Titel: Ugly Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 18 Kategorie: Romantik Ereignis: Erstellt: 25.08.2011 Disclaimer: alles meins, frei erfunden und passend zurechtgelogen ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[ ]-#-[]-#-[]-#-[]-#-[]-#-[]-#-[]-#-[]-#-[]-#- Ugly Kapitel 1 - Zweiter Sieger? Kennen Sie den Ausdruck "zweiter Sieger sein"? Selbstredend gibt es keinen zweiten Sieger in einem Wettstreit, dessen Ziel es doch ist, den Besten zu ermitteln. Zweite Sieger sind tatsächlich Verlierer, denen man nicht zutraut, dass sie das Format besitzen, eine Niederlage anzunehmen. Indem man sie zu den zweiten Siegern erklärt, spendet man Mitleid (niemals Mitgefühl) und kommuniziert gleichzeitig eine gleichgültige Geringschätzung gegenüber diesen verdeckten Verlierern. Irgendwo las ich unlängst, dass in Amerika die Erzieher angehalten werden, grundsätzlich alle Kinder zu loben, niemand darf ein Verlierer sein. Ich frage mich bloß, was dieser Ansatz bewirken soll: Verachtung der Kinder gegenüber einer Umwelt, die sie für unfähig hält, den lebenslangen Wettbewerb in allen Belangen zu erkennen, oder die krampfhafte Verweigerung der Wirklichkeit zugunsten eines Märchenreichs? Wobei, wenn man getreu den Brüdern Grimm folgt, Märchen keineswegs zweite Sieger beherbergen. Rosa Zuckerguss war damals definitiv aus. Nun, für eine lange Zeit war ich ein zweiter Sieger, es war mir förmlich eintätowiert und für jeden unmissverständlich sichtbar. Ich hätte es jedoch vorgezogen, in aller Aufrichtigkeit als Verlierer zu gelten, denn ein solcher war ich bereits vor meiner Geburt. ]-#-[ Alles begann in einem kleinen Vorort außerhalb der Großregion Tokio-Osaka, eine Kleinstadt, überschaubar, eng vernetzt, die große Bühne für all diejenigen, die Tokio scheuten. Kurz nacheinander wurden dort Tante Setsuko und meine Mutter geboren, vom ersten Atemzug an dazu bestimmt, als Cousinen beste Freundinnen und ehrgeizigste Konkurrentinnen zu sein. Von jeher galt meine Mutter als das schönste Mädchen der Stadt, da konnte die Cousine nur den Kürzeren ziehen, auch wenn sie unter anderen Umständen durchaus als sehr hübsch einzustufen war. Meine Mutter jedoch, ein wenig jünger, aber unbestritten die Prinzessin, feierte Triumphe, während Tante Setsuko in ihrem Windschatten auf Erfolge hoffte und häufig zweite Siegerin blieb. Nach Abschluss der Schule entschied meine Mutter, dass sie nicht gewillt war, eine Feigenblatt-Beschäftigung aufzunehmen, sondern gleich, bevor sich gefährliche Konkurrenz in den jüngeren Altersklassen einstellen konnte, den besten Fang zu machen. Unter ihrer großen Verehrerschar befanden sich zwei besonders heiße Kandidaten, nämlich der ehemalige Kapitän des Baseballteams der Schule und der attraktivste Junge überhaupt, sowie der einzige Sohn einer durch umfangreichen Handel sehr reich gewordenen, ortsansässigen Familie. Gutes Aussehen und charmante Manieren mochten ja ganz angenehm sein, doch meine Mutter entschied, dass sie ein Vermögen auch noch genießen konnte, wenn äußere Schönheit verblüht war, also wählte sie prompt meinen Vater, während Tante Setsuko sich des zunächst untröstlichen Verlierers annahm. Sie ahnen, was nun kommt? Nun ja, die Kunst imitiert das Leben nicht allein, manchmal verläuft es auch genau umgekehrt. Wie in einer der Seifenopern folgten die beiden Dauerrivalinnen einem bestimmten Schema, das sie von ihrem Leben hatten: den besten Gatten zu finden und dann zur Erhaltung ihrer Position einen Kronprinzen zur Welt zu bringen, selbstredend kombiniert mit einer in kürzester Zeit wiederhergestellten Schönheit. Zur Verärgerung meiner Mutter kam Tante Setsuko ihr zuvor, doch damit war das Rennen im Wettstreit erst eröffnet. Nun galt es, alles zu unternehmen, damit der Nachwuchs definitiv männlich war, zudem noch die Bewunderung aller Nachbarn auf sich zu lenken, weil man trotz Überdimensionierung blütengleich dahinschwebte anstatt wie ein gestrandeter Wal durch die engen Gassen zu walzen. Der uneinholbare Vorsprung von Tante Setsuko mündete in der Geburt meines Cousins Hiroyuki. Das allein wäre schon Schlag genug gewesen, doch es kam noch schlimmer: Hiroyuki wurde berühmt, das schönste Baby, das man seit Jahren gesehen hatte, immer fröhlich und mit einem hinreißenden Grübchen! Tante Setsuko genoss ihren Triumph. Meine Mutter schäumte nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ich kam einen Monat später zur Welt, ahnungslos ob der großen Erwartungen, die auf mir lasteten und die ich im Laufe der Jahre sämtlich enttäuschen sollte. Ich kann mich nicht dieser ersten Jahre entsinnen und muss mich auf das verlassen, was man mir sagte oder zu Gehör brachte. Tatsache ist jedoch, auch von nicht übelwollenden Personen bestätigt, dass meine Mutter sich nach der Geburt derartig elend fühlte, dass sie dringend auf eine dreimonatige Kur gehen musste. Mein Vater, der wie seine Eltern auch seiner Leidenschaft, nämlich dem Geschäftemachen nachging, übergab mich kurzerhand Großtante Chiyako. Sie galt als geistig minderbemittelt, zeichnete sich aber durch eine bemerkenswerte Zucht einer seltenen Hühnerrasse aus. Tante Chiyako wusste mit mir nichts anzufangen, sie war ledig, kinderlos und näherte sich bereits den Achtzigern. Andererseits brachte sie ja auch ihre preisgekrönten Hühner durch, sodass ich quasi in der Zucht mitlief. Während ich also als weiteres Küken in seliger Unwissenheit heranwuchs, steigerte sich auch der Ruhm meines Cousins, der reihenweise die Herzen brach, noch bevor er den ersten Milchzahn produzierte. Meine Mutter kehrte, schön wie zuvor, von ihrer Kur zurück, doch ihre Hoffnung darauf, dass sich der Kronprinz als ebenbürtiger Gegner erweisen konnte, wurden bitter enttäuscht. Ich war zwar gewachsen, ansonsten hatte sich der unerträgliche erste Eindruck, den sie gewonnen hatte, nicht verflüchtigt, also verfügte sie, dass ich als kränkliches Kind (was ich keineswegs war, wie man sich vorstellen kann, wenn man sich in der Hackordnung bewähren will und keinen scharfen Schnabel oder Krallen vorzuweisen hat) zu Hause zu bleiben hatte, nicht wie Cousin Hiroyuki der gesamten Verwandtschaft vorgeführt wurde. Meiner Großtante blieben die Hintergründe dieser Anordnung verborgen, da sie ihren Horizont bei weitem überstiegen. Ich dagegen, in derart jungen Jahren, konnte mir gar nicht vorstellen, dass es andere Kinder und ein anderes Leben gab. Mein Vater setzte sich schließlich durch und verlangte, dass ich wie alle anderen Kinder auch in den Kindergarten zu gehen hatte, das Herumstrolchen mit Hühnern, die Unkrautjäterei und die mangelnden Umgangsformen, die Großtante Chiyako verfehlte, mir einzuprägen, all das musste ein Ende haben. So kam ich mit drei Jahren zum ersten Mal in Kontakt mit anderen Kindern, die Großtante mit einem kranken Huhn unter dem Arm auf der anderen Seite eines niedrigen Holzzauns, unsicher, wie sie sich verhalten sollte, während ich bloß stand und starrte. Ich wusste auch nichts von dem Cousin, der da die Kinderbande anführte, die mich neugierig bestaunte. Hiroyuki, der in kürzester Zeit zu "Hero", dem Helden, wurde, zeigte für sein Alter bereits eine bemerkenswerte Auffassungsgabe und das richtige Gespür, um Sieger im Wettbewerb des Lebens zu sein. Ohne seine getreuen Wiedergaben von Äußerungen über mich und die Vorgänge nach meiner Geburt hätte ich niemals vermutet, dass meine Mutter, diese schöne, mir fremde Frau, meine Betreuung der bekloppten Oma abgetreten hatte, weil ich so grotesk hässlich war. Ich erinnere mich an ein Gefühl profunder Verwirrung, denn bis dato hatte ich nicht mal eine Vorstellung von dem Begriff hässlich. Dinge schmeckten gut oder schlecht, waren praktisch oder lästig, das Wetter war heiß oder kalt, aber hässlich: mit dieser Charakterisierung konnte ich nichts anfangen. Immer wieder stellte ich mich danach vor die niedrigen Spiegel oder klare Pfützen, studierte mein Abbild. Ich war also hässlich, sogar grotesk hässlich, was, wenn man Hiroyuki, und der musste es wissen, denn er wusste ja auch sonst immer alles, die schlimmste, vorstellbare Steigerung war. Nun, wenn ich mich ansah, konnte ich, abgesehen von meinem dichten, schwarzen Schopf, keine Ähnlichkeiten mit meiner Mutter feststellen. Meinem Vater, den ich nur sehr selten sah, verdankte ich wohl die tiefliegenden, etwas auseinander stehenden Augen unter dichten Brauen. Die Nase, ja, die war ziemlich breit, wie bei Großtante Chiyako. Für ein Huhn wäre ich wohl ohne prominenten Schnabel nicht attraktiv gewesen, aber als Mensch... Da ich außer Großtante Chiyako kaum Kontakt zu Erwachsenen hatte, stellte ich ihr die Frage nach meiner grotesken Hässlichkeit, oder ob es stimmte, dass meine Mutter, die ständig beschäftigt war, mich deshalb nicht in ihrer Nähe dulden wollte. Großtante Chiyako konnte mir wenig dazu sagen. Diese Angelegenheit hatte nichts mit Hühnern zu tun und spielte deshalb überhaupt keine Rolle. Erst später wurde mir klar, dass ihre Reaktionen damals weniger der Schrulligkeit einer einfach gestrickten, alten Frau geschuldet waren, sondern einer rasch fortschreitenden Demenz. »Wie dem auch sei!«, stellte ich als Dreikäsehoch für mich fest, »wenn Hiroyuki, der unumstrittene Held aller und darüber hinaus auch mein Cousin«, was mich auszeichnete!, »verkündet, dass ich hässlich bin, dann muss das wohl so stimmen.« Da ich nichts an meiner Erscheinung ändern konnte, sondern schon immer so war (und bis dato meine groteske Hässlichkeit gar nicht wahrgenommen hatte), akzeptierte ich das Etikett und lebte einfach weiter. Meine Welt bestand aus Großtante Chiyako, den Hühnern, dem kleinen Garten und tagsüber dem Aufenthalt im Kindergarten. Ohne es zu merken kehrten sich langsam die Rollen um. Großtante Chiyako wurde immer verwirrter, und war zunächst sie es, an deren Hand ich lief, so führte ich sie nun. Mir war nicht klar, dass sie krank war und rapide abbaute, da sie selbst mich gelehrt hatte, die Welt so zu nehmen, wie sie war. Veränderungen passierten eben. Kurz vor meinem sechsten Geburtstag wachte Großtante Chiyako eines Morgens nicht mehr auf. Still und heimlich musste sie all den Hühnern gefolgt sein, die in der Vergangenheit von uns gegangen waren. Für mich bedeutete ihr Tod einen Einschnitt, denn nun, da ich nicht mehr in ihrem kleinen Anbau hausen konnte, sondern zurück in den Schoß der Familie kommen musste, sah sich mein Vater erneut gezwungen, ein Machtwort zu sprechen. Meine Mutter konnte mir nicht länger ausweichen, auch wenn sie unerbittlich darauf beharrte, dass ich quasi ihrer Anleitung und Fürsorge nicht mehr bedurfte. Ich lauschte, in einem alten Wandschrank verborgen, da er mich an den Hühnerstall erinnerte, ihrer Unterhaltung, erfuhr nun aus erster Hand die Bestätigung für Cousin Hiroyukis Aussagen. Mein Vater gab zu, dass ich wirklich ein hässliches Kind sei, nichtsdestotrotz sein Sohn, deshalb könne er nicht länger zulassen, dass ich verwilderte. Meine Mutter verlangte, dafür, dass sie mich ganztags zur Grundschule schicken und sich widerwillig nach meinen Bedürfnissen erkundigen wollte, die Zusicherung, ein zweites Kind, wünschenswerterweise ein kleines Mädchen, zu bekommen. Der Gedanke gefiel mir durchaus, denn ich war nicht beliebt und hatte, ganz anders als mein Cousin, keine Freunde. Außerdem tröstete es mich auch über die Abschaffung der Hühner und den Abriss der Ställe hinweg, also freute ich mich tatsächlich auf den ersten Schultag, denn immerhin sollten dort auch viele andere Kinder sein, die vielleicht noch nicht von Cousin Hiroyuki darüber aufgeklärt worden waren, dass ich grotesk hässlich und deshalb kein erstrebenswerter Spielkamerad sei. Zunächst schien meine Hässlichkeit auch nicht ins Gewicht zu fallen, denn alle Erstklässler waren aufgeregt und unsicher. Die Lehrerschaft kümmerte sich freundlich und ermutigend um uns, sodass ich beinahe, wäre es mir damals bereits bekannt gewesen, an das amerikanische Erziehungsprinzip geglaubt hätte. Ich lernte gern, mochte Bücher und Sport. Schule machte Spaß, weil es jeden Tag etwas Neues zu entdecken gab, auch wenn es mir schwerfiel, lange ruhig auf dem Platz sitzen zu bleiben. Dieser Zustand währte allerdings nicht lange. Zusammen mit meinem Cousin Hiroyuki besuchte ich auch den Grundschul-Englischunterricht. Wir sangen Kinderlieder, indem wir wie Papageien die fremden Silben wiederholten, lernten das Alphabet und vor allem zweisprachig fremde Begriffe. Neben jedes neue Kanji wurde auch das fremdsprachige Äquivalent sorgsam aufgemalt. An einem stürmisch-regnerischen Morgen im Herbst erreichten wir schließlich mein Fanal. Noch heute sehe ich die tanzenden Lichter in den Augen meines Cousins, sein freimütiges Grinsen, als er plötzlich vor der gesamten Klasse verkündet, dass "ugly" für den Begriff "hässlich" mein tatsächlicher Name sein müsste. "Ugly Takase!", er strahlte mich an in diesem Augenblick göttlicher Erkenntnis, "genau, Ugly Takase! UGLY TAKASE!" In wenigen Augenblicken umschwirrte mich ein volltönender Chor, die Initiation meines weiteren Lebens. Es war das letzte Mal, dass ich als Umino Takase das Schulgebäude betreten hatte. Von nun an war ich nur noch Ugly. ]-#-[ Überflüssig zu erwähnen, dass sich mein neuer Name in Windeseile verbreitete. Er schien auf eine ernüchternde Weise so passend, dass selbst Lehrer sich vergaßen und mich mit Ugly ansprachen. Hätte ich mich dagegen wehren können, einfach nicht reagieren, nicht hinhören? Ich glaube nicht. Damals nahm ich es einfach als einen weiteren Seitenhieb meines Cousins hin. Außerdem, das führte ich mir vor Augen, hatte er nicht recht? Ich WAR hässlich, auch wenn ich Mühe hatte, die einzelnen Aspekte, die zu diesem vernichtenden Gesamturteil führten, herauszupicken. Als meinem Vater zu Ohren kam, wie man mich titulierte, zuckte er bloß mit den Schultern. "Mich nannten sie damals Kampfschwein", reminiszierte er seine Schulzeit und verabschiedete sich wieder an seine Arbeit. Meine Mutter, die damit beschäftigt war, eine kleine Prinzessin zu bekommen, ignorierte mich in gewohnter Weise. Vor Dritten bekundete sie Mitleid mit dem "armen Jungen", der aufgrund einer geheimnisvollen Erkrankung gleich nach der Geburt so unerfreulich anzusehen sei. Ich blieb also Ugly, entwickelte wie mein Vater in seiner Jugend eine eher kräftige Statur, zog mich häufig zum Lesen oder in den kleinen Garten zurück und richtete mich in meinem zweiter Sieger-Status ein. Die Stimmung meiner Mutter hob sich merklich, als sie mehr als acht Jahre nach meiner Geburt meine Schwester zur Welt brachte, ein bildhübsches und zugleich keckes Baby. Da konnte Tante Setsuko nicht mithalten, was endlich einen bedeutenden Triumph darstellte. Und, auch wenn ich definitiv als voreingenommen gelten muss, meine jüngere Schwester Miyabi ist tatsächlich etwas Besonderes. Sie ähnelt in Schönheit meiner Mutter, doch irgendein sehr humorvoller Gott hat ihr darüber hinaus Charisma verliehen, das selbst Cousin Hiroyuki nicht übertrumpfen kann. Durch den enormen Altersunterschied spielten wir als Geschwister zwar nicht miteinander, doch über all die Jahre hat sich Miyabi nie darin beirren lassen, mich als ihren Bruder anzunehmen. Wenn Sie also mal eine richtige Prinzessin im besten Sinne dieser Beschreibung kennenlernen wollen, sollten Sie Miyabi einen Besuch abstatten. Mit ihrer Geburt jedenfalls rückte die Tragödie um meine hässliche Existenz in den Hintergrund. Aller Aufmerksamkeit ledig fiel es mir nun sehr viel leichter, das zu tun und zu sein, was ich wollte. Ich neigte natürlich, als ehemaliger Hühnerkampf-Veteran, zu einer gewissen Zurückgezogenheit und galt wirklich nicht als großer Redner, aber ich kam meine Schulzeit lang ganz ordentlich zurecht. Auf irgendeine Weise war ich dabei, aber nicht mittendrin oder gar an der Spitze. Dann überfiel mich vollkommen unerwartet die Pubertät. Cousin Hiroyuki, unser Held, war selbstredend vorbereitet und bewies das übliche Geschick darin, für sich die Vorteile aus jeder Lage zu ziehen. Es verhielt sich zwar nicht so, als sei die Existenz des anderen Geschlechts uns vor dieser schicksalhaften Phase unseres Lebens unbekannt gewesen, nun verwandelten sich ihre Vertreterinnen in befremdliche, zweifelsfrei aber herausfordernde Wesen unergründlicher Art. Umgekehrt, gemäß dem Schema, das bereits meine Mutter zu ihren unzähligen Anstrengungen antrieb, schien ebenfalls das Interesse zu steigen. Welcher Moment wäre angemessener gewesen, die Untiefen einer Annäherung auszuloten als der Valentinstag? Wie erwartet sammelte Cousin Hiroyuki Triumphe und schubkarrenweise Päckchen mit Schokolade und Süßigkeiten. Hier ging es jedoch nicht mehr um bloße Freundschaftsanersuchen, nein, die ein oder andere kleine Note bot durchaus mehr an. Miteinander gehen wurde wichtig. Eingestandenermaßen überforderte mich das Thema völlig, obwohl ich inzwischen genug gelesen hatte, um Romanzen korrekt in ihrem Verlauf einschätzen zu können. Einen persönlichen Bezug hatte ich bis dato allerdings nicht hergestellt, alles schien mir eher für Erwachsene gedacht zu sein, nun jedoch galt es, denn Cousin Hiroyuki hatte die glorreiche Idee, nicht nur sämtliche seiner Verehrerinnen auf kongeniale Weise zu bedienen, sondern auch eventuell eifersüchtigen Rivalen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er lud zur Feier des Weißen Tags alle Mädchen ein und warb gleichzeitig bei den Klassenkameraden, ihn zu unterstützen. Wenn sie nämlich ebenfalls kämen und geneigt wären, die ein oder andere Dame aufmerksam zu betreuen, könnte man vielleicht zarte Bande knüpfen. Welcher 14- oder 15-Jährige hätte sich diese Gelegenheit entgehen lassen?! Ganz in Weiß aufzutreten und sich sehr erwachsen zu geben, um seinem heimlichen Schwarm näher zu kommen, zudem noch ganz akzeptabel und jenseits der ständigen Ermahnungen am Weißen Tag? Ich lauschte ebenfalls, ganz hinten, in der Peripherie der Gruppe, der Hiroyuki sein Vorhaben erläuterte, dieser Planung. War ich inbegriffen? Galt die Einladung auch mir? Wenn ja, welches Mädchen sollte ich wohl unter meine Fittiche nehmen? Eine Favoritin konnte ich wirklich nicht nennen, da die meisten Mädchen mich gar nicht erst beachteten oder vor mir zurückschreckten. Ich kannte sie also nicht. Zu meiner Überraschung sonderte sich Hiroyuki an diesem Nachmittag von den anderen ab und nahm mich beiseite. Da er gewöhnlich, wenn er mal wieder gestimmt war, mich in meine ohnehin selten verlassenen Schranken zu verweisen, Publikum vorzog, spürte ich eine gewisse Verwunderung. Tatsächlich betraf es seine geplante Feier zum Weißen Tag. In wohlgesetzten, ruhigen Worten demonstrierte er mir, dass zwangsweise aus logischen Gründen meine Teilnahme an dieser Veranstaltung schlichtweg nicht möglich war, denn man musste bedenken, dass ein Paar sich stets entsprechen sollte, quasi denselben Level in Bezug auf Aussehen, Intelligenz und Interessen einnahm. Wenn ich nun, als ausgewiesen und etikettiert grotesk hässlicher Bursche ein Mädchen ansprach in der Hoffnung, sie würde mit mir gehen, was müsste sie wohl denken? Exakt nämlich, dass sie so grässlich sei, dass selbst ich mich traute, sie anzusprechen! Wie verheerend wäre diese Wirkung! Wie desaströs und deprimierend! Ich hörte ihm gewohnt schweigend zu, konnte mich der Logik seiner Argumente jedoch nicht verweigern. Er hatte unumstößlich recht. Wenn ich tatsächlich ein Mädchen mochte, würde ich wirklich selbstsüchtig und grausam genug sein, sie vor aller Welt durch meine Aufmerksamkeiten zu ruinieren? Vielleicht war sie sogar schüchtern und wagte nicht, mir einen Korb zu erteilen, litt dann stumm unter meiner Gegenwart, weil ich zu blöde und zu dickfellig war, um die subtilen Botschaften zu dechiffrieren, die mir nahelegten, sie in Ruhe zu lassen? Auf dem Heimweg reihten sich diese Konsequenzen aneinander wie Perlen auf einer Schnur. Hiroyuki hatte recht, was für mich bedeutete, nicht auf seiner Feier zu erscheinen und auch von jeglicher Art realer Romanze Abstand zu nehmen. »Nun ja«, dachte ich mir, »wenn du schon Kinder ausschließt, damit sie nicht dein Aussehen erben, dann wird es ja wohl auch nicht so schwer sein, auf eine Freundin zu verzichten. Was macht das schon?!« Ich war stolz auf mich und meine Haltung, die bestimmt eines John Wayne würdig sein musste. Mochte ich auch hässlich wie die Nacht sein, zumindest mein Charakter konnte sich sehen lassen! Als meine Mutter davon erfuhr, dass ich zugestimmt hatte, als einziger Junge der Mittelstufe nicht die exklusive Feier meines Cousins zu besuchen, stieß sie einen schrillen Schrei ohnmächtiger Wut aus, bevor sie mich ohrfeigte und mir empfahl, ihr bloß nicht mehr unter die Augen zu kommen. Das ließ sich problemlos bewältigen. Ein richtiger Mann steckte hysterische Kritik schließlich weg wie nichts! ]-#-[ Die nächsten zwei Jahre tobten in meinem Inneren heftige Kämpfe. Oh, nicht etwa gesinnungstechnischer Art, nein, ich mutierte bloß fortwährend. Mit 16 Jahren war ich 1,85m groß, gebaut wie ein Bulldozer, mit einer sonoren Stimme und einem haarigen Pelz auf dem Leib. Mir schien es, als könne einen, hatte man erst mal die Pubertät überlebt, nicht mehr viel aus dem Sattel werfen. Meine Entschlossenheit, mich eben allein durch das Leben zu schlagen, zumindest in amouröser Hinsicht, wurde durch diese Entwicklung nur bestärkt. Selbst mir konnte nun, da ich besser informiert war, nicht entgehen, dass ich tatsächlich hässlich war. Möglicherweise hätte eine Ganzkörper-Schönheitsoperation Abhilfe schaffen können, andererseits konnte ich mir aber nicht vorstellen, in welcher Haut meine Persönlichkeit einen angemesseneren Wohnort gefunden hätte. »Na ja«, rief ich mich selbst gelegentlich zur Ordnung, wenn mich eine gewisse Melancholie überkam, »sieh einfach zu, dass du irgendwo Arbeit findest, ein Job, ein Dach über dem Kopf und was zu essen. Das ist eine gute Perspektive.« Jedenfalls war sie Großtante Chiyakos würdig. Die Sommerferien in jenem Jahr wurden zu einem weiteren Einschnitt in meinem eher langweiligen Dasein. Im Schatten meiner kleinen, höchst unerschrockenen und bildschönen Schwester betätigte ich mich, wenn ich nicht irgendwo querbeet las, was in meine Finger kam, im Garten oder in den verschiedenen Unternehmungen der Familie. Körperliche Arbeit machte mir nichts aus und gab mir das Gefühl, meine bullige Statur wäre zumindest zu diesem Zweck zu gebrauchen. In der Schule verzichteten die Sportclubs darauf, mich aufzufordern. Dem Sumo-Club war ich zu haarig, die Judokas konnten niemanden in meiner Gewichtsklasse aufbieten, beim Baseball war ich durch reflexartiges Zurückweichen als "Kneifer" aussortiert worden. In jenem Sommer, den ich wie gewöhnlich damit verbringen wollte, möglichst außer Sichtweise des Hauses zu sein, fand zum ersten Mal eine Sommerakademie für Studenten aus der Stadt statt. Weg von der Hektik sollte ihnen in unserer Kleinstadt in einem umgebauten Gasthof die Gelegenheit gegeben werden, ihre Studien zu vertiefen. Natürlich waren alle neugierig auf die ersten Teilnehmer, immerhin waren es neue Gesichter und Gelegenheit zum Tratsch! Ich wollte mich nicht in die Reihen der unverhohlen Klatschsüchtigen einreihen und sah die Gruppe junger Männer erst einige Tage später, als ich gerade im Bauhof die kleinen Lastwagen gemeinsam mit den Arbeitern meines Vaters belud. Es war eine kleine Gruppe, modisch gekleidet und sichtlich gelöst, die da durch die engen Gassen spazierte und sich fröhlich unterhielt. Dort sah ich ihn zum ersten Mal, diesen Studenten, der dort inmitten seiner Kommilitonen und Freunde lief, schlank, von mittlerer Größe und er bewegte sich so anmutig und geschmeidig, als tanze er durch das Leben. Jede Geste blieb rund und elegant, nichts an ihm war eckig, unbeholfen oder klobig. Ich lauschte begierig auf seine Stimme, die seinem äußeren Erscheinungsbild, das als sehr attraktiv beschrieben werden konnte, in allen Einzelheiten entsprach. Ein schöner, lebendiger, anziehender, ja verzaubernder, junger Mann. Ich war in den Bann geschlagen und mir gleichzeitig dieses Umstandes bewusst, was mich in Sorge versetzte. Hatte ich etwa gestarrt, ungebührlich Aufmerksamkeit auf mich gelenkt? Fortan nahm ich mich streng an die Kandarre. Auf keinen Fall ständig zu den Studenten sehen, rein ZUFÄLLIG ihren Weg kreuzen oder sie gar ansprechen! Alle diese Regeln, um Abstand zu wahren, IHN nicht zu belästigen oder gar anzuwidern mit meiner Aufmerksamkeit, halfen nichts gegen den Umstand, dass ER durch meine Träume des Nachts geisterte, ich mich tagsüber in Phantasien verlor. Wie ER sich bewegte. Wie ER sprach. Wie ER lachte. »Du bist ja besessen!«, hielt ich mir mit wachsender Verzweiflung vor. Es stimmte. Sämtliche Gedanken kreisten um diesen schönen Unbekannten, dem ich mich weigerte, näher zu kommen. Es war natürlich vernünftig. Phantasien und Träume waren frei und ungefährlich, Taten in der Realität konnten Abscheu und Schlimmeres hervorrufen. Nach dem ersten Morgen, hochschreckend aus einem besonders intensiven Traum, wurde mir darüber hinaus klar, dass es möglicherweise noch einen anderen Grund dafür gab, warum ich so unbeschwert meinen ledigen Status meisterte. »Hässlich und schwul«, ich konnte über mich selbst nur den Kopf schütteln. Na, wenn das mal keine aussichtslose Disposition ist. ]-#-[ Ich erfuhr zufällig, dass man IHN Jun rief. Mein Traum bekam also einen Namen. Natürlich schrieb ich ihm diverse Charaktereigenschaften zu, sponn in Gedanken die unterschiedlichsten Episoden meiner einseitigen Romanze aus, so weit, dass mir über jeden Zweifel hinaus klar wurde, dass ich auf sexuelle Weise nur am eigenen Geschlecht interessiert war. »Und beim eigenen Gemächt bleiben werde!«, ermahnte mich strikt mein überstrenges Gewissen. Nicht, dass es an dieser Tatsache etwas zu rütteln gab. Obwohl die anderen Jugendlichen jede Gelegenheit beim Schopf ergriffen, sich mit den Studenten vertraut zu machen, nahm ich mich streng an die Leine, um bloß kein Aufsehen zu erregen. Kein heimliches Ausspähen, kein Nachstellen, kein "zufälliges" Begegnen, kein gar nichts. So wechselte ich mit Jun auch kein einziges Wort, ja, ich bin sogar sicher, dass er von meiner Existenz nichts erfuhr. »Was vollkommen richtig ist!«, bestärkte mich mein Gewissen unermüdlich. Ja, es war richtig, auf diese Einsamer Held-Weise, schließlich wollte ich nicht den Mann meiner feuchten Träume vergrämen, bei ihm Abscheu auslösen allein durch die Vorstellung, so ein Typ wie ich könne unanständige Gedanken über ihn hegen. Außerdem, letztendlich waren die Gedanken frei, gut isoliert in meinem privaten Kopfkino, jenseits aller Gefährdung der Umgebung. »Du wirst dir da was ausdenken müssen«, nahm ich mir in diesem Sommer vor. Unverkennbar war ich nicht nur dazu bestimmt, ein ständiger zweiter Sieger zu sein, sondern auch zu einer Gruppe Ausgestoßener zu zählen, wenn ans Licht kam, was sich in Kopf und Herz abspielte. Da ich sehr viel freie Zeit für Gedankenspiele und Szenarien hatte, während ich meiner harten, körperlichen Arbeit im Betrieb meiner Familie nachging, fasste ich einen Entschluss: ich musste weg von hier, ausreichend entfernt, um nach und nach in Vergessenheit zu geraten. So, wie es meiner Mutter vermutlich spätestens eine Viertelstunde nach meiner Geburt vorgeschwebt hatte. Der Plan, dieses Ziel zu erreichen, sah vor, dass ich mich bei meinem Vater beliebt machte indem ich lernte und arbeitete, mich als nützlich und in keinem Fall als Ballast erwies, sodass es möglich sein sollte, ihm die Zustimmung abzuringen, eine technische Universität zu besuchen. Mehrere Vorteile versprach ich mir von diesem Vorhaben: 1) ich würde in ein Studentenwohnheim ziehen, weg aus dem kritischen Fokus von Familie und Nachbarschaft 2) die Studiengänge erlaubten mir, meinen Neigungen nachzugehen, ohne meinen Vater direkt darauf zu stoßen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach meine Nachfolge unmöglich war, weil ich notorisch homosexuell geboren wurde und 3) Cousin Hiroyuki, meine Nemesis, würde sich niemals bei einer unbekannten, kleinen Universität einschreiben. Mit dem Beginn eines neuen Lebens konnte ich vielleicht dem Fluch meiner Geburt und Erscheinung entkommen. ]-#-[ Es kam, selbstredend, anders als geplant. Es gelang mir durchaus, ohne größere Anstrengung die Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Mein Schulabschluss war ordentlich, die Ehre der Familie gerettet. Ich bezog auch hocherfreut ein winziges Zimmer im Wohnheim, bereit, mich auf ein neues Dasein einzulassen, quasi bei Null zu beginnen, doch so leicht ließen sich Wurzeln nicht kappen. Gleich am ersten Wochenende besuchte Cousin Hiroyuki mit einem ganzen Gefolge den Campus, um, wie er sagte, einige Freunde aufzumuntern, die hier untergekommen waren, weil ihre erste und zweite Wahl nicht geklappt hatte, und, ach ja, den entfernten Cousin zu sehen, Ugly Takase. Ich machte automatisch gute Miene zum bösen Spiel, ein konditionierter Reflex, gefolgt von einem Seufzen. NATÜRLICH wurde ich in Windeseile wieder zu Ugly, dem doppeltürigen Kleiderschrank, dem Affen im Anzug. Meine Kommilitonen klatschten mir auf die Schulter, fanden Cousin Hiroyuki eine ganz tolle Nummer (vor allem, weil er viele Mädchen im Schlepptau hatte) und gratulierten mir zu meinem Sinn für Humor. Was blieb mir anderes übrig, als mich zu fügen? Protest hätte lächerlich gewirkt, ja, sogar arrogant. Wenn alle mich immer schon Ugly gerufen hatten, warum sollte nun plötzlich Takase aus mir werden? Einen Vorteil hatte der Besuch meines Cousins jedoch: ich war nicht mehr einer der zahlreichen Erstsemester, sondern bekannt. Ich wurde angesprochen, ohne dass es darum ging, etwas zu leihen oder mich zu verspotten. Ich erhielt die kumpelhaften Einladungen, doch mal Mahjongg zu spielen, einen Basketball zu quälen oder einem Lernzirkel beizutreten. Erstaunlicherweise war ich dabei, kein Wortführer, kein Vorbild, kein Idol, aber kein Ungeheuer mehr, das man am Liebsten in eine brennende Windmühle gesperrt hätte. Gleichzeitig wurde mir aber auch bewusst, dass ich einen Teil meiner Persönlichkeit streng unter Verschluss halten musste. Homophobie grassierte wie eine unterschwellige Paranoia in schlechten Scherzen und brüsken Auseinandersetzungen. Ich wusste bis dato nicht viel darüber, was TATSÄCHLICH möglich war, wenn beide Partner demselben Geschlecht angehörten. Nun lernte ich zumindest alles darüber, was Männer und Frauen anstellen konnten, was die Norm war und zu bleiben hatte. Jede anderweitig lautende Andeutung konnte einem mindestens eine deftige Tracht Prügel, schlimmstenfalls die totale Missachtung der puren Existenz einbringen. Dieser Campus jedenfalls war zu 100% "schwulenfrei". Was mir bedeutete, dass ich noch immer "grotesk hässlich" war, ein Monster, ein abscheuliches Zerrbild anständiger Menschen. Spielte hier mein äußeres Erscheinungsbild keine so große Rolle, war es nun mein Inneres, das gebrandmarkt war. Sollte ich das alles so akzeptieren, wie immer hinnehmen, dass sich die Welt nun mal so verhielt, dass es meine eigene Schuld war, wenn ich mich nicht an die "Regeln" anpasste? »Nein«, dachte ich zum ersten Mal, während ich als Freiwilliger die Grünanlagen des Campus pflegte, »nein.« Hier, das diskutierte ich mit mir selbst aus, während ich Büsche ausputzte und Unkraut rupfte, konnte ich nichts ändern, indem ich demonstrativ gegen die Homophobie agierte. Wie sollte das auch funktionieren? Mit gutem Beispiel vorangehen, wenn man sein ganzes Leben lang allein bleiben würde? Deshalb konnte ich hier auch keine neuen Wurzeln schlagen. Ich würde weiterziehen müssen, mir einen Beruf suchen, bei dem ich immer wieder neu anfangen könnte. »Hilft nichts«, entschied ich, »es muss wohl Tokio sein.« ]-#-[ Ich glaube, jeder einzelne meiner Mitschüler und später meiner Kommilitonen träumte davon, nach Tokio zu gehen und dort Fuß zu fassen. Die Provinz war nicht attraktiv, sie war klein, eng, auf unbestimmte Weise nicht am Puls der Zeit. Mir blieb, wie ich feststellte, keine andere Wahl. Von einem jungen Mann, der nach dem Studium einen Arbeitsplatz gefunden hatte, wurde ab Mitte Zwanzig erwartet, dass er eine Familie gründete. Das war schließlich der Lauf der Natur! Obwohl ich recht rasch gelernt hatte, dass meine "Natur" mutmaßlich genetisch bedingt nichts mit diesem Szenario gemeinsam hatte, war mir bewusst, dass ich, wenn ich nicht bereit war, eine Lüge zu leben, zum Außenseiter verdammt war, zu einem Mann wurde, der bloß seinen eigenen Interessen nachging, sich nicht um die Gemeinschaft scherte. Alle sachlichen und wissenschaftlichen Argumente mochten nichts gegen dieses Grollen der Gesellschaft auszurichten, glaubte ich. Indem ich das Joch abwarf, nicht in die Rolle schlüpfte, die man mir vorgegeben hatte, düpierte ich alle anderen, Kinder kriegen, verheiratet sein, das alles war schließlich kein Vergnügen! Harte Arbeit, Kompromisse, Verzicht etc., all dem verweigerte ich mich aus niederen Beweggründen! Zugegeben, es wäre wohl schwer bis unmöglich, eine bemitleidenswerte Frau zu finden, die verzweifelt genug war, sich mit mir einzulassen, auch noch Kinder zu produzieren, die möglicherweise mit meinem Erscheinungsbild gestraft wurden, doch... trotzdem! Also musste ich den Moloch der Großstadt suchen, um dort in der Anonymität weitestgehend unterzugehen, das gefährliche Abenteuer unternehmen, ein Niemand zu werden und zu bleiben. Zwei Umstände kamen mir dabei zupass. Zunächst verdankte ich meine Chance auf ein anderes Leben tatsächlich Cousin Hiroyuki. Der hatte sich als wahres Verkaufstalent erwiesen und mein Vater war strikt genug, das Geheul meiner Mutter zu übergehen und den verhassten "Prinzen" in seinem Unternehmen einzustellen. Geschäft war Geschäft, es war seine Sache und niemand hatte ihm dreinzureden, Punkt! Während sich mein Cousin also bemühte, in der Firmenhierarchie den Kronprinzenplatz einzunehmen, konnte ich durch einen Praktikumstag bei einem der großen Stromversorger einen Fürsprecher finden. Sie suchten körperlich geeignete Techniker, die nicht sauber in den Schaltzentralen saßen, sondern mit Hubwagen durch die Gegend fuhren, die Masten überwachten und es auf sich nahmen, Nester und herumfliegenden Müll zu entfernen. Mir gefiel meine Aufgabe sofort, wie alle anderen im Overall, mit großen Arbeitsschuhen und dicken Handschuhen, den "Munitionsgürtel" mit dem Werkzeug und allen Utensilien umgebunden, Kapuze und Helm, dazu noch regelmäßig einen Kunststoff-Gesichtsschutz. Hier konnte zumindest meine Erscheinung niemanden mehr abstoßen. Mein kleines Appartement in einem heruntergekommenen Mehrparteienwohnblock besiedelten nur Personen, die ohne Anhang und Interesse für die Belange ihrer Nachbarn waren. Mir ging's also gut. Nicht mal die Feststellung, dass ein ehemaliger Mitschüler ebenfalls im Konzern arbeitete und meinen Spitznamen wieder salonfähig machte (als sei der jemals aus der Mode gekommen!), störte mich. Ich hatte es geschafft. Ich hatte einen guten, wenn auch nicht lukrativen Job, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und konnte sogar in diversen Kübeln Pflanzen halten. Ich konnte endlich ich selbst sein. ]-#-[ "Ugly, wieso tauschst du mit dem alten Sack die Schicht?!" "Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt, du verblödeter Bengel?!" Ich trat zwischen die beiden notorischen Streithähne und blockierte ihnen wechselseitig die Sicht. "Immer mit der Ruhe", beschwichtigte ich gelassen, "ist doch keine große Sache." "Von wegen!", knurrte Shima heftig, "du hast auch n Recht auf Action!" Womit er sich auf die Samstagnacht bezog. "Das lass mal meine Sorge sein", antwortete ich ihm besänftigend. Es machte mir nichts aus, die Nachtschicht zu übernehmen, während mein älterer Kollege eine Theateraufführung der jüngsten Tochter in der Schule ansah. Ich fand es sogar eine sehr nette Geste. "Scheiße! Mein Alter hat sich nie irgendwas von mir angeschaut und trotzdem ist aus mir was geworden!", Shima hatte sich festgebissen. "Ja, DAS sieht man!", konnte ich mit meinem breiten Kreuz gerade noch dämpfen. Undankbare Schicht, wenn man mit diesen beiden zusammenarbeiten musste! Erfreulicherweise sorgte meine sehr solide Statur dafür, dass Burgfrieden herrschte, weil man so die Erwiderungen des anderen als nicht gehört übergehen konnte. Am kommenden Samstag hatte ich keine Pläne, denn ich pflegte weder feste Verabredungen, noch feste Bekanntschaften. Tatsächlich ging ich Samstagnacht nur auf Tour, wenn ich ausreichend Mittel übrig hatte, also maximal eine Nacht pro Monat, wenn es gut lief. Das Tokioter Nachtleben ist leider kostspielig. Zu meinem Glück jedoch war ich lange Durststrecken gewöhnt und deshalb nicht enttäuscht, wenn es mal nicht klappte. Ungefähr ein Jahr musste es jetzt wohl her sein, dass ich mich das erste Mal in den 2. Distrikt traute. Vorher waren meine Skrupel einfach zu stark gewesen. Ich hatte schon so viel erreicht, lebte in einer relativen Alltagssicherheit. Wollte ich das wirklich für ein wenig wahrscheinliches Vergnügen aufs Spiel setzen? Schließlich gewann meine Neugierde gegen die Vernunft. Zum ersten Mal im 2. Distrikt unterwegs, das war, als würde man in eine andere Welt eintreten. Ich hatte noch nie derart viele attraktive, elegant gekleidete Männer auf einem Fleck gesehen. Sie wirkten kultiviert, aufgeschlossen und selbstsicher. Ich begriff bald, dass sie nicht auf der Suche nach dem Partner fürs Leben, sondern dem Kunden für die Nacht waren, doch was berechtigte mich dazu, ein Urteil zu fällen? Ich flanierte, lauschte Gesprächsfetzen und registrierte, dass meine durchaus manierliche Erscheinung definitiv zu "underdressed" für die Clubs war. Außerdem schwindelten mir die Sinne bei den Preisen, die hier und da verhandelt wurden. Es gab jedoch nicht nur die schönen, jungen Anbieter diverser Gefälligkeiten, nein, hier fanden sich auch die alt- und älteren Semester, mit Halbglatze und Vollkugel anstelle einer Taille, Geschäftsmänner und zweifelsohne auch Familienväter. Gebrach es ihnen auch an Attraktivität, so konnten sie doch die notwendigen Mittel vorweisen, die diese Mängel ausglichen. Das Gefühl, nicht mehr allein mit einer abartigen, unnatürlichen Neigung gebrandmarkt zu sein, sondern zu einer größeren Gruppe zu gehören, die wirklich keinen schlechten Eindruck machte, wirkte beinahe berauschend. Trotzdem war ich erleichtert, als mein erster, folgenloser Besuch im 2. Distrikt keine Reaktionen irgendeiner Art auslöste. Niemanden schien zu kümmern, was ich wo tat. Es spielte keine Rolle. Ein Umstand, der mich anfeuerte, erneut einen Besuch zu wagen. Dass es um meine Attraktivität schlecht bestellt war, wusste ich, aber ich wollte auch nicht gierig werden. Es genügte, in einer Bar zu sitzen, ein Bier zu trinken und einfach zu beobachten, welche kleinen Dramen des Alltags um mich herum abliefen. Ich freute mich, wenn sich zwei trafen, verstohlen Finger einander berührten, sie aufmerksam ihren Gegenüber ansahen, jede Faser alert ausschließlich für die Wahl ihres Herzens. So etwas schloss sich für mich aus, was nicht hieß, dass ich es anderen nicht gönnte. Wie bei einer Romanze in der Glotze konnte man mitseufzen und -lächeln, wenn zwei sich endlich fanden, ein wenig abschöpfen von der positiven Energie und Zuversicht, die jedem Anfang inne lag. Was nicht bedeutete, dass es nicht in der Hauptsache ums Geschäft ging. Obwohl ich mich bemühte, konnte ich den Dresscode nicht entschlüsseln, der den Arbeitern der Nacht genau verriet, wie es um die Barschaft ihrer potentiellen Klientel bestellt war. Zumindest sorgte mein Auftritt nie dafür, dass ein Adonis sich mir näherte und mir ein Angebot unterbreitete. »Grotesk hässlich.«, erinnerte ich mich dann, was mir im Alltag gelegentlich entfiel, da ich ja quasi ständig maskiert unterwegs war. »Auch gut«, schickte ich mich drein, man konnte ja nicht alles haben. Ich war mit meinem Leben wirklich zufrieden. Ungefähr bei meinem vierten Ausflug in den 2. Distrikt sprach mich dann auf der Straße ein etwas älterer, ziemlich magerer Mann an. Ich war so verblüfft, dass ich nicht instinktiv einen Bogen machte, sondern ihn voller Neugierde musterte und mich in das "Verhandlungsgespräch" ziehen ließ. Warum wagte er es ausgerechnet bei mir? Ich sah nicht nach großen Reichtümern aus, und was mein Anblick sonst noch auslöste, konnte kaum dazu führen, mich als Ziel ins Auge zu fassen! Von Drogen verstand ich als Beinahe-Landei gar nichts, aber mir entging nicht, wie bleich, ausgemergelt und unruhig mein Gegenüber war. Offenkundig brauchte er Geld, weshalb seine Forderung, nach meinen bescheidenen Kenntnissen über die "Tarife", sehr moderat ausfiel. Ich entschied, mit offenen Karten zu spielen und ihm zu verstehen zu geben, dass ich bisher keine praktischen Erfahrungen gesammelt hatte. "Kein Problem", nuschelte er und dirigierte mich an den Rand des Viertels in ein Quartier, das eher Stundenhotel als Love Hotel suggerierte. Ein klappriges Bett, eine plastiküberzogene, durchhängende Matratze, im Nebenraum ein Waschbecken plus Bodenabfluss und Plastikschlauch für die sanitären Angelegenheiten: hier ging's ums Geschäft. Meine Neugierde und zugegeben auch die erotische Anspannung waren stärker als jede hygienebewusste Vernunft. In einer abgeschabten Männerhandtasche beförderte mein "Servicedienstleister" diverse Utensilien auf die wenig einladende Bettwäsche, entkleidete sich ohne jede Scham und kassierte zunächst den Salär, bevor er mich mit den Details vertraut machte. Nun durfte ich mich ebenfalls, von ihm unaufgefordert unterstützt, entblättern und auf der Matratze Platz nehmen. Ganz dem Dienst am Kunden verschrieben bekam ich zunächst einen Eindruck der Ekstase durch orale Anwendungen, bevor er mir mit Blick auf seinen mutmaßlich nachgemachten Chronometer die Entscheidung in Verlegenheit und Ungeschick abnahm, mir seine Kehrseite anbot. Vorausschauend präpariert kamen wir gemeinsam recht schnell zum Höhepunkt unserer Geschäftsvereinbarung. Geprägt von den mir neuen Eindrücken und einer ganz neuen Erfahrungswelt, die sich gar nicht so ernüchternd und deprimierend für mich ausnahm, wie ich erwartet hatte, störten mich die Abwicklung und ihre Umstände nicht sonderlich. Vermutlich schwebte ich über den Asphalt Richtung Bahnstation. Es waren jedoch nicht nur die Hormone, die mich euphorisierten, sondern auch die Erkenntnis, dass ich es sehr viel weiter gebracht hatte, als jedermann und -frau mir jemals zugetraut hatten. Trotz grotesker Hässlichkeit hatte ich, wenn auch gegen Bargeld, zum ersten Mal Sex mit einer anderen als meiner eigenen Person gehabt. Zweiter Sieger? Nein, nicht in dieser Nacht! ]-#-[ Wenn man genau hinschaut, sich Zeit lässt, die Beobachtungen zu analysieren, dann wird einem bald klar, dass in den Bars und Diskotheken nicht die Hosts in ihrer atemberaubenden Attraktivität den Ton angeben. Nein, die Mehrheit besteht aus Typen wie mir, nicht herausragend ansehnlich, manchmal auch schon vom Leben gezeichnet, bestimmt keine Modells, oft auch desillusioniert. Hier, auf dem Jahrmarkt der Träume, wollen sie nur für eine kurze Weile in eine andere Welt eintauchen, ein Utopia aufsuchen, von dem sie wissen, dass es nur eine mikroskopisch kleine Halbwertszeit hat, meistens nur gerade so lange, wie der Taxameter läuft. Trotzdem sind wir hier, Motten im Licht, die den Brand und Absturz riskieren für die wenigen Augenblicke Erleuchtung, um all die Träume, die wir heimlich, gut verschlossen in unserem Kopfkino hegen, für eine kurze Zeit handfest auszuleben, eine eingebildete Romanze, ein Rollenspiel, einmal Held sein im eigenen Dasein, für kurze Zeit das, was man im Inneren ist, mit der äußeren Welt in Einklang bringen. Mir gefiel dieser Gedanke und ich hatte auch einen Weg gefunden, diese private Leidenschaft für einige Stunden zu teilen. Mittlerweile bezahlte ich lediglich die Hälfte der Zimmermiete, musste meinen Partner nicht mehr "einkaufen". Es waren Männer wie ich selbst, die ihre Erwartungen an die Äußerlichkeiten ihres Partners herunterschraubten, lediglich die Übereinstimmung beim Sex suchten, sich Erleichterung im Versteckspiel verschaffen wollten, eine kurze Auszeit nehmen. Eine der ungeschriebenen Regeln lautete, sich nicht zweimal mit demselben Mann einzulassen. Da das Angebot groß genug war, hatte ich bisher keinen Schiffbruch erlitten. Wie schon erwähnt, ich musste immer erst die Mittel zusammensparen, mir eine "Samstagnacht" leisten zu können, doch was wäre das Leben ohne die kleinen Höhepunkte und die damit verbundene Vorfreude? Ich war jedenfalls mit mir selbst sehr einverstanden und konnte, im Schatten meiner jüngeren Schwester und meines Cousins Hiroyuki, uneingeschränkt meine Freiheit genießen. ]-#-[ Kapitel 2 - Eine höchst unwahrscheinliche Entwicklung "Bitte, nimm doch hier Platz, ja? Was darf ich dir bringen?", Felice ließ sich in geübter Anmut, die eine raubtierhafte Grazie mit der Eleganz eines professionellen Tänzers verband, auf der hochgepolsterten Sitzbank des Separees nieder. Der Geschäftsführer eilte ihm entgegen, man tauschte Honneurs aus, dann durfte er sich erneut platzieren und einen Schluck des mäßig gesüßten Cocktails nehmen. Oft kam er nicht hierher, obwohl ihn die neugierigen, manchmal auch lüsternen Blicke nicht inkommodierten, es mangelte schlichtweg an Zeit. Andererseits gehörte der große Auftritt auch zur Reklame, um sie in klingende Münze zu verwandeln, wobei Felice das sanfte Rascheln großer Geldscheine definitiv bevorzugte. Geschützt hinter der mondänen und kostspieligen Sonnenbrille blickte er sich forschend um, lauschte nur mit halbem Ohr den Komplimenten, die ihm zugedacht waren. Immer wieder wurde er sehr attraktiven Männern vorgestellt, nahm Visitenkarten entgegen, lächelte sparsam und antwortete mit angemessenen Worten, fügte hier und da einen kleinen Scherz ein. Er war ein Profi und in Sachen Selbstvermarktung erfahren. Sein Blick blieb an der beleuchteten Bar am anderen Ende des Raums hängen. Felice klappte sein maßgeschneidertes Jackett auf, entnahm ein ledernes Etui, das seine eigenen Visitenkarten, nach dem Zweck getrennt, enthielt und zog eine Karte heraus. Mit einem teuren Kugelschreiber notierte er auf die Rückseite seiner Visitenkarte einige Zeichen, legte dann eine gepflegte Hand mit sorgsam manikürten Nägeln auf den Oberschenkel seines selbsternannten Sekretärs. Der wandte sich sofort zu ihm, die Wangen bereits vor Eifer gerötet, da er sich gern im Glanz seines "Herren" sonnte. "Saburo", Felice nutzte die trainierten Vibrationen seiner Stimme, um genau die richtige Mischung aus Geschäftsmäßigkeit und Vertraulichkeit zu intonieren, "wärst du so freundlich, den Gentleman dort an der Bar mit meiner Visitenkarte zu beglücken?" "Selbstverständlich, gern!", Saburo schoss bereits in die Höhe, verneigte sich eifrig und bahnte sich den Weg zwischen Tischen und Sitzgruppen hindurch. Felice lehnte sich zurück, schlug ein Bein elegant über und wandte sich halb seinem Sitznachbarn zu, der die günstige Gelegenheit nutzen wollte, ihn in Beschlag zu nehmen. ]-#-[ "Ich verstehe nicht ganz?", ein wenig ratlos drehte ich die Visitenkarte in meinen Händen, beäugte den jungen Mann, der sich vor mir vor Entrüstung wie ein Blasebalg aufzupumpen begann. "Felice!", wiederholte er erneut, als müsste mir dieser Begriff allein alles erklären, "FELICE, DER Felice will Sie sehen! Begreifen Sie nicht?!" "Tut mir leid", entschuldigte ich mich amüsiert, "ich glaube wirklich, dass wir uns bisher noch nicht begegnet sind." Ich fragte mich, warum ich in ein Hotel eingeladen wurde, zu einer geschäftlichen Besprechung, mit der Zusicherung, ich würde für meine Zeit angemessen entschädigt werden. Mit hervorquellenden Augen starrte mich der Überbringer dieser kryptischen Botschaft an. Es schien vollkommen über sein Begriffsvermögen zu gehen, dass irgendjemand nicht verstehen konnte, was sich hinter "Felice" verbarg, wobei ich mittlerweile skalpellscharf geschlossen hatte, dass es eine Person mit diesem exotisch klingenden Namen sein musste. Ein Künstler möglicherweise? Doch was war an mir, diesen Felice zu interessieren? "Felice ist die Nummer 1! Unangefochten! JEDER kennt Felice!", diese hitzige Erklärung half mir jedoch keinen Deut weiter. "Wirklich?", murmelte ich und versuchte, quer durch den Gastraum im Separee Details zu erspähen. Umsonst. Andererseits deuteten das Podest und die mit vornehmen Kordeln und Goldtressen abgetrennten Bereiche bereits darauf hin, dass Fußvolk wie meine Person dort nichts zu suchen hatte, was mich nicht kümmerte, da ich mein Bier lieber an der Bar genoss. Einen derartigen Luxus wie im Separee vermochte ich mir vermutlich kaum zu leisten. "Werden Sie nun kommen?", beharrte der Bote energisch auf seiner Mission. Seiner Haltung nach zu urteilen zog er es vor, dass ich die Offerte abschlägig beantwortete, wieder in den Niederungen meiner schmählichen Unkenntnis versank. Innerlich grinsend, weil ich mich guter Stimmung erfreute und zuvor beobachtet hatte, wie sich zwei farblose Angestellte im Halbdunkel einer Trennwand auf den Mund geküsst hatten, also eine ECHTE Liebschaft begannen, entsprach ich nicht seinen hoffnungsvollen Erwartungen. "Ich nehme das Angebot an, wenn Sie das bitte ausrichten möchten", gab ich ihm höflich auf den steifen Rückweg mit. Ich war wirklich gespannt, was sich mir hier bieten würde. Um die Spannung zu halten verzichtete ich auch darauf, bei meinem Sitznachbarn, der mich unentwegt fassungslos angestarrt hatte, über diesen Felice Erkundigungen einzuziehen. ]-#-[ Der Treffpunkt befand sich zwei Zugstationen entfernt in einem erstklassigen Businesshotel. Ich war erleichtert, dass ich mich für ein sommerliches Sakko über einer klassisch gerade geschnittenen Hose entschieden hatte, dazu Mokassins und ein Poloshirt, alles in gedämpftem Wollweiß gehalten. Zumindest meine Bekleidung wirkte vornehm genug, nicht vom Portier abgewiesen zu werden. Mit der Visitenkarte als Einladung gelangte ich hoch in luftige Sphären, konnte sogar auf Dächer anderer Häuser blicken, eine Aussicht, die der oftmals bedrückenden Enge der Straßenschluchten entgegenwirkte. Ich klopfte höflich, und der sichtlich vergrämte Bote öffnete mir die Zimmertür. Vor dem Panoramafenster saß auf einem Sofa einer der schönsten Männer, die ich jemals erblickt hatte. Alles an ihm strahlte Eleganz, Harmonie und Anziehungskraft aus. Er erhob sich, lächelte mich reserviert-höflich an und stellte sich in wohlmodulierten Worten vor, "guten Abend. Ich bin Felice." »In Ordnung«, soufflierte mir mein Verstand, während ich ihn anstaunte wie eine göttliche Erscheinung, »hier liegt DEFINITIV ein Irrtum vor!« Deshalb wollte ich jede Sekunde herausschinden, die mir gewährt wurde, bevor man mich hinausexpedierte. ]-#-[ "Saburo, würdest du uns nun allein lassen? Ich melde mich morgen bei dir, mein Bester", es war ein höflicher Rauswurf, in der sanften Stimme schwangen Untertöne der Strenge. Felice war sich seiner Wirkung sehr bewusst, denn dies gehörte seit Jahren zu seinem Job und er wollte Saburo unmissverständlich bedeuten, dass er sich weder einvernehmen, noch dirigieren ließ. Bevor Saburo, die Lippen geteilt, auch nur eine Silbe des Protests, der Einwendungen hervorbringen konnte, legte er den Zeigefinger graziös vor die eigenen Lippen, lächelte provozierend und hauchte, "bitte, Saburo." Errötend erlöste ihn sein Sekretär endlich von seiner Gegenwart, ließ ihn allein mit dem vierschrötigen Mann, den er hergebeten hatte. Verbindlich lächelnd durchquerte er den Raum, blickte hoch in das Gesicht, halb verborgen unter einem Bart. »Ein haariger Affe! Und dieser struppige Bart, diese groben Greifer! Abstoßend!« Felice verschränkte die Arme hinter dem Rücken, spazierte langsam um den jungen Mann herum, studierte ihn eingehend, von Kopf bis Fuß. In den schwarzen Augen, die ihm folgen, blitzte versteckt in winzigen Falten Amüsement auf. Er beendete seine Umkreisung, trat exakt einen Schritt zurück, stützte mit einer Hand sein spitzes Kinn, während der andere Arm vor seiner Brust den Ellenbogen hielt. "Wenn Sie nun so freundlich wären, sich zu entkleiden, Herr Takase?" ]-#-[ Ich studierte in Seelenruhe, obwohl mich tatsächlich Ergriffenheit packte, diesen schönen Mann vor mir, sehnig-schlank, gerade mittelgroß, ein dichter, walnussbrauner Schopf, elegant frisiert, perfekt in einen Dreiteiler gewandet und atemberaubend sexy. Eine dichte Wolke von Pheromonen könnte nicht größere Verheerungen anrichten. In den ungewöhnlich hellbraunen Augen blitzte etwas. Verärgerung? Ungeduld? »Das Schwierige ist«, stellte ich hingerissen fest, »dass er sich nicht anmerken lässt, WER er ist.« Ein nachsichtiges Lächeln rundete einen Mundwinkel, Sexappeal, pur und ungefiltert. "Wären Sie so freundlich?", wiederholte er mit samtigem Timbre seine Aufforderung, jede Silbe einzeln betonend. Ich ließ mir Zeit, brauchte sie, um mich zu sammeln. Ich verstand diese Situation überhaupt nicht und nun schien der angemessene Zeitpunkt, diesem Chaos ein Ende zu machen. Näher würde ich diesem Traummann ohnehin nicht kommen. "Entschuldigung, aber ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie mich hierher gebeten haben. Ihr Assistent schien anzunehmen, dass ich im Bilde sei, als er mir Ihren Namen nannte, aber dem ist nicht so", eine feine Rede, zumindest für jemanden, der sich täg- bzw. nächtlich mit Stromleitungen, Masten und anderen Dingen als Ansprechpartner begnügen musste. Die hellbraunen Augen sezierten mich förmlich, nicht abschätzig oder verächtlich, sondern konzentriert, als verfügte ihr Bannstrahl auch über einen Lügendetektor, der laserscharf alles über mich in Erfahrung bringen konnte, dann verneigte er sich leicht, einen Arm dezent vor der Brust angewinkelt, zweifellos eine leicht affektierte Geste, "ich bitte um Verzeihung. Wenn Sie gestatten, möchte ich dieses Versäumnis augenblicklich nachholen." Ich begriff in diesem Augenblick, dass dieser Felice nicht nur erschreckend attraktiv war, sondern auch ein begnadeter Schauspieler. ]-#-[ Felice konzentrierte seine Aufmerksamkeit vollkommen auf den hünenhaften Mann vor sich. Schützte der seine Unkenntnis nur vor oder meinte er es auf bedrückend unverbrämte Art ehrlich? Trotz des sommerlichen Anzugs schrie alles an seinem Auftreten, seiner Haltung "Arbeiter!". Wenn er seinen Erkundigungen trauen durfte, so war dieser Riese keineswegs zum ersten Mal im 2. Distrikt, sondern bereits einige Male in Begleitung anderer Männer unterwegs gewesen. Nun, man würde sehen. "Ich produziere Filme für Erwachsene. Für männliche Erwachsene", präzisierte Felice in höflich-distanziertem Tonfall. Hinter dem Bart arbeitete es. Die schwarzen Augen verschlossen sich für einen Augenblick, während graue Zellen rotierten. "Verstehe", hörte er schließlich die sonore Stimme antworten, "Pornos nur mit Männern, nicht wahr?" "In der Tat", mit einem fadendünnen Lächeln quittierte Felice diese Erkenntnis. "Tja", sein Gegenüber schmunzelte, was sich im Bart beinahe verlor, "Sehen Sie es mir nach, aber auf diesem Gebiet bin ich gar nicht bewandert. Ich schaffe es gerade noch, mir die Nachrichten auf dem Handy anzuschauen, dann ist schon Schluss." Offen, direkt, unprätentiös... Felice war beinahe geneigt, sich zurückzuziehen, andererseits ging es ums Geschäftliche und der Mann vor ihm war offenkundig erwachsen und für sich selbst verantwortlich. "Nun, wären Sie an einer Rolle interessiert?" ]-#-[ Er sah nicht aus, als würde er scherzen, nein, dieser kühle, distanzierte Tonfall klang ausschließlich nach Geschäft und ließ für Persönliches keinen Spielraum. In einem Porno mitspielen? ICH?! "Ich habe keinerlei Erfahrung als Darsteller", schickte ich die Vorhut ins Feld. Es war zu merkwürdig, dass irgendjemand MICH ohne Kleider in einem Porno sehen wollte! Er trat einen Schritt auf mich zu, verkürzte die Distanz und legte den Kopf ein wenig schief. "Sehen Sie sich in der Lage, mit mir Sex zu haben?" ]-#-[ Felice starrte reglos in die schwarzen Augen über sich, den Kopf in den Nacken gelegt, dabei leicht geneigt, kokett und doch streng, eine erfolgreiche Mischung, wie er immer wieder registrierte. Der Riese blinzelte exakt einmal. "Das könnte ich wohl bewerkstelligen", antwortete er endlich mit gedehntem Tonfall. "Dann sehe ich keine Hinderungsgründe. Wenn Sie sich nun entkleiden wollen?", beschleunigte Felice das Vorankommen. Er spürte, dass sein Gegenüber nicht eingeschüchtert oder ihm bereits vollkommen (und lüstern) verfallen war, sondern mit einer gewissen distanzierten Erheiterung ihre Begegnung beobachtete, als spiele es keine Rolle, ob er akzeptiert werde oder was Felice über ihn urteilte. Das war zumindest eine angenehme Abwechslung. Felice lächelte knapp und auffordernd. Der Hüne vor ihm nickte bloß minimal, bevor er methodisch und ohne Unruhe seine Kleider abzulegen begann. ]-#-[ Ich war neugierig. Das war wohl der einzige Grund, warum ich so mir nichts dir nichts aus meinen Kleidern stieg. Ich erwartete nicht, dass so ein beherrschter Mann wie dieser Felice vor mir die Flucht ergreifen würde, wenn er des ganzen Elends meiner Erscheinung in der nur unwesentlich gedämpften Beleuchtung ansichtig wurde. Tatsächlich umrundete er mich gemächlich wie beim ersten Mal, ohne dass ich seiner sphinxenhaften Miene etwas entnehmen konnte. Wurden in Pornos nicht attraktive Männer aufeinander losgelassen? Was sollte ICH da figurieren? Ich hatte wirklich keine Ahnung. Zwar verfügte meine sehr bescheidene Behausung über einen alten, winzigen Röhrenfernseher, aber zumeist nutzte ich das Gehäuse lediglich zum Stapeln von Flug- und Reklameblättern, in die ich meine Pflanzenabfälle einwickelte, damit nichts auf den Boden tropfte. Über Abspielgeräte oder Spielkonsolen, was auch immer man benutzte, um sich diese Erwachsenenfilmchen anzusehen, verfügte ich nicht. Was ich an Pornos im Wohnheim hatte ansehen müssen, überzeugte mich nicht gerade, dass ICH dort irgendeine Rolle spielen konnte. "Wir drehen zumeist am Wochenende oder in den Abendstunden. Wir zahlen eine Aufwandsentschädigung. Es erfolgt keine Versicherung, dafür tragen wir für die hygienischen und gesundheitlichen Verhältnisse Sorge", der kühle Geschäftsmann stand wieder vor mir. Sollte ich das so verstehen, als hätte ich die Probe bestanden? ICH?! Das konnte ich einfach nicht glauben. Selbst meine Partner erlebten mich nicht in voller Glorie bei normaler Beleuchtung, so viel Rücksichtnahme musste schließlich sein! "Augenblick mal!", hakte ich ungezogen nach, "was genau soll ich denn darstellen?" Eine dünne, jedoch wie mit Tuschstrich gezogene Augenbraue wurde gelupft, verschwand im Schrägpony. "Sagte ich das nicht bereits? Sie werden mit mir Sex vor der Kamera haben", belehrte er mich frostig. "Und das soll sich jemand angucken? Gegen Geld?!", ich weigerte mich, das unwidersprochen zu glauben und verabschiedete den Versuch, es ihm mit distanzierter Kühle heimzuzahlen. "Ah!", er schnurrte beinahe, "Sie erwarten eine plausible Erklärung? Eine Begründung?" Nun, ich hatte nicht nur Pornos, sondern ab und an in meiner Wohnheimzeit auch Pink Eiga gesehen, eine nationale Spezialität, die Erotik, Sex und oft sehr weit gefächerte künstlerische Ansprüche bediente. Bloßes "Knattern" erschien mir, auch wenn es Mann-Frau-Paarungen betraf, auf eine subtile Weise langweilig. Mein Fehler, höchstwahrscheinlich. Aus einem lächerlichen Grund nahm ich an, es wäre ganz zuträglich, eine andere Motivation für den Austausch von Körperflüssigkeiten vorzuweisen als bloße Instinkte zur Nachwuchsproduktion. Menschliche Hybris, möglicherweise. "Wenn Sie den Kontrakt unterzeichnen, erhalten Sie ein Storyboard, Herr Takase", rügte mich der Produzent. "Und Sie produzieren und spielen gleichzeitig mit?", ich versuchte mich auf einem anderen Areal, "wie viele Leute sind denn an diesem Dreh beteiligt?" Er lächelte zuckersüß, "das werden Sie sehen, wenn Sie vor Ort sind." Nicht gerade die verheißungsvollste Methode, mich zur Beteiligung zu überreden. Nahm er vielleicht an, ich würde springen, wenn er mit den Wimpern klimperte? "Ich denke", verschränkte ich die Arme vor der Brust und wurde mir sehr unangenehm meiner nachteiligen Position, bar und bloß, bewusst, "ich möchte die Details vorab kennen. Nichts für ungut." Damit, vermutete ich, wäre wohl die Audienz beendet. ]-#-[ Felice studierte den Hünen vor sich eingehend. Was ging hinter diesen schwarzen Augen bloß vor? Bisher hatte niemand seine Offerte zurückgewiesen, denn jeder wollte schließlich aus unterschiedlichen Gründen den Beweis antreten, dass er ein herausragender Liebhaber war, damit prahlen, mit ihm, dem berühmten Felice, auf Tuch- bzw. Hautfühlung gegangen zu sein. Dieser Mann jedoch verhielt sich anders. In seiner Reaktion lag keine Verachtung für pornographische Filme oder ihn selbst, aber aus einem nicht ganz eindeutig zu ermittelnden Grund riskierte er eine Absage. Oder, wie Felice erwog, nahm es gar nicht erst als Risiko an, sondern als eine nette Gelegenheit, die man auch ohne größeres Bedauern verpassen konnte. "Nun gut", entschied er laut, wandte sich ab, um in dem exklusiven Aktenkoffer den einzigen Ausdruck des Storyboards aus einer Mappe zu entnehmen. Im Zeitalter digitaler Kommunikation pflegte er den Austausch mit seinen Mitstreitern sowie dem technischen Personal in elektronischer Weise, verwahrte nur eine ausgedruckte Kopie jedes Drehbuchs in seinem persönlichen Archiv. Wortlos drückte er dem haarigen Riesen den einfach gehefteten Ausdruck in die große Hand. Mit leicht gefurchter Stirn kämpfte dieser sich vorwärts, sichtlich nicht mit Drehbüchern jeglicher Couleur vertraut. Schließlich blickte er vom Papier hoch und brummte, "erinnert mich an ein Märchen. Der Schöne und das Biest, oder wie?" Felice bleckte die perfekten Zähne zu einem betont süßlichen Lächeln der Einfältigkeit, was zumeist als "MOE" durchging. "Sie sind überzeugt, jemand bezahlt dafür, mich zu sehen? Ich meine, in wen sollen sich die Zuschauer denn hineinversetzen?" »Na, das ist ja reizend!«, dachte Felice, keineswegs säuerlich, sondern amüsiert, »er sucht eine Botschaft in Pornos UND Identifikationspotential?« "Ich glaube", mit gezielter Vertraulichkeit legte er eine Hand auf den haarigen Unterarm des Hünen, "Sie sollten sich vielleicht als Vorbereitung mit anderen Werken vertraut machen. Das erklärt Einiges." Er zog eine weitere Visitenkarte aus dem exklusiven Etui und notierte einige Zeichen auf die Rückseite, bevor er sie überreichte. "Sie haben bestimmt einen Internetzugang, nicht wahr? Dann wählen Sie bitte diese Adresse an und geben das Passwort ein. Es handelt sich um den Zugang zu einem Abrufportal", erläuterte er. Vielleicht würde dieser Riese dann begreifen, mit wem er es zu tun hatte. ]-#-[ Ich studierte die Visitenkarte und erwog zu erwähnen, dass ich weder über einen Computer, noch über einen Internetzugang verfügte. Irgendwie war es mir bisher gelungen, allein durch mein Mobiltelefon den Alltag zu bewältigen, doch nun schien es notwendig zu werden, mich mit dieser Technik anzufreunden. Ich wollte verstehen, herausfinden, was sich wirklich hinter diesen hellbraunen Augen verbarg. Würde ich wirklich mit diesem atemberaubend schönen Mann schlafen dürfen? Die Veröffentlichung spielte in meinen Erwägungen nur eine geringe Rolle, weil wohl niemand zugeben würde, dass er sich Pornos für Homosexuelle ansah, oder dass man mich dort erblicken konnte. "Habe ich Ihre Fragen beantwortet?", brachte sich Felice auf seine höflich-unterkühlte Weise wieder in Erinnerung. "Zumindest fällt mir momentan nicht mehr ein", platzte ich gedankenlos heraus. Zu meiner Verblüffung streifte mich lediglich ein weiterer dieser sezierenden Blicke, dann glitt Felice graziös vor mir auf die Knie, legte seine eleganten, sehr gepflegten Hände auf meine Oberschenkel und blies seinen warmen Atem auf meinen Schritt. "Mo-Moment mal!", stotterte ich im Reflex und wich zurück. Ihn brachte meine Reaktion jedoch keineswegs aus der Ruhe, "ich versicherte Ihnen doch, dass Sie für Ihre Zeit angemessen entschädigt werden würden." Mit einem Blowjob?! Von ihm?! Ich starrte, das Hirn leer angesichts dieser Gunst, die ich MÖGLICHERWEISE erfahren konnte. Und dann noch... von ihm!!! Er sah zu mir auf, zog die Nase kraus, bleckte die Zähne und leckte sich wie ein Raubtier über die Lippen. »Auch gut!«, dachte ich, »wenn er ihn abbeißt, habe ich mehr Platz in der Hose.« ]-#-[ Keine Frage, dass ich mich auf dem schnellsten Weg in den Hightech-Distrikt aufmachte, um mir einen gebrauchten Laptop zu leisten und einen Vertrag für das mobile Internet abschloss. Böhmische Dörfer für mich, aber nach DIESER Erfahrung war ich fest entschlossen, dieses Abenteuer bis zur Neige auszukosten. Meine Güte, ich konnte Sex mit DIESEM Mann haben! Über Endorphin-Überschuss und Adrenalin-Nachschub konnte ich mich jedenfalls nicht beklagen. Anstelle einer ordentlichen Nachtruhe knapste ich mir diese Zeit ab, um ungelenk die Adresse einzutippen, die Felice mir auf seiner Visitenkarte notiert hatte, hangelte mich unruhig durch die Zugangsbeschränkungen. Offenkundig handelte es sich um ein Portal, wo man gegen einen Obolus Pornos nach Wahl anschauen konnte. Mich kostete dieses Vergnügen dank dem Sonder-Code auf der Visitenkarte nichts. Zunächst mal sortierte ich die Auswahl, oder vielmehr, ich kapitulierte nach den ersten Variationen überwältigt. Allein die Eingabe von [Felice] ohne eine weitere Einschränkung brachte mehr als tausend Einträge, bevor mich das Portal aufforderte, eine weitere Einschränkung vorzunehmen. So wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich mit meiner Ignoranz ein ziemliches seltenes "Tierchen" im 2. Distrikt sein musste. Kein Wunder, dass sich Assistent (Sekretär?) und Bote Saburo so auffällig verhalten hatte! Anschließend blätterte ich durch die Auswahlkategorien: Szenarien, sexuelle Präferenzen, Anzahl der Beteiligten, Dauer des Films, Herstellungsjahr, Thematiken, etc. Angesichts meiner Erfahrungen mit den Pornos während meiner Wohnheimphase konnte ich nur staunen, wie viel Material man aus einem simplen Akt herauszuziehen vermochte. Wiederholte sich nicht irgendwann eintönig alles, waren Variablen nicht begrenzt? Offenkundig nicht. Ich entschied mich schließlich, nachdem ich verblüfft die Uhrzeit konsultiert hatte (und einen Wecker programmierte), für einen der kürzeren Filme mit Felice. Die Handlung war, zumindest in meinen Augen, banal. Sie spielte sich im Studenten-Milieu ab und gründete darauf, dass ein Sexprotz-Macho sich in seinen Kommilitonen verknallte, diese Neigung zunächst abstritt, dann aber keine weiteren Probleme damit hatte, das Drama beiseite zu schieben, um das Objekt seiner Begierde quasi zu kidnappen, nachdrücklich zu verführen und bei jeder Gelegenheit rhythmische Bettgymnastik (wenn auch selten genau dort) auszuführen. Ich WAR zwar erregt, keine Frage, doch etwas wurmte mich. Als ich erkannte, was GENAU es war, das mich wurmte und vom schlichten Genuss (der ein wenig schal war, wenn man sich bloß allein amüsierte) abhielt, wurde ich doch ein wenig nervös. Mich interessierten nicht die Nahaufnahmen von Genitalien in Aktion, nein, ich ärgerte mich, weil ich Felices Gesicht nicht sehen konnte, nicht in seine Augen blicken konnte. ]-#-[ Eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass Felice selbst zugegen sein würde, wenn ich den Vertrag unterzeichnete und mit meinem Namenssiegel bestätigte. Er saß wie hingegossen in einem der tiefen Lederfauteuils, lächelte auf seine undurchdringliche Art, verfolgte mit seinem sezierenden Blick, wie ich die beiden Bögen umblätterte, um mich an diese Produktion zu binden. Ich reichte ihm artig eine Ausfertigung und legte auch noch meine Kontaktdaten auf einer einfachen Visitenkarte bei. Sie machte selbstredend nichts her, und mir war durchaus bekannt, dass der moderne Mensch heute sein oberschlaues Telefon in die Landschaft streckte, um seine persönlichen Daten drahtlos zu übertragen, bloß beherrschte ich diese Fertigkeit weder, noch schien sie mir für diese einmalige, historische Gelegenheit angemessen. »Depp!«, verspottete mich mein Über-Ich gehässig, »willst dir wohl was einbilden, weil er mal deine Visitenkarte in der Hand hatte! Was kommt als nächstes? Sammelst du auch Kippen oder Gläser, die er mal angelutscht hat?!« Selbstverständlich würde ich das nicht tun und leider, zu meinem großen Bedauern, ging es auch nicht an, die Lippen, die mich berührt hatten und möglicherweise noch mal berühren würden, auf meinem Körper in eine ewige Schutzzone zu verwandeln. "Ich denke, wir werden das Projekt recht kurzfristig realisieren können", gewohnt kühl rückte mir Felice den Kopf zurecht. Hinter mir lauerte wie ein Aasgeier Saburo, dem es mehr als offenkundig missfiel, dass ich mit von der Partie war. »Wovor hast du bloß Angst, Kumpel?«, hielt ich stumme Zwiesprache mit ihm, »du glaubst doch nicht, ich könnte dich irgendwo ausstechen, oder?« Nun ja, vom Äußeren her konnte ich bloß als zweiter Sieger durchgehen, ich rechnete mir aber ein paar Gnadenpunkte für innere Werte aus. Dieser Saburo wollte zu viel und bemerkte wohl gar nicht, wie die hellbraunen Augen seines angebeteten Idols Frost fingen, wenn er sich wichtigtuerisch produzierte. Ich schraubte mich in die Höhe und verzichtete artig darauf, dem Aasgeier durch eine vermeintlich unbedachte Bewegung den Sessel vor die Schienbeine zu rammen. "Dann darf ich mich verabschieden", lächelte ich Felice aufgeräumt an, "vielen Dank auch für die kostenfreien Studien." Ich verneigte mich schwungvoll, polierte die gute Kinderstube ein wenig und wusste, dass Saburo nun etwas zu knabbern hatte. Zu meiner Verwunderung begleitete Felice selbst mich zur Tür, plauderte höflich-gewandt über Nichtigkeiten. Ich mochte ihn, aber unsinnigerweise wünschte ich mir, er würde seine Bühne verlassen und mir den Mann präsentieren, der er wirklich war. ]-#-[ Nicht einmal eine Woche nach der Unterzeichnung meines Vertrags als Co-Darsteller wurde der Termin für die Dreharbeiten angesetzt. Auf dem Bahnhof, mit leichtem Gepäck, traf ich den sehr konzentrierten Felice, seinen Schatten Saburo und noch vier andere Männer unterschiedlichen Alters. Alle stellten sich mit Künstler- oder Spitznamen vor, weshalb ich in notorischer Gedankenlosigkeit meinen NAMEN nannte: Ugly. Niemand schien peinlich berührt oder fand Anlass, dies zu kommentieren. »Angenehm«, dachte ich und erkannte, dass diese Kollegen viel zu sehr mit ihrer Aufgabe befasst waren, um sich an derartig unbedeutenden Kleinigkeiten aufzuhalten. Ich machte mich beliebt, indem ich Teile der Ausrüstung in das Abteil bugsierte. So erfuhr ich auch, welche Kameras und Stative sich wo befanden, wie man geschickt die Scheinwerfer und Blenden transportierte, was man nicht beim Anschluss an Kabeln, Aggregaten usw. vergessen durfte. Unser Reiseziel lag vier Stunden außerhalb, ein heruntergekommener, ehemaliger Landgasthof, nun quasi dem langsamen Verfall preisgegeben. Nachdem wir mit einiger Mühe das Material vom Bahnhof mittels einer alten Bauernkarre, die ein uraltes Männchen gegen eine kleine Gebühr zur Verfügung stellte, befördert hatten und von ihm eingelassen wurden, galt es zunächst, die Kulisse aufzubauen. Felice orchestrierte unsere Anstrengungen mit freundlich-aufmunterndem Ton, packte ganz selbstverständlich mit an (auch wenn Saburo immer mal wieder heftig protestierte) und bewies mir, dass er sein Metier zu verstehen schien. Hier und da Accessoires, schon erschien uns das alte Gemäuer wie verwandelt. Dazu mussten dann Kameras und Scheinwerfer aufgebaut und eingerichtet werden. Felice hatte das mühelos im Griff. »Ein sehr gutes räumliches Orientierungsvermögen«, sammelte ich in meinem privaten Notizbüchlein Informationsbrosamen über diesen geheimnisvollen Mann. Obwohl alle mit großem Ernst und Konzentration ihren Aufgaben nachgingen (und ich eigentlich nichts weiter zu tun hatte), fühlte ich mich noch immer wie bei einem Schulausflug. Was würde als nächstes passieren? Die Spannung kribbelte wie ein emsiges Ameisenheer durch meinen Körper. ]-#-[ Dass wir uns nicht auf einem vergnüglichen Ausflug befanden, registrierte ich bald, denn die gespannte Atmosphäre konzentrierter Geschäftigkeit nahm nicht ab. Ein Zeitplan wurde auf einer Stoffbahn befestigt, das Storyboard hing daneben und zwischenzeitlich traf auch noch der "Prinz" ein. Ach, das hatte ich ja noch gar nicht ausgeführt, richtig? Selbstverständlich bestand mein Part darin, das Monster zu geben. Hübscher, junger Mann verirrt sich im Wald, betritt einen verwunschenen Landpalast, wird vom dort hausenden Biest überrascht, gefangen genommen und mit Zaubertricks verführt. Nach und nach begeistert junger Mann sich für Biest, Biest verwandelt sich daraufhin in Prinz, und wenn sie nicht gestorben sind, dann schnackseln sie immer noch fröhlich, was das Zeug hält. Ich hatte als Kind eine Menge Märchen gelesen, nicht nur die für meine Augen verwunderlich illustrierten Versionen der Brüder Grimm, sondern auch zahlreiche andere Märchen. Durch eine Zeichentrickserie, die ich mir ansehen durfte, erschien mir dieser Märchenschatz keineswegs einem anderen Kulturkreis anzugehören. Später war ich wirklich fürbass erstaunt, als ich in einem Sachbuch, das ein pensionierter Lehrer der Schulbibliothek zusammen mit vielen anderen Werken überlassen hatte, Herkunft, Entwicklung und Verbreitung von vertrauten Märchen dargestellt fand und erkennen musste, dass sich nur wenige Märchen TATSÄCHLICH auf mein Heimatland bezogen. Natürlich lag es auch an der populären Aufmachung in Filmen und Schmuckexemplaren der Bücher, die die "nationale" Version mancher Erzählung verdrängte und beinahe in Vergessenheit geraten ließ. Ich kannte deshalb "die Schöne und das Biest" bereits, was die grobe Handlung betraf, war nicht sonderlich erstaunt darüber, dass nach meiner "Verwandlung" ein durchaus attraktiver, aber nicht mehr ganz taufrischer Mann den Prinzen mimte. Saburo, dem ich zugegeben sehr durchtrieben das tumbe Landei vorspielte, konnte es sich nicht entgehen lassen, mit seinem mir weit überlegenen Wissen zu prahlen. Der Darsteller des Prinzen war zuvor ein gefeiertes Modell gewesen, wurde dann mit fortschreitendem Alter immer weniger gebucht, bis er in seiner Verzweiflung über die Brosamen der Pornoindustrie versuchte, sich über Wasser zu halten. Allerdings, glaubte man Saburos gnadenloser Häme, konnte er niemals auch nur hoffen, an Felices Popularität heranzureichen und damit war keineswegs die Filmerei gemeint. Saburo setzte mir mit glühenden Wangen ob der eigenen Wichtigkeit auseinander, dass Felice einer der ganz wenigen Männer war, der sich seine Kunden nicht über eine Agentur vermitteln ließ, sondern über einen ganz normalen Telefondienst selbst bestimmte, an wen er seinen Körper verkaufte. Sein Kurswert war gigantisch hoch! Dafür sorgte nicht nur seine Popularität, sondern auch diverse, sehr reiche Gönner, die eine gewisse Exklusivität wahren wollten, schließlich wollte sich niemand in eingeweihten Kreisen dabei ertappen lassen, einen billigen Escortboy in den seidenen Laken zu beglücken! Es wäre glattweg gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mir keine Gerüchte über diese Einkommensquelle der Porno-Darsteller zu Ohren gekommen wäre, allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, WIE VIEL Geld man einsetzen musste, um sich Felices Gunst zu kaufen, oder vielmehr seine Dienstleistung. Was er wirklich dachte, mochte, ablehnte, ich nahm an, dass niemand außer ihm selbst die Wahrheit kannte. Dafür spielte er in bestürzend begnadeter Weise unzählige Rollen, ohne auch nur einmal die Maske zu lüften. ]-#-[ Meine notorische Neugierde zu erfahren, wie Felices Karriere sich aufgebaut hatte, sorgte dafür, dass Saburo, wohl, weil er tatsächlich NICHT wusste, wie alt sein angebetetes Idol war, mich mit giftiger Verachtung strafte und stehen ließ. Aber wie sollte man sich NICHT diese Frage stellen? Gut, man würde wohl in einem Fischerdorf einen Fischer nicht gerade danach fragen, warum er sich für diesen Beruf entschieden hatte, aber MICH juckte einfach das Fell. Wie kam man zu dieser Profession? Und warum? Felice war attraktiv, wandlungsfähig, ein grandioser Schauspieler, seine Stimme zweifellos geschult. Außerdem bewies er hier, als Regisseur seines selbst produzierten Streifens, großes Geschick. Warum wählte er keine andere Beschäftigung? Wenn man Saburos Heldengesang trauen durfte: wieso bewegten die reichen Gönner ihn nicht dazu, sich auf eine andere Beschäftigung zu verlegen? Hatte Felice vielleicht ein Ideal, einen Wunschtraum, irgendeine Vision, die ihn fest in ihrem Bann hielt und auf diese Bahn lenkte? Oder gab es andere Gründe? Persönliche und private Katastrophen? Mir wurde, während ich auf meinen ersten Einsatz wartete, bereits artig in ein ausgeliehenes Kostüm gewandet und mit zottiger Perücke dekoriert, mehr als deutlich, dass ich den Mann zwar sah, aber selbst seine Handlungen kein bisschen mehr Aufschluss über ihn gaben als bisher. Nun, vielleicht irrte ich mich auch. Es war mir zuvor gar nicht bewusst geworden, aber Felice war der Einzige, der mich nicht "Ugly" rief. Er blieb standhaft bei meinem Nachnamen, auch wenn er deutlich machte, dass er die Seniorität innehatte. Bloß, war das seinem tatsächlichen Alter oder seinem Status hier geschuldet? Rätsel über Rätsel! ]-#-[ Felice studierte seinen selbst ernannten Sekretär einen sezierenden Augenblick länger, als dessen aufgeplustertes Nervenkostüm vertrug. Dass sich da eine Missstimmung entwickelte, konnte ihm kaum entgangen sein, aber er verabscheute es, zu drastischen Maßnahmen gezwungen zu werden. "Ich danke dir für deine Auffassung", antwortete er schließlich in kühler Höflichkeit, "ich möchte dich jedoch bitten zu berücksichtigen, dass Takase sich auf seine Rolle als Biest vorbereitet. Method Acting, was dir zweifellos ein Begriff ist." Selbstredend konnte man jedes einzelne Wort als eine ungenierte Lüge entlarven. Wenn ihre Summe jedoch bewirkte, dass sein lästiger Trabant sich in den Hintergrund verfügte und die Aufnahmen weitergehen konnten, war sie ihm recht! Er nickte Saburo knapp zu, eine Aufforderung, ihm Platz zu machen, damit er endlich dem Prinzen seine Aufmerksamkeit zuwenden konnte. ]-#-[ Zunächst wurden die Sequenzen mit dem Prinzen gedreht, bevor dieser wieder entschwand, die Kulissen umgebaut und in ein viel dunkleres und verstaubteres Dekor verwandelt wurden. Da ich keine Erfahrungen mit einem Filmdreh hatte, musste ich mir erst in Erinnerung rufen, dass nicht in chronologischer Reihenfolge gearbeitet wurde. Felice orchestrierte vor meinen neugierigen Augen sehr effizient und zügig, kaum eine Aufnahme musste wiederholt werden. Er kontrollierte das Resultat direkt auf dem kleinen Bildschirm der Kameras und markierte selbst Positionen und Winkel, die eingehalten werden mussten. Nun sollten die ersten Aufnahmen mit mir stattfinden, kurz vor meiner Verwandlung. Fotogen war ich keineswegs, deshalb bezweifelte ich stark, dass meine Erscheinung auch noch in Bewegung irgendeine positive Auswirkung haben konnte. Felice nickte mir zu, ich nahte, darauf achtend, nichts auf meinem Weg umzuwerfen oder abzureißen. "Es ist ganz simpel", erläuterte er kühl, "ignoriere die Kameras, folge dem Storyboard, kein Posieren, kein Blickkontakt mit dem Sucher etc. Ich werde Anweisungen geben." "In Ordnung", brummte ich gehorsam. Hätte ich erwähnen sollen, dass ich niemals auf den Brettern, die die Welt bedeuten, gestanden hatte, nicht mal für die obligatorischen Schulaufführungen? Nun, er hatte mich engagiert, also musste er mich wohl auch so wollen, wie ich war, oder? ]-#-[ Felice wusste, dass seine Darsteller keine Schauspieler waren. Das war in ihrem Genre auch keineswegs notwendig, manchmal sogar hinderlich! Authentizität war wichtig, häufig sollte man glauben, dass sich Episoden gerade um die Ecke abspielen KONNTEN, dass im Zug, in der Nachbarwohnung, im Aufzug oder im Waschsalon wirklich rhythmische Intimitäten ausgetauscht werden KONNTEN! Prickelnde Phantasien und eine handfeste Erleichterung, das verkaufte er, mehr konnte man von einem Porno nicht erwarten. Zugegeben, wer über die richtigen Mittel verfügte, konnte sich die Hauptdarsteller natürlich auch persönlich einbestellen, aber das war ein anderes Thema. Er behielt seinen Hauptdarsteller im Auge. Wenn es gelang, ihn von seiner Umgebung abzulenken und einfach spielen zu lassen, würde der ganz zweifellos eine gute bzw. biestige Figur abgeben. Nach zwei Versuchen waren alle Aufnahmen zu seiner Zufriedenheit hergestellt. Nun ging es darum, die Bettszenen aufzunehmen, in beinahe umgekehrter Reihenfolge zum späteren Film. Das bedeutete, dass zwischen ihnen bereits eine Vertrautheit bestehen musste, die sich im Film langsam aufgebaut hatte, nun, zumindest langsam für einen Porno. "Wir gehen wie folgt vor", instruierte er seinen Darsteller im Zwiegespräch, "die technischen Details sind meine Sorge. Das bedeutet, Sie konzentrieren sich allein auf mich. Ich gebe das Timing in der Abfolge vor. Wie beim Tanzen", Felice unterbrach sich und beäugte den in einen großen Bademantel gehüllten Riesen vor sich, "wie beim Baseball", korrigierte er sich knapp. "Ich gebe bestimmte Zeichen, die wir jetzt absprechen. Sie reagieren entsprechend. Blenden Sie alles andere aus", dann begann er in geübter Routine, die Zeichen zu erläutern, mit denen er den Ablauf, die Dauer und die jeweilige Aktion zu lenken beabsichtigte. ]-#-[ Ich war nicht wirklich überzeugt, dass es funktionieren würde, schließlich hatte ich vorher noch nie mit ihm geschlafen. Hier sollten wir vorgeben, dass wir uns auf dem Höhepunkt sexueller und intimer Bekanntschaft befanden, dem magischen Moment vor der Verwandlung! Gut, ich kannte einige seiner Filme. Wie Sex in den vorgeschlagenen, eher konventionellen Positionen funktionierte, wusste ich auch, Fahrradfahren verlernt man schließlich nicht, wenn man's mal gemeistert hat, aber das hier war anders. Hier einigte man sich nicht gemeinsam im Verlauf auf das richtige Timing, lotete aus, was der andere wie lange wie vehement in welcher Weise mochte, nein, alles war vorgegeben. »Er hat Übung und weiß, was er tut!«, ermahnte mich mein Pflichtgefühl, »sieh du lieber zu, dass du strammstehst! Sich Gedanken über nen haarigen Arsch zu machen, dafür ist es jetzt viel zu spät!« Richtig. Und die Leute zahlten ja auch dafür, das "volle Programm" zu sehen. »Männer sind Schau-Tiere!«, hatte ich das nicht irgendwo mal gelesen? Felice verkündete jedenfalls, dass es los ging. Da stand ich nun, haarig, bloß und einzig mit einer lächerlichen Perücke bekleidet, entbot, ganz ohne große Mühe, weil ich allein Felice ansah, in einem altertümlichen Hemdchen, der ganzen Welt stehende Ovationen. ]-#-[ Es funktionierte, vermutlich, weil ich so gebannt auf Felice reagierte, dass es mir gelang, keinen Einsatz zu verpassen, all die anderen Dinge, Scheinwerfer, Blenden, Kameras und Personal, einfach aus meiner Wahrnehmung zu streichen. Felice lenkte mich perfekt und selbst der Akt verlief ohne Komplikationen, ganz so, wie er mir in seinen Regieanweisungen angekündigt hatte. Zugegeben, ein Profi wie er war absolut vorbereitet und ich konnte ihm eigentlich nicht wehtun, aber ich bin da trotzdem ein wenig gehemmt. Ein Glück auch, dass Felice mich die Aufnahmen nicht sehen ließ, sondern mich in mein Eckchen zum Ausruhen beorderte. Da ich mich sehr entspannt und wohlfühlte, war ich selbstredend gehorsam. Hätte ich mich selbst beim Sex gesehen, original und ungeschminkt, dann wäre an diesem Tag wohl nichts mehr gelaufen. Sex und Würde, das waren unvereinbare Gegensätze, zumindest in meinem Fall. Grunzen, Stöhnen, Herumwälzen, ganz zu schweigen von meiner üblich "grotesk hässlichen" Erscheinung: Askese und Enthaltsamkeit lagen nahe, doch Felice ersparte mir diesen Schrecken meiner Selbst und organisierte den weiteren Verlauf. Bevor es dunkelte und das Irren durch den Wald als Einführungssequenz gedreht wurde, hatten wir es uns stehend in einer Art Kerker und draußen zwischen Gehölz zu besorgen. Die Szenen verschwanden in meinem Kopf, ich reagierte bloß noch auf die subtilen Zeichen in Felices Körpersprache. Wenn nicht schon meine eigenen Hormone meinen Verstand vergifteten und mir einem Tunnelblick verschafften, musste es seine Ausstrahlung sein, die mich einfach fernsteuerte, was ich ungeniert genoss. Mit dem letzten Zug schließlich näherten wir uns gemeinsam wieder Tokio. Felice saß allein, Kopfhörer eingestöpselt und arbeitete, wie der hornissenartig schwärmende Giftzwerg Saburo jedem mitteilte, bereits an Schnitt und Abfolge, alles mit dem Laptop, Wunderwerk des Fortschritts. Ich verzichtete darauf, mich der Crew aufzudrängen, denn trotz des mitgeführten Picknicks für zwischendurch hatte ich Hunger und war auch ein wenig müde. Vor allem aber beschäftigte ich mich mit einer philosophischen Grundfrage: weil es für mich gut war, galt das auch für ihn? ]-#-[ Ich wusste durch den Standardvertrag, dass die Gage oder Aufwandsentschädigung elektronisch überwiesen wurde. Eigentlich hätte damit mein Engagement enden sollen. Mit dem Abschied vom Bahnsteig endete auch mein Abstecher ins Filmgeschäft, dachte ich. Am nächsten Abend jedoch entnahm ich einer Nachricht auf meiner Sprachbox, dass Felice mich zeitnah zu treffen wünschte. Nachsynchronisation. Selbst wenn es "DVD mit der Hand pressen" gewesen wäre: ich antwortete sofort und bestätigte den Termin in einem Tonstudio in der folgenden Nacht. ]-#-[ Wahrscheinlich lag es an der Vorfreude, ganz gegen jede Chance Felice noch mal zu sehen, dass ich aufgekratzt dem sehr späten Termin entgegensah. Üblicherweise befand ich mich zu dieser Uhrzeit nach meiner regulären Schicht schon in den Urwaldtiefen, wo ich fleißig Bäume sägte (nahm ich zumindest an, da ich mich selbst nicht schnarchen hörte und nicht beurteilen konnte, wie furchtbar es wirklich sein mochte). Ein winzig kleines Tonstudio, in ein älteres Hochhaus gezwängt, auf Stundenbasis zu mieten. Felice erwartete mich, wie gewohnt erlesen und distinguiert gekleidet, von einer Aura kühl-höflicher Erhabenheit umgeben. Der unvermeidliche Saburo warf mir mörderische Blicke zu und schwirrte in enervierender Unruhe durch den Raum vor der Kabine. Felice bedankte sich höflich für mein Kommen und überreichte mir den Text, den ich einsprechen sollte. Ich starrte ihn ehrlich verblüfft an, denn ich hatte damit gerechnet, dass der Prinz als Ergebnis der Verwandlung diesen Part übernehmen würde. Wollte wirklich jemand das Biest quatschen hören? "Bitte", seine Geste ließ keine Zweifel offen, mein Einsatz, aber flugs, denn hier war Zeit Geld in Form von Miete. Ich sprach den Text, las ihn nicht nur einfach und Felice signalisierte mir per Kopfhörer, dass der Durchgang in Ordnung sei. Das allerdings war nur meine Initiation, denn anschließend sah ich den Porno, MEINEN Porno, zum ersten Mal, um die angekündigte Nachsynchronisation in Angriff zu nehmen. ]-#-[ Felices Mundwinkel zuckten, als er das Mienenspiel des Hünen an seiner Seite im Spiegel der Glasscheibe verfolgte. Für ihn war diese Produktion beinahe abgeschlossen, er kannte den Film und musste sich nicht mehr auf diese Details konzentrieren, deshalb leistete er sich den Luxus, die Reaktionen seiner "Entdeckung" zu studieren. In den schwarzen Augen blinkte und blitzte es, die winzigen Fältchen in den Augenwickeln zuckten bei mancher Aufnahme, ab und an entwischte durch den Bart ein unterdrücktes Ächzen. Ein herrliches Amüsement, das noch von einem breiten, sehr verlegenen Grinsen gekrönt wurde, als sich sein Mitspieler zu ihm wandte und brummte, "DAS nenne ich mal einen Vorher-Nachher-Erfolg." Felice lächelte fein. Er mochte diesen offenen, friedfertigen, unangestrengten Humor des Hünen. Kein Geltungsdrang, stattdessen eine beschwingte Gleichmütigkeit gegenüber der besonderen Auszeichnung, mit dem berühmten Felice einen Porno gedreht zu haben. »Was geht wohl hinter diesen schwarzen Augen vor sich?«, dachte er konzentriert, »spielt er nur oder ist er authentisch?« ]-#-[ »Das war's dann!«, schloss ich dieses Kapitel meines "aufregenden Lebens" ab. Ich erwartete nicht, dass irgendwer mir in MEINEM Porno Aufmerksamkeit schenkte und ich eine kometenhafte Karriere als Star hinlegte. Nein, hier war das Ende der Fahnenstange, und leider, auch das Ende meiner Beziehung zu Felice erreicht. Dass ich mir dieser Tatsache bewusst war, änderte nichts an der Traurigkeit, die mich unvermutet überkam, als ich mich in der Nacht auf den Heimweg begab. Ich hätte gern mehr gewusst, nur einen Moment lang hinter die unzähligen Masken geschaut, um zu erfahren, wer "Felice" wirklich war, aber ich war es ja gewohnt, mit meinem sehr großen Füßen auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Hochfahrende Träume endeten zumeist bloß in Gejammer und sie hatten nichts mit Hühnern zu tun. ]-#-[ Kapitel 3 - A star is born! Es vergingen zwei lange Wochen, in denen ich mich immer wieder dabei ertappte, über Felice nachzusinnen. Selbst der Computer wurde gequält, ohne Erfolg. "Du musst damit aufhören!", ermahnte ich mich streng, während ich meine kleinen, grünen Freunde betreute, "das haben wir doch ausführlich besprochen." Hatten wir. Jedes einzelne, überaus vernünftige Argument war säuberlich gelistet und seziert worden, sämtliche Ausflüchte und blinden Flecke ausgeräumt und ausgeräuchert. Warum, verflixt noch eins, konnte ich mir Felice nicht aus dem Kopf schlagen?! Außerdem, was konnte ich, abgesehen von meiner ungehörigen Neugierde, schon bieten? Felice war auf einem Markt unterwegs, für den ich niemals auch nur eine Stehkarte ganz hinten neben dem Lokus ergattern würde. Zu meiner Verblüffung ging bei mir im tiefen Tal der Verzweiflung ob der eigensinnigen Dummheit des Herzens eine simple Nachricht auf dem Mobiltelefon ein. Felice bat, zwecks Vorstellung eines anderen Projekts, um ein Treffen. Meinen Jubelschrei konnte man bestimmt zwei Häuserblocks weiter hören! ]-#-[ Ich hatte eine Schicht getauscht und traf mich am späten Vormittag mit Felice in einem kleinen Businesshotel. Er begrüßte mich höflich, wie gewohnt sehr elegant und gleichzeitig leger in seinem Dreiteiler aus honigfarbener Seide. An jedem anderen hätte dieser Anzug wohl wie die Kluft eines Zuhälters aus den frühen Siebzigern gewirkt, doch bei Felice unterstrich diese Extravaganz seine alterlose Schönheit noch mehr. Keine graue oder schwarze Maus im Anzug von der Stange, die in der Masse von Angestellten unterging, nein, ein strahlender, von innen leuchtender Stern. Ich war so hingerissen, dass meine Begrüßung auf halbem Weg im Bart versandete. In den hellbraunen Augen funkelte es. Amüsierte ich ihn? Nun, besser, man lachte bei meinem Anblick, als dass man in Heulen und Zetern ausbrach, wie meine Mutter es zu tun pflegte. Mit einer eleganten Geste wies er mir einen Platz zu, bedankte sich für mein Entgegenkommen und eröffnete die Verhandlungen mit einer knappen Erläuterung des Anlasses. Unser gemeinsamer Streifen hatte sich seit der Veröffentlichung in atemberaubender Weise an die Spitze der Verkäufe bzw. gemieteten Angebote gesetzt, deshalb sei es nur folgerichtig, diese günstige Lage auszunutzen, um eine neue Produktion mit dem Erfolgsteam abzuliefern. Felice drehte seinen sehr schlanken Laptop geräuschlos auf der Tischplatte, sodass ich ebenfalls verfolgen konnte, wie er aus einem virtuellen Aktenschrank ein Drehbuch zauberte, nun, zumindest ein Storyboard, komponiert aus verschiedenen Versatzstücken. Mir raubte jedoch die unglaubliche Menge der vorhandenen Storyboards bereits den Atem. Wie viele Filme hatte Felice absolviert?! Es schien mir eine gewaltige Bibliothek zu sein, die mich erneut in mein Gedankenlabyrinth lockte, wo ich ohne freundliche Hilfe mittels Garnknäuel ständig auf Minotauri zu stoßen pflegte. Felice tippte mir mit den manikürten Fingerspitzen sanft auf den Handrücken, eine nachsichtige Ermahnung, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Beschämt spürte ich glühende Hitze in den Wangen und sperrte meine Gedanken hastig in den Augiasstall. Die Handlung spielte erneut weitab der Zivilisation, nun ja, gewissermaßen, der Held, ein junger Karrierist aus der Stadt, strandet irgendwo in den Bergen im Hinterland. Er fährt seinen schicken Wagen fest und macht sich zu Fuß auf, ohne Handyempfang oder ähnliche Wunderwerke der modernen Gesellschaft. Ein Aussteiger findet den Verirrten und kidnappt ihn quasi, um ihn für sich allein zu haben. Mangels Alternative gibt unser Held widerstrebend nach, lässt sich verführen und nach den üblichen Aktionen führt ihn der Waldschrat wieder zurück in die Zivilisation. Der Held kann seinen verwilderten Liebhaber aber nicht vergessen und reist schon am nächsten Wochenende wieder in die Gegend, um sich dort vernaschen zu lassen. Abblende und Schluss. Nun ja, wirklich recht nett, auch wenn ich mich fragte, ob man mich zum Yeti ausstaffieren würde, um den Part des Waldschrats zu übernehmen. Ich ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass ich den Vertrag auch blind unterzeichnen und siegeln würde. Sex mit Felice, mehr musste ich gar nicht wissen! Aber ich hatte es hier mit einem Profi zu tun und Felice erwartete, dass ich mir Gedanken über meine Rolle machte, denn es galt auch darum, das Publikum zu erfreuen. Simple Kopien 1:1 des ersten Streifens, das verkaufte sich nicht. "Es ist nicht so, dass wir den Anspruch auf große künstlerische Inhalte legen können", plauderte er mit sanft-nachsichtiger Stimme, "es wäre jedoch ein fataler Fehler, unserem Publikum abgeschmackte Langeweile vorzusetzen. Unsere Aufgabe besteht darin, gut und anregend zu unterhalten, bestimmten Erwartungen gerecht zu werden." Ich nickte eifrig, ein wenig verblüfft, dass er sich der Mühe unterzog, einem Amateur und Laien-Mimen so viel zu erläutern, mir einen Einblick zu erlauben in sein (mögliches?) Unternehmensmotto. Ohne große Aufforderung demonstrierte er mir anhand verschiedener Portale, die seine Filme vermieteten, wie man die Wünsche, Erwartungen und Vorlieben der Konsumenten ermittelte, wie das Geschäft funktionierte. Ich lauschte mit halb offenem Mund, was ich erst und durchaus peinlich berührt bemerkte, als er mit einem graziösen Finger unter meinem frisch getrimmten Bart meine Kinnlade touchierte, mit dem Lächeln einer sehr mit sich zufriedenen Katze neben dem leeren Goldfischglas. "Oh, äh, Entschuldigung", brummelte ich höchst verlegen und schluckte hastig ein paar Mal, weil ich das Gefühl von Wollmäusen auf der Zunge vertreiben wollte. "Sie werden sich also über Ihre Rolle Gedanken machen?", kehrte er ansatzlos und wieder distanziert zum Thema zurück. "Werde ich", sagte ich brav und zu allem entschlossen zu. Immerhin, wie schwierig konnte es sein, einen Aussteiger zu mimen?! Für einen notorischen Außenseiter wie mich? Er schmunzelte minimal, ein sparsames Zucken der Mundwinkel. »Gott, ist er schön!«, seufzte mein unbelehrbares Herz aus der Tiefe meiner Seele. Dieses Gefühl hatte nichts mit seiner unzweifelhaft umwerfenden, sexuellen Anziehungskraft zu tun, nein, es kam mir sogar beinahe objektiv vor. Felice war schön, ein Faktum. Es stimmte mich auf seltsame Weise zufrieden, dass es einen Menschen wie ihn auf der Welt gab, dass er da draußen irgendwo lebte, hoffentlich glücklich, und man mit einem Blick auf ihn den Tag für gerettet erklären konnte. »Ich leide wohl an fortschreitender Gehirnerweichung!«, zeterte mein strenges Gewissen hochnotpeinlich berührt ob dieses Kitsches. Nichtsdestotrotz entsprach alles der Wahrheit. Ich war und blieb eben ein genügsamer, leicht zufriedenzustellender Esel. ]-#-[ Felice setzte seine Studien ungeniert fort, betrachtete den Hünen. Takase. Umino Takase. Ugly. Dieser Spitzname stieß ihm sauer auf, auch wenn er sich dies nicht anmerken ließ. Er konnte nichts Hässliches an diesem jungen Mann erkennen. Dessen Worte, Gesten und vor allem die schwarzen Augen verrieten eine friedfertige Gesinnung, Sinn für Humor und eine innere Ruhe, die ansteckend wirkte. Saburo hatte ihn als Trottel abqualifiziert, aber Felice war nicht geneigt, dieser Fehleinschätzung zu folgen. Umino Takase mochte simpel wirken, aber dumm war er keineswegs. Während er ohne Hast die gesamte Erscheinung seines Gegenüber in sich aufnahm, fragte er sich, wie dieser Mann wohl die stete Ablehnung seines Äußeren kompensierte. Wo waren Verbitterung, Selbsthass, Zorn oder Resignation? Hatte der sich damit abgefunden und nahm die Beleidigung einfach als etwas Unabänderliches hin, oder trat er mit der Eleganz eines Tänzers einfach beiseite, ließ jede Spitze ihren Treffer verfehlen? Da war noch ein Umstand, der Felice faszinierte: der Riese unternahm keinerlei Anstalten, ihm den Hof zu machen, obwohl, da war sich Felice sicher, er sich von ihm angezogen fühlte. Jeder Blick, jedes Lächeln, jede Geste verrieten diese Zuneigung. Hatte er aber von vornherein aufgegeben, den Wettstreit um die Gunst des berühmten Felice als unmöglich erfolgreiches Unterfangen abgehakt? Oder wollte er aus Stolz, Selbstschutz, Trotz einen Korb vermeiden? Wusste Takase nicht, dass man sich Mühe geben, anstrengen, überwinden, bis zum Äußersten kämpfen musste, um sich ihm zu beweisen? »Was bist du nur für ein eitler Geck!«, tadelte er sich selbstironisch. Möglicherweise war er hier wirklich auf ein rares Exemplar der Gattung Mensch gestoßen, das sich etwas aus ihm machte, aber keinerlei Intention hatte, ihn vereinnahmen zu wollen. ]-#-[ "Es ist noch ein Aspekt zu klären", lenkte Felice mich in die Gegenwart zurück, als ich mit aufgestütztem Kinn verträumt sein Gesicht studierte. Ich richtete mich auf und signalisierte äußerste Aufmerksamkeit, wie ein braver Welpe, auch wenn ich mehr die Sennerhütten-Ausgabe mit doppelter Hässlichkeit war. "Der Aussteiger ist ein sehr muskulöser Mann", Felice beugte sich leicht zur Seite, um neben dem Halbschalensessel eine unbedruckte Plastiktüte zu produzieren. Ich nahm geistesgegenwärtig die Gabe entgegen und spähte in das Innere. Verschiedene Dosen befanden sich in dem Kunststoffbeutel, ihrer Aufschrift nach Eiweiß-Präparate zur Unterstützung des Muskelaufbaus. "Es bestehen, bei Beachten der Anweisungen", Felice fixierte mich mit Strenge, "keinerlei Gesundheitsgefahren. Selbstverständlich reduziert sich der Effekt wieder, wenn diese Nahrungsergänzung eingestellt wird." "Bodybuilding", platzte ich unmanierlich heraus, "ich glaube, ich habe da mal etwas gelesen." Was einem eben so unterkam in dem zugestopften, winzigen Raum, der uns für die Essenspausen diente und ein wahres Mausoleum für alte Magazine und Zeitschriften war, in denen man müßig blätterte. Felice neigte den Kopf leicht, "ich entnehme Ihrer Reaktion, Takase, dass Sie diese Kondition zu akzeptieren bereit sind?" "Kein Problem", trompetete ich und schlug mir, noch bevor sich aufjaulend mein Rest an Manieren einschalten konnte, mit der rechten Faust auf den Brustkorb, "das bekomme ich schon hin!" Wie ein Sphinx lächelte er mich an. Gut, dass wir beide saßen, denn meine Knie schwabbelten wie Wackelpudding. ]-#-[ »Ein seltsamer Mann«, konstatierte Felice, als er die Zimmertür schloss, wie zuvor hatte er eine Kompensation angeboten, doch dieser merkwürdige Mensch hatte ihn darum gebeten, anstelle eines Blowjobs die Gunst gewährt zu bekommen, ihn zu küssen. Auf die Lippen. Felice hegte keinen Zweifel daran, dass Umino Takase sich darüber bewusst war, einen Tabubruch zu begehen. Es gab bestimmte Regeln in ihrem Metier, die nicht verletzt wurden, ein ungeschriebener Kodex (abgesehen von einigen Zensurvorschriften). In einem Porno mit Männern für Männer wurde nicht auf den Mund geküsst. Sex konnte man schließlich mit jedem haben, aber Küssen war intim. Persönlich. Es hatte in einem Porno nichts zu suchen, Punktum. Auch beim nächtlichen Gewerbe zog diese Regel eine rote Linie, die nicht überschritten werden durfte. Küssen auf den Mund war "gefühlig", verkörperte eine Emotion, die weit über Lust und Triebe hinausging. Sex auf Mietbasis, ob nun Körper oder Medien, war grundsätzlich nicht persönlich, sondern neutral, ja, sogar anonym. WER der oder die Partner im Inneren waren, spielte keine Rolle, tat ohnehin nichts zur Sache. Aber Umino Takase ignorierte dieses ungeschriebene Gesetz und bat um einen Kuss. Eher amüsiert als beleidigt gewährte Felice ihm diese Gunst. Artig wie ein Pennäler brummte der Hüne, "Entschuldigung", bevor er Felices Kopf sanft mit einer großen Hand in den Nacken neigte, sein Atem für einige Herzschläge lang Felices Gesicht wärmte, bevor sich mit lindem Druck ihre Lippen trafen. Er versuchte nichts weiter, ein liebevoller Kontakt, ein zärtliches Siegel und dann zog sich der Hüne manierlich zurück, lächelte friedlich, winzige Fältchen um die schwarzen Augen. Felice konnte sich nicht erinnern, wann er jemals auf diese Weise geküsst worden war. Er fragte sich, ob der Stich von Ärger, den er nun verspürte, als er auf das mittägliche Treiben der Straße hinunter spähte, daher rührte, dass Umino Takase WIRKLICH nicht geneigt schien, ihn erobern zu wollen. ]-#-[ Ich hatte ihn geküsst, natürlich züchtig. Aber irgendwie wollte ich auch gar nicht mehr, kein Gezüngel und Geschmatze, kein Mandelnmassieren und Kieferausrenken. Ich wollte sanft sein, liebevoll, mich dafür bedanken, dass es ihn gab und ich ein wenig seiner Zeit teilen durfte. Blöd, jaja, sich eine solche Gelegenheit wegen banaler Sentimentalitäten entgehen zu lassen. Trotzdem. Außerdem, um ungeschminkt in voller Glorie meiner "grotesken Hässlichkeit" der Wahrheit ins Auge zu blicken: ich war mutmaßlich ein lausiger Küsser. Mir mangelte es an Gelegenheit, Übung und zweifellos auch an der richtigen Technik. Wen hätte ich auch küssen sollen? Die Männer, mit denen ich mich zum Sex verabredete, wollten wie ich den Sex, nicht mehr und nicht weniger. Küssen auf den Mund dagegen, das war etwas für Verliebte, für die, die sich ganz auf die andere Person einlassen wollten. So weit war ich nicht gekommen und ich bezweifelte auch, dass irgendwer sich auf mich mit allen Konsequenzen einlassen wollte, wenn ich einmal wundersamer Weise diese heilige Absicht hegte. Ich hätte den Mann hinter Felices Masken gern geküsst. Wenn ich ihn nur hätte entdecken können. ]-#-[ Wie vereinbart rührte ich mir nun aus den Pülverchen Getränke, die ich unter Todesverachtung, mit zugeklemmter Nasenspitze und möglichst geringem Zungenkontakt in meinen Schlund kippte. Die aufgedruckten möglichen Nebenwirkungen bei einer Überdosis lasen sich nicht gerade prickelnd. Ich sorgte mich, still und heimlich, dass eine Potenzstörung auftreten konnte. Nicht, dass ich samstäglich auf die Pirsch zu gehen beabsichtigte, da meine Haushaltskasse bedauerliche Ebbe zeigte, jedoch wäre es mir entsetzlich peinlich gewesen, ausgerechnet bei den Dreharbeiten nicht stramm in Form zu sein. Abgesehen von einer kurzen elektronischen Nachricht, dass sich die Dreharbeiten-Terminierung verzögern würde, stand ich nicht in Kontakt mit Felice. Mental oder quasi esoterisch gesehen allerdings hatte ich eine Standleitung, nicht nur im wachen Zustand, was morgens zu feucht-fröhlichem Erwachen führte. Nun, wenigstens musste ich mir über Impotenz als Nebenwirkung keine Gedanken machen. »Junge, Junge!«, ermahnte mich mein Gewissen gequält, »worauf hast du dich da nur eingelassen? Du wirst noch total bekloppt!« Das konnte ich nicht einfach abstreiten. Eine Felice-Fata Morgana hatte sich in meinem Kopf eingenistet und schien nicht mehr das Weite suchen zu wollen. Was mir blieb, war jede Menge Arbeit und möglichst wenig freie Zeit, um Phantasien nachzuhängen. Ermahnungen jedenfalls erwiesen sich als zwecklos. Mein Verstand kannte jedes einzelne Argument und auch die Wahrscheinlichkeiten. Mein Herz pfiff auf die Statistik und wendete mathematische Grundregeln an, die in keinem Universum vor Einsteins Augen bestanden hätten. Mein Magen saß mittendrin und wünschte, dass ihm endlich die blöden Pulvergetränke erspart bleiben würden. Etwas mehr als einen Monat nach unserem letzten Treffen schickte Felice mir die Terminvorschläge zu. Wir sollten an einem Samstag gegen Mittag mit einem Kleinbus gemeinsam losfahren und bis Sonntag spät in der Nacht drehen. Strapaziös, keine Frage. und auch aufwändig. Da gerade die Sommerferien begonnen hatten und alle in Groß-Tokio unter der brütenden Hitze stöhnten, erschien mir der Ausflug ins Hinterland als eine sehr gelungene Abwechslung. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, in meiner Sicherheitskleidung förmlich im Wasser zu stehen und schlimmer zu schwitzen als ein Eisberg am Äquator. Eingedenk der letzten Dreharbeiten packte ich eine leichte Sommer-Yukata ein (in meiner Größe war es schwierig, Wäschestücke auszuleihen), dazu die alten Klamotten, die ich in meiner Zeit auf dem Land getragen hatte. Ein wenig eng waren sie schon, denn seit meiner Schulzeit waren doch einige Jahre ins Land gestrichen. Wenigstens sah ich nun wie ein Waldschrat aus! Wäsche zum Wechseln, eine ganze Batterie Wasserflaschen und ein gewaltiges, selbst hergestelltes Fresspaket, das war mein Gepäck, ordentlich verstaut in einer ausgebeulten Reisetasche und ganz altmodisch in einem alten, fest gewebten Tuch. Statt des gewöhnlichen Sicherheitshelms pflanzte ich mir einen dezent ramponierten Strohhut auf den Schädel und wickelte mir ein langes Handtuch um den bloßen Nacken, Stoffhosen, Sandalen und ein leichtes Hemd, das musste genügen. In der Bahn hingen die Menschen wie ein Schluck Wasser in der Kurve, winkten und wedelten mit Fächern und Zeitungen (dafür taugten ihre niedlichen Wunder-Rechner mit Telefonfunktion eben nicht!), während die Klimaanlagen ächzten und stöhnten. Am Schwersten zu ertragen war nicht die Hitze, sondern die hohe Luftfeuchtigkeit. Dagegen konnten auch Klimageräte nichts ausrichten. Als ich, ein wenig benommen ob der tropischen Atmosphäre, ans grelle Tageslicht aus dem Bahnhof stolperte, erwartete mich bereits an der verabredeten Stelle ein Kleinbus. Das technische Personal kannte ich bereits, man tauschte gewohnt knapp und sachlich Begrüßungen aus. Der unvermeidliche Saburo musterte mich abschätzig und bedeutete mir hochnäsig, ich könne mich nützlich machen, indem ich beim Verstauen des Gepäcks und der Ausrüstung assistierte, gleichbedeutend mit "schwere Handlangerarbeiten verrichten". Das juckte mich nicht, denn ich war ja ganz ordentlich in Übung und von Vorfreude erfüllt, mir im Hinterland eine frische Brise unter der Nase und durch den Bart streichen zu lassen. Felice gesellte sich zu mir und begrüßte mich höflich, so kühl und gelassen, als kümmere ihn die Temperatur überhaupt nicht. Obwohl ich es aufgrund seiner Sonnenbrille nicht verifizieren konnte, gewann ich den Eindruck, dass er mich von der Fußsohle bis zum Scheitel musterte. "Ich habe die Pulver genau nach Anweisung geschluckt!", beteuerte ich rasch. "Vielen Dank", antwortete er in der gewohnt distanzierten Haltung, nickte mir höflich zu und wandte sich ab, da Saburo zum Aufbruch mahnte und unbedingt noch etwas zu besprechen hatte. »Tja«, dachte ich, rammte mir beinahe an der Kofferraumklappe des Kleinbusses den Schädel ein. Denn eine elegante, zweifellos jedoch kraftvolle Hand hatte mich nachdrücklich in den Podex gekniffen! ]-#-[ Während der gemächlichen Fahrt, die so richtig angenehm wurde, als wir Häuserschluchten, Tunnels und Betonarchitektur hinter uns ließen, studierte ich beiläufig das Storyboard, um meine Rolle zu lernen. Nun, eigentlich kannte ich jede Eintragung und Skizze bereits auswendig, aber ich wollte Arbeitseifer signalisieren, um nicht hinter den Technikern zurückzustecken, die wie im Fieber Details diskutierten. Felice hatte sich in gewohnter Weise mit Laptop, Kopfhörern, mehreren Mobiltelefonen und einem altmodischen Notizbuch verschanzt. Ab und an gönnte er sich einen sparsamen Schluck aus der Thermoskanne, deren Inhalt an einen verdünnten Fruchtsaft erinnerte. In weiser Voraussicht hatte ich opulent gefrühstückt und konnte mich daher mit Wasser und Tee zufrieden geben, in der Hoffnung, am Frühabend etwas Anständiges zwischen die Beißer zu bekommen. Nur wenig später als veranschlagt erreichten wir einen beinahe ausgestorben wirkenden Ort auf einem Gebirgszug im Hinterland. Einzelne, kleine Gehöfte mit Parzellen von Gemüse- und Reisanbau, verwittertes Holz, in der Brise wehende, zerfetzte Papierreste in Schiebetüren. Da krähte heiser und müde ein Hahn, eine Katze rollte sich im Schatten eines Vordachs auf der Veranda auf die andere Seite und kehrte uns den Rücken zu. Leben gab es hier wohl schon, aber ich vermutete, dass hier nur noch die Alten und die sehr Jungen hausten, in diesem abgelegenen, zum Aussterben verurteilten Ort. Unsere Unterkunft, ein leerstehendes Gehöft, befand sich am Waldrand, nicht mit dem Bus zu erreichen, also schleppten und wuchteten wir unser Gepäck über einen überwachsenen, von ausgetretenen, zerbrochenen Steinplatten nur schlecht ausgewiesenen Pfad zum Haus. Wir benötigten zwei Stunden, um sauber zu machen, zu lüften und uns einzurichten. Ich meldete mich freiwillig zum Küchendienst, denn ich wollte endlich etwas essen. Eingedenk der Erfahrungen mit Tante Chiyako und ihrem uralten Anbau hatte ich keine Mühe, der antiken Einrichtung etwas Warmes zu entlocken. Ich legte auch das uralte Rohr frei, das Wasser aus dem Gebirge ins Dorf lenkte, füllte den alten Steintrog damit und kühlte auf diese Weise unsere Getränke. Während meine Mitstreiter über die mittelalterlichen Zustände stöhnten, fühlte ich mich prächtig, genoss das Abenteuer. Merkwürdig, was mir Spaß machte, da staunte ich selbst über mich. Vielleicht lag es ja auch an der angenehm lauen Luft im Vergleich zur tropischen Hitze in Tokio, dass ich derart hochgestimmt und frohgemut war. Mir bereitete diese Landpartie eben Freude und ich war zu jeder "Schandtat" bereit. ]-#-[ Saburo wisperte in jenem Flüsterton, den niemand im Raum überhören konnte, man solle besser die ersten Aufnahmen vor dem Abendessen erledigen, damit ich nicht zu fett sei, wenn ich mir gleich den Wanst vollschlagen würde. Innerlich seufzend gab ich vor, diese Gemeinheit nicht vernommen zu haben, registrierte aber die verstohlenen Blicke der anderen Männer zueinander. Wir hatten einen knappen und anspruchsvollen Zeitplan zu absolvieren, weshalb ein Streit mehr als kontraproduktiv sein würde. Felice notierte mit leichter Hand und vollkommen unbeeindruckt auf dem aufgespießten Papierstreifen den Zeitplan. Mit einem Lichtmesser spazierte er um das Gehöft herum, diskutierte dann mit einem Techniker. "Wir essen zuerst", entschied er, als er das Haus wieder betrat, "das Licht ist noch zu hell." Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass der alle Ereignisse auslösende Moment des Autounfalls durch Bildmontagen eingefügt werden würde, freute ich mich nach außen still und innerlich lautstark darüber, dass Felice sich für MEINE Seite entschieden hatte, deshalb servierte ich voller Elan das Abendessen, während Saburo mich mit giftigen Blicken zu erdolchen versuchte. ]-#-[ Felice konnte sich genau der Bestellung erinnern, die er dem Lebensmittelhändler zugesandt hatte, um diese Dreharbeiten auszustatten. Was jedoch da vor ihm in Schachteln und Schalen, auf Tellern und Servietten zum Verzehr geboten wurde, ging weit darüber hinaus. »Hausmannskost«, stellte er fest. Er hatte durchaus registriert, wie dieser seltsame Umino Takase in der improvisierten Küche gewirbelt hatte, doch einige dieser Speisen waren vorab zubereitet worden. Er warf seinem Hauptdarsteller einen sezierenden Blick zu. Die fröhliche Zufriedenheit in dessen Miene ließ keine Rückschlüsse darauf zu, ob er wirklich das Essen auf eigene Faust "aufgestockt" hatte oder aus welchem Grund. »Bin ich etwa zu knauserig?«, fragte Felice sich selbst, bevor er jeden Selbstzweifel von sich weisen konnte, »habe ich vielleicht nicht den richtigen Geschmack getroffen?« Seine technischen Kontraktmitarbeiter kümmerten sich seiner Erfahrung nach kaum darum, was sie aßen oder tranken. Sie lebten in einer Welt, in der Essen Beiwerk war, das notwendig wurde, um die Maschine am Laufen zu halten, aber sonst keine besondere Bedeutung hatte. Er selbst vergaß oft zu essen. Tee, Fruchtsäfte, Reis-Omelette, manchmal auch gebackenen Toast mit Ketchup, das war sein Speiseplan. »Der Bursche steckt voller Überraschungen«, konstatierte er und pickte in dem pikant eingelegten Gemüse. Es hatte ganz den Anschein, als ließe sich Umino Takase nicht einfach den Schneid abkaufen. ]-#-[ Es dämmerte bereits, als die ersten Filmaufnahmen begannen. Felice, ganz der städtische Prinz, stolperte betont unbeholfen durch das Gehölz, dann trat ich auf den Plan, in meinen alten, abgetragenen Klamotten, meinen Bart von Felice zuvor kunstvoll zerzaust, ein richtiger Waldschrat mit Schmutzstreifen und wildem Blick. Eine heruntergekommene Schutzhütte diente als Außenkulisse, während die Innenaufnahmen in unserer Unterkunft gedreht wurden. Ich schnappte mir also den städtischen Prinzen, der heftige, ungeschickte Gegenwehr leistete und betäubte ihn, bevor ich meine Beute über eine Schulter warf und durch das Gehölz verschwand. Felice, der kopfüber herunterhing, winkte, um zu signalisieren, dass die Aufnahme beendet war und ächzte leise. Wahrscheinlich lag er sehr unbequem über meiner Schulter, weshalb ich rasch in die Knie ging und ihn behutsam absetzte. "Die Zeit für eine Wiederholung könnte knapp werden", murmelte er ein wenig außer Atem, machte kehrt, um mittels Kameradisplay die Aufnahmen zu kontrollieren. Ich musste unwillkürlich lächeln über seine enorme Konzentration. Als ich mich durch das Gehölz schob, hörte ich bereits, wie die anderen zum Aufbruch mahnten. Im ersten Durchgang erfolgreich, wenn das kein guter Start war! Als wir unsere Unterkunft erreichten, war es bereits so dunkel, dass wir langsam gehen mussten, um nicht zu stürzen. Hier, weit weg von der Stadt und dem nächsten Gehöft, gab es keine elektrische Straßenbeleuchtung, keine blinkende Reklame, keine dynamischen Anzeigewände, hier musste das Licht der Sterne ausreichen. Wenn das Gehölz im Kampf gegen die Zivilisation den Sieg davontrug, wurde es wirklich unheimlich finster. Ohne Zeitverzögerung ging es nun daran, die Innenaufnahmen zu realisieren. Ich, der finstere Waldschrat, schleppte also mein Opfer hinein, entkleidete den Bewusstlosen und verschwand, um mir Stricke von außerhalb zu beschaffen, dann wurde es etwas schwierig, denn ich sollte als erfahrener Aussteiger Felice kunstvoll fesseln, eine Flucht unmöglich machen, während gleichzeitig die Verschnürung als Bondage jede erotische Begegnung befeuerte. Ich kannte mich zwar einigermaßen in Sachen Knoten aus, doch Bondage war eine Spielart der Erotik, die außerhalb meines Erfahrungshorizonts lag und der ich mit Vorsicht begegnete. "Eine Phantasie, Takase", wisperte Felice mir kaum hörbar zu. Ich errötete, da ich mir gar nicht bewusst war, eine so leicht dechiffrierbare Miene gezogen zu haben. Hastig biss ich mir auf die Lippen und bewältigte tatsächlich nach einem Probedurchgang die kunstvolle Fesselung meines Opfers. ]-#-[ Ich absolvierte einige Szenen des Spannungsaufbaus, indem mein geknebeltes Opfer seinen Kerkermeister anfunkelte, sich Körperkontakt zwecks Reinigung und Nahrungsaufnahme gefallen lassen musste, ich den Grobian markierte, der jeden Widerstand mit Haare reißen, Kehle abwürgen oder an einer Kette in den Dachfirst hängen ahndete. Anschließend war eine Drehpause dringend angesagt, denn die Verschnürung zehrte an Felices Kräften. Außerdem sah ich ein erhebliches Problem auf mich zukommen: wie sollte der Sex funktionieren, wenn Felice derart verpackt war, dass er sich kaum rühren konnte, um mir die notwendigen Signale zu geben? Saburo wieselte wie gewohnt aufdringlich-besitzergreifend um Felice herum, sodass ich zunächst keine Möglichkeit sah, ihn einfach in ein Zwiegespräch zu ziehen. Vor allen das Thema anschneiden, das verbat mir mein vergrämter Stolz. Bildete ich mir denn nicht stets ein, dass ich das Vergnügen meines Partners über mein eigenes stellte? Bloß hatte ich es bisher nicht mit einem zugeschnürten Paket zu tun gehabt. Während ich über eine Lösung für mein Dilemma nachsann und die Detailunschärfe des Drehbuchs heimlich verwünschte, richtete sich Felice plötzlich auf, flüsterte einige Worte in Saburos Richtung, der daraufhin eine kindliche Schnute der Verärgerung zog. Felice gesellte sich zu mir, dabei rieb er sich über die dünnen Ärmel der Yukata, die er übergeworfen hatte. "Ähm", beteiligte ich mich unwahrscheinlich eloquent an unserer nonverbalen Kommunikation, "könnte ich vielleicht mit einer Massage helfen?" Schon als die letzte Silbe mir entschlüpft war, jaulte mein Verstand auf, der einmal mehr die dümmste Anmache der Welt konstatierte. Auch wenn ich es wirklich nicht darauf abgesehen hatte, Ehrenwort! In Felices Mundwinkeln zuckte es minimal. Sein Mienenspiel, das ungeheuer wandlungsfähig vor der Kamera jede mögliche Emotion überzeugend darstellen konnte, reduzierte sich im Geschäftlichen auf ein undurchdringlich-höfliches Maskenlächeln. Wenn nun seine Mundwinkel sich kaum wahrnehmbar kräuselten, war es Amüsement? Oder nur eine Manierismus, mich zu täuschen? "Ich danke", erwiderte er schließlich galant-distanzierend, mit einer leichten Verbeugung, während ich mich vor Scham über meine eigene Ungewandtheit wie ein Wurm krümmte, "ich möchte jedoch vorschlagen, dass wir nun die Signale abstimmen." "Ah, selbstverständlich", beflissen bleckte ich die Zähne und hoffte, mir würden die Ohren nicht unmissverständlich leuchtend glühen. Ohne Zögern ließ Felice die Yukata an sich herabgleiten, hängte sie über ein Stativ, streckte die Hand aus, der der eifrige Saburo sofort das spezielle Bondage-Seil anvertraute. Unvermutet geistesgegenwärtig wickelte ich in loser Form die ausgewählte Verstrickung um Felices makellosen und straffen Körper. Der blinzelte nicht einmal. Sachlich und konzentriert verkündete er mir nun, mit welchen minimalen Signalen der Akt choreographiert werden würde. Die Kampfhandlungen sprach er ganze drei Mal mit mir durch, als gelte es, ein Gedicht auswendig zu lernen. Selbstredend hatte er mit dieser Maßnahme recht. Ich MUSSTE den Ablauf verinnerlichen, damit ich mich auf die richtige zeitliche Abstimmung verlegen konnte, ganz zu schweigen davon, dass dieses Mal die Vorbereitungen für den Analsex von mir durchgeführt werden mussten. Das war eine Premiere für mich. Möglicherweise ist es der Höflichkeit geschuldet, dass man sich als manierlicher Mensch seinem Partner auf diese Weise erkenntlich zeigt? Ich war jedoch bisher nicht aufgefordert worden. Meine Partner pflegten, mutmaßlich in weiser Voraussicht, sich selbst zu präparieren. »Uhoh!«, mein Magen krampfte ein wenig beklommen, denn ich hatte das Gefühl, aus Scham und Verlegenheit Felice eine Aufklärung zu verweigern, die glatt als Lüge und Unterlassungssünde durchging. Obwohl ich nun also den grimmigen Forstschreck gab und herrisch an meinem Opfer herumzerrte, um es in die Begattungspose zu dirigieren, lief mir innerlich der kalte Schweiß herunter. Forsch dippte ich meine groben Greifer in die ölige Substanz, die Meister Waldschrat improvisierend zum Einsatz brachte, klemmte den zappelnden Partner wie abgesprochen ein, schickte ein hastiges Stoßgebet an sämtliche zuständigen Gottheiten und Geister, es auf keinen Fall zu vermasseln. Da für dieses Unternehmen nur eine Hand eingesetzt werden konnte, musste ich zwangsläufig "eindringlich" und grob vorgehen, hielt den Atem an, während mein Herz raste und konnte gerade noch vermeiden, dass mir vor Erleichterung ein Seufzer aus dem Herzensgrund entwich. Felice HATTE sich als Profi selbstredend vorbereitet und erleichterte mir mit der "geölten Gleitbahn" das Eindringen erheblich. Beinahe schwindlig angesichts dieser Voraussicht stürzte ich mich euphorisch auf meinen Auftritt als finsterer Waldschrat! ]-#-[ "Er ist zu fett!", zischte Saburo vernehmlich, "wirft sich dann so auf Sie! Grunzend!" Ja, das hatte ich wirklich getan, grunzend und ächzend wie ein brünftiger Bulle, unmanierlich und ungehemmt. Davon stand nichts im Drehbuch, aber genau DAS war die Rolle, die Eigenschaft, die ich meinem Anti-Helden geben wollte. Wenn es nicht im Vorfeld krachte, dieser verwilderte Naturbursche nicht erst mal provozierend das Tier heraushängen ließ, stellte ich mir vor, dann konnte sich wohl niemand die Anziehungskraft dieser Figur vorstellen. Warum sollte sich der Held aus der Großstadt, gepflegt und attraktiv, ausgerechnet in diesen schmutzigen, haarigen Gehölzgoutierer verlieben? Es musste etwas Wildes, Animalisches, Ungezähmtes sein, das ihn anzog. Großartige Dialoge gab es schließlich in diesem Streifen nicht! Felice schüttelte endlich die Fesseln ab, ignorierte seine Yukata und marschierte schnurstracks zur Kamera, um die Aufnahmen zu überprüfen. Ich fühlte mich ein klein wenig ungerecht gescholten, denn erstens hatte es mit dem Präparieren geklappt, zweitens hatte ich artig strammgestanden und drittens, so erschien es mir zumindest, hatte der Sex alles in allem funktioniert. Glaubte ich. Zugegeben, vielleicht hatte Saburo ja ausnahmsweise einen wesentlichen Punkt aufgezeigt, möglicherweise war ich im Vergleich mit Felice einfach zu 'mächtig', aber ich konnte nichts daran ändern, dass ich wie ein zweitüriger Kleiderschrank (wahlweise ein Gorilla, nur die Arme etwas kürzer und die Beine länger) gebaut war. »Grmpf!«, dachte ich und zwang mich, nicht die Arme vor der Brust zu verschränken. Trotzige Demonstrationen wollte ich Saburo überlassen, so viel Beherrschung musste sein! Felice richtete sich auf. "Das war es für heute, vielen Dank!", verkündete er ruhig, verneigte sich leicht. Die Techniker benötigten keine weitere Aufforderung, um eilig ihre jeweiligen Schätze für die Nacht zu präparieren. Ich zog es vor, durch meine Anwesenheit nicht den Trubel zu behindern und schlüpfte hinaus, um auf der Veranda die angenehm erfrischte Nachtluft zu genießen. Über dem Haus konnte man den Sternenhimmel sehen, nur einzelne Wolken zogen am Firmament vorüber. Einige Augenblicke und mehrere gründliche Atemzüge später vergaß ich meine Anspannung, die lächerliche Gekränktheit durch Saburos gezielte Gemeinheiten, blickte einfach hinaus in das kosmische Spektakel über meinem Kopf. Lautlos starben dort Sterne, explodierten Sonnen, saugten Schwarze Löcher ganze Galaxien ein. Ich, ein kleiner, unbedeutender Mensch, ein Nichts im Vergleich zu Zeit und Universum, konnte hier stehen, über die Dinge Vermutungen hegen, die ich niemals mit eigenen Augen sehen oder mit anderen Sinnen erfahren würde. Das war schon ein berauschendes und beglückendes Gefühl. So bemerkte ich gar nicht, dass Felice an meine Seite trat, in seine schlichte Baumwoll-Yukata gehüllt, und meinem Blick in den Himmel folgte. Einige Minuten verstrichen, der Wind streichelte durch Bäume und Sträucher. Um uns herum tobte in der Dunkelheit ein Leben, das wir uns gar nicht in seiner Komplexität vorstellen konnten. Ich ahnte mehr als dass ich es spürte, wie er sich abwandte, Anstalten unternahm, graziös und lautlos wieder in das Haus zurückzukehren. Seine Stimme sang fast, so samtig schmiegten sich die Worte und ihr Rhythmus in mein Gehör, "das war eine herausragende Interpretation. Behalte sie bei, Umino." In meinem Herzen eruptierten Sonnenstürme. ]-#-[ Ich war noch euphorisch, als wir früh am nächsten Morgen nach einem hastigen Frühstück die restlichen Dreharbeiten angingen. Felice, DER Felice, hatte mich nicht nur gelobt, sondern auch beim Vornamen angesprochen! »Gut«, bremste ich meinen eigenen Elan wieder, »möglicherweise wollte er bloß ein bisschen Trost spenden, weil du offenkundig geknickt warst.« Tja, das konnte wohl sein, änderte aber nichts daran, dass ER meinen Vornamen benutzt hatte! Meine albern-übermütigen Gedanken landeten recht schnell wieder auf dem harten Boden der Tatsachen. In rascher Folge mussten Sequenzen abgehandelt werden, die uns sowohl splitterfasernackt in der Natur als auch in der Aussteigerhütte beim Sex zeigten. Das war eher anstrengend und nicht sonderlich erotisch, wie man sich vorstellen kann. Die Natur ist eben kein bequemes Plätzchen. Da gibt's raue Rinden, Stacheln, dornige Blätter, Ranken, allerlei summendes und stechendes Getier! Dann muss auch das Licht stimmen... Ich war wirklich darüber verblüfft, dass ich tatsächlich artig "salutierte". Während wir alle gegen Mittag ziemlich angestrengt waren, zeigte Felice so diszipliniert und energisch wie gewohnt keine Spur von Erschöpfung oder Überdruss. Er orchestrierte, kontrollierte die Aufnahmen, das Licht, den zeitlichen Ablauf, einfach alles. Da mein Alter Ego im Fortgang der Handlungen von der Fesselung absah, konnte ich mich auch wieder auf seine zuverlässigen Zeichen berufen, was mir die Arbeit erheblich erleichterte. Saburo stänkerte noch immer mit spitzer Zunge gegen mich. Nach seiner Auffassung hatte ich beim Steh-Intermezzo zwischen baumstarken Bambushalmen Felice zu heftig attackiert, als ich die Knie durchdrückte. Außerdem hätte ich mit meinem haarigen Fettarsch besser in der Horizontalen zwischen trockenem Gras und Spreu einen anderen Winkel einnehmen sollen, damit der Zuschauer nicht glaube, der Himmel stürze ein! Es sei ziemlich abstoßend, meine haarige Visage über Felices alabasterschönen Brustkorb schmatzen zu sehen. Ich ignorierte ihn, denn obwohl er zweifellos recht hatte (und ich mir nicht beim Sex zuschauen wollte), so war ich doch von Felice ausgewählt worden, um GENAU das zu sein: ein fetter, haariger, animalischer Waldschrat. Ein wenig gehässig dachte ich mir, »du kannst zwar hier herumzetern, du eingebildete, kleine Kröte, aber wer von uns beiden geht wohl auf Hautkontakt mit Felice, hm?« Kleinlich, und kein feiner Zug von mir. Ich konnte Saburo einfach nicht ausstehen. Wahrscheinlich würde ein generöser Mensch sich nicht mit derlei Reaktionen aufhalten, weil ja jeder Blinde mit Krückstock erkennen konnte, wie eifersüchtig Saburo Felice betütelte, doch so milde gestimmt war ich einfach nicht. Zum ersten Mal regte sich Trotz gegen die unerschütterlichen Festen der "Gesellschaftsregeln" in mir. Die Männer, die sich Felices Filme ansahen, waren bestimmt keine Typen wie Adonis oder Michelangelos David. Sie waren möglicherweise nur attraktiv in den Augen der Personen, die sie liebten. Manche hatten vielleicht keine solche Person um sich. Also sollten sie wenigstens träumen dürfen! Wenn sie sahen, dass selbst so ein Typ wie der Waldschrat es schaffte, einen Partner zu finden, dann weckte es doch Hoffnung. Irgendwo da draußen konnte er sein, der persönliche Traumprinz. Außerdem, wenn man sich auf die Suche begab, versank man wenigstens nicht allein in Depression oder Selbsthass. Da stand ich nun, der Jean de Porno für die Interessen der hässlichen Mehrheit homo- oder bisexueller Männer! Was ich imaginär als Standarte wedelte, bleibt Ihrer Phantasie überlassen ^_~ ]-#-[ Es dauerte einige Zeit, bis wir alles zusammengepackt und unsere Unterkunft wieder in den Zustand versetzt hatten, in dem wir sie vorgefunden hatten. Glücklicherweise verstand sich Felice auf eine realistische Zeitplanung, sodass wir uns nicht verspäteten, als der Bus uns vor dem Bahnhof wieder an die Luft setzte. Während nun die Technik und Ausrüstung wieder an die jeweiligen Eigentümer übergeben wurde, mitten im Sonntagabendtrubel vor der Station, zog Felice mich für einen Moment zur Seite. "Ich würde gerne erfahren, welcher Bereich meiner Catering-Planung der Optimierung bedarf?", fragte er höflich-distinguiert. Obwohl ich die Spitze jeder Silbe registrierte und passend zur tropischen Hitze rot anlief. "Oh, das Essen ist wirklich in Ordnung!", beeilte ich mich hastig zu versichern, um dann trottelig-verlegen zu ergänzen, "es ist bloß so, dass ich eine Menge zu erhalten habe." Felice, die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben, studierte mein Gesicht mit seinen hellbraunen Augen sehr konzentriert. "Das ist ein gutes Argument", urteilte er schließlich nach einer sehr langen, an meinen Nerven zehrenden Gesprächspause, "ich werde diesen Umstand zukünftig berücksichtigen." Ich brummelte peinlich berührt einen Dank in meinen verschwitzen Bart, verwünschte meinen mangelnden Esprit, da zwinkerte er mir plötzlich zu, ein Mundwinkel zuckte amüsiert. Offenkundig sorgte mein Mienenspiel für Erheiterung, da man mir meine Zerknirschung wohl ansehen konnte. Ich lächelte zurück und kratzte mich wie jeder Trottel vom Dienst im Nacken. Die hellbraunen Augen blitzten. Ich musste die Zähne zusammenbeißen, meine Fäuste ballen und mit geblähten Nasenflügeln Luft schöpfen, um nicht zu explodieren, mich einfach vorzubeugen und ihn zu küssen. Bevor mir meine restriktive, manierliche und verfluchte Selbstkontrolle flöten ging, quäkte Saburo energisch dazwischen, forderte Aufmerksamkeit ein. Für einen gefährlichen Moment hielt Felice meinen Blick noch gebannt, dann wandte er sich mit graziösem Schwung ab. Ich atmete so tief und heftig durch, dass mir beinahe schwindelig wurde. ]-#-[ War's das? Jedenfalls hörte ich die nächsten vierzehn Tage nichts mehr von Felice. Keine Aufforderung zur Nachsynchronisation, kein neuer Auftrag, kein gar nichts. Ich war ziemlich geknickt. Klar, dass ich mir all diese Zeichen der Sympathie wohl nur eingebildet hatte. Außerdem, hatte ich nicht in einem der wenigen Momente von ausreichend Spannung in meinem lausigen Gehirn selbst erkannt, dass Felice ein begnadeter Schauspieler war? Warum sollte er nicht auch vor mir in Rollen geschlüpft sein, um eine der Arbeit sehr zuträgliche Kameradschaft zu fördern? Ich leistete mir wohl gerade einen dämlichen Anfall von Selbstüberschätzung und Tagträumerei. Richtig gefährlich wurde es, als mich ein Kollege grinsend fragte, ob ich wohl unter Liebeskummer leide, da ich ständig vor mich hin seufze. Verdammt, das hatte ich nicht mal gemerkt! »Gut!«, ermahnte ich mich selbst, »du wusstest, dass dies bloß eine kurze Episode in deinem Leben ist, Kumpel! Also reiß dich endlich zusammen und krieg dich wieder ein! Andere Mütter haben auch schöne Söhne.« »Ha Ha!«, ätzte ich mich selbst säuerlich an, »DU siehst da irgendeine Marktlücke für mich, oder was?« Die schönen Jungs kamen nicht in Frage, leider. Aber die Selbstanalyse hatten wir schon, kein Grund, sich deshalb zu deprimieren! Weil ich aber trotz gesundem Menschenverstand, Selbstschutz und guter Vorsätze meine Neugierde nicht bezähmen konnte, versuchte ich es mit den von Felice gelieferten Codes auf der Plattform. Zu meiner Verblüffung war unser letzter Film bereits Spitzenreiter in der Kundenpräferenz. »Was soll der Geiz?«, entschied ich und verprasste wertvolle Schlafenszeit damit, mir das Ganze anzuschauen. Mich sah man recht selten mit Gesicht, meist von hinten, in der Silhouette oder in Positionen, wo das Haupt nicht im Bild war, sodass ich glatt vergaß, dass ich mir selbst zusah. Als der Bildschirm wieder das Signet des Anbieters einblendete, lagen neben mir Papiertaschentücher, feucht und zusammengeknüllt. Peinlich, aber wahr: mich hatte mein eigener Porno angeregt. Auf eine beschämende Weise fand ich, dass die beiden Männer/Figuren zusammen passten. Der Waldschrat kam mir gar nicht abstoßend oder hässlich vor, vielmehr funktionierten die beiden als erotisches Duett perfekt. "Das hat uns gerade noch gefehlt!", sprach ich das aus, was mein Gewissen mir aufjaulend mitteilte. So langsam musste ich mir wirklich Sorgen um meinen geistigen Zustand machen. ]-#-[ Kapitel 4 - Private Nachhilfestunden Ich war verblüfft, nach der Nachtschicht eine Notiz an meinem Spind vorzufinden: jemand hatte für mich angerufen und eine Nummer hinterlassen. Ich duschte, lieferte meine Klamotten bei der Wäscherei ab und schluckte den Rest Tee aus meiner Thermoskanne weg, während ich auf den Zug wartete. Gleichzeitig fummelte ich mit meinem winzigen Mobiltelefon herum. Die Nummer, die ich mühsam eintippte, verband mich mit einem Auftragsdienst. Eine Frau zwitscherte mir mit hoher Stimme die Adresse eines Hotels mit Zimmernummer vor. Ich bedankte mich, ließ den Zug Richtung Heim und Bett sausen, zwang das verflixte Telefon, mir eine Routenplanung zum Hotel anzuzeigen. Mit ein wenig Glück würde ich es gerade noch pünktlich schaffen. Felice erwartete mich dort. ]-#-[ Innerlich schmunzelnd, äußerlich maskenhaft erhob sich Felice, nachdem er mit der Fernbedienung die Zimmertür entriegelt hatte und seinen Gast empfing. So also sah Umino Takase aus, wenn er nach der Arbeit nach Hause ging: der lockig-wirre Schopf war unter eine dunkelblaue Baseballmütze gezwängt, der Bart leicht zerzaust und definitiv auf der Suche nach einer Rasur, ein grell gemustertes, offenes Hawaiihemd verdeckte kaum das weiße, doppelgerippte Unterhemd, darunter hing lose eine einfache, khakifarbene Baumwollhose und die Füße steckten in groben Holzsandalen. Die sichtbare Haut war keineswegs nackt, sondern mit dem lockigen Pelz besetzt, Finger- und Zehennägel aber sehr gepflegt und sauber. "Entschuldigung", brachte der Hüne hervor, krächzte erst mal trocken und rupfte sich höflich die Baseballmütze vom Kopf, "ich habe Ihre Nachricht erst nach Schichtende erhalten." Felice lächelte nun sardonisch. Er wusste exakt, wann welche Schicht regulär mit seinem Filmpartner stattfand und hatte ebenso perfid diese Einladung geplant. "Ich freue mich, dass es möglich war", verzichtete er auf eine Entschuldigung, wandte sich in eleganter Leichtfüßigkeit ab, drückte seinem Gast ein langstieliges Glas in die Hand, mit perlendem Inhalt bis zur Hälfte gefüllt, "auf Ihr Wohl." Mit einem auffordernden Kling brachte er sein Glas in Kontakt, die Mundwinkel zuckten amüsiert, bevor er, ohne den Blick zu senken, einen ersten Schluck nahm. Umino Takase, dieser merkwürdige Riese, der sich stur weigerte, ihm den Hof zu machen, blinzelte perplex, warf einen verwirrten Blick auf das Glas, das durch Magie in seine rechten Hand gelangt zu sein schien, grinste orientierungslos und nippte vorsichtig. "Ähm", äußerte er sich schließlich eloquent, die buschigen Augenbrauen fragend gelupft. Nahm er an, dass der Erfolg ihres zweiten Films gefeiert wurde? Felice studierte seelenruhig die schwarzen Augen, genoss den Champagner in kleinen Schlucken. Er wollte den Hünen so sehen, verunsichert, irritiert, innerlich nervös spekulierend, forderte ihn deshalb nicht auf, Platz zu nehmen, die Umhängetasche oder die Kappe irgendwo abzulegen. »Was tust du nun, hm?« ]-#-[ Ich nahm an, dass Felice mich testen wollte. Die halb geschlossenen Mandelaugen, der Raubtierblick, seine graziösen Bewegungen: der große Verführer trat auf. Ich entspannte mich prompt. Klar, er hatte nach dem Erfolg schon wieder ein Konzept für einen weiteren Streifen. Solange wir als Paar populär waren, ließ sich Profit machen und darum ging es ihm zweifelsohne, er war schließlich Produzent und Geschäftsmann, bloß sollte er inzwischen gemerkt haben, dass ich so gar kein Schauspieltalent aufbieten konnte. Wenn er etwas von mir erwartete, musste er mir da schon auf die Sprünge helfen, so traurig das war. Während er mit subtilen Gesten, ganz ohne Worte, alle Register zog, konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Junge, Junge, wenn du jemanden rumkriegen willst, dann hängst du dich wirklich rein!«, spendete ich im geistigen Zwiegespräch Beifall. Felice dagegen veränderte seinen Ausdruck, ein minimales Stirnrunzeln setzte sich fest. Ich hielt es für besser, die Irritationen gleich zu beenden, damit er mich nicht für einen überheblichen, eingebildeten Sack hielt. "Tut mir leid", schickte ich artig voran, "ich weiß, wir sollten intuitiv miteinander agieren, aber ich brauche wirklich Anweisungen, sonst vermassle ich es." Das Stirnrunzeln bekam durch zwei spitz gezogene Augenbrauen Gesellschaft, dann, zu meiner völligen Überraschung, prustete Felice sprudelnd los, nahm zwar die freie Hand noch vor den Mund, doch das Lachen ließ sich nicht ersticken. Ich lachte mit, teils verwirrt, teils erleichtert, dass er nicht über meine Unfähigkeit erzürnt war. Außerdem gefiel es mir, wenn er keine Rolle spielte, sondern frei seinem Vergnügen den Lauf ließ. Er nahm mir das Glas ab, stellte es auf den kleinen Beistelltisch zusammen mit seinem eigenen Glas, wandte sich dann zu mir herum, grinsend wie ein Lausbub. Ich begriff in diesem Augenblick, warum es ihm möglich war, noch als Mittelschüler durchzugehen: sein spitzbübischer Charme kombiniert mit diesem schönen Gesicht kannte kein Altern. "Mein Fehler!", gluckste er, beherrschte sich dann und baute sich direkt vor mir auf, sehr viel näher, als es der geschäftliche Umgang gebot, die eleganten Hände auf meinem Unterhemd abgelegt, sodass perfiderweise meine Brustwarzen GENAU zwischen seinen Handflächen und den Fingern lagen, funkelte er zu mir hoch, "ich möchte, dass du mich heute verwöhnst, Umino." ]-#-[ Es war gemein, dieses Spiel, auch riskant, was Felice nicht daran hinderte, den fälschlichen Eindruck seines Nicht-Verehrers nicht zu korrigieren. Ja, sollte Umino ruhig weiterhin annehmen, dass er ihn für eine neue Rolle vorsprechen ließ, auf der berühmt-berüchtigten Besetzungscouch! Es war ihm schließlich nicht entgangen, dass der Hüne sich entspannte, wenn es um das Spiel vor den Kameras ging. Deutete Felice nur das geringste private Interesse an, wurde der merkwürdige Riese nervös und unsicher. »Nun zeig mal, was du kannst!«, Felice stützte eine Hand auf seine schlanke Hüfte, herausfordernd in Pose geworfen, während er sein Glas bis zur Neige leerte. ]-#-[ »Verwöhnen«, dachte ich, »au Backe!« Meine Technik bestand üblicherweise darin, verfügbar und aufgeschlossen zu wirken, mich dann kurz mit meinem Gegenüber auszutauschen, ein Hotel zu finden, die Kleider abzustreifen und zur Sache zu kommen. Verwöhnen oder gar eine Verführung waren wirklich nicht notwendig, weil sich da zwei trafen, die beide Sex wollten und lediglich über die Konditionen verhandelten. Mit anderen Worten: ich als großer Verführer war ein zum Scheitern verurteiltes Projekt. Glücklicherweise trat mir mein arg gerupfter Stolz in den Hintern und knurrte mir Anweisungen zu, die er aus Seifenopern und Pornos rekrutierte, »los, hör auf zu gaffen und entblättre Felice endlich! Wisch dir aber vorher unauffällig die Handflächen ab, klar?!« Ich kopierte also den zuverlässigen Butler (oder the gentleman's gentleman, wie man früher sagte, als es noch persönliche Leibdiener gab), löste Manschettenknöpfe, öffnete Reißverschlüsse und streifte allerlei Stoff dem Boden entgegen. Felice ließ mich mit beinahe gelangweilt wirkender Miene schalten und walten, wandte sich dann im Adamskostüm von mir ab und platzierte sich in malerischer Pose auf dem zurückgeschlagenen Bett. "Champagner!", schnippte er mit den Fingern. Ich beeilte mich, den Kelch zu füllen und ihm zu überreichen, bevor ich mir eiligst meine wenig repräsentativen Kleider herunterzerrte. Was nun? Dahingegossen in den aufgetürmten Kissen, ein Bein leicht aufgestützt, so selbstbewusst und lässig, fühlte ich mich lächerlich hilflos ihm gegenüber, zögerte an der Bettkante. »Schauspielen, Trottel!«, feuerte mich mein Stolz an, gab mir ein, mich über Felice zu beugen und in sein Ohr zu raunen, "wie darf ich dir gefällig sein?" Nun ja, mit einer samtig-tiefen Stimme hätte es wohl sehr viel besser funktioniert, aber ich hatte eben nur mein sonores Grummelorgan zur Hand. "Überrasch mich!", schnurrte Felice lasziv, die hellbraunen Augen unter halb gesenkten Lidern funkelnd. So schnell kam ich also nicht vom Haken. Also gut, verwöhnen, aber wie? Ich ignorierte meinen Verstand, der mich warnend anbrüllte, AUF GAR KEINEN FALL meiner spontanen Eingebung zu folgen, setzte mich bequem nieder, fischte einen nackten Fuß ab, um ihn kräftig zu massieren. ]-#-[ Felice, der sich viel auf seine Disziplin und Selbstbeherrschung einbilden konnte, stieß einen heiseren Ruf aus, verlor für einen Moment die Kontrolle über seine Pose. "Gut, ja?", erkundigte sich scheinbar seelenruhig der ihn eifrig knetende Hüne. Da war kein Spott zu registrieren, keine Häme, nur Dienstfertigkeit. »Ach du meine Güte«, konstatierte Felice innerlich, während er in seine Rolle zurückfiel, verzogen schnaubte und die Arme unter dem Kopf kreuzte. Glaubte Umino etwa tatsächlich, er könne mit einer Fußmassage Boden wettmachen? Oder, oder war der haarige Herkules am Ende ebenso gerissen wie er selbst, gab den bodenständigen Simpel, um ihm sein perfides Spiel heimzuzahlen? Felice war sich nicht sicher. Andererseits machte Umino seine Sache wirklich gut und Felice entschied, ihn mit einigen tiefen Seufzern zu belohnen. ]-#-[ Kraft in den Fingern zu haben kann sich auszahlen. Wenn man sich dann bemühte, sie geschickt einzusetzen, konnte man ein wenig Zeit herausschinden, um das eigene Gehirn auf Touren zu bringen, so sah zumindest mein Plan aus. Schwierig wurde das Ganze jedoch dadurch, dass es Felices Füße waren, die ich nacheinander bearbeitete, der sich nicht scheute, mir mit wohligen Lauten und aufreizendem Räkeln sein Wohlwollen zu kommunizieren. »Noch mehr davon«, grummelte mein gebeutelter Stolz, »und du kannst die Friedensfahne locker hissen!« Was mich mutmaßlich disqualifizieren würde, aber hier waren wir ja unter uns, ich konnte mich einfach bis zu seinem Kopf hocharbeiten, um eine tragfähige Lösung zu finden. Hoffte ich zumindest. ]-#-[ Es lief nicht wie erwartet, jedoch keineswegs zu Felices Nachteil, wie er selbst amüsiert analysierte. Nach dem minimalen Stirnrunzeln zu urteilen wusste der Riese, der ihn so hingebungsvoll und mittlerweile auch mit Massageöl durchwalkte, einfach nicht, wie er agieren sollte, und irgendwann, Felices Mundwinkel zuckten, erreichte der wohl auch den Schopf und musste sich etwas anderes einfallen lassen! Vorher jedoch beabsichtigte ER, seinen diensteifrigen Helfer ordentlich in die Enge zu treiben, indem er sich auf den Rücken rollte, die Arme im Nacken leger kreuzte und mit einem herrischen Ruck seines spitzen Kinns die Fortsetzung der kräftigen Handreichungen forderte. Dem Riesen standen winzige Schweißperlen auf der Stirn. Notschweiß, wie Felice rücksichtslos deklarierte, denn weiter unten schien ein Flaggenmast errichtet zu werden. Er senkte die Lider und stöhnte genüsslich, als die großen Hände seinen Brustkorb bearbeiteten. Schließlich, als sich keine Rechtfertigung für weitere Verzögerungen abzeichnete, tiefer wanderten, seinen Bauch massierten. Das war so angenehm, so anregend, dass er selbstvergessen seufzte und sich wohlig unter dem geschickten Zugriff wand. Umino über ihm hielt inne, leckte sich Schweißperlen von der Oberlippe, ohne großen Erfolg, da es in seinem zerzausten Bart überall glitzerte. Felice studierte ihn unter halb gesenkten Lidern, die Arme unter dem Kopfkissen verschränkt. Welche Massage der Hüne nun auch bemühen wollte, sie würde nichts Platonisches mehr haben. "Mehr", hauchte Felice lasziv, spreizte auffordernd seine Beine. ]-#-[ Das war wirklich jenseits meiner Erfahrungen. Ich glaubte, mir würde der Schädel platzen, weil es kaum auszuhalten war, ES auszuhalten, Felice unter mir zu sehen, ihn unter meinen Handflächen zu spüren, seine Stimme und seine Atemzüge zu hören. Meine verdammte Erektion pochte wie ein Geigerzähler! Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich seinen Penis mit meiner Hand umschloss, die samtweiche Haut zwischen seinen Schenkel liebkoste und versuchte, ihn zu reizen, aber ich kam mir erbärmlich unzulänglich vor. Üblicherweise "funktionierte" Felice als Profi, ich konnte kaum etwas falsch machen. Dass ICH funktionierte, verstand sich ja von selbst, bei DEM Partner! Aber jetzt sah es nicht so aus, als wollte Felice mir entgegenkommen. »Göttliche Unterstützung wäre jetzt ganz nett!«, formulierte ich panisch und gleichzeitig tödlich entschlossen, bevor ich meinen Quadratschädel zwischen seine Beine senkte. ]-#-[ "Haahh!", Felice konnte, obwohl er damit gerechnet hatte, einen unwillkürlichen Laut nicht unterdrücken, als er den krausen Bart in seinem Schritt spürte. Sofort hielt Umino inne, mutmaßlich augenblicklich zum Rückzug bereit. »Nein!«, in einer einzigen, fließenden Bewegung löste Felice seine Rechte unter dem Kopfkissen, fächerte mit den Fingern durch Uminos struppigen Lockenschopf, hielt ihn gleichsam tief über seinem Unterleib fest. "Mach weiter", kommandierte er leise, die Stimme aufgeraut durch die seltsame Erregung, die ihn ergriffen hatte. Tatsächlich spielte es keine Rolle mehr, was er vermutet, angenommen, geplant oder erwartet hatte. Er wollte um jeden Preis erfahren, was Umino aus eigenem Antrieb unternahm, um ihn zu verwöhnen. ]-#-[ Wenn man immer nur auf der Seite der Empfänger steht, bezogen auf die etwas heikleren, peinlicheren oder gar demütigenden Aktionen im allgemeinen Rahmen der Mehrpersonen-Kopulation, dann ist man zwangsweise ein ungeschickter, schlimmstenfalls gemeingefährlicher und trotteliger Dilettant. Ich zählte eindeutig zu dieser Gruppe, hatte auch noch schweißnasse Hände allein durch die Vorstellung, ich könnte Felice mit meinem Gebiss verletzen oder anfangen zu husten, während ich eigentlich gerade oral gefällig sein sollte, wobei ich ja wusste (man roch es auch ein wenig), dass Felice sich als zivilisierter und höflicher Mensch eingehend gereinigt hatte. Außerdem hinderte mich der Notstand in MEINER subäquatorialen Region am kohärenten Denken, weil fürs Hirn schlichtweg kein Blut mehr blieb. Hätte ich vorher bloß mal geübt! Wobei, wie übte man das eigentlich? Ich kam zu dem Schluss, die Augen fest zugekniffen, breitbeinig auf der Matratze kauernd, dass ich DRINGEND Schulungsbedarf hatte. Wunderbarerweise erbarmte sich Felice meiner unzulänglichen Bemühungen, ihm eine Erektion zu lutschen, was mich, mit dünner Luft im Schädel und sonst nicht mehr viel grauer Grützen-Aktivität vor das nächste Dilemma stellte: was nun? Kommen lassen, oder? Ich wagte tollkühn, Felices Penis aus meiner oralen Aufwartung zu entlassen und den Kopf anzuheben, um in die ungewöhnlich hellen Augen zu blinzeln. »Bitte, gib mir einen Hinweis!« ]-#-[ Felice verspürte einen ungewohnten Anflug von Rührung. Obwohl der Hüne ohne Zweifel keine Ahnung hatte, was er tun sollte, bemühte er sich unverdrossen und sehr vorsichtig, ihm gefällig zu sein. Das war eine sehr angenehme Abwechslung zu all den routinierten Profis oder grundlos selbstbewussten Männerbeglückern. Er stützte sich auf den linken Ellenbogen und streckte den rechten Arm aus, kraulte ein wenig neckend den verwüsteten Lockenschopf. Umino verwöhnte ihn und zwar mit unbeholfener, aber zu allem entschlossener Zärtlichkeit. Das ging viel tiefer als die Massage zuvor. Er funkelte in die schwarzen Augen, registrierte den Notstand zwischen den kräftigen Oberschenkeln des Riesen. Viele bemühten sich um ihn, das kannte Felice nicht anders. Dieses Mal jedoch spürte er keinen Anflug der üblichen Anbiederung, der servilen Unterwürfigkeit, ihn für sich zu gewinnen. Nein, Umino Takase wollte nett zu ihm sein, ohne Ansprüche zu stellen. »Dann finden wir jetzt heraus«, Felice setzte sich auf, »WIE nett du sein willst, Umino!« ]-#-[ "Ich werde in dir kommen", raunte Felice und leckte sich dabei wie eine Raubkatze die Lippen. Ich schluckte hektisch, als ich ENDLICH begriff, was GENAU er mir damit ankündigte. Mein Unterkiefer sackte herunter, ich brachte jedoch außer einem unverständlichen Krächzen nichts hervor. "Du willst mich doch verwöhnen, oder nicht?", auf allen Vieren näherte sich Felice mir, schnurrte samtweich, sichtlich amüsiert. "Doch! JA!", blökte ich automatisch und in die Enge getrieben. "Champagner!", schnippte Felice herrisch. Ich nutzte die Gelegenheit, wie ein hüftlahmer Greis nach dem Kelch und der Flasche im Kühlkübel zu angeln. In meinem Gehirn herrschte pures Chaos, mein Körper verlangte lautstark nach Erlösung. Die verfluchte Erektion schnürte mir das Blut im Rest der Peripherie ab. Mein Magen rebellierte hysterisch gegen die Vorstellung, ich könnte, na ja, das Rektum hinhalten. Zittrig reichte ich Felice den Kelch, der einen ordentlichen Schluck nahm, mich dabei nicht aus den Augen ließ. Vermutlich wäre ich rot wie ein gekochter Hummer angelaufen, wenn ich noch Blut im Schädel gehabt hätte. Plötzlich kehrte sich das Blatt komplett um. Felice grub mit der freien Hand die Finger ziemlich grob in meinen Bart, zerrte mich zu sich herunter und küsste mich sehr feucht und alkoholhaltig. Während ich gegen einen Schluckauf ankämpfte und mein lädiertes Kinn rieb, stellte er beiläufig sein Glas ab, entnahm der Schublade des kleinen Beistelltisches etwas, das in seiner Hand verborgen war und wandte sich wieder mir zu. Mit unerwartetem Schwung katapultierte er sich in mich hinein und warf mich mit einem sauberen Bodycheck rücklings auf die Matratze. Ich war viel zu perplex, um überhaupt zu reagieren. Spornstreichs hockte er auf meinen Oberschenkeln, grinste diabolisch und klemmte meine stolze, lästige Erektion in einen Cockring ein. Was tun?! Ich schnappte nach Luft und spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, weil ich wirklich langsam ERLÖSUNG brauchte. Felice erhob sich, stand über mir sicher auf der weichen Matratze, eine Hand lässig um die eigene Erektion gelegt, "jetzt dreh dich herum und komm auf die Knie!" ]-#-[ Felice atmete kaum merklich durch, als Umino eher unbeholfen seinem Befehl Folge leistete. Immer wieder durchliefen unkontrollierte Schauer den kräftigen Körper vor ihm. In groben Schwüngen streichelte Felice über den breiten Rücken, bevor er den Riesen umarmte und den Brustkorb erkundete. Umino keuchte in hektischen Atemstößen, als hätte er Mühe, ein Schluchzen zu verhindern. Fast fühlte Felice sich gedrängt, ihm beruhigend zuzureden, zu versichern, dass er ihm keine Schmerzen zufügen würde, doch er widerstand diesem Impuls energisch. Immerhin wollte er ja herausfinden, wie weit SEIN Riese zu gehen bereit war, wie viel Akzeptanz er erwarten durfte. Er schmiegte sich eng an den kräftigen Leib, lauschte mit einem Ohr den hastigen Herzschlägen. So gekrümmt nahm sich ihr Größenunterschied noch beträchtlicher aus, doch Felice fand es ungewohnt anregend, unterhalb der Schulterblätter seine Wange auflegen zu können. Mit der Linken liebkoste er die haarige Front, sorgte für Ablenkung, während die Rechte, vorausschauend in einer Atempause präpariert, den hinteren Körpereingang behutsam erkundete. Reflexartig versteifte sich Umino völlig, verkrampfte alle Muskeln. Felice lächelte unbeeindruckt, nachsichtig. Das war ein Wettkampf, den er gewinnen wurde, denn ungeübte Muskeln ermüdeten schnell, gaben nach, wenn der Schmerz der Anspannung zu stark wurde. Mit Geduld konnte man den richtigen Moment abwarten, die Gunst ausnutzen, die eisernen Barrikaden überwinden. Er schnurrte begehrlich, als es ihm gelang, einen geschmeidig gesalbten Finger einzuführen, die kochende Hitze in Uminos Leib zu erfahren. Unter ihm wand sich Umino arhythmisch, ihm völlig ausgeliefert, die aufgestützten Arme und Beine zitternd. »Und das ist erst der Anfang...« ]-#-[ Ich sabberte und tropfte Speichel wie Tränen auf das längst zerknitterte Laken, zerrte am Stoff in meinen verkrampften Händen, versuchte irgendwie, einen Rest Würde zu wahren, warum auch immer. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen, in einer gewaltigen Hitzewolke gefangen zu sein. Längst entwickelte mein Unterleib ein beschämendes Eigenleben, folgte Felices Fingern wie ein Nikotinsüchtiger seinen Kippen. Auch wenn ich die Augen zukniff, konnte ich einer Vision meiner Selbst nicht entgehen, wie ich mich dem süßen Schmerz entgegen drängte, es gleichzeitig hasste und liebte, seine Finger in mir zu spüren. Wie eine ewig juckende Wunde, die man einfach kratzen muss, immer mehr, immer stärker. Es würde nie genug sein. Wie im Rausch würde ich mich unter ihm winden, betteln und fluchen, bis er mir wieder seine Gunst schenkte. Peinlich. Aber selbst diese wirren Gedanken zerstoben schließlich in der Hitze und meiner Not. Ich wagte zwar nicht hinzuschauen, aber ich nahm an, dass mein Penis gleich explodieren würde und den verdammten Cockring sprengen. ]-#-[ Felice verfügte über ausreichend Erfahrung und Einfühlungsvermögen, den richtigen Zeitpunkt zu wählen, wann höchste Erregung in Tortur umschlug. EXAKT den Augenblick davor musste der geschickte Liebhaber wählen, die Erlösung zu gewähren. "Das wird dir gefallen!", schnurrte er guttural an Uminos Katzenbuckel, dessen Herzschläge noch einen Wimpernschlag wie Trommelwirbel im Ohr, bevor er sich aufrichtete, seine explorierenden Finger mit der eigenen Erektion vertauschte, energisch und ohne Zögern tief in den kräftigen Leib vor sich eindrang. Der unwillkürliche heisere Aufschrei des Riesen riet zur Beschleunigung des Fortgangs. Die Arme um den Partner geschlungen, in kaum erträglicher Hitze eingekerkert initiierte Felice einen treibenden Stoßrhythmus, als gelte es, an der Front durchzustoßen. Geübte Finger lösten unterdessen den Cockring. Der Riese bäumte sich unkontrolliert auf, detonierte förmlich in Felices Händen mit einem gutturalen, erstickten Aufschrei. Konvulsivische Muskelkontraktionen entlockten auch Felice ein lustvolles Aufstöhnen, bevor er Umino herunterdrückte und mit aller Kraft schwungvoll seinem eigenen Orgasmus entgegenarbeitete. ]-#-[ Ich konnte mich nicht rühren. Mein Mund war mit Schmirgelpapier ausgelegt, jeder Atemzug kratzte wie Rasierklingen in meiner Kehle. Immer noch tanzten schwarze und rote Punkte vor meinen Augen. Ich fühlte mich so schwer und benommen, als hätte ich eine echte Grippe. Die Schwerkraft schien sich von einem Augenblick auf den nächsten vervielfacht zu haben, nicht mal auf den Rücken konnte ich mich rollen. In mir randalierte noch immer ein seltsames Nachwehen der Ereignisse, wie ein Phantom, als zuckten noch wie wild sämtliche Muskeln und Sehnen, die ich bisher nicht in Gebrauch gehabt hatte. Mein Puls hämmerte in meinen Schläfen und obwohl ich ja schwitzte wie ein Schwein, fröstelte ich gleichzeitig. Vollkommen irre. Verdammt, war das etwa immer so? Ich konnte es nicht glauben, denn ich hatte Felice nie so erlebt, oder die anderen Männer, mit denen ich vorher Sex gehabt hatte. Zugegeben, viele waren es nicht, aber, liebe Güte! Was ein wenig ernüchternd ein ziemlich trauriges Licht auf meine Qualitäten als Liebhaber warf. Ich spürte Felices Hände, die so elegant wirkten, mit verblüffender Kraft auf meinen Schultern. Geübt wie ein Krankenpfleger kippte er mich erst auf eine Seite, dann rollte ich schon auf den Rücken. Mit der Linken in ungekünstelter Grazie die langen Ponysträhnen aus dem Gesicht wischend kniete er neben mir, blickte auf mich herab. "Na, wie viele Finger siehst du?", neckte er mich mit einem Lausbubengrinsen, zeigte mir mit der Rechten das Victory-Zeichen. "Drei", knurrte ich krächzend, "zwei da und darüber ein wirklich SCHLIMMER Finger." Felice lachte gut gelaunt und sichtlich entspannt auf, klemmte meine Nasenspitze zwischen den "artigen" Fingern ein und drehte sie leicht. "Hältst du es für eine gute Idee, den SCHLIMMEN FINGER zu provozieren?", gurrte er samtig, funkelte aus seinen ungewöhnlich hellen Augen agitiert. Ungezogen und ziemlich geplättet streckte ich ihm bloß die Zunge raus. Wieder lachte er amüsiert auf, wandte sich dann ab, so agil und beschwingt, als hätten wir nicht gerade sportliche Hochleistungen vollbracht. Nun, ich zumindest. Meine Hochachtung vor ihm steigerte sich um weitere Grade. Wenn ich bedachte, wie viele Kopulationsszenen er am Tag zu bewältigen hatte, konnte ich nur meinen nicht vorhandenen Zylinder vor ihm in Ehrfurcht lupfen. Seltsam, bisher war mir Sex wirklich nicht als Extremsport vorgekommen. Schätze, ich hatte noch eine ganze Menge zu lernen. Davon wurde ich allerdings abgehalten, da Felice sich auf mich hockte und mir von Mund zu Mund Champagner einflößte, nicht gerade gut für meine Kehle, aber wenigstens löste sich meine Zunge jetzt wieder. Ich schlang schließlich in Notwehr die Arme um ihn, hielt ihn auf mir gefangen, genoss es mit geschlossenen Augen, wie seine Hände über meine Arme strichen, meinen haarigen Pelz striegelten. Er rutschte ein wenig herum, wollte es sich wohl bequemer machen, was ich höflich unterstützte. Viel zu spät begriff ich, warum genau er sich anders arrangierte. Der Marathon hatte erst Halbzeit! ]-#-[ Felice konnte kaum das spitzbübische Kichern unterdrücken, als er den sorgsam verpackten Penis mit festem Griff umschloss. Unter ihm stöhnte Umino überrumpelt auf. Ganz der feinen Art entsprach es zwar nicht, einem Debütanten so gnadenlos zuzusetzen, doch Felice wischte diese Bedenken beiseite. Er wollte noch nicht in die melancholische Dämmerung eintauchen, die dem geschäftig-distanzierten Aufbruch voranging. Nicht, wenn er sich gerade so amüsierte! Eine Hand unerbittlich um die rasch aushärtenden Erektion gelegt schob er sich haut- bzw. pelznah höher, funkelte in die schwarzen Augen, die vor Erregung schon beschlugen. Während er die freie Hand in den verwüsteten Schopf grub, küsste er den Riesen leidenschaftlich, saugte dessen Zungenspitze ein, umschmeichelte sie, forderte sie heraus. Die großen Hände wanderten ziellos über seine Arme, seinen Rücken, sogar, merklich nervös, durch seine Haare. Mit einem Ruck machte Felice sich los, streckte sich, um das Gleitgel zu erreichen. Er drückte es dem benommenen Riesen unter sich in die Hände, drehte sich über ihm herum, bot seine appetitliche Kehrseite, während er sich über die eingehüllte Erektion beugte, hingebungsvoll seine Zunge zum Einsatz brachte. Umino kannte dieses Spiel, das wusste er. Tatsächlich, während eine große Hand zwischen seine Beine griff, seine eigene Erektion liebkoste, versorgten die Fingerspitzen der anderen Hand seinen Anus mit Gleitgel. Er machte sich ruppig los, bevor es ihm selbst zu wohl wurde, drehte sich wieder zu Umino herum, der sich aufzustützen versuchte. Energisch drückte er den mächtigen Brustkorb herunter, bevor er sich langsam, mit angespannten Muskeln, herunterließ, in der Hocke kauerte, gepresst atmete, die Augen geschlossen, den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Umino kam ihm zur Hilfe, stützte seine Hüften mit den großen, unglaublich heißen Händen, stemmte die Fersen mit angestellten Beinen in die Matratze. Das war wirklich liebenswert. Rücksichtsvoll. Allerdings nicht länger als ein paar hastige Atemzüge, dann nämlich verabschiedete der Riese seine diensteifrige Zurückhaltung, ließ die Beine auseinander fallen, drückte sich schwungvoll in eine sitzende Haltung, um Felice mit beiden Armen fest zu umschlingen, immer noch intim verbunden, allein durch Muskelkontraktionen Richtung Himmel stoßend. Felice keuchte atemlos, vergrub die Finger in der wüsten Lockenmähne und verlangte speichelfeuchte Küsse, bis der Höhepunkt ihnen den Atem raubte. ]-#-[ Es war ja nicht so, als hätten wir zum ersten Mal in dieser Variante Sex gehabt, oder dass mir wirklich bewusst gewesen wäre, dass hier nicht die Crew die Aktionen verfolgte, Kameralinsen uns verschlangen und ein Drehbuch mit Zeitplan eingehalten werden musste. Aber etwas war definitiv anders. Während ich meinen tonnenschweren Schädel auf Felices Schulter legte und ihm meinen Höllenatem über den Rücken keuchte, die Augen zugekniffen, damit die kleinen, fiesen, schwarzen Pünktchen, die mir signalisierten, dass meine Form zu wünschen übrig ließ, nicht triumphieren konnten, verspürte ich dieses merkwürdige, ein wenig beängstigende Prickeln im Hinterkopf, als ob ein siebter Sinn Alarm schlug. Doch was GENAU war anders? Ich schwitzte, schlang ungeniert meine haarigen Affenarme um Felice, hielt ihn auf meinen gekreuzten Beinen gefangen. Ich MUSSTE endlich die Lage begreifen, verflixt! Dummerweise verweigerten meine gerade sehr zufrieden schmatzende Libido und mein lächerliches Selbstbewusstsein die Kooperation, während mein Verstand verzweifelt Blut ins Hirn orderte, aber ohne Schlaf und eine ordentliche Mahlzeit konnte diese Forderung nicht erfüllt werden. ]-#-[ Felice kannte diese muskulösen Arme zwar, genoss den aufreibenden Effekt des angenehm rauen Pelzes, doch bisher konnte er sich kaum den Luxus gönnen, darin zu schwelgen, ungeniert diese verschwitzte, besitzergreifende und gleichzeitig bange Liebkosung zu genießen. Sollte er wirklich den Zauber dieser kostbaren Minuten zerstören, indem er ohne Not ehrlich seine Motive enthüllte? Mit den Fingern wirre Locken am Hinterkopf des Hünen zwirbelnd dachte Felice angestrengt nach. Er war es als Geschäftsmann gewohnt, rasch Vor- und Nachteile abzuwägen. Scheinbar spontane Entscheidungen resultierten aus einem vorgeschalteten, nüchternen Erwägungsprozess, der sich nicht mit Sentimentalitäten aufhielt. Der Mann, der sich Felice nannte, war ein kühler Rechner, auch wenn es hier gerade nicht ums Geschäft ging, führte er sich doch vor das innere Auge, welche Auswirkungen eine unbedachte Äußerung haben konnte, nämlich den Mann, der ihm vor einer knappen halben Stunde zugestanden hatte, ihn leidenschaftlich und ungebremst lieben zu dürfen, gründlich von sich abzuschrecken. »Nein«, entschied Felice und schob mit einem aufreizenden Lächeln den leichter atmenden Umino ein wenig von sich, »das ist noch zu früh.« Mit einem Schnurren wandte er sich seinem Partner zu, "wie denkst du über einen Imbiss? Und zwar", er kreiste über einem anregend bepelzten Bauch, "für diesen Körperteil?" ]-#-[ Ich fühlte mich immer noch seltsam, während ich eifrig Yakisoba spachelte. Verflixt, mein Appetit war mir selbst ja peinlich, aber ich hatte das Gefühl, regelrecht ausgehungert zu sein. Felice saß mir gegenüber in der Nische in einem mittelgroßen Restaurant, das zu dieser Zeit noch nicht ganz so stark frequentiert war. Er aß sehr viel zivilisierter, schmunzelte verhalten über meinen Heißhunger. Nun, das nahm ich zumindest an, da seine Mundwinkel zuckten und die Speisen nicht überwürzt waren. Wir erregten natürlich Aufsehen, Felice so elegant gekleidet, als sei er einem Magazin entsprungen, und ich, der hässliche Hüne mit Kappe und Freizeitklamotten, ein sehr ungleiches Pärchen. Während ich also schaufelte und gegen eine gewisse Müdigkeit ankämpfte, weil mein üblicher Tagesrhythmus aus dem Ruder gelaufen war, nutzte mein Verstand die Möglichkeit, diesem merkwürdigen Gefühl nachzuspüren. Konnte man dasselbe tun und trotzdem etwas ganz anderes? Klar war mir, wie das sanfte Pochen in meinem verlängerten Rückgrat bewies, dass ich entgegen aller Prophezeiungen sogar in den Genuss gekommen war, von einem atemberaubend attraktiven und glücklicherweise sehr erfahrenen Mann vernascht worden zu sein. Jedoch das allein erklärte nicht alles. Vielleicht irrte ich mich, aber ich hatte den Eindruck, dass Felices ungewöhnlich helle Augen immer wieder einen Tick länger auf mir verweilten und mich studierten, auf etwas prüften, das er nicht in Worte fasste. Gut, das wäre bei einem Vorsprechen bzw. Vorspielen nicht anders, trotzdem galt mir meinem Empfinden nach eine andere Prüfung. Sollte ich mich danach erkundigen? Und wenn ich es tat, wie sollte es dann weitergehen? Ich tupfte mir die fettigen Lippen ab und sondierte das Für und Wider auf dem mentalen Schlachtfeld. Sicher war nur: ich wollte Felices Gunst auf keinen Fall verlieren. ]-#-[ "Ich weiß nicht, ob ich das kann", Umino beugte sich nach vorn, senkte seine Stimme auf ein sonores Flüstern. Felice lupfte sparsam eine Augenbraue, auch wenn er nicht daran zweifelte, "das" benennen zu können. "Schließt das auch ein Da capo aus?", erkundigte er sich unterkühlt. Der Riese gegenüber wich seinem frostigen Blick nicht aus, sondern wahrte seinen Stand. "Unter den gleichen Bedingungen keineswegs", entgegnete er ruhig, zwinkerte dann halb schüchtern, halb keck, "auch wenn ich noch mehr Übung benötige." "Na schön", murmelte Felice halblaut, ein wenig brüsk, sammelte seine Habseligkeiten ein, "wollen wir aufbrechen?" Er wusste, dass jede seiner Gesten und jedes Wort geradezu eine Abfuhr provozierten, vorsätzlich den Mann, mit dem er gerade eine sehr erfüllende Zeit verbracht hatte, zurückwiesen. "Natürlich, geht sofort los!", vollkommen unbeeindruckt folgte Umino jedoch seinem Beispiel, erhob sich, die Baseballmütze bereits in der Hand. Eine ungewohnt heftige Verärgerung stieg in Felice auf, denn Umino reagierte konsequent nicht so, wie er das erwartete! Nein, nicht erwartete, sondern hervorrufen wollte, doch eigentlich hoffte, seine Erwartungen würden enttäuscht. »Was für eine Farce!«, verspottete er sich selbst bitter. Auf der Straße wandte er sich abrupt um, den Trubel auszunutzen, "es gibt keinen Film, und das war auch kein Vorspielen." Einen Wimpernschlag später verschwand er geschickt und spurlos im chaotischen Strom der Passanten. ]-#-[ Das war wirklich ein denkwürdiger Tag. Nicht nur, dass ich nun auch sozusagen intime Kenntnisse von der "anderen Seite" gewonnen hatte, sondern auch die atemberaubende, schwindelerregende These aufstellen konnte, dass Felice, DER Felice, mich in ein Hotel bestellt hatte, einzig und allein, um mit mir zu schlafen. "Das ist doch verrückt", kommentierte ich den Umstand laut, während ich meinen Futon ausrollte, um wenigstens ein wenig Schlaf zu bekommen, bevor der Wecker mich wieder aufscheuchte und zur Arbeit rief. Felice war Profi, nicht nur das, er hatte bestimmt auch zahlreiche, vermögende Klienten. Wieso sollte jemand, der sich seinen Lebensunterhalt auf diesem Gebiet verdiente, ausgerechnet mit mir rhythmische Horizontalgymnastik pflegen?! Eben, absolut absurde Vorstellung! Es war mir früher mal gesagt worden, dass zum Beispiel Fischer ganz gern Süßigkeiten aßen, der Metzger Backwaren liebte und der Bäcker wiederum Herzhaftes vom Grill. Jeder bevorzugte einen Kontrast zu seinem täglichen Broterwerb. Zugegeben, so kurz vor dem Einschlafen konnte ich mir nicht vorstellen, was wohl der Kontrast zu Sex sein könnte, also veritabel eine TÄTIGKEIT (nicht nur bloßes Zölibat), aber irritiert war ich schon, und nicht nur meine Kehrseite. ]-#-[ Kapitel 5 - Matratzen-Turnier Die nächsten Tage spielte ich die denkwürdigen Ereignisse immer wieder vor meinem geistigen Auge ab. Ich versuchte, alles zu verstehen, hauptsächlich aber die Dinge, die mir wohl entgangen sein mussten. Was wusste ich eigentlich über Felice? Tatsächlich, und das war überaus beschämend, gar nichts. Ich kannte weder sein Alter, noch seinen bürgerlichen Namen. Wenn er ein Privatleben hatte, so erwähnte er nichts davon. Gab es eine Familie? Eltern, Freunde oder Geschwister? Wo lebte er? Was waren seine Hobbys? Und seine Träume? Seinen Worten nach zu urteilen hatte er nicht vorgesehen, dass ein anderer Mann seine Position einnahm, sprich, dass ich meinen haarigen Hintern anderweitig zur Verfügung stellte. Bedeutete das jedoch auch, dass er Ansprüche erheben wollte, oder schmeichelte ich mir gerade wieder selbst, weil ich nicht in Erwägung zog, dass dieser Anblick in copulatio flagranti niemandem zuzumuten war? Ich konnte mir zumindest aber vorstellen, dass es für Felice eine Abwechslung war, den "aktiven" Part zu übernehmen. Obwohl, ich erinnerte mich, ihn auch in dieser Rolle in Pornos gesehen zu haben, und, da musste ich mir selbst streng die Leviten lesen, wir waren beide Männer, gleichberechtigt und gleich ausgestattet. Es gab also überhaupt keine Veranlassung anzunehmen, unsere Positionen seien festgeschrieben und eindeutig verteilt. »Kannst dich glücklich schätzen, dass ER weiß, was er tut!«, ätzte mein Über-Ich streng. Ja, ich war auch dankbar, denn abgesehen von einem kleinen Zwicken im unteren Lendenwirbelbereich spürte ich keine Spätfolgen der Premiere. Fraglich aber, ob es zu einer Wiederholung kommen würde. In Rekapitulation des Gesprächsverlaufs musste ich mir eingestehen, dass ich kurz vor Felices Abtauchen einen Fauxpas begangen hatte: ich hatte ehrlich und geradeheraus geantwortet, was selten eine kluge Idee ist. Offenkundig hatte Felice etwas Anderes erwartet, weshalb seine Verärgerung sich in Frostbeulen äußerte. Bloß, was hatte er genau erwartet? Das konnte ich einfach nicht ermitteln. Galt sein Ärger eigentlich mir oder eher sich selbst? Eine wirklich verzwickte Angelegenheit! Ich musste mich in Geduld üben, bis ich erneut von ihm hören konnte, denn ich hatte nicht mal seine Telefonnummer. ]-#-[ Wie zu erwarten stand, konnte ich mir Felice nicht einfach aus dem Kopf schlagen. Jeden anderen hatte ich fröhlich in seine jeweilige Zukunft verabschiedet, in der Gewissheit, es werde irgendwann einen anderen Samstagabend geben, mit einem anderen Kandidaten. Felice war definitiv die Ausnahme. Abgesehen davon, dass ich unbedingt die Eiszeit zwischen uns beenden wollte, musste ich mich auch endlich ernsthaft der Frage stellen, was aus UNS werden sollte, nun, wohl eher konnte. Vorher hatte ich meine Chancen ja auf Null für irgendwas eingeschätzt, aber die Vorstellung, Felice könne freiwillig und ohne Profit seine Freizeit mit mir verbringen wollen...! Das schrie nach einer gründlichen Bestandsaufnahme, förderte zutage, dass ich dringend mehr über Felice herausfinden musste. Doch wie stellte man das an? Wenn jemand so beherrscht und vorsichtig war, eine so kunstvolle Maske kreiert hatte, dass niemand dahinter sehen konnte? Ich versuchte mich mit Suchmaschinen, quälte meine Erinnerung auf jedes Fitzelchen an Information, das ich unbewusst aufgeschnappt hatte. Ich telefonierte ganz unverfänglich mit der technischen Crew, da einige der Männer ohne Weiteres ihre Nummern mit mir ausgetauscht hatten. So erfuhr ich schließlich auch die Geschäftsnummer von Felice, ein ganz normaler Telefondienst, bei dem man eine Nachricht hinterlassen oder abholen konnte. Ich hätte auch Saburo kontaktieren können, doch das verbot sich angesichts dessen offenkundiger Feindseligkeit, was wiederum den irrwitzigen Gedanken nahelegte, dass es Grund zur Eifersucht gab, dass ich Felice etwas bedeutete. Was konnte es da schon für meinen ohnehin lädierten Stolz bedeuten, über den eigenen Schatten zu springen und bei Felices Telefondienst die Bitte zu hinterlassen, mich anzurufen? Weil ich mal wieder idiotisch ehrlich war, diktierte ich der teilnahmslos klingenden Dame am anderen Ende der Strippe auch noch: ich möchte dich kennenlernen. ]-#-[ Wie oft hatte er diesen Satz schon gehört? Unzählige, überdrüssige, langweilende Male. Ein Standard-Entree, flankiert von schalen Komplimenten zu seinem Aussehen und mehr oder minder geistreichen Anspielungen auf die subäquatoriale Notlage. Felice verabscheute diesen Satz, schlimmer noch, wenn einer es wirklich ernst meinte, forderte es ihn geradezu heraus, in besonders kreativer Weise jegliche Annäherung zu zerstören. Niemand sollte ihn kennen!! Was er war, innen drin, unter der Haut, das ging niemanden etwas an, war unverkäuflich und ganz gewiss NICHT im Service inbegriffen!! Felice spürte, wie sich unsichtbare Stacheln am ganzen Körper aufstellten, seine Mundwinkel grimmig zuckten. Er fixierte die Seitenscheibe des Taxis finster, sah jedoch nicht sein eigenes Bild vor dem Hintergrund des nächtlichen Tokio gespiegelt, sondern ein anderes Gesicht, nicht unbedingt schön nach gängigen Vorstellungen, mit einem zerzausten Bart und wirren Locken, tiefschwarzen Augen, von winzigen Fältchen akzentuiert, mit einem unbestechlichen, jedoch sanft ironischen Blick. »Verdammt, verdammt, VERDAMMT!«, fluchte Felice innerlich angesäuert und unterdrückte den Impuls, mit den Fäusten auf die Sitzpolsterung zu schlagen. Dieser verflixte Umino Takase konnte ihm gefährlich werden! So harmlos, so genügsam, so ungekünstelt, so unerträglich AUFRICHTIG!! Felice stieß ein leises Schnauben der Verachtung aus. Dieser Hüne brachte es noch fertig und bewegte ihn dazu, den Vorhang ein wenig zu lüften, die Maske abzunehmen!! Das war ein bedrohlicher, ja, sogar beängstigender Impuls. Felice wusste, dass er sich in einem Haifischbecken bewegte. Zu seinen Stärken musste daher auch notwendigerweise eine unerschütterliche mentale Stabilität gehören. »Jetzt, auf deine alten Tage, willst du das verspielen und dich wie ein blöder Teenie aufführen?!«, erschreckender Weise verlangte ein Teil von ihm tatsächlich und unermüdlich, das Risiko einzugehen, nicht diese einmalige Chance zu verpassen. ]-#-[ Endlich erhielt ich eine kurze Textnachricht von Felice, das heißt, ich nahm an, dass sie von ihm kam, denn der kryptische Absender sagte mir nichts und war mutmaßlich bereits gelöscht. Eine Ortsbeschreibung, ein Datum, die Uhrzeit und unmissverständlich die Botschaft. [Sex. Keine Fragen.] Na schön. »Jedoch!«, grimassierte ich mich entschieden im Spiegel an, während ich meinen Bart trimmte, und zwar ein gewaltiges JEDOCH. Felice musste sich irgendwie unsere häufig wechselnden Schichtpläne besorgt haben, denn wie sonst war es ihm gelungen, einen freien Termin vorzugeben?! Was konsequenterweise bedeutete, dass er vielleicht keine Fragen beantworten wollte, aber trotzdem Hinweise gab! "Überhaupt!", stellte ich energisch fest, war es denn nicht rührend, sogar ganz niedlich, wie er Anweisungen gab? Gegen Sex war wohl nichts einzuwenden, aber warum dazu betonen, dass Fragen ausgeschlossen waren, WENN man sich nicht intensiv Gedanken darüber gemacht hatte, wie unsere Begegnung verlaufen konnte? Wer sich so viel Mühe gab, der wollte doch bestimmt mehr als ein wenig körperliche Entspannung, oder? Hoffte ich zumindest euphorisch. Außerdem hatte er mich noch nicht abserviert, trotz meines offenkundigen Fehlers bei unserer letzten Begegnung. »Blas dich doch nicht so auf!«, ermahnte mich mein Verstand warnend, zu spät allerdings. Ich war mehr als bereit, eine dauerhafte Affäre mit Felice einzugehen. ]-#-[ Ich musste mich wirklich konzentrieren und mehrfach selbst während der Arbeit zur Ordnung rufen, weil ich so hibbelig und aufgedreht wie ein Kleinkind war. Endlich, endlich würde ich Felice wiedersehen! Und nicht nur das! Besoffen von Vorfreude, das beschrieb meinen Zustand wirklich exakt. Der Not gehorchend duschte ich sogar kalt, bevor ich trotz der tropischen Hitze eine lange Cargohose überstreifte und über mein geripptes Unterhemd ein Sommersakko anzog. Ich wollte einen manierlichen Eindruck machen. Nachdem ich meinem widerwilligen Telefon einige Informationen entlockt hatte, wohin es mich genau verschlagen würde, war zumindest offenkundig, dass es sich um ein gehobenes Wohn- und Geschäftsviertel handelte. Wenn ich da in ein Hotel gehen wollte, sollte ich besser nicht wie aus dem Entwässerungsgraben gezogen auftreten. Vornehm wäre es natürlich gewesen, mit dem Taxi anzureisen, doch meine bescheidenen Mittel verbaten derlei Extravaganzen, außerdem stand zu erwarten, dass die Zimmerrechnung gesalzen sein würde. Ehrensache, dass ich die Hälfte tragen würde. Also suchte ich mir den Weg durch den Bahnhof, nachdem ich zweimal die Linie wechseln musste, atmete tief durch, bevor ich die klimatisierte Zone verließ und in der Backofenhitze des Mittags auf die Straße trat. Sofort brach mir der Schweiß aus, sogar das Atmen wurde schwerer. Mein Magen grummelte nervös. Ich ignorierte diese Signale souverän und marschierte wie aufgezogen los, die zusammengekniffenen Augen auf das Display meines Mobiltelefons gerichtet. Zu meiner Verblüffung fand ich mich exakt zehn Minuten später nicht vor einem Hotel, sondern einem Appartementhaus. Ich vergewisserte mich, dass die von Felice gegebenen Anweisungen mit der Direktion des elektronischen Pfadfinders übereinstimmten, dann betrat ich tapfer die einschüchternde Eingangshalle. Beinahe verloren hinter einer gewaltigen Rezeption erwartete mich dort ein livrierter Pförtner. Erneut stand ich förmlich im Wasser, weil die Klimaanlage mich von den Tropen ohne Umwege in eine nordische Kaltzone beförderte. Ich angelte rasch ein kleines Handtuch aus meinem Rucksack und legte mein Gesicht trocken, bevor ich den Concierge adressierte. Wie Felice mir angekündigt hatte, genügte der Hinweis auf die Appartementnummer, mich vor einem Rauswurf zu bewahren. Mir wurde bewusst, dass der konzentrierte Blick auf meine Erscheinung darauf hindeutete, dass hier eine Bildquelle mit dem Original verglichen wurde, anschließend geleitete mich der Zerberus dieses vornehmen Hauses höchstpersönlich zum Aufzug, wo er in rascher Folge einen Zahlencode eintippte und mit einem Zeigefingerabdruck autorisierte. Angesichts dieser Sicherheitsvorkehrungen konnte ich mir kaum vorstellen, wie kostspielig es sein musste, hier zu logieren. Zweifelsohne hatte man berühmte, zumindest aber betuchte Nachbarn. Der Aufzug bewegte mich von sanftem Plätschern aus den Kabinenwänden begleitet in den 12. Stock, entließ mich auf einen mit Teppich ausgelegten und mit Strukturtapete geschmückten Flur. Ich zählte artig die Türen ab, ohne mit dekorativ aufgestelltem Kunstblumenschmuck zu kollidieren und fand schließlich mein Ziel. Abgesehen von der in goldenen Ziffern aufgebrachten Zimmernummer befanden sich in einem geprägten Türschild lediglich zwei romanische Lettern. Initialen von Felices bürgerlichem Namen? "M. I.", murmelte ich halblaut vor mich hin, trocknete noch mal Gesicht, Nacken und Hände, stopfte mein Handtuch in den Rucksack. Was mochte wohl dahinterstehen? Behutsam betätigte ich die Türglocke. Da ich keinen Laut vernahm, musste das Appartement wohl sorgsam gedämmt sein, was sich bestätigte, als sich die Tür lautlos nach innen öffnete. Ich räusperte mich nervös und trat zögerlich ein. Üblicherweise waren die Eingangsbereiche der Wohnungen, die ich aufsuchte, so gestaltet, dass man sich nach dem Eintreten gleich die Schuhe abstreifen konnte. Hier jedoch empfing mich Teppich, alles auf einer Ebene, keine wie auch immer eingerichtete Trennung zwischen Eingangsbereich und Wohnung. Felice erhob sich aus einem freischwebend wirkenden, niedrigen Sessel, deponierte eine kleine Gerätschaft auf dem kleinen Beistelltisch. »WoW!«, schaltete ich endlich, »er hat eine Fernbedienung für die Tür!!« Wenn das nicht der Gipfel der Dekadenz war! "Hallo", krächzte ich mit belegter Stimme, ließ meinen Rucksack neben mir zu Boden gleiten und entledigte mich meiner geschlossenen Stoffschuhe. Was auch immer anderswo galt: mir widerstrebte es einfach, mich auf Straßenschuhen in einer Wohnung zu bewegen, Felices Wohnung, da hatte ich keinen Zweifel. Sie war, von der Wohnungstür aus gesehen, nicht sonderlich groß. Der Blick fiel vom Eingang, der von Einbauschränken flankiert wurde, direkt auf die Fensterfront des dahinterliegenden Wohnzimmers. Die Fenster allerdings waren hinter blickdichten, weißen Vorhängen verborgen. Dazu gesellten sich noch dunkelgraue Stoffbahnen zur Verdunkelung. Auf seltsame Weise wirkte alles monochrom, Einbauschränke und Möbel in einem Altweiß lackiert oder verchromt, Textilien wie Teppich oder Polster in dem erwähnten Dunkelgrau. Felice selbst kontrastierte mit der sehr aufgeräumt wirkenden Einrichtung in einer mandarinenfarbenen Seiden-Yukata. "Entschuldigung", näherte ich mich dem Wohnzimmer, "ich wusste nicht, dass..." Ich zu dir nach Hause kommen würde und habe deshalb nichts mitgebracht, wollte ich sagen, doch Felice legte mir mit Sturmwarnung in den ungewöhnlich hellen Augen einen gebieterischen Zeigefinger auf die Lippen. Ich klappte artig den Schnabel zu und studierte diesen attraktiven Homme fatal. Ebenso aufmerksam erwiderte er diese Geste. Was er wohl in mir sah? Ich konnte es nicht sagen, aber es spielte auch keine Rolle. Entschlossen nahm er meine Hand und führte mich in das angrenzende Schlafzimmer. Ein enormes Doppelbett dominierte den schmucklosen Raum. Die Stoffbahnen zur Verdunkelung sorgten für eine Dämmeratmosphäre, die lediglich von den gedimmten Wandleuchten neben der Kopfleiste minimal aufgehellt wurde. Felice dirigierte mich auf das Fußende seines Betts, begann damit, mich ganz geschäftsmäßig, ohne Hast zu entkleiden. Um meine Hose abzuschütteln, erhob ich mich von der sehr einladend gepolsterten Matratze, zweifellos eine Luxusversion. Vollkommen nackt ließ ich mich wieder nieder, genoss mit einem kleinen Schauer der Erregung die kühle und glatte Beschaffenheit der Überdecke unter mir. Felice kletterte rittlings auf meinen Schoß, legte mir seine Arme locker auf die Schultern, musterte mich wie ein seltenes Insekt. Ich konnte in seiner Miene überhaupt nichts lesen. Freute er sich? Zürnte er mir noch immer? Wollte er, oder nicht? Für mich jedenfalls war seine Gegenwart auf Tuchfühlung eine zu große Versuchung, ihr zu widerstehen. Die Lider auf Halbmast, die Arme um seine geschmeidige Gestalt geschlossen folgte ich einem meiner oft beklagenswert fehlgeleiteten Impulse und küsste Felice unaufgefordert auf die Lippen. ]-#-[ Es würde viel schwieriger werden als angenommen, das stellte Felice rasch fest, nicht nur, weil der Hüne sich so adrett gekleidet, den Schopf dezent gestutzt und den Bart sorgfältig gepflegt hatte, sondern weil er die Chuzpe besaß, mit ihm wie ein hormonbeseelter Teenie knutschen zu wollen!! Was sie, wenn ihn sein Zeitgefühl nicht vollends täuschte, bereits seit unglaublichen zehn Minuten taten, einander im Arm hielten und Zungenküsse austauschten! Felice unterzog sich nicht mehr der Mühe, seine Strategie zu rekapitulieren. Es war zu spät. Er hatte sich mit dem gefährlichsten und lächerlichsten Virus der Welt infiziert. Der große Felice war verliebt in den Waldschrat. ]-#-[ Mir war definitiv und unzweifelhaft etwas entgangen. Vorher hatte ich Küsse ganz wissenschaftlich für ein anachronistisches Erbe unserer Vorfahren als Maulfütterer gehalten, ein wenig unhygienisch und bestimmt nicht den ganzen Bohei wert, der darum betrieben wurde. Viel zu kurz gegriffen. Wieso hatte niemand mich gewarnt, welches Suchtpotential sich in Küssen verbarg, wenn man die richtige Person küsste?! Ich jedenfalls konnte gar nicht genug davon bekommen, Felices gepflegte Haut mit Küssen zu bedecken und mir Zugang zu seinem köstlichen Mund zu erschmeicheln. Felice roch nicht nur wie stets betörend, er schmeckte auch so, als ob irgend ein launiger Gott, das Schicksal oder wer auch immer seine chemische Beschaffenheit EXAKT auf meinen Biohaushalt abgestimmt hatte! Dass wir auch in absehbarer Zeit "zur Sache kommen wollten", entfiel mir völlig. Ich war versunken darin, ihn zu liebkosen, mich auf den Rücken sinken zu lassen, um eine Rolle zu absolvieren, damit ich ihn überall streicheln konnte. Die Yukata, so herrlich sie seinen Teint betonte, verschwand zwischen meinen Kleidern am Boden, Hindernisse jeglicher Art waren nicht erwünscht. Felice ließ mich einfach gewähren, die Lider halb gesenkt, warm und geschmeidig unter mir ausgestreckt. »Er weiß Bescheid!«, blitzte für einen kurzen Moment Erkenntnis in meinem von Endorphinen gefluteten Hirn auf, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Ich würde Felice meine Liebe mitteilen. Ohne Worte. Ohne Fragen. Und auch mit Sex. Vor allem aber mit dem unendlich zärtlichen Gefühl, das mich vollkommen erobert hatte. ]-#-[ »Wieso nicht?!«, forderte eine unerbittliche Stimme schrill in Felices Hinterkopf, drängte sich in den Vordergrund, »wieso NICHT?!« Wieso verlangte es Umino nicht, ihn zu besitzen? Wenn der mit seiner sonoren Stimme Felices Namen raunte, fehlte das verzweifelte, gierige, flehende oder arrogant-verlangende Element völlig. Sein Name klang wie ein Dankeschön, sanfte Silben, zärtlich seiner Ohrmuschel anvertraut, in sich ruhend, in gänzlicher Zufriedenheit. »WIESO?!« Von einem heftigen Impuls angetrieben grub Felice die Finger in die wirren Locken, riss Uminos Kopf zurück, funkelte in die schwarzen Augen. Wieso verlangte dieser Mann, der ihn so offenkundig liebte, ihm NICHTS ab?! Stellte keinerlei Forderungen, belagerte ihn, drängelte, zeigte Anzeichen von Verzweiflung und unstillbarer Begierde?! Schlimmer noch, wieso überkam ihn selbst der erniedrigende Drang, sich genau wie seine zahllosen Klienten und Verehrer zu gebärden, sich wie ein brünftiger Stier auf Umino zu stürzen?! Wieso war es ihm nicht möglich, jetzt dessen zärtliche Aufmerksamkeit zu genießen?! Aber tief innen, in der Dunkelheit, dem geheimen Ort, wo er seine Seele verbarg, brodelte und kochte es kurz vor der Eruption. Nein, er WOLLTE NICHT sanft sein, sich Zeit nehmen, rücksichtsvoll jede Geste werten und auf sein Verhalten abstimmen! Mit einem unterdrückten Knurren aus archaischen Zeiten warf er Umino herum und bewies, dass sein sehniger Körper sehr wohl über erstaunliche Kraftreserven verfügte. ]-#-[ Zu sagen, ich sei von der Leidenschaft überrumpelt worden, mit der Felice mich bedachte, wäre erheblich untertrieben: ich fühlte mich, als wäre ein Shinkansen über mich hinweggebraust. Dazu kam natürlich auch Felices intime Kenntnis: er kannte jeden Knopf und drückte ihn auch, eingeschlossen sämtliche Register. Bevor ich mich irgendwie mit dem kläglichen Rest meines Verstandes besinnen konnte, lag ich unter ihm wie eine aufgespulte Frühlingsrolle, seine Schultern in meinen Kniekehlen. Ich dagegen krallte mich mit allen zehn Fingern in der glücklicherweise stabilen Tagesdecke unter mir fest. Ich wusste wirklich nicht, wie mir geschah, als der Orkan Felice über mich hinwegfegte. Erst fehlte mir die Luft, dann wurde es im Auge des Orkans geradezu paradiesisch still. Und anschließend gingen bei mir die Lichter aus. ]-#-[ Schwer atmend blinzelte Felice im Halbdunkel seines Schlafzimmers auf seinen Bettgast hinab. Unter dem Bart und dem völlig zerzausten Schopf präsentierte der auf die Seite gesunkene Mann ein gelöstes, entspanntes Gesicht, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, offenkundig noch überwältigt von den heftigen Impulsen, die ihn vor einigen Augenblicken unkontrolliert in die Höhe katapultiert hatten, von spasmischen Zuckungen begleitet. Die aufgestützten Arme vor Anstrengung zitternd zog sich Felice mit erzwungener Vorsicht zurück, angelte unsicher, taumelnd und trudelnd nach dem Papiertuchspender, sich von Kondom und Gleitgel zu befreien, bevor er Umino die gleiche Höflichkeit zumaß. Hinter seiner Schläfe pochte hastig ein Geigerzähler persönlicher Katastrophen, »was hast du nur angestellt?!« Unter ihm regte sich Umino wieder, kehrte von elysischen Feldern zurück in die verschwitzte, benommene Wirklichkeit. Felice bemerkte, wie ihm ganz gegen jede Gewohnheit das Blut in die Wangen schoss, er tatsächlich nach irgendeiner Ablenkung suchte, um seine Verlegenheit zu verbergen! Jeder Versuch dieser Art wurde jedoch vereitelt, weil sich eine große, glühende Hand um seine Wange legte, seinen Blick zurück in die tiefschwarzen Augen dirigierte. "...w-o-w", formulierten die Lippen amüsiert, im Bart glitzerten unzählige Tropfen Transpiration. Felice verwünschte die Kurzatmigkeit, die ihn überkam, mit geöffnetem Mund nach Luft schnappen ließ, diesen verdammten Vulkan in seinem Inneren, der immer noch nicht genug hatte, ihn zu halsbrecherischem Verhalten antrieb. Die Bestie wollte gefüttert werden, kannte keine Rücksicht oder Scham. Felice, der NIEMALS die Contenance verlor, stürzte sich förmlich auf Umino, verschlang dessen Zunge ausgehungert. ]-#-[ Ein echtes Tier hatte ich bisher noch nicht im Bett gehabt. Nun wurde ich um diese Erfahrung reicher und sie verlangte mir wirklich Einiges ab, denn Felice war nicht nur unerwartet stark, sondern von einer mir unbekannten Kraft angetrieben, die ihn wie einen Berserker auf mich losgehen ließ. Er wollte genommen werden, das begriff ich durchaus, nur hatte ich eben meine eigenen Vorstellungen davon, wie ich ihm Vergnügen bereiten wollte, ganz davon zu schweigen, dass ich immer noch angezählt war von der ersten Runde. Hätte mir jemand prophezeit, dass ich mal Sex in der empfangenden Position so intensiv genießen würde, hätte ich wohl ungläubig aufgelacht. Diverse Handgemenge später war es mir wenigstens gelungen, Felice unter mir zu halten mit meinem Gewicht und auch mit einer pulsierend-hervorstechenden Eigenschaft die Oberhand. Er wand sich und tobte, kratzte mit den Fingernägeln über meine Oberarme und die Schulterblätter, keuchte und zischte. Selbst, als ich in seinen kochenden Körper eingetaucht war, warf er sich noch herum, wehrte sich mit gut trainierter Muskelkraft gegen mich. Uhoh, das hatte Schraubstockqualitäten! Ich wusste mir mit diesem rasenden Wüstling nicht anders zu helfen, als ihn mit einem Klammergriff an mich zu pressen, dann schwankend von der Horizontale in die Vertikale zu kommen. Felice stöhnte und fauchte an meinem Ohr, unterließ aber jede Gegenwehr, sondern erstickte mich beinahe mit seinen Armen um meinen Nacken. Es gelang mir mehr durch Glück als Geschick, mich zu setzen, die Zähne zusammenzubeißen und mit ruckartigen Bewegungen meine Hüfte von der Matratze zu katapultieren. Die Schwerkraft unterstützte mich generös, Felice in rekordverdächtiger Zeit in die Enge zu treiben. Sein Aufbäumen und Ächzen mündete in einen ekstatischen Aufschrei, dann schaltete mein eingebauter Chronist ab, um das restliche bisschen Energie tiefer zu füttern. Ich hatte es bitter nötig. ]-#-[ Die Glieder ineinander verwoben, aneinander geschmiegt behielten sie ihr Schweigen bei, lauschten wechselseitig, wie sich Atem- und Herzrhythmus wieder beruhigten. Müßig, sich zu verstellen: wenn sich jeder eingestand, von Amors Pfeil getroffen worden zu sein, so konnte auch nicht übersehen werden, dass es den Schwarm ebenso erwischt hatte. Über die Konsequenzen dieser Erkenntnis musste jedoch ohne Zweifel disputiert werden, bloß nicht jetzt. Dachten sie beide einmütig, senkten die Lider. Eine kleine Auszeit, bevor der nächste Kampf anstand. ]-#-[ Felice hatte eindeutig das größere Durchhaltevermögen. Während ich noch die geflügelten Amouretten, die imaginär um meinen Schädel kreisten, vertrieb und langsam die rosa Farbe aus meiner Wahrnehmung tilgte, um mich in Richtung Realität vorzutasten, erkletterte er meine Hüften, ließ sich rittlings darauf nieder und beugte sich herunter. Seine eleganten Hände fixierte meinen Kopf, ich blinzelte mit verklebten Lidern. Felice küsste mich, nicht so stürmisch-vehement wie zuvor, aber nicht weniger leidenschaftlich und nachdrücklich. Ich löste meine tonnenschweren Arme von der sehr bequemen Matratze und schlang sie um seinen sehnigen Oberkörper. Schließlich musste ich noch zahlreiche Küsse nachholen! ]-#-[ Unglaubliche fünf Stunden waren verstrichen, während wir verschnauften, um erneut in den Ring zu steigen. Nicht, dass Felice mir so heftig wie in Runde 1 zugesetzt hätte, aber definitiv lag etwas erstaunlich Ausgehungertes in seinem Gebaren, was mich immer noch verwunderte. Was konnte ich ihm bieten, dass sein Broterwerb (und ich nahm davon keineswegs seine Klienten aus) ihm nicht gewährte? Ich verfügte weder über Geheimtechniken (HaHa!), noch über sonstige hervorstechende Eigenschaften (gut, immer wieder schon der EINEN, aber...). Ein Durchschnittstyp, bloß grotesk hässlich. Alles, was ich ihm bieten konnte, war meine Aufmerksamkeit und jede Liebkosung, die ihm zuzusagen schien, wovon ich natürlich auch ungeniert profitierte. Felice fühlte sich einfach phantastisch an, roch betörend und schmeckte berauschend, wie der perfekte Partner. Wahrscheinlich war ich vor Verliebtheit besoffen, dennoch zweifelte ich nicht daran, dass wir bemerkenswert kompatibel waren. Zumindest von meiner Warte aus. Trotzdem, während der letzte Schweiß auf meinen mittlerweile sehr geschmeidig-gewärmten Gliedern eintrocknete und ich müßig durch seine seidigen Strähnen streichelte, fragte ich mich, ob heute tatsächlich nur Sex erlaubt war, ob er mir wirklich keine Antwort auf die Frage geben würde, warum er mich in seine Wohnung eingeladen hatte und mit mir eine Sexorgie für zwei nachspielte. Überraschend entschlüpfte er meinem Zugriff, setzte sich auf und legte seine Augen frei. "Begleite mich ins Bad!", ordnete er an, fixierte mich wie ein Raubvogel. Bereitwillig, auch wenn ich in sein herrlich großes Bett mit der wundervollen Matratze vernarrt war, klappte ich in eine Sitzhaltung, schwang die Beine über die Kante und beförderte meinen ausgiebigst verwöhnten Luxuskörper in die Senkrechte. Zu meiner Verblüffung packte Felice meine Rechte, als könne ich ihm stiften gehen (oder mich unterwegs verlaufen) und dirigierte mich in das benachbarte Bad. Es war gänzlich mit teuren Fliesen gestaltet, ungeheuer vornehm und trotz der nachvollziehbaren Enge durch Spiegel und Akzentbeleuchtung sehr einladend. Die Dusche, eine ausklappbare Glaswand, die man gummiert über den Boden zog, ließ ausreichend Platz für uns beide, ohne mit den Ellenbogen und der Wand zu kollidieren. Ich offerierte meine Dienste als Einseif- und Massagemeister, was sich Felice gern gefallen ließ. Umgekehrt schrubbte er mich mit einem groben Waschhandschuh so nachdrücklich, dass ich glaubte, er wolle mir den Pelz abziehen, nicht, dass es unangenehm war. "Entschuldige mich einen Moment", Felice wickelte sich, kaum abgetrocknet, auf dem Schopf einen kunstvollen Turban, in eine andere Yukata, ließ mich allein, mich wieder manierlich herzurichten. Als ich das Badezimmer verließ, hörte ich, wie mit einem sanften Geräusch die Wohnungstür ins Schloss fiel. Ich wagte mich aus dem Schlafzimmer, nachdem ich eilends meine Kleider vom Boden gepflückt und anstandshalber gefaltet auf der Bettkante deponiert hatte. Auf einem Klapptisch zwischen ebensolchen Stühlchen verteilte Felice gerade die üppige Lieferung eines Feinkostgeschäfts. Meine Kinnlade sackte zwei Stockwerke tiefer irgendwo in Höhe des Adamsapfels herab, gleichzeitig nahmen meine Nüstern flatternd Witterung auf und prompt knurrte mein Magen lautstark wie ein Prolet in der Kneipe. "Tschuldigung", murmelte ich fürchterlich verlegen und nestelte den Knoten der Yukata, die zweifellos für mich ausgesucht worden war, sie passte nämlich perfekt. Felice warf mir einen gestrengen Blick zu, von oben herab, beinahe frostig, dann grinste er lausbübisch, verbarg seine Erheiterung nicht länger, lachte auf. "Komm her!", winkte er mich mit eleganter Geste heran, "sei mein Gast." "Danke schön", grummelte ich eingeschüchtert von seiner formvollendeten Verneigung. Durch die Aufenthalte in Schnellrestaurants geschult konnte ich mich auch auf dem zerbrechlich wirkenden Klappstühlchen manierlich niederlassen. Das Buffet war wirklich üppig und sehr erlesen. Ich konnte nicht anders, als staunend in die hellen Augen starren, die mich keinen Wimpernschlag aus ihrem Fokus entließen. »Uff!«, kommentierte meine innere Stimme, »wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass er dir den Hof macht!« »Yupp!«, pflichtete ich mir baff bei. In diesem Zustand würde ich ohne Zweifel wieder impulsiv irgendwas von mir geben, was Felice gegen mich aufbrachte. Mist! ]-#-[ Felice verfolgte amüsiert, wie sein gutmütiger und nachsichtiger Liebhaber mit Hingabe speiste. Man merkte Umino an, dass er gerne aß und es genoss. Das war ein Umstand, der Felice durchaus faszinierte. Er selbst war ein fürchterlicher Esser, verschwendete kaum einen Gedanken daran und sah Mahlzeiten als eine lästige Notwendigkeit an. In diesem Moment legte Umino die Stäbchen beiseite, tupfte sich die Lippen ab und reichte mit der Rechten über den Tisch, um ihm ganz zart über die Wange zu streicheln. "Das schmeckt wirklich sehr lecker. Vielen Dank!", er zog die Hand zurück und verneigte sich leicht, die Fingerknöchel in Fäusten martialisch auf die Oberschenkel gestemmt. "Das freut mich", antwortete Felice melodiös, jedoch ein wenig verzagt, ein ihm gänzlich unbekanntes Gefühl, verunsichernd und aufreibend. Immer wieder, wenn er glaubte, den Hünen auf Normalnull seiner üblichen Verehrer zurückgestutzt zu haben, bewies dieser ihm mit gelassener Liebenswürdigkeit, dass er Umino unterschätzte. Allerdings konnte er nicht länger die Augen vor der Situation verschließen: entweder nahm er seinen Mut zusammen und riskierte den Sprung, oder er musste den Schnitt machen, alles endgültig und unwiderruflich, ja, sogar unversöhnlich beenden. Umino wich seinem Blick nicht aus, studierte ihn aufmerksam seinerseits, die Augenbrauen leicht zusammengezogen, ein wenig besorgt, aber er wartete, verzichtete auf jede Frage, fügte sich einfach dem Diktat! Obwohl... Felice presste für einen Moment die Lippen fest aufeinander. Er WUSSTE, dass Umino keiner von den Devoten, Servilen war, der sich gern beherrschen ließ und es genoss, jeder Verantwortung ledig zu sein. Warum opponierte er nicht, stellte Forderungen? Wieder flammte in seinem Inneren die giftige Stichflamme der Verunsicherung auf, die gallig loderte und ihm signalisierte, dass er sich unterlegen und unzulänglich fühlte. Und diese Emotion verabscheute Felice über alles. Auf KEINEN Fall, unter KEINEN Umständen war er IRGENDWEM nicht gewachsen! Es DURFTE nicht sein, konnte deshalb nicht sein und WAR nicht. Umino blinzelte, das Stirnrunzeln verstärkte sich. Felice fürchtete für einen Wimpernschlag, sein geübtes Pokerface habe ihn im Stich gelassen und sein aufgewühltes Innenleben offenbart. Ahnte der Riese etwas? Er atmete tief durch, entspannte seine verkrampften Muskeln bewusst. "Wie denkst du darüber, mein Partner zu sein? Wobei ich weder auf meine Arbeit, noch auf eine eigene Wohnung verzichten werde." ]-#-[ Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Einen Tadel, eine scharfe Bemerkung, eine provozierende Stichelei, bloß nicht diese kaum fassbare Offerte. Aber verstand ich das auch richtig? Partner wie Lebensgefährte? Liebhaber? Oder Geschäftspartner, in Sachen Porno-Duett. Durfte ich JETZT nachfragen? War es besser darauf zu setzen, dass mein glotzendes Schweigen Felice zu weiteren Einlassungen bewegen würde? Ich sog geräuschvoll Luft ein, hatte gar nicht bemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte. Felice blickte mich konzentriert an, wirkte wie eingefroren, als könne er sich erst wieder rühren, wenn ich ihm antwortete. Ich ballte kurz die Fäuste, aber ein Sprung war angesagt. "Entschuldigung, dass ich jetzt doch frage, Partner wie boyfriend?" Oh verflixt, wieso rutschte mir DAS raus?! Jetzt würde Felice wohl annehmen, dass ich Händchenhaltend mit ihm in aller Öffentlichkeit flanieren wollte! "Ist das eine so abwegige Vorstellung?", schnarrte Felice frostig. Natürlich registrierte ich seine bissige Verärgerung, notierte beinahe beiläufig seine Nervosität, die Überwindung, die ihn wohl die Frage gekostet haben musste, entschied, mich zu entblößen, emotional. "Für mich ist es ein Traum. Niemand würde so ein Angebot zurückweisen", formulierte ich offen und suizidal direkt, "bloß umgekehrt, also von Ihrer Warte aus, da habe ich wirklich Schwierigkeiten, die Vorteile zu erkennen." Felice wirkte nach meiner Ansprache für einen langen Moment völlig konsterniert, dann entknitterten sich seine maskenhaften Gesichtszüge. Er entließ einen kleinen Seufzer, stützte das Kinn in seine offene Handfläche und betrachtete mich wie ein Fabeltier. "Du wirst wohl nie aufhören, mich in Verblüffung zu versetzen", bemerkte er leise. Ich kratzte mir verlegen Bart und Kinn. "Ich will wirklich nicht unsensibel sein", versuchte ich, Gutwetter zu machen. Seine freie Hand überquerte den Klapptisch und fasste meine haarige Pranke, "nun, willst du mich?" "Ja", antwortete ich schlicht, schließlich war Felice erwachsen, und ich konnte wirklich nicht IMMER der gute Pfadfinder sein! ]-#-[ Ein seltsamer Dialog, jedoch charakteristisch. Warum hatte Felice bloß das Gefühl, ihm fielen unzählige Lasten von den Schultern? »Tja!«, wies er sich selbst ironisch zurecht, »selbst du bist nicht gegen Angst vor Zurückweisung gefeit, da kannst du noch so hochfahrend agieren.« Umino schenkte ihm Tee nach, deutete mit einem verschmitzten Grinsen einen Toast an. "Darf ich noch etwas fragen?", erkundigte er sich mit seiner sonoren Stimme höflich. Felice grimassierte gequält, wedelte auffordernd mit der Rechten. "Dann... verrätst du mir deinen richtigen Namen?" ]-#-[ Derzeitiges Fazit meines Lebens: - ich habe einen Job, der mir gefällt und mich ernährt, - mein Appartement ist zwar nicht groß, aber ich komme zurecht und meine Nachbarn sind nicht neugierig, - aktuell gibt es keinen Ärger mit meiner Mutter, und ich telefoniere häufig mit meiner umwerfenden Schwester. Außerdem bin ich quasi derzeit ein Pornostar, der mit dem berühmten Felice in drei Filmen aufgetreten ist. Und... Masaru Ichinose, der schönste, geheimnisvollste, großzügigste und humorvollste Mann der Welt ist MEIN Geliebter. Also... keine Ahnung, ob es Konkurrenz oder einen Wettstreit diesbezüglich gibt, aber ich fühle mich als unschlagbarer Sieger. ]-#-[ Kapitel 6 - Ärger im Paradies Na schön, so, wie die Schwerkraft IMMER gewinnt, landeten auch die zuckersüßen, rosafarbenen Wolken unter meinen Füßen auf dem Boden der Tatsachen. Nicht, dass sich mein mit Liebe besoffenes Gehirn gleich wieder auf den normalen Zustand gepflegter Unterbeschäftigung zurückgefunden hätte, die Heimfahrt aber, ein wenig schläfrig, weil ich ja eigentlich längst die Matratze abhorchen sollte, eingepfercht mit müffelnden Horden, sorgte für eine gewisse Justierung. Ich war glücklich, alles schien perfekt und ICH wusste wohl als einer der sehr wenigen Menschen, welche Nummer Masaru Ichinoses Mobiltelefon hatte und wo er wohnte. DAS würde Saburo SO WAS von anstinken... Wenn ich geistesschwach genug wäre, ihn auch nur einen Hauch davon ahnen zu lassen, dass ich seinem schwärmerisch verehrten Idol sehr viel näher stand als angenommen/befürchtet. Andererseits musste ich mir jetzt, wo meine Zuneigung zumindest mit einem gewissen Wohlwollen betrachtet wurde, dringend Gedanken um die Pflege dieses zerbrechlichen Pflänzchens machen. Wie man überall, in jedem Ratgeber und jedem Boulevardmagazin lesen konnte: eine Beziehung hält nur, wenn man sich stets und ständig darum bemüht. Mein Wille war selbstredend bombenfest, jede Anstrengung zu unternehmen, wenn ich bloß genau wüsste, WAS ich zu bewältigen hätte! Dummerweise konnte ich genau 0 Tage/Monate/Jahre in Bezug auf eine Liebesbeziehung verbuchen, deshalb war konzentrierte Kopfarbeit gefordert. Bevor ich also meine auf sehr angenehme Weise ermatteten Glieder auf den Futon bettete, quälte ich mich im virtuellen Netz durch diverse soziale Netzwerke, doch ganz gleich, wie ich auch die Kanji von Masarus Namen gruppierte: sämtliche Treffer waren Namensvettern. »Verflixt!«, gähnte ich kieferknackend und schwor mir in Halbschlaf, dass ich es eben auf die altmodische Weise versuchen würde: zuhören, zusehen und gewissenhaft notieren! ]-#-[ »Das sollte besser keine Gewohnheit werden!«, ermahnte sich Masaru innerlich, um dann, ein wenig irritiert, diese Anweisung zu hinterfragen: warum eigentlich nicht? Es stand der Status Quo: Umino Takase war sein Geliebter, nun, zumindest seit ihrem letzten Gespräch vor zehn Tagen. Die täglichen Kurzmeldungen auf dem Mobiltelefon hatten auch nicht nahegelegt, dass diese Vereinbarung obsolet sein könnte. »Also!« Bloß, so entschieden er sich selbst zur Ordnung rief, ein gewisser Chor in seinem Hinterkopf meldete Bedenken an. In der Schein-Realität von Romanen und Seifenopern pflegten Verliebte schließlich nach dem großen Geständnis wie zusammengewachsen aneinander zu kleben, sich mit kitschigen Gesten zu bedenken und bei jeder sich bietenden Gelegenheit in rhythmische Körpergymnastik auszubrechen. DAS hatte die letzten zehn Tage in SEINER Beziehung definitiv keine Rolle gespielt. Nach allen Regeln der Schein-Realität wäre somit der Status Quo in bedrohlicher Gefahr, sich längst überholt zu haben. »Aber!«, Masaru ertappte sich dabei, an einem Daumen zu nagen, was er sofort strikt unterband. Sein Verstand optionierte geschult für eine Bilanz, die ihm bei der Entscheidungsfindung dienlich sein würde. Möglicherweise. Nun denn, Umino schickte ihm jeden Tag eine kurze Nachricht, Kurioses, Erheiterndes, Alltagseindrücke zur Aufmunterung, was konsequenterweise bedeutete, dass der ihm noch immer ausreichend viel bedeutete, sich jeden Tag einige Minuten mit ihm zu befassen, Gedanken an ihn und sein Wohlergehen zu verschwenden. Also, alles in Butter. Oder? »Andererseits!«, näselte der Erinnyen-Chor in seinem Hinterkopf, führte Masaru schonungslos vor das innere Auge, dass der sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Keine Haikus als Antworten, sondern knappe Kommentare zu Uminos Mitteilungen, darüber hinaus keine Aktionen irgendeiner Art. »Friends with benefits!«, hielt ihm der Nörgelchor vor. So würde das wohl ein höflicher Mensch ausdrücken! Als Kompliment jedoch vollkommen ungeeignet. Masaru straffte seine sehnige Gestalt entschieden. Vielleicht hatte er sich durch seinen gewohnten Alltag und die Devise: "die Arbeit geht vor. Immer!", einige Sympathien verscherzt. Das jedoch konnte er nur erfahren, wenn er gewohnt forsch und ohne Rücksicht auf Verluste agierte, was gleichbedeutend damit war, nach seinem Mobiltelefon zu fahnden und Umino direkt anzurufen. ]-#-[ Nachdem ich zumindest von Felices, nein, Masarus! Arbeitsauffassung einen genauen Eindruck bekommen hatte, wunderte es mich eigentlich nicht besonders, dass sich in unserem Umgang miteinander nicht wesentlich viel veränderte. Gut, ich belästigte ihn täglich mit einen knappen Satz Banalitäten, einfach, weil ich in Kontakt bleiben wollte. Und angeben. Klar! Immerhin kannten außer mir wohl nur ganz wenige ausgewählte Personen Masarus Privatnummer. Wenn mich dann manchmal das Gefühl überkam, GENAU JETZT Masaru direkt vor mir haben zu wollen, rief ich mich energisch zur Ordnung. Masaru hatte schließlich nicht nur einen Job, so wie ich, auch nicht geregelt und in Plänen aufgezeichnet, sondern mehrere Aufgaben gleichzeitig, verbunden mit einem vermutlich nicht zu unterschätzenden, finanziellen Risiko. Außerdem, der Gedanke wich nicht von mir, musste man auch berücksichtigen, dass eine Existenz als Pornostar, so legendär sie sein mochte, irgendwann durch den Zahn der Zeit endgültig abgenagt war. Es galt also, in kurzer Zeit genug Einkommen zu erzielen, um für das Leben danach einigermaßen gerüstet zu sein. So äußerte sich meine rationale Seite. Die andere plagte sich damit, hinter die unzähligen Geheimnisse zu kommen, die Masaru umgaben. Hatte der Familie? Wie viele Beziehungen gab es vor mir? Was wünschte er sich? Konnte ich ihn wirklich befriedigen? Gab es eine gemeinsame Zukunft für uns und wie sollte die aussehen? Ich ging sogar so weit, um endlich den schwirrenden Bienenkorb ungelöster Rätsel aus meinem Schädel zu verbannen, wie eine verliebte Mittelschülerin einen Fragebogen aufzustellen, mit all den statistischen und persönlichen Anliegen, von der Körpergröße über die Lieblingsfarbe bis zum beeindruckendsten Traum. Keine Frage, dass ich Masaru damit nicht konfrontieren würde. Ich stellte mich aber auch selbst auf den Prüfstand, füllte meine Seite meines albernen Fragebogens aus, mit dem schon befürchteten Fazit, dass ich keine Ahnung hatte, wie eine Beziehung mit einem anderen Mann aussehen sollte. Ich kannte schlichtweg keine Vorbilder im "normalen" Leben, und eine Mutation zu einer Elton John-Doublette stand nicht zur Debatte. Schwierige Sache. ]-#-[ Ein wenig erinnerte es ihn doch an Essen a la carte: man bestellte sich den Mann für gewisse Stunden (und bestimmt nicht für passive Träume!) nach Hause und sorgte vorab für Ordnung. Und das war chauvinistisch. Masaru seufzte und kontrollierte noch einmal die makellose Erscheinung seiner exklusiven Mietwohnung, nicht, dass es Anlass gab, sich zu sorgen. Die von ihm beauftragte Reinigungsfirma pflegte ihrem Firmenkodex treu zu sein und wirklich penibel jede Ahnung von Schmutz oder Unordnung kompromisslos zu beseitigen. Trotzdem fühlte er, zu seinem großen Ärger, wieder diese giftige, üble Stichflamme der Unsicherheit, gepaart mit Wut, auflodern. Er wollte kein egoistischer Despot sein! Andererseits verlangte es ihn einfach danach, JETZT in Schweiß und außer Atem dabei zu geraten, die Perfektion seines frisch bezogenen und anstandsfreien Betts zu zerstören! Er wollte die Finger in den dichten, ein wenig rauen Pelz graben, Umino mit seiner sehnigen Kraft in die Enge treiben, dessen Zunge ganz rücksichtslos mit spitzen Zähnen traktieren, ihn unter sich halten und mit hohem Tempo erobern, zustoßen, immer schneller und unerbittlicher dem Höhepunkt entgegen, in der glühenden Hitze ihrer Leidenschaft vergehen, nass geschwitzt, die Wimpern verklebt, keuchend wie nach einem Marathon, die Kontrollen fahren lassen, einfach nur seinem Verlangen gehorchen. Was legitim war und gleichzeitig verabscheuungswürdig egoistisch, eindimensional und herrisch. Während er sich Ponysträhnen aus dem Gesicht wischte, fragte sich Masaru frustriert, ob es noch andere Männer gab, denen bei drohender Gefahr einer ernstlichen Verliebtheit solche verwirrenden Gedanken durch den Kopf gingen, die nicht einfach nach Gusto und Libido handelten, sondern sich das Gehirn zermarterten und von ihrem schlechten Gewissen gefoltert wurden, noch BEVOR irgendwas GETAN wurde. "Wenn du so weitermachst", zischte er sich selbst ärgerlich zu, "kannst du dir auch gleich das Fiasko prophezeien. In der Stimmung gibt's keinen Ständer." Das wäre nicht nur unangenehm, sondern eine Premiere. ]-#-[ Als mich Masarus Einladung erreichte, hatte ich gerade eine sehr schweißtreibende Schicht im Außeneinsatz hinter mich gebracht. Anders als in den hochklimatisierten Büros plagten wir uns bei subtropischen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit in der Mittagszeit mit allerlei Problemen herum, natürlich in vollem Sicherheitsornat. Ich fühlte mich also, trotz einer kühlenden Dusche und eines erfrischenden Minz-Gels zum Einschäumen, ziemlich gerädert, als ich zu meinem Spind trottete. Masarus Einladung führte zu spontanen Explosionen in meiner Magengrube. Kein Zweifel, das war seine private Adresse! Er musste gut aufgepasst haben, denn ich hatte eine längere Ruhepause bis zur nächsten Schicht laut Plan! Neu beseelt und vermutlich dümmlichst grinsend machte ich mich sogleich daran, im Gegenzug für die Einladung allerlei Zutaten einzukaufen, um ein zünftiges Mahl anbieten zu können. Nachdem ich in meiner winzigen Küchenecke gewerkelt und den ächzenden Winz-Kühlschrank bis an die Belastungsgrenze vollgepackt hatte, programmierte ich meinen anachronistischen Aufziehwecker, verschaffte mir noch eine Mütze Schlaf, bevor ich mich zu meinem zweiten Rendezvous mit Masaru aufmachte. ]-#-[ Eigentlich sah der Plan vor, Umino höflich herein zu bitten, sich nach dem Befinden zu erkundigen und ein wenig zu plaudern, bevor der Weg ins Schlafzimmer führte. Für einen Aperitif war gesorgt, der Witterung geschuldet alkoholfrei. Tatsächlich öffnete Masaru die Tür, erblickte das überglücklich strahlende Gesicht des Hünen über sich, bepackt mit einer großen Kühltasche, von der Witterung bereits mit seiner Kleidung verklebt... Und sämtliche Regeln waren vergessen. Umino wurde hineingezerrt, die Sandalen verloren sich im Galopp, die Kühltasche plumpste neben den Schirmständer.Beide Männer, ineinander verkeilt, kollidierten mit einem Wandschrank. Bis ins Schlafzimmer schafften sie es in Runde 1 nicht. ]-#-[ Eigentlich war ich zu keinem kohärenten Gedanken fähig, mal abgesehen von W-O-W. Ich stand zwar unter Strom, aber bestimmt nicht in den nördlichsten Regionen. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich notiert, dass sich Masaru auf mich stürzte wie ein Rudel ausgehungerter Hyänen. Ich ging zu Boden, was mir jedoch nicht das Geringste ausmachte, oder dass ich noch Hawaiihemd und geripptes Unterhemd trug, als wir keuchend aufs Laminat sanken. Alles, was wirklich zählte, war dieser Beweis dafür, wie sehr Masaru mich wollte. Ich hätte ja heulen können vor Glückseligkeit, zog es aber vor, mich in seinem wundersam bequemen Bett widerstandslos, aber leidenschaftlich vernaschen zu lassen. ]-#-[ Masaru lag halb auf, halb neben seinem kräftig gebauten Liebhaber, ein Ohr auf dem Pelz oberhalb des Herzens, dessen Trommelwirbel sich gemächlich auf ein normales Tempo reduzierte. Wie in einem Fieberwahn, völlig berauscht hatte er sich über Umino hergemacht und sämtliche moralischen Einwände beiseite gewischt. Verdammt noch mal, er WOLLTE nicht grübeln, ausgewogen urteilen, sich erwachsen und rational verhalten! Eine große Hand strich in groben Schwüngen über seinen nackten Rücken, kraulte ihn dann im Genick. Er stöhnte genüsslich. "Hallo", bemerkte Umino mit sonorer Stimme halblaut, "schön übrigens, dich zu sehen, Masaru." Unwillkürlich schlich sich ein breites Grinsen in dessen Gesicht, durchaus vergleichbar mit dem der Cheshire-Katze in Alice im Wunderland. Nachdem Masaru seine verräterischen Gesichtszüge wieder unter Kontrolle gebracht hatte, kreuzte er die Unterarme auf dem mächtigen Brustkorb unter sich, stützte das Kinn darauf, studierte den japanischen Rübezahl aufmerksam. Umino, offenkundig keinesfalls beschwert durch die süße Last über sich, liebkoste ungeniert mit großen Handflächen die weiche, glatte Haut über sehnigen Muskeln und akzentuierten Knochen. "Hast du mich vermisst?", kokettierte Masaru, schlüpfte in die Felice-Rolle, nun, zumindest konnte man diese Absicht erkennen. Umino jedoch entging nicht, dass ganz ungewohnt in den ungewöhnlich hellen Augen Nervosität aufflackerte. So sehr er Felice auch schätzte: Masaru war ihm lieber. "Jeden Tag", gab er unumwunden zurück, "ich bin als Novize noch etwas undiszipliniert, schätze ich." Elegant geschwungene Augenbrauen zogen sich kritisch zusammen, "wie meinst du das?" "Na ja", Umino verschaffte sich Zeit, "ich kenne mich eben in Beziehungen nicht aus. Ist wahrscheinlich besser, wenn man sich auf das konzentriert, was man hat und nicht herumträumt, was man gerade gern hätte." Nun errötete er doch ein klein wenig, an der Spitze der Ohrmuschel. Masarus Ausdruck war nun unzweideutig kriegerisch, "soll das bedeuten, dass ich alles immer nur nach meinen Wünschen dirigiere?!" Unter ihm blinzelte Umino verwirrt, denn ihm schien es, als habe er einen wesentlichen Teil ihrer Konversation verpasst. Wie war es ihm schon wieder gelungen, Masaru auf die Palme zu bringen? Der setzte sich gerade energisch rittlings auf, "überhaupt, jemand muss ja eine Richtung vorgeben, oder nicht?! Sonst kommt man ja nie auf einen grünen Zweig!" Umino stemmte die Hände in die Matratze hinter sich und richtete seinen Oberkörper auf. "Sekunde mal bitte!", sitzend hob er die Hände in einer Frieden stiftenden Geste, "reden wir über dieselbe Angelegenheit?" Masaru, funkensprühend, finsterst grollend, erstarrte zum Standbild, auch wenn er eingestandenermaßen auf Uminos kräftigen Oberschenkeln saß. Der lupfte halb schelmisch, halb verwirrt eine buschige Augenbraue, ließ die großen Hände weiterhin oben, sich ergebend, wie auch immer das Verdikt lauten würde. Inzwischen hatte Masaru seinerseits einen Großteil der gerade geführten Konversation rekapituliert und errötete, sichtlich, zu seiner Verärgerung, denn er spürte die Hitze. "Wenn ich jetzt suizidal veranlagt wäre", brachte Umino sehr vorsichtig zur Sprache, "würde ich glatt annehmen, dass es dir wie mir ging und wir beide gern, na ja...", er zuckte mit den imposanten Schultern, "...hätten." Wobei er sich nicht mal auf den Austausch von Körpersäften bezog. In einer ganz ungewohnten Rolle, beschämt, ärgerlich über sich selbst, die lächerliche Unbeholfenheit, drehte Masaru den Kopf weg, drückte energisch Uminos Hände herunter. Noch immer abgewandt haspelte er bissig-verunsichert, "ich muss eben arbeiten! Da geht es nicht so einfach... und es muss ja auch zeitlich passen! Außerdem bin ich das nicht gewöhnt UND ich denke daran! Ich meine, ich ziehe es ins Kalkül! Ich bin nicht so herrschsüchtig!" Umino drückte sehr behutsam die anmutig geformten Hände, regulierte sein Amüsement streng herunter. "Weißt du", er lehnte sich vor, bemühte sich um ein geheimnisvolles Raunen, was seiner sonoren Stimmlage nicht unbedingt kommodierte, "wenn wir BEIDE dasselbe wollen, ist es sicher nicht egoistisch." Masaru schmollte weiter, den Kopf abgewandt, immer noch von befremdlichem Gefühlschaos geplagt, was ihn gleichzeitig beschämte und ärgerte. "Außerdem", Umino visierte eine Ohrmuschel vertraulich an, "werde ich schon aufmucken, wenn ich etwas partout nicht will." Damit hatte er zumindest Masarus Aufmerksamkeit und dessen frostige Blicke wieder frontal auf sich gelenkt. "Ich stelle ja wohl keine übertriebenen Anforderungen, oder?!", fauchte Masaru, sofort wieder im Angriffsmodus. Umino verzichtete auf eine Erwiderung, studierte seinen Gefährten lediglich unerschrocken. Wie erfrischend, den kongenialen Schauspieler Felice hier als Masaru so unsicher und kratzbürstig wie einen Teenager zu erleben! Es rührte ihn nicht nur, sondern fachte auch seine zwangsweise hinter Schloss und Riegel verborgene Liebe heftig an, so sehr, dass sich die Hitze von seiner Mitte rasend schnell bis in die äußersten Regionen seines Körpers ausbreitete. »Tu das bloß nicht!«, beschwor ihn verzweifelt sein Verstand, doch in solchen Situationen griff sein Vetorecht nicht. Umino lächelte zärtlich in die attraktiv erbosten Gesichtszüge seines Gegenüber. Friedlich bot er sich jeder Attacke ohne Schutz oder Gegenwehr an, "ich liebe dich." ]-#-[ Ich weiß Bescheid. Jemanden damit zu überfallen, außerhalb von Fiktion auf Papier oder der Leinwand, kann mit großer Sicherheit ins Auge gehen, weil's der falsche Moment, die falsche Stimmlage oder ganz simpel der falsche Gegenüber ist. Ich konnte nachvollziehen, warum Masaru so widerborstig reagierte, denn es musste wohl für jeden einen ziemlichen Schock darstellen, sich in jemanden wie mich verliebt zu sehen. Gut, man konnte sich damit trösten, dass solche Anwandlungen nach einem halben Jahr vorüber waren. Trotzdem, die eigene Meinung über sich war erschüttert, also definitiv nicht der Augenblick, jemanden, den man wirklich mochte, mit diesem Umstand zu konfrontieren, während der gerade mit einer vernichtenden Bilanz seines persönlichen Geschmacks kämpfte. Unbenommen. Dennoch musste dieser verräterische, gefährliche und gleichzeitig banale Satz einfach raus, weil er eine blasse Zusammenfassung von all den verwirrenden, chaotischen und zugleich ergreifenden, Himmel und Hölle erschütternden Emotionen und Gedanken war, die mich fest im Griff hatten. Masaru funkelte mich stumm an, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Das zeitigte für mich keine optimistische Entwicklung. "Und weiter?", blaffte er schließlich streng. Ich konnte das schiefe Grinsen nicht ganz aus meinem Gesicht wischen, blieb aber friedlich, "nichts weiter." "Das ist alles?!", fauchte Masaru mich gallig an, "mehr nicht?!" Zugegeben, jetzt war ich doch ein wenig verunsichert. Was wollte er wohl hören? Ich dachte noch über Optionen nach, da hatte sich mein Körper bereits entschieden: meine Rechte schmeichelte ihm Strähnen hinters Ohr, während mein Mund plapperte, "ich liebe dich, Masaru." Das war, zumindest von meiner Warte aus, eine simple Feststellung. "Und?!", Masarus Gereiztheit steigerte sich durch seine Ungeduld, er grub die Finger rechts und links meiner Schläfen schmerzhaft in meine krause Putzwolle, "was weiter?!" Ich hielt den Schnabel geschlossen. "Verdammt!" Da ging wohl meine ungebärdige Haarpracht dahin. "Willst du nicht irgendwas tun?!" Ich überdachte diese Aufforderung, genoss Masarus Knurren, der sich mutmaßlich von mir beleidigt fühlte. "Doch!", antwortete ich also eilig, "lass uns was essen!" Wimpernschläge später hatte Masaru mich wie ein Sumoringer auf die Matratze geschleudert und tobte einen Anfall aus. ]-#-[ Masaru atmete schwer, sein Hals war rau, die Lippen trocken. Er konnte sich nicht entsinnen, was genau er in seiner rasenden Wut auf Uminos Selbstbeherrschung und noblen Charakter vom Stapel gelassen hatte, doch zweifelsfrei war es NICHT NETT. Demoralisierender Weise lag der Hüne unter ihm, gelassen trotz eingequetschter Handgelenke, betrachtete ihn mit einem liebevoll-nachsichtigen Blick aus den tiefschwarzen Augen. "Du machst mich noch wahnsinnig!", beklagte Masaru sich heiser, mit beschämend überschlagender Stimme. "Sagtest du bereits", Umino lächelte, "kann ich sehr gut verstehen." "Was hab ich davon?!", diese kindische Replik, ungezogen und ungebärdig, erschreckte Masaru selbst. Verwandelte er sich etwa in ein streitsüchtiges Kleinkind zurück? Umino grinste breit unter seinem Bart hervor, "lass uns etwas essen, ja? Ich habe jede Menge feine Sachen mitgebracht, dann sehen wir weiter." Masaru seufzte krächzend ob der rauen Kehle, gab die muskulösen Handgelenke frei und ließ sich schwer auf Uminos ausgestreckten Körper sinken. "Ich geb auf!", schnaufte er matt. Die ein wenig rau behaarten Arme schlangen sich sofort versichernd um ihn, nicht besitzergreifend, doch entschieden. Während Masaru sich Augenblicke der hemmungslosen Schwäche gönnte, begriff Umino in berührender Schlichtheit eines der vielen Mysterien, die seinen Liebhaber umgaben: Masaru Ichinose hatte keine Ahnung von einer Liebesbeziehung. ]-#-[ Für Zuschauer zweifellos ein abstoßender Anblick, wir waren jedoch zu zweit allein, wie es so schön heißt, und deshalb kümmerte es mich keinen Deut, ob wir wie debil turtelnde Trottel aussahen. Nun ja, mit der Turtelei würde ich wahrscheinlich gerade ein falsches Bild projizieren, denn eigentlich saß Masaru, wie ich nach einer kurzen Dusche in eine Yukata gehüllt, lediglich auf meinen kräftigen Oberschenkeln, ließ sich ab und an von mir kleine Bröckchen Nahrung in den Mund schieben, wenn er sich nicht an meine Schulter lehnte, den Blick ins Nirgendwo versenkt. Deshalb war ich wohl allein der debile Turteler, sah das jedoch nicht als Hindernis an. Erstens saß ich recht bequem und konnte kuscheln, zweitens dabei noch ohne große Komplikationen essen, und ich schob Kohldampf wie ein Marathonläufer nach der Ziellinie. Während die Kalorien wieder dafür sorgten, dass mein Gehirn unter Strom geriet, schaltete sich auch mein Analysezentrum wieder ein, fragte sich unverblümt, warum Masaru erwartete, dass ich mich wie ein Schmalspur-Chauvi aus einer Seifenoper verhielt. Aber vielleicht war ich auch auf dem Holzweg, immerhin hatte ich genau Null Beziehungen vorzuweisen. Allerdings, und das hatte sich über die Jahre nicht geändert, konnte ich mir nicht vorstellen, was daran so einnehmend war, den Partner als mobilen Besitz zu betrachten oder eifersüchtig zu werden, der Gradmesser für die Intensität einer Beziehung. Völliger Quatsch, in meinen Augen. Vernünftig gesehen verbrachten wir eine Menge Zeit mit anderen Menschen, die nicht unsere Liebsten waren, in der Bahn, beim Essen, bei der Arbeit zum Beispiel. Wenn man sich da nicht schlicht und einfach vertraute, musste doch der Alltag die absolute Hölle sein. Außerdem stieß mich dieses Besitzdenken, das ja nur der Vorläufer eines Kontrollwahns war, ab. Nur, weil man jemanden liebte, gab man doch nicht die eigene Persönlichkeit, das eigene Leben, das Ich auf! Nein, ich wollte Masaru nicht kontrollieren oder dominieren, ebenso wie ich hoffte, dass er mir meinen Freiraum ließ. Wie entspannend und schön konnte dann die gemeinsame Zeit sein, wie wertvoll angesichts der Anforderungen des Alltags- und Berufslebens. Das kam ihm wohl merkwürdig vor. Möglicherweise mangelte es mir auch einfach an Phantasie. Als Mann, der andere Männer begehrte und in diesem Land lebte, war mir klar, dass ich weder Kinder haben, noch jemanden in Haus und am Herd treffen würde, wenn ich nach der Arbeit heim kam. Ab einem gewissen Alter konnten sich zwei unverheiratete Männer, die nicht verwandt waren, einfach keine Unterkunft mehr teilen, ohne die geballte Missbilligung ihrer Umgebung zu erfahren. Also hatte ich mir eine vernünftige, banale Zukunft mit gelegentlichen, heimlichen Höhepunkten vorgestellt, klein, bescheiden, aber mein. Das passte, ich stopfte etwas eingelegte Gurke in Masarus Mund, andererseits kaum zu einem so hinreißend schönen und eigenwilligen Menschen wie ihm. Er kaute artig und seufzte dann, immer noch geistesabwesend. Ich hielt inne, seine Seite zu streicheln, die bequem zu erreichen war, da ich ja einen Arm aus Sicherheitsgründen (HaHa!) um seine schlanke Taille schlingen musste, verstärkte dafür den Knuddeldruck ein wenig. Gar nicht so einfach, die Lage richtig einzuschätzen. Erst geht er wutschnaubend auf mich los, und nun ist er völlig in sich gekehrt. Ich legte die Stäbchen ordentlich ab, flößte erst ihm, dann mir selbst einen kräftigenden Schluck Tee ein. "Masaru", wagte ich mich todesmutig vor, "wenn ich falsch liege, etwas nicht richtig mache oder einfach nicht kapiere, was du von mir möchtest, dann sag es mir bitte. Du weißt, dass ich nicht die hellste Lampe im Kronleuchter bin." Masaru sah nicht zu mir hoch, schnaubte aber vernehmlich. "Hoffnungsloser Fall, eh?", bemühte ich mich um eine humorvolle Note, ein wenig bang. Wieder blieb ich ohne Replik, durchaus beklommen, also hielt ich Masaru einfach im Arm, redete mir selbst gebetsmühlenartig ein, dass noch nichts verloren war, dass ich einfach zu direkt und zu unsensibel agierte. Schließlich hob Masaru den Kopf, sah mich an. Sein Gesicht war ruhig, nicht ausdruckslos, aber dennoch ohne jeden Hinweis darauf, was in seinem Kopf vorging. Er stemmte sich hoch, die Arme locker auf meine Schultern gelegt, veränderte seine Position, um rittlings auf meinen Schenkeln Platz zu nehmen, sah mich einfach nur an, unverwandt, unleserlich. Endlich erlöste er mich, wahrscheinlich blinzelte ich schon wie ein Idiot, erhob sich leicht, die Distanz zu überbrücken und mich zu küssen. Ich war so dankbar für diese versöhnliche Geste, dass ich mit Begeisterung knutschte, mich völlig darin verlor, einen Arm tiefer schob, unter seine aparte Kehrseite, damit es ihm auch ja nicht zu anstrengend wurde. Irgendwo gab es einen melodiösen Signalton, was mich für einen Moment in die Gegenwart zurückholte. Mein Blick fiel auf eine einfache Wanduhr, und ich erschrak. Liebe Güte, so spät schon?! Sollte ich nicht langsam aufbrechen, wenn ich mein Willkommen nicht überstrapazieren wollte? Immerhin würde Masaru ja noch arbeiten wollen... "Du gehst nicht", ohne Skrupel jagte Masaru mir die Zähne tief ins Ohrläppchen, bevor er die Yukata wegzerrte und mich tief in den Nacken biss. Es tat wirklich weh, aber ich wehrte mich nicht, sondern kraulte ihm tröstend mit zusammengepressten Lippen den Schopf. Was machte schon ein bisschen Aua bei meinem Stiernacken aus? Masaru stieß sich von mir ab und kam auf die Beine. Bevor ich reagieren konnte, hatte er meine Rechte geschnappt und zerrte mich hinter sich her zurück ins Schlafzimmer. Vor einer Schrankwand hielt er inne, zog mit der freien Hand am Knauf, damit sich die Tür entfalten konnte. Zu meiner Verblüffung lagen dort säuberlich verpackt mit dem Signet einer Hauswäscherei Leibwäsche, Socken, eine Hose und ein farbenprächtiges Hemd, in meiner Elefanten-Übergröße. Masaru drückte die Tür wieder zu, entzurrte den Gürtel meiner Yukata, dirigierte mich mit knappen Stößen der flachen Hand vor meinen Brustkorb zu seinem exklusiven und so luxuriös bequemen Bett. "Du bleibst hier!", bestimmte er unerbittlich. Da gab ich mich gern machtlos. ]-#-[ Masaru erwachte verwirrt, in den letzten Zügen eines merkwürdigen Traumgeschehens eingewoben, das sich, sobald er sich blinzelnd zu konzentrieren versuchte, um das Chaos zu entwirren, spurlos verflüchtigte, nichts als ein Gefühl der Verunsicherung zurückließ, eine Emotion, die er zutiefst verabscheute und fürchtete. Er setzte sich auf und registrierte das menschliche Gebirge neben sich. Umino. Für einen langen Moment studierte er in der Dämmerung des kühlen Raums die Silhouette seines Partners. »Boyfriend«, grinste eine überdrehte Stimme in seinem Hinterkopf. Aber Umino war kein "boyfriend", er war viel mehr als das, was beunruhigend war, noch immer. Oder die Tatsache, dass er nicht nur einen anderen Mann erneut in seine Wohnung eingeladen, sondern auch noch tief und fest mit ihm in einem Bett genächtigt hatte! Behutsam schwang Masaru die Beine über die Bettkante, nachdem er die dünne Decke abgestreift hatte, fand auch ohne Lichtquelle in Gewohnheit den Weg in sein Wohnzimmer. Draußen brach, wie immer in eine spätsommerliche Smogglocke gehüllt, die den Niederschlägen direkt an der Küste zuzuschreiben war, der Morgen an. Er ließ, die Stirn an die Fensterscheibe gelehnt, die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren, nicht gerade eine Hitparade der souveränen Selbstdarstellung. »Wieso?!«, Masaru knirschte mit den Zähnen, hier, wo es niemand sah, er keine Maske tragen musste, »wieso führe ich mich immer so auf?!« Wenn er dann Uminos Reaktionen durchspielte, wirkte der erwachsen, vernünftig und nachsichtig. »Dabei ist er viel jünger als du!!«, sein Stolz gesellte sich zum Hyänen-Chor der Demütigung in eigener Sache. "Das ist nicht fair!", beklagte sich Masaru im Flüsterton bei seinem Spiegelbild, "heißt es nicht, dass Liebe das Beste in uns zum Vorschein bringt?" »Tja!«, ätzte sein kritisches Selbst knochentrocken, »dann bist DU ja ein ganz toller Hecht!« Masaru schnaubte bitter. Umino löste etwas in ihm aus, das er einfach nicht in den Griff bekam. Wenn er ihn sah oder roch, wollte er sofort mit ihm schlafen, hart und schmutzig und leidenschaftlich und rücksichtslos. »Oder zanken, vergiss das nicht!«, ergänzte gnadenlos hilfsbereit sein schlechtes Gewissen. Aber... wieso? Masaru kannte den Grund, doch wenn Feigheit vor dem Feind schon gnadenlos geahndet wurde, wie sah es dann bei Feigheit vor dem Freund aus? ]-#-[ Es war ein ganz besonderer Alarm, der mich aus tiefen Träumen des Wohlbehagens weckte, und er fand, ziemlich uncharakteristisch, zwischen meinen Beinen statt. Unter der dünnen Decke wütete Masaru. Ich konnte gerade noch eine Hand vor den Mund pressen, bevor ich ziemlich heftig und unkontrolliert in seinem Mund kam. Schamrot und noch immer verwirrt, dazu jetzt auch kurzatmig und erschrocken darüber, dass meine lustvollen Kontraktionen Masaru mehrmals heftig getroffen hatten, stemmte ich mich auf einen Ellenbogen und zog die Decke weg. Masaru kauerte dort, würgte unterdrückt und rieb sich mit der anderen Hand die Schläfe. "Verdammt!", krächzte ich mit trockenem Mund, rappelte mich eilig auf, "das tut mir leid! Ich hole Eis, ja?" Nicht auszudenken, wenn ich ihm ein Veilchen verpasst hätte! Ich taumelte, mit Wänden kollidierend, in meine abgeworfene Yukata als Fußangel verheddert, zum kleinen Kühlschrank, prügelte Eisklumpen auf ein Handtuch, füllte noch eilig ein Glas mit dem teuren Mineralwasser und humpelte zurück ins Schlafzimmer. Masaru kämpfte, nun mit einer Lichtquelle sehr viel besser kenntlich, noch immer mit dem Würgereiz. Ich plumpste neben ihm auf die Matratze, schüttelte ärgerlich die anhängliche Yukata von meinem Knöchel, hielt ihm erst das Wasser an die Lippen, dann, als er das Glas selbst umfasste, vorsichtig den improvisierten Kühlpack an die Schläfe. "Das habe ich wirklich nicht gewollt!", beteuerte ich unglücklich, streichelte ihm mit der freien Hand über die Haare, "tut's sehr weh?" Mit einer heftigen Geste spritzte mir Masaru die verbliebene Hälfte des Wassers ins Gesicht. Tropfend blinzelte ich, denn solche Situationen begegneten mir üblicherweise nur in Seifenopern, und da war ich wirklich kein ausgewiesener Kenner. Masaru presste die Lippen verkniffen zusammen, und ich dachte angesichts der ungewohnt unkleidsamen Mimik, dass ich ihm wirklich sehr weh getan haben musste. Bevor er einen Arm vor die Augen presste und aufschluchzte. ]-#-[ War es die Frustration? Oder die Angst vor der unabweisbaren Erkenntnis? Masaru heulte wütend in die Schulterbeuge, die Fäuste geballt, beinahe erstickend die Arme um den kräftigen Nacken geschlungen. Umino wiegte ihn, murmelte immer wieder sonor Worte der Entschuldigung. Dabei hatte der ihm gar nichts getan! Gut, ein paar Stöße während des Höhepunkts, doch das steckte Masaru weg, immerhin war er trotz seiner sehnig-zierlichen Erscheinung durchaus zähe. Was ihn wirklich aufbrachte, das war er ganz allein, weil Umino einfach tief und friedlich schlief, sich keine Sorgen machte, kein Drama inszenierte, weil er so.... PERFEKT war! Masaru fühlte sich unterlegen, unsicher und einfach als Charakterschwein, weshalb er in einem Anfall von stiller Rage beschlossen hatte, einfach über den friedlichen Schläfer herzufallen, ihn erst durch einen Orgasmus auszukontern und sich anschließend wie ein mieser Macho an ihm schadlos zu halten, am besten so, dass Umino danach nur noch eiern konnte, hüftlahm und ausgepowert, doch all seine gloriosen "Rachepläne" waren gescheitert! Das lag nicht nur daran, dass der widerliche Ananasgeschmack des Kondoms ihm förmlich die Kehle zugeschnürt hatte. Er WOLLTE es tun, und gleichzeitig fühlte sich sein Herz tonnenschwer an, zutiefst unglücklich über die beabsichtigte Gewalttat. Die Erkenntnis war bitter: er hatte sich einfach nicht mehr im Griff. Masaru Ichinose, der legendäre Felice, wandlungsfähig wie ein Chamäleon, begnadeter Schauspieler und kühler Geschäftsmann, verlor die Contenance und fand sie nicht mehr wieder, weshalb er hier nun auf Uminos Schoß hockte und vor Wut und Verunsicherung heulte. ]-#-[ Während ich ziemlich perplex, aber langsam wieder denkfähig Masaru in meinen Armen hielt, wurde mir klar, dass ich ihm nicht bloß körperlichen Schmerz zugefügt hatte. Masaru war sicherlich nicht wehleidig oder zimperlich. Was hatte ich aber angestellt? Möglicherweise hätte ich doch nicht über Nacht bleiben sollen, vielleicht hatte ich damit etwas aufgerührt, das Masaru belastete. Was es auch war: ich fühlte mich erbärmlich und erschrocken darüber, was für ein unsensibler Idiot ich immer noch war, dabei bemühte ich mich wirklich! Ich schluckte schwer und registrierte, wie Masarus wütend-ersticktes Schluchzen langsam abebbte. "Es tut mir leid", raunte ich kläglich in eine erreichbare Ohrmuschel. "Warum?!", mit einem Ruck stemmte sich Masaru von mir weg, die Augen gerötet und tränenverklebt blitzend, unfein die Nase hochziehend, "was zur Hölle tut dir denn leid, hm?!" "Na ja", begann ich vorsichtig, doch er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. "Wieso tut dir was leid?!", seine Fingernägel perforierten meine Schultern, "ich wollte dir einen blasen, damit ich dich danach so richtig durchficken kann! Also, was tut DIR daran leid?!" Er blitzte und zischte. "Ähm", mein Verstand stellte zu spät meinem Mundwerk ein Bein, "dass wir zu Teil 2 nicht gekommen sind?" Masaru starrte mich bloß an, den Mund halb geöffnet. Ich fröstelte leicht und hasste das dümmliche Grinsen in meinem Gesicht. JETZT hatte ich es endgültig verschissen, wahrscheinlich zu recht, weil ich mal wieder unbelehrbar eine ernste Angelegenheit, die Masaru so am Herzen lag, in einen albernen Scherz verwandelt hatte. Würde eine Entschuldigung mich noch vor der ewigen Verbannung retten? Masaru entwich ein leiser, unartikulierter Laut, seine Schultern sackten herab, die Spannungsenergie seines Zorns verpuffte. Er senkte den Kopf, rieb sich geistesabwesend mit einem Handrücken über Augen und unter der Nase. "... ich komm einfach nicht mit dir klar", murmelte er Richtung Matratze. Mir wurde ziemlich flau, weil er selbige und den Boden unter meinen Füßen mit diesem kaum hörbaren Verdikt wegzog. "Das tut mir leid!", blubberte ich auf Automatik, schnappte hektisch nach Luft. Ich wollte nicht, dass alles vorbei war! Ohne auf mein protestierendes Gewissen zu hören, riss ich Masaru förmlich in meine Arme und schlang sie so eng um ihn, dass es in den Knochen knirschte. "Mach nicht Schluss!", bettelte ich laut, ja, sogar aggressiv. Weil Masaru mir keine Antwort gab, überschüttete ich ihn mit Küssen, bedeckte jedes erreichbare Fleckchen. ]-#-[ Es war anders als zuvor. Masaru ließ sich einfach fallen, führte keine Regie mehr, dirigierte, orchestrierte, plante. Wie lange war es her, dass er einfach seinen Kopf komplett ausschaltete, sich vollständig auslieferte, sich nicht darum kümmerte, ob ihm vernehmlich verräterische Laute entschlüpften? Wenn er die Augen öffnete, sah er Umino, struppig, erhitzt, mit diesen tiefschwarzen, brennenden Augen, der ihn hielt und verführte, mit praller Leidenschaft und Lust liebte. Masaru liefen Tränen aus den Augenwinkeln, doch er bemerkte es nicht einmal. ]-#-[ Das war nicht nett gewesen, nein, definitiv nicht. Trotzdem fühlte ich mich nicht schlecht, im Gegenteil. Auf die Seite gerollt, das Kinn in eine aufgestützte Handfläche bugsiert, noch immer erhitzt und schwitzend, betrachtete ich Masaru, der neben mir auf dem Rücken lag, so ausgestreckt, wie ich ihn abgelegt hatte. Sein Brustkorb hob sich noch immer in raschen Atemzügen, auf seiner Haut trockneten Schweiß und mein Speichel. Ich streckte die freie Hand aus, kämmte ihm behutsam klebrige Strähnen aus dem Gesicht, tupfte Tränenspuren weg. "Wir müssen uns mal ernsthaft unterhalten", brummte ich heiser, kreiste über seinem flachen Bauch. Ich war mir nämlich recht sicher, dass wir beide ineinander verliebt waren, auch wenn Liebe hier die Klammer um ziemlich heftige, widerstreitende Gefühle war. ]-#-[ Um sich der beinahe unwiderstehlichen Versuchung zu entziehen, setzte Umino sich auf, spannte alle Sehnen an und ermahnte sich innerlich energisch, auf GAR KEIN Signal zu reagieren, denn es war nicht zu verhehlen, dass Masaru in dieser aufreizend-lässigen Pose der post-koitalen Ermattung stärker als ein ganzes Rudel Sirenen Verführung proklamierte, ohne dabei die Stimmbänder zu schwingen. Er atmete tief durch, kniff sich heimlich sehr schmerzhaft in die Oberschenkel. "Weißt du, ich habe das Gefühl, dass ich dich ständig in Rage bringe oder enttäusche, was ich wirklich nicht möchte!", beteuerte er eilig. Masaru wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, entfädelte verklebte Wimpern. Es sah nicht nach einer sachdienlichen Äußerung von seiner Seite aus, deshalb fuhr Umino tapfer fort, "ich möchte gern wissen, was ich anders tun soll, oder was du von mir erwartest. Ich bin lernfähig, absolut!" Auch wenn er sich gerade wie ein Nichtschwimmer im Haifischbecken fühlte. Wieder schien er keine Antwort erwarten zu dürfen, da rollte sich Masaru elegant auf die Seite und setzte sich auf, den Rücken Umino zugewandt. Er erhob sich jedoch nicht gleich mit der gewohnten Grazie, sondern drückte die Handflächen in die komfortabel gepolsterte Matratze. "Ich mutiere zum Vollidioten, wenn wir zusammen sind", knurrte er kaum hörbar. Während Umino in hektischer Panik nach einer Replik suchte, wischte Masarus Rechte knapp durch die Luft, bevor sie geballt in die Matratze donnerte, "ich HASSE das! Egal, was ich mir auch vornehme, kaum bist du da, schon...!!" Erneut erlitt die Matratze einen Tiefschlag. Umino erwog eine Entschuldigung, auch wenn er keineswegs beabsichtigte, Masaru nicht mehr unter die Augen zu treten, um die Mutation zu verhindern. Masaru schnaubte, "was ich von dir erwarte? Ha! Ich habe keine Ahnung! Ich weiß einfach nicht, was ich will!" Umino studierte mitfühlend die sehnige Gestalt vor sich, die in seinen Augen perfekten Linien und Formen. Für Masaru war es zweifelsohne schwierig, das verstand sich ja von selbst! "...ich brauche einfach mehr Zeit!", murmelte der gerade entschieden, reckte energisch das Kinn, straffte den Rücken. Behutsam legte Umino seine große Rechte um die geballte Faust, "ich habe keine Eile, nur", er räusperte sich, "bitte, sag mir, wenn du eine Entscheidung getroffen hast." Vor ihm zischte Masaru giftig, "damit du mich davon abbringen kannst, oder wie?!" Der Hüne lachte, die Matratze federte sanft mit, "auf jeden Fall will ich es versuchen." Masaru wandte sich auf der Matratze herum, winkelte das rechte Bein an, funkelte hoch in das vertraut-gelassene Gesicht. Jeden anderen hätte er nun eiskalt und vernichtend in die Schranken gewiesen, weil ganz offenkundig der notwendige Ernst fehlte, doch in den schwarzen Augen, die ihn zärtlich ansahen, konnte er nichts missverstehen: Umino nahm ihn und seine Schwierigkeiten durchaus ernst, reagierte jedoch nicht mit Verbitterung, Zorn oder Hysterie, was auf eine demütigende Weise demonstrierte, dass es ihm selbst an Charakterstärke mangelte! Üblicherweise ein Anlass, in alle Richtungen auszukeilen, allein, die warme Hand, die seine Faust umschloss, ließ trotziges Aufbegehren verpuffen! Masaru gab sich geschlagen und seufzte tief auf. Umino kämmte ihm sanft mit der Linken Strähnen aus dem Gesicht und lächelte, "lass uns jetzt erst mal frühstücken, dann geht's gleich aufwärts!" Dagegen war Masaru simpel machtlos. ]-#-[ Während ich frohgemut vor mich hin werkelte, um aus den Resten ein Frühstück in Masarus unzulänglicher Küche zu zaubern, lehnte er, in eine frische Yukata gehüllt, die Haare im Handtuchturban versteckt, neben mir, nippte an einer ersten Tasse Tee. Ich merkte, dass er wieder in selbstversunkener, versonnener Stimmung war und unterdrückte den Impuls, ihn aufheitern zu wollen. Wenn er mehr Zeit brauchte, musste ich das akzeptieren. "Das ist wichtig für dich", mit dem Kinn wies er in Richtung Tellerchen und Schüsselchen, eine dezente Frage in der Stimme. Da ich nicht mit Konversation gerechnet hatte, erstrahlte ich wie eine Sonnenblume und brabbelte frisch von der Leber weg, "ja, ich koche gern! Ich bin zwar beileibe kein Profi, aber mir macht's Spaß und ich mag es zu essen, also sollte ich da wohl ein bisschen Basiswissen anhäufen." Ich biss mir auf die Lippe, um Masaru nicht mit einem Wortschwall zu ersticken. Dass ihm Essen nicht viel bedeutete, wusste ich ja bereits durch die Dreharbeiten. "Ich erinnere mich an eine gewisse Lektion", ergänzte Masaru spitz meine Memoiren. "Ja, tja", brummte ich verlegen, "ich wollte dich ganz sicher nicht kritisieren..." "...aber du hast ja auch eine Menge zu erhalten, ich weiß!", führte Masaru streng meinen Satz fort. Verunsichert wagte ich einen Seitenblick. Bahnte sich da möglicherweise wieder ein Sturmtief an? Leider war ich nicht geschmeidig genug, sodass Masarus ungewöhnlich helle Augen mich aufspießten, "habe ich etwas im Gesicht?!" »Ne Nase!«, hätte ich vor zig Jahren als Hosenmatz geantwortet, verkniff mir diese kindische Anwandlung jedoch. "Tut's immer noch weh?", verwies ich auf Masarus Schläfe. Eigentlich hätte ich mich wohl gleich nach dem "geistigen" Aufwachen als höflicher Mensch danach erkundigen sollen, bloß waren mir andere Bedürfnisse in die Quere gekommen und ich hatte den Unfall schlichtweg vergessen. "Nein!", knurrte Masaru und wandte mir eilig das Profil zu. "Ich hatte das wirklich nicht beabsichtigt", entschuldigte ich mich erneut, konzentrierte mich auf meine Finger und das scharfe Küchenmesser. "Hör schon auf!", fauchte Masaru grimmig, "Schuld war die beschissene Ananas!" Jetzt musste ich doch das Messer beiseite legen, tunlichst außer Masarus Reichweite. "Die Ananas?", gab ich begriffsstutzig den Papageien. "Ja doch!", schimpfte Masaru, wandte sich mir wieder direkt zu, "ich HASSE Ananas!" Das löste für mich immer noch nicht das Rätsel, doch Masaru war gnädig, blickte unter sich auf die nackten, elegant geformten Füße und knurrte, "woher sollte ich ahnen, dass mir schon vom Geruch schlecht wird?! Das war doch alles künstlich, und trotzdem..." JETZT fiel bei mir der Groschen. Das KONDOM!! Der Kronleuchter erstrahlte, man konnte den Geistesblitz der Erkenntnis vermutlich unzweifelhaft von meinem Gesicht ablesen. "Also keine Ananas für dich?", sammelte ich eifrig Wissensbröckchen um Masaru auf, "was magst du sonst noch nicht?" Mich traf ein betont giftiger Blick. Ich sah mich meinen Manieren innerlich gegenüber, die aufstöhnten vor Verzweiflung über meine mangelnde Sensibilität. Bevor ich meinen Fauxpas jedoch abmildern konnte, zischte Masaru, "Kiwi, die hasse ich auch!" "Okay", lächelte ich erleichtert, "also keine Kiwi und keine Ananas für dich." "Du magst wohl alles!", Masarus Stimme klang nach bitterem Vorwurf. Wenn ich ganz ehrlich bin: es amüsierte mich ungeheuer, wie sehr sich Masaru von Felice unterschied, dass der eine von beiden in der gleichen atemberaubenden Verpackung so widerborstig, aggressiv-trotzig und grimmig wüten konnte, während der andere immer beherrscht, souverän und selbstsicher auftrat. "Na, bis jetzt ist mir noch nichts begegnet, das ich nicht gemocht hätte", lieferte ich ihm einen weiteren Grund, mir zu zürnen. "Pfff!!", schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sag mal", ich arrangierte Teller und Schüsselchen, verteilte den Reis, "hattet ihr früher an der Schule auch diese Orakellisten?" "Orakellisten?", zu meiner Verblüffung übernahm Masaru unaufgefordert ein Tablett und schwebte wie immer graziös zu seiner kleinen, aber feinen Essecke. "Das waren so Listen, wo man seine Blutgruppe, Sternzeichen, Lieblingsfarben, -essen, -orte usw. angeben musste", erklärte ich in seinem Gefolge, "das wurde dann alles analysiert mithilfe von Büchern und Computerprogrammen, um herauszufinden, wer am Besten zu einem passte." "Aha", kommentierte Masaru knapp, arrangierte die Ergebnisse meiner morgendlichen kulinarischen Bemühungen, "wie stehen die Chancen, dass wir zueinander passen?" Seine Miene drückte unmissverständlich aus, was er von dieser Mode hielt. "Tja, also", grimassierte ich verlegen, "da ich Ananas und Kiwi mag, du aber überhaupt nicht..." "Grandios!", knurrte Masaru und pickte geschickt klebrigen Reis auf, "wer, sagtest du, passt laut dieser unglaublich versierten, wissenschaftlichen Einordnung zu dir?" Sarkasmus, den man in Scheiben schneiden konnte. Ich musste unwillkürlich auflachen, weil ich Masarus gallige Impressionen einfach hinreißend fand, griesgrämig, zynisch, ungnädig: er drückte das aus, was der eigene Schweinehund urteilte, man aber tunlichst nicht aussprach, wenn man nicht für den Rest seines Lebens von jeder gesellschaftlichen Zusammenkunft ausgeschlossen werden wollte. "Und, wer nun?", hakte Masaru ungeduldig nach, während ich trotz breitem Grinsen schaufelte und kaute. "Erstaunlicherweise niemand, obwohl die Resultate eigentlich gewisse Überschneidungen nahelegten", feixte ich. Nicht, dass ich damals etwas Anderes erwartet hatte. Kein einziges Mädchen hätte sich damit abgefunden, ausgerechnet zu MIR zu passen! Zugegeben, ein klein wenig kränkend war es schon, aber ich hatte es nicht anders angenommen. "Was sagt das für uns aus?", Masaru schlürfte verächtlich seinen Tee. Ich schmunzelte, schluckte mal wieder gemächlich, bevor ich ihm antwortete, "für mich bedeutet das bloß, dir weder Kiwi, noch Ananas vorzusetzen, ansonsten sehe ich da keine Hindernisse." "Typisch!", fauchte Masaru und erstach förmlich eine Rolle des Eier-Reis-Omelettes. Er malmte grimmig und klagte mich finster an, "wieso benimmst DU dich eigentlich nie wie ein Vollidiot?!" Das klang beinahe ein wenig verzweifelt. Er konnte sich wohl selbst nicht ausstehen, wenn er so ratlos in meiner Gesellschaft war. Glücklicherweise fiel mir nichts Gescheites oder Blödes ein, das die Situation noch verschärft hätte. Wenn ich nicht wusste, wie ich ihm verbal begegnen sollte, griff ich zu einer alten Kriegslist! Ich löste temporär eine meiner Pranken von der Futter-Spachtelei, langte über den Tisch und streichelte mit den Fingerspitzen sanft über seine Wange. Ich war glücklich mit dem, was ich kriegen konnte, auch wenn diese Genügsamkeit wahrscheinlich vollkommen idiotisch war. ]-#-[ Kapitel 7 - Der Status quo... vadis? Nach diesem Intermezzo, in den Kleidern, die Masaru passgenau ausgewählt hatte und seelisch wie körperlich und moralisch mehr als zufrieden startete ich in die nächsten Tage. Natürlich belagerte ich Masaru weiterhin mit mindestens einer täglichen Textnachricht, die sich bestimmt nicht durch Originalität oder hohe intellektuelle Ansprüche auszeichnete. Ich wollte ihn wissen lassen, dass ich an ihn dachte, und dass ich mich, Stückchen für Stückchen, ein wenig näher an ihn heranarbeitete. Meine Notizen erweiterten sich nämlich, um einen Steckbrief zu ergeben. Zugegeben, die alten Listen aus der Schulzeit wären schneller gewesen und hätten dazu geführt, mal über sich selbst zu reflektieren, vor allem, wenn man wusste, dass Schummeln überhaupt nichts einbrachte, weil die Schlussfolgerungen total gaga waren. Aber warum es zu simpel gestalten, wenn das kleine Vergnügen über jede bescheidene, weitere Erkenntnis mir so viel Freude bereitete? Ich wusste, dass Felice wieder zahlreiche Termine hatte, weitere Aufnahmen drehte, also musste ich meine Hoffnungen auf ein weiteres Rendezvous auf Eis legen. Die Arbeit ging vor, das akzeptierte ich. Überhaupt, das musste mal gesagt werden, so, wie es sich momentan gestaltete, hätte es durchaus weitergehen können. Wenn Sie mich für phantasielos halten, haben Sie vermutlich vollkommen recht. Mir genügte es schon, dass wir uns ab und an mal sehen würden, etwas Zeit zusammen verbringen konnten. Zusammen wohnen oder gar arbeiten, nebeneinander einschlafen und aufwachen, das waren Utopien. Ja, ich zweifelte daran, dass selbst in meinem anonymen, eher abgewirtschafteten Wohnblock eine solche Männerbeziehung unbemerkt bliebe, vor allem nicht, wenn einer der beiden Männer Felice war, DER Hingucker schlechthin. Drei Wochen verstrichen, die Sommerfeste gingen vorbei. Die zweite Jahreshälfte mit der Aussicht auf Regen, Taifune und andere Unerfreulichkeiten ließ sich nicht mehr aus den Gedanken verdrängen. Zu meiner Verblüffung kontaktierte mich Felices Telefondienst. Ich ahnte schon, dass es um ein "berufliches" Anliegen gehen musste. Damit hatte ich eigentlich gar nicht mehr gerechnet, denn es schien mir so, als wäre die Popularität des bärigen Riesen in den Pornos schon abgelaufen. Trotzdem sagte ich natürlich zu, nach der Arbeit in einem Businesshotel am Rande des Tokioter Einzugsgebiets aufzutauchen, auch wenn die Anfahrt mich fast zwei Stunden kostete und ich beinahe eingenickt wäre und nur noch überstürzt aus dem Zug stolpern konnte. Saburo öffnete mir die Zimmertür zu einem eher karg eingerichteten Doppelbettzimmer. Masaru präsidierte in einem niedrigen Sessel, doch ein Blick genügte, mir unmissverständlich zu bedeuten, dass ich es mit Felice zu tun hatte, einem eisgekühlten, definitiv arktischen und sehr distanzierten Geschäftsmann, Produzenten und Hauptdarsteller. Eingedenk der Umgebung zweier mir bereits bekannter Techniker und anderer Schauspieler verhielt ich mich sehr zurückhaltend, wartete erst mal ab, um herauszufinden, ob ich schon eine Rolle hatte oder lediglich zu einem Vorsprechen eingeladen worden war, doch was ich da hörte, über das Drehbuch und die Aktionen, gefiel mir überhaupt nicht. ]-#-[ Felice überließ es Saburo, die an eine kahle Wand projizierten Handlungsverläufe knapp zu erläutern. Nicht alle Rollen waren schon vergeben, die Bewerber strippten ungeniert, Entscheidungen wurden sofort verkündet. Bedeutender jedoch waren die Aspekte, über die nicht gesprochen wurde: warum Big G, der neue Superstar, nicht anwesend war, wieso eine Rolle definitiv an den bärtigen Rübezahl vergeben wurde, der optisch wohl kaum den Anforderungen an das Setting entsprach, welche Strippen hinter den Kulissen gezogen wurden, wer diesen Streifen finanzierte. Drehbücher wurden verteilt, sobald die Verträge mit Namensstempel gesiegelt waren, Zeitpläne und Orte bekannt gegeben, Kontaktmöglichkeiten ausgetauscht. Felice entließ alle anderen, bis er mit Saburo und Umino allein war. Der studierte ihn mit einer beunruhigenden Intensität, was Saburo wie gewohnt veranlasste, gegen diese Rollenbesetzung zu opponieren. "Ich weiß nicht, allein optisch...!!", mäkelte er, "wenn wir eine Umfrage schalten würden, dann wäre sicherlich festzustellen, dass die Beliebtheit..." "Wärst du so freundlich, uns einen Moment allein zu lassen", Felices Bitte klang wie ein Befehl, und zwar mit Frostbeulen und permanenten Winterstürmen. Saburo schnaubte indigniert, sammelte umständlich diverse Utensilien ein, bevor er verärgert aus dem Zimmer stolzierte. Umino, der argwöhnte, dass der selbsternannte Assistent wahrscheinlich an der Tür lauschte, beugte sich vor, seine sonore Stimme verwünschend, und raunte nur ein Wort, "warum?" Felice erwiderte den flammenden, inquisitorischen Blick unerbittlich, "du wirst für die Rolle den Bart abnehmen. Auch deine Frisur wird sich ändern müssen. Das werde ich selbst übernehmen, sei also pünktlich." Buschige Augenbrauen wanderten hoch, bedeuteten, dass ihr Besitzer sich nicht einfach ignorieren lassen wollte. Die elegante Hand schnellte über die Distanz und umklammerte schmerzhaft dank erstaunlicher Kraft eine große Tatze. "Ich denke, das wäre dann alles. Setze dein Siegel unter den Vertrag", formulierte Felice distanziert und kühl. Die hellen Augen beschworen seinen Gegenüber jedoch, für dieses Mal nachzugeben. Umino seufzte lautlos und angelte mit der freien Hand nach seinem Siegel. ]-#-[ Mir gefiel gar nichts an der Sache, nicht das Drehbuch, nicht die Anforderungen, nicht das Mitwirken von Big G und nicht die Geheimnisse, die ich nicht aufdecken konnte. Am wenigsten gefiel mir aber die Mauer, hinter der Masaru sich verschanzte. Er war Felice, rund um die Uhr, pausenlos, und damit der unerreichbare, distanzierte, ewig beschäftigte Star, Regisseur und Hauptdarsteller. Ich wollte, nein, ich BRAUCHTE Erklärungen. Es sah jedoch nicht so aus, als würde ich sie bekommen. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Auch wenn ich bestimmt nicht behaupten konnte, viel über Masaru zu wissen, so erkannte ich doch, dass auch mit ihm etwas nicht stimmte. Wem aber würde er sich anvertrauen? Mir wurde erneut bewusst, dass Felice trotz seines chamäleonartigen Auftretens ein Einzelkämpfer war. Er suggerierte zwar allen, dass sie als Team gemeinsam an einem Strang zogen, doch tatsächlich stand er allein auf weiter Flur, sowohl in der Verantwortung als auch in der Entscheidungsgewalt. Ich konnte deshalb wohl kaum erwarten, dass er mich ins Vertrauen zog. Idiotischerweise hoffte ich dennoch darauf. »Denk dran, er ist erwachsen und entscheidet für sich allein!«, ermahnte ich mich immer wieder, »wir wollen auf keinen Fall seine Freiheit einschränken!« »Doch!«, antwortete ich mir verärgert und beschämt zugleich, »verdammt, eigentlich WILL ich genau DAS!« Ich durfte mich bloß auf keinem Fall dazu hinreißen lassen. ]-#-[ Als Drehort waren die Katakomben eines zum Abriss vorgesehenen Bürogebäudes außerhalb von Tokio ausgewählt worden. Mit einem kleinen Bus reiste die gesamte Besetzung samt Technik-Crew gemeinsam an. Man entlud und arrangierte, verlegte Kabel und baute Zubehör auf, richtete Scheinwerfer und Stromversorgung ein. Felice dominierte mit selbstbeherrschter Ruhe das Set, dirigierte in knappen Anweisungen das Ballett seiner Mitstreiter. Umino wartete in einem der leeren Kellerräume auf SEINE Verwandlung. Die übrigen Darsteller schlüpften in ihre Kostüme, schwatzten oder lauschten selbstvergessen dem, was auch immer ihren Kopfhörern entsprang. Zwei Tage waren angesetzt, also ein Wochenende, das ohnehin niemand sonderlich vermissen würde, da die Wetterprognose von Taifunen und Dauerregen sprach. Endlich verwandelte sich der Regisseur Felice in den persönlichen Stylisten, lotste Umino in einen zerbrechlich wirkenden Klappstuhl, präparierte eine aufgeschlitzte Mülltüte und drapierte sie um dessen kräftigen Hals. Ohne Spiegel konnte Umino nicht verfolgen, was genau ihm da geschah, aber mit unerwartetem Geschick ging er zunächst eines Teils seines Kopfschmucks verlustig, dann nahm ihm Felice den Bart ab, rasierte ihn sehr gründlich, fegte die haarige Ausbeute zusammen und deponierte sie final in einer intakten Mülltüte. Bevor Umino sich erheben konnte, wurde er mit einem zielgerichteten, durchaus schmerzhaften Griff zwischen Halsbeuge und Schlüsselbein auf den Klappstuhl gepinnt. Felice zückte aus einem scheinbar chaotischen Sammelsurium von Makeup-Artikeln einen Augenbrauenstift, platzierte ein künstliches Muttermal unter Uminos rechtes Auge und lichtete ihn anschließend mit einer kleinen Digitalkamera ab. Kein Wort wurde gewechselt, auch wenn es Umino wirklich nach der fälligen Erklärung verlangte. Die ungewöhnlich hellen Augen seines Liebhabers drohten jedoch mit Eisbergen, waren verschlossen und abweisend, wofür es gewichtige Gründe geben musste. Endlich war er entlassen, von der zweckentfremdeten Mülltüte befreit und schlüpfte unter dem kritischen Blick des Regisseurs Felice in sein Kostüm. "Mir gefällt das nicht", raunte er kaum hörbar. Felice antwortete ihm nicht, sondern machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn demonstrativ allein zurück. ]-#-[ Es gibt Dinge, die mir einfach nicht gefallen oder mir sogar an die Nieren gehen. Da kann mein Verstand noch so viele Argumente auffahren, geduldig und sachlich begründen: es hat keinen Zweck, Herz und Bauch überstimmen ihn. Deshalb lehnte ich jetzt hier, in diesem gesichtslosen Kellergewölbe, an einer Wand, in einer durch winzige Nadeln angepassten Oberschuluniform, die Arme vor der Brust verschränkt und spürte, wie sich mir die Magenwände verkrampften. Das hing nicht nur damit zusammen, dass ich "nackt" war. Ohne den Bart, an den ich mich so sehr gewöhnt hatte, meinen bescheidenen Schutzschirm, musste ich mich nun wieder bloß und blank in all meiner grotesken Hässlichkeit der gnadenlosen Öffentlichkeit stellen. Ich war zurückversetzt in meine Schulzeit, empfand wieder die Scham und Verzweiflung über die Unabänderlichkeit meiner prekären Lage, ein Ausgestoßener zu sein, unerträglich hässlich im Angesicht, zu groß, zu breit, zu schwer und summa summarum eine Verschwendung natürlicher Ressourcen. Im Spiegel am Set blickte mir ein finster stierender Halbstarker mit betonharter Hillbilly-Rockertolle entgegen. "Denn er weiß nicht, was er tut, und allen anderen ist er scheißegal." Das war jedoch längst nicht alles. Ich verfolgte Felice mit den Augen, rang mit mir und der latenten Übelkeit. »Tu mir das nicht an!«, jammerte/flehte es in meinem Inneren, doch ich wusste, dass dieser Appell ungehört bleiben würde, weil ich ihn nicht aussprechen konnte, weil ich an mein Wort, mein Versprechen gebunden war. Vielleicht würde es mir ein kleines bisschen leichter fallen, wenn ich um Felices Beweggründe wüsste. Saburo, der mich verächtlich ignorierte, fiel als Quelle aus. Er schwirrte um Big G herum, den aufsteigenden Stern am Pornofilm-Himmel. Der hatte sogar einen Manager, der ihn wie eine Löwenmutter behütete. Alles, was ich von Big G bisher sagen konnte, war, dass er, gemessen an seinem Kostüm, bemerkenswert gebaut und ausgestattet sein musste, einen beeindruckenden Haarschopf aufwies, im Solarium und in der Muckibude häufig gesehener Gast war und mit kehlig-rauer Stimme ziemlich dümmlich herumplapperte. Auf mich machte er den Eindruck eines Adonis mit Spatzenhirn, aber Auftrieb durch viel heiße Luft. Ob er wohl bestimmte Sponsoren hatte? Reiche Gönner? Mir gefiel das alles nicht. Nein, überhaupt nicht. ]-#-[ Um Zeit und damit Geld zu sparen, wurden diverse Szenen rasch abgedreht, in denen keine körperliche Interaktion, zumindest in Bezug auf das Zielpublikum, stattfand. Felice verwandelte sich mit randloser Brille und grauem Anzug in einen Jung-Lehrer mit Aktentasche, dann schlüpfte er in einen einfachen Trainingsanzug, um offenkundig eine nicht näher spezifizierte Schulmannschaft anzuleiten. Die kleine Gruppe der halbstarken Oberstufenschüler lungerte in den Kellergängen oder Seitentüren herum, rauchte und kabbelte sich. Sie wedelten mit Klappmessern an langen Ketten, leerten Bierflaschen und erweckten den Eindruck, üble Gesellen und Ganoven-Azubis zu sein. Während die trübe, von Wolken verhangene Sonne sich verabschiedete, wurde die letzte Außenszene abgedreht: der tapfere Jung-Lehrer verwies die Gorillahorde vom Eingang und drohte mit der Polizei. Dann wurden sämtliche Gerätschaften in die Kellergewölbe geschafft, um dort zum Einsatz zu kommen. Nach einer kurzen Pause zum Essenfassen wurde die Produktion der Szenen in Angriff genommen, die die Kunden interessierten. ]-#-[ Ich kam mir lächerlich vor. Die Uniformjacke lang ordentlich gefaltet über einem der Klappstühle, während ich mit künstlichem Schweiß eingenebelt wurde. In einem eng anliegenden Unterhemd, klassischer Doppelripp, sollte ich mir als nächstes einen Showkampf mit Big G, dem Anführer unserer Gang, liefern. Ich hatte von Kämpfen keine Ahnung, fühlte mich dämlich mit den mit altem Gurt umwickelten Fingern. Big G hopste vor mir auf und nieder, brachte sich mit Kickboxen oder was auch immer in Hochform. Felice winkte ihn zu sich, nickte mir frostig zu. Mir entging nicht, wie eisig-distanziert er sich gegenüber dem "Star" verhielt. Auf Sympathie konnte Big G jedenfalls nicht hoffen. In knappen, strengen Anweisungen erläuterte er uns die Choreographie, welche Faust wohin und wann, Körperhaltung grundsätzlich und dazu Beinarbeit. Zu meiner Verblüffung ließ er uns beide den Ablauf laut wiederholen, pfiff Big G zweimal an, weil der offenkundig Konzentrationsprobleme hatte. Ein verlangsamter Probedurchgang, dann wurde es ernst. Natürlich waren wir beide keine Profis, keine Stuntmänner oder Martial Arts-Könner. Big G landete einige Treffer, die mir zum grimmigen Gesichtsausdruck verhalfen, den die Szene verlangte. Allerdings revanchierte ich mich auch, das gebe ich zu. Felice studierte die Aufnahmen im Display, ordnete dann Einzelaufnahmen direkt in die Kameralinse an, die man dazwischenschneiden konnte und entließ uns schließlich. Ich marschierte in den ehemaligen Waschraum, um mir die Spuren von Makeup abzuwaschen und nach den ersten Anzeichen von Hämatomen Ausschau zu halten. Eigentlich wäre ich gern vor die Tür entwischt, auch wenn es noch immer sehr schwül war, Vorbote heftiger Regenstürme, irgendwie schien mir nämlich die Luft knapp zu werden. Das war ultimativ auf die letzten Dreharbeiten dieses Tages zurückzuführen. ]-#-[ Felice schnalzte tadelnd mit der Zunge, zückte die kleine Digitalkamera und den Augenbrauenstift, um das Erscheinungsbild seines Hauptdarstellers herzurichten. "Ich kann das nicht!", raunte Umino ihm gepresst zu. "Du musst. Es kann nichts passieren!", zischte Felice, korrigierte die betonharte Tolle, "es ist nur eine Phantasie." Dann wandte er sich abrupt ab, kontrollierte Scheinwerfer und Kameraeinstellungen, orchestrierte minutiös den Ablauf. ]-#-[ Mir war übel, so richtig speiübel. Und eisig kalt. »Ich kann das nicht!«, wiederholte eine hilflose Stimme in meinem Hinterkopf unablässig. Ich wollte DAS auch nicht können, was nichts half. Als das Kommando kam, bewegte ich mich wie ein Roboter, umklammerte Masarus Oberarme, spürte sein Rückgrat an meinem Brustkorb. Ich spürte, wie etwas in mir zerbrach, als ich zusah, wie sie ihn vergewaltigten. ]-#-[ Felice agierte in geübtem Geschick, präpariert und mit szenarischem Überblick. Seine Mitspieler waren, sah man von Big G und Umino ab, Profis. Sie wussten, wo die Kameras positioniert waren, welche Winkel beachtet werden mussten und hatten das richtige Timing. Für einen kurzen Augenblick fürchtete er, dass Umino ausfallen könnte, die Szene schmeißen. Das vertraute Gesicht trug einen versteinerten Ausdruck, und einen Wimpernschlag lang sprengte ein herzzerreißender Impuls von Verzweiflung diesen äußeren Panzer. Dann tat er, was er musste. Felice unterdrückte die Anwandlung eines erleichterten Seufzers, denn das hätte wohl kaum zu der Gruppenvergewaltigung gepasst. Nun galt es noch, Big G zu einer einigermaßen brauchbaren Aktion zu bewegen. ]-#-[ Ich stampfte unbemerkt nach draußen, schaffte es gerade noch in eine von Unkräutern hoch bewachsene Ecke, bevor ich mich ziemlich heftig übergab. Mir war so elend zumute, dass ich mit zittrigen Knien ein kleines Mäuerchen am Rande des Geländes ansteuerte und mich dort hinsetzen musste. Sprühregen nässte mich ein, was meinem Kostüm vermutlich nicht besonders wohltat, doch das war mir vollkommen gleich. Die anderen rollten wahrscheinlich schon die Matratzen und Schlafsäcke aus, wärmten Reis auf und mümmelten irgendwelche Snacks, während ich mich hier faul trollte. Mein Gewissen ordnete sich jedoch meinem massiven Herzschmerz unter und hielt die mahnende Klappe. Ich mochte das nicht. Sex sollte nichts mit Gewalt zu tun haben. Nie. Natürlich kannte ich all die guten Gründe für diese Vergewaltigungspornos, eine anregende Phantasie, die mit der Realität oder ihrer tatsächlichen Umsetzung gar nichts zu tun hatte, dass es ein Katalysator sei, eine Katharsis, eigene sexuelle Bedürfnisse, die moralisch nicht vertretbar waren, zu erfahren, dass der "Vergewaltigte" sich ganz seiner Vorstellung der Selbstaufgabe, der Unterordnung hingeben konnte, ohne sich als Mann in Frage stellen zu müssen, weil er ja schließlich nicht "gewollt" hatte und sich ja nicht wehren konnte, eine echte Befreiung des widerstreitenden Drucks von Bedürfnis und Rollenbild. Fein. Trotzdem konnte ich das einfach nicht verknusen. Selbstverständlich wusste ich, dass ein Mann, der es sich rektal "besorgen" ließ, seinen Status als "Mann" verlor. "Genommen" wurden immer die Schwächeren, also Frauen oder eben Nicht-Männer. Ein toller Hecht war nur der, der seine Rute in einem Loch seiner Wahl versenkte. Gänzlich konnte selbst ich mich nicht von dieser selbst oktroyierten Einstellung befreien, aber in meinem naiven, grotesk hässlichen Schädel pflegte ich noch immer die Idee, dass man sich auch einvernehmlich und ohne Gewalt darüber verständigen konnte, wie es mit dem Beischlaf ablief, ob man mal der Regisseur sein wollte, mal der willige, vertrauensvolle Mitspieler. Wobei es um Spiel, um Vergnügen, um Zuneigung ging, nicht um Abbau von Triebstau und das Ausüben von Macht und selbstherrlicher Dominanz. Ich war eben doch ein Vollidiot. Und dieser Vollidiot hockte im Nieselregen, umklammerte mit beiden Armen seinen wütend krampfenden Bauch und schnüffelte schnaubend vor sich hin. Wenn mir die Kehle nicht so eng gewesen wäre, hätte ich bestimmt geheult. ]-#-[ Felice verbrachte einen Großteil der kurzen Nacht damit, die bisher vorhandenen Aufnahmen zu bearbeiten, zu schneiden und zu arrangieren. Er verzichtete auf ein Frühstück, dirigierte das Team. Weitere Aufnahmen mit den bedrohlichen Gangmitgliedern, die ihn bedrängten, folgten. Big G und sein Manager verabschiedeten sich gegen Mittag, sie wollten dem angekündigten Taifun zuvorkommen. Die übrigen Darsteller vertrieben sich die Zeit bis zum Abschluss der Dreharbeiten mit Videospielen oder Musik hören, während Felice den Kern des Films ablichtete: wie sich Nachwuchs-Gangster und Jung-Lehrer verliebten. ]-#-[ Im Felice-Modus war mit Masaru kein Wort zu wechseln. Ich gewann darüber hinaus den Eindruck, dass er mir bewusst auswich. Er arbeitete wie besessen, gönnte sich keine Pause, kontrollierte hier Aufnahmen, da die Scheinwerfer, dort das Set und meine Aufmachung. Vor was lief er weg? Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf meine Szenen vorzubereiten. Darin hatte ich ja mittlerweile Übung, auch wenn es sich merkwürdig anfühlte, mit Felice Sex zu haben, weil ich mich nach Masaru sehnte. Es gab die üblichen Sexszenen, dazwischen kurze Sequenzen, in denen unsere Gefühle im Widerstreit zu unserer Umgebung skizziert werden sollten, letztendlich nach Erhalt des Schuldiploms den finalen Sex in einem falschen Büro. Vorhang zu, Helden happy, die böse Gang Vergangenheit. Grauenvoll. Felice wandte sich sofort dem Ergebnis zu, beachtete mich nicht weiter, sodass ich, mit knurrendem Magen und bleischwerem Herz, beim Abbruch half. Ich war Luft für ihn. Das wollte ich jedoch nicht so belassen, auch wenn ich spürte, dass es für sein Verhalten Gründe geben musste. Unerfreulicherweise mischte sich nun Saburo ein, umschwirrte Felice in seiner aufdringlichen Art, verhinderte damit effektiv, dass ich auch nur einen Moment lang mit ihm allein sein konnte. Enttäuscht und schwermütig nach einer kurzen, unerfreulichen Nacht, hungrig und seltsamerweise frierend stopfte ich mich wieder auf den Sitzplatz im Bus. Während der Fahrt kontrollierte ich die Nachrichten meines Mobiltelefons, da nicht nur das Wetter meinen Schichtplan beeinflussen konnte. Mich durchzuckte ein elektrischer Schock, als die erste Nachricht Masarus Namenszeichen einblendete. [Erkläre alles später. Melde mich.] Ich widerstand tapfer der Versuchung, mir den Kopf nach ihm zu verrenken. Konnte ich ihm vielleicht doch meine kräftige Schulter als temporäre Stütze andienen? ]-#-[ Kapitel 8 - Vertrauensbeweise »Er arbeitet an dem verdammten Film« , das sagte ich mir seit genau sieben Tagen und zwölf Stunden. So, wie Felice sich seiner Profession widmete, konnte er wohl kaum Zeit erübrigen, um sein Versprechen mir gegenüber wahrzumachen, zumindest noch nicht. Aber mich wurmte es doch sehr, weil ich mir Sorgen machte, weil ich die Nase voll hatte von den dummen Spekulationen, die mein Gehirn widerborstig ersann, auch wenn ich es zur Zurückhaltung ermahnte. Warum meldete er sich nicht, verflixt?! Eigentlich hatte ich ja wirklich genug Ablenkung durch meine eigene Arbeit, die mir Verständnis für Felices Prioritäten einflößen sollte. Das beeindruckte mein waidwundes Herz allerdings gar nicht. Seit gestern konnte man unseren neuesten Streifen im Portal runterladen. Dass ich mir nicht ansehen wollte, wie ich Felice vergewaltigte, muss ich wohl kaum erklären. Wie lange konnte es denn nun noch dauern, bis er sich meldete?! Ich war wütend, frustriert, ungeduldig und übellaunig, was ich von mir gar nicht kannte und auch nicht mochte. ]-#-[ Anheimelnd sah anders aus. Der heftige Regen verbarg die Tristesse des heruntergekommenen Gebäudes, doch auch die wolkenverhangene Nacht konnte nicht über den desolaten Zustand des Gevierts hinwegtäuschen. Der Fahrer des Taxis schloss die hintere Tür und fuhr behutsam wieder an, um den teuren Trenchcoat seines Kunden nicht zu beschmutzen. Der zögerte nur einen Augenblick, um dann entschlossen dem Haupteingang zuzustreben. Eine bleiche Laterne funzelte trübe, genügte kaum, Aufzug und offenes Treppenhaus zu beleuchten. Der späte Fahrgast votierte für das Treppenhaus, erklomm die fünfte Etage, bevor er die Galerie betrat. Auch hier verloren schwächliche Neonlampen den aussichtslosen Kampf mit Dunkelheit und mangelnder Bausubstanz. Vorbei an Fahrrädern, kleinen Kästen und Kübeln, gebündelten Zeitungen und anderen Hindernissen schlängelte sich der Besucher bis zu einer verbeulten Tür. Hier flankierten zwei angeschlagene Plastikeimer mit wackerer Grünbepflanzung den Zugang zum dahinterliegenden Appartement. Ein Blick auf das Türschild genügte, dann wurde energisch, ja, sogar unerbittlich die Klingel eingedrückt. ]-#-[ Ich war vor zwei Stunden entnervt und ärgerlich auf mich selbst ins Bett gekrochen, sodass mich die Türklingel derart aufschreckte, dass ich senkrecht hochklappte. Mein Herz raste, und ich benötigte eine Weile, bis mein Gehirn die Stromversorgung wieder voll aktiviert hatte, dann begriff ich die Bedeutung von Lärm und Tür, schüttelte die Decke ab und marschierte eilends zum Eingang. Kaum hatte ich die Tür nach außen aufgeklappt, denn es konnte sich wohl nur um ein Versehen handeln, mitten in der Nacht, stürzte eine tropfnasse Gestalt an mir vorbei, schlüpfte aus den Schuhen und wickelte sich aus dem Trenchcoat. "...Masaru?", krächzte ich verblüfft, rieb mir ungläubig die Augen. Woher? Und wieso? Glücklicherweise sprangen meine Manieren in die Bresche geistiger Umnachtung, "magst du was trinken? Oder essen? Eine Dusche?" "Geh wieder ins Bett!", schnauzte er mich rau an, löschte einfach das Licht. "Äh...", ächzte ich überrumpelt, denn ich konnte immer noch nicht ganz begreifen, dass Masaru hier, in meiner schäbigen Bude, mitten in der Nacht, auftauchte. "Geh-ins-Bett!", nun schubste er mich ziemlich kräftig zurück zu meinem Futon, "schlaf wieder ein!" Da es mir ratsam schien, ihm zumindest seinen Willen zu lassen, kletterte ich also wieder auf meine Matratze und arrangierte die Decke. Was war bloß los? Hellwach war ich nicht, leider, sondern immer noch ein wenig benommen und schläfrig, trotzdem wollte ich nicht einfach aufstecken. Masaru kroch neben mich, drehte mich einfach auf die Seite und schmiegte sich an meinen Rücken. Sein Atem schlug sich auf meiner Haut nieder, er löffelte, als hinge sein Leben davon ab. Ich entschied, die Klappe zu halten, als heiße Tränen über meine Schulterblätter rannen. ]-#-[ Ich schlug den Wecker k.o., bevor er losbrüllen und Masaru aufwecken konnte. Vorsichtig entzog ich mich seiner losen Umarmung und wieselte auf Zehenspitzen durch meine Wohnung. Am Morgen, das Licht gedämpft durch den starken Dunst, hervorgerufen durch die nächtliche Kühle, den anhaltenden Regen und die aufheizende Sonne, wirkte sie armselig. Na ja, die Substanz war nicht gut, und ein großer Mann in einem Einzimmer-Appartement neigte eben zum kunterbunten Chaos, wenn er wie ich gerne kochte und Grünzeug adoptierte. Anstelle eines luxuriös gepolsterten Doppelbetts gab's bei mir Futon zum Ausrollen vor einer klapprigen Couch, dazu Umzugskisten als Behelfsmöbel, ganz bestimmt nicht die richtige Umgebung für Masaru. Ich las seine teuren Kleider auf, wischte die vornehmen Slipper ab und bewunderte die Qualität seines Trenchcoats, der den Regen offenkundig einfach von sich abperlen ließ. Möglichst lautlos absolvierte ich die morgendlichen Reinigungsrituale, kleidete mich an und präparierte die Fütterung der Löwen. Die Zeit rückte vor, ich mampfte, ein winziges Bisschen enttäuscht, allein mein Frühstück und packte meine Tasche für die Arbeit. Masaru hätte wohl auch weiter in dem beinahe komatösen Schlaf auf meinem Futon geruht, wenn nicht das Nebelhorn drei Häuser weiter aus voller Dose getrötet hätte. Ab und an wurde dieses Alarmsignal benutzt, wenn mal wieder ein hartnäckiger Teil des Betongerüstes eingerissen werden musste. Masaru erging es wie mir beim ersten Mal: mit einem gekrächzten Aufschrei saß er senkrecht und desorientiert auf dem Futon. Bemerkenswerterweise war er schneller als ich, denn nach einem Blinzeln kam er bereits auf die Beine und packte mich an den offenen Hemdschößen, "du gehst schon?!" Das war ein Vorwurf. "Entschuldige", bemühte ich mich um Schadensbegrenzung, wischte ihm sanft wirre Strähnen aus den Augen, "ich wollte dich eigentlich ausschlafen lassen..." "Nein!", protestierte Masaru heftig, die Augen unnatürlich glänzend, sodass ich impulsiv seine Stirn auf Fieber kontrollierte. Er jedoch zerrte an meiner Hose herum, "dafür ist noch Zeit!" Nicht nach meinen Maßstäben, weshalb ich seine Handgelenke einfing, bevor mir die Hose auf die Knöchel rutschen konnte. "Masaru, lass uns das in Ruhe..." "Nein! Nein, verdammt! Ich will JETZT!", brüllte er heiser, was ich damit erstickte, dass ich ihn eng an mich presste und seine Arme einklemmte. Mir fielen seine Tränen ein, der seltsame Auftritt hier, nun die verzweifelte Wut, mit der er sich zu befreien suchte, unverständliche Laute ausstieß. Mein Mut sank stetig bis in die Zehen hinab. Etwas war passiert, daran gab es keinerlei Zweifel mehr. Der souveräne, immer kontrollierte Felice und der misstrauische, ungestüme Masaru, sie passten nicht zu dem heulenden, tobenden Sex-Aggressor in meinen Armen. Er spielte eine Rolle, die nicht zu ihm passte. Um was zu verbergen? Ich drückte etwas fester zu, seine Energie rannte sich an meiner massiven Gestalt müde. Als ich sicher war, dass er zu erschöpft war, diese erschreckende Maskerade weiterzuführen, gab ich ihn frei und dirigierte ihn auf meine alte Couch. Ich ging vor ihm in die Hocke, betrachtete sein gerötetes Gesicht, Spuren von Tränen und Speichel, die umschatteten Augen, die wirren Haare. "Lass uns heute Abend reden, ja? In aller Ruhe, nur wir beide!", flehte ich, fischte dann im Sammelsurium den Zweitschlüssel an einem alten Maskottchen-Anhänger heraus. "Für alle Fälle", ergänzte ich hastig und drückte ihm den Schlüssel in eine kraftlose Hand. Masaru nickte bloß stumm. Es tat mir weh, ihn so zurückzulassen, fiebrig, durcheinander und erledigt. Für einen Moment erwog ich, mich krankzumelden, da beugte er sich vor, küsste mich mit heißen, trockenen Lippen auf die Wange, "mach deine Hose zu, bevor du gehst. Ich warte hier auf dich." ]-#-[ Man konnte von Glück sagen, dass mir an diesem Tag keine Fehler unterliefen, denn eigentlich steuerte ich bloß auf Autopilot. Alle Gedanken kreisten nur um Masaru. Wie war er zurechtgekommen? Hatte sich das Fieber gesenkt? Ob er etwas gegessen hatte? Bedrückte ihn die Enge meines Appartements? Ich duschte wie der Blitz und drängte mich unverwüstlich in die Bahn, erledigte die Einkäufe in Rekordgeschwindigkeit. »Hoffentlich ist er noch da, hoffentlich ist er noch da, hoffentlich ist er noch da«, gebetsmühlenartig leierte diese Litanei in meinem Hinterkopf. Als ich meine Wohnungstür aufschloss, regte sich zumindest im dämmrigen Zwielicht der herabgelassenen Bambusrollos nichts. Dafür bildete sich auf meinem noch immer ausgestreckten Futon eine kleine Hügellandschaft unter der dünnen Decke. "Masaru?", flüsterte ich erleichtert, schlüpfte aus den Sandalen und streifte mein Hemd ab, deponierte Einkäufe und Tasche in meiner Kochnische. Die ausbleibende Reaktion machte mich nun doch nervös, denn außerhalb meines Appartements tobte weiterhin das Leben, und nicht nur die Nachbarn, sondern auch die nicht weit entfernte Baustelle. Des Rätsels Lösung erleichterte mich: Masaru hatte sich eine sehr schmucke Schlafmaske übergestreift und die Ohren mit Stöpseln verschlossen. Mit der Fingerspitze temperierte ich seine Kondition und konstatierte erfreut, dass das Fieber wohl abgeklungen war. So weit, so gut! Ich erhob mich, stutzte über die exklusive Tasche auf der Couch und dachte darüber einen Moment nach. Hatte Masaru sie etwa in der Nacht bei sich gehabt? Daran konnte ich mich nicht erinnern. Folglich musste er sie im Laufe des Tages geholt haben. »Also bleibt er länger? Über Nacht?«, jauchzte mein naiver Vollidiot innerlich begeistert. Mein Verstand stellte ihm jedoch gleich ein Bein, »dir ist aber schon klar, dass Felice als Callboy arbeitet, oder? Das da wird sein Arbeitsgepäck sein.« Meine Schultern sanken mal wieder, die Realität holte mich auf den harten Boden der Tatsachen zurück. »Bild dir keine Schwachheiten ein!«, ermahnte ich mich. Es war doch sonnenklar, dass Masaru Wäsche zum Wechseln benötigte, wenn er hier nächtlings regennass herein stolperte. Ich zottelte in mein winziges Badezimmer, mehr Dusche und Lokus mit Miniwaschbecken darüber. Als ich mir nach dem Wasserlassen artig die Tatzen wusch, fegte ich beim Abtrocknen versehentlich Felices dort deponierte Kulturtasche vom wackligen Bord. Mit der natürlichen Logik des Murphy-Prinzips schlug sie einen Kabolz und verteilte ihren Inhalt auf und um meine Füße herum. Ich ging also in die Hocke und sammelte ein, was sich da ergossen hatte: nicht nur die üblichen Hygieneartikel, sondern auch das Handwerkszeug der Sexarbeiter. Womit ich allerdings überhaupt nicht gerechnet hatte, waren Tampons. Ich studierte die geöffnete Schachtel verwirrt, verstaute geistesabwesend ein desinfizierendes Gel... und begriff. ]-#-[ Umino hatte sich gerade der täglichen Routine der Pflanzenpflege erledigt, als sich das kleine Gebirge auf seinem Futon rührte, die dünne Decke abschüttelte und mit einer fahrigen Geste die mondäne Schlafmaske abstreifte. Masaru blinzelte, schien ob der verstrichenen Zeitspanne erschrocken und entplombte hastig seine Gehörgänge. "Hallo", begrüßte ihn Umino mit sonorer Stimme, "Lust auf Abendessen?" "Ich hab", ein Krächzen unterbrach den Satz, Masaru räusperte sich ärgerlich, "total verschlafen." "Wenn du duschen magst, kann ich in der Zwischenzeit etwas für uns herrichten", unverändert freundlich leitete der Hüne, im Freizeitanzug von Bermudas und Unterhemd, weitere Aktionen ein. Masaru verkniff sich einen Kommentar, schraubte sich in die Höhe und pflückte seine Tasche von der Couch, um im winzigen Hygienegelass zu verschwinden. So entging ihm das profunde Seufzen, das Umino entwich, bevor der entschlossen die dünne Decke und den Bezug des Futon zum Lüften vor die Eingangstür aufhängte. ]-#-[ Nachdem ich rasch Ordnung gemacht und meine Futonmatratze verstaut hatte, damit man sich unfallfrei durch mein heimeliges Chaos bewegen konnte, kochte ich ausreichend Tee, verteilte Reis in die Schälchen und kreierte Aufpick-Futter, Masaru war schließlich ein heikler Esser. Wenn es Mühe bereitete, verkniff er es sich. "Danke schön", äußerte er förmlich, als er meinem Bad entschlüpfte, in eine seiner luftig-leichten Yukata gehüllt, den wirren Schopf mit einem Handtuch gebändigt. "Da nicht für", bBrummte ich beiläufig und gestikulierte ihm, an den gedeckten Umzugskisten Platz zu nehmen, kredenzte Tee. Durst schien er zumindest zu haben, denn er schluckte artig und wiederholt, saß dabei so graziös-lässig auf meiner alten Couch, als sei er nicht sehr viel Besseres gewöhnt. Seine äußere Ruhe war jedoch nur gespielt, das sagten mir die nervösen Seitenblicke. Ich langte jedoch erst mal zu, nicht, weil ich ihn damit quälen wollte, sondern einfach, weil mein Magen ernsthafte Beschwerden funkte, immerhin hatte ich ihn so lange vertröstet, bis mein süßer Schläfer ausgeträumt hatte, und nun verlangte er nach seinem Recht. "Das ist sehr lecker", lobte Masaru verlegen, pickte hier und da etwas auf. Felice wäre diese hilflose Bemerkung wohl nicht entschlüpft. Das rührte mich schon wieder, denn hier hatte ich nicht mit dem Chamäleon zu tun, sondern dem widerborstigen Wüterich, den ich liebte. Nachdem die Reisschüsseln bis auf das letzte Korn geleert waren, räumte ich ab, verschob jedoch den Abwasch und setzte mich zu Masaru. "Wie fühlst du dich?", erkundigte ich mich. "Gut. Selbstverständlich", sein schwefliger Blick demonstrierte lauerndes Misstrauen ob dieser Frage. "Heute Morgen hattest du Fieber", ich war die Ruhe selbst, "das scheint sich wohl gelegt zu haben." "Hmm, ja", Masaru glättete unsichtbare Yukata-Falten auf seinem Schoß. Ich wartete. Draußen lärmte der späte Alltag. Bei mir tickte nicht wie in den alten Filmen eine Standuhr die Zeit weg, doch trotzdem baute sich eine massive Stille zwischen uns auf. »Sein Zug!«, ermahnte ich mich innerlich energisch, denn ein Teil wollte es Masaru erleichtern, ein Stichwort liefern, damit er die versprochene Erklärung ohne Druck geben konnte. Ich blieb, auch wenn es mich anstrengte, also tapfer still und stumm. Masaru gab endlich die Massage seiner Fingergelenke auf und hob den Kopf, bot mir sein schönes Profil. "Ich habe es nicht vergessen", er räusperte sich, seine Stimme klang belegt, "ich meine, dass ich dir eine Erklärung versprochen habe." »Kommen lassen!«, verwarnte mich meine innere Stimme. Neben mir setzte Masaru sich auf, schlug grazil ein Bein über das andere, ließ mich befürchten, dass Felice mir nun die Umstände in seiner kühl-distanzierten Weise knapp wiedergeben würde. Es war jedoch Masaru, der mit einem tiefen Atemzug und ernster Miene seinen steinigen Weg einschlug, "dieses Geschäft lebt von Verpflichtungen. Ich hatte auch welche, natürlich, und üblicherweise ist das auch kein Problem." Er zog eine verächtliche Grimasse. "Dieses Mal wurde mir von einer Partei im Hintergrund nahegelegt, diesen talentfreien Blödmann BIG G", er spie die Silben angewidert aus, "zu fördern, den aufsteigenden Star! Ha!" Abwesend löste Masaru den Handtuchturban und kämmte seine seidigen Strähnen mit den Fingern, "das passte mir nicht. Die meisten dieser geförderten Knackärsche taugen nichts. Sie können vielleicht bumsen, aber ansehen will das keiner." Er schnaubte ironisch, "na ja, irgendwelche Qualitäten muss er wohl haben, auch wenn ich mir partout nicht vorstellen kann, was die wohl sein mögen." Masaru erhob sich, hängte das feuchte Handtuch an die kleine Wäschespinne vor dem französischen Balkon. Er nahm nicht mehr neben mir auf der Couch Platz, sondern lief langsam auf und nieder, als hätte der lange Schlaf nun einen Gegenpart in Form von Bewegung verdient. "Jedenfalls", fuhr er fort, "ich hatte keine Wahl, als den Blödmann unterzubringen. Es wurde Druck ausgeübt, mit Geld und Verbindungen gedroht." Nun sah er mich zum ersten Mal an, ernst, entschieden, aber auch traurig. Er ballte die Fäuste, ein trotziger Ausdruck schlich sich in seine Miene. Mit Verve ging er die Hürde an, "ich konnte das Drehbuch nicht verhandeln, also habe ich über die Verkaufszahlen und einige Verbindungen dafür gesorgt, dass du mein Hauptdarsteller wirst und nicht der Blödmann." Ich hielt tunlichst den Schnabel, denn meine spontane Gesellschaftsreflexreaktion wäre ein gemeingefährliches "danke" gewesen. Masaru rang mit sich, Sehnen zuckten im Gesicht und in den Handrücken der geballten Fäuste. Heiser brach es aus ihm heraus, "ich WUSSTE, dass dir das nicht gefallen würde, aber ich habe es trotzdem gemacht und dich ausgebeutet, aus Eigennutz! Ohne Rücksicht auf dich." Auf seinem Gesicht stand wachsbleich Ärger und auch Scham über sich selbst. "Es tut mir leid", er rang um Fassung, "ich bereue es aufrichtig." Ehe ich mich versah, hatte er sich in formaler Haltung vor mir auf die Knie geworfen, presste die Stirn auf den abgetretenen Boden. "Nicht doch!", endlich schraubte ich mich aus den Tiefen meiner Couch hoch, "Masaru, schon gut, ist doch nicht so schlimm!" Bevor ich seine Schultern berühren, ihn hochziehen konnte, schnellte er selbst hoch, fuchsteufelswild und gleichzeitig dunkelrot beschämt, "es IST schlimm, verdammt!!" Seine Hände legten sich um mein Gesicht, seine geschulte Stimme überschlug sich vor Erregung, "sei gefälligst nicht so nachsichtig!! Hast du mir nicht zugehört?! Ich habe dich ausgenutzt! Mit Absicht! So was tut man nicht, klar?!" "Und du hast dich entschuldigt", wollte ich ihn besänftigen, legte die Arme um seine bestürzend magere Taille. "Wohlfeile Worte!", brüllte er zu mir hoch, "ist das genug, um zu kompensieren, was ich dir angetan habe, hä?! Hast du schon vergessen, wie du in die Büsche gereihert hast?! Dass ich dich in einen lächerlichen Halbstarken verwandelt habe?!" "Uh!", murmelte ich ertappt, "du hast gesehen, wie ich...?" Das war mir nun doch sehr peinlich. "Pff!", zischte Masaru aufgebracht, "denkst du, ich merke nicht, wenn du verschwindest, dann viel später tropfnass rein schleichst und dir ständig den Mund abwischst?!" Na, so was! Ich hatte nicht angenommen, dass er trotz all seines Stresses sein Augenmerk auch auf mich richtete. Masaru atmete in meinen Armen noch immer heftig, die Augenbrauen zornig zusammengezogen, die Wangen gerötet, außer sich, weil ich keine Absichten hatte, ihn zu bestrafen. Aber wie hätte ich das auch tun sollen? Offenkundig war er in einer Zwangslage gewesen und hatte mir die Ehre erwiesen, mich als seinen Partner auszuwählen, das heißt, über alle anderen zu stellen. Darüber konnte ich, trotz der Begleitumstände, nicht wütend sein. Manchmal war das Leben eben kein Ponyhof! "Du wirst das so einfach akzeptieren, oder?", Masaru lauerte, die hellen Augen funkelten finster, "wieso revanchierst du dich nicht?!" Bei mir fiel nun endlich der Groschen und sorgte für Erkenntnis. "Würdest du dich dann besser fühlen?", erkundigte ich mich bauernschlau. "GRRRR!", knurrte Masaru und trat mir heftig vors Schienbein. Da wir beide jedoch barfuß unterwegs waren und ich ziemlich stabile Knochen habe, verletzte er sich selbst dabei. Die Wut verbot es ihm jedoch, außer zusammengepressten Lippen und einem erstickten Schnaufen dieses Ungemach zu verkünden. Ich nutzte diesen Augenblick aus, meine Arme tiefer zu schieben, leicht in die Knie zu gehen und mir Masaru über den Rücken zu werfen. "Pass auf den Kopf auf", warnte ich ihn milde, eine Hand auf seinem aparten Hinterteil, marschierte in meiner Wohnung auf und nieder. "Ich gebe zu", Masarus Hände brannten Löcher in mein Rückgrat, wo er sich abstützte, "dass ich enttäuscht war, weil du mir nichts von deinen Schwierigkeiten erzählt hast. Und ich war definitiv wütend über diese Vergewaltigungssache. Dass mir das auf den Magen geschlagen hat, na ja..." Verlegen zuckte ich mit der freien Schulter und drehte mich einmal im Kreis. "Das ist dir ja nicht verborgen geblieben", mit der freien Hand streichelte ich über seine dünnen Waden, "aber ich vertraue dir. Ich traue deinem Urteil, und wenn es eben nicht anders ging, dann akzeptiere ich das. Ich würde mir nur wünschen, dass es sich nicht wiederholt." Aber wir wissen ja alle, dass man niemals nie sagen kann, nicht wahr? An meinem Rücken war es bemerkenswert still. "Ich verstehe auch, dass du viel zu tun hast. Hab es ja schließlich selbst gesehen", ich ging in die Hocke und setzte Masaru auf meiner Couch ab, sah ihm in das leicht gerötete Gesicht. "Wenn du etwas für mich tun kannst", wagte ich mich tollkühn aus der Deckung, nahm seine eleganten Hände in meine Pratzen, "dann wünsche ich mir, dass du Masaru bist, wenn wir allein sind." Er blinzelte verwirrt. Ich erklärte, vermutlich dümmlichst grinsend. "Es ist nicht so, dass ich Felice nicht zu schätzen wüsste, aber", ich holte tief Luft, "ich liebe Masaru." Zu meiner Verblüffung lief Masaru nach einem erstickten Ächzen dunkelrot an und drehte hastig den Kopf weg. ]-#-[ Umino ließ seinem Liebsten Zeit, sich ob dieser unverhohlenen Deklaration der Gefühle wieder zu fassen und pflanzte sich neben ihn auf die alte Couch. Unerschrocken kaperte er eine Hand und hielt sie warm in seiner großen fest. "Mir so was ins Gesicht zu sagen, das ist nicht fair!", schmollte Masaru neben ihm heiser. "Bin eben manchmal ein richtiges Ekel", schmunzelte Umino, keineswegs reuig. Trotzdem drückte er sanft Masarus Hand. "Du sollst nicht nett zu mir sein", murmelte der neben ihm mit flacher Stimme. "Nein? Obwohl wir ein Paar sind?", Umino lächelte auf den gebeugten Schopf herunter. "Nein", antwortete Masaru leise, "ich bin nämlich noch nicht fertig." Das hörte sich wirklich nicht gut an. ]-#-[ Da erinnerte ich mich wieder an meine Erkenntnis im Bad, also legte ich mir ein temporäres Schweigegelübde auf, damit Masaru reinen Tisch machen konnte. Seine Hand in meiner zitterte leicht. In meinem Magen bildete sich ein Knoten. "Nach den Dreharbeiten gab's Streit. Ich habe alles zig Mal umgeschnitten, bis mir der Kragen geplatzt ist und ich eine Version ganz ohne den Blödmann zusammengestellt hatte, da haben sie endlich eingelenkt." Er klang so erschöpft, dass ich nicht anders konnte als den Kopf drehen und auf seine Gestalt herabblicken, sehnig-schmal, beinahe zerbrechlich, gründlich bis perfektionistisch, mit hoher Moral, fleißig, verantwortungsvoll, und ganz allein. Ich würgte den Kloß in meinem Hals runter. "Ich wollte danach sofort mit dir sprechen", er schnaubte bitter, verächtlich über sein zuversichtliches Selbst, "da kam ein Anruf, für meinen anderen Job. Jede Menge Geld." Das Zittern endete, nun wirkte er wie erstarrt neben mir. "Ich war darauf vorbereitet, dass es keine Routine werden würde, nicht bei der Summe", zischte er giftig. Ich wollte das gar nicht mehr hören, es machte mir Angst. Nun drückte er meine Hand, eisern, schmerzhaft. "Tja, und ehe ich es mich versehe, kommt Big G als Stargast hereingewalzt", sein ätzend munterer Ton war das Pfeifen im finsteren Wald, "der dann mit mir alle Szenen im Film nachspielte, wobei er NOCH ungeschickter war als beim Boxen..." Masarus Stimme kippte weg. Ich hielt es nicht länger aus. Ohne sein Keuchen zu beachten zog ich ihn auf meinen Schoß, schloss ihn in meinen Armen ein, als könne ich ihn damit vor der Welt verbergen. "Ich hatte ja schon gehört, dass der Blödmann unfähig ist", versuchte Masaru an meiner Halsbeuge die Untat ins Lächerliche zu ziehen, aber seine Stimme zitterte verräterisch. "Ich könnte ihn umbringen", entwich es meinen knirschenden Zähnen. DIESER debile Depp hatte Masaru so zugerichtet, dass er blutete, wer weiß welche anderen Spuren davongetragen hatte, die mir entgangen waren?! "Nicht, wenn du dich mit ihm prügeln willst", schniefte Masaru, schlang die Arme um meinen Nacken, "ihr wart definitiv die lausigsten Kämpfer aller Zeiten." "Dann lasse ich mir was anderes einfallen", knurrte ich finster. Wer Hühnern den Hals rumdrehen konnte, würde auch so eine hohle Nuss vom Stängel schrauben können! "Tu das nicht", Masaru stemmte die Hände vor meinen Brustkorb, fixierte mich streng, "sein Gönner hat Leute, die dich auf der Arbeit besuchen und zusammenschlagen, während andere dein trautes Heim in Schutt und Asche legen." Ich betrachtete die Spuren von Schmerz und Demütigung in Masarus schönem Gesicht. "Das ist natürlich ein gewisses Hindernis", gestand ich ein, "ich hätte wohl damals fester zuhauen sollen." Masaru lachte erstickt auf, "oh, er wird schon seine gerechte Strafe bekommen. Der alte Bock, der ihn fördert, ist für seine Sammlung von Geschlechtskrankheiten berühmt." Ich löste eine Hand, um seidige Strähnen aus Masarus Gesicht zu kämmen, streichelte seine Wange. "Hast du noch große Schmerzen?", erkundigte ich mich leise. "Na ja", er zuckte mit den Schultern, "das gehört eben zum Berufsrisiko. Außerdem habe ich noch meine Hände und meinen Mund..." Bevor er mit seinem gezwungen lässigen Tonfall fortfahren konnte, zog ich ihn an meine Brust und dirigierte mit einer Hand sein Gesicht an meine Kehle. Warum ich vor mich hin brummte, ihm wie einem Säugling den Rücken rieb, weiß ich nicht, aber es half. Masaru schluchzte sich aus tiefster, nun rauer Kehle all den Stress und das Unglück der letzten Woche aus dem Leib. Ich entschied, während ich ihn leicht wiegte, dass er dringend einer Auszeit bedurfte und wollte, tollkühn genug, es diesem notorischen Workaholic auch bei nächster Gelegenheit sagen. Liebe macht einen eben nicht nur zum Vollidioten, sondern auch zum Drachen. Hausdrachen. Ohne Pantoffel. ]-#-[ Umino wickelte seinen Gast ungeachtet der Temperaturen zur seelischen Erholung in eine weiche Decke ein und setzte erneut Tee auf, keine heimische Sorte, sodass er auch ohne Gewissensbisse ordentlich mit Honig süßen konnte. "Ich bin zum Weichei mutiert", murmelte Masaru auf der alten Couch kompakt zusammengerollt heiser. "Du brauchst Ferien", platzte Umino mit seiner Einschätzung heraus, obwohl er sich nicht Augenblicke zuvor streng ermahnt hatte, dieses Thema diplomatisch anzuschneiden. Masaru knurrte lediglich, enthielt sich jedoch eines Kommentars. Er schlürfte auch artig den süßen Tee, führte keine Beschwerde über die winzigen Schweißperlen, die sich auf seiner Stirn bildeten und verirrte Strähnen festklebten. Eingedenk der nächsten Schicht und der fortgeschrittenen Stunde lehnte sich Umino an seine Schulter an, nur ein wenig, um den kleineren Mann nicht zu erdrücken, und döste ein. Masaru wartete geduldig ab, bis die Atemzüge tiefer wurden, dann bugsierte er behutsam das struppige Haupt auf seinen Schoß. Lediglich die wechselnden Reklameleuchten und der Schein der Verkehrslampen warfen verzerrte Lichter in das Schattenspiel des kleinen Appartements. War er nur hierher gekommen, um Abbitte zu leisten? Sein Wort zu halten? Nicht zum ersten Mal musste er Rückschläge verkraften, doch bisher hatte er seine Wunden abgeschieden, ganz für sich allein, gut versteckt vor der Welt, geleckt. Nichts durfte die Fassade seiner unnahbaren Stärke durchdringen, Zweifel an seinen Nehmerqualitäten wecken, aber schon wieder fand er sich bei Umino, entblößte seine schlechtesten Seiten vor ihm, verriet Schwächen und Charaktermängel! Mit einer Hand rieb er sich über die klamme Stirn. Eine Entscheidung war zu treffen. Wem sollte er aber etwas vormachen? »Ich habe meine Wahl doch schon getroffen.« ]-#-[ Ich weiß nicht wie, aber Masaru musste es geschafft haben, meinen gewaltigen Walross-Kadaver im Tiefschlaf von der Couch auf den ausgerollten Futon zu bugsieren, mich zuzudecken und sich selbst ein bequemes Nest auf der alten Couch zu basteln. Dort schlief er zumindest in einer beinahe fötalen Haltung, während ich meine Glieder aufweckte und mich in die Höhe schraubte. Die Versuchung war groß, den süßen Schläfer mit einem Kuss zu bedenken, als bescheidenen Dank für seine Bemühungen, doch ein Blick auf die Uhrzeit verabschiedete dieses Vorhaben. Ich war spät dran, musste dringend duschen, um nicht als Iltis zu gelten, UND ich hatte noch nicht gefrühstückt! In aller Eile fegte ich daher auf Zehenspitzen durch mein Heim, um mich für die Zivilisation aufzupolieren. Obwohl ich bekanntermaßen auf dem Gebiet ja null Erfahrungswerte vorzuweisen hatte, wurde mir klar, dass der Beziehungskiller Nummer 1 zweifelsohne der Alltag mit miserablem Timing war. Gerade jetzt wäre in einer perfekten Welt ausreichend Zeit, gemütlich zu frühstücken und friedlich darüber zu verhandeln, wie die nähere Zukunft aussehen sollte. Blöderweise war diese Welt hier weit weg von perfekt. Und, wie mein innerer Schweinehund feixend ergänzte, in einer perfekten Welt gäbe es auch wohl kaum Probleme, die man bewältigen müsste. Todfade! Na ja, die Meinung teilte ich nicht unbedingt in jeder Sekunde meines Lebens, lamentieren half jedoch keinen Deut. Ich fütterte eilig meinen ungemütlich knurrenden Magen und präparierte gleich noch eine Portion meines Mittagsessens für Masaru. So, wie die Zeichen standen, würde er wohl kaum länger in meinem wüsten Heim verweilen, sondern wie die alten Cowboys wieder auf den Gaul steigen. Keine Feigheit vor dem Feind oder den Umständen. »Jetzt reiß dich aber mal zusammen!«, verwarnte mich mein besseres Selbst energisch, »hier wird nicht herumgejammert! Und depri geht schon gar nicht!« Solcherart zur Ordnung gerufen beugte ich mich also tapfer über Masaru, küsste ein erreichbares Fitzelchen Ohr und machte mich schweren Herzens, aber zehenspitzig von hinnen. ]-#-[ Masaru schreckte, mal wieder, hoch, als das Nebelhorn der Baustelle die Schweizer Alpen grüßte. Zumindest legte die Lautstärke diese Vermutung nahe. Er blinzelte und expedierte lästige Strähnen aus den langen Wimpern. Natürlich, Umino war fort. Mit der flachen Hand ohrfeigte er sich selbst, unnachsichtig und durchaus mit Vehemenz. Höchste Zeit, in die Realität zurückzukehren und den Vollidioten-Modus abzuschalten! Ein mit einem Geschirrhandtuch abgedecktes Mini-Gebirge erregte seine Aufmerksamkeit. Unter dem Piz Mikrofaser befand sich ein geschickt verpacktes Fresspaket und eine Nachricht von seinem japanischen Ex-Rübezahl, gespickt mit hingekrakelten Smileys und Wettersymbolen. Masaru grinste unwillkürlich und schirmte ebenso automatisch seinen Mund mit der freien Hand ab. Losgelöstes, spontanes Amüsement stand Felice nicht gut zu Gesicht. Der selbst auferlegte Reflex ärgerte ihn, was wiederum an seinen Entschluss gemahnte. Er faltete die Botschaft zusammen und schob sie in die geknickten Falten des Care-Pakets. Nach einer Dusche und frisch gewandet räumte er rasch die kleine Wohnung auf, beseitigte systematisch die Spuren seiner Anwesenheit. Auf der Schwelle blickte er sich, das Gepäck in einer Hand, noch einmal kontrollierend um, dann schloss er die Wohnungseingangstür von außen und ließ den Zweitschlüssel in den Briefkasten plumpsen. ]-#-[ »Das war ja klar«, kommentierte der eingebaute Zyniker in meinen Hinterkopf. Schon, trotzdem knickte es mich ein kleines bisschen, dass Masaru nicht auf der Couch saß, der Hauch von luxuriösem Duschgel in der Luft lag und der Anblick meines bereitliegenden Futons meine Magengrube zum Prickeln brachte. Na schön, ich bin eben einfach gestrickt. Ich legte meinen Rucksack ab, streifte die Sandalen von den Füßen und ging, mit sinkendem Herz, auf die Suche nach einer Nachricht. Einen Schatz konnte ich, erwartungsgemäß, leider nicht aufstöbern, vielmehr schien Masaru sich die größte Mühe gegeben zu haben, sein Gastspiel in meinem lausigen Heim möglichst aus der Erinnerung zu tilgen. Seufzend ließ ich mich auf meine Couch sacken und verschob sogar die Fütterung der Raubtiere. »He, sieh es doch mal positiv!«, baute ich mich selbst wieder auf, »immerhin ist er zu DIR gekommen, als es ihm nicht gut ging! Das ist doch schon mal ein Lichtblick!« »Klasse!«, fauchte mein Kritikzentrum, »hoffen wir jetzt also ganz selbstlos darauf, dass es ihm häufig schlecht geht, oder was?!« Während der innere Disput sich in meinem Schädel austobte, überprüfte ich den Wasserstand meiner grünen Freunde. Mir wurde dabei klar, dass ICH selbst ein Problem hatte. Es ging nämlich nicht nur darum, was Masaru erwartete (und ich regelmäßig in totaler Ahnungs- und Instinktlosigkeit versemmelte), sondern um MEINE diffuse Vorstellung von einer Partnerschaft mit ihm. »Ja, GENAU meine Rede! Erst rumprahlen, dass es dir so gefällt, wie es ist...« »Schon kapiert!«, unterbrach ich mich selbst, gelinde gereizt. Nein, wenn ich ganz ehrlich und egoistisch war, gefiel es mir nicht. Ich wollte mit Masaru zusammenleben, ich wollte mit ihm essen, mit und neben ihm schlafen. Ich wollte bei ihm an erster Stelle stehen. "Du bist ein richtiger Heuchler", sagte ich mir selbst ins Spiegelbild der Fensterscheibe. Ja, manchmal hatte ich wirklich die Schnauze voll davon, äußerlich grotesk hässlich und innerlich ein guter Mensch zu sein! ]-#-[ Kapitel 9 - Eskapisten Seltsame Dinge ereigneten sich, oder warfen zumindest ihren ominösen Schatten voraus. Das begann damit, dass ich am nächsten Morgen auf meinem Mobiltelefon eine Mitteilung von einer mir unbekannten Nummer vorfand. Sie war knapp und unmissverständlich: Masaru hatte eine neue Telefonnummer, und ich sollte auf keinen Fall mehr die alte verwenden. Na schön, das konnte schon mal vorkommen, aber irgendwie erschien mir diese Veränderung im Zusammenhang mit Masarus Abtauchen bedenklich, also tat ich genau das, was als Gluckeninstinkt vollkommen idiotisch ist: ich schickte ihm postwendend die Frage, ob bei ihm wirklich alles in Ordnung sei. Wirklich geschickt, ich weiß. Trotzdem erhielt ich nach meiner Schicht eine Antwort. [Hab zu tun]. Nun gut, ausschweifende Unterhaltungen waren definitiv nicht angesagt, so viel begriff ich auch, aber weil ich eben unbelehrbar war, tummelte ich mich im Forum. Big G wurde eindeutig gepuscht, grinste dämlich auf Werbebannern oder hielt, sehr nachlässig verpixelt, seinen Pumpschwengel in die Kamera. Unser Stern als "Traumduo des Pornofilms" schien im Sinken begriffen, auch wenn alle unsere Produktionen noch gemeinsam sämtliche anderen aktuellen Werke übertrumpften. Allerdings bedeutete das nicht viel, denn der Kundschaft verlangte es stets nach neuen Gesichtern und Körpern, Abwechslung in der Belegschaft, wenn auch nicht zwingend im mäßigen Inhalt der Streifen. In der Gerüchte- und Ankündigungsecke gab es nichts zu Felice zu vermelden. Auch hier drängte sich Big G mit uninteressanten Belanglosigkeiten in das Scheinwerferlicht der Gemeinde. Ich fragte mich, was genau Felice gerade vorbereitete. Mit den Erwartungen der Kundschaft zu spielen, indem man geschickt Informationsbröckchen als Köder lancierte, gehörte durchaus auch zu seinem Geschäft. Die nächste Nachricht von Masaru kam zwei Tage später und bestand in einem Auftrag: Urlaub für ein verlängertes Wochenende beantragen. Das war nicht ganz so einfach, da wir ja in Schichten eingeteilt waren und ich einen Tauschpartner auftreiben musste, der auch von der Leitung akzeptiert wurde. Glücklicherweise war ich oft genug für den ungestümen Samstagnacht-Heroen Shima eingesprungen, wenn der mal wieder eine "heiße Braut klarmachen" musste, er schuldete mir also noch einige Gefallen. Weil die Prognose für das übernächste Wochenende nach Taifun und Dauerregen aussah, also eine unveränderte Fortsetzung des gegenwärtigen Wetters darstellte, ließ er sich ohne Umschweife auf den Tausch ein. Sofort, nachdem ich auch von der Leitung grünes Licht bekommen hatte, meldete ich Masaru Vollzug. Da ich das noch vor dem Duschen erledigte, grinsten sich meine Kollegen eins, stellten lautstark Vermutungen darüber an, welches süße Früchtchen wohl mein eisernes Junggesellenherz erobert hatte. Ich ließ sie scherzen und spotten, denn sie meinten es ja gut mit mir. Sie hatten darüber hinaus nicht die geringste Ahnung, dass ich in den vergangenen Monaten eine reife Karriere als Horizontal-Actionstar und Liebhaber hingelegt hatte. ]-#-[ Anstelle einer Bestätigung des erfreulich kurzfristig arrangierten Wochenendtermins trudelte bei Umino in der folgenden Woche eine weitere Anordnung von Masaru ein, Datum, Uhrzeit und Ort mit Wegbeschreibung. Umino verzichtete darauf, nähere Umstände im Voraus zu ermitteln, sondern ließ sich überraschen, nach der Frühschicht dieses Rendezvous wahrzunehmen. Insgeheim hoffte er, selbstredend ganz verstohlen, gegen alle Wahrscheinlichkeit mit Masaru zusammenzutreffen. Diese Sehnsucht erfüllte sich nicht, dafür stand er recht perplex in einem mondänen Styling-Palast. Hier wurden nicht etwa bloß Haare gestutzt, oh nein! Männer und Frauen erhielten, wenn die Vermögenswerte stimmten, von der Massage bis zur Komplettüberholung von den Zehen bis in die Haarspitzen jede mögliche Dienstleistung, die jugendfrei absolviert werden konnte. "Ähm", konsterniert kramte Umino nach seinem Mobiltelefon, denn er zweifelte an seinem Pfadfinder-Gen. Was sollte er hier?! Ein zierlicher, gänzlich in lichtschluckendes Schwarz gekleideter Mann mit Künstlerbarett und Werkzeuggürtel hielt zielgerichtet auf ihn zu, studierte ihn eingehend, "Herr Takase, richtig?" Ein Lächeln, teuer überkront und blendend, leuchtete in seinem runden Gesicht auf, dann hängte er sich ungeniert beim verblüfften Umino ein und dirigierte ihn zur Sektion "Makeover-Head". "Felice hat mir ein Bild von Ihnen geschickt, mein Lieber!", offenbarte er Umino die näheren Umstände seines Engagements, "ich sehe, dass Sie ein wenig Hilfe nötig haben." Umino bezog diese Anspielung auf sein äußeres Erscheinungsbild, unterdrückte amüsiert die Frage, ob hier auch ganzkörperliche Schönheitsoperationen mit Persönlichkeitsoptimierung angeboten wurden. Darum ging es dem Figaro, Meister Haru ("wie der Frühling, mein Verehrtester!"), jedoch gar nicht. Ein Assistent eilte mit schwingenden Hüften herbei, die Umino vermuten ließen, er habe sich da Kugellager einbauen lassen. Meister Haru gab Anweisungen, während Umino unter einem farbenfrohen Zelt verschwand. Wie er aus dem lehrreichen Monolog des Meisters lernte, hatte er für seine Naturkrause selbstredend das vollkommen falsche Pflegemittel benutzt, keine Rücksicht auf die Dynamik seines Haupthaares genommen! Als nächstes folgte ein Exkurs über die traurige Vernachlässigung des Werkzeugs, das zuletzt die Haarpracht gestutzt hatte, bedauerlich unsensibel. Umino unterdrückte ein Grinsen, während der Maestro handgreiflich demonstrierte, hier und da an Strähnen zupfte und zwirbelte. Sein gewohnter Friseur verabschiedete nicht mal die im Mundwinkel eingewachsene, selbst schief gedrehte Kippe, wenn der mit hängenden Lidern mit dem Messer und einem zahnlückigen Kamm operierte! Dieser Figaro hier jedoch, ein wahrer Künstler, wechselte nun zu den Spuren der Profession seines Klienten, Plastikriemen des Schutzhelms und wie dieser Umstand ins Kalkül gezogen werden musste. Außerdem war die äußere Form der Schutzbrille zu bedenken, um den Mann von Welt entsprechend zu coiffieren! Letzte Station bildete der Wildwuchs, den Meister Haru mit dem leidenden Ausdruck eines Zitronensaftkonsumenten mangels Alternativen als Bart einordnen musste. Keine klare Kontur, auch hier unsachgemäße Pflege und zweifelsohne schlechtes Material für das korrekte Schneiden! Es war eine Lehrstunde sondergleichen. Umino fühlte sich schon verändert, noch bevor überhaupt eine geschliffene Klinge in seine Nähe gekommen war. Glaubte man den leidenschaftlichen Ausführungen des Maestro, grenzte es an ein Wunder, dass er unbeschadet jeden Tag in die Öffentlichkeit getreten war, obwohl er für jedes sensible Auge eine entsetzliche Beleidigung darstellte! Umino verdaute diese Erkenntnis erheitert und fragte sich, wie wohl Meister Haru und Felice einander getroffen hatten. Eine diesbezügliche Frage zu äußern blieb ihm jedoch verwehrt, denn nun knackte der Assistent unternehmungslustig mit den Fingerknöcheln und wählte an seinem Werkzeuggürtel das erste Einsatzgerät. Es erinnerte an eine Machete. Umino zog es vor, den Künstler ohne Ablenkung arbeiten zu lassen, er hing nämlich an Ohren und Nase. ]-#-[ Nachdem ich dem strahlenden Assistenten auf ein mir bis dato unbekanntes Werbeplakat zu unserem "rooooomantischen" Heimatfilm (mit mir als japanischem Rübezahl) mein erstes und vermutlich einziges Autogramm gegeben hatte, durfte ich diesen Palast der Schönheit verlassen, durchaus verblüfft über meine Verwandlung, die darüber hinaus von Felice, auf welchem Weg auch immer, direkt entlohnt worden war. Statt eines wild wuchernden Gebüschs auf dem Schädel hatte ich tatsächlich manierliche, teils gestufte Löckchen vorzuweisen. Mein grotesk hässliches Ponem wirkte mit dem exakt akzentuierten, sorgsam gestutzten Bart irgendwie markant. Mit anderen Worten: ich fand mich gar nicht mal so übel. Dank der aufschlussreichen Lektionen des Maestro bestand zumindest die Chance, dass ich auch ohne dessen zweifelsfrei extrem kostspieligen Einsatz diesen Status einigermaßen wahren konnte. Aber was nun? Das fragte ich mich auf dem Heimweg, inmitten des Sardinenschwarms der Pendler. Wieso hatte Masaru mich zum Friseur geschickt? Sollte ich mich vielleicht wie in einem Agententhriller irgendwie tarnen? Lächerliche Vorstellung, zugegeben, aber die neue Telefonnummer, sein Schweigen und jetzt diese Aktion, das kam mir durchaus abenteuerlich vor. So wartete ich gespannt auf die nächste Mitteilung, denn das gemeinsame verlängerte Wochenende stand vor der Tür. ]-#-[ Masaru hatte mir lediglich Gleis und Abfahrtszeit genannt. Dieses Mal entschloss ich mich jedoch, ein wenig zu recherchieren und fand heraus, dass uns der Zug in den Süden bringen würde, wohin auch immer, denn unterwegs umsteigen, das war keineswegs ausgeschlossen. Ich packte eine kleine Reisetasche und machte mir ein Fresspaket zurecht. Als ich meine Wohnung verließ, regnete es bei angenehmen Temperaturen Bindfäden. Getarnt mit einem gewaltigen Regenumhang und Kapuze, knielangen Hosen und meinen unverwüstlichen Trekking-Sandalen, denen Pfützen nichts ausmachten, machte ich mich auf die nackten Sohlen. Da ich nicht sicher war, ob Masaru schon für uns beide Tickets erworben hatte, traf ich früher ein, beobachtete die anderen Reisenden auf dem Bahngleis. Im Zug selbst wirbelte noch das Reinigungspersonal. Ich hielt Ausschau nach meinem geheimniskrämerischen Liebsten. Mit einem Schlag füllte sich das Bahngleis, gleich drei Schulklassen auf Exkursion trafen ein, dazu rüstige Rentner auf Reisen. Langsam wurde ich nervös, weil es in dem Gewimmel von Regenjacken, durchsichtigen Überwürfen und Anoraks schwierig wurde, eine einzelne Person auszumachen. Da sah ich Masaru, oder vielmehr Felice, in einem schimmernden, silberfarbenen Anzug unter einem weißen Trenchcoat, zweifarbigen Eintänzerschuhen und einem Borsalino. Eine leichte Reisetasche aus silbrig glänzender Fallschirmspringerseide in der Linken wirkte er wie ein Filmstar. Ich trat hervor, hob grüßend eine Hand und erkannte an einer winzigen Kopfbewegung, dass ich mich sofort unsichtbar machen sollte. Der Grund klebte an Felices Hacken: Saburo. Innerlich schimpflich fluchend positionierte ich mich nahe eines Einstiegs, denn in Kürze stand die Abfahrt bevor. Wagemutig schielte ich zu Felice hinüber, der es geschickt verstand, Saburo vor sich zu dirigieren, um zu verhindern, dass der lästige Parasit mich zufällig entdeckte. Die Unterhaltung konnte ich nicht hören, aber Felices abweisende, hoffährtige und frostige Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er Saburo in seine Schranken verwies, was diesen jedoch nicht zu beeindrucken schien, denn er packte Felice am Arm. In diesem Moment wurde zum Einstieg gemahnt. Was auch immer Saburo zu Felice sagte, es war kein kluger Schachzug. Ich konnte sehen, wie sich sein Gesicht in eine weiße Maske abgrundtiefen Hasses verzerrte, die ungewöhnlich hellen Augen glühten. SO hatte ich Felice und auch Masaru noch nie gesehen. Mir lief es eiskalt über den Rücken. Damit nicht genug. Saburo hatte ihn nicht nur zur Weißglut gebracht, sondern unternahm Anstalten, Felice festzuhalten, ihn am Einsteigen zu hindern. Mir blieb keine andere Wahl: ich schob mich in den Zug. Durch das Fenster sah ich, wie Masaru ein tierisches Fauchen ausstieß, mit dem freien Arm ausholte und seine Faust in Saburos Magengrube versenkte. Der ging zu Boden, und Masaru sprang, weiß wie der Teufel im Gesicht, in den Zug. Eilends arbeitete ich mich über die Länge zu ihm durch. Ohne ein Wort schlüpfte er auf die reservierten Plätze ans Fenster. Ich deponierte meine Reisetasche neben seine oben im Gepäckfach, wickelte mich aus der Regenhaut und faltete meine Glieder neben ihm in den Sitz. Mir schien es angesichts seiner versteinerten Gesichtszüge angeraten, erst mal zu schweigen, ihm die Gelegenheit zu geben, sich zu beruhigen. Trotzdem schob ich meine Rechte neben seinen Oberschenkel, unter den nachlässig gefalteten Trenchcoat. Sofort umklammerte er meine Hand, so vehement, dass ich mir auf die Lippe beißen musste, um nicht aufzuwimmern. Erst als wir die äußeren Randbezirke von Tokio hinter uns gelassen hatten und eine gewisse Taubheit sich meiner Tatze bemächtigte, wurde der Druck gemindert. Mit Masaru sollte man sich wirklich nicht anlegen. ]-#-[ Ohne ein Wort zu wechseln setzte sich ihre Fahrt fort, Richtung Süden, umgeben von munter schwatzenden Passagieren. Felice zückte die Fahrkarten, als das Zugpersonal an ihnen vorbei zockelte, ließ die interessierten Blicke jedoch eisig von sich abprallen. Zumindest erfuhr Umino über diesen Umweg, wohin ihre Reise ging, sodass ihn der Umstieg in einen bescheideneren Regionalzug nicht mehr Wunder nahm. Zur Mittagszeit kletterten sie aus dem Abteil auf einen Provinzbahnhof, der im Sonnenschein badete. Um sie herum dampfte die Vegetation, denn kurz zuvor war ein heftiger Wolkenbruch vonstatten gegangen. Felice, der mit einer brüsken Geste seine Reisetasche selbst apportierte, studierte mit verkniffener Miene den Aushangfahrplan der örtlichen Buslinie. "Wir könnten auch laufen, wenn es nicht zu weit ist", wagte Umino das erste Wort an seinen Reisegefährten zu richten. Es überraschte ihn nicht, dass Masaru ein ausdauernder Groller war, wenn etwas in ihm gärte. "Nun, eine Viertelstunde brauchen wir schon", äußerte Masaru sich brummig, wickelte sich ungeduldig aus seinem Trenchcoat. Hier, an der Landstraße, in diesem kleinen Ortsteil, wirkte er in seiner mondänen Aufmachung wie ein Außerirdischer. "Ach, Bewegung tut gut!", behauptete Umino unverdrossen, "diese Richtung?" Zumindest konnte der Fußmarsch dazu beitragen, dass Masaru seine Verärgerung ein wenig abtrainierte. Stumm marschierten sie auf einem schmalen Pfad neben der asphaltierten Landstraße her. Schließlich ließ sich Masaru zu einer weiteren Äußerung herab, "es tut mir leid, dass du so eine Szene mitbekommen musstest." "Oh, mir nicht!", feixte Umino grinsend, hochgestimmt, "ich konnte den Schleimer noch nie ausstehen." Er spürte sehr deutlich den überaus prüfenden Seitenblick und zwinkerte fröhlich. Warum aus seinem Herz eine Mördergrube machen? Saburo war ihm denkbar unsympathisch und der Volltreffer in die Magengrube die Quittung für vergangene Schandtaten. "Außerdem", ergänzte er munter, "hattest du garantiert einen guten Grund." "Ach, und damit ist das Thema für dich erledigt?", hakte Masaru sofort misstrauisch nach. "Yepp", bestätigte Umino unbeeindruckt ob der finsteren Blicke, "ich vertraue dir und deinem Urteil." "...oh...", murmelte Masaru in die Enge getrieben und stapfte fester als notwendig auf den sandigen Pfad. "Du bist wirklich ein komischer Kauz", stellte er nach einigen Augenblicken halb grimmig, halb ratlos fest. "Danke schön", schnurrte Umino im satten Bass, grinste in das verdrossene Gesicht seines Liebsten herunter. Masaru knurrte laut und beschleunigte. Umino blieb hinter ihm, lächelte vor sich hin. Wer hätte gedacht, dass man den gewieften Felice aka Masaru in Verlegenheit bringen konnte? Sie legten eine Strecke in diesem Entenmarsch zurück, dann blieb Masaru stehen und wandte sich herum. Er streckte eine Hand auffordernd aus. Umino ergriff sie, gewohnt zutraulich. Mit einem Ruck fand er sich beinahe eine Etage tiefer, wie immer verblüfft über die erstaunliche Kraft des sehnig-schmalen Mannes, doch genau in der richtigen Höhe, um geküsst zu werden. Sehr genießerisch geküsst. Er strahlte, als Masaru ihn freigab und er sich wieder zu voller Höhe aufrichten konnte. "...danke!", schnaubte der bissig, als sei es eine persönliche Schmach, sich spontan an einer öffentlichen Landstraße von Emotionen überwältigen zu lassen. "Da nicht für", antwortete Umino sehr lässig, grinste. Weil er nun am Zug und Masarus Hand unvorsichtigerweise noch immer in seiner Pranke geborgen lag, nutzte er die Chance, ihre verbundenen Arme kräftig hin und her zu schwingen. Jeder andere hätte wohl ob des kindischen Einfalls heftig protestiert, Masaru ließ ihn jedoch gewähren. Da die Erheiterung des Hünen ansteckend war, lachte er nach einigen Metern ebenso ausgelassen. So konnte es auch kaum verwundern, dass sie in besonders gehobener Stimmung im kleinen Landgasthof mit Thermalbädern eintrafen. ]-#-[ Masaru hatte wirklich an alles gedacht. Der Gasthof machte einen sehr schönen Eindruck und zu meiner Begeisterung gab es die ausgelegten Yukata für das erste Bad sogar in meiner Elefantengröße! Sittsam brausten wir uns ab, schrubbten gründlich und stiegen dann in das kleine, gemauerte Naturbad vor unserem Zimmer. Die Aussicht war herrlich, Gräser, Bäume, die Sonne über uns, die sanfte Melodie eines Windspiels... paradiesisch! In diese friedliche Stimmung wollte ganz sicher keine Debatte darüber passen, was in den vergangenen Wochen und heute auf dem Bahnsteig genau geschehen war. Ich wollte, das gestehe ich offen ein, das Thema auch nicht forcieren. Ein spätes Mittagsmahl wurde serviert, das lenkte mich ohnehin erst mal gründlich ab. Viele kleine Häppchen mit ganz unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, das war ein Fest für den Gaumen! Masaru pickte, wie gewohnt, eher beiläufig herum, wirkte jedoch nicht gelangweilt durch meine anhaltende Begeisterung für das Bankett. Für den restlichen Nachmittag konnten wir durch den kleinen Ort spazieren. Diese Option fiel aufgrund eines hartnäckigen Platzregens buchstäblich ins Wasser. Die besorgte Hauswirtin empfahl uns den Anbau, eine ehemalige Scheune, darin wartete jedoch weder Fauna, noch geerntete Flora, sondern eine Tischtennis-Tafel und andere einfache Unterhaltungsmöglichkeiten wie Kreisel oder Ball an der Schnur. "Mal sehen, ob ich dich so richtig einseifen kann!", Masaru bändelte sich geschickt die Yukata-Ärmel hoch, funkelte mich herausfordernd an. Aufgrund meiner Statur war ich beim Tischtennis noch nie Favorit für höhere Weihen gewesen. Zu verlieren, wenn man sich dabei ordentlich amüsierte, stellte MICH wirklich nicht vor eine Wahl. "Dann fang mal an!", grinste ich also und knotete mir den gesamten oberen Teil der Yukata um die Taille. Ein bisschen Eindruck schinden wollte ich ja doch. ]-#-[ Nach mehreren eifrigen Spielen dämmerte es bereits, sodass Umino und Masaru einmütig beschlossen, vor dem leichten Abendessen noch rasch die Spuren ihrer Einsatzbereitschaft abzuspülen. Die Hausdamen trugen nach dem Abendessen das Geschirr ab, ließen lediglich eine Thermoskanne Tee zurück, rollten, in sittsamem Abstand, die Futons auf. Rund um das Haus wurden alte Steinlaternen illuminiert. Umino und Masaru genossen das wohltemperierte Naturbad und studierten das Firmament. Abgesehen von den alten Laternen in ihrem Blickfeld gab es kaum störende Lichtquellen. Madame Fortuna zeigte sich ihnen gewogen, indem sie die Wolkenverbände vom Himmel vertrieb. Masaru kreuzte die Arme am Beckenrand, legte das Kinn ab und betrachtete das ungewohnte Schauspiel über ihnen, in Tokio ein Ding der Unmöglichkeit, in der Stadt, die keinen Schlaf, keine Dunkelheit und keine Stille kannte. Hier kamen die Laute der Fauna nicht vom Band, und man musste kein besonderes Etablissement besuchen, um sich die Natur artifiziell vorgaukeln zu lassen. Umino beugte sich vor und begann, behutsam die sehnigen Muskeln seines Reisegefährten zu massieren. Ein wenig erinnerte ihn die angenehm frische Luft und der Geruch von nassem Grün an seine Kindheit, bloß so ruhig war es selten gewesen. Masaru seufzte genüsslich, hielt jedoch inne, als Umino ihn auf seinen Schoß zog. Der hatte keineswegs erotische Spielereien im Sinn, sondern sehnte sich simpel danach, Masaru in seinen Armen zu halten, eine sorgsam nach Anweisung des Meisters gestutzte bärtige Wange an die samtige seines Freundes zu legen. "Danke schön", raunte er sonor. Neben ihm schmunzelte Masaru und antwortete lakonisch, "da nicht für." ]-#-[ Auch wenn sich das seltsam ausnehmen wird: in unserer ersten Nacht krochen wir ganz artig und bekleidet in unseren jeweiligen Futon und horchten friedlich die Matratze ab. Ich war zugegeben schon von mir selbst verblüfft, hatte ich ja schließlich die Tage vorher in Phantasien geschwelgt, was wir alles im Horizontal-Twostep nachholen würden. Als ich am Morgen jedoch vom sanften Rauschen eines zeitigen Landregens aufgeweckt wurde, war ich in so friedfertiger Stimmung, dass mir meine Anwandlungen ziemlich lächerlich vorkamen. Da Masaru noch bis zu den Ohren eingemummelt schlief, leistete ich mir den Luxus, allein das Naturbad zu bevölkern. Regentropfen kreierten unzählige sich durchdringende Kreise um mich herum, während mir sanft von oben die Löckchen durchgewalkt wurden. Das machte Spaß und hatte meditative Qualitäten. Kein Zeitplan, kein Druck, keine Verpflichtung. Um es neudeutsch zu katalogisieren: Entschleunigung, das umfasste exakt meine Empfindungen. Aber wie das immer so ist mit dem Paradies: von ganz allein vertrieben mich meine Gedanken daraus. Am Vortag hatten wir kein Wort darüber verloren, was passiert war und wie es mit uns weitergehen sollte. Heute würde ein Aufschub nur noch wie Flucht und Verdrängung wirken, folglich erwartete mich Masarus Ausführung zum ernsten Thema. Da traf es sich gut, dass ein herzhaftes Frühstück unserer harrte. ]-#-[ Es regnete noch immer, sanft, aber beharrlich. Während wir frühstückten, hatten die fleißigen Heinzelmännchen unsere Futons entfernt, mutmaßlich zum Lüften. Handtücher und Yukata im schicken Hausdesign waren ausgetauscht worden. Masaru setzte seinen betörenden Charme ein und erwirkte für uns die leihweise Überlassung von Geta und durchsichtigen Regenschirmen. In frische Yukata gehüllt, über den Widrigkeiten der Pfützen auf unseren Geta drangen wir also in die umgebende Botanik ein. Kaum außer Sichtweite der letzten menschlichen Behausung klappte Masaru resolut seinen Regenschirm zu und schlüpfte bei mir unter. Romantisch, o la la! Ich grinste wahrscheinlich unübertroffen dümmlich vor mich hin, weil mir diese Aktion so sehr gefiel. In mir keimte ein "wir gegen den Rest der Welt!"-Gefühl auf, weit weg von der lautstarken Zivilisation und einer Gesellschaft mit restriktiven Ansprüchen. Definitiv das Rübezahl-Prinzen-Syndrom! Ob Masaru es ähnlich empfand, konnte ich nicht einschätzen, denn er hielt seine Miene verschlossen, nicht gerade abweisend, aber abwesend. Ich fühlte mich nicht dazu verpflichtet, das nicht vorhandene Gespräch auf die unerfreulichen Widrigkeiten des Alltags zu lenken. Der gewundene Weg führte uns höher auf eine Erhebung. Hier befand sich auch ein kleiner Wegschrein, mit einem stark verwitterten Fuchsgott. Wir hielten inne, klatschten in die Hände und hoffen wahrscheinlich beide darauf, dass uns der listige Fuchsgott zugeneigt war, ein bisschen super-terrestrische Unterstützung konnte jedenfalls nicht schaden. Anschließend klappte ich meinen Schirm zu und ignorierte die spärlichen Fitzel von oben. Die Feuchtigkeit verhungerte ja unterwegs, da konnte man auch barhäuptig marschieren! "Ich glaube, das ist ein Rundwanderweg", bemerkte Masaru. "Schon möglich", stieg ich munter in die Konversation ein, "übrigens noch mal vielen Dank. Es ist herrlich hier." Masaru brummelte etwas Unverständliches und spazierte, nun, es war eher ein Schlendern, weiter. "Warst du schon mal hier?", unerschrocken trampelte ich auf das weite Feld der banalen Plattitüden. "In der Nähe", Masaru sparte offenkundig Silben für einen späteren Einsatz. "Oh, dann hast du alles im Internet recherchiert?", trillerte ich, zugegeben drei Oktaven tiefer, Bewunderung in dicken Schichten. Ein weiteres Schnauben vor mir, dann verharrte Masaru und wandte sich zu mir um. "Hör mal, ich versuche seit heute Früh den passenden Einstieg für meine Beichte zu finden!", fauchte er erbost und beschämt zugleich, "du bist mir da keine Hilfe!" Vor allem nicht, wenn ich mir mein Amüsement über Masarus Anstrengungen einfach nicht vom Gesicht wischen konnte. Tollkühn, oder eher noch lebensmüde, konterte ich, "fang doch einfach vorne an. Wir haben ja Zeit." "Zumindest bis zum Mittagessen", ätzte er giftig, was mich zum Lachen reizte. Wie hätte ich ob der Trefflichkeit dieser Beobachtung auch seinen Erwartungen/Befürchtungen entsprechen und ärgerlich werden können? Ungeduldig klopfte er mit seinem Regenschirm auf unbotmäßige Natur, in Ermangelung einer Rechtfertigung, mir damit mein juckendes Fell zu gerben. Ich wusste, dass jede Entgegnung, meiner übermütigen Laune geschuldet, es nur noch schlimmer machen würde, also schnellte ich vor, klemmte seine Arme in einer bärigen Umarmung ein, lupfte ihn vom feuchten Boden hoch und küsste ihn nachhaltig. Da er mich nicht biss, sondern sich energisch revanchierte, konnte ich davon ausgehen, dass er mir meine Frechheiten vergab. Artig stellte ich ihn wieder auf die Geta ab, dann zockelten wir langsam Hand in Hand auf dem schmalen Pfad weiter. Masaru ging vorweg, wählte seine Worte so bedächtig, wie er seine Füße setzte, "am Anfang also, wahrscheinlich lag es auch daran, dass meine Eltern nur eine Zweckehe geführt haben. Sie sahen sich jedenfalls kaum und schenkten mir auch nur dann Beachtung, wenn ich nicht ihren Erwartungen gemäß funktionierte." Ich gab ein mitfühlendes Grunzen von mir und notierte in meinem inneren Memo-Block: ein Paar Eltern, null Geschwister. "Ich habe mich eigentlich immer gelangweilt", Masaru blieb bei seinem neutralen Tonfall, "die meisten Streiche, die man so ausheckt, die waren mir immer zu blöde." Er schnaubte, über sich selbst, "ein total arroganter Arsch, wie mir damals aus berufenem Munde bescheinigt worden ist." Das klang nun schon eher nach dem gewohnten Masaru, bissig, zynisch, giftig. "Ein entfernter Cousin zog zum Studieren in unsere Nähe und ich wurde abgestellt, ihn ein bisschen mit der Stadt vertraut zu machen. Das gefiel mir, vor allem, weil er nicht so ein Biedermeier wie mein Vater war." Wir erreichten eine weitere Kuppe und verharrten einen Moment, um die Aussicht zu genießen. Um uns herum dampfte die Vegetation, da die Sonne die Wolken in die Flucht geschlagen hatte. Masaru studierte die Ferne, konzentriert, ernst. Impulsiv beugte ich mich herunter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Überrascht wandte er den Kopf und sah mich an. Dümmlich grinsend zuckte ich bloß mit den Schultern, der klassische Vollidiot eben. Masaru schmunzelte, ein höchst seltener Anblick. Wir nahmen unser Tempo wieder auf, Flaniergeschwindigkeit. "Ich war damals ungefähr 14 und frühreif", er schnalzte mit der Zunge, "jedenfalls neugierig genug, mit ihm zu experimentieren. Na ja, entweder war ich schon immer ein Naturtalent oder hatte einfach Glück, jedenfalls gab's mit dem Sex keine Probleme und es war ganz kurzweilig", ergänzte er ironisch. »W-O-W!«, dachte ich stumm. "Wir haben so Einiges ausprobiert, Stellungen und Spielzeug, dann Rollenspiele und Kostüme. Er hat das auch gern fotografiert. Mit dem ersten Camcorder ging's dann richtig los." »Camcorder?«, überlegte ich hastig, »ach, waren das nicht mal Kameras mit kleinen Aufzeichnungskassetten drin? Wann gab's die eigentlich?« "Wie du dir denken kannst, hat er die Filme nicht nur im privaten Kämmerlein allein ablaufen lassen", Masaru riss mich aus meinen industriegeschichtlichen Spekulationen. "Er lernte ein paar Typen kennen, die wiederum andere Typen kannten", seine Hand vollführte die übliche Geste einer sich ausrollenden, beinahe lawinenartigen Entwicklung. "Natürlich versuchte er, die Kontrolle zu behalten, aber wenn zu viele Leute Dinge von dir wissen, die sich nicht gut im Lebenslauf machen", spottete er bissig, "dann werden Spielräume plötzlich klitzeklein." »Uh-oh!«, argwöhnte ich Ungemach. "Wie dem auch sei, mich schreckte das nicht, und es machte mir auch nichts aus, mit anderen Männern vor der Kamera Sex zu haben. Die meisten Typen waren leicht zu lenken", Masarus Stimme klang, als blecke er die Fänge. Abrupt blieb er stehen und wandte sich zu mir um. "Schockiert?!", sein scharfer Ausruf sollte mich wohl aus der Reserve locken, doch ich befand mich gar nicht dort. Vielmehr war ich fasziniert von der Idee, wie ein noch jüngerer, zarter Felice "geboren" wurde, ein mysteriöser Marionettenspieler, der rasch lernte, wie er andere manipulieren konnte, um genau das zu erreichen, was er wollte. Masaru lupfte eine kritische Augenbraue, spießte mich mit lodernden Blicken förmlich auf, "was denn, hat's dir die Sprache verschlagen?" "Ich überlege bloß", gab ich frech zurück, "ob es vielleicht noch Aufnahmen von dir gibt, aus der Zeit." Sein Blick wanderte von meinen nackten Zehen bis zu meinen gelockten Haarspitzen und wieder zurück. "Ich weiß nicht", bemerkte er endlich bedächtig, "ob du bloß erschreckend schlagfertig oder heillos plemplem bist." Das waren beides keine kleidsamen Optionen, ich kannte mich jedoch recht gut und stellte mir selbst ein anderes Zeugnis aus: notorischer Positivist, automatisch das Gute auch in einer unerfreulichen Situation sehen! Masaru seufzte betont auf, machte kehrt und zerrte mich energisch hinter sich her. "Jedenfalls", nahm er nach etwa hundert Metern Sturmschritt seine Erzählung wieder auf, "bin ich mit 16 in das Pornogeschäft eingestiegen. Normalerweise bist du da nur eine Fußnote, die Luden, oder wie sie sagen 'Manager', schöpfen immer den Rahm ab. Die Filme bringen nicht viel ein, aber die Prostitution der Darsteller." Jetzt war ich es, der seine Finger ein wenig fester drückte. "Mir war das klar", Masaru lachte verächtlich auf, "also habe ich mir was ausgedacht, da ich kein Interesse an einem Einfaltspinsel hatte, der mich wie ein Stück Fleisch verhökert, den Prahlern geschmeichelt, mich ihren Bossen vorstellen lassen und mich zu einem Luxusgut hochstilisiert, absolut diskret, selbstverständlich." Wenn ich an mich selbst mit 16 Jahren zurückdachte, wurde mir ganz flau. Masaru war mir definitiv über. "Ich habe meinen Abschluss gemacht, wollte aber aufgrund meiner beiden Jobs nicht auch noch studieren, das hätte nicht gepasst. Meine Eltern schlugen Krawall, woraufhin ich sie über meine Tätigkeit in Kenntnis setzte und postwendend rausflog." "Umpf", schluckte ich schwer. Masaru blieb jedoch so geschäftsmäßig wie zuvor, "was ich erwartet hatte, deshalb konnte ich mit dem Rest meiner Sachen auch gleich in eine kleine Wohnung ziehen. Es war schon ein wenig deprimierend, wie vorhersehbar sie reagiert haben." Aber es klang nicht so, als würde es dem Masaru vor mir noch sonderlich viel bedeuten. "Anschließend habe ich mich richtig reingekniet, nicht nur vor der Kamera, sondern auch in das Geschäft außerhalb. Regie, Produktion, Vertrieb, Einnahmen, Lizenzen, das war damals anders als heutzutage, und ich musste natürlich aufpassen, dass ich meinen Marktwert erhalte." Masaru blieb vor mir stehen, in einer Senke. Fast unmerklich straffte er seine schlanke Gestalt, bevor er sich zu mir umwandte. "Ich will nicht, dass du dir Illusionen über mich machst", stellte er ernst und eindringlich fest, "ich habe meinen Lebensunterhalt aus freien Stücken und entsprechend meiner Neigung gewählt." "In Ordnung", antwortete ich ruhig, was Masaru nicht genügte, denn er klopfte mir mit dem gebogenen Griff des Regenschirms vor die Brust. "Tatsächlich?! Ist dir auch klar, dass ich mit einer gewaltigen Menge anderer Männer Sex hatte?!" "Das habe ich verstanden", ich packte den Regenschirm mit der freien Hand, "ist DIR auch klar, dass ich dich liebe wie du bist?" Für einen Moment wirkte er perplex, dann kurz verlegen und final ärgerlich, "verdammt, nimm das bloß nicht auf die leichte Schulter, verstanden?!" "Tue ich nicht", beharrte ich streng, "ich sehe jedoch keinen Sinn darin, mir den Kopf über deine Vergangenheit zu zermartern, vor allem nicht, wenn ich davon profitiere", ergänzte ich schlau. "Was?", Masaru knurrte und zerrte nun am Schirm, "was meinst du damit?!" "Ganz einfach", ich ließ den Schirm los, achtete aber darauf, dass Masaru nicht hintenüber fiel, "wenn du nicht dein Leben so gestaltet hättest, wären wir einander nicht begegnet, hätten nie herausgefunden, wie gut wir zueinander passen, und das wäre doch wirklich eine Affenschande, oder nicht?" Ihm sackte die Kinnlade herunter, während ich ob meiner Beweisführung stolz grinste. "Aber.. aber...!", Masaru tobte nun wie ein trotziges Kind, stampfte mit den Geta wütend auf der Stelle, "verdammt, kannst du dich nicht einmal wie jeder andere Idiot unvernünftig und eifersüchtig und überhaupt verhalten?!" Dieser Aufschrei explodierte in der verwaisten Flora und schreckte vermutlich alles an Fauna auf, das sich in der Nähe verlustiert hatte. Ich atmete tief durch und suchte Masarus flackernden Blick, "ich schätze, ich bin eine andere Art von Idiot, Masaru." "OORRHHH!", fauchte er zornig, "du machst mich noch wahnsinnig! Du blöder, sturer, naiver..." Was auch immer danach noch kommen sollte, erstickte ich an meiner Brust, indem ich Masaru einfach an mich presste. Ich konnte nicht wütend sein, nein, ganz im Gegenteil, es rührte mich, mit welcher Leidenschaft er mich auszuknobeln versuchte, als wäre ich eine wirklich harte Nuss, was ich ja nun wirklich nicht war, sondern absolut simpel gestrickt. Er tobte und zappelte noch ein wenig, beruhigte sich allmählich und ich lauschte geduldig auf seine Atemzüge, dann erst gab ich ihn behutsam frei. "Du darfst", Masaru wischte sich mit einem Ärmel unwirsch über die Augen, "du darfst mir nicht einfach nachgeben! Oder machen, was ich will!" Ich lächelte unwillkürlich, "dazu bin ich viel zu stur und bequem, keine Sorge." "Ich mach mir aber Sorgen!", begehrte er auf, funkelte mich an, "ich WILL nicht, dass du aus blöder Verliebtheit nach meiner Pfeife tanzt!" Und das von Felice, dem genialen Strippenzieher und Manipulator! DAS war absolut die bewegendste Liebeserklärung, die ich mir vorstellen konnte. Dieses Mal schnappte ich Masaru so unerbittlich, dass ihm nicht anderes übrig blieb, als meine stürmischen Zuneigungsbekundungen auszuhalten, bis uns beiden der Sauerstoff knapp wurde. ]-#-[ Die Luft war danach raus, zumindest, was Bekenntnisse betraf, außerdem wurde die hohe Luftfeuchtigkeit langsam ungemütlich, weshalb wir schweigend, aber versöhnt zurück zum Gasthaus schlenderten und es uns vor dem Mittagessen noch mal im Naturbad gemütlich machten. Seltsamerweise stört einen IM Bad hohe Luftfeuchtigkeit gar nicht, komisch, oder? Mittags gab es Kleinigkeiten, um den Körper nicht zu sehr zu belasten. Mich erinnerte es ein wenig an die Diät der Mönche im Buddhismus, was mir als Genießer entschieden zu karg war. Als Einstimmung für die Fortsetzung unseres "Erwachsenen"-Gesprächs passte es jedoch durchaus. Masaru bestand auf einer Runde Tischtennis, auch, um die neuen Gäste beäugen zu können, die eintrudelten. Es waren nicht viele, einige ältere Ehepaare und ein lustiger Trupp Arbeitskollegen, die sich vermutlich ordentlich einen antütern würden. Wir überließen ihnen den Tischtennis-Parcours und zogen uns in unser Zimmer zurück. "Denkst du, dass du den Rest meiner ach so berühmten Biographie auch noch auf quasi nüchternen Magen aushältst?", neckte Masaru mich bissig. "Kein Problem", verkündete ich selbstsicher und beförderte gut eingeschlagene Mini-Fresspäckchen aus meinem Gepäck. Fassungslos und resignierend schüttelte Masaru den Kopf, "dein Magen steht wohl immer an erster Stelle, was?" "Bist du gut zu deinem Magen, sind auch Herz und Laune gut", rezitierte ich Großtante Chiyako. Masaru an meiner Seite grummelte etwas und bedachte mich mit giftigen Blicken, während ich das Mini-Picknick richtete. Lange konnte er seine grimmig-vernichtende Miene nicht aufrecht erhalten, dann akzeptierte er sogar einige aufgespießte Mini-Häppchen. "Gut, hm?", kaute ich sehr zufrieden. Ein heftiger Stoß, der mich vollkommen überrumpelte, beförderte mich auf mein breites Kreuz, dann thronte der Urheber Masaru bereits auf mir, funkelte mich einen atemlosen Moment verzweifelt-aufgebracht an, bevor er mich sturmreif küsste. Das gab meinem Menü selbstredend noch den richtigen Pfiff. Ich streichelte durch seine seidigen Haare und über seine weiche Haut. "Du machst mich wirklich fertig!", beschwerte Masaru sich auf meiner Brust, wobei er nach meinem Eindruck recht bequem lagerte. "Ich könnte mich in bescheidenem Rahmen verändern", bot ich friedlich an. "Kommt nicht in Frage!", wie ein Schachtelteufelchen schoss Masaru hoch, quetschte meine Nasenspitze zwischen seinen Fingern, "sei gefälligst du selbst!" Ich musste lachen, weil er so hinreißend besorgt war, ich könnte mich ihm aus Gefälligkeit anpassen und damit gegen meine eigenen Prämissen handeln! Geschickt täuschte ich an, mich aufsetzen zu wollen, initiierte jedoch perfid eine Rolle, um Masaru unter mir zu begraben, nicht ganz, selbstredend, sonst wäre er zerdrückt worden, bei meinen ausbordenden Massen. "Masaru", blickte ich auf sein wutschnaubendes Gesicht herunter, "du weißt, dass ich ein lausiger Schauspieler bin. Also, mach dir bitte keine Gedanken darüber, dass ich zum devoten Speichellecker mutieren könnte. Das wird nicht passieren." "Ach nein?!", fauchte er und versuchte, sich unter mir hervorzuschieben, "woher rührt diese Überzeugung?!" "Weil ich dich liebe, ganz klar", ich tupfte wagemutig einen Kuss auf seine Nasenspitze, "weil ich nicht die Absicht habe, dich zu langweilen." Die Lippen zusammengepresst drehte er den Kopf weg, schnaubte wütend. Trotzdem entging mir die dezente Röte der Verlegenheit auf seinen Wangen nicht. "Du bist süß, Masaru", raunte ich in die entblößte Ohrmuschel und küsste ihn sanft auf das Ohrläppchen darunter. "Bin ich nicht! Bin ich ÜBERHAUPT nicht!", begehrte er tobend wie ein trotziges Kleinkind auf, zappelte und wand sich, bevor, wie von Geisterhand, mit einem tiefen Seufzer das Schauspiel ein Ende fand. Ich setzte mich auf und zog ihn ebenfalls hoch. Er betrachtete mich prüfend, sehr still und konzentriert. Mir war natürlich klar, dass kein Mann nirgends hören wollte, dass er süß war, weil das implizierte, dass er etwas Mädchenhaftes, Niedliches, Hilfloses an sich hatte, das dazu einlud, ihn von oben herab zu betütteln. "Zu mir bist du süß", erläuterte ich also sotto voce. "Hauptsächlich benehme ich mich ganz unmöglich dir gegenüber", offenbarte er mit grimmig-hilflosem Humor. Ich streckte die Hand aus und streichelte seine Wange, barg sie in meiner großen Pranke, lächelte ihn versöhnlich an. Wenn er sich tatsächlich so verhielte, wie er glaubte, säße ich kaum hier an seiner Seite. Um das zu verdeutlichen, zog ich meine Hand zurück und drehte mich um 180°, kehrte ihm mein breites Kreuz zu. "Siehst du das?", erkundigte ich mich über die Schulter. "Was denn genau?", ätzte er bissig, "du blockierst gerade ziemlich viel Licht!" Ich richtete mich auf und buckelte dann wieder, "das Ding da, zwischen meinem knackigen Podex und der Runkelrübe auf meinen Schultern." "Und?", Masaru kam in die Hocke, "ist das jetzt eine Anatomie-Schulung hier?" "Man nennt es Rückgrat", dozierte ich, heftig um eine sachliche Fassung ringend, "flexibel in sich, aber in diesem Umfeld äußerst stabil und widerstandsfähig." Ja, sehr subtil, ich weiß. "Du meine Güte...", ächzte Masaru hinter mir. Zu meiner Überraschung hängte er sich auf meinen Rücken, die dünnen Arme um meinen Hals geschlungen. Ich streichelte sie beruhigend. "Du bist so stoisch, dass ich manchmal wirklich Angst habe, du nimmst das alles nicht ernst", flüsterte Masaru an meinem Ohr. "Dauert ein bisschen länger, diese Massen in Aufregung zu versetzen", zwinkerte ich und fasste seine Handgelenke, bevor er sich zupackend rächen konnte. "Ich vertraue dir", ergänzte ich sanft, "und du kannst auch auf mich vertrauen." Denn ich halte mich für ein recht passables, menschliches Wesen. "Idiot", knurrte er an meinem Ohr, aber es klang wie eine Liebkosung. Wir verharrten noch einige kostbare Momente länger in dieser Haltung, dann machte Masaru sich frei. "Es regnet wieder", stellte er fest, streckte mir die Hand hin, "lass uns in die Fluten steigen." ]-#-[ Der sanfte, aber stetige Landregen dämpfte sämtliche Geräusche ab, schluckte den Schall, als ob man sich allein auf der Welt befände oder in einen Kokon eingesponnen war. Masaru und Umino saßen recht bequem am Rand des Naturbeckens, bereit für die Fortsetzung ihrer Unterhaltung. Gewisse Anzeichen von Nervosität verrieten dem geneigten Betrachter, und Umino zählte zweifelsohne zu dieser interessierten Gruppe, dass Masaru mit einer ihm selbst unbequemen Eröffnung rang. Einem Felice wäre dies nie unterlaufen, nein, der verkörperte das Epitom des kühlen, beherrschten Geschäftsmannes. Masaru jedoch platzte heftig damit heraus, dass er seine Arbeit immer sehr ernst genommen habe und gewissenhaft seinen Verpflichtungen nachgekommen sei! Diese Eröffnung sollte offenkundig der Enthüllung vorbeugen, dass sich daran etwas geändert hatte. Umino verhielt sich ruhig, seine schwarzen Augen blitzten jedoch sehr aufmerksam. "Aber letztens, da hatte ich einfach keine Lust!", beklagte sich Masaru empört über sich selbst, "Ich WOLLTE einfach nicht gehen! Gut, es würde öde und mühsam werden, aber das ist doch kein Argument, nicht wahr?" Um Unterstützung werbend wandte er sich Umino zu, "man arbeitet doch nicht nach dem Lustprinzip!" Masaru tadelte sich selbst, "FÜR das Lustprinzip, ja, aber einfach mal alles schleifen lassen, weil einem nicht danach ist?! Das geht doch gar nicht!" Er sprang auf und watete durch das Wasser, schlug damit Wellen. "Natürlich habe ich meine Verpflichtung doch erfüllt." Wer hätte auch etwas anderes angenommen? "Trotzdem, das zeigt doch mangelnden Professionalismus!", um Zustimmung heischend baute er sich vor Umino auf, die Arme in die Hüften gestützt. "Vielleicht brauchst du ein bisschen Abstand?", schlug der bedächtig vor. "Abstand?! Quatsch mit Soße!", grollte Masaru und pflügte eine enge Runde, "das sind Allüren! Unerhört!" Man wollte offenkundig toben, also sah Umino amüsiert von weiteren Interventionen ab. "Könnte ja jeder kommen!", brodelte Masaru vor sich hin, auf und ab stampfend, gestikulierend, "wo soll das Geld herkommen, hm? Einfach keine Lust haben, ist ja nicht zu glauben! Das Leben ist doch kein Ponyhof! So was nennt sich Profi!" Vor sich hin grummelnd und schäumend drehte er weitere Runden, bis er plötzlich stehen blieb, den Habitus des lamentierenden, schimpfenden Cholerikers wie eine lästige Haut abstreifte, ruhig, ernst und still vor Umino stand. "Mein halbes Leben habe ich Pornos gedreht, finanziert, produziert, geschnitten und darin mitgespielt. Genauso lange bin ich der Edel-Prostitution nachgegangen", verkündete er gefasst, "aber..." Ein leichtes Zittern durchlief seinen angespannten, schlanken Leib. "Jetzt will ich nicht mehr." ]-#-[ Kapitel 10 - Vor dem Sprung Ich fühlte mich wie ein grober Holzklotz, weil ich einfach keinen Finger rühren konnte. Wirre Gedanken tosten in meinem Kopf, angefangen von der Hochrechnung, dass Masaru unglaubliche 32 Lenze zählen musste bis zur Frage, ob ich mich lebenslanger Verachtung aussetzte, wenn mir ein Jubelgeheul entschlüpfte. Masaru rang um Fassung. Für ihn, den Workaholic, musste es furchtbar sein festzustellen, dass innerer Antrieb und äußere Zwänge gepaart mit Pflichtbewusstsein nicht mehr genug wogen, um ihn zur Arbeit anzuhalten, dass ein Punkt erreicht war, wo alles gleichgültig wurde. "Ich tu das nicht für dich, klar?!", ging er plötzlich auf mich los, "bild dir bloß nichts ein!" Ich fing seine Fäuste ab und zog ihn an mich, spürte sein heftiges Zittern. Endlich arbeitete mein Gehirn wieder. Wenn er nicht mehr arbeiten wollte, sondern Schluss machen, wie sollte es weitergehen? Auf wen konnte er vertrauen? Er musste einen gewaltigen Schritt wagen, ohne Netz und doppelten Boden. Kein Wunder, dass Existenzängste ihn durchschüttelten! "Ich bin dabei", trompetete ich, "ich unterstütze dich, Masaru!" "Bisdudaub?!", nuschelte er an meiner Brust halb erstickt, "igdusnichfrdich!" "Natürlich nicht", bekräftigte ich, "es ist dein Leben und deine Entscheidung. Ich möchte dich bitte begleiten dürfen", drängte ich mich auf. "Ich mach's nicht, weil ich in dich verknallt bin, klar?", Masaru schluchzte jetzt wie ein Kind, aus tiefstem Grund, drückte sich von mir weg, "ich bin nicht so ein Idiot!" "Das weiß ich doch", brabbelte ich, obwohl mir bewusst war, dass ich besser die Klappe halten sollte. "Verdammt, gar nichts weißt du!", versetzte Masaru mir einen verbalen Tritt, klapperte nun auch noch mit den Zähnen, während er heulte. Oh haua. Zeit für restriktive Maßnahmen. Ich zerrte Masaru also auf meinen Schoß, umarmte ihn entschieden und unnachgiebig, damit er mir ordentlich die Schulter vollheulen konnte. ]-#-[ Nachdem ich Masaru aus dem Bad getragen und abgetrocknet hatte, rollte ich einen Futon aus, orderte ihn auf die Matratze und deckte ihn dünn zu. Das geschwollene Gesicht, das er mir trotzig-herausfordernd präsentierte, wurde mit kühlenden Kompressen bedeckt. Ich setzte mich, in eine Yukata gehüllt, neben ihn und hielt seine Hand. "Soll ich dir erzählen, was ich weiß?", riskierte ich nun mein Glück. Masaru schnaubte bloß, es klang jedoch eher erschöpft als abschätzig. "Ich weiß, dass du sehr gewissenhaft und gründlich bist. Du nimmst jede Aufgabe in deinem Leben ernst. Du bist klug und gerissen genug, dich in einem sehr gefährlichen Geschäft zu behaupten." Ich streichelte über seinen weichen Handrücken. "Du bist älter, als ich dachte und ich schäme mich ein bisschen, dass ich nicht respektvoller gewesen bin." Masaru knurrte warnend. Lächelnd drückte ich seine Hand. "Ich weiß, dass du nur auf dich selbst vertraust, dass du keine Schwäche zugeben kannst, dich immer selbst schützen musst, deshalb verstehe ich auch, dass du jetzt Angst hast. Du willst keinen Fehler machen, sollst aber trotzdem ins Unbekannte springen." "Sehr poetisch!", zischelte Masaru bissig. Ich grinste über seinen gewohnten Widerborst. "Außerdem weiß ich, dass du zum ersten Mal verliebt bist und dass dich das total aus der Bahn wirft, dass du glaubst, es wäre Wahnsinn, auf dieses Gefühl zu vertrauen. Und du denkst, dass du mich unabsichtlich täuschst und willst mich vor dir beschützen." Jetzt lag Masaru stocksteif und still da. "Na ja", ich kreiselte mit dem Daumen über seinem Handrücken, "ich bin auch zum ersten Mal verliebt und der Zustand IST gefährlich, vor allem, wenn ich an einer Hochspannungsleitung herumbastle und dabei mit den Gedanken bei dir bin." Masaru rührte sich noch immer nicht, hielt mutmaßlich die Luft an. "Andererseits bin ich glücklich, wenn wir zusammen sind. Es wird nie langweilig, ich habe Spaß, auch wenn wir uns streiten und ich fühle mich perfekt. Ich weiß, dass du etwas Besonderes bist und deshalb will ich jeden kostbaren Augenblick mit dir genießen." Ich atmete tief durch. Masaru keuchte leise. "...bist du jetzt rot im Gesicht?", erkundigte er sich heiser. "Ziemlich", gestand ich gut gelaunt ein, "aber ab und an Farbe im Leben ist nicht verkehrt." "Sagt das auch Großtante Chiyako?", verblüffte er mich zur Maulsperre. ]-#-[ Mit der freien Hand, die so schwer am Arm hing, lupfte Masaru die Kompressen, um einen Blick nach oben zu wagen. Umino starrte fassungslos mit herabhängender Kinnlade in sein Gesicht. Kein sonderlich intelligenter Ausdruck, doch Masaru verkniff sich ein Grinsen, da sein Gewissen ihm ordentlich in die Kehrseite trat. "Ähp!", mit diesem unartikulierten Geräusch schloss Umino über ihm den Mund und blinzelte mehrfach. "Ich hab dir nachspioniert, nur damit du es weißt!", wie üblich wählte Masaru Aggression als Nachvorne-Verteidigung, "bild dir also bloß nix über meinen edlen Charakter ein, klar?!" "Ehrlich?", ächzte Umino über ihm noch ein wenig benommen. "Ja, EHRLICH!", äÄtzte Masaru bissig, klappte hoch, sodass die Kompressen und die dünne Decke abblätterten, drückte Uminos Hand so fest, dass es schmerzte, "ich BIN genauso ein hinterhältiger Scheißkerl, der heimlich Informationen sammelt, um sich Vorteile zu verschaffen!" "Vorteile?", echote Umino verwirrt, "Vorteile bei was?" "Äh...", Masaru machte sich los und kramte herum, als sei das Wichtigste der Welt in diesem Augenblick, die frische Yukata, die er um seinen nackten Leib wickeln musste. Hinter ihm arbeitete es mühsam, aber mit wachsendem Tempo im grauen Oberstübchen seines mehr als langmütigen Liebhabers. "Warst du etwa bei meiner Familie?", Umino klang nun doch ein wenig ungehalten. "Selbstverständlich nicht!", geiferte Masaru empört, gürtelte umständlich, was nicht seiner üblichen Geschicklichkeit entsprach, "ich habe bloß mit Miyabi ein wenig geplaudert." Er wagte einen Schulterblick und konnte sehen, wie vom Halsansatz eine gefährliche Rötung Richtung Scheitellinie kletterte. Blitzschnell schoss Umino auf Masaru zu, packte dessen Handgelenke, eine einzige, übergroße Drohung. Die schwarzen Augen loderten förmlich. "Du hast ihr doch nichts erzählt, richtig?! Sie ist erst 15 und..." Obwohl die Handgelenke ihm schmerzten, vollendete Masaru bärbeißig, "hat mir geraten, unbedingt zuzugreifen, weil du ein absoluter Glücksfang bist! Kannst nicht nur alles mögliche reparieren, den Haushalt versorgen und kochen, sondern auch Hühner züchten." Umino erstarrte. Masaru leckte sich verlegen die Lippen und murmelte schließlich, "du tust mir weh, Umino." Schlagartig kam er frei, beäugte Umino unbehaglich. Der wirkte, als habe man ihm einen Tiefschlag versetzt, wandte sich ab. "Aber sie weiß doch nicht, dass...", brabbelte er ungläubig. Masaru schnaubte todesverachtend, "da kennst du deine Schwester aber schlecht! Ich hatte mich kaum vorgestellt, da sagte sie schon 'oh, du bist sicher sein fester Freund, nicht wahr? Erzähl mir bitte, wie ihr euch gefunden habt!' Da hatte ich noch kein Wort über unsere Beziehung verloren!" Eine weibliche Intuition, die er nicht nur erschreckend, sondern auch beklagenswert entwaffnend fand! "Aber...", Umino wandte sich Masaru wieder zu, fast flehentlich, "warum Miyabi? Wieso...?" "Na hör mal!", lektionierte Masaru ihn streng, "die einzige Frau in deinem Leben, und ich soll sie außer Acht lassen?! So doof bin ich nun wirklich nicht!" Umino blinzelte hilflos, um dann mit dünner Stimme nachzuhaken, "und sie war nicht angeekelt?" Masaru seufzte demonstrativ auf, "war sie nicht, du Schisshäschen! Herrje, sie hat sich gekringelt vor Begeisterung, als ich ihr erzählt habe, dass ich dich als Pornodarsteller engagiert hatte! Sie meinte, damit hättest du definitiv und für alle Zeiten diesen Hero getoppt! Wer auch immer das ist." "Mein Cousin", murmelte Umino, "der Kronprinz." Scheu streckte Masaru ihm die Hand hin, "weißt du, Frauen sind manchmal merkwürdig. Ihnen gefallen Dinge, da kommt man nie im Leben drauf." Er räusperte sich, "na ja, sie hat jedenfalls gesagt, dass sie mich mag, dass ich schnell zuschlagen soll." Umino starrte noch immer auf die elegante Hand, die sich ihm anbot. Seinem leeren Blick nach zu urteilen war er noch längst nicht auf der Höhe der Ereignisse angelangt. "Nun gib mir schon deine Pfote!", knurrte Masaru auffordernd, schob seine Rechte in den Gürtel, wo er ein kleines Papierpäckchen einhändig entfaltete. Dann, ein wenig zittrig, dirigierte er einen einfachen Goldreifen auf Uminos Ringfinger. "Ich hab", er räusperte sich erneut, hielt das Haupt gesenkt, "die ganze Schnüffelei betrieben, weil... na ja." Er zuckte mit den sehnigen Schultern. "...oh...", murmelte Umino über ihm. "Da!", Masaru drückte ihm eine schmalere Version des Goldreifs in die Hand, "dass du es gleich weißt: ich bin nicht so ein spülweicher Softie! Du trägst meinen Ring, also gehörst du mir! Ich bin nicht tolerant, ich teile nicht und ich verbeiße alles, was auch nur Anstalten unternimmt, meine Ansprüche zu untergraben!" "Das ist mal ein Antrag", bemerkte Umino endlich, ein wenig aufgeheitert, schob behutsam den Ring über Masarus Finger und küsste dann das malträtierte Handgelenk. "Beklag dich bloß nicht!", fuchtig ging Masaru auf ihn los, "du hast ja wohl auch darauf hingearbeitet, oder? Du wolltest ja wohl auch...!" Wie auch immer seine Tirade enden sollte: Umino wirbelte ihn mit Schwung herum, reduzierte die Bodenhaftung und küsste ihn leidenschaftlich. ]-#-[ Wenn Masaru sich immer beklagte, dass ich ihm Überraschungen bereitete, so hatte er mich aber auch ordentlich durchgeschüttelt. Ich war auch im Begriff, mit ihm die Erde beben zu lassen, weil sich einfach zu viel angestaut hatte, als höflich an unserer Tür gekratzt und das Abendessen angekündigt wurde. "Tolles Timing", grummelte Masaru, leckte mir über die Lippen, "du siehst aus, als hättest du geknutscht." "Viel zu wenig", seufzte ich profund, ließ ihn auf den Boden runter. Er lächelte schief, ja, sogar scheu. Für mich stand fest, dass, wenn wir endlich alle Einzelheiten der letzten Wochen besprochen hatten, sich auch seine pseudo-cholerischen Attacken verabschieden würden. Und ich musste mir auch final an die eigene Nase fassen: was wollte ich eigentlich? Jetzt, wo sich sogar meine geheimsten, verschämtesten Wünsche erfüllt hatten? »Nägel mit Köppen machen!«, trieb mich mein Herz an, flankiert von Bauch und Verstand. Außerdem, wenn Miyabi ihren Segen gab, was wollte ich mehr?! ]-#-[ Obwohl die aufgeheizte Atmosphäre so gespannt wie ein Drahtseil war, würde ich lügen, wenn ich behauptete, mir hätte es den Appetit verdorben, im Gegenteil, ich schaufelte, als gäbe es kein Morgen! Masaru pickte bloß in seinem Anteil herum, schlürfte Tee und vermied es, mich anzusehen. Na gut, wahrscheinlich bin ich beim Essenfassen auch wirklich kein augenfreundlicher Anblick. Wie am Abend zuvor wurde abgeräumt, ein Teegeschirr hinterlassen, damit wir nicht in der Nacht aus Not das Naturbad aussoffen, anschließend ein zweiter Futon in sittsamem Abstand ausgelegt. Dann waren wir allein, lauschten für einen Moment nur den gedämpften Geräuschen der anderen Gäste. Masaru drehte unruhig den Goldreif an seinem Finger. "Ich hab sie nicht absichtlich getroffen, oder so", murmelte er, "kannte ja bloß die Schnappschüsse, die bei dir rumliegen." Ich beäugte seine angespannte Haltung und fühlte mich gar nicht mehr aufgebracht-panisch ob dieser Enthüllung. "Sie war mit ein paar anderen Mädchen in dem Café, wo ich Pause gemacht habe. Weil ihr euch ähnlich seht, habe ich sie angeschaut und..." "Wir sehen uns doch nicht ähnlich!!", platzte ich entsetzt heraus. Meine Schwester ist schließlich wunderschön und kein überdimensionierter Geisterbahnbewohner! Masaru hob den Kopf und grinste. "oh doch, ihr seht euch ähnlich! Vor allem die Augenpartie! Und das gleiche Grinsen, oh ja!", ächzte er gequält, "DAS konnte ich wirklich STÄNDIG studieren!" "Ich verstehe aber nicht", nun beteiligte ich mich gegen meine Vorsätze doch energisch am Gespräch, "wieso sie dich erkannt hat! Nur, weil du sie anguckst...!" Ja, das wollte mir wirklich nicht in den Kopf gehen! "Beschwer dich bloß nicht bei mir!", attackierte er mich bissig, "WER hat denn seiner kleinen Schwester erzählt, dass er mit Masaru Ichinose am Wochenende wegfährt, hm?! Wer hat ihr erklärt, dass sei ein total toller und absolut attraktiv aussehender Typ?! Oder waren das nicht DEINE Worte?", ätzte er giftig. "...oh...", murmelte ich im Rückzugsgefecht und überlegte fieberhaft, ob ich mich wirklich zu dieser Enthüllung hatte hinreißen lassen. "Ich hab bloß erwähnt, dass wir befreundet sind", brabbelte ich schließlich lahm. Konnte meiner kleinen Schwester doch wohl kaum erzählen, dass ihr grotesk hässlicher Bruder sich auf männliche Liebschaften kapriziert hatte! "Ehrlich!", seufzte Masaru tief und schüttelte resigniert den Kopf, "Umino, was hast du bloß erwartet?! Bei DER Beschreibung! Offenkundig bin ich das Hauptthema eurer Konversation gewesen, wenn's nicht um deine Arbeit ging!" "...ähm...", brummte ich mit fliegenden Fahnen geschlagen und total untergegangen. Möglicherweise hatte ich doch ein wenig zu unbedacht herumgeschwatzt in meiner Euphorie. "Wie dem auch sei!", gnädig ließ er mich vom Haken, "sie lässt ihre Freundinnen hocken, kommt zu mir und weiß quasi Bescheid. Kannst du dir vorstellen, wie baff ICH war?!" Diplomatisch hielt ich meine große Klappe. "Tja, da dachte ich, dass ich auch gleich die Karten auf den Tisch legen kann. Wenn sie schon deinen verqueren Sinn für Humor hat!", knurrte er, wischte sich Strähnen aus den Augen und blinzelte dann zögerlich zu mir herüber. "Und sie hat dir wirklich geraten, mich zu kapern?", erkundigte ich mich schief grinsend. "Aber hallo!", Masaru schnaubte, "nachdem sie mir sämtliche deiner jugendfreien Vorzüge aufgezählt hatte, fühlte ich mich absolut unterqualifiziert!" Ob seiner Empörung musste ich lachen, auch wenn mir ein wenig schwindlig bei dem Gedanken war, wie viel mehr meine Schwester von mir wusste, als ich angenommen hatte. "Und deshalb also...?", tippte ich auf den Goldreif an meiner Hand. Masaru blickte unter sich und leckte sich verlegen die Lippen. "Ich wollte", murmelte er kaum hörbar, räusperte sich und straffte resolut seine sehnige Gestalt, richtete sich auf, "ich wollte eine Garantie. Wenn ich etwas tue, dann richtig, mit allen Konsequenzen!" "Wow", stellte ich sonor fest. "Du kannst ihn natürlich bei der Arbeit abnehmen", gestattete Masaru mir großzügig, woraufhin ich beschloss, dass das nur in Notfällen in Frage kommen würde. Ich trug ohnehin ständig Handschuhe und es gab keinen wichtigen Grund, meine feste Herzensbindung zu verheimlichen! "Du hast dich ganz schön in Unkosten gestürzt", wechselte ich den Kampfschauplatz, "diese Reise, die Ringe..." "Ach was!", winkte Masaru ab, ein wenig zu selbstsicher für jemanden, der sich entschlossen hatte, seinem Broterwerb den Rücken zu kehren. Dann seufzte er tief, wischte sich durch die Haare, holte ausreichend Luft, um damit neue Tauchrekorde aufstellen zu können. "Tatsache ist, dass ich sämtliche Accessoires, die man mir über die Jahre geschenkt hat, versilbert habe. Ich habe nicht nur deine Vergangenheit ausspioniert, sondern auch die Wohnung gewechselt und meinem Auftragsdienst gekündigt", schoss er in Hochgeschwindigkeit die Silben heraus. "Du bist umgezogen?", ich war nun wirklich verblüfft, denn Masarus teures Appartement passte zu seinem Sicherheitsbedürfnis und dem Air des Extravaganten. Er schenkte mir einen prüfenden Blick, klopfte dann mit der flachen Hand auffordernd neben sich. Ich rutschte an seine Seite. "In diesem Geschäft", eröffnete er bedächtig, schnappte sich meine Rechte, um sie mit seinen Händen zu massieren, "hörst du nicht auf. Du wirst abserviert, aufs Altenteil geschickt. Es ist nicht deine Entscheidung." Mir kribbelten die Fingerspitzen bereits ob Masarus Spezialkur und ich konnte mich nicht von seinem ernsten Profil abwenden. "Alles dreht sich um Geld und Macht. Investitionen müssen sich rentieren, der eigene Status repräsentiert werden. Das ist wie beim Aktienmarkt und dem Kauf teurer Uhren. Gewinnmaximierung und Einfluss, das sind die Prioritäten." Ich musste mich nun anstrengen, seine leisen Worte zu vernehmen. "Ich bin ein Statusobjekt. Ich weiß Dinge über mächtige Männer. Wenn ich aufhöre, muss ich also sehr vorsichtig sein, damit mich kein Unfall ereilt, verstehst du?" Mir wurde plötzlich kalt. "Ich habe schon eine ganze Weile über mögliche Ausstiegsstrategien nachgedacht", Masaru fokussierte seinen Blick nun auf die wieselflinke Dame, die die alten Steinlaternen anzündete. "Ist ja klar, dass es kein Job auf Lebenszeit ist", ergänzte er lakonisch. Meine Hand wurde in seinen Händen eingefangen, festgehalten. "Ich musste also sehr geschickt vorgehen, einen leisen, schnellen Abgang inszenieren", über seine angespannten Züge zuckte ein zynisches Lächeln, "ich habe einen Arzt und ein Labor bestochen, damit sie mir Hodenkrebs bescheinigen. Nichts wirkt abschreckender auf Männer als Unterleibsgeschichten", räsonierte er zynisch, "deshalb konnte ich auch das Gerücht in Umlauf setzen, dass ich mich aus gesundheitlichen Gründen sofort zur Ruhe setzen müsse, um eine Behandlung wahrzunehmen. Na ja..." Er blies sich Strähnen aus den Augen. "Mit der Diagnose bin ich natürlich nur noch ein armes Würstchen, kein richtiger Mann mehr. Null Attraktivität, jemand, der sich bis zum Ende seines Lebens in irgendeinem Loch verkriecht", er seufzte, funkelte dann grimmig in die Dämmerung hinaus, "das sollte auch funktionieren, doch Saburo klebte mir ständig an den Hacken. Ich war nicht sicher, ob er nicht heimlich mein Mobiltelefon ausspioniert hat." Ärgerlich schnaubte er, "weißt du, sie finden dich immer, hat also gar keinen Sinn, sich verstecken zu wollen, aber die meisten versuchen nicht, an einem Sicherheitsdienst vorbeizukommen." Was mir nun erklärte, warum sein letztes Appartement derartige Vorkehrungen vorsah. "Hast du deshalb eine neue Nummer bekommen?", mischte ich mich ein. Masaru drehte den Kopf zu mir herum, lächelte bissig, "hätte schlecht ausgesehen, wenn ich eigentlich todkrank herumliegen sollte, tatsächlich aber die Laken mit einem Liebhaber zerknittere, oder?" Nun fiel bei mir auch der Groschen! Masaru hatte versucht, unsere Beziehung zu verbergen, damit mir nichts passierte! "Aber wie hat Saburo dann rausgekriegt, dass wir verreisen wollen?", platzte ich besorgt heraus. "Der Mistkerl muss mich vor der Agentur abgepasst haben!", zischte Masaru bösartig. "Agentur?", echote ich verwirrt. Er knurrte, "um die Wohnung vermieten zu lassen. Die wollen eine beglaubigte Abschrift des Eigentumsnachweises haben." "Oh", blubberte ich. Demnach gehörte Masaru sogar die Luxuswohnung?! Neben mir grinste er schief über meinen zweifellos dümmlichen Gesichtsausdruck. "Ich habe nicht all mein Geld für Filme ausgegeben", klärte er mich nachsichtig auf, "für Regentage gibt's auch bei mir eine stille Reserve." "Hm", kommentierte ich, um dann seine Hände in meiner Pranke behutsam zu drücken, "meinst du, er hat's herausgefunden?" "Ich weiß es nicht!", knurrte Masaru grimmig. Da saßen wir nun in der einbrechenden Dunkelheit und grübelten vor uns hin. Masaru löste sich plötzlich von mir und dem Boden, erhob sich, streifte die Yukata achtlos ab und marschierte zum Naturbad. Er tauchte ein, hielt dann auf den äußeren Rand zu, kreuzte dort die Arme auf der Steinumfassung. Wie ich ihn kannte, hatte er bereits einen Plan gefasst, rang vermutlich mit der Entscheidung, wie er mir die Botschaft übermitteln sollte. Ich stemmte mich hoch, sammelte seine Yukata auf und faltete sie zusammen, bevor ich sie auf seinem Futon ablegte, dann schlüpfte ich aus meiner Yukata und vertraute sie meinem Futon an. Masaru drehte sich nicht zu mir um, als ich die Fluten aufwühlte. Ich positionierte mich hinter ihn und drückte einen Kuss auf seinen seidigen Schopf, legte die Arme um seine. "Ich bin dabei", verkündete ich leise. "Und bei was genau?", grollte Masaru, blickte stur geradeaus. "Na, ich schätze, du wirst so tun müssen, als unterzögest du dich wirklich einer Behandlung, vorzugsweise im Ausland. Wenn du dann zurückkommst, ist längst Gras über die Sache gewachsen", optionierte ich die Alternative. "Und du wirst natürlich ganz selbstlos und tugendhaft auf mich warten", ätzte Masaru. Ich konnte mir nicht helfen und prustete amüsiert, "erwartest du von mir etwas anderes?" Es blieb mehrere hastige Herzschläge still. "Ich erwarte, dass du dich um meine neue Wohnung kümmerst", flüsterte Masaru schließlich rau, "ab und zu lüften, staubwischen..." Weil ihm die Stimme versagte, umhalste ich ihn einfach eng. "Versprochen." "Und wag es nicht fremdzugehen, klar?!", explodierte Masaru, "du bist NICHT auf dem Markt!" Er zitterte so sehr und schluckte so heftig, dass ich aus Mitgefühl selbst den Tränen nahe war. "Ich bin dir treu, Ehrenwort", gelobte ich mit belegter Stimme, drückte mich noch fester an ihn. "Und du musst mir schreiben, jeden Tag! Irgendwelche dusseligen Dinge!", verlangte Masaru schluchzend, "oh, verdammt! Verdammt!" "Das mach ich!", versicherte ich ihm, drehte ihn energisch zu mir herum und umarmte ihn erstickend. "Wenn...wenn dieser... PARASIT.. nicht... gewesen wäre!", heulte-fauchte Masaru an meiner Brust. »Ja«, dachte ich grimmig, »dann könnten wir schneller zusammen sein, eine gemeinsame Zukunft planen.« Andererseits würde Masaru auch Zeit benötigen, um sich darüber klar zu werden, was er nun beruflich beginnen wollte. "Du kannst die Zeit nutzen, um dir in Ruhe eine neue Beschäftigung zu suchen", raunte ich ihm zu, "wir könnten darüber diskutieren, ob wir nicht zusammenziehen wollen, und welche Möbel wir anschaffen müssten..." "Idiot!", knurrte/schniefte Masaru an meinem Hals. "Ja-ah", pflichtete ich ihm bei. Positivist zu sein war manchmal eine Strafe. Masaru zappelte sich frei und rieb sich mit den Handballen die Augen. Der Goldreif glänzte im Widerschein der Steinlaterne. Ich half mit meinen großen Daumen bei der Trockenlegung nach. Beschämt-ärgerlich brummelte Masaru, "ich heule nur aus Wut, verstehst du? Das ist die Rage, die bei mir übersprudelt." Anstelle eines Kommentars zu dieser höchst ernsthaften Erklärung beugte ich mich herunter und küsste ihn zärtlich. Die Aussicht darauf, sich bald trennen zu müssen, erfüllte mich ebenfalls mit Groll, vor allem aber mit Wehmut. "Ich liebe dich", kollerte ich sonor in sein Gesicht. Masaru leckte sich die Lippen, unverkennbar verlegen, wich meinem Blick allerdings nicht aus. "Schätze", flüsterte er heiser, "das ist ansteckend. Virulent." Das entlockte mir ein breites Grinsen. Typisch Widerborst Masaru! Übermütig schlang ich einen Arm unter seine Schulterblätter, ging leicht in die Hocke, um den anderen unter seine Kniekehlen zu schieben, expedierte ihn auf diese Weise aus dem Naturbad. Ohne Protest trockneten wir uns gegenseitig eher hastig ab, bevor wir beide Futons direkt nebeneinander zerrten, die Decken aufschlugen, die Yukata auslagerten. Ich ließ Masaru nur noch einmal entwischen, um Material zu holen, dann gehörten wir einander, die ganze Nacht bis zur Morgendämmerung, ohne Rücksicht auf Nachbarn oder unsere Kondition. ]-#-[ Man kratzte energisch an der Schiebetür, als ich mich mit verquollenen Augen aufrichtete. "Ja, sofort!", krächzte ich heiser und angelte in dem Tohuwabohu nach der Yukata, um mich zu bedecken. Vor der Tür wartete auf zwei Tabletts unser Frühstück und die höfliche Erinnerung, wann wir abzureisen hätten. Hüftsteif und lendenlahm deponierte ich die Atzung nahe beim Naturbad, bevor ich mit den Aufräumarbeiten begann. Es war wohl nicht anzunehmen, dass man uns noch mal als Gäste aufnehmen würde, mutmaßte ich. Masaru tauchte mit wüstem Schopf auch in der Gegenwart auf. "Schon wieder Essen?", murmelte er und kippte wieder hintenüber. Ich vermied diesen Anblick, um nicht den Teufel zwischen meinen Beinen aufzuwecken. Die Haut rund um meine Rosette bis zum Geigerzähler musste mittlerweile so dünn wie Spinnweb sein! "Müssen wir aufstehen?", Masaru studierte mit ausgebreiteten Armen splitternackt die Holzdecke. "Führt kein Weg dran vorbei", ich gurgelte mit Tee, um mich verständlich artikulieren zu können. "Mist!", murmelte er, rollte sich dann auf die Seite und erhob sich ein bisschen wacklig. Natürlich guckte ich NICHT weg! Ein erschöpftes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, dann bekleidete er sich züchtig, setzte sich mir gegenüber vor sein Frühstückstablett. Ich schenkte ihm Tee ein und entließ beschämenderweise einen Seufzer. "Ich weiß", flüsterte Masaru sanft und streichelte meine raue Wange, wo ich noch nicht eingedenk des Maestro für klare Konturen gesorgt hatte. Entschlossen bekämpfte ich den wehmütigen Kloß in meinem Hals mit klebrigem Reis. ]-#-[ Das war eine unwirkliche, seltsame Rückreise. Wie nicht anders zu erwarten waren die Wirtsleute eher knapp und deutlich froh, uns los zu sein, was mich nicht mehr sonderlich kümmerte. Ich warf mir unser Gepäck über die Schulter und kassierte Masarus Linke ein. Wenn ich ihn schon am Ende der letzten Zugfahrt freigeben musste, dann wollte ich diesen Moment so lange wie möglich herauszögern. Wir sprachen gar nichts, nicht im Bus, im Regionalzug oder dann auf der "Romantik"-Tour, hielten uns bloß an den Händen fest. Als wir den Zielbahnhof in Tokio erreichten, wäre ich am Liebsten für immer sitzen geblieben. Masaru erhob sich jedoch und drehte sich zu mir um. "Steig ganz am Schluss aus, nur zur Sicherheit", raunte er mir zu, presste dann die Lippen fest aufeinander und ohrfeigte mich. "Verdammt!", zischte er bleich, "sieh mich nicht so an! Du bist auch 23 Jahre ohne mich ausgekommen!" Er riss sich los, zerrte sein Gepäck herunter und hastete mit gesenktem Kopf ohne einen Blick zurück durch den Gang zum nächsten Ausstieg, drängte sich unhöflich durch die Menge. Ich blieb wie betäubt hocken und konnte nur daran denken, dass er hoffentlich die große Sonnenbrille aufsetzte, bevor jemand seine Tränen sah. ]-#-[ Kapitel 11 - Positivist sein! Die seltsame Taubheit hielt fast drei Tage an. Ich arbeitete auf Autopilot, reagierte auch auf Ansprache, aber irgendwie lief der Alltag total an mir vorbei. Meine innere Uhr blieb stehen, stellte einfach den Betrieb ein. Manchmal, wenn ich vom Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde, hatte ich sogar Probleme, mir Masarus Gesicht in Erinnerung zu bringen. Miyabi rief mich an, wollte Neuigkeiten erfahren, nachdem sie ja Stillschweigen über Masarus Besuch gewahrt hatte. Ich wollte ihr eigentlich Belanglosigkeiten erzählen, den locker-lässigen Trottel geben, doch zu meinem eigenen Entsetzen heulte ich los, als sie nach Masaru fragte, konnte mich gar nicht beruhigen. So etwas war mir noch nie passiert, und ich schämte mich sehr. Nachdem ich einigermaßen verständlich erklärt hatte, was passiert war, bestand sie darauf, dass wir uns am Wochenende treffen mussten, auf halbem Weg. Ich wollte sie nicht mit meinem lächerlichen, kleinmütigen Kummer belasten, aber einen Widerspruch akzeptierte sie partout nicht. Glücklicherweise hatte ich noch etwas Zeit, um mich zu fassen und an die Kandarre zu nehmen. Es ging ja nicht an, eine 15-Jährige mit meinem wirren Privatleben zu belasten! Wir trafen uns auf halbem Weg also in einem Café in der Nähe der Bahnstation. Miyabi war noch ein wenig gewachsen, begrüßte mich aber gar nicht distanziert-vornehm wie die anderen Mädchen um uns herum, sondern warf sich mir lachend wie ein Kind in die Arme, und ich, impulsiver Depp, schleuderte sie ebenso mühelos in die Höhe, wie ich das früher getan hatte. Um uns herum glotzen und tuschelten die Leute, aber nach diesem Einstand konnten wir uns gar nicht mehr blamieren. Miyabi kümmerte das keinen Deut. Sie ließ ihren geschmückten Rucksack auf der Sitzbank neben sich fallen und langte über den Tisch, um meinen adrett gestutzten Bart zu kraulen. "Das gefällt mir!", komplimentierte sie, "das steht dir sehr gut, Umi-chan!" Ich entknitterte meine Gesichtszüge zu einem schrägen Grinsen und berichtete ihr, wie ich zu dieser neuen Gestaltung meiner grotesken Hässlichkeit gekommen war. Miyabi lauschte mir wie immer aufmerksam, schlürfte am Strohhalm ihres Getränks und lachte an den richtigen Stellen. Mir kamen Masarus Worte über unsere Ähnlichkeit in den Sinn, und ich studierte stumm ihre schönen, ebenmäßigen Gesichtszüge. Sie grinste daraufhin und zog Grimassen, was mich zum Lachen brachte. Um nicht noch mehr Unmut auf uns zu ziehen, verließen wir das Café, flanierten untergehakt durch Einkaufspassagen zu einem von uniformen Gebäuden umzingelten alten Schrein. Hier, hinter den gepflegten Mauern und Sträuchern, dämpfte sich der Lärm ein wenig ab und wir konnten uns ruhiger unterhalten, also beichtete ich die Höhepunkte der Reise mit Masaru und unseren handgreiflichen Abschied. Das fiel mir immer noch nicht leicht und ich schluckte wie ein Erstickender, räusperte mich unentwegt. "Lutsch das hier!", pragmatisch offerierte mir Miyabi eine schmucke Bonbondose und drückte meinen Arm. "Er wird sich bestimmt bei dir melden, wenn er alles ausgeknobelt hat", versicherte sie mir mit betonfester Überzeugung. "Schon", brummte ich kläglich. "Stell dir mal vor, er lässt sich zum Beispiel in eine dieser amerikanischen, superteuren Privatkliniken einweisen! So zum Schein natürlich! Da braucht man Visa und auch Geld für den Aufenthalt, und noch mehr!", sie klopfte auf meinen Arm, "also, ich könnte das bestimmt nicht so einfach hinkriegen!" »Ich vermutlich auch nicht«, pflichtete ich ihr in Gedanken bei. "Du musst nur zu deinem Wort stehen", fasste sie feierlich zusammen, "dann geht auch alles gut. Überhaupt", sie zupfte plötzlich aufgekratzt an meinem Ärmel, "du solltest die Zeit unbedingt nutzen, hörst du?! Wenn ihr zusammenziehen wollt, brauchst du Geld für die Kaution! Und was ist mit echten Flitterwochen, hm? Ich glaube, du musst dich da richtig ins Zeug legen, wenn du Masaru verwöhnen willst!" Die Gedanken hatte ich zumindest gründlich verdrängt, um mich in meinem Selbstmitleid zu suhlen. Igitt! "Du hast recht!", stimmte ich Miyabi zu und verwuschelte ihre elegant hochgesteckten Locken, "genug herumgejammert! Es gibt jede Menge zu tun!" Und dazu musste ich meinen breiten Hintern hoch kriegen! ]-#-[ Dass es Masaru gelungen sein musste, spurlos zu verschwinden, bewies mir Saburos unerwartete und unerwünschte Aufwartung. Er passte mich bei der Arbeit ab und versuchte, mich nach Masaru auszuhorchen. Ich stellte mich doof und behauptete, seit den letzten Dreharbeiten keinen Kontakt mehr unterhalten zu haben. Daran zweifelte er zwar, konnte mich aber nicht widerlegen, also schoss er sich auf meinen Ring ein. Gewitzt erklärte ich, verlobt zu sein, und zwar mit einer chinesischen Importbraut irgendwo aus der Provinz. Momentan gebe es noch Probleme bei der Ausreise, aber ich sei zuversichtlich, sie bald bei mir haben zu können. Saburo betrachtete mich mit dem verächtlichen Blick, der allen armen Würstchen gebührt, die sich in Not geratene, arme Frauen kaufen mussten, um überhaupt ein weibliches Wesen abzukriegen. Danach lungerte er zwar noch ein paar Tage in meiner Nähe herum, sprach mich aber nicht mehr an. Ich dagegen war durchaus zufrieden mit meiner Notlüge, denn so konnte ich auch ungeniert Überstunden machen, Kataloge mit Mietwohnungen wälzen und die Preise von Möbeln erkunden. Die ernüchternde Erkenntnis folgte dabei auf dem Fuß. Wenn ich so ein luxuriöses, unglaublich bequemes Bett anschaffen wollte, wie es Masaru gehörte, würden die Flitterwochen wohl ins Wasser fallen müssen. Ungefähr einen Monat nach unserer Trennung erhielt ich eine kurze E-Mail von Masaru. Er war nach Amerika entwischt und hatte dort in einem Schnellkurs den Führerschein erlangt. Ich möge Geduld haben, er werde sich wieder melden. Was blieb mir anderes übrig? Aber ich war schon beeindruckt, denn wenn er die Fahrerlaubnis bekommen hatte, bedeutete das nicht, dass er zumindest ein passables Amerikanisch beherrschen musste? Noch eine Überraschung und eine weitere, mir bis dato unbekannte Qualität meines Liebsten. Typisch Japanisch nahm sich jedoch seine Unermüdlichkeit aus, sich fortzubilden. Die nächste E-Mail berichtete mir knapp, dass er sich in Süd-Korea befand und dort einen Kochkurs absolvierte. Dann bekam ich eine Nachricht von einer Privatklinik, die mich darüber in Kenntnis setzte, dass M.I. seine Behandlung auf Okinawa abschließen würde. Das kam mir ein wenig seltsam vor, bis ich bei meiner Recherche auf ein unentwirrbares Knäuel von Beteiligungen stieß, die nahelegten, dass es diese Privatklinik gar nicht gab, eine Briefkastenfirma sozusagen, die sich die Adresse einer Klinik im Ausland "ausgeliehen" hatte und als Alibi fungierte für V.I.P. mit peinlichen Defiziten. Also war Masaru schon wieder in Japan? Oder stellte das nur eine Falle dar? Ich verhielt mich, auch wenn es mir sehr schwerfiel, einfach ruhig, widerstand mannhaft der Versuchung, stehenden Fußes nach Okinawa zu reisen. Gut, dass ich meinem Instinkt gehorcht hatte, denn zwei Tage später überfiel mich Saburo nach der Arbeit und verlangte zu erfahren, wo Masaru sei, und wieso ich nicht auf Okinawa nach ihm suchte. Wachsam durch seinen hysterischen Auftritt stellte ich mich dusselig und gab zwar zu, eine obskure E-Mail erhalten zu haben, jedoch von einer Verwechslung auszugehen, stritt dann heftig ab, etwas über Masarus Aufenthaltsort zu wissen. Er zerrte an meiner Jacke. Ich verpasste ihm schließlich einen Stoß vor die Brust, dass er einige Schritte zurücktaumelte. "Eben langt's mir aber!", bellte ich zornig, "geht's nicht in deinen Schädel, oder was?! Ich weiß nicht, wo dein geliebter Felice steckt!" Saburo hatte zwar noch nicht genug, dafür tauchte hinter ihm ein Schrank auf, der förmlich "Handlanger fürs Grobe" schrie. Er fischte Saburo mühelos ab, grunzte mir etwas Unverständliches zu und schleifte seine Beute fort. Ich atmete tief durch und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Saburo irgendwem einen Floh ins Ohr gesetzt hatte, um doch noch fündig zu werden. Wer war wohl die hartnäckige Person hinter diesem Besessenen? Mit der nächsten E-Mail von Masaru, dieses Mal aus Hawaii, warnte ich ihn, dass irgendwer Saburos aufdringliche Suche fördern könnte. Masaru ging nicht näher darauf ein, bat nur um Geduld. Und die musste ich wohl ganz allein aufbringen. ]-#-[ Ich wischte mir mit dem Handtuch um meinen Nacken die Stirn trocken und unternahm nichts, meinen Stolz über die geleistete Arbeit zu maßregeln. Endlich war es vollbracht! Die Veranda hinten raus hatte neue, stabile Bohlen aus Lärchenholz, die ich nicht nur mit dem Kleinlaster aus dem großen Lager abgeholt, sondern eigenhändig mit dem großen Akku-Schrauber verbunden hatte. In dem alten Häuschen am Hügel, ganz am Ende der Straße, steckte wirklich jede Menge Schweiß, Kopfzerbrechen, Material und natürlich auch mühsam gespartes Geld, aber mit jedem abgeschlossenen "Projekt" wurde es ein Stückchen mehr zu meinem Heim. Nun ja, ich hoffte, zu unserem Heim, auch wenn ich seit über einem halben Jahr ohne Masaru auskommen musste. Eigentlich konnte ich auch nicht sicher sein, dass es ihm gefiel, hier, außerhalb von Tokio, in ein Mini-Tal zu ziehen, das nur am Wochenende auflebte, weil hier viele Pendler wohnten. Mir hatte das Häuschen jedoch gefallen, es hatte Charakter. Und ich konnte mir die Pacht leisten, was mich selbst verblüfft hatte. Normalerweise hätte man es wohl abgerissen und ein mehrstöckiges Wohnhaus errichtet, doch die Parzelle war dafür zu schmal und die Sackgasse für große Maschinen zu eng, vom steilen Hang ganz zu schweigen. Nun ja, für zwei Männer, von denen einer handwerkliche Arbeiten durchaus gewöhnt war, sollte es aber funktionieren. Außerdem hatte das luxuriöse Bett schließlich auch ins Schlafzimmer gepasst! Ich arrangierte noch ein paar grüne Freunde in ihren Kübeln auf der neuen Heimat, dann klopfte ich mir Holzspäne und Staub ab, bevor ich das Haus betrat. Anstelle des alten, gestampften Lehmbodens unter den längst verschlissenen Strohmatten hatte ich es gewagt, einen Terrazzoboden zu schleifen, unterstützt durch ein paar unerschrockene Kollegen. Man glaubte wirklich nicht, wie sehr erwachsene Männer mit schweren Baumaschinen "spielen" wollten! Danach hatte ich zwar auch einige Bier- und Sakeleichen zu entsorgen, aber Spaß hatten wir wohl alle. Ich heizte mit dem alten Ofen, den ich von einem Fachmann hatte überprüfen lassen, das Wasser im gemauerten Bad auf, während ich mir die schmutzigen Kleider vom Leib pellte und mich ordentlich einschäumte. In grauer Vorzeit hatten die Bewohner den Hügel terrassiert und mit Gräben versehen, damit es keine Erdrutsche gab. In steinernen Becken sammelte sich noch heute wie in Zisternen das Regenwasser, gut genug für mich jedenfalls, mit einer dicken Kiesschicht zu filtern und damit mein Bad zu versorgen. Trinkwasser gab es schließlich auf der anderen Seite in der Küche. Wenn wieder Geld in der arg ausgeplünderten Kasse war, dann wollte ich mich auch mit Photovoltaik fürs Dach befassen, sah mein Plan vor. Vielleicht gäbe es dann schon diese finnischen Windräder, die wie Zuckerstangen aussahen und ganz geräuschlos funktionieren sollten! Ich tauchte zufrieden mit mir im hochgemauerten Becken unter, ächzte ein paar Mal, nur, um mir selbst zu bekunden, was für ein Arbeitstier ich war und schwelgte noch ein wenig länger in meinen Bauherrenphantasien. In der Nähe lärmten lautstark die Hühner eines Nachbarn, an dessen kleinem Gehöft der Weg vorbeiführte, den die Hundebesitzer häufig nahmen. Ich kannte diese kleinen Routinen schon und entkletterte der Wanne, rubbelte mich trocken und legte den schweren Holzdeckel wieder auf den Rund. Frische Unterwäsche, alte Bermudas und ein T-Shirt, so wollte ich den Feierabend einläuten. Die meisten anderen Leute hielten das für eine ziemlich dürftige Bekleidung im Februar, doch die regennasse Luft machte mir nichts aus. Es war ja auch kein typischer Jahresbeginn, es gab kaum Schneefälle, recht wenig heftige Gewitter und zumeist eine blasse, aber hartnäckige Wintersonne zu dokumentieren. Ich fischte eingelegtes Gemüse aus einem alten Steinguttopf und füllte mir Reis aus dem Thermokocher in eine Schale. Erneut spektakelten die Hühner, was mich zu einem Blick auf die Uhr des Küchenradios veranlasste. »Nanu?«, kommentierte ich, schaufelte eine Ladung Reis in meinen Schnabel und marschierte zur Eingangstür, »wollen doch mal sehen, wer um diese Zeit noch spazieren geht!« Es war jedoch kein Spaziergänger, der sich da den steilen Anstieg auf den Hügel zumutete. Ich konnte im Zwielicht der rasch einbrechenden Dunkelheit bloß eine Gestalt mit einem Rucksack erkennen. Automatisch zündete ich die alte Öllaterne an, die neben der Tür bereitstand und für Spätheimkehrer über der äußeren Schiebetür aufgehängt wurde. Der Unbekannte bog vom Weg ab und nahm die befestigten Trittsteine zum Haus. Ich öffnete und hängte die Laterne über meinem Kopf auf. "Guten Abend", rief ich ihm entgegen, "kann ich Ihnen helfen?" Die höfliche Umschreibung von "was zum Geier machen Sie hier um die Uhrzeit?" "Ich hoffe doch sehr!", antwortete mir eine wohlvertraute Stimme, "angefangen damit, mir den Rucksack abzunehmen!" ]-#-[ Während ich ausgiebig seinen Rücken schrubbte, konnte ich es noch nicht ganz glauben, dass dieser merkwürdige Exot tatsächlich Masaru sein sollte! Seine Haare, die wir mühsam mit einem Band eingefangen und oben auf dem Schädel aufgetürmt hatten, waren wohl seit unserer letzten Begegnung nicht mehr geschnitten worden, dafür aber rotbraun gefärbt mit blonden Strähnen. Als wäre das nicht noch ausgeflippt genug, waren bunte Fäden und winzige Perlen eingeflochten worden! Sein Körper war, abgesehen von einigen neuralgischen Stellen, angenehm gebräunt, straff und noch etwas sehniger, als ich ihn in Erinnerung hatte und in seinen Ohren steckten zu allem Überfluss auch noch diverse Ohrgehänge! "Bist du jetzt ein Punk oder ein Hippie oder...?!", rätselte ich halblaut, küsste seinen freigelegten Nacken. Masaru lachte bloß, "darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht." Ich schlang die Arme um ihn und schmiegte mich an seinen Rücken. "Und dir geht's wirklich gut?", die Frage stellte ich wahrscheinlich zum tausendsten Mal. "Mir geht's, immer noch", grinste er gelassen, "sehr gut. Ich bin jetzt zu Hause", schnurrte er amüsiert. Mich überkam eine gewisse Befangenheit. Ich wusste gar nicht, wie ich ihm alles erklären sollte, ob ich ihn nicht zu sehr in Beschlag nahm. "Ich mache uns Tee und was zu essen", entschied ich feige und kam aus der Hocke hoch, "das Wasser müsste noch heiß genug sein." Damit flüchtete ich in die Küche. ]-#-[ Masaru spülte mit dem hölzernen Bottich die letzten Seifenreste ab, stemmte dann den Holzdeckel hoch, stellte ihn ab und stieg in das tatsächlich wohlig-warme Wasser. Nach einem langen, ja, sehr langen Weg fühlte es sich herrlich an! Er zog die Knie vor den Leib und knetete unbarmherzig seine Füße. Im letzten halben Jahr hatten sie viel mehr zu leisten gehabt als all die Jahre zuvor. Dann entspannte er sich, legte den Kopf in den Nacken und studierte im Schein der zwei sparsamen Laternen seine neue Heimat. Es war ganz anders als alle Unterkünfte, in denen er zuvor gelebt hatte, rustikal, einfach und doch zweckmäßig, mit ländlichem Charme. »Morgen«, dachte er gelassen, »da werde ich mir alles bei Tageslicht anschauen.« ]-#-[ Weil ich mir wie ein lausiger Hasenfuß vorkam, kehrte ich zu Masaru ins Badezimmer zurück, gerade noch rechtzeitig, um ihn abzufischen, bevor er einschlief und einen Rekord als Tieftaucher einstellen konnte. "Oh, hab ich gar nicht gemerkt", kommentierte er mit einem schläfrigen Grinsen meine aufgeregten Ermahnungen und ließ sich von mir geduldig abtrocknen, dann wickelte ich ihn in eine meiner Yukata, die ihm natürlich viel zu groß war und kordelte ihm auch noch meinen Frottee-Bademantel um. "Socken!", kommandierte ich, "hast du noch frische Socken in deinem Gepäck?" "Vermutlich nicht", antwortete Masaru mir amüsiert. Ich staunte Bauklötze. War das dieselbe Person, die aus dem Ei gepellt und perfekt gestylt zu geschäftlichen Besprechungen auftrat?! Kopfschüttelnd drängte ich ihm ein paar meiner Wollsocken auf. Weil ich gerade dabei war, stippte ich sogar die Stäbchen in den Klebereis und fütterte ihn wie ein Vogeljunges. Masaru lachte, als ich über mein gluckenhaftes Verhalten stutzte, rückte an mich heran und schlang mir die Arme um den Hals. Ich hielt ihn ebenfalls fest und atmete tief durch. Den Göttern sei Dank, ich hatte meinen Liebsten endlich wieder. ]-#-[ In Filmen springen die Helden sofort nach dem freudigen Wiedersehen in die Kiste, und wenn es eine jugendfreie Version ist, fällt dann der Vorhang und der Abspann läuft. Im wahren Leben schleppte ich den völlig erledigten Masaru ins Schlafzimmer, wickelte ihn aus meinem Bademantel aus und rollte ihn unter die Bettdecke. Ich glaube, er wurde nicht mal wach bei diesen Manövern. Zu durcheinander, um es ihm gleich zu tun, rief ich erstmal Miyabi an, um ihr die freudige Botschaft mitzuteilen, dass ich nicht mehr allein war, dann leerte ich mit einem Anflug schlechten Gewissens, den ich souverän ignorierte, Masarus Reiserucksack aus, sortierte Wäsche (er behielt recht, alles musste gereinigt werden) und stapelte seine übrigen Habseligkeiten im Regal auf. Luft- und wasserdicht verpackt fand ich darunter eine dicke Dokumentenmappe, die ich schamlos studierte. Masaru war wirklich fleißig gewesen, auch wenn ich manches Schriftstück nicht entziffern konnte. Außerdem kam mir eine kurze Notiz aus einer japanischen Übersee-Gazette entgegen geflattert, die den Tod eines alten Clan-Oberhauptes meldete. Sie datierte genau eine Woche zurück. War das der Anlass für ihn gewesen, seine Odyssee zu beenden? Ich setzte mich in einem ausgeleierten Jogginganzug und meinem Anorak auf die frisch montierte Veranda und sortierte die unerwarteten Erkenntnisse des Tages. Nie hätte ich angenommen, dass jemand wie Masaru, Großstädter durch und durch, elegant und mondän, wie ein Rucksackreisender leben konnte. »Oder sich in einen Freak wie aus nem Comic verwandelt!«, ätzte eine beckmesserische Stimme in meinem Hinterkopf. Allerdings hätte ich vor einem Jahr auch nicht damit gerechnet, jemals in einem Porno mitzuspielen oder den schönsten Mann der Welt für mich zu gewinnen. "Wirst alt wie ne Kuh und lernst immer noch dazu!", zitierte ich Großtante Chiyako. Weil das eine wirklich enorme Lektion für diesen Tag war, beschloss ich, zu Masaru in unser Bett zu kriechen und dem nächsten Tag entgegen zu träumen. ]-#-[ Als ich aufwachte, war Masarus Platz neben mir leer, dafür hörte ich das Radio aus der Küche und roch Frühstück. Hastig rappelte ich mich auf, schlug die Decke zum Lüften ordentlich zurück und tappte in die Küche. Masaru balancierte Plastikschüsselchen (für Porzellan fehlten mir die Mittel), hatte sich einen meiner Jogginganzüge ausgeliehen, den er mit diversen Bändern fixiert hatte, um wenigstens die Ahnung einer Passform zu erreichen. "Guten Morgen", brummte ich verdattert. Er drehte sich graziös herum, grinste mich an und antwortete, "guten Morgen, Sonnenschein! Bügel dir rasch das Gesicht, dann bin ich hier auch fertig!" "Ahumm!", grummelte ich, kratzte meinen Bart und tigerte wie mir befohlen ins Bad, um mich in ein halbwegs menschliches Wesen zu verwandeln. Dann frühstückten wir, aber ich konnte nicht anders, als Masaru anzustarren. Er war zweifellos attraktiv, so schön wie vorher, und doch wie verwandelt, nicht durch die merkwürdige Verkleidung auf seinem Kopf, sondern in seiner Ausstrahlung. Er wirkte nicht mehr unnahbar, unterdrückt zornig und angriffslustig, um seine rührende Sorge zu verstecken. "Ich kann sie mir schneiden lassen, weißt du?", bot er amüsiert an, kniff mich in die Nasenspitze. "Oh, äh, also, nicht meinetwegen!", stammelte ich und spürte, wie mir die Röte der Verlegenheit in die Wangen schoss. "Würde sich aber bei der Jobsuche besser machen", grinste er gnadenlos, "ich bin es auch ein bisschen leid." Ich glotzte weiter, vergaß das Essen und platzte schließlich heraus, "ich hab deinen Rucksack ausgeräumt. Ungefragt!" "HmmHmm", Masaru kaute und schluckte, "ja, danke. Ich habe mich gestern wohl doch ein wenig übernommen." Er wurde nicht mal böse, tobte oder sprang mich an. Unheimlich. "Und", hakte ich lauernd nach, "du bist nicht sauer deswegen?" Masaru schmunzelte, legte seine Stäbchen beiseite, erhob sich und marschierte um den Tisch, ließ sich dann auf meinem Schoß nieder. "Ich bin nicht sauer", bestätigte er lächelnd, legte mir die Arme um den Nacken, "dazu geht's mir viel zu gut." "Oh", brabbelte ich ratlos. "Da musst du dich wohl erst mal dran gewöhnen, was?", neckte er mich und rieb seine Nasenspitze an meiner, "aber keine Angst, ab und an habe ich noch cholerische Anfälle." Das beruhigte mich schon ein wenig. Weil Masaru gerade so bequem in Reichweite war und ich ein halbes Jahr lang artig enthaltsam gelebt hatte, nutzte ich die Gelegenheit herauszufinden, ob ich noch küssen konnte, ohne dass mir die Zähne rausfielen. ]-#-[ Masaru war glücklicherweise vernünftiger als ich, denn er bewegte mich nachdrücklich dazu, das Schnäbeln und Kuscheln zu unterbrechen, um herauszufinden, wann ich zur Arbeit aufbrechen musste. Was, verflixt nochmal, recht hurtig geschehen sollte, wenn ich mit dem Drahtesel noch pünktlich die Station erreichen wollte. Während ich mich fluchend und schimpfend wie ein Rohrspatz anzog, packte Masaru mir Proviant ein, küsste mich zum Abschied und feuerte mich auch noch an, als ich wie ein wilder Stier in halsbrecherischer Geschwindigkeit losradelte. Ich glaube, ich habe die ganze Wegstrecke mit meinen Verwünschungen beschallt. EINMAL nur wie im Kino, von Aufwachen zu rhythmischer Bettgymnastik, war das denn zu viel verlangt?! ]-#-[ Im Laufe des Tages stellte sich auch mein Verstand wieder ein. Der sorgte dafür, dass ich nicht kopflos und libidogesteuert nach Hause eilte, sondern erst mal Vorräte beschaffte. Bepackt wie ein Muli schleppte ich die Ausbeute samt dem Drahtesel den letzten Anstieg hoch. Masaru erwartete mich schon, lachend, die Arme in die Hüften gestützt. Ich bot wahrscheinlich einen erbärmlichen Anblick, rotgesichtig, schnaufend und dampfend. Er lupfte die bunte Wollmütze und erwies mir eine höfische Referenz mit Kratzfuß wie in den europäischen Spielfilmen, nicht ohne Hintergedanken, denn mir konnte trotz des schwindenden Tageslichts nicht entgehen, dass sein Haar ordentlich auf eine burschikose Länge gekürzt worden war. Sämtliche Einflechtungen und auch die Ohrgehänge waren perdu. "Na, gefällt's?", neckte er mich herausfordernd, nahm mir eine Tasche ab und küsste mich ungeniert auf den Mund. "Unbedingt!", brummelte ich und bezog das auf die Gesamtsituation. Den Drahtesel untergestellt, die Stiefel abgestreift und eilends folgte ich ihm ins Haus, wo er bereits die Beute sichtete und verteilte, was mir demonstrierte, dass er den Tag nicht ungenutzt gelassen, sondern sich gründlich mit seiner neuen Heimat vertraut gemacht haben musste. "Und selbst?", pirschte ich mich an ihn heran, "gefällt's?" "Aber hallo!", Masaru wandte sich zu mir um, "ich hab in deinen Papieren gewühlt." Er zwinkerte frech. "Und ich kann's gar nicht sagen: du hast dich wirklich selbst übertroffen!", er schüttelte den Kopf, um seine Verblüffung noch zu unterstreichen. "Wenn ich allein an den Boden hier denke!", demonstrativ stapfte er auf, "das hätte ich nie geschafft! Das Dach erst..." Ich beugte mich vor, legte die Arme um seine Kniekehlen und warf ihn mir über die Schulter. "He!", ächzte er, "Umino, ich war noch nicht fertig!" "Und ich fange gerade erst an, bevor ich hier platze", konterte ich bestimmt, sicherte ihn mit meiner Hand auf dem knackigen Po, "lass den Kopf unten." Im Schlafzimmer setzte ich ihn artig auf dem sorgsam geglätteten Überwurf des Bettes ab, streifte mir Hemd und Achselshirt über den Kopf. "Du gehst aber ran!", grinste Masaru amüsiert und lehnte sich zurück, damit er meinen Striptease auch genießen konnte. Ich zündete beiläufig eines der alten Windlichter an und konterte, "ich werde nie oft genug mit dir schlafen können." Kitschig und ein bisschen primitiv, aber die Wahrheit. Masaru blinzelte, als ich mich neben ihn setzte und damit begann, seine Kleider abzupellen. "Hast du denn Material da?", erkundigte er sich plötzlich rau. Ich küsste ihn auf den Mund und murmelte, "nicht bewegen!", bevor ich zurück ins Wohnzimmer hastete und in einer der Tüten kramte. Spielverderber Masaru hatte sich schon ausgezogen und sortierte gerade die Bettwäsche, als ich herangaloppierte. "Bisschen frisch", stellte er fest, was kein Wunder war, da das Schlafzimmer nicht über eine eigene Heizung verfügte. Dafür hatte ich alles nach bestem Vermögen gedämmt, um Zugluft zu vermeiden. "Wird gleich besser!", kündigte ich vollmundig an und stürzte mich auf ihn. Masaru lachte und balgte sich mit mir herum, was wir bisher noch nicht erprobt hatten. Als uns die Puste ausging, zupfte ich eine dünne Decke über uns und ging darunter auf Exkursion. Unerklärlicher Weise erschien mir alles wie Neuland, wie das erste Mal, obwohl mich alle Nervosität verließ. Ganz gleich, wie lächerlich es klingt: ich verliebte mich in jeder einzelnen Sekunde neu in Masaru, seinen Geruch, den beschleunigenden Rhythmus seiner Atemzüge, seine weiche Haut, die sehnigen Muskeln und akzentuierten Knochen, die seidigen Haare und seine Stimme, die mich seufzend und schnurrend anfeuerte. Er ließ mich gewähren, überantwortete sich mir vollkommen. Ich verlor gänzlich das Zeitgefühl, aber es bedeutete mir nichts. Ich wollte ihn lieben, so zärtlich und leidenschaftlich, so ausdauernd und langsam wie mir möglich. Endlich hatte ich alle Schatten und Zwänge meiner Vergangenheit abgeschüttelt. Mein Prinz hatte mich wach geküsst. ]-#-[ Dieses Mal war es an mir, Frühstück zu machen und es auch ans Bett zu transportieren, ein ungeheurer Luxus, beinahe dekadent. Masaru rieb sich kindlich die Augen und setzte sich auf. "Guten Morgen", murmelte ich verlegen, "hast du gut, na ja, geschlafen?" Blöde Frage, bei der kurzen Nacht! Mit beiden Händen rieb Masaru sich das Gesicht energisch, um wach zu werden. "Himmel!", ächzte er, als er sich ein Kissen in den Rücken drückte, "du warst wirklich die gesamte Zeit abstinent, oder?!" "Hatte ich dir doch versprochen", brummelte ich ein wenig gekränkt und setzte mich auf das Bett, schenkte Tee aus. "Ich bin auch wirklich gerührt", Masaru zog eine Grimasse und massierte seine rückwärtigen Lendenwirbel, "dazu noch geschüttelt und lädiert." "Tut mir leid", entschuldigte ich mich geknickt, kämmte ihm durch die kurzen Strähnen, "ich könnte dich massieren?" "Oh nein!", wehrte Masaru entschieden ab, "ich weiß GENAU, wie das endet! Du massierst, mir gefällt's, und prompt landen wir da, wo wir gestern aufgehört haben!" "Was nicht so schlimm ist", schaltete ich mich bauernschlau ein, "heute habe ich nämlich die Spätschicht." Mein hoffnungsvolles Grimassieren brachte Masaru lauthals zum Lachen. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, studierte er mich konzentriert. Ich erwiderte seinen Blick und konnte nicht anders, als selig aufseufzen. Masaru schmunzelte und kraulte meinen Bart. "Du hast das alles wirklich toll gemacht", lobte er mich leise. "Ja, ich fand mich auch gut", blödelte ich verlegen herum. "Schön zu wissen!", konterte er sardonisch, "denn ICH werde nach dem Frühstück rausfinden, wie GUT du wirklich bist!" ]-#-[ "Ich ergeb mich!", ächzte ich heiser, lag platt wie eine Flunder auf dem Bauch. Masaru hatte es sich auf mir bequem gemacht und pustete mir diabolisch in den Nacken. "Bist du sicher?", schnurrte er rollig und schmiegte sich in schlängelnden Bewegungen an meinen Podex. "Ende, aus!", keuchte ich und klopfte wie im Ring mit der Pranke auf die Matratze. Masarus Kondition und seiner versierten Technik war ich einfach nicht gewachsen. Ich fühlte mich zwar herrlich, andererseits auch vollkommen neben der Spur. Perfiderweise gelang es ihm immer, mich zum Orgasmus zu bringen. Nicht, dass ich mich beklagen wollte! "Hmmm!", murmelte er und knuddelte mich lässig, "du musst auch bald aufstehen." "Uhhhoohhhh!", stöhnte ich geplagt. Wie ich in DIESEM Zustand arbeiten sollte, war mir ein Rätsel. "Na komm!", Masaru richtete sich auf und zwickte mich in eine Pobacke, "unter die Dusche, mein Held! Ich seife dich auch ein!" Gnadenlos wurde ich herumgerollt und auf die Beine gezerrt. Was blieb mir da anders übrig, als Masaru zu gehorchen und mich wenigstens einigermaßen manierlich für den Tag bzw. die Spätschicht aufpolieren zu lassen? Während ich mich noch ungelenk und brummend anzog, deutlich spürte, was wir getrieben hatten, stellte Masaru mir ein Frühstück zusammen. Sein koreanisches Zertifikat jedenfalls beschönigte nicht seine Fähigkeiten in ungebührlicher Weise: er beherrschte seine Kunst tatsächlich. Ich mummelte mich ein und seufzte, denn draußen war es finster, auch noch regnerisch, was nicht gerade die angenehmste Radstrecke bedeutete. "He!", kam mir plötzlich ein Gedanke, "soll ich nicht deine Wohnung ausräumen? Die Sachen stehen da ja nur herum und der Vertrag läuft ohnehin aus." "Aber mit dem Fahrrad?", Masaru lupfte zweifelnd eine Augenbraue, "außerdem hast du doch schon eine lange Nacht vor dir!" "Keine große Sache!", behauptete ich großspurig, immerhin verfolgte ich das sehr eigennützige Vorhaben, um Masaru noch fester an mich und unser Heim zu binden! "Na schön", gab Masaru sich geschlagen und stopfte mir auch noch die Wohnungsschlüssel in den Anorak, dann küsste er mich derart ausführlich, dass ich die ersten Meter bergab den Drahtesel schieben musste. ]-#-[ Wie jeder einigermaßen zivilisierte Mensch bemühe ich mich um Diskretion und Zurückhaltung, trotzdem konnte man mir wohl ansehen, warum ich zwar steif wie ein Holzbock, aber glückselig grinsend meinen Aufgaben nachkam. Den gutmütigen Spott ertrug ich gelassen, denn wer könnte MEINEM Liebesleben schon das Wasser reichen? Obwohl der Tag bzw. die Nacht lang gewesen waren, hatte ich euphorisch gestimmt genug Energie, um einen kleinen Transporter anzumieten, mit dessen Hilfe ich Masarus nie genutzte Bude ausräumte. Kein Verlust, denn entsprechend der Vorgabe, sich als gesundheitlich final angeschlagener Ex-Pornostar in ein finsteres Loch zurückzuziehen, handelte es sich nicht um eine Version von "Schöner Wohnen". Ich drehte die Musik im Radio auf, fuhr den unzähligen Pendlern entgegen und freute mich schon auf das Lob meines Liebsten. Vielleicht konnten wir noch als kleines Betthupferl eine weitere Runde Haschmich zwischen den Laken einlegen! ]-#-[ Als ich den Transporter abstellte, zerrte einer der üblichen Hundegänger, ein säbelbeiniger Greis in Landarbeiteruniform, seinen freundlichen Hackenhobel förmlich von mir weg, grunzte auf meinen munteren Gruß bloß knapp. Das war ungewöhnlich, denn aufgrund der Renovierungsarbeiten war ich mit den meisten meiner neuen Nachbarn zumindest höflich bekannt. Ob es sie jetzt schon störte, dass ich mir mit einem Mann das Haus teilte (vom Leben ganz zu schweigen)? Ich kletterte mit der ersten Ladung Taschen und Tüten bergauf über die Trittsteine, erstarrte vor dem Eingang. Jemand hatte die äußere Schiebetür demoliert. Auch wenn Holzsplitter und andere Trümmer ordentlich zusammengefegt in einem Pappkarton deponiert waren, wirkte das ehemalige Schiebegatter erheblich lädiert. "Masaru! MASARU?!", brüllte ich prompt panisch, ließ das Gepäck fallen, löste in Windeseile die Schnürsenkel meiner Stiefel, schüttelte sie ab und trampelte ins Haus. "Oh, da bist du ja schon", Masaru hockte, warm eingepackt auf der Veranda und kraulte den fetten Streuner, der sich bei jedem Haushalt durchfraß. Nicht mal von mir ließ die Fressmaschine sich stören. "Was ist passiert?!", quäkte ich mit überschlagender Stimme und ging vor Masaru in die Hocke, denn es gefiel mir nicht, dass er mich quasi über die Schulter ansprach. Die Erklärung bot sich prompt: auf seiner rechten Augenbraue klebte ein dickes Pflaster und seine rechte Hand war dick bandagiert. "Tut mir leid wegen der Tür", versuchte er zu lächeln. Es wirkte aber aufgrund der Verletzung zerknittert und schmerzte zweifelsohne auch. "Was ist hier los gewesen?!", brabbelte ich ungläubig und zog ihn ohne Rücksicht auf Verluste in meine Arme. "Autsch!", murmelte Masaru in meiner Halsbeuge, "warte, meine Hand..." Er brachte sie vor mir in Sicherheit, indem er sie locker auf meinen Rücken legte. "Wer hat dir was getan?!", polterte ich hilflos-erschrocken, streichelte ihm wie besessen über die Haare und das Gesicht, "bist du schwer verletzt?" "Ach, halb so schlimm", Masaru grinste schief, "du solltest mal den anderen sehen..." An meiner Miene konnte er wohl ablesen, dass mir ganz und gar nicht nach Scherzen zumute war. Er seufzte und rutschte ein wenig zur Seite, da der uneingeladene Kater keine Anstalten machte, das Feld zu räumen. "Setz dich her, ja?" Ich platzte also ungeduldig und starrte Masarus Profil an. Wer hatte es gewagt und ihn hier überfallen?! Wieso war ich nicht zur Stelle gewesen?! "Ah", er kramte mit der Linken zwischen Tuch, Kapuzenrand und Stehkragen herum, fischte eine filigrane Goldkette heraus, an der sein Ring baumelte, "ich trage ihn noch!" "Masaru!", knurrte ich ungehalten, drehte ihn zu mir herum und legte mir seine Beine über die Oberschenkel, "Erklärung, JETZT!" Er musterte mich verwundert und murmelte, "ich wusste nicht, dass du auch wütend werden kannst." "Was denkst du denn?!", geiferte ich lautstark, "ich finde dich hier verletzt, die Tür zerlegt und du rückst nicht mit der Sprache raus?!" Neben mir protestierte der Kater ohrenbetäubend, woraufhin ich mich umwandte, ihn im Kragenpelz packte und von der Veranda runter aufs Grün plumpsen ließ, "Und du hältst die Klappe! Denk nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass du in den Blumen herumgräbst!" Der Kater fauchte, eine Pfote erhoben, die Krallen blitzend. Ich rammte meine Faust auf das Lärchenholz, dass es nur so rummste, "zieh Leine, aber flott!" Mein Gebaren beeindruckte den fetten Pelzträger ausreichend genug, dass er sich trollte und es nicht wagte, mir auf die ersten Frühlingsblüher zu pinkeln. "Wow", kommentierte Masaru, lupfte die Augenbrauen und zischte ob des Schmerzes leise, "ein wahrer Wüterich!" Ich kam mir mittlerweile auch ein wenig lächerlich vor, weil ich derartig die Beherrschung verloren hatte, also drückte ich Masaru ein wenig enger an mich und liebkoste behutsam sein Gesicht, "also?" Er seufzte noch mal, wich meinem inquisitorischen Blick aber nicht aus, "ich hatte mich hingelegt, nachdem du weg warst. Ich bin erst aufgewacht, als irgendwer unten gegen die Tür schlug, also habe ich mir was übergezogen und bin im Dunkeln über die Veranda ums Haus." "Du hast nicht die Polizei gerufen?!", blaffte ich bleich dazwischen. Die Veranda war noch nicht von mir gesichert, die alten Schutzbretter vor den verglasten Schiebetüren lagen als Abfallholz neben dem Haus. Ein Einbruch wäre ganz einfach möglich, lediglich ein Abfackeln scheiterte an der Nässe der Substanz! "Nein", Masaru hob die Linke, um meinen Lockenschopf zu kraulen, "das habe ich nicht. Bis die hier gewesen wären, läge das Haus ja in Trümmern." "Vergiss das verdammte Haus!", blökte ich. "Warum sollte ich?!", herrschte mich Masaru unerwartet heftig an, "das ist unser Zuhause! Oder traust du mir etwa nicht zu, dass ich mich verteidigen kann?!" "Hab ich jemals deine Männlichkeit in Frage gestellt?!", ätzte ich zurück, funkelte Masaru ebenso bitterböse an wie er mich. Wir atmeten beide heftig, gepresst. Unser lächerliches Starrduell endete rasch, da Masaru sich an die rechte Schläfe mit der bandagierten Hand fasste und zischelte. "Entschuldigung! Es tut mir leid", bat ich ihn zerknirscht um Verzeihung, "ich bin ein absoluter Depp!" "Ach was!", Masaru umhalste mich, "du hast ja recht! Es WAR idiotisch, im Dunkeln ums Haus zu schleichen." Ich streichelte beunruhigt über seinen Rücken, "ich werde mir was wegen der Beleuchtung ausdenken, bestimmt!" Er lachte an meiner Halsbeuge und küsste mich unter das Ohrläppchen, "du bist wirklich süß, Umino!" Was mich gar nicht ärgerte, da ich mir Vorwürfe über meine eigene Gedankenlosigkeit machten musste. Ich knuddelte ihn vorsichtig und zog ihn ganz auf meinen Schoß. "Und dann?", raunte ich beschämt in sein Ohr. "Ich war doof", gestand Masaru verlegen-selbstironisch ein, "ich wollte mich anschleichen, da dreht der Typ sich um und verpasst mir auch schon einen Treffer." Zischend zog ich Luft durch die Zähne ein. "Wenigstens habe ich das Rohr noch gesehen, konnte ein bisschen ausweichen", Masaru kraulte mit der Linken besänftigend meinen Nacken, "dann habe ich die Taschenlampe nach ihm geworfen. Er hat gezuckt und ich bin auf ihn losgegangen." "Du meine Güte!", ächzte ich entsetzt. Im Dunkeln, auf einen Stahlrohrschwinger?! "Hätte nicht gedacht", nun klang Masaru EINDEUTIG lakonisch, "dass Faustkampf so weh tut. Wenigstens habe ich gleich mit dem zweiten Versuch einen Volltreffer gelandet." Mir fiel gar nichts mehr ein, ich drückte Masaru bloß noch fester an mich. Er stöhnte leise auf, wehrte sich aber nicht. "Wer hat das getan?", brachte ich endlich hervor. Ich glaubte zuversichtlich, dass ich meine friedliche Natur für eine Viertelstunde ausknipsen konnte, um den Übeltäter ordentlich zu verdreschen. "Saburo", Masaru drängte sich aus meiner Umarmung, um mir in die Augen sehen zu können. "Dieser Mistkerl", knurrte ich wild, "wie hat er dich hier gefunden?!" "Willst du nicht lieber erst den ganzen Rest hören?", tadelnd biss Masaru mir in die Nasenspitze, "bevor du Rachepläne schmiedest?" "Hab ich gar nicht vor", log ich ungelenk. "Haha!", schmunzelte Masaru spöttisch, "lausiger Lügner." Das konnte ich wohl leider nicht widerlegen. Trotzig studierte ich Masarus ruhiges Gesicht, seine ungewöhnlich hellen Augen. Und das dicke Pflaster. "Schön", murmelte ich geschlagen, "wie ging's weiter?" "Na, Volltreffer eben", Masaru lupfte behutsam die bandagierte Rechte, "dann habe ich die Wäscheleine zweckentfremdet und ihn verschnürt, bevor er wieder aufwachen konnte." Er zog eine Grimasse, "einer der Nachbarn hat wohl wegen des Lärms die Polizei alarmiert. Die kamen dann, ganze zwei Mann, den Hügel hoch gestolpert, weil's ja so dunkel war und haben erst gar nicht verstanden, was passiert ist." Mir schwante Übles. Masaru lächelte schief, "ich hockte da, mit Platzwunde so richtig gruselig vollgeblutet, in einem Trümmerhaufen, hatte meine nützlichen Bondage-Kenntnisse praktiziert, das musste ja dubios wirken. Außerdem wollten sie mir auch nicht glauben, dass ich bei dir wohne." "Mit mir wohne", korrigierte ich reflexartig. "Genau", um Masarus Mundwinkel zuckte ein Lächeln, "also haben sie uns beide bis zu ihrem Wagen geschleift, sehr zur Gaudi der Nachbarschaft, und uns aufs Revier unten geschafft. Da bin ich dann auch versorgt worden." Er lupfte die Rechte. "Warum hast du mich nicht anrufen lassen?", ich rieb kräftig über seinen Rücken, denn in meinen Socken wurde mir auf der Veranda langsam kalt und ich nahm großzügig an, dass Masaru auch frieren musste. "Ach, das hätte dir doch nur den Tag verdorben", Masaru lehnte seine Stirn vorsichtig an meine, "mir hat's zu sehr gefallen, wie gut gelaunt du mit dem Fahrrad den Hügel runter geeiert bist." "Sehr rücksichtsvoll", knurrte ich, konnte seinem werbenden Lächeln aber nicht widerstehen. Er küsste mich sanft auf die Lippen. "Sei nicht böse, es hat mir so viel Spaß gemacht", raunte er mir zu. Ich war geschlagen und schickte mich drein. "Saburo ist, als sie ihn endlich ausgewickelt hatten", Masaru grinste perfid, "total ausgetickt, hat wie ein Irrer herumgebrüllt, um sich geschlagen und getreten. Sie haben ihn dann niedergerungen und nahezu in ein Gemüsestadium ruhiggespritzt." Mich schauderte. Der Kerl war ein durchgeknallter Soziopath! Mindestens! "Ich dachte, das wäre alles vorbei", grummelte ich halblaut, konnte es mir einfach nicht verkneifen. Masaru seufzte und kraulte mit der Linken meinen Bart, "ist es auch, aber Saburo will das wohl nicht verstehen." Ich musterte Masarus schönes Gesicht und bemerkte spitz, "ich würde das auch gern verstehen und zwar im Detail." Anstelle einer wütenden Replik lächelte Masaru mich an, voller Anerkennung und Zärtlichkeit, was mich etwas aus dem Konzept des zitronigen Tollpatsches brachte. "Sicher?", er dippte einen Kuss auf meine Nasenspitze. "Sehr", grummelte ich verlegen im Rückzugsgefecht. "Na dann", Masaru richtete sich auf, rutschte von meinen Schoß, "gehen wir lieber rein. Ich brauche einen Tee und persönliche Aufmerksamkeit." Meine Eisfüße dankten es ihm. Während er den Tee zubereitete, erinnerte ich mich meiner Aufgaben und sammelte rasch sämtliche Habseligkeiten aus dem kleinen Transporter ein, um sie ins Haus zu schleppen. Sortiert werden würde später, so viel stand fest. Ich pellte mich aus meinen Arbeitskleidern und schlüpfte in Leibwäsche in unser Bett. Masaru grinste, stellte das billige Teetablett ab und kredenzte zwei Schalen, bevor er sich entblätterte und zu mir kroch. Ich hielt beide Schalen hoch, damit er sich mit dem Rücken an mich lehnen konnte, reichte ihm dann seine Schale in die Linke und schlang meinen linken Arm um seine sehnige Figur. Wir schlürften unisono und seufzten auf: das tat gut! Dann deponierte ich meine Schale behutsam auf der Matratze, um uns warm in die Decke einzuwickeln. "Saburo hat für die meisten wie der devote Trottel fürs Grobe gewirkt", Masaru schmiegte sich an mich, "tatsächlich ist er von den Männern im Hintergrund finanziert worden." Ich begriff nicht ganz, was Masaru wohl nicht entging, denn er erläuterte mir die Zusammenhänge. "Sieh mal, wenn du einen hochpreisigen Callboy beglückst, ein Statusobjekt, willst du auch wissen, wer von der Konkurrenz deinen Geschmack teilt, ob dein teures Spielzeug sich nicht Indiskretionen abkaufen lässt." "Saburo hat dir ständig nachspioniert?!", platzte ich heraus. "Na ja", Masaru schmunzelte, "in der Hauptsache war er mir auch nützlich, der Garant für meinen guten Leumund, für meine hohe Gage. Es gab ja auch nichts, das er hätte ausplaudern können als das, was ich meine Kunden wissen lassen wollte." Bei mir fiel ein Groschen, "bis ich daherkam." Masaru schwieg einen Moment lang, streichelte selbstvergessen über meinen Arm um seinen Leib. "Vorher", stellte er leise fest, "brauchte ich bloß meine Ruhe, um zu schlafen. Alles andere drehte sich ums Geschäft. Und dann..." Dann kam ich des Wegs und er musste sich allerlei Tricks bedienen, damit wir uns privat treffen konnten. Das erklärte mir nun so einige Dinge, die ich vorher stillschweigend hingenommen hatte. "Saburo hat davon gelebt, Zuträger zu sein. Mädchen für alles im Pornofilmgeschäft wird nicht besonders einträglich entlohnt", führte Masaru mich wieder zurück auf unser Thema. "Aber jetzt bist du doch raus...?", brabbelte ich dazwischen. Moment mal, war da nicht noch die Sache mit dem Yakuza-Clan-Boss?! Diese Frage stellte ich prompt laut. Masaru legte den Kopf in den Nacken und rieb seine Wange an meinem Bart. "Scharf kombiniert, Watson", lobte er mich neckend. "Und der konnte dir gefährlich werden, weil..?", hakte ich unnachgiebig nach. Möglicherweise hatte Masaru mich damals doch treffend eingeschätzt: was das Ausmaß seiner früheren Beschäftigung anging, war ich leider fürchterlich naiv. "Gefährlich nicht unbedingt", Masaru kuschelte, verschränkte unsere Finger miteinander, "bloß lästig. Weißt du, für die anderen war ich ein Spielzeug, ein Statussymbol. Da kann man sich Ersatz suchen, vor allem, wenn alle anderen dasselbe tun." Weshalb auch tunlichst niemand erfahren sollte, dass Masaru sich für mich entschieden hatte. Ich verstärkte für einen langen Moment den Druck auf seine Finger, seine Taille. "Ich hab nicht verstanden, wie sehr du auf mich aufgepasst hast", flüsterte ich ihm rau ins Ohr. Masaru knurrte, "das hab ich nicht für dich getan!" Die verlegene Röte seiner Wangen, die ich aufflammen spürte, verriet ihn jedoch. Hastig kam er zurück zum Sujet, "das hier war jedoch was anderes. Der Clan-Boss hatte seinen Enkel zum Nachfolger bestimmt. Es gab da jedoch ein großes Problem: was auch immer sich mal ereignet hatte, der Junior konnte jedenfalls keinen Sex mit einer Frau haben." Ich frischte Masarus Kehle mit einem Schluck Tee auf und küsste seinen Schopf. Seine lakonische Stimmlage, der leichte Spott im Tonfall, für einen Moment blitzte noch mal Felice auf. "Also, es ging einfach nicht. Seine Frau, die der Alte vermittelt hatte, wusste das, bloß bestand der Alte darauf, dass die Kinder auf 'natürlichem' Weg entstehen sollten. Künstliche Befruchtung, das lehnte er ab." Mir dämmerte so langsam, in welche Richtung wir marschierten. "Er engagierte mich, zuerst nur als Vorspiel. Der Junior vereinbarte danach ein heimliches zweites Treffen mit mir", Masaru schnaubte, "er hatte panische Angst vor dem Alten. Es stellte sich nämlich heraus, dass er, groß, kräftig, super-mächtig, nur dann richtig auf Touren kam, wenn er beim Analsex genommen wurde. Das durfte natürlich niemand wissen in der Organisation." Das erschien mir auch ein wenig... halsbrecherisch. "Was haben wir also gemacht?", Masaru verwandelte sich in Felice, "der Senior bezahlte mir ein feines Sümmchen, ich beförderte den Junior in elysische Höhen und vor dem finalen Abschuss der Freudenfeuer schlüpfte Madame Junior zu uns ins Bett und komplettierte das Trio in conceptione." "Du liebe Güte", murmelte ich. Das musste akrobatische Fähigkeiten erfordert haben. "Ich glaube nicht, dass der Senior wissen wollte, wie genau wir diese Empfängnis-Versuche bewerkstelligt haben", Masaru wandte sich halb zu mir herum, "aber ich konnte mir schon ausrechnen, dass bei seinem Ableben dieser Stunt aufhören würde." "Aber, hat es geklappt? Und woher wusstest du, dass er bald, na ja, sterben würde?", stammelte ich noch reichlich verwirrt. So ganz ließen sich die Phantasien nicht aus dem Kopf vertreiben. Masaru lupfte die unversehrte Augenbraue. "Wie immer sind deine Prioritäten bemerkenswert", spottete er amüsiert, "ad 1, nein, und ad 2, einer seiner Konkurrenten prahlte im Bett." Ich lief rot an und quittierte so die Felice-Wiederkehr. "Dann... dann war Junior also nicht..?", machte ich es spontan noch schlimmer. Nun löste Masaru sich aus meiner Umarmung und drehte sich zu mir herum, kam auf die Knie und legte mir seine Hände ums Gesicht. "Nein, Umino. Keiner meiner Kunden war jemals in mich verliebt", setzte er mir langsam und ernst auseinander, "das war ein reines Geschäft, darauf habe ich immer Wert gelegt." "Oh... gut...", murmelte ich und beheizte wahrscheinlich mit meinem dunkelroten Kopf seine Hände wie ein Stövchen. "Stell die Teeschalen weg", kommandierte Masaru leise, funkelte mich an. Ich tat mehr oder weniger blind, was er verlangte, konnte mich nicht aus seinem Blick lösen. "Ich hab nicht mit dir gerechnet", flüsterte mir Masaru auf die Lippen, "ja, ich hab nicht mal auf dich gehofft. Ich hab mich auch gewehrt, ziemlich heftig sogar. Trotzdem", ein Kuss hauchte meinen Mund an, "trotzdem habe ich dich gleich erkannt, als ich dich in der Bar sah." Mir wurde ganz flau und schwindelig, ich bekam kaum noch Luft. Masaru blinzelte, eine sanfte Röte überzog sein Gesicht. Er setzte mehrfach an, stockte, lief noch dunkler an und krächzte schließlich, "...liebe dich!" Ich schlang die Arme um ihn und kippte mit schwarzen Punkten vor den Augen hintenüber. ]-#-[ Das Komische ist, dass ich als geborener zweiter Sieger oder korrekt klassifiziert Verlierer nicht in einer düsteren Absteige in einem heruntergekommenen Viertel eine deprimierende Existenz pflege, wie es eigentlich sein sollte. Ich wohnte tatsächlich in einem netten, zugegeben etwas altmodischen Häuschen, außerhalb des Einzugsgebiets der Hauptstadt in einem verschlafenen Ort. Ich habe einen Job, der mir gefällt, auch wenn ich Schichtdienst leiste und lange pendeln muss. Vor allem aber bin ich der Sieger in der Gunst um meinen Liebsten (auch wenn es nach seiner Erklärung da nie einen echten Wettbewerb gab), einen klugen, immer noch ziemlich wohlhabenden und atemberaubend attraktiven Mann, der definitiv mein privater Sexgott ist. Auch wenn ich im Spiegel immer noch den alten Ugly anblicke, den notorischen Verlierer, so kann ich mich bis zu meinem letzten Schnaufer nur noch als Sieger sehen, was auch immer die Zukunft noch für mich und Masaru bereit hält. Wenn Sie also auch ein Abonnent für den Titel "zweiter Sieger" sein sollten: gehen Sie Ihren eigenen Weg, seien Sie Positivist. Schließlich haben Sie ja nichts zu verlieren, oder? ]-#-[ ENDE ]-#-[ Vielen Dank fürs Lesen! kimera