Titel: Venusreigen Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Romantik Erstellt: 05.08.2002 Disclaimer: "Hernando's Hideaway" wie im Text zitiert, keinerlei Intention, Rechte zu verletzen. ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ Venusreigen "Hast du ne Kippe für mich?" Maureens Kopf flog hoch, abgelenkt von einer enervierenden Suche in den Eingeweiden ihres Shoppers, in realitas eine bauchige Umhängetasche mit den Eigenschaften des Bermudadreiecks. "Tut mir leid, ich rauche nicht..." Ihre Stimme trocknete aus, weil ihr Gegenüber, eine Frau mit stoppelkurzem, gesträhnten Blondhaar und müden Krähenfüßen um die hellblauen Augen bereits in Erwartung der Ablehnung die schmalen Lippen verzog. "Ist diese Ansteherei... ich warte bloß drauf, dass mir hier das Efeu um die Füße rankt..." Die ungeschminkten Lippen kräuselten sich in einem schiefen Lächeln, während sie ihren Stand verlagerte, die Hüfte wechselnd nach außen schob. Maureen lächelte unverbindlich, im Geiste die Worte sortierend. Trotz aller Erinnerungen fiel es ihr noch immer schwer, den eigenwilligen Dialekt der Glasgower Ureinwohner zu entschlüsseln. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit. In Millimeterarbeit rückten sie an die einzig besetzte Kasse heran, wo eine zahnbespangte Jugendliche mit der tranigen Begeisterung einer Lobotomierten ihren Frondienst versah. Ein Discounter konnte sich eben nicht wählerisch beim Personal geben, insbesondere nicht in diesem von dem allgemeinen Wohlstand und Aufstreben ausgelassenen Viertel. Maureen zupfte an der übergroßen, groben Strickjacke, einer mangelhaften Ausschussware einer der großen Textilunternehmen. Entdeckte zu ihrem Missfallen und Unbehagen, dass ein großer Fleck auf ihrem Bauch prangte, dessen milchreistrübe Farbe sich mit dem verwaschenen Karamell assoziierte. »Wie eine Pennerin...« Sie resignierte seufzend. Spürte plötzlich das Tippen auf ihrer Schulter und warf die strähnigen Haare herum, um den Ursprung ins Auge zu fassen. "Sag mal, kannst du den Zettel dahinten lesen? Den in Rot auf der Anschlagetafel??" Blinzelnd, die Augen zusammenkneifend und in ausgeprägtere Krähennester einbettend, spähte die Fremde an ihr vorbei. "Hab die Kontaktlinsen nicht drin." Vages Schulterzucken. Maureen strengte sich an, die flaschendicken Gläser ihrer Brille konzentrierten den Text brennpunktartig. "Tango für Anfänger... Bürgerhalle... Samstag, 10 Uhr vormittags...10 Pfund für 5 Lektionen..." Buchstabierte sie und erkannte, wie stark sich ihre eigene Aussprache von der der anderen Frau unterschied, das Verschleppen von Konsonanten, breiige Vokale, eine gleichgültige Missachtung der Sprachmelodie. "Tango? Der Tanz?" Die Blondierte zog eine messerscharf nachgezogene Augenbraue hoch. "Na, da werden sie ja regen Zulauf haben, wir sind hier doch nicht in der Szene." Maureen zuckte mit den Schultern, stumm, weil sie die Bemerkung nicht verstand, wurde jedoch sogleich aufgeklärt. "Na, in der City sind ja jede Menge Clubs für die Lesben und Schwulen, aber hier?! Ich weiß ja nicht..." "Was hat Tango damit zu tun?" Maureen erschrak über ihr unerwartetes Engagement in der Sache. Rückte verlegen das massive Kunststoffgestell ihres Nasenfahrrads zurecht, justierte einen klammernden Schmuckkamm auf ihrer rechten Kopfhälfte. Die Blondierte beugte sich grinsend zu ihr heran. "Vielleicht liege ich ja falsch, aber das ist doch so ein... anstößiger Tanz, oder?" Verwirrt zwinkerte Maureen, ein Tick, den sie verabscheute, aber mit der Resignation einer vom Leben Zurückgeschlagenen akzeptierte. "Das gilt doch heute nicht mehr?" Ihre Stimme trug der Verwunderung Rechnung. Sie konnte sich verschwommen entsinnen, in einem anderen Leben erfahren zu haben, dass der argentinische Tanz verpönt gewesen war, allerdings Anfangs eines anderen Jahrhunderts. Die Blondierte rückte hinter ihr auf, sie näherten sich der Kasse, während sich ihre Stirn in Falten legte. "Wie dem auch sei, ich frage mich, was das hier bringen soll. Glauben die wirklich, dass da einer kommt? Wenn zeitgleich Bingo im großen Saal läuft?" Ungeachtet ihrer Worte hing ihr kurzsichtiger Blick noch immer auf dem roten Anschlag, konzentriert, erwägend. Maureen enthielt sich jeder weiteren Äußerung. Sie fühlte sich ausgelaugt und abgenutzt. Die einzige Zuflucht schien der Stumpfsinn zu sein, den die Schülerin an der Kasse bereits perfekt verkörperte. ~@~ Das Verstauen der Einkäufe, die erschreckend viel des schmalen Budgets verschlungen hatten, erwies sich als gewohnt umständlich. Die geliebten Kekse für Diabetiker stellten sich aufrecht, blockierten das Mehl, das sich bedrohlich zu den Eiern senkte, die sich auf der Zeitung aalten. Das Toilettenpapier einer rettenden Bake gleich umschlungen dampfte sie breitbeinig Richtung automatische Türen, einen trüben Blick auf das flammende Rot des Handzettels werfend. Sie wusste nicht zu sagen, welcher Impuls sie innehalten ließ. Für einen Augenblick träumend von einem südamerikanischen Land, schweigenden Kavalieren, verschwenderischem Blütenduft und einer schwül-stickigen Atmosphäre unter einem glühenden Feuerball. Die heisere Stimme der Blondierten riss sie aus ihrem Exil, doch ungleich sanfter und stiller. "Wer will hier schon 'traurige Gedanken' tanzen?" Zitierte sie die berühmte Umschreibung des Tango, kursiv gehalten, um zum Blickpunkt zu gereichen. Maureen nickte unwillkürlich. Ja, wer in diesem traurigen Haufen Gestrandeter am falschen Ende der Zukunft wollte schon traurigen Gedanken mehr Gestalt verleihen, als es jeder eintönige Tag hier tat? ~@~ Maureen wischte auf schmerzenden Knien die Lache Erbrochenes von den alten, abgewetzten Fliesen. Kam mit einem Ächzen wieder auf die Beine, um die Ausbeute ihrer Anstrengung der Toilette zuzuführen. "Gib mir Kekse, ich will Kekse!!" In quäkendem Triumph zockelte ihr Schwiegervater durch das handtuchschmale Häuschen, mit einem Kochlöffel vehement gegen die Wände schlagend. »So lange ich ihn hören kann, ist er wenigstens im Haus.« Besänftigte Maureen ihre niederschwellig gärende Verzweiflung. Die Hände aufgeraut von der Kernseife folgte sie der Spur der Verwüstung schleppend. Erwischte den mageren Mann mit dem Vogelkopf und den weißlichen Bartstoppeln bei dem erfolglosen Versuch, die Glastür zur Veranda einzuschlagen. "Vater, bitte setz dich in den Sessel." Ein Schlag mit dem Holzlöffel quittierte ihre Aufforderung, dann setzte sich das fruchtlose Trommeln gegen das Glas fort. Maureen griff zu dem Mittel, das momentan noch am Besten geeignet war, die Aufmerksamkeit ihres dementen Schwiegervaters zu fixieren. Sie schaltete den Fernseher ein. Eine Kinderserie explodierte in Lautstärkegewittern in den vollgestopften Raum. Sofort gab der alte Mann seine Position auf, rollte sich in den plastiküberzogenen Sessel und starrte auf die Mattscheibe. Mit einem erleichterten Seufzer verließ Maureen den Schauplatz der alltäglichen Demütigung. Sammelte zerschlagenes Nippes ein, das sich in der Mülltonne zu den übrigen Trümmern eines Lebens einfinden würde, bevor sie in den ersten Stock stieg, die schmale Treppe verwünschend. Das winzige Schlafzimmer stank, sodass sie zunächst die altmodisch kleinen Flügelfenster aufriss, um sich dann der Bergung des eingenässten Bettzeugs zu bemächtigen. Sie schaffte es zum Einweichen in die Duschwanne, brauste und schrubbte den steifen Stoff, während Schweißperlen ihr gerötetes Gesicht benetzten. "Was hast du doch für ein Glück, wenigstens ist er nicht gebrechlich!" Die Worte verfolgten sie wie ein Menetekel. Gebrechlich nicht, aber altersverwirrt und momentan auf dem Stand eines boshaften, rebellierenden Kleinkindes. Maureen fühlte Tränen aufsteigen, die nicht nur aus dem scharfen Reiniger resultierten und würgte am Kloß in ihrem Hals. ~@~ "Hey, was ne nette Überraschung!" Maureen schüttelte hastig die schweren Strähnen aus, die ihr rundes Gesicht verbargen. Lächelte halbherzig, hoffte, dass die Blondierte nicht bemerkte, wie gern sie diese Begegnung vermieden hätte. Diese trat ihre Zigarette mit einem klobigen Schuh, Doc Martens, aus, zwinkerte ihr aufmunternd zu. "Lange Nacht gehabt?" Erkundigte sie sich mit einem Kopfnicken auf Maureens gewaltige Sonnenbrille. Sie zerknitterte ein schwesterliches Grinsen, war innerlich aber überzeugt, dass dieser mehr als durchsichtige Versuch, sie zu verbünden, der anderen als betrügerisch erscheinen musste. "Hier!" Ein Pfefferminzdrops landete in ihrer Handfläche, und während Maureen noch verblüfft auf diese Offerte starrte, hatte die Blondierte bereits die Brille gelüftet. "Scheiße, das ist ja ein Blau..." Maureen ächzte und drehte hastig den Kopf weg, sich ermahnend, nicht hochzuschauen, befanden sich doch vor dem Discounter auch andere Passanten. "Hat dein Alter das angerichtet?" Zorn, aber auch verbittertes Mitgefühl kleidete die Worte ein. "Mein... mein Schwiegervater ist altersverwirrt..." Maureen schob den tröstenden Drops in den Mund und konfrontierte die Blondierte. Die hellblauen Augen betrachteten sie ruhig. "Beißt sich mit dem Grün." Das schiefe Grinsen referierte auf Maureens eigene Augenfarbe. Entgegen ihrem Entschluss zum Abstumpfen erwiderte sie das Grinsen. "Ich bin Caitlin." Stellte sich die Blondierte nach einem Augenblick gemeinschaftlichen Schweigens vor, schüttelte Maureens Hand. "Maureen." Erwiderte diese die Geste, verbarrikadierte sich dann erneut hinter ihrem schützenden Visier. "Er hält dich wohl ganz schön auf Trab, wie?" Caitlin drehte in unbewusster Pose die Hüfte nach außen, tippte mit einer Fußspitze auf die sich hochstellenden Bodenplatten. Ein Schulterzucken gereichte als Antwort, vielsagender als jede weitschweifige Erläuterung. Sie verzog die schmalen Lippen zu einer gekräuselten Grimasse. "Ich hab einen Sohn, Danny, und der ist auch noch mein Nagel zum Sarg. Kinder in der Pubertät gehören unter Drogen gesetzt. Aber die richtigen... Schlafmittel!" Maureen grinste über den ironischen Ton, die verdrehten, hellblauen Augen, die einhändig zerraufte Kurzhaarfrisur. "Manchmal... manchmal habe ich das Gefühl, wir reiben uns nur für andere auf." Flüsterte Maureen und erschrak über ihren Freimut. Eigentlich sollte dieser Gedanke auf ihren eigenen Kopf beschränkt bleiben, doch echote er in ihren Ohren, sodass sie eingestehen musste, ihn ausgesprochen zu haben. Caitlin nickte vehement, kämpferisch. "Du sagst es, und das stinkt mir!" Sie richtete sich auf, beide Hände auf die Hüften gestützt, die Augen funkelnd in ihren nun koronarstrahligen Krähennestern. "Ich räume hinter ihm auf, kaufe ihm seine überteuerten Klamotten, schaffe Essen heran, klebe in Schichten Mikrochips zusammen, und der verzogene Mistsack pöbelt mich an und tut keinen Handschlag. Hab ich denn nicht genug gelitten? Sieh dir mal meine Hüften an! Ich hatte mal eine Figur!" Es fiel Maureen schwer, diesem Protest mit dem gebotenen Ernst zu begegnen. Denn hinter der Empörung erkannte sie, dass ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen Caitlin ihren Sohn gegen jeden fremden Vorwurf verteidigen würde wie eine Löwenmutter. Gehorsam sah sie also an ihr herab und konnte keine besonderen Abweichungen entdecken. Natürlich, sie waren beide am anderen Ende der Dreißiger angelangt, die Körper schwerer, gesetzter, ausgeprägter in ihrem jeweiligen Habitus. Doch empfand sie dies nicht als Makel, sondern lediglich als den Lauf der Zeit. Realismus bedeutete auch, sich der Tatsache zu stellen, dass man dem allgegenwärtigen Jugend- und Schönheitswahn in seiner unnatürlichen Ausprägung nicht Folge leisten konnte. "Weißt du, was ich gerade beschlossen habe?!" Maureens Kopf ruckte hoch. Sie lauschte höflich dem rhetorischen Ausbruch. Caitlin schlug eine geballte Faust auf die flache Rechte, eine maskuline Geste. "Ich werde mir diese Tangostunde mal ansehen. Mal was für mich tun!" Ein entschlossenes Nicken voller Nachdruck, die kontaktlinsenbewehrten Augen scharf. Sie fragte nicht, ob Maureen sich ihr anschließen würde, was diese als unerwartet taktvoll verstand... sie hätte ihren Schwiegervater anbinden müssen. ~@~ Maureen wälzte sich auf der winzigen Couch mit schmerzendem Rückgrat, doch keine Position wollte Linderung bringen. Tom hatte gewohnt lakonisch auf ihre Bitte um einen Besuch reagiert. Er sei, wenn sie sich noch erinnere, auf einer Plattform mitten in der Nordsee, da müsse man arbeiten, damit es Geld gebe. Er könne nicht ständig kommen, wenn es sie jucke. Sie schluckte erstickt. Natürlich hatte sie sich bereit erklärt, als es seinem Vater nicht mehr möglich war, allein zu leben, zu ihm zu ziehen. Ihr Appartement aufzugeben, ihre Möbel zu verkaufen und wie ein Flüchtling mit zwei Koffern und einer Handvoll Kartons in das kleine Haus überzusiedeln. Doch konnte sie wohl kaum ahnen, dass ihr Martyrium so erbarmungslos sein würde. Nach Aussagen des Hausarztes war der alte Mann körperlich fit, nur die geistige Leistungsfähigkeit ließ nach... er konnte noch steinalt werden. Diese Aussicht ließ sie verzweifeln, auch wenn sie sich sofort schämte, sie jemals formuliert zu haben. Jeden Tag aufräumen, waschen, putzen, beaufsichtigen... Sie erstickte an einer Aufgabe, die niemand für bemerkenswert zu halten schien. Fühlte sich elend und schuldig, weil es ihr eine Last war. Sie mit dumpfer Wut erfüllte, statt der Dankbarkeit für einen alten Menschen, der Leid und Entbehrung auf sich genommen hatte, um der jungen Generation ein gutes Leben zu verschaffen. Sie wollte gar nicht erwägen, was geschehen würde, wenn sie alt wäre... Nach einer Fehlgeburt hatte sie ihren wenig ausgeprägten Kinderwunsch ad acta gelegt, sich auf ihren Sekretärinnenjob in einer Kanzlei konzentriert. Niemand würde sich um sie kümmern... Sie stopfte sich den Zipfel des Kissens zwischen die Kiefer, um die krampfartigen Schluchzer zu dämpfen. »Nur einmal ausbrechen können, alles einfach hinter sich lassen... wie Thelma und Louise!« Träumte sie sich gegen die Tränen an. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie ein Kino besucht hatte. ~@~ Ein verlorenes Häufchen drückte sich unschlüssig und separiert von den Bingo-Teilnehmern unter dem Vordach herum und wartete auf Einlass. Maureen näherte sich, durch die backsteinartig verklinkerten Säulen des neuen Bürgerhauses verdeckt, eiligen Schritts. Hastig suchte sie nach dem blondierten Schopf, denn es wollte sie, trotz aller Entschlossenheit, schon der Mut verlassen, als Caitlin eine Kippe in einen kahlen Blumenkübel schnippte. "Hey, Maureen, wie geht's?" Erkundigte sie sich gut gelaunt, klopfte einladend gegen den Teil der Außenmauer, den sie okkupiert hatte. "Guten Morgen." Maureen lächelte, von Erleichterung durchdrungen und studierte dann verstohlen Caitlins Aufmachung. Statt gewohnter Jeans, einer kastenförmigen Lederjacke und klobiger Schuhe, die an eine andere Zeit erinnerten, trug diese heute Leggins und ein übergroßes Shirt unter einer Stoffweste mit Kapuzeneinsatz. Ein farbenfrohes Gepränge aus Mintgrün, Orange und Sonnengelb. Sie kam sich selbst farblos dagegen vor. Ein unförmiger Trauerfleck auf einem lichtdurchfluteten Gemälde, in dem alten Kostüm in Marine, das sie aus ihrem vorigen Leben herübergerettet hatte. Der enge Rock oberknielang, eine gilbende Bluse, darüber die Kostümjacke in obsoletem Reversschnitt und unvorteilhafter Knopftechnik. "Schicke Schuhe!" Caitlin schien von ihrer Verlegenheit nichts zu bemerken. Sie tippte mit ihren eigenen, einfachen Segeltuchschuhen gegen Maureens geschnürte Pumps. Eine Luxusanschaffung, die sie an Andalusien und Flamenco erinnert hatte... Und Tom herausgefordert, ihre Begeisterung zu zerstreuen, indem er befand, ihre Waden seien zu dick für diese Art von mittlerem Absatz. "Danke." Sie zeigte kämpferisch die Zähne. Hier stand eine Frau, die verstand, auf was es ankam! »Dicke Waden, ha!« "Wir sind ne richtig illustre Truppe." Caitlin beschrieb mit dem Kinn einen Halbkreis. Gleichzeitig nach einem Lipgloss tastend, der ihren schmalen Lippen eine rosige Frische verleihen sollte, was sie ohne Zuhilfenahme eines Spiegels bewältigte. Ihre unbekümmerte Art erwies sich als ansteckend. Maureen lehnte sich seitlich neben sie, betrachtete dann die Wartenden. Ein ältliches Ehepaar, das demonstrativ jugendlich gekleidet war und den energischen Air eines angestrengten Amüsements um jeden Preis, -und dieser hier war gering-, verbreiteten. Ein ungleiches Pärchen, die Hände förmlich ineinander verschweißt, sie gedrungen und Kaugummi wiederkäuend, er dürr, mehr Adamsapfel als Kopf, in der Attitüde eines Hühnerhabichts umherstierend. Der übliche schmierige Gigolo mit dem Hang zum Proll, Lederjacke, ölhaltige Schmalzfrisur, betont enge Hosen, hauptberuflich dauerarbeitslos. Eine alterslose Erscheinung mit selbstgehäkeltem Kleid, einer Art Glockenhut auf den hüftlangen, spinnwebartigen Haaren, wie ein Überbleibsel von der Hippie-Bewegung. Drei Schulmädchen, schwankend zwischen Kichern und lässiger Coolheit, rauchend, aufgeputzt und doch ungelenkig wie Füllen. Ein aknegeschädigter Jüngling, farblos und schier unsichtbar in seiner Bedeutungslosigkeit, gekleidet wie die Vorväter der Buchhaltung. Eine Matrone in schillernd geblümten Duschvorhangsdekor, die ihren Angetrauten, ein graues Männlein mit Duldermiene und nervös zuckenden Fingern, dessen Basedow-artige Augäpfel rollend keinen Augenblick zu verharren vermochten, in festem Klammergriff hielt. Maureen wandte sich wieder Caitlin zu, die sie eingehend bei ihrer Bestandsaufnahme beobachtet hatte. "Partner?" Grinsend streckte sie nun ihre Hand aus, mit zahlreichen sterlingsilbernen Ringen bestückt. Rasch schob Maureen ihre eigene hinein und lächelte verschwörerisch. ~@~ Nachdem der Obolus entrichtet worden war, stellten die Initiatoren dieses Einführungskurses vor. Sonnengebräunt in einer bereits unnatürlichen Kolorierung, straff in der Haltung, herausgeputzt wie Pfauen, und doch sympathisch, wie Maureen befand. Was wohl an dem Pferdegebiss von "Mrs. Snyder, aber nennt mich bitte Muriel!" und den schlaksigen Beinen von Mr. Snyder, "Harry" lag. Einige einführende Worte zur Absicht der beiden "Nur-Amateur-Tänzer", die sich darin ergingen, ihre Ankunft zu schildern. In diesem so "ursprünglichen Viertel", -Caitlin raunte, "die meinen verlottert und verwahrlost"-, und der starke Wunsch, sich auch nach einem erfüllten Arbeitsleben weiterhin der Gemeinschaft zu verschreiben. Womit die kleine Rede in ihrer Mission als "Botschafter des Tango" gipfelte. Harry stakste nun, die Zehen ein wenig ausgestellt, zu dem Ghettoblaster hinüber, das Ächzen des Laminats provozierend. Während die "liebe Muriel" ihre Schar Unerschrockener an die Stirnseite des Raums dirigierte, im Rücken hochgestapelte Stühle und Klapptische. Eine schwermütige Melodie erhob sich, ein Bandoneon schwoll klagend, 2/4-Takt schlug eine flache Hand auf einen Gitarrenkörper. Harry und Muriel gingen in mühelos anmutender Musikalität der Schritte aufeinander zu. Passten den Einsatz ab, um sich synchron in einer Schrittbewegung zu wiegen. Vorbei an den mit Papierblumen beklebten Fenstern funkelten in stolzer Haltung die Blicke unverwandt in die Augen des Partners. Ein melancholisches Lächeln projizierend verwandelten sie sich von ambitionierten Pensionären in ein alterloses Paar, das einander umkreiste. Sich nicht lösen konnte, auch wenn sich die strahlende Liebe längst in einer ausgewaschene Emotion gebleicht hatte. In den Sinnen der schweigenden Zuschauer verloren sich vergessen die leuchtenden Trikots, die zu jugendlichen Schnitte von Hemd und Hose, die verwegenen Frisuren. Der Tanz verzauberte sie. Brachte zum Vorschein, was unter der Oberfläche verborgen war. Als das Bandoneon zum letzten Mal elegisch aufstöhnte, beendeten sie ihren Pas de deux, von einer Schweigeminute gefolgt. Maureen zuckte zusammen, als es hart klatschte, kräftige Handflächen aufeinander schlugen. Doch Caitlin trat ungerührt aus der Reihe hervor und leitete den respektvollen Applaus ein. Ein wenig affektiert nahmen die beiden Snyders die Beifallsbekundungen entgegen, versicherten dabei eilends, das sei gar nichts Besonders gewesen, eben nur die Grundschritte! Und in Kürze, ganz sicher, würden sie es ihnen nachtun können. Dass der Überschuss weiblicher Aspirantinnen gewisse Schwierigkeiten bei der Aufteilung der ersten getrennten Lektionen verursachen könnte, störte die beiden nicht. "Jeder kann alles hier lernen, wir führen das abwechselnd vor." ~@~ Maureen stopfte einige Strähnen in den sich in Auflösung befindlichen Zopf, wischte dann rasch über ihre Stirn. Die Tanzschritte hatten ihr Konzentration und Koordinationsvermögen abgefordert, und nun spürte sie die Anstrengung in ihren Gliedern. Sie war froh, dass diese beiden Stunden endeten, ohne dass man mit einem Partner in den Nahkampf ging. Denn unter ihren Armen hatten sich beschämende Kringel gebildet. Feuchtigkeit sammelte sich auch direkt über ihrem Hintern und unter ihren Brüsten. Wenigstens konnte man dies nicht sofort erkennen dank der hellen Farbe! Ständiges Zupfen verhinderte auch ein entlarvendes Festkleben auf der Haut. Caitlin schien von derlei Ungemach nicht betroffen zu sein. Lediglich ihre Stirn zeigte düstere Falten, was auf der Konzentration auf die Schrittabfolge beruhte. Die anderen Teilnehmer jedoch wirkten ebenfalls angestrengt, die Gesichter gerötet, glasigen Blicks und leicht entmutigt. Einige einfache Schritte... und trotzdem so schwierig in ihrer Ausführung! Als sie an die Luft traten, rieselte feiner Regen auf sie herab, erfrischend und besänftigend. "Meine Güte, das war gar nicht so ohne!" Caitlin kramte in einer Westentasche nach Drops, bot Maureen die Stange an, bevor sie sich selbst mit dem künstlichen Aroma von Himbeeren belohnte. "Wie sieht's aus, kommst du wieder?" Sie rollte den Drop energisch von einer Backe zur anderen, blockierte den Weg, als habe Maureen die Absicht, fahnenflüchtig zu werden. In der Tat beschlich diese ungeachtet des Hochgefühls, zwei Stunden lang etwas Neues, Aufregendes erlebt zu haben, Scham und Schuld bezüglich ihres Egoismus. "Ich würde gerne..." Sie wich den hellblauen Augen aus, justierte ihre massive Brille. "Wie hast du denn deinen Schwiegervater ruhig gestellt?" Erkundigte sich Caitlin gelassen, den Weg freigebend, in gemäßigtes Schritttempo fallend. Maureens Schultern reichten bis zu den Ohrläppchen, dunkelrote Färbung musste ihren Kopf in eine Tomate verwandeln, zumindest erwartete sie dieses. "Baldrian." Brachte sie stockend hervor, erneut die Verwerflichkeit ihrer tollkühnen Tat ausmessend. Caitlin warf ihr einen fragenden Seitenblick zu, lutschte mit leisen Schmatzgeräuschen an ihrem Drop. Unruhig die Knopfleiste der Kostümjacke zwischen den Fingerspitzen reibend entschloss sich Maureen zu einer Offenbarung. "Ich habe vom Arzt Baldrian-Dragees verschrieben bekommen... er glaubt, dass ich unter den Wechseljahren leide und daher auch schlecht in den Schlaf finde." Eine achselzuckende Geste, die weitaus mehr als die lapidaren Worte besagte. "Und die Dinger... habe ich meinem Schwiegervater in seine warme Milch gerührt." Sie atmete tief durch, das schändliche Geständnis war über die Lippen gekommen. "Wieso denkt der Quacksalber, du seist in den Wechseljahren?! Dafür bist du noch viel zu jung!" Maureens Zopf flog förmlich auf ihre Schulter, als sie ungläubig den Kopf drehte, Caitlins Profil anstarrte. Diese knitterte die schmalen Lippen in Verärgerung. "Das ist mal wieder typisch... Wechseljahre... pah!" Dann, den Kopf schief legend, eine Wange ausbeulend mit Drop und Zunge, grinste sie Maureen verschwörerisch an. "Guter Trick mit dem Baldrian... sollte ich auch mal versuchen." Sie gab ein heiseres Kichern von sich, das unbeschwert und aufmunternd klang. Maureen schloss sich an, bis sie wie Schulmädchen prustend nebeneinander her gingen, mit jedem synchronen Seitenblick erneut in prickelndes Gelächter ausbrechend. "Komm nächste Woche wieder, ja? Dann geht's in den Nahkampf!" Caitlin kniff ein Auge zu und zwinkerte übertrieben. Maureen nickte lächelnd ihre Bestätigung. Sie wollte diesen Lichtstreif in ihrem Alltagsgrau nicht missen. ~@~ Mit offener Erleichterung stellte Maureen fest, dass es ihrem Schwiegervater nach dieser Pseudo-Medikamentierung nicht schlecht ging. Er selbst schien nichts bemerkt zu haben, wie auch die Uhrzeiten seinen Aktionismus nicht immer einschränkten. Dieser ungewohnte Ausbruch in ein anderes Leben, eine Zuflucht in Träume von Wärme und werbender Aufmerksamkeit, einem Geheimnis, quasi die Summe ihrer ersten, selbstbezogenen Unternehmung seit geraumer Zeit, verschaffte Maureen genügend Schwung, sich den Unbillen der Pflege und Versorgung zu widmen. Sie bedauerte, nur eine instrumentale Fassung eines Tango zur Einstimmung gehört zu haben. Ein Lied, einen verständlichen Text, -so war sie überzeugt-, würde sie die gesamte Woche über auf den Lippen geführt haben! Mit der kribbelnden Aufregung eines Schulmädchens angesichts eines Samstagabendvergnügens sehnte sie sich nach der nächsten Tangolektion. ~@~ Dieses Mal hatte sie sich vorgenommen, eine bessere Mischung aus förmlicher Eleganz und praktischer Bequemlichkeit zu finden. Zumindest, was ihr äußeres Erscheinungsbild betraf. Das Kostüm wurde in den Kleidersack verbannt und in den Schrank exiliert. Stattdessen kamen ein fessellanger, leicht ausgestellter Rock, kombiniert mit einer Hemdbluse zum Einsatz. Sowie eine Talmi-Silberkette um die Hüften drapiert, die ihrer Figur eine Andeutung von Taille verleihen sollte, ohne dass sie sich einschnürte. Die strähnigen, dicken Haare wurden sorgfältig mit Shampoo bearbeitet, ausgekämmt und mittels eingedrehtem Zopf, einer Plastikspange und ebensolchen glitterbesprühten Kämmen gebändigt. »Nicht unbedingt die Entsprechung einer südamerikanischen Carmen. Aber immerhin angemessener als die kleine, mollige Tippse oder die vernachlässigte Pennerin!« Munterte sich Maureen auf. Bedauerte zum ersten Mal, dass sie sich mit den schlechten Plastikkopien und billigen Fetzen der Ramschtische begnügt hatte. Sich selbst kurzgehalten, ohne dass es einen tatsächlichen Anlass für derartige Knauserigkeit gegeben hätte. Nun, da sie nicht mehr über eigenes Einkommen verfügte, war sie nicht mehr in der Lage, diese Situation rasch umzukehren. Sie seufzte leise, schenkte sich dann ein leichtes Lächeln. Wen wollte sie beeindrucken? Die wenigen Schritte gaben ihr noch immer Rätsel auf, sie musste ihre Füße beständig belauern, als könnten diese unbeobachtet sofort in unbotmäßigen Aktionen aus dem Rhythmus brechen. Doch das konnte man schließlich ändern, nicht wahr? ~@~ Caitlin wartete bereits, sich damit amüsierend, eine gewaltige Menge Asche zu balancieren, bevor sie diese mit maliziösem Lächeln in den blumenfreien Kübel schnickte. Die blondierten Strähnen verwirrt, 7/8-Hosen über Turnschuhen, ein hochsommerliches Wickelshirt, beides in Korallenrot, sich drehende Plastikdreiecke von den Ohrläppchen baumelnd... Maureen hatte eine Vision einer jüngeren Caitlin. Einer wilden Jugendlichen, einer Punkerin mit karierten Hosen, Springerstiefeln und Irokesenputz, Verachtung und Trotz im Blick, die Zigarette nachlässig auf der Unterlippe klebend. Caitlin bemerkte Maureen und hob grüßend die Hand, was die Vision verwischte, jedoch nicht das Lächeln auf Maureens Gesicht. "Du siehst besser aus." Bemerkte Caitlin, komplimentierte mit scharfem Blick die Hochsteckfrisur und Maureens leicht getönte Wangen. Diese senkte verlegen den Blick. Bevor sie Caitlins Bekleidung bewunderte, die sie an Sommertage am Strand erinnerte. "Ja, das musste heute sein... habe die Nachtschicht, gerade mal ne Stunde zu Hause rumgepusselt und schon wieder hier auf dem Tanzboden!" Sie grinste schief. "Da brauche ich alle Farbe, die ich kriegen kann." Die Türen öffneten sich, und die kleine Gruppe der Nicht-Bingo-Spieler zockelte hinein. Wie Caitlin ihr zuraunte, keineswegs unhörbar für die Umstehenden, hatten sich tatsächlich alle wieder eingefunden. Man konnte nur noch nicht absehen, ob aus Geiz oder tatsächlichem Interesse. Maureen spürte verlegene Röte in ihren Wangen, doch Caitlin schien sich keineswegs für ihre Direktheit rechtfertigen zu wollen. Vielmehr kam es einer Selbstverständlichkeit gleich, unverblümt und unzensiert Gedanken auszusprechen. Harry und die "liebe Muriel" empfingen sie in dem schon bekannten Tatendrang. Zur Einführung wurde die Grundschrittfolge noch einmal wiederholt, dann sollte jeder zur Musik solitär in Aktion treten. Brav hinter- bzw. nebeneinander aufgereiht, die Snyders zwecks Anleitung vorneweg. Ihre Hinweise mischten sich mit dem 2/4-Takt der Melodie, lediglich der klagende Unterton des Bandoneons entfiel, ihr betonter Optimismus schloss dies von vornherein aus. Nachdem sich keine nennenswerten Ungeschicklichkeiten eingeschlichen hatten, niemand die Formation sprengte, entschied Muriel, dass es nun Zeit war, sich der "Paarbeziehung" zu widmen. Maureen, die die Blicke des Gigolo auf Caitlin mit zunehmender Unruhe registriert hatte, griff fast panisch nach deren schwerberingter Hand. Schon nahte auch der Konkurrent, wiegenden Schritts, die Brust aufblasend wie ein Pavian. Damit auch niemandem der Pelz entgehen konnte, der sich über den umsäumten Rand des Unterhemds ringelte, bevor er in dem weißen Herrenhemd eine weitere Einschränkung fand. "Caitlin, richtig? Na, wie wär's?" Maureen existierte in seiner Wahrnehmung gar nicht. Sie warf einen nervösen Blick auf die unleserliche Miene, bereits in resignativem Zweifel gefangen, dass diese natürlich einen Mann einer weiblichen Partnerin vorziehen würde. "Sorry, Buddy, aber ich habe schon eine Partnerin." Caitlin zwinkerte boshaft. Der Gigolo gab vor, nicht zu begreifen, doch Maureens sehr gesunde Gesichtsfarbe sprach Bände. Die kichernden Schulmädchen, in der unattraktiven Phase von Zahnspangenkorrektur und Hautunreinheiten gefangen, konnten sich nicht einigen, wer sich opfern sollte, um mit dem pickligen Buchhalterstypen den ersten Versuch zu wagen. Als sich nun der Gigolo zu ihnen gesellte, brach vollends die Zwietracht aus, doch Muriel setzte dem ein Ende. Der Gigolo fand sich bei der Hippiedame, der Buchhalter musste in Körpergrößenentsprechung die Kleinste der Mädchen führen, während die anderen beiden sich auf den "männlichen" Part zu einigen hatten. Maureen studierte Caitlin unsicher. Sollte sie deren Äußerung kommentieren oder sich auf die zu verteilenden Parts konzentrieren? Diese nahm ihr die Entscheidung ab. "Wir wechseln am Besten ab, ich führe zuerst... wenn ich das hinbekomme." Ihr schiefes Grinsen suchte Aufmunterung und fand in Maureens Gesicht noch Spuren der beschämten Röte. "Hab ich dich in Verlegenheit gebracht?" Sie legte den Kopf schief, beobachtend, und erneut blühten dunkle Rosen auf Maureens Wangen auf. Caitlin lachte, leise, heiser. "Manchmal bin ich eben ein böses Mädchen." In den hellblauen Augen blitzte es. Die Musik setzte ein, Harry zählte laut an, Muriel klatschte, und sie legten die Arme umeinander, bereit, zu starten. Die erste Runde endete nach wenigen Sekunden, da sich ein Gewühl abzeichnete. Das richtige Maß an Körperabstand ließ sich nicht so einfach ermitteln. Ebenso wenig bestand schon Sicherheit in der Schrittfolge, nun, da man nicht einfach den Faux pas korrigieren konnte, ohne dem Partner ins Gehege zu geraten. Caitlin und Maureen erging es nicht besser als ihren Mit-Kombattanten. Ihre Schrittlänge differierte zu stark, zudem senkten sich die Ellenbogen bedenklich dem Boden entgegen. Paar für Paar wurde nun abgeschritten, die Haltung korrigiert, kommentiert, bis alle sich in hoffnungsvoller Position für den erneuten Anlauf befanden. Maureen, die sich erhitzt fühlte und fürchtete, in Kürze mittels feuchter Handflächen den Stoff von Caitlins Wickelshirt zu tränken, tippelte unruhig auf der Stelle. Es war ihr unangenehm, so allzu menschlich zu agieren. Hoffentlich hielt wenigstens das Deo, was es versprach! Caitlin dagegen nagte an ihrer Unterlippe, ging offenkundig im Geist die Schritte durch, den "männlichen" Part. Der Auftakt war schließlich entscheidend, um nicht sofort wieder in den Turbulenzen unterzugehen. Harry zählte wieder vor, dieses Mal ohne musikalische Begleitung, und die Paare wagten sich vor. Das ältere Ehepaar, vollkommen kommunikationslos, meisterte mit Abstand die Herausforderung am Besten. Die anderen Parteien stockten mehr oder weniger rasch nach den ersten Schritten, unschlüssig, was nach dem Ausfall zur Seite doch gleich...?! Maureen, die noch immer Schwierigkeiten hatte, Caitlins großer Schrittlänge zu folgen, obwohl sie sich in Körperhöhe kaum unterschieden, preschte zu hastig vorwärts, um es nicht zu verderben. Rammte dabei ihre Partnerin, die aus dem Tritt kam. "Oh, tut mir leid, ich bin so ungeschickt..." Caitlin wischte ihre Entschuldigung weg, studierte sie eingehend, von den Zehen bis zum hochgesteckten Zopf. "Pogo ist wesentlich einfacher!" Sie grinste gewohnt schief, umfasste dann Maureens Hand sicher. Forderte sie knapp auf, den ersten Schritt nach hinten vorzunehmen, um dann innezuhalten und die Länge abzumessen. "Wir kriegen das schon hin!" Ein finsterer Blick streifte Maureen, die zusammenzuckte. Verspätet bemerkte, dass der Adressat der Gigolo war, der in der Unterbrechung die Hippiedame herumschwenkte. Maureen konnte die feindseligen Schwingungen förmlich greifen und zog die Schultern hoch. »Wann bin ich so dünnhäutig geworden?« Fragte sie sich selbst überrascht. ~@~ Nach zwei fordernden Stunden und der Nachtschicht wirkte Caitlin erschöpft und mitgenommen, die hellblauen Augen trübe in ihrem feinen Spinnennetz, die Lippen trotz des Gloss farblos. Maureen spazierte schweigend neben ihr her, bis zu der Kreuzung, an der sich ihre Wege trennen würden. "Du hast gar nicht gefragt, warum ich so arrogant zu dem Schleimer war." Selbst Caitlins Stimme klang nun müde. Schuldbewusst stammelte Maureen Unverständliches, doch eine Handbewegung negierte ihre Bemühungen. "Der hat mich an meinen Ex erinnert, die miese Kanaille." Maureen wurde ein fahriges Lächeln geschenkt. "Ein richtiger Macho, mit Schwanzwedeln und allem..." Die Finger streiften durch die blondierten Strähnen. "Aber keine Substanz, gar nichts." Sie unterdrückte ein Gähnen. "Hinter allem her, was nen Rock trägt... Gottes Geschenk an die Weiblichkeit!" Sie schnaubte. "Aber eins kann ich dir sagen: er täte besser daran, sich der anderen Hälfte zuzuwenden." Maureen blinzelte verständnislos, eingebunden in Intimitäten, deren geheimen Code sie nicht begriff. Caitlin wandte sich ihr zu, die Kreuzung bremste ihrer beider Schritt. "Um den Arsch hinzuhalten reicht es immer noch, wenn man keinen mehr hochkriegt." Erklärte sie finster, in einer Genugtuung, die Maureen eine Gänsehaut verschaffte. Eine Hand massierte die Nasenwurzel. "Ich brauche dringend ne Mütze Schlaf." Caitlin lächelte nun wieder, entschuldigend, um Schadensbegrenzung bemüht angesichts Maureens verstörter Miene. "Sehen wir uns nächste Woche?" Maureen nickte und ergriff impulsiv Caitlins Hände. "Ich werde heimlich üben." Gestand sie in vertraulichem Flüsterton, der auf der Gegenseite ein Schmunzeln auslöste. "Das tue ich auch." ~@~ Während der Woche ertappte sich Maureen dabei, wie sie Schrittfolgen beim Staubsaugen improvisierte. Leise Takte mitzählte, ihrem äußeren Erscheinungsbild vermehrt kritische Blicke schenkte. Von einem unbekannten Schwung zehrte, der sie mit Langmut über die Eskapaden ihres Schwiegervaters hinwegsehen ließ. Daran konnte auch das regnerisch-stürmische Wetter nichts ändern, das sich wie ein schwerer Bleimantel auf die Stadt und Gemüter legte. Sie konnte es kaum erwarten, am nächsten Samstag Caitlin mit ihren Fortschritten zu überraschen. ~@~ Als sie zeitig das Bürgerhaus erreichte, fanden sich dort lediglich das ältliche Ehepaar in stummer Verbundenheit. Und der picklige Buchhaltertyp, der sich ununterbrochen schnäuzte, was seiner Attraktivität keinerlei Pluspunkte einbrachte. Maureen zupfte an der losen Bluse, pflückte unsichtbare Fusel von dem steifen Tweedstoff ihres Rocks, der in seiner Schnittform an die Nachkriegszeit erinnerte. Eigentlich zu körperbetont geschnitten war, um ihr optische Vorteile zu verschaffen, geschweige denn für einen Tanz mit Ausfallschritten geeignet war. Leider stellte er jedoch die einzige unbefleckte und gebügelte Alternative dar. Da der alte Mann seiner künstlerischen Ader nachgegeben und mit Wachsstiften alles verziert hatte, was ihm innerhalb fünf Minuten unter dieselben gekommen war. Sie hatte noch immer keine Vorstellung, wie sie die Graffiti von der gemusterten Tapete entfernen sollte. Nach und nach trudelten andere Mitstreiter ein, das ungleiche Pärchen im verschweißten Handverbund, die Hippiedame und der Gigolo, auf einem Zahnstocher kauend. Die Schulmädchen hielten sich abseits, offenkundig nicht angetan von der Aussicht, die kläglichen Unterhaltungsversuche des Buchhalters zu tolerieren. Als sich die Flügeltüren öffneten, Maureen in Ungeduld und Enttäuschung bereits Falten in die Bluse geknittert hatte, preschte Caitlin heran, atemlos, aber triumphierend. Mit verschwörerischem Lächeln bedeutete sie Maureen Schweigen, mischte sich unter die Aufstellung Nehmenden, um dem gemeinsamen Einstimmen in die Grundschritte zu folgen. Maureen musterte die Freundin, -war sie es denn?-, von der Seite, die nachlässig in der Taille gekordelte Schlabberhose, die Sandaletten, die maskulin hochgerollten T-Shirt-Ärmel, die Frisur, die ungekämmt und strohig wirkte. Caitlin schien ihre Aufmachung mit Gleichgültigkeit an diesem Morgen zusammengestellt zu haben, resümierte Maureen überrascht. Nach den ersten Paarversuchen, -der Buchhalter floh nasenblutend auf den Flur hinaus, nachdem ihn ein unabsichtlich-absichtlicher Kopfstoß außer Gefecht gesetzt hatte-, wurde eine Sammlungspause eingelegt. Am Handgelenk abgeführt zog Caitlin Maureen zu der Stuhlbarrikade, wo sie ihre Umhängetasche, ein durchscheinendes Plastikungetüm mit abgeschabtem Sonnenblumenaufdruck, deponiert hatte. "Schau mal!" Die hellblauen Augen funkelten erwartungsvoll, während sie verstohlen ein quadratisches Objekt hervorzog, das sich bei näherer Betrachtung als Single aus der Zeit der Plattenspieler entpuppte. "Ich war gerade eben auf dem Trödelmarkt... meine Güte, ich habe mir die Finger unter Plunder blutig gewühlt, aber hier!" Sie grinste schief. "Habe ich tatsächlich einen Tango gefunden!" Maureen studierte das Cover interessiert, entzifferte den Text. "Hernando's Hideaway, Archie Bleyer. Cadence 1241." Werbend schrie der Aufdruck heraus, das besagte Aufnahme 1954 die Nr. 2 in Amerika erreicht hatte und aus dem Broadway-Stück "Pajama Game" entstammte. Text und Musik arrangiert und komponiert von Richard Adler und Jerry Ross. Die "liebe Muriel" klatschte um Aufmerksamkeit heischend in die Handflächen. Caitlin verstaute eilig ihre Beute, lächelte dabei wie eine zufriedene Katze, lediglich das gutturale Schnurren fehlte zur perfekten Darstellung. Nachdem sich abzeichnete, dass ein gewisser Frustpegel bedrohlich tangiert wurde, schlug Harry den Wechsel der Parts vor. In der Absicht, das Verständnis für die Reaktionen der anderen Seite zu erwecken. Beide wirkten trotz ihrer demonstrativen Zuversichtlichkeit ein wenig angeschlagen. Sie hatten es sich offenkundig einfacher vorgestellt, Anfängern die Geheimnisse des Tango zu vermitteln. Maureen, nun in der Führungsrolle, teilte ihre Konzentration zwischen den eigenen Schritten und Caitlins Einflüsterungen auf. "Sag mal, hast du nicht noch ein wenig Zeit heute? Ich würde die Single gern anhören und dazu üben, was meinst du?" Einen wenig eleganten Zusammenprall im letzten Augenblick verhindernd schüttelte Maureen bedauernd den Kopf. "Tut mir leid, aber ich kann ihn nicht so lange ohne Aufsicht lassen..." Caitlin unternahm nicht den Versuch, ihre Enttäuschung zu verbergen. Maureen schluckte betreten, sie wollte so gerne, aber... es war einfach nicht gerecht! "Und... und wenn du mit zu mir kommst? Wir haben einen Plattenspieler..." Wagte sie sich in einem Anfall von Trotz vor. "Bist du sicher?" Caitlins nachgezogene Augenbraue wanderte skeptisch in die Höhe, die Krähennester vertieften sich. "Ja!" Nicht nur ihre Stimme überschritt die geflüsterten Nuancen um Längen, auch ihr Griff war verlangend, flehend. Erschrocken über ihren heftigen Ausbruch, der nicht unbemerkt geblieben war, senkte sie eilig den Kopf, fixierte den Blick auf ihre Fußspitzen. Caitlin drückte ihre Hand aufmunternd. "Klar komme ich mit!" Sie grinste ihr schräges Verschwörerlächeln. ~@~ Der Heimweg verlief in der aufgeregten, erwartungsvollen Hochstimmung, die Schulmädchen miteinander verband, die ein Geheimnis teilten. In Maureens Freude mischte sich allerdings auch Besorgnis. Was würde ihre neue Freundin, »und das ist sie!«, von dem kleinen Haus halten? Von der Enge und Dunkelheit, dem beständigen Geruch nach Desinfektionsmitteln und Schmutz, der armseligen Einrichtung mit ihren Plastiküberzügen und vergilbten Stoffen? Caitlin dagegen schien nur darauf zu brennen, ihre Neu-Erwerbung auf dem Plattenteller rotieren zu sehen. Nachdem Maureen umständlich die Haustür aufgeschlossen hatte, ließ sie Caitlin vorangehen in den winzigen, engen Flur, direkt zum Wohnzimmer, wo sie auch nächtigte. "Bitte mach es dir doch schon mal bequem! Ich schaue mal eben nach ihm." Schon floh Maureen die steile Stiege hoch, auf der Suche nach dem alten Mann. Dieser erwachte erst bei ihrem Eintreten, um sofort nach Frühstück zu verlangen, sich gegen das Wechseln der Inkontinenz-Windel wehrend, zeternd und kreischend. Zum ersten Mal war Maureen in ernsthafter Versuchung, die Schläge, die sie trafen, zu erwidern. Ihn zum Schweigen zu bringen, um zügig die Unannehmlichkeiten hinter sich zu bringen. Sie atmete tief durch und zählte im Geiste bis zwanzig, während sie den dürren Körper in Bekleidungsschichten hüllte. Die Flügelfenster weit aufreißend beschloss sie, sich der Säuberung nach Caitlins Besuch zu widmen. Zunächst wurde der alte Mann in das Erdgeschoss dirigiert und in der Küche mit milchgetränkten Flakes verköstigt. Was er zum weidlichen Einweichen des Resopaltisches und der Fliesen nutzte. Caitlin begegnete sie im Flur, die unerwartet unentschlossen ihrem Blick begegnete. "Soll ich vielleicht doch besser gehen?" Bot sie höflich ihre Demission an, doch Maureens Zopf flog entschlossen im Halbrund. "Nein, tut mir leid, das Ganze hier! Ich setze ihn gleich vor den Fernseher, dann haben wir Ruhe. Kannst du in den ersten Stock gehen, das zweite Zimmer den Gang runter?" Caitlin nickte, sammelte ihre Habseligkeiten ein und machte sich auf den Weg, während Maureen Kekse neben den Fernseher deponierte. Den alten Mann dort hinlockte, um ihn dem Bann der Cartoons zu überantworten. Eilig belegte sie einige Sandwichschnitten, opferte zwei Dosen aus ihrem geheimen Alkoholdepot, Malzbier, süß und dunkel, um sie auf ein Tablett zu Servietten und Crackern zu deportieren. »Immerhin ist es schon nach Mittag, Caitlin muss Hunger haben!« Sie balancierte das Tablett die enge Stiege hoch, erinnerte sich dann erst, dass der Raum, in den sie ihren unerwarteten Besuch gelotst hatte, schon eine geraume Weile nicht mehr gelüftet worden war. Als sie nun eintrat, hatte Caitlin in der Selbstverständlichkeit, die ihren Aktionen anmutete, bereits die Initiative ergriffen. Die Fenster aufgestoßen, das unberührte Bett aufgeschlagen, die einzige Sitzmöglichkeit und bemühte sich nun um den altmodischen Plattenspieler. "Das Zimmer von deinem Mann?" Erkundigte sie sich beiläufig, als Maureen das Tablett auf einen wackligen Beistelltisch absetzte, dann die Tür schloss. "Ja..." Es war noch in dem Zustand, als ihr Mann es verlassen hatte, um auf das College zu gehen. Einige ausgeblichene Wimpel, zerfledderte Taschenbücher auf einem Bord, ein wackliger Schrank, ein handgeknüpfter, scheußlicher Vorleger, insgesamt kahl und freudlos. Was sich mit Caitlins Eintreten zu ändern schien. Die Sandaletten lungerten in ihrem schrillen Plastikdesign vor dem Bett, die Umhängetasche lehnte am Schrank. "Wir müssen wohl ein bisschen Platz schaffen, wenn wir hier das Tanzbein schwingen wollen." Ohne viel Federlesens begab sich Caitlin auf die Knie. Wartete geduldig, bis Maureen mit unterdrücktem Ächzen an ihrer Seite weilte, um dann gemeinsam mit dieser den unsäglichen Teppich zusammenzurollen und gegen die Wand zu schieben. Sofort wirkte der Raum größer, das abgeschabte, kränklich-bräunliche Linoleum weniger düster. Ungezwungen die Hände an den Schlabberhosen abwischend grinste Caitlin. Bevor sie den Plattenspieler, der auf einer Umzugskiste auf dem Boden residierte, in den leeren Schrank verlagerte, dann eine Stromquelle suchte. Maureen bestaunte diese Aktion verblüfft. "Man lernt ne Menge, wenn man mal mit nem Möchtegern-Rotten durch die Gegend gezogen ist... Der hatte seine Mega-Boxen ständig im Pfandhaus." Sie legte den Tonarm auf die Scheibe. "Aber es gibt in einem leeren Schrank auch ne ziemlich gute Resonanz." Es knisterte, knackte, dann erhoben sich Kastagnetten mit pointiertem Schlag, bevor Männerstimmen einen einfachen Text intonierten. ~@~ "Hernando's Hideaway" (Richard Adler/Jerry Ross) I know a dark secluded place A place where no one knows your face A glass of wine a fast embrace It's called... Hernando's Hideaway... Ole All you see are silhouettes And all you hear are castanets And no one cares how late it gets Not at Hernando's Hideaway... Ole At the Golden Fingerbowl or any place you go You can meet your Uncle Max and everyone you know But if you go to the spot that I am thinking of You will be free...to gaze at me And talk of love Just knock three times and whisper low That you and I were sent by Joe Then strike a match and you will know You're in Hernando's Hideaway... Ole Oh just knock three times and whisper low That you and I were sent by Joe Then strike a match and you will know That you're in Hernando's Hideaway. ~@~ Mit wachsendem Grinsen lauschten sie unisono dem Stück. Die Füße zuckten erwartungsvoll angesichts des mitreißenden Takts, als könnten sie es nicht erwarten, ihm Folge zu leisten. Sich an ihre Gastgeberpflichten erinnernd reichte Maureen ein Sandwich und Dosenbier weiter. Caitlin griff mit einem dankbaren Nicken zu, aß mit hastigem Genuss, was Maureen mit Dankbarkeit erfüllte. Es war lange her, dass sie mit einem anderen Menschen auf einem Bett gesessen und gegessen hatte, ohne dass dies in eine Saalschlacht oder andere Unfreundlichkeiten ausgeartet war. "Na, wagen wir es?" Sie erhob sich, von akuter Lebensfreude explosionsartig überrascht, streckte Caitlin die Hand hin. Diese erhob sich feixend, sie warteten auf den erneuten Einsatz, um den ersten Versuch zu wagen. Erstaunlicherweise hatte der Wechsel von Maureen zum führenden Part die Koordinationsschwierigkeiten reduziert. Die Differenzen in Schrittlänge und -geschwindigkeit wirkten nicht mehr gravierend. Dafür behinderte nun die Bekleidung die gewagteren Figuren, und auch eine andere Tatsache hieß Maureen die kurzzeitig gewonnene Handlungsfreiheit aufgeben. Sie stolperte, riss Caitlin ungewollt mit sich, bis beide unsanft von der Wand gebremst wurden. "Tut mir leid, ich bin so ungeschickt..." Sie spürte Tränen in den Augen und verwünschte sich dafür, angenommen zu haben, es würde sich einmal etwas in ihrem Leben komplikationsfrei bewältigen lassen. "Hey, kein Problem..." Caitlins Blick senkte sich bezeichnend auf Maureens deutlich erregte Brustwarzen. "Ich weiß auch nicht, woher das kommt! Ich war ja auch deshalb bei dem Arzt und der Baldrian..." Zutiefst beschämt stammelte Maureen Erklärungsversuche und Rechtfertigungen heraus, wich eilends von Caitlin zurück. Diese schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Nur keine Aufregung, es stört mich nicht." Während Maureen sich hastig die Augen unter der massiven Brille hindurch wischte, ließ sie ihr Raum, sich wieder zu fassen. "Und er hat dir nur ein paar blöde Pillen verschrieben?" Erkundigte sie sich ungläubig. "Na ja..." Maureen druckste herum. Sie war es nicht gewöhnt, Details in dieser Hinsicht zu formulieren. Doch in Caitlins Kreisen schien dies keineswegs unüblich, sodass sie sich nun viktorianisch und prüde vorkam, schlimmer noch, arrogant in ihrer Zurückhaltung. "Er... wollte wissen, wann ich das letzte Mal mit Tom..." Sie wich in eine vage Geste aus. "Und?" Caitlin malmte an einem Cracker, studierte Maureens nervöses Herumzupfen an der fadenscheinigen Gardine, ihrer Bluse, dem Rock. "Er ist seit drei Monaten weg... und, na ja, er kann ja auch nicht auf Bestellung..." Begab sie sich in Verteidigungshaltung. "Und was hat der Quacksalber dazu gesagt?" Caitlin hob, um Schweigen heischend eine Hand, legte diese in posierender Konzentration an die Nasenwurzel, als parodiere sie einen Hellseher. "Besorgen Sie sich 'nen Plastikfreund? Batteriebetrieben?" Testete sie ihre prophetischen Gaben aus. Maureen blinzelte, brach dann in hysterisches Kichern aus. "Woher...?" Caitlin knurrte verächtlich. "Den Ratschlag scheint er jeder Frau zu geben, die zu ihm kommt: wirst du nicht oft genug gepoppt, besorg's dir selbst." Verlegen an ihrem Zopf nestelnd zuckte Maureen mit den Schultern, als sei das Eingeständnis nach körperlicher Zuwendung eine verwerfliche Schwäche. "Und, hast du einen?" Caitlin imitierte mit einem rauen Summen das ärztlich attestierte Wunderwerk. Maureen grinste über diese Darbietung, in der weder Spott noch Verachtung für ihre Bedürfnisse lag. Spürte die Erleichterung in ihrem Herzen und erwiderte die freundschaftliche Geste mit gleicher Ironie. "Du wirst es nicht glauben, aber ich vergesse jedes Mal die Batterien..." Sie zwinkerte von unten herauf in Caitlins Gesicht, die laut herauslachte. "Weißt du was, Maureen?" Verschwörerisch beugte sie sich nach innigem Grinsen vor. "Wir werden jetzt was Verrücktes tun!" Zwischen Unglauben und Bewunderung schwankend verfolgte Maureen, wie Caitlin sich das T-Shirt über den Kopf streifte, aus den Schlabberhosen stieg, sich in billigem Slip und kunstseidenem BH präsentierte. "Tango in Unterwäsche... das ist verrucht und ganz bestimmt alles andere als ein trauriger Gedanke!" Spornte sie Maureen an gleichzuziehen. Diese zögerte kurz, ließ sich dann aber aus der Hemdbluse knöpfen und aus dem Rock befreien, verschämt die Druckstreifen reibend. "Ich komme mir vor wie ein Hefeteig!" Klagte sie verlegen, ganz im Gegensatz zu ihrer Freundin in figurformende Pagenschlüpfer und entsprechenden BH gekleidet, fleischfarben und von der Attraktivität Pferdegeschirren entsprechend. "Ach, Unsinn, los geht's!" Überspielte Caitlin jede aufkeimende peinigende Verlegenheit, zog Maureen an der Hand in die Ausgangsposition. Nun, ungehindert von Rocksäumen und anderen Zwängen fiel es ihnen sehr viel leichter, in die Ausfallschritte zu gleiten. Die Füße zu verzierenden Ausbrüchen anzuheben. Lachend drehten sie sich ohne Pause, nutzten die drängende Enge des kleinen Raums aus. Warfen sich in Pose, imitierten künstlich verlängerte Wimpernschläge, glutvolle Blicke. Caitlin ließ sich sogar zu einem gutturalen Knurren hinreißen, das dem mühsam gebändigten Verlangen Rechnung tragen sollte. Erhitzt und lächelnd stützten sie einander schließlich an den Ellenbogen ab, atemlos, aber glücklich, weil sie ohne nennenswerte Abstimmungsschwierigkeiten ihren Tanz gemeistert hatten. Caitlin reduzierte ihr ausgelassenes Grinsen zuerst auf eine ruhigere, sanftere Variante, touchierte behutsam Maureens Brust. "Hast du eigentlich Schmerzen?" Erkundigte sie sich, eine Spur von Besorgnis in der Stimme, die Maureens Herz wärmte. Sie hatte niemanden gehabt, mit dem sie ihre belastende Situation besprechen konnte, und Caitlin hatte sich nun wirklich mehr als vertrauenswürdig erwiesen. "Ein bisschen..." Verlegen senkte sie den Kopf. "Ich habe es sogar mit Eincremen versucht..." Caitlin seufzte. "Dabei ist die Antwort doch so simpel." Flüsterte sie, eindeutig mehr zu sich selbst als Maureen. Dirigierte diese behutsam die wenigen Schritte bis zum Bett, hieß sie, sich hinzusetzen, um dann geschickt den Hakenverschluss zu lösen. Tatsächlich war die empfindliche Haut dunkel gerötet, in einem alerten Zustand, der Erregung mehr als entsprach, einen starken Kontrast zu der milchweißen Haut bietend. "Leg dich mal flach." Caitlins Stimme blieb gelassen. In dem nachsichtigen Ton einer Mutter, die resignativ feststellt, dass man einiges an Ungemach hätte vermeiden können, hätte man ihren Rat eingeholt, statt störrisch auf der eigenen Sicht zu beharren. Maureen gehorchte, ließ sich hinab, umklammerte schutzsuchend ihre eigenen Ellenbogen, doch Caitlin sprengte diesen Griff, drapierte locker um Maureens Kopf. "'Versuch, dich zu entspannen." Konzentration vertiefte die feinen Spinnennetze um die hellblauen Augen. Dann bestrichen ihre Fingerspitzen prüfend Maureens Brustbein. Sie zuckte leicht zusammen, verstärkt noch durch Caitlins Grimasse. "Du kannst glatt als Panzer durchgehen!" Kommentierte diese tadelnd. Doch, wie Maureen verspätet begriff, bezog sich diese Äußerung nicht auf ihre üppige Gestalt, sondern auf die Verspannungen, die die Sehnen über ihrem Brustkorb extremer Belastung aussetzten. Caitlins Fingerspitzen kreisten sanft, ohne Nachdruck, ein ertastendes Streicheln. Verfolgten die feuchten Spuren unter den schweren Brüsten, an den schutzlos entblößten Achselhöhlen entlang, über Schlüsselbein bis zum Hals. Als wollten sie eine Landschaft zeichnen, deren unsichtbare Kanäle nur auf ihre Entdeckung warteten. Maureen keuchte leicht, auch wenn sie mit den Augen verfolgte, welche Richtung Caitlin einschlug, so prickelte erwartende Spannung vor jeder weiteren Berührung. Senkte sich ihr Brustkorb hastig, um seufzend wieder die Lungen zu füllen. Diese automatische Gegenbewegung, ihr Rückgrat dezent wölbend, brachte sie in verstärkten Kontakt mit den Kreise ziehenden Fingern. Denen weitere folgten, sich mit Handflächen verstärkten, in gelassener Ruhe von den unzähligen Ringen befreit. Sie spürte Caitlins aufmerksame Blicke auf sich. Errötete leicht, atmete noch immer hastig, beschämt ob der Erleichterung, die ihr offeriert wurde und die sie nicht zu verbergen vermochte. Die Liebkosungen blieben sanft, zurückhaltend, wie ein träger Spaziergang über eine vernachlässigte Promenade, nicht übermäßig neugierig, dennoch interessiert, fürsorglich. Dann lösten sich die warmen Handflächen, um Maureens Brille auf das Beistelltischchen zu verbannen. Caitlin löste ihren eigenen BH und kroch neben die Freundin unter die Decke, rutschte an sie heran. Ihre hellblauen Augen prüften konzentriert, doch Maureen sah sich außerstande, die richtigen Antworten zu signalisieren, verstand sie doch nicht einmal den geheimen Code, der ihr vermittelt wurde. Sie fürchtete eine Zurückweisung, blinzelte kurzsichtig, flehentlich in das gelassene Gesicht über ihrem Kopf. Bevor Caitlin sich über sie beugte und ihren Atem auf eine Brust blies. Die Reaktion erfolgte so prompt, dass Maureen aufstöhnte und hastig die Hand auf den Mund schlug. Dies war mehr als unanständig... es war anstößig! Wie konnte sie nur?! Fingernägel schabten über die Rippen unterhalb der Achseln, dann berührte, in feuchtwarmer Ausstrahlung, etwas ihre Brustwarze. Die Lippen fest aufeinander pressend, um sich nicht erneut einer solchen Ungeheuerlichkeit schuldig zu machen, verkrampfte sich Maureen sofort. Bis die Nervenspannung ihre Schmerzgrenze überstieg, sie zu atmen zwang, einen weiteren kehligen Laut produzierend. Tränen der Scham stiegen ihr in die Augen, Schimpfworte brandeten in ihrem Kopf auf, die ein solches Verhalten kritisierten. Doch ein Teil ihrer Aufmerksamkeit registrierte überrascht, dass die Streicheleinheiten nicht unterbrochen wurden, gleichsam tröstend und aufmunternd ihren Torso liebkosten. Caitlin rückte ganzkörperlich näher an sie heran, ihre Wärme strahlte ab, erhitzte Maureens Beine in ihrer Länge. Zähne schlossen sich einkerbend um die Brustwarze, bevor der Biss gelockert wurde, einem feuchten Spiralenspiel der Zungenspitze wich, von sanftem Saugen abgeschlossen wurde. Unwillkürlich zuckte ihre Hand auf Caitlins Nacken, als diese sich zu entfernen drohte. Ein winselnder Klagelaut, von unbewusster Verzweiflung gesteuert, animalischer Natur, die sich nicht von Moralgesetzen und Konventionen aufhalten lassen wollte. Caitlin kicherte auf, das erste Anzeichen von Nervosität, das Maureen an ihr bemerkte, suchte Bestätigung in ihren grünen Augen. Es schien so selbstverständlich, die Führung zu übernehmen, die Hände schützend um das Gesicht zu legen. Mit einem beschwichtigen Lächeln die Unruhe zu vertreiben, die aufkommenden Zweifel zu ersticken und die schmalen Lippen zu küssen. Caitlins Hände stützten sich auf ihren Brüsten ab, sanft und prickelnd zugleich, ihr Gewicht auf Maureens Unterleib rastend. Sie ergab sich Maureens behutsam werbender Zungenspitze, gewährte Einlass, teilte das gemeinsame Aroma, süßes Malz, eine Ahnung von Curry aus dem Sandwichbelag, garniert mit dem herben Geruch Nikotins. Den Kopf leicht winkelnd schmuggelte sie die eigene Zunge lockend unter Caitlins, umkreiste diese, bevor sie die Zahnreihen erkundete, hungrig und unternehmungslustig. Küsse... nur noch ein Schmatz mit trockenen Lippen, ein verstaubtes Ritual zum Abschied. Nichts teilend, nichts wagend, nicht die steife Strenge überwindend, die mehr als jede andere Geste Distanz wahrte. Ganz anders hier, wo ihre Hände gleichzeitig über Oberarme und Schultern wanderten, Knorpel und Rippen erkundeten, die sanfte Hitze des anderen Leibs genossen. Sie spürte das glückselige Lächeln in ihren Zügen und hinderte es nicht. Knoten lösten sich in ihrem Unterleib, Verspannungen ergaben sich. Fast ernüchternd bemerkte sie, dass Caitlin sich sanft aber bestimmt von ihr zurückzog, in verlegener Geste durch die struppigen Haare strich. Bereute sie es? Maureen musterte sie nervös, sie konnte nicht garantieren, dass die ihr erwiesene Zärtlichkeit ausreichend war, um wieder in den Alltagstrott zu verfallen. Ohne ihr in die Augen zu sehen setzte sich Caitlin auf, strich mit einer Hand horizontal immer wieder über den anderen Arm, der ihr als Stütze diente. "Weißt du, früher haben wir immer gesagt, das ist nur für die Zukurzgekommenen. Die, die so hässlich sind, dass die Kerle sie nicht mal mit nem Sack über dem Kopf vögeln würden..." Sie räusperte sich, noch immer Blickkontakt meidend. "Und heute?? Gott, verdammt, heute glaub ich, wir haben uns mit Mogelpackungen abspeisen lassen..." Ein schiefes Grinsen, das die seltsame Predigt konterkarierte. "Wie bei Drohnen, nur begrenzte Hochleistung drin, und alles, was bleibt, ist Enttäuschung..." "Ich glaube nicht, dass es helfen würde, wenn ich mir einen Sack über den Kopf ziehe." Bemerkte Maureen leise, selbstvergessen und voller Bitterkeit. "Hey, damit meinte ich nicht dich!" Caitlins erschrockener Ausruf, kombiniert mit der bestürzten Miene, milderten Maureens Stimmungsabfall. "Wen dann?" Hakte sie unbarmherzig nach. Caitlin zuckte mit den Schultern, nagte an der Unterlippe. "Weiß nicht... damals waren wir wohl einfach nur verblödete Zicken..." Murmelte sie beschämt. "Vielleicht hattet ihr Recht..." Maureen strich mit einer Hand über Caitlins Schulter. "Ich war schon immer dick... ich hätte gerne so eine Figur wie du..." Sie fing die gebräunte Haut mit ihren Blicken ein. "Ha!" Caitlin spottete. "Ich tausche sofort und mit Handkuss. Ich passe obenrum locker in B, aber die Hüften wie ein Droschkengaul! Und das gefällt dir?" Maureen grinste verschmitzt. "Wenigstens weniger Gewicht auf dem Rücken lastend." Caitlin betrachtete sie mit gekräuselten Lippen. "Weißt du, was ich zuletzt gelesen habe? 'Achtung, Frauen ab Vierzig, bevorzugen Sie die Rückenlage, dann merkt er nicht, wie das Gewebe nachlässt'. Toller Ratschlag, oder?" Das Gesicht verziehend bekundete Maureen Abscheu. "Vielleicht sagen sie das auch nur, damit die Schwerkraft tarnt, was Viagra nicht mal mehr mit Gerüst aufrichten kann." Vermutete sie keck, über ihre eigene Frechheit verwundert. Caitlin grinste befreit, kniff sie in die Nasenspitze. "Ich hab's noch nicht gesagt, darum tue ich es jetzt: Maureen, du bist wundervoll. Du hast eine herrliche Figur, um die ich dich maßlos beneide, und du küsst so verdammt gut, dass mir ganz anders wird." Mit einem feierlichen Nicken schloss sie die Laudatio ab. Verlegen vor Freude über dieses unerwartete Kompliment errötete Maureen flammend, presste eine Hand auf ihr heftig schlagendes Herz. Die Geste lenkte ihrer beider Aufmerksamkeit erneut auf die medizinisch vernachlässigte Symptomatik. Mit einem entschlossenen Zischen rutschte Caitlin wieder an Maureens Seite, umfasste mit beiden Handflächen die schweren Brüste und massierte sie sehr vorsichtig. Die Augen nicht von Maureens sich verschleierndem, kurzsichtigen Blick wendend. Diese konnte nicht untätig die Liebkosungen genießen. Ihre Hände wanderten neugierig über Caitlins Rücken, Becken, Leisten, ertasteten die sich absetzenden Spuren der Schwangerschaft. Nun hielt sie sich nicht mehr zurück, stöhnte leise, wohlig unter jeder Zärtlichkeit, ließ sich verwöhnen von der Mut fassenden Freundin. Auf ein stummes Signal hin, gedankenübertragen, schlüpfte jede aus Slip und Stützwäsche, suchte dann die tröstliche Nähe der anderen, um die Verlegenheit wieder in Schranken zu verweisen. Es war Caitlin, die zuerst den runden, leicht vorstehenden Bauch erkundete, in dem wolligen Dreieck darunter verschwand, ihre Fingerspitzen in die feuchte Höhle eindringen ließ. Von einer ungekannten Faszination schien ihr, jede Bewegung als Echo in Maureen zu finden. Seufzen, Stöhnen, Atemzüge, die sich beschleunigten, unwillkürliche Regungen, sich rötende Wangen und Lippen. Die Haare gelöst, das helle Gesicht mit den grünen Augen... sie schien zu erblühen in der Zuwendung, zu einer Attraktivität, die lange im Verborgenen geschlummert hatte. Caitlin bemerkte die Hand auf ihrem Arm kaum, die behutsam lenkte, eingefangen in diesen fremd-vertrauten Bann. Stattdessen folgte sie Maureens Wunsch und ließ sich verlangend küssen. Ähnlich wie die Abstimmung beim Tango beobachteten sie einander, lauschten auf Signale. Tasteten sich an einander heran, versicherten sich immer wieder, auf einem unbekannten Pfad vertrauend voranzugehen. Dabei war es weniger die einfühlsame Liebkosung, die Maureen vor Wonne erschauern ließ, sondern die von Zärtlichkeit weichgezeichneten Zügen. Die wärmend funkelnden Augen, die schmalen Lippen, die unbewusst ihre eigenen Emotionen widerspiegelten. Die erwartete Entspannung folgte gemächlich dem Feuchtigkeit spendenden Höhepunkt. Sie wandten sich einander seitlich zu, jeweils auf einem angewinkelten Arm ruhend, wechselseitige Röte studierend, vereinzelte Strähnen von Stirn und Wange wischend. "Das war..." Caitlin zuckte unter schiefem Grinsen mit den Achseln. "...wirklich nett." Maureen lächelte nachsichtig, zeichnete mit den Fingerspitzen die Spuren der Schwangerschaftsstreifen nach, die sich von der gebräunten Haut absetzten. Caitlin kommentierte die Streicheleinheit mit einem Schnauben. "Stell dir vor, ich bin extra nach Griechenland geflogen, um das zu verdecken, und was passiert? Ich sehe aus wie ein geflecktes Grillhähnchen, nur noch garniert mit Zebrastreifen!" "Aber bereut hast du es nicht." Stellte Maureen sanftmütig fest, tippte neckend auf die Nasenspitze. Caitlin drehte sich auf den Rücken, rieb sich mit den Handflächen energisch über das Gesicht, kreuzte dann die Arme unter dem Nacken. "Wenn sie noch klein sind, sind sie niedlich, aber dann..." Sie zauste sich den Schopf, wedelte abwimmelnd. "Wo ist eigentlich dein Mann?" Erkundigte sie sich dann, den Kopf wendend. "Bohrinsel..." Maureen spürte, wie sich Spannungen aufbauten, die sie für Augenblicke vergessen glaubte. Strich, als könne sie sich selbst beruhigen, über Caitlins flachen Bauch, magische Kreise. "Hmmm, das ist angenehm!" Schnurrte diese wohlig. "Ich fühle mich manchmal so allein gelassen..." Maureen rückte vorsichtig an Caitlin heran, sondierte, ob diese wohl Einwände hätte, wenn sie sich ankuschelte. "Das kenne ich..." Caitlin seufzte, ein ironischer Unterton mischte sich in den kehligen Laut. "Und dann passieren die dümmsten Sachen... er steht mit Hundeblick vor der Tür, und ich mache die Beine breit, wegen der alten Zeiten. Als ob ich keinen Funken Stolz hätte." Maureen, den Kopf angenehm geborgen auf der weichen Haut, Herztönen lauschend, erwiderte leise. "Stolz hält nicht warm." Caitlin kicherte, Vibrationen, die Maureen sanft massierten. Dann spielte sie mit den langen Strähnen, verfiel dem gemeinschaftlichen Schweigen. Es legte sich über sie wie eine liebkosende Seidenwolke. Bis die Tür aufgestoßen wurde, und ein alter Mann, lediglich in eine Windel gekleidet, in den Raum trat und protestierend eine Keksschachtel auf den Boden schleuderte. ~@~ "...Wau...." Kommentierte Caitlin den Auftritt. Dann hatte der alte Mann bereits den Raum durchquert, mit boshafter Sicherheit Maureens Brille ergriffen und diese ebenfalls auf den Boden geschleudert, bevor er vergnügt auf ihr herumstampfte. Maureen rappelte sich langsam, kurzsichtig auf, doch Caitlins Hand auf ihrem Ellenbogen bremste sie. "Warte, ich sehe besser." Sie erhob sich, verzichtete auf das Feigenblatt Bekleidung, klaubte Brillentrümmer und verstreute Wäsche auf, bevor sie diese auf der Bettdecke deponierte. Sie musste sich nicht umwenden, um Maureens verstörtes Gesicht zu sehen, das hysterische Keuchen hinter ihr besagte genug. Den alten Mann hart am Ellenbogengelenk packend zischte sie in urtümlichsten Dialekt, den Maureen weder aus ihrer Erinnerung kannte, noch jemals von ihrem Ehemann gehört hatte, einige harsche Worte. Die den verwirrten Verstand durchdrangen und den alten Mann den Kopf einziehen ließen. Dann, nachdrücklich, dirigierte sie ihn auf den Flur, um laut die Tür in das Schloss fallen zu lassen. "Wenigstens nicht dein Mann." Versuchte sie in magerem Scherz, Maureens bleiches Gesicht zu entspannen. "Das kriege ich nicht wieder zusammen!" Murmelte Maureen verstört, sortierte die Kunststoffreste ihrer Brille, um dann ratlos die Hände in den Schoß sinken zu lassen. Caitlin ging vor ihr auf die Knie, massierte Maureens mit den Fingerspitzen, schob sich dann hoch, um einen sanften Kuss auf die zuckenden Lippen zu hauchen. "Das kriegen wir schon wieder hin." Sie fing Maureens Hände ein, streichelte sie aufbauend. "Ziehen wir uns erst mal an, dann sehen wir weiter, hmm?" Mit einem gespielten Keuchen zog sie Maureen auf die Füße, begann dann, laut den Tangotext zu singen, während sie ihre eigene Wäsche zusammensuchte und sich rasch hineinwickelte. "Darf ich helfen?" Assistierte sie Maureen, legte sanft den Büstenhalter um deren üppige Oberweite. "Der sitzt nicht gut." Kommentierte sie nach einem Moment des Schweigens, fasste die langen Strähnen zusammen und steckte sie locker am Hinterkopf hoch. "Wenn es dir nicht zu peinlich ist, mit mir einkaufen zu gehen, machen wir mal nen Bummel, ja?" Maureen drehte sich zu ihr herum, ein wenig unsicher, lächelte sie dann schüchtern an. "Ich würde das liebend gern tun." Wieder in repräsentativem Status verließen sie das Zimmer, stiegen gemeinsam die Treppe hinab, wo im Wohnzimmer ein ungewöhnlich ruhiger Schwiegervater wartete. Was Caitlin auch gesagt haben mochte, es zeigte Wirkung. Maureen tätschelte beruhigend die kahle Stelle, bewegte den Mann dann, aufzustehen und sich in einen Frotteebademantel zu hüllen. "Hast du Hunger, Vater? Dann mache ich dir ein Sandwich, ja?" Caitlin packte in der Küche die Platte in ihre Tasche, pflückte sich eine gerollte Scheibe Chester heraus, kaute sie lächelnd. "Ich werde mich wohl verabschieden, muss mal schauen, ob Danny endlich seinen Hintern aus dem Bett bequemt hat." Sie verabschiedete sich mit einem sanften Kuss auf die Wange, der von einem liebevolleren Pendant auf die Lippen ergänzt wurde. In diesem kurzen Augenblick fühlten sie beide die vertraute Nähe und Wärme, die sie einander gespendet hatten. ~@~ Überrascht registrierte Maureen, dass sie seit Caitlins Mahnung sehr viel weniger Mühe hatte, ihren Schwiegervater in Schach zu halten, was seine kindlichen Ausfälle betraf. Offenbar fürchtete er, die blondierte Frau würde wiederkommen. Gleichzeitig schien er auch darauf zu warten, stellte sie doch die einzige veritable Abwechslung in ihrer beider Leben dar. Maureen freute sich auf den kommenden Samstag, dachte sich amüsiert verzierende Schrittmuster aus. Fragte sich, ob sie wohl auf dem Trödelmarkt, von dem Caitlin gesprochen hatte, eine Nähmaschine ergattern würde. Mit ein wenig Geschick würde sie sich bestimmt ein passendes Kleid schneidern können und damit ihrem neu erworbenem tänzerischen Geschick den perfekten Rahmen geben. Sie fragte sich, ob Caitlin ähnlich aufgeladen vor Erwartung durch ihren Alltag wandelte. Einem Gefühl nachhing, das verdächtig an eine erste Schwärmerei erinnerte. ~@~ Als sie am Samstag das Bürgerhaus erreichte, lehnte Caitlin mit unleserlicher Miene an einer Säule. Ihre Kleidung untermalte die offenkundig düstere Stimmung, ausgeblichenes Schwarz, formlos und verhüllend. Eingeschüchtert trottete Maureen hinter der Freundin her, nicht ganz sicher, ob sie es wagen sollte, das Wort zu ergreifen. Dieses Mal starteten die Snyders direkt mit dem Paartanz. Über den eingespielten Rhythmus baute sich die Vertrautheit der letzten Woche wieder auf, konnte sie mit aufmunterndem Lächeln eine Spur von Leben in die hellblauen Augen zaubern. Zwischen Instruktionspausen flüsterte Caitlin Maureen die Ursache ihres Kummers zu. Danny hatte eines ihrer üblichen Streitgespräche provoziert, in dem er ihre Verfehlungen seit der Scheidung buchhalterisch genau aufzählte. Und sie hatte, nicht anders als sonst, die Geduld verloren. Ihn darauf hingewiesen, dass sein Vater sich keineswegs korrekt verhalten hatte und auch niemals Interesse gezeigt hatte, ihn bei sich aufzunehmen. "So was soll man nicht sagen, ich weiß das ja, aber, manchmal..." Ihre Finger krallten sich ineinander. "Manchmal treibt er mich einfach in den Wahnsinn." Es schien so natürlich, die Arme um Caitlin zu legen und sie tröstend zu wiegen, ganz gleich, wie irritierend dies auf ihre Umgebung wirkte. "Und wenn ich dich nach Hause begleite und dir was Leckeres zu Mittag mache?" Offerierte sie. "Und dein Schwiegervater?" Caitlins Augenbrauen kräuselten sich zweifelnd, während sie mühelos im 2/4-Takt kreisten. "Ein weiteres Stündchen wird schon gehen, dein Vortrag sitzt noch im Gedächtnis." Sie zwinkerte. Caitlin lächelte, zum ersten Mal an diesem Tag, drückte Maureens Finger dankbar. "Pasta, und ich fresse dir aus der Hand!" Kicherte sie und drehte sich schwungvoll. ~@~ Maureen ließ sich von einer sichtlich entspannteren Caitlin die Wohnung vorführen. In einem Mehrparteienhaus gelegen, modern-zweckmäßig hochgezogen und sich bewusst von der hergebrachten Kasernierungssiedlung unterscheidend. Hier warteten keine plastiküberzogenen Möbel aus viktorianischen Vorzeiten, kein verschlissener Chintz! Bunte Farben, einfache Formen, ein wildes Gemisch, das durch diverse Grünpflanzen garniert wurde. Der erste Weg führte Caitlin in das Zimmer ihres Sohnes, der "Gruft", wie sie sich auszudrücken pflegte. Durchschnittlicher Teenager-Rebellionsbunker mit eingebautem Odeur von tagealten Socken. Lächelnd quittierte Maureen die Vorführung durch Wohnzimmer und Küche, in der sie beide sich angesichts der fortschreitenden Zeit gemütlich machten. Die Pasta in sprudelndes Wasser versenkten und über der Soße beratschlagten. "Du hast wirklich eine wunderschöne Einrichtung!" Lobte Maureen neidlos, rührte die dickflüssige Tomatenmarkkomposition um. "Danke." Caitlin wickelte sich die T-Shirt-Ärmel auf. "Erzähl mal, wie sah deine Wohnung aus?" Maureen studierte blicklos die mit bunten Klecksen beklebten Kacheln und konzentrierte sich auf ihre Erinnerungen. Mit einem seufzenden Kichern brach sie die Reise in die Vergangenheit ab. "Verrückt... ich kann mich nicht entsinnen... als ob es in einem anderen Leben geschehen wäre." Dankbar schmiegte sie sich an Caitlins tröstende Hand auf ihrem Rücken. "Na, nicht wichtig, jetzt muss ich mit dem Haus meines Schwiegervaters auskommen... das ist auch eine Art Gruft." Sie zwinkerte Caitlin über die Schulter zu, um die beklemmende Stimmung abzuschütteln. "Sag mal, dieser Flohmarkt..." Sie drehte dem Soßentopf den Rücken zu. Wandte sich zu der kleinen Sitzbank, auf der Caitlin Platz genommen hatte, um beiläufig aufzudecken und eine Kerze in einen verschnörkelten Halter zu bugsieren. "Der Flohmarkt?" Fragend wanderten die Augenbrauen nach oben. "Ja." Maureen rührte nach warnendem Blubbern rasch um. "Ich suche eine Nähmaschine. Dachte, ich könnte vielleicht mal ein eigenes Kleid..." Verlegen riskierte sie einen Seitenblick. Caitlin blinzelte, dann kräuselte das schiefe Grinsen ihre schmalen Lippen. "Ich habe eine Nähmaschine. Wenn du magst, arbeiten wir zusammen? Das Abstecken geht zu zweit doch auch viel leichter von der Hand." Maureen ließ den Kochlöffel in die Soße plumpsen. "Das wäre toll!" Dann registrierte sich Caitlins angestrengte Versuche, Haltung zu bewahren angesichts eines drohenden Ausbruchs Heiterkeit. "Was...was ist?" Maureen blinzelte nun. Caitlin presste die Lippen aufeinander. Allein eine bezeichnende Bewegung des Kinns von Maureens Hals abwärts genügte, um diese an sich herabschauen zu lassen. "Oh nein..." In komischer Verzweiflung studierte Maureen ihre gesprenkelte Front. In ihrer Erleichterung über das großzügige Angebot war ihr die unabsichtliche Verzierung der ohnehin faden Bluse entgangen. "Waschen wir es besser gleich raus." Schlug Caitlin, mannhaft ein helles Kichern herunterschluckend, vor, drehte die Gaszufuhr ab, bevor sie die unmittelbare Umgebung vollkommen mit Kondenswasser einnebelte und die Nudeln in ein Sieb abgoss. Von Dampf geblendet nahm Maureen dankbar die leitende Hand in Anspruch, ließ sich auch aus der Bluse helfen. Caitlins Badezimmer spiegelte die Lebensgewohnheiten der beiden unterschiedlichen Bewohner wider. Neben der Vogue lagerten provozierend sich wellende Comic-Heftchen, Rasierschaum neben Pflegeemulsionen, zerknüllte Handtücher neben akkurat gefalteten. Caitlin tupfte konzentriert die dunkelroten Flecken ab, während sie Maureen anwies, doch auf der Toilette Platz zu nehmen. Maureen leistete der Aufforderung Folge, spürte einen leichten Zug. Rieb sich die nackten Arme, das Design des Duschvorhangs inspizierend, eine Parade vielfarbiger Goldfische, denen jemand in mühsamer Kleinarbeit Stahlstacheln, Piercings und andere Kennzeichen verliehen hatte. "Oh, ist dir kalt? Warte, ich schließe die Tür, damit du dir keinen Zug holst!" Als sich die Tür schloss, mit einem Fußtritt animiert, bot ihre Rückseite eine lebensgroße, weibliche Figur, sich in sepiafarbenen Tönen vom weißen Türblatt abhebend. "Oh..." Maureen bewunderte atemlos die Schönheit der Darstellung. "Wer... ist das?" Vage war ihr bewusst, dass Caitlin die Reinigungsarbeiten eingestellt hatte und lächelnd ihr verzücktes Erstaunen betrachtete. "Die Venus... wie von Milo geschaffen..." In ihrer Stimme schwang Verehrung und Verlegenheit zugleich, als handele es sich um eine anrüchige Leidenschaft, die verborgen werden musste. "Sie ist so schön." Andächtig stützte Maureen ihr Kinn auf die Handflächen. "Du bist ihr ähnlich." Caitlin lächelte. Maureen kniff ein Auge zu. "Kein bisschen!" "Doch, doch!" Ehe sich Maureen versah, hatte Caitlin sie an den Händen hochgezogen, wie eine Puppe gedreht, um sie mit Geschick zu entkleiden. Verunsichert kichernd ließ sich Maureen drehen, bis das Schweigen sich zwischen ihnen ausbreitete, Caitlins Hände mit der losen Drapierung eines Handtuchs um Maureens üppige Hüften eine Ruheposition fanden. "Schau!" Über die Schulter flüsterte sie sanft an Maureens Ohr, die langen Strähnen locker hochsteckend. Dann zeichnete sie Maureens Silhouette nach. "Ich irre mich nicht." "Aber..." Maureens Einwand wurde nachdrücklich mit einer Handfläche versiegelt, dann schmiegte sich Caitlin an ihren Rücken, umarmte sie liebevoll. Maureen schloss die Augen und ließ sich halten, genoss die Wärme und die Verbundenheit, die Worte überflüssig machte. Wie ein Summen, nur eine Ahnung von Melodie, schwang sich in niedrigen Frequenzen eine Bewegung auf, langsam, pulsierend, bis sie sich einander zuwandten, im Tanz vereint, ein leises, tiefes Lächeln auf den Lippen. "Wer sagte, Tango sei ein trauriger Gedanke?" Caitlin blies zärtlich sich lösende Strähnen aus Maureens rosig erblühtem Gesicht. Diese erwiderte die Geste mit einem schmetterlingszarten Kuss auf die schmalen Lippen. "Vielleicht haben wir unseren eigenen Tango erfunden?" Sie zwinkerte lausbübisch. Caitlin lehnte ihre Stirn an Maureens. "Was denkst du... erweitern wir unser Repertoire?" Maureen tippte mit der Zungenspitze auf die sich kräuselnden Lippen. "In welcher... Hinsicht?" Sie lächelte mit wachsendem Mut, wie unglaublich leicht ihr Anzüglichkeiten über die Zunge kamen. Als ob sich, Blütenblatt für Blütenblatt, ihr wahres Selbst entpuppte, und sie konnte nicht erwarten, sich kennenzulernen. Caitlin zwinkerte. "Es gibt eine ganze Masse lateinamerikanischer Tänze, die wir uns noch vornehmen könnten..." "Später." Wisperte Maureen. "Im Augenblick denke ich an einen anderen Reigen..." Und die Venus lächelte in ihrem jahrtausendealten Mysterium. ~@~ Ende ~@~ Danke fürs Lesen! kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Ein weiteres Mal nur "yuri", nachdem mich niemand geteert und gefedert hatte ^_^ dieses Mal allerdings wieder für die erwachsene Leserschaft ^_~ Anlass waren diverse Komödien, die die Tristesse britischer Wohnsiedlungen zeigten sowie den derben Humor der Frauen, die dort alles zusammenhalten. Man muss keine ätherische Elfe sein, um zu bestehen, und die Venus von Milo war auch keine Barbie, was ich sehr ermutigend finde, immerhin liegt die wahre Schönheit ja im Auge des Betrachters ^_^