Titel: Unfug! Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Halloween 2019 Erstellt: 30.10.2019 Disclaimer: alles Meins, solange nicht anderweitig zitiert ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* ¤>~* Unfug! Teil 1 Der Herbst war ihm die liebste Jahreszeit, farbenprächtig, beginnend mit knackig-frischer Luft, mild in den kurzen Mittagsstunden, golden am Nachmittag. Natürlich musste man auch mit trüben Tagen von Dauerregen rechnen, doch der Geruch der Luft wog ihm dies auf. Er sammelte gern besonders farbenprächtige Blätter und die unvermeidlichen Rosskastanien auf, dekorierte sie für diese kurze Zeitspanne um seinen genügsamen Kaktus auf dem Fensterbrett. Mehr bedurfte es nicht, denn er zog eine aufgeräumte, klare Umgebung vor. Rot-golden-orange-gelb, ein wärmendes, etwas melancholisches Farbenspiel, begleitet von prächtigen Feldfrüchten aller Art, Kürbissen, Rüben, den letzten Fleischtomaten, Äpfeln, Birnen, Quitten, herrlich! Im Frühling hingegen plagte ihn eine anhängliche Allergie gegen Birkenpollen, den Sommer favorisierte er nicht, weil trockene Hitze quälte, der Stoff auf der Haut klebte und er fühlte sich, durchaus geprägt vom Zeitgeist der Mode, nicht für "Sommer" ausgestattet. Nein, er goutierte nicht käsig-weiße, schnell rot versengende, partiell mit Pelz besetzte Körperpartien ohne Sichtschutz für die Betrachtenden! Also, auch der Gesundheit zuliebe, lange Hosen, höchstens halbärmlige Hemden, dazu ein Strohhut und Sonnenbrille, trotzdem nicht sonderlich bequem! Der Winter gewann Sympathiepunkte, wenn es kalt war, man sich gut verpuppen konnte, Schnee die Geräuschkulisse merklich dämpfte. Allerdings bedeutete Schnee in der Stadt regelmäßig grauer Matsch, Streugut in den Schuhsohlen (und später überall) plus unvermutete Glätte, dazu, weniger der Jahreszeit anzulasten, ein feiertäglicher Countdown mit Hektik und aufbrausenden Gemütern. Deshalb genoss er den Herbst, positionierte sich vor den Französischen Balkon, im Keramikkürbis ein Teelicht entzündet und schnupperte in der Semi-Dunkelheit auf die sich vorbereitende Natur, ein letztes Feuerwerk zu entzünden, bevor verdient die Winterruhe einsetzte. ¤>~* Es war eine Nickligkeit, ein Affront, ein hämisches Nachtreten des verkappten Neids. »Ich will NICHT!«, dachte Remus aufgebracht, presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Schließlich hatte er überhaupt keinen Anteil an den Lebensumständen der anderen, die ach so geplagt und eingespannt waren ob der lieben Kleinen, während er ja quasi kein Privatleben...! So hing jeder Satz wie eine lächerliche Angel in der Luft, doch Remus verweigerte sich seit Jahren standhaft dem Anbeißen: er war hier NICHT privat. Arbeit war Arbeit, Schnaps war Schnaps. Kein Familienaltar, keine Kritzelbilder, keine Ramsch-Souvenirs aus heimgesuchten Destinationen in der Fremde, klar strukturiert, aufgeräumt, zweckdienlich und übersichtlich. Außerdem, auch wenn das ganz und gar nicht der politischen Korrektheit entsprach: niemand wurde gezwungen, sich zu reproduzieren, weshalb es ihm unlauter erschien, fortwährend für die zweifelhaften Produkte anderer Leute in die Bresche zu springen. Zudem hatte ein gewisses Maß an Eigenverantwortung und Selbständigkeit noch niemandem geschadet. Jedoch allein die Anmutung sorgte bei den liebenden Eltern für Schnappatmung! Remus grollte anhaltend. Nein, es gab keinen vernünftigen Zweifel: er war mit dieser undankbaren Aufgabe gestraft worden, weil sonst niemand Lust dazu verspürte oder sich einschränken wollte, und was konnte ER schon für Pläne jenseits der Arbeitszeit haben?! ¤>~* Eine dieser überflüssigen, lästigen, unerfreulichen Pseudo-Notwendigkeiten: gemeinsame Feier der Beschäftigten, überfrachtet mit Erwartungen an die Produktivität und Geschmeidigkeit der Abläufe, als änderte es etwas daran, dass hier Charaktere aufeinander trafen, die sich nicht ausgesucht hatten! Angefangen hatte es mit der leidlichen Tradition einer "Weihnachtsfeier", bloß torpedierten all die privaten Termine mit den lieben Kleinen und anderen Verpflichtungen diese Veranstaltung. Zudem wollte man sich ja auch kulturell aufgeschlossen und nicht religiös übertrieben geprägt präsentieren, weshalb aus der "Weihnachtsfeier" erst eine "Jahresendfeier" und dann ein "Neujahrsempfang" wurde, was den Inhalt der Veranstaltung nicht sonderlich änderte. Allerdings stürmte der "Neujahrsempfang" aus den bereits bekannten Gründen den Kalender und landete schon bei den Osterferien... Diese Entwicklung zwang die Führungsetage zu einer couragierten Wende. Rund um den Jahreswechsel, also mindestens vier Monate, verknappte sich die Terminauswahl radikal, weshalb man entschied, sich des Halloween-Festes anzunehmen, ohne gesetzliche Feiertage (in diesem Bundesland) häufig ein Arbeitstag, dazu im Kalender fest verortet. Reservierbar! Jetzt musste sich nur noch jemand finden, der die Organisation übernahm. Remus hatte gegen gesellschaftliche Veranstaltungen gar nichts einzuwenden, zumindest nicht die ersten zwanzig Minuten, dann reichte es ihm an menschlichem Austausch und er kämpfte die folgenden drei Stunden mit sich selbst und dem Drang, SOFORT das Weite zu suchen, weil er sich nun mal an seine Regel hielt: Arbeit war Arbeit. Deshalb wünschte er, nicht über Gebühr und bar jeder Notwendigkeit mit dem Privatleben der anderen konfrontiert zu werden. Dieser Wunsch blieb unerfüllt. Regelmäßig mäanderte die Unterhaltung über Krankheiten, grässliche Urlaubsziele und Ernährungskatastrophen zu privaten Schicksalsschlägen. Das interessierte ihn nicht, er wollte nicht mit derlei biographischen Meilensteinen ungefragt ins Vertrauen gezogen werden. Allerdings war es auch sehr unhöflich in diesem Kontext, sich Kopfhörer aufzutopfen, so, wie er es in der Straßenbahn tat, weil Ohren nun mal ständig auf Empfang waren, man sie nicht einfach wie die geplagten Augen schließen konnte. Seine Kopfhörer benötigten keinen Strom, tarnten sich unauffällig als populäre Variante und wirkten de facto wie Ohrstöpsel, "Noise reducing" oder wie auch immer die Vermarktung im "Neudeutsch" anpries, bloß ohne Energieeinsatz und ausgeklügelte Verfahren, eher die Arbeitsschutzvariante für die Presslufthammer-Betreibenden. Ein sehr befriedigendes Bastelprojekt, das musste Remus schon gestehen. Selbstverständlich war er auch im Bilde über sein "Image": ungesellig, humorlos, enervierend gründlich und gar nicht lässig, wenn man nur mal um einen kleinen Gefallen bat. »Unzutreffend«, dachte Remus. Er mochte Gesellschaft, sogar menschliche, wenn sie ihn in Ruhe ließ und er sie sofort unbehelligt hinter sich lassen konnte, wenn sein Bedarf gedeckt war. Auch Humor blieb ihm nicht fremd, er pflegte sich lediglich auf den Gegenüber zu konzentrieren und nicht durch hyänenartige Ausbrüche einen Teil der Äußerungen zu verpassen. Gründlichkeit in der Sache wurde nur lästig, wenn sie der vorgefassten Meinung oder These zuwiderlief. Ihn enervierte in diesem Kontext das beiläufige Abwinken von Fakten, die "lächerlichen Details", die einem hinterher ins Auge stachen, obwohl ein präziser Blick zuvor diese schmerzhafte Erkenntnis erspart hätte! Zu "Gefallen" wollte er sich lieber gar nicht erst einlassen. Die Zugehörigkeit zu einem "Rudel" sanktionierte offenbar jede Zumutung für andere, die das "Glück" hatten, nicht zu einem Rudel zu zählen oder nicht zu einem vorgestellten "Rudel". Weil Remus ja nie was zu seinem Privatleben...! Hier stellte sich die Frage, ob die Definition des Wortteils "Privat" in Privatleben nicht begriffen wurde, aber man hätte mit dem papiergestützten Duden wohl eher eine Kerbe in die Hirnrinde prügeln können, als durch subtile Erläuterungen ein Umdenken erzielen. Selbstverständlich sah Remus von körperlichen Attacken ab, immerhin, das musste er als überzeugter Atheist anerkennen, "jeder nagelt sich sein eigenes Kreuz", wie sein Großonkel grimmig zu bemerken pflegte. Jede Gemeinheit rächte sich, selbst wenn man nicht befriedigter Augen- oder Ohrenzeuge war. Man musste nur daran glauben und hin und wieder Beweise aufpicken. Trotzdem. Es war eine Gemeinheit! ¤>~* Remus fand, als aufgeklärter Mensch, gewisse Bräuche und Rituale, die auf Glaubensvorstellung und nicht Wissenschaft beruhten, befremdlich, häufig inkonsequent, unlogisch und suspekt. Er agierte dann nach dem rheinischen Motto, "leben und leben lassen." Ließ man ihn in Ruhe, behelligte ihn nicht, störte seine Kreise nicht, hielt er es in höflichem Respekt genauso. In diesem Fall jedoch wurde ihm dieser Luxus offenbar nicht gegönnt! Nach Remus' vager Vorstellung kristallisierte sich in "Halloween" ein Angloamerikanisches Konsumereignis vor "Thanksgiving" und "X-Mas", was man nutzte, Rabatt-Marathon-Aktionen zur Verkaufsförderung anzuleiern. Verkleidete Kinder zogen durch die Nachbarschaft, riefen "trick or treat", wurden dank Süßigkeiten und Fastfood noch fettleibiger. Ältere Trittbrettfahrende nutzten die Gelegenheit zu "Schabernack", der sich in Sachbeschädigung, Nötigung und anderen Exzessen präsentierte, woraufhin andere Zeitgenossen sich mit versteckten Rasierklingen oder Rattengift im Gabenkorb revanchierten. Zudem musste jede Menge abscheuliches Spielzeug und anderer Tand erworben und verschenkt werden, um die als "gruselig" verpuppten Nachwuchskonsumierenden zu bestechen, sich nicht unleidlich ob desolater Fürsorge zu beklagen. Ja, von seiner Warte aus grenzte das an Horror, wobei diese "Geschmacksnote" vergleichsweise jüngeren Datums zu sein pflegte. Auf die hiesigen Gepflogenheiten gemünzt wurde es auch noch frappierend, ließ man mal den Reformationstag außer Acht, spielte sich der invasive "Feiertag" vor den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen ab, die ursprünglich als "stille" Feiertage dem Gedenken und der Ermahnung dienen sollten. Keineswegs jedoch einer temporären "Rückkehr" der zum Teil spektakulär Verblichenen! Zwar wurden Friedhöfe aufgesucht, jedoch nicht, um dort zu feiern, wie es in manchem südamerikanischen Ländern üblich ist. Ein Brauch, sich die "Heiligen" als optische Vorbilder für eine Nacht anzueignen, existierte nach seiner Kenntnis nicht, obwohl, wenn man es betrachtete, die meisten aufgrund ihres Märtyrertums durchaus "Horrorqualitäten" bei der Umsetzung erfüllten! Als "Kostüme" zur Wandlung auf ihren Spuren gab es zumindest keine käuflichen Ausstattungen. Reichlich verwirrend, denn tot waren sie alle und erfüllten damit wenigstens ein Kriterium. Doch es ging noch verwirrender. Nach Remus' landläufiger Auffassung pflegten Geister und Gespenster, nun, körperlos zu sein, einen gewissen Mangel an Materie aufzuweisen. Verstorben, ja, möglicherweise auch in ihrer letzten Erscheinungsform noch vage präsent. Dieser Umstand verlangte jedoch nicht nach einem besonderen Kostüm, eher nach zeitgenössischer Bekleidung. Wenn man dann aber die Rückkehr von Heiligen oder auch ganz normal Sterblichen imaginierte, kombiniert mit der mittelalterlichen Tradition, wesentliche Körperteile von Heiligen durch die ganze Welt zu verteilen, oder dachte man an die ordentlich vorsortierten Beinhäuser, das wäre schon, bei einer "substantielleren" Rückkehr reichlich chaotisch, bis da so alles zusammengesetzt war. Ohnehin, wie sollte das bloß halten?! Ektoplasma?! Jenseitiger Schleim? Fragen über Fragen! Für Remus von erheblicher Inkonsequenz geprägt. Nein, er glaubte nicht an die temporäre Rückkehr längst in ihre Atome zerfallener Menschen. Asche zu Asche, Sternenstaub zu Sternenstaub. Punkt. Also eher ein Kostümfest mit kalorienhaltigen Nebenwirkungen und Sonderschichten für die Versicherungsagenturen, von den Behörden ganz zu schweigen, wobei ihm die "Horrorfiguren" auch nicht sympathischer waren. Gespenster im Betttuch, nun ja. Das erinnerte ihn an Henker in Vollmontur oder verdrehte Extremisten mit "Clan-Kutten". Pfuibah! Hexen und Zauberer, mit Warzen, schwarzen Katzen, diversen Utensilien, Warzen, spitzen Hüten, kuriose Angelegenheit. Man hielt sie für "mächtig", vor allem in Kontakt zu anderen "Mächten", für überlegen und darob gefährlich, gleichzeitig jedoch erinnerte man sich an den "Hexenhammer" und unzählige Menschen, die denunziert, gefoltert und auf Scheiterhaufen verbrannt waren. Waren das die Untalentierten gewesen oder tatsächlich am Rande der Gesellschaft Stehende, Lästige, Konkurrenten, Sündenböcke, Missliebige?! Vielleicht schlug hier das Superhelden-Dilemma zu: die waren schon toll, aber man mochte nicht für den Flurschaden aufkommen, den sie anrichteten! Verkleidung als Skelett, nun, wohl eher eine dieser Matroschka-Puppen, nicht wahr? Skelett auf Fleischanzug und darüber wieder "Skelett": lächerlich. Vampire, dekorativ in schwarz gehalten, bleich, Vitamin C-unterversorgt (hätten alle Skorbut haben müssen!), mit Einklapp-Gebissen: mögliche historische Vorbilder waren in bestimmten Verwesungszustand befindliche Seuchenopfer. Gut, tot waren sie, aber sonst?! Reichlich albern, die nutzlosen Stiftzähne (Sabbergefahr!), die "Natur" jenseits realer biologischer Prozesse! Nein, Remus hielt von Vampiren gar nichts. Blutegel, ja, die ernährten sich (teilweise) von dieser Körperflüssigkeit, aber die hatten so gar keine Schnittmenge mit der literarischen Erfindung! Verblüffenderweise schien man auch keine Blutegel-Kostüme anbieten zu wollen. Werwölfe, getarnte "Einsame Wölfe", die sich bei Vollmond in reißende Kreaturen verwandelten: schon das Morphen der Ganzkörperbehaarung samt Umbau von Gliedmaßen und Schädel funktionierte aus physikalischen Gründen nicht, es sei denn, man baute in Blitzgeschwindigkeit die Atome um, aber ob danach noch "Leben" existierte, konnte man bezweifeln, zudem eine weitere Erfindung als Antwort auf gesellschaftlich-psychologische Phänomene, die heutzutage Menschen mit übermäßiger Körperbehaarung diskriminierte, von der Verhaltensweise eines echten "Wolfs" ohnehin meilenweit entfernt, als Metapher zur Pubertät akzeptabel, gerade noch, aber eben unlogisch und nicht mal untot. Was dann zu den etwas moderneren Figuren aus Film und Comic führte, Zombies oder Untote. Noch so eine unlogische Zumutung! Mit Referenz auf die Heiligen, denn wie sollte verwesende Substanz noch durch die Gegend zockeln?! Welchen Nährwert besaß denn Menschenfleisch an sich, wenn das Gebiss nicht mal hielt, womit wurde denn da verdaut?! Remus schüttelte es, weil das Erscheinungsbild kreativ eklig war, die Umstände unglaubwürdig und lediglich für Kundige cineastischer Spezialeffekte von besonderer Bedeutung. Nein, da konnte kommen, was wolle! Dieser ganze Halloween-Zirkus missfiel ihm und er hatte nicht die Absicht, sich dem Diktat zu beugen. ¤>~* Süßes oder Saures, die hochsprachliche Übersetzung. Für einen verführerischen Moment lang erwog Remus eine boshafte Replik zur ungeliebten Aufgabe: Glas eingemachte Gurken und Fass apfelessigsaures Kraut servieren. Für "süß" hielten sich vor allem die mutmaßlich weiblichen Beschäftigten ja selbst schon! Die Rachephantasie wurde eingestampft, weil Remus sich wie alle anderen verpflichtet hatte. Geschlecht (welches auch immer), Religion oder Überzeugung, Erscheinungsbild: das wurde NICHT kommentiert, denn jede unbedachte Äußerung konnte auf den Gegenüber diskriminierend wirken. Während der Arbeit waren alle Neutren, üblicherweise für ihn keine Herausforderung, denn die vorgenannten Attribute hatten nichts mit der Arbeitserledigung zu tun. Remus knurrte sehr leise. Zumindest blieb die Frage einer Kostümierung außen vor. Da das "gesellige Beisammensein" ab zwölf Uhr stattfinden sollte und nicht länger als sechzehn Uhr währen konnte wegen der Arbeitszeitmodelle, der lieben Kleinen oder anderer Verpflichtungen. Highnoon und dann noch vier Stunden Qual in zwischenmenschlicher Belanglosigkeit und Repetition der immer gleichen Themen! Selbstredend waren auch Ansprüche an ihn gerichtet worden: Dekoration sei erwünscht. Remus grollte. Er weigerte sich, bedruckte Servietten zu erwerben, wenn es ein adrett gefaltetes Doppel recycelten Toilettenpapiers tat! Irgendwelche albernen Figuren mit LED-Leuchtkern: erwartete jemand, dass die Deckenbeleuchtung versagte? Kunststoff-Tand mit eingebauter Durchschmor-Garantie und Elektroschrott in sehr naher Zeitspanne! Nein, das lehnte er ab! Und er weigerte sich, mit irgendwelchen Glanzlacken bunte Blätter einzusprühen, Kastanien-Figuren zusammenzuspießen! Vom Menü ganz zu schweigen! In Remus' Magengrube ballte sich ein unverdaulicher Knäuel aus Frustration, Verärgerung und Ratlosigkeit. ¤>~* Remus wartete höflich, bis er an der Reihe war. Der umgebaute Anhänger, ein "Foodtruck", beherbergte das Angebot von "Pflanzenfutter!". Das ausgebleichte Sonnensegel, mit Heringen im Boden verankert, informierte, man biete auch einen Cateringservice an. In höchster Not und grimmiger Entschlossenheit bestellte er nicht nur eine Wochenendration für seine mitgebrachten Keramik- und Glastöpfe. "Verzeihung, ist es noch möglich, auch für den 31. Oktober, zur Mittagszeit, die Belieferung in Anspruch zu nehmen?" ¤>~* Ja, hin und wieder blickten die Leute nervös, weil Remus zu einem stattlichen Körpermaß von 1,95m auch die Statur eines doppeltürigen Kleiderschranks aufbot, ohne zu trainieren, denn Sport erschien ihm sinnlos, was nicht für Arbeiten im häuslichen Umfeld oder Fußmärsche galt. Unter Berücksichtigung der Anweisung seiner Mutter versteckte er ein etwas spitz geratenes Kinn seit Jahren unter einem gepflegten Bart. Das hielt ihn auch zu manierlichem Speisen an, denn die Menükarte wollte man nicht dort ablesen können! Auf dem Schädel thronten in der Straßenbahn lediglich die getarnten Kopfhörer (ohne Abspielfunktionen), da die Dachbegrünung nur spärlich existierte, worin Remus seinem Vater ähnelte und es, wie sonst auch in seinem Leben, übersichtlich, strukturiert und effizient hielt, indem Bart und Schädelbewuchs regelmäßig und eigenhändig getrimmt wurden. Kombiniert mit einer geraden Nase und tief liegenden Augen unter prominenten Brauen machte er einen dezent grimmigen Eindruck. Steinern, meinten manche. Zumindest schien nicht sonderlich viel an Mimik zu erwarten zu sein, weil sich Remus eben häufig konzentrierte und eigene Emotionen vertagte. Andererseits half es nach Remus' Erfahrungen nicht, in einem falschen Lächeln die Zähne zu blecken. Das schreckte noch mehr ab, weshalb er es bei einer höflichen Ansprache und einer wohlmodulierten Stimmlage beließ. Die sehr zarte Person im Anhänger beäugte ihn trotzdem ängstlich, obwohl Bestellung, Hochreichen der Behältnisse und Befüllen bis dato problemlos geklappt hatten. Remus erwog, eine alternative Herangehensweise, nämlich das Erläutern der Begleitumstände, um sein Anliegen anzutragen, "an meiner Arbeitsstelle findet eine kleinere Feier statt, deshalb suche ich nach einer Lieferung von Speisen. Die Teeküche ist für größere Aktivitäten in dieser Hinsicht nicht ausgerüstet." Aufmerksam eruierte er in der Körpersprache nach einem Hinweis, wie diese Einlassungen aufgenommen wurden. Außer einem verschreckten Blick zur Seite tat sich jedoch nichts. Remus unterdrückte ein Seufzen. Wie bedauerlich! Dabei hatte er seine Hoffnungen auf das Angebot des "Pflanzenfutters" ausgerichtet. "Sorry, sorry, können wir das vielleicht in ner Minute klären? Ich muss mal eben am Gas orgeln", dabei wuchs ein beeindruckender Afro in Remus' Gesichtsfeld. ¤>~* Nachdem die Gasflasche ordnungsgemäß ihren Inhalt dosiert abgab, kletterte ein schlacksiger Mann mit Schürze aus dem Anhänger. "Du bist einer unser Stammkunden, richtig? Vielen Dank, das freut mich mächtig. Ich bin übrigens Valentino, aber Tino reicht völlig", das tat er auch, nämlich Remus die Rechte hinstreckend. Der ergriff sie artig, schüttelte kurz und entschied, die vertrauliche Ansprache nicht zu thematisieren in der Hoffnung auf eine Lösung seiner Schwierigkeiten, "guten Tag. Mein Name ist Remus, freut mich, die Bekanntschaft zu machen. Ich wollte den Arbeitsablauf nicht stören." "Nicht doch, kleines Missverständnis!", fiel ihm Valentino munter ins Wort, fahndete gleichzeitig ganz analog-altmodisch nach einem Notizbuch und einem Bleistift, "Tabea hilft heute aus, aber sie spricht unsere Sprache nicht so gut. Also, wie sieht denn dein Auftrag aus?" Remus atmete tief durch, dann umriss er präzise die Koordinaten seiner ungeliebten Mission. ¤>~* Remus war vorbereitet, wie immer, deshalb hatte er säuberlich alle Koordinaten aufgelistet: Personenanzahl und Etat, bekannte Allergien und Unverträglichkeiten, Zeitpunkt und Ort, Anlieferungsmöglichkeiten, Aufzug, Abstellfläche, vorhandenes Geschirr, Kapazitäten an Lagerfläche, technische Einrichtung, Kontakt. Tino, dessen Familie aus Apulien stammte, wie er beiläufig erwähnte, nickte begeistert. Offenbar sagte ihm die akribische Vorarbeit zu. Er bestätigte Remus entschlossen, einen Menüvorschlag bis zum Montag konzipiert zu haben. Auch über die Vorkasse einigte man sich rasch. Hochzufrieden, die apportierten Behältnisse gefüllt und erleichtert zog Remus von hinnen. Jetzt galt es lediglich, die "Dekor"-Angelegenheit noch abzuwickeln. ¤>~* Remus studierte das seitlich aufgebaute Büfett: adrette Beschilderung, die Teelichter brannten brav, gepresste Blätter und Kastanien als Dekoration. Ein Zierkürbis präsentierte das Menü, aufgespießt auf einem dünnen Haselzweig. Sehr herbstlich, sehr farbenprächtig, sehr ordentlich, dazu dieser Duft! Remus strahlte und wartete auf die ersten Reaktionen. Definitiv Saures! ¤>~* Nein, in der Tat, es gab nur Pflanzenkost, keine Schokolade, keine Kekse, keine Plombenzieher, kein totes Tier, dekorativ mit Weizenmehl in irgendwelche "amüsanten Formen" gepresst und in der Fritteuse abgelöscht, keine verfärbte Suppe mit Augäpfeln aus Litschis, kein grässliches Gelee oder eine Krem in den absonderlichsten Farben der Lebensmittelchemie. Remus befand die Speisen selbstredend als top: saisonal, regional, hochwertige Qualität, mit anständiger Bezahlung der Anbauenden und Erntenden. Zwar bemühte man sich zu Tisch, die mangelnde Gruselqualität durch Schauermärchen zu ersetzen, doch so richtig wollte keine Gruselstimmung aufkommen. Da vermisste Remus nicht mal wie sonst seine Ohrstöpsel/Kopfhörer! ¤>~* "Bist spät dran", stellte Remus fest, tastete nach der zweiten Henkeltasse. "Ich hoffe, die Marzipan-Schokolade ist noch heiß genug", ergänzte er brummend, während es über ihm im Spiegelbild der Fensterscheibe gleißend aufblitzte. Der Kristallzahn funkelte in einem prächtigen, zum Grinsen verzogenen Gesicht. Die Lücke, die er füllte, respektive der marode Vorgänger stellte den Grundstock ihrer Freundschaft dar. "Hmmm, riecht prächtig! Und du siehst sehr zufrieden aus, wie ich bemerke", der zweite Klappstuhl knirschte leicht, dann wurde die Henkeltasse an den Mund geführt. "Ich BIN auch sehr zufrieden!", bestätigte Remus bestens gelaunt, "lauter essigsaure Mienen, mit Sicherheit keine Organisation von Gemeinschaftsveranstaltungen mehr. Allerdings, wie erwartet, haben sie dann doch alles verputzt! Wahrscheinlich unter großen, nach außen jedoch nicht sichtbaren Qualen", schnaubte er abschätzig, entführte der Gesellschaft des Keramik-Kürbisses mit Kerzenkern ein Schälchen. "Glücklicherweise war ich vorausschauend und habe eine Extra-Order getätigt", er präsentierte den Inhalt dem neugierigen Blick seines Beisitzers. "Fruchtleder! Klingt zähe, schmeckt aber sehr lecker", verkündete Remus einladend. Ganz ohne "Süßigkeiten" hatte er die liebe Kollegenschar nicht abgespeist, zumindest von einer gewissen Warte aus betrachtet. Sein wöchentlicher Besucher pickte sorgsam ein Stück heraus und malmte mit Begeisterung. "Famos, nicht wahr? Eifriges Nicken zu seiner Rechten. Eine Weile schwiegen sie vertraut, nippten an der jeweiligen Tasse und zerkauten sehr gründlich die getrockneten Vitaminbomben. "Ich komme nicht umhin zu konstatieren, dass sich diese Accessoires an deinem Haupt ungewohnt ausnehmen", stellte Remus schließlich bedächtig fest, "darf ich so kühn sein zu fragen, ob das eine Art Hörnerschutz darstellen soll?" Ein munteres Lachen aus Bauchuntiefen ertönte, "eher eine anlassbezogene Dekoration, mein Bester! Meine werte Frau Mutter ist eine erklärte Anhängerin dieses menschlichen Kostümierungsereignisses und der festen, ja, nachgerade unerbittlichen Überzeugung, es stünde mir eine Adaption gut zur Erscheinung. Man möchte ja nicht als Banause gelten!" Eine Augenbraue lupfend brummte Remus zurückgenommen, "aha. Sieh an." Sein Nachbar grinste breit, was erneut den gleißenden Zahnersatz blitzen ließ, "bedaure, aber DAS habe ich dann doch ausgelassen und mich verabsentiert. Die mehrstündige Festivität ist mir schlicht zu trubelig." Nun wandte Remus den Kopf, verblüfft, "verstehe ich das richtig? Deine Frau Mutter veranstaltet quasi eine Party, um sich hier Kostüm-Aufnahmen anzusehen?!" "Vollkommen richtig! Kaltes Büfett, jede Menge Gäste, ein Omniskop mit Leinwand-Projektion! Dazu noch ein kleiner Abstimmungswettbewerb für das schönste Kostüm, die beste Anregung..." Remus schnaufte vernehmlich durch. "Mein lieber Schwan", drückte er sich handzahm aus. "Exakt", bestätigte sein Gast amüsiert. "Und du erhieltest dennoch das Placet zur Demission?!" "HmHm!" Man schluckte genießerisch und rückte die hinteren vier Buchstaben gemütlich in das gut gepolsterte Sitzkissen. "Mein guter Wille ist ja demonstriert", wies ein Finger dezent Richtung Haupt zu den Horn-Überziehern, von einem breiten Grinsen flankiert. Remus nickte grimmig, "in der Tat. Und zweifellos Unikate." Zumindest konnte er sich nicht vorstellen, auf ein Doppel mit aufgestickten Fledermäusen und Totenkopf-Kürbissen zu treffen. "Hier ist aber nicht mit Spektakel zu rechnen", warnte er fürsorglich vor. "Wunderbar!", strahlte sein Gast vertraut, "ich mache mir nämlich so gar nichts aus Spukgestalten, Zombies, Hexen, Werwölfen, Vampiren und weiß nicht was." "Ganz meine Linie!", bestätigte Remus entschieden und erhob sich, die Henkeltassen frisch zu bestücken, "absoluter Unfug! Wer glaubt schon an so was?!" Sein Gast lachte gedämpft und fröhlich. In der Fensterscheibe des Französischen Balkons spiegelten sich die dezent verpuppten Hörner auf seiner Stirn. ¤>~* Teil 2 Ingo hatte sich gut vorbereitet, weshalb er geduckt, sich umblickend, den Brustgurt des Rucksacks extra stramm gezurrt, im Schein der Straßenlaternen nach Hause eilte, allerdings vorsichtig, weniger wie ein Jäger auf der Pirsch als eine vorgewarnte "Beute", die nicht das "potentiell" in "tatsächlich" umwandeln wollte. Wenn er das Mehrparteienhaus erreichte, würde er gleich den Karton mit dem Buch in den Briefkasten schieben, so dimensioniert, dass dieser vollkommen blockiert wurde, man keine Kracher, Exkremente oder andere Accessoires für "Streiche" dort deponieren konnte. Die sichere "Burg" musste jedoch zunächst unfallfrei erreicht werden und Hinterhalte standen zu befürchten, weil Abdelkader, "Abde" gerufen, Revanche üben wollte. Nicht, dass Ingo ihm etwas getan hätte, eher umgekehrt, bloß entwickelte sich daraus dann eine Lawine an Konsequenzen, von denen Ingo nicht schmerzhaft überrollt werden wollte. Angefangen hatte es mit dem Umstand, dass Ingo nicht direkt nach dem Wechsel von der Grundschule in die Klasse gekommen war, sondern erst zwei Jahre später. Mobben, Ausgrenzen, Niedermachen: das war streng untersagt und wurde aufmerksam beobachtet. In den Klassenverbund war Ingo ganz gut aufgenommen worden, mal abgesehen von "Lego". Nur die Lehrenden riefen ihn noch bei seinem Taufnamen. Ingo konnte mit "Lego" durchaus leben. Diesen Spitznamen verdankte er seinem linken Unterarm, präzise gesprochen der Prothese. Er war bereits mit einem verkürzten linken Oberarm auf die Welt gekommen, vermisste eigentlich die fehlende Gliedmaße nicht, selbst wenn seinem Gehirn eine gewisse Asymmetrie auffiel. Man musste ein wenig findig sein, und er kannte es schlichtweg nicht anders, weshalb man seine Prothese eher dekorativ gestaltet hatte, mit einer offenen, künstlichen Hand, die an die Variante der Spielzeugfiguren des gleichnamigen Herstellers erinnerte. So gesehen konnte Ingo niemanden verteufeln, der statt "Ingo" "Lego" sagte. Ähnlichkeiten bestanden ja, und die Marke samt ihren Produkten war ebenso bekannt wie beliebt. Ingo kam gut zurecht. "Abde" hingegen entwickelte ein Aufmerksamkeitsdefizit und versuchte immer wieder, ihn zu isolieren, damit es einen Blitzableiter für seine Probleme und Frustrationen gab, was jedoch durch die Klassenlehrerin verhindert wurde, die aufgrund diverser Beobachtungen, anderen Fehlverhaltens und der nicht gerade subtilen Mobbing-Ansätze die Eltern förmlich einbestellte. Diese wiederum mochten ganz und gar nicht, dass ein unvorteilhaftes Schlaglicht auf die Familie fiel, weil "Abde" sich nicht im Griff hatte, schlimmer noch, einer psychologischen Begutachtung vorgestellt werden musste, wenn sich sein Verhalten nicht änderte. Was "Abde" dazu anstachelte, sich an der "Wurzel allen Übels" rächen zu wollen, weshalb Ingo nun äußerst bedacht darauf war, sich nicht auf dem Heimweg überraschen zu lassen, denn an Halloween waren Maskierungen nicht unüblich und somit eine Täteridentifizierung gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. ¤>~* Ingo hatte sich seinen üblichen Heimweg in allen Varianten angesehen. Wo wäre ein Hinterhalt wahrscheinlich, wie konnte man ihn umgehen oder notfalls Hilfe anfordern? Dass "Abde" wusste, wo er wohnte, war für Ingo keine Frage, sondern Fakt. Dank Mobiltelefon und entsprechendem Kartenmaterial wäre es ihm auch ein Leichtes, Routenvarianten herauszufinden, wenn seine kurze Aufmerksamkeitsspanne nicht von der noch kürzeren Lunte unterboten und die Ungeduld siegreich hervortreten würde, womit man lieber nicht rechnete. Ingo hielt sich für durchaus geschickt und alltagstauglich, einhändig oder nicht, allerdings befürchtete er sehr, in einer Rangelei den Kürzeren zu ziehen, vor allem, wenn "Abde" sich noch Spießgesellen dazu einlud. Keine Aussichten, die Ingo zuversichtlich stimmten. Man hätte natürlich die Befürchtungen anderen Personen, zum Beispiel Erwachsenen, anvertrauen können, nur, wie Ingo fand, zeitigte bereits die letzte Interaktion nicht unbedingt eine friedensstiftende Lösung des einseitigen Konflikts. Zudem wollte er seine Mutter nicht beunruhigen, die sich darauf verließ, dass er immer direkt von der Schule nach Hause marschierte, verantwortungsvoll damit umging, dass sie im Schichtdienst arbeiten musste. Es wäre auch zu peinlich, wenn sich seine Befürchtungen als Hirngespinste entpuppten! Nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ohne Chance, weshalb sein Stolz ihm gebot, selbst eine Strategie zu entwerfen. Diese sah vor, sich durch nicht öffentliche Fußpassagen, Hinterhöfe, Stichgassen oder winzige Grünanlagen zu bewegen, immer Augen und Ohren offenzuhalten. Bis dato erwies sich seine gewählte Strecke als erfolgreich. Da hörte er, verstärkt durch den Widerhall in einem Innenhof, Getrappel. Mehrere Personen, schnelles Tempo! Rasch duckte Ingo sich hinter eine als Pflanzenregal umfunktionierte Palette. Verflixt, verflixt, verflixt! Das klang sogar nach "Abde"! Und einer anderen Stimme. "Issas nich n grüner Bodybag?" "Und?!" "Na, vorhin war's n roter Rucksack, Alter!" Ingo hielt die Luft an, denn die Gruppe betrat den Innenhof. Wenn sie jetzt um die Müllcontainer streunten, erkannten, dass hinter der Palette noch eine Nische war... Ingo überlegte fieberhaft, da jaulte urplötzlich eines der abgestellten Autos auf. Scheinwerfer blendeten taghell, alles blinkte und ein Lärmkonzert orchestrierte die Nachbarschaft an die Fenster. »Was...?!«, dachte Ingo im Ansatz, mit einer fremden Hand auf dem Mund, einer unbekannten Maske direkt vor dem Gesicht und einer leisen, heiseren Stimme, die zischelte, "pztpztpztpztpzt!!" ¤>~* Ingo starrte in vermutlich teure Kontaktlinsen, denn sie veränderten die Iris in schwefelgelbe Schlitze. Die kunstvolle Maskierung präsentierte zwei schwarze Streifen diagonal über die Wangen mit einer recht grünstichigen Hautfarbe, zwei kleinen Hörnern auf den Schläfen und wirren, kupferroten Locken sowie einem sehr bangen Ausdruck, samt erhobenem Zeigefinger vor dem Mund. Aber auch ohne den manuellen Knebel hätte Ingo kein Wort hervorgebracht. DAS war vermutlich die falsche Beute mit dem grünen "Bodybag"! ¤>~* Die Nische war winzig und nun bis auf den letzten Millimeter ausgefüllt, weil sie sich zu zweit geduckt rein quetschten, die Köpfe tief eingezogen zwischen die Schultern. Im Hinterhof tummelten sich inzwischen Leute, die nach ihren Fahrzeugen oder potentiellen Übeltätern Ausschau hielten. Ingo ging davon aus, dass sein Verfolger sich temporär zurückgezogen hatte. Zu viel Aufsehen, was bedeutete, er müsste bloß hier ausharren, bis sich der Trubel gelegt hatte, dann bestünde eine gute Chance, es sicher nach Hause zu schaffen. Vor allem, wenn die anderen davon ausgingen, die falsche Zielperson verfolgt zu haben. Vielleicht gaben sie sogar auf? Aus den Augenwinkeln heraus studierte er im Schattenwurf der umfunktionierten Palette seinen Schicksalsgefährten, sehr aufwändige Maskierung, bei den Klamotten eher konservativ, relativ gesehen: dunkle, ausgebeulte Hose, die Bauchtasche in Grün, darüber eine kurze, gepolsterte Jacke, ebenfalls dunkel gehalten, eher ungewöhnliche Schuhe mit Schnallen, aber auf dem Gebiet wollte er sich kein Urteil erdreisten. Sie warteten angespannt und schweigend, bis nur noch eine Notfunzel spärliches Licht spendete. "Ich glaube, wir können es riskieren", wisperte Ingo kaum hörbar. Neben ihm federte sein Nischennachbar hoch, "waren dieze Burzzen hinter dir her?" Ach du Güte, ziemlicher Sprachfehler! Klang beinahe nach einem Lispeln. "Möglicherweise", ließ Ingo sich vorsichtig auf ein Gespräch ein. Geduckt huschten sie in Schattenwürfen aus dem Hof, da bremste ihn abrupt eine energische Hand, zerrte ihn rasch eine Etage tiefer. Das Kinn deutete die Richtung an, die wirren, kupferroten Locken wuschelten. Mist! Aus irgendeinem unerfreulichen Grund schienen "Abde" und seine Trabanten sich auf die Lauer gelegt zu haben, behielten den Hofausgang zur Straße im Auge. Langsam zog Ingo sich mit seiner Begleitung zurück. "Es gibt bestimmt einen zweiten Ausgang", hoffte Ingo flüsternd. "Wo?" Gute Frage. Ingo studierte die Tür zum Treppenhaus. Wenn man sie bloß öffnen könnte, ginge es vielleicht nicht nur hoch, sondern auch nach vorne raus, nur war die Tür ins Schloss gefallen und natürlich verriegelt. Allerdings lächelte ihnen Madame Fortuna nun zu, denn forsche Schritte näherten sich samt aromatisierter Dampfwolke. Kramen in einer Großraum-Umhängetasche, Dampfwolkenausstoß und zeitgleich Telefonat. Licht entflammte, man riss die Tür weit auf, sich selbst samt des Alltagsgepäcks rein zu bugsieren, weiterhin pausenlos mit einer unverständlichen Erörterung befasst, zumindest unverständlich für Ingo, der nicht mal die Sprache einordnen konnte, dafür aber bewundernd registrierte, dass aus dem Bauchbeutel eine Art Wurfgeschoss produziert wurde und nun das Zuschnappen der Tür verhinderte, weil die letzten Millimeter blockiert waren! Eilig öffnete er die Tür wieder, spähte hinein: wie vermutet ein langer, gefliester Gang zu einer weiteren Tür, auf halbem Weg das Treppenhaus. Ingo meinte, einen Briefkastenreigen an der Wand zu erkennen. Auf leisen Sohlen huschte er den Gang entlang. Von innen dürfte aus feuerpolizeilichen Gründen die Tür wohl nicht verriegelt sein. Bingo! Er wandte sich halb herum und lächelte aufmunternd. Das Wurfgeschoss verstauend folgte ihm sein Begleiter mit der prachtvollen Maskierung. Ingo wartete sicherheitshalber ab, bis die Treppenhausbeleuchtung aus ging, dann erst zog er die Tür weit genug auf, damit sie nacheinander auf die Straße schlüpfen konnten. "Tolle Maske übrigens. Sieht sehr echt aus", komplimentierte er leise, um sich für die Kooperation zu bedanken. Die geschlitzten Augen funkelten, dann zwickte man in seine Nasenspitze, "klar izt daz ezzt! Du ja wohl auch!" Man klang empört. Ingo stutzte. Wie denn, echt...?! Trotz der noch nicht ganz ausgestandenen Gefahr blieb er auf dem Gehweg stehen und starrte in das grünstichige Gesicht mit den schwarzen Streifen. Moment mal... Unversehens tippte er auf die Nasenspitze seines Gegenüber, "du meinst doch nicht, echt wie ECHT?" Die Grimasse bewies, dass zumindest keine herkömmliche Maske getragen wurde. Perfekte Visagistenleistung. "Du darfzt nizztz verraten!", wurde ihm eingeschärft, dann fischte sein Gegenüber aus dem grünen Bauchbeutel eine Sonnenbrille oder vielmehr die Trümmer eines Nasenfahrrads mit violetten Splittern. Der Zusammenhang erschloss sich Ingo nicht, doch er bekundete höflich Anteilnahme, "oha. Das sieht aber nicht gut aus." "Kaputt. Hin. Waz zoll ich blozz tun?" Offenkundig war die Zunge etwas zu lang und stieß an die vordere Zahnreihe, diagnostizierte Ingo, der wertvolle Fluchtzeit verlor, seinen seltsamen Gegenüber zu studieren, "sag mal, das ist doch Schminke, oder?" "Zzminke?" ¤>~* Ingo nutzte eine gewaltige Kugeleibe als Sichtschutz, kauerte sich in der Hocke hin. "Das ist tatsächlich dein echtes Gesicht?", versuchte er, das Mirakulöse zu begreifen. "Deinz ja wohl auch!", zischelte leise die raue Stimme, von empört verengten Pupillenschlitzen begleitet. "Oh, na, ich bin nicht ganz echt", verteidigte sich Ingo, um eine Pause für sein misstrauisch-ratloses Urteilsvermögen herauszuschlagen. Damit präsentierte er den "Lego"-Part. "Oh. Wozu izt daz gut?", wurde seine Prothese betrachtet. "Mehr Dekoration. So sitzt auch das Hemd besser", rettete er sich in staubtrockenen Humor, "ich heiße Ingo. Und du?" Seine künstliche Hand wurde aus den grünstichigen Händen entlassen, "Zezil. Warum hazt du dizz verzteckt?" Ingo entschied, sich auf diese merkwürdige Situation einzulassen, immerhin hatten sie einander ja bis jetzt aus der Patsche geholfen, "da ist ein Typ aus meiner Klasse, der mir mit seinen Freunden auflauern will. Ich bin auf dem Heimweg, zumindest auf Umwegen. Was tust du hier?" Cecil seufzte zischelnd, "Zzulauzflug. Aber izz hab meine Klazze verloren und die Brille zerbrochen." Ingo runzelte die Stirn. "Warum ist die Brille wichtig?", hakte er neugierig nach. "Tarnung", antwortete Cecil ohne Zögern. "Tarnung", wiederholte Ingo zweifelnd, denn nach Superman/Clark Kent sah ihm dieses zerlegte Exemplar wirklich nicht aus. Cecil beugte sich noch näher, zischelte vertraulich mit rauer Stimme, "izz bin nizzt von hier, darum Tarnung. Aber ohne Brille zehe izz auz wie immer." Was für Ingo nicht vollumfänglich die Situation erklärte. Er wich diplomatisch auf einen anderen Aspekten der kuriosen Lage aus, "wo wolltest du dich denn mit deiner Klasse treffen?" Ein sorgsam gefalteter Zettel wurde aus dem Bauchbeutel exhumiert: Uhrzeit und Adresse. "Um Mitternacht? Das ist aber noch eine Weile hin", gab Ingo zu bedenken. Cecil ließ das kupferrotlockige Haupt sinken, "und izz kenn den Weg nizzt." Die Versuchung war zu stark: Ingo strich behutsam mit dem Handrücken über eine grünstichige Wange mit ihren schwarzen Streifen. Warme Haut und kein bisschen Farbabrieb. "Wow", kommentierte er. Definitiv Oscar-reife Special Effects! Oder... Er federte aus der Hocke hoch, "wenn ich verspreche, nichts zu verraten, erzählst du mir dann mehr über dich?" Cecil kam ebenfalls in die Senkrechte und somit auf Augenhöhe, "verzprizzt du z?" "Ich verspreche, dass ich niemandem etwas von dir erzähle, Ehrenwort!", gelobte Ingo entschieden. "Na zzön", gab sich Cecil geschlagen. "Willst du vielleicht bei mir zu Hause warten? Ich weiß, wo diese Adresse ist und könnte dich pünktlich dort hinbringen", bot Ingo an, fühlte sich als Einwohner in der Verpflichtung, Ortsunkundige zu betreuen. "Wirklizz? Daz wär prima!", Cecil lächelte und präsentierte zwei ziemlich spitze Eckzähne. Ingo grinste, "abgemacht. Jetzt müssen wir nur unauffällig zu mir schleichen." Ob der Glückssträhne bisher fühlte er sich positiv gestimmt und deshalb gehobener Laune. Das war mal ein richtiges Abenteuer! ¤>~* Der kleine Vorsprung genügte, unbehelligt das Mehrparteienhaus zu erreichen. Ingo schloss auf und zog Cecil rasch hinein, dann präparierte er den Briefkasten, atmete erleichtert aus. "Wir müssen in den dritten Stock. Aber wenn ich jetzt das Treppenhaus beleuchte, sieht man uns von der Straße her", wies er auf ein Dilemma hin. Selbst mit Mobiltelefon-Ausleuchtung würden sie sich verraten. "Verztehe", kommentierte Cecil und stieg dann verblüffend geschmeidig in der Semi-Dunkelheit die Stufen hoch. Selbst Ingo konnte ihm kaum folgen. "Hast du Katzenaugen?" "Waz izt eine Katze?" "Ähem, nicht so wichtig, aber deine Nachtsicht ist beeindruckend", Ingo schloss die Wohnungseingangstür auf. "Du kannzt daz nizzt zehen?", hangelte sich sein Gast an die Auslotung persönlicher Befähigungen. "Ohne ausreichend Licht? Nein. Aber die meisten Leute sehen im Dunkeln sehr schlecht. Wenn ich die Treppe nicht so oft benutzen würde, wäre ich bestimmt auf die Nase gepurzelt." Das Entzurren der Gurte befreite Ingo von seinem roten Rucksack. "Bitte komm herein. Dann mache ich auch Licht an", denn wenn die Tür geschlossen war, konnte sie der kleine Flur nicht verraten. Mit Deckenbeleuchtung erhielt er so auch die Gelegenheit, seinen unerwarteten Besucher näher zu betrachten. Unglaublich! "Und das ist alles echt?", hakte er staunend nach. Cecil schnaubte lispelnd, die Hände in die Hüften gestützt, "wiezo fragzt du daz dauernd?!" "Na, weil du wirklich verblüffend anders aussiehst", verteidigte sich Ingo, streifte seine Jacke ab und schlüpfte aus den Schuhen. Nach kurzem Zögern folgte Cecil seinem Beispiel, die Bauchtasche jedoch umklammernd. "Da du nicht von hier bist, sollte ich das vielleicht erklären", wagte sich Ingo auf trügerischen Grund und lud in die winzige Küche ein, die gerade mal einen Klapptisch mit ebensolchen Hockern offerierte, "nur an bestimmten Tagen gibt es hier Leute mit grünem Gesicht, Streifen oder Hörnern auf dem Kopf." Er dekorierte die glatten Hockersitzplatten mit bunten, flachen Kissenpolstern. Cecil nahm zögernd Platz. "Alzo, zoooo anderz zehe izz nizzt auz. Augen, Naze, Mund, Ohren", präsentierte Cecil sichtlich gekränkt. Ingo empfand Mitgefühl, denn ER selbst fühlte sich auch nicht besonders anders. Lediglich im pingeligen Vergleich stach er heraus und wurde "abgesondert". "Kann das sein, dass du kein Mensch bist?", erkundigte er sich, wählte eine Teedose, um sie für eine Teeei-Füllung zu erleichtern. "Wenn izz nizzt zo ungezzickt gewezen wäre mit der Brille", bestätigte Cecil indirekt, dass es hier eine bemerkenswerte Geschichte zu erfahren gab. Ingo setzte den Wasserkocher in Gang, hängte das Teeei in die Kanne und gruppierte zwei Teetassen. Er beugte sich zu Cecil, der auf der bescheidenen Tischplatte die Trümmer auf ein Stofftaschentuch ausbreitete. "Guck!", mit einer Scherbe bewaffnet ließ Cecil diese über seine Hand wandern. Der Grünstich verschwand! "Krass", kommentierte Ingo verblüfft, "ich würde dir ja Kleber anbieten, aber", er schüttelte ob der Bruchstücke den Kopf. Cecil seufzte, "daz izt zooo doof! Weizt du..." Während Ingo mit dem siedenden Wasser die Teemischung taufte, lauschte er einer Verkettung unglücklicher Umstände: die Brille drückte auf dem Nasenrücken, weshalb Cecil sie ganz kurz abgenommen und abgelegt hatte, bloß war sie dort ins Rutschen geraten und eine Etage tiefer gefallen, weshalb zu Bergungszwecken eine Treppe bezwungen wurde und nach dem Fallobst gefahndet. Das wiederum landete unerfreulich konfrontativ im Rollweg eines kleinen Kehrwagens, der sich um Blättermatsch kümmerte. Nachdem die Splitter trostlos aufgelesen worden waren, wartete niemand mehr am oberen Ende der Treppe! So hatte Cecil sich entschlossen, seine Klasse zu suchen, doch wie sich im Unbekannten orientieren?! Als dann diese finsteren Gestalten angerannt kamen, schien es besser, zunächst das Weite zu suchen. Oder einen Hinterhof. Ingo bot Vollkornzwieback zum Tee an. "Entschuldige, aber wir haben nicht so viele Vorräte", beschönigte er die knappe Kassenlage. "Danke zzön! Hmmm, riezzt lecker!" Unglaublich. Ingo studierte Cecil, munter kauend. Nein, das konnte keine Maske sein. Sein Gegenüber war echt und sehr ungewöhnlich. "Darf ich mal fragen: woher kommst du? Aus dem Weltall?" Cecil stutzte, die gestreiften Backen noch prall gefüllt, schüttelte dann den Kopf, dass die kupferroten Locken flogen, schluckte eilig, "nizzt Weltraum. Eher zo andere Dimenzion. Aber eigentlizz darf izz daz nizzt zagen." "Ich verrate nichts!", wiederholte Ingo sein Versprechen, "von eurer Dimension macht ihr Schulausflüge hierher? Warum?", siegte seine Neugierde über manierliche Zurückhaltung. "E-DU-KA-TION", schnaubte Cecil, jede Silbe betonend, "izz denke eher, wir zollen abgezzreckt werden. Na, bei mir funktioniertz biz jetzt", folgte eine grummelige Wertung. Ingo grinste über die verdrießliche Miene, "tja, entschuldige, du hast dir sicher was Netteres vorgestellt. Hm, wir können ja bis Mitternacht", doch wie immer sein Satz enden sollte, er ging im lautstarken Lärm der Türklingel unter. ¤>~* "Die zpinnen doch!", Cecil hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, wirkte sehr grimmig. Ingo hätte sich diesen Luxus auch gegönnt, doch die Prothese unterstützte derlei Vorhaben nicht. Seit mehr als fünf Minuten drückten die Idioten unten die Klingel und ließen auch noch das Telefon schellen, Festnetz. Psychoterror. Man könnte natürlich den Hörer aushängen, die Türglocke deaktivieren, aber was, wenn seine Mutter anrief, nicht durchkam und sich sorgte? Der Teufel schiss schließlich immer auf den größten Haufen! "Mir reizzt ez! Daz zind nizzt deine Freunde, oder?", Cecil funkelte aus gelb geschlitzten Augen finster. "Nein, aber die wollen sich bestimmt prügeln", wandte Ingo ein, der fieberhaft überlegte, wie er die Belagerung beenden konnte. "Fein!", zischelte Cecil entschieden, gürtete die grüne Bauchtasche um, "geht das Fenzter zur Ztrazze rauz?" Ingo nickte und ließ Cecil in das Wohn-/Schlafzimmer ein. "Kein Lizzt", warnte Cecil, schlängelte sich an der Schlafcouch vorbei zur Front, "kannzt du ez öffnen?" Argwöhnisch kam Ingo der Aufforderung nach. Zu seinem Entsetzen stemmte sich Cecil mühelos auf die Fensterbank und schwang die Beine hinaus. "Was tust du denn da?! Das ist gefährlich!", protestierte Ingo erschrocken. "Pzt! Bin gleizz zurück", grinste Cecil grimmig und kletterte wie ein Comicheld an der verklinkerten Backsteinfassade ohne jede Beleuchtung nach unten! ¤>~* Ingo spähte fassungslos nach unten. Einfach verrückt, so was, wie einer dieser, wie hießen die noch, Freeclimber?! Der Lärm der Türklingel endete abrupt, dann verstummte auch das Telefon. Ruhiger wurde es unten hingegen nicht, das Gejohle verwandelte sich in spitze Schreie, die sich rasch entfernten, immer noch kreischend. Was war da los?! Ein Schatten näherte sich in beeindruckendem Tempo seinem Wachposten, dann umklammerte Cecil das Fensterbrett. "Wie hast du das bloß angestellt?! Wahnsinn!", half Ingo beim Einstieg, begeistert und sehr beeindruckt. Cecil, der im winzigen Bad die Hände wusch, zuckte bloß mit den Schultern, "hab die Augen zugemacht. Bin nämlich nizzt zzwindelfrei." ¤>~* Ingo verdaute nicht nur weitere Zwiebackstücke, sondern auch die jüngsten Enthüllungen und rettete eine Teetasse vor dem Absturz. Cecil seufzte, "daz izt ezzt läztig!" "Sag mal, die Brille, die trägst du sonst nicht, oder?", pirschte Ingo sich an die Ursachenforschung an. "Nein, warum auch?" "Also, die tarnt dich nur, richtig? Sie ändert jetzt nicht deine Sehschärfe, korrekt?" Cecil runzelte die Stirn unter kupferroten Locken und zwischen den kurzen Hörnern. "Du meinzt, izz zeh zzlezzt?", entkleidete somit Ingos zaghafte Versuche, mit Takt auf eine mögliche Quelle der "Ungeschicklichkeiten" hinzuweisen. "Lass uns mal einen Test machen!", eilig erhob Ingo sich, huschte ins Wohnzimmer, wo er in einer kleinen Kiste seine Habseligkeiten verstaute. Rasch kehrte er zurück, um Cecil von den Brillen-Trümmern abzulenken. "Das ist ein Spiel, Mikado. Man schüttet die Stäbe aus und dann darf man sie abwechselnd aufsammeln. Wackelt dabei jedoch ein Stab, ist der andere dran", höflich ließ er Cecil den Vortritt. Ruhige Hände, aber...! "Der Stab da, liegt der für dich gerade oder schief?", wollte Ingo wissen. Cecil blinzelte, fixierte den Stab. "Hier, kannst du das Tablett mal genau waagerecht halten?" Nach einigen Sekunden schob Ingo die Stäbchen beiseite und legte vorsichtig etwas auf das Tablett, "das ist eine Wasserwaage, siehst du die Blase? Die muss genau zwischen diesen beiden Markierungen sein, sonst stimmt der Winkel nicht, ist es schief." Behutsam korrigierte Ingo schließlich die Neigung. "Oh", wisperte sein Gast sehr eloquent. Ingo entführte das Tablett und nahm Cecils Rechte, platzierte die kleine Wasserwaage auf dessen Handrücken, "so ist es gerade. Wie sieht es für dich aus?" Cecils Schultern wanderten höher, selbst die kupferroten Locken schienen geknickt, "waz bedeutet daz?" Ingo schenkte noch mal Tee aus, "das ist gar nicht so schlimm, weißt du? Meine Tante hat das auch, glaube ich. Es bedeutet, dass man Kurven sieht, wo es keine gibt. Mit einer passenden Brille kann man das aber korrigieren." Aufmerksam studierte er Cecils Reaktion, "gibt es bei euch Augenärzte?" "Zizzer!", zischelte Cecil in sich gekehrt. "Wenn du könntest, würdest du dann eine Brille tragen?" Vielleicht war es sehr teuer und deshalb...? Oder fürchtete Cecil Spott? "Daz izt zoo dumm! Wiezo hab izz daran nizzt gedacht?" Tröstend schob Ingo Zwieback über die Tischplatte. "Izz dachte, izz wäre einfach tollpatzzig!", empörte Cecil sich über das eigene, unzulängliche Urteilsvermögen. "Niemand ist tollpatschig, der mit geschlossenen Augen an Häuserwänden herumklettert!", stellte Ingo entschieden fest. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie Cecil das gemeistert hatte. "Na, wenn izz nizztz zehe, kann izz nizztz verfehlen", lautete Cecils Logik. Energisch knurpste der Zwieback in prallen Backen. Ingo entschied, das Spielfeld zu wechseln. Wahrscheinlich verfügte sein Gast aus einer fremden Dimension über ein paar Extras, die er als Mensch nicht drauf hatte! "Was hast du gemacht, um sie zu verscheuchen?" Cecils Miene erhellte sich, ein Grinsen präsentierte das Gebiss mit den spitzen Eckzähnen, "oh, wir haben zo eine Pflanze mit interezzanten Kernen. Wenn man die zu ganz feinem Ztaub zerreibt, dann izzt zie in der Abwehr von Ptkrs effektiv." Ingo warf die Stirn in Falten, "was genau sind Ptkrs?" "Zo fieze Viezzer, die beizzen, wenn zie, na, zizz paaren wollen." Fiese Viecher, das, fand Ingo, konnte auch bei "Abde" keine ganz abwegige Kategorie sein. "Und wie funktioniert das?" Statt einer Antwort entnahm Cecil der Bauchtasche kleine Stoffbeutelchen und eine Schnur mit Haken. "Feztmachen hier, dann kreizeln", deutete Cecil die Einsatzmöglichkeiten an. "Und der Staub fliegt dann aus dem Stoff?" "Genau!", bestätigte Cecil Ingos Schlussfolgerung, "weilz hier gefährlizz werden kann, muzzte izz mizz gut auzrüzten." Spöttisch verdrehte Cecil die Augäpfel und ließ Ingo das Arsenal in der Bauchtasche sehen: Zwille, Schleuder, Wurfgeschosse und Projektile. "Wow, eine Mini-Safari", bemerkte Ingo, durchaus ein wenig neiderfüllt ob der nützlichen Ausrüstung. Andererseits kündete es von einer sehr treffenden Einschätzung der menschlichen Natur. Man konnte da schlecht tadeln. "Dann sage ich herzlichen Dank, dass du die Plagegeister vertrieben hast!", Ingo streckte die Rechte über den Tisch aus, um Cecils zu schütteln, "was würdest du denn jetzt gern machen? ¤>~* Ingo war Gesellschaft in der Heimstatt zu später Stunde nicht gewöhnt. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, Cecil zu unterhalten. Warum nicht das alte Memory-Kartenspiel hervorkramen? Abgegriffen, ja, aber mit Tierbildern drauf, so konnte man auch die "Katze" erklären. Sein Gast bewies ein gutes Gedächtnis, bloß die Ausrichtung: immer wieder wurde zu Vergleichszwecken die Wasserwaage bemüht, nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Dann boten sich gelbe Schlitze und eine steile Falte über der Nase. "Wie funktioniert eigentlich die Brille? Ich meine, sie tarnt ja nur einen Teil deines Gesichts", bemühte Ingo sich um Ablenkung und Sachaufklärung. Cecil beäugte ihn kritisch, "du darfzt aber nizztz verraten, ja?" "Ehrenwort!", gelobte Ingo eifrig. "Alzo, na ja, man guckt ja inz Gezizzt, rizztig? Zo, und dann täuzzt die Brille quazi die Wahrnehmung. Im Kopf." Ingo runzelte die Stirn, "du meinst, ich sehe dich zwar, aber ich erkenne dich nicht als anders?" "Genau!", nickte Cecil mit wippenden, kupferroten Locken, kassierte dabei das nächste Kartenpärchen ein. "Seid ihr aus deiner Dimension denn öfter hier?" "Klar!", Cecil inspizierte ein paar Braunbären interessiert, "gibtz dieze Tiere alle hier?" Ingo lachte, "nein, ganz sicher nicht. Die meisten sind Wildtiere. In der Stadt gibt es höchstens Haustiere, die zahm sind. Oder eingewanderte, kleinere Tiere." Er erhob sich, um eine neue Runde Tee aufzubrühen, "heißt das denn, dass ständig Besucher aus deiner Dimension hier sind? Nicht bloß heute, wo sie nicht so auffallen?" Cecil pickte das nächste Bildpärchen auf, "täglizz. Manzze müzzen zizz tarnen, andere zeht ihr gar nizzt. Aber man muzz aufpazzen, wenn man keine Hilfzmittel benutzt." Ein Seufzen widmete sich den Brillentrümmern, "zum Beizpiel mit Zahnzzmerzen oder Kopfweh oder verztauchten Fuzz darf man nizzt rüber." "Weil dann die Tarnung auffliegen könnte?", schloss Ingo messerscharf. "Genau. Izt gefährlizz." "Und wie geht das? Das Rüberkommen?" "Oh, zo Portale. Wie Türbogen, blozz ohne Tür drin", Cecil kraulte sich die roten Locken, weil ein unpassendes Paar aufgedeckt worden war, sodass die Initiative wieder zu Ingo wechselte. "Können wir denn auch zu euch rüber kommen?", erkundigte er sich interessiert. "Nö. Zumindezt nizzt lebend." Ingos erschrockenen Blick auffangend bemühte sich Cecil um Klärung, "izz weizz nizzt warum, aber ez geht wohl nizzt. Izt nizzt böze gemeint." "Verstehe", murmelte Ingo und schenkte Tee aus, "schade. Ich hätte schon gern mal gesehen, wie es auf deiner Seite aussieht." "Zo anderz izt daz gar nizzt", versicherte Cecil energisch, "weizzt du, Leute zind überall Leute, zagt mein Grozzvater. Blozz die Verpackung izt bunt." Ein optimistisches Motto, fand Ingo. "Na schön, das ist sicher richtig, aber warum kommt ihr denn hierher?" Cecil kicherte unerwartet, "klingt jetzt wie beim Zoll: Vergnügen, Beruf, ärztlizze Behandlung. Reizt du nizzt auch mal?" Ingo dachte nach. Klar, wenn man sich so geschickt tarnen konnte, wie Cecil ihn glauben machte, dann fiel es gar nicht auf, dann konnte man wohl als Mensch durchgehen und die Möglichkeiten nutzen. "Das gibt es aber auch auf eurer Seite, oder?" "Zzon, manzzmal zind hier die Bedingungen aber günztiger. Auzzerdem dürfen wir keinen Zzaden verurzachen. Wizztigste Regel! Dann izt es ja nizzt zzlimm, rizztig?" Dem ließ sich schwer widersprechen. Ingo nippte an seiner Teetasse, "das stimmt schon. Wenn ich an der Grenze wohnen würde, würde ich auch rüberfahren, um zu gucken und so, wenn ich könnte. Im Moment ist das eher ein bisschen schwierig." Cecil betrachtete ihn aufmerksam, "wegen diezen miezen Typen? Keine Angzt, die zind eine ganze Weile auzzer Gefezzt." Ingo stutzte, "aber hast du nicht gesagt, man dürfte hier keinen Schaden anrichten?!" Nun präsentierten sich wieder die spitzen Eckzähne in einem Grinsen, "erztenz Notwehr. Zweitenz Erziehungsmazznahme. Drittenz vorübergehend. Viertenz, zie zind ja nizzt tot, nur bezzäftigt." Das konnte Ingo nicht unaufgeklärt lassen, "womit denn beschäftigt? Kann man das Pulver nicht einfach abwaschen?" Cecil stapelte geübt Karten und bescherte Ingo so eine beeindruckende Niederlage, "zzon. Hilft blozz nizzt. Du brauchzt Zand und Öl, dann einen Zzaber, meizt vier Anläufe mindeztenz." Das erinnerte Ingo an Lektionen zu Hygiene der Gladiatoren bei den Römern. "Krass", kommentierte er entgeistert. Cecil zuckte nonchalant mit den Schultern, "für eine Weile hazt du Ruhe. Zie haben angefangen." Das traf zu. "Na ja, Abde wird ohnehin behaupten, er hätte den Abend mit seiner Freundin verbracht", Ingo erhob sich, nach einer weiteren Unterhaltungsmöglichkeit für seinen Gast suchend. "Heizzt der zo? Glaub kaum, dazz er viel Zeit für andere hat", stellte Cecil nüchtern fest. Ihm gegenüber schnaubte Ingo leise, "ich bin nicht mal sicher, ob es diese Freundin überhaupt gibt, aber wer soll ihm das Gegenteil beweisen?" Cecil, mit der Wasserwaage kritisch abwechselnd seine Handrücken inspizierend, blickte hoch, "izt daz wizztig? Eine Freundin?" "Na ja", Ingo seufzte, "eher wie eine Trophäe, weißt du? Dass man schon so erwachsen ist und außerdem aktiv. Sexuell." Errötend wandte er sich ab. Hinter ihm schnaubte Cecil vernehmlich, "wie albern! Daz izt wie in diezen Filmen, die izz gezehen habe! ÖDE!" Ingo stutzte und wandte sich herum, "welche Filme denn?" Man rollte in beeindruckender Manier die Augen und ließ eine gespaltene, sehr lange Zunge heraushängen, "gräzzlizz LAAAANGWEILIGEZ Zeug! Mit zo Vampiren und Werwölfen und in den anderen wurde gezungen, an einer Zzule! Zo Bazketballzpieler und Mathe-Mädel", erneut lüftete Cecil das Leckbrett, offenkundig kein Lob für die Vorführungen. Ingo lachte, konnte gar nicht anders, "gut, das sind aber alles Erfindungen. Manche interessieren sich auch für andere wichtige Dinge und nicht Beziehungszeug." Er zuckte mit den Schultern, "ist bloß so, dass es im Moment ziemlich angesagt ist, ob man mit jemandem geht, ähem, ich meine, eine Freundin hat. Und dann ist man ein Loser, wenn man wahrscheinlich nie eine abkriegt", schloss er etwas grimmig. Cecil knurrte, "waz für ein Quatzz! Niemand izt doch alz Perzon mehr mit Beziehungen! Izz hab dieze Logik nie kapiert!" Ingo legte den Kopf schief, "klingt so, als wäre das bei euch ein wenig anders?" "Klar! Man kann allein leben, in der Gruppe, mit vielen zuzammen zein, gleizzzeitig, nacheinander. Oder eben nizzt. Hauptzache, ez geht unz gut. Zind ja nizzt alle gleizz, alzo kann ez auch nizzt für alle gleizz zein", was Cecil konsequent und keiner weiteren Beweisführung notwendig erschien. "An der Toleranz arbeiten wir noch", gestand Ingo ein, rieb sich unwillkürlich den Arm. "Darf izz mal zehen?", Cecil deutete mit dem Kinn auf Ingos Prothese. "...klar..." ¤>~* Cecil betrachtete seinen Armstumpf ganz unbefangen, mit Interesse, ohne Wertung, neugierig. "Zieht ganz in Ordnung auz", konstatierte Cecil schließlich, was zutraf, denn an sich wirkte der Stumpf nicht entstellt oder vernarbt. "Brauchzt du daz Ding wirklizz?", ebenso ohne Kontaktscheu studierte Cecil die Prothese. Sie war nicht technisch aufwändig gestaltet, da keine Reflexe übergeleitet werden mussten. "Hin und wieder ist es ganz nützlich. Hauptsächlich dient sie der Optik, damit ich nicht gleich als Behinderter auffalle", erklärte Ingo, überlegte, ob er sich ungeachtet der vorgerückten Zeit doch noch mit ihr ausrüsten sollte, entschied sich dagegen, knöpfte sein Hemd wieder zu und stopfte den leeren Ärmelsaum in die Hosentasche. Cecil präsentierte wieder die Falte über dem Nasenrücken. "Alzo machzt du daz für andere?", eruierte Cecil die Motive. Ingo zuckte mit den Achseln, "auch, aber nicht nur. Manchmal ist es besser, nicht gleich als behindert aufzufallen, dann werde ich erst mal normal behandelt, weißt du? Die Leute sind eben unsicher, was sie sagen oder tun sollen." Cecil sann einen Augenblick über diese Argumente nach. "Verztehe", lautete schließlich sein Urteil. Ingo entschied, dass er Cecil wirklich mochte. So erfrischend direkt und unterhaltsam! "Ich hab noch ein anderes Spiel, ist zwar etwas älter. Hast du Lust?" Cecil grinste und präsentierte die spitzen Eckzähne, "wenn du nizzt zauer wirzt, weil izz wieder gewinne..." ¤>~* Ingo hatte das Spiel vom Flohmarkt, ein bunter Würfel, Figuren, Bäumchen, Ereigniskarten, alles nicht neu, auch musste er Cecil das ein oder andere erklären, aber es machte unheimlich Spaß! Gedopt mit einem sehr milchlastigen Kaffee widmeten sie sich dem Geschehen. Cecil kannte keine Hemmungen mehr, von der anderen Seite zu erzählen, wippte auf und nieder, immer wieder mit der Wasserwaage die eigene Wahrnehmung prüfend. Ingo streute Fragen ein und genoss es, dass Cecil seine "Mängel" gar nicht bemerkte: das knappe Budget, keine teuren Kleider oder Schuhe, kein Smartphone, keine üppigen Snacks. Und natürlich noch einhändig sein. Er erfuhr, dass Cecil Sport mochte, die Kataraktspiele verfolgte, einer Mischung aus Baseball und Football, wobei alle angefeuert wurden, weil ein Spiel nicht stattfinden konnte, wenn es keine Spielenden in unterschiedlichen Positionen gab! Das hätte Ingo auch gern auf DIESER Seite angewandt gesehen, wo Fußball hin und wieder wie die Fortsetzung von kriegerischen Auseinandersetzung mit reduzierten Mitteln wirkte. Cecil hatte Freunde mit kurios klingenden Namen, saß nicht gern lange still und war bei Naturwissenschaften besser als bei Sprachen, außerdem trommelte Cecil in der Schulband, wohnte mit der Großfamilie zusammen, verbrachte nur wenig Zeit drinnen. Was, glaubte Ingo, auch erklärte, dass sich seine kargen Lebensumstände für Cecil nicht bemerkenswert ausnahmen. Gesellschaftsspiele mochte Cecil auch gern, nur eben Sport ein wenig lieber. Durch das Koffein angefeuert hatten sie viel Spaß und nur widerwillig blies Ingo zum Aufbruch, aber er hatte ja versprochen, Cecil pünktlich zum Treffpunkt zu geleiten, ganz gleich, wie sehr er nun bedauerte, dass dieses Abenteuer sich dem Ende neigte. ¤>~* "Seien wir lieber etwas vorsichtig. Weißt du, wegen Halloween sind manchmal Betrunkene oder Krawallmacher unterwegs", begründete Ingo seine Nervosität. Cecil wirkte nicht beunruhigt, "izz zehe niemanden, aber izz zag gleizz Bezzeid." Nun, bei Cecils vermuteter Nachtsicht konnte Ingo sich nicht beklagen, außerdem hörte er ja gut und konnte Schwierigkeiten umgehen. Viel zu rasch erreichten sie die Nähe des Treffpunkts kurz vor Mitternacht. Dort befand sich schon eine Gruppe von Jugendlichen, erstaunlich sittsam trotz der vorgeblichen Maskierungen. "Hat dich niemand vermisst?", staunte Ingo, an der Straßenecke in einem Häuserschatten innehaltend. "Nö, beztimmt nizzt. Wir zollten unz ja aufteilen. Izz bin blozz zzon vorher verloren gegangen", stellte Cecil richtig. "Tja, dann", Ingo zwang sich ein Lächeln auf, "es hat mir sehr viel Spaß gemacht, heute Abend, mit dir. Hier, als Erinnerung", damit überreichte er Cecil die kleine Wasserwaage. "Oh, danke zzön!", Cecil legte den Kopf ein wenig schief, "dann lazze izz dir daz hier, auch als Erinnerung." So kam Ingo in den Besitz einer recht großen Scherbe, die die menschliche Wahrnehmung manipulieren konnte, aber nicht nur das: gänzlich unerwartet umhalste Cecil ihn, drückte ihn kurz, aber kräftig, "übrigenz, du bizt kein Lozer! Im Gegenzatz zu diezem miezen Abde hazt du den ganzen Abend WIRKLIZZ mit einem Mädel verbracht!" ¤>~* Ingo betrachtete aus der Entfernung, wie Cecil, die vermutlich eine Cecile war, sich im Laufschritt zu ihrer Klasse bewegte. Man freute sich gesittet, zählte durch, in der Ferne schlug eine Kirchturmuhr sehr gedämpft Mitternacht... Und der Platz war leer, wie von Zauberhand. Ingo trat hervor und spazierte sehr langsam hinüber. Nichts. Niemand. Vorsichtig nahm er die Scherbe hervor, hielt sie mit seiner Rechten. Oha. Man ahnte vage Umrisse wie von einem durchscheinenden Tor. Rasch steckte er die Scherbe wieder weg, begab sich recht beschwingt trotz des überlangen Tags auf den Heimweg. Cecile... Schade, dass er niemandem von ihr erzählen durfte! Trotzdem. Er drückte den Rücken ein wenig gerader durch. Irgendwo da draußen gab es vielleicht andere wie Cecile, mit denen man sich anfreunden und Spaß haben konnte. Also fing SEIN Abenteuer vielleicht gerade erst richtig an! ¤>~* Teil 3 Sein Magen hatte das Knurren eingestellt, beim Aufrichten bemerkte er aber, wie ihn ein leichter Schwindel überkam. Verdammt! Dabei wusste er ja selbst, dass sein chronisch niedriger Blutdruck regelmäßige Nahrungsversorgung einforderte! Vom ganzen Rest mal ganz zu schweigen, aber die Mittagspause war ausgefallen: Techniker im Außeneinsatz, zu viele Termine, zu wenige Kolleginnen und Kollegen, und dann auch noch Kalamitäten wie die unerfreuliche Grünpflanze, die hartnäckig IN den Verteilerkasten wucherte! Eine Machete wäre da praktisch gewesen, aber die gehörte nicht zur Ausstattung, wog vermutlich auch eine Menge, was zum nächsten Problem führte. Er beendete auf dem Tablet seinen Einsatz, ließ die Bestätigung registrieren, ächzte und lehnte sich schwerer gegen sein Rad. Jetzt bloß heim! Vorher noch etwas, aber nein, bei der vorgerückten Stunde hätte er das Nachsehen! Dunkel war es schon länger, klar, Herbst, fast November, aber die Straßenlaterne hatte ihm in seinem Tunnel genügt, wenn er sich mal konzentrierte, konnte er viel ausblenden, typischer Tunnelblick eben. Seufzend ging er sehr bedächtig in die Knie. Nur den Schwindel nicht provozieren! Er verstaute Werkzeug und Zubehör in dem merklich geleerten Anhänger seines Fahrrads. Früher fuhr man mit dem Auto vor, "Vertreter-Schaukel" mit großem Kofferraum wegen der Ersatzteile, die man gleich bei der Kundschaft aufstellte und einrichtete. Die wurden zwar immer kleiner und leichter, aber bei schlechtem Wetter beispielsweise war es doch nett... Doch darum ging es nicht, nicht mehr. Nachdem die Verkehrsbehörden mal die Sondererlaubnisse fürs Parken durchgesehen hatten, wurden diese stark reduziert, mit anderen Worten: homo technicus im Außeneinsatz bekam keine mehr. Also Parkplatzsuche, Zeitverlust, Transportwege, Verspätungen, weshalb die Zentrale entschied, innerhalb der Städte auf "umweltfreundliche" Varianten umzusteigen. Ja, auf dem Land wäre das anders, aber da gab es ja so exotische Dinge wie Internet kaum! Nun also Fahrrad mit elektrischer Unterstützung (wenn man kräftig genug in die Pedalen trat) plus Anhänger wie bei den Kurierdiensten, mit starker Sicherung (die auch Einiges wog), aber eingebauter Gesundheitsfürsorge! Frische Luft, man kann das Gespann überall abstellen, kaum Flächenverbrauch UND, Tusch! Nämlich für die neue "Outdoor"-Bekleidung! Die, nun ja, in gewisser Weise, schon recht praktisch war, seit Jahrzehnten von Zustelldiensten erprobt. Aha. Nun ja. Beschwerden halfen da gar nichts, man musste durch, weshalb er sich nun an seinem Fahrrad festhielt und durchschnaufte. Himmel, er hätte wirklich etwas essen sollen, aber der Zeitdruck, die Aufträge... Jetzt waren 22 Uhr durch, er erschöpft und hungrig, oh! Pflichtschuldig fingerte er sein privates Smartphone heraus: bissiger werdende Mitteilungen, weil er sich nicht meldete (was während der Arbeit untersagt war), weil er ungesellig war. Nein, zu dieser Party würde er es garantiert nicht schaffen, vor allem nicht in seinem Zustand, außerdem war morgen ein ganz normaler Arbeitstag mit zu vielen Aufträgen in zu engen Zeitfenstern. Ja, schon. Er wäre schon mal wieder gern ausgegangen, nicht allein, nein, deshalb... aber wenn man seinen Bekannten immer nur absagte (-sagen musste), zu spät antwortete, dann blieb man als Workaholic besser allein! Das stellte zumindest das Fazit der ärgerlichen Kurzbotschaften dar. Tja. Ihm fehlte die Kraft, sich darüber zu ärgern oder auch nur die richtigen Buchstaben zu touchieren, um eine kurze Entschuldigung zu senden. Wahrscheinlich würde er nicht mal die elektrische Unterstützung vom Fahrrad aktivieren können. Was für ein Horrortag! Dazu brauchte es wahrlich weder Monster, noch Ungeheuer oder sonstige Figuren! ¤>~* Natürlich schaffte er die notwendige Antriebsenergie nicht, weshalb der elektrische Zusatzmotor gar nicht ansprang. Ausgepumpt nutzte er sein Fahrradgespann als überlangen Rollator, steuerte den Hinterhof an. Dort durften nur noch Fahrräder abgestellt werden. Mühsam japsend schloss er das Fahrrad an, klaubte die als Trolley ziehbare Tasche aus dem Anhänger. Damit die Treppen hoch? Keine Chance! Also im Kellerverschlag einschließen. Er war noch nicht allzu lange in das Einzimmer-Appartement unter dem Dach eingezogen, nicht gerade willig empfangen, was nicht persönlich gemeint war, sondern der Vorgeschichte geschuldet. Der findige Vermieter hatte die Mietverträge studiert und festgestellt, dass der "Trockenboden" nicht zugesichert wurde, deshalb stellte er in den Waschkeller neben die beiden Industriewaschmaschinen zwei Trockner, ließ den Dachboden umbauen mit dem, was Mikro-Appartements in Asien, Caravans und Schiffskabinen so an Minimalisierung hergaben, kompakt, mit automatischer Belüftung zur Schimmelvermeidung, gut gedämmt, für moderne Großstadt-Singles geeignet. Eine rettende Möglichkeit, wenn man aus der ehemaligen WG herauskomplimentiert wurde, weil man eben Studium respektive Ausbildung bereits abgeschlossen hatte. So gesehen ein Glücksfall, auch wenn es keinen Aufzug gab und die Stiegen recht steil waren, doch die Miete ließ sich finanzieren und nach dem Auszug aus der WG verfügte er auch nicht über allzu viel Besitz, sodass die bescheidene Fläche nicht negativ ins Gewicht fiel. Zudem gab es ja den Kellerverschlag, wo man die Beladung verstauen konnte! Und die sollte man jetzt unfallfrei ansteuern, bevor dann der schwere Aufstieg nach oben... "Verzeihung! Entschuldigung bitte? Pardon? Ob du mir wohl freundlicherweise behilflich...? Dauert auch nur ein Augenblickchen...?" Von einem Silbenschwall umspült blickte er benommen auf, stützte sich schwer auf den Trolley, "um was geht es denn?" Liebe Güte, war der Bursche auf der Suche nach einem Club für eine Party mit diesen LB...wie waren noch die weiteren Buchstaben? Oje... Dann gingen die Lichter aus. ¤>~* Witterung aufnehmen. HhhhmmmmHMMMMMM!! Köstlicher Geruch! Bevor sich die Augenlider hochrollen konnten, saß er schon aufrecht. "Ach herrje, das klingt ja...! Also, ich würde sagen ausgehungert! Nicht wahr? Ich hab mir erlaubt, ich meine, es schien mir durchaus gerechtfertigt... Übrigens sehr aufgeräumt...Halt, halt, übersichtlich! ÜBERSICHTLICH!" Wieder der Silbenschwall und direkt an seiner Seite, auf seinem EIGENEN Bett, hockte der Fremde von unten im Hof mit einem Topf auf dem Schoß. Darunter dieser seltsame Rock, Kilt?! "Äh..." "Oh, Verzeihung! Ah, Besteck hier! Ich hab mich getummelt, nun, umgesehen... Wegen...also, ich will ja nicht persönlich.., aber dieses Geräusch! Da dachte ich mir eben...Und so umzufallen...Ah, genau! Die Tasche habe ich neben die Tür...nicht wahr? Soll ja nichts wegkommen!" Heftiges Blinzeln, höchstens die Hälfte der Worte aufgenommen. Was um alles in der Welt?! "Toll, dieser magische Würfel, übrigens! Ungeheuer praktisch! Ah, darf ich helfen...? Oh, bitte, keine Umstände, erst mal Energie, richtig? Sonst kann man ja... Herrjemine, bin ich aufgeregt! Oh, das ist wirklich so toll...!" Man sollte zwingend in diesen Monolog grätschen, einen Beitrag leisten, nicht bloß unmanierlich sabbern und dem eigenen Magenknurren lauschen. Doch... Ah! Aufmerksam wurde eine Löffelladung gelöscht, und so langsam kehrte auch das Leben wieder. ¤>~* Das letzte Mal, dass er gefüttert worden war, musste mit acht Jahren gewesen sein, da hatte er sich beim ersten und letzten Versuch auf einem Skateboard den rechten Arm gebrochen. Im Nachhinein betrachtet keine völlige Katastrophe, denn so konnte er endlich Linkshänder sein, weil seine Eltern zuvor der Vorstellung angehangen hatten, nur Kreative konnten mit Links schreiben. Zugegeben, besonders kreativ fühlte er sich selten, aber mit Links ging Vieles schlichtweg leichter, auch nach der Heilung. Während er brav aus seiner Schüssel kaute, mutmaßlich den Inhalt seiner bescheidenen Vorratsgläser, kehrte auch das Fein-Tuning seines Verstandes zurück, nämlich mal die aktuelle Situation zu analysieren. Wie, nur um ein Beispiel anzuführen, kam er vom Hof hier hoch, unters Dach und woher wusste der noch unbekannte Fremde, dass dies hier sein Refugium war?! Was war das für ein Aufzug und um welchen magischen Würfel ging es eigentlich?! Da die Fütterung in gleichbleibendem Rhythmus weiterging, verlegte er sich zunächst auf die Beobachtung, blendete den Wortschwall aus: eine Weste aus flusiger Wolle, an alte Flokati-Bettvorleger erinnernd. Was das für Tiere mit dieser Wolle waren, wollte er lieber gar nicht herausfinden. Kein Hemd darunter, sehr hitzige Type vermutlich. Der komische Kilt, Faltenrock mit Hahnentritt in rot und blau statt Karo-Muster. Eine dezent bronzefarbene Haut, glatt, kein Schmuck, herzförmiges Gesicht, Undercut mit lila Spiralfedern, nun, Korkenzieherlocken in einem auf dem Schädeldach befindlichen dicken Band. Kurios.... Gleichförmige, freundliche Linien, Symmetrie mit Stupsnase und unglaublichen Augen, groß, ohne jede Einschlüsse, veilchenblau, von innen heraus leuchtend, akzentuiert von dichten, schwarzen Wimpern und pfeilgeraden, lila gefärbten (?) Augenbrauen. Charismatisch, gar keine Frage! Wenn man zu lange in diese Augen sah, vergaß man alles, sogar das Kauen! Unterdessen hatten die Ohren längst genug vom lästigen Primat der Augen, immerhin wurden sie nahezu pausenlos beschallt! Weshalb sie ungeduldig die optische Analyse abkürzten und so erneut das Stichwort fiel, in das Innuendo von Erklärungen zur selbstherrlichen Bemächtigung der winzigen Kombüse. "Ungeheuer praktisch, dieser Würfel! Zum ersten Mal habe ich heute...ich meine, ich habe natürlich darüber gelesen, sicher! Aber so richtig...! Ganz famos! Wenn man bedenkt, wie rasch....!" "Reden wir hier von meiner Mikrowelle?" "Mikrowelle. MIKROWELLE! Exakt! GENAU das Wort, das mir gefehlt hat! Ja, Mikrowelle! Wunderbares Gerät, in der Tat! Einfach im Gebrauch, zugegeben, man benötigt diesen Strom, trotzdem..." Erneut verlangte das Gehirn ein Einhaken, "stimmt, kochst du denn nicht mit Strom?" "Ah, nein, in der Tat, gute Frage! Nein, wirklich, ich nutze durchaus Energie, jedoch eher direkt, also natürliche Quellen! Immerhin sehr praktisch, Magma und derlei..." "Sekunde mal, meinst du etwa Geothermie?" "Vollkommen richtig! Gar kein Zweifel, treffend erkannt! Nicht ganz so mobil und handlich wie die Variante hier, leider. Ich bin auch fürchterlich neugierig... Ich meine, es wäre natürlich prima gewesen...Nicht, dass ich das voraussetze, selbstverständlich...! Aber diese Küchenwundermaschinen... Wahre Alleskönner, so las ich! Faszinierend! Programmierbar! Unglaublich. Da hätte ich wohl der Versuchung... Natürlich vorsichtig, mit Bedacht! Aber schon aus professioneller Neugierde..." Der Löffel wanderte leer in Schleifen durch die Luft, während anmutig der Wortschwall untermalt wurde und altmodisch der Groschen fiel. "Moment mal, geht es hier um diese dämlichen Nicht-Alles-Könner von einem Staubsauger-Verticker?!" Unangenehme Erinnerungen an endlose Diskussionen mit der eigenen Mutter brandeten auf. Überteuerter, hochgejubelter, lautstarker Platzhalter für Trend-Trottel! "Oh, ja, genau! Man stelle sich vor...!" "Hier nicht", stellte er kategorisch richtig und nicht "vor", "der Murks kann nicht mal Bratkartoffeln", somit für ihn ein absolutes Ausschlusskriterium. Außerdem BRAUCHTE man den Plunder schlichtweg nicht, wenn man wenige, aber gute Küchenutensilien besaß! Sein Gegenüber starrte ihn ungläubig an, die veilchenblauen Augen schienen den gesamten Raum auszuleuchten. "Keine Bratkartoffeln?", zum ersten Mal stockte der Silbenschwall merklich. "Nein." Sogar der Löffel plumpste in die nahezu geleerte Schale, "ach du liebe Zeit. Oh du jemine. Wer hätte..also...das habe ich nun wirklich nicht...sehr unerwartet!" In diesen Augenblick profunder Erschütterung musste man die Gesprächsführung an sich bringen, allein schon, um mit der frisch zugeführten Energie Notwendigkeiten zu bedienen, "zunächst mal vielen Dank fürs Essen. Aber, wie bin ich hier hoch gekommen? Und woher wusstest du..?" "Oh, war mir ein Vergnügen, wirklich, absolut! Keiner Rede wert, nein, nein! Ah, genau! Ja, nun, ich dachte, Hoppla, du kannst ja nicht einfach...! Will meinen, so liegen lassen, das geht doch nicht! Deshalb erlaubte ich mir... Oh, ist sonst gar nicht meine Art, nein, nein, Diskretion, aber hallo...! Bloß, in der Lage... Nun, ich dachte, Schlüssel ist da, also passendes Schloss, dazu noch leere Wohnung... Ich meine, sonst wäre ja, nicht wahr, so zum Aufhelfen... Deshalb schloss ich, rein logisch... und erster Versuch, erster Treffer!" "Du hast mich hier hoch geschafft?!" Ein Grinsen prägte das herzförmige Gesicht, die lila Spiralfedern tanzten förmlich, "ah, nicht der Rede wert, keine große Sache! Ich sehe nicht danach aus, jaja,... Verborgene Stärke, heißt das nicht so? Zudem, mit ein bisschen Einsatzfreude...!" Verblüffend. Dieser eher sehnig wirkende Bursche hatte ihn fünf Stockwerke nach oben geschleppt?! Plus den Trolley?! "Vielen Dank. Musst du denn nicht auf eine Party? Oder so?", so langsam schien es angezeigt, die Fronten zu klären, immerhin musste es spät sein, und trotz der unerwarteten Fütterung war er sehr, sehr müde. "Ah, ja, nun! Es ist so... Wie soll ich das...?! Tatsächlich...also, ich bin durchaus nicht abgeneigt, ganz sicher nicht! Feiern, Partys, Gesellschaft, feine Sachen, jaja! Nur, so ganz konkret... Vielmehr! Tendenziell...also, mit starker Tendenz... Will sagen, es verhielt sich eher...spontan! Exakt! Oh, ich war durchaus präpariert, man weiß ja nie, dieser eine Augenblick...! Zugegeben, die Chancen...ganz schlecht! Sehr schlecht, miserabel, quasi! Hätte aber doch... und dann... just! Nur einen Wimpernschlag Zeit! Da bin ich...quasi gesprungen! Hätte gar nicht vermutet...! Also, gehofft, natürlich, selbstredend! Bloß so plötzlich... so, beinahe aus dem Nichts!" Er verstand gar nichts außer diesen Bruchteil-Sätzen, der werbenden Lebhaftigkeit, ausholenden Gesten. Sehr sympathisch, das schon, nur zur Sachaufklärung trug dieser aufregte Vortrag so gar nichts bei, erinnerte eher an bestimmte amerikanische Komödien, was de facto nicht nützlich war. "Also bist du nicht auf dem Weg zu einer Party und verspätest dich gerade kolossal?", man fragte der Höflichkeit geschuldet nach. "Nun, nicht direkt. Keineswegs geplant...was nicht heißt...! Ausgeschlossen, das kann man nicht sagen, eher wenig wahrscheinlich. So in der Abwägung...in Anbetracht... Nicht wahr?" Die Konfusion lichtete sich keineswegs. Wenn es nicht zu einer Party ging oder ein Clubbesuch anstand, wieso dann dieser Aufzug?! Reichlich wirr! Da half es vielleicht, ein anderes Areal zu sondieren, angefangen damit, eine Unmanierlichkeit auszumerzen. "Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt", er seufzte leise und straffte das Rückgrat für das Unvermeidliche, "ich heiße Gandalf." ¤>~* "Ach herrje, wie ungezogen von mir! Freut mich sehr, habe die Ehre, ist mir ein Vergnügen!" Gandalf blinzelte verblüfft auf seine okkupierte und durchgeschüttelte Rechte. Pokerface? Oder...? "Meine Eltern waren Fans. Ich nicht", legte er nach, seinen Gegenüber zu überrumpeln. "Oh, Fans? Ah, Liebhaber, Verehrer, verstehe! Leider...bitte um Nachsicht! Beschämend, durchaus! Nun...peinlich, ja ...war dieser Gandalf, dein Namensvetter, berühmt?" Gandalf starrte in die veilchenblauen Augen, berückend schön, exotisch, fast schon hypnotisierend. "Ähm, das ist keine real existierende Person, nach der ICH benannt wurde, sondern eine Figur aus einem Romanzyklus. Von Tolkien. Wurde aufwändig verfilmt", half er nach, jede Regung belauernd. "Ojemine! Da bin ich blamiert, nicht wahr?! Das werde ich umgehend... ich meine nachholen! Leider mangelt es mir an Zugang... ich meine, Filme! Wunderbar, ganz sicher, nur die Gelegenheit..." Gandalf lehnte sich leicht zurück. Entweder erlebte er hier eine Oscar-reife Vorstellung, oder vor ihm saß der erste Mann, der NICHT auf seinen Taufnamen reagierte, nämlich mit Spott, Häme, einem blöden Spruch oder Mitleid. "Und deine Name lautet?" "Uh, genau! Unmöglich, schlechte Manieren, die Aufregung! Verzeihung, Pardon, ich darf mich, ach, viel zu spät, bekannt machen! Mein Name ist Ziggy", erneuter Händedruck, während Gandalf einen Moment zögerte, den Fettnapf mit beiden Füßen zu okkupieren. "Ziggy wie Ziggy Stardust von David Bowie?" ¤>~* Noch mal die nicht prämierbare Reaktion. "Ah, bitte um Nachsicht... Ziggy wie mein Großonkel. Schon verblichen, deshalb keine Verwechslungsgefahr... Hätte aber auch als Einziger darauf gehört, das Rufen, meine ich, sagt meine Großtante... Leider, Verzeihung, bin ich erneut nicht im Bilde.. wer sind diese Personen?" Gandalf atmete tief durch, "nicht von Bedeutung, Ziggy. Und ich halte dich bestimmt nicht auf?" Eifriges Kopfschütteln, die lila Springfedern auf dem Schädel dengelten wild. "Nein, keine Rede, ganz und gar...! Bin hocherfreut, Gandalf, diese Bekanntschaft..!!", der sich von der erneuten Schüttelei seiner Rechten durchgerüttelt fühlte. "Ja, ganz meinerseits, danke, aber eigentlich ruft mich niemand so. Ich mag meinen Namen nämlich nicht." Wer würde DEN auch mögen, mit SO einer erfundenen Biographie und STEINALT dazu?! Dazu noch "grau", obwohl er diesen Zustand mit Mitte Zwanzig ganz sicher nicht anstrebte! "Aha?! Du liebe Zeit, sehr wohl, natürlich! Wie darf ich dich adressieren? Ich bin ganz Ohr, selbstverständlich!" »Vor allem ganz Plaudertasche«, dachte Gandalf und hoffte, ihm würde nicht "Alf" vorgeschlagen, aus ähnlichen Gründen keine erwünschte Alternative, "die meisten rufen mich Ski. Abkürzung meines Nachnamens, Wittokombski." Noch mal drückte Ziggy ihm die Rechte, "freut mich sehr! Ski! Ski, ja, durchaus, hübsch kurz! Und geht leicht von der Zunge! Ich bitte erneut um Nachsicht für die Bildungslücken, sehr unangenehm. Dabei dachte ich... aber da sieht man's mal wieder! Zu sehr auf einen Aspekt...! Aber was soll man machen, so wenig Zeit, so viel zu lernen...! Und wo der Magen... jaja, das muss ich zugeben!" Gandalf unterdrückte einen erschöpften Seufzer. War es Ziggy nicht möglich, in vollständigen Sätzen zu sprechen? Was meinte er denn jetzt? Was Ziggy tat, war, sich erheben, die geleerte Schüssel mit einer 180 Grad-Drehung der winzigen Spülschüssel anzuvertrauen, in der Vogeltränke, die eine Pseudo-Spüle darstellte, wurde es schon für eine Kaffeetasse mit Untersetzer recht eng. "Hab ich richtig verstanden, dass du dich fürs Kochen interessierst? Bist du vielleicht ein Profi?", versuchte Gandalf, sich ein Bild zu machen, das nicht aus Bruchstücken bestand. "Beinahe, zumindest fast! Also, ich wäre schon... würde gerne, absolut! Nur, es ist traurig...diese Gerüchte! Unzutreffend, allesamt, bloß wie im Sprichwort, sind sie schneller...!" "Was denn für Gerüchte?", Gandalf schwirrte der Kopf. Ziggy ließ die Schultern hängen, zog eine Grimasse des Grams. "Ganz und gar unwahr! Gewalttätig, laut, sogar Kinderfresser! Dabei tun wir nun wirklich niemandem was! Zumindest nicht absichtlich! Das war ein Unfall, die kommen ja vor, richtig?! Eine Verkettung! Sehr bedauerlich!", nickte Ziggy hastig, die lila Spiralfedern wippten, die Miene bot großen Ernst. Da Gandalf den Vorwurf des Kannibalismus eher selten hörte, versuchte er trotz geringer Hoffnung, in das Unterholz Licht zu bringen, "was ist denn da passiert?" Ziggy paradierte genau drei Schritte auf und nieder, mehr Platz bot sich nicht. "Keine Absicht, oh nein! Nun, ich HIELT Abstand, ganz zivil! Bloß! Hier, der Riemen...und dann der Abhang! Eine elende Stolperei, ganz schlecht zu steuern!", dabei hüpfte Ziggy auf einem Bein, um kreuzweise hoch geschnürte Riemensandalen zu präsentieren. Gandalf runzelte unwillkürlich die Stirn. Es hatte knapp über Null Grad um diese Uhrzeit, und da lief einer mit ärmelloser Weste, Rock und Sandalen herum?! "Du bist einen Abhang hinunter ins Stolpern gekommen? Weil ein Riemen gerissen ist, und dann?!", puzzelte er Vermutungen mit Einzelfragmenten einer Konversation zusammen. Ziggy seufzte geknickt, "tja, nun, ich stürzte...leider, bestimmt nicht gezielt...! Und es war lediglich eine geprellte Hüfte! Ganz und gar nicht Absicht! Das würde ich nie...! Wo ich doch nur nachschauen... Picknick, da ist man doch, so aus professionellem Interesse...! So als Anregung!" Gandalf massierte sich mit den Fingerknöcheln die Schläfen, "du wolltest wissen, was diese Person fürs Picknick hatte? Bist dann in sie rein gestolpert?" Zumindest eine mögliche Interpretation der Mosaiksteinchen. "Ja, nun... in der Tat...", Ziggy rang die Hände, "wirklich, wir tun niemandem was zuleide! Und trotzdem... wie soll man auch...?! Man müsste reden...aber wenn sie gleich weglaufen?! Oh, es ist so...so... so wenig ERBAULICH!" Eigentlich, dachte Gandalf, wirkte Ziggy nun nicht wie jemand, der andere schon beim Anblick in die Flucht schlug. Anders nahm es sich vielleicht aus, wenn er den Mund aufmachte. "Was wolltest du denn heute Abend unternehmen? Hattest du mich nicht etwas gefragt?", nahm Gandalf den nächsten, seiner Kondition nach letzten Anlauf, Ziggy etwas Sachdienliches zu entlocken. Der plumpste energiegeladen zurück auf die Bettkante, federte nach, dass die Spiralen wild schwangen. "Eigentlich wollte ich bloß ein wenig wilde Rauke pflücken, aber wie ich da die Reisegruppe sehe und die Torwache einen Niesanfall hatte..." Gandalf schlug die Hände vors Gesicht. Nein, diese skurrile Begegnung wurde kein Bisschen klarer! ¤>~* "Stopp!", gebot Gandalf, die Linke hochgereckt, atmete tief durch, denn nun würde er undankbar beleidigend und unverschämt persönlich werden, "entschuldige, Ziggy, aber wäre es dir möglich, in ganzen Sätzen zu sprechen? Ich bin nicht gerade in blendender Form und habe echt Mühe, dir zu folgen." So! Ungezogen ungefiltert vor den Latz geballert! Gandalf blinzelte und erwartete eine gepfefferte Antwort oder vielleicht auch nur diverse Bruchstücke, wie Schrapnells. Ziggy hielt mitten in einer ungezählten Silbenwolke inne. "Ach herrje", stellte er dann erstaunlich zivil fest, "Hoppla." "Hoppla?", gab Gandalf das Echo und rang mit seinem platten Kreislauf, der ihn auch noch daran erinnerte, dass die Umstellung auf Winterzeit just fünf Tage zurück lag, was den "Jetlag" noch nicht zum Abklingen gebracht hatte. "Also..." "Bitte in ganzen Sätzen, ja?", erinnerte Gandalf unnachgiebig. Die veilchenblauen Augen glühten, anders konnte man es gar nicht beschreiben. Sehr ungewöhnlich. Musste eine Art von Kontaktlinse sein, wie Gandalf sie dato noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. "In der Tat...darf ich eigentlich...streng genommen...gar nichts verraten." Ein vollständiger Satz! Gandalf massierte sich mit den Fingerknöcheln die Schläfen. "Ah, ist das so eine Zwickmühle wie in den Agentenstreifen? Wenn du mir die Wahrheit sagst, musst du mich umbringen?", riskierte er einen müden Scherz. Ziggy wirkte nun dezent verstimmt, "ohne penetrant werden zu wollen...möchte ich darauf hinweisen, dass...ich...wir NIEMANDEN umbringen. Das sind lediglich haltlose Gerüchte." Oha, warnte der Selbsterhaltungstrieb Gandalf. Möglicherweise stellte es für SEINE unmittelbare Zukunft keine weise Wahl dar, Ziggy zu provozieren, immerhin hatte der ihn offenbar mühelos hier hoch befördert, und fürs Aussterben fühlte Gandalf sich noch nicht präpariert. "Ich meinte das als Anspielung auf Filme, wenn es um große Geheimnisse geht", seufzte Gandalf. Wahrscheinlich war er doch schlicht zu erschöpft, um eine sinnvolle Unterhaltung zu führen. Unterdessen kramte Ziggy an seiner Person herum und produzierte einen flachen Beutel, dessen Inhalt er eilig durchpflügte, ein winziges Notizbuch hervorzog. Blinzelnd verfolgte Gandalf diese Aktion, sich in Sicherheit wähnend. "Verzeihung...ob du wohl...ein wenig Natron hättest?" "Natron wie für Backpulver?", erkundigte Gandalf sich verwirrt. "Exakt! Ja, genau!", beinahe flehentlich, auf der Matratze wippend, funkelte ihn Ziggy mit diesen ungewöhnlichen Augen an. "Klar. Aber in Pulverform, nicht als gepresste Tabletten", gab Gandalf zu bedenken, der sich mit Hausmitteln durchaus vertraut gemacht hatte. Häufig erleichterten sie das eher schlichte Dasein während der "Lehrjahre". "Oh, wunderbar! Grandios!", freute Ziggy sich wie eine sehr sonnige Variante des Schneekönigs, strahlte ihn begeistert an, "so kann ich alles...herrlich!" Beinahe erwartete Gandalf einen spontanen Freudentanz ob der Euphorie, aber diese Extravaganz scheiterte am Bewegungsspielraum. Den er sich selbst auch langsam mal verschaffen musste! Ziggy hatte ihn hilfsbereit auf seinem Bett drapiert, nur in voller Montur, minus Turnschuhe und selbst die beste Outdoor-Variante von Bekleidung neigte irgendwann zu tropischen Verhältnissen. Mit anderen Worten: man schwitzte wie in einer Finnischen Dampfsauna! Weshalb Gandalf sein gerade gewonnenes Quantum an Energie dafür verwenden wollte, sich zu entpuppen, selbstredend nur in einem schicklichen Maß. "Brauchst du das Natron denn jetzt gleich?", erkundigte er sich, während er die Beine über die Bettkante schwang, gleichzeitig den Reißverschluss der Windjacke herunter zerrte, sich wie ein rheumatischer Schlangentänzer aus den klebrig-anhänglichen Ärmeln wand, still die Funktionsunterbekleidung verwünschend, die eine zweite Karriere als Wurstpelle anzustreben schien. Wie ein armes Würstchen kam er sich nämlich durchaus angesichts der Verrenkungen vor! Allzu spät registrierte er die ungewohnte Stille, wandte den Kopf seinem Gast zu. Die veilchenblauen Augen glühten von innen heraus, eine surreale Intensität der ungewöhnlichen Farbe. "...oh, wie unfair...", wisperte Ziggy, rutschte heran. Irritiert wich Gandalf zurück, von seinem Selbsterhaltungstrieb hysterisch angetrieben. Irgendwas war hier ganz und gar nicht koscher! "...warum nur...du riechst so gut....hmmmm....!" "Bitte?!", quäkte Gandalf empört, der aufgrund seiner allergiegeplagten Jugend nirgendwo Duftöle tolerierte. Nicht in der Rasierseife, der Zahnpasta, der Waschemulsion oder dem Kristalldeodorant! "..oje...da kann ich einfach nicht... widerstehen...", raunte Ziggy mehr als begehrlich, erinnerte Gandalf daran, dass er fünf Stockwerke hoch transportiert worden war, auch wenn Ziggys Gestalt dies nicht vermuten ließ, "entschuldige...ich MUSS dich einfach fressen!" ¤>~* Bevor Gandalf die Flucht ergreifen konnte, wurde er an der lästigen Bekleidung gepackt, längs ausgestreckt! Ziggy drückte ihn nieder, stieß wie ein Raubvogel hinab, küsste Gandalf so leidenschaftlich und intim, dass der mangels Übung und Sauerstoff temporär den Betrieb einstellte. ¤>~* Gandalf blinzelte, angelte blind nach dem Wecker. Na klar, verflixte Zeitumstellung! Er hatte noch ein wenig Zeit...Moment! Nahm sein Verstand Fahrt auf. »Wieso liegen wir hier NACKIG im Bett herum?!« Schlagartig klappte Gandalf hoch, schnappte nach Luft, sah nur noch Sternchen und plumpste zurück aufs Kissen. »Was sollte denn das werden?!«, brachte sich grummelnd sein Kreislauf in Erinnerung. Schööööön langsam..... Gandalf zählte wie jeden Morgen seine Gliedmaßen durch: Fingerspitzen, Zehen, Nase, gut, Haarspitzen, das war nicht viel, aber das ausbleichende Ex-Blond in dünner Glätte bot auch keinen bemerkenswerten Anblick, weshalb er es stutzte. Also, noch mal von vorne: definitiv textilfrei, was sich seit, also, Ewigkeiten, nicht mehr ergeben hatte. Sehr bedächtig drehte Gandalf den Kopf. Neben ihm, auf der Bettdecke, lagerte der verrückte Aushilfskannibale! Schlief, trügerisch harmlos wirkend ohne Flusenweste, Hahnentritt-Kilt, Sandalen, nur mit einem Suspensorium bekleidet, wenn man das im Zwielicht der Streubeleuchtung des Dachfensters korrekt erkennen konnte, eher sehnige Erscheinung, wie bei einem Tänzer, kein Fett, nur akzentuierte Muskeln. Empörung mischte sich in die Beobachtung. Dieser Kerl hatte ihn unlängst schamlos attackiert, ihm quasi oral eine inwendige Bestandsaufnahme aufgezwungen! So zu KNUTSCHEN, das war fast schon Körperverletzung! Nicht nur das, der Kerl hatte auch...das machte man doch nicht! Einfach zugreifen, nicht loslassen, und...! Gandalf seufzte sehr dezent, um den Besatzer seiner Heimstatt nicht aufzuwecken. Er war vernascht worden, gründlich, mit großem Appetit und ungeniertem Genuss. Schon ein wenig, gelinde, schmeichelhaft, hauptsächlich jedoch, mit etwas zeitlichem Abstand, beängstigend. Bereits das Gefühl des ohnmächtigen Ausgeliefertseins missfiel ihm, aber JETZT konnte sich das noch steigern! Wie sollte er Ziggy loswerden? Und die Erinnerung daran abschütteln, dass er sich nicht zur Wehr gesetzt hatte?! Wahrscheinlich bloß die Erschöpfung... und der Stress....und die lange Phase der faktischen Askese... »Ja, genau. Lüg dir ruhig weiter in die nicht vorhandenen Taschen!«, rügte ihn sein Über-Ich ungnädig, »stell das aber bitte in hygienischem Zustand an, ja?! Was ist los, bist du jetzt schon zu hecklastig, um ins Bad zu kommen?! Stinkst wahrscheinlich wie ein Iltis, da ist es ja kein Wunder, dass du von merkwürdigen Gestalten angefallen wirst!« Gandalf verzichtete in seinem inneren Streitgespräch auf Widerworte. Das half gar nichts, und tatsächlich würde eine Dusche samt Rubbelkur vielleicht sein Allgemeinbefinden heben. Etwas steif kroch er unter der Bettdecke hervor, richtete sich auf, tapste dann, vertraut mit seinem bescheidenen Heim, in den Badwürfel. ¤>~* Erst Rubbelkur, dann kurze Dusche, die auch gleich das Bad reinigte. Während die Belüftung den Durchblick erneuerte, schlug Gandalf Rasierseife auf. Ohne Not würde man IHN nicht mit einem Bart erwischen! Erstaunlicherweise zeigte sich seine Magengrube zivil, schnurrte bloß, wahrscheinlich wegen der späten Fütterung. Das ermöglichte eine Analyse: erstens, trotz der Attacke ging es ihm soweit ganz gut, zweitens, er musste diesen merkwürdigen Kerl loswerden, drittens, dieser Freitag war ein ganz normaler Arbeitstag, also keine Nachlässigkeiten. Erster November... Gandalf reinigte den Nassrasierer sorgsam und fand, dass es recht unfair verlaufen war. Zugegeben, Halloween interessierte ihn nicht sonderlich, er war kein Verkleidungs-Fan, aber Süßes und Saures in Form von essbaren Leckereien, das hätte er sicher nicht verschmäht! Stattdessen hatte er sich einen geübten Verführer und Vernascher aufgehalst! Der möglicherweise einen ziemlichen Dachschaden vorweisen konnte, wenn man den wirren Satzsprengseln Glauben schenkte. Fokussieren! Zuerst mal anziehen, dann den gemeingefährlichen Samariter nach draußen komplimentieren und vermutlich danach hektisch zum ersten Einsatzort strampeln! ¤>~* Als Gandalf die Tür beiseite schob, erfüllte den kompletten Raum ein veilchenblaues Leuchten, weil Ziggy im Bett aufsaß und ihn erwartete. Abrupt blieb Gandalf stehen, denn noch immer schmückte ihn kein Fädchen! Zur Besichtigung wollte er sich nun wirklich nicht freigeben. "...oh...unfair...wieso nur... du riechst so lecker!", beklagte sich Ziggy mit schlafesrauer Stimme. "Gar-gar nicht wahr!", protestierte Gandalf nervös. Wie zum Henker stellte Ziggy das an?! Das konnten nie und nimmer normale Kontaktlinsen...! Der kam nun geschmeidig auf die Beine, was Gandalf rückwärts gegen die Schiebetür stolpern ließ, "stopp, hörst du?! Keinen Schritt näher! Oder...!" Aber schreien wollte Gandalf nicht, das wäre zu beschämend! Wo war der Terminator, wenn man ihn brauchte?! Ziggy musste nur einen Arm lässig ausstrecken, mit der Fingerspitze seine Lippen touchieren...! "...pscht... nur ein bisschen, hm? Nicht mehr als ein Häppchen...?" Reichlich unverschämt! Hielt der verdrehte Kerl ihn für einen Appetizer?! Gandalf ballte die Fäuste, ohne Wirkung, weil Ziggy ihn einfach umarmte mit unverrückbaren, wenn auch sehr warmen und schmeichelnden Banden. »Moment mal! Wehr dich gefälligst!«, fauchte ihn sein Über-Ich geifernd an. Bloß, Ziggy agierte nicht aggressiv, bot so gar keine Angriffsfläche für eine wütende Konterattacke! Und küsste ihn schon wieder, so schmelzend und hingebungsvoll... ¤>~* "Schluss jetzt, wirklich!", ächzte Gandalf, der lieber nicht eruieren wollte, warum er auf seinem Bett lag, halb unter Ziggy, atemlos, zwei Salutschüsse samt Genitalmassage später. "Entschuldige, ich versuche wirklich, an mich zu halten", versicherte Ziggy, nicht sonderlich glaubhaft, denn seine Hände strichen unaufhörlich über Gandalfs Seiten, die Brustpartie. "Ich muss zur Arbeit! Hab nicht mal gefrühstückt. Überhaupt ist alles komplett konfus!", beklagte sich Gandalf, rollte mühsam aus dem Zugriff, ohne gleich aus dem Bett zu plumpsen, "hör mal, ich bin wirklich dankbar, dass du mir gestern so geholfen hast, okay? Aber so langsam muss mal Schluss sein. Ich verstehe ja, dass du gestern ganz anders verbringen wolltest..." Aber man selbst wollte auch nicht als schaler Ersatz für eine aufregende Party-Bekanntschaft herhalten. Zudem ging das alles viel zu schnell! Bevor Gandalf sich erheben konnte, hatte Ziggy ihn von hinten umschlungen, einfach auf seinen Schoß platziert und hielt ihn fest umarmt. "Das war bloß Zufall", wisperte er rau an Gandalfs Ohr, der ob des Clinchs nach Luft japste, "ich wollte nur nachsehen, warum sie am Portal so aufgekratzt waren. Es ist nämlich verletzend, wenn die Leute immer vor dir weglaufen. Dabei will ich ihnen nichts tun, nur reden, sich austauschen, Kontakt haben", Ziggy seufzte so profund, dass selbst Gandalf Millimeter tiefer sackte. "Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, kann das Portal nicht durchqueren, bloß gestern, da war dieser kurze Augenblick!", tiefes Durchatmen, "die große Reisegruppe, die abgelenkte Torwache mit der Nies-Kanonade... Ich bin noch nie so schnell gerannt, dachte mir, diese Chance kehrt vielleicht nie wieder! Und selbst wenn es nicht klappen sollte, so hätte ich es wenigstens versucht!" Für einen Moment versank der Raum im Zwielicht, weil Ziggy die Lider gesenkt hatte. "Dann... war ich hier, in deiner Welt. Das war so unerwartet...so phantastisch! Bloß...sind mir die Leute aus dem Weg gegangen oder haben mich ignoriert. Und ich hatte mir vorgestellt...ich wollte die Küchen sehen, all die wunderbaren Speisen und Geräte und Maschinen..." Gandalf wandte den Kopf. "Soll das heißen...ich meine... woher kommst du denn?!", erkundigte er sich verwirrt, aber getroffen durch Ziggys Verzweiflung, keinen Anschluss finden zu können. "Aus einer anderen Welt, Dimension, ähnlich wie deine, aber doch anders. Ich konnte rüberschauen, von deiner Welt lesen", erneut seufzte Ziggy, eindeutig melancholisch, "du hast so freundlich reagiert und dann noch lecker gerochen, da dachte ich, Heureka, ich hab's geschafft! Ein Mensch, der mit mir spricht, mich nicht fürchtet!. Trotzdem habe ich es vermasselt, denn du hast doch Angst." Gandalf zappelte ein wenig, um sich Spielraum zu verschaffen. "Nun, du musst zugeben, dass deine Geschichte ein wenig seltsam klingt. Außerdem ist es nicht üblich, ich meine, für mich zumindest... sieh mal, du bist ziemlich...stark und eigentlich fragt man vorher", brach er ab, denn Ziggy lehnte schwer auf seiner Schulter. "Verzeihung. Du hast ganz recht. Ich war einfach zu euphorisch. Aber das Gute ist, du wirst dich an nichts erinnern! Wenn ich nur rasch dieses Vergiss-Mich-Rezept hinbekomme." Gandalfs Gehirn sprang nun an, auch ohne Frühstück, "oh, hast du deshalb nach dem Natron gefragt?" "In der Tat. Theoretisch sollte ich gar nichts darüber wissen, aber zufällig", Ziggy atmete tief durch, "da nahm ich an... Wink des Schicksals... wenn schon, denn schon..." In Gandalf regte sich Mitgefühl. Offenbar hatte sich Ziggy eine Wunderwelt erwartet und erlebte nun die Konfrontation mit der nüchternen Realität. DAMIT kannte Gandalf sich aus, wie vermutlich jeder Mensch über zwei Jahren, von wegen "das Leben ist doch kein Ponyhof!", nicht mal ohne Drama-Lama ging es ab! Tröstend umfasste er die ihn umklammernden Hände, "tut mir leid, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns nicht grüner ist. Ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber wenn du dich mit mir unterhalten kannst, dann klappt das auch mit anderen. Bis auf diese unangekündigten Annäherungen finde ich dich auch gar nicht furchteinflößend. Also, das ist jetzt nur meine Einschätzung, es gibt keinen Grund, schon aufzustecken. Wenn deine Welt meiner ähnelt, dann ist sie groß und voller Möglichkeiten." Zugegeben, auch solcher, sich auf die Nase zu legen. Einerseits. Andererseits, solange man noch schnaufte, konnte man das Angebot ausprobieren, richtig?! In Anbetracht der unausweichlichen Sterblichkeit machte man das Beste draus! Schaltete sich Gandalfs ausgleichendes Temperament ein, das ihn bei den Klienten beliebt machte, abgesehen davon, dass er Hoffnung transportierte, es möge doch einen Anschluss an die moderne Technik geben. Ziggy hauchte ihm einen Kuss in den Nacken, der Gandalf wie eine elektrische Entladung durchzuckte, "vielen Dank, Ski. Ich kann nicht enttäuscht sein, denn ich bin dir begegnet. Vielleicht sollten wir etwas frühstücken, das hebt die Laune?" Ein Vorschlag, der Gandalf zumindest mehr Bewegungsfreiheit offerierte. ¤>~* Während Gandalf sich rasch bekleidete, dankbar für Ziggys geradezu einschüchternde Umsicht, erwog er seine Strategie. Einfach rausschmeißen?! Klang gar nicht mehr so einfach wie im Bad, wenn der Usurpator einem die Klamotten noch zum Lüften aufhängte, ein Frühstück machte, was Ziggy offenkundig trotz der sehr beengten Verhältnisse gern tat, denn er plapperte ganz ohne die aufgeregten Satzfragmente drauf los, vielleicht auch in der sicheren Erwartung, dass Gandalf ja alles vergessen würde. "Oh, das macht mir keine Mühe, wirklich nicht! Ich koche am Liebsten, das mag ich mehr als gärtnern und ernten. Schon, das ist notwendig, gar keine Frage und auch sehr spannend, nur ein klitzekleines Bisschen mehr...! Ich hab eben ein Faible, so sagt man hier auch, oder? Weißt du, wenn ich könnte, ja dann...!! Also, dann würde ich schon all meine Courage sammeln und...und reinspazieren! Bei Medusas Delikatessen, jawohl! Mich bewerben, als angehender Koch. Puh, das täte ich so gerne, aber leider... ich meine, wenn ich bloß in die Stadt ginge...!" Er seufzte und zerteilte in Höchstgeschwindigkeit präzise einen schrumpeligen Apfel in winzige Scheibchen. "Es gibt auch noch andere berühmte Lokalitäten, nur will ich ja keine Panik auslösen... das deprimiert mich immer so..." Tatsächlich dunkelte auch das Zimmer nach, weil sich seine Lider auf Halbmast senkten. Gandalf, in abgezirkelter Entfernung, seinen Trolley prüfend, hielt es nicht länger aus, "entschuldige, dass ich so unverschämt frage, aber für mich siehst du überhaupt nicht furchteinflößend aus. Ein bisschen extravagant vielleicht, aber bestimmt nicht direkt bedrohlich." Ziggy wandte ihm den Kopf zu, ein schiefes Lächeln präsentierend. "Möglicherweise liegt das daran, dass ich hier ein anderes Erscheinungsbild habe", voluntierte er eine Erklärung und reichte Gandalf ein Schüsselchen. Ihre Fingerkuppen touchierten einander, und beinahe hätte er sein Frühstück vom Fußboden kratzen müssen! "Hoppla", bemerkte Ziggy geknickt und vergrößerte widerwillig die Distanz. Gandalf grummelte leise über sich selbst. Er war nicht, nun, erschrocken, bloß von der Energie überrumpelt, die zwischen ihnen frech tanzte! "Dann ist das nicht deine wahre Gestalt?" Ziggy deutete ein Kopfschütteln an, zuckte mit den Schultern, "das liegt möglicherweise an den unterschiedlichen Dimensionen. Vielleicht sollte es deshalb eigentlich nicht funktionieren..." Erstaunlich in sich gekehrt löffelte er seine Portion, selbst die lila Sprungfedern auf seinem Schädel hingen trübe herunter. "Also, ich weiß, es ist sehr ungezogen, aber... du hast dich nicht verkleidet, ja? Und das sind tatsächlich deine Augen und Haare und...?", trampelte Gandalf durch den Porzellanladen. Immerhin veranlasste seine Frage Ziggy, den Kopf wieder zu heben, "ich kann nicht ganz folgen, was meinst du mit 'verkleidet'?" Die leere Schüssel auf dem Schoß ließ sich Gandalf auf der Bettkante nieder. "Na ja, gestern Abend war so eine Art Feiertag mit Kostümfest. Die, die es feiern, staffieren sich gruselig aus, schminken sich und so weiter, deshalb nahm ich an, du seist auf dem Weg zu so einer Feier", er verabschiedete jeden Takt und ergänzte sachlich, "von Natur aus hat hier niemand lila Augenbrauen, solche Haare und diese sehr intensive Augenfarbe. Bei deinem Kleidungsstil bin ich nicht sicher, aber im Alltag wäre er eher selten anzutreffen." Ziggy warf ihm einen entgeisterten Blick zu. Da er sich gerade mal eine Art Suspensorium übergestreift hatte, konnte er seine Habseligkeiten nicht verblüfft studieren. "Ach du je, tatsächlich?! Oh nein! Vielleicht haben die anderen Menschen mich deshalb ignoriert! Hätte ich das nur gewusst! Allerdings", er seufzte, die Schultern sackten herab, "ich konnte ja kaum hoffen, es jemals hierher zu schaffen." Gandalf verspürte einen sehr heftigen Stich der Scham. War es denn wirklich notwendig gewesen, Ziggy so den imaginären Spiegel vorzuhalten, in der trügerischen Gewissheit, er werde ja ohnehin alles vergessen und könne sein Gewissen damit auch aufpolieren?! Er erhob sich, vertraute die Schüssel der Vogeltränke aka Spüle an und baute sich vor Ziggy auf. "Ich meine damit nicht, dass du hässlich oder angsteinflößend bist, Ziggy. Du siehst schlichtweg ungewöhnlich aus, aber das ist ja nichts Schlechtes. Wenn die Leute hier einen ignorieren, dann kann das jede Menge Gründe haben: sie sind spät dran, schlecht drauf, taub oder haben die Ohren zugedübelt, denken, du wolltest Geld erbetteln... Das ist häufig nicht mal persönlich gemeint." Ziggy blickte an ihm hoch, ballte die Fäuste, atmete tief durch, "wenn du nur nicht so...lecker duften würdest! Das macht es wirklich schwer, mein Wort zu halten. Ich möchte dich noch so viel fragen, über dich und deine Welt hier..." Aber Gandalf musste zur Arbeit und alles vergessen... Merklich angestrengt zwang Ziggy ein Lächeln auf sein herzförmiges Gesicht, "besser, ich lege mit dem Rezept gleich los. Ich möchte dir keine Schwierigkeiten bereiten." Stumm wich Gandalf artig beiseite. Seine Vernunft erteilte ihm unterdessen ein paar Watschen. Was sollte die blöde Melancholie?! Der Bursche gehörte auf die andere Seite des Zauns, konnte ja nicht einfach hierbleiben! Außerdem galt es Verpflichtungen zu erfüllen, unter anderem den eigenen Arbeitsvertrag, also Haltung bewahren! Wäre sowieso alles von dieser verrückten Geschichte in Kürze vergessen! Dennoch. Gandalf registrierte einen sehr bitteren Geschmack auf der Zunge und einen Kloß im Hals. ¤>~* "Also, theoretisch sollte das jetzt... funktionieren..." Ziggy hatte mit Natron und anderen Gewürzen sowie Zutaten aus seinem flachen Beutel ein Stofftuch gefüllt, es zugeknotet und an einen Bindfaden angehängt, trug seine Kleidung wieder und nickte Gandalf zu, "es hat mich sehr gefreut, Ski, wirklich sehr!" "Mich auch. Ich wünsche dir alles Gute, Ziggy", streckte Gandalf die Rechte aus und schüttelte Ziggys entschieden. Der ließ vorsichtig das Beutelchen kreisen, um offenbar die Luft zu aromatisieren. Allerdings hielt der Bindfaden nicht, was sein Name eigentlich propagierte, woraufhin sich der winzige Beutel wie ein Geschoss schnurgerade löste, in ein Regal feuerte, wo es zum fatalen Einschlag in eine sehr hässliche Maneko-Winkekatze aus Plastik kam. Die Trümmer regneten ebenso wie der Beutelinhalt auf den Fußboden. Gandalf nieste spontan. "Oh nein! Ach herrje! Was habe ich da angestellt?!", entsetzt blickte Ziggy auf den Fadenrest in seiner Hand und die Plastikeingeweide des ungeliebten Souvenirs. In ein Papiertaschentuch schnäubend erkundete Gandalf die Situation, "also, das ist nicht so dramatisch, ich konnte den Mist noch nie leiden. Aber, wann soll denn diese Amnesie einsetzen? Ich kann mich nämlich noch an alles erinnern." Pragmatisch zog er eine kleine Kehrgarnitur heraus und fegte die Spuren auf die Schaufel. Ziggy plumpste wenig elegant auf sein Bett. "Das verstehe ich nicht! Ob ich etwas falsch gemacht habe?! Oje! Ach, das tut mir wirklich leid! Und nun habe ich auch noch deine Ehrengaben zerstört!" Gandalf stutzte, lachte dann laut heraus, "das war nur ein hässliches Reiseandenken meiner Mutter von einem Flohmarkt in Frankreich. Keine große Ehre, wirklich nicht!" Spontan ging er vor Ziggy in die Hocke, streifte schüchtern dessen Nasenspitze, "nicht schlimm, hörst du? Ich muss jetzt allerdings echt los, sonst komme ich fürchterlich zu spät." Er wandte sich leicht herum, zog eine der Stauschubladen unter dem Bett hervor, entnahm einer kleinen Schachtel einen zweiten Satz Schlüssel, "hier, und bitte nicht verlieren, okay? Du gehst einfach in deine Welt, versuchst es noch mal und abends treffen wir uns bei mir. Dann machen wir den zweiten Anlauf, ja?" Ziggy blinzelte mit seinen berückend schönen, veilchenblauen Augen, "danke...danke schön. Nur...wenn...ich meine falls... es könnte sein...dass...ich schaffe es vielleicht nicht! In meine Welt...zu gelangen..." Bange blickte er Gandalf an, von den Konsequenzen seiner spontanen Spurtentscheidung eingeholt. "Nun!", federte Gandalf entschlossen hoch, "dann bist du eben früher wieder hier! Hör mal, ich habe die nächsten beiden Tage frei, nicht mal Notdienst. Dann bin ich hoffentlich ausgeruht und munter. Lass uns dann nach einer Lösung suchen, okay? Jetzt muss ich aber!" Und wie, betrachtete man die unerbittlich vorgerückte Zeit! Sein Verstand jaulte protestierend auf, diesen Verrückten hier in seiner Wohnung ohne Aufsicht zu lassen! Gandalf ignorierte das Geschrei. Zugegeben, Ziggy hatte ihn mehr als einmal vernascht, sonst aber die Situation nicht ausgenutzt. Aufs leibliche Wohl verstand er sich auch, in mehrfacher Hinsicht, da konnte sein prüder Verstand noch so herumzetern, es gab auch ANDERE Organe zu versorgen! Außerdem wirkte Ziggy so geknickt, dass Gandalf gar nicht anders konnte! Er zerrte den Trolley hoch, steuerte die Tür an, wurde von hinten umarmt und ziemlich fest gedrückt, "vielen, vielen, lieben Dank, Ski!" Es klang fast so, als unterdrückte Ziggy Tränen. "Gern geschehen. Dann sehen wir uns später, ja?!", auf unerklärliche Weise sehr euphorisch gestimmt polterte Gandalf die Treppen hinunter, ahnte ein veilchenblaues Leuchten über sich. Im Hausflur unten traf er unversehens auf das Fossil aus dem Hochparterre, das griesgrämig die Zeitung von Reklamezetteln befreite. "Guten Morgen", grüßte Gandalf wohlerzogen und ein kleines bisschen aufgekratzt. "Morgen, aber gut?! Na ja! Lauter Unfug von diesem dämlichen Halloween-Quatsch dabei. Langweilig! Glaubt doch keiner, Gespenster, Geister, Hexen, alles Humbug!" Gandalf nickte bloß, die Haustür aufziehend. "Ha, da lob ich mir Sankt Martin! Aber mit echten Kerzen in selbst gemachten Papplaternen. War immer ne Gaudi, wenn die abfackelten und man sie austreten musste! Aber die Jugend von heute, alles bloß auf Sicherheit bedacht, tsktsk!" Vor Gandalfs innerem Auge schwebte ungebeten eine Vision von abbrennenden Laternen aus Pappmaschee. Klar, das wäre schon amüsanter als die Angelruten mit LED, bloß wagte er zu bezweifeln, dass Turnschuhsohlen sich so ohne Weiteres als Löschmittel eigneten. Er präparierte sein Gespann, schob es an und drehte sich vor dem Torbogen der Hofeinfahrt noch mal um, spähte hoch. Ziggy blickte zu ihm herunter, lächelnd, winkend, sehr exotisch. Kein Geist, kein Gespenst, keine Horrorgestalt, nur ein tapferer Kronk, der, ohne es schon zu ahnen, eine neue Heimat gefunden hatte. Und das war kein Unfug! ¤>~* Danke fürs Lesen! ¤>~* kimera