Titel: Die große Stille Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction FSK: ab 16 Kategorie: Spannung Ereignis: Halloween 2004 Erstellt: 30.10.2004 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen (siehe Information) Hinweis: die Entwicklung in dieser Geschichte ist losgelöst von den bisher publizierten zwei Bänden und schließt an "Die Hoffnung der Nachtigall" an. Happy He/alloween! {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} {o...o} Die große Stille Eine blasse Sonne schleppte sich ausgezehrt und schwermütig über den Horizont, fröstelte unter der kalten Brise des ersten Novembertags. Sie war erschöpft, ausgelaugt, sehnte sich nach dem erholsamen Schlaf des Winters, nahm Abschied von der Welt. Ein schlanker Junge mit hellen, seidig glatten Haaren saß auf einer einsamen Bank. Seine Hände waren geöffnet, doch leer. Die Finger ragten in die knisternd-frostige Luft, ohne zu greifen. Und ALLES war still. {o...o} Ein kleiner Vorort von London, Spätsommer Es war noch früh, die Hitze nicht mehr als eine vage, drückende Ahnung, die Luftspiegelungen auf dem kochenden Asphalt der Hauptverkehrsstraße hervorrufen würde. Vögel balgten sich trillernd und neckend vor dem Fenster in Lukas Zaubergarten, genossen ein erfrischendes Bad in der Vogeltränke. Fuan lächelte leichthin, als er, ein fließendes Gewand aus reiner Seide auf seinen grazilen Körper gehaucht, den ersten Teeaufguss des Tages bereitete. Seine glatten, schweren Strähnen, ihrer ehemals hüftlangen Pracht beraubt, reichten gerade auf seine Schultern hinab, dem Ungestüm der hitzigen Temperaturen mit einer Schildpattspange Rechnung tragend. »So sollte jeder Sonntag beginnen«, schmunzelte der Magier vor sich hin, genoss den Frieden dieser ländlichen Idylle. Wimpernschläge später schlangen sich bloße Arme besitzergreifend um seine schlanke Taille. Einem hungrigen Raubtier auf der Pirsch gleichend war er von seinem Liebhaber belauert und nun gestellt worden. Küsse regneten auf Fuans ungeschützten Nacken, seinen Hals, die Kehle. "Fuan", stöhnte eine dunkle Stimme lasziv und aufrührerisch an seinem Ohr, ein spitzer Eckzahn drückte sich in das empfindliche Fleisch des Läppchens. "Guten Morgen, Luka", begrüßte er seinen Gefährten höflich, lächelte dann in die goldenen Augen. "Noch ist dieser Morgen nicht gut", knurrte der dunkle Magier brummig, presste seine athletische Gestalt eng an Fuans, umschlang ihn atemberaubend, um weitere feuchte Treffer auf Nacken und Schlüsselbein zu landen.Fuan stellte vorsichtig Kanne und Wasserkessel ab. Seine Fingerspitzen zitterten. Sein ganzes Leben, oder zumindest die Erinnerung daran, war bestimmt von der Präsenz anderer Personen in seinem Bewusstsein. Er war körperlich, aber niemals mental allein gewesen. Hatte ihn zuvor ein fremder Geist wie eine Marionette beherrscht und ausgenutzt, so erfüllte ihn nun Lukas Gegenwart. Doch auf unvergleichlich andere Weise. Offen, mitteilsam, stürmisch, launisch, liebevoll, leidenschaftlich... Lukas Lebenshunger breitete sich vor ihm aus, lud ihn ein, teilzuhaben. "Luka", warnte er keuchend, "bitte, sei vernünftig", hob eine Hand, um die gestuften, wilden Strähnen des goldäugigen Magiers überkopf zu streicheln. "Nein", lehnte der rundweg ab, "ich will nicht." Dem Exoten entfloh ein ersticktes Lachen. »So typisch für Luka. Direkt, unverbrämt, egozentrisch... archaisch.« Den Kopf in den Nacken gelegt, die tiefgründigen, schwarzen Augen schließend lehnte sich Fuan in die Umarmung. Sie konnten sich Müßiggang nicht leisten, es oblag ihm, mit strenger Disziplin Luka zu ermahnen. "Ich will auch nicht", stieß Fuan aus, dirigierte die stark beringten Hände mit den lackierten Nägeln unter den seidigen Stoff seines Übergewandes. Bedeutete es für zwei starke Magier bereits Ekstase, mental durch ihre Kräfte miteinander zu verschmelzen, so verschafften sie sich in animalischer Leidenschaft einen zusätzlichen Lustgewinn. Die wilde Kombination aus Lederstreifen und gestickten Wildroseneinsätzen massierte ihre Kunstfaserung mit der natürlichen, exklusiven Seide seines Morgengewandes. Luka knurrte guttural, seine Ringe tanzten reibend über Fuans ungeschützten Brustwarzen, entlockten dem makellosen Elfenbein der Haut eine sanfte Rosé-Tönung. Bordeauxfarbene Schlieren von züngelnder Magie schmiegten sich an royalblaue Schemen, die in Wellenkämmen um die beiden Männer fluteten. Augenblicke später verlor Luka die Geduld, seine Augen sprühten Funken schwefliger Erregung. Ohne Rücksicht auf Verluste dirigierte er Fuan gegen eine freie Wand, rollte das Seidengewand hoch, um den nackten Torso seines Liebhabers eng an die kalte, raue Mauer zu pressen. Er erntete das Keuchen, das er ersehnt hatte, versenkte die Zähne im empfindlichen Nacken des zierlichen Exoten, leckte perlende Transpiration und lenkte seine von der Gartenarbeit aufgerauten Handflächen zwischen die Beine Fuans. "Ich will dich", fauchte Luka aggressiv, ungebremst, versorgte mit reibend-schmirgelnder Bewegung die schutzlos entblößten Genitalien. Fuan vor ihm kreuzte die Unterarme auf der Wand in Höhe der Stirn, stützte sich ab, atmete hastig, keuchend. Keine geflüsterten Komplimente, keine zärtlichen Liebesschwüre, keine beschwingten Neckereien, doch es störte ihn nicht im Mindesten. Gerade wenn die Leidenschaft auf animalischste Weise Besitz von Luka ergriff, verzauberte er Fuan am Meisten. Weil er sich offenbarte in seinem Begehren, ohne Scham oder Ängste agierte, den Beweis antrat, wie viel sie einander bedeuteten und ihn dabei niemals verletzte. Energieblitze entluden sich vor Fuans geschlossenen Augen, seine Magie reagierte im Selbstschutz, entgegnete das Feuerwerk, gründete eine enorme Wärmewoge, die ihn mit seinem Liebhaber erfüllte. Kein Wort mehr war nötig, keine Bitte, kein Kompromiss: Luka drang in einem einzigen, ansatzlosen Impuls tief in Fuans Körper ein. Magie detonierte Funken sprühend, gierige Finger leckten aus dem Strahlenkranz, der unruhig um sie herumtanzte, sich mit Energie auflud, anwuchs, mächtiger und homogener wurde. Ein Schmelztiegel zweier unterschiedlicher Menschen, die in Liebe und Leidenschaft verbunden etwas Anderes, Gemeinsames schufen. Luka lauschte auf das hastige Seufzen, das ihn bestätigte, genoss ungeniert stöhnend und ächzend die ungeheure Sensation, in ein fremdes Universum einzudringen. Fiebriges Glühen, Kontraktionen von Muskeln, wellenförmiges Streicheln von Haut an Haut, arhythmische Beschleunigung. »Ich liebe dich«, stanzte er mit jedem Stoß, konterte ausweichende Bewegungen aus, »ich liebe dich in den Wahnsinn.« Fuan konnte sich, durfte sich!, ihm nicht entziehen, jede einzelne Regung musste ihm gelten, nichts sollte es wagen, sie voneinander zu trennen! Das war mehr als Magie, mehr als Sex, mehr als ein Liebesrausch. Es war ultimativ. Das Einzige. {o...o} Fuan spürte seine Zehen vage, die Beine zitterten in den Nachwehen der spastischen Muskelkontraktionen zuvor. Noch immer klebte der hochgeschobene Seidenstoff unter seinen Achseln, nun aber kühlte die Wand die schimmernden Perlen auf seinem geschmeidigen Rückgrat. Luka stand direkt vor ihm, die Lippen feucht schimmernd, die goldenen Augen mit einem rötlichen Glühen erfüllt. Ihn kümmerte nicht, dass die Schnallen und Beschläge seiner schweren Lederhose auf seinen Knöcheln klirrten, sein Hemd unbeachtet auf den Fliesen zerknüllte. "Fuan", schnurrte er kehlig, "Fuan", ein Lockruf, ein Flehen, ein Befehl, eine Herausforderung. Der Exot erbebte, als sich der ebenso schweißnasse, nackte Leib des dunklen Magiers an ihn presste, ihre semi-erregten Genitalien in Kontakt kamen. "Luka", stöhnte er unterdrückt, wandte den Kopf zur Seite, wurde mit einer gepiercten Zunge gereinigt, von Küssen gezeichnet, in das weiche Fleisch von Kehle und Ohrläppchen gebissen. »Er kann nicht genug kriegen«, seufzte Fuan lautlos, lächelnd, stolz. Nein, Luka reichte es nicht, ihre Magie zu verschmelzen, in ihn einzudringen auf vielerlei Weise! Da wurden auch seidig glatte Strähnen gekaut, in Fingernägel gebissen, über Wimpern geleckt, Atem gestohlen, Male gesaugt oder wie nun energisch Speichel ausgetauscht. Es blieb nichts mehr, als die Arme um Lukas Nacken zu schlingen, sich festzuhalten, wenn die Schwäche übermächtig zu werden drohte und sich einfach vollkommen hinzugeben. Der mutmaßlich halb-chinesische Magier schlug die bodenlosen, schwarzen Augen auf und lächelte in den Sonnensturm der goldenen. "Verschling mich ganz", neckte er mit lasziv-heiserem Tonfall, neigte den Kopf ein wenig, erhitzt und entspannt zugleich. Lukas mit Ringen beschwerte Hände fanden ihren Ruheplatz auf dem unteren Rücken des anderen Magiers, dann fokussierte er seine gesamte Aufmerksamkeit auf Fuans herausforderndes Werben, das manchmal puppenhaft schön anmutende, ovale Gesicht, die lackschwarzen, glatten Strähnen, die mandelförmigen, bodenlosen Augen, den schmalen, zärtlichen Mund. Wäre Luka ein weniger erfahrener, selbstbewusster Mann und kein Magier gewesen, so hätte ihn die Intensität seiner Liebe geängstigt. Dass er bereit war, ohne Zögern kopfüber in eine solche Leidenschaft zu stürzen, sogar in ihr umzukommen! Angesichts seines Lebenshungers jedoch entsprach die Gewalt seiner Gefühle seinem natürlichen Selbstverständnis. Nicht weniger als bis zur Raserei wollte er lieben, ebenso exzessiv, wie er die Magie betrieb. Er löste eine Hand, streichelte sanft verwehte Strähnen aus Fuans Gesicht, hauchte einen Kuss auf die schmalen Lippen. "Ich liebe dich", stellte er ruhig fest, zwinkerte dann diabolisch, "auf jede erdenkliche Weise." Fuan schnaubte dezent, schob die gepflegten Porzellanhände gegen Lukas nackte Brust, streifte dabei die silberne, gestraffte Kette, die zwischen beiden Brustwarzen befestigt war. "Wir legen diese 'Gedankengänge' besser auf Eis, bevor noch jemand in die Küche kommt, der hier unglaublicherweise frühstücken möchte", diktierte der Exot mit sanftem Nachdruck, verschaffte sich ein wenig Raum, um Hose und Gewand zu richten. Da Luka keine Anstrengungen unternahm, sich selbst wieder manierlich zu verpacken, assistierte Fuan, um die Bemühungen seiner schlanken Hände mit weiteren, leidenschaftlichen Küssen belohnt zu finden. Er seufzte im vertrauten Terrain von Lukas Mund, goutierte das Aroma und schmiegte sich in die enge Umarmung, um dann, ein wenig abrupt, den Kontakt zu unterbrechen, sich energisch zu lösen. "Bitte weck doch die anderen, ja? Ich bereite inzwischen das Frühstück zu!" Schon eilte er geschäftig in die trügerische Sicherheit der Küchenzeile. Missmutig brummelnd legte sich Luka wie eine zweite Haut um seinen Leib. "Warum gehen wir nicht wieder ins Bett? Du musst kein Frühstück machen", beklagte er sich mit der Nasenspitze in Fuans Halsbeuge. "Luka, möchtest du wirklich, dass Frau Battorie sich mit der ersten Mahlzeit des Tages befasst?", entgegnete Fuan scheinbar ungerührt, allein, seine Zehen in den Seidenpantoffeln zuckten bereits wieder. "Hmpf", grummelte es schachmatt, "das ist ein Argument." Widerwillig löste sich der dunkle Magier sehr langsam von seinem Liebhaber, streichelte selbst mit ausgestreckter Hand noch den zarten Nacken. "Ich beuge mich unter Protest der höheren Gewalt", proklamierte er schmollend, stakste dann auf hohen Absätzen der Stiefeletten hinaus. Fuan lächelte der polierten Anrichte zu. "Ich liebe dich auch, Luka", flüsterte er schelmisch. {o...o} Entspannt und gefährlich nahe an gut gelaunter Hochstimmung mit einem munteren Liedchen auf den apart geschwungenen Lippen erklomm Luka die Stiegen zu den Schlafräumen. Lautlos verschaffte er sich Zugang zum Schlaf- und Arbeitszimmer seines Zwillings. Luel lag auf dem Rücken, die goldblonden, schulterlangen Strähnen einer Aureole gleich um sein verzaubert lächelndes Gesicht ausgebreitet, wie so oft der Haarschleife entflohen, von jeder Strenge befreit. Die tiefseegrünen Augen ruhten noch unter schimmernden Lidern, ohne die Verkleidung der gewaltigen Brille. Luka lächelte und ließ sich auf der Bettkante nieder, wischte mit den lackierten Fingerspitzen durch die losen Strähnen. Auch wenn es ihm widerstrebte: Luel war mit dieser minderjährigen Göre von einer Hexenschülerin in Form eines überkandidelten Sahnebaisers offenkundig glücklich, ja, blühte regelrecht auf! Wie konnte er dagegen ankommen? Eine Hand umfasste seine, dann zwinkerte ihn sein Zwilling noch ein wenig orientierungslos an. "Luka?" Luels Stimme blieb stets weich, sanftmütig, voller Zärtlichkeit und Mitgefühl, weckte die Beschützerinstinkte seines Zwillings, aber auch das durchaus vorhandene Gewissen. "Morgen. Fuan macht Frühstück." Zuvorkommend reichte Luka die tarnende Brille weiter, erhob sich. "Ich komme gleich runter und helfe ihm!" Luel strahlte bereits in den neuen Tag, bereitwillig seine Unterstützung offerierend. "Schön", nickte Luka, "ich mache die Runde." Er klopfte höflich bei Frau Battorie, nicht nur versierte Hexenmeisterin und Mutter der Göre namens Nell, sondern auch ihre großmütige Vermieterin, üblicherweise eine umtriebige Frau "in den besten Jahren", die gerne die leibliche Versorgung ihrer Untermieter übernahm. In letzter Zeit häuften sich allerdings ihre Zerstreutheiten beim "Entspannen" in der Küche, die mit ihren Resultaten eine potentielle Bedrohung für jede ausgewogene Darmflora darstellten. Mochte es aber wundern? Die Tochter turtelte mit dem einen Zwilling, der andere Zwilling und ehemalige Verehrer brachte seinen Liebhaber mit, und zusätzlich dazu teilte der hoffnungsvolle Magier-Nachwuchs sein Zimmer mit einem Drachen! Das konnte auch gestandene Hexen vom Besen holen. Luka blinzelte Strähnen aus den Augen und steuerte das letzte Zimmer an. Ohne sich mit einem Signal anzukündigen polterte er betont grob und laut hinein. Instinktiv schoss Neo, Lukas Schüler, hoch, klappte die großen Augen auf, die hellen Haare vom Schlaf kindlich verwuschelt, ein "ich komme sofort, Meister!" bereits auf den Lippen. Saphir, in seiner menschenähnlichen Gestalt, konnte nicht überrascht werden. Er blinzelte träge mit seinen ungewöhnlichen Augen, für Wimpernschläge transzendent mit an Schuppenmuster erinnernde Zeichnungen auf der karamellfarbenen Haut, dazu gedrehte Hörner inmitten schwarzlockiger Krause auf der Stirn. Dann wurde er wieder ein dunkelhäutiger, schlanker Schüler, der mit freundschaftlicher Zuneigung Neos Pyjama-Oberteil richtete, dem Schlaftrunkenen unfallfrei aus ihrem Bett half. Altersdunkles Holz über eine bedeutende Breite, die zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen ließ, dass man die Schlafstätte gemeinsam nutzte. Bedenken jeder Art waren ohnehin nicht angebracht, wenn man Neos unschuldiges Wesen kannte. Oder seine vier Elemente, die beschützend Besitz von ihm ergriffen. "Los, los, Neo, Saphir, Hintern hoch, Waschen und dann zum Frühstück!", bellte Luka gestreng, stolzierte dann hackenbetont aus dem Zimmer, mit seiner Mission zufrieden. Nun konnte er sich in der Küche niederlassen und Fuan bei der Arbeit beobachten. Jeden einzelnen Blick genießen und die Elfenbeinhaut mit seinen lüsternen Augenaufschlägen versengen. {o...o} "Luka, wirst du mir sagen, was dich bedrückt?" Fuan glitt in der großen, alten Badewanne, die auf Löwenfüßen prominent in der schwarzweiß gefliesten Mitte des Badezimmers stand, näher an Luka heran, schmiegte sich an die vertraute Gestalt. Der dunkle Magier streichelte über Fuans schlanke Glieder mit einem aufgerauten Lappen, vertrieb konzentriert winzige Schaumberge. Er brummte ausweichend, dirigierte forschende Finger zwischen die aufgestellten Schenkel des Exoten, doch dieses Mal hinderte ihn Fuan an ablenkenden Zärtlichkeiten. "Luka", erinnerte er mit sanftem Nachdruck, bettete die emsigen Handflächen artig auf den geschwungenen Wannenrand. Der solchermaßen Gemahnte richtete sich auf, zog dann trotzig die Arme an sich, um sie unter Fuans Achseln wieder um den sehnig-trainierten Oberleib des Magiers zu schlingen, sich an das geschmeidige Rückgrat zu pressen. Nachdenkliche, langsame, verweilende Küsse bedeckten die feuchte Schulter, die Halsbeuge, das Schlüsselbein, dann entschloss sich der goldäugige Magier zu einer Replik. "Ich kann spüren, wie es sich zusammenballt. Eine gewaltige Bedrohung." Für mehrere Herzschläge lang blieb es still, dann ergriff Fuan erneut das Wort. "Spürt es der Junge?", erkundigte er sich flüsternd, kam den fortschreitenden Liebkosungen entgegen. Luka zögerte. Seit Saphir ihr Leben teilte, wusste er mit Sicherheit, dass Fuans Tage als willenlose Marionette gezählt waren, aber auch das Potential gewaltiger Kräfte. Für Neo galt seit dem Zusammenleben mit dem Drachen, dass er seine Elementarkräfte besser kennenlernte, sie zu lenken verstand, ohne sich zu verletzen. Aber diese Präsenz, auf deren Erscheinen ihn die grausame Intrige seines Vaters vorbereiten sollte, ließ sich kaum zuverlässig einschätzen. "Ich bin nicht sicher", gab er endlich zurück, rieb eine Wange an Fuans, "es ist fremd." Der Exot wandte den Kopf, studierte das attraktive Profil seines Liebhabers eindringlich. Luka schmeichelte ihm noch immer mit der steten Behauptung, dass sie weiterhin Konkurrenten blieben, zumindest in ihrer Berufung als Magier, doch Fuan kannte die neuen Grenzen seiner Fähigkeiten durchaus. Deutlich größere Anteile seiner Wahrnehmung wurden durch die intensive Verbindung mit Lukas Bewusstsein eingenommen. »Blind und taub wäre ich ohne ihn«, diese schmerzliche Erkenntnis hatte er längst verinnerlicht. Zu seiner gelinden Überraschung bedeutete ihm die Magie nicht mehr alles, nein, es gab so viele Dinge und Fertigkeiten, die er noch entdecken konnte, dass ihn der partielle Verlust seiner Kräfte nicht mehr betrübte. Er legte den Kopf weit in den Nacken, sodass er umgekehrt in Lukas ernstes, sorgenumwölktes Gesicht hoch blicken konnte, die feingliedrigen Hände herausfordernd im Nacken des dunklen Magiers verschränkt. Seine schwarzen, glatten Strähnen fächerten sich wie Spinnwebsfäden auf Lukas nasser Brust auf, der bereitwillig die Ablenkung annahm, sich ein wenig weiter an den Beckenrand sinken ließ und seine Expedition zwischen Fuans Beine fortsetzte. Bald schon wand sich der Exot unter den gezielten Zärtlichkeiten, atmete zischend durch die Zähne, die Fersen hart in das Porzellan gedrückt, das Rückgrat in steter Wellenbewegung, dem Rhythmus seiner Erregung angepasst. Luka liebte es, jede einzelne Kontrolle Fuans auszuhebeln, bis der völlig enthemmt auf der Oberfläche des Badewassers ritt, die Lider flatternd, die schwarzen Augen in Ekstase beschlagen. Es erregte ihn gleichermaßen, Fuan aufzufangen, den nachglühenden, bebenden Leib an sich zu pressen und feuchte Küsse auf die beperlte Haut zu brennen. Wenn Fuan wieder Herr seiner Sinne war, erntete Luka den Sturm, den er gesät hatte, hitzige Zungengefechte und ebenso kundige, geschickte Finger, die ihn mehr als einmal an den Rand des Ertrinkens führten. Wenn sie einander abtrockneten, die Haare auskämmten, Körperpuder einklopften, dann war die Welt perfekt. Und nichts konnte dieses Ritual stören. {o...o} Neo schmiegte sich an Saphirs Seite, den Kopf auf einer Schulter des Drachen abgelegt, der mühelos ganze Passagen aus den ältesten Grimoiren zitieren konnte. Dabei bildete der menschliche Körper des Drachen eine lehrreiche Bühne für den Umgang mit den Elementen, die Neo direkt erfahren konnte, in freundschaftlicher Umarmung. Das nahm sich sehr viel angenehmer aus als die strenge Aufsicht seines Meisters Luka. »Und außerdem«, Neo lächelte strahlend vor sich hin, außerdem fühlte er sich bei Saphir angenommen und geliebt. Zum ersten Mal in seinem Leben einen richtigen Freund! Jemanden, der immer da war, mit dem man lachen konnte, sich streiten und wieder versöhnen, kleine Geheimnisse austauschen, heimlich naschen oder für einen kurzen Erkundungsgang in die Stadt ausbüchsen. Obwohl er im kommenden Jahr die Schwelle der Volljährigkeit überschreiten würde, hatte ihm in seinem Leben eine feste, gleichrangige Bezugsperson gefehlt, um tatsächlich erwachsen zu werden. Nun hatte er Saphir, der ihn lehrte, seine Elementargeister Undine, Sylphir, Gaia und Ifrit mochte und so sanft und fürsorglich war, dass Neo gar nicht glauben konnte, dass der Drache auch über weniger herzliche Seiten verfügte. "Willst du es mal versuchen?", ermunterte Saphir Neo, sich mit einem Feuererweckungszauber zu befassen. Eigentlich nicht sonderlich schwer, immerhin stand Neo mit Ifrit ein nicht ganz unbedeutender Elementargeist zur Verfügung, doch es haperte in diesem Bereich ein wenig mit der Ausführung. Neo rollte sich flach auf den Rücken, wich zögerlich einen Zentimeter von Saphir, um die Zimmerdecke zu fixieren und sich zu konzentrieren. Neben ihm glühte der Jungenkörper des Drachen feurig, tanzten wilde Flammen unter der durchscheinenden Haut. Die Hände des Schülers verkrampften sich mit jeder verstreichenden Minute. Noch immer nicht die Ahnung einer bescheidenen Flamme. Undine zappelte auf dem Kopfende des schweren Bettes, Sylphir wuselte sorgenvoll über Neos Kopf durch die Luft, während Gaia unbeeindruckt ein Wollknäuel gegen die Wand kickte. Ifrit war nicht zu sehen. "Das wird schon!", ermunterten ihn seine Elementargeister, allein, Neo hegte begründete Zweifel. Tränen traten in seine Augen, Scham und Hilflosigkeit wallten in seiner Kehle auf. Es gab keinen Grund, warum er versagte, er vermochte die Ursache nicht zu erkennen und Saphir gab sich solche Mühe...!! Eine warme, trockene Hand schob behutsam Neos Lider herunter, streichelte durch die hellen, weichen Strähnen. "Keine Angst", raunte die kehlig-gutturale Stimme des Drachen an Neos Ohr, dann legte sich die Hand besitzergreifend auf Neos Herz. Schon fühlte er den Puls des Drachen, der sich veränderte, ausdehnte, bis keine Grenzen ihn mehr hielten. Dann glitt er mit Saphirs Hilfe ohne Anstrengung in eine Welt, die mit Flammenzungen sprach, in Feuerblüten träumte, stets die Veränderung, den Kreislauf aus Vergehen und Entstehen zur Maxime erhob. Der Schüler überwand mit geschlossenen Augen den minimalen Abstand, der ihre schlanken Silhouetten trennte, schmiegte sich wieder Trost suchend an. Saphir lächelte, die Drachenaugen in senkrechtem Schlitz, die Hand krallenversehrt, Schuppen anstelle karamellfarbener Haut. »Ein liebenswertes, unschuldiges, reines Wesen...« "Schlaf gut, kleiner Mensch", raunte er und küsste Neos Stirn. {o...o} Luel schmückte das Haus und sein Geschäft mit der gleichen, unangefochtenen Hingabe und Euphorie. Ein goldener Herbst bescherte schöne Blätter in prächtigen Farben, überall fanden sich knuddelig-runde, von Mutter Natur auf Hochglanz polierte Kastanien, in den Gärten warteten dicke Kürbisse, pralle Äpfel und mächtige Quitten. Ein herrliches Spektrum der schönsten Farben, die er für die kurze Zeit ihrer Dauer um sich haben wollte. "Luueeeel!" Wehklagender, Trost heischender Stoßseufzer seiner innig geliebten Gefährtin Nell, die mit dem gewohnten Geschick die ihr anvertrauten, handverlesenen Blätter eines Ahorns an den ausgestellten, bonbonfarbenen Petticoat geklebt hatte. "Oh, ich sehe schon... nur einen Augenblick, ich helfe dir!" Geschwind eilte der goldblonde Mann herbei, rückte die Brille zurecht, um auf den Knien vor der Hexenschülerin das Malheur von ihrer Wäsche zu befreien. "Gehen wir heute Abend wirklich zu einem Ball?" Nell drehte Locken in Luels Haare, lächelte dann ungewohnt scheu in die tiefseegrünen Augen. Noch vor einem Jahr hatte dieser Abend den gesellschaftlichen Höhepunkt im Dasein eines jeden Magiers, jeder Hexe und anderen Vertretern ihrer Zunft bedeutet. Doch dieses Halloween wollten sich die Reinhards und Battories nicht dem Spießrutenlauf inmitten ihres kritischen Kollegiums aussetzen. Luel hatte Frau Battorie die Zusage abgeschmeichelt, Nell zu einem intimen Souper und dem anschließenden Besuch eines örtlichen Maskenballs ausführen zu dürfen. Saphir und Neo wollten Äpfel und Kartoffeln vor dem Kamin rösten, einen Spukfilm im Fernsehen verfolgen und eine Nachtwanderung durch die Gemeinde unternehmen. Luka und Fuan brauchten wenig mehr als einander. Frau Battorie trat in Luels bescheidenen Laden, eine kleine Reisetasche neben ihren hoch geschnürten Stiefeln abstellend. "Luel, Nell, ich werde gleich von Madame Fournier abgeholt. Wir fahren zu einem Canasta-Turnier." Die beiden Angesprochenen staunten und staunten weiter. Konnte diese adrette Frau im rosigen Twinset mit leichtem Trenchcoat und einem fürsorglich um die Haare gewundenen Tuch tatsächlich die berühmte Hexe Frau Battorie sein?! Einzig die Stiefel erinnerten an die gewohnte Aufmachung einer verwegenen Anhängerin des romantischen Grusels vergangener Jahrhunderte. "Meine Fresse", bemerkte Nell endlich diplomatisch, klappte dann besagtes Körperteil wieder hoch, "na sicher doch. Viel Spaß und schummle nicht so viel!" "Sieh du lieber zu, dass man dich nicht für Luels kleine Schwester hält", gab Frau Battorie mit dem gleichen Maß unverhohlener Zuneigung zurück. Luel blinzelte, tätschelte Nells Hand, bevor die beiden Frauen in den gewohnten Austausch von Rivalitäten gerieten. "Ich hoffe, Sie gewinnen recht häufig", wünschte er wohlerzogen, unternahm Anstalten, die Tasche zu apportieren, als eine dralle, muntere Frau in den Laden fegte, in Hochgeschwindigkeit Nettigkeiten zwitscherte, Frau Battorie samt Gepäck in ihren Sog zog und davonpreschte. "Die sah aus wie ein Brummkreisel. Wirklich irre", bemerkte Nell knapp, grinste dann breit und schlang auf Zehenspitzen die Arme um Luels Nacken. "Niemand wird mich für deine kleine Schwester halten, nicht wahr?", belauerte sie die tiefseegrünen Augen unter den langen Wimpern. Luel lächelte besänftigend, hielt seine junge Freundin zärtlich. "Nein, niemand wird das", versicherte er freundlich, hauchte einen Kuss auf die geschürzten Lippen. Noch immer liefen die beiden Verliebten rosig an, tauschten verschämte Blicke und kicherten unisono. Aber bald, das vereinbarten sie stumm, würde ihre Liebe reifer und erfahrener werden. {o...o} Luka kauerte auf der Fensterbank, die Knie eng an den Leib gezogen. Magenkrämpfe waren ihm eine neue Erfahrung, und er schätzte sie überhaupt nicht. "Luka?" In Fuans Stimme schwang abgemilderte Besorgnis, dann maß die flache Hand des Exoten an Lukas Stirn die Temperatur. "Was ist los?" Beunruhigt nahm Fuan auf der Fensterbank Platz, studierte Lukas goldene Augen eindringlich. Der presste die Lippen fest aufeinander, schüttelte den Kopf. "Lass mich dir helfen..." Schon streckte Fuan die Hand aus, wollte seine bescheidenen Fähigkeiten nutzen, als ihn Luka grob von sich stieß, von der Fensterbank ungelenk herunterrollte, sich mühsam auf die Beine stemmte, die Arme um den Leib geschlungen. Noch bevor Fuan nachsetzen konnte, stand Saphir in der Tür, Neo an seiner Hand. "Gehen wir nach draußen", verkündete der Drache entschlossen. Luka nickte, fahlbleich, von winzigen Perlen benetzt. {o...o} Die Sonne versengte grell den Horizont, entlockte dem Laub ein letztes Aufflammen der strahlenden Färbung. Ungeachtet Lukas stummen Protestes hielt Fuan eine seiner schweißfeuchten Hände, das puppenhafte Gesicht eine Maske der Schmerzen, die er mit Luka teilte. Saphir stand zu Lukas anderer Seite, Neo verschüchtert halb hinter ihm. Luel und Nell, in feinem Ausgehzwirn, komplettierten die Versammlung. Der Himmel brannte. Dunkle Schlieren der einströmenden Nacht drängten sich gierig in das Flammenmeer, angeführt von einem sektorial begrenzten, dichten Nebel. Nicht einmal die vorwitzige Nell wagte zu sprechen. Zur Stunde der Geister hatte sich hoher Besuch angekündigt. {o...o} "Luka?" Luels gewohnt sanfte Stimme klang angestrengt, sorgenvoll. Nell blickte auf, bemerkte hervortretende Sehnen und Schweißperlen auf dem aschfahlen Gesicht ihres sehnsüchtigen Verehrers. Luel sah furchtbar aus. Luka schüttelte den Kopf, als wollte er ein lästiges Insekt entfernen, presste die Lippen zu dünnen Strichen zusammen. Die Zwillinge ähnelten einander in der fahlen Komplexion ihrer Gesichter, der verspannten Haltung, dem Air von Qual, das sie trotz aller Anstrengung verströmten. "Er kommt", bemerkte Saphir gelassen, beinahe ein wenig zu ruhig. Die Nacht, sternen-, kürbis- und laternenbeleuchtet, verlor ihre geschlossene Dichte, wurde von einem wabernden, unsteten Feld verdrängt, in dem verzerrte Farben in Schlieren zuckten, ein psychedelischer Albtraum, der sich wie ein Loch im Gefüge des Universums auftat. Inmitten dieser Erscheinung stand eine zierliche Gestalt. Sie trug ein fremdartiges, einfaches Gewand, das eng auf der Haut lag. Eine Woge schwarzer Haare ergoss sich ungeschickt gestuft über die Schultern bis zur Hüfte. Das Gesicht war schmal, dominiert von quecksilberfarbenen Augäpfeln mit schwarzen Pupillen unter angestrengt gekräuselten Brauen. "Ein Elf?", stutzte Luka laut, doch ohne eine wortreiche Erklärung sandte ihm Luel die korrekte Antwort. "Hallo", eine Hand hob sich zögerlich zum Gruß, "meine Brüder, meine Freunde. Ich freue mich so, euch endlich zu treffen!" "Luka", nun war es Fuan, der Mühe hatte, zwischen zusammengepressten Kiefern Silben zu formulieren, "etwas stimmt nicht." Was man ihm ansehen konnte, denn aus der Narbe, die Fuans Stirn kreuzte, sickerte ein steter Strom hellroten Blutes. "Ich weiß", gab der dunkle Magier zurück, "lass mich los." "Nein. Niemals!" Fest entschlossen umklammerte Fuan Lukas Hand noch versichernder. Was immer passieren würde, Luka loszulassen und ihm damit magische und moralische Unterstützung zu versagen, stand nicht zur Debatte. "Wer ist das?" Neo flüsterte eingeschüchtert von der Reaktion seiner beiden Lehrer, rieb sich die Augen. Die schmale Gestalt wirkte nicht bedrohlich, und doch überflutete sie ihn mit verstörenden Impulsen. "Mein Name ist Lenier", erklärte sich der Fremde, trat heran und vergrößerte gleichzeitig das ihn umgehende Feld von chaotischen Farbschlieren. "Bleib, wo du bist!", dröhnte Saphirs Stimme dunkel und warnend, wie ein gewaltiger Gong auf einem totenstillen Schlachtfeld. "Wo ist Vater?" Luel konzentrierte sich auf das ihm Wesentliche. "Wo ist unser Vater, Lenier?" Lenier hielt inne, legte den Kopf auf die Seite, einigermaßen irritiert. "Wer ist das, und was geht hier eigentlich vor?", schaltete sich nun Nell ein, die der Rätsel genug geraten hatte. Zu ihrer Überraschung antwortete Saphir mit tragender Stimme. "Lenier Guillaume Reinhard. Das Kind, das nicht sein darf. Der verbotene Sohn. Von den Elfen geächtet und gejagt. Vom Vater versteckt und eingesperrt. Kehre zurück oder erwarte deinen Richtspruch!" Mehrere Köpfe wandten sich verunsichert dem Drachen-Jungen zu. "Ich geh nicht zurück!", trotzte Lenier mit kindlicher Stimme, "der Mann hat mich zu lange eingesperrt. Er hat mir nichts erzählt von dieser Welt! Ich will hierbleiben." Der Riss in den Dimensionen wuchs um mehrere Meter, Energieentladungen zuckten wie Blitze durch die Luft. "Du wirst diese Welt zerstören, wenn du bleibst." Saphir löste sich aus der Gruppe, trat Lenier entgegen. Sein Gegenüber ballte die Fäuste. "Das ist nicht wahr!", behauptete er erregt, "ich tue nichts Böses. Ich bin nicht böse!" Saphir seufzte leise, richtete sich auf. Hinter ihm wiederholte Luel seine Frage mit erzwungener Ruhe, "wo ist unser Vater, Lenier?" "Weiß nicht", kam es einsilbig zurück, der Mischling zupfte an herabbaumelnden Bändern seines Gewandes. Die weiße Farbe der Elfenseide kontrastierte stark mit dem Farbspektrum und seinen gestuften, schwarzen Haaren. "Du hast ihn umgebracht!", brach es mit Gewalt aus Luka heraus, "sonst hättest du es nicht hierher geschafft! Er ist tot, nicht wahr?! Sag schon, du Missgeburt!" "Missgeburt?!" In spiegelgleicher Angriffshaltung spuckte Lenier aus, "wie sprichst du mit mir?! Du bist selbst eine Missgeburt! Ich werde dir gleich eine Lektion erteilen!" "Ach ja?! Komm her, du verfluchter Mörder! Dann werden wir sehen, wer hier eine Missgeburt ist!", nahm Luka den Fehdehandschuh ungestüm auf, wischte sich mit einem Ärmel Tränen aus den goldenen Augen. "Ich verstehe überhaupt nichts mehr", Nell klammerte sich an Luels Seite. "Was ist hier los?!", klagte sie in alarmierter Schrille. "Wir haben wohl einen jüngeren Bruder, den unser Vater versteckt hielt. Aber nun ist er frei, und das kann nur geschehen sein, weil-weil Vater tot ist", beendete Luel mit verzerrtem Gesicht seine Schlussfolgerung. Robin Guillaume Reinhard hätte trotz seines diskutablen Charakters nicht zugelassen, dass man seinen Kindern etwas antat. Luela, ihre Mutter, hätte ihm nie verziehen. Lenier tigerte in einiger Entfernung vor ihnen auf und ab. Man konnte seiner Haltung entnehmen, dass er ratlos war, sich ein anderes Willkommen erwartet hatte. Das chaotische Kraftfeld um ihn herum zuckte und flackerte unregelmäßig. Saphir wandte sich Luka zu. "Er darf nicht leben, nicht in dieser Welt, nicht in den anderen. Wenn er nicht freiwillig in die Verbannung zurückkehrt, werde ich ihn töten, Magier. Und auch jeden, der mich an der Ausübung meines Richtamtes hindert." Luka hielt dem geschlitzten Blick des Drachen stand, spürte Fuans Nähe, der sich auf ihn stützte, immer wieder das Blut von der Stirn wischte. Wollte er Lenier angreifen, so bot seine Schwäche im Bereich der Elementarmagie eine gefährliche Lücke. Auch mit Fuans und Neos Unterstützung wäre er einem versierten Gegner unterlegen. Und sowohl gegen Lenier, der Chaos und Instabilität wie eine Droge verströmte, als auch Saphir antreten?! Unmöglich. Oder vielmehr: ohne Aussicht auf Überleben. "Bitte, Lenier, versteh doch, du zerstörst diese Welt mit deiner Anwesenheit. Du musst zurückkehren", verhandelte Luel angestrengt, trat neben seinen Zwilling. In ihm hatte sich das Elfenerbe ihrer Mutter Luela manifestiert, und er wollte nichts unversucht lassen, ihren unbekannten Bruder zu retten. Luka durfte nicht so nachsichtig sein. Er trug die Verantwortung für die Magie, schützte sie alle mehr oder minder, gerade weil er mit seinem Zwilling, Fuan und seinem Schüler eng verbunden war. "Er hat Vater getötet", stellte er heiser fest, "das wird kein leichter Kampf." Saphir bleckte die scharfen Zähne. "Die Konsequenz einer Niederlage werden wir nicht erleben", lautete seine knappe, schnörkellose Replik. Luka schloss für einen Augenblick die Lider fest, verdrängte die unruhig pulsierenden Farben aus seiner Wahrnehmung. Die Nacht der Geister. Eisige, beinahe strenge Herbstluft. Das Aroma einer reichen Ernte. Der Abschied vom Sommer, von der Sonne. Die Vorbereitung auf den Winter, die Dunkelheit und Kälte. Der Scheidepunkt. Langsam schlug er die Augen auf, enthüllte glühendes Gold. "Verlösche in meinem Zorn", zischte er voller Emotion und schleuderte seinen ersten Angriffsblitz gleißender Magie. Lenier antwortete, erlöste ihn doch diese Attacke aus dem Dilemma einer Abwägung. Doch mühelos konnte er keinen Geländegewinn verbuchen, denn Lukas Attacken wurden von Neo, dem Elementarmeister, verstärkt, während Saphir und Fuan Verteidigungswälle formten. Luel kauerte mit Nell dahinter, schirmte sie mit seiner Gestalt und Präsenz ab. Nun brannte die Nacht wirklich. In dem unberechenbaren Spannungsfeld, das Lenier erzeugte, verirrten sich Angriffe, entzündeten Bäume und Sträucher, versengten die Grassode, fraßen sich wie Säure in den Boden. Fuan brach als erster der Verteidiger der menschlichen Welt zusammen. Blut sickerte nicht nur aus der alten Narbe auf seiner Stirn, nun rann es aus Nase und Ohren. Sofort kniete Neo neben ihm, stillte die Blutung, doch allen war gewiss, dass der exotische Magier für eine ganze Weile nicht mehr aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen würde. Lenier dagegen schien mit dem Widerstand, der Abneigung, ja, dem offenen Hass, den Luka ihm entgegenschleuderte, die marginale Kontrolle über seine Kräfte zu verlieren. Sein Körper, der weder Mensch, noch Elf entsprang, konnte sich auf die Dauer nicht der explodierenden Macht aus seinem Inneren verwehren. Bald bot er einen furchtbaren Anblick, Hautfetzen platzten ab, das klaffende Fleisch blutete, verbrannte Strähnen kringelten sich auf seinem Kopf, Nägel verfärbten sich schwärzlich. Allein sein seidig weißes Gewand schimmerte unbefleckt, eine Manifestation der Reinheit. Um sie herum toste die Atmosphäre, ihr Gehalt veränderte sich. Realitäten ließen sich nicht für lange dehnen und verzerren, dann zerrissen sie gewaltsam und verwundeten die Welt mit Instabilität und dem Chaos schlechthin. Physikalische Grundsätze, die Bindungen der kleinsten Bestandteile des Lebens aneinander, verloren ihre Gültigkeit. Luka konnte dies nicht zulassen, Saphir ebenso wenig. Ein Kind, das niemals hätte geboren werden dürfen aus einer verbotenen Beziehung. Einmal hatten Robin und Luela Glück gehabt, doch ihr jüngster Sohn verkörperte eine Melange ungeordneter, unvereinbarer Eigenschaften zweier Welten, die sich nicht verschmelzen oder beherrschen ließen. Der dunkle Magier schwankte. Neos Elementarmagie fing Leniers Angriffe ab, jedoch die Reaktion oblag einzig Luka, der von seiner Schwäche übermannt zu werden drohte. Auch die Magie folgte Regeln. Gegen das Chaos aber, das aus Lenier sprach, waren sie nur bedingt wirksam. Er spürte Saphir neben sich. "Die Zeit verrinnt, Mensch. Es muss beendet werden." In den goldenen Augen des Zwillings brannten Tränen der Verzweiflung. Für eine bissige Replik fehlte ihm die Kraft. Er gab alles, was er vermochte, jedes Quäntchen seiner magischen Existenz und dennoch war es nicht genug! Saphir atmete tief durch, wandte den Kopf, um Neo zu betrachten, der an Lukas Seite schwankte, tapfer die Stellung hielt. Seine Elementargeister waren verschwunden, im Kampf aufgegangen. Er hatte den Jungen in sein gewaltiges, äonenaltes Herz geschlossen. So viele Dinge, die nicht erwähnt worden waren, so viele Orte, die er seinem menschlichen Freund nicht hatte zeigen können. So viele Gefühle, die verborgen bleiben mussten. "Ich bin der Richter", dröhnte seine Stimme über den Horizont wie die Glocken aus den Tempeln auf dem Dach der Welt. "Dein Urteil ist gefallen, fahre wohl, Lenier Guillaume Reinhard." Neo fuhr herum, warf einen blanken Blick aus umschatteten Augen auf den Freund. "Wir sind die Drachen. Anfang und Ende. Vergehen und Entstehen. In dieser Welt. In allen Welten. Ohne die Zeit und in ihr. Aus dem Feuer entsprungen, in der Erde geboren, in die Lüfte gestiegen, durch die Wasser geglitten. Wir sind. Ewig." Ein letzter Atemzug aus Schwefel und Chlor in das flammende Innere seines Leibs, die geschlitzten Augen funkelten. Das Bekenntnis der Drachen, seine Bestimmung. Ein jeder Drache ein Richter. Ein jeder Drache ein Bewahrer. Saphir hörte den erstickten Schrei der Menschen. Sein Leib verwandelte sich, wurde gewaltig, majestätisch, geschmeidig, bronzefarbene Schuppen, immense Klauen und Krallen, mächtige Zähne, gedrehte Hörner mit schwarz-krausem Fell. Es gab nur eine Möglichkeit, diesen Kampf zu beenden. Also stürzte er sich mit dröhnendem Lachen auf Lenier. Der Mischling wich, die Arme rudernd ausgebreitet, doch konnte er der Umarmung des Drachen nicht entgehen. Funkenschlag, Donnerhall, blendend grelle Explosion. Dann war das Loch in den Dimensionen geschlossen. {o...o} Die Luft war tot. Stille regierte. Luka schwankte unstet. Saphir und Lenier waren verschwunden. Die Welt wirkte kahl, ihrer Farben beraubt. Ein stumpf-dunkler Himmel ohne Sterne. Geschwärzte Bäume und Sträucher. Mühsam und matt wandte er den Kopf. Neo stand neben ihm, stocksteif und reglos, die Augen aufgerissen. Behutsam legte der dunkle Magier eine Hand auf die Schulter seines Schülers. Der fiel, als habe die Schwerkraft sich endlich wieder ihrer Aufgabe erinnert, wie eine Flickenpuppe lautlos auf den Boden. {o...o} Man erholte sich schnell von dem unerklärlichen Phänomen, vergaß, wäre nicht die allumspannende Unfähigkeit gewesen, einen Laut zu vernehmen. Doch dies hinderte die Menschen recht wenig an ihrem Tagewerk. Konnte man sich nicht auch anderweitig verständigen? Da wurden eben Briefe verfasst, Notizen gekrakelt, Faxe und Mails versandt, Zeichnungen und Worttafeln benutzt. Das Leben ging weiter, weil nur wenige wussten, wie knapp sie einer Katastrophe entgangen waren. Luka streckte sich wohlig in dem großen, weichen Nest, das er in seinem breiten Bett mit Fuan teilte. Der war gerade dem Schlaf entflohen, lehnte auf einen Ellenbogen gestützt über ihm und lächelte zärtlich. Die Wunden verheilten langsam, doch nicht alles blieb unverändert. Fuans puppenhafte Schönheit war von dem Makel der Narbe befreit worden, eingebüßt hatte er die Perfektion seiner kunstvollen Erscheinung. Da fanden sich Schatten langer Nächte unter den schwarzen, abgründigen Augen, winzige Fältchen in den Mundwinkeln, das feine Geflecht blauer Adern zeichnete sich unter der porzellanartigen Haut ab. In Lukas schwarze, kurzgestufte Mähne hatten sich silberne Fäden eingesponnen, die ihn an den Preis erinnerten, den er für ihr Überleben entrichtet hatte. Zudem war er seiner Magie verlustig gegangen. Was sie beide in diesem Moment wenig kümmerte. Die stille Welt schien einen frühen Winterschlaf vorzuziehen, um sich zu erholen. Es schneite müßig vor sich hin. Vom Kerzenschein wohlig beleuchtet bot das Treiben außerhalb ihres gemeinsamen Lagers keine Anreize, es zu verlassen. Vergessen lag auf dem Boden der eingeschriebene Brief, der beide Magier aus der Gemeinschaft der Magischen Zünfte ausschloss, da sie einen unvergleichlichen Flur- und Imageschaden verursacht hatten. Zahllose Angehörige der kundigen Gesellschaft hatten sich daran versucht, den merkwürdigen Bann, oder war es eine Blockade?, die die gesamte Welt umfasste, aufzuheben. Ohne Erfolg. Luka ließ die Handinnenflächen zärtlich über die bloßen Seiten seines Liebhabers gleiten, funkelte animiert in die schwarzen Augen. Sie hatten einander beigestanden, in der Trauer, in dem schmerzhaften Prozess der Selbstfindung.Es spielte keine Rolle mehr, ob Fuan das künstliches Geschöpf eines verzweifelten Magiers war, oder ein Mensch, dessen Gedächtnis man manipuliert hatte. Es war ohne Bedeutung, dass die Eltern Reinhard ihren Söhnen die Existenz des jüngsten Bruders verschwiegen, sie verlassen hatten, um ihn, Lenier, am Leben zu erhalten. Wie Saphir im Credo der Drachen betont hatte: es zählte das Leben. Gestern oder Morgen waren von geringerer Bedeutung als der Augenblick. Fuan schnurrte leise, räkelte sich genießerisch auf Lukas athletischer Gestalt. Winzige elektrische Entladungen zuckten zwischen den Hautschichten, luden beide mit Erwartung und Lust auf. Sie hatten selbst die praktischen Hindernisse einer Beziehung gemeistert, in der Magie nicht Ungeschicklichkeiten oder Ungestüm austarierte, konnten einander von Lippen, Händen, Augen, Herzschlägen ablesen, was sie sich mitzuteilen hatten. Mit gelenkiger Zunge schmeichelte der Exot Lukas linkem Ohr, spielte mit den Steckern und Ringen, raunte gurrend-lautlos, "Pfefferminz?" "Hmmmmm", schnurrte Lukas Tenor durch seinen Brustkorb. Er schlängelte mit aufgefächerten Fingern über Oberschenkel, Hintern, Lenden und die Wirbelsäule, bis er Fuans seidig-schwarzen Schopf zauste. "He he!", mahnte Fuan schmunzelnd, formte die Silben, "Verwüstung kommt später." "Das werden wir sehen!", forderte ihn der dunkle Magier stumm mit blitzenden Goldaugen heraus, setzte mit spitzen Fingern auf empfindlichem Terrain seine Argumente. Fuan quietschte, um Luka eine Freude zu bereiten, knurrte dann rollig, um seinerseits eine Attacke einzuleiten. Die Spiele waren eröffnet, Ring frei! {o...o} Fuan lehnte, partiell von einer Decke umhüllt, gegen die Rückwand ihres Bettes, die Beine gekreuzt, balancierte ihre dynamische Bewegung aus. Mit dem rechten Arm assistierte er Luka, der auf seinem Schoß ritt, stützte dessen gebeugtes Bein in der Kniekehle, während er mit der Linken beharrlich und beschleunigend dem Pfefferminzschlauch und seinem Inhalt zusetzte. Luka stöhnte lautlos, sein Kopf wandte sich ruhelos auf Fuans Schulter hin und her, während er mit aufgestützten Beinen und eifriger Muskelkontraktionen seinem Höhepunkt entgegensteuerte. »Bloß nicht zu schnell!«, fast meinte Fuan Lukas Gedanken lesen zu können, der sich einfach nicht die Erlösung gönnen wollte, die Rinnsale von Schweiß ignorierte, die sie beide absonderten. "Luka", wisperte er kehlig ohne Laut, versah die Erektion mit einer besonders nachdrücklichen Massage, "bitte", hob die Schulter, um den umherirrenden Kopf in seine Richtung zu lenken, die Zunge tief in den speichelfeuchten Mund zu tauchen. Überkopf umklammerten ihn die muskulösen Arme des dunklen Magiers, hinterließen glühende Abdrücke ihrer Fingerspitzen auf seinen Schulterblättern. Mit einem heiseren Knurren übernahm der Exot die Regie, setzte seine gut verborgene Kraft ein, jagte Luka förmlich hoch, der die Attacke nicht erwartet hatte und mit einem Keuchen eruptierte. Fuan begleitete den atemlosen Seufzer mit zwei Nachbeben, die ihm selbst Ekstase und Erlösung verschafften, sackte dann schwer gegen den Bettrücken, rang nach Atem. Ohne Magie war Sex wirklich anstrengend. Archaisch. Luka wand sich herum, krabbelte ungelenk auf die Knie, wobei er sich nicht sonderlich elegant von Fuan löste, kroch dann in dessen Arme, barg sein glänzendes Gesicht in Fuans Halsbeuge. Seine hastigen, wüstenheißen Atemstöße versengten die Haut seines Liebhabers, der die Decke um sie beide schlug, die Arme um Luka schloss. Eine geraume Weile konzentrierten sich beide Männer darauf, ihren Atem wiederzufinden, die Vibrationen der hämmernden Herzschläge abzufangen, die gegen beide Brustkörbe rannten. "Ich liebe dich", krächzte Luka heiser in seinem Inneren, formte die Silben, ein schiefes Grinsen auf dem üblicherweise spottend oder missmutig verzogenen Mund, küsste Fuan sanft auf die wunden Lippen. Der erwiderte das Bekenntnis, hauchte einen Kuss auf Lukas Stirn, zog den dunklen Magier erstickend eng an sich. "Wir schaffen das schon", wisperte er ohne Laut in den silbrig-durchflochtenen Schopf. {o...o} Luel arbeitete in der alles umfangenden Stille in seinem kleinen Laden, dankbar dafür, dass der Strom der Beschwerdeführenden, die seinen Bruder und dessen Liebhaber anklagen wollten, endlich abgerissen war. Langsam kehrte wieder relative Normalität in ihren Alltag ein. Nell besuchte die Schule, tobte stumm über die gesteigerte Schreibarbeit, ließ sich aber von Luel immer versöhnen, indem er ihr gestattete, sich in seinem Laden einzunisten und dort ein besitzergreifendes Auge auf ihren Schatz zu haben. Über Luka und Fuan zerbrach sich Luel nicht den Kopf, denn er spürte, dass die beiden Männer einander über den Kummer und die Zweifel hinweghalfen. Lediglich Neo.... Neo schien unerreichbar für ihre Versuche, ihn aus seinem Schockzustand zu reißen. Stumm und bar jeden Ausdrucks schwebte er wie ein Geist durch ihr Leben, tat, was man ihm auftrug, jedoch ohne jede innere Beteiligung. Auch seine Elementargeister hatten sich in der Zwischenzeit nicht mehr eingefunden. Luka hatte keine Erfahrung in diesem Bereich, doch es stand zu vermuten, dass mit Saphirs Opfer ein Vakuum erzeugt worden war, das jede Elementarmagie in Reichweite aufgesogen hatte, um gegen Leniers unbeherrschbare Kraft zu bestehen. Luel blickte auf, als er ein Lichtsignal wahrnahm, das den sanften Akkord der Türklingel ersetzte. "Ah, guten Tag, Frau Battorie!", begrüßte er ihre enge Freundin und Vermieterin, zugleich auch seine Schwiegermutter in spe, obwohl sie einander nicht hören konnten. Sie reichte ihm aus ihrem Pompadour einen eng beschriebenen Zettel, zog den paillettenbesetzten Beutel energisch wieder zu, richtete das nachtschwarze Kostüm aus Zeiten der Queen Victoria. Nach einem knappen Überflug mühte sich Luel, seine Gesichtszüge unter strenger Kontrolle zu halten. Offenkundig hatte die Vereinigung der Hexenkünste Frau Battorie aufgefordert, ihre Untermieter auf die Straße zu setzen. Doch damit nicht genug! Ungeachtet der Empörung schnörkelten sich die Buchstaben elegant, enthüllten ihrem Leser, dass sich in der Nachbarschaft gar Unbeschreibliches ereignet hatte! Nun, beschreiben konnte man es wohl doch, der Gipfel dieser Ereignisse kulminierte darin, dass ein Musikproduzent eines der alten Bürgerhäuser in der Nachbarschaft erworben hatte. Und nun blockierte ein gewaltiger Umzugstransporter die Straße! Merkwürdige Figuren luden noch unheimlichere Kisten aus! Lang und flach wie Särge! Luel konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken. In diesem Vorort tummelten sich Magier, Hexen, Zauberer und andere Angehörige nicht ganz gewöhnlicher Branchen, aber ein Musikproduzent mit mutmaßlichen Särgen im Gepäck sorgte für Aufregung in der Nachbarschaft! Außerdem hatte er einige Petunienbeete zerstört! Der goldblonde Mann richtete sich auf, nickte artig, während er sich ohne Anstrengung eine lautlose Elegie anhörte. Ein neuer Nachbar also. Man konnte vorbeischauen und auf gute Nachbarschaft ein kleines Willkommen überbringen. Es sah ja nicht so aus, als würden sich die meinungsführenden Damen um diese Ehre reißen. Nell fegte hinein, umrundete die Theke und schleuderte ungebremst in Luels Arme, der ihren Schwung mit einer kreiselnden Bewegung abfing, in gemeinschaftliches Kichern ausbrach, das lautlos verklang. Frau Battorie lupfte die gezupften Augenbrauen missbilligend. Ohne Umschweife führte sich die Hexenschülerin, Luel wie einen luxuriösen Pelzumhang um den Schultern, das Blatt mit den Neuigkeiten vor die Augen. Las. Und grinste breit. MUSIKPRODUZENT, letterte es in ihrem Blick. Potentiell berühmt, möglicherweise auf Talentsuche, definitiv vermögend. Wenn Luel nicht bis zu diesem Augenblick eine Stippvisite eingeplant hatte, so überzeugte ihn Nells Klammergriff um seinen Ellenbogen. Man könnte das Thema beim Abendessen ansprechen. Vielmehr aufzeichnen. {o...o} Fuan schenkte Tee nach, süßte und rührte, schob den Becher dann Neo zu, der reglos am Tisch saß, auf die Tischplatte starrte. Sie hatten behutsam versucht, Neo an Saphirs Abwesenheit zu gewöhnen, seinen Stuhl beiseite gestellt, doch dies schien keinen positiven Effekt auf den apathischen Zustand zu haben, sodass bald der Stuhl mit einem flachen Kissen zurückkehrte, sie ermahnte, dass sie einmal die "glorreichen Sieben" gewesen waren. Nell streifte Neos Arm behutsam, lenkte seine Aufmerksamkeit auf die dampfende Tasse Tee, schnitt ihm das Käsebrot in kleine Stücke. "Wir könnten uns vorstellen", legte Luel mittels Scrabble, sah sich zustimmungsheischend in der Runde um. Alle Blicke fielen auf Neo, der blanken Ausdrucks in seinen Tee starrte. Die Hoffnung bestand, dass eine Änderung in seinem Alltag den Kokon, in den er sich eingesponnen hatte, aufbrechen würde. Außerdem konnte es nicht schaden, die Nachbarschaft im Auge zu behalten. {o...o} Neo saß auf seiner Bank. Vage war ihm bewusst, dass Luel und Nell eine Offerte an ihn gerichtet hatten, als er am Morgen in seine Cornflakes gestarrt hatte, doch er konnte sich nicht mehr entsinnen, welchen Inhalts das Angebot gewesen war. Sonderlich wichtig konnte es nicht gewesen sein. Generell konnte sein Alltag nicht mit bedeutenden Ereignissen aufwarten. Kein Vergleich. Zu vorher. Schmerz ballte sich in seinen Schläfen, und er massierte mit den Fingerknöcheln, bis die Sterne zu Supernoven wurden. Sein Körper blieb taub, wie eingefroren. Die Stille wurde tröstender Balsam. Da konnte man dem Balgen der Vögel ohne Stiche im Herz zusehen. Nichts war wirklich. Wie die Filme, die man manchmal im Kabelfernsehen sah, wenn der Empfang schlecht war, schwarzweiß und verschneit. So friedlich. Idyllisch. {o...o} Fuan warf einen Blick in den Garten, versicherte sich, dass es Neo den Umständen entsprechend gutging. Frische, winterkalte Luft, ein wenig Bewegung... Wärmende Arme schlangen sich um seine Körpermitte, pressten ihn eng an die vertraute Gestalt des dunklen Magiers. Luka schien von Winterschlaf recht wenig zu halten, respektive dem Ausruhen der Augen. Er schmiegte eine Wange an Fuans, tupfte warme Küsse an dessen Kieferlinie entlang, zog die Spur seiner Leidenschaft mit feuchter Zungenspitze nach. Die Stille machte ihn rollig. Eine schmeichelndere Beschreibung gab es nicht. Ohne Magie blieb recht wenig, was er zu tun vermochte, sodass er einen Zeitvertreib wählte, der ihm zusagte. Fuan streichelte über die Hände, die ihn so energisch hielten. Er sorgte sich um den Teenager in der Winterlandschaft ihres eingeschneiten Gartens. Wenn es ihnen nicht gelänge, Neo aus seiner Apathie zu reißen, würden sie ihn wohl verlieren. {o...o} Ohne Saphir schmerzte die ganze Welt. Jeder Schritt, jede Bewegung schien ohne Sinn. Alles blieb gefühllos, stärker noch als kalt, wie taub und abgestorben. Keine Energie mehr. Kein Leben mehr. Manchmal glaubte Neo, dass selbst das Atmen zu qualvoll war, um damit fortzufahren. Das Loch in seinem Leib zu spüren, das einst sein Herz gefüllt hatte. »Es entsprach also doch der Wahrheit«, sinnierte er in einer lautlosen Endlosschleife. »Ich bringe denen, die ich liebe, Unglück. Mutter. Vater. Die Tante. Luka. Und... Saphir.« So wenige Menschen hatte er in seinem Leben berührt, doch allen hatte er Übel zugefügt. Nicht, weil er es gewünscht hatte, nein!, vielmehr hatte er alles unternommen, um es abzuwenden. Sanft, freundlich, selbstlos, zurücksteckend, friedlich, wie es dem jungen Elementarmeister schien, hatten seine Anstrengungen, ein "guter Mensch" zu werden, einen geradezu gegenteiligen Effekt auf seine Umwelt. »Darum wäre es besser, wenn ich ginge. Wohin, spielte keine Rolle, solange niemand in Reichweite zu leiden hätte.« Was hielt ihn noch? Feigheit? Bequemlichkeit? Hoffnung? Hoffnung, dass ein Wunder geschehe, Rettung käme, ihm beweisen könnte, dass es nicht sein Verschulden war? Dass er nicht verloren war für Freundschaft und Liebe? Neo bemerkte die glasklaren Tränen nicht, die kristallin auf seinen Wangen froren. {o...o} Mit der Unaufhaltsamkeit einer Sturmfront preschte er heran. Keine zwei Tage waren vergangen, und er hasste seine neue Dependance bereits mit allem erforderlichen Elan und wachsender Begeisterung. »Diese dämliche Schrapnell mit ihrem blöden Grünzeug!« Was hatte er mit ihren Beeten zu schaffen?! Na schön, jetzt waren sie eben LKW-Reifen-gestreift, was machte das schon?! Und dann noch die liebe Familie...!!! Drei Ausrufezeichen waren noch eine euphemistische Untertreibung! Nun aber war Schluss! Jetzt würde er seinem Alten und der Welt beweisen, dass der Spaß auf seine Kosten ein Ende hatte! Es reichte! Absolut! {o...o} Fuan fasste nach Lukas Hand, die sich intim mit seinem Schritt beschäftigte, drückte das Handgelenk alarmiert. Er spürte den beleidigten Grunzer, obwohl er ihn nicht vernehmen konnte, dann legte sich Lukas Kinn auf seine bloße Schulter, um ebenfalls aus dem Fenster in den Garten zu spähen. Dort tat sich gar Verwunderliches. Eine merkwürdige Gestalt stapfte in schnallenbewehrten Moonboots heran. Ein schwarzlederner Mantel umwehte eine schmale Gestalt, die deutlich die 1,80m Mindestmarke für Mantelträger verfehlte, dafür aber eine gewagte Schlapphutvariante auf einen hüftlangen Wust kupferroter Korkenzieherlocken gepflanzt hatte. Ein bunt gestreifter, offenkundig handgestrickter Schal schleppte über die Schneewehen hinterher. Der Fremde baute sich in eher überschaubarer Gestalt vor Neo auf, die Hände mit dicken Skihandschuhen (nietenbesetzt) in die Hüften gestützt und entblödete sich nicht, lautlos, aber deutlich enragiert auf Neo einzubrüllen. »Wer ist das?!«, malte Luka in eine provisorisch auf die Fensterscheibe gehauchte Fläche. Fuan schüttelte den Kopf, streifte sich einen Morgenmantel über und griff nach seinem Pelzumhang. Wer auch immer der Fremde war, in ihrem Garten sprühte niemand ihren Schützling mit Sabber ein!! {o...o} Neo blinzelte, beäugte den Fremden ohne sonderliches Interesse. Vage fühlte er sich an eine Vogelscheuche erinnert, allerdings konnte es sich auch um Randausläufer der gegenwärtigen Mode handeln. Der Teenager, um einen solchen musste es sich angesichts der jugendlichen Züge handeln, gestikulierte wild und feuerte in einer Dauersalve Silben ab. Neo unterzog sich nicht der Mühe, sie zu dechiffrieren, dennoch flackerte ein Quäntchen Bewunderung in ihm auf. Wie konnte ein Mensch derartig viel Energie verschwenden, ihm etwas begreiflich machen zu wollen? Und was war das für eine Sache mit den Pudeln? {o...o} Langsam zerfaserte der ohnehin wenig ausgeprägte Geduldsfaden. Elektrische Ladungen zuckten in den kupferroten Locken, huschten zwischen den unzähligen Sommersprossen hin und her, die flackernd auf der bronzefarbenen Haut erglühten, während die Türkisaugen einen roten Stich annahmen. Da konnte man sich glatt einen Herzkasper holen, und dieser dämliche Magier-Azubi mit dem Luke Skywalker-Gedächtnishaarschnitt guckte bloß debil in die Landschaft?! Wo gab's denn so was?! Da mussten wohl andere Seiten aufgezogen werden. Und er hatte ein Leben lang in der entsprechenden Branche seine Zeit "abgesessen." BATSCH! Schon zeichnete eine fahle Wange ein akkurater Abdruck einer kleinen Handfläche, von den Polstern des Skihandschuhs ein wenig abgemildert. {o...o} "Nur zu deiner Information, du Trauerkloß mit angehängter Beileidskarte, ich versuche hier zu arbeiten, capice?! Mein Alter lässt mich endlich allein wohnen, ich kann ENDLICH aus der Hüfte kommen und das lasse ich mir hier nicht von so einer Schmollputte mit Handschuh an der Leine kaputtmachen!" Eine Visitenkarte flatterte durch die Luft, setzte zur Notlandung auf Neos Schoß an. "Und mach mich bloß nicht wütend, alles klar?! Wenn DU herumgammeln willst und einen auf Naturburschen und Softie machst, prima, aber zieh nicht den Rest der Welt in deine Scheiße rein!" Die Moonboots modellierten eine perfekte Kehrtwendung, dann marschierte der ungebetene Besucher hocherhobenen Hauptes von dannen. In der Ferne knallte die Gartentür ins Schloss, begleitet von einem Fluch, weil sie gern in Finger biss. Neo blinzelte. Verunsicherte Vögel drängten sich unter seine Bank. Langsam, einander an den Händen haltend, traten Luka und Fuan aus dem Haus. "Alles okay, Neo?" In Lukas Stimme schwang Wachsamkeit mit. Der starrte auf die Visitenkarte. Wind wischte durch kahle Äste, gedämpft von eingefrorenem Schnee. In Frau Battories Küche implodierte ein Soufflee mit Stoßseufzer. Neo erhob sich wacklig auf die Beine, die Visitenkarte in einer Hand, die von den geschmähten Handschuhen an der Sicherungsleine gewärmt wurde. [M. E. Fisto, Music and more], letterte der verstärkte Karton. "Das mit den Pudeln verstehe ich immer noch nicht", murmelte er mit heiserer Stimme, ließ sich dann vom herbeigeeilten Luel in die Arme nehmen und wiegen. "Das wird schon wieder", signalisierte der goldblonde Mann seinem dunklen Zwilling. Luka nickte, sichtlich erleichtert. Er hörte die Eichhörnchen aufgeschreckt in den Bäumen herumtoben und hauchte den Namen seines Geliebten, "Fuan." Der Bann war gebrochen. Die Geister hatten sich verzogen. Bis zum nächsten Halloween. {o...o} ENDE {o...o} (Fortsetzung in "You Can Call Me Al") Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Auch in diesem Jahr ein Halloween-Special, das zweite Jahr in Folge zur Manhwa-Serie von Koh Yasung. Nach dem Erfolg des Weihnachtskalenders und der noch immer fehlenden Fortsetzung der Original-Serie musste der Faden endlich mal wieder angeknüpft werden. Also stürzen sich Luka, Luel, Neo und Fuan in ein abgründiges Abenteuer, das seinen Höhepunkt am Tag der Geister hat... doch keine Sorge, eine Fortsetzung folgt schon vor dem nächsten Halloween ^w^