Titel: Traumlos Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 0 Kategorie: Drama Erstellt: 05.06.2002 Disclaimer: Die zitierten Songs gehören ihren Autoren, es sollen weder Rechte verletzt werden, noch steckt eine monetäre Absicht hinter den Zitaten. Anmerkung: Das ist keine Geschichte, sondern einfach Nachtgedanken zum Ende von diesem oder jenem ^_~ Für die Sucher des Regenbogens ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ ~+~ Traumlos 18.30 Uhr. Ich lasse die Frühlingsrollen auf das Blech gleiten, aktiviere den Umluftherd, kontrolliere die Temperatureinstellung. Es ist schon wieder dunkel, den ganzen Tag hat sich die Sonne vergraben. Das dichte Regenband mit den tiefhängenden Wolken, schwer beladen mit bitteren Tropfen, legt sich wie ein äthergetränkter Wattebausch auf die Gemüter. Mich kümmert die Witterung wenig, meine ganze Aufmerksamkeit wird von dem Unterfangen absorbiert, Dir ein Abendessen zuzubereiten. Während ich die Tofustreifen in der Pfanne wende, die kurzen, heißen Spritzer von Essig und Öl meine nackten Unterarme mit Brandmalen sprenkeln, lausche ich dem Blues. Ich weiß nicht, warum es mir nicht möglich ist, ohne seine Untermalung in der Küche zu wirtschaften. Das klagende Aufheulen der Mundharmonika, die verzerrten Akkorde der Bluesgitarre, die schweren Stimmen ohne glatte Melodieführung... ich bewege mich in sanften Bögen zum Rhythmus, wandere zwischen Arbeitsplatte und Herd umher. Drehe die Tofustreifen, wende die Frühlingsrollen und öffne das Küchenfenster weit, damit die eisige Regenluft gierig den winzigen Raum usurpiert, den Geruch der Speisen entführt. Die Arme reibend recke ich mich auf die Zehenspitzen, um die Beutel mit grünem Tee aus dem Hochschrank zu ziehen. Sie sind in einer Müslischachtel verborgen, eines meiner kleinen Geheimnisse, die in letzter Zeit überhandnehmen. Als wir uns kennenlernten, hast du oft bei mir gegessen. Meine kulinarischen Fertigkeiten amüsierten Dich, meine Fähigkeit, Fertigspeisen zu mischen, eigenwillige Kreationen zu erfinden, all das entlockte dir begeisterten Applaus. Aber nun.... langsam schlage ich mit dem Schneebesen die Curryrahmsoße in die Milch... nun isst Du lieber im Büro. Zu fett seien die Speisen, ungesund, belastend. Mein Lebenswandel dir nicht zuträglich. Ich übergieße die Teebeutel mit siedendem Wasser, verrühre das Fünf-Gewürze-Pulver in die trübe Soßenmischung, füge chinesische Fischbrühe hinzu. Du sagst, das Essen am Abend sei nur in mediterraner Küche förderlich, zudem verschlinge der Einkauf von Nahrungsmitteln immer größere Anteile unseres Haushaltsgeldes. Die Soße in die Mikrowelle verbannend nehme ich die Frühlingsrollen aus ihrem heißen Sakopharg, wärme sie mit den gebackenen Tofustreifen. Ich kann wirklich nicht kochen, da muss ich Dir Recht geben. Und die Zubereitung von Tee stellt mich vor Rätsel, mir entgehen die Geschmacksnuancen, die Du mir vorhältst. Vielleicht will ich ihn auch nicht trinken, weil er meine Zähne schmerzen lässt... so wie Du. Keine süßen Küsse mehr, die es wettmachen, selbst Konfekt ist vom Haushaltsetat gestrichen. Als wir einander zum ersten Mal über den Weg liefen, da liebtest Du meinen weichen, trägen Körper. Deine feinen, flinken Hände konnten nicht von mir lassen, Du selbst wolltest Dich in mir verkriechen. Und ich ließ es zu. Habe ich Dich geliebt? Ich dachte es. Vermutlich ein Fehler, Gefühle mit Verstand zu mischen. Das Klingeln der Mikrowelle durchbricht meine Gedanken. Die Soße über die Rollen und Streifen verteilend atme ich genießerisch das Aroma ein. Für Augenblicke verliere ich die Kälte, den schneidenden Wind, den Alltag aus den Augen. Drehe mich im Dampf der Speisen im Kreis, wage es, die Stimme zu heben. Wenn Du mich so sehen könntest... vermutlich würdest Du die fein gezeichneten Augenbrauen heben, die ich so bewundert habe. Spottend hinüberschauen, mit dem nachsichtig-gönnerhaften Ton in Deiner tragenden Stimme kommentieren, dass ich wohl der einzige Mensch sei, der meditativ im Glücksrausch versinkt, wenn er im Dunst von Fertiggerichten steht. Und nicht mal einen einzigen Ton halten könne, weshalb es auch ständig regne. Ich schlage die Augen auf, es fröstelt mich. Trage die Teller in das Wohnzimmer, wo ich bereits den Tisch dekoriert habe, Servietten, Kerzen, Blumengesteck. Jeden Tag wollten wir zu einem Ereignis machen, ein Fest sollte jede Mahlzeit sein. Wann haben wir es verloren? Ist es törichter Trotz, dass ich an dieser Formalität festhalte? Bin ich kleinlich, weil mich Deine Worte verletzten, als Du meine Dekorationen argwöhnisch mustertest und erklärtest, sie hätten Ähnlichkeiten mit dem tuntigen Gewese und Aufwand, den zwei Schauspieler in einer Tiefkühlgericht-Werbung betrieben? Ich entzünde die Kerze, verliere mich in ihrem anmutigen Tanz. Liegt es wirklich in meiner Verantwortung, dass Du zugenommen hast? Habe ich Dich zu selbstverständlich angenommen, Dir nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt? Ich kann nicht mit Dir Schritt halten, Dein charmantes und flatterhaftes Wesen ist unvergleichlich. Hätte ich die Warnungen meiner wenigen Freunde stärker würdigen sollen? Dass ein Fisch und ein Vogel sich verlieben könnten, sie aber keinen Platz fänden, um ein Nest zu bauen? Ich bin nicht einmal sicher, Dich zu lieben. Ist das nicht erschreckend? Fast ein Jahr teilen wir Tisch und Bett... mit stark abnehmender Tendenz, und ich kann nicht sagen, warum wir das tun. Du bist noch immer attraktiv, weltgewandt und so quirlig wie Quecksilber, das sich jedem Zugriff entzieht. Ich konnte nicht auf das Glück hoffen, Dir jemals nahe zu sein, war bereit, mich als weitläufiger Freund zu sehen. Kannst Du dich erinnern, warum du mich damals umworben hast? Habe ich es verloren? Meine Augen folgen den winzigen Dampfschwaden, die sich zur Decke schlängeln. Es stimmt, ich bin nicht gerade viele Kompromisse eingegangen, möglicherweise fürchte ich mich unbewusst davor, mich selbst zu verlieren. Weißt du eigentlich, dass ich über uns nachdenke? Ich bin nicht sicher. Intellektuell sind Deine hochfliegenden Vision für mich kaum greifbar, enthalte ich mich jeder Wertung. Bleibe eben >Dein kleines Dummerchen<. Mein Horizont umfasst keine Welten, beschränkt sich auf den Alltag, den ruhigen Fluss meines Lebens, dem ich stetig folgen will. Kein Vergleich zu den Turbulenzen und Eskapaden, die Dich durch die Lüfte tragen, wechselnde Menschen und Milieus. Ersticke ich dich? Bin ich nicht mehr Dein Anker, Dein sicherer Hafen? Gedankenverloren zerstöre ich mein Kunstwerk, lutsche eine Frühlingsrolle, die mir die Zunge verbrüht. Mein Leben ist dir zu eng, zu eintönig. Aber warum hast Du mir Hoffnungen gemacht? Wirst Du mich verlassen? ~+~ Where Can You Be by Jimmy Reed Ev'ry sixty second, of ev'ry minute Ev'ry sixty minute, of the hour Ev'ry twenty-four hours of the day I just sit a-round an'pray Wonder where, oh where can you be? I wonder, where, well babe Won't you come on home to me? Ev'ry seven days, of the week Ev'ry four week, of the month Ev'ry twelve month, of the year I just sit an' wish, you was here I wonder where, well where can you be? I wonder where, well baby Please come on home to me ~+~ Es ist spät geworden, aus der einstmals festlichen Mahlzeit ein breiig-grauer Matsch, der Wasser schwitzend auf dem Teller unter den herabgebrannten Kerzen lungert. Ich habe gegessen, was Dich nicht milder stimmte, natürlich, die Arbeit geht vor, ich akzeptiere dies ohne Murren, doch nach Deinem Gesicht zu urteilen hätte ich das Dinner selbst ausfallen lassen sollen. Nicht, dass Du direkt auf meine Figur verweisen würdest oder einen bezeichnenden Blick abschießt... nein, es ist dein Schweigen, was mich waidwund trifft, mir die Kehle zuschnürt. Dieser Druck, der Schmerz im Nacken, sich ausbreitend mit schrillem Signalton in meinem Ohr... ich kenne ihn zur Genüge. Atme dagegen an, kämpfe um mich selbst, um nicht herzrasend in Panik zu verfallen, ich könnte ersticken oder ohnmächtig werden. Stresssymptome... würdest Du mich auslachen, wenn Du um ihre Bedeutung wüsstest? Unser Lebensrhythmus ist so unterschiedlich, ganz wie Tag und Nacht, doch anfänglich waren wir beide überzeugt, dass dieser Reiz des Andersartigen uns verbinden würde. Wir waren wohl einem Irrtum aufgesessen... Wenn ich von meiner Arbeit kam, im nachmittäglichen Stoßverkehr, so blieben Dir noch weitere Stunden bis zum Abend, Zeit, in der Du erst Dein Optimum erlangtest. Ich erledigte in dieser Zeit den Haushalt, entspannte mich, genoss die Vorfreude, um Dich gut gelaunt und aufgeladen mit neuerlicher Energie zu empfangen. Ich hatte wohl verkannt, dass der Zenit unseres Wesens unterschiedlicher nicht sein konnte, was mich noch einmal vor dem Schlaf hochtrieb, war Dir nicht mehr als eine Anregung, ein müder Abglanz eines Traumbildes. Wann hatte ich mich demaskiert, wann erkanntest Du den Irrtum? Wir waren beide keine Szenegänger, keine dieser schillernden Paradiesvögel, die ihre Einzigartigkeit zelebrierten wie einen unvergleichlichen Status. Ich gestehe, ich ließ Dich viel zu oft allein ziehen, konnte mich nicht mehr aufraffen, in bester Laune auf Partys zu brillieren, ein Zustand, der mir ohnedies ungemein schwerfiel. Vielleicht hatte ich mir selbst zuzuschreiben, dass wir uns entfremdeten? Hatte ich Dich meiner eigenen Bequemlichkeit geopfert? ~+~ WHEN YOUR LOVER HAS GONE, written by Einar Aaron Swan (preformed by Billie Holiday) What good is the scheming, the planning and dreaming That comes with each new love affair The dreams that we cherish, so often might perish And leaves you with castles in air When you're alone, who cares for starlit skies When you're alone, the magic moonlight dies At break of dawn, there is no sunrise When your lover has gone What lonely hours, the evening shadows bring What lonely hours, with memories lingering Like faded flowers, life can't mean anything When your lover has gone ~+~ Ich wälze mich ruhelos umher, doch achte ich geflissentlich darauf, Dich nicht zu stören, wieder eine Heimlichkeit, die sich ohne Vorwarnung in mein Gebaren eingeschlichen hat. Endlich ist es mir unerträglich, angespannt zu liegen, pulsierende Schmerzringe vom Nacken bis zu den untersten Wirbeln. Aufgerichtet betrachte ich Dein fahles Gesicht im Schein der Straßenlampe. Wie unvergleichlich attraktiv Du wirkst... es rührt mein Herz, doch ist es ein bittersüßer Schmerz. Wie Melancholie. Die Sehnsucht nach einer vergangenen Liebe. Wie der Blues. Ich kann Dich nicht halten, sinnlos, sich zu belügen. Will Dich nicht länger schweigend, in stummem Leiden neben mir verblassen sehen. Ein Feuervogel, in einem Käfig eingesperrt, den er sich selbst gesponnen hat. Nein, ich lasse Dich frei... nehme die Schuld auf mich, meinen letzten Liebesdienst an Dich. Seltsam, jetzt von Liebe zu sprechen... ich habe ihr Wesen bis heute nicht begriffen. Ist es ein unheilvolles Konglomerat aus Einsamkeit, Illusion, Verzweiflung und Kampfeswillen? Wir gegen den Rest der Welt... Doch die Welt kümmert unser Schicksal wenig. Ich streiche mir die Haare aus der klebrigen Stirn und spüre meinen Atem tief hinabwandern, ohne Hindernis. Als habe mich der Entschluss, unserer schweigenden Qual ein Ende zu bereiten, befreit. Nicht nur Deinen Käfig zerschlagen, sondern auch meinen eigenen. Ich sollte wohl um Dich kämpfen... wenn ich es nicht tue, was ist dann von dem zu halten, was uns verband?! Doch ich kann es nicht.... kann nicht sein, was Du Dir ersehnst. Kenne die Worte nicht, die meine Gefühle beweisen sollen... gibt es sie überhaupt?! Es ist wohl vermessen zu glauben, dass meine stete Anwesenheit in Deinem Leben Dir Genüge tut... so wie es mir vorschwebte. Habe mich Deiner zu sicher gefühlt... oder zu gleichgültig? Nein... nein, so selbstlos bin ich nicht. Es schmerzt mich, erkennen zu müssen, dass ich nicht genug bin für Dich. Der Konkurrenz keinen Schlagabtausch bieten kann. Dann habe ich Dich wohl nicht verdient, meinst Du nicht auch? Du drehst Dich auf die Seite, verletzlich und schutzlos in Deinem Schlaf, und ich möchte Dich hochreißen, in meine Arme ziehen und gegen die Schatten meiner Gedanken wie einen Schutzschild wahren. Aber ich bringe es nicht über mich. Wie viele Nächte zuvor nicht. Bevor ich Dich ersticke, Deiner Freiheit beraube, lasse ich Dich ziehen. Mir schießen deine flapsigen Worte auf einer Party durch den Sinn, einer zwanglosen Runde unter Freunden, denen wir unsere Verbindung nicht verheimlichen mussten. "Oh, er kommt immer klar, wie die Katze auf dem heißen Blechdach. Die braucht niemanden und fällt immer wieder auf die Füße." Ich lächelte damals, auch wenn mich ein Schauder durchfuhr, hatte ich den versteckten Vorwurf doch einmal zu oft vernommen. Deine Worte müssen wohl wahr sein. Ich kann ohne Dich existieren, stehe wieder auf, wenn Du gegangen bist. Doch ist Existenz nicht gleich dem Leben... das in Deiner Gesellschaft Farbe und Tiefe gewinnt. Langsam wickele ich die Decke um Deine entblößten Schultern. Es liegt nicht etwa an einer emotionalen Stärke oder Dickfelligkeit. Nein. Träume. Wir haben keinen gemeinsamen Traum. Den man leben könnte. Es gibt keine Vorbilder für unsere Beziehung, kein Leuchtfeuer in der Finsternis. Und so werde ich Dich niemals in der Nacht in meine Arme reißen, wortlos allein mit meiner Seele sengend in Dein Herz sprechen, wie mannigfaltig meine Gefühle sind, welches Kaleidoskop der Emotionen Deine Nähe auffächert. Wir sind gezwungen, unseren Träumen allein gegenüberzutreten, allein in ihnen zu wandern und zu hoffen, dass dann und wann eine mitfühlende Seele unser Erwachen liebevoll erwartet. Ich lächle sanft, das schrille Schmerzgeräusch in meinem Kopf ist verstummt. Die Erinnerung an Dich wird mich eine Zeit lang wärmen, dann muss mein eigenes Feuer wieder brennen. ~+~ I can see clearly now, the rain is gone (by Chantel Jones) I can see clearly now, The rain is gone, I can see all Obstacles in my way Gone are the dark clouds That had me blind It's gonna be a bright, Bright, sun-shiny day. I think I can make it now, The pain is gone All of the bad feelings Have disappeared Here is the rainbow I've been prayin' for It's gonna be a bright, Bright, sun-shiny day. Look all around, There's nothin' But blue skies Look straight ahead, Nothin' but blue skies I can see clearly now, The rain is gone, I can see all Obstacles in my way Gone are the dark clouds That had me blind It's gonna be a bright, Bright, sun-shiny day. ~+~ ENDE ~+~ Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Wie bereits in Vorwort erwähnt, stellt diese Betrachtung eine Reaktion auf Ereignisse dar, die ich erwartet und befürchtet hatte. Kombiniert mit einer Vorliebe für alte Blues- und Soulsongs bei Küchenarbeit wollte ich den Schmerz ein wenig lindern. Ich hoffe, ich habe dieses Ziel nicht verfehlt, da virtuelle Umarmungen manchmal nicht genug sind '_'