Titel: You Can Call Me Al Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction FSK: ab 16 Kategorie: Spannung Ereignis: Halloween 2004 Erstellt: 31.10.2004 Disclaimer: alle Rechte obliegen den Inhabern, Mangaka und Verlagen (siehe Information) ***Für das Nordlicht zum Geburtstag! *** Hinweis: Die Entwicklung in dieser Geschichte ist losgelöst von den bisher publizierten zwei Bänden und schließt an "Die große Stille" an. ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ You Can Call Me Al Teil 1 - Es werde...laut! Fuan warf einen kontrollierenden Blick auf die Tür des Badezimmers. Noch war sie geschlossen und sorgte dafür, dass er ohne die eifersüchtige Aufsicht seines Liebhabers Luka einen wichtigen Schritt in ihre gemeinsame Zukunft wagen konnte. Zwar lebten sie seit mehr als einem Jahr zusammen in Lukas geräumigem Zimmer bei Frau Battorie, doch hatten die überstandenen Ereignisse des letzten Halloween für eine gewisse Unruhe bei dem Exoten gesorgt. Es verhielt sich keineswegs so, dass er Lukas leidenschaftliche, besitzergreifende Liebe und dessen Lebenshunger nicht teilte oder genoss, nein, es war die Unzufriedenheit mit seiner eigenen Person, die ihn umtrieb. Beispielsweise sein Drang zur Unabhängigkeit. Luka mochte mit dem überraschenden Ende des Bannes der großen Stille wieder Hoffnung schöpfen, mit der Erholung der Natur auch seine magischen Fähigkeiten zurückzuerlangen, doch Fuan gab sich keinerlei Illusionen bezüglich des eigenen Potentials hin. Es war wenig, das er als eigenständiger Magier bewirken konnte, nicht mal mehr ein fahler Schatten seiner früheren Erfolge, aber das bedrückte ihn nicht sonderlich. Allerdings ihre wirtschaftliche Situation... So sehr er Luka liebte, konnte er doch dessen egozentrisch-lässige Haltung nicht teilen. Natürlich warf der bekannte Laden von Lukas Zwilling Luel mit allerlei Zaubern und alchemistischen Erzeugnissen sowie dem Charme seines Inhabers Profit ab, jedoch ein erwachsener Mensch sollte das eigene Auskommen selbst verdienen! Befand Fuan, Anwalt für Bilanzrecht. Unglücklicherweise durch seine Liebesbeziehung mit Luka Guillaume Reinhard und dadurch Bestandteil der erbitterten Fehde mit den Maxillions daran gehindert, seinem Beruf nachzugehen. Zumindest hatte es den Anschein. Allein, Fuan mochte nicht glauben, dass wirklich jede Kanzlei auf einen versierten Mitarbeiter verzichten würde. Irgendetwas würde sich schon finden. Anschließend konnte er die nächste Hürde in Angriff nehmen, nämlich dem schrecklichen Zorn und der gekränkten Eitelkeit Lukas entgegentreten. ~*~ Luel Guillaume Reinhard, die goldblonden, langen Haare in einer adretten Schleife im Nacken zusammengefasst, die Brillengläser vor den tiefseegrünen Augen beschlagen, befestigte die saisonale Dekoration mit schlichtem Eifer. Noch war er ohne Aufsicht seiner geliebten Nell, der minderjährigen Hexenschülerin und Tochter ihrer Vermieterin, und es galt, die Arbeiten zu beenden, bevor die chronisch ungeschickte Schülerin ihre Hilfe anbieten konnte. Künstliche Schneesterne rieselten über die großen Schaufensterscheiben, Wattebällchen ringelten sich knuddelig-flauschig um Regale und Körbe. Potpourris mit festlichen Gewürzaromen verströmten einen heimeligen Air, gemischt mit dem Winterapfeltee, der kräftig in seiner Thermoskanne nachzog. Luel liebte eigentlich jede Jahreszeit und jeden Feiertag, der ihm Anlass gab, seine Umwelt ein wenig zu verschönern, ein Lächeln auf die finsterste Miene zu zaubern. Darin glich er seiner Mutter Luela, einer Elfendame, auch wenn er gänzlich eine menschliche Gestalt sein Eigen nannte. Ein Schwall frostiger Kälte hüllte ihn für Sekunden ein, als ein Kunde den Laden "Under a glassmoon" betrat, die Füße auf der schweren Schmutzfangmatte aus Sisal aufstampfte und sich von unterschiedlichen Lagen Bekleidung befreite. Doch Luel erkannte die Identität des Neuankömmlings mit dem Türglockenschlag. Es gab nur eine Person, die in der letzten Woche für so viel Gesprächsstoff gesorgt hatte. Und natürlich hüftlange, Funken sprühend kupferrote Korkenzieherlocken kaprizierte. Am heutigen Tag, dem Premierenbesuch in Luels Laden, hatte der noch Namenlose seine knapp 1,70m große, eher sehnig-schmal wirkende Gestalt in gepolsterte Moonboots, einen elfenbeinfarbenen Ski-Overall und eine Mütze mit langen Zacken verpackt, von einem gewaltigen Schal in Apfelgrün bis zur Unkenntlichkeit maskiert. Nun, sah man vom dem mächtigen, kupferroten Zopf ab, der ein Eigenleben auf dem gepolsterten Rücken zu führen schien. "Guten Tag und herzlich Willkommen in 'Under a glassmoon'", grüßte Luel freundlich, nahm einen geflochtenen Korb in die Hand, in dem er selbstgemachte Leckereien anbot. Der Fremde zerrte den doppellagig gewundenen Schal unter das spitze Kinn, raufte die Zackenmütze vom Kopf und entbot bronzefarbene, mit Sommersprossen bezuckerte Haut unter einem kupferlockigen Wust an. Türkisfarbene Augen funkelten ärgerlich unter schmalen Brauen und langen Wimpern. "Jaja, Tag, freut mich, nein, danke. Ich suche den dämlichen Bengel, der meine Arbeit behindert hat. Etwa so groß", eine Geste deutete eine Höhe bei 1,40m an, "zottelige Alt-Hippie-Frisur, Kuhaugen und Mondgesicht." Luel schnappte unmerklich nach Luft. Natürlich wusste er, dass der Fremde nach Neo suchte, aber diese Beschreibung verletzte wirklich jeden Anstand! "Neo ist nicht zu Hause", bemühte er seinen legendären Sanftmut, musterte den Fremden konzentriert, "vielleicht möchtest du eine Nachricht hinterlassen?" Eine schmale, kupferrote Augenbraue wanderte höher zwischen Sommersprossenreservaten. "Ich ziehe es vor, das persönlich zu erledigen. Tata." Mit diesem altertümlichen Gruß schraubte der Fremde den Zackenhelm auf die Kupferpracht, maskierte sich wieder mittels apfelgrüner Kilometerbandage und stolzierte in die winterliche Kälte hinaus. Luel schüttelte den Kopf. »Teenager«, dachte er nachsichtig. ~*~ Neo schlenderte langsam nach Hause, fasziniert vom Tanz der Schneeflocken unter den Laternen. Er lauschte der Melodie des Schnees unter seinen Schuhsohlen, diesem leisen Ächzen, wenn die verschiedenen, luftigen Lagen perfekter Eisblumen zusammengepresst wurden. Eilig hatte er es in diesen Tagen recht selten. Saphir war tot. Seine Elementargeister verschollen. Die Magie befand sich in einem Winterschlaf. Noch immer war sein Körper wie taub, erstarrt, über bloße Kälte hinaus. Nicht mal fühlbar mit Thermometern. Erstaunlich, dass er sich bewegen konnte, lebte, ohne jegliches Gefühl für das Leben. Aber es würde zurückkommen. Allein schon, weil es Saphir nicht gefallen würde, wenn sein Freund sich so gehenließ, das Leben verschmähte! Dieser Gedanke spornte Neo an, langsam seine Trauer zu bewältigen. Irgendwann würde die Leere in seinem Inneren vielleicht wieder einem Herzschlag Platz einräumen. Man müsste eben Geduld aufwenden. Was seine magischen Fähigkeiten betraf, so konnte er sich im Augenblick als seiner Schüler-Pflicht ledig betrachten, was Neo durchaus gelegen kam. Weniger peinigende Erinnerungen an Saphir und die verstärkende Präsenz des Drachen, die ihm bessere Kontrolle ermöglicht hatten. »Ein ganz normaler Teenager auf dem Weg zur Volljährigkeit. Doch dieser Gedankengang fühlt sich befremdlich an«, konstatierte Neo, wendete jedes Wort mehrfach in seinem Kopf. Die Endlichkeit der Lebenszeit aller Dinge und Wesen schien ihm in der eigenen Person aufgelöst, als bewege er sich in einem abgetrennten Kokon, der die gewohnten Gesetzmäßigkeiten des Daseins aufhob. Unerwartet wurde es abrupt dunkel, dann traf Neo eine eisige, hart geformte Kugel Altschnees mitten im Gesicht. Manche Gesetzmäßigkeiten ließ der Kokon offenkundig zu. ~*~ "Treffer", schnaubte der neue Nachbar verächtlich ob der schwachen Reflexe seiner Zielscheibe, wirbelte mit ausschweifend-eleganter Geste ein breites Wolltuch um die Schultern und stapfte energisch heran, studierte mit blitzförmig zusammengezogenen, kupferroten Augenbrauen in dem gesprenkelt-bronzefarbenen Gesicht seinen Gegenüber, tappte mit einer Fußspitze ungeduldig auf den festgetretenen Schnee. Neo beeilte sich nicht sonderlich, sein Gesicht von der detonierten Unfreundlichkeit zusammengedrückter Schneeflocken zu befreien. "Du hast wohl die Absicht, mich hier zu vertreiben, oder wie?!", fegte ihm unverhüllter Zorn entgegen, in eine schneidende Brise gekleidet. "Erst torpedierst du meine Fortschritte mit dem Durchzug in deiner hohlen Nuss", eine behandschuhte Fingerspitze tippte Neos Stirn an, "und nun steigt mir diese dämliche Tussi aus der Nachbarschaft nach! Sie hat mich sogar mit Liebespulver bestreut!" Der Elementarmeister blinzelte träge und entschieden ratlos. Es war ihm nicht bewusst gewesen, dass sein Gram und das Auszehren seiner Kräfte die Ursache für die große Stille gewesen waren, doch er nahm diese Verantwortung auf sich. Den zweiten Vorwurf allerdings konnte er nicht einordnen. "Wie bitte?", erkundigte er sich höflich, lächelte geduldig in das fauchende Gesicht. "Wie bitte?! Was soll das heißen, wie bitte?!" Nun flogen beide Handschuhe samt Inhalt geballt in die Hüften. "Willst du dich jetzt auch noch taub stellen?! Das hättest du wohl gerne, aber ohne mich, oh nein, mein Herr!" Entschlossen und in hohem Tempo fand sich Neo keinen Wimpernschlag später mit auf dem Rücken gedrehten Arm im Sturmschritt durch die trügerische Idylle der verschneiten Nachbarschaft befördert. "HuuuuHuuuuuuu!", flötete in hohen Oktaven eine Mädchenstimme. Die Besitzerin tänzelte über die Eingangsstufen in den Vorgarten hinaus, die herandampfenden Besucher Willkommen heißend. "Die da!! Diese Person da verfolgt mich mit ihrem idiotischen Liebeswahn, widerlichen Pulvern und ihrer nervtötenden Stimme!! Tu gefälligst was, immerhin warst du ihr Freund!" Schon beförderte ein Stoß Neo gegen die Gartentür. Irritiert wechselte er Blicke zwischen seiner Nachbarin Leily und dem neuen, sturmfinsteren Nachbarn hin und her. »Erstaunlich«, bemerkte Neo, »seine Locken sprühen wirklich Funken.« "Oooohh", seufzte es, von wenigen Latten getrennt, hinter ihm hingerissen. "Ähm, da liegt ein Missverständnis vor", bemühte sich der Elementarmeister um Aufklärung. "Wir sind nicht liiert", lächelte er arglos. "Und?! Ist das vielleicht mein Problem?! Bin ich etwa für jede Unzulänglichkeit in diesem Viertel verantwortlich?! Ich habe genug! Mir reicht's!! Bis hierhin steht's mir! Und ich meine damit nicht nur Galle!", drohte Ungemach aus vergorenen Speiseresten. Zumindest konnte man dies den behänden Gesten entnehmen. Neo staunte fasziniert. So viel Energie! Jeder Wortschwall plusterte sich auf, wie eine wohlige Wolke von Hitze eruptierte die zierliche, kupferrotlockige Gestalt vor ihm. "Wie heißt du?", brachte er atemlos hervor, ignorierte die ungehaltene Verärgerung seines Gegenüber interessiert. "Was soll das schon wieder?! Willst du mich verklagen, oder was?! Ist ja wieder typisch. Aber versprich dir da bloß nichts von, du Jedi-Ritter-Verschnitt! Ich habe an jedem Finger drei fiese Anwälte aus Inkarnationen, die man selbst Souterrain fürchtet!! Und du", schon fegte er herum, befreite den breiten Schal aus den zupfenden Fingern von Leily, die ihm hinter dicken Brillengläsern zuzwinkerte, "lässt deine ungelenken Greifer von meiner Bekleidung, verstanden?!" Um diese Forderung zu unterstreichen, wurde aus einer Tasche des camelfarbenen Dufflecoats eine Sprühflasche Insektenvernichtungsmittel gezückt und demonstrativ in Gang gesetzt. Der stechende Geruch trieb in Leilys Richtung, die mit einem heftigen Niesanfall nicht nur Turbulenzen auslöste, sondern Gegenwind verursachte. Neo blinzelte, während der neue Nachbar wild in der Luft herumwedelte und dabei seinen Monolog ohne Atempause fortsetzte. "Wo bin ich hier gelandet?! In einer Zuchtkolonie für mentale Einzeller, die als Organspender fungieren?! Oder hat sprechendes Gemüse sich die Menschheit untertan gemacht und steuert alles auf zwei Beinen fern?! Ist das nun Gerechtigkeit?! Da strengt man sich an, da arbeitet man sich hoch, ganze Kilometer, und nun so was!! Im Dorf der Debilen einquartiert, die sich nicht mal entblöden, Abstand zu halten?! Es ist ja nicht so, dass es eine Geld-zurück-Garantie gibt! Nein, nicht doch, hier ist ja angeblich Potential verborgen?! Ich frage mich nur, wo, verdammt, denn alles, was ich hier treffe, hält drei Gehirnzellen in einem Schädel schon für phänomenal! Es ist wirklich nicht auszuhalten! Ha! Aber so schnell gebe ich nicht auf, oh nein! Nein, keine Chance! Ich lasse mich doch nicht von schleimenden Rechtsverdrehern, widerlich windigen Wirtschaftsberatern und diesem Geschmeiß vertreiben! Ha!" So unvermutet, wie der Tiefausläufer in Form des neuen Nachbarn herangefegt war, so schnell entfernte er sich mit dynamischem Schritt, die Fäuste geballt, von seinem breiten Schal wie einem Cape umweht. "Ist er nicht himmlisch?!", stoßseufzte Leily neben Neo hingerissen. Der nickte benommen, obwohl er eine vage Vermutung hatte, dass "himmlisch" nicht ganz zutreffend war. Das Missverständnis, das ihn hierher geführt hatte, vergaß er gänzlich. ~*~ "Ich will das nicht." Luka kauerte mit gekreuzten Armen auf der Fensterbank, starrte trotzig in die Winternacht hinaus. Er strafte das leise Seufzen seines Liebhabers mit Missachtung, reckte das Kinn höher. Fuan verzichtete auf weitere Versuche, Luka seine Position zu erklären. Eine kleine Stelle in einer Rechtsberatung für Privatpersonen wäre seine Rückkehr zu einem eigenen Einkommen. Zudem konnte ein wenig Abstand ihre Sehnsucht nach einander nur steigern. Der dunkle Magier gab sich auf jedem verfügbaren Ohr taub. Fuan sollte nicht einen Augenblick von ihm getrennt sein. Wozu auch? Das Leben war kurz, zu kurz, um es mit irgendwelchen Leuten zu verschwenden. "Luka", behutsam lehnte sich der Exot an den Rücken seines Liebhabers, wagte aber nicht, die Arme um die Lederkostümierung mit den unzähligen Stacheln, Ringen und Schnallen zu legen. Er kannte diesen "Panzer" zur Genüge. "Ich will das nicht", wiederholte Luka düster, schob trotzig die Unterlippe vor. Langsam zog sich Fuan zurück, wandte sich ab, entfernte sich lautlos, löschte einen Teil der Lichter, bevor er sich entkleidete und in das gemeinsame Bett kroch. Lukas demonstrative Ablehnung schmerzte ihn, löste ein Wärmebedürfnis aus, das die Kissen und Decken befriedigen sollten. Die Knie unter das Kinn gezogen kauerte er unter den dicken Lagen, starrte blicklos in die Finsternis. Er wusste nur zu gut, dass Luka nicht gern nachgab. Wie sollte diese Meinungsverschiedenheit aber gelöst werden?! Welchen Kompromiss konnte er seinem ungestümen Liebhaber anbieten? Müdigkeit hüllte ihn wie eine bleierne Wolke ein, durchsetzt mit alltagsgrauen Staubkörnchen, die seine matten Gedankengänge verklebten, bis er sich widerstandslos in die verschlingende Schwärze traumlosen Schlafs ergab. Luka verließ seinen Schmollposten auf der Fensterbank nicht, lauschte mit den langsam erwachenden Kräften seiner Magie eifersüchtig auf die tiefen Atemzüge seines Liebhabers. Wie konnte der bloß einschlafen?! Obwohl sie sich gestritten und noch nicht versöhnt hatten?! Ungefilterte Wut kochte in ihm hoch. So war das also?! Fuan hatte recht und er sollte gefälligst klein beigeben?! Deshalb konnte der auch so friedlich vor sich hin schlafen?! Luka sprang elastisch von der Fensterbank, durchquerte ihr Zimmer wie ein Sturmtief auf Kollisionskurs, riss die Daunendecke zurück, kniete sich über Fuan, packte dessen Oberarme bewusst hart, die lackierten Fingernägel tief in das Fleisch bohrend. Der Exot schreckte, von fremden Körperkräften in die Höhe katapultiert, hoch, die abgründig schwarzen Augen weit aufgerissen, einen erstickten Schrei auf den Lippen. "Denkst du, dass es mir egal ist, was du tust?!", brüllte Luka unbeeindruckt in das fahle Gesicht, "dass du einfach so entscheiden kannst?! Vergiss es!!" Zur Emphasis rammte er Fuan heftig auf die Matratze, wiederholte diesen Vorgang noch einige Male. Die Überraschung ließ Fuan seine Lippen blutig beißen, während er der Situation Herr zu werden versuchte. Luka war von seinem gewohnt indigofarbenen Halo starker Magie mit lodernden Zungen umgeben, die goldenen Augen schwefelten giftig-flackernd. "Du wirst bei mir bleiben, verstanden?!", fauchte ein hitziger Vulkan aus den sonst so lasziv-verächtlich-zärtlichen Lippen, sprühte bittere Wut in Tröpfchen auf Fuans Gesicht. Er presste die Zähne fest auf einander, kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, gegen die Panik, die eisig kalt ihre gierigen Klauen in seinen Körper trieb. Niemals zuvor hatte er Angst vor Luka gehabt, sich ihm hilflos ausgeliefert gefühlt. Doch so sehr er sich zu beruhigen versuchte, sich konzentrierte: die bordeauxfarbenen Wogen seiner eigenen Magie traten nicht mehr an das Zwielicht ihres Schlafzimmers. »Verloren.« Mit dem Mut der Verzweiflung, von Furcht genährt, löste er einen Arm aus Lukas brutalem Griff und schlug mit aller Kraft in dessen Gesicht. Er traf Luka unglücklich unter der Nase, sodass ohne Zeitverzug ein hellroter Blutstrom über die aufmüpfig geschwungene Oberlippe kaskadierte, auf Fuans nackten Oberkörper tropfte. Mit einem Fluch presste der dunkle Magier die Handfläche auf die Quelle der Schmerzen, kletterte von Fuan herunter und aus ihrem Bett, wechselte fauchend in das angegliederte, kleine Badezimmer. Fuan blieb ausgestreckt. Die Augen fest geschlossen lauschte er seinen dahin galoppierenden Herzschlägen, spürte, wie Lukas Blut auf seiner porzellanhellen Haut eine klebrige Kruste bildete, gerann und dunkelte. Nun fror ihn bis ins Mark. ~*~ Luka wich seinem Spiegelzwilling aus, unterdrückte den Impuls, die reflektierende Fläche in tausend Stücke zu schlagen. Wasser verdünnte das Blut, das aus seiner Nase strömte, sich langsam zu einem Rinnsal reduzierte, während er seine Handgelenke abkühlte, immer wieder an die Schläfen presste. »Was hast du getan?!«, echote es entsetzt in seinem Hinterkopf. »Wie konnte es nur so weit kommen?!« Es verhielt sich keineswegs so, dass er körperlicher Gewalt stets abgeneigt gewesen war, doch diese ganze Aktion war so abscheulich, so unbegreiflich, dass sich sein Magen Übelkeit erregend drehte. Er hatte vollkommen die Beherrschung verloren. Und Fuan hatte sich nicht wehren können. »Weil er keine Magie mehr besitzt!«, fauchte es in seinem Hinterkopf. »Für dich geopfert.« Zögerlich richtete sich der dunkle Magier auf, hielt an der Schwelle zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer inne. Selbst im Zwielicht konnte er erkennen, wie rasche Beben Fuans grazilen, anmutigen Leib erschütterten, die dunkelrote Lache auf der makellos-hellen Fläche seines Torsos. Achtlos streifte sich der dunkle Magier seine Kleider ab, die "Rüstung", die ihn vor emotionalen Verletzungen schützte samt ihren Nieten, Nägeln, Strasssplittern und Metallgehängen. Bar und bloß trat er neben Fuans Seite ihres großen Bettes, beugte sich über ihn, fädelte die Arme unter Hinterkopf und Kniekehlen, zog den Geliebten behutsam an sich, richtete sich auf. Im Reflex kauerte der Exot sich zusammen, legte wie ein Vögelchen außerhalb seines schützenden Nests die gefalteten Arme eng an den schutzlosen Leib, rollte sich ein. "Halt dich fest", gebot Luka leise, rau, bestand aber nicht darauf, sondern beförderte seine wertvolle Last über den Flur in das große Badezimmer. Zu dieser späten, beziehungsweise frühen Stunde musste er keinerlei Rücksicht auf das Schamgefühl Dritter oder auf Konventionen nehmen, was ihm üblicherweise ohnehin abging. Mit Fuan auf dem Schoß hockte er auf der Kante der alten, geschwungenen Badewanne, die einen prächtigen Schwan imitierte, befüllte sie geduldig mit Wasser aus den drachenmaulartigen Zuflussrohren. Bald schon verbreitete sich der Duft aromatisierte Essenzen, entspannte ihre Glieder, wärmte und hellte selbst Lukas düsteres Gemüt auf. Vorsichtig wechselte er mit Fuan die Seite, nun Gast im gewaltigen Schwan, den Geliebten in seinen Armen. Sehr behutsam, als könne Fuan jeden Augenblick bei der geringsten Unaufmerksamkeit in winzige Splitter zerspringen, tupfte er das geronnene Blut ab, beträufelte ihn liebevoll mit einem großporigen Schwamm, streichelte durch die seidig glatten, lackschwarzen Haare, hauchte Küsse auf die kalte Stirn. Ein ungewohnter Kloß blockierte Lukas Kehle. Er bereute seine Untat mit derselben Vehemenz, mit der er zuvor seinen Liebsten attackiert hatte. Merkwürdigerweise trieb wie ein zerfetzter Schemen ein fremder Spruch durch seinen Kopf, als habe man eine alte Schallplatte abgespielt, in fernen Erinnerungen. "... bitte sei mir wieder gut", sprach er schließlich in der ihm nur vage vertrauten Sprache die Silben unbeholfen aus. Luka verstand den Zauber dieser Worte nicht, noch ihre Herkunft in seinen Gedanken, doch sie bewirkten, was er erfleht hatte: Fuan öffnete die Augen, blickte ihn an. Ernst und schmerzerfüllt. "Tu das niemals wieder, Luka. Niemals", wisperte er heiser, von einer eisigen Gewissheit begleitet. Der nickte, unfähig, den würgenden Knebel in seiner Kehle zu lösen. Zu seiner Bestürzung liefen ihm Tränen der Scham und Angst über die Wangen. »Deshalb liebe ich nicht«, dröhnten die Worte seines Vaters durch seinen Kopf, doch Luka wusste, dass es eine Lüge gewesen war. Eine Halbwahrheit. Sein Vater hatte so sehr geliebt, dass ihn weder Konventionen, Vernunft oder die Schranken der Welten und Dimensionen aufgehalten hatten. Er hatte ohne Bedenken alles riskiert, ohne jede Rücksicht. Angst ballte sich wie ein Schlag hart in Lukas Magengrube und er umklammerte Fuan winselnd, suchte Schutz vor dem, was in den Abgründen seiner Seele lauerte. ~*~ Neo lag auf dem Rücken und lauschte in die Nacht hinein. Nun, da er realisiert hatte, dass Saphir nicht mehr neben ihm schlief, nie mehr zu ihm zurückkehren würde, bot die nächtliche Stille keine Zuflucht. Vielmehr wirkte sie erstickend und bedrohlich. Wie das große Nichts, das alle Emotionen und Kräfte aufgesaugt hatte. Und Saphir verschlungen, sodass dem jungen Elementarmeister auch nicht entging, dass sein eigener Meister selbst mit ungekannten Problemen zu kämpfen hatte. »Was geht nur mit uns vor? Wird es aufhören, wenn der Frühling endlich einsetzt?« Doch bis zum Frühling waren es noch einige Monate. Eine lange Zeitspanne. Schatten tanzten über die Zimmerdecke, von den winterkahlen Bäumen inszeniert. Sie schienen mit scharrtigen Klauen nach allem zu haschen, das sich nicht rasch genug in Sicherheit brachte, bei einem wärmespendenden Feuer ausharrte. Neo schloss die Augen, bot sich den Schatten gleichmütig an. Er glaubte nicht, dass sie es wagen würden. Einmal schon hatte ihn der Tod verschmäht. Ihn zum Werkzeug gemacht, andere zu verschlingen. ~*~ Luel warf einen besorgten Blick in die Runde, justierte erneut seine Brille. Neben ihm kaute selbst Nell langsamer, argwöhnischer als gewohnt. Luka versank in der Betrachtung seines Milchkaffees, der in Zucker ertrank. Fuan hielt die zerbrechlich-zarte Porzellantasse mit seinem Tee mit beiden Händen, als fehle ihm die Kraft, ihr minimales Gewicht auszubalancieren. Und Neo hockte in katatonischer Versunkenheit auf seinem Stuhl, ein stumpfes Bild der Abwehr gegen alles und jeden. »Wahrlich eine sehr bekömmliche Atmosphäre für die wichtigste Mahlzeit des Tages!« Kopfschüttelnd erhob sich der blonde Mann, streichelte sanft über das frisch ondulierte Haupt seiner jungen Freundin, schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. "Soll ich dich zum Schulbus begleiten, Nell?", bot er sich an. "Jaha!!", schmetterte Nell erleichtert lautstark in die Runde, nur zu dankbar, diesem erdrückenden "Stillleben" zu entfliehen. Ohne die gewohnt beißenden Kommentare von Luka hüllten sie sich eifrig in wolligwarme Kleidung, dann offerierte Luel wie der formvollendete Gentleman, den seine Mutter sich erhofft hatte, sein Geleit. Nell hängte sich feixend ein, erinnerte sich an ihre Erziehung und reduzierte das breite Grinsen auf ein damenhaftes Lächeln. Zurück blieben drei stumme Gestalten. Fuan ermahnte sich zuerst zur Disziplin, erhob sich, um die unangetasteten Speisen wegzuräumen, Geschirr einzusammeln und dem gewaltigen Bauch der Spülmaschine anzuvertrauen. Mit einer sanften Berührung auf einer hochgezogenen Schulter lenkte er Neos Aufmerksamkeit auf sich, lächelte in das von dunklen Augenringen und Erschöpfung gezeichnete Gesicht. "Leg dich noch ein wenig hin, Neo", gab er den Marschbefehl aus, wohlwissend, dass der junge Elementarmeister in der Nacht keine Ruhe fand. "Muss er nicht irgendwelche Arbeiten erledigen?", schaltete sich Luka mürrisch ein, wich jedem Blickkontakt aus. "Nein", beschied Fuan kurz. Was Neo durch die Ereignisse versäumt haben mochte, würde zu einem Zeitpunkt nachgeholt werden, wenn es dem Jugendlichen besser ging. Neo verließ wie ein Schlafwandler die Küche, wechselte in sein Zimmer, sank auf seiner Seite des verwaisten Bettes in die Daunen und rührte sich nicht mehr. Unterdessen entbrannte der nächste Konflikt im Hausflur. "Wohin willst du?!", alarmiert blockierte Luka den Ausgang, funkelte Schwefel aus goldenen Augen. Fuan kleidete sich sorgfältig an, schlüpfte in seinen figurnahen, mit Kunstpelz besetzten Mantel, streifte sich die Kapuze über den Kopf. "Einkaufen. Frau Battorie ist schließlich nicht da, und jemand muss diese Aufgabe übernehmen." "Ich komme mit!", bellte Luka kategorisch, nicht von seinem Posten weichend. "Es wäre mir lieber, du würdest hierbleiben", entgegnete Fuan scharf, die Augenbrauen zusammengezogen. Luka ballte die Fäuste. "Aha?! Hast du genug von mir, oder was?!" Der Exot versteifte sich bei dieser Anschuldigung sichtlich, verschloss sein Gesicht. "Lass mich bitte durch", forderte er in eisiger Höflichkeit. Für einen Augenblick schien es, als würde Luka die mühsam auferlegte Selbstbeherrschung verlieren, sich auf Fuan stürzen, der bebend wartete, doch dann fegte der dunkle Magier an ihm vorbei, stürmte die Treppe hinauf, warf laut die Zimmertür ins Schloss. Aufatmend und schweren Herzens verließ Fuan das Haus. ~*~ Der kupferlockige Jugendliche kontrollierte die Anzeigen auf mehreren Bildschirmen, während seine Finger in virtuoser Geschicklichkeit über Regler und Tasten huschten. "Nicht ganz übel", befand er ironisch, wischte einen Strang Korkenzieherlocken aus dem herzförmigen Gesicht. "Könnte natürlich besser sein, wenn...!!" Finstere Wolken verdüsterten türkisfarbene Augen unter Gewitter drohenden, kupferfarbenen Augenbrauen. Kurzentschlossen und sehr agil wirbelte er um die eigene Achse, sprang mit elastischem Schwung die gedrehte Treppe hinunter und sammelte an der Garderobe die der Witterung geschuldeten Hüllen ein, in die er sich widerwillig pellte. "Ständig diese Störungen durch diese vorsintflutlichen Hinterwäldler!", fauchte er gepresst in mühsam gezähmter Verärgerung, "aber nun wird aufgeräumt!" Wild entschlossen preschte er in die potentiell feindliche, definitiv ignorante Welt hinaus, um das Feuer der Leidenschaft und Erkenntnis zu verbreiten. Oder um Prügel auszuteilen. ~*~ Die einlullende Stille unbehaglich-verdrängter Konflikte wurde von dem schrill-melodischen Dreiklang der Türglocke zerrissen. Die weniger schmeichelnde Komponente ihres Wehgeschreis resultierte aus der ungewohnten Vehemenz, mit der sie in Schwingungen versetzt wurde. Man konnte vermuten, dass der Verursacher dieses Missklangs außerordentlich energisch um Einlass ersuchte. Neo drehte den Kopf auf die andere Seite, hoffte, in daunenweicher, dichter und vor allem dämpfender Ruhe unterzugehen, allein, der Störenfried aus der erstarrten Welt zeigte keinerlei Einsicht. Und, wie es zu vermuten stand, Luka keine Bereitschaft, sich für einen Gang zur Haustür zu opfern. Mit einem resignierenden Seufzer schälte sich Neo aus der warmen Umarmung seiner Lagerstatt, verließ sein einsames Zimmer, um über den Hausflur den Quell des unnachsichtigen Aufruhrs in Augenschein zu nehmen. Sonderlich erzürnt war der junge Elementarmeister nicht, da der komatöse Schlaf keine Linderung für seine Entbehrungen brachte. Im überdachten Zugang stand eine zierliche Gestalt in einem goldenen Cape mit einer gewaltigen Strickmütze, die einen Berg Korkenzieherlocken an der Explosion hinderte. "Na endlich! Ich dachte schon, ich müsste ein Telegramm aufgeben oder Rauchzeichen absetzen!", fauchte es verärgert in Neos Gesicht. Dann flogen die Fledermausärmel demonstrativ in die Hüfte. "Was ist nun?! Soll ich hier draußen überwintern?! Ich nehme doch an, dass dieser geschmacklose Diddl-Schlafanzug nicht der Kälte trotzt?!", setzte der Besucher ungeduldig hinzu, versetzte Neo mit wohlgepolsterten Fingerspitzen einen Stoß vor den schmächtigen Brustkorb und verschaffte sich Zutritt, schlug dem Überraschten die Tür aus den Händen ins Schloss, um sich wild zu schütteln, dann den Übertopf eines gestrickten Lockenbändigers zu lupfen und die nahezu hüftlangen Korkenzieherstränge herumzuwirbeln. Neo staunte in gewohnter Irritation und merklich fasziniert, wie sich der unbotmäßige Besucher missbilligend um die eigene Achse drehte, dabei die Qualität und Auswahl der Einrichtung in Augenschein nahm. Offenkundig fiel das Urteil nicht gnädig aus. "Hallo", fasste der junge Elementarmeister seine Gedanken zusammen. "Oh, hallo", schnaubte sein Gegenüber in spöttischer Kopie, funkte gleißende Energieblitze der selbstgerechten Empörung aus kristallklaren Türkisen, die in einem aparten Meer bronzegetränkter Sommersprossen herrschten. Ein eleganter, perfekt ausgezirkelter Schwung beförderte das Cape von den schmalen Schultern, enthüllte einen Hausanzug aus Seide, der einem Zwitter aus Liberace und HipHopper die Tränen des Verlangens in die Augen getrieben hätte. "Also", energisch wurden die Ärmel auf Ellenbogenniveau hoch geschoben, "wollen wir uns hier wie in der Bahnhofshalle unterhalten, oder gibt es in diesem Ungetüm viktorianischer Geschmacksfreiheit auch ein Empfangszimmer?!" Neo lächelte losgelöst von allen, jedem Wort innewohnenden Beleidigungen. Für einen verwegenen Moment verspürte er den starken Impuls, die Hand auszustrecken und die funkensprühende Gestalt zu berühren. Sie verströmte so viel Energie, Tatendrang, Selbstsicherheit! Die Lethargie gewann jedoch die Überhand, ließ ihn eine müde Drehung fabrizieren, dann wies er den Weg zur Wohnküche. Hinter ihm ballte sich Ungeduld, weil das Fortschreiten keinerlei Dynamik aufwies, eher einem matten Dahinschleichen glich, bis sie ihren Zielort erreicht hatten. Kaum, dass der forsche Gast sich mit sichtlichem Argwohn einen Stuhl an den Tisch herangezogen hatte, kam er bereits zur Sache. "Kannst du es unter Umständen und freundlicherweise in Erwägung ziehen, ENDLICH die schlechte Vorstellung eines vom Leben und dem Tod enttäuschten Nachwuchs-Helden mit pathetischer Aura des herzeleidenden Grams beenden?! Andere Leute müssen sich ihren Lebensunterhalt verdienen!!" ~*~ Luka knirschte rhythmisch mit den Zähnen, während Industrial per Kopfhörer seinen Schädel traktierte. Langsam mäßigte sich sein erschreckend gewalttätiger Zorn auf ein Level, das er kontrollieren konnte. Er gestattete sich ein vorsichtiges Durchatmen. Nicht wenig hatte gefehlt, und er hätte sich erneut auf Fuan gestürzt, vollkommen die Beherrschung verloren wegen einer Lappalie. »Ich bin verändert«, übertönte er das metallische Getöse in seinem Kopf, »aber wie und wodurch?« »Wichtiger noch«, fauchte es gallig in Höhe seines Herzens, »wie halten wir es auf, kehren es um?! Bevor...« »...bevor ich Fuan noch einmal etwas antue«, schloss der dunkle Magier fahlen Gesichts und schwefelglühender Augen den Satz ab. Seine Gelenke schmerzten, derart ballte er die Finger zu Fäusten, zwang seinen Muskeln und Sehnen Gehorsam auf. »Rekapitulieren wir«, mahnte eine beherrschte Stimme zur Besonnenheit, »vorher und nachher.« Zu diesem Zweck kauerte sich der Magier mit angezogenen Beinen in seine Fensternische, starrte in die frostige Winterlandschaft hinaus, doch nie wieder würden Rabenfedern einen Hinweis geben. Nie wieder würde er in höchster Not Hilfe erfahren von dem mächtigsten aller Magier. Luka legte den Kopf auf die Knie, beschirmte mit beiden Händen seine zerrauften Haare, eine kindliche Mauer der Abwehr. Er sehnte die sonnige Liebe seines goldblonden Zwillings herbei. ~*~ Fuan hielt inne, die Finger um eine eingeschrumpfte Salatgurke geschlossen, gefror in der mürrischen Unruhe des Lebensmitteldiscounters, nahm die ihn verärgert umspülende Menge der Einkaufenden nicht mehr wahr, blicklos und hochaufgerichtet in sich versunken. Was hatte der Drache über die Zwillinge gesagt? Dass sie leben "durften", weil keiner der beiden in gefährlichem Maße das ungleiche Erbe ihrer Eltern vereinigte? Konnte es sein, dass...?! Mit einem hastigen Keuchen nach Luft erwachte der Exot aus seiner Erstarrung, desertierte seiner Aufgabe und des handlichen Korbs, fegte mit wehenden Mantelschößen hinaus. ~*~ Luel blinzelte, schüttelte den Kopf irritiert, atmete tief durch. Ein leichter, unbekannter Schwindel suchte ihn heim, ließ sich nicht vertreiben, bis sich der goldblonde Alchemiker auf einem Hocker niederließ, die Brille mit zitternden Händen von der Nase pflückte, die Stirn auf die gekreuzten Arme legte und seinen Atem gegen die Tischplatte hauchte. "Luka?", murmelte er erschrocken, unfähig sich zu erheben, in Furcht, die Erde möge ihre feste Form, ihre Balance verlieren, ihn verschlingen. ~*~ Neo stützte beide Ellenbogen auf den Tisch, legte sein Kinn in die Handflächen und studierte seinen Gegenüber fasziniert. Er hatte nicht die geringste Ahnung, worauf der hinauswollte, warum er sich so echauffierte, aber der Anblick war zauberhaft. Sogar die kupferroten Augenbrauen, die sich gewittrig zusammenzogen, Ungemach ankündigten. "Hallo? Hörst du mir zu? Welches Wort hast du nicht verstanden? Oder sollte ich lieber eine Skizze anfertigen?", erkundigte sich der Kupferlockige mit beißendem Spott pikiert. "Entschuldigung, ich war abgelenkt", gab der junge Elementarmeister aufrichtig ohne Gemütsregung zurück. "Oh, wir waren abgelenkt?! Von was, darf man das gnädigerweise erfahren?! Vom Trauerrand um jede Bewegung, von Stoßseufzern?! Fatalerweise in Selbstmitleid ertrunken, oder wie?!" Unerwartet stieß er den Stuhl heftig zurück, sodass der hart auf die Fliesen schlug, fegte in den Flur hinaus, um mit seinem goldenen Cape zurückzukehren und es um Neos Schultern zu werfen. "Das ist ja nicht zum Aushalten! Ich kann nicht mit dir reden, wenn du diese unsägliche Kreatur aus den Marketing-Abgründen meines Vaters trägst! Da dreht sich einem ja der Magen um!" Schnaubend vor Abscheu fegte eine Hand mit ausgestreckten Fingern durch Neos halblange Haare. "Und diese Frisur! Wirklich, du vermeidest wohl auch jeden Spiegel, wie?! Oder ist das der Versuch, mit dem grässlichen Flokati im Eingangsbereich eine Seelenverwandtschaft einzugehen?! Brrrr, so was von spießig! Als ob gleich John-Boy zur Tür reindölmern würde!" Schaudernd zog der Fremde die schmalen Schultern hoch, schüttelte sich in glänzenden Reflexen der Seide seines Hausanzugs. Neo sortierte sich langsam, genoss die unerwartete Wärme, die das Cape großzügig spendete. "Sag mal", startete er behutsam den ersten Schritt auf unbekanntem Terrain, "wer ist denn dein Vater?" Die Replik bestand in einer gestenreichen Entgegnung, angefangen mit hochgerissenen Armen, ungläubig-entnervt verdrehten Augäpfeln, einem abgrundtief-verzweifeltem Schnaufen angesichts der Ignoranz der Welt im Allgemeinen und Neos ausgeprägter Ahnungslosigkeit im Besonderen. "Okay", beugte sich der Kupferlockige vor, mit betont ruhiger Miene, "hast du dein Leben vielleicht in einem Schuhkarton hinter einem vergessenen Ofen auf dem Mond verbracht? Oder wie kann ein einzelner Mensch mit deinen Fähigkeiten", abschätziges Schnauben, "so eine dämliche Frage ohne Anlauf oder jahrelange Übung stellen?" Der junge Elementarmeister lächelte unbeeindruckt von den Beleidigungen, baumelte mit den Beinen unter seinem Stuhl, zum ersten Mal seit geraumer Zeit amüsiert. "Ich habe noch nie von einem Mr. Fisto gehört", nahm er den Aufdruck der Visitenkarte gelassen vorweg, schlug eine Kapriole mit den mädchenhaft langen Wimpern. Ein weiterer Stoßseufzer antwortete ihm, dann erhob sich sein Gast unter der schweren Bürde, die Ignoranz der Menschheit auf seinen Schultern tragen zu müssen, zauberte eine weitere Visitenkarte aus einem Ärmel, legte sie vor Neo auf die Tischplatte. "M. E. Fisto", intonierte der junge Mann langsam und nachdrücklich, "alles klar?" Neos große Augen sahen in vertrauensvoller Begriffsstutzigkeit auf, verbargen jeden Anflug von Amüsement angesichts der wachsenden Verzweiflung des anderen Jugendlichen geschickt. "Das ist ja wohl nicht zu glauben", schnaubte der fassungslos, paradierte aufgedreht um den Tisch herum. "Gut, gut, versuchen wir es noch einmal, ganz langsam", zischte er aufgebracht, "Direktor der Sparte >Sünde und VerführungAnleitung zum UnglücklichseinNegus der Versuchung?< >BigBoss des Bösen?!< Oberste Instanz der Sektion >Fatale Fehlentscheidungen