Titel: Szenen Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction FSK: ab 16 Kategorie: Seifenoper Ereignis: Advent 2013 Erstellt: 30.11.2013 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen (siehe unten). ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ ~#*#~ Szenen Szene "A" # After A Storm von Shouko Hidaka (Carlsen Manga) Miyama verwischte mit dem Zeigefinger übellaunig den Kondenskranz auf der Theke und schmollte. Eigentlich wollte er mit Nakamori, seiner langjährigen Freundin, in einen Club gehen, tanzen und schwitzen bis zum Umfallen, doch sie hatte ihm gerade abgesagt, ebenso geladen. Computerpanne, ein wichtiger Termin und das ganze Einrichtungsbüro in heller Aufregung. Natürlich verstand er die Situation, dennoch saß seine Enttäuschung tief. Nach einer langen, frustrierenden Woche hatte er sich auf diesen Abend gefreut und hockte jetzt hier wie bestellt und nicht abgeholt. Er konnte sich auch aufraffen, nicht in den Club gehen, sondern in einem der "Cruising Spots" nach einem Partner für die Nacht suchen, sich eben auf andere Weise austoben. Sicher. »Komisch.« Dachte er versonnen. »Vor einigen Monaten wäre das kein Problem gewesen!« Aber dann hatte er den kühlen, attraktiven Sakaki kennengelernt. GENAU sein Typ. Obwohl es schon einige Wochen zurücklag, dass sie sich ohne große Aussprache getrennt hatten, fühlte er sich nicht frei, ungebunden, wieder auf dem Markt der einsamen Herzen. Dabei war ihm durchaus bewusst gewesen, dass Sakaki zu ihm eine emotionale Distanz wahrte, die er nicht überwinden konnte, ihm gerade so weit entgegenkam, um eine Freundschaft mit Sex zu ermöglichen. Es war aus, weil Sakaki, dieser coole, souveräne, scharfzüngige einsame Wolf sich in einen HETERO verknallt hatte! »Wenn das nicht ne herbe Enttäuschung ist!« Dachte Miyama bitter und nippte an seinem wässrigen Whisky, doch die Wahrheit nahm sich noch unkleidsamer aus: er war eifersüchtig. Nicht auf Okada, Sakakis Liebhaber, nein, auf die Spannung, den Funkenflug, der zwischen ihnen sprühend funkelte und glitzerte. Wieso entwickelte ein totaler Hetero Gefühle für einen Kerl?! Mischte auf einem Markt mit, auf den er nicht gehörte?! Miyamas Mundwinkel bogen sich noch tiefer. Er drehte den lauwarmen Whisky im bauchigen Glas langsam. Nein, da gab es kein Vertun, Sakaki hatte IHN nie so angesehen, nie die Fassung vor ihm verloren, nie herumgestottert, war nie rot angelaufen oder hatte nervös geschwitzt. »Abhaken. Deckel drauf und weg damit.« Sicher! Er ertränkte gerade ein weiteres verbittertes Auflachen in einem Schluck Whisky, als eine Hand sich auf seine Schulter legte. "He, Miyama-chan, was soll das lange Gesicht?" Unwillig schüttelte Miyama die elegante Hand ab, leerte sein Glas in einem Zug. "Sakae." Grollte er ärgerlich. "Kannst du nicht jemand anderen belästigen? Und sprich mich nicht so vertraulich an, klar?!" "Uuuuhhh!" Schnurrte Sakae amüsiert und schlängelte sich elegant auf den freien Barhocker neben Miyama, von dessen gewittriger Stimmung keineswegs abgeschreckt. "Wir haben heute aber keinen Clown gefrühstückt, wie? Bist du sicher, Liebling, dass du dir das Wochenende mit dieser Laune vermiesen willst?" "Geht dich nichts an!" Miyama fauchte kehlig. "Und setz dich gefälligst nicht her!" "Ich kann dich doch unmöglich hier herumpoltern lassen." Sakae zwinkerte, lächelte dem Barkeeper zu. "Du vertreibst ja die Gäste mit dieser Fratze! Was ist los, Liebeskummer?" "Geht dich nichts an!" Wiederholte Miyama, fühlte sich wie ein stoffeliger Papagei und setzte das bauchige Glas fest auf den Tresen. "Gib mir noch einen, bitte!" "Hoho, willst du dich etwa volllaufen lassen? Muss dich ja schlimm erwischt haben." Gurrte Sakae unerbittlich. Aufgebracht drehte sich Miyama zu ihm um. "Kannst du dich nicht verziehen?! Ist es so amüsant, mir auf den Keks zu gehen?!" "Tja!" Lässig zurückgelehnt studierte Sakae polierte, sorgsam manikürte Fingernägel. "Ich dachte mir, ich leiste dir einfach ein bisschen Gesellschaft! So bekommst du heute ohnehin keinen ab. Wobei, nach Sakaki..." "Den lass aus dem Spiel!" Explodierte Miyama und hätte beinahe sein Glas von der Theke gefegt. Sakaes dunkle Augen musterten ihn prüfend, eine getuschte Augenbraue wanderte skeptisch nach oben. "Miyama-chan, du hast ja wohl selbst gemerkt, dass er dich nicht geliebt hat, oder?" "Was geht dich das an?!" Unbeherrscht packte Miyama den offenen Hemdkragen mit dem Seidenschal. "Du spielst doch auch bloß herum und suchst dir alte Böcke, die dich aushalten!" Sakaes Miene verfinsterte sich deutlich und verlieh seinem runden Puttengesicht einen diabolischen Ausdruck. "Wäre es dir denn lieber, Schätzchen, wenn ich mich auf deinen Typ verlege?" Säuselte er spitz. "Was wirst du dann tun, frag ich mich?" Abrupt gab Miyama den eleganten Mann frei, nahm wieder auf seinem Barhocker Platz und zeigte demonstrativ die kalte Schulter. Er konnte Sakae nicht AUSSTEHEN! Jedes Mal brachte der Kerl ihn sofort auf die Palme, provozierte ihn, ließ seine süßlichen Sprüche vom Stapel. Offenbarte eine weitere, unangenehme Wahrheit, die Miyama mit einem kräftigen Schluck zu ertränken suchte: er fühlte sich neben Sakae unzulänglich. Schlimmer noch: klein, unbedeutend, unwissend. Sakae gehörte zum gleichen Kreis wie auch Sakaki, einer gebildeten Elite wohlhabender, attraktiver, junger Männer, erfolgreich, stets gut gekleidet, alles Designer-Label. Die große Wohnungen und Autos hatten, Universitätsabschlüsse und gute Kontakte zu den VIP. Sie sprachen souverän, waren belesen, galten höchstens als exzentrisch, wenn sie sich mit Männern trafen. Dagegen konnte er nicht anstinken. Miyama hatte gerade mal den Oberschulabschluss geschafft, interessierte sich für den Ausdruckstanz, trat einer kleinen Kompanie bei, arbeitete in Gelegenheitsjobs. Sein Einzimmer-Appartement war ein tristes Loch, und wenn das Geld nicht reichte, musste er ein klappriges Damenrad benutzen, um sich fortzubewegen. Nun, Ende Zwanzig, konnte er die Realität nicht länger ignorieren. Vom Tanz zu leben, war aussichtslos. Tag für Tag hielt er sich durch seinen Job in einem Familienrestaurant über Wasser. Die Prinzen, diese Elite, die hatten eine Garantie für die Zukunft, einen doppelten Boden, auch ohne Heirat. Er selbst konnte nur auf die Solidarität von Freunden hoffen, für ihn gab's nur das Drahtseil über dem Abgrund. Deshalb wurmte es ihn, wenn Sakae ihn aufzog! Dann kam er sich klein vor, trottelig, mit lahmen Retourkutschen ohne Esprit. Auch wenn er selbst ganz sicher kein Faible für ältere Männer hatte: wieso musste einer, der ohnehin mit einem ganzen goldenen Besteckkasten im Schandmaul geboren worden war, auch noch die Sugar Daddies an Land ziehen?! "Liebe Güte, was sind wir empfindlich!" Flötete Sakae neben ihm. "Wenn du einen Typ wie Sakaki, bloß mit Bindungsabsichten, an Land ziehen willst, musst du dir aber ein sonnigeres Gemüt zulegen!" Miyama verzog das Gesicht und spürte eine grimmige, wilde Entschlossenheit. Na schön, vielleicht war er dämlich, sich einen Prinzen zu wünschen, der gleichzeitig auch noch gut im Bett war, ausgestattet mit einer anständigen Persönlichkeit und ernsthaften Absichten! Die anderen Sorten hatte er auch schon erlebt, und sie sagten ihm nicht zu. Ein Wochenende lang mal auszusetzen mit seiner Suche, erschien ihm gerade SEHR akzeptabel! Jetzt wollte er bloß einen strammen Typen finden, der in der Sockenschublade was zu bieten hatte. *~* Der dritte Whisky war es wahrscheinlich nicht allein. Nein, wohl eher, da biss die Maus keinen Faden ab, Sakaes spöttische Herausforderung. Aus irgendeinem, alkohol- und frustrationsbedingten Grund konnte Miyama seine abschätzige Replik nicht wieder herunterschlucken. Als wenn die Renaissance-Putte Sakae es einem anderen Typen besorgen könnte! Einfach lachhaft! Dieses Zieräffchen mit den braunen Naturwellen, das immer die senilen Geldsäcke bevorzugte! Verzärtelt und empfindlich! Miyama stöhnte auf, als Sakae sich unerwartet zurückzog, ihn geschickt aushebelte und wie eine Frühlingsrolle in Rotation versetzte, um gleich wieder in ihn einzudringen. In Notwehr grub Miyama die Fingernägel in sehnige Oberarme, rang nach Atem, denn er hasste es, in dieser Stellung genommen zu werden. Der schmale Grat zwischen lustvoller Ekstase und schmerzhafter Misshandlung nahm sich sehr dünn aus. Sex, der aus Freistilringen bestand, behagte ihm gar nicht. Er zischte Protest, scheiterte jedoch. "Keine-keine Chance!" Keuchte Sakae atemlos an seiner Wange, heftig engagiert. "Schwarzer-schwarzer Gürtel... im Judo!" Da hätten ein paar Profanitäten fallen sollen, Beleidigungen, Anwürfe, Schimpfworte. Miyama kam jedoch nicht dazu, weil das verdammte Zieräffchen ihm glatt die Lichter ausknipste! *~* Sein heimeliges Loch war ausgekühlt, wie stets. Manchmal kondensierte sogar die Atemluft im Winter. Miyama schlug die drei Decken beiseite, fischte nach seiner Daunenjacke, warf sie sich um und erhob sich. Im Halbdunkel kramte er herum, bis er in den Plastikbeuteln, die sein Habe enthielten, fand, was er gesucht hatte. Er fütterte die Mikrowelle und absolvierte sehr vorsichtig ein paar Dehnungsübungen. Die Rückmeldungen seiner Nerven erinnerten ihn nachdrücklich daran, dass er dringend an seinem Urteilsvermögen arbeiten musste. Verdammte Hacke, wer hätte geahnt, dass Sakae...?! Die Mikrowelle plingte dumpf. Miyama barg ihren Inhalt, schlängelte sich in traumwandlerischer Sicherheit durch sein vollgestopftes Zimmer. Als er sich auf der Bettkante niederließ, widerwillig den wärmenden Schutz der Daunenjacke aufgab, rührte sich die Matratze in seinem Rücken. "Ich sollte wohl gehen." Sakaes üblicherweise melodisch-spöttische Stimme klang rau und matt. "Es ist mitten in der Nacht!" Polterte Miyama zurück. "Sei kein Idiot. Bis zum Frühstück wirst du es in meiner Proletarierbude ja wohl aushalten können! Betrachte es doch als Abenteuer in der Gosse!" Als er sich unter die Deckenschichten schob, registrierte er die Erschütterungen. Sakae schlotterte förmlich. "Jetzt lass den Mist und leg dich wieder hin!" Fauchte er grob, doch Sakae bemühte sich weiterhin, in die Senkrechte zu kommen, dabei schwankte er jedoch derart unsicher, dass Miyama zugriff und ihn zurückschubste. Im flackernden Licht der Leuchtreklame an der Häuserwand bemühte er sich, Details zu erkennen. "Warum klapperst du so? Hier, gib mir deine Hände!", Damit opferte er grollend den eigenen Hochgenuss, die speziell in der Mikrowelle aufzuwärmenden Socken und Handschuhe, streifte sie Sakae über. Der hatte sich nun fötal zusammengerollt, zitterte heftig, sogar seine Zähne schlugen aufeinander. "Mit dir hat man echt nur Ärger!" Beschwerte Miyama sich, denn an Schlaf konnte er jetzt nicht mehr denken. Stattdessen setzte er sich auf und rieb über die sehnigen Glieder, den gekrümmten Rücken. "Tttutt-mmrrr-lldd." Stotterte Sakae heraus. "Nn..nniedrigrr...Bbbltt...Blutdrrckk..." Miyama jedoch fand diese Erklärung keineswegs ausreichend. Ihm erschien es eher so, als habe Sakaes Reaktion vornehmlich psychische Gründe. "Soll ich dir jetzt vielleicht auch noch nen Kaffee machen, oder was?!" Stocherte er entschlossen im Minenfeld herum. "Wahrscheinlich ist das ne Allergie gegen Armut! Oder du bist verseucht, weil du's mit nem Loser getrieben hast." Nun wehrte sich Sakae gegen seine energischen Frottierversuche. "Ich möchte gehen!" "Ha, du kannst dich ja nicht mal in der Senkrechten halten!" Konterte Miyama unnachgiebig. "Und wir haben hier keinen Aufzug! Du wirst dir auf der Treppe den Hals brechen!" "Ich nehme ein Taxi!" Judo-Kenntnisse funktionierten offenbar besser, wenn man die richtige Betriebstemperatur vorweisen konnte. Sakae hatte jedenfalls Mühe, sich Miyamas Zugriff zu entziehen, der mit wachsendem, grimmigen Enthusiasmus das Beben durch heftige Reibung austreiben wollte. "Klar, mitten in der Nacht, hier, ein Taxi!" Spottete er. "Du träumst wohl, Cinderella!" Sakae schnaubte. "Ich wünschte wirklich, du würdest deine Minderwertigkeitskomplexe hinter dir lassen!" Getroffen fauchte Miyama zurück. "Bild dir bloß nichts ein! So toll bist du auch nicht, nur weil du ein reicher Bengel aus gutem Hause bist!" Sehr eloquent formuliert... "Und deshalb kannst du mich nicht ausstehen?" Sakae stellte die sinnlose Gegenwehr ein. "Ist das alles, was ich für dich bin?" Miyama stutzte verwirrt, bevor er in bewährter Manier zum Angriff überging. "Was heißt hier 'ich kann dich nicht ausstehen', hä?! DU bist es doch, der sich ständig über mich lustig macht, mir immer noch einen blöden Spruch reindrückt! DU kannst mich nicht ausstehen, so wird ein Schuh draus!" "...das stimmt nicht...ach...ich will jetzt gehen. Bitte lass mich aufstehen!" Sakaes Stimme klang wie geborstenes Glas, brüchig, zerkratzt, zersplittert. "Spinnst du?!" Miyama packte die sehnige Gestalt energisch, drückte sie unter sich in die alte Matratze. "Erstens hast du meine Socken an, die ich gerade aufgewärmt habe. Zweitens kommst du um die Uhrzeit nicht mal unter die Räder, weil's hier quasi ausgestorben ist. Drittens lass ich dich doch nicht wie einen Zombie da draußen herumstolpern! Was soll überhaupt der Aufstand?" Unter ihm ächzte Sakae erstickt, drehte den Kopf weg, sodass das zerwühlte Kopfkissen seine Stimme dämpfte. "Ich würde es vorziehen, meinen gepflegten Nervenzusammenbruch nicht in deiner Gegenwart zu erleiden." Nachdem Miyama einige Wimpernschläge lang diese Mitteilung entschlüsselt hatte, kochte er schon wieder aufgebracht. "Was für nen Nervenzusammenbruch?! Was habe ich denn jetzt schon wieder gemacht, hä?!" "Herr im Himmel!" Detonierte Sakae nun vollkommen unerwartet mit einer schrillen Note in seinem Timbre. "Du bist so schwer von Begriff! Hast du irgendeine Vorstellung davon, wie viel Überwindung es mich gekostet hat, das hier durchzuziehen?!" "Oh, entschuldige!" Ätzte Miyama zurück. "Ich hatte ja keine Ahnung davon, wie fürchterlich es für dich ist, mir deinen Lümmel vorzustellen! Oh, Drama!" Klatsch! Die Ohrfeige saß und erhöhte die Blutzirkulation. Wahrscheinlich hätte Miyama mit gleicher Geste die Höflichkeit erwidert, wäre da nicht das mühsam, jedoch erfolglos unterdrückte Schluchzen gewesen. "Was soll das jetzt?" Knurrte er deshalb irritiert-misstrauisch. "Du klebst mir eine, und dann heulst DU?!" "Ich hab einen Nervenzusammenbruch!" Schniefte Sakae heftig, empört ob der gelassenen Reaktion. "Ich HABE dir gesagt, dass ich einen niedrigen Blutdruck habe! Und dass ich eine verdammte Scheiß-Angst davor hatte, dir weh zu tun! Warst du jemals oben, hä?! Hast du ne Ahnung davon, wie aufreibend das ist, alles bloß richtig zu machen?!" Sakae heulte nun aggressiv wie ein Kleinkind, stieß keuchend Silben hervor, die Nase schon verstopft. Miyama stutzte perplex, spielte diese Replik in seinem Hinterkopf noch mal ab. Und noch mal. "Sekunde!" Er hob die Hand, stierte ungläubig auf das Häufchen Elend unter sich. "Sekunde mal, bist du etwa in mich verknallt?!" DAS konnte ja wohl nicht stimmen, oder?! Sakae schniefte unterdrückt und presste das Gesicht in das Kopfkissen. "Aber-aber..." Stotterte Miyama und hasste die flammende Röte in seinen Wangen. "Du stehst auf alte Säcke mit Moneten! Und du bist kein Top! Du ärgerst mich ständig! Sogar Sakaki hast du mal angemacht..." Mit der zähen Genauigkeit einer Sanduhr sickerte Korn um Korn in die untere Hälfte, um das Pendel Richtung Erkenntnis ausschlagen zu lassen. "....oh..." Murmelte Miyama schließlich. Ein wenig hilflos tätschelte er die zerzausten Locken. "Hättest du das nicht wenigstens mal erwähnen können? Außerdem, ich bin drei Monate jünger als du! Und chronisch pleite!" Selbst wenn Sakae ein Prinz war, zum schönen Schwan fühlte sich Miyama nicht berufen! Kleinlaut rutschte er auf die Seite und löffelte zurückhaltend, spürte das gelegentliche Beben, das den sehnigen Körper durchlief. Wie lange ging das eigentlich schon so? Dass Sakae ihn anpflaumte? Ihn neckte? Oje. Oje. "Hör mal!" Raunte er in den Nacken. "Ich hab keine Lust mehr auf Spielchen. Ich suche jemanden, der es ernst meint. Den Typen, der bleibt, weißt du? Ich bin absolut treu und kann Seitensprünge überhaupt nicht tolerieren. Ich will einen Kerl für jede Nacht. Und jeden Tag." "...und warum scheide ich da aus?" Drang es gedämpft aus dem Kissen, von einen Schniefen begleitet. "Na ja..." Miyama brummelte verlegen. "He, wie hätte ich darauf kommen sollen?! Ich konnte ja nicht ahnen..." Hastig verstummte er. Um von seiner Verlegenheit abzulenken, ging er in die Vorwärtsverteidigung. "Und überhaupt, wenn du auf mich stehst, warum hast du dann die Seniorenriege anvisiert, hä?!" Sakae drehte sich herum, denn langsam erstickte ihn das Kissen. Außerdem wollte er auch seine Front aufgewärmt bekommen. "Weil sie nicht bleiben." Antwortete er schlicht und rutschte näher an Miyama heran. "Sie wollen nur ein bisschen Spaß, keine Bindungen, keine Verpflichtungen." Und er blieb frei. Frei, um auf den richtigen Moment zu warten. Wenn ihn die Courage dann nicht im Stich ließ. "...okay." Kommentierte Miyama schließlich, zog Sakae betont grob in seine Arme. "Na schön. Also, wenn das mit uns was werden soll, sind die alten Geldsäcke aus dem Rennen. Und sonst auch jeder, klar? Ich werde ziemlich sauer, wenn du auf meiner Blödheit herumreitest." "Ich halte dich nicht für blöd." Sakae strich mit dem Mikrowellen-Handschuh über Miyamas Wange. "Ich bin im Gegenteil immer wieder verblüfft, was dich betrifft. Du bist wie eine Katze, die immer auf ihre vier Pfoten fällt. DAS flößt mir sehr viel Vertrauen ein, weißt du? Goldenen Käfige sind keineswegs sehr solide gebaut." Miyama verzichtete auf eine Replik, die seiner Überraschung Ausdruck verlieh. Hatte Sakae etwa auch ähnliche Ängste wie er selbst? Bevor ihm der Kopf hochrot glühte, wich er lieber auf andere Themen aus. "Du hast mich vorhin geküsst. Auf den Mund." Stellte er fest. "Ah, das hast du bemerkt?" Neckte Sakae ihn und klang schon wieder etwas munterer. "Gefiel's dir nicht?" "Ein bisschen vorschnell!" Feuerte Miyama zurück. "Das gehörte eigentlich nicht zur Abmachung." "Jammerschade!" Klagte Sakae und kuschelte sich an. "Bedeutet das, wir können keine Gewohnheit daraus machen?" »Von wegen!« Dachte Miyama, legte, ohne Judo-Künste, aber mit langjähriger Erfahrung als Tänzer, eine elegante Rolle hin, um gleich eine neue Tradition einzuführen. Das hielt auch warm, eine schlanke Linie und sorgte für gute Laune! *~* Szene "B" # Bitte lächeln! von Romuco Miike (Tokyopop Deutschland) Toru ließ den Kopf hängen und versuchte angestrengt, etwas Positives aus der Situation zu ziehen. Schließlich hatte er sich bis jetzt immer als tollpatschig und unzuverlässig erwiesen, was sollte Kurosu da noch wundern? Unglücklich presste er die Lippen aufeinander und schluckte schwer. Gerade gegenüber Kurosu wollte er beweisen, dass er nicht nutzlos und absolut unfähig war, keine Belastung! Im Moment sah es jedoch nicht danach aus, als könne sich dieser hehere Vorsatz leicht realisieren lassen. Angefangen hatte alles mit einer blöden Verspätung zu seiner Vorlesung, dann waren ihm die auszuteilenden Blätter dummerweise die kaskadierenden Stufen im Hörsaal heruntergefallen. Er hatte sie unter dem Prusten und Kichern seiner Kommilitonen auflesen müssen. Der Dozent verdonnerte ihn anschließend dazu, den Materialraum in Ordnung zu bringen. Was dafür sorgte, dass er viel zu spät in die Mensa kam. Also hatte er sich eilig am Automaten einen Fruchtsaft gezogen, sich beim Öffnen mit der klebrigen Flüssigkeit getauft. Der Regen hatte zwar einen Teil abgespült und ihn durchnässt, doch in seinen ungezogenen Naturwellen hingen nun auch noch kleine Blätter, weil es so gestürmt hatte. Wie sollte er in dem Aufzug im Atelier helfen? Wenn er überall Pfützen hinterließ? Über eine Stunde zu spät kam, ohne Nachricht, weil der Akku seines Mobiltelefons auch noch die Kooperation verweigert hatte. Wie ein geprügelter Hund setzte er sich langsam wieder in Bewegung, hielt auf das alte Wohnhaus zu, in dem eine muntere Studenten-Jobber-Wohngemeinschaft hauste. Vor der Tür atmete er tief durch und würgte den quälenden Kloß in seinem Hals herunter, ballte die kalten Fäuste. Auskneifen stand nicht zur Debatte, auch wenn er sich lieber verkrochen hätte. Bange klingelte er und zog automatisch die Schultern höher, als könnte er sich panzern gegen die zu erwartende Attacke. Kurosu selbst öffnete, ein hochgewachsener Künstler mit einem strengen Gesichtsausdruck, die schwarzen Haare stets unter einem Kopftuch verborgen. Für einen Moment konnte Toru den Blickkontakt halten, dann starrte er auf seine durchweichten Turnschuhe und wisperte tonlos. "Entschuldigung, ich bin viel zu spät..." "Komm erst mal rein!" Befahl Kurosu mit seiner sonoren Stimme. "Du tropfst hier alles voll!" Ungeniert packte er Toru am Arm, dirigierte ihn in den Eingang. "Warte hier! Ich hole dir ein Handtuch!" Artig blieb Toru stehen, seufzte leise. Für Kurosu war er ein kleines, niedliches Tierchen, die Marke Schoßhund, bloß lebensuntüchtig und absolut unfähig in allem, was er anfasste. Kurosu, immer umsichtig, gut organisiert und souverän, kehrte zurück, rubbelte selbst ungefragt durch Torus wirren Mopp, bevor er ihn anwies, die Turnschuhe auszuziehen. Er stopfte sie mit alten Zeitungsblättern aus, stellte Toru Hausschlappen und ein paar aufgeplusterte Socken zur Verfügung. "Tut mir wirklich leid." Murmelte Toru erneut, betrachtete bekümmert die Ausbeute auf den Fliesen: Blätter, Wasser, sogar eine Daune! "Hattest wohl keinen Schirm, hm?" Kurosu zupfte an Torus Pullover, schnalzte mit der Zunge. Alle anderen wären einfach in ein Geschäft gegangen, hätten einen Wegwerfschirm geliehen oder gekauft. Aber Toru...! "So hat das keinen Sinn." Stellte er kritisch fest, schnappte Torus rechtes Handgelenk, zog ihn hinter sich her zum großen Badezimmer, vor dem gerade keine Hausschlappen warteten und damit indizierten, dass die Wanne besetzt war. "Oh, das ist nicht nötig!" Wehrte Toru hastig das Angebot ab, sich hier aufzuwärmen, doch gegen Kurosus grimmigen Bannblick hatte er keine Chance. "Dein Schwager ist einer meiner engsten Freunde! Willst du, dass er mir seine misslungenen Töpfe an die Rübe wirft, wenn du mit einer Lungenentzündung flachliegst?!" Dabei stemmte er die Hände in die Hüften und bot eine durchaus imposante Gestalt. Toru lief rot an, senkte hastig den Blick auf die flauschigen Socken in den Hausschlappen und beklammerte seine Hosennähte. Kurosu beugte sich zu ihm herunter und grollte. "Rein da! Aufwärmen, aber zackig! Ich bringe dir ein paar trockene Sachen. Und keine Diskussion!" Reflexartig leisteten Torus Glieder Gehorsam, noch bevor er bewusst diese Entscheidung treffen konnte, denn Kurosu konnte eine Tonlage bedienen, die direkt an die Nervenstränge funkte. Kleinmütig wechselte er in die Badeschlappen, hoppelte in die Ecke, wo ein Schemel neben der Brause wartete, pellte sich seine nassen Kleider vom Leib, stapelte sie zu einem ungeordneten Haufen und hockte sich in das Büßereckchen. Nachdem er sich gründlich eingeseift und abgebraust hatte, rollte er die hölzerne Abdeckung von der altmodischen Sitzwanne und kletterte in das herrlich warme Wasser. War es sinnvoll, Kurosu die Verwicklungen zu erklären, die dazu geführt hatten, dass er ihn erneut enttäuschte? Oder sollte er sich endlich eingestehen, dass er trotz aller Bemühungen ein hoffnungsloser Fall war? Er seufzte tief und blubberte kleine Blasen in das warme Wasser. In diesem Moment betrat Kurosu das Badezimmer, sammelte geschickt die feuchten Kleider ein, deponierte die Leih-Bekleidung und frische Handtücher, füllte dann die Waschmaschine und setzte sie in Gang. Zu Torus Überraschung ließ Kurosu ihn aber nicht allein, nachdem diese zusätzlichen Arbeiten erledigt waren, sondern hockte sich auf die hohe Kante der Wanne. "Ist dir schon ein bisschen wärmer?" Erkundigte er sich, seine schwarzen Augen unbestechlich auf Toru gerichtet. "Ja, danke schön." Murmelte Toru verlegen, die Knie eng vor den Körper geklappt. Er konnte Kurosus Blick einfach nicht standhalten und fühlte, wie nicht nur die Hitze, sondern auch Verlegenheit seine Wangen zum Glühen brachte. Da streckte Kurosu seine Rechte aus und wuschelte sanft, tröstend Torus wirren, nassen Schopf. Eine seltene Geste, die er gelegentlich seinen Freunden und Mitbewohnern zumaß, die Toru mit brennendem Neid erfüllte. Deshalb nahm es auch nicht Wunder, dass er vor Schreck zurückzuckte, eine Woge auslöste und das Wasser zum Überschwappen brachte. Über den Rand, auf dem Kurosu saß. "Es-es tut mir leid! Entschuldigung!" Hastig kam Toru auf die Beine, noch mehr Wasser platschte wild und die plötzliche Aktion verursachte ihm Schwindel. Reaktionsschnell fasste Kurosu zu und verhinderte, dass Toru in der Badewanne umfiel. Toru zitterte, er fühlte sich fürchterlich, verachtete sich selbst und verzweifelte an sich. Ein panisches Schluchzen wollte durch seine Kehle entfliehen. Über Kurosus strenge Lippen huschte ein selbstironisches Lächeln. "Ich habe fast den Eindruck, dass du mich zu dir in die Wanne einladen willst, hm? Du bist ein gefährlicher Flirt, Toru." Nun schniefte Toru, durcheinander und ratlos. Manchmal war es einfach unerträglich, er selbst zu sein! Ohnehin getauft, analysierte Kurosu die Situation mühelos, konnte er Toru auch einfach in den Arm nehmen, durch den wirren Schopf streichen und beruhigend brummen. "War ein schwieriger Tag heute, hm?" Raunte er sanft in eine leuchtende Ohrmuschel. "Aber jetzt bist du ja hier, also alles in Ordnung." Das konnte Toru kaum begreifen, auch wenn er deshalb nicht die athletische Gestalt freigab. "Wenn wir beide wieder trocken sind, dann werden wir erst mal was essen." Plante Kurosu gelassen. "Wir reden später und schauen dann mal, ob wir noch etwas verpacken können. Wenn du hier übernachtest, müssen wir uns ja auch nicht beeilen. Einverstanden?" "...ja..." Wisperte Toru und schmuste schüchtern. Vielleicht bemerkte Kurosu es ja nicht? "Gut!" Energisch sorgte der jedoch für etwas Distanz, klatschte in die Hände. "Dann mach mal Platz für mich, wenn ich mich abgebraust habe!" Ungläubig starrte Toru ihn an, das erste Mal an diesem Tag, ohne sofort wieder die Augen niederzuschlagen. "He!" Kurosu tippte ihm auf die Nasenspitze. "Wenn du schon flirtest, solltest du damit rechnen, dass es da einen gibt, der dieses Angebot annimmt!" Und damit küsste er den fassungslosen Toru sanft auf die Lippen. *~* Szene "C" # Check von So-Young Lee (EMA Egmont Manga Anime) "Du solltest abhauen, Kyuwon." Bemerkte Yuha, während er den Blick nicht von den Bildschirmen hob, wo sich wie durch Zauberhand Notenschriften passend zu ihren Arrangements materialisierten. Sein älterer Kollege und Mitgefangener im Super-Pop-Duo C-K, "Check" gerufen, warf ihm einen finsteren Blick zu, auch wenn sich seine Miene wie gewohnt nicht verzog. Yuha, der durch die Spiegelung der Bildschirme durchaus wusste, dass ihm gegrollt wurde, drehte sich mit abgezirkeltem Schwung im Bürodrehstuhl herum, schlug ein Bein lässig über das andere, legte die Arme nonchalant auf die Stützen, studierte, eine Augenbraue spöttisch in den Schrägpony gelupft, seine "andere Hälfte". "Ich muss es wohl buchstabieren." Schnurrte er gewohnt ironisch. "Verschwinde zu Seunga, K-Man! Ihr habt doch bestimmt was zu besprechen, jetzt, wo sie von dir schwanger ist, oh großer Hengst!" Nun weiteten sich Kyuwons schwarze Augen merklich. Seine Gesichtszüge versteinerten, was Yuha dank jahrelanger Übung leicht dechiffrieren konnte. Nicht einen Wimpernschlag später hatte Kyuwon seine Arme auf den Stützen eingeklemmt, fixierte ihn drohend. "Wer hat dir das gesagt?" Selbstbewusst legte Yuha den Kopf schief, schmunzelte betont. "Das muss mir niemand sagen. Ich seh so was einfach." Kyuwon wich nicht, doch unverkennbar arbeitete es in ihm. Nur die Eingeweihten wussten, dass er und die Balletttänzerin Seunga Na seit der Oberstufe liiert waren. In ihrem Geschäft musste es auch ein Geheimnis bleiben, denn als Stars galt für sie die Zwangsledigkeit. Idole waren Idole, weil sie potentiell verfügbar waren, so lautete die Regel! Yuha lächelte in sich hinein. Nach fast zehn Jahren seit ihrem Debüt kannte er den stoischen Kyuwon vermutlich besser als der sich selbst. Immer auf der Suche nach der besten Lösung, niemandem mehr weh und bloß keine Hilfe erbitten! Dabei nahm die Entwicklung nun wirklich nicht Wunder. Kyuwon war zwei Jahre älter als er selbst und Seunga. So langsam konnte man schon den nächsten Lebensabschnitt anpeilen. Da Seunga derzeit pausierte, weil sie sich einen Ermüdungsbruch im rechten Fuß zugezogen hatte, konnten die beiden etwas mehr Zeit miteinander verbringen, als üblicherweise Touren und Engagements zuließen. »Ich muss ihn wohl mal wieder anschubsen!« Entschied Yuha, bevor er gelassen empfahl. "Meine Güte, nun zieh nicht so ein Gesicht wie Conan der Barbar! Kramt eure Papiere zusammen, macht einen Abstecher nach Hongkong und lasst euch in der Botschaft dort trauen! Merkt keiner. Dann wirst du eben der supercoole Helden-Papa!" Er registrierte durchaus, dass Kyuwon ihm eine heftige Replik um die Ohren hauen wollte, doch wie üblich presste Kyuwon die Lippen zusammen, wandte den Kopf ab und grübelte. Eigentlich gab es da nicht mehr viel zu bedenken. Wenn Seunga gesundheitlich so gut gestellt war, dass sie das Kind bekommen konnte, woran es im Moment keinen Zweifel gab, dann wollte er nicht, dass es mit dem Makel der Unehelichkeit und Tuscheleien aufwuchs. Nur wegen seiner Karriere! Eine richtige Familie, das hatte er sich gewünscht, wenn auch nie ausgesprochen. "Geh schon!" Ermahnte Yuha nun energisch, schnippte ihm gegen die Nasenspitze. "Macht endlich euer Affärchen klar! Auf was willst du denn noch warten, Rollstuhl und Gebiss?!" Kyuwon richtete sich auf, straffte seine athletische Gestalt, zögerte dann aber doch. "Und was ist mit Yeshin...?" Lässig winkte Yuha ab, kehrte ihm bereits den Rücken zu. "Ich lenk ihn schon ab, bis ihr ihm eine Grußbotschaft als frisch vermähltes Ehepaar schickt! Also, je eher du Leine ziehst, umso schneller hast du's geregelt!" Einige eilige Herzschläge verstrichen, dann drückte eine kräftige Hand Yuhas Schulter fest. "Danke." Yuha wedelte bloß lässig und ersparte sich Abschiedsfloskeln. Dazu kannten sie einander viel zu gut. *~* "Na, wie läuft's mit der Fertigstellung?" Yeshin ließ sich hinein, schleuderte Regenhut und den Trenchcoat von sich, zerwühlte seine aktuell stufig geschnittene, nussbraune Mähne. "Na, wie läuft's mit dem Japanisch-Unterricht?" Konterte Yuha, wandte sich nicht von seinen Bildschirmen ab, was nicht hieß, dass er nicht über die Spiegelungen sehr wohl im Bilde darüber war, wie sich das scheinbar ewig junge Modell, Schauspieler, Manager und Hans-Dampf-in-allen-Gassen Yeshin graziös bewegte. "Pah!" Brummte Yeshin nun und zog eine Schnute, die seinem androgynen Gesicht etwas Kindliches verlieh. Aus einem unerfindlichen Grund hatte ihn der Ehrgeiz übermannt, mehr als ein paar Brocken Japanisch beherrschen zu wollen, wenn er zunehmend häufiger im Nachbarinselstaat gebucht wurde. Nach Jahrzehnten der Entfremdung galt Südkorea nun als chic, und er selbst, weitgereist, multi-talentiert und ständig in Bewegung, kam mit seinem Erscheinungsbild sehr gut an. Nun streifte er in anmutiger Eleganz, die nicht verhehlen konnte, dass familiär bedingte Affinität zum Ballett auch ihn geprägt hatte, die Stiefeletten von den Füßen, kletterte auf einen freien Bürodrehstuhl und klappte die Knie ein, stöhnte dabei wehleidig. "Wenn du schon japanische Sitten einführen willst, hättest du die Schuhe am Eingang ausziehen müssen." Bemerkte Yuha mitleidlos, rangierte mit der Maus in den Regler-Batterien. "Ich war den ganzen Tag auf den Beinen!" Beklagte sich Yeshin empört. "Und diese Treter drücken fürchterlich!" Sein Schützling brummte bloß ungnädig, auf die Arbeit fixiert. Eine Weile hielt Yeshin auch artig still, um den genialen Geist nicht bei der Entfaltung zu stören, doch dann wurde er unruhig, hockte sich mal rechts, mal links neben die eingeklappten Beine und schnaufte schließlich. "Ich hab Hunger! Kannst du nicht ne Pause einlegen, und wir essen was?" Übertrieben gequält seufzte Yuha auf, verdrehte publikumswirksam die Augen und stöhnte. "Wenn du mich dann in Ruhe arbeiten lässt, werde ich dir eine Nudelsuppe ordern und sie sogar höchstpersönlich am Empfang abholen!" Das offerierte Menü entsprach zwar nicht gerade Yeshins Traum vom Abendessen, doch jede Alternative hätte bedeutet, sich wieder in die vermaledeiten Schuhe zwängen, durch den Regen laufen zu müssen! Sehr zufrieden hingegen lächelte Yuha in sich hinein, als er nach zehn Minuten ins Foyer fuhr, um dort die Lieferung eines kleinen Restaurants zu entlohnen. Nur noch ein bisschen weichkochen, dann wäre dieser Tag überstanden! *~* "Hmm?" Murmelte Yeshin, nahm den Kopf von Yuhas Schulter, an welche er gesunken war, ein wenig gelangweilt, aber auch ermüdet und nach der durchaus köstlichen, deftigen Nudelsuppe auch ermattet. "Gehen wir." Behutsam richtete Yuha den älteren Mann auf, streckte ihm die Hand entgegen. "Es ist schon 2 Uhr durch." "Wirklich?" Yeshin rieb sich energisch über das Gesicht. "Und du bist jetzt fertig?" "Wirst du sehen, aber jetzt nicht mehr." Beschied Yuha, der die letzte halbe Stunde einfach einem kleinen Hobby gefrönt hatte, nämlich selbst gemischter Ambient-Musik über Kopfhörer zu lauschen und Yeshins Schlummer zu behüten. "Na schön." Gab der sich pflegeleicht, rang mit den ungeliebten Schuhen, die nun noch weniger Kooperation zeigten, wickelte sich dann in seinen Trenchcoat und schwenkte den Regenhut. "Ich fahre." Legte Yuha fest, hängte sich eine Tasche um, löschte nach und nach die Lichter in ihrem Studio, riegelte das Geschoss sorgfältig ab. Man hatte so seine Erfahrungen, mit der Konkurrenz und sehr einfallsreichen Fans! Einer der Aufzüge brachte sie direkt in die gesicherte Tiefgarage, wo Yuhas schnittiger Kleinwagen wartete. Keineswegs ein Prestigemodell, kein Rennwagen, nichts von Protz oder Prunk. Hier und da zeigte sich schon das Alter in Form von Gebrauchsspuren, doch für Yuha zählten Unauffälligkeit (relativ gesehen) und Zuverlässigkeit. Zudem stellte ein Kleinwagen für den gelenkigen Yeshin keine Schwierigkeit dar. Über die Gegensprechanlage signalisierte der Pförtner ihnen eine freie Ausfahrt. Diese Meldung betraf nicht singulär den Verkehr, sondern auch eventuelle Presse- und Medienvertretungen sowie Fangruppen. Yuha pilotierte geübt durch die Stadt, die auch nachts nicht schlief, wenngleich sich der Verkehr etwas reduzierte. Er hatte ein Appartement in einem der eher vornehmeren Viertel, auf gleichem Flur wie Kyuwon und ebenso gesichert wie ihr Studio. Yeshin streckte sich wie eine Katze trotz der beengten Verhältnisse, wirkte wieder munter. "Wir fahren zu dir?" Erkundigte er sich fürs Protokoll. Yuha warf ihm einen knappen Seitenblick zu, der ganze Damenriegen zum Aufstöhnen brachte. "Na schön." Nonchalant schmiegte Yeshin sich in den Beifahrersitz. Wenn er hier wie ein Accessoire behandelt wurde, dann würde er den Teufel tun und auch noch Enthusiasmus verströmen! *~* "Wenn du darin übernachten willst, dann mach ein wenig Platz!" Yuha strich sich nasse Strähnen aus dem Gesicht. Er sprach die Verhältnisse in seiner Badewanne an, in der Yeshin sich aalte. Höflich hatte er ihm den Vortritt in der Duschkabine überlassen, was das Aufwärmen in der Wanne einschloss. "Du wirst noch ganz schrumpelig!" Behauptete er nun, als er über den Rand kletterte und sich hinter Yeshin einrichtete, der bequem in seine Arme glitt, sich zurücklehnte. "Ich creme mich ein, du Tyrann." Versprach der unbeeindruckt, seufzte wohlig in der köstlichen Wärme. "Wärst du nicht chronisch unvernünftig, müsste ich mich nicht wie deine Gouvernante aufführen!" Konterte Yuha und schlang die Arme um den schmalen Torso. "HmmHmm." Murmelte Yeshin, die Lider gesenkt, von Ermahnungen wie stets nicht wesentlich berührt. Außerdem, nach dem Eincremen, das garantiert mit einer Massage verbunden sein würde, führte ihr Weg ohnehin in Yuhas luxuriöses Bett, wo er sich die Kalorien der Nudelsuppe bestimmt abtrainieren würde. *~* "Da stimmt was nicht!" Stellte Yeshin fest, dezente Sorgenfalten in der Stirn. »Hmm, fast zwei Tage Vorsprung.« Konstatierte Yuha nach einem Blick auf seinen mondänen Chronometer. Das musste ja wohl ausreichen, um selbst so einem Zauderer wie Kyuwon zu Nägeln mit Köpfen zu genügen! "Seunga ist nicht zu Hause, sie geht auch nicht ans Telefon!" Schüttete Yeshin ihm gerade sein Herz aus. "Und Mama meint, es fehle eine kleine Reisetasche!" "Tatsächlich?" Yuha lupfte betont gelangweilt eine Augenbraue und justierte seine Kopfhörer. "Frappierend, wie gut sich eure Mutter mit eurem Eigentum auskennt!" Nun erntete er einen finsteren Blick von Yeshin, mit dem er sich mehr als einmal über die Kontrollsucht der Familie Na gestritten hatte, vor allem deshalb, weil es ja etwas zu verbergen gab. Grimmigen Ausdrucks kehrte Yeshin ihm den Rücken zu, das Mobiltelefon ans Ohr gepresst, während er im Studio auf und ab tigerte. Schließlich gab er frustriert den Versuch auf. "Wo ist eigentlich Kyuwon? Sollte er nicht wenigstens bei der Endabmischung dabei sein?" Grollte er. Yuha seufzte betont. "Entgegen landläufiger Überzeugung sind wir NICHT an der Hüfte zusammengewachsen. Ich bin durchaus allein in der Lage, den Job zu erledigen." "Und du hast keine Ahnung, wo er steckt?" Yeshin verwandelte sich in den Bluthund, belauerte ihn argwöhnisch. "Ich habe keine Ahnung." Antwortete Yuha ebenso artig wie ehrlich, auch wenn er dabei recht großzügig gewisse wesentliche Hintergrundinformationen unerwähnt ließ. Ärgerlich ließ Yeshin sich in einen Bürodrehsessel plumpsen und keuchte leise auf. "Was ist?" Yuha gab seine Scharade sofort auf, wandte sich zu ihm, legte eine Hand auf Yeshins Bein. "Nichts weiter!" Winkte der hastig ab, konnte Yuha aber nicht in die Augen sehen. "Du bist ein lausiger Lügner." Diagnostizierte Yuha sanft, fasste das spitze Kinn und studierte das schöne Gesicht vor sich. "War ich zu grob gestern...heute Morgen?" Erkundigte er sich sehr leise, jenseits seines bemerkenswerten Schauspieltalents. "Nein, nein! Wirklich!" Yeshin suchte nach Ausflüchten, gab jedoch unter dem Bannblick auf. "Ich bin wohl etwas aus der Übung." Seine hilflose Grimasse wirkte kleinmütig und beschämt. Yuha presste die Lippen aufeinander, um auf keinen Fall den scharfen Tadel auszusprechen, der ihm auf der Zunge lag. Wieso glaubte Yeshin, er müsse ihm gefällig sein, anstatt ihm zu bedeuten, wann es zu viel wurde?! Unruhig leckte der sich über die Unterlippe, knetete seine schönen Hände nervös. "Ist doch nicht so wild." Abrupt stemmte Yuha sich hoch und marschierte steif zum Fenster, das die Dunkelheit mit Lamellen zensierte. Er gab sich selbst wie stets eine Mitschuld. Seine Liebe war eben nicht ideal, ätherisch, träumerisch! Nein, sie war gierig, unersättlich, sehr physisch, zupackend, eifersüchtig und energisch. "Yuha." Yeshins Arme schlangen sich um seine Taille, dann schmiegte sich der Ältere an seinen Körper an, löffelte förmlich, soweit es ihre Position zuließ. Die Hände auf Yeshins Arme gelegt atmete Yuha tief durch, gewann seine Beherrschung wieder. So kühl, selbstironisch und souverän er stets wirkte, dieser Eindruck beruhte auf seinen Darstellungskünsten. Er selbst, hinter all den Masken, kochte vor Leidenschaft und Temperament. Daran änderten auch die Jahre nichts. "Yeshin, lass uns etwas essen gehen. Ich brauche jetzt Nervennahrung." *~* Yeshins Laune hatte sich wesentlich gebessert, nachdem er mit den sündhaft köstlichen Schokoladen-Tartes bekannt gemacht worden war, wie Yuha erleichtert konstatierte. Dieser beschwingten Haltung verdankte er es jetzt auch, dass sich sein Liebster bei ihm einhängte, keine Rücksicht auf die Flanierenden nahm. Allerdings sorgten der stetige Nieselregen und die Schirmparade auch nicht gerade für gute Beobachtungsmöglichkeiten. Sie riefen sich ein Taxi, kletterten in den Fond, den Schirm sorgsam eingerollt. Yuha nannte dem Fahrer eine Straßenecke nahe Yeshins Adresse, denn es empfahl sich auch in dieser gelösten Stimmung, eine gewisse Vorsicht an den Tag zu legen. Yeshin kramte unterdessen in seiner Manteltasche, einem modisch weiten Schwinger, der sich nun jedoch als etwas unpraktisch erwies, denn Yuha residierte unbeeindruckt auf einem Zipfel. "Könntest du vielleicht...?" Yeshin zupfte, stippte Yuha dann in die Seite. Der funkelte ungnädig herüber, denn er hatte das sanfte Vibrieren des Mobiltelefons keineswegs überhört. Betont umständlich rangierte er herum, in der Hoffnung, dass Yeshin abgelenkt genug war, ihm erst eine Predigt hielt, bevor er in den Untiefen der Manteltasche nachforschte. »Dämlich!« Schalt er sich selbst. »So machst du ihn doch erst recht misstrauisch!« Andererseits stellten sich seine Nackenhaare alarmiert auf, und er vertraute sich seinem Instinkt an. Tatsächlich erreichten sie die Straßenecke unter Yeshins vorwurfsvollem Blick schon, ohne dass der eine Gelegenheit hatte, sein Mobiltelefon hervorzuholen. "ICH habe mir diesen Mantel nicht gekauft." Versetzte Yuha herausfordernd, als er Yeshin die Hand hinstreckte, um beim Aussteigen zu assistieren. "Und ich kann nichts dafür, dass Taschen gigantisch wie Großraumtransporter eingefügt worden sind!" Konterte Yeshin, hielt auffordernd den Regenschirm hin, damit sich Yuha nützlich machte und ihre Dusche auf ein geringes Maß beschränkte. "Pff!" Schnaubte der, doch ihm blieb nichts weiter übrig, als Yeshin zu überdachen und abzuwarten, ob sich die eingetroffene Nachricht als DIE Hiobsbotschaft erweisen würde. Er wurde nicht enttäuscht, denn Yeshin wurzelte abrupt auf dem Trottoir an, starrte mit entgleister Miene auf die Anzeige. "Wir können hier nicht bleiben." Stellte Yuha fest, kaperte Yeshins Rechte ungeniert und zerrte ihn hinter sich her zum Foyer des Appartementhauses. Unter der heimeligen Beleuchtung entging ihm keineswegs, dass Yeshins Teint käsig wirkte. Er stellte den Schirm im Sammelcontainer ab, zog einen bescheidenen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, hielt den Codechip vor das Terminal, das ihnen den Zugang zum Aufzug und der Etage gewährte. "Komm." Den Arm um Yeshins Taille gelegt bugsierte er ihn in die Kabine. Inzwischen hatte der Ältere Gelegenheit gehabt, sich ein wenig zu sammeln. Er präsentierte Yuha anklagend den Schnappschuss eines sehr glücklich grinsenden Ehepaars, die Finger zum Victory-Zeichen in die Kamera gestreckt. Wie verliebte Backfische! "Du hast mir gesagt, du wüsstest nicht, wo sie sind!" Yeshin stieg in den Ring und läutete die erste Runde ein. Seine bleiche, verärgerte Miene bedeutete Yuha, dass sein Liebster wirklich ins Mark getroffen war. "Was der Wahrheit entspricht." Entgegnete er kühl, befahl sich, jetzt bloß nicht den Kopf zu verlieren. Dafür stand zu viel auf dem Spiel, das keines mehr war. "Aber du wusstest, was sie vorhaben!" Das war keine Frage. "Ich habe es nicht gewusst." Stellte Yuha kühl richtig und ließ Yeshin den Vortritt aus der Kabine, als sie das Stockwerk erreichten. "Aber ich habe es Kyuwon geraten und darauf gehofft, dass er seinen Hintern endlich hoch kriegt." "Wie kannst du nur?! Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?!" Schimpfte Yeshin los, konnte nur durch Yuhas energischen Nachdruck in sein Appartement bewegt werden. "Willst du alles ruinieren?! Was ist bloß los mit euch?!" "Was los ist?" Schnurrte er nun in katzenhafter Kampfpose, funkelte entschlossen in Yeshins Augen zurück. "Ganz einfach, zehn Jahre Heimlichtuerei sind los! Wir müssen uns verändern, und nicht nur des Alters wegen, ONKEL Yeshin!" "Alter, Alter, sieh mich an, das ist doch kein Argument! Wirklich...was..." Nun stutzte Yeshin in seiner Ereiferung, blinzelte. "Was..hast du gesagt?" "ON-KEL Yeshin." Wiederholte Yuha und wartete auf die Detonation. "Was? Was?" Stotterte Yeshin und taumelte nun tatsächlich, sodass Yuha vorschnellte, ihn am Arm abfing und ein gefährlicheres Trudeln verhinderte. "So schwer ist das doch gar nicht." Verlegte er sich auf Ironie. "Mädchen, Junge, Schnacksel Schnacksel, und der große Bruder wird nun Onkel." "Das-das ist nicht witzig!" Heftig stieß Yeshin ihn zurück, starrte ihn an wie eine Erscheinung aus einem Horrorfilm. "Und es ist auch kein Drama!" Versetzte Yuha, die Fäuste geballt, um seinem Temperament nicht die Zügel schießen zu lassen. "Haben Seunga und Kyuwon kein richtiges Leben als Familie verdient? Außerdem muss dir doch klar sein, dass aus Seunga nie eine Primaballerina wird! Sie ist nicht mehr neu, ihr Körper zeigt Verschleißerscheinungen! Es gibt mehr im Leben als Spitzentanz und Boygroups!" "Davon leben wir aber!" Fauchte Yeshin zurück, atmete heftig, wandte sich ab, eine Hand an den Kopf geschlagen. "Gott, ich kann nicht glauben, dass sie mir nichts gesagt haben!" "Mir haben sie auch nichts gesagt." Zischte Yuha hitzig. "Aber ich habe eben einen Blick dafür. Und tu jetzt nicht so erstaunt, Yeshin! Du bist kein Kind mehr, du MUSST doch wissen, dass Gefühle kaputtgehen, wenn man sich nicht zu ihnen bekennen darf!" Yeshins Miene versteinerte. Yuha stürzte vor, packte beide Handgelenke, drängte den Älteren an die Wand, kerkerte ihn mit seinem Körper ein. "Wieso freust du dich nicht für die beiden, anstelle hier in Selbstmitleid zu verfallen?! Hör endlich damit auf, vor allem wegzulaufen! Und wenn du auf zig Hochzeiten gleichzeitig tanzt, der Realität entkommst du nicht!" "Das will ich nicht hören! Von dir muss ich mir gar nichts vorwerfen lassen!" Yeshin leistete Widerstand, versuchte den harten Griff zu sprengen. "Ich WERDE dir aber etwas sagen!" Yuha verlor seine Selbstbeherrschung endgültig. "Ich habe es auch satt! Ich will dir auch einen Ring auf den Finger stecken! Ich habe die Schnauze voll von all den Lügen und Spielereien! Ich laufe dir seit meinem siebten Lebensjahr hinterher, jetzt will ich mit dir auf gleicher Höhe gehen und mich nicht mehr verstellen!" "Aber das geht nicht! Du WEISST, dass das nicht geht!" Brüllte Yeshin zurück. Yuha wich keinen Millimeter, brachte ihre Gesichter auf nächste Nähe. Er konnte die Angst in Yeshins Augen lesen. "Das wird gehen." Flüsterte er grimmig. "Weil es Tatsache ist. Kyuwon ist Familienvater, und als solcher können wir weiterhin arbeiten. Wenn es den Leuten nicht passt, die mit uns erwachsen geworden sind, dann sollen sie sich zum Teufel scheren." "Du hast ja keine Ahnung..." Yeshin drehte den Kopf weg, lachte bitter auf. "Ich bin keine 12 mehr." Wisperte Yuha ihm ins Ohr. "Hast du nicht immer gesagt, du vertraust mir? Ich finde für uns einen Weg. Du betonst doch immer, was für ein cleverer Bursche ich bin, also miss mich an deinen Worten! Und glaub nicht, dass du mir entwischen kannst. Ich habe dich immer gefunden." Yeshin fauchte tonlos, die Augen zusammengekniffen, eingefangen, ohne Ausweg. "Hättest mich vielleicht doch nicht küssen sollen." Murmelte Yuha bitter, zog sich zurück, gab Yeshin frei. Er wandte sich ab, in Aufbruchbereitschaft, enttäuscht, aber zumindest einigermaßen Herr seiner Impulse. "Das habe ich nie bereut." Wisperte Yeshin kaum hörbar, streckte hilflos eine Hand nach ihm aus. Yuha ergriff sie sofort und zog den verstörten Mann in seine Arme, hielt ihn sehr fest. Einige Augenblicke verharrten sie so, nutzten den anderen wie eine Rettungsboje in stürmischer See, letzter Anker vor dem Untergang. "...also." Yeshin räusperte sich erstickt. "Wegen des Rings, könntest du damit warten, bis das Album draußen ist? Bitte?" "Einverstanden." Versicherte Yuha sanft, lockerte seinen Klammergriff ein wenig. "Wie soll er denn aussehen?" "Na ja." Yeshin zog kindlich die Nase hoch, blinzelte feucht in Yuhas Augen. "Weißt du, da gibt es diese Ringe mit den keltischen Liebesknoten, die fand ich immer sehr schön." "Wirst du bekommen." Versprach Yuha, küsste Sorgenfalten und feuchte Spuren aus Yeshins Gesicht, federleicht und zärtlich. "Ich werde auch vor dir auf die Knie gehen. Und die größte Schokoladen-Tarte besorgen, die es gibt!" Yeshin lachte erstickt, schmiegte sich dann eng an. "Wehe, wenn nicht! Ich bin zwar älter, aber mein Gedächtnis ist sehr gut!" "Schön zu wissen!" Schnurrte Yuha neckend. "Dann wirst du auch nie vergessen, dass ich dich liebe." *~* Szene "D" # Das Tarot Café von Sang Sun Park (Tokyopop USA) "Du hast wohl kein Zuhause, was?" Pamela lupfte eine Augenbraue kritisch, als Belial wie immer kurz vor Mitternacht in ihr Tarot-Café schlüpfte, sich lässig Wassertropfen von der Ledermontur wischte. "Nö." Antwortete der Fürst über das gesamte Pandämonium lässig und enterte seinen Lieblingsbarhocker. Ein Fingerschnippen, dann materialisierte sich ein altertümlich wirkendes Pergament mit Lettern, die sich selbst aufzeichneten. "Ich habe hier ein wundervolles Angebot..." Säuselte er schmeichlerisch. Pamela verdrehte die ausdrucksstarken, großen Augen enerviert. "Kein Interesse, Bel! Und wag es ja nicht, mir die Gäste zu vergraulen, verstanden?! Sonst sitzt du achtkantig draußen!" Eine Drohung, die wohl nur wenige Menschen auszusprechen gewagt hätten, doch Pamela war keine gewöhnliche Frau. Wenn sie hier schon ein Streunerasyl für den Herrn der Unterwelt führte, dann nach IHREN Regeln! Handzahm nickte Belial und zahlte auch artig für seinen Cocktail. Während sich zu den Öffnungszeiten am Tage Besuch einfand, längst nicht alle für eine Zukunftsberatung mit den Tarotkarten, konnten nach Mitternacht besondere Wesen auf Pamelas Angebot eingehen. Sie deutete die ausgewählten Karten und gab Hilfestellungen für zu treffende Entscheidungen. Als Lohn entrichtete jeder, was ihm als wertvoll erschien. Schließlich konnte die Zukunft potentiell sehr hässlich werden, wenn man die Ratgeberin verprellte oder übers Ohr zu hauen versuchte! Belial schlürfte gelangweilt seinen Cocktail und hoffte, es würden sich nicht zu viele Interessierte einfinden. Er teilte nicht gern. Nein, eigentlich teilte er gar nicht. Bloß bei Pamela war es schwierig. Kompliziert. Er kniff die grauen Augen zusammen und strich sich ärgerlich durch das silberweiße Haar. Bel. Ein anderer Name und ein geändertes Äußeres, weitere Bedingungen, die Pamela gestellt hatte. Sie hatte "Belus" wirklich gemocht, sogar sehr. Umso tiefer hatte sie die Erkenntnis getroffen, dass ihr Erzfeind Belial sich in dieser Gestalt über Jahrhunderte verborgen hatte, ihr ans Herz gewachsen war. Belial, der Drecksack, der Teufel, hatte Belus auf dem Gewissen!! Und wenn er sich hier schon ständig sehen ließ, dann gefälligst in einer anderen Gestalt! Belial schickte sich drein, weil er verrückt wurde, wenn er an sie dachte. Und ebenso verrückt, wenn er es sich verbat. *~* "Was ist das denn für ein komisches Ding?" Abschätzig beäugte Belial das ovale Objekt, einer übergroßen Eichel nicht unähnlich. "Mein Lohn." Pamela studierte es ebenfalls mit krauser Stirn. "Von der Waldelfe. Es ist wohl eine Art Portal zu einer angesagten Trollkneipe." "Na prächtig." Ätzte Belial. "Hast du ihr das etwa durchgehen lassen?!" "Möchtest du vielleicht in der Gosse weiter stänkern?" Erkundigte sich Pamela in zuckersüßen Ton. Auch wenn sie noch nicht recht wusste, was sie mit ihrem Lohn anfangen sollte, so zweifelte sie nicht daran, dass die Waldelfe davon überzeugt war, es handle sich um einen wertvollen Gegenstand. "Bitte, bitte! Ganz wie du meinst!" Trotzig hob Belial in entwaffneter Geste die Hände. "Nichts liegt mir ferner, als dein Urteilsvermögen anzuzweifeln." "Ha!" Schnaubte Pamela, unsterblich dank Drachengabe, sengte lodernde Blicke über die Breite des Tresens. Belial war der schlimmste Beweis ihrer Fehlbarkeit gewesen, doch sie hatte sich entschlossen, ihre besondere Lage zu akzeptieren. Jeden Tag zu leben, und zwar glücklich! "Ich geh da jedenfalls hin!" Stellte sie klar. "Eine Trollkneipe, das klingt spannend!" "Oh ja, ungefähr so wie eingewachsene Fußnägel." Brummte Belial kaum hörbar, der wirklich nicht begreifen konnte, was an Elfen oder Trollen oder dem anderen Pack so interessant sein sollte. *~* "Was TUST du hier?!" Pamela stemmte die Hände in die Hüften, ein Bein ausgestellt, funkelte Belial an, der ungeniert seine Augen an ihrem Cocktailkleid weidete. Und den gesamten Rest selbstredend auch nicht ausließ. "Dich begleiten." Konterte er nonchalant. "Wer weiß, wo du sonst noch rein stolperst." "Oh, wie rührend!" Schnaubte Pamela grimmig. "Glaubst du, mir könnte etwas passieren? Dass ich in der Hölle lande, betrogen, belogen und mit irgendwelchem Dreck vergiftet?" Der Stich saß, und die Narbe in Belials Seite schmerzte. In all seiner Unsterblichkeit verschwand sie nie. Steif antwortete er. "Herrenbegleitung gehört immer noch zum guten Ton." "Mit dem du dich zweifellos auskennst." Grollte Pamela und marschierte auf ihren hohen Absätzen voran. Manchmal echauffierte es sie einfach über die Grenzen der Selbstbeherrschung hinaus, wie Bel sich als ihr Beschützer aufführte! Zugegeben, er HATTE sie auch mehr als einmal gerettet, doch ganz bestimmt nur, um nachher selbst noch härter zuschlagen zu können! Weil er Konkurrenz einfach nicht verknusen konnte, der...der...der TEUFEL!! Belial hielt sich höflich hinter Pamela, bot ihr den Arm nicht zum Geleit, das sie offenkundig nicht wollte. So konnte er auch ihre anmutige Gestalt studieren, ihren stolzen Trotz, ihre Selbstbehauptung. Sie verfügte über eine imponierende innere Stärke, die ihn reizte und beunruhigte. Verstörte. Dennoch konnte er nicht von ihr lassen. Selbstredend, sie war unsterblich, ein Mensch dazu, davon gab es wenige. Außerdem war es ihr gelungen, seiner sorgfältig choreographierten Dramaturgie zu entschlüpfen, ihn um seinen verdienten Lohn zu betrügen, aber das war es nicht allein. Schicksal? Nein, Schicksal gab es nicht, zumindest nicht für den Fürsten der Finsternis! Ganz unmöglich! Hastig wischte Belial diese gefährlichen Gedanken weg, schloss mit energischem Schritt zu Pamela auf und hielt sich an ihrer Seite, bis sie vor einem unspektakulären Hochhaus mit zwanzig Geschossen innehielten. "Hmmmm." Murmelte Pamela kritisch, den Kopf in den Nacken gelegt. "Hier ist es?!" Belial verschränkte die Arme vor der Brust. "Besonders lebhaft geht es hier aber nicht zu!" "Vermutlich ist es der Ort, wo sich das Portal öffnen lässt." Pamela hatte entschieden, sich nicht entmutigen zu lassen. Entschlossen drückte sie die Doppeltür auf, betrat das Foyer und steuerte auf die Aufzüge zu. "Mir gefällt das nicht." Brummte Belial kritisch, hängte sich jedoch an ihre Fersen. Gemeinsam betraten sie die Kabine, die Türen schlossen sich ächzend. "Mit der Miene bleibst du bestimmt draußen." Bemerkte Pamela gerade tadelnd über Belials missmutige Grimasse, als abrupt die Beleuchtung erlosch, die Kabine selbst mit einem heftigen Ruck zum Stehen kam. Belial griff im Reflex zu, balancierte ihren Stand auf den hohen Absätzen aus. Im grünlich-trüben Licht der Notbeleuchtung musterten sie einander. Dann seufzte Belial betont. "Ich wusste ja, dass es schiefgeht." "Papperlapapp!" Kühl machte Pamela sich aus seinem Griff los und wandte sich dem Paneel zu, studierte es im grünen Schimmer akribisch, bevor sie den roten Knopf fest eindrückte. Es tat sich nichts. Unverdrossen stemmte Pamela ein weiteres Mal die Plastikkappe tief in die Verankerung. "Haallooohhhooo!" Flötete sie in das Mikrofon. "Wir stecken hier fest!" Es knirschte ein wenig, knackte dezent, eine Funkverbindung gab sich zu erkennen. "Sicherheitsdienst, guten Abend! Können Sie mich hören?" "Ja!" Antwortete Pamela eilig. "Der Aufzug steckt fest!" "Es gibt einen Stromausfall im gesamten Viertel." Die Dame am anderen Ende klang dezent gestresst. "Wir sind bemüht, Sie so rasch wie möglich zu befreien. Können Sie mir bitte sagen, wie viele Personen eingeschlossen sind?" "Wir sind zu zweit." Gab Pamela Auskunft. "Benötigen Sie akut ärztliche Hilfe?" "Wir nicht, aber wenn ich den Waldelfen erwische..!" Grummelte Belial, was ihm einen kräftigen Knuff in die Seite einbrachte. "Nein, wir sind in Ordnung. Wenn Sie uns nur bitte hier herausholen." "Das werden wir, wir tun unser Möglichstes. Bitte lassen Sie die Sprechverbindung offen. Danke für Ihre Geduld!" Dann knackte es abschließend, und Stille trat ein. "Toll." Belial rutschte an der Kabinenwand auf den Boden, zog ein Bein lässig an. "SO wollte ich den Abend schon immer mal verbringen! Mit dir in einem Blechkasten eingesperrt!" "Du wolltest ja unbedingt mitkommen, also hast du keinen Grund, dich zu beklagen!" Pamela schlüpfte aus ihren Schuhen und seufzte. "Glaubst du, der Stromausfall hat etwas mit dem Portal zu tun?" "Unwahrscheinlich." Belial streifte seine Lederjacke ab und reichte sie Pamela. "Da, setz dich drauf." Eine ritterliche Geste. Immer wieder ertappte er sich dabei. Alles nur Lügen, Täuschungen, Hinterlist? "Tja." Pamela klappte die Beine zur Seite, im Kleid hatte sie nicht allzu viel Bewegungsfreiraum. "Aktiviert habe ich es zumindest noch nicht." Sie musterte Belial im grünlichen Schimmer argwöhnisch, bevor sie sich erkundigte. "Warum verschwindest du nicht einfach? Du musst nicht hier bleiben!" Belial schnaubte. "Reizend! Denkst du, ich haue hier ab und lasse dich schmoren? Nachdem du ja schon verkündet hast, es wären zwei Leute hier drin?" "Oh, ich hätte mich schon rausgeredet!" Versetzte sie kühl. "Na los, ich werde dich doch nur langweilen, hier, in diesem Blechkasten." Belial grummelte. "Du weißt genau: ich KANN dich nicht mitnehmen ohne dein Einverständnis. Und abhauen werde ich sicher nicht." Selbst der Höllenfürst musste Regeln anerkennen. Menschen simpel in die Unterwelt verschleppen, DAS funktionierte nicht. Man benötigte ein Portal UND die Einwilligung. Pamela legte den Kopf schief. "Sehr galant, Bel. Was bezweckst du damit?" "Verflixt noch eins, muss ich ständig was bezwecken?!" Fauchte der Teufel ärgerlich. "Kann ich nicht wenigstens einfach hier sein?!" Versonnen schwieg Pamela, ahnte Belial mehr, als dass sie ihn wirklich sehen konnte. Ja, das war seltsam mit ihnen. Eine unheilvolle, schmerzliche Verbindung, die einfach nicht abreißen wollte, ein schrecklicher Betrug, grausam, quälend, nahezu vernichtend. Doch sie konnte auch Belus nicht einfach vergessen. Liebe, das war ihr Fluch geworden, doch eine innige Zuneigung, die hatte sie durchaus für Belus empfunden. Für ihn war sie bereit gewesen, in die Hölle zu gehen. "Sag mal..." Hastig wischte sie diese melancholischen Erinnerungen beiseite. "Wie kommt es eigentlich, dass du dich nur auf Menschen kaprizierst? Auch als ich in der Hölle war, habe ich keine Elfen, Kobolde, Trolle oder etwa Dschinns gesehen..." Belial seufzte leise, dann lachte er bitter auf. "Möchtest du das wirklich wissen, Pamela?" Wisperte er spöttisch, jedoch ohne Verve, seinen sprühenden Charme. "Jawohl." Pamela signalisierte Aufmerksamkeit. "Sag bloß, du hast Konkurrenz?!" Der Höllenfürst schnaubte. "Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum ich in der Lage bin, alle Schwachpunkte jedes Menschen sofort zu erkennen. Und eigentlich sollte ich auch genau wissen, warum ich sie herausfordere, verführe. Aber selbst das..." Pamela studierte ihn verwirrt. "Bel, du bist doch ein Teufel..." "Ja." Pflichtete Belial ihr leise, fast tonlos bei. "Ich bin ein Teufel, das ist wohl so. Ich kann nicht anders sein." Er seufzte leise und erinnerte Pamela an diesen unwirklichen Moment im Pandämonium, Belial so kurz vor seinem Triumph. Und so gequält, für einen Augenblick lang unfähig, ihrem Blick standzuhalten, das gleiche Bekenntnis formuliert. "Erinnerst du dich an diesen komischen Vogel mit der ausgestopften Ente, der immer kam?" Belial streckte das angewinkelte Bein ein wenig. "Der hat mich mit einigen Theorien zugetextet, über das Gehirn der Menschen, dass es ein Dolmetscher für die anderen Sinne ist und nur das übersetzen kann, was es kennt. Was ist nun, wenn das nicht nur für Menschen gilt? Ich weiß nicht, ob meine Erinnerungen wirklich MEINE Erinnerungen sind. Kann ich mich tatsächlich an einen Himmel erinnern? Oder an unsere ach so böse Rebellion? Gibt es wirklich einen Gott? Wieso finden sich in der Hölle nur Menschenseelen? Ich weiß ja nicht mal, was ich mit ihnen anfangen soll! All diese Quälereien, aber wofür? Und was geht's mich überhaupt an, was mit Seelen passiert? Wenn's denn Seelen sind! Möglicherweise ist mein Dolmetscher auch unzureichend. Vielleicht bilde ich mir eine Wirklichkeit ein, die es gar nicht so gibt!" Belial schnaubte grimmig, dann sackten seine Schultern tiefer. "Henne und Ei, das gleiche Spiel. Ich weiß nicht, warum ich diesem Impuls folgen muss, jede Schwachstelle zu nutzen. Ich könnte bestimmt auch andere Dinge tun. Aber da kommt auch wieder ein netter Vergleich von dem Enten-Mann ins Spiel: wenn ich in einer Schachtel bin, kann ich nicht wissen, wie es außerhalb der Schachtel ist. Ich werde keine Antwort erhalten, warum ich ein Teufel bin. Sein muss." Pamela betrachtete ihn überrascht, dann hakte sie argwöhnisch nach. "Ist das jetzt wieder eines deiner Psycho-Spielchen? Du erinnerst dich doch, dass ich rausgehauen worden bin..." "Aber war es wirklich göttliche Intervention? Warum sind deine Freunde aufgetaucht, die gar nicht zu meinem Metier gehören, obwohl sie das tun müssten?" Belial richtete sich auf. "Stell dir mal vor, es gäbe diese Schachtel und eine Bedingung für ihren Fortbestand wäre es, dass Menschenseelen geprüft werden müssten von Teufeln. Hätte ich anders entscheiden können, hätte ich mich verweigert, wäre dann das System der Schachtel in Gefahr gewesen? Wenn ich nicht wie ein Teufel agiert hätte?" Für eine lange Weile hörten sie nichts mehr außer ihren eigenen Atemzügen. So deprimiert, ja, menschlich, hatte Pamela Belial noch nie sprechen gehört. Ganz zu schweigen von dem, was er da aussprach! Jedoch, meinte er es ernst? Oder wollte er erneut einen Vertrag vorbereiten, um...? Aber zu welchem Zweck überhaupt? Sie wollte nicht mehr um alles in der Welt leben oder sterben, und Belial benötigte diese verzweifelten Einfallstore. Belial lachte müde auf. "Weißt du, ich war immer darüber erstaunt, dass du mich als Belus nie erkannt hast, obwohl du doch immer meinen Schein durchschauen konntest in deiner Welt. Lag das daran, dass ich so gut in meiner Scharade war? Oder dass deine Fähigkeiten sich reduziert haben?" "Ich nehme an, dass du Belus WARST." Bemerkte Pamela versonnen. Der verlässliche Freund durch die Jahrhunderte, Tröster, Spötter, Gesellschafter. "Seltsam, nicht?" Belial wischte sich fahrig durch die Haare. "Ein Täuscher, der so gut täuscht, dass die Täuschung Wahrheit wird. Bis zu einem gewissen Grad, der nicht überschritten werden darf." Sie schwiegen beide, gedankenversunken in potentiellen Wahrheiten, die vieles relativierten, auf den Kopf stellten, aus Gewissheiten Standpunkte machten, mit eingeschränktem Blickwinkel. Pamela streckte die Hand aus. Überrascht nahm Belial sie, hielt sie fest. Wehmut erfüllte ihn. Er konnte nicht anders sein, als er war. Ein Teufel. *~* "Ich mache uns einen Kaffee." Verkündete Pamela, sperrte ihr Café auf. Nach einer Dreiviertelstunde hatte man den Aufzug in die nächste Etage gekurbelt, die Türen aufgestemmt und sie befreit. Die kühle Nachtluft sorgte für Durchzug im Kopf, doch die seltsame Versonnenheit, die sie beide erfasst hatte, hielt sich hartnäckig. Sie schenkte den Kaffee in die Tassen aus und kletterte neben Belial auf den Barhocker. "Was tun wir nun?" Belial lächelte schief. "Das, was wir jede Nacht tun, schätze ich." Pamela hob ihre Kaffeetasse an, berührte die Keramik ihres späten Gastes zu einem Toast. "Dann lass uns einig sein, dass wir morgen glücklich leben wollen, Bel!" Der Herr über das Pandämonium tippte als Echo die Tassen aneinander, lächelte schief. "Das Glück eines Teufels ist eine zweischneidige Sache." "Hier sind wir Bel und Pamela." Pamela leckte sich Milchschaum von der Oberlippe, richtete ihren ernsten, melancholischen Blick auf Belial. Für eine Weile weder Engel, noch Teufel, noch Mensch, noch Feinde. *~* Szene "E" # Eight/8 von Atsushi Kamijo (Carlsen Manga) Keigo blinzelte hoch, aber es war nicht der Schrägpony, der ihn behinderte. Nach dem Überfall hatte sich das linke Augenlicht verabschiedet, was ihm beim räumlichen Sehen und Gegenlicht Schwierigkeiten bereitete. Doch die drei Figuren, die sich da vor seinem kleinen Stand aufbauten, konnte er auch ohne Scharfblick eindeutig einordnen: Geldeintreiber. "Du bist nicht von hier, was?" Grußlos nuschelte ihn der kleine Dicke an, trug zu viel Silberschmuck und ein scheußliches Kopftuch zur Schau, vermutlich eine versteckte Halbglatze. Das Gehirn in dem Trio war er jedenfalls nicht, nur der Anheizer. "Wow, das ist ja herrlich!" Ungefragt und leutselig prahlte ein junger Mann mit blondiertem Wuschelkopf los. "No brain inside, genial! Retro und doch total modern!" "Zieh Leine, Mann, wir haben hier ne geschäftliche Unterhaltung!" Der Dicke war nicht amüsiert. "Ach, ihr wollt auch was kaufen?!" Das strahlende Gesicht wirkte jugendlich frisch und attraktiv, doch alle drei Schutzgelderpresser zuckten innerlich bei dem unheimlichen Leuchten in den hellen Augen zurück. So glotzten nur Irre! "Gute Wahl, das muss ich schon sagen!" Ungeniert klopfte er dem Hünen, der als "Muskel" vorstand, auf das breite Kreuz. "Ich glaube, diese Saison sind Hunde total angesagt! Ah, ich hab ja auch einen!" Damit meinte er nicht etwa die Handvoll T-Shirts, die mit einem entsprechenden Motiv geschmückt waren, sondern den gewaltigen Dobermann, der still und leise seinen Weg IN die Gruppe gefunden hatte, nun neben dem Anführer artig saß. Wenn auch sein konzentrierter Blick auf dessen Schritt ruhte, der sich genau in Zuschnapphöhe befand. Da konnte auch ganz anderen Männern mulmig werden! "Scheiße, wir sind nicht wegen der Klamotten hier!" Dröhnte der Anheizer, offenkundig kein schneller Denker. "Wir holen den Zoll, klar?! Die Standgebühr!" Nun wurde auch der "Muskel" aktiv, warf seinen Schatten über Keigos Angebot. Sein Label "Ash" war sehr angesagt in der Untergrundszene, und er wechselte häufig die Standorte. "Zoll? Standgebühr?" Der blonde Irre las offenkundig die Zeichen der Zeit nicht, denn im munteren Plauderton mischte er sich erneut ein. "Oh, da hat man euch aber verschaukelt! Hier gibt's das gar nicht, der Platz hier kostet nichts, solange die Leute noch vorbeilaufen können! Habe ich gerade vorhin da den Streifenpolizist sagen hören!" "Willst du jetzt mal abhauen, oder was?!" Enerviert packte der Anführer den Lebensmüden am Hemd. Hinter sich registrierte er weniger einen Lufthauch als die Ahnung einer Bewegung. Ein muskulöser Jugendlicher mit Brille und streng rasiertem Schädel löste langsam seine Armbanduhr vom Handgelenk. "Also, aufmerksam bist du aber nicht, Kamerad!" Lachte der Blonde ungerührt. "Ich hab doch gesagt, ich hab Lust, mir so ein T-Shirt zu kaufen! Aber hey, wenn du deine Besorgung zuerst abschließen willst, kein Problem!" Schmunzelnd hielt er beide offenen Handflächen hoch. "Wir wollen nix kaufen, du Penner!" Der Dicke nickte dem "Muskel" zu. "Aber du kannst gleich ne kostenlose Gesichtsbehandlung bekommen, wenn du dich nicht vom Acker machst." "Ach, nein, danke, sehr lieb." Das Grinsen vertiefte sich zu einer fast diabolisch anmutenden Freude auf den glatten Zügen. Er senkte vertraulich die Stimme. "Ich bin eher nicht der Typ, der lieber auf dem eigenen Spielfeld Spaß hat, wenn ihr versteht, was ich meine." Dabei zwinkerte er unmissverständlich. Es wurde sehr still, beinahe, als hielte die Welt selbst in ihrem Lauf inne. Nun, Nika ausgenommen, die heran stolperte, vollbepackt mit Plastikflaschen und Tüten. "Darf ich mal durch, hallooo, bitte Platz machen, puuuuh, ist das hier eng, halloooo, ich möchte hier durch!" Sie drängte sich vorbei, ihre Kurven wie Spoiler einsetzend, um sich eine Passage zu schaffen. "Also, Keigo, ein bisschen was musst du aber für unser Picknick beiseite räumen, ich hab sonst nicht genug Platz hier!" Sie ließ zwei Tüten sanft plumpsen und ächzte. "Aber wirklich, hier ist es echt zu eng! Hast du Nanako schon gesehen?" Das Trio fatale ignorierte sie komplett. "Nika, die Herren hier wollten gerade noch was kaufen." Der Blonde spielte mit seinem Leben, denn Andeutungen dieses Kalibers konnte man nicht ungestraft lassen. "Ernsthaft?" Mit einem strahlenden Lächeln musterte sie die drei finsteren Gestalten. "Ja, cool! Na, dann warte ich natürlich mit dem Auspacken, aber es wäre nett, wenn ihr euch entscheiden könntet, sonst wird ja die Eiscreme ganz warm!" "Eiscreme?!" Verblüffender Weise war es Shins Stimme, die sie noch vor seinem scheinbar unkontrollierten Skateboard erreichte. Die langen, schweren Haare wie ein Vorhang wehend preschte er trotz der Enge in halsbrecherischem Tempo heran. Wer seine Knochen im gegenwärtigen Zustand schätzte, sprang beiseite. "Boah, was ne Orgie!", Schon hatte er sein geliebtes Brett wie ein Schlagholz geschwungen, scheinbar verspannte Rückenmuskeln dehnend. "Ey, Tora, du Schnecke, komm endlich!" Tora näherte sich per Pedes, und er sah aus, als hätte er die nähere Bekanntschaft mit einem Schwerlaster gemacht. "Wir können gleich loslegen, wenn der Herr hier sein Lieblingshemd gefunden hat!" Der Blonde zeigte auf den Anführer, der ihn noch immer am Revers gepackt hielt. "Mach hin, Kumpel, mir knurrt der Magen!" Feixte Shin bösartig. Das grollende Geräusch stammte jedoch vom Dobermann, der sich langsam erhob. "Ah, da ist Nanako! Nanako! Nanako, hier sind wir!" Nika drängte sich wild mit den Armen rudernd in das Trio, rammte dabei dem Dicken ihren Ellenbogen in die Seite. "Oh, Tschuldigung, da hab ich nicht aufgepasst!" Eine sehr hübsche, junge Frau näherte sich mit dem schleichenden Schritt einer Kampfsportlerin. Der Hüne mit der Brille nickte ihr knapp zu. "Hallo, Kaneko, Nika! Und sieh an, Shin und Tora, pünktlich zum Essen!" Lächelte sie entspannt, zwinkerte dann in die leuchtenden Augen des blonden Irren. "Hallo, Eito." Flüsterte sie sanft. Er tippte sich grüßend mit zwei Fingern an die Schläfen. "Wir wären dann komplett." Kommentierte Keigo, faltete einige seiner Waren zusammen, damit die versammelten Acht der Udagawa-Mittelschule, letzter Jahrgang, sich platzieren konnten. "Ja, dann..." Vielsagend zwinkerte Eito/Masato dem Anführer zu, der ihn langsam freigab. Wortlos drehte der sich um, machte einen Schritt um den wachsamen Dobermann herum, dann folgten ihm auch eilig seine beiden Trabanten. Eitos/Masatos Blicke hefteten sich noch eine Weile auf sie, bevor er sich lachend zu seinen Freunden gesellte. *~* Szene "F" # Fake von Sanami Matoh (Carlsen Manga) Im Treppenhaus kam Jamie Jay Adams, von allen nur JJ gerufen, kaum voran, doch eilig hatte er es nicht mehr, viel eher zog er sich förmlich am Geländer hoch. Nur die Notbeleuchtung wies ihm und all den anderen den Weg durch das Gebäude. Im Keller polterte dröhnend der Notstromaggregat und der Treibstoff musste sehr sorgsam genutzt werden. Für Kinkerlitzchen wie Aufzüge galt das jedenfalls nicht. Erneut fegte ein Blizzard über New York hinweg. Die Bevölkerung war aufgerufen worden, zu Hause zu bleiben, sich mit dem Überlebenswichtigsten einzudecken und sich auf Strom- und Energieausfälle vorzubereiten. Der Nah- und Fernverkehr war eingestellt worden, nur Einsatzfahrzeuge kämpften sich durch die weiße Hölle. JJ war über das Katastropheneinsatznetz aufgefordert worden, sich nicht in seinem normalen Revier zu melden, sondern ein Revier in der Nähe seines Appartements anzusteuern. Was er getan hatte und nun die zweite Schicht ohne Pause beendete, mit wackeligen Knien, völlig erschöpft und bis ins Mark durchgefroren. Im Treppenhaus begegneten sich die Männer und Frauen der Feuerwehr in ihrer Ausrüstung, klopften sich auf die gepolsterten Schultern, machten sich Mut und Komplimente. Jede Fahrzeugbesatzung arbeitete am Limit, niemand konnte der eigenen Familie beistehen, da war Zusammenhalt besonders wichtig. Zwischen all den FDNY-Abzeichen fühlte sich JJ ein wenig deplatziert, doch das Revier, bei dem er aushalf, hatte aus Gründen der Effizienz mit einer Feuerbrigade ein gemeinsames Gebäude bezogen. So sparte man Platz für die Gemeinschaftsräume und -einrichtungen. Im Aufenthaltsraum brach Jubel aus, als er das Stockwerk erklommen hatte. JJ reckte sich angestrengt und konnte die Ursache auch rasch entdecken: ohne Stromversorgung funktionierten auch die Automaten nicht mehr. Einem Kollegen des Reviers schien es jedoch gelungen zu sein, die Automaten zu knacken, sodass zumindest die Versorgung mit Riegeln, Tüten, Süß- und Knabberkram gesichert war. Demonstrativ wurde eine Büchse aufgestellt, denn gezahlt werden sollte durchaus, man war ja ehrlich. Auf gasbetriebenen Heizplatten kochten Hektoliter Kaffee und stark aromatischer Eintopf, man reihte sich zum Ausschank ordentlich ein. Auch JJ hielt sich an die Reihenfolge, ergatterte einen Becher Kaffee und zahlte für zwei Schokoladen-Erdnussriegel den Obolus. Matt malmte er, verbrannte sich die Zunge am Kaffee, was er zynisch begrüßte, da es zumindest ein positives Zeichen darstellte: wer Schmerz empfand, war noch nicht völlig erfroren. Auf dem Weg in das Stockwerk seiner Kollegen prallte er mit einem Mann im Sweatshirt zusammen, der auswich, um eine weitere Einsatztruppe in voller Montur passieren zu lassen. "Sorry, Kamerad!" Tiefschwarze Augen inspizierten JJ, der zunächst das FDNY-Logo auf der Brust registrierte, dann den Kopf in den Nacken legte, da das mobile Hindernis ihm um eine halbe Kopflänge überragte. "Tut mir auch leid, ich hab nicht aufgepasst." Entgegnete JJ und zwang seine tiefgekühlten Gesichtszüge zu einem Lächeln. "Du gehörst zu den Jungs und Mädels oben." Stellte der athletische Mann fest, erwiderte JJs Lächeln sehr viel geschmeidiger, zwinkerte. "JJ, richtig? Scharfschütze vom 27.?" Überrascht ergriff JJ die ausgestreckte Hand, schüttelte sie artig. "Das stimmt. Und du bist...?" "Seneca Whitman." Ein kontaktfreudiges Zwinkern, dann strich sich der Mann mit den markanten Gesichtszügen über den Schädel. "Aber alle nennen mich Mohawk. Ich bin bei den Höhenrettern." "Freut mich." Entgegnete JJ artig, der nun, nach dieser Erläuterung, die Details (rasierter Kamm schwarzer Haare, langer, geflochtener Zopf, durchtrainierte Gestalt, angenehm dunkler Teint, Händedruck mit Schwielen) einordnete. Von der Sondereinheit hatte er selbstverständlich gehört, auch von den Gerüchten, dass Angehörige der Mohawk-Stämme als besonders schwindelfrei galten. "Hast du jetzt Pause?" Mohawk setzte sich wieder in Bewegung, ging voran. "Ich bin auch erst vor ein paar Minuten zurückgekommen. Hab gehört, dass sie die Duschen in Gang halten, damit die Leitungen nicht platzen. Fünf Minuten heißes Wasser, das heißt Katzenwäsche zum Auftauen!" JJ seufzte, denn er hätte sich jetzt sehr viel lieber in ein heißes Schaumbad zu Hause gelegt, doch da wäre er vermutlich ertrunken. Man musste einfach positiv denken! Laut antwortete er. "Ich werde mich gerade abmelden und dann auch die Gelegenheit nutzen, etwas aufzutauen. Ich hoffe, ich habe noch alle Zehen." Mohawk lachte ein sehr sympathisches Lachen, klopfte JJ freundschaftlich auf die Schulter. "Na dann!" Er betrat schon den Bereich der Spinde, Duschen und Ruheräume der Feuerbrigade. Ein Stockwerk darüber erreichte JJ den Schreibtisch der Diensthabenden, die ihn mitfühlend austrug und ein wenig zerknirscht die Hiobsbotschaften verkündete: erstens war an eine Heimkehr nicht zu denken, zweitens war der kleine Pausenraum schon überfüllt. Zum Ausstrecken müsse er es bei den Kollegen unten versuchen. Vielleicht hätten die ja noch ein Feldbett frei? Zu erschöpft, um sich über Unabänderliches aufzuregen, nickte JJ bloß, ging zu seinem Spind, um sich eine Garnitur frischer Unterwäsche und seinen Sportanzug herauszuholen. Wenn es mit der Dusche klappte, dann konnte er auch in einem Stuhl schlafen, wenn es nicht anders ging! Um seine klamme Kleidung erleichtert schlängelte er sich über die kalten Fliesen zu den Duschen. Über einer Schwingtür in Torsohöhe hing kein Handtuch, also huschte er hinein, unterdrückte ein Zähneklappern und ließ sich die ganzen fünf Minuten heiß abbrausen, rudimentär eingeschäumt. Eilig frottiert, um die gespendete Wärme nicht gleich wieder zu verlieren, wieselte er zu den Bänken hinüber, wo seine frische Kleidung wartete. Dort erhob sich auch Mohawk, lächelte ihm zu. "Na, hast du deine fünf Minuten ausgekostet? Alle Zehen noch dran?" JJ blickte auf seine Füße und nickte. "Vollständig vorhanden. Jetzt suche ich bloß noch eine Koje. Wir sind oben ausgebucht." Sein Appell fruchtete, denn Mohawk, in Jogginghose und T-Shirt (!), stets mit dem Emblem der FDNY, reagierte sofort mit einer Einladung. "Du kannst bei uns pennen! Ein paar Bunker sind noch frei. Hast du deinen Piepser dabei?" JJ schlüpfte rasch in Leibwäsche und Sportanzug. "Ja, draußen, bei meinen Sachen!" "Kannst du auch bei uns aufhängen." Verkündete Mohawk, wies JJ mit einladender Geste den Weg. "Herzlich willkommen bei den Höhenrettern!" Es ging jedoch nicht wesentlich anders zu als ein Stockwerk höher, denn zwischen offenen Regalen mit Material und Einsatzgerät hatte man Feldbetten aufgeschlagen. Auf den meisten lagen Kissen und Decke ordentlich gefaltet, von ihren Nutzern sorgsam übergeben an die nächste Schicht. Mohawk ging in graziöser Leichtigkeit durch den Hindernisparcours, während JJ sich konzentrieren musste, um nicht zu schwanken wie eine Jolle bei heftigem Seegang. Dabei hatte er seine Straßenkleidung schon an einer Querstange aufgehängt! In einem hinteren Winkel, kaum von der Notbeleuchtung erhellt, machte er JJ mit seiner temporären Lagerstatt bekannt. "Uuhh, sehr schön!" Ächzte der Polizist erleichtert und kämmte aufgedrehte, braune Locken aus der Stirn. Jetzt nur noch schlafen... "He." Mohawk drängte ihn an ein Regal, raunte vertraulich. "Sag mal, willst du dich entspannen...oder gleich Augenpflege betreiben?" Und damit JJ seine Frage auch richtig verstand, ging seine Rechte sofort auf Exkursion unter JJs Sporthose. *~* Das war nicht nett. Beziehungsweise fühlte es sich galaktisch an, eine Hand subäquatorial und kundig beschäftigt, während die andere seinen Hinterkopf hielt, seine Zunge sehr gelenkig unterhalten wurde und er sich an der freigiebig ausgestrahlten Körperwärme schadlos halten konnte. Moralisch jedoch AUSGESPROCHEN bedenklich. Wobei JJ nicht sein letztes Bisschen Energie an Protest verschwendete. Er musste schon die Fingernägel in die sehnigen Armmuskeln graben, um nicht in die Knie zu sacken. Mohawk wusste definitiv, was er tat und dieses Ziel verfolgte er auf direktem Weg, unbeirrt. »Das überleb ich nicht!« Befürchtete JJ, denn in diesem Tempo würde er wahrscheinlich gleich umfallen. Der Belagerer seines rudimentären Widerstandes zwecks Selbstbehauptung zog sich aus einem intensiven Kuss zurück und flüsterte. "Halt dich fest, JJ." Da wurde er ja nicht mal gefragt! Frechheit! Andererseits wäre es kleinlich gewesen, sich zu beklagen, wenn ein sehr attraktiver Mann sich auf die Knie begab und vorausschauend bestückt seine Aufwartung machte, mit Kondom, Streicheleinheiten und Leckbrett! JJ konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen aus den zusammengekniffenen Augen rannen, weil er alle Kraft dafür aufwenden musste, nicht aufzustöhnen und sie zu verraten. Er glaubte nicht, dass Mohawk so frech sein würde, gleich das ganze Repertoire durchzuspielen, doch der Kletterer befand sich offenbar auf dem Weg zum K2 und machte keine halben Sachen. Zuckend und zitternd wand sich JJ, seine Arme schmerzten höllisch, ihm den Stand zu sichern und er fand es unmöglich, eigene Ansprüche geltend zu machen. Eingestanden, Mohawks Tempo korrespondierte mit seinem Verlangen, wäre er nicht so vollkommen erledigt gewesen! Die kurze Erleichterung, als dieser sich zurückzog, aufstand, währte auch nur einige, fliehende Herzschläge, dann hatte er JJ atemlos, wenn auch zärtlich die salzigen Spuren vom Gesicht geleckt und ihn passend arrangiert. Sanft bog er JJs verkrampfte Hände um Metallstreben, liebkoste dessen Torso kreisend, fischte dann sein T-Shirt ab und stopfte ihm den kurzen Ärmel zwischen die Kiefer. Der Polizist zitterte, stöhnte in den Stoff und zuckte peitschengleich zusammen, als Backbord das Enterkommando zum Angriff überging. Er schluchzte vor Leidenschaft, Erschöpfung, völlig ausgeliefert, in das Gewebe, tränkte es mit Tränen und Speichel. Zielsichere, kraftvolle Stöße mit geschmeidigem Hüftschwung knipsten kurz darauf sämtliche Lichter aus. *~* JJ brummte protestierend, als neben seinem Kopf seine abgelegte Armbanduhr quäkte. »Wenigstens ist es nicht der Piepser!« Spulte sich ein häufig gehegter Gedanke automatisch ab, noch bevor es ihm gelang, die Decke vom Kopf zu schieben und Wimpern von wirren Locken zu separieren. Über ihm gesellte sich zur Notbeleuchtung ein diffuses Strahlerradial. Stöhnend stemmte sich JJ hoch, wurde durch das Zwacken seines verlängerten Rückgrats rapid daran erinnert, was vor seinem Teilzeitkoma geschehen war. Grimmig pustete der Polizist Strähnen aus seinem Gesicht. Mit diesem Seneca "Mohawk" Whitman würde er ein sehr ernstes Wort reden! "Hmmm?" Neben Armbanduhr und Piepser auf dem Kopfkissen fanden sich zwei Riegel. Schokolade-Erdnuss. Heiß begehrt und schnell ausverkauft. »Hmm!« JJ runzelte die Stirn. »Und wieso liegt hier ein Ajour-Wollpullover auf mir?« Warm, dezent duftend und verführerisch wärmend. Warum ihn sich also nicht auf den Rücken binden? Als er die Rechte anhob, um die Ärmel vor seinem Brustkorb zu verknoten, registrierte er eine weitere mutmaßliche Eigenmächtigkeit seines sehr frisch intim Bekannten. Ein Lederband mit polierten Holzperlen und ziselierten Knochenstückchen war derart eng um sein Handgelenk gebunden, dass es eines Messers bedurft hätte, sich davon zu befreien. "Hmm!" Stellte JJ fest und schüttelte dank der Erholung bei Morpheus die letzten Spuren von Betäubung ab. Wieso hatte Mohawk eigentlich gewusst, wer er war? Kritisch studierte er im blässlichen Lichtkegel, von Regalen mit Schattenwürfen zensiert, sein Handgelenk. "Sieht so aus, als sollte ich besser fix seinen Schichtplan erkunden." Empfahl er sich selbst. "Das Gespräch wird ein längeres werden!" *~* Szene "G" # "Gezieltes Verlangen" von Hinako Takanaga (Tokyopop Deutschland) Shugo Kijima zog seinen Rollkoffer hinter sich her, eine Reisetasche auf dem Buckel, seine Aktentasche quer über seinen Trenchcoat gehängt. Auf dem regionalen Flughafen von Hakodate pfiff nicht nur ein eisiger Wind, er trug schon Schneegriesel mit sich. Er seufzte und folgte der Beschilderung in die Empfangshalle. Für einen Winter auf Hokkaido war er definitiv nicht ausgerüstet, andererseits war er auch nicht auf ein solches Debakel vorbereitet gewesen. Ein krummes Männchen, verschrumpelt wie eine Rosine, weckte seine Aufmerksamkeit, denn der Senior schwenkte in blütenweißen Handschuhen ein Pappschild mit seinem Namen und dem Logo der Fujinoya-Gruppe. Shugo machte sich höflich bekannt mit dem bescheidenen Empfangskomitee (für das er vermutlich dankbar sein musste) und wurde zu einem winzigen Lieferwagen dirigiert. Es schien ihm, als sorge allein sein Gepäck dafür, dass das Spielzeuggefährt schon tiefer auf dem Asphalt stand. Glücklicherweise erwartete der alte Mann keine Konversation, denn Shugo bereitete es schon große Mühe, das lokale Idiom kombiniert mit einer Dentalruine zu dechiffrieren. Am Fenster zuckelte Hakodate vorbei, eine durchaus alte Stadt, zumindest mit historischen Flicken, kein Vergleich mit Tokio. Oder Kioto, wo sich die Zentrale des Fujinoya-Kimono-Handelsunternehmens befand. Durch schmale Gässchen in einem Bezirk führte sie der Weg in gemächlichem Tempo, während sich der Griesel in hartnäckige Flocken verwandelte. Mit Anzug, Trenchcoat und Business-Slippern war Shugo unzweifelhaft nicht gut ausgerüstet, doch darum konnte er sich wohl erst nach Dienstschluss kümmern. Der Wagen hielt vor einem winzigen altmodischen Geschäft, mit hölzernen Schiebetüren und entsprechender Auslage. Alles bescheiden, klein, sauber, jedoch ein wenig trostlos. Gestrig. Bestenfalls nostalgisch. Shugo atmete tief durch und sammelte sein Gepäck zusammen, während das uralte Männchen ihm vorausging. Dort schreckte er auch die amtierende Besetzung der kleinsten Filiale der Fujinoya-Gruppe auf, eine resolute Hausfrau und ihren Sohn, der in unruhiges Oberkörperpendeln verfiel. *~* Deprimierend. Shugo konnte sich nicht entsinnen, bei seinen zahlreichen Touren durch die Filialen im gesamten Land jemals in Hakodate gewesen zu sein. Offenkundig existierte diese Filiale nur, damit man von sich behaupten konnte, auf jeder japanischen Insel von Bedeutung vertreten zu sein. Die Tuchballen waren sorgsam mit Plastikfolie abgedeckt, die zumindest regelmäßig abgestaubt wurde. Die Kimonos befanden sich in den speziellen Schränken mit breiten, niedrigen Laden, immer wieder auf Schädlinge oder gar Schimmel geprüft. Die wenigen Accessoires im Angebot drängten sich in einem Vitrinenschrank, die Obis lagerten eingerollt wie Ledergürtel in Rohren aus poliertem Bambus. Rin, der geistig behinderte Sohn von Frau Sueno, war für Lieferungen und die schweren Arbeiten zuständig. Er konnte kaum sprechen, erledigte seine Aufgabe, eine nach der anderen, jedoch sorgfältig. Frau Sueno oblag die Buchhaltung und hin und wieder auch der Verkauf, wenn sich jemand fand, der etwas benötigte. Doch die Konkurrenz durch die einfachen Yukatas aus Kunststoffgeweben hatte sich auch hier breitgemacht. Shugo bezweifelte, dass der Betrieb genug abwarf, um drei Personen zu ernähren. Er vermutete auch, dass Frau Sueno sich etwas dazuverdiente, indem sie beim Ankleiden der traditionellen Kleidungsstücke half, frisierte und schminkte. Ihre sorgenvollen Blicke verfolgten ihn, doch Shugo beabsichtigte nicht, ihre Nebentätigkeit zu thematisieren, darauf kam es nun wirklich nicht an. Ausgestattet mit einer sorgfältigen Skizze zuckelte er nun zu seiner Unterkunft, eine Privatpension, günstig, in einem erstaunlich ländlich wirkenden Bezirk, mit engen Gassen, einfachen Häusern, dazwischen kleine Parzellen mit Gemüse und bescheidenen Gewächshäuschen. Das temporäre Heim, das ihn, den notorischen Zugvogel, erwartete, war keineswegs historisch. Ein gesichtsloses Reißbrett-Einfamilienhaus, die besten Jahre schon hinter sich, hier und da behelfsmäßig ausgebessert. Bevor er noch die Klingel drücken konnte, wurde die Innentür geöffnet. Ein Hund mit einem geradezu diabolischen Grinsen bellte exakt einmal, dann hing die Zunge weit heraus und bildete mit den spitzen Ohren ein schlankes Dreieck der guten Laune. "Guten Tag." Ein schmaler Mann stellte sich neben den Hund, die Fingerspitzen zwischen dessen Ohren. "Sie sind bestimmt Herr Kijima! Bitte, kommen Sie doch herein!" "Vielen Dank!" Shugo kämpfte mit seinem Gepäck, stellte es dann im Vorraum ab, um sich formell vorzustellen, die obligatorische Visitenkarte mit beiden Händen präsentierend. Und dort hing sie, in der Luft, wie er selbst. "Oh!" Sein Gastgeber lachte leise. "Verzeihung, wie unhöflich von mir. Wären Sie so nett, mir vorzulesen?" In diesem Augenblick erst registrierte Shugo beschämt, dass sein Gastwirt Aki Shimada blind war. *~* Shugo zog kräftig am Glockenstrang, klatschte in die Hände und bat mit gesenktem Haupt die anwesenden Götter ebenso zerknirscht wie inständig um Glück. Er hatte es nötig. Nicht nur das Ende seiner erfolgreichen Karriere durch eine Strafversetzung in diese trost- und vermutlich auch hoffnungslose Filiale, nein, sein BLINDER Vermieter führte nicht mal eine Pension! Er hatte schlichtweg Haus und Telefonnummer des Vorbesitzers übernommen, wusste nichts von dessen Zubrot, fand die Idee jedoch reizvoll, einen Hausgast zu beherbergen. Eine Premiere! Smiley tippte ihn höflich mit der Schnauze in die Kniekehle. »Gehen wir!« Übersetzte Shugo die Aufforderung von Akis Assistent und atmete tief durch. Eiskalt, wie Skalpellschnitte in den Lungen. Um das Positive hervorzukehren: der Schneefall hatte geendet. Aki wartete geduldig, einen Blindenstab ebenso bei sich wie das Geschirr auf Smileys Rücken. Trotzdem hängte er sich ungefragt bei Shugo ein, der mit Blinden nicht sehr vertraut war. "Vom Schrein aus ist es nicht mehr weit, nur noch die Gasse herunter und dann bei der Steinlaterne den Pfad zur Rechten hinunter." Wies er Shugo an. Seinem feinen Gespür war dessen Stimmung zwischen Resignation und aufkreischender Verzweiflung nicht entgangen, weshalb er mit einem Lächeln angeboten hatte, doch vor dem Abendessen ein nahe gelegenes Onsen aufzusuchen, unter freiem Himmel, mit Blick auf die Sterne, rustikal zwar, aber eine wundervolle Gelegenheit, die Nachbarschaft kennenzulernen! Da Shugo wirklich fror in seiner unzureichenden Bekleidung, mit den Nerven nur noch auf einem Drahtseil über dem Abgrund der Hysterie balancierte und EINE Wohltat an diesem grauenvollen Tag bitter nötig hatte, stimmte er sofort zu. Abgesehen davon hatte er sehr lange kein richtiges Onsen mehr besucht. An der Abzweigung endete die Straßenbeleuchtung, stattdessen hatte man Katzenaugen und fluoreszierende Steine an einem Tau befestigt, das an Pfosten entlang den Handlauf ersetzte, damit man nicht auf den Trittsteinen ausglitt, die von einem dichten Moosteppich eingerahmt wurden. Der verschlungene Pfad führte an einer Stallwand, immergrünen Büschen und mühsam gebändigtem Bambus vorbei zu einem Holzgebäude, einer niedrigen Scheune nicht unähnlich. Auf kleinen Täfelchen wurde der Besucher darauf hingewiesen, welchen Eingang er zu nehmen hatte, Männlein rechts, Weiblein links. Smiley marschierte sicher voraus, ebenso geschmeidig folgte Aki, nur Shugo stolperte ein ums andere Mal über die groben Steinplatten, die man aneinander gelegt und ausgefugt hatte. Ein Windlicht erhellte eine Grubenlaterne, überall standen niedrige Kunststoffhocker vor einer halbhohen Mauer, die aus Rohren unentwegt Wasser in eine Bodenrinne spuckte. Gleich neben der Eingangstür fanden sich ebenso ungeordnet Plastikkörbe und -taschen, die man auf kleine Borde stellen oder an Nägel hängen konnten, um seine Kleidung trocken aufzubewahren. Smiley schob einen Weidenkorb zu Aki, der aus seinem Rucksack Badelatschen, ein Seifenstück an der Kordel und zwei Handtücher beförderte. Ein kleiner Lappen für das Badevergnügen im Onsen selbst machte den Abschluss. Shugo wählte sich ebenfalls einen Korb ("wenn du in Rom bist, handle wie die Römer"), entkleidete sich hastig, um nicht zu viel Körperwärme zu verlieren, folgte dem flinken Aki an die Batterie der Hocker. Das Wasser sprudelte sehr warm, schäumte das teure Waschgel auch gut auf, sodass Shugo durchaus geneigt war, diesen Tag nicht komplett aus den Annalen zu streichen. Als höflicher Mensch offerierte er Aki auch eine Rückenmassage, diente sein Waschgel an. Beides wurde mit einem amüsierten Lächeln akzeptiert. Anschließend ging es hurtig, waschlappenbewehrt, zum Einsinkbecken, mit Natursteinen gemauert. Außen hatte man Steinlaternen mit Öllichtern illuminiert, sodass ein warmer Glanz auf der Wasseroberfläche tanzte. Von der anderen Seite, durch einige Büsche und Bambushecken separiert, klangen Frauenstimmen herüber, gedämpft, unverständlich. Shugo erkannte das Pendant des Frisiersalons, die örtliche Nachrichtenbörse, deshalb entbot er artig Grüße, machte sich bekannt in seiner neuen Nachbarschaft. Die zumeist älteren Semester erwiesen sich als ebenso neugierig wie hartnäckig. Da half keine falsche Scham, er gestand frei heraus, dass er versetzt worden war und nun die Filiale (welch pompöser Ausdruck für das in Dornröschenschlaf versunkene Lädchen!) leiten sollte. Schon befand sich Shugo in einem lebhaften Diskurs über die Hauptstadt, das moderne Leben, die veränderten Gewohnheiten und die Zufriedenheit seiner Badenachbarn darüber, NICHT nach Tokioter Takt funktionieren zu müssen. Ohnehin war man hier immer ein wenig anders, von fremden Einflüssen durch die Funktion als "Auslandshafen" seit Alters her geprägt! Eine knappe halbe Stunde später, wieder angekleidet, hatte er Einiges über seine Nachbarn, ihre Leibspeisen, die täglichen Gewohnheiten, das beste Gemüse der Welt und die Familienverhältnisse erfahren, war zumindest vorläufig wohlwollend als zukünftiges Gemeindemitglied akzeptiert worden. "Schön, nicht wahr?" Aki ging an seiner Seite untergehakt, sein milchig-trüber Blick wies jedoch himmelwärts, wo die schneidend klare Luft wahrhaftig Sterne ans Firmament zauberte! In Tokio blieben sie lediglich Gerücht. Eine Stadt, die niemals ruhte, konnte weder Dunkelheit, noch einen schwärmerisch-unproduktiven Blick in die Luft gebrauchen. "Ja, sehr schön." Shugo legte den Kopf in den Nacken, genoss diesen unvertrauten Anblick, verließ sich auf den blinden Mann an seiner Seite, ihre Schritte nicht in Hindernisse zu lenken. "Ich habe einen Eintopf aufgesetzt, viel Gemüse von den Nachbarn." Versprach Aki einen weiteren Höhepunkt des ersten Tages in Hakodate. "Das klingt ganz wunderbar!" Bekannte Shugo und fühlte sich zum ersten Mal seit zwei Tagen wieder auf dem richtigen Pfad. *~* Über Nacht hatte es ausgiebig geschneit, was Shugo vor ein Problem stellte: wie zum tristen Arbeitsort kommen, ohne sich nasse, eiskalte Füße in seinen Slippern zu holen? Aki hatte selbstredend eine Antwort: er überreichte Shugo zwei Badehauben, jedoch aus altem Frotteestoff, die dieser sich um die Schuhe binden sollte. Zu Shugos Verblüffung funktionierte diese Methode durchaus, und er konnte sich mit Regenschirm und drei T-Shirts unter Hemd und Anzugjacke auf seinen Weg machen. Er nutzte den Vormittag, um sich mit den Auftrags- und Abrechnungsbüchern vertraut zu machen, unter den bangen Augen von Frau Sueno. Es gab keine Beanstandungen zu treffen, sah man von der desolaten Nachfrage ab. Um allen Beteiligten ein wenig Bedenkzeit zu gewähren, entschied Shugo, sich nach einem Spaziergang durch die nähere Umgebung ein Mittagessen zu verschaffen. Es gehörte schließlich zu seinen Aufgaben, die Konkurrenz (haha!) und die gesamte Atmosphäre zu erkunden, auch wenn er diesen Pioniergeist lange nicht mehr hatte bemühen müssen. Die Claims waren dort, wo es etwas zu ernten gab, längst abgesteckt. Sein Flaniergang, noch immer mit den Badekappen-Überschuhen ausgerüstet, kam zu einem abrupten Ende vor einem Buchladen, denn in der Auslage fanden sich nicht nur Aufsteller mit Büchern, sondern auch aus Kimono- und Obi-Stoffen gefertigte Einzelstücke, dazu Schmuckstecker und Dekorationskämme! Sofort betrat er das Geschäft, gab sich als interessierter Kunde zu erkennen, durfte sich in einem Holzkasten die zum Verkauf deponierten "Up-Cycle"-Produkte ausgiebig betrachten. Man verkaufe sie in Kommission, alle lokal handgefertigt! Ja, und auch die hübschen Papierpüppchen mit den verschiedenen Kostümen! Die verwendeten Stoffe waren sehr edel, gewebte Muster, nicht bloß Farbdruck. Shugo fragte sich, wer die Kimonobahnen zu diesen Accessoires umfunktioniert hatte. Sie waren bunt, jedoch hochwertig verarbeitet, ein beeindruckendes Flickwerk erster Güte. Auch die übrigen Artikel, aus Bambus oder Papier gefertigt, sogar farbige Glasscherben, waren mit Geschick einer neuen Existenz zugeführt worden. "Ich kann Ihnen gern die Visitenkarte des Kunsthandwerkers geben!" Beeilte sich die junge Verkäuferin, ihm zur Hilfe zu eilen. Eine durchweg normale Reaktion, wenn Shugo sein patentiertes Lächeln aufsetzte. Mit einem aufrichtigen Dank nahm er das verstärkte Kärtchen höflich in beide Hände. *~* Frau Sueno hatte Verständnis, tätschelte Rin beruhigend den kräftigen Oberarm, der den nach Luft ringenden neuen Geschäftsführer verstört ansah. Wenn man es nüchtern betrachtete, konnte durchaus der Eindruck entstehen, sie habe ein klein wenig bei den Informationen geknausert. Um sich nicht erneut diesem Vorwurf auszusetzen, teilte sie dem aufgebrachten, jungen Mann aus Kioto auch gleich die neusten Gerüchte aus der Filiale aus Tokio mit. *~* Shugo war trotz leichtem Schneefall, einsetzender Dunkelheit und mangelnder Ortskenntnis wie besessen durch die schmalen Gassen marschiert. Ohne Ziel, ohne Absicht, ohne Plan. Nein, er musste einfach laufen, Schritt um Schritt, immer in Bewegung, bloß nicht stillstehen. Denn dann holten ihn seine Gedanken ein, was unweigerlich zu einem heftigen Ausbruch führen würde. Das war nicht seine Art. Cholerisch herumzubrüllen, Schuldzuweisungen auszuteilen, sich lautstark zu echauffieren, Szenen zu machen. Jetzt gerade stand er nur noch Millimeter davor, zu genauso einem Wüterich zu mutieren, was ihm auch noch Selbstverachtung einbringen würde. Als er in eine weitere Gasse einbiegen wollte, blockierte ihm unerwartet Smiley den Weg, im Geschirr, quasi als Fußnote hintendrein Aki. Atemlos, immer noch aufgewühlt, starrte Shugo den blinden Mann an, blies deutliche Wolken in die Luft. Schließlich offerierte ihm Aki einen Satz Handschuhe, dazu Mütze und Schal, sehr bunt und zweifelsohne selbst gestrickt. Shugo gab sich einen Ruck und nahm die Leihgaben an sich, staffierte sich aus. "Gehen wir noch ein Stück." Schlug Aki ruhig vor, winkelte auffordernd den Arm an, damit sich Shugo bei ihm einhaken konnte. Smiley bellte einmal ermahnend, dann gab er auch bereits das Tempo vor. Er wusste zumindest, wo er hin wollte! Langsam beruhigten sich Shugos ausgefranste Nerven. Was hatte Aufregung auch für einen Sinn? Müdigkeit und eine schleichende Verzweiflung zehrten an seinem Energiepolster, das zuverlässig für gute Laune und Hoffnung sorgte. Bis dato. "Frau Sueno war sehr besorgt, dass Sie sich erkälten könnten." Erklärte Aki sanft. "Sie bedauert, dass diese Neuigkeiten Sie so getroffen haben. Das war nicht ihre Absicht." Shugo seufzte leise. "Sie hat sich nichts vorzuwerfen, im Gegenteil! ICH habe mich unmöglich gemacht und werde mich gleich morgen in aller Form entschuldigen." Abrupt hielt er in ihrem ambitionierten Schritttempo inne, bremste auch Smiley im Geschirr ab, der einen leisen Kollerlaut der Kritik entweichen ließ. Den Arm aushakend aus ihrer vertrauten Verbindung wich Shugo ein wenig zurück, verbeugte sich automatisch und entschuldigte sich sehr förmlich bei seinem Gastgeber. Steif, zerknirscht, beschämt. Umso verblüffter war er, als ein flauschiger Wollhandschuh sich zielsicher seiner Wange näherte, sie wärmte. "Herr Kijima, es besteht keine Notwendigkeit, so förmlich zu sein. Ja, ich gebe zu, es stimmt mich traurig, denn ich hatte sehr gehofft, dass wir gute Freunde werden können. Und was mein Kunsthandwerk betrifft, da haben wir einfach zu wenig Zeit gehabt, uns besser kennenzulernen. Sie sind schließlich erst seit gestern hier." Diese entwaffnenden Worte setzten Shugos Abtauchstrategie schachmatt. Floskeln wie Nebelbomben werfen und türmen, das funktionierte hier nicht. "Tut mir leid." Murmelte er mit herabgesackten Schultern. "Gerade bin ich mit meinem Latein am Ende. Komplett und vollkommen." Ergänzte er ein wenig bitter. "Vielleicht kann ich für Abhilfe sorgen." Aki lächelte verschmitzt und trat auf Shugo zu, wanderte mit der Hand über die Schulter zum Ellenbogen, drehte sich leicht, um sich einzuhängen. "Ich glaube, wir sollten einen guten Freund aufsuchen!" *~* Smiley schmatzte zufrieden kauend vor sich hin. Er liebte Fisch! Auf Barhockern an einem bescheidenen Tischchen in der Ecke leisteten ihm Aki und Shugo Gesellschaft. Sie hatten sich aber für die geräucherte und in Teig ausgebackene Variante der Fischliebhaberei entschieden. Shugo nippte an seinem kleinen Bier und seufzte geschlagen. Gutes Essen, Wärme, eine gemütliche kleine Kneipe mit einfachen, aber leckeren Speisen, unaufdringliches Publikum und KEINE Maids- was wollte man mehr?! Da musste sogar seine Weltuntergangsstimmung die Segel streichen. Aki agierte geschickt mit Stäbchen, Bierglas und den Schälchen und Tellerchen, auf denen ihre Mahlzeit angerichtet worden war. Mehr als einmal ertappte sich Shugo dabei, ihn anzustarren, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie der junge Mann so selbstsicher ohne Augenlicht in seinem Alltag zurechtkam. "Jetzt ist es schon besser, oder, Shugo?" Erkundigte der sich mit einem verschmitzten Lächeln, hob das Bierglas an. Obwohl er zwei Jahre jünger als Shugo war, hatte der darauf bestanden, die Formalitäten zu verabschieden, denn gerade jetzt hatte er einen Freund dringend nötig und wollte ganz sicher nicht Akis Hoffnungen auf eine gedeihliche Gemeinschaft vereiteln. "Ja, das ist wirklich wunderbar." Pflichtete ihm Shugo mit einem schiefen Grinsen bei. "Fürchterlich, ich bin schon mit einem guten Essen rumzukriegen!" Aki lachte auf, zwinkerte. "Also ist Hakodate für den weit gereisten Herrn aus Kioto gar nicht so entsetzlich?" Shugo wurde ernst, pickte eingelegtes Gemüse auf und kaute nachdenklich. Aki schien seine Kontemplation zu spüren, denn er bestand nicht auf einer eiligen Antwort. Entschlossen, gefasst, sortierte Shugo endlich seine Stäbchen auf die kleine Ablagebank, feuchtete seinen plötzlich trockenen Mund mit einem weiteren Schluck Bier an, bevor er sich räusperte. "Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich dir gern erzählen, was vor drei Tagen passiert ist und warum ich hierher gekommen bin." *~* Shugo hielt sich nicht für einen Helden oder jemand Besonderen. In erster Linie war er ein Verkäufer, dem das Reisen gefiel, der sich nicht binden mochte und gern mit Menschen in Kontakt war. Ja, er liebte seine Arbeit und verschmerzte, dass sein Privatleben quasi nicht-existent blieb. Er kannte zwar viele Leute, doch engere Beziehungen gab es selten, dazu fehlten Zeit und Gelegenheit. Und wenn sie sich bot, ja, das tat sie gerade, waren die Umstände derart kompliziert, dass er eine Wahl treffen musste... Manche mochten glauben, dass er extrem ehrgeizig war und deshalb eine beispiellose Karriere hingelegt hatte, doch tatsächlich gefiel Shugo seine Aufgabe, weshalb er sie sehr gut ausfüllte, was nicht unbemerkt blieb. Mitte Dreißig gehörte er zu den festen Stars der Hauptzentrale in Kioto. Er war beliebt, selbst bei seinen konkurrierenden Kollegen. Das Leben meinte es einfach gut mit ihm. Bis vor drei Tagen. Eine Einladung zum Mittagessen von seinem direkten Vorgesetzten, einem unsicheren und deshalb häufig launischen Mann. Shugo verspürte kein besonderes Verlangen, mit ihm vertrauter zu werden, doch zu seiner vollkommenen Verblüffung gesellte sich Herr Shudo, Präsident und Direktor des Fujinoya zu ihnen. In dezenten Andeutungen wurde ihm auferlegt, die Gesellschaft des ältesten Sohnes, Reiichiro, zu suchen, der die Filiale in Tokio seit Kurzem führte. Und nicht nur eine sehr lukrative Eheschließung abgelehnt hatte, sondern von Zuhause ausgezogen war! Shugo verstand genau, was man von ihm erwartete: er sollte Reiichiro ausspionieren, um herauszufinden, wer den braven, unbeholfenen Vorzeigesohn in einen widerspenstigen, eigensinnigen Mann verwandelt hatte. Es war ehrabschneidend. Ihm zuzutrauen, um einiger unausgesprochener Vergünstigungen willen zum Spion, Aushorcher und Verräter zu werden, ganz abgesehen davon, dass Shugo sehr wohl wusste, warum Reiichiro sich so verändert hatte. Also hatte er höflich diese verklausulierte Aufforderung abgelehnt. Man war konsterniert. Die Atmosphäre schlagartig frostig. Damit erreichte der Tag jedoch noch nicht seinen Tiefpunkt, denn in der verständlichen Panik, für Shugos Weigerung persönlich verantwortlich gemacht zu werden, verfiel sein Vorgesetzter in einen hysterischen Wutausbruch vor versammelter Mannschaft im Großraumbüro. Shugo schwieg, senkte aber weder wie ein ertappter Sünder den Kopf demütig, noch zeigte er irgendwelche Anzeichen von Reue oder Einsicht. Schnüffeln, Spitzeln, Freunde verraten: so etwas tat man nicht. Er musste also seine Sachen sofort packen und sich am nächsten Tag in der kleinsten, hoffnungslosesten und entferntesten Filiale des Unternehmens einfinden. Beherrscht leistete er dieser Aufforderung Folge, packte unter den fassungslosen, entsetzten Augen seiner Kollegen und Kolleginnen seine Habseligkeiten zusammen, verabschiedete sich knapp, bevor er ging. Noch vor dem Gebäude setzte er eine warnende Mitteilung an seinen ehemaligen Auszubildenden Jinnai ab, sich vor Spitzelei dringend vorzusehen, dann schaltete er sein Mobiltelefon ab und war entschlossen, es nicht mehr zu aktivieren. Beileidsbekundungen, Mitgefühl, das wollte er weder hören, noch lesen. Jetzt ging es ihm bloß darum, Haltung zu bewahren, nicht einzuknicken, sich selbst leid zu tun. Auch wollte er nicht riskieren, durch eine Indiskretion seinen Liebhaber zu gefährden, der schließlich die gesamte Macht des Fujinoya-Konzerns benötigte, um sich gegen das fortgesetzte Mobbing der Branche zu wehren. Dieser Entschluss kostete ihn viel Kraft, doch er ermahnte sich streng, dass er selbst in prekären Lagen nur auf sich selbst gebaut hatte. Er durfte Yuzuki Ichikawa nicht mit in den Abgrund reißen! Und nun hatte er nicht mal viel Arbeit, um sich abzulenken! In Hakodate häuften sich dann die kleinen Fettnäpfchen (beim Buchen hätte man vielleicht doch ganz kurz auf dem Mobiltelefon nachsehen sollen, ob die Pension noch existierte, die man aus einem alten Reisekatalog wählte) bis zum heutigen Tag, wo all seine Tapferkeit und aufrechte Haltung vergebens schien, da Reiichiro gekündigt hatte und Jinnai zum Ende des Monats das Unternehmen verlassen musste. *~* Aki nickte bedächtig. "Das ist ja wirklich sehr verwickelt. Besteht denn jetzt nicht die Möglichkeit, dass man dich schnell zurückholt? Wenn gleich drei gute Leute gehen?" Shugo seufzte, kraulte Smiley zwischen den aufgestellten Ohren, was dieser besonders mochte und noch vehementer grinste als üblich. "Unwahrscheinlich. Das hieße ja, dass sie sich geirrt hätten. Und auch wenn die alten Römer schon verbreitet haben, dass Irren menschlich ist, bei den Firmengöttern gilt das nicht." Zu seiner Überraschung lachte Aki leise auf. "Sieh an, die alten Römer? Du hast nicht nur Humor, sondern bist auch sehr belesen, hm?" "Na ja." Etwas verlegen wischte sich Shugo Strähnen aus der Stirn. "Ich bin eben viel unterwegs, da bleibt ein bisschen Zeit in der Bahn oder abends im Hotel, um sich abzulenken." "Das stimmt." Pflichtete Aki ihm bei und orderte zum Abschluss Pflaumenschnaps, bevor sie die gemütliche Kneipe verließen. Wieder zuckerten Schneeflocken leise vom nächtlichen Himmel. Eingehakt spazierten sie gemächlich durch die engen Gassen, sicher geführt von Smiley, der hin und wieder nach einem Schneekristall haschte. "Das ist ein sehr selbstloser Entschluss." Stellte Aki leise fest, gedämpft durch den Schalwickel. Verlegen zuckte Shugo mit den Schultern, übertrug durch die Geste seine Stimmung. "Weißt du, eigentlich hatte ich ja keine Wahl." Ein schiefes Lächeln begleitete seine Worte. "Jinnai und Reiichiro sind mir beide ans Herz gewachsen, ich betrachte sie als Freunde. Davon habe ich bei meiner Arbeit nicht besonders viele. Wie hätte ich sie verraten können, wo ich gerade selbst gemerkt habe..." Er vollendete den Satz nicht, jedoch würde Aki schon richtig verstehen, dass der schutzbedürftige Yuzuki Ichikawa ihm trotz ihrer kurzen Bekanntschaft so viel bedeutete, dass er sich in dem anderen Paar wiedererkannte. Aki an seiner Seite schwieg gedankenversunken, was es Shugo erleichterte, keine Konversation zu forcieren. Ungehindert erreichten sie das Haus, klopften sich den Schnee ab, traten ein. Nachdem sie einige Hüllen zwiebelgleich abgestreift hatten, nahm Aki Shugos Hand und führte ihn zielsicher in einen kleinen Anbau, unbeheizt, alte Glasfronten mit Decken abgehängt. Dort befand sich also die Werkstatt, wo alles entstand. In Kisten, Tüten, Körben, auf Kleiderbügeln und an Leinen sammelten sich "Werkstoffe", die auf ihre Wiedergeburt warteten, dazwischen Wolle, Nähgarn, Knöpfe, verschiedene Werkzeuge zum Bearbeiten von Holz oder Bambus, Zwingen, Zangen, allerlei Metallgut, Papier in Bündeln... eine ganze Schatzkiste voll. "Unglaublich!" Murmelte Shugo überwältigt, denn er kannte durchaus die Web- und Färbestuben ihrer Lieferanten. Doch dieses Arbeitsumfeld konnte daran nicht anknüpfen. "Mein guter Helfer." Aki präsentierte ihm einen kleinen Scanner, der bei Kontakt laut die mutmaßliche Farbe ansagte. Verschmitzt ergänzte er. "Gelegentlich wird es aber doch ein wenig schrill, weil ich Farben ja nicht kenne. Ich stelle mir bloß vor, wie sie sind, wenn ich etwas berühre, was diese Farbe hat." "Mir haben deine Einzelstücke in dem Buchladen sehr gut gefallen!" Sofort sprang Shugos "Menscheln-Gen" an, Komplimente machen, Gemeinsamkeiten suchen, um Sympathie werben. "Dann kommen wir ja vielleicht doch ins Geschäft, Herr Filialleiter!" Schnurrte Aki zwinkernd, bevor er ernsthaft ergänzte. "Ich wollte, dass du es siehst. Ich möchte nichts verschweigen." "Danke schön." Shugo drückte freundschaftlich die Hand, die ihn angeleitet hatte. "Also dann!" Aki erwiderte den Händedruck. "Ab morgen haben wir Einiges zu tun! Du brauchst unbedingt geeignete Winterkleidung, mein Freund. Danach werden wir mit Frau Sueno und Rin beraten, wie wir hier in Hakodate ein wunderbares Kimono-Geschäft mit kleinen Extras auf die Beine stellen! Vielleicht können wir ja auch ein ganz spezielles Talent abwerben, um hier eine richtige Künstlerkolonie aufzubauen!" "Aye, aye!" Salutierte Shugo spiegelverkehrt mit der freien Hand und lachte auf. Ja, plötzlich fühlte er sich wieder gut, mit beiden Beinen auf der Erde. Hakodate war vielleicht genau der richtige Ort um herauszufinden, ob er nicht doch gegen die Gemeinheiten des niederträchtigen Schicksals ein paar Asse im Ärmel hatte! *~* Szene "H" # Home Drama von Akemi Takaido (Dear+ Comics, Shinshokan, Japan) Ryuuzou räkelte sich ausgiebig, fühlte sich am frühen Nachmittag nach einer langen Nachtsitzung über dem neuen Skript wieder frisch genug, um neue Taten auszuhecken. Hauptsächlich drängte es ihn, die Abwesenheit seiner Brüder auszunutzen, um ihrem "neuen" Bruder und Haushälter Shinosuke ein Schäferstündchen anzubieten! Ärgerlicherweise fand er statt seines heimlichen Liebsten nur einen profanen Notizzettel vor, der ihm mit Bildern (!) erklärte, wie man die Mikrowelle bediente, damit er sich sein Frühstück/Mittagessen erhitzen konnte. Shinosuke hielt sie wohl alle für lebensuntüchtig! "Und recht hat er!" Lachte Ryuuzou leise in sich hinein. Der Männerhaushalt hatte seit jeher für den gesamten Haushalt externe Hilfe angeheuert. "Tja, Madame Fortuna ist eben eine missgünstige Schlampe!" Stellte er sich fest und befand, es könne sich doch auszahlen, erst mal den leeren Magen zu füllen und dann auf die zeitige Rückkehr ihres Haushälters zu warten. *~* "Willkommen zurück, Liebling!" Tönte es Shinosuke entgegen. Ryuuzou erwartete ihn bereits im Eingang. "Willst du ein heißes Bad, Sake oder lieber gleich mich vernaschen?" Hier wurde es gefährlich! Shinosuke reagierte also betont forsch. "Gut, dass du auf bist, Ryuu. Hilf mir doch bitte mal mit den Einkaufstaschen!" Für einen fünfköpfigen Haushalt die Versorgungslage aufrecht zu erhalten forderte beinahe einen Lastesel! Ryuuzou ließ das taktische Foul gelten, denn Shinosuke gleich an der Haustür von den Füßen zu holen, wäre diesem wahrscheinlich etwas zu frech. Der legte als gelernter Karatekämpfer und Teezeremonienmeister durchaus Wert auf eine gewisse Disziplin und Würde. Nachdem alle Waren verstaut waren, bot sich die nächste Gelegenheit, auf Tuchfühlung zu gehen. Shinosuke, im Arbeitsmodus, brachte jedoch geschickt einen Wäschekorb zwischen sie und orderte streng. "Wo ist deine Buntwäsche?! Alle anderen haben ihre Sachen abgeliefert, warum du nicht?!" "Oh, gestrenger Zuchtmeister, ich erflehe deine Vergebung und enteile, das Versäumte nachzuholen!" Zwitscherte Ryuuzou amüsiert und keineswegs zerknirscht, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte. "Ich glaube, dein Kopf steckt noch im Drehbuch." Beschied Shinosuke betont knapp. "Ah!" Ryuuzou schnurrte förmlich, schlängelte heran. "Ich darf aber nichts verraten! Obwohl, bei strenger Befragung und süßer Folter...!" "Ah was." Betont nüchtern winkte Shinosuke ab. "Das würde ja den ganzen Spaß verderben! Und Goroku könnte ich das nicht antun!" Der jüngste Bruder lebte förmlich jede Folge der ungewöhnlichen Fernsehserie mit, weshalb es auch ein Vergnügen war, MIT ihm auf die Glotze zu starren. Die Serie entstand unter großer Geheimhaltung, das Skript wurde wöchentlich für die Folge geschrieben, morgens von einem Boten abgeholt. Dann mussten die Schauspielenden mit Minimalangaben agieren und durften erst nach Hause gehen, wenn abends die Ausstrahlung erfolgt war! Auch wenn er in Shinosukes Augen gelegentlich wie ein Höhlenbewohner mit ebensolchen Gewohnheiten wirkte, der 28-jährige zweite Sohn der Familie, Ryuuzou, war bereits bekannt für seine Drehbücher und Kurzgeschichten. Zumeist arbeitete er zu Hause, des Nachts, was es für Shinosuke erschwerte, sich den Annäherungsversuchen zu entziehen. Nicht, dass er dem Liebesgeständnis nicht geglaubt hätte oder die neuen Erfahrungen mit einem ERSCHRECKEND versierten Liebhaber nicht zu schätzen wusste, aber Arbeit war eben Arbeit, und Schnaps war Schnaps! Und seine Arbeitsstunden endeten erst um 9 Uhr abends, also kein Herumgeturtel! Ryuuzou teilte diese rigorose Einstellung keineswegs, denn mit Shinosukes Einzug in den Männerhaushalt war das fehlende Element endlich gefunden, das sie alle verband und jeden Tag für Aufregung und Amüsement sorgte. Weshalb die strenge 9 Uhr-Grenze auch nicht eingehalten wurde, schließlich war Shinosuke ja der "neue" Bruder durch die Verlobung ihrer Eltern! Da konnte man auch ein gemeinsames Bad fordern, über das Tagesgeschehen diskutieren, Hilfe bei kleinen Problemchen suchen! Ryuuzou befand, dass er viel zu oft dabei den Kürzeren zog, weshalb er sich ja ganz zwangsläufig genötigt sah, die strenge Arbeitsethik seines Geliebten zu torpedieren. Shinosuke füllte die Waschmaschine auf, klappte den Deckel herunter und gab das Startsignal. Dann nutzte er die gewonnene Arbeitsfläche, um rasch den Berg der trockenen Handtücher zu falten. Unerwartet eng lehnte er plötzlich an der sanft vibrierenden Waschmaschine, Ryuuzous Bein in seinem Schritt, ein Arm bereits um seine Taille geschlungen, der andere unter seinem Sweatshirt. "Was...?! Hör auf!" Protestierte Shinosuke hastig, doch gegen Ryuuzous perfide Technik hatte er keine Chance. In der Tat hatte Ryuuzou früh in seiner Pubertät erkannt, dass er sich ausschließlich für seine Geschlechtsgenossen erwärmen konnte und seine Lebensjahre durchaus damit ausgefüllt, eine Menge nützlicher Erfahrungen zu gerieren. Ihm kam darüber hinaus zupass, dass Shinosuke lediglich in seiner Studienzeit Freundinnen gehabt hatte, nicht viel praktische Erfahrungen aufweisen konnte UND ungeheuer sensibel auf Zärtlichkeiten reagierte. "Ryuu, lass das!" Vergeblich versuchte Shinosuke nun, sich aus der wahrhaftigen Klemme zu befreien. Weder Ryuuzous Hände noch die Vibrationen an seiner Front in neuralgischer Höhe ließen ihn kalt! Für einen Karateka eigentlich kein Problem, doch wenn es Ryuuzou betraf...! Dann wurden Shinsoke tatsächlich die Knie weich, er zitterte am ganzen Körper und war unfähig, diesen frechen Charmeur zu vermöbeln! Ryuuzou küsste weiche, warme Haut, schmiegte seine Wange an die prächtigen, schwarzen Strähnen und setzte seine Ministrationen fort. Mit jedem fliehenden Atemzug, unterdrückten Keuchen, entschlüpften Stöhnen wusste er exakt, wie er Shinosuke Vergnügen, nein, Ekstase bereiten konnte. Außerdem hat ein wenig Naschen noch nie jemandem geschadet! *~* Shinosuke blinzelte so lange, bis er die Zimmerdecke wieder klar erkennen konnte, seufzte innerlich, denn es war keineswegs die Decke seines Zimmers. Er lag auch nicht auf seinem adrett gefalteten Futon, sondern auf dem verwüsteten Lotterbett des notorischen Ryuuzou! Der genoss gerade eine Zigarette, die Mähne lässig zerzaust, von einigen Malen geziert, die bewiesen, dass Shinosuke sich nicht ganz kampflos ausgeliefert hatte. "He..." Ryuuzou streckte die freie Hand aus und glitt mit dem Handrücken sanft über Shinosukes Wange. "Du hast meine Arbeit gestört!" Schimpfte der empört, stemmte sich hoch, wollte sich energisch aus dem Sündenpfuhl empfehlen und sackte wie ein neugeborenes Fohlen neben dem Bett in sich zusammen. "Pausen sind bei der Arbeit sehr wichtig." Versetzte Ryuuzou grinsend mit oberlehrerhaftem Tonfall. "Ganz besonders zur Erholung." "Seh ich erholt aus?!" Fauchte Shinosuke und kämpfte sich in die Höhe. Leider hielt der knauserige Ryuuzou doch tatsächlich das Laken fest! "Das kränkt mich jetzt." Prompt ließ Ryuuzou mit äußerst betrübter Miene den Kopf sinken, schniefte. "Ehrlich, ich fühle mich verkannt und vernachlässigt! Gestern hast du mit Goroku gebadet! Mit Kouji warst du Maßanzüge bestellen! Und für Kyougo hast du extra einen Kuchen gebacken! Bin ich jetzt außen vor?! Hasst du mich, weil ich den Butler ermordet habe?!" Shinosuke verzog ärgerlich das Gesicht. "Jetzt sei doch nicht so kindisch! Dass du den Butler abgemurkst hast, war echt eine Sauerei! Versetz dich doch mal in meine Lage! Würdest du es toll finden, wenn ich nachts, während du unter Zeitdruck an deinem Skript herumbastelst, über dich herfalle?!" "Ah!" Ryuuzou grinste und setzte zu einer Entgegnung an, doch Shinosuke schnellte wacklig vor, hielt ihm den Mund zu. "Ich will's nicht hören!" »Auch gut!« Dachte Ryuuzou begeistert, denn nun war Shinosuke wieder in Reichweite, konnte auf das zerwühlte Bett gezogen und verwöhnt werden! Da halfen auch keine Proteste, die Ryuuzou kundig versiegelte, bis Shinosuke ihn nur noch mit glasigem Blick anvisierte, heftig atmend. "Shin..." Er dippte ein Küsschen auf eine dezent glühende Nasenspitze. "Ich liebe dich. Und ich gehe ein wie eine Primel, wenn ich dir nicht nahe sein kann." Shinosuke grollte, grub eine Hand aus und kniff Ryuuzou heftig in die Nase. "Ich warne dich, Ryuu! Wenn du noch einmal die öligen Zeilen eines deiner Fernsehdramen vor MIR wiederholst, dann werde ich dir Unkrautvernichter überkippen, du PRIMEL!" Ryuuzou lachte trotz gequältem Riechkolben laut auf, strahlte auf Shinosuke herab. "Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe." Stellte er lächelnd fest. Mit jedem Blick, jeder Geste, ihren Auseinandersetzungen und Herausforderungen, jeden einzelnen Augenblick in ihrem gemeinsamen Leben. Verräterisch errötend ließ Shinosuke das Thema eilig fallen und besann sich auf näher liegende Drohungen. "Wenn du mir jetzt nicht zackig hilfst, die verlorene Zeit aufzuholen, dann fällt DEIN Abendessen heute aus!" Da konnte er knallhart sein! Weshalb Ryuuzou an diesem Nachmittag noch einige Lektionen in Haushaltsführung verabreicht wurden, die er prompt, sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit, in seinem nächsten Drama verarbeitete. *~* Szene "I" # Ikumen after von Kazuma Kodaka (BeBoy Comics, Libre, Japan) "Ich verstehe." Erneut verneigte sich Asakusa knapp und spürte, wie ein unangenehmer Film sich feucht auf seine Handflächen legte. Was sollte er jetzt bloß tun?! Es war kein Zweifel gelassen worden, dass er auf die zweitägige Geschäftsreise gehen musste, Familie hin oder her. Weil er nach dem tragischen Unfalltod seiner Frau so überstürzt die Abteilung gewechselt hatte und umgezogen war, musste er sich unten in der Hackordnung einreihen. Aber er konnte Hiromi doch nicht allein lassen! Ein Babysitter musste her! Allerdings, eine fremde Person in der eigenen Wohnung und sein kleiner Sohn ganz allein mit einer Fremden?! Es gab zwar eine Alternative, doch Asakusa verbat sich energisch, auch nur daran zu denken! Trotzdem färbten sich seine Wangen verdächtig ein. *~* Haruki, der Kindergärtner, hatte Frau Chitose empfohlen, eine ehemalige Kinderschwester, die immer mal im Kindergarten aushalf, eine gemütliche, zuverlässige Person, bei der Kinder übernachten konnten, wenn ihre Eltern beruflich verreist waren. Asakusa hatte das Angebot nur zu gern akzeptiert, höchst erleichtert, dass zumindest schon eine gewisse Vertrautheit zwischen Frau Chitose und Hiromi bestand. Hiromi dagegen hatte ein kleines Bisschen geschmollt, denn er hätte lieber bei seinem Freund Motoki übernachtet. Dessen unzweifelhaft lustiger, supercooler Papa hätte bestimmt nichts einzuwenden! Asakusa dagegen hatte eine Menge einzuwenden. Ja, er fand Kentarou Izumi, vier Jahre jünger als er und ebenfalls alleinerziehender Vater, durchaus sympathisch, auch wenn er bei dessen jüngerem Bruder Kaoru noch nicht so sicher war. Bloß war alles auf den Kopf gestellt worden, als Izumi ihn geküsst hatte! Zugegeben, er hatte ihm zugestanden, aus Dankbarkeit dienstbar zu sein, doch wer konnte erwarten, dass ein Mann ihn zu küssen wünschte?! Und ihn dann auch noch so küsste, dass er glatt in die Knie ging?! Jedenfalls musste er Izumi aus dem Weg gehen, bis er für sich selbst all diese wirren Puzzleteile zu einem stimmigen Bild gefügt hatte. Folgerichtig stand es ganz gewiss nicht zur Debatte, ihn um einen weiteren Gefallen zu bitten! *~* "Ja... verstehe... nein, nein, selbstverständlich! Ich danke Ihnen...aber nein, Sie trifft doch keine Schuld! Ich wünsche Ihnen gute Besserung!" Mit einer letzten Verneigung, ganz automatisch, beendete Asakusa das traumatisierende Telefonat, reichte das Mobiltelefon dem Kindergärtner Haruki zurück. "Das hörte sich jetzt nicht gut an." Warf der die Angel aus. "Verdacht auf Lungenentzündung.." Murmelte Asakusa fassungslos, mit aufsteigender Panik. Er hatte seine Reisetasche in der Linken, die Übernachtungstasche für Hiromi in der Rechten und keine Ahnung, was er nun tun sollte! "Hiromi!!" Das helle Trompeten konnte nur von Motoki Izumi stammen. Während Hiromi freudestrahlend dem Busenfreund entgegen lief, kämpfte Asakusa tapfer gegen einen hysterischen Anfall. Vage registrierte er, dass Hiromi Motoki und dessen Vater augenblicklich sein Leid klagte, gar nicht damit einverstanden war, dass sein geliebter Papa trotzdem darauf bestand zu verreisen und ihn allein zu lassen! "Also..." Izumi senior kratzte sich verlegen im Nacken unterhalb des Kopftuchknotens. "Hiromi kann gern bei uns bleiben! Das macht wirklich nichts aus, wird sogar lustig werden! Je mehr, je besser!" "Ich kann unmöglich Ihre Großzügigkeit..." Spulte Asakusa auf Autopilot ab, konnte Izumi nicht in die Augen sehen und verlegte sich aufs Dienern. "Wann müssen Sie denn am Bahnhof sein?" Mischte sich Haruki ein. Insgeheim amüsierte es ihn doch, wie diese beiden ungelenken Kerle umeinander tanzten. "Oh!" Konsultierte Asakusa mit rasendem Puls den Chronometer. "Oh!" "Lassen wir doch die Demokratie entscheiden!" Brachte sich Izumi ein. "Wer dafür ist, dass Hiromi bei uns übernachtet, der hebt jetzt die Hand!" Gänzlich erwartet ragten sofort DREI Hände in die Höhe. "Also, das sieht für mich nach einer eindeutigen Mehrheitsentscheidung aus!" Kentarou Izumi strahlte seinem breit grinsenden Sohn Motoki an. Asakusa gab sich seufzend geschlagen. Er war in Zeitnot und hatte keine Wahl. *~* Es war schlichtweg nicht zu schaffen! Trotz größter Bemühungen und steter Verzweiflung gelang es Asakusa selbst am Tage der Rückreise nicht, seinen Sohn einmal nicht haarscharf vor Toresschluss abzuholen. Er dienerte schon verlegen beim Eintreten, fühlte sich einmal mehr unzulänglich und überfordert. Haruki jedoch beruhigte ihn höflich-resigniert, alles sei bester Ordnung, denn Kentarou Izumi sei schon da, um die beiden Racker aufzulesen. »Himmel!« Asakusa vergaß beinahe, das obligatorische Reisesouvenir in Harukis Hände zu drücken. »Du liebe Güte!« In der Tat kam schon ein freudiger Trupp ihm entgegen, Kentarous große Hände lagen jeweils traut am Hinterkopf eines Hosenmatzes. "Vater! Willkommen zurück!" Ungeachtet der Euphorie zeigte Hiromi sich artig, strahlte jedoch über die runden Backen. Er ahnte nichts von den inneren Nöten seines Erzeugers, der nun vor Kentarou wie ein Aufziehmännchen Kotaus veranstaltete, eilig das Präsent überreichte und sich gleichzeitig, aus den Augenwinkeln schielend, nach der Reisetasche seines Sohnes umsah. Er wollte bloß weg aus dieser demütigenden Situation, bevor er einen Herzkasper erlitt! "Oh, danke! War nicht nötig, habe ich doch gern gemacht!" Kentarou Izumi lachte und drückte seinen Sohn die kleine Schulter, der sogleich das Paket der Andenkenssüßigkeiten in Sicherheit gebracht hatte. "Darf ich fragen, wo die Tasche...?" Asakusa war entschlossen zu fliehen, so rasch es ging. "Oh, die ist bei uns zu Hause." Erläuterte Motoki ungefragt. "Liegt ja auf dem Weg, richtig? Und wir haben noch nicht alles eingepackt." Ergänzte er treuherzig. "Heute Morgen war's ein wenig knapp." "Ja, tut mir leid! Kentarou Izumi wirkte jedoch nicht sehr zerknirscht oder gar in die Bredouille gebracht. "Dann, also..." Asakusa spürte, wie seine Brillengläser beschlugen, verabscheute die verräterische Hitze in seinen Wangen. Jetzt also erst mal zu den Izumis?! Auch das noch! "Gehen wir, gehen wir!" Motoki hatte schon vertraulich Hiromis Hand ergriffen. "Bis Montag, Haru-chan!" "Auf Wiedersehen, Herr Haruki!" Hiromi blieb höflicher, sein Gruß kam jedoch ebenso flott. Schon wetzten die beiden Frechdachse so schnell sie ihre kurzen Beine trugen, zur automatischen Tür, noch rascher wechselte das Schuhwerk, standen sie draußen, lachten gemeinsam über die frische Brise, die an ihren Mützen zupfte. "Ja, bis Montag dann!" Lässig tippte sich Kentarou mit zwei gestreckten Fingern an die Schläfe und zwinkerte Haruki zu, der ihm einen bitterbösen Blick schenkte, bevor er sich wieder mit einem süßen Lächeln Asakusa widmete. "Vielen Dank für die Süßigkeiten, Herr Asakusa! Kommen Sie gut nach Hause!" Die letzten Worte betonte er, um jedwede Ambitionen seines alten Bekannten Izumi schon im Keim zu vereiteln. Asakusa erwiderte auf ganzer Linie geschlagen den Gruß und folgte dann dem fröhlichen Trio, seine eigene Tasche mit herabgesackten Schultern apportierend. Trotz des beißenden Windes trällerten drei Stimmen fröhliche Lieder, die Asakusa nur mitsummen konnte, weil er den Text nicht kannte oder vergessen hatte. Einmal mehr versagt! Seine erdrückenden Gefühle der Unzulänglichkeit begleiteten ihn bis zum Appartement der Izumis, das er bereits einmal mit Hiromi besucht hatte. Es wirkte wie gewohnt nicht übertrieben ordentlich, ein wenig vollgestopft, durchaus, aber es lud förmlich dazu ein, sich selbst ein wenig gehen zu lassen. Was auf keinen Fall geschehen durfte! "Dann pack bitte rasch deine Sachen ein, Hiromi!" Ordnete Asakusa streng an, als die beiden Jungen schon in das Schlafzimmer eilten, wo alle Familienmitglieder gemeinsam nächtigten. "Jawohl, Vati!" Selbstredend hatte Hiromi durch Motoki Verstärkung und man durfte getrost bezweifeln, dass dieses Duo infernale seine Aufgabe zeitig erledigte. So blieb Asakusa jedoch mit Kentarou Izumi allein, der sich bemühte, ein wenig Ordnung zu schaffen und ihn einlud, sich doch auf eilig abgeklopften Sitzkissen am niedrigen Klapptisch einzurichten. "Danke, nein, ich habe schon viel zu viel Umstände bereitet!" Um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, absolvierte Asakusa einen weiteren Klappmarathon, innerlich winselnd angesichts der Belastung seines unteren Rückgrats. Dann fischte er hastig einen Umschlag aus der Innentasche seiner Anzugjacke, überreichte ihn mit beiden Händen dem verblüfften Kentarou. "Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Auslagen zu erstatten..." Es war die Summe, die er eigentlich mit Frau Chitose vereinbart hatte, doch sie entsprach bestimmt auch dem gängigen Babysitter-Marktwert. "Aber nein, das kann ich wirklich nicht annehmen!" Wehrte Izumi senior ab, in seiner Stimme einen dezenten Unterton von Enttäuschung. Asakusa zwang sich, diese bittere Melodie zu ignorieren. "Ich muss darauf bestehen!" Entgegnete er, studierte einmal mehr im rechten Winkel seine Socken, beide Arme unbequem mit dem Umschlag ausgestreckt. Er würde so verharren, bis der Hexenschuss ihn erledigte oder dieser Koch endlich nachgab! Die Samurai-Entschlossenheit musste nicht bemüht werden, denn nach einigen hastigen Herzschlägen lupfte Izumi senior den Umschlag, lugte hinein und erklärte. "Nun, dann werde ich annehmen, unter der Bedingung, dass wir heute gemeinsam essen!" Bevor Asakusa noch entgeistert Protest erheben konnte, hatte Kentarou Izumi sich schon eine bewährte Streitmacht gesichert. "Jungs, wollen wir so richtig lecker Sushi ordern?! Na, wer ist dafür?!" *~* Wahrscheinlich war es der wirklich wunderbare Pflaumenwein, auf Körpertemperatur perfekt abgerundet, ein wahrer Gaumenschmaus! Von den zahlreichen winzigen Häppchen ganz zu schweigen. Und dann auch noch der Reisestress und die ewig nagende Sorge, sich als hoffnungslos untalentierter Vater zu erweisen. Asakusa jedenfalls registrierte, dass es schon auf ein Uhr in der Nacht zuging, die beiden Jungen sich beiläufig einen Futon gesichert hatten, dort selig, mit verklebten Mündern und Händen, Seite an Seite schliefen. "Entschuldigung, ich sollte jetzt wirklich gehen." Schon das Aufstehen bereitete ihm Probleme, seine Beine schüttelten nur mühsam die Lähmung ab. "Nicht doch!" Eine kräftige Hand legte sich um sein Handgelenk, Izumi senior blickte ihn bittend an. "Ist doch viel zu spät, um jetzt noch durch die Nacht zu ziehen! Hiromi schläft ja auch schon tief und fest." Mit einem zärtlichen Lächeln studierte er die beiden müden Krieger auf ihrem Lager, dann wandte er sich wieder dem leicht schwankenden Asakusa zu. "Ich lege Ihnen den Gästefuton raus, den Kaoru sonst benutzt. Gehen Sie ruhig ins Bad, dann habe ich alles schon fertig. Morgen ist doch ohnehin Sonntag, es eilt doch nicht." Vernünftige Argumente, selbst in dem angenehm angeschickerten Verstand von Asakusa leuchteten sie ein. Trotzdem. Dieser Mann hatte ihn geküsst! Zugegeben, er hatte es erlaubt. Nun ja, nicht wirklich, er hatte ja nicht geahnt, dass Kentarou Izumi sich ausgerechnet für ihn erwärmen würde! Aber das war nicht das tatsächliche Problem. Tief in seinem Inneren, wo sich der mit dem Leben völlig überforderte Asakusa versteckte, der schattenhafte Junge, der irgendwie mitlief, sich anpasste, sich an die Überzeugung klammerte, wenn er tat, was man von ihm erwartete, wäre alles schon gut, da stand auch sein anderes Ich, unerbittlich, analytisch, gnadenlos. Das sagte ihm in sein bleiches Gesicht, dass er ein unerträglicher Feigling sei, weil er den Kuss genossen hatte. Weil er sich an einen anderen geklammert hatte, um seinen Ängsten zu entkommen. Weil er mal wieder wie ein Idiot durchs Leben taumelte, ahnungslos, richtungslos, panisch. Weil er nichts ohne seine Frau auf die Reihe brachte, besser kein Vater sein sollte. Weil er vor seinem Schatten Angst hatte, vor der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen, sich mal eine eigene Meinung zuzulegen. "Ist alles in Ordnung?" Die Zeit hatte ihn nicht austreten lassen, sodass Kentarou ihm nun direkt gegenüberstand, in intimer Nähe, ihn besorgt betrachtete. "Ja! Ja, selbstverständlich! Entschuldigung!" Stammelte Asakusa überrumpelt. "Das Bad ist hier, ein Handtuch lege ich vor die Tür. Haben Sie noch saubere Wäsche?" Feinfühlig drängte Izumi senior nicht, behielt sein freundliches Lächeln bei. Die Reisetasche umklammernd floh Asakusa unter die Dusche. *~* Wie versprochen lag ein zweiter Futon neben dem des Hausherrn, Kissen und zwei Decken warteten artig auf ihren Einsatz. Asakusa bedankte sich gebetsmühlenartig, schlüpfte dann eilig unter die rettenden Textilschichten und zog sie sich hoch über den Kopf. Er schämte sich für sich selbst, hatte aber viel zu viel Angst, seine Gefühle in Worte zu fassen. Izumi senior löschte die Deckenbeleuchtung, stellte nur ein kleines Nachtlicht auf, bevor er selbst die Dusche aufsuchte. Als er zurückkehrte, spürte er selbstverständlich, dass hier nur zwei kleine Sägewerke ihrer redlichen Arbeit nachgingen. Asakusa markierte bloß. Er schlug seine Decken auf, richtete sich bequem ein und drehte dann den Kopf. Dass er sich in einen Hetero verlieben würde, war ihm lange Jahre nicht mehr passiert. Außerdem bestimmte Motoki sein Leben, doch er hatte nicht widerstehen können, diesem tieftraurigen, verängstigten, hilflosen Mann und dem kleinen Sohn beizustehen, ihm ein wenig Halt, etwas Wärme zu geben, auch wenn er wohl nicht auf mehr hoffen durfte. In den vergangenen Tagen hatte er über Hiromis unschuldige Erzählungen ein wenig besser Einblick genommen in das Wesen des Mannes zu seiner Rechten. Unerfahren, linkisch, ohne enge Freunde, ein stets Getriebener, der dankbar seiner Frau alles überließ, die das treibende Element in ihrer kurzen Ehe gewesen war. Ein Mann, der immer versuchte, das Richtige zu tun, perfekt zu sein, allen Erwartungen gerecht zu werden, ohne andere vor den Kopf zu stoßen. Der Chaos, Unordnung, Unvorhersehbares nicht ertragen konnte, weil er sofort überfordert war und keinerlei Selbstbewusstsein aufzuweisen hatte. Kentarou war sich bewusst, aufgrund seiner eher unerfreulichen Kindheit eine Schwäche zu haben für kleine Narren in Not. Sein Herz wurde weich bei Aktionen hilfloser Tapferkeit, naiver Ehrlichkeit trotz Aussichtslosigkeit. Außerdem war er stur, wenn er etwas wollte, deshalb schob er die Rechte einfach unter die benachbarte Decke, fing die Linke ein und hielt sie warm in seiner Hand. "Freunde?" Hauchte er leise in die vertraute Ruhe des Schlafzimmers. Nach einer Weile wurde seine Hand sehr zögerlich gedrückt und ein verhuschtes "Freunde" drang deckengedämpft an sein Ohr. »Na also!« Dachte der Koch sehr zufrieden. Asakusa war wohlerzogen und das konnte man nutzen, um sich ihm wieder Schritt für Schritt anzunähern. So lange musste sein Johannes sich eben gedulden! *~* Szene "J" # Ja Dou von Mamiya Oki (Asuka Deluxe, Kadokawa, Japan) Keika schob die weite Kapuze auf den Rücken, er brauchte sie jetzt nicht mehr. Hier würde ihm niemand begegnen, so weit außerhalb der Siedlungen und von der Handelsstraße entfernt. Er atmete erleichtert auf und genoss das süße Aroma der Wildgräser, die ihn vom Pfad lockten. So sehr er Tia schätzte, auch willig war, im Himmelspalast bei der überbordenden Bürokratie auszuhelfen: er benötigte hin und wieder Abstand von dem unterschwelligen Misstrauen, den abschätzigen Blicken, die ihm, dem einzigen Dämonen, im Himmelsreich galten. Offen feindete ihn niemand mehr an, weil jeder allzu gut wusste, dass Teiou diesbezüglich keinen Spaß verstand. Was nicht bedeutete, dass Keika diese Atmosphäre unterdrückter Ablehnung nicht spürte. Also büchste er mal wieder aus. In der Menschenwelt, in der er sich mit einer anderen Gestalt einfach tarnen konnte, war er kein Aufsehen wert, nur ein wandernder Medizinhändler, alterlos, höflich, jedoch distanziert. Auf andere Dämonen traf er nur selten, denn sie wurden schließlich gejagt. Dabei verhielten sie sich nicht anders als Himmelswesen oder Menschen! Es gab alle Sorten, doch die Untaten einiger wurden allen anderen zum Verhängnis! So streifte er nun durch die kleinen Waldlichtungen, füllte seine Kiepe mit Blumen, Kräutern und Wildgemüse. Auch wenn es absurd erschien, so hatte er sich doch ein beachtliches Wissen über die Behandlung von Krankheiten bei Menschen angeeignet und half, wenn er es vermochte. Für Himmelswesen war das alles unbegreiflich. Wenn sie eine Malässe plagte, stürmten sie bei Tia den Palast und baten um den "Zaubertrank". Krankheiten, Verletzungen, chronische Schmerzen, das alles kannten sie nicht. Es dämmerte bereits, als Keika die Wälder verließ, langsam, denn die Kiepe war schwer und der stabile Stecken konnte dem Gesetz der Masseträgheit nur gewisse Konzessionen abringen, von einer Kuppe in ein weitläufiges Tal hinabstieg. Die Luft war lau, vor Tieren musste er sich nicht fürchten, also sprach nichts dagegen, sich irgendwo ein Lager für die Nacht zu bereiten. *~* Ein bescheidenes Feuerchen tanzte munter über das trockene Geäst. Am Rand, in Sandkuhlen gebuddelt, garten Wildrüben und Zwiebeln vor sich hin. Mit Kräutern verfeinert ein mundanes Abendessen! Im flackernden Schein sortierte Keika kundig das Ergebnis seines Streifzugs, präparierte Blüten und Saatgut, putzte aus und verpackte sorgfältig. Diese Arbeit nahm ihn derart gefangen, dass er nicht einmal die leisen Zehenspitzen hörte, die sich anschlichen. "Liebling!" Dröhnte Teious munterer Tenor plötzlich in Albhornstärke hinter ihm und er wurde eindringlich umarmt. Ein ziemlich feuchter, nach Restalkohol dünstender Kuss landete auf seiner dunklen Wange. "Teiou, was tust du hier?" Erkundigte er sich beunruhigt, denn besoffen durch die Landschaft fliegen, das entsprach nicht Teious üblichem Schabernack. "Ja!" Entgegnete der ebenso aussagekräftig wie ausschweifend, lehnte sich schwer auf den Dämonen. "Das ist keine Antwort." Stellte Keika fürs Protokoll fest, dann drehte er sich in der Umarmung herum, um seinen Liebsten ins Gesicht sehen zu können. "Du bist stockbesoffen." Diagnostizierte er, zwischen Sorge und Verärgerung schwankend. "Ja~ha!" Trällerte Teiou, schwankte und bugsierte ungeniert sein summendes Haupt auf Keikas Schoß, der dazu nicht eingeladen hatte. "Weissu....weissu... Raats--raatssizzzng! Heu-heute...." "Ich verstehe." Murmelte Keika grimmig. Teiou hatte wohl mal wieder seinen Vater vertreten und musste darum auch mit den anderen Clanmitgliedern ordentlich picheln. Die alten Säcke konnten es nicht lassen!! "Uuuhuhhh, die...die Sschterne sinnn schhhöööönn!" Teiou zwinkerte ihm zu. "Guu-guck mal! Schschternschnuppppe!" Keika legte den Kopf in den Nacken und sondierte den eher grob ausgewiesenen Himmelssektor. "Sch-schööön!" Bekräftigte Teiou noch mal, lächelte ziellos hoch und klappte dann die Lider herab. Nicht mal eine Minute später schnarchte er leise mit dezent verstopfter Nase vor sich hin. "Wundervoll." Brummte Keika ironisch, denn seine Arbeit konnte er so nicht fortsetzen und nur mit ein wenig Glück die garenden Speisen erreichen. Dass ein eventuelles Magenknurren Teiou aufweckte, stand dagegen nicht zu erwarten. Der konnte ratzen, wenn neben ihm der Donner tobte! Er seufzte und strich nachsichtig durch Teious schwarze Mähne, rollte sich dann ein, um die vernarbte Stirn zu küssen. Zumindest hatte er genug Kräuter, um am Morgen einen Sud für den üblen Kater aufzubrühen. *~* Szene "K" # Koicha no osahou von YaYa Sakuragi (Asuka Deluxe, Kadokawa, Japan) Kazuma Hasune zog eine sehr mürrische Miene, zumindest innerlich. Äußerlich ließ er sich, wie es sich für einen Teezeremonienmeister gehörte, nicht die kleinste Gefühlsregung anmerken, obwohl er kochte. Der Anlass für diese Verärgerung tuschelte und kicherte, alles in hellen, beinahe schrillen Tönen. Diese wiederum galten insbesondere Madoka Tokomaru, der gerade einige Katas absolvierte. Mit seinem feuerroten Schopf, vor allem aber durch seine sehnig-muskulöse Gestalt und die ein wenig an einen Fuchsgeist erinnernden Gesichtszüge zog er alle Blicke auf sich. »Was der Dummkopf wie immer nicht mal bemerkt!« Dachte Kazuma säuerlich. Andererseits war das eine der Charaktereigenschaften, die ihn an Kazuma so anzog. Obwohl der einen ungemein attraktiven Körper vorzuweisen hatte und definitiv sexy war, bildete er sich nichts darauf ein. Nein, es schien ihm sogar nicht mal beachtenswert! Was wiederum, wenn man es weniger nachsichtig betrachtete, durchaus als Zeichen von Ignoranz eingestuft werden musste. Andererseits musste Kazuma, der sich eigentlich für einen recht anständigen Menschen hielt, so seine extreme Eifersucht nicht mit Nahrung versorgen. Selbst wenn die aufreizend kreischenden Hühner vor Madoka einen Striptease hingelegt hätten, wäre der niemals auf die Idee gekommen, ihre Offerten anzunehmen, weil sie ja zusammen waren. »Und er ein phantasieloser Stoffel ist!« Grollte Kazuma still. Aber man wusste ja nie, ob ihn nicht doch eine der Tussis auf den Geschmack bringen konnte! Hätte er gewusst, wie viele weibliche Studentinnen es auf dieser Sporthochschule gab, dann...! Doch konnte er ihm die einzige Chance auf einen guten Abschluss wirklich verweigern? Madoka war nun mal ein Typ, der mit dem Körper dachte, erst mal in die Sache einstieg und dann darüber grübelte! »Andererseits...« Madoka galt auch als Spaßvogel, als launiger Kamerad und er hatte noch nie eine Freundin gehabt, bevor Kazuma entschieden hatte, den Feuerkopf zu verführen. Wenn er nun doch mal auf den Geschmack kommen sollte... Kazumas Augenbrauen zogen sich finster zusammen. Gegen eine Frau hatte er keine Chance. Außerdem konnte Madoka wunderbar mit Kindern umgehen. Wenn er nun eine Familie haben wollte? Der Teezeremonienmeister seufzte stumm. Das Problem betraf Madoka nicht allein. Seine Familie erwartete durchaus, dass er für eine weitere Generation sorgte, die ihre Tradition fortsetzte. Bloß war er selbst einfach nicht an Frauen interessiert, zumindest nicht auf die Weise, die biologisch gesehen zu Nachwuchs führen konnte. Ein echtes Dilemma! Er schoss einen bitterbösen Blick auf den weiblichen Fanblock ab. Verdammte Weiber! Dann erhob er sich brüsk, um den bitteren Kloß in seiner Kehle an der frischen Luft außerhalb der Sporthalle herunterzuwürgen. *~* Sichtlich stolz hatte Madoka seine anspruchsvollen Katas absolviert. Nicht nur, weil er sich grundsätzlich gut fühlte, wenn er sich bewegen konnte, nein, es sah ihm ja schließlich Kazuma zu! Der hatte wie er selbst mit Studium und dem winzigen Rest Privatleben neben den zahlreichen Verpflichtungen so viel um die Ohren, dass sie sich wirklich nur selten treffen konnten. Umso genialer, wenn er sich hier von seiner besten Seite präsentieren konnte! Und vielleicht, die Möglichkeit konnte nicht ausgeschlossen werden, hatte Kazuma auch zufällig später noch Zeit und eine sturmfreie Bude! Dann könnten sie endlich mal wieder ausgiebig vögeln! Die Vorfreude hellte Madokas Gesicht zu einem besonderen Strahlen auf. Er wusste selbst, dass er Kazuma intellektuell nicht das Wasser reichen konnte, dass er ihm leider allzu oft Anlass gab, ihn zu tadeln oder aufzuziehen. Doch wenn sie im Bett waren, gab es keine Barrieren oder Unterschiede mehr. Dann spielte alles andere einfach keine Rolle! Einfach herrlich! Und auch nicht mit großer Gehirntätigkeit verbunden! Als Madoka nun zur Tribüne hoch schielte, registrierte er gerade noch, wie ein hochgewachsener Schattenwurf aus der Tür schlüpfte. Und Kazumas Platz war vakant! "Oh!" Murmelte er enttäuscht. Hatte Kazuma sein Zeitkontingent schon aufgebraucht? Reichte es nicht mal für einen Gruß? "He, Tokomaru, hier spielt die Musik!" Einer der Lehrer klopfte ihm nachsichtig auf den Hinterkopf. "Schlag dir die Mädels aus dem Kopf!" "Mädels?" Entschlüpfte es halblaut, bevor Madoka mit Verspätung ein ganzer Kronleuchter aufging. *~* Verstimmt starrte Kazuma auf das Display seines Mobiltelefons. [Können wir uns nicht treffen? Ich vermix dich echt!] »Typisch!« Dachte er und zögerte unschlüssig. Wie gewohnt verhudelte sich Madoka beim Tippen und genierte sich nicht mal, ihm derart kitschige Nachrichten zu schicken! »Wenigstens hat er noch nicht das Alphabet der Emoticons gelernt!« Tröstete ihn eine bissige Stimme in seinem Hinterkopf. Dann würde er bestimmt mit Smileys, Küsschen und anderem Unsinn überschwemmt! Doch was jetzt tun? Wie eine beleidigte Leberwurst schmollen, weil potentiell die Gefahr bestand, dass Madoka sich was Besseres als ihn anlachte? Obwohl der Bursche schlicht im Geiste und derart einfältig war, nicht mal eindeutige Avancen zu begreifen? Kazuma seufzte. Er dachte an einige Ermahnungen, die ihm der etwas ältere Zuckerbäcker mit auf den Weg gegeben hatte. Es würde ihm nur hinderlich sein, sich allzeit und stets wie ein selbstsicher-überheblicher Erwachsener aufzuführen, seinen unbestrittenen Intellekt dazu zu nutzen, alle anderen einzuschüchtern oder abzukanzeln. Oft genug, ohne das selbst zu bemerken. "Na, wer ist hier der Idiot?" Ätzte er sich selbst an und tippte eine Antwort. *~* Madoka nahm die Beine in die Hand, doch das konnte die Verspätung kaum ausmerzen. Dafür keuchte er nun in die eiskalte Luft heftige Kondenswolken, entschuldigte sich stammelnd. "Ehrlich...hab..mich... beeilt...tschuldige..." Kazuma, die Arme vor der Brust gekreuzt, funkelte eisig auf ihn herab. "Was denkst du dir, wie lange ich hier schon herumstehe, hm?! Es ist wirklich ein Skandal! Wahrscheinlich habe ich mir schon eine Lungenentzündung zugelegt, in dieser arktischen Kälte!" Zunehmend zerknirscht warf Madoka ihm unbehagliche Blicke unter halb gesenkten Lidern zu, die Strafpredigt aushaltend (darin konnte er eine gewisse Übung vorweisen). "Ehrlich, Kazuma, es tut mir leid..." Weiter kam er jedoch nicht, da er abrupt am Revers gepackt und herangerissen wurde, um wenigstens Kazumas kalte Lippen aufzuwärmen. Der küsste ihn ohne Rücksicht auf irgendwen, gierig, besitzergreifend und vor allem sehr kundig. Auge in Auge zischte er ihm auf den Mund. "Wehe, du heizt mich nicht achtkantig in meinem Bett auf...!" Wenn er Madoka beschäftigte, hätten alle Weiber der Welt keine Chance! "Roger!" Strahlte der begeistert. "Los, komm!" Und weil Madoka eben Madoka war (und blieb), zerrte er den etwas steifbeinigen Kazuma wie einen alten Besen hinter sich her, im Laufschritt, euphorisch bei der Aussicht auf heißen Sex mit seinem Teemeister! *~* Szene "L" # Love pistols/Sex pistols von Tarako Kotobuki (SuperBeBoyComics, Libre, Japan) "Hidekuni, he, willkommen zurück!" Hidekuni Seymore, Sohn des berühmten britischen Architekten Maximilian Seymore und des Bildhauers David Woodville, lächelte, gesellte sich zu seinen Freunden der Oberstufe in einem exklusiven Internat in der Nähe von London. "Wie war Japan? Hast du eine Geisha abgeschleppt? Mann, bist du braun geworden!" Im Kreis der vertrauten Gesichter konnte Hidekuni gar nicht anders, als lachend Hände zu schütteln und seine Melancholie abzustreifen. Der Besuch bei der Familie seiner beiden Halbbrüder hatte ihn in emotionale Turbulenzen versetzt. Er hatte sich verliebt, war abgewiesen worden und kannte nun die zukünftigen Lebenspartner von Kunimasa und Yonekuni Madarame. Im Restaurant hatte er bei großer sommerlicher Hitze gearbeitet, gelacht, neue Freunde gefunden und insgesamt eine schöne Zeit verlebt. Die Akkus waren somit aufgeladen, sich einem neuen Semester mit voller Hingabe zu widmen. In diesem Internat fanden sich Madararui aus aller Herren Länder, man legte jedoch Wert auf eine gewisse Klasse, einen Stil, eine bestimmte Haltung. Hidekuni fühlte sich hier zu Hause, denn sein Vater Maximilian entstammte dem britischen Königshaus, erwartete von ihm, sich ebenfalls dieser Manieren und gesellschaftlichen Regeln zu besinnen. "Apropos!" Eine Mitschülerin hängte sich vertraut in seinen Arm. "Ihr glaubt nicht, was wir als Neuzugang bekommen haben! Eine wirklich gruselige Figur, spricht ein grässliches Amerikanisch französischer Prägung!" Dieser Umstand allein sorgte schon für Stirnrunzeln. "Ein Kanadier?" Hasardierte ein junger Mann aus Hongkong, Schlangen-Schwergewicht. "Weiter südlich." Brummte ihr Jahrgangssprecher, der mit angestrengter Miene zu ihnen trat. "Aus dem tiefen Süden, irgendeinem morastigen Loch. Fürchterlicher Bursche, unsägliche Manieren, hagestolz und unverschämt." "Vielleicht ist er bloß schüchtern?" Gab Hidekuni zu bedenken. "Könnte ja sein, dass ihm schon aufgefallen ist, wie sehr er hier herausstechen wird?" "Pah!" Schnaubten seine Freunde unisono. "Der ist von Natur aus ein absolut vulgärer Widerling!" *~* Beaumont Vaudeville erweckte in der Tat keinerlei Sympathien. Seine schwarzen Augen starrten förmlich, schienen nie zu blinzeln und ihr stechender Blick bohrte sich in den Gegenüber. Die kantigen Züge mit einer bräunlich-rötlichen Hautfarbe wirkten versteinert, seine Gestalt wie die Figur eines Schwimmers, sehr breite Schultern und schmale Hüften, lange, muskulöse Beine und Arme. Seine Schädelseiten waren kahl rasiert, auf dem Oberkopf entsprang ein langer, tiefschwarzer Zopf. Beide Brauen wiesen zahlreiche silbrige Stecker auf und in den beiden Ohrläppchen befanden die große Löcher, die durch Ringe erzeugt wurden. Er trug in der Hauptsache Ledermonturen, Hose und geschnürte Weste, halbhohe Stiefel und ein verwaschenes Hemd. Ein Auftreten wie ein halbstarker Krimineller aus einer schlechten Westernserie. Unseliger Weise konnte man ihn nicht so einfach ignorieren, denn Beaumont Vaudeville war ein Drachen-Schwergewicht, ein mächtiger Alligator. *~* Hidekuni verstaute sein Boot ordentlich in den stabilen Haken und Netzen, lächelte stillvergnügt vor sich hin. Auf Anraten seines Vaters hatte er diese Sportart gewählt, der sie für ebenso ästhetisch wie gesund hielt. Das konnte ihn auch darüber hinwegtrösten, dass Hidekuni, mit der Unterstützung seines anderen Vaters, in der Hockey-Mannschaft spielte. Dort ging es längst nicht so elegant, sondern häufig eher rustikal zu. Nun, wenigstens hatte er kein Rugby gewählt, um den häuslichen Frieden zu wahren! Das Ein-Mann-Rudern in der sanften Abendluft eines Spätsommertages stellte für ihn sowohl Einkehr als auch Entspannung dar. Zen, das konnte man wohl sagen. Er fuhr überrascht herum, als die Schiebetür hinter ihm aufgestoßen wurde und gänzlich unvermutet Beaumont in der Tür stand, ein überlanges Brett im Griff. Das aufrechte Stehen auf einem überdimensionierten Surfbrett mit Paddeln, ein aktueller Trend, wie Hidekuni sich entsann. Also gab es diese neuen Bretter wirklich schon hier? "Ah, Seymore." Aus Beaumonts Mund klang sein Name herablassend, abschätzig. Wie die gesamte Pose. "Oh, Vaudeville." Antwortete Hidekuni und spürte eine unangenehme Spannung. "Ich wusste nicht, dass noch etwas draußen war. Stell dein Brett doch bitte hinein, dann kann ich abschließen und dem Sportwart die Schlüssel geben." Das übellaunige Alligatoren-Schwergewicht schnaubte bloß ungezogen, den Schulblazer mit der Eleganz eines alten Wischmopps um die schlanken Hüften gewunden. Nicht mal ein Windhauch streifte Hidekuni, als der junge Mann an ihm vorbei schlenderte, beherrscht und kraftvoll, doch der nervöse Knoten in seinem Magen legte noch einige Umdrehung zu. Durchaus mit Grund, denn blitzartig schnellte Beaumont herum, stieß den Kopf wie ein Falke vor und schnüffelte höchst unmanierlich an Hidekunis Hals. "Und der strahlende Prinz riecht verdächtig nach Krokodil!" Brummte er bissig, packte Hidekunis Oberarme und drängte diesen gegen die Bohlenwand, funkelte ihn mit seinem durchdringenden Blick an. "Was ist denn das, Mr. Pussycat, treiben wir schmutzige Spielchen mit richtigen Männern?!" Jede Silbe troff vor Verachtung. Hidekuni rang um Beherrschung, denn obwohl er allgemein als friedfertig, besonnen und sehr freundlich galt, sprudelte gelegentlich ein väterliches Erbe hoch, das ausgenutzte Langmut kombiniert mit aufdringlicher Frechheit zur Zündschnur für ein explosives Temperament werden ließ. "Hmmm!" Kollerte Beaumont derweil in dumpfen Basstönen. "Du bist so ein WEISSER, perfekter Schnuckel, da traut man dir solche Entgleisungen gar nicht zu, Miezekatze." "Das reicht jetzt!" Stellte Hidekuni brüsk fest und schüttelte Beaumonts Hände energisch ab. "Ich wäre dir verbunden, wenn du deine Phantasie auf deine persönlichen Angelegenheiten beschränkst!" "Oh, und er spricht wie ein richtiger Gentleman!" Knurrte das Alligator-Schwergewicht finster. "Du solltest besser nicht zu frech werden, Pussy, sonst verlierst du ein paar Leben, klar?!" Hidekuni verengte die blauen Augen zu Schlitzen. "Ich weiß nicht, warum du dich fortwährend wie ein verzogener Bengel aufführen musst, ich darf dir jedoch versichern, dass meine Geduld zu Ende ist. Behellige also bitte andere mit deinen albernen Drohungen!" "Albern?! Warte, du kleine Muschi...!!" Beaumont schwang die Fäuste, das erste lebhafte Funkeln in den schwarzen Augen. *~* Hidekuni beugte sich vornüber, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, durchaus atemlos, in Schweiß geraten. Mit Befriedigung verzeichnete er jedoch, dass sein Opponent ebenso herausgefordert war und nun Abstand hielt. Es hatte diesen großmäuligen, verzogenen Amerikaner wohl überrascht, einen versierten und entschlossenen Gegner zu bekommen! Offiziell verstand sich Hidekuni selbstredend nicht auf die hohe Kunst des Faustkampfes, sah man von theoretischen Basislektionen ab. Zumindest ein Vater verabscheute Gewalt und hielt Körperertüchtigung dieser Art nur für tragbar, wenn sie im Sicherheitsnetz strenger Regeln stattfand. Hidekunis anderer Vater, der sich einer etwas laxeren Haltung befleißigte, fand nichts dabei, seinem Sohn einen alten Freund aus Studientagen vorzustellen, der sich auch mit der weniger feinen Art des Straßenkampfes auskannte. Selbstverteidigung, das konnte auch für Katzen-Schwergewichte notwendig werden, wie er urteilte. Hidekuni mochte die Herausforderung, es kam seinen katzenhaften Reflexen entgegen und hin und wieder, ja, da wollte er auch mal zulangen können! Heimlich zumindest. Mr. Vaudeville hier hatte, das konnte man wohl kaum bestreiten, ja nachdrücklich um eine Lektion in gutem Benehmen verlangt! Er wollte sich prügeln und hatte Streit gesucht, ganz ohne Zweifel! "Und du riechst trotzdem nach Krokodil! Mit wem steigst du in die Kiste, hä, Mr. Muschi?!" Provozierte der aufgeputschte Amerikaner erneut, trotz einiger Treffer sehr aufgeweckt, beinahe euphorisch. »Ganz sauber ist der aber nicht!« Murmelte eine Stimme in Hidekunis Hinterkopf, die verdächtig nach seinem älteren Halbbruder Yonekuni klang. Allerdings konnte der grundsätzlich sämtliche Männer des Planeten nicht ausstehen. "Wenn du Aufmerksamkeit so dringend nötig hast, dann solltest du dir bessere Manieren zulegen! Konterte Hidekuni kühl, tänzelte geschmeidig und trittsicher zugleich aus der Schlagdistanz. "Wir haben genug Clubs..." "Scheiß auf Clubs!" Pöbelte Beaumont grob, schnaubte. "Das ist doch für Weicheier!" »Meine Güte, was für ein Betonkopf!« Dachte Hidekuni resigniert, da musste wohl eine Lektion verabreicht werden! Wenn den ollen Alligator die Schuppen derart juckten! Als Katzen-Schwergewicht mit den mächtigen Anteilen seines Krokodil-Schwergewicht-Vaters hatte Hidekuni einige Vorteile auf seiner Seite. Die warf er nun in die Waagschale, ließ nicht zu, dass Beaumont sich auf seine Spezialität, das Ringen und Klammern verlegen konnte, sondern verteilte Hiebe und Tritte, wich selbst gut genug aus, um nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Um dem Schauspiel ein Ende zu bereiten, wählte er eine Methode, die ihm sein Lehrer schmerzhaft nahegebracht hatte: ein Straßenkampf drehte sich darum, ihn schnell und effizient zu beenden. Weshalb er nun absichtlich auf Beaumonts Spann trat, gegen dessen anderes Schienbein trat und ihm gleichzeitig mit einem Hieb in den Solarplexus eine Denkpause verschaffte. Überrumpelt landete der Amerikaner auf dem Boden, spuckte Speichel und gab ein wehleidiges Stöhnen von sich. Hidekuni zog sich zurück, richtete seine Kleidung und atmete tief durch. "Zu deiner Information, Vaudeville, mein Vater ist ein Krokodil-Schwergewicht und ich bin häufig über die Wochenenden bei meinen Vätern. An deinen schmutzigen Phantasien ist also nichts dran." Ein Paar pechschwarzer Augen funkelten hoch, bevor ihr Besitzer sich langsam wieder in die Senkrechte manövrierte. Hidekuni musterte ihn kurz, bevor er ergänzte. "Ich möchte jetzt abschließen. Wenn du also gehen könntest..." "Du liegst falsch." Murmelte Beaumont. "Das wirst du noch sehen, Miezekatze. Ich habe recht." Die blauen Augen verdrehend brummte Hidekuni. "Wie dir beliebt, Vaudeville, und nun..." Weiter kam er jedoch nicht, weil eine sehr energische Hand sich in seinen blonden Schopf grub und Beaumont ihn küsste. "Was soll das?!" Machte Hidekuni sich nach einer Schrecksekunde los, wich zurück. "Nenn mich Beau." Der Alligator grinste schelmisch, was sein gewöhnlich starres Gesicht vollkommen verwandelte. "Und über meine Phantasien unterhalten wir uns noch, Mr. Pussycat!" Hidekuni starrte der sich entfernenden Gestalt ungläubig nach. Sollte das jetzt etwa heißen, dass der unleidliche, unverschämte, ungebührliche Beaumont Vaudeville ihm den Hof zu machen beabsichtigte?! *~* Szene "M" # Mezase hero! von Kazuma Kodaka (BeBoyComics, Libre, Japan) Direktor Yuuichi Sagara des MPD in Tokio warf einen frostigen Blick auf die Telefonnotiz. Für jeden Dritten klang sie harmlos, außerdem musste er sich dem Netzwerk der älteren Aufsichtsbeamten, die hinter den Kulissen die Strippen zogen und politische Verbindungen hatten, ohnehin häufig stellen. Früher hätte er mit einem verächtlichen Lächeln diese Einladung akzeptiert. Bloß jetzt...! Er durfte sich keinen Illusionen hingeben. Längst hatte es sich bei den unteren Rängen und Einsatzkräften herumgesprochen, dass der notorische Nobunaga Mahori, Chef des Terror- und Bombeneinsatzkommandos, für ihn schwärmte. Nobunaga war eine Naturgewalt. Ein muskulöser, gewaltiger Titan, der dröhnend und ohne Rücksicht auf Ränge oder Posten seine ehrliche Meinung vertrat. Er hielt Yuuichi nun mal für eine ganz seltene Schönheit und jeder, der Schönheit nicht gebührend bewunderte, war eben ein blöder Depp! Warum sollte es ihn auch stören, dass Yuuichi der Direktor des MPD und auch noch ein Mann war?! Er konnte und wollte weder an dem einen noch an dem anderen Umstand etwas ändern. Was ihn nicht davon abhielt, Yuuichi hartnäckig den Hof zu machen, denn Schönheit musste man ja auch mal aus nächster Nähe bewundern können! Und auch wertschätzen! Umsorgen! Behüten! Yuuichi hatte nachgegeben, weil er einfach kein Rezept wusste, den Hünen auf Distanz zu halten, der es mit ihm tatsächlich ehrlich meinte, der seine Vergangenheit akzeptierte. »Außerdem mag er Goemon.« Dachte Yuuichi zynisch. Eigentlich durfte er in seinem Appartement keine Haustiere halten. Er war auch wirklich kein ausgewiesener Tierfreund. Warum er damals den kleinen Streuner aufgelesen hatte, konnte und wollte er beim besten Willen nicht ergründen. Aber wenn er Verantwortung übernahm, dann stand er auch dazu! Dass er selbst wie eine vereinsamte, traumatisierte Katze von Nobunaga aufgelesen wurde, dieser Vergleich wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, zumindest nicht ohne höchste Not. *~* "Hmm." Brummte Nobunaga Mahori im Bass und beäugte seinen jüngeren Bruder grimmig, der ihm einen besorgten Blick schenkte, immerhin war Yuuichi Sagara ein Freund und dazu noch ein Vorgesetzter! Und sein älterer Bruder nicht gerade für eine subtile, zurückhaltende Vorgehensweise bekannt. Ungeachtet seines etwas rustikalen Auftretens war Nobunaga Mahori nicht mangels Verstand zu seinem hohen Posten direkt an der Front gekommen. Er wusste durchaus, was sein geliebter Yuuichi durchlitten hatte, welchen Preis der für eine Jugendliebe entrichtet hatte und was ihn noch immer zu selbstquälerischen Aktionen trieb. Er sah seine Aufgabe darin, ihn zu beschützen, ohne ihn zu bevormunden oder einzuengen. Einfach da zu sein, wenn die Geister der Vergangenheit ihr hässliches Haupt zeigten. "Hmm!" Wiederholte er und rieb sich das mächtige Kinn. Eigentlich war er auch der Meinung, er hätte jedem klargemacht, dass Yuuichi fürderhin tabu war. Keine miesen Sexspiele mit den alten Säcken, die seine Lage und Selbstverachtung ausnutzten. Aber offenkundig gab es einige Typen, die nur langsam lernten. *~* Yuuichi betrat das vornehme Gasthaus hocherhobenen Hauptes, ließ sich seine stille Wut nicht anmerken. Höflich führte man ihn zu einem Separee. Der Gastgeber war noch nicht eingetroffen. Er ließ sich nieder und spürte, wie eine gefühllose Kälte langsam über seine Adern durch seinen gesamten Körper kroch. Als er das zweite Glas Sake gerade an die Lippen setzen wollte, wurde mit einem Ruck die Schiebetür zur Seite gedrückt. Fassungslos starrte Yuuichi zu Nobunaga hoch, der mit wildem Blick den Raum inspizierte, dann ebenso ruppig die Tür zuschob und Yuuichi entschieden das Glas aus der Hand nahm. "Nobunaga, was tust du hier?!" Zischte der entrüstet. "Und was tust du hier?!" Nobunaga war wie gewohnt nicht leise. "Denkst du etwa, ich überlasse dich dem alten Schleimer mit seinen Grabbelfingern?! Weißt du nicht, wie klamm die sind?! Das ist ekelhaft, sag ich dir!" "Pscht!" Mahnte Yuuichi ärgerlich. "Und was heißt hier überlassen?! Ich habe nicht vor...!" "Warum bist du dann hier?" Unterbrach Nobunaga ihn fuchtig. "Der senile Bettflüchtling will doch keine Diskussion mit dir führen!" Yuuichi begriff bloß, dass Nobunaga ihn für unfähig hielt, die Situation selbst zu meistern. "Ich kann mich nicht erinnern, dich zu meinem Vormund ernannt zu haben." Versetzte er eisig. "Würdest du dich jetzt bitte entfernen?!" "Keine Chance!" Nobunaga plumpste in einen Schneidersitz und kreuzte die muskelbepackten Arme vor der imposanten Brust. Sein kantiges Kinn ragte trotzig in die Höhe. "Captain Mahori, ich fordere Sie auf, diesen Raum zu verlassen!" Zischte Yuuichi zornig, das Gesicht eine Maske der Verachtung. "Tu ich aber nicht, Yuuichi." Ungerührt hielt Nobunaga den arktischen Stürmen stand. Yuuichi funkelte nun zurück, ein Niederstarrduell, das keiner verlieren wollte. So war es auch täuschend ruhig, als der verspätete Gastgeber, schon hochgestimmt ob des zweifelhaften Vergnügens, das er sich verschaffen wollte, die Schiebetür bewegte und erstarrte, als er die beiden Kontrahenten erblickte, die sich entschieden anstierten wie Sphingen. "Direktor Sagara!" Fing er schließlich an, empört, dass sein sorgfältig ausgefeilter Plan so schnöde torpediert wurde. "Was hat das zu bedeuten?!" "Hör mal, du ausgelutschter Fettsack!" Nobunaga wandte keinen Blick von Yuuichi. "Mach dich JETZT vom Acker, dann vergess ich, dass du eine niedere Lebensform bist und mit meinen Fäusten Bekanntschaft schließen solltest." "Höh?! Ich darf doch sehr bitten..." "Zieh Leine, Leitungssteher! Mit Yuuichi läuft nichts, capice?!" Nobunaga hatte mit geistigen Nachzüglern nicht unbedingt viel Geduld. "Ach ja?! Seit wann bestimmst du über mein Leben?!" Fauchte Yuuichi erbost. "Was denn, du willst doch nicht so einen schlabbrigen Schlappschwanz an deine Figur lassen?!" Protestierte Nobunaga empört. "Türlich nich! Aber dasis meine Sache, verstehste?!" Antwortete Yuuichi heftig, verfiel sogar in seinen heimischen Dialekt, was er stets sorgfältig zu verbergen wusste. "Das is echt herzlos von dir!" Behauptete Nobunaga gekränkt. "Wieso isses nur deine Sache?!" "Gar nich wahr!" Schimpfte Yuuichi nun, halb aufgesprungen, einzelne Strähnen bereits aus seiner sonst so sorgfältig zurückgekämmten Frisur in seine Stirn entflohen. "Du hängs dich einfach rein! Ich kann mein Scheiß auch allein regeln!" "Schön, und warum haste für den ollen Sack Zeit und mich nich?!" Kam Nobunaga auf den Punkt. Er WOLLTE hier Besitzansprüche anmelden, bloß keine falsche Bescheidenheit! "Weil n Mann zu sich selbs stehn muss!" Feuerte Yuuichi zurück, die Wangen dezent gerötet. "Ich bin doch nich dein Spielzeug!" "Direktor Sagara, ich muss doch..." Mischte sich nun entrüstet der Möchtegern-Erpresser/Beischläfer ein. "Klappe!!" Dröhnte es ihm in Tenor und Bass wütend entgegen. Nobunaga kam in die Senkrechte, warf einen mächtigen Schatten. "Jetzt subtrahier dich endlich, du Sackgesicht, sonst muss ich nachhelfen!" Dabei ließ er zu Demonstrationszwecken seine gewaltigen Fäuste sehen, die Schmiedehämmern glichen. "Wie kannssu nur denken, ich wär son Weichei..." Yuuichi war entschlossen, Nobunaga sein mangelndes Vertrauen unter die mehrfach gebrochene Nase zu reiben. Dass der ihm tatsächlich zutraute, er wäre DERART verkorkst, dass er trotz ihrer etwas ungewöhnlichen Beziehung immer noch schlechte Linderung in Selbsterniedrigung bei Dritten suchte?! Allerdings war Nobunaga überzeugter Anhänger des "Hilf dir selbst!"-Prinzips, deshalb schubste er den in Empörung erstarrten Funktionär einfach auf den Gang, zog demonstrativ die Schiebetür zu und stellte sich dann dem überaus echauffierten Yuuichi. "Hörssu mir überhaupt zu?!" Wurde er lektioniert, lächelte auf die geballten Fäuste hinab, das verwuschelte Haar, die geröteten Wangen. "Nö." Bekannte er freimütig, fing die ihm zugedachte Ohrfeige ab und schlang den freien Arm um Yuuichis schmale Taille, hob ihn auf die Zehenspitzen und küsste ihn zärtlich. "He...he!" Yuuichi stemmte beide Hände gegen den breiten Brustkorb, funkelte in das vertraute kantige Gesicht. "Ich bin nich fertich mit dir!" "Gut zu wissen!" Nickte Nobunaga hocherfreut, absichtlich missverstehend. "Sag mal, was hältst du davon, wenn wir Ringe tauschen?!" Die Ohrfeige, die sein rechtes Ohr zum Klingeln brachte, störte ihn wenig, da seine schlichte Frage zur Prävention weiterer Avancen Yuuichi derart aus dem Konzept gebracht hatte, dass der dunkelrot anlief. Der erhob seine Stimme erst wieder, als sie einander ausgiebig liebten. *~* Szene "N" # No Touching At All von Kou Yoneda (Tokyopop Deutschland) "Abteilungsleiter Onoda!" Er zuckte zusammen, denn auch nach einem halben Jahr fühlte sich dieser neue Titel eher bedrohlich an. Was wohl auch daran lag, dass Onoda anders als sein geschätzter Vorgänger sich jeden Fehler, jeden Tadel, jedes Unwohlsein seiner ehemaligen Kollegen sehr zu Herzen nahm. Also musste er blitzartig besser werden, noch mehr Wissen anhäufen, schneller verstehen. Und Überstunden abwickeln. Das führte wiederum zu einem anderen Problem, das ihm neu war. Hiromi Deguchi, drei Jahre älter als er selbst, ein Strahlemann und Verkaufsprofi, seit drei Jahren sein Freund für Trinkgelage und Entspannung. Hatte er zumindest angenommen, bis diese ganze Sache mit Togawa und Shima ins Laufen gekommen war. Und dann hatte sich sein Leben ganz schön verändert! Er seufzte halblaut und kniff sich eilig in die Hand. Gerade jetzt war überhaupt keine gute Gelegenheit, in eines seiner ältesten Laster zu verfallen, nämlich mit sich selbst zu reden. Manchmal merkte er es einfach nicht, was für Peinlichkeiten sorgte. Onoda galt als notorischer Nerd, dabei konnte er durchaus mit anderen auskommen, sich vertragen, er war auch beliebt. Man konnte gut mit ihm arbeiten, er machte sich viele Gedanken und war immer bemüht, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Hinderlich blieb jedoch seine als Nerd ausgesprochen wertvolle Fähigkeit, sich voll und ganz auf die Sache zu konzentrieren. Dann merkte er nicht mal, dass alle eine Freundin oder sogar schon eine Familie hatten, während er selbst in seiner Welt agierte. Natürlich, da hatte es schon Mädchen gegeben, hin und wieder, die ihn nett fanden, sein Lächeln, seine Aufmerksamkeit, auch wenn sie gelegentlich zerstreut wirkte. Ihm wäre damals nie in den Sinn gekommen, dass es ausgerechnet ein Mann, den er lange kannte und zunächst als Saufkumpan und später als guten Freund eingestuft hatte, sein würde, der ihm eine ganz neue Welt eröffnete. Mann, und was für eine! Onoda blickte sich streng in dem spiegelnden Bildschirm ins Gesicht. "Mach deinen Kram fertig!" Ermahnte er sich halblaut, denn auch wenn Deguchi so offen und gutherzig und geduldig wirkte, er wollte nicht riskieren, ihn zu lange in der Warteschleife kreisen lassen! *~* Hiromi Deguchi klappte enttäuscht sein Mobiltelefon zu. Immer noch keine Nachricht. Dabei wollte er wirklich nicht viel! Ja, er wusste ja, wie hart es Onoda ankam, seine neue Position ausfüllen zu müssen! Und mit Überstunden kannte er sich auch aus. Aber wenigstens hin und wieder mehr als eine kurze Nachricht! Wenigstens mal was trinken! Oder zu Mittag essen! In seinem Hinterkopf drängten sich düstere Gedanken. Wenn Onoda nicht so ein Nerd wäre, dann hätte er schon angenommen, aussortiert worden zu sein, auf die indirekte, höfliche Weise, hoffend, er möge die richtigen Schlüsse ziehen. »Nein!« Dachte er und ballte die Faust um sein Mobiltelefon. So dämlich war Onoda ja wohl nicht, den besten Sex seines Lebens aufs Spiel zu setzen, oder?! Andererseits... Deguchi steckte das Mobiltelefon ein und zündete sich stattdessen eine Zigarette an, blies den Rauch in den Nachthimmel. Sex war für Onoda nicht wirklich überlebenswichtig, wenn er mal wieder in einer seiner "Abtauchphasen" war. Das konnte man nicht ignorieren und vielleicht kam er ja doch zu dem Schluss, dass er nicht mit einem Typen was anfangen wollte? »Immerhin ist er von der Sorte, die stolz mit ihren Familien durch die Gegend zieht.« Dachte Deguchi deprimiert und inhalierte gequält. Während die Beziehung zu einem anderen Mann geheim bleiben musste. Immer. Mit den Jahren würde man ihn auch unter Druck setzen, seine privaten Verhältnisse zu sortieren. Wer nicht verheiratet war, galt nicht als Führungsmaterial für die mittlere Ebene. Ehemänner konnte man besser halten, sie hatten mehr zu verlieren und viel weniger Freiraum! Zittrig zerdrückte er die Zigarette in seinem Taschenascher. Ihn ließ man mittlerweile in Ruhe, wahrscheinlich, weil er ein Frontschwein war, ein Außenvertreter. Immer auf Achse und damit auch häufig außer Sicht. Zudem unterstellte man ihnen, dass sie auch eine nicht so solide Moral hatten, denn Gelegenheiten boten sich ja ständig an, auf Reisen stand man schließlich nicht unter Aufsicht! "Verdammt." Murmelte Deguchi leise. Wie oft hatte er sich diese Katastrophenszenarien ausgemalt? In den letzten drei Jahren? Hoffnungslos verliebt in diesen Nerd, der nichts merkte, ihn deshalb aber auch nicht abschätzig oder angeekelt auflaufen ließ. Alles eine Frage der Abwägung. Der Spatz in der Hand... Jetzt konnte er mehr haben. Theoretisch. Wenn sie sich mal sahen. Trotzdem verschwanden die Ängste nicht, nein, sie bauten sich sogar bedrohlicher auf. Vor Glück konnte man auch mächtig Schiss bekommen! *~* »Wahrscheinlich ist es wieder ein Saustall.« Dachte Onoda resigniert, während er eiligen Schrittes trotz der späten Stunde den Appartementkomplex ansteuerte. So kompetent Deguchi auch in vielen Dingen unbestritten war, er hatte überhaupt kein Talent, seine kleine Wohnung in Ordnung zu halten, weshalb mehr als einmal Onoda als Putzgeschwader eingefallen war, ungläubig über den Grad der Vernachlässigung. Er klopfte nachdrücklich und wartete, unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend. Deguchi öffnete, im Schlafanzug, eilig einen Mantel übergeworfen, blinzelte ihn perplex an. "Äh, da bin ich." Erklärte Onoda das Offensichtliche und lächelte unsicher. "Das sehe ich." Brummte Deguchi, trat beiseite, den Blick abgewandt. "Du hast ja Nerven." Das klang brüsk, doch Onoda passte genau auf: selbst in der schwachen Beleuchtung im Eingangsbereich konnte er das dezente Glühen der Ohrmuscheln erkennen. "Darf ich bleiben? Bitte?" Ergänzte Onoda höflich. "Und wieso rufst du nicht an?" Deguchi grollte betont, ließ ihn stehen, kroch wieder unter die Decke in sein Bett. "Ähem!" Onoda streifte sich seine Kleider ab, bis er nur noch Unterwäsche trug. "Würdest du mir glauben, dass ich mein Mobiltelefon weggeschlossen hatte, um schneller zu arbeiten? Und dann der Schlüssel in der Schublade abgebrochen ist, weil Takada unbedingt mit dem Rollwagen daran vorbeifahren musste?" "Son Unsinn!" Grummelte Deguchi und blinzelte erwartungsvoll hoch, als Onoda sich einfach zu ihm einlud, die Brille ganz selbstverständlich auf der Konsole oberhalb des Bettes ablegte. "Ja, dachte ich mir." Nickte der nun ganz verständnisvoll. "Total blöd. Aber das ist ja auch das Problem, weißt du, dass ich mir keine bessere Geschichte stattdessen ausdenken kann! Togawa hat mir deshalb immer schon die Hölle heiß gemacht. Ich krieg das einfach nicht hin!" Deguchi ahnte, dass Onoda noch eine Weile so plappern würde, dabei ständig die Namen anderer Männer im Mund, UND das in SEINEM Bett!! Das konnte er selbstverständlich nicht zulassen. "Halt die Klappe!" Knurrte er entschieden und rollte sich auf Onoda. "Zeig mir, ob du beim letzten Mal ordentlich aufgepasst hast!" Zu seiner sättigenden Befriedigung war der Nerd Onoda sehr lernfähig und hatte sich ordentlich aufgespart, um ihm seine Liebe ganz hand-, zunge-, mund- und weitere Extremitäten-fest zu beweisen! *~* Szene "O" # Oasis Projekt von Kazumi Ohya (EMA Egmont Manga Anime) "Ja, freut mich, dass du kommen kannst!" Akira Yagi, Verwalter des Ikoiso und Schriftsteller, lächelte munter in ein für seinen Geschmack etwas blasses Gesicht. Shinosuke Yoshida verneigte sich erneut, was ihn beinahe aus dem Gleichgewicht brachte, weil er statt eines üblichen Rucksacks eines von diesen gewaltigen Trekkingungeheuern geschultert hatte. "Vielen herzlichen Dank, dass Sie mich als Mieter aufnehmen! Ich bitte höflich um Ihre Unterstützung!" Die förmlichen Floskeln kannte Akira zur Genüge, befand jedoch, dass sie bei diesem Studenten noch steifer als sonst klangen. "Also, du hast einen Schlüssel für die Haustür und kannst kommen und gehen, wie du magst. " Wiederholte er sanft. "Die Abholungstage für den Müll stehen hier unten an diesem Notizbrett. Das Badehaus ist gerade die Straße herunter, preiswert, kann ich durchaus empfehlen. Mikrowelle, Wasserkocher und Kochplatten sind erlaubt, pass nur bitte auf, dass du alle elektrischen Geräte ausstellst, wenn du dein Zimmer verlässt, ja? Ach ja, und bitte auch die Fenster schließen, die Tatami sind ein wenig empfindlich, wenn sie nass werden." Shinosuke Yoshida klappte im Rhythmus seiner freundlichen Hinweise wie ein Stehaufmännchen vornüber und richtete sich eilig wieder auf. Er wirkte verschüchtert und in sich gekehrt. »Nun, wahrscheinlich wegen seines Onkels.« Konstatierte Akira. Herr Yoshida, ein Dauermieter in Zimmer 203, war ständig auf Geschäftsreisen und hatte darum gebeten, seinen Neffen in dem freien Zimmer 204 des alten Ikoiso unterbringen zu dürfen. Ein angehender Student, sauber, höflich, zurückhaltend, der pflegeleichte Mieter per se! »Ob das anhält?« Akira hatte lebhafte Erinnerungen an seine Studententage, konnte sich vorstellen, dass auch ein verhuschter Musterschüler wie dieses Exemplar vor ihm sich in der neu gewonnenen Freizeit veränderte! Aber das würde man eben sehen. Es konnte ja auch nicht schaden, dass sein eigener Neffe Naoyuki und der Mieter von 201, Kei Yamashiro, ein Vorbild bekamen, das sie ein wenig in die Schranken wies. Denn, das konnte Akira nicht von sich weisen, er ließ die beiden Oberschüler an der langen Leine laufen, ja, ja! Nun, erste Lieben, oder vielmehr die erste ernsthafte Beziehung, da konnte man doch nicht wirklich streng sein, wenn man selbst gerade den Mann seines Lebens gefunden hatte, oder?! »Wenigstens habe ich sie ermahnt!« Erteilte er sich selbst Absolution. Wenn sie sich bloß daran erinnerten! *~* Die vier Stammbewohner des Ikoiso (Yoshida senior befand sich wie gewohnt auf Geschäftsreisen) konstatierten bei einer erweiterten "Familienmahlzeit" im Erdgeschoss, dass Shinosuke Yoshida wirklich ein seltsamer Bursche war. Aus seinem Zimmer drang ab und zu mal das Brodeln des Wasserkochers, mehr aber auch nicht. Keine lustige Show im Fernsehen, kein Auflachen bei Manga-Lektüre, kein lebhaftes Telefonat, kein gar nichts! Diszipliniert hielt er sich an die Müllentsorgungstage, lüftete den Futon, zuckelte zur Reinigung. Duschte mutmaßlich in der Uni, denn im Badehaus ward er noch nicht gesehen. Er lebte wie ein Geist, immer höflich, ziemlich blass. Eine schlanke Gestalt, die Bücher apportierte wie ein Lastesel und vermutlich ohne sie vom Wind fortgetragen würde. "Mit dem stimmt was nicht." Naoyuki urteilte freimütig wie immer, während Kei ihm einen Knuff versetzte. "Er ist vielleicht ein wenig schüchtern." "Könnte auch am Studium liegen." Der Vierte in der Runde, Saburo Matsuno, Polizist und Akiras große Liebe, pickte geschickt frittiertes Gemüse auf. "Pharmazeutik, wenn ich das richtig verstanden habe. Das erste Semester ist wohl sehr anstrengend, wenn man von der Schule wechselt." "Möglich." Grübelte Akira und bemühte sich, seine Phantasie in die Schranken zu verweisen. Mieter waren Mieter und umso besser, wenn sie pünktlich zahlten und sich an die Regeln hielten! *~* "He, Sie da! Ja, genau, Sie! Hier wohnt doch Shinosuke Yoshida, oder?" Akira wandte sich um, konsterniert durch diese freche Einleitung. Er fand sich einem bullig wirkenden jungen Mann in Ledermontur gegenüber, aber keineswegs ein Kurier. Mehr der Typ "Motorradgangleader"! "Wer möchte das wissen?" Akira hielt seinen Besen fester im Griff, denn dieser freche Jungspund sah nach Ärger aus. Und irgendwie auch vertraut?! "Ich will das wissen." Antwortete der Motorradfahrer direkt, bockte die Maschine auf, löste den Kinngurt seines martialischen Helms und streifte sich die Handschuhe ab. "Ich suche ihn. Shinosuke Yoshida, mein ich." "Und möchte der von dir gefunden werden?!" Akira stützte eine Hand provozierend in die Seite, blitzte den jungen Mann an. "Tja, schätze, das finde ich selbst heraus." Konterte der lässig, aber auf eine Art, die Akira verriet, dass die Frechheit seines Auftretens ihm offenkundig gar nicht bewusst war. In der Montur steckte ein braungebrannter Surfertyp mit ausgebleichten, filzigen Zotteln. "Okay, Mann, ich will keinen Ärger, klar? Ich will nur mit ihm reden." "Und ich habe nicht gesagt, dass ein Shinosuke Yoshida hier logiert." Entgegnete Akira kühl. Was war das denn für eine Type, und wieso, verflixt, hatte er das Gefühl, ihn zu kennen?! "Überhaupt, wer bist du eigentlich, hm?!" "Oh, Scheiße, Mann, hab ich das nicht gesagt?" Keineswegs zerknirscht blendeten weiße Zähne auf. "Sorry, glatt vergessen! Also, hi, ich bin Kanda, Mamoru Kanda." "Kanda?!" Akiras Besen krachte auf den Boden. *~* Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Nun tropfte es noch eisig, und Shinosuke Yoshida fühlte sich wie ausgewrungen. Es gab zu viel zu rasch in den Kopf zu stopfen! Er hatte das Gefühl, längst die Kapazitätsgrenze erreicht zu haben und nun purzelte alles heraus, was er bereits gelernt hatte! Als ob man ein Sieb auffüllen müsste. Erleichtert bog er in die Straße ein, wo das Ikoiso auf ihn wartete, dankbar dafür, dass sein Onkel so selten zugegen war, denn das ersparte peinliche Erklärungen. Als er jedoch den kleinen Vorplatz betrat, versperrte ihm erst ein imposantes Motorrad den Weg, dann sprang vor dem Ikoiso eine ebenso beeindruckende Gestalt in Lederkluft auf die Beine. "Yoshida! Ey, Yoshida, endlich!" Shinosuke Yoshida stieß einen gequälten Laut aus, ließ seine Büchertasche fallen, machte kehrt und gab Fersengeld. *~* "Scheiße, ehrlich, in diesen winkligen Gassen hat er mich total abgehängt!" Beklagte sich Mamoru Kanda, den es nicht beeindruckte, dass nun drei Bewohner des Ikoiso ihn anstarrten, weil er sich einfach nicht von der Schwelle verweisen ließ. "Ey, Leute, könnt ihr nicht wenigstens seinen Kram rein nehmen? Wird ja alles nass." Vollkommen unbeeindruckt reichte er die Büchertasche an. "Ich kann es überhaupt nicht vertragen, wenn man meine Mieter verscheucht!" Akira funkelte, entriss Mamoru die Tasche und drückte sie Kei in die Hände. "Bring sie bitte nach oben." "Nur kein Stress, Kumpel, ich will bloß reden. Jetzt kann er ja nicht wieder abtauchen, wenn sein gesamter Kram bei euch ist." »Dumm!« Dachte Akira, aber er hatte nicht das Gefühl, dass er Shinosuke verraten hatte, weil dieser Kanda so Einiges bereits zu wissen schien. "Warum gehst du nicht einfach? Lass deine Nummer hier, und wenn er mit dir reden will, kann er dich anrufen." Schlug Naoyuki vor, der sich mit seinem Onkel zu einer mobilen Front formiert hatte. "Weil er nich anruft." Prophezeite Mamoru ungerührt. "Und ich hab Null Bock, dass der Mist wieder von vorne anfängt." "Was für ein Mist?" Naoyuki ignorierte Keis Ellenbogencheck, er war schlichtweg neugierig. "Na ja!" Der Surfertyp lehnte sich ungeniert an den Türsturz. "Ich war mit Yoshida im gleichen Jahrgang. Bei der Abschlussfeier haben dann einige so n Orakel-Ding aufgezogen. Irgendwie kam dabei raus, dass wir in Zukunft n Paar wären. Yoshida ist total durchgedreht, einfach abgehauen!" Er schnalzte mit der Zunge. "Fand ich etwas übertrieben, ich mein, hey, wer glaubt denn an Orakel und so n Zeug?! Wir haben dann noch Bilder und Videos laufen lassen, und ehrlich, Mann, da fiel mir erst auf, dass er immer nach mir geguckt hat! Hab ich gar nicht kapiert, aber dann dachte ich: die haben vielleicht recht! Ich mein, hey, wer konnte das ahnen?! Also wollte ich ihm am nächsten Tag sagen, dass es echt kein Problem is, wenn er auf mich steht, ich mach da keinen Stress, oder so!" "So sieht es nach meinem Eindruck aber nicht aus!" Bemerkte Akira spitz und rieb sich die Arme. Ganz schön frisch! "Ehrlich, ich bin nicht so n verklemmter Typ, oder was!" Bekräftigte Mamoru energisch. "Ich also hin, und keiner macht auf. Die Nachbarin hat mir dann gesteckt, dass er am selben Abend noch mit Sack und Pack weg is! Und die Eltern hätten sich total eingeigelt, kämen nur raus, wenn keiner sie sieht." Kei, der neben Naoyuki stand, versteinerte, aber Naoyuki fühlte sich selbst konsterniert. "Tja." Mamoru zuckte nonchalant mit den Achseln. "Ich hab trotzdem versucht, ihn aufzustöbern, was soll der Stress auch? Okay, die Sache ist total aus dem Ruder gelaufen, aber deshalb gleich abhauen?! Ist doch ziemlich abgedreht." "Wenn's einen nicht betrifft, hat man leicht reden!" Stellte Naoyuki streng fest. "He!" Ungeniert tippte Mamoru ihm gegen die Brust. "Kumpel, ich weiß genau, was hier in eurer Bude läuft, klar? Aber mal ehrlich, wen juckt's, hä? Hauptsache is, man kommt miteinander aus, sag ich. Und wer was mit wem unter der Decke treibt, geht nur die Beteiligten an." Drei Augenpaare spießten ihn förmlich auf. "Oh." Erneut wurde ein beeindruckendes Gebiss aufgeblendet. "Mist, hab ich ja nicht erwähnt, oder? Also, mein Onkel, der Chirurg is, der hatte ja mal was mit Ihnen laufen." Er nickte Akira zu, dessen Miene unerfreuliche Bände sprach. "Er is n bisschen stur, wollte nich glauben, dass er keine Chancen mehr hat. Also hat er bei meinem Alten n gutes Wort für mich eingelegt, dass ich hier wohnen und jobben kann. Dabei sollte ich türlich den Laden hier beobachten. Hab ihm aber schon gesagt, dass Sie total dicke mit dem scharfen Bullen sind." Das kam derart treuherzig heraus, dass selbst Akiras scharfe Zunge versagte. "Du hast hier herumgelungert und uns nachspioniert?!" Kei reagierte angewidert. "Nee, dir nich, Kamerad, das war ja nich meine Baustelle." Mamoru zeigte keinerlei Betroffenheit. "Ging ja nur um ihn hier." Sein Daumen deutete unfehlbar Akira aus. "Und warum hast du erst jetzt gemerkt, dass Yoshida hier wohnt?" Naoyuki fand, dass es nun nichts mehr zu verheimlichen gab. Außerdem war dieser Mamoru Kanda irgendwie, auf eine prollige Art, sympathisch. "Tja!" Die filzige Mähne wurde umgegraben. "Mein Alter hat n Aufstand gemacht, weil ich nich zur Uni gehe. Und keine Mäuse mehr gelöhnt. Also musste ich mir noch n paar Jobs an Land ziehen, deshalb konnte ich mich hier nich auf die Lauer legen, so wie in den Ferien." "Du liebe Güte!" Murmelte Kei, erschüttert über ein derartig verantwortungsloses Handeln. Akira seufzte. "Also, mir wird es jetzt zu kalt hier. Kommt alle rein, sonst kühlt das ganze Haus aus." Und es machte ja nicht den Eindruck, als würden sie Mamoru Kanda schnell wieder loswerden. *~* Shinosuke Yoshida schlich mit gesenktem Haupt zum Ikoiso zurück. Er war durchgefroren, auch wenn das Nieseln nachgelassen hatte und er wusste nicht mehr, wohin er noch fliehen sollte. Sein schlimmster Albtraum war eingetreten, er konnte sich nicht länger entziehen. ER hatte ihn gefunden. "Hey! Yoshida, komm schon, Mann, ich will nur reden, okay?" In der erleuchteten Eingangstür stand Mamoru Kanda, näherte sich ihm langsam wie einem verwundeten Tier. "Kumpel, lauf nicht weg, ja? Reden wir, okay?" Blitzartig schnappte eine kräftige, warme Hand sein knochiges, kaltes Handgelenk. Shinosuke hob den freien Arm vor die Augen, den Kopf gesenkt, kämpfte gegen ein resigniertes Aufschluchzen an. Alles war vorbei. "He-He, Yoshida, echt, Mann, jetz wein doch nich!" Ziemlich entwaffnet schlang Mamoru den freien Arm um die ausgekühlte Gestalt, zog sie an sich. "Kumpel, is doch nich dramatisch!" Langsam dirigierte er sie in einer Art Krebsmarsch zum Eingang, brummte dann den drei anwesenden Bewohnern zu. "Okay, Leute, die Privatshow ist vorüber. Danke, ihr wart ein tolles Publikum!" Shinosuke ließ sich von ihm in den oberen Stock führen, wobei es ihn nicht verwunderte, dass Mamoru sich wie Zuhause zu fühlen schien. Mamoru Kanda war schlichtweg eine Naturgewalt, die mit jeder Situation fertig wurde. "Junge, Junge, du schlotterst ja verdammt rum!" Schon wurde Shinosuke zum Platznehmen genötigt, dann kramte Mamoru ungeniert in seinen Habseligkeiten herum, bevor er ihm zwei Decken umlegte und ihm mit einem eilig angefeuchteten Waschlappen das Gesicht ablederte. "Mann, Mann, Mann, hast mich ganz schön alt aussehen lassen, Kumpel! Ich war so kurz davor, mich total hier zu verirren! Absolut krass!" Ein Daumenbreit Distanz wurde signalisiert. Shinosuke brachte kein Wort heraus, ihm schlugen nun aber die Zähne aufeinander, während der Rest seines Körpers sich langsam unter der doppelten Deckenauflage zu erwärmen begann. "He, sach ma, kann ich eben deinen Wasserkocher benutzen?" Mamoru bediente sich schon, stellte Tassen auf, fummelte innerhalb seiner Ledermontur. "Ich mach uns mal was Warmes fürn Hals. Meine Oma schwört ja, da wär Ochsenblut drin, aber ich schätze mal, sie will mich bloß verarschen." Das kam ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. Eine typische Mamoru Kanda-Aussage! Kaum dampfte eigenartiger Tee in den zwei Tassen, zerrte er auch noch einen etwas lädierten Schokoladenriegel heraus, pulte die klebrige Verpackung ab. "Na, schaut nich mehr doll aus, aber verspachteln kann man's noch." Shinosuke schrumpfte noch weiter in sich zusammen. "Also!" Mamoru plumpste ihm gegenüber mit gekreuzten Beinen auf die Tatami. "Ich hab den Leuten da schon gesagt, dass ich bloß reden will. Wegen der Sache mit dem Orakel und dem Schulfest und so." Nun konnte Shinosuke nicht mehr ins Leere starren. Er krächzte erschüttert. "Du hast es ihnen gesagt?!" "Ja, klaro!" Mamoru schlürfte seinen Tee. "Ich mein, boah, schmeckt eklig, aber wenn's Tinte auf den Füller bringt! Okay, ich mein, is ja schon ne krasse Nummer, dass ich dich hier wiederfinde! Hab echt alles nach dir abgeklappert und hatte schon fast aufgesteckt, da sorgt der Überwachungsjob für meinen Onkel hier dafür, dass ich dich aufstöbere! Cool, oder?!" Shinosuke verstand gar nichts mehr, was seiner blanken Miene auch mit einem begrenzten intellektuellen Vermögen zu entnehmen war. "Ach so!" Mamoru füllte lässig die Lücken auf. "Weißte, mein Onkel hatte was mit deinem Vermieter am Laufen. Der hat ihn dann in die Wüste geschickt, aber das wollte er nich verknusen und ich sollte jetzt rausfinden, mit wem sein Ex die Laken zerwühlt. Und, Mann, hätte mein Alter mir nich die Mäuse gestrichen, wär ich bestimmt viel früher hier gewesen, aber ich musste jobben, um Kohle reinzubringen." "Was willst du von mir?" Dünn und erbärmlich hörte sich Shinosukes Stimme in seinen Ohren an. "Na, anfangs wollte ich dir bloß sagen, dass das mit dem Orakel doch n Scheiß bedeutet!" Mamoru antwortete gnadenlos ehrlich. "Ich mein, Junge, was solln denn so n paar Stäbchen und olle Würfel über die Zukunft wissen? Die waren mal richtige Pflanzen, jetzt sindse bloß Brennholz, also, von Zukunft haben die ja wohl keinen Trichter, oder, Mann?!" Und DAS war genau einer dieser Augenblicke, in denen Shinosuke Yoshida sich zurückversetzt fühlte in die Anfänge seiner Oberstufe. Wenn Mamoru Kanda dem Rest der Welt selbige erklärte. "Aber wie ich bei dir eintrudle, da is alles ausgestorben! Ich hab überall nach dir gesucht, aber deine Leute wollten nix sagen, alle auf Tauchstation. Und wie ich da so auf deiner Fährte bin, denk ich an die Bildershow, die du verpasst hast, bei der Fete." Mamoru Kanda, die Legende, grub seine filzigen Strähnen mit Anzeichen von Nachdenklichkeit um. "Mann, Yoshida, du weißt doch, Kumpel, dass ich echt nich die hellste Birne im Kronleuchter bin! Ich hab echt erst bei den Bildern gemerkt, dass du immer nach mir geguckt hast." Die Hände wanderten hoch. "Und hey, damit hab ich gar kein Problem! Aber mich hat's echt genervt, dass alles so den Bach runtergegangen is. Ja, das war ne blöde Nummer mit dem Orakel, aber wenn man's mal dreht: ich hätt echt nicht gemerkt, dass du auf mich stehst!" Shinosuke fand diese Einlassungen überhaupt nicht hilfreich, er fühlte sich bloß elend. Mamoru leerte seine Tasse mit großen Schlucken. "Also, verdammt, das Zeug schmeckt jedes Mal ätzend! Na, also, was ich jetz wissen will, is: stehst du immer noch auf mich?" Wie hätte man da antworten sollen, quasi eine Doppelläufige auf der Brust?! Shinosuke unterdrückte Tränen und wusste nicht, warum er Mamoru nicht hassen konnte, obwohl der gerade wieder alles aufrührte, sein Leben aus den Angeln hob. "Hmm, schätze, ich geh das falsch an." Stellte der kritisch fest, legte eine warme Hand um Shinosukes blasses Gesicht, brachte sich auf die perfekte Höhe und landete einen Kuss. "Okay, das is noch ausbaufähig." Konstatierte er ungerührt. "Ich kann das besser. Wollen wir n bisschen knutschen und du denkst dann über deine Antwort nach?" "Mach-mach dich nicht lustig über mich!" Shinosuke wich heftig zurück, funkelte in das vertraute Gesicht. "Tu ich doch gar nich!" Verteidigte sich Mamoru gekränkt. "Ich wollte jetz nur nich, dass du die Katze im Sack kaufst, verstehste? Ich mein, ich muss ja noch n bisschen was anderes bieten außer meiner charmanten Persönlichkeit, oder?" "Das...aber...aber...!" Stotterte Shinosuke fassungslos, die Augen aufgerissen, der feuchte Film darauf längst vergessen. Mamoru legte den Kopf schief. "Also, ich denk mir das so: wenn du immer noch auf mich stehst, dann können wir's doch miteinander probieren, okay? Ich mein, du bist total intelligent und echt nett und so! Deine Bude ist sauber, du hast's mit der Schule voll drauf gehabt! Wenn ich mich jetz noch versehentlich auf die hässliche Brille da hocke und wir dir n echt scharfes Teil besorgen, dann machst du voll was her!" Das sollten vermutlich Komplimente sein, auf Mamoru Kanda-Art. Shinosuke jedenfalls entwich ein ersticktes Auflachen, schwankend zwischen Hysterie und Verzweiflung. Er musste einfach träumen! "Also, während du so denkst, können wir es uns ja n bisschen nett machen, oder?" Mamoru ließ nicht locker. Es gab zwar schon einige Mädels, die mal in ihn verknallt waren und mit denen er das eine oder auch andere angestellt hatte. Aber wenn sich jemand wie Shinosuke Yoshida in einen verknallte, dann hatte man ja wohl das große Los gezogen! Der Bursche hatte nämlich den totalen Durchblick, aber hallo! "..ich... ich weiß nicht." Murmelte Shinosuke gerade hilflos. Es schien ihm schon unglaublich, dass er von seinem Idol geküsst worden war. Doch dass der gleich auch noch anbot, diese Aktion fortzusetzen...?! "Probieren geht über studieren, sach ich immer!" Gab Mamoru die Losung aus, zog Shinosuke zu sich heran und setzte seine ganze Erfahrung ein, um für seine eigene Zukunft zu werben. Er hatte nämlich nicht vor, gleich als Kompost zu enden oder auf blöde Holzabfälle zu hören! *~* Akira berichtete dem Spätheimkehrer Saburo während ihres frugalen Nachtmahls von den sich überschlagenden Ereignissen des Tages. Und warum in der Einfahrt eine teure Maschine treu auf ihren Besitzer wartete. "Und es gab keinen Streit mehr?" Saburo lupfte eine Augenbraue. "Nichts!" Das frustrierte den Dramatiker in Akira ein wenig. "Totale Ruhe. Aber wenn die beiden sich vertragen, was sag ich dann seinem Onkel?!" Saburo grinste frech. "Ich denke nicht, dass wir in einer moralisch gefestigten Position sind, junge Liebende anzuschwärzen." "So wollte ich das auch nicht...pah!" Akira knuffte die modellierten Oberarmmuskeln streng, aber im Kern hatte der Polizist ja recht: auf zwei oder drei Liebespaare im Ikoiso kam es nun wirklich nicht mehr an. Wenn sie nur alle glücklich waren! Mamoru Kanda jedenfalls im Stockwerk über ihnen war sehr mit sich und der Welt zufrieden. Shinosuke schlief tief und fest, eng an ihn geschmiegt, von einer Bürde befreit, die er sich selbst aufgeladen hatte, nicht länger vogelfrei. Denn wo Mamoru Kanda beschloss, seine Zelte aufzuschlagen, da machte er sich die Welt so, wie sie ihm gefiel! *~* Szene "P" # Petshop of Horrors von Matsuri Akino (Tokyopop Deutschland) Leon Alcott hackte ebenso heftig wie verbissen in die Tasten, während sein Blick immer wieder über seinen Schreibtisch irrte. Strategisch aufgestellte Kaffeebecher, die leeren Tüten eines chinesischen Imbisses und alles andere, was irgendwie als Briefbeschwerer tauglich sein konnte, wurde genutzt, um jeden Informations- und Erkenntnisschnippel festzuhalten. Der Bericht musste zum Abschluss gebracht werden, und Leon hasste diese leidige Arbeit, die ihn auf seine vier Buchstaben zwang, keinerlei Ausflüchte zuließ. "Puh, dein Schreibtisch stinkt wie der Müllcontainer hinterm Lotos!" Beklagte sich seine Kollegin Gina. Sie griff sofort zu einer Aerosoldose, kämpfte mit "Sommerblütentraum" gegen die verschmähten Odeurs an, was zu einem "Pseudo-China-Blumen-Trauma" führen würde. "He, ich arbeite hier!" Grollte Leon ärgerlich und schielte unter eine weitere Tüte. "Hast du dich etwa mit D verkracht?!" Gina beäugte angewidert die Trümmerwüste mit den Fast Food-Erhebungen. Zumindest besaß Leon ausreichend Verstand, nicht den Laden schräg gegenüber aufzusuchen, wenn ihn der Hunger plagte: selbst die Ratten ließen das Lotos in Ruhe. "D hat sich freigenommen." Knurrte Leon mit gefurchter Stirn. Jetzt bloß nicht den Faden verlieren! "Und prompt verfällst du wieder in alte Gewohnheiten!" Spottete Gina, trat unter weiteren Sprühstößen den Rückzug an. Leon schnüffelte, nieste und grollte. JETZT stank es wie in einem orientalischen Männerpuff! Er konnte froh darüber sein, dass D zwar ein sehr feines (auch hübsches) Näschen hatte, jedoch keine Vorstellungskraft, was Seitensprünge betraf. Überhaupt hätte seine bessere Hälfte im Moment sicher Wichtigeres zu tun... Leon zuckte zusammen, als sein Mobiltelefon zirpte. Er konnte nicht sagen, wie es D gelungen war, das winzige Technikmonster zu bezwingen, doch der Rufton, den er für sich ausgewählt hatte, entsprach genau Kyuus ärgerlichem Piepen! Sofort klappte der Polizist nach vorne, tarnte sich hinter seinem zugebauten Schreibtisch und nahm den Anruf an. "D, was ist los?" Die Antwort konnte er kaum verstehen, denn das Drachenwesen befand sich offenkundig entweder mitten auf einem Heavy Metal-Rummel oder einem Schlachtfeld mit Walküreneinsatz. Dabei sollte er theoretisch ein Dutzend Kinder hüten, die mit seinem kleinen Bruder Chris Geburtstag feierten. "Ich kann dich kaum verstehen...Hilfe? Wobei brauchst du Hilfe?...aufgedreht? Was tun sie?!" Nicht nur die Geräuschkulisse bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten, auch der Umstand, dass D eindringlich flüsterte. Wie unter Feuer! "Wieso sind sie...?" Plötzlich kam Leon ein Verdacht. Sein Instinkt, der ihn immer wieder in Schwierigkeiten brachte und genauso oft auch vor großen Gefahren rettete, produzierte eine Eingebung. "Liebling?" Er richtete sich auf, formulierte bedächtig. "Sag mal, hast du ihnen einen Kuchen gebacken?" Ds kleinlautes Herumdrucksen genügte ihm bereits als Antwort. Er liebte den ehemaligen Count sehr und war stets bereit, gewisse Extravaganzen zu akzeptieren, weil D ihn ebenso innig liebte und große Opfer gebracht hatte. Eine Sache jedoch sorgte regelmäßig für Dissonanzen in ihrem trauten, mutmaßlich nun verwüsteten Heim: Ds Sucht nach Süßem. "Ich bin sofort da, halte durch!" Gab er nun mit einem bissigen Grinsen die Parole aus. "Und, mein Schatz, ich darf dich darauf hinweisen, dass Kannibalismus keine akzeptable Notwehrmaßnahme darstellt." D schnaubte entrüstet und unterbrach die Verbindung, was Leon ein Schmunzeln entlockte. Gott, er liebte diesen Burschen einfach!! *~* "He, wenn der Lärm nicht aufhört, hole ich die Polizei!" Brüllte eine untersetzte Frau vom Gehweg hoch. Leon schwenkte im Vorbeieilen seine Marke. "Sparen Sie sich die Mühe, Lady, die Cops sind schon da!" Im Treppenhaus quatschte ihn auch noch der schmierige Schleimer aus 1D an, hämisch grinsend. "Na, Bulle, wer gewinnt denn da oben?" "Schätze, der, bei dem die Sitte nicht vorbeischaut!" Ätzte Leon finster zurück, worauf der Schleimer sich mit einer rüden Geste in sein Appartement zurückzog. Unbeeindruckt hielt Leon das Tempo, flog förmlich die Stufen hoch, bis er ihr Appartement erreichte. Der Lärm war ohrenbetäubend, Trampeln, Kreischen, Poltern. Man glaubte sich in einem Wirbelsturm! D empfing ihn zerzaust, mit einem hilflosen Lächeln auf den feingeschnittenen Zügen. "Ah, Leon, wie schön!" "Das kannst du laut sagen!" Nahm Leon die Trümmerwüste, die mal ihr Zuhause gewesen war, in Augenschein, dann stellte er seine Papptüte ab und pfiff auf zwei Fingern durchdringend. "Alle mal herhören, ihr Rabauken! Schnappt eure Schuhe und Jacken, wir gehen raus!" Die Vandalen hatten sich schließlich auch nicht nur auf einen Ort beschränkt! *~* Mit hochroten Köpfen, ächzend und dennoch unfähig aufzugeben, schleppten sie sich weiter. Leon blickte sehr zufrieden von der einfachen Tribüne auf dem offenen Sportfeld. Zugegeben, einige der Übungen hatte er sich aus einer Dokumentation über die Marines ausgeliehen, doch ohne große Ziele konnte man auch nichts Großes bewerkstelligen, richtig? Die Regeln waren simpel: der letzte in der Gruppe musste wahlweise eine saure Essiggurke oder einen Matjeshappen in roter Bete essen. Für die Kinder schauerlich, was auch die Schadenfreude in den ersten Runden erklärte. Ein bisschen gruselig und dabei immer in Bewegung, das sorgte für Unterhaltung! So kletterten, hopsten und rannten sie um die Wette, Liegestütze, Balance-Übungen...Leon brachte sein ganzes Arsenal an unerfreulichen Sportübungen zum Einsatz. So langsam zeichnete sich ein Erfolg ab. Das Geschrei wurde weniger, der Antrieb auch. Einige saßen bereits, die Münder mit Soße vom Matjes verschmiert, mit dumpf-apathischem Blick auf der Tribüne und vegetierten vor sich hin. Die Eltern würden SEHR ruhigen Nachwuchs auslösen können, das stand schon mal fest! Triumphierend sandte Leon einen Seitenblick auf D, der ungewohnt in sich gekehrt neben ihm Hof hielt, wie immer aufrecht und sehr elegant. "Wie war das mit 'ein Dutzend Kinder, selbstverständlich schaffe ich das'?" Neckte er ihn grinsend. "Es hat auch eine Weile sehr gut funktioniert, besten Dank!" Schimpfte D leise zurück, bewahrte seine gewohnt majestätische Haltung. "Bis du deinen Kuchen serviert hat. Über den wir schon mal gesprochen haben." Schoss Leon zurück und feuerte gleichzeitig die verbliebenen drei müden Krieger an, noch eine Runde zu absolvieren, bevor die Gurken warm wurden. "Er hat allen gemundet, ja, sie haben ihn ausdrücklich gelobt!" Verteidigte sich D auf verlorenem Posten. Unter Leons strengem Blick leckte er sich verlegen und sehr verführerisch zugleich die Lippen, richtete seine verschieden farbigen Augen auf die Turnschuhe, für die er eine Vorliebe entwickelt hatte. Leon lehnte sich zu ihm und raunte in ein Ohr. "Du wolltest dich an die Rezeptur halten, D. Hast du mir sogar versprochen!" "Habe ich ja auch!" Begehrte D auf und funkelte Leon vorwurfsvoll an. "Nur musst du doch zugeben, dass die Angaben ein wenig knauserig waren! Immerhin ist es Chris' Geburtstagsparty!" "Ja~ha." Stellte Leon nüchtern fest. "Und, Mann, an den Geburtstag werden sie sich noch lange erinnern!" Neben ihm schniefte D gekränkt und zerdrückte ein Stofftaschentuch in seinen Händen. Wenige Herzschläge später lag Leons größere Hand über den schmalen, eleganten, tröstete, versöhnte. Gemeinsam würden sie das Schlamassel schon wuppen!! *~* Nachdem Leon behutsam Chris von seinem Rücken in dem Reisebett abgeladen hatte, befreiten sie den völlig erledigten Jungen von Kleidern und Schuhen, streiften ihm einen Pyjama über und deckten ihn zu. Er war nicht mal aufgewacht. In gemeinschaftlichem Schweigen räumten sie nun auf. Leon, der kreatives Chaos mochte und zeitlebens wenig besessen hatte, wusste um Ds Liebe zu Ordnung, zu einer gewissen Plüschigkeit, zu Nippem und Accessoires. Also fügte er sich drein und sammelte auf, fegte zusammen, sortierte. "So hast du dir Partys nicht vorgestellt, hm?" Erkundigte er sich mitfühlend. Klar, D hatte bestimmt angenommen, dass Chris und seine Freunde ganz gesittet speisen, etwas singen und sich unterhalten würden. Würdevoll, angemessen, zurückhaltend, manierlich. "Ich verstehe das wirklich nicht!" Seufzte D. "Zucker tut gut. Ist naturnah. Ein Energielieferant!" Und er liebte es süß! "Du weißt, mein Liebling, die Dosis macht das Gift." Leon schmunzelte, drückte D einen beiläufigen Schmatz auf die Wange, was diesen stets empörte. "Unerhört! Ich habe sie doch nicht vergiftet!" Protestierte D gekränkt. Wie hätte er auch ahnen können, dass zu viel Zucker diese Überreaktion bei Kindern hervorrief?! "Man wird alt wie ne Kuh und lernt immer noch dazu!" Trällerte Leon grinsend. "Komm, lass uns die letzten Trümmer beseitigen, dann reicht's für heute." *~* Leon kehrte vom Müllcontainer zurück, bereit für eine Dusche und anschließend Augenpflege. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen und er hoffte, dass D es nicht allzu schwer nahm, wie viele Schäden die Nachwuchs-Hunnen angerichtet hatten. Als er die Wohnung betrat, brannte nur noch in seiner Küche Licht. Dort fand er D, der mit kummervoller Miene die traurigen Reste seiner prächtigen Torte in profane Kunststoffbehälter packte. "Bitte zwing mich nicht, sie wegzuwerfen." Murmelte D bedrückt. "Aber nein!" Leon legte einen Arm um die schlanke Taille, küsste Ds ewig glatte Stirn sanft. "Räum sie nur vor Chris weg, ja?" D schnüffelte tapfer, dann hielt er jedoch inne. "Ach du Güte, du hast ja gar nichts vom Kuchen bekommen! Dabei ist das doch eine Geburtstagstradition!" Leon hob beide Hände reflexartig, wich zurück. "Das ist wirklich nicht notwendig, D! Ist ja schon spät, ich bin ganz und gar satt..." D tunkte einen Finger in die Quark-Sahne-Schicht, hob ihn auffordernd direkt an Leons Lippen. Do or Die! "Hältst du das für eine gute Idee?" Bemühte Leon sich um einen Ausweg. "Jetzt, hier? In einem Bett, gemeinsam?" Sein betont ordinärer "Lechz-"Blick in bester Unterground-Comic-Tradition verfing bei D nicht. Der Finger mit seiner cremigen Ladung süßer Tod nach Hyperaktivität wartete unerbittlich auf Einlass. Todesverachtend löschte Leon die Fracht, schluckte und hoffte auf ein Wunder. Nein, es schmeckte wirklich geradezu ekelerregend süß! Möglicherweise noch tolerabel für Kinder, aber ihn schüttelte es förmlich. Da quietschten ja die Zähne! Trotzdem lächelte er tapfer in Ds exotisch-schöne Züge. Wo waren die sauren Gurken? Matjes, irgendwer? D lehnte sich vor, tippte mit dem säuberlich abgeleckten Finger auf Leons Lippen. "Wenn hier auch nur Kontakt mit diesen fürchterlichen Gurken oder dem toten Fisch aufgenommen wird, dann kannst du dich auf dem Sportplatz austoben, mein lieber Gemahl!" Leon schluckte unter Ds Schlafzimmerblick, dann murmelte er. "Ich spiele lieber hier oben, General!" D zwinkerte ihm über die Schulter zu, eine Hand dezent nach hinten gestreckt. "So sei es denn!" Und Leon folgte ihm, wie stets. *~* Szene "Q" # Queen von Mamiya Oki (Kadokawa, Japan) "Na, wie findest du es?!" Geübt posierte Kikyou Onuma in der Bar, präsentierte die eigenwillige Kreation, die er in dieser Nacht durch die Bars und Straßen spazieren tragen würde. Seine knabenhaft-zierliche Gestalt wirkte in dem Kunstlederoutfit noch zerbrechlicher, eine in Takuya Hagas Augen unruhestiftende Eigenschaft. "Was soll das denn darstellen?" Brummte er und balancierte die Zigarette auf der Unterlippe. Am Notausgang durfte er rauchen, was er genoss, während er die neue Lieferung kartonweise in den winzigen Abstellraum ein- und Müllbeutel auslud. "Sieht man doch!" Schmollte Kikyou verstimmt mit seiner hellen, rauen Stimme. "Das ist ein Pilotenoutfit!" Wenn man sich hauptsächlich in der Waagerechten im Fliegen übte, denn da störten nicht nur baumelnde Amulette und allerlei klingelnder Schnickschnack, sondern Einsätze aus Netzmaterial, Schnürbänder und Schnallen, die an ein kompliziert verpacktes, aufreizend verlockendes Präsent erinnerten. Und alles auch noch in einem tiefen Rotton, der nur bei einer so makellosen Haut wie Kikyous angemessen wirkte. Verstimmt warf der seine schweren, schulterlangen Haare zurück und justierte über der nachtschwarzen Pracht eine Fliegerpilotenhaube mit mächtigen Augengläsern. "Praktisch, erkennt einen wenigstens niemand." Stichelte Takuya, packte den zu einer heftigen Erwiderung ansetzenden Kikyou am Handgelenk. "Warte!" "Ich habe zu arbeiten!" Beschied der schnippisch, unternahm jedoch keinerlei Anstalten, Takuyas Griff zu entkommen. Der zog ihn zu seinem Spind, streifte dann seinen Wollmantel im Seebärenstil mit doppelreihiger Knopfleiste über den schmächtigen, jungen Mann. "Ist zu kalt, nur in diesem Zeug da. Wird außerdem regnen." Ergänzte er, denn seine getönten, eher feinen Haare drehten sich schon auf. "Also, das passt ja nun überhaupt nicht zueinander!" Schimpfte Kikyou, der in dem Kurzmantel förmlich zu ersaufen drohte. "Und so sieht man auf der Straße ja gar nichts von dem Outfit!" »Umso besser!« Lag Takuya auf der Zunge, doch er sprach es nicht aus, denn er wusste, dass er schon gewonnen hatte. "Bei dem Regen machst du besser drinnen Werbung." Empfahl er knurrig. "Wenn alle die Schirme über die Köpfe ziehen, schauen sie ohnehin nur auf deine Stiefel." Zumindest Frauen in jedem Fall, denn die zierlichen Füße steckten in der Karikatur von halbhohen Kampfstiefeln, eng geschnürt, jedoch deutlich absatzbetont und in der gleichen Alarmfarbe wie das Kunstleder. "Also gut, wenn es dir so wichtig ist!" Kikyous Hände in den Handschuhen mit langem Schaft, aber ohne Finger, rafften bereits den überschüssigen Stoff des Wollmantels vor seinem schmächtigen Brustkorb zusammen. Takuya unterdrückte einen Seufzer, als er die lackierten und mit Glitzersternchen verzierten Fingernägel erblickte. Er zweifelte nicht daran, dass Kikyou auch in Nullkommanichts von freundlichen Damen noch ein Makeup kassieren würde. *~* Man musste seine natürlichen Talente nutzen, fand Kikyou. Unzweifelhaft bestand seine besondere Begabung darin, sein androgynes Erscheinungsbild auch mit Mitte Zwanzig geschickt so zu Markte zu tragen, dass er als Modell gebucht wurde, im Nachtleben in bestimmten Bars als Unterhalter agierte. Ein festes Engagement wie die Hosts hatte er nicht, doch er wusste, wo er gefragt war und eine Umsatzbeteiligung erhielt. Er ließ sich gern einladen, von fröhlichen Damenrunden, die seinen Klatsch goutierten, spitze Bemerkungen und Tipps für die Scouts, die den Trends auf der Spur waren. Auch ältere Herren suchten seine Gesellschaft, doch mehr als hier und da eine Hand auf Arm oder Oberschenkel war bei Kikyou nicht drin. Sex gegen Bezahlung kam für ihn nicht in Frage! Er war Künstler, kein Stricher! Diese Unterscheidung war ihm wichtig, weil in den Nächten sich so manches Gelichter herumtrieb, dass diese wesentliche Differenz nicht anerkennen wollte. Allerdings wusste jeder, der sich hier beruflich aufhielt, dass Takuya Haga sein fester Partner war und der hatte keinerlei Humor, wenn jemand die Bedeutung von "nein" nicht begriff. Hinter ihm standen die gut vernetzten Freemont-Brüder, sodass man sich einer gewaltigen Gruppe konsequenter Männer auslieferte, wenn Kikyou etwas zustoßen sollte. Ein wenig schmerzten Kikyou die Füße doch, als er gegen drei Uhr morgens zurück zu Takuya in die Bar kam. Er hatte gesungen, viel gelacht und sich in unzählige Posen geworfen, war so oft abgelichtet worden, dass er es nicht mal mehr zählen konnte. Viele hatten gern die elektronische Visitenkarte des Designers auf ihr Mobiltelefon geladen, um sich selbst mit Kikyou in einem besonders individuellen Outfit präsentieren zu können. Er fand durchaus, dass er sich sein Honorar verdient hatte. In der Bar war noch immer Betrieb. Nachtschwärmer, Amüsierwütige und auch einige, die schon genug getankt hatten und erst mal eine Pause einlegen mussten. Wer nicht ausfällig wurde, durfte das auch, denn die Bar der Freemonts verstand sich als Wohnzimmer der Stammgäste, mit wesentlich mehr Platz, als in gewöhnlichen Appartements der Hauptstadt zu finden war, selbstredend. "Puh, da bin ich wieder!" Kikyou kletterte auf einen Barhocker und spürte das gewohnte Gefühl gestiegener Aufmerksamkeit. "Und es regnet." Takuya war kurz angebunden, denn er hatte Einiges zu tun. "Ja, ja!" Winkte Kikyou nonchalant ab, es klingelte leise. Bei diesem Schmuck benötigte man keinen Herold, so viel stand fest. Er streckte und räkelte sich ein wenig, hörte einen anerkennenden Pfiff und ließ den Wollmantel über die schmalen Schultern gleiten, improvisierte einen minimalen Striptease, was die Stimmung sofort wieder hob. Lachend warf er schließlich Küsschen in die Luft, zwinkerte anzüglich. "Wie ich sehe, hast du Spaß." Herr Norija kam langsam herein. Bei ihm war Sokrates, sein Basset Hound. "Guten Morgen!" Grüßte Kikyou erfreut. Einmal in der Woche traf er sich mit dem betagten Mann, der ihn stets zum Frühstück (oder in Kikyous Fall Nachtmahl) in den nahe gelegenen Großmarkt einlud. Sie aßen gemeinsam, plauderten miteinander und mehr als einmal überkam Kikyou das Gefühl, wie Enkel und Großvater zueinander zu stehen. Herrn Norija gefielen offenbar seine frechen Bemerkungen, seine gute Laune und auch seine seltsamen Outfits. Übergriffe hatte es nie gegeben. "Ich bin dann mal weg." Kündigte Kikyou an, zwinkerte aufreizend in die Runde und hängte sich bei Herrn Norija ein, der ihn stolz zur Tür führte. *~* "...und dann hat er mich ganz abschätzig angeschaut!" Beklagte Kikyou schmollend sein Unglück und kraulte Sokrates zwischen den Ohren das kurze Fell, was der Basset Hound mit seligem Schnaufen genoss. "Hmm." Herr Norija nippte an seinem Pflaumenwein. "Ich glaube, es liegt an dem Material." "Dem Material?!" Echote Kikyou verblüfft, blickte an sich herunter. "Aber das ist Kunstleder! Was ist daran denn nicht gut?" Der alte Herr lächelte mit allen Runzeln und Falten, studierte das schöne Gesicht mit den großen Augen. "Ich denke, dieses Material ist weniger geeignet für dich." Verkündete er entschieden, aber sanft. "Oh..." Murmelte Kikyou verwirrt, inspizierte sich beunruhigt. "Meinst du, es wirft Falten? Sehe ich darin dick aus? Speckig? Schlaff?!" Immerhin war seine Gestalt, seine Silhouette, sein ganzes Erscheinungsbild sein Kapital! Oh weia, das war doch nicht einer dieser gefürchteten Spandex-Momente?! Herr Norija schmunzelte. "Du siehst wie immer schön aus, Kikyou." "Das verstehe ich nicht." Antwortete der ihm ratlos. Wenn er doch gut aussah, was stimmte dann nicht? Eine von Altersflecken und hervortretenden Adern gezeichnete Hand legte sich hauchzart auf seinen Unterarm. "Für mich und Sokrates wird es jetzt wieder Zeit. Takuya wartet sicher schon auf dich." "Oh...möglich." Kommentierte Kikyou betont leichthin, denn dabei hatte er Takuya noch nie ertappen können, der ihn immer nur so "nebenbei" zu registrieren schien. Herr Norija bot einladend seinen Arm an und gab Kikyou noch einen Hinweis, um die winzige Verstimmung zu heben. "Schau dir an, was er an dir gern sieht!" *~* Kikyou klopfte am Hintereingang, denn die Bar war nun für wenige Stunden geschlossen, bevor sie vor der ersten Welle der Werktätigen als Café öffnete, mit warmen Backwaren und kontinentalem Frühstückszubehör. Der jüngere der beiden Freemonts führte sie dann, damit er mehr Zeit mit seinem Partner, einem Schulkameraden von Kikyou, verbringen konnte. Der ebenfalls nach dem Studium einem Tagwerk nachging. Takuya ließ ihn ein, bereitete dann noch die letzten Umbauarbeiten vor und bestückte den Froster mit den aufzubackenden Teigrohlingen, die man täglich anlieferte. Den nassen Wollmantel abstreifend hockte sich Kikyou an die Bar und plapperte müde belangloses Zeug, Klatsch und Tratsch der Nacht, wie ein Radio als ständige Berieselung im Hintergrund. Wenn er erschöpft war, tat er das meistens, um das Einnicken aufzuhalten. "Und ich weiß wirklich nicht, warum dir mein Kostüm nicht gefällt!" Beklagte er sich. "Alle haben es gelobt, der Designer wird viele Anfragen bekommen! Wolltest du mich etwa ärgern? Oh, das ist so fies, wo ich mir dann Gedanken mache, wenn ich doch das Outfit präsentieren soll..." Takuya stoppte den übermüdeten Redefluss, indem er Kikyous Knie packte, sich zwischen die dünnen Beine schob, den zierlichen Mann einkerkerte und ihn leidenschaftlich küsste. Reflexartig wickelten sich Arme und Beine um ihn, erwiderte Kikyou seine Geste. Heftig nach Luft ringend stemmte sich Kikyou schließlich frei, blinzelte in das vertraute, kantige Gesicht. Takuya zerrte ihm die lächerliche Pilotenhaube vom Kopf und fädelte seine schweren Strähnen frei. Dann bewies er viel Geschick dabei, störende Verschlüsse und Bänder zu lösen und hievte Kikyou auf den Tresen. "Taku..." Ächzte Kikyou überrumpelt. "Pass auf, zerreiß nichts!" Seine atemlose Aufforderung verfing nicht bei Takuya, der das glatte, irgendwie sterile Kunstleder auf Kikyous Haut nicht länger ertragen wollte. Es störte ihn, regte ihn auf, doch als Mann weniger Worte hätte er Kikyou dies nicht angemessen erklären können. Aber Reden stand ohnehin jetzt nicht auf seiner Prioritätenliste. *~* Kikyou lag halbnackt auf dem Tresen, blinzelte trübe in die dunkle Beleuchtungsleiste über sich. Keineswegs zum ersten Mal hatten sie Sex in der Bar oder an dieser Stelle. Aber mit Takuya war es nach langen Arbeitsstunden, auch noch ohne Nikotinzufuhr, jedes Mal ein heftiges, beinahe rauschhaftes Ereignis. Wenn Takuya ihn auf diese Weise liebte, impulsiv, energisch, übermächtig, gnadenlos, dann ließ sich Kikyou einfach fallen, mitreißen, fortspülen, vertraute sich vollkommen seiner Fürsorge an. Das spürte er jetzt einmal mehr, denn die Muskeln und Sehnen in seinem Unterleib zitterten noch immer so stark, dass er nicht aufstehen konnte. "Was-was tust du da?" Flüsterte er heiser, als Takuya ihm geschickt die restlichen Teile des Outfits auszog, ihn stattdessen in ein Reserve-Sweatshirt und eine Jogginghose hüllte. Beides viel zu groß, natürlich. Takuya streifte ihm auch seinen Wollmantel über, bevor er mit grimmigem Zug um die Mundwinkel das ungeliebte Kostüm in eine Papptüte verstaute. "Komm, fahren wir heim." Hielt er Kikyou eine Hand hin, damit der vom Tresen gleiten konnte. Kikyou versuchte es, brach jedoch sofort haltlos in die Knie, keuchte leicht. Wortlos ging Takuya neben ihm in die Hocke, legte sich die dünnen Arme um den Nacken und hob Kikyou wie ein Kind auf seine Hüfte. Ohne besonders behindert durch den Passagier zu wirken, schloss er die Bar am Hinterausgang ab, marschierte dann einige Schritte zu einem Abstellplatz, wo sein Motorrad stand. Er setzte Kikyou behutsam auf den Sozius, bevor er die Schlösser öffnete, den Ständer löste und gelenkig aufsaß. "Gut festhalten!" Ermahnte er wie immer, nachdem er die Papptüte gleichmütig durch eine geschickte Verrenkung in die Packtasche gestopft hatte. Kikyou wäre im Traum nicht eingefallen, seine Arme von Takuyas Körpermitte zu lösen und bei jeder roten Ampel spürte er die trotz Nieselregen eine warme Hand, die sich auf seine eigenen legte. *~* Kikyou musste selbst in der Dusche sitzen, seine Beine bebten noch immer, wenn auch nur minimal. Takuya hatte ihn hoch in ihr Appartement getragen, ihn und sich selbst entkleidet, um dann die Spuren der Nacht abzuspülen. Seine Hände waren sehr sanft und zärtlich über Kikyou geglitten, der diese Momente des Friedens genoss, auch wenn er völlig erschöpft war. Wurde er etwa alt?! "Festhalten!" Takuya ging in die Hocke, hatte sich lediglich eine weit geschnittene Baumwollhose übergestreift, hob sich Kikyou auf die Arme. So leicht! Ja, wenn man all die auffälligen Kleider vergaß, Kikyous Charme und Charisma, dann sah man einen knabenhaften, zerbrechlichen Körper, den man mit aller Behutsamkeit zu behandeln hatte. Hin und wieder jedoch... Takuya setzte Kikyou auf ihrem Bett ab, wählte dann aus der Schubladenkommode einen Flanellpyjama mit kleinen Hasen darauf aus. Der Stoff war streichelzart und watteweich. Kikyou ließ sich anziehen, rieb sich kindlich die Augen und murmelte kaum verständlich. "Wieso bin ich so müde?" Über ihm lächelte Takuya, ließ nur noch die Notbeleuchtung aktiv, deckte Kikyou sorgsam zu, der sich an ihn schmiegte, sobald er selbst seinen Platz eingenommen hatte. Er hauchte einen liebevollen Kuss unter den schweren Pony und ordnete an. "Schlaf jetzt, Kikyou." "Du auch." Murmelte es an seiner Kehle. "Hab dich lieb, Taku-chan." Takuya grinste schief, denn jedem anderen hätte er den Hals umgedreht bei so einem Kosenamen. Aber Kikyou ließ sich nie einschüchtern. "Hab dich auch lieb, Kikyou." Raunte er kaum hörbar und kraulte so lange über das Flanell, bis tiefe Atemzüge ihm süße Träume verkündeten. *~* Szene "R" # Renai sousa von Ai Hasukawa (SuperBeBoyComics, Libre, Japan) Kousuke Shiki lächelte zurückhaltend, als er seinem Onkel den Schlag öffnete und die Umstehenden höflich grüßte. Takashi Okumura, Koch, Unternehmer, Clubbesitzer, Tausendsassa mit den ungewöhnlich bernsteinfarbenen Augen, plauderte artig auf Englisch los, gesellte sich zum Empfangskomitee, während es seinem Neffen Kousuke oblag, die schwere Limousine in die Tiefgarage zu pilotieren. Immer wieder mal wurde der reiche Okumura von der Glamourpresse präsentiert als geschäftstüchtigen Lebemann mit untrüglichem Riecher und herausragendem Geschmack. Außerdem machte es sich durchaus gut, dass er noch nicht die Richtige für sein kleines Imperium gefunden hatte. Als einer der wenigen Eingeweihten wusste Kousuke, dass die letzte Behauptung nicht zutraf, denn sein Onkel war unsterblich verliebt in den Innenarchitekten und Designer Kei Yamashiro, einen ebenso attraktiven wie selbstsicheren und fähigen, jungen Mann. Der würde vermutlich nicht gerade erfreut darüber sein, dass sein Onkel ihn für die Ausgestaltung eines Szene-Clubs, den er für längstens fünf Jahre zu führen gedachte, nicht beauftragen wollte, um Privates nicht mit dem Geschäft zu vermischen. Oder weil er befürchten musste, dass einige Aufklärungsjournalisten ihm bereits eng auf den Fersen waren. Es galt zu vermeiden, dass das, was man geflissentlich übersehen konnte, so plakativ ausgebreitet wurde, dass man es nicht mehr übersehen durfte und zu einer Stellungnahme genötigt wurde. Geschäftsschädigend. Kousuke betrachtete es dabei als seine Aufgabe, nach eventuellen Schwierigkeiten dieser Art Ausschau zu halten und damit befand er sich nun auch in einem Dilemma, als sein Mobiltelefon ihm signalisierte, dass ein Anruf einging. *~* Yoshio Brown kannte sich mit Schwierigkeiten aus. Quasi seit seiner Geburt. Sein Vater war auf Okinawa stationiert gewesen und hatte als Verbindungsoffizier zur örtlichen Bevölkerung seinen Armeedienst abgeleistet und dabei eine junge Dame aus eher einfachen Verhältnissen erobert. Alles war nett gewesen, bis man ihn verlegt hatte, Einsatz im Golf. Nicht die Kampfhandlungen selbst hatten ihn das Leben gekostet, sondern schlichtweg ein Verkehrsunfall. Jetzt befanden sich seine sterblichen Überreste in Arlington auf dem Friedhof. Sein Sohn, der für einen Japaner nicht nur die falsche Hautfarbe (Karamelltoffee) hatte, sondern auch die falsche Größe (1,95m, Typ Türsteher), musste begreifen, dass Heimat nur dort war, wo es ihm gelang, ein wenig Fuß zu fassen. Amerika war für kurze Zeit eine Option gewesen, da er trotz seiner Größe ein Talent für Baseball aufweisen konnte, zumindest bis zu dem Moment, als er dort, als Stipendiat, sein Kreuzband im Knie final ruinierte. Zurück zu Muttern hieß das, wo er zwar bekannt war, aber stets herausstach, fehl am Platz wirkte. Also hatte er sich darum bemüht, irgendwo einen Job zu finden, wenigstens nicht nur vorübergehend, wie ein Nomade im Heer der anderen Entwurzelten, von denen es in Japan mehr gab, als die offiziellen Statistiken verrieten. Männer, jung oder alt, von der Familie getrennt, gekündigt, von Erdbeben enteignet, durch persönliche Traumata stigmatisiert und ausgesondert. Mittlerweile konnte er Gerüste und Häuser bauen, kellnern, Müll einsammeln, nach Überflutungen Steine und Bäume wegschaffen, Überlandleitungen reparieren... Aber wenn es einen Engpass gab, musste der "Dunkle" zuerst gehen. In Tokio hatte er sich bei einigen Sicherheitsfirmen vorgestellt. Klar, er war zweifellos nicht einer für die Hintergrundarbeiten, ein gesichtsloser, unsichtbarer Typ, sondern mehr der sehr sichtbare Prellbock. Aber selbst für diese Jobs musste es doch Leute und Angebote geben, oder?! Eine Detektei hatte ihn angeheuert, endlich, als Mädchen für alles und Yoshio Brown konnte verblüffende Kenntnisse und Erfahrungen aufweisen, was "alles" betraf. JETZT bekam er die Chance, die er sich gewünscht hatte: einen prominenten Mann zu beschützen, dem man ans Zeug flicken wollte, der ein wenig Privatleben genießen wollte, ohne dass er das dann auf Seite 1 des Boulevards in allen intimen Details ausgeleuchtet fand. Kein Problem! Sollte man meinen. *~* Kousuke eilte mit strammem Schritttempo zu dem Bereich, wo ein einfaches Mittelklassefahrzeug wartete. Er stieg auf den Beifahrersitz und nickte. "Herr Brown?" Yoshio reichte eine Digitalkamera hinüber. Über das Display konnte man die auf dem Chip gespeicherten Aufnahmen in rascher Folge studieren. "Sehr ärgerlich!" Murmelte Kousuke schließlich. Irgendwie musste es dem Reporter gelungen sein, sich in das Haus einzumieten, das dem Appartementblock seines Onkels gegenüberlag. Vermutlich, urteilte man nach den Teleobjektiven und der mächtigen Ausrüstung, hatte er mit triumphierender Miene abgelichtet, was sich hinter den bedauerlicherweise nicht zugezogenen Gardinen abgespielt hatte. "Ich kann mich darum kümmern." Bot Yoshio an. "Wie? Wollen Sie bei ihm einbrechen?! Ihn überfallen?!" Kousuke schimpfte leise. "Auf keinen Fall toleriere ich illegale Aktionen!" Er dachte fieberhaft darüber nach, wie man wohl eine Publikation verhindern konnte. Wem würde dieser freie Reporter sein Material anbieten?! "Es wird nicht illegal sein." Versicherte Yoshio ruhig. Endlich sah Kousuke ihm in die hellbraunen Augen. "Dann überlasse ich Ihrer Erfahrung die Lösung. Bitte senden Sie die Auslagen für Ihre Dienstleistungen an das Büro, ja?" Er legte großen Wert auf eine korrekte und zeitnahe Abwicklung der Rechnungen. "Das tue ich." Beschied Yoshio artig, bevor er wortlos allein zurückblieb. *~* Es erforderte ein wenig kreatives Denken und seine beste Rolle als verblödeter Amerikaner mit einem "Geisha"-Tick, die Art Trottel, die verkitschte Novellen für bare Münze nahm und sich nach Yakuza-Geisha-Romantik sehnte. In der Folge glaubte ein Zuträger einer kriminellen Vereinigung, dass die Konkurrenz Wind davon bekommen hatte, dass man sich durch Erpressung einen erheblichen Anteil an einer vermutlich gefragten Unternehmung sichern wollte. Weil ein "Hausbesuch" nicht ausgeschlossen werden konnte, wurden die Wertgegenstände, vor allem teure Geräte und Maschinen, in Sicherheit gebracht, möglichst anonym, damit nicht etwa die Polizei einen Zufallstreffer für die Statistik landen konnte. Yoshio beobachtete geduldig, wie man Koffer und Industriekisten verlud, dann in einen gewaltigen Containerpark für Zwischenlagerungen transportierte. Als die sinistre Truppe sich verabsentiert hatte, spazierte er als interessierter Kunde über das Gelände, mietete eine winzige Box, flanierte anschließend auch an der großen Containerbox vorbei, wo man so eilig diverses Gut verstaut hatte. Nun kam sein spezieller "Freund" ins Spiel, ein kleiner Taschencomputer, dessen Forte darin bestand, die winzige, elektrische Strahlung von Geräten ausfindig zu machen, sie anzusteuern und dann einen speziellen Funkstrahl auszusenden. Materie reiste in Wellen und Teilchen... Hier traf mit der Gewalt eines Faustschlags und der Präzision eines Lasers ein Impuls alles, was sich nicht wehrte und mit Chips verbunden war. Ganz praktisch, wenn man gerade keinen Industriemagneten zur Hand hatte, aber unerfreuliche Daten zerstören wollte. *~* "Ich verstehe." Murmelte Kousuke, einen kritischen Blick auf die knappen Kolumnen gerichtet, in denen ihm die abschließende Leistung in Rechnung gestellt wurde und auch enthüllt, dass keineswegs die Presse hinter den aggressiven Spähangriffen steckte, sondern eine Bande, die sich ein weiteres Geschäftsfeld erschließen wollte, als "stille" Teilhaber. "Nun, Sie haben sehr gute Arbeit geleistet!" Stellte Kousuke fest, durchaus erleichtert, aber auch besorgt. Man musste davon ausgehen, dass diese Praxis der erzwungenen Teilhaberschaft kein Einzelfall blieb! Yoshio, der artig geneigt den Dank entgegengenommen hatte, erwiderte höflich. "Und ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Shiki, für das vertrauensvolle Engagement unserer Firma. Wenn Sie eine Fortsetzung unserer Dienstleistung wünschen, wird Ihnen die Geschäftsleitung die entsprechenden Spezialisten präsentieren." "Bitte wie?!" Kousuke lupfte eine strenge Augenbraue in den Schrägpony. "Wieso werden Sie abgezogen?!" Ein unleserliches Lächeln verdunstete auf Yoshios flächigen Zügen. "Man ist übereingekommen, dass die neue Ausrichtung der Firma ein anderes Anforderungsprofil an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stellt. Deshalb erhalte ich die Gelegenheit, mich nach einem neuen Tätigkeitsfeld umzusehen." Übersetzung: man hatte ihm gekündigt. Vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen. Kousuke blickte gewittrig, offenbar einer weiteren Zumutung ausgesetzt, die sein ausgelasteter Zeitplan und die Schnurren seines Onkels ohnehin nicht nötig hatte! "Fein!" Zischte er mit dem exakt gegenteiligen Tonfall. "Dann sind Sie ab sofort verfügbar?! Wir bieten Ihnen das gleiche Gehalt wie bisher, 10% Aufschlag und einen Monat Probezeit, ob unsere Zusammenarbeit für beide Seiten befriedigend verläuft." Yoshio atmete hörbar aus, dann verneigte er sich tief. "Ich bedanke mich sehr für Ihr Vertrauen in meine bescheidenen Fähigkeiten! Über eine Fortsetzung unserer Zusammenarbeit bin ich sehr erfreut." "Daran werde ich Sie erinnern, wenn ich mich der Notwendigkeit ausgesetzt sehe, Sie tadeln zu müssen!" Knurrte Kousuke finster. Er konnte eine Unterstützung wirklich brauchen und würde seinem Onkel die Leviten lesen, sollte auch nur ein Einwand vorgebracht werden! *~* Yoshio Brown genoss das Leben. Das tat er zwar sonst auch, denn er hatte sich daran gewöhnt, stets zwischen allen Stühlen zu sitzen und sich kreativ durchmogeln zu müssen, doch im Moment glitzerte an jedem Tag ein wenig Goldstaub! Kousuke mochte zwar drei Jahre jünger als er selbst sein, doch er verfügte über eine große Übersicht, sehr viel Selbstdisziplin und die angenehm-verbindlichen Umgangsformen, die mit einem sehr attraktiven Äußeren das Leben geschäftlich und gesellschaftlich geschmeidig gestalteten. Für Yoshio blieben nicht nur die sichtbaren Auftritte als Leibwächter, er übernahm auch diverse Aufgaben als Chauffeur, begleitete Okumura zu Geschäftsterminen, wenn Kousuke an anderen Fronten gefragt war. Zudem logierte er in dem exklusiven Wohnhochhaus, in dem auch Okumura residierte. Aus pragmatischen Gründen waren die engsten Mitarbeiter dort auch untergebracht, und Kousuke hatte auf eine ständige Erreichbarkeit bestanden. Für jemanden, der zeitweise auf der Straße gelebt hatte, definitiv ein angenehmer Luxus! Konzentriert tippte er gerade in den Computer im Büro Zahlen und Zeichen ein. Die Antworten gefielen ihm gar nicht, und er verabschiedete seine muntere Grundstimmung zu einer strengen Entschlossenheit. Manchmal musste man eben etwas wagen! *~* "Ich habe ganz gewiss keinen Termin in dieser Praxis!" Beharrte Kousuke empört, doch Yoshios Hand um seinen Ellenbogen verhinderte, dass er auf dem Absatz kehrtmachen und sich entfernen konnte. "Verzeihung, ich habe es unterlassen, Sie zu informieren." Gab Yoshio unbeeindruckt im Bass zurück. Dieses Mal zuckte die Dame an der Anmeldung nicht zusammen, als er eintrat, Kousuke vor sich führend. "Guten Abend..." "Ah, bitte gehen Sie doch durch, Herr Shiki! Und wenn Sie dort bitte Platz nehmen möchten, Herr.." "Brown. Vielen Dank." Lächelte Yoshio höflich in das gezwungen lächelnde Gesicht. "Das WIRD ein Nachspiel haben!" Zischte Kousuke ihm aus dem Mundwinkel zu, doch seine Manieren verbaten ihm, hier vor Dritten eine Szene zu machen. Yoshio verneigte sich ebenso höflich wie stoisch. Als Leibwächter nahm er seinen Auftrag sehr ernst. *~* Kousuke wirkte käsig, was Yoshio keineswegs wunderte. Er hatte schließlich sein imaginäres Notizbuch damit gefüllt zu zählen, wie oft sein Arbeitgeber die trügerisch harmlosen Wundertabletten schluckte. Wenn der Magen grimmte, kam die nächste, damit der Magen nicht mehr grimmte, bis er es tat, weil die Tabletten keineswegs als Drops nach Belieben geschluckt werden sollten. Aber gegen das Grimmen half ja die nächste Tablette! Yoshio wartete geduldig, registrierte den steifen Gang, mit dem der jüngere Mann sich vor ihm zum Aufzug bewegte. Als Kousuke im Fond saß, stieg Yoshio vorne ein, wandte sich herum und streckte die Hand aus. "Wenn Sie mir die Besorgung der Medikamente überlassen möchten?" Nun zischte Kousuke schwach. "Das ist Verrat!" "Das ist die Erfüllung meines Arbeitsvertrags, Position 'Schutz von Leib und Leben', wenn Sie sich erinnern möchten." Konterte Yoshio gelassen. "Das betrifft meinen Onkel!" Schimpfte Kousuke, hielt sich die Leibmitte. Wieso konnte so eine Tablette auch noch Entzugserscheinungen auslösen?! "Und dessen Leben wäre nicht in Gefahr, wenn Sie vor meinen Augen schwer erkrankten?" Erlaubte sich Yoshio eine etwas schärfere Replik, wandte sich um und startete die Maschine der schweren Limousine. *~* Elend war nur eine euphemistische Umschreibung für sein Befinden. Kousuke verkroch sich mit Schüttelfrost und Magenkrämpfen in sein Bett, hätte am Liebsten zu weiteren Wunderpillen gegriffen, da er schließlich zu arbeiten hatte, doch die schiere Präsenz an seiner Bettseite verhinderte dies. Mit dem Instinkt eines Bluthundes hatte Yoshio alles aufgelesen, was auf der Verbotsliste stand, sodass sich nicht mal mehr Aspirin fanden. Stattdessen reichte er Kousuke eine Tasse mit einer Art Kreideschlamm, was ihn langsam entgiften und seinen Gedärmen Entlastung verschaffen sollte. Todesverachtend würgte Kousuke den Brei herunter und wickelte sich ein. Er hasste die fiebrigen Tränen, die über sein Gesicht glitten und wollte sich von niemanden so geschwächt sehen lassen. Allerdings verfügte er über keinerlei Drohmittel, den Hünen neben sich zu vertreiben. "Das merk ich mir!" Zischte er kindlich. *~* Takashi Okumura huschte auf Zehenspitzen in das Appartement seines Neffen, äußerst besorgt. Er war derart mit seinen Projekten beschäftigt gewesen, dass es ihm schlichtweg entgangen war, wie krank der Junge aussah! Glücklicherweise hielt Yoshio ja ein wachsames Auge auf ihn! Er lächelte erleichtert, als er den Riesen in stiller Zufriedenheit neben Kousukes Bett fand, ausgerüstet mit allerlei Mitteln, die zur Verbesserung des schlechten Zustandes führen sollten. Yoshio nickte höflich und unternahm Anstalten, das Feld zu räumen, doch Takashi bremste ihn aus. "Yoshio, seien Sie so nett und passen auf, dass er sich wirklich erholt, ja, bitte? Der Junge kennt seine Grenzen nicht, und falls doch, ignoriert er sie geflissentlich." Für einige Tage war er durchaus fähig, sein Leben zu meistern, ohne dass sein Neffe ihn wie ein Falke beäugte. *~* Kousuke empfand es als furchtbar demütigend, dass Yoshio ihn bei seinen Fieberanfällen wie ein Kind feucht abrieb und fütterte, ihm die Haare kämmte und frische Pyjamas überstreifte. Wie beschämend!! Vor allem für einen jungen Mann, dem man immer wieder gehässig unterstellte, er zehre ja nur von den familiären Verbindungen und leiste auf sich selbst gestellt nicht allzu viel. Selbstredend war es lächerlich, sich auf ein derart kleinliches Augenmaß herabzulassen, doch es nagte still in seinem Inneren. Trotzdem. Nun hatte er sich, die Abwesenheit Yoshios ausnutzend, der gerade Schmutzwäsche bei einem Dienstleister abgab, unter die Dusche geschleppt, schwankend wie ein Matrose auf Festland nach drei Buddel Rum! Ihn schwindelte, doch er wollte sich die klebrige Schicht Schweiß und Ausdünstungen der Medikamente vom Leib waschen! Da galt es eben, die Zähne zusammenzubeißen und sich zu zwingen! Ihm raste das Herz vor Anstrengung, er keuchte und verfluchte die schwarzen Punkte vor seinen Augen, presste die Handflächen gegen die Fliesen, suchte Halt. Ohne Zeitgefühl erschien es ihm ewig, bis sich ein dunkler Arm um seine Hüfte legte, er an einen sehr soliden Körper gezogen wurde. Kousuke zuckte zusammen, doch Yoshio hielt ihn fest, sprach beruhigend auf ihn ein, hoffte, der jüngere Mann würde nicht ohnmächtig werden. Kousuke hingegen wäre sehr gern in eine gnädige Ohnmacht gesunken, weil sein Körper sich noch unmanierlicher als befürchtet zeigte, in existentieller Bedrohung ein uraltes biologisches Programm abspulte. Den Erhalt der Spezies zu sichern. *~* Man konnte nicht immer nur die Regeln beachten, wenn sich eine wundervolle Gelegenheit bot, Träume zu verwirklichen, dann musste man Mut beweisen und zupacken! Nun ja, er tat es entsprechend behutsam, massierte die Erektion, hielt den bleichen, vor Hitze glühenden Mann auf seinen muskulösen Oberschenkeln bequem. Und küsste ihn. Hemmungslos. *~* "Das...das merk...ich mir!" Krächzte Kousuke erledigt, blinzelte mit schweren Lidern zu Yoshio hoch, der auf der Bettkante saß, ihm abwechselnd über die geröteten Wangen, die bleiche Stirn und die strähnigen Haare streichelte. "Ich akzeptiere die Kündigung, wenn Sie wieder auf den Beinen sind." Entgegnete Yoshio höflich, ein schelmisches Lächeln in den Mundwinkeln. "Das...das...war nicht...nicht abgemacht." Wisperte Kousuke erschöpft. "Vollkommen richtig." Nickte Yoshio, beugte sich vor, küsste die klamme Stirn zärtlich, was ihm ein kraftloses Fauchen einbrachte. Als Takashi Okumura an diesem Abend auf Zehenspitzen hereinschlich, um die Lage zu sondieren, konnte er ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. Yoshio lag, auf dem Boden neben dem Bett hockend, halb auf der Matratze, hielt Kousukes Hand und bewachte dessen Schlaf dösend. Es war seinem Neffen also wirklich nicht gelungen, den Hünen zu vertreiben! Na, wenn das nicht auf eine wundervolle Freundschaft hindeutete... *~* Szene "S" # Seimaden von You Higuri (Carlsen Manga) "Sehr hinderlich" Befand Titius und rollte mit einiger Anstrengung die reglose Gestalt in ein sehr breites Tuch, dann signalisierte er den zwei drachenartigen Dämonen, die halb gewickelte Mumie an den Zipfeln zu lupfen. Nun konnte er mit seinen imposanten, befederten Schwingen ordentlich Luft bewegen! Und mit einem Besen nachhelfen, bevor er einen Schaff Wasser ausleerte. Nur weil man in einer Höhle lebte und ein Dämon war, musste man ja wohl nicht im Dreck hausen! Die weitläufige Höhle bot zudem den Zugang zu frischem Wasser, konnte sich gut beheizen lassen dank eines Abzugs nach oben. Auch war sie entfernt genug gelegen, dass er selbst ausreichend Nahrung fand, aber ihn selbst keine nachtragenden Dämonen größeren Kalibers aufspürten. Denn, das konnte man nicht bestreiten, seine Aktionen, um den Dämonenfürsten Laures zu einer anständigen Arbeitsauffassung und -erfüllung zu bewegen, hatten nicht jedem zugesagt. Tendenziell eher wenigen. Die schlichten Gemüter neigten zu ebenso schnellen wie unausgereiften Schlüssen! Aber er wollte nicht mehr länger an diese unerfreuliche Episode denken. Alles gegeben zu haben und trotzdem auf voller Breite zu scheitern, das stellte kein Ruhmesblatt dar. Nun, da justierte er eben das Kopftuch, gürtete die Stoffbänder fester, die Ärmel und Rocksaum hoch hielten und begab sich an die Arbeit. Der Höllenengel wäre fürbass erstaunt gewesen, hätte man ihm erzählt, dass Angehörige der weiblichen Spezies der Menschen in der anderen Dimension auch zu diesem Mittel griffen, um Umgebung und Leben zu säubern... *~* "He! HE!" Titius schwang den Besen wild, schimpfte und drohte. "Na, wartet, wenn ich euch kriege! Das sind meine Vorräte! Pranken weg von meinen eingelegten Fischen!!" Obwohl große Schwingen durchaus nützlich waren, wenn man sich nicht per Pedes bewegen wollte, waren sie zuweilen sehr hinderlich. Beispielsweise wenn man in Spalten und Löcher gelangen wollte, um die räuberische Bande von kleinen, bepelzten Nagetieren zu vertreiben, die sich doch glatt an seiner Speisekammer bedienten! Man hätte selbstredend auch mit Magie...!! Aber in allem Furor wusste Titius doch, dass es eine Verschwendung seiner Körperkräfte darstellen würde. Nach den unerfreulichen Ereignissen hatte sich die natürliche Magie im gesamten Dämonenreich stark reduziert. Er war klug genug, sich nicht selbst zu schaden, indem er zu freigiebig verschwendete, was ihm in der Not gefährlich mangeln würde. "Unglaublich! So eine Unverschämtheit!" Kochte er deshalb nur verbal über und lauerte geduldig, den Besen als Schlag- und Schleuderwaffe gelupft, um sich ein wenig schadlos zu halten. Dabei entging ihm, dass ein etwas ungewöhnliches Dekorationselement seines trauten Heimes (wieder) ein Eigenleben entwickelte. *~* »Komisch.« Dachte Dämonengeneral Zadei, und es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er selbst "dachte". Also existierte. Und auch noch komplett. In seiner eigenen Gestalt. Was wohl nur bedeuten konnte... Beinahe wäre ihm ein resignierter Seufzer entkommen, ein Eingeständnis in die Ungerechtigkeit des Schicksals. Wieder mal verbockt! Laures, der alte Schleimer, hatte es wohl gewuppt, richtig? Oder?! Hastig setzte Zadei sich auf, kämpfte mit Körpergliedern, die erst daran erinnert werden mussten, was ihre Aufgabe war und wer hier die Befehle gab. Mühsam wickelte er sich aus einem großen Laken, kam klapprig wie ein Jungfohlen auf die Beine, erprobte seine imponierenden Lederschwingen SEHR vorsichtig. Denn wenn man schon nicht stehen konnte, fehlte ein Balanceakt gerade noch! Es zeigte sich, dass er den aufrechten Gang mit einiger Vorsicht bewältigen konnte. Also nun, keine Ketten! Und auch keine sichtbaren Wärter! Möglicherweise auch nicht irgendein finsteres Verlies oder Loch wie beim letzten Mal... Die Klaue prüfend nach vorn gestreckt tastete er sich weiter. Konnte ja immerhin noch fiese Bannkreise geben... Von irgendwo hallte wütendes Geschrei. DAS kam ihm vertraut vor, denn wenn irgendwo getobt und geflucht wurde, fühlte er sich gleich heimisch. Hauptsächlich deshalb, weil er in der Regel diese heftigen Reaktionen ausgelöst hatte. Wacklig und textilfrei, mit gebotener Vorsicht, taumelte er der Geräuschquelle entgegen. »Wenn ich lebe...quasi...« Sortierte sein angezählter Verstand benebelt. »...also nicht tot bin...was ist dann mit Titi passiert?« Titius...Titi... Er hielt inne, verfluchte sein galoppierendes Herz. Verdammt, Jahrtausende hatte er sich mit Charon gefetzt, mit den anderen Höllenfürsten, denn das war schließlich die Aufgabe eines Dämonengenerals! Dann hatte der letzte Schnarchsack ausgerechnet einen Menschen als seinen Nachfolger auserkoren! Wie blöd war das denn?! Gut, Laures war schon ein echter Schweinehund, das musste man ihm lassen. Bloß hatte er ja schon vorher diese total affige Schwärmerei für diese blonde Tingelschnepfe... Hulda?! Nee...Hilda! Zadei verzog das Gesicht. Die dusselige Trulla hätte er ja nicht mal mit seiner knackigen Kehrseite angeguckt! Bloß-bloß verhielt es sich mittlerweile so, dass dieses verdammte Virus ihn auch voll erwischt hatte! Seit Ewigkeiten der gnadenlose Bringer, der Super-Killer und gefürchtete Marodeur, der King of Demon Fun.... Und dann würde er sich ohne Wimpernzucken einen Arm abschlagen lassen für das verächtliche Lächeln eines geflügelten Dämons! "Nee." Korrigierte er sich versonnen. Er HATTE sich ja sogar einen Arm abfetzen lassen! Und nicht nur das! In alle Einzelteile war er beinahe zerlegt worden, weil Titi... "Wenigstens hat der Pfeffer!" Stellte er durchaus stolz fest. Nicht so ne Tussi vom Tingeltangel, nein, SEIN wandelndes Todesurteil war belesen, äußerst clever, furchtlos! Und unerreichbar. Frustriert ballte Zadei beide Fäuste, in grimmiger Freude darüber, dass wenigstens sie ihm gehorchten. Ja, verfluchte Scheiße, ihm ging's genau wie dem alten Mistkerl Laures! Er liebte diesen Dämonenengel, für den nur sein Erzfeind Laures zählte. Und der Depp verguckte sich in so eine Napfsülze!! Trotzdem. Zadei schwankte weiter, mit jedem Schritt etwas sicherer in seinem Körpergefühl und leider auch sehr viel hungriger, was das drohende Knurren seines Magens verkündete. Wo auch immer er war, die erste Mission war klar: Titi finden! Der ja leben musste, richtig?! Denn wenn er nicht tot war, musste es ja gelungen sein, ihn zu retten, klar?! *~* "Was ist das denn für eine Ferkelei?!" Empörte sich Titius aufgebracht. Hatte er nicht eben frisch gewischt, gekehrt, gewienert?! Woher kamen dann die staubigen Dreckstapfen?! Er wappnete sich mit dem Allzweckbesen, denn nun würde es Dreizehn und mehr schlagen, wenn er den Verantwortlichen erwischte! Wachsam schlich er sich durch die Höhlengänge, die er weit besser kannte als jeder Fremde. Da, ein Schattenwurf! Und ein großer.... Titius umklammerte den Besen fester. Nach Nagetieren sah das nicht aus, also musste er hier mit dem Überraschungsmoment operieren, um den Usurpator seines Heims in die Flucht zu schlagen! Einen schrillen Kampfschrei auf den Lippen, der sich am Felsendom über ihnen brach, ließ er sich auf die Gestalt fallen, prügelte mit dem Besen. "Das-Ist-Meine-Höhle-Hau-Ab!" Jeder Schlag ein Treffer, doch bevor Titius die nächste Runde einläuten konnte, zerfetzte eine Klaue den Besen in Holzspäne, umklammerte ihn eng und warf ihn dann weit hoch. "Titi! Titi, du lebst!" Das Organ erkannte er im Fall sofort, wurde aufgefangen und gewohnt unmanierlich herumgeschleudert. Während der Dämonengeneral, der in seinem Koma zwar gelegentlich unhandlich, aber doch recht unkompliziert als Hausgenosse fungiert hatte, wieder extrem lästig zu werden versprach! "Aufhören! Sofort aufhören!" Protestierte der Höllenengel empört, sandte frostige Blicke in die flammenden Augen des Dämonengenerals, was diesem keineswegs imponierte. Aber Titius hatte schon immer den Eindruck gepflegt, dass Zadei eher von schlichtem Gemüt... "Und dein Flügel ist wieder gesund! Wunderbar!" Trompetete Zadei mit gellendem Triumphgeschrei, drehte sich mit Titius schwungvoll im Kreis. "Endlich hab ich dich wieder!" "Von wegen!" Der so euphorisch Beförderte protestierte aufgebracht. "Ich bin immer noch sehr verärgert über Sie, Dämonengeneral! Sie haben meinen Plan ruiniert..." "Genau!" Zadei nickte strahlend. "Das hätte dich umgebracht!" "Mein Leben ist nicht von Bedeutung!" Titius holte erneut Luft, um diesem ignoranten, ungehobelten, vorlauten Dämonen aber so was von die Leviten zu lesen! "He!" Zadei hielt ihn eng umschlungen, das Kreisen endete abrupt, Nasenspitze an Nasenspitze. "Den blöden Laures änderst du nicht. Er will eben die Trulla, da ist nichts zu machen, Titius." "Das-das ist nicht gesagt!" Verteidigte der sich erschrocken durch die mitfühlende Traurigkeit in den wilden Augen. "Möglicherweise wäre ein besserer Plan..." "Nö." Beschied Zadei schlicht. Er kannte das selbst am Besten. Ohne Titius bedeuteten ihm Raufen, Kämpfen, Saufen und andere Dinge rein gar nichts. "Wie dem auch sei!" Titius zappelte, um freizukommen, doch Zadeis Körperkräften war er schlichtweg nicht gewachsen. "Sie haben sich als sehr hinderlich erwiesen, und..." Zadei studierte das schöne Gesicht, in das er sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Nie würde er sich daran satt sehen können! Auch wenn Titius ihn verachtete, ihn zurückwies, ihn damit quälte, ein Heilmittel gab es nicht. "Hören Sie mir überhaupt zu?!" Hakte der Höllenengel argwöhnisch nach. "Oh, wie unhöflich!" Der Dämonengeneral lächelte schief, weil die Tiraden eine sanfte, sehr kleidsame Röte in die Alabasterwangen seines Titi getrieben hatten. "Ich liebe dich, Titius." Formulierte er friedfertig, ganz ohne die Verzweiflung, mit der er früher diese Worte in den Eissturm geschrien hatte. Titius blinzelte, erstarrte. Zwar war ihm bewusst, dass Zadei eine Schwäche für ihn hatte, doch der musste jetzt endlich begreifen, dass er nur Laures sah! Für Liebe hatte er keine Zeit, man sah ja, was dabei raus kam, und...! Zadei küsste ihn zärtlich, liebevoll, fast ehrfürchtig. "A-also...das geht doch nicht!" Protestierte Titius im Rückzugsgefecht, zappelte, wollte sich befreien. "Du willst doch nicht kneifen, oder?" Neckte Zadei schmunzelnd. "Hast du Angst, mal was anderes zu machen, außer Laures hinterherzurennen?" "Das ist eine ganz durchsichtige und lächerliche Herausforderung!" Titius versuchte sich mit brüsker Kälte, doch der schmelzende Hundeblick des Dämonengenerals trocknete seine frostige Distanz aus. Er seufzte schließlich gepeinigt. "Nun, meinetwegen. Aber Sie werden es schnell leid sein, das garantiere ich jetzt schon!" Denn er wollte durchaus anstrengend sein, jawohl! Zadei lachte heraus, wirbelte ihn im Kreis herum. "Keine Chance, Engelchen! Wenn sich mal was in meinem Kopf festgesetzt hat, dann bleibt's auch da!" Und von seinem Herzen ganz zu schweigen... *~* Szene "T" # Two of hearts von Kano Miyamoto (Deux, USA) "Bin wieder da!" Rief Maki in das alte Bauernhaus hinein, in dem er bei Haruya, seiner großen Liebe, wohnte. Er ließ seine Büchertasche auf die Steinplatten sinken und wechselte die Schuhe. Moo, ihre Katze, ein Streuner, der an Holsteiner Kühe erinnerte mit seiner Fellfärbung, kam ihm entgegen, um sich Streicheleinheiten abzuholen. "Wie war dein Tag?" Haruya, 34 Jahre alt, Schriftsteller und ein schlanker, groß gewachsener, in Makis Augen sogar außergewöhnlich attraktiver Mann, lächelte, als Maki ihm zur Begrüßung einen spielerischen Kuss auf die Lippen drückte. "Ah, ging schon!" Maki studierte eifrig, denn er war entschlossen, Haruyas Beispiel zu folgen. Nicht etwa als Schriftsteller, oh nein, dafür musste man natürlich Talent vorweisen können, aber zumindest als Mensch, der aus eigener Kraft sein Leben bestreiten konnte, wobei es für ihn unvorstellbar war, es nicht gemeinsam mit Haruya zu meistern. "Lass uns erst mal was essen." Schlug Haruya vor. "Ich habe im Garten genug Gemüse gefunden für einen dicken Eintopf! Ist das ein Angebot?" "Jaaa!" Strahlte Maki hocherfreut, denn auch daran, dass er immer ausreichend zu essen bekam, konnte er sich trotz mehrerer Jahre noch nicht richtig gewöhnen. *~* Sie hatten die Nachrichten im Radio gehört, denn der Fernseher wurde nur sehr selten aktiviert. Überhaupt war es ein sehr genügsames Leben im Dorf, am Rand der Zivilisation, das Meer in Sichtweite. Jetzt kuschelte sich Maki wohlig seufzend in Haruyas Arme, der seinerseits eine Decke um seine Schultern gelegt hatte. "Kei war heute hier." Berichtete er leise. "Wirklich? Oh, wie schade, dass ich ihn verpasst habe!" Bekannte Maki, denn insgeheim fürchtete er noch immer die Konkurrenz von Haruyas Studienkollegen und ehemaligem Sexpartner. Außerdem waren die beiden eng befreundet, und Kei arbeitete als Haruyas Editor in einem Verlag. "Er wollte wegen der angesagten Wetteränderungen rasch zurück." Erklärte Haruya lächelnd. "Außerdem habe ich den Eindruck, dass er seinem Freund auch im Nacken sitzen muss, damit der die Abgabetermine einhält." Das bedeutete für ihn zumindest eine gewisse Entlastung. Auch, das musste er sich eingestehen, ein wenig Befreiung von Schuldbewusstsein, denn er hatte über lange Jahre geflissentlich übersehen, dass Kei ihn nicht nur als bequemen Sexpartner betrachten wollte. Andererseits konnte er sich zugute halten, dass er einer der wenigen Männer in Keis Leben war, der ihn nicht misshandelt hatte. "Tja, und dann kam noch ein Anruf. Von Professor Toyama." Nahm er gedehnt den Faden ihrer Unterhaltung wieder auf. Maki in seinen Armen wurde plötzlich steif und schwer. "Er hat mich ganz schön überrascht, das muss ich zugeben. Ich wusste nicht, dass..." "Es tut mir leid! Wirklich, ich wollte es nicht verheimlichen!" Maki wand sich aus seiner Umarmung, ging vor ihm in den traditionellen Sitz, verneigte sich tief, würgte schluchzend an den Silben. "Bitte, Maki, lass uns in Ruhe reden!" Rasch streckte Haruya die Hand aus. Er wollte nicht, dass sein junger Liebhaber sich zu sehr aufregte, außer sich geriet, einen Nervenzusammenbruch erlitt. Makis Gemütszustand war immer noch fragil, das durfte er nicht vergessen. "Ich wollte das nicht! Es war nur zufällig, eine Kritzelei, wirklich!" Beteuerte der unter Tränen. "Ist ja gut!" Haruya schüttelte die lästige Decke ab, um Maki einzufangen und an seine Brust zu ziehen, ihm wie einem Kind auf den Rücken zu klopfen. "Maki, ich bin nicht böse! Es ist doch alles gut, hörst du?" Natürlich war er durchaus verblüfft gewesen zu erfahren, dass der Professor ihn eigens zu Hause anrief, um ihn zu bitten, auf Maki einzuwirken, damit dessen kleine Gedichte veröffentlicht werden konnten. Sie waren so zauberhafte Miniaturen, dass der Professor sie auch unbedingt bei einem der renommierten Wettbewerbe einreichen wollte. Maki jedoch hatte sich standhaft geweigert. Er wollte auf keinen Fall etwas veröffentlichen, nein, nein! "Die Gedichte, die er mir vorgelesen hat, waren wunderbar." Raunte Haruya Maki zärtlich ins Ohr. "Willst du sie wirklich mit niemandem teilen?" Maki schüttelte schwer schluckend den Kopf, wich seinem Blick aber aus. "Und warum nicht? Ist es meinetwegen?" Haruya schaltete schnell, und er kannte Makis Einfühlungsvermögen recht gut. "Wenn-wenn ich's tue, dann wird man sagen, dass sie nur veröffentlicht werden, weil du berühmt bist! Und ich bei dir schamlos schmarotze!" Schluchzte er erstickt, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Immer wieder und wieder, bis Haruya Makis Arme einklemmte. Auch das waren Symptome seiner seelischen Verfassung. "Das sind ja sehr niederträchtige Behauptungen." Antwortete er bedächtig. Vermutlich hatte Maki sie an der Universität gehört. Sein Selbstbewusstsein war noch leicht zu erschüttern, umso einfacher, wenn er glaubte, ihm eine Last zu sein. "Maki?" Haruya zwang sanft, aber unerbittlich Augenkontakt herbei. "Ich bitte dich darum, dass du dein Einverständnis zur Veröffentlichung gibst. Mir ist es nicht gegeben, solche Gedichte zu verfassen, also ist die Unterstellung, du würdest von meinem Namen profitieren, vollkommen haltlos. Und sie würden ja auch unter deinem Namen erscheinen, richtig?" "Aber die Leute...die Leute..." Stammelte Maki, schnüffelte. "Die Leute reden immer. Ändert es etwas daran, dass wir zusammen sind? Dass wir uns lieben, Maki?" Ja, einige Menschen fanden Schwule abartig, widerwärtig, unnatürlich und was sonst noch alles. Das war nicht zu ändern. Aber keinesfalls durfte man sich das eigene Leben davon zerstören lassen, befand Haruya. "Ich will nicht, dass man schlecht von dir spricht." Murmelte Maki schließlich. Haruya zwinkerte ihm zu. "Aber ich bin nun mal der, der ich bin! Ein alter Onkel, der auf dich steht und hier in seinem Feld herumwühlt, wenn er nicht Texte kritzelt." "Du bist überhaupt kein alter Onkel!" Protestierte Maki mit leicht berechenbarer Empörung. "Danke sehr." Lächelte der Schriftsteller amüsiert. "Und, wirst du wenigstens darüber nachdenken? Über meine Bitte?" Maki senkte den Kopf, murmelte kaum hörbar. "Ich tu's. Wenn-wenn du meinst, dass es wirklich, na ja, passabel ist." Zufrieden küsste Haruya ein dezent salzig-feuchte Wange. "Das freut mich. Holst du mir deine Gedichte?" Während Maki eilig aufsprang, um sein heimliches Notizbuch zu holen, wandte sich Haruya einem alten Schrank zu, entnahm dort eine flache Schatulle. Als der Student wieder zu ihm zurückkehrte, lud er ihn ein, den angestammten Platz in seinen Armen einzunehmen. "Hier." Drückte er die Schatulle in Makis Hände. "Dafür hätte ich gern dein Notizbuch." "Bitte schön, aber...?" Maki wandte sich fragend zu ihm herum. "Was ist das denn?" "Nun, öffne es." Haruya schmiegte sich etwas enger an den jungen Mann an. "Ich wollte es eigentlich für den Heiligabend aufheben, aber..." Er spürte selbst durch die trennenden Textilschichten, wie Maki zusammenzuckte, nach Luft schnappte. "Ich bitte höflich um eine wohlwollende Prüfung." Raunte er Maki ins Ohr, dem stille Tränen aus den Augen zu rinnen begannen. Es hatte schließlich einen Grund gehabt, warum er Kei gebeten hatte, etwas für ihn zu erledigen und ihn zu besuchen. Adoptionsformulare konnte man in der Stadt leichter bekommen. *~* Szene "U" # Under The Glassmoon von Koh Yasung (EMA Egmont Manga Anime) "Haha, da siehst du alt aus!" Trompetete Luka Guillaume Reinhard, überzeugter Schwarzmagier und die dunkle Hälfte des Zwillingspaars, das das Geschäft "Under the glassmoon" betrieb. Hauptsächlich oblag dem blonden Zwilling Luel diese Aufgabe, weil Luka eben Luka war. Und gerade jetzt in seiner geliebten Leder- und Nietenmontur durch die herbstliche Landschaft tobte, geschickt Nebelbänke ausnutzte, um seine Attacken zu inszenieren. Fuan Naser Ell lächelte zurückhaltend, denn er hatte keineswegs die Absicht, sich von Lukas vorzeitigem Triumphgebrüll aus der Balance bringen zu lassen, dazu kannte er seinen Geliebten zu gut. Angriffs- und Verstärkungszauber stellten unbestritten dessen Forte dar, die Fuan nicht überwinden konnte. Doch seine eigenen Fähigkeiten, Illusionen zu erzeugen, zu bannen, dazu noch ein enzyklopädisches Wissen zu diversen Zaubersprüchen, das genügte durchaus, ihn zu einem ernstzunehmenden Widersacher zu machen. Dann war ja da auch noch die intime Kenntnis um Lukas kleine Eigenheiten! Er lenkte geschickt eine Energiekugel ab, direkt in eine Senke vor Lukas Füßen, der ungestüm heranpreschte. Dieser Sturm kam zu einem abrupten Halt, als die Kugel unter dem welken Blätterteppich detonierte, Schlamm im weiten Umkreis spritzen ließ. Selbstredend traf der auch Luka und die geliebte Montur. "Uahhh!! Sauerei!! Foul!" Schimpfte der empört los, schüttelte sich angewidert, denn wenn er eine winzig kleine, quasi mikroskopische Schwäche hatte, dann war es wohl eine gewisse Eitelkeit. Mit einem süffisanten Grinsen materialisierte sich Fuan, wie stets in sein grünes Jagdkostüm mit einem leichten Übermantel gehüllt. "Hoppla!" "Oh, das hast du mit Absicht gemacht!" Beklagte sich Luka erbost, die goldenen Augen funkelten. "Jetzt guck dir das an!" "Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du unbedingt hier trainieren." Hielt ihm Fuan mit liebevoller Grausamkeit vor. "ICH hatte die Vorstellung, meinen Lebensunterhalt im Büro zu verdienen." Auch wenn sich nicht sehr häufig Klientel in seine winzige Anwaltskanzlei verirrte. "Na warte!" Drohte Luka grimmig, ballte die Fäuste, dass die zahlreichen Ringe knirschten. "Ich sau dich auch ein!" Rache war nicht nur Blutwurst, sondern auch Dreck! Fuan wandte sich blitzschnell um und ergriff die Flucht. Er konnte sich hin und wieder tarnen, seinen erbosten Verfolger ein wenig foppen, doch Luka bewies Ausdauer, schoss einfach Energielanzen in alle Richtungen ab! »Verflixt!« Ein wenig außer Atem erwog Fuan eine Alternative, denn ein Treffer würde seine Tarnung auffliegen lassen und Lukas Blitzteppich war ziemlich dicht. Er duckte sich eilig, hoppelte über das freie Feld zur nächsten Baumgruppe, die ihm bessere Deckung gewähren würde. Das sah zumindest SEIN Plan vor. Da wusste er jedoch nichts von dem Kaninchenbau auf seiner Zickzackroute. *~* Fuan wurde urplötzlich nicht nur bemerkenswert sichtbar, sondern auch zu Fallobst samt Aufschrei. Luka nahm die Beine in die Hand. Seine schweren Stiefel nagelten Muster in den umgepflügten Boden bis zu dem Wildwiesenstreifen, der seinen Liebsten zu Fall gebracht hatte. Unterdessen bemühte Fuan sich mit zusammengepressten Lippen, wieder auf die Beine zu kommen. Oder wenigstens auf das Bein, dessen Knöchel nicht bereits anschwoll. "Hab dich!" Verkündete Luka pro forma, umschlang seinen Lebenspartner ungeachtet der Schlammschichten und balancierte den wackligen Stand aus. "Autsch." Kommentierte Fuan, ein wenig angestrengt, den Ausgang ihres Wettstreits. "Stütz dich auf meine Schultern." Gab Luka Anweisungen, ging vor Fuan in die Hocke und berührte behutsam den Knöchel, der heftig und ungeplant verbogen worden war. "Gebrochen ist wohl nichts." Murmelte er konzentriert, blinzelte dann hoch. "Aber kühlen müssen wir es. Du kannst dich wohl nicht selbst heilen, wie?" Über ihm grimassierte Fuan gequält. "Das ist, fürchte ich, keine Option mehr." Luka hatte es nicht anders erwartet. Er selbst konnte derartige Kräfte auch nicht beschwören. Also kam er wieder in die Senkrechte, legte sich Fuans Arm um die Schultern und hielt ihn um die Taille gestützt. "Jetzt könnte Al sich mal nützlich machen!" Brummte er missmutig, denn der verfügte über die Levitationsgabe, doch mangels Anwesenheit blieb ihnen nichts weiter übrig, als humpelnd den Weg zum Parkplatz zu absolvieren, wo Lukas schwere Maschine wartete. *~* Manchmal gab es doch Zeichen und Wunder. Eines dieser raren Ereignisse konnte Fuan gerade bezeugen, denn LUKA Guillaume Reinhard, Enkel von Aleister Crowley, Schwarzmagier, kehrte den föhngetrockneten Schlamm auf eine Schaufel auf! Dass er sie ungeniert im Adamskostüm werkelnd einfach von der Türschwelle aus mit hohem Bogen in den Vorgarten ausleerte, trübte dieses unglaubliche Geschehen nur marginal. "So, zufrieden?!" Grummelte er ein wenig eingeschnappt, da Fuan darauf bestanden hatte, ihre Spur des Chaos im Haus zu beseitigen. "Sehr, mein Lieber! Ich danke dir." Belohnte er nun Luka mit einem sanften Kuss auf die Wange. "Pah!" Schnaubte Luka. "Wenn du glaubst, wir würden hier jetzt Tee trinken und Konversation machen, dann hast du dich geschnitten!" Damit warf er sich den überrumpelten Fuan einfach über eine Schulter, schwankte nur leicht. "Ich schleif dich doch nicht zum Nahkampftraining raus, um dann den Rest des Tages zu verbaseln! Runde 2 ist eingeläutet!" Die führte ihn unweigerlich ins Obergeschoss, in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Er hatte nun mal beim Aufstehen beschlossen, den Tag mit Fuan zu verbringen, ihn so richtig, aber hallo!, von vorne bis hinten, oben und unten zu verführen! Mit Clinch und erotischer Spannung! Fuan stützte sich auf Lukas verlängertem Rückgrat ab, denn er hasste es, kopfüber zu hängen. "Ich bin invalid!" Protestierte er in aussichtsloser Lage. "Deinen Knöchel werde ich ausnahmsweise verschonen." Gab sich Luka konziliant, beugte sich unter dem Türsturz hindurch und steuerte ihr großes Bett an. "Oh, du Grobian!" Schimpfte Fuan. "Ich wollte heute noch arbeiten!" "Kannst du." Versicherte Luka, als er seine geliebte Last auf die Matratze rollte. "Würg mir so richtig einen rein! Oder mehrere! Ja, mehrere! Arbeite dich so richtig an mir ab!" Das goldene Feuer in den ungewöhnlichen Augen versengte den gesamten Raum. Fuan keuchte, spürte die Wogen der Lust, die ihn wegspülten, allein durch die Nähe seines Geliebten. Wenn der ihn so ansah, in diesem Tonfall forderte, dann raste sein Herz, sein Verstand setzte aus und er konnte sich nicht weigern, ganz unmöglich! Luka lächelte auf Fuans atemloses Gesicht herab. Er liebte diesen Mann über alles. "Lass uns ein bisschen die Zauberstäbe schwingen, ja?" *~* Szene "V" # Vassalord von Nanae Chrono (Tokyopop Deutschland) Geräuschlos glitt er in das kalte Wasser, ließ sich auf dem Rücken treiben, blank und bloß. Ihn störten die vom Wind in den Pool gewehten welken Blätter nicht, nein, sein Blick richtete sich zum nächtlichen Firmament. Im Sommer mochte die mondäne Villa zweifellos stark frequentiert werden, doch jetzt, der Winter nahte von den Bergen, hatte man sie ihren elektronischen Hütern überlassen. Für jemanden, der Bewegungsmelder mühelos überfliegen konnte, kein Hindernis. Johnny Rayflo studierte die wenigen Sterne, unbehelligt von Flugzeugen, hin und wieder von dünner Bewölkung verschleiert. Schemenhaft spiegelte sich der Mond als seine Gesellschaft in den winzigen Wellenkämmen, die sein treibender Körper erzeugte. "Was tust du wohl gerade, hm, Cherry?" Wenn sie ihn in den Vatikan zurück bestellten, dann ging es immer um die "Monsterjagd". Oder die Optimierung. Ha! Einen unsterblichen Vampirkörper mit technischem Schnickschnack auszurüsten, eine Cyborg-Schimäre im Feldzug gegen das Böse in der Welt. Wobei selbstredend das Böse ein schwieriges Thema darstellte, das von Perspektive zu Perspektive wechselte! Der Vampir, den sie auch Adam nannten, seufzte leise. War es ein Fehler gewesen, das Findelkind in einem Kloster abzugeben? Doch was hätte er ihm schon bieten können? Im finsteren Schatten eines gottlosen Ungeheuers zu leben, einer bluttrinkenden Bestie? Er machte sich nichts vor, lebte, nein, existierte dafür schon viel zu lange: seine Entscheidungen waren stets von Egoismen geprägt. Er hatte einst geglaubt, sogar an eine höhere Wahrheit, in einem aussichtslosen Kampf, doch schon damals wollte er nicht aufgeben, nicht sich selbst, nicht die, die auf ihn vertrauten. Dieser trotzige Wille, sich nicht zu beugen, nicht loszulassen, der hatte ihm Jahrhunderte eingebracht. Vorwürfe, Schuldgefühle. Sein Herz wollte nicht versteinern, konnte das Elend nicht hinnehmen, einen Waisenjungen sterben lassen. Oder einen jungen, frommen, vertrauensvollen Priester, den er wie ein eigenes Kind geliebt hatte. Er hatte ein "Monster" geschaffen, aus Verzweiflung, aus Eigensucht. Wollte nicht akzeptieren, Chris zu verlieren. Aber das dicke Ende kam ja noch. Wenn es seinem Cherry gelang, stur, beharrlich, zielstrebig, alle "Monster" zu erledigen, die ihm ausgedeutet wurden, dann müssten sie einander auch eine Auseinandersetzung liefern. "Wenn es einem gelingt..." Sinnierte Johnny mit einem melancholischen Lächeln. Er war wirklich nicht leicht zu erledigen, doch für Chris würde er einen Weg finden. Bloß, was dann? Ein Teil seiner selbst schmeichelte sich damit, dass Chris diese "Erlösung" nicht als solche begreifen, sondern an dem Vater-/Meister-Mord zerbrechen würde. Selbst wenn er sich tapfer hielt: EIN Monster war immer noch übrig. Johnny hegte den Verdacht, dass einige der technischen "Optimierungen" dazu dienten, sich des gefährlichen Werkzeugs nach getaner Arbeit zu entledigen. Der Vampir seufzte erneut und pilotierte im Becken in die andere Richtung. Wenn er Cherry nun davon überzeugen konnte, diese Monsterjagd einfach aufzugeben? Mit ihm zu leben, vielleicht zu reisen, nur sie beide, zurückgezogen und friedlich? Möglicherweise stand ihnen kein solches stilles Glück zu. Vielleicht verdienten sie stete Bestrafung. Wenn die Welt bloß schwarz und weiß wäre, wenn alles zuträfe, was die Prediger behaupteten. "Aber es ist sein Leben. Seine Entscheidung." Das stand für ihn fest. So gutmütig und warmherzig sein Cherry auch sein konnte, seine sture Willensstärke war nicht zu unterschätzen. Wenn der blonde Hüne nicht wollte, dann konnte die Welt untergehen, ohne ihn nur einen Millimeter zu bewegen. "Was tust du, hm?" Johnny blinzelte zu den Sternen hoch, vertraute Begleiter und lächelte leicht. Lange würde es aber nicht mehr dauern, bis er kam, denn schließlich musste selbst ein sturer, asketischer Mecha-Vampir auch mal vespern! Mit einigen kurzen Zügen, die seine modellierten Muskeln polierten, steuerte der Vampir auf die kleine Leiter zu, entzog sich der klammen Feuchtigkeit. »Komisch.« Dachte er. »Im Volksglauben heißt es immer, wir könnten fließendes Gewässer nicht überqueren, aber ich persönlich habe damit keine Mühe!« Wahrscheinlich, weil es sich doch nicht so verhielt, dass alle Ströme der Erde durch die Unterwelt verliefen, auch wenn ein beeindruckendes Strömungsmodell rund um den Globus existierte. Als er sich nach seinen Kleidern, Lederhose und loses Leinenhemd, dazu Halbstiefel, umsehen wollte, wurde er unversehens von hinten gepackt. Es bohrten sich jedoch keine neuen Gimmicks in seinen unzerstörbaren Körper, es explodierten auch keine lokalen Sprengsätze. Nein, blonde Strähnen wehten entlang seiner Wange, eine vertraute Stimme wisperte rau. "Meister." Bevor sich Reißzähne in seine Kehle bohrten. Johnny Rayflo lächelte zärtlich, tätschelte mit einer Hand den Hinterkopf seines Zöglings, während er die andere auf seine Körpermitte legte, wo er bereits erstickend eng umklammert wurde. "Ich hab dich auch vermisst, Cherry." Schnurrte er sanft. *~* Szene "W" # Wild rose von Hokuto Yamagishi (Lynx Collection, Gentosha, Japan) Camille schmiegte sich an Tranquillo, während sie beide sehr vorsichtig die Lage sondierten. Seitdem Kiri vor drei Tagen verschwunden war, herrschte eine arktische Stimmung in der Villa. Alle versuchten, seinem Vater aus dem Weg zu gehen. Der wurde nicht ausfallend oder unleidlich, bloß korrekt. Noch korrekter als üblich. Unnahbar. Entsprach dem Ebenbild des Offiziers. Wie man ihn in vollem Bewusstsein erzogen hatte. Camille fürchtete sich vor dieser Seite seines Vaters. Sie war ihm fremd, und auch wenn er sich bemühte, dessen Gebaren zu verstehen, so erlitt er doch regelmäßig Schiffbruch. Immer stärker wurde ihm bewusst, dass sie einander so gar nicht ähnelten. Wenn Kiri nicht hier war, fühlte sich der Alltag wirklich grausig an. *~* Mikael entließ seinen Butler mit der gleichen, beherrschten Höflichkeit, die man ihm seit frühester Jugend durch ständigen Tadel, Missbilligung und Verachtung für sein besonderes "Erbe" antrainiert hatte. Innerlich kochte er vor Zorn, eine Gefühlsregung, die er nicht zeigen durfte. Außerdem war Zorn unproduktiv. Diese Ermahnung erteilte ihm seine Laufbahn als Offizier. Trotz seines relativ jungen Alters bekleidete er auch nach dem Krieg eine sehr wichtige Position für die zivile Sicherheit und er hatte Dinge erfahren und gesehen, die ihm niemand glauben würde. Kiri. Er hatte ihn gehen lassen müssen, natürlich, aber getrennt hatten sie sich im Streit. Nicht lautstark, nicht heftig. Nein, er war besonders schneidend und brüsk gewesen, dabei hätte er den Gestaltenwechsler am Liebsten eingesperrt, angekettet, fest an seine Seite geschmiedet. Was sich nicht ziemte. Derartige Gefühle waren im höchsten Maße unpassend. Kiri. Der ihn immer wieder überraschte, aus der Fassung brachte, ihm zu verstehen gab, dass er anders sein durfte. Leider, das war Mikael nur zu bewusst, mangelte es ihm oft am Mut. Er wusste nicht, wie es war, wie die anderen zu sein, wie man fühlte, ganz ohne kalkulierenden Verstand, Vor- und Nachteilsabwägung, ständiger Analyse. Dann fiel er auf das zurück, was man ihm eingebläut hatte, das einprogrammierte Grundmuster, das ihn zu einem tadellosen Soldaten und Offizier machen sollte. Unruhig stand er auf, verabscheute die große Leere in seinem Schlafzimmer. Wenn er nur Arbeit hätte! Zur Ablenkung, da sich der Schlaf nicht einstellen wollte. Doch wenn seine Konzentration zu wünschen übrig ließ, weil er sich unentwegt mit Kiris Verbleib befasste, wäre auch niemandem gedient. Er hörte ein leises Kratzen an der Tür und öffnete. Tranquillo, die gewaltige Deutsche Dogge, schob sich hinein. Er hatte den Hund als Welpen irgendwo aufgelesen und dann, beinahe achtlos, seinem angenommenen Sohn anvertraut, zur gegenseitigen Erziehung. Er legte die Hand auf das mächtige Haupt des Hundes und studierte ihn einen Augenblick. Tranquillo gab selten Laut, auch bewegte er sich so geschmeidig und leise, dass man ihn kaum bemerkte, bevor er sich positioniert hatte. Nun machte die Dogge kehrt, wandte sich jedoch in der Tür um, damit er ihr folgte. Rasch hängte Mikael sich eine Uniformjacke über die Schultern und nahm die Sturmlaterne, die er aus Gewohnheit in jedem Raum verlangte, auf. Tranquillo führte ihn durchs Erdgeschoss, das zu dieser späten Stunde unbeleuchtet und auch unbevölkert war. Die Bediensteten hatten sich längst ins Dachgeschoss in ihre Unterkünfte zurückgezogen. Mikael trat auf die Veranda und spähte konzentriert in die neblige Nacht. Es roch aufdringlich nach süßlicher Verwesung, Blätter und Sträucher verloren ihr Laubkleid, das nun vor sich hin moderte, wenn es nicht gerade auf dem Rasen landete und sofort entfernt werden musste. Durch die Schwaden erkannte er eine vage Gestalt, größer als Tranquillo. Er hob die Sturmlaterne höher, spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Die rechte Hand ausgestreckt trat er langsam auf die Rasenfläche, dem Schemen entgegen. "Kiri?" Raunte er heiser. Im goldenen Schein der Laterne konnte er teilweise weißblondes Fell ausmachen, die übrigen Partien waren schmutzverkrustet oder blutig. Er hörte mühsames Keuchen. Dann trat die Bestie in den Lichtkreis der Sturmlaterne, schwankend, unsicher. "Kiri!" Stieß Mikael hervor, stellte die Laterne neben sich auf das Gras. "Kiri..." Ein Auge war zugeschwollen, der gesamte Leib von Wunden gezeichnet. Energisch drängte Mikael sein Entsetzen zurück, legte seine Hand auf das langgestreckte Haupt. Selbst im vom Dunst diffus verstreuten Licht konnte er erkennen, wie die genetischen Tätowierungen auf seiner Haut erschienen, ihn kennzeichneten, zu einem abartigen Monster machten. Zu einem Meister der Gestaltenwechsler. *~* Wenn er den wahren Namen hauchte, "Kazekiri", "der den Wind teilt", dann konnte er die Verwandlung in eine wunderschöne Bestie umkehren. Das erschien Mikael notwendig, um Kiri in seiner menschlichen Gestalt in sein Schlafzimmer transportieren zu können. Außerdem kam diese Anatomie seinen Kenntnissen entgegen. "Hol Gwen." Instruierter er Tranquillo, der in großen Sprüngen davonspurtete. Er wollte keineswegs das ganze Haus aufwecken, denn das Geheimnis um Kiris Natur zu wahren, war überlebenswichtig. Von den wenigen Menschen, denen er vertraute, war Gwen die Person, die kundig genug war, ihm zu helfen, denn um Kiri stand es sichtlich schlecht. *~* Der Morgendunst hing schwer in den kahlen Sträuchern, Raureif lag auf den Halmen. Gwen zündete einen ihrer geliebten Zigarillos an und inhalierte tief. "Das wird knapp." Bemerkte sie ruhig. Sie hatte im Krieg gedient, führte nun ein gehobenes Bordell und betrieb außerdem eine lukrative Nachrichtenbörse. Eine Frau von Verstand und vielerlei Fähigkeiten. Mikael verzog keine Miene. Sie konnten jetzt nur abwarten, was ihm nicht half. Innerlich brodelte er vor Wut, hätte Kiri am Liebsten geschüttelt und ihm Vorhaltungen gemacht, weil dieser altmodische Ehrenkodex ihn beinahe das Leben kostete. Oder kosten würde. "Mikael." Sie legte ihm kurz eine kraftvolle Hand auf die Schulter, mehr bedurfte es nicht, dann machte sie sich auf den Heimweg, um etwas Schlaf nachzuholen. Mikael kehrte in seine Villa zurück, um Anweisungen zu erteilen. Seinen eigenen Wünschen nachzugeben, das konnte er vor seinem strengen Gewissen nicht rechtfertigen. *~* Camille fürchtete sich, doch noch größer als die Angst, in eine wichtige Besprechung seines Vaters einzudringen war die Angst davor, den heftig fiebernden, schwerkranken Kiri zu verlieren. Deshalb klopfte er höflich an der schweren Tür, bevor er die Klinke drückte, sich selbst herein ließ. Ihm war durchaus bewusst, dass die Wachsoldaten ihn nur vorgelassen hatten, weil sie um die verwandtschaftlichen Verhältnisse wussten. Hier jedoch, zehn strenge, missbilligende Augenpaare auf sich gerichtet, dazu noch die tiefschwarzen, durchdringenden, abgründigen Augen seines Vaters. Er musste die nassen Handflächen einrollen, kleine Fäuste ballen, um nicht ängstlich das Weite zu suchen. "Bitte verzeihen Sie, meine Herren, ich habe eine dringliche Nachricht zu übermitteln." Verkündete er mit heller Stimme, tapfer, aufrecht. Er eilte zu seinem Vater, der sich zu ihm herunterbeugte, die Miene wie stets unleserlich, aus Stein gemeißelt. "Vater, verzeih, aber Kiri geht es sehr schlecht!" Weil er eben doch ein Kind war, grub er die kleinen Finger in die Uniformjacke seines Vaters. "Bitte!" "Ich verstehe." Gleichmütig der Tonfall, beiläufig die Kinderhände abgestreift. "Warte vor der Tür." Eingeschüchtert und mit gesenktem Kopf leistete Camille dieser Order Folge. *~* Mikael pilotierte die schwere Limousine zügig, richtete das Wort nicht an seinen verschreckten Sohn auf der Rückbank. Vage spürte er, dass er etwas sagen oder tun sollte, doch er hatte keine Erfahrung im Umgang mit Kindern. Er neigte dazu, Camille entweder zu ignorieren oder, was er für die schlechtere Wahl hielt, ihn so zu behandeln, wie man mit ihm verfahren war. Kiri dagegen! Kiri brachte Leichtigkeit, Musik, Abenteuerlust und Amüsement in ihr Leben. Er kletterte mit Camille auf Bäume, tanzte mit einem Wischmopp, wenn er sich unbeobachtet wähnte und trällerte ihm grimassierend Kinderlieder vor. Kiri war temperamentvoll, zärtlich, munter und einfühlsam. »Ich brauche dich.« Mikael hatte diese Wahrheit sogar ausgesprochen. Erst mit Kiris Erscheinen wuchs all den Grausamkeiten seiner Kindheit endlich eine Bedeutung zu. Was war auch ein Bestienmeister ohne Bestie?! *~* Kiri wand sich, heftig fiebernd, stieß unverständliche Silben hervor, und Mikael war dankbar, dass Camille zu ihm geeilt war. Wenn er keinen Weg fand, seinen Geliebten zu beruhigen, würde der über kurz oder lang in seine andere Gestalt wechseln. Dann wäre sein Leben tatsächlich bedroht. "Bring mir Wasser und Tücher." Ordnete er an, warf achtlos die Uniformjacke auf einen Sessel. "Beeil dich!" Das Fieber musste in Schach gehalten werden und die Unruhe beendet, die Kiri plagte. Camille schwankte unter der Last von Wasserkanne und Wickeltüchern, doch er trug sie mit großem Ernst. "Bitte, Vater, kann ich helfen?" Mikael überlegte. Sein erster Impuls war, den Jungen brüsk vor die Tür zu weisen, wie es ihm selbst immer ergangen war, doch er entschied anders. Weil Kiri anders entschieden hätte, ihn sein freches, neckendes Lächeln verfolgte. "Nun, wenn du dich nützlich machen willst, Sohn, dann musst du dich an meine Anweisungen halten." Verkündete er streng. "Es steht besorgniserregend, und ich muss mich auf dich verlassen können." "Jawohl, Vater!" Das runde Kindergesicht unter dem Lockenschopf blickte ihn sehr ernst an, in den großen Augen konnte er jedoch ungeschminkte Angst lesen. Dass es ihnen nicht gelänge, Kiri zu retten. *~* Gwen zeichnete Figuren mit ihrem Zigarillorauch an den nächtlichen Himmel. Sie lächelte versonnen und studierte aus den Augenwinkeln einen der seltsamsten Männer, der ihr je begegnet war. Ein guter Mann. Der das nicht wusste. "Hast ganz schön von dir reden machen, Mikael." Neckte sie ihn leise, zwinkerte. "Die Herrenriege war wohl sehr empört, dass du sie hast sitzen lassen! Nur wegen deines Bengels, tsktsk!" Mikael verzog keine Miene. Das Lachen hatte man ihm schon als Kleinkind abgewöhnt und er fürchtete, dass jetzt jeder Versuch, doch amüsiert zu sein, nur noch zu unglaubwürdigen Grimassen führen würde. "Tatsächlich." Murmelte er ungerührt. "Tja!" An seiner Stelle lachte Gwen bitter auf, Stahl in ihrem Blick. "Typen, die den Krieg lieben, weil sie ihn nicht erlebt haben." Alte Männer mit Planspielen, Strategien und heheren Idealen! Nur das minimale Aufeinanderpressen der sinnlich-dünnen Lippen verriet geschultem Publikum, dass Mikael ihre Ansichten teilte. "Hmm, noch was!" Gwen lehnte sich lässig mit dem Rücken an eine Säule des Vordachs. "Es geht das Gerücht, dass im Norden eine gewaltige Bestie in einer Schlucht entdeckt wurde. Ein kapitales Viech, total zerschmettert. Hat wohl die ganzen Tiere gerissen und die Leute getötet. Vielleicht ein Wolf, aber die jagen nie alleine und wählen sich die schwächsten Tiere aus. Also wahrscheinlich ein wilder Hund. All das Gerede von einer Bestie, das war nur Geschwätz von den unwissenden Bauern und Hirten." Mikael wandte ihr den Kopf zu. "Eine unzugängliche Schlucht, nehme ich an?" Erkundigte er sich beherrscht. Gwen drückte ihren Zigarillo in dem edlen Taschenascher aus, den sie stets bei sich zu tragen pflegte. "Unerreichbar, nicht mal für Bergziegen. Und, wie gesagt, nur albernes Geschwätz von ungebildetem Volk." "Ich verstehe." Antwortete Mikael leise, bot ihr wieder sein klassisch-schönes Profil, die Gesichtszüge wie gemeißelt. Kiri musste wahnsinnig geworden sein, sich auf einen solchen Kampf einzulassen!! Das war unverzeihlich! Er würde...!! Gwens Faust klopfte ihm leicht vor die Brust. Ihr Gesichtsausdruck zeigte einen entschiedenen Ernst. "Bis zur Morgenröte, Kamerad!" Mikael nickte knapp, was Gwen veranlasste, mit einem lässigen Gruß an die Schläfe über den Garten seine Villa zu verlassen. Langsam kehrte er in sein Schlafzimmer zurück, schloss die Verandaflügeltüren lautlos. Camille hatte sich neben Kiri gerollt, doch selbst im diffusen Licht konnte Mikael noch feuchte Spuren auf den runden Wangen des Jungen erkennen. Er setzte sich auf die Bettkante, wandte sich dann herum, legte seine Hand auf die Stirn seines schwerverletzten Liebhabers. Dann beugte er sich tiefer und flüsterte. "Kazekiri, dein Meister befiehlt dir, gesund zu werden!" Ein leises Seufzen, nur eine Ahnung, eine linde Brise in der Nacht, antwortete ihm. Bis zur Morgenröte musste er tapfer sein. *~* Es war das leise Rascheln gebügelter Zeitungsseiten, das Camille aus seinem Schlaf weckte. Die Augen noch verklebt stemmte er sich hoch und erblickte unversehens die tiefschwarzen Augen seines Vaters, der im Pyjama in der Morgenzeitung blätterte, einhändig, denn die andere lag auf Kiris nacktem Brustkorb. Der sich ruhig hob und senkte. "...Vater..." Besorgt studierte Camille Kiri und verunsichert seinen Vater. Dass er nicht nur in dessen Bett eingeschlafen, sondern auch am Morgen darin erwacht war, stellte eine geradezu unerhörte Situation dar! "Camille, sei so gut, dich zu waschen und anzuziehen. Wir werden das Frühstück ausnahmsweise hier einnehmen." Der Morgen wurde immer verrückter! Hieß das etwa, er durfte mit seinem Vater IM Bett speisen?! "So-sofort, Vater!" Hastig rutschte Camille zur Bettkante und stützte sich an Tranquillo ab. Die treue Dogge hatte sich ebenso wenig wie ihr kleiner, wuschellockiger Besitzer aus dem Schlafzimmer vertreiben lassen. Nun, da offenkundig keine akute Gefahr mehr drohte, waren beide bereit, ihren Wachposten temporär zu verabschieden. Mikael legte die Zeitung ab, beugte sich hinunter und küsste zärtlich vom Fieber ausgetrocknete Lippen. "Kazekiri, verlass mich nie wieder. Ohne einander können wir nicht sein, das weißt du doch!" Unter seinem Pyjama brannten die vererbten Hautmale auf, kennzeichneten ihn, brandmarkten ihn. Sie waren ihm Fluch gewesen, Unglück, das Schicksal, auf immer allein, außerhalb, verachtet zu bleiben. Nun jedoch verlieh Kiris Existenz ihnen, und damit auch seinem Leben, einen besonderen Sinn. Camille stürmte zurück, Tranquillo auf seinen kleinen Fersen. Erst verspätet fiel ihm ein, dass sein unaufgefordertes Eindringen definitiv einen Tadel nach sich ziehen musste. Sein Vater kommentierte jedoch bloß. "Bitte lass die Tür angelehnt, Camille, damit Bernd den Teewagen hineinschieben kann." "Jawohl, Vater." Artig leistete Camille dieser Anweisung Folge, dann jedoch trollte er sich tollkühn an Kiris Seite, erstieg die Matratze. "Vater?" Nervös blickte er in die abgründigen Augen. "Vater, wäre es wohl möglich, können Sie Kiri nicht verbieten, ohne uns zu verreisen? Wenn wir zusammen wären, könnten wir einander beistehen, nicht wahr?" Mikael schwieg einen langen Moment, dann legte er seine Hand von Kiris Brust auf Camilles Lockenhaupt. "Ein sehr guter Vorschlag. Ab sofort werden wir zusammen bleiben." "Wirklich? Oh, famos!" Begeistert klatschte Camille in die Hände, strahlte seinen Vater an, der sich an einem Lächeln versuchte. Zwischen ihnen seufzte Kiri leise auf, blinzelte ins Ungefähre, die Kehle ausgedörrt. "Ah." Wisperte Mikael sanft. "Die Morgenröte ist angebrochen." *~* Szene "X" # X-1999 von Clamp (Asuka Comics, Kadokawa, Japan) "Okay, okay, okay!" Fuuma presste den Handrücken gegen die Stirn, während er mit der Rechten Kamuis Salve zu bremsen versuche. "Also, noch mal langsam, nur, damit ich das verstehe!" Er seufzte und warf seinem Jugendfreund eine kritischen Blick zu. "Unsere Mütter sind eigentlich Schwerthüterinnen, und wir kämpfen um das Ende der Welt, nachdem du Kotoris Tod verursacht hast. Außerdem sind da noch Seherinnen, eine Prostituierte, ein Angestellter, ein Naturbursche...Oh, wie auch immer, und wir können die Zeit einfrieren und sind in einem Paralleluniversum..." Er gab auf und schenkte dem zierlichen Kamui einen argwöhnischen Blick. "Hör mal, du hast doch nicht wieder bei diesem verrückten Sorata an den Räucherstäbchen geschnüffelt, oder?!" Sorata mochte ja einem renommierten Schrein vorstehen, aber für Fuumas Geschmack war der Typ ein bisschen zu durchgedreht! "Keine Spur! Und du hast vergessen, dass ja auch Arashi und Yuzuhira vorkommen! Und Satsuki war auch dabei, du kennst sie, sie ist in der IT-AG!" "Aha." Brummte Fuuma und meinte genau das Gegenteil. Es hatte ihn ohnehin schon Mühe gekostet, der verschlungenen Erzählung zu folgen, in der mehr oder weniger bekannte Personen vorkamen, doch langsam steigerte sich sein Missfallen. "Und du hast nicht zufällig in der Nacht zu lange vor diesem dämlichen Computerspiel gesessen?" Hakte er streng nach. Genau, war das nicht eines dieser Abenteuerspiele, in dem es sich auch um Tarotkarten drehte?! "Bloß ein bisschen, gerade zum Müdewerden!" Verteidigte sich Kamui energisch. "Dann hast du das alles bloß geträumt." Versetzte Fuuma entschieden. "Es war aber sehr realistisch! Als ich heute Morgen gelesen habe, dass es nahe des Tokyo Tower Erschütterungen gab.." Fuuma legte beide Hände auf die schmalen Schultern seines Freundes. "Kamui, wir leben hier in Japan. Da gibt es dauernd Erschütterungen. Erdbeben. Plattentektonik. Ganz normal." "Das schließt sich ja nicht aus!" Behauptete Kamui verstimmt und schmollte. "Außerdem glaube ich echt, dass Sakurazuka und Sumeragi etwas am Laufen haben." Nun seufzte Fuuma vernehmlich. "Das müssen Erwachsene unter sich ausmachen. Nur, weil bei Frau Kasumi ein paar neckische Höschen auf dem Balkon trocknen, heißt das noch nicht, dass sie im Horizontalgewerbe tätig ist." Woher nahm Kamui bloß diese Phantasie?! "Und wenn sie doch mit Herrn Aoki...?!" Kamui zwinkerte listig, hinterließ bei Fuuma aber eher den Eindruck, es habe sich eine Wimper verirrt. "Schön, willst du meine ehrliche Meinung hören?" Betont streng funkelte er auf Kamui herunter. "Wenn du mir nicht glaubst..!" Beleidigt verschränkte Kamui die Arme vor der schmalen Brust, bot ihm sein Profil. Herausfordernd zerraufte ihm Fuuma die wilde Mähne, was wütenden Protest auslöste. Er beugte sich herunter und flüsterte in das noch kindlich runde Gesicht. "Du hast geträumt, Kamui. Wenn Freud hören würde, was du hier erzählst, würde er dir sagen, dass du sexuell total unausgelastet bist, was dein Hirn verwirrt." Kamui sackte die Kinnlade herunter. Fuuma konnte ein freches Grinsen nicht unterdrücken. "Also echt, Kumpel, Schwerter?! Phallussymbole! Sämtliche Damen in deiner Traumwelt sind Heilige/Huren! Überall heimliche Pärchen! Obwohl ich es ja amüsant finde, dass du Arashi mit einem Schwert auf Sorata losgehen lässt. Der Typ steht vielleicht sogar darauf." "Du-du bist so versaut, Fuuma!!" Wütend stieß Kamui ihn vor die Brust, was Fuuma natürlich nicht aus dem Gleichgewicht brachte, nein, er lachte sogar laut auf. "Na, krieg dich schon wieder ein, Kumpel! Wenn ich du wäre, würde ich nicht dem Bruder des Mädchens, das du mit deinem 'Schwert' aufspießen willst, solche wilden Phantasien erzählen! Das könnte dir ne Tracht Prügel einbringen." "Idiot! IDIOT!" Schimpfte Kamui laut, den Tränen nahe vor Wut, weil Fuuma ihn immer noch aufzog, einfach nicht ernst nahm. "Ach, ärger dich doch nicht!" Ein muskulöser Arm legte sich um seine Schultern, dann hatte Fuuma ihn in vertrauter Freundschaft an seine Seite gezogen. "Komm, ich geb dir einen aus, und wir vertragen uns wieder, ja?" Kamui schmollte ausreichend lange, um Fuuma zu signalisieren, dass er KEIN Kind war, das man einfach so mit einer Leckerei bestechen konnte. "Und, was magst du haben?" Unbeeindruckt von der Schweigephase steuerte Fuuma einen Automaten an. "Bubble Tea!" Verlangte Kamui sofort, und es kostete Fuuma große Anstrengung, nicht herauszulachen. Wirklich, Kamuis wilde Ideen wären besser in einem Popcorn-Movie aufgehoben! *~* Szene "Y" # Yogoto no tsuki von Akemi Takaido (Hanaoto Comics, Houbunsha, Japan) Asami, den die meisten als Hippie klassifizierten, wegen des Ohrsteckers und der schulterlangen Haare, wollte tatsächlich zurück in das Basketballteam der Schule?! Das Gerücht verbreitete sich in Windeseile, niemand wusste so recht, was davon zu halten war. Zugegeben, Asami war eines der größten Talente, die es gab, nur leider hatte er eben den falschen Charakter! Sollte man ihm wirklich den Wiedereintritt gestatten? Was war mit der Disziplin?! Tonomura hielt sich heraus, auch wenn er der Anlass für Asamis merkwürdiges, nun, merkwürdigeres Verhalten war. Sie hatten wie zwischen ihnen üblich mit "wer zuerst sieben Punkte hat" im Duell entschieden, ob Asami über Küsse hinausgehen durfte. Oder eben, ob er zurück in die Mannschaft kehrte. Hatte Asami ihn gewinnen lassen? Tonomura war sich nicht sicher. Er hatte alles daran gesetzt, sogar heftigen Streit mit Eltern und Lehrern, weil sie eine andere Oberschule für ihn vorgesehen hatten, eine, die seinem Intellekt gerecht wurde, doch er wollte dahin, wo Asami war. Mit ihm Basketball spielen. War das bloße Besessenheit? Oder doch Liebe? Wenn selbst die Enttäuschung, Asami hier nicht in der Mannschaft vorzufinden, ihn nicht gehindert hatte, diesen Traum weiterzuverfolgen? Asami war genial, geschickt, beweglich und ungeheuer instinktsicher. Er schien zu ahnen, was seine Mitspieler als nächstes zu tun beabsichtigen, fand sich immer genau an der richtigen Stelle und hatte die Ruhe weg. Einen Makel jedoch gab es. Asami hatte es ihm offen gesagt: er wollte Spaß haben. Selbst wenn er der beste Spieler der Welt sein sollte: wenn der Sport für ihn keinen Reiz mehr bot, dann hörte er damit auf. Wie er es getan hatte, auf der gemächlichen Suche nach Freude, Vergnügen, innerer Erfüllung. »Typisch Hippie!« Das hörte man oft, wenn Asami seine kruden Ideen vortrug, wie das Leben beschaffen sein sollte. Jedenfalls nicht mit gnadenlosen Hierarchien, Demütigungen und Machtkämpfen. Wenn er spielte, wollte er spielen. Natürlich ging es auch um den Sieg, aber der bedeutete wenig, wenn man nicht miteinander spielte! Wenn er nicht lachen konnte, sich gemeinsam steigern, auch wenn man auf gegenüberliegenden Seiten agierte! Bekloppt. Ja, Asami war sich dessen bewusst, ihm ging der Killerinstinkt ab. Nun ja, er verfügte sehr wohl über das Gespür, doch verabscheute er den Zwang, diesen Eingebungen folgen zu müssen oder zu sollen. Er lächelte munter, als Tonomura hinter den anderen in die Halle trat. Tonomuras Gesicht blieb unleserlich, die dunklen Strähnen beschatteten seine Augen. Ob er wohl darüber besorgt war, dass sein Wunsch sich erfüllen konnte? Asami hatte so eine Ahnung, dass Tonomura vielleicht ein wenig eifersüchtig sein konnte, wenn sich nun wie früher alle um ihn scharten. Andererseits... *~* Tonomura rieb sich vorsichtig die Seite. Auf seiner hellen Haut zeigten sich schon die ersten Spuren eines Hämatoms. Wenn der Trainer nicht hinsah, bekam er öfter mal Ellenbogen ab oder ein Fuß stand in seinem Weg, weil die Mädchen ihn mochten, er aber keine auswählte. Während andere Schwachmaten ihre Chancenlosigkeit ihm anlasteten! "Lass mal sehen!" Asami schlüpfte ungeniert zu ihm unter die Brause, die nassen Haare hinter die Ohren geklemmt, immer noch sichtbar mit einem Stecker verziert. "Es geht schon." Brummte Tonomura verlegen, wandte sich ab. Wenn Asami ihm so nahe kam, dann raste sein Herz und er hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. "Irgendwo ist noch Eisspray!" Asami zog ihn einfach an der Hand unter der Dusche hervor. "Ich meine ja, dass dir ein bisschen Farbe nicht schadet, aber ich hatte mehr an Sonnenschein gedacht!" Tonomura zögerte, spürte die Blicke der Nachzügler auf sich ruhen. Ob Asami registriert hatte, dass nicht alle seine Rückkehr ins Team begeistert aufnahmen? Oder war ihm das einfach gleich? Asami jedenfalls beschäftigte sich damit, der Dose einen anständigen Sprühstrahl zu entlocken, um die verletzte Körperpartie zu behandeln. "So, das sollte reichen." Verkündete er mit einem Lächeln. "Warst übrigens ziemlich gut vorhin." "Du hast mit deinem Team aber gewonnen!" Stellte Tonomura fürs Protokoll fest und entwischte eilig Asamis Hand, um sich abzutrocknen und anzukleiden. Der tat es ihm nach und konterte nonchalant. "Darauf kommt's doch nicht an! Wichtig ist ein gutes Spiel." "Das lass besser den Trainer nicht hören." Murmelte Tonomura. Asami grinste bloß und baute sich vor ihm auf. "Übrigens, als Verlierer und jüngerer Schüler gibst du mir jetzt einen Teller Nudeln aus!" "Ach ja?" Tonomura funkelte in die fröhlichen Augen. "Wo steht das?!" "Gleich neben dieser Stelle!" Unerwartet packte Asami ihn am Revers und küsste ihn auf den Mund. Tonomura errötete und spürte Panik aufflackern, weil man sie möglicherweise beobachten konnte. Asami zwinkerte ihm zu. "Wir haben was vereinbart, erinnerst du dich?" Hastig wandte Tonomura den Kopf ab, flüsterte. "Ich hab's nicht vergessen." "Fein!" Verkündete Asami, wirrte ihm durch die schweren, schwarzen Strähnen. "Dann schnapp dir dein Zeug! Oh, ich hab solchen Kohldampf, ich könnte glatt zum Kannibalen werden!" Ein wenig musste davon trotz eines üppigen Tellers Nudeln verblieben sein, denn im Gedränge in der Bahn biss er Tonomura ins Ohrläppchen und hielt ihn fest umschlungen. Dabei lächelte er breit wie ein Honigkuchenpferd, glücklich und vergnügt. *~* Szene "Z" # Zetsuai 1989 von Minami Ozaki (Margaret Comics, Shueisha, Japan) Kouji Nanjou streckte sich und schob die Brille auf seinen Oberkopf. Kurz nach drei Uhr in der Frühe. Er seufzte, verabschiedete nach und nach die gesamte Technik in seinem Studio. Zufrieden, aber erschöpft begab er sich nach oben, in den Wohnbereich seines Hauses, das in tiefer Stille lag. Von der angespannten, konzentrierten Haltung schmerzten seine Glieder, also entschied er, dass eine heiße Dusche vor der Augenpflege zwingend notwendig wurde. Geübt schnallte er die Prothese von seinem Armstumpf, ächzte unterdrückt auf, als nach und nach Sehnen und Muskeln aus ihrer starren Verspannung erwachten und prickelnd ärgerliche Beschwerden über seine Nervenenden ins Gehirn sandten. Mit dem Abtrocknen zumindest fiel die Bestandsaufnahme nicht mehr so unerfreulich aus, und Kouji konnte sich selbst im Spiegel die Zunge blecken. "Wirst eben ein alter Sack." Bescheinigte er sich. Ein Umstand, den er nie erwartet hatte. Aber nicht alle Schlechten sterben spät! Seine Prothese wieder befestigt, lediglich in eine Yukata gehüllt, lief er auf leisen Sohlen durchs Haus. Lautlos öffnete er die Zimmertür, um nach seinem notorischen Neffen Tatsuomi zu sehen, doch das Bett war unberührt, die Decke lässig zurückgeschlagen. Kouji seufzte leise. Nun, zumindest wusste er, wo Tatsuomi mit Sicherheit zu finden war. Als er vorsichtig die Tür zu Makos Zimmer aufschob, konnte er neben dem krausen Schopf die honigblonde Mähne seines Neffen ausmachen. Ob es wohl zum Frühstück wieder Zeter und Mordio geben würde? Leise zog er die Tür wieder ins Schloss und tigerte langsam zum "Master Bedroom", seinem eigenen Schlafzimmer mit angeschlossenem Ankleideraum. Unter der großen Decke zeichnete sich die sehnig-muskulöse Gestalt seines Schicksalsgefährten ab, so eng miteinander verbunden, in Liebe, Verzweiflung, Schmerz, Leid, Hoffnung und Zuversicht, dass sie nie ohne einander würden leben können. Langsam setzte er sich auf die Bettkante, löste die Yukata von seinen Schultern und schnallte die Prothese ab. Eine warme Gestalt schmiegte sich an seinen breiten Rücken, hauchte einen Kuss auf seinen Nacken. "Oh, entschuldige Izumi, wollte dich nicht wecken." Raunte Kouji zurückhaltend. "Hmm." Schnupperte Takuto Izumi an seiner Kehle. "Ist das ein neues Duschgel?" "Magst du den Duft nicht?" Kouji wandte sich halb herum. "Wenn's dich stört..." "Nein." Die dunklen Augen schlugen Kouji sofort in ihren Bann, ließen sein Herz galoppieren. "Gefällt mir ganz gut. Bist du fertig mit dem Abmischen?" "So gut wie." Kouji schüttelte die Yukata ab, ließ sie achtlos neben das Bett sinken, während er seine Prothese sorgsam auf einen Ständer hängte. Dann kroch er unter die einladend offerierte Bettdecke. "Was ist los, hm?" Takuto rollte sich neben ihm auf die Seite, den Kopf auf einen angewinkelten Arm abgelegt. Kouji, der durch seine Behinderung leicht eingeschränkt war, blieb auf dem Rücken, drehte ihm aber den Kopf zu. "Sunny liegt schon wieder in Makos Bett." Brummte er leidgeprüft. "Tja." Takuto studierte ihn gelassen. "Das müssen die beiden selbst lösen." Kouji zog eine bemitleidenswerte Grimasse. "Aber ich hasse es, wenn die beiden sich beim Frühstück streiten! Ich darf ihre Köpfe nicht zusammenschlagen!" Takuto an seiner Seite lachte unterdrückt. "Jaja, die Qualen des Erwachsenseins. Vorbild in jeder Lebenslage." Und Kouji war bekannt als notorischer Muffel am frühen Morgen! "Gerade fühle ich mich von dir nicht sonderlich unterstützt!" Jammerte Kouji nun vorwurfsvoll, mit mehr als einer Prise Ironie gewürzt. Takutos Hand strich über sein Gesicht, kämmte noch dezent feuchte Strähnen zurück. "Ich bin da. Ich bin immer bei dir, Kouji." Mit ein paar einfachen Worten konnte er dem Skandal-, Super-, Rock- und gelegentlich Filmstar Kouji Nanjou Tränen in die Augen treiben. Er ächzte leicht, als sich sein größerer und etwas schwerer Schicksalsgefährte auf ihm einrichtete, das Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. Zärtlich striegelte er die schwarzen Strähnen, um seinetwillen so gefärbt, glitt über das breite Kreuz, spürte die hastigen Atemzüge. In Kouji Nanjou steckte so viel mehr, als er selbst und die meisten auch nur ahnten. Und das war einer der Gründe, warum er nicht anders konnte, als ihn zu lieben. Mit allen Konsequenzen. *~* "Guten Morgen, Langschläfer!" Takuto beugte sich über Kouji, hauchte ihm neckend einen Kuss auf die Nasenspitze. "Uuoohhmmmm!" Kouji blinzelte, schielte nach der Uhr und stöhnte auf. "Du hast mich ausschlafen lassen!" "Genau." Takuto lächelte und zog die schweren Gardinen beiseite. "Das Frühstückstheater hätte dir nicht gefallen, mein Herz! Aber jetzt muss ich wirklich los, deshalb habe ich dir etwas zu essen hingestellt." "Hmmm." Kouji saß inzwischen und wirrte sich durch die wilde Mähne. "Und du wirst es essen!" Drohte Takuto energisch. "Wer arbeitet, braucht Energie. RICHTIGE Energie." Da wollte er präzise bleiben, denn irgendwelche "Energy"-Produkte kamen ihm nicht ins Haus! Kouji, der kein Suchtmittel ausgelassen hatte, schenkte ihm ein gehorsames Kopfnicken. Früher hätte er sich einen Teufel um seine Gesundheit oder die Zukunft geschert, doch das kam längst nicht mehr in Frage. "Na schön, dann stell nichts an, bis ich wieder da bin!" Scherzte Takuto. Der Abschiedskuss fiel etwas länger aus, musste er doch Trennung kompensieren. Kouji verzichtete darauf, die ordentlich gefaltete Yukata überzustreifen, als er aus dem Bett stieg und wie jeden Morgen zuerst die Prothese anlegte. In einem Männerhaushalt musste man auf zartfühlende Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen! *~* Tatsuomi saß auf der Veranda, umgeben von Bücherstapeln und vor einem Laptop. Er wirkte konzentriert, wenn auch ein wenig unleidlich. Kouji trat zu seinem Neffen und nahm Augenkontakt auf, da in Tatsuomis Gehörgängen Stöpsel steckten. "Oh, guten Morgen, Onkel Kouji!" Tatsuomi lächelte schief, ein sehr schöner, junger Mann, jedoch mit einigen Makeln, die aus banaler Attraktivität eine besondere Anziehungskraft formten. "Bist du fleißig? Verblüffend." Neckte Kouji, der sich allzu oft in seinem Neffen wiedererkannte. Ein sehr kluger Kopf, dem das Lernen leichtfiel, der jedoch schnell gelangweilt war und Anregung brauchte. Obwohl es sich schon stark gebessert hatte, seit Mako... "Er ist im Studio und hat sich da verbarrikadiert." Murmelte Tatsuomi gekränkt. "Wenn ich nicht diesen ganzen Kram bis heute Abend erledigt habe, dann redet er kein Wort mehr mit mir bis Samstag!" Mako war, wie Kouji wusste, durchaus in der Lage, Tatsuomi eisern und gnadenlos zu ignorieren, was diesen in Existenznöte geraten ließ. Positiv war einzig zu nennen, dass Mako seine immense Macht über Tatsuomi nicht willkürlich und grausam missbrauchte. Er war, trotz seines Temperaments, sehr diszipliniert, ehrgeizig und fleißig. "Da musst du dann wohl durch." Kouji drückte eine Schulter mitfühlend. "So sind die Regeln, Kamerad." "Takuto verlangt solche Sachen aber nicht von dir!" Schmollte Tatsuomi kindlich, bevor sich sein Ausdruck änderte, erwachsener, angespannter wurde. Von Erinnerungen eingeholt. Kouji fürchtete diese Schatten, ihre Abgründe, deshalb verstärkte er seinen Druck auf die athletische Schulter. "Das ist der Preis, Sunny, wenn du die Belohnung bekommen möchtest!" Schnurrte er samtig in seiner verführerischen Basslage. Tatsuomi lächelte wieder, was ihn erleichterte. "Ich arbeite dran." Antwortete der Jugendliche amüsiert, wenngleich zu allem entschlossen. Er hatte schließlich gefunden, was er so verzweifelt gesucht hatte. Alternativen gab es nicht. *~* "Nanu?" Takuto rubbelte sich mit einem Handtuch durch die nassen Strähnen, als er vor dem Trainingsgelände Koujis auffälligen Transporter erblickte. Er schwang die breite Sporttasche auf den Rücken und spazierte gemächlich zum Parkplatz. Kouji, mit Sonnenbrille mäßig getarnt, öffnete die Verriegelung und ließ ihn einsteigen. "Hallo." Takuto beugte sich ihm entgegen und küsste ihn sanft auf die lasziv geschwungenen Lippen. "Womit habe ich diesen Luxus verdient?" Kouji startete den Motor, wartete aber höflich, bis Takuto die Gurtschnalle eingerastet hatte. "Ich bin auf der Flucht und entschlossen, dich mitzunehmen." Informierte er Takuto. "Ach was?" Takuto blinzelte und zog das Handtuch hinter seinem Nacken hervor. "Wovor fliehen wir genau?" "Teenagern! Fluch der Menschheit!" Grollte Kouji grimmig. Über Takutos gebräuntes Gesicht huschte ein Schmunzeln. "Wie sieht dein Plan aus?" "Wir fahren in die Berge. Da gibt's ein diskretes Gasthaus, gutes Essen, KEINE Teenager und Ruhe. Sogar Onsen, gleich mehrere zur Auswahl." "Fein." Takuto war es recht. "Wir sind dann in zwei Tagen zurück?" Er hatte schließlich Trainingseinheiten und Spiele zu bedenken. "Leider." Murmelte Kouji geplagt, während er flüssig im Verkehrsstrom mitschwamm. "Dein Plan gefällt mir." Lächelte Takuto und legte vertraulich eine Hand auf Koujis Schenkel. "Zeit mit dir ganz allein habe ich vermisst." Es erstaunte ihn nicht mehr, dass Kouji umgehend die nächste Haltebucht ansteuerte und ihm sehr intensiv versicherte, dass er dieses Gefühl zu 110% teilte. Eine kleine Flucht, ein ganz intim-privates Abenteuer, das konnte man ihnen wirklich nicht verwehren! ~*~ Ende ~*~ Danke fürs Lesen! kimera