieder das verwöhnte Söhnchen mit dem Gold-Besteck!" Ätzte Hikaru. "Hauptsächlich Porzellan." Korrigierte Masaya schmunzelnd. "Stäbchen und Löffel. Von meinen Großeltern geerbt. Pflegeleicht und umweltfreundlich." Hikaru knurrte. "Ich kann dich NICHT ausstehen!" Verkündete er grimmig. Unterdessen richtete sich Masaya auf. "Das ist kein besonderes Möbelstück." Konkludiert er. "Wir finden bestimmt etwas Ähnliches. Es ist nicht hochwertig, kein besonderes Design." "Wie nett! Ich darf neben all den Katastrophen auch noch ein Bett suchen gehen, ohne Job, ohne Einkommen und bald ohne Unterkunft! Danke schön!" Säuselte Hikaru bitter. Masaya strich ihm uneingeladen über den frisch gestutzten Schopf. "Das ist keine Herausforderung." Versprach er lächelnd, während Hikaru neben ihm förmlich raketengleich in die Höhe schoss, aufgebracht über diese vertrauliche Geste. Masaya wich einer Attacke aus, indem er Hikaru einfach umarmte. "Loslassen! Du machst es bloß schlimmer, du Idiot!" Zeterte Hikaru, aber mit eingeklemmten Armen entfiel eine wirkungsvolle Demonstration seines Unmuts. "Lass uns etwas Reisbrei essen." Masaya hauchte ihm warm auf die nackte Schulter. Die Figaro-Einlage war nicht von einer anständigen Einkleidung gekrönt gewesen. Hikaru zappelte unwillig. "Siehst du hier irgendwo den labbrigen Kram?!" Schimpfte er unwirsch. Woher sollte er das Zeug auch nehmen, typisches japanisches Trostfutter für Kinder! "Hab ich mitgebracht, als ich das Färbemittel gekauft habe." Erläuterte Masaya unverdrossen. In seinem Armen winselte Hikaru gequält auf. "Du gehst mir SO WAS von auf die Nerven!" ~~~>#*** Wie hatte das nur so ausarten können?! Hikaru tastete nach seinem Lichtwecker, der neben der Matratze residierte. Auf dem Boden. An der Schiebewand lehnten in seinem Blickfeld fein säuberlich zerlegt die Reste des ehemaligen Betts. Widerwillig drehte er den Kopf. Glücklicherweise erwies sich seine andere Matratzenhälfte als geräumt. Dieser Godzilla-Verschnitt war verschwunden! Die Restmähne raufend, vielmehr den Pony verwirrend, stemmte sich Hikaru in eine sitzende Haltung. Nach dem frugalen Mahl musste er mit diesem Depp doch tatsächlich Angebote durchforsten, bis sie einen adäquaten Ersatz für das Bett gefunden hatten! Weil es sich leichter ausnahm, Einzelteile unauffällig abzutransportieren, war noch eine Zerlegungsaktion erfolgt. Was natürlich zu einer zwangsweisen Übernachtung führte, da kein Zug mehr verkehrte, der lästige Quälgeist einfach nicht mehr exiliert werden konnte! Die wie gewohnt vollkommen verdrehte Bettdecke entwirrt befreite sich Hikaru, kam auf die Beine. Verflixt, er hatte zu packen, ein Interview zu geben, doch stattdessen... und seine Haare! Sich elend fühlend wankte er ins Badezimmer, wollte dem Grauen gar nicht ins spiegelverkehrte Gesicht schauen. Wie er bloß ausschaute! So...so...nun ja, nicht wirklich brav. Schon speziell. Aber eben nicht kernig! Kein Hauch von unbegrenzter Freiheit, Strand, Sonne, Beachgirls! Eher wie einer dieser Visual-Kei-Musiker, ohne Makeup oder Schmuck. Zu japanisch. Nicht altbacken, aber einfach nicht exotisch genug für seinen Geschmack! Ganz bestimmt nicht mehr wie ein Cowboy! Was sollte er jetzt bloß anziehen?! Wahrscheinlich würden ihm jetzt sogar seine Hüte über die Augen rutschen, weil dieser Vollpfosten ihn praktisch kahlgeschoren hatte! Hikaru winselte, kauerte sich vorm Waschbecken zusammen. Dem zimtzickigen Suga würde es ein FEST sein, ihn runterzuputzen! ~~~>#*** Eigentlich interessierte sich Masaya nur marginal für die Parallelwelt, in der er sich bewegte, wenn er die Pornos drehte. Ihn kümmerte sein äußeres Erscheinungsbild wenig. Er richtete sich einfach nach den Profis. Was die Praktiken betraf, hatten ihm seine Kollegen wirklich sehr ausgeholfen. Er war nicht mit diesen Details vertraut gewesen. Sex war auch Kopfsache, was sich recht erfolgreich abwickeln ließ. Nicht mal die gebotene private Zurückhaltung belastete ihn. Fan-Briefe ermöglichten ihm, sich einer anderen Empfindungswelt anzunähern. Nicht, weil sie von Männern stammten, wohlgemerkt, sondern weil er sich um die emotionale Seite bisher nicht bemüht hatte. Menschen waren eben nicht sonderlich interessant gewesen. All die Sehnsüchte und Wünsche, nach Verständnis, nach Zuneigung, nach Zugewandtheit und Vertrautheit, nach Nähe und Unterstützung: zum ersten Mal begriff er sie. Sie wandelten sich von einem theoretischen Konzept zu einer realen, tatsächlichen Notwendigkeit. Notwendig, weil er all das von Hikaru zu erlangen hoffte. Allein konnte man sich dieses Begehren nicht erfüllen. Eigentlich lästig. Wer wollte sich schon bei nüchternem Verstand etwas ausliefern, was sich möglicherweise nur mit einem potentiell existierenden aber unbekannten Gegenüber umsetzen ließ?! Doch Hikaru WAR ihm ja begegnet, aus der Möglichkeit war eine direkte Wahrscheinlichkeit geworden! Er spürte auch Verletzlichkeit, Unsicherheit, das Verlangen nach Anerkennung. Also, folgerte er entschieden, verhielt es sich bei ihrem Publikum nicht bemerkenswert anders. Hikaru stellte wie auch die anderen Mitwirkenden eine Projektionsfläche dar. Umgekehrt bezogen sie ihr berufliches Selbstverständnis aus der Anerkennung ihrer Zuschauer. Jeder versuchte zu antizipieren, was dem anderen zusagte. "Das kann nicht so schwierig sein." Sprach Masaya sich selbst Mut zu. Tetsu behauptete schließlich auch immer, das sei ein Kinderspiel! Also ran an die Tasten! ~~~>#*** "Da ya think I'm sexy?" Ungläubig starrte Hikaru auf die Webseite der Manhunt Film Production. Er wollte eigentlich telefonisch zu Kreuze kriechen, als Nishino schon bei ihm mit einem Anruf angezeigt wurde. Der Server ächzte (zumindest virtuell) unter der Last der Kommentare zu seinem neuen Porträtbild auf der Galerie der Darsteller. Der gewissenlose Verursacher hatte nicht nur diesen Titel gewählt, sondern auch gleich die nächste Zeile des Refrains genutzt: "com'on, baby, let me know!" Masaya. Dieser Spinner! Hatte ihn ungefragt im Schlaf abgelichtet, mit der neuen Frisur, das Bild hochgeladen (wie zum Teufel kam der an die Administratorenrechte?!) und gleich den ersten Kommentar verfasst. [Mit dir würde ich jederzeit die Laken zerwühlen und das Bett zum Einsturz bringen. Masaya] Hikaru ächzte, während Nishino ihn nachsichtig tadelte, eine Vorwarnung trotz des Debakels mit dem Hairstylisten wäre hilfreich gewesen. Der TYP konnte NIE angemessen lügen! KEIN EINZIGES MAL! ~~~>#*** Das Interview nahm mehr Zeit in Anspruch als geplant, weil sich Hikarus Typveränderung natürlich mit der Geschwindigkeit eines Shinkansen verbreitet hatte. Masaya wartete im Foyer, ignorierte neugierige bis eindeutig interessierte Blicke. Er selbst hatte alle Arbeiten erledigt, sich für die Tage der Reise abgemeldet. Lediglich das Wochenende lag noch dazwischen. Hikaru erschien, in halbhohen Schnürstiefeln, die Kapuze eines Sweatshirts übergestülpt, in Jeans und roter Fransenjacke. Ohne Stiefel und Cowboyhut wirkte die Kombination unvollkommen. "Oh. Du." Seufzte er resigniert, als Masaya sich von der Wand löste, ihm in den Weg trat. "Lass uns das Bett bestellen." Masaya lächelte leicht. "Danach etwas essen. Du bist bestimmt nicht dazu gekommen." Erneut stieß Hikaru einen langen Atemzug aus. "Deinetwegen hab ich nichts mehr zum Anziehen." Meckerte er, doch ohne die notwendige Giftigkeit. "Mir fehlt auch noch ein passendes Outfit." Zwinkerte Masaya. "Nehmen wir das gemeinsam in Angriff? Ich vertraue auf deine Expertise." Hikaru winselte. "Ich muss mir echt mal den Kopf untersuchen lassen!" Grummelte er leise, folgte Masayas Führung. Welches Desaster würde ihn wohl als Nächstes erwarten? ~~~>#*** Hikaru bestand darauf, dass zunächst die Frage des neuen Betts abgehandelt wurde. Deshalb führte sie ihre Rundfahrt in ein entsprechendes Möbelgeschäft. Ohne Irrwege. Aber er hätte den Teufel getan, Masaya dafür gedankt! Der hatte ja durch seine verdrehten Einfälle das Bett quasi erlegt! "Da, ist es das?" Schon stapfte der wieder vorneweg! "Stopp!" Donnerte Hikaru entschlossen, packte die verhasste Dufflecoat entschieden am Saum. "Das ist nicht das Richtige!" "Wirklich? Für mich sieht..." Masaya studierte ihn aufmerksam, verstummte brav ob der gebieterisch erhobenen Rechten. "Okay, Schlauberger, wie viele Möbel, mein zerstörtes Bett ausgenommen, hast du schon bewegt?" Masaya grübelte offenbar. "Aha!" Beendete Hikaru in grimmigem Triumph die Exploration in die Vergangenheit. "MEINE Expertise!" Er schob sich energisch an Masaya vorbei, grollte. "Typisch reiches Bübchen! Hättest auch mal Möbel schleppen sollen!" Mit geschultem Blick fand Hikaru eine Version, die dem vermieteten Exemplar ausreichend ähnelte, ohne jedoch vergleichsweise schlechter Qualität zu sein. Er wollte schließlich nicht für die Dauer der Gebrauchsüberlassung (noch war er ja NICHT GEFEUERT und mangels Einkommen in Kürze OBDACHLOS!) das nächste Debakel erleben, mit Holzsplittern gespickt aufwachen! Rasch erledigte er die Orderoptionen, Lieferung und Aufbau nach ihrem Dreh. "Puh!" Atmete er tief durch, als sie aus dem Geschäft traten, beäugte Masaya mit deutlichem Abscheu. "Wieso trägst du schon wieder diesen nassen Kartoffelsack?!" Referierte er angewidert auf die Dufflecoat. "Hatten sie dieses Ungetüm nicht in deiner Größe?!" Masaya inspizierte seine Oberbekleidung. "Sie ist eben bequem." Antwortete er nach angemessener Zeitspanne, um Hikaru auf die Palme zu bringen. "Bequem?! Herrje, sie ist BEQUEM!" Schnaubte der prompt theatralisch echauffiert. "Pyjamas sind auch bequem, willst du die demnächst auch auf der Straße tragen?!" Neben ihm lächelte Masaya nachsichtig. "Ah, wollen wir jetzt für offizielle Auftritte etwas suchen?" Hikaru fauchte übertrieben. "FINDEN! Sonst sucht mich weiterhin dieses geschmacklose Grauen heim!" Er kramte nach seinem Mobiltelefon, runzelte die Stirn unter der Kapuze. "Da müssen wir hin." Ließ er Masaya an ihrer nächsten Destination teilnehmen, drehte sich um die eigene Achse. Verflixt, wieso war das GPS bloß so ungenau?! In diesem Moloch kam es auf Zentimeter an! Und das richtige Geschoss! "Ich denke, ich weiß, wo das ist." Machte Masaya sich bemerkbar. "Du warst schon mal da?!" Hikaru wollte es nicht glauben, fiel artig in den Schritt. Neben ihm zwinkerte Masaya. "Dachte ich mir!" Ätzte Hikaru erleichtert. Wie konnte auch jemand in SO EINER AUFMACHUNG sonst auftreten?! Sein Mobiltelefon zuckte vor sich hin. Hikaru seufzte, nahm den Anruf entgegen. Nun, nicht ganz, er stopfte das Telefon in seine Jackentasche, ignorierte Sugas Tiraden. Klar, der musste sich ja über ihn auskotzen! Masaya, der sie rasch zur nächsten Bahnstation geleitet hatte, lupfte dezent eine Augenbraue. "Totale Dramaqueen." Hikaru rollte die Augen. "Ich hör da nie hin." Außerdem war ihm schleierhaft, warum Suga glaubte, es würde etwas ändern, wenn er ihm die Ohren vollplärrte. Schmunzelnd konzentrierte sich Masaya darauf, Hikaru zu ihrem nächsten Ziel zu lotsen. ~~~>#*** "Nein, viel zu groß!" Hikaru schüttelte energisch den Kopf, packte Masayas Dufflecoat, der sich schon an diese Behandlung gewöhnte, zerrte ihn von den Kleiderbügeln weg. "Lass mich das machen!" Befahl er, die Kapuze in den Nacken schiebend. "Du hast NULL Geschmack! Ehrlich, man glaubt, wir wollten ein Nilpferd einkleiden!" Masaya wich artig, stopfte die Hände in die Taschen. "Schmoll jetzt bloß nicht herum!" Warnte Hikaru ihn unversehens vor. "Expertise! Meine!" Konzentriert widmete er sich dem Angebot. Ein Anzug, flott geschnitten, Masaya verfügte über die entsprechende Figur. Nicht zu eng, damit der sich bewegen konnte. Bloß nicht so ein unförmiges Zelt! Dazu ein Hemd, geknöpft. Schmalen, sehr schmalen Binder, schwarz-weiß, passte praktisch bei jeder Gelegenheit. Und einen Gürtel. Bisschen Blingbling, aber nicht übertrieben. Masaya, der die Umkleide verließ, betrachtete sich kritisch. Seinem Gammelstudenten-Look entsprach dieser Aufzug ganz sicher nicht! Mondän. Und ein wenig Hardrock. "Also, das Hemd..." Setzte er an, doch Hikaru befand sich im Arbeitsmodus, somit auf dem Kriegspfad gegenüber Interventionen durch blutige Amateure. Zweifelsohne hatte die Dufflecoat ihn für jeden konstruktiven Beitrag diskreditiert. "Keine Diskussionen. T-Shirts mit Rundhals sind verboten, klar? Hemden!" Hikaru knöpfte auf. "Eigenwerbung, zeig, was du hast! Dezenter Schmuck nicht die Talmi-Variante! Haut! DAS wollten die Leute sehen!" Ein ermahnender Finger stach Löcher vor Masayas Nasenspitze in die Luft. "Komm mir nicht mit Bequemlichkeit! Wenn du nicht bügeln kannst, lass es machen!" Entschieden drehte er Masaya vor sich im Kreis, ging in die Hocke, zupfte hier und da. "Gut!" Befand er endlich. "Dazu wechselnde Hemden. Weste geht auch, aber kein Großvaterschnitt!" Er federte elastisch hoch. "So kannst du dich sehen lassen. Zieh dich um, ich lass das Zeug schon einpacken!" Sehr effizient wickelte er auch dieses Geschäft ab. Masaya ließ es sich gefallen, auch wenn er selten so viel Geld in Bekleidung investiert hatte. Erneut traf ihn ein sezierender Blick. Nicht mal die Kapuze hatte sich Hikaru in seinem Pflichteifer übergezogen, obwohl sie sich wieder auf der Straße befanden. "Schuhe!" Gab Hikaru den nächsten Programmpunkt aus. Masaya wagte ein Seufzen. "Ah?!" Schon wuchs Hikaru wie der blutige Rächer vor ihm aus dem Boden. "Keine Widerrede!" Er rückte in vertrauliche Nähe. Die Augen blitzten. "Wenn ich dich noch EIN MAL mit deinen ausgelatschten Sneakern bei einem PR-Termin sehe, ramme ich dir den Dominator da hin, wo die Sonne nicht scheint. Verstanden?!" Brav winselnd nickte Masaya, der sich insgeheim amüsierte. "Weise Entscheidung!" Lobte Hikaru, kreiselte schon wieder beim vergeblichen Versuch der Orientierung. Rasch zückte er sein Telefon, mit einem befriedigten Knurren. Suga hatte zwischenzeitlich registriert, dass seine Vorträge lediglich dem Futterstoff der Innentasche gehalten wurden, keineswegs an die Ohren ihres OFFENBAR DURCHGEKNALLTEN Superstars drangen. "Wo ist jetzt...?" Er blickte sich um. Masaya, der auf diese subtile Weise eingeladen war, seine Assistenz zu beweisen, setzte sich in Bewegung. "Danach gehen wir etwas essen, ja?" Hinter ihm schnaubte Hikaru mit der resignativen Verzweiflung aller Eltern angesichts von Einkaufstouren mit dem Nachwuchs. Ehrlich, hatte der Kerl keine anderen Prioritäten?! ~~~>#*** Masaya apportierte wohlerzogen die Papiertaschen, fühlte sich vage an die letzte Einkaufstour mit seiner Mutter erinnert. Damals zum Kauf der Uniform für die Oberstufe. Etwas verdrossen blickte Hikaru um sich. Die Fütterung der Raubtiere war zugesagt, aber wohin? "Ich glaube, ich habe dahinten ein passendes Restaurant entdeckt." Brachte Masaya sich ein. "Denk dran, wir müssen drehen! Bloß keine Exzesse!" Schüttelte sich Hikaru. "Ah!" Kopierte Masaya herausfordernd seinen Tonfall. "Bist du auch chef de cuisine gewesen?" Ihn traf ein zorniger Blick, nun unter der Kapuze. "Das ist jetzt meine Expertise." Schnurrte Masaya förmlich. "Begabter Esser auf Sterne-Niveau." "Pah!" Murrte Hikaru hinter ihm, die Schultern hochgezogen. "Angeber!" Was Masaya nicht aus dem Konzept brachte. Das von ihm angesteuerte Restaurant bot leichte, eher bürgerliche Küche. Kein Gourmet-Tempel, kein In-Laden für Teenager. Während sie an einem sehr schmalen Tisch auf ihre Bestellung warteten, blätterte Hikaru sein Notizbuch auf, kritzelte Zeichen unter Zeichen, sehr konzentriert, schenkte seiner Umgebung keine Beachtung. Über den Tisch tippte Masaya schließlich mit den Fingerkuppen auf Hikarus Handrücken. "Manieren." Erinnerte er sanft. Nunmehr füllten Schälchen und Schüsselchen die Tischplatte, was Hikaru offenbar nur registriert hatte, um ein wenig abzurücken. Eine widerwillige Grimasse ziehend verstaute der sein Notizbuch. "Arbeit." Grummelte er. "Guten Appetit." Lächelte Masaya. "Hrmpf." Er benötigte beim Essen keine Unterhaltung, nein, empfand sie sogar als störend. Tischgespräche gab es zu Hause nur in den Pausen zwischen den Gängen, oder eben danach. Dass alle durcheinander plapperten, gleichzeitig aßen, galt in seinem Elternhaus als eine unkultivierte Unsitte, die der Kulinarik nicht die gebotene Ehrfurcht entgegenbrachte. "Nimm auch von dem dunklen Blattgemüse." Neckte er Hikaru, der den Speisen durchaus zusprach. Offenbar schien sein Appetit doch angeregt. "Mag nich!" Grollte der wenig ältere Mann. "Klebt im Gebiss." Ein gewichtiger Hinweis. Wäre Masaya nicht inzwischen mit Hikarus Gewohnheit vertraut gewesen. "Sagt der Mann, der stets eine Reisezahnbürste und Mundwasser bei sich trägt." Konterte er. Ein bitterböser Blick, den kein pubertierender Teenager besser hätte abfeuern können, sollte ihn mittschiffs versenken. Allerdings hätte Hikaru dazu schon einen ganzen Eisberg aufbieten müssen. Masaya lächelte bloß nachsichtig, schob die Schale mit dem abgelehnten Gemüse etwas näher an Hikaru heran. "Denk an deine Gesundheit." Ergänzte er. "Als Profi." Eine spontane Grimasse später stippte Hikaru tatsächlich in der Schale herum, Todesverachtung auf der Miene. Ihm gegenüber konstatierte Masaya für sich, dass er es nie müde wurde, Hikaru zu betrachten. Es gab so viel zu entdecken! ~~~>#*** Aus ihm selbst unerfindlichen Gründen hatte er Masaya nicht strikt untersagt, ihm an den Hacken zu kleben. Deshalb invahierte der erneut sein trautes Heim, nun mit Tütengepäck. "Ich muss mich jetzt konzentrieren, also Schnabel halten!" Gab Hikaru eine strenge Order aus. Er zupfte ein weißes Bettlaken über die Couch, öffnete die gesamte Breite des Spiegelschranks und weitere Wandschränke mit Schachteln und Tüten. Bewaffnet mit Klebezetteln und seinem Mobiltelefon drapierte er Bekleidung, Hüte, Accessoires, Schuhe auf dem Bettlaken, lichtete das jeweilige Arrangement ab, packte Kleider mit in Hutschachteln, sortierte. Natürlich registrierte er Masayas Blicke, der es sich auf einem Couchkissen bequem gemacht hatte, ihm zusah. Hikaru kehrte ihm den Rücken zu, tätigte einen Anruf. "Ja, ich bin's." "Na ja, hin und wieder muss man sich eben neu erfinden." "Deswegen rufe ich ja an." "Also, ich schicke dir die Bilder. Packe alles zusammen, damit am Montag ein Kurier das Zeug abholt. Kommission, genau." "Schön, was verlangst du? Die weißen Chaps vom Okinawa-Dreh? Ich weiß nicht..." "Abgemacht. Hast du die Bilder schon? Ja klar, natürlich ist alles beschriftet!" "Nein, die ganze Woche ist ein Dreh im Norden angesetzt. Wahrscheinlich kurz vorm Ende der Welt!" "Tsk, was denkst du denn?! Ich lauf natürlich jetzt nackt herum, Scherzkeks!" Er klappte entschieden das Telefon zu, blickte sich um. "Kann ich helfen?" Brachte sich sein stalkender Konkurrent in Erinnerung. Hikaru seufzte. "Kann so ein Brainiac wie du mit Kartons und Klebeband umgehen?" ~~~>#*** Masaya deponierte den letzten Karton auf dem Stapel direkt neben der Appartementtür. Wie es schien, blieb von Hikarus Cowboy-Yankee-Kleidung nicht mehr viel übrig. Die Koffer für die Drehtage hatte er auch geöffnet, das Notizbuch zur Hand. Sich zu ihm gesellend studierte Masaya ebenfalls interessiert das Aufgebot. "Kerzen? Befürchtest du Stromausfälle?" Hikaru schnaubte leise. "Das sind keine gewöhnlichen Kerzen, du blutiger Amateur! Die hier sind speziell präpariert, damit es keine Brandwunden gibt, wenn man sie einsetzt." Ohne weitere Aufforderung erhielt Masaya eine ausführliche Expertentour durch Hikarus verblüffend vielfältiges Sortiment, über Stricke, Bänder, Sexspielzeug aller Art, mechanisch, elektronisch, sogar traditionell. "Handwerkszeug." Wurde er ermahnt. "Regel Nummer 1: niemals einen Kollegen verletzen. Also fragen, wenn man sich nicht auskennt, klar?" Masaya salutierte geschmeidig. "Ich mein's ernst!" Fauchte Hikaru entsprechend gegen den Strich gebürstet. "Auch wenn du Amateur bist, trägst du die Verantwortung mit! Das ist ARBEIT, verstanden?! Nicht irgendein Hobby!" Ganz offenkundig bestand noch immer bei Hikaru die Überzeugung, dass er herablassend über seine Nebenjob-Beschäftigung dachte und entsprechend agierte. "Wusstest du über all diese Dinge schon am Anfang Bescheid?" Masaya fing mit einer Geste das Panoptikum ein. Über die Kartonage gebeugt knurrte Hikaru vernichtend. Fragen zu Privatleben oder Vergangenheit waren weiterhin ein vermintes Gelände und tabu! Was Masaya nach eigenem Entschluss nicht aufhalten würde. Er wollte mehr erfahren über diesen ungewöhnlichen Mann, der ihn unverändert faszinierte. Strategisch geschickt schien es jedoch, für den Moment auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen. "Wo ist der Dominator, den du mir vorstellen wolltest, falls ich noch mal mit Sneakern aufkreuze?" Unverdrossen notierend, sortierend, weiterhin konzentriert antwortete Hikaru. "Der ist bei der Agentur. So was setze ich nicht ein." "Ist er mal eingesetzt worden?" Erkundigte sich Masaya neugierig. Kurz blickte Hikaru auf, über das aufrichtige Interesse verwundert. "Früher mal. Als ich gerade anfing. Aber der Prügel ist nur etwas für absolute Könner." Masaya wartete auf weitere Einlassungen, mit hilfreich-nötigendem Laserblick. Seufzend legte Hikaru das Notizbuch kurz beiseite. "Damals gab es auch jemanden wie Miu, sehr jung aussehend. Der Bursche war aber schon viel älter, sehr erfahren, flexibel und hatte Spaß am Sex. Er hat auch die etwas extremeren Phantasien bedient. Das machte ihm nichts aus. Zwischen den Drehs absolut wortkarg, sehr reserviert, beinahe in sich gekehrt, aber vor der Kamera ging jedes Mal die Post ab." Hikaru strich sich gedankenverloren über die gestutzte Mähne. "Du hast das ja schon mitbekommen. Was nachher im Film wie von selbst läuft, benötigt tatsächlich viel Vorbereitung und Übung. Er bekam das hin, ohne sich zu verletzen." "Was macht er jetzt?" Schnaubend sortierte Hikaru weiter durch seinen Fundus. "Tja, genau weiß ich das nicht, aber eines Tages tauchte ein Ausländer auf, gebaut wie ein Schrank, nur Muskelmasse, fast wie einer von diesen Bodybuildern." Er gestikulierte. "Es stellte sich heraus, dass sie eine Brieffreundschaft pflegten. Auf Englisch. Vermutlich lief das viel flüssiger als mit uns. Jedenfalls hatte dieser Ausländer so eine Art Gendefekt, sah deshalb wie ein Gorilla ohne Haare aus, absolut beeindruckend. Suga wollte ihn auch prompt unter Vertrag nehmen, aber darum war der Typ nicht um die halbe Welt gereist, im Gegenteil: er wollte seinen festen Freund endlich abholen, damit sie ihr Leben zusammen verbringen." Ein zynisches Lächeln huschte über Hikarus Gesicht. "Kitsch hoch drei. Sollte man meinen. Bloß standen die beiden wirklich aufeinander, sind abgezischt. Wir haben nur noch mal eine Karte bekommen, mit komischen Holzschuhen, Blumen und Käse drauf. Happyend in Übersee." "Ihr habt nie mehr was gehört?" Masaya studierte Hikarus angespannte Haltung. Ein grimmiger Blick traf ihn. "Streng mal dein Hirn an, Professor! Wenn du raus bist, bist du raus und vergisst diesen Teil deiner Biographie. Ist nämlich nicht gerade eine Empfehlung unter den hübsch normalen Leuten." Masaya ignorierte bewusst die Alarmglocken, die ihn davon abhalten sollten, dieses Thema zu explorieren. "Was ist mit Hondo? Er ist doch schon seit Jahren dabei." Hikaru schnaubte. "Er ist eine Ausnahme, in Ordnung?! Er konnte sein Image anpassen, hat eine feste Fan-Basis. Männer in seinem Alter, Jungs mit Onkelchen-Komplex, etc. Aber so viele Möglichkeiten gibt es da nicht. Außerdem scheint er sein Geld auch anders zu verdienen, aber das geht niemanden was an." "Du meinst, er hat noch einen anderen Beruf?" Masaya gab nicht auf. "Sonst könnte er wohl kaum eine Familie ernähren, oder?" Keilte Hikaru schnippisch zurück. "Jetzt genug davon. Wenn du so was wie ein Privatleben führen willst, behalt es für dich. Vor allem in der Hörweite unserer Dramaqueen." Masaya kontemplierte diese Offenbarungen eine Weile schweigend. Er verfolgte, wie Hikaru von sich selbst absorbiert arbeitete, notierte, Kleider und Accessoires zusammensuchte, zwischen dem sichtlich erleichterten Spiegelschrank und den Koffern hin und her wieselte. "Da!" Unvermittelt drückte Hikaru ihm den skandalös-durchscheinenden, schwarzen Overall in die Hand. "Behalt ihn." Unter den Ponysträhnen hochblinzelnd nahm Masaya zwar das Stoffbündel entgegen, zögerte jedoch. "Schau nicht so kariert!" Wurde er prompt ermahnt. "Das Outfit ist jetzt mit dir verbunden. Ah, und hier, die Mariachi-Hemdbluse, die auch!" Bevor noch eine Gegenrede einsetzen konnte, erläuterte Hikaru emsig den Einsatzzweck. "Schwarz, die eingestickten Blumen nicht zu auffällig. Mysteriös, exotisch, ein bisschen animalisch. Passt gut zu deinem Image." "Animalisch?" Wiederholte Masaya skeptisch. Das brachte ihm ein unverkennbares Augenrollen ein, während er gleichzeitig noch einen Anhänger an einem Lederband erhielt, eine Art Totenmaske. "Halt still!" Hinter ihm kniend befestigte Hikaru ungefragt den Halsschmuck, drehte Masayas Kopf am Kinn zu sich, prüfte Profil und Silhouette. "Ja, gut. Merk dir das!" Schon wurde Masaya lektioniert. "Tendiere eher zu Silberschmuck. Keine Holzperlen, kein Kunststoffzeug. Sparsamer Einsatz! Anhänger um den Hals-keine Ohrringe. Krawattennadel-kein Armband. Nie übertreiben! Einzelne Schlaglichter setzen." Hikaru erhob sich wieder, paradierte geschäftig an seinem Kleiderschrank. "Wieso animalisch?" Warf Masaya den ihm bedeutenden Gesprächsbeitrag auf. Hikaru wischte sich geistesabwesend über den gestutzten Schopf, einen Arm in die schlanke Hüfte gestützt. "Ach, hast du wahrscheinlich nicht bemerkt." Gab er beiläufig zurück. "Bevor du kommst, rollst du immer die Unterlippe leicht ein. Man sieht oben deine Eckzähne. Hat was Wildes. Kann man benutzen." Für einige Augenblicke rang Masaya mit sich selbst. Ihm war das nicht aufgefallen, auch dem Umstand geschuldet, dass er die finalen Filme nicht ansah. Man würde ihm schließlich sagen, wenn etwas nicht passte. Oder? "Da hast du aber genau hingeschaut." Legte er einen Köder aus, Hikaru auf sich zu konzentrieren. Der schnaubte prompt grimmig, wandte sich sogar zu ihm um. "Das ist ARBEIT, du Depp! Bild dir bloß nichts ein!" Die Arme in einer Geste der frustrierten Verzweiflung hochwerfend holte er zu einer offensichtlich notwendigen Basislektion aus. "Du bist für dein Auftreten verantwortlich, kapiert?! Also ständige Selbstkontrolle, Selbstinspektion! Du kannst nicht darauf bauen, dass andere das schon für dich machen, klar?! Es ist DEINE Vorstellung, dein Outfit, dein Image! Die Gesten müssen abgestimmt sein, deine Figuren glaubwürdig! Das ist kein nackertes Kasperletheater!" Unvermittelt beugte Hikaru sich über eine weitere Schachtel, pickte etwas heraus, warf es Masaya zu. "Da! Mach es an dieser Bowling-Tasche fest, die du mit dir herumschleppst!" Ein Schmuckanhänger, silbrig, mattiert. "Wenn du privat unterwegs sein willst, vermumm dich. Sonst bist du geschäftlich auf der Straße. Du repräsentierst!" Masaya beäugte den nicht gerade kleinen Stapel seiner neuen Besitztümer. "Überraschend aufwändig." Kommentierte er, in der Erwartung, damit Hikarus Aufmerksamkeit wieder auf sich zu fokussieren. "Na klar!" Tauchte der, jedoch weniger ergrimmt, aus den Untiefen der Kostümhöhlen hinter dem Spiegelschiebetüren auf. "Kontext! DAS macht den Unterschied!" Gespitzte Ohren signalisierend wünschte Masaya nonverbal weitere Ausführungen zu diesem Thema. Hikaru ließ diese Einladung nicht unbeantwortet. "Sieh mal, wer konsumiert unsere Filme? Doch nicht die, die einen Partner haben und sexuell ausgelastet sind. Die meisten Abfragen über die Webseiten erfolgen über mobile Geräte. Die hat man bei der eigenen Action ja eher selten im Bett." Er lächelte zynisch. "Also, unsere Kunden sind die, die solo spielen, für sich, vielleicht heimlich. Die wollen nicht die banale Kopulation sehen. Das geht zwar kurz auf den Pumpschwengel, aber fühlt man sich danach so viel besser? Nein, sie verlangen Kontext! Sexspiele im Sommer? Intro mit buntem Hemd, Strohhut, Muschelanhänger, Longdrink mit kondensierenden Wasserperlen auf dem Glas. Exotische Orte? Triebwerkgeräusche vom Flugzeug zur Einstimmung, aufgeklappter Koffer. Dazu die entsprechende Musik, damit die Atmosphäre stimmt. Verbotener Fick auf dem öffentlichen Lokus? Gedämpfte Durchsagen, Melodie von der Spültaste, Wasserrauschen, Gesprächsfetzen. Das ist WICHTIG." Masaya lauschte aufmerksam, während Hikaru dozierte, ernsthaft, sogar leidenschaftlich. "Man muss die Zuschauer ernst nehmen! Ihre Vorstellung bedienen, aber nicht ins Lächerliche ziehen! Tagträume, Phantasien, die potentiell möglich sind, in denen sie sich wiedererkennen! Eben dazu auch wir Darsteller als ihre Stellvertreter oder Partner! Der schüchterne, unerfahrene Schüler. Der gutherzige, etwas naive Typ vom Land. Der muskulöse, wortkarge Arbeiter. Der durchschnittliche Angestellte. Der geheimnisvolle oder ungebundene Fremde, der auf den Plan tritt! Dem alles möglich ist, der die Routine durchbricht, der sich auf sie einlässt. Wir verkaufen all den Solisten vor dem Bildschirm scharfe Träume! Filme in ihrem Kopf, die noch laufen, wenn der Piephahn unten längst bedient ist!" Hikaru baute sich vor Masaya auf. "Deshalb: NIMM DAS ERNST!" Ermahnte er ihn unnachgiebig. "Oder steig aus. Halbherzige Aktionen beschädigen unser aller Reputation!" Nun funkelte der gewohnt grimmige Blick. "Die meisten von uns bestreiten so ihren Lebensunterhalt, Prinzchen!" Unter dem Bannstrahl verzog Masaya keine Miene, eine seiner leichtesten Übungen. Sein Fokus legte sich wie von selbst auf Fakten oder noch offene Fragen, weitere Aspekte, sodass er auf die emotionale oder Beziehungsebene einer Unterhaltung nicht selten kaum reagierte. Er registrierte diese Botschaften durchaus, bloß lag sein primäres Interesse eben woanders. Unterdessen schien Hikaru jedoch der Auffassung zu sein, ihn ausreichend lektioniert zu haben. Der hantierte bereits wieder mit Notizbuch und den Rollkoffern, die eine erhebliche Diät hinter sich hatten. "Ach!" Adressierte er Masaya über die Schulter. "Hol dir den schwarzen Mantel aus dem Wandschrank an der Tür! Wenn du dieses Dufflecoat-Ungeheuer entsorgst, bitte in ausreichender Distanz zu meinem Wohnviertel, ja?! Möchte nicht, dass man glaubt, hier würden solche Filzzelte getragen!" Artig erhob sich Masaya, wählte aus dem Schrank den schwarzen Mantel, den er oft an Hikaru gesehen hatte. Hoher Gehschlitz hinten, zusätzlicher Kutscherkragen oben, die Luxusvariante für Western-Haudegen. Konnte Hikaru sich so einfach von diesem Kleidungsstück trennen? "Zieh ihn über!" Kommandierte der schon streng, zupfte an ihm herum. "Ja, da muss nichts mehr dazu." Konstatierte Hikaru beifällig. "Erst dachte ich, vielleicht andere Knöpfe oder ein auffälliges Nahtband, aber so wirkt es doch am Besten." "Warum trägst du ihn nicht weiter?" Masaya wollte diesem Rätsel auf den Grund gehen. "Schwarz!" Tippte Hikaru auf ein Revers, verdrehte ob Masayas weiterhin erkenntnisfreien Blick die Augen. "Mann, guck uns doch an! Schwarze Haare!" Er wischte über Masayas Schopf, seufzte. "HIER irgendwas Mausgraubraunes. Das beißt sich. Mit dem Karamellton hat es geklappt, wirkte krawallig, aber so..." Ein entschlossenes Schulterzucken, als schüttele er gleichzeitig den Anflug von Bedauern und Wehmut abschiedslos ab. "Überhaupt!" Masaya merkte gehorsam auf. "Wieso bist du immer noch hier?! Hast du kein Zuhause?!" "Möchtest du es gern sehen?" Bot er schmunzelnd an. "Spinnst du?! Damit sie mich im Goldenen Palast gleich filzen, dass ich nicht die Silberwaren eingesteckt habe?" Ätzte Hikaru abschätzig. "Vergiss es!" "Ich meinte eigentlich mein Appartement." Korrigierte Masaya amüsiert. Hikaru schnaubte. "Da glotz ich auf deine Bücherreihen, oder wie? Wahrscheinlich hortest du noch mehr grauenhafte Modesünden in der Luxusbude! Pah! Troll dich heim, Professor, die Bücherwürmer sind bestimmt schon einsam!" "Kann ich dir nicht doch noch helfen?" Masaya verspürte einen gewissen Widerwillen, die gemeinsame Zeit schon beenden zu müssen. "Es ist eine große Hilfe, wenn du mit deinem Kram Leine ziehst!" Hikaru stopfte alle Weitergaben aus seinem Besitz in eine große Papptüte, die er ungeniert mit der exklusiven Tasche, die Anzug, Hemd und Schuhe enthielt, an Masaya reichte. "Husch, husch, ab in die Falle! Ich hab noch zu tun!" Es war DIE Gelegenheit. Masaya konnte schlichtweg nicht widerstehen. Statt der Tütengriffe packte er Hikarus Handgelenk, den er damit aus dem Gleichgewicht brachte, lancierte unter geschicktem Balancieren einen Kuss auf die bereits zum Protest geschürzten Lippen. "Danke." Lächelte er hintergründig. Dass Hikaru schäumte und ihm empfahl, sich zum Teufel zu scheren, verstand er als gerechten Lohn für seinen Wagemut. ~~~>#*** "Drecksack!" Fauchte Hikaru. Wie konnte dieser eingebildete Strolch sich erdreisten, ihn zu küssen?! Einfach so?! Nachdem er eine geschlagene Minute in seiner im kreativen Chaos versinkenden Wohnung getobt hatte, stellte er die Energieverschwendung ein. Für diesen blöden Depp konnte er die kostbare Zeit nicht vertrödeln! Schön, die Kommissionsware stand zur Abholung am Montag in aller Frühe bereit. Was sollte er selbst am Montag in den Koffern transportieren?! Das Handwerkszeug war verpackt, aber wen sollte er selbst darstellen?! Unruhig tigerte Hikaru vor der Fensterfront zum Balkon auf und nieder, warf Seitenblicke auf seine Erscheinung. Er MUSSTE sich neu erfinden, ohne seinen Status als ungebundener, kühner, selbstsicherer Freigeist und Hengst zu verlieren! Aber wie? Mit der Frisur und der ollen Haarfarbe! Er blätterte durch sein Notizbuch, warf es auf die Couch, lief den Hindernisparcours durch traurige Reste seines Bekleidungs- und Accessoire-Bestands. Eins war ihm klar: bevor er nicht die Frage beantwortet hatte, wer der neue Hikaru sein würde, brauchte er an Schlaf gar nicht erst zu denken. ~~~>#*** Masaya nutzte sein Privileg ohne einen Hauch schlechten Gewissens. Er ließ sich selbst in Hikarus Appartement hinein, schlüpfte aus den halbhohen Schneestiefeln, hängte den schwarzen Mantel in den Schrank, stopfte die grobe Wollmütze in eine Manteltasche. Lautlos auf Sockensohlen beförderte er seine Reisetasche und ein veritables Picknick ins Wohn-/Schlafzimmer. Hikaru hatte es irgendwie ins Bett geschafft, wo er, alles zerwühlt, tief schlief. Geschickt konterte Masaya den Lichtwecker aus, ließ sich auf der Couch nieder, studierte das Panorama. Es gab eine gewisse Sortierung, durchaus. Und das gewohnte Muster zu tadeln: zwei leere, isotonische Getränkeverpackungen, ein angenagter Proteinriegel. Sein Blick fiel auf Hikarus Notizbuch. Selbstverständlich war Masaya durchaus mit der Konvention vertraut, anderer Leute Aufzeichnung nicht ohne ihre Einwilligung einzusehen. Was ihn keineswegs hinderte, konzentriert Seite um Seite umzublättern. Dieses Notizbuch mit seinem Inhalt stellte das persönlichste Gut in diesem Appartement dar, wo Hikaru sich immer noch hinter einer Maske verbarg! ~~~>#*** Es roch. Ungewohnt. Kaffee? Backwaren...Croissants? Hikaru blinzelte, von den trüben Lichtverhältnissen verwirrt. Wieso schien nicht die künstliche Sonne des Lichtweckers? Du liebe Zeit, wie spät war es?! Blitzartig schraubte sich Hikaru hoch. "Ah, du bist wach!" Stellte eine ekelhaft muntere Stimme ungeprüft Hypothesen in den Raum. "Lass uns frühstücken!" "Ooohh...." Winselte Hikaru geplagt, die Arme um den so arg gestutzten Kopf windend. "Weiche von mir, Dämon!" Über ihm lachte man, vermutlich aus PURER BOSHEIT! Dann, ging man etwa in die Hocke?!, hörte er Masaya allen Ernstes drohen. "Ich küss dich, wenn du nicht rasch die Katzenwäsche erledigst!" "MISTKERL!" Verschaffte Hikaru seiner Empörung Luft, absolvierte eine ungelenke Rolle, rettete sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Masaya zwinkerte bloß. "Beeil dich, ich habe europäisches und japanisches Frühstück mitgebracht. Danach ziehen wir auf diesen Markt, damit du dich einkleiden kannst." Hikaru, noch in gekauerter Verteidigungspose, erstarrte. "Ich werd dir so was von einer Abreibung verpassen!" Schimpfte er aufgebracht. "Na warte!" Weil es lächerlich gewirkt hätte, verschwand er im Badezimmer. Ungewaschen im Pyjama ganz unerträgliche Vollpfosten vertrimmen, das war nun doch ein Stilbruch, den er sich nicht zuschulden kommen lassen würde! ~~~>#*** Masaya fürchtete keine Attacke. Nicht von jemandem, der im Bademantel zum Spiegelschrank geschlichen war, dort fluchte, was nicht half, das Magenknurren zu übertönen. Kein Wunder, bedachte man, was Hikaru zu sich genommen hatte (oder vielmehr, was nicht), wie lange er mutmaßlich daran gefeilt hatte, sich selbst neu zu erfinden. Mit grimmigem Blick hockten sie nun vor der Couch auf dem Boden, Masayas Picknick über die gesamte Fläche des Couchtisches ausgebreitet. "Denk bloß nicht, dass du hier pennen kannst!" Ließ Hikaru ihn wissen. Die prallgefüllte Reisetasche war ihm nicht entgangen. "Es ist leichter, gemeinsam das Gepäck zu befördern." Ungerührt gestikulierte Masaya auf Hikarus Rollkoffer. Die Umhängetasche wäre sicher auch mit von der Partie! "Stell mich nicht als unfähig hin, klar?!" Brauste Hikaru auf, "Ich war schon verdammt oft geschäftlich unterwegs!" "Das stelle ich auch nicht in Abrede." Masaya nötigte Hikaru ein Butterhörnchen auf. "Ich antizipiere lediglich, dass es sich zu mehreren leichter angehen lässt." Hikaru knurrte, rammte betont die Hauer (er hatte jedoch sehr gepflegte und regelmäßige Zähne) in das Backwerk. Ein schiefes Lächeln huschte über Masayas Gesicht. "Was?!" Grummelte Hikaru schließlich irritiert. Den Blick in seinen Kaffeebecher gesenkt antwortete Masaya ihm. "Ich habe darüber nachgedacht, was du gestern sagtest, zu meinem Appartement." Er schmunzelte. "Du hast recht, bedauerlicherweise. Man kann dort tatsächlich nicht mehr tun als lernen und schlafen. Abgesehen von meiner Person habe ich keinerlei Unterhaltung zu bieten." Hikaru schnaubte. "Soll das jetzt ein subtiler Hinweis sein?" Giftete er, jedoch ohne Engagement. Masaya blickte auf. "Auf DIESE Offerte würdest du nicht eingehen, leider." Korrigierte er die ironische Anspielung ohne Groll. "GANZ BESTIMMT NICHT!" Bekräftigte Hikaru entschieden, leerte sein Suppenschälchen. "Alle Achtung, Professor, gut erkannt! Im Übrigen solltest du dich daran erinnern, dass wir einen Job haben. Präziser, eine ganze Woche mit Jobs am laufenden Band. Die Tinte auf dem Füller dient einzig den Dreharbeiten!" Seine Geste konnte nicht missverstanden werden. "Also Hände auf den Rücken, Kamerad!" Masaya lachte leise ob dieser altmodischen Formulierungen. Er streckte die Hand über den Tisch aus, streichelte hauchzart über Hikarus Wange. "Andere Leute haben mich nie sonderlich interessiert. Aber du faszinierst mich. Es wird mir nie langweilig, dich zu sehen, zu erleben. Danke für diese Gnade." Einen dezenten, nicht zu übersehenden Rotstich auf den Wangen später schnaubte Hikaru empört. "Willst du mich mit diesem Schmalz vergiften, oder was?! Komm mir bloß nicht so ehrfürchtig, das kauf ich dir nicht ab!" "Doch." Masaya zwinkerte gelassen. "Das tust du, sonst wäre es dir nicht so wichtig, mir zu widersprechen, gegen meine Worte zu protestieren." "Ha! Bieg dir bloß nichts zurecht, Doktor Freud!" Schimpfte Hikaru, unangenehm berührt. "Bei dir blockiert offenbar Wunschdenken den Restverstand!" "Immerhin gestehst du mir jetzt schon Restverstand zu." Neckte Masaya. "Also kann ich mich in deiner Achtung doch nach oben arbeiten." "Depp!" Donnerte Hikaru, erhob sich abrupt. "Überhaupt, ich hab noch viel zu tun! Räum das hier auf, während ich mich ausgehfein mache!" Masaya salutierte lässig, genoss das grimmige Funkeln in Hikarus Augen. Er hoffte hochgestimmt, dass Hikaru trotz der ständigen Kabbeleien, die er engagiert befeuerte, in seiner Gegenwart nicht mehr so angespannt, so abwehrend agierte, ihm stattdessen, hin und wieder, wie einem Freund begegnete. Sich vielleicht sogar erlaubte, private Gedanken und Details der eigenen Biographie anzuvertrauen. ~~~>#*** Hikaru kontrollierte seine Aufmachung, seine Barschaft und das überlebenswichtige Notizbuch. Alles am Mann! Er wandte sich entschlossen Masaya zu, der offenbar beabsichtigte, ihm nicht von der Seite zu weichen. "Komm mal her!" Kommandierte er grob, drückte ihn auf die Couch, jedoch keineswegs, um Annäherungsversuche sexueller Natur zu starten. "Stillhalten!" Bellte er, packte Masayas Kinn, verpasste ihm mit Kajal einen dramatischen Anstrich. "Wisch nicht über die Augen, klar? Sonst hält man dich für einen Waschbären." Erteilte er Anweisungen. Er hielt entschlossen auf die Appartementtür zu, schnappte sich seine halbhohen Arbeitsstiefel, lupfte sich die Kapuze einer etwas fadenscheinigen Sweatjacke tief in die Stirn. Auch Blouson und Jeans wirkten ganz und gar nicht glamourös. "Mach hin, es gibt viel zu tun!" Grollte er Masaya an, der ihn prüfend betrachtete. Mit einem Lächeln schloss Masaya sich an. ~~~>#*** Eine gewisse Verwunderung hatte Masaya ergriffen, als er selbst so unerbittlich herausgeputzt worden war, während man Hikaru in dieser Aufmachung kaum erkannte. Der Zweck erschloss sich ihm jedoch schnell, als sie sich über den fliegenden Flohmarkt bewegten: man starrte ihn an, tuschelte, staunte, grübelte. Er zog alle Aufmerksamkeit auf sich. In seinem Windschatten, wenig beachtet, sondierte Hikaru das Angebot, handelte, diskutierte, füllte leichte Stofftaschen mit Ballast. Nach fünf Stunden, die sie durch kleine Gassen und Läden geführt hatten, vorbei an Cosplay und künstlerischen Darbietungen aller Art, gestand Hikaru ihm endlich eine Pause zu. Auch wenn diese sie in ein sehr belebtes Familienrestaurant leitete. Sie spachtelten ordentlich, denn Einkaufen (um Shopping des Vergnügens wegen konnte es sich zweifelsohne nicht handeln) war anstrengend und kräftezehrend! "Ich war noch nie so ausdauernd unterwegs, um Geld auszugeben." Gestand er Hikaru ein. Der grinste selbstsicher. "Du musstest nicht mal was kaufen!" Spielte er auf Masayas Rolle als Blickfang an. "Bist du sicher, dass du dich um deine Ex-Freundinnen richtig gekümmert hast?" Masaya lächelte versonnen. "Ich hatte bisher kein Interesse an einer festen Beziehung in dieser Art. Du bist meine Premiere." Ihn traf ein giftiger Blick. "Wenn wir nicht dasselbe gegessen hätten, würde ich ja glauben, dir ist was ins Futter gemischt worden!" Knurrte Hikaru. "Noch mal: schmink dir das ab! Such dir gefälligst ne passende Prinzessin! Oder küss Frösche!" Masaya lachte, was erneut Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Er wirkte eben wie ein geheimnisvoller Star! "Meinst du mit Fröschen einen Pfeilgiftfrosch? Ganz schön radikal." Neckte er Hikaru, der zunächst verwirrt unter der Kapuze hervorlugte, ihm eine Grimasse schnitt. "Hab ich nich gesagt!" Grollte er. "DAS warst du!" Ohne ihre Umgebung zu beachten schnappte Masaya sich Hikarus Rechte, neigte sich über sie, hauchte einen Kuss darauf. Dazu musste er gar nichts sagen. Hikarus hilflos-zornig-empört-verlegenes Schnauben genügte ihm schon als Antwort. ~~~>#*** Hikaru war sich bewusst, dass die Zeit gegen ihn arbeitete. Jetzt, wo er eine genaue Vorstellung davon hatte, wie er sich neu erfinden wollte, galt Bangemachen nicht! Einen Teil seiner Einkaufslast hatte er betont selbstherrlich Masaya zum Transport überlassen. ER verfügte über die Seniorität! Gut, das grenzte mindestens ans Unfeine. Er selbst hatte sich stets darüber geärgert, doch wenn er diese Reaktion bei seinem lästigen Stalker hervorrufen konnte... Was ihm, wie er beiläufig feststellte, nicht gelang. Depp! Grollte er Masaya stumm, konzentrierte sich jedoch geschwind auf seine schier endlose Aufgabenliste, kommandierte Masaya herum. Der ließ dies mit einem nachsichtigen Schmunzeln unkommentiert, was ihn unter normalen Umständen zweifellos gefuchst hätte. Allerdings konnte er sich derlei luxuriöse Gefühlsanwandlungen aktuell nicht leisten! "Leg die alten Magazine da aus, ja? Trenn die Knöpfe von der Jacke ab. Das kannst du doch hoffentlich, ohne dich zu erstechen, oder?" Hikaru fegte umher, baute mehrere Baustellen gleichzeitig auf. Wenn hier etwas trocknete, konnte er da tätig werden! Wenn der Akku seiner kleinen Handnähmaschine nachlud, an anderer Stelle Umnahtband zuschneiden. "Hilf mir mal!" Schon rekrutierte er Masaya, im Badezimmer in einem kleinen Plastikzuber eine ehemals weiße Hemdbluse einzufärben. Er besprühte einen Teil seiner Neuerwerbungen, soweit sie schon überarbeitet und angepasst waren, mit einem feinen Wassernebel, bevor er wie der Teufel bügelte. Frisch bezogene Knöpfe wurden angenäht, Masaya beiläufig ermahnt, nicht in die Stecknadeln zu treten, schon ging es weiter. "Was ist das?" Masaya pickte eine mit Holz- und gefärbten Trockenlinsen geschmückte Kette auf, die Hikaru im Vorbeigehen schon getrennt hatte. Da Hikaru selbst gerade zwei gerüschte Stoffbahnen an ein sehr dünnes Sakko nähte, konnte der sich nicht mit langen Erklärungen aufhalten. Andererseits schien es besser, Masaya von irgendwelchen Aktionen abzuhalten. "Mach dich mal nützlich!" Grummelte er deshalb gebieterisch. "Du hast doch behauptet, du wärst so geschickt mit den Fingern! Befestige die Schnur hinten in einer meiner Strähnen!" Er spürte den fragenden Blick, ohne ihn sehen zu müssen. "Herrje, einflechten wirst du doch können, oder?! Drei Stränge, zwei Strähnen, eine Schnur, wechselseitig umeinander!" Donnerte er Anweisungen. Tatsächlich richtete sich Masaya hinter ihm ein, ging ans Werk, während Hikaru sich mit dem Handnähgerät (der Akku blinkte schon wieder hysterisch) der Fertigstellung des Sakkos widmete. Kaum hatte er die feuchte Bestäubung wirken lassen, klingelte auch schon sein Mobiltelefon mit der Zeitstoppfunktion. "Hoffentlich hat es funktioniert!" Murmelte er zu sich selbst, fischte im Badezimmer eine Weste und eine Hemdbluse aus dem kleinen Zuber. Da sie eine unterschiedliche Beschaffenheit aufwiesen, zeigte sich auch der Färbe- bzw. Tönungsgrad uneinheitlich. Dennoch war Hikaru zufrieden, streifte sich die Plastikhandschuhe ab. "Ob das bis morgen getrocknet ist?" Zweifelte Masaya, der es sich nicht nehmen ließ, ebenfalls die Fortschritte zu inspizieren. Hikaru übergab ihm mit einer gewissen Schadenfreude Föhn und Bügeleisen. "Auf links! Nichts ansengen, Herr Professor!" Trällerte er boshaft. Masayas Frage hatte ja geradezu nach einer entsprechenden Antwort geschrien! Außerdem hörte er noch mehr Arbeit nach sich rufen. Hikaru wischte an Masaya vorbei, zurück zu den Baustellen im Wohnzimmer. So viel zu bedenken und so wenig Zeit! ~~~>#*** Schweigend betrachtete Masaya Hikarus veränderte Garderobe. Es verblüffte ihn, wie der aus definitiven Ladenhütern (oder Flohmarktrestposten von ganz unten) ein erstaunliches Ensemble kreiert hatte, mit neuen oder veränderten Knöpfen, Schnürverschlüssen, Zierborten, Rüschenbesatz, kleinen Schmuckanhängern. Selbst eine ausrangierte Tweedjacke arbeitete der um! Die Farbpalette entsprach auch nicht mehr dem gewohnten Cowboy-Yankee-Muster. Nichts Schwarzes, sondern Braun-, Bronze-, Rost- oder Senftöne. Stoffüberzieher für die Arbeitsstiefel, Schals und Tücher, ein neu dekorierter Zylinder, Leggins mit Paisley-Musterung. Obwohl er die beeindruckend detaillierten Entwürfe in Hikarus Notizbuch gesehen hatte, verspürte er Ehrfurcht vor dieser gewaltigen, kreativen Arbeitsenergie. Dennoch schien es ihm dringend angezeigt, Hikarus Schaffensdrang temporär ein Ende zu setzen. "Es ist spät." Stellte er dementsprechend fest. "Lass uns schlafen gehen." "Hab zu tun!" Hikaru kämpfte sich mit der Handnähmaschine entlang einer besonders gehässigen Naht, deren dicker Mantelstoff regelmäßig zu Verknotung und Fadenriss führte. "Das kann man zur Not auch stecken." Masaya gab nicht nach, löschte die Lichter. "Sei vernünftig." "Nerv nicht!" Knurrte Hikaru, fluchte über die festgeklemmte Nadel. Hatte sich das Biest jetzt etwa auch noch verbogen?! "Denk daran, dass du Profi bist. Ohne Schlaf kein Standvermögen. Und ohne..." Masaya schlug die Bettdecke auf, legte den Pyjama aus. "Geh heim, wenn's dir hier nicht passt!" Fauchte Hikaru, rang mit dem hundsgemeinen Mantelstoff. Der TATSÄCHLICH die Nadel gefressen zu haben schien! Während er zerrte, die Augen schon vor Müdigkeit gerötet, trat Masaya hinter ihn, legte ihm eine Hand in den Nacken, drehte ihn geschwind genug, einen sanften Kuss auf die Lippen zu applizieren. Beide Hände noch im Kampf mit Stoff, Nadel und Nähmaschine war Hikaru wehrlos. Oder schon zu erschöpft, um ihn heftig wegzustoßen? Masaya hinterfragte die Gunst nicht, sondern küsste Hikaru wie in jener seltsamen Nacht, als er ihn betrunken nach Hause gebracht hatte. Zärtlich, aber auch unmissverständlich, was seine sexuellen Bedürfnisse betraf. "Genug jetzt." Hörte er Hikarus raue Stimme, der ihm Nähmaschine und Mantel vor die Brust gerammt hatte, um ein wenig Distanz zu schaffen. "Komm ins Bett." Masaya hielt unerschrocken den bitterbösen Blick aus. Hikaru taumelte schon vor Müdigkeit! Der Akku piepte unfreundlich. "Bitte." Sanft streichelte Masaya über Hikarus Nacken, den die langen Strähnen und der eingeflochtene Schmuckstrang noch betonten. "Behalt bloß deine Greifer bei dir!" Grummelte Hikaru seufzend. "Und auch sonstige Extremitäten!" Masaya lächelte, nickte artig. Ungelenk streifte sich Hikaru seine "Tarnuniform" ab, wickelte sich in seinen Pyjama, kroch förmlich ins Bett. Eine neckende Mahnung, sich die Beißerchen brav zu polieren, verkniff sich Masaya. Kaum war die Bettdecke festgestopft (ein müßiges Unterfangen, da Hikaru im Schlaf Freistilringen mit ihr pflegte), schlief der Ältere schon vollkommen erledigt. Den Lichtwecker programmierend schlüpfte Masaya zu Hikaru, lauschte auf dessen Atemzüge. Wie lange war es her, dass er mit einer anderen Person so viel Spaß gehabt hatte? "Ich liebe dich wirklich." Flüsterte er in die Dämmerung des Appartements. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ihn jemals so starke Emotionen bewegen könnten? ~~~>#*** Kapitel 6- Auf Tour "Ich kann nichts essen!" Verkündete Hikaru entschieden, schloss mit einem Ächzen die beiden Rollkoffer. Zweimal war er alles in Windeseile durchgegangen. Die Umhängetasche (geschickt geschmückt) enthielt alles an Handgepäck, was er benötigte. "Du wirst Hunger bekommen." Masaya gab nicht nach, ihm Reisbällchen aufnötigen zu wollen. Wenigstens hatte der sich schon dabei nützlich gemacht, dem Kurier die Kartons mit der Kommissionsware zu übergeben! "Mir wird im Bus schlecht, okay?! Willst du, dass ich da kotze?! Bestimmt nicht! Also verschon mich mit deinen Bemutterungsversuchen, klar?!" fauchte Hikaru. Er HATTE Hunger, durchaus, aber er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass ihm grundsätzlich im Bus übel wurde. "Wir kaufen unterwegs etwas gegen Reiseübelkeit." Masaya schob das Gepäck zusammen, zwei Rollkoffer und seine mächtige Reisetasche. Wie von Hikaru befohlen hatte er sich auch herausgeputzt. Bis zum gemeinsamen Treffpunkt hieß es repräsentieren, sei es nur für die Zeitspanne außerhalb des Taxis. "Will ich nicht!" Schimpfte Hikaru. "Kein Doping! Außerdem hilft das nicht, hab ich schon probiert!" Ihr Streit fand ein jähes Ende, weil sich die Türklingelanlage bemerkbar machte. "Taxi! Los doch, schwing die Hufe!" Mahnte Hikaru zur Eile. Seine Laune besserte sich auf Straßenniveau erheblich. Der Taxifahrer starrte ihn an wie ein Wesen von einem anderen Stern. Oder zumindest einer anderen Dimension. Wahrscheinlich einer anderen Realität. Willkommen im Steampunk-Zeitalter! ~~~>#*** Masaya ahnte schon, dass Suga, der für die Handlungsentwicklung zuständig war, auf Hikaru herumpicken würde. Die mangelnde Abstimmung mit Hikarus (erzwungenem) Imagewechsel verärgerte ihn offenbar nachhaltig. Hikaru, das hatte Masaya schon bemerkt, hielt bodenständig dagegen, wenn er sich auf sich selbst besann. So verteidigte er auch engagiert und leidenschaftlich sein neues Erscheinungsbild. Das ließ die beiden Männer wie Kampfhähne wirken. Der Kleinbus mit einem Anhänger bog ein. Man verlud eilig Gepäck und die komplette Technik beider Crews. Geschicktes Drängeln, Ausweichen und Körpertäuschungen später hatte sich Masaya neben Hikaru eingerichtet, der seinen neuen Zylinder mit dem gefärbten Musterband gerade auf dem Schoß balancierte. "Och nee, du?" Verdrehte er die Augen. Masaya lächelte, drückte Hikaru einen Papiertüte in die Hand. Darin befand sich ein veritables Bananenbrot, somit ein gutes Hilfsmittel, den Hunger zu stillen und gleichzeitig Energie zu liefern. "Ich sagte dir doch...!" Hikaru verstummte, als eine weitere milde Gabe in seinem umgekehrten Zylinder landete. "Ingwer-Limetten-Stückchen, kandiert." Erläuterte Masaya leise. "Das hilft gegen die Übelkeit. Garantiert." Die Augen verdrehend stellte Hikaru betont die Schultern aus. "Wirst ja sehen, was du davon hast!" Drohte er bissig, kuschelte sich in die aufbereitete Tweedjacke. Masaya schmunzelte zufrieden, als er im Fenster gespiegelt sah, wie Hikaru hungrig das mit Bananenscheiben gespickte Doppeldeckerbrot vertilgte. DIESER Hikaru gefiel ihm noch mehr als die Cowboy-Yankee-Variante zuvor! ~~~>#*** Unterbrochen von einigen notwendigen Pausen reisten sie bis zum frühen Nachmittag in den hohen Norden. In Tokio war nicht allzu häufig "richtiger" Schnee anzutreffen, hier jedoch, in den Wintersportorten, erstickte man manchmal beinahe daran. Es türmten sich, von Schneefräsen geschaffen, gewaltige Schneewände rechts und links der Fahrbahn. Das erinnerte an einen unfertigen Tunnel ohne Dach. Die Luft war schneidend kalt. Das künstliche Licht (die Sonne war längst untergegangen) brach sich blendend in kristallinen Splittern auf dem verharschten Schnee. Glücklicherweise herrschte Windstille vor. Auch drohten nicht unmittelbar weitere, heftige Schneefälle, sodass sie ungefährdet ihre Unterkunft, eine geräumige Hütte, erreichten. Der Betrieb der Unterkünfte hatte vorgesorgt: Gas fachte das Kaminfeuer an, die Wasser- und Stromversorgung lief mühelos. Für Notfälle hatte man einen Dieselgenerator hinter der Hütte. Zum großartigen Einrichten blieb nicht viel Zeit. Der Terminplan war straff getaktet, auch mit zwei parallel arbeitenden Crews. Außenaufnahmen, der Atmosphäre wegen, eine Gruppe in das gemauerte, großzügige Bad mit Thermalquelle und hübscher Aussicht auf die dunkle Landschaft, die andere Crew erst in den großen Aufenthaltsraum mit Kamin (und rasch ausgerolltem Bärenfell-unecht), danach in ein kleines Kämmerchen mit Mehrbettausrüstung. Wer nicht gerade drehte, Hilfsdienste übernahm (Beleuchtung, Reflektoren), wurde für die Verköstigung abgestellt. Die erste Spätmahlzeit sah in hungrige, müde Gesichter, bevor man sich auf die Mehrbettkämmerchen verteilte. ~~~>#*** Masaya hatte noch nie mit Hikaru gedreht oder zeitgleich an einem Set agiert. So verfolgte er aufmerksam, wie Hikaru als Profi arbeitete, sich mit Kameramann und Kollegen abstimmte, mit Suga über Abläufe diskutierte, anpackte, Handwerkszeug präparierte, auf Details achtete, Markierungen setzte, Kleidung tauschte, Accessoires wie Skistöcke oder Schneeschuhe im Hintergrund dekorierte. Ja, Hikaru war nicht bloß Darsteller, sondern auch Regisseur, Drehbuchautor und Set-Stylist! Es fiel ihm selbst auch nicht schwer, sich diesem kenntnisreichen, erfahrenen Diktat unterzuordnen. Yukio murrte zwar hin und wieder, wollte aber dem stets gut gelaunten Miu nicht nachstehen. Der genoss alles wie einen großen Spaß, alberte mit dem Veteranen Hondo herum, animierte auch die anderen Darsteller, die meisten Amateure oder Jung-Profis, es ihm gleichzutun. War doch prima, so viele unterschiedliche Szenen kombinieren zu können, Geschmäcker zu bedienen, Phantasien zu realisieren! Selbstredend galten Hikaru und er selbst als die Stars in der dominierenden Position. Hikaru betonte den Ensemble-Charakter vor dem Hintergrund der Handlung (Freundesclique auf Schneeurlaub) so unmissverständlich, dass niemand sich zurückgesetzt fühlte. Nicht mal Sugas kritische Einwürfe konnten die emsige Arbeitsatmosphäre stören. Eine unerfreuliche Wendung nahm jedoch der Donnerstagabend, als sie gerade den flotten Dreier mit Hikaru, Miu und Yukio in einem vorgeblich kleinen Abstellraum abgedreht hatten. Während Miu und Yukio sich eilig in Flanell-Jumpsuits kleideten, lehnte Hikaru noch immer an der holzverkleideten Wand, heftig atmend. Masaya schob sich schnell, aber geschmeidig an den anderen vorbei. Die Kammer war eng, wenn auch weniger bedrückend als in den Aufnahmen. Er ging vor Hikaru in die Hocke. Ungehindert konnte er unter dem feuchten Pony nach der Temperatur fahnden. "Du hast Fieber!" Konstatierte er alarmiert. Auch die glänzende Feuchtigkeitsschicht auf Hikarus Haut kam nicht aus der Sprühdose. Ein glasiger Blick suchte seine Augen. "Ich brauche hier Hilfe." Machte sich Masaya beherrscht bemerkbar. "Kann mir bitte jemand den Erste Hilfe-Koffer bringen?" ~~~>#*** Hikarus Erkrankung sorgte für gelinde Panik. War es etwa eine Grippe?! Konnte man sich anstecken? Masaya ignorierte die Aufregung, evakuierte den benommenen Älteren in das kleinste Mehrbettzimmer, das man eilig um weitere Schlafplätze reduziert hatte. "Wenn es nun die Grippe ist?!" "Ich bin von Berufs wegen geimpft." Gab er konzentriert zurück. "Es ist vermutlich eine Erkältung, keine Viruserkrankung." Zu seiner Überraschung assistierte ihm Hondo dabei, Hikaru abzutrocknen, in einen Pyjama zu wickeln, auf das untere Doppelbett zu verfrachten. "Wahrscheinlich zu viel Arbeit." Mutmaßte der ältere Mann. "Dazu noch eine fremde Umgebung, kaum Schlaf. Das kenne ich von meinen Kindern. Wenn wir das Fieber im Auge behalten, wird es sicher nicht so schlimm werden." Niemand wollte daran denken, wie es ihnen gelingen sollte, Hikaru in eine Klinik zu bringen. Das Wetter zeigte sich nämlich seit dem Vormittag missgelaunt, Schneeregen, Graupel, auffrischende Winde, die Glatteis auf verharschten Schneepisten versprachen. Masaya inspizierte die isotonischen Pulver, die vorgehalten wurden. Offenbar kam es nicht selten vor, dass dehydrierte, fiebernde Gäste versorgt werden mussten. "Vielen Dank." Er verneigte sich wohlerzogen vor dem Veteranen. "Ich bleibe bei ihm. Mit regelmäßigem Fiebermessen und diesen Hilfsmitteln hier sollte sich das Fieber beherrschen lassen." Hondo versprach, ihm auch noch etwas vom Abendessen zu bringen. Zwei Kranke wären wirklich des Übels zu viel! Während jenseits des Mehrbettzimmers gedrückte Stimmung herrschte, richtete er sich neben Hikaru ein, der ungewohnt ruhig schlief. Er glühte, atmete kaum wahrnehmbar, trug unkleidsame Flecken im Gesicht und dunkle Schatten um die Augen, die er so kunstvoll in Szene zu setzen verstand. Eindeutig zu viel Stummfilm-Anleihen, konstatierte Masaya mit Galgenhumor. "Jetzt hast du so viel Dampf!" Neckte er leise. "Aber der Punk geht hier kein bisschen ab! Was machst du nur für Sachen, hm?" Dabei streichelte er unermüdlich über die feuchten Strähnen, die fiebrigen Wangen. "Alles mit dir ist ein erstes Mal für mich." Er küsste eine Schläfe zärtlich. Noch nie hatte er sich UM einen anderen so gesorgt und FÜR eine Person gesorgt, ohne dass es ihm lästig wurde, er lediglich aus Pflichterfüllung dieser Heimsuchung nachkam, ohne inneres Engagement. Hikaru veranlasste ihn dazu, sich selbst in Frage zu stellen, zu überdenken, zu betrachten. Manchmal eher unangenehm, was die eigenen Charakterschwächen betraf, aber wertvoll, um besser zu verstehen, wie man eine Beziehung knüpfte. Nein, Masaya richtete sich auf, einen schmerzhaften Kopfstoß gegen das obere Bett vermeidend, er brauchte keine höhere Tochter/Prinzessin, keine Kinderschar, kein Bilderbuch-Karriere-Leben. Diese Aussicht berührte ihn noch weniger als je zuvor. Hikaru. Hikaru musste es sein. Hikaru war es. Davon würde er nicht lassen. Niemals. ~~~>#*** Die Methodik konnte sich nicht bedeutend unterscheiden, befand Masaya. Deshalb brachte er Hikaru alle drei Stunden in einen halbwegs bewussten Zustand, flößte ihm zum Ausgleich in Wasser aufgelöste Elektrolyte ein. Wenn sein Körper ordnungsgemäß versorgt würde, so das Kalkül, wäre das Fieber kontrolliert, in kurzer Zeitspanne besiegt. Man musste lediglich die besten Voraussetzungen schaffen. Hikaru kommentierte seine Anstrengungen lediglich mit einem missmutigen Stöhnen, fiel immer wieder in totenähnlichen Schlaf. Masaya fühlte sich an seine Schulzeit erinnert: sehr kurze Nächte, pauken, pauken, pauken. Was bedeutete, dass er diese Herausforderung bewältigen konnte! Mit dieser Entschlossenheit ausgerüstet erschien er auch am folgenden Morgen, wo man bereits unglücklich diskutierte. Wie sollten Hikarus Szenen ersetzt werden? Masaya, nur dezent übernächtigt, konzentrierte sich auf das augenscheinlich unüberwindbare Problem. Dank Hikarus akribischen Notizen im Heft war er ebenfalls auf der Höhe. "Man kann mit Gegenlicht und Silhouetten arbeiten." Mischte er sich ein. "Ich habe zum Beispiel die entsprechende Statur. Wir können auch Verfremdungseffekte nutzen, wie eine Traumsequenz. So viel Laufzeit fehlt doch nicht." Miu grinste beifällig. "Klingt nach Stummfilm-Klassiker! Ich bin dabei!" Yukio schnaubte. "Wir stellen aber die Dramaturgie ein wenig um, ja?! Ich finde meine Szenen auch wichtig für den Gesamtzusammenhang!" Außerdem wollte er nicht durch Mius Präsenz ausgestochen werden, auch wenn sie vom Typ her unterschiedlich auftraten. Suga grollte. "Also, ich weiß nicht, das ist alles nicht abgesegnet..." "Das Wetter sieht nicht schlecht aus, es klart auf. Wir können die paar Minuten von hier in die Siedlung laufen, dort mit Nishino Kontakt aufnehmen." Masaya gab ungeniert die Richtung vor. Seine Entscheidungsfreude stand in erheblichem Kontrast zum normalen Angestelltendasein in anderen Firmen. Das kümmerte ihn keinen Deut. Wissenschaftliche Expertise orientierte sich an Fakten. Wenn eine Situation eindeutig war, die Lösung gefunden, musste man nicht noch ewig herumeiern und Komitees einberufen, bis auch jede Person ihr Gramm persönlicher Befindlichkeit beigesteuert hatte. Folglich präparierte er Hikaru mit einer weiteren Flüssiginfusion, verpuppte sich entschlossen, marschierte, atmosphärisch bedingte Widrigkeiten schlicht ignorierend, hinunter in die Ortschaft. Suga, der mit seinen Stiefelchen rang, die hübsch aussahen, aber nicht zwingend hochgebirgstauglich waren, hoppelte hinterdrein. Er schnatterte auch Zähne klappernd nach Tokio, während Masaya die Vorräte für die Ersthilfe ordnungsgemäß aufstockte. Anschließend ergriff er selbstherrlich den Hörer, zückte Hikarus Notizbuch, verkündete kurz angebunden, beinahe stenographisch die beabsichtigten Änderungen. Begleitet von der rhetorisch zu verstehenden Phrase, man sei zweifellos ob der vernünftigen, zeit- und kostensparenden Entscheidung einer Meinung. Nishino konnte außer einer bedingungslosen Zustimmung gar nichts anbringen. Masaya reichte dem völlig verdatterten Suga den Hörer, mahnte, man solle besser gleich wieder aufbrechen, bevor es sich zuziehe. Im Übrigen gelte auch für sie: Zeit ist Geld! ~~~>#*** Am Nachmittag hatte Masaya drehfrei. Dazu ausreichend unerbittlich die beiden Crews angestiftet, ihre Absprachen auch in die Tat umzusetzen. Er nahm es als erfreuliches Zeichen, dass Hikaru die Decke verknäulte, verständlich Protest schimpfte, ihn aufzuwecken. Auch die Temperatur näherte sich einem gesunden Maß an. "Du hast bis morgen Früh Zeit, wieder auf die Beine zu kommen." Erläuterte Masaya die Situation, zog dabei Hikaru ohne viel Federlesens auf den Schoß, um ihm eine erneute Flaschenfütterung aufzunötigen. "Da müssen wir zurück mit dem Bus. Bitte streng dich entsprechend an." In seinen Armen ertönte ein gequältes Knurren. Es entstammte nicht der Verärgerung über die Anweisungen, sondern vom Gürteläquator. "Ah!" Lächelte Masaya. "Hast du Appetit auf Reisbrei?" Nun stöhnte Hikaru vernehmlich. Definitiv eine Gastro-Kritik! ~~~>#*** Auf den eigenen Füßen, wenn auch bedächtig, nur mit der Umhängetasche belastet, nahm Hikaru den Weg zum Bus. Ein bisschen wacklig fühlte er sich schon noch. Er wollte jedoch nicht länger wie ein Weichei aus der Rolle fallen! Schlimm genug, dass er den letzten Drehtag komplett geschmissen hatte. Dabei wurde er doch nie krank! Und da war da auch noch dieser...fürchterliche Kerl! Vage konnte er sich entsinnen, immer wieder geweckt worden zu sein, gefüttert, abgerieben, in einen frischen Pyjama gewickelt. Peinlich! Wenn sich herumsprach, was für ein labbriger Waschlappen er geworden war...!! Was seinen aufdringlich-unbeeindruckbaren Helfer/Peiniger offensichtlich keinen Deut scherte! Nicht mal einen anderen Sitzplatz konnte er sich organisieren, weil man fürchtete, er könne vielleicht doch etwas Ansteckendes aufgeschnappt haben. Feiglinge! Neben ihm rollte sich Masaya ein Handtuch zurecht, drapierte die entstandene Stoffwurst um den Nacken. "Ich werde meine Augen ein wenig ausruhen." Vertraute er ihm ungebeten an. "Weck mich, wenn etwas ist, Hikaru." Lehnte sich jetzt sogar an ihn an! Dabei gab es doch ein Fitzelchen mehr Platz, oder?! "Ich kann dich kein Stück leiden!" Zischte Hikaru in hilfloser Grimmigkeit. Da grinste der Kerl sogar! "Ah, du bist definitiv auf dem Weg der Besserung." Schnurrte der, klappte die Augenlider herunter. Hikaru schnaubte empört. Jetzt mal ein Ellbogenstoß in die kurzen Rippen! Aber sie waren ja Kollegen! Verflixt! "Das zahl ich dir heim! Wirst schon sehen!" Drohte er leise, richtete den Blick betont auf die verharschte Unwirtlichkeit jenseits des Fensters. "Das freut mich." Murmelte es halblaut an seiner Schulter. Die Fäuste geballt versuchte Hikaru, sich auf umsetzbare Gemeinheiten zu konzentrieren, die er aber so was von...!! Und schlief darüber rasch ein. ~~~>#*** In Tokio regnete es mal wieder heftig. So spät am Abend, eigentlich schon in der Nacht, stand niemandem mehr der Sinn nach Kneipentour oder überfüllter Bahnfahrt. Taxi-Gemeinschaften wurden gebildet, jeder sehnte sich nach Dusche, 20 Minuten Wannenbad, danach aufs Gesicht fallen. Masaya ahnte, dass Hikaru Proteste zetern würde, wenn er sich zu ihm einlud. Dementsprechend war angezeigt, Fakten zu schaffen, BEVOR Kritik aufkam. Ihm kam dabei zupass, dass Suga mal wieder ein Hühnchen mit Hikaru zu rupfen wünschte. Dessen neues Image musste geschärft werden, wenn er schon OHNE IRGENDWEN zu fragen sein Äußeres komplett veränderte! Rasch die eigene Reisetasche zu unterst in den Kofferraum bugsiert, Hikarus zwei Hackenhobel darüber. Der Fahrer grummelte ungeduldig. Masaya drehte Hikaru an den Schultern herum Richtung Fond, wünschte Suga eine gute Nacht, signalisierte, die Transportgesellschaft sei vollständig. Schon glitten sie in den nächtlichen Verkehr. "Aber...?!" Hikaru beäugte ihn ungläubig-resigniert. "Was soll das jetzt?" "Oh, meine Tasche lag ganz unten. Außerdem bist du noch Rekonvaleszent." Masaya zwinkerte. "Drecksack." Bildeten Hikarus Lippen tonlos ein zweifelhaftes Kompliment. Masaya spürte das Lächeln seine Mundwinkel kräuseln. Ihm wurde stets nachgesagt, dass er wenig Emotion zeige, nicht werbend auf andere zugehe, in seiner Ausdruckslosigkeit einschüchternd bis abschreckend wirke. Das schien sich in erheblichem Maße geändert zu haben, seit er Hikaru kannte. Blieb bloß die Frage, wie er Hikaru für sich gewinnen konnte. Reichte es schon aus, ihn an sich zu gewöhnen durch häufige Anwesenheit und Unterstützung? Nach dem Motto: steter Tropfen höhlt den Stein? Einen Seitenblick riskierend erhaschte er, wie Hikaru seinerseits SEINE Stimmung zu ergründen suchte. Prompt wurde ihm ganz unmanierlich das Leckbrett präsentiert! Masaya schmunzelte, lehnte sich bequem in die Polsterung. Zumindest eine gewisse Angst und Reserviertheit kam zwischen ihnen nicht mehr so leicht auf! ~~~>#*** Hikaru ignorierte Masayas Hand beim Aussteigen aus dem Taxi. Er war ja schließlich keine dämliche Prinzessin oder irgend so ein Frolleinchen! Der Stolz gebot eigentlich, ihn vor der Tür stehen zu lassen. Konnte ja mit dem Taxi weiterfahren, oder?! Geld genug hatte er bestimmt! Bloß. Bloß konnte er unmöglich seinem Stolz in diesem Aspekt nachgeben, wenn ihm doch sehr bewusst war, wem er die letzten beiden Tage so viel verdankte. Stoffelig sein, das kam eben auch nicht in Frage! Grummelnd akzeptierte er auch Hilfe bei einem der beiden Rollkoffer. Endlich wieder zu Hause! "Du kannst zuerst duschen." Seufzte Hikaru, dankbar, dass sie vor der Abreise aufgeräumt hatten. "Ich geh danach rein." "Wir sollten auch ein Bad nehmen." Masaya stellte ungebeten die nassen Gepäckstücke auf alte Magazine, griff sogar nach dem Wischmopp! Die Arme in die Hüfte stützend funkelte Hikaru kriegerisch. "Dass das klar ist: du pennst auf dem Sofa! Und ich brauche kein Bad!" Dazu rief sein leider momentan tiefergelegtes Bett viel zu vernehmlich nach ihm! In der Wanne absaufen, das kam nicht in Frage. "Wie du meinst." Reagierte Masaya nicht etwas zu katzenpfotig?! Auf Widerstand gepolt zögerte Hikaru einen Moment, ballte die Fäuste kurz, verbarrikadierte sich im Badezimmer. Dusche! Bett! Aus! ~~~>#*** Masaya wusste, dass Hikaru entgegen der ursprünglichen Offerte das Bad zuerst heimsuchte, um bloß nicht in den Ruch zu kommen, sich mit ihm das Badewasser geteilt zu haben. Niedlich! Allerdings eine unbegründete Besorgnis, da er selbst nicht so unmanierlich seinen Gaststatus verletzen wollte, sich ein Bad zu gönnen, während sein Gastgeber verzichtete. Als er das Badezimmer verließ, artig in einen Pyjama gehüllt, glimmte lediglich das Sternenfunkeln des Leuchtweckers noch. Auf leisen Sohlen huschte Masaya durch die offene Schiebetür zum Sofa, apportierte Decken und Kissen. Ungeniert richtete er sich anschließend auf der Matratze neben Hikaru ein, der offenkundig Schäfchen zählte. Kein Protest, keine Attacke. In der Nacht wäre vermutlich das übliche Freistilringen mit der Bettdecke zu erwarten, aber damit konnte er sich arrangieren, testierte Masaya sich selbst. Und morgen: gemeinsames Frühstück. Nachbesprechung. Vielleicht ein Nickerchen. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief Masaya ein. ~~~>#*** Ein sehr verlockendes Aroma weckte Hikaru. Es war ihm in Zusammenhang mit seinem trauten Heim, nun, seinem Appartement, nicht vertraut. Überstürzt wickelte er sich aus der üblichen Deckenroulade, blinzelte. Winterliches Zwielicht drang herein. Masaya operierte zwanglos an der kleinen Anrichte, leger gekleidet. "...!!!" Außer einem knirschenden Krächzen brachte Hikaru nichts hervor. Reflexartig fasste er sich an die Kehle, doch das half nichts. Geschwollen und rau fühlte sie sich an. Selbst das Schlucken nahm sich sehr unangenehm aus. "Ah, aufgewacht? Wie geht's dir?" Der ungenierte Usurpator seines Appartements ging neben ihm in die Hocke. Noch immer fehlte ja das neue Bettgestell. Hikaru signalisierte in seiner Not den totalen Tonausfall. "Halsweh? Keine Stimme mehr?" Betätigte sich Masaya als Ratefuchs. Er griff ungeniert zu, packte Hikaru am Unterkiefer, drängte mit einem Daumen im Wangengrübchen zur Inspektion. Da konnte Hikaru noch so indigniert zappeln! "Hm, belegte Zunge, ein bisschen geschwollene Mundschleimhaut." Diagnostizierte Masaya. "Vermutlich ein gehässiger Ausläufer des Fiebers. Da hilft viel trinken. Und frühstücken!" Es traf Hikaru schon empfindlich im Selbstverständnis, gar nichts mehr von sich geben zu können. Doch nun wurde es graduell schlimmer! Masaya zog ihn nicht nur schwungvoll auf die Beine, sondern wickelte ihn selbstherrlich in den Bademantel, wischte ihm mit dem Lappen übers Gesicht, streifte durch die schweren, glatten Strähnen. Zumindest etwas Gutes konnte man unbesehen von der Steampunk-Frisur behaupten: die Kopfdressur währte nur noch Augenblicke statt halbe Ewigkeiten! Eine missmutige Grimasse ziehend sackte Hikaru schließlich auf den freien Barhocker, ärgerlich über die Bevormundung, die er zu erdulden hatte. Andererseits... Verriet ihn sein Magen lautstark, der Hunger signalisierte, in rapide sich verkürzenden Abständen! Der es FEIERTE, dass nirgendwo Reisbrei lauerte! Zugegeben, es war alles wirklich sehr lecker. Man musste den dekorierten Zylinder an der Garderobe ziehen, weil sich Masaya trotz eigenem Schlafdefizit aufgemacht hatte, Nahrhaftes zu besorgen. Trotzdem! Hikaru erhob sich, hoppelte etwas steif zur Couch, entzog seiner geliebten Umhängetasche das unverzichtbare Notizbuch. [WIESO bist du nicht zu Hause?] Masaya studierte die eilig hingekrakelten Zeichen wohlwollend. "Ich wollte mit dir frühstücken. Das geht hier am Besten." Lächelte er herausfordernd. Was sollte das?! Seit wann bleckte der Kerl bei jeder Gelegenheit das prächtige Gebiss?! Guckte nicht mehr sauertöpfisch aus der geschmacklos-langweiligen Wäsche?! Jetzt schenkte der ihm sogar Tee nach! Schon wieder! [Das kann ich auch selbst!] "Aber mir bereitet es so viel Freude." Schnurrte der Kerl etwa wie ein V8-Motor?! Eine andere Taktik musste her! Hikaru fühlte sich keineswegs auf der Höhe des Geschehens. Was genau war in den letzten Tagen passiert? Waffenstillstand, oder? Oder? Er erstarrte, als Masaya ihm ganz selbstverständlich über die Wange streichelte, als sei der sehr vertraut mit seiner Gestalt. "Willst du nicht doch ein Bad nehmen, Hikaru? Es besteht keine Gefahr, dass du einschläfst, neue Tauchrekorde einstellst." Neckte der Anflauscher ihn doch glatt! Entschieden wedelte Hikaru mit der Rechten, gestikulierte mit der Linken in Gürtelhöhe, dass nach üppigem Tafeln Einlaufen im heißen Wasser keine gute Idee war. "Das bisschen rutscht wahrscheinlich durch." Masaya zwinkerte (!), beharrte aber nicht auf der Umsetzung seines Vorschlags. Hikaru stoßseufzte aus den Zehen. Ein Dank war angezeigt. Dieser aufdringliche, selbstherrliche Professor-Verschnitt hatte ja, maßgeblich, seine Scharte ausgewetzt, ihn versorgt! Die Lider senkend rang Hikaru mit sich, obwohl es keine schwere Entscheidung war. Sein Gewissen rammte ihm förmlich den Stiefel in den Allerwertesten. Schicksalsergeben wandte sich Hikaru auf dem Barhocker herum, legte die Handflächen auf die Oberschenkel, verneigte sich so tief, wie es sein geplagter Körper zuließ. In dem Augenblick, da er im Begriff war, sich wieder aufzurichten, schlang ihm Masaya die Arme um den Nacken, zog ihn beinahe auf seinen Schoß. "Ich bin wirklich froh, dass es dir etwas besser geht." Raunte gar nicht mehr leichthin der lästige Bekuschler an seinem Ohr. "Die letzte Zeit war zu anstrengend, selbst für einen zähen Burschen wie dich." Kompliment und gleichzeitig Beleidigung! Jetzt hätte man aber GEPFLEGT loslegen können, blumig, nicht druckreif, inbrünstig, aus voller Kehle! Geschenkt. Weil Masaya so vernünftig und gleichzeitig besorgt klang, sachlich, jedoch auch bewegt, erleichtert, Fakten aufzählte. [So schnell kratz ich nicht die Kurve und geb die Nummer 1 auf!] Hikaru funkelte entschlossen. Der Tintenschreiber in seiner Hand knirschte dezent ob der Belastung des Zugriffs. "Du wirst ohnehin meine Nummer 1 sein und bleiben." Grinste ihm dieser ungezogene, promovierte Eierkopf doch glatt ins Gesicht! JETZT die Beißer polieren, dabei eine neue Taktik zurechtlegen! ~~~>#*** Masaya war sich darüber im Klaren, dass Hikaru nicht recht wusste, wie er mit ihm umgehen sollte. Er konnte dessen Verunsicherung mühelos in den Augen lesen. Ein klein wenig ausgleichende Gerechtigkeit für die emotionalen Wechselbäder, die er selbst hatte absolvieren müssen? Es wäre ungerecht, so zu urteilen. Er durfte nicht außer Acht lassen, dass Hikaru mutmaßlich schon mal starke Gefühle empfunden hatte. Für diesen Inoue. Somit waren sie noch lange nicht quitt. Dieser Inoue schien sich abgesetzt zu haben, was zweifelsohne den Gefühlshaushalt erheblich beeinflusst hatte. Deshalb konnte es nicht verwunderlich sein, wie widerstrebend, zweifelnd, skeptisch, ungläubig Hikaru darauf reagierte, wenn man ihm erneut ein Herz zum Tausch anbot. Aufgeben stellte keine Option dar. Man müsste sich eben in Geduld üben, wieder und wieder in Vorlage treten, beweisen, dass nicht erneut ein GAU wartete, dass Mut sich lohnte. Gar nicht so einfach. Für die Beziehung zu einem anderen Mann lag keine Blaupause in der Schublade, waren die Etappen schon abgesteckt. Masaya blickte auf, als Hikaru das Badezimmer verließ, sich umkleidete, ohne ihm große Beachtung zu schenken. Wären da nicht die geballten, zuckenden Fäuste gewesen. ~~~>#*** Hikaru ärgerte sich über sich selbst. Warum zum Henker machte ihn Masayas Blick nervös?! Als ob der nichts sehen konnte, was schon die ganze Welt kannte! Trotzdem. Geifern und speicheln, das hätte er ja verstanden! Schließlich gehörte das zum Wirkungsfeld seines Jobs. Bloß spürte er keineswegs die monothematische Atmosphäre auf sich konzentriert! Mit anderen Worten: der aufdringliche Einschmeichler beabsichtigte kein bisschen, ihm an die Wäsche zu gehen! Zugegeben, gerade ohne irgendein textiles Hindernis, aber prinzipiell...!! Sich selbst streng zur Ordnung rufend (innerlich), äußerlich stumm mangels Stimme fokussierte sich Hikaru auf die wichtige Beschäftigung dieses Sonntags: Staffage. Zwar grollte er dem zimtzickigen Suga unvermindert, dass der ihn so angegangen war, aber das entbehrte nicht der Notwendigkeit, sein Portfolio zu aktualisieren. Immerhin konnte er auch andere Aufträge erhalten! Wofür aktuelle Aufnahmen im angestrebten Image vonnöten waren. Deshalb filzte er nun seine Koffer, inspizierte die Baustellen, die noch nicht die finale Veränderung erreicht hatten. Keine wirklich üppige Garderobe, verglichen mit dem Sammelsurium der Vorjahre seines alten Ichs. Ein großer Teil des Kofferinhalts umfasste andere Arbeitsutensilien. Entschlossen, seinem uneingeladenen Gast keine weitere Beachtung zu schenken, setzte Hikaru sich in Bewegung. Her mit der Nähmaschine! ~~~>#*** Masaya sorgte gelassen für flüssigen Nachschub, um die Kehle zu besänftigen, der außer leidlichem Krächzen nichts zu entlocken war. Allerdings schien Hikaru auch nicht in der Stimmung, ausufernde Unterhaltungen führen zu wollen. Vielmehr tolerierte der, grimmig zwar, die Anwesenheit eines anderen in seinem Appartement. WENN der andere sich wechselweise als Kleiderständer, Daumenleiher und Einfädler betätigte. Es verblüffte Masaya aufs Neue, wie konzentriert und detailverliebt Hikaru zur Sache ging. Knöpfe und Verschnürungen sowie Schnallen statt Reiß- oder Klettverschlüssen, zierliche Schleifen hier, Saum- und Schmuckbänder dort. Die Baustellen reduzierten sich allmählich, ein Rollkoffer füllte sich dagegen. Für eine Fotosession, wie ihm Hikaru gestisch erläuterte, der inzwischen die Augen rollte, wenn er erneut Tee nachschenkte. Im Hals mochte es gefallen, doch der ganze Rest musste fortwährend zum Lokus flitzen! Schließlich entschied Masaya zu intervenieren. Er bekam Hunger. Mal an die frische Luft gehen, das konnte sicher nicht schaden! "Hikaru, komm, gehen wir rasch was essen! Yakisoba? Oder lieber Udon?" Die windmühlenartigen Proteste wiesen darauf hin, dass hier Arbeit wartete, er keinen Piep rausbringen konnte, auch die Haare...! Masaya schmunzelte, während er den Pony verwuschelte. "Ich glaube, das bekommen wir ganz rasch hin." Zwinkerte er. Die Zeiten der aufwändigen Präparation im Badezimmer waren eindeutig vorbei. Er erntete eine sauertöpfische Grimasse. "Nun? Gehen wir inkognito oder als Stars?" Eruierte er die Möglichkeiten. Eine Fratze später dekorierte Hikaru seine legere Freizeitkleidung mit Mundschutz, ausufernder Wollmütze und einer alten Sweatjacke. Definitiv inkognito. Was Masaya recht war, der kein Interesse an Fan-Kontakt hatte, wenn er Hikaru für sich allein haben konnte. ~~~>#*** »Das ist SO FÜRCHTERLICH!« Dachte Hikaru, kämpfte mit einer gewissen Verstimmung. Ohne Stimme konnte er nicht ordern, doch bereits während er diesen lästigen Professor anleitete, was er zu speisen wünschte, registrierte er, dass er selbst aus Rücksicht (ARGH!) statt Cola Tee bestellte. Keine Süßigkeiten, stattdessen viel Gemüse! Hatte er sich etwa wie ein Pudel dressieren lassen, nur um nervtötenden Vorträgen und Belehrungen zu entgehen?! Eine gruselige Vorstellung! Wenigstens ersparte ihm dieser Kerl ein wissendes Grinsen! Um sich von diesen Untiefen des eigenen Charakters abzulenken, zückte Hikaru sein Notizbuch, krakelte flott. [Wieso hängst du eigentlich immer noch hier rum? Musst du nicht teure Doktor-Spielchen mit diesen Mikroben betreiben?] Der Schlauberger war doch bald Titelträger, oder? Schon wieder feixte der Kerl so schmeichlerisch! "Ab morgen muss ich noch andere Versuchsreihen abschließen, das Privileg der Jüngeren. Danach sollte ich meinen Vertrag erhalten." Hikaru nickte befriedigt. Genau, sollte der sich wieder auf die andere Seite trollen, zu den hübsch aufgebügelten, ach so noblen Leistungsträgern der Gesellschaft! Wäre für alle Beteiligten von Vorteil. Da wölbte sich ungeniert eine Handfläche um seine Wange, ließ ihn zusammenschrecken. "Ich werde mich nicht von dir trennen." ~~~>#*** Ertappt, nervös, aufbrausend, ihn hastig abwehrend. Masaya lächelte versonnen. Ob Hikaru sich dessen schon bewusst war? Dass sich zwischen ihnen längst ein Band geknüpft hatte? Durch Gemeinsamkeiten, Erlebnisse, Vertrautheit? Die Porno-Dreharbeiten konnte er schmerzlos verabschieden. Sie waren lehrreich, zweifelsohne, aber auch nur Mittel zum Zweck. Dem Zweck, Hikaru nahe zu sein. Der ihn jetzt studierte, zweifelnd, unbehaglich, sich rasch trotzig abwendend. So kannte ihn vermutlich kaum jemand. Das war nicht die Nummer 1, selbstbewusst, locker, unabhängig, souverän, herausfordernd! Nein, dieser Hikaru war eifrig, ernsthaft, konzentriert, engagiert, aufbrausend, schnippisch, scheu, skeptisch. Einfach liebenswert. Und allein. Versteckte sich, damit niemand erkannte, wer tatsächlich hinter dem Image existierte. War die Trennung von diesem Inoue so furchtbar gewesen? Oder gab es andere Anlässe, die ihn in Furcht versetzt hatten? Waren das Nebenwirkungen der Liebe, die ihm bisher entgangen waren, weil er sich selbst simpel noch nie verliebt hatte? Masaya erhob sich, reichte Hikaru gleich die alte Sweatjacke. "Gehen wir noch ein paar Schritte, zur Verdauung." Die Augen rollend knurrte Hikaru etwas hinter der Maske, justierte Wollmütze und Schal. Masaya sorgte sich jedoch nicht. Hikarus verlässliche Unfähigkeit, sich sicher zu orientieren, bescherte ihm einen treuen Begleiter. ~~~>#*** Es war, trotz des späten Aufstehens, ein langer Tag gewesen. Hikaru kämpfte gegen Ermüdungsanfälle an. Der Koffer war bestückt. Einen freien Termin hatte man ihm in Aussicht gestellt. Sogar die einwöchige Abwesenheit löste keine digitale Lawine aus, die ihn länger als eine Stunde am Laptop beschäftigte. Er merkte auf, als Masaya sich ein Taxi bestellte. Wollte der ernsthaft seine Zelte abbrechen?! Wahrscheinlich musste man es der Erschöpfung zurechnen, dass er nicht spontan in Freudentänze ausbrach (Jubel scheiterte an der kapriziösen Kehle)! Artig begleitete er seinen ungebetenen Gast auf die Straße hinunter. Das Taxi kam zügig, die Sporttasche wurde verstaut. "Ah!" Da schien sich sein Schmuckstrang wohl im Schal verkeilt zu haben. Hikaru merkte es noch nicht, wich jedoch vor der hilfreichen Hand nicht zurück. Wahrscheinlich sollte er dieses Design doch noch mal überdenken... UN-ER-HÖRT! Im Windschatten der Hand küsste ihn doch dieser Depp auf der Straße, öffentlich, vor Leuten, AUF DEN MUND! "Ich danke dir, Hikaru. Das war eine herrliche Woche." Ja, drehte der Kerl jetzt völlig hohl?! Mit mehr Farbe als ein Feuermelder signalisierte Hikaru ihm unmissverständlich, dass die Woche ja wohl grässlich gewesen war, er krank, überarbeitet, ausgenutzt...!! Zwecklos! Der Hirni lächelte ihn bloß beseelt an, kletterte einfach ins Taxi! Nicht, dass eine Standpauke möglich gewesen wäre, so ohne Stimme, aber man wollte ihn doch unterrichten, dass man eine GANZ ANDERE Auffassung vertrat...! Abrupt auf den Absätzen rotierend flüchtete sich Hikaru ins Gebäude, schnurstracks in sein Appartement. Gemeingefährlicher Gimpel! ~~~>#*** Kapitel 7- Neustart "Was ist das für Zeug?" Tetsu blätterte ungläubig durch verschiedene Lifestyle- und Modemagazine. Bei seinem Cousin niemals zu vermuten! Bis der sich selbst zu einer Art mysteriösem Rockstar herausgeputzt hatte! Masaya brachte den Stapel in Sicherheit, richtete ihn bündig aus. Keineswegs Recherchematerial für seine möglichen Auftritte. Sein Vertrag ruhte derzeit mangels Zeit und in Vorbereitung auf die Veröffentlichung des Spielfilms. Nein, hier war Hikaru zu finden. In allerlei Kostümierungen, ein stilsicherer Abenteurer wie aus Jules Verne-Geschichten, mit einem Hauch Geheimnis, selbstbewusst, aufgeschlossen, nahm ein neues Zeitalter im Sturm/Dampf! Dazu hatte man ihn vor Maschinen (mutmaßlich Heizungskeller) abgelichtet. Er logierte auf einem geschmückten Stühlchen, hockte auf einer geschwungenen Freitreppe. Er wurde zum Modell erkoren. Dazu gab man Tipps, wie man der eigenen Garderobe mehr "Dampf" verleihen konnte, damit der Punk abging. Die Aufnahmen gefielen ihm. Wenn sich schon keine Gelegenheit ergab, Hikaru persönlich zu sehen, so wollte er diese Chancen nutzen. Ein guter Aufhänger für ein Telefonat! Sich erkundigen, wie das Befinden war, was anstand, ob man sich mal ungezwungen...? Es existierte auch ein neuer Kurzfilm, Hikaru und Miu, Abenteurer und jugendlicher Dampfkesselheizer, der ganz andere Kolben und Ventile kennenlernte. Nicht übermäßig originell, aber hübsch anzuschauen. Masaya rang mit der Sehnsucht. Es hatte keinen Zweck sich zu grämen, wenn Hikaru nun mal auf Achse war. "Wenn erst mal der Vertrag unterzeichnet ist, wirst du vernünftig." Hoffte Tetsu. "Willst du das nicht mit deinen Eltern feiern?" "Mal sehen." Masaya erteilte Plänen eine Absage, die ihn zu sehr einschränkten. Noch vor der Vertragsunterzeichnung stand schließlich die große Premiere ihres Spielfilms an. Eine todsichere Gelegenheit, Hikaru endlich zu treffen. ~~~>#*** Mit der Schmuckkordel ringend, die er in eine längere Strähne eingeflochten hatte, betrat Hikaru sein Schlaf-/Wohnzimmer. "Hallo." Masaya präsidierte auf der Couch. Die Augen verdrehend schimpfte Hikaru sofort los. "Komm nicht immer einfach so rein! Überhaupt, ich HABE ein Taxi bestellt, ja?! Ich werd mich nich verirren! Das kannst du auch gern dieser Zimtzicke Suga ausrichten!" Masaya erhob sich, schmunzelte. "Prima, das Taxi können wir uns teilen. Deshalb bin ich nicht hier." Hikaru, noch im Bademantel, grimmig dem ungebetenen Gast den Rücken zugekehrt, weil er mit den letzten Zentimetern kämpfte, funkelte über die Schulter, fegte herum. "Ist dein Frisör ausgewandert, oder wie?! Was ist das für Zeug in deinen Haaren?!" Nachlässig mit den Schultern zuckend bekannte Masaya die Wahrheit. "Tja, ich hatte keine Zeit. Außerdem machst du es ohnehin besser. Tetsu wollte mir helfen..." "Wer ist das denn?!" Hikaru fegte auf blanken Sohlen heran, fasste mit angewidertem Ausdruck und spitzen Fingern in Masayas Strähnen. "Igitt! Ist das so eine Art schnell härtender Beton?! Wie das riecht!" "Es sollte Haarwachs sein." Masaya studierte Hikaru aus nächster Nähe. Durch die dunklere Haarfarbe, die trotz der dezenten Tönung vermutlich seiner Naturfarbe am nächsten kam, wirkte Hikaru etwas blasser, vornehmer, edler. "Jetz guck nich kariert!" Fauchte das Objekt seiner Betrachtung, zerrte ihn am Handgelenk zum Badezimmer. "Die Klamotten runter, aber fix! Komm bloß nicht mit diesem Pamps in Kontakt!" Masaya feixte. "Alle Kleider, oder...?" Ein vernichtender Blick sollte ihn in Grund und Boden verdammen. "Bewegung!" Donnerte Hikaru wie ein Feldwebel, schimpfte dabei schon vor sich hin, während er Utensilien zusammentrug. "Einfach prächtig! SO hatte ich mir den Abend vorgestellt! Und dann WACHS! In dieses zottelige Stroh! UN-GLAUB-LICH!" Man konnte zu recht vermuten, ein eklatanter Verstoß gegen die guten Sitten habe sich ereignet. Masaya, bis auf die Unterhose entblättert, wartete artig, bis Hikarus erste Ereiferung in zielgerichtete Aktionen mündete. "Kopf unter die Dusche! Zappel nicht herum! Augen zu!" Während Masaya weit nach vorn gebeugt hockte, schlüpfte Hikaru aus dem Bademantel, griff die Handbrause mit der Entschlossenheit eines Tigerdompteurs. Anschließend brachte er radikale Mittel zum Einsatz, nämlich Essig, den Masaya eigentlich in der Küche vermutet hätte (wenn Hikaru jemals kochen würde). Erstaunlicherweise verflog der typische Geruch rasch. Hikaru arbeitete sich durch die verklebten Stränge, bis er wieder verblüffend glatte Strähnen gebändigt hatte. "Kurz ausdrücken." Anweisung folgte auf Anweisung. "Handtuch um die Schultern. Stillhalten, keinen Muckser!" Kamm, Schere und ein Rasiermesser rotierten um Masayas Kopf, der die Augen schloss, diese ungeteilte Aufmerksamkeit genoss. "Wirklich, ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass du auf dein Äußeres achtest, wenn du repräsentierst!" Grollte Hikaru hinter ihm, zupfte hier, rupfte dort, wieselte förmlich im Kreis um ihn herum. "Ich denke, beim Rest werde ich besser abschneiden." Bemühte Masaya sich um einen demütigen Tonfall. Er scheiterte kläglich, sein Lächeln verriet ihn. "Oh, toll!" Hikaru kniff ihn kräftig in die Nasenspitze. "Erwarte bloß kein ehrfürchtiges Lob, ja?! Das hier gehört immer noch zum Job!" "Wirst du das tragen, was du herausgelegt hast?" Lenkte Masaya auf erfreulichere Themen ab. "Hm." Gerade klemmte der Kamm zwischen den Zähnen. "Die geschnürte Weste sieht spektakulär aus. Wie hast du das hinbekommen?" Hikaru angelte den Föhn heran, um sein Werk zu vollenden. "Anders als der Herr Prinz mit dem goldenen Besteck!" Warme Luft umpustete Masaya. "Wir armen Schlucker müssen improvisieren." Hikaru inspizierte ihn kritisch, ließ die Galligkeit in seiner Provokation missen. "Ich habe auch diese Fotostrecke im Magazin gelesen, wo du erklärst, wie du die Tweedjacke umgearbeitet hast. Das IST beeindruckend!" Beharrte Masaya auf seiner ehrlichen Anerkennung für Hikarus Kunstfertigkeit. "Würdest du nicht mit diesen Mikrobendings herumspielen, könntest du das auch." Wehrte Hikaru kurz und bündig ab. "Alles eine Frage der Technik." Masaya unterdrückte eine amüsierte Replik zur Technik bezüglich seiner "Mikrobendings". Dazu goutierte er Hikarus Nähe (noch immer unbekleidet) viel zu sehr. "Halt jetzt still." Der beachtete in seinem Arbeitsmodus Anflüge von hingerissener Bewunderung gar nicht, sondern beugte sich vor, um Kajal aufzutragen. "Hm, ausdrucksstark." Nickte er zufrieden, richtete sich auf. "So, zieh dich an, aber nicht über den Kopf! Reib dir nicht die Augen!" Der Feldwebel war Mutter Curare gewichen, die noch skrupelloser schien, wenn ihre Order nicht buchstabengetreu befolgt wurde. Eilig aufräumend flitzte Hikaru hin und her, entschlossenen Blicks. Erstaunlich schnell bekleidete er sich. Sogar die beeindruckende Schnürung der Weste (aus einer alten Korsage gebastelt) ging ihm rasch und ohne Verrenkungen von der Hand! Etwas Stummfilm-Makeup dazu. Hikaru drehte sich kritisch vor der Spiegelwand, nicht ohne Masaya zu adressieren, der ihm unverwandt zusah. "Der Zimtzickerich hat es vielleicht schon erwähnt, aber trotzdem: wir spielen unsere Rollen, klar? Verhalten uns entsprechend unseres Images. Ich weiß, einige der Fans sind ein wenig speziell, aber versuch, in deiner Figur zu bleiben. Wenn einer aufdringlich wird, heißt das, du bist cool, distanziert. Lass die Eckzähne sehen, das Animalische hält sie auf Distanz." "Haben wir denn mit Zwischenfällen zu rechnen?" Masaya reichte Hikaru den geschmückten Zylinder. Der richtete seine Kopfbedeckung, hängte sich die modifizierte Umhängetasche um. Bereit, 20.000 Meilen unter dem Meer zu agieren, verlorene Welten zu entdecken oder den Mond zu erobern! "Die meisten sind nett, harmlos. Ausschließen kann man nichts. Manche ticken aus, wenn sie uns leibhaftig gegenüberstehen. Da gilt auch: Ruhe bewahren, weiterspielen." Masaya schlüpfte an der Tür in den Mantel, den Hikaru ihm abgetreten hatte. "Wie war das mit dem Okinawa-Film?" Hikaru, der hinter ihm die Tür absperrte, erinnerte sich. "Oh, da waren wir in einem Beachclub. Keine Kinovorführung, nur die Filmvorstellung. Das war ganz in Ordnung. Ach, einmal waren wir auch in einem Sportclub." Er folgte Masaya die Treppe hinab zur Straße. "Der Besitzer hatte uns eingeladen. Er steht auf knackige Burschen, wollte mal eine heiße Szene in einem richtigen Boxring sehen. Also durften wir dort drehen. Er ließ es sich nicht nehmen, zur Premiere dort einen kleinen Umtrunk auszurichten." Aus einem Impuls heraus hakte Masaya nach. "Hat er versucht, bei dir zu landen?" Hikaru schnaubte empört. "Erlaube mal, wir sind DARSTELLER! Das wusste er auch. Außerdem war ich ihm zu hübsch, denke ich. Er ist zwar direkt gewesen, aber niemandem nachgestiegen. So eine Firma sind wir nicht!" Hikaru signalisierte dem sich nähernden Taxi, dass sie die Fahrgäste mit der Vorbestellung waren. "Scheint dieser VIP nicht verstanden zu haben." Spielte Masaya auf die unschönen Begegnungen an, schlüpfte neben Hikaru in den Fond. Er konnte an der frostigen Miene ablesen, dass er einen wunden Punkt traf. "Es gibt Clips, bei denen man quasi die Darsteller für private Vorführungen mieten kann." Die Silben schienen Hikaru gallig zu schmecken. "DAS tun wir nicht. Das verstößt gegen die Verträge." Sie prostituierten sich nicht. Punkt. "Das wäre auch der Performance abträglich." Nickte Masaya ernsthaft, zwinkerte, um die Stimmung zu erhellen. Hikaru schnaubte bloß, blickte betont aus dem Fenster. Dunkelheit und Witterung boten keine nennenswerte Unterhaltung. Für die sorgte Masaya unerschütterlich: er nahm Hikarus Rechte in seine Linke, mit unentschlüpfbarem Griff. Neben ihm knurrte Hikaru zwar, wagte jedoch keinen größeren Protest. Während sich im schleichenden Stoßverkehr das Vorkommen nur langsam bewältigen ließ, trat eine beinahe meditative Stimmung auf den Plan: mittendrin und zugleich wie in einer Luftblase isoliert von der Welt. ~~~>#*** Der kleine Kinosaal war gefüllt bis auf den letzten Platz. Suga, im eleganten Smoking kaum wiederzuerkennen, moderierte launig, ohne ins Anzügliche abzugleiten. Die meisten Anwesenden sahen den fertig geschnittenen Film zum ersten Mal. Masaya hätte sich gern neben Hikaru platziert, doch hier, in ihrer Rolle, musste er sich an die Spielregeln halten. Suga wollte ihn eben woanders wirken lassen. Ganz konnte der Film seine Episodenhaftigkeit nicht abstreifen. Das lag in der Natur der Sache, respektive den zahlreichen, kleinen Höhepunkten. Bevor der Abspann mit Kurzporträts der Darsteller lief, leistete sich Suga jedoch eine Entgleisung, die Masaya überraschte. In der letzten Einstellung sah er sich selbst, die Tür zur kleinsten Kammer öffnend. Keine Spielfilmszene, auch wenn es natürlich das Set darstellte. Nein, er war auf dem Weg zu Hikaru, um ihn zu versorgen. Man konnte durch den sich verbreitenden Türspalt Hikarus Schneebekleidung erkennen. Womit der Eindruck entstehen konnte, er beabsichtige, sich jetzt mit Hikaru einzulassen! Dass dieser Gedanke keineswegs abwegig war, erlebten sie durch die eifrigen Nachfragen. Man johlte und jubelte, obwohl es doch undenkbar war, dass einer von ihnen seine Position aufgab. Hikaru, der wie alle Darsteller brav choreografiert auf der kleinen Bühne stand, parierte artig alle Nachfragen, agierte lässig, ohne jede Festlegung. Masaya nahm durchaus erleichtert zur Kenntnis, dass Miu den Entertainer gab, wie immer in großer Runde fröhlich aufdrehte. Das limitierte die Fragen an ihn erheblich. Zudem wirkte auch sein Amateurstatus, das heißt, man rechnete nicht mit einer langfristigen Zukunft, solange er nicht professionell einstieg. Es nötigte ihm Respekt ab, wie eisern Hikaru davon Abstand nahm, Suga auf offener Bühne zu erwürgen. Der zweifellos mit dieser letzten Einstellung Reaktionen provozieren wollte, die Hikaru dazu bewegen sollten, unter dem großen Druck seine Verweigerungshaltung aufzugeben, bevor sie Masaya endgültig an die brave Arbeitswelt verlören. Dabei hatte auch Masaya längst seine Entscheidung getroffen. ~~~>#*** Hikaru nippte an seinem Wasserglas. Obwohl zur Feier Alkohol ausgeschenkt wurde, nachdem sie den letzten Fan verabschiedet hatten, rumorte es noch immer gefährlich in seiner Magengrube. Seine Kehle schmeckte nach Essig. Dieser verdammte Suga! Als wäre es nicht schon schwierig genug, sich in kürzester Zeit neu zu erfinden, nein, der musste ihn auch noch kujonieren! Bloß, weil der da so eine fixe Idee hatte! Ihm war übel vor Zorn, den er nicht rauslassen durfte, um nicht allen die Party zu verderben. Aber wenigstens den Mund wollte er sich ausspülen gehen! Im Waschraum putzte er sich die Zähne gründlich, gurgelte mit Mundwasser. Sauber fühlte man sich wenigstens ein bisschen besser. "Lass uns gehen." Masaya materialisierte sich lautlos hinter ihm. Hikaru funkelte im Spiegelbild. "Damit sie sich noch mehr das Maul zerreißen können?!" Schimpfte er missmutig. "Nein, damit wir etwas Gutes essen können." Masaya lächelte ihn verschmitzt an. "Okonomiyaki? Was meinst du?" Prompt signalisierte Hikarus zweites Gehirn Begeisterung. Vernehmlich. "Ich kenne einen richtig guten Imbiss in der Nähe. Außerdem den Weg zum Hinterausgang." Masaya argumentierte listig. Allzu lebhaft konnte sich Hikaru allerdings Sugas Kommentare und Gehässigkeiten vorstellen, wenn man merkte, dass sie zu zweit ausgerissen waren. Andererseits war ihm der Abend ohnehin vergällt, oder nicht?! "Ich mag aber kein Fleisch oder Fisch drauf." Grummelte er im Rückzugsgefecht. "Wird dir nicht zugemutet." Versprach Masaya, der mit den eigenwilligen Gewohnheiten des wenig älteren Mannes inzwischen recht gut vertraut war. Endlich wandte sich Hikaru zu ihm herum. "Also los! Bloß weg hier!" Das musste er Masaya nicht zweimal sagen. ~~~>#*** Essen funktionierte beinahe so gut wie Arbeitsaufträge, stellte Masaya befriedigt fest. Sie konnten sich ganz normal unterhalten. Das gesträubte Fell blieb glatt, Hikarus spitze Zunge ganz manierlich. Der fühlte sich nicht bedroht, auch wenn sie in ihrer Aufmachung durchaus Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es war eine zurückhaltende, wohlwollende Reaktion. Das entspannte die Atmosphäre zusätzlich. Außerdem half es, Rat der Expertise zu erfragen. Wie hatte Hikaru die Korsage umgearbeitet? Er schnitt sich jetzt tatsächlich selbst die Haare? Woher stammten die Accessoires bei dieser Fotostrecke? Hikaru erklärte, gestikulierte lebhaft, lächelte, erzählte Anekdoten der letzten Aufnahmen. Masaya schmunzelte, als sie den kleinen Imbiss verließen, schon mitten in der Nacht. SO wollte er Hikaru erleben, den richtigen, wahren, echten Hikaru! Das Taxi ließ etwas auf sich warten. Insgesamt ein kostspieliger Abend, was die Transportfrage betraf, andererseits gönnte man sich gern hin und wieder mal etwas Luxus, nicht wahr? Nachdem sie eingestiegen waren, klappte Hikaru die Lider herunter, lehnte sich mit verschränkten Armen leicht an Masaya an. Augenpflege, aha! Als sie vor Hikarus Appartementhaus eintrafen, rechnete Masaya eigentlich mit einem Protest. Immerhin, was wollte er noch hier? Hikaru, der gedöst hatte und dezent desorientiert wirkte, unternahm keine Anstalten, ihn des Appartements zu verweisen. Masaya schlüpfte aus Mantel und Schuhen, folgte Hikaru, der den Zylinder bereits schwenkte, die Handschuhe längst abgestreift. "Fürchterlich!" Murmelte der gerade. "Wenn man den toten Punkt überschreitet, kann man nicht mehr schnell einschlafen! Dabei ist es schon spät..." Manchmal musste man einfach springen, die Theorie hinter sich lassen, hoffen, dass die Praxis nicht für eine Bruchlandung sorgte. In diesem Fall drehte Masaya Hikaru schlicht an den Schultern zu sich herum, wartete die überraschte Nachfrage nicht ab, sondern küsste ihn auf den geöffneten Mund. ~~~>#*** Das Schlimmste, was passieren konnte! Zärtlich. Sanft. Liebevoll. Wäre der doch wenigstens grob, brutal, geifernd, selbstherrlich, aggressiv vorgegangen! Hikaru sah sich außerstande, Masaya wegzustoßen. Der ihn nun umarmte, behutsam, wärmte, seine Verspannung erkannte. In sein Ohr wisperte. "Ich liebe dich, Hikaru. Bitte, schlaf mit mir." Wahrscheinlich fror gerade die Hölle zu. ~~~>#*** Selbstverständlich ging er ein Risiko ein. Dessen war sich Masaya bewusst. Der Abend war, nachdem sie sich abgesetzt hatten, so erfreulich verlaufen: Hikaru ohne grimmige Scheuklappen, munter, entspannt, abgelenkt von Sugas vorsätzlicher Gemeinheit. Das genügte ihm nicht. Nicht mehr. "Was redest du denn da?" Kein aufgebrachter, verlegener Protest, kein wütender Ausbruch aus seiner sanften Umarmung. "Ich bitte dich, mit mir zu schlafen." Wiederholte Masaya leise. "Weil ich dich liebe, Hikaru. Ich möchte dich richtig spüren." "Pfft!" Schnaubte es an seinem Ohr. "Du hast das noch nie gemacht, oder? Sag mal, bist du angetrunken? Ich könnte schwören, dass..." Masaya applizierte einen Kuss auf Hikarus Wange. "Nur Wasser und Tee. Ich bin nüchtern, sozusagen, aber nur, was den Alkohol betrifft." Scherzte er. "Aber vor Verlangen nach dir volltrunken. Total besoffen." "Ich weiß, was volltrunken heißt, du Depp!" Knurrte Hikaru, schob ihn von sich, funkelte ihn an. "Ehrlich, ich dachte du wüsstest, dass...!" Er verstummte. Masaya vermutete, dass ihn seine Miene verriet. Oder vielmehr verkündete, was er so unverblümt ausgesprochen hatte. Über Hikarus Gesicht huschten in Zeitraffer verschiedene Emotionen: Zweifel, Sorge, Misstrauen, Hilflosigkeit, zögerliche Verbundenheit, Verantwortungsgefühl, Stolz... Ein ganzes Kaleidoskop an Empfindungen eröffnete sich Masaya. Was fehlte, war die professionelle Distanz, die man in den Filmen erkannte. Die unsichtbare Schranke, die unzweideutig signalisierte: das ist ein Spiel. Eine Phantasie. Hikaru versuchte es mit Vernunftgründen. "Hör mal, du weißt, dass das nicht geht, in unserem Job. Außerdem hast du keine Erfahrung. Das würde also..." Masaya fiel ihm ins Wort, studierte das vertraute Gesicht. "Ich möchte dir nahe sein, Hikaru. Niemand anderem. Ich habe keine Angst, mich dir anzuvertrauen." "Na toll, du Schlaumeier!" Nun zogen sich die dünnen Augenbrauen empört zusammen. "Danke auch, unter SO VIEL DRUCK fühle ich mich doch gleich besser! Überhaupt, das ist unfair! Was ist mit meinen Gefühlen, hm?!" "Ja!" Masaya lächelte. "Was ist mit DEINEN Gefühlen?" Ihm gegenüber, die Hände auf seinen Schultern, sichtlich errötend vor verärgerter Verlegenheit, fauchte Hikaru überrumpelt, musste sich erst, den Kopf abgewandt, sortieren und sammeln. "Na schön, ich gebe zu, du bist schon in Ordnung. Das heißt jetzt nicht, dass ich meine professionellen Standards über Bord werfe, einfach so über dich herfalle, klar?! Nur, weil du in mich verknallt bist!" Masaya nickte beifällig. "Das würde ich auch nicht verlangen." Stellte er gehorsam fest. "Allerdings befinden wir uns ja auch in einer ganz anderen Situation." "Was? Wieso?" Er löste einen Arm von Hikarus gertenschlanker Taille (durch die geschnürte Weste noch betont), streichelte ihm sanft über die Wange. Was Nervosität in Hikarus Augen aufblitzen ließ. "Ich bin nicht verknallt." Stellte er richtig. "Ich liebe dich. Ich begehre dich auch, selbstverständlich, sonst würde ich diese Bitte nicht an dich richten. Meine Gefühle sind anhaltend, dauerhaft und mannigfaltig. Bitte erweise mir deshalb den Respekt, sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen." Hikaru öffnete den Mund, brachte jedoch keine Silbe hervor, zögerte, blinzelte ihn sichtlich bedrängt an. Und ängstlich. »Weil er erkennt, dass ich es ernst meine. Dass ich wahrhaftig in meinen Gefühlen für ihn bin.« Resümierte Masaya diese Reaktionen. Den Kopf abgewandt, die Hände auf Masayas Schultern zu Fäusten geballt, rang Hikaru mit sich. "Das~das ist unvernünftig, Masaya! Das weißt du doch, nicht wahr? Wenn wir das anfangen, dann...!" "Dann werden wir einander beistehen, vertrauen und uns unterstützen. Den anderen über das eigene Ego stellen. Gemeinsam leben, nicht mehr jeder allein vor sich hin. Ist das nicht eine Aussicht, die dir auch zusagen könnte?" "Schon! Aber..." Hikaru, den Blick weiterhin abgewandt, biss sich auf die Lippe. So schwer es ihm auch fiel (sein rasender Puls trommelte in seinen Schläfen), Masaya wartete ab. Hikaru mit Worten zu umzingeln half nicht. Argumente waren bekannt, bereits ausgetauscht. Nein, die Entscheidung musste selbst gefällt werden. "Also gut." Wisperte Hikaru schließlich, richtete sich auf, funkelte ihn an, halb trotzig, halb bange. "Ich werd dein Blümchen pflücken. Danach sehen wir weiter." Masaya lächelte, atmete hörbar aus, selbst verblüfft darüber, dass er offenbar unbewusst die Luft angehalten hatte. Ihm gegenüber schnaubte Hikaru, entkrampfte die Fäuste, packte Masayas Ohren. "Du wirst tun, was ich sage, klar? Ich hab keine Lust, in der Notaufnahme herumzulungern oder mir Gejammer anzuhören, wenn's kein Feuerwerk gibt!" Nun konnte Masaya nicht anders als erleichtert herauslachen. ~~~>#*** Das war so dämlich! Vermeidbar dämlich. Oder? Hikaru wollte die Wärme in den schwarzen Augen nicht sehen, die schiere Freude! Pah! Der würde sich noch umgucken, wenn ihm die Kehrseite...! Abrupt wandte er sich ab, löste sich aus der Umarmung, zog den durchgedrehten Professor mit sich ins Badezimmer. "Ausziehen!" Kommandierte er betont streng. "Keinen Pieps!" Ob Masaya ahnte, dass es sein erstes Mal war? Dass er bisher nur mit Profis zu tun hatte? Das erste Mal verlief NIE toll, weil man sich selbst gar nicht richtig kannte. Dem anderen (vermutlich auch total nervös) nicht zeigen konnte, wo es gefiel und wo eher nicht. Weil jede Menge Vorbereitungen zu treffen waren, die Spontan-Geilheit auf die Plätze verwies. Mal eben hinten andocken, DAS ging nicht! Oder zumindest nicht, wenn man der anderen Person wohlgesonnen war. Hikaru signalisierte Masaya, die Kleider auf von ihm dem Spiegelschrank entführten Bügeln zu deponieren, dirigierte ihn zur gefliesten Duschfläche. Abwechselnd brausten sie sich ab. Er teilte einen Duschschaum aus, der keinen Geruch absonderte, verabscheute starke Aromen. Unprofessionell und unhöflich! Natürlich unternahm Masaya Anstalten, ihn einzuseifen! Er ließ es zu. Keine aufreizenden Spielchen. Erschreckender Weise versuchte der großmäulige Romeo auch gar nichts in dieser Richtung! Nachdem sie nun gesäubert waren, stellte er Masaya ein wichtiges Hilfsmittel vor, das zu einem Einlauf verhalf. Aus Hygienegründen. "Es fühlt sich wahrscheinlich ungewohnt an." Er drückte Masaya in die Hocke. "Versuch es bitte trotzdem." DAS sah man in den Filmen nie (oder nur in ganz speziellen Fetischfilmen). Während Masaya sich nicht verrenkte, die nachgiebige Kunststoffwand eindrückte, ging Hikaru vor ihm in die Hocke, küsste ihn zur Ablenkung auf den Mund. Auch wenn dieser Bursche scheinbar durch gar nichts in Verlegenheit zu bringen war, wollte er doch für Wohlgefühle sorgen. Nun, zumindest diese anstreben, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Als er sich ein wenig zurückzog, lächelte Masaya ihn einfach an, weniger beseelt als zuvor, durchaus begehrlich. Merklich erregt. Hikaru sah sich genötigt, aus erzieherischen Gründen dessen Nasenspitze einzuklemmen. "Wir werden das Schritt für Schritt angehen!" Warnte er. "Das is hier nich irgend ne Porno-Nummer!" Eine mehr als kuriose Ankündigung aus seinem Mund! ~~~>#*** Masaya schmunzelte, als er an der Hand (nicht dem Handgelenk) ins Schlafzimmer geführt wurde, wo ein neues Bettgestell wartete. Er hütete sich davor, das Sprechverbot zu brechen. Hikaru wirkte ungeheuer konzentriert, fast in sich gekehrt. Wie jemand, der um keinen Preis aus Nachlässigkeit oder Gedankenlosigkeit einen Fehler begehen wollte. Das rührte ihn sehr. Zwar wusste er bereits von den Videodrehs, dass Hikaru immer rücksichtsvoll und aufmerksam agierte, aber das gehörte zu seinem professionellen Selbstverständnis. Hier galt es allein ihm, seinem Wohlbefinden. Die Tagesdecke wurde zurückgeschlagen, danach die Bettdecke. Ein saugfähiges Strandlaken bildete eine große Unterlage, offenbar Verschmutzungen zu vermeiden. In Reichweite reihten sich Feuchttücher, Taschentücher, Gleitgel und verpackte Kondome. Hikaru programmierte auch seinen Lichtwecker auf ein Sonnenuntergangsglühen, bevor er die sonstige Beleuchtung löschte. Masaya nahm auf seine Geste hin Platz. Mit einiger Mühe, seine Erektion reckte stolz in die Landschaft. "Dass das klar ist: ich höre sofort auf, wenn's schmerzhaft wird. Analsex ist nicht jedermanns Sache. Wenn ich finde, dass es nicht klappt, gilt mein Wort!" Masaya nickte artig, im Reflex. Trotz der gedimmten Beleuchtung, die Heimeligkeit verströmte, laserte Hikarus Blick Unbeugsamkeit in dieser Frage. Er hob die Hände, um sanft über Hikarus Front zu streicheln, von den Wangen bis hinunter über die Oberschenkel. "Ich liebe dich." Formte er lautlos. Hikaru presste die Lippen für einen Moment fest aufeinander, wich seinem Blick nicht aus. Masaya hegte keinen vernünftigen Zweifel, dass er alles genießen würde, was nun käme. ~~~>#*** Im Film war es einfach, weil man vorher die Bewegungsabläufe genau choreografiert hatte. Hikaru stimmte sich immer mit seinen Partnern ab. Mit wachsender Erfahrung ähnelte es dem Umgang mit einem vertrauten Tanzpartner: jeder WUSSTE schlicht, wie der andere reagierte. Außerdem galt es, die Kameraeinstellungen ins Kalkül zu ziehen, die Beleuchtung zu beachten, das Timing. Volle Konzentration eben. Hier jedoch bot sich die Realität mit all ihren Fallstricken. Was nutzte all die professionelle Erfahrung als Darsteller, wenn hier ZWEI Personen aufeinandertrafen, die eigentlich dieselbe Rolle hatten, nun spiegelverkehrt ausbaldowern mussten, wie sie miteinander agieren konnten? Das war nur EIN Problem! Zusätzlich schien Masaya unverbrüchlich seine direkte Nähe zu suchen. Das war ihm zwar keineswegs unangenehm, aber eben ungewohnt! Der wollte ihn küssen! Ständig! Nicht unbedingt schlabbrig-gierig, nein, jedoch intensiv, leidenschaftlich. Es konnte einem wirklich blümerant werden davon! Hikaru entschied, es sich unter Masaya einzurichten. Der musste, um ihn nicht zu sehr zu belasten, sich aufstützen, was gewisse Einschränkungen im Aktionsradius bedeutete. Für ihn selbst jedoch war es die Initiative, das Gleitgel mit Kondom bewehrtem Finger vorsichtig zwischen zwei knackigen Pobacken zu ersten Erprobung vorzustellen. Er zog sich Masayas linkes Bein höher heran, ließ sich küssen, streichelte über das breite Kreuz mit den Muskelspielen (zum Abstützen), erforschte die Bereitschaft, sich auf ein ganz neues Erleben einzulassen. Natürlich eng, klar. Wenn er Masayas kurze Rippen kraulte, hörte der auf, reflexartig die Luft anzuhalten, entspannte sich. Genug zumindest, nicht der Finger verlustig zu gehen. Streicheln, küssen, dabei tiefer rutschen, um sich nicht zu sehr verrenken zu müssen, was die Finger betraf. Außerdem war die pulsierende Erektion zu bedenken, die über seinen Bauch strich. Das Stöhnen an seinem Ohr, weil Masaya mit sich selbst rang. "Komm." Wisperte Hikaru sanft, initiierte eine leichte Drehung auf die Seite, kauerte über Masaya, umschloss dessen Erektion (Kondom-ummantelt, selbstredend), setzte mit der anderen Hand seine Feldforschung zwischen den zuckenden Oberschenkeln fort. Die Lippen aufeinander gepresst, dem verzweifelten Bemühen um Selbstbeherrschung geschuldet, schüttelte Masaya minimal den Kopf. Nein, natürlich, typisch Prinz! Der wollte selbstverständlich mit einem trockenen Abgang die Glocken zum Klingen bringen, der Depp! Da halfen nur der Einsatz perfider Kenntnis und (heimlichen) Studiums der Filme! Masayas Schwäche waren nicht etwa die Brustwarzen, sondern die schmale Region unter dem Bauchnabel. Prompt keuchte er, ahnte Hikarus entschlossene Attacke, doch zu spät. Der legte nicht nur Zunge, sondern auch Zähne an. Die Knie zuckten zwar hoch, doch Hikaru wich ihnen geübt aus, während unter seinen Fingern das Kondom blitzartig gefüllt wurde, begleitet von einem animalischen Laut. Was ihm ebenfalls Schweiß auf die Stirn trieb. Es war nicht zu leugnen, dass er selbst große Lust verspürte. Zunächst galt es, den außer Gefecht gesetzten Masaya zu beobachten, ob sich etwas Entspannung zeigte. Die erschien ihm unentbehrlich, um tatsächlich zum zweiten Akt zu läuten. ~~~>#*** Masaya blinzelte hoch, löste die Finger aus dem Strandlaken. Verflixt, er war zuerst gekommen, ziemlich heftig sogar, wenn er die nachlassenden Spasmen in seinen Muskeln und Sehnen zurate zog! Über ihm betrachtete Hikaru die Szenerie, sichtlich erhitzt, aufmerksam, fürsorglich. Er streckte den Arm hoch, fasste nach einem transpirierenden Nacken, um mit ihm einen Kuss zu teilen. In dieser intimen Nähe spürte er, wie sehr Hikaru mit Selbstbeherrschung rang, mit kontrollierten Atemzügen die Disziplin aufrecht erhielt. "Pflück das Blümchen!" Raunte er neckend in ein Ohr, leckte über das Läppchen, was ihm ein tadelndes Schnauben einbrachte. Aber er wollte es! Er wollte so sehr eine weitere Verbindung mit Hikaru knüpfen! Mit ihm richtig verschmelzen! Dazu sollte er sich wohl besser besinnen, auf alle Viere kommen, nicht wahr? Unversehens fand er sich bäuchlings wieder, liegend, das linke Bein wie zuvor angewinkelt, sich mit dem linken Arm von der Matratze abstützend. Hikaru schob sich über ihn, küsste sein Rückgrat entlang tiefer bis zum letzten Lendenwirbel. Unwillkürlich stöhnte er guttural vor Verlangen. Da waren wieder die Finger, zwei oder schon drei? Er arbeitete ihnen entgegen, kontrahierte die Muskeln, ungewohnt, aber reizvoll, wie eine juckende Stelle, die man kratzte, bis man den Schmerz genoss. Beinahe hätte er sich in die Zunge gebissen, als Hikaru ankündigungslos den Winkel veränderte, die Prostata "richtig" traf. Der Kontaktimpuls jagte durch seinen gesamten Leib, ließ ihn unkontrolliert erschauern. "Nicht die Luft anhalten!" Keuchte Hikaru in seinem Nacken, heißer Atem, der auf seiner Haut kondensierte, sie elektrisch auflud. Ohne die Finger spürte Masaya für einen Moment lähmende Leere. Er stemmte sich mit den versetzten Knien in die Matratze, ballte die Fäuste. Hikarus Erektion, die sich in Zeitlupe ihren Weg bahnte, fühlte sich ganz anders an als die Finger! Er schloss die Augen, spürte, wie ihm Schweißperlen über das Gesicht rannen, zwang sich, Atemzüge zu zählen. Warum war Hikaru so zögerlich?! Warum quälte der ihn so?! Heiß und so unglaublich RIESIG! Wenn der doch nur diese eine Stelle anpeilte! Eine Hand kraulte in kreisenden Bewegungen seinen Unterbrauch. "Pscht, Masaya, gleich! Nur noch ein bisschen..." Masaya registrierte perplex, dass er schluchzte, unverständliche Silben hervorstieß. Dass Hikaru ihn zu trösten, zu beruhigen versuchte. Obwohl er schwankte, löste er eine Hand, um Hikarus zu umfassen, die unermüdlich über seine Front streichelte, seine sich wieder aufbauende Erektion tunlichst ausließ. Bitte! Bitte, Hikaru musste doch ein Einsehen haben! ~~~>#*** Unglaublich eng. Heiß. Nicht unerwartet. Dieses helle Schluchzen! Hikaru spürte, wie ihm förmlich die Kehle eng wurde. Wenn er jetzt zu hastig agierte, würde er, Gleitmittel hin oder her, die empfindliche Haut zu stark reizen. Er wollte nicht, dass Masayas erstes Mal ein Desaster wurde, aus Schmerzen bestand, ihn abschreckte, verunsicherte! Er grub die Stirn in Masayas Nacken, applizierte glühende Küsse. Stillhalten, nur noch ein wenig! Wenn er spürte, dass der muskuläre Widerstand, der sich ebenso erregend-quälend um seine Erektion ballte, leicht abschlaffte, würde er Schwung aufnehmen, Ehrenwort! Den Winkel hatte er sich eingeprägt, würde ihn auch gegen unwillkürliche Verrenkungen verteidigen! "Pscht, Masaya, atme flach, ja?" Nur noch einen Augenblick länger... ~~~>#*** Irgendwie ließ die Verspannung nach. Masaya konnte sich gar nicht erklären, ob er bewusst reagierte, es steuerte. In diesem Moment, da er sich schwerer fühlte, zu erschöpft, um weiterhin alles zu ballen, vibrierte Hikaru in ihm, mit einem einzigen Impuls, um tiefer in ihn vorzudringen. Er spürte den Einschlag, die explodierenden Nervenstränge, den Atem, der ihm ausgetrieben wurde. Instinktiv wollte er Abstand suchen, wegkriechen, wie sinnlos sich das auch ausnahm. Glücklicherweise verfügte Hikaru über sehr versierte Erfahrungen. In rapider Folge, ließ ihn gar nicht mehr zu Verstand kommen, stanzte der ihn förmlich Richtung Bettkopf. Traf immer wieder zielgenau DIESE Stelle! Masaya registrierte ein goldenes Blitzlichtgewitter. Danach fiel für einen langen Moment der Strom komplett aus. ~~~>#*** Hikaru richtete sich auf, kauerte sich neben Masaya auf das zerknitterte Strandlaken. »Bitte!« Flehte er stumm und außer Atem. »Lass ihn bloß nicht bluten!« Im letzten Moment hatte er doch die Beherrschung verloren, sich selbst leidenschaftlich Erleichterung verschafft. Sex fühlte sich eigentlich immer angenehm für ihn an, aber dieses Mal mischte sich eine andere Note darunter: pure Erlösung. Weil er solche Sorge gehegt hatte, Masaya zu verletzen, ihn zu enttäuschen. Gut, DAS war ein sehr selbstsüchtiger Impuls, aber nicht weniger wahr! Die Gegenwart meldete sich. Masaya stöhnte benommen. Hastig fischte Hikaru den Taschentuchspender heran, löste unzeremoniell eilig das benutzte Kondom von seiner Erektion, bevor er Masaya auf die Seite drehte, präzise in stabile Seitenlage. "Masaya? Alles in Ordnung? Hm?" Unversehens strich er ihm durch den feuchten Pony, mit den Fingerrücken über die Wangen, streifte Schweißperlen ab. Man blinzelte, der Blick verschwommen, die Lider klebrig. Hikaru entfernte auch das andere Kondom, löffelte frontal, um Nähe zu bieten, Zuflucht, Trost. Prompt schmiegte sich Masaya an, beinahe instinktiv, begab sich in seinen Schutz. "Alles gut, Masaya, alles ist gut." Komisch, so etwas kannte er gar nicht, konnte sich nicht entsinnen, jemals eine derartige Routine...? Trotzdem rollte er sich auf den Rücken, um Masaya besser in den Armen halten, besänftigend liebkosen zu können. ~~~>#*** Es war schön. Geborgen zu sein, getröstet zu werden. Auch wenn es ENTSETZLICH peinlich war, in Tränen ausgebrochen zu sein wie ein Kleinkind! Andererseits, wenn es damit endete, von Hikaru derart umsorgt zu werden, der ihn mit Küssen eindeckte, ihn wiegte, war es das wert! Masaya kuschelte. Staunte darüber, dieses Bedürfnis zu empfinden. Von wegen kalter Fisch! ~~~>#*** "Ich weiß, dass du erschöpft bist und dir die Knie zittern." Hikaru gab sich unerbittlich. "Wir müssen trotzdem noch mal ins Bad." So verschwitzt, auch mit Spuren von Gleitgel gezeichnet wollte ER bestimmt nicht die Matratze abhorchen! Also zog er Masaya entschlossen auf die Beine, dessen Muskeln tatsächlich spasmisch zuckten, wenn auch nicht so stark, dass es ihn einknicken ließ. "Stütz dich auf mich." Hikaru legte sich einen Arm um die Schultern, umfasste die schlanken Hüften. Im gnadenlosen Licht des Badezimmers würde er auch prüfen, ob sich Spuren von Blut fanden. Er hoffte es natürlich nicht, aber sein Verantwortungsgefühl ließ keine Ausflüchte zu. Masaya hockte sich artig auf den niedrigen Schemel, um abgeduscht, eingeschäumt und erneut abgespült zu werden. "Hier die Arme drauf." Lotste Hikaru ihn anschließend auf die Knie, um das Gleitgel im Analtrakt auszuspülen. Das löste ein Keuchen aus, doch kein schmerzhaftes Zucken und glücklicherweise keine Anzeichen von Wundsein! Er gönnte Masaya eine kurze Auszeit, um sich selbst rasch zu waschen, brachte Pyjamas und entfernte Utensilien wie Strandlaken vom Bett. An der Hand leitete er Masaya zurück, richtete den Lichtwecker auf die finale Schlafphase ein. Die hatten sie schließlich nötig! "Gute Nacht." Wünschte er, wehrte den sich anschmiegenden Masaya nicht ab, küsste eine leicht fiebrige Stirn unter dem noch feuchten Pony. "Ich liebe dich, Hikaru." Drang mühsam gemurmelt an sein Ohr. "Schon recht." Brummte er besänftigend. "Schlaf jetzt." Dieser Aufforderung würde er auch selbst prompt nachkommen! ~~~>#*** Selbstredend konnte kein ausgewogenes, traditionell japanisches Frühstück erwartet werden, das die Hausfrau bereits eine Stunde vorher aus dem Bett trieb, um wirklich alles erledigt zu haben. Deshalb brachte Masaya auch streng seine Gesichtszüge unter Kontrolle, als er mit dem Kopfkissen recht bequem an das Bettgestell angelehnt einen Fruchtmusbeutel ausquetschte. Hikaru, die zerwühlte Bettdecke wie gewohnt Richtung Fußende geknäult, saß, ein Bein angezogen, neben ihm, lutschte dieselbe zweifelhaft-nährende Kost, beäugte ihn kritisch. "Hör mal, ich weiß, dass du was anderes gewohnt bist!" Kam er jedem möglichen Protest zuvor. "Erst mal müssen wir Betriebstemperatur erreichen, klar?" Masaya nickte artig, angenehm überrascht von dem beinahe kulanten Einstieg trotz Belehrung. Bei Tageslicht (wenn auch milchig-trüb, dem Spätwinter geschuldet) konnte die Realität recht unerfreulich aussehen. Ganz gleich, wie aufregend-wild die vergangene Nacht gewesen war. Andererseits pflegte er sich bis dato gar nicht in fremden Betten nach vollbrachter Körperertüchtigung am nächsten Morgen wiederzufinden. Noch eine Premiere! "Und? Tut dir was weh?" Es klang zwar ein wenig barsch, doch in Hikarus Stimme schwang Sorge mit, Unbehagen, Nervosität. "Nein." Masaya lächelte entspannt. "Ehrlich gesagt fühle ich mich großartig." Er grinste, als Hikarus Miene rapide von Fassungslosigkeit über diese unverschämte Äußerung zu empörter Entrüstung wechselte, weil er sich nicht manierlich zurückhielt. "Prächtig. Ich werd dich dran erinnern, wenn du krumm wie ein Fragezeichen durch die Gegend eierst!" Ließ Hikaru sich schließlich zu einer Antwort herab, spitz, aber ohne Gift und Galle. Masaya streckte die Hand aus, wartete das reflexartige Zurückzucken geduldig ab, bevor er sanft über Hikarus Wange streichelte. "Ich habe mich noch gar nicht bedankt. Vielen Dank, Hikaru. Danke." Da war er wieder, dieser Ausdruck von hilfloser Nervosität! Hastig wandte Hikaru den Kopf ab, grummelte. "Schon recht. Ist ja nicht so, als wäre ich nicht in Übung, so horizontaltechnisch." Betont bärbeißig. Tatsächlich verlegen, verunsichert. Masaya entschied, ihm eine kleine Pause zu gönnen, um sich wieder zu sammeln. "Allerdings bin ich beeindruckt, wie Yukio und Miu das so häufig hintereinander ohne erkennbare Mühe hinbekommen." Plauderte er. "Für mich steht jedenfalls fest, dass ich das nicht kann." Alarmiert wandte sich Hikaru ihm zu. "Du hast doch nicht etwa vor, die Rolle zu wechseln, oder? Das geht auf keinen Fall!" Warnte er eindringlich. "Weil's nicht zu meinem Image, meinem Aussehen passt?" Bequem zurückgelehnt in das einladende Kissen zwinkerte Masaya. "Große Klugscheißer mit Titel wie ich müssen sich bescheiden?" Er genoss Hikarus Zögern, die eindeutige Sammlungspause, um ihm rücksichtsvoll zu antworten. "Das ist nun mal einer gewissen Erwartungshaltung geschuldet." Hikaru wischte sich ablenkend durch den eigenen Pony. "Ich weiß, es sind Stereotype. Wir bilden ja auch nicht die Realität ab, richtig?" Masaya legte seine Hand auf Hikarus, die der in die Matratze gestemmt hatte, um ihm näher zu kommen, seine Gegenrede zu unterstreichen. "Ich versichere dir, dass ich Sex auf diese Weise nur mit dir erleben möchte. Ganz sicher nicht vor einer Kamera." Hielt er Hikarus Blick auf sich fixiert. "Das hier gehört ausschließlich uns." Hikaru senkte den Kopf, entzog ihm aber nicht die Hand, sonst wäre er wohl unschön ins Trudeln gekommen. Vielleicht wollte der sie aber auch gar nicht lösen. "...wirklich..." Murmelte er leise. "...du bist so...verdammt überzeugend. Echt...gruselig." Obwohl ihm nun das Herz merklich schneller schlug, zwang sich Masaya, keine falsche Bewegung zu machen. Etwa spontan die Distanz zwischen ihnen zu verkürzen. "Ist es wirklich gruselig, dass ich dich liebe? Bin ich so unzulänglich?" Fragte er in gedämpftem Tonfall. "Nein!" Entwischte es Hikaru, bevor er erneut die Lippen aufeinander presste, mit sich selbst rang, ihn nicht ansehen konnte. "Aber..." "Aussichtslos ist es doch nicht, oder?" Masaya behielt seinen gefassten Ton bei. "Ich bin sehr zuversichtlich. Wie siehst du das?" Hikaru kämpfte sichtlich mit sich, ballte nervös die Fäuste, rutschte unruhig auf der Matratze herum. "...also...du bist...schon in Ordnung. Ziemlich. Es ist aber so, dass... ich nun mal meine Prinzipien habe. Da funktioniert eine richtige Beziehung einfach nicht." Masaya gab sich grüblerisch. "Tja, also gemeinsam essen, bummeln, schlafen, das klappt doch ganz gut, oder? Unterhalten können wir uns auch. Gemeinsam Betten aussuchen." Neckte er Hikaru, um ihn nicht zu sehr in die Ecke zu treiben. Endlich sah Hikaru ihm wieder ins Gesicht. "Aber wir können nicht einfach Sex haben, wenn's uns gerade juckt, okay?!" Fauchte er in Rechtfertigungshaltung. "Mein Job hat keine geregelten Arbeitszeiten, klar? Außerdem kann die ganze Welt mir beim Bumsen zuschauen, also ist das kein Exklusivrecht! Meine Partner sind durch die Bank attraktiv, jung, erfahren, blablaba. Vollkontaktsport, auch wenn wir alle Profis sind!" "Ich weiß das." Stellte Masaya ruhig fest, was Hikaru aus dem Konzept brachte. Masaya ließ ihn seine Seelenruhe spüren, durch einen direkten, offenen Blick und die unaufgeregte Replik. "Na~na schön! Theoretisch alles ganz sauber!" Hikaru schnaubte. "Aber Leute ticken eben nicht so! Und am Ende hagelt's Vorwürfe, Misstrauen, Eifersucht!" "Dazu kenne ich dich viel zu gut." Konterte Masaya sanft, ernsthaft. "Du bist gar nicht fähig, mehrgleisig zu fahren oder zu betrügen." Mit herabgesacktem Kiefer starrte Hikaru ihn an, ungläubig. Als ihm Röte in die Wangen stieg, wandte er sich hastig ab. "Bin ich also zu blöd, oder wie?" Bemühte er sich um eine trotzige Retourkutsche. Masaya lächelte zärtlich. "Du bist nicht dumm. So ein Verhalten würde deinem Selbstverständnis absolut zuwiderlaufen. Deshalb würdest du so etwas gar nicht tun. Wer nicht betrogen werden will, betrügt auch nicht. Denkst du nicht genauso?" Hikaru schwieg verbissen, entzog ihm sogar die Hand, um die Arme demonstrativ vor der Brust zu verschränken. "Ich hab gesagt, ich pflück das Blümchen!" Verkündete er schließlich, den Kopf abgewandt, das Kinn hochgereckt. "Heißt nicht, dass wir jetzt zusammen sind, klar?" "Klar." Antwortete Masaya lächelnd. "Ich werde geduldig auf dich warten." "Hey!" Sofort hatte er Hikaru wieder auf sich konzentriert. "Spinnst du?! Ich hab doch gerade gesagt...!" "Das habe ich gehört." Fiel Masaya ihm ins Wort. "Trotzdem setze ich alles daran, dass die Zeit kommt, wo wir zusammen sein werden." Ein frustriertes Fauchen entwich Hikarus Kehle, während er die Arme hochriss, auf die Matratze schlagen ließ. "Du bist so was von stur!" Warf er Masaya aufgebracht vor. "Wie mich das nervt! Da versuch ich, dir Ärger zu ersparen...!" Masaya schnellte nach vorne, zog Hikaru, der zu spät zurückwich, schwungvoll in eine Umarmung. Eine unnachgiebige. "Beschütz mich nicht vor dir!" Raunte er Hikaru zu, der zappelte. "Ich will ja gerade dich." Lange Augenblicke fruchtlosen Rangelns verstrichen, bis Hikaru nachgab. "Für so n studierten Eierkopp bist du echt doof!" Ließ er Masaya grimmig wissen. Was diesen zum Lachen brachte, aus tiefster Überzeugung. ~~~>#*** Hikaru wusste, dass es unvermeidlich war, mit Masaya nach draußen zu gehen, um richtig zu frühstücken. Er schickte sich drein, durchaus erleichtert, dass das unangenehme Thema "Beziehung" nicht weiter verfolgt wurde. Weil Masaya ihn wirklich beunruhigte! Es war gefährlich verlockend, ihm zu glauben, ihm zu vertrauen. Außerdem lächelte der Kerl ihn ständig an! Sonst gab der sich doch immer stoisch, verzog keine Miene, aber wenn sie zusammen waren, dann...!! Und die letzte Nacht. Bereut hatte er seine Entscheidung nicht, auch wenn sie ihn wirklich Schweiß und Nerven gekostet hatte. Bloß. Bloß bot sich hier ein weiterer Einstieg in die Katastrophe. Wenn irgendwer herausbekam, was zwischen ihnen gelaufen war! Die nervige Zimtzicke Suga würde ihm ohnehin die Ohren vollbrüllen, weil er sich bloß per Textnachricht verabschiedet hatte. Selbstredend war es seine Schuld, dass Masaya, der zweite Hengst im Stall, ebenfalls abgehauen war. Logisch! Als wäre der sture Bock nicht selbst in der Lage, alles zu ignorieren, was ihm gerade nicht in den Kram passte! Wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie nun mal in ihrer Branche nicht einfach Partnerschaften eingehen konnten. Das ging schief. Grundsätzlich. Weil Leute eben Leute waren, nicht im luftleeren Raum existierten. Deshalb hatte er für sich ja Regeln aufgestellt, Prinzipien erklärt! Gerade weil er schon genug Aufregung in seinem Leben hatte, KEINE Katastrophe auslösen wollte! "Hier, diese Marinade ist wirklich lecker!" Schon schob die Ursache all seiner Verwirrungen und Unsicherheiten ihm das Schälchen näher. Hikaru pickte grimmig ein Tofuwürfelchen auf. Es schmeckte wirklich gut. "Du darfst niemandem erzählen, was passiert ist!" Schärfte er Masaya ein. "Ernsthaft. Suga hat mich ohnehin auf dem Kieker. Offiziell sind wir einfach nach Hause gefahren. Geteiltes Taxi." Er spürte, wie die schwarzen Augen ihn so unerträglich prüfend studierten. Dabei war er nun wirklich kein Mikroben-Dings! "Jetzt schau nich so kariert!" Schnauzte er deshalb. "Du weißt selbst, dass Profis nicht miteinander tändeln!" Auch wenn sie gerade im Begriff waren, den Gegenbeweis anzutreten, aus einer Regel eine unverbindliche Empfehlung machten. "Warum ist Suga nicht gut auf dich zu sprechen?" Der Kerl wich ihm aus! "Versprich mir, bei dieser Version zu bleiben!" Forderte Hikaru drängend. Es dauerte eine kaum erträgliche Zeitspanne, bis er endlich das Gelöbnis vernahm, gefolgt von einer Wiederholung der unbeantworteten Frage. Hikaru schnaubte, mümmelte etwas klebrigen Reis. "Das Übliche eben. Er hat irgendwelche Vorstellungen und Ideen. Ich mach nich alles. Muss ich laut Vertrag auch nicht!" Betonte er, verabschiedete die lässige Diktion. "Das passt ihm nicht. Außerdem hegt er die fixe Idee, dass ich zu überzeugt von mir bin, immer einen Dämpfer brauche, sonst strenge ich mich angeblich nicht an, werde zu selbstzufrieden, faul, fett und ungelenk." Demonstrativ rollte er die Augen. "Manchmal habe ich den Eindruck, er sieht mich gar nicht als Person." Ergänzte er ernster. "Sondern als Figur, die man eben herumschiebt, in Settings setzt, Geschichten erzählen lässt, wie es einem gerade passt. Aber das bin ich nicht. Auch wenn ich verschiedene Rollen spielen kann, so bin ich doch kein inhaltsloses Chamäleon." Wortlos schenkte Masaya ihm Tee nach, blickte ihn aufmerksam an. Eine nonverbale Aufforderung, mehr zu erzählen. Seufzend kam Hikaru dieser stummen Frage nach. "Als ich dazu stieß, steckte die Agentur in gewissen Nöten, weil sie zu häufig wechselndes Personal hatte. Kein Marken-Gesicht, verstehst du? Wirtschaftlich ging es gerade mal so auf, deshalb ist mein Vertrag auch eher untypisch. Gemeinsam haben wir uns reingekniet, uns einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Ich bin das Aushängeschild, der Star, die Galionsfigur. Wir haben einander gebraucht, um es so weit zu bringen. Das ist nicht immer eine angenehme Situation. Für beide Seiten." Er wollte sich lieber nicht an seine deprimiert-panische Stimmung angesichts der neuen Frisur erinnern. Masaya betrachtete ihn. Umgekehrt registrierte Hikaru, wie sich offenbar Erwägungen gegenseitig auskonterten. Ah! Käme jetzt wohl die indiskrete Frage, wie er überhaupt in diesem Metier gelandet war? Was der verwünschte Inoue dazu beigetragen hatte? Aber da würde der auf Granit beißen! Das war SEINE Sache, beschissen genug, die würde er nicht breittreten! "Mir kam der Gedanke..." Hikaru sträubte schon das Fell in vorauseilender Empörung, als Masaya nachdenklich leere Schälchen stapelte. "...dass Suga sich im Pygmalion-Dilemma befindet, deshalb so unwirsch reagiert." Hikaru blinzelte unwillkürlich verwirrt. "Ich kann dir nicht folgen?" Formulierte er vorsichtig, reserviert. Masaya nippte an seinem Teebecher. "Ein alter, griechischer Mythos, aber durchaus global wiederzufinden: ein Mann schafft sich ein künstliches Wesen, weil er mit dem realen Angebot unzufrieden ist. Dieses Wesen, im Original eine Frauenstatue, wird durch göttliches Zutun lebendig. Da sie, später Galatea genannt, nun lebt, kann sie eigenständig sein, Entscheidungen treffen oder sich ihrem Schöpfer entziehen." Die Stirn runzelnd versuchte Hikaru, Masayas Gedankengängen zu folgen. "Also bin ich so eine Art Frankenstein-Monster, nur attraktiv? Weil ich einen eigenen Willen habe, nicht mehr so praktisch wie vorher?" Er schnaubte ob des amüsierten Lächelns ihm gegenüber. Ohne Rücksicht auf ihre Umgebung fasste Masaya jedoch über den Tisch, umschloss seine Hand. "Gut auf den Punkt gebracht. Übrigens bin ich entschieden der Meinung, dass Galatea frei sein sollte." Hikaru seufzte, weil ihn diese ihm fremde Geschichte noch etwas irritierte. "Na prächtig. Apropos frei sein, ich hätte jetzt gern wieder Handfreiheit, damit wir auch das Feld hier räumen können." ~~~>#*** Die Witterung war praktisch. Eingemummelt, inkognito unterwegs, konnte man unversehens, fast beiläufig, eine Hand kapern, sie in der eigenen Manteltasche beherbergen. Masaya registrierte Hikarus Nervosität selbstredend. Zwei Männer, die Hand in Hand liefen?! Du liebe Zeit! O tempora, o mores! Ihn kümmerte das wenig. Erstens kam man sich nun mal im Gedränge nahe, zweitens wollte man im Gewühl nicht getrennt werden, drittens tarnte die Verpuppung ausreichend. Von viertens gar nicht erst zu reden: er wollte Händchen halten! Weil es auch eine Premiere war. Mädchen und Frauen hatten sich bei ihm eingehakt oder ihm beide Arme um den eigenen gewickelt, in betont kindlichem Auftreten. Es erschien ihm nie bedeutungsvoll, manchmal ein wenig lästig bis hinderlich. An der Hand geführt zu werden, das assoziierte er mit zu beaufsichtigenden oder zu betreuenden Personen. Kinder, Gebrechliche, Alte. Bei Liebespaaren ein Gängelband. Zugegeben, in gewisser Weise gängelte er Hikaru jetzt auch, lenkte ihre Schritte. Andererseits neigte der schließlich zur Desorientierung! "Sag mal..." Etwas zögerlich, eine weniger bevölkerte Passage abwartend, hörte er Hikarus Stimme hinter sich. "Warst du wirklich noch nie verliebt?" Das schien ihn so zu beschäftigen, dass er tatsächlich die rote Linie persönlicher Befindlichkeiten überschritt, Interesse eingestand, was er doch standhaft zu bestreiten pflegte. "Nein." Antwortete Masaya. "Mich haben andere Menschen einfach bislang nicht sonderlich interessiert. Ich konnte das nicht nachvollziehen, bis ich dir begegnet bin." Hinter ihm schnaubte es. Allerdings klang dieser Kommentar weniger abschätzig-zweifelnd als verlegen. "Dafür hast du aber eine reife Leistung seit deinem Debüt hingelegt." Grummelte Hikaru. Masaya schmunzelte hinter seinem Schal. "Oh, das hängt nicht unmittelbar zusammen. Ich habe mich zwar nicht interessiert, aber wenn es eine unverbindliche Offerte gab, bin ich darauf eingegangen." "Skandalös. Dachte, du wärst so ein braves Prinzchen gewesen." Murmelte Hikaru. Ihren Weg in den kleinen Park um einen Schrein lenkend lachte Masaya amüsiert auf. "Ich fürchte, du hast etwas zu überhöhte Vorstellungen von Prinzchen!" Neckte er Hikaru. "Wir kochen auch nur mit Wasser. Wenn man wie ich auf eine Privatschule geht, dreht sich sehr viel um Verbindungen und Beziehungen. Beliebtheitswettbewerbe, offizielle Funktionen, das ganze Panoptikum. Früh übt sich, wer später Fäden ziehen will." Hikaru knurrte vernehmlich hinter ihm. "Dafür ruinierst du jetzt aber rapide all diese tollen Voraussetzungen!" Grollte er merklich verstimmt. Die Hand in seiner Manteltasche sanft drückend grinste Masaya. "Wie gesagt: das hat mich nie interessiert. Ränke und Intrigen, immer der gleiche Bauplan, vorhersehbar und langweilig. Damit hat man viel Zeit vertan, die man besser nutzen konnte." "Was du wohl getan hast, Herr Professor?!" Triezte Hikaru ihn. "Durchaus." Masaya zwinkerte, wies auf den kleinen Schrein hin. "Für körperliche Ertüchtigung haben sich erfahrene, unausgelastete Gattinnen und Hausfrauen bereitwillig angeboten." Hikaru entgleisten die Gesichtszüge. Masaya schmunzelte in sich hinein, bevor er zweimal in die Hände klatschte, mit leicht geneigtem Haupt ein kurzes Dankeschön an das Geschick sandte. Gerade fühlte er sich nämlich prächtig! Neben ihm folgte Hikaru seinem Beispiel, funkelte ihn grimmig an. "Du nimmst mich doch auf den Arm, oder?" Hegte der streng die sich eröffnenden Abgründe zu erforschen. "Klingt nach Klischee, hm?" Masaya lächelte über die empörte Miene. "Tja, entspricht aber der Wahrheit. Wie du selbst bemerkt hast, war ich ganz anstellig." "Pah!" Fauchte Hikaru ihm entgegen, wählte einen Pfad mit Trittsteinen über Moos zu einem kleinen Teich, über den eine hochgebogene Brücke führte. Masaya folgte ihm, blickte auch in das klare Wasser, wo sich kleine Fische tummelten. Offenbar hofften sie gefüttert zu werden. Er sah grundsätzlich davon ab, da man ihnen damit Schaden zufügte, das Wasser mit Algen zusetzte. "Und? Bin ich jetzt ein ganz schlimmer Finger?" Erkundigte er sich neugierig. Hikaru schnitt ihm eine Grimasse. "Es erklärt zumindest, wie du so unbeeindruckt vor der Kamera und zig Leuten deine Show abziehst!" Antwortete er spitz. "Sex ist ja zu fünfzig Prozent Kopfsache." Masaya zwinkerte. "Meiner ist ganz ordentlich geeicht, würde ich meinen." Nun rammte ihm Hikaru doch tatsächlich robust den Ellenbogen in die Seite! "Gib gefälligst nicht so an mit deinen unmoralischen Eskapaden! Deine Eltern wären bestimmt entsetzt!" "Glaubst du?" Masaya hob die Rechte, um über Hikarus von der Kälte gerötete Wange zu streicheln. "Das bezweifle ich. Solange Diskretion gewahrt wird, keine unstandesgemäße Liäson entsteht, kann man über eine Menge hinwegsehen." Hikaru musterte ihn eindringlich. "Da sollte dir klar sein, dass DAS HIER eindeutig unter die nicht zu übersehende Menge fällt." Gestikulierte er knapp. Masayas Linke gesellte sich zur Rechten, streifte Hikaru die Kapuze in den Nacken, umfing wärmend die kalten Wangen. "Exakt. Wer hinsieht, erkennt die Fakten: dass ich dich liebe." Masaya machte keine Gefangenen. Etwas verzögert mühte sich Hikaru, den Blick abzuwenden, die Hände von seinem Gesicht zu lösen. "Hör auf! Nicht vor den Leuten!" Mahnte er unruhig. "Hier sind keine Leute. Nur wir zwei." Stellte Masaya richtig, dem auch eine andere Situation keine Sorgen bereitet hätte. "Wir tun nichts Unrechtes." Er erkannte genau, dass Hikaru im Begriff war, ihm eine Standpauke halten zu wollen, verringerte die ohnehin kurze Distanz auf Null, küsste Hikaru. Zunächst zärtlich, sanft, dann intensiver. Löste die Hände von den erblühenden Wangen, um ihn fest an sich zu ziehen, sehr viel Leidenschaft in seine Küsse zu legen. Außer Atem gestattete er schließlich eine Unterbrechung. Auch Hikaru wirkte aufgelöst, die Wangen gerötet, die Augen glasig, umklammerte seine Oberarme Halt suchend. "Das geht nicht. Sei vernünftig!" Schimpfte Hikaru leise. "Wir sind hier nicht Zuhause." "Lass uns zurückgehen." Masaya verstärkte seine Umarmung. "Kehren wir zu deinem Appartement zurück. Da müssen wir uns nicht bescheiden." Protest musste einkalkuliert werden, Vorbehalte. Argumente gruppierten sich, eine konzertierte Attacke zu führen. "Können wir vorher noch was trinken?" Überraschte ihn Hikaru. "Mein Hals ist ganz rau." Das bedeutete: es gab keinen Widerspruch! Hocherfreut verstaute Masaya uneingeladen Hikarus Hand in seiner Manteltasche, gab zielgerichtet das Marschtempo vor. "Ich bin sicher, ich finde ein wunderbares Café!" Versprach er lebhaft, lächelte über die Schulter. Wirklich, das Geschick meinte es heute gut mit ihm! ~~~>#*** Hikaru ließ sich führen, im Gedränge ohnehin die bessere Wahl. Außerdem hatte er sich, obwohl sie sich in seinem Wohnviertel befanden, bereits hoffnungslos verirrt. Weil Masaya eben kleine Stichgässchen nutzte, wenn es zu voll war, hier eine Nische entdeckte, dort eine Passage! Vollkommen verwirrend! Auf Mission, ihre Kehlen anzufeuchten, ließ er Hikaru auch die Möglichkeit, ein wenig zu kontemplieren, was sie einander anvertraut hatten. Es nahm sich beängstigend aus, wie "menschlich" Masaya mit jeder weiteren Unterhaltung wurde! Wie sollte er da ein Feindbild pflegen, Vorurteile aufpolieren, ihn auf Abstand halten?! Verlockend und gefährlich, sich ganz auf ihn einzulassen, selbstredend! Man wusste ja, wie diese verwöhnten, reichen, unzuverlässigen Heteros tickten, da war man schnell mal abserviert, beiläufig, wie eine etwas labbrige Nachspeise! Hikaru entfuhr ein Seufzer. Sofort blickte sich Masaya nach ihm um, drückte seine Hand. "Es ist nicht mehr weit. Wir sind gleich da." Hilflos grimassierte Hikaru grimmig. Wen wollte er hier täuschen? Nachzugeben, sich einzulassen, das wäre dumm. Mehr als eine Eselei. Eine törichte, schmerzvolle Idiotie. Aus Schaden wurde man bekanntlich klug, aber wie viel Schaden war dazu nötig?! Es würde bestimmt helfen, wenn sie sich nicht mehr so oft sähen. Es würde langsam ausfransen, dieses seltsame Verhältnis. Man müsste sich auch nicht mehr fortwährend den Kopf zerbrechen! Hikaru stutzte, als Masaya ihn in einen Hauseingang zog. "Auf dem Dach." Erläuterte der ihm lächelnd. "Ganz originell gemacht." Natürlich nutzte er die solitäre Aufzugfahrt, um Hikaru mit beiden Händen energisch über die Arme zu reiben. Vorgeblich, ihn aufzuwärmen, tatsächlich, ihm auf die Pelle zu rücken! Gemein, dass der Kerl dabei so lächelte! Wo war der stoische Schlauberger hin, der nie die Miene verzog, immer unbeeindruckt von allem vor sich hinstarrte?! Aus dem Aufzug ging es noch eine halbe Treppe höher. Sie erwartete eine mobile Küche, Klappgestühl, Pflanzen in Rollcontainern, ein wenig Strandbar-Atmosphäre. Trotz der Kälte wirkte das Ambiente anheimelnd, wenn auch skurril zu dieser Jahreszeit. Man rückte eben zusammen, das wärmte auch, labte sich an heißen Getränken in Henkelbechern. Hikaru verlangte, nun auch mal diesen Othello probieren zu dürfen! Ob die Schokolade der schlanken Linie schadete oder nicht, das kümmerte ihn gerade KEINEN Deut! Außerdem wollte er nicht hinter Masaya zurückstehen, der gesunde Ernährung predigte, jedoch kein Hindernis darin sah, diesbezüglich zu sündigen! Einander zugewandt, sich ein Eckchen suchend, nippten sie, entspannten über Aroma und Geschmack. Hmmm, gar nicht so übel, diese Mischung! Lecker! Schon wieder lächelte der Bursche ihn an, offenkundig erfreut darüber, dass sie noch eine gemeinsame Vorliebe teilten! Fürchterlich! Hikaru seufzte stumm. Andererseits. Andererseits würde man sich genauso verhalten, wenn man verliebt war. Sich um den geliebten Menschen bemühen, ihn erfreuen wollen. Konnte er da einfach alles negieren, Masaya madig machen? Vielleicht~vielleicht meinte der es wirklich ernst? Klar, nicht auf Dauer, bestimmt nicht. Hetero, reich, auf bestem Karriereweg, logisch, da durfte man nichts erwarten! Bloß den Moment. Eine unerwartete Melancholie suchte Hikaru heim. Warum nicht diesen Augenblick teilen? Warum nicht mitspielen? Wenn man um das Ende wusste, hinderte es doch nicht daran, diese süße, leicht vergängliche Frucht zu genießen? Wie die Kirschblüte. Pracht, Perfektion, Schönheit. Im Nu vorbei. Ein Windstoß genügte, ein kurzer Schauer. Im perfekten Augenblick war man sich dieser Zukunft bewusst. Dennoch schätzte man ihn wie eine unersetzliche Kostbarkeit. "Was ist los, Hikaru?" Wieder strich ihm Masaya einfach so, als sei es selbstverständlich, über die Wange. Hikaru wusste keine Antwort, also schwieg er, betrachtete das attraktive Gesicht des etwas Jüngeren. Komisch, wie einem das Gedächtnis Streiche spielte. Da wollte er sich nicht erneut dem bodenlosen Jammer aussetzen, hatte jetzt Mühe sich zu erinnern, wie Inoue aussah. So starke, scheinbar einzigartige Gefühle: nicht mehr als ein Hauch, ein fader Beigeschmack, den man beherzt mit ordentlich Othello wegspülen konnte! "Geht es deinem Hals besser?" Masaya beäugte ihn aufmerksam, konzentriert. Hikaru lächelte schief. "Mein Hals ist nicht mein Problem!" Schnaubte er selbstironisch. "Mein Verstand lässt mich im Stich!" Er erhob keine Einwände, als Masaya den Rückweg zu seinem Appartement einleitete. ~~~>#*** Hikaru war still, gedankenverloren. Nicht geistesabwesend. Masaya nutzte seine Freiheit entschlossen, hielt die Hand in seiner Manteltasche warm, rückte an Hikaru heran, steuerte sie schnell und sicher zurück. Mit einem Meinungsumschwung rechnete er eigentlich nicht. Wenn er das Risiko eingehen wollte, würde Hikaru keinen Rückzug antreten. "Mach du dich zuerst frisch." Wies der ihm ungewohnt ruhig eine Aufgabe zu. "Ich schlage das Bett auf." Masaya kleidete sich im Badezimmer rasch aus, wienerte sich mit einem Waschlappen ab, absolvierte auch die ungewohnte Einlaufreinigung der Kehrseite. Sollte er nun auch schon das Gleitgel benutzen? Allerdings, das befand sich ja draußen. Als er, seine Bekleidung artig gefaltet apportiert, das Badezimmer verließ, ähnelte das Schlafzimmer bereits der späten Nacht zuvor. Gedämpftes Licht, Strandlaken, Utensilien-Parcours. Hikaru war schon entblößt, bedeutete ihm, er werde gleich an seiner Seite sein, schloss nicht mal die Badezimmertür, als er sich einer Katzenwäsche unterzog. Es sich auf den Strandlaken bequem machend sortierte Masaya bereits die unentbehrlichen Hilfsmittel. Er sorgte sich nicht, dass es zum zweiten Mal innerhalb einer kürzeren Zeitspanne einen rektalen Kontakt geben würde. Er spürte keine Schmerzen oder andere Nachwirkungen. Zu seiner Verwunderung ließ Hikaru sich Zeit, nachdem er sich zu ihm gesellt hatte. Die Beine über Masayas schiebend, einander direkt zugewandt, suchte er Nähe, Austausch, Aufmerksamkeit. Die Hände erkundeten die Peripherie, während ein Kuss sich dem vorherigen anschloss. Für einen Koitus durchaus verzichtbar, aber die Art, wie sich Liebende unterhielten, einander Zuwendung erwiesen, die Landkarte ihrer Liebe wieder und wieder vermaßen. Natürlich baute sich auch eine libidinöse Spannung auf, unübersehbar, gleichsam beschleunigten sich Atmung und Puls. Masaya entschied, die Initiative zu ergreifen, bugsierte Hikaru rücklings auf das Strandlaken, enterte dessen Hüften unternehmungslustig. "Was tust du da?" "Ich will dich reiten." Verkündete Masaya selbstbewusst. Er hegte keinen Zweifel am Gelingen seines Vorhabens. Es würde phantastisch sein, mit Hikaru verbunden, seine Hände haltend, ihn anzusehen, während sie beide mit Vehemenz ihrem Höhepunkt entgegenstrebten! Er überhörte das warnende Schnaufen geflissentlich. Was sollte schon schiefgehen? ~~~>#*** Es war nicht gerade ein eiskalter Guss, doch Masayas Zielstrebigkeit, sich selbst mit Gleitgel zu präparieren, gleichzeitig auf seinen Hüften zu kauern, weckte Hikaru aus der Trance ihrer Liebkosungen. Er musste schnell reagieren, um ein Fiasko zu verhindern! Entsprechend rutschte Hikaru auf die Seite, initiierte eine Rotation, klemmte Masayas Oberschenkel mit seinen Knien ein, während er die Handgelenke umklammerte. "Keine Heldentaten, du Dussel!" Schimpfte er leise, erstickte jeden Protest mit gründlichen Küssen. Also wirklich, dieser Kerl! Man sollte doch meinen, der wisse es besser! Die Hüfte stützend, indem er schlicht ein Kissen unter das Strandlaken stopfte, veränderte er Masayas Position. Auch galt es, nicht einfach elysische Höhen zu erstürmen, sondern mit Geduld und Maß die enge Körperpartie auf einen Gast vorzubereiten! Enthusiasmus mochte eine feine Sache sein, allerdings nur, wenn sie sich mit Können und Geschick paarte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Unter ihm stöhnte Masaya vor Lust, als er ihn penetrierte, vorsichtig, sondierend, sich immer wieder unterbrechend, um ihn zu küssen, weshalb er sich tief hinabbeugen musste. Hikaru registrierte durchaus das Funkeln, die Aufforderung, Tempo aufzunehmen, alle Bande zu lösen. Dafür erschien ihm der rechte Moment noch nicht gekommen. Noch ein wenig mehr reizen, locken, verführen, dann mit Verve den Gipfel stürmen! ~~~>#*** Vage spürte Masaya, wie Hikaru keuchend über ihm zusammensackte. Eher im Reflex umschlang er ihn, hielt ihn fest. Muskeln und Sehnen in seinen Oberschenkeln und seinem Unterbrauch zuckten noch unkontrolliert in Erinnerung seines Orgasmus. Gut. Phantastisch. Überwältigend. Ein Gefühl, das man immer wieder beschwören wollte. Hikaru wollte sich schon wieder aufrichten. Natürlich, Profi, außerdem stets auf Hygiene bedacht, höflich, aber das war hier privat! Persönlich! Deshalb gab Masaya keinen Millimeter preis, hielt ihn fest, nicht nur mit den Armen, sondern auch mit den Beinen, hakte sich förmlich ein. "Masaya?" Ächzte Hikaru an seinem Ohr Protest und Verwunderung. "Ich liebe dich." Raunte er entschlossen. "Bitte lauf nicht vor mir weg." "..." Er spürte, wie Hikaru mit sich rang, ihm Vorhaltungen machen wollte. Und sie doch nicht aussprach. "Bleib bei mir!" Drängte er leise. "Lass mich dich noch ein wenig länger halten, Hikaru." Es kostete ihn weder Mühe noch Stolz, diese Bitten zu äußern. Überhaupt registrierte er, dass ihn solche Anwandlungen nicht mal peripher touchierten. Hikaru sollte ihn spüren, ihn wahrnehmen, einen handfesten Beweis seiner Zuneigung erfahren. Wie sonst sollte er sich beweisen?! Worte genügten nicht, konstante Aufmerksamkeiten stellten Indizien, aber keinen unabweislichen Beleg dar! An seinem Ohr seufzte es nachsichtig. Langsam entspannte sich Hikaru auf ihm, wurde ein wenig schwerer, doch keinesfalls zur erdrückenden Last. "Du kannst das nicht machen." Murmelte Hikaru. "Einfach aufsteigen. Dabei tust du dir weh und beschämst deinen Partner." Ein Tadel, zweifellos, aber so sanftmütig, wie er ihn gewiss noch nie von Hikaru gehört hatte. "Entschuldige." Masaya drückte deshalb einen Kuss auf eine Wange, während er die langen Nackensträhnen kraulte. "Offenkundig hat sich mein Verstand von Hormonen umnebelt abgemeldet." Hikaru lachte leise, rutschte ein wenig zur Seite, um ihn zu entlasten. Ein Spielraum, den man nutzen konnte, ihm ins Gesicht zu sehen. "Ich mag dich so sehr, Hikaru!" Er streichelte ihm über die Wange, Schulter, Arm. "Ich liebe dich. Bitte, werde mein fester Freund." "...Masaya..." Er kannte dieses Kaleidoskop von Empfindungen. Nervosität, Angst, Sorge, Wehmut. Und Zuneigung, eindeutig. "Ich weiß, es wird in der nächsten Zeit eher eine Fernbeziehung sein, weil wir beide viel zu tun haben. Das sollte uns nicht schrecken, nicht wahr?" Unverwandt betrachtete er Hikaru, wartete geduldig. Hikaru senkte für einen langen Moment die Lider. "Niemand darf davon wissen." Wisperte er schließlich. Masaya erkannte Traurigkeit in Hikarus Augen. Natürlich, der gab nach, folgte seinen Gefühlen, glaubte jedoch nicht, dass es auf die Dauer funktionieren würde. Innerlich spürte Masaya eine große Ruhe und entschiedene Stärke. Eine Hürde war genommen, alle weiteren wären auch zu überwinden. "Danke." Lächelte er zärtlich-aufmunternd, reduzierte die kurze Distanz, um Hikaru zu küssen. Entschlossenheit und Zuversicht, das waren die Schlüssel! ~~~>#*** "Verrückt!" Konstatierte Hikaru leise, wandte sich vom Fenster ab, als er das Taxi nicht mehr erkennen konnte. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Die Chancen für ein Happyend waren schlecht, selbstredend. Leider würde es ihn ziemlich mitnehmen, wenn es aus wäre. Vermeidbares Leid. Hatte er sich nicht schon mal die Finger gehörig verbrannt?! Aber Masaya... Verflixt, der Kerl überredete ihn einfach! Fand die richtigen, häufig entsetzlich peinlichen Worte, ließ sich nicht abschrecken! Erinnerte ihn daran, wie es war, wenn man Gesellschaft hatte, wenn sich jemand kümmerte. Dabei sollte er doch der kalte, hochnäsige, besserwisserische Prinzling sein! Betrug! Hikaru schlenderte an der Couch vorbei, kroch in sein Bett. Dieser verrückte Typ hatte ihn sogar überredet, mit ihm zu schlafen! Zweimal! Entjungferung inklusive! Wieso hatte er sich darauf eingelassen? Was war mit dem üblichen, männlichen Stolz?! Selbst wenn der sich nicht an der Kopfsache-Offenbarung ausrichtete, musste doch jedem klar sein, dass Analverkehr jenseits seiner Hausfrau-Beglückung und Amateur-Porno-Karriere lag! Sollte der Bursche nicht über die eigene Flexibilität erschrecken?! Sexuelle Desorientierung erleben? Bloß, Masaya wirkte so selbstgewiss! Und er selbst hatte sich infizieren lassen, wider besseres Wissen! Weshalb sie jetzt ein heimliches Paar waren. "Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?" Hikaru rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Das konnte nicht gutgehen! ~~~>#*** Kapitel 8- Fernbeziehung Masaya entschied, sich jeden Tag zu melden. Wozu hatte man schließlich ein Telefon? Selbst wenn es keine Möglichkeit gab, sich direkt auszutauschen: Nachrichten halfen schon weiter! Ganz gleich, wie viel Arbeit, Zeitdruck und Stress auch auftreten würde: jeden Tag eine Dosis Hikaru. Das musste sein, um seiner selbst willen. Dabei ging es um ganz Alltägliches, Wetter, Essen, Schlafdefizit, Arbeit, Kollegen, Pläne für die nächsten Tage. So konnte er Hikaru Antworten entlocken, den Gesprächsfaden nie abreißen lassen. Das stärkte auch sein Durchhaltevermögen und die Aussicht darauf, Hikaru eine Überraschung zu bereiten. ~~~>#*** Wie schnell man sich daran gewöhnte! An die täglichen Botschaften, hin und wieder mal tatsächlich ein Telefonat! Hikaru ertappte sich selbst dabei, bester Laune zu sein, wenn er wieder etwas von Masaya vorfand. Allerdings musste er darauf achten, dass niemand ihn erwischte. Deshalb zwang er sich, bei der Arbeit auf keinen Fall verräterisch häufig das Telefon zu konsultieren, kontrollierte streng die eigenen Gesichtszüge. Vor allem vor Suga und Yukio war er auf der Hut. Der eine wartete bloß auf eine Möglichkeit, ihn für die frühe Flucht von der Filmpremiere Kompensation leisten zu lassen, während der andere eifersüchtig die "Verbrüderung" der Hengste beäugte. Da half viel Arbeit, wobei er sich häufig für Fotostrecken gebucht fand. Neue Clips oder gar ein Film schienen zunächst nicht in der Vorbereitung zu sein. Seine Umtriebigkeit täuschte Hikaru jedoch nicht über eine gewisse, beunruhigende Tendenz hinweg: die Spannbreite der Offerten reduzierte sich im Vergleich zu seinem alten Image. Ja, er wurde als Model gebucht, stellte die Steampunk-Kostümierung vor, glänzte auch in Szenemagazinen. Suga deutete ihm spitz an, was man munkelte: der ungebundene Cowboy verkaufte sich vielseitiger! Mal ehrlich, wer wollte im Sommer, einen Typen in derlei Aufmachung sehen? Mit Schnallen, Schleifen, allerlei Dekoration? Steampunk bedurfte eines düsteren, winterlichen, regnerischen Ambientes! Hikaru ignorierte trotzig derlei Einwürfe. Ihm würde schon Entsprechendes in den Sinn kommen! Warum sollte Steampunk nicht auch im Sommer funktionieren?! Oder nur bei Damen?! Es trug nicht gerade zu seinem Seelenfrieden bei, wie viele weibliche Fans er plötzlich hatte (die großzügig ignorierten, dass er ein Darsteller für schwule Filme war). Das bedeutete ja nicht gleich, dass er für Männer nicht mehr attraktiv war, richtig? Unseligerweise pflegte ihm Suga unaufgefordert zu antworten, dass seine männlichen Fans ihn nicht ausschließlich als Hengst wahrnahmen, sondern auch als Vernaschkätzchen beim richtigen Einsatz! "Gruselig!" Hikaru schüttelte sich, funkelte sein Spiegelbild in den Fensterscheiben an. Kam jedenfalls nicht in die Tüte! Als ob er sich mit Miu, Yukio oder Shun-chan in eine Reihe stellte! Einfach lächerlich! Ohne Klamotten war er doch immer noch derselbe, Figur, Auftreten, Geschmeidigkeit! Bloß eine andere Haarfarbe (an die er sich langsam gewöhnte) und eine neue Frisur! Nein, der alte Zimtzickerich wollte ihn bloß reizen, weil der sauer war, dass Masaya nicht mehr zur Verfügung stand, obwohl so viele Anfragen kamen! "Aber das zieht nicht!" Knurrte Hikaru vor sich hin, mümmelte einen Energieriegel. Er war noch immer die Nummer 1, der Superstar, nach harter Arbeit! Die Agentur hatte ihm auch viel zu verdanken! Ins Bockshorn jagen lassen würde ER sich nicht! ~~~>#*** Masaya wartete ungeduldig am Bahnsteig, wippte von Zehenspitzen auf die Fersen und zurück. Er hatte Hikaru förmlich verpflichtet, sich diesen Sonntag freizuhalten, keinen Auftrag anzunehmen. Seit zwei Monaten waren sie nun voneinander getrennt. Er konnte es einfach nicht erwarten, ihn wiederzusehen. Direkt, nicht durch Kameralinsen und über Bildschirme. Er ignorierte die neugierigen Blicke. Hier war nicht sonderlich viel los zu dieser Tageszeit. Da er alle gegrüßt hatte, fühlte er sich nicht verpflichtet, dem ungeteilten Interesse nachzugeben. Endlich! Endlich näherte sich der Regionalzug! Eine der typischen Vorortbahnen, eineinhalb Stunden bis ins Herz der Metropole. Die meisten Reisenden waren auf Verwandtenbesuch oder zu einem Ausflug hier. Hikaru stach selbstredend heraus mit dem elegant-taillierten Tweedmantel, dem Kapuzenschal, der angenähten (umfunktionierten), goldlackierten Taucherbrille (die eher sehr altertümlichen Fliegerbrillen ähnelte), der gewohnten Umhängetasche und der grün getönten Sonnenbrille mit rundem Glas und goldener Einfassung. Man starrte ihn an. Er wirkte so, als habe er sich wahlweise von einem fremden Planeten oder aus Shibuya hierher verirrt. »Völlig daneben!« Jubilierte Masaya, während er beschleunigte. »Er hat sich dieses Mal kein BISSCHEN verirrt!« Sondern auf Anhieb die richtige Bahnlinie in die richtige Richtung bestiegen. "Hikaru! Willkommen!" Rief er, amüsiert über die eigene, fast kindliche Begeisterung, gab sich keine Mühe, reserviert und höflich aufzutreten, sondern zog den überrumpelten Hikaru in seine Arme. Gegenwehr war nicht gestattet. "Ich hab dich so vermisst!" Raunte er in den Kapuzenschal, zog sich ein wenig zurück, um in das vertraute Gesicht zu lächeln. "Endlich sehen wir uns wieder!" Eine dezente Röte kleidete den sichtbaren Teil von Hikarus Wangen. "Na, hör mal! Zumindest haben wir jeden Tag kommuniziert." Korrigierte Hikaru ihn. "Jetzt kleb doch nicht so an mir! Was sollen die Leute denken?!" Masaya lachte laut heraus. "Genau das, was ich ihnen schon gesagt habe: dass ich endlich einen sehr geliebten Menschen wiedersehe!" Er konnte verfolgen, wie trotz der Schal- und Sonnenbrillenhindernisse Hikarus Gesichtszüge entgleisten, zwischen Entsetzen, Scham und hilfloser Verärgerung schwankten. "Das~das hast du doch hoffentlich niemandem gesagt, oder?!" Sich bei Hikaru einhakend schmunzelte Masaya, führte ihn den längst entvölkerten Bahnsteig entlang. "Doch, selbstverständlich. Wie sonst hätte ich erklären können, warum ich die letzten Tage so hibbelig war?" "...hibbelig..." Wiederholte Hikaru neben ihm ungläubig, starrte ihn an, ließ sich aber weiter führen. "Oh ja!" Masaya grinste. "Ich war total aufgedreht! Ich kann mich gar nicht entsinnen, wann ich mich das letzte Mal so sehr auf etwas gefreut habe!" Hikaru klappte erst mal den Mund zu, konzentrierte sich darauf, das Bahnhofsgebäude (sehr übersichtlich gestaltet) zu verlassen. "Sag mal, ist vielleicht bei euch die Belüftung in diesem Labor kaputt? Oder testest du irgendwelche seltsamen Substanzen?" Begehrte er schließlich argwöhnisch zu wissen. Das entlockte Masaya ein Prusten. "Beides kann ich verneinen. Davon kannst du dich gleich selbst überzeugen! Ich zeige dir, wo ich arbeite, ja?" Der wenig ältere Mann schnaubte hilflos. "Schön. Wehe, du hast mich hier in die Wildnis bestellt, um mich irgendwo auszusetzen!" Masaya lachte, federte elastisch herum, küsste Hikaru tatsächlich auf offener Straße kurz auf die kalten Lippen. "Es wird dir hier gefallen, Hikaru! Versprochen!" ~~~>#*** Ein wenig unbehaglich fühlte sich Hikaru schon bei dem Gedanken, so weit aus Tokios Zentrum zu reisen, ohne dass es sich dabei um Arbeit handelte. Aus einem ihm nicht ganz erklärlichen Grund fürchtete er stets, nicht erreichbar zu sein, falls ein Auftrag käme. Er so die Möglichkeit verlor, Geld zu verdienen, seinen Platz an einen anderen. In der Folge... Er schüttelte energisch diesen Anflug von Panik ab. Das war vergangen! Er war nicht mehr der verzweifelte Teenager in der Großstadt, ohne feste Bleibe, ohne Freunde, ohne reguläres Einkommen, der in Manga-Cafés oder in irgendwelchen Nischen nächtigen musste, mit knurrendem Magen. Immer auf der Suche nach einer anständigen Einkommensquelle, nach Arbeitgebern, die nicht "Landei" dachten, sofort Möglichkeiten erkundeten, ihn auszubeuten und zu betrügen. Während der Zugfahrt verdrängte er die Gedanken um erledigte und noch zu absolvierende Aufträge, die aufflackernde Nervosität, sich zu verirren, konzentrierte sich auf die Landschaft. Zunächst gab es nichts weiter als Häuser, Dächer, mehrstöckige Stadtautobahnen, Reklame. Langsam lichtete sich der Beton-Dschungel, kamen vereinzelt Bäume, Sträucher in Sicht. Es gab einen Horizont zu entdecken. Die Metropolregion konnte nicht überall hineinwuchern. Hier näherte man sich dem, was einstmals ganz Japan ausgezeichnet hatte. Siedlungen, mit niedrigen Häusern, Reisfelder, bewaldete Hügel, Stromtrassen, einspurige Straßen. Wie wohl die Luft hier schmeckte? Wäre es sehr viel kälter als in Tokio, das ein eigenes Klima geschaffen hatte? Hikaru hielt sich von den anderen Reisenden fern, beachtete kein Getuschel oder Gekicher. Manchmal verwunderte es ihn schon, dass es genug Mitreisende gab, die NICHT unentwegt auf ihr Mobiltelefon starrten, die Ohren zugedübelt, oder fest schliefen, für die Welt unerreichbar, sondern noch genug, die Muße hatten, sich ihre Reisebegleitung zu betrachten. Am Morgen hatte er sich durchaus überlegt, inkognito anzureisen, ohne Aufhebens. Er wollte Masaya nicht in Verlegenheit bringen. Diese Vororte nahmen sich ja doch recht konservativ aus. Das Votum fiel trotzdem für ein repräsentatives Auftreten aus. Warum auch nicht?! Er fühlte sich tatsächlich wohl in seiner Aufmachung. Wenn irgendwem, Masaya eingeschlossen, nicht behagte, wie er auftrat, dann eben nicht! Man konnte es schließlich nie allen recht machen! Wenn er es sich aussuchen konnte, wollte er es in erster Linie sich selbst recht machen, aber hallo! Hikaru fragte sich, wie wohl ihre erste Begegnung aussehen würde, nach zwei Monaten Trennung. Ob Masaya sich verändert hatte? Der führte nun ein anderes Leben, Festvertrag an der Universität, Forschung, Titel vorm Namen! Wie dachte der inzwischen über sein erstes Mal? Eine abgehakte Episode, eine nützliche Erfahrung, eine Jugendsünde? Zwar deuteten ihre Telefonate und Nachrichten nicht darauf hin, dass sich die Gefühle gewandelt hatten, doch Hikaru wusste aus Erfahrung, dass persönliche Begegnungen letztendlich die entscheidenden waren. Da gab es nichts mehr zu täuschen, auszuweichen, zu ignorieren. Vollkontakt in den ersten Sekunden, Reptiliengehirn im Einsatz, bevor der bewusste Verstand sich einmischen konnte. Bauchgefühl. Der Empfang wäre vermutlich etwas verhalten, forschend, sondierend. Dass er sich unvermittelt in einer Umarmung fand, Masaya ihm sogar entgegen flitzte, DAMIT hatte er wirklich nicht gerechnet. Erwachsene Schlauberger mit Doktortitel taten so was nicht auf einem Provinz-Bahnsteig! Was diesen verrückten Masaya offenbar nicht erreicht hatte! Und der küsste ihn sogar noch auf dem Bahnhofsvorplatz! Reichlich überrumpelt konnte er nun nicht anders, als der Kleinstadt vorgestellt zu werden, entlang des Wegs zum Universitätsgebäude oder vielmehr der Forschungseinrichtung, die hier für viel weniger Geld ausreichenden Platz gefunden hatte, um neben dem Institutsgebäude auch Gewächs- und Treibhäuser aufzustellen. Hikaru überkam eine gewisse Vertrautheit während ihres Schlenderns bis zum Universitätsgelände. Kleine Häuserwürfel, davor Pflanzkübel, Fahrräder und Roller, kleine Geschäfte, nur ein etwas größerer Supermarkt mit Parkplätzen. Alles bescheiden, ein wenig vernachlässigt, in viel langsamerem Takt als in Tokios Stadtzentrum. Alte Frauen in Kittelschürzen mit Kopftüchern, vermummte Kinder, die in einem kleinen Park Fangen oder Ball spielten. Das Baseballspiel einer Schulmannschaft. Ein Park, in dessen Herz sich ein Schrein befand, dazu große, alte Bäume. Ein buddhistischer Tempel, recht übersichtlich, mit Meditationsstationen. Nur wenige der sonst allgegenwärtigen Automaten, kleine Restaurants und Bars. Eine winzige Einkaufspassage. "Und, wie findest du es hier?" Riss Masaya ihn aus seinen stummen Betrachtungen. Unhöflicherweise hatte er die ganze Strecke geschwiegen, doch Masaya schien ihm dies nicht anzukreiden, sondern lächelte bloß. Schon wieder! Immer noch! Hikaru registrierte seine Nervosität ob dieses entspannten Lächelns. Herrje, hatte der Kerl nicht einen Ruf als stoisches Pokerface zu verlieren?! "Nett." Murmelte er, bemerkte, dass sie noch immer eingehakt liefen, versuchte, sich unauffällig freizumachen. "Wirklich, ganz nett hier. Idyllisch." Masaya lachte, ließ seinen Arm brav entschlüpfen. Kaperte Hikarus Hand! "Ja, ich sehe schon, du bist nicht sonderlich beeindruckt! Es ist beschaulich hier, das stimmt. Mir gefällt es recht gut." "Jetzt hör mal!" Hikaru zappelte. "Du kannst mich hier nicht an der Hand nehmen!" "Weshalb nicht?" Masaya zwinkerte. "Wer sollte sich beschweren?" Einen ärgerlichen Schnaufer entlassend wies Hikaru auf das Institutsgebäude hin, dem sie sich näherten. "Dein Arbeitgeber, um nur ein Beispiel zu nennen?! Es ist HIER bestimmt nicht üblich, dass zwei Männer Händchen halten!" "Tja, da ändern wir eben die Regeln." Konterte Masaya unbekümmert, zwinkerte ihm zu. "Mach dir darüber keine Sorgen, Hikaru. Ich bin schon als exzentrisch bekannt. Rockstar-Aura, und so weiter." Was Masaya unzweifelhaft amüsierte. "Mit dem Kopfputz?" Knurrte Hikaru im Rückzugsgefecht. "Gibt es hier etwa keinen Friseur? Deine Haare verfilzen doch, wenn du sie nicht richtig pflegst!" Seine Kritik löste keineswegs Schuldbewusstsein oder eine Retourkutsche aus. Im Gegenteil, Masaya grinste herausfordernd. "Meine Haare sind nur bei dir in den richtigen Händen! Und, ja, trotz dieses Vogelnestes umweht mich ein Hauch von Mysterium!" Hikaru schnaubte grimmig. So leicht waren die Leute hier doch bestimmt nicht zu beeindrucken, oder? Gut, in seinem Mantel, hochgewachsen, athletisch, sah Masaya schon ziemlich knackig aus, aber DIESE Putzwolle?! Das ging ja wohl keineswegs unter "mysteriös" durch! Eher skandalös bis indiskutabel abschreckend! "Ich führe dich über das Gelände, in Ordnung? Wir können wegen der Hygiene- und Sicherheitsvorschriften zwar nicht so einfach hinein, aber auch von außen gibt es was zu sehen!" Da Masaya so ungewohnt fröhlich klang, ihn einzunehmen anstrebte, nickte Hikaru artig. Was auch sonst? Tatsächlich boten sich durch Glasfronten Einblicke. Auch das Gelände selbst war gepflegt, mit Sträuchern und Bäumen bepflanzt, sauber und übersichtlich. Masaya sprudelte förmlich über davon, was gerade erforscht wurde, welche Gerätschaften im Einsatz waren, welche neuen Erkenntnisse sie zu belegen hofften. Wo die Kollegen sich aufhielten, wie die kleine Mensa ausgestattet war, dass er zu Fuß oder mit dem Fahrrad blitzschnell hier sein konnte. Wie erfrischend es sich ausnahm, trotz des Arbeitspensums nicht ständig von Höherrangigen für lästige/aufwändige/niedere Arbeiten herangezogen zu werden. Hikaru studierte Masayas Gesicht aus den Augenwinkeln. Der strahlte förmlich, wirkte glücklich, entspannt, weniger alert und bestimmend als in Tokio. "Du hast bestimmt jetzt Hunger, oder? Ist ja schon Mittag." Masaya drückte ihm die Hand. "Wir gehen jetzt zu mir, ja?" Weit konnte es nicht sein, Masayas Schilderung zufolge. "Ich möchte dir keine Mühe machen." Gab Hikaru trotzdem höflich zurück. "Iwo, im Gegenteil, ist mir ein Vergnügen!" Grinste Masaya, drückte ihm blitzartig mal wieder einen Kuss auf die Wange. "Ich möchte dir unbedingt alles zeigen!" "Du liebe Güte." Murmelte Hikaru. "ICH werde von dir wegen der Energieriegel ausgezankt, dabei bist DU aufgedreht wie nur was!" Masaya lachte, nötigte ihm sogar einen kleinen Spurt ab. "Es ist einfach so herrlich, dass du hier bist!" Verkündete er ungeniert. Hikaru tauchte tiefer in den Kapuzenschal, damit man seine Verlegenheit nicht allzu deutlich erkennen konnte. ~~~>#*** Masaya schwang ihre verbundenen Arme spielerisch, wandte sich immer wieder Hikaru zu, lächelte ihn an. Bis jetzt schien der seine neue Wirkungsstätte zumindest nicht abzulehnen, verhielt sich eher vorsichtig und abwartend, was ihm selbst ein gutes Omen bedeutete. Das Appartement, das er gemietet hatte, befand sich in einem dreistöckigen Gebäude, jeweils vier Wohneinheiten nebeneinander, terrassenförmig versetzt. Der Zugang erfolgte durch eine umlaufende äußere Treppe mit solidem Steg. Die Appartements selbst unterschieden sich je Geschoss in ihrer Größe, unten mehr Platz für mehrköpfige Familien, darüber für junge Familien oder ältere Ehepaare und im dritten Geschoss Alleinstehende oder Paare mit geringerem Flächenverbrauch. Den Nachbarn, denen er begegnete, entbot er beschwingt einen munteren Gruß, stellte Hikaru ungeachtet dessen großer Verlegenheit als besonders engen Freund vor, der zu Besuch weilte. "Du bist echt unmöglich!" Die gezischte Rüge überhörte er schmunzelnd. "Da sind wir!" Schloss er die Appartementtür auf. Neben dem Eingang die separate Toilette, ein großer Wohnraum mit Pantry, dahinter das Bad mit einer Sitzwanne neben der obligatorischen Dusche. Integrierte Schrankwände und eine federleichte Schiebetür in einer Fuge, die den Wohnraum aufteilte, sorgten dafür, dass man sich sowohl traditionell als auch westlich einrichten konnte. Masaya hatte sich auf einen bequemen Zweisitzer mit Kotatsu, Sitzkissen, offene Regalwürfel, eine alte Kommode und einen recht bescheidenen Fernseher beschränkt. Wie zuvor fanden sich unzählige Bücher und Fachzeitschriften, säuberlich gestapelt, dazu sein Laptop. Und Szenemagazine. Hikaru, des Tweedmantels ledig, apart in engen Hosen und einer Hemdbluse unter der geschnürten Weste, studierte überrascht diese Lektüre. "Die habe ich nur gekauft, weil du darin zu sehen bist." Erläuterte Masaya schmunzelnd, aktivierte den beheizten Tisch. "Bitte, mach es dir gemütlich, ja? Ich kümmere mich ums Essen." "Du kochst? Wirklich? Wieso kaufst du so was?! Bist du etwa ein Fanboy, oder wie?" Hikaru stemmte sogar die Hände in die schlanken Hüften, funkelte ihn an. Amüsiert lud Masaya ihn mit einer Geste ein, sich dem Pantry gefahrlos zu nähern. "Ja, einfache Gerichte traue ich mir inzwischen zu. Ich habe auch etwas gekauft, keine Sorge. Ein Fanboy bin ich schon seit langem! Hast du das nicht bemerkt?" Hikaru ging nicht auf seinen neckenden Tonfall ein, sondern starrte auf seine Hand. "Ah." Masaya reduzierte seine Heiterkeit. "Der Ring? Ich trage ihn, damit alle sehen, dass Avancen aussichtslos sind. Der zweite wartet noch in seiner Schachtel darauf, dass ich ihn dir anstecken darf." Für lange, sehr lange Augenblicke blieb es still, hörte man nur das leichte Klopfen einsetzenden Regens. Masaya entging nicht, wie Hikaru mit Worten rang. Eine schnippische Zurechtweisung über seine Anmaßung? Ein schneidender Tadel? Oder doch...etwas Anderes? Er konnte die Hilflosigkeit erkennen, die Hikaru häufig zu offenbaren schien, wenn er ihm seine Gefühle und Absichten anvertraute. "Hab ich dich so erschreckt?" Ergriff er schließlich selbst sanft das Wort. "Entschuldige, das wollte ich nicht. Vielleicht bin ich ein bisschen übermütig, weil wir ein Paar geworden sind." Hikaru blinzelte, wie aus einer Trance erwacht, schnaubte ausgekontert. "Was magst du trinken? Tee? Oder lieber Saft?" Masaya wechselte das Thema, um Hikaru Gelegenheit zu bieten, sich zu sammeln. Also vermutete der noch immer, dass es ihm nicht ernst war. Oder zumindest nur in einem eng gesteckten, zeitlich begrenzten Rahmen! Während Masaya dem gekrächzten Wunsch nach Tee nachkam, erforschte er sich selbst. Ärgerte er sich über Hikarus Reaktion? Fühlte er sich nicht verstanden, wertgeschätzt? Nein. Nein, vielmehr erfasste ihn eine warme Zärtlichkeit. Hikaru raunzte ihn nicht an, kanzelte oder servierte ihn gleich ab. Er offenbarte seine Ratlosigkeit. Was ihn erneut ahnen ließ, wie sehr die Beziehung zu diesem Inoue ihn geprägt, wahrscheinlich verletzt haben musste. Trotzdem war er hier, gewährte ihm die erbetene, erflehte Chance, bewies den Mut, sich noch einmal auf einen anderen Menschen so sehr einzulassen. Masaya servierte nicht nur den Tee, sondern legte Hikaru, der sich am Kotatsu eingerichtet hatte, hastig durch ein Magazin blätterte, um seine Nerven zu beruhigen, fürsorglich eine Decke um die Schultern. Er zog ihn kurz in seine Arme, küsste ihn auf die Stirn. "Ich danke dir, dass du zu mir gekommen bist. Das macht mich ungeheuer glücklich." ~~~>#*** »Gemein!« Dachte Hikaru hilflos. Masaya war so~so liebevoll! Aber auch direkt, offen, unverschämt ehrlich! Er würde sich einwickeln lassen. Und dann? Ja, er hatte zwar zugestanden, dass sie ein Paar waren, trotzdem~trotzdem würde es doch auf lange Sicht scheitern. Deshalb sollte er sich nicht so sehr einlassen! Das war zu unvernünftig! Man konnte auch keine Freunde mehr bleiben, wenn es dann... Hikaru schob das Magazin, von dem er nicht mal sagen konnte, welchen Titel es trug, zurück auf den Stapel. Das war einfach zu viel! Wie sollte er sich selbst schützen und verteidigen, wenn Masaya so unfair alle Register zog?! Hikaru schreckte zusammen, als Masaya zwei Teller in seinem Gesichtsfeld balancierte. "Was ist? Bist du sehr erschöpft?" Erkundigte Masaya sich aufmerksam. Rasch wedelte Hikaru mit der Rechten verneinend, räumte seinen Teebecher zur Seite. In den tiefen Tellern tränkte eine sämige Gemüsesauce kurze, dicke Nudeln, die um Platz rangen mit all dem gedünsteten Wintergemüse. Es roch köstlich. "Guten Appetit." Würgte Hikaru hervor, wagte nicht, Masaya anzusehen. Kein bisschen Souveränität blieb übrig, obwohl er der Ältere, der Star sein sollte! Lässig, selbstbewusst, jeder Situation gewachsen! Aber nicht dieser. Nicht den offenkundig im Set gekauften Teebechern und Tellern, nicht dem Ring oder der Decke um seine Schultern. Er spürte Masayas Hand auf seiner Wange, blinzelte ihn erschrocken an. "Warum weinst du denn?" ~~~>#*** Mit schnippischen Kontern hatte Masaya gerechnet. Er nahm selbst ja kein Blatt vor den Mund. Nicht mit glasklaren Tränen, Hikarus resigniert-unglücklichem Gesicht. Er legte ihm sofort die Arme um die Schultern, barg seinen Kopf in der Halsbeuge. Warum befürchtete Hikaru bloß, es würde zu einer Katastrophe kommen?! "Bitte verzweifle nicht!" Beschwor er ihn eindringlich. "Ich will dir nichts Böses, Hikaru! Vertrau auf uns, bitte!" Es wäre auch leichter, wenn Hikaru ihm einfach an den Kopf warf, was ihn so sehr quälte, was ihn ängstigte. "...wieso..bist du so lieb?!" Die herausgewürgte Anklage an seinem Ohr ließ Masaya jubilieren. Endlich! "Weil ich dich liebe. Ich möchte, dass du glücklich bist, dass es dir gut geht." Antwortete er prompt. Beinahe schon automatisch spielte eine Hand mit Hikarus langen Strähnen am Hinterkopf. "Es fühlt sich für dich vielleicht gemein an, weil ich es dir so schwer mache, mich abzuschmettern." Er lächelte verhalten. "Du fürchtest möglicherweise auch, dass ich wankelmütig bin, nicht ausreichend nachgedacht habe, bloß eine Grille auslebe, während es für dich ernst ist. Ich bitte dich, mich beim Wort zu nehmen, Hikaru. Es IST mir ernst. Du bist der Mensch, der mich bewegt wie kein anderer bisher. Ich will das nicht missen. Ich will DICH nicht missen. Ich kann dich nicht zwingen, aber ich kann hoffen und die Voraussetzungen schaffen, damit es dir nicht so schwer fällt, mich auch zu lieben." Hikaru keuchte an seiner Schulter auf. Masaya verstärkte die Umarmung ein wenig. Was konnte er noch zusagen? Anbieten? Versprechen? Geloben? "Erzähl niemandem, dass ich geheult hab." Lenkte Hikaru seine aufgewühlten Gedanken auf eine andere Bahn, die Stimme belegt. "Ehrenwort." Antwortete Masaya sofort. "Ich bin bloß ein bisschen durch den Wind." Murmelte Hikaru weiter, auffordernd. "Das kommt vor." Nickte Masaya brav und verständig. "Wenn wir gegessen haben, schneid ich dir die Haare. Das kann so nicht bleiben. Was sollen die Leute von uns denken?" Masaya lachte leise. "Vielen Dank. Wenn ich dir dadurch noch besser gefalle?" Neckte er provozierend. Hikaru wies ihn nicht zurecht, konterte nicht ebenso frech, sondern schmiegte sich an ihn, wortlos. Masaya umarmte ihn entschlossen, überrumpelt von diesem Beweis der Zuneigung. Er würde wirklich vorsichtig sein müssen, da Hikarus Herz so unerwartet zerbrechlich schien. ~~~>#*** Hikaru arbeitete mit Kamm, Rasierapparat und einer Papierschere. Nicht gerade die besten Utensilien, doch er wusste sich zu helfen. Selbstredend. Masaya hockte brav auf dem Toilettensitz, ein Handtuch um die nackten Schultern. Ein wenig schämte sich Hikaru seiner ihm unerklärlichen Tränen. Wirklich, so nahe am Wasser gebaut war er ja doch nicht! Bloß~bloß winkte hier ein Glück, eine Utopie, die ihm Angst machte. Angst davor, sich in ihr zu verlieren. Vor Sehnsucht nach ihrer Erfüllung vor die Hunde zu gehen. Er fürchtete sich vor sich selbst. Wenn er nämlich nicht auf sich selbst achtete, würde es niemand tun! Verflixt! Wenn Masaya nur nicht so wahrhaftig auftreten würde! "Gefalle ich dir jetzt ein wenig besser?" Zwinkerte der gerade zu ihm hoch. "Hm." Murmelte Hikaru, dankbar für den knebelnden Kamm. Es hatte ihn etwas Mühe gekostet, Masayas zu Verwilderung neigende Strähnen zu glätten. Er schob sich den Kamm zur Schere in die Verschnürung seiner Weste, als temporären Unterbringungsplatz. "Hör mal!" Rügte er streng. "Du musst deine Haare anders pflegen! Wenn du keine teuren Shampoos und Pflegespülungen benutzen möchtest, zeige ich dir Alternativen. Bitte versuch es auch damit!" Masaya wickelte ihm die Arme um die Hüften, locker, dennoch zu spüren. "Ich werde dir gehorchen." Versprach er artig, in neckendem Tonfall. "Ich möchte ja, dass du dich nicht meiner schämen musst." Prompt sah sich Hikaru genötigt, ihm in ein Ohrläppchen zu kneifen, besonders grantig zu blicken. "Das hat ganz und gar nichts mit mir zu tun, ja?! Du merkst doch selbst, wie schwer das Kämmen fällt! Außerdem könnten die Leute sonst meinen, du würdest bei deiner Arbeit auch nachlässig sein!" "Denkst du das auch? Dass ich nachlässig bin?" Hikaru knurrte, verwünschte diesen direkten, prüfenden Blick, der ihn Verlegenheit noch stärker empfinden ließ als ohnehin. "Leute beurteilen nun mal nach dem äußeren Auftritt. Nur wenige bringen die Geduld auf, genau hinzublicken, bevor sie sich eine abschließende Meinung bilden! Wenn du hier als Doktor Schlauberger arbeitest, solltest du nicht aussehen wie ein verrücktes, verwahrlostes Genie! Das ist nur in Komödien lustig, nicht im echten Leben." Wieder war es da, dieses breite, wilde Lächeln! Das sein Herz rasen ließ. "Dann pass auf mich auf, Hikaru, ja? Du bist vernünftiger als ich." "Ich?! Vernünftiger?!" Schnaubte Hikaru hilflos, bemühte sich verzweifelt um ein grimmiges Gebaren. "Wer von uns ist denn hier der promovierte Eierkopf?!" Masaya zwinkerte hoch. "Das habe ich so vermisst!" Raunte er freimütig. "Danke, Hikaru." Hikaru kämpfte gegen das Gefühl weicher Knie an. Wieso konnte er nicht abgebrüht sein?! Wo war der souveräne, lässige Cowboy, den er verkörpert hatte?! Um seine überbordenden Emotionen in Schach zu halten, wuschelte er mit beiden Händen kräftig durch Masayas akkurat gestutzten Schopf, schüttelte anschließend das Handtuch über einer aufgeschlagenen Zeitung aus. "Rühr dich nicht, während ich aufkehre!" Warnte er Masaya vor. Der verhielt sich brav stockstill, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. "So, Augenblick noch, ich weiß, dir ist kalt." Hikaru befeuchtete den Kamm, um ihn durch Masayas Strähnen zu ziehen, immer wieder abzustreifen, um abgeschnittene Haare zu entfernen. "Lässt sich aushalten." Ungeniert schmiegte sich Masaya an seine Front, umarmte seine Hüfte erneut. "Hmmmmm!" Schnurrte er genießerisch. "Das fühlt sich so perfekt an!" "Schmeichler!" Grollte Hikaru betont. "Pass wegen der Haken auf, dass du dich nicht kratzt." Masaya rückte ein wenig ab, sah an ihm hoch, frech das Kinn gegen sein Brustbein gestützt. "Die ist neu, oder? Und die Bluse darunter kenne ich auch nicht. Selbst gemacht?" Hikaru zuckte mit den Schultern. "Was bleibt mir übrig? Laut Zimtzickerich Suga ist mein Look nicht angesagt, von einem Trend ganz zu schweigen. Wenigstens ist nackt noch was mit mir anzufangen." Ein herausforderndes Grinsen kräuselte Masayas Mundwinkel. "Ziemlich viel anzufangen, möchte ich meinen! Deine Valentinstag-Kollektion hat doch unangefochten die Abonnementliste angeführt." Nun lupfte Hikaru eine Augenbraue. "Tja, schon, aber woher weißt du das?" "Privileg der Premium-Abonnenten." Feixte Masaya, streichelte dabei über Hikarus Kehrseite. Der starrte ihn fassungslos an. "Moment mal, du hast für die Kollektion bezahlt?! Spinnst du?!" Masaya lachte ihn an. "Natürlich habe ich das! Ich wollte keine einzige Version verpassen! Zwanzig unterschiedliche Motive! Perfekter Valentinstag für mich. Obwohl, wenn ich das Original vor mir gehabt hätte..." Hikaru schnaubte empört. "Also echt, schmeiß dafür doch kein Geld raus! Was bist du, ein Fanboy?!" DIE Falle hatte er sich selbst gestellt! Deshalb konnte er Masaya auch nicht an den Ohren ziehen, als dieser laut herauslachte. "Ich bin seit unserer ersten Begegnung dein größter Fanboy, Hikaru! Sag nicht, das wäre dir neu!" "Aber..." Hikaru wandte den Kopf zur Seite, biss sich auf die Lippen. Jedes Jahr wurden besondere Fotogrüße für Kunden zum Valentinstag aufgenommen. Je nach Brieftasche konnte man sich einzelne Motive oder die gesamte Kollektion kaufen, bekam sie zugeschickt. Wer die Kollektion komplett kaufte, kam zusätzlich in den Genuss eines VR-Videoclips, wo man (bei passender Ausstattung) das Gefühl bekam, der jeweilige Darsteller wende sich direkt an einen, aus nächster Nähe. "Den Clip habe ich mir im Labor angeschaut, bei einer Nachtschicht." Triezte ihn Masaya nun auch prompt. "Danach musste ich mal kurz an die Luft gehen, sonst wäre es peinlich geworden." "Depp!!" Schnauzte Hikaru verschämt, zupfte nun doch an einem Ohrläppchen. Masaya lächelte ihn bloß warm an. Was Hikaru daran erinnerte, dass er damals, bei ihrem ersten Mal, zugestimmt hatte, mit Masaya zu gehen, quasi, ein Paar zu sein. Also hätte er am Valentinstag, vielleicht, etwas Besonderes tun müssen. "Ich hatte so viel zu tun." Murmelte er, den Blick abgewandt. Und bisher keinen Valentinstag mit einem Partner verbracht. "Das weiß ich doch!" Masaya erhob sich, gab ihn nicht frei. "Mir ging's ja genauso. Schokolade wollte ich dir, ganz ehrlich, nicht schicken. Das meiste Zeug ist einfach ungesund." Zu viel Milchzucker, dazu noch Butterreinfett, Palmkernöl, igitt! Hikaru stutzte, konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Typisch Masaya! "So sehr mag ich Schokolade gar nicht." Ließ er ihn wissen. Üblicherweise wurde die Agentur damit überschwemmt. Er würde den Teufel tun, etwas von dem Zeug zu kosten. Manche Verehrer hatten etwas verdrehte Vorstellungen davon, wie sie ihm ihre Gefühle beweisen wollten. Da waren falsche Aphrodisiaka noch harmlos. "Nächstes Jahr!" Masaya lehnte seine Stirn an. "Nächstes Jahr machen wir gemeinsam etwas mit guter Schokolade, ja? Richtigem Kakaopulver! Vielleicht Pralinen? Oder lieber knackig? Mit Nüssen? Oder modern, mit Cornflakes?" Seufzend lehnte Hikaru sich an, schlang die Arme um Masayas nackte Schultern, um sie ein wenig zu wärmen. "Klingt gut." Flüsterte er. Nächstes Jahr. Masaya schien nicht den geringsten Zweifel daran zu hegen, dass sie nächstes Jahr zusammen sein würden. Er schloss die Augen, als Masaya ihn zärtlich küsste. ~~~>#*** Es musste nicht darauf hinauslaufen, aber Masaya schlug vor Erwartung das Herz höher. Ohne Zweifel wollte er mit Hikaru schlafen. Zwei Monate Abstinenz, das ging an die Substanz! Wenn es nicht möglich war, im knappen Zeitrahmen, hätte er es auch überstanden... Jetzt erfüllte sich die Atmosphäre ganz mit ihrem Verlangen. Er konnte es mit jedem Kuss stärker spüren, wollte Hikaru nicht aus seinen Armen lassen, ihn immer wieder kosten! "Bitte!" Raunte er schließlich, atemlos, in ein Ohr, leckte über die zarte Haut darunter. "Bitte!" Außerdem würde es sie beide aufwärmen, nicht wahr? Hikaru drückte ihm die Zähne in den Nacken. Kein Biss, sicher auch kein Knutschfleck. Eine Andeutung eben, von Lust, von Begehren. Er löste die Arme, nahm Hikarus Hand versichernd, verließ mit ihm das Bad, wechselte in den Wohnraum. Den Kotatsu auszustöpseln, dessen Beine einzuklappen und ihn samt umlaufendem Stoffbezug in einer Nische zu verstauen, dauerte nicht mal eine Minute. Masaya hob neben dem Einbauschrank eine schlanke Holzkonstruktion heraus, löste die Haken auf dem Laminat, sodass sich in Scherenformation die einzelnen Streben ausklappten. Rasch justiert rollte er eine stabile Kunststofffaserrolle auf, die dieses Handbreit-hohe Gestell abdeckte. Hikaru folgte überrascht seinen geübten Handgriffen, leistete ihm tätig Gesellschaft, als sie moderne Rollmatratzen ausbreiteten, Decken, Kissen und ein Strandlaken darüber dekorierten. Eine pflegeleichte Variante des Futons, keine Frage. Masaya streifte sich rasch Hosen, Slip und Strümpfe ab, wollte sich nicht des Privilegs berauben, Hikaru zu entkleiden, ihn für einen langen Augenblick zu betrachten, blank und bloß, bevor er ihn rasch unter die Decke zog. Tatsächlich, Hikaru wirkte sehniger, zarter. Die Ausstrahlung des selbstbewussten Cowboys fehlte, zusammen mit der Karamell-farbenen Windstoßfrisur. Masaya genoss selig, dass zwischen ihnen ein festes Band geknüpft war. Es ging nicht etwa gleich zur Sache, nein, sie liebkosten einander, tauschten unzählige Küsse aus, betrachteten sich still, lauschten in den anderen hinein. Auf Emotionen, auf Erwartungen, auf Sehnsüchte. Kein Freistilringen, keine Attacken, kein Dominanzgebaren. Andererseits musste man auch keine rein platonische Verbindung fürchten. Unerbittlich bewiesen Geigerzähler jenseits des Gürteläquators und Pulsfrequenz, dass hier auch pragmatische Wünsche angemeldet wurden. "Was möchtest du? Was soll ich tun?" Wisperte Hikaru an seiner Kehle, leckte ihm Transpiration vom Schlüsselbein. In einem Video hätte es frivol geklungen, möglicherweise auch lüstern, aufreizend, je nach gewünschter Zielgruppe. Masaya jedoch hörte Hikarus fast scheue Zuneigung. Keinen Verführer, keinen geübten Gigolo. "Ich will dich ansehen!" Drängte er rau. "Ich will es! Ich will DICH!" Ja, er wollte Hikaru spüren, seine Hitze, sein Begehren, seine Leidenschaft! Gleichzeitig dessen Bemühen fühlen, ihn zu verwöhnen, seine Sehnsüchte über die eigene Erfüllung zu stellen. In Hikarus Augen das lesen, was er vor fünf Jahren in dem privaten Video eifersüchtig verfolgt hatte. ER wollte sich in diesen Augen finden, das Ziel dieser Liebe sein! ~~~>#*** Hikaru ermahnte sich zur Umsicht. Zwei Monate waren schließlich vergangen. Wenn er Masaya nicht verkannte, hatte der keine Gelegenheit gesucht, sich anderweitig, nun, Entlastung zu verschaffen. Deshalb agierte er geduldig, diszipliniert, um ihn vorzubereiten, gleichzeitig auch von diesen Handreichungen abzulenken. Was teuflisch anstrengend war! Ihm pochte das Blut förmlich in der Schläfe wie ein Dauerfeuer der großen Taikos bei Schreinfesten! Das hier war eben das wahre Leben. Da konnte man die geschäftliche Selbstbeherrschung nicht so makellos präsentieren, wenn einem die eigene Lust und überwältigende Gefühle dazwischenfunkten! Außerdem erwies sich Masaya wirklich nicht als Hilfe, küsste ihn, streichelte ihn, raunte ihm immer wieder zu, wie sehr er ihn wollte, ihn liebte, vermisst hatte! Hikaru stieß eine kehlige Entschuldigung hervor, als er sich Masayas rektalem Ausgang mit seiner pulsierenden Erektion vorstellte. Er wollte es auch, gefangen sein, nein, geborgen in dieser Hitze, dieser Leidenschaft ohne Ausflüchte, Notausgänge oder Spielraum! So kauerte er über Masaya, dessen Arme auf seinen Schultern Halt suchten, pendelte in rapider Frequenz vor und zurück, vor Lust stöhnend. Er erkannte das beseelte Verlangen in dessen geröteten Zügen, die rückhaltlose Bereitschaft, sich ihm völlig anzuvertrauen. Man konnte glatt verrückt werden, wenn sich alles in der elektrischen Explosion kulminierte! ~~~>#*** Masaya hielt Hikaru fest in seinen Armen. Hygiene konnte warten. Er wollte keinen Millimeter Distanz zulassen. Gut, ein wenig mehr Raum zum Atmen, das musste wohl sein, aber nichts darüber hinaus, was sie einander entfernen konnte! "Ich liebe dich." Krächzte er, kümmerte sich nicht darum, wie weit er wohl von der Perfektion eines idealen Liebhabers entfernt war. Hikaru liebte ihn auch, dessen fühlte er sich bestätigt. Er hatte es gesehen und gespürt, in Umsicht, Unsicherheit, Sehnsucht und Hingabe. "Masaya..." "Nur noch ein bisschen!" Verlangte er, drückte Hikaru an sich. Diese Augenblicke des Glücks verlängern! Natürlich, sie mussten verklingen, sonst wären sie nicht möglich, wüsste man sie gar nicht zu schätzen. Trotzdem, jeder weitere Atemzug, der das Ende hinauszögerte, die Trennung, war ein Gewinn! Hikarus Hand strich über seine Wange, beinahe tröstend. "Du hast mir so gefehlt!" Flüsterte Masaya. "Ich habe unserem Wiedersehen entgegengefiebert wie ein kleines Kind. Danke, Hikaru. Vielen Dank." Als Reaktion wurden ihm die Lippen versiegelt, zärtlich, ausdauernd, bis sie beide nach Luft rangen. So lagen sie einander zugewandt auf der Seite, hielten sich an den Händen, sahen einander an, ganz still. Draußen ging kalter Regen nieder, ein unaufhörlicher Tropfenvorhang. Trübe dämmerte der Abend entgegen. Bald müssten sie aufbrechen, sich wieder trennen, kostbare Zeit verlieren. ~~~>#*** Masaya trug den Regenschirm, hatte ihm den freien Arm einfach um die Schultern gelegt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Hikaru sah sich außerstande, ihn zu rügen, auf die wenigen Leute hinzuweisen, die gesellschaftlichen Umgangsformeln. Gerade waren sie ihm vollkommen gleich! Weil er die Wärme genoss, die noch anhaltende Ermattung nach ihrem Liebesakt, die ungewohnte Ruhe, die ihn erfüllte. Nach so vielen Tagen angefüllt mit Terminen, Zeitdruck, Stress, Hektik, eilig herunter geschlungenen Pseudo-Mahlzeiten. "Danke für diesen Tag, Masaya." Wisperte er. Der wandte sich zu ihm um, küsste ihn auf die Wange. "Du bist jederzeit willkommen, Hikaru. Wann immer du willst." Das entlockte ihm einen Stoßseufzer. "Das wird wohl eine Weile warten müssen." Bekannte er müde. "Kirschblütensaison ist auch Hochsaison bei uns." Masaya drückte ihm die Schulter, sanft. "Wir werden schon eine Möglichkeit finden." Versicherte er zuversichtlich. Offenbar, das erstaunte Hikaru noch immer, empfand Masaya keinerlei Vorbehalte, bereits zum zweiten Mal genommen worden zu sein. Kein Anflug von "männlichem Stolz" oder verquasten Dominanzansichten! Erstaunlich. Sie erreichten den Bahnhof, warteten auf dem verlassenen Bahnsteig auf den einzockelnden Zug, sich im Arm haltend, vom Vordach geschützt. "Suga und Yukio haben sich lustig gemacht, dass ich es als Großstadtjunge niemals lange in der Provinz aushalten würde." Masaya zwinkerte ihm zu. "Doch das Einzige, was mir fehlt, bist du. Ist es nicht schön hier?" Hikaru nickte stumm. Die Luft war trotz der Regenschwaden frisch, der Verkehrslärm kaum wahrnehmbar. Kein Lichtmeer, keine Häuserschluchten, stattdessen viel Grün, Horizont. Orientierungsmöglichkeiten. Alles hatte "menschliche" Dimensionen. "Bitte melde dich, wenn du zu Hause angekommen bist, ja?" Masaya küsste ihn auf die Lippen, ignorierte den bremsenden Zug. Hikaru lehnte sich noch einen Atemzug länger in die Umarmung, bevor er sich energisch losmachte. "Ich ruf dich an. Pass auf dich auf, Schlaumeier, ja?" Masaya lachte. "Versprochen, mein Herzblatt!" Errötend bleckte Hikaru hinter der Scheibe die Zunge, verzichtete geflissentlich darauf, Publikum zu entdecken. Da lief dieser Verrückte noch den Bahnsteig entlang, winkte ihm, bis sie außer Sicht waren! Unmöglich, so was! Aber Hikaru fand es auch unerträglich, sich einen Sitzplatz zu suchen, bis er Masaya nicht mehr sehen konnte. ~~~>#*** Kapitel 9- Nach der Kirschblüte "Du hast dich echt verändert, Masa! Ich sach ja, der neue Job tut dir gut!" Masaya entschied, seinen Cousin nicht zu korrigieren. Die Veränderung, die er selbst an sich festgestellt hatte, beruhte keineswegs auf seiner festen Anstellung oder dem Umzug, seiner Promotion oder den neuen Aufgabenstellungen. Hikaru. Die Begegnung mit Hikaru hatte ihn verändert. Verbessert, wie er selbst konstatierte, weil er sich um einen anderen Menschen bemühen musste, sich Gedanken machte, diese Verbindung unauslöschlich verfestigen wollte. Früher wäre er auch nie auf die Idee gekommen, eine Brotzeit in der Tasche des geliebten Menschen zu verstecken, wie ein aufgedrehtes Kind den Bahnsteig entlangzuflitzen, dabei mit den Armen rudernd wie eine Windmühle. Textnachrichten mit blöden Witzen zu versenden, um Hikaru eine Reaktion zu entlocken. Bei den wenigen Gelegenheiten mit ihm zu telefonieren, ausführlich, lange, nicht, um Informationen auszutauschen, sondern Gefühle, Stimmungen, Nähe. Er hätte sich keine kleinen Tagträume darüber erlaubt, was Hikaru wohl sagen, welche Miene er aufsetzen würde, wäre er just in diesem Augenblick an seiner Seite. Oder sammelte Ausschnitte aus Szenemagazinen, weil Hikaru in ihnen abgelichtet war. Glücklicherweise rückte Tetsu nicht wie früher regelmäßig an, um sich in seinem Appartement dem Zugriff der lieben Familie zu entziehen. Unter anderem der Ring an seiner rechten Hand hätte definitiv nach einer Erklärung verlangt. Nun, einer anderen als der, die er freimütig selbst offerierte. Alle sollten sehen, dass sein Herz vergeben war, dass er es einem anderen Menschen zum Geschenk geboten hatte. Und akzeptiert worden war. Über die Reaktion seiner Eltern erlaubte er sich keinerlei Illusionen. Sein Verhalten widersprach allem, was sie an Erwartungen für die Zukunft gehegt, sorgfältig in die Wege geleitet hatten. Allerdings sollten sie wohl auch ins Kalkül ziehen, dass er schon immer seinen eigenen Kopf gehabt hatte, seinem eigenen Pfad gefolgt war. Es gab keinen vernünftigen Grund, mit Hikaru keine (hoffentlich lebenslange) Beziehung einzugehen, nur weil dieser eben auch ein Mann war! Diese kleine Komplikation bedeutete doch im Grunde nichts weiter, als dass sie keine Kinder auf herkömmliche Weise miteinander zeugen konnten. Heutzutage, mit all den unterschiedlichen Möglichkeiten einer "Familienbildung" sollte selbst das keine unüberwindliche Hürde sein. Falls Hikaru Interesse daran hatte, Kinder aufzuziehen. Masaya gestand sich zu, in seinem jugendlichen Alter von fast 24 Jahren eine solche Aufgabe als eher abschreckend einzustufen. Musste er Hikaru nicht schon mit genug anderen Leuten teilen, die Anspruch auf ihn erhoben? Mit Kindern wäre die Zeit ja noch geringer! Nein, da ging sein Egoismus ungeniert vor. Der unterdessen grummelte und grollte, weil es wirklich schwierig war, Hikaru zu sprechen, dessen Terminplan förmlich platzte. Auch die Reiserei, der Kirschblüte hinterher, um möglichst viele Clips zu produzieren, die Sex in Bezug auf die Blüten präsentierte, trug nicht gerade zu einer einfachen Kontaktaufnahme bei. Seine dezenten Vorstöße in diese Richtung wies Hikaru jedoch höflich zurück. Er müsse das Eisen schmieden, solange es heiß sei! Masaya ahnte unbehaglich, dass hinter den Kulissen Dinge vor sich gingen, die ihn nicht mehr erreichten, weil er diese Welt verlassen hatte. ~~~>#*** Hikaru sackte auf dem Fensterplatz förmlich in sich zusammen. Vom nördlichsten Ende der japanischen Inselgruppen ging es endlich zurück. Die letzten Kirschblüten waren verweht, alle Clips abgedreht und präsentiert. Jetzt wollte er eigentlich nur noch schlafen, ein wenig Kraft schöpfen, bevor Modeaufnahmen in einem Studio in Tokio anstanden. Da war ja auch noch der Pseudo-historische Halbstundenfilm in Kioto! Aber wie so oft gelang es ihm nicht, im Shinkansen tatsächlich in Schlaf zu fallen. Geräusche, Lichtveränderungen, alles riss ihn wieder aus einem Dämmerzustand. Obwohl es gefährlich war, zückte er sein Mobiltelefon. Das mitreisende Team konnte weder in der spiegelnden Fensterscheibe noch auf andere Weise Einblick nehmen. Masaya. Seine Nachrichten bauten ihn immer wieder auf, ermunterten, trösteten, wärmten ihn mit der Erinnerung an den Tag in Masayas neuer Heimat. Er lächelte leicht, als er den aktuellen, wie immer grässlich dämlichen Witz las. Fast drei Monate waren verstrichen, eine furchtbar lange Zeit. "White day", "Golden Week", sie waren vorbeigeflogen, er hatte ununterbrochen gearbeitet, einen Auftrag an den nächsten gereiht. Auf der Flucht, sich gegen das Unvermeidliche stemmend. Mühsam, die Augen trocken, blinzelnd, tippte er für Masaya die nächsten Termine ein. Der sorgte sich um ihn, schickte ihm Aufnahmen seiner Speisen, um ihn ebenfalls dazu zu animieren. Eine liebevolle Kontrolle seiner Ernährungsgewohnheiten, die Hikaru nicht mehr gegen den Strich bürstete, weil er den Gedanken dahinter schätzte. [Wenn ich die Aufträge erledigt habe, komme ich zu dir. Versprochen.] ~~~>#*** Masaya schnickte das externe Laufwerk an, um die DVD zu entnehmen. Hikaru als Samurai in Kioto mit allerlei "Schwertübungen", die ohne Stahlklingen absolviert wurden. Unruhig betrachtete er die Uhrzeit. Keine Nachricht auf dem Telefon. Der zugesagte Anruf per Internet blieb aus. Verzögerte sich das letzte Interview denn derart? Rastlos lief er in seinem Wohnraum auf und nieder. An Schlaf war nicht zu denken. Hikaru hatte ihn noch nie versetzt. Schließlich bediente er sich seines Mobiltelefons, wählte eine andere Nummer. Ja, wahrscheinlich wäre seine Geschichte nicht glaubhaft, aber das kümmerte ihn jetzt wenig. Wieso meldete sich Hikaru nicht?! ~~~>#*** Hikaru blinzelte. Vor seinen klebrigen Lidern manifestierte sich eine unvertraute Kassettendecke. Als er mühsam den Kopf wandte, um sich zu orientieren, entdeckte er einen durchscheinenden Tropf, dessen Kanüle in seinem Arm endete. Er krächzte erschöpft. Krankenhaus? Eine leichte Decke war über ihm ausgebreitet. Er trug noch immer seine Aufmachung vom Interview. Was war passiert? Er konnte sich mit einiger Anstrengung entsinnen, dass er Platz genommen hatte, vor Kameras, Reflektoren, Mikrofon-Galgen. Die Scheinwerfer erschienen ihm blendend, seine Gedanken trieben träge wie in Sirup durch seinen Verstand. Noch waren es ja nur Proben. Ah, die junge Frau, die ihn abpuderte. Was hatte sie noch gesagt? Fieber? Hikaru zwang seine freie Hand, nach seiner Stirn zu tasten. War das heiß? Aber er schwitzte nicht, oder? So sehr er sich auch um Konzentration bemühte, es half nichts, seine Gedanken entglitten ihm, entschlüpften dem Zugriff. Erschöpft dämmerte er wieder ein. ~~~>#*** Ob Yukio nun die Bestätigung erhielt, dass ihn und Hikaru mehr als Freundschaft verband (die angesichts Sugas Gedrängel unwahrscheinlich schien), beschäftigte Masaya nicht mal einen Herzschlag lang. Hikaru war mit hohem Fieber in einem Studio zusammengeklappt just am letzten Tag seines Arbeitsmarathons. Weil er nicht mehr ansprechbar war, lag er im Bezirkskrankenhaus, um aufgepäppelt zu werden. Überarbeitung, Stress, zu wenig getrunken, noch weniger geschlafen: die übliche Diagnose. Was Masaya unerfreulich beantwortete, warum kein Anruf, keine Textnachricht einging. Für einen Moment war er versucht, sofort aufzubrechen, sich für den nächsten Tag schlicht krankzumelden. Tief durchatmend verabschiedete er diesen Impuls. Erstens war der letzte Zug schon abgefahren, zweitens würde er auch in Tokio wegen der nächtlichen Unterbrechung stranden, drittens bestünde auch keine Möglichkeit, zu Hikaru vorgelassen zu werden. Viertens, was wollte er bewirken, wenn Hikaru hauptsächlich ärztlicher Betreuung bedurfte? [Hikaru, sobald du kannst, komm zu mir. Erhol dich bei mir. Gönn dir eine Pause, bitte. Ich sorge mich um dich.] ~~~>#*** Natürlich. Hikaru taumelte leicht nach der letzten Verneigung, blinzelte unter dem blendenden Sonnenlicht. Die Behandlungskosten bezahlt, in den Kleidern des Vortags klamm-schwitzend, schon wieder von Menschen umzingelt. Gedrängel, dazu Verkehrslärm, emsiges Streben. Er selbst, am Rand, nicht mehr als ein stationäres Hindernis. Taxi. Er brauchte ein Taxi. Sich hier mit der Suche nach einem Bahnhof aufzuhalten, um im Liniengewirr nach Hause zu finden: das ging über seine Kräfte. NATÜRLICH war der Akku leer. Er hätte ihn am Abend aufladen müssen, wie gewohnt. Die ungeplante, nächtliche Stippvisite in der Krankenstation hatte diese Gewohnheit torpediert. Deshalb fehlte ihm auch jetzt eine halbwegs zuverlässige Orientierungshilfe. Hikaru ballte die Fäuste, zwang sich, tief durchzuatmen. In der Nähe eines Krankenhauses gab es bestimmt eine Taxistation. Ruhig umsehen! Keine Panik! Er entdeckte tatsächlich eine Haltebucht, kämpfte sich mühsam in die Richtung. Nach Hause. Bloß nach Hause. Schon wieder raste sein Puls, fühlte er sich schwindlig. ~~~>#*** [Akku leer. War im Krankenhaus. Steige jetzt in Bahn. Bitte, hol mich ab. Brauche dich.] Masaya überflog die Uhrzeit der Nachricht, überschlug Abfahrtszeiten und Fahrtdauer. "IchmachheutfrüherSchluss!" Verkündete er, beendete mit fliegenden Fingern seine aktuelle Analyse, ließ den Computer im Stich, steuerte im Laufschritt sein Spind an, schon den obligatorischen Schutzkittel abstreifend. Hikaru. Hikaru. Hikaru. Echote in seinen Ohren mit jedem Aufprall seiner Schuhsohlen auf dem Boden. Nichts Anderes war jetzt mehr wichtig. ~~~>#*** Hikaru kippte fast mit dem vermaledeiten Rollkoffer auf den Bahnsteig, weil das Biest sich mit seinen Rollen verkantet hatte. Masaya, der ihn auffing, bändigte das Ungeheuer beiläufig, fasste ihn unter, drückte ihn an sich. "Du bist da!" Wiederholte er immer wieder. "Du bist da, Hikaru!" Eine zutreffende, wenn auch sehr ungewöhnliche Feststellung für den rationalen Masaya, trudelte durch Hikarus matten Verstand. Er ließ sich halten, schloss die Augen. "Ich bin so müde, Masaya." Murmelte er in den Hemdkragen. "Ich bring dich heim." Versprach Masaya, umschlang seine Hüfte, packte den Griff des Rollkoffers. "Gleich hast du es geschafft." ~~~>#*** Es gab genau ein Taxi. Für die Leute ohne Auto, für Lasten, die man nicht auf dem Roller oder Fahrrad transportieren konnte, für die in der Bewegung Eingeschränkten, die Alten und die ganz Jungen. Masaya empfand es als Wink des Schicksals, dass seine Reservierung für den Transport vom Bahnhof zu seinem Appartement sofort angenommen wurde, keine Konkurrenz bestand. Hikaru lehnte an seiner Schulter, trotz der frühsommerlichen Witterung in seinen Tweedmantel gewickelt. Fror der etwa? Waren das Anzeichen seiner Erschöpfung, des Schlafmangels? Ausführliche Gespräche konnten sie auch später führen. Jetzt galt es erst mal, Hikaru und sein Gepäck sicher über die Außengalerie zu führen. Als Masaya nach vollbrachter Tat sein Bettlager aufschlug, sackte Hikaru förmlich auf der Matratze zusammen, fiel in einen tiefen Schlummer. ~~~>#*** Dunkelheit. Kein Sternenfunkeln. Stille. "...Masaya?" "Hmmmm...Hikaru, ich bin hier." Eine Schlaf-raue Stimme, ein Arm über seiner Brust, eine plötzliche Beschleunigung. Hikaru landete, so befördert, auf einem soliden, Wärme abstrahlenden Leib. "Wie fühlst du dich?" Masaya. Masayas Appartement. Deshalb kein Sternenfunkeln. Klar, kein Lichtwecker. "Tut mir leid, ich hab dich geweckt." Krächzte Hikaru, verlegen. Es musste ja mitten in der Nacht sein! Wie viel Zeit hatte er wohl verschlafen? "Das macht nichts." In Masayas Stimme klang ein Lachen mit. "Geht es dir besser?" Himmel, hatte Masaya ihn auch umgezogen?! Das war ja sein Pyjama! "Gut!" Versicherte er hastig. "Entschuldige die Umstände..." Selbstredend wurde die Situation noch einen Grad peinlicher: sein Magen knurrte. Lautstark. Krampfte sich zusammen. "Warte einen Augenblick, ich mach dir was zu essen." Jetzt lachte Masaya wirklich. "Halte bitte solange die Wölfe in Schach, ja?" Beschämt fasste Hikaru im Dunkeln nach seiner Hand, so mühelos beiseite gerollt. "Wirklich, das muss nicht sein, es geht schon." Das Licht der Deckenleuchte, per Zugband betätigt, flammte auf, ließ ihn blinzeln. "Doch, mein Herzblatt, das muss sein." Masaya hockte vor ihm, schnappte sein Kinn im festen Griff. "Wie lange ist es her, dass du was Anständiges zwischen den Zähnen hattest?" Jetzt wäre eine schnelle (und überzeugende!) Antwort angebracht! Hikaru fühlte sich außerstande, etwas zu entgegnen. "Siehst du?" Masaya küsste ihn zärtlich auf die Nasenspitze. "Das haben wir gleich." Geschmeidig erhob er sich, wechselte zum Pantry. Das Hikaru offerierte die Gelegenheit, sich auf den neuesten Stand zu bringen. Tatsächlich, er trug seinen eigenen Pyjama! Das bedeutete, dass Masaya ihn umgezogen haben musste, seinen Rollkoffer entleert. Der Wecker, der neben ihrem Lager (noch immer die Scherenschnitt-Ausklapp -Variante) artig Wache hielt, sprach von drei Uhr in der Nacht! "Es tut mir leid, die ganze Aufregung." Brachte er stockend über die Lippen. Masaya warf ihm einen Blick über die Schulter zu. "Ich sollte mich auch besser gleich entschuldigen." Er ließ die Mikrowelle zuschnappen und rotieren. "Weshalb?" Verwirrt wickelte Hikaru sich aus der Decke. Masaya bückte sich, entführte aus dem kleinen Kühlschrank eine Glasflasche mit Orangensaft, den er in ein Glas goss, mit Wasser verdünnte. "Ich habe gegen unsere Abmachung verstoßen." "Hast du?" Hikaru nahm das Glas entgegen, betrachtete Masayas Gesicht ratlos. "Hm, Hm." Nickte der, ging vor ihm auf die Knie, streichelte ihm über die Wange. "Weil ich dich nicht erreichen konnte, habe ich Yukio angerufen. Spätestens da müsste ihm gedämmert haben, dass wir uns sehr viel näher stehen als offiziell bekannt." Hikaru, der am Saft nippte (Masayas freie Hand lupfte ebenfalls auffordernd den Glasboden an), schluckte eilig. "Oh." Kommentierte er schließlich, aus dem Konzept gebracht. Sollte er jetzt nicht eigentlich nervös werden? Seine Magengrube schlug schon Kapriolen, aber eher von der Art, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, weil die Mikrowelle einen köstlichen Duft verbreitete. Eine besondere emotionale Beteiligung entlockte ihm die Enthüllung ihrer Beziehung gegenüber den Kollegen nicht. Vielleicht waren seine Sinne noch betäubt oder schon zu abgestumpft? Unterdessen war Masaya wieder zur Küchenzeile gewechselt, rührte im Mikrowellengeschirr, nickte zufrieden. "Es ist kein Reisbrei!" Beruhigte er neckend auf Hikarus fragenden Blick hin, servierte ihm, mit untergelegtem Küchenhandtuch, das späte Menü auf dem Schoß. Eine dicke Nudelsuppe. Gemüsestücke in der Sauce. Sesam, Soja, Rettich, Pilze, Sprossen. Hikarus Magen lärmte, nach seinem Empfinden, ohrenbetäubend. "Guten Appetit." Wünschte Masaya schmunzelnd, rückte einfach um ihn herum, umarmte ihn. "Danke." Wisperte Hikaru, schluckte eilig gegen überschüssigen Speichel an, lehnte sich gegen Masayas Front. Langsam löffelte er, bekam den Saft angereicht. "Entschuldige, du bist bestimmt müde." Murmelte er, den Kopf wendend. Masaya, dessen Hände sich immer wieder vor seinem Bauch verschränkten, lachte leise. "Kaum der Rede wert. Es freut mich, dass es dir schmeckt. Und dass du hier bist. Ich habe dich vermisst." "Tut mir leid." Antwortete Hikaru beschämt. Er wusste, dass Erklärungen fällig waren, geschuldet wurden. "Jetzt ist alles in Ordnung." Las Masaya seine Gedanken und nahm Rücksicht? Hikaru senkte den Löffel in die geleerte Schale. "Ich werde dir alles erzählen." Versprach er. "Ich wollte dir keine Sorgen bereiten, ehrlich!" "Ich weiß." Masaya vergrub die Nasenspitze in seiner Halsbeuge, atmete tief ein. "Lass uns das später angehen, ja?" Masaya küsste ihn zärtlich auf die Wange. Dagegen konnte man keine sinnvollen Einwände vorbringen. Es war ja noch Nacht, Masaya würde pünktlich und ausgeruht zur Arbeit erwartet werden. Der löste sich gerade von ihm, räumte das Geschirr ab, löschte nacheinander die Lichter, hüllte sich neben ihm in die eigene Bettdecke, den leichten Luftbewegungen nach. Hikaru rückte ein wenig näher, fand sich auf ihn gezogen. "Ich bin so froh, dass du bei mir bist." Raunte Masaya kaum hörbar. "Ich auch." Antwortete Hikaru rasch. Er lauschte auf Masayas Atemzüge, seine Herzschläge. Obwohl er es nicht für möglich hielt, schlief er doch bald wieder ein. ~~~>#*** Masaya studierte Hikaru einen Augenblick länger im Halbdunkel der konsequent zugezogenen Vorhänge. Ein blasses Gesicht mit viel Schattenwurf, von der profunden Erschöpfung kündend. Abgenommen hatte der auch, wirkte beinahe mager! Ihn überkam der fast übermächtige Wunsch, Hikaru in seine Arme zu ziehen, ihn zu wiegen und zu liebkosen. Ihm zu versichern, dass kein Grund bestand, sich zu sorgen, Ängste zu hegen, sich verzweifelt aufzureiben in einem letztlich aussichtslosen Kampf. Er musste tatsächlich die Zähne fest aufeinander beißen, mit knirschenden Kiefern zurückweichen, um nicht nachzugeben. Hikaru brauchte jetzt erst mal Schlaf. Wenn er aufwachte, das Frühstück, das er für ihn zubereitet hatte. Eine Dusche. Ruhe. Geborgenheit. Genug Luft zum Atmen. Zum Innehalten. Zum Mut Schöpfen, um ihm all das zu erzählen, was bisher nicht ausgesprochen worden war. ~~~>#*** Hikaru beäugte sich resigniert im Spiegel des kleinen Badezimmers. Zumindest die Frisur saß (was man von Masayas Vogelnestputz nun wirklich nicht behaupten konnte!). Sonst gefiel er sich kein bisschen. Die Rippen stachen unkleidsam hervor, die Augenringe nahmen olympische Ausmaße an, sein Teint war definitiv stumpf, die Augen noch gerötet von Zugluft und trockener Klimaanlage. Ganz sicher nicht das blühende Leben! Wenigstens sein Magen verhielt sich zivil. Er war erneut umfassend und lecker versorgt worden. Masaya. Der ihn bat, zur Mittagszeit doch zum Institut zu kommen, wenn er sich wohl genug fühlte. Mit ihm zu essen. Hikaru seufzte. Konnte er sich wirklich SO sehen lassen, ohne einen schlechten Eindruck auf das Kollegium zu machen? Es überraschte ihn, dass Masaya keinen Wegplan dagelassen hatte, obwohl der doch wissen musste, dass er grundsätzlich orientierungslos durch die Gegend irrte. Üblicherweise. Mit einem Ruck straffte Hikaru seine sehnige Gestalt. Etwas Makeup. Er würde sich in Schale werfen, den Teufel tun, Masaya vor seinem Kollegium zu blamieren! ~~~>#*** Masaya blickte sofort auf, als die Telefonanlage die Pforte meldete. Sie hatten mit der aktuellen Auswertungsreihe länger gebraucht. Just vor einigen Sekunden war der Computer so bestückt worden, dass er erst mal allein vor sich hin rechnen konnte. "Ja, bitte?" "Genau, mein Freund aus Tokio! Ich komme gleich und hole ihn ab!" Seine muntere Stimme erregte sofort die Aufmerksamkeit der anderen. "Ah, Essen fassen?" "Hast du Besuch?" Masaya strahlte, ohne sich selbst zurückzunehmen. "Ja. Wir treffen uns in der Kantine. Ich hol ihn rasch an der Pforte ab!" Schon eilte er beschwingt zu seinem Spind, um den Kittel abzuwerfen und spornstreichs Hikaru in Empfang zu nehmen. ~~~>#*** Hikaru lächelte artig-selbstbewusst, in vollem Ornat wie in einer Rüstung vor seinen Selbstzweifeln geschützt, ließ Be- und Verwunderung anmutig über sich ergehen. Man hatte ihn schon auf dem Weg bestaunt, den er mühelos und erhobenen Hauptes absolviert hatte. Seltsam, hier fiel ihm die Orientierung nicht schwer. Er erinnerte sich noch genau an den letzten Spaziergang mit Masaya. Nun, in fröhlich tafelnder und schwatzender Runde, war an ein vertrauliches Gespräch nicht zu denken. Das bekümmerte ihn nicht. So also agierte Masaya im Kreis seiner Kolleginnen und Kollegen! Besonders die Damen bedauerten, dass er schon vergeben sei, eine echte Schande! Wohingegen so ein attraktiver, außergewöhnlicher (auffälliger) Mann wie er noch nicht gebunden sei? Hikaru schmunzelte brav. "Das kann man so nicht sagen." Gab er endlich auf die unaufhörlichen Nachfragen zu. "Den Anlauf nehme ich gerade." Er bezweifelte, dass die adretten, jungen Frauen an ihrem Tisch sich wirklich mit einem Paradiesvogel wie ihm arrangieren konnten. Abgesehen von den übereinstimmenden und sich deshalb widersprechenden sexuellen Präferenzen. Masaya lächelte ihn an, legte ihm unter dem Tisch die Hand auf den Oberschenkel. "Was verschlägt Sie hierher?" Zweiter Spitzenreiter der zahlreichen Fragen, vor allem von der Assistenz. "Ärztlich verschriebene Erholung." Baute Hikaru Einladungen vor. "Und natürlich Masaya." Der nun einschritt, um die Fragerunde zu beenden. "So, genug gelöchert, sonst wird das mit der Erholung nichts. Komm, Hikaru, ich bringe dich gerade noch zur Pforte." Während sie die kurze Strecke absolvierten, streifte Masayas Hand immer wieder seine, wollte sie nehmen, hielt sich angestrengt zurück. "Tut mir leid, ich habe noch viel zu tun." Ein bedauernder Seitenblick streifte ihn. Hikaru lächelte, überrascht von der eigenen Entspannung. "Das weiß ich ja. Danke für die Einladung zum Mittagessen. Soll ich vielleicht etwas für heute Abend machen?" Masaya zeichnete an der Pforte ab, trat mit Hikaru in den Windfang, küsste ihn rasch, um nicht die Aufmerksamkeit des Pförtners allzu sehr auf sie zu konzentrieren, auf die Wange. "Lass uns das später gemeinsam ausknobeln. Was willst du jetzt unternehmen?" Seine besorgten Blicke bedeuteten Hikaru, dass er wohl fürchtete, ihn hier zu langweilen, wo es keine Zerstreuung wie in Tokio gab. "Ich spaziere ein bisschen herum, denke ich. Das Wetter ist ja ganz angenehm." Antwortete Hikaru deshalb aufmunternd. Weil gerade bei der Pforte ein Telefonat einging, die neugierige Beobachtung unterband, legte er eine Hand auf Masayas Wange, küsste ihn zärtlich auf den Mund. "Vielen Dank, Masaya. Jetzt geht es mir schon viel besser." Er wurde eng umschlungen. "Übernimm dich nicht, ja? Ich komme so schnell wie möglich zu dir!" Wisperte es rau an seinem Ohr. Ein ungewohntes Kribbeln breitete sich blitzartig in Hikarus Magengrube aus, invahierte seine Nervenstränge bis in die äußersten Spitzen. Oh. Oha. Er spürte die Röte in seinen Wangen, löste sich rasch, mit einem verlegenen Zwinkern. "Arbeite mal weiter mit deinen Mikroben-Dings und erforsche ihre Geheimnisse!" Masaya salutierte zackig, eine ungewohnt lässig-humorvolle Geste. Hikaru winkte, tappte zurück auf die Straße. Noch immer pochte sein Puls heftig. Wo kam das nun her?! Er kannte dieses Gefühl, auch wenn er es für Jahre verbannt, verschlossen und versiegelt hatte. Er hatte sich wirklich in Masaya verliebt! ~~~>#*** Masaya erwartete nicht, ungeschoren davonzukommen. NIEMAND, der Hikaru sah, würde sich mit den wenigen Aussagen, die beim Essen gefallen waren, begnügen! Er antwortete, wenn sich kein Verweis auf unmittelbare Analyseanforderungen anbringen ließ, gelassen auf den Fragen-Taifun. Ja, Hikaru arbeitete als Model und war in verschiedenen Magazinen zu bewundern. Die Kleider hatte er selbst gefertigt. Der Schmuckzopf im Nacken bestand aus aufgefädelten Perlen. Richtig, er war ungeheuer attraktiv. Nein, die Pause war definitiv angezeigt, weil er sich zu viel zugemutet hatte und Ferien benötigte. Sie hatten sich in Tokio kennengelernt, wo er als Amateur auch mal für Aufnahmen zur Verfügung gestanden hatte. Ja, sie konnten davon ausgehen, dass Hikaru sehr entschlossen sei, sich ernsthaft zu binden. Nun, vielleicht käme er wieder zum Mittagessen, das müsse man erst mal sehen. Tatsächlich hoffte Masaya, dass sich Hikaru zunächst schonte, nicht erneut unter Druck gesetzt fühlte. Außerdem war der unerwartet scheu, zurückhaltend in der Öffentlichkeit, wo nicht die Anonymität einer Großstadtmetropole verhinderte, dass man sich ständig wiedersah. Masaya leugnete vor sich selbst nicht, dass er mehr erfahren wollte. Hikarus Biographie vor seinem Engagement als Superstar lag noch immer vollständig im Dunkeln, sah man von den wenigen, bitteren Andeutungen ab, die seine erste Zeit in Tokio beschrieben. Masaya spürte, dass er mit bohrenden Fragen an einem wunden Punkt gerührt hätte, der Hikaru möglicherweise in die Flucht geschlagen hätte. Vielleicht sogar immer noch vertrieb. Die konsequente Verweigerung jeder Form von Vergangenheit, von einem Leben "davor" musste so immense Ursachen haben, dass man nicht unbedacht loslegte. Einerlei. Das konnte und musste warten! Hikaru war hier, gerade erst wieder halbwegs auf den Beinen. Wahrscheinlich hungrig! Was sollte es zum Abendessen geben? Mit dem Kollegium aufbrechend verstaute Masaya seinen Kittel im Spind, streifte sich einen dünnen Pullover über (ziemlich brav und vermutlich langweilig), konsultierte in Gewohnheit sein Mobiltelefon. Keine Nachrichten. Warum auch, jetzt konnten sie ja direkt kommunizieren! Als er jedoch die Pforte passiert hatte, eilte ihm Hikaru selbst entgegen, außer Atem, die taillierte Jacke unter einen Arm geklemmt. Masaya beschleunigte verblüfft. "Hikaru? Warst du gar nicht zu Hause?" Sich keuchend auf den Oberschenkeln abstützend, sodass Masaya rasch die Jacke abfischte, bevor sie auf dem schmalen Gehweg landete, hielt Hikaru vor ihm inne. Die adrette Schnalle der Weste auf dem Rücken hing lose, die Manschetten der Hemdbluse waren an den Handgelenken offen. "Ist was passiert?" Er ging in die Hocke, um in Hikarus Gesicht zu spähen, streichelte mit einer Hand über die glühende Wange. "...ich dachte... dachte...hätte dich...verpasst!" Schnaufte der wenig ältere Mann, schenkte ihm ein verlegenes Grinsen. "Ich bin gerade erst fertig geworden." Verkündete Masaya verblüfft das Offenkundige. "Wo bist du denn gewesen?" Er konnte nicht glauben, dass Hikaru sich hier verirrt hatte, seit der Mittagszeit orientierungslos marschiert war. "Ach..." Hikaru richtete sich auf. "DAS wirst du zwar nicht glauben, aber..." Masaya kam aus der Hocke, wickelte sich Hikarus Arm um den eigenen, apportierte die Jacke, lauschte amüsiert-erstaunt der verwickelten Odyssee des Nachmittags. Zuerst war da der alte Mann mit diesem Einkaufswagen. Eine Speiche hatte sich verbogen, blockierte nun, weshalb er kaum vom Fleck kam! Da hatte Hikaru dem Großväterchen angeboten, sich das mal anzusehen. Leider war die Speiche nicht zu retten. Mit einem Stück Bambus ließ sich zumindest das Rad wieder stabilisieren. Die Nachbarin war vorbeigekommen, wegen der Dachrinne, ob er da mal gucken könnte. Klar, mit einem Besen konnte man die wieder einhängen, die alte Frau mit ihren 1,40m hatte da keine Chance! Sie schenkte ihm Tee aus. Weil ihre Freundin zu Besuch kam, entschied man, doch mal zu schauen, ob er vielleicht die Falltür zum Dach aufbekäme. Das ging nicht, also er sei eben aufs Dach geklettert, habe einen verrosteten Fensterriegel aufgestemmt und gesehen, dass ein altes Regal auf die Falltür gestürzt sei. Entrümpeln, das müsste man wohl! Für die Kletterpartie wurde er eingeladen, bei einer weiteren Nachbarin doch Reisküchlein auszubacken und zu essen. Dabei hängte er auch eine aus den Schienen gesprungene Schiebewand wieder ein. Danach hätten sie noch Bonbons gezogen, kochend heiß, auf einer Steinplatte! Zum Beweis überreichte er Masaya, der aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam, eine kleine, mit einem Papiertaschentuch ausgekleidete Schachtel. "Sie mussten erst abkühlen, weißt du, also haben wir Wäsche gefaltet und ein Baseballspiel im Radio angehört." Hikaru errötete dezent, wandte hastig den Blick ab. Masaya blieb einfach stehen. Er löste seinen Arm, um Hikarus Taille zu umfassen, ihn an sich zu ziehen. So ungezwungen, so gelöst hatte er ihn noch nie erlebt. Keine Spur des Profi-Hengstes, des Porno-Superstars, des lässig-souveränen Cowboys. "Ma--?!" Er kürzte jeden Protest ab, küsste Hikaru verlangend. Ja, vermutlich würde sich diese Szene in Überschallgeschwindigkeit im gesamten Ort herumsprechen, auffällig genug waren sie schließlich beide. Ganz gleich. Wenn er Hikaru nicht auf der Stelle küsste, würde er schlicht platzen! Einfach, weil ihm das Herz überging. ~~~>#*** "Masaya!" Hikaru weigerte sich zu glauben, dass er gerade Zungenakrobatik auf offener Straße am helllichten Tag ausübte! Dieser verrückte Bursche ließ nicht locker! Gab ihm gerade genug nach, die Stirn an seine zu lehnen. "Ich liebe dich..." Wie oft hatte er diese Worte gehört, zärtlich, leise, rau, nachdrücklich, sehnsüchtig, leidenschaftlich?! "...ich weiß, aber trotzdem..." Er konnte den Tadel nicht vollenden. Masayas Miene, einst so stoisch, vibrierte förmlich vor mächtigen Gefühlen. Zuneigung, Begehren, Stolz, Verwunderung, Hingabe, Freude. Liebe. Ihm wurde die Brust eng, er konnte kaum atmen. Masaya lächelte wieder, beseelt, als brenne in seinem Inneren ein besonderes, einzigartiges Licht. Wortlos kaperte er einfach seine Hand, schlenderte mit ihm weiter. Keine Entschuldigung oder Rechtfertigung, kein lässiger Spruch. Hikaru warf benommene Seitenblicke auf seinen jüngeren Begleiter. Der wirkte schlichtweg glücklich. Strahlend. Trotz des Vogelnestputzes und eines entsetzlich faden Pullovers mit RAUTENMUSTER! Hikaru wollte sich auf diese Aspekte konzentrieren, um die Fassung zurückzugewinnen. Er brachte kein Wort über die Lippen. Nein. Unmöglich, diesen Frieden mit lächerlichen Spitzen zu zerstören! Immer noch etwas verlegen ob Masayas stolzen, aufrechten Gangs, ganz selbstverständlich mit ihm Händchen haltend, schritt er still an seiner Seite. ~~~>#*** Masaya hängte Hikarus Jacke auf einen Bügel, folgte ihm zur Küchenzeile, wo das Bonbonkistchen residierte. Er umschlang den vertrauten Leib von hinten, presste das Gesicht in den Nacken, atmete tief durch. "Uh..." Hörte er Hikaru murmeln. "Ich habe geschwitzt, vorhin, also..." Masaya leckte über das Schlüsselbein, schmeckte eine Ahnung von Salz. Nach einem prüfenden Kuss knabberte er vorsichtig an dem hervorstehenden Knochen. Keine Spuren hinterlassen, selbstverständlich, DIE Regel beherzigte er. Hikaru stöhnte in seinen Armen leise auf, versuchte, sich ihm zu entwinden. "Wirklich, Masaya, ich muss mich frischmachen!" Mahnte er. Gegen den Schraubstockgriff kam er nicht an. Zu seinen Gunsten schritt jedoch Masayas Gewissen ein. Was hatte er mit sich selbst vereinbart?! Dass er Hikaru nicht über Gebühr bedrängen würde, dass er ihm Erholung zugestand! Mit einem gequälten Seufzer löste er seine Arme, hauchte einen schmachtenden Kuss auf eine Wange. Sich herumdrehend beäugte Hikaru ihn nervös. "Ich bin so verrückt nach dir, dass ich mich hin und wieder vergesse." Bekannte Masaya leise, wusste, dass ihm das schiefe Grinsen vermutlich nicht gut zu Gesicht stand. Prompt röteten sich Hikarus Wangen. Wirklich, er musste noch blasser als beim letzten Mal sein. Sonst wäre der Kontrast wohl nicht so augenfällig! "Hast du großen Hunger?" Lenkte er brav die Gedanken auf zivilere Pfade. "Oder können wir noch ein wenig warten?" "Also, es geht." Hikaru mühte sich, in seiner Miene nach Hinweisen zu lesen. "Möchtest du ausgehen?" Masaya zwinkerte. "In gewisser Weise schon. Danach knabbern wir noch etwas Leichtes, einverstanden?" Hikaru nickte beinahe automatisch, betrachtete ihn besorgt. Einen Seufzer unterdrückend wich Masaya zurück. Nein, das hier war UNZWEIFELHAFT ein ganz anderer Hikaru! Der sich Gedanken darüber machte, ob er ihn mit Gesten verletzte, der so scheu agierte. Spontan schnappte er sich Hikarus Rechte, küsste dessen Handrücken. "Es wird dir Spaß machen, versprochen!" ~~~>#*** Es war nicht zu vergleichen mit den Onsen, die er auf seiner Filmtour besucht hatte. Nein, obwohl es sich zweifelsohne um eine Thermalquelle handelte, befand sie sich in einem Badehaus, gemauert, mit altmodisch angemalten Wänden, die den heiligen Berg Fuji darstellten. Plastikbänkchen, schon in die Jahre gekommen, gekürzte Gartenschläuche, gefliestes Bassin, Männlein und Weiblein durch Milchglaswände getrennt. Früher hatte es in beinahe jeder Straße so ein Badehaus gegeben, als man noch keine eingebauten Bäder in den Wohnungen und Häusern vorsah. Dieses antike Kleinod war zwischen zwei zweigeschossige Zweckbauten gequetscht, unscheinbar, in Nachbarschaftsverwaltung. Ein Verein kümmerte sich um Pflege und Erhalt. Nun teilte er sich mit Masaya und drei sehr alten Männern das stetig nachsickernde, heiße Wasser. Die drei Senioren kannten Masaya offenkundig, waren ungeniert direkt. Besuch? Aha! Tokio? Sieh an! Beruf? Oh, Model! Noch ledig? Nicht mehr lange! Erholung? Ah, ganz bestimmt, das war hier der beste Ort dafür! Außerdem schienen sich seine Pfadfindertaten des Nachmittags schon verbreitet zu haben, den wissenden Blicken nach zu urteilen. Bevor ihm schwindlig werden konnte, kletterte er mit Masaya aus dem Becken, ließ langsam kühleres Wasser über Arme und Beine laufen. Er schlüpfte in die Yukata und die Getas, die Masaya einfach so aus einem Wandschrank gezogen hatte. Er trug genau dieselbe Aufmachung. Partnerlook. Pärchenbekleidung. Nahm ihn wieder bei der Hand, obwohl sie nicht mal zwei Straßen zu absolvieren hatten! "Auf was hast du Appetit? Reis und ein wenig gedämpftes Gemüse?" Masaya lächelte ihn an, die Haare noch feucht, zu lang und wirr. "Müssen wir nicht dafür einkaufen?" Hikaru bemühte sich, in der Gegenwart zu bleiben. Was mochten wohl die Leute denken, wenn sie sie so sahen?! Scherte sich Masaya kein bisschen darum? "Nicht nötig, ich habe noch was aus der Gemüsekiste." Erklärte der ihm gerade munter. "Hab ich dir das eigentlich mal geschrieben? Ich bin auch Mitglied in einer Kooperative hier." Hikaru durchforstete hastig sein Gedächtnis. Masaya ließ ihn nicht in Verlegenheit schmoren. "Hier wird noch viel in kleinen Betrieben angebaut, weißt du? Für die Abnahme in Tokio reicht es nicht, da wäre auch der Transport zu aufwändig. Weil ich mich ja als einigermaßen tauglicher Hausmann bewähren wollte, dachte ich, das gäbe mir den richtigen Ansporn!" "Hausmann?" Masaya zwinkerte. "Mein Ehrgeiz, nicht nur ein guter Esser und promovierter Eierkopp zu sein, sondern eine echt gute Partie!" Hilflos versuchte sich Hikaru an einem skeptisch-spöttischen Blick, fürchtete sich jedoch, dies zu kommentieren. Die ehrlichen Antworten hätten ihn wohl in Verlegenheit gebracht. "Erinnerst du dich, dass ich von der Kollegin geschrieben hatte, die ihre Verlobung gelöst hat?" Hikaru nickte rasch. "Der Streit mit der Mutter, oder?" "Genau." Masaya wirkte nachdenklich. "Ich finde, dass sie recht hat. Warum soll eine Frau so perfekt kochen wie die Schwiegermutter, während der Mann bloß isst und sich nicht kümmert? Wenn man sich selbst Mühe geben muss, weiß man die Anstrengungen doch erst zu schätzen, oder? Deshalb arbeite ich mich eben nach und nach durch diese Video-Tutorials. Kochen für Dummies!" Er grinste frech, jungenhaft. Verschwörerisch. Ein bisher ungekanntes Mienenspiel. Hikaru entfuhr ein Seufzer, der ihn erröten ließ. Auch Masaya sandte ihm einen überraschten Blick zu. Eilig konzentrierte er sich auf seine nackten Zehen in den Getas. »Ich liebe ihn. Ich liebe ihn tatsächlich. Oje.« ~~~>#*** Kapitel 10- A star no more Masaya werkelte zwar geschickt an der Küchenzeile, während der Reiskocher ohne weitere Aufmerksamkeit seiner Aufgabe nachkam, doch widmete er sich auch Hikarus stiller, in sich gekehrter Haltung. Der hatte Teewasser aufgesetzt, ertränkte getrocknete Minzblätter, eine kleine Beigabe aus der Gemüsekiste. Hatte das heiße Bad vielleicht doch zu lange gewährt? Überforderte er ihn möglicherweise mit seiner Zuneigung? Schämte der sich der offensiven Gesten? Masaya verteilte den Reis in die Schalen, füllte das gedämpfte Gemüse in eine weitere, tropfte Sojasauce auf ein flaches Tellerchen. Am Kotatsu aßen sie schweigend, lauschten in die einsetzende, ruhige Dunkelheit. Dumpf klangen unverständliche Laute aus Fernsehgeräten, vernehmlicher waren Vögel und Insekten. Für die unvermeidlichen Grillen war es noch zu früh. "Was ist, hm? Geht es dir nicht gut?" Er streichelte Hikarus Wange, nachdem sie ihre leichte Mahlzeit beendet hatten. Der wich seinem Blick aus, presste die Lippen aufeinander. Masaya zwang sich förmlich, nichts zu forcieren, nicht auf Aufklärung zu bestehen. Er erhob sich, transportierte das benutzte Geschirr per Tablett zur Küchenzeile, spülte es in einer kleinen Plastikwanne. Hikaru trat unaufgefordert an seine Seite, trocknete ab, verstaute Schüsseln, Besteck und Teebecher. "Das war ein ganz schön aufregender Tag, hm?" Ihr Lager aufgeschlagen entschied Masaya, nichts zu überstürzen. Er spürte, dass seine Gefühle erwidert wurden. Das musste vorerst genügen, bis Hikaru votierte, die nächste Hürde in Angriff zu nehmen! Nacheinander putzten sie die Zähne, krochen unter die jeweilige Decke. Zu seiner Überraschung fasste Hikaru nach seiner Hand, hielt sie fest. "Bist du sehr müde, Masaya?" Er streichelte mit dem Daumen über den Handrücken, wandte den Kopf, auch wenn er kaum mehr als die Silhouette neben sich erahnen konnte. "Nein. Möchtest du dich noch ein wenig unterhalten?" Der Druck auf seine Hand wurde für einen Moment schmerzhaft stark. "...ich will dir...alles erzählen, aber...das ist nicht so einfach." Masaya rollte sich auf die Seite, überbrückte selbstherrlich die Distanz, schmiegte sich ungeniert an. "Zwing dich nicht. Ich kann warten." Er ahnte immerhin, was einen Teil der Schwierigkeiten ausmachte. Hikaru seufzte erstickt, nahm Anlauf, holte tief Atem. Masaya registrierte, wie er selbst sich anspannte, mitfieberte, weil Hikaru sich selbst ermutigte, zur Tapferkeit anhielt. Nein, es gab keinen vernünftigen Zweifel: er liebte Hikaru. Wie keinen anderen Menschen auf der Welt. ~~~>#*** Hikaru spürte trotz seiner Nervosität, wie Masaya neben ihm auf den Sprung wartete, den er wagen musste. Auf ihn vertraute. Tief durchatmen! "Es fing kurz vor dem Weißen Tag an." Wisperte er in die Dunkelheit. "Ich hatte es schon vorher geahnt. Dass es irgendwann passieren würde." Er ballte die Fäuste, entspannte sie wieder, konzentrierte den Blick auf die Zimmerdecke, die er nicht sehen konnte. "Miu hat Gao mitgebracht. In einem Club angesprochen. Der perfekte Surfertyp, braun gebrannt, athletisch, Salz-gebleichte Mähne, unkompliziert, freundlich, aufgeschlossen." Hikaru lächelte gequält. "Er ist nett. Nicht allzu helle, aber freundlich. Gutmütig. Verrückt nach Wellen, Surfen, Strand. Weil man nicht von Luft und Liebe leben kann, auf der Suche nach Jobs, um so oft wie möglich den Wellen hinterherjagen zu können." Er spürte Masayas warmen Atem wie eine Liebkosung. "Tja, Gao passt zu Miu. Zu Yukio. Er hat keine Probleme mit dem Sex, mit Kameras. Sieht gut aus, lässt sich anleiten. Suga war sofort verrückt nach ihm. Verständlicherweise." Hikaru atmete tief durch, gegen den Kloß in seiner Kehle an. Verflixt, was sollte das Selbstmitleid jetzt?! Nein, er würde sich nicht selbst beschämen und herumjammern! "Suga hat ihn also ins Rampenlicht gerückt. Endlich ein neuer Hengst! Ein richtiger!" Er würgte, schluckte entschlossen. "Nicht so ein abgehalfterter Feigling wie ich. Mein neues Image ist, laut Suga, so androgyn, dass alle erwarten, dass ich mich auch rannehmen lasse. Und zwar von einem heißen Typ wie Gao." Er tastete unversehens nach Masayas Hand, umklammerte sie. "Ich habe Suga gesagt, dass ich das nicht mache, dass mein Vertrag das ausschließt. 'Na ja', hat er mir geantwortet, 'wundre dich aber nicht darüber, dass du nicht mehr angefragt wirst. Glaub bloß nicht, du könntest als Darsteller was anderes machen! Du bist nicht Kyousuke Iwaki oder Youji Katou.' Das weiß ich ja selbst." Als hätte er wirklich geglaubt, als Pornodarsteller (dazu noch unverkennbar schwul) ins ganz normale Film- und Fernsehgeschäft jenseits der "adult videos" wechseln zu können! Hikaru schloss auch die andere Hand um Masayas, streichelte sie angespannt wie einen kostbaren Schatz, tröstete sich selbst damit. "Da wusste ich Bescheid. Wenn ich nicht nachgebe und Gao..." Er schluckte schwer. "Wenn ich mich nicht von ihm nehmen lasse, werden die Aufträge rapide abnehmen. Ich habe mein Image als Hengst eingebüßt. Der Anfang vom Ende ist gekommen." Ihm entfuhr ein erleichterter Seufzer. Die Gewissheit auszusprechen, endlich!, half. Ein wenig. "Also habe ich so viele Angebote angenommen, wie ich bekommen konnte, um das Meiste rauszuholen, bevor Schluss ist. Weil ich~weil ich DAS einfach nicht kann! Das geht nicht, ausgeschlossen!" Abrupt fand Hikaru sich an Masayas Brust gezogen, fest umschlungen. Er hasste sein eigenes Aufschluchzen. Was sollte diese hysterische Panik jetzt, verflixt?! Masaya wiegte ihn auf sich. Sicher kein Vergnügen, denn schwer lastete er bestimmt auf ihm! Ein Abrücken blieb unmöglich, so innig, wie er gehalten wurde. "Du musst das nicht tun, Hikaru! Das ist völlig in Ordnung! Quäl dich nicht damit, ja? Es ist okay!" Hikaru zwang sich, die Contenance zurückzugewinnen. "Weißt du, ich verstehe es ja." Er räusperte sich mühsam. "Es ist ja auch nicht Suga allein. 'Reverse switch' und 'Sandwich', das waren nämlich in den Foren die Top-Themen. Der aktuelle Trend." Vorsichtig schlängelte er sich an Masayas Seite, um ihn von seinem Gewicht zu entlasten, ohne den partiellen Ruheplatz auf dessen Brustkorb ganz zu verabschieden. "Irgendwie hat die Debatte ein Eigenleben entwickelt, ist ausgeufert. Die Agentur hat solche Optionen auch eine Weile nicht im Repertoire gehabt." "Und der Kunde ist König." Grollte Masaya unter ihm, streichelte ihm nachdrücklich über die hochgezogenen, verspannten Schultern. "Das hat unseren Erfolg ausgemacht." Murmelte Hikaru gedämpft. "Ich bin nun mal keine Sexpuppe." Er seufzte leise. "Es ist bloß so." Sammelte er sich angestrengt, stützte sich auf, obwohl in der Dunkelheit nichts von Masaya zu erkennen war. "Jetzt heißt es, ganz schnell eine neue Bleibe finden, Jobs, um mich über Wasser zu halten, irgendwie neu anzufangen." Hikaru lehnte die Stirn auf die gastfreundliche Brust. "Wenn ich mich zurückerinnere..." Er schauderte unwillkürlich. "Ich weiß nicht, ob ich noch mal so zähe bin." Obwohl ihm bewusst war, dass die Vogel Strauß-Methode (eine im Übrigen vollkommen unzutreffende Zuschreibung zu diesem Tier) keinen Erfolg zeitigen konnte. Er MUSSTE sich selbst am Schopfe aus dem Sumpf ziehen! Wenn er nicht noch mal obdachlos, hungrig, ausgebeutet, verzweifelt durch Tokio geistern wollte. Masaya kraulte ihm den Nacken, zwirbelte die langen Strähnen um die Finger. "Heißt das, der Vertrag mit der Agentur ist aufgelöst?" Vorsichtig mit der freien Hand über dessen Bauchpartie kreisend gab Hikaru leise zurück. "Nein, das noch nicht. Ohne Aufträge, ohne Nachfrage dauert es vermutlich nicht mehr lange. Es wird sich auch herumsprechen, dass ich nicht bereit bin, die Kundenwünsche zu erfüllen." Was gleichbedeutend damit war, einen Marktwert auf Höhe des Nullmeridians zu ergattern. Hikaru atmete tief durch. "Danke." Wisperte er. "Danke, dass du mir zugehört hast. Ist eine ziemlich erbärmliche Angelegenheit." Er schnaubte gequält. Als Vorbild jedenfalls konnte er nicht mehr durchgehen, soviel stand fest! "Was willst du jetzt tun?" Masayas Stimme blieb ruhig, besonnen, gleichförmig, vermittelte ihm Sicherheit. "Wenn ich das so genau wüsste!" Stieß Hikaru hervor, rang mit sich selbst. "In einem Lebenslauf machen sich die letzten Jahre nicht unbedingt gut. Ich weiß auch, dass ich kein normaler Schauspieler bin, das hätte Suga nicht betonen müssen. Da ich nichts gelernt habe, werde ich mir wohl Aushilfsjobs suchen müssen." Alles, was ihm half, eine Bleibe zu finanzieren. Ohne feste Adresse konnte er auf keinen Fall mit einem richtigen Arbeitsvertrag rechnen! "Was würdest du gern machen, wenn dir alle Chancen offenstehen?" Geduldig massierte Masaya ihm den verhärteten Nacken, rubbelte die Wirbelsäule so weit hinunter, wie es die Arme und ihre Kuschelposition zuließen. "Ich denke, dass ich auf einen Bürojob wenig Aussichten habe." Schränkte Hikaru die Möglichkeiten ein. "Bleiben mir vermutlich Service-Arbeiten, Regale auffüllen, Kellnern, an der Kasse sitzen. Kurierdienste können wir aber ausschließen." Ergänzte er mit einem Anflug von Galgenhumor. "Und wenn es kein Aushilfsjob ist?" Hikaru rutschte ein wenig höher, schmiegte sich in Masayas Armbeuge, streichelte ihm scheu in der Dunkelheit über die Wange, durch den wilden Schopf. Er strengte ein tapferes Lächeln an, auch wenn es nicht sichtbar wurde. "Leider tauge ich nicht zu allzu viel." Ein Satz, den der Cowboy-Porno-Superstar-Hengst NIEMALS ausgesprochen hätte! Doch das war vorbei, die Rolle ausgespielt. Nun blieben nur die traurigen Reste der kümmerlichen Realität. ~~~>#*** Masaya drehte sich auf die Seite, rutschte näher heran. Woher rührte plötzlich diese kleinmütige Selbsteinschätzung? Wieso glaubte Hikaru daran?! Von dem selbstbewusst-aggressiv-arroganten Star war nichts mehr übrig. Zugegeben, ihm gefiel dieser nahbare, scheue, ungezwungenere, verletzliche Hikaru besser. Trotzdem. Hikaru schien den totalen Absturz zu befürchten. Was war bei seiner Ankunft in Tokio vorgefallen? Masaya schob sich so nahe an ihn heran, dass er ihn halbseitig umarmen, ihre Körper gegeneinander abstützen konnte. "Ich möchte, dass du über etwas nachdenkst, Hikaru. Nämlich, ob du zu mir hierher ziehen und mit mir leben willst." Einen Augenblick lang erwog er, die vielen Vorteile aufzuzählen, Hikaru mit Worten zu überschütten, bis keine vernünftige Gegenrede mehr möglich schien. Er nahm von dieser Taktik Abstand. Hikaru kannte die Vorteile. Es war keine Frage der Ratio. Nein. Was er sich erbat, war eine Entscheidung des Herzens. Argumente halfen da nur bedingt. "Denkst du denn, wir könnten das?" Murmelte Hikaru an seinen Lippen. "Immerhin wohnen wir beide schon eine ganze Zeitlang allein." Ein berechtigter Einwand. "Ich habe keine Zweifel." Antwortete Masaya. "Wenn es Unstimmigkeiten gibt, können wir darüber reden. Bis jetzt haben wir immer einen Weg gefunden." Er dippte einen zarten Kuss auf die so verlockend nahen Lippen, spürte den warmen Atem prickeln auf seiner Haut. "Lass dir Zeit, ja? Es besteht kein Grund zur Eile." Wiederholte er rau, löffelte nun veritabel. Für ihn galt selbst auch Einiges zu bedenken, nämlich, wie er Hikarus Vergangenheit ohne erhebliche Verletzungen in Erfahrung bringen konnte. ~~~>#*** Hikaru erwachte, als Masaya sich förmlich auf Katzenpfoten ins Badezimmer zu schleichen versuchte. Er nutzte die Gelegenheit, schon mal die Bettdecken über die beiden Stangen auf der Außengalerie zu drapieren, rollte die Matratzen zusammen, verstaute die scherenförmige Unterlage. Fürs Frühstück kam der Kotatsu (unbeheizt) zum Einsatz, zwei Sitzkissen, dazu verschaffte er schon dem Reiskocher eine Aufgabe. Zuerst hatte er Masaya für unerträglich arrogant, blasiert und selbstgefällig gehalten, dazu schroff und auf Tokioter Art ungehobelt. Jetzt kümmerte derselbe Masaya sich rührend um ihn, nahm ständig Rücksicht, verwöhnte ihn, lächelte ihn an, munterte ihn auf. Umgekehrt musste es wohl ähnlich verlaufen sein, mutmaßte Hikaru selbstkritisch. Er konnte nicht leugnen, sich die größte Mühe gegeben zu haben, Masaya ständig vors Schienbein zu treten, ihn auflaufen zu lassen. In Anbetracht der gegenwärtigen Lage ausgesprochen beschämend. Hikaru verteilte Stäbchen, beäugte die Reste vom Vortag, ob sie sich wohl in einer Miso-Brühe in der Mikrowelle aufwärmen ließen. "Du bist wach?! Hab ich dich geweckt?" Masaya eilte zu ihm, zog ihn in die Arme, studierte ihn im Morgenlicht eingehend. "Ja, guten Morgen, übrigens." Murmelte Hikaru. "Ich muss mich aber dringend waschen und zurechtmachen..." Er konnte in den attraktiven Zügen des jüngeren Mannes Sorge erkennen. "Wenn wir tauschen, können wir zusammen frühstücken." Lenkte er deshalb eilig ab. So zerrupft und vermutlich ungebügelt fühlte Hikaru sich unbehaglich, gar nicht präsentabel! Sein Vorschlag entlockte Masaya ein leichtes Lächeln, akkompagniert von einem Kuss auf die Nasenspitze. "Fein. Magst du vielleicht ein Omelette dazu? Ich habe auch noch eingelegten Tofu." "Klingt sehr lecker!" Komplimentierte Hikaru, entschlüpfte der Umarmung. "Ich beeile mich!" Im Badezimmer hockte er sich für einen Augenblick auf die Abdeckung der Sitzbadewanne, zwang sich zu tiefen Atemzügen. Verflixt noch eins! Was raste ihm jetzt so die Pumpe?! Nur, weil er sich für einen verräterischen Augenblick wie in einer richtigen Familie, in einem perfekten Leben gefühlt hatte?! Ärgerlich klatschte er sich selbst kräftig auf die Wangen. Er hatte sich entschieden, dass ein neues Kapitel aufgeschlagen werden musste! Ein Plan war nötig, eine Strategie! Der unbedingte Wille, sich erneut einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen! Das Unerhörte zu wagen: stolz neben Masaya stehen zu können. ~~~>#*** Masaya wünschte, es gäbe weniger Unterbrechungen bei seiner Untersuchungsreihe. Seine Gedanken würden nicht sofort zu Hikaru abschweifen. Er sorgte sich, weil er sich nicht ganz sicher sein konnte, wie Hikaru reagierte. Zwar hatte er ihm ungehindert einen recht ausführlichen Abschiedskuss abluchsen können (eine Tradition, die UNBEDINGT eingeführt werden sollte!), das entband ihn keineswegs von Zweifeln. Noch wirkte der etwas ältere Mann orientierungslos, verletzt, eingeschüchtert. Angesichts der beeindruckend radikalen Vorgehensweise, was seinen Imagewandel betraf, musste Masaya sich eingestehen, dass Hikaru nicht in diesem Zustand verharren würde, sondern fähig war, sich gänzlich zu verwandeln. Die alte Rolle wie einen gebrauchten Kokon abzustreifen, als Schmetterling zu entfleuchen. Ein Gedanke, der ihn erschütterte. Er WOLLTE nicht, dass Hikaru aus seinem Leben verschwand! Nicht langsam zu einer diffusen Erinnerung wurde, wie andere Personen zuvor, Schulkameraden, Mitstudenten, Nachbarn. Wie aber sollte er sie effektiv aneinander binden? Glaubte Hikaru an den roten Schicksalsfaden? Er selbst tat es nicht, als Wissenschaftler war so etwas schlicht undenkbar. Dennoch. Dennoch musste er etwas finden, dass Hikaru an ihn fesselte, so faszinierte und ver-band (im wahrsten Sinne des Wortes), dass der Wunsch, zusammen zu bleiben, bei ihnen beiden stark und übermächtig herrschte. Masaya ignorierte die neckenden Kommentare zu Hikarus Heldentaten, die sich selbst hier herumgesprochen hatten. Er wusste auch nicht zu sagen, ob man wieder gemeinsam in der Kantine speisen konnte. Für den alten Hikaru, den Cowboy-Superstar-Hengst, hätte er eine zutreffende Prognose abgeben können, weil dessen Verhalten einer Rolle entsprach, in Parametern oszillierte, die sich abschätzen ließen. Dieser Hikaru hier konnte die Leitplanken ganz neu einrichten. Möglicherweise nicht ganz neu. Aus den Worten der Nacht hatte Masaya geschlossen, dass Hikarus Vergangenheit gewisse Strategien präferierte. Unseliger Weise fehlte ihm diese Kenntnis bis auf düstere Andeutungen. Was tun? Sollte er seine Ängste aussprechen? Oder würde der damit einhergehende Druck Hikaru eher verschrecken? Ihm noch mehr Verantwortung aufladen? Masaya seufzte stumm. Bisher hatte er seine Mitmenschen als recht banal und wenig interessant eingestuft. Nun taten sich Komplikationen auf, die nicht mal ein ausgeklügelter Logarithmus ausknobeln konnte! Er konnte nur hoffen, dass Hikaru ihm seine Entscheidungen mitteilte. ~~~>#*** Hikaru ließ sich neben dem Schrein in dem kleinen Ziergarten auf einer schlichten Holzbank nieder, zückte sein Notizbuch aus der Umhängetasche. Der Spaziergang, die laue Luft, das Grün, die erstaunliche Ruhe, dazu noch ein nahrhaftes Frühstück: er fühlte sich bestens präpariert, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Erstaunlich, wie erleichtert man sich vorkam, wenn man schlicht mal ausgesprochen hatte, was einem auf der Seele lag! Noch besser selbstredend, wenn jemand wohlwollend und mitfühlend zuhörte, man bekuschelt und getröstet wurde, sich regenerieren konnte. Hikaru blätterte müßig durch die bereits gefüllten Seiten. Skizzen, Szenarien, Kostüme, Accessoires. Details seiner nunmehr in Kürze vergangenen Profession. Vorbei. Allerdings, das konnte er vor sich selbst nicht leugnen, im Hinterkopf war ihm die zeitliche Beschränkung seiner Tätigkeit durchaus bewusst gewesen. Wenige hielten sich lange. Von denen noch sehr viel weniger ohne allerlei "Doping", um allzeit ihren "Mann" stehen zu können. Bis dato musste er nicht auf solche gefährlichen Hilfsmittel zurückgreifen. Man konnte auch nicht ignorieren, dass diese Virilität ein Geschenk mit Verfallsdatum darstellte. Entschlossen blätterte er eine jungfräuliche Seite auf. Truppen sammeln und auffahren! Sprich, was stand zu seinem Gebot? Kassensturz. Ersparnisse versus offene Verpflichtungen. Hm. Habseligkeiten versus Mobilität. Tja. Kontakte und Fähigkeiten versus neue Erwerbsquellen und Beschäftigung. Puh! Hikaru grübelte, krakelte Zeichen, strich sie aus, studierte die Balance. Er konnte seine Habenseite durch verschiedene Aktionen aufwerten, sich ein gewisses Polster verschaffen. Nichtsdestotrotz blieb die Frage nach der Zukunft. Welche Richtung sollte er einschlagen? Mit welchen Pfunden konnte er wuchern? Zweifelsohne würde ihm sein Ruhm als Pornodarsteller nicht dienlich sein, wenn es um zivile Beschäftigungen ging. Der Unterhaltungssektor genoss ohnehin einen gewissen randständigen Ruf in der bürgerlichen Gesellschaft. Die wenigsten konnten sich exzentrisches Gebaren leisten. Dazu musste man vermögend und einflussreich sein. Erfahrungen als Model. Nun, ganz nett, aber gutes Aussehen und ansprechende Manieren hatten viele junge Männer. Die Konkurrenz wurde dementsprechend nicht geringer. Tätigkeiten als Host oder im Gastrogewerbe schlossen sich nahezu aus, wenn sie über bloßes Servieren/Kellnern hinausgingen. Abgesehen von der erheblichen Unlust, sich die Leber zu ruinieren, war Hikaru mit seiner geringen Alkoholtoleranz mehr als vertraut. Das Rauchen hatte er auch (gezwungenermaßen) aufgegeben, was es unangenehm gestaltete, wenn man sich dann als Nicht-mehr-Raucher wieder dem Qualm aussetzen musste. In einem Supermarkt arbeiten, darin hatte er Übung gehabt. Bis auf die häufig EXTREM unkleidsamen Uniformen konnte er nichts gegen diese Tätigkeiten einwenden. Bloß durfte man auch hier die Konkurrenz nicht unterschätzen. Außerdem fiel der Stundenlohn stetig, die Stunden stiegen, von den unbezahlten Überstunden ganz zu schweigen. Hikaru wischte sich durch die Ponysträhnen, schlug die Stirn in Falten. Wenn er nun Kurse absolvierte? Zertifikate erwarb? Konnte er sich das leisten? Welche Tätigkeiten wären vielversprechend? Mit einem Oberschulabschluss konnte er nicht punkten. Kein Studium vorhanden. Im Prinzip war er ungelernt und dafür recht alt. "Was würde ich gern machen?" Murmelte er vor sich hin. Früher hatte sich diese Frage nicht mal gestellt. Das stimmte nicht ganz, die Lehrer hatten sie an ihn gerichtet, wie es die Schule vorsah. Er hatte keine Antwort geben können, zumindest keine, die er irgendwem anvertrauen konnte. Jemand rieb sich an seinem Hosenbein. Verblüfft blickte Hikaru herunter, registrierte die sehr gemütlich gepolsterte Katze. Imposante Schnurrhaare zuckten freundlich. "Hallo." Optionierte er vorsichtig. Es war Jahre her, dass er einem Tier so nahe gekommen war. Vor allem in Tokio hatten nur die Raben ein freies Leben. Der Katzenmotor grollte wie ein V8-Zylinder, erstaunlich laut. Die Katze streckte sich schlicht über seinen Füßen aus, schloss die Augen, was verhinderte, dass er sich einfach erheben und losmarschieren konnte. Offenbar gefiel ihr der sonnige Fleck, in dem sie lag und Hikarus halbhohe Stiefel aus Kunstleder. "Tja." Konstatierte er, lächelte. Ein kleines Nickerchen an einem ruhigen Plätzchen, angenehm temperiert: man musste keine großen Ansprüche stellen, um glücklich zu sein. Hikaru blätterte in seinem Notizbuch um. Was war ihm wichtig? Was würde ihn glücklich machen? Langsam setzte er die Zeichen untereinander. Er studierte sie versonnen eine Weile, schlug die trennende Seite vor und zurück. Hier seine Ziele, da seine Situation. Vor-zurück, vor-zurück. Hmmm. Entschlossen wählte er die nächste freie Seite, nummerierte eine Liste. Er KONNTE etwas tun, Einiges sogar. Und dann... dann würde er sich überlegen, wer er sein wollte. ~~~>#*** Masaya starrte auf sein Mobiltelefon. Die Mittagspause war vorbei, Hikaru nicht erschienen. Dafür fand er, bevor er sich widerstrebend seiner Tätigkeit zuwenden musste, eine Nachricht. [Entschuldige, eine Katze hat mich aufgehalten! Brauchst Du den Rautenpullover noch, der Dir absolut nicht steht?] Er runzelte die Stirn. Katze? Was für eine Katze?! [Du kannst den Pullover gerne haben. Holst du mich nachher ab?] Der Pullover, der so unzweifelhaft Hikarus Abscheu erweckt hatte, war ein kostspieliges Geschenk seiner Mutter gewesen. Kaschmir, von einem exklusiven Label. Allerdings bedeutete er ihm wenig, hatte sich bloß angeboten, weil er eben in Griffweite gewesen war, um der morgendlichen Kühle etwas entgegenzusetzen. Was mochte Hikaru wohl vorhaben? "Kamisaka? Kommst du?" Masaya deaktivierte sein Mobiltelefon, antwortete über die Schulter. "Entschuldigung, ich komme sofort!" Positiv gesehen hätte Hikaru ihm später bestimmt etwas zu erzählen, nicht wahr? Das verband sie auch miteinander! ~~~>#*** Hikaru war der trügerischen Hoffnung auf den Leim gegangen, sich unauffällig an das Institut anpirschen zu können, um dort auf Masaya zu warten. Ob der verstimmt war, weil sie nicht gemeinsam zu Mittag gegessen hatten? Darüber jedoch konnte er sich kaum den Kopf zerbrechen. Nicht einen Augenblick später, als er sich im Schatten des Windfangs positionierte, bereit, das Notizbuch zu konsultieren, fand er sich gestellt und umringt. Etwas ungewohnt, da die meisten jungen Frauen in Tokio rasch erkannten, dass hier nur platonische Gefühle entstehen konnten. Zugegeben, seltene Exemplare kümmerte das nicht im Geringsten, weil sie einen feschen Begleiter favorisierten und physische Zugeständnisse für überbewertet hielten. Recht zuverlässig ersparte Hikaru sich unmissverständliche Andeutungen über zukünftige, gemeinsame Pfade. Hier kicherten die Assistentinnen, wirbelten einen Tusch nach dem anderen mit den verlängerten, verdichteten Wimpern, fragten ihm Löcher in den Bauch zur weiblichen Konkurrenz in Tokio- Dabei hätte eine Ausflugsfahrt durchaus genügt! Wohl oder übel antwortete er, was dazu führte, dass man schließlich angeregt die neuesten Trends diskutierte. Da fehlte noch die etwas korpulente Mittfünfzigerin aus der Verwaltung, die überlegte, welches Brautkleid wohl der Tochter am Besten stand... ~~~>#*** Masaya unterdrückte einen ungewohnt heftigen Anflug von Eifersucht, als er die weibliche Traube um SEINEN Hikaru erblickte. Wieso umklammerten die seine Arme?! Was gab es denn da so zu lachen?! Warum wirkte Hikaru nicht mal andeutungsweise verärgert, genervt oder gelangweilt?! Masaya empfand sich selbst ob dieses Impulses als lächerlichen Gimpel. Es würde rein gar nichts passieren, das wusste er doch selbst! Trotzdem. Trotzdem grollte er hier kindisch, dass Hikaru nicht all seine Zeit, Aufmerksamkeit und Gegenwart IHM widmete. "Wie war das noch mit einer temporären Schizophrenie?" Wies er sich selbst kaum hörbar zurecht. Liebe WAR besorgniserregend und grenzwertig! "Masaya! Entschuldige für heute Mittag!" Hikaru hob die Arme leicht, um seinen An-hängerinnen zu bedeuten, dass sie ihn jetzt loszulassen hätten. Mit sengendem Blick die Damenriege bepflasternd lächelte Masaya mit gebleckten Zähnen, was möglicherweise Piranhas beeindruckt hätte ob der indizierten Grimmigkeit. "Verzeihung, die Damen, wir sind spät dran. Schönen Feierabend!" Damit fischte er Hikaru einfach ab, streifte klammernde, anhängliche Hände wie dürres Laub herunter, beschleunigte ihre Schritte. Er ignorierte auch die schrillen Proteste, die ihren rasanten Abgang begleiteten, souverän. "Masaya?" "Masaya, du kannst jetzt loslassen, ja?" Stur im flotten Tempo marschierte Masaya forsch weiter. "Ich will nicht!" Kam er einer erneuten Aufforderung zuvor. Es klang genauso trotzig und bockig wie ein eingeschnappter Vorschüler es formuliert hätte. Hikaru schwieg, unternahm allerdings auch keine Ausbruchsversuche. "Hast du Hunger? Was soll ich machen?" Befleißigte sich Masaya der Konversation. "Ich habe gedämpfte Klöße geschenkt bekommen." Murmelte Hikaru in seinem Schlepptau. "Aha." Dummkopf. Dummkopf. Dummkopf. Das schien jedes Auftreffen seiner glatten Ledersohlen auf dem Asphaltband zu protestieren. Er wusste, dass er es noch schlimmer machte, indem er verstockt schweigend Hikaru hinter sich her zerrte. Jede Erklärung, jede Entschuldigung, jedes Entgegenkommen brüsk ablehnte. Exakt bis hinter die Türschwelle. Noch im Eingang wirbelte er Hikaru herum, presste ihn gegen die eingerastete Tür, küsste ihn aggressiv, schlang beide Arme um ihn, um jedes Ausweichen zu unterbinden. Er hätte sich mindestens eine Backpfeife verdient. Oder gleich einen Kinnhaken. "ICH will dich! Bleib bei MIR! Verbring deine Zeit mit MIR!" Stieß er stattdessen außer Atem hervor. Er stierte in die überrascht aufgerissenen Augen, schluckte hart angesichts der von seinem Speichel einladend benetzten Lippen. Na toll. Minimale Andeutung von Entzug und maximaler Ausdruck von infantiler, triebgesteuerter Blödheit! ~~~>#*** Hikaru blinzelte überrumpelt in Masayas aufgebrachtes Gesicht. War der etwa eifersüchtig?! Unmöglich! Er wusste doch, dass Frauen für ihn nicht... oha. Sieh mal einer an! Hikaru klappte den herabgesackten Unterkiefer hoch, straffte seine sehnige Gestalt energisch. "Was ist mit dir los? Machst du mir jetzt eine Szene, weil wir über Modetrends in Tokio diskutiert haben, während du noch arbeiten musstest?" Er konnte sehen, wie Masaya ein spontanes, ehrliches und unbestritten unreifes "JA!" mühsam unterdrückte. "Also wirklich!" Tadelte er verstimmt. "Das ist nicht gerade souverän, weißt du?! Woher kommt diese plötzliche Panik?" Die er nicht zu tolerieren gedachte. Besitzergreifendes, übergriffiges, dominierendes Verhalten sagte ihm KEIN bisschen zu! Masaya wäre nicht Masaya gewesen, wenn er nicht zur Attacke geschritten wäre. Unvermittelt wurde Hikaru noch stärker umklammert, erstickend eng an den athletischen Mann gepresst. "Ich kann es nicht aushalten, wenn du nicht da bist, Hikaru! Wenn du einfach verschwindest..." Ihn erschreckte der gequälte Tonfall, das indizierte Unglück. "Das tue ich doch gar nicht!" Antwortete er heftig. "Ich bin hier, bei dir! Hast DU mir nicht angeboten, zu dir zu ziehen?!" Dachte Masaya etwa, diese Offerte sei Anlass, ihn in die Flucht zu treiben? "Was soll das, Masaya? Wo ist dein oft unerträgliches Selbstbewusstsein?!" Drängte er, halb neckend, halb besorgt. Die Umklammerung verstärkte sich für einen Moment bis an Schmerzgrenzen. "Ich weiß mir keinen Weg, dich auf ewig untrennbar an mich zu binden." Hörte er an seinem Schlüsselbein. Es klang selbstironisch und zugleich aufgewühlt. Hikaru keuchte perplex. Du liebe Güte! "Aber...ich BIN doch hier! Warum glaubst du, dass ich verschwinden könnte?" Für eine Weile antwortete Masaya ihm nicht, hielt ihn dennoch fest umschlungen. Das löste bei Hikaru ein Gefühl des Unbehagens aus. Wieso sah Masaya sich veranlasst zu befürchten, er würde sich in Luft auflösen? War etwas vorgefallen? Übte jemand Druck aus? "Du hast dich vor mehr als vier Jahren ganz neu erfunden. Das könnte jetzt wieder passieren." ~~~>#*** Zugegeben, es zeugte nicht gerade von einer vorausschauenden Taktik, so unverblümt alles preiszugeben, sich derart zu entblößen, vollkommen auszuliefern. Andererseits hielt Masaya es auch für lächerlich, weiter eine Scharade der selbstgewissen Überheblichkeit aufzuführen, wenn ihn doch in jedem freien Augenblick der Zweifel plagte. "In Tokio hattest du keine Freunde. Du hast niemanden in deine Wohnung gelassen. Niemand kannte dein Privatleben." Führte er deshalb leise aus. "Hier ist plötzlich alles anders. Du kennst schon die gesamte Nachbarschaft, alle plaudern mit dir, beziehen dich ein. Du weist niemanden ab..." Ein ausgesprochen kräftiger Kniff in seine aparte Kehrseite unterbrach seine Beweisführung. "Du bist, für einen Schlaumeier, ein ziemlicher Esel, lass dir das gesagt sein!" Schimpfte Hikaru, zwang ihm Blickkontakt auf. "Ich bemühe mich, weil DU hier lebst, du Depp! Es ist auch mal schön, normal behandelt zu werden, nicht wie ein Aussätziger. Das hält selten an, also genießt man eben diesen Luxus." Masaya richtete sich auf, studierte Hikarus verärgerte Miene. "Warum sollten sie dich anders behandeln?" Formulierte er bedächtig, nahm die Fährte auf wie ein Bluthund. Hikaru schnaubte. "Es mag dir entgangen sein, aber ich bin schwul, habe ziemliche viele Pornos gedreht. Das weicht weit von der Norm ab. Was viele Leute gar nicht goutieren!" Giftete er herausfordernd. Selbstredend waren jetzt rationale, unwiderlegbare Argumente und Fakten aufzuzählen, um zu illustrieren, dass eine feindselige Einstellung jeder Rechtfertigung entbehrte. Masaya verfolgte eine andere Spur. "Ist das passiert? Dass man dich ausgegrenzt hat?" Er erinnerte sich genau an Hikarus aufschlussreichen Ausbruch, EIN MAL morgens aufzuwachen und er selbst sein zu dürfen. Der wandte ihm das Profil zu. "Schnee von vorgestern. Jedenfalls bin ich hier, ich verschwinde nicht einfach, in Ordnung? Wenn du mich nicht verärgern willst, verkneif dir solche Eifersüchteleien." Schon hatte Hikaru ihn ausgesperrt, radikal gemauert, was seine Vergangenheit betraf. "Darf ich es wenigstens höchst unfair finden, wenn sie an deinen Armen hängen dürfen und ich nicht?!" Verlagerte Masaya den Schauplatz des verbalen Scharmützels ein wenig. "Hör mal, DU hast mich an der Hand bis hierher gezerrt! Also wirklich, das ist ja wohl noch intimer!" Konterte Hikaru mit blitzenden Augen. "Ich bin ja auch dein fester Freund, also darf ich das!" Zeterte Masaya betont trotzig. Zu seiner Verblüffung wirkte diese kindische Attitüde auf Hikaru entwaffnend. Der seufzte nämlich, rollte mit den Augen. "Genau deshalb musst du dir keine Gedanken machen, ja? Ich bin hier, ich bleibe hier. Setzen wir einfach einen Fuß vor den anderen, in Ordnung?" In den Worten schwang mit, dass zumindest einer von ihnen beiden mal eine ernsthafte Beziehung geführt hatte, deshalb nicht Gefahr lief, in Überschallgeschwindigkeit das Pärchen-Paradies erreichen zu wollen. Masaya lehnte die Stirn an Hikarus Pony an. "In der Theorie ist alles so einfach!" Grummelte er ironisch. "Die Praxis stellt mich auf eine harte Belastungsprobe." "Wie meinst du das?" Hikaru klang weniger aufgebracht als zuvor. Ein schiefes Grinsen nicht ganz verbergend erläuterte Masaya seine Offenbarung. "Recht simpel: in der Theorie führen zahlreiche Übereinstimmungen zu gemeinsamen Schnittmengen und der zwangsläufig vorteilhaften Kombination zweier Einheiten. In der Praxis stolpere ich fortwährend über Störfeuer, unbekannte Komponenten, befremdende Phänomene von infantilem Verhalten und für mich eigentlich unbedeutende Betrachtungswinkel Dritter. Damit hatte ich nicht gerechnet." Er spürte, wie Hikaru sich seine Erläuterung zu übersetzen versuchte. "Keine Laborbedingungen, verstehst du?" Half er aus. Hikaru seufzte geplagt. "Natürlich nicht! Sag mir jetzt nicht, dass es das erste Mal ist, dass du dich ernsthaft anstrengen musst! Wahrscheinlich hast du bloß Hunger, deshalb so eine Mordslaune!" Diese Schlussfolgerung reizte Masaya zu einem Auflachen. Also wirklich! Als ob ein simples Hungergefühl...! Er richtete sich auf, konzentrierte sich auf Hikarus nachsichtig-forschenden Blick. "Du hast vollkommen recht!" Konstatierte er rau. "Ich HABE Hunger!" Bevor Hikaru jedoch triumphierend grinsen konnte, stieß er wie ein Raubvogel vor, um ihn erneut leidenschaftlich in den Clinch zu nehmen. ~~~>#*** Kapitel 11- Der Fünfjährige im Manne Es hatte Hikaru zwar verwundert, dass er sich schon zwei Tage bei Masaya aufhielt, ohne dass es zu nennenswerten erotischen Eskapaden gekommen war. Dahinter vermutete er die zartfühlende Rücksicht auf seinen noch desolaten körperlichen und seelischen Zustand. Man konnte festhalten, dass die Schonzeit definitiv vorbei war: Masaya bedrängte, berannte ihn förmlich mit zielgerichteten Liebkosungen. Eine ungewohnte Situation, vor allem privat, außerdem nach fast drei Monaten ohne gemeinsame Zeit. Andererseits schmeichelte ihm Masayas lustvolle Aufwartung durchaus, das konnte man nicht leugnen. Dass Masaya ihn zu einem vereinten Tusch noch an der Türschwelle veranlasste, musste jedoch getadelt werden, ganz gleich, wie sehr ihm das Hochgefühl zusagte. "Nicht doch! Lass mich wenigstens vorher ins Bad!" "Gute Idee!" Lobte Masaya seine Initiative, jedoch mit exakt dem Unterton, der vermittelte, dass er nicht beabsichtigte, sich vom aktuellen Topthema abbringen zu lassen. "Oh nein!" Hikaru bemühte sich, seinem Zugriff zu entwischen, durch herabgesackte Hosen jedoch erheblich entschleunigt. "Mal langsam!" Seine Ermahnung blieb folgenlos. Masaya entschlüpfte geschickt seinen Hosen, stemmte ihn hoch, warf ihn sich über die Schulter. Keuchend vor Überraschung in einer eher unbequemen Pose musste Hikaru sich darauf konzentrieren, nicht irgendwo anzuschlagen. Im Badezimmer entblätterte Masaya ihn. Nicht ohne Gegenwehr, die Slapstick-Charakter annahm, da Hikaru sich bemühte, sich zumindest teilweise wieder herzurichten. Masayas perfide Strategie sah jedoch kein Entkommen vor. Hikaru fand sich unvermittelt unter der aufgedrehten Brause, die dafür sorgte, dass es notwendig wurde, sich aller Bekleidungsstücke zu entledigen. Er hätte Masaya auch gern ausgezankt, erinnerte sich allerdings an eine gewisse Hellhörigkeit und den Umstand, dass er mehr Wasser schluckte, als ihm zuträglich erschien. So schickte Hikaru sich schließlich drein in den Pas de deux, erneut hautnah, von gierigem Speichelaustausch begleitet. Es stand außer Frage, dass sie Zeit aufwendeten, bis Masaya präpariert war. Dazu reichte schlichtweg die Geduld nicht aus. Ein zweiter Fanfarenstoß, kehlig untermalt, folgte dem ersten, hieß sie einander stützend umklammernd, außer Atem, taumelnd, von Wasserperlen besprenkelt. Hikaru mühte sich, eine Hand zu lösen, um Masaya kräftig am Ohr zu ziehen. "Das nächste Mal nicht so eine Ferkelei, hörst du?! Jetzt müssen wir auch noch Wäsche machen!" Tadelte er streng. Masaya lachte leise, küsste ihn ungeniert auf die ärgerlich geschürzten Lippen. "Können wir vorher die gedämpften Klöße essen? Ich hab nämlich weiche Knie." Hikaru stöhnte leise, verdrehte die Augen. Der Kerl war einfach unverbesserlich! ~~~>#*** "Ich hab noch nie davon gehört, dass es Glück bringt, wenn im Schrein eine Katze erscheint." Bemerkte Masaya, die Yukata bis auf die Hüften abgestreift. Er hörte Hikaru über sich nur gedämpft grummeln, da Kamm und eine Klammer ausbalanciert werden mussten, in dessen Mundwinkeln klemmten. Sein Schopf war nach dem Abendessen erheblich gestutzt worden, um ihn wieder adrett in den Augen seines Liebhabers zu frisieren. Masaya konnte nicht behaupten, dass er sich lange mit seinen Haaren aufzuhalten pflegte. Zu seinen Gunsten war ihm wenigstens der Beweis gelungen, dass er Hikarus "Mischanleitung" für hausgemachtes Shampoo artig befolgt hatte. "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!" Mahnte Hikaru, überprüfte gebeugt mit Wuschelattacken den perfekten Sitz der gestuften Mähne. Vorne Rockstar-Pony, hinten sauber auf Hochflor rasiert. "Was war das für eine Geschichte mit der Schiebetür?" Masaya behagte es nicht sonderlich, wie die halbe Nachbarschaft bereits begann, ihm Hikaru streitig zu machen mit irgendwelchen Bitten um Beistand. IHN hatte man noch nie gefragt! "Oh, das liegt am Gewicht" Dozierte Hikaru beiläufig, wischte mit dem angefeuchteten Kamm Haarsprengsel aus. "Je länger eine Wand oder Tür ist, umso stärker wird die Führung belastet, gerade bei Holzrahmen, weißt du? Man kann natürlich mit der Kugellagervariante arbeiten, Keramikkugeln wirken wahre Wunder, aber die meisten gewöhnen sich an die Ruckelei, spritzen vielleicht noch Seifenwasser rein, bis sich alles total verkantet hat." Die Ursache, die Hikaru zu einer unerwarteten, nachmittäglichen Beschäftigung verholfen hatte. Sowie in der Folge zu einer ganzen Stiege gedämpfter Klöße als Entlohnung für seinen erfolgreichen Einsatz. Masaya wunderte sich einmal mehr über die Fähigkeiten und Kenntnisse seines wenig älteren Freundes. Man konnte nicht davon ausgehen, dass derlei Erfahrungen bei Porno-Dreharbeiten auftraten. Wann hatte Hikaru sie sich angeeignet? In Tokio, beim Überlebensmarathon? Oder vorher? Wo auch immer der da gelebt hatte... "Bin ich jetzt wieder vorzeigbar?" Erkundigte er sich laut, schlang ungeniert die nackten Arme um Hikarus Hüften. Wirklich, es war eine PERFEKTE Idee gewesen, die beiden Yukatas zu kaufen! "Das war aber auch nötig!" Tadelte Hikaru ihn streng, blickte auf ihn herunter. "Bei dem Krähennest auf deinem Schädel wundere ich mich, dass noch keine versucht hat, auf dir zu landen!" Masaya grinste, brachte Hikaru geschickt aus dem Gleichgewicht, zog ihn auf seinen Schoß. "He! Schlüpf wieder in die Ärmel, sonst erkältest du dich noch!" WWurde er streng lektioniert. Von demselben Mann, den er am Anfang ihrer Bekanntschaft immer wieder auffordern musste, auch brav dunkelgrünes Gemüse zu sich zu nehmen. Von den anderen Unterlassungssünden in Ernährungsfragen ganz zu schweigen! "Brauch ich nicht." Stellte Masaya entschieden fest. "Im Gegenteil." Bevor Hikaru mit kritischem Blick selbst zur Aktion schreiten konnte, vermutlich eine Rüge formulierte hinsichtlich seines kindisch-trotzigen Verhaltens, streckte er rasch ein Bein aus, was Hikaru überrumpelte. Unerwartet hatte sein bequemer Sitz auf Masayas Oberschenkeln erhebliche Schlagseite! Masaya nutzte die Chance gnadenlos: er fing Hikaru kurz vor der Horizontalen ab, wischte dabei dessen Yukata-Ärmel herunter. Die wirkten wie Fesseln. Er stieß wie ein Habicht herab, versiegelte ihm den Mund, hatte glücklicherweise keine Mühe, Hikaru abzufangen. Dessen Körperspannung sprang ihm bei, doch ohne Proteste konnte er nicht gerieren. Hikaru drehte nämlich abrupt den Kopf zur Seite, versuchte, sich an ihm hochzuziehen. "Was soll das denn?!" Masaya schlang die Arme um Hikarus Oberkörper, richtete ihn auf, zog ihn eng an sich, sodass sich ihre Körperwärme ohne textile Hindernisse gegenseitig durchdrang. "Ich will mehr!" Verlangte er, staunte über das eigene, raue Timbre. "Ich hab noch längst nicht genug!" "Masaya, du musst morgen raus. Wir haben vorhin..." Setzte Hikaru zu einer Gegenrede an. "Ich will DICH, Hikaru!" Fauchte Masaya aufgeputscht. "Verdammt, ich habe drei Monate ausgehalten! Ist das nicht genug?!" Auf seinem Schoß zuckte Hikaru zusammen. "Ich versteh das ja." Sammelte er sich beherrscht. "Wenn du arbeiten musst, ist das unvernünftig..." Was zweifellos stimmte, Masaya jedoch KEINEN DEUT kümmerte. Im Gegenteil. Er umklammerte Hikaru so fest, dass der vor Schmerz aufstöhnte. "Ich WILL nicht vernünftig sein, Hikaru!" Röhrte er inbrünstig. "Kapierst du das bitte?! Besorg's mir, bis ich den Verstand verliere! Nimm mich endlich richtig ran!" ~~~>#*** Unzählige Male hatte Hikaru derartige Aufforderungen schon vernommen: kokett, flehentlich, aufreizend, vermeintlich naiv. Selbstredend vor der Kamera. Keineswegs aber selbstbewusst-ungeduldig-tadelnd von einem Mann, der ihn ein wenig überragte, durchaus etwas mehr Gewicht auf die Waage brachte. Was sich unzweifelhaft auf Muskelmasse begründete! Der Kerl klang tatsächlich so, als ziere er sich unnötig, lasse sich bitten, bringe am Ende gar nicht die gewünschte Leistung! UNVERSCHÄMTHEIT! Da zeigte man sich angemessen vernünftig, arbeitgeberfreundlich, rücksichtsvoll: was war das Resultat?! Man wurde hier nahezu angeraunzt ob mangelndem Engagement! "Na warte!" Grollte Hikaru aufgebracht zurück. "Jetzt kannst du was erleben!" Aber nicht würdeloses Herumbalgen zwischen Badezimmertür und Wohnraum! Außerdem konnte der Prahlhans sich auch gleich nützlich machen, mal selbst den Hintereingang zu ölen! Fein, er wollte also um den Verstand gebracht werden?! GAR KEIN PROBLEM! ~~~>#*** Masaya lag die Beine vor den Leib gezogen auf der Seite, rang hörbar nach Luft, von einem feinen Schweißfilm benetzt. Mühevoll stemmte Hikaru sich hinter ihm hoch. Er war gleichsam auf die Seite gerollt, löste sich im Reflex noch aus der intimen Verbindung. Verflixt noch eins! Seine üblichen Partner pflegten leichter, kleiner, schmaler zu sein. Ein Infight mit Masaya nahm sich dagegen wie ein Ringkampf über die volle Distanz aus. Nicht nur das Gewicht, auch der muskuläre Widerstand, die ganze Gestalt: Masaya genoss es auch sichtlich, ihn auflaufen zu lassen, sich erst nach entschiedenen Attacken geschlagen zu geben! "Sturer Bock!" Testierte Hikaru heiser, beugte sich herunter, um zu überprüfen, ob Masaya etwa ohnmächtig geworden war. Hin und wieder passierte das im Eifer des Gefechts durchaus mal, dass all die Sensationen den Kreislauf kurzzeitig überforderten. Masaya hustete, drehte sich auf den Rücken, was Hikaru veranlasste, nicht allzu hingerissen die sich bietende Aussicht zu goutieren. "Du wirst dich noch verkühlen..." Setzte er an, um unvermittelt heruntergerissen, in eisernen Banden eingekerkert zu werden. Nach einem weiteren Krächzanfall, der sie beide ob der fehlenden Distanz erschütterte, lockerte sich Masayas Klammergriff ein wenig. "Das habe ich gebraucht!" Hätte Hikaru nicht durchaus die Anstrengungen noch verspürt, die der intensiven Auseinandersetzung mit Masaya geschuldet waren, wäre ihm wohl merkliche Röte ins Gesicht geschossen. Wer SPRACH so was in der freien Wildbahn aus?! Manchmal verhielt sich Masaya so kindlich-ungeniert, dass ihm angst und bange wurde! "Depp!" Schnaubte er. "Jetzt lass mich los, ich hole Wasser." "Noch nicht." Entschied Masaya selbstherrlich, knuddelte (!) ihn provozierend. Zappelei veranlasste keine Selbstbefreiung, also sackte Hikaru grummelnd und protestierend auf Masaya zusammen. "Du wirst morgen Früh wie ein alter Mann herumeiern!" Prophezeite er mahnend. "Ein verdammt glücklicher alter Mann!" Lachte Masaya frech unter ihm. "Für einen Schlauberger benimmst du dich total verantwortungslos!" Schimpfte Hikaru, zupfte zur Betonung an einem gekaperten Ohrläppchen. "Ist mir egal!" Verkündete Masaya rau. "Außerdem, wie schlau ist es wohl, nach drei Monaten endlich wieder mit dir zusammen zu sein und NICHTS zu tun?!" "Das..also...du..." Stammelte Hikaru ausgekontert. "Aber...!" Unvermittelt fand er sich in einer geübten Eskimorolle auf dem Rücken wieder, unter Masaya ausgestreckt, der ihn eindringlich betrachtete. "Aber was?" Erkundigte der sich forschend. Hikaru schnaubte trotzig, drehte den Kopf weg. Was nicht half, da Masaya seine zugewandte Gesichtshälfte mit neckend-fordernden Küssen bepflasterte, sie ableckte und beknabberte. "Sag's mir!" Singsangte er frech. Unter ihm ballte Hikaru grimmig die Fäuste. Wenn er nicht aufpasste, würde sich dieser ach so schlaue Titelträger in kürzester Zeit in ein verwöhntes Balg verwandeln, das glaubte, ihn ständig um den kleinen Finger wickeln zu können! "Hikaru, komm schon, sag's mir, hm?" Nun auch noch ein schmeichelnder Tonfall! Frechheit! Als Masaya ihn ins Ohrläppchen biss, platzte ihm der Kragen. Er drehte den Kopf wild, gerade noch eine schmerzhafte Kollision vermeidend, funkelte hoch, fauchte los. "DU hast doch gesagt, wir ziehen zusammen! Also red nicht so, als würde ich dich an der kurzen Leine halten, klar?! Und spare dir diesen süßlichen Ton! Das regt mich total auf!" Nach einem verdutzten Augenblick fing Masaya an zu lachen, höchst vergnügt. "Ich mein das ernst!" Schimpfte Hikaru, stemmte die Hände gegen die breiten Schultern des wenig jüngeren Mannes, um ihn von sich zu schieben. "Ich doch auch." Strahlte Masaya ihn munter an. "Es tut einfach so gut, wenn du mir die Leviten liest. Ich habe unsere Kabbeleien sehr vermisst." Hikaru starrte ihn ungläubig an, sackte mit einem gepeinigten Ächzen wieder zurück auf den Boden. "Du spinnst. Wieso hat das keiner deiner Professoren bemerkt?" Konstatierte er grimmig. Masaya schmunzelte, setzte sich mühelos auf, zog auch Hikaru in eine aufgerichtete Haltung. "Das ist allein dein Privileg. Du bringst mich dazu." Die Arme vor der Brust verschränkend streckte Hikaru ihm die Zunge raus, verlegen-hilflos. "Jetzt schieb nicht mir die Schuld in die Schuhe, ja?! Ich versuch nun wirklich, mich zusammenzureißen..." Blitzartig überwand Masaya die ohnehin geringe Distanz, presste ihn auf seinem Schoß an sich. "Tu das nicht!" Raunte er kehlig. "Dazu besteht keine Veranlassung!" Das dumpfe Grollen seiner dunklen Stimme klang beinahe bedrohlich. Das Kinn etwas höher gereckt schnaubte Hikaru. "Tja, ich BIN nun mal älter als du. Wir können uns nicht beide wie Idioten aufführen." Konterte er schnippisch. Dass Masaya eine andere Auffassung zu diesem Thema hatte, entging ihm nicht, auch wenn diese ihm den Atem raubte, weil Masaya weitere Argumente leidenschaftlich erstickte. Na schön, vielleicht waren die drei Monate doch ein klein wenig lang gewesen... ~~~>#*** Masaya war spät dran, registrierte diesen Umstand jedoch mit guter Laune. Zweifelsohne konnte keiner seiner eifrigen Kollegen von sich behaupten, am Vorabend nach Strich und Faden vollkommen bis in die letzte Haarspitze sexuell verwöhnt worden zu sein! Apropos Haarspitze: fesch strahlte ihm auch sein Spiegelbild entgegen, von Hikaru gründlich zurechtgestutzt! "Beeil dich!" Mahnte der gerade besorgt. "Hier, nimm den Schirm mit, es soll regnen." "Danke." Masaya fühlte, wie sich ein permanentes Grinsen in seinem Gesicht einnistete. Was ihn kein bisschen kümmerte, nicht mal, dass andere auf die Ursache dieser Beglückung schließen konnten. Neid stellte ja auch ein Kompliment dar, oder? Er fasste Hikaru um die schlanke Taille, küsste ihn hingebungsvoll auf die Lippen. "Komm zum Mittagessen, ja? Bitte?" "Ich versuch's." Hikaru wirkte verlegen, was sich (überraschenderweise) in mütterliche Ermahnungen verwandelte. "Jetzt beeil dich! Du kommst noch zu spät!" Mit einem flotten Salut verließ Masaya die Wohnung, trat auf die Außengalerie hinaus. Na, da musste er eben joggen, was soll's? Ein wenig spürte er durchaus, wie seine Herausforderung Hikaru angestachelt hatte, ihm WIRKLICH ausgesprochen gründlich das Bedürfnis nach körperlicher Erfüllung auszutreiben. Das war es ohne jeden Zweifel wert! Außerdem, das ließ ihn feist grinsen, hatte Hikaru ja zugestimmt, zu ihm zu ziehen, bei ihm zu leben! Die elend langen drei Monate Trennung würden daher nie wieder auftreten! Masaya fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. ~~~>#*** Hikaru sah sich in der Wohnung um. Sauber, aufgeräumt. Gut. Damit konnte er sich seinem Notizbuch widmen. Es galt so Einiges zu erledigen. Er atmete tief durch, aktivierte sein Mobiltelefon. Ahumm. Lieber nicht gleich mit dem größten Brocken beginnen, entschied er. "Miu? Hallo, Hikaru hier. Kannst du sprechen, oder störe ich?" "Wie? Nein, mir geht es gut, wieso?" "Was?! Ist er verletzt?!" "...das wusste ich nicht. Ich dachte, er wolle mir die Hölle heiß machen..." "Was für ein Glück! So was ist noch nie vorgekommen." "Nein, das ist kein Problem." "...hm...bei Masaya." "...sag es nicht Suga, ja? Er würde es...missverstehen." "...so sieht es aus...denke ich." "Weshalb ich anrufe: hast du Interesse an Arbeitsutensilien?" "Genau. Können wir uns treffen?" "Morgen, in Ordnung. Ich schicke dir meine Adresse." "Sicher. Ich werde mich bei ihm entschuldigen." "Ja, danke. Wirklich, danke, Miu!" ~~~>#*** Masaya kümmerte sich nicht um die amüsiert-misstrauisch-irritierten Blicke, als er frohgemut zur Pforte flitzte. Na und, da hatten eben einige schon begriffen, dass Hikaru sein Geliebter war, der Anlass für den Ring an seiner rechten Hand! Daran war nichts Falsches oder Anstößiges. Jemanden aufrichtig zu lieben, ihn zu begehren, das war Glück und Privileg zugleich. Wer da neiderfüllt und missgünstig reagierte, konnte im Spiegel wohl nur ein armes Würstchen erblicken! Als er in den Windfang huschte, Hikaru einen raschen Kuss auf die Lippen drückte, bemerkte er dessen unerwartet bedrückte Stimmung. "Was ist passiert? Geht's dir nicht gut?" Begehrte er prompt zu erfahren. "Lass uns später reden." Wisperte Hikaru, der ihn nicht mal ob des Kusses in aller Öffentlichkeit tadelte (obwohl sie ja niemand sehen konnte). "Sieh mal!" Lenkte er ab, das Lächeln immer noch blass. "Wie findest du ihn?" Masaya, der eigentlich nicht auf die Auflösung warten wollte, beäugte gehorsam einen ungewöhnlichen Rucksack. Hmm...Moment! "Sind das mein Pulli und der alte Regenschirm aus dem Sammelsurium vor dem Haus?!" Erkundigte er sich verblüfft. "Genau!" Hikaru strahlte, ließ sich sogar an der Hand durch die Gänge führen. "Schau, außen wasserabweisend, innen kuschelig! Die Farben wirken so gar nicht mehr grell!" Er dozierte weiter, etwas munterer. "So wirkt das Rautenmuster auch apart, findest du nicht? Ich weiß ja, dass du deine Bowling-Tasche liebst, aber wenn du nicht allzu viel mitnehmen musst, kannst du die hier nehmen! Sie ist auch besser für den Rücken!" Er tippte auf Masayas Schulter mit der freien Hand. "Eine einseitige Belastung führt zu Verspannungen." "Sie ist perfekt." Entschied Masaya. "Vielen Dank!" Es verblüffte ihn, wie Hikaru so rasch ein derart praktisch-revolutionäres Gepäckstück aus alten Materialien fabriziert hatte. "Das schwirrte mir im Kopf herum." Sein Lob löste eine gewisse Röte auf den blassen Wangen aus. "Da wollte ich es versuchen. Wusstest du, dass es im alten Friseursalon eine Nähmaschine mit Fußpedalantrieb gibt?" Masaya gestand offen ein, dass ihm dieser Umstand weder bekannt war, noch ihn besonders interessiert hätte. Wäre da nicht das fast lausbubenhafte Strahlen in Hikarus Augen. "Also, ich hab die vorher schon gesehen. Weil sie niemand gerade benutzte..." Man konnte sich vorstellen, wie es weiterging. Hikaru kam nicht dazu, seinen Triumph zu erläutern, weil sie die Kantine erreicht hatten, man sie dort begrüßte. Private Gespräche mussten somit tatsächlich bis zum Abend warten. ~~~>#*** Hikaru putzte mit wachsender Übung das letzte Gemüse aus der Kiste, die man für Masaya abgegeben hatte. Manches war zum Sofortverzehr gedacht, anderes konnte man im Kühlschrank länger lagern oder dämpfen. Einkochen. Sauer einmachen. Er runzelte die Stirn. Erinnerungen drängten sich auf, die ihn dazu brachten, eilig ein Glas Wasser zu leeren, wiederholt tief durchzuatmen. Nun rasch! Weil Masaya etwas ärgerlich geblickt hatte, nach dem brüsken Abschied an der Pforte (die Arbeit rief lautstark!), wollte er ihn jetzt abholen. Außerdem gab es Einiges zu besprechen. Glücklicherweise schien sich die Schauerneigung nach Tokio-Kernstadt verzogen zu haben, was einen Regenschirm entbehrlich machte. Hikaru schlüpfte rasch in einen sehr leichten, umgearbeiteten Trenchcoat, der seinen Steampunk-Auftritt komplettierte. Auf seinem Weg grüßte er brav die Nachbarschaft, die ihm freundlich begegnete. Er fragte sich, wie lange dieser Zustand anhalten würde. Wenn er aufhörte, "der Gast aus Tokio" zu sein. Wenn er nicht bloß "Mitbewohner" sein würde, sondern Liebhaber. Partner. Reflexartig zog er die Schultern höher. Sie würden es eben aushalten müssen! Jetzt Ängste und Sorgen zu wälzen half auch nicht! An der Pforte fand er sich in ein Schwätzchen gezogen. Seine Aufmachung und auch das Vorführen des jüngsten Werks, des Upcycling-Rucksacks für Masaya, sorgten für Gesprächsstoff. Als Masaya endlich heraustrat, hatte sich der Anflug von Unbehagen verabschiedet. So verkniff er sich auch einen Tadel, als Masaya sich ungeniert seines Arms bemächtigte, sich einhängte. "Das Gemüse ist gekommen, also habe ich schon mal etwas vorbereitet. Ist das in Ordnung? Oder willst du lieber etwas Anderes essen?" "Vernaschen will ich hauptsächlich dich." "Masaya! Also ehrlich!" Hikaru beäugte ihn prüfend. Die strahlende Laune des Morgens schien definitiv verflogen. "Hattest du einen sehr harten Tag?" Erkundigte er sich vorsichtig. Wie verhielt man sich eigentlich so, als Paar? Bediente er gerade ein Klischee, oder war es ganz normal, sich so auszutauschen? Masaya wandte sich ihm zu. "Ich musste mich ziemlich konzentrieren, weil mir nicht aus dem Kopf ging, wie bedrückt du heute Mittag aussahst." "Oh." Hikaru seufzte. "Entschuldige. Darüber konnte ich nicht vor den anderen sprechen." "Können wir jetzt darüber reden?" Masaya drückte seinen Arm etwas fester. "Sonst dreh ich bald am Rad!" Ein nervöser Seitenblick verriet Hikaru, dass die Sehnen in Masayas Gesicht in der Tat angespannt wirkten. Er atmete tief durch. "Ich habe Miu angerufen. Ich dachte mir, er wäre möglicherweise interessiert, ein paar meiner Arbeitsmaterialien zu übernehmen, weißt du? Da hat er mir erzählt, dass ein durchgeknallter Fan ihnen vor der Agentur aufgelauert hat. Der wollte zu mir. Gao hat ihn aber außer Gefecht gesetzt, bevor er jemanden verletzen konnte." Masaya blieb abrupt stehen, starrte ihn grimmig an. "Ist der Kerl unter Verschluss?! Weiß er, wo du wohnst?! Hat die Agentur dich gewarnt?!" Prasselten Fragen auf Hikaru ein, der sich unvermittelt in Masayas Umarmung wiederfand. "Langsam, ja?" Mahnte er eingeschüchtert ob Masayas kriegerischer Haltung. "Nicht so fest! Ja, der Typ ist in Gewahrsam, hat Miu mir gesagt. Die Agentur wollte mich warnen, dass da etwas über die sozialen Medien außer Kontrolle geriet." Er leckte sich die plötzlich trockenen Lippen, murmelte verlegen. "Ich hatte mein Mobiltelefon abgeschaltet, damit Suga mich nicht fortwährend ins Gebet nimmt." Immerhin mochte er zwar krank gewesen sein, aber für mehr als einen Tag einfach ohne Nachricht abzutauchen, das konnte nur Ärger hervorrufen! Vernehmlich atmete Masaya aus, musterte ihn streng. "Was ist da gelaufen? Wieso hat die Agentur da nicht zackig reagiert?!" Grollte er mit finsterem Blick. "Weil so was noch nie passiert ist!" Konterte Hikaru, der sich unerwartet in Verteidigungspose fand. "Wer hätte auch ahnen können, dass da ein Spinner mit einem Beil auftaucht und verlangt, dass wir gefälligst seine Privatphantasien zu befriedigen hätten?" "Was sich nicht so hochgeschaukelt hätte, wenn Suga nicht darauf beharrt hätte, dich zum Sex mit mir zu zwingen!" Brauste Masaya frostig auf. Obwohl, das schwang unausgesprochen in seinen Worten mit, er ihm eindeutig zu verstehen gegeben hatte, nicht mehr daran interessiert zu sein. "Er wollte mich eben weiter im Geschäft halten!" Widersprach Hikaru heftig. "Ich hab nun mal den Hengst-Nimbus verloren!" Masaya schwieg nun, die Augen unverwandt auf ihn gerichtet. Hikaru seufzte matt. Jetzt hatte er auch noch Suga verteidigt, dazu indirekt angemerkt, dass die veränderte Frisur zum neuen Image geführt, ihn damit in die Klemme gebracht hatte. Fühlte Masaya sich beleidigt, mit dem stummen Vorwurf konfrontiert? "Masaya." Hikaru wollte unbedingt verhindern, dass es zu einem Missverständnis kam. "Niemand trägt die Schuld an dieser Entwicklung, ja? Weder Suga noch Gao. Oder du. Irgendwann hätten sich die Leute an mir sattgesehen, wäre ein neuer toller Typ gekommen. Suga wusste von Anfang an, dass ich nicht alles machen werde." Er strich über Masayas Oberarme. "Ich bin bloß froh, dass niemand zu Schaden gekommen ist." Er atmete tief durch, straffte sich, richtete sich auf. "Ich habe Suga gesagt, dass ich aussteige. Dieser Zwischenfall ist die Gelegenheit für alle, den Vertrag zu beenden." Masaya blinzelte, zog ihn in eine erstickend enge Umarmung, hielt ihn so fest, als hinge ihr Leben von diesem unmittelbaren Kontakt ab. Hikaru ließ sich halten, schloss sogar die Augen. Er würde mit seinem alten Leben abschließen. Ein Gefühl zwischen Befreiung und Panik. Sich neu erfinden. Wieder ein anderer sein. Doch dieses Mal wäre es leichter, weil Masaya da war, er einen Ort hatte, zu dem er heimkommen konnte. "ICH werde mich nie an dir sattsehen." Raunte Masaya ihm ins Ohr. Hikaru lachte leise, erstaunt über das fast schluchzende Geräusch. Herrje, wie sollte er Masaya da beeindrucken, wenn er sich so wacklig zeigte?! "Wenn du morgen zu deiner Wohnung fährst, verlange ich, heute von dir verwöhnt zu werden! Mindestens ein gemeinsames Bad muss drin sein!" Ergänzte der gerade brummig. Also wirklich! Schon wieder zeigte der Schlaumeier kein bisschen Einsehen in vernünftiges Verhalten! ~~~>#*** "Wir könnten die Fahrt auch verschieben, aufs Wochenende." Masaya betrachtete Hikaru im Badehaus, strich ihm ganz selbstverständlich durch feuchte Strähnen. Die drei alten Männer, die wohl schon zum Inventar zu gehören schienen, kümmerten ihn wenig. Bis jetzt hatte auch noch niemand ein Wort darüber verloren, wie vertraut und intim ihr Umgang miteinander war. Zumindest nicht in seiner Gegenwart. Masaya wusste, dass Hikaru sich deshalb sorgte, ob der von ihm selbst demonstrierten Tokioter Hoffart durchaus konsterniert war. "Ah, das wird schon klappen." Antwortete Hikaru ihm gerade. "Außerdem will ich Miu und Gao nicht in Terminnöte bringen." Die Rechte auf Hikarus Nacken ruhend, wo sie nach Lust und Laune kraulen und massieren konnte, erwog Masaya die Optionen. Wie wahrscheinlich wäre es, dass man inzwischen Hikarus Privatanschrift herausgefunden hatte? Wie hoch waren die Chancen, dass ein anderer Geistesgestörter ihm dort auflauerte? Zugegeben, die Statistik verwies ihn da auf den Platz, erteilte seinen Sorgen eine Abfuhr. Wie er jetzt deutlich spürte: wenn man sich von Ratio und Logik temporär verabschiedete, weil man liebte, blieb immer noch ein grollend-unbehagliches Grummeln in der Magengrube. "Versprich mir, dass du dein Mobiltelefon anlässt!" Verlangte er schließlich, studierte Hikaru eindringlich. "Ruf an, wenn etwas ist, ja?" Hikaru erwiderte seinen Blick verblüfft, lächelte nachsichtig. "Na schön, das werde ich tun, in Ordnung? Mach dir nicht solche Sorgen, Masaya! Ich komme schon klar." Unvermittelt rotierte Masaya, zog Hikaru abrupt eng an sich, auf seinen Schoß. "Das bedeutet nicht, dass dich niemand verletzen kann!" Raunte er angespannt. "Ich will nicht, dass so etwas passiert." Wobei er gar nicht mal so sehr auf körperliche Attacken referierte, sondern auf Hikarus so zerbrechlich wirkende Psyche. Der bemühte sich inzwischen verlegen, von seinen Oberschenkeln zu rutschen. Sie befanden sich zwar bis unter die Achseln im warmen Wasser, waren aber auch pudelnackig! Offenkundig genierte sich Hikaru vor anderen, wenn es nicht um "Eingeweihte" ging. "Wirklich, Masaya, es wird alles gut gehen!" Beschwor er ihn beinahe flehentlich. "Können wir jetzt aufbrechen? Mir wird langsam schwummerig vor Augen." Zu einem gewissen Anteil eine vorgeschobene Behauptung. Masaya testierte, dass er auch nicht allzu offen sprechen konnte, weshalb ein Ortswechsel durchaus willkommen war. "In Ordnung. Hier, nimm meinen Arm." Er erhob sich, streckte die Hand einladend aus. "Brausen wir uns noch mit etwas kaltem Wasser ab." Nicht, dass das ausreichen würde, SEIN Mütchen zu kühlen! ~~~>#*** Niemand begegnete ihnen auf der kurzen Strecke zwischen Badehaus und Masayas Appartement. Hikaru verzichtete auf einen Einwand, sah ihre verflochtenen Finger als das an, was die Geste bedeutete: Zusammenhalt. Er spürte eine immer noch unterschwellig vorhandene Anspannung seines etwas jüngeren Gefährten. Masaya war, betrachtete man sein früheres Auftreten als unbeeindruckbarer Stoiker, erstaunlich besitzergreifend und fast überfürsorglich. Hikaru war sich nicht sicher, wie er mit diesem Verhalten umgehen sollte. Wäre er eine Frau, so würde er sich wohl begeistert, geschmeichelt, ja, hingerissen fühlen. Oder? Andererseits war er selbst ein erwachsener Mann, der für sich selbst einstehen konnte. Sollte er sich da nicht auch bevormundet fühlen? Als sie die Außengalerie bestiegen, entfuhr ihm ob dieser Verwirrung ein vernehmlicher Seufzer. "Was ist? Schwindlig?" Blitzartig fand er sich gegen eine Wand gelehnt, unter den Achseln abgestützt. Masayas Augen jenseits des aparten Ponys, der ihn so mysteriös-verwegen-animalisch wirken ließ, inspizierten ihn minutiös. "Nein, nein!" Hikaru grimassierte ob des reflexartig verunglückenden Lächelns. "Ich hab nur keine Ahnung, wie..." Stopp! Draußen wollte er seine konfusen Emotionen nicht derart stotternd und unzusammenhängend in die Gegend posaunen! Deshalb griff er Masayas Hand rasch. "Lass uns das drinnen besprechen, ja?" Der Aufschub währte allerdings gerade mal so lange, bis sie ihre Getas abgestreift hatten. Masaya schlang die Arme um ihn, hielt ihn erstickend eng fest. "...Masaya?" "...alles...in Ordnung?" Nun ergriff Hikaru eine profunde Beunruhigung. Was hatte diesen Klammergriff ausgelöst? Oder ging es etwa Masaya nicht gut?! "Das wollte ich seit heute Mittag tun!" Knurrte der ihm gerade erlösend ins Ohr. "Es ist so VERDAMMT frustrierend, sich anständig zu benehmen!" Kein Teenager hätte diesen Stoßseufzer aus Empörung und Trotz besser vorbringen können! Gegen seinen Willen lachte Hikaru heraus, verschaffte sich genug Spielraum, um großflächig über Masayas Schultern und Rücken streicheln zu können. "Ist es denn jetzt etwas besser?" Erkundigte er sich neckend. "Graduell." Grummelte Masaya, lehnte seine Stirn an. "Verrat mir jetzt, was du draußen nicht sagen konntest." Der Bursche verhielt sich wie ein königlicher Corgi, ließ kein bisschen locker! "Das tu ich, wenn wir uns was zu essen machen." Verhandelte Hikaru. "Komm, ich hab ja schon einen Teil deiner Gemüselieferung verarbeitet." Erstaunlicherweise ließ Masaya ihn tatsächlich entschlüpfen, sich an der Hand zum Wohnraum ziehen. Viel vorzubereiten gab es allerdings nicht. Hikaru hatte sich vorausschauend aufgestellt: den Klapptisch decken, Tee aufbrühen, das war's auch schon. "Und?" Masaya kaute artig. Aus dem Fokus seiner prüfenden Augen wurde Hikaru nicht mal für einen Wimpernschlag entlassen. Er nippte an seinem Teebecher, um die plötzlich trockene Kehle anzufeuchten. "Also...ich habe mich gefragt..." Den Blick auf seinen Teebecher gerichtet hangelte sich Hikaru tapfer zur Offenbarung. "Wie~wie das so funktionieren soll. Mit uns. Als Paar." Aufzusehen wagte er nicht, verwünschte die verräterische Röte in seinen Wangen. "Wie meinst du das?" Masayas Stimme klang ruhig, kontrolliert. Es war ganz und gar nicht der professorale Tonfall, den Hikaru am Anfang ihrer Bekanntschaft so verwünscht hatte. Nein, er konnte ein minimales Zittern vernehmen, Ausdruck starker Gefühle, die mühsam gebändigt wurden. Hikaru atmete tief durch, legte ruckartig den Kopf in den Nacken, hob das Kinn an. Courage! "Ich weiß nicht recht, wie ich mich verhalten soll!" Sprudelte er heraus. "Wie die richtige Distanz zwischen uns ist! Manchmal komme ich mir total kitschig und klischeehaft vor. Dann denke ich wieder, ich bin zu kühl, zu distanziert, wenn ich alles wegdrücke, was irgendwie intimer ist." Gerade entpuppte er sich höchstwahrscheinlich auch noch als Dummbatz, der unverständliches Zeug herumstammelte! Masaya betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn, was man unter dem Pony erahnen konnte. "Du hast recht." Konstatierte er zu Hikarus Verblüffung. "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich hatte nie eine echte Beziehung. Deshalb reagiere ich impulsiv nach erfahrenen Vorbildern, vermute ich." Tja, Wissenschaftler! Hikaru registrierte den unerfreulichen Pfad, auf dem er nun wandeln musste. "Also, ich habe auch nicht viel mehr Erfahrung. Ich habe vorher auch noch nicht mit einem Partner zusammengelebt." Die Arme vor dem Brustkorb verschränkt grübelte Masaya konzentriert. Eigentlich erwartete Hikaru detaillierte Nachfragen, das Verlangen nach Erklärungen, eine Aufforderung, die Vergangenheit mit ihm zu teilen. Andererseits saß er hier dem promovierten Schlaumeier Masaya gegenüber. Der sich grundsätzlich nicht an die ungeschriebenen Regeln hielt! "Die Arbeitshypothese lautet, dass wir das kopieren, was wir erfahren oder gesehen haben. Was uns als Idealvorstellung transportiert worden ist." Wurde er auch sofort bestätigt. Hikaru nippte an seinem Tee. Ob er wohl jemals schlau werden würde aus den verschlungenen Gedankengängen, die Masaya beschritt? Nicht, dass er sie nicht nachvollziehen konnte (im gegebenen Rahmen seiner Möglichkeiten), aber sie folgten ganz sicher nicht seinen Erwartungen! "Gehen wir das systematisch an!" Schon federte Masaya hoch, eilte zu seiner Bowling-Tasche, entnahm ihr sein Notizbuch, ließ sich Hikaru gegenüber nieder, zückte den Druckbleistift. "Was sagst du: möchtest du die Beziehung deiner Eltern als Vorbild für den täglichen Umgang nehmen?" Eine neutral formulierte Frage. Hikaru presste die Lippen aufeinander, schluckte bittere Galle hinunter. "Ganz sicher nicht." Würgte er mühsam beherrscht hervor. Aufmerksam schenkte Masaya ihm Tee nach, betrachtete ihn eingehend. Würde er jetzt auf einer Erklärung bestehen? Der Druckbleistift tanzte über das Papier. "In meinem Fall vermutlich schon. Allerdings reduziert sich das Verhalten auf ein höflich-freundschaftliches, muss ich anmerken. Eher traditionell, würde ich meinen." Hikaru spülte unerfreuliche Erinnerungen entschlossen mit Tee herunter. "Wir haben da weitere Vorbilder. Romanzen in Film und Literatur. Seifenopern im Fernsehen beispielsweise. Westliche Einflüsse." Masaya notierte. Noch ein unschöner Tummelplatz verdrängter Reminiszenzen für Hikaru. Er schloss die Augen, lehnte sich zurück, die Arme hinter sich aufgestützt. "Für mich stellt sich die Frage immer, ob ich mich nicht zu feminin verhalte." Wisperte er bedächtig. "Weißt du, wie die typische Braut oder Hausfrau. Ich habe keine Vorstellung davon, wie zwei Männer als Liebespaar agieren. Muss einer scheu, nachgiebig, kindlich und niedlich sein?" Würde Masaya ihn auslachen? Waren es kleingläubige Bedenken, die ihn da umtrieben? "Hmmm. Tatsächlich habe ich auch keine konkrete Vorstellung, wie ein rein männliches Liebespaar sich verhält." Masaya klang unverändert sachlich, nachdenklich. "Das bedeutet in der Konsequenz, dass wir darin frei sind, unsere eigenen Regeln aufzustellen, nicht wahr?" Hikaru blinzelte zu ihm herüber. "Wie sollen die aussehen?" Masaya lächelte ihn an, ein unerwarteter Wechsel von der zuvor analytisch-reservierten Miene. "Also, ich bin sehr dafür, morgens und abends geküsst zu werden. Und nach dem Aufwachen oder vor dem Schlafgehen. Außerdem bestehe ich darauf, Händchen zu halten, wenn niemand sonst auf der Gasse ist!" Schon kratzte die Bleistiftmine munter über das Papier. "Ich will auch keinen Tag im Streit beschließen. Bei der Hausarbeit finde ich es gut, wenn jeder alles kann und wir uns absprechen. Keine altbackenen Ideen von Frauenarbeit oder ähnlichem!" Hikaru setzte sich auf. "Keine eindeutigen Übergriffe vor anderen Leuten." Ergänzte er leise. "Weder physisch noch verbal." Ihm gegenüber seufzte Masaya. "Nicht mal ein wenig Flirten?" Hakte er nach. Schnaubend erinnerte ihn Hikaru. "Du hast doch inzwischen nicht das Lügen gelernt, oder? Da fallen wir beide sofort auf! In der falschen Umgebung..." Wollte er sich die Konsequenzen gar nicht ausmalen. Masaya sah ihn sehr viel länger an, als es seinem Gemüt wohltat. Er setzte die Schriftzeichen sauber aneinander. "Wenn wir uns streiten, hat jeder das Recht, das Gespräch abzubrechen und den Raum für eine Weile zu verlassen." Hikaru fokussierte Masaya tapfer. Erneut währte es eine ganze Weile, bis Masaya den Blick auf sein Notizbuch senkte, diese Forderung aufzeichnete. "Keine Gewalt. Keine Schläge, keine Tritte, keine Beschimpfungen. Keine Vergewaltigungen." Masayas Hand ruhte in seinem Schoß, der Druckbleistift auf dem aufgeschlagenen Notizbuch. Hikaru unterdrückte entschlossen das unwillkürliche Zittern, hielt mit hochgerecktem Kinn dem inquisitorischen Blick stand. "So etwas würde ich niemals tun." Stellte Masaya endlich, durchaus angegriffen, klar. Die Fäuste unter dem Klapptisch geballt wich Hikaru ihm nicht aus, ertrotzte sich förmlich dieses stumme Duell. "Schreib es bitte auf." Krächzte er auffordernd. Einen aufgeladenen Blick später kam Masaya seiner Anweisung nach. "Ich möchte dich umarmen können, wenn ich es nicht mehr aushalten kann." Forderte er seinerseits. Was durchaus implizierte, dass dies auch in Gegenwart von Dritten geschehen konnte. Üblicherweise nichts, was man nach der Schulzeit und dem damit verbundenen Herumalbern zwischen erwachsenen Männern beobachtete, ausgenommen erhebliche Trunkenheit. Andererseits, wäre es nicht feige und kleingeistig, Masaya dieses Zugeständnis zu verweigern? Eine Umarmung war nicht so eindeutig wie ein Kuss! Außerdem, wenn man immer nur auf Distanz beharrte, sich körperlich so fremd blieb, bestünde nicht auch die Gefahr, dass sich Gefühle abkühlten? Würde man sich unterschwellig nicht missachtet, abgelehnt fühlen? "In Ordnung." Nickte Hikaru entschieden. Mit einem leichten Lächeln setzte Masaya die Zeichen auf das Papier. "Danke, Hikaru." "Du musst mir nicht danken." Wies Hikaru beschämt die Antwort zurück. "Ich nehme mir das gleiche Recht heraus wie du!" Auch wenn er sich zweifelsohne überwinden würde müssen, um Masaya so spontan zu umarmen, wie der es umgekehrt manchmal tat. "Noch etwas?" Masaya schmunzelte. "Bis jetzt sieht es recht unkompliziert aus, oder nicht?" Hikaru nickte, erwiderte das Lächeln erleichtert. "Wir können auch immer noch etwas ergänzen." Masaya klappte das Notizbuch zu. "Wie sagen die Amerikaner so treffend? 'Wir machen die Regeln, während wir marschieren'?" Da Hikaru sich mit solchen Sinnsprüchen nicht auskannte, fischte er das heraus, was ihm im Moment dienlich schien. "Apropos marschieren: lass uns jetzt abräumen und rasch spülen, ja? Es ist doch etwas spät geworden." Sie hatten am nächsten Tag schließlich Einiges zu erledigen, jeder für sich! Masaya musste nicht gebeten werden. Deshalb gingen ihnen diese Arbeiten rasch von den Händen. Abwechselnd das Badezimmer aufsuchend, während der jeweils andere das Nachtlager aufschlug und die Beleuchtung reduzierte, funktionierte schon wie ein eingespieltes Team. Sie unterhielten sich noch leise, Händchen haltend, über die weniger wichtigen Erlebnisse des Tages. Masaya forderte entschieden seinen Gute Nacht-Kuss ein, der sich sehr engagiert und ausdauernd ausnahm, ohne dass sie darüber Beschwerde führten. ~~~>#*** Hikaru atmete tief durch, blickte sich um. Sein Appartement. In Kürze sein Ex-Appartement. Er hatte bereits die Spiegelschränke ausgeräumt, die seit seinem Imagewandel ohnehin nicht mehr allzu viel an Bekleidung beherbergt hatten. Zwei Rollkoffer waren gefüllt mit Bekleidung, Bettwäsche, Textilien. Eine große Kunststofftüte enthielt seine wenigen eigenen Haushaltsartikel. In zwei großen Umzugskisten lagerte alles an Arbeitsmaterialien, das er Miu und Gao überlassen wollte. Verbrauchs- und Hygieneartikel behielt er für sich, aber Kostüme, Vibratoren, Dildos, S/M-Werkzeug, Spezialkerzen, Körperschmuck und vieles mehr wollte er nicht mitnehmen. Masaya hatte in der Hinsicht kein Interesse gezeigt. Allerdings hatte er sich auch nicht zu fragen getraut. Wenn sie Abwechslung haben wollten, würde man eben entsprechende Anschaffungen tätigen! Hikaru starrte auf die letzte Kiste. Sie enthielt alle seine Filme, dazu noch Magazine und weitere Unterlagen seiner Karriere. Mitnehmen? Oder feilbieten lassen? Er war sich einfach nicht sicher. Zwar verspürte er keinen Zweifel mehr ob des Endes seiner Laufbahn als Pornosuperstar, aber deshalb radikal die letzten fast fünf Jahre seines Lebens entsorgen? Andererseits musste er bedenken, dass Masaya möglicherweise nicht so erfreut sein würde, das Appartement mit Altlasten der Vergangenheit vollzustopfen! Überhaupt, zwei Koffer, die große Kunststofftasche, das war schon jede Menge Gepäck! Für den Transport per Zug eine nicht zu unterschätzende Belastung! Bevor er sich entscheiden konnte, meldete sich die Hausanlage. Dankbar für die Unterbrechung durchquerte Hikaru sein Appartement, das noch unpersönlicher wirkte als zuvor, ließ seine beiden früheren Kollegen ins Haus. "Hallooo!" Miu wirkte wie stets gut gelaunt und unternehmungslustig, Gao in seinem Schlepptau gutmütig-gelassen. "Kommt doch herein! Danke für die schnelle Rückmeldung." Hikaru trat beiseite, erstaunt über seine eigene Erleichterung, dass beide ihm so unverkrampft begegneten. "Wow! Eine tolle Wohnung!" Bekundete Miu, sockte neugierig voraus. "Möbliert gemietet, oder?" "Ja." Bestätigte Hikaru, bevor er sich im Wohn-/Schlafzimmer förmlich vor Gao verneigte. "Es tut mir wirklich sehr leid, was dir zugestoßen ist!" Gao, der ihn ein wenig überragte, klopfte ihm einfach auf die Schulter. "Kein Schweiß, Kollege, ist doch nichts passiert! Kannst ja nichts dafür, richtig? Sie haben den Typen zur Behandlung eingezogen, also alles paletti!" Definitiv tief-entspannt, dieser Gao! Miu lachte ebenfalls, frech auf der Couch federnd. "Ja, Hikaru, mach dir keinen Kopf! Sag mal, geht's euch gut, so quasi auf dem Land?" Überrumpelt blinzelte Hikaru. "...oh...doch, ja. Es ist ruhiger. Die Leute sind sehr nett." Stotterte er verlegen. Woher wusste Miu, dass er mit Masaya...?! Der immer noch wie ein Mittelschüler wirkende junge Mann grinste frech. "Na, den Göttern sei Dank! Masa ist so verknallt in dich, dass ihr euch ein Happyend absolut verdient habt!" Man hätte vor Scham im Laminat versinken mögen! Gao, der inzwischen unbekümmert die beiden offenen Umzugskisten inspiziert hatte, richtete sich überrascht auf. "Ah, ist das der große Dunkelhaarige? Der nur deinetwegen die Pornos gedreht hat? Boah, Respekt, das ist ja MEGA-romantisch!" Was er durchaus ernst zu meinen schien. Hikaru hingegen wusste gar nicht, was er sagen oder wohin er blicken sollte. Mit einem amüsierten Kichern erlöste ihn Miu aus der Verlegenheit. "Keine Angst, Suga hat noch nicht spitzgekriegt, dass ihr euch als Paar zusammengetan habt! Sonst wäre er wohl echt angepisst. Aber ich find's gut. Meinen Segen habt ihr!" Er zwinkerte herausfordernd, reckte beide Daumen hoch. "Danke." Murmelte Hikaru, wünschte sich Blut auch in andere Körperpartien als seinen Kopf zurück. Gao kam ihm mit seiner unkomplizierten Art zur Hilfe. "Du willst nichts davon hier behalten? Weil, gebrauchen können wir bestimmt alles." Erklärte er. "Das hier ist ja Spitzenqualität." Dankbar für den Themenwechsel nickte Hikaru entschieden. "Es wäre mir eine wirkliche Hilfe, wenn ihr alles nehmen könntet." Antwortete er. "Ich wollte es nicht einfach wegwerfen, aber mitnehmen kann ich es auch nicht." Er hörte Miu lachen, bevor der von der Couch sprang, elastisch wie ein Flummiball. "Masa hält sich wohl nicht mit Dekoration auf, wie? Soll uns recht sein!" Neckte er Hikaru, der solche Intimitäten nicht diskutieren wollte. "Wir sagen artig danke und nehmen's mit!" So schnell handelseinig verklebten sie die Umzugskartons für den Transport, bugsierten sie an die Tür. "He!" Stupste Miu Hikaru sanft an. "Meldet euch hin und wieder mal, ja? Aus den Augen, aus dem Sinn, das muss nicht sein." Hikaru nickte reflexartig, überrascht, dass sie so freundschaftlich agierten. Dabei hatte er doch immer die geschäftliche Distanz gewahrt! "Ja, genau!" Gao stemmte mühelos beide Kisten. "Unter Kumpels hält man Kontakt!" Was Hikaru ein Prusten entlockte. Als Kumpel hatte er sich noch nie gesehen. "Einverstanden." Lächelte er entspannt. "Wenn ihr Lust auf etwas Landleben habt, schaut mal bei uns vorbei. Im Badehaus gibt es eine echte heiße Quelle!" Nicht gerade ein touristischer Höhepunkt, aber immerhin etwas, was man in Tokio selbst nicht auftreiben konnte. Er begleitete sie bis hinunter auf die Straße, wo in der Nähe ein Kleinsttransporter wartete, augenscheinlich sonst für einen Klempner im Einsatz. Offenbar hatte Miu seine Kontakte genutzt, die Leihgabe initiiert. Zu Hikarus Überraschung umarmten ihn beide junge Männer ungeniert, wünschten ihm Glück, bevor sie sich in die winzige Fahrerkabine falteten. Keinem von beiden schien es peinlich zu sein, auf dem Parkplatz eines Supermarkts einen anderen Mann in die Arme zu schließen. Nachdenklich begab sich Hikaru auf den kurzen Heimweg. Möglicherweise war er doch ein wenig arg konventionell gestrickt? ~~~>#*** Masaya behagte es nicht, Hikaru wieder in Tokio zu wissen. Was selbstverständlich ein vollkommen lächerlicher Impuls war! Dennoch. »Ich würde es eben entschieden vorziehen, wenn er HIER wäre!« Rechtfertigte er sich vor sich selbst, während er pflichtschuldig seinen Aufgaben nachkam. Wie rasch mochte es vorangehen, das Ende des Mietvertrags, das Auflösen zahlreicher Bindungen, die Organisation des Umzugs? Er hatte ZWEIMAL unmissverständlich seine Hilfe angeboten, war allerdings an Hikarus amüsiert-tadelndem Konter gescheitert, er sei durchaus fähig, diesen Neustart selbst zu bewältigen. »Vor was fürchte ich mich eigentlich? Wieso führe ich hier Selbstgespräche, obwohl ich arbeiten sollte?!« Energisch zwang Masaya sich zur mentalen Disziplin. Sein unwilliges Magengrummeln beeindruckte dies jedoch kein bisschen! ~~~>#*** Hikaru entschied, den Transport seiner Habseligkeiten einer Firma anzuvertrauen. Mit so viel Gepäck in die Bahn steigen?! Nein, danke! Ein kleiner Transporter hätte damit jedoch keine Mühe. Zugegeben, es erschien ihm ob der zusätzlichen Kosten beinahe dekadent, doch er rief sich entschlossen zur Ordnung. Es war NICHT so wie früher! Er stand nicht mit einem Fuß in der Gosse, in steter Sorge, wo die nächste Mahlzeit herkommen sollte! Überrascht von der eigenen Verunsicherung studierte er sein Spiegelbild, während er auf die zugesagten Spedition wartete. Dem Pornosuperstar-Cowboy-Hengst wäre das nicht passiert. Der hätte keinerlei Zweifel an einer prächtigen Zukunft gehegt, mit überwältigendem Optimismus gesegnet. Allerdings hatte der auch keine Vergangenheit wie... Hikaru atmete tief durch. Man konnte nicht für alle Zeiten verdrängen und aussperren, was den Weg bis hierher ausgemacht hatte. Obwohl, das gestand er sich selbst zu, er in dieser Hinsicht imponierend gründlich gewesen war. Wäre nicht Masaya auf den Plan getreten... aber nein, das traf es nicht allein. Irgendwann kreuzte IMMER einer auf, der die Nachfolge antrat. Da hieß es, mit Grandezza von der Bühne abtreten, wollte man seine Würde bewahren. Grandezza konnte er nicht für sich reklamieren, aber seinem Steampunk-Hikaru hatte er einen geordneten Rückzug verschafft! Sah man mal von dem Beil-Verrückten ab. Masaya hingegen erhöhte den Druck im Kessel, weil der sich nicht abwimmeln oder mit der gewohnten Show ablenken ließ. Weil der sich offenbarte und entblößte, sich nicht um "Image" oder Männlichkeitsideale scherte. Da konnte man schlicht nicht zurückstecken. Jetzt noch weniger, denn es war ihnen beiden ernst! Also~also musste er jetzt alle Hoffnung darauf setzen, dass Masaya IHN wirklich so wollte, wie er war, jenseits von Image, Masken und diversen Bühnen. ~~~>#*** Kapitel 12- Aufs Land! Masaya betrat sein Appartement, schlüpfte gleich aus den feuchten Schuhen. Natürlich, ein Regenguss auf den letzten Metern! "Masaya?!" Hikaru kam ihm rasch mit einem Handtuch entgegen. "Entschuldige, die Spedition ist gerade erst weg, sonst hätte ich dich abgeholt!" "Damit wir beide nass werden?" Ungeniert ließ Masaya sich abtupfen. "Hast du alles hergeschafft?" Hikaru, der ihm gerade das feuchte Sakko abstreifte, seufzte geplagt. "Tja, drinnen ist alles. Zum Verstauen bin ich noch nicht gekommen, weil ich erst das Essen vorbereiten wollte." "Jetzt können wir uns ja aufteilen." Entschied Masaya, schnappte Hikarus Kinn, verschaffte sich ungeniert einen Begrüßungskuss. "Hmmm!" Kommentierte er, leckte sich die Lippen. "Pikant." Er registrierte eine feine Röte auf Hikarus Wangen, was ihm sehr zusagte. "Zieh dich lieber rasch um!" Schon wurde er energisch Richtung Bad befördert. "Danach sehen wir weiter!" Was er selbst sehen konnte, waren Hikarus virtuose Wirbeleien zwischen Reiskocher, Wasserkessel und Topf, dazu in ihrem Zimmer zwei Rollkoffer und vier Umzugskisten, säuberlich gestapelt. Ob man das alles unterbringen konnte? Gelöst werden musste das Problem, wenn sie sich zum Schlafen ausstrecken wollten. Zunächst jedoch pirschte er sich ohne übertriebene Heimlichtuerei an, schlang die Arme um Hikaru, goutierte dessen Vorliebe für lose Hemdblusen. "He, Vorsicht!" Mahnte der ihn, fuhr betont in seinem Tun fort. Masaya schmiegte sich an, applizierte sanfte Küsse auf Kehle, Schlüsselbein und Wangen. "Du hast mir gefehlt." Bekannte er, eine Spur grimmig. "Besonders beim Mittagessen. Ich musste mir unerträglich ausführliche Schilderungen eines TV-Dramas anhören!" Da er äußerst selten den Fernseher einschaltete und Unterhaltungsprogramme vermied, konnte er selbstredend nicht auf der Höhe sein, was MAN gerade diskutierte. Weshalb ihm, ohne Rücksicht auf seine sorgfältig gepflegte Ignoranz diesbezüglich, die gesamte Handlung nacherzählt wurde! "Ach herrje!" Bekundete Hikaru Mitgefühl. "Gar nicht nach deinem Geschmack?" "Sag bloß, du guckst gerne Fernsehdramen und -serien?" Verlegte Masaya sich auf noch ungekannte Gefilde. Hikaru erlegte den lautstark trötenden Wasserkessel, bugsierte ihn auf einen Untersetzer. Das Teewasser sollte nicht mehr kochen, wenn er es mit den Teeblättern bekannt machte. "Es gehört...gehörte zum Geschäft, sich auf dem Laufenden zu halten." Antwortete er. "Nicht nur für Cosplay und Parodien. Neben den althergebrachten Plots gab es auch immer ein Interesse daran, populäre Dramen ein bisschen aufzuheizen, passend für die Kundschaft zu adaptieren." An seinem Ohr schnaubte Masaya gequält. "Kann ich also nicht auf deine Unterstützung bauen, mich bei der nächsten Filmkritik samt minutiöser Handlungswiedergabe rauszuhauen? Indem wir das Thema auf die europäische Fußballliga verlagern?!" Da er gerade die Teeblätter taufte, hielt Hikaru nur kurz inne, die Stirn dezent gerunzelt. "Davon verstehe ich überhaupt nichts. Höchstens Baseball." "Da reden dann zu viele andere mit." Wiegelte Masaya entschieden ab, löste widerwillig einen Arm, um die Reisschalen aus dem offenen Regal zu heben. Hikaru, in seiner halben Umarmung noch immer umzingelt, prustete heraus. "So sehr willst du mich allein in Beschlag nehmen?" "Selbstverständlich!" Schmetterte Masaya im Brustton ehrlicher Überzeugung. "Schließlich sehe ich dich erst am Abend wieder!" Lachend entwand sich Hikaru seinem Zugriff, apportierte die Teekanne. "Ehrlich, Masaya, manchmal benimmst du dich wie ein Fünfjähriger!" "Das macht der Entzug." Diagnostizierte sich Masaya würdevoll. "Und es sorgt für geistige Mobilität." Skeptisch eine Augenbraue lupfend bahnte sich Hikaru einen Weg durch seine Habseligkeiten. "Wenn es deine physische Mobilität zulässt, könntest du den Tisch aufstellen? Wir können nämlich gleich essen." Neckte er Masaya. Langmütig kam Masaya dieser Aufforderung nach, notierte sich im Geiste, dass er noch ein Dessert verlangen wollte. Sei es zwischen den Umzugskisten! ~~~>#*** Hikaru registrierte mit einer gewissen Erleichterung, dass Masaya ihm offenbar nicht zürnte, weil er die Wohnung mit seinem Hab und Gut völlig verstopfte. So ganz traute er sich auch selbst nicht über den Weg. Fast fünf Jahre allein wohnen, das schulte nicht unbedingt in Kompromissfähigkeit. "Weißt du, ich dachte, wir könnten zunächst vielleicht meine Koffer auspacken?" Adressierte er Masaya über die Schulter an der Spüle. "Schon möglich." Kommentierte der nonchalant, was Hikaru etwas verblüffte. Diese Verwunderung wich jedoch flugs der Erkenntnis, dass Masaya sich auf ganz andere Gefilde zu konzentrieren beabsichtigte. Unvermittelt ragte er nämlich hinter ihm auf, presste ihn gegen die Küchenzeile, wobei er unaufgefordert die Hände unter Hikarus Hemdbluse schob, dessen Front besitzergreifend bestrich. "He! Ma~!" Weiter gelangte Hikaru in seinem Protest gar nicht, da eine Hand sein Kinn umfasste, herumbog, um auf Masayas Lippen zu treffen, die jeden Tadel versiegelten. Außerdem, das konnte man kaum ignorieren, bemerkte er eine deutliche Begeisterung jenseits des Gürteläquators, die sich aufreizend an seiner Kehrseite rieb. "Masaya, hier ist kein Platz..." Er predigte tauben Ohren. Geschickt herumgewirbelt schmiegte sich der straffe Körper des wenig jüngeren Mannes an ihn, ließ keinen Zweifel übrig, das Platz gefunden werden würde. Und zwar rasch, was die beiden Geigerzähler betraf! Die Hände noch nass vom Abspülwasser half Hikaru wenigstens dabei, die Hosen auf Halbmast zu schicken, bevor es gar zu unbequem wurde. Er bestand auf Waffengleichheit, sodass er auch Masayas Polo-Shirt über dessen Schopf zerrte. Der bearbeitete bereits engagiert ihre Erektionen, während er mit dem anderen Arm jeden Millimeter Distanz verhinderte, dabei unstet über Hikarus Schulterblätter kreiste. Hikaru gönnte sich den Luxus, die Arme um Masayas Nacken zu legen, ihm die ganze Handarbeit zu überlassen. Dessen Begehren war wirklich schmeichelhaft, so roh und ungestüm, ohne ihn dabei zu verletzen oder dominieren zu wollen. Außerdem amüsierte es ihn, wie sie, die doch als Profis gearbeitet hatten, wie Teenager knutschten! Bis ihnen doch die Luft zu knapp wurde, weil sich auch tiefer eine unaufhaltsame Entwicklung abzeichnete. Sie umschlangen einander keuchend, ein unsicherer Pas de deux, sich gegenseitig stützend, die wechselseitige Wärme suchend. "Also schön, können wir jetzt übers Aufräumen reden?" Versuchte Hikaru, sich auf die wesentlichen Aspekte zu konzentrieren. "Später." Knurrte Masaya kehlig an seinem Ohr. "Ich will mehr. Jetzt." Ungläubig wandte Hikaru den Kopf, noch ebenso erhitzt wie Masaya. "Das geht nicht..." Der griff zur Selbsthilfe, strafte ihn damit Lügen, was Hikaru mit einem Aufstöhnen quittierte. "Lass mich nicht betteln!" Grollte Masaya ihm finster-wild ins Gesicht, die Zähne gebleckt, was seinen "animalischen" Charme ausmachte. "Fall gefälligst über mich her!" ~~~>#*** Zugegeben, sein Auftreten hätte manchen Fünfjährigen beschämt, doch Masaya verspürte nicht mal einen Hauch von Verlegenheit. Glaubte Hikaru allen Ernstes, dass ihm einmal Handarbeit genügte?! Schön, es gab eben im Augenblick keinen Platz zum Langlegen. Sie waren jung, knackig und gelenkig! Deshalb konnte man auch die lästigen Fesseln von Bekleidung von den Knöcheln streifen, ein Handgelenk kapern, seinen Partner-in-coitus ins Badezimmer bugsieren! "Mach hinne!" Pöbelte er in bewährter Grobheit des Metropolen-Ureinwohners. In der Gewissheit, dass er damit einen wunden Punkt ins Schwarze traf. Tatsächlich hörte er Hikaru empört zischen. Vielleicht dirigierte der ihn ein wenig nachdrücklicher als erforderlich in die Dusche, wo er sich an den Kacheln abstützen konnte. Das focht Masaya nicht an, im Gegenteil, es fachte seine Erwartung an! Er wollte Hikaru ja spüren, so richtig, intensiv, vehement, alles ausfüllend! Rücksichtsvoll-reserviertes, höflich-adrettes Kuscheln mit Blümchenpflücken, danach stand ihm einfach nicht der Sinn! Die Präparationen gingen wortwörtlich rasch von der Hand, das gehörte ja zum Rüstzeug. Masaya hörte sich selbst lustvoll stöhnen, als Hikaru den ersten Anlauf nahm. Ja, verdammt noch eins, er WOLLTE jetzt vom Hengst-Superstar rangenommen werden! Weil es Hikaru war. Weil der seinen Namen keuchte. Und weil dessen verschleierter Blick voller Emotionen danach nur IHM gehörte! ~~~>#*** "Das wird dir morgen noch leid tun." Prophezeite Hikaru halb rügend, halb hilflos. Privat so angefallen zu werden, ungeniert, frech, provozierend, daran würde er sich wohl noch gewöhnen müssen, konstatierte er für sich selbst. Außerdem, das konnte er sich auch nicht ersparen, sprangen bei Masaya einfach keine "Job-Reflexe" an. Im Gegenteil. Nervosität, Kurzatmigkeit, sogar feuchte Handinnenflächen, ungeschickte Bewegungen, Mängel in der Koordination... Bei einem Porno wären sie zielsicher durchgefallen! "Glaube ich kaum." Beschied Masaya ihm gerade, OFFENKUNDIG vergnügt und gehobener Laune, während sie Hikarus Habseligkeiten strategisch verstauten, sich daran begaben, das Nachtlager aufzubauen. "Wir könnten übrigens auch unsere Sammlungen fusionieren." Schlug er vor. "Duplikate als Sicherheitskopien verstauen." Hikaru kippte beinahe auf die ausgerollte Matratze, wo er gerade das Laken justieren wollte. "Du willst das doch nicht ernsthaft hier offen ausstellen?!" Selbst in seinen Ohren empfand er seine Stimme als schrill. Wieder betrachtete Masaya ihn mit einem tadelnswert spitzbübischen Ausdruck auf den Zügen. "Wieso nicht? Wer sollte sich daran stören?" Ächzend sackte Hikaru auf die bloßen Hacken. "Erlaube mal, wer NICHT?! Was sollen die Leute denken, wenn sie DVDs mit solchen Titeln im Regal vorfinden?!" "Spezifiziere bitte Leute." Schnurrte Masaya, ein gefährliches Funkeln in den Augen. Hikaru zögerte, spürte eine verdrängte Pein wie einen Stich in die Seite. Er räusperte sich, konzentrierte seine Aufmerksamkeit darauf, die Decken glattzustreichen. "Es wäre doch möglich, dass... Freunde oder Kollegen zu Besuch kämen. Jemand aus deiner Familie. Dein Cousin zum Beispiel." Besonders Masayas Familie würde unzweifelhaft der Schlag treffen, wenn sie eine derartig bestückte Regalwand zu Gesicht bekämen! Er schreckte auf, als Masayas Hand seine Wange umschloss, Blickkontakt erzwang. "Ich schäme mich nicht dafür. Ich entschuldige mich auch nicht dafür, dich zu lieben, dich zu begehren und mit dir zu schlafen." Masaya raunte die Worte streng, eindringlich. "Ich bin der festen Überzeugung, dass du dich auch nicht dafür schämen musst. Niemand wurde geschädigt. Im Gegenteil, die Betrachter haben die Gelegenheit, zu träumen, sich Befriedigung zu verschaffen. Auf Erfüllung zu hoffen, den Mut zu finden, sich mit anderen auszutauschen, vielleicht sogar selbst einen Partner zu finden." Hikaru blinzelte überrumpelt. Glaubte Masaya tatsächlich, was der da so selbstgewiss formulierte? "Tatsächlich möchte ich meinen, dass es einen gesellschaftlichen Dienst darstellt!" Dozierte der gerade entschieden. "Weniger Triebstau, Aggressionen, Mobbing, deprimierendes Alltagsgrau!" "Gesellschaftlichen Dienst." Wiederholte Hikaru fassungslos. Masaya strich ihm über den Nacken, ließ das Schmuckband durch seine Finger gleiten. "Ich bin imstande, mein Herzblatt, dir einen längeren Vortrag zur Beweisführung zu halten. Andererseits könntest du mich durch rücksichtsloses Anflauschen davon abbringen." Hikarus Kinnlade näherte sich den Kniekehlen an. "Was denn?" Masaya grinste unverschämt. "Darf ich nicht auch liebesbedürftig, albern und verwöhnt sein? Zumindest im erträglichen Rahmen?" "Pff! Pff!" Entfuhr es Hikaru, der ungläubig die Schultern lupfte und fallen ließ. Wirklich, Masaya verhielt sich wie ein Hormon-umnebelter Teenager in schlüpfrigen Romanzen! Was zu rügen gewesen wäre, hätte ihm nicht derselbe Mann so zärtlich über die Wangen gestrichen, ihn unverwandt betrachtet, liebevoll, lächelnd, ein wenig neckend. "Anflauschen." Griff Hikaru das Stichwort auf. "Das lässt sich bewerkstelligen." Himmel, da stünden ihm wohl noch einige Überraschungen bevor, was ihr Zusammenleben betraf! ~~~>#*** Masaya war mit sich und der Welt zufrieden. Aufwachen neben Hikaru. Frühstücken mit Hikaru. Abschiedskuss von Hikaru. Außerdem erfüllte es ihn mit Genugtuung, dass er keineswegs unter Zipperlein zu leiden hatte ob ihrer gestrigen, intensiven Beschäftigung in der Dusche, Disziplin Andocken, stehend. Zudem hatte er neue Erkenntnisse gewonnen. Dass Hikaru scheu war. Schüchtern. Ihn damit herausforderte, die Komfortzone selbstgerechten Snobismus zu verlassen (wer könnte einem Tokioter schon was anhaben?!). Ihm sagte auch die vergleichsweise Härte und körperliche Stärke zu, die er beim Sex erfuhr. Knochen, Muskeln, Kraft, Ebenbürtigkeit in Größe und Beschaffenheit. Keine Üppigkeit, keine weichen, zarten, mit Vorsicht zu begegnenden Körperpartien. Und natürlich das Eindringen Hikarus erigierten Penis' in seinen After. Eine besondere Erfahrung, nicht zu vergleichen mit anderen Sexualpraktiken. Ein absoluter Vertrauensbeweis. Ein beispielloser Energieaustausch. Eine Gelegenheit, sich auszuliefern, rückhaltlos hinzugeben, sich nicht zu sorgen um Würde, Image, Macht oder dergleichen. Masaya testierte, dass ihm diese Erfahrungen wohltaten. Wenn Hikaru sich auch emotional in ihrem neuen, gemeinsamen Leben eingerichtet hatte, würde der auch gelassener werden, ihm Schritt für Schritt anvertrauen, was vor dem Pornosuperstar gewesen war. ~~~>#*** Eigentlich sah Hikarus Plan für den Tag vor, sich erneut zum Schrein zu begeben, um dort (möglicherweise mit der glückverheißenden Unterstützung der Katze) sein Notizbuch mit konkreten Vorhaben zu füllen, die sein neues Leben ausmachen sollten. Mittags wollte er, nicht nur dem großen Gemüsevorrat geschuldet, mit einem Bento bei Masaya vorbeisehen. Die Kantine erlaubte dies ausdrücklich. So weit kam er jedoch gar nicht. Kaum hatte er den Fuß auf die Straße gesetzt, fing ihn schon die überwiegend weibliche, in Jahren gesetztere Nachbarschaft ab. Weil, also, er sei doch Model, richtig? Damit qua officio auf der Höhe der aktuellen Mode! Deshalb geradezu prädestiniert, ihnen zu assistieren! Oh, nicht nur wegen des direkt bevorstehenden, frühsommerlichen Nachbarschaftsfestes, nein, nein, aber wo man gerade davon sprach...! Hikaru sah sich unvermutet umrundet, ja, umzingelt! Von wohlmeinenden Personen, die alle nur ein klitzekleines Bisschen seiner Zeit und Unterstützung in Anspruch nehmen wollten! Selbstredend für eine gute Sache, oh ja! Immerhin, das konnte er nicht bestreiten, tagsüber waren junge, männliche Aufbau- und Organisationshelfer wirklich rar gesät! Die konzentrierte Aufmerksamkeit der Damenriege löste bei ihm ein Gefühl der machtlosen Bedrängnis aus. Sicher konnte er aushelfen, auch einen unverbindlichen Ratschlag erteilen... Was erwartungsgemäß weder genügte, noch den stetigen Strom an winzigen Gefälligkeiten eindämmte! Also, die Kimonos waren ja chic, ganz klar, aber eben auch aufwändig zu schnüren, weil Einheitsgröße. Wenn man es so bedachte, dazu in die Jahre gekommene Knöchel und Nackenpartien beäugte, stellte sich doch die Frage...! Yukatas, die machten viel her, Tradition mit Bequemlichkeit kombiniert! Trotzdem, das Schönheitsideal des biegsam-schlanken Bambus prallte mitunter doch heftig auf ausladende Kurven, die auch einem veränderten Nahrungsangebot zu verdanken waren! Dennoch, es war ungeheuer wichtig, sich hübsch herauszuputzen. Da kam erst richtig gute Laune auf, nicht wahr?! Es blieb Hikaru nichts anderes übrig, als wie eine Kugel im Spielautomaten hin und her geschleudert zu werden, auszuhelfen, zu diskutieren, Ratschläge zu erteilen, mehr als einmal flehentlich fallen zu lassen, dass er aber unbedingt für Masaya ein Bento zusammenstellen müsse! Was ihm lediglich einen temporären Dispens einbrachte, da man gemeinschaftlich entschied, ihn dabei anzuleiten. Gerade noch gestattete, dass er allein zum Universitätsgelände spurtete. Hikaru konnte an Masayas Gesichtsausdruck nach einer kläglichen Entschuldigung ablesen, dass der über diese Entwicklung ganz und gar nicht amüsiert war. Glücklicherweise umringten sie Kollegen und Assistentinnen, die ebenfalls eingeladen wurden, das mehr als üppige Bento zu verkosten. Das würde ihm zumindest den Rückweg erleichtern, da er die Kästchen und Schachteln eingeschlagen in ein gewaltiges Transporttuch mit beiden Armen hatte schleppen müssen! "Entschuldige bitte!" Wisperte er deshalb erneut. "Die haben mich gleich vor dem Haus abgefangen." Unter dem Tisch schob Masaya seine Hand auf Hikarus Oberschenkel, malte dort Zeichen. [Kuss. Draußen.] Wenn diese Geste genügte, die ärgerliche Falte zwischen Masayas Augenbrauen wieder auszubügeln, war Hikaru willig, seine Besorgnis ob negativer Reaktionen hintanzustellen. "Wenn es dir zu viel wird, tauch unter!" Raunte ihm Masaya auf dem Weg zu. "Schütz eine Migräneattacke oder Bauchweh vor!" Entgeistert warf Hikaru ihm einen Seitenblick zu. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein?! Die grimmige Miene weckte gewisse Zweifel an der Scherzhaftigkeit dieser Empfehlung. "Ich hole dich nachher ab, ja?" Bemühte er sich um eine positive Perspektive. Masaya drängte ihn in den Windfang, suchte ausgiebig nach den Aromen der Mittagsspeise, ungeniert und gründlich. Endlich, ebenfalls außer Atem, gewährte er Hikaru ein wenig persönliche Sphäre. "Bitte übernimm dich nicht, in Ordnung?" Für Masayas Verhältnisse eine beinahe handzahme Forderung. Hikaru drückte seine Hände kurz, lächelte aufmunternd. "Ich pass auf! Und hol dich nachher ab!" Bis dahin würde ihm sicher auch etwas eingefallen sein, um Masayas grantige Laune zu heben! ~~~>#*** Es verhielt sich ja nicht so, als hätte er grundsätzlich etwas dagegen, dass Hikaru unter die hiesige Bevölkerung kam. Bloß IM DETAIL...!!! Masaya schob sich den von Hikaru modifizierten Rucksack auf die Schultern, funkelte konsterniert den Weg hoch. Es ärgerte ihn, dass sämtliche alten Schachteln in der Gegend so selbstherrlich und ungehemmt Hikaru in Beschlag nahmen. Vorher waren sie ja wohl auch über die Runden gekommen, oder?! Ihre Schrein- oder Nachbarschaftsfeste hatten auch ohne dessen Unterstützung funktioniert! Außerdem verriet ihm Hikarus Verhalten noch eine Erkenntnis über seinen wenig älteren Geliebten: Hikaru war leicht einzuschüchtern. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dachte man an das arrogant-überhebliche Gebaren des Cowboy-Superpornostars. Aber da, Masaya summierte entsprechende Begegnungen, waren sie stets allein gewesen. Oder unter wenigen Kollegen. Selbst bei der Filmpremiere gab es eine Barriere zwischen dem Publikum und ihm. Hier jedoch, in einer Traube von Frauen, die ihn ohne Zurückhaltung in die Mangel nahmen, wirkte Hikaru verschreckt. Lediglich wenn ein Thema zur Sprache kam, das explizit seinem Interesse und seinen Kenntnissen entsprach, taute er ein wenig auf, wurde lebhafter, weniger verhalten und angespannt. Sehr frustrierend, dass die Frauen zweifellos erkannt hatten, wie schwer es ihm fiel, ihre Forderungen zurückzuweisen, sich Freiraum zu verschaffen! Masaya konnte ohne Scheu von sich behaupten, dass ihn derartiges Gebaren nicht zu Konzessionen bewegte. Ritterliche Galanterie verlangte am anderen Ende eine ebenso gestrickte Dame! Und keine Furien-Bande! Am Ende der Straße konnte er Hikaru erkennen, der ihm entgegen hastete, etwas zerrupft wirkend, die Ärmel hochgekrempelt, der Pony zerzaust. "Entschuldige! Es hat länger gedauert..." Auf eine Erklärung legte Masaya in diesem Moment keinen gesteigerten Wert. Er zog Hikaru nachdrücklich in seine Arme, küsste ihn so leidenschaftlich wie westliche Pärchen im Kintopp, bevor der Vorhang fiel. Hikarus Fingerspitzen gruben sich schmerzhaft in seine Arme. Das hinderte ihn kein Bisschen. Er wartete auf den Tadel, einen aufgebrachten Protest. Hikaru lehnte sich bloß an ihn, schnaufte matt. "Es war so anstrengend!" Vertraute er Masayas Ohr heiser an. "Wir gehen ins Badehaus, einverstanden?" Fühlte Masaya sich sofort in der Verantwortung. "Oder hältst du es vor Hunger nicht aus?" An seinem Ohr ächzte Hikaru. "Wenn ich noch mehr Tee trinken oder Reiskuchen essen muss, falle ich auf der Stelle tot um!" Masaya entlockte diese verzweifelte Klage ein Auflachen. Tröstend streichelte er über Hikarus Rückenpartie, spürte klammen Stoff. Offenbar hatte Hikaru auch geschwitzt. Das konnte in der einsetzenden, abendlichen Abkühlung zu einer lästigen Erkältung führen. "Holen wir rasch die Yukatas und gönnen uns etwas Entspannung, hm?" Raunte er zärtlich, schon beinahe versöhnt. Dazu trug auch bei, dass Hikaru keine Anstalten unternahm, ihm seine Hand wieder zu entziehen, als er sogar ihre Finger miteinander verschränkte. "Es ist wirklich lästig, dass sie dich so belagern." Stellte er für das Protokoll während ihres Heimwegs fest. "Wimmel sie ab, ja? Du bist hier zur Erholung." Er registrierte einen prüfenden Seitenblick. "Sag mal, Masaya, du hast immer nur in Tokio gelebt, oder?" Hikarus Tonfall war vorsichtig, betont neutral. "Exakt. Großstadtjunge." Bestätigte Masaya selbstbewusst. "Dann verstehst du das nicht, glaube ich." Formulierte Hikaru neben ihm behutsam. "Man kann sich nicht einfach entziehen." Eine Augenbraue kritisch lupfend sah sich Masaya genötigt, dies zu hinterfragen. "Können selbstverständlich. Eine unmissverständliche Ansage genügt, möchte ich meinen." Verfiel er in seinen professoralen Duktus, um zu ergänzen. "Mir scheint, wir reden hier von Expertise?" Hikaru, der ihm strikt das Profil bot, nickte bloß knapp. Ah. Masaya seufzte übertrieben. "Nun denn, ich beuge mich deinem Urteil. Dennoch lege ich Protest ein." Ihn streifte ein nervöser Seitenblick. "Es ist bestimmt bloß bis zum Fest! So viele Leute kennenzulernen ist ja auch nützlich, weißt du? Falls wir mal Unterstützung benötigen." Ein Schnauben unterdrückend ließ Masaya dieses Argument widerwillig gelten. Von Tokio war er andere Verhältnisse gewöhnt, auch wenn dort Kontaktpflege und Netzwerken ebenso notwendig waren. Bloß musste man sich da nicht in zwangsweise Bekanntschaft mit der Nachbarschaft begeben! Andererseits half es nichts, sich den Abend zu verderben und zu schmollen. Zudem bemühte sich Hikaru darum, diesen Arbeits- und Wohnplatz zu ihrer Heimat, ihrem Zuhause zu machen. "Also, wann ist dieses Fest?" ~~~>#*** Hikaru konnte gerade noch ein lustvolles Aufstöhnen herunterschlucken. Wie angenehm! Nicht nur, dass Masaya ihm zuvorkommend den Rücken eingeseift hatte. Im heißen Wasser im Badehaus, die drei alten Männer als Inventar schlichtweg ignorierend, massierte er ihm engagiert Schultern und Nacken! Oh, und die unteren Lendenwirbel, herrlich! "Tsktsk, was hast du bloß angestellt?! Alles ganz steif und verkrampft!" Glücklicherweise schien Masaya darauf keine Antwort zu erwarten. Dabei waren es weniger die Handreichungen, die diesen verhärteten Zustand verursacht hatten. Nein, es war die konstante, alerte Anspannung gewesen. Fragen über Fragen. Eine Inquisition. Hikaru hatte dergleichen erwartet, befürchtet, sich schon im Vorfeld Antworten zurechtgelegt. Sie gaben natürlich erst Ruhe, wenn sie ihn quasi geröntgt und seziert hatten, das ahnte er schon. Woher, warum, wieso, weshalb. Dabei schien es immer noch einigen gar nicht erst zu dämmern, dass zwei ehemalige Models (Männer) üblicherweise nicht zusammenlebten. Klar, Wohnungsnot, unbezahlbare Mietpreise in der Metropole, alles verständlich. Ernsthaft: wie sollte man als Mann eine Familie gründen, wenn man mit einem anderen Mann in einer Wohnung hauste?! Masaya trug ja den Ring, also gab es da jemanden, ganz ohne Zweifel! Geschickt ausweichend zu antworten, den piesackenden Nachfragen zu entwischen, sich nicht bei einer Umschreibung oder seiner zweckmäßig erfundenen Biographie durch Widersprüche ertappen zu lassen: das strengte an. Extrem sogar. Hikaru bescheinigte sich deshalb durchaus ein gewisses schauspielerisches Talent, weil es ihm möglich gewesen war, in eine Rolle zu schlüpfen, hinter einer Maske zu bleiben. Hikaru, Model aus Tokio, auf Landurlaub, Großstädter durch und durch, außer Mode, Makeup und Magazinen nichts im Kopf. Zugegeben, hin und wieder hatte er Fertigkeiten bewiesen, die Skepsis genährt hätten. Wäre er um entsprechende Ausreden verlegen gewesen. Doch die Figur, die er spielte, kam mit allerlei Unsinn durch. Hauptsächlich, weil er Klischees und Vorurteile bediente, die in ebendiesen Magazinen, aber auch in Seifenopern kolportiert wurden. Wer konnte ihm hier das Gegenteil beweisen? Masaya zog ihn ungeniert auf seinen Schoß, streichelte ihm mit den Fingerknöcheln über die Schläfen. "Herrje, schlaf mir hier nicht ein, ja?" Sich anlehnend seufzte Hikaru. Gerade fühlte er sich perfekt durchgewärmt, geschmeidig und einfach wohlig in seiner Haut. Nur einen Augenblick länger so verharren! Denn, das dräute ihm im Hinterkopf, Masaya würde sich ganz sicher nicht so hinters Licht führen lassen! ~~~>#*** Die drei verschrumpelten Säulenheiligen des Badehauses amüsierten sich über die schlappe Jugend, die so rasch das heiße Wasser verließ. Auch wenn sie Hikaru zugute hielten, dass der sich gerüchteweise ganz anstellig gezeigt hatte, was die Vorbereitungen zum Nachbarschaftsfest betraf. Masaya gab sich kulant höflich, während er Hikaru ausbalancierte. Die Trockenpflaumen hatten leicht spotten! Sie waren ganz offenkundig HIER, um nicht daheim zu sein, dort zur Arbeit angehalten zu werden! Man hätte durchaus ein paar scharfe Worte fallen lassen können, aber dann wäre Hikaru enttäuscht, entsetzt, unglücklich gewesen, nach all seinen Bemühungen. Wirklich, es war TATSÄCHLICH eine erhebliche Umstellung, wenn man jemanden liebte, sich ständig Gedanken darüber machte, diese Person nicht zu verletzen oder durch eigenes Verhalten in ein schlechtes Licht zu rücken! "Entschuldige." Murmelte Hikaru matt, blinzelte erschöpft. Einen Arm um den Nacken geschlungen hielt Masaya mit seinem Arm Hikarus schlanke Hüfte, um ihn auf ihrem kurzen Heimweg zu stützen. "Morgen müssen sie ohne dich auskommen." Verlangte er streng. "Du hast dich übernommen, Hikaru!" "Ah, nein, das waren nur deine Massage und das heiße Wasser." Selbst Hikarus Zunge stolperte schon über Silben. "Nonsens!" Urteilte Masaya unnachgiebig. Irgendwas hatte Hikaru unzweifelhaft so zugesetzt, dass der, möglicherweise unbewusst, in einen völlig verkrampften Status verfallen war. Nicht wie er selbst, sondern wie eine aufgerüschte Marionette agierte! Er würde sich etwas einfallen lassen müssen, um Hikaru eine Pause zu verschaffen, soviel stand fest. Von dem betont harten Knochen, den der als Pornosuperstar gegeben hatte, schien jedenfalls nichts mehr übrig zu sein! ~~~>#*** Hikaru hatte das Gefühl, er bewege sich in Watte. Außerdem wurde es einfach nicht hell! Er räusperte sich, weil ihm die Zunge am Gaumen klebte, sortierte seine Gliedmaßen unter der nun erstickend warmen Decke. Stutzte. Moment mal?! Wieso hörte er nicht, was klar als Krächzer seine Kehle verlassen hatte?! Wimpernschläge später, verklebt, immer noch in Dunkelheit, aber definitiv etwas Verräterisches aus Textilgewebe touchierend, saß Hikaru aufrecht. Die Hände frei gewühlt konnte er nicht nur die Schlafmaske entfernen, mit elegantem Paisley-Aufdruck sehr schmuck zu tragen, sondern auch sein Gehör entkorken. "Masaya!" Sein Lichtwecker blinkte in unschuldigem Glanz in den verdunkelten Raum, dass es kurz vor Mittag war. Draußen, in der realen Welt. Dieser Halunke! Neben ihrem Lager wartete, gegen Hikarus Telefon in der Ladeschale gestützt (das Telefon selbstredend ausgeschaltet) ein handbeschrifteter Zettel. [Guten Morgen Dornröschen! Ich weiß, du bist just NICHT gut auf mich zu sprechen, aber als dein fester Freund nehme ich mir das Recht heraus, deine Gesundheit zu meiner Priorität zu machen. Wenn dir all diese Leute zu viel werden, zieh dich in unsere Höhle zurück. Es gibt keinen Grund, hier auch unter Stress zu leiden. Ach, was zu essen habe ich dir auf der Anrichte hingestellt. Und ja, ich habe deinen Tee gestern ein wenig angereichert. Zank mich aus, wenn ich wieder daheim bin. Dein unvernünftig liebender Masaya] "Uuuhhh!" Winselte Hikaru leise, rieb sich über die ohnehin apart geröteten Wangen. Es brachte ihn schon in Verlegenheit, wenn Masaya derartige Dinge äußerte, aber sie schwarz auf weiß geschrieben zu sehen, DAS erhöhte die Scham noch um Potenzen! Überhaupt, er rappelte sich auf, schüttelte die Decke ab, was denn für einen Stress?! Schön, gestern hatten sie ihn alle in Beschlag genommen, aber er war ja nicht so ein Weichei! An der Küchenzeile angekommen hielt Hikaru sich fest, presste die Fingerspitzen in die Verkleidung. Also doch. Masaya musste es gemerkt haben. Früher hatte es niemanden gekümmert. Jetzt gab es da diesen herausfordernd-ungezogen-selbstherrlichen Kerl, der ihm so viel Aufmerksamkeit und Leidenschaft widmete. Hikaru seufzte, ging in die Hocke, fühlte sich unerwünscht an die Szene damals im Waschraum des Clubs erinnert, nur in umgekehrter Position. Der Schwindel verging rasch. Nur, weil er sein altes Leben abgestreift hatte, bedeutete es noch lange nicht, dass er in einem neuen Leben angekommen war. Diese nicht zu leugnende Tatsache holte ihn jetzt unangenehm ein. Was also tun? Die Wahrheit bekennen? Allein der Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut über den gesamten Körper, schnürte ihm die Luft ab. Nein, da war es um Welten besser, sich eine alternative Biographie zu stricken, gerade ausreichend, die üblichen Fragen abzuwenden! Mühsam stemmte Hikaru sich auf die Beine. Ein aufrührerisches Grollen erinnerte ihn daran, dass er besser dem Schlafmittel etwas neue Nahrung entgegensetzen sollte. Sicher hier im Kokon ihrer kleinen Welt, würde er sich Gedanken machen, jawohl! Außerdem stand ja auch das Nachbarschaftsfest bevor! ~~~>#*** Masaya testierte sich selbst eine gewisse Schweinehund-Tendenz. Er verspürte nicht mal einen Anflug von Schuldgefühl darüber, Hikaru mit biologisch-chemischen Mitteln außer Gefecht gesetzt zu haben. Immer noch besser, als von irgendwo zu hören, dass der zusammengeklappt war und mit Infusionen aufgepäppelt werden musste! Auf besorgte Nachfragen antwortete er deshalb ungeniert, der ganze Trubel habe eine Migräne ausgelöst. Hikaru sei ja eigens hierher gekommen, um sich von Überarbeitung und Stress zu erholen! Da hakte man lieber, indirekt getadelt, nicht mehr so pestilent nach. Gut! Während Masaya den Heimweg absolvierte, erwog er ernsthaft die Möglichkeiten, eine Unterbringung am äußersten Rand der Siedlung zu eruieren. Nicht, dass er Hikaru wegsperren wollte, aber die räumliche Distanz könnte vielleicht die Schutzzone sein, die notwendig wäre, um ihm zu helfen, sich nicht mehr beinahe reflexartig zu verstellen. In Tokio gelang das, wenig erstaunlich, recht einfach. Gerade in den Wohnburgen, mit überlangen Arbeitsstunden, ewigem Pendeltransfer, begegnete man seiner Nachbarschaft nur sehr selten. Wenn man nicht wollte, konnte man sehr anonym leben. Nähe hingegen musste man aktiv betreiben, durch Kontaktpflege, regelmäßige Besuche. Richtig "sichtbar" sein. Masaya nickte einigen älteren Passanten zu. Hier konnte man gar nicht anonym sein. Selbst wenn man sich heraushielt, reserviert blieb, so konnte man doch Gegenstand von Betrachtungen und Diskussionen werden. Klatsch und Tratsch eben. Jemand, der so unerwartet scheu wie Hikaru war, konnte von derlei Gerüchten und Gerede nachhaltig verletzt werden. Warum hatte der auch sonst derart hohe Mauern um sich gezogen, niemanden wirklich an sich herangelassen? Die Treppen der Außengalerie ersteigend fragte sich Masaya, wie er Hikaru ermutigen konnte, wenigstens ihm zu vertrauen. Seinem Schutz, seinem Beistand. "Bin daheim." Verkündete er, aus den Schuhen schlüpfend. "HmmHmm." Hörte er Hikaru gedämpft. Stirnrunzelnd beschleunigte Masaya in ihren Wohnraum. Hikarus Knebellaut erklärte sich. Der machte temporär dem gruseligen Pinhead Konkurrenz: verschiedene Stecknadeln bestückten seinen geschürzten Mund. An zwei Wandschränken hingen einfache Drahtbügel mit Stoffstücken. Masaya glaubte, das Muster eines Pyjamas zu erkennen, den er irgendwo verbuddelt hatte, weil er es als grässlich empfunden hatte. "Lass mich raten, du arbeitest an einem spektakulären Auftritt für das Nachbarschaftsfest morgen?" Wagte Masaya eine Hypothese. Hikaru nickte, spickte ohne Zögern auf links gedrehte Säume, bis er sprechen konnte. "Weißt du, weil wir hier beide als Ex-Models gelten, erwarten die Leute, dass wir etwas auffallen. Da habe ich unsere Bestände mal durchgesehen." Erläuterte er fast entschuldigend. Masaya nutzte die Konzentration auf die Arbeitsstücke, um Hikaru die Arme von hinten um den Oberkörper zu schlingen. "Eigentlich beabsichtigte ich mit meiner verwerflichen Aktion, dass du dich erholst, mein Herzblatt." Ließ er dezent Kritik anklingen, küsste Hikaru auf die Wange. "Oh, mir geht's gut!" Versicherte der ihm, kniff ihn betont in einen Handrücken. "Stell so was aber nicht noch mal an, ja?! Ich hab fast bis mittags gepennt!" "Wenn's dir gut getan hat." Zeigte Masaya nicht den Anflug von Reue, knabberte an Hikarus Ohrläppchen. Der seufzte bis in die Zehen. "Du bist wirklich unverschämt." Stellte Hikaru fest, entschlüpfte, wie Masaya befriedigt registrierte, nicht ihrer engen Umarmung. "Das wird keine Yukata, oder?" Erkundigte er sich. So genau ließen die aufgespießten, teilgenähten, bunten Stücke nicht erkennen, wie das finale Ensemble aussehen würde. "Nein, dafür hätte ich mehr Material am Stück benötigt." Erläuterte Hikaru, lehnte sich an ihn an. "Ich bin auch noch nicht fertig. Während wir essen, kann sich der Akku aufladen." Sein Kinn deutete das Handnähgerät aus. Er murmelte ergänzend. "Wenn ich die alte Nähmaschine hätte benutzen können..." "Hättest du wieder keinen Augenblick Ruhe gehabt!" Führte Masaya entschieden aus. "Ich weiß." Brummelte Hikaru. "Außerdem muss man sich da ziemlich konzentrieren. Aber prima ist sie schon." "Erzähl mir etwas darüber, während ich uns was zu essen mache, ja?" Masaya löste sich recht widerwillig von Hikaru, küsste ihn engagiert auf die Lippen. Das hatten sie ja vereinbart, nicht wahr?! ~~~>#*** Hikaru zögerte, war nicht gänzlich überzeugt, dass Masaya wirklich Interesse an der alten, mechanischen Nähmaschine hatte. Dessen Augen ruhten erwartungsvoll auf ihm. Ein Nicken bedeutete ihm, sich entsprechend auszubreiten. Etwas zögerlich begab sich Hikaru an das Thema, stapelte benutzte Schälchen beiläufig ineinander. "Sie sind sehr robust, diese alten Nähmaschinen. Du brauchst für sie zwar diesen Tisch, mit dem Schwungrad darunter, aber besonders bei schweren, dicht gewebten Stoffen, zum Beispiel Segeltuch, kommt man eigentlich nicht an ihnen vorbei. Weißt du, die Nähmaschinen für den Hausgebrauch haben ja diese Pedale, da kann man quasi Gas geben für die Geschwindigkeit, in der die Nadel sich bewegt, industriell ohnehin über Computer und dergleichen. Sie können auch viel zartere, feinere Stoffe bearbeiten, aber du brauchst dafür nun mal Strom. Mit den alten Maschinen bestimmst du selbst über den Fußhebel und die Wiederholungen, mit denen du trittst, das Tempo über das Schwungrad. Man braucht etwas Übung, bis man das richtige Gespür hat. Ich fand sie immer toll. Die teureren waren ziemlich elegant geformt, stell dir vor! Es gab sogar passende Bügeleisen dazu, allerdings nicht wie heute mit Strom betrieben, sondern mit Kohlenstücken oder schlicht auf der Herdplatte aufgeheizt." Masaya schien, zumindest einem raschen Seitenblick nach zu urteilen, keineswegs gelangweilt. "Du musst nicht glauben, dass ich nicht fertig werde! Ich habe bloß ein wenig länger gebraucht!" Beeilte Hikaru sich zu versichern, sortierte rasch sein Zubehör, wies auf Nähgarn, das er auf die Drehverschlüsse von Flaschen gewickelt hatte. "Ich musste ganz vorsichtig alles auftrennen und die Fäden auffädeln. Hier!" Er präsentierte die Handnähmaschine. "Man muss den Faden auf diese Spule ziehen, siehst du? Und den zweiten, der von der unteren Seite kommt, auf eine andere Spule im Gehäuse drin." "Du verwendest alles wieder?" Masaya erhob sich in legerer Lässigkeit, um den kleinen Klapptisch abzuräumen, das Geschirr zur Spüle zu transportieren. "Natürlich!" Antwortete Hikaru, kam selbst rasch auf die Beine. "Man braucht alle Ressourcen für das neue Kleidungsstück. Ich habe allerdings auch noch faules Garn, das verwende ich für mein Oberteil." Ein fragender Blick streifte ihn, während Masaya abspülte, das Geschirr dem Abtropfgestell anvertraute. "Ich zeig es dir." Bot Hikaru an, verstaute die Reste in Kühlschrank und offenem Regal. "Da kann ich auch gleich erproben, ob dir alles passt!" Geschickt wickelte er Masaya, der artig bis amüsiert Mannequin spielte, bis auf die Unterhose aus der Bekleidung, streifte ihm das noch nicht ganz abgeschlossene Oberteil darüber. "Ich nehme diesen Wintertrend auf, Neckholder mit tiefem Rückenausschnitt, siehst du? Die Ärmel schmal, große Manschetten, schlicht gehalten. Vorne mit V-Ausschnitt, selbstverständlich. Über dem Bauchnabel teilt sich der Stoff quasi in Frackflügel, die hinten zusammenlaufen." Erläuterte er, Stecknadeln griffbereit. Masaya schlüpfte in eine schwarze, matt schimmernde Hose, unzweifelhaft aus seinen "Präsentationsbeständen" requiriert. Hikaru wirbelte um ihn herum. Nun konnte er wirklich die Passform finalisieren, Abnäher markieren, unschön Spannendes oder Auftragendes korrigieren. Emsig kreiselte er mit der Handnähmaschine herum, die protestierend quäkte, setzte sie ab, marschierte, in unterschiedlichen Distanzen rund um Masaya, der kokett posierte. "Spiegel!" Nannte er sich selbst das Stichwort, flitzte eilig ins Badezimmer, um dort das gewünschte Utensil samt Saugnapf mit sanfter Gewalt zu einem Ausflug zu entführen. "Was denkst du?" ~~~>#*** Masaya strich sich durch den Pony, blickte erneut an sich herab, in den kleinen Spiegel, drehte sich provozierend. "Sexy." Fällte er sein Urteil. Staunte. Diese Eigenschaft hatte er sich wirklich noch nie selbst zugeschrieben. Symmetrisch, ganz adrett, im gewissen Rahmen gefällig, recht durchschnittlich passabel. Aber sexy?! Dieses Adjektiv beschrieb nicht nur seine Aufmachung, nein, er FÜHLTE sich auch so. Der hervorblitzende Bauchnabel, die Andeutung seiner Hüftknochen, der Panoramablick auf seinen Rücken, von den Schulterblättern bis tief zu den untersten Wirbeln. MJAMMM! "Und das aus einem hässlichen Pyjama!" Konstatierte er beeindruckt, was Hikaru unerwartet aus der aufgedreht-fröhlichen Stimmung riss. "Ja, entschuldige, ich hätte fragen sollen. Weil er nun mal noch mit allen Etiketten wieder in die Verpackung gestopft worden war und ganz unten lag..." Rechtfertigte der sich besorgt. "Ich weiß natürlich, dass das Label sehr kostspielige Produkte herstellt." Masaya streckte beide Arme aus, um mit den Fingerspitzen sanft über Hikarus Schläfen zu kreisen. "Der Schnitt stand mir nicht. Das Muster sah von oben bis unten grauenhaft an mir aus. Also, falls du dich jemals fragen solltest, warum ich absolut keinen Modesinn besitze: Erbgut meiner lieben Mutter." Neckte er ihn lächelnd. "Sie hat es sicher gut gemeint. Wenn man im Laden kauft, täuscht einen die Beleuchtung ja auch mal!" Haspelte Hikaru eilig. Das erklärte für Masaya, warum der gar nicht nassforsch-arrogant-selbstherrliche Hikaru so ungeheuer populär bei der örtlichen Damenriege war. "Sie ist modisch eine Taubnuss, genau wie ich." Beendete er Hikarus hilflose Ausführungen. "Ich bin ohne deine Expertise einfach aufgeschmissen! Sag mal, wie komme ich hier raus, ohne etwas zu zerreißen?" Eilfertig knöpfte Hikaru auf, überprüfte die wenigen noch zu schließenden Nähte, lächelte zufrieden vor sich hin, während er das Meisterstück abschloss und über einen Drahtbügel hängte. "Jetzt will ich aber sehen, was du morgen trägst!" Masaya entschied, die Modenschau nicht vorzeitig zu beenden, weil er DIESEN Hikaru so gern sah: bienenfleißig, munter, dabei konzentriert und unzweifelhaft in seinem Element. Von ihm schien ein seliges Strahlen auszugehen, ein innerer Frieden, eine Verfasstheit im Moment, die ihn verzauberte. Dieses Glück verhinderte zu seiner Erleichterung, dass sein eindringliches Beobachten Hikaru aus dem Konzept brachte. Der präsentierte ihm nämlich auf einem anderen Drahtbügel seine Kreation. "Ich habe einen Teil des Stoffs genutzt, siehst du, bloß mit der linken Seite. Ich werde diese Partien auf meine Weste applizieren. Dafür brauche ich das faule Garn. Nach dem Fest trenne ich die faulen Garnfäden einfach auf und habe wieder meine gewohnte Weste. Ich muss lediglich darauf achten, dass ich exakt die Einstichlöcher treffe, um den Stoff nicht zu schädigen. Schau, so ungefähr soll es aussehen!" Damit schlüpfte Hikaru aus der geliebten Hemdbluse, streifte sich die Weste mit der temporären Stoffapplikation über. Anders als die stilisierten Frackschöße an seiner Weste jedoch hing hier zusammengefaltet und gerafft ein Geraschel von Stoffbahnen bis fast zur Hälfte der Oberschenkel, wie bei einem Pfau mit gebündeltem Federkleid. "Oben wird es aber frisch!" Bemerkte Masaya, strich über Hikarus nackten Arm, vom Handgelenk bis zur Schulter. Ganz schön unfair, dass Hikarus knackige Kehrseite unter dem Stoffwasserfall verschwand, man SEINE Rückenpartie nur erahnen konnte! "Da kommen diese Streifen ins Spiel." Hikaru wies auf schmale, lange Stoffbahnen, die vermutlich mal die Pyjamahosenbeine gewesen waren. "Ich befestige sie als offene Ärmel, hier und hier." Schon spickten Stecknadeln benachbarte Streifen, wand sich Hikaru aus der halbfertigen Kreation. "Bis morgen Abend habe ich das bestimmt erledigt." Masaya nutzte die Gunst des Augenblicks, schmiegte sich an den entblößten Oberkörper, umschlang die nackte Brustpartie wärmend. "Bedeutet das, wir können ein wenig mehr Ordnung schaffen und es uns gemütlich machen?" Schnurrte er wenig subtil in Hikarus Ohr. "Entschuldige, es hat länger gedauert, sonst hätte ich gleich aufgeräumt!" Schon entschlüpfte ihm Hikaru beflissen, sortierte in Windeseile Utensilien, Arbeitsstücke, Entwürfe, Notizen. Die Stirn krausend fing Masaya ihn einfach ein, immer noch oben ohne, zog ihn fest an sich. "He, mein Herzblatt!" Adressierte er Hikaru streng. "Ich kritisiere deinen Schaffensdrang hier nicht, verstehst du? Es ist auch dein Zuhause, du musst dich nicht einschränken. Ich bin nur gerade ziemlich rattig und will mein bestes Stück nicht versehentlich in deinem Nadelkissen aufspießen." Die Ansage, absichtlich zotig gehalten, was seine eigene Befindlichkeit betraf, verfehlte ihre Wirkung nicht. Hikaru starrte ihn entgeistert an. "Du willst Sex? Schon wieder?" Er klang auch fassungslos. Masaya hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken. "Als Ex-Profis können wir's ja wohl richtig krachen lassen, oder? Gerade ist mir so richtig nach High Voltage!" Auch wenn er durchaus zu Konzessionen bereit war. "...oh..." Entfuhr es Hikaru. Der angelegentliche Schrittkontakt ließ keinen Zweifel aufkommen, wie ENGAGIERT Masaya sich zu beteiligen wünschte. Gespannt erwartete der nun, wenngleich auch amüsiert, wie das Urteil ausfallen würde. "...ähm...da gehst du besser zuerst ins Bad...und ich mache rasch unser Bett." Strengte sich Hikaru sichtlich an, die Gedanken an die abschließenden Maßnahmen für seine Meisterwerke zu verbannen, um sich auf die ungeniert vorgebrachten Forderungen zu konzentrieren. Man hätte SCHNURREN können vor hingerissener Begeisterung! Auch wenn sich strikt das s*ß-Wort verbat. "Husch-husch, mein Herzblatt, ich werde mich sputen!" Während Masaya den entführten Spiegel im Badezimmer wieder anklebte, hatte er große Mühe, das breite Grinsen von seinen Zügen zu wischen. Du liebe Zeit, wie er diesen Burschen liebte! ~~~>#*** Kapitel 13- Das Fest Hikaru verwünschte sich selbst. Ihm war durchaus bewusst, wie lächerlich er sich da gerade gemacht hatte. Also wirklich, waren sie jetzt ein Paar, oder nicht?! Hatte er fast vier Jahre lang den Super-Hengst gegeben, oder wie?! "Blödblödblödblöd!" Grummelte er leise, während er eilends Matratzen auf der scherenartigen Unterlage ausbreitete, das Bettzeug verteilte, Hilfsmittel in Reichweite positionierte, seinen Lichtwecker programmierte, um für die geeignete Stimmung zu sorgen. Hektischer konnte man wahrscheinlich gar nicht agieren! Allerdings, das hielt er sich zugute, war er es eben auch nicht gewöhnt, sozusagen privat Sex zu haben. Zumindest nicht, bis Masaya sich diesbezüglich als hartnäckig und unbeirrbar herausgestellt hatte. Spontane Lustgefühle konnte man sich schließlich als Profi und Arbeitnehmer nicht leisten. Deshalb hatte er diese auch (ohne besondere Anstrengung) aus seinen Gedanken verbannt. Außerdem war er nur in den eigenen vier Wänden er selbst gewesen. In Gesellschaft nahm sich das einfach zu riskant aus. Hikaru stemmte die Hände in die Hüften, überprüfte seine Blitzaktion, seufzte. Es war schwieriger als gedacht, normal zu sein! Nun, für ein gegebenes Maß von "normal". Unvermittelt schmiegte sich ein sehr nackter, sehr williger Masaya an seine rückwärtige Partie, löffelte quasi im Stehen. "Ist das die Sehnsucht, die dich so lieblich seufzen lässt?" Gurrte er in neckendem Ton. Hikaru unterdrückte ein geplagtes Grummeln, verlegte sich auf einen anderen Schauplatz. "Du hast gar nichts übergezogen! Los, kriech schnell unter die Decke, sonst verkühlst du dich!" Ein aufreizender Kuss landete heiß in seinem Nacken. "Du heizt mich doch gleich wieder richtig an." Schnurrte Masaya mit genau dem diabolisch samtigen Bass, der in den Filmen so sensationell ankam. "Unter. Die. Decke!" Schimpfte Hikaru, stampfte dabei mit dem rechten Fuß bei jedem Wort trotzig auf. Wie sollte er bloß mit diesem Masaya fertig werden?! Dessen Verführung tarnte sich nicht mal andeutungsweise, sondern marschierte als freche Herausforderung heran, setzte nach, bedrängte ihn förmlich, gefälligst zur sexuellen Attacke zu schreiten, aber pronto! Kein Wunder, dass Masaya jetzt leise lachte, ihn noch enger umschlang. "Ich liebe dich, Hikaru." Wisperte er rau. "Ich bin unheilbar verrückt nach dir." Hikaru spürte, wie ihm unerwünschte Hitze in die Wangen stieg, sie vermutlich brandmelderrot färbte! "Jedenfalls verrückt genug, sich hier einen Entenparka einzuhandeln!" Konterte er mit hochgerecktem Kinn, rang verzweifelt um Autorität ringend. "Wenn du nicht zackig unter der Decke bist, läuft gar nichts, klar?!" Damit verschränkte er betont aufgebracht die Arme vor der Brust. "Ich habe keine Lust, mich hier abzuplagen, damit wir morgen was hermachen, und du liegst krank im Bett mit Rotznase und Schüttelfrost!" Eine eher unwahrscheinliche Zukunftsvision, doch zu Selbstbehauptungszwecken an den Haaren herbeigezerrt. "Sag nur, du willst morgen mit mir angeben?" Masaya glitt geschmeidig um ihn herum, ignorierte die distanzierend gekreuzten Arme, legte seine um Hikarus Hüften, hielt ihn locker. Mit dem unerfreulichen Gefühl, dass sein kritisch-ärgerliches Funkeln Masaya keineswegs zur Räson rief, schnaubte Hikaru entschieden aufgebracht. "Ich?! Du selbst musst dich herausputzen!" Er löste die Arme, kniff Masaya demonstrativ in die Nasenspitze. "Denk dran, dass es wichtig ist, wie dich deine Nachbarschaft und die Leute vom Institut sehen! Außerdem würde es meiner Reputation schaden, wenn du wie ein Gammelstudent herumläufst!" Immerhin, daran zweifelte Hikaru keine Sekunde, würde man ihn als den Älteren dafür verantwortlich machen, wenn sein Mitbewohner sich äußerlich so gehen ließ, obwohl sie hier doch beide als Ex-Models galten! Masaya seufzte lächelnd. "Für einen ehemaligen Pornostar bist du erschreckend vernünftig und konservativ." Zwinkerte er. "Wo ist das Rebellische, Revolutionäre, Wilde, Ungezügelte deiner Profession?" Hikaru zuckte zusammen, auch wenn er sich sofort wieder im Griff hatte. Masaya schien seine Reaktion nicht entgangen zu sein. "Da verwechselst du etwas." Antwortete er angestrengt kühl und sachlich. "Unsere Profession ist sogar ziemlich alt und traditionell. Wenn man sich nicht an die Regeln hält, ist man sehr schnell weg vom Fenster. Oder Schlimmeres." Er wich allerdings nicht zurück, als Masaya beide Hände um seine Wangen legte, die Stirn anlehnte. "Ich habe da wohl etwas angerührt, was dich verletzt." Seine Stimme klang so ruhig und selbstsicher wie gewohnt. "Das war nicht meine Absicht, Hikaru. Dafür entschuldige ich mich. Das war ein verunglückter Scherz." Unwillkürlich schluckte Hikaru, kämpfte gegen eine zugeschnürte Kehle an. Hatte er jetzt die Stimmung verdorben mit seinem Tadel? Wieso konnte er nicht einfach mit einem frechen Spruch darüber hinweggehen, locker bleiben, es nicht wichtig nehmen? »Weil ER mir wichtig ist. Weil es mir etwas ausmacht, wenn er mich nicht richtig einschätzt.« Konstatierte er ebenso erschrocken wie hilflos. Warum konnte er nicht so komplikationslos mit Masaya umgehen wie mit jedem anderen?! Wieso ruckelte, polterte und knirschte ihre Beziehung derart? "He." Masaya küsste ihn sanft auf die Lippen. "Du kannst mir immer einen auf den Deckel geben, wenn ich Blödsinn vom Stapel lasse, ja, Hikaru? Hab keine Angst, bitte!" Angst?! Oje! Konnte man ihm seine Verwirrung, seine Verunsicherung etwa so leicht vom Gesicht ablesen?! Hastig schlang er die Arme um Masayas Nacken, zog diesen eng an sich. "Es ist zu frisch hier im Zimmer, um alles pudelnackig zu diskutieren." Raunte er heiser. "Schlüpf unter die Decke, bitte." ~~~>#*** Masaya setzte sich auf, als Hikaru das Badezimmer verließ, beide Yukatas über dem Arm. Seine Haut glänzte dezent, sodass Masaya vermutete, der habe sich rasch mit einem feuchten Lappen abgerieben, um ihn nicht ungebührlich warten zu lassen. Er wirkte gefasster, nicht mehr so hilflos wie zuvor. Während Hikaru die Yukatas ablegte, lupfte Masaya einladend die Bettdecke. Kaum dass Hikaru sich setzte, wickelte er ihm die zweite Bettdecke um die Schultern, lächelte ihn im warmen Sonnenuntergang des Lichtweckers an. Entgegen seiner forschen Forderung begann er damit, Hikaru sanft über Gesicht und Haare zu streicheln. So scheu, so verletzlich! Masaya tupfte sanfte Küsse auf, während er sich geschickt Hikaru auf die gekreuzten Beine hob, ihn so nah an sich zu ziehen, wie es möglich war. Er ließ sich Zeit, forcierte nichts. Auch wenn er Lust verspürte, sogar gewaltigen Appetit: sie mussten beide in der richtigen Stimmung sein. Sonst zwang er sich Hikaru auf, veranlasste diesen, in seine Hengst-Rolle zu schlüpfen, nicht er selbst zu sein. Wenn der das Tempo anziehen wollte, würde er selbstredend mitgehen, GAR KEINE FRAGE! Bloß sollte es seine Initiative, sein Wunsch, sein Begehren sein. Hikaru strich ihm über die feuchten Ponysträhnen, betrachtete ihn. Nicht selbstherrlich, nicht herausfordernd. Kein Pornosuperstar-Hengst-Hyperhormon-Laserblick. Er schlang ihm die Arme um den Nacken, wisperte kaum hörbar. "Du bist das Wildeste, Rebellischste und Ungezügelste, das ich in meinem Leben gewagt habe." ~~~>#*** Dieses unerfreuliche Summen schon wieder. Stechmücken hätten eine ähnliche Wirkung mit ihren Flügelgeräuschen auf ihn ausgeübt, konstatierte Masaya säuerlich. Im Sternenschimmer des Lichtweckers fahndete er unwillig nach der Lärmquelle. Verdammtes Mobiltelefon! Wer schickte ihm am Samstagfrüh eine Nachricht?! Da summte es schon wieder! "Ja?" Krächzte Masaya unwillig, rieb sich mit der freien Hand übers Gesicht. "...noch mal, bitte." "...es war ein Fehlalarm, oder?" "...Stromausfall. Nach dem Fehlalarm." "...falscher Knopf, verstehe. Gibt ja nur zwei." Seine Decke wurde ihm um die Schultern gelegt. Hikaru schmiegte sich auch an, schlang ihm die Arme um den Oberkörper. Verflixt! "Verstehe." "Ja. Ja, ich werde nachsehen. Ja." "Ja, ich melde mich. Wiederhören." Er senkte den Kopf und knurrte guttural. "Ist etwas passiert?" Hikaru rutschte um ihn herum. Masaya schnaubte. "Ich muss ins Institut. Offenbar hat das Sicherheitspersonal wegen eines Fehlalarms den falschen Knopf benutzt, woraufhin wir ein echtes Problem hatten, nämlich eine Stromunterbrechung. Das könnte einen Teil unserer Versuchsanordnungen zerstört haben. Als Quasi-Anwohner und Jüngster ist es natürlich meine vornehmste Pflicht, in aller Herrgottsfrühe aufzubrechen, um die Katastrophe in Augenschein zu nehmen." Dabei hatte er sich fest vorgenommen, den Tag mit Hikaru zu verbringen, endlich, nach so langer Abstinenz, das erste gemeinsame Wochenende als Paar, mit Hikarus Sachen in der Wohnung! "Geh ins Bad." Der küsste ihn sanft auf die ärgerlich verzogenen Lippen, entschlüpfte der Bettdecke, wickelte sich in eine Yukata. "Ich mach dir etwas zu essen." "RAAAAHH!" Trommelte Masaya ärgerlich auf die Matratze. "Das ist so UNFAIR!" Er spürte förmlich, wie Hikaru erstarrte, auch wenn er dessen Silhouette im bescheidenen Licht kaum mehr als erahnen konnte. "Ich will nicht von dir weg!" Konstatierte er im Quengelton eines Windelrockers. Wieder registrierte er Hikarus Hilflosigkeit. "Wir sind morgen doch den ganzen Tag zusammen." Antwortete dieser schließlich besänftigend. "Da tun wir alles, was du magst, ja?" Masaya erhob sich, hielt auf ihn zu, zog ihn fest in die Arme. "Ich liebe dich, Hikaru." Raunte er, knitterte den Yukatastoff unter seinem Zugriff. "Morgen tun wir das, was uns beiden gefällt." Hikaru strich ihm beruhigend über den nackten Rücken. "Während du im Bad bist, kannst du auch überlegen, was du gern essen magst." Schlug er vor. "Ich gehe heute einkaufen, unsere Vorräte auffüllen. Heute Abend amüsieren wir uns prächtig auf dem Fest, ja? Es wird bestimmt noch ein toller Tag!" Woher kommt das? Fragte sich Masaya im Stillen, während er Hikaru abschließend an sich drückte, bevor er ins Badezimmer wechselte. Hikarus ständiges Bemühen, alles auszugleichen, nicht anzuecken, keinen Streit aufkommen zu lassen? Der Pornosuperstar jedenfalls zeichnete sich nicht durch so viel Rücksichtnahme und Zurückhaltung aus. ~~~>#*** Hikaru rieb sich verstohlen über die Augen, während er bei normaler Beleuchtung die Mikrowelle beauftragte, ein kleines Stückchen Bitterschokolade zu schmelzen, das er dem aufgebrühten Kaffee hinzuzufügen beabsichtigte. Rasch füllte er eine Bentobox mit Reis, gedämpftem oder eingelegtem Gemüse, Pilzen und mariniertem, schnell angebratenem Tofu. Er schämte sich ein wenig, weil es ihn zu einem gewissen Teil erleichterte, dass er nicht gleich den gesamten Tag mit Masaya verbrachte, sondern eigene Aufgaben allein zu erledigen hatte. Das fühlte sich ungezogen und ungerecht an, weshalb ihn sein Gewissen durchaus plagte. Trotzdem. Trotzdem atmete ein Teil seiner Selbst auf, weil er sich nicht dem gemeinsamen Frühstück nach längerem Ausschlafen widmen musste, der Einkaufstour als Pärchen. Er fühlte sich immer noch unzureichend ausbalanciert. Mit Masaya zu schlafen, sogar ziemlich energisch, was eher einer Notwehrreaktion entsprungen war, weil der ihn so sehr forderte, anschließend neben ihm aufzuwachen, mit der sehr frischen Erinnerung an ihre leidenschaftliche Interaktion einige Stunden zuvor. Das alles war neu, er vermisste verzweifelt einen Kompass, eine Anweisung. Klar, man konnte es wie im Kino machen oder in Romanen! Da schienen die Leute so ganz selbstverständlich miteinander umzugehen. Oder eben gar nicht. Man verabsentierte sich nach dem Austausch von Intimitäten, vermied peinliche Situationen und ungeklärte Verhaltensvorgaben. Masaya schien derlei Unsicherheiten oder Zweifel gar nicht zu kennen. Das erschwerte es Hikaru wiederum, seine Verwirrung und Ratlosigkeit in Worte zu fassen, anzusprechen. Er empfand sich selbst als vollkommen unzulänglich in dieser Lage. Ein bekanntes, verhasstes und gefürchtetes Gefühl. Mit ein wenig räumlicher Distanz konnte er sich wenigstens sammeln! Sich orientieren, den Pfad ausloten. Sein Pornosuperstar-Cowboy-Hengst hätte solche Problemchen mit einem Wink vom Tapet gewischt, weil der gar nicht in diese heikle Situation kam. Ungebunden, frei, unabhängig, stets auf der Suche nach dem nächsten Kick, dem nächsten Partner für gewisse Stunden, nicht etwa für Frühstückstafel oder Gezänk um häusliche Pflichten. Die existierten in seiner Welt nämlich gar nicht. Hikaru seufzte leise, wickelte den Thermosbecher zur Sicherheit noch in ein dünnes Handtuch, verstaute die leibliche Versorgung im modifizierten Rucksack, stellte diesen in den Eingangsbereich neben Masayas Schuhe. "Es tut mir wirklich leid." Auf lautlosen Sockensohlen angepirscht umschlang ihn Masaya, noch immer grollend. "Wir holen alles nach, versprochen!" "Ist doch nicht deine Schuld!" Versicherte Hikaru eilig, wandte sich ihm zu. "Lass uns das Beste aus dem Tag machen. Und, ist dir etwas eingefallen, das ich mitbringen soll?" Er spürte Masayas forschenden Blick, lächelte schief. "Schau, was du findest, die Auswahl ist hier nicht so groß." Antwortete er ruhig. "Leg dich ruhig noch ein Weilchen hin, ja?" "Ach, jetzt, wo ich wach bin, kann ich auch gleich noch mein Outfit fertigstellen." Wich Hikaru aus. "Hör mal, falls es länger dauert: ich hänge deine Sachen hin, da kannst du dich schnell umziehen, in Ordnung?" Masaya grummelte grimmig. "Das sollte besser nicht lange dauern! Du scheinst mich auch kein Bisschen zu vermissen, wie?" Schon wieder so eine heikle Frage! Man konnte ihm kaum etwas vormachen, da er selbst unerschütterlich direkt zu sein pflegte, deshalb Ausweichmanöver sofort erkannte! "Ich weiß doch, dass deine Aufgabe wichtig ist." Beschwichtigte Hikaru deshalb hastig. "Je schneller sie erledigt ist, umso mehr Zeit haben wir gemeinsam, richtig?" Anstelle einer Bekräftigung überwand Masaya die kurze Distanz zwischen ihnen, küsste ihn ebenso nachdrücklich wie begehrlich auf den Mund, streichelte ihm mit den Fingerspitzen über die Schläfe, die Wange entlang bis hinunter auf das Schlüsselbein. "Ich werde mich beeilen." Raunte er leise. "Lass du dich bitte nicht für noch mehr einspannen, Hikaru." Hikaru nickte rasch, auch wenn er bezweifelte, dass er so einfach davonkommen würde, wenn er einkaufen ging. Wenigstens die Absicht zählte aber auch, nicht wahr? Um den grimmigen Ausdruck auf Masayas Gesicht zu vertreiben, der ihm offenkundig nicht allzu viel Standvermögen zutraute, küsste er ihn ausgiebig auf die kritisch gepressten Lippen. "Ab mit dir! Rette die Mikroben!" Gab er den Tagesbefehl aus. Masaya salutierte spöttisch, schulterte den Rucksack. Hikaru blieb auf der Außengalerie, sah ihm brav nach, bis der jüngere Mann außer Sichtweite war. Er gähnte erneut hinter vorgehaltener Hand, entschied, sich lieber auf seine noch nicht fertiggestellte Oberbekleidung zu konzentrieren. Das vertrieb auch die Sorgen und Unsicherheiten über das korrekte Verhalten als Lebensgefährte! ~~~>#*** Natürlich! Masaya knirschte mit den Zähnen. Das half nicht, veranlasste seine Kiefer, sich zu beschweren. Frustabbau, gern, aber nicht so! Tatsächlich erwies sich der folgenschwere Irrtum über den richtigen Knopf als mittlere Katastrophe. Zwar konnte er einige Versuchsreihen retten, doch andere waren verloren. Das bedeutete, sie zu entsorgen, die Utensilien entsprechend zu reinigen, danach die Beprobung neu anzusetzen... Weil man eben nicht für einen mengenmäßig größeren Ausfall gewappnet war, kostete ihn das viel Zeit. Verstärkung konnte er nicht einbestellen. Die Vorgesetzten mochten derlei primitive Arbeiten nicht. Andere Kollegen waren schlichtweg nicht zu erreichen oder hatten eine längere Anreise, familiäre Verpflichtungen... Wenigstens hatte Hikaru ihn überaus üppig verpflegt, dazu noch den Einkauf erledigt, saubergemacht (wegen der Nähexzesse fühlte der sich wohl angehalten, jede Spur zu tilgen). Später war der losgezogen, bereits in vollem Ornat, um sich nützlich zu machen. Da sie einander treffen dort würden, schadete es bestimmt nicht, wenn man hier und da eine helfende Hand reichte! Masaya seufzte ärgerlich. Selbstverständlich war es kleinlich und kindisch, auf Exklusivrechte an Hikaru zu pochen. Es missfiel ihm einfach, dass sie voneinander separiert wurden! Das erinnerte ihn fatal daran, wie sich seine Eltern in getrennten Kreisen bewegten, weil es eben so üblich war. Hausfrau/Mutter/Mäzenin traf ihresgleichen, während Mann/Gatte/Haushaltsvorstand/Netzwerker in seinen Kompetenzbereichen operierte. Bei zwei jungen Männern eigentlich eine überflüssige Befürchtung. Masaya konnte sich des nachhaltigen Eindrucks nicht erwehren, dass ein Freiberufler/Künstler wie Hikaru kaum in den akademischen Zirkeln anzutreffen war, die seine Berufswelt ausmachten. Sollten sie etwa auch noch in ihrer knapp bemessenen Freizeit getrennt werden?! "Kommt nicht in die Tüte!" Polterte Masaya grimmig und laut. Die Mikroben und andere Proben störte es nicht, also musste er seine Frustration auch nicht unterdrücken. Jetzt würde er sich zu beeilen haben! Wenn ENDLICH alles erledigt war, er abschloss und den Sicherheitsalarm wieder aktivierte, hieß es, die Beine in die Hand zu nehmen, förmlich nach Hause zu galoppieren. Dort musste er sich rasch feucht abledern, in die vorbereiteten Kleider schlüpfen, um Staat zu machen. ~~~>#*** Es war immer noch ein ungewohntes Gefühl, in so einer großen Menschenmenge unterwegs zu sein, direkt einbezogen zu werden. Zwar hatte es vorher, in seiner Profi-Karriere, Fan-Treffen und Autogrammtermine gegeben, bei denen auch eine größere Anzahl Menschen erschien, doch eine gewisse Distanz blieb, sichergestellt durch Verhaltensanweisungen und Aufpasser. Außerdem war er ein Star, eine Wunsch- und Sehnsuchtsprojektion, kein ganz normaler Mann. Hier jedoch schien man ihn für einen Jedermann zu nehmen. Wenn auch nicht anzusehen: gefühlt belegte er mit Schnappschüssen jeden Mobiltelefonspeicher in Reichweite. Hikaru erfüllte es mit Stolz, weil er die Begeisterung hauptsächlich seiner Aufmachung zuschrieb. Eigentlich hatte er auch von sich erwartet, gewisse Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Der muntere Trubel ohne jede Hektik putschte ihn auf. Zudem wurde er für seine Aufmerksamkeit und Unterstützung ständig eingeladen, mal hier ein Häppchen zu kosten, dort etwas zu trinken. Wirklich, hatte er jemals ein Fest erlebt, das so entspannt war? Andererseits hielt er sich auch zur Vorsicht an. Nicht aus der Rolle fallen, ermahnte er sich wiederholt. Die Leute mochten keine Widersprüche. Sie hielten sich lieber fern von randständigen Existenzen, Personen mit zweifelhafter Moral. Hikaru hielt Ausschau nach Masaya, der ihm eine Nachricht gesandt hatte, er sei bereits auf dem Weg. Da zupfte man ihn erneut am prachtvollen Wasserfallgeraschel über seiner aparten Kehrseite. "Mein lieber Junge, ob du mir gerade mal mit den Lampions helfen kannst?" ~~~>#*** Masaya kraulte durch die Menge. Nachbarschaft, Gäste, lose Bekannte, ein lebendiges Gewusel. Immer wieder wurde er angehalten, kurz angesprochen, gegrüßt, um einen Schnappschuss gebeten. Höflich sein! Beste Manieren! Ermahnte er sich selbst. Nicht zum eigenen Vorteil, sondern weil ihm, verflixt, in Erinnerung kam, wie hilflos-verlegen-verletzt Hikaru gewirkt hatte, als er seine robuste Reaktion das letzte Mal demonstrierte. Also keine Präsentation Tokioter Gebarens in Reinkultur! Endlich erspähte er Hikaru, der gerade Lampions entzündet hatte, sich zu einer älteren Frau herunterbeugte, lächelnd mit ihr sprach. Das Gedränge verdichtete sich kurz. Masaya erblickte einen stämmigen Mann in nachlässiger Trainingsbekleidung, der Hikaru einen flachen Schlag gegen den Hinterkopf verpasste. Als sei der ein lästiger Lehrling oder Untergebener, der gerade den Weg blockierte! Oder schlicht ein Blitzableiter für ungezogene Laune. Masaya ballte instinktiv die Fäuste. Hikaru, der ihn noch nicht entdeckt hatte, wurde sofort weiß wie ein Laken. Totenbleich. Masaya hingegen verspürte eine eisige Ruhe in sich, als er die Distanz verkürzte. ~~~>#*** Hikaru betrat die Polizeistation hastig, blickte sich um. Er hatte seinen konservativsten Anzug angezogen, in die Umhängetasche sämtliche Siegelstempel, Papiere, Karten und Unterlagen gepackt, die er für hilfreich erachtete. Außerdem apportierte er für Masaya ein Sakko. Er fürchtete, dass das spektakuläre Oberteil diesen in ein schlechtes Licht rücken würde. Der Empfang war verwaist. Hikaru orientierte sich anhand eines Gebäudeaufrisses eilig selbst. Es gab nur einen sehr kleinen Warteraum neben dem Empfang. Da saß Masaya, sehr aufrecht, mit kühlem Gesichtsausdruck. Der veränderte sich jedoch sofort, als Hikaru ihm entgegenstürzte. "Entschuldige bitte, dass es so lange gedauert hat!" Haspelte Hikaru verlegen, blickte sich nervös um. Masaya ignorierte den verlassenen Empfang, die potentielle Aufmerksamkeit anderer Uniformierter, indem er Hikaru einfach in seine Arme zog, ihn festhielt. "Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?" Hörte er Masayas raue Stimme an seinem Ohr. Hikaru wollte ihm entschlüpfen, sie waren hier vielleicht nicht allein! Wurde der Wartesaal per Kamera überwacht, würden die Leute...! Masaya gab nicht nach, keinen Millimeter. "Bitte!" Wisperte Hikaru. "Du musst mich loslassen, Masaya! Das könnte einen schlechten Eindruck machen, und dann...!" "Es macht den richtigen Eindruck." Stellte Masaya vernehmlich fest. "Ich bin nämlich heilfroh, dass dir nichts geschehen ist." "Bitte, die lassen dich vielleicht sonst nicht gehen!" Drängte Hikaru verzweifelt. "Sei vernünftig!" Masaya gewährte ihm gerade genug Bewegungsfreiheit, um ihm ins Gesicht zu sehen. "Ich bin nicht verhaftet." Stellte er ernst heraus. "Genierst du dich meinetwegen?" "Nein!" Platzte Hikaru heraus, zappelte, blickte sich um. "Aber wenn sie uns so sehen...!" Unvermittelt brachte Masaya ihn aus der Balance, umarmte ihn wieder hautnah. "Bitte hab keine Angst, Hikaru. Niemand wird etwas sagen. Wer scheel guckt, dem ist nicht zu helfen. Neid macht hässlich und einsam." Verkündete Masaya entschlossen. "Du verstehst das nicht!" Hikaru spürte Masayas nackten Rücken in dem skandalös-offenherzigen Oberteil, zupfte schließlich mahnend an den angedeuteten Frackschößen. Ein Kuss brannte auf seiner Schläfe, wie ein Feuermal. "Im Übrigen wissen all die netten Leute, die mich hierher begleitet haben, schon Bescheid. Dass du die Liebe meines Lebens bist, mein Schicksalsgefährte." Einen erstickten Laut später sackten Hikaru zum zweiten Mal an diesem Abend die Beine weg. ~~~>#*** Masaya ließ Hikaru behutsam auf den Boden sinken, als er registrierte, wie dessen Knie einknickten, fing ihn begleitend ab. "Herr Kamisaka...oh, ist etwas nicht in Ordnung?" Der junge Beamte, beflissen und nervös zugleich, zupfte an seiner Uniformjacke herum, beäugte sie besorgt. "Nur die Erleichterung." Lächelte Masaya eisern. "Mein Freund ist einfach froh, dass ich unversehrt bin, obwohl dieser betrunkene Randalierer ja mit einem Springmesser bewaffnet war." An seiner Brust ächzte Hikaru erstickt. "Das geht gleich wieder. Wäre es wohl möglich, ein Glas Wasser zu bekommen?" Strapazierte Masaya selbstbewusst sein Glück. "Oh, natürlich, einen Augenblick!" Hilfsbereit machte der junge Beamte kehrt. Das gab Masaya die Gelegenheit, Hikaru unter den Achseln zu fassen, wieder auf die eigenen Füße zu ziehen. "Ich bin unverletzt." Suchte er in dem fahl-weißen Gesicht nach Resonanz. "Alles in Ordnung. Komm, setz dich einen Moment. Ich erkläre dir rasch alles." Es gelang ihm, Hikaru auf einen der Stühle zu bugsieren, ihm dabei das Sakko selbst um die Schultern zu legen. Das löste die beunruhigende Schockstarre. "Nein, zieh es selbst über!" Wisperte Hikaru ihm bange zu. "Man könnte sonst glauben..." "Pscht." Gebot Masaya sanft, aber unnachgiebig. "Ich habe meine Aussage schon zu Protokoll gegeben, also ist mein Aufzug bereits ausreichend erläutert." Außerdem scherte er sich nicht darum, was irgendwer potentiell meinte, solange er nicht nur die Umstände erklärt hatte, sondern auch von einer größeren Gruppe sehr engagierter Zeugenschaften unterstützt wurde. "Oh!" Sondierte er den Inhalt der prallen Umhängetasche, die er Hikaru zum bequemeren Sitz entzogen hatte. "Wunderbar! Meine Siegel, das heißt, ich kann das Protokoll, wenn es fertig ist, gleich signieren!" Was ihm einen erneuten Ausflug in dieses doch wenig gastliche Interieur ersparen würde. Inzwischen materialisierte sich der junge Beamte mit einem Glas Wasser, das er Hikaru überreichte, der sich hastig verneigte, einen heiseren Dank hervorsprudelte. Wenn man ihn so sah, konnte man kaum glauben, dass derselbe junge Mann auf der Leinwand den selbstbewussten, fast nassforschen, souveränen Porno-Cowboy-Halbgott der letzten vier Jahre gemimt hatte! Hikaru war eindeutig verängstigt. Masaya hielt es für unvermeidlich, dieser Verunsicherung auf den Grund zu gehen. Zu lange hatte er ihre Anzeichen registriert und nur beobachtet. "Ist dir auch wirklich nichts geschehen?" Erkundigte er sich, während Hikaru mit beiden Händen das Glas umklammerte, am Wasser nippte. Beschämt blickte Hikaru unter sich, die Schultern hochgezogen, der Rücken verkrümmt. Bloß weniger Angriffsfläche bieten! "Was ist passiert, hm?" Masaya hob die Hand, streichelte mit den Fingerrücken über Hikarus Schläfe, die Wange, die sorgfältig selbst getrimmten Haare. "Es tut mir so leid!" Adressierte der seinen Schoß, schrumpfte noch stärker in sich zusammen. "Ich bin weggelaufen...und dann..." Man hörte seine Stimme kaum noch. "Dann musste ich mich übergeben." "Sicher der Schreck." Bekundete Masaya sanft. Ihn selbst hatte es erschreckt, Hikaru nicht mehr zu sehen, nachdem er seinen Standpunkt recht plakativ und dramatisch deutlich gemacht hatte. "...ich konnte~konnte nicht aufhören." Wisperte Hikaru. "Danach.. musste ich Frau Sugata bitten... ihre Gießkanne ausleihen..." Selbst in großer seelischer Bedrängnis noch auf Ordnung bedacht, keinen Anstoß zu erregen. "Nimm noch einen Schluck." Forderte Masaya leise, legte ihm den Arm um die eingerollten Schultern, küsste ihn auf die Schläfe. "Masaya!" Angst. Erdrückende, panische Angst. Dabei waren sie allein in diesem Wartesaal, lugte der Beamte vom Empfang nicht um die Ecke, interessierte sich auch zweifellos nicht für die altmodisch wirkende Kamera, die ein Spinnweb zierte. "Alles in Ordnung, Hikaru." Redete er beruhigend auf den wenig älteren Mann ein. "Niemand wird uns etwas tun. Wir können bestimmt auch bald gehen, wenn ich die Formalitäten erledigt habe." Selbst diese Aufmunterung gereichte nicht, Hikaru dazu zu veranlassen, den Blick zu heben. "..wirklich...entschuldige... dass ich weggelaufen bin..." Drang es kläglich, gequält zu ihm hoch. "Da gibt's nichts zu entschuldigen." Versetzte Masaya streng. "Im Gegenteil, ich bin sogar froh darüber. Ich hätte wahrscheinlich sonst noch ein wenig länger den Testosteronbolzen heraushängen lassen, um bei dir Eindruck zu schinden. Und natürlich, um dem Drecksack ordentlich zu denken zu geben. Obwohl das vermutlich vergebene Liebesmüh mangels Leistungsfähigkeit ist." Masaya spürte, wie Hikaru stutzte, diese Antwort zu entwirren versuchte. "Ich...verstehe nicht...?" Optionierte Hikaru schließlich ratlos. "Nun!" Dozierte Masaya professoral-selbstironisch. "Der versoffene Krawallbruder hat dich geschlagen und vollkommen verängstigt. Das hat bei mir einen gewissen Revanche-Reflex geweckt. Darum habe ich ihm einen kurzen Freiflug verschafft und dafür gesorgt, dass er seinen Schlagarm eine Weile nicht gebrauchen kann. Oder zumindest so lange nicht, bis man ihn wieder eingerenkt hat. Auskugeln ist ja keine dauerhafte Verletzung." Hikaru hob den Kopf, wandte sich zu ihm um, starrte ihn fassungslos an. Lässig die Schultern zuckend sponn Masaya seine Erzählung weiter. "Dass er so ein lächerliches Springmesser mit sich führte, habe ich erst bei der Landung entdeckt. Wirklich, wie dumm muss man sein, um heutzutage mit einem Messer auf eine öffentliche Veranstaltung zu gehen, ohne am Kuchenbüfett zu arbeiten?! Hat ihm noch ein paar Minuspunkte eingebracht, möchte ich wetten, und sein Kerbholz scheint mir ohnehin schon erheblich ausgelastet. Da ich dich nicht mehr entdecken konnte, war mein Mütchen abgekühlt, zumindest relativ. Wenn man seinem Herzblatt imponieren will, das aber gar nicht zuschauen kann, beeinträchtigt dieser Umstand nachhaltig den Enthusiasmus." Hikaru blinzelte verstört. "Von den munteren Leutchen, die sich alle anboten, mich als Zeugen zur Polizeistation zu begleiten, hatte niemand gesehen oder gehört, dass jemand verletzt worden sei. Deshalb hoffte ich, dass dir nichts geschehen ist." Zumindest rein äußerlich, körperlich. "...das ist...so riskant...unvernünftig..." Masaya konnte erkennen, dass Hikaru seine Schilderung mit Befremden aufnahm, entgeistert war. Er gestattete sich ein süffisant-herausforderndes Lächeln. "Ich bin nicht nur ein arroganter, reicher Eierkopp mit Titel, weißt du?" Neckte er Hikaru. "Ich verfüge auch über ein sehr hitziges Temperament mit kurzer Lunte, wenn man mir nachhaltig auf die Füße tritt." Oder wenn jemand es wagte, den nur Sekunden vorher noch so fröhlich strahlenden Hikaru, hilfsbereit, attraktiv, freundlich, aufmerksam, in ein völlig verstörtes, eingeschüchtertes Wrack zu verwandeln. "Du hättest verletzt werden können!" Entsetzte sich Hikaru heiser. "Iwo!" Wiegelte Masaya ab, mit der seit Jahren gepflegten Mischung aus Chuzpe, Frechheit, Selbstbewusstsein und Präventivattacke. "Ich pflege seit meinem fünften Lebensjahr Aikido und diverse Entspannungsübungen. Ein Schulterwurf stellt da keine Herausforderung an mein Leistungsvermögen." Vor allem nicht, wenn der Adressat angetrunken, ungelenk und etwas übergewichtig mit tendenzieller Schlagseite war. Außerdem bürstete er als waschechter Tokioter seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit regelmäßig auf, um gegen den Alltag in dieser Metropolregion die richtige Nervenstärke zu bewahren. Während Hikaru ihn ratlos betrachtete, weil er sich zweifelsohne nicht wie ein vernünftiger, rationaler, vorausschauender Erwachsener verhielt, betrat der Vorsteher den Wartesaal. "Ah, ist das Protokoll fertig?" Übernahm Masaya sofort die Initiative. "Perfekt! Mein Partner hat mir von Zuhause mein Siegel mitgebracht! Wenn wir die Formalitäten abschließen können?" Er wollte mit Hikaru unbedingt allein sein. So rasch wie möglich, um endlich zu erfahren, weshalb der sich so sehr ängstigte. ~~~>#*** Masaya hatte nicht nur die Umhängetasche an sich gebracht, sondern auch noch seine linke Hand gekapert. Mit ausreichend Nachdruck, ihm zu versichern, dass er sie keineswegs zurückerstattet bekommen würde, wenn nicht bedeutende Umstände dies erforderlich machten. Späte Flanierende, wachhabende Polizisten, Hunde Ausführende fielen offenkundig nicht in diese Kategorie. Hikaru konzentrierte sich auf seine Schuhspitzen, bemühte sich, nicht an das Springmesser zu denken. Oder an die waghalsige Aktion, die er nicht beobachtet hatte, weil er in Panik geflohen war, bereits gegen den Brechreiz kämpfend. Ganz zu schweigen von Masayas Ankündigung, der habe allen erzählt, dass...! Seine Schultern verkrampften sich noch mehr. Zu leichtsinnig. Er war zu leichtsinnig gewesen. Alles war so unkompliziert auf dem Fest gewesen. Die Leute so nett und fröhlich. Das hatte ihn unvorsichtig werden lassen. In Tokio wäre er nie...! Nie auf ein Fest gegangen. Hätte nie zugelassen, dass man ihn wie einen tatsächlichen Nachbarn kannte. Jetzt~jetzt würden sie ihn nicht mehr freundlich ansehen, unverkrampft ansprechen. Hier konnte er nicht einfach umziehen und damit untertauchen. Masaya begriff das nicht. Tat so, als würde ihn das nicht kümmern. Vielleicht... "Lass uns hier Platz nehmen." Masayas Stimme riss ihn in die unerfreuliche Gegenwart zurück, die den bodenlosen Abgrund der Zukunft bereitete. Hikaru löste kurz den Blick von den Schuhspitzen, erkannte, dass Masaya ihn einfach zum kleinen Schrein geführt hatte, der um diese späte Stunde selbstverständlich verlassen war. Auch als sie nebeneinander unter dem Vordach auf den steinernen Stufen saßen, gab er Hikarus Hand nicht frei. "Erzähl mir, warum du dich so erschreckt hast." Lautete seine ruhige, aber unerbittliche Aufforderung. Was antworten? Rasch, eine kleine Notlüge! Aus seiner Kehle wollte sich kein Laut lösen. Es wäre auch sinnlos gewesen, da ihm keine Ausflucht in den Sinn kommen wollte. ~~~>#*** Masaya beobachtete Hikarus Profil, der den Kopf seit dem Verlassen der Polizeistation nicht mehr gehoben hatte. Seine verkrampfte, zusammengekauerte Gestalt schien zu erstarren. Seine Miene wirkte leer, abwesend, verlassen. Als habe sich seine Persönlichkeit zurückgezogen und nur eine Hülle übrig gelassen, die ohne Energie neben ihm kauerte. Bei einem anderen hätte Masaya vermutet, es mit einer trotzigen Blockadehaltung zu tun zu haben, der "steifen Oberlippe", die verzweifelt trotz Panik gegen einen Kontrollverlust ankämpfte. Hikaru neben ihm kämpfte jedoch gar nicht, er flüchtete in sich selbst hinein. Mit der freien Hand begann Masaya, über das bleiche Gesicht zu streicheln, hauchte warme Küsse auf die kalte Haut. Er schob seine Hand unter den Kragen der Anzugjacke, um das Schmuckband sowie die langen Strähnen zu befreien, die Hikaru dort versteckte. Respektabel erscheinen, konservativ, bürgerlich. Seinetwegen, selbstverständlich. Er liebkoste immer wieder und wieder Hikarus Nacken und Hinterkopf, wo dieser besoffene Drecksack so beiläufig zugeschlagen hatte. Masaya glaubte nicht, dass die beiden einander schon einmal begegnet waren. Hikaru konnte ihn nicht gesehen haben. Der Raufbold wusste gar nicht, was ihn traf, als er wie gewohnt stänkernd seines Wegs zog. Ein zufälliges Aufeinandertreffen. Jetzt verkroch sich Hikaru in sich selbst, was er keineswegs zu gestatten beabsichtigte. "Ich habe mich schon lange gefragt, wie klein dieses Dorf ist, aus dem du stammst." Legte Masaya den ersten Köder aus. Kaum merklich schrumpfte Hikaru noch tiefer in sich zusammen. Das veranlasste Masaya, ihn mit kalkuliertem Schwung auf seinen Schoß zu befördern, beide Arme fest um ihn zu schlingen. Außer einem überrumpelten Ächzen entlockte diese Attacke Hikaru keinen Laut. "Leben deine Eltern noch da? Hast du eigentlich Geschwister? Wie sah deine Schuluniform aus?" Masaya wisperte die Worte in ein Ohr. "Ich möchte so viel von dir wissen. Entschuldige, dass ich vorher zu feige war, dich zu fragen. Ich kann mich ja nicht ewig davor fürchten, dass du vor mir wegläufst, nicht wahr?" Nicht subtil oder diplomatisch, eher die Revolver-vor-die-Brust-Variante. Irgendwie musste es ihm schließlich gelingen, Hikaru zum Sprechen zu bringen! "Erzähl mir etwas, Hikaru." Raunte er zärtlich. "Da wird es leichter. Hab bitte keine Angst vor mir, ja?" Feuchtigkeit benetzte seine Wange, als er sie an Hikarus schmiegte. Ah! Schon einmal hatte der so geweint, lautlose Tränen. Jemand, der nicht wagte, um Hilfe zu bitten. Oder überzeugt war, ihm würde niemand zur Seite stehen. Abrupt drehte Hikaru den Kopf weg, riss die Hände hoch, presste beide auf den eigenen Mund. Für einen Augenblick befürchtete Masaya, der diese heftige Bewegung geschickt ausbalancierte, dass der wenig ältere Mann sich übergeben musste. Das gequälte Würgen entstammte jedoch dem verzweifelten Kampf, nicht einen einzigen Schluchzer entkommen zu lassen, sich mit aller Gewalt selbst zu ersticken. Was sinnlos war. Er blickte in die tränenpolierten Augen unter dem Licht der Laterne, mitfühlend, aufmunternd. Gnadenlos. "Sag's mir." Wiederholte er geduldig. Hikaru würde nicht entwischen, vorgeben können, dass alles in Ordnung sei. "Wer hat dich so geschlagen, hm? Vor wem hast du solche Angst?" Setzte Masaya Wirkungstreffer um Wirkungstreffer. Jetzt entschied sich, wie ihre Zukunft aussehen sollte. ~~~>#*** Kapitel 14- Schmetterling (Metamorphose II) Heilloses Chaos. Zerfetzte Gedanken wirbelten durch Hikarus Kopf. Er fand keinen Halt, keine Möglichkeit, sich zu sammeln. Es tat weh, körperlich weh. Dabei hatte er doch alles abgeschüttelt, weggeworfen! Wieso drückte ihn diese Last jetzt wieder erbarmungslos?! Er zitterte unkontrolliert, wollte nicht schluchzen, auf keinen Fall, bloß nicht! Aber er bekam einfach keine Luft mehr! Dazu noch diese ruhige, sanfte Stimme, auch die Arme, die ihn nicht freigaben, so stark und unnachgiebig! Allein, es ging nicht! Alles war durcheinander, die Worte purzelten durch seinen Kopf, ein einziges Wirrwarr! Wenn er jetzt schwieg, dann...!! "...Ma~Masaya! Masaya!" ~~~>#*** Sein Name als Hilferuf. Masaya wiegte Hikaru, flüsterte auf ihn ein. "Ich bin hier. Hab keine Angst mehr, Hikaru! Versuch, langsam zu atmen, ja? Leg die Arme um meinen Nacken, bitte!" Er wollte diese gequälte Päckchen Elend auseinanderwickeln, diesen Schmerz lindern, der Hikaru peinigte. Erinnerungen und Befürchtungen, vermutete er zumindest. Endlich gelang es Hikaru, in einer ruckartigen Geste, die eigenen Hände vom Mund zu lösen, die Arme um seinen Nacken zu winden, das Gesicht auf den rechten Oberarm zu pressen. Masaya verlagerte seine unentrinnbare Umarmung, kraulte über Hikarus Nacken, während die andere Hand dessen verkrümmtes Rückgrat massierte. "Alles ist gut, Hikaru. Wir sind zusammen. Gemeinsam nehmen wir es mit allen auf!" Verkündete er beschwörend. Eine schiere Ewigkeit keuchte Hikaru erstickt an seiner Brust, an ihn geklammert wie an die letzte Boje auf dem Meer, beruhigte sich nur langsam. In hypnotischer Ruhe zog Masaya mit den Händen Kreise, summte unbewusst, wiegte und wippte den wenig älteren Mann. "Hab ich dir eigentlich erzählt, dass ich in der dritten Klasse ganz verrückt nach Origami war? Ich habe einen ganzen Zoo gefaltet und meine Eltern fast in den Wahnsinn getrieben, weil die Ausmaße bald den Esszimmertisch übertrafen." Hikaru an seiner Schulter schwieg. Masaya spürte die Aufmerksamkeit. "Sie haben mich tatsächlich zu einer förmlichen Unterredung gebeten und mir auseinandergesetzt, dass ich ab sofort eine andere Beschäftigung pflegen müsse, weil es nicht tragbar sei, sämtliche Tiere der Welt in einem Pappzoo darzustellen, ohne damit die Dimensionen des Hauses zu sprengen." Masaya hauchte einen Kuss auf Hikarus bloßen Nacken. "Zunächst war ich natürlich empört. Als sie mich aufforderten, mal zu berechnen, wie viel Platz jedes Papiertier einnehmen würde, konnte ich nur nachgeben. Da hatte ich während meiner Recherche über die Anzahl von Tiergattungen schon Feuer gefangen für die unendliche Welt der Lebewesen. Wie viele Organismen allein in eine Handvoll Erde passen, was man alles sehen könnte, wenn man mit einem unendlichen Mikroskop immer tiefer und tiefer in die Details reisen könnte." Sanft rieb er Hikarus verkrümmten Rücken. "Tja, wie du siehst, brauche ich immer mal wieder jemanden, der mir Grenzen aufzeigt, sonst geht es mit mir durch. Kein toller Job, aber irgendwer muss ihn übernehmen. Kann ich DICH nicht dafür begeistern?" Einen Augenblick lang verstärkte sich die Umklammerung seines Nackens. "Es hätte auch ein paar Vorteile." Führte er aus. "Ich bin stubenrein, recht vorzeigbar, kann jede Menge Papiertiere basteln, lerne gerade kochen, bin absolut untertalentiert beim Lügen. Außerdem habe ich einen festen Arbeitsvertrag und bin einigermaßen bewandert in Haushaltsführung. Oh, und ich mag Sex, falls das hilfreich ist." Hikaru seufzte erstickt an seiner Schulter. "Überzeugt noch nicht? Hmm..." Grübelte Masaya laut. "Ich bin in der Forschung tätig. Sollte ich mal eine neue Art entdecken, könnte ich sie nach dir benennen!" Sein Herz schlug tatsächlich schneller, als Hikaru sich aufsetzte, die Stirn an seine lehnte. Es kostete ihn sichtlich Kraft, sich zu sammeln. Die Hände, die von Masayas Nacken über dessen Arme heruntergerutscht waren, ballten sich zu Fäusten. Masaya hielt unbewusst die Luft an vor Anspannung. Er wagte sich nicht zu rühren. Innerlich flehte er den Beistand aller Schreingötter an, Hikaru den Rücken zu stärken. ~~~>#*** "Fischerdorf." Krächzte Hikaru, räusperte sich. "Ein Fischerdorf. An einem kleinen Hafen. Aufgeschüttete Betonsperren, Kaimauer, Schuppen, dahinter die Straße." Er schloss die Augen und sah wieder alles vor sich. Die Trostlosigkeit. Die Ausweglosigkeit. Wie sollte er Masaya begreiflich machen, was ihn so erschütterte? "Die Häuser sind einfach konstruiert. Wellblech, Fertigbauteile. Abblätternde Farbe. Blinde Fensterscheiben. Überall Plastikmüll, dazwischen Wildbinsen. Verwahrlost. Heruntergekommen." Unbewusst ballte er die Fäuste so sehr, dass sich die Knöchel weiß abzeichneten. "Alte Strommasten. Schlechte Telefonleitungen. Gekocht wird mit Gasflaschen. Kein Bahnanschluss. Kein Supermarkt. Keine Automaten. Nicht mal eine Bushaltestelle." Ein unwirtlicher Ort, der nichts bot. "Wenn es stürmt, ist der Strom weg. Es gibt keine Straßenbeleuchtung. Die einzige Ampel fällt aus. Man könnte ins Meer gespült werden und niemand würde es bemerken." Manchmal hatte er damit gerechnet, vor allem nachts, wenn ein Taifun mit aller Gewalt gegen das Land anrannte, gewaltige Wellenberge auftürmte. "Ich glaube nicht, dass du es dir vorstellen kannst, aber...dort ist nichts. Keine Unterhaltung. Keine Restaurants, keine Clubs, keine Sportstätten. Nicht mehr als ein Hafen zum Ankern, als Piers und Schuppen für die Ladung und die Straße, um per Lkw alles wegzufahren." Masayas Hände legten sich wärmend auf seine verkrampften Fäuste. Hikaru hielt die Lider gesenkt. Erinnerungen wie Perlen an einer Kette. Die meisten waren trübe, gesprungen oder besudelt. "Wir hatten keinen Fernseher. Oder ein Mobiltelefon. Bloß ein altes Radio. Und Funk, für die Schiffe. Keine Waschmaschine, kein Trockner, keine Klimaanlage. Die Zeit ist dort stehengeblieben, kurz nach dem Krieg." So erbärmlich und armselig, wie es klang, fühlte er sich nun auch wieder. Wie ein bemitleidenswertes Relikt aus einer Epoche, die man schnellstmöglich überwinden wollte. "Es gibt eine Schule. Alle Jahrgänge, für die gesamte Gegend, Dreiviertelstunde Marsch ins Hinterland. Keine besondere Schuluniform. So etwas kann man sich nicht leisten. Die Lautsprecheranlage ist defekt, also wird auch die Schulmelodie nicht mehr gespielt. Das Gebäude und die Ausstattung stammen aus den frühen Sechzigern. Die Lehrer sammeln Sachspenden, wenn andere Schulen entrümpeln. In der Bibliothek stehen nur geschenkte Bücher. Es gibt keine Computer, nicht mal einen Kopierer." Ihm selbst war es damals nicht besonders vorgekommen. Er kannte es nicht anders, hätte es sich nicht anders vorstellen können. "Wenn du am Wasser stehst, glaubst du, der Horizont sei endlos. Tatsächlich ist er winzig klein, eine Welt wie in einer Schneekugel, abgeschlossen und wie erstarrt." Hikaru lauschte auf seine eigenen Worte, zweifelte daran, dass Masaya ihm folgen konnte. "Wenn man dort lebt, arbeitet man mit dem Meer. Wer weggeht, wird so vergessen, als habe er nie existiert. Nichts ändert sich. Alles bleibt gleich. Jeder Tag ist ein Kampf. Irgendwie weitermachen. Ohne Hoffnung, ohne ein bestimmtes Ziel. Schlicht aus Gewohnheit. Man erwartet nichts. Man bekommt nichts. So ist es eben." Ein lähmender Fatalismus, der zur Gleichgültigkeit führte. Gegen sich selbst. Und gegen die anderen. Er musste trotzdem mehrfach tief durchatmen, bevor er es wagte, die nächste Hürde zu nehmen. Ohne die Augen zu öffnen. "Die Familie hat immer vom Meer gelebt. Der Vater meiner Mutter ist früh umgekommen. In der Not hat die Großmutter einen winzigen Laden eröffnet, mehr einen Tauschmarkt, Billigkram aus China, ein bisschen selbst gezogenes Gemüse, Stangenbohnen, gebeizten Fisch. Die anderen Großeltern sind nicht mehr gesund. Nur ein Sohn ist übrig geblieben, der sollte eine Frau nehmen, damit sie betreut werden. Also haben meine Eltern geheiratet. Wo sollten sie auch hin? Was sollten sie auch tun? Weit gekommen sind sie ja nicht." Masayas Rechte streichelte ihm sanft über die Wange und veranlasste Hikaru, das eigene Zittern wahrzunehmen. "Diese Welt ist winzig. Alle kennen sich. Alles ist schon gesagt. Nichts ändert sich." Er krallte die eigenen Finger ineinander, knirschte mit den Zähnen, kniff die Augen so fest zu, dass er Sterne sah. Er bezweifelte, dass er Masaya die bleischwere Atmosphäre ausreichend vermitteln konnte. Die Hoffnungslosigkeit. "Meine Mutter hilft der Großmutter im Laden, beim Gemüse. Sie kümmert sich um die anderen Großeltern. Sie tut, was erwartet wird." Masaya legte ihm beide Hände ums Gesicht, küsste ihn, sanft, immer wieder. Wie leichte Tupfen von Regentropfen auf heißem Pflaster im Hochsommer. Trotzdem rang Hikaru mit sich. Er musste es aussprechen, aber wie?! Es schmerzte so sehr, selbst die Erinnerungen! Scham, Ekel, Verzweiflung, Demütigung, Magen umdrehende Angst. "Und dein Vater?" Raunte Masaya an seinem Ohr. Sich zusammenkrümmend presste Hikaru die Fäuste vor seine Augen, atmete zischend. Mut! Masaya würde ihn nicht verstoßen, sich voller Abscheu von ihm abwenden! Er durfte nicht noch einmal feige davonlaufen, ihn im Stich lassen, der für ihn sogar einer Messerattacke getrotzt hatte! "..der...der..." Hikaru schluchzte auf, schwankend zwischen Wut und Scham. "Der ist ein Hurenbock!" ~~~>#*** Masaya schlang die Arme um Hikarus eingerollten Rücken, zog ihn an seine Brust, hielt ihn fest. Mit jedem Satz hatte sich dessen Sprachmelodie verändert, klang keineswegs mehr nach Tokio. Selbst die Wortwahl nahm sich fast exotisch aus: schwerfällig, steif und brüsk. Auf eine Art, die jeden Gedanken an Poesie, an Leichtigkeit, an Eleganz verbat. Also ein winziger, elender, abgeschlossener Ort. Und dann dieses Urteil. Oder eher eine Beschreibung? Hikaru schluchzte noch immer, wie es Masaya schien, vor Erleichterung, diese große Hürde gemeistert zu haben. Unterdessen verspürte Masaya einen heftigen Anflug von Reue. Ihm kam in Erinnerung, wie selbstherrlich und schulmeisterlich er zu Anfang aufgetreten war. Kein Wunder, dass er Hikaru so vor den Kopf gestoßen hatte! Auch nicht erstaunlich, dass diesem sein lässiger Umgang mit Geld, seine Manieren, sein Auftreten ein Dorn in Auge war. "Wenn sie mit dem Schiff anlegen und die Arbeit erledigt ist, geht er saufen und zu bestimmten Frauen. Alle wissen es. In jedem Hafen." Hikaru würgte an den Worten. "Aber er ist ein Mann, das ist normal und er hat das Sagen. Im Haus zählt nur sein Wort. Alle müssen sich beugen." Unvermittelt schlang er ihm die Arme um den Nacken, seine Worte nur noch ein Wispern in Masayas Ohr. "Er muss immer der Stärkste sein. Dauernd beweist er es. Alles andere ist egal. Ich musste Armdrücken mit ihm machen, mit vier Jahren. Als er hörte, dass jemand mit mir ein wenig Baseballfangen gespielt hatte, wollte er zeigen, wie unfähig ich bin. Er hat den Ball immer auf mich geschleudert, bis ich nicht mehr hochkam, weil ich überall Prellungen hatte. Wenn er mich beim Schlafen ertappte, hat er mich hochgerissen und rausgeschmissen, weil es ihm gefiel. Dauernd hat er sich angeschlichen, um mir in den Nacken zu schlagen. Weil ich ein unfähiger Idiot bin." Masaya verkrampfte sich das Herz. Uunwillkürlich verstärkte er seine Umarmung. Wie elend und zugleich tonlos Hikarus Stimme klang! "Ich hatte Angst vor ihm. Wenn ich über Funk hörte, dass sein Schiff zurückkam, bin ich weggelaufen. Ich habe in der Schule geschlafen, in alten Schuppen, irgendwo. Ich bin so lange nicht nach Hause gekommen, bis ich überzeugt war, dass er mich nicht erwischen konnte. Aber wenn er mich dann mal zu fassen bekam... ich konnte mich nicht daran gewöhnen. Obwohl es normal war. Für alle war es normal, verstehst du?" Ein zorniges Knurren entwischte Masayas Kehle. Er wollte nicht verstehen und konnte es doch, zu seinem Leidwesen. "In dieser Welt ist alles gesetzt. Meine Mutter ist das arme Mädchen ohne Vater. Mein Vater der versoffene Hurenbock. Und ich eben ein feiger Dummkopf. Ein Prügelknabe." Hikaru atmete tief durch. "Aber dann~dann merkte ich, dass sie mich als Sohn vom Hurenbock ansahen, also habe ich aufgehört, mit den Mädchen zu sprechen, bin ihnen aus dem Weg gegangen. Damit sie nicht in ein schlechtes Licht geraten können. Und bei den Jungs war ich ohnehin unten durch. Ich habe keinen Sport gemacht, um nicht wieder so zugerichtet zu werden. Ich habe mich in die Bibliothek verkrochen. Die meisten Bücher stanken und schimmelten, aber es gab zwei Kisten mit alten Magazinen, aus den späten Fünfzigern, eine Art 'Ladies home journal', bloß übersetzt. Haushaltstipps, Modezeichnungen, Schnittmuster und Fortsetzungsgeschichten. Ganz brave Familienanekdoten und Vorlesegeschichten mit Forschern, Wissenschaftlern, Entdeckern. Und Cowboys." Masaya hörte ein wehmütiges Lächeln in Hikarus Worten. "Ich wusste natürlich, dass es alte Geschichten waren, dass wir die fortschrittlichste Nation der Welt sind, das hörte ich ja in der Schule. Für mich war diese Welt in den alten Heften spannend und schön und bunt! Wie ein Versprechen, dass es doch etwas hinter dem Horizont gibt." Während er Hikaru sanft auf seinen Oberschenkeln schaukelte, kontemplierte Masaya diese Offenbarungen. So also löste sich das Rätsel um Hikarus erstaunliche Fähigkeiten! Wie oft mochte der in diesen Heften geschmökert haben, um allein aus der Lektüre so viel handwerkliches Geschick zu ziehen, sich so beeindruckend stilsicher aufzustellen? "Ich weiß nicht mehr, wann es mir auffiel." Hikaru schauderte unwillkürlich. "Aber da existierte diese Gewissheit, dass ich Mädchen nicht anrühren würde. Nie. Als mir das aber klar wurde..." Er rang nach Luft, räusperte sich qualvoll. "Da bekam ich panische Angst. Wenn mein Vater es merkt, dann~dann schlägt er mich wirklich tot." Sein heftiges Zittern versicherte Masaya, dass Hikaru selbst jetzt noch diese Möglichkeit in Betracht zog. "Das lass ich nicht zu!" Zischte er, entgegen seines strikten Vorhabens, Hikaru einfach erzählen zu lassen. "NIEMALS lass ich zu, dass dir jemand was antut!" Damit umarmte er Hikaru schmerzhaft eng, wickelte sich förmlich um ihn herum. Hikaru erwiderte die Umklammerung entsprechend vehement. "Ich wusste nicht, was ich tun sollte." Flüsterte er kaum hörbar. "Ich hatte Glück, dass niemand nach der Mittelstufe eine Aushilfe einstellen wollte. Nur deshalb bin ich in die Oberstufe gekommen." ~~~>#*** Hikaru genoss die warme Hand, die seinen verspannten Nacken liebkoste, durch die Strähnen an seinem Hinterkopf streichelte, Trost, Zuspruch, Vertrauen, Aufmunterung. Er atmete tief durch. "Ich habe mich angestrengt. Es hieß, ich könnte vielleicht auf eine Universität gehen, in der Provinz, nicht renommiert, eher eine technische Hochschule. Die Lehrer wollten mir Empfehlungen schreiben." Hikaru grub sich selbst die Fingernägel in die Arme, so eng hielt er sich an Masaya fest. "Irgendwie hat er es herausgefunden." Wisperte er gequält. "Ist in der Schule aufgetaucht. Betrunken. Er hat mich aus der Klasse gezerrt, vor die Lehrer. Ich musste mich hinknien und um Entschuldigung bitten. Weil ich ein Idiot bin. Er hat mir ständig auf den Hinterkopf geschlagen, immer weiter. Egal, wie oft ich seine Worte wiederholt habe, es genügte einfach nicht." Die erstarrende Kälte erfasste ihn wieder, ließ ihn steif verharren. Dieses Mal gestattete Masaya nicht, dass sie ihn vollends eroberte, in eine Statue verwandelte. Grimmig rubbelte der über seinen Rücken, die Arme, wippte mit den Beinen, hielt ihn in Bewegung. "Sie riefen die Polizei. Das dauerte. Ich lag mit dem Gesicht im Dreck und kam nicht mehr hoch. Er musste aufs Revier. Ich lief nach Hause. Niemand sah mich an. Als wäre ich unsichtbar. Da habe ich alles zusammengepackt, was ich konnte und das Fahrrad des Großvaters genommen. Ich bin weggelaufen. Habe mich bei jedem Auto im Graben versteckt, aus Angst, er würde mich doch einholen." Das stete Wiegen, Streicheln, Wärmen endete. "Du bist mit dem Fahrrad nach Tokio gekommen?!" Wie schockiert, wie getroffen Masaya klang! "Es hat etwas länger gedauert." Antwortete Hikaru, überrascht, dass er sich erleichtert fühlte trotz der entsetzlichen Erinnerung an diesen Tag, blutend, schmutzig, außer sich vor Angst. "Wie lange?" Er kuschelte sich zögerlich an, besorgt, dass Masaya nicht so selbstgewiss wie gewohnt agierte, den Unbillen der Welt mit arroganter Chuzpe begegnete. "Fast ein halbes Jahr. Ich hatte kein Geld, verstehst du, also musste ich unterwegs arbeiten, um etwas zu essen zu bekommen." Hikaru seufzte. "Es klingt wahrscheinlich seltsam für dich, aber ich musste mich auch erst an diese ganze Welt draußen gewöhnen. Automaten. Züge. Mobiltelefon. Computer. Andere Worte, andere Phrasen. Und so viele Menschen. Ich bin ja vorher nicht herausgekommen aus der Gegend. Und gerade in Tokio waren einige Leute auch nicht besonders nett." ~~~>#*** "Vermutlich noch schlimmer als nicht besonders nett!" Kommentierte Masaya, zwischen Fassungslosigkeit und Ingrimm schwankend. Ja, es galt durchaus als Sport, die Bauerntrampel aus der Provinz zu übertölpeln. Wie furchtbar musste es wohl für Hikaru gewesen sein, ganz allein hier anzukommen, ohne Bekannte, quasi auf der Flucht, dazu keine Mittel, keine Unterkunft! "Das tut mir sehr leid!" Bekundete er, brachte entschieden ausreichend Distanz zwischen sie, um im Schein der Laterne des Schreins Hikarus Blick aufzufangen. "Wirklich, ich wünschte, du wärst gut aufgenommen worden!" Hikaru betrachtete ihn überrascht. "Das ist nicht dein Verschulden." Antwortete er. "Zudem kann ich es jetzt auch nachvollziehen, wie lästig es fällt, wenn jemand alle aufhält, keine Ahnung hat. Woher sollten sie auch wissen, wie erstaunlich und überwältigend ihr Alltag für Leute wie mich ist." Masaya besänftigte das keineswegs, obwohl er begriff, wie mundan sich seine Empörung ausnahm. "Verflixt, wäre ich dir bloß gleich über den Weg gelaufen!" Schimpfte er. Zu seiner Verwunderung lächelte Hikaru verschmitzt, trotz der Blässe und der Tränenspuren. "Auf keinen Fall!" Er lehnte sogar die Stirn an Masayas. "Ich wäre entrüstet gewesen, dich dort anzutreffen, wo ich mich herumgetrieben habe!" Obwohl der sich bewusst war, wie zerstörerisch und überflüssig seine Eifersucht auftrat, ließ er die Zügel locker. "Aber dann wäre ICH es gewesen, der dich das erste Mal küsst. Der mit dir schläft. Ich wäre dein erster Mann gewesen, nicht dieser Inoue." Stellte er leise klar. Hikaru antwortete ihm nicht, wehrte sich auch nicht, wieder in Masayas Arme gezogen zu werden, fest an dessen Brust gepresst. Was für eine alberne Wehklage! Ja, ohne diesen Inoue wäre der Film nicht verbreitet worden, hätte Tetsu ihn nicht als Geldanlage gekauft. Hätte Hikaru ihn nicht auf den ersten Blick in seinen Bann geschlagen, aus seiner routinierten Langeweile und selbst-absorbierten Arroganz gerissen! Und ohne die Erfahrungen würde es wahrscheinlich auch nicht so perfekt flutschen, was die körperliche Komponente seiner Leidenschaft betraf! Masaya atmete durch. "Bitte verzeih mir diese Entgleisung. Ich weiß selbstredend, dass es auf den letzten Mann ankommt. Ich bin zu meinem Leidwesen ein eifersüchtiger, zänkischer Fünfjähriger, was meine Liebe zu dir betrifft." Er hörte Hikaru kichern, scheu, leise. Das konnte man als positives Vorzeichen ansehen, es noch nicht vollends verdorben zu haben. "Bitte entschuldige auch, wie herablassend ich dir gegenüber war. Dass ich dich beim Shooting am Nacken gepackt habe." Setzte er seinen Frühjahrsputz des Gewissens gründlich fort. "Dass ich dir solche Angst eingejagt habe." Hikaru schwieg, den Kopf auf seiner Schulter geborgen. "Es tut mir aufrichtig leid." Wiederholte Masaya streng. "Ich fürchte, ich werde mich noch ordentlich mausern müssen, um ein halbwegs anständiger Kerl zu werden." Eine Person, die das Vertrauen wert war, das Hikaru ihm schenkte. Damit er ihn nicht unabsichtlich verletzte, das Wohlwollen beschädigte, mit dem Hikaru dankenswerter Weise über seine charakterlichen Mängel hinwegsah. "Ich hatte Angst, weil dir nicht genügt hat, was du gesehen hast." Wisperte Hikaru leise. "Nicht mal Suga hat nach meiner Vergangenheit gefragt. Mein neues Ich war doch perfekt, und trotzdem..." "Entschuldige!" Masaya verstärkte seine Umarmung, kämpfte gegen den Schauder an, der Hikaru unkontrolliert zittern ließ. Hikaru löste einen Arm, strich ihm sanft über den Hinterkopf. "Ich wollte nicht mehr unsichtbar sein. Oder der Sohn des Hurenbocks, weißt du? Es tut weh, ungenügend zu sein. Mangelhaft. Abstoßend und dumm..." "Das bist du nicht! Nichts davon!" Protestierte Masaya lautstark, ließ Hikaru unwillkürlich zusammenzucken. "Du bist vollkommen in Ordnung, hörst du?! Denk bloß nicht, ich sag das, weil ich dich liebe, oh nein! Ich bin Wissenschaftler! Ich kann das beweisen! Empirisch, statistisch, mit Fußnoten und Bildern!" Nach der Schrecksekunde ob seiner Lautstärke hörte er Hikaru wieder leise lachen, noch immer schüchtern, aber vergnügt. "He, ich mein's ernst!" Verteidigte Masaya sich entschlossen. "Stell mich auf die Probe!" Hikaru hob den Kopf von seiner Schulter. "Ich wollte, dass Suga dich rausschmeißt." Flüsterte er, eindeutig beschämt. "Und ich habe mal ein Poster von dir im Flur von der Wand gezupft." Masaya lachte, zog große Kreise über Hikarus Rückenpartie. "Von der ersten, vollkommen verständlichen Schandtat hat mir Suga berichtet." Er küsste Hikaru auf die Wange. "Die zweite Übeltat kann ich gar nicht verurteilen, weil ich's schon gruselig fand, mich da selbst anglotzen zu müssen." Er wandte den Kopf, um Hikaru richtig ansehen zu können. "Zum Beweis, dass du vollkommen in Ordnung bist: ich hab mich dir aufgedrängt, nicht locker gelassen, deine berufliche Karriere und dein Privatleben invahiert. Ein weniger netter Mensch hätte mir eine Tracht Prügel verpasst. Der hätte mir einen Vortrag darüber gehalten, was für ein mieses Charakterschwein ich bin. Du dagegen..." Er lächelte Hikaru in das blasse, gezeichnete Gesicht. "...hast dich trotzdem um mich gekümmert. Du hast mir geholfen, mich ernst genommen. Obwohl du Angst hattest. Obwohl ich dich bedroht habe." "Aber das wusstest du doch nicht!" Verwandte sich Hikaru für ihn. "Nett war ich bestimmt nicht!" "Nach deinen oder nach Tokioter Maßstäben?" Schnurrte Masaya frech. "...also..." Hikaru schnaubte überrumpelt. "Quod est demonstrandum." Schloss Masaya triumphierend ab. "Bin ich jetzt ein überzeugender Eierkopp, oder was?!" Er grinste betont breit, um Hikaru aufzuheitern. Ein Gedanke, der ihm bis zu ihrer ersten Begegnung nie in den Sinn gekommen wäre. Hikaru lehnte die Stirn an, die Arme um seinen Nacken geschlungen. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es ist, wenn jemand DICH wahrnimmt und so lieb zu dir ist!" Rang er mit Tränen, lächelte zittrig. "Danke, Masaya. Vielen Dank." Nun spürte Masaya, wie ihm die Kehle eng wurde. Hikaru hatte das Beste verdient und er musste sich eingestehen, dass er diese Marke nicht sonderlich häufig erreicht hatte. "Ich danke dir." Raunte er rau. "Dass ich dich lieben darf. Dass du mich veranlasst, ein besserer Mensch zu sein. Bitte, lass mich dich weiter lieben, Hikaru! Bleib bei mir, teil dein Leben mit mir!" Dezent schnüffelnd nickte Hikaru, bevor er ein "...ja...Ja!" hervorbrachte. "Gut!" Masaya neigte den Kopf leicht, küsste Hikaru auf die Lippen. "Nein, perfekt! Danke, danke, Hikaru! Wow, hörst du das auch?! Klingt wie Donnergrollen!" Nicht die Witterung löste den Trommelwirbel aus, sondern sein Herz zeigte sich dafür verantwortlich, wie er Hikarus frech gekaperter Handfläche per Auflage demonstrierte. Als er sich etwas zurückzog, herausfordernd grinste, konnte er verlegene Röte auf Hikarus blassen Wangen erkennen. Er zwinkerte. "Weißt du was, mein Herzblatt? Wir gehen jetzt ins Badehaus! Wärmen uns so richtig auf, ja?!" ~~~>#*** Hikaru fand seine halbherzigen Bedenken bezüglich der sehr späten Stunde weggewischt mit dem Hinweis, man habe vielleicht endlich die rare Gelegenheit, das Bad für sich allein zu haben. Das menschliche Inventar, die drei Kappas, wären um die Zeit wohl nicht mehr anzutreffen! Als sie den restlichen Heimweg antraten, spürte Hikaru die Spannungen in seinen Gliedern. Phantomschmerzen seiner Vergangenheit und reale Wehwehchen, der Offenbarung geschuldet. Masaya konnte es auch nicht viel besser gehen, immerhin hatte der ihn auf dem Schoß balanciert, gehalten, massiert, getröstet! Außer einer spitzbübischen Vorfreude schien kein Gedanke Masayas Ausdruck zu prägen. Nachdem sie sich rasch umgezogen hatten, Yukatas und leichte Jacken trugen, führte Masaya ihn ganz selbstverständlich an der Hand, schenkte ihm immer wieder freche Seitenblicke. Jungenhaft, ausgelassen, fröhlich. So hatte er ihn in Tokio nie erlebt. "Was ist?" Masaya hob in diesem Augenblick ihre verschränkten Hände an, küsste Hikarus Handrücken. Verlegen konzentrierte sich Hikaru auf seine nackten Zehen in den Getas. "Ich dachte nur gerade, dass du in Tokio nie so glücklich gewirkt hast wie jetzt gerade." Gestand er nervös. "Stimmt!" Bestätigte Masaya ihm unverblümt. "Weil ich hier mit dir zusammen bin. Ohne Verstecken, ohne Spiegelfechtereien oder Einschränkungen durch unsere Arbeit." Hitze stieg Hikaru in die Wangen. Wirklich, Masaya unternahm keine Anstalten, wenigstens ein bisschen zu lügen oder nicht ganz so direkt die Wahrheit auszusprechen! Das erinnerte ihn jedoch an einen Umstand, den er zuvor außer Acht gelassen hatte. "Sag mal, hast du tatsächlich allen erzählt, dass ich...dass du und ich...?!" Erkundigte er sich besorgt, blickte Masaya an, der vor dem Badehaus stehen blieb, nach dem Schlüssel suchte. "Selbstverständlich. Nur ein Blinder mit Krückstock hätte im Übrigen nicht erkannt, dass ich dich liebe. Warum also das Offenkundige verschleiern?" Hikaru schlang die Arme um sich selbst. "Aber jetzt~jetzt werden sie...!" Würde es wie damals sein? Abschätzige Blicke, Ausweichen auf der Straße, Distanz, nicht mal ein Gruß, Unsichtbarkeit? Masaya zog ihn ins Haus, nachdem er das Licht aktiviert hatte, schloss die Tür hinter ihnen, sah ihm unverwandt ins Gesicht. "Eine Menge Nachbarn und Leute vom Fest sind trotzdem mitgekommen auf das Revier. Weil ich immer noch ich bin und du immer noch du, Hikaru. Weil sie sehen, dass wir uns lieben. Daran ist nichts Falsches." Hikaru schluckte schwer. "Im Übrigen habe ich erwähnt, dass gewisse Junggesellen lieber dem Himmel auf Knien danken sollten, dass gleich 200 Prozent hochkarätige Konkurrenz nicht mehr auf dem Markt der einsamen Herzen sind. Um das Bild ein wenig abzurunden, selbstredend." Masaya ging voran zur kleinen Garderobe, wo man sich entkleiden und seine Sachen deponieren konnte. Hikaru konnte nicht anders als stehen und staunen. Die Traute, über die Masaya verfügte, beeindruckte ihn bis an die Grenze der Angst. Der hatte sich bereits entblättert, stand vor ihm, streichelte ihm sanft über die Wangen. "Wenn irgendwer Ärger bekommt, dann ich. Ich habe dich für mich gewonnen und ihnen weggeschnappt. Eigentlich müsste ich viel besser sein, als ich bin. Trotzdem. Also hab keine Angst mehr, Hikaru." Hikaru schlang impulsiv die Arme um Masaya, hielt ihn eng an sich gedrückt. "Ich liebe dich!" Wisperte er mit einem Schluchzen an ein geneigtes Ohr. Zum ersten Mal wagte er, diese Worte als er selbst auszusprechen. ~~~>#*** Masaya nutzte ungeniert die Gunst der nächtlichen Stunde. Nach dem gegenseitigen Einschäumen und Abspülen zog er Hikaru mit sich in das schlichte Steinbecken, nahm Platz, nötigte ihn, auf seinen Oberschenkeln zu residieren, damit das sehr warme Wasser erst ihre Muskeln und Sehnen lockerte, bevor er sich daran begab, Hikaru unerbittlich zu massieren. Kein Vergleich mit dem Pornosuperstar-Cowboy-Hikaru! Dieser Hikaru war schüchtern, schämte sich, verwöhnt zu werden, selbst wenn das sein Anrecht als Geliebter war! Überhaupt wies Hikaru kein Anspruchsdenken auf, sondern wirkte überrascht, wenn Masaya ganz selbstverständlich zu seinen Gunsten agierte! Deshalb seufzte der jetzt auch übertrieben, Hikaru auf dem Schoß balancierend. "Du bist so süß, dass es schlecht für mein Herz ist!" Beklagte er sich wehleidig. "Könntest du nicht ein bisschen divenhaft sein? Mich hin und wieder auflaufen lassen?" Hikaru wandte sich in seiner Umarmung leicht herum, betrachtete ihn betroffen. "Also...ich bin nicht sicher." Murmelte er hilflos. "Würdest du nicht sofort merken, dass ich dir bloß was vorspiele?" Masaya hängte das Kinn auf Hikarus Schulter ein, seufzte noch mal bis in die Fußsohlen, richtete sich auf, lächelte versonnen. "Schon wieder bist du so süß und herzzerreißend! Dagegen bin ich machtlos. Ich ergebe mich!" Ganz herumrutschend legte ihm Hikaru die Arme um den Nacken. "Können wir es nicht so versuchen? Ich will nicht mehr so tun, als ob ich dich nicht leiden kann." Murmelte er bedrückt. Angesichts der Erfahrungen, die er durchlebt hatte, mehr als verständlich. Masaya küsste ihn sanft. "Du hast recht. Ich bin bloß wieder selbstherrlich gewesen. Puh, ich werde noch ganz schön an mir arbeiten müssen, sonst habe ich karmatechnisch ganz miese Karten!" Die letzte Bemerkung entlockte Hikaru ein Lächeln. "Weißt du, ich muss das auch erst lernen." Gestand er Masaya ein. "Ich weiß nicht, wie man liebevoll umgeht. Was zu viel oder zu wenig ist. Ich habe darin keine Übung." Masaya erinnerte sich ihrer Vereinbarung. "Wir finden das raus, während wir marschieren." Zwinkerte er. "Ich habe übrigens ein sehr häufiges Bedürfnis danach, von dir geküsst zu werden. Nur mal am Rande erwähnt." Hikaru lupfte eine Augenbraue, kicherte. "Ich denke, ich kann dir entgegenkommen." Schnurrte er verschmitzt, küsste ihn ausdauernd. Ein wenig benommen lehnten sie aneinander. "Wird Zeit, uns abzukühlen." Stellte Masaya fest. Sonst überhitzten sie sich, was es zu verhindern galt. Außerdem waren Schrumpelmumien kein schöner Anblick! Hikaru erhob sich zuerst, taumelte leicht, griff nach Masayas Händen. Gerade, als sie einander behutsam kalt abbrausten, meldete sich Hikarus Magen vernehmlich zu Wort. "Oha!" Kommentierte Masaya amüsiert. "Stimmt, wir haben das Abendessen verpasst." Zu dem Zweck hatten sie ja unter anderem das Fest besuchen wollen. Verlegen rieb Hikaru sich die nackte Bauchpartie. "Das ist nur, weil mir vorhin so übel wurde." Masaya wickelte ihn in ein Handtuch, strich darüber, damit überschüssige Flüssigkeit vom Stoff aufgesaugt wurde. "Wir machen uns rasch noch eine Kleinigkeit, in Ordnung? Danach begucken wir uns von innen. Es ist ja schon Sonntag, somit unser Tag ganz für uns allein!" Er gedachte nicht, dieses unerhörte Privileg kampflos abzutreten! ~~~>#*** Kapitel 15- Liebe (Quod est demonstrandum) Hikaru erwachte, weil die Natur zu ihrem Recht zu kommen verlangte, ausgesprochen nachdrücklich. Sein unverzichtbarer Lichtwecker wartete deaktiviert, strahlte nur sehr dezent die Uhrzeit in ihr verdunkeltes Zimmer. Draußen musste es schon längst hell sein! Vorsichtig löste er sich aus der Decke, erneut verblüfft darüber, sie noch über sich gebreitet zu finden. Sein unruhiger Schlaf sorgte sonst für völlig zerwühlte Bettverhältnisse. Die Yukata vorne raffend, da sich der breite Gürtel in Auflösung befand, huschte er rasch zur separaten Toilette, schlüpfte in die Zweitschlappen. Eindeutig zu viel Tee bei ihrem nachmitternächtlichen Picknick! Andererseits hatte es gut getan, die aufgeraute Kehle nachhaltig zu befeuchten. Allerdings konnte er sich nicht mehr genau entsinnen, wie er auf ihr gemeinsames Lager gekommen war. Hatte er tatsächlich schläfrig an Masaya gelehnt, ihm die ganze Arbeit überlassen? Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht, während er sich die Hände über dem Spülkasten wusch. Masaya war wirklich unglaublich! Mutig, frech, selbstbewusst, tollkühn. Nachsichtig. Liebevoll. Zärtlich. Kannte man nur sein stoisch-grimmig-selbstherrliches Agieren auf der Leinwand und in Tokio, garniert mit Spott und süffisantem Augenbrauenlupfen, hätte man es wohl nicht vermutet! Leise verließ Hikaru die separate Toilette, huschte barfuß zurück. Er hielt inne, weil Masaya sich gerade aufrichtete, die teilgestutzte Mähne raufte, ihn frech im Zwielicht angrinste. "Morgen, mein Herzblatt! Küsst du mich auch ungeputzt und struppig?" Hikaru kam zögerlich näher. "Guten Morgen. Entschuldige, habe ich dich geweckt? Und ich habe mir auch noch nicht die Zähne geputzt..." Unvermittelt wurden ihm die Beine weggezogen, da stürzte er schon in Masayas empfangsfreudige Arme, der sich sogar auf den Rücken purzeln ließ. "Küss mich und verbessere mein Immunsystem!" Verlangte er herausfordernd. Obwohl Hikaru durchaus begriff, was Masaya da andeutete, runzelte er die Stirn. Unhöflich war es ja doch, so mit Toter Socken-Geschmack auf der Zunge vorstellig zu werden! Masaya half sich selbst, die Hand in Hikarus Nacken gelegt, zwinkerte hoch, als sich Hikaru auf seinem Brustkorb abstützte, überrumpelt keuchte. "Guten Morgen, Liebling. Wollen wir erst frühstücken und dann naschen, oder naschen wir zuerst, hm?" Hikaru blinzelte im schwachen Licht in die mutwillig funkelnden Augen. Zudem spürte er, durch nur wenig Stoff separiert, dass Masaya nicht nur ihn grüßte, sondern auch die hormonelle Ausstattung seines trainierten, jugendlichen und begeisterungsfähigen Körpers. "Du weißt, dass wir außer Dienst sind, oder? Lass mich also dein Häschen sein, hm?" Gurrte Masaya keck, klang jedoch nicht einen Hauch naiv-niedlich. Energisch setzte Hikaru sich auf. Er spürte Masayas prüfenden Blick, entzog sich auch nicht den warmen Händen, die seine eigenen hielten. "Geht es dir nicht gut?" Raunte Masaya sanft, ernst. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über Hikarus Gesicht. Von einem Augenblick auf den anderen erst frivol-frech, dann blitzartig achtsam-besorgt. Was für ein außergewöhnlicher Mann! Er beugte sich herunter, küsste Masayas Nasenspitze neckend. "Hab bitte kurz Geduld, während ich mich frischmache." ~~~>#*** Masaya gab Hikarus Hände hauptsächlich frei, weil er perplex diesen simplen Satz zu entschlüsseln trachtete. Moment mal, hieß das jetzt...?! Hikaru war schon in das Badezimmer gewechselt. Er rappelte sich rasch hoch, justierte den Lichtwecker auf perfekte Sonnenaufgangsstimmung, rollte ein Strandlaken aus, paradierte die Utensilien in Reichweite wie ein Spalier. Wollte~wollte Hikaru tatsächlich...?? Dabei hatte er sich doch als Häschen angeboten! Sollte er jetzt den Rammler geben?! Masaya lachte leise über sich selbst, weil ihm die Handflächen vor Aufregung feucht beschlugen, sein Atem beschleunigte und ein mehr als nervöses Prickeln seine Magengrube in Unruhe versetzte. Du liebe Zeit! Eine gewisse Übung hatte er ja durchaus vorzuweisen, aber Hikaru, das war eine Premiere! Wenn er es vermasselte...!! Immerhin war Hikaru ja diesbezüglich seit Jahren abstinent, nicht wahr?! Auf keinen Fall wollte er ihn verletzen, bloß nicht!! Außerdem fühlte Hikaru sich vielleicht genötigt, wollte eigentlich gar nicht, meinte aber, dass er diese Geste schuldig sei?! Masaya wirrte sich durch den langen Pony, knurrte frustriert. Ihm wäre ja so etwas Selbstloses nie in den Sinn gekommen! Bei Hikaru konnte er nicht ausschließen, dass der die eigenen Bedürfnisse und Wünsche hintanstellte! Entschlossen erhob er sich, streifte die Yukata ab, marschierte zum Badezimmer. Die Schiebetür war nicht verschlossen, sodass er sich leicht Zutritt verschaffen konnte, Hikaru überraschte, der gerade sorgsam den feuchten Waschlappen aufhängte, ihn errötend anblickte und sofort bekundete. "Oh, Masaya, ich bin noch nicht...!" "Ich brauche auch einen nassen Lappen." Posaunte Masaya entschieden heraus. "Darf ich deinen gerade benutzen?" "Ah, natürlich!" Hikaru entklammerte das Stoffquadrat, ganz offenkundig aus einem alten Handtuch genäht, reichte es weiter. Masaya registrierte selbstredend die verunsicherten Blicke, während er sich rasch ablederte. "Hör mal." Beiläufig flaggte er den Lappen zum zweiten Mal. "Ich möchte nicht, dass du dich von mir genötigt fühlst..." Weiter kam er nicht, da Hikaru ihm die Fingerspitzen auf die Lippen legte, ihn betrachtete. Die trotzig-besorgte Miene, den wirren Pony über den tiefschwarzen, so kritischen Augen, den attraktiven Körper mit merklichem Ausschlag des Geigerzählers. "Hilf mir einfach." Wisperte Hikaru. "Bitte." Was Masaya sich nicht zweimal sagen ließ. ~~~>#*** Natürlich flatterte ihm das Nervenkostüm. Es war ein vorfreudiges, erwartungsvolles, hoffendes Gefühl. Hikaru vertraute Masaya, der sich für ihn ohne Zögern und Zaudern in die Bresche warf, Messerattacken, fiesen Erkältungen und emotionalen Krisen trotzte. Was konnte ihm anderes geschehen als leidenschaftliche, aufreizende, ausdauernde Zuneigungsbekundungen? So wie die brennenden Küsse in seinem Nacken, auf seinen Schultern, in seiner Halsbeuge, während Masayas Front seinen Rücken wärmte, dessen Finger behutsam Eingang fanden, die freie Hand, die seine Brustpartie bestrich, über seinem zuckenden Magen Kreise zog. Hikaru wusste sich üblicherweise gut zu beherrschen. Jetzt fürchtete er, vorzeitig zum Erguss zu kommen. Sich nur auf eine Hand abzustützen, das war eine ganz schön wacklige Angelegenheit! Und überflüssig, da Masaya ihm zupackend aushalf. Er hörte sich selbst leise aufstöhnen, mit jeder Bewegung, jeder Geste. Masaya wurde nicht müde, in seinem Nacken zu wispern, dass er ihn liebte, so sehr! Dass er schön sei, sexy, begehrenswert! Mit rauer Stimme, beinahe fiebrig, ein erregtes Flehen und Fordern! Hikaru befand schließlich, dass Masaya gründlich genug den Vorbereitungen gefrönt hatte. Er musste nur "Masaya..." wispern, um seinen Wunsch erfüllt zu bekommen. Also ließ er sich fallen, vertraute sich rückhaltlos seinem ehemaligen Rivalen an. ~~~>#*** Masaya war sich nicht ganz sicher, welche potentielle, übernatürliche Wesenheit man traditionell mit sexueller Erfüllung in Verbindung brachte (als Wissenschaftler glaubte er grundsätzlich nicht, sondern suchte Theorien durch Beweise zu unterfüttern). Er schwor sich, den entsprechenden Schrein aufzusuchen und seinen Dank auszudrücken! Im Moment hockte er mit abgeklappten Beinen auf der Matratze, hielt Hikaru vor sich mit beiden Armen umfangen, sog in tiefen Atemzügen ihren vermischten Körpergeruch ein, während er auf die gemächliche Normalisierung ihrer Atemzüge lauschte. Innerlich frohlockte er auch ein wenig, zugegeben. Der Hikaru von all den Aufnahmen, auch der ersten Privataufzeichnung, war nicht die Person, die er jetzt hauteng an sich presste, mit feuchten Küssen auf die ihm zugeneigte Gesichtshälfte bedachte. Dieser Hikaru hier hatte nichts zurückgehalten, weder seine Lustgefühle noch seine Stimme oder die beeindruckenden Reflexe seiner Sehnen und Muskeln. Er hatte sich ohne Netz und doppelten Boden auf das Wagnis eingelassen, sich von ihm lieben zu lassen. "Und es war phantastisch!" Wisperte Masaya seine Einschätzung, durchaus ein wenig gerührt. "Hm?" Der Schmuckstrang auf seiner Brust wanderte leicht, als Hikaru sich bemühte, den Oberkörper ganz zu drehen. Masaya assistierte, nicht ohne ungeniert zu erläutern. "Der Sex gerade war phantastisch, habe ich gesagt. Ich werd dich ganz bestimmt NIE NIE NIEMALS NIE hergeben!" Trötete er mit überbordender Begeisterung. Gut, das war wieder der ungezogene Fünfjährige in seinem Inneren, aber warum sich Zügel anlegen? Hikaru, dem es endlich gelungen war, sich seitlich an ihn anzulehnen, lachte leise, legte ihm den Arm um die Taille. "Du bist wirklich ein Frechdachs von Dreikäsehoch!" Bestätigte er neckend, küsste Masaya aber gleichzeitig besänftigend auf den Mund. Ein bisschen arg sparsame Kost, befand Masaya, wechselte zur französischen Variante plus noch mehr gemeinschaftlich geteilte Immunabwehrvielfalt. Sie stützten einander, außer Atem, als sie entschieden, den Wettstreit für ein Päuschen auszusetzen. Die Stirn an Hikarus gelegt verkündete Masaya aufgedreht. "Jetzt will ich dich reiten! Ich bin fit und spritzig wie eine Sprungfeder! Es kann nichts schiefgehen!" Hikaru ächzte, registrierte das tollkühne Funkeln in den schwarzen Augen, lächelte schief. "Du bist wirklich unglaublich..." "Ich weiß!" Masaya zwinkerte unverschämt. "Damit du's glaubst, treten wir jetzt den Beweis an!" ~~~>#*** Hikaru blickte hoch, die Beine aufgestützt, die Hände sichernd unter Masayas Oberschenkel gelegt. Dessen Miene zeigte zunächst noch Konzentration. Allein sein Eigengewicht drückte ihn herunter auf Hikarus Hüften und dessen Erektion. Dazu galt es, eine fragile Balance zu halten, die Beine gespreizt, um den richtigen Winkel zu treffen. Es sah auf der Leinwand leichter aus, als es tatsächlich war. Trotzdem hatte Hikaru eingelenkt, weil er sich lebhaft den Triumph vorstellen konnte, wenn Masaya sich über ihm bewegte, stolz und frech! Dieses Bravourstück gemeistert zu haben, sich selbst damit bewiesen, dass man nicht zurückscheute, für einen potentiellen Lustgewinn auch ein ebenso mögliches, schmerzhaftes Risiko einzugehen! Allerdings befürchtete Hikaru keine Katastrophe. Masaya war nicht nur aufgeputscht, sondern auch beweglich und trainiert. Selbst bei der Präparation hatte er Geduld bewiesen, nicht gedrängt oder gar gequengelt. "Uh..ooohhhh!" Stöhnte er gerade über Hikaru, den Kopf in den Nacken gelegt, das Gewicht nach hinten verlagert. Hikaru atmete zischend aus, grub die Fersen tief in die Matratze. Wenn Masaya sich gegen seine Oberschenkel lehnte, würde der sich besser ausbalancieren und abstützen können. "...gar...nicht...so einfach!" Stellte Masaya gerade fest, die Oberschenkel schon unter der Anspannung zitternd, woraufhin Hikaru seine Hände löste, um über die samtweiche Haut zwischen Masayas Schenkeln im Schritt zu streichen, bis zu den Leisten hoch. "...nicht...!" Der Protest war zu erwarten. "Lehn dich zurück, Masaya." Kommandierte Hikaru bestimmt. "Komm mir mit den Füßen ein wenig entgegen." So würde es für sie beide etwas angenehmer werden, konnte Masaya seinerseits mit den Fersen fest in der Matratze die Bewegungen seiner Hüfte steuern. Unentwegt massierten seine Daumen entlang der zarten Haut im Schritt bis zu den prominenten Knochen hoch. Masaya konzentrierte sich auf seine Atemzüge, verlagerte vorsichtig seine Balance. Für Hikaru das Zeichen, sich selbst minimal über die Matratze zu schieben, Masaya entgegen. Wenn ihre gegenläufigen Bewegungen aufeinanderstießen, würde das Feuerwerk detonieren! ~~~>#*** Masaya schmiegte sich in Hikarus Arme, kuschelte sehr zufrieden. In seinem Inneren prickelte und bizzelte es noch immer wie frisches Brausepulver. Er genoss diese Nachwehen ungeniert. Eine technisch anspruchsvolle Stellung gemeistert, von Hikaru filmreif abgeschossen worden, nachdem er diesen zuvor ohne jedes Limit hatte vernaschen dürfen... Dieser Sonntag war schon rekordverdächtig, obwohl es noch nicht mal Mittag geschlagen hatte! Jetzt wurde er fürsorglich gehalten, sporadisch mit Küssen betupft, während sie beide die postkoitale Seligkeit langsam ausklingen ließen. Die Idylle endete allerdings mit einem recht profanen Ton: Magenknurren, das nicht vom finalen Prozess der letzten Mahlzeit kündete. "Wir könnten rasch duschen und etwas essen." Schlug Hikaru leise vor. "Dazu müssten wir aufstehen!" Stellte Masaya fest. "Ich will dich aber nicht loslassen!" Quengelig, ohne Frage. Verzogen. Kopfnuss-herausfordernd. Hikaru jedoch strich ihm den feuchten Pony aus der Stirn, küsste diese. "Du kannst doch meine Hand beim Aufstehen halten. Beim Duschen legst du die Arme um mich." Schmunzelte Hikaru. "Na gut!" Grummelte Masaya, wusste, dass er ein unverschämtes Glück genoss, küsste Hikaru Atem zehrend, bevor er erlaubte, dass dessen Arme sich von ihm lösten. Tatsächlich ergriff Hikaru seine Hand, als sie sich aufrappelten, hielt sie auch bis unter die Dusche. Masaya schlang ihm die Arme um den Nacken, studierte im Tropfenvorhang den wenig älteren Mann. "Ich bin gerade ein wenig anstrengend, hm?" Grimassierte er schief. Hikaru, der es übernahm, das Wasser strategisch zu verteilen, lächelte amüsiert. "Du kannst nicht anders, oder? Das ist schon schmeichelhaft." Zwinkerte er, küsste Masaya neckend auf die Nasenspitze. Schnaubend lehnte Masaya die Stirn an. "Ich bin einfach gerade so glücklich, dass meine Selbstkontrolle sich verabschiedet hat! Ich glaube, ich bedarf deiner ungeteilten Aufsicht! Aus Sicherheitsgründen, selbstverständlich." "Selbstverständlich." Bekräftigte Hikaru im Brustton der Überzeugung, kicherte. Masaya studierte ihn hingerissen, seufzte bis in die Zehen. "Herrje, Hikaru, ich liebe dich! Ich bin offiziell rettungslos verrückt nach dir!" ~~~>#*** Es war schon amüsant, den stoisch-selbstüberzeugten Masaya so eigensinnig-kindisch-überdreht zu erleben! Mit teuflischem Charme und gleichzeitiger Hilflosigkeit gegenüber so starken Emotionen. Hikaru bemerkte beiläufig, dass er so oft lächelte und lachte wie lange nicht mehr. Eigentlich nie zuvor in seinem Leben. Er fühlte sich unbeschwert, beschwingt, hoffnungsfroh. Es machte Spaß, sich ein wenig beim Abtrocknen zu kabbeln, weil jeder den anderen abtupfen wollte, was in ein Durcheinander von konkurrierenden Gliedmaßen mündete. Zu seiner Verblüffung schlüpfte Masaya nicht etwa in eine bequeme Freizeitkluft, sondern den skandalös-transparenten Overall, den er ihm überlassen hatte. Das forderte Hikaru heraus, sich ebenfalls entsprechend herauszuputzen, schmal geschnittene, geschnürte Hosen zu einer durchscheinenden Hemdbluse unter einer sehr knappen Weste. "Kannst du dich um die Matratzen kümmern?" Bat Masaya, operierte selbst an der Küchenzeile. Artig rollte Hikaru die Matratzen, faltete Bettzeug, klappte auch das Gestell zusammen. Während er alles verstaute, dekorierte Masaya den Klapptisch, zu Hikarus Verblüffung jedoch auf einer Seite, nicht wie gewohnt einander gegenüber. Verwirrt nahm er auf dem Sitzkissen Platz, kopierte unwillkürlich Masayas Haltung, der förmlich kniete, hinter sich griff, um dort eine kleine Sake-Flasche und ein winziges Schälchen hervorzuholen. Er schenkte den angewärmten Sake aus, wenige Schlucke nur. Hikaru spürte, wie ihm Farbe in die Wangen stieg, sein Herzschlag beschleunigte. Masaya nahm seine Hände, hielt sie sanft fest, sah ihm unverwandt ins Gesicht. "Ich bitte dich, meine Familie zu werden. Ich halte um deine Hand an und verspreche dir, dass ich dich lieben, ehren, beschützen und respektieren werde. In deine Hände lege ich meine Seele, meine Zukunft, mein Glück, mein Herz. Bitte, Hikaru, heirate mich. Verbring dein Leben mit mir, Seite an Seite. Erweise mir diese Gunst." Damit verbeugte er sich formell so tief, dass seine Stirn fast Hikarus Knie berührte. Kein stürmisches Drängeln, keine frechen Kommentare, keine professorale Beweisführung über die unabweisbare Vorteilhaftigkeit einer solchen Verbindung. Hikaru schnappte nach Luft. Familie? Und Masayas Eltern? Heiraten, ging das hier überhaupt? In Tokio gab es einige Bezirke, wo man sich entsprechend registrieren konnte, aber...?! Er starrte auf Masayas Hinterkopf, keuchte erneut vernehmlich. Dessen Hände drückten seine, aufmunternd, bittend. Obwohl er sich räusperte, klang seine Stimme belegt und unstet. "Ich möchte gern deine Familie werden, Masaya. Und mit dir mein Leben verbringen. Ich habe nur Angst, dass deine Eltern dir böse sein werden..." Masaya richtete sich langsam auf. "Wenn der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, werden sie schnell erkennen, was du mir bedeutest. Was für ein Glück ich habe, dir begegnet zu sein. Sie werden dich so ins Herz schließen wie all die anderen Leute hier schon." Er seufzte kummervoll. "Durchaus zu meinem Leidwesen, weil ich dich ja ganz für mich allein haben möchte." Trotz des humorvollen Untertons blickte er ernst und konzentriert. "Bitte, Hikaru. Bitte sag ja." Hikaru biss sich auf die Lippen, weil er spürte, wie seine Augen tränten. Er nickte hastig, stammelte ein Ja heraus, schluckte wiederholt. "Ich danke dir!" Masaya lächelte, verneigte sich erneut formell so tief wie zuvor. Er kam wieder hoch, löste behutsam seine Hände aus Hikarus, reichte ihm mit einer Verbeugung das Sake-Schälchen. Hikarus Fingerspitzen zitterten jedoch so sehr, dass er ihn unterstützte, damit Hikaru vom Reiswein nippen konnte. Das Schälchen vorsichtig drehend nahm er selbst den zweiten Schluck, stellte es neben sich ab. Aus der kleinen Schachtel nahm er den zweiten Ring, das Gegenstück zu seinem eigenen, streifte diesen zärtlich über Hikarus rechten Ringfinger, beugte sich über dessen Handrücken, ihn zu küssen. Hikaru liefen noch immer glasklare Tränen über das Gesicht. Er zitterte, umklammerte mit der linken Hand verkrampft einen Hemdblusenzipfel. "Entschuldige." Raunte Masaya leise. "Hab ich dich so erschreckt?" Mühsam gelang es Hikaru, den Kopf zu schütteln, schniefend. Er war glücklich, überwältigt und deshalb vollkommen durcheinander. So viel war in den letzten 24 Stunden geschehen, dass seine Gefühle sich einfach nicht mehr beherrschen ließen! "Komm." Masaya öffnete die Arme, veranlasste Hikaru, auf dessen Sitzkissen zu wechseln, sich festhalten zu lassen. Während seine flatternden Nerven sich langsam beruhigten, fütterte Masaya ihn ungezwungen, mischte Küsse dazwischen, lächelte hochzufrieden in den Sonntagmittag hinein. ~~~>#*** Masaya unternahm nicht die geringsten Umstände, sein äußeres Erscheinungsbild zu verändern, sah man von einer Sonnenbrille ab. Wozu auch? Der transparente, schwarze Overall mit den Blütenapplikationen trug sich bequem, praktisch und stand ihm sehr gut zur Gestalt! Selbstredend war er skandalös-frivol. Als ehemaliges Model gehörte so ein Auftritt schließlich zum Standardrepertoire! Außerdem sah er nicht die leiseste Notwendigkeit, Hikarus Hand loszulassen. Die Sonne schien, er war verrückt-verliebt, hatte einen Heiratsantrag hervorgebracht, der angenommen worden war und die geliebte Person lief an seiner Seite, trug seinen Ring! Wer würde da nicht Händchenhalten?! Hikaru hatte sich von seinem Enthusiasmus mitreißen lassen, ebenfalls sein Outfit nicht gewechselt. Zudem hatte er auch artig versichert, dass er sich wohlfühle, trotz der emotionalen Berg- und Talbahn der letzten Stunden, der körperlichen Beanspruchung. Sie verließen gerade den bescheidenen Schrein, wo sie Seite an Seite gestanden und sich stumm bedankt hatten. Unmöglich, Frau Uehara zu entkommen, die als Epizentrum der Nachrichten der gesamten Nachbarschaft fungierte. Kurz verstärkte sich der Druck auf Masayas Finger. Beruhigend strich er mit dem Daumen über Hikarus Handrücken. "Ah, Hikaru, mein lieber Junge! Und Masaya." Frau Uehara behandelte alle jüngeren Leute wie Familienmitglieder, die von einer liebevoll-strengen Mutter zu beaufsichtigen waren. "Geht's dir wieder gut, Hikaru? Hina-chan hat mir erzählt, dass dir gestern schlecht wurde nach diesem ekelhaften Zwischenfall!" Hikaru verneigte sich brav, versicherte artig, er sei wieder wohlauf. Trotzdem spürte Masaya die Anspannung des wenig älteren Mannes. Nicht ganz ohne Grund. "Oho, hab ich's doch gewusst!" Triumphierte die kräftige Neuigkeitenmaklerin. "Wenn das da nicht der gleiche Ring ist wie bei Masaya! Na, da wird Suki sich aber umschauen! Die hat gestern so viele Fotos von dir gemacht, Hikaru, damit sie ihre dusselige Tochter hierher locken kann, die keinen Mann findet! Ich hab ihr ja gesagt, dass das zwecklos ist! Tsktsk, aber besonders helle war sie ja noch nie." Neben ihm verlor sich Hikarus gesunde Gesichtsfarbe rapide. "Hoffentlich kommt sie trotzdem." Mischte sich Masaya forsch ein. "Erstens ist es hier doch wirklich hübsch und zweitens braucht sie vielleicht eine Typberatung, diese Tochter! Mein Liebster hier ist Stylist!" Damit lupfte er ihre Hände, küsste Hikarus Handrücken demonstrativ. "Wenn das Äußere das Problem ist, lässt sich vielleicht ja was retten bei der besagten jungen Dame!" "Jung? Ha!" Frau Uehara machte keine Gefangenen. "Die ist schon Mitte Dreißig! Und gebaut wie eine Regentonne!" "Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen!" Konterte Masaya selbstbewusst. "Ich bin als Gammelstudent durch die Gegend gezogen, bevor Hikaru mich unter seine Fittiche genommen hat! Und sehen Sie mal, jetzt mache ich ja wohl prächtig was her, oder nicht?!" Neben ihm schnappte Hikaru hörbar nach Luft. Frau Uehara musterte Masaya prüfend, ein wenig gründlicher, als der zivile Anstand gestattete. Andererseits war er ja wohl ein SUPERBES Mannsbild, da konnte sie schon länger hinschauen! "Mutter!" Dröhnte sie, wandte sich zum Hauseingang um. "Mutter, komm mal raus, ja? Die beiden hübschen Jungs sind hier! Die willst du doch bestimmt sehen!" Nicht nur eine sehr verhutzelt wirkende, winzige Frau reagierte auf diesen Ruf, sondern auch diverse Nachbarinnen, die selbstverständlich gerade mal nachsehen wollten, was für ein Spektakel bei Ueharas stattfand! "Mutter ist unglücklich!" Vertraute Frau Uehara unterdessen Hikaru an, allerdings recht laut. "Sie war bei einem dieser teuren Friseure, für das Ehemaligentreffen! Und dann so was!" Was genau sie kritisierte, ließ sich auf den ersten Blick nicht erkennen, da die alte Frau sich ein Kopftuch umgebunden hatte. Hikaru entschlüpfte Masayas Zugriff, was der nur widerwillig geschehen ließ, ging vor der alten Frau in die Hocke, damit sie sich nicht so verrenken musste, da sie den beiden jungen Männern gerade mal unter die Ellbogen reichte. Selbstredend war ihm das Zusammenzucken nicht entgangen, hatte die alte Frau die Worte ihrer Schwiegertochter durchaus verstanden. Masaya verfolgte, wie Hikarus Zauber wirkte. Wie er sanft die kleinen Hände umfasste, hoch in das faltige Gesicht lächelte und Mitgefühl ausdrückte, ganz ohne Worte. Jemand, der wusste, wie es sich anfühlte, "entstellt" zu sein und auch noch von oben herab behandelt zu werden. Unterdessen fand Masaya sich selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, was mehrheitlich seinem Overall geschuldet war. So ein außergewöhnliches Kleidungsstück an einem Mann gab es sonst nie zu sehen! Unerschrocken deckte er Hikarus kleinen Ausflug in das Innere des zweigeschossigen Wohnhauses, ging zum Angriff über. "Extravagant, nicht wahr? Aber sehr bequem und pflegeleicht! Außerdem ein Unikat!" Pries er ungeniert das Kleidungsstück an. "Dabei hat Hikaru mich beraten, es für mich besorgt! Ihm macht niemand was vor! Er hat den perfekten Blick für persönliche Vorzüge. Das sieht man ja auch an ihm selbst, nicht wahr?!" "Er ist ja auch ein Model!" "Oh, nicht nur das!" Masaya kam richtig in Schwung. "Er frisiert mich auch höchstselbst! Er näht seine eigenen Kleider und stellt die Accessoires zusammen! Außerdem läuft er sicher nicht irgendwelchen kurzlebigen Modetrends hinterher! Er hat ein beeindruckendes Stilgefühl! Wenn man von ihm beraten wird, fühlt man sich nicht nur wohl in der eigenen Haut, sondern auch den eigenen Kleidern! Wer sich selbst nicht traut, kann auf seinen Rat zählen, wenn es darum geht, sich einzukleiden!" Die Saat ging auf. Die meisten der älteren Damen hatten schon die Gelegenheit genutzt, Hikaru in den vergangenen Tagen ins Gespräch zu ziehen. "Wird er jetzt hier arbeiten?" "Tja..." Masaya rollte gemächlich mit den Schultern, was reizvolle Einblicke in den V-Ausschnitt des Overalls zuließ, selbstredend beabsichtigt war. "Ich würde es mir wünschen, so ein hübsches, kleines Atelier, aber..." Nicht einen Wimpernschlag später hagelte es Vorschläge, darunter natürlich auch das verlassene, winzige Geschäft mit der altmodischen Nähmaschine, die Hikaru so begeistert hatte. Er rief sich rasch die Lektionen vom Secondhand-Markt in Erinnerung, bei dem Hikaru geschickt verhandelt hatte. Nun, wollen doch mal sehen...! ~~~>#*** Hikaru verdrehte vorsichtig das schlichte, schwarze Tuch zu einem eleganten Turban aus den frühen Fünfzigern, dekorierte diesen über der Stirn mit einer alten Strassbrosche, die er rasch geflickt hatte. Die alte Frau Uehara betrachtete sich in einem angelaufenen Handspiegel, kicherte hingerissen. Er lächelte ebenfalls, zögerte nicht, die von der herrschsüchtigen Schwiegertochter ungefragt geborgten Makeup-Utensilien zum Einsatz zu bringen. Nach strengem Studium der Inhaltsstoffe, selbstredend. "Die Haare machen wir einfach ein bisschen später, ja? Ich glaube, ich kenne ein paar Möglichkeiten, um die Krause zu reduzieren. Für die Farbe wird sich auch etwas finden." Versprach er sanft. Es musste wirklich ein grässlicher Schreck gewesen sein, in diesem exklusiven Salon in den Spiegel zu blicken, die recht schütteren Haare in eine Minipli-Krause gesäuert! Dazu noch ein unkleidsames Rosa eingefärbt, die Kopfhaut in Mitleidenschaft gezogen, was man nicht mal verbergen konnte! Die alte Frau strahlte, reichte ihm, mit verstohlenem Zwinkern, heimlich gehortete Süßigkeiten aus roten Bohnen. Die sie wie Verschwörer gemeinsam verzehrten. "Oh, die sind draußen aber sehr lebhaft!" Merkte Hikaru auf. Was ihn in Unruhe versetzte, weil er nicht wusste, ob man Masaya etwa anging! Er verabschiedete sich mit dem Versprechen, rechtzeitig vor dem Ehemaligentreffen vorbeizukommen, beim "Aufhübschen" zu helfen. Draußen fand er Masaya inmitten einer großen Damenriege, in voller Fahrt. "Ah, Hikaru!" Die Rechte nach ihm ausgestreckt lotste der ihn zu sich. "Wir sprachen gerade über die Möglichkeit, diesen winzigen, seit langem aufgegebenen kleinen Laden zu mieten! Man müsste allerdings Zeit und Schweiß investieren. Direkt an einer großen Geschäftsstraße liegt er auch nicht." Hikaru blickte Masaya verwirrt an, während eine schlanke Frau mit altmodischer Hochsteckfrisur zum Gegenangriff überging. "Aber er hat sehr viel Potential! Ruhig ist es auch! Mit Wasseranschluss!" Argumentierte sie mit blitzenden Augen. "Masaya..." "Ruhig ist ja ganz nett für eine Wohnung, da haben Sie recht. Für ein Geschäft bedeutet ruhig kaum Kundschaft! Gewiss stößt man auch auf das Potential, wenn man erst mal entrümpelt und gestrichen hat. Dazu sind wohl leider auch die Fenster undicht, und diese Tür..." Ungläubig registrierte Hikaru über den aufmunternden Händedruck, dass Masaya tatsächlich darüber verhandelte, hier Geschäftsräume anzumieten! Für ihn! "Ich muss über die Miete aber auch die Umkosten finanzieren, die Verwaltung, die Steuern!" Wehte Masaya Gegenwind ins Gesicht. Den er souverän wegpustete. "Nach meinem Eindruck ist die Konkurrenz nicht gerade hoch. Der Laden steht schon so lange leer, dass er doch Einiges an positiven Aspekten über die Zeit eingebüßt hat! Es stimmt selbstredend, niemand MUSS seine Gewerberäume vermieten. Ich würde jedoch meinen, dass ein moderater Mietzins als Ertrag nicht zu verachten ist." "Also, das kann ich nicht allein entscheiden, mein Mann wird da auch noch mitreden wollen!" Hikaru hörte gedämpftes Gelächter, das nach seiner Erfahrung andeutete, dass der erwähnte Gatte nicht gerade Vetovollmachten für sich ins Feld führen konnte. Masaya lächelte herausfordernd. "Wir würden uns freuen, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen, wenn die Entscheidung gefallen ist. Inzwischen können wir uns ja andere Möglichkeiten anschauen, nicht wahr?" Damit zwinkerte er Hikaru frech zu, küsste ihn erneut auf den Handrücken! "Also, so eine Stilberatung..." Wagte sich eine andere Frau vor. "Was würde die denn kosten?" Stilberatung?! Was hatte Masaya erzählt, während er im Haus war?! "Hängt selbstverständlich vom Umfang ab, von der Intensität und Dauer der Betreuung. Ob Sie gern beim Einkauf begleitet werden möchten. Ob es bloß um einen bestimmten Anlass geht oder eine grundsätzliche Ausrichtung samt Sichtung der bereits vorhandenen Bekleidung! Ob es nur um das Anziehen gehen soll, oder auch um Frisur, Makeup, Schmuck, Accessoires." Masaya brillierte im Maklermodus, ohne den geringsten Anflug von Unsicherheit oder Zweifel. Hikaru befiel ein Gefühl der Unwirklichkeit. Drehte es sich wirklich um IHN bei diesem Gespräch?! Wieso beherrschte Masaya einen Fach-Jargon, obwohl er sich doch vorher für sein äußeres Erscheinungsbild recht wenig interessiert hatte?! "Erst mal muss mein Herzblatt hier ja ankommen, nicht wahr? Sich ein bisschen erholen von der turbulenten Modelszene. Wenn der Startschuss fällt, werden wir das natürlich kundtun!" Übertönte der gerade lässig das aufbrandende Gemurmel und Geflüster. Nun schwindelte Hikaru leicht ob dieser großspurigen Versprechungen. Masaya trat so überzeugend auf, dass weder er selbst noch die umstehenden Damen seinen Vortrag in Zweifel zogen! "Mir bleibt zunächst, mich bei Ihnen allen zu bedanken, werte Damen, und zu hoffen, dass Sie uns wohlwollend in Ihre Gemeinschaft aufnehmen!" Altmodischer Charme, kombiniert mit einer angedeuteten Verneigung und einem schurkisch-frechen Grinsen! Schon fand sich Hikaru ungeniert um die Hüfte gefasst, geschickt ausgesteuert. "Noch einen schönen Nachmittag!" Masaya spazierte seelenruhig mit ihm davon, gänzlich unbeeindruckt von dem bienenstockartigen Summen, das er hinter sich auslöste, weil jede ihrer unmittelbaren Nachbarin ihre Eindrücke schildern musste! ~~~>#*** Masaya zwinkerte Hikaru zu, der wie betäubt neben ihm lief, wechselte den Arm von Hüfte zur linken Hand. "Du bist ganz schön blass um die Nase!" Neckte er ihn grinsend. "Hast du gedacht, die nehmen mich auseinander?" Hikaru öffnete den Mund, schloss ihn wieder, sortierte sich neu, bevor er einen Anlauf unternahm, seine Ansicht zu äußern. "Was hast du da alles erzählt? Stilberatung? Und ein Studio?! Masaya, ich hab kein einziges Zertifikat!" "Wer braucht so was, wenn man Augen im Kopf hat?!" Konterte der selbstbewusst. "Immerhin stehe ich als Ansichtsexemplar ja auch zur Verfügung! Möglicherweise könntest du einen Kurs in Betriebsführung machen, aber das ist ja eine Kleinigkeit!" Er wurde gebremst, weil Hikaru abrupt stehen blieb. "Ich bin nicht so klug wie du! Ich habe nicht mal meinen Oberstufenabschluss." Erinnerte Hikaru ihn bleich. Weil er geflohen war, Hals über Kopf, verschreckt, traumatisiert, gedemütigt und in heilloser Panik. Die Arme um Hikarus Taille gelegt visierte der ihn aufmerksam an. "Ich glaube, mein Herzblatt, dass du dir selbst zu nahe bist, um es zu erkennen, aber du stehst mir in gar nichts nach." Antwortete Masaya ernsthaft. "Ich kenne niemanden, der durch das Studium alter Modejournale und Schnittmuster so mühelos Kleider individuell anpassen kann. Der treffsicher erkennt, welcher Schnitt zu welcher Figur passt. Welche Farben geeignet sind, welche Stoffbeschaffenheit auszuwählen ist. Und dann habe ich noch mit keinem Wort dein Einfühlungsvermögen beschrieben." Hikaru presste die Lippen zusammen, zweifelnd. "Ich dachte immer, dass du allen anderen aus dem Weg gegangen bist aus Angst, man könnte deine Vergangenheit aufwühlen. Das ist nur ein Aspekt, wie mir jetzt klar wird." Fuhr Masaya unbeirrt fort. "Du verfügst über so viel Empathie, dass du ständig hilfst, ohne Aufforderung, ohne große Erklärungen. Versuch mir bloß nicht weiszumachen, du hättest dem Großmütterchen nicht versprochen, sie für ihren wichtigen Termin glamourös herauszuputzen!" Hikaru senkte den Kopf, wich eilig seinem Blick aus. "Volltreffer, hm?" Masaya lächelte, initiierte einen Eskimokuss. "Du hast perfekte Qualitäten, um Menschen zu assistieren, sich selbst anzunehmen, zu mögen. Sich im Spiegel zu begegnen und dabei zu lächeln. Glücklich zu sein. Wer wüsste das besser als dieser steife, arrogante, selbstherrliche Ex-Gammelstudent vor dir!" Hikaru legte ihm die Arme um den Nacken. "Ich weiß wirklich nicht, ob ich das kann." Wisperte er. "Ich möchte schon gerne, aber Stilberater sind doch bekannte Künstler, arbeiten nicht in der Provinz." Masaya schmunzelte. "Das wird die Provinz gleich anziehender machen, wenn du hier dein Studio eröffnest! Zudem sind die Mieten erschwinglich, die Luft ist gut und man kann sich ohne Remmidemmi konzentrieren." "Oh, die Miete! Ich weiß nicht..." "Ich schon!" Grinste Masaya. "Wir werden jetzt nämlich das Viertel ganz lässig begutachten, auf der Suche nach dem perfekten Objekt. All die lieben Damen von eben werden uns dabei im Blick behalten und spekulieren. Darüber nachdenken, wer wohl als erste zum Zug kommt. Wer sich die Feder an den Hut stecken kann, einen berühmten Stilberater aus Tokio als Mieter zu haben!" Er zwinkerte selbstbewusst in Hikarus noch immer zweifelnde Miene. "He, ich habe brav aufgepasst, als du auf dem Markt verhandelt hast!" Versicherte er amüsiert. "Wir bekommen bestimmt einen sehr guten Mietzins angeboten! Ich helfe dir natürlich beim Ausbau, ist ja klar!" "Danke, Masaya, wirklich, trotzdem kann ich doch nicht..." Masaya ahnte, wie sich dieser Satz fortsetzen würde. "He!" Er lehnte die Stirn an Hikarus Pony. "Sind wir jetzt ein Paar, oder was? Ich möchte, dass du das tust, weil du darin wundervoll sein wirst. Ich will dein Studio sehen, das kannst du mir doch nicht abschlagen, oder? Dann müsste ich mich meiner Verzweiflung hingeben, stundenlang Pachinko spielen, Fastfood essen und Bier saufen!" Hikaru schnaubte, sehr leise. "Das halte ich dann doch für sehr unwahrscheinlich." Murmelte er. "Außerdem gibt's hier keine Pachinko-Halle." "Mahjongg. Mit den alten Frauen, die über mich herfallen würden." Bot Masaya eine Alternative an, was Hikaru endlich wieder ein Schmunzeln entlockte. "Das kann ich wohl nicht verantworten." Wisperte er sanft. "Also...danke. Allerdings ich hätte da schon eine Bitte." "Raus damit!" Masaya verabschiedete sofort die wehleidig-verzweifelt-gequälte Miene, strahlte in das verschmitzt-lächelnde Gesicht des wenig älteren Mannes. Der schmiegte sich an, flüsterte in sein Ohr. "Ich möchte für die Visitenkarten deinen Nachnamen tragen." Wahooooo! Masaya lachte auf, fasste Hikaru fest, schleuderte ihn mit sich im Kreis herum. Nicht professoral, zweifellos. "Das gehe ich an, schnellstmöglich!" Sprudelte er hervor, küsste Hikaru dann gleichgültig für mögliches (ziemlich wahrscheinliches) Publikum auf die Lippen. "Ich stell dich meinen Eltern vor!" Verkündete er aufgekratzt. "Meine Mutter wird dich lieben, wenn du verhinderst, dass ihr verkorkstes Mode-Gen wie bei mir zuschlägt! Oh, Wahnsinn! Wir werden zusammen Aikido machen, ja? Damit sich schnell rumspricht, dass kein Gras mehr wächst, wo wir hinlangen! Phantastisch!" Euphorisch und ohne eine Einrede abzuwarten wirbelte er Hikaru herum, der sich lachend festhielt. Leicht schwindelig stellte Masaya schließlich die Kreisbewegung ein und Hikaru wieder auf die Füße. "Ich liebe dich." Raunte er zärtlich. "Ich bin total verrückt nach dir, Hikaru." Der schmunzelte. "Ja, das ist mir nicht entgangen." Wisperte er, lehnte die Stirn an. "Ich liebe dich auch, Masaya. Über alles." Dabei errötete er merklich. Masaya lächelte hingerissen. Hikaru küsste ihn sanft auf den Mund. "Diesen Blick." Raunte Masaya leise. "Den wollte ich sehen, seit ich dir das erste Mal begegnet bin. Danke. Danke, Hikaru, dass du mich liebst." Der legte ihm eine Hand auf den Hinterkopf, zog ihm den Kopf in die Halsbeuge, hielt ihn eng umschlungen. Sie hatten eine ganz schön holprige Strecke zurückgelegt, um zu diesem Punkt zu kommen, doch sie war jede Anstrengung wert gewesen. "Weißt du, was wir jetzt machen sollten?" Wisperte Masaya an Hikarus Hals, küsste die zarte Haut frech. "Wir sollten Suga ein Bild von uns schicken. Er wird zwar Schaum vor dem Mund haben, aber wenigstens die Genugtuung, dass wir tatsächlich ein unübertroffenes Paar abgeben!" Hikaru raufte ihm kurz durch die Haare. "Ganz schön boshaft!" Tadelte er leise, lächelte. "Du hast recht, wir sollten ein Bild machen, das wir auch an die anderen schicken können. Immerhin haben sie uns geholfen." "Und selbstverständlich eins für meine Eltern!" Richtete Masaya sich auf, zwinkerte Hikaru an. "Unbedingt in DIESEM Overall!" Tetsu würde vermutlich in Ohnmacht fallen. Und dessen Eltern gleich mit, die immer so auf gesellschaftliche Anpassung achteten! Sie lachten beide, hielten sich unverändert im Arm, lächelten in vertrautem Schweigen. Masaya nahm Hikarus Hand, küsste den Handrücken, bevor er sich dessen Arm um den eigenen legte, ihn einhakte. Unisono setzten sie die Sonnenbrillen auf, spazierten gemächlich durch das Viertel. Es würde funktionieren, da war sich Masaya absolut sicher. Er konnte das beweisen, immerhin war er Wissenschaftler! Quod est demonstrandum! ~~~>#*** ENDE ~~~>#*** Danke fürs Lesen! kimera