Titel: End Of Innocence Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction Zetsuai/Bronze, Zetsuai since 1989 von Minami Ozaki (siehe Informationen) FSK: ab 16 Kategorie: Seifenoper Erstellt: 04.11.2001 Dank an diskusage für musical and technical support. ^^ E I N F Ü H R U N G PERSONEN Personen, von Minami Ozaki geschaffen, alle Rechte liegen bei ihr und Margaret Comics: Kouji Nanjou => Rock-Sänger, lebt mit Takuto Izumi zusammen Takuto Izumi => Fußballer, lebt seit der Schulzeit mit Kouji zusammen Yuugo Izumi => Schüler, in Katsumi verliebt, Takutos kleiner Bruder Katsumi Shibuya => Koujis Presseagent, in Yuugo verliebt, Koujis ältester Freund Toshiyuki Takasaka => Koujis Manager, hoffnungslos seinem Star ausgeliefert Tatsuomi Nanjou => Hiroses Sohn, Schüler, nun Hotsumas Wahlbruder Hotsuma Kurauchi => Tatsuomis Leibwächter, Schüler, Tatsuomis Wahlbruder Hirose Nanjou => Koujis ältester Bruder, in "Lonely Hearts" verstorben Akihito Nanjou => Koujis älterer Bruder, in "Lonely Hearts" verstorben Kurauchi => Hiroses Leibwächter und Hotsumas Vater, in "Lonely Hearts" verstorben Personen, die vollkommen fiktiv aus "Lonely Hearts" mitgekommen sind: Yuugos Mitschülerinnen und Mitschüler Natsumi => Kennzeichen blauer Pagenschnitt, Baseballspielerin Maiko => mit Natsumi zusammen, rote Igelfrisur Yohko => mit Kenji zusammen, bildet immer einen ruhigen Pol Kenji aka "Mission Control" => ein Computerfreak und tollkühner Anführer Personen, die vollkommen fiktiv sind und hier ihr Entree in die Welt haben: Balu aka Huey Kamasaki => Kinderpfleger in Koujis Waisenhaus, Inline-Crack Gonzou Yamagata => ein agiler alter Mann in Himegata Ai Watson => Mathematikstudentin und Bass Rose Himaru => Schülerin, Keyboard und Vocals Kazuhiro und Junichi Himugawa => Schüler, Lead und Rhythm Guitar, die JunKaz und last but not least: DIE TIERE S.T. System Terror G.W. Gates Waterloo M.A. Massive Attack E.O. Electronic Overkill ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ Disclaimer: Die oben genannten Personen gehören ausschließlich Minami Ozaki und Margaret Comics. Die zitierten Songs stammen von/gehören: Aerosmith: Living on the edge Clawfinger: The biggest and the best James Brown: Sex Machine Rolling Stones: Satisfaction Steppenwolf: Born to be wild (alles andere in ausführlichem Text entstammt dem Superhirn von meinem Kouji-Spin-off ^^) ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ Anmerkung: Es handelt sich um die Fortsetzung von "Lonely Hearts", das man gelesen haben sollte. Was bisher geschah.... Nachdem sich Takuto Izumi mit Kouji Nanjou in Amerika von einem Mordanschlag erholt hat, kehren beide nach Japan zurück. In der Zwischenzeit haben sich Yuugo Izumi und Katsumi Shibuya ineinander verliebt und eine ereignisreiche Zeit miteinander ausgestanden. Im Hause Nanjou wühlt Koujis Rückkehr wieder Gefühle auf, die sich in einer Katastrophe entladen. Warnung: Alle Ereignisse/Beweggründe oder Informationen sind vollkommen fiktiv, auch wenn sie gelegentlich der Realität nahekommen können. Dies gilt für die Personen, ihre Handlungsweisen, wie auch das beschriebene Japan mit seiner Kultur, Geographie und Geschichte. ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ ~@~ UND NUN VIEL VERGNÜGEN! kimera Kapitel 1 - Häusliche Idylle "Ich bin wieder da!" Takuto Izumi schüttelte sich vorsichtig, blies überlange Ponysträhnen aus den dunklen Augen. Hotsuma Kurauchi erschien lautlos, noch immer die Schuluniform der Oberstufe tragend, nahm ihm die schweren Einkaufstüten ab und überreichte gleichzeitig ein Handtuch. "Danke, Hotsuma!" Takuto lächelte warm und rieb sich das feuchte Gesicht und die Haare ab, Frühlingsregen. "Willkommen daheim", murmelte Hotsuma scheu, nur in den schwarzen Augen blitzte stille Freude auf. "Hey, Takuto-chan!!" Bevor Takuto noch die durchweichten Turnschuhe abstreifen konnte, fegte ein honigblonder Wirbelwind heran, fiel ihm stürmisch um den Hals und drehte ihn überschwänglich im Kreis. "He, Tatsu-chan, lass mich leben!", schmunzelte Takuto über die Begeisterung des großgewachsenen Jungen. Ein ungewöhnlich attraktives Gesicht schob sich in sein Blickfeld, noch kindlich gerundet, aber schon erste Anzeichen der Reife aufweisend. "Wie war dein Tag?", prustete Tatsuomi kichernd und strahlte dann gut gelaunt. "Trainieren, schwitzen, weiter trainieren und dann für euch wilde Kerle einkaufen", erläuterte Takuto gutmütig, während er die Schuhe von sich schleuderte. Um sie dann aber wieder ordentlich auf Zeitungspapier zu stellen, das sicherlich Hotsuma bereit gelegt hatte. "Und dein Tag?" "Uäääähh, die Schule war mal wieder so was von ätzend!!" Tatsuomi löste sich gewandt von Takuto, räkelte sich demonstrativ gelangweilt, die Lider auf Halbmast, aber sie konnten das mutwillige Feuer darin nicht ganz verbergen. Takuto grinste breit und verwuschelte die langen, honigblonden Haare. "Nun sag schon, was du angestellt hast!" Tatsuomi erwiderte das Grinsen verschwörerisch, zog Takuto hinter sich her in das große Wohnzimmer, wo sich auch die Küchenzeile verbarg. Wie immer hatte Hotsuma bereits begonnen, die Einkäufe zu verstauen und das Abendessen zuzubereiten, in stillem Eifer. Tatsuomi lotste Takuto auf das riesige Ledersofa, ließ sich neben ihn in die Polster fallen und zog graziös ein Bein an. "Also, es war doch so mega-langweilig, und ich hatte schon alle Aufgaben gemacht, da habe ich gefragt, ob ich nicht auf den Schulhof raus dürfte." Takuto lächelte in sich hinein. Er hatte eine lebhafte Vorstellung davon, wie Tatsuomi seine Langeweile in kreativen Unsinn umsetzte, der dann die ganze Klasse erfasste. Sicherlich war der Lehrer höchst bereitwillig gewesen, Tatsuomi als schwelenden Unruheherd möglichst ohne größere Turbulenzen aus dem Klassenzimmer zu entfernen. Während er das glühende Gesicht betrachtete, selbstzufrieden und aufgekratzt, fragte er sich im Stillen, ob Kouji wohl so gewesen wäre, wenn ihn nicht die Umstände schon früh verwandelt hätten. Tatsuomi sprudelte inzwischen unbekümmert weiter. "Und da waren ein paar Oberstufler, richtige Kotzbrocken, die sich unbedingt mit mir anlegen wollten!" Tatsuomi grinste bezeichnend, blendend weiße Zähne enthüllend, die großen Augen zusammengekniffen. "Also sagte ich, 'was ist, ihr Schlappschwänze, Lust auf eine Mutprobe?' 'Wasn für ne Mutprobe?' grunzte mich ein besonders hässlicher Kerl an, der so aussah, als könne er sich nicht ohne Hilfe die Hose zumachen. 'Wir fahren mit den Fahrrädern die Geländer runter, und wer unten heil ankommt, hat gewonnen!' Natürlich lachten die Deppen alle und grölten, nur ein Bekloppter würde so was versuchen und ich würde mich ja doch nicht trauen. Ich habe mir also ein Fahrrad geliehen und bin damit auf das Geländer gestiegen." Takutos Grinsen blätterte mit rapidem Tempo ab, als er sich die vier Treppenkaskaden vorstellte. Tatsuomi griente wild. "Und dann habe ich diese Pflaume angesehen 'Make my day, punk!' und ab ging's! Huiiiiiii, wutsch, wumm, huiiiiii, wutsch, wumm, huiiii, wutsch, wumm, und das letzte Stück huiiii und..." Tatsuomi stoppte seine elegante Fluggeste und wartete gespannt darauf, dass Takuto entsetzt wieder nach Luft schnappte. "Und dann habe ich die Mühle herumgerissen und absolut tödlich präzise gebremst!!" Tatsuomi brannte förmlich vor Stolz und Begeisterung über seine Tat. Takuto starrte ihn ungläubig an, drehte sich dann zu Hotsuma um, der ungerührt Gemüse zerkleinerte und keinerlei Gemütsregung zeigte. "Du... DU hättest dir das Genick brechen können!!" Tatsuomi zog von Takutos wütendem Ausbruch überrascht die Schultern ein. "Aber... aber Takuto-chan, mir ist doch nichts passiert", versuchte er kleinlaut die Wogen zu glätten. "Und das alles nur wegen ein paar Idioten?!" Takuto war aufgesprungen, die dunklen Augen aufgerissen, ein merkliches Zittern erschütterte seine sehnige Gestalt. Tatsuomi wich unwillkürlich in die Polster zurück, starrte fassungslos auf den jungen Mann. Hotsuma materialisierte sich hinter Takuto wie ein Phantom, lautlos und hypnotisierend. "Es ist nichts passiert." Seine Stimme schwang leise und so monoton wie eine Fürbitte durch die aufgeladene Atmosphäre. Takuto schloss die Augen und zwang sich zu einer tiefen, langsamen Atmung. Er konnte Hotsumas Wärme an seinem Rücken spüren, seltsam reserviert, fast unpersönlich. "Tut mir leid, Tatsuomi." Tatsuomi schrumpfte weiter in sich zusammen. In seinem Gesicht zeichneten sich Bedauern und Reue ab, Takuto, den er sehr bewunderte, so getroffen zu haben. "Wir können gleich essen." Hotsuma kehrte ihnen den Rücken zu, um wieder an die Küchenzeile zu treten, beherrscht und ungerührt. Takuto folgte seinen Schritten und spürte eine vage Beunruhigung bei dieser unheimlichen Gelassenheit. Aber er wurde abgelenkt, als sich ein Schlüssel in die Haustür kämpfte und dann wilde Flüche durch den Flur jagten. "Kouji!" Tatsuomi war sofort wieder auf den Beinen und rannte seinem Onkel entgegen. Takuto konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Dieser Junge war ebenso überschwänglich wie tollkühn! Wenn dieser Kouji eine ähnliche Begrüßung wie ihm selbst angedeihen ließ, würde das sicher noch mehr verbale Entgleisungen provozieren. "Ich werde rasch duschen, Hotsuma!" Nur ein leichtes Nicken, keine Unterbrechung bei der konzentrierten Arbeit. Takuto rieb sich über die Stirn und fragte sich, wann es aufgehört hatte, unkompliziert zu sein. ~@~ "Kouji!!" Kouji Nanjou, seines Zeichens berühmt-berüchtigter Rocksänger und gerade triefend nass, schreckte hoch, noch immer mit der mechanischen Hand an den Schnallen seiner halbhohen Stiefeletten. Tatsuomi setzte mit einem wilden Schrei zum Sprung an und katapultierte sich mit katzenhafter Eleganz in die Luft, um Kouji um den Hals zu fallen. Kouji grinste, als er das provozierende Funkeln in den großen Augen erkannte, vertraut und willkommen. Er schlang beide Arme fest um den schlanken Leib, presste ihn eng an seinen schweren Ledermantel und drehte sich im Kreis. Schneller und schneller, den Jubel in seinen Ohren genießend. Es machte unerwartet Spaß, einen Neffen zu haben, stellte er wieder mit leichter Selbstironie fest. »Wo ich doch Kinder hasse.« Tatsuomi lachte noch immer begeistert, zappelte dann heftig, um wieder auf die Füße zu kommen. Er hatte die Gene seiner Familie, war schon so groß wie Hotsuma und Takuto, aber Kouji überragte ihn noch immer um Einiges. "Ein Walzer, mein Herr?", lockte er Kouji mit flatternden Lidern, sich seiner mädchenhaften Schönheit durchaus bewusst. Kouji fletschte die Zähne, kniff die bodenlosen Augen zusammen und zischte eine nicht ernst gemeinte Verwünschung. Um sich dann voller Grazie mit seinem Neffen in einem Walzer zu drehen, ihr kleines Spiel aus Verführung und Wettstreit auskostend. "Wo ist Izumi eigentlich? Schon zu Hause?" Tatsuomi lächelte unbefangen. "Er ist sicher duschen." Sekundenbruchteile später stand er allein im Flur, lediglich ein paar feuchte Stiefeletten leisteten ihm Gesellschaft. ~@~ Takuto ließ das warme Wasser über seine Stirn den Körper hinabrauschen, strich sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte, seine Gedanken zu leeren. Sich im Wasser zu befinden, eingehüllt zu sein von Abertausenden Tropfen, war für ihn Kontemplation. Selbstbesinnung. Schlanke Finger wanderten über seinen rechten Brustkorb, dann wurde sein Rücken von einer breiten, vertrauten Brustpartie gewärmt. Takuto legte den Kopf weit zurück, um sich schwer an Kouji zu lehnen, hob die Arme hoch, um mit beiden Händen durch die seidenweichen, schulterlangen Haare zu fahren, die Wangenknochen entlangzustreichen. "Izumi", raunte Kouji leise, entwich den suchenden Händen und beugte den Kopf herunter, um glühende Küsse auf Takutos Wange zu brennen. Takuto lächelte unwillkürlich, ließ sich von heißen Lippen einfangen und hungrig küssen. ~@~ Tatsuomi verteilte Geschirr auf dem Tisch, die großen Augen verschleiert, das Gesicht ungewohnt ernst. "Hotsu-chan, denkst du, es war falsch? Was ich getan habe?" Als er keine Antwort erhielt, blickte er auf, strich sich die langen, honigblonden Strähnen aus den Augen. "Hotsu-chan?" Hotsuma sah ihn an, das Gesicht undurchdringlich, maskenhaft. "Nur du allein kannst deine Beweggründe beurteilen." Hotsuma wandte sich wieder unmissverständlich seinem Wok zu. Tatsuomi kniff die Augen zusammen, die fein gezogenen Augenbrauen pfeilspitz. Er ballte kurz die Fäuste, presste die Lippen zusammen. Rasch und geräuschlos den Tisch umrundend pirschte er sich an Hotsuma heran und umarmte ihn von hinten warm. Er spürte die plötzliche Verspannung in Hotsumas trainiertem Körper. Und ließ dennoch nicht locker. Noch vor zwei Monaten konnte er die Wange auf Hotsumas Schulterblatt pressen und die tröstende Wärme in sich aufsaugen. Jetzt war er groß genug, um seine Wange an Hotsumas versteinertes Gesicht zu legen und seine langen Wimpern wie eine flüchtige Liebkosung über die glatte Haut flattern zu lassen. "Oni-chan", flehte er leise. Kaum merklich löste sich die eiserne Haltung, zeigten sich die Muskeln nachgiebig, flog der Atem wieder frei. "Tatsu-chan, bitte, sei vorsichtiger, ja?" So leise und schwermütig, resigniert. "Entschuldige!", flüsterte Tatsuomi unglücklich und schmiegte sich noch fester an Hotsuma, als könnte allein seine Nähe diese Melancholie vertreiben. Hotsuma hob die Arme an, mit einer bleischweren Müdigkeit, legte seine Hände auf Tatsuomis. Eine selten gewordene Geste der engen Verbundenheit, ein Ausbruch aus dem Käfig der Einsamkeit. "Komm, lass uns schon mal etwas essen." Hotsuma befreite sich behutsam aus der Umarmung und reichte Tatsuomi mit einem aufmunterndem Lächeln eine Schüssel. Tatsuomi strahlte, lag in dieser einfachen Geste doch alle Zusicherung, der er bedurfte. Und die er erwarten konnte. ~@~ "Tatsuomi, bitte schling nicht so! Das Essen wird nicht vom Teller entwischen, wenn du dir Zeit lässt." Takuto schüttelte nachsichtig den Kopf über die prallgefüllten Backen des Jüngsten an ihrem Tisch, dessen Gesicht nun einem Vollmond glich. Kouji grinste ungeniert und zwinkerte seinem Neffen zu. Takuto, der es nicht gern sah, wenn sich die Nanjous gegen Anstand und gute Manieren verbündeten, rammte Kouji einen spitzen Ellenbogen in die Seite. "Ich warne dich!", knurrte er mit funkelnden Augen, was Kouji ein ebensolches entlockte, begleitet von einem in die Luft gehauchten Kuss. Hotsuma folgte dem Disput ohne Gefühlsregung, starrte auf die polierte Tischplatte. Tatsuomi, nun endlich wieder in der Lage, sich verständlich zu äußern, lächelte einschmeichelnd. "Tut mir leid, ich will gleich noch mal weg!" Takuto zog eine Augenbraue hoch und ignorierte souverän Koujis unentwegtes Füßeln unter dem Tisch. "So? Und deine Hausaufgaben?" Tatsuomi klappte die Essstäbchen zusammen und lächelte sonnig. "Hab ich schon alles erledigt. War ohnehin Quark." "So? Ich bin ja froh, dass du die teure Schule so würdigst!" Koujis Pokerface mit den feurigen Augen, die dämonengleich unter den zusammengezogenen Augenbrauen glühten, schüchterte Tatsuomi keineswegs ein. "Du würdest dich dort ebenso langweilen wie ich, glaub mir! Alles nur lahme Säcke und stupides Pauken!" "Ach!" Kouji drehte die tintenschwarz gefärbte Strähne um einen langen Finger und senkte die Lider auf Halbmast, was seiner raubtierhaften Ausstrahlung keinen Abbruch tat. Tatsuomi registrierte, dass er möglicherweise einen taktischen Fehler begangen hatte und verlegte sich auf Schadensbegrenzung. "Na, es ist nicht wirklich schlecht, nur eben ziemlich langweilig. Wenn ich daran denke, was ich in der Zeit alles machen könnte!" Er stützte das noch kindlich gerundete Kinn auf eine offene Handfläche und verdrehte die Augen, einer Putte zum Verwechseln ähnlich in seiner schmollenden Pose. Kouji langte über die Tischplatte und kniff fest in eine Wange. "Disziplin, Kleiner!" Tatsuomi rieb sich jammernd die malträtierte Seite und schob beleidigt die Unterlippe vor. "Und das von dir!" Kouji zeigte die Zähne, arktische Blitze abfeuernd. Tatsuomi parierte, indem er sich schluchzend hinter Hotsuma verbarg, dann aber ungerührt die Zunge rausstreckte. Takuto beschloss einzuschreiten, bevor sich die beiden rund um den Tisch jagten wie ABC-Schützen. "Aufhören, alle beide!! Sonst seid ihr heute mit Abwaschen dran! Und ich meine Abwaschen, nicht die Geschirrspülmaschine einräumen!" Die Drohung wirkte. Zwei engelsgleiche Häupter senkten sich sittsam über die Tischplatte und bemühten sich um Haltung. Was nur so lange vorhielt, wie Tatsuomi sein sprudelndes Gelächter unterdrücken konnte, das sich in einem übermütigen Kichern entlud. "Ich meine es ernst!" Takuto feuerte seine gefürchteten Todesblicke ab, die schon gegnerische Spieler zu Salzsäulen erstarren ließen. Aber Tatsuomi wich dem Bannstrahl der Medusa geschickt aus, indem er sich einfach Takuto um den Hals hängte und piepsend um Nachsicht bettelte. Kouji, der sich seines Privilegs beraubt sah und auch noch ein klein wenig über das abrupt beendete Intermezzo unter der Dusche verstimmt war, beanspruchte ebenfalls Takutos körperliche Nähe. Was diesen nun in ein heftiges Gefecht verwickelte. Ein tobendes Knäuel aus Gelächter, Verwünschungen, verknoteten Gliedern und zappelnden Körpern versetzte den Tisch in Vibrationen. Hotsuma erhob sich geschmeidig, sammelte unbemerkt das Geschirr ein und belud die Spülmaschine. Seine lautlose Servilität trocknete langsam die ausgelassene Stimmung seiner drei Mitbewohner aus. Sie lösten sich voneinander, aber keiner wagte auch nur, mit einem bezeichnenden Blick auf die Situation zu reagieren. Tatsuomi drückte unbefangen seinen beiden Sparingspartnern einen Kuss auf die Wange, flitzte in den Vorraum und schnallte sich seine Inliner unter die Füße. Schlüpfte in Handschuhe und verschanzte die großen Augen hinter einer futuristisch verspiegelten Sonnenbrille. Ein mit bunten Bändern verzierter Rucksack wurde umgeschnallt, dann war er auch mit einem munteren Abschiedsgruß in der Dämmerung verschwunden. Takuto zog eine Augenbraue hoch und wandte sich Hotsuma zu, dessen ganze Aufmerksamkeit sich auf die Programmierung der Spülmaschine fokussierte. "Wieso begleitest du ihn nicht? Keine Lust?" Ohne den Blick von den Anzeigen abzuwenden antwortete Hotsuma mit flacher, kontrollierter Stimme. "Ich bin mit meinen Aufgaben noch nicht fertig und habe Tatsuomi daher gebeten, ohne mich zu gehen." Er richtete sich auf, eine fließende Bewegung, die von seiner seit frühster Kindheit trainierten Körperbeherrschung kündete, strich sich durch die schwarzen Haare. "Wenn meine Hilfe nicht mehr vonnöten ist, würde ich gerne wieder an meine Hausaufgaben gehen." Takutos Stirn zeigte bedenkliche Linien der Sorge, aber wie immer blieben sie hinter seinen überlangen Ponyfransen verborgen. "Natürlich, vielen Dank für deine Hilfe, Hotsuma!" "Gute Nacht." Der Junge verschwand mit geräuschloser Geschmeidigkeit. Kouji unterdrückte ein leichtes Gähnen und pirschte sich an Takuto heran, entschlossen, nachzuholen, was ihm zuvor so schnöde verweigert worden war. Aber seine sanften, sich in Intensität steigernden Küsse auf Takutos sonnengebräunter Haut verfehlten ihre erotisierende Wirkung. Takutos schwarze Augen irrten in der Ferne, offenkundig abgelenkt. "Izumi!" Enttäuschung und Vorwurf in der Wehklage. "Kouji, denkst du nicht auch, dass mit Hotsuma etwas nicht stimmt?" Takuto schob Kouji von sich, nahm auf dem Ledersofa Platz und begann, unbewusst an seinem Daumen zu nagen. Kouji verdrehte in komischer Verzweiflung die verführerischen Augen, lagerte seine athletische Gestalt ebenfalls bequem auf den Polstern und bettete seinen Kopf auf dem Schoß seines Geliebten. "Seit die Kinder im Haus sind, ist unser Sex-Leben stark eingeschränkt, Mama Izumi!" Takuto quittierte den Scherz mit einer Kopfnuss, nagte aber weiter an seinem Daumen. Kouji, dem nun angesichts solcher Missachtung der Kamm schwoll, streckte beide Arme in die Höhe und fing Takutos Gesicht mit seinen Händen ein, eine warm und lebendig, die andere metallisch eisig. Und endlich hatte er die Aufmerksamkeit, die er wünschte. Sie tauschten einen langen Blick. Fast gewaltsam löste sich Takuto aus diesem wortlosen Austausch. Zum Ausgleich massierte er aber mit den sehnigen Fingern Koujis Schläfen sanft. "Machst du dir keine Sorgen?" Kouji ließ Takuto keinen Wimpernschlag aus den Augen. Ganz gleich, wie einschmeichelnd diese Liebkosungen auch waren. "Wenn er bereit ist, wird er reden. Ihn zu drängen würde nichts bringen." Takuto nickte langsam, widerwillig. "Trotzdem frage ich mich, was ihn so verändert hat. Warum er sich von uns und auch von Tatsuomi so zurückzieht!" Kouji streichelte mit seiner verbliebenen Hand hauchzart über Takutos weich geschwungene Lippen, folgte ihren lieblichen Kurven verzaubert. Genoss das Prickeln der Haut, wenn heißer Atem sie umfing. In ihren Augen schien die Zeit stillzustehen. "Er wird erwachsen, Izumi. Begegnet seinen Dämonen." Takuto schloss die Augen und presste die Lippen fest aufeinander. Sie hatten einen hohen Zoll entrichten müssen, um die Dämonen in sicherer Entfernung zu halten. Er schob seine Arme unter Koujis breites Kreuz, umschlang ihn Trost suchend und hob ihn an seine Brust. Kouji schmiegte sich an seinen dunklen Engel der Verheißung, Vergangenes verdrängend für diese kostbare Nähe. Für die Worte, die nur einen Hauch in der Dämmerung waren. "Ich liebe dich." ~@~ "Hier, Tatsuomi!" Tatsuomi hoppelte geschickt die Stufen hinab, die die Zuschauerbänke in Kaskaden über das Spielfeld verbanden. Im Oval kämpften zwei Mannschaften um die Herrschaft über einen Basketball, angefeuert von ihren begeisterten Anhängern. "Hey, Kleiner!" Natsumi klopfte Tatsuomi auf die Schultern und ließ sich zwei Küsschen auf die Wangen geben. Nahm dann wieder mit einem diabolischen Lächeln Platz, überzeugt, dass für Augenblicke das Spiel auf dem Feld völlig unbeobachtet gewesen war. Tatsuomi sortierte seine Inliner zwischen den Streben der Sitzbank, warf dann einen prüfenden Blick auf das Feld. "Yuugo macht den Schiedsrichter?" Natsumi nickte gelassen. "Er ist der einzige, den beide Mannschaften ohne Murren akzeptieren!" Tatsuomi lächelte und suchte dann die unteren Ränge ab. "Katsumi-chan ist noch nicht da", ersparte Natsumi ihm weitere Anstrengungen und lehnte sich bequem zurück. "Und deine Freundin?" Natsumi grinste und drehte ein buntes Band um einen Finger, das in ihre blaugefärbten Haare eingeflochten worden war. "Sie muss nacharbeiten, weil sie mal wieder ihr Referat zu Hause gelassen hat." Sie tauschten ein mitfühlendes Grinsen. Maiko war für ihre Zerstreutheit bekannt. Tatsuomi verfolgte nun interessiert den Spielverlauf, eher von Kampf als von Können geprägt. Plötzlich wurde ihm die Sicht verstellt. Zwei Mädchen, die ganz sicher nicht in diese Schule gingen, da sie korrekte Uniformen trugen, bauten sich vor ihnen auf. Mit rosig überhauchten Wangen und eng aneinander gedrängelt musterten sie Tatsuomi neugierig, der die Prozedur mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen ließ. Endlich fasste eine den Mut und richtete direkt das Wort an Tatsuomi. "Entschuldigung.. bist du Tatsuomi Nanjou?" Tatsuomi lächelte aufmunternd und nickte bescheiden. Er konnte nie ganz sicher sein, ob das Interesse ihm, seiner berühmten Familie oder aber seinem berüchtigten Onkel galt. "Ja...", nervöses Kichern und rasches Einanderanstoßen. Tatsuomi wartete geduldig auf die Fortsetzung. Er hatte keinerlei Intentionen, das Gespräch auszuweiten, da er sich wirklich für den Spielverlauf interessierte und ihm außerdem die anerzogene Höflichkeit verbat, in Gegenwart von Natsumi mit unbekannten Mädchen zu schäkern. Auch wenn er wusste, dass Natsumi sich daran nicht stören würde. "Hier!" Hektisch wurden ihm zwei farbenprächtige, geflochtene Stoffarmbänder in die Hand geschoben, dann flüchteten seine Verehrerinnen hysterisch kichernd. "Wie originell", kommentierte Natsumi trocken und unterdrückte ein amüsiertes Grinsen. Sie angelte unbefangen Tatsuomis Rucksack heran, der schon auffallend mit ähnlichen Freundschaftsbekundungen geschmückt war. "Und, Interesse?", erkundigte sie sich zwinkernd. Tatsuomi grinste breit und hob die anmutigen Handgelenke an. Sie waren nach wie vor blank. Geschickt fädelte er die frischen Trophäen auf und konzentrierte sich dann wieder gelassen auf das Spiel. Dort eskalierte gerade eine Auseinandersetzung um ein vorgebliches Foul. Die Gastmannschaft protestierte lautstark und hielt mit unsachlichen Vorwürfen nicht hinter dem Berg. Inmitten des Aufruhrs stand Yuugo Izumi. Die schwarzen Haare federten fransig in sein freundliches Gesicht, während er in Seelenruhe die runden Gläser seiner Brille putzte. Als er die Brille wieder aufsetzte, blitzte unter dem Haarvorhang für Sekunden die lange Narbe auf, die er seit der Attacke trug, vom Kinn bis zur Schläfe, sich deutlich von der noch immer gebräunten Haut absetzend. Er hob die Arme schweigend und wartete unbeeindruckt, bis das Geschrei langsam verebbte, um dann mit ruhiger Stimme seine Entscheidung als Unparteiischer zu verkünden. Seine selbstironische Haltung und der augenzwinkernde Humor ließen die ganze Aufregung übertrieben erscheinen, fast lächerlich. Was den Beteiligten das Gefühl eingab, sich schleunigst wieder auf das Spiel zu konzentrieren, um sich nicht dem Spott der Zuschauer auszusetzen. Yuugo zog sich wieder an den Spielfeldrand zurück, um das Spiel freizugeben. Ein kurzer Triller und, bald war die Auseinandersetzung vergessen. "Wo ist eigentlich Hotsuma?" Natsumi lehnte sich zu Tatsuomi hinüber. "Er musste noch lernen, hat er mir gesagt. Oberstufe muss echt ätzend sein!" Natsumi grinste. Hotsuma war etwa gleichaltrig, aber er besuchte als ehemaliger Leibwächter von Tatsuomi natürlich dessen vornehme Privatschule und nicht die spezielle Schule für all die Drop-Outs der Gesellschaft. Sie zog den Rucksack heran und spielte müßig mit den bunten Bändern. "So viele gebrochene Mädchenherzen", scherzte sie und warf Tatsuomi einen schmelzenden Blick zu. Tatsuomi zuckte mit den Schultern und grimassierte. "Wie kannst du so etwas sagen? Ich mache ihnen doch keine schönen Augen oder Versprechungen! Und wie könnt ihr Mädels erwarten, dass man sich bei so einem Angebot gleich für eine entscheidet?? Das ist eigentlich seelische Grausamkeit!" Mit einem triumphierenden Grinsen über die gelungene Beweisführung lehnte sich Tatsuomi bequem zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Natsumi knurrte grollend und schlug eine Faust in die andere Handfläche. "Ich zeig dir gleich Grausamkeit, du Floh!!" Tatsuomi kicherte und riss Knie und Arme hoch, um den angedrohten Überfall abzuwehren. Sein dunkles Lachen, nicht unähnlich Koujis Stimme, doch ohne dessen Laszivität, sprudelte heraus. Die erwartete Attacke setzte jedoch nicht von der Seite, sondern von oben ein. Eine schmale Hand zerstrubbelte Tatsuomis honigblonden Schopf. "Na, Kleiner, versuchst du es wieder mit Koujis Flirt-Tricks?" Tatsuomi war wie ein Blitz auf den Beinen, um den schmalen jungen Mann, der hinter ihm einen Rang höher stand, in die Arme zu ziehen, voll kindlichem Übermut. "Katsumi!! Lange nicht mehr gesehen!!" Katsumi Shibuya, Koujis ältester Freund und sein langjähriger Manager trotz seiner Jugend, lachte leise über den Elan, mit dem er begrüßt wurde. "Komm, ich helf dir runter!" Ohne eine Antwort abzuwarten hob Tatsuomi Katsumi hoch und stellte ihn neben sich wieder auf den Boden. "Liebe Güte, Tatsu-chan, du bist wirklich stark!!" Die großen Augen unter den schlohweißen Haaren, auf Höhe der Wangenknochen gestutzt, funkelten lebhaft. Tatsuomi grinste und zog Katsumi zwischen sich und Natsumi auf die Bank. "Dich kann ja sogar ein Wickelkind heben, so leicht und klein, wie du bist!" Katsumi knurrte und kehrte Tatsuomi demonstrativ den Rücken zu. "Hallo Natsumi, lange nicht mehr gesehen!" Sie tauschten die Begrüßungsküsschen, dann fasste Natsumi betont unbekümmert Katsumis Hand. "Ich bin froh, dich wieder zu sehen, Katsumi." Ihre leisen, eindringlichen Worte kündeten eine deutliche Sprache, von fast acht Monaten ohne persönlichen Kontakt. Katsumi lächelte entschuldigend und wusste, dass er sich nicht zu erklären brauchte. Das großgewachsene Mädchen mit dem blauen Pagenschnitt verstand seine Situation und wollte mit der für sie untypischen Geste ihre Sympathie bekunden. Er drückte sanft die schlanke Hand und lächelte still. Es war ein wundervolles Gefühl, Freunde zu haben, die auch nach so langer Zeit unverändert warmherzig waren. Tatsuomi, der geduldig die Honneurs abgewartet hatte, zupfte nun wissbegierig an Katsumis Hosenbein, den schillernden, hellen Stoff bestaunend. "Neue Kollektion?" Katsumi setzte sich in Pose, straffte die jungenhafte Gestalt, was dem Overall aus Fallschirmspringerseide zu einer porzellanartig-anmutenden Glätte verhalf. "Passt toll zu deinen Haaren und den Sommersprossen!", komplimentierte Tatsuomi unbefangen. Katsumi zog eine Grimasse. Die Sommersprossen waren ein Aspekt ihres Karibik-Aufenthaltes, auf den er nach einem halben Jahr gern verzichtet hätte, aber sie blieben mit bedauerlicher Hartnäckigkeit. Seine Haare hatte er seit dem Schock nicht mehr gefärbt. Der bloße Gedanke erschien ihm schon seltsam fremd. Vielleicht, hatte er selbstkritisch geurteilt, war es eine Trotzreaktion gegen das Leben selbst, dass er trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgesteckt hatte. Vielleicht war es aber auch pure Eitelkeit nach einem Leben als Modell für die firmeneigene Modemarke, dass er eigene, unverkennbare Persönlichkeitsmerkmale herausstreichen wollte. Die Klauen, die das Schicksal in seinen Körper getrieben hatte, nicht mehr verbarg. "Wo ist denn Hotsuma?", lenkte er von seinem Outfit ab. "Muss noch lernen!", erklärte Tatsuomi zum wiederholten Mal, aber Katsumi schien durch diese Antwort nicht beruhigt. "Er überarbeitet sich noch!" Katsumi mochte den stillen, älteren Jungen, der hilfsbereit, erwachsen und zugleich schüchtern auf ihn gewirkt hatte. Er fragte sich, ob es Hotsuma guttat, mit drei Menschen zusammenzuleben, die alle extreme Persönlichkeitszüge aufwiesen und sich nicht scheuten, ihre Ansichten durchzusetzen. Sie wurden von lautstarkem Getöse abgelenkt, als das Spiel abgepfiffen wurde. Die Gäste hatten mit einem knappen Vorsprung gewonnen. Erstaunlicherweise, -zumindest für Außenstehende-, feierten die Verlierer mit grimmiger Entschlossenheit mit, denn diese Schule war bestrebt, sich von den üblichen Verhaltensmaßregeln und Konkurrenzgedanken zu unterscheiden. Yuugo schüttelte Hände und verabschiedete Spieler und Betreuer, bevor er, ebenso erschöpft und aufgekratzt wie die Akteure, zu den Umkleideräumen schlenderte, über den Hof hinweg durch ein Spalier begeisterter Zuschauer. Auch Natsumi, Tatsuomi und Katsumi erhoben sich und strömten zu den Ausgängen, wobei Tatsuomi sich bei beiden unterhakte, um nicht mit seinen Inlinern zu Fall zu kommen. Katsumi löste sich von beiden und marschierte Richtung Umkleidekabine, ein vertrauter Gang, auch wenn es schon ein ganzes Leben her zu sein schien. Ihn trafen einige verwunderte und auch verlegene Blicke, aber er reagierte mit einem souveränen Nicken, suchte in den sich ausbreitenden Dampfschwaden nach der vertrauten Gestalt seines Geliebten. "Katsumi." Ein rauer, heißer Windhauch in seinem Nacken, der sein Herz aussetzen ließ und ein Fegefeuer über seine Haut jagte. Yuugo materialisierte sich vor ihm, ergriff seine Hand und zog ihn in die Ecke der Spindreihe, in der sich sein Fach befand. Katsumi folgte der behutsamen Führung, während sein Daumen liebevoll über den feuchten Handrücken strich. Er war immer wieder überwältigt von den Emotionen, die der fünf Jahre Jüngere in ihm auslöste, durch seine bloße Gegenwart. Und die Rücksicht, die er zeigte. Ihn nicht wie früher zu erschrecken, sondern sich behutsam zu nähern und ihn fürsorglich aus dem größten Trubel zu führen. Die Vertrautheit, mit der sich ihre Finger ineinander verflochten, auch wenn an Yuugos Hand zwei Finger steif geblieben waren nach dem Überfall. Katsumi überkam plötzlich eine ermattende Schwäche. Er wollte sich in diesen Armen verkriechen, Yuugos Duft einatmen und seine Augen schließen, nur noch auf die Herzschläge lauschen und Yuugos süße Atemzüge. Aber Yuugo hatte die professionelle Ruhe des Schiedsrichters abgelegt und sprudelte munter Neuigkeiten seines Schulalltags hervor. Was früher als eine endlose Abfolge grauer, Seelen fressender Routinen sein Leben bestimmt hatte, entwickelte sich nach dem Schulwechsel und den fast zwei Monaten Rehabilitation zu einem Abenteuer. Dem er sich aufgeschlossen und augenzwinkernd näherte. Durch die Unterstützung seiner Freunde und Klassenkameraden hatte Yuugo tatsächlich das Wunder geschafft, das zweite Jahr der Oberstufe zu erreichen. Katsumi sank auf die schmale Bank vor den Spinden und lauschte mit halbem Ohr Yuugos Schilderungen, die ein angenehmes Hintergrundrauschen zu dem verheißungsvollen Anblick vor seinen Augen bildeten. Yuugo hielt plötzlich inne, grinste und beugte sich zu Katsumi herunter. "Du hast kein Wort mitgekriegt, oder?" Katsumis Wangen färbten sich rot, aber er wich Yuugos Blick nicht aus, hypnotisiert von der abgründigen Schwärze. Yuugo grinste und streichelte sanft über die erblühten Wangen. "Was hältst du davon, wenn wir noch etwas essen und dann zu dir gehen?" Katsumi bemühte sich angestrengt, das begeisterte Glühen in seinem Gesicht zu verschleiern, aber vor Yuugo konnte er seine wahren Emotionen nicht verbergen, ganz gleich, welche Fähigkeiten als Poker-Face er sonst innehatte. Yuugo schlüpfte in seinen Zivildress, Bluejeans und ein T-Shirt. Seine abgenutzte Jeansjacke legte er Katsumi um die schmalen Schultern. Er schulterte seine Sporttasche und verflocht gewohnheitsmäßig seine Finger mit Katsumis, um ihn aus der Umkleide zu geleiten. Draußen unterhielten sich derweil Natsumi und Tatsuomi angeregt über die neuesten Rock-Gruppen und die Importe aus den USA, wobei ihrer lebhaften Unterhaltung begehrliche Blicke zugeworfen wurden. "Na, ihr zwei, wollt ihr mit uns etwas essen gehen? Nudelsuppe?" Tatsuomi, immer hungrig, strahlte und nickte begeistert, während Natsumi höflich ablehnte, musste sie doch nun wirklich die Freundin aus der Hölle der Nacharbeiten erlösen. "Wir essen dann im Bett... nachher...", verabschiedete sie sich mit einem anzüglichen Zwinkern. Die drei Jungen lachten und machten sich auf den Weg zu einer kleinen Suppenküche. ~@~ "Findest du nicht, dass er sich zu viel abverlangt?" Katsumi schlürfte seine heiße Suppe und warf Tatsuomi einen inquisitorischen Blick zu. Der kaute gerade mit vollen Backen, die Stirn gerunzelt. Er schluckte eilig und wischte sich dann manierlich mit der Serviette den Mund ab. "Er ist halt sehr ehrgeizig, will immer perfekt sein. Und wenn ich ihn dann mal loseise, ist er doch in Gedanken ganz woanders." Yuugo, der neben Katsumi an der Theke saß, mischte sich in die Unterhaltung ein. "Das neue Jahr hat doch gerade erst begonnen? Hat er denn keinen guten Abschluss gemacht?" Tatsuomis Gesicht wurde blank. "Ich kenne seine Noten nicht genau, aber es war auf alle Fälle nicht zu schlecht. Nach dem Jahr..." Sie verfielen alle in nachdenkliches Schweigen. Die letzten Ereignisse hatten sie alle gezeichnet, und Tatsuomi und Hotsuma hatten ihre engsten Angehörigen verloren. Der Urlaub in der Karibik hatte zwar neue Horizonte eröffnet, aber die Rückkehr in das Alltagsleben hatte sich nicht immer problemlos gestalten lassen. Katsumi war bestrebt, die düster-melancholische Stimmung aufzuheitern. "Yuugo, hast du dir schon mal Tatsu-chans Rucksack angesehen? Noch mehr Trophäen, und er wird einen Anhänger benötigen!" Tatsuomi grinste und präsentierte die Bänder-Parade. "Wow!", zeigte sich Yuugo gebührend beeindruckt und applaudierte lautlos. "Und, schon eine Herzensdame gefunden?" Tatsuomi griente noch breiter und schüttelte den Kopf. "Ja, ja, die große Auswahl ist schon verwirrend", neckte ihn Yuugo gutmütig, was ihm einen Rippenstoß von Katsumi einbrachte. "He, Engelchen, nicht schlagen! Oder bist du eifersüchtig?" Katsumi knurrte und schnappte nach Yuugo, der sich lachend zurückzog. Tatsuomi prustete Suppe über die Oberfläche der Theke und giggelte ungeniert mit. Katsumis Unterlippe schob sich merklich nach vorn, während er schmollend die Arme vor der schmächtigen Brust verschränkte. Yuugo rückte wieder an ihn heran und lehnte sich tief zu ihm hinüber, seine Lippen nur einen Hauch von Katsumis Ohrmuschel entfernt. "Entschuldige, mein Engel", raunte er leise und küsste die weiche Haut im Schutz seines Schopfes zärtlich. Katsumis Gesicht erblühte in einem Strahlen, während er unter der Theke verstohlen seine Finger in Yuugos Hand gleiten ließ. Er war zu glücklich in dessen Gegenwart, um sich Gedanken darüber zu machen, wie lange sie mit ihrer Beziehung noch toleriert werden würden. ~@~ Tatsuomi winkte und verschwand wie ein Blitz in der Nacht, verbotenerweise auf der Straße entlanggleitend. Yuugo schüttelte grinsend den Kopf. Dieser Junge war einfach unglaublich! Trotz aller Schwierigkeiten war Tatsuomi von einer Unbekümmertheit und Unverdrossenheit, die sie alle in Erstaunen versetzte. Katsumi zog an seiner Hand, begehrlich seine Wohnung ersehnend, um den Tag angenehm ausklingen zu lassen. Yuugo lachte leise über Katsumis Ungeduld und ließ sich ziehen, die ätherische, fragile Gestalt wie ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit vor sich schwebend. ~@~ Yuugo füllte die Waschmaschine und tippte die erforderlichen Informationen ein, um dann ein erschöpftes Stöhnen von sich zu geben. Es war ein langer, erfüllter Tag gewesen. Er verließ das Badezimmer, kreuzte den Flur und betrat Katsumis Schlafzimmer. Dieser hatte es sich bereits in dem großen Bett bequem gemacht, die Augen flogen über Kopien auf dünnem Papier. "Keine Hausaufgaben im Bett!!", polterte Yuugo gespielt ärgerlich los. Was Katsumi veranlasste, sofort den Papierstapel auf den Nachtschrank verschwinden zu lassen, um dann ein völlig unbeteiligtes, lammfrommes Lächeln aufzusetzen. Yuugo schlenderte langsam um das Bett herum, spielte mit der kleinen Anlage und erfreute sich unbewusst daran, dass sich keine Spiegel mehr an der riesigen Schrankwand befanden. Ein sanftes Lied, ohne Worte, steigend und fallend wie das Rauschen des Meeres in der Brandung, schwebte in den dämmrigen Raum. Katsumi kniete sich hinter Yuugo, schmiegte sich an dessen breiten Rücken und blies heiße Küsse auf den verlockenden Nacken. So eng miteinander verbunden, dass der aufgeregte Herzschlag keine Unterscheidung zwischen den Körpern traf. Yuugo wandte sich behutsam herum, hob den Arm, um die Hand in Katsumis Nacken zu legen und dessen Lippen auf seinen Mund zu dirigieren. Er schmeckte das Aroma der Suppe, salzige Wärme, eine Spur von Schärfe und den süßen Geschmack, den Katsumi niemals zu verlieren schien. Hungrig schlang er beide Arme um die zarte Gestalt, zog sie sanft an seiner Seite herum, um sie wie ein altmodischer Liebhaber in seinem Arm zu stützen und die glühenden Lippen zu entflammen. Katsumi seufzte leise, unbewusst, klammerte sich fester an den muskulösen Rücken, ließ sich erforschen, verführen, liebkosen. Endlich schmerzte Yuugo diese krumme Haltung zu sehr. Er bettete Katsumi weich quer über seinen Oberschenkeln und richtete sich auf, ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen. "Lass uns mal tiefer in das Innere unseres Kuschelnestes vordringen", flüsterte er rau. Katsumi nickte atemlos, rollte sich elegant herunter und gab Yuugo frei, damit dieser sich ein Kissen am Kopfende des Bettes in den Nacken stopfen konnte. Einladend die Bettdecke lupfend spreizte er die Beine auseinander, damit Katsumi katzengleich heranpirschen und sich zwischen ihnen langsam zu ihm hochschieben konnte. Yuugo liebte das erwartungsvolle Glühen in Katsumis Augen, seine leichten Seufzer, wenn er ihn küsste, die zerbrechlichen Knochen unter der samtigen, gesprenkelten Haut. So zart, so filigran, dass er manchmal kaum wagte, zuzugreifen und festzuhalten. Aber Katsumi ließ keine atemlose Ehrfurcht gelten, verwöhnte Yuugo mit herausfordernden Zungenküssen, während seine schmalen Hände die gespreizten Oberschenkel entlang schlenderten, prickelnde Gänsehaut beschworen. Während Yuugos Herz unter Trommelschlägen schier zu bersten schien, revanchierte er sich auf seine Weise. Indem er Katsumi entkleidete und diesen dann an den Hüften fassend, rasch auf seinen Schoß hob. "Was hast du denn vor?", neckte Katsumi leise, ein melodiöses Lachen in seiner Stimme, während er durch Yuugos lange Haare streichelte. Yuugo blies seinen Atem über Katsumis Schulter, beugte sich vor und begann, mit Zunge und Lippen die Narbe über Katsumis Herz zu liebkosen. Jeder erstickte Seufzer, jedes unwillkürliche Winden in seinen Armen spornte Yuugo zu weiteren Zärtlichkeiten an. Er wollte Katsumi an den Rand des Selbstverlustes treiben. Und die schlanken Finger, die blind sein Gesicht streiften, vergessen machen, was es mit den Wunden unter ihrer flüchtigen Berührung auf sich hatte. "Engelchen", raunte er heiser sein Credo, suchte das Einverständnis, das Katsumi ohne Zögern gab. ~@~ "Engelchen?" "Mhmmm?" Katsumi kuschelte sich enger an Yuugo und brummte leise im Halbschlaf. Yuugo zeichnete Katsumis Rippen und Wirbel mit den Fingern nach, hauchte in die schlohweißen Haare, die seine nackte Brust kitzelten. "Würde es... würde es dir etwas ausmachen, wenn ich bei dir einziehe?" Yuugo schickte einen tiefen Atemzug der Erleichterung seiner Frage hinterher, endlich den Mut aufgebracht zu haben, sein Begehren laut zu äußern. Er fühlte, wie Katsumis wohliges Räkeln erstarrte. Dann stemmte dieser sich hoch, um Yuugo in das Gesicht sehen zu können, nun hellwach. "Du... du willst mit mir leben? Hier?", fragte Katsumi ein wenig unsicher nach, seinem Glück nicht trauend. Yuugo schenkte ihm im Halbdunkel ein schiefes Grinsen, ließ seine Finger über Katsumis Schläfe gleiten und den schlanken Hals entlang spazieren. Bis Katsumi seine Hand einfing und jedem Finger einen Kuss spendierte, allerdings ohne Yuugo nur für einen Wimpernschlag aus seiner Aufmerksamkeit zu entlassen. "Ich möchte gern jede Nacht an deiner Seite schlafen, morgens neben dir aufwachen..." Yuugo räusperte sich, zu seiner Verlegenheit glühten seine Wangen rosig. "Ich meine, wir verbringen den Tag schon mit Fremden oder Menschen, die wir uns nicht zur Gesellschaft gesucht haben, da möchte ich wenigstens in meiner Freizeit..." Katsumi schnitt ihm mit einem sanften Kuss wirkungsvoll das Wort ab. Er nahm Yuugos Gesicht sanft in seine Hände und rieb ihre Nasen zärtlich aneinander. "Ich möchte dich auch nicht für einen Augenblick missen, Yuugo-chan", wisperte er leise, "aber dann wirst du mit deinen Eltern sprechen müssen." Sie tauschten einen langen, intensiven Blick, konnten sie doch nonverbal ihre Gedanken teilen. "Ich werde dich begleiten", bestärkte Katsumi seine Absicht, aber Yuugo lehnte seine Offerte mit einem entschuldigen Kuss auf die weichen Lippen ab. "Nein, Engelchen, das muss ich allein machen. Ich danke dir aber trotzdem." Katsumi erzitterte unter Yuugos sanften, trügerisch harmlosen Liebkosungen, die Augen verschließend und den Wunsch nach Schlaf aus seinen Gedanken bannend. ~@~ Tatsuomi öffnete lautlos die Haustür, schlüpfte strumpfsockig hinein, die Inliner mit dem Rucksack über der Schulter balancierend. Geübt tastete er sich in der Dunkelheit zu ihrem Zimmer vor, drückte mit den Ellenbogen die Klinke herunter, Zeichen von Koujis Vorliebe für europäische Lebensart. Natürlich brannte noch immer Licht, Hotsuma saß gebeugt über seinen Büchern. "Hey, Oni-chan, du wirst wohl nie müde?" Hotsuma sah kurz zu ihm herüber und zwang ein kurzes Lächeln auf seine Lippen. "Willkommen zurück, Tatsu-chan." Tatsuomi ließ Rucksack und Inliner sinken und glitt geschmeidig hinter Hotsuma, um die Arme um seinen gekrümmten Nacken zu legen. "Du arbeitest zu viel!" "War das Spiel gut?", lenkte Hotsuma bestimmt ab, zog leicht die Schultern hoch, um Tatsuomi subtil abzuschütteln. Aber dieser ließ sich nicht zurückweisen, ignorierte die Aufforderung. "Oh, ganz nett, sie haben zwar verloren, aber ich habe Yuugo-chan und Katsumi getroffen. Und Natsumi." Sein Blick flog über eine lange Tabelle mit Berechnungen. "Komm schon, Hotsu-chan, es ist spät und du wirst das ohnehin nicht mehr alles in den Kopf kriegen!" Unbekümmert zerrte er Hotsumas Hände von den aufgeschlagenen Seiten hoch, klappte das Buch zu und drückte einen lauten Kuss auf Hotsumas Wange. "Tatsuomi, bitte, ich habe dir schon gesagt, dass..." Grinsend entzog sich Tatsuomi Hotsumas vorwurfsvollen Blick und strich sich honigblonde Strähnen aus den Augen. "Ja, ja, ich weiß ja! Aber du solltest dir bewusst sein, welches Privileg du genießt!" Er zwinkerte Hotsuma zu und schlüpfte in den Flur hinaus, um das Badezimmer aufzusuchen. Hotsuma starrte die halboffene Tür an und atmete tief durch. Aber seine Kehle blieb wie verschnürt. ~@~ Kapitel 2 - Entscheidungen Kouji schob die Sonnenbrille auf den Nasenrücken und strich sich die schulterlangen, tintenschwarzen Haare aus der Stirn. Durch die abgedunkelte Glastür konnte er einen Pulk an Reportern erkennen, der sich um die Absperrung drängte. Nicht, dass etwa dieser Andrang inszeniert war, oder dass es keine Pressekonferenz geben würde. Nein, dieser Aufruhr wurde allein durch die seit einer halben Stunde versandte Mitteilung ausgelöst, dass er eine kurze Konzertreihe durch Japan plane. Er straffte seine schlanke Gestalt und nickte unauffällig dem eigens abgestellten Wachmann zu, der die Tür öffnete. Katsumi hatte wie immer an alles gedacht, in Sichtweite wartete seine Limousine, obwohl Koujis auffälliger Ferrari in der Tiefgarage parkte. Kaum streifte der erste Sonnenstrahl seine schwarzen Gläser, schon warf sich ihm ein Heer am Mikrophonen, Aufnahmegeräten und kleinen Kameras entgegen. Fragen flogen wie Schrapnellsplitter durch die Luft, aber Kouji bewahrte seine stoische Gelassenheit. Mit selbstbewusstem Schritt überquerte er den abgesperrten Bürgersteig, hob nachlässig grüßend die Hand, ein spöttisches Lächeln auf den lasziven Lippen. Die Tür des Fond öffnete sich ihm automatisch, sodass er mit katzenhafter Eleganz seine großgewachsene Gestalt hineinbewegen konnte. Hände schlugen gegen die Scheiben, suchten hinter dem spiegelverkleideten Glas seine Aufmerksamkeit. Er wollte schon in gelangweilter Manier den Blick abwenden, als ein Gesicht sein Interesse erregte. Das Gesicht gehörte einer jungen Frau, extravagant getönte Haare in einer Sturmfrisur starrten wie Pfeile nach allen Seiten, die Augen hinter einer visierartigen Brille verborgen. Kouji setzte sich aufrecht, kniff die Augen zusammen. Das Gesicht war dick geschminkt, um Spuren einer Akne zu verbergen, die dünnen Lippen in unkleidsamen Pflaumenblau gefärbt. Während die Menge aufgeregt und freundlich brodelte, war dieses Gesicht eine glühende Fratze, von einem unheiligen Feuer entfacht, das Kouji eine Gänsehaut einjagte. Er spürte einen Knoten in der Magengegend, als sich die Limousine in Bewegung setzte, grub die Fingernägel in die Polster, während er intensiv diese Unbekannte zu ergründen suchte. Gehörte diese schrille Stimme, ein Misston unter der allgemeinen Gesprächsmelodie ihr?! Kouji angelte das Telefon heran und wählte Katsumis Nummer. ~@~ "Nein. Nein, bitte, keine Auskünfte bis zur offiziellen Pressekonferenz." Katsumi grimassierte die Fensterscheibe an, strich sich gequält die schlohweißen Strähnen aus der Stirn. "Taka-chan, wenn Sie einen Mord verhindern wollen, nehmen Sie die Auszubildende aus der Telefon-Hotline." Takasaka nickte ergeben und huschte hinaus. Offenkundig blockierten die Medien alle Leitungen, und die Neue leitete in ihrer Verzweiflung die hartnäckigsten Anrufer direkt an Katsumi weiter. Als es erneut summte, verdrehte Katsumi die großen Augen und atmete tief durch. Ein Blick auf das Display überraschte ihn allerdings, hastig nahm er ab. "Kouji?" "Wie bitte?! Warte mal, das schreibe ich besser mit..." "Hmmm... nein, die Beschreibung sagt mir nichts." "Was denkst du, ist sie gefährlich?" "Gut, ich lasse den Wachdienst nach ihr Ausschau halten und sehe mir die Anmeldungen für die Pressekonferenz an." "Sicher melde ich mich." Langsam unterbrach er die Verbindung. Kouji hatte ein ungutes Gefühl? »Seltsam...« ~@~ Kouji betrat das Haus, erleichtert, die Medien vor der Tür lassen zu können. Er sehnte sich nach einem geruhsamen Abend... nun, nicht derart geruhsam... Ein wölfisches Lächeln stahl sich über seine Lippen. "Izumi?" Er entledigte sich seiner Stiefel und schlüpfte gehorsam in die bereitstehenden Puschen, lauschte in die Stille hinein. »Wahrscheinlich sind sie alle noch ausgeflogen«, dachte er, von einem Anflug von Enttäuschung erfasst. Lautlos wanderte er durch die Wohnung, betrat ihr gemeinsames Schlafzimmer. Das Bett war noch immer so zerwühlt wie am Morgen, hatte er doch versäumt, es aufzuschütteln und zu sortieren. Man konnte noch immer die Spuren ihrer miteinander verschlungenen Körper auf dem Laken erkennen, die Hitze und den Geruch, der sich in seine Nase schmiegte. Takutos Seite duftete nach seinem Shampoo und Sonnenschein, seine eigene Seite nach exklusivem Rasierwasser, obwohl er selten eine Rasur nötig hatte. Er streifte das Sakko ab, ließ es auf den Boden gleiten, löste die schwere Gürtelschnalle und stieg grazil aus den Hosenbeinen. Das durchscheinende Netzshirt in schimmerndem Schwarz fügte sich zu den hellen Stoffpyramiden. Dann kroch Kouji auf allen Vieren durch die leise knisternden Seidenlaken, rollte sich auf Takutos Seite ein und umarmte dessen Kopfkissen eng. Sicher wäre Izumi wütend, wenn er so einschliefe, in diesem Chaos, die Prothese noch umgeschnallt, aber andererseits... Andererseits versprach Izumis heißblütiges Temperament bei ihren Auseinandersetzungen auch sehr angenehme Friedensverhandlungen... ~@~ Takuto hetzte um die Hütchen herum, sein Trikot schweißnass, die schwarzen Augen glühend, der Atem stoßweise fliehend. Er wusste, dass er wieder mithalten konnte. Der Trainer pfiff ab und gab nun seinem Assistenten das Zeichen, Bälle auszugeben. Takuto ließ einen Ball auf seinen Knien tanzen, schraubte ihn ein paar Mal mit seinem Kopf in die Höhe und jagte dann erneut um die Hütchen, den Ball vor sich her treibend, immer unter Kontrolle. Er war sich der Blicke, die ihn und seine Fortschritte inspizierten, nicht mehr bewusst, als das Hochgefühl wahre Schauer in seinem Körper hochjagte. So musste es sich anfühlen, berstend von kontrollierter Energie, hungrig, pfeilschnell! Für diese Ekstase in der Bewegung bis zur Erschöpfung lohnte es sich zu existieren! Wenn er es nicht als kleines Kind verlernt hätte, hätte ein euphorisches Lächeln seine Züge aufgehellt, als er sich immer wieder bis an seine Grenzen trieb. ~@~ Yuugo stieß mit Schwung das quietschende Tor auf und legte den Kopf in den Nacken, um die Sonne anzublinzeln, die unerwartet kräftig den Frühsommertag erhitzte. "Yuugo!!!" Ein vielstimmiger Chor durchbrach die nachmittägliche Stille in dem vornehmen Bezirk, in dem das erst kürzlich eingerichtete Nanjou-Waisenhaus residierte. Yuugo stellte seinen Rucksack neben sich, als sich schon eine wilde Horde Grundschulkinder um ihn drängte, sich an seine Jeans und sein Hemd hängte und lautstark seine Aufmerksamkeit beanspruchte. "Hey, ihr Räuber, wie geht's euch?" Ein einstimmiger Jubelruf antwortete ihm. "Hallo Yuugo!" Ein muskulöser Teenager trat aus dem Haus, auf dem Arm zwei Daumen lutschende Kleinkinder, die sich die schlafverklebten Augen rieben. "Balu!" Während Yuugo Richtung Eingang gezerrt wurde, lächelte er ihm zu, zwinkerte entschuldigend. "Tja, Balu, ich würde dir ja gern eine standesgemäße Begrüßung angedeihen lassen, aber meine Aufmerksamkeit ist ein wenig... gefesselt." Balu grinste und enthüllte eine Reihe spitzer Zähne, die schwarzen Augen funkelten anzüglich. "Du willst mir doch nicht erzählen, dass ich Chancen bei dir hätte, oder?" Der schwere amerikanische Akzent verschleppte seine Aussprache, aber Yuugo hatte sich bereits daran gewöhnt. Ebenso wie an die eintätowierten, eisblauen Flammen auf den muskulösen Unterarmen und den fast kahlgeschorenen Schopf. "Wird Zeit, dass du kommst, Yuu-Man, die Räuber haben schon gegen die Hausaufgaben gemeutert." Yuugo bremste im Flur und warf gespielt entrüstete Blicke um sich. "Ist das wahr? Meuterei ist ein schweres Verbrechen!" Ein Meer von großen Augen umringte ihn, unsicher, wie nun zu verfahren sei. Schließlich fasste sich ein Junge mit sehr lückenhaftem Gebiss ein Herz. "Großer Anführer, wir haben die Aufgaben nicht verstanden, also, machen wollten wir sie schon, nur richtig, aber das ging nicht, weil der Text so schwer war..." Beredete Gesten beschrieben ein wahres Knäuel in der Luft, während der kleine Unterhändler die verwickelte Lage in logischer Reihenfolge aufzudröseln suchte. Yuugo unterdrückte ein Schmunzeln. "Nun gut, dann bedeutet das, dass wir uns gemeinsam dieser Herausforderung stellen müssen, nicht wahr?" Eifriges Nicken. Yuugo löste seinen rechten Arm aus mehreren Händen und reckte ihn in die Höhe, eine dreifingrige Faust ballend. "Räuber, auf geht's!!" "Aye, aye!!" Mit seinem Hofstaat zog er als uneingeschränkter König der Räuber in den großen Aufenthaltsraum ein. ~@~ Katsumi blätterte erneut durch die Listen, betrachtete die Aufzeichnungen der Videokameras. Die seltsame Frau hatte er ebenso leicht wie Kouji auch aus der Menge der Reporter herausangeln können, aber das war auch das einzige positive Ergebnis. Sie stand nicht auf der Liste der zugelassenen und geladenen Reporter, sein Kontakt in den Verlagen und Presseagenturen wussten auch mit seiner Beschreibung nichts anzufangen. »Eine Hobby-Reporterin?« Was wollte sie? »Oder ein durchgeknallter Fan?« Katsumi dachte an Eris Angriff auf Kouji, der in einer tiefen Schnittwunde über der Brust geendet hatte. »Personenschutz verstärken«, beschloss er. Allerdings galt dieser nur für offizielle Auftritte. ~@~ Tatsuomi drehte eine ungeduldige Runde mit den Inlinern um das Schulgebäude, wartete auf Hotsuma. Wieso musste dieser erneut beim Rektor vorsprechen?! Er machte sich Sorgen. Würde Hotsuma ihm dieses Mal antworten, wenn er fragte? Tatsuomi bremste und sah zu den Fenstern hoch. »Du hast dich verändert, Oni-chan.« ~@~ Yuugo saß mit Balu im Innenhof auf einer Bank und sah den Kindern beim Herumtollen zu. Balu ließ eine Kette mit kleinen, blauen Perlen unermüdlich durch die Finger gleiten, eine automatische Bewegung, die er nach Yuugos Beobachtung immer dann aufgriff, wenn er in Gedanken versunken war. Sie kannten sich nun zwei Monate lang, seit der Amerikaner zum ersten Mal durch das Tor geschritten war und sich bei der Leiterin vorgestellt hatte. Yuugo musterte verstohlen das kantige Profil, die stoppeligen, schwarzen Haare. Eigentlich hatte Balu, oder mit bürgerlichem Namen Huey Kamasaki, nicht die geringste Aussicht gehabt, die freie Stelle als Erzieher zu bekommen. War der doch sehr jung, hatte in Amerika gelebt und war erst in der Oberstufe mit seiner Familie nach Japan zurückgekehrt. Dazu kam sein sehr merkwürdiges Outfit. Er entsprach auf gar keinen Fall den Vorstellungen eines japanischen Erziehers. Aber da war etwas, was auch die Kinder sofort gespürt hatten, eine Anziehung, eine Ausstrahlung, die alle in seiner Nähe zur Ruhe kommen ließ. Eine in sich ruhende Selbstgewissheit, die er nicht bei einem knapp Zwanzigjährigen erwartet hatte. "Was betrachtest du?" Yuugo schreckte leicht zusammen, als er sich ertappt sah. Verlegen räuspernd lächelte er Balu an. "Ich habe mich gefragt, ob du nicht gern in Gesellschaft Inliner laufen würdest", improvisierte er rasch. Balu zog eine pointierte Augenbraue hoch und wickelte die Kette um sein Handgelenk. "So?", fragte er gedehnt zurück, um im selben Atemzug einen Jungen zu ermahnen, nicht den Sand um die Kiste herum zu verstreuen. Yuugo lehnte sich zurück und blies leicht in seinen fedrigen Pony, um Strähnen aus seinen Augen zu vertreiben. "Ich habe einen Freund, dem die Dinger praktisch unter den Füßen angewachsen sind. Hast du Lust, ihn kennenzulernen?" Balu schmunzelte versonnen. "Warum nicht, ich kenne nur wenige Menschen hier." Yuugo stupste ihn leicht mit der Schulter an. "Hätte nicht gedacht, dass du schüchtern bist." Balu grinste breit, die spitzen, ungeordneten Zähne enthüllend. "Liegt vielleicht an meiner scheuen Ausstrahlung." Yuugo lachte und wechselte das Thema. ~@~ Takuto schleuderte noch immer angetrieben von Energieschüben aus dem Training seine einfachen Stoffschuhe von den Füßen, registrierte dann überrascht das Paar, das bereits dort stand. "Kouji?" Er stellte seine Tasche auf dem Absatz ab und begab sich zuerst in ihr Wohnzimmer, das aber zu seiner Überraschung leer war. »Ob er wohl in den Keller gegangen ist?« Dort hatte sich Kouji ein eigenes Tonstudio eingerichtet, gleich neben seinen geliebten, fahrbaren Untersätzen. »Katsumi läuft Amok, wenn du dich nicht abgemeldet hast«, murmelte Takuto vor sich hin, während er die leichte Trainingsjacke abstreifte und beschloss, dem Rätsel nach einer ausgiebigen Dusche auf die Spur zu kommen. Er schritt über den Flur Richtung Badezimmer, als ein kurzer Blick auf die Spaltbreit geöffnete Schlafzimmertür ihn innehalten ließ. "Was..?!" Zwei Wäschehäufchen weiter stand er vor ihrem breiten Bett, auf dem Kouji mit Prothese und Slip in tiefem Schlaf lag. »Dornröschen«, fuhr es Takuto unwillkürlich durch den Kopf, als seine Augen den wohlgeformten Körper entlangwanderten und auf den feingeschnittenen, puppenhaft anmutenden Gesichtszügen verharrten. »Wie schön er ist.« Sein Herz verfehlte einen Schlag. Die tintenschwarzen Haare schmiegten sich zärtlich an die weiße Porzellanhaut an, rahmten die bemerkenswerten Wangenknochen ein und kitzelten das Schlüsselbein. Takuto musste die Zähne aufeinander beißen, um sich von diesem verzaubernden Bannstrahl zu lösen. »Schläft der Kerl hier mit seiner Prothese ein, obwohl er das nicht soll!! Und ich gehe jede Wette ein, dass er das Bett heute Morgen auch nicht gemacht hat, obwohl er der Letzte war!! Als ob man mit einem Kleinkind zusammenlebt!!« Sich mit ausreichend Ärger versorgend, um nicht erneut der magischen Ausstrahlung seines Geliebten zu verfallen, trat er neben das Bett und schüttelte diesen energisch an der Schulter. "Kouji, aufwachen!" Flatternde Lider entzogen sich langsam den Schlaf, enthüllten die abgründigen, brennenden Augen darunter. "'zumi", hauchte Kouji mit heiserer Stimme, drehte sich auf den Rücken, um dann mit der rechten Hand nach Takutos Hand zu greifen. Takuto ballte seine Hand zur Faust, verzog das Gesicht zu grimmiger Entschlossenheit. "Was denkst du dir bloß? Sieh nur mal das Chaos hier an!" Kouji lächelte trügerisch schlaftrunken, um dann mit unvermuteter Heftigkeit Takuto zu sich zu reißen, die Finger tief in das schmale Handgelenk grabend. "Du hast mir gefehlt", bekannte er rau, während seine mechanische Hand kühl unter Takutos von Schweiß klebriges Trikot fuhr. "Kouji!" Tadelnd stemmte Takuto die Knie in die Matratze, versuchte, sich aus dessen Zugriff zu entwinden. Aber Kouji ließ keineswegs locker, in seinen tiefen Augen funkelte wilde Begierde. Takuto stockte erneut der Atem, er kannte diesen Blick, wusste, was sich dahinter verbarg. "Kouji, das geht jetzt nicht...!" Aber Kouji schnitt seinem Protest den Atem ab, küsste Takuto mit geöffneten Lippen, erkundete mit der Zunge erfahren die Stellen am Gaumen, die Takutos Widerstand dahinschmelzen lassen würden. Takuto sah Sterne vor der Schwärze seiner Augen explodieren, sein Herz raste und seine Lunge brannte, als Kouji ihn endlich freigab. Heftig um Atem ringend kauerte er über Kouji, die Hände zittrig auf das Kopfkissen neben Koujis aufgefächerten Haaren gestützt. Auch Koujis Lippen waren geöffnet, sein Atem ging ebenso hastig, wie sich seine Brust bebend hob und senkte. Dann schob er erneut die Rechte unter Takutos klammes Trikot, strich besitzergreifend über die glühende Haut bis hoch zur Brust. Sie tauschten hungrige Blicke, bis Takuto den Kopf abwandte, sich zur Vernunft anhielt. Kouji spürte den Anflug von Ratio und trieb ihn entschlossen und kaltblütig zurück. Seine Finger drängten sich am Gummizug der kurzen Hose vorbei an der fragilen Hüfte entlang zu Takutos Narbe. Takuto, der sich von Kouji zu lösen suchte, stöhnte laut auf, als sich die kundigen Finger in die tiefe Spalte gruben, die Nerven reizten. Er grub die Finger tief in Koujis Brust und senkte keuchend den Kopf. "Kouji... bitte.... ich brauche eine Dusche...." Kouji lachte leise, nachsichtig, während seine mechanische Hand mit Geschick das Trikot hochschob. "Wir duschen danach." "Kouji, bitte..." Takuto zitterte, als die Finger liebkosten, was ihn vor langen Jahren töten sollte. Das prickelnde Gefühl raste wie ein Feuersturm sein Rückgrat empor und entzündete sich bis in seine Haarspitzen. Kouji lächelte hungrig und gnadenlos, als Takutos bebender Körper auf ihm zu zittern begann. Schmutziger, klebriger, wilder, zügelloser Sex. Das war es, was er jetzt wollte. Und bekommen würde. ~@~ Tatsuomi drehte eine Pirouette um Hotsuma und schenkte ihm ein aufmunterndes Grinsen. "Komm schon, Oni-chan, sag mir, was los ist!" Hotsumas schwarze Augen grasten in antrainierter Automatik die Umgebung ab, einmal Leibwächter, immer Leibwächter. Endlich bequemte er sich zu einer Äußerung. "Es war nichts weiter." Tatsuomi schmollte verärgert und preschte bis zur nächsten Kreuzung vor, die Zeit nutzend, seine Enttäuschung zu verarbeiten. Ja, Hotsuma war in mancherlei Hinsicht ein Abbild seines Vaters, ein Holzschnitt-Samurai! »Und ich dachte, wir würden einander immer haltlos vertrauen!« Tatsuomi übersah die neugierigen Blicke von Schulmädchen, die ihn musterten in seiner Uniform, dem geschmückten Rucksack und den Inlinern. Er blickte Hotsuma entgegen, der sich ihm mit gemessenem Schritt näherte, das Gesicht wie immer ausdruckslos. »Ja, ein Samurai. Mein Samurai.« ~@~ Kouji ließ Wasser in die große Wanne laufen und betrachtete lächelnd Takuto, der sich mit gerunzelter Stirn vor dem Spiegel musterte. "Verdammt, Kouji, warum musstest du so zubeißen?!" Mit grimmigem Blick fuhr Takuto herum und wies anklagend auf mehrere sich langsam einfärbende Kussmale hin. Nicht einmal seine bronzefarben gebräunte Haut würde über die Natur dieser Flecke hinwegtäuschen können. Kouji warf Takuto eine Kusshand zu und lächelte vergnügt. "Ich werde sie mit Makeup abdecken, Izumi-chan!" "Mistkerl", knurrte Takuto verärgert und wandte ihm wieder den Rücken zu. Kouji löste sich vom Wannenrand und glitt katzengleich hinter seinen Geliebten, umfing dessen schmale Hüften mit seinem Arm. Er blies sanft über den anmutigen Nacken, streichelte mit den Fingern die Narbe. "Ich liebe dich." Takuto reagierte nicht, starrte abwesend in den Spiegel. Dann drehte er sich langsam in der Umarmung herum, legte den Kopf leicht in den Nacken, um Kouji ins Gesicht blicken zu können. Legte beide schmale Hände um Koujis Gesicht, wie Blütenblätter um die kostbare Knospe. Koujis selbstzufriedenes Grinsen verblasste, wurde zu dem stillen, ernsten Blick, den sie teilten. Dann hob er Takuto sanft auf die Zehenspitzen und küsste ihn, spürte, wie dessen Arme sich fest um seine Schultern legten, an ihm Halt suchten. Seine Hand wanderte an den Hüften hinab über die prallen Pobacken, als Takuto sich von ihm löste. "Bitte, Kouji..." Er erwiderte den Blick verstehend, zärtlich. "Okay", flüsterte er heiser und küsste Takuto auf die Stirn. Und hielt ihn einfach fest in seinem Arm. ~@~ "Lass uns noch auf einen Abstecher zum Heim gehen!", schlug Tatsuomi aufgekratzt vor, zupfte Hotsuma am Ärmel seiner Schuluniform. Hotsuma wollte zu einer negierenden Antwort ansetzen, als ihn ein sezierender Blick aus den großen Augen traf. Er spürte Tatsuomis Unsicherheit über sein Verhalten, als wären sie eine Person und gleichzeitig blieb er so kalt wie Eis, völlig unberührt. »Es ist nur eine kleine Geste, und es bedeutet ihm viel. Macht es einen Unterschied, ob ich heute lerne oder nicht? Nicht wirklich.« Mit einem knappen, beinahe unmerklichen Nicken gab er sein Einverständnis. ~@~ Katsumi blätterte durch die Listen, die für jeden Tag der Kurz-Tournee ein Sammelsurium an Informationen enthielten, Details über die Crew, die Unterkunft, den Transport und dergleichen mehr. Takasaka hatte die undankbare Aufgabe übernommen, die Band zu briefen, eigentlich Koujis vornehmste Aufgabe. Aber mittlerweile arbeiteten sie miteinander wie altgediente Herrenbands, zwischen Solo-Projekten und dem Produzieren anderer Musikschaffender als eine Art Jungbrunnen. Ein unwillkürliches Grinsen jagte über sein Gesicht. Konnte man mit Anfang Zwanzig schon in der Alt-Herren-Riege aufspielen? »Wenn ich schon solche Gedanken hege, dann muss die Midlife-Crisis an der nächsten Ecke lauern«, schalt er sich leicht verärgert und schob weitere Überlegungen weit von sich. Es galt in erster Linie, die Tournee sicher und reibungslos zu planen, damit die Band und ihr unkontrollierbarer Sänger auch noch unveröffentlichtes Material als Überraschung präsentieren konnten. Routiniert skizzierte er die Einzelheiten, vergaß die seltsame Frau. ~@~ Hotsuma läutete knapp am Tor, während Tatsuomi beinahe im schmiedeeisernen Gitter hing, mit gerecktem Hals über die Einfriedung spähte. Sie hatten in stillem Einvernehmen die Rückkehr in das Haus, das ihnen so lange als Heim gedient hatte, vor sich hergeschoben, lediglich die Einweihungsfeier hatte sie zurückgeführt. Tatsuomis hartnäckige Attacken, wieder an diesen erinnerungsträchtigen Ort zu kommen, hatte sie beide dazu gezwungen, sich ihren verdrängten Gefühlen zu stellen. Hotsuma konnte in Tatsuomis aufgedrehter Unruhe seine Nervosität erkennen, während er selbst noch statuesquer als üblich verharrte. "Ja, bitte?", ertönte eine von statischem Knistern verzerrte Stimme. "Hotsuma Kurauchi und Tatsuomi Nanjou!", trällerte Tatsuomi unbekümmert in das Gitter über dem Mikrophon. Das Tor wurde sogleich geöffnet, und Yuugo erschien in der Tür, umringt von einer Reihe menschlicher Fußfesseln, die das Manövrieren schier unmöglich gestalteten. "Hey, Tatsu-chan! Hotsuma!! Das ist ja eine Überraschung!" Tatsuomi grinste wild, stieg über die Schwelle und drehte eine enge Pirouette vor den Kindern, was ihm begeisterten Applaus einbrachte. "Hi, ich bin Tatsuomi!" Wie üblich hatte er sofort das Herz der Mädchen gewonnen, die ihn ungeniert anhimmelten und wissbegierig nach den Bändern an seinem ausladenden Rucksack fragten. In seinem Windschatten trat auch Hotsuma ein, schloss bedächtig das Tor und nickte mit einem winzigen Lächeln Richtung Yuugo, der feixend den Kopf schüttelte. "Diese Nanjous! Wie Katzenminze für Mädchen!" Tatsuomi fuhr sich geschmeichelt durch die honigblonden Strähnen, was ihm entrückte Seufzer einbrachte. "Na gut, kommt doch erst mal rein." Sie durchquerten die vertrauten und doch fremden Räume in gemütlichen Tempo, von aufgedrehtem, fröhlichen Kindergeplapper wie in eine warme Wolke gehüllt. "Balu, ich habe Besuch mitgebracht!" Yuugo gestikulierte zur Sandkiste im umgestalteten Innenhof hinüber, wo Balu mit zwei kleinen Jungen saß, die völlig selbstvergessen eine Sandburg bauten. Balu erhob sich, klopfte sich gelassen den Sand von der Hose und kam ihnen auf halbem Weg entgegen, ein ruhiges Lächeln auf dem Gesicht. Yuugo eröffnete die Vorstellungsrunde, bemerkte dann aber gelinde überrascht, dass Tatsuomi samt Bewunderinnen ihnen auf halbem Wege abhanden gekommen war. Und gerade eifrig mit den herabgefallenen Blüten und Blättern verschiedener Pflanzen geschmückt wurde. "Äh, ja.... Balu, das ist Hotsuma Kurauchi. Hotsuma, Balu, jüngster Kinderpfleger hier und ein wilder Typ!" Yuugo grinste bezeichnend, als Balu das Wort 'wild' mit hochgezogener Augenbraue kommentierte. Er lächelte Hotsuma an, der ein wenig unschlüssig zu einer Verbeugung ansetzte und förmlich seine Freude über das Kennenlernen ausdrückte. "Es ist mir auch ein Vergnügen", antwortete Balu ruhig, mit schleppendem Akzent, wies dann zu den Bänken hinüber. "Setzen wir uns ruhig wieder, bis die Girls deinen Freund freilassen." Sie warfen unisono einen Blick zu Tatsuomi hinüber, der mittlerweile einem Waldgeist ähnelte und sich unbeschwert in der Gunst der Mädchen sonnte. "Die sind echt doof", kommentierte eine menschliche Fessel an Yuugos Hüfte und verzog abschätzig das Krausnäschen. Um dann wesentlich leiser und eine Spur widerwillig zuzugeben, dass der Blonde allerdings auf den Inlinern eine gute Figur abgab. Yuugo grinste versonnen und verwühlte tröstend den unkleidsamen Topfschnitt des Jungen. "Mach dir nichts draus, so sind die Nanjous nun mal. Entweder man hasst sie oder man liebt sie." Er nickte Hotsuma aufmunternd zu. "Setzen wir uns ruhig. Oder möchtest du dich umsehen?" Hotsumas Gesicht blieb unbewegt, als er höflich ablehnte und Yuugo zur Bank folgte. Tatsuomi wurde inzwischen mit Tee versorgt und von mehreren Seiten mit Plätzchen bestürmt, als ein Schatten über ihn fiel. Er legte den Kopf in den Nacken, um sich nach der Ursache umzusehen. "Hi, ich bin Balu. Möchtest du erlöst werden?" Tatsuomi erstarrte, während die Welt um ihn herum stehenblieb und nur ein einziges Gesicht den Horizont seiner Seele ausfüllte. ~@~ Takuto richtete eingelegtes Gemüse in Schälchen an und mischte eine Soße ab. Kouji stand neben ihm und betrachtete ihn schweigend, saugte die ruhigen, selbstgewissen Bewegungen in sich auf. Die anmutige Nackenpartie, die in die schlanke Linie von Takutos Körper mündete, die zerzausten, von der Sonne verfärbten Haare, die dunkle Haut, die noch immer Funken zu sprühen schien. Aber nun genügte es ihm völlig, diese bis zum Wahnsinn geliebte Gestalt nur zu beobachten, sich jedes Detail in die Seele zu ätzen, unvergesslich und unendlich kostbar. Takuto wandte den Kopf zu ihm herum und lächelte leicht. "Na, Träumer, was schaust du dir an?" Kouji strich sich nachlässig tintenschwarze Strähnen aus dem feingeschnittenen Gesicht und verzog die Lippen zu einem irisierenden Lächeln. "Ich glaube, ich habe schon wieder Hunger", raunte er heiser, die Augen bewölkt. Takuto lachte laut und schüttelte nachsichtig den Kopf. "Oh nein, das kannst du gleich wieder vergessen! Ich will morgen Früh auf dem Platz noch stehen können." Kouji überwand den Abstand zwischen ihnen und lehnte sich leicht an Takuto, gerade dicht genug, dass er dessen Körperwärme absorbieren konnte. "Habe ich dir sehr weh getan?", fragte er leise und liebkoste Takutos Wange mit seinem Handrücken. Takuto konzentrierte sich auf das geschmeidige Rühren der Soße, schwieg. Dann drehte er den Kopf und sah Kouji in die abgründigen Augen. "Ist schon okay." Takuto wandte sich wieder ab und schmeckte die Soße ab. Kouji starrte ihn an und erstickte an dem Kloß, der ihm jeden Atemzug zur Qual machte. Er hasste sich für seine rücksichtslose Leidenschaft, seinen fatalen Hang zum Exzess, der ausgerechnet die Person, die er am meisten liebte, um die sein Leben kreiste, zum Opfer fiel. Takuto spürte Koujis Beben in der Atmosphäre, vertraut und aufwühlend. Er legte seine Utensilien beiseite, trat direkt vor Kouji und schlang die Arme um ihn, presste ihn schmerzhaft eng an sich. Strich mit kräftigen Schwüngen über die breite Rückenpartie und wiegte den Zitternden leicht. "Ich bereue nichts", wisperte er tröstend in die nachtschwarzen Strähnen. Kouji schluchzte gequält. ~@~ Katsumi klappte entschlossen seinen Laptop zu und streckte sich stöhnend. Er tippte rasch die letzten Daten für Koujis heutiges Promotion-Date in sein Handy und jagte die Nachricht hinüber. Begleitet von einem kleinen, interaktiven Katsumi-chibi, der "ganbatte!" quietschte und ein Fähnchen schwenkte. Dank i-mode und einem fleißigen Programmierer konnte er nun auch virtuell Kouji zur Arbeit antreiben. "Eine Peitsche hätte mir besser gefallen", grinste er anzüglich und schlüpfte in seine Jacke. ~@~ Tatsuomi blinzelte heftig, in seinen Ohren rauschte es. Vage registrierte ein Nerv in seinem Unterbewusstsein, dass sein Mund offen stand und langsam eintrocknete. "Tatsuomi, nehme ich an", lächelte die Erscheinung, in einem seltsamen Singsang sprechend. "Ärks...." Weiter kam Tatsuomi nicht, dann versagten Stimmbänder und Gehirn gleichermaßen. "Du hast dir wohl das Genick verknackst", resümierte Balu Tatsuomis Reaktionen und legte vorsichtig eine warme Hand in seinen Nacken. "Girls, lasst dem Wunderknaben hier mal ein bisschen Raum, damit ich ihn wieder herrichten kann." Ohne Protest wurde seiner Aufforderung Folge geleistet und Tatsuomi, dessen Genick niemals geschmeidiger gewesen war, saugte sich eng in die mitfühlende Handfläche. Balu streckte die freie Hand aus, um Tatsuomi auf seine Füße zu helfen, ließ seine strahlenden Augen keinen Wimpernschlag unbeobachtet. Als dieser stand, befanden sich ihre Augen auf gleicher Höhe, Balus Hand nicht freigebend. "Besser? Na, dann gehen wir doch mal zu den anderen." Ohne seine Antwort abzuwarten führte Balu Tatsuomi zur Bank hinüber. Tatsuomi folgte stumm, zu erschüttert, um etwas anderes zu sein als Herz und Augen. ~@~ Kouji strich ein letztes Mal über den Versace-Anzug, in extravagantem Pflaumenblau aus Microfasern hergestellt. Schob dann die elegante Sonnenbrille mit den dunkelblau getönten Gläsern in seine Haare. Er fixierte seinen Zwilling im Spiegel, brachte sich mental in Stimmung für den Abend. Promotiontour für die aktuelle Single, das bedeutete drei Fernsehauftritte in verschiedenen Shows, davon nur eine Aufzeichnung. Und danach noch ein paar saftige Leckerbissen für die Medienmeute, als Gast mit Begleitung in einem Nachtclub. Wie hieß die Kleine noch?! Irgendein Idol, dünnes Stimmchen, aber dank moderner kosmetischer Chirurgie von fast elfenhafter Schönheit. Und dann noch ein Modell, überdimensionierte Brüste und ein magersüchtiger Leib, der von mehr als nur 16 Lebensjahren kündete. »Hana.« Richtig, Hana-chan hieß das Idol, das Modell war...., er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Anweisungen, die ihm Takasaka gegeben hatte. »Midori, richtig.« Er schlug die abgründigen Augen wieder auf und bemerkte eine seltsame Müdigkeit in ihren Tiefen. Wann hatte er aufgehört, sich für seine weiblichen Begleiterinnen zu interessieren? Er unterdrückte ein krächzendes Kichern, einen Hauch Bitterkeit in der Stimme. Das war also das berühmt-berüchtigte Sexmonster Kouji Nanjou, gefürchtet wegen seiner Exzesse und ausschweifenden Orgien, eine Ausgeburt des Satans?! Eine geflickte Puppe mit unwirklich schönen Gesichtszügen, mit Augen, die so alt wie die Welt schienen. In denen eine düstere Vorahnung flackerte, die Kouji selbst krampfhaft aus seinen Gedanken zu bannen suchte. Irgendwo lauerte das Verhängnis, so nahe, dass er dessen stinkenden Atem in seinem Genick spüren konnte. Aber wenn er sich mit Herzrasen herumdrehte, fand er es nicht, die Schemen zerstoben in der Finsternis. "Niemals aufgeben und keine Reue!", kommandierte er sich scharf. Dann verließ er das Schlafzimmer. ~@~ Yuugo zog entschlossen das Gitter hinter sich ins Schloss, zwinkerte Hotsuma zu, der reserviert neben ihm wartete und stoisch das Quengeln der übermüdeten Kinder ignorierte. "Hey, ihr Räuber, ich muss nun wirklich gehen! Aber ich komme wieder, ja?" Vereinzeltes Heulen. Yuugo kniff bedrohlich die Augen zusammen, zog eine gewittrige Miene. "Ihr habt das Ehrenwort des Räuberhauptmanns! Will das hier einer in Frage stellen?!" Hastig wurden Nasen hochgezogen, mit sandigen Ärmeln Augen gewischt und dann eilig die Köpfe geschüttelt. Yuugo unterdrückte ein Grinsen und polterte weiter. "Ich kann euch nicht hören, Räuber!" "Neeiiieenn", scholl es nun ohrenbetäubend zurück. Mit einer steifen Verbeugung und dem Ziehen eines imaginären Dreispitzes erwies Yuugo seiner kindlichen Gefolgschaft seine Referenz, dann stieß er Hotsuma sanft in die Seite. "Na, genug für heute?" Hotsuma brachte ein schwaches Lächeln auf sein maskenhaftes Gesicht, dann wandte er den Kopf nach Tatsuomi um. Der hielt noch immer die Gitterstäbe mit beiden Händen umschlungen, hing wie ein Ertrinkender stumm an Balus Blicken. Balus Lippen zauberten ein exotisches Lächeln, als die spitzen Zähne hervorblitzten. "Na gut, dann werden wir in zwei Tagen mal herausfinden, wie gut du wirklich bist, Märchenprinz", neckte er mit ruhiger Stimme Tatsuomi. Der zwinkerte nicht einmal. Nur seine hastigen Atemzüge verrieten, dass er nicht in Ehrfurcht erstarrt war. "Du kannst das Tor jetzt loslassen, Sunnyboy." Tatsuomi reagierte nicht. Yuugo hatte Mühe, ein überdrehtes Kichern zu unterdrücken, als er Tatsuomi behutsam am Ellenbogen fasste und dessen Aufmerksamkeit auf sich zog. "Komm schon, Casanova, die Kinder brauchen ihren Schlaf, und Balu wird sich nicht in Luft auflösen, wenn du jetzt nach Hause gehst." "Ist das ein Versprechen?!", blubberte Tatsuomi haltlos hervor, bevor er seine eigenen Worte begriff und dunkelrot anlief, was seiner Attraktivität keinen Abbruch tat. "Gute Nacht", wünschte Balu und verschwand mit seinen Schützlingen im Haus, die Tür betont hinter sich schließend. Tatsuomi seufzte verzückt und geschlagen zugleich, dann endlich ließ er sich weiter lotsen. Yuugo hakte sich gemütlich bei ihm unter, fasziniert von diesem Schauspiel einer Liebe auf den ersten Blick. "Meine Güte, Tatsu-chan, dich hat's ja voll erwischt!" Mit einem boshaften Grinsen fügte er dann hinzu, "und er hat dir nicht mal ein Armband geschenkt." Tatsuomi streckte ihm die Zunge raus, lächelte dann aber versonnen vor sich hin. "Ja... ich glaube... mich hat es wirklich erwischt", bekannte er leise, mit seltsam erwachsener Stimme. Hotsuma, der einen Schritt hinter ihnen ging, verspürte einen Stich in seinem Herz. Er fixierte seinen Blick auf das Pflaster und schwieg. ~@~ Takuto unterdrückte ein Gähnen und blies lange Ponysträhnen aus seinen Augen. Tatsuomi lag auf zwei Kissen auf dem Boden und zeichnete mit Eifer an einem Manga herum, die Hände vom Kohlenstaub des Bleistifts verschmiert und Flecke bunter Wachskreide im Gesicht. Ohne sich umsehen zu müssen wusste Takuto, dass Hotsuma im Hintergrund schweigend lernte, ohne Pause, ohne überflüssige Bewegungen. "Was denkst du, hm?!" Takuto lächelte geduldig, als Tatsuomi ihm zum wiederholten Male eine Seite hinstreckte, die Augen erwartungsvoll leuchtend, die honigblonden, glatten Strähnen hinter die Ohren gesteckt. Gehorsam folgte er den skizzierten Figuren auf ihrem irrwitzigen Durchlauf eines albtraumhaften Schultages. Tatsuomi hatte durchaus zeichnerisches Talent, auch die Dialoge kündeten von dem Nanjou-typischen Humor. Ein schmerzhafter Stich ließ sein Herz einen Schlag verfehlen. Kouji hätte so sein können, so übersprudelnd, voller Esprit und mitreißenden Emotionen. Manchmal war es beängstigend, Tatsuomi in seiner sonnigen Unschuld zu sehen und zu wissen, dass sich diese nicht bewahren würde. Ob es eine Möglichkeit gab, ihm solche Härten, wie Kouji sie erlitten hatte, zu ersparen? Takuto schenkte Tatsuomi ein aufmunterndes Lächeln und verstrubbelte sanft den hellen Haarschopf, der mit dem Kinn erwartungsvoll auf seinen Knien ruhte. "Schön." Tatsuomi grinste breit und ließ sich wieder auf den Boden sinken, eine neue Seite in Angriff nehmend. Takuto schloss die Augen und ballte unbeobachtet die Fäuste. »Ich habe nicht einmal meinen Bruder beschützen können.« ~@~ "Und heute Abend unser Stargast, den Sie alle kennen und die Damen lieben: Kouji Nanjou!!" Kouji lächelte professionell, reichte gehorsam die Hand, wie es sich für einen internationalen Star gehörte und versank in dem tiefen Ledersessel, entworfen in Verachtung jeglichen Sitzkomforts. Sein Gehirn schaltete auf Automatik, die immer gleichen Fragen mit Routine beantwortend. »Ich wünschte...« ~@~ Auch wenn er erschöpft war von dem harten Training kurz vor der Reise nach Europa im Rahmen der Weltmeisterschaften und Koujis nicht minder aufreibenden Ansprüchen, so gestattete es sich Takuto nicht, einen Auftritt von Kouji im Fernsehen zu versäumen. Schließlich konnte man nie wissen, was sich dieser Kerl wieder ausdachte, wie er in der Vergangenheit nur zu oft bewiesen hatte. Kouji wirkte auch im Fernsehen mysteriös und unnahbar, wie ein Wesen, das mehr als menschlich war. Ein Engel? Ein Dämon? Takuto ließ sich von Koujis dunkler, lasziver Stimme einhüllen wie in eine wolkenweiche Decke aus mitternächtlichem Sternenhimmel. »So, wie wir dich kennen, kennt dich sonst niemand. Und nur ich allein kann die Tiefe, den Wahnsinn deiner Liebe zu mir ermessen. Manchmal raubt mir diese Last allen Atem, allen Lebenswillen.« ~@~ Kouji betrat die Herrentoilette des Nachtclubs, ignorierte die starrenden Männer, zum Teil Halbwelt, zum Teil biedere Familienväter auf der Flucht vor der eigenen Bedeutungslosigkeit. In der Kabine schluckte er eine der Kapseln, die eine starke Mischung an Koffein und Zucker enthielten. »Noch etwa zwei Stunden«, schätzte er, »muss ich diese Einöde ertragen. Diese plappernde und mit kieksender Stimme nervtötende Hana und die lebende Leiche Midori.« Er trat aus der Kabine an ein Waschbecken heran, befeuchtete sein Gesicht und strich sich die tintenschwarzen Haare zurück. »Ich lasse sie wieder wachsen«, beschloss er stillschweigend. Um sich dann ein diabolisches Lächeln zu gönnen. »Willkommen in der Hölle, Kouji.« ~@~ Benebelt von Alkohol und der abklingenden Wirkung der Aufputschmittel schwankte Kouji langsam über den Korridor in das Schlafzimmer. Die Tür war einen Spaltbreit offen, Takutos stummes Signal, dass er nicht absolut alleine sein wollte. Kouji lehnte sich im Zwielicht an den Türpfosten und versuchte, im Halbdunkel einzelne Umrisse zuzuordnen. "Kouji?" Takuto setzte sich im Bett auf. Sein Unterbewusstsein hatte eine andere Person in seiner Nähe registriert. "Hmmm." Takuto unterdrückte einen genervten Seufzer, strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht. »Er ist mal wieder angetrunken und hat irgendwas genommen.« Sich aus der Decke schälend erhob er sich und hielt vorsichtig auf die Tür zu. Kouji streckte die Hand nach ihm aus, das metallische Funkeln im fahlen Licht leitete Takuto zu ihm. Koujis Atem wehte in sein Gesicht, alkoholschwanger und säuerlich. Stumm hob er die freie Hand und strich sanft über Koujis Gesicht, das klamm von einer kalten Schweißschicht glänzte. "Komm." Mit sanfter Gewalt zog er Kouji hinter sich her ins Badezimmer, resigniert Verwünschungen und Vorwürfe herunterschluckend. Er lehnte Kouji gegen die Duschwand, schaltete dann eine der diskreten Beleuchtungskörper an, die dem Raum ein warmes, an Kerzenschein erinnerndes Licht schenkten. Koujis körperliche Schwäche ließ ihn nur verführerischer und dämonischer wirken. Die schwachen Schatten unter den glühenden Augen, seine attraktive Blässe. Aber Takuto konnte die Fassade leicht durchschauen. Mit betonter Gleichgültigkeit streifte er Kouji den Anzug vom Leib, feuchtete dann einen Waschlappen an und begann, seinen großgewachsenen Geliebten sanft abzureiben. Kouji ließ sich regungslos lenken wie eine Marionette, die Augen erschöpft geschlossen. Takuto füllte ein Glas mit Wasser und einer Mundspülung, drückte dieses auffordernd an die weich geschwungenen Lippen. Automatisch gurgelte Kouji, spuckte das getrübte Wasser in den Ausguss und stöhnte kaum hörbar. Takuto nahm seine Hand, verflocht ihre Finger miteinander, während er dem Schlafzimmer entgegen zockelte. Es hatte lange gedauert, bis er akzeptiert hatte, dass es nichts bewirkte, Kouji Vorhaltungen zu machen, besonders nicht zu dieser Uhrzeit. Er half Kouji unter die Decke, schloss dann die Zimmertür und legte sich neben ihn, die schlanke Gestalt mit seinem Körper wärmend. "Izumi", wimmerte Kouji leise, verloren in der sie umschließenden Dunkelheit. Takuto glitt über ihn, bedeckte das vertraute Gesicht mit warmen Küssen, während seine Finger geschickt die Prothese zu lösen begannen. Behutsam entfernte er den mechanischen Arm vom Stumpf, liebkoste die wund gescheuerte Haut, durchstreifte die glatten, seidenweichen Haare. Kouji stöhnte verlangend unter ihm, seine verbliebene Hand irrte über Takutos nackten Rücken. Takuto konzentrierte sich auf die kühlen Lippen, verschaffte sich Zugang in die warme Höhle dahinter, kostete mit der Zunge den chemischen Geschmack der Mundspülung. Reizte Gaumenpartien, die Schauer durch den Körper unter ihm jagten, intensivierte seine Anstrengungen. Das Beben entlud sich in erschöpften Aufschluchzen, müde Tränen tauchten Takutos Lippen in Salz. "Es ist gut", hauchte er beruhigend in ein Ohr, schob sich dann sanft von Kouji, lediglich den Kopf auf die breite Brust bettend, das vertraute Gewicht von Koujis Arm auf seinen Schultern. "Ich liebe dich", wisperte Kouji erstickt in Takutos Richtung, dann übermannte ihn der Schlaf. Takuto biss sich auf die Lippe, während er auf die stetigen Atemzüge lauschte, sich von den tiefen Herzschlägen in einen unruhigen Schlummer wiegen ließ. ~@~ Yuugo nahm die Tasche von der Schulter und strich sich die fransigen Strähnen aus den Augen. Er kramte den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die Haustür auf. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte und sein Herz raste. »Verdammt«, dachte er halb belustigt, halb panisch, »das ist mein Elternhaus, und nun fühle ich mich, als wäre es die letzte Station zum Schafott!!« Er streifte die Schuhe ab, schlüpfte aus der leichten Jacke, hängte sie samt Tasche an den Haken. "Yuugo-chan!" Seine Mutter, eigentlich seine Adoptivmutter, huschte lautlos zu ihm hin, hektisch gerötete Wangen verliehen ihrem fahlen Gesicht Farbe. "Nur keine Eile, ich bin gerade erst gekommen", suchte Yuugo sie zu beruhigen, diese unterschwelligen Selbstvorwürfe, die sie sich immer zu machen schien, zurückweisend. Ein Anflug von Schuldgefühl trübte sein Herz. Sie war einsam und unglücklich, das wusste er. Aber konnte er ihr helfen, indem er blieb? Ihre Augen suchten ängstlich in seinem Gesicht, nervös huschten die Pupillen hin und her. »Sie ahnt, was ich tun will, und sie fürchtet sich.« Yuugo lächelte und umarmte die verhärmte Gestalt sanft. Er hatte keine Worte, die ihr den Schmerz nehmen würden oder die Verlassenheit. Aber, und das spürte er schon seit einiger Zeit, es war ihm nicht möglich, sie zu retten. "Ist Vater schon da?" Forsch, mehr, um sich selbst Mut zuzusprechen, löste er sich aus der Umarmung und marschierte auf das Wohnzimmer zu. ~@~ Katsumi starrte wie hypnotisiert auf den Minutenzeiger der Uhr. Mit gewaltiger Anstrengung unterdrückte er den Drang, sie von der Wand zu reißen und zu schütteln. Unmöglich, dass die Zeit tatsächlich so elendiglich langsam verstrich!! "Entschuldigung...?!" Katsumi blinzelte und schreckte hoch. Takasaka wies mit rotem Gesicht auf das Manuskript, das Katsumi gerade mit beiden Händen zerquetschte. "Oh!! Entschuldigung, Taka-chan!!" Katsumi spürte, wie sich eine unangenehme Röte über seine Wangenknochen legte und sein Gesicht Feuer fing. "Vielleicht sollten wir die Besprechung auf morgen verschieben?", soufflierte Takasaka hilfsbereit eine Empfehlung. Katsumi nickte hastig, beschämt und verwirrt darüber, dass er sich noch immer wie ein pubertierender Schuljunge benahm, wenn es sich auch nur im Entferntesten um Yuugo handelte. Glücklicherweise nahm Takasaka keinen Anstoß an solch unprofessionellem Verhalten und setzte seine Diskretion über eventuelle Neugier. "Ich werde mich morgen damit beschäftigen, erste Priorität!", versprach Katsumi überschwänglich, seinen Fauxpas wieder auszubügeln. Takasaka nickte verständnisvoll und wünschte eine gute Nacht. Aber Katsumi würde diese erst haben, wenn der erlösende Anruf ihn erreichte. ~@~ Yuugo ließ sich seinem Vater gegenüber auf der Polstergarnitur nieder, versengte mit seinen Blicken die zwischen ihnen aufgespannte Zeitung. Seine Mutter huschte unruhig um sie herum, servierte Tee und Knabbereien, keinen Augenblick in Stille verharrend. Endlich war Yuugos ausdauerndes Starren von Erfolg gekrönt. Sein Vater senkte die Zeitung, faltete sie mit genau abgemessener Präzision. "Man sieht dich in letzter Zeit sehr selten, Yuugo." Neutral in den Worten sprang der Vorwurf doch mit der Deutlichkeit einer brennenden Fackel in den Raum. Yuugo spürte kalten Schweiß auf seinen Handflächen, bemühte sich um einen ruhigen Ton, ignorierte seinen rasenden Puls. "Ja, Vater, das stimmt." Er richtete sich auf und sah dem Mann, den er als seinen Vater betrachtete, direkt in die Augen. "Ich habe euch beiden etwas Wichtiges mitzuteilen." Mit einem erstickten Ächzen plumpste seine Mutter schwer auf die Polster, die Hand vor den Mund gepresst. Yuugo atmete tief durch, verschloss sein Herz vor ihren Reaktionen. "Ich werde zu meinen Freund Katsumi ziehen." Stille. Yuugo blinzelte unwillkürlich, hielt den Atem an. Endlich regte sich sein Vater, die Augenbrauen zusammengezogen, aber um Gelassenheit bemüht. "Das ist dieser Shibuya, der den Rockstar managt oder nicht? Mit dem dein Bruder zusammenlebt?" Yuugo nickte und entließ zischend die eingehaltene Luft. "Ist näher an der Schule", wisperte seine Mutter nervös. Yuugo hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, fühlte die fiebrige Hitze seine Wangen röten. "Das ist nicht alles." Der Blick seines Vaters wurde eisig, verschloss sich. »Solange ich schweige, müssen sie es sich nicht eingestehen, können es übergehen. Aber ich kann nicht länger diesem Halbwahrheiten-Gespinst Nahrung geben.« "Ich liebe Katsumi und will deswegen bei ihm bleiben. Wir sind ein Paar." ~@~ Schweigen kann einvernehmlich sein, entstehend aus Vertrauen und Gemeinsamkeit. Stille kann wärmen mit einer Intimität, die nur Berührungen vorbehalten bleibt. Jedoch wartet auf die Stille ihr Vexierbild, eisig, unüberwindlich, zerbrechend. In dem Wohnzimmer zersprangen Abertausende Spiegelscherben in arktische Kaleidoskope der Entfremdung. ~@~ "Das kommt nicht in Frage!!" Yuugos Vater schlug mit der Faust auf den niedrigen Couchtisch, verlieh seinen kategorischen Worten Nachdruck. In den Augen brannte ein Feuer, das sich aus Enttäuschung und Angst nährte. "Wir wissen, dass dein Bruder einen psychischen Schaden hat und deshalb abartig ist, aber du bist bei uns aufgewachsen und kerngesund! Wie kannst du nur auf eine solche Perversität verfallen?! Hat dich dieser Shibuya angestiftet?!" Yuugo ballte die Fäuste, ermahnte sich zur Besonnenheit, erinnerte sich an den Schock dieser Enthüllung. "Vater, Katsumi.." "Ich will diesen Namen hier nicht hören!!" Nun hielt es seinen Vater nicht mehr auf dem Polster. "Eins sage ich dir, du wirst diesen verfluchten Lüstling mit seinem schmierigen Metier nicht mehr wiedersehen. Hat er nicht schon genug Unglück über uns gebracht?!" Yuugo erhob sich langsam, die Last eines Hundertjährigen auf seinen Schultern spürend. Kein Herzschlag mehr in seiner Brust, kein Licht mehr in seinen Gedanken. "Vater, ich liebe Katsumi. Zwing mich nicht, eine Wahl zu treffen." War das seine Stimme, so erschöpft, so rau und leise? "Yuugo, bitte!" Seine Mutter warf sich um seinen Hals, versuchte, das stumme Duell der Männer zu durchbrechen, aber blieb erfolglos. "Wahl? Du sprichst von einer Wahl?!" Sein Vater beugte sich vor, schwellende Adern an den Schläfen mit dem zurückweichenden Haaransatz. "Wenn du diese abnormale Gesinnung als gleichwertig mit deiner Familie ansiehst, dann will ich dich hier nicht mehr sehen." Lautes Aufschluchzen an Yuugos Hals, aber er spürte es nicht mehr. Sein Körper zersplitterte in unzählige Fragmente. Langsam löste er die verkrampften Arme um seinen Nacken, wandte sich zur Tür. "Wenn du gehst, dann betrittst du dieses Haus nie wieder! Und glaub nur nicht, dass du mehr mitnehmen kannst, als du eingebracht hast!" Yuugo ging langsam zur Tür. Einen Schritt nach dem anderen. Schlüpfte in Trance in seine Schuhe. Nahm die Jacke vom Haken, schulterte seine Schultasche. "Hör auf zu heulen! Pffhh, dieser perverse Wahnsinn ist wohl doch erblich in der Familie." Yuugo schloss leise die Haustür hinter sich. ~@~ Katsumi wippte ungeduldig auf die Zehenspitzen und wieder zurück. »Wo er nur bleibt? Wieso ruft er nicht an?« Sie hatten sich seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, nur noch telefoniert. »Was werden sie sagen?« Er hatte Angst. ~@~ Yuugos Körper folgte der Routine, fand selbsttätig seinen Weg, bremste erst vor dem verschlossenen Rollgatter des Schultors. Langsam erwachte er aus seiner Starre. »So muss sich ein atomarer Winter anfühlen«, schoss es durch seinen vor Schmerz pochenden Kopf. »Ist es wahr? Perverser Wahnsinn. Perverser Wahnsinn. Mörderkind. Mörderkind.« Die Echos neuer und vergangener Schmähungen schwollen zu einer Kakophonie an schrillen Schreien in seinen vereinsamten Gedanken. Ferngesteuert schleppte er sich weiter, gefangen in einer finsteren, ewigen Nacht der Qual. ~@~ »Zwei Stunden!!« Katsumi lauerte mit zum Zerreißen gespannten Nerven auf den erlösenden Anruf, doch sein ungutes Gefühl schwappte wie eine bittere Welle hoch. "Es reicht jetzt!" Mit bebenden Fingern tippte er die Nummer. "Hallo?" Eine barsche Stimme voll unterdrücktem Zorn. "Katsumi Shibuya, guten.." Die Verbindung war unterbrochen. Katsumi schluckte schwer. Eine seltsame Taubheit belegte seine Ohren, löste ein Schwindelgefühl aus. Wo konnte Yuugo sein?! ~@~ Kapitel 3 - Abschiede Tatsuomi wippte unruhig an der Absperrung auf und nieder, funkelte ständig auf die teure Uhr an seinem Handgelenk. »Er wird kommen! Er hat es versprochen. Und wenn nicht... Ich weiß, wo er wohnt...« Zum wiederholten Mal strich er sich die honigblonden Strähnen aus den Augen, erwog, sich ein Band um die Stirn zu winden. Ein Surren zerriss die Endlosschleife aus Erwartung und Angst, die in seinem Kopf ablief. Balu rollte ihm entgegen, in eine abgeschnittene Jeans und ein übergroßes T-Shirt gewandet, das sich im Fahrtwind blähte und einen Eindruck von seinem muskulösen Körper vermittelte. Hastig stieß sich Tatsuomi von dem Stahlrohr ab und setzte ein unsicheres Lächeln auf, bemerkte dann entsetzt, dass er keine Vorstellung hatte, wie er Balu ansprechen sollte. Oder wovon er überhaupt sprechen sollte. »Er wird mich für den letzten Idioten halten«, wellte Panik in ihm auf, als Balu gekonnt vor ihm bremste und eine behandschuhte Hand auf seine Schulter legte. "Na, Märchenprinz, bereit, deine Kräfte zu messen?" Tatsuomi brachte einen erstickten Kiekser hervor, nickte dann hastig. "Gut." Balu angelte eine windschnittig geformte, verspiegelte Sonnenbrille aus seinem Hosenbund, zurrte die halbfingrigen Handschuhe fest und knotete die überlangen Enden seines T-Shirts zusammen. Auf seinen auffordernden Blick hin beeilte sich Tatsuomi, seine eigene Sonnenbrille auf die Nase zu schieben und sein Hemd in die Hose zu stopfen. "Fertig?" Er nickte befangen, spürte, wie seine Augenbrauen zuckten. Balu schlug mit der geballten rechten Faust kurz gegen seine, dann zwinkerte er gelassen. "GO!" Und fegte wie eine Maschine davon, geschmeidig, elegant und pfeilschnell. Tatsuomis Herz überschlug sich in Kapriolen, während er die Verfolgung aufnahm. ~@~ Hotsuma nahm nach dem zweiten Läuten den Hörer ab, sammelte sich kurz. "Ja, bitte?" "Nein, er ist heute nicht hier gewesen." "Er ist auf einer taktischen Besprechung, es wird sicher bis Mitternacht dauern." "Kann... kann ich helfen?" "Natürlich werde ich das." "Gute Nacht, Shibuya-san." Hotsuma platzierte den Hörer wieder sorgfältig, kehrte dann in ihr Zimmer zurück, wo er im Dunkeln ins Leere starrte. In der Stille lauschte er auf seinen Herzschlag, wie das Trommelfeuer eines Countdowns. ~@~ Katsumi eilte mit schmerzhaftem Seitenstechen in den Park, wich mit einem verzerrten Grinsen den spärlichen Passanten aus. Er hatte nur die Hoffnung, dass Yuugo sich tatsächlich auch hier befand, sonst musste er sich sein Scheitern eingestehen. In fahlen Schein einer von Blättern halb verdeckten Lampe erblickte er 'ihre' Bank. Eine Gestalt kauerte zusammengesunken auf dem hellen Kunststoff, die Unterarme schwer auf die Oberschenkel gestützt, den Kopf herunterhängend. Katsumi verlangsamte seinen Lauf, zögerte plötzlich befangen. Es musste schiefgegangen sein. »Wie... wie soll ich ihn trösten?« Katsumi blieb stehen. »Wenn... wenn er mich gewählt hat...« Die Last dieser Verantwortung schnürte ihm für einen Moment die Luft ab. Er ballte die Fäuste, biss die Zähne aufeinander. »Ich wollte niemals Familien zerstören!! Niemals Eltern und Kinder entzweien!!« Eine Welle ungekannten, entfesselten Zorns über die Ungerechtigkeiten eines grausamen Schicksals brodelte ihn ihm hoch, zwang ihn, auch die letzten Schritte zu tun. ~@~ Yuugo schreckte langsam aus seiner Trance hoch, als eine merkwürdige Hitzewelle seinen Körper erschütterte. Sein Blick glitt an silbergrauen Hosenbeinen mit Bügelfalte hoch, wanderte über eine magentafarbene Jacke und geballte Fäuste, zu einem schönen Gesicht mit den zauberhaftesten Augen, die er je erblickt hatte. Nun in einem unheiligen Feuer brennend. Er öffnete den Mund, wollte diesem Racheengel seine Aufwartung machen, in seinem verwaistem Geist nach Worten suchen. Als sich aus den köstlichen Augen wasserklare Tränen lösten, die sommersprossigen Wangen überwanden und sich entlang der Kieferknochen auf die überformatige Kapuze stürzten. "Yuugo...", würgte der Engel mit dem schneeweißem Haar, zerbiss sich die Lippen. Yuugo blinzelte, als sein Gehirn mit Verspätung registrierte, dass er gemeint war, die Tränen ihm galten. Unsicher sprang er auf die Füße, sah nun in das bebende Gesicht hinunter. Seine Hände entwickelten ein Eigenleben, ergriffen die Initiative und strichen hauchzart über die Porzellanhaut, nahmen die Feuchtigkeit auf. "...Engel...", wisperte er guttural, als wollten sich die Silben nicht seinem verlorenen Willen unterordnen. Dann endlich hob sich der bleischwere Nebel über seinem Kopf, ermöglichte ihm die Rückkehr zu seinen Empfindungen, sprengte den Eispanzer aus Entsetzen. Mit einem gequältem Schrei riss Yuugo Katsumi in seine Arme und vergrub das Gesicht in seiner Halsbeuge, verkroch sich förmlich zitternd in der fragilen Gestalt, die seine Tränen vergoss. ~@~ Kouji malte auf dem Notenblatt, radierte dann wieder. Rubbelte heftiger. Verstärkte mit verzerrter Grimasse seine Anstrengungen, bis das Papier unter seiner Gewalt zerriss. Mit einem lästerlichen Fluch zerfetzte er die traurigen Reste und fegte mit Schwung den Stapel an Blättern vom Mischpult. Noch immer erregt erhob er sich und begann, frustriert in seinem Studio auf und ab zu gehen, von einer Wand wieder zurück zur anderen wie ein Raubtier in einem Käfig. »Tot, verdammt und verflucht nochmal tot!!« Als er die zehnte Runde absolviert hatte, blieb sein Blick an den Tasten eines Synthesizers hängen. Müßig spielten seine schlanken Finger eine filigrane Melodie. Über sein Gesicht zog ein sanftes, verträumtes Leuchten, als er sich an die Bedeutung dieses Liedes erinnerte. "Bittersüße Melodie", flüsterte er leise. Dann wandte er sich zur Tür, löschte das Licht und strebte entschlossen hinaus zu seinem Fuhrpark. Er würde den Ferrari nehmen, denn dort wartete das Lied auf einer CD auf ihn. Als er die Tiefgarage verließ, harrte er einen Moment an der Ausfahrt aus und suchte den nächtlichen Himmel ab. Wolkenlos, auch wenn über Tokio die Sterne unter den Lichtern nicht mehr zu erkennen waren. Aber den Mond konnte er ausmachen. Er gab Gas und summte leise zur Mondschein-Sonate. ~@~ Tatsuomi keuchte, seine Muskeln protestierten bereits, aber sein Wille ließ keine Schwäche zu. Balu lief noch immer wie ein Hochleistungsuhrwerk vor ihm, wie eine lodernde Lanze aus arktischem Eis, blitzschnell Hindernisse überwindend. Und es schien ihm, als würde in dem Maß, in dem Balu durch die kühle Nacht schoss, sich seine Kraft noch potenzieren. Er biss sich auf die Lippen und fletschte die Zähne. Balu war ihm alles wert, was er ihm abverlangte, dessen war er sich sicher. ~@~ Yuugo umklammerte Katsumis Hand, die Finger unlöslich ineinander verflochten. Er starrte noch immer auf seine Hosenbeine, während Katsumi ihn unverwandt ansah, auf die ersten Worte wartete. Es zerriss ihn förmlich, geduldig sein zu müssen, nicht dem Drang nachzugeben, Yuugo heftig an den Schultern zu rütteln. Hatte er das Unglück befürchtet? Nicht einmal einen Gedanken hatte er sich gestattet, nicht ausgesprochen, welche Ängste ihn bewegten, seine Zweifel in Worte gegossen. Und nun würde er das wohl kaum mehr können, wollte er nicht Yuugo vollkommen verschrecken. Katsumi seufzte tief und ließ die Schultern herabsacken. ~@~ Hotsuma blätterte in den wenigen Schriftstücken, die er in einer wasserfesten Pappschachtel verwahrte. Sein ganzes Leben passte in diese armselige, winzige Schachtel. Dürre Blätter mit unbedeutendem Inhalt. Sie erzählten keine Geschichte, nicht einmal ein Mosaik ließ sich aus den Fragmenten zusammensetzen. Hotsuma gestattete sich eine einzige Träne, die wie ein Fremdkörper seine Wange hinabfloh. ~@~ Kouji parkte seinen auffälligen Wagen auf der höchsten Ebene des Parkhauses beim Fußballstadion. Er warf den Kopf in den Nacken und suchte nach Sternen. Dann schob er sich in jahrelanger Gewohnheit eine Sonnenbrille vor die Augen und begab sich auf den Weg zu den Verwaltungsgebäuden. Vorfreude spielte um seine Mundwinkel. Die Schattenspiele in seinem Rücken beachtete er nicht. ~@~ Die Jagd war atemraubend und halsbrecherisch, die Abfahrt torpedierte sie auf ein nahezu waghalsiges Tempo. Tatsuomi knirschte vor Anspannung mit den Zähnen, verbannte den Gedanken an seine vor Erschöpfung zitternden Knie, suchte hektisch seine Flugbahn ab nach Hindernissen. Balu glitt wie ein Schemen vor ihm geschmeidig um Mülltonnen und leere Schachteln herum, beschleunigte sogar noch mit gezielten Stößen in den Asphalt, kam nicht ein einziges Mal aus dem Rhythmus. Katsumi schrumpfte stärker in sich zusammen, um den Luftwiderstand zu verringern, wagte aber nicht, Balus Tempo zu gehen, weil eine stetige Gänsehaut die Haare in seinem Nacken aufgerichtet hielt. Plötzlich schoss ein kleiner Schatten über den Weg, direkt vor ihm. Tatsuomi hatte keine Zeit für einen Warnschrei. ~@~ "Sie... sie haben mich rausgeschmissen", brachte Yuugo stockend und gepresst über die Lippen. Sein Blick war noch immer blank auf seine Hosenbeine geheftet, aber Katsumi konnte an dem Zucken in Yuugos Gesicht erkennen, dass nur eine sehr dünne Schicht an Selbstkontrolle ihn vor einem Ausbruch bewahrte. Er hob die freie Hand und streichelte die lange Narbe in Yuugos Gesicht langsam. "Nein, das heißt, mein Vater... ich bin nicht mehr willkommen. Einfach so." Yuugo schluckte heftig, versuchte, ein aufmunterndes Lächeln auf seine Lippen zu zwingen. "Ich kann ihn ja verstehen, er war geschockt. Und er ist auch eine ganz andere Generation, da verdaut man so was nicht so leicht." Katsumi presste die Lippen zu einem Strich zusammen, massierte mit den Fingerspitzen schmetterlingszart Yuugos Schläfe. "Ich bin ihm auch nicht böse, er ist immerhin mein Vater..." Yuugo kämpfte gegen Tränen an. Katsumi beugte sich zu ihm und küsste seine Wange, umfing ihn mit seinem warmen Atem. "Ich... ich..." Yuugo hob den Kopf und traf Katsumis Blick, blinzelte Tränen weg. "Ich bin nur so enttäuscht", brachte er mit gequältem Lächeln hervor, dann sprudelten erneut Tränen aus seinen Augen. Katsumi löste sich von Yuugo, kniete sich auf die Bank und zog Yuugos Kopf an seine Brust, strich mit der Hand kräftig über dessen Rücken. Wiegte ihn beruhigend in seinen Armen und starrte unglücklich in die Nacht. ~@~ "Gute Nacht, Izumi-kun!" Ein kräftiger Schlag auf die Schulter entließ Takuto endlich aus den taktischen Besprechungen. Mit einem hocherfreuten Grinsen angesichts der bevorstehenden Europa-Reise mit Testspielen gegen örtliche Mannschaften hielt er auf den Ausgang zu, die nächstgelegene Bahnstation anstrebend. Aus dem Schatten einer Laterne löste sich eine hochgewachsene Gestalt und verstellte ihm mit auf die Hüfte gestützter Hand den Weg. Takuto blinzelte überrascht, als sein Herz einen Salto schlug angesichts einer sanften Brise, die schulterlange Haare anmutig verwirbelte. "Kouji?!" "Na, Heißsporn, Lust auf eine Spritztour?" Takuto hatte Mühe, sein verärgertes Gesicht aufrechtzuerhalten, als er Koujis vertrauter Gestalt gegenübertrat. "Was treibst du hier?! Solltest du nicht komponieren?! Wenn Katsumi..." Weiter kam er nicht, da Kouji sanft aber bestimmt einen Finger auf seine Lippen legte. "Bitte, mach mir das Vergnügen, mich heute Nacht zu begleiten, Takuto", bat er mit samtiger und dennoch verehrungsvoller Stimme. Takuto zögerte. Er kannte Koujis Stimmungen mittlerweile zu genau, seine seltsam vergötternde Haltung ihm gegenüber, seine oftmals pathetische Schwärmerei. In den tiefgründigen Katzenaugen funkelte etwas Sehnsüchtiges, das Takuto überzeugte, ihm ein ungewohntes Gefühl der Bedeutsamkeit dieser Nacht vermittelte. "Also gut", gab er gespielt harsch und mit genervtem Tonfall nach. Kouji lächelte becircend, wieder zu seinem alten Selbst zurückkehrend und wies den Weg. Wie immer folgte Takuto ihm mit leichtem Abstand. ~@~ Tatsuomi riss die Arme vors Gesicht, als er mit ausgestelltem Fuß seinen Hochgeschwindigkeitsflug abbremste, dann wurde er von den Fliehkräften hochkatapultiert und schleuderte über den Gehweg in einen Berg von Müllsäcken. "Sunny!!" Balu bremste, indem er mit einem Arm eine Laterne angelte, diese eng umrundete, die Muskeln seines Armes zum Zerreißen angespannt und wieder von eigenen Schwung den Abhang hochgetrieben wurde. Ein Fauchen filterte sein Unterbewusstsein als irrelevant heraus, dann raste er mit weit ausholenden Schritten Tatsuomi entgegen. Dieser lag völlig benommen in dem Müllhaufen, lauschte auf den eigenen, sich überschlagenden Herzton, seinen pfeifenden Atem. Langsam erfasste seinen ganzen Körper ein heftiges Zittern, schüttelte ihn durch, ließ seine Zähne aufeinander schlagen. Balu erreichte ihn im selben Augenblick, kniete sich auf die Schützer neben ihn hin und musterte besorgt sein Gesicht. Tatsuomis Blick flackerte leicht, seine Atemzüge rasten noch schneller. Balu kontrollierte rasch seinen Körper. Außer einem sehr hässlichen Riss in der Hose, der sich langsam mit Blut aus einer Schürfwunde tränkte, schien Tatsuomi unversehrt. Aber er hatte unzweifelhaft einen Schock erlitten, als vermutlich eine Katze seinen Weg gekreuzt hatte. "Damn shit", fluchte Balu unter seinem Atem, riss sich die Handschuhe von den Fingern und legte beide Hände Schraubzwingen gleich um Tatsuomis Wangen. "Sunny, sieh mich an. Sieh mir in die Augen." Tatsuomi zitterte noch immer wie Espenlaub, versuchte aber mit dem restlichen Maß an Ratio, Balus Aufforderung nachzukommen. "Du bist okay, Kleiner. Alles ist in Ordnung. Du kannst wieder ruhig werden." Balus Worte in gemessenem Tonfall, ein wenig schleppend, wirkten wie ein Mantra auf Tatsuomis aufgewühlten Geist, boten einen Anker in dem Strudel aus Emotionen, der in seinem Körper brauste. "Alles ist okay." Er nickte wie magnetisiert, zwang ein flatterndes Lächeln auf seine Lippen und wischte sich eilig mit dem Handrücken über die Augen. "Gut. Gut reagiert, Sunny." Balu tätschelte ihm sanft eine Wange, musterte dann die aufgeplatzten Mülltüten. Es war unverschämtes Glück gewesen. Ein Bretter- oder gar Stahlzaun hätte Tatsuomi sicher stärkere Verletzungen zugefügt. Balu lehnte sich leicht zurück, schob mit einer Hand die Sonnenbrille auf den Oberkopf, während die andere in den rückwärtigen Hosentaschen nach einem Taschenmesser kramten. "Zieh die Hose aus." Tatsuomi blinzelte ungläubig, meinte, sich verhört zu haben. "Wie....?" Balu lächelte nachsichtig. "Die Hose ausziehen. Ich schneide sie ab, wo der Riss ist." Tatsuomi wurde sich nun erst bewusst, dass sein linker Oberschenkel brannte, als habe er sich in ein Nest mit Feuerameisen gesetzt. "Oh verdammt", keuchte er, als er den Schaden begutachtete. "Na komm, ich kriege das schon wieder hin." Balu verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Tatsuomi zog sich mühsam in die Höhe, nestelte eine halbe Ewigkeit am Reißverschluss herum, bis endlich die Hose seine Hüften hinabglitt und sich um die Knöchel wickelte. Verlegen zerrte er sein Hemd herunter, aber Balu konzentrierte sich bereits darauf, die Hose über seine Inliner zu ziehen. Er fischte aus einer Hosentasche einen farblosen Lippenpflegestift, schob ihm diesen in die Hände. Begriffsstutzig sah Tatsuomi auf Balus stoppeligen Schädel herunter. "Äh...?" Ohne ihn anzusehen gab Balu Anweisungen, zerrte ein Band von seiner Taille, das als Gürtelersatz gedient hatte und sich nun als farbenprächtiges Tuch entpuppte. "Nimm etwas von der Vaseline und tupf damit die Wundränder ab. Was Besseres habe ich im Augenblick nicht." Tatsuomi folgte Balus Anweisungen im Zwielicht der entfernten Straßenlaterne. Als er schüchtern den Stift zurückreichte, wickelte Balu mit Geschick das Tuch sanft, aber eng um seinen Oberschenkel. Dann schnitt er rasch die Hosenbeine ab, mit einer Übung, die Tatsuomi verriet, dass Balu dies nicht zum ersten Mal tat. "Okay, reinsteigen!" Unbeholfen und zitternden Knien kam Tatsuomi seiner Aufforderung nach, dann schob Balu gelassen die Hose wieder nach oben über seine Hüften. "Ich.. ich mach das schon, danke", unterbrach Tatsuomi ihn hastig, zog den Reißverschluss zu. "Okay, Sunny." Balu kam geschmeidig wieder auf die Beine, schob die Sonnenbrille auf die Nase. "Was meinst du, schaffst du es nach Hause?" Tatsuomi zögerte, er fühlte sich völlig ausgelaugt und seiner selbst nicht mehr sicher. Beschämt wich er Balus Blick aus, nestelte verlegen an seinem Hemd. "Versuchen wir's." Balu ergriff einfach seine Hand, zog ihn in gemächlichem Tempo hinter sich her, nahm die ganze Anstrengung, sie in Bewegung zu halten, auf sich. Tatsuomi umklammerte seine Hand fester und musste sich zwingen, nicht fortwährend auf Balus Muskelspiel, den anmutigen Nacken und sein Profil zu starren. Sein Herz schlug seltsam langsam und ruhig, erfüllt von Stille und Gelassenheit. Er lächelte sanft. ~@~ Kouji jagte das italienische Rennpferd sicher durch die Nacht, in eine verlassene Gegend inmitten von Hügeln. Takuto an seiner Seite hatte versucht, es sich ein wenig bequemer zu machen, allein, ein Sportwagen war nicht die erste Wahl, wenn man schicksalsergeben verschleppt wurde und vorab noch ein wenig Schlaf finden wollte. Kouji warf einen Seitenblick auf seinen Freund und lächelte leicht, als er die fruchtlosen Bemühungen registrierte, sich mit der Trainingsjacke eine Art Kopfstütze zu formen. "Wir sind gleich da", flüsterte er erwartungsvoll. Takuto warf abgelenkt einen Blick nach draußen, orientierte sich. Aber er war noch nie in dieser Gegend gewesen, oder sie sah bei Nacht und Mondschein ganz anders aus. Kouji lenkte den Ferrari über Serpentinen einen Hügel hinauf. Hinter der letzten Kuppe zeichnete sich am sternenklaren Firmament ein Observatorium ab. "Alter Romantiker", spottete Takuto lächelnd. "Haben die denn um die Zeit für Publikum geöffnet?" "Sicher", nickte Kouji und parkte gleich im ersten Versuch den Ferrari auf dem winzigen Stellplatz ein. Sie entstiegen mit unterschiedlicher Grazie ihrem Fahrzeug, dann betraten sie das Observatorium. Entlang einer aufgezeichneten Sternenroute auf dem Fußboden ließen sie sich zu einem Vorführraum leiten, in dem in Endlosschleife ein Lehrfilm über die Sterne zu dieser Jahreszeit über den japanischen Inseln ablief. Auf den einfachen Klappsitzen verfolgten sie stumm die Bilder am künstlichen Himmel, erschauerten unisono unter der simulierten Explosion von Sternen und wurden geblendet bei der Geburt neuer Sonnen. Kouji, der nach wenigen Augenblicken bereits wie ein verliebter Pennäler nach Takutos Hand gegriffen hatte, beugte sich zu ihm hinüber und raunte sehnsüchtig in sein Ohr. "Izumi, lass uns rausgehen." Takuto konnte sich eine boshafte Bemerkung nicht verkneifen. "Und ich dachte, du brennst darauf, in einem dunklen Raum mit mir allein zu sein." Koujis samtiges, wohltönendes Lachen wärmte ihn, als dieser ihn strafend in das Ohrläppchen biss. In stummen Einverständnis verließen sie den Vorführraum, folgten den Spuren auf dem Boden bis zu einer Aussichtsplattform, auch diese verlassen. Offensichtlich befanden sich andere Romantiker in dieser Nacht an anderen lauschigen Plätzen. Takuto steuerte wissbegierig ein Teleskop an und richtete es auf eine dichte Sternenwolke aus. "Schau mal, ein richtiger Haufen!" Kouji stellte sich hinter ihn und legte sein Kinn auf Takutos Schulter, um seine Blickrichtung zu erkennen. "Wusstest du, dass das Licht, das wir in diesem Augenblick sehen, schon Ewigkeiten unterwegs ist?", wisperte er kaum hörbar in Takutos Ohr. Takuto schwieg, verdrängte die Melancholie in Koujis Stimme energisch. "Wahrscheinlich glotzt da auch irgendein Pärchen gerade in ein Fernrohr und fragt sich, was für Spinner auf diesem kleinen Planeten herumrennen!", zerstörte er mutwillig die Stimmung. Kouji lachte leise und legte unbefangen einen Arm um Takutos Taille. "Wollen wir ihnen mal was zu sehen geben?", reizte er Takuto mit einem rolligen Tonfall. Dieser löste sich vom Teleskop und wandte sich Kouji zu. "Wir sind ganz allein hier", raunte dieser verlangend, seine einzige Hand zeichnete bereits die Linien von Takutos Lippen nach. Takuto schloss die Augen und schlang beide Arme fest um Koujis Nacken, ließ sich auf die Zehenspitzen heben und mit steigender Leidenschaft küssen. Und nicht nur am Firmament wirbelten Sterne in ekstatischem Reigen. ~@~ Katsumi zog Yuugo unnachgiebig auf die Beine. "Komm, Yuugo, lass uns nach Hause gehen." Er betonte jede einzelne Silbe, ebenso zu seiner eigenen Versicherung wie auch der des fünf Jahre Jüngeren. Ihr Zuhause. ~@~ Tatsuomi stolperte unbeholfen hinter Balu her, als sie die Pforte des Waisenhauses erreichten. "Wenn du magst, kannst du hier übernachten, Sunny." Balus kritischer Blick fing Tatsuomis zittrige Knie ein, die Schatten der Anstrengung unter den schönen Augen. Tatsuomi lächelte erschöpft, lehnte aber bedauernd ab. "Wenn ich nicht zu Hause bin, werden sie sich Sorge machen, und zum Anrufen ist es schon ein wenig spät. Außerdem muss ich morgen ja wieder in die Schule, und in diesem Aufzug..." Demonstrativ wies er auf die abgetrennten Hosenbeine. Balu bekundete sein Einverständnis, schlüpfte durch das Tor und zog das Gitter hinter sich zu. In einem plötzlichen Aufwallen von Panik langte Tatsuomi zwischen den schmiedeeisernen Streben hindurch und fing Balus Hand ein. Für einen Augenblick schwiegen sie beide, Balus Blick wanderte ruhig über Tatsuomis glühendes Gesicht. "Können wir das noch mal machen?", krächzte er verlegen. Ein warmes, ein wenig kehliges Lachen sprudelte in die Nacht. "Wie viele Hosen willst du denn zerlegen?", missverstand Balu ihn absichtlich. Doch bevor er noch zu einem schmollenden Protest ansetzen konnte, drückte Balu seine Hand. "Du bist mir immer willkommen, Sunny." Mit einem aufmunterndem Zwinkern löste Balu seine Hand und verschwand im Haus. Tatsuomi lehnte sich an die Streben und schloss die Augen. »Mich hat es vollkommen erwischt.« ~@~ Katsumi schloss die Tür auf und schob Yuugo behutsam über die Schwelle. Er verzichtete darauf, Licht zu machen, dirigierte seinen großgewachsenen Freund einfach langsam vor sich her Richtung Schlafzimmer. Wortlos entkleideten sie einander, schlüpften unter die seidig-kühle Decke, wärmten sich gegenseitig. Schwermut tränkte ihre Herzen und verzögerte den Schlaf lange. ~@~ Kouji strahlte noch immer leicht, als er den Ferrari wieder in den Fahrzeugstrom Richtung Heimat lenkte. Er wusste, dass auch auf Takutos oft so mürrisch wirkendem Gesicht ein träumerisches Lächeln lag. Was für eine Befreiung, was für ein Vergnügen es doch war, in einer sternenklaren Nacht einfach nur zu knutschen wie Teenager!! Kouji grinste breit, als eine freche Melodie sich in seinen Gedanken mit der Vorwitzigkeit eines Spatzes niederließ. ~@~ Tatsuomi schlüpfte eilig in den finsteren Hauseingang, kämpfte sich schwerfällig aus den Inlinern und wankte unsicher über den Flur. Nun wurde ihm seine Erschöpfung nur zu deutlich bewusst, hatte er doch erhebliche Schwierigkeiten, seine Motorik auszusteuern. Mit einem unterdrückten Fluch kommentierte er das wiederholte Rammen einer Tür, schlug sich aber sogleich auf den Mund, da er sich zu seinem Entsetzen bereits in ihrem Zimmer befand. »Mann, ich stehe wirklich total neben mir!« Hotsuma setzte sich in seinem Bett auf, musterte im Zwielicht Tatsuomis Gestalt im Türrahmen. "Willkommen zurück." Tatsuomi riss den Kopf hoch. "Oh, entschuldige, Oni-chan, ich wollte dich nicht aufwecken!" Hotsuma blieb stumm. Mit einem leichten Seufzer der Resignation knipste Tatsuomi das Licht an und erwartete Vorwürfe wegen seines verheerenden Aufzugs. "Du bist gestürzt." Er nickte und konzentrierte sich auf seine Socken. "Die Wunde sollte gereinigt werden." Geschmeidig erhob sich Hotsuma aus seinem Bett, gestikulierte sparsam, dass Tatsuomi ihm folgen sollte. Im Badezimmer entledigte er sich geübt Tatsuomis Hose, löste in genau abgemessenen Bewegungen den Knoten, der das bunte Tuch über der Schürfwunde zusammenhielt. "Es ist nicht so schlimm, wie es vielleicht aussieht, tut auch nicht so sehr weh, mir ist eine Katze vor die Füße gesprungen...", plapperte Tatsuomi hastig, mit einem schiefen Grinsen. Hotsuma wischte seine Erklärungen beiseite, reinigte und verband die Wunde erneut. "Du solltest dich feucht abreiben, es duftet etwas unangenehm." Tatsuomi lief dunkelrot an, als ihm die Bedeutung der euphemistischen Umschreibung klar wurde. "Ich bin in einem Haufen Müll notgelandet", erklärte er beschämt und zerrte sich bereits das Hemd über den Kopf. Als Hotsuma Anstalten machte, das Badezimmer zu verlassen, hielt er ihn am Handgelenk fest. "Bitte, Oni-chan, würdest du mir helfen?" Für einen Augenblick verbanden sich ihre Blicke miteinander, ein stummes Duell, dann machte Hotsuma kehrt. Entkleidete Tatsuomi in gewohnter Weise und rieb die helle Haut behutsam aber gründlich mit einem feuchten Lappen ab. Tatsuomi in einen flauschigen Bademantel wickelnd lotste er diesen auch zum Waschbecken hin, shampoonierte die honigblonden Haare fürsorglich und spülte anschließend die Seife aus. Schweigend streifte er Tatsuomi dann einen frischen Pyjama über, sammelte die schmutzige Wäsche ein und beförderte sie kommentarlos in die Waschmaschine. Bei der zerfetzten Hose zögerte er kurz, warf Tatsuomi einen fragenden Blick zu, der mit deutlicher Gestik entschied, diese wäre nicht mehr zu gebrauchen. Gemeinsam kehrten sie in ihr Zimmer zurück, trennten sich vor ihren Betten. Hotsuma löschte das Licht und kroch in sein Bett. "Oni-chan?" "Hm." "Ich glaube, ich habe mich verliebt." "Hm." "Hast du dich schon mal verliebt?" "..." "Oni-chan?" "..." "Hotsuma?" "... nein." "Das kommt sicher noch." "..." "Obwohl es ziemlich beängstigend ist, ist es auch atemberaubend herrlich." "..." "Schlaf gut, Oni-chan." "Gute Nacht, Tatsuomi." ~@~ "Wärst du enttäuscht, wenn...?" Kouji gestikulierte Richtung Studiotür. Takuto unterdrückte ein bezeichnendes Grinsen und schüttelte generös den Kopf. "Nein, nein, ich brauche nun wirklich Schlaf." "Danke", wisperte Kouji und schenkte Takuto einen innigen Kuss auf die Lippen. Dieser schlang die Arme um Koujis breite Schultern und strich sanft durch die tintenschwarzen Strähnen. "Ich will es hören, wenn es fertig ist", verlangte er gespielt streng, kniff Kouji in die Pobacke. "Hey!" Takuto grinste breit und wandte sich der Treppe zu, einen zufrieden schmollenden Kouji zurücklassend, der sich die Kehrseite massierte. ~@~ Katsumi wickelte sich vorsichtig aus der völlig verdrehten Decke und warf einen prüfenden Blick auf Yuugo, der noch schlief. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, die überlangen Haare klebten an seinem warmgebräunten Gesicht, zeugten von einer unruhigen Nacht. Federleicht glitt Katsumis Fingerspitze über die lange Narbe, die sich nun offen vor ihm darbot. »Wie kann ich ihm nur diese Qual zumuten? Wie kann ich nur so selbstsüchtig sein, diesem Jungen seine Zukunft zu erschweren?« Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte Tränen weg. »Madoka, warum kann ich nicht einfach verzichten?!« ~@~ Takuto deckte rasch den Frühstückstisch, ging dabei in Gedanken bereits seine Gepäckliste durch. Nicht, dass er Massen an Bekleidung besaß oder gar mitnehmen wollte, aber er verabscheute den Gedanken, aus Nachlässigkeit etwas zu übersehen. Sein Perfektionismus ließ dies nicht zu. Hotsuma gesellte sich mit einem leisen Gruß zu ihm, nahm Platz und wartete geduldig auf die anderen Mitbewohner, wie immer schweigsam und unbeweglich. "Ich mache euch eine Liste, bevor ich abfliege", verkündete Takuto geschäftig, während er gleichzeitig mit zusammengezogenen Augenbrauen den Lebensmittelbestand prüfte. "Ich nehme mal an, unser verkommener Rockstar wird seinem Ruf treu bleiben und die Küche nur betreten, wenn er die Nummer des Catering-Services verlegt. Also werdet ihr sicher in den Genuss exklusiver Häppchen zu atemraubenden Preisen kommen", scherzte er beiläufig, krakelte Notizen auf einen Block. Tatsuomi stolperte unbeholfen hinein, die honigfarbenen Strähnen zerzaust um sein Gesicht fleddernd. "Morgen", brummte er heiser und visierte mit verklebten Augen die vage Position des Tisches an, um schwerfällig auf einen Hocker zu sacken. Ohne sich umzusehen ermahnte Takuto ruhig, "Tatsu-chan, die Ellenbogen vom Tisch und bitte kein Fußbad!" Aber zu spät, Tatsuomi hatte bereits die Milch über die halbe Platte verteilt, als er versuchte, seine Cornflakes zu taufen. "Oh nein!! So ein Mist!" Noch bevor Tatsuomi losstürzen konnte, um einen Lappen zu beschaffen, beförderte Hotsuma mit gleitender Bewegung ein entsprechendes Exemplar in die Pfütze und wischte umsichtig auf. "Oh, danke, Oni-chan!! Ich weiß auch nicht, warum ich so ungeschickt bin!" Tatsuomis ratloses Gesicht reizte Takuto zu einem liebevoll-tadelnden Kommentar. "Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, beim Frühstück schon wach zu sein." Tatsuomi schnitt eine Grimasse und angelte nach dem Zucker. "Ich kann nichts dafür, das sind die Gene! Kouji ist auch kein Morgenmensch." Unter seinem Atem entgegnete Takuto trocken, "ich zweifle manchmal daran, dass er überhaupt ein Mensch ist." Tatsuomi, trotz der frühen Stunde hellhörig, kicherte respektlos und zwinkerte Takuto zu. "Kouji, eine unbekannte Spezies?! Das ist gut!!" Takuto musste nun auch grinsen, beschloss, dass er sich auch endlich zum Frühstück setzen sollte. ~@~ Katsumi kaute gelangweilt an einem labbrigen Toast, starrte blicklos auf den tragbaren Fernseher, der ihn mit den neuesten Nachrichten versorgte. Ohne Yuugo zu frühstücken versetzte ihm einen schmerzhaften Stich und raubte ihm den Appetit. Mit leichtem Ekel schob er seinen Teller von sich und hypnotisierte die Schlafzimmertür. »Wach bitte auf, damit ich dich nicht wecken muss!« Er fürchtete sich vor dem Moment, wenn Yuugo aus dem Schlaf hochschreckte, um sich in einer noch grauenhafteren Realität wiederzufinden. Und dann in seinem Gesicht die Enttäuschung lesen zu müssen war mehr, als Katsumi an diesem Morgen verkraften konnte. ~@~ "Okay, ihr zwei, ich melde mich bestimmt!" Takuto umarmte Knochen brechend den stocksteifen Hotsuma, um dann Tatsuomi, der ein unglückliches Gesicht zog, fest an sich zu ziehen. "Pass gut auf deinen verrückten Onkel auf, ja?", raunte er leise in die honigblonden, nunmehr gekämmten Haare. Tatsuomi vergrub das Gesicht in Takutos Halsbeuge und brummte erstickt seine Zusage. Dann löste sich Takuto von ihm und strich sanft über eine Wange. "Okay, Jungs, dann sehen wir uns in 14 Tagen wieder. Und nun ab in die Schule!" Mit eifrigen Gesten scheuchte Takuto die beiden hinaus, bevor er sich aufseufzend an das Türblatt lehnte. Das war der leichte Teil gewesen. Er atmete tief durch und straffte seine sehnige Gestalt energisch. Nun galt es, in die finstere Höhle des Löwen hinabzusteigen und ihn ausreichend milde zu stimmen, um pathetische Überaktionen zu verhindern. Bei dem Gedanken an seinen letzten Flug nach Europa und Koujis Reaktion schauderte ihn bis ins Mark. Unwillkürlich tastete seine Rechte nach der tiefen Narbe auf der linken Hüfte, die sich mit einem schmerzhaften Ziehen bemerkbar machte. Nein, dieses Mal würde er sicherstellen, dass Kouji nicht sein Leben aufs Spiel setzte, um ihn an seiner Seite zu behalten. ~@~ Katsumi verfluchte die Anzeige seiner Armbanduhr, aber das änderte nichts daran, dass er vor dem Dilemma stand zu gehen, ohne sich von Yuugo zu verabschieden, oder ihn wecken zu müssen. Zuspätkommen war heute nicht möglich. Er knirschte frustriert mit den Zähnen und betrat dann so leise wie möglich ihr Schlafzimmer, das noch im Dämmerlicht lag. Setzte sich neben die verkrümmte Gestalt und streichelte langsam durch die wirren Haare, drehte einzelne Strähnen selbstvergessen um seine schlanken Finger. Mit einem verwirrten, gutturalen Stöhnen erwachte Yuugo, suchte danach, sich zu orientieren. Als sein Blick auf die fragile Gestalt an seiner Seite traf, noch immer seine Haare liebkosend, lächelte er arglos und selig. Dann aber aktualisierten seine Gedanken die letzten Ereignisse, und das Lächeln blätterte rapide von seinen Zügen. Katsumi legte beide schmalen Handflächen sanft um Yuugos Gesicht, küsste ihn ebenso zärtlich wie nachdrücklich auf den Mund und lehnte seine Stirn an Yuugos. "Guten Morgen, Liebster", wisperte er rau, innehaltend. "Morgen, Engelchen", krächzte Yuugo tonlos zurück, löste sich dann behutsam aus Katsumis Griff und richtete sich auf. Mit betontem Schwung erhob er sich und streckte Katsumi die Hand hin. Dieser ließ sich mit hängenden Schultern zur Tür geleiten, wo sie einander schweigend gegenüberstanden. "Ich möchte dich nicht verlassen", bekannte Katsumi trostlos. Yuugo zwang ein halbes Grinsen auf sein Gesicht, ließ die Schultern wie ein Preisboxer kreisen. "Glaub bloß nicht, dass du mich so leicht los wirst!" Er beugte sich zu Katsumi hinunter, bis sie auf dem gleichen Augenlevel waren. "Das hier ist nur Freigang, klar? Denn du bist lebenslänglich zu mir verurteilt!" Katsumi grinste unglücklich, mehr, um Yuugo eine schlichte Freude zu bereiten, als dass er Erleichterung empfand. Yuugo lächelte nun aufmunternd, zog Katsumi in seine Arme und küsste ihn sanft. "Ich liebe dich, Engelchen." Katsumi klammerte sich fester an die vertraute, athletische Gestalt und antwortete leise. "Und ich liebe dich, Yuugo-chan." Dann löste er sich entschlossen, wandte sich ab, um die Tür zu öffnen. "Ruf mich an, wenn.... wenn etwas ist." Yuugo vertrat ihm den Weg, schlang erneut beide Arme um Katsumis Taille und küsste ihn erstickend, seiner Umgebung und etwaigen Zeugen keine Beachtung schenkend. Keuchend trennten sie sich widerwillig voneinander. In ihren Augen konnten sie ein wenig Mut schöpfen, wenn es auch noch keine Zuversicht war. ~@~ Mit klopfendem Herz und einer entsprechenden Verärgerung darüber stieg Takuto die Treppe hinunter zu Koujis Studio. »Wahrscheinlich ist er über den Mischpulten eingepennt«, dachte er boshaft. Aber als er durch die Glastür spähte, spielte Kouji mit geschlossenen Augen auf einem Synthesizer, mit Geschick die wenigen Fähigkeiten der künstlichen Hand einsetzend. Kein Ton drang an Takutos Ohr, aber da das Zeichen über der Tür in leuchtendem Grün signalisierte, dass der Eintritt vom Herrscher über dieses Reich sanktioniert war, drehte er den Knauf und trat ein. "Hey, Nachteule!" Kouji warf ihm ein strahlendes Lächeln zu und unterbrach seine Arbeit. Auf den feingeschnittenen Zügen zeigten sich tatsächlich rosige Flecken, die von emsiger Anstrengung zeugten. In den abgründigen Augen blitzte es vergnügt und aufgedreht. Mit einer selbstzufriedenen Geste winkte Kouji Takuto zu sich. "Ich habe gar nicht auf die Zeit geachtet..." Seine Miene wurde ernst, ruhig, "ist es schon soweit?" Takuto zögerte, wich dem überraschend gefassten Blick aus und spielte müßig mit Koujis Fingerspitzen, eine Gewohnheit, über deren Ursprung er sich nicht klar war. Als sich das Schweigen zwischen ihnen ausdehnte, erhob sich Kouji geschmeidig und entzog Takuto seine Finger, legte sie behutsam unter dessen Kinn. "Da ich nun wie ein Mönch leben muss, will ich noch... eine Erinnerung, die mich bis zu deiner Rückkehr am Leben erhält." Takuto wollte schon angesichts dieses Pathos protestieren, aber ein Blick in Koujis Augen reichte aus, um ihm zu vermitteln, dass dieser es tatsächlich vollkommen ernst meinte. Er legte seine Hand über Koujis und zog sie langsam von seinem Kinn, wandte sich, die Finger ineinander schiebend, der Tür zu. "Lass uns nach oben gehen", schlug er leise vor, nur mühsam die Mischung aus Erregung und Trennungsschmerz herunterschluckend. Ja, kein Zweifel, auch er würde seinen Freund und Geliebten vermissen, aber dies in Worte zu fassen wagte er nicht, konnte ihn doch das seiner Selbstbeherrschung berauben. Kouji, der hinter Takuto herging, bemerkte das mikroskopische Beben in der sehnigen Gestalt und lächelte traurig. »Zumindest bleibt mir die Gewissheit, dass auch du etwas für mich empfindest.« ~@~ Hotsuma verabschiedete sich gewohnt zurückhaltend von Tatsuomi, als sie sich in der Schule trennten. "Ich werde noch bei Yuugos Schule vorbeisehen!", rief ihm Tatsuomi nach, was Hotsuma mit einem Nicken quittierte. Das verschaffte ihm Zeit, in der Bibliothek zu forschen. ~@~ Tatsuomi schlüpfte hastig aus den Inlinern, in seinem Schwung nur mühsam einen Sturz vermeidend, dann hetzte er bereits in den einfachen Schlappen über den gepflasterten Hof. Ausschau haltend nach den von ihm gesuchten Hoffnungsträgerinnen. Im Schatten einer Hauswand entdeckte er Maiko und Natsumi, die auf einer dünnen Decke umgeben von aufgeschlagenen Büchern und Heften lernten. "Maiko! Natsumi!" Der rotstachelige Schopf und der blaugefärbte Pagenschnitt zuckten hoch. Tatsuomi schleuderte Rucksack und Inliner von sich und rutschte die letzten Meter auf Knien heran, vergaß völlig, dass er keine Knieschützer über seiner Uniformhose trug. "He, Tatsuomi", murmelte Natsumi gedehnt, während sich Maiko mit überschwänglicher Begeisterung Tatsuomi entgegenwarf und ihn umarmte. "Hey, Süßer, dass ich dich auch noch mal zu Gesicht kriege!!" Tatsuomi, mit verwuschelten Haaren und langsam wieder in Richtung Realität driftend, grinste schief und verlegen. Natsumi zerrte mit unvermuteter Kraft ihre Freundin am Hosenbund wieder auf den Hintern zurück und funkelte Tatsuomi abschätzend an. "Nun, wo brennt's denn, Kleiner?" Tatsuomi spürte, wie eine beschämende Röte in seine Wangen stieg und nestelte verlegen an seinem Rucksack herum. "Also... also..." Entschlossen hob er wieder den Kopf und konzentrierte sich auf die erwartungsvollen Mienen der beiden jungen Frauen. "Könnt ihr mir zeigen, wie man so ein Band knüpft? Ich habe auch schon die Wollfäden!!" So schnell, wie die Worte aus ihm heraussprudelten, hatte er auch die Plastiktüte mit seiner jüngsten Erwerbung herausgerissen und wedelte sie wie einen Palmzweig hin und her. "Klar!!" Maiko, selten verlegen, schnappte sich den Beutel und begutachtete wissbegierig die seidigen Kunstfasern, in verschiedenen Blautönen gehalten. "Wozu brauchst du das denn, dein ganzer Rucksack ist doch..." Natsumi und Tatsuomi beobachteten mit einer Mischung aus Faszination und Belustigung, wie Maiko des Pudels Kern entlarvte, was sie wie üblich lautstark bekanntgab. "Mann, Süßer, du bist verliebt?!" Tatsuomi zog die Schultern ein, sich nur zu deutlich der Aufmerksamkeit bewusst, die Maikos Ausruf auf ihn gelenkt hatte. "Danke, Schatz, jetzt braucht er es wenigstens nicht mehr am Schwarzen Brett bekanntzugeben", kommentierte Natsumi trocken und warf dann scharfe Blicke um sich. "Schon gut, Leute, die Show ist vorbei." Errötende Köpfe wanden sich wieder ab. Maiko starrte verwundert abwechselnd auf Natsumi und Tatsuomi. "Oh... war es ein Geheimnis?" Natsumi schnaubte, und Tatsuomi musste gegen seinen Willen prusten. In Momenten wie diesen wurde ihm klar, welche Leistung Natsumi eigentlich vollbrachte, indem sie ihre Freundin trotz ihres so gegensätzlichen Temperaments niemals bloßstellte oder tadelte. Maiko ergriff seine Hände und setzte eine kreuzunglückliche Miene auf. "Hey, das tut mir leid, Kleiner!" Tatsuomi, der selbst Natsumi um einen Kopf überragte, lächelte beruhigend, während Natsumi murmelte, dass es für heute keinen Kaffee mehr für Maiko geben würde. "Ich kann das, ich zeig dir, wie man die schönsten Bänder macht!", überschlug sich Maiko förmlich in ihrem Eifer, ihre Indiskretion wieder auszumerzen. Sie rückte dichter an Tatsuomi heran, schob dabei achtlos Bücher beiseite, die Natsumi mit gewohnter Ruhe vor Eselsohren und Grasflecken bewahrte. "Nur aus Interesse, die Glückliche ist wohl keine der Mädels, die sich hier bereits verewigt haben, oder?" Natsumi gestikulierte beiläufig auf die Bänderparade an Tatsuomis Rucksack. Dieser errötete wieder, senkte hastig den Kopf, damit seine Haare die verräterischen Spuren verbargen. "Ähem... nein... ist sie nicht", zog sich Tatsuomi hinter einer Halbwahrheit zurück. Maiko stieß ihm in die Rippen und kicherte. "Na, mach es doch nicht so spannend, wer ist es? Wo habt ihr euch kennengelernt?" "Maiko!" "Hey, schau nicht so, du brennst doch auch darauf, es zu erfahren! Ich bin eben direkt." Natsumi grummelte etwas und gab Kaugummi aus. "Alscho?", knatschte Maiko malmend und entwirrte bereits Fäden, maß die Länge ab, die Stirn gekräuselt in Abwägung verschiedener Muster. Tatsuomi rupfte Gräser aus und fetzte sie in kleine Teilchen, gedankenversunken. "Im Grunde... weiß ich nicht mal, ob sie mich mag", gab er leise seine Befürchtung preis. Maiko, wie immer weichherzig und mitfühlend, zog ihn sogleich an sich und knuddelte ihn tröstend. "Ach was, bestimmt liebt sie dich!! Jeder liebt dich, so süß und niedlich, wie du bist!!" Tatsuomi überhörte geübt die verwandten Termini süß und niedlich, die ihm nicht gerade schmeichelhaft für einen Jungen vorkamen. "Maiko", Natsumis Hand lag besitzergreifend auf Maikos Arm, die dunklen Augen brannten. "Jeder außer mir", beeilte sich Maiko grinsend um die geforderte Korrektur und küsste ihre Freundin unbefangen auf den Mund. Dann zwinkerte sie Tatsuomi zu, der ein amüsiertes Kichern nicht unterdrücken konnte. "Nun, wie heißt sie?" Maiko ließ sich nicht einfach abschütteln, während ihre Finger bereits eifrig Fäden verknoteten. "Balu. Ihren richtigen Namen weiß ich nicht. Noch nicht." Tatsuomi zwirbelte mit schiefem Grinsen eine Strähne um seinen Finger, versuchte, sich auf Maikos flinke Hände zu konzentrieren. Natsumi, die sich zurücklehnte und müßig in einem Buch blätterte, zog weitere Erkundigungen ein. "Und, wo hast du sie kennengelernt?" "Sie arbeitet als Kinderpflegerin in dem Nanjou-Waisenhaus. Hat bis zur Oberstufe mit ihrer Familie in Amerika gelebt." Tatsuomi übernahm ein rudimentäres Fadennetzwerk von Maiko. "Ist sie hübsch?!", platzte Maiko heraus, noch bevor Natsumi Weiteres in Erfahrung bringen konnte. Tatsuomi schmunzelte und nickte kurz. "Vielleicht nicht unbedingt hübsch...", sinnierte er leise, "eher... faszinierend." "Was fasziniert dich denn?", wollte Maiko unbeeindruckt von einem Ellenbogen in ihrer Seite wissen. Tatsuomi blies Strähnen aus den Augen, da seine Finger nun in den komplizierten Verstrickungen gefangen waren. "Sie ist... frei. Ja. Frei." Er lächelte hingerissen, während sich Natsumi und Maiko kryptische Blicke zuwarfen. Tatsuomi weigerte sich zu ergründen, warum er selbst gegenüber seinen beiden Freundinnen nicht zugeben konnte, dass Balu zweifellos ein "Er" war. ~@~ Kouji starrte unbewegt auf das Rollfeld. Sein Pokerface mit der überdimensionierten Sonnenbrille verriet keine Gefühlsregung. Takuto trat kurz neben ihn, streifte wie zufällig die Fingerspitzen. "Der Flug ist ausgerufen. Ich muss zur Mannschaft." "... ja..." "Wir bleiben in Verbindung." "... Izumi..." "Mach keinen Mist, während ich weg bin, klar, Nanjou?!" Unmerklich zitterten die langen Fingerspitzen mit den schwarz lackierten Fingernägeln. Im sich spiegelnden Fensterglas entfernte sich langsam die vertraute Gestalt. Wie in unzähligen Albträumen zuvor zerrannen ihre lieblichen Umrisse, vermischten sich untrennbar mit dem vagen Dunkel dahinter. Kouji ballte die mechanische Hand zu einer zerschmetternden Faust, aber er widerstand der Versuchung, die Scheibe in Abertausende Fragmente zu zerschlagen. Vor seinen Augen verschwamm die Sicht. »Izumi...« ~@~ Kapitel 4 - Es braut sich etwas zusammen Yuugo stapelte langsam kleine Hocker übereinander, schleppte sie unter das umgebende Giebeldach des Atriums. Er hatte den zurückliegenden Tag mit aller Kraft seine Gefühle verdrängt, sich nichts anmerken lassen. Aber in dieser betäubenden Stille, die das Abendessen im Heim verursachte, konnte er sich nicht mehr so einfach zerstreuen. Ausgelaugt sank er neben eine alte Steinlaterne auf eine winzige Bank. Seine Gedanken kreisten ratlos in einer Endlosschleife, suchten nach einer für alle Seiten befriedigenden Lösung. Doch es gab sie nicht. Eine Hand legte sich fest auf seine Schulter. "Kummer, mein Freund?" Yuugo grimassierte gequält, sah auf. "Tja...." Balus schwarze Augen glitten über ihn mit reservierter Sorge, während seine kräftigen Finger mit den kurzgeschnittenen Fingernägeln Yuugos Schulter massierten. "Nichts Bedeutendes eigentlich", versuchte Yuugo in bemüht spritzigem Tonfall abzuschwächen, wedelte mit der Hand abwiegelnd. Ohne eine Aufmunterung abzuwarten setzte Balu sich neben ihn und schwieg einfach. Zögerlich lehnte sich Yuugo leicht an eine kräftige Schulter, verwarf Für und Wider des Sichanvertrauens. Zu seiner Überraschung ergriff dann aber Balu zuerst das Wort. "Es ist wirklich sehr schön hier. Ich möchte gern bleiben." Yuugo schreckte auf und starrte ihn beunruhigt an. "Hast du etwa Schwierigkeiten? Will man dich rauswerfen?" Balu lächelte versonnen vor sich hin, zuckte mit den Achseln. "Ich bin nicht gerade ein Vorzeige-Exemplar, auch wenn ich einen hervorragenden Abschluss habe. Zu amerikanisch." Balu verdrehte die Augen in einer Parodie des reservierten Abscheus. Yuugo ergriff impulsiv Balus Hand und drückte sie warm. "Ach was, die Kinder lieben dich! Und wenn alle Stricke reißen, findet mein Freund mit seinen Verbindungen sicher was Passendes für dich!" Balu zwinkerte ihm zu. "Ich sollte wohl nicht fragen, aber... ihr seid doch zusammen, nicht wahr?" Yuugo grinste ein wenig verlegen und nickte, dann verdüsterte sich sein Gesicht, und er wandte den Kopf ab. "Mein Vater hat mich rausgeschmissen, als ich es ihm gesagt habe." Nach seiner tonlosen Eröffnung schwiegen sie beide wieder. "Na ja, vielleicht renkt sich ja auch alles wieder ein", murmelte Yuugo mit bitterem Lächeln. Aber sein Gefühl sprach dagegen. ~@~ Katsumi wickelte die lange, filigrane Kette eines Schlüsselanhängers müßig um seinen Finger, während er gleichzeitig Notizen in seinen Handheld krakelte und mit Kouji telefonierte. "Ja, ich habe es nicht vergessen! Sie ist einfach nicht aufzutreiben, aber ich lasse beim Sicherheitspersonal Bilder von ihr verteilen, wenn wir wieder eine Show abliefern müssen." Gereizt trommelte er mit dem Stift auf der Schreibtischplatte herum. "Was soll das heißen? Willst du dich als Strohwitwer in deinem Bunker verkriechen oder was?!" "Nein, ich bin nicht gereizt!" Katsumi schleuderte den Stift von sich und massierte sich die Schläfen, atmete tief durch. "Tut mir leid." "Nein... es ist alles in Ordnung." "Verdammt, Kouji, seit wann interessiert es dich, wie es mir geht?!" Er ballte mit solcher Gewalt die Faust, dass die Kette des Schlüsselanhängers die Gürtelschlaufe ausriss, als er an ihr zerrte. "... Freund..." Katsumi sackte in sich zusammen und stütze die nun freie Hand auf sein Knie, vergrub die Stirn vornübergebeugt in der offenen Handfläche. "Tut mir leid.... ich bin nur ein wenig..." Er richtete sich wieder auf, lehnte sich weit mit dem Stuhl zurück und fixierte die Deckenplatten. "... Yuugo hat seinem Vater erzählt, dass wir zusammenziehen wollen. Und der hat ihn dann rausgeschmissen." Er lauschte den ruhigen Atemzügen am anderen Ende der Leitung und fühlte sich seltsam getröstet, dass kein Spott kam. Hatte ihn Kouji tatsächlich als Freund akzeptiert, obwohl dieser von Anfang an klargestellt hatte, dass alle anderen Männer für ihn lediglich Rivalen waren? Lernte er nach all dieser Zeit endlich den wahren Kouji kennen, unter der meterdicken Schicht des zynischen und eiskalten, exzessiven Superstars mit der nihilistischen Aura? "Sag mal..." Katsumi räusperte sich, unsicher, ob er sich tatsächlich diese Blöße geben sollte, oder wie wohl die Reaktion seines Gegenüber sein würde. "Kouji... hattest du jemals Zweifel? Dass es... Unrecht sei, einen Mann zu lieben?" Für einen Augenblick, der Katsumi ewig schien, weil er angespannt den Atem einhielt, blieb es still, dann lachte Kouji, keineswegs verärgert. Katsumi wollte gerade zu einer feurigen Verteidigung ansetzen, als Kouji antwortete. Vollkommen verblüfft bedankte sich Katsumi und beendete das Gespräch. Er legte das Handy weg, schaltete den Handheld aus, erhob sich und trat an das Fenster, sah hinaus auf die beleuchtete Häuserlandschaft. Ein Lächeln flackerte über seine Züge, halb hoffend, halb erschüttert. "Natürlich. Aber ich war überzeugt, dass wir nur so leben können. Alles andere wäre nicht mehr als bloße Existenz gewesen." ~@~ Tatsuomi betrat den Flur, die Inliner ächzend abschüttelnd. "Verfluchter Muskelkater!", brummte er verärgert und auch beschämt, hatte er sich doch eine bessere körperliche Verfassung zugestanden. Im Wohnzimmer brannte eine einsame Stehlampe, also hielt er darauf zu. "Hallo, Oni-chan!" Er ließ den Rucksack neben der Couch sinken und umarmte Hotsuma luftig von hinten, plumpste dann schwerfällig auf den benachbarten Stuhl. "Kouji nicht da?" "Er arbeitet im Studio und wünscht, nicht gestört zu werden", gab Hotsuma ruhig zurück, klappte sein Heft zu und erhob sich. "Ich werde uns etwas zu essen machen. Wie war dein Tag?" Tatsuomi räkelte sich seufzend, rieb sich die Katzenaugen und unterdrückte ein Gähnen. "Du hast extra auf mich mit dem Essen gewartet?! Danke!!" Die honigblonden Strähnen hinter die Ohren schiebend bemühte er sich dann um eine aufrechtere Haltung, kramte aus einer Hosentasche sein Kunsthandwerk hervor, zum Schutz in ein Taschentuch gewickelt. "Hier, das habe ich zusammen mit Maiko und Natsumi gebastelt!" Hotsuma nahm das dargebotene Band entgegen und begutachtete es sorgfältig, reichte es dann mit einer angemessen ehrwürdigen Bewegung zurück. "Es ist sehr gelungen." Tatsuomi glättete das Band nachdenklich, legte es vor sich auf die Tischplatte und stützte das Kinn in beide Hände. "Was denkst du, Oni-chan", sinnierte er versunken, "wird es ihm gefallen?" "Ich bin sicher, dass sich Balu-san darüber freuen wird", antwortete Hotsuma diplomatisch, während er den Reiskocher in Betrieb nahm und vorgeschnittenes Gemüse zusammenstellte. Tatsuomi musterte seinen Wahlbruder, der mit abgezirkelten Bewegungen das Essen zubereitete. Etwas war geschehen, das spürte er. Schleichend hatte es sich zwischen sie geschoben, aber er konnte es nicht in Worte fassen. Erschöpft gab er das Grübeln für diesen Moment auf. "Denkst du, dass er mich mag?" Hotsuma hielt keine Sekunde in seiner Arbeit inne, gleichwohl registrierte er den Gehalt dieser vordergründig einfachen Frage, würde doch eine Antwort mehr über ihn aussagen als die bloßen Worte. Nach sorgfältiger Erwägung gab er zurück, "mir scheint es doch ein entsprechendes Zeichen zu sein, wenn er sich mit dir treffen will." Tatsuomi unterdrückte ein anerkennendes Grinsen nur mühsam, das diplomatische Geschick des Älteren bewundernd. Er beschloss, nicht weiter in Hotsuma zu dringen, sondern es für heute gut sein zu lassen. ~@~ Yuugo sah auf, als er den Schlüssel in der Tür hörte. Er erhob sich ein wenig steif, legte sein Schulbuch beiseite und betrat den Flur, wo sich Katsumi bereits von seinen modischen Stiefeletten befreite. Sanft ließ er seine Hände über Katsumis Brust wandernd, schob die Jacke von dessen schmalen Schultern und hängte sie ordentlich an die Garderobe. "Harten Tag gehabt?" Katsumi blinzelte hoch, sich in diesem Moment Koujis Antwort gegenwärtigend und sein eigenes Herz prüfend. Aber noch bevor er zu einem Schluss kommen konnte, hatte Yuugo ihn fest an sich gedrückt und den Kopf in seiner Halsbeuge vergraben. "Du hast mir gefehlt, Engelchen", raunte er in den schockierend violetten Stoff, schob einen Arm noch tiefer unter Katsumis Hintern, damit dieser nicht völlig haltlos auf seinen Zehenspitzen balancieren musste. "Hunger?", fragte Yuugo dann, wieder um einen leichteren Tonfall bemüht. Katsumi zappelte kurz, um sich zu befreien, zog dann Yuugo betont energisch hinter sich her Richtung Schlafzimmer. Er wollte nicht mehr nachdenken, keine einzige Sekunde an die Zukunft verschwenden, nicht jetzt. Die Arme hoch um Yuugos Nacken schlingend drückte er dem Überraschten einen intimen Kuss auf den Mund, dirigierte ihn ungeduldig Richtung Bett. Yuugo, der sich ohne Gegenwehr lenken ließ, fiel rückwärts auf die Tagesdecke, warf aufreizende Blicke in das spitze Gesicht über ihm. Katsumi aber gönnte sich keinen Moment der Besinnung. Seine Finger lösten längst die Gürtelschnalle und knöpften Yuugos Hose auf. Dieser strich sanft und duldsam über den glatten Stoff von Katsumis geschnürtem Hemd, hütete sich, seinem Liebhaber in seinem Hunger in den Weg zu geraten. Katsumis Hände schoben das grobe Hemd über Yuugos Bauch hoch, zerrten an dem Stoff, die abstrahlende Hitze der nackten Haut wie ein Schwamm in sich aufsaugend. Der Kontakt mit Katsumis kühlen Fingern erregte Yuugo sofort, trieb Schauer über seinen Rücken, ließ in seinem Unterleib kleine Flammen hoch züngeln. Er schob sich rücklings weiter Richtung Kopfende ihres Bettes, streifte sich eigenhändig Hose und Hemd vollständig vom Körper, registrierte das Blitzen in Katsumis Augen, die geöffneten Lippen. "Warte", bat er mit rauer Stimme, als Katsumi Anstalten machte, sich ohne viel Federlesens seiner eigenen Bekleidung zu entledigen. Zärtlich streichelte er den Stoff von Katsumis schlankem Oberkörper, brannte zahllose Küsse auf die sommersprossige Haut, während seine Finger weiter unten die letzten Hindernisse beseitigten. Auch Katsumi blieb nicht untätig, schob seine Finger unter den Gummizug von Yuugos Unterhose, tastete sich über die glühende Haut nach unten. Entlockte mit einem entschlossenen Griff diesem ein gutturales Stöhnen, was einem endlosen Zungenkuss ein ersticktes Ende bereitete. "Engelchen!", wisperte Yuugo, die Wangen dunkel vor Leidenschaft. Katsumi lächelte grimmig, ließ seine Zunge über die eigenen feuchten Lippen wandern, drückte Yuugo dann fest in die Kissen hinunter. Sein Gewicht geschickt auf dessen entblößten Hüften ausbalancierend. In den großen Augen brannte ein verzehrendes Feuer, als Katsumi in der Nachttischschublade kramte, ohne seinen bannenden Blick von Yuugo zu nehmen. ~@~ Hotsuma warf einen prüfenden Blick auf Tatsuomi, der, die Decke von sich gestrampelt, tief schlief, die honigblonden Strähnen wie eine wirre Korona um das attraktive Gesicht aufgefächert. Ohne überflüssige Bewegungen packte er rasch und lautlos eine Reisetasche, verstaute die einfache Schachtel mit den Dokumenten in seinem Rucksack und schaffte sein Gepäck auf den Flur. Dann machte er sein Bett und legte neben Tatsuomis Kopfkissen seinen Brief. Für einen Moment verharrte er schweigend, verbeugte sich dann tief vor dem schlafenden Jungen, widerstand aber mannhaft der Versuchung, ihn ein letztes Mal zu berühren oder die Decke zurechtzuzupfen. Hotsuma verließ das Haus mit seinem Gepäck ohne einen Abschiedsblick. ~@~ Yuugo keuchte und verschlang die fragile Gestalt, die sich über ihm in Ekstase wild wand, mit allem, was ihn ausmachte. Er umklammerte die schmalen Hände fester, spannte die Muskeln an und schrie seine Leidenschaft hinaus. "Ich... liebe .. dich!!" Mit einem letzten heftigen Beben drückte sich sein Rückgrat durch, schleuderte seine Last in die Höhe, dann sackte er schwer atmend und erschöpft in die verwühlten Laken. Aber ihre Hände lösten sich keinen Wimpernschlag lang voneinander. ~@~ Kouji rieb sich die rot entzündeten Augen, vor denen bereits Noten zu einem grobstichigen Brei verschwammen. Sein Nacken schmerzte, von einer lieblosen Haltung gekrümmt über dem Mischpult misshandelt. Aber er wollte nicht aufhören, nicht in ihr einsames Bett zurückkehren. Nicht dem stetigen, höllischem Schmerz in seiner Brust neue Nahrung geben. ~@~ Yuugo seufzte erleichtert auf, als Katsumi sich ermattet neben ihm in die Kissen rollte. Welcher Teufel seinen Engel auch immer angetrieben hatte ohne jegliche Rücksicht auf dessen zerbrechliche Gestalt oder seine Gesundheit, hatte offensichtlich nun das Weite gesucht. Zumindest hoffte Yuugo das inständig, denn er befürchtete, dass Katsumi am nächsten Tag die Nachwirkungen dieser leidenschaftlichen Nacht nur zu deutlich spüren würde. »Ich begreife nicht, was mit ihm geschehen ist. Will er etwas beweisen? Oder sich gar bestrafen?« Yuugo drehte sich auf die Seite und suchte die großen Augen im Zwielicht, lauschte auf die hastig fliehenden Atemzüge. "Katsumi?" "Nhhnn?" "Bist du okay, Engelchen?" Mit einem erstickten Ächzen drehte sich Katsumi auf die Seite, schenkte Yuugo ein Zähne starrendes Lächeln. "Komm her", wisperte Yuugo sanft. Schob seine Hand unter den fragilen Leib neben sich und umschlang ihn zärtlich, bettete den schmächtigen Oberkörper auf seine Brust und streichelte liebevoll durch die verschwitzten, schlohweißen Haare. Ihre Haut, klebrig von angetrocknetem Schweiß, wärmte sich wieder aneinander auf, bis sie glühten. Schlaf übermannte sie sogleich, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. ~@~ Hotsuma studierte aufmerksam seine Notizen, während er auf den ersten geeigneten Zug wartete. Noch war die Station verwaist, mitten in der Nacht, aber Hotsuma genoss die Stille. Ein seltenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er Erleichterung verspürte. »Endlich!« Endlich hatte er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt. ~@~ Tatsuomi riss die Tür so schwungvoll auf, dass sie mit einem heftigen Knall gegen die Wand schleuderte, die Glasscheiben trotz ihrer Schallsicherheit zum Zittern brachte. "Kouji, er ist weg!!" Kouji, in völliger Erschöpfung auf einem Synthesizer eingenickt, fuhr alarmiert in die Höhe. Sein erster Blick, noch trübe, erfasste seinen völlig aufgelösten Neffen, der mit verzweifelter Geste ein Blatt Papier schwenkte. Einen Fluch unterdrückend strich Kouji sich wirre tintenschwarze Strähnen aus den Augen, ergriff das Dokument und visierte mühsam die ordentlichen Zeichen an, ohne Lesebrille ein schwieriges Unterfangen. "Na klasse!", kommentierte er sarkastisch die neueste Entwicklung und rieb sich kräftig über das Gesicht. Tatsuomi baute sich vor ihm auf, die engelsgleichen Züge weiß und abgespannt. "Was soll das heißen?! Was machen wir denn jetzt?" Kouji nahm die Hände vom Gesicht und funkelte ihn eisig an. "Nichts. Er wird sich wieder melden, also werden wir so lange warten." Tatsuomi blinzelte fassungslos. Dann ballte er erbost die Fäuste und fauchte aggressiv. "Verdammt, Kouji, das ist doch nicht dein Ernst!!" Ein arktischer Blick aus einem kalten Gesicht erstickte seinen Protest, brachte Tatsuomi dazu, zu Boden zu sehen, vor Entmutigung zitternd. Mit frostiger Stimme zischte Kouji ihn an. "Was willst du denn tun, Kleiner? Ihm hinterherlaufen? Einem ausgebildetem Leibwächter, der seine Handlungen minutiös plant? Der nach seinem eigenen Ehrencodex lebt? Lächerlich." Mit diesen harschen Worten wandte sich Kouji demonstrativ ab, begann, das Chaos um ihn herum zu sortieren. Erst als die Tür hart ins Schloss fiel, sackten seine Schultern herab. Das konnte ja heiter werden! ~@~ Tatsuomi wischte sich mit dem nackten Handrücken wütend Tränen aus den Augen, während er gleichzeitig eilig seine Kleidung wechselte, den Pyjama zornig auf den Boden feuerte. Vage kam ihm der Gedanke, dass er auch in einer Stunde in der Schule zu sein hatte, aber er verdrängte dies geflissentlich, schnallte sich Knieschützer über die ohnehin mitgenommene Uniformhose und verknotete das Hemd. Tadel hin oder her, es war ihm gleich. Er stürzte zur Haustür, schnallte die Inliner zu und warf seinen Rucksack auf seinen Rücken. »Nur raus, nur weg hier!!« ~@~ Kouji unterdrückte einen Fluch, als seine Schulter mit einem lauten Knackgeräusch gegen eine unkoordinierte Bewegung protestierte. Er seufzte. Es hatte keinen Sinn, so rücksichtslos gegen sich weiter zu wüten. Wie immer, wenn er zur Tatenlosigkeit verdammt war, keinen Schlaf oder Trost finden konnte, wechselte er hinüber in den Trainingsraum, den er für sich und Takuto eingerichtet hatte. Als er an der Eingangstür vorbeikam, registrierte er, dass wie erwartet die Inliner und der abgenutzte Rucksack verschwunden waren. »Kleiner, ich hoffe, du läufst nicht vor etwas weg, sondern auf etwas zu!« ~@~ Tatsuomi trieb sich unbarmherzig zu Höchstleistungen an, während in Gedanken Hotsumas Worte einen teuflischen Reigen aufführten. [Verehrte Nanjou-sama, im Bewusstsein, mein Wort zu brechen und Schande auf mich zu laden, bitte ich für meine Ahnen und Familienehre um Eure großzügige Nachsicht für meinen Verrat. Entsprechend meiner Verantwortung und Schuldigkeit werde ich eine Nachricht über meinen Verbleib zukommen lassen. Kurauchi Hotsuma] Was zum Teufel sollte dieser antike, hölzerne Stil?! Wieso kein persönliches Wort an ihn, seinen Bruder?! Tatsuomi biss die Zähne so fest ineinander, dass seine Kiefer knirschten, hasste die Tränen, die hinter der Sonnenbrille in seinen Augenwinkeln glitzerten. »Ich werde dich nicht gehen lassen, Oni-chan!!« ~@~ Yuugo erwachte, als der Wecker einen diskreten Alarmton von sich gab, den er sogleich liquidierte. Die langen Haare aus den Augen streichend warf er einen liebevollen Blick auf seinen Bettgenossen, der zusammengerollt wie ein Kätzchen neben ihm schlief. »Fast warte ich darauf, dass seine Ohren zucken«, lächelte er über sich selbst, beugte sich dann herunter und blies hauchzart verirrte Strähnen aus dem geliebten Gesicht. Katsumi murmelte Undeutliches, drehte sich auf die andere Seite, um sich dort erneut zusammenzurollen. Yuugo kicherte und fragte sich müßig, ob er denselben Effekt mit einer erneuten Attacke hervorrufen könnte, als Katsumi die letzten Tiefausläufer des Schlafs überwand. "Uuuuhhhh, Yuugo...",stöhnte er kläglich. Yuugo wickelte sich aus den verwirrten Laken und fischte aus dem riesigen Kleiderschrank zwei Bademäntel heraus. "Jaaa?", fragte er gedehnt zurück, den kleineren Mantel galant zum Einstieg offerierend. Katsumi rieb sich mit den kleinen Fäusten über die Schläfen, kniff die großen Augen zu und seufzte wehleidig. "Irgendwie fühl' ich mich zerschlagen", bekannte er mit einem schiefen Grinsen. Yuugo musste ein unnachsichtiges Kichern unterdrücken, als er die Initiative ergriff und seinen älteren Freund behutsam in den Mantel wickelte. "Ich schlage eine warme Dusche mit leichter Massage vor", wich er diplomatisch etwaigen kommunikativen Untiefen aus. Katsumi ließ sich wie ein müdes Kind an der Hand zum Badezimmer ziehen, wieder entkleiden und unter die Dusche heben. Yuugo schlüpfte hinter ihn und regulierte den Wasserstrahl auf Körpertemperatur, begann dann, unter dem sanften Brauseschauer die helle Haut mit leichtem Nachdruck zu massieren. Katsumi ließ sich mit geschlossenen Augen verwöhnen, noch nicht mit der Erkenntnis belastet, dass er für die nächsten beiden Tage hochgeschlossene Kleidung und Sitzkissen bevorzugen würde. Yuugo, der mit Stolz ein großes Herz aus Kussmalen auf Katsumis Rücken bewunderte, zog den Geliebten eng an sich und vergrub das Gesicht in der zerbrechlichen Halsbeuge unter ihm. Er setzte sein ganzes Zutrauen in seinen Engel. ~@~ Tatsuomi sackte erschöpft und verschwitzt im letzten Augenblick in seine Schulbank, völlig unberührt von dem verheerenden Anblick, den er bot. Zerknittertes Hemd ohne Sakko, die Hosen staubig und noch von Grasflecken verunziert, die honigblonden Haare strähnig und wirr. Vage war er sich des Gemurmels um ihn herum bewusst, aber in seinem Kopf herrschte Leere vor. Ein Kloß nistete sich tief in seiner Kehle ein, erstickte seine Stimme und belastete sein Herz gleichermaßen. Hotsuma war spurlos verschwunden, und er war zum ohnmächtigen Ausharren verdammt. ~@~ Takuto streckte sich genüsslich, drehte sich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen im Nieselregen, der das Spielfeld an diesem Nachmittag einnässte. Gleich würde ihr erstes Spiel beginnen, ein Freundschaftsspiel mit einer Auswahl aus der italienischen Nationalmannschaft, nicht die erste Garde, dafür waren sie eine zu leichte Kost, aber immerhin. Endlich. Endlich war er am Ziel. Wenn er sich in diesen Spielen bewies, würde er sein Land in den Fußballweltmeisterschaften im eigenen Land vertreten. Eine größere Ehre konnte ihm nicht zuteil werden. »Vater...dieses Mal wird es gelingen!« ~@~ Katsumi blätterte verärgert in einem Wust an Eingaben herum, rutschte dabei unruhig auf dem Bürosessel hin und her, ein verkniffenes Gesicht ziehend. Ein Anruf erlöste ihn aus der fruchtlosen Einöde des Sortierens. "Onkel?" "Ja... " "Nein. Nein, davon weiß ich nichts." "Was ist denn..." Aber der Anruf war schon unterbrochen. Verwundert und ein wenig verärgert legte Katsumi den Hörer ab, begegnete Takasakas Blick, der ihn ängstlich musterte. "Taka-chan, irgendwas stimmt hier nicht. Wissen Sie etwas über Probleme im Stammhaus?" Takasaka lief rot an, bekannte beschämt seine Unkenntnis. Katsumi starrte versonnen an ihm vorbei, spielte gedankenverloren mit einem Stift. "Möchte mal wissen, was die nun schon wieder ausbrüten", seufzte er säuerlich und kehrte zu seiner nicht weniger enervierenden Aufgabe zurück. ~@~ Tatsuomi entließ sich selbst aus der Schule, einen schriftlichen Tadel mit Verachtung in seine Hosentasche stopfend. In halsbrecherischem Tempo raste er durch die Stadt, begleitet von der schnurrenden Melodie des Asphalts unter seinen Füßen und einem Discman auf den Ohren. Iin dem gerade Kouji seine Kriegserklärung an die Konventionen, gleichgültig welcher Art, schrie. Ein alter Song. Erfüllt von flammendem Zorn und Verzweiflung, inspiriert durch die Behandlung, die Takuto wegen der Wahnsinnstat seiner Mutter auszuhalten gehabt hatte. Ein gutturaler Urschrei gegen das Schicksal, ohnmächtig und trotzig zugleich. Ohne es zu bemerken verhärteten sich Tatsuomis Gesichtszüge, glichen sich der eisigen, diamantengleichen Schönheit von Koujis Gesicht an. ~@~ Balu führte seine Schützlinge in geordneter Linie hinter sich her von der Schule und dem Kindergarten zurück ins Heim. Die wenigen älteren würden ungeleitet später nachkommen. Als sie um die Ecke bogen, ein fröhlich plappernder Haufen, erhob sich Tatsuomi vom Bordstein und streckte verstohlen seine Glieder. Mit Freudengejohle löste sich sogleich die Disziplin auf, tobten ihm die Kinder entgegen. Von ihrer Begeisterung angesteckt ließ er sich herumzerren und von neugierigen Fragen löchern. "Boys and girls, hierher, aber sofort." Balu sprach wie immer leise, schleppend, aber die Schärfe seiner Worte ließ keinen Zweifel daran, dass man ihnen besser Folge leistete. Er schloss das Tor auf und geleitete die Kinder nach innen, wo man ihrer schon harrte, um sie mit Tee und Keksen zu empfangen. "Wenn ich gleich komme, will ich, dass jeder mit seinen Übungen angefangen hat." Balu ging vor Tatsuomi in das Atrium, wartete nicht auf sein Einverständnis. Tatsuomi hoppelte behutsam in den Vorraum, schlüpfte hastig aus den Inlinern und hastete in den bereitliegenden Schlappen hinter ihm her. Er hatte das Gefühl, dass es nicht besonders geschickt gewesen war, unangemeldet zu dieser Zeit aufzukreuzen. Seufzend huschte er in einen kleinen, schmucklosen Raum. Balu schob die Papiertür hinter ihm zu, wies ihn an, auf den Kissen Platz zu nehmen. "Ich nehme an, es ist etwas passiert, denn sonst würdest du nicht in diesem Aufzug erscheinen und in meiner Arbeitszeit." Tatsuomi starrte auf seine staubigen Knieschützer und zog den Kopf ein. Beschämt wollte er sich um Entschuldigung bittend vornüber neigen, als eine trockene, warme Hand seine Wange bedeckte. Überrascht blickte er in Balus schwarze Augen, die so ruhig und gelassen wie immer waren, ungeachtet der Kritik. "Es tut mir leid, ich war so gedankenlos!" Verlegen drehte er den Kopf zur Seite, starrte auf die Tatami. "Nur eine Lektion in Sachen Respekt", gab Balu mit einem aufmunternden Lachen zurück. Tatsuomi, sich nun hitzköpfig und erbärmlich fühlend, ballte die Fäuste und schluckte schwer. Ihre nächste Begegnung hatte er sich wahrhaftig anders vorgestellt. "Sunny, ich muss nun zu den Kindern. Ich schlage vor, du nimmst eine Dusche, während ich ein paar Kleider für dich raussuche. Und dann reden wir." Mit einem aufmunternden Schlag auf die Schulter erhob Balu sich kraftvoll und öffnete die Papiertür wieder. Tatsuomi kam unbeholfen in die Höhe. Nun spürte er die Erschöpfung, die er in seinem Zorn so lange von sich gewiesen hatte. Schweigend stapfte er hinter Balu her, bewunderte die Anmut, mit der dieser vor ihm schritt, fest und geschmeidig zugleich. »Wie kommt es, dass mich allein dein Anblick mit Ruhe erfüllt?« ~@~ Katsumi überprüfte gerade den Text einer Pressemeldung, während er erneut die Booking-List für ein Freiluft-Konzert mit Nachwuchskünstlern überflog, als ein Summen seine Konzentration störte. "Ja, bitte?" "Shibuya-san, eine Dame wünscht Sie zu sprechen." Katsumi zog die Augenbrauen hoch. "Danke, Aiko-chan, bitten Sie die Dame herein." Er erhob sich, setzte sein charmantestes Lächeln auf und ging an die Tür, seinen unerwarteten Gast empfangend. Als sich die Tür öffnete und seine Vorzimmerdame die Besucherin hereinführte, entgleisten seine Gesichtszüge allerdings merklich, auch wenn er sich sofort wieder unter Kontrolle hatte. Yuugos Mutter. Katsumi erwiderte die tiefe Verbeugung ebenso respektvoll, wies dann auf die Sitzgruppe und bat um Tee und Gebäck für seinen Gast. Yuugos Mutter schob sich in der unsicheren Manier eines von seinen Ängsten versklavten Menschen am niedrigen Tisch vorbei auf die Couch, verneigte sich erneut, bevor sie in die Polster sank. Katsumi straffte seine Gestalt, bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln und schenkte selbst den Tee aus. Schweigen legte sich über sie. Endlich ergriff Yuugos Mutter das Wort. "Shibuya-san, ich bin gekommen, von Ihnen meinen Sohn zu erbitten." Katsumi erstarrte, nahm einen Schluck Tee und sortierte seine Gedanken, wog seine Worte sorgfältig ab. "Ich verstehe. Ohne respektlos Ihr Anliegen zurückzuweisen möchte ich Sie dennoch bitten, Ihren Sohn in dieser Sache anzusprechen." Für einen Augenblick trafen sich ihre Augen, duellierten sich stumm. Katsumi, der ein ungewohntes Feuer in den trüben Tiefen erkannte, fühlte sich zu einer Verteidigung gedrängt. "Ich halte ihn nicht gegen seinen Willen gefangen oder übe Druck auf ihn aus." Mit entschlossener Geste stellte Yuugos Mutter ihren Becher ab. Hob den Kopf an und fixierte Katsumi. "Sie sind der Sempai. Sie tragen die Verantwortung. Handeln Sie unter Berücksichtigung seiner Zukunft." Während aus Katsumis Gesicht die Farbe wich, holte sie zum finalen Schlag aus. "Immerhin ist er noch nicht volljährig." Katsumi zitterte sprachlos, beobachtete ohne Regung, wie sie sich vor ihm verneigte und sein Büro verließ. Hocherhobenen Hauptes. ~@~ Tatsuomi zupfte an dem T-Shirt herum, krempelte die Beine der Jogginghose ein wenig höher. Unter dem anhaltenden Kichern der Kinder schlich er schelmisch grinsend an die Kopfseite des Raumes, wo ein Tisch den Lerngruppen vorstand. Balu hatte dort Tee und Kekse deponiert, ging offenkundig ebenfalls Dokumente durch, die zusammengezogenen Augenbrauen verrieten Konzentration. "Hallo", startete Tatsuomi in der Hoffnung, das Angriff die beste Verteidigung war, wenn man schon optisch einen Hanswurst darstellte. Balu nickte ihm zu, wies auf den freien Stuhl und stapelte das Papier zu einem ordentlichen Haufen. "Okay", gab er gedehnt das Startsignal. Tatsuomi versank in Balus Augen und stützte träumerisch das Kinn in eine Hand. "Sunny?" "Hmm?", schmachtete er gedankenverloren. Balu grinste, was die spitzen Zähne enthüllte, und schnipste vor ihm in die Luft. Tatsuomi blinzelte, setzte sich aufrecht und spürte Röte in seinen Wangen. »Ich muss doch weniger Schlaf bekommen haben, als mir gut tut!« "Äh, ja...", visierte er unter halb gesenkten Lidern erneut Balus Augen an. "Erinnerst du dich an Hotsuma? Er war zusammen mit mir hier." Balu nickte gemessen und faltete die Hände im Schoß. "Er ist weggegangen. Ich habe heute Morgen seinen Abschiedsbrief gefunden." Mit dem Gedanken an die letzten Ereignisse verflog Tatsuomis Leichtmut spurlos, verdüsterte sich seine Miene. "Er hat nicht gesagt, wo er hingeht oder warum!" Mit einem frustrierten Seufzer fügte er das hinzu, was ihn am Stärksten verletzt hatte. "Ich dachte, wir seien Brüder. Und würden alles miteinander besprechen können." "Nach deinem Aufzug zu urteilen hast du versucht, ihn zu finden." Balu rückte näher an ihn heran, musterte seine unglückliche Miene scharf. "Ich habe ihn nicht gefunden." In das einsetzende Schweigen hinein füllte Balu zwei Becher mit Tee und drückte Tatsuomi einen in die Hand. Gedankenverloren nippte Balu an seinem eigenen. "Hat er die Absicht, sich etwas anzutun?" Tatsuomi erstarrte, wandte entgeistert den Kopf und riss die schönen Augen auf, das Gesicht vollkommen blank. Balu, durch seine Reaktion nicht im Mindesten verunsichert, nahm einen weiteren Schluck Tee. "Also... also...nein. Nein, natürlich nicht!" Tatsuomi stellte lauter als beabsichtigt den Becher auf die Tischplatte ab und strich sich heftig über die Hosenbeine. "So was würde er nie tun! Es gibt überhaupt keinen Grund!" Da er aber die leise zweifelnden Untertöne in der eigenen Stimme nicht überhören konnte, rutschte er verunsichert auf seinem Stuhl herum und kaute an einer Haarsträhne. Balu griff noch immer gelassen über den Tisch und entzog die Strähne seinen Lippen. "War er denn unglücklich mit seiner Situation?" Tatsuomi senkte den Kopf, grub die Finger ineinander und murmelte Unverständliches vor sich hin. Als er wieder in Balus Augen blicken konnte, glitzerten Tränen der Scham auf seinen Wangen, während ein schiefes Lächeln um seinen Mund versandete. "Ich weiß es nicht... ist das nicht erbärmlich?!" Balu schob ihm den Keksteller auffordernd hin, strich mit den Fingern die Tränenspuren weg. "Wollte er sich wieder melden?" Tatsuomi schniefte unterdrückt, malmte einen Keks, was seinem Magen ein ausgehungertes Knurren entlockte. Er nickte zustimmend mit hochgezogenen Schultern, hielt sich an seinem Teebecher aufrecht. "Vertraust du ihm?" Tatsuomi fing mit zusammengezogenen Augenbrauen Balus Blick auf, straffte sich wieder. "Er hat mir das Leben gerettet. Ich vertraue ihm blind." Balu lächelte leicht, um dann splitternd in einen Keks zu beißen. Tatsuomi musterte ihn angespannt, spulte im Geist die Unterhaltung zurück. War das die Antwort? ~@~ Kapitel 5 - Aufbruch Yuugo schob den Schlüssel in das Schloss, öffnete es und dirigierte ächzend seine Einkäufe über die Schwelle. Als er seine Schultasche an den Haken hängen wollte, bemerkte er Katsumis leichte Slipper. Erfreut sammelte er die Einkaufstüten ein und nahm den Flur in Angriff. "Engelchen, bist du schon da?" Er bog ins Wohnzimmer ab, stapelte die Tüten auf der hohen Theke, das Einräumen auf später verschiebend. Sein Blick fand Katsumi, der mit angezogenen Knien auf der Couch kauerte. Und sich in Yuugos alte, ausgewaschene Jeansjacke gewickelt hatte. "Engel, was ist los?" Besorgt durchquerte Yuugo den Raum und ging vor Katsumi in die Hocke. Er legte die Hände auf Katsumis Schienbeine, die in einer dunklen Trainingshose steckten. Seiner eigenen, wie er an den mehrfach umgekrempelten Enden erkannte. Aus seiner Perspektive schienen Katsumis große Augen hinter der Festung seiner spitzen Knie gefangen, beschattet von wirren, weißen Haaren. »Die letzte Nacht war doch für ihn zu viel«, schalt er sich sogleich. "Wo tut es denn weh, mein Engel?" Seine Worte riefen eine unerwartete und befremdende Reaktion bei Katsumi aus. Dieser blinzelte, legte dann den Kopf in den Nacken, während seine Beine herabsanken. Und lachte überschlagend. Schluchzend. Legte die Hand flach auf sein Herz. "Hier, Yuugo. Genau hier." ~@~ Hotsuma konsultierte seine Notizen im Schein seiner Taschenlampe. Der letzte Bus war bereits abgefahren, aber damit hatte er gerechnet. Nun, das bedeutete eine Nacht im Freien. Die man durch einen Fußmarsch durch den Wald verkürzen konnte. ~@~ Kouji schaltete den Fernseher an, suchte den Kanal, der die Aufzeichnung des ersten Freundschaftsspiels der japanischen Auswahl in Europa zeigte. Eine Aufzeichnung, aber das beste, was er bekommen konnte. Als die Kamera zum ersten Mal Takuto einfing, mit feurigen Augen und pfeilschnell, hatte er das Gefühl, sein Herz würde bersten. Stolz, Verlangen und Trauer mischten sich zu einer betäubenden Dosis. Ohne es zu bemerken wischte Kouji Tränen weg, während er lächelte. »Wunderschön.« ~@~ Tatsuomi strich sich langsam über sein steif gebügeltes Hemd und zupfte an der Hose herum. "Lektion in Sachen Hauswirtschaft", wie Balu es ausgedrückt hatte, bevor dieser ihn in der Waschküche unter der Aufsicht einer älteren Frau allein gelassen hatte. Schließlich mussten die Kinder beim Herrichten des Abendessens angeleitet und beaufsichtigt werden, was Balu nicht alles auf die Kolleginnen und Kollegen abwälzen konnte. "Nun ja, für den ersten Versuch gar nicht so übel", murmelte Tatsuomi und folgte Balu zum Tor. Er hatte keine große Lust, nach Hause zu fahren, wo er zum ersten Mal seit Jahren allein sein würde. Mit einem Onkel, der möglicherweise nachtragend war. Tatsuomi seufzte und ließ die Schultern herabsacken. "Sunny, wird Zeit, dass du ein bisschen Schlaf nachholst." Widerwillig rollte er auf die andere Seite des Gitters, umklammerte die Streben. "Kann ich wiederkommen? Ich werde auch nicht stören!", flehte er mit seinem charmantesten Lächeln und verführerischem Augenaufschlag. Balu grinste verschmitzt, verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. "Sunny, solltest du nicht besser in der Bibliothek lernen oder einen Sport ausüben?" Tatsuomi wischte den Einwand beiseite, schnurrte becircend. "Ich könnte mit dir skaten! Oder dir Kendou beibringen!" Eine Augenbraue wölbte sich in mildem Spott. "Nun, das klären wir, wenn du wieder gerade aus den Augen gucken kannst, Märchenprinz!" Schmollend schob Tatsuomi die Hände in die Hosentaschen, als seine Finger auf ein Hindernis stießen. "Gute Nacht", Balu wandte sich bereits der Tür zu. "Halt! Warte... bitte...", von der eigenen Tollkühnheit überrumpelt lief er dunkelrot an, fischte hastig das Band aus seiner Umhüllung. Balu kehrte an das Gitter zurück, lehnte sich mit einer Schulter an die Strebe. "Okay", murmelte Balu gedehnt, "du kannst dich wohl gar nicht mehr von mir trennen, was?" Tatsuomi langte eilig durch das Gitter und griff nach Balus rechtem Arm. "Würdest du das Band als Geschenk annehmen?", sprudelte er hervor und schob sein Kunsthandwerk in die kräftige Hand. Balu rückte näher an das Gitter heran und betrachtete das Band eingehend. Er hob den Kopf an und lächelte Tatsuomi milde an. "Es ist sehr schön. Hast du es selbst gemacht?" Tatsuomi nickte langsam, während er langsam seine Finger über Balus auf den Streben gleiten ließ. "Würdest du... es annehmen? Als Zeichen meiner Freundschaft?" Ein belustigtes Lächeln angesichts des durchsichtigen Manövers unterdrückend reichte Balu mit der freien Hand das Band zurück. Tatsuomis Gesicht verlor sein mühsam wiedergewonnenes Strahlen rapide. Balu befreite seine Hand und schob sie nun auch durch das Gitter. "Möglichst eng am Gelenk, damit ich nicht hängen bleibe." Tatsuomi benötigte einige Augenblicke, bis sein Verstand die Botschaft entschlüsselte, dann befestigte er sein Kunstwerk in Windeseile an Balus rechtem Handgelenk. "Danke, Tatsu-chan." Tatsuomi folgte bedrückt den sich seinem Zugriff entziehenden Händen, lehnte nun seinerseits an den Streben. "Darf ich wiederkommen?", bat er ungewohnt ernst um Zusicherung. Balu drehte sich in der Tür um und legte den Kopf schief. "Könnte ich dich davon abhalten?", lachte Balu kehlig und zwinkerte ihm zu. Auch wenn sich die Tür dann hinter Balu schloss, konnte doch nichts das federleichte Schweben in Tatsuomis Herz erschweren, als er sich in blendender Stimmung auf den Heimweg machte. ~@~ Yuugo erhob sich rasch und musterte Katsumi bestürzt. "Was ist passiert? Hat dir jemand etwas getan?!" Katsumi wischte sich mit einem Ärmel über die Augen und starrte finster an Yuugo vorbei. "Nein, mir hat niemand etwas getan. Im Gegenteil. Ich habe jemandem etwas getan." Verblüfft sackte Yuugo neben ihn in die Polster, hielt er es doch für unwahrscheinlich, dass sein Freund, auch wenn er ein knallharter Geschäftsmann und Manager war, einem anderen Menschen mit Absicht ein Leid antat. Katsumi schenkte ihm einen Seitenblick, der nicht zu entschlüsseln war, zog dann wieder die Knie an und wickelte die Arme um sie. Yuugo lehnte sich in die Polster und strich nachlässig mit einem Finger durch Katsumis wirre Strähnen, hauchzart, damit dieser ihn nicht abweisen konnte. "Du glaubst natürlich nicht, dass ich zu einer solchen Schandtat fähig wäre, oder?" Yuugo entflocht Strähnen in Katsumis Nacken, rutschte näher an ihn heran. "Engel, ich denke, dass du nicht boshaft oder heimtückisch handelst und die Konsequenzen deiner Handlungen sehr genau prüfst." Katsumi drehte den Kopf und sah Yuugo in die Augen, verunsichert. Er wollte bitter und ungenießbar sein, sich selbst bestrafen, indem er dafür sorgte, dass ihm niemand zu nahe kam, aber an Yuugo perlte dies ab. "Sag mir, was geschehen ist, oder muss ich es erst aus dir herauskitzeln?" Scherzhafte Worte, aber Yuugos Gesicht blieb ernst. Katsumi seufzte tief und rutschte tiefer in die Polster. Wie oft hatte er nun im Geist schon die Eröffnungsrede gehalten? Und doch war in diesem Moment alles vergessen, er selbst hilflos. Was ihm blieb, wie er resignierend feststellte, war ein schlichtes Resümee der Fakten. "Deine Mutter war heute bei mir im Büro. Sie will, dass ich dich nach Hause schicke." Yuugo sog scharf die Luft ein und ballte die Fäuste, die dunklen Augen verdüsterten sich verärgert. Katsumi seufzte, widerstand aber der Versuchung, die wenigen Zentimeter zu überwinden, die ihn von der zärtlichen Sicherheit in Yuugos Armen trennten. "Was hast du ihr gesagt?" Katsumi legte den Kopf in den Nacken und schloss ermattet die Augen. "Dass sie bitte mit dir sprechen sollte. Dass du freiwillig hier bist." "Und dann?" In Yuugos dunkler Stimme vibrierte unterschwelliger Zorn. "Oh, sie hat an mein Ehrgefühl als Sempai appelliert und als dies nicht fruchtete, hat sie mich daran erinnert, dass ich eine homosexuelle Beziehung mit einem Minderjährigen unterhalte." Yuugo stieß eine Verwünschung aus und sackte in sich zusammen. Katsumi murmelte selbstvergessen. "Weißt du, sie hat gar nicht so Unrecht, immerhin steht deine Zukunft ebenso wie meine auf dem Spiel." Yuugo schoss in die Senkrechte, sein gebräuntes Gesicht nun aschgrau. "Was soll das heißen?!" Katsumi setzte sich auf und wich dem flammenden Blick aus den schwarzen Augen nicht aus. "Ganz einfach. Du willst doch später mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, nicht wahr? Wie groß sind wohl deine Chancen, wenn bekannt wird, dass du mit einem Mann liiert bist?!" Yuugo schnappte mehrfach ächzend nach Luft, bevor er antworten konnte. "Also was?! Was ist die Conclusio?! Dass ich mich von dir trenne? Und schon ist alles in Butter, meine Zukunft gesichert? Bullshit!!" Katsumi grinste freudlos über Yuugos Ausbruch, schüttelte langsam den Kopf. "Du kannst ganz normal leben, mit einer Frau, eigenen Kindern, inmitten der Gesellschaft. Respektiert. Und", seine Stimme wurde scharf und eisig, "endlich von dem Stigmata des Mörderkindes befreit." Yuugo keuchte, wankte einige unsichere Schritte zurück, bis der Couchtisch ihn bremste. Katsumi erhob sich langsam, in fast rührender Würde die übergroßen Kleidungsstücke an ihren Plätzen haltend. "Wir könnten beide hübsch normal und akzeptiert leben, in Sicherheit." "Ich soll also lebenslang lügen, damit mich Leute annehmen, die mich zuvor verprügelt haben, weil die Frau, die mich geboren hat, ihren Mann tötete?! Ha!" Yuugos Stimme überschlug sich in verzweifeltem Hohn, als er die Fäuste ballte und den Kopf heftig schüttelte. "Nein. Nein, das kann ich nicht. Vielleicht bin ich ja wirklich so irre wie meine Mutter, aber ich werde mich nicht verstellen." "Und wenn ich mich nun für die andere Seite entscheide?" ~@~ Tatsuomi schlüpfte bemüht geräuscharm in den Flur, stellte Inliner und Rucksack ab und wollte in ihr nun verlassenes Zimmer schleichen, als sich Kouji aus dem Schatten löste. "Gib mir die Verwarnung." Tatsuomi erstarrte, kramte dann kleinlaut in der Hosentasche nach dem Papierball. Kouji drehte sich herum und ging ins Wohnzimmer voran, in der sicheren Erwartung, dass Tatsuomi ihm folgen würde. Über die Schulter fragte er, "was ist, hast du Hunger?" Tatsuomi zögerte, nickte dann. "Ja", gab er mit Verspätung zurück, als ihm klar wurde, dass Kouji ihn ja nicht gesehen hatte. "Gut, such mal unter den Anzeigen einen Service heraus"" Gehorsam blätterte Tatsuomi in einem bunten Fächer an Reklameblättern, fischte schließlich das Angebot eines indischen Restaurants heraus, eine exotische Erscheinung selbst hier. "Was denkst du?" Kouji nickte und reichte das Telefon weiter, tippte lässig die Menüpunkte an, die er zu sich zu nehmen wünschte. Nachdem Tatsuomi die Bestellung aufgegeben hatte, saßen sie sich schweigend gegenüber. Kouji, mit ausgebreiteten Armen die Länge des Rückenteils der Couch einnehmend, erkundigte sich endlich unter halb gesenkten Lidern nach Tatsuomis Tag. "Ich nehme mal an, du hast ihn nicht gefunden." "Nein", Tatsuomi krallte die Finger in die Polster, musterte mit aggressivem Gesichtsausdruck seinen Onkel, ob sich da etwa Schadenfreude in seine Miene mischte, aber Kouji wirkte nur ein wenig blass. "Ich dachte, er hätte keine Familie oder Freunde", sinnierte Kouji vollkommen gelassen weiter. Tatsuomi, von diesem Einwurf überrascht, blinzelte verwirrt. "Wie... wie kommst du denn darauf?" Kouji blies gedankenverloren eine tintenschwarze Strähne aus seinen Augen und lächelte fahl. "Wo sollte er sonst hingehen?" Dann lehnte er sich vor und fixierte Tatsuomi mit unbarmherzigen Blick. "Was weißt du eigentlich von ihm? Er ist ja nicht gerade auskunftsfreudig, dein Samurai." Bei diesem Wort zuckte Tatsuomi zusammen, schluckte beunruhigt. "Ich... ich..." Kouji grimassierte und stützte das Kinn in seine mechanische Hand. "Ja, das ist der alte Nanjou-Fluch, immer im Zentrum zu stehen und keinen Gedanken auf andere zu verschwenden." Tatsuomi lief rot an, knurrte in hilflosem Zorn, weil er zu seiner Frustration keine Verteidigung anführen konnte. "Aber... aber du hast doch gesagt, wir warten bis er sich wieder meldet, oder nicht?! Willst du ihn denn doch suchen?" "Nein." Kouji ließ sich flach der Länge nach auf die Couch sinken und schloss die Augen. "Das heißt aber nicht, dass mir gleichgültig ist, wie es ihm geht." Tatsuomi zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Mehr als je zuvor blieb ihm sein Onkel ein Mysterium. ~@~ "Was... was soll das heißen?!" Yuugo starrte Katsumi unverwandt an, nahm jedes Detail der fragilen Gestalt in ihrem seltsamen Aufzug in sich auf. Katsumi kämmte mit betont gezierter Geste einige schlohweiße Strähnen aus seinen Augen. "Das, was ich sagte. Was wäre, wenn ich die andere Seite wählte?" Yuugo schüttelte den Kopf, ein schiefes Lächeln auf den Lippen. "Das tust du nicht." "Ach, und warum nicht?" Katsumi kehrte Yuugo den Rücken, verschränkte die Arme vor der Brust. "Weil du mich liebst." Ein höhnisches Auflachen entwich Katsumi wie ein Fluch. "Was hat denn Liebe damit zu tun?!" Mit ausschweifender Gestik skizzierte er seine Argumente in die freie Luft. "Es wäre alles viel einfacher. Keine aufdringlichen Eltern, keine Sorgen, keine Angst vor einer Anzeige, Jetsetten ohne Rücksicht, One-Night-Stands..." "Das ist Unsinn!" Yuugo überwand in zwei Schritten den Abstand zwischen ihnen und packte Katsumi heftig an der Schulter, riss ihn herum. "Ich glaube dir diesen Quatsch keine Sekunde!" Seine glühenden Augen bohrten sich in die blanken Spiegel von Katsumis großen Augen. Mit einem heftigen Ruck befreite sich Katsumi aus dem harten Griff, verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen. "So? Ist dir eigentlich bewusst, welcher Übermacht wir gegenüberstehen? Wie es um unsere Chancen steht?" Er trat einen Schritt auf Yuugo zu, zischte ihm mokierend entgegen. "Wenn ich meinen Job verliere, was dann?! Oder deine Eltern mich anzeigen?" Mit arrogantem Hüftschwung schlenderte er zum Fenster. "Denkst du nicht, dass es mir zum Hals heraushängt, für dich die Verantwortung zu übernehmen? Mir ständig vorhalten zu müssen, dass mein lästerlicher Einfluss dich daran hindert, ein ordentliches Leben zu führen?" Nach einer gespannten Pause setzte er hinzu. "Sagen wir einfach, ich habe die Nase voll." Yuugo ballte die Fäuste, spürte, wie sich Härchen in seinem Nacken aufstellten, als eine überwältigende Welle weißglühenden Zorns seine Kehle hochschwappte, Vernunft und Beherrschung hinwegspülte. Ein paar Sätze, dann hatte er Katsumi erreicht, ihn bei den Handgelenken gepackt und mit aller Kraft auf die Polster der Couch geworfen. Vollkommen überrascht von der Gewalt dieser Attacke schnappte Katsumi nach Luft, aber Yuugo gönnte ihm keine Besinnung, presste Katsumis zerbrechlich schmale Handgelenke überkopf in die Polster und setzte sich auf dessen Hüften. In seinen Augen loderte eine wahnsinnige Flamme, deren Lohe seine Wangen färbte. Unfähig zu verständlicher Artikulation grub er die Zähne in Katsumis dünnes Hemd, zerriss es mit einer ruckartigen Kopfbewegung. "Yuugo!!" In Panik angesichts der Unberechenbarkeit von Yuugos Verhalten versuchte Katsumi diesen abzuschütteln, den brutalen Griff um seine Handgelenke zu lockern, aber vergeblich. "Du... wirst... mich... nicht.... verlassen...", zischte Yuugo gepresst zwischen blitzenden Zähnen hervor, dann senkte er den Kopf auf Katsumis Brust und verbiss sich in die Narbe über dem Herz. Sein beharrliches Saugen, das kundige Tasten seiner Zunge ließ Katsumis Herzschlag stolpern. Die Brustmuskeln zogen sich konvulsivisch zusammen. In Todesangst und überwältigender Lust zugleich schrie Katsumi wie ein gefangenes Tier auf. Mit geschlossenen Augen spürte er unter dem unerträglichen Schmerz, den sein überlastetes Herz aussandte, eine tiefe Befriedigung. Yuugo hatte keinen Augenblick an ihm gezweifelt. Schwärze umhüllte ihn. ~@~ Hotsuma stapfte erschöpft aber von unbarmherziger Disziplin angetrieben durch den Wald, als er zwischen den dichten Stämmen die Umrisse eines Gebäudes wahrnahm. »Ein.. Tempel?« Erleichterung durchflutete ihn wie eine warme Woge, konnte er doch hier sein Lager aufschlagen und sich ausruhen. Tatsächlich erwies sich der Bau als ein kleiner Tempel, das Innere mit hölzernen Laden für die Nacht abgedichtet. Aber im Schutz des Vordaches konnte Hotsuma seinen Schlafsack ausrollen, sich an der Quelle mit dem eisigen Wasser säubern. Er zündete eine Kerze an und stellte sie neben sich, klatschte dann in die Hände und gedachte seiner bekannten und unbekannten Ahnen. Und bat um Verzeihung für seinen Verrat. ~@~ Yuugo realisierte erst mit Verspätung, dass Katsumis Kopf zur Seite gesunken, die angstvolle Gegenwehr erlahmt war. Schlagartig erwachte er aus seiner Besessenheit. Grauen überkam ihn mit eisigen Klauen. "Oh mein Gott... Katsumi!! Katsumi!!" Seine zitternden Finger suchten den schwachen Herzschlag, den der Schrittmacher aufrecht erhielt, hauchten Atem auf die weißen Lippen. "Bitte, Engelchen, mach die Augen auf!!" Tränen benetzten Katsumis fahles Gesicht, als Yuugo ihn in die Arme hob und wie ein kleines Kind wiegte, schluchzend und betend zugleich. »Ich muss Hilfe holen«, meldete sich ein versprengter Rest seiner Ratio zurück, aber er konnte sich nicht überwinden, Katsumi loszulassen, um nach dem Telefon zu suchen. "Nnnhhhh", stöhnte Katsumi leise, als er langsam wieder in das Bewusstsein zurückkehrte. "Engel!! Oh Gott, es tut mir so leid!! Bitte, verzeih mir, Engelchen!" Alle Dämme brachen, als Katsumi die Augen flatternd aufschlug. Yuugo weinte hemmungslos, als die Erleichterung sich mit Gewalt ihren Weg bahnte, zog Katsumi eng an sich und bedeckte ihn mit feuchten Küssen. Zu kraftlos zu weiteren Reaktionen ließ sich Katsumi liebkosen und streicheln, schloss die Augen erneut und konzentrierte sich darauf, mit langen, tiefen Atemzügen sein Herz zu beruhigen. Sein Unterbewusstsein registrierte, wie Yuugo ihn auf seine Arme hob und in ihr Schlafzimmer trug, vorsichtig auf die Tagesdecke bettete. Ihn aus den geborgten Kleidern schälte, dabei, wie um sich selbst zu versichern, dass er sich nicht in Luft aufgelöst hatte, immer wieder über seine Glieder strich. Die vertraute Stimme dunkel und noch tränenschwanger an seinem Ohr. "Entschuldige, Engelchen, ich habe dein Hemd ruiniert." Katsumi kicherte leise, keuchend, sammelte sich für eine Antwort. "Welch ein... Drama,... wo ich... nur Schränke voll... damit besitze..." Er wurde in die kühle, glatte Decke gehüllt, dann senkte sich die Matratze, als Yuugo sich neben ihn legte, seine Körperwärme Katsumi anstrahlte. Eine Hand legte sich behutsam auf seine Brust, wölbte sich schützend und unsicher zugleich über der Narbe, unter der sich sein Herzschlag langsam regenerierte. "Verzeih mir, mein Engel", wisperte Yuugo unglücklich an seiner Seite. Katsumi lächelte, ohne die Augen aufzuschlagen, schob eine kalte Hand auf die warme. "Weißt du, dass ich Takuto manchmal beneidet habe um die absolute Liebe, die Kouji ihm widmet? Ich habe mir gewünscht, jemand würde auch so für mich empfinden." Yuugo seufzte neben ihm gequält, verkrampfte sich. "Ich bin nur ein Monster wie meine Mutter", brach es rau aus ihm hervor. Katsumi umfasste die Hand auf seiner Brust, hob sie an seine Lippen und küsste ihren Handteller sanft. "Nein, kein Monster. Der einzige Mensch, der in mir einen Engel sieht. Der niemals an mir zweifelt, selbst wenn ich mir selbst nicht mehr trauen mag." Yuugo rutschte näher an ihn heran, sein warmer Atem umschmeichelte Katsumis Gesicht. "Ich kann nicht anders, als dich lieben", flüsterte Yuugo unglücklich, "du machst mein Leben aus." Katsumi schlang Yuugos Arm um seine Taille, schmiegte sich eng an Yuugos Seite, seufzte wohlig unter der Wärme, die ihn empfing. "Genau das hat Kouji mir auch geantwortet, als ich ihn fragte, ob er die Folgen seiner Leidenschaft bedacht hätte." Er kicherte leise, erschöpft, strich langsam über Yuugos Arm. "Erinnerst du dich an unsere Unterhaltung damals? Als du sagtest, man könne nicht so leben? Wie es scheint, versuchen wir es doch." "Hast du Angst?", begehrte Yuugo rau zu wissen. Katsumi malte mit geschlossenen Augen Kreise auf die gebräunte Haut, die so stark mit seiner hellen kontrastierte. "Ja. Um dich. Um mich." Er drehte den Kopf und reckte sich, um einen sanften Kuss auf Yuugos Lippen zu blasen. "Ohne deine Kraft stehe ich das nicht durch." Yuugos Arm schob sich unter seine Taille, umfasste sie, dann drehte Yuugo sich auf den Rücken und hob Katsumi auf sich. "Ich bin Dein." Katsumi legte den Kopf auf Yuugos Brust, ließ sich von Atemzügen und Herzschlägen einlullen. "Ich bin kein Kind mehr, Katsumi. Ich weiß durchaus, was uns blüht." Yuugos Stimme schwebte düster in der Dämmerung. "Ich habe bezahlt für eine Sünde, die ich nicht begangen habe, Buße und Abbitte leisten müssen, noch bevor ich überhaupt begriff, warum." In seiner Stimme schwang wieder der glühende Zorn mit, der nur wenig zuvor Katsumi in Panik versetzt hatte. "Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Niemals." Katsumi erschauerte unter dem tödlichen Ernst, der messerscharf in diesen einfachen Worten schwang. Er kannte sie. Kouji trug dieselbe Entschlossenheit zur Schau, wenn es um Takuto ging. Und Takuto kämpfte mit diesem verzehrenden Feuer auf dem Fußballplatz. »Ich sollte mich wohl fürchten, aber das ist es nicht, was ich fühle. Stolz und Geborgenheit. Weil er mich so absolut liebt.« ~@~ "Na, Jungchen, hast du dich verirrt?" Hotsuma schreckte hoch, verhedderte sich in seinem Schlafsack und knallte wieder auf die Holzbohlen zurück. Ein mitleidiges Kichern ertönte, dann zog eine runzlige Hand den Reißverschluss herunter und ein faltiges Gesicht, nicht unähnlich einer Kröte mit seinen vielen Flecken, schwebte über ihm. "Guten Morgen, Jungchen. Hast dich wohl verlaufen?" Hotsuma brauchte einige Augenblicke, bis seine Ohren das fremde Idiom sortiert hatten, dann schüttelte er den Kopf, befreite sich aus seinem Schlafsack und erhob sich. Sein Gegenüber, ein alter Mann in verschlissenen, geflickten Kleidern warm eingepackt, kam erstaunlich energisch in die Höhe, enthüllte verblüffende Säbelbeine. "Guten Morgen. Meine Name ist Kurauchi Hotsuma", stellte sich Hotsuma mit einer tiefen Verbeugung vor. Es war ihm unangenehm, von diesem Mann überrascht worden zu sein und das noch direkt vor dem Eingang des Tempels. Der Alte kicherte gutmütig, verbeugte sich ebenfalls und brummte seine Antwort. "Yamagata Gonzou, freut mich." Hotsuma verharrte gebeugt. "Ich entschuldige mich vielmals für mein unbefugtes Eindringen in den Tempel." Mit einer fächelnden Handbewegung wehrte Gonzou seine Bitte um Verzeihung ab, klatschte stattdessen erfreut in die Hände. "Ach was, Jungchen, so weit ich sehe, steht der Tempel noch", buschige Augenbrauen wanderten clownesk in die Höhe, "und dann freuen wir uns immer über Besuch." Während er bereits geschäftig die hölzernen Läden aushängte, um den Tempel zu öffnen, erkundigte er sich erneut nach Hotsumas Ziel. "Nun, ganz unter uns, du hast dich doch sicher verirrt, oder? Ich meine, wir liegen hier ja nicht gerade an einer Ausfallstraße!" Mit einem hellen Grunzen zwinkerte er Hotsuma zu, der sich unterdessen bemühte, sein Reisegepäck zusammenzusammeln. "Yamagata-san, ich bin auf der Suche nach dem Ort Himegata." Überraschend wendig fuhr Gonzou herum und musterte Hotsuma interessiert. "Sieh mal einer an, sieh mal einer an!!" Sich das stoppelige Kinn massierend baute er sich direkt vor Hotsuma auf, der keinen Schritt wich. "Tja, dann hast du es tatsächlich fast geschafft, Jungchen. Und nenn mich Gonzou." Hotsuma unterdrückte den Drang zu blinzeln, spannte seine Muskeln an und nickte abgehackt. "Du stammst nicht aus Himegata", stellte Gonzou fest, gab Hotsuma keine Sekunde aus seinem klaren Blick frei. "Nein, Yama... Gonzou-san", gab Hotsuma zu. "Nun ja, das klären wir später!" Gonzou drehte sich auf dem Absatz, hoppelte die Stufen hinab, um über die Schulter nach Hotsuma zu rufen. "Komm schon, Hotsuma, gehen wir frühstücken!" Ein wenig verwirrt schulterte Hotsuma sein Gepäck, dann folgte er dem alten Mann den Pfad hinab. ~@~ Katsumi blinzelte, als der Wecker zum ersten Quäken ansetzte, fegte diesen ungehalten vom Nachttisch. "Autsch", murmelte er heiser, setzte sich auf. Durch das Sonnenlicht, das zwischen den Rollläden hindurch glitzerte, betrachtete er versonnen seine Handgelenke, auf denen sich Yuugos Finger deutlich abzeichneten. "Entschuldige, Engelchen", raunte Yuugo mit belegter Stimme in die schlohweißen Haare, legte beide Arme um die fragile Gestalt und hob die verwundeten Handgelenke sanft an. "Oh, schon gut, ich wollte ohnehin heute diese todschicke Piratenbluse ausprobieren!", lenkte Katsumi betont leichtmütig ab, lehnte sich zurück und hauchte Yuugo einen warmen Kuss auf die Wange. Dieser hielt noch immer den Kopf gesenkt und wirkte mit den zerwühlten, langen Haaren wie der Inbegriff des armen Sünders. Katsumi wand sich aus der federleichten Umarmung und kniete sich vor ihn, die Arme in die zierlichen Hüften gestützt. "Hey, bekomme ich heute Morgen nicht mal ein patentiertes Yuugo-Strahlen?! Kein Lächeln für mich?" Er legte eine Hand unter das kantige Kinn und hob es an, um in die schwarzen Augen sehen zu können. Yuugos Gesicht blieb ernst, von Schuldgefühlen geprägt. "Puh, du bist ein hoffnungsloser Schwerenöter, weißt du das?", flötete Katsumi übertrieben, gestikulierte wie eine Diva. Dann zeichneten seine Finger die lange Narbe in Yuugos Gesicht nach, während er sich die Lippen mit der Zunge befeuchtete. "Kaum bin ich wach, machst du mich schon wieder an", raunte er heiser, küsste Yuugo auffordernd. Seine Zunge tanzte so lange erbarmungslos über die heißen Lippen, bis ihr Eingang gewährt wurde. Aber noch immer schmeckte Yuugos Kuss ein wenig bitter. Katsumi schlang die dünnen Arme um seinen Nacken und musterte ihn streng. "Hey, mein Dämon, ich verzehre mich vor Leidenschaft, verbrenne Unmassen von Kalorien, wenn ich dich küsse und du lässt mich am langen Arm verhungern!", beklagte er sich spielerisch, lächelte in das müde Gesicht. Yuugos schwarze Augen bewölkten sich bereits, sein Blick war rasch über Katsumis Brust geglitten. Der ahnte, dass auch diese Spuren des gestrigen Abends das sensible Gemüt seines Geliebten belasteten. "Hey, hier spielt die Musik!", leckte er Yuugo über die Nasenspitze. Als dies nicht fruchtete, zog er scheinbar erbost die Augenbrauen zusammen, knurrte leise und hieb mit aller Kraft die Zähne in Yuugos Hals. Dieser keuchte überrumpelt, trieb die Finger in die Matratze, leistete aber keine Gegenwehr. Katsumi richtete sich auf, betrachtete die sich verfärbende Hautstelle zufrieden. "So, nun sind wir quitt! Klar?!" Mit energischer Geste rutschte er rittlings auf Yuugos Schoß, presste seinen Unterleib eng an dessen Unterbauch. "Und nun will ich endlich mein Lächeln sehen, sonst muss ich dich leider piesacken, bis du um Gnade bettelst!", verkündete er großspurig, was Yuugo ein schiefes Grinsen entlockte. Katsumi lächelte strahlend zurück, senkte dann seine Lippen verlangend auf Yuugos und forderte zu einem lustvollen Duell heraus. Ineinander verschlungen sanken sie zwischen die zerwühlten Laken, Raum und Zeit hinter sich lassend. ~@~ "Aufstehen!" Eine kräftige Hand klatschte energisch auf Tatsuomis Hinterteil. Mit einem Protestschrei fuhr dieser in die Höhe, die Fäuste selbst im Halbschlaf kampfbereit geballt. Die Decke, in die er noch gewickelt war, wurde mit kräftigem Ruck weggezogen, was ihn in heftige Turbulenzen brachte. "Na los, Kleiner, raus aus den Federn!" Diese mitleidlose, dunkle Stimme mit dem Kasernenhofton konnte nur seinem grauenhaft brutalem Onkel gehören!! "Was ist denn los? Brennt es, oder was?!" Wütend rieb er sich den Schlaf aus den Augen und starrte auf die offene Zimmertür, durch die sein Peiniger bereits verschwunden war. Tatsuomi kniff sich in den Arm, um den Realitätsgehalt dieses Ereignisses zu prüfen. Unglaublich, es war kein Traum!! Kouji war tatsächlich um diese Uhrzeit wach, und er hatte ihn aufgeweckt!! Tatsuomi sprang auf die Füße und hastete seinem Onkel hinterher. "Was ist los?!" Kouji, bereits in einen leichten Anzug aus edler Wildseide in warmen Karmesinrot gekleidet, zog eine feine Augenbraue hoch. "Wie wäre es mit Frühstück, Anziehen und Schule?", schlug er sarkastisch vor. Tatsuomi schnappte nach Luft. Auf der Theke warteten Kaffee, Cornflakes, Milch und Obst! Seine Kinnlade sackte herab. Kouji kletterte anmutig wie stets auf einen Barhocker und schenkte Kaffee aus. "Wenn du damit fertig bist, diesen ausgesprochen geistlosen Gesichtsausdruck zur Schau zu stellen, können wir frühstücken." "Seit ... seit wann machst du denn Frühstück?! Und weckst mich rechtzeitig für die Schule?" Kouji verdrehte die Augen und angelte eine Zeitung heran. "Nun setz dich endlich! Ich habe heute noch ein paar Außentermine, danach werde ich im Studio arbeiten. Du kannst mich per Handy erreichen, wenn etwas ist." Tatsuomi wankte völlig aus dem Takt gebracht auf seinen Platz und verbrannte sich die Zunge an einem Kaffee, der unfassbarerweise genießbar war. "Ich glaub's nicht... Nanjou Kouji kann Kaffee kochen!", murmelte er mit tauber Zunge. "Du solltest mehr Vertrauen haben", grinste Kouji über die Zeitung hinweg, ein spöttisches Funkeln in den abgründigen Augen. Tatsuomi blinzelte hilflos und fragte sich, ob es nicht gesünder war, dem Tatendrang seines Onkels weiträumig aus dem Weg zu gehen. ~@~ Hotsuma saß auf einer groben Holzbank auf der Veranda eines gedrungenen Hauses mit geschwungenem Dach. Er schlurfte einen starken Tee, den sein Gastgeber Gonzou extra mit Honig gesüßt hatte. In dem kleinen Garten hinter dem Haus hatte Gonzou ihm voller Stolz seine 'Familie' vorgeführt: drei Bienenstöcke, die eifrig in den umliegenden Wäldern ausschwärmten, um ihn mit Honig zu versorgen. Gonzou schenkte aus einem gusseisernen Topf Gemüsesuppe aus, begann dann, lautstark aus seiner Schüssel zu schlürfen. Hotsuma folgte seinem Beispiel zögerlich, überdachte seine Situation. Sie waren durch Himegata paradiert, als gelte es, eine Sensation bekanntzumachen, sein Gastgeber flink mit stolzgeschwellter Brust vorneweg, er selbst einige Schritte dahinter, steif und verschlossen. Er hatte sich mehr erwartet als ein winziges Bergbauerndorf mit niedrigen Häusern, die sich an einen Berg schmiegten, nur über eine Serpentinenstraße mit der Zivilisation verbunden. "Nun, Hotsuma, was führt dich denn hierher?" Gonzou wischte sich mit dem Handrücken über die stoppelige Landschaft in seinem Gesicht, offenkundig stolz, die beste Gelegenheit zu haben, diesen unerwarteten Besucher ausfragen zu können. "Ich bin auf der Suche nach Senshin-sama", gab Hotsuma zurück und neigte erneut dankbar den Kopf für die Speise. "Oh." Gonzou kratzte sich durch die Wollmütze am Kopf, die aufgekratzte Miene für Augenblicke erloschen. "So. Bist du ein Schüler? Oder ein Verwandter?" "Nein. Ich möchte seinen Rat erbitten. Mein Vater war ein Schüler", erläuterte Hotsuma, der den Verdacht hegte, dass Gonzou schlechte Nachrichten zurückhielt. "Ach ja. Kurauchi, das sagtest du, richtig?" Die altersfleckige Stirn legte sich in Falten, erhellte sich aber sofort wieder, als eine ältere Frau die grob gehauenen Steine zu Gonzous Haus hinauftrippelte, in mehrere Schichten Kattun einer einfachen Bauerntracht gehüllt. Unter einem farbenprächtigen Kopftuch glühten rote Wangen, die Augen verschwanden fast hinter Krähenfüßen, als sie mit breitem Lächeln eine Begrüßung entbot. "Mishima-san, welch eine Ehre, so früh am Morgen einer so lieblichen Gestalt wie Eurer ansichtig zu werden", raspelte Gonzou ganz Galan der alten Schule Süßholz, um dann mit ausschweifender Geste Hotsuma vorzustellen. Die alte Dame, wie Hotsuma nun erfuhr, war eine alleinstehende Nachbarin, die gekommen war, um ihren Honigvorrat aufzustocken. Natürlich ein Vorwand, den fremden Jungen in Augenschein nehmen zu können. Gonzou lud seine Nachbarin ein, ihnen bei Tee und einfachem Gebäck Gesellschaft zu leisten. Und nun kam Hotsuma nicht umhin, die Neugierde der beiden zu stillen. Mit gemessenen Worten suchte er sich aus der Affäre zu ziehen, bekannte, dass er aus Tokio hierher in das Hinterland auf Hokkaido gekommen war, um den Lehrmeister seines Vaters um Rat zu bitten. "Senshin-sama, sagst du?" Beredete Blicke zwischen den beiden alten Leuten, ein stummer Diskurs, wie vorzugehen sei. Hotsuma hütete sich, seine geheime Befürchtung, dass der Meister inzwischen verstorben war, auszusprechen, um nicht als unhöflich zu gelten und seine Gastgeber vor den Kopf zu stoßen. "Nun ja, mein Junge, leider...", Mishima-san nickte mehrfach bedauernd mit dem Kopf, "ist der ehrenwerte Senshin-sama nicht mehr von dieser Welt." Hotsuma senkte den Kopf, verdaute die Nachricht schweigend. Was blieb ihm nun zu tun? ~@~ "Yuugo, nicht, wir müssen nun wirklich..." Katsumis halbherziger Protest wurde in einem leidenschaftlichen Kuss erstickt, während sie sich mit geschlossenen Augen ein Duell der besonderen Art lieferten: Yuugo löste die Knöpfe, die Katsumi an seiner Bluse gerade erst geschlossen hatte. Schwindlig taumelten sie auseinander, sich stützend an den Händen haltend. Um in überdrehtes Kichern auszubrechen. "Nun komm, Yuugo-chan, wir müssen wirklich los!" Sie jagten übermütig zur Tür, schlüpften in ihre Schuhe und rannten Hand in Hand zur nächsten Station. Yuugo verlor kein Wort darüber, dass Katsumi sich erneut in seine alte Jeansjacke gewickelt hatte. Er tastete verstohlen nach dem herzförmigen Anhänger zwischen seinen Schlüsselbeinen und zwinkerte in der morgendlichen Enge seinem Freund zu. ~@~ "So einen weiten Weg! Was für ein Jammer!" Mitfühlend schenkte Mishima-san Tee nach, süßte ihn fürsorglich für Hotsuma, den angesichts der Honigmenge langsam schauderte. Schweigend leistete man einander Gesellschaft, lauschte auf die Vögel und verfolgte, wie die Sonne langsam den Boden aufwärmte. Hotsuma war dankbar, dass er daran gedacht hatte, entsprechende Bekleidung anzulegen. Das Temperaturgefälle im Vergleich zu Tokio war beträchtlich. Plötzlich hieb Gonzou mit beiden Handflächen kräftig auf die grobe Tischplatte, Entschlossenheit im Blick. "Ich bringe dich zum Senshin-Doujou!", verkündete er mit grollender Stimme. Mishima-san nickte bekräftigend und zog Hotsuma bereits wie ein Kind auf die Beine. Sie schritten feierlich wie in einer Prozession durch das Dorf, wo sich ihnen immer mehr Menschen anschlossen. Hotsuma hatte Mühe, seine Gelassenheit zu wahren angesichts des freundlichen Interesses der Leute um ihn herum. Wie er bemerkte, schienen hier nur noch alte Menschen zu leben. Ein oder zwei Kleinkinder folgten auf den gebeugten Rücken ihrer Großmütter. Am Rand des Dorfes, von hohen Bäumen beschattet, stand ein flaches, langgezogenes Gebäude in derselben Architektur wie die anderen Häuser des Dorfes. Gleich dem Tempel waren die Zugänge mit Brettern blockiert worden. Nach einem stummen Moment des stillen Gedenkens machte sich Gonzou, assistiert von zwei anderen Männern, daran, mit bedächtiger Gründlichkeit die Pforte freizulegen. Mit leicht rheumatischem Knirschen ließ sich die Tür beiseite schieben. Ein Schwall abgestandener Luft entwich. Ohne eine Absprache entledigte man sich seiner Schuhe, schlüpfte nacheinander hinein in den ausgekühlten Bau, der nur von zwei eigens entzündeten Laternen erhellt wurde. Hotsuma sah sich aufmerksam im Zwielicht um, bemerkte die kunstvolle Schnitzerei in den Wänden, die offenbar zu einem Innenhof hinausgingen. Der Hausaltar war geschlossen, die wenigen Möbelstücke sorgfältig verhüllt. Er seufzte leise. Man verließ das Haus ebenso diszipliniert, wie man es betreten hatte. Langsam zerstreute sich die Menge. Hotsuma blieb mit Gonzou zurück. Auf eine Geste hin nahmen sie auf der hohen Veranda Platz. "Du kannst gern eine Weile bei mir bleiben, Hotsuma. Wie dir sicher nicht entgangen ist, haben wir nicht gerade häufig Gäste in unserem Dorf." Hotsuma bedankte sich mit einer stillen Verbeugung. "Allerdings löst dies dein Problem noch nicht, richtig?", grinste Gonzou verschmitzt, um sich dann energisch auf die Säbelbeine zu stellen. "Nun, wäre eine Schande, so einen schönen Morgen mit Müßiggang zu vertrödeln! Lass uns mal nach den Fischen gucken!" Hotsuma erhob sich und trabte hinter Gonzou her, der mit Elan einen zugewachsenen Pfad zwischen den Bäumen anstrebte. Eigentlich sollte er wohl besser über seinen nächsten Schritt nachdenken, aber es gab keinen mehr. ~@~ Kapitel 6 - Allianzen Tatsuomi rollte seine Uniformjacke zusammen und befestigte sie an seinem Rucksack, strich sich dann durch die noch vom Duschen feuchten Haare. "He, Nanjou, nimmst du die Dinger auch mit ins Bett?" Tatsuomi streckte dem originellen Fragesteller die Zunge raus, ließ die Schnallen zuschnappen und warf sich den Rucksack über die Schultern. "Wohin so eilig? Wieder Weiber flachlegen?" Tatsuomi verdrehte die Augen, ungünstige Begegnungen verabscheuend. Die beiden Kraftprotze vor ihm, Oberstufenschüler und nach Tatsuomis Ansicht von bemerkenswerter Hässlichkeit, verstellten ihm den Weg. "Oder doch Schwänze lutschen? Was ist denn mit deinem Stecher, diesem Blindgänger?" Meckerndes Gelächter begleitete die Schmähungen. Tatsuomi senkte den Kopf, ein maliziöses Lächeln auf den Lippen, das vor einigen Jahren in einer anderen Schule der Auftakt für sehr schmerzhafte Ereignisse gewesen war. "Warum haltet ihr nicht irgendwo Händchen und holt euch einen runter?", flötete er in liebenswürdigstem Tonfall zurück, eine hervorragende Kopie seines Onkels abgebend. Die Reaktion erfolgte nach einer angemessenen Gedenkminute an die Schutzgötter der Einfältigen, aber Tatsuomi war auch mit Rucksack und auf Inlinern ein ebenbürtiger Gegner. Insbesondere nach einem Kendou-Training mit einem äußerst engagierten Lehrer, der den Nanjou-Doujou aus tiefstem Inneren verabscheute. Eine elegante Pirouette ließ einen Angreifer ins Leere rauschen, während Gegner Nummer Zwei in intimen Clinch die Richtung wechselte. Sich plötzlich dem Türrahmen gegenüber sah, bevor der frontale Kontakt ihn in Dunkelheit hüllte. Tatsuomi lächelte befriedigt, als die zweite Attacke erfolgte. »Eine gute Gelegenheit, den ganzen Frust und die Sorgen der letzten Tage loszuwerden.« ~@~ Hotsuma streute wie angewiesen eine geheimnisvolle Mischung aus zermahlenen Körnern und Samen in den Fischteich, während Gonzou dies einige Meter weiter an einem anderen erledigte. Imkerei, Fischzucht, Gemüseanbau, ein paar Hühner... das Leben hier war karg und im Winter sicherlich hart mit den Unmengen an Schnee. Dennoch schien es übersichtlich und erfüllend. Beiläufig machte Gonzou Hotsuma mit einer Kurzfassung seiner Biographie vertraut, die im Wesentlichen die untrennbare Verbundenheit mit seinem Dorf bekundete. Selbst einige Jahre in Sapporo hatten nichts daran ändern können. Hotsuma beneidete den agilen, alten Mann um sein zufriedenes Strahlen. Sie fingen einen sehr dicken Karpfen ein, den Gonzou mit Präzision und Schnelligkeit tötete. "Soll ich dir was verraten? Fischteiche sind hier gar nicht so einfach zu betreiben, aber wir haben hier eine heiße Quelle, und über eine Rinne zweige ich ein wenig Wasser ab, damit die Teiche niemals zu kalt werden." Hotsuma zeigte die entsprechende Bewunderung für die Findigkeit seines Gastgebers, der den Fisch stolz an einem Stock über die Schulter transportierte. Versorgt mit dem Klatsch aus der Nachbarschaft bereiteten sie gemeinsam den Fisch zu, mit Kräutern aus dem Garten und Honig abgeschmeckt. In Erwartung einiger Gäste, die natürlich nur zwecks Honigerwerbs vorbeikamen. Unerwarteterweise entspannte sich Hotsuma in der freundlichen Neckerei, die den gegenseitigen Umgang prägte, ertappte sich gar bei einem Lachen. Am späten Nachmittag lotste Gonzou ihn, bewaffnet mit einer Laterne und einigen Reisbällen als Proviant zum Senshin-Doujou. In Referenz des Meisters hatte er beschlossen, dass es angebracht sei, ein wenig die Spuren der Zeit zu vertreiben. Sie nahmen in einvernehmlicher Abstimmung die Bretter von den Fenstern und Schiebetüren, lüfteten gründlich und fegten den Boden, verbrannten altes Laub im Innenhof, der bereits verwildert wucherte. "Nun, Hotsuma, was für eine Frage wolltest du denn dem Meister stellen?" Gonzou streckte sich knackend und nahm auf einem Schmuckstein in Innenhof Platz. Hotsuma machte es sich auf einer gefegten Platte bequem und grübelte über eine angemessene Antwort. "Es wäre wohl nicht nur eine einfache Frage gewesen", sinnierte er leise, die schwarzen Augen auf einen verwilderten Strauch gerichtet. "Gonzou-san, ich bin hierher gekommen, um mir eine Zukunftsperspektive zu erbitten." Als keine Reaktion folgte, sah Hotsuma prüfend auf und wurde von einem warmen Lächeln ermuntert fortzufahren. "Mein Vater diente sein ganzes Leben lang seinem Herren als Leibwächter. Er wurde dazu hier ausgebildet, wie sein Vater vor ihm. Sein ganzes Leben wurde von diesem Mann, dem er diente, bestimmt. Selbst meine Existenz resultierte aus seiner Pflicht ihn gegenüber." Hotsuma konzentrierte seinen Blick starr auf den hauchfeinen Riss in einer Platte vor ihm. "Der Herr beschloss, eine Familie zu gründen. Und zum Schutz seines erstgeborenen Sohnes musste selbstredend ein Leibwächter gefunden werden, der ihm ergeben dienen würde bis zum letzten Atemzug. Mein Vater nahm also eine Frau, die seinem Herren verpflichtet war, zu seiner Ehefrau und zeugte mit ihr einen Sohn. Und erzog diesen Sohn ebenso zu einem Leibwächter, wie er erzogen worden war. Geboren, um zu dienen." Mit einem bitteren Lächeln legte er den Kopf in den Nacken und folgte dem Lauf der Wolken über den Himmel. "In Ehrenschuld starb mein Vater vor Kurzem mit seinem Herren. Ich blieb mit meinem Herren zurück." Mit einem nachdrücklichen Räuspern beschrieb er Gonzou seine Lebensumstände. "Ich kann mich nicht mehr an meine Mutter erinnern. Mich trennen von meinem Herren nur knapp drei Jahre. Nach seiner Geburt wurde ich sofort von meinen Vater ausgebildet. Mein ganzes Wesen, mein Leben wurde darauf ausgerichtet, diesem Jungen wie ein Schatten zu folgen, ihn zu beschützen und ihn so lange zu lehren, bis er in der Lage sein würde, sein Leben selbständig zu meistern." Hotsuma wischte sich nachlässig über das Gesicht. Es mussten wohl Wassertropfen in der Luft liegen. "Aber nun... nun bin ich nicht mehr in der Lage, ihn zu lehren oder gar zu schützen. Er übertrifft mich in allem, was er tut. Er braucht mich nicht mehr." Durch einen Schleier nahm er wahr, dass Gonzou sich hinüberbeugte und eine Hand auf seine Schulter legte. Mit einem erstickten Flüstern setzte er seine Erklärung fort. "Ich habe keinen Wert mehr. Und damit kann ich nicht leben." Beschämt senkte er den Kopf auf die Brust, die feinen, schwarzen Augenbrauen zusammengezogen. "Ich habe mein Wort gebrochen, Verrat begangen und Schande über meine Familie gebracht, indem ich einfach weggegangen bin." Tränen liefen über seine fahlen Wangen, als er Gonzou ansah. "Ich verabscheue mich selbst für meine Schwäche, aber... aber ich will nicht sterben!!" Mit einem sanften Schnalzen ging Gonzou in die Hocke und zog Hotsuma behutsam in eine lockere Umarmung, klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. "Na, na, Jungchen, sterben müssen wir ohnehin zu früh, damit wollen wir gar nicht erst anfangen", tröstete er mahnend. Hotsuma fasste sich wieder, verlegen wegen seines Ausbruchs. "Das ist wirklich eine schwierige Sache", eröffnete Gonzou mit ernstem Gesicht. "Und Selbstmord ist eine noch größere Schande, denn dann würdest du dich deiner Verpflichtung entziehen." Hotsuma nickte erschöpft, dieses Dilemma war ihm nur zu bewusst. "Ich werde mich eingehend mit dieser Frage beschäftigen", versicherte Gonzou, klopfte sich die Kehrseite ab und warf einen kontrollierenden Blick in den Himmel. "Aber nun müssen wir erst mal hier aufräumen und den Tempel verschließen!" Entschlossen watschelte er in Haus, überließ es Hotsuma, ihm zu folgen. Seltsam erleichtert, seine elementare Sorge geteilt zu haben, stand Hotsuma auf und wischte sich über die Augen. Der Himmel war nach wie vor ungetrübt. ~@~ "Balu! Yuugo!" Tatsuomi schoss mit Hochgeschwindigkeit auf das Tor zu, in der sicheren Erwartung, dass man ihm Einlass gewähren würde. Yuugo, der gerade mit feierlichem Ernst seine Schultasche zwei Adjutanten anvertraute, riss geistesgegenwärtig das Tor auf, als Tatsuomi bereits im Tiefflug an ihm vorbeirauschte und mit einem leichten Stolpern stoppte. "Wenn das kein Nanjou ist", kommentierte Yuugo trocken und schob verblüffte und begeisterte Kinder Richtung Haus. Balu, umringt von Kleinkindern, die sich praktischerweise an sein T-Shirt klammerten, verschränkte die Arme vor der Brust. "Märchenprinz, deine Technik ist lausig." Tatsuomi zog einen puttenhaften Flunsch und klopfte sich demonstrativ imaginäre Staubkörner von seinem Hemd. "Ich hatte einen harten Tag", entschuldigte er sich mit einschmeichelndem Augenaufschlag. Yuugo zog eine Augenbraue hoch. "Was ist mit deinem Hemd passiert?" Tatsuomi sah gehorsam an sich herab und schrak zusammen, als bemerke er erst jetzt, dass beide Ärmel fehlten. "Oh, na so was!" Er grinste breit und zog in Parodie vollkommener Ahnungslosigkeit die Schultern hoch. "Wenn mein Bruder dich in dem Aufzug erwischen würde, könntest du schon mal zwei Wochen Hausarbeiten in deinem Terminkalender einplanen", kommentierte Yuugo spöttelnd. "Was hat denn Hotsuma dazu gesagt?" Tatsuomis Gesicht verlor jeden Ausdruck, mit verkniffenem Mund stopfte er die Enden seines Hemds in die Hose. "Boys und Girls, wir gehen jetzt rein, Tee trinken!", kommandierte Balu und schob die widerwilligen Zaungäste ins Haus. Yuugo fasste Tatsuomi beim Handgelenk, Besorgnis in der Stimme. "Ist was mit Hotsuma nicht in Ordnung?" Ohne Yuugo anzusehen brummte Tatsuomi kleinlaut seine Antwort. "Er ist verschwunden." "Verschwunden?! Seit wann?!" Tatsuomi schüttelte seine Hand frei und stapfte ins Haus, sich ausgiebig mit dem Abschnallen seiner Inliner befassend. Ein guter Vorwand, nicht in das ohne Zweifel finstere Gesicht von Yuugo sehen zu müssen. "Seit vorletzter Nacht. Hat nicht geschrieben, wo er hingeht, nur, dass er sich wieder meldet." Yuugo plumpste schwer neben ihn hin. "Ich verstehe nicht... gab es Streit?" Tatsuomi schüttelte stumm den Kopf, richtete sich endlich wieder auf. "Ich weiß nicht, warum er gegangen ist. Ich dachte, alles sei in Ordnung." Yuugos scharfem Blick entging nicht, dass es in Tatsuomi arbeitete. "Aber das stimmt wohl nicht?!", soufflierte er. "Phhh", gab Tatsuomi mit einer abschätzigen Geste zurück, "gerade haben mich zwei Gorillas angemacht, die mir gesagt haben, dass er durchfallen wird, weil seine Noten so schlecht sind. Er hat kein Wort davon gesagt." In dem letzten Satz schwang eindeutig Enttäuschung und verletzter Stolz mit. Tatsuomi rieb sich die Nasenspitze und starrte düster auf einen Fleck am Boden. "Wir hatten uns versprochen, wie Brüder zueinander zu stehen. Und nun lässt er mich einfach allein, erzählt mir nichts mehr... er fehlt mir." Yuugo verwuschelte in gespielter Munterkeit Tatsuomis schulterlange Haare. "Mach dir keine Sorgen, ihm geht's sicher gut, und er wird sich bald melden! Hotsuma ist schließlich Hotsuma!" Tatsuomi begegnete seinem Blick zweifelnd. "Ja, richtig. Aber wer ist Hotsuma wirklich?" ~@~ Kouji unterdrückte leichten Widerwillen professionell, als sich die kreischende Horde weiblicher Groupies um ihn drängte, ihn bestürmte, nach ihm fasste, schrill-unverständliche Wortfetzen ihm entgegenflogen. Sein patentiertes Pokerface mit dem arroganten Glitzern in den geheimnisvollen Augen löste Schwindelanfälle und Hysterie aus. Den Ausgang fest im Blick pflügte er durch die gesichtslose Menge, als ein plötzlicher Schmerz ihn herumfahren ließ. Die Masse verschwamm, aber sein Herz raste, aus seinem Rhythmus gebracht, kalter Schweiß klebte das Sakko an seinen Rücken. Ihn schauderte. »Eine böse Vorahnung?« Kouji ballte die Faust, fletschte die Zähne und suchte, die Menge zu durchdringen. »Wer auch immer du bist, fordere mich nicht heraus!!«, fauchte sein angespannter Körper, strahlte Feindseligkeit und Entschlossenheit aus. Aber der unbekannte Gegner zeigte sich nicht. ~@~ Tatsuomi zupfte mit feuchtem Hundeblick an Balus T-Shirt, genoss heimlich das Funkeln in den schwarzen Augen, das ihn warnte, nicht zu weit zu gehen. "Komm schon, ich habe meine Aufgaben alle erledigt! Nur ein bisschen herumfahren, ja?! Bitte!!" Helles Kichern hinter vorgehaltenen Händen irritierte ihn nicht im Mindesten. Verschwörerisch zwinkerte er Balus Schützlingen zu. "Wir könnten auch laufen und die Knirpse mitnehmen", offerierte er großherzig einen Kompromiss, wild mit den Augenlidern klappernd. "Spaziergang!! Spaziergang!!", echoten begeistert die Trabanten und zerrten nun auch verstärkt an Balus Shirt. Mit einem leisen Schnaufen hob Balu eine Hand an, was sofortige Ruhe auslöste. "Also gut. Zieht euch etwas an, geht zur Toilette, wascht die Hände und dann treffen wir uns wieder hier!" Mit Jubelgeschrei stoben die Kinder auseinander, während Tatsuomis Grinsen seinen Kopf in zwei Hälften zu teilen drohte. Unter dem eisigen Blick schrumpfte es allerdings schleunigst wieder auf Normalgröße. Balu baute sich direkt vor ihm auf, sah ihn unverwandt an, was eine seltsam bedrohliche Qualität annahm, die Tatsuomi nur aus amerikanischen Spielfilmen kannte. "Ähm, ja...", zog Tatsuomi den Kopf zwischen die Schultern und wand sich unbehaglich. "Wenn du noch einmal so eine Nummer abziehst, dann werde ich dich nicht mehr treffen." Entsetzt ruckte Tatsuomis Kopf hoch. Die schönen Augen panisch aufgerissen umklammerte er spontan Balus kräftige Hände. "Es tut mir leid!! Wirklich leid!! Entschuldige!!" Schweigend musterte Balu ihn, ausdruckslos. "Ich dachte, im Kendou wird auch Selbstbeherrschung gelehrt", spottete Balu dann sanft, ein winziges Glitzern in den Augen. Tatsuomi grinste unsicher, zuckte verlegen mit den Schultern. "Ich bin kein besonders guter Schüler", bekannte er leicht verlegen, zwinkerte dann wieder, von Erleichterung durchdrungen. "Nun", Balu befreite seine Hände, "was ist mit deinem Hemd passiert?" "Och", winkte Tatsuomi ab, schob sich beiläufig die langen Haare hinter die Ohren, "ich bin mit zwei Kotzbrocken aneinander geraten, die Streit gesucht haben." "Hast du gewonnen?", erkundigte sich Balu, füllte eine Umhängetasche mit Utensilien. "Natürlich!" Tatsuomi stemmte leicht beleidigt die Hände in die Hüften. "Scheint wohl doch ein wenig hängen geblieben zu sein vom Kendou", scherzte Balu und hob die Tasche über den Kopf. "Bist du bereit?" Tatsuomi blinzelte, dann schulterte er eilfertig seinen Rucksack. Um diesen Sekunden später wieder mit einem eifrigen Glühen auf den Wangen abzusetzen. "Warte mal!! Ich habe dir dein Tuch mitgebracht, selbst gewaschen!!" Er erhob sich wieder, verkündete mit stolzgeschwellter Brust, "und es ist auch nicht eingelaufen!!" Tatsuomi überreichte mit beiden Händen und einer Verbeugung das farbenprächtige Tuch, mit dem Balu sein Bein verarztet hatte. "Vielen Dank, Sunny!" Ein Strahlen glitt über Tatsuomis Gesicht, als er in der schleppenden Aussprache das schnurrende Kosewort vernahm, wohlige Schauer durch seinen Körper jagend. Doch bevor er seinem Behagen Ausdruck verleihen konnte, waren sie von den ausflugswilligen Kindern eingeschlossen. Auch Yuugo folgte mit den Nachzüglern. Er zwinkerte Tatsuomi zu und setzte zu einer Rede an. "Räuber, heute wird mich Tatsuomi als euer Anführer und gefürchteter Pirat vertreten! Ihr steht unter seinem Kommando und werdet nun in geheimer Mission den Botanischen Garten einnehmen!" "Aye, aye!", jubelte seine Anhängerschaft. "Du kommst nicht mit?", hakte Tatsuomi irritiert nach. Yuugo schüttelte den Kopf, lächelte rätselhaft. "Ich muss noch einen Besuch machen." Dann fiel sein Blick auf das Tuch in Balus Händen. Er tauschte einen verschwörerischen Blick mit dem jungen Mann, in dessen Augen es ebenso mutwillig blitzte. "Sunny", gedehnt schmeichelten sich die Silben in Tatsuomis Ohren, "komm doch mal her, bitte!" Gehorsam rückte dieser an Balu heran, ein erwartungsvolles Grinsen im Gesicht. Mit zwei kräftigen Strichen kämmte ihm Balu die honigblonden Strähnen aus dem Gesicht, drehte ihn dann energisch an der Schulter herum und band ihm das Tuch in Dreiecksform über Kopf und Stirn. Die losen Enden flatterten locker über die Schultern. "Nun haben wir einen richtigen Piraten, abgerissen", Balu zupfte demonstrativ an den Ärmelansätzen, "und exotisch." Yuugo zuzwinkernd setzte Balu sich dann mit ruhigem Schritt an die Spitze der Kindergruppe, überließ es Tatsuomi, das Schlusslicht zu bilden. Yuugo sah der bunten, fröhlichen Truppe aufmerksam nach. Für Augenblicke hatte die Luft gebrannt, als sich Tatsuomis attraktives Gesicht gewandelt hatte, fremder und vertrauter zugleich wurde, ein Strahlen aussandte, das die Sonne blendete. Yuugo kannte diesen Ausdruck. Er erschien immer dann, wenn ein berühmt-berüchtigter Rocksänger sich unbeobachtet glaubte und seiner großen Liebe gegenüberstand. ~@~ Takuto hetzte trotz der frühen Stunde bereits unermüdlich um den Platz, wirbelte trockenen Staub auf der Aschenbahn auf. Deutschland. Erst vor wenigen Stunden nach einem angenehm ruhigen Flug gelandet und einquartiert hielt ihn nichts im Hotel. Ein geschichtsträchtiges Stadion eines Rekordmeisters. Keuchend stemmte er die Hände auf die Knie, hob dann den Kopf an, um unter den überlangen Strähnen in die aufgehende Sonne zu blinzeln, die die außergewöhnliche Architektur des Stadions verzauberte. Er hatte von diesem Ort geträumt. Diese fremdartigen Namen ausgesprochen. Und nun stand er hier. Würde gegen seine Idole, gegen Weltruhm antreten, sich mit den Besten messen, auch wenn es nur eine freundschaftliche Begegnung war. Vor fast ausverkauften Rängen bei sicherlich herrlichem Wetter. Takuto tat etwas, was er seit dem Tod seines Vaters nicht mehr getan hatte. Er breitete die Arme weit aus, drehte sich immer wilder im Kreis, den Kopf in den Nacken gelegt und lachte glückselig, übersprudelnd. ~@~ Yuugo drückte die Klingel und wartete. Er fühlte sich seltsam leicht, ruhig, obgleich ihm noch vor einigen Minuten mulmig gewesen war. Aber nun hatte er sich entschlossen. Als sich die Tür öffnete, lächelte er seiner Mutter entgegen. Diese erblühte in einem ungläubigen Strahlen. "Yuugo-chan, du bist zurückgekehrt!" ~@~ Tatsuomi bremste einen übereifrigen Entenjäger, bevor dieser sich im Teich wiederfand, dann machte er es sich neben Balu auf der Wiese bequem, immer ein wachsames Auge auf seine Schützlinge. Es machte Spaß, mit großen Augen verehrungsvoll angesehen zu werden und außerdem... bedeutete es in diesem Augenblick, die erfüllende Gesellschaft von Balu genießen zu können. "Schon was von deinem Freund gehört?" Balu zog die Knie an und betrachtete den leichten Wellenschlag des Teichs. "Nein", murmelte Tatsuomi bedrückt, musterte Balus Profil. "Ich frage mich, ob er... ob er wegen mir gegangen ist", bekannte er leise. Balu zog eine Augenbraue hoch, sprach aber nicht, sah unverwandt auf das Wasser hinaus. "Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass mir gar nicht aufgefallen ist, dass wir uns entfremdet haben." Schuldbewusst kopierte Tatsuomi Balus Haltung, die Knie vor die Brust gezogen, das Kinn darauf abgelegt. "Hast du Geschwister?", erkundigte er sich dann, scheinbar das Thema wechselnd. Balu strich sich kurz über die dunklen Stoppeln, bevor er antwortete. "Eine Schwester. Älter. Verheiratet." "Siehst du sie gelegentlich?" Tatsuomis Augen wanderten über die ausgeprägten Konturen von Balus Profil. Etwas an den gespannten Sehnen, dem leichten Zusammenziehen der Augenbrauen verriet ihm, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. Auch die Pause, die Balu einlegte, bevor er antwortete. "Nein. Sie lebt in den Staaten. Wir haben uns nicht besonders viel zu sagen gehabt." Tatsuomi zögerte, aber seine Neugierde ließ sich nicht weiter bezähmen. "Wohnen deine Eltern auch in Tokio?" "Ja." Nur ein kehliger Laut, knapp, wie eine Tür, die sich vor einem schloss. "Ich frage zu viel, oder?" Balu wandte den Kopf, musterte Tatsuomis ernste Miene. Dann seufzte er, ein schmerzliches Lächeln auf dem Gesicht, das durch die gefletschten Reißzähne einen bedrohlichen Charakter annahm. "Ist schon okay." Balu ließ sich langsam auf die Wiese zurückgleiten, die Arme unter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen. Tatsuomi entwirrte seine Glieder, kniete sich neben ihn, widerstand der Versuchung, über die entspannten Züge mit den Fingerspitzen zu streifen. "Warum bist du Kinderpfleger geworden?" Balu schwieg unbeweglich, so lange, dass Tatsuomi bereits glaubte, dieser habe seine Frage gar nicht gehört. "Ich möchte es besser machen." Balus Stimme war leise, sein Akzent noch ausgeprägter als üblich. Für einen Augenblick trieb die müßige Frage durch Tatsuomis Gedanken, ob Balu wohl noch auf Amerikanisch träumte, aber mit einem Ruck kehrte er wieder in die Wirklichkeit zurück. "Besser als...?" "Meine Eltern", raunte Balu kaum hörbar, als befinde er sich auf der Schwelle des Schlafes. Tatsuomi beugte sich tief über Balu, sein Schatten bedeckte die ausgeprägten Züge vollkommen. Zögerlich zeichneten seine Fingerspitzen den Haaransatz an Balus Stirn nach. "Sie haben dich wohl vernachlässigt", wagte er tollkühn eine Vermutung, beäugte ängstlich Balus Gesicht. Balu lächelte leicht, aber es war eine freudlose Grimasse. "Ziemlich dumm von ihnen, haben sie sich was entgehen lassen", scherzte Tatsuomi mit nervösem Kichern, strich hauchzart über die schwarzen Stoppeln. Balu schlug langsam die Augen wieder auf, sah Tatsuomi prüfend an. Dieser errötete prompt, wich aber dem inspizierenden Blick nicht aus. "Du magst mich wohl wirklich", stellte Balu fest, einen überraschten Unterton in der Stimme. Tatsuomi, dem dies nicht entgangen war, kniff Balu spottend in die Nasenspitze. "Was du nicht alles merkst!", knurrte er gespielt verärgert. Balu zwinkerte nachlässig, und Tatsuomi schmolz förmlich dahin, hielt ergriffen die Luft an, während sein Herz schmerzte. Mitten in das stumme Duell ihrer Blicke platzte ein Zögling, einen unglücklich quakenden Frosch in den pummeligen Händen eingeschlossen. Sofort wandelte sich Balu zum Kinderpfleger, rief die anderen herbei, um ihnen Wissenswertes über diese Amphibie zu erklären. Tatsuomi, der sich im Hintergrund hielt, betrachtete Balu seltsam betäubt. In seinem Inneren tobte ein Orkan, hieb seine Klauen in Tatsuomis Eingeweide, raste blindwütig, rannte sich an den Grenzen seines Leibes blutig. Erbleichend erkannte Tatsuomi, was ihn so aufwühlte. Eifersucht. Er wollte Balu für sich allein haben. ~@~ Yuugo ließ sich am Handgelenk in das fast steril wirkende Wohnzimmer ziehen. Seine Mutter sprach aufgeregt davon, Kirschtee zuzubereiten und diese europäischen Kekse zu servieren, als sie Platz nahmen. Yuugo betrachtete sie mit einer Mischung aus Mitgefühl und Wehmut. "Mutter, ich bin nicht zurückgekehrt." Das extrovertierte Plappern versickerte langsam, die verhärmten Züge stählten sich. "Aber du musst zurückkommen! Ich werde diesen Perversen zwingen, dich gehen zu lassen!! Du kannst nichts dafür, er hat dich verführt, deine Unschuld ausgenutzt." "Mutter", unterbrach Yuugo gefasst, "ich habe ihn verführt." Der schmale Mund verschwand völlig in dem hageren Gesicht. "Wenn er dich nicht freigibt", setzte sie ungerührt fort, so als habe er nicht gesprochen, "dann werde ich es zur Anzeige bringen! Ich werde ihn melden, immerhin bist du minderjährig!" Yuugos Miene spannte sich, aber er behielt das leichte Lächeln bei. "Dann würde ich mich gezwungen sehen, mitzuteilen, dass mich meine Eltern völlig mittellos auf die Straße gesetzt haben, obwohl ich minderjährig bin und sie für mich sorgen müssen." Mit einem diabolischen Funkeln ergänzte er dann ruhig. "Das würde den Nachbarn gar nicht gefallen, denke ich." Seine Mutter ballte die Fäuste, starrte grimmig auf die Tischplatte, die sie trennte. "Das würdest du nicht tun!" Yuugo lehnte sich betont langsam in die Polster zurück. Er brauchte sich nicht der Mühe einer Antwort zu unterziehen, sein Schweigen allein sprach Bände genug. "Wie... wie kannst du nur?!" Mitleidig lehnte er sich vor und legte eine Hand auf ein knöchernes Knie. "Lass mich dir einen Vorschlag machen. Halten wir für eine Weile Abstand voneinander und sehen einfach, wie es sich entwickelt. Und dann... treffen wir uns und sprechen miteinander. Wie eine Familie." Er zog sich wieder zurück auf seine Seite, wartete geduldig, bis das nervöse Hantieren seiner Mutter mit einem Stofftaschentuch erstarb. "Ich muss nun gehen, Mutter." Yuugo erhob sich geschmeidig, legte kurz, fast flüchtig die Hand auf eine schmale Schulter und strebte gemessen der Tür zu, als ihn ein Ruf aufhielt. Seine Mutter, zerbrechlich und zusammengeschrumpft, stand hinter ihm im Flur. "Ich habe in deinem Zimmer einige Dinge zusammengepackt, die du sicher brauchen wirst." Als Yuugo den vertrauten Weg die Treppen hoch zu seinem Zimmer nahm, war er froh, dass es bereits dämmerte. So konnte er unbemerkt mit dem Ärmel die Tränen abwischen, die unter seinen Brillengläsern hindurch lautlos seine Wangen hinabglitten. ~@~ "Sie halten eine Sensation in Ihren Händen", keifte die schrille Frauenstimme schmerzhaft in den Ohren des Redakteurs. Unentschlossen ließ er die Fotografien vor sich auf den glatt polierten Tisch sinken, fächerte sie auf. Keine Frage, etwas Vergleichbares hatte es noch nie zuvor gegeben, aber ihm missfiel die Frau außerordentlich. Und die Sache konnte sich als zu groß erweisen. Er griff nach dem Telefon. "Ich muss das mit der Verlagsleitung abstimmen", erklärte er. Die Frau nickte knapp, zog heftig an ihrer Zigarette. Rauchwolken verdunkelten die ohnehin schwache Beleuchtung in dem unscheinbaren Büro. Siegessicher blitzten gelblich verfärbte Zähne auf. »Oh ja, sie würden nicht widerstehen können!« ~@~ "Balu?" Tatsuomi fasste mit der Rechten nach Balus Arm, grub die Fingernägel absichtlich tief in die Muskeln des Oberarms. "Sunny?" Balu blieb gelassen, nickte einer Kinderpflegerin zu, die die erschöpfte Rasselbande geduldig einsammelte und zum Abendessen führte. "Ich brauche Bewegung!", verkündete Tatsuomi abgehackt. Die nervöse Unruhe ließ seine freie Hand unermüdlich an den Hemdzipfeln herumfingern. "Laufen wir ein Stück?" Balu musterte Tatsuomi schweigend, nickte dann wortlos. Ohne Kraftanstrengung löste er seinen Arm aus Tatsuomis Zugriff und betrat das Haus. Tatsuomi wandte sich ab, lehnte sich schwer auf die Strebe der Absperrung zur Straße, warf den Kopf in den Nacken und starrte in den sich bereits sanft rötenden Himmel, ohne diesen wahrzunehmen. Mit einem Ruck riss er sich aus einander umkreisenden Gedanken, schnallte die Inliner um, kramte seine Sonnenbrille, die Schützer und Handschuhe aus seinem Rucksack. Als Balu hinter ihn glitt, zurrte er gerade das bunte Tuch fest um seine Stirn. Balu lächelte sparsam, zückte seine Sonnenbrille, schob die kräftigen Hände in seine Handschuhe. Er hatte seine Kleider gewechselt, trug nun eine eng anliegende Hose aus synthetischem Material, so eisblau wie die Tätowierungen auf seinen Armen, die blank lagen. Ein Muskelshirt umspannte seine Brust, während um seinen Hals ein schwarzes Tuch lag. Seine gebräunte Haut glänzte, als habe er sie vorsorglich eingeölt, um der nächtlichen Frische zu trotzen. "Ein richtiges Rennen?", vergewisserte sich Balu mit zusammengezogenen Augenbrauen. Tatsuomi nickte knapp. In ihm brodelte es explosiv, er musste diese Anspannung irgendwie lösen, bevor es zu einer Katastrophe kam. "Okay." Balu schob das schwarze Tuch über die Nasenspitze wie ein Desperado. "Let's go!" Und fegte wie ein Eissturm von dannen. Tatsuomi fletschte die Zähne, als er dem blauen Blitz folgte, sich rücksichtslos antrieb. Balu zu schlagen würde vielleicht die Verwirrung kompensieren, die ihn befallen hatte. ~@~ Takuto lachte und gähnte zugleich. Auch wenn sie verloren hatten, so hatten sie sich wacker geschlagen, ihr Angriff war nicht zu unterschätzen gewesen, und sie hatten Tore geschossen!! Er wusste, dass das Lächeln, das auf seinen Zügen strahlte, sich nicht mehr so einfach verabschieden würde. Mit einem freundlichen Schulterklopfen verabschiedete er sich von seinen Kameraden in dem traditionsreichen Wirtshaus mit seinen ungewohnten Speisen und der Unmenge Bier. Er wollte diese Nacht klar und deutlich in Erinnerung behalten. Als einen wichtigen Schritt zu seinem Triumph! ~@~ Katsumi riss förmlich die Wohnungstür aus den Angeln, als Yuugo unter der Last zweier Kartons schwankte. "Was ist das denn?!" Yuugo keuchte Mitleid erregend, ließ sich bereitwillig von einem Karton befreien und streckte sich knackend. "Ein Teil meiner Sachen. Ich war bei meinen Eltern." Auf Katsumis ungläubigen Blick hin korrigierte er sich leise, "nun, bei meiner Mutter." Katsumi schnappte sprachlos nach Luft. "Aber... aber... ?!" Yuugo lächelte schief, schob beide Kartons in ihr Appartement, umschlang Katsumis fragile Taille. Bugsierte seinen zerbrechlichen Freund sanft, aber bestimmt in ihr Appartement, um dann fest die Tür zu schließen. "Ich verstehe nicht ganz...", brabbelte Katsumi, zwischen Überraschung und Verärgerung pendelnd. Yuugo drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn, schlüpfte dann aus seinen Schuhen. "Mach dir keine Gedanken, Engelchen, es ist alles in Ordnung. Sie werden uns nicht mehr drohen." "Oh. Toll. Fein." Mit steifem Schritt stakste Katsumi verärgert in ihr Wohnzimmer zurück, plumpste kindisch schmollend in die Polster der Couch. Streifte die Hasenpuschen von den Füßen und wickelte sich wieder in eine flauschige Decke, den Blick fest auf die Mattscheibe gerichtet, wo sich eine klamaukartige Show austobte. Yuugo rieb sich den Nacken, lehnte sich in den Türrahmen und betrachtete seinen Freund. Die schlohweißen Haare, die ein wenig verstrubbelt aus der violetten Decke ragten, den zusammengekauerten Leib darunter, die pinkfarbenen Puschen vor der Couch. »Gott, er ist zum Anbeißen!«, seufzte er nachsichtig lächelnd. Unbeeindruckt von Katsumis stummer Protesthaltung umrundete er den Tresen, begann, hinter der Küchenzeile einen Happen anzurichten. Yuugo bemerkte, wie seine Schultern sich langsam entspannten, als sei mit der Aussprache heute ein bleiernes Gewicht von ihm gewichen. Unbewusst summte er eine einfache Melodie vor sich hin, während er gleichzeitig geschäftig eine süßsaure Sauce mischte, den Reiskocher im Auge behielt und Gemüse dämpfte. Katsumi musste sich zwingen, den Kopf nicht zu drehen, als der appetitliche Geruch von Gewürzen und aromatischen Ölen in seine Nase stieg. »Wie konntest du nur?!«, grollte er stumm. »Sie hätten dich verletzen können mit ihren bornierten Vorwürfen!« Wobei, wie er sich eingestand, die angeführten Argumente nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen waren. Konnte man wirklich nur auf ein Gefühl hin alles riskieren? "Essen, Engelchen!", unterbrach Yuugo fröhlich trällernd Katsumis düstere Gedanken. "Grmbl", gab dieser zurück, erhob sich aber doch, um auf den Barhocker zu klettern, noch immer in seine Decke gewickelt wie ein Indianer. Yuugo lächelte ihn unverwandt an, servierte ihm Tee. "Ist dir kalt, Engel?" Seine Rechte strich liebevoll verwirrte Strähnen aus Katsumis spitzem Gesicht. Katsumi ließ seine Füße mit den unförmigen Hasenpuschen gegen den Tresen schlagen. "Grmbl!", bequemte er sich zu einer Reaktion, wich Yuugos Grinsen aus. Yuugo drang nicht weiter in ihn, sondern aß entspannt, bediente Katsumi immer wieder. "Ich musste einfach noch einen Versuch wagen", brach Yuugo sein Schweigen, legte die Stäbchen neben sich. "Immerhin sind es meine Eltern. Ich kann nicht einfach aufgeben, nur weil es schwierig wird", erläuterte er, fing Katsumis Blick ein und hielt diesen fest. "Und ich habe dir nichts gesagt, weil du dir sonst den ganzen Tag Sorgen gemacht hättest", führte er weitere Beweggründe für sein Vorgehen zu Felde. Katsumi lief rot an, fauchte empört und riss sich gewaltsam von Yuugos schwarzen Augen los. "Wieso sollte ich mir Sorgen machen?! Du tust doch ohnehin, was du willst!", schimpfte er beleidigt, rutschte von seinem Hocker und wechselte wieder auf die Couch. Yuugo grinste, strich sich lange Strähnen aus dem Gesicht. Katsumi in der Defensive zu haben versprach immer den seltenen Genuss, einen Jungen zu erleben, der sich ausnahmsweise mal nur auf sich konzentrierte. Einen Luxus, den sich Katsumi durch die tödliche Krankheit seiner geliebten Schwester und seinen Arbeitsdrang kaum gegönnt hatte. Yuugo sammelte das Geschirr ein, wusch ab und sann über die Ereignisse des Tages nach. Hotsuma verschwunden. Nun, auch wenn er selbstverständlich beunruhigt war, so vertraute er instinktiv darauf, dass der ruhige, gleichaltrige Junge keine Dummheiten begehen würde. Balu und Tatsuomi. Das war eine Entwicklung, die er nicht erwartet hatte, schienen die beiden doch so gegensätzlich zu sein. Bei der Erinnerung an Tatsuomis brennenden Blick schauderte es Yuugo. Er hoffte inständig, dass sich hier nicht wieder eine Nanjou-typische Amour fou entzündete. Leise seufzend verstaute er das Geschirr, streifte die Schürze ab. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Katsumis Kopf herumschnellte, als dieser sich nicht dabei ertappen lassen wollte, wie er Yuugo beobachtete. "Ich werde zu Bett gehen, Engelchen", verkündete Yuugo laut. "Okay", knurrte Katsumi betont gleichgültig. Ruhig verließ Yuugo das Wohnzimmer, wechselte zum Bad. »Eine entspannende Dusche nach einem aufreibenden Tag ist genau der richtige Schlusspunkt«, befand er, streifte sich rasch die Schuluniform ab und glitt unter die lauwarme Brause. Unzählige Tropfen umschmeichelten seinen Körper wie Abertausende liebkosende Fingerspitzen, sanft, flüchtig, mild. Yuugo schloss die Augen, stützte sich kräftig mit beiden Handflächen an den Kacheln ab, ließ nun auch seine langen, schwarzen Haare durchnässen. Ein unerwarteter kühler Luftzug trieb eine Gänsehaut über seinen Rücken, aber eingelullt von der freundlichen Wärme musste sich Yuugo erst schwerfällig wieder an die Oberfläche seiner Wahrnehmung kämpfen. Katsumi stand direkt vor ihm zwischen seinen ausgestreckten Armen, das Haupt schlohweiß, die Unterlippe trotzig vorgeschoben. Die dünnen Arme vor der Brust verschränkt wirkte er wie eine widerspenstige Amourette. Die liebliche Röte auf seinen Wangen verstärkte diesen Eindruck noch. "Sie hätten gemein werden können!", bockte Katsumi in kindlichem Quengelton, starrsinnig auf seiner Sicht der Dinge beharrend. Yuugo grinste, beugte sich hinunter und küsste die vorwitzige Nasenspitze. Als er sich wieder aufrichten wollte, schlang Katsumi mit verblüffender Vehemenz die dünnen Arme unter Yuugos Achseln hindurch auf dessen breite Schulterblätter, presste sich eng an ihn. Yuugo löste seine Hände von den Kacheln, streichelte sanft über den knochigen Rücken, schob sich unter die Brause, damit auch Katsumi in den Genuss der warmen Massage der Wassertropfen kam. "Hey, Engelchen", hauchte Yuugo mit sanftem Spott in die weißen Haare, "ich bin schon ein großer Junge, ich kann auch das verkraften." Als Katsumi den Kopf in den Nacken legte, gegen den Sprühregen aus der Brause mit seinen langen Wimpern anblinzelte, erschrak Yuugo vor dem gequälten Ausdruck in den schönen, großen Augen. "Aber ich kann nicht ertragen, wenn man dir wehtut!", bekannte Katsumi kläglich, allen Anzeichen der kindlich-trotzigen Scharade verlustig gegangen. "Es ist nun in Ordnung!", suchte Yuugo zu beruhigen, angelte mit der unversehrten Hand nach dem Duschgel. "Ich seife dich ein, Engel, und dann kuscheln wir noch ein wenig, ja?", lenkte Yuugo besänftigend ab, verteilte die Waschcreme auf seine Handflächen und schäumte sie auf. Liebevoll nahm er Katsumis schmale Gestalt in Angriff, bemerkte erschrocken, welche Spuren noch immer die helle, sommersprossige Haut zeichneten als Relikt der verhängnisvollen Leidenschaft in der letzten Nacht. Eine Welle des Selbstekels stieg ihm sauer in die Kehle, seine Hände zögerten in ihren kreisenden Bewegungen auf der weichen Haut. Katsumi, der Yuugos Berührungen zwischen sehnsuchtsvoller Hingabe und unterdrückter Leidenschaft verfolgte, kannte den verzweifelten Ausdruck in den schwarzen Augen. Energisch brachte Katsumi das Duschgel in seinen Besitz, begann nun seinerseits, Yuugo einzubalsamieren, mit festen Schwüngen und knappen Anweisungen. Als sie nun beide in den schimmernden Film der Lösung getaucht waren, schmiegte sich Katsumi eng an Yuugo an und schloss die Augen. So warm, sicher und geborgen sollte es immer sein! ~@~ Balu raste wie mit der Unaufhaltsamkeit einer Lawine den Asphalt des Abhangs hinunter, von der untergehenden Sonne in Flammen gesetzt und glühend wie ein Feuerball. Tatsuomi, der gegen schmerzende Glieder und Atemnot ankämpfte, krampfte sich das Herz zuckend in der Brust zusammen. »So unantastbar, so voller mühsam gebändigter Energie!!« Während er angestrengt gegen die Erschöpfung und schwindende Konzentration anging, flackerte in seinem Kopf die Frage auf, was Balu wohl dazu befähigte, so schwerelos dahinzugleiten. Und warum er selbst keine Freude an ihrem Wettrennen empfand, sondern nur Wehmut und Zorn. ~@~ Hotsuma zündete vorsichtig die steinernen Laternen an, die eine unsichtbare Linie bis zum Haus von Gonzou bildeten. Da es nur an der Hauptstraße eine elektrische Straßenlaterne gab, versank das Dorf wie auch die Umgebung langsam in der Dämmerung. Durch die rasch fallende Temperatur bildete sich herbstlich anmutender Nebel, dämpfte die spärlichen Laute, ließ die wahrnehmbare Welt schrumpfen. Nun wiesen nur noch vereinzelte Laternen und Leuchten auf andere Lebewesen in dieser Einsamkeit hin. Gonzou breitete eine Decke aus, winkte Hotsuma zu sich und drückte ihm einen Becher stark gesüßten Tees in die Hand. Schweigend verfolgten sie den Einbruch der Nacht. Als sich die ersten Sterne vom Firmament abhoben, spürte Hotsuma ein Lächeln auf seinem Gesicht. Es hatte sich eingeschlichen wie ein Dieb, heimlich, unbemerkt. Und nun wollte es nicht weichen. ~@~ Yuugo band eine Schleife in das Band, das seine Pyjamahose hielt, machte Anstalten, das Oberteil zu entfalten, als Katsumi ihm sanft, aber bestimmt in den Arm fiel. Yuugo zog verwundert die Augenbraue hoch, feuchte Strähnen aus seinem Gesicht wischend. Statt einer Antwort dirigierte Katsumi ihn zu ihrem Bett, hieß ihn dort Platz nehmen, um dann mit einem Föhn zurückzukehren. Sich hinter Yuugo kniend begann er sodann, die langen, nassen Strähnen mit dem Gebläse zu trocknen. Seine schlanken Finger kämmten zärtlich durch die schwarze Mähne, entwirrten sie fürsorglich. Yuugo schnalzte genießerisch mit der Zunge, lehnte sich an Katsumis Brust an, schwelgte in der intimen Nähe der bloßen Haut. "Und deine Haare, Engelchen?", seine Arme angelten nach der schlohweißen Pracht. Katsumi knurrte gespielt ungehalten, wich den Attacken geschickt aus. "Ich bin ein Lufttrockner!", beschied er hoheitsvoll, legte mit abschließender Gestik den Föhn auf die Seite. Yuugo nutzte die Blöße, um beide Arme um Katsumis fragile Taille zu wickeln und diesen fest an sich zu ziehen. "Zieh es aus", bat er mit rauer Stimme, brannte schläfrige Küsse auf Katsumis ungeschützten Hals. Dieser streifte sich langsam den seidigen Stoff von den Schultern, schleuderte sein Hemd blind von sich, ergab sich den fordernden Liebkosungen. In einer Wolke von Zärtlichkeit und Wärme einzuschlafen war ihm das Paradies des Augenblicks. ~@~ Tatsuomi lehnte nach Atem ringend an einem behelfsmäßigen Absperrgitter zu der ruhigen See. Wischte sich mit dem Handrücken immer wieder das Blut vom Gesicht, das aus seiner Nase rann. In seinem Kopf tobte sich eine ganze Schmiede mit Begeisterung aus, während ein Jahrtausend-Feuerwerk vor seinen Augen explodierte. Durch einen betäubenden Nebel vernahm er Balus besorgte Fragen nur gedämpft, beachtete sie aber nicht weiter. Erste Priorität hatten die tobenden Stimmen in seinem Kopf, die erbarmungslos schrill und unerbittlich seine körperliche Schwäche kommentierten. Er war noch nie zuvor so mühelos geschlagen worden. Hatte sich noch nie einer ausweglosen Situation gegenübergesehen. Balu war gelaufen wie losgelöst, in einer anderen Welt, unerreichbar. Verzweiflung und ohnmächtiger Zorn über seine Aussichtslosigkeit kochten zu einer unverdaulichen Mischung in ihm auf, seine Knöchel knackten unter der Belastung, als er die Holme umklammerte. Es war zu viel!! Ungerecht!! Vor seinen Augen erschien eine kräftige Hand, reichte ein schwarzes Tuch. Als Tatsuomi leicht den Kopf anhob, sah er sich Balus besorgten Augen gegenüber, die Sonnenbrille thronte auf der Stirn. Er wollte ihm also sein Halstuch offerieren?! Ihm wohl noch die Nase wischen wie einem kleinen Kind?! Das mit großen Augen voller Anbetung und Bewunderung hinter ihm her tapste wie ein Welpe?! »Ich bin Nanjou Tatsuomi, erster Sohn des Nanjou Hirose!!« Mit einem gepressten Fluch bohrten sich seine Fingernägel in Balus Handgelenke, katapultierte Tatsuomis Schwung diesen in die engen Maschen des Drahtzauns. ~@~ Völlig perplex schnappte Balu nach Luft, aber Tatsuomi warf sich mit aller Gewalt gegen ihn, schlug die Zähne wie ein Raubtier in Balus Lippen und erkämpfte sich den Zugang zu dessen Mund. Balu spürte betäubt, wie die trockene Haut aufplatzte, Blut sich mit Speichel vermischte, während eine rasende Zunge rücksichtslos seinen Gaumen malträtierte. Dies war kein Kuss, sondern ein schaler Racheakt für verschmähte Liebe. Und Gegenwehr kontraproduktiv. ~@~ Tatsuomi ließ erst von seiner brutalen Attacke, als seine Lungen protestierend brannten. Balu lehnte noch immer in dem engmaschigen Netz. Blut und Speichel sickerten seine Mundwinkel entlang zu seinem Kinn hinunter. Die schwarzen Augen waren blank, bar jeden Ausdrucks. Er zitterte nicht einmal. Tatsuomi torkelte unbeholfen einige Schritte von ihm weg, spuckte dann heftig aus. Und als wäre dies der Auftakt gewesen, stieg ihm bittere Galle hoch, die er würgend von sich gab, bis sein Leib von den konvulsivischen Zuckungen derartig erschüttert wurde, dass Tatsuomi in die Knie brach. All seine Wut, sein Schmerz, seine Enttäuschung hatten ihn im Stich gelassen, nur ein ausgebranntes Wrack war ihm geblieben. »Und ich dachte, ich liebe ihn!«, stocherte er von Selbsthass erfüllt in der offenen Wunde, »stattdessen habe ich bloß eine Freundschaft zerstört und meiner verfluchten Eitelkeit gefrönt!« Wieder erschien das schwarze Tuch vor seinem Gesicht. "Hier, wisch dir das Gesicht ab, ja?" Tatsuomi war zu verblüfft, um in Scham den Blick abzuwenden, er sah Balu direkt in die Augen. Und erkannte ein ruhiges, reserviertes Lächeln, nachsichtig, verständnisvoll. »Wieso war ich bloß so blind?! Wieso habe ich geglaubt, dass du für mich mehr empfinden könntest? Wieso... wieso fühle ich dieses glühende Verlangen, dir bis zum Ersticken nahe zu sein, nicht mehr? Was... was ist mit mir los?!« ~@~ Kouji massierte sich geistesabwesend die Schläfen, während er auf das dumpfe Signal des Videorekorders wartete, das ihm bedeutete, dass das Band wieder zurückgespult worden war. Bereits zum dritten Mal kündigte ein begeisterter Moderator mit einer unmöglichen Wischmopp-Frisur die Aufzeichnung des Freundschaftsspiels in Deutschland an. Kouji kannte die Worte nun auswendig, aber er widerstand der Versuchung, schneller zu spulen, lächelte müde vor sich hin. Er fühlte sich noch nicht erschöpft genug, um in einen traumlosen Schlaf zu sinken. Und jedes Maß unter dieser Grenze drohte mit quälender Sehnsucht nach Takuto in dem einsamen Bett mit den kalten Laken. Beiläufig hob er den Kopf an, als die Haustür ins Schloss fiel. Nur wenige Augenblicke später schob sich Tatsuomi in das Wohnzimmer, dem fahlen, einsamen Lichtschein des Fernsehschirms ausweichend. "Hey", murmelte er leise. Kouji, der abgelenkt nickte, runzelte die Augenbrauen, als seine Intuition mit Verspätung Alarm schlug. Tatsuomi wortkarg und so lebendig wie ein toter Käfer?! Ein Seitenblick bestätigte ihm die Ungewöhnlichkeit der Situation. Tatsuomi lag wie eine vergessene Flickenpuppe in den Polstern der Couch, die langen Beine weggestreckt, das Gesicht, in das Grün eines europäischen Rasens getaucht, fahl und ausdruckslos. Alt, bitter, mit unterdrückten Gefühlen bis zum Bersten angefüllt. Kouji zögerte. Sollte er warten, bis Tatsuomi aus eigenem Antrieb zu sprechen begann, oder sollte er selbst in den sauren Apfel beißen? Denn, und darüber machte er sich keine Illusionen, es würde sicher keine angenehme Unterhaltung werden. Tatsuomi nahm ihm die Entscheidung ab. "Du vermisst ihn sehr, oder?" Kouji versuchte, Tatsuomis Blick aufzufangen, aber die schönen Augen starrten konsequent auf den Couchtisch. Vorsichtig formulierte er eine möglichst unverfängliche Antwort. "Er ist mir immer nah. Egal, wo wir uns befinden." Tatsuomi stemmte sich aus den Polstern und begann, im Wohnzimmer unruhig auf und ab zu tigern. Seine Hände öffneten und schlossen sich unkontrolliert. Kouji strich sich tintenschwarze Strähnen aus den Augen, beobachtete das unruhig flackernde Feuer, das Tatsuomis schlanke Gestalt zu entflammen schien. Ohne seinen Marsch zu stoppen enthüllte Tatsuomi zischend seine Gefühle, mehr zu sich selbst sprechend als zu seinem Onkel. "Weißt du, was ich gerade getan habe? Ich habe einen Jungen geküsst. Ich dachte tatsächlich, dass ich in ihn verliebt sei. Er war eine Herausforderung, etwas, was mir nicht sofort in den Schoß gefallen ist." Kouji schauderte es unter dem bitteren Ton, in dem ein böses, erbarmungsloses Lachen schwang, das sich ausschließlich gegen Tatsuomi selbst richtete. Wo auch immer der aufgeweckte, naiv-freundliche Tatsuomi sich verbarg, dies hier bewies Kouji leider nur zu deutlich, dass niemand von dem Nanjou-Fluch verschont blieb. Tatsuomi setzte seinen Monolog fort, mit wachsender Verzweiflung und Zorn, als sich seine Beherrschung verlor. "Verdammt, es war nur eine Grille!! Ich habe keine Vorstellung, wie es ist, sich zu verlieben! Alles, was ich zuwege gebracht habe, war eine traurige Kopie aus zweitklassigen Schmachtfetzen!! Ich dachte, hey, mein Leben ist so beschissen, die Schule ist langweilig, also suche ich mir etwas, was mich ein wenig fordert! Und dann kommt dieser Junge, der wie eine Maschine skaten kann!" Tatsuomi bremste vor Kouji und funkelte ihn mit glühenden Augen an. Er beugte sich herunter, stützte die Hände, Koujis Oberschenkel flankierend, auf. "Er glüht, wenn er läuft. In diesen Momenten ist er vollkommen. Perfekt. Eins mit sich." Tatsuomis Gesicht war nur Zentimeter von Koujis entfernt. In den schönen Augen flackerte ein verheerendes Feuer, unheilig, aber leider nur zu vertraut. "Allein hinter ihm zu laufen war schon ekstatisch! Und ich wollte dieses Feuer!! Für mich!!" Mit einem bitteren Auflachen, das in den Ohren gellte, richtete sich Tatsuomi auf, kehrte Kouji den Rücken zu und begann, erneut auf und ab zu laufen. "Ich habe mich so sehr nach einem solchen Hochgefühl gesehnt! Nach einem Licht in meinem Leben!" Kouji schraubte sich langsam in die Höhe, behielt aber seine defensive Haltung bei. "Hast du dich so gefühlt? Bevor du Takuto gefunden hast?!" Tatsuomi fauchte wie eine Furie, die Fäuste geballt. "Sag es mir! Du warst doch genauso von deinem Leben gelangweilt wie ich! Nicht mal deine Liebschaften oder die Musik haben dir genügt, oder?" Kouji gemahnte sich zur Ruhe, verschränkte mit nachlässigem Gesichtsausdruck die Arme vor der Brust, eine Augenbraue gelupft. "Gefühle kann man nicht herbeizwingen, Kleiner." Seine kühlen, leicht amüsiert wirkenden Worte sollten wie eine kalte Dusche auf Tatsuomi wirken, jedoch ging diese Strategie nicht auf. Tatsuomi baute sich direkt vor ihm auf, wahrte nur noch mühsam die Fassung. "Verdammte Scheiße, Kouji, hältst du mich für beschränkt?! Behandle mich nicht wie ein verblödetes Gör!" Koujis abgründige Augen verdüsterten sich gewittrig. "Ich hab's so satt!!! Diesen ganzen verfluchten Scheiß in meinem Leben!! Hotsuma lässt mich hängen, immer muss ich den lieben, netten Jungen von nebenan geben!! Es kotzt mich dermaßen an...!!!" Tatsuomi würgte nun wirklich, als habe seine ausgetrocknete Kehle ihr Stichwort vernommen und untermale nun melodramatisch die Szene, indem sie ihm weitere Tiraden unmöglich machte. Kouji straffte sich auf seine volle imponierende Größe und funkelte seinen Neffen eisig an. Es fiel ihm schwer, den erwachsenen, gemäßigten Part zu geben, wo ihm diese aufwühlenden Empfindungen doch vertrauter waren, als er zugeben wollte. "Tatsuomi, reiß dich zusammen!! Diese Jammerei ist erbärmlich." Wenn Kouji gehofft hatte, dass diese spöttische Mahnung seinem erbosten Neffen den Wind aus den Segeln nehmen würde, so sah er sich getäuscht. Tatsuomi sprühte Zorn wie ein Feuerball in alle Richtungen, selbst seine Augen brannten lichterloh. "Ach ja?! Ich habe keine Scheiß-Lust, mich zusammenzureißen!!! Warum auch?! Du bist ja wohl kaum in der Position, mir Vorhaltungen zu machen!!" Koujis Lippen wurden schmal. "Was ist los, Mr. Rockstar?! Vertragen wir die Wahrheit nicht?!", höhnte Tatsuomi boshaft, "oder hast du vergessen, wer du bist?! Du bist keinen Deut besser als ich!!" "Das reicht jetzt." Kouji zwang sich, die Stimme ruhig zu halten, während sich seine Hand stählern um Tatsuomis Handgelenk schloss. Dieser wehrte sich nun wild, ungezielt, trommelte mit der freien Hand auf Koujis Brust. "Lass mich sofort los!!! Das ist alles nur deine Schuld!! Du solltest auf uns aufpassen!! Hast du vergessen...!" Weiter kam Tatsuomi nicht. Koujis Hand teilte die Luft wie ein Messer Butter. Der flache Handrücken klatschte Tatsuomi auf den Mund. Ungläubig brach seine Kanonade ab. Betäubt tastete seine Hand nach dem dünnen Blutrinnsal, das sich zu seinem Kinn hinabschlängelte. Kouji blieb eisern ruhig, auch wenn er innerlich zitterte. Wäre Tatsuomi älter gewesen, jähzorniger oder gar so besessen wie Akihito, so hätte dieser Disput sicher in einem ernsthaften Kampf geendet. Aber Koujis instinktive Einschätzung erwies sich als richtig. Langsam füllten sich Tatsuomis Augen mit Tränen, die sich lautlos über seine Wangen ergossen. Nicht mehr ungebärdiger Trotz stand in ihnen, sondern der verzweifelte Ruf nach Hilfe. Kouji lockerte behutsam den schraubstockartigen Zugriff, brachte ein wenig Abstand zwischen sie. Tatsuomi senkte den Kopf, drehte ihn auf die Schulter, bemühte sich, das krampfhafte Zittern und Schluchzen zu unterdrücken, das seinen Körper marterte. Kouji seufzte lautlos und wünschte sehnsüchtig Takuto herbei, verstand dieser es doch immer wieder, zu vermitteln und zu versöhnen. Eine Fähigkeit, die Kouji sich nicht hatte aneignen können. So blieb ihm nichts als der unsichere Versuch, Trost zu spenden. Behutsam hob er die Hand an, legte sie hauchzart unter Tatsuomis Kinn und forderte diesen mit sanftem Druck auf, ihm wieder in die Augen zu sehen. Feuchtigkeit umfing seine schlanken Finger, sammelte sich in seinem Handteller, als Tatsuomi endlich den Widerstand aufgab. Und sich nach einem schier ewigen Augenblick der Atemlosigkeit aufschluchzend in Koujis Arme zu werfen. Er weinte, als hätte man ihm alles geraubt, was jemals von Wert in seinem Leben gewesen war. Kouji zuckte unter dieser Attacke, schlang dann beschützend die Arme um dieses Bündel bodenlosen Elends und wiegte es einlullend. "Kleiner... Sonnenschein... nicht weinen... alles wird wieder gut..." Wie sehr er diese Phrasen immer verabscheut hatte und nun, da er selbst hilflos war, sich in sie flüchtete! Er legte den Kopf in den Nacken und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. »Ich bin auch allein und fühle mich verlassen.« ~@~ Die Walzen liefen auf Hochtouren. Bald schon würde die erste Ausgabe stehen, dann würden ganze Ladungen wie jeden Morgen landesweit an die Händler ausgeliefert werden. Sie lächelte sich im Spiegel entgegen. Auch wenn ganz sicher das Fernsehen eine ausgeschlafene Reporterin zeigen wollte, so würde sie in der Nacht ihres Triumphs kein Auge zutun. ~@~ Kouji streifte Tatsuomi die Kleider ab, steckte ihn mit nachsichtiger Sorge wie ein Kleinkind in einen Pyjama und deckte ihn bis zum Kinn zu. Als er aus dem Zimmer gehen wollte, schnellte Tatsuomi hoch und umklammerte Koujis künstliche Hand. Kouji entsprach dem stummen Flehen in den rot-stichigen Augen, ließ sich auf der Bettkante nieder. Unschlüssig, was von ihm erwartet wurde, hüllte er sich in vielsagendes Schweigen. "Es tut mir leid", wisperte Tatsuomi kläglich, aber keineswegs kindlich. Kouji wandte den Kopf, um in das vertraut-fremde Gesicht zu blicken. Ja, Tatsuomi war noch immer ein Kind, mit sanft gerundeten Gesichtszügen. Aber nun waren auch die strengen Züge, die sich in seinem leidenschaftlichen, vielleicht sogar zügellosen Wesen fanden, nicht mehr zu übersehen. »Als hielte man mir einen Spiegel vor«, durchzuckte es Kouji unwillkürlich. "Ich weiß, dass Hotsuma wegen mir weggegangen ist", flüsterte Tatsuomi rau weiter, die schönen Augen ermattet halb geschlossen. "Er kennt mich seit meiner Geburt, er hat sicher gemerkt, was für ein Betrüger ich bin." Beruhigend strich Kouji durch die honigblonden Haare, zeichnete liebevoll Tatsuomis Gesichtszüge nach. "Wieso Betrüger?" "Weil ich ein Blender bin!! Ein Lügner!!" Mit sich überschlagender Stimme stemmte Tatsuomi die Ellenbogen in die Matratze, setzte sich hoch. "Ich gebe den lieben Jungen, dabei brenne ich vor Wut!! Ich möchte am Liebsten alles in Stücke reißen!! Ich habe Lust zu brüllen, bis meine Stimme zerbricht!!" Mit einem weiteren, trockenen Schluchzer presste Tatsuomi die Handflächen auf die Augen, kauerte sich zusammen, zitternd, aber zu schwach, um erneut einem Tränenausbruch zum Opfer zu fallen. Kouji legte wieder seine Hand in den anmutigen Nacken, begann, energisch die Sehnen und Muskeln zu massieren. "Warum dachtest du, diesen Jungen zu küssen sei eine Lösung?", versuchte er abzulenken. Tatsuomi nahm die Hände von den Augen, umklammerte den eigenen Oberkörper eng. Ohne Kouji anzusehen bemühte er sich um eine Erklärung. "Es schien so richtig, ich meine, Mädchen waren bloß langweilig, die alten Weiber, die mich ansprachen, wollten bloß an dich ran, also... ich meine..." Er stockte, eine verlegene Röte auf den Wangen. "Ich dachte...es war so phantastisch, wie er lief! Er war so glücklich, so... perfekt. In Harmonie." Tatsuomi richtete sich langsam auf, schenkte Kouji ein scheues Lächeln. "Kennst du diesen Ausdruck... poetry in motion? In diesem Augenblick habe ich begriffen, was damit gemeint war." Nachdenklich kämmte Tatsuomi glatte Strähnen hinter die Ohren. "Es war seit langem das Schönste, was ich gesehen hatte. Und da beschloss ich, mich zu verlieben. Dumm, nicht wahr?" Mit einem erstickten Lachen knotete Tatsuomi die schlanken Finger ineinander, nicht länger vermögens, seinem Onkel ins Gesicht zu sehen. Kouji konnte ein nachsichtiges Grinsen über diesen Rest an Unschuld nicht unterdrücken. Vielleicht war Tatsuomi wie alle Nanjous ein von seinen Leidenschaften Getriebener, aber noch konnte man dies in weniger schmerzhafte Bahnen lenken. Liebevoll verwuschelte er die glatten Haare. "Ich kann nicht behaupten, dass das eine gute Idee war, aber..." Ein anzügliches Grinsen stahl sich in Koujis attraktive Züge, "sag mal...kann er gut küssen?" Tatsuomi stand vor Verblüffung der Mund offen. Erst nach mehrmaligem Blinzeln konnte er sich wieder in die teilnehmende Hälfte der Realität zurückkämpfen. "Du bist wirklich unmöglich!!" Ein heftiger Knuff traf Koujis rechten Arm, was dieser mit einem leichten Grunzen wegsteckte. "Das ist keine Antwort!", stichelte er weiter, was Tatsuomi unversehens Farbe in die Wangen trieb. "Ich sage nichts mehr ohne Anwalt!", verkündete er mit brennendem Gesicht, die Arme entschlossen vor der Brust verschränkt. "Ich könnte dir einige Tricks verraten", gurrte Kouji gnadenlos, nur durch einen entschlossenen Kniff in die Nase zu bremsen. "Ich will nichts wissen, klar?! Ich finde diese Details lieber selbst heraus!", verkündete Tatsuomi mit so viel Würde, wie man in einem gepunkteten Pyjama aufbringen konnte. Kouji flatterte mit den Augenlidern, posierte täuschend divenhaft, was ihm eine heftige Attacke auf seine Haare einbrachte. Als sie nun beide zerzaust und atemlos nebeneinander liegend die Zimmerdecke anvisierten, tastete Tatsuomi schüchtern nach Koujis Hand. "Wie finde ich etwas, das mich erfüllt, Kouji? Muss ich wirklich warten, bis mir ein Zufall in die Hände spielt?" Kouji brummte leise, während sich seine Gedanken förmlich überschlugen. Der einzigen Lebensbereich, in dem er sich als kompetent betrachtete, war sein eigener, auch wenn er dies niemals laut eingestehen würde. Was sollte er seinem Neffen raten? Verglichen mit ihm hatte Tatsuomi eine glückliche Kindheit verlebt, geliebt und beschützt. Das hatte er selbst nie genossen. Und wenn er in schwachen Momenten ehrlich mit sich selbst war, dann prägte ihn seine Erfahrung aus dieser Zeit noch immer. Ein Kind wie eine unnütze Last, das immer schweigend bei den Shootings zu warten hatte, abgestellt, zum Stillhalten verdammt. Und all diese stumme Hingabe hatte nicht mehr eingebracht, als dann doch abgeladen zu werden und vergessen. In einen Haushalt, in dem man nicht liebte, sondern kämpfte, wo Respekt nur erstritten werden konnte, wenn man sich niemals eine Blöße gab. Ein Hoffnungsträger, ein Symbol, aber kein Mitglied, keine Person. Hatte er nicht alles gegeben? Alles versucht? Aber immer war ihm nur Einsamkeit und Kälte geblieben, Missachtung, die sich so tief in seine Seele gefressen hatte, das sie ihm zur zweiten Natur geworden war. Dabei war er bereit gewesen, sich mit allem, was in seiner Verfügung stand, den Menschen hinzugeben, die ihn erlösten, ihn liebten. Doch niemand hatte ihn haben wollen. Alles, was man von ihm einforderte, waren Oberflächlichkeiten, Fähigkeiten, denen er keine Bedeutung beimaß. Wäre da nicht Izumi wie ein Leuchtfeuer in glühender Hitze erschienen, hätte er sich in der eisigen Kälte verloren... Hatte all seine geheimen Hoffnungen auf dieses unbekannte Wesen gesetzt, das ihn zum zweiten Mal vor dem Kältetod gerettet hatte. Und wie durch ein Wunder eine verwandte Seele gefunden, die widerstrebend seine Liebe akzeptiert hatte. Von seiner verzweifelten Leidenschaft ganz zu schweigen. Aber diese Dinge schloss er in sein Herz ein, nicht einmal Izumi sollte darum wissen. Wie also diesem Kind eine Perspektive geben? "Auf keinen Fall solltest du so schnell die Geduld verlieren", antwortete er laut. "Was hast du denn bis jetzt ausprobiert?", schob Kouji rhetorisch nach, mit jedem Wort mehr Sicherheit gewinnend. "Schule machen wir Nanjous ohnehin mit links, das scheidet aus. Und dann?! Kendou ist Familiensport, demnach auch nicht bedeutend. Also?" Tatsuomi zog die Nase kraus. Aus dieser Perspektive war sein Konto nicht gerade üppig ausgestattet. "Fahrrad fahren." Kouji würdigte diese Antwort nicht einmal eines Kommentars. "Surfen und schwimmen." Gelangweiltes Augenbrauenlupfen backbord. "Skaten." "Und?" Tatsuomi kehrte seinem Onkel den Rücken zu, knurrte übellaunig. "Wirklich beeindruckend", reizte Kouji gurrend. "Sex, Drugs and Rock'n' Roll sind auch nicht gerade innovativ!", grummelte Tatsuomi beleidigt zurück. "Hey, ich bin Autos und Motorrad gefahren und war in einer Gang!" "Phhh... auf dem James Dean-Trip, wie klassisch. Denn er weiß nicht, was er tut", kommentierte Tatsuomi betont trocken. Kouji hatte Mühe, ein anerkennendes Kichern herunterzuschlucken. Der Kleine bewies Rückgrat! "Einigen wir uns auf unentschieden", offerierte Kouji großzügig, knuffte Tatsuomi sanft in den Rücken. Mit einem langgezogenen Jaulen rollte sich dieser herum, ergriff aber die hochgereckte Hand entschlossen. "Ich kann außerdem Bänder flechten", setzte er den Schlusspunkt. Kouji grinste, schraubte sich in die Höhe, strich sein Hemd glatt, legte dann sanft die Hand auf Tatsuomis Stirn. "Zeit, zu schlafen! Morgen ist auch noch ein Tag." Tatsuomi streckte ihm die Zunge raus, lächelte dann aber. Kouji stolzierte hüftschwingend zur Tür, jeden Gedanken über den Zweck dieser Posse unterdrückend, löschte das Licht. "Kouji?" "Hmm?" "Ich habe dich lieb." Kouji, nur noch eine schlanke Silhouette in der Tür, nickte leicht, blies dann einen Kuss in die Dunkelheit. Für diese Nacht war es ausgestanden, hoffte er müde. Und alles weitere würde sich schon ergeben. ~@~ Kapitel 7 - Am Pranger Katsumi drehte sich schlaftrunken auf die Seite, das energische Piepen des Weckers mit einem Handschlag erstickend. Ein leises Stöhnen an seiner Seite entlockte ihm ein träumerisches Lächeln. Er stützte sich auf die Ellenbogen und stemmte sich hoch, warf einen liebevollen Blick auf seinen Bettgenossen. Yuugo schlief wie immer nur in Boxershorts neben ihm, eine schier unglaubliche Hitze ausstrahlend, die langen Haare in dem ausgewachsenen Stufenschnitt wild zerwühlt. Katsumi beugte sich vorsichtig herunter, drückte dem Schlafenden einen zarten Kuss auf die flaumig-weiche Wange. Er erhob sich gemächlich, breitete mit fürsorglicher Zärtlichkeit die Decke über Yuugos nackte Schultern und verließ das Schlafzimmer. Er streifte sich einen warmen Frotteemantel aus dem Badezimmer über und setzte sich vor seinen Laptop an der Küchenzeile. Die Augen reibend begann er den Geschäftstag. Während sich die Maschine selbsttätig im Internet einwählte, sein Postfach und das Fax leerte, wankte Katsumi gähnend zum Fernseher hinüber, ließ die Frühnachrichten als murmelndes Hintergrundgeräusch laufen. Ihm war nach Frühstück, also fokussierte er seine Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Kühlschranks, der seit geraumer Zeit tatsächlich als Lebensmitteldepot diente. Eine glühende Welle der Dankbarkeit durchströmte ihn, als seine Augen über die Fächer glitten. Es war so lange her, dass sich jemand ohne Aufhebens so aufmerksam um ihn gekümmert hatte. Yuugo tat es. Katsumi lächelte seinem verzerrten Spiegelbild auf der polierten Oberfläche entgegen, als er das Kaffeepulver barg, dazu Eier und gekühltes, fertig geschnittenes Gemüse. »Ich habe so viel Glück mit ihm, dass ich es kaum fassen kann«, dachte er überwältigt. Und um ein wenig dieser Liebe zurückzugeben, beschloss er, sich an einer kräftigen Nudelsuppe zum Frühstück zu versuchen. Die Zutaten waren ja bereits tafelfertig. Er erhitzte im Blitzkocher Wasser für die Nudeln, fütterte die Kaffeemaschine mit Pulver und rührte aus Extrakt die Suppenbrühe an. Im Hintergrund verkündete das stete diskrete Piepen des Latop, dass sich eine wahre Flut an Mitteilungen sammelte. Aber Katsumi war zu versunken in die Zubereitung seines Liebesmahls, als dass er dieser Entwicklung Beachtung geschenkt hätte. ~@~ Yuugo wälzte sich brummend auf den Rücken und tastete mit geschlossenen Augen nach Katsumi, aber seine Finger fanden nur zerdrückte Laken. "'ngelchen?", murmelte er verschlafen, fand mühsam in die Realität. Mit einem Grunzen räkelte er sich genüsslich, um sich dann die Mähne kratzend aufzusetzen. Der verlockende Duft von Kaffee und pikantem Gewürz schlich sich in seine Nase, löste einen erwartungsvollen Schauer in der Magengegend aus. "Frühstück", registrierte er begeistert, schlug die Decke zurück und startete in Richtung des beruhigenden Geräuschteppichs. ~@~ Katsumi füllte gerade den frisch aufgebrühten Kaffee in eine Thermoskanne, als Yuugo, nun dezent mit einem Jogginganzug bekleidet, die wilde Mähne mit den Fingern entwirrend, zu ihm trat. "Hm, Engelchen, das duftet ja ausnehmend köstlich", grinste er augenzwinkernd. Katsumi, zu seiner Verlegenheit rosig überhaucht, knurrte einen knappen Gruß, den Blick auf die Arbeitsplatte gesenkt, wo er das Gemüse der Suppe zuführte. Yuugo trat hinter ihn, schlang die Arme um Katsumis zierliche Taille und drückte ihm einen warmen Kuss in den Nacken. "Morgen, mein Engel", wisperte er mit vom Schlaf angerauter Stimme in die schlohweißen Strähnen. Dann löste er sich geschmeidig, um die Nudeln in das kochende Wasser zu senken und mit geübtem Schwung in entsprechender Zeit in den Suppentopf abzukippen. "Ich hole Geschirr", murmelte Katsumi, vom kurzen Blick auf den Fernseher irritiert. "Okay", trällerte Yuugo fröhlich, rührte die Suppe um und verteilte sie in zwei Schüsselchen, schlug dann darüber jeweils ein Ei auf. Katsumi schenkte Kaffee aus, die Pause nutzend, um mit der Tasse bewaffnet die ersten Mitteilungen zu prüfen. Seine Augen weiteten sich entsetzt, und ein erstickter Laut entfuhr seinen Lippen. ~@~ Yuugo verteilte Löffel, Stäbchen und Servietten, zündete die Kerze an, die jedes gemeinsame Mahl festlich beleuchtete. Als er Katsumis Keuchen hörte, wirbelte er alarmiert herum, umrundete die Küchenzeile mit kontrollierter Eile und entzog Katsumi die Kaffeetasse. Katsumi warf ihm einen blanken Blick zu. Yuugo erkannte in den großen Augen die Vorboten einer schlechten Nachricht, bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln. "Du verbrennst dir die Zunge, Engelchen." Katsumi zwinkerte zweimal unwillkürlich, öffnete den Mund... und schloss ihn wieder. Yuugos Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen, das Frühstück war vergessen. "Engel, was ist los?" Sein eindringlicher, scharfer Ton befreite Katsumi aus seiner Trance. Mit einer Handbewegung lenkte er Yuugos Blick auf den Bildschirm. Yuugo überflog eilig die Zeilen, einen verblüfften Laut mühsam unterdrückend. In einer kurzen Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur wurde angekündigt, dass eine Journalistin den bekannten Rockstar Kouji Nanjou und Takuto Izumi, Stürmer in der japanischen Fußballnationalmannschaft als bi- bzw. homosexuell outen würde. Entsprechende Belege würde sie in einer Pressekonferenz um zwölf Uhr mittags bekannt geben. "Das ist ja ein starkes Stück." Katsumi angelte sein Handy heran, während der Nacht abgestellt. Für einen Augenblick zögerte er, suchte Yuugos Blick, der die eingehende Flut der Mitteilungen durchkämmte. Katsumi seufzte tief und ging wieder auf Empfang. Sofort begehrte ein Anruf seine Aufmerksamkeit, der Nummernspeicher verriet ihm den Teilnehmer. "Onkel?" "... habe ich gerade..." "... nein, er..." "Onkel..." Yuugo sah vom Bildschirm auf und musterte Katsumis Gesicht, das sich langsam in eine wütende Grimasse verzerrte. Die schmale Faust ballte sich, bis die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten. "Nein!!" "Du hörst zu!! Ich werde das nicht tun!! Nie!!" Mit einer heftigen Geste unterbrach Katsumi die Verbindung, das Gesicht ebenso fahl wie seine Haare, das schmale Telefon krampfhaft umklammernd. Mit wildem Blick tippte er hastig eine Kurzwahl ein, wartete angespannt, schleuderte dann mit einem unflätigen Fluch das Telefon auf den Teppich. Yuugo atmete tief durch, unsicher, wie er auf diese unerwartete und ungewohnte Enthüllung von Emotionen reagieren sollte. Katsumi verbarg sich üblicherweise hinter seinem komödiantischen Talent, wurde niemals ausfällig oder rasend vor Rage. Yuugo sammelte das Telefon auf, die heftigen Atemzüge seines Geliebten im Nacken. Er wappnete sich gegen mögliche Wutausbrüche. Mit ruhiger Beherrschung tippte er eine Nummernfolge ein, reichte Katsumi dann wortlos sein Telefon, die großen Augen mit seinen schwarzen bezwingend. "Ist die Nummer von Takutos Telefon." Katsumi keuchte noch immer, unsicher auf Antwort wartend. Koujis Stimme drang müde, reserviert an sein Ohr. "Wer ist da?" "Kouji? Kouji, was ist passiert?!" "Kouji, verdammt, sag was!! Rede mit mir!! Mein Onkel will den Vertrag kündigen, ich soll mich von dir distanzieren, bitte...!" "Kouji!! Verdammt, sag was!! Sag..." Katsumi presste mit einem erstickten Wimmern die Hand auf die Brust. Das Telefon entglitt seinem unsicherem Griff, während er sich nach Atem ringend zusammenkrümmte. Yuugo schlang ihm den Arm um die Hüften, fing ihn auf, als Katsumis Knie einbrachen. Vorsichtig ließ er die schmale Gestalt auf den Teppich sinken, wo sich Katsumi augenblicklich zu einem Ball zusammenrollte, Augen und Mund weit aufgerissen, in qualvollen Stößen nach Luft ringend. "Kouji? Ich rufe zurück." Yuugo verbannte Todesängste, packte Katsumis Handgelenke und zwang ihn mit aller Kraft, sich flach auf den Boden zu legen. "Engel, beruhig dich!!" Katsumis Blick wurde glasig, er wehrte sich heftig gegen die Hilfe. Yuugo presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, entließ eine Hand aus seinem Griff, schlug grob Katsumis Frotteemantel auseinander und knöpfte eilig das Pyjama-Oberteil auf. Seine flache Hand fest auf die zitternde Brust legend suchte er Katsumis irrenden Blick. "Katsumi, sieh mich an! Du musst dich beruhigen!" Katsumi zuckte weiter, asthmatisch pfeifend, durch bloße Worte nicht mehr zu erreichen. Yuugo stöhnte leise, spannte sich an. Nahm die Hand von Katsumis Brust und ohrfeigte ihn heftig. Der unheimliche Schockzustand verlor sich, Katsumis Augen füllten sich mit Tränen, während sich seine Wange flammendrot färbte. Yuugo fluchte unglücklich, wischte sich rasch über die Augen und zog Katsumi in eine enge Umarmung. Er stützte ihn und unterdrückte den Drang, seine Lippen auf Katsumis zu pressen, ihm seinen Atem zu spenden. So schwer es ihm fiel, Katsumi musste aus eigener Kraft wieder ruhig werden. ~@~ Tatsuomi warf einen eingeschüchterten Blick auf Kouji, der seit den frühen Morgenstunden unermüdlich auf und ab lief. Er hatte die Knie angezogen, die langen Arme darum geschlungen und zitterte leicht unter einer Kälte, die nicht mit der Witterung zusammenhing. Takutos Telefon quäkte kurz auf. Kouji unterbrach sein nervöses Paradieren, nahm den Anruf an. "Ja? Yuugo?" Für einen Sekundenbruchteil entspannte Erleichterung seine maskenhaft erstarrten Gesichtszüge. Dann verschwand jede Gefühlsregung wieder hinter dem Pokerface, das trotz seiner engelhaften Schönheit eine erschütternde Kälte ausstrahlte. "Sollen sie doch, ist mir gleich." Koujis Stimme gewann an Schärfe. "Seine Nibelungentreue wird ihn den Job kosten, sag ihm das!" Kouji kehrte Tatsuomi den Rücken zu, senkte die Stimme und enthüllte eine ungekannte Müdigkeit und Trauer. "Ich...ich kann das nicht annehmen." ~@~ Yuugo umklammerte das Telefon fester, während er stetig über Katsumis Rücken streichelte, der sich in seinen Arm schmiegte und sich um die Rückgewinnung seiner Fassung bemühte. "Du wirst keine Wahl haben. Hast du Takutos Nummer?" "Das sagtest du bereits. Wenn er es aus der Zeitung erfährt, wird er ausrasten." Yuugo bemerkte die Verkrampfung in Katsumis schmächtiger Gestalt, die eine weitere Schockwelle durch ihn jagen würde. "Kouji, Katsumi geht es nicht gut. Wir halten über das Internet Kontakt." Yuugo brach das Telefonat ab, um Katsumi eng an sich zu pressen und mit kräftigen Strichen die schmale Rückenpartie und die Schultern zu bedecken. "Engelchen, komm, nicht aufregen, bitte. Wir kriegen das wieder hin." Katsumi keuchte Mitleid erregend in seiner Qual an Yuugos Hals, die Augen fest geschlossen. Seine Finger gruben sich tief in den Stoff, bohrten sich in Yuugos Rücken. Yuugo begann, sie beide sanft zu wiegen, leise eine einfache Tonfolge zu summen, um seinen Liebsten zu trösten wie ein kleines Kind. Der Tag hatte so harmonisch begonnen, aber die Götter neideten ihnen wohl das bescheidene Glück. ~@~ Kouji schleuderte das Telefon achtlos auf die Ledercouch, wandte sich dem Jalousien verdeckten Fenster zu. Fluchte emotionslos. Tatsuomi verfolgte Kouji mit bangen Blicken, unfähig sich zu rühren. Er wartete ängstlich auf die Explosion, die sich in dem scheinbar ruhigen Vulkan zusammenballte. "Kann ich etwas tun?", piepste er unsicher und kindlich. Kouji schwieg. Tatsuomi schrumpfte stärker in sich zusammen, erreichte mit den hochgezogenen Schultern fast die Ohrläppchen. "Die Geier lauern schon", zischte Kouji zynisch, mit einem eisigen Lächeln um die Mundpartie Tatsuomi schauderte, als ihn der verachtende Blick streifte, biss sich auf die Lippen. "Tatsu-chan, log mich ins Internet ein", murmelte Kouji plötzlich erschöpft, sackte auf die Ledercouch. "Mach ich!!" Eifrig und erleichtert über diese Geste schaffte Tatsuomi den Laptop heran, stöpselte mit flinken Fingern die Kabel ein und baute die Verbindungen auf. Kouji ließ den Kopf auf die hohe Rückenlehne der Couch fallen und starrte reglos an die Zimmerdecke. Tatsuomi, längst seiner Aufgabe ledig, betrachtete seinen Onkel besorgt. Der unnahbare Superstar, arrogant, selbstherrlich und egoistisch, wirkte in diesem Augenblick vollkommen verloren und lebensmüde. Seine Bitte um Hilfe war nur ein nachsichtiger Akt der Barmherzigkeit ihm gegenüber gewesen, damit er nicht so unglücklich war, erkannte Tatsuomi. »So fern in seiner unbezwingbaren Selbstbeherrschung, so fremd in seiner übermenschlichen Emotionslosigkeit wie mein Vater.« Die aufflackernde Panik angesichts der Erinnerungen trieb Tatsuomi in wilde, ungezielte Aggression. Er wandte sich zu Kouji um, packte ihn energisch an den Schultern und schüttelte ihn heftig, beinahe besessen. "Du darfst nicht aufgeben!! Das lass ich nicht zu!! Takuto ist weg, Hotsuma ist verschwunden, ich will, dass du mir endlich hilfst!! Ich will, dass es wie früher wird!! Ich will..." Ein ungehemmtes Schluchzen verdrängte jede verständliche Äußerung, bahnte sich mit Gewalt seinen Weg durch Tatsuomis Leib. Kouji, sich des bodenlosen Jammers seines Neffen bewusst, verharrte hilflos. Kummer oder Wut, die er bei anderen Menschen auslöste, perlte in jahrelanger Übung an ihm ab, ohne ihn auch nur im Mindesten zu berühren. Er war eine so lange Zeit allein mit sich selbst gewesen, dass er leichtfüßig aus seinem Körper schlüpfen konnte und amüsiert den kleinen, bedeutungslosen Dramen des Lebens zusehen konnte, unbeeindruckt, unversehrt. Dann hatte er sein Schicksal wiedergetroffen, diesen zornigen Jungen mit dem brennenden Blick. Und seit diesem Augenblick war die Mauer, die er um sich errichtet hatte, porös geworden, erodiert. Seine Liebe hatte diesem Jungen Wunden zugefügt, die niemals heilen würden, ihn gezeichnet und gequält. Sollte er nun erneut das Verhängnis seines Geliebten werden?! Auch dessen letzten Traum zerstören?! ~@~ Tatsuomi presste kindlich die Handrücken in die Augen, bemühte sich um Haltung, die aber angesichts der aufgestauten Gefühle der letzten Ereignisse kapitulierte. Tränen strömten über sein Gesicht, mit jedem schluchzenden Atemzug steigerte sich das Zittern, das ihn erbeben ließ. Kouji erbleichte. Für einen Augenblick verlor er den Kontakt zu Raum und Zeit, betrachtete losgelöst seinen Neffen, wie ein Spiegelbild seines jüngeren Selbst. So untröstlich und einsam, allein in der Dunkelheit und Kälte seiner Isolation. Er spürte bittere Tränen in den eigenen Augen, schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust. Sich rückhaltlos seinem Instinkt überantwortend beugte er sich vor, schlang die Arme beschützend um den Jüngeren, zog ihn an sich und hielt ihn fest. Worte konnte er nicht finden, zu abgenutzt, zu leichtfertig, um seine widerstreitenden Gefühle einzufangen. ~@~ Tatsuomi zog entschlossen ein letztes Mal die Nase hoch, wischte sich über die schönen Augen. "Was machen wir denn jetzt?", begehrte er ruhig von seinem Onkel zu erfahren. Kouji strich sich fahrig durch die langen, lackschwarzen Strähnen, unempfindlich für seine von Tränen geröteten Augen oder seine derangierte Aufmachung. "Sie belagern uns. Ich will nicht durch diese Meute zur Schule." Tatsuomi schnaufte kurz bösartig, missbilligend. "Phh, wahrscheinlich muss ich erst mit der Machete ein paar Köpfe kürzer machen. Das wäre mal eine Meldung." Kouji musste gegen seinen Willen grinsen. "Dann könnte ich endlich mal die Effizienz deiner Kendou-Technik beurteilen", scherzte er grimmig, verstrubbelte die schulterlangen, honigblonden Haare. "Sollten wir uns nicht mit Katsumi kurzschließen?" Kouji seufzte gequält und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. "Wir sollten es wohl den Laien wie dir und Yuugo überlassen, was?!" Tatsuomi prustete überschwänglich, erleichtert, dass sich endlich etwas tat und sie aus ihrer passiven Resignation erlöste. Er schlang die Arme um Koujis Nacken. "Wäre vielleicht besser!", trompetete er frech. Kouji schoss einen seiner berüchtigten Todesblicke ab, aber Tatsuomi lachte bloß vergnügt und leckte ihm wie eine Katze über die Wange. "Iiiiäh!", Kouji protestierte übertrieben heftig und entzog sich der Umarmung, indem er mit spitzen Fingern Tatsuomis kurze Rippen malträtierte. Quietschend wand sich dieser in die relative Sicherheit der anderen Couchecke, die Beine eng angezogen, aber mit geröteten Backen. Kouji lächelte schief, blies demonstrativ über seine Fingerspitzen, als gelte es, den Explosionsgestank eines Colts zu vertreiben. Er zwinkerte seinem Neffen zu, konzentrierte sich dann aber auf die Vorgänge auf dem Flachbildmonitor. Tatsächlich fand sich eine ungelesene Nachricht in seinem geheimen Postfach, Absender Katsumis Geheimadresse. Für einen Augenblick versetzte ihm Enttäuschung einen Stich. Er hatte insgeheim gehofft, dass sich auch eine andere kryptische Kombination finden würde, die der Kennung von Takutos Adresse entsprach. Er öffnete und überflog die Mitteilung, Tatsuomi wie ein übergroßes Kuscheltier in seinen Nacken gelegt. Der Inhalt bestand aus einer Zusammenfassung der Meldungen in den Medien, einer Ankündigung des Shibuya-Managements, sich mit sofortiger Wirkung von Kouji Nanjou zu trennen und einer Randnotiz in den Sportmedien. Katsumi merkte bündig an, dass es nur die Spitze des Eisberges sei. Eine wahre Flut würde im Laufe des Tages sicher folgen. Und dann auch noch die internationale Presse. In knappen Worten erklärte er, sich keinesfalls von Kouji trennen zu lassen. Was nach einer kurzen, aber nicht unerwartet heftigen Diskussion zu seiner Entlassung und Verbannung aus seinem Familienkonzern geführt habe. Wenn Kouji also Bedarf an einem freischaffenden Manager habe? Taka-chan habe angesichts der Drohungen und seiner angegriffenen Gesundheit dem Druck nicht widerstehen können und sich der Anweisung aus dem Direktorium gebeugt. Yuugo habe die Gelegenheit genutzt, zu seiner Schule zu entkommen, bevor die Medienmeute auch Katsumis Appartement belagerte. Man müsse nun herausfinden, wie es weitergehen sollte, möglicherweise sollten Anwälte konsultiert werden. Dann, in einer fast schüchtern an das Ende der Mitteilung verbannten Zeile fragte er nach Takuto. Wusste dieser Bescheid? Kouji presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er hatte seine Flaschenpost dem weltumspannenden Ozean der Informationen anvertraut. Konnte nur hoffen, dass sein Geliebter der Versuchung erlag, ihre selbst auferlegte Kontaktsperre zu durchbrechen, um gelegentlich sein Postfach zu konsultieren. Aber das erlöste ihn natürlich nicht von der Ungewissheit über dessen Reaktion. ~@~ Katsumi brütete über Verträgen und möglichen Strategien, aber sein sonst so messerscharfer Verstand schien nun nur noch eine stumpfe Klinge zu haben. Beiläufig schaufelte er die kalte Suppe in sich hinein, die Yuugo ihm, selbstredend im erhitzten Zustand, aufgenötigt hatte. Das Problem war die Reaktion der Öffentlichkeit. Er machte sich über die geschlossenen Verträge keine Illusionen, Kouji Nanjous schwierige Persönlichkeit gab beiden Parteien die Möglichkeit zur sofortigen Trennung. Und, so seltsam unwirklich es ihm erschien, der Abschied aus dem Familienbetrieb löste keine Panik in ihm aus. Aber diese würde kommen, dessen war er sich sicher. Spätestens, wenn sein Vater davon erfuhr, der nur seinem Sohn zuliebe in ein vollkommen fremdes Metier gewechselt war und seine Arbeit als Arzt hinter sich gelassen hatte. Katsumi strich sich wirre Strähnen aus dem Gesicht und kaute an einem Stück Paprika. Würden die Fans Kouji Nanjou verzeihen, dass er einen Mann liebte? Gab es eine Möglichkeit, diese unerhörte Liebschaft zu ihrem Vorteil umzumünzen? Kein Zweifel, er musste hier die entscheidenden Weichen für die Zukunft und das Lebensglück sehr vieler verschiedener Menschen stellen. Und konnte sich nicht den kleinsten Fehler erlauben. ~@~ Yuugo war von Mitschülern umringt. Maiko hing wie eine Klette an seinem Arm, die rot gefärbten Haare elektrisiert von ihrem Kopf stehend, ein Fauchen auf den Lippen. Ihrem Basiliskenblick trotzte niemand, was Yuugo anrührte, konnte er doch die Wissbegierde seiner Freunde verstehen. Die Frage war nun, was sollte er sagen? Durfte er etwas sagen? "Also, Yuu-chan, was ist nun? Ist es wahr?" "Und wenn es wahr wäre?", provozierte er zurück, ganz gegen seine Gewohnheit angriffslustig. "Es würde sich gar nichts ändern", brach Natsumis Stimme gewohnt reserviert durch die angespannte Stille. "Das ist Quark!", widersprach Maiko hitzig, "immerhin muss man sich doch fragen, ob Kouji nicht die ganze Zeit die Öffentlichkeit getäuscht hat? Immerhin hatte er ziemlich viele Frauengeschichten, und.." Natsumi funkelte zurück, ein süffisantes Grinsen auf den Lippen. "Herzblatt, hast du dir eigentlich mal seine Lieder richtig angehört? Er hat niemals eine Frau besungen, sondern immer nur eine bestimmte Person. Also hat er nicht getäuscht." Maiko sackte die Kinnlade herunter, aber sie fing sich rasch. "Na gut, möglicherweise ist das richtig, aber was ist mit den Frauen, mit denen er zusammen war?!" Natsumi lächelte noch immer, strich sich gelassen durch die blaugefärbten Haare. "Tja, es hat sich keine beschwert, also haben sie wohl bekommen, was sie wollten, oder?" "Aber, aber...!" Maiko wedelte wild mit den Armen in ihrem Eifer, ihre Position zu behaupten, allerdings ohne weitere Argumente. Yuugo wich vorsichtshalber einen Schritt zurück, um nicht versehentlich von einem Schwinger getroffen zu werden. Natsumi befreite ihre Freundin aus diesem Dilemma, umfasste ihre Hände beruhigend. "Du glaubst nicht, dass es irgendetwas ändert, das weiß ich. Und überleg doch mal, wie lange die beiden schon zusammen sind." Maiko nickte verlegen, hauchte einen Kuss auf Natsumis Lippen. "Ganz schön beeindruckend eigentlich, wenn man das bedenkt", sinnierte sie überrascht, "sie haben es lange verborgen." "Weil es niemanden etwas angeht", stellte Yuugo hitzig fest. Natsumi schmunzelte, als ihr ein amüsanter Gedanke kam. "Wisst ihr, eigentlich sollten seine weiblichen Fans dankbar sein." "Bitte?!" Yuugo wie auch Maiko hielten ihre Verwirrung, mit Skepsis gepaart, nicht hinter dem Berg. Natsumi hakte sich bei beiden unter und schob sie Richtung Schulgebäude. "Na, ist doch ganz klar! Wenn ich ein Fan wäre, würde ich mich doch freuen, dass ihn nicht irgendeine andere bekommen hätte. Aber gegen einen anderen Mann ist frau ja machtlos!" ~@~ Tatsuomi starrte betont eisig vor sich hin, signalisierte mit jeder Faser seines Körpers, dass er nicht behelligt zu werden wünschte. Kouji hatte sich in einem seiner gefährlichen Stimmungsumschwünge plötzlich darauf versteift, dass kein Fußbreit zurückgewichen würde. Und das bedeutete, dass Tatsuomi selbstverständlich in die Schule gehen würde. Auf Tatsuomis beredete Geste zum Fenster, wo man einen Logenplatz auf die sich förmlich überschlagenden Medienvertreter vor der Haustür hatte, konterte Kouji mit einem geringschätzigen Zungenschnalzen. "Zieh dich an, nimm was zu essen mit, gleich geht's los." Das unheilige Feuer, das in Koujis Augen irrlichternd tanzte, hatte Tatsuomi einen eiskalten Schauer über den Rücken gejagt. Gleichzeitig aber einen Brand in seinem Leib entzündet, voller unterdrückter, animalischer Instinkte. Als sie sich dann im Flur trafen, trug Kouji eine enganliegende Motorradkluft, extravagant mit silberblauen Flammen verziertes, schwarzes Leder, eigens für seine Figur gefertigt. Die tintenschwarzen Haare zu einem kurzen Zopf gebunden hatte er Tatsuomi in die Garage gescheucht, ihm einen Motorradhelm aus dem Regal gereicht und sich seinen eigenen herausgeangelt. Tatsuomi verspürte ein flaues Flattern in der Magengegend. Kouji war seit dem Verlust seines linken Unterarms nicht mehr gefahren. Aber in der dämonischen Maske seines Onkels stand eine Entschlossenheit, die auch den geringsten Zweifel an seinen Fähigkeiten verbat. Schicksalsergeben hatte sich Tatsuomi hinter Kouji auf die Maschine geschwungen, Koujis Taille umklammernd. Kouji, noch aufrecht, mit einem Bein die schwere Rennmaschine stützend, hatte leise gelacht. "Nun lernst du mein Motto kennen, Kleiner: niemals aufgeben und keine Reue!" Mit einem kräftigen Schlag auf Tatsuomis bloße Hände, die sich verkrampft auf seinem Leib umfassten, signalisierte Kouji seinem Neffen, dass es nun los ging. Von der ferngesteuerten Automatik angehoben rollte sich das Tor in die Decke über der Ausfahrt, als Kouji das nachtschwarze Visier herunterklappte und mit Eleganz die Auffahrt zur Straße meisterte. Oben spritzten verschreckte Menschen auseinander, als er die Maschine für Augenblicke hochriss, den Motor triumphierend aufheulen ließ und dann ungerührt in den Verkehr preschte. Manche Dinge verlernte man nicht, auch nicht die kleinen Nickligkeiten, deren es bedurfte, um in einer berüchtigten Motorradgang aufgenommen zu werden. Und wie der Teufel in persona war Kouji durch den zähflüssigen Verkehr gerauscht, pfeilschnell und wendig zugleich. Als er Tatsuomi pünktlich vor dem Schultor absetzte, zitterten diesem die Knie. Mit einem festen Schlag auf die Schulter hatte Kouji ihn verabschiedet, anonym hinter seinem Visier, um dann, ganz Nanjou, die Maschine erneut hochzureißen. Tatsuomi hatte sich trotz nicht zu verbergender Blässe ein Grinsen nicht verkneifen können. Und nun musste er tapfer angeekelte, hämische Bemerkungen und Blicke ertragen. Ihm graute vor der Mittagspause, und er vermisste Hotsuma in diesen Momenten schrecklich, denn nun wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er sich immer darauf verlassen hatte, dass dieser ihm den Rücken deckte. Nun würde er alleine kämpfen müssen, wenn es hart auf hart käme. ~@~ Katsumi betrachtete verwirrt die Notiz, die Yuugo ihm über i-mode geschickt hatte. Der winzige Yuugo, der ein Fähnchen schwang, heiterte ihn natürlich auf, aber der zugesandte Vorschlag... Fieberhaft feilte er an möglichen Formulierungen für die Pressemitteilung, die er als Koujis Manager herausgeben musste, spätestens nach dem angekündigten Showdown um zwölf Uhr mittags. Außerdem versuchte er verzweifelt, zu Takuto vorzudringen, damit dieser nicht von Fremden die Katastrophe erfuhr. Die Zeitverschiebung erleichterte das nicht unbedingt. Der einzige Trost bestand darin, dass sich die Funktionäre sicherlich zunächst beraten mussten, bevor sie eine Entscheidung trafen. Pausenlos trafen Anfragen und Reaktionen ein, aber momentan wusste noch niemand Genaues. Außer der marktschreierischen Ankündigung war nicht durchgesickert, was die geheimnisvolle Journalistin herausgefunden haben wollte. Und so konnte Katsumi nur sichten, Verträge durchforsten und eine Aufstellung ihrer Kriegskasse fertigen. ~@~ Kouji kurvte noch unter dem gewaltigen Adrenalinschub auf Nebenstraßen an der Küste herum. Er hatte eine vage Vermutung, dass es sich bei der so genannten Journalistin um diese seltsam bedrohlich wirkende Frau handelte, auch wenn er keinen anderen Beweis als seine Intuition anführen konnte. Mit einem zornigen Ruck zwang er seine Maschine herum, bremste gleichzeitig stark. Verflucht, warum musste es ausgerechnet jetzt passieren?! Er riss sich den Helm vom Kopf, bockte das Motorrad auf und schlenderte mit unterdrückter Rage zu den schroffen Felsen, gegen die sich das Wasser mit Macht warf. Der kühle Seewind, der scharf durch seine Haare fuhr und diese zerzauste, beruhigte ihn ein wenig. Sie hatten sich beide keinerlei Illusionen hingegeben, dass man den intimen Charakter ihrer Beziehung entdecken würde. Allerdings war es so lange gutgegangen, hatte sich ihre Vorsicht bewährt, sodass diese Zeitbombe ihre Bedrohlichkeit im Alltagsgeschehen verloren hatte. Und nun das!! Kouji fluchte laut, dann, nicht länger zu artikulierten Äußerungen fähig, brüllte er einfach mit der Brandung, was Stimmbänder und Lungen hergaben. Ein Protestschrei. Eine Kampfansage. ~@~ Hotsuma wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn, richtete sich kurz auf, um dann Gonzou zuzulächeln. Ein ungeübtes Lächeln, aber mit wachsendem Vertrauen in sich selbst. Wenn die Tiere versorgt waren, würde er darum bitten, den Doujou herrichten zu dürfen. ~@~ Katsumi zernagte angespannt das hintere Ende eines Bleistiftes, notierte dann eilig Gedanken, mit einem Auge besorgt auf den schrumpfenden Papiervorrat schielend. "Wenn noch mehr Anfragen per Fax reinkommen, muss ich auf Klopapier umsteigen", brummte er lakonisch, die feinen Augenbrauen konzentriert zusammengezogen. Kräftige Schläge gegen die Wohnungstür ließen ihn zusammenzucken. »Was..?!« Mit einer Mischung aus Entrüstung und Unsicherheit näherte er sich der Tür, einen Baseballschläger umklammernd. "Wer ist da?!" "Dein Todesengel!!", klang die Antwort gedämpft durch die Tür, eine raue, dunkle Stimme, die nichts von ihrer Laszivität verloren hatte. "Kouji?!" Hastig ließ Katsumi seine Behelfswaffe sinken, beeilte sich, seinen nunmehr einzigen Arbeitgeber einzulassen. Kouji stampfte an ihm vorbei, zog den Helm vom Kopf und schüttelte seine schwarzen Haare frei. Dann zwinkerte er Katsumi zu. "Hi." Katsumi musste an sich halten, um nicht in einer Mixtur aus Erleichterung und Verärgerung seinem Star eine Abreibung zu verpassen, wie kläglich auch immer diese ausfallen mochte. "Bist du verrückt?! Mit dem Motorrad rumzugurken?! Und wie hast du es durch die Hyänenfront geschafft?" Kouji zwinkerte erneut in der arroganten Pose, die seine weiblichen Fans zu Kreisch-Attacken in Trommelfell gefährdender Weise reizte, verwuschelte Katsumis schlohweiße Mähne. "Hol erst mal Luft, Shibuya. Oder soll ich dich nur noch Manager nennen?" Katsumi knurrte Unverständliches, rammte Kouji den Helm in den Magen, den er geistesabwesend wie eine Garderobiere entgegengenommen hatte. "Wenn du schon hier bist, können wir auch gleich arbeiten!" Damit stapfte er mit hochgezogenen Schultern und noch immer grummelnd ins Wohnzimmer zurück. Koujis Zähne blitzten, als er den Helm ablegte, den Reißverschluss seiner Kluft bis zum Bauchnabel herunterzog und aus den Stiefeln schlüpfte. "Hey, kann ich erst duschen?" Ein zustimmendes Grunzen, dem man deutlich die Anflüge von Gereiztheit entnehmen konnte, gaben ihm ein Placet. Und während Kouji sich erfrischte, brütete Katsumi über einer neuen Strategie. ~@~ Sie lächelte wie ein Haifisch, Zähne starrend und ohne Wärme. Die Aufzeichnung hatte reibungslos funktioniert, die Photos warteten nur darauf, sofort nach der Pressekonferenz an den Meistbietenden vergeben zu werden. Endlich! Endlich konnte sie Rache üben. ~@~ Kouji, nur unzureichend mit einem Handtuch bekleidet, lümmelte sich Katsumi gegenüber auf der Couch. Ignorierte die vorwurfsvollen Blicke geübt, während er sich konzentriert durch den Wust der Informationsflut kämpfte. Mit einer verächtlichen Geste schob er dann den Papierstapel von sich. "Mit anderen Worten, außer dieser Ankündigung weiß niemand etwas." Katsumi beugte sich vor, Strähnen aus den Augen streichend. "Reden wir Klartext, Kouji. Wer ist diese Frau, und was könnte sie an Material haben?" Kouji zuckte lässig mit den Achseln, aber seine Nonchalance prallte an Katsumis zusammengezogenen Augenbrauen ab. "Eine ehemalige Freundin von dir?" Kouji wickelte eine Strähne um seinen schlanken Zeigefinger, aber seine Augen spiegelten keineswegs die spielerische Leichtigkeit dieser müßigen Geste wider. Im Gegenteil, sie loderten vor Rachsucht. "Nicht auszuschließen. Allerdings..." "Ja?", hakte Katsumi scharf nach. Kouji entließ die Strähne und lehnte sich in die Polster zurück. "Erinnerst du dich an die seltsame Frau? Ich glaube, sie steckt dahinter." Katsumis Stirn schlug Falten. "Meinst du? Aber du sagtest doch, du kennst sie nicht..." "Das ist auch richtig!", unterbrach Kouji leicht gereizt, "ich kann dir auch keinen Beweis nennen, warum ich sie in Verdacht habe. Ist auch unwichtig." "Unwichtig?!" Kouji verdrehte ungeduldig die Augen und schnitt mit entschiedener Geste Katsumis verärgert-ungläubige Proteste ab. "Du konntest ohnehin nichts über sie herausbringen, oder? Wahrscheinlich ist sie keine Journalistin, sondern irgendein Hobby-Reporter oder Schlimmeres. Was zählt, ist die Frage, was sie in petto hat." Katsumi stützte das spitze Kinn in die verschränkten Hände. "Und was könnte sie haben? Ich dachte, ihr hättet euch in der Öffentlichkeit diskret verhalten." Kouji zögerte, dann zeichnete sich eine verlegene Röte in seinem Gesicht ab. Ein Anblick, der Katsumi wegen seiner Außergewöhnlichkeit vollkommen den Atem verschlug. "Darüber habe ich auch schon nachgedacht... als die erste Meldung heute Morgen reinkam...warum jetzt...und was..." Fahrig wischte Kouji sich durch die Haare. Dann straffte er sich, wieder Herr der Lage und jede Schwäche, ob eingebildet oder real, mit einem Schulterzucken abweisend. "Ich denke, dass sie uns möglicherweise an der Sternwarte erwischt hat." Katsumi blinzelte, nickte dann auffordernd, da ihm die Details zum Verständnis fehlten. Kouji lächelte versonnen, als er in die Erinnerungen eintauchte. "Kurz bevor Izumi abgeflogen ist, habe ich ihn vom Sportplatz abgeholt. Wir sind zur Sternwarte rausgefahren..." In Koujis Augen verirrte sich ein sanftes, fast scheues Zwinkern. "Na ja... Sterne... laue Nacht..." Katsumi stöhnte laut auf. "Ihr habt in der Sternwarte wie Mittelschüler herumgeknutscht?!", entfuhr es ihm entgeistert. Kouji zog eine Augenbraue hoch. "Wäre dir wohl nie passiert", zischte er zurück. Katsumi lief nun seinerseits rosig an, senkte den Blick, als ungebeten Bilder vor seinem inneren Auge erschienen, die durchaus vergleichbare Situationen beinhalteten. "Wie auch immer", beeilte er sich abzulenken, "sie könnte also Photos haben? Ein Video?" Kouji nickte kaum merklich. "Ihr... ihr habt aber nicht etwa... mehr als... ich meine..." Katsumi erstickte an jeder weiteren Detaillierung. Kouji grinste spöttisch. "Nein, mein verschämter Freund, in flagranti fellatio hat sie uns sicher nicht ertappt." Katsumi brummte verlegen und hochrot vor sich hin. Es war ihm von jeher unangenehm gewesen, mehr über Koujis Intimleben zu erfahren, als für ein paar oberflächliche Scherze notwendig war. "Aber", er räusperte sich vernehmlich, um wieder in die Rolle des unbeeindruckbaren Managers zurückzufinden, "die Bilder wären wohl nicht zu missdeuten." Kouji legte den Kopf schief, noch immer mehr als eine bloße Andeutung von nachsichtigem Spott in den Augen. "Ich wüsste zumindest keine glaubhafte Erklärung, warum ich meine Zunge in seinen Mund gesteckt habe", flachste er leichthin. Katsumi seufzte. "Dementi scheidet demnach aus. Wenn wir in die Offensive gehen, müssen wir einen Weg finden, die Sympathien auf unsere Seite zu ziehen. Allerdings..." Katsumi brach ab. "Was?" In Katsumis Augen stauten sich düstere Wolken. "Takuto wird das nicht helfen." ~@~ Takuto rieb sich mit dem Handtuch über den schweißfeuchten Nacken. Das leichte Lauftraining in der abendlichen Kühle strengte nach einem arbeitsintensiven Tag doch an. Seine Mannschaftskameraden hielten sich im Fernsehraum auf, diskutierten über die Aufzeichnung eines Spiels. Ihm war nicht nach ihrer munteren Gesellschaft, dem Wortgeklingel. Dann zögerte er. Geschmackvoll ausgeleuchtet in edlem Ambiente wartete ein Internet-Anschluss auf die Gäste. Sollte er...? Seine Augen fraßen sich in dem sanft schimmerndem Bildschirmschoner fest. Nur einen Augenblick. Nicht seinetwegen, sondern wegen der beiden Jungs. Nur ein Versuch. Mit der Vorsicht eines ungeschulten Benutzers hangelte er sich bis zu seinem elektronischen Postfach, eine Spielerei, die Tatsuomi eine Freude bereitet hatte. »Tatsächlich, eine Nachricht.« Takuto keuchte, die Zeichen verschwammen vor seinen Augen, so fremd und doch eindeutig in ihrer Botschaft. [Izumi, die Medien wissen es. Wenn du meine Hilfe brauchst, zögere nicht. Ich liebe dich. Kouji] ~@~ Im Medienraum drängte sich Leib an Leib, die Schüler und vor allem Schülerinnen verhinderten jede Form geordneten Unterrichts. Angespannt wartete man auf den Gong, der die exklusive Übertragung der Presseerklärung einleitete. "Meine Damen und Herren, und nun zu der Top-Meldung des heutigen Tages. Der bekannte Rockstar Kouji Nanjou und der Stürmer in der Fußballnationalmannschaft, Takuto Izumi, sollen ein Liebespaar sein. Wir übertragen Ihnen nun die Presseerklärung, in der die freiberufliche Enthüllungsjournalistin Mahou Suzuki ihre Behauptung, die seit dem frühen Morgenstunden die Ticker bei den Nachrichtenagenturen heißlaufen ließ, belegen will." Nun füllte sich das Bild mit der Nahaufnahme eines neutralen Konferenzraumes. An einem Tisch thronten mit Namensschildern versehen ein Vertreter der Shibuya Production, der verantwortliche Chefredakteur einer großen Zeitung, und endlich, wie eine Megäre, besagte Journalistin Mahou Suzuki. Ihre Erscheinung war ebenso furchterregend wie bei der letzten Begegnung mit Kouj: leichenweiße Haut, dunkles, unpassend wirkendes Makeup in zu dicker Schicht. In strenges Schwarz gewandet, als sollte dieser Kontrast auch optisch ihren Anspruch unterstreichen, seriös und kühl recherchiert und 'aufgeklärt' zu haben. Der Chefredakteur übernahm mit grimmig-betroffenem Blick, der ebenso bei einer Beerdigung angemessen gewesen wäre, die verbale Eröffnung. Und Suzuki legte sofort los. "Ich habe Beweise, dass der bekannte Rockstar Kouji Nanjou eine homosexuelle Beziehung mit dem Fußballer Takuto Izumi unterhält. Aber sehen Sie selbst!" Mit ausschweifender Geste wies sie auf eine verborgene Kamera. Die Regie blendete natürlich direkt auf die Belege, vergrößerte Photos, trotz der Nachtaufnahmen von ausreichender Qualität, dass über die Identität der beiden Beteiligten keine Zweifel bestehen konnten. Die insgesamt zehn Bilder wurden in einer Serie abgefilmt, die den Eindruck einer fortschreitenden Entwicklung kreierten. Unter der Schülerschar brach Unruhe aus, heftig wurden angehaltene Atemzüge wieder freigelassen. Aber niemand wagte, zu laut zu agieren, um nicht die Enthüllungen zu verpassen. Mit schriller Stimme und der Farce eines betroffenen Gesichtsausdrucks erklärte sich Suzuki. "Ich will nicht verhehlen, dass ich entsetzt war, als ich Augenzeugin dieser unaussprechlichen Szene wurde! Immerhin bin ich seit Jahren eine begeisterte Anhängerin von Nanjous Musik und habe seine Karriere akribisch verfolgt." Ergriffen von ihrer eigenen Darbietung musste Suzuki zunächst die Kehle anfeuchten, hinterließ auf dem polierten Wasserglas einen hässlichen Lippenstiftkranz. Der Chefredakteur nutzte die Pause, um sich in den Vordergrund zu schieben und ins rechte Licht zu rücken. "Ich verstehe, auch ich bin betroffen. So was hätte ich nicht erwartet. Zumindest nicht von zwei bekannten Idolen der Jugend und internationalen Vertretern unseres Landes!" Suzuki nahm den Spielball geschickt wieder auf. "Und erst die Täuschung ihrer Anhänger!! Man muss sich doch ernsthaft fragen, ob Nanjou und Izumi kein Gewissen haben, dass sie derartig unverantwortlich und unverfroren alle betrügen und belügen! Ihre schmutzige Liäson unter den Augen der Öffentlichkeit pflegen und sich über die Empfindungen ihrer Fans mokieren!" Suzuki beugte sich weit vor, angriffslustig der Kamera entgegen, die Zähne gefletscht. "Man stelle sich das vor, die beiden kennen sich offiziell seit der Oberstufe! Und wohnen seitdem zusammen!!" Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, Sehnen zeichneten sich in ihrem Gesicht ab, als zerreiße sie die Qual über solche unglaublichen Vorkommnisse vollkommen. "Seit dieser Zeit pflegen sie dieses schmutzige Verhältnis!!" Der Moderator, inzwischen durchaus hellhörig auf den leicht hysterischen Unterton in Suzukis Stimme, zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Offenkundig fürchtete er einen unangemessenen Gefühlsausbruch. "Nun, fragen wir doch den Vertreter der Shibuya Production, die Kouji Nanjou seit seiner Entdeckung betreut haben." Der Angesprochene, ein bebrillter Mann mit korrektem Seitenscheitel und strengen Gesichtszügen, bemühte sich um absolute Seriosität. Seine Antwort entfiel gemessen und ruhig. "Die Shibuya Production haben sich sofort nach Bekanntwerden dieser Vorkommnisse von Kouji Nanjou getrennt. Eine Geschäftsbeziehung besteht nicht mehr. Ich kann Ihnen versichern, dass uns diese Umstände nicht bekannt waren und wir ebenso entsetzt und empört sind." Noch bevor der Moderator eine Frage einwerfen konnte, fauchte Suzuki dazwischen. "Wollen Sie allen Ernstes behaupten, niemand habe von dieser unnatürlichen Verbindung gewusst?! Sie haben Nanjou betreut, sogar gelegentlich Presseerklärungen für Izumi herausgegeben!! Ihre Unschuldserklärung ist eine Ohrfeige in das Gesicht aller Fans und der mündigen Zuschauer!!" Trotz seiner Gelassenheit konnte der Angesprochene nur mit Mühe die Fassung wahren, da Suzuki aufgesprungen war und ihn anfunkelte, als sei sie im Begriff, auch körperlich ihre Gefühle auszudrücken. "Ich verachte Ihre unehrliche Einstellung!!! Ohne Ihre Kooperation wäre es niemals möglich gewesen, dass sich eine solche Perversion über Jahre hinweg aufrecht erhalten ließ!! Haben Sie eigentlich jemals einen Gedanken an die Jugend verschwendet, die sich unterschwellig diesem ekelhaften Einfluss ausgesetzt sah?! Sie tragen eine Mitschuld an allem, was aus dieser Affäre folgen wird!!" Das Kamerabild fing nun in Nahaufnahme das Gesicht des Moderators ein, mit einem leichten Schweißfilm überzogen. Bevor es zu einem offenen Eklat kommen würde, wollte man die Sendung abbrechen. "Meine Damen, meine Herren, für den Augenblick haben wir keine neuen Erkenntnisse. Wir halten Sie aber auf dem Laufenden!" Standbild und Jingle. War zunächst nur vereinzeltes Gemurmel zu hören, so brandete nun die Geräuschkulisse zu einem brodelnden Hexenkessel auf. Rufe des Abscheus, Unglaubens und Spottes brachen sich Bahn. Tatsuomi schob sich betäubt durch die Menge Richtung Ausgang. Er fühlte sich, als habe man ihm einen Tritt in die Magengrube verpasst. Nie zuvor war ihm in dieser Deutlichkeit klar gewesen, wie außergewöhnlich das Verhältnis seines Onkels und Takutos war. In seinen Augen, in seinem Herz hatte er stets ein behagliches Gefühl der Wärme in ihrer Gegenwart gespürt, Zärtlichkeit und Rücksicht. Sicherheit und Vertrauen. Allerdings, bekannte er nun vor sich, hatte er auch davor zurückgeschreckt, die Vergangenheit oder die intimen Tiefen dieser Beziehung zu erkunden. Sie waren wie sie waren, und er hatte das akzeptiert. »Natürlich«, ätzte er sich selbst an, »du warst ja auch immer nur mit dir beschäftigt, woher hättest du die Zeit nehmen sollen, dich mit anderen Menschen zu befassen!!« Als er auf den Flur hinaustrat, war dieser menschenleer, durch die Fenster drang fahles Licht. Alles erschien ihm so unwirklich in diesem Augenblick, die Stille nach diesem ohrenbetäubenden Eklat, die Unschärfe seiner Umgebung. Dass sich dennoch die Erde weiterdrehte. ~@~ Takuto starrte blind auf das Fernsehbild. Er hatte tatsächlich einen freundlichen Hotelangestellten zu dieser späten Stunde mitten in der Nacht überreden können, ihm die japanische Auslandswelle einzustellen über Satellit. Wie lange? Würde man ihn noch das heutige Spiel bestreiten lassen? Als er sich erheben wollte, musste er sich schwer auf die Sessellehnen stützen. Seine Glieder waren völlig ohne Gefühl, abgestorben. ~@~ "Hey, Arschficker!" Tatsuomi blieb stehen. Flucht war aussichtslos, das konnte er erkennen. An beiden Enden des Ganges schälten sich Gestalten aus den Schatten von Türen oder Schränken. »Eine dumme Idee, ausgerechnet jetzt durch das Kellergeschoss die Schule heimlich verlassen zu wollen«, fuhr ihm durch den Kopf. Er drehte sich herum, schätzte seine Lage ab und wich mit dem Rücken an eine Wand zurück. »Zu viele! Viel zu viele!« Und er war allein. Ihnen ausgeliefert. ~@~ Yuugo polierte grimmig seine Brillengläser, um ihn herum flogen Geräuschfetzen aus erregten Debatten. Wie nicht anders zu erwarten, hatte die Übertragung Diskussionen ausgelöst. Die Standpunkte waren vielfältig. Geschützt durch den Kordon seiner Freunde blieb er allerdings von neugierigen Fragen oder Anfeindungen unbehelligt. "Ekelhaft, dieses Weibsstück! Aus welchem Loch ist die bloß hervorgekrochen?!" In Maikos Gesicht spiegelte sich Abscheu und Zorn. "Ein enttäuschter, fanatischer Fan, würde ich mal vermuten", gab Natsumi ihre Einschätzung ruhig weiter. "So?" Yuugo zog die Augenbrauen interessiert zusammen. "Nun ja, wer hängt sich denn ständig an die beiden, wenn nicht ein durchgeknallter Fan?! Wer hat dafür denn die Zeit? Und außerdem befremdet mich ihre Wortwahl... Sie jammert dauernd von Betrug herum und Täuschung... als hätte man ihr persönlich etwas weggenommen. Dabei weiß doch jeder Mensch, dass Kouji ein Schauspieler, ein Entertainer ist! Sie wirkt, als könne sie Realität und Phantasie nicht auseinander halten." Natsumi verschränkte abschließend ihre Arme vor der Brust. Yuugo seufzte zustimmend. "Du hast wahrscheinlich Recht. Aber das hilft uns wohl nicht weiter, oder?" "Ich könnte ihren knochigen Arsch auf den Mond schießen!", knurrte Maiko. Die flammendrot gefärbten Haare standen wie Spikes in alle Richtungen. Gegen seinen Willen lächelte Yuugo breit. "Du bist süß, Maiko-chan! Kouji würde dir sicher ewig dankbar sein!" Maiko strahlte, während Natsumi besitzergreifend einen Arm um die Taille der Freundin schlang. "Solange er seine Finger bei sich behält!", knurrte sie halb ernst, halb amüsiert. Yuugo zuckte zusammen. "Was..?!" Hastig fischte er sein Handy aus der Hosentasche, starrte angespannt auf das Display. Unerwarteterweise stammte die eingehende Message nicht von Katsumi, sondern von Tatsuomi. "Scheiße!!" Blitzschnell tippten seine Finger die Nummer ein, während er gleichzeitig den Rucksack über die Schulter warf. "Was ist?!" "Tatsuomi steckt in der Klemme!" ~@~ Balu zog die Augenbrauen zusammen, schlüpfte dann in seine Inliner, meldete sich ab und raste los. Die Nieten auf dem Rücken seiner schweren Handschuhe fühlten sich vertraut an, erinnerten an andere Zeiten und ein anderes Land. ~@~ Hotsuma wischte sich den Schweiß ab, lächelte in den blauen Himmel. Er konnte sich genau vorstellen, wie der Doujou aussehen würde, wenn er endlich fertig war. Und dann.... vielleicht.... ... hätte er die Antwort gefunden auf seine Fragen. ~@~ Tatsuomi spuckte Blut. Der Hieb hatte seine Deckung unterlaufen, ihn kaum abgelenkt am Kinn getroffen. »Dumm, sich selbst die Lippe aufzubeißen«, tadelte eine Stimme in seinem Kopf, der kristallklar und ruhig war. Er wusste, er hatte keine Chance gegen diese Übermacht. Ihre Gesichter vermischten sich zu einem anonymen Brei, einzige Konstante war das fanatische Glühen in den Fratzen, die Tatsuomi umtanzten. Ihre Stunde war gekommen, dem verhassten Snob das zu geben, was seiner Art gebührte. Und so fielen sie in einen Rausch der Gewalt. ~@~ Katsumi notierte angespannt Daten, während sein mahnender Blick Kouji davon abhielt, per Telefon Mittagessen zu ordern. "Also gut, wie es scheint, haben wir noch immer eine Band und einen Gig heute Abend." Knurrend langte er über die Theke und schlug Kouji auf den Handrücken. "Sei kein Idiot!! Wenn wir etwas bestellen, kleben die Aasgeier gleich am Lieferanten!" Kouji schmollte kindisch, aber in seinen Augen tanzte ein amüsierter Funke. "Wie kannst du überhaupt jetzt essen?! Wenn das heute schiefgeht, ist alles aus!" Katsumi tigerte aufgebracht in seinem Wohnzimmer hin und her. Kouji stützte das Kinn auf seine Hand, betrachtete Katsumi schmunzelnd. Als dieser zur nächsten Runde ansetzte, angelte Kouji mit seinem künstlichen Arm nach ihm und zog ihn an sich. Die schlohweißen Haare zerwühlend grinste er Katsumi wölfisch ins spitze Gesicht. "Manager, lass uns was kochen! Und mach dir keine Sorgen, ich habe ein gutes Gefühl!" Ein Zwinkern, und Katsumi wurde energisch um die Theke zur Küchenzeile geschoben. "Kouji!! Sei doch einmal ernst!!" Kouji lachte kehlig, dann entblößte er sich, als das Handtuch seine schlanken Hüften verließ. "Angesichts dieses herrlichen Schauspiels?! Unmöglich!" Katsumi schnalzte verärgert mit der Zunge und wandte den Blick ab. "Zieh dir was an! Wirklich, du bist schrecklich!" Kouji sammelte das Handtuch ein, strich Katsumi sanft über den Kopf, sein Gesicht unverändert amüsiert, aber die abgründigen Augen vor Kampfeslust glühend, dämonisch und beängstigend. "Ich weiß. Und ich werde sie das spüren lassen." Die rauen Worte in aller Gelassenheit jagten Katsumi einen eisigen Schauer über den Rücken. Er musste sich festhalten, als Kouji, splitternackt, das Handtuch lässig über die Schulter geworfen, in ihrem Schlafzimmer verschwand. Sich mit einem Nanjou anzulegen bedeutete einen Tanz auf dem Vulkan. Und man konnte niemals sicher sein, dass Höllenfeuer sie verzehren würde. ~@~ Yuugo rannte in Begleitung seiner Freundinnen im Laufschritt zur Schule. Passanten wichen erschrocken dem Trio aus, in dessen Augen ein entschlossener Ausdruck stand. Vor dem Schultor kollidierte er fast mit Balu, der weniger atemlos aber ebenso schwungvoll herangeprescht war. "Keller, da hinten!", dirigierte Yuugo heiser. Und Balu flog förmlich voran, schoss mit einem gewagten Sprung Treppen hinab. Die verspiegelte Sonnenbrille und das eisblaue Leder seiner Montur ließen ihn wie einen wilden Kämpfer aus einem Endzeitspektakel erscheinen. Er bog in den Gang ein, der unterhalb des eigentlichen Schulgebäudes zu Lagerräumen, Gebäudetechnik, Umkleiden und zum Ausgang führte. Ohne den geringsten Versuch eines Bremsens zu erwägen, hielt er voll auf die Gruppe zu, die im Halbdunkel zusammengerottet war. Die Arme vor den gesenkten Kopf hebend trieb er die Rollen in die Steinplatten, beschleunigte stärker und katapultierte sich in fremde Körper. ~@~ Tatsuomi biss die Zähne aufeinander, blinzelte heftig. Ein Schlag hatte seine Augenbraue aufgerissen. Die Verletzung war nicht gefährlich, aber der stetige Blutstrom, den eine zerrissene Ader absonderte, behinderte ihn in seiner Sicht erheblich. »Ich darf nicht fallen, nicht in die Knie gehen«, kommandierte er sich stumm. »Wenn ich am Boden bin, ist alles aus!« Ein wuchtiger Tritt aus dem Hinterhalt traf sein Schienbein schwer. Mit einem erstickten Fluch brach Tatsuomi ein, klammerte sich unwillkürlich im Mauerwerk fest. Was seinen Angreifern die freie Attacke auf seinen ungeschützten Oberkörper bot. ~@~ Balu rollte sich geschickt ab, kam wieder auf die Beine, bevor sich das Knäuel Menschenleiber sortiert hatte. Eine eilige Bestandsaufnahme verriet ihm, dass er nichts an Fähigkeiten eingebüßt hatte, er war vollkommen unversehrt. Aber nun blieb keine weitere Sekunde zur Muße. Kampfbereit baute er sich vor dem Häufchen auf, dessen zuckender Leib Tatsuomi sein musste. Auch die Gegner formierten sich neu, drohend, fluchend, wimmernd. "Na warte, du Scheißer!" Ein Ausleger in Balus Magengegend verpuffte mit einem durchdringenden Knacksen, das gebrochenen Fingerknöcheln zugeordnet werden musste. Balu lächelte mild. "Ich warne euch. Lasst uns in Frieden oder tragt die Konsequenzen." Das folgende Handgemenge war kurz, aber schmerzhaft. Noch bevor Yuugo und seine Begleiter eintrafen, zog man sich mit Blessuren zurück, wüste Drohungen ausstoßend. Maiko, feurig wie immer, hielt ihre Meinung über Tatsuomis Mitschüler, deren Ahnen und der Verwandtschaft mit gewissen Kloakentieren nicht hinter dem Berg. Balu wischte sich rasch Blut von seiner Montur, kniete sich dann zu Yuugo, der bereits versuchte, Tatsuomi aufzusetzen. "Warte, ich habe in meinem Rucksack Verbandszeug. Schaffen wir ihn erst mal ans Licht." Sie luden sich jeder einen Arm auf die Schultern, schleppten Tatsuomi behutsam ins Freie, während Natsumi und Maiko ihren Abzug deckten. Aber Balus Attacke hatte ausreichend Eindruck hinterlassen, dass sämtliche körperlichen Kampfhandlungen beendet waren. Auf einer Bank setzten sie Tatsuomi ab, dann untersuchten sie das Ausmaß seiner Verletzungen. Glücklicherweise war dieser bei vollem Bewusstsein, auch wenn er das nicht unbedingt als Gnade empfand. "Sunny, ich werde jetzt deine Rippen abtasten. Sag, wenn etwas wehtut, klar?" Balu streifte sich rasch die Handschuhe ab, die Nieten blutverschmiert. Dann glitten seine Finger einfühlsam über Tatsuomis Oberkörper, während Yuugo ihn stützte und die Reste des zerfetzten Oberhemds entfernte. Nach eingehender Betrachtung ergab sich folgendes Bild: Tatsuomi hatte einen angeschlagenen Schneidezahn, eine stark blutende Wunde an der Schläfe. Sein Kinn schwoll bereits an, an seinem Hinterkopf fehlten ein paar Strähnen samt Haut, sein gesamter Oberkörper war mit sich färbenden Hämatomen bedeckt, das rechte Schienbein blutig verschrammt. Nur seine ausgezeichnete Konstitution hatte ihn davor bewahrt, schlimmere Verwundungen davonzutragen. "Wie die Tiere!", entsetzte sich Maiko mitfühlend, die Augen bereits bedenklich feucht. "Wohin mit dem Kleinen?" Natsumi konzentrierte sich auf das Naheliegende. "Zu mir können wir nicht", knurrte Yuugo angespannt, "die Medien hängen mittlerweile sicher dort herum." "Könnte nicht schaden, dass sie mal zeigen, was ihre beschissene Moral anrichtet!", giftete Maiko, aber ihnen war durchaus klar, dass dies keine Option war. "Ich nehme ihn mit zu mir." Yuugo zog überrascht die Augenbrauen an, als Balu bereits die Sonnenbrille wieder justierte. "Ich habe heute frei, mein Zimmer ist ausreichend groß, und niemand wird uns behelligen." Yuugo nickte zustimmend. "Danke, Balu! Am Besten, ich rufe ein Taxi. In der Zwischenzeit können wir versuchen, Tatsu-chan noch ein wenig herzurichten." Natsumi schälte sich aus ihrer Jacke, während Balu die Hosenbeine abschnitt. Tatsuomi kicherte benommen, seinen neuen Aufzug betrachtend, Hot Pants und eine Windjacke, dann schloss er matt die Augen. "Was ist mit ihm? Er ist so blass?!" Maiko schlug achtlos die Fingernägel in Yuugos Arm, was Natsumi zu einem energischen Klaps auf das Hinterteil der Geliebten veranlasste. "Der Schock wahrscheinlich." Balu hob Tatsuomi vorsichtig an, als das Taxi am Straßenrand hielt. Noch bevor der Fahrer angesichts ihres Zustands das Weite suchen konnte, hatte Maiko schon den Fluchtweg blockiert. Mit gezwungenem Grinsen öffnete der Fahrer den automatisch gesicherten Fond. Was es Yuugo ermöglichte, Tatsuomi hineinzuschieben, der nur noch zu einem Mindestmaß die Kontrolle über die eigenen Glieder innehatte. "Und nun?" Trostlos und emotional erschöpft sahen sie dem sich entfernenden Pkw nach. "Zurück zur Schule", verkündete Natsumi grimmig. "Was ein Mist! Als ob wir heute noch irgendwas zustande bringen würden!" Yuugo hakte sich bei beiden Mädchen unter. "Nun, wie heißt es so schön, für das Leben lernen wir. Und eine Lektion haben wir gerade erteilt bekommen." ~@~ Kapitel 8 - Auf dem Kriegspfad "Also keine Presseerklärung", gab sich Katsumi seufzend geschlagen. Kouji nickte ungerührt, während er mit Heißhunger Nudeln in seinen Mund bugsierte. "Was denkst du..." Katsumi brach unsicher ab. Kouji hob die Augenbrauen fragend, aber der Blick darunter wirkte wachsam und verschlossen. Mit einem verärgerten Handwedeln wischte Katsumi seine Gedanken vom Tisch, unverhohlen enttäuscht, dass Kouji ihn nicht in sein Vertrauen zog, sondern wie immer mauerte. Kouji hob die Schüssel an die Lippen und schlürfte die Suppe. Fuhr sich dann mit der Zungenspitze über den Mund, als wolle er nicht den geringsten Tropfen verlieren. "Wirklich lecker, Shibuya." Katsumi nickte widerwillig, konnte Koujis Blick nicht standhalten, aus Ärger darüber, dass dieser ihm seine Empfindungen so einfach ansehen konnte. "Er ist stark." Katsumi blinzelte ungläubig, als Kouji sich bereits erhob und leise summend das Geschirr in die Spülmaschine räumte, so, als habe er niemals diese letzte Äußerung getan. ~@~ Tatsuomis Augen irrten über die kahle Zimmerdecke, dann wurde es plötzlich dunkel, als sich Stoff über seine Augen schob. Er stöhnte protestierend, aber eine Hand legte sich bekräftigend auf seine Brust. "Sunny, ruh dich aus und lass mich machen!" Vage schoben sich Empfindungen durch den Schleier über Tatsuomis Wahrnehmung, Finger, die sanft Salbe in Haut einmassierten, Verbände anlegten, seine verheerten Lippen mit Honig bestrichen. Tatsuomi glitt in einen leichten Halbschlaf. Als sich abschließend eine leichte Decke über seinen nur marginal bedeckten Körper senkte, erwachte er wieder. In dieser künstlichen Dunkelheit des Stofftuches fühlte er sich eigenartig unwirklich, beinahe wie in einem besonders klaren Traum. Und so konnte es auch nicht schaden, wenn er mit betäubter Zunge seinen Gedanken verbalen Ausdruck gab, richtig? "Warum bist du gekommen?" "Yuugo hat mich angerufen." Balus ruhige Stimme schwebte körperlos durch den Raum. Vor seinem inneren Auge erschien er Tatsuomi wie die Cheshire Cat aus Alice im Wunderland, unsichtbar und doch präsent. "Wieso hast du mir geholfen?" Ein sanftes Lachen wehte vorbei. "Ich lasse keinen Freund im Stich, Sunny." Tatsuomi sortierte mühsam seine Worte und Empfindungen auseinander. "Nach allem, was ich getan habe?" Er wollte beißenden Spott in seine Frage weben, doch verband sich Wehmut und Scham zu einem nicht zu bezwingenden Unterton. "Das ist schon erledigt. Vergeben und vergessen." Tatsuomi runzelte die Stirn, um den Bodennebel in seinem Kopf zu durchdringen. Sollte es so einfach sein? "Warum?", entschlüpfte ihm argwöhnischer Widerspruch, wollte sich Gewissheit verschaffen, die kaum geschlossene Wunde aufreißen. Nun sprudelte das warme Gelächter in die schwermütige Einsamkeit von Tatsuomis verwirrtem Kopf, spülte Zweifel und Angst fort. "Sunny, du bist ein lausiger Küsser, ich kann's nicht anders sagen." Tatsuomi blinzelte ungläubig, versuchte sich unter Zuhilfenahme seiner Ellenbogen aufzusetzen, aber eine befehlende Handfläche auf seiner Brust hielt ihn am Boden. "Ich lerne noch", protestierte er halb kläglich, halb erleichtert. Rutschte merklich näher an die warme Gestalt, die nun Wirklichkeit in diesen seltsamen Tagtraum brachte. "Ich kann dich gut verstehen, deswegen bin ich dir nicht böse", erklärte Balu leise, dann löste sich seine Hand. Und Tatsuomi fiel in den unwirklichen Zustand zurück, drohte erneut, von Schlummer übermannt zu werden. "Erzähl mir, wie es in Amerika war", murmelte er angestrengt, klammerte sich an die Stimme in der Leere. Tatsuomi zweifelte, dass sich Balu so einfach überreden ließ, den Schleier über seiner Vergangenheit zu lüften, den er doch zuvor so vehement verteidigt hatte. Doch Balu erfüllte seinen Wunsch. "Nach der Grundschule gingen wir nach Amerika. Chicago, Stadt der Gangster und der Autos, an der großen Seenplatte. Ich hatte mich wie alle meine Familienmitglieder akribisch vorbereitet, aber die Realität war ganz anders, als ich erwartet hatte." In Balus Stimme schwang ein nachsichtiges Lachen mit. "Niemand konnte mein Englisch verstehen. Wir wohnten in einem Viertel, das von ausländischen Firmen für ihre Mitarbeiter gewählt worden war. Meine Eltern bewegten sich in den vorgeschriebenen Kreisen, Geschäften, eine Art 'Little Japan'. Meine Schwester, sehr schlank und hübsch, wurde sofort von ihren neuen Klassenkameraden adoptiert, aber für mich interessierte sich niemand. Ich war nur ein kleiner Japs mit Seitenscheitel und grauenvollem Akzent. Also trieb ich mich nach der Schule am Wasser herum, fuhr mit der Hochbahn und pflegte mein Heimweh. Eines Nachmittags dann, es dämmerte schon, raste mir unvermutet ein Trupp entgegen, maskiert, wie die Wilde Jagd, lautlos, atemberaubend schnell. Wie eine menschliche Zugmaschine! Der Anführer trug eine Fackel, lotste seinen Tross umsichtig über Hindernisse. Sie kümmerten sich nicht um Passanten, sondern sprangen blitzschnell über Bänke, Treppen, Geländer, Müllkörbe. So etwas hatte ich noch nie gesehen, ich fühlte mich, als habe man mich in ein futuristisches Endzeitspektakel versetzt. Und dann waren sie wie Geisterspuk verschwunden, so lautlos, wie sie erschienen waren. Ich war gebannt. Und beschloss natürlich, genauso zu werden. Wild, gefährlich und blitzschnell." Für Augenblicke dehnte sich eine nostalgische Stille aus, zauberte fremdartige Bilder in die Atmosphäre. "Kaum dass ich mich auf den Inlinern, die ich meinen Eltern erpresst hatte, halten konnte, wartete ich geduldig auf den nächsten Auftritt dieser geheimnisvollen Bande. Und tatsächlich wurde meine Geduld belohnt. Allerdings wollten sie mich nicht haben, unerfahren, ungeschickt und viel zu klein, wie ich war. Ich bat um eine Mutprobe, um ihnen zu beweisen, dass ich es wert war. Sie lachten natürlich, aber dann entschieden sie, man könne sich ja mal anschauen, wie viel Potential ich hätte. Also zogen sie davon, mich im Schlepptau, eine 'Sause' machen. Wenn ich am Ende noch bei ihnen sei, könnte ich mit ihnen 'reisen'. Und die Wilde Jagd durch die Stadt startete. Im Halbdunkel über Stock und Stein, Bremsen gab es nicht." Tatsuomi konnte selbst mit geschlossenen Augen das Herzklopfen und die Adrenalinschübe spüren, die sich in die Atmosphäre webten. "Wie durch ein Wunder hielt ich durch, kein Sturz brachte mich zu Fall. Und wurde einer von ihnen." Mit einem Kichern fuhr Balu fort. "Dass ich einen unverschämten Glückstag hatte, merkte ich erst später, nach einem Armbruch und vielen Schrammen, aber das war nicht mehr wichtig. Ich gehörte dazu, und sie zeigten mir ihre Tricks. Die tollen Monturen, die aus Motorradanzügen gefertigt wurden, sodass man nicht die üblichen Schützer brauchte. Wie man Hindernisse überwand, Balance hielt, Stürze abfing. Und natürlich, wie man sich mit anderen auseinandersetzte. Weißt du, als wir Japan verließen, war ich an absolute Harmonie gewöhnt, aber in Amerika galt es, sich zu behaupten, seinen Standpunkt durchzusetzen. Das war ein völlig fremder Gedanke, aber er gefiel mir. Man musste nun nämlich selbst denken, konnte sich nicht hinter dem Gemeinwohl verstecken. Meinen Eltern gefiel mein Rebellentum gar nicht, ebenso wenig die Entdeckung, dass ich mich hatte tätowieren lassen. Blaugefärbte Haare setzten dann den Schlusspunkt, ich wurde für eine Woche von der Schule ausgeschlossen. Das kümmerte mich gar nicht, denn ich hatte Zeit, über mich nachzudenken. Und plötzlich bemerkte ich, dass ich mich verändert hatte. Ich war genauso groß wie die anderen, hatte Muskeln und war unter den Menschen beliebt, die mir etwas bedeuteten. Also nutzte ich meine neue Stärke, um ein perfekter 'Glider' zu werden, trainierte bis zum Umfallen, kämpfte mit den Skateboardern um die Halfpipes und fand eine Freundin." Tatsuomi zuckte unruhig im Halbschlaf, murmelte mit schwerer Zunge. "Freundin?" "Ja, genau. Samantha, auch ein 'Glider', das umschwärmteste Mädchen, weil sie so tough war. Ihre Eltern waren aus Jamaika gekommen und arbeiteten den ganzen Tag, also hing sie mit uns herum. Sie verfügte über eine erstaunliche Körperbeherrschung, an den Halfpipes war sie kaum zu schlagen. Aber davon abgesehen war sie intelligent und ein wundervoller Mensch." Balu verlor sich in Melancholie, aber Tatsuomi wollte das sanfte Hintergrundgeräusch zu seinen wirren Träumen nicht verlieren. "Was ist passiert?" Balu summte selbstvergessen vor sich hin, als habe er die Frage nicht registriert, eine Melodie, die Tatsuomi anhand der geflüsterten Worte als 'Living on the edge' von Aerosmith erkannte. "Balu?" "Ach, Sunny,... ich wusste, dass ich zur Oberstufe wieder in Japan sein würde, die anderen würden aufs College gehen oder gleich arbeiten, irgendwie hat uns das auseinander gebracht. Es stimmte einfach der Rhythmus nicht mehr, als seien wir ins Straucheln geraten auf gerader Strecke. Da fiel der endgültige Abschied gar nicht mehr so schwer. Unsere Zukunft hatte sowieso nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum." Das klang so verloren und lakonisch zugleich, dass es Tatsuomi kalt überlief, den zauberhaften Bann brach. Ächzend setzte er sich auf, das bunte Tuch glitt von seinem Kopf. Er wischte sich über die Augen, suchte dann Balus Blick, der bequem auf einem großen Kissen lümmelte und ihn beobachtete. "Und deine Freundin? Fehlt sie dir nicht?" Balu verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Das glatte, dunkelblaue Leder mit den eisblauen Flammen folgte seinen Bewegungen lautlos, wie eine zweite Haut. "Manchmal. Aber wir wussten, dass es nicht von Dauer war. Wir haben nur im Augenblick gelebt, nicht an die Zukunft gedacht. Es gab keine." Tatsuomi strich sich Strähnen aus den Augen, zuckte, als er eine Wunde berührte. "Das hört sich... sehr traurig an." Balu lächelte nachsichtig, räkelte sich leicht. "Alles eine Frage der Einstellung", schmunzelte er. Tatsuomi raffte das leichte Laken um die Hüften und krabbelte zu Balu hinüber, schob sich unbekümmert zwischen dessen Beine auf die Knie und ließ seine Finger neugierig über das Leder wandern. "Unglaublich, es fühlt sich wundervoll an!! Und die Polster..." Seine Hände ertasteten direkt über Balus Bauch eine unnachgiebige Metallplatte. "Aha!! Was ist das?" Balu pflückte Tatsuomis Hände herunter, zog den Reißverschluss seiner Montur auf bis zur Leibmitte, direkt über der Platte. "Eine schwere Gürtelschnalle. In den Armpolstern sind auch ein paar dünne Stahlstreben eingearbeitet. Aufprallschutz und versteckte Waffe." Tatsuomi pfiff beeindruckt, verzog dann den Mund, weil die Muskeln noch immer schmerzten, von seinem geschwollenen Kinn ganz zu schweigen. Er legte beide Arme lässig auf Balus Schultern, verflocht seine Finger hinter Balus Kopf miteinander. "Das ist genial! Was muss ich tun, damit du mir zeigst, wie man so eine Kluft fabriziert?" Sein Lächeln war so lasziv, der Blick intensiv genug, dass Balu unwillkürlich die Röte in die Wangen schoss. "Besser inlinelaufen", konterte er betont kühl, lehnte sich weiter nach hinten gegen die Wand. Was Tatsuomi nicht davon abhielt, ihm mit dem Oberkörper zu folgen, sich von den Fersen hoch zu stemmen. "Das schaffe ich. Und das ist die einzige Bedingung?", flirtete er weiter, halb spielerisch, halb ernst. "Ich werde es dir nicht leicht machen!", kündigte Balu an, gegen Tatsuomis becircende Ausstrahlung ankämpfend. Tatsuomi zwinkerte träge, ein aufreizendes Funkeln in den schönen Augen. "Wundervoll! Ich mag es schwierig", gurrte er verführerisch, beugte sich dann tiefer, um in Balus rechtes Ohr zu säuseln. "Und deine Tattoos gefallen mir auch verdammt gut." Balu spürte das Blut in seine Wangen schießen, mit einer Vehemenz, die ihm seit seiner Pubertät nicht mehr begegnet war, noch provoziert von dem federleichten Kontakt mit einer honigblonden Mähne. Tatsuomi zog sich leicht zurück, nun wieder ein wenig Abstand zwischen ihre Nasenspitzen bringend. Balu verscheuchte in Panik die Leere in seinem Kopf, konzentrierte seinen Blick auf Tatsuomis sanft geschwungenen Mund und die Zähne, um den brennenden Augen zu entfliehen. "Siehst ganz schön wild aus mit der fehlenden Ecke", murmelte er, die Fingernägel in die Tatami grabend. Tatsuomi lachte leise, guttural, selbstzufrieden. "Und du magst es wild, nicht wahr?", wisperte er an Balus Mund. Dieser hielt den Atem an, formulierte mit bebenden Lippen einen letzten Abwehrversuch gegen das Netz aus Verlockung und Verführung, das dieses halbe Kind um ihn gezogen hatte. "Sunny, ich steh nicht auf Jungs." Tatsuomi, keineswegs beeindruckt, kicherte leise. Sein Atem brachte Balus Gesicht zum Kochen. "Wie schade! Damit entgehen dir 50% der Menschheit... warum schränkst du dich ein?" Balu keuchte unwillkürlich, musste sich in Erinnerung rufen, dass dieser Junge trotz seiner Worte und seiner körperlichen Reife noch ein Kind war. Dass es nicht wirklich beabsichtigt war, sondern nur ein Spiel. Ein Spiel mit dem Feuer. "Hör damit auf, okay? Du willst das gar nicht", hauchte er nervös zurück, von seiner üblichen Gelassenheit verlassen. "Betrachte es einfach als Wiedergutmachung... oder Dankeschön", raunte Tatsuomi bevor sich ihre Lippen trafen. Vorsichtig, unsicher, dann, als sich kein Abgrund auftat, mutiger, sich einander anvertrauend, öffnend. Balus Hände knackten unter der Belastung, als er sich zwang, unter keinen Umständen die Arme um Tatsuomi zu legen. Als dieser sich behutsam zurückzog, mit halb gesenkten Lidern und träumerischem Gesichtsausdruck selbstvergessen mit der Zungenspitze die eigenen Lippen nachfuhr, atmete Balu heftig aus. Tatsuomi entging diese Reaktion keineswegs. "Warum stößt du mich nicht weg? Schrei mich ruhig an!" Balu verfing sich erneut in den schönen Augen des Jüngeren. Zu seiner Verwunderung lag aber ernsthaftes Interesse in ihnen. Tatsuomi hatte also erwartet, heftig abgewiesen und verachtet zu werden? Obwohl er ihm heute geholfen hatte? Balu wich Tatsuomis Blick aus, presste die Lippen aufeinander, vollkommen von sich selbst verwirrt. Er war nicht verliebt, schon gar nicht in einen anderen Jungen. Trotzdem hatte nur sein Anstand aufgeschrien, nicht aber sein Herz oder sein Instinkt. "Ich hab keine Ahnung", murmelte er perplex. Tatsuomi kicherte plötzlich, sprudelte vor Vergnügen. "So geht es mir ständig!!!" Gut gelaunt rutschte er herum, um sich dann mit dem Rücken eng an Balu zu lehnen, den Kopf auf dessen Schlüsselbein gelegt. "Hmmmm.... du riechst gut in diesem Lederzeug...", murmelte er mit geschlossenen Augen. Balu wickelte schamhaft das Laken enger um Tatsuomi, flüsterte verwirrt. "Du sollst mich nicht... anmachen... Du willst das nicht..." Tatsuomi atmete bereits gleichmäßig, noch immer ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, als Balu heiser feststellte, was Tatsuomis Antrieb ausmachte. "Du weißt gar nicht, was du willst. Mit dem Feuer zu spielen kann dich umbringen, Sunny." ~@~ "Und du bist sicher, dass du das so willst?" Katsumi lief nervös neben Kouji auf und ab, der sich selbst schminkte. Mit einer Sicherheit, die man nicht vermutet hatte, wurde er als großer Star doch ständig von solchen Vorbereitungen befreit. "Absolut." Kouji rieb seine lasziven Lippen aneinander, um den lackschwarzen Lippenstift zu verteilen. Seine tintenschwarzen Haare waren mit Glanzlack hinter ein Ohr gekämmt worden, während die schulterlangen Strähnen seine andere Gesichtshälfte in Schatten tauchte. "Die anderen werden kurz vorher ankommen, getrennt, damit kein Aufsehen erregt wird", murmelte Katsumi keineswegs beruhigt weiter. "Ihr habt nicht mal eine Probe vorher, nur einen Soundcheck." Katsumi rang in einem Anflug von Panik die Hände. Sein Gesicht war angespannt, fahl unter den Sommersprossen. Kouji zwinkerte ihm seelenruhig im Spiegel zu. "Vertrau mir, Manager." Nun wurden die Wimpern nachgezogen, noch einmal die hauchdünne Puderschicht geprüft, die allzu deutliche Spuren der Anstrengung unterdrücken sollte. "Wer ist dieser Typ, bei dem Tatsuomi ist?" Katsumi, aus einem Strudel an Katastrophenphantasien gerissen, zog irritiert die Augenbrauen zusammen, musste sich sammeln. "Ähm... ach ja, das ist der Kinderpfleger in deinem Waisenhaus, der einige Zeit in Amerika war." "Der ist nicht zufällig ein Inline-Crack, oder?" Koujis Stimme hatte etwas Lauerndes, das Katsumi alarmierte, aber auch verstörte. "Ich habe keine Ahnung, Yuugo kennt ihn viel besser. Warum sprichst du nicht nach der Show mit ihm?" Die pointierten Augenbrauen wanderten in die Höhe. "Worauf du dich verlassen kannst." ~@~ Takuto fühlte sich seltsam fremd in seiner Gestalt. Sie standen auf richtigem Rasen. Gleich würde der Anpfiff erfolgen, damit sie gegen eine französische Auswahl ein Werbespiel für die Weltmeisterschaften austrugen. Der Himmel war blau, das Wetter geradezu ideal. Seine Kameraden aufgeregt und konzentriert zugleich, der Trainer ruhig. Kannten sie die Neuigkeiten noch nicht? Oder wollte man bis nach dem Spiel warten? Alles schien ohne Konturen, als wäre ein Weichzeichner über die Szenerie gehuscht, um eine Idylle zu schaffen. »Ich werde nicht davonkommen, das spüre ich.« Doch diese Gewissheit konnte die bleischwere Müdigkeit in seinem Kopf nicht vertreiben. ~@~ Balu reichte Tatsuomi eine Tasse Tee, dann hockten sie sich einträchtig vor den winzigen Fernseher in Balus Zimmer. Tatsuomi wirkte angespannt, nachdenklich, keineswegs mehr die aggressive Amourette, die bedenkenlos ihren Launen folgte. Balu warf einen Seitenblick auf das sich verfärbende Gesicht, erhaschte den Schneidezahn mit der fehlenden Ecke. Fragte sich besorgt, warum dieser Junge selbst verwundet noch dämonische Attraktivität ausstrahlte. Die ihm eigentlich gleichgültig sein sollte. Aber es nicht war. ~@~ Katsumi schob sich hinter den Aufnahmeleiter, betrachtete unruhig die Vorbereitung zur Live-Sendung. Ein unerhörtes Risiko, das sie eingingen, aber bei Erfolg dem kleinen Sender unglaubliche Einschaltquoten bescheren würde. Die Kreuz-Kollegen, allesamt noch immer bei Shibuya Production unter Vertrag, begrüßten sich gelassen. Katsumi war sich nicht sicher gewesen, sie zu überzeugen, dieses Schlupfloch zu nutzen, das ihm seine intimen Kenntnisse bei seinem ehemaligen Clan offeriert hatte. Aber nun kamen sie, offenkundig weder überrascht von der Lawine, die die Offenbarung am Morgen ausgelöst hatte, noch verunsichert darüber, ein ihnen vollkommen unbekanntes Stück nach einem Soundcheck mit Kouji live darbieten zu müssen. Andererseits konnte man nicht leugnen, dass sie ihren schwierigen Frontmann gut genug kannten, um sich auf diese Art von Vorstellung vorzubereiten. Kouji scherzte, verteilte rasch ein paar Notenblätter, erklärte mit beredeten Gesten. Er wirkte gelöst, siegessicher, selbstbewusst. Als könne das Feuer in seinen abgründigen Augen das Schicksal in die Knie zwingen, ihm untertan machen. ~@~ Hotsuma betrachtete die Wolkenfinger der Dämmerung, die sich in die Flanke des Himmel schoben und lächelte selbstvergessen. Er war vollkommen erschöpft von der Arbeit, aber der Doujou erstrahlte in alter Pracht, zumindest gereinigt und aufgeräumt. Noch ein wenig Farbe, Grünpflanzen, und bald würde es... ja, was? Hotsuma schreckte hoch, als Gonzou ihm einen Teebecher reichte, die obligatorische Honigwabe darin eintauchend. "Hast ganze Arbeit geleistet, Jungchen!! Wirklich umwerfend! Und nun?" Hotsuma blies vorsichtig in die grüne Flüssigkeit. Er überlegte seine Worte sorgfältig, formulierte dann bedächtig. "Was meinen Sie, Gonzou, könnte man hier nicht wieder einen Doujou einrichten? Mit Übernachtungsmöglichkeiten? Wie ein Ryoukan?" Gonzou massierte sich das Kinn und grunzte. "Tja, Jungchen, der Gedanke ist nicht übel, aber wer sollte der Meister sein? Und dann sind wir hier nicht gerade im Zentrum der Welt! Nicht umsonst leben hier nur wir verrückten Alten und ein paar Knirpse." "Vielleicht kenne ich jemanden, der mir erlauben würde, seinen Kendou-Stil hier zu unterrichten, und was die Abgeschiedenheit betrifft, ist das möglicherweise ein Vorteil, den man nur ins rechte Licht setzen muss." Gonzou zog an seiner Pfeife und musterte Hotsuma. Das warme Glühen in den schwarzen Augen, die charmanten Grübchen in den Wangen, die sicher niemand zuvor gesehen hatte, da der Junge so selten lächelte. "Mir scheint, du hast eine Bestimmung gefunden." Hotsuma errötete leicht und strich sich die Haare aus der Stirn. "Ich... ich fühle mich zum ersten Mal zu Hause. Angekommen. Am richtigen Ort", gab er verlegen zurück. Gonzou grunzte erneut nachsichtig, fuhr mit der schwieligen Hand durch Hotsumas Haare und nickte. "Verstehe, Jungchen. Tja, sieht so aus, als hättest du dich verliebt. Und wiedergefunden." ~@~ Die Bühne war in Dunkelheit getaucht, als das Aufnahmesignal rot aufflammte. Indirekte Beleuchtung erlaubte den Zuschauern nur die vagen Umrisse der Bandmitglieder zu erahnen. Dann fing ein Scheinwerfer gleißend hell eine schlanke Gestalt ein, die erst mit Senkung der Luminenzahl erkennbar wurde. Kouji hielt den Kopf gesenkt, trug einen weißen Gehrock aus Nappa-Leder, tailliert geschnitten und entsprechend den Vorbildern aus dem Biedermeier auf Kniekehlenhöhe endend. Allerdings hatte man statt der Knöpfe Schnallen befestigt, die das Kleidungsstück an der Frontpartie in Taillenhöhe zusammenhielten. Des Weiteren waren sowohl die Ärmel wie auch Brust- und Rückenteil mit weißem Spitzentuch ersetzt worden, was sowohl die Prothese wie auch Koujis zahlreiche Narben enthüllte. Eine enge, weiße Hose aus Nappa-Leder über Schnallenschuhen vervollständigte seine Erscheinung. Seine ungleichen, schlanken Finger liebkosten das Mikrophon, als das Schlagzeug einen dumpfen Rhythmus vorgab: Herzschläge. Kouji flüsterte wie ein Liebhaber sanften, belanglosen Unsinn, als erwache er aus tiefem Schlaf und kehre erst in die Realität zurück. Die Gitarren setzten ein, eine einfache Melodie, neckend, spritzig, wie ein Kinderlied. Und Koujis Stimme wurde drängender, tiefer, als er das Schlagzeug antrieb. Seine Worte deutlicher, verlangender, halb flehend, halb fordernd. Die schlanken Finger überließen der künstlichen Hand das Mikrophon, suchten in der Luft nach der geliebten Person. Rissen in Qual die Revers des Gehrocks auseinander, entblößten die lange Narbe, die das Attentat gerissen hatte. Weiter steigerte sich der Rhythmus, flatterte aufgeregt, angespannt, hungrig, schriller und eiliger die Melodie, während Kouji drängte, guttural, die Worte in Stakkato hervorschleudernd. Seine weißen Finger gruben sich in die tintenschwarzen Haare, sein Leib wand sich, während er raunte, wisperte, lockte. Sich nicht mehr in Worten verlor, sondern Vokale herausschrie, die Melodie seine Stimme umwarb, das Schlagzeug ein Tremolo abfeuerte. Kouji warf den Kopf in den Nacken, der Gehrock schwang offen, und dann schrie er losgelöst. Ein Raubtier im Dschungel. Und alle Musik brach ab. Nur Kouji verharrte im gnadenlosen Licht des Scheinwerfers, Fokus aller Aufmerksamkeit, heftig atmend, den Kopf gesenkt. Hob ihn dann langsam an, mit tintenschwarzen Strähnen wild gerahmt, die Lider halb gesenkt. Seine Mundwinkel zuckten spöttisch in die Höhe, dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, verschmierte provozierend den lackschwarzen Lippenstift und lächelte. Seine Augen glühten in einem inneren Feuer, eine eiskalte Flamme. Ein amüsierter Handkuss zur Kamera und die Bühne wurde dunkel. Katsumi umklammerte das Mischpult, fühlte eine brennende Röte in seinem Gesicht. »Großer Gott... er ist einfach unmöglich!!« Um ihn herum herrschte eine Stille, die unheimlich war in ihrer Intensität. Mit einigen Seitenblicken wurde ihm klar, dass er nicht allein um Fassung und eine angemessene Gesichtsfarbe rang, von der Atemnot ganz zu schweigen. »Ein solcher Wahnsinn...« 'Lullaby' klang so unverfänglich, harmlos, ein Kinderlied und Liebesgeflüster. »Allerdings hatte er mit keinem Wort erwähnt, dass sich das Ganze zu einem Orgasmus auf offener Bühne entwickeln würde!! Wenn die Wirkung auf die Zuschauer auch nur annähernd so stark war wie auf die Crew im Studio...« Katsumi erschauerte erneut unter den Nachwirkungen dieses Auftritts. »Wie hat er es bloß vollbracht, eine leere Halle voller konzentrierter Menschen in solche intime Nähe zu ziehen?!« Kouji schob sich mit vergnügtem Grinsen hinter ihn, zerwühlte ihm gut gelaunt die Haare. "So, Manager, was gibt's zu essen?" Katsumis Fassung beging Fahnenflucht, seine Gesichtszüge entgleisten. "Waaa...?!!" Kouji lächelte nachsichtig, als habe er einen begriffsstutzigen Schüler vor sich. "Shibuya, ich habe Hunger. Besonders nach solchen Anstrengungen!" Das Zwinkern der bodenlosen Augen, die spöttische Betonung ließen keinen Zweifel über den wahren Charakter dieser 'Anstrengung' zu. "Verdammt... verdammt, Kouji!! Hättest du nicht... hättest du mich nicht wenigstens warnen können?!" Kouji lachte aufreizend, zog Katsumi mit sich hinaus zu den Umkleideräumen. "Ich hatte nicht den Eindruck, dass du eine Warnung nötig hast. Immerhin bist du doch mit diesen Empfindungen vertraut", spottete er sanft, zog sich am Automaten eine Cola. Katsumi lief dunkelrot an, unfähig, eine Erwiderung zu formulieren. Kouji feixte wie ein Schuljunge über einen gelungenen Streich, reichte dann seine Cola weiter. "Also, was essen wir?" Katsumi würgte die Cola herunter, presste eine Hand auf seinen Magen. "Ich glaube, mir wird schlecht. So viel Aufregung..." Kouji legte den Kopf schief, schüttelte tadelnd die tintenschwarzen Haare aus. "Shibuya, ich muss mich wirklich wundern! Vertraust du mir denn kein bisschen?" Katsumi knurrte etwas Unflätiges, wischte sich kalten Schweiß von der Stirn. "Was denkst du dir bloß?! So ein Spektakel aufzuführen!! Man wird uns verbannen!!" Kouji lächelte süffisant, nahm einen weiteren Schluck. "Manager, ich habe doch gar nichts gemacht. Ich trage schließlich nicht die Verantwortung für die Gedanken der anderen!" Katsumi konnte dem nicht viel entgegensetzen. Immerhin hatte Kouji weder anstößige Begriffe verwandt, noch entsprechende Handlungen beschrieben. Lediglich die Assoziationen hatten einen verheerenden Effekt... von der Performance ganz zu schweigen. "Na komm, nehmen wir ein Taxi und fahren zu dir! Yuugo kann doch sicher gut kochen, oder?" Katsumi blinzelte verwirrt, ließ sich mitziehen. "Wie kommst du darauf?", murmelte er matt. Kouji lachte leise, beugte sich zu Katsumi herab. "Nach meiner Erfahrung sind gute Liebhaber auch hervorragende Köche", wisperte er zwinkernd und ergötzte sich an Katsumis glühendem Gesicht. ~@~ Balu stieß pfeifend eingehaltenen Atem aus, als per Fernbedienung das Fernsehbild in sich zusammenschnurrte. Er wusste, dass seine Wangen in Flammen standen und nur das Halbdunkel in seinem Zimmer ihm ein Feigenblatt bot. Tatsuomi neben ihm bewegte sich, als müsste er eine leichte Lähmung aus seinen Gliedern schütteln, tastete nach dem Schalter einer winzigen Lampe. Als sich der Lichtkegel auf dem Boden abzeichnete, musterten sie einander schweigend, benommen. Zu Balus Erleichterung wirkte auch Tatsuomi trotz der Schwellungen in seinem Gesicht verlegen und erhitzt. Und übernahm glücklicherweise die verbale Eröffnung. "Großer Gott... das war... das..." Tatsuomi räusperte sich krächzend. "Sie...sie werden ihn auf offener Straße kreuzigen!" Seine großen Augen bewölkten sich mit finsteren Vorahnungen, hatte er doch an diesem Tag bereits am eigenen Leib erfahren, welche handgreiflichen Reaktionen die Neuigkeit hervorgebracht hatte. Balu starrte auf die Tatami, suchte nach einer Erwiderung. Jeder, der diesen Auftritt gesehen hatte, würde ihn mit der Meldung in Verbindung bringen, die das ganze Land infiziert hatte. Ganz gleich, welchen Text Kouji verfasst hatte, man würde nur eines darin erkennen: ein offenes Bekenntnis an seinen Geliebten Takuto Izumi und die Bestätigung, dass ihre Beziehung keinesfalls platonisch war. Eine Gänsehaut unterwanderte Balus Ledermontur, elektrisierte seine Haarspitzen. "Ich muss nach Hause", murmelte Tatsuomi noch immer mitgenommen, ließ achtlos das Laken von den schlanken Hüften sinken. Balu kam eilig auf die Beine. Die Augen abwendend zog er einen Wandschrank auf, um Bekleidung zu spenden. "Ich werde dich besser begleiten. Du bist nicht in der Verfassung, allein durch die Stadt zu fahren. Wenn man dich erkennt..." Seine Worte verloren sich in unterdrückter Panik. Tatsuomi sackte auf einem Kissen zusammen, Trost suchend die Arme eng um den eigenen Oberkörper geschlungen. "Vielleicht... ist er auch gar nicht zu Hause... wenn die Presse da ist...was Tak-chan wohl gerade macht?" Balu zerrte hastig ein T-Shirt und Jogginghosen heraus, suchte in einer Lade nach Unterwäsche, als ein kaum hörbares Schluchzen seine selbst auferlegte Konzentration durchbrach. Er erstarrte. Dann, die Hände zu Fäusten ballend, drehte er sich langsam um, suchte Tatsuomis zusammengekauerte Gestalt. Dieser hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt, beide Handflächen fest auf den Mund gepresst, damit die Erschütterungen, die seinen Leib durchliefen, nicht verräterische Laute passieren ließen. Balu handelte, bevor er sich hinter Verlegenheit und Verwirrung verschanzen konnte. Er kniete sich neben Tatsuomi, zog den bebenden Jungen an sich und wiegte ihn tröstend in seinen Armen. "Sunny... keine Angst haben... ich helfe dir...schsch... nicht mehr weinen..." ~@~ Katsumi warf einen misstrauischen Blick auf Koujis entspannte Miene, zur Unkenntlichkeit maskiert unter einem zerzausten Vollbart, der wirkte, als habe ein Nagetier sich ein Nest darin gebaut. Eine ebenso verfilzte Perücke verbarg die schulterlangen, tintenschwarzen Haare, die große Gestalt war mit einem fleckigen Mantel verhüllt. "Also, getrennte Taxis", erteilte Kouji seine Order. "Du sammelst bitte mein Motorrad ein, ja? Ich werde mich zu dir durchschlagen und dann bei euch übernachten." Katsumi seufzte ergeben und gab zähneknirschend sein Einverständnis. Nicht, dass er eine Wahl gehabt hätte. ~@~ Takuto starrte trübsinnig auf den Teich. Auf der blanken Oberfläche spiegelte sich die Sonne, Vögel zwitscherten ein aufgeregtes Konzert, nicht einmal eine Brise störte die Idylle des Augenblicks. Suspendiert. Bis auf Weiteres aus der Mannschaft ausgeschlossen. Endgültige Entscheidung, wenn man sich mit den Funktionären in der Heimat beraten hatte. Verbot, sich gegenüber Dritten zu äußern. Er legte den Kopf in den Nacken und brannte mit der Sonne die Wahrnehmung aus seinen Augen, bis der Schmerz in seinem Kopf explodierte und Tränenströme über seine Wangen schickte. ~@~ Katsumi wischte sich unflätig fluchend den Schweiß von der Stirn, während er sich mit schmerzenden Gliedern seinem Wohnhaus näherte. Natürlich hatten Medienvertreter dort gelauert, die, als sie seiner in der Entfernung mit der gewaltigen und unbotmäßigen Maschine ansichtig wurden, ihn wie ein Schwarm aggressiver Hornissen umschwirrt hatten. Aber er hatte sich zu einem Zähne starrenden Lächeln gezwungen und mit einstudierter Melodie sein Credo "Kein Kommentar" geflötet. Als sie enttäuscht von ihm abließen, trennten ihn nur noch wenige Meter vom Hauseingang, aber er war vollkommen erledigt. Wie konnte Kouji dieses Ungeheuer bloß so spielerisch leicht lenken?! Die Haustür schwang auf, und Yuugo kam ihm entgegen, bockte unter Anstrengung das Motorrad auf, zog Katsumi dann ungeachtet möglicher versprengter Pressevertreter an der Hand hinein. Half ihm nach einem tröstenden Kuss auf die wund gebissenen Lippen umsichtig aus den Schuhen, wischte feuchte Strähnen schlohweißen Haars aus seiner Stirn. "Engelchen, am Besten, du nimmst erst mal die Dusche in Beschlag, ja? Ich werde Kouji in der Zwischenzeit abfüttern." Katsumi wimmerte leise. "Ich wusste, dass er mich als Ablenkung benutzt... verdammtes Ekel!" Yuugo umarmte Katsumi zärtlich, hielt ihn beruhigend fest. Katsumi, an Yuugos Brust bequem gelagert, wisperte in den Stoff eines dünnen T-Shirts. "Hast du seinen... Auftritt gesehen?" Yuugo stutzte, dann kollerte ein begeistertes Lachen aus den Tiefen seines Leibs. Die wellenförmige Eruption liebkoste Katsumis Körper, der sich noch intimer anschmiegte und mit geschlossenen Augen den vertrauten Duft einsog. "Er ist ein absoluter Albtraum, der Kerl, aber eins muss ich ihm neidlos lassen, er hat Chuzpe!" Dann senkte Yuugo den Kopf, schob eine Hand liebevoll unter Katsumis Kinn, um ihm in die schönen Augen sehen zu können. "War es sehr schlimm, Engelchen?" Katsumi bohrte sein spitzes Kinn in Yuugos Brust und lächelte unwillkürlich. "Schlimm war, dich zu vermissen", flüsterte er heiser mit glühenden Wangen. Und Yuugo schob die freie Hand unter Katsumis Gesäß, um ihn auf die Zehenspitzen zu heben und einen langen Kuss auszutauschen. ~@~ Kouji kämmte sich knurrend Strähnen aus den Augen, während er Yakitori-Spießchen abnagte und gleichzeitig mit flinken Fingern die Dateien überflog, die Katsumi zu seiner Information zusammengestellt hatte. Wesentliches kopierte er als Gedankenstütze, die abgründigen Augen funkelten im Jagdfieber. Er zwang sich, nicht einen Augenblick in Muße verstreichen zu lassen, aus Furcht vor dem Abgrund, der ihn erwartete. ~@~ "Warum bleibst du nicht hier?" Balu schob mit nachsichtiger Geduld das T-Shirt über Tatsuomis Kopf, assistierte den ungelenken Bemühungen. Ihm entging keineswegs, dass Tatsuomi die Zähne aufeinander biss, um nicht vor Schmerz zu schreien. "Nimm ein heißes Bad, das tut dir sicher gut. Dann erneuern wir die Verbände, und du übernachtest hier." Tatsuomi schüttelte stur den Kopf, den Blick eisern auf die Schiebetür gerichtet. "Ich muss einfach nach Hause! Ich kann doch nicht hier herumgammeln, während sich draußen die Ereignisse überstürzen!" Balu schluckte einen wütenden Kommentar hinunter, erschrak vor sich selbst. »Ich werde doch nicht meine Beherrschung verlieren?!« ~@~ Yuugo band sich die Haare zu einem kurzen Zopf, legte auf diese Weise trotz des fransigen Schnitts seine lange Narbe frei. Sich den Nacken reibend sackte er neben Kouji auf die Couch. "Schon Nachrichten von meinem Bruder?", warf er betont beiläufig in den Raum. Koujis schlanke Gestalt gefror für Sekundenbruchteile, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. "Nein." Yuugo zog eine Augenbraue hoch, hatte er doch Stahl in der samtig-verführerischen Stimme erwartet, aber Kouji klang nur geschäftig, nicht etwa verärgert. »Wenn er anfängt, mich zu mögen, werde ich mich wegen Halluzinationen einweisen lassen«, verspottete sich Yuugo selbst, musterte Koujis Profil eindringlich. »Wenn man nicht intime Kenntnisse von seiner Gefühlswelt hat, könnte man tatsächlich dem Trugschluss erliegen, dass er das Chaos und den Kampf mit dem übermächtigen Gegner genießt.« Aber ein winziges Zucken, ein kaum sichtbarer Strich um die Mundwinkel verrieten Anspannung und inneren Konflikt. "Sie werden ihn rauswerfen", prophezeite Yuugo mit klarer Stimme, die Augen unverwandt auf Kouji gerichtet. Dieser setzte sich auf, klappte betont ruhig den Bildschirm des Laptop herunter, wandte sich dann Yuugo zu. Streckte die verbliebene Hand aus und strich ein paar Fransen aus Yuugos Stirn, zeichnete dann federleicht die lange Narbe nach. "Das werden sie wohl", gab er gelassen zurück, ließ die Hand auf Yuugos linker Schulter ruhen. Für eine ganze Minute durchdrangen sie einander mit Blicken. "Du musst diese Konfrontation gewinnen", brach Yuugo das stumme Duell ernst ab. "Sonst werden wir untergehen." Koujis Mundwinkel zuckten in der Andeutung eines sardonischen Lächelns. "Erzähl mir etwas über diesen Inline-Crack", wechselte er übergangslos das Thema. Yuugo stutzte überrascht, sammelte sich aber rasch. "Balu? Er arbeitet im Waisenhaus. Sehr netter Typ. Warum willst du etwas über ihn wissen?" Kouji zog seine Hand von Yuugos Schulter, stützte sie auf die Rücklehne der Couch. Er bettete seine Wange in die offene Handfläche, zog das rechte Bein an, damit er Yuugo nun direkt gegenüber saß. Yuugo, im Fokus der Aufmerksamkeit, kuschelte sich ebenfalls in die Rückenlehne der Couch und kopierte wechselseitig Koujis Haltung. "Es ist wegen Tatsuomi, oder? Mach dir keine Gedanken, Balu passt schon auf, dass er sich nicht übernimmt." Koujis Lider senkten sich scheinbar gelangweilt auf Halbmast, was die Schärfe seiner Worte unbekleidet hervorpreschen ließ. "Tatsuomi hat ihn geküsst und wurde hysterisch." Yuugo schluckte nervös, ermahnte sich zur Gelassenheit. "Das hat sich schon wieder eingerenkt. Aber da ist noch etwas..." Er holte tief Luft. "Man hat Tatsuomi verprügelt und suspendiert. Balu hat ihn bei sich im Heim untergebracht." Koujis Augen sprühten wahre Fontänen arktischer Geysire in den freien Raum zwischen ihnen. "Wie zuvorkommend, mich erst jetzt in Kenntnis zu setzen", fauchte er beißend. Yuugo ballte die Fäuste, seine Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen. "Du hättest nichts tun können. Und wie ich bereits gesagt habe, bei Balu ist er in guten Händen." Kouji knurrte unartikuliert. "Der Kleine ist nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen! Und ich will nicht, dass er allein herumstromert und sich bei irgendwem einquartiert!" "Du besitzt wirklich hervorragende Beschützer-Qualitäten", flocht Katsumi leise in die Debatte ein. Er stand in den Türrahmen gelehnt, einen Frottee-Bademantel um die zierliche Gestalt gewunden, die schlohweißen Haare trocknend. Koujis Augen schleuderten Blitze. "Du hast keine Ahnung, was..." ".. was er durchmacht?", unterbrach Katsumi sanftmütig. "Hast du vergessen, dass ich dich kenne?" Katsumis Augen verdunkelten sich. "Ich meine, wirklich kenne?" Kouji erhob sich steif und schlenderte zum Fenster hinüber. Katsumi durchquerte den Raum, ließ sich mit einem erschöpften Seufzer neben Yuugo in die Polster sinken, lehnte sich an ihn. "Kouji, es geht nicht um dich allein. Wir hängen alle mit drin. Und darum wirst du uns vertrauen müssen. Auch unserem Urteil." Kouji rührte sich nicht. Dann rollte er die Schultern, als wollte er die imponierenden Muskeln lockern, um sich auf einen Kampf vorzubereiten. "Ruf diesen Balu an. Ich will Tatsuomi zu mir holen." Einen Bruchteil später korrigierte er sich selbst leise. "Zu uns." ~@~ Balu schrak zusammen, als sein Handy mit einem kurzen Ton Alarm gab. Tatsuomi behutsam aufrichtend fischte er es aus seinem Rucksack. "Ja bitte?" "Er ist hier." Tatsuomi rieb sich mit den Handrücken über die Augen, musterte Balus Gesicht sorgenvoll. »Warum ist er so angespannt?« "Es ist besser, wenn ich ihn begleite." "Wir sind unterwegs." Balu brach mit bedächtigen Gesten den Anruf ab, verstaute wie in Trance das Mobiltelefon. "Was ist denn los?", bat Tatsuomi mit belegter Stimme um Aufklärung, unerklärlich nervös. Balu schenkte ihm einen beruhigenden Blick. "Dein Onkel will, dass wir uns bei Yuugo und Katsumi treffen." ~@~ Takuto packte stumm seine Tasche. Das Nachmittagstraining musste wohl gerade laufen. Es regnete leicht, hauchzarter Wasserfilm wie ein seidig-streichelnder Vorhang aus Tröpfchen. Unerklärlicher Weise tänzelte eine sanfte Melodie in seinem Kopf, war sein Herz nicht vor Kummer und Enttäuschung tonnenschwer. Im Gegenteil, er fühlte sich bestärkt in seiner innersten Überzeugung. Musste sich nicht länger etwas beweisen, eine Erkenntnis, die ihn überraschte. Takuto warf einen kontrollierenden Blick in sein Hotelzimmer, dann schulterte er seine Reisetasche und ging hinunter zum Foyer. Die aparte Empfangsdame schenkte ihm ein kultiviertes Lächeln, nahm die Karte für das Zimmer entgegen. "Sie verlassen uns schon?", fragte sie auf Englisch nach. Takuto sortierte im Geiste die Worte, lächelte dann stumm. "Möchten Sie eine Nachsende-Adresse hinterlassen?" Takuto lehnte höflich ab. "Aber... Sie gehören doch zur Mannschaft, nicht wahr? Soll ich nicht jemandem...?" "Vielen Dank, aber das ist nicht notwendig. Einen schönen Tag noch, es war sehr angenehm hier." Takuto zwinkerte ihr zu, so, wie er dies oft bei Kouji beobachtet hatte, registrierte das Glühen in den Wangen der Frau und verließ die Eingangshalle ohne Abschiedsblick. ~@~ Tatsuomi fand es nicht unter seiner Würde, sich von Balu ziehen zu lassen. Er fühlte sich unsicher und zittrig. Balu hielt ein gemäßigtes Tempo aufrecht, leitete sie ruhig durch die noch immer wogenden Menschenmassen, die Kakophonie der Stimmen, die taghellen Reklameschilder. Seine Augen suchten die Gegend ab, ob nicht irgendjemand Tatsuomi erkannte oder an ihrem Auftritt Anstoß nahm. Aber niemand schien in der Stimmung, den martialischen, jungen Mann in seiner Lederkluft aufhalten zu wollen. ~@~ [Gestern erschütterte die Neuigkeit die Musik- und Sportwelt. Der berühmte Rocksänger Kouji Nanjou und der Stürmer unserer Nationalmannschaft, Takuto Izumi, sind ein Liebespaar. Die Bilder, die uns erreichten, sprechen eine deutliche Sprache...] "Er hat wirklich einen knackigen Hintern", schmunzelte Kouji oberflächlich, aber seine Augen sprühten Eis. Katsumi umklammerte nervös Yuugos Hand. Seine Begeisterung für die Sondersendung belief sich in einstelligen Grenzen. Negativen einstelligen Grenzen. Gleichzeitig empfand er Scham darüber, den Impuls zuzulassen, sich einfach wie der Vogel Strauß verstecken zu wollen. Denn Koujis "Schicksal" konnte auch ihr eigenes werden... und ihnen würde kein Prominenten-Bonus helfen. Aber Kouji, mit Lesebrille bewehrt, die schwarzen Augen brennend, verfolgte mit diabolischem Interesse die Berichterstattung. "Sie hat wohl ein Nachtsichtgerät benutzt, oder?" Yuugo, vollkommen gelassen, fachsimpelte mit Kouji. "Wenn die Bilder besser wären, könnte ich Tantiemen fordern und sie als Autogrammkarten benutzen", spöttelte Kouji, strich sich geziert ein paar Strähnen aus den Augen. Katsumi winselte leise. Yuugo drückte sanft die Finger in Katsumis Oberarm, wärmte ihn an seiner Seite. "Hey, hey, Engelchen, schau nicht so besorgt, ja?" Katsumi fauchte. "Verdammt, ihr macht hier Scherze, aber ich bin als dein Manager für alles verantwortlich! Und du lässt es so laufen!" Er warf ungestüm die dünnen Arme hoch und funkelte Kouji vorwurfsvoll an. Kouji zwirbelte gelassen Strähnen um seine Finger. "Shibuya, kennst du das Geheimnis des Sphinx?" Katsumi runzelte die Stirn ob der Abschweifung vom Thema. Sich zu Geduld zwingend gab er zurück, "nein, Nanjou, das kenne ich nicht." Kouji lächelte nachsichtig. "Eben, Shibuya, eben." "Kooouuujiiiii!" Katsumi sprang auf die Hasenpuschen und machte Anstalten, seinen einzigen Klienten zu erwürgen. "Halt, Halt!" Yuugo umschlang Katsumis fragile Taille und bremste dessen halbherzigen Ansturm nachdrücklich. Kouji lehnte sich zurück und lachte samtig. Dann beugte er sich vor, stützte das Kinn anmutig in die Hände und wisperte. "Der Sphinx ist weltberühmt, weil sich alle Welt fragt, was wohl sein Geheimnis ist." Dann setzte er sich wieder auf und betrachtete müßig seine lackierten Fingernägel. "Und wir werden uns nicht mit der Heuchler-Meute gemein machen. Auf keinen Fall!" Katsumi zuckte ein wenig zurück unter dem Eishagel, verlor das Gleichgewicht und plumpste ungelenk auf Yuugos Schoß, der daran nicht den geringsten Anstoß nahm. Yuugo schlang beide Arme um den zerbrechlichen Leib seines Geliebten und zog ihn eng an sich. Kouji wandte sich wieder dem Fernsehbild zu, das nun, nach einer Abfolge von älteren Aufnahmen aus seiner Karriere, den Versuch wagte, die Stimmung bei der Bevölkerung einzufangen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich so bedeutend bin", kommentierte Kouji beiläufig das Geschehen, drehte die Lesebrille spielerisch an einem Bügel. [Was halten Sie von den neuesten Meldungen über Kouji Nanjou?] {Ich bin ein Fan gewesen, aber so eine perverse Geschichte, einfach ekelhaft!} [Und Sie, mein Herr?] {Ganz klar, die Jugend heute ist verdorben von diesem ganzen amerikanischen Müll! Das musste ja passieren!} {Ich bin immer noch Koujis größter Fan! Kouji, ich liebe dich!!!} {Einfach widerlich, diese Sache! Man muss solche Leute wegschließen, damit sie unsere Kinder nicht gefährden!} Kouji grub die Fingernägel in die Polsterung der Couch, während in Yuugos Augen Gewitter aufzogen. {Der war doch schon immer ein abartiger Typ! Wen wundert da noch irgendwas.} Die O-Töne liefen weiter, eine willkürliche Abfolge an Meinungen und Bekundungen von Passanten unterschiedlichster Herkunft und Alters. Katsumi würgte trocken. Hinter seinen Schläfen pochte ein Nerv, der ihm das Wasser in die Augen trieb. Da half ihm auch das beständige Streichen über den knochigen Rücken nicht. "Ich brauche etwas zu trinken", murmelte er und verließ das Wohnzimmer. In diesem Augenblick läutete es diskret an der Wohnungstür. Nach einem kontrollierenden Blick durch den Spion öffnete Katsumi und ließ Balu und Tatsuomi eintreten. "Tatsuomi!!" Katsumi erschrak vor den sich abzeichnenden Blutergüssen in Tatsuomis geschwollenem Gesicht, der zerdrückten Kleidung. Tatsuomi schenkte ihm ein müdes Lächeln, das die abgebrochene Spitze seines Schneidezahns enthüllte. Von Katsumis erschrecktem Ausruf irritiert traten auch Kouji und Yuugo in den Flur. Kouji hielt sich nicht lange auf. Seine abgründigen Augen versanken in den rot-stichigen Augen seines Neffen, erforschten ungehindert dessen Emotionen. Yuugo, in Anbetracht der Enge und der sich aufstauenden Gefühlsregungen besorgt, entzerrte die angespannte Situation. "Hallo Balu, zieht doch erst mal die Inliner ab, und dann hockt euch zu uns ins Wohnzimmer. Ich werde Tee machen, irgendwelche anderen Wünsche?" Mit einem ruhigen Zwinkern, das ihn wie ein Schattenwurf seines älteren Bruders erscheinen ließ, zog er Katsumi am schmalen Handgelenk zur Küchenzeile im Wohnzimmer. "Yuugo, sollte nicht besser einer..?!", zischte Katsumi ihm besorgt zu. "Engelchen, ich denke, sie sollten das selbst ausfechten", beschwichtigte Yuugo betont munter, hob Katsumi ohne viel Federlesens auf einen Hocker und küsste ihn zärtlich auf die Nasenspitze. "Zucker oder Honig?" Aber Katsumi hatte den Kopf bereits gewandt und starrte mit bleichem Blick zum Flur hin. ~@~ Balu beugte sich vor, löste die Schnallen an seinen Inlinern, schlüpfte aus den Schäften. Tatsuomi hielt sich noch immer, merklich schwankend, in der Senkrechten, erwiderte betäubt den Blick seines Onkels. Bevor er aber endgültig das Gleichgewicht verlieren konnte, hatte Kouji sich aus seiner statuesquen Haltung gelöst und ihn mit kaum beherrschter Kraft an sich gezogen. Tatsuomi ließ die Umarmung mit hängenden Armen geschehen, schloss seufzend die Augen. "Wer hat dir das angetan, Sonnenschein?", wisperte Kouji harsch in Tatsuomis strähnige honigfarbene Mähne. "Mhmmmm", summte Tatsuomi verständnislos, bevor seine Knie nachgaben. Kouji reagierte sekundenschnell, verstärkte seinen Griff um die Taille, während ihm Balu in Erwartung eines Kollapses zur Hilfe sprang und Tatsuomis Beine vom Boden hob. "Wohin?", erkundigte er sich knapp. Kouji wies mit einer herrischen Kopfbewegung auf das Wohnzimmer. Hastig und dennoch wohlkoordiniert beförderten sie Tatsuomi auf die Couch. "Was ist passiert?" Katsumis Stimme färbte sich schrill, von Splittern durchsetzt. "Er ist ohnmächtig geworden." Balu löste unaufgefordert die Inliner von Tatsuomis Füßen. Kouji hatte sich bereits neben den Kopf seines Neffen auf die Polster sinken lassen. Kämmte nun mit seinen lackierten Fingerspitzen klebrige Strähnen aus dem gezeichneten Gesicht, das von einem dünnen Schweißfilm benetzt war. "Sollen wir einen Arzt holen?" Katsumi umklammerte mit sich abzeichnenden Knöcheln die Resopalplatte der Theke, wagte sich aber nicht von seinem Hocker hinab. Yuugo legte ihm eine Hand auf die zierliche Schulter, massierte mit dem Daumen die angespannten Sehnen. "Trink erst mal etwas", raunte er mit dunkler Stimme und platzierte demonstrativ eine dampfende Tasse vor Katsumi. Tatsuomi, der mit flatternden Lidern in die Wirklichkeit zurückkehrte, stöhnte leise. "Nicht nötig", beantwortete Kouji Katsumis Frage, ohne den Blick von seinem Neffen zu heben. "Die Fahrt hierher war ein wenig anstrengend", erläuterte Balu ruhig, setzte sich neben Tatsuomis ausgestreckte Beine. "Wie ist das passiert?", zischte Kouji scharf. Yuugo umrundete die Theke, während er in knappen Worten die Ereignisse zusammenfasste. "So, wie ich unseren Kleinen verstanden habe, hat er in seiner Schule auch die Pressekonferenz gesehen. Und dann hat man ihm aufgelauert. Er hat uns über Mobiltelefon zur Hilfe gerufen, aber ohne Balus Einsatz hätten wir erhebliche Probleme gehabt. Da wir unseren Kleinen ja nicht in dem Zustand in der Schule lassen wollen, hat Balu sich angeboten, ihn mitzunehmen und seine Verletzungen zu versorgen. Ohne ihn hätten wir ganz schön in der Klemme gesteckt." Yuugo, nun mit zwei weiteren Tassen beim Couchtisch angelangt, stellte jeweils eine vor die beiden Kontrahenten, denn Kouji und Balu trugen ihr stummes Blickduell unbeeindruckt aus. An Koujis übergeschlagenen Beinen vorbei streichend beugte sich Yuugo zu Tatsuomi hinab und schenkte ihm ein augenzwinkerndes Lächeln. "Na, du Held, wie wär's, wenn wir dir hier ein Lager aufschlagen und du schon mal ein paar Schäfchen über die Zäune jagst?" Tatsuomi grinste schwächlich, entblößte seinen abgesplitterten Zahn. "Das wär echt klasse", wisperte er rau und schwerfällig zurück, während seine Hand fahrig durch die Luft wischte, um Yuugos hingestreckte zu umfassen. "Ist gut, Kleiner, dann machen wir das. Ich leihe dir ein paar Klamotten, dann geht es rasch unter die Dusche." Bevor Balu oder Kouji Widerspruch einlegen konnten, richtete sich Yuugo mit finsterem Blick auf. "Und die beiden Herren hier werden ihren Grips zusammenhalten, um an unserer Strategie zu feilen, klar?!" Koujis Augen blitzten arktisch, aber Yuugos Ähnlichkeit mit seinem älteren Bruder war in diesem Augenblick zu becircend, um Kouji nicht zu verwunden. Mit einem denkbar knappen Nicken gab er seinen Konsens. Befriedigt legte sich Yuugo Tatsuomis Arme um den Nacken, half dem gleichgroßen Jungen auf die Beine und führte ihn vorsichtig in das Badezimmer hinüber. "Engelchen, bringst du uns ein paar meiner Sachen?" Katsumi, der den Willensduell mit angehaltenem Atem beigewohnt hatte, stieß zischend verbrauchte Luft aus und rutschte von seinem Hocker. "Ich komme gleich", antwortete er Yuugo, warf einen misstrauischen Blick zur Couch hinüber. Immerhin kannte er Auseinandersetzungen zwischen Kouji und Yuugo zu seinem Leidwesen gut genug, um zu wissen, dass der Funken nicht erloschen war. Kouji stand langsam auf, wanderte zur Schrankwand hinüber und zog hinter der Schiebetür Futons heraus. Balu, mit Zeitverzögerung, folgte ihm und half ohne weitere Äußerung. Sie bereiteten Tatsuomis Lager hinter der Couch, zwischen dieser und der Küchenzeile. Im Hintergrund berieselte sie die Berichterstattung, die sich offenkundig auf den Skandal eingeschossen hatte. ~@~ Yuugo ließ die Brause handwarm über Tatsuomis gezeichneten Leib gleiten, strich behutsam Lotion in die malträtierte Haut. Keine Frage, Tatsuomi würde die nächsten vierzehn Tage wie ein farbenprächtiger Flickenteppich aussehen, von den Schmerzen durch die unzähligen Hämatome ganz zu schweigen. Die Beine an den Leib gezogen, die Arme um sich geschlungen, ließ Tatsuomi sich waschen. Sein Blick wanderte ins Leere, ob aus Erschöpfung oder Gedankenversunkenheit, vermochte Yuugo nicht zu eruieren. »Der Kleine war vollkommen ausgelaugt, er musste nun unbedingt Schlaf finden, auch, um die Ereignisse verarbeiten zu können!« Katsumi trat lautlos hinter Yuugo, legte einen Schlafanzug, den Yuugo nur trug, wenn es wirklich eisig kalt war, auf den geschlossenen Sitz der Toilette. Ihre Augen führten eine zärtliche Konversation. Yuugo schloss diese ab mit einem sanften Lächeln, gefolgt von einem mutwilligen Zwinkern. Seine fransig geschnittenen Haare hingen ihm in die Stirn, aber er enthielt sich standhaft dem Impuls, sie wegzustreichen, um Katsumi nicht die Narben darzubieten. Er konnte in den großen, schönen Augen düstere Wolken der Erinnerung vorüberziehen sehen. Gemeinsam halfen sie Tatsuomi auf die unsicheren Beine, trockneten ihn wie ein Kleinkind ab, neckten ihn leichthin, um ihr Erschrecken über seinen Zustand zu überspielen und bekleideten ihn schlussendlich. Artig folgte Tatsuomi Yuugo an dessen Hand ins Wohnzimmer, kroch mit einem müden Brummen in das Deckenlager, woraufhin Katsumi die Deckenbeleuchtung löschte. Sie hatten keine Bedenken, sich weiter zu unterhalten, verließen sich darauf, dass die Nähe seiner Familie und Freunde, ihre vertrauten Stimmen Tatsuomi zu einem leichteren Einschlafen verhelfen würde. ~@~ Hotsuma unterdrückte ein Gähnen, als Gonzou sich neben ihm aufsetzte und konzentriert in die sternenklare Nacht spähte. Eine winzige Laterne schwankte zwischen den sich in einer kühlen Brise wiegenden Bambusbüschen hindurch, um sich dann als eine Nachbarin zu erkennen zu geben, die einen späten Besuch abstatten wollte. Gonzous buschige Augenbrauen wucherten Richtung Stirn, aber Hotsuma erhob sich bereits, um eine Sitzgelegenheit herbeizuschaffen und Tee aufzubrühen. Die alte Dame, gebückt und von der Sonne verrunzelt, lächelte schief, um dann sprudelnd Neuigkeiten zu enthüllen. Man habe gerade bei Misahima Fernsehen gesehen, und da habe es in der Hauptstadt einen großartigen Skandal gegeben! Mit funkelnden Augen erläuterte sie, dass sogar eine der im Dorf beliebten Seifenopern deswegen abgesetzt worden sei! Weil eine Journalistin herausgefunden habe, dass ein Rocksänger und ein Fußballspieler der Nationalmannschaft ein Paar seien! Beides Männer!! Sie kicherte hinter vor dem Mund geschlagenen Händchen, zwinkerte Gonzou dabei an. Dieser gab ein ungläubiges Grunzen von sich, um seiner späten Besucherin die Gelegenheit zu geben, die Angelegenheit weiter auszuführen. Hotsuma starrte in den nächtlichen Himmel. Er hatte keine Zweifel, um wen es sich handelte. Die Frage war nun, sollte er zurückkehren? ~@~ "Also", Yuugo machte es sich auf der Couch bequem, zog Katsumi neben sich herunter, "wie werden wir vorgehen?" Kouji, in seiner Ecke so kühl und unnahbar wie sein Image kündete, schürzte die Lippen mit einem verächtlichen Lächeln. "Ich sehe keinerlei Veranlassung, mich auf das Niveau dieser Hyänen herabzulassen." Katsumi, der sich Wärme suchend an Yuugos Seite angekuschelt hatte, machte nun seinen Bedenken Luft. "Hör mal, Kouji, ich verstehe deine Argumente absolut, aber wir können uns nicht in die Defensive drängen lassen! Die Tournee funktioniert nur dank deines Kapitals, weil die Sponsoren sich kurzfristig zurückgezogen haben. Deine Platte werden wir vielleicht auch selbst finanzieren müssen ohne einen Produzenten. Wir müssen aktiv und auch aggressiv werden, um neue Partner zu gewinnen!" Kouji zog pointiert eine Augenbraue hoch, während er mit den schlanken Fingern seine Haare zu einem knappen Zopf fasste. Katsumi gestikulierte nun zur Unterstreichung seiner Beweggründe, sichtlich um Ruhe und Sachnähe bemüht. "Deine Kriegskasse ist groß, aber ein Hauptteil deines Vermögens besteht in Sachwerten und Wertpapieren, die wir nicht oder zumindest nur unter Verlusten in Bargeld umwandeln können. Wenn wir ein eigenes Label gründen, dass deine neue Platte produziert und herausbringt, brauchen wir entsprechendes Personal und Werbung. Und das wird uns Einiges mehr kosten als unter normalen Umständen, da man uns als Risiko und potentiellen Imageschaden verbuchen wird. Was wir brauchen, sind Partner, Käufer und Sponsoren, daran führt kein Weg vorbei." Kouji erhob sich geschmeidig, trat zur Küchenzeile hinüber, um die Teekanne zu holen, bediente alle, was ihm fassungslose Blicke eintrug. Seine Lesebrille auf den Nasenrücken schiebend wurde Kouji geschäftsmäßig. "Gut. Zur Sache also. Ich habe deine Aufstellungen geprüft, erscheint mir alles plausibel. Für das Label habe ich schon konkrete Vorstellungen, Personal wird sich finden, für den Anfang werden wir uns beide die Aufgaben teilen." Katsumi ächzte, aber Kouji fuhr unbeeindruckt fort. "Ich muss Geld hereinholen, das bedeutet Aufträge. Gastmusiker werden für den Anfang ausreichen müssen, dazu eine Kontaktaufnahme mit unseren bisherigen Sponsoren. Und mein Image muss genau geformt werden." "Was der Kern unserer Schwierigkeiten ist", kommentierte Yuugo trocken, während seine Linke unaufhörlich Katsumis Wirbelsäule entlang streichelte. "Wir brauchen deine Fans an unserer Seite, ohne Akzeptanz keine Zukunft. Das ist zumindest meine Meinung", ergänzte Balu unerwartet. Die anderen sahen ihn überrascht an, hatten sie doch nicht vermutet, dass Balu sich tatsächlich in ihre Strategiebesprechung einbringen würde. "Ich stimme zu", sprang Yuugo nach einem Augenblick Schweigen bei. "Und dabei möchte ich gleich mal eine Einschätzung eines deiner weiblichen Fans zu Protokoll bringen: offenkundig fällt es ihnen weniger schwer zu verstehen, dass du mit einem attraktiven Mann zusammenlebst, wenn du dafür ihnen keine Frau vorziehst. Prinzip der potentiellen Verfügbarkeit, würde ich mal sagen", fügte er mit maliziösem Grinsen hinzu. Kouji lächelte funkensprühend. "Ja, Frauen sind wundervolle Geschöpfe", hauchte er lasziv, "sie neiden einander die Beute, aber keinem anderen Mann." "Wahrscheinlich halten sie uns für beschränkt", knurrte Katsumi unwillig, der sich nicht von den Fakten ablenken lassen wollte. Und Ausschweifungen zu Koujis Intimleben versprachen einen zu reichhaltigen Stoff für eine Taktik-Abstimmung. "Nun gut, wie können wir uns das zunutze machen?", brachte Balu ihre Gedanken wieder auf Kurs. "Fanseiten im Internet exklusiv ansprechen. Unsere Unterstützer belohnen." "Und noch mehr Auftritte und Überraschungen a la 'Lullaby'", raunte Kouji samtig. Katsumi stöhnte leise, Yuugo lachte, und Balus Wangen färbten sich unbemerkt dunkler. Kouji angelte sich den Laptop heran, rief mehrere Dokumente auf. "Ich habe bereits die Unterlagen für die Labelgründung fertiggestellt, Notar-Termin morgen. Dann einen Termin bei einer sehr extravaganten Fotografin, gegen Mittag. Ein Online-Interview mit der Präsidentin meines größten Fanclubs zur besten Netzzeit." Katsumi schnappte nach Luft, aber Kouji gab mit einer leichten Geste das Signal, dass er keineswegs fertig war. "Mein Label heißt 'Desperate Rogue Music', deinen Vertrag als Geschäftsführer und Partner habe ich hier, können wir auch morgen beim Notar beurkunden lassen. Deine Aufgabe morgen besteht darin, eine Anzeige zu schalten, in allen großen Zeitungen und über die Homepages im Internet." Kouji ließ einen schnörkellosen Text erscheinen. [Gastmusiker für Band gesucht, Gitarre, Bass, Keyboard, Schlagzeug und Background-Vocals. Einzige Bedingung: Talent und keinen Produzenten oder Label-Vertrag. Hearing im 'Yellow Submarine' am Samstag] "Darunter kommt natürlich noch unsere Kontaktadresse als Label." Kouji ließ die Bestätigungen für eine neue Rufnummer aufblitzen, die Reservierung des Yellow Submarine, eines umgebauten Bunkers, der im Hafen eigentlich die 'Spielwiese' von Underground-Bands war. "Verdammt, Kouji, wann hast du das gemacht?" Katsumi kroch förmlich in die Dateien, die Augen ungläubig aufgerissen. Kouji lächelte süffisant, lehnte sich zurück. Dann wandelte sich sein Blick, ließ das Raubtier aufblitzen, das mit geblecktem Gebiss und messerscharfen Klauen zum Sprung ansetzte. "Ich lasse mich von niemandem vorführen", flüsterte Kouji rau. Die anderen schauerten, es war, als streiche ein Eiseshauch aus dem dunkelsten Abschnitt des unendlichen Universums ihre Nacken. Katsumi schüttelte sich tatsächlich, wurde wieder zum unerschütterlichen Profi, beurteilte Koujis Arbeitsleistung rational. "Gute Arbeit, allerdings wird uns das Hearing einen ganz schönen Zulauf bringen. Wir werden Sicherheitspersonal anfordern müssen. Die Musikinstrumente, die Anlage: mieten oder mitbringen?" "Mieten", entschied Kouji knapp. "Security?" "Nein." Katsumi zog die feinen Augenbrauen zusammen, rieb sich das Kinn. "Bist du sicher? Die Medien werden sich auch untermischen." Kouji lächelte geduldig. "Umso besser. Kostenlose Werbung." Er wandte sich Yuugo zu. "Was denkst du, hast du Freunde, die als Ordner helfen würden? Die Webcams installieren und das Hearing übertragen?" Yuugo grübelte kurz, nickte dann. "Akkreditierte Helfer über die Fanclubs, würde ich vorschlagen. Für die Internet-Übertragung kann ich die PC-Freaks in unserer Schule ansprechen." "Ist bloß fraglich, ob die solange ihrer virtuellen Welt entsagen können", knurrte Katsumi trocken. "Es könnte eine Herausforderung für sie sein, gegen ein fremdes System", plauderte Kouji, während seine Finger in atemberaubendem Tempo über die Tastatur huschten, ungeachtet der Einschränkungen durch seine künstliche Hand. "Kouji!", warnte Katsumi, dem bereits Übles schwante. Yuugos Augen dunkelten nach. "Ein System-Kampf?!" "Oh ja." Kouji lächelte emotionslos und entbrannt zugleich. "Denn der Feind meines Feindes wird mein Freund werden." ~@~ Kapitel 9 - Die Tiere mischen mit "Komm her, Engelchen, ich wärme dich noch ein wenig auf." Yuugo stützte sich rücklings mit den Ellenbogen auf, während seine Augen begehrlich an Katsumis zerbrechlicher Gestalt auf und ab wanderten. Katsumi, in Gedanken noch immer mit den Herausforderungen der nahen Zukunft beschäftigt, lächelte vage, knöpfte zum dritten Mal seinen Pyjama auf, der ihn in Verwirrung zu stürzen schien. "Engel", raunte Yuugo dunkel, räkelte sich mit halb gesenkten Lidern, "warum ziehst du das Ding nicht einfach aus?" Katsumi, nun alert, warf einen indignierten Blick auf das Kopfende ihres Bettes. "Hör mal, doch nicht, wenn Besuch da ist!", zischte er unterdrückt. Seine sich färbenden Wangen ließen die Sommersprossen verblassen. Yuugo warf den Kopf in den Nacken, entblößte seine Kehle, lachte guttural, provozierend. "Keine Angst, du wirst keinen Laut von dir geben können", versprach er lasziv. Katsumi schüttelte den Kopf, kroch auf seiner Seite unter das Laken. "Möchte bloß wissen, woher du das hast! Ich dachte immer, ich verbringe mehr Zeit mit Kouji, als mir gut tut, aber..." Seine übellaunige Bemerkung erstickte an Yuugos Mund. Yuugos kundige Finger entledigten sich rasch des hinderlichen Pyjamas, liebkosten fiebrig die schlanken Glieder, den anmutigen Leib über sich. Katsumi seufzte vor Wohlbehagen in seinen Mund, streichelte ziellos durch Yuugos lange Haare, ließ sich verführen, locken, berauschen. Suchte Entspannung und Zuversicht in der Nähe seines Geliebten. Wärmte sich an der Flamme ihrer Leidenschaft und verglühte darin. ~@~ Kouji betrachtete den Monitor mit müden Augen, einzige Lichtquelle im dunklen Wohnzimmer. Er lauschte versonnen auf die gleichmäßigen Atemzüge der beiden anderen. Sein Postfach war blank. Keine Nachricht. »Dabei muss Izumi doch bereits suspendiert sein. Und alles nur, weil ich dich liebe. Bis in den Wahnsinn und darüber hinaus begehre.« Er senkte den Kopf, bis seine schulterlangen Haare alles Licht absorbierten. ~@~ Katsumi erstickte den Alarmruf seines Weckers, kuschelte sich eng an den warmen Körper an seiner Seite, saugte den vertrauten und noch immer aufreizenden Geruch tief in sich ein. Sein Leib war aufgeladen mit der Explosion ihrer nächtlichen Begegnung, gleichzeitig wohlig warm durch die Liebe, die ihn erfüllte, diesen Moment so kostbar machte. Aber es half alles nichts, er musste den Tag beginnen. Katsumi schlug die verdrehte Decke zurück, erhob sich und huschte zum Kleiderschrank hinüber, nun, zu einer Schiebetür seines begehbaren Kleiderdepots. Zog ein strahlend weißes Kostüm heraus. In schlichter Strenge klassisch geschnitten wirkte es unnahbar wie eine Rüstung an ihm. Schimmernde Wehr für einen anstrengenden Tag. Die Überreste des gestrigen Abends beseitigend lehnte er sich anschließend über die wirre Mähne seines Geliebten, küsste die glühende, sonnengebräunte Haut sanft. Um dann auf Zehenspitzen das Badezimmer aufzusuchen. ~@~ Yuugos Geruch auf der Haut war Katsumi wertvoller und angenehmer als jedes Aftershave oder Parfüm. Daher musste eine Katzenwäsche und das Kämmen der schlohweißen Haare reichen. Im Wohnzimmer balancierte er wie ein Drahtseilartist über die ausgestreckten Futons mit ihren Schläfern hinweg. Schüttelte halb nachsichtig, halb tadelnd den Kopf über den blinkenden Bildschirm des Laptop, der noch immer vor Koujis tintenschwarzem Haupt Betriebsbereitschaft signalisierte. Als er hinter der Küchenzeile den Kühlschrank öffnete, erhob sich Balu gleitend vom Boden, ordnete bereits seinen Futon. Er nickte Katsumi zu, wies mit einer Geste auf den schmalen Balkon vor dem Wohnzimmer. Katsumi formte mit den Lippen eine Ermutigung, während er der Kaffeemaschine die ersten glucksenden Geräusche entlockte. Dankbar nahm er Balus Hilfsangebot an, der sich daran machte, auf dem Couchtisch Platz für das Frühstück zu schaffen, da die Küchenzeile aus Platzgründen ausschied. "Morgen, Engelchen", brummte Yuugo mit von Schlaf aufgerauter Stimme, küsste Katsumi nachdrücklich auf den Mund. Um dann ohne Überleitung hellwach und gut gelaunt eine Nudelsuppe mit viel Gemüse und Eiern zuzubereiten. Kouji und Tatsuomi, die von der sich steigernden Geräuschkulisse völlig unbeeindruckt weiterschliefen, wurden nun unter energischem Einsatz von nassen Waschlappen aus dem Reich der Träume geholt. Anschließend wagte Katsumi auch, den Fernseher zu aktivieren, um die neuesten Hiobsbotschaften zur Verdauungsförderung zu verabreichen. [Zum Skandal, der nicht nur die Musikwelt der Jugend erschüttert, sondern auch unsere Sportberichterstattung erreicht hat. Takuto Izumi, der als Sexualpartner des bekannten Rocksängers Kouji Nanjou in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, ist laut den letzten Meldungen nach seiner sofortigen Suspendierung von der Fußballnationalmannschaft spurlos verschwunden.] Während sich vier Augenpaare am Bildschirm in unterschiedlichen Grade des Entsetzens festfraßen, fädelte Kouji ungerührt Nudeln auf seine Essstäbchen. "Wo kann er sein?! Hat er sich bei dir gemeldet?" Yuugo hielt es nicht mehr auf den flachen Polstern. Kouji warf ihm einen knappen Blick zu, schüttelte dann leise schlürfend den Kopf. In Yuugos Gesicht flackerte Misstrauen auf, was Katsumi einen scharfen Atemzug entfahren ließ. Aber Yuugo beherrschte sich, aß in besorgtem Schweigen weiter. Tatsuomi, der der Auseinandersetzung noch schlaftrunken folgte, rutschte unwillkürlich näher an Balu heran, der wie eine Barriere die Elektrizität in der Atmosphäre abschirmte. "Aber... aber er kommt doch nach Hause, oder?" Seine Stimme zitterte vor Nervosität. Kouji kämmte lose Strähnen hinter ein Ohr und lächelte Funken stiebend. "Natürlich." Nicht der Hauch eines Zweifels in seiner rauchigen Stimme. Tatsuomi erwiderte das Lächeln erleichtert. Sein abgesehen von Blutergüssen und Schwellungen fahles Gesicht leuchtete auf. Balu erhob sich unterdessen. "Ich muss mich leider entschuldigen, aber ich habe heute Dienst." Yuugo nickte vollmundig und ruderte mit den Stäbchen in der Luft, gab großspurig seinen Segen. Tatsuomi umklammerte das Leder von Balus Montur an einem Bein. "Aber heute Nachmittag sehen wir uns doch, oder?" Seine Augen flehten förmlich um eine Perspektive, einen Zielpunkt. Balus Gesicht blieb unverändert ruhig und undurchdringlich, aber eine kräftige Hand verwirbelte Tatsuomis honigblonde Mähne. Dann glitt er lautlos in den Flur, stieg in seine Inliner, schob die Sonnenbrille auf den Nasenrücken und verschwand in Sekundenbruchteilen. "Komischer Vogel", kommentierte Kouji trocken, was Yuugo und Tatsuomi unisono ein amüsiertes Prusten entlockte. Katsumi zischte leise, wies auf die Pressemeldungen hin, die nun in einer Auswahl verlesen wurden. [Man muss sich fragen, was wir unserer Jugend an Vorbildern überhaupt noch zumuten können? Abgründe vor unseren Augen, ein wahrer Sumpf an Geschmacklosigkeiten und Perversitäten. Es wird Zeit, der Amerikanisierung unserer Gesellschaft mit tradierten Werten entgegen zu wirken und diesen Exzessen ein Ende zu bereiten.] Kouji legte den Kopf schief und schmunzelte. [Bedenklich erscheint der unerschütterliche Rückhalt, der von verschiedenen Gruppen diesen Personen des öffentlichen Lebens zugesagt wird. Noch erschreckender ist die schwärmerische Agitation, mit der jedwedes Verhalten gutgeheißen wird, als seien diese Abweichungen vom Idealbild unserer Gesellschaft ein erstrebenswertes Ziel. Besorgte Eltern und Lehrer, eine öffentliche Ordnung, die immer mehr zu einer rücksichtslosen Selbstverwirklichungsgesellschaft verkommt.] Katsumi krächzte. "Kouji, das klingt, als hättest du eine Revolution gegen den Staat angezettelt!" "Oh ja." Koujis Lippen verzogen sich zu einem diabolischen Lächeln. "Und bei allem, was ich liebe, ich werde ihnen Feuer unter ihre verknöcherten Hintern machen, und wenn ich sie mit in die Hölle nehmen muss!" Pathos hin oder her, den anderen lief es erneut eisig die Rücken hinab, während sich gleichzeitig ein Adrenalinschub im Magen auf die Eruption vorbereitete. ~@~ Gonzou trat auf die Veranda hinaus und erblickte Hotsuma beim Holzhacken. Im trüben, verschlafenen Morgenlicht fanden exakte Schwungbewegungen zwischen taufeuchten Gräsern zielgenau ihren Bestimmungsort, in immer gleichem Rhythmus. "Morgen, Jungchen." Hotsuma, der Gonzou durchaus wahrgenommen hatte, verbeugte sich leicht zur Begrüßung. "Ich werde dann mal das Frühstück machen", verkündete Gonzou ruhig, musterte den athletischen Körper unter dem dünnen Hemd nachdenklich. Keine Frage, den Jungen beschäftigte etwas, aber wie zuvor schien nur Geduld eine Lösung zu bringen. ~@~ Tatsuomi rieb sich verstohlen an der frischen Kruste einer Platzwunde über der Augenbraue, gleichzeitig Ausdrucke sortierend. "Tatsuomi!!" Die Hand fiel artig und schnell wie ein Fallbeil auf den Tisch. Koujis Falkenaugen ruhten noch einen Augenblick länger auf dem gesenkten Haupt seines Neffen, dann wandte er sich wieder den eigenen Aufgaben zu. "Nein, ich denke nicht daran. Das Schulgeld ist bezahlt, in der Schulordnung gibt es keinen Punkt, gegen den mein Neffe verstoßen hat. Also werden Sie diese Suspendierung zurücknehmen, oder ich werde Sie vor Gericht bringen!" Kouji verdrehte ungeduldig die Augen, während er gleichzeitig Noten auf ein Blatt kritzelte. "Ich werde nicht warten, bis Sie das mit dem Direktorium abgeklärt haben! Sie haben ein Ultimatum bis zwölf Uhr, dann will ich Ihre Nachricht hier haben! Einen schönen Tag noch!" Kouji unterbrach die Verbindung, wählte eine andere Nummer. "Guten Morgen, ich möchte zwei Lastwagen für Samstag mieten." "Genau, sieben Uhr morgens bis Sonntag, sieben Uhr." "Desperate Rogue Music." "Bezahlen per Kreditkarte." "In Ordnung. Vielen Dank!" Tatsuomi gähnte unterdrückt, nahm den nächsten Zettel in Empfang, trug diesen in einen gigantischen Zeitplan ein. "World of Music Magicians? Guten Morgen, ich benötige für Samstag folgende Instrumente..." Dezentes Läuten an der Wohnungstür. Tatsuomi sprang auf und flitzte, so schnell es seine steifen und protestierenden Glieder vermochten, in den Flur hinaus. "Ja?" "Mach auf, Tatsu-chan, ich habe die Hände voll!" Katsumi klagte keuchend in die Gegensprechanlage. Nachdem Tatsuomi die Sicherheitsschlösser entriegelt hatte, ließ er Katsumi, der kaum noch hinter einem Berg an Kartons und Tüten zu vermuten war, eintreten. "Wow!" Tatsuomi fing geistesgegenwärtig eine abstürzende Verpackung auf. "Was ist denn das alles?" Katsumi steuerte blindlings das Wohnzimmer an, unter seiner Last ächzend. Die Küchentheke kommentierte seinen Beutezug mit einem vergleichbaren Seufzer. Sich den tiefsten Punkt der Wirbelsäule über dem Becken massierend erläuterte Katsumi den Inhalt der Schachteln, Kartons, Tüten und Beutel. "Webcams, Kabel, Stecker, Adapter, aller möglicher Bastelkram, Klemmen, Steckleisten, Kabeltrommeln... Yuugos verrückte Freunde haben mir eine Einkaufsliste mitgegeben." Kouji blies Katsumi ein spöttisches Küsschen zu, während er sich mit einem Caterer unterhielt. Katsumi streckte ihm als Referenz die Zunge heraus, brach dann wie ein Häufchen Elend auf dem Hocker zusammen. "Der Händler hat mir fast auf die Schuhe geheult vor Dankbarkeit." Tatsuomi runzelte die Stirn, inspizierte neugierig den schwankenden Haufen. "Also... nicht gerade neuwertig, der Kram", murmelte er verwirrt, studierte Aufschriften. "Frag deinen Onkel, ich weiß nichts mehr", hauchte Katsumi und legte den Kopf auf die verschränkten Arme. Tatsuomi trat neben ihn und tätschelte ihm sanft den Rücken, während er einen ratlosen Blick zu Kouji hinüberwarf, der mit einem Zähne starrenden Grinsen dem Plan eine weitere Ergänzung zumutete. "Okay, Shibuya, Hintern vom Hocker, gleich geht es zum Notar! Gewerberegistereintragung ist so gut wie gelaufen im Anschluss, dann teilen wir uns wieder auf." Katsumi wimmerte leise. "Tatsuomi, Anrufer weiterleiten auf mein Mobiltelefon, es sei denn, es ist deine Schule oder Pressefritzen. Dann", Kouji warf Tatsuomi eine kleine Schiedsrichter-Trillerpfeife zu, "bläst du rein und legst auf." Tatsuomi grinste breit und nickte begeistert, hatte er doch nun mit der Erlaubnis seines Onkels die Gelegenheit, sich richtig kratzbürstig und unverschämt zu benehmen. "Na komm schon, Partner", Kouji schlang einen Arm um Katsumis zerbrechliche Taille, hievte diesen auf die Füße, "schlafen kannst du im Auto." "Auto?" Katsumis Sommersprossen traten auf der erbleichenden Haut deutlich an die Oberfläche. "Genau. Ich fahre rüber und hole meinen Jeep. Da laden wir dann noch dies und das rein." Katsumi seufzte schwer. "Womit habe ich das nur verdient?!", wehklagte er in Richtung Zimmerdecke. Koujis Fahrstil und sein erschöpfender Arbeitsdrang verursachten Katsumi Migräne und latente Übelkeit. "We're the biggest, the best, better than the rest", trällerte Kouji spöttisch. ~@~ Gonzou betrachtete den gereinigten Kies im Innenhof des Doujou. Keine Frage, Hotsuma leistete perfekte Arbeit. Er fühlte sich bei dem Anblick wieder um Jahre in die Vergangenheit versetzt, als noch eifrige Schüler ihrem Meister die Aufwartung machten, trainierten, das Dorf mit Leben erfüllten. Aber nicht nur der Doujou war revitalisiert, auch der Junge selbst hatte sich verändert. Als ob der emaillierte Panzer, der maskenhaft seine Gestalt umfangen hatte, gesplittert war, in Atome zerbröselt. Noch immer ging eine vertrauenerweckende Ruhe und Gelassenheit von ihm aus, aber nun stärkte sie sich nicht aus unterdrückter Verzweiflung, sondern aus Selbstsicherheit und Souveränität. Gonzou ließ sich auf einer alten Matte nieder, versenkte den Blick in das Kohlenfeuer, das inmitten des großen Raumes glomm, einen einfachen, gusseisernen Kessel erhitzte. Er hatte den Jungen vermisst, als er mit den Fischen gesprochen hatte, seine Bienen besuchte. »Wäre er ein Gewürz, so wäre er wohl das Salz«, sinnierte Gonzou, keine noch so raffinierte Speise kam ohne diese schlichte Zutat aus. Mit einem verwirrten Lachen über diese Küchenphilosophie klatschte er sich fest auf die Oberschenkel. Was Hotsuma aus einem angrenzenden Raum hervorlockte, wo er sich bemühte, die zierlichen Holzschnitzereien von Schmutz und Ablagerungen anderer Natur zu befreien. "Oh, Verzeihung, ich war unaufmerksam!" Hotsuma trat gemessenen Schritts heran, die Augen leuchteten warm und freundlich. "Nicht schlimm, Jungchen! Ich wollte bloß Mittag machen und dachte, wir braten uns einen Fisch und trinken Tee zusammen." "Das wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen", entgegnete Hotsuma, aber den Worten fehlte die formelle Strenge und Emotionslosigkeit. "Du hast wirklich hervorragende Arbeit geleistet, Hotsuma", lobte Gonzou, während er auf einem polierten Brett den Fisch ausnahm, der eben noch an seiner Bambusrute gebaumelt hatte. Hotsuma verneigte sich mit leicht geröteten Wangen. "Das Kompliment beschämt mich und erfüllt mich mit Stolz", lächelte er zurück. Schweigend teilten sie sich die Arbeiten zur Bereitung ihres Mahls. Gonzou warf einen Seitenblick auf das sanft leuchtende Antlitz und konnte sich kaum seines Zaubers erwehren. »Wenn er mit sich selbst im Reinen ist, ist sein Charisma von überwältigender Kraft«, stellte er berückt fest. Um dann, wie als Befreiungsschlag, seine Neugierde zu befriedigen. "Diese Männer, von denen gesprochen wurde... du kennst sie, nicht wahr?" Hotsuma hielt für einen Wimpernschlag inne, seine Ausstrahlung dunkelte nach. "Ja." Dann wandte er sich herum, um Gonzou direkt in die Augen sehen zu können. "Sie sind meine einzige verbliebene Familie." Gonzou nickte. Hotsuma lächelte wieder, vorsichtig nun, aber ohne die Kälte, die sich zuvor immer in seinem Gesicht festgefroren zu haben schien. "Als ich gestern davon erfuhr, spürte ich sofort, dass nur sie gemeint sein konnten. Ich fragte mich, was ich tun sollte." Er geleitete Gonzou, mit dem Tablett bewaffnet, in den Innenhof, zu einem sonnigen Fleck. Als sie es sich bequem gemacht haben, schenkte er den Tee aus und dankte seinem Gast für die großzügigen Gaben und seine Gesellschaft. Sie aßen schweigend, genügsam ihr einfaches Mahl. Dann, mit einer frisch aufgebrühten Tasse Tee, setzte Hotsuma ihre Unterhaltung fort. "Als ich bei ihnen war, konnte ich ihnen keine Hilfe sein, deswegen musste ich sie verlassen. Nun, da ich hier bin, habe ich gefunden, was ich bin, was ich sein möchte. Aber auf halbem Wege umzukehren ist ein Fehler. Und deswegen werde ich erst meine Aufgabe hier beenden, bevor ich mich auf den Weg machen kann." Gonzou zog an seiner Pfeife und nickte langsam, nachdrücklich. "Wirst du denn zurückkehren?", formulierte er den Punkt, der ihn nun am Stärksten bewegte. Hotsuma lächelte in die Mittagssonne. "Natürlich." ~@~ Tatsuomi korrigierte die Liste der freiwilligen Helfer. Yuugo hatte ganze Arbeit geleistet. Über seine Freundinnen und Freunde war in kürzester Zeit zumindest eine Rumpfmannschaft für den kommenden Samstag zusammengestellt worden. Nun sortierte Tatsuomi Pressemeldungen aus, denn langsam trafen auch, zu seiner Verwunderung, internationale Reaktionen ein. Hatte er lediglich mit einer kurzen Notiz in der Rubrik 'Kultur' gerechnet, so waren die Sportreportagen in Zeiten der Flaute mit Begeisterung auf den Skandal aufgesprungen. Immerhin gastierte die japanische Fußballnationalmannschaft in Europa, um für die Weltmeisterschaft in ihrer Heimat zu werben. [Hat bisher die Weltmeisterschaft des Fußballs 2002 in Japan und Korea lediglich durch unlösbare Verkehrsprobleme und nachlässige Baufortschritte von sich reden gemacht, so haben wir hier nun den ersten aufsehenerregenden Skandal. Ein Spieler der japanischen Nationalmannschaft wurde als homosexuell geoutet, suspendiert und ist seitdem nicht mehr auffindbar. Wie aus gut unterrichteten Quellen bekannt wurde, hat der junge Mann sein Hotel in unbekannte Richtung verlassen, ohne sich bei seiner Mannschaft zu verabschieden. Steht eine Tragödie zu befürchten?] Tatsuomi schauerte, studierte die Reaktionen japanischer Publikationen, die aufgrund der Zeitverschiebung sehr viel mehr Zeit zu einer Stellungnahme gehabt hatten. [Ein Skandal und diplomatische Verwicklungen, die Dimensionen dieser unsittlichen Liäson ziehen weiter Kreise. Nicht nur, dass die Moral der Mannschaft gesunken ist, ihr Ansehen international beschädigt wurde, nein, auch unsere koreanischen Partner sind auf das Massivste düpiert. Mag Takuto Izumi auch sportlich hervorragende Qualitäten sein Eigen nennen, er hat Schande über unser Land gebracht, in einem Augenblick, in dem die ganze Welt nach Japan blickt.] Kalte Wut ballte sich in Tatsuomis Leib zusammen. Lautstark verfluchte er den Autoren dieses Artikels. "Wenn Kouji das sieht, bist du fällig, du Drecksack", zischte er verbittert. Er kannte Takuto, vertraute ihm, liebte ihn wie ein Familienmitglied, das er auf gewisser Ebene durchaus war. Sie waren ein Paar, sein Onkel und Takuto-chan, so stark und fürsorglich wie man sich nur Freunde und Familie vorstellen konnte und niemand durfte daran etwas ändern! Tatsuomis Blick wanderte zur Uhr, die sich der Mittagszeit unaufhaltsam näherte. Mittlerweile musste die Desperate Rogue Music Production notariell beurkundet sein, im Handelsregister gemeldet und Kouji konnte jede Minute zurückkehren, um rasch die Kleidung zu wechseln und dann die Fotografin aufzusuchen. Also weiter im Blätterwald, in virtueller Ausgabe, die Tatsuomi eilig von einem Service-Programm übersetzen ließ. Kouji wollte gründliche Arbeit, und die würde er auch bekommen!! [Was als nationale Sensation in Japan begann, hat nun weltweite Aufmerksamkeit geerntet. Zur Erklärung: der in Japan und auch darüber hinaus fanatisch verehrte Rocksänger, Schauspieler und Modell Kouji Nanjou, der einer sehr alten, bekannten japanischen Familie entstammt, wurde vor zwei Tagen Ortszeit im klassischen Showdown um zwölf Uhr mittags als bisexuell geoutet. Eine Welle der Empörung erschütterte Japan. Hier hätte sich niemand auch nur umgedreht. Bilder sich küssender Männer, insbesondere attraktiver, hätten wohl kaum mehr Entrüstung hervorgerufen. Ja, in bestimmten Kreisen der Szene wird ein Bekenntnis zur Bisexualität gleichsam erwartet. Was die gesamte 'Mondschein-Affäre' (die Bilder stammen aus einem Observatorium) international macht, ist die Identität des anderen Mannes. Takuto Izumi, Stürmerstar der japanischen Fußballnationalmannschaft, die Hoffnung des ehrgeizigen, japanischen Fußballverbands. Zu seiner Person gibt es in den Presse-Outlets nur sehr spärliche Informationen. Erst japanische Kontakte können ein Bild des inzwischen untergetauchten Stars entwerfen. Offenbar ist das Schicksal Izumis durchaus von tragischen Zügen geprägt. Seine Mutter brachte vor seinen Augen ihren Ehemann in einem Akt der Verzweiflung um, der erst Siebenjährige überlebte die Attacke nur knapp. Danach in einem Waisenhaus aufgewachsen, durch den Skandal verschlossen und misstrauisch stellte er sein Talent erst kurz vor Abschluss der Oberstufe auch wirklich unter Beweis. Und dort begab sich auch das erste Zusammentreffen mit Kouji Nanjou. Was folgten, waren schwere Trainingsunfälle, ein mutmaßlicher Mordanschlag und eine Querschnittslähmung, die erst vor nicht einmal einem Jahr erfolgreich wieder geheilt wurde. Wenn jemand dem Schicksal trotzen gelernt hat, dann dieser geheimnisvolle Mann. Unverständlich erscheint uns das hilflose Agieren der japanischen Funktionäre. Allerdings sollten wir uns fragen, wie man reagieren würde, fände sich ein Homosexueller in unserer Nationalmannschaft. Was bedeutete es wohl, wenn sich dann im geschützten Bereich des scheinbar entsexualisierten Lebensraum des Leistungssports in Euphorie Männer umarmten oder küssten, wie man es nicht selten sieht? Stünde nicht hinter jeder Geste der uneingestandene Verdacht, es könnte mehr dahinterstecken? Würden wir nicht in jedem männlichen Pärchen eine mehr als platonische Beziehung vermuten? Wer könnte dies ehrlicherweise von sich weisen? Wir sollten vor pauschalen Urteilen bedenken, dass noch immer hierzulande Turniere gleich welcher Sportart mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen abgelehnt werden, sie auf allen Ebenen benachteiligt werden. Als handele es sich um eine hochkontaginöse Erkrankung, der man nur mit Verweigerung und Ausgrenzung begegnen kann. Dass wir uns damit um große Talente und geniale Persönlichkeiten berauben, ist die grundsätzliche Tragik der Menschen.] ~@~ Yuugo warf einen unsicheren Blick auf die merkwürdigen Gestalten, die sich den Anschein gaben, als seien sie aus mehreren, fremden Dimensionen in diese Welt portiert worden. Yohko drückte ihm aufmunternd die Hand, während sie müßig durch ihren massiven Silberschmuck strich, der sich in Kaskaden um ihren Hals wand. "Ken-chan, vielleicht stellst du uns deine Freunde mal kurz vor?", half sie behutsam ihrem Freund Kenji auf die Sprünge. "Oh. Sicher, klar." Kenji marschierte an der vagen Reihe entlang, die seine Rekruten darstellten, die sich tatsächlich um Haltung bemühten, zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten. "Also, das sind S.T., äh System Terror, M.A, Massive Attack, E.O., Electronic Overkill und G.W., Gates Waterloo." Yuugo nickte, im ernsthaften Versuch, die aufkommende Heiterkeit zu unterdrücken. Kenji übernahm als Rudelführer das Einschwören seiner Mannschaft. "Okay, Tiere, wir gegen das System der Konventionen! Der Feind ist in der Überzahl, technisch versiert, mit den neuesten Kommunikationsmedien ausgerüstet und gnadenlos! Was wollen wir ihm entgegnen?" "Friss unsere Abwärme!", grölte es begeistert. Yuugo grub die Fingernägel in seine Hose und hoffte, seine Gesichtszüge mochten nicht entgleisen. "Tiere, der Plan liegt heute Nacht vor euch! Guerilla-Taktik, Freitagnacht wird es ernst! Rekrutierung von Assoziierten gestattet. Kontakt auf sicherer Welle. Vorwarnhorizont auf fünf Minuten Echtzeit." Yohko umklammerte Yuugos Hand beschwörend, aber dieser erkannte auch ohne ihren versteckten Hinweis, dass es ihren Helfern durchaus nicht an Einsatzbegeisterung mangelte. Die beschatteten Augen, oft hinter getönten Brillengläsern abgeschirmt, glänzten wie die bleichen Gesichter. Was auch immer Kenji in einem Yuugo kaum verständlichen Jargon von sich gab, seine Mitstreiter waren entflammt. "Friss unsere Abwärme!", kolportierte Kenji lautstark, die 'Tiere' antworteten begeistert, um dann auseinanderzustoben, eine Mission auf ihrer Stirn geschrieben. "Was zum Teufel hat er ihnen gerade gesagt?", erkundigte sich Yuugo murmelnd bei Yohko. Diese flüsterte ebenso vertraulich zurück. "Sie werden heute Nacht dezentral ihren Einsatz planen und optimieren. Ein Teil wird die Hardware einrichten, damit am Samstag alles wie am Schnürchen klappt." Yuugo, noch nicht ganz zufrieden gestellt, hakte raunend nach. "Was sollte der ganze Rest?" Yohko scharrte mit ihren hochhackigen Lederstiefeln im Staub. "Nun ja... sieht so aus, als könnten sie noch Spezialisten anwerben, die möglicherweise bei Hack-Attacken helfen." "Bitte?!" Kenji, der zur Abwechslung in die Realität zurückkehrte, schlang die Arme um Yohko und betrachtete Yuugos entgeisterte Miene verständnislos. "Ist etwas passiert?" "Was hat das mit diesem Hacker-Zeug auf sich?!", begehrte Yuugo zischend zu wissen. Kenji grinste nachsichtig, während sich seine Finger in Yohkos unzähligen Ketten verhedderten. "Och, nicht so wild, wir sorgen nur dafür, dass bestimmte reaktionäre Krakeeler ruhiggestellt werden... suchen freie Systemkapazitäten und so..." Yuugos Stirn zeigte bedenkliche Furchen, selbst durch seinen fransigen Pony erkennbar. "Keine ungesetzlichen Handlungen, klar? Zumindest keine, die nachgewiesen werden können!!" Kenji schmunzelte, wurde von Yohko mit Engelsgeduld befreit. "Yuugo, wir sind Profis. Wir sind die Tiere, und das ist unser Dschungel." ~@~ Kouji räkelte sich lasziv auf der Bühne, den Kopf weit in den Nacken gelegt, den Rücken anmutig durchgedrückt. Das nachtschwarze Samt verrutschte leicht, bedeckte seine Blöße aber ausreichend. Er hörte den Auslöser des Apparats schon nicht mehr, lauschte nur auf die präzisen Anweisungen der jungen Frau, die mit ihren Dreadlocks und der stark gebräunten Haut kaum mehr etwas Japanisches an sich hatte. Für morgen war bereits ein Shooting in einem privaten Zoo angesetzt, gegen eine geringe Summe, die dem Tierschutzbund zugute kommen würde. Kouji bleckte unbewusst die scharfen Zähne und fragte sich müßig, wie die Tiere ihn wohl begrüßen würden. ~@~ Yuugo folgte in Verwirrung Kenji in eine Art Katakombe, die unter einem Wohnhaus ausgehoben worden war. Vollkommen vom Tageslicht abgeschirmt schien der winzige Raum förmlich vor Kabeln, blinkenden Gerätschaften und Hardware aller Art zu bersten, wie ein abgewracktes Raumschiff. Dazwischen hing eine Hängematte, Bettzeug war mit einem Wäschekorb per Flaschenzug an die Decke gezogen worden. [Kenjis Kingdom] blinkte Neon von der Decke. Yuugo strich sich unbewusst über den Kopf, die quer gespannten Kabel verursachten ihm Unbehagen. "Klar ist keine neue Ausrüstung notwendig für den Soundcheck. M.A. ist eine absolute Geheimwaffe im Music-Business, der kann alles umwandeln, neu mischen, verbreiten etc. Der hat schon richtige Studios eingerichtet, der kennt sich aus." Yuugo dachte an den gorillaähnlichen jungen Mann zurück, der hinter einer riesigen Sonnenbrille und einer kruden Mischung aus krauser Mähne und ebensolchem Vollbart verschwunden war. Hawaii-Hemd und Jogginghose als Referenz an die Zivilisation trug. "Woher kennst du deine Leute eigentlich?", versuchte er, die merkwürdigen Wesen in eine ihm verständlichere Szenerie einzukleiden. "Och, wir haben uns auf der anderen Seite getroffen und zusammen jede Menge Spaß gehabt", wich Kenji mit aufdringlichem Zwinkern Yuugos Frage aus. "Zurück zur Sache, G.W. wird uns einen Cluster aus alten Computern zusammenbasteln, der dient dann als Server für die Übertragung. Wenn wir die Maschinen vorher dezentral aufsetzen und einzeln testen, sind wir am Samstag rasch startklar. Wichtig ist dann noch der Einsatz von Ventilatoren, wir brauchen eine Eismaschine und als Backup einen Kondensator..." Kenji verlor sich in Details. Yuugo seufzte. "Kenji, gib mir einfach die Einkaufliste morgen, ich sehe zu, dass ich die Sachen beschaffe. Wohin sollen wir das Zeug eigentlich bringen?" Kenji rieb sich das Kinn. "Man sollte uns nicht zusammen sehen, nur zur Sicherheit. Also, verteilen wir das Zeug auf Abholstationen, die ich dir durchgebe." Yuugo verdrehte die Augen angesichts der Paranoia, aber eine leise Stimme in seinem Hinterkopf warnte ihn vor vorschnellem Urteil. Immerhin hatte er nicht die leiseste Ahnung, was die Tiere bisher angestellt hatten. ~@~ Tatsuomi schreckte hoch, als das Telefon Alarm schlug. Er nahm den Anruf ab, kontrollierte die Uhr und legte die Trillerpfeife auf die Seite. Zweimal hatten wohl genügt. Ohne ein Wort stellte er auf Koujis Mobiltelefon durch. Er wusste, dass sein Onkel genug Übersicht besaß, um den Anrufer einordnen zu können. Leise seufzend wandte sich Tatsuomi der Aufstellung zu, die Katsumi ihm über das Internet geschickt hatte. Die Anzeigen standen, eine winzige Ankündigung hatte den gewünschten Effekt. Auf der neuen Rufnummer der Desperate Rogue Music Production gingen unzählige Anrufe ein, die E-Mail-Adresse wurde mit Anmeldungen bombardiert. Die Lawine war nicht mehr aufzuhalten. ~@~ Katsumi warf einen neugierigen Blick über Natsumis Schulter, die hinter der Freundin stand. "Hey, ihr nehmt mir das Licht weg!" Maiko, mit fiebrigen Wangen über eine Kollektion an unterschiedlichen Entwürfen gebeugt, wischte sich feuchte, feuerrote Strähnen aus der Stirn. "Wir brauchen einen Scanner", kommandierte sie ihre Freundin. Natsumi strich ihr hauchzart über den Nacken, holte dann das gewünschte Gerät, schloss es kundig an die Computerlandschaft an. "Wollen wir hoffen, dass ich das hinkriege", murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Katsumi nickte unwillkürlich, während er unauffällig sein Mobiltelefon konsultierte. »Zeitplan ist noch zu halten, kein Anruf von Kouji, aber ein Sponsor, der um Rückruf bittet.« Zu Katsumis Erleichterung hatte seine Kündigung nicht allen Kontakten das Signal zum sofortigen Abbruch der Zusammenarbeit gegeben. Er kam noch immer an viele Informationsquellen außerhalb seines Clans heran. "Und?" Maiko lehnte sich eng an Natsumi, um die Fortschritte zu beobachten. "Keine Ahnung, eigentlich müsste das Ding jetzt irgendwas einlesen", gab Natsumi verwirrt zurück. "Katsumi, ruf Yohkos Betthasen an, der soll uns einen seiner Spezis nennen, der uns telefonisch weiterhilft", entschied Natsumi mit einem frustrierten Seufzer. Minuten später plärrte eine verzerrte Stimme, die große Ähnlichkeit mit Duffy Duck hatte, durch den Äther. "Yo, hier ist E.O. Electronic Overkill, Herrscher über Bits und Bytes! Womit kann ich dienen, Ladys?" Maiko prustete heraus, Wortwahl wie John Wayne, aber das Lispeln der Comic-Ente, eine unschlagbare Kombination. Natsumi hatte ihre Gesichtsmuskeln rasch wieder unter Kontrolle. "Wir müssen einen Scanner zum Laufen bringen, kannst du uns helfen?" Das Grunzen klang wie ein Plumpssack nach einem Marathon. Katsumi schmunzelte und verabschiedete sich rasch. ~@~ Tatsuomi wärmte gerade eine Schüssel mit Suppe auf, als die Türklingel betätigt wurde. Müde schleppte er sich zum Spion, um dann begeistert und hellwach die Tür aufzureißen. "Balu!!" Balu, in seine Montur gekleidet, schenkte ihm ein sparsames Lächeln, schob sich hinein. "Ich dachte, ich sehe mal, ob ich nicht helfen kann", gab er ruhig zurück. Tatsuomi strahlte, schlug die Tür zu und umarmte Balu eng. "Ich bin so froh!! Sie haben mich hier allein gelassen, als Kommandozentrale!" Balu löste Tatsuomis Arme behutsam von seinem Nacken, beugte sich herunter, um seine Füße von den Inlinern zu befreien. "Dann zeig mir mal, wie es aussieht, Sunny." ~@~ Kouji betrachtete das Studentinnen-Wohnheim, fuhr sich durch die vom Wind verwirbelte, tintenschwarze Mähne. »Auf in den Kampf!«, wappnete er sich gegen grelle, weibliche Entzückensrufe und hysterische Kicheranfälle. Bereits vor der Tür wartete eine Delegation seines zahlenmäßig größten Fanclubs. Man hielt sich aneinander fest, als sich Kouji mit katzenhaftem Schleichschritt heranpirschte. Er hielt kurz an, zog die behandschuhte Rechte aus der Tasche seines halblangen Mantels, setzte die Sonnenbrille ab und ließ sein laszives Lächeln auffunkeln. Ein kollektiver Stoßseufzer antwortete ihm, andächtig und verehrend. Kouji lachte leise, rauchiger Samt auf nackter Haut. ~@~ "Da, schau mal!" Eine Instant Message schlug sich auf. [Verbindung Internet Webcam funktioniert nicht richtig. Kontaktiere Tiere] {okay} Balu wählte bereits die Nummer von S.T., der sich direkt einklinkte. Sekunden später erschien auf der Homepage des Kouji Nanjou-Fanclubs ein Bild. Kouji, in nachtschwarzer Ledermontur lehnte bequem auf einem mit Zierkissen und Überwurf bedeckten Fauteuil, im Hintergrund entrollte sich ein überlebensgroßes Poster mit seinem Konterfei. Die Dialoge spulten sich mit leichter Verzögerung, aber erstaunlich rasch und gut verständlich ab, sodass Balu dahinter Profis vermutete. Auf der Homepage explodierte die Meldung der Zugriffe förmlich. Ein Schlüssel kämpfte sich in die Haustür, dann schleppte sich ein bleicher, aber freudig erregter Katsumi ins Wohnzimmer. "Es läuft prima!", begrüßte ihn Tatsuomi überschwänglich. Katsumi grinste. "Ich frage mich, wie sie diesen Ansturm bewältigen können?", sinnierte Balu nachdenklich. Katsumi hüstelte und winkte dann ab. "Glaub mir, Balu, das willst du nicht wissen." Katsumi studierte den Zeitplan für die nächsten Tage. "Irgendeine Nachricht von Tak-chan?" Vielsagendes Schweigen war ihm Antwort genug. "Nun gut", betont munter stellte er Tassen auf die Küchentheke, "finden wir heraus, welche Überraschungen unser Superstar heute Abend für uns bereithält." ~@~ Kouji lächelte charmant, flirtete mit seiner Interviewerin, plauderte geduldig. Bis man, trotz aller Ehrfurcht, auf die entscheidende Frage zu sprechen kam. "Sag mal, Kouji, was ist dran an der Behauptung, dass du... bisexuell seist?" Man konnte die Verlegenheit in der Stimme der jungen Frau hören. "Nun", Kouji schlug die Beine übereinander, "es ist wahr." Seine Lider senkten sich auf den patentierten Schlafzimmerblick herab. "Also... danke für deine aufrichtigen Worte, Kouji. Kann ich noch eine weitere Frage stellen? Eine, die uns alle brennend interessiert?" Kouji zwinkerte nachsichtig. "Sozusagen eine Frage im öffentlichen Interesse? Nur zu." Nervosität, dann eine andere Frauenstimme. "Ist das mit Izumi wahr? Dass ihr zusammenlebt?" Kouji stellte die Füße nebeneinander, lehnte sich vor, die Ellenbogen auf die Knie aufgestützt, das Gesicht in die Handschuhe gelegt wie der Blütenkelch in Blätter. "Ich liebe ihn. Darum will ich mein Leben mit ihm verbringen." Kollektiver Seufzer, aber nicht verurteilend oder ablehnend. "Du bist ein Romantiker", wisperte andächtig eine Frauenstimme aus dem unsichtbaren Chor im Hintergrund. Kouji lehnte sich wieder in den Sessel zurück, strich zeitlupenartig lackschwarze Strähnen hinter ein Ohr, in dem ein rubinroter Stecker funkelte. "Das kann ich wohl nicht verhehlen, nicht wahr?", schnurrte er leise. Sanftes Lachen plätscherte in die Mikrophone. "Ich sollte es eigentlich nicht verraten, aber ich schreibe gerade an neuen Songs. Wie ihr sicher schon gesehen habt, wird am Samstag im Yellow Submarine ein Hearing für eine neue Band stattfinden. Das heißt, dass auch die anstehende Tournee nicht ausfällt." Begeisterter Jubel knirschte über das Internet. "Ich könnte", Kouji setzte sich auf, "euch mal a capella einen Song vorstellen, wenn ihr möchtet?" Ohrenbetäubende Zustimmung. Und Kouji begann zu singen. ~@~ Yuugo sah Kenji über die Schulter, der in Zeitraffer tippte, zwischen verschiedenen Fenstern hin und her sprang und koordinierte, während er kurze Informationsbrocken mit der Nonchalance eines virtuosen Maestro in die Runde warf. Yohko hatte es sich in der Hängematte bequem gemacht und erledigte Hausaufgaben. "Schatz, kannst du den Ton mal aufdrehen?" Einen Wimpernschlag später erfüllte Koujis Lied die Katakombe. Yuugo überlief es heiß und kalt. Plötzliche Sehnsucht nach Katsumi ließ ihn die Entfernung zwischen ihnen verwünschen. > A home for my soul< > I was all alone< > a world of ice< > drifting in darkness< > void without limits< > empty space all around< > no echo to my lonesome call< > should this be?< > forever hiking space< > a whole planet< > millions of lost souls< > no hope< > no echo to my lonesome call< > finally, desperately< > a star arising< > brightest colors< > melting the core of ice< > freeing my soul< > echo to my lonesome call< > no place to go< > forbidden company< > will you< > dare to stay< > to love me?< > echo to my lonesome call< > can't promise< > a star of our own< > a lucky drift< > a happy life< > but me, just me< > echo to my lonesome call< > dare me< > love me< > kiss me< > keep me< > be my home< ~@~ "M.A. meldet, dass er die Aufnahme als mp3 auf die Homepage gesetzt hat", brach Balu leise die atemlose Stille. "Welche Homepage?", reagierte Katsumi, sich schüttelnd, die Sehnsucht abstreifend, die Koujis rauchige Stimme in ihm geweckt hatte. »Keine Zeit zum Träumen.« "Unsere, das heißt, die Desperate Rogue Music Production Homepage. G.W. schickt Datenpakete rüber, Maikos Entwürfe für Logo und Banner. Wenn Kouji die Auswahl getroffen hat, sollten wir diese kostenlos zur Verfügung stellen." "Ich habe Durst", meldete sich Tatsuomi kläglich zu Wort. Balu erhob sich geschmeidig, trat hinter die Theke und begann, einen Kessel mit Wasser zu füllen. "Wann kommt Kouji denn hierher?" Katsumi rieb sich die Schläfen und brummte leise, "wahrscheinlich in Kürze, mir bleibt ja heute auch nichts erspart." Tatsuomi rutschte näher an ihn heran, musterte ihn kritisch. "Ist sicher zu viel, wenn wir euch hier belagern, nicht wahr?" Katsumi winkte ab, zwang ein müdes Lächeln auf seine Lippen. "Aber nein, ich brauche nur eine kurze Auszeit, dann geht es schon wieder." Balu brühte Tee auf, reichte sprudelnde Gläser, extra gesüßt, weiter. "Wenn heute nichts mehr für mich zu tun ansteht, würde ich mich gern verabschieden." Tatsuomi heulte enttäuscht auf, "schon?!" Balu strich ihm leichthin eine verirrte Strähne aus den Augen. "Es wird Zeit." Tatsuomi senkte schmollend den Kopf, geleitete Balu aber zur Tür. Als dieser sich bückte, um seine Inliner zuzuschnallen, kam er ihm flink zuvor. Sich aufrichtend sah er Balu lange kritisch in die Augen. "Du gehst nicht wegen Kouji, oder?" Balu erwiderte den Blick ebenso offen. "Nein." Tatsuomi lächelte zweifelnd, schlang dann in jugendlichem Übermut die Arme um Balus Nacken. "Weißt du... ich wünschte, ich könnte dich heute Nacht begleiten. Ich habe Lust, den Mond anzuheulen und mit dem Wind zu reisen", wisperte er heiser, die Lippen nur einen Atemzug von Balus Mund entfernt. "Sunny..." "Wir holen es nach", flüsterte Tatsuomi rau, küsste Balu dann zart. Um sich mit einem hellen Auflachen zurückzuziehen. "Wahrscheinlich muss ich morgen schon wieder in die Schule", er zog eine Grimasse, "also sehen wir uns sicher erst am Abend!" Balu nickte stumm, öffnete die Tür und verschmolz ohne Abschied mit der Dunkelheit. ~@~ "Das hier gefällt mir!" Kouji sortierte Maikos Entwürfe aus. Die Initialen waren in einer hochbeinigen, filigranen Jugendstil-Schriftart gehalten, das Logo selbst mit auberginefarbenem Hintergrund. Eine Standarte mit einem in Flammen stehenden Herz auf schwarzem Grund, während sich darum schwarze Rosen mit kristallklaren Dornen bewehrt rankten. Flugs wurde der Entwurf gekrönt und entsprechend an die Tiere weitergeleitet, die das Einbinden und Veröffentlichen vollzogen. Katsumi lehnte schwer an Yuugos Schulter, kämpfte gegen bleierne Müdigkeit an. "Bettzeit", bestimmte Yuugo milde, zog Katsumi auf seine Hasenpuschen, dirigierte ihn umsichtig aus dem Wohnzimmer. Vor der Schlafzimmertür hielt er an. "Engelchen, kommst du allein klar? Ich versorge unsere Gäste noch, dann bin ich an deiner Seite." Katsumi nickte erschöpft, empfing einen sanften Kuss und torkelte Richtung Bett. Yuugo machte kehrt und betrachtete einen Augenblick lang die beiden Nanjous, die einander zuarbeiteten. Kouji krakelte Noten auf Blätter, die Tatsuomi sortierte. Gleichzeitig reagierten sie auf die Anfragen der Tiere, die nicht nur ihre Einsatzplanung vornahmen, sondern auch detaillierte Fragen nach dem Ablauf am Samstag stellten. "Hört mal, ihr beiden, wir werden uns hinlegen. Ihr versorgt euch selbst?" "Hmmhmm", unisono ein abgelenktes Nicken. Yuugo lächelte boshaft. Nein, keine Frage, wenn die Nanjous auf dem Kriegspfad waren, suchte man besser das Weite. ~@~ "Yuugo?" "Ja, mein Engel?" Yuugo kroch unter die Decke, zog Katsumi an sich heran und begann, sanft über den dünnen Stoff des Pyjama zu streichen. "Hast du auch... das Lied gehört?" Katsumi barg den Kopf auf Yuugos nackter Brust, fing dessen rechte Hand ein und blies einen sanften Kuss in die Handfläche, bevor er seine Finger mit Yuugos verflocht. Abgesehen von den beiden steif gebliebenen Fingern. "Hmmm...ja... ein schönes Lied", raunte Yuugo zärtlich, liebkoste Katsumis schlohweißen Schopf mit spielerischen Kreisen. "Es hat mich an früher erinnert. Als wir miteinander getanzt haben." Yuugo lächelte versonnen. "Ja... das war damals auch eines seiner Lieder. Man sollte davor warnen, meinst du nicht?", scherzte er neckend. Katsumi hauchte einen Kuss auf Yuugos Brustbein, bevor er sich wieder an ihn kuschelte. "Es ging nur so lange, wie man mich für ein Mädchen hielt", murmelte er leise, traurig. Yuugo lenkte seine Hand auf Katsumis Rücken, drückte ihn fest an sich. "Ich liebe dich, mein Engel. Und wann immer du tanzen möchtest, werden wir das tun. Ich verspreche es." Katsumi seufzte leise, dann übermannte ihn der Schlaf. Yuugo zeichnete vage Figuren auf den zerbrechlichen Rücken der Gestalt, die in seinem Arm ruhte. "Vielleicht ist es tatsächlich an uns, eine Revolution zu wagen." ~@~ Takuto genoss die Sommersonne, lehnte sich zurück und blinzelte an den mit Schäfchenwolken betupften, blauen Himmel. Um ihn herum sprudelte Unterhaltung und Wasser, denn er hatte es sich auf dem niedrigen Rand eines gewaltigen Brunnens bequem gemacht. Eigentlich sollte er nun Pläne für seine unmittelbare Zukunft treffen, aber seine Sinne rebellierten, forderten die Mußestunde ein. »Ein seltsames Gefühl, aller Pflichten ledig zu sein«, stellte er träumerisch fest. Kein Training, kein fordernder Geliebter, keine drängenden Aufgaben. »Als könne man die Zeit anhalten. Schwerelos. Voller Hoffnung und Zuversicht.« Takuto lächelte sanft. ~@~ Kouji rieb sich die Augen und unterdrückte ein Kiefer knackendes Gähnen. Tatsuomi hatte sich bereits auf seinem Futon zusammengerollt, schlief in tiefen Atemzügen. »Ich sollte es auch für heute auf sich beruhen lassen«, wies sich Kouji in die Schranken. Seine Glieder schmerzten trotz der Lockerungsübungen. Er hatte das Gefühl, in ein Loch zu fallen, zu verzagen angesichts der Herausforderungen, die ihm drohten. Wie sehr wünschte er nun, sich an einem anderen festhalten zu können, Körperwärme zu absorbieren, geborgen zu sein. Beschützt zu werden. ~@~ Kapitel 10 - Rehearsal Tatsuomi schritt hocherhobenen Hauptes durch die Gasse, die sich immer auftat, wenn er sich durch die Masse seiner Mitschüler bewegte. Stumme Blicke trafen ihn wie spitze Pfeile, vergiftet, ablehnend. Kein Gesicht, das seinen Augen Ruhe, Zuflucht geboten hätte. Er straffte sich, visualisierte Kouji vor sich, wie dieser raubtierhaft durch sein Leben glitt, auf den Lippen dieses erotisierende Lächeln, halb arrogant, halb selbstironisch. »Wenn er es kann, kann ich es auch!! Ich werde nicht zerbrechen!« ~@~ Yuugo ließ sich neben Maiko und Natsumi auf die Bank plumpsen, wischte sich mit dem Handrücken über die fransigen Ponysträhnen. "Liebe Güte, es ist heute richtig heiß!" Die beiden jungen Frauen lachten, Natsumi reichte ihm großzügig eine Flasche Wasser. "Aaahh, tut das gut!" Yuugo rollte parodierend mit den Augen. "Ich habe eine Nachricht von Kouji für dich, Maiko. Er wollte es eigentlich selbst machen, aber ein Termin jagt den nächsten, und.." "Verstehe schon", Maiko fächelte sich Luft zu, "immer raus mit der Sprache." "Wir haben das Logo bereits ausgesucht und eingebaut. Kouji will dir die Rechte abkaufen." Yuugo kramte in seinem Rucksack. "Hat auch schon einen Vertrag aufgesetzt, Sekunde...." Natsumi nahm das Dokument entgegen. Gemeinsam studierten die beiden Frauen die Paragraphen. "Nein." Yuugo blinzelte. "Äh... ich bin nur als Bote hier, kein Verhandlungspartner, da müssten wir dann Katsumi benachrichtigen..." Maiko stoppte seinen irritierten Redefluss mit einem Zeigefinger federleicht. "Ich will kein Geld haben." Natsumi vollendete ihren Gedanken, als hätten sie sich bereits verabredet. "Sondern unter dem Logo soll Maikos Name auftauchen als Referenz. Und wir hätten gerne einen Abzug vom Shooting heute." "Mit jedem Tier!" Yuugo war zu verblüfft, um seine Gesichtszüge zu kontrollieren. Entgeistert klappte ihm die Kinnlade herunter. "Bitte?!" ~@~ Kouji rückte das Kostüm aus dem Theaterfundus zurecht. Die taillenkurze, aus verschiedenen Lederstreifen zusammengesetzte Blousonjacke eines Falkners saß körperbetont bis knapp. Wenigstens hatte er hier seine eigene nappalederne Hose in Haselnussbraun überstreifen dürfen. Ein tatsächlicher Falkner trat an ihn heran. Auf seinem Unterarm residierte ein Merlinfalke, der noch immer die Schutzhaube trug. Kouji streifte sich den gepolsterten Handschuhe über seine Prothese, streckte den Arm aus und übernahm den Falken, der trotz der hektischen Vorbereitungen um sie herum ruhig folgte. "Was muss ich tun, damit er sich an mich gewöhnt?", fragte Kouji den drahtigen Mann neben sich. "Stillhalten, keine unkontrollierten Bewegungen." Kouji nickte knapp, sah zu, wie der Mann mit einer gleitenden Bewegung die Haube abnahm. Sofort wandte sich der Kopf des Merlin herum, fixierte Kouji. Kouji zog den Arm näher an seinen Körper heran, achtete aber darauf, sich nicht ruckartig zu bewegen oder zu nahe an den gefährlich scharfen Schnabel heranzukommen. Man hatte ihm gesagt, dass die Falken immer auf die Halsschlagader zielten, wenn sie im Flug andere Vögel jagten. Seine Finger in leichtem Handschuh glitten durch die langen, schiefergrauen Federn, bewunderten die farbenprächtige, herbstliche Zeichnung des Federkleides darunter. »Ein prächtiges, stolzes Tier.« Eingefangen in stummer Kommunikation verlor er sich, beachtete den Auslöser nicht mehr, der ihn im Hintergrund begleitete. ~@~ "Okay... ja, habe ich notiert." "Ja, vielen Dank, werden wir. Auf Wiederhören!" Katsumi hakte auf seiner Liste ab, während er simultan die Instant Messages verfolgte, die eintrudelten. Die Tiere waren aus ihrer schulbedingten Abstinenz vom Dschungel erwacht und meldeten schubweise die Bereitschaft ihrer Hardware. Daneben streuten sich per Ticker Pressemeldungen ein, die von seltsamen Stromschwankungen berichteten, Hackerangriffe meldeten auf Seiten, die sich mit dem Skandal beschäftigten. Katsumi hatte keinen Zweifel, dass die Tiere ihre Partisanen ausgeschickt hatten, wollte aber lieber keine Gewissheit erlangen. Im Börsenreport wurde spekuliert, dass die Shibuya Corp. einen Gewinneinbruch erleiden würde. Erstaunlicherweise hatte die sofortige Trennung von Kouji Nanjou nicht die Wiederherstellung ihrer marktbeherrschenden Position bedeutet. Weiteres Diskussionsthema in der Fachpresse der Musikbranche stellte Koujis Labelgründung dar. Man fragte sich, wie lange er seinen isolierten Kampf aus der Privatschatulle würde bestreiten können, da sich die Interessenvertreter verschiedener großer Firmen auf einen strikten Konfrontationskurs eingeschworen hatten. Man hatte schließlich Sorge zu tragen für die Kinder und die Masse der Käufer, die nicht von derartigen Exzessen behelligt werden wollten. Katsumi zog eine Grimasse. »Da sollte besser niemand hinter den Kulissen herumstöbern.« Natürlich war es ein Balanceakt, keine Frage. Würde Koujis gewagte Revolte gegen die Konventionen und die öffentliche Moral scheitern, gäbe es keinen weiteren Versuch mehr. Dennoch fühlte er sich seltsam zuversichtlich. Der Zuspruch der Fans, weltweites Aufsehen, die Begeisterung der freiwilligen Helfer... Vielleicht war die Zeit reif. ~@~ Yuugo lehnte sich über Katsumis schmale Schulter und überflog die Liste. "Hast du schon eine Route aufgestellt?" Katsumi reichte ein Blatt aus einem Stapel weiter. Die beiden Lastwagen, mit Fahrer gemietet, würden zunächst die Kontaktstationen der Tiere anfahren, um die Hardware einzusammeln. Die Tiere würden getrennt voneinander eintreffen. "Ich habe es bereits an die Leihwagen-Firma gefaxt. Jetzt müssen wir nur noch die ambitionierten Musiker aufteilen, die Helfer akkreditieren, die Medien aussondern..." Katsumi malte geschäftig auf dem Papier herum. "Schon was von Kouji gehört?" Yuugo knabberte zärtlich an Katsumis Nacken, blies in die flaumigen, schlohweißen Haareansätze. Katsumi erschauerte wohlig, lehnte sich zurück, um dann Yuugos Arme um seine Taille zu schlingen. "Sitzt nach eigenen Angaben in seinem Studio und schreibt Texte. Er muss eine Art Etude aufstellen, um das Hearing durchzuführen." Yuugo gab einen fragenden Laut von sich. Katsumi streckte eine schmale Hand nach oben und strich behutsam über Yuugos Wange. "Nun ja, es muss eine gemeinsame Basis für alle Musiker geben, ganz gleich, ob sie Koujis Stücke bereits spielen können, oder nicht. Ein Instrumentalstück, das kurz genug ist, alle Bewerber vorspielen zu lassen, und lang genug, um die Fähigkeiten festzustellen." Yuugo brummte anerkennend und summte dann leise in Katsumis Ohr. [echo to my lonesome call] Katsumi schloss die Augen und ließ sich sanft wiegen, hauchte die Worte in die aufsteigende Wärme, die Yuugos Liebkosungen in den Raum entsandten. ~@~ Kouji malte Noten auf Papier, radierte, bemühte den Synthesizer, verzog das Gesicht in Konzentration, wischte Strähnen aus den Augen und brummte unwillig. Tatsuomi hockte auf einem Mischpult und baumelte mit den Beinen. Kouji hatte kategorisch ein Herumtreiben mit Balu an diesem Abend ausgeschlossen und angekündigt, höchstpersönlich Tatsuomis Hausaufgaben kontrollieren zu wollen. Üblicherweise kümmerte sich Hotsuma um Tatsuomis Hausaufgaben, aber in der letzten Zeit hatte Takuto stillschweigend diese Aufgabe übernommen. Tatsuomi hatte, von der Aussicht beeindruckt, dass Kouji ihm für jeden Fehler einen Schlag auf den nackten Hintern verpassen wollte, seine Arbeiten mit besonderer Sorgfalt erledigt. Koujis "Handschrift" hatte er einmal zu oft im Trainingsraum zu spüren bekommen, wenn sie Kendou ausgeübt hatten. Nun aber, da er die Wohnung aufgeräumt hatte, das Bad gereinigt, den Kühlschrank gefüllt, -Kouji hatte tatsächlich in persona einen Supermarkt heimgesucht!-, langweilte er sich und schmollte ausdauernd. Uneingestanden war er aber froh, dass Kouji ihm eine Tour mit Balu verbot, denn er fühlte sich längst nicht ausreichend kräftig genug, auch wenn sein unruhiger Geist nach Betätigung schrie. Kouji knurrte zum wiederholten Mal. Das beständige Trommeln von Tatsuomis Fersen gegen das Mischpult drängte sich unerwünscht in sein Bewusstsein. "Tatsuomi, nimm den Hintern von meinem Equipment!" Tatsuomi rutschte maulend herunter, schnitt Kouji Grimassen. Dieser, in überraschender Langmut, ignorierte den Affront, schnappte dafür blitzartig nach dem schmalen Handgelenk und zog Tatsuomi auf seinen Schoß. "Okay, Kleiner, ich muss wirklich arbeiten." Kouji kämmte honigblonde Strähnen aus Tatsuomis farbenprächtigem Gesicht. "Aber du könntest deinen Drang nach Bewegung austoben, indem du das Schlagzeug in die Garage trägst." Tatsuomi blinzelte verwirrt, nickte aber bereitwillig. Er hatte eine Standpauke, einen der berüchtigten Eisblicke erwartet, nicht aber Geduld und Nachsicht. Spontan schlang er die Arme um Koujis Nacken und lehnte seine Stirn an Koujis. "Ich helfe dir, Kouji. Was auch immer passiert." Kouji ließ die langen Wimpern einen Wirbel schlagen, bevor sich ein warmes Lächeln in sein Gesicht stahl. "Danke, Sonnenschein." Mit flinken Fingern traktierte er dann Tatsuomis kurze Rippen, der erschrocken aufquiekte und sich hinter dem Synthesizer in Sicherheit brachte. "Na los!" Kouji streckte sich katzenhaft und warf den Kopf wild herum, bis ein deutliches Knacken zu vernehmen war. "Schießbude raus!", kommandierte er Tatsuomi, der bereits neugierig die Bestandteile des Schlagzeugs inspizierte. Minuten später thronte das Schlagzeug vor Koujis Testarossa. "Und nun?" Kouji drückte Tatsuomi zwei Trommelstöcke in die Hand und schloss nachdrücklich die schalldichte Tür hinter sich. ~@~ Hotsuma schob vorsichtig die schweren Türen zusammen, vertrieb die abendliche Kühle nach draußen. »Die erste Nacht im Doujou.« Ihm war festlich zumute. Mit Gewalt musste er sich daran erinnern, dass das Haus nicht ihm gehörte, dass er nur ein Gast war, auch wenn es in seiner Gegenwart lebendig wurde. Es fühlte sich perfekt an, wie die Heimat, die er gesucht hatte. Mit all ihren Geschichten, Aromen, Stimmen und Atmosphären. Er entzündete die Steinlaterne im Innenhof und setzte sich auf eine schmale Matte. Meditation unter freiem Himmel. Den Sternen so nahe wie lange nicht mehr. ~@~ Katsumi schob die Arme unter Yuugos hindurch, hielt sich an dessen Schulterblättern fest, während er mit geschlossenen Augen Yuugos ruhigen Herzschlag an seiner Brust fühlte. Wenn er sich konzentrierte, schien der Herzschlag seinen Käfig zu verlassen, in Katsumis Adern zu vibrieren, seinen Körper zu erfüllen. Ja, die ganze Welt schien diesem Rhythmus verfallen zu sein. Sie bewegten sich langsam, begleitet von Yuugos sanfter, ein wenig rauer Stimme, die leise summte. Katsumi schmiegte sich enger an den vertrauten Körper, atmete tief den Geruch ein, der Yuugo entwich wie eine Aura der Liebe. Yuugo lächelte verzaubert auf das sanft glühende Gesicht hinab, die widerspenstigen Sommersprossen, die geschwungenen Lippen, das spitze Kinn. Sein Engel. "Ich liebe dich", flüsterte er in die schlohweiße Mähne und hauchte einen Kuss auf den Scheitel. Katsumi seufzte leise, genießerisch. Yuugo fing seine Hände ein, schlang sie sich um den Nacken, hob Katsumi behutsam auf seine Arme. "Schlafenszeit", raunte er, als Katsumi den Kopf in seine Halsbeuge schmiegte und eine Kussspur legte. "Morgen wird ein harter Tag", flüsterte Yuugo kichernd, während er seine kostbare Last auf dem Bett absetzte. "Hab schon Ohrstöpsel besorgt", murmelte Katsumi schläfrig, grub die Finger fest in Yuugos Hemd, um nicht der gemütlichen Wärmequelle verlustig zu gehen. Yuugo schmunzelte, entkleidete sie rasch und schwebte mit seinem Engel in ätherische Traumwelten. ~@~ Kouji rieb sich die Augen und putzte genervt die Gläser an seinem Hemd ab. Sein Blick glitt aus den Fensterscheiben hinaus in seine Garage, wo sich Tatsuomi mit Feuereifer in einem Trommelwirbel verstieg. Kouji stützte den Arm auf und fragte sich, ob es sich lohnen konnte, den Schutz der schalldichten Wände zu verlassen und zu prüfen, ob Tatsuomi tatsächlich das gespannte Fell traf. Eigentlich sollte er den Kleinen längst zu Bett schicken, aber andererseits konnte er wohl selbst nicht gerade als gutes Beispiel vorangehen, denn noch immer war er mit dem Probestück nicht zufrieden. Geschmeidig erhob er sich und wagte sich in die Garage hinaus, wo Tatsuomi gerade einen wirbelnden Trommelsalut abschoss, um dann mit dem Becken den Schlusspunkt zu setzen. "Na, wirst du nicht langsam müde?" Tatsuomi streckte sich und rieb sich die feuchten Handflächen an den Hosenbeinen ab. "Nein, überhaupt nicht!", trompetete er mit Nachdruck. Ein Strahlen breitete sich über seinem Gesicht aus. "Das macht richtig Spaß!!" Kouji grinste schief, ließ die metallischen Finger über das gespannte Fell tanzen. "Hast du früher Musik gemacht?" Tatsuomi wischte sich durch die Haare, lächelte versonnen, wobei er Kouji mit der fehlenden Zahnecke und den leichten Verfärbungen unangenehm an die Ereignisse der letzten Tage erinnerte. "Bloß Violine... grauenhaft!" Tatsuomis Miene verzog sich zu Mitleid heischendem Heroismus. "Auf einem Katzendarm herumkratzen, einfach langweilig", unterstrich er seine Abneigung, während seine Fingerspitzen den leisen Rhythmus von Kouji aufnahmen. "Noten lesen?" Tatsuomi zuckte mit den Schultern, offenkundig keine Schwierigkeit. Kurzentschlossen stieß Kouji sich ab und betrat sein Studio wieder, angelte ein Notenblatt aus einem Stapel hervor. Bei Tatsuomi ließ er es in dessen Schoß sinken. "Kannst du das spielen?" Tatsuomi warf Kouji einen überraschten Blick zu, runzelte dann konzentriert die Stirn, überflog die handschriftlichen Aufzeichnungen. Kouji lehnte sich nonchalant gegen die Fensterfront seines Studios, die Arme vor der Brust verschränkt, die Lider auf Halbmast. Tatsuomi fuhr sich mit der Zungenspitze befeuchtend über die weichen Lippen, legte dann das Notenblatt auf den Betonboden, ließ die Trommelstöcke spielerisch um die Finger kreisen, bevor er den ersten Versuch wagte. Äußerlich unbewegt registrierte Kouji angenehm angetan, mit welchem Geschick Tatsuomi den Takt fand, die Tempi-Wechsel gestaltete und den Rhythmus wandelte. Nun bewies er nicht nur, dass er Koujis Notizen zu lesen verstand, er konnte sie auch umsetzen. Für jemanden, der zuvor mit Abscheu der Violine den Rücken zugekehrt hatte, waren seine Leistungen überwältigend. Auch wenn Kouji insgeheim Wertungspunkte abzog, die von einem Kendou-Schüler aufgrund seiner Reflexe einfach erwartet werden konnte. "Schneller", wies er Tatsuomi an und kommandierte mit präzisen Anweisungen so lange, bis dem Jüngeren Schweißperlen über das gerötete Gesicht liefen. "Gar nicht übel", flötete Kouji, bevor er unbarmherzig Tatsuomi anleitete, das Schlagzeug wieder auf seinen angestammten Platz im Studio zu verfrachten. Tatsuomi stöhnte, fügte sich aber widerspruchslos, was Kouji bedeutete, dass dieser nun wirklich erschöpft sein musste. "Kouji?" Kouji zog eine Augenbraue hoch zum Zeichen, dass er Tatsuomi gehört hatte. Dieser spielte müßig mit den Trommelstöcken, legte dann den Kopf schief und blinzelte seinen Onkel an. "Was meinst du... hätte ich morgen Chancen?" Kouji unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Auf diese Frage hatte er gewartet. Betont kühl gab er zurück, "wer weiß, Kleiner, lass dich doch registrieren." Tatsuomi suchte in seinen abgründigen Augen nach weiteren Indizien, aber Kouji blieb rätselhaft verschlossen. Schließlich ergab Tatsuomi sich in sein Schicksal, lächelte müde und umarmte Kouji überraschend heftig. Kouji spürte, wie sein Herzschlag den Takt um Wimpernschläge verfehlte und seine Kehle schnürte sich zu. Tröstend strich er seinen honigblonden Neffen über den Rücken, gönnte sich den Luxus, für einen Augenblick die Augen zu schließen und zu hoffen. ~@~ Yuugo brummte missmutig, als Katsumi nicht mehr umhin kam, seine Nachtruhe zu beenden. "Yuugo... bitte, wir müssen los!" Katsumi bohrte die Fingerspitzen in die Decke an den Ausbuchtungen, an denen er Yuugos Taille vermutete. Yuugo grummelte ohne die Augen aufzuschlagen, was Katsumi einen frustrierten Seufzer entlockte. Er hasste diese Momente, wenn er vernünftig und penetrant sein musste, obwohl alles in ihm wehklagte, sich bereitwillig an den warmen Körper geschmiegt hätte und in süßen Träumen verweilt wäre. Sich abwendend dachte Katsumi über den Einsatz von triefenden Waschlappen nach, als im Augenwinkel eine Bewegung sein Adrenalin hochtrieb. Sekunden später fand er sich unter Yuugos Leib gefangen, dessen Körperwärme der Matratze wie eine offene Feuerstelle entströmte und Katsumi wohlig erregte. Yuugo lächelte hintergründig. Die fransigen, langen Haare schlängelten sich lockend über seine muskulösen Schultern, während sich seine Sehnen in der Brust und den Armen spannten, weil er sich abstützte. "Wir müssen los", hauchte Katsumi leise, eingeschüchtert, schluckte dann hart. "Gleich", raunte Yuugo, bog dann zeitlupenartig die Ellenbogen nach außen, verdunkelte Katsumis Horizont, bis dieser heftig atmend die Augen schloss. Yuugo versiegelte Katsumis erwartungsvoll bebende Lippen zärtlich, schmeichelte sich in die köstliche Höhle dahinter ein, liebkoste vertraute Regionen. Goutierte die Mischung aus Zahnpasta und Milchkaffee, bis er zu Katsumis Eigengeschmack durchdrang. Vage registrierte er Katsumis schlanke Hände auf seinem Rücken, die unruhig über seine Haut wanderten, sich in seinen langen Haaren verfingen und ihn streichelten. Yuugo intensivierte seinen Kuss, focht ein hitziges Gefecht mit Katsumis gelenkiger Zunge aus, verlagerte sein Gewicht ein wenig, um erneut Katsumi Atem und Verstand zu rauben. Mit jedem neuerlichen Vorstoß zuckte Katsumis Leib unter ihm, wand sich, während leise Laute der Lust und des Verlangens unaufgefordert Katsumis Kehle entflohen. Yuugo seufzte ekstatisch. Nichts konnte himmlischer sein als Katsumis Seufzer, die flatternden Lider über den großen Augen, die sich rötenden Wangen. Der Herzschlag, der sich kraftvoll mit seinem eigenen ein Duell lieferte. Erregung trieb das Adrenalin in seinem Kreislauf zu Höchstleistungen an. In diesem Augenblick entzog sich Katsumi seinem Kuss, hauchte flehend ein "bitte nicht" an Yuugos entflammte Wange. Yuugo zeichnete mit der Zunge ein Mal auf Katsumis Wange, spürte salzige Feuchtigkeit. Im Weichen bemerkte er Tränen in Katsumis Augen, den Zwiespalt zwischen Hingabe und Pflichterfüllung. "Entschuldige, mein Engel", hauchte er rau und küsste Katsumi fest auf den Mund. "Ich kann mich einfach nicht beherrschen", zwinkerte Yuugo lächelnd, bevor er sich auf die Seite rollte und Katsumis Leib freigab. "Ich... wir holen es nach, versprochen", wisperte Katsumi, richtete sich auf und kam unsicher auf die Beine. So unbeholfen, dass er postwendend wieder rücklings auf die Matratze sackte. Yuugo erhob sich seelenruhig, kletterte vom Bett und schlang sich Katsumis Arme um den Nacken, hob ihn sanft auf die Füße. Fixierte dessen beschlagene Augen. "Engelchen, ich bin nicht böse, okay? Und nun werden wir richtig frühstücken, damit dein Kreislauf sich wieder stabilisiert." Um seinen Worten die nötige Beweiskraft zu verschaffen, küsste Yuugo Katsumi erneut, so lange, bis ihnen die Luft ausging. ~@~ Klatsch! "Wahhhhh?!!" Mit einem erstickten, heiseren Schrei fuhr Tatsuomi in die Höhe, als Kouji seine mechanische Hand zurückzog, die eine deutliche Handschrift auf Tatsuomis rechter Hinterbacke hinterlassen hatte. "Komm schon, Kleiner, anziehen! Hast du deinen Wecker nicht gestellt?!" Tatsuomi rieb sich wehleidig die malträtierte Sitzfläche und zog einen schmollenden Flunsch. "Vergessen", bekannte er widerwillig. "Nun aber Tempo!", wies Kouji an, bereits mit einem nachtschwarzen Seidenanzug bekleidet, aber entsprechend seinem Ruf ohne Hemd. "Ich habe Muskelkater in den Armen", murmelte Tatsuomi, während er zu seinem Kleiderschrank trottete. "Faules Fleisch. Du verweichlichst", kommentierte Kouji gnadenlos, stob an Tatsuomi vorbei, um weitere Vorbereitungen zu treffen. Tatsoumi starrte in die Untiefen seines Kleiderschrankes. Überwältigend erschien ihm in diesem Augenblick das Verlangen, Hotsuma bei sich zu wissen und sich an ihm festzuhalten, von seiner stillen Zuversicht und Präsenz zu zehren. So aber fiel Tatsuomi auf sich selbst zurück. ~@~ Katsumi strich sich über den schlohweißen Schopf und zupfte an den aufgefächerten Spitzenbesätzen der Ärmel seines Hemds herum. Yuugo unterdrückte einen sehnsüchtigen Seufzer. Seit Katsumi vom Familienunternehmen verbannt worden war, hatte er sich auch standhaft geweigert, ein entsprechendes Designerstück zu tragen. Da er aber seit Jahren nur noch derartig eingekleidet wurde, fiel die Auswahl unter den verbliebenen Kleidungsstücken spärlich aus. Heute trug er ein Piratenhemd aus weißem Spitzenstoff, eine Volantrüsche umspielte den tiefen V-Ausschnitt. Die körperbetont anliegende, satinschwarze Hose über den halbhohen Stiefeletten ließ ihn zerbrechlich, fast elfenhaft und dennoch distinguiert und unnahbar erscheinen. Yuugo schlüpfte aus seinem Sweat-Shirt und gürtete es sich um die Hüften. Er war sicher, dass Katsumi es im Laufe des Tages brauchen würde, wenn seine Kräfte nachließen und die Kälte in seine fragilen Glieder kroch. ~@~ Die beiden Lastwagen spien am Haupteingang des Yellow Submarine Besatzung und Material aus. Sämtliche Tiere traten mit Kenji an, während Schulkameraden von Yuugo, die als Security und Freiwillige volontierten, die Geräte ausluden. Natsumi, Maiko und Yohko befestigten in der Zwischenzeit die registrierten Namenslisten nach ihrer Vorspielzeit an einem großen Brett, verteilten Kopien an die Posten und neckten einander zum Munterwerden. Kouji tauschte sich mit dem Roadie der World of Music Magicians aus, diskutierte über die angelieferten Miet-Instrumente. Tatsuomi stromerte durch die Kuppelhalle, die nur von unzähligen, winzigen Birnchen in fremdartiges, warmes Licht getaucht wurde. Hier errichtete der Caterer sein Buffet, da krochen die Tiere, über Walkie Talkies in Kontakt, über den Boden, um Kabel zu verlegen, Webcams auszurichten, dort stellte man Stühle auf, hier eine Garderobe... aber nirgendwo wurde er gebraucht. Zu seiner Freude hatte er sich bereits im Mittelfeld auf der Bewerberliste gefunden. Katsumi hatte seine Nachmeldung also rechtzeitig platziert. Müßig schlenderte er zum Ausgang hinaus, als eine vertraute Gestalt über den schmalen Parkplatz fegte und elegant in einer Pirouette vor ihm zum Stehen kam. "Balu!!" Tatsuomi riss Balu in seiner Begeisterung fast von den Inlinern. "Hey, hey, ich freu mich ja auch, Sunny", zog dieser sich ein wenig zurück, setzte dann den Rucksack ab und schlüpfte in einfache Turnschuhe. "Wow, dass du auch hier bist!!" Tatsuomi zupfte an Balus übergroßem T-Shirt herum, strahlte ihn an. "Ich habe mich als Ordner gemeldet", gab Balu Auskunft und entschlüpfte Tatsuomis aufgedrehtem Zugriff. "Warum gehen wir nicht rein, ich hole mir den Button als Ordner, und du erklärst mir, was sonst noch so läuft?" "Klar!!" Tatsuomi zerrte Balu unbefangen am Handgelenk hinter sich in den Bauch des Yellow Submarine, erleichtert, endlich Ansprache gefunden zu haben. ~@~ Katsumi hatte den Löwenanteil der Arbeit nach der Registrierung der Bewerber übernommen, nämlich die Aufstellung und den Zeitplan. Es gab fertige Formationen, die aufspielen wollten, Solisten, die es zu kombinieren galt, Teilgruppen, die ergänzt werden mussten... eine schwierige Aufgabe, sollte doch Unfrieden umgangen werden. Weiterhin war das Echo auf die gesuchten Musiker unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen. Es gab kaum Interessenten für Bass oder Schlagzeug, die Lead-Gitarren und Rhythmus-Gitarren waren dagegen inflationär vorhanden. Nun, wenn sich gegen neun Uhr die Schleusen, respektive die Feuertüren öffneten, würden sich nach dem Filzen auf Aufnahmegeräte, Kameras, Fotoapparate und Mobiltelefone die Massen ergießen und ihre Fähigkeiten beweisen. ~@~ Kouji betrat die ausgeleuchtete Bühne und lächelte lasziv. "Guten Morgen", hauchte er in das Mikrophon, was ihm die ersten erstickten Seufzer bescherte. "Ich möchte euch für euer großes Interesse und so zahlreiches Erscheinen danken! Ich weiß eure Unterstützung sehr zu schätzen, besonders in diesen Zeiten. Heute werde ich hier meine Band aussuchen, die mich auf der anstehenden Tournee begleiten wird. Im Foyer habt ihr die Listen und den Zeitplan gesehen, daneben die Vertragsmuster. Wenn ihr unsicher seid, sprecht mit den Ordnern, sie helfen euch gerne weiter. Ohne weitere Präludien gehen wir nun zum musikalischen Teil über. Die Bühne gehört euch", raunte Kouji dunkel und schnurrend in das Mikrophon, bevor er unter frenetischem Beifall und abgedunkelten Scheinwerfern hinter der Bühne verschwand. Katsumi nickte der ersten Formation zu, die ein wenig verlegen die Bühne enterten und zunächst die Instrumente aufnahmen, sich kurz in die Notenblätter vertieften. Ein sanfter Gong übertönte das Rauschen der erregten Gespräche, dann begann das erste Vorspielen. ~@~ Katsumi ließ unauffällig und soweit die körperbetonte Beschaffenheit seines Hemds nachgab, die schmalen Schultern kreisen, drehte den Kopf ein wenig. Bereits zwei Stunden waren vergangen, seit er hier am Regiepult Platz genommen hatte, Kouji wie eine Nemesis hinter ihm auf und ab tigerte, während sich auf der Bühne die unterschiedlichsten Formationen ein Stelldichein gaben. Die Stimmung unter den Anwesenden war erstaunlich locker, auch wenn sich alle fünf Minuten die Qualität des immer gleichen Vortrags änderte. Freundlicher, ermutigender Applaus folgte jedem Auftritt. Gerade bestieg eine Band die Bühne, die offenbar Referenzen an Punkrock leisten wollte: zerrissene, hautenge Hosen unter Lederjacken und pfundweise Schwermetall. Katsumi warf einen Seitenblick auf Kouji, fragte sich, wie dessen empfindliches Gehör diesen Marathon bewältigte. Aber Koujis unnahbare Miene ließ keinen Schluss zu. Die Gruppe begann schnell, unkoordiniert und laut. Doch Kouji beugte sich nach vorne, einen fiebrigen Funken in den rätselhaften Augen. Eine Gänsehaut überzog Katsumis Rücken, er schauderte. Wieso konnte Kouji nicht weniger überwältigend in seiner Ausstrahlung sein? Kouji tippte das Mikrophon an. "Danke schön. Könnte die Bassistin noch mal ihren Part spielen?" Erstauntes Raunen in der Menge, auch auf der Bühne verdutzte Mienen. Die Bassistin, bereits zuvor Objekt von interessierten Blicken, nickte mit einem lässigen Lächeln. Und setzte solo zu einem erneuten Durchgang an. Katsumi, der erfahren genug war, seine Neugierde auf das Ende dieses Vortrags zu verschieben, lauschte ebenfalls konzentriert. "Wer ist das?", forschte Kouji nach, während sich die nächste Gruppe auf der Bühne breitmachte. "Hmmm", Katsumi studierte die Liste, "Ai Watson, Studentin." "Ich will sie sprechen." Katsumi nickte, winkte unauffällig Yuugo, der mit Natsumi den Bühnenabgang flankierte und für einen geordneten, fliegenden Wechsel sorgte. Wenig später betrat die junge Frau die Regiekabine. Sie war in zerrissene Bluejeans gekleidet, darüber ein weites Top unter einer Lederweste mit langen Fransen. Der Pony hing über Scheitel gekämmt bis zum Kinn, der Rest ihres Schädels war wie dichtes, blauschwarzes Fell gestutzt. Sie wirkte auf Kouji wie eine Reminiszenz an die 80er Jahre, einschließlich der großen, silbernen Creolen. "Ai Watson." Nach europäischer Sitte reichte sie ihm forsch die Hand, nicht unbedingt vor Ehrfurcht gelähmt. Kouji lächelte und stellte Katsumi vor. "Ich will gleich auf den Punkt kommen. Du bist bis jetzt die Beste im Bereich Bass. Wirst du ohne die Band spielen?" Ai grinste, enthüllte einen hellen Stern auf einem Schneidezahn. "Keine Frage! Wenn du damit leben kannst, dass ich mich auf der Bühne nicht zur Tussi degeneriere?" Katsumi unterdrückte ein Prusten. »Unglaublich, sie stellt Forderungen!« Kouji aber nickte geschäftsmäßig. "Show muss sein, aber mir geht es in erster Linie um Musik. Also, halte dich bitte zur Verfügung, vielleicht müssen wir bei den Solisten deine Fähigkeiten erproben." Ai nickte wieder, wobei die blauschwarze Ponysträhne wie ein Flügel schwang. "Übrigens, ich studiere Mathematik hier. Nur zur Info." Kouji zwinkerte. "Habe ich mir schon gedacht. Passt hervorragend zum Bass." Katsumi folgte dem Exkurs verwirrt, lächelte aber unverdrossen. Nun ja, den ersten Member hatte man schon. ~@~ Gegen Mittag verliefen sich die Bandformationen, das Buffet wurde mit Begeisterung in Anspruch genommen. Die Atmosphäre glich nun mehr einem sehr ausgedehnten Picknick, was viele an die üblichen Feierlichkeiten zum Kirschblütenfest erinnerte. Yuugo hatte sich ablösen lassen und lehnte nun hinter Katsumi, die Arme warm um dessen Hals geschlungen und tief vor dessen Bauchnabel verschränkt. Katsumi zappelte unruhig auf seinem Regiestuhl herum. Yuugos Nähe und seine Wärme wirkten wie Balsam, aber leider protestierte sein Körper gegen das pausenlose Verweilen auf dem Sessel. "Gleich ist Tatsu-chan dran", murmelte Kouji, und zum ersten Mal an diesem Tag wirkte er angegriffen. Befürchtete er, man würde ihm Vettern- bzw. Neffenwirtschaft anlasten? Oder ließ ihn seine strikte Trennung von Privatleben und Geschäft angesichts einer möglichen Zurückweisung Tatsuomis verzweifeln? Tatsuomi kletterte unbeeindruckt mit einer zusammengewürfelten Truppe auf die Bühne, nahm Platz. ~@~ Das Scheinwerferlicht blendete im ersten Moment stark, auch die gewaltige Hitzeentwicklung, die von den unzähligen Batterien an Leuchtkörpern ausging, war erdrückend. Den Vorteil der Beleuchtung erkannte Tatsuomi rasch: man sah die Menge vor der Bühne nicht detailliert, was Anflügen von Lampenfieber entgegenwirkte. Er hatte kurz vor dem Auftritt Kontakt zu seinen Mitspielern aufgenommen, die sich allesamt aus Schülern rekrutierten, die Solisten waren. Die Schlagstöcke verschmähend, die neben dem Schlagzeug lagen, fischte er Koujis aus der hinteren Hosentasche. Strich sich die honigblonde Mähne aus den Augen und spähte in Richtung Feuerschutztür, wo Balu seit dem Morgen den Einlass kontrollierte. »Hoffentlich hört er mich«, dachte Tatsuomi, von Adrenalinschüben angeheizt, »ich will, dass er mich hört!!« Tatsuomi studierte das Blatt vor sich, kannte es schon auswendig, hatten doch Katsumis flinke Helfer überall die Noten ausgehängt, um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Ein Trommelstock kreiste um seinen Finger, dann gab er mit einem Augenzwinkern den Takt vor. ~@~ Yuugo hob Katsumi kurzerhand aus dem Sessel, zog ihn eng an seine Brust. Katsumi stöhnte leise, als sich das Blut wieder in seinem verlängerten Rückgrat zu einer regeren Teilnahme am Kreislauf entschloss, verabscheute das gelähmte Prickeln in diversen Körperregionen. "Erklär mir doch, was ich tun muss, dann löse ich dich ab", lockte Yuugo hauchzart an Katsumis rechtem Ohr, blies einen glühenden Kuss auf das Ohrläppchen. Katsumi knurrte leise, suchte Koujis Reaktion besorgt. Er wollte sich keine Blöße geben, wollte belastbar sein, unermüdlich und energieberstend wie früher. Aber Kouji erwartete den Auftakt so angespannt, dass er ihr tete-a-tete nicht kommentierte. Yuugo, dem Katsumis Vorbehalte nicht fremd waren, liebkoste sanft die Haut unter den kurzen Rippen wechselseitig, richtete sich wieder auf. "Überleg es dir, Engelchen." Um dann, in die Stille vor dem ersten Takt zu wispern. "Du könntest auf meinem Schoß sitzen." ~@~ Tatsuomi ließ die Trommelstöcke wirbeln, fauchte, trieb den Rhythmus, feuerte, berannte die Bastion der Melodie. Setzte den ungezügelten, wilden Kontrapunkt zum Motiv. Vage bemerkte er, dass nach anfänglicher Anpassung die Leadgitarre ausscherte, nicht mehr folgen konnte, den Anweisungen auf dem Notenblatt zum Trotz. Doch er konnte nicht das Tempo drosseln, sich bescheiden, die Musik selbst forcierte den Gewaltakt. Tatsuomi schloss die Augen, ließ sich auf der Welle mittragen. ~@~ Balu lehnte am Türpfosten, während kleine Eruptionen seinen Leib erschütterten. Sein Unterbewusstsein registrierte ähnliche Reaktionen um ihn herum, aber er konnte sich nicht damit befassen. Tatsuomis Feuerwerk berührte ihn körperlich, ergriff ihn unmittelbar, direkt, explodierte in seinem Unterleib. Er fühlte, verstand, was ihn gefangen nahm. Keine Zeit für Furcht oder Skrupel. ~@~ Tatsuomi schmetterte auf das Becken, und Stille erstickte die Halle. Er wischte sich rasch über die Stirn, entfernte klebrige Strähnen aus den Augen. Die Ruhe danach traf ihn hart, ein absoluter Gegensatz zu den Emotionen zuvor. Zögerlich stolperte er hinter dem Schlagzeug hervor, als Koujis Stimme samtweich, fast zärtlich, in die Regie bat. ~@~ "Egal, was andere sagen mögen, er hat es!" Kouji schob einen Stapel Papier beiseite, kämmte heftig Strähnen hinter ein Ohr. Katsumi schüttelte die Gefühle ab, die noch immer unerwünschte Hormone in seinen Kreislauf pumpten. "Niemand wird das anzweifeln", besänftigte er Koujis Unsicherheit. "Wir wollen die Besten, und wen wundert's, wenn er dazugehört? Immerhin ist er ein Nanjou", bemerkte er dann mit einem Spritzer Sarkasmus. Kouji grinste spitzbübisch, streckte den Arm aus und zerwühlte Katsumis schlohweiße Mähne. "Ich dreh ihn durch den Wolf, wenn er seine übrigen Aufgaben vernachlässigt", verkündete er drohend, aber er konnte den Stolz in seiner Stimme nicht verhehlen. Tatsuomi platzte herein, Balu an der Hand hinter sich herziehend, ohne dessen leicht verlegene Miene zu beachten. "Du willst, dass ich in die engere Auswahl komme, Kouji?! Richtig?!" Koujis Gesicht gefror in Sekundenbruchteilen. "Möglicherweise. War nicht übel, aber es kommen ja noch jede Menge anderer." Tatsuomi, keineswegs gebremst in seiner Begeisterung, warf sich ungeniert mit einem Hechtsprung um Koujis Hals. "Wow!! Danke!!" "Runter!", zischte Kouji, weniger indigniert als verärgert über den Mangel an Souveränität und Haltung seines Neffen. "Und damit eins klar ist: du bist auf Abruf in der Nähe! Also keine Ausflüge, klar?!" Sein scharfer Blick sezierte nicht nur Tatsuomi, sondern auch Balu, der sich im Hintergrund gehalten hatte. "Aye aye, mon Capitaine!", salutierte Tatsuomi aufgekratzt, um wieder, Balu im Schlepptau, aus der Kabine zu stürzen. "Irgendwie ist er niedlich", kommentierte Yuugo schmunzelnd, "aber auch noch arg jung." Kouji gab einen gutturalen Seufzer von sich, der unverkleidet all die Sorgen der Eltern dieses Universums beinhaltete. ~@~ Takuto betrat leise den winzigen Salon, in dem das Frühstück serviert wurde. Auf einer antiken Anrichte warteten Geschirr und Nahrungsmittel. Umsichtig bediente er sich selbst, ließ sich dann von der energischen, jungen Frau mit Kaffee versorgen. Der Tag blinzelte wonnig durch die imitierten Butzenscheiben, verwandelte die malerische Altstadt in das Szenario eines Märchens. Takuto lächelte und löffelte einen zusätzlichen Zuckerwürfel in seinen Kaffee. ~@~ Tatsuomi hockte sich neben Ai auf die Balustrade, zog die Knie an und musterte die nächste Truppe. Ai, die neben ihm einen Teller vom Buffet balancierte, stopfte ihm ungefragt ein Sandwich in den Mund. "Hier, Kleiner. Siehst gar nicht wie ein Mittelschüler aus." Tatsuomi kaute und schluckte mühsam. "Eher wie ein Preisboxer", kam er scherzend Fragen über die Beschaffenheit seines Gesichts zuvor. Ai grinste zurück und zerpflückte ihr Sandwich in seine Bestandteile. "Sag ruhig, wenn ich dir auf die Nerven gehe, okay?" Tatsuomi grinste und nickte zu ihr herab. Obwohl sie mittelgroß war, überragte er sie um mindestens eine Haupteslänge. "Sind die Jungs nicht sauer, weil du nicht mit ihnen spielst?", erkundigte er sich neugierig. Ai zuckte mit den Schultern, lutschte an einem Salatblatt. "Kümmert mich nicht besonders, ehrlich gesagt. Ich bin bei denen gelandet, weil sonst keine Gruppe bereit war, mich mitmischen zu lassen." Tatsuomi zog fragend die Augenbrauen hoch, malmte nachdenklich. "Na ja, ich studiere Mathematik, liebe Blues und Hardrock und bin ein Bastard." Tatsuomi hustete Krümel, woraufhin Ai hilfreich seine Schulterblätter bearbeitete. "Und wer ist der hübsche Junge mit den Tattoos gewesen?" Sich räuspernd versuchte Tatsuomi, seiner Überraschung Herr zu werden. "Das ist mein Freund Balu, arbeitet in einem Waisenhaus als Erzieher. Aber was sollte die Bemerkung 'Bastard'??" Ai legte den Kopf schief und musterte Tatsuomi schmunzelnd. "Mein Vater ist ein Ami. Ich stamme nämlich aus Okinawa." Tatsuomis Miene blieb blank. "Und?" Ai lachte leise, legte ihm vertraulich und doch nachsichtig den Arm um die Schultern. "Du bist wirklich noch ein Küken, auch wenn man dir das nicht ansieht. Sieh mal, Tatsu-chan, ein Mischling zu sein mit einer allein erziehenden Mutter ist nicht gerade die Eintrittskarte in die Gesellschaft hier." Tatsuomi zog die Augenbrauen zusammen und blitzte aus seinen großen Augen. "Ich finde solche Vorurteile zum Kotzen! Solchen Schwachsinn können nur Dumpfbacken und Hohlbirnen verbreiten!" Ai grinste und strich ihm über eine Wange. "Kleiner, du bist wirklich süß! Aber nun verrate mir mal, wer dich so zugerichtet hat?" Tatsuomi schob behutsam ihren Arm von seinen Schultern, setzte sich aufrecht und beobachtete die ausgelassene Menge. "Ich hatte Ärger mit ein paar Schlägern." "Wegen dem Skandal um Kouji?" Tatsuomi nickte, das Gesicht undeutbar, die Augen starr geradeaus. "Er ist mein Onkel. Mein letzter Verwandter hier." "Verstehe", nickte Ai ruhig und stopfte sich Zwiebeln in den Mund. Tatsuomi blinzelte, erwachte aus seiner statuesquen Haltung und verfolgte die serielle Abarbeitung des Sandwichs. "Ähm... entschuldige, aber warum nimmst du es auseinander?" Ai grinste, die Lippen mit Soße verziert. "Ich will einfach jedes Detail für sich genießen!" ~@~ Natsumi reichte Kouji eine Cola, schob dann Maiko beiseite, die ihn noch immer verzaubert anhimmelte. "Setzt euch doch bitte! Unterhalten wir uns über das Logo. Seid ihr mit den Vertragsentwürfen einverstanden?" Kouji wies auf zwei Stühle, lächelte einladend. Natsumi platzierte die versunkene Freundin neben sich, nahm dann zur Nervenzehrung einen Schokokeks. "Sind Sie..." Kouji unterbrach mit einer leichten Handbewegung, nonchalant, souverän. "Bitte, wir können ruhig weniger förmlich sein." "Na gut", Natsumi grinste ein wenig nervös, "bist du mit unseren Bedingungen einverstanden?" "Überall den Namen der Künstlerin aufzuführen, wo das Logo erscheint? Selbstverständlich. Aber ihr wollt keine Tantiemen? Oder die Rechte verkaufen?" "Niemals", hauchte Maiko anbetend, flatterte heftig mit den Wimpern. Natsumi rammte ihr ohne viel Federlesens den Ellenbogen in die Rippen. "Autsch!" Ein wütender Blick streifte den blauen Pagenschnitt strafend. Kouji schmunzelte hinter vorgehaltener Hand. "Nun gut, wir können gleich hier unterschreiben, oder ihr nehmt eine Ausfertigung mit, prüft sie und wir verabreden einen Termin." Natsumi warf einen Blick auf Maiko, die nun sehr viel aufmerksamer neben ihr saß, auf der vorderen Kante des Stuhls herumhippelte. "Ich denke, wir schließen es jetzt ab", übernahm Natsumi wie gewohnt die Gesprächsführung, reichte Maiko einen Kugelschreiber. Maiko setzte ihre Namenszeichen unter beide Ausfertigungen, lächelte Kouji schmelzend an. "Ich werde es rahmen lassen und an die Wand hängen", vertraute sie ihm schmachtend an. Natsumi verdrehte die Augen und reichte eine Klarsichthülle zum Transport des Heiligtums. Kouji lächelte, als Katsumi ihn antippte. "Die nächste Formation läuft auf." Kouji nickte knapp, lud mit der gleichen Grazie die beiden jungen Frauen ein, ihnen trotz der Enge Gesellschaft zu leisten in der Regiekabine. ~@~ Auf der Bühne trat eine weitere zum Vorspielen zusammengewürfelte Gruppe zusammen, mit dem Vorteil eines optischen Hinguckers. Die beiden Jungen in identischen Schuluniformen, die zu Rhythmus- und Leadgitarre griffen, ähnelten einander wie ein Ei dem anderen. "Zwillinge", murmelte Maiko beiläufig. Ein Riese am Keyboard zählte an, und man legte los... der Bass verlor den Faden, das Schlagzeug war zu schnell.. eine Kakophonie, die anderen Vorträgen nicht wesentlich nachstand. Das Zwillingspärchen legte sich ins Zeug. Rücken an Rücken, gut aufeinander abgestimmt, versuchten sie, die Melodie zusammenzuhalten. "Die sind interessant." Katsumi notierte sich einen Hinweis. Durch das Überangebot an Gitarren hatten sie zwar viel Masse, aber Koujis Vorgaben sortierten aus, wer ein paar Akkorde unfallfrei beherrschte, oder wer bereits über weitflächige Erfahrung verfügte. "Klassische Gitarre", tippte Kouji, das Kinn anmutig auf seiner Prothese abgestützt. "Ich lasse sie mal eintragen", tat Katsumi kund und überließ Yuugo, der mit stetem Lächeln penetrant seine Ablösung angestrebt hatte, den Regiestuhl. "Engelchen, könntest du auch beim Buffet mal die Reste inspizieren?" Katsumi brummte Unverständliches, ziepte rasch an Yuugos langen Haaren und rauschte dann steifgliedrig hinaus. ~@~ "Gar nicht übel, die beiden!" Ai stieß Tatsuomi an, der sich den Nacken verrenkte, um Balu in der Feuerschutztür zu erblicken. "Hm?" Tatsuomi musterte die beiden sehnigen Jungen in ihrer Schuluniform, die Haare sorgfältig gescheitelt, die Gesichter rosig angesichts des Ordners, der sie herunterwinkte. "Ist das nicht eine dieser privaten Elite-Schulen?", wunderte er sich laut. "Denke ich auch", stimmte ihm Ai zu, "ich gehe jede Wette ein, die haben ihren Unterricht heute geschwänzt." Tatsuomi grinste unter seinen honigblonden Strähnen. "Was man wieder Koujis verheerendem Einfluss auf die japanische Jugend zuschreiben wird", kommentierte er mit spitzem Unterton. Ai nickte beiläufig, nuckelte an einem Milchshake. "Alles eine Frage der Prioritäten", brummte sie gelassen, um sich dann abrupt aufzusetzen. Tatsuomi folgte ihrem interessierten Blick in den Saal. Dort sollte sich nun ein reiner Solistentrupp auf die Bühne wagen, es schien jedoch zu Unstimmigkeiten gekommen zu sein. Bereits im Laufe des Tages hatten einige ihre Anmeldung zurückgenommen, sodass Katsumi ständig damit beschäftigt war, die Lücken zu füllen. Hier schien es sich jedoch anders zu verhalten. Die vier anderen hatten sich wie eine Front aufgebaut, ihnen gegenüber eine Schülerin. In eine Schuluniform gezwängt, von barockem Format, die Schultern herabhängend stand sie einfach da. Schulterlange, strähnige Haare verdeckten das Gesicht. "Ich glaube, die wollen die Venus nicht mitspielen lassen", brummte Ai und rutschte von ihrem exponierten Plätzchen herunter. Tatsuomi folgte ihr ohne zu zögern, bemerkte dabei überrascht, wie problemlos Ai durch die Menschenmenge pflügte, sich nicht einmal nach ihm umsah. Auch Katsumi hatte aus der Regiekabine die Unstimmigkeiten erspäht und mühte sich nun, unpassenderweise mit der Ausbeute seines Streifzugs über das Buffet bestückt, zum Zentrum vorzudringen. "Bitte, geht auf die Bühne, sonst kommen wir mit dem Zeitplan in Verzug", beschränkte sich Katsumi auf eine freundliche Aufforderung, aber die Sprecherin des Quartetts schüttelte nachdrücklich den Kopf. "Wir möchten zu viert auftreten", erklärte sie kategorisch. Katsumi, dem sich vor Hunger bald die Haare kringelten, atmete tief durch und machte sich auf eine längere Diskussion gefasst, als ihm unerwartet Ai zuvor kam. "Geht nur, wir werden mit dem Keyboard eine Extra-Schicht einlegen." Katsumi und Tatsuomi starrten sie an, aber dann gab Katsumi mit einem leichten Nicken seine Zustimmung, während er gleichzeitig seine appetitliche Last ausbalancierte. Ai nutzte die Gelegenheit, sich direkt vor dem Mädchen aufzubauen und sich vorzubeugen, um einen Blick unter den Pony zu wagen. "Hi, ich bin Ai, das ist Tatsuomi, und Katsumi ist der Manager von Kouji. Und wie heißt du?" Die schwarzen Strähnen wehten kurz hoch, aber es kam kein Laut. "Ähm, du bist doch Keyboard, oder?", versuchte Ai den nächsten Anlauf in Richtung Konversation. Vages Beben, das man als marginale Zustimmung werten konnte. Auf der Bühne startete die Vierer-Combo nun ihre Version, während Katsumi sich plötzlich von vertrauter Wärme umfangen fühlte. "Probleme?", erkundigte sich Yuugo mit sanft-schnurrender Stimme. "Nicht wirklich", murmelte Katsumi und hoffte, es möge ihm kein sehnsüchtiger Seufzer entschlüpfen. Pflichtbewusst straffte er seine zierliche Gestalt und drückte Yuugo bestimmt die Reste des Buffets in die Hände. "Tatsu-chan, komm mit hoch, ich suche euch einen Termin im Ablauf." Sprachs, drehte sich auf den Absätzen herum und spazierte mit energisch gerecktem Kinn durch die Menge zur Regiekabine zurück. Yuugo stopfte sich ein Sandwich in den Mund und forderte Tatsuomi mit einer einladenden Kopfbewegung auf, die Eskorte zu bilden. ~@~ "M.A. meldet einen Abschmierer", verkündete Natsumi mit verwirrtem Blick. Kouji hatte die jungen Frauen kurzerhand gebeten, sich der korrekten Gestaltung des Logos in all seinen Erscheinungsformen zu widmen, was mit einem Sitzplatz am Laptop einherging. Und dieser sammelte auch die Meldungen der Tiere. "S.T., Cluster hält." "M.C., kein Vorhang." "G.W., Abwehr, schaltet Partisanen ein." "M.C., Hot Squad kontaktieren." Natsumi seufzte und strich gedankenverloren durch Maikos feuermelderrote Mähne. "Ich verstehe kein Wort." "Yohko hängt in den Katakomben herum, frag sie", gab Maiko, eifrig zeichnend, zurück. Kouji, der dem Disput nur beiläufig seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte, reichte ein Walkie Talkie herüber, ohne den Blick von der Bühne zu wenden. "Yohko? Kannst du mich hören? Wie funktioniert dieses Ding..." Natsumi fluchte unter ihrem Atem über die Technik. "Natsumi? Bist du das?" "Oh, Yohko!! Puh... sag mal, hast du einen Überblick über die Konversation der Tiere??" Statisches Knacken. "Ja. Warum?" Natsumi zog tief verbrauchte Luft ein, bevor sie hervorstieß. "Was zum Geier heißt das alles?? Die ganze Zeit war es ruhig!!" "Bleib dran, ich frage nach." Wieder Knacken und Rauschen. "Natsumi? Ich erkläre jetzt mal. Also, Massive Attack hat einen defekten Computer. System Terror sagt, der Cluster steckt das weg. Mission Control lässt die Web-Übertragung weiterlaufen. Gates Waterloo meldet Widerstand bei Systemverbesserungen, er holt Verstärkung, woraufhin Mission Control Spezialisten vorschlägt." Natsumi blinzelte. "Bist du sicher, dass wir von derselben Sache sprechen?", wagte sie einen Vorstoß, um Yohkos warmes Lachen zu hören. "Was für Systemverbesserungen?? Wer ist Mission Control??" Yohko kicherte nun köstlich amüsiert, was zwar die Spannung löste, aber Natsumi nicht weiter half. "Okay, Systemverbesserungen... sind gewisse Änderungen auf bestimmten Homepages... alles klar? Und Mission Control ist mein Schatz hier." "Aha", echote Natsumi, die vage eine Vorstellung davon entwickelte, was passieren konnte, wenn man sich mit den Tieren anlegte. Katsumi betrat in diesem Unheil schwangeren Augenblick die Regiekabine wieder, in seinem Gefolge Yuugo und Tatsuomi. Bevor Katsumi sich wieder auf seinem Stuhl niederlassen konnte, war Yuugo an ihm vorbei geschlüpft und hatte sich hineinfallen lassen, mit einem unzweideutigen Grinsen. Katsumi zog die feingeschwungenen Augenbrauen zusammen, setzte sich dann anmutig auf Yuugos Schoß, um diesen nicht weiter zu beachten, sondern die handschriftlich überarbeiteten Set-Listen zu prüfen. "Hmmm... als Keyboard war eine Rose Himaru gemeldet. Am Schluss könnten wir noch ein Rehearsal dranhängen", offerierte er kritisch. Kouji beugte sich herüber und überflog den Stoß Papiere. "Ärger?" "Sie wollten nicht mit der Schülerin da spielen", erläuterte Katsumi knapp, wies in den Saal, um dann an einem Reisbällchen zu kauen, das Yuugo blitzartig in seinen Mund geschoben hatte. Kouji zuckte mit den Achseln, noch immer im höchsten Maß konzentriert. Katsumi rutschte auf Yuugos Oberschenkeln näher an dessen warmen Oberkörper heran, ließ den Kopf auf eine Schulter sinken. Yuugo zerlegte die nährreiche Ausbeute in mundliche Stücke, während er mit den Füßen den Sessel in eine leichte Drehung versetzte, um Katsumi eine angenehmere Blickrichtung zur Bühne zu ermöglichen. "Ich gebe es weiter", murmelte Tatsuomi und verließ die Kabine leise. Eine heftige Welle von Wehmut wogte in ihm auf, aber ohne ein Ziel. Oder eine Perspektive. ~@~ Hotsuma richtete sich auf und rieb sich mit leisem Stöhnen den Rücken in Taillenhöhe. In der Ferne konnte er die schweren Strahlen der Sonne sich färben sehen, rotgolden spiegelte sie sich in einer Reflexion des fernen Meers. Seit dem frühen Morgen hatte er das Dach beschritten, Schindeln befestigt, beschädigte überprüft und Regenrinnen kontrolliert. Er fühlte sich trotz der körperlichen Erschöpfung herrlich. ~@~ Tatsuomi sah sich suchend in der Menge um. Trotz seiner relativen Größe konnte er Ai und Rose nicht entdecken. Erst als er sich an ihren Logenplatz auf der Balustrade erinnerte, fand er die beiden wieder, die regungslos nebeneinander saßen und dem Wechsel auf der Bühne folgten. Aber in seiner gegenwärtigen Gefühlslage, die ihn vollkommen verwirrte, so gewaltig und diffus zugleich, wollte er sich nicht zu ihnen gesellen. Stattdessen schob er sich zu Balu an die Feuerschutztüren durch. Dieser unterhielt sich gerade mit einer adrett zurechtgemachten jungen Frau, die bewundernd über seine Arme strich, die Tätowierungen nachzeichnete. Tatsuomi verspürte einen Anflug von Eifersucht und Verärgerung, weil Balu ihm nicht uneingeschränkt zur Verfügung stand. Dieser Gedanke ließ ihn erstarren. »Denke ich wirklich immer nur selbstbezogen? Bin ich nicht mehr als ein erbärmlicher Egoist, der nichts mit sich anzufangen weiß?« Tatsuomi stürzte ohne ein Wort an Balu vorbei ins Freie. ~@~ Kouji betrachtete die Liste mit unbewegtem Gesicht, während er gleichzeitig den neuesten Statusmeldungen von Katsumi lauschte. Anfänglich waren die Zugriffe auf ihren Server, der online die Auswahl übertrug, so massiv und zahlreich gewesen, dass man trotz subversiver Aktionen der Tiere an die Kapazitätsgrenze gelangt war. Mit dem Verlauf des Tages hatte sich die Euphorie gelegt, dennoch verfolgte eine unerwartet hohe Anzahl die Veranstaltung weiterhin. Zahllose Reaktionen trudelten ein, das Gästebuch ihrer Homepage quoll über. Die Tiere hatten in ihrer Guerilla-Truppe verschiedene Medien entdeckt, die online-Bilder und seinen eigenen Auftritt übernommen hatten und sich damit Vorteile erschleichen wollten. Nun, dieses Treffen galt den Fans, den Fanclubs, nicht den Medienvertretern, die gerne zuschauen aber nicht mitmischen sollten, hatten sich die Partisanen gedacht und Störmanöver gefahren. Was zu größerer Aufregung geführt hatte, aber Kouji vertraute darauf, dass man keine Spuren finden würde. Die geplante Tournee, nur durch seine finanziellen Mittel, gänzlich ohne Sponsoren abgesichert, war bereits ausverkauft, auch wenn er nicht einmal eine Band vorweisen konnte. Die Karten, die online gekauft werden konnten, waren noch nicht gedruckt, aber er hatte bereits mit den zehn Auftritten einen gewaltigen Gewinn eingefahren. Der es ermöglichen würde, den Geschäftsbetrieb mit einem ausreichenden Eigenkapital zu starten. "Katsumi, wir werden einen Buchhalter brauchen." Katsumi, der sich auf den Auftritt konzentrierte, auch wenn die Disharmonie ihm körperliches Unbehagen bereitete, sah auf. "Vorschläge?", hakte Kouji nach, notierte auf der Liste Anmerkungen. "Ich werde mich umhören", versprach Katsumi zögerlich, hatte diese Art von Personal doch immer im Familienbetrieb rekrutiert werden können. Er spürte Yuugos Finger, die bestätigend warm über seine Rippen, seinen flachen Bauch wanderten, glühende Spuren auf den empfindsamen Nerven hinterließen. Katsumi lächelte und blies sanft in die fransigen Strähnen, die Yuugos Gesicht einrahmten, schmiegte sich dann ungeachtet aller möglichen Zeugen an dessen Leib. ~@~ Balu überblickte das Gewimmel an Menschen, die auf dem Vorplatz Luft schnappten oder die sommerliche Abendluft genossen. Tatsuomi sollte eigentlich leicht zu erkennen sein: honigblondes Haar, fast 1,80m groß... aber dennoch hielt er vergebens Ausschau. Eine Reflexion auf dem Dach einer der gemieteten LKWs weckte sein Interesse. Kurzentschlossen kletterte er über die Fahrerkabine hinauf, um dort, flach ausgestreckt, Tatsuomi zu finden. "Hey, Sunny, was treibst du denn hier oben? Höhenluft tanken?" Tatsuomi, die Augen geschlossen, rührte sich nicht. Lediglich das leichte Flattern seines T-Shirts, das sich mit jedem Atemzug von seinen Bauchnabel entfernte, um diesen erneut schamhaft zu verbergen, kündete von Leben. Balu ging in die Hocke, legte eine Hand flach auf Tatsuomis Brust, spürte den Herzschlag ruhig, kräftig gegen seine Handfläche tanzen. "Lampenfieber ist es nicht, oder?", versuchte er dem Jüngeren eine Reaktion zu entlocken, betrachtete melancholisch die feinen Gesichtszüge, die verblassenden Spuren der Misshandlungen. "Balu?" Tatsuomis Stimme war rau, tief, als habe sie sich aus Abgründen in die Höhe gekämpft. "Bin ich selbstsüchtig?" Balu strich sich mit der freien Hand über die schwarzen Stoppel, suchte zu ergründen, was diese Frage bewogen haben mochte. "Nicht mehr als jeder andere auch", gab er behutsam zurück. Für eine Weile dehnte sich das Schweigen zwischen ihnen ungehindert aus, ein unwirklicher Kontrast im allgemeinen Stimmengewirr. "Ich möchte mit dem Wind um die Wette laufen", flüsterte Tatsuomi leidenschaftlich. Seine getuschten Augenbrauen zogen sich angestrengt zusammen. Balu schmunzelte, strich Tatsuomi verwehte Strähnen aus dem Gesicht. "Das werden wir. Aber zuerst musst du mit mir reingehen und dich der Endauswahl stellen." Tatsuomi schlug die Augen auf und lächelte schief. "Auf Ehrenwort?" Balu legte sich die rechte Hand auf das Herz. "Ich schwöre es." Getröstet ließ sich Tatsuomi auf die Beine helfen. »Eine Perspektive. Hoffnung.« ~@~ Kouji fächerte die Blätter auf, sortierte heraus, was bestimmte Markierungen enthielt. »Noch ein Vorauftritt, und dann...«, musste in einer halben Stunde entschieden werden, wer seine Band verkörpern würde. Die letzte Formation war von Katsumi nachgetragen worden und enthielt zwei seiner Bandmitglieder in spe. Kouji räkelte sich anmutig und beobachtete das Defilee. ~@~ Tatsuomi verließ Balu am Rand der Bühne und kletterte eilig hinter Ai und Rose hoch, warf fragenden Blicke in die Runde. Percussions, Bass und Keyboard... das würde wohl kaum den Vorgaben gerecht, auch wenn Ai und er selbst schon die innere Auswahl erreicht und keine Konkurrenz zu fürchten hatten. Ai hängte sich ihren Bass um, stöpselte den Verstärker an und klärte den Ablauf kurz und bündig. "Rose, du musst den Melodielauf übernehmen, so weit möglich. Mehr können wir nicht tun." Rose, noch immer unsichtbar hinter ihrem fettigen Haarvorhang, nickte kurz, streifte dann das enge Oberteil ihrer Schuluniform ab, um in einem nicht weniger unpassenden Hemd hinter das Keyboard zu treten. "Ich gebe vor!", brachte sich Tatsuomi ein und schlug die Trommelstöcke aneinander. Einen Takt später folgte der Bass, dann fand sich das Keyboard in der Melodie ein. Und, vollkommen überraschend für Tatsuomi, Ai und auch den gesamten Saal, sang Rose den Part der Leadgitarre. ~@~ Kapitel 11 - Die Band Kouji kam in die Höhe, die behandschuhten Hände auf das Regiepult gestützt. Das undefinierbare Wesen sang. Ohne Worte, lediglich Tonfolgen, Läufe, eine beschlagene Stimme, wie Metall galvanisiert und doch rein und sicher. Eine Stimme, die nicht der Mode folgte, niemals seicht werden konnte, zu viel Tiefe, Erkenntnis enthielt. »Blues wäre ihre Heimat«, befand Kouji ruhig. Es war nicht das richtige Stück für sie, aber das konnte man ändern. ~@~ Tatsuomi beendete seinen Part mit einem Beckenschlag, erhob sich dann langsam. Auch Ai schien erst eine seltsame Befangenheit abschütteln zu müssen, vielleicht auch die Verlegenheit, aus einer mildtätigen Gefälligkeit heraus unerwartet an einer besonderen Gabe teilhaben zu können. Rose dagegen trat mit herab sackenden Schultern hinter dem Keyboard hervor, schlüpfte plump in die verschwitzte Jacke und kletterte die Leiter hinab. Wenn sie das Spalier registrierte, das sich vor ihr auftat, so zeigte sie keinerlei Regung. Tatsuomi suchte Ais Blick, hechtete dann eilig hinter Rose her. "Hey, Rose, warte mal!! Geh noch nicht weg, die Entscheidung steht doch noch aus!" Tatsächlich blieb Rose stehen, zuckte mit den Achseln und flüsterte etwas Unverständliches. Tatsuomi huschte um sie herum, ging vor ihr in die Hocke und griff kurzerhand nach den erstaunlich zarten Händen. "Ich habe so ein Gefühl, dass er dich nimmt!! Willst du denn nicht mitmachen? Hmmm?!" Unter den langen Haaren bemerkte er, dass sich die Wimpern verfingen, er Blickkontakt hatte. "Gib uns eine Chance, ja?", drängelte er in kindlichem Ton, lächelte sie dabei gewinnend an. "'kay", hauchte es leise. Und Tatsuomi nutzte dieses Zugeständnis, um Rose hinter sich her auf die Balustrade zu ziehen. ~@~ "Was meinst du?" Katsumi sah prüfend in Koujis Augen, suchte in ihnen Bestätigung. Kouji strich sich kokett lackschwarze Strähnen hinter die Ohren. "Gut geraten, Manager", griente er dann gönnerhaft und klopfte Katsumi auf die Schulter, der sofort zu einer empörten Replik ansetzen wollte, aber von Kouji mit einen einfachen Handgriff daran gehindert wurde. Kouji schob die Hand unter Katsumis spitzes Kinn, hob es an und lächelte warm. Dieses seltene, beseelte Lächeln, das üblicherweise nur in Erscheinung trat, wenn Takuto bei ihm war, sprühend vor Vitalität und Glück. Katsumi erwiderte die Vertraulichkeit reflexartig ebenso schweigend und behutsam. "Also, sammle mal die versprengten Bandmitglieder ein, ich will mich mit ihnen unterhalten", wies Kouji wieder geschäftsmäßig an, kramte in einem weiteren Bündel Noten herum. "M.C., hier Nanjou!", meldete er sich am Walkie Talkie. "Special Announcement in 15 Minuten, Ergebnis und Premiere. Verstärkter Zugriff zu erwarten. Mitschnitt. Spione entfernen." Bestätigendes, leicht überraschendes Grunzen auf der anderen Seite, aber Kouji hatte seine Aufmerksamkeit bereits der Beleuchtung zugewandt. Natsumi und Maiko erboten sich, die verstreuten Bandmitglieder einzusammeln. Maiko hatte als erste Erfolg, schob die beiden Gitarristen in den winzigen Raum. Diese verneigten sich respektvoll und stellten sich vor. "Himugawa, Junichi und Kazuhiro." Einer trat vor, schlug sich sachte auf die Brust und erklärte: "Jun", wies dann auf seinen Bruder, "Kaz." Beide grinsten spitzbübisch: "Die JunKaz." Kouji nickte gravitätisch und kam gleich zur Sache. "Ich möchte euch in meiner Band haben. Vertrag, Tourneedaten etc. hingen aus. Seit ihr einverstanden? Würden eure Eltern zustimmen?" Jun, nicht von seinem Bruder zu unterscheiden, trat vor, lächelte gewinnend. "Das ist wirklich eine große Ehre, Nanjou-sama. Da unsere Eltern ein halbes Jahr in Europa sind, können wir leider ihr Einverständnis nicht einholen, da wäre die Konzertreihe beendet." "Daher, Nanjou-sama, muss wohl unser Wort und Unterschrift genügen", ergänzte Kaz. Wieder blitzte das verschwörerische Grinsen auf. Kouji wischte sich lästige Strähnen aus den Augen, legte den Kopf schief. "Erstens, nennt mich Kouji, zweitens halte ich das für eine sehr vielversprechende Ausgangslage", funkelte er Zähne starrend. Natsumi schob in den dicht bevölkerten Raum Tatsuomi und Rose hinein, während Ai lässig hinter ihnen hereinspazierte. Kouji übernahm sofort die Initiative. "Okay, ihr seid die erste Wahl für meine Band. Wenn ihr die Aushänge gesehen habt, wisst ihr, was euch erwartet. Einwände?" Ai signalisierte Daumen hoch, Tatsuomi grinste breit, aber Rose gab keine sichtbare Reaktion von sich. Kouji ging zum Frontalangriff über, drückte jedem einen Stapel Blätter in die Hände, baute sich aber direkt vor Rose auf. "Was denkst du, kannst du das spielen?" Mit angehaltenem Atem wartete man auf die Antwort. Rose blies in die fettigen Strähnen, studierte ihre Unterlagen konzentriert. "Kein Gesang", stellte sie kaum hörbar fest. Kouji nickte und zauberte ein selbstzufriedenes Lächeln auf seine Lippen. "Nein, es gibt keinen Gesang. Was ich möchte, ist, dieses Stück als Premiere in einer Viertelstunde vorspielen. Denkt ihr, dass ihr das bewältigt?" Ai räusperte sich. "Und der Titel des Lieds?" Kouji lehnte sich anmutig auf das Regiepult, strich sich katzenhaft durch die lackschwarzen Haare. Ein bezeichnendes Funkeln ließ seine abgründigen Augen erglühen. "Es heißt... Rankou [Orgy]", schnurrte er samtig. ~@~ Die Halle füllte sich nun wieder rasch. Man hatte in Windeseile verbreitet, dass die Besetzung für Koujis Band stehen würde, was sicherlich einen Auftritt von ihm nach sich zog. Also drängte man sich dicht an dicht, ob nun erwählt oder mit freundlichem Applaus verabschiedet, das spielte keine Rolle mehr, denn er, der skandalumwitterte, wilde, ungezügelte Kouji würde erneut ein Statement live abgeben. Durch die Katakomben wanderte die Band Richtung Bühne, die vollkommen im Dunkeln lag, um die Überraschung, auch wenn es sich für die aufmerksamen Beobachter kaum mehr um eine handeln konnte, zu wahren. Kouji glättete müßig seinen Anzug, während er über das Walkie Talkie mit den Tieren konferierte. Er wusste, dass er sich blind auf Katsumis umsichtige und kundige Regie in Sachen Ausleuchtung verlassen konnte. Und Yuugo hatte eindeutige gezischte Anweisungen, kein Schäferstündchen einzulegen. Aber das gutmütige Blinzeln in den Augen des Jüngeren hatte ihm schon versichert, dass dieser ein ebenso großes Interesse an einem gelungenen Auftakt hatte wie er selbst. Die Tiere vermeldeten einen wahren Ansturm auf die Homepage des Labels, aber keine ernstzunehmenden, technischen Schwierigkeiten. Die Aufnahmebereitschaft bestand, Attacken oder Spione waren abgelenkt worden. Kouji lächelte raubtierhaft. ~@~ Auf der Bühne hatten sich alle inzwischen hinter ihren Instrumenten verschanzt, wechselten nervöse Blicke, hatten sie doch noch nie als Ensemble gespielt. Und auch nie zuvor das vorliegende Stück, aus dem Teile zum Vorspielen herausgelöst worden waren, die aber geschickt verborgen hatten, auf was man sich einließ. Tatsuomi schätzte die gesamte Dauer auf über 12 Minuten... sehr anstrengende Minuten. Seine Finger bogen sich krampfhaft um das schlanke Holz der Trommelstöcke, die sich vertraut in seine Handflächen fügten. Ai wiegte sich in festem Stand leicht vor und zurück, strich müßig mit der Linken über die Saiten, bereits in ihrem Part versunken. Die Junkaz standen einander gegenüber, als könnten sie mit Blicken in stummen Zwiegespräch das Einstimmen auf die Premiere vornehmen. Nun, Tatsuomi war nicht sicher, aber er wollte das nicht vollkommen ausschließen. Rose zeigte hinter dem Keyboard keinerlei Reaktion. Vollkommen ruhig hing der Haarvorhang vor ihrem Gesicht, das noch keiner zu sehen bekommen hatte. Kouji aktivierte das Mikro, schlängelte sich graziös durch Kabel, Verstärker, Lautsprecher, Instrumente und andere Teile der Peripherie. Genau zeitlich abgestimmt fing ihn ein Scheinwerfer mit kaltem, weißen Licht ein. Das aufgeregte Murmeln verstummte andächtig. Kouji strich sich anmutig durch die Haare. Legte den Kopf schief, als schmunzele er über die Verehrung, die ihn umgab. Leckte sich über die Lippen und hob das Mikro an. "Na, so was...so viel Versuchung in Reichweite", hauchte er schmachtend und maliziös zugleich. Vereinzeltes Gelächter aus dem Publikum, die Spannung löste sich, die Atmosphäre wurde vertraulicher, intimer. "Ich habe eine Wahl getroffen... eine schwierige Wahl... und ich möchte, dass ihr mit mir die Premiere eines neuen Stücks, rein instrumental, begeht." Koujis Stimme verlor die fast boshafte Leichtigkeit, wurde wärmer, intensiver. Seine Hand streckte sich nach der Menge aus. "Also", samtig, erotisierend vertraulich, "rückt näher, lauscht und haltet mir die Treue..." Der Scheinwerfer erlosch. Aus der Finsternis hauchte er: "...Rankou... Orgy..." Und Tatsuomi gab einen leichten, lebendigen Takt vor. Der Bass umschmeichelte den erregten Schritt, Lead und Rhythm summten eine Melodie, während das Keyboard tänzelnd die Leere wärmte. Schmiegte sich jedes Instrument harmonisch aneinander, im schnellem Reigen, so löste sich nun das Schlagzeug, rascher folgte jeder Schlag, wie ein Herz, das sich selbst überholte. Der Bass gab Kontra, zeitlich versetzt, trieb sich mit tiefen Akkorden direkt in den Magen, kribbelte, summte, vibrierte, erregte. Lead und Rhythm reizten einander mit mehrstimmigen Kaskaden und Verzierungen, übermütig, spielerisch, hungrig. Allein das Keyboard wahrte Haltung, schien abzuwarten, wie sich das Gewimmel entwickeln würde. Dunkler flogen die Töne, rapid steigerte sich ihre Dichte, forderten sie sich gegenseitig, drängten sich aneinander, um zu verlassen. Und rückkehrend noch intensiver den Diskurs zu suchen, sich zu liebkosen und zu reizen, zu umschlingen, ein Kampf, ein Wettstreit der Leidenschaften. Rose stieß unartikulierte Laute aus, rau, flehend, zurückweisend. Kouji, von dieser Initiative nicht verunsichert, antwortete dunkel, lockend, diabolisch. Mitleidlos, gierig steigerte sich das dichte Gewebe der Melodien, raste der Rhythmus. Schlugen unsichtbare Herzen hart aneinander, rieben sich Körper geschmeidig, unmissverständlich verbunden, seufzten sie, stöhnten sie, wanden sich verglühend. Ermattet summten sie, leise, zärtlich, neue Kräfte schöpfend, ineinander verschlungen, nun sanfter, aber nicht weniger zielstrebig, die Partner wechselnd. Flirtend hauchten sie einander zu, was sie bewegte, wortlos und dennoch eindeutig, mischten sich untereinander, streichelten Liebeswunden, leckten Salz und Tränen, feurig-süß und erinnerungsschwanger. Sammelten sich mutig, die Herzen zu bewegen. Ein Crescendo feuerwerksgleich, explodierte himmelstürmend, unisono mit Koujis Aufschrei "Rankooouuuuuuuuuuu!" ~@~ Tatsuomi krallte die Finger förmlich ineinander, weil sie zu stark zitterten, als dass er sie solitär halten wollte. Er war aufgewühlt, schweißgebadet und wollte bersten vor Energie. Nun konnte er verstehen, warum Takuto immer eine gewisse Unruhe an den Tag legte, wenn er Kouji nach einem Auftritt zurückerwartete. Hormonschübe feuerten die Endorphine in seinem Körper zu eifrigem Befruchten der Nerven an, trieben das Blut in seine Wangen, als er für einen Augenblick verräterische Reaktionen seines Körpers befürchtete. Ai schob Rose hinter die Bühne, während Jun und Kaz Arm in Arm folgten. Tatsuomi spürte eine vertraute, energiegeladene Hand in einem Lederhandschuh auf seiner Schulter. Ein kurzer Druck, Tatsuomi erhob sich ferngesteuert, tapste hinter den anderen her, drehte sich aber am Abgang der Bühne um. Kouji stand in blutrotem Scheinwerferlicht, verbeugte sich, fast spöttisch, den Kopf nicht förmlich gesenkt, sandte einen Kuss in die Menge. Und ein Orkan der Begeisterung brach los und bewies, dass die Wirkung auch das Publikum nicht verfehlt hatte. ~@~ Katsumi hatte die linke Hand so fest in Yuugos gepresst, dass diesem nun, als sich die Spannung abbaute, ein erleichterter Seufzer entfuhr. Schuldbewusst wandte sich Katsumi seinem jüngeren Freund zu, die Augen noch immer beschlagen von widersprüchlichen, schier überwältigenden Emotionen. Yuugo lächelte fahl. In seinem Kopf rauschte das Blut aufgepeitscht. Er schlang den freien Arm um Katsumis zerbrechliche Taille, hob diesen mit festem Griff auf die Zehenspitzen und forderte einen intimen Kuss. Beiläufig spürte er Katsumis erschrockenen Griff in sein T-Shirt, aber viel stärker nahm ihn die pochende Ader in Beschlag, die er in Katsumis Mund fand, die schüchterne Zunge vibrieren ließ. Es schien Yuugo, als müsse er bersten, wenn er sich nicht dieser Energie entledigte, die in ihm wütete, auch seinen Engel infiziert hatte. Katsumi gab leise und hingebungsvoll die zarten Geräusche der Lust, des Wohlbehagens von sich, die Yuugo bis in die Zehenspitzen elektrisierten. Das Übersteuern eines nicht abgestellten Mikrophons fauchte in seine Gedanken, bremste ihn, im Rausch dahinzugleiten, zu überwältigen. Widerstrebend gab er die verlockenden Lippen frei, drückte Katsumis Stirn in seine Halsbeuge, streichelte Verzeihung heischend über den fragilen Rücken, der unter seiner Liebkosung erzitterte. "Entschuldige, Engelchen", haspelte er heiser hervor, "aber das ist leider nicht der rechte Ort..." Katsumi stemmte die Handflächen gegen Yuugos Brustkorb, stieß sich langsam von ihm ab, schwer atmend, die Wangen entflammt. Für Augenblicke bestand ihre Wahrnehmung nur noch aus einander, den sich mischenden, entflohenen Atemzügen, mühsam gebändigtes Verlangen im Blick. Dann senkten sich Katsumis Lider herab, strich er sich fahrig wirre, schlohweiße Strähnen aus der feuchten Stirn. Yuugo stützte sich rechts und links neben Katsumis Oberschenkeln auf und blies sanft über dessen Gesicht. Leise hauchte er, "Engel... besorg mir einen Mitschnitt, ja?" Katsumi knurrte, schlug nach Yuugos Nase und kicherte dann atemlos. In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Regiekabine, und völlig paralysiert schoben sich die neuen Bandmitglieder in den winzigen Raum. Kouji bildete den krönenden Abschluss, den tänzelnden, siegessicheren Gang eines Freibeuters ausführend. "Nun, Band, wie wäre es mit einer Zugabe?" "Nicht 'Lullaby'!", stieß Katsumi mit überschlagender Stimme hervor. Kouji lehnte lässig in der Tür, die abgründigen Augen funkelten diabolisch. "Nein, ich dachte mehr an James Brown... Sex Machine..." ~@~ Als Tatsuomi gegen Sonntagmittag verschlafen das Tageslicht begrüßte, saß Kouji bereits mit Lesebrille bewaffnet seit geraumer Zeit an seinem Laptop. Hatte er zunächst nur grob die Eintragungen in das Gästebuch ihrer Homepage überflogen, musste nun in Windeseile die Tournee in trockene Tücher gebettet werden. Zwar hatte er Spielorte und Kartenvorverkauf bereits mit eigenen Mitteln bestritten, so blieb nun noch die Ausstaffierung seiner Band, die Unterbringung, das Proben aller Stücke.... Ganz zu schweigen von Neu-Arrangements, Konzert-Mitschnitten und hunderttausend weiteren Details. »Nun«, tröstete er sich diszipliniert, »ich habe eine Band, ich habe die notwendige Ausstattung, alles andere muss improvisiert werden!« "Morgen, Kouji", gähnte Tatsuomi und beugte sich wissbegierig über den Bildschirm. "Wie ist unsere Presse?", erkundigte er sich strahlend angesichts der Lobeshymnen, die auf dem Gästebuch den Speicher verschlangen. Kouji rieb sich die Nasenwurzel, legte den Kopf schief und kämmte mit der mechanischen Hand honigblonde Strähnen aus Tatsuomis Gesicht, das nunmehr ohne hässliche Spuren leuchtete. "Die Fans lieben uns, die Tiere haben Mühe, den Ansturm zu kontrollieren, die Fachpresse ist nicht ganz so positiv gestimmt." Er schob Tatsuomi, der sich nun mit nachlässiger Grazie auf einen freien Barhocker platzierte, einen Ausdruck einer Online-Rezension ihres Rehearsals zu. [Kouji Nanjou, dem skandalumwitterten Rocksänger der ehemaligen Band Kreuz muss das Wasser wirklich bis zum Hals stehen, wenn er mit einem öffentlichen Aufruf auf den Internet-Seiten seiner fanatischen Fans eine Begleit-Band zusammenstellen will. Denn ohne Support droht seiner eigenfinanzierten Tournee mit seinem Label das unweigerliche Aus und ihm die Versenkung. Und in der gewohnten Selbstüberhöhung lässt er das Vorspielen von Amateuren und Schulbands auch noch im Internet übertragen, als handele es sich um ein bedeutendes Ereignis. Sogar Ordner sind angeheuert worden, die die Teilnehmer auf Kameras und Aufnahmegeräte filzen. Nur damit Herr Nanjou exklusiv kurz nach dem letzten Auftritt sein neuestes "Werk" kostenlos als mp3 anbietet. Den ganzen Tag erträgt man also die traurigen Versuche von Laien, dann hat der Ex-Star seine Band ermittelt. Die auch flugs mit kurzen Biographien auf seiner Label-Internet-Seite erscheinen: Rhythm und Lead Zwillinge in Schuluniformen, Bass eine Mathematik-Studentin aus einer Punkband. Keyboard und Vocals eine Schülerin mit der Figur einer Dampfwalze und nicht zu vergessen den eigenen Neffen an den Drums. Na, das nennen wir exquisit! Wie Nanjou innerhalb einer Woche aus diesem traurigen Haufen eine Band formen will, ist uns ein Rätsel. Wir erwarten einen Reinfall, und dann werden ihm auch seine fleißigen Helferlein, die unsere Homepage attackiert haben, nicht mehr nützen!] Tatsuomi schnaubte wutentbrannt, aber bevor er seiner Empörung Luft machen konnte, klappte Kouji entschlossen den Laptop zu. "Sonnenschein, ich werde deine Hilfe brauchen. Katsumi wird mir Vorschläge für Kostüme skizzieren, die du bei ihm abholen müsstest. Ich werde versuchen, die Band zusammenzurufen, damit wir Maße nehmen können und proben. Bis dahin müssen natürlich alle Stücke stehen und die Noten vervielfältigt sein." Tatsuomi nickte Kouji zu, der ihn ernsthaft musterte. "Klar helfe ich dir." Sie glitten von den Barhockern, als Tatsuomi Kouji am Ellenbogen aufhielt. "Denkst du... schaffen wir es?" Koujis Lippen verzogen sich langsam zu einem haifischartigen Grinsen, dem keinerlei Wärme innewohnte. "Ich habe gar keinen Zweifel", gab er in arktischer Kälte zurück, während seine mysteriösen Augen Blitze sprühten. ~@~ Katsumi rieb sich nachdenklich das spitze Kinn und zerknüllte dann mit enttäuschtem Knurren das Blatt Papier, um es von der Matratze zu verstoßen. Einige der Skizzen hatten schon einen gewissen Reiz, eine Ahnung, aber entflammt hatte ihn noch keine seiner Kreationen, und das erwuchs sich zunehmend zu einer Belastung seiner Frusttoleranz. Yuugo räkelte sich hinter ihm, balancierte auf einer Seite, den Kopf mit den langen, schwarzen Haaren in fedrigem Schnitt auf eine Hand gestützt. Die andere befleißigte sich neckischer Spaziergänge unter die Rückenpartie von Katsumis Pyjama, liebkoste, zupfte, zeichnete Figuren, was ein wahres Wechselbad an Emotionen bei Katsumi auslöste. Mit einem gequälten Laut sackte er hintenüber, die Arme ausgebreitet wie ein Opfer, die großen Augen geschlossen. Er spürte die leichten Vibrationen, als sich Yuugo hinter ihm bewegte, die Matratze eindrückte, bis sich versengende Körperwärme über Katsumis Front senkte. Schatten dämpften das helle Licht der Strahler hinter Katsumis Augenlidern. Er seufzte unwillkürlich. "Engelchen", raunte Yuugo heiser, "eine Pause?" Yuugos Atem bestrich den Halsausschnitt des Pyjamas wie Wüstenwind, und Katsumis Herz schlug Kapriolen. Er wusste das er nicht nachgeben durfte, es sich auch nicht zumuten konnte, aber dennoch... »Einfach gewärmt zu werden, die steifen Glieder gelockert...« Yuugo entfernte sich von ihm. Katsumi fröstelte, obgleich die Zimmertemperatur angenehm sein musste. Sein Kopf sank tiefer in die gesteppten Polster, dann schlangen sich Yuugos Arme unter seine Achseln, er wurde behutsam und gleitend in eine sitzende Position gehoben, den Rücken an Yuugos breiter Brust geborgen. Katsumi lehnte den Kopf nach hinten, in die vertraute Region der Halsbeuge, atmete hungrig den Geruch ein, der der Haut und den langen Haaren entströmte. Yuugo hauchte einen flüchtigen, aber fiebrigen Kuss auf Katsumis Lippen, bevor er mit nachdrücklicher Kraft dessen zerbrechliche Glieder zu massieren begann, sich um ihn wand wie ein übergroßes Fell. Katsumi schnurrte förmlich vor Wohlbehagen und suchte nach Worten, seine Liebe auszudrücken. Denn instinktiv hatte Yuugo ihm nicht aufgebürdet, eine Zurückweisung aussprechen zu müssen, weil er in Zeitdruck war und sein Körper die sexuellen Ausschweifungen der vergangenen, recht kurzen Nacht nicht kompensieren konnte. "Mein Engel, du bist so verspannt, dass da ein Profi ran müsste!", murmelte Yuugo angestrengt, "unglaublich eigentlich!" Katsumi, die Anspielung durchaus erkennend, errötete sanft und schmiegte sich fester an den geliebten Freund. "Entschuldige! Ich bin einfach unzufrieden." Er seufzte steinerweichend, gestikulierte dann raumgreifend. "Ich habe eine Vorstellung davon, wie es aussehen soll, ein Gefühl..." Katsumi rang mit sich. "Weißt du, wie eine Vision, die perfekt ist. Das Problem ist nur... ich kann sie nicht in Bilder kleiden." Yuugo umarmte Katsumi von hinten liebevoll. "Das wird schon! Vielleicht strengst du dich zu sehr an? Komm, lass uns den Kühlschrank plündern und einen Brunch abhalten!" Katsumi sah sich einer Antwort ledig, da Yuugo bereits schwungvoll das Bett verließ, ohne ihn nur eine Sekunde lang vollkommen freizugeben. Der Fußboden glich einem Minenfeld aus zerknülltem Papier, Ausschnitten aus Modemagazinen, entfleuchten Buntstiften und allerlei weiterem Kleinkram. Yuugo ignorierte das Schlachtfeld der Kreativen unbeeindruckt, zog Katsumi fröhlich hinter sich her. Dieser konnte ein nachsichtiges Schmunzeln nicht unterdrücken. Solange Yuugo sich dem Essen widmen konnte, hielten seine Gelassenheit und Zuversicht an. Mit Nachdruck wurde er auf einen Barhocker gehoben, wie ein possierliches Haustier über den schlohweißen Scheitel gestreichelt. Durfte dann zwischen Belustigung und Indignation schwankend zusehen, wie Yuugo leise vor sich hin summend Nahrungsmittel aus dem Kühlschrank räumte. Als sich ein schier atemberaubender Berg auf der Anrichte türmte, der Katsumi zweifeln ließ, dass sie dies alles jemals gekauft hatten, schloss Yuugo zufrieden die schwere Tür. Wirbelte elastisch hin und her, um einen Brunch de luxe zu zaubern. Katsumi kehrte ihm den Rücken zu, ließ müßig die Beine baumeln und die Gedanken schweifen. Die Sommersonne spiegelte sich im Glas des übergroßen Porträts von Madoka, aber ihr sanftes Lächeln war nicht zu übertrumpfen. Er zwinkerte ihr verstohlen zu und blies einen Kuss in die Luft. Sie hätte Yuugo gemocht, dessen war er sich sicher. Yuugo umrundete mit einem dicht beladenen Tablett die Anrichte, schwankte summend zur Couch, wo er seine kostbare Last ablud und dann Katsumi heranwinkte. Während Katsumi heranschlenderte, die kleinen Hände auf dem Rücken verschränkt, bemühte Yuugo sich, die samtrote Kerze anzuzünden, die Yohko ihm empfohlen hatte wegen ihres sehr... anregenden Aromas. Yuugo nahm auf den Polstern der Couch Platz, die Beine zum Schneidersitz übereinander geschlagen. Katsumi beabsichtigte, sich sittsam neben ihn zu setzen, aber Yuugo hinderte ihn mit tadelndem Zungenschnalzen, schob kurzerhand seine Hände in Katsumis Kniekehlen. Rollte diesen mit entschlossenem Ruck auf den Rücken, um dann je ein Bein um die eigene Taille zu wickeln. Mit dem gleichen Geschick zog er Katsumi wieder hoch und nun bequem in das Nest, das seine eigenen Beine bildeten. Katsumi blinzelte, leicht errötet, die Arme noch immer Halt suchend um Yuugos Nacken geschlungen. "Und nun genießen!", kommandierte Yuugo mit spitzbübischem Grinsen, hielt Katsumi ein Schälchen mit leicht gesüßtem Tee an die Lippen. "Weckt die Lebensgeister", schmunzelte er, was ihm einen vorwurfsvollen Blick eintrug. Sie teilten sich ein krümeliges Croissant, dem das Aufwärmen nicht gerade bekommen war, aber die Schokoladenfüllung entschädigte ausreichend. Yuugo, der an einem Ende knusperte, fing mit einer Hand die Krümel auf, um diese dann an Katsumis Lippen zu führen, der sich mit Hingabe und Zungenspitze bediente, was Yuugo eine Kaskade leichter Seufzer entlockte. "Was wird..." Katsumi verstummte, als Yuugo das mit importiertem, süßen Senf pikant gewürzte Ei in seinen Mund schob. Vorsichtig biss er ab, verkostete den ungewöhnlichen Geschmack, sich Yuugos erwartungsvollem Blick durchaus bewusst. Yuugo hatte ein Faible für ausländisches Essen, ließ sich durch nichts abschrecken. Katsumi nickte leicht, zum Zeichen, dass es ihm schmeckte, was Yuugo veranlasste, den Rest des gekochten Eis im eigenen Mund zu versenken und Katsumis Haare zu streicheln. Wieder ein flüssiges Intermezzo, kalte Nudelsuppe mit Fischsoße veredelt. Zuvorkommend fädelte Yuugo die Nudeln auf, während Katsumi enger an ihn heranrutschte, fast seinen Leib berührte, die Arme eng um Yuugos Nacken geschlungen. Yuugo amüsierte sich damit, Katsumi zu füttern und dann zu versuchen, in artistischem Geschick die Nudelenden zu erhaschen, bevor dieser sie eingeschlürft hatte. Jeder Erfolg wurde mit einem innigen Kuss belohnt, und Katsumi ließ sich gern besiegen. Sie teilten sich die Brühe, um im Anschluss mit zärtlicher Zungengymnastik den Gaumen zu entspannen. Katsumi seufzte und vergrub den Kopf in Yuugos Halsbeuge. In seinem Körper brannte bereits wieder ein Feuer heftigen Verlangens, aber er konnte nicht nachgeben, was ihn verstimmte. Während er sich an Yuugos Körperwärme und seinem vertrauten Geruch schadlos hielt, streifte ihm dieser behutsam das Pyjama-Oberteil von den Schultern. Füllte dann eine entblößte Kuhle des fragilen Schlüsselbeins mit einer kühlen Creme. Katsumi keuchte, bog den Kopf weit in den Nacken, als Yuugos glühende Zunge die schwer duftende Speise aufnahm. Aber Yuugo hatte nicht vor, die gewonnene Beute solitär zu kosten. Er schmeichelte sich in Katsumis Mund, um mit ihm zu teilen. Eng aneinander geschmiegt erzitterte Katsumi unter dem Crescendo ihrer einstimmigen Herztöne, bohrte die Finger hart in Yuugos muskulösen Rücken. Die Schauer, die mit jedem Kuss einhergingen, schienen unerschöpflich und kräftezehrend in ihrer Vehemenz. "Bitte, Yuugo...", flehte Katsumi, ohne Gedanken, welchem Sehnen er den Vorzug geben sollte. Yuugo lachte leise, aufgeraut, an seiner Kehle, leckte das Schüsselbein sauber. "Wenn ich dich nicht haben kann...", flüsterte er heiser, in dem Vibrato, das Katsumis Unterleib in Ekstase versetzte. Katsumi spürte seinen vernunftbegründeten Widerstand dahinschmelzen, erkannte die mutwillige Stimmung, die Yuugo ausströmte wie eine Korona. Er musste ein Ende machen, sonst ... seine Wangen färbten sich in Erinnerung an die letzte Brunch-Orgie purpurrot. Zwölf Stunden, ein Schlachtfeld und drei Tage später Muskelkater in Körperregionen, die er nicht zu benennen wagte. Der unschuldige, sanftmütige Eindruck, den Yuugo gelegentlich auf Dritte machte, verbarg einen explosiven und sehr aufgeschlossenen Liebhaber mit überbordender Phantasie. Jetzt konnte ihn nur ein Frontalangriff davor bewahren, erneut in die Untiefen dieser sexuellen und sinnlichen Wonnen abzugleiten. Also biss er Yuugo fest ins Ohrläppchen, angelte betont gelassen nach einem Reiskuchen und murmelte, "weißt du, Kouji hatte Recht." Yuugo, sich die malträtierte Haut massierend, erjagte ein Stück Kuchen und kaute mit fragendem Gesicht. Katsumi grinste, hatte er doch das erotische Netz gesprengt, das Yuugo gesponnen hatte, strich diesem Fransen aus der Stirn und verkündete lächelnd, "dass du ein Spitzenkoch bist. Meine Nummer 1!!" Yuugo, obwohl vermutend, dass Kouji sich kaum über kulinarische Fertigkeiten ausgelassen hatte, strahlte geschmeichelt und leckte Katsumi über die vorwitzige Nase. Mit diesem Kompliment versöhnt ließ er sich auch beschmeicheln, Katsumis Arbeitsdrang den Vorzug zu geben. ~@~ Takuto lauschte dem gemächlichen Rattern der Räder auf dem Gleis, den gedämpften, nächtlichen Geräuschen. Er mochte die europäischen Züge, die ihre Vergangenheit als stählerne Dampfrosse mit gewaltiger Kraft nicht vollkommen verloren hatten. Sich tiefer in die abgenutzten Polster schmiegend beobachtete er schläfrig die vorbei gleitende Landschaft. Takuto freute sich auf seine erste Begegnung mit der Hauptstadt des fremden Landes. ~@~ Kouji überflog die Entwürfe von Katsumi, die Tatsuomi in Windeseile abgeliefert hatte. Während er mit konzentrierter Miene die Seiten mit dem Daumen flippen ließ, stieg er zu seinem Studio hinab, nach seinem Neffen zu sehen, der freiwillig dem Muskelkater trotzen und seine Parts proben wollte. Tatsuomi saß hinter der Schießbude, das T-Shirt hing verloren auf einem Mikrophonständer, während er mit nacktem Oberkörper Schweiß bedeckt Läufe und schnelle Rhythmuswechsel trainierte. Kouji schmunzelte, als er Katsumis Entwurf mit dem übereifrigen Jungen verglich. »Ja, in der Tat, das hat was...« ~@~ Hotsuma hatte gerade das Auskehren des Hofes beendet, als er Stimmen vernahm, die sich dem geschlungenen Weg des Doujou näherten. Was ihn daran erinnerte, dass er sich auch dieser Herausforderung aus Wildwuchs stellen musste. Er kontrollierte seine Bekleidung, eine einfache Hose und ein schlichtes Hemd in Schwarz, trat dann zum Eingang, um die Besucher angemessen zu empfangen. Zu seiner Verwunderung schien sich das halbe Dorf eingefunden zu haben. Eine wahre Prozession harrte geduldig aus. Gerade noch einen überraschten Ausruf erstickend schob er einladend die schweren Flügeltore auf, lud die Menschen ein, in das Haus einzutreten. Sie strömten leise schwatzend den Innenhof, wobei sich jeder mit einer Kleinigkeit bewaffnet hatte, als gelte es, ein Picknick auszurüsten. Und, wie Hotsuma verblüfft bemerkte, schien dies auch die Absicht zu sein. Erleichtert nickte er Gonzou zu, der sich neben ihn gesellte. "Gonzou, ich verstehe nicht ganz...?" Gonzou klopfte ihm beruhigend bodenständig auf die Schulter. "Keine Angst, Hotsuma, wir haben nur beschlossen, heute hier ein kleines Fest zu improvisieren. Und da ich allen erzählt habe, wie geschickt du den Doujou hergerichtet hast, wollen sie sich natürlich auch alles ansehen!" Nach einem wilden Zucken der buschigen Augenbrauen fügte er hinzu, "du verstehst sicher, dass in einer so übersichtlichen Gemeinschaft wie unserer jeder alles vom anderen weiß!" Hotsuma errötete leicht, aber in Gonzous Augen erkannte er den Scherz und atmete tief durch. Als sich endlich für alle ein angenehmes Plätzchen gefunden hatte und man gemeinsam verschiedene Laken als Sonnensegel aufgespannt hatte, begrüßte Hotsuma seine Besucher mit angemessenen Worten. Man reichte einander Speisen und Kleinkinder, schwatzte vergnügt und auch Hotsuma, der sich sorgte, ein guter Gastgeber zu sein im Rahmen seiner sehr begrenzten Möglichkeiten, entspannte sich und fühlte sich einbezogen. Gelegentlich wurde er gebeten, eine Führung durch die Räume zu machen, was ihm neben Lob auch viele Hinweise auf die Vergangenheit der Zimmer und ihre Ausstattung einbrachte. Als alle gesättigt und träge unter der warmen Sommerluft verweilten, wandte sich die gedämpfte Unterhaltung der Zukunft des Ortes zu. "Es ist traurig zu sehen, wie wenige wir geworden sind. Nur noch Alte und ganz Junge", bemerkte eine verwittert wirkende Frau mit Witwenbuckel, der sie zu ständigem Blick auf den Boden zwang. "Ja, die jungen Menschen drängen alle nach den Städten, aber ich bin nicht sicher, dass das Leben dort besser ist", bemerkte eine andere, die einen Säugling hätschelte. "Es ist so bunt, die Luft flirrt vor Geräuschen, alles ist dicht mit Menschen und der Verkehr ist mörderisch!", empörte sich eine andere, was durch den erbosten Tonfall zustimmendes Lachen auslöste. Ein Mann, den Hotsuma nur als "Vogelbruder" kannte, räusperte sich, was ihm die Aufmerksamkeit aller bescherte. Seine Stimme, vom Alter dünn und heiser gefärbt, wehte leicht in der lauen Luft. "Mein Sohn lebt in Kobe. Als ich ihn besuchte, eine sehr lange Reise, da sah ich die Stadt, wie sie noch immer in ihren Trümmern lag. Obwohl so viel Zeit vergangen war, lebten Menschen in Zelten, überall wanderten heimatlose Vagabunden umher. Und ich fragte mich, wie es sein kann, dass sie kein Obdach fanden, wo unser Land doch so reich und fortschrittlich ist. Ich stellte auch meinem Sohn diese Frage, aber er wusste keine Antwort. Er pendelt jeden Tag drei Stunden in diese riesige Stadt, sieht seine Familie nur am Sonntag. Er kennt seine Nachbarn nicht, weiß seine Freizeit nur mit Fernsehen und Pachinko-Spielen auszufüllen. Vielleicht bin ich nur ein alter Mann, den die Zeit vergessen hat, aber ich glaube nicht, dass es ein glückliches Leben ist, das mein Sohn da führt." Beifälliges stummes Nicken, bis sich, wie auf ein unsichtbares Signal alle Gesichter Hotsuma zuwandten, der schweigend der Unterhaltung gelauscht hatte. Im Fokus aller Aufmerksamkeit überschlug sich sein Puls, aber seine Ausbildung verbarg sorgfältig diese Reaktion vor fremden Blicken. "Ich maße mir an, eure Gefühle zu verstehen", begann er ungewohnt offen, "denn ich bin auch aus einer Großstadt, Tokio, geflohen. Ich konnte mein Leben, die Hektik, die Entfremdung nicht mehr ertragen." Hotsuma setzte sich besonders gerade auf. In seinen schwarzen Augen glühte ein verstecktes Feuer, das so lange gezehrt hatte, bis es zu einem Flächenbrand geworden war. "Ich kam hierher mit der Hoffnung, dass es ein anderes Leben geben kann. Ein erfülltes Leben. Ein Leben mit der Natur, nicht nur neben ihr." Die Stille nach seinen Worten wagte nur ein vorwitziger Vogel mit einem leisen Triller zu durchbrechen. Hotsuma fuhr, leiser nun, von der eigenen Kühnheit überrascht, fort. "Als ich diesen Ort betrat, fühlte ich mich geborgen. Am Ende meiner Suche." Er hob den Kopf an, streckte unbewusst die Arme mit geöffneten Handflächen aus, als wollte er Zustimmung ergreifen. "Dieser Ort, diese Landschaft hat den Zauber des Lebens inne. Man darf nicht zulassen, dass er verschwindet! Ich werde mich daher bemühen, mir hier eine Heimat zu erschließen und wenn es glückt, auch anderen, die das Gleiche empfinden!" Hotsuma hatte sich derartig exponiert, dass er erst mit zustimmenden Beifallsbekundungen wieder in die Wirklichkeit fand, sich selbst in der ungewohnten Kämpferpose. Verlegen setzte er sich langsam aber anmutig wieder, denn er spürte zum ersten Mal seit langer Zeit Stolz auf sich selbst aufsteigen. »Es war das Richtige«, sagte sein Gefühl, und Hotsuma vertraute auf sich. ~@~ "Nein, Katsumi, du musst die Entwürfe lediglich faxen, die Größen messen wir gerade aus." Koujis Geduld franste bereits leicht aus, was nicht unbedingt Katsumis Zweifeln zuzuschreiben war, sondern sich eher an der Diskussion um ihn herum festmachte. Er hatte seine frischgebackene Band einberufen, den ersten Soundcheck vorzunehmen, die Instrumente zu prüfen, die Songs zu besprechen und nicht zuletzt das Bühnen-Outfit festzulegen. Abgesehen von den Aberhunderten anderer Marginalien, die er auch noch zu bewältigen hatte. Tatsuomi alberte in der Zwischenzeit mit den Junkaz herum, die ihrerseits über Internet mit einem Tier Kontakt hielten und technische Hilfe bei der Auswahl der Instrumente suchten. Sie hatten alle ihre eigenen Instrumente mitgebracht, abgesehen natürlich von Rose, aus verständlichen Gründen. Diese musste von Ai geradezu bekniet werden, sich die Maße abnehmen zu lassen, offenkundig ein wunder Punkt. Kouji verdrehte die Augen. Er hatte diese Art von Auseinandersetzungen in den Anfängen einer Band so lange hinter sich gelassen, dass er sich nur noch vage erinnern konnte. "Okay", seine künstliche Hand sauste ungebremst auf ein Mischpult. Der metallische Knall echote im Studio und beendete alle Diskurse abrupt. "Ich will die Maße von jedem haben, oder derjenige wird nackt auftreten. Dies", er funkelte bedrohlich, "ist ein Versprechen. Und dann werden wir die Lieder durchgehen. Das Konzert ist nächsten Samstag, jeder spielt mit seinem eigenen Instrument, wir haben nicht genug Zeit für Experimente." Ein Seitenblick streifte die Zwillinge, die enttäuscht, aber verständnisvoll nickten. "Wir bleiben auf alle Fälle telefonisch in Kontakt, aber so viel will ich zu Samstag vorweg sagen: wir werden gemeinsam anreisen, ich sammele euch also mit meinem Transporter ein. Und ich liefere auch jeden einzelnen zu Hause ab, Hotel ist nicht notwendig." Ai reichte ihm einen Zettel, auf dem säuberlich alle Maße aufgeführt waren entsprechend Katsumis Hinweisen. Ohne einen zweiten Blick darauf zu werfen jagte Kouji die Meldung per Fax los, ging sofort dazu über, die verteilten Notenblätter zu besprechen, auf die Feinheiten hinzuweisen, zu erläutern. Dies gestaltete sich unkomplizierter als gedacht, da alle zumindest Noten lesen konnten, seine Songs im Ohr hatten und noch nicht selbstbewusst genug waren, über künstlerische Aspekte zu diskutieren. Tatsuomi beobachtete seinen Onkel, bemerkte das leichte Strahlen, das die feingeschnittenen, unwirklich schönen Züge belebte. Ganz gleich, was Kouji auch behaupten mochte, er liebte die Musik, ihre Ausdruckskraft und Tiefe. Auch wenn er Tatsuomi nun wegen Unaufmerksamkeit zur Strafe eine zusätzliche Probenstunde aufbrummte. ~@~ Takuto stieg in den Zug ein, ein schnelleres Modell, das ihn nun im Wechsel durch mehrere Länder transportieren würde, vorbei an großen Strömen, hohen Bergen und lieblichen Landschaften. Er verließ die Stadt an der Seine mit dem berühmten Turm mit leichtem Herzen, in Vorfreude auf die Schönheit des Südens und seine Geschichte. ~@~ Tatsuomi massierte sich die Hände, die von Schwielen und Blasen bedeckt waren, während er ungeduldig Pirouetten drehte. Balu sollte eigentlich längst mit seiner Kinderschar eingetroffen sein, aber der Zoo schien wohl eine größere Faszination ausgeübt zu haben. Er wechselte die Richtung seiner Bewegung und ging im Geiste erneut sein Solo in 'Rankou' durch. Kouji hatte sich darauf beschränkt, drei neue Lieder einzubringen. Den Rest würden seine eigenen Songs bestreiten, deren Rechte er vorausschauend niemals veräußert hatte. Die Anforderungen an die Drums waren nicht zu hoch, andererseits bedurfte Tatsuomi noch immer der Hilfestellung und Anleitung, immerhin waren die Stücke nicht für einen blutigen Amateur gedacht. Aber sein Ehrgeiz war geweckt. Er spürte instinktiv, dass dieses Instrument ihm lag, seine Stimme werden konnte, wenn er es meisterte. Dass der Weg allerdings so schmerzhaft und eilig bewältigt werden musste, trübte die rosigen Aussichten beträchtlich. "Na, du Rockstar?!" Balu legte ihm die Hand auf die Schulter, was Tatsuomi vor Schreck zu einer Vollbremsung mit wackligem Stand verführte. Balu lachte leise, umgeben von leuchtenden Kindergesichtern, die sich alle die Hände vor den Mund hielten, um ungehört an den honigblonden Jungen heranschleichen zu können. Nun ertönten die ersten Kicherlaute und vergnügtes Prusten, was Tatsuomi nach Kräften mit pantomimischem Entsetzen unterstützte. Der erklärte Liebling aller wurde nun energisch ins Haus gezerrt, während neugierige Fragen auf ihn einstürmten, die alle seine neue Karriere als Drummer berührten. Und Tatsuomi konnte sich erst freikaufen, als er mit Schüsseln und einem verbeulten Topf improvisierte. Balu, der genauso enthusiastisch Beifall spendete wie seine kleinen Schützlinge, schob Tatsuomi dann gemächlich in sein Zimmer. "Sunny, ich habe gleich noch Abenddienst, aber ich will dir rasch etwas geben." Tatsuomi stöhnte enttäuscht auf. Er hatte Abwechslung gesucht zu ablehnendem Schweigen in der Schule, einem umtriebigen Onkel und endlosen Trainingseinheiten. Balu, an Protest- und Trotzreaktionen gewöhnt, überhörte das Murren, zog einen Wandschrank auf und entnahm diesem ein in Zeitungspapier gewickeltes Paket. Tatsuomi keuchte überrascht auf, als sich das Paket als gewichtiger entpuppte, als es den Anschein hatte. "Was ist das denn?", hakte er neugierig nach. Balu nickte ihm lächelnd zu, die muskulösen Arme mit den flammenden Tätowierungen vor der Brust verschränkt. Tatsuomi ließ sich nicht zweimal bitten. Das Papier fetzte in Streifen auf den Boden, und vor ihm entrollte sich eine Montur. Schwarzes, gepolstertes Leder, auf dem sich goldene Sonnenstrahlen vom Zentrum der Leibmitte ausbreiteten. "Ich werd' verrückt...", stammelte Tatsuomi ungläubig. Seine langen Wimpern flatterten, als er vorsichtig die einteilige Kombination wie einen hauchzarten Traum an sich drückte. Aber nichts löste sich in magischem Rauch auf, die Montur funkelte ihm noch immer verlockend und verheißend entgegen. "Das... das ist Wahnsinn! Das kann ich nicht annehmen!", platzte es aus ihm heraus. Balu lächelte schelmisch. "Sunny, das wirst du müssen, denn mir ist er ein wenig zu groß." Zu seiner Überraschung traten Tränen in Tatsuomis Augen. Dann flog der Anzug auf den Boden mit einem schweren, ledernen Seufzer, und in Balus Armen lag ein heftig schluchzender Junge. "Hey, hey, Sunny, ist doch nur eine Montur!" Balu strich kräftig über das dünne T-Shirt, suchte sich unter den honigblonden Strähnen ein Ohr und wisperte, "damit hast du den Beweis, dass du ein Glider bist." Tatsuomi zog sich ein wenig zurück, um Balu in die Augen sehen zu können, die Stolz und Freude spiegelten. Er blinzelte Tränen aus seiner verschwommenen Sicht und strengte ein verlegenes Lächeln an. "Danke, Balu", raunte er, unbewusst in die lasziven Tiefen verfallend, die seinem Onkel ungeahnte Meriten eingebracht hatten. Und küsste Balu auf den Mund. ~@~ Während Kouji meisterhaft mit den Anforderungen der Organisation jonglierte, improvisierte und mit Zufriedenheit feststellte, dass nicht nur die Tournee ausverkauft war, sondern ihn auch seine unzähligen Gegner widerwillig wieder auf die Rechnung nahmen, reiste Takuto in Italien umher. Hotsuma trainierte das erste Mal seit seiner Flucht, bevor er mit Gonzou den Zugang zum Doujou freilegte. Die Band, ihre Freunde und auch die Tiere fieberten dem Samstag entgegen. ~@~ Freitagabend, Tatsuomi schleuderte frustriert die Trommelstöcke gegen ein Mischpult und stieß sich so heftig ab, dass er einen Teil des Schlagzeugs mit lautstarkem Geschepper zu Boden schickte. "Dieser verdammte Scheiß-Lauf will mir einfach nicht gelingen!!!", fluchte er unflätig, bevor er tief durchatmend das angerichtete Chaos beseitigte. Er war allein, Kouji traf sich mit Katsumi zu Abstimmungsgesprächen. Ihm war aufgetragen worden, den Transporter zu bestücken. Allerdings hatte er zuvor noch üben wollen, sodass er mit seiner Aufgabe in Verzug geraten war. Der Transporter, ein unförmiges, amerikanisches Vehikel, das den Sprit förmlich fraß, bot ausreichend Platz für die Band, die Instrumente, Kostüme und übriges Equipment, das nicht vor Ort aufgeboten werden konnte. Allerdings war auch hier das Geschick des Staumeisters erforderlich. Kouji hatte ihm explizit erklärt, wo er welches Teil zu verpacken hatte, was ihm nun längere Ratlosigkeit ersparte. Doch was sollte er nun, an diesem Abend, tun? Er war viel zu erregt, zu aufgewühlt, um sich vor den Fernseher zu setzen. Er musste diese überschüssige Energie, die sich mit jeder Minute zu potenzieren schien, loswerden. ~@~ Balu schob die verspiegelte Sonnenbrille auf den Nasenrücken. Er konnte Tatsuomi neben sich spüren, obwohl die hautengen, ledernen Monturen keine Körperwärme entweichen ließen. Tatsuomi hatte sich die honigblonde Mähne mit dem von Balu geschenkten Kopftuch aus den Augen gebunden, schlüpfte lässig in die Handschuhe. Seine großen Augen funkelten erwartungsvoll hinter der aerodynamisch geformten Sonnenbrille. Balu nickte leicht, dann setzte er sich kraftvoll in Bewegung. Der Asphalt, noch in ebener Strecke, spulte sich unter seinen Augen wie eine matt glänzende Teerschlange ab. Er konzentrierte sich, lauschte in sich hinein. Atemzüge bis tief in den Leib, das Ineinandergreifen von Muskeln und Sehnen, die Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete, das Vibrieren der winzigen Unebenheiten der Straße durch seine Nervenbahnen. Adrenalin und Endorphine zerstoben in seinem Blut, entspannten und erregten ihn zugleich. Im Augenwinkel zog Tatsuomi an ihm vorbei, eine anmutige Gestalt in extravaganter Gewandung, stilisierte, goldene Sonnenstrahlen auf schwarzem Leder. Balu hängte sich in seinen Windschatten, registrierte wie im Rausch die mühelose Grazie seines Partners. Sie wechselten sich in der Tempoarbeit ab, ohne der Gesten oder gar Worte zu bedürfen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl baute sich in Balus Körpermitte auf, streckte elektrisierende Ausläufer bis in die entlegensten Regionen seines Körpers. Eine Trance bemächtigte sich seiner, die meditativer Versenkung gleichkam. Tatsuomi hielt die Geschwindigkeit konstant, auch wenn er innerlich darauf brannte, bis an seine Grenzen zu gehen, die Extreme zu erforschen. Noch war es nicht so weit, unterdrückte er das pulsierende Glühen in seinem Körper, das mit jedem Herzschlag eine Steigerung erfuhr. »Die Steigung und dann...« Der Pass wand sich in Serpentinen hinunter zu einem Vorort, das geheimnisvolle Glitzern des Tokioter Lichtermeers wie ein unbekannter Ozean als Horizont. Einmal die Kontrolle zu verlieren, könnte tödlich sein... aber der Reiz, es in Höchstgeschwindigkeit zu erleben, war übermächtig. Tatsuomi wusste, dass Balu diese Strecke bereits absolviert hatte. Allein die Schilderung hatte den Älteren sichtbar verwandelt. Ein Leuchten hatte sein Gesicht erstrahlen lassen, selig und euphorisch zugleich, ein Zustand, der sich nur unzureichend in Worte fassen ließ. Sie erreichten die Kuppe, alle Muskeln glühend und reibungsfrei funktionierend, zwei geölte Kraftmaschinen auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit. Hungrig auf das Risiko und ausgelassen angesichts des belohnenden Endorphinschubs, der sie im Tal überwältigen würde. Ohne abzubremsen warf sich Tatsuomi, tief gebeugt, dem Abhang entgegen, stemmte die Rollen in den Boden, um noch stärker zu beschleunigen. Balu erschrak bis ins Innerste. Eine eisige Hand umklammerte für Sekundenbruchteile sein Herz. »Er ist wahnsinnig«, schnellte das Entsetzen durch seine Gedanken, dann folgte er Tatsuomis Beispiel. Wie irrsinnig dessen halsbrecherisches Vorhaben auch war, er würde ihn nicht im Stich lassen. Der Fahrtwind brannte an ihrer Haut, die Augen hinter den Spiegelgläsern weit aufgerissen, um nicht die mindeste Unebenheit zu übersehen, rasten sie gedankenschnell die Serpentine hinab. Die Kurven spitzten sich zu Nadelöhren zu, der Radius der Wendekreise reduzierte sich, trug sie immer wieder an den Rand der Befestigung. Als sei dies noch nicht aufputschend genug, rammte Tatsuomi die Rollen in den Asphalt, um zu beschleunigen, in wahnwitziges Tempo zu verfallen. In Balus Mitte explodierten Supernoven der Erregung und Angst, eine lustvolle Mischung, die rauschartig alle anderen Empfindungen blockierte, sein Denken überwältigte. Er folgte diesem honigblonden Blitz auf Gedeih und Verderb, suchte gar, ihm die Führung abzujagen, dieses Wettrennen in existentialistische Ebenen zu reizen. Die letzte Kurve mündete in eine hohe Kaimauer zu den hoch spritzenden Wellen des Ozeans hin, ebenso aufgepeitscht wie die Gefühle in den beiden Glidern. In Tatsuomis Ohren pulsierte sein Herzschlag welterschütternd, verdrängte alle anderen Geräusche, bildete den Impuls, der ihn unbarmherzig vorantrieb. Im Augenwinkel blitzten die eisblauen Flammen auf, Balu löste sich aus der Dunkelheit der spärlichen Beleuchtung, schloss auf. Dieser Gedanke echote in Tatsuomis Gedanken wie eine Herausforderung, Katz-und-Maus-Spiel, wollte sich nicht geschlagen geben, sich noch nicht meistern lassen. Er sammelte die letzten Reserven zur größten Anstrengung und beschleunigte. Balu zuckte unter dem arktischen Hauch, der sein Herz einfror, als die Gerade am Kai entlang seine Steuerbordseite einnahm und Tatsuomi davonzog. Aber keine Warnung würde den Jüngeren noch erreichen, kein Ruf konnte sekundenschnell das Unglück verhindern. Tatsuomi bemerkte den scharfen Knick, durch eine Baustelle entstanden, wie ein Fanal, doch zu spät. In diesem Augenblick fühlte er zwei muskulöse Arme um seine Taille, ein harter Griff, der ihm ein Aufstöhnen entlockte, dann verlor sich der sausende Kontakt mit dem Asphaltband. Sie katapultierten ungebremst in einen Maschendrahtzaun, der neben einem massiven Baucontainer Neugierige und Unbefugte abhalten sollte. Der Zaun gab ächzend nach, als die Last der ineinander verkeilten Körper ihn niederrannte. Balu schüttelte Tatsuomi mit einem unterdrückten Wutschrei von sich, rang dann nach Luft. Tatsuomi, neben ihm ebenfalls flach auf dem Rücken liegend, keuchte gleichsam heftig. Balu stemmte sich unsicher auf die Füße, überquerte die Straße, wandte sich zum aufgewühlten Ozean. Erwog, über die niedrige Absperrung zu steigen, um auf dem grünbewachsenen Ausläufer der Klippe die rebellischen Wogen anzuschreien, sich zu entlasten von dem erdrückenden Gewicht seiner Gefühle. Das leise Surren bewies ihm, dass Tatsuomi allein wieder auf die Beine gekommen war und sich zu ihm gesellte. Aber dieser Gedanke entsetzte Balu über alle Grenzen hinaus, er wollte Distanz, ja, er musste allein bleiben!! Doch Tatsuomi hatte ihn schon erreicht, vertraulich seinen Ellenbogen gefasst, das Kopftuch von den honigblonden Haaren gezogen. "Das war ein Höllenritt...", plapperte er heiser los, als ihn Balus Ohrfeige erwischte. Tatsuomi taumelte ein wenig zurück, verlor aber nicht die Balance. "Was...?!" Balu umklammerte die stählerne Absperrung. Die Knöchel traten weiß hervor, er konnte nicht länger in diese Augen sehen. »Zum Wasser...«, flüsterte es in seinem Kopf, »Wasser kühlt... beruhigt...« Zittrig hob er ein Bein über die Absperrung, schwang sich hinüber, wankte unbeholfen über das von Gischtspritzern aufgeweichte Gras. Tatsuomi folgte ihm eilig, packte seinen Ellenbogen und riss Balu herum. ".. zu... gefährlich...", verstümmelte das tobende Meer Tatsuomis Worte, nur das Feuer in seinen Augen loderte noch immer unbezwungen, herausfordernd. Balu keuchte, verlor sich überfordert, umklammerte Tatsuomis Handgelenke, schleuderte ihn rückwärtig an die Absperrung und küsste ihn hungrig, drang rücksichtslos in den glühenden Mund ein. Tatsuomi leistete Widerstand, biss zu, entwand sich dem Griff, um dann schlangengleich zwischen Balus Armen hindurchzutauchen. Dessen Montur bis zu den Hüften mittels Reißverschluss zu öffnen und über die Schultern zu ziehen. Balus Arme in den Ärmeln der Kombination gefangen, ging Tatsuomi zum Angriff über, fixierte Balus Genick mit harter Hand, bevor er seinerseits die Zunge zum Einsatz brachte. Das Duell dauerte an, bis ihnen beiden die Luft zu knapp wurde, sie taumelten auseinander. Während Balu seine Arme befreite, nutzte Tatsuomi dessen Blöße, um ihn auf das nasse Gras zu werfen und sich rittlings auf ihn zu setzen. Den Kopf in den Nacken werfend lachte er triumphierend, ließ die Zähne aufblitzen. Aber Balu war noch nicht geschlagen. Er verlagerte sein Gewicht, überwältigte Tatsuomi mit einem Hüftschwung, der diesen herabschleuderte und nutzte den Augenblick, um den Jüngeren unter sich zu begraben. Tatsuomi zuckte, rang, grub zuletzt seine Zähne in Balus Schulter, was ihn befreite. Sie krabbelten auseinander, belauerten sich atemlos, Wahnsinn in den Augen. Tatsuomi grinste aufgedreht, ließ dann, provozierend langsam, mit lasziv gesenkten Augenlidern den Reißverschluss bis tief unter seinen Bauchnabel wandern, bewies, dass er ohne Unterwäsche 'gereist' war. Balu knurrte guttural, schleuderte ein ausgerissenes Grasbüschel nach Tatsuomi, der anmutig auswich, die Attacke mit katzenhafter Geschmeidigkeit erwiderte, sich erneut in Balu verkrallte. Sie rollten herum, ineinander verkeilt. Das Gleichgewicht der Kräfte war ausgeglichen, aber keiner wollte nachgeben, sich besiegen lassen. Mit Fauchen, Schnappen und Stößen suchten sie einander zu bezwingen, angetrieben durch Adrenalin und die erderschütternden Rammstöße der Wellen gegen die Klippe. Balu gab sich scheinbar geschlagen, streckte die Arme, sodass Tatsuomi über ihm seine Handgelenke in die feuchte Erde pressen konnte, einen euphorischen Jubelschrei auf den Lippen. Tatsuomi beugte sich über ihn, die honigblonden Strähnen feucht von Schweiß und Sprühregen, lachte mit funkelnden Augen, als sich sein Ausdruck plötzlich veränderte. Und nun war es an Balu, kämpferisch zu lächeln, hatte er doch einen Oberschenkel genau in Tatsuomis Schritt bugsiert und rieb dort beharrlich am straff gespannten Stoff. Tatsuomis Augen wurden groß, verschleierten sich. Ein ungläubiges, leicht winselndes Stöhnen entfloh seinen aufgebissenen Lippen. Balu nutzte die Schwäche, befreite eine Hand und riss Tatsuomi grob an den langen Haaren zu sich herunter, bremste, bevor sich ihr Atem vermischte. Er konnte Tatsuomis Herzschläge spüren, wie ein Wahnsinniger, der sich gegen einen Käfig schmetterte, als läge sein Heil in der Flucht. Und wechselseitig antwortete sein eigenes Herz mit demselben Impuls, brannte die sich aneinander entflammende Haut. Fast erlösend ließ sich Tatsuomi küssen, gehorchte der Hand an seinem Nacken, stützte die Arme nur gerade ab, um nicht mit seinem Gewicht den Sauerstoff aus Balus Lungen zu drücken. Balus freie Hand schob sich tief seinen Rücken hinab, unter das Leder, die Finger umfassten energisch, sich öffnend und schließend, Tatsuomis linke Pobacke. Fast in Notwehr zog Tatsuomi eine eigene Hand ab, um sich an der bebenden Flanke entlangzutasten und dann entschlossen Balus Montur über die Hüften zu zerren. Als sie sich voneinander lösten, halbnackt, angespannt wie Sprungfedern, mit salziger Gischt benetzt, einander belauernd, war eins klar. Dies war der Anfang. Und solange, wie das Meer tobte, ihre Sinne berauschte, würde auch ihr Wettstreit dauern. ~@~ Sonnenstrahlen stibitzen sich durch die Jalousie. Balu blinzelte, stemmte sich noch schlafesblind auf die Arme. Sah sich um, was wirkungsvoller als jede kalte Dusche seine Sinne alarmierte. Er war vollkommen nackt, lag auf den Tatami seines Zimmers, während in der Luft eigenartigerweise der Geruch des Meeres schwang. Als er den Kopf wandte, kam ein ungekämmter honigblonder Schopf in sein Blickfeld, dem sich ein schlanker, mit Gras, Schmutz, Salz, Schweiß und Körpersäften verzierter Leib anschloss. Tatsuomi. »Großer Gott!!« Balu schoss in die Höhe, was er sogleich ausgiebigst, aber stumm bereute. Mit dem dumpfen Schmerz, der in Körperregionen wütete, an die Balu nicht denken wollte, ohne Farbe in die Wangen zu bekommen, wallten die Erinnerungen an die letzte Nacht hoch. Auch die Hände vor die Augen zu pressen, unterdrückte die Flut nicht, die ihn kristallklar und in Deutlichkeit nicht zu überbieten, überspülte. Die Abfahrt, die Klippe am Meer, die hochfliegende Gischt. Tatsuomi, der sich nackt über ihm aufbäumte, die weichen Lippen wund gebissen, Ekstase im Blick. Hände, Fingernägel, Zähne auf seinem Körper. Ein Bilderrausch, der auch ihn selbst nicht aussparte, über den schlanken Körper gebeugt, Halt suchend die Fingernägel in die helle Haut unter sich gepresst, während ein Orgasmus ihn erschütterte. Balu stöhnte unterdrückt. Nicht nur, dass er mit einem anderen Mann Sex auf die animalistische ihm vorstellbare Weise gehabt hatte, nein, es musste auch noch ein Minderjähriger sein, der ihm vertraute. Zu aller Krönung noch ohne irgendeinen Schutz. Der Schmerz, der in seinem Körper übellaunig pochend seine Kreise zog, war nichts im Vergleich mit dem Selbsthass, der ihn nun befiel. Er war Erzieher und sehr stolz darauf, und nun dies!! Wie hatte es nur dazu kommen können!! Balu kauerte sich in sich zusammen und wiegte sich untröstlich. ~@~ Tatsuomi regte sich müßig, wischte sich Strähnen aus den Augen. Er lag zu hart, wie er befand, außerdem protestierte sein Körper mal wieder, aber in Regionen, die sich bisher zivil verhalten hatten. Sich aufsetzend resümierte Tatsuomi Folgendes: - sie hatten es tatsächlich in das Waisenhaus geschafft. - er war verdreckt wie ein Wildschwein und roch sicherlich ebenso lieblich. - Kouji würde ihn umbringen, wenn er nicht rechtzeitig zum Konzert auftauchte. Dann bemerkte er Balu, der in einer dunklen Ecke gekrümmt hockte und leise, schluchzende Geräusche absonderte. Tatsuomi kroch auf Knien zu ihm hinüber, bewunderte erneut die muskulöse Schönheit seines Körpers, die eisblauen Tätowierungen. Instinktiv schmiegte er sich an den zitternden Leib, umarmte ihn fest. Balu keuchte leise, aber das Wimmern verlor sich langsam, dann endlich entfaltete er seine verdrehten Glieder und sah Tatsuomi an. "Was passiert ist..." "War der beste Wettkampf in meinem Leben", antwortete Tatsuomi nachdrücklich. Um sich dann vertraulich vorzubeugen, "und der beste Sex, den ich jemals hatte." Balu lief dunkelrot an, aber Tatsuomi ließ keine Schuldzuweisungen zu. "Komm schon, Partner, wir brauchen dringend ein Bad! Und ich hoffe, du weißt, wie wir das Aroma aus den Monturen bekommen", ergänzte er gespielt knurrig. ~@~ Bevor Verlegenheit aufkommen konnte, hatte Tatsuomi Balu kurzerhand abgespritzt und mit energischem Schrubben von allen Spuren der letzten Nacht gereinigt. Dass dieser ihn ebenso behandelte, hatte ihnen beiden bewiesen, dass das vertraute Funken noch immer vorhanden war, dieser Drang, sich zu messen, einander zu fordern. Nun aber genossen sie das heiße Wasser, saßen ruhig nebeneinander, Tatsuomi die honigblonden Strähnen in einem Zopf hochgebunden. "Ich hätte das nicht tun dürfen", platzte Balu heraus. Man konnte nicht so einfach vergessen, was man im Rausch der Leidenschaft niedergerissen hatte. Besonders, wenn es sich um das Selbstbild handelte. Tatsuomi schnickte Wassertropfen in Balus Gesicht. "Balu, hör auf, dich zu quälen! Es ist nichts weiter passiert. Wir hatten ein wenig Spaß miteinander. Fertig, aus." Balu starrte die Kacheln an. "Nur die winzige Kleinigkeit, dass du ein Mittelschüler bist, der Neffe meines Arbeitgebers, noch niemals zuvor Sex hattest und mir vertraut hast." Seine Stimme war rau vor Bitterkeit und Selbstekel. Tatsuomi setzte sich direkt vor ihn, umfing Balus Gesicht mit beiden Händen, damit dieser ihm nicht ausweichen konnte. "Kouji würde niemals was sagen, er ist selbst kein Kind von Traurigkeit. Ich bin vielleicht jünger, aber nicht zu jung, um nicht zu begreifen, was ich da gestern getan habe. Ich wollte das, und es hat mir gefallen." Er lehnte sich so weit bevor, bis sich ihre Stirn berührte. "Und ich vertraue dir noch immer", flüsterte Tatsuomi, die Wangen gerötet, "hätte ich sonst bei dir den ersten Versuch gewagt?" Als Balu nicht reagierte, schlang er kurzerhand die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Dies bewies mehr als Worte, dass sich Einiges verändert hatte, aber das Entscheidende nicht. "Ich hätte nicht darauf eingehen sollen", murmelte Balu unglücklich, "es könnte wieder passieren..." Tatsuomi drückte Balu an beiden Schultern unter Wasser, gab erst nach einigen Augenblicken nach, in denen Balu keinerlei Gegenwehr geleistet hatte. "Das ist ziemlich melodramatisch. Wirklich." Seelenruhig stützte Tatsuomi das Kinn auf die Arme, auf dem Wannenrand lehnend. "Es gibt da ein Buch von John Irving, 'Hotel New Hampshire', da liebt der Bruder seine Schwester ein bisschen zu sehr. Weißt du, wie sie das Problem lösen?" Balu, der Wasser spuckte, schüttelte prustend den Kopf. Tatsuomi fuhr nonchalant fort, ihm noch immer den Rücken kehrend. "Eines Tages schließen sie sich ein und schlafen so lange miteinander, bis ihnen die Lust vergeht." Tatsuomi wandte sich herum und fixierte Balu inquisitorisch. "Wäre das eine denkbare Lösung für uns?" Balu rieb sich Wasser aus den kurzen Haaren, blinzelte Perlen. Als Tatsuomi ihm einen weiteren auffordernden Blick schickte, schüttelte er langsam den Kopf. "Ich denke nicht... dass wir es so nötig haben", murmelte er leise. Tatsuomi legte den Kopf schief und grinste, "eben, ganz meine Meinung! Wir haben das hinter uns gebracht, also können wir jetzt die besten Freunde werden." Balu konnte sich der Komik dieser Beweisführung nicht entziehen. Ein winziges Lächeln schlich sich in seine Miene. Tatsuomi wechselte wieder die Seite, nahm neben ihm Platz und rutschte nah an ihn heran. "Ich glaube, wir sind uns sehr ähnlich und darum möchte ich, dass wir Freunde bleiben." Er streckte die Hand aus. Und Balu ergriff sie fest. ~@~ "Okay, Ai, Rose, eure Kabine ist hier. Zieht euch um, kommt dann zum Einstimmen zu uns rüber!" Kouji nickte seinen beiden Bandmitgliederinnen zu, stürmte dann energisch zur größeren Kabine, die er nun zwecks Kostümwechsel nutzen würde. Sie hatten die Instrumente hinter der Bühne abgeladen, lediglich Keyboard und Schlagzeug waren direkt aufgebaut worden, nun von Ordnern bewacht. Das gesamte Gebäude schwirrte bereits von Geräuschen und Aufregung. Die Zuschauer wurden eingelassen, ihre freudige Erwartung übertrug sich auf alle anderen wie ein Lauffeuer. Nun hatten sie nur noch die Kleidersäcke mit ihren Kostümen, eine Tasche mit Utensilien und zur Beruhigung Bananen und Notenblätter. Katsumi, der Kouji flankierte, stand mit der Regie in Funkkontakt, immerhin hing von ihrem Auftritt eine Menge ab, es sollte besser alles reibungslos funktionieren. Und ohne größere Probe riskierten sie in dieser Hinsicht Einiges. Kouji entpackte seinen Kleidersack, wechselte den leichten Leinenanzug mit einem bordeauxfarbenen Satin-Zweiteiler, der an den Nähten entlang der Silhouette mit schwarzer Spitze versetzt worden war, die Koujis helle Haut durchschimmern ließ. Jun und Kaz waren wie Tatsuomi in enge, schwarze Hosen gekleidet, darüber fanden sich Netzhemden in silbernem Gaze, gefolgt von hüftlangen Westen in verschiedenen, metallischen Blautönen. "Wie der Hofstaat eines Cyber-Ritters", kommentierte Tatsuomi irritiert, bevor er in die nietenbesetzten, fingerlosen Handschuhe schlüpfte. Kouji betonte gerade seine Augen, winkte dann die Jüngeren heran. "Okay, jeder bekommt Glanzspray auf die Haare. Zuerst aber pudert euch ab, damit man den Schweiß nicht so sieht bei Nahaufnahmen. Tatsuomi, bind deine Haare zurück, da liegt ein Haarband in der Tasche. Jun und Kaz, ihr verteilt etwas von dem Gel, dann wuschelt ihr eure Haare hoch." Kouji ließ es sich nicht nehmen, an jeden letzte Hand anzulegen. Er zupfte sich kringelnde, honigblonde Löckchen aus Tatsuomis Zopf, der mehr denn je seinem früheren Selbst ähnelte, versprühte den Glanzlack, dann beruhigte er die Junkaz, indem er gegen das Lampenfieber Bananen empfahl. Die weichen Lippen seines Neffen betonend raunte er ihm zu, "Kleiner, wo warst du gestern Nacht?" Tatsuomi lächelte verstohlen, nahm Kouji den Lippenstift aus der Hand, um diesem die gleiche Nuance auf den Mund zu bannen. "Ein Gentleman genießt und schweigt", wisperte er schelmisch, um dann, in nicht ganz ungerechtfertigter Erwartung eines scharfen Tadels, hinzuzufügen, dass er bei Balu übernachtet habe. Sollte Kouji daraus schließen, was er mochte. Kouji schloss gar nicht, denn in diesem Augenblick stieß die weibliche Belegschaft zu ihnen. Ai hatte blaue Farbe in ihre Haare gesprüht und wirkte in schwarzen Netzstrumpfhosen, den farblich abgestimmten Hot Pants und der violetten Weste aus reiner Seide wie ein Edelpunk, was sich durch die hervorblitzende, silbrige Unterwäsche nur verstärkte. "Das ist wirklich ein netter Fummel", kommentierte sie grinsend. Rose wirkte bei Weitem nicht so zufrieden. Katsumi hatte für sie ein fließendes Kleid entworfen, das ihre sehr weibliche Figur in lieblichen Kurven umschmeichelte, der blassen Haut durch den warmen Smaragdton Leben verlieh. An den Schultern raffiniert gerafft überkreuzten sich die Stoffbahnen über der Brust, um sich um die Taille zu winden und am Rücken wie eine Schleppe in einer Kaskade herabzugleiten. Rose hatte das Kleid wohl übergestreift, allein das Gesicht verschwand noch immer hinter frisch gewaschenen, aber vollkommen formlosen Haaren. "Entschuldigt uns!" Kouji nahm Rose an die Hand und verließ den Raum. Er schob sie vor sich her in die Damenumkleide, platzierte sie auf einen Hocker und kniete sich vor sie hin. "Du weißt sicher, dass man mir nachsagt, dass ich arrogant und eitel bin. Die Leute haben Recht. Ich bin es. Und darum bestehe ich auch darauf, dass die Frau, mit der ich singe, mir ihr Gesicht zeigt." Roses Schultern sackten noch eine Spur tiefer. "Ich werde darum nun deine Haare hochstecken und mit Glanzspray besprühen." Behutsam strich er, noch immer auf Knien, die Haare an den Hinterkopf, band sie vorsichtig zusammen und befestigte sie mit einer glitzernden Spange. Es überraschte ihn nicht, dass sich darunter ein ganz sympathisches Gesicht verborgen hatte, mit ängstlichen Augen, die trotzig einer neuen Demütigung entgegenblickten. Kouji lächelte schmelzend, stupste Rose an die gerade Nase. "Du bist wirklich hübsch wie eine Rose, wenn man mal die Dornen bewältigt hat", schmeichelte er augenzwinkernd. Rose grinste verschämt, setzte sich aufrecht. Kouji kramte in der Tasche nach einer Schere. Er hatte auf Roses Humor vertraut, ihren Mut, den Willen, sich zu behaupten. Er schnitt kurzerhand einige Strähnen in der Stirn unter den Augenbrauen ab, wirbelte sie zu einem Pony, was Roses ovalem Gesicht einen besonderen Zauber verlieh. Puder, Lippenstift, ein wenig Rouge, das bewährte Glanzspray, und fertig war seine Partnerin. "Und nun schau mal in den Spiegel." Kouji beobachtete Roses Reaktion, als sie sich in voller Kriegsbemalung betrachtete. Er rechnete nicht mit einer allzu deutlichen Antwort, sie ließ sich nach seinem Eindruck nicht gern in die Karten sehen, aber das Funkeln in den Augen lohnte die ganze Anstrengung. Gemeinsam suchten sie den Rest der Band auf. ~@~ Sie standen hinter der Bühne im Kreis, hielten sich an den Händen. Nach einem Augenblick des Schweigens flüsterte Kouji diabolisch, mit boshaftem Vergnügen, "let's set the world on fire!" ~@~ Sie tasteten sich über die abgedunkelte Bühne, vom Zuschauersaal abgetrennt durch den Feuervorhang an ihre Plätze. Wie vereinbart sah sich Tatsuomi um, ob auch alle signalisierten, dass sie bereit waren, dann atmete er tief durch. Und hämmerte eine funkenschnelle Kanonade auf sein Schlagzeug ein. Das Plaudern, wie Bienengesumm im Hintergrund ihrer aller Wahrnehmung, verstummte rasch. Man fragte sich, was wohl hinter dem Vorhang vorgehen musste. Dieser entschwand nach Nerven zehrenden Augenblicken im Bühnenhimmel, allein, die Fläche blieb finster. Dann entflammte ein Scheinwerfer in käsigem Weiß, wie ein kränkelnder Vollmond, tapste unbeholfen über leere Flecken, als suchte er wie eine Motte taumelnd Zuflucht an unbekanntem Terrain. Kouji endlich materialisierte sich in seiner Mitte, beendete das Irren. Den Kopf zur Seite geneigt und gesenkt ließ er das Mikrophon am Kabel wie ein Lasso spielerisch durch die Luft flirren. Hob leicht den Kopf, blinzelte zwischen den tintenschwarzen, glitzernden Strähnen hervor, warf diesen herausfordernden, spöttisch-arroganten Blick in die Zuschauer. Auf der übergroßen Leinwand rechts und links der Bühne wirkte das laszive, Funken stiebende Lächeln wie eine offene Aufforderung zum Beischlaf. Keuchen aus vielen Kehlen. Dann Jubeln, Kreischen, Applaus, ohrenbetäubende Begeisterung, in die sich auch Erleichterung mischte, dem Druck Rechnung trug, der in Ungewissheit und Sorge um ihren verehrten Star auf ihnen gelastet hatte. Kouji verneigte sich in Referenz an europäische Hofetiketten vergangener Jahrhunderte, ohne jedoch in der vorgesehenen Demut den Kopf zu senken, ganz der unverschämte Galan, der er immer gewesen war. Wies dann theatralisch in die Dunkelheit hinter sich, wo nacheinander seine Bandmitglieder ins Scheinwerferlicht gerückt wurden. Setzte das Mikrophon an die Lippen, hauchte heiser in der übertrieben geschärften Akzentuierung eines Conferenciers. "Verehrte Damen... geehrte Herren... heute Nacht... wollen wir uns aneinander ergötzen." Atemlose Stille, man konnte die zurückgepressten Luftzüge förmlich greifen, Gänsehaut fuhr rasche Ernte im Saal ein. "Ich ersuche eure Gesellschaft... für unsere kleine Darbietung... eine Lustreise... in die Untiefen menschlicher Emotion... folgt den ...DESPERATE ROGUES!!" Mit dem letzten Schrei trieb Tatsuomi wie ein Feuersturm die anderen an, rauschte auf Gedeih und Verderb in den ersten Song. ~@~ Kapitel 12 - Schurkenstreiche Katsumi umklammerte das Walkie Talkie, versuchte, sich nicht in den Sog ziehen zu lassen, den die 'verzweifelten Schurken' im Saal entfesselten. Ein Wechselbad der Emotionen, Theatralik, Bosheiten, Schmerz und immer wieder Liebe in allen ihren Ausprägungen... Kouji hatte einen explosiven Cocktail gemischt und seine unerfahrene Band derartig auf sich eingeschworen, dass sie ihm ohne zu zögern folgten, sich von den Wogen der Begeisterung forttragen ließen, über sich hinauswuchsen. »Wenn man einen Strommesser in den Saal hielte, würde der vermutlich durchschmoren«, dachte Katsumi zwischen Erleichterung und Sorge schwankend. Er würde sich erst entspannend können, wenn der Vorhang endgültig fiel, egal, wie überwältigend der Eindruck in der Zwischenzeit war. Nur zu gut erinnerte er sich an vergangene Konzerte. Man konnte nie vorhersagen, was alles möglich war in Koujis Einflusssphäre. Yuugo, der sich im Takt wiegte und lautlos einen bekannten Refrain mitsang, schlang ungehemmt die Arme um Katsumi und zog ihn eng an sich. "Sie sind sensationell!", raunte er überwältigt in Katsumis Nacken, um diesen dann kurz, aber brennend heiß auf die helle, sommersprossige Haut seiner Wange zu küssen. Katsumi seufzte leise und genießerisch. »Kouji sollte man nur mit Warnhinweisen auf die Menschheit loslassen..«, besonders, wenn sich potentielle Liebhaber in Reichweite bewegten. In diesem Augenblick quäkte das Walkie Talkie, gab eine Botschaft von sich, die beide vollkommen vom Geschehen auf der Bühne ablenkte. ~@~ Kouji hatte sich bereits nach dem vierten Song, ganz zufällig nach 'Lullaby' von seinem Sakko getrennt, sodass bei dem auch dieses Mal improvisierten Gesangsduett mit Rose zu 'Rankou' die weiblichen Zuschauer reihenweise in Ohnmacht fielen. Aber ganz im Gegensatz zu früheren Traditionen überließ er auch JunKaz die Bühne, die sich umeinander bogen, anfeuerten, Duelle lieferten, um mit Ai scheinbar zu flirten. Trieb seinen Neffen bei dessen schwieriger Solo-Partie mit provozierenden Gesten an, genoss die elektrisierende Atmosphäre, die Stimmung, die das Publikum abstrahlte. Nun, schweißnass und adrenalingesteuert wollten sie ihr Schlusslied bringen, noch einmal alles geben, die Menge auf sie einschwören. Kouji wischte sich mit der behandschuhten Hand durch die strähnigen Haare, ergriff das Mikrofon fest. "Das ist das letzte Lied heute Abend...genießt es", raunte er leise in den Saal. Er spürte die sich aufbauende Spannung hinter ihm, Tatsuomis Energie brannte wie ein Leuchtfeuer. Bass und Drums begannen einen dumpfen Rhythmus, einem Herzschlag gleich, tief, sonor, direkt im Unterleib vibrierend. Auch die Gitarren folgten der Vorgabe, wie ein drängender Chorus, der Erlösung in der ersten Liedzeile suchte. >Since ancient times< >mankind heads out for true belief< >fights for the sake of cruel gods< >sacrifice for vanity, all in vain< >can't we stop this hideous quest?< >can't we start anew?< >end this tumbling dance< >refuse death's embrace< >won't you join me< >grant your heart and hand< >hear my plea< >follow my call< Jun und Kaz rückten an einen Mikrophonständer, Ai nahm den zweiten mit Rose in Beschlag. >Turn the tide!< >turn the tide!< >turn the tide!< Ihr Schrei, unisono, Protest und Kampfruf zugleich, jagte den Anwesenden heiße Schauer über den Leib. Und Kouji nahm das Duell an, einen Kanon, Wechselgesang mit seiner Band. >Turn the tide< >I ask you< >Turn the tide< >Come on< >Turn the tide< >Let's< >Turn the tide< >Join the fight< >Turn the tide< >I said< >Turn the tide< >Worth a try< >Turn the tide< >Follow my way< >Turn the tide< >Hear my call< >Turn the tide< >Dare me to love< >Turn the tide< >Dare to love< >Turn the tide< >Join me now!!< Koujis Hand reichte hinaus in den Zuschauerraum, ballte sich Halt suchend, forderte Unterstützung, wiegelte auf, flehte, bot seine ganze Ausdrucksfähigkeit auf. >Turn the tide< >Turn the tide!< >TURN THE TIDE!< Kouji, in die Knie gesunken, den Kopf aber kerzengerade mitten in das Gesichtermeer gerichtet, das er aufgrund der Scheinwerfer gar nicht en detail wahrnehmen konnte, flüsterte ein letztes Mal. "Turn the tide..." Die Bühne wurde schlagartig dunkel. ~@~ Den rauschhaften, ekstatisch tobenden Beifallssturm im Ohr verließen die Desperate Rogues den Bühnenabgang, erhaschten Glückwünsche von Mitarbeitern im Vorübergehen. JunKaz hielten einander trotz der Gitarren an den Hüften umschlungen, ebenso aufgeputscht wie Tatsuomi, der gleich Ai und Rose an den Händen führte und wie aufgezogen kicherte. Kouji, der seiner Band voranging, nickte dem Hände ringenden Veranstalter zu, der nicht ganz zu Unrecht fürchtete, die losgelöste Horde da draußen würde seinen Saal dem Erdboden gleichmachen, wenn nicht noch eine Zugabe erfolgen würde. Kouji bremste seine Kollegen mit einem Lächeln im grellen Licht der Katakomben. "Die schreien sich die Kehle wund... irgendwelche Präferenzen für eine Zugabe?" Blicke wechselten in Sekundenbruchteilen, dann folgte einstimmig das Votum für Rankou. ~@~ Die Tür zur Umkleide flog fast aus den Angeln, als die Zwillinge gleichzeitig hineinstürmten, alle erreichbaren Hände schüttelten und heißhungrig den Bananen den Garaus machten. Rose hatte sich an Ai gehalten und strahlte vor Glück, während Ai sich um unerschütterliche Haltung bemühte, aber niemanden zu überzeugen wusste, da der Kajal verdächtig verlief. Tatsuomi zerrte Kouji am Handgelenk hinter sich her, begeistert und euphorisch angesichts des Erfolgs und der Tatsache, dass er trotz der Anstrengung und des Lampenfiebers innerhalb einer Woche die schwierigen Parts gemeistert hatte. Sie waren nicht vollkommen fehlerlos gewesen, aber Kouji hatte dies auch nicht erwartet. Dafür hatten sie ihn angenehm damit überrascht, aufeinander zu hören und sich aufzufangen, wenn Unsicherheiten sich einschlichen. Nachsichtig umarmte er den Jüngeren, der ebenso schweißnass wie er selbst war, hoffte, Tatsuomi damit ein wenig zu beruhigen, denn es war nur ein kleiner Schritt zwischen maßloser Begeisterung und Hysterie. Katsumi hatte sich an Yuugo gelehnt, sein spitzes Gesicht verlor die angespannten Linien allmählich, aber er wirkte zerbrechlich gegen die kräftige, braungebrannte Gestalt hinter ihm, die ihn sanft umfangen hielt. Kouji lächelte noch siegessicher, als Tatsuomi vor ihm einen hellen Schrei ausstieß und wie ein Raubvogel in das hintere Ende des Raumes stürzte. Nicht einen Wimpernschlag später riss er eine schlanke Gestalt in seine Arme, vergrub das Gesicht an einer Schulter und schluchzte laut auf, nur noch verstümmelte Worte herausschleudernd. "Takuto-chan! Endlich... endlich... wieder da... so vermisst!!" Vertraute, feine Hände in bronzefarbener Tönung streichelten über den zuckenden Rücken, flüsterten Trost und Aufmunterung. Tatsuomi weinte wie ein Kind, ungeniert, offen, laut, stützte sich schwer auf Takuto. Dieser schob den Jungen leicht von sich, wischte mit mildem Lächeln die Tränenspuren ab, kämmte die honigblonden Strähnen, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, hinter die Ohren. "Das war ein tolles Konzert, Tatsu-chan. Ich bin sehr stolz auf dich." Nicht die Worte, sondern das vertraute Timbre, so warm und liebevoll, erreichte Tatsuomis verwirrten Geist, glättete die aufgewühlten Emotionen. "Na los, Mädels und Jungs, packt eure Sachen, es geht nach Hause!", trieb Kouji scheinbar unbewegt seine Band an. Die Bühnenarbeiter würden bereits Keyboard und Schlagzeug abgebaut haben, den Rest aber mussten sie selbst zusammenpacken. Er wusste um die aufreibende Wirkung eines gelungenen Konzerts, die Euphorie, das Adrenalin. Aber er kannte auch den Einbruch danach, wenn alle Hormone sich verlaufen hatten, der Körper seinen Tribut für die Höchstleistungen einforderte. Und vorher wollte er die Jugendlichen zu Hause abliefern. Katsumi, der den Ablauf kannte und auch Koujis Verhalten richtig deutete, geleitete Ai und Rose hinaus, nickte Yuugo zu, der sich auf den Weg zum Transporter machte, um das Einladen der Instrumente zu überwachen. Tatsuomi konnte sich kaum von Takuto lösen, aber dieser half mit augenzwinkerndem Nachdruck beim Packen. Niemand schien in der Stimmung, zu duschen oder die Kostüme abzustreifen. Man wollte in Bewegung bleiben, die aufgestaute Energie abbauen. Jun und Kaz schleppten vor sich hin trällernd ihre Gitarren hinaus. Während Tatsuomi, sich ausreichend besinnend, dass um ihn herum ein Spannungsfeld die Luft elektrisierte, das durchaus mit der Atmosphäre im Konzertsaal zu vergleichen war, seine eigenen Sachen schnappte. Sich ebenfalls auf den Weg durch die Katakomben machte. Kouji stand noch immer in der Mitte des Raumes, sah Takuto einfach an. Die sehnige Gestalt, sonnenverwöhnt, ein wenig müde vom langen Flug, eine Hand in die Hüfte gestützt, dieses samtige, glühende Lächeln auf den Lippen, das ihm alle Sinn raubte. Einige, fast zögerliche Schritte, angehaltener Atem, dann standen sie voreinander. Schwer, zitternd wanderte Koujis Hand in die Höhe. Nackt und bloß ohne den Lederhandschuh schwebten die schwarz lackierten Fingernägel über Takutos Schläfe, wagten nicht, sich anzuschmiegen. Takutos Miene veränderte sich nicht, brach nicht einmal für das Blinzeln den Blickkontakt zu Kouji, umfing die bebende Hand behutsam. Hauchte einen Kuss auf die feuchte, nach Leder duftende Haut, um dann zärtlich die Wange in die offene Handfläche zu bergen. Kouji stieß einen tiefen Seufzer aus. Tränen brannten in seinen Augen, er schluckte schwer an den Gefühlen, den zurückgehaltenen Ängsten, dem Schmerz und dem Stress der letzten Tage. Aber er überwand diesen Druck, konzentrierte sich mit übermenschlicher Kraftanstrengung auf das Wesentliche. "Ich wusste, dass du kommst...", wisperte er heiser. Takuto lächelte melancholisch. "Ich habe deine Nachricht gelesen über die Ereignisse der letzten Zeit. Du warst sehr tapfer." Kouji blinzelte, aber sein Blick wollte sich nicht mehr klären, die Wimpern hingen schwer an Tränenperlen. "Du hast mir gefehlt", ergänzte Takuto sanft, was die letzten Dämme einriss. Kouji tat es seinem Neffen gleich, riss Takuto mit einem weiteren, Stein erweichenden Seufzer in seine Arme, vergrub die tränenfeuchten Wangen in dessen Halsbeuge. Hauchte immer wieder, erstickt und glückselig zugleich, "Izumi... Izumi..." ~@~ Katsumi kletterte steif und erschöpft hinter Yuugo auf das Sitzpolster des Rollers, legte die Wange an Yuugos Rücken. "Ich will mein Bett", murmelte er erledigt. Verdrängte für den Augenblick, dass am nächsten Morgen wieder eine Menge Arbeit anstand, die Aufnahmen des Konzerts geprüft werden mussten, organisatorische Aufbereitung notwendig war. Yuugo lachte leise, hob die Ellenbogen vorsichtig an, um Katsumis schmale Handgelenke einzufangen und eng um seinen Leib zu wickeln. "Festhalten, Engelchen, dann sausen wir rasch auf Wolke 7", scherzte er neckend, ließ die Maschine sanft anrollen. Katsumi brummte Unverständliches und schmiegte sich hautnah an den Jüngeren, vertraute darauf, dass Yuugo ihn sicher transportieren und ins Bett bringen würde. Dieser summte leise vor sich hin, während die langen, schwarzen Haare im Fahrtwind wehten, in Gedanken die erfreuliche Aussicht, dafür zu sorgen, dass Katsumi wirklich tief schlafen würde... Wenn er seine Streicheleinheiten geerntet hatte. 'Born to be wild....' ~@~ Takuto schloss mit ruhiger Hand die Haustür auf, bugsierte Tatsuomi, der noch immer vor ungebändigter Energie zu bersten schien, über die Schwelle. Durch die stille Nacht drang das geschmeidige Summen der Garagentore, das Piepen, das verkündete, dass Kouji den Transporter rückwärts einparkte. "Na, bist du gar nicht müde, Tatsu-chan?" Takuto wuschelte durch die honigblonden Strähnen, unterdrückte ein verschämtes Gähnen. Tatsuomi schüttelte den Kopf wild, schien Mühe zu haben, die innere Erregung nicht in konvulsivisches Zucken der Glieder ausarten zu lassen. Während alle anderen bereits auf der Heimfahrt langsam in die Mattigkeit der Ausläufer großer Begeisterung und Euphorie verfielen, konnte Tatsuomi sich kaum bremsen vor Elan. Die Vorstellung, sich jetzt in sein Bett legen zu müssen, noch entflammt und fiebrig, jagte ihm förmlich Abscheu die Kehle hoch. Er wollte aus voller Kehle singen, brüllen gar, mit dem Wind um die Wette laufen, die Elemente herausfordern! Nun, es gab eine Möglichkeit, dies alles zu bewerkstelligen! Kouji stapfte die Treppe aus der Garage nach oben, vor sich hin murrend. Weil der Transporter wie ein Schlachtfeld aussah und er, obwohl keinesfalls die Muse der Ordnung, im Bereich seiner Arbeit kein Chaos, und sei es vorgeblich noch so kreativ, duldete. Takuto war vorgegangen, die Arme hoch über den Kopf gestreckt, um seinen Rücken energisch zu dehnen, was das erstaunlich knappe T-Shirt leicht über seinen Bauchnabel hob und die Muskelstränge enthüllte. Tatsuomi bewunderte den Anblick einen Sekundenbruchteil unverhüllt, dann suchte er seine Chance, sich unbeobachtet davonzustehlen, diebische Vorfreude in seinen Adern vibrierend. Kouji, der gerade mit grimmiger Miene die Tür hinter sich schloss, musste sich mit weichen Knien wie ein Pennäler an das Türblatt lehnen, als sich Takuto katzenhaft und gedankenverloren vor ihm räkelte. Mit belegter, heiserer Stimme, fast wehmütig, wisperte er, "Izumi, ich könnte ein Bett vertragen." Takuto zog eine Augenbraue hoch, enthielt sich aber jeglichen Kommentars über diesen schlichten Wunsch hinaus. "Ich werde gerade mal meine Tasche ausräumen", verkündete Takuto unbeeindruckt, sammelte diese im Flur ein und betrat das Badezimmer, um dort den Korb mit Schmutzwäsche zu füllen. Kouji hatte genug Kontrolle über sich gewonnen, um ohne beschämendes Abstützen an den Wänden ins Schlafzimmer zu schlendern. Tatsuomi, der auf diesen Augenblick förmlich gelauert hatte, huschte hinaus, die Inliner an sich gedrückt. Sein Kostüm musste eben diesem nächtlichen Ausflug standhalten, zum Umziehen stand ihm nicht genug Zeit zu Gebote. Vor dem Haus schloss er die Schnallen, stieß sich schwungvoll ab, breitete dann die Arme aus, als wollte er die Welt in ihrer glitzernden, leise summenden Pracht umarmen. Und rauschte mit den Schatten um die Wette davon. ~@~ Kouji schälte sich aus dem Sakko, das er trotz sommerlicher Wärme aus Gründen der Schicklichkeit wieder übergestreift hatte. Man musste auf seinen Stil achten, schließlich konnte jeder Prolet oben ohne gehen! Er ließ sich auf das Bett sinken, öffnete die Hose und wünschte sich, mit einer Zigarette im Mundwinkel lässig wie ein Held der Nouvelle Vague in die Kissen zu sinken, Inbegriff von Coolness und verletzlicher Verführungskraft. Aber Rauchen stand nicht mehr zur Debatte, und er wagte zu bezweifeln, dass sich ein Held so unsicher und zittrig gefühlt hätte wie er in diesem Augenblick, mit rasendem Herz auf die halb geöffnete Tür starrend kauerte. »Schlimmer als bei meinem erste Date!«, verfluchte er sich still, konnte sich aber nicht mehr darauf besinnen, wem es gegolten hatte. Aber er zweifelte daran, dass er jemals genug Interesse aufgebracht haben konnte, um nasse Hände zu haben. Takuto schlüpfte herein, nur noch im Slip, da er sich wohl entschlossen hatte, gänzlich alle Bekleidung der Reise zu waschen. Der weiße Stoff, Feinripp, hob sich in scharfem Kontrast zur tiefgebräunten Haut ab. Es schien Kouji, als würde die glatte Haut nie in ihrer Intensität verblassen, keine hellen Streifen begrenzen. Unwillkürlich hielt er den Atem an, wagte nicht mal ein Blinzeln, während sein Pulsschlag in seinen Ohren dröhnte. Takuto rieb sich vorsichtig über die lange Narbe auf seiner linken Hüfte, brummte unwillig, als er einen Faden fand. "Es wird wohl nie heilen", bemerkte er leise, errötend, als er Koujis unverwandten Blick bemerkte. Sich die längst die Oberlippe erreichenden Ponyfransen aus der Stirn werfend näherte er sich langsam in bedächtiger Vorsicht Koujis Seite ihres übergroßen Bettes. Streckte die Hand aus, um zärtlich schwere, tintenschwarze Strähnen aus den Schläfen zu streichen. "Komm, ich helfe dir", raunte Takuto, beide Hände leicht an Koujis Armen hinunterführend, den Handgelenken zu, eine Moquerie, eine Ouvertüre zu einem Pas de deux. Kouji, die Augen auf das geheimnisvolle Feuer gerichtet, das in den schwarzen Augen loderte, lockte, jubilierte, erhob sich in Zeitlupe, verzaubert. Takuto lächelte leicht, löste seinen lockeren Griff um Koujis ungleiche Hände, legte beide Handflächen auf die elfenbeinfarbene Haut an den Hüften. Brannte seine Hitze in die kühl wirkende Marmorhaut, um dann vorsichtig den offenen Hosenbund dem Boden entgegen zu streifen. Das sanfte Rascheln des gefallenen Stoffes knisterte in der atemlosen Stille. Kouji hatte den noch von Lippenstift gezeichneten Mund geöffnet. Suchte er nach Worten? Doch nur sein Atem entfloh hastig, zu lange eingesperrt mit diesem kochenden Blut. Takuto barg Koujis Wange in einer Hand, strich mit dem Daumen müßig über dessen Mund, zeichnete die sanften Kurven nach. "Diese Farbe... gefällt mir nicht", raunte er dunkel, augenzwinkernd, doch nicht im Spiel, "sie macht dich zu blass..." Koujis Hände zuckten, obgleich grundverschieden in Form und Beschaffenheit, unisono, suchten an Takutos Hüften Halt. Takuto hauchte in seine Ponyfransen und in dem Auftrieb schwarzer Strähnen versiegelte er Koujis Lippen mit einem bestimmten Kuss. Kouji erschauerte, die Augen weit aufgerissen, dann schlang er fast erstickend heftig die muskulösen Arme um Takutos sehnige Gestalt, schloss die Augen fest und drang in den glühenden Mund ein. Aber Takuto entwand sich geschickt, floh aus der allzu forschen Liebkosung, umschmeichelte Koujis Zungenspitze mit kecken Küssen, nur Flügelschläge lang. Verzierte das unwirklich schöne Gesicht mit markanten Schnörkeln und hauchzartem Biss. Kouji spürte seinen Atem fliegen. Seine Welt erbebte unter dem Trommeln seines Herzens. Er wagte nicht, sich so geschwächt dem Anblick von Takutos feurigen Augen auszusetzen. Aber Takuto vergönnte ihm keine Zufluchten, zupfte neckend und fordernd zugleich an Koujis Unterlippe, leckte Speichel, während seine Finger auf Koujis Schulterblättern Druckstellen hinterließen. Die Antwort erfolgte prompt. Koujis Hände wanderten zielstrebig dem Gummibund des Slips zu, schoben sich darunter, weiteten den Sitz, um dann wie eine Initiation die Pobacken, links metallisch kalt, rechts hitzig und fingernägelhart, in Besitz zu nehmen. Takuto keuchte, fuhr mit der Zunge raubtierhaft über Koujis Nase, streifte mit den langen Ponysträhnen die Porzellanhaut wie Rabenfedern. Kouji saugte ihren vermischten Atem ein, spannte die Handrücken an, ließ sie dann hinuntergleiten, bis der Gummibund an den hohen, schlanken Oberschenkeln keinen Halt mehr fand und sich dem Boden entgegenwarf. Wie befreit liebkosten die ungleichen Hände die kaum sichtbaren Muster des Hosenbunds auf der gebräunten Haut, streckten sich unwillkürlich zuckend, konnten nicht an sich halten. Takuto drängte sich unversehens näher an Kouji, als suche er die Wärmequelle eines anderen Körpers, müsste sich durch Kontakt wappnen vor der Kälte der Welt. Koujis Hände jagten Schauer durch Takutos Körper, heiß-kalt, erfüllten ihn mit fiebrigem Verlangen. Doch einseitig sollte es nicht bleiben, schrie die Libido und Takuto löste den harten Griff um Koujis Schultern, legte stattdessen die Handflächen wie zur Wahrung von Distanz auf Koujis Brust. Verzeichnete befriedigt das Trommeln hinter dem bebenden Käfig, reizte mit sanftem Daumenkreis. Takuto bog die Knie ein wenig, gerade so viel, dass er bequem unter Koujis Kinn reichte, zog dann die Zunge den Kiefer entlang zum Kinn. Saugte an der weichen Unterseite der Sehnen und Muskeln, wimmerte unter dem Eindruck von Koujis Reaktion auf seine forschen Attacken. Die Metallhand begnügte sich nicht mit bloßer Auflage, nein, sie suchte, seinen Körper rücklings zu erkunden, ihn zu erobern. Takuto wand sich, rieb sich an dem Elfenbeinleib, elektrisierte die unsichtbare Behaarung, suchte scheinbar flehend Schutz in der Halsbeuge. Kaum, dass der Angriff zögerlich erlahmte, tröstend die warme Rechte das Rückgrat bis zum tiefsten Punkt liebkoste, suchten Takutos Finger die unbewehrten Brustwarzen mit festen Kniff. Erstickte den schmerz- und lustgeprägten Schrei mit zärtlichem Zungenschlag, schmiegte sich erneut intim an die glatte, makellose Haut. Kouji erwiderte den Kuss intensiv. Vor seinen Augen tanzten abertausende Sonnen, in seiner Nase versprühte der Hochsommer seine Lockstoffe wie ein Aphrodisiakum. Er hatte trotz der heißen Witterung dieses unwiderstehliche Fieber, den Endorphin schwangeren Taumel in Ekstase so sehr vermisst, dass sein Körper förmlich danach schrie. Und dies konnte Takuto wohl kaum entgehen, schoben dessen wohlmeinende Hände bereits den Seidenstoff seiner eigenen Unterhose über die muskulösen Partien dem Boden zu. Vollkommen entblößt umarmten sie einander, eigenartig scheu, in diesem Augenblick, wo ein letztes Mal Verstand dazwischenfunkte, zwischen Gefühl und Leidenschaft vermittelte. Kouji drängte Takuto behutsam Richtung Bett, bis diesem die Kniekehlen einknickten, folgte dann wie ein Schatten der katzengleichen Bewegung, dem rücklings wegrutschenden Geliebten auf der Matratze. Fing am Kopfende vor der Kissenbarriere mit beiden Armen den spielerisch Fliehenden ein, drückte die flammende Haut an den Schultern auf die Tagesdecke, die Handgelenke über den Kopf bestimmt bannend. Takuto blinzelte feurig unter den langen Ponysträhnen hervor, ließ sich ohne Widerstand von dem Porzellanleib fixieren, erwartete mit bebenden Lippen hungrige Küsse. Schmeichelte dem unerschrockenen Abenteurer mit der kundigen Zunge die eigenen Hände ab, um in geübter Umsicht die Prothese abzuschnallen. Kouji verlegte sich derweil darauf, die markanten Linien des vertrauten Gesichts mit Kussspuren zu zeichnen, seinen Besitzanspruch an jedem Partikel zu demonstrieren. Takuto zuckte in aufreizendem Genuss, stützte ein Bein auf, um dann mit der Fußsohle, gezeichnet vom Training, rau die Innenseite von Koujis Unterschenkel bis zum Knie entlangzufahren. Kouji erschauerte. Das leise Beben entzückte seinen Geliebten, der mit funkelndem Blick jedes Verschleiern der abgründigen Augen registrierte. Reizte fortwährend, ließ in Zeitlupe die Atemzüge in sanften Wellen gegen den geliebten Körper rollen und die schlanken Hände Koujis Kehrseite massieren. Kouji stöhnte, bäumte sich trotz der Behinderung einarmig auf, stemmte sich auf die Knie. Diesen Aufschub nutzend entzog sich Takuto der Gefangennahme, rollte sich seitwärts zum Bettrand, um in Nonchalance seine Aufmerksamkeit dem Inhalt des Nachtschranks zu widmen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als heißer Atem über sein narbengezeichnetes Rückgrat fauchte, ein Arm sich besitzergreifend um seinen Leib schlang. Schlanke Finger mit schwarz lackierten Nägeln sich tief in die offene, scharlachrote Narbe an seiner linken Hüfte bohrten. Schmerz raubte ihm den Atem, raste direkt in die Nervenzentren, explodierte in seinem Kopf zu silbrigem Sternregen. Aus seinen Händen glitten Tuben, unwillkürlich den Eindringling belagernd, die Finger umklammernd, guttural um Milde winselnd. Kouji schnitt dem Flehen den Ton ab, liebkoste mit der Zunge den Gaumen, die Finger noch immer bedrohlich über der Narbe gewölbt, jederzeit bereit, sich den Vorteil erneut zu verschaffen. Aber Takuto vergalt Gleiches mit Gleichem. Auch von Schmerzeslust geblendet erkannte er die Wundcreme, bestrich den Armstumpf mit ausschweifenden Gesten. Fühlte das sekundenlange Erstarren, den Druck der Erektion an seinem verlängerten Rückgrat, den jagenden Atem. Nutzte den Vorteil, eine Hand zu entbehren, in Koujis Nacken zu legen und diesen zu einem leidenschaftlichen Kuss zu bewegen. Sich sanft herumwindend drückte Takuto Kouji auf den Rücken hinunter, die Beine weit geöffnet, um dessen schlanke Hüften gänzlich hautnah umschlingen zu können. Die beiderseitige Reaktion raubte ihnen die Sicht für Wimpernschläge. Takuto beugte sich tief hinab, flüsterte sein Begehren in die lackschwarzen Strähnen, von Atemstößen unterbrochen. Koujis verbliebene Hand vertrieb sich derweil müßig die Laune, indem sie die prallen Muskeln bestrich, in ihre intime Senke eindrang und um den Einlass ersuchte. Takuto keuchte, die Augen geschlossen, drängte sich dann aber dem neugierigen Besucher entgegen, weitete seinen Schritt willkommen heißend. Koujis Sendbote überrumpelte ihn mit Begleitung, wand sich, als der Muskelring sich konvulsivisch zusammenzog. Suchte kundig sein Entree mit gezieltem Druck auszugleichen, was Takuto ein heiseres Aufstöhnen entlockte, die Ellenbogen bedrohlich einzubrechen schienen. Kouji zog seine vorwitzigen Kundschafter zurück, berauschte sich an den heftigen Atemzügen, die seine Haut entflammten. Unter halb gesenkten Lidern genoss er die hitzige Röte auf Takutos Wangen, die feuchten Lippen im dezenten Schein der gedimmten Beleuchtung. Als kühles Gel seinen Körper an pulsierendster Stelle bedeckte, entfloh ihm ein helles Keuchen. Aber schon bald glich lustvolle Massage die Temperatur bis zur Glut aus, härtete das rapid kreiselnde Blut in rötlich glühenden Stahl aus. Seine Hand verließ die scharlachrote Narbe keinen Wimpernschlag lang, als Takuto mit tiefem Atemzug Einlass gewährte in das vibrierende Innere seines Leibs. Während seine Hände fahrig die Porzellanhaut bestrichen, sein Rückgrat sich gegen den sanften Druck von Koujis aufgestützten Beinen bog, seine Muskeln zitterten, wenn sie anheben und wieder senken sollten, verschafften sie einander im Wechselbad von ekstatischer Lust und wonnevollem Schmerz Befriedigung. Um atemlos einander in die Arme zu sinken und sich umschlungen zu halten, bis der bebende Herzschlag unisono verschmolz. Einander versichernd, dass real war, was ihre Haut mit Schweiß benetzte, sie erzittern ließ unter fiebriger Glut. ~@~ Tatsuomi fegte durch die Nacht wie Wetterleuchten, blendend grell, nur Sekunden sichtbar und vollkommen lautlos. Seine honigblonden Haare wehten wie eine ferne Korona um seinen Kopf, die silbrige Weste umschmeichelte windverspielt seine schlanke Gestalt. Allein seine Beine trieben in ausholendem Schritt Muskelspiel, jagten Puls und Herzschlag in berauschende Höhen. Längst war seine helle, ebenmäßige Haut mit winzigen Schweißperlen benetzt, glühte sein Leib in unsichtbaren Farbspektren. Aber so lange sein Blut, seine Seele nach Erlösung aus diesem Hochgefühl suchte, würde er nicht stillstehen können. ~@~ Takuto rollte sich auf die Seite, atemlos und in Muskelkrämpfen zitternd, die ihn willenlos beherrschten. Eine vertraute, große Hand legte sich über die scharlachrot glühende Narbe, doch suchte sie nicht Liebesbegehr, sondern wärmte sich an der Glut, die seinem Leib entströmte. Liebkoste zärtlich die leichten Wülste an den Narbenrändern, reizte unbewusst versehrte Nervenenden. Takuto keuchte leise, wischte sich klebrige Strähnen aus der Stirn, legte dann die Hand auf Koujis, um diese zu fixieren. Sie wechselten im Halbdunkeln Blicke, kommunizierten über die fiebrige Haut. Vereinbarten stumm, dass auch Wiedersehensfreude und feurige Begierde Rücksicht auf die Gesundheit und das Leidensvermögen zu nehmen hatten. Lauschten auf ihre korrespondierenden Atemzüge, weideten sich an der vertrauten Silhouette des anderen. Endlich, fast schüchtern, brach Kouji die Stille. "War es schlimm?" Takuto schloss die Augen, während simultan sich seine Finger mit Koujis verschränkten, die elfenbeinfarbene Hand von seiner Hüfte hoben, zwischen ihnen eng verbunden ablegte. Dann schlug er die Lider wieder auf, ein melancholisches Lächeln umspielte die Lippen. "Ich dachte, es sollte mich umbringen." Ein Blitz fauchte eisig kalt durch die verbundenen Körper. Takuto zog behutsam Koujis Hand an seine Lippen, küsste den Handrücken galant. "Aber es ist nicht eingetreten." Seine mädchenhaft langen Wimpern wehten süßen Orkan. "Ich wusste es ja. Dass es kommen würde. Irgendwann einmal. Aber auf dem Platz..." Takuto löste seine Hand aus Koujis, drehte sich auf den Rücken, ergriff diese dann mit der anderen Hand. "Kannst du es dir vorstellen, einen tiefblauen Sommerhimmel mit Schäfchenwolken? Einen saftig grünen Rasen, eine laue Brise Wüstenwind. Und ich jage dem Ball hinterher. Ich kann mithalten, sprinten, abwehren, dribbeln, schießen." Kouji rutschte hautnah an Takuto heran. Seine Brust schmiegte sich an den Arm, der ihre Hände verband, die abgründigen Augen versanken in mitfühlenden Tränen bei der Betrachtung des geliebten Profils. Takuto aber erging sich in Erinnerungen, verzaubert durch den Augenblick. "Ich war so gut wie sie. Als ich auf dem Feld stand, schmutzig, verschwitzt, atemlos... da spürte ich es. Die Gewissheit. Ich bin so gut wie sie." Takuto wandte den Kopf herum und musterte Kouji versonnen lächelnd. "Ich bin so gut wie sie", wiederholte er nachdrücklich. "Zum ersten Mal bin ich sicher. Egal, was auch geschieht, das kann mir niemand nehmen." Das Feuer, das in seinen schwarzen Augen loderte, züngelte freundlich, ohne den giftigen Stachel der Verzweiflung. "Ich bin gut", flüsterte er, an Kouji angeschmiegt, drückte die schlanken Finger fest. "Besser als er", fügte Takuto dann raunend an, um Koujis bebenden Lippen einen tränensalzigen Kuss abzuringen. ~@~ Tatsuomi schwindelte. Seine Knie knickten immer wieder ein, die plötzliche Schwäche war ebenso beschämend wie furchterregend. Aber er hatte sein Ziel bereits erreicht, überwand den hohen Zaun ungelenk, aber unverletzt. Auf vertrautem Terrain bewegte er sich unbeholfen, als nach und nach die Muskeln und Sehnen ihren Dienst quittierten, klopfte schließlich an ein Fenster. Sank gegen die Scheibe, die Augen geschlossen, um Atem ringend. Die Stütze in seinem Rücken verschwand, aber einem Sturz zuvorkommend umschlangen ihn muskulöse Arme mit eisblauem Blitz. "Sunny, was machst du um diese Zeit hier?", raunte es heiser an sein Ohr. "Rasten", hauchte Tatsuomi, ließ sich ins Zimmer helfen, wo er, kaum den Futon berührend, in tiefen Schlaf fiel. ~@~ Takuto erwachte allmählich, wie in einer sanften Wellenbewegung, die seinen Körper durchspülte. Zuerst spielerisch die Nervenenden seiner Glieder kitzelte, sich zurückzog, ein warmes Glühen hinterlassend. Wieder aufbrandete, in dunkler Woge seinen Leib erfüllte, die schaumigen Ausläufer in seinem Gesicht prickelnd. Die Sinne verloren ihre Schlafesbetäubung, regten sich, zuckten, tasteten. Seine Lider hoben sich flatternd und fanden im Dämmerlicht einer Nachtleuchte. Takutos innere Uhr verkündete den Morgen, auch wenn er in diesem fensterlosen Gemach außerhalb jeder Zeit schwamm. Aber es fühlte sich wie ein "Morgen" an, ein hoffnungsfreudiger Beginn, der Übergang von finsterem Vergessen zu hellem Tatendrang. Er drehte sich auf die Seite, sich vage des dumpfen Vibrierens in seinem Unterleib bewusst, das von intimen Exzessen kündete, ihm aber Wohlbehagen verursachte. Ein Beweis der absoluten Liebe, die sie verband. Kouji schlief neben ihm tief. Takuto legte sich auf den Bauch, das Kinn auf die Arme platziert, betrachtete den Geliebten aufmerksam. Dies war ein kostbarer Moment, den er in aller Stille und Andacht zelebrieren wollte. Denn üblicherweise erwachte Kouji vor ihm oder schlief verborgen hinter seinen Haaren und in sich gekrümmt, noch im Unbewussten maskiert bis zur Unleserlichkeit. Aber heute gönnte er Takuto den Anblick seines wahren Gesichts, unverhüllt, offen dargeboten, verletzlich. Die zarte Haut hatte die Aura der marmonen Blässe verloren, die zerbrechlichen Wangenknochen schimmerten rosig, die Lippen, ohne den falschen Schmuck von dunklem Lippenstift, strahlten die herb-süße Note von Pfirsichen aus. Kouji verkörperte nicht länger eine unwirklich schöne, fast ätherische Puppe, sondern einen lebendigen Menschen, unter tiefen Atemzügen bebend, in Träumen Wimpern flatternd, in Wärme pulsierend. Takuto rückte noch näher heran, beugte sich behutsam über die Halsbeuge, sog genießerisch den Duft ein, der Kouji entströmte. Er liebte diese herb-glamouröse Mischung aus künstlichen Aromen der Kosmetika, dem Schweiß und dem erdigen Geruch von animalischer Sexualität. Ein Geruch, der die Sinne betörte, Turbulenzen in seiner Magengrube auslöste, winzige Explosionen in seinem Blutkreislauf inspirierte. Kein kalter, unnahbarer, steriler Duft, nein, dies war real und lebendig. Vergänglich und darum kostbar. Kouji regte sich im Schlaf, drehte sich auf den Rücken, die Lippen formten Unverständliches, lackschwarze Strähnen glitten aus seinem Gesicht. Takuto lächelte unwillkürlich verzaubert. Trotz allem, was sie miteinander und durch einander erlebt hatten, bestärkte dieser Anblick Takuto in seiner Einschätzung, dass von Kouji eine seltsame Unschuld ausging, die er selbst nicht wahrnahm. Eine Unschuld, die Takuto keine andere Wahl ließ, als ihn zu beschützen, zu lieben, mit allem, was er war und ihn ausmachte. Er überwand den Abstand zwischen ihnen, schmiegte sich Wärme spendend an die breite Brust, fing eine Wange zärtlich mit einer Handfläche ein, um seinem Geliebten erneut in die Welt der Träume zu folgen. ~@~ Katsumi stahl sich auf nackten Fußsohlen aus dem Bett und aus ihrem Schlafzimmer, splitternackt, den Bademantel an sich gepresst. Erst im Flur streifte er das Frottee über, tapste dann ungelenk in das Wohnzimmer, um sich zum Munterwerden eine heiße Schokolade zu bereiten. Sommer hin oder her, er brauchte Wärme und viel Zucker. »Man muss schon Herkules sein, um der unersättlichen Leidenschaft standzuhalten«, dachte er in einer Mischung aus Stolz und wehleidigem Schmerz. Aber nun, da er Zeit hatte, in der Stille des Morgens die letzten Ereignisse zu verarbeiten, fiel langsam die Spannung der vergangenen Wochen von ihm ab. Sie waren nicht gescheitert, das Wagnis war gelungen. Rehabilitiert als Manager, belohnt für seinen Bruch mit der Familie und der umspannenden Shibuya-Gesellschaft. Hatte die Feuerprobe auf sich allein gestellt bestanden. Zwar machte er sich klar, dass es noch nicht ausgestanden war, was die weitere Zukunft ihres neuen Labels und ihrer Partnerschaft betraf, aber sein Gefühl wischte diese Sorgen ungnädig beiseite. Gestärkt mit Zucker und Calcium rief er die morgendlichen Rezensionen und Pressemeldungen ab. Nicht einmal die übel meinenden Kritiker wagten einen ungerechten Verriss, sie schwiegen einfach. Aber das war bezeichnend genug, denn die wenigen objektiven Berichte sprühten vor Begeisterung. Man prognostizierte der Tournee einen durchschlagenden Erfolg trotz der Amateurband, da sich rasch herumgesprochen hatte, dass alle Konzerte ausverkauft waren. Nun müsste man die Aufzeichnungen der letzten Nacht auswerten, nachbearbeiten und dann im Ausland zur CD-Herstellung geben. Katsumi notierte sich auf einem Schmierblatt, dass die üblichen Vertriebswege möglicherweise schwierig werden würden durch den Boykott der führenden Firmen. Aber was sprach gegen einen gemieteten Container, Speditionen und Kuriere und die Abnahme direkt über online-Bestellungen der Verkaufsstellen? Seine Miene heiterte sich auf. Rebellentum wie bei amerikanischen Garagenbands... ~@~ Takuto setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Ein Arm schlang sich besitzergreifend um seine Taille. Takuto wandte den Kopf und musterte den funkelnden Kouji nachsichtig tadelnd. "Denkst du nicht, wir sollten langsam mal das Bett verlassen?" Kouji räkelte sich in katzenhaft-lasziver Anmut, senkte die Lider auf Halbmast, was dem raubtierartigen Glühen keinen Abbruch tat. "Nein. Es sei denn, wir machen auf dem Wohnzimmerteppich weiter." Takuto schnalzte mit der Zunge, versuchte, die Hand von seinem Leib zu lösen. "Kouji...!" Die lackierten Fingernägel bohrten sich tief in das vernarbte Fleisch der Wunde. Takuto stöhnte auf. Eine Klaviatur der Fingerspitzen in dem empfindlichen Gewebe trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn, seine Atemzüge flogen hastig. Er konnte nicht länger dieser Attacke standhalten, ließ sich mit geschlossenen Augen zurücksinken, behaglich aufgefangen an einer breiten Brustpartie. "Du gehörst mir", wisperte Kouji, Lust belegte seine Zunge heiser, "diese 24 Stunden ganz allein mir!" Besitzergreifend verzierten seine Zähne Takutos Hals mit glimmendem Muster. Dieser wandte vorsichtig den Kopf. Seine Hände umfingen wie Blütenblätter Koujis Gesicht. "Kouji... bitte, ich muss zur Toilette, und ich habe Hunger...", hauchte er unter gesenkten Lidern auf die schimmernden Lippen. Kouji trieb erneut, blitzschnell, seine Fingerspitzen in Takutos Narbe, berauschte sich an dessen Reaktion, dem Kopf, der unter ersticktem Wehlaut in den Nacken flog, schutzlos die Kehle entblößte. Küsste hungrig die gestreckten Sehnen, weidete seine Zunge an der bronzefarbenen Haut. "Also gut... aber ich werde dich keine Sekunde aus den Augen lassen", knurrte Kouji guttural, gab Takuto langsam frei. Dieser atmete tief durch, musste seine Sicht klären, die von Lust und Schmerzen getrübt war, stieg dann aus dem Bett und kleidete sich an, Shorts und T-Shirt. Kouji streifte inzwischen seine Prothese über, einen auffordernden Blick auf seinen Geliebten werfend. Bewunderte die "Zeichnung", die seine Zähne und Lippen auf dem schlanken Körper hinterlassen hatten: gefleckt wie eine Raubkatze stand sein Liebhaber vor ihm. Lediglich die gerunzelte Stirn störte das Ideal. "Kouji, zieh dir bitte was über." Kouji grinste zähnestarrend, "warum sollte ich?" »Eine hitzige Debatte könnte der Auftakt für ein feuriges Intermezzo werden...« Aber Takuto lächelte, reichte ihm einen seidigen Morgenmantel in Rauchschwarz. "Weil ich meine Geschenke gern auspacke", flüsterte er spitzbübisch, um hüftschwingend das Schlafzimmer hinter sich zu lassen. ~@~ Hotsuma nickte Gonzou zu, dann verschlossen sie die Fenster und Eingänge. Aber dieses Mal würde es hoffentlich nicht Jahrzehnte dauern, bis wieder Licht in die restaurierten Räumlichkeiten drang. Hotsuma verharrte andächtig einen Augenblick, die Handflächen auf das kostbare Holz der Torflügel gelegt. »Ich komme wieder«, gelobte er stumm. Dann folgte er Gonzou in das Dorf. Um, ausgerüstet mit guten Wünschen, einem Glas Honig und eingelegten Fischen die lange Reise nach Tokio anzutreten. Bereits von Heimweh erfüllt, je weiter er sich dem verwunschenen Wald entfernte. ~@~ Tatsuomi streckte sich gähnend. Er erkannte den Futon, den Raum, auch das Kostüm, das verschwitzt und schmutzig an seinem Körper wie eine zweite Haut klebte. "Balu?" Aber er war allein. Nach dem Stand der glühenden Sommersonnenstrahlen musste es schon gegen Mittag sein. Mühsam und mit pochenden Gliedern erhob er sich, wischte schmuddelige Strähnen aus den Augen. In diesem Augenblick schob sich die Tür beiseite, und Balu trat hinein. "Na, endlich ausgeschlafen, Sunny?" Tatsuomi grinste breit, räkelte sich. "Morgen, Balu! Sag mal, könnte ich wohl die Dusche benutzen?" Balu lachte, eine Augenbraue hochgezogen. "Und wie immer ein paar saubere Klamotten borgen, etwas essen und mich von der Arbeit abhalten?" Tatsuomi zuckte halb beschämt, halb dreist grinsend mit den Achseln. "Du verdirbst mir die Kinder! Die werden bald dich anhimmeln statt einen halbwegs anständigen Burschen wie mich", scherzte Balu. "Vor allem, weil ich bald ein Rockstar sein werde", alberte Tatsuomi provozierend weiter, um dann kurzerhand Balu um den Hals zu fallen. "Danke", hauchte er kaum hörbar, umarmte fast schmerzhaft den Älteren. "Gern geschehen, Sunny", antwortete dieser ebenso zart, hielt Tatsuomi fest. "Das nächste Mal musst du kommen!! Einen freien Tag bekommst du doch sicher?!", drängte Tatsuomi blinzelnd. Balu kämmte ihm Strähnen hinter die Ohren, schmunzelte über die Vehemenz in der Stimme des anderen. "Ich werde alles versuchen. Muss doch sehen, wie sich mein bester Freund schlägt!", scherzte er betont. Tatsuomi lächelte vertraulich. "Und dann reisen wir. Wie der Wind." Balu nickte schweigend, das warme Prickeln in seinen Adern ängstigte ihn nicht mehr. ~@~ Yuugo stellte zwei Eisbecher auf dem Couchtisch ab, was Katsumi aus einer schwindelerregenden Kalkulation riss. "Na?", ließ sich Yuugo neben ihm in die Polster sinken, umgeben von der hitzigen Aura der Sommersonne und der explodierenden Energie eines gemütlichen Sonntags. "Du warst Eis kaufen?", staunte Katsumi leicht verlegen, hatte er doch die Abwesenheit nicht registriert. Yuugo grinste, nahm einen langstieligen Löffel, um Katsumi den ersten köstlich-kühlen Happen in den Mund zu schieben. "Du warst so vertieft, Engelchen, dass ich dich nicht stören wollte", bemerkte er schmunzelnd. "Deswegen musst du mich nun aber nicht füttern", brummte Katsumi beschämt und klappte energisch den Laptop zu. "Es gefällt mir aber", raunte Yuugo leise an seinem Ohr, bevor sich Zitrone mit Pfefferminz verschmolz. Nachdem Katsumi Yuugos Lippen saubergeleckt hatte, schnappte er sich den zweiten Becher, begann ein Duell des gegenseitigen Beköstigens. Dass dabei die Ladung mehrfach ihren Anlaufpunkt verfehlte und sich ein bunter 'Bart' bildete, amüsierte sie beide ausgesprochen. "Was denkst du, sollten wir nicht meinen Bruder besuchen? Ich wüsste gern, wo er sich in den letzten Tagen herumgetrieben hat", schlug Yuugo gut gelaunt vor. Katsumi legte den Kopf schief und bemerkte trocken, "das kannst du vergessen. Heute werden sie vermutlich nicht mal aus dem Bett kommen." Sie grinsten unisono, um dann die Säuberungsarbeiten liebevoll auszudehnen. ~@~ Hotsuma erreichte am nächsten Tag Tokio. Sogleich bemächtigte sich seiner das Gefühl der Bedrängnis, schnürte sich ihm die Luft ab. Die Gebäude, die einander einengten, die Menschenmassen, gesichtslos, herdeten um ihn herum, Hektik, Befremdung ausgasend wie eine Säure, die sich klebrig-zersetzend an jedem festfraß. Dazu drückende Hitze, keine Luftbewegung erleichterte die Bewegung in der Glut. Verschwitzt und erschöpft, aber mit eiserner Entschlossenheit näherte er sich Koujis Haus. Zu seiner milden Überraschung lungerten keine Medienvertreter herum. Offenkundig hatten sie auch die Mittagszeit zu nutzen gewusst. Auf der Schwelle zögerte Hotsuma einen Augenblick. Die ganze Fahrt über hatte er sich Gedanken gemacht, Szenarien durchgespielt, wie früher Abläufe konstruiert, um sich zu wappnen. Allerdings waren zu viele Konstanten unbekannt. Er war nicht sicher, ob überhaupt jemand anwesend war. Tatsuomi musste in der Schule sein. Takuto galt als verschwunden, aber Hotsuma fühlte, dass dieser sein Versprechen gehalten hatte und zurückgekehrt war. Es wäre am Einfachsten, mit ihm zu sprechen, das hatte er sich als Hoffnungs-Leitstern eingeprägt. Takuto würde verstehen, wie er fühlte. Auch wenn sein Verrat nicht zu entschuldigen war, würde dieser ihn nicht verachten, dies ersehnte Hotsuma zumindest. Plötzlich öffnete sich die Tür, Hotsuma schreckte hoch. Takuto. Für eine Weile musterten sie einander, der schlanke, sonnengebräunte Sportler mit der schwarzen Mähne in kurzen Hosen und einem Top. Ihm gegenüber der Junge in einfachen Hosen und einem Hemd, verstaubt, fast bäuerlich wirkend, den Rucksack geschultert, die Reisetasche in beiden Händen haltend wie einen Schutzschild. "Hey", murmelte Takuto leise, überwand die Schwelle und zog Hotsuma fest an sich. Hotsuma erstarrte, dann, gemächlich, löste sich die erstickende Spannung, flog die Tasche neben ihm auf den Beton, schlang er die Arme um den Älteren, hielt sich an ihm fest. Konnte das Zittern, das ihn erfasste, nicht unterdrücken. ~@~ "Hier", Takuto reichte Hotsuma eine Tasse dampfenden Tees. Hotsuma saß wie gewöhnlich sehr aufrecht auf dem Barhocker, bedankte sich mit knapper Verbeugung. Takuto legte den Kopf schief, schnippte einige Strähnen aus seinem Gesicht. "Manchmal frage ich mich, wie der Stock in dein Essen geraten ist", bemerkte er augenzwinkernd. Hotsuma blinzelte verwirrt. Takuto nippte an seiner Tasse, die schwarzen Augen funkelten hintergründig. "Der Stock, den du verschluckt hast." Hotsumas Wangen verfärbten sich, er senkte den Blick. "Hey, hey", Takuto langte über den Tresen, streichelte mit dem Handrücken hauchzart über eine erblühende Wange. "Ich bin es doch! Versteck dich nicht vor mir, ja?" Hotsuma ballte die Hände auf seinem Schoß. "Willst du mir erzählen, was passiert ist? Oder... ach, warte mal!" Takuto erhob sich geschmeidig, umrundete den Tresen und verschwand im Flur. Hotsuma hob den Kopf irritiert, nahm einen Schluck Tee. Takuto kehrte zurück, ein verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht. Behutsam legte er eine Schachtel zwischen sie. "Das habe ich mitgebracht. Es heißt 'Belgische Meeresfrüchte'." Er schob sie Hotsuma zu, bedeutete ihm, zu öffnen. Hotsuma löste vorsichtig die Verpackung, hob den Deckel ab. Darunter, luftdicht versiegelt, stapelten sich mehrere Lagen von Pralinen, in der Form von nautischem Getier, gemischte Milchschokolade. Takuto lehnte sich mit beiden Unteramen auf den Tresen und beugte sich vertraulich hinüber. "Wenn ich sie vorher herausgeholt hätte, wäre nichts mehr davon da", spielte er grinsend auf Koujis heimliche Schwäche an. Hotsuma musste gegen seinen Willen schmunzeln. "Na, probieren wir mal, oder?" Takuto zwinkerte aufmunternd. Jeder wählte eine Praline aus, lutschte andächtig, damit das Aroma sich wie ein schmelzender Film auf die Zunge legen konnte. "Lecker!", schmatzte Takuto ungeniert, nahm Hotsuma die Befangenheit. Hotsuma straffte sich und sprudelte hervor, "ich habe es nicht mehr ausgehalten!" Takuto nahm einen weiteren Schluck Tee, wartete geduldig auf Erläuterung. Hotsuma betrachtete seine ineinander verschlungenen Finger, rollte mit leiser Stimme auf, was ihn bewogen hatte zu gehen. "Du weißt, ich bin dazu bestimmt, Tatsuomi zu beschützen, ihm treu zu dienen. Das war mein einziger Lebenszweck. Als... als mein Vater starb, war es auch das Einzige, an das ich mich klammern konnte. Ich musste für ihn da sein, schließlich hatte er ja alles verloren." Takuto zog unbemerkt eine Augenbraue hoch, hatte doch auch Hotsuma alles verloren. Oder galt dies nicht für Leibwächter? "Mein Vater predigte mir den Grundsatz unseres Daseins, zuerst zu lehren und dann zu dienen. Ohne Zögern, ohne Furcht. Aber ich kann das nicht, nicht mehr." Zum ersten Mal hob Hotsuma den Kopf, in seinen Augen brannte ein Feuer, das Takuto noch nie darin gesehen hatte. Er erschrak. Es war tiefste Verzweiflung, die ihm ins Gesicht loderte. "Er war schon in Allem besser, was sollte ich ihm noch beibringen?! Wie sehr ich mich auch bemühte, ich versagte in der Schule, konnte seiner Kraft und Geschmeidigkeit nichts entgegensetzen! Und er ist noch nicht mal ausgewachsen!" Takuto nahm hastig einen Schluck Tee, um seine Betroffenheit zu kaschieren. Vor ihm saß ein siebzehnjähriger Junge, über dem wie ein Menetekel die Geister ganzer Generationen schwebten wie ein Nachtmahr. "Nichts funktionierte mehr. Mein Leben hatte einfach keinen Sinn, wenn ich ihm nicht nützlich sein konnte." Hotsumas Stimme war schwer von Trauer. Unwillkürlich langte Takuto über den Tresen, ergriff eine verkrampfte Hand. Hotsuma blinzelte Tränen fort, zwang sich zu einem leblosen Lächeln. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Die Linien um seine Lippen prägten sich tiefer, voller Entschlossenheit färbten sich die Augen dunkel. "Aber ich wollte nicht vor mich hinvegetieren, bis man mir den Gnadenschuss gewährte. Ich wollte leben. Ich will leben!!" Funken stieben aus den Augen auf. "Ich will kein Werkzeug sein! Ich will nicht ersticken an den Traditionen, die schon meinen Vater zerstört haben!" Der Barhocker schlug gedämpft auf dem Boden auf. Hotsuma hatte die Fäuste geballt, die Zähne blitzten unter den hochgezogenen Lippen zusammengebissen hervor. Takuto erschauerte unter der Spannung in der Atmosphäre. Dann, mit aller Willensanstrengung, hob er seine Tasse an und schlürfte laut die Neige Tee. Als er das Porzellan wieder absetzte, hatte Hotsuma bereits den Hocker aufgehoben und saß ruhig vor ihm. Aber sein Kopf war hocherhoben, Trotz und Verzweiflung erleuchteten seine Augen. Takuto wählte eine Praline aus und schob sie Hotsuma zu, nahm sich dann eine weitere. Scheinbar in die Betrachtung der Details vertieft, erwiderte er Hotsumas Offenbarung. "So ist das also. Ich glaube, dass ich dich verstehe, denn ich habe mich auch eine ganze Zeit lang gefangen gefühlt." Takuto hob den Kopf, blies Ponysträhnen aus den Augen. "Gefangen in einem tödlichen Liebesdrama, in der Sorge für meine Geschwister, einer verrückten Liebe und dem Fluch, den eigenen Vater übertreffen zu müssen." Er biss mit blendend weißen Zähnen den Vollmilchkopf eines Seepferdchens ab. "Es hat mich meine ganze Jugend gekostet, um mich daraus zu befreien. Und es hat auch Menschen, die mir nahe stehen, Schmerzen und Leid zugefügt." Hotsuma schluckte betreten. Takuto sprach selten über seine Vergangenheit. Das Meiste hatten sie sich zusammenreimen müssen, oder Tatsuomi hatte unbefangen Kouji belagert, bis dieser widerstrebend offenbarte, was er wusste. Takuto streichelte Hotsuma über eine Wange. "Und ich möchte mich entschuldigen. Verzeih mir." Hotsumas Kinnlade sackte herab, er verstand nicht. Takuto grinste leicht. "Ich hätte sehen müssen, dass ihr beide noch immer unter dem Trauma leidet. Ich hätte erkennen müssen, dass wir dir zu viel zumuten, weil wir nur mit uns beschäftigt waren. Es tut mir wirklich leid." Hotsuma lief feuerrot an vor Verlegenheit und Scham. "Es... es ist nicht deine Schuld! Niemand hat Schuld", wisperte er nervös. An ihren Pralinen lutschend schwiegen sie eine Weile, aber es war ein gelöstes Schweigen. "Was willst du also tun?", erkundigte sich Takuto schließlich. Hotsuma, der sich endlich bequem hinsetzte, suchte in den schwarzen Augen nach der Versicherung, dass man ihm nicht zum Vorwurf machte, was er zu sagen gedachte. Takuto lächelte ruhig, wich seinem Blick nicht aus. "Ich... ich bin zu einem Lehrmeister meines Vaters gefahren. Ich wollte von ihm einen Rat erfragen, aber als ich ankam, war er schon lange verstorben. Die Menschen in dem kleinen Dorf haben mich aber so freundlich aufgenommen..." Hotsuma musste sich sammeln, um nicht den Faden zu verlieren. ".. also, der Doujou war verlassen, und ich war gestrandet. Und dann... hast du dich jemals an einem Ort zu Hause gefühlt?" Takuto stützte das Kinn auf beide Hände, schmunzelte. "Meistens auf einem Fußballfeld, aber noch mehr bei Kouji, wo immer wir sein mögen." Hotsuma nickte eifrig, gestikulierte zur Unterstreichung seiner Erzählung, etwas, was Takuto noch nie bei ihm gesehen hatte. "Dann weißt du, wie es sich anfühlt. Alles ist vertraut, passt perfekt, wie eine zweite Haut. Und genau so erging es mir, als ich den alten Doujou betrat." Hotsuma ließ das Wort auf der Zunge zergehen wie einen Leckerbissen. "Zuhause." Er lächelte schüchtern. "Ich stand in der Halle, verstaubt und heruntergekommen, aber ich fühlte mich vollkommen. Ich wollte gar nicht mehr gehen." Takuto nickte, füllte ihre Teetassen auf. "Und dann?", trieb ihn seine Neugierde zur Frage. "Dann?" Hotsuma seufzte leise. "Dann grübelte ich darüber, was es wohl zu bedeuten hatte. Ich sollte mich nicht gut fühlen. Immerhin habe ich alles verraten, was ich geschworen hatte." "Aber trotzdem fühlte es sich perfekt an, richtig?", hakte Takuto sanft nach. "Ja. Und ich dachte mir, verdammt, warum auch nicht?!" Hotsumas Augen brannten wieder. "Es ist ein schöner Ort, so ruhig und gelassen, mit realen Menschen und einer Lebensweise, mit der ich Schritt halten kann. Also habe ich den Plan gefasst, Kouji zu überreden, mich den Nanjou-Kendou-Stil dort lehren zu lassen, den Doujou zu kaufen und auch Übernachtungsmöglichkeiten dort anzubieten." Takuto wischte sich Haare hinter die Ohren. "Nicht gerade bescheiden, dein Vorhaben", bemerkte er ruhig. Hotsuma nickte, aber noch immer glühte die Flamme seiner Begeisterung wie ein Leuchtfeuer in seinem Körper, seiner ganzen Haltung. "Ich habe nichts mehr zu verlieren. Von der Schule bin ich wegen schlechter Leistungen ausgeschlossen, niemand wird mich einstellen wollen. Was mir bleibt, sind die Menschen dort, die mir helfen wollen." "Und deine Familie, die dir helfen wird", ergänzte Takuto bestimmt. Dann rutschte er von seinem Hocker. "Aber erst mal wirst du ein heißes Bad nehmen, während ich deine Wäsche reinige." Hotsuma stand ebenfalls auf, zögerte. "Denkst du... Kouji wird mir helfen?" Takuto stemmte die Arme in die Hüften und funkelte. "Er wird dich vorher durch die Hölle jagen, aber dann..." Er zwinkerte vielsagend und schulterte Hotsumas Gepäck. ~@~ Kapitel 13 - Volldampf voraus! Katsumi kaute an einem Hamburger, den er als extrem geschmacksfrei und zäh empfand. "Ja, das habe ich bereits geklärt. Die Finanzierung steht." "Hmm, richtig. Ai hat sich gemeldet, irgendein Typ habe sie interviewen wollen. Sie hat ihn abgewimmelt." Katsumi kicherte leise, "musste aber seine Kronjuwelen dabei lädieren!" Aus dem Lautsprecher ertönte ein amüsiertes Auflachen, begleitet von melodiösem Summen. "Kouji, was ist das?", hakte Katsumi nach, den Hamburger endgültig abschreibend. "Neues Stück... wie sind eigentlich die Aufnahmen geworden?" Katsumi sortierte seine Notizen. "Erstaunlich gut, mit einer Studiobearbeitung ist das Meiste durchaus nutzbar. Allerdings werden wir dafür Profis einkaufen müssen. Ich habe schon ein Studio in Europa als Kandidaten... schicke dir die Infos per E-Mail." Katsumi tippte rasch die entsprechenden Anweisungen ein. Durch den Lautsprecher hörte er ein Klingeln. Hatte Kouji einen Zweitapparat? "Kouji?" Leicht schleppend ertönte eine inzwischen wohlvertraute Stimme. "Hey, hier ist M.C. Wir haben ein paar Vorschläge, kommen per E-Mail. Außerdem noch ein paar Bonbons von den Tieren." Koujis Stimme hallte leicht. "Sehr gut, wirklich. Was verlangen denn die Tiere für ihren Dienst?" Katsumi lauschte neugierig. Offensichtlich handelte es sich um eine Telefonverbindung über das Internet. Dann erinnerte er sich daran, dass die Tiere ja die Ausrüstung für das Rehearsal kurzerhand in Koujis Studio gestopft hatten. Lachen, eindeutig weiblich, drang aus dem Lautsprecher. "Hi, Kouji, also, was Kenji hier gerade nicht über die Lippen bringt, ist Folgendes: die Tiere hätten gerne jeder eine CD des Live-Konzerts, mit Autogramm. Es ist nämlich der beste Mädel-Köder auf dem Markt der Einsamen Herzen", ergänzte Yohko prustend. Kouji lachte leise, stimmte dann zu. Katsumi konnte auch ein Kichern nicht unterdrücken. Angesichts dieser Einschätzung würde wohl auch in absehbarer Zeit die Geburtenrate ansteigen. Die Verbindung wurde unterbrochen, und Katsumi genoss wieder Koujis ungeteilte Aufmerksamkeit. "Von welchen Bonbons hat Yohko denn gesprochen?", erkundigte er sich neugierig. Kouji blätterte wohl herum, es raschelte leicht. "Ich habe deine Aufstellungen gelesen und bin zu der Überzeugung gekommen, dass wir einen Mitarbeiter brauchen, der sich mit dem Internet auskennt, uns beim Vertrieb assistiert und bei allem, was sonst noch so anfällt. Allerdings sollte das nicht ein getarnter Spion sein. Deswegen habe ich mal mit den Tieren gesprochen, ob sie geeignete Kandidaten wissen. Und andere Bonbons... nun ja, sie schützen effektiv die Privatsphäre meiner Band", schloss Kouji trocken ab. Katsumi rieb sich über die Stirn. "Wir werden doch keinen Ärger kriegen, oder? Diese Typen sind... ein wenig ausgeflippt", gab er zu bedenken. Kouji schnalzte mit der Zunge. "Ich bin mit Motorradgangs und meiner Familie fertig geworden, ich denke, ich habe das im Griff", kommentierte er amüsiert. "Shibuya, lass uns später noch mal reden, ich muss pünktlich zum Abendessen erscheinen." Katsumi verdrehte die Augen. "Sonst lässt dich ein gewisser Jemand nachts am langen Arm verhungern", spottete er boshaft. Kouji knurrte raubtierhaft in den Lautsprecher. "Man muss Prioritäten setzen, Shibuya, aber das solltest du eigentlich wissen. Immerhin bleibt es ja in der Familie." Katsumi lief dunkelrot an und unterbrach das Telefonat mit einer Verwünschung. ~@~ Tatsuomi schleuderte Inliner und Schultasche neben die Garderobe. "Ich habe manchmal echt das Gefühl, dass ich von Blindgängern umzingelt bin", verkündete er lautstark, in der Erwartung, dass Takuto im Wohnzimmer den Tisch deckte und ihm zuhörte. "Die haben alle Angst, selbst zu denken, oder etwas zu versuchen! Und kommen sich großartig vor, wenn sie mich als Schwulenbaby bezei..." Tatsuomi verstummte. Hotsuma wandte sich zu ihm um, stellte die Teller behutsam auf dem Tisch ab. "Ich bin wieder da", bestätigte er leise das Offensichtliche. Tatsuomi verharrte im Türbogen, starrte ihn einfach an. Hotsuma senkte den Blick, spürte Scham aufsteigen, immerhin hatte er seinen Schützling und Herren verraten und verlassen. Das Mindeste, was er erwarten konnte, war eine Bestrafung. "Oni-chan...", wisperte Tatsuomi erstickt. Hotsuma hob zögerlich den Blick, als er schon von einem bebenden Körper gegen die Tischkante gepresst wurde, so schmerzhaft in einer Umarmung gefangen, dass ihm die Luft wegblieb. "Hotsu-chan, ich wollte dich nicht belügen, wirklich! Ich werde dir alles sagen, immer, aber geh nicht mehr so einfach weg! Verlass mich nicht!!", schluchzte Tatsuomi in seiner Halsbeuge, tränkte seine Schulter mit salzigen Tränen. "Ta--Tatsuomi..." Verwirrt klopfte Hotsuma dem Jüngeren auf den Rücken, versuchte, die seltsamen Worte zu begreifen. "Ich hab dich doch lieb!! Wir sind doch Brüder!", weinte Tatsuomi zusammenhangslos, mit überschlagender Stimme, der Hysterie nahe. Takuto, der den Aufruhr vernommen hatte, prallte in der Tür fast mit Kouji zusammen, der aus dem Keller kam. "Was ist denn...?!" Takuto packte Kouji am Arm, bevor die Situation vollkommen außer Kontrolle geriet. Er durchquerte rasch den Raum, stellte sich hinter Tatsuomi, schob seine Arme flankierend an dessen entlang auf Hotsumas Rücken, um Tatsuomis verkrampfte Finger zu lösen. "Tatsuomi, lass los. Sofort", gebot er mit strenger Stimme. Tatsächlich gehorchte dieser, lockerte den peinigenden Zugriff, ließ sich langsam an Takuto ziehen und wie ein erschöpftes Kind in den Arm nehmen. Von sich überschlagenden, atemraubenden Schluchzern erschüttert. Hotsuma lehnte sich bleich an den Tisch, ebenso ergriffen und verängstigt. "Was ist hier los, zum Teufel?!", zischte Kouji verärgert in die von Wimmern durchbrochene Stille. "Ich brauche ein Glas Wasser und sieben Tropfen aus dem Fläschchen im Bad", konterte Takuto mit blitzenden Augen, die keinerlei Diskussion zu diesem unpassenden Zeitpunkt zuließ. Kouji verdrehte die Augen, machte sich aber auf, das Gewünschte herbeizuschaffen. Er reichte Takuto das leicht getrübte Wasser an, ergriff kurzerhand Hotsumas Handgelenk und zerrte den Zitternden hinter sich her, um ihn nachdrücklich auf der Couch zu platzieren. Takuto flößte Tatsuomi die Mischung vorsichtig ein, jeden asthmatischen Atemzug ausnutzend. "Okay, Tatsu-chan, ganz ruhig, tief atmen und dann setzt du dich auf die Couch, klar?", wies er den Jüngeren an, geleitete ihn behutsam zu den beiden anderen. Kouji verdrehte die Augen und brummte ungehalten, "warum entwickelt sich mein Leben zu einer Soap Opera?! Kann mir das mal einer erklären?" Hotsuma kauerte verstört neben ihm, verfolgte Takutos Bemühungen mit Nervosität. Ohne sich umzuwenden winkte Takuto Hotsuma heran. "Setz dich neben Tatsuomi und achte darauf, dass er sich wieder beruhigt, ja?" Hotsuma stolperte am Couchtisch vorbei, ließ sich vorsichtig nieder, und Takuto drückte ihm ohne Umstände Tatsuomi in die Arme, der mit geschlossenen Augen um Atem rang. "Kouji...", Takuto wandte sich der Küchenzeile zu, vertraute darauf, dass Kouji ihm folgen würde. Als dieser hinter ihm stand, noch immer den verärgerten Ausdruck auf dem Gesicht, packte er dessen Hemd am Ausschnitt und zog ihn rücksichtslos zu sich herunter. "Wenn du dich nicht zusammennimmst, werde ich auf der Couch schlafen, klar?!" Seine blitzenden Augen und die zusammengezogenen Brauen verdeutlichten, dass er keineswegs spaßte. Kouji fing Farbe. Er schluckte und wisperte beschämt, "entschuldige, Izumi." Dann, um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen, hauchte er einen Kuss auf die strichdünnen Lippen, in Erwartung einer schmerzhaften Replik. Stattdessen lehnte sich Takuto an ihn, merklich zitternd. Durch diese Reaktion alarmiert, schlang Kouji beide Arme schützend um ihn und hielt ihn fest. Nach einigen Wimpernschlägen löste sich Takuto wieder, räusperte sich, "es geht schon wieder, alles okay." Kouji runzelte besorgt die Stirn, fing Takutos Kinn ein und studierte eindringlich die schwarzen Augen. "Sicher?" Takuto blinzelte und nickte, mit schiefem Lächeln. "Komm schon, wir müssen uns um die Kinder kümmern", lenkte er ab und zog Kouji wieder hinter sich her. Hotsuma hatte inzwischen festgestellt, dass sich Tatsuomi merklich entspannte, wenn er ihn leicht wiegte und in groben, langen Schwüngen über dessen Rücken strich. Er konnte sich nicht erinnern, Tatsuomi jemals in solch besorgniserregender Verfassung erlebt zu haben. Auch ergaben seine Worte wenig Sinn. Natürlich liebte er ihn noch immer von Herzen, fühlte für ihn wie einen Bruder, auch wenn er sich dies lieber nicht eingestehen wollte, waren ihm diese Empfindungen doch immer verboten gewesen. Er hatte sich ein wenig gefürchtet vor der Begegnung mit den Nanjous, hatte ihre berüchtigte Wut und Härte erwartet, die Gnadenlosigkeit, mit der Versagen und Verrat geahndet wurde, die Verachtung und den unbarmherzigen Hass. Andererseits hatte er gehofft, dass Kouji als schwarzes Schaf und Tatsuomi als sein langjähriger Schützling und... Freund? nicht der Familientradition folgten, ihn vielleicht wirklich... wie einen Gleichgestellten behandelten. Dass Tatsuomi sich derart erregte, so verzweifelt war, sich die Schuld gab, das erschütterte Hotsuma bis ins Mark. Wie konnte der Junge bloß glauben, dass er der Auslöser war? Hotsuma drückte Tatsuomi an sich, registrierte nun, unter den sich langsam abschwächenden, quälenden Atemzügen die fehlende Ecke an einem Schneidezahn. Takuto hatte ihn zwar in der Zwischenzeit auf den aktuellen Stand der Ereignisse gebracht, zumindest, soweit er diesen kannte, aber die Mosaiksteinchen zum Gesamtbild hatten sich durch nackte Worte noch nicht lebendig zusammengefügt. »Ich habe erneut versagt«, bemerkte Hotsuma unglücklich, streichelte schüchtern durch die honigblonden Strähnen. »Ich war nicht da, um dich zu beschützen. Wie soll ich dich um Verzeihung bitten in meiner Schande?« ~@~ Kouji verteilte Nudeln in Schüsseln, schnupperte hungrig an der dicken, stark duftenden Tomatensauce. »Italienische Nudeln!« Wären die Umstände nicht so Nerven zehrend, hätte er Takutos kulinarische Ausflüge ins Ausland noch mehr genossen. Er lud die Schüsseln zusammen mit dem selten genutzten Besteck auf ein Tablett und steuerte die Couch an. Hotsuma wich seinem Blick aus, strich automatisch über Tatsuomis Rücken, der das Gesicht in Hotsumas Halsbeuge vergraben hatte und ruhig atmend in dessen Armen lag. Takuto klatschte in die Hände, kommandierte streng, "alle Hände waschen, aber flott!" Kouji langte nach dem Besteck, als ihn eine schmerzhafte Kopfnuss ermahnte, dass die Anweisung auch ihm galt. Eingedenk der Ermahnung verkniff er sich jeden Kommentar, setzte aber eine Leidensmiene auf und folgte den beiden Jungen in das Badezimmer, wo sich alle eilig und schweigend säuberten, verlegen einander auswichen. Das Essen verlief ähnlich zurückhaltend, bis Takuto schließlich der bedrückenden Atmosphäre ein Ende bereitete. "Genug! Wir sind eine Familie, und wir werden nun reinen Tisch machen!" Sein blitzender Blick erstickte jeden Gedanken an Widerspruch im Keim. "Und ich werde anfangen. Ich bin aus der Nationalmannschaft geflogen, auch von allen anderen Erstliga-Mannschaften verbannt. Ich habe die freie Zeit bis zum Rückflug damit verbracht, durch Europa zu reisen und festzustellen, dass ich damit leben kann." Auf die verunsicherten Reaktionen der anderen hin erläuterte Takuto seine Empfindungen näher. "Ich habe nie eine große Sache daraus gemacht, dass ich mit dir zusammen bin. Alles, was ich wollte, war der Beste zu sein. Nun, zumindest besser als mein Vater. Ich wollte mir beweisen, dass ich beides haben kann und ich habe es geschafft. Was nun geschieht, weiß ich nicht, aber ich werde nichts leugnen oder mich verstecken." "Ich erlaube aber nicht, dass Pin-Ups von dir gemacht werden!", platzte Kouji zusammenhanglos heraus. "Bitte?!" Takuto blinzelte verwundert, ein wenig atemlos durch sein Geständnis. Koujis Wangen färbten sich dunkel, für die beiden Jungen ein ungewohntes Schauspiel. "Äh..." "Kouji?!" Takutos Unterton ließ keinen Zweifel, dass er auf eine Erklärung nicht verzichten würde. "Ich... es kamen da Anfragen." Kouji wischte sich durch die Haare, zerknitterte einen Hemdzipfel, reckte sich dann. "Ich war auf Photo-Shootings, und man hat mich direkt gefragt, ob du dich nicht für Bilder zur Verfügung stellen würdest. Als eine Ikone für die Homosexuellen. Besonders in Europa interessiert man sich für unseren 'Fall'." "Aha", kommentierte Takuto mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Ähem... nun ja... ich habe abgelehnt und es dir nicht erzählt..." "Weil...?", lauerte Takuto. Kouji flehte mit kläglichem Augenaufschlag um Gnade, aber Takuto klopfte bezeichnend auf die Polster. Kouji seufzte ergeben, "weil ich dich für mich allein haben will." Er musste nicht den Kopf heben, um zu wissen, dass Hotsuma vor Verlegenheit fast unter den Tisch rutschte. Von Tatsuomi wollte er lieber gar nicht erst erfahren, was dieser dachte. Erstaunlicherweise kam jedoch vom Jüngsten in der Runde Zustimmung. "Ich verstehe dich, Kouji. Ich teile auch nicht gern." Kouji zog pointiert eine Augenbraue hoch, lagen doch Dimensionen zwischen seinen sexuellen Besitzansprüchen und der Erlebniswelt seines Neffen.... Aber Tatsuomi, noch ein wenig bleich, nickte ruhig. "Ich habe einen Freund gefunden, den ich sehr gern habe. Und ich kann es nicht ausstehen, wenn er sich auch noch mit anderen befasst. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn er eine Freundin findet." Ungläubiges Staunen. Tatsuomi runzelte die Stirn. "Hey, ich bin kein Kleinkind, klar? Es tut mir leid, dass ich eben so ausgeflippt bin. Irgendwie verliere ich manchmal die Kontrolle..." Er suchte Koujis Blick. Kouji zuckte unbehaglich zusammen. "Ich will auch gleich reinen Tisch machen. Ich bin ziemlich durcheinander... ich langweile mich in der Schule, habe dort keine wirklichen Freunde. Die ganze Zeit habe ich so getan, als sei alles in Ordnung, auch wenn das nicht stimmt. Ich bin nicht der kleine Engel, für den mich alle halten." Tatsuomi schöpfte erneut Atem, suchte auf einem unsichtbaren Punkt des Couchtisches Inspiration. "Es ist, als ob in mir ein Vulkan brodelt. Und wenn ich nicht irgendwas Verrücktes tue, dann explodiert er, und ich raste komplett aus. Ich fühle mich schlecht, wenn ich ihm nachgebe." Er wandte sich Hotsuma zu. "Oni-chan, ich wollte mit dir reden, darüber, über die Schule und all das... aber ich habe es nicht getan, weil ich dir nicht noch mehr Sorgen aufhalsen wollte. Als ich dann Balu kennengelernt habe... wir sind uns ziemlich ähnlich. Aber das hat nichts mit uns zu tun, wirklich!! Du bist mein Bruder und keiner sonst!" Fast angstvoll klammerte er sich an Hotsumas Händen fest. "Du hast gewusst, dass ich durchfallen werde?", flüsterte Hotsuma kaum hörbar. Tatsuomi nickte bloß, zog geräuschvoll die Nase hoch. Hotsuma seufzte tief. "Ich... ich möchte euch um Verzeihung bitten, weil ich weggelaufen bin. Ich habe euch verraten und versagt." "Das ist nicht wahr!!", brüllte Tatsuomi und umarmte Hotsuma erstickend. "Ich habe dir gesagt, dass hier nicht die alten Regeln gelten. Wir sind nicht bei meinem Bruder." Koujis Stimme war leise, ernst. "Wir sind hier eine Familie, niemand ist dem anderen über- oder unterlegen. Du bist nicht länger ein Leibeigener. Denn das ist es doch, was dich beschäftigt, nicht wahr?" Er klang traurig, ein wenig enttäuscht. Hotsuma nickte stumm, konnte nicht sprechen, weil ein Kloß in seinem Hals jede Äußerung erstickte. "Oni-chan!! Ohne dich wäre ich schon tot!! Wie kannst du nur glauben, dass du versagt hättest?" Tatsuomi konnte mit dem Gespräch nicht Schritt halten. Hotsuma stieß kaum verständlich hervor, "weil du in allem besser bist! Wie soll ich dir helfen, wenn ich nichts kann?! Ich bin wertlos gewesen!" "Du bist mein Bruder!! Du bist nicht wertlos, klar?! Ich brauche dich!!" Tatsuomi schüttelte Hotsuma so stark, dass diesen schwindelte. "Langsam!", ermahnte Takuto, tippte Tatsuomi auf eine Schulter. "Oh... entschuldige!" Tatsuomi fing vor Anspannung wieder an zu schluchzen. "Aber das ist jetzt vorbei, oder?!", führte Takuto den Gesprächsfaden weiter, "denn du, Tatsu-chan, tobst dich in der Band aus und mit den Inlinern. Und du, Hotsuma, hast auch eine Aufgabe gefunden, nicht wahr?" Kouji merkte auf, während sich die beiden Jungen erstaunt musterten. Tatsuomi zupfte sofort an Hotsumas Hemd herum, "was denn?! Sag schon!" Hotsuma wischte fast beiläufig über Tatsuomis Gesicht, beseitigte die Tränenspuren. "Ich bin nach Hokkaido gefahren. Dort gibt es einen winzigen Ort, mit einem verlassenen Doujou. Und...", er schöpfte tief Luft, "ich will dort leben und wenn du mir deine Erlaubnis gibst, Kendou-Unterricht anbieten." Verblüffte Stille bei beiden Nanjous, dann murmelte Tatsuomi piepsig, "du gehst wieder weg?" Hotsuma wich den großen Augen nicht aus, nickte bloß knapp. "So viel zu 'Familie'", knurrte Kouji unterdrückt, während Tatsuomi sich an Hotsuma schmiegte, aber still blieb. "Ich weiß, dass es undankbar und anmaßend ist. Aber...", Hotsuma ballte die Fäuste, "ich ersticke in dieser Stadt. Ich kann hier einfach nicht leben! Ich habe keine Zukunft hier." Kouji legte den Kopf schief, musterte den Jüngeren unter halb gesenkten Lidern raubvogelartig. "So so." "Darüber können wir uns unterhalten...", startete Takuto einen Moderationsversuch, aber Kouji unterbrach ihn gelassen, "... wenn ich diesen Doujou gesehen habe. Also, wer hat Lust, am Wochenende nach Hokkaido zu fliegen?" Kouji erhob sich geschmeidig, bevor Proteste erklingen konnten. "Im Übrigen bin ich froh, dass ihr bei mir seid. Und nun will ich kein sentimentales Geschwätz mehr hören, sonst verläuft mir noch die Wimperntusche." Auf Takutos empörtes Schnauben reagierte er mit lautem Singen. Bezeichnenderweise "Satisfaction" von den Rolling Stones. ~@~ Tatsuomi hielt Hotsumas Hand, während sie aneinander gekuschelt die Schattenspiele an der Zimmerdecke verfolgten. "Du gehst also wieder weg." "Ja." "Ist es schön dort?" "Sehr schön. Wunderschön." "Gibt es dort Telefon?" Hotsuma gluckste amüsiert, was Tatsuomi zum Kichern brachte. "Wenn ich dich anrufen will, klar?!" "Natürlich gibt es dort Telefon. Und einen Fernseher." "Oni-chan?" "Hmmm?" "Warst du wütend, dass ich mich mit Balu getroffen habe?" Hotsuma überdachte die Frage sorgfältig. "Nicht wütend, eher... traurig. Weil ich dir nicht mehr helfen konnte. Keinen Rat mehr geben. Aber ich bin nicht gegangen, weil du mit ihm deine Zeit verbracht hast, sondern weil ich selbst nicht mehr weiter wusste." "Und nun weißt du es?" Hotsuma lachte auf. Die Frage wirkte kindlich, aber Tatsuomi hatte sich in der kurzen Frist derartig verändert, dass ein leicht ironischer Unterton nicht zu überhören war. "Ich weiß, was ich tun will. Ja." "Ich weiß es immer noch nicht genau, Oni-chan. Manchmal glaube ich, dass ich mich nur beschäftige, bis es endlich funkt und ich es gefunden habe. Was auch immer es ist." Hotsuma wandte den Kopf, studierte das Profil des Jüngeren. "Wir haben uns verändert." "Ja. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht Brüder bleiben können, oder?!" Tatsuomis Kopf flog herum, forderte Bestätigung ein. "Nein, das heißt es nicht. Aber... willst du wirklich noch mein Bruder sein?" "Dumme Frage, Oni-chan, natürlich!" Tatsuomi stützte sich seitlich auf, um Hotsuma in die Nase zu kneifen. Dann rollte er sich neben Hotsuma zusammen, einen Arm über dessen Brust gelegt. "Seit du weggegangen bist, ist so viel passiert", flüsterte er wehmütig. "Takuto hat mir erzählt, dass du in Koujis Band trommelst. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst." Tatsuomi kicherte leise. "Ich auch nicht. Und Kouji auch nicht, ich glaube, er wollte mich bloß beschäftigen. Ich habe ihm nämlich auch ganz schön zugesetzt." Er seufzte leise. "Manchmal möchte ich die Zeit anhalten, damit ich mir überlegen kann, was ich als Nächstes tue, bevor ich mich kopfüber im Schlamassel wiederfinde", bekannte Tatsuomi. "Wenn mir nicht jedes Mal jemand helfen würde..." Er verfolgte den Satz nicht weiter. Hotsuma strich beruhigend über Tatsuomis Arm. "Ohne Hilfe komme ich auch nicht aus. Nicht mal Kouji schafft das." Dann wagte er zu fragen, was ihn beschäftigte. "Wie... wie steht es mit Balu? Bist du immer noch in ihn verliebt?" Tatsuomi atmete tief durch, bevor er antwortete. "Auf eine gewisse Art und Weise werde ich das wohl immer sein. Wir sind von einander fasziniert, aber mittlerweile wohl auf der richtigen Ebene." Hotsuma runzelte die Stirn, konnte den erstaunlich gereiften Ausführungen nicht ganz folgen. "Wie meinst du das?" Tatsuomi setzte sich auf, suchte Hotsumas Blick im spärlichen Licht der Straßenlaterne durch die Jalousien. "Ich will dich nicht.. schockieren." Hotsuma blieb die Spucke weg. "Du... du hast...?" Tatsuomi nickte leicht. Hotsuma suchte nach Worten. Tatsuomi legte sich wieder an seine Seite, verschränkte ihre Finger ineinander. "Ich bin okay, mach dir keine Sorgen deswegen. Und ich mag ihn wirklich sehr. Aber das berührt nicht uns beide!" Hotsuma atmete aus. "Ich weiß. Ich wünschte, ich hätte dir besser zur Seite stehen können." Tatsuomi gähnte unterdrückt. "Du hast mir unzählige Male die Haut gerettet und mindestens einmal das Leben. Noch mehr, und ich müsste mich ins Schwert stürzen, weil die Schande unerträglich würde." "Tatsu-chan!" Tatsuomi kicherte schläfrig. "Siehst du, wie idiotisch diese ganze Ehr-Pusseligkeit ist?!" Er kuschelte sich an Hotsuma wie einen übergroßen Teddybären. "Aber weil wir Brüder sind, rechnen wir nichts auf", bestimmte er gähnend, bevor er einschlief. Hotsuma strich vorsichtig über die glatten Strähnen. "Schlaf gut, kleiner Bruder", hauchte er sanft. ~@~ Kouji knurrte laut, als Takuto auf seine Liebkosungen geistesabwesend reagierte, an seinem Daumen nagte. "Hey!", empört zupfte Kouji den malträtierten Daumen aus Takutos Mund, "knabber an mir!" "Hmm? Oh, Kouji, ich bin einfach nicht in Stimmung!" Takuto starrte schon wieder in unendliche Weiten. "Ist mir gar nicht aufgefallen", fauchte Kouji ironisch und kehrte Takuto demonstrativ den Rücken zu. Was er aber nicht lange aufrecht erhielt, sondern sich wieder umwandte. "Kaum sind die Kinder da, ist unser Liebesleben beim Teufel", provozierte er weiter. Takuto schmunzelte. "Kouji, noch subtiler und ich suche die Keule unter der Matratze." Kouji brummte beleidigt und zappelte unruhig unter der Decke. "Kennst du diesen Balu?" "Hmm... macht einen ordentlichen Eindruck", gab Kouji widerwillig zurück. "Ob Tatsu-chan... na ja...?!" Takuto drehte sich auf die Seite, brannte mit eindringlichem Blick Löcher in Koujis Rücken. "Wir sind eben eine heißblütige Familie", kommentierte Kouji seine Vermutung mit spöttischem Schnurren. Und erntete nachdenkliches Brummen. "Aber ist er... vielleicht auch...?" Kouji wandte sich nun um, erwiderte den besorgten Blick aus den schwarzen Augen. Strich sanft störende Strähnen aus dem feingeschnittenen Gesicht. "Wäre das so schlimm?" Takuto zuckte mit den Schultern, unbehaglich, verwirrt. "Wenn er nach mir kommt, müssen wir uns nur Sorgen machen, an wen er sein Herz verliert. Alles andere ist... optional", beruhigte Kouji leise, legte die Hand wärmend auf Takutos Hüfte, nah an der Narbe. Takuto seufzte leise. "Und wirst du Hotsuma helfen?", hakte er nach. Kouji rutschte näher, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. "Ich werde es versuchen." Takuto lächelte scheu in der Dunkelheit. "Du bist einzigartig, Kouji." Kouji zwinkerte, verzog das Gesicht zu einer geschmeichelten Larve, geübter Schauspieler, der er war. "Aber nicht doch, mein Bester", flötete er im Falsett. Der erhoffte Effekt trat ein, Takuto lachte, vergaß seine Sorgen, schlang beide Arme um Koujis Nacken und küsste ihn zärtlich. Kouji lächelte, mit einer winzigen Prise Triumph. Er fand, dass eine Belohnung nun mehr als verdient war. ~@~ "Du willst was tun?!" Katsumi hustete Krümel seines Toastbrots über den Tisch, seine Augen weiteten sich ungläubig. Dann fasste er sich an die Stirn, massierte vorsorglich seine Schläfen. "Zum Mitschreiben bitte... wir haben am Freitagabend ein Konzert, und du willst Samstagmorgen nach Hokkaido fliegen?!" Er ließ den Kopf auf den Tresen sinken. Yuugo erhob sich gemächlich und begann, die schmalen Schultern sanft zu streicheln. "Nein... natürlich ist das kein Problem...verdammt, Kouji!! Du überfällst mir hier mit irgendeinem Doujou, einem Wochenend-Trip, während uns die Arbeit über den Kopf wächst!! Wie stellst du dir das denn vor?!" Katsumis Stimme überschlug sich, sein abruptes Erheben rammte den Hocker schmerzhaft gegen Yuugos Beine, der sich mit einem nachsichtigen Grunzen lieber entfernte. Katsumi bemerkte dies gar nicht, er wanderte wie ein eingesperrter Tiger auf und ab, gestikulierte aufgebracht. "Die verdammte Presse verfolgt deine Bandmitglieder, Fans rennen uns die Bude ein für Zusatzvorstellungen, alle wollen deine CD, die wir noch nicht mal gemischt haben, kaufen! Man verklagt uns bereits jetzt wegen irgendwelcher absurden Forderungen deines Ex-Labels, meiner sehr verehrten Familie!! Ich will gar nicht wissen, was passiert, wenn sie spitzkriegen, dass Takuto wieder da ist!" Katsumi bremste, machte eine exakte Kehrtwende und rauschte wieder zurück. "Nein, ich bin nicht ironisch!!! Und ich rege mich nicht auf!!" Yuugo nahm auf einem Hocker Platz, lehnte sich mit aufgelegten Ellenbogen gemütlich an den Tresen in seinem Rücken, beobachtete Katsumis verzweifelten Kampf um Selbstbeherrschung. "Ist ja toll, dass dich das nicht so kümmert!! Aber ich bin dein Geschäftsführer, mich muss das kümmern!! Ich werde noch Magengeschwüre wie Taka-chan bekommen, wenn das so weitergeht!!" Katsumi rieb sich bereits provisorisch die Magengegend, paradierte wütend weiter. "Verdammt, kannst du Takuto mal loslassen, während wir reden?! Das ist kein 0190-Telefonat, klar?!", fauchte er mit sich rötenden Wangen. Yuugo unterdrückte ein Grinsen, als er das Lachen vernahm, dass aus dem Hörer drang. Es klang nicht nur amüsiert, sondern auch ein wenig maliziös. Kouji war wohl wieder in Hochform. Als Katsumi erneut an ihm vorbeiwischte im Sturmschritt, streckte er einen Arm aus, zog den Überraschten an den Hüften an sich, murmelte, "tschuldige" in die Muschel. Um Katsumi dann sehr intensiv zu küssen. Dieser wehrte sich zunächst überrumpelt, grub dann aber die Fingernägel in Yuugos Schulterblätter und erwiderte jeden Kuss leidenschaftlich, rieb seine fragile Gestalt provozierend an Yuugos Jeans. "Hey, hey, Engel, mach so weiter und ich bin nicht mehr schulfähig", raunte Yuugo dunkel, heiser vor Lust. In Katsumis großen Augen funkelte unverhüllte Boshaftigkeit, aber auch Dankbarkeit. "Er treibt mich in den Wahnsinn", flüsterte er an Yuugos Ohr, leckte über die weiche Haut darunter. Yuugo lachte leise, kehlig. "Das lasse ich nicht zu. Du bist mein Engel." Katsumi seufzte, schmiegte sich an den Jüngeren und schloss die Augen. "Ich hätte einen anständigen Job lernen sollen", brummte er halb verzweifelt, halb nachsichtig. Yuugo grinste und hauchte glühende Küsse auf die sommersprossige Stirn. "Lass uns am Wochenende mitfliegen, 'kay? Ich hab Lust auf einen anregenden Landausflug mit viel frischer Luft!" Sein anrüchiges Zwinkern ließ keinen Zweifel daran, was den Gebrauch der neuen Eindrücke betraf. Katsumi kniff spielerisch in eine Pobacke, ging dann in die Hocke, um das schnöde verlassene Telefon aufzuklauben. "Okay, du Sex-Monster, wenn DU bis Mitte der Woche die Settings für die CD gemacht hast, sorge ich für den Ausflug." Und mit einem befriedigten, ein wenig boshaften Grinsen unterbrach Katsumi die Verbindung. ~@~ "Hey!" Kouji hechtete über das große, im derzeitigen Zustand stark mitgenommene Bett, um Takuto den Weg abzuschneiden, der die Gelegenheit genutzt hatte, um Koujis Zugriff zu entgehen. "Wo willst du denn hin?", schnurrte Kouji, die Arme ausgebreitet, in den abgründigen Augen ein hungriges Funkeln. Takuto wich vorsichtig zurück, pustete unter seine überlangen Ponysträhnen, ließ den Geliebten nicht aus den Augen. "Ich will Frühstück machen", wagte er einen ersten Versuch. "Wir können später essen", bestimmte Kouji mit gutturalem Gurren, die Stimme so dunkel und aufreizend wie nachtschwarzer Samt auf blütenweißer Porzellanhaut. Takuto schluckte, fand sich unwillkürlich an den Türen der Schrankwand. "Du musst arbeiten, und ich muss nach den Kindern sehen", murmelte er nervös, leckte sich über die trockenen Lippen. "Die Kinder... sind alt genug... und meine Geschäfte... passen auf sich selbst auf...", raunte Kouji lasziv. Senkte den Kopf ein wenig, um direkt in Takutos Augen sehen zu können. Dieser initiierte einen Ausfall, indem er mit der Hüfte die linke Seite, näher zur Tür andeutete, aber rechts ausbrach. Allerdings war aus Koujis ausgebreiteten Armen ein Entkommen schlechterdings unmöglich, vielleicht hatte er aber das Blitzen in den schwarzen Augen trotz des Haarvorhangs erkannt. Takuto keuchte, als seine Handgelenke unnachgiebig umklammert wurden und die Schrankwand mit seinem Rücken schmerzhaft kollidierte. "Kouji...", protestierte er außer Atem, aber dieser drängte einen Oberschenkel in Takutos Schritt, presste unmissverständlich ihre Hüften aneinander. Takuto, etwas kleiner, fand sich auf den Zehenspitzen wieder, an die Wand genagelt wie ein aufgespießtes Insekt, vor seinen Augen wie ein Fanal das unwirklich schöne Gesicht seines Geliebten. In den rätselhaften Augen paarte sich Wahnsinn mit Begierde, Zärtlichkeit mit rücksichtslosen Trieben, wurde die Liebe übermannt von Verlangen. Takuto drehte blitzartig den Kopf weg, presste die Lippen aufeinander. Koujis Zunge strich suchend über seine Wange, schmeichelte seiner Ohrmuschel, mühsam gebändigt, fast drohend umkreiste sie ihre Spielwiese. Takuto spannte seinen ganzen Körper an, stellte sich aushärtenden Stahl vor. Hielt den Atem an. »Nicht so!!« Konzentrierte sich auf freundliche Bilder, um die Vergangenheit auszublenden. Seidige Haare streiften hauchzart seine Wange, warmer Atem kondensierte an seinem Hals. Koujis Stirn lehnte an seinem Kopf. "Ich... es tut mir leid...Izumi...bitte..." Takuto konnte die schweren Atemzüge spüren, die Koujis Leib erschauern ließen, auch wenn dieser sich ein wenig zurückgezogen hatte. Behutsam wandte er Kouji den Kopf zu, rieb ihre Nasenspitzen aneinander. "Ich liebe dich... Izumi... bitte..." Tränen schimmerten auf Koujis Wangen, seine Nasenflügel bebten unter vertriebenen Schluchzern. Takuto fing die salzige Feuchtigkeit mit der Zunge ab, küsste dann die zuckenden Lippen zärtlich. "Lass mich los, Kouji", wisperte er sanft. Augenblicklich waren seine Handgelenke frei. Er schlang beide Arme um Koujis Nacken, hielt sich an ihm fest, fixierte dessen verschwommenen Blick auf sein Gesicht. "Du kannst es wiedergutmachen... und danach schneidest du mir die Haare", hauchte er lächelnd, um besitzergreifend eine gebräunte Hand auf Koujis alabasterfarbenes Hinterteil zu legen. ~@~ Nur das leise Ratschen der metallischen Schneiden durchbrach die konzentrierte Stille. Kouji fädelte mit einem Kamm die schwarzen Strähnen auf, kürzte sie dann geübt, zerwuschelte immer wieder Takutos Haare, um den richtigen Sitz zu kontrollieren. "Du hast den Baldrian nicht zufällig im Alibert, oder?" Takuto, mit geschlossenen Augen, lächelte farblos. "Nicht deinetwegen, wenn du das meinst", wich er vorsichtig aus. "Nimmst du etwa das Zeug, wenn ich... wieder mal unberechenbar bin?" In Koujis Stimme schwankten Selbsthass und gespieltes Amüsement wie ein betrunkenes Pärchen auf Kollisionskurs mit der Wahrheit. "Kouji..." "Nein", Kouji kniff ein Auge zu und fischte eine entfleuchte Strähne heraus, "keine Ausreden! Sag's mir einfach." Takuto seufzte, legte dann beide Handflächen flach auf Koujis nackten Oberkörper, knapp oberhalb des Gürtels. Was diesen innehalten ließ. Takuto schlug die Augen auf. "Es hilft, wenn die Albträume wiederkommen. Beruhigt mich." Kouji ging vor ihm auf die Knie, fasste die gebräunten Hände in seinen ungleichen, suchte unglücklich Takutos Blick. Zu oft hatten sie so verharrt, als Takuto noch an den Rollstuhl gefesselt war. Er fand keine Worte. Nicht einmal einen Song. Aber Takuto lächelte sanft. "Ich weiß", flüsterte er zärtlich. "Ich weiß, Kouji." ~@~ "Schneller, Kazuya!!" "Maiko, setz dich!" Yohko zerrte ihre Freundin herunter, reichte dann Kenji das Popcorn, damit dieser seine Hände mit etwas anderem als seinem Gameboy beschäftigen konnte. "So eine Pfeife!", knurrte Maiko übellaunig, "wenn die sich nicht anstrengen, werden sie verlieren!" Yohko verdrehte die Augen Hilfe suchend und wünschte, Natsumi würde nicht an einem Test für eine Universität teilnehmen, sondern ihre anstrengende Freundin bändigen. "Was soll's, dabei sein ist alles!", krähte Tatsuomi fröhlich und stieß Maiko mit dem Ellenbogen an. "Kleiner, mach dich nicht unglücklich!", warnte Maiko gespielt düster, aber ihre wilden roten Haare und das freimütige Grinsen verhinderten jede Ernsthaftigkeit nachhaltig. Dann beugte sie sich vor, um an Tatsuomi vorbeizuspähen. "Hey, Hotsuma, hab ich dir schon gesagt, dass du sehr erholt aussiehst?" Hotsuma blinzelte, lächelte dann aber scheu und nickte. "Ungefähr zwanzigmal", brummte Tatsuomi und fischte an ihrem Rücken vorbei nach Yohko, die Hand flehend nach einer milden Popcorn-Spende ausgestreckt. "Aber es ist wahr! Und du siehst verändert aus!" Maiko nickte zur Bekräftigung ihrer eigenen Feststellungen nachdrücklich. "Ach ja?", grummelte Yohko und reichte Popcorn in Tatsuomis Hand. "Ja, da ist was in den Augen, was vorher nicht da war!", verkündete Maiko im Tenor eines Gottesurteils. Dabei richtete sie sich ruckartig auf, klemmte die Popcorn-Pipeline samt dazugehörigen Händen ein. Es rieselte leise, flankiert von zwei verärgerten Schnaufern. Maiko sah sich verwirrt um. "Was denn?!" Hotsuma lachte leise, was einer Sensation glich. ~@~ Tatsuomi spazierte neben Hotsuma, achtete genau darauf, dass sie gleichauf liefen, nicht etwa Hotsuma wie früher hinter ihm zurückfiel. "Du wirst ihn wirklich mögen", plapperte er zum wiederholten Mal, "er hat mir auch die tolle Kluft geschenkt!" Hotsuma nickte freundlich. Er verstand Tatsuomis Nervosität, obwohl er Balu bereits einmal getroffen hatte. Tatsuomi war wohl immer noch nicht ganz überzeugt, dass er keineswegs aufgrund dessen Freundschaft mit Balu gegangen war. Dabei hatte er kaum mehr als einen Stich Eifersucht verspürt, den Hotsuma aber als vollkommen natürlich ansah. Dennoch fragte er sich, ob sich die beiden tatsächlich so ähnlich waren, wie Tatsuomi nicht müde wurde zu betonen. Sie erreichten das Waisenhaus und wurden mit der üblichen Begeisterung begrüßt. Tatsuomi war umschwärmt wie ein Popstar, was er sichtlich genoss. Auf Hotsuma reagierte man höflich-zurückhaltend. Er war nicht der Typ, der Zutraulichkeiten herausforderte. Balu gesellte sich zu ihnen, ein Kleinkind auf dem Arm. Er lächelte Hotsuma zu und reichte ihm in europäischer Sitte eine Hand. "Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?" Hotsuma ergriff die dargebotene Rechte beherzt und drückte sie kurz. "Vielen Dank, es geht mir gut. Und dir?" Balu grinste. "Ich bin mit mehr Sandkuchen bewirtet worden, als ich vertrage, aber sonst geht's mir prächtig!", er zwinkerte aufmunternd. "Tatsu-chan hat mir erzählt, wie du ihm beigestanden hast. Vielen herzlichen Dank!" Hotsuma löste seine Hand, verneigte sich tief und formell. "Sunny hat sicher übertrieben." Balus Hand legte sich bestimmt auf Hotsumas Oberarm. "Ich denke, wir können uns das sparen, meinst du nicht?" Sein ernster und zugleich sehr offener Blick ließ Hotsuma erröten. Balu lächelte, auch eine Spur scheu, von der eigenen Kühnheit überrascht. Dann schüttelte er sich übertrieben wie ein Bär. "Keine Ahnung, wo du warst, aber du siehst sehr gut erholt aus. Komm, setzen wir uns, und dann erzählst du mir ein wenig von deiner Reise, ja?" Und Hotsuma folgte ihm merkwürdig erleichtert. ~@~ "Und wir sind hier richtig?" Katsumi beäugte misstrauisch den winzigen Platz an der Hauptstraße. "Ja." Hotsuma kletterte hinter ihm aus dem kleinen Bus, den sie am Flughafen gemietet hatten. Kouji, wie immer nachlässig gewandet, die übernächtigten Augen hinter verspiegelten Gläsern einer überdimensionierten Sonnenbrille verborgen, verriegelte kommentarlos den Wagen. "Nett hier", versuchte Takuto die Stimmung zu heben, zwinkerte Hotsuma aufmunternd zu. Ihre Ankunft blieb nicht lange unbemerkt, dann sammelten sich neugierig einzelne Dorfbewohner, um Hotsuma begeistert zu empfangen. Hotsuma, der während der Reise in Schweigen gehüllt mit seiner Anspannung gekämpft hatte, plauderte losgelöst und stellte seine Begleiter vor. Endlich kam auch der Herr der Bienen, Gonzou, musterte die fremdartigen Wesen amüsiert. Katsumi hatte vergeblich versucht, sich unauffällig einzukleiden. 'Bergbauerndorf' hatte bei ihm gewisse Befürchtungen hinsichtlich Abgeschiedenheit und Hygiene ausgelöst, sodass Yuugo ihn nur mit Mühe davon hatte abhalten können, eine Safari-Tour zu organisieren. Die paramilitärisch gestalteten Stoffhosen, hohe Schnürstiefel und das lederne Hemd wirkten nur unwesentlich vertrauenerweckender. Hotsuma hatte sich in die einfache Bekleidung geworfen, die alle hier trugen. Takuto bevorzugte ein dezentes Sportdress, und Tatsuomi eiferte seinem Onkel nach: nagelneue, geschnürte Lederhosen und ein durchscheinendes Top unter einem granatroten Blouson. Sie mussten wie Außerirdische wirken. Gonzou übernahm den Parcours. "Willkommen in Himegata, die Herren. Also, sollen wir nicht dem Doujou einen Besuch abstatten? Ich denke mir, dass Sie dort über Nacht bleiben wollen..." Hotsuma schloss zu Gonzou auf, Tatsuomi auf den Hacken, der die dichten Bäume und das Gebirge bewunderte. Katsumi hielt sich an einer Gürtelschlaufe von Yuugos Jeans fest, einen Rucksack wie eine Schlagwaffe gegen mögliche wilde Tiere umklammernd. Kouji spazierte mit nonchalantem Gesichtsausdruck hintendrein, unbeeindruckt Takutos Hand haltend. Diesem prickelte der Nacken vor neugierigen Blicken und leisem Kichern, aber er fühlte keine Ablehnung im Tross, der ihnen folgte. Sie folgten dem freigelegten Weg zum Doujou, legten dort nach einer Minute der inneren Einkehr den Eingang frei und betraten den Innenhof. Rasch waren die Räume durchmessen, erforderliches Lüften vorgenommen, die Gefolgschaft verstreut. "Nun gut", ergriff Kouji zum ersten Mal das Wort. Er baute sich vor Hotsuma auf, die Augen, ohne die schützende Sonnenbrille leicht verschleiert und doch raubvogelartig lauernd, von diamantener Härte. "Du willst also hier den Nanjou-Stil unterrichten? Diesen Doujou hier kaufen?" Hotsuma nickte knapp, spürte Feuchtigkeit auf seinen Handflächen. Kouji schnippte mit den Fingern. "Tatsuomi, hol die Schwerter aus dem Auto." Die Leute, denen nicht entgangen war, dass etwas Bedeutendes, Fundamentales im Gange war, rückten näher aneinander, hockten sich in den mit Platten gepflasterten Teil des Innenhofs. "Besiege mich, und ich stimme zu." Schweigen legte sich schwer über die Versammelten. Hotsuma ballte die Fäuste, nickte wieder abrupt, verbeugte sich tief. Yuugo zog Katsumi beiseite, gebot ihm ruhig, die Schiebetüren der Übungshalle zu bewegen, damit der ganze Raum zum Innenhof hin geöffnet wurde, alle dem Kampf zusehen konnten. Tatsuomi erschien außer Atem, zwei Schwerter in ihren wertvollen Scheiden im Arm. Zögerlich schwankte sein Blick zwischen Kouji und Hotsuma hin und her, dann, mit einem Ruck, streckte er die Arme aus, gab die Wahl frei. Kouji gebührte das Vorrecht der ersten Entscheidung, er nahm ohne weiteres Verweilen eines des identischen Schwertpaares. Zog sich an ein Ende der Halle zurück, wo er sein Sakko abstreifte und es Takuto reichte. Hotsuma streifte nach kurzem Zögern ebenfalls sein Hemd ab, enthüllte seinen nackten Oberkörper ebenso wie Kouji. Konnte Kouji einige tiefe Narben aufweisen, so zeichnete sich auf Hotsumas dunkler Haut das Geflecht der Striemen ab, die von jahrelangen disziplinarischen Züchtigungen herrührten. Entschlossen umfasste jeder mit beiden Händen den gebundenen Schwertgriff. Hotsuma zögerte erneut. Kouji war zwar der letzte Meister des Nanjou-Stils, aber es kam ihm nicht ehrenhaft vor, gegen einen quasi einarmigen Mann anzutreten. Als hätte Kouji seine Gedanken gelesen, verdunkelte sich seine Miene gewittrig. "Hör mir gut zu, dies ist kein Spiel. Wir kämpfen mit scharfen Waffen, ohne Rücksichten. Hältst du dich zurück, verlierst du, klar?!", zischte er arktisch. Katsumi umklammerte bleich Yuugos Hand, während Tatsuomi mit fahlem Gesicht Takuto Hilfe suchend ansah. Kouji fauchte in seine Richtung, "Tatsuomi, du wirst Unparteiischer sein!" Als einziger Kendou-Schüler blieb Tatsuomi nur ein schwaches Nicken übrig, dann stellte er sich in die Mitte der Halle. Nicht einmal Vogelgezwitscher war zu vernehmen, selbst die Insekten schwiegen. Mit einer senkrechten Handbewegung gab Tatsuomi das Duell frei, zog sich hastig zurück. Hotsuma und Kouji belauerten sich völlig regungslos. Dann, fast gleichzeitig schossen sie blitzartig aufeinander zu, zischten die Klingen durch die Luft. Unentschieden. Lautes Aufatmen aller Anwesenden. Und wieder umkreisten unnachgiebige Blicke einander, taxierten sich, erforschten mögliche Schwachstellen. Hotsuma unterdrückte ein nervöses Zittern. Kouji hatte nicht gespaßt: er hielt sich nicht zurück. Und Hotsuma musste nicht in die angespannten Gesichter der anderen sehen, um zu wissen, dass dieser Mann sehr wohl wie ein Dämon kämpfen konnte, auch mit einer Prothese. Hotsuma schloss die Augen, sammelte sich. Diese Halle war mit ihm verbunden, die ganze Erde an diesem Ort. Wie eine wärmende Aura liebkoste sie sein aufgewühltes Inneres. »Ich schaffe es.« Erneutes blendendes Aufblitzen der Schneiden, zerrissene Luft. Kein Vorteil. Tatsuomi wischte sich über das Gesicht, von Schweißperlen übersät. Kouji lächelte eisig, enthüllte seine weißen Zähne. Hotsuma verstärkte den Griff um den Schwertknauf. Und wieder fauchten sie aufeinander zu, kaum zu verfolgen mit den Blicken. ~@~ Hotsuma kannte den Nanjou-Stil, immerhin hatte er ihn trainieren müssen, um Tatsuomi ein angemessener Übungspartner zu sein. Aber er hatte nicht nur Kendou, sondern auch diverse andere Kampfsportarten lernen müssen, zudem einige Dinge, die nur ein Leibwächter beherrschen musste. Und diese Kenntnisse waren mit einem ehrenhaften Kampf kaum zu vereinbaren, zielten auf den unbedingten Schutz des Herren, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Andererseits brachten sie auch Einsichten in menschliche Reaktionen mit sich, die man im Ernstfall sofort, instinktiv, abrufen konnte. Als die Klingen sich trafen, zog Hotsuma seine Trumpfkarte, blies Kouji gezielt in die Augen. Nur ein irritierter Wimpernschlag Zeit, aber dies musste reichen, einen Vorteil zu erlangen, Koujis Schwert wegzudrücken. Mit einer blitzartigen Drehung glitt er an Kouji vorbei, die Schwerter rollten für Sekunden umeinander statt gegeneinander, dann hatte er Kouji mit der Klinge am Hals gestellt. Hielt keuchend inne. Wartete fast ohnmächtig ab, ob dieser Trick nun sein Schicksal besiegeln würde. Tatsuomi murmelte etwas, vollkommen unverständlich. Einzig Kouji bewegte sich. Senkte sein Schwert herab und wandte sich langsam zu Hotsuma um. "Ganz schön gerissen", flüsterte er, dann legte er die künstliche Hand behutsam auf Hotsumas Schulter. Der zitterte am ganzen Leib. "Glückwunsch, Hotsuma Kurauchi!", Kouji lächelte leicht. "Jaaahhhh!!" Tatsuomi warf sich Hotsuma um den Hals, was diesen so erschreckte, dass ihm das Schwert entglitt. Auch Takuto und Yuugo, an dessen T-Shirt Katsumi förmlich klebte, schlossen zu ihnen auf. Aus der Menge der Zuschauer wurde Beifall und erleichtertes Lachen laut, erhob sich ein Stimmengewirr. Hotsuma lachte und hielt sich an Tatsuomi fest, weil ihm vor Erleichterung die Knie schwach wurden. Er hatte es geschafft. ~@~ "Wir machen sie fertig!" Takuto tippte Yuugo auf die Schulter und zwinkerte Katsumi zu, der sehr beunruhigt über das Feld spähte. "Und wenn sie auf mich schießen?!", bemerkte er mit panischem Unterton. Yuugo zog ihn an den Hüften kurz an sich und drückte einen Kuss auf den schlohweißen Schopf. "Keine Angst, die Izumi-Boys lassen keinen durchpreschen!", prahlte er großspurig. Takuto lachte und nickte bekräftigend. Auf der anderen Seite des improvisierten Feldes sammelte Kouji seine Mini-Mannschaft um sich. "Tatsuomi, immer auf Katsumi halten, der ist so schreckhaft, dass uns bestimmt ein Tor gelingt! Hotsuma, du flankierst und drängst Izumi ab, so weit es geht!" Hotsuma und Tatsuomi nickten unbehaglich, Takuto und auch Yuugo waren robuste Gegner. Ihr Aufenthalt in dem Bergbauerndorf hatte sich zu einer Art Kirmes entwickelt, man picknickte und schwatzte. Während man neugierig zusah, wie die jungen Männer ein Spielfeld und zwei Tore provisorisch markierten und geheimnistuerisch Taktik-Absprachen zelebrierten. Gonzou hatte sich bereitwillig als Schiedsrichter angeboten und hielt engen Kontakt zu den beiden Linienrichterinnen, die brav ihre Hüte schwenkten und vor sich hin kicherten. Es stand außer Frage, dass sie einen der hübschen Jungen übersehen würden, wenn sich dieser einer Markierung nähern würde. Der Fußball wurde freigegeben, und sofort preschte Takuto vor, Ballannahme war einer seiner einfachsten Übungen. Tatsuomi, der in Hotsumas Windschatten versuchte, Takuto den Weg zu versperren, sah sich gekonnt überlupft, umrundet und einsam auf dem Feld. "Weiter!!", brüllte Kouji, der sich schon einem gut gelaunten Yuugo gegenüber fand. Aber Takuto hatte nicht vor, den Ball abzugeben. Er tippte das Leder sanft an, der Ball sprang hoch, und... Volley, rauschte raketenschnell über den Platz, wo Yuugo mit einem Grinsen abdrehte und Kouji chancenlos eine Hechtrolle improvisierte. "Tor!!", stellte Gonzou fest und pfiff laut, die Zuschauerinnen schwenkten Hüte und Tücher. Koujis Miene war unleserlich, aber zweifellos würde er einen zweiten Weckschuss nicht mehr so einfach passieren lassen. "Angriff!!", wies er Hotsuma an, der Yuugo entkam, um dann Tatsuomi den Ball weiterzuleiten. Katsumi auf der anderen Seite schielte zwischen seinen Fingern hervor und erwartete jeden Augenblick den Einschlag einer Granate, als Takuto wie aus dem Boden gezaubert vor Tatsuomi erschien. Eine Drehung antäuschte, diesem den Ball durch die Beine spielte und davonspazierte. "Aber... hey!!" Tatsuomi machte kehrt und nahm die Verfolgung auf, während Hotsuma und Yuugo einander an den Hemden hielten und vergnügt kichernd herumschubsten. Takuto schnellte auf Kouji zu, der mit zusammengekniffenen Augen und eisiger Miene den Angriff erwartete, sein Tor verließ, um den Winkel für etwaige Schüsse zu verkürzen. Fast schien es ihm, als warte Takuto geradezu darauf, als kümmere ihn nicht, dass Tatsuomi heraneilte. Und tatsächlich ließ Takuto Kouji herankommen, tänzelte mit dem Ball dribbelnd vor ihm, drehte sich aufreizend vor Kouji, der nur kontern konnte, die Arme ausgebreitet. Aber als Tatsuomi zum Greifen nah herankeuchte, schnickte Takuto den Ball auf Koujis Fußspitze, was diesen überraschte, tippte das abprallende Leder mit einem Knie an. Drehte sich gewandt mit dem Rücken zu Kouji in die entgegengesetzte Richtung, um dann pfeilschnell den trägen Ball einzufangen und mit einem fast müßigen Schuss zwischen die markierten Pfosten zu setzen. Kouji, der sich zwar eilends umgedreht hatte, um die Verfolgung aufzunehmen, ballte nun die Fäuste, sichtlich geladen. Tatsuomi bremste und huschte unauffällig in die relative Sicherheit einer Außenlinie. Während noch der Torjubel erklang, trieb Takuto lächelnd den Ball wieder auf das Feld, genau auf Kouji zu. Dieser baute sich vor ihm auf, bedrohlich, die schwarzen Haare flatterten in einer warmen Brise. Takuto hielt vor ihm an, der Ball suchte sich allein seinen Weg. Sie sahen einander in die Augen, ein Paar wütend funkelnd, das andere... Kouji blinzelte. Er kannte diese schwarzen Augen, hatte sie so oft gesehen, in vielen unterschiedlichen Momenten, auch auf dem Spielfeld. Da brannte eine feurige Glut in den Tiefen, angeheizt von Verzweiflung und Hass, ein wilder Freiheitsdrang, der keine Rücksicht auf den eigenen Körper nahm, eine unbändige Lebenslust, die nicht zu einem geringen Teil aus Trotz bestand. Aber dieses Leuchten, das sich ihm nun bot, war anders... es strahlte ohne die makelbehafteten Flecken von mörderischer Aggression und peinigendem Unglück. Wie eine irisierende Sonne, heiß, aber nicht verbrennend, hell, aber nicht gleißend. Takuto stand noch immer vor ihm, ein Lächeln umspielte seine Lippen, das Kouji nur sah, wenn sie einander geliebt hatten, zärtlich, friedvoll, glückselig auf eine stille, fast bescheidene Weise. Impulsiv und scheu zugleich hob er die Hand, um Takuto vorsichtig einige feuchte Strähnen aus den Augen zu wischen. Er konnte den Blick nicht abwenden von diesen Augen. Dass ihm zwei einsame Tränen über die Wangen perlten, bemerkte er nicht. ~@~ Kapitel 14 - Das Ende der Unschuld "Oni-chan?" Hotsuma drehte sich auf die andere Seite und suchte Tatsuomis Gesicht im sanften Mondlicht, das gefiltert durch die Fenster eindrang. Sie teilten sich den Raum im Doujou, lagen auf ihren Schlafsäcken, weil es in der Nacht noch nicht abkühlen wollte. "Ja?" Tatsuomi hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, visierte die Zimmerdecke an. "Du wirst wirklich hier bleiben, nicht?" Tatsuomis Stimme klang betäubend ruhig, in Hotsumas Ohren schon ein wenig zu gelassen. "Ich hoffe, dass ich es kann", gab er vorsichtig zurück, suchte zu ergründen, was Tatsuomi wohl beschäftigte. Unerwarteterweise drehte sich dieser elegant auf die Seite, stützte den Kopf in eine Hand und sah zu Hotsuma herüber. "Du wirst mir fehlen." Hotsuma blinzelte. Er hatte einen lauten Gefühlsausbruch erwartet, vielleicht nicht hier und jetzt, aber irgendwann ganz sicher. Nicht diese abgeklärte Feststellung, die so erwachsen und melancholisch klang. Litt Tatsuomi wirklich unter starken Stimmungsschwankungen, oder waren es gar Vorboten des Wahnsinns, der in seiner Familie starke Verhaftung hatte?! Ohne auf Hotsumas Antwort zu warten erklärte sich Tatsuomi. "Weißt du, mir war früher nie bewusst, wie unterschiedlich wir eigentlich sind. Ich habe mich einfach darauf verlassen, dass du mir immer den Rücken decken würdest, alles ausbügelst, was ich mit meinem Temperament auslöse." Tatsuomi lachte leise, selbstvergessen. "Als ich in der Schule die Prügel bezog, war ich zum ersten Mal wirklich allein. Das war ganz schön beängstigend." Hotsuma murmelte beschämt eine Entschuldigung. "Ach was! Es war ein echter Weckruf." Tatsuomi langte mit der freien Hand hinüber und suchte Hotsumas Hand, hielt sie fest. "Ich wollte die ganze Zeit wie ein Erwachsener behandelt werden, nun muss ich auch die Konsequenzen hinnehmen. Ich will nicht so enden wie Akihito." Ein eisiges Gespenst huschte mit arktischen Klauen durch den Raum, als der verhasste Name fiel. "Du wirst niemals so sein wie er", flüsterte Hotsuma heftig, bekräftigend. Tatsuomi lächelte schief, schüttelte müßig den Kopf, um einige im Mondlicht funkelnde Strähnen zu vertreiben. "Ich werde noch sehr viel beherrschter und ruhiger werden müssen, damit diese Gefahr ausgeschlossen wird", erklärte er förmlich, doch mit unterdrücktem Kichern. Hotsuma schmunzelte. Solange Tatsuomi so fröhlich blieb, war er einen entscheidenden Schritt von dem Abgrund entfernt, der ihre Väter verschlungen hatte. "Wirst du dir Balu zum Vorbild nehmen?", hakte Hotsuma durch die seltsam unwirkliche Atmosphäre ermutigt nach. Tatsuomi schwieg, schien die Frage genau zu beleuchten. "Nein", entschied er sich schließlich, was Hotsuma verwunderte. "Nein, ich fürchte, ich werde Kouji nacheifern." Tatsuomi senkte die Lider auf Halbmast, den Blick in mysteriöse Tiefen gewandt. "Ich will mich verlieben bis in den Wahnsinn", hauchte er sehnsüchtig. Hotsuma fror. ~@~ Takuto stützte ein Bein auf und lehnte sich an den Balken in der offenen Schiebetür, die einen Teil des Innenhofs enthüllte. Über dem sternenübersäten Himmel residierte majestätisch der Mond. Eine Brise strich durch die Gemächer. Er drehte den Kopf zu Kouji hin, der noch immer regungslos vor den beiden Schwertern in der traditionellen Haltung kniete. Takuto fragte sich, mit wem Kouji wohl diese stumme Zwiesprache hielt. Natürlich hatte er seinen Freund sehr oft beim Sport beobachtet, auch bei dessen einsamen Kendou-Kämpfen. Er war immer allein gewesen, hatte auch Tatsuomi nicht gestattet, ein ernsthaftes Duell mit ihm auszutragen, obwohl er Trainingspartner nicht abgewiesen hatte. Über Koujis Biographie in Bezug auf das strikte Leben im Doujou der Nanjous wusste Takuto nicht besonders viel, aber es schien ihm, als trage nicht nur er selbst einen Kampf aus mit der Vergangenheit. Kouji hatte den Doujou nach eigenen spärlichen Angaben ohne Abschiedsblick hinter sich gelassen, keinerlei Interesse an der Weiterführung gezeigt, obwohl er von seinem Vater als der geeignetste Erbe angesehen worden war. Aber dieses Erbe und die versteckte Anerkennung, die es bedeutete, schienen Kouji noch mehr abzustoßen, regelrecht Ekel hervorzurufen. Als ob er Kendou verachtete, aber wie konnte das sein, wenn er sich dennoch stets darin übte? Ohne Begeisterung, aber mit strenger Disziplin? »Du bist mir in vielen Dingen ein Rätsel, Kouji Nanjou. Ein Mann, der nach seinem eigenen Ehrenkodex lebt, kompromisslos und leidenschaftlich zugleich.« Takuto räkelte sich leicht. Die harten Bohlen steigerten sich unter ihm zu einer sehr unbequemen Sitzgelegenheit. In diesem Augenblick erhob sich Kouji, in einer einzigen fließenden Bewegung, obwohl er doch stocksteif sein musste. Durchquerte den schmucklosen Raum, um sich Takuto gegenüber an die andere Säule zu lehnen, die die Schiebetüren begrenzte. Die ungleichen Arme vor der breiten Brust verschränkt sah er in die Ferne, zeigte Takuto sein scharf geschnittenes, markantes Profil. Die schwarzen Haare strichen geschmeidig um sein Kinn, von Takuto mehr oder weniger gekonnt gestutzt. Dieser erhob sich, ein wenig schwerfälliger, die Kehrseite demonstrativ reibend, die ein gewisses Taubheitsgefühl ausstrahlte und trat dann an den größeren Mann heran. Ohne den Blick abzuwenden öffnete Kouji die Arme, umschlang Takutos sehnige Gestalt und zog diesen wärmend vor seine Brust, ließ ihn teilhaben an seiner Versunkenheit. Takuto, der gleichwohl nicht erahnen konnte, in welchen Fernen Koujis Gedanken schweiften, genoss einfach die körperliche Nähe in diesem unbeobachteten Augenblick. ~@~ "Ich glaube es nicht..." Katsumi massierte sich die Schläfen, ein Reflex, der ausnahmsweise nicht einem akuten Bedarf entsprang. Eine samtige Stimme, amüsiert, füllte sein Ohr mit Details, in aufreizender Manier ein Tableau entwerfend, das an Tollkühnheit kaum zu überbieten war. "Sicher kann ich das... dauert nur ein wenig..." Katsumi notierte Zeichen auf einem Notizblock. "Ich weiß nicht... ich würde es bei einem großen Auktionshaus versuchen. Klar, wenn jemand Elton Johns altes Zeug kauft..." Er setzte sich und zupfte an dem magentafarbenem Volant herum, der den V-Ausschnitt seines Hemds umspielte. "Bist du sicher, dass das funktioniert?", wagte er schließlich, seine Zweifel kundzutun. Doch die verführerische Stimme am anderen Ende sprühte vor Enthusiasmus. Lediglich der geübte Hörer hätte die stahlharten Kanten unter dem Brokat bemerkt. ~@~ Yuugo jagte gerade einen Frosch über eine vielbefahrene Autobahn, als eine seltsame Meldung erschien. Irritiert brach er sein Spiel ab, sondierte vorsichtig, ob er möglicherweise die Innereien des Computers mit Unverdaulichem überlastet hatte. Er hoffte es nicht, denn sein engelsgleicher Geliebter konnte in diesem speziellen Fall orkanartige Zornausbrüche an den Tag legen. Die Meldung löste sich auf. Yuugo blinzelte verwirrt. Im Hintergrund seines Bewusstseins hörte er Katsumis Stimme in gleichmäßigem Plauderton auf Englisch über CD-Cover verhandeln. Zack! Eine neue Phantom-Meldung. Yuugo betätigte geistesgegenwärtig den Screenshot, bevor die Schimäre entfliehen konnte. [A bunch of bananas] Yuugo runzelte nachdenklich die Stirn, strich sich unbewusst über die lange Narbe. »Bananen?? Werbung? Aus dem Internet?« Aber der Browser war doch... hatte etwa jemand direkten Zugriff auf den Computer? Mit einem ergrimmten Schnaufen zog er die Verbindungen wie bei einem Bilderrätsel. »Natürlich, Bananen, Dschungel, die Tiere!!« Aber was sollte das?! Und wie hatte er zu reagieren? Konnten die nicht wie normale Menschen eine E-Mail schicken oder anrufen?! Eine neue Schimäre trudelte über den Bildschirm, ein Comic-Aasgeier, der die Bananen in seinen Krallen zermatschte. Yuugo nahm die Brille ab und wienerte über die Gläser, durch das Auflösen auch dieser Erscheinung nicht mehr verschreckt. Ein Geier nahm die Bananen weg?! Was sollte das bedeuten?! Eine vage Beunruhigung trieb seinen Adrenalinpegel in die Höhe. "Engelchen? Kannst du mal kommen?" Katsumi gestikulierte mit einer Hand, während er weiter telefonierte, flötete, die Augen verdrehte. Yuugo seufzte. Das konnte dauern. Also konzentrierte er sich auf die nächste Warnung, aber es ging keine weitere mehr ein. ~@~ Tatsuomi schaufelte heißhungrig die Glasnudeln in sich hinein. Er liebte chinesisches Essen. Takuto zog eine Augenbraue hoch und schüttelte tadelnd den Kopf. "Tatsu-chan, schling nicht so!" Dann warf er einen nachdenklichen Blick zu Kouji hinüber, der noch immer seine Lesebrille trug und müßig die Nudeln zwirbelte, aber nicht an den Mund führte. Takuto seufzte. "Möchtest du lieber etwas anderes haben?", erkundigte er sich ruhig. Kouji warf unter halb gesenkten Lidern einen funkelnden Blick zu ihm herüber. "Später... ganz sicher", raunte er anzüglich, was ihm einen heftigen Tritt gegen das Schienbein einbrachte. "Kann ich ans Schlagzeug?!" Tatsuomi tupfte sich gesittet den Mund mit der Serviette ab, um schon in die Senkrechte zu springen. Kouji winkte beiläufig mit der Hand, was den Jüngsten im Bunde mit einem Jubelschrei davonstoben ließ. Takuto musterte Kouji eindringlich. "Was ist los?" Kouji zog seine Brille herab und betrachtete Takuto mit seinen sphinxenhaften Augen prüfend, als hinge von dem, was er in dessen Gesicht lesen konnte, die Antwort auf eine wichtige Entscheidung ab. "Nun?" Takuto strich sich Ponysträhnen aus den Augen und erwiderte herausfordernd den musternden Blick. Kouji strich sich durch die Haare, was Takuto irritierte. Verzögerte er mutwillig eine Antwort oder sorgte er sich um etwas? "Gibt es Schwierigkeiten mit deinem Label?", tastete er sich vorsichtig in vermintes Gebiet, denn Kouji war in finanziellen oder geschäftlichen Dingen wenig mitteilsam. Takuto überraschte es immer wieder, wie gerissen und scharfsinnig Kouji sein erarbeitetes Vermögen verwaltete. Selbst Katsumi hatte mehrfach geklagt, dass Kouji nicht mit offenen Karten in dieser Hinsicht spielte. "Dem Label geht es hervorragend", wischte Kouji unterdessen Takutos Vorschlag achtlos vom Tisch. Um dann wieder in seinen Nudeln herumzustochern, was Takuto allmählich in den Wahnsinn trieb. Kurzerhand erhob er sich, umklammerte Koujis Hand stählern, entzog ihm die Stäbchen und sammelte die kaum geleerte Schüssel auf. "Da du offenkundig fertig bist, werde ich jetzt abräumen." Demonstrativ ohne Blickkontakt wandte er seinem Geliebten den Rücken zu und transportierte das Geschirr zur Küchentheke hinüber. "Übrigens werde ich mich morgen bei einer Job-Agentur vorstellen", verkündete er über die Schulter. "Morgen nicht." Takutos Lippen wurden schmal, seine Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen. "Hör mal, ich werde auf keinen Fall hier herumhängen, bis dich mal wieder die Lust überkommt..." Weiter kam er mit seinen verärgerten Ausführungen nicht, weil Kouji sich an seinen Rücken schmiegte. Es war keineswegs der Auftakt zu einem Vorspiel, nein, diese Annäherung hatte etwas ungewohnt Schüchternes, fast Trost Suchendes. "Kouji... Kouji, alles in Ordnung mit dir? Fühlst du dich nicht gut??" Takuto entzog die Hände dem Spülwasser und versuchte, sich in der Umarmung zu drehen, was ihm nur mit beharrlichem Nachdruck gelang, da Kouji das Gesicht in seiner Schulterbeuge vergrub. "Was ist denn los?", hakte er beunruhigt nach, umfing das schöne Gesicht mit beiden Handflächen zärtlich. Zu seiner Verwunderung lächelte Kouji aber, eine dieser seltenen, fast scheuen Gesten, in denen Takuto den vereinsamten Jungen wiederfand, der sich tief in dem unnahbaren, selbstherrlichen Rockstar verbarg. "Morgen möchte ich mit dir einen Ausflug machen", flüsterte Kouji sanft. "Bitte, Izumi, erfüll mir den Wunsch." Takuto studierte die ungewöhnlichen Augen seines Freundes intensiv. Aber er konnte ihnen nicht entnehmen, was Kouji geplant hatte. Seine Lippen kräuselten sich zu einem nachsichtigen Schmunzeln. "Also schön, ich begleite dich." Dann, sich abwendend, betont geschäftig, "und wenn du schon hier stehst, kannst du dir auch ein Handtuch nehmen und abtrocknen!" Als der übliche Stoßseufzer ertönte, war Takuto beruhigt. ~@~ Yuugo rieb sich über die Augen und fasste die fedrigen Haarsträhnen in einen lockeren Zopf zusammen, während er der Kaffeemaschine beim Durchlaufen zusah. Es war sehr früh, besonders für einen notorischen Langschläfer, dem schon der Unterrichtsbeginn immer das Äußerste an Disziplin abverlangte, aber er hatte keine großartige Wahl. Hausarbeiten, die man am Abend hätte erledigen sollen, sich dann aber eine scheinbar befriedigendere Beschäftigung fand, rächten sich am frühen Morgen immer. Sehnsüchtig dachte er an das warme Bett zurück, wo eingekuschelt und selig schlummernd sein Engel residierte. Dass die Morgensonne bereits hereinblinzelte und hohe Temperaturen versprach, diente nicht unbedingt der Konzentration. Yuugo nahm an der Theke Platz, mischte die erste Tasse seines Dopingmittels mit Milch und Zucker, verbrannte sich vor dem initiierenden Schluck die Zunge und schlug seine Hefte auf. Gleichzeitig ließ er leise den Fernseher mitlaufen, eine Unart, die auch Katsumi pflegte. Mit plätscherndem Hintergrundgeräusch versank er in seinem Lernstoff, überhörte auch die geschmeidigen Schritte seines Freundes. "Morgen", wisperte Katsumi vergnügt, als sein betont feuchter Wangenkuss Yuugo hochschrecken ließ. "Engelchen", knarzte Yuugo tadelnd, um dann die fragile Gestalt in dem schmetterlingbedruckten Pyjama an sich zu ziehen. "Hmmmmm, du bist so schön warm", schnurrte er genießerisch, verstärkte die Umarmung noch ein wenig. Katsumi wurde urplötzlich in seinen Armen stocksteif. Yuugo stutzte, zog sich zurück, fürchtete, durch eine ungeschickte Bewegung Katsumi vielleicht verletzt zu haben, doch dessen große Augen starrten blank und geweitet auf den Fernsehschirm. "Katsumi?" Als Yuugo weder ein Blinzeln, noch eine andere wertbare Reaktion erntete, wandte er sich energisch herum, um festzustellen, was so schockierend sein musste. Eine Horde Polizisten drängte in ein Gebäude, schob Angestellte vor sich her, fiel einem Heuschreckenschwarm gleich über die Einrichtung her. Zerrte unter dem Fokus der schwankenden Kamera Dokumente und Aufzeichnungen heraus, mit verachtendem Gesichtsausdruck. "Was zum...?" Yuugo spürte, wie Katsumi in seinen Armen zitterte, so stark, dass er selbst die Erschütterungen nicht mehr auszugleichen vermochte, ebenfalls den willkürlichen Zuckungen zum Opfer fiel. Er konzentrierte sich auf die Kommentierung eines Off-Sprechers. Der gleichgültig verkündete, dass der weltweit operierende Konzern der Familie Shibuya wegen des dringenden Verdachts der Korruption, Bestechung, Steuerhinterziehung und Unterschlagung in seinen diversen Spartenunternehmen durchsucht werde. Gleichzeitig mit der Zentrale nehme man sich auch alle Filialen sowie die Privathäuser verschiedener, hochrangiger Familienangehöriger vor. In diesem Augenblick dirigierte man auch verschiedene ältere Männer durch die Gänge zum Ausgang hin. Sie wirkten wie betäubt, ungläubig, vollkommen überrumpelt. Einer von ihnen war Katsumis Vater. ~@~ Takuto folgte Kouji in die Garage, seltsam berührt davon, dass dieser ihn an der Hand führte wie ein frisch verliebter Galan. Überhaupt schien an diesem Morgen eine ungewöhnliche Schwingung in der Atmosphäre zu liegen. Kouji war in sich gekehrt, trug einen seiner konservativsten Anzüge, keinerlei Makeup und nur sein Kreuz um den Hals, selbst die Ohrstecker waren verschwunden. Dabei würde niemand auf die Idee kommen, ihn für einen nüchternen, seriösen Manager zu halten, unterdrückte Takuto ein belustigtes Glucksen. Wer in Koujis Augen sah, konnte sehr wohl die selbstironische Leidenschaft darin brennen sehen. Wie üblich war die Garage zum Bersten gefüllt. Motorrad neben Ferrari, daneben der Jeep und dann der Transporter für die Band... aber?! Takuto wurde behutsam aber bestimmt zur Beifahrertür des Jeeps gedrängt, auch wenn er sich förmlich den Kopf verdrehte. Kouji bugsierte ihn hinein, umrundete dann eilig die Kühlerhaube und startete den Motor. Takuto schnallte sich an, wie immer darauf bedacht, sich korrekt zu verhalten, dann stützte er den Kopf auf den Ellenbogen am Seitenfenster und drehte müßig eine Strähne um die schlanken Finger. "Kouji..." Aber Kouji langte zur eingebauten Anlage und drehte den Ton so weit auf, dass ein Gespräch unmöglich wurde. ~@~ Yuugo umklammerte Katsumi und zwang diesen, den Blick vom Bildschirm abzuwenden, presste das totenbleiche Gesicht gegen seine Brust. "Engelchen, beruhig dich, okay?", strich er in groben Schwüngen über den knochigen Leib, "wir holen deinen Vater sofort wieder raus!" Katsumis Zähne schlugen aufeinander, ein Geräusch, das erheblich an Yuugos Nerven zehrte. Erst mit Verspätung bemerkte er, dass Katsumi versuchte, sich verständlich zu machen, aber sein Körper nicht kooperieren wollte. Besorgt presste Yuugo eine flache Hand auf Katsumis nackte Brust, kontrollierte die galoppierenden Herzschläge. »Nicht gut«, fluchte er stumm, »gar nicht gut, schlecht, viel zu schnell!« "Katsumi, du musst dich beruhigen!", beschwor er eindringlich die zerbrechliche Gestalt, zwang mit eisernem Griff am spitzen Kinn Blickkontakt auf. "Bitte, Engelchen, atme langsamer!" Aber Katsumi, in dessen Augen wohl ganze Horrorszenarien abliefen, die schmerzhaft hervorgestoßenen Atemzüge, die den schmächtigen Brustkorb erzittern ließen, war nicht zu erreichen. Seine Lippen formten lautlos Silben, die Yuugo nur intuitiv entschlüsselte. "Ich weiß, sie haben deinen Vater, aber nur vorübergehend! Wir finden ihn! Sie werden ihn sicher nicht einsperren!" Katsumis Atem wandelte sich zu einem qualvollen Pfeifen. Seine Lippen nahmen einen ungesund bläulichen Ton an, während eine Hand sich mit verkrümmten Fingern klauengleich in die Brust grub. »Oh nein, verflucht!« Yuugo erstarrte nun auch in Panik, denn er erinnerte sich zu gut an die Ermahnung der Ärzte. Die dem Herzschrittmacher eine unterstützende Rolle zugeschrieben hatten, aber betonten, dass Katsumis schwaches Herz eine Mindestleistung zu erbringen hatte. Einen Herzinfarkt würde er ohne sofortige ärztliche Hilfe nicht überleben. »Beruhigen, er muss sich beruhigen, ablenken...« Yuugo zerrte Katsumi an sich heran und presste die Lippen auf den fast entfärbten Mund, hauchte Atem und sein verzweifeltes Flehen darauf. Ein keuchendes Zucken, dann gab Katsumi den Widerstand auf, ließ sich von Yuugo beatmen, was dieser mit wachsender Zuversicht fortsetzte, bis Katsumis schlanke Hände sich auf seine Schulterblätter legten. Yuugo gab ihn schließlich frei, schob sanft die Finger in die schlohweißen Haare, lehnte seine Stirn gegen Katsumis und wischte mit den Daumen Reste von Speichel von den fahlen Lippen. "Okay... alles halb so schlimm...", hauchte er in das bleiche Gesicht. "Zieh dich erst mal an. In der Zwischenzeit rufe ich bei der Justizverwaltung an und erkundige mich nach ihm." Tatsächlich marschierte Katsumi wie aufgezogen statisch Richtung Schlafzimmer. Yuugo packte seine Hefte zusammen und suchte nach Telefon, Rufnummernverzeichnis und einer Eingebung. Parallel lauschte er mit einem Ohr auf die Meldungen, die ungerührt fortfuhren in ihrer Berichterstattung. Offenkundig musste man bereits über eine weitreichende Anzahl von Beweisen und Zeugenaussagen verfügen, wenn man sich mit dem mächtigen Shibuya-Clan anlegte, so zumindest kommentierte ein Sprecher die Aktion. Möglicherweise suchte sich auch ein Politiker zu profilieren, indem er gebetsmühlenartig gegen die Korruption wetterte. Er fand eine zentrale Rufnummer, aber die Leitung war belegt. Während er ungeduldig auf Wahlwiederholung schaltete, verfolgte er, an einem Daumen nagend, die wackelige Handkamera. Das Heraustreiben vollkommen perplexer Angestellter, Schnitte, die Privathäuser zeigten, wo entsetzte Familienangehörige das Eindringen in ihre Intimsphäre über sich ergehen lassen mussten. Yuugo bemerkte nicht, dass Katsumi sich neben ihn gestellt hatte, bis eine schlanke Hand sich auf seine Schulter legte. "Du musst in die Schule", verkündete er mit flacher Stimme. Yuugo knurrte ungläubig. "Du denkst doch wohl nicht, dass ich dich allein lasse?!" Katsumi wandte den Kopf herum, die Augen klar und eisig. "Es hat keinen Sinn, dass du die Schule versäumst, wenn wir ohnehin nichts erreichen können." Yuugo setzte zu einer erregten Erwiderung an, aber Katsumi bedeutete ihm mit einer Geste, dass er noch nicht fertig war. "Denkst du nicht, dass da mehr dahinter steckt?! Na also, ich kann es dir doch ansehen." Yuugo schloss leicht beleidigt den Mund mit zwei strengen Falten in den Mundwinkeln, enthielt sich aber angesichts Katsumis abweisender Miene jeglichen Kommentars. "Was hast du also vor?", erkundigte er sich betont zurückhaltend. Katsumi knöpfte konzentriert die Weste seines dreiteiligen Anzugs zu, steingrau, völlig schmucklos und konträr zu seiner üblichen Bekleidung. "Ich werde hinfahren und warten, bis man mir mitteilt, was meinem Vater vorgeworfen wird. Und dann werde ich einen Anwalt suchen." Yuugo fröstelte unter der emotionslosen Stimme, überwand sich und schlang fest einen Arm um die fragile Taille. "Versprich mir, dass du mich anrufst, ja?! Sonst verhaue ich heute alles!", appellierte er ungeniert an Katsumis Mitgefühl. Und tatsächlich erweichte sich Katsumis steinerne Miene in einem winzigen Lächeln. ~@~ Takuto stieg behände aus und schlug die Tür hinter sich zu, stemmte die gebräunten Hände in die schlanken Hüften. Sein Blick glitt über das Spielfeld, die winzigen Baracken, die einfachen Zuschauerränge mit ihren kaskadierend ansteigenden Rängen. Kein Vergleich zu den europäischen Stadien und der 1. Liga, in der er gespielt hatte, so viel war sicher. Aber die Linien waren exakt gekalkt, der Rasen liebevoll getrimmt, selbst die Eckfahnen flatterten farbenprächtig, aber ein wenig schlapp in der lauen Brise des frühen Sommertages. Mit einem dumpfen Schlag rastete die Fahrertür ins Schloss ein. Takuto strich sich die gekürzten Ponysträhnen aus den Augen und unterdrückte ein freudiges Grinsen, das den winzigen, elektrischen Explosionen in seinem Bauch Rechnung trug. Die Luft fieberte schon in Erwartung eines heißen Tages, das Gras verlor den letzten Schimmer des Morgentaus. Allem entströmte der vertraute, aufreizende Geruch einer Trainingseinheit, wie er sie liebte. Aber taktische Klugheit verbot, Kouji allzu zeitig auf seine Begeisterung aufmerksam zu machen. Dieser trat nun auch geräuschlos neben ihn, die Augen hinter der großen Sonnenbrille verschanzt. Nur die minimale Anspannung in der hellen Haut um die Kieferpartie verriet ihm als geschulten Beobachter Koujis Nervosität. Aber vielleicht war dies auch nur ein Zugeständnis an ihn? Takuto konnte sich dessen nie sicher sein, denn er kannte Koujis schauspielerisches Talent. "Sind nicht gerade die Überflieger, dein neues Team", reizte er seinen großgewachsenen Freund mit schelmischem Augenzwinkern. Kouji zuckte mit den Achseln, widerstand aber der Versuchung, nach Takutos Hand zu greifen. "Gehen wir rein", kommentierte er reserviert und marschierte los. Takuto lächelte leicht, suchte seine Sporttasche aus dem Kofferraum und schlug diesen betont zu, um den Davonschlendernden zu signalisieren, dass er etwas vergessen hatte. Kouji fuhr graziös herum. Eine aufkommende Brise verwirbelte den knielangen Sommermantel, wischte zärtlich durch die kinnlangen, lackschwarzen Haare, und Takuto stockte das Herz. Plötzlich schienen die verdunkelten Gläser kein Hindernis mehr, konnte er die sanften Augen dahinter erkennen, das winzige Kräuseln eines Lächelns in den Mundwinkeln. Seine Hand krampfte sich um die Stoffgriffe der Tasche. Er öffnete unwillkürlich den Mund, wie um einen Laut der Bewunderung hervorzustoßen. Kouji strich sich mit der künstlichen Hand verwehte Strähnen hinter ein Ohr und legte den Kopf leicht schief, eine Aufforderung, zu ihm aufzuschließen. Und Takuto setzte sich fast mechanisch in Bewegung, noch immer die schweren, hastigen Schläge seines galoppierenden Herzens in den Ohren. ~@~ Vor der Mannschaftsbaracke erwartete sie bereits der magere Kader. Unsicherheit, Optimismus, Neugier, all dies sprang Takuto entgegen, der unbewusst aufrechter ging, die Schultern spannte, das Kinn reckte. Er war schon oft allein unter Fremden eingetroffen, hatte sich einen Platz erkämpfen müssen, in seiner Jugend sogar gegen alle anderen. Nun aber galt es, gemeinsam zu trainieren, denn das sollte schließlich Koujis Geschenk an ihn sein, eine Aufgabe, sich zu beweisen. Und ein brillanter Stürmer war nichts, wenn er nicht eine gute Mannschaft hinter sich hatte. War es ihm immer schwer gefallen, Worte zu finden, die das Eis brachen, die Verlegenheit nahmen, so fand er sie dieses Mal leicht. Er wusste, dass er gut war. Einer der Besten. Und da er sich im Verlauf des letzten Monats so oft in Situationen befunden hatte, in denen er eigene Fehler und Schwächen eingestehen musste, verspürte er nicht mehr den erstickenden Drang nach Perfektion und Unangreifbarkeit. Kouji hielt sich erwartungsgemäß im Hintergrund, suchte sich bereits auf den einfachen Zuschauerrängen einen Platz. Außer ihm fanden sich nur ein paar Rentner mit Kleinkindern oder winzigen Hunden, die das übliche Training als Unterhaltung verfolgen wollten. Die Mannschaft selbst, die ohne Trainer nur von ihrem erfahrenen Torhüter angeleitet worden war, fiel bereitwillig in aufwärmenden Trab. Natürlich musste die Mannschaftsstärke noch aufgestockt werden. Die Verluste waren nicht leicht zu kompensieren, aber ohnehin fand sich eine große Bandbreite, von extravagant frisiertem Jugendlichen bis zu den Alt-Profis, die das anstrengende Pensum der 1.Liga-Vereine nicht mehr leisten konnten. Während der Aufwärmarbeit und den technischen Übungen beobachtete Takuto seine neuen Mitspieler genau. Seine Erfahrung half ihm, sie einzuordnen, kritisch zu beurteilen. Immer seltener verirrte sich sein Blick zu den Rängen hin. Je höher die Sonne stieg, die Hitze sich aufbaute wie eine dichte Mauer, umso stärker wurde er von den neuen Anforderungen in den Bann geschlagen. ~@~ Kouji stützte elegant das Kinn auf seine rechte Hand und betrachtete die schwitzenden Männer auf dem Platz, das Versiegen der Scherzworte und Kommentare, die intensive Konzentration auf die gestellten Aufgaben. Und Izumi, sein Izumi, befand sich unter ihnen, ein strahlendes Juwel, ein Blitz mit schwarz glühenden Augen und der Grazie einer Gazelle. »Ich musste mich in ihn verlieben«, stellte er mit beschleunigten Atemzügen fest, »niemand, der ihm zusieht, kann seinem Zauber entfliehen.« Vage vernahm er das leise Plaudern der wenigen Zuschauer, die ihn mit neugierigem Blick streiften, sich fragten, was wohl der skandalöse Kouji Nanjou mit einer Zweitligamannschaft anfangen wollte. Die sich nach den Gerüchten der Übernahme durch den Rockstar als Besitzer bereits selbst dezimiert hatte. Was Kouji selbst betraf, so sah er dem Trainingsende mit einer gewissen Unsicherheit entgegen, denn Takutos engagierter und ungewöhnlich herzlicher Einstand bedeutete noch keine Entlastung für ihn. Es war eine glückliche Fügung, dass dieser keinen Streit vor Fremden schätzte und seinen Europa-Trip als Gelegenheit wahrgenommen hatte, einige Schatten aus der Vergangenheit abzuschütteln. Kouji streckte sich und vermisste sein eigenes Leben in diesem Augenblick überhaupt nicht. ~@~ Katsumi bestellte ein Taxi ein, suchte fahrig in seinen Taschen nach Bargeld, Ausweisen, Visitenkarten und Mobiltelefon. In seinem Kopf tobte sich ein Orkan aus, verwirbelte bis zur Unhaltbarkeit jeden klaren Gedanken. Er zog fröstelnd die Schultern hoch, obwohl es ein stickig warmer Tag zu werden versprach, mit einer dampfenden Dunstglocke über der Stadt. Es wäre vorteilhafter, sich so seriös und konservativ wie möglich zu kleiden, aber die Rüstung aller Businessmen versprach ihm nicht die Sicherheit, derer er bedurfte. Kurzentschlossen zog er Yuugos abgewetzte Jeansjacke aus dem Schrank, zu groß für ihn, aber mit ausreichend Fassungsvermögen. Außerdem durchdrungen von der Wärme und dem Geruch seines Freundes. ~@~ Das Taxi setzte ihn vor dem Gerichtsgebäude ab, Katsumis einzigem Anlaufpunkt. Ob man sofort Anklage erheben würde, wusste er nicht, aber zumindest würde man ihm hier sagen können, wo sein Vater sich aufhielt. Allein, es erwies sich bereits als problematisch, die Pforten zu betreten. Sein Ausweis wurde eingezogen und er selbst in die Lobby verbannt, zu warten, dass man ihn passieren ließ. Eine Stunde nervenzehrenden Wartens verging. Auf seine Nachfragen antwortete man automatisch kühl mit der Aufforderung, wieder Platz zu nehmen. Als sich die zweite Stunde dem Ende neigte, -Katsumi war nicht länger in der Lage, die Wartezeit zu Arbeitszwecken auszufüllen,- sprang er auf und rauschte in blindem Zorn auf den Empfangsbereich zu. "Ich möchte jetzt wissen, wo mein Vater ist! Und, nein, ich werde mich nicht setzen, ich werde nicht weiter hier warten!" Seine sich überschlagende Stimme zog die Aufmerksamkeit der anderen Menschen auf sich, aber Katsumi war unempfänglich für irritierte oder missbilligende Blicke. "Wenn Sie mir nicht helfen können, dann holen Sie Ihren Vorgesetzten!" Hinter ihm baute sich ein wahrer Titan auf, tippte ihn auf die Schulter. Aber als Katsumi mit geballten Fäusten herumfuhr, die Zähne gefletscht wie ein Tier, die großen Augen in verzweifeltem Wahn funkelnd, wich auch dieser Mann beeindruckt zurück. Augenblicklich materialisierte sich ein hagerer, farbloser Mann, der in murmelndem Ton, einer Litanei gleich, beteuerte, man habe keine Kenntnis vom Aufenthalt seines Vaters. "Ich will den Ankläger sprechen! Holen Sie den Staatsanwalt!" Katsumis Stimme raste wie eine Feuerwalze durch das gedimmte Foyer, hinterließ Gänsehautschauer. Unter seinem fiebrigen Blick wählte der Mann mit zitternden Fingern eine interne Rufnummer an und mit einem erlösenden Summen rauschte ein Aufzug herab, dem eine winzige, adrett gekleidete Frau in mittleren Jahren entstieg. Sie verbeugte sich vor Katsumi, stellte sich als die Assistentin des Staatsanwalts vor und bat Katsumi mit freundlicher Geste, doch in ein Separee zu folgen. Katsumi stapfte noch immer erregt hinter ihr her. Seine Stiefel schnarrten über den Steinboden wie die Sporen eines Cowboys. "Shibuya-san, wir bedauern außerordentlich die Zeit, die Sie hier verbringen mussten. Ich bin beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass sich Ihr ehrenwerter Herr Vater derzeit in Untersuchungshaft befindet." Katsumi blinzelte. "Was wirft man ihm vor? Hat er einen Anwalt?" Die Frau quittierte seine Fragen mit einem leichten Schaukeln des Kopfes, schien dann über den Sinngehalt zu meditieren, bevor sie mit einem Lächeln antwortete. "Nun, es handelt sich nach der Anklageschrift und dem Durchsuchungsbeschluss um den Verdacht der organisierten und fortgesetzten, gesetzeswidrigen Vorteilsnahme sowie der Unterschlagung wesentlicher Beträge an die staatlichen Finanzbehörden." Katsumi schnappte nach Luft. Die verklausulierte Umschreibung für Korruption, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung war seit verschiedenen, spektakulären Enthüllungen jedermann ein Begriff. "Aber.. aber...", stammelte er verwirrt, suchte sich zu sammeln. Vage war er sich der Tatsache bewusst, dass er sich in kalkulierter Pose der Unterlegenen befand, mit den Nerven zu Fuß. "Hat mein Vater bereits einen Anwalt benannt?" Katsumi konzentrierte sich auf das Wesentliche, hoffte, seine gewohnte Selbstsicherheit zu finden. "So weit mir bekannt ist, ist noch keine Feststellung diesbezüglich erfolgt." Die Frau nickte leicht bei jedem Wort, immerzu lächelnd, was Katsumi als gespenstisch empfand. "Dann muss ich sofort mit ihm sprechen, damit das geklärt wird. Ohne Anwalt wird er nichts sagen." Die von tiefen Falten geprägten Augenpartien zuckten kurz, dann versteifte sich die sehr aufrechte Haltung der Frau. "Ich bedaure sehr, mein Herr, aber der Kontakt mit Ihrem Vater ist Ihnen nicht gestattet." "WAS??!!" Katsumi riss die Augen auf, sprang bereits aus den Polstern hoch. "Warum nicht? Was soll das bedeuten?? Das ist gegen das Gesetz!" Gleichbleibend ruhig schaukelte der runde Kopf vor ihm auf und nieder. Katsumi zitterte vor Anspannung und Erregung. Er fürchtete sich vor dem, was ihm zu Ohren kommen würde. "Es ist Ihnen aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gestattet, Verbindung zu Ihrem Vater aufzunehmen. Sie können einen Vertreter vorschlagen, der von uns geprüft wird." "Ich... ich verstehe das nicht... warum sollten wir nicht... miteinander reden dürfen?" Katsumi blinzelte heftig, fühlte sich schwach, als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. "Shibuya-san, bitte nehmen Sie meine Karte. Wenn Sie einen Vertreter benannt haben, werden wir diesen auf Zulassung prüfen. In der Zwischenzeit ist es allen Familien- oder Betriebsangehörigen untersagt, Verbindungen zu aufzunehmen, die den Anschein der Möglichkeit von Verschleierungen oder Absprachen bei Aussagen erwecken könnte." Katsumi umklammerte Halt suchend die Lehne seines Sessels, so fest, dass sich seine Fingerknöchel kalkweiß unter der fahlen Haut abzeichneten. "Aber... aber... was wirft man mir vor?! Was sollte ich absprechen? Werden Sie mich auch anklagen?" Seine Stimme verlor sich in vollkommener Fassungslosigkeit. "Sie stehen nach meiner Kenntnis nicht unter Anklage, aber man wird vielleicht auf Sie als Zeuge zurückgreifen." Die Frau erhob sich. "Bitte suchen Sie einen Vertreter aus. Diese Person kann Ihren Vater sehen und mit ihm sprechen, so lange es sich nicht um Inhalte handelt, die Gegenstand der Ermittlungen sind." Damit verließ sie, eine Verneigung andeutend, hocherhobenen Hauptes den Raum. Katsumi sackte in die Polster, die Arme vor seinem Leib verschränkt, als wollte er sich selbst umarmen, aber dies hinderte die heftigen Bauchschmerzen nicht daran, ihm das Wasser in die Augen zu treiben. ~@~ "Komm mal hierher!" Tatsuomi zerrte Balu begeistert einen Stand weiter, wo in grellen Lettern auf die neuesten Produkte in Sachen Inlinern hingewiesen wurde. Seine schönen Augen klebten förmlich an besonders hochwertigen Rollen, die einzeln aufgezogen werden konnten und eine noch größere Geschwindigkeit und Widerstandsfähigkeit versprachen. Balu verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und ließ die tätowierten, eisblauen Flammen tanzen. "Sunny, hast du dir mal den Preis angesehen?" "Hmmm", gab Tatsuomi beiläufig zurück, spielte bereits mit einem an einer schwergliedrigen Kette aufgefädelten Probe-Exemplar. "Was man damit für ein Tempo machen könnte...", seufzte er schwelgerisch. "Wir sollten dann auch gleich noch Polster für deine Montur und einen Helm kaufen!", knurrte Balu leicht gereizt. Er mochte den Gedanken nicht, dass Tatsuomi auf diesen experimentellen Spielzeugrollen eine Serpentine herabraste, um sich den finalen 'Kick' zu holen. Im Rausch der Geschwindigkeit, der nicht von ungefähr als eine Art Sucht betrachtet wurde, ging zuallererst immer die Vorsicht über Bord. Als trage man einen unsichtbaren Schild, der unverwundbar machte. Aber dieser Schild existierte nicht, und auch ein Inliner konnte für einen entgegenkommenden Radfahrer oder Autofahrer eine tödliche Gefahr darstellen. "Einen Helm? Wieso sollte ich einen Helm tragen?" Offenkundig hatten sich doch einige Worte in Tatsuomis Gehör verfangen und waren weitergeleitet worden. "Dummerchen, was denkst du wohl, warum?!", brummte Balu und klopfte dem Jüngeren auf den Kopf. Tatsuomi schnurrte drohend und funkelte Balu an. "Helm ist uncool", bekundete er und spielte mit einer Rolle. "Würdest du denn nicht mit dem Wind um die Wette laufen wollen? Mit diesen Geschossen hier...", murmelte er verträumt und sehnsüchtig zugleich. Balu blies ihm kurz in den Kragen des kurzärmligen Schulhemds, was Tatsuomi mit einem genießerischen Seufzer kommentierte, war es doch erbärmlich stickig in dem Geschäft. "MIT dem Wind, nicht gegen ihn", wisperte Balu rau, "ich will ihn spüren wie eine Liebkosung, nicht wie einen wütenden Schlag." Tatsuomi wandte sich um, den Kopf schief gelegt, suchte in Balus Augen. "So sanftmütig?" Balu schmunzelte schräg, rieb sich verlegen über die stoppeligen Haare im Nacken und zwinkerte. Ein hintergründiges Lächeln breitete sich auf Tatsuomis Zügen aus. Er beugte sich vertraulich vor und flüsterte Balu raunend zu. "Wenn du mit mir sofort ans Meer fährst, verzichte ich auf die Dinger." Balu kniff die Augen zusammen. Eine Erpressung?! Wenn er nachgab, würde Tatsuomi diese Taktik sicher noch häufiger einsetzen. Man musste dem entschieden entgegentreten. Aber ohne ihm die Möglichkeit zur Gegenrede zu geben zog Tatsuomi ihn bereits am Handgelenk hinter sich her. "Lass uns ein bisschen Proviant kaufen, und dann geht's zum Bus!", kommandierte dieser aufgekratzt. "Sunny...!" Tatsuomi wandte den Kopf mit den honigblonden Haaren herum und zwinkerte. "Kennst du eigentlich den Film 'Verdammt in alle Ewigkeit'?" Balu stutzte irritiert, was Tatsuomi mitleidlos zu seinem Vorteil ausnutzte. "Ich habe Lust, dich in der Brandung zu Boden zu knutschen!", krähte er lauthals und schamlos, während Balus Wangen sich dunkel färbten. "Sunny...!" "Das sagtest du bereits!" Tatsuomi zog Balu eilig den anheimelnden Düften nach, die sich in seine Nase verirrten. ~@~ Kouji lehnte sich gegen die glühende Karosserie seines Wagens. Verfluchte still seine Prothese, die unter dem leichten Stoff seines elfenbeinfarbenen Seidenhemds nicht weniger Temperaturgrade aufwies. Nur eine kurze Unterbrechung zur Mittagszeit, als die Sonne gnadenlos alles versengte, dann aber hatten die Spieler ihre Arbeit fortgesetzt, mit Elan und Konzentration. Im Geiste hatte Kouji bereits eine Liste der erforderlichen Verbesserungsmaßnahmen aufgestellt. Eine Kühltruhe musste her, ein paar neue Sonnenschirme, die Duschen in der Baracke mussten überholt werden... Als einer der letzten verließ Takuto die ärmliche Mannschaftskabine, winkte zum Abschied, die Tasche geschultert, hielt auf den staubigen Parkplatz zu. Von seinen Haaren tropfte noch das leicht getrübte Wasser der Dusche, ließ das frische T-Shirt an seiner nassen Haut kleben. Er nickte Kouji zu, der sich verstohlen über den mechanischen Arm rieb und gewohnt undurchdringlich seinen kurzen Gruß erwiderte. Takuto beförderte mit einem vergnügten Ächzen seine Tasche in den Kofferraum, genoss das Muskelspiel, seine Energie. Dann stieg er zu Kouji ein, der sich bereits Finger trommelnd über das Lenkrad kauerte. ~@~ Kouji liebte das Autofahren, die Geschwindigkeit, die mühsam gebändigten Pferdestärken eines starken Motors. Leider konnte er diesem Luxus nur selten nachgeben, und gerade schlich er im Schritttempo im vorabendlichen Stau dem trauten Heim entgegen. Er warf einen prüfenden Blick auf Takuto, der die Arme vor der Brust übereinander geschlagen hatte und scheinbar schlief, den Kopf Kouji zugewandt. Kouji verwünschte die Unruhe, die einem eingesperrten Tier gleich seine Magensäure konzentrierte. Er wollte das anstehende Gespräch hinter sich bringen. Aber er konnte sich nicht überwinden, Takutos Schlaf zu stören. ~@~ "Wir sind da." Kouji legte behutsam eine Hand auf Takutos Oberschenkel. Dieser blinzelte, erwachte langsam aus einem offenkundig tiefen Schlaf, räkelte sich anmutig. Blies dann gewohnheitsmäßig die Ponysträhnen aus den Augen und kletterte aus dem Auto. Kouji gab sich einen Ruck und folgte ihm langsam, betrachtete den schwungvollen Gang, die leicht wiegenden Hüften, das präzise Abrollen der Fußsohlen, ein Athlet vom wirren Schopf bis in die Zehen. "Ich räume meine Wäsche in die Maschine", verkündete Takuto über die Schulter, verschwand aus Koujis Blickfeld. Dieser rieb sich über die Augen und streifte nachlässig seinen Mantel auf der Couch ab, musterte das blinkende Instrumentarium der modernen Gesellschaft angewidert. Konnte man wirklich keinen Tag unbehelligt bleiben? Mit einem Stoßseufzer streckte er die Hand aus, Nachrichten abzuhören und diverse elektronische Briefkästen zu leeren. Als sich sehnige gebräunte Finger auf seinen Handrücken legten und diesen Einhalt gebietend umfingen. Kouji drehte überrascht den Kopf, aber Takuto lächelte ihm spitzbübisch zu, verschränkte Koujis Finger dann mit den eigenen. "Lass die Dinger aus. Hast du nicht gesagt, der Tag gehöre mir?" Koujis Augenbrauen wanderten in die Höhe. Takuto zog ihn hinter sich her in den Flur, bremste dann und wandte sich mit blitzendem Blick um. "Wir sollten uns unterhalten!", fauchte er. Überrumpelt von der hitzigen Attacke prallte Kouji rücklings gegen die Wand, als Takuto bereits die Hände in Koujis offenes Hemd gegraben hatte. "Kannst du mir verraten, warum du das getan hast?!" Kouji schluckte, kämpfte gegen den hämmernden Herzschlag an, stammelte hilflos einige Silben. "Purer Egoismus... Lamborghini stand nur herum ... schaue gern zu... Fußballverband ärgern..." Dann versiegte seine Stimme unter dem gnadenlosen Bannstrahl. "Ich hielt es für eine gute Idee", wisperte er schließlich im Rückzugsgefecht, senkte den Kopf schuldbewusst. Stille breitete sich aus, fast greifbar, aber Kouji wagte nicht, den Blick zu heben. Da legten sich die sehnigen Hände warm auf seine schamrot gefärbten Wangen. "Ich weiß, warum du es getan hast", hauchte Takuto mit liebevollem Lächeln, sprang dann auf die nackten Zehenspitzen und küsste Kouji intensiv auf die zuckenden Lippen. Kouji wagte kaum zu atmen, als sich die überfallartigen Küsse auf seinem Gesicht verewigten, seine Lippen lockten. Seine Arme legten sich um die grazile Taille, suchten die warme Haut unter dem Stoff, den geeigneten Platz, Takutos Balanceakt zu unterstützen. Takuto lachte leise, als Koujis Zunge fast schüchtern aus dem Duell floh, Ausdruck der Überraschung, dass er selbst so leidenschaftlich fordernd sein konnte. Ohne Worte umklammerte er besitzergreifend Koujis Hand, zog diesen energisch hinter sich her in das Schlafzimmer. Drängte ihn dann schubsend, mit spitzen Fingern triezend zu ihrem enormen Bett, um den Geliebten mit finalem Stoß auf den seidigen Überwurf zu platzieren. Kouji schnappte nach Luft, aber Takuto thronte schon auf seinem Becken, zwang die ungleichen Handgelenke in seinen Griff und dann über den Kopf. Leckte sich provozierend über die Lippen. Koujis Augen wurden merklich runder. "Dir ist doch klar, dass ich dich nicht ungeschoren lassen kann", raunte Takuto fiebrig, ließ wie zum Beweis die Zunge über Koujis Gesicht gleiten. Kouji nickte, aber in seinen Augen brannte das ungezügelte Verlangen, das Takuto ersehnt hatte. ~@~ Takutos Finger wanderten fahrig über die ungleichen Arme, der eine muskulös, erwärmt, der andere metallisch spröde, unbeeindruckt kühl. Er hielt die Augen offen, genoss ihren gemeinsam kondensierenden Atem in seinem Gesicht, auf seiner Brust. Kouji gab leise Seufzer bei jedem Stoß von sich, auf die er mit einem leichten Ächzen antwortete. Er hatte diesen Part ihrer Beziehung gehasst, mit Unverständnis über sich ergehen lassen. Koujis verzweifelten Kummer in sich hineingefressen, diesen oftmals gezwungen, ihn fast vergewaltigend zu nehmen, um sich selbst zu bestrafen. Diesen Körper zu verletzen, der ihm so viel Erfüllung im Sport und so viel Leid durch seine Schönheit bescherte. Die Augen zusammengekniffen, sich in einen entfernten Raum in seiner Seele zurückgezogen, wo ihn kein Laut, kein Schmerz, kein Lichtstrahl erreichte, um dort abzuwarten, bis ES vorüber war. Aber dann, sich langsam einschleichend, hatte er mit der Genesung von der Lähmung wieder in seinem Körper zurückgefunden. Festgestellt, dass dieser nicht nur ein Werkzeug war, das zu gehorchen hatte oder gebrochen wurde, sondern ein Teil seiner selbst, den er einem anderen zum Geschenk darbieten konnte. Dass es nicht nur um das widerwillige Gestatten erlösender, körperlicher Akte ging, sondern um den Versuch, sich einander anzunähern. Einen gemeinsamen Ort zu schaffen, der nur ihnen beiden gehörte, der keinem anderen Menschen zugänglich war. Einen Schlüssel zu finden jenseits zweier ineinander verschlungener Leiber, eine fast metaphysische Bedeutung. Während des Karibik-Urlaubs hatte er dann versucht, Kouji zu lieben, auf eine behutsame, unsichere Weise, sich heranzutasten an eine wahrhaftige Partnerschaft. Und voller Erleichterung bemerkt, dass Kouji keineswegs nur an einem triebhaften Rausch interessiert war, sondern der neu erwachten Zärtlichkeit mit scheuer Hingabe begegnete. Manchmal, wenn er Kouji in diesen Augenblicken ansah, die katzenhaft zusammengezogenen, undurchdringlichen Augen in dem leicht geröteten Porzellangesicht, das Muskelspiel unter den Narben, die schimmernden Schweißperlen auf der glatten Haut, konnte er einen Einblick in dessen Seele nehmen, die seiner eigenen so ähnlich war. In winzigem Zögern, verschleiertem Blick, einem unbewussten Lächeln erkennen, wer tatsächlich hinter dem sexlüsternen Macho steckte. Und diese Augenblicke waren selten und kostbar zugleich. Denn er fand einen Jungen dort, der niemandem traute, der wie ein Ausstellungsstück ohne Liebe aufgewachsen war, der insgeheim nicht glaubte, dass jemand ihn lieben und immer an seiner Seite sein würde. Takuto hob fahrig eine Hand und wischte behutsam, ein wenig ungezielt, über Koujis glühende Wange. Dieser stutzte einen Moment, verzögerte den Rhythmus, lächelte dann scheu, fast verlegen, als er in Takutos liebevolles, ein wenig atemloses Gesicht hinunterblickte. Kouji wandte den Kopf, hauchte einen feuchten Kuss in die Handfläche, verlangsamte und intensivierte die Vereinigung. Takuto schnappte nach Luft, grub die Finger tief in die Haut, die Schultern, drehte aber nicht den Kopf weg, hielt die Augen geöffnet. »Außerdem«, fuhr es ihm mit einem Schmunzeln durch den Kopf, »muss es wohl ein Zeichen sein, dass sich Koujis Schulterpartien so perfekt meinen Kniekehlen anpassen.« ~@~ Während der zweistündigen Fahrt an ihr Ziel hatten sie in ruhiger Vertrautheit die eingekauften Bentou aufgezehrt und die Aussicht genossen, sich von dem leichten Schaukeln des Busses einlullen lassen. Die stickige Atmosphäre tat ein Übriges hinzu, um eine Siesta zu bevorzugen. Aber am Wasser angelangt, wo sich aufgepeitschte Wogen voller Elan gegen schwarze zerklüftete Felsen warfen, immer wieder Sand abrissen, um diesen dann übermütig an die Gestade zurückzuschleudern, erfrischte die ozeanische Brise ihre Gemüter. Der Strand war trotz des späten Nachmittags nur spärlich belebt: einige unentwegte Surfer, Mütter mit quengligen Kindern und jugendliche Schulschwänzer, die Paukstunden von ihrem persönlichen Aktionsplan gestrichen hatten. Tatsuomi und Balu ließen etwas abseits im Schatten eines Felsens, der einsam aus dem Sand herausragte, ihre Taschen fallen und stürmten dann auf die kühlen Wellen zu. Sich gegenseitig bespritzend lachten sie triumphierend: über den Alltag, dem sie ein Schnippchen schlugen, über die Smogglocke, unter der Tokio lag und der sie entflohen waren und über die prickelnde Leichtigkeit eines herrlichen Hochsommertages. Mit den nächsten Brechern, die sich auf das Ufer stürzten, wagte auch Tatsuomi einen tückischen Angriff, nutzte den Schwung, um Balu von den Beinen zu holen und mit ihm unter das salzige Wasser zu gleiten. Mit einem verspäteten Schub auf den Strand getrieben zu werden und dort wieder aufzutauchen, ineinander verkeilt. In scherzhaftem Ringen, die Finger in die Oberarme des anderen getrieben, rollten sie durch den grobkörnigen Untergrund. Jeder danach trachtend, die Oberhand zu gewinnen, mit einem Trick, einem Bluff oder geschickten Fußhakeln den anderen unter sich zu werfen. Dabei spülten die Wogen ihre Ausläufer bis zu ihren Hüften hoch, lösten einen leichten Sog in das tiefere Wasser aus. In diesem Augenblick hatte Tatsuomi wieder die hohe Position gewonnen, lachte befreit. Die honigblonden Strähnen hingen nass und wirr in sein Gesicht. Er strahlte förmlich Lebensfreude und Glück aus, die Wangen glühten, die Lippen schimmerten feucht und ein wenig salzig. Balu unternahm keinerlei Anstrengung, ihn hinunterzustoßen. Er sah einfach in dieses lebendig-schöne Gesicht, genoss die Wellen um seinen Leib und hob behutsam eine kräftige Hand, um vorsichtig, fast andächtig sogar, die feuchten Strähnen aus Tatsuomis Stirn zu streichen. Dessen Gesichtsausdruck wandelte sich, ruhiger und atemloser zugleich. Das unbefangene Lächeln verlor sich, der tollkühne Funken verschwand aus den faszinierenden Augen. Er beugte sich hinab, ließ Balu nicht aus den Augen, ein gegenseitiges Hypnotisieren, das sie beide in Bann schlug. Dann stürzte er sich erlösend auf dessen beschlagene Lippen, küsste Balu hemmungslos, intim, fordernd, leidenschaftlich und verzweifelt. Balu steckte sich an, grub die Finger in den schlanken Rücken, schnappte ebenso hungrig nach Tatsuomi. Nutzte die Gelegenheit bei einer größeren Woge, sein Gleichgewicht zum Einsatz zu bringen und Tatsuomi unter sich zu begraben. Es war ein Leichtes, den gleichgroßen, aber sehr viel schlankeren Jungen hinunterzudrücken. Doch auch Tatsuomi wehrte die Attacke nicht ab, schlang stattdessen die Arme um Balus Nacken, um diesen fest an sich zu ziehen, ihm den Atem zu rauben und verlangenden Zärtlichkeiten Raum zu geben. Im Rausch der Wellen, die ihre verschlungenen Körper umspielten, vergaßen sie Zeit und Ort. ~@~ Die Sonne schwand langsam am Horizont dahin, würde in Kürze im Meer versinken. Der Himmel war klar, von glühenden Farben erleuchtet, wenngleich auch winzige Lichtpunkte bereits die Sterne andeuteten. Eine kühle Brise frischte auf, aber Tatsuomi, der mit offenem, salzgetränkten Hemd im Sand saß, traf keine Anstalten, sich wärmer zu bedecken. Balu, das T-Shirt übergestreift, das er ausgewrungen hatte, strich sich gedankenverloren über die tätowierten Arme. Eine meditative Ruhe hatte sie überkommen, als sie, ohne einen verbalen Austausch notwendig zu haben, beschlossen, den letzten Bus ohne sie abfahren zu lassen. Stattdessen mit dem ersten Bus am Morgen die Hauptstadt zu erreichen suchten. Eine gewisse Tollkühnheit lag darin, denn sie hatten niemanden informiert, und es würde bis zum Schulbeginn und Arbeitsantritt gerade mal genug Zeit bleiben, sich das Salz und den Geruch des Meeres abzuspülen. "So fühlt man sich also, wenn man 'verdammt in alle Ewigkeit' ist", brach Tatsuomi versonnen das einhellige Schweigen. Balu wandte den Kopf und betrachtete das Profil seines jüngeren Freundes nachdenklich. Dieser, den Blick bemerkend, schenkte Balu ein freches Grinsen. "Also, ich fühl mich verdammt gut!", grinste er und beugte sich herüber, um Balu einen leichten Kuss auf den Mund zu geben. Dieser blieb reserviert, aber auch Tatsuomi schien mit dem Thema noch nicht abgeschlossen zu haben. "Es ist gut, dass du da bist...dass ich mit dir diese Dinge tun kann." Balu zog es vor, nicht den Gedankenfluss zu unterbrechen. Tatsuomi richtete den Blick Richtung verdüsternden Himmel, den Kopf weit in den Nacken gelegt. "Es ist wirklich einfach... ich muss mir keine Gedanken machen, weil wir uns so gut verstehen. Muss keine Angst haben, dass du sauer wirst." Er zwinkerte und ließ sich auf den Rücken hinabsinken, den Kopf auf einem angewinkelten Unterarm abgelegt, der andere Arm lag lose überkopf daneben. "Stell dir mal vor, du versuchst so was mit jemandem, den du liebst... und er findet das scheußlich..." Balu rückte näher und betrachtete die ausgestreckte Gestalt neben sich, die leicht gebräunte Haut unter dem weißen, offenen Hemd, die hellen, glatten Haare wie eine Korona ausgebreitet um ein unwirklich schönes Gesicht. "Hast du schon mal jemanden geliebt? Ich meine, richtig geliebt, nicht nur verliebt?" Tatsuomi suchte Balus Blick, der undeutbar auf seinem Gesicht ruhte. Dieser wandte sich ab, starrte zum Horizont, wo die Sonne erlosch. "Ich weiß nicht.. es ist nicht so einfach zu erkennen." Tatsuomi lachte laut. "Das finde ich gar nicht!" "So?" Balus Augenbrauen wanderten hoch. "Dann erklär mir mal, wie du Liebe erkennst!" Tatsuomi grinste selbstzufrieden und dozierte. "Zuerst trifft es einen wie ein Blitz, nur noch mehr Volt. Dann verliert man absolut jedes Maß für die Realität und dann..." Er verstummte plötzlich. Balu suchte in dem blanken Gesicht nach einem Anhaltspunkt, aber Tatsuomi hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Seine offenen Augen starrten ausdruckslos in den Himmel. "... dann bist du verloren", flüsterte er kaum hörbar, ein wenig angestrengt, als entziffere er etwas Unbegreifliches. Seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. "... nie mehr kannst du dir sicher sein...nie mehr dir selbst gehören... nie mehr genau wissen, wie du sein wirst..." Seine Augen füllten sich mit Tränen, sein Atem floh hastig, ängstlich. Eine versteifende Anspannung bemächtigte sich seiner anmutigen Gestalt. Balu lehnte sich über ihn, strich mit den Daumen liebevoll die Tränen von den Wangen, zwang durch die sanfte Berührung Tatsuomis irrenden Blick auf sein Gesicht. Er bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln, auch wenn ihm selbst keinesfalls danach war. Ein Wetterleuchten wie eine vage Hoffnung zog rasch über Tatsuomis Lippen, allein die Augen blieben bewölkt und beunruhigt aufgerissen, dieses Lächeln nur ein fahler Reflex. "Aber... aber wir lieben ja nicht, richtig?!" Balu biss sich auf die Unterlippe und versteinerte, aber seine Augen spiegelten die eigene Unsicherheit wider. Tatsuomi keuchte. "Nicht wahr?! Nicht wahr, Balu?!" Vor das Dilemma gestellt, sich abzuwenden und die mögliche Antwort auf diese Frage zu fliehen oder einzugestehen, wie verloren er sich selbst fühlte, wählte Balu die zweite Option. Er sank über Tatsuomi zusammen, schlug dessen offenes Hemd auseinander, bestrich mit Zunge und salzrauen Lippen die samtige Haut, reizte die sich härtenden Partien, bedeckte mit wild-verzweifelten Küssen Hals, Kinn und Wangen. »Kein anderer hätte mich wohl je dazu bringen können, dass ich dies tue. Getan habe. Mit dir. Wenn ich nicht verdammt bin, so bin ich wohl verloren. All meine Rationalität kann mich nicht retten.« Balu schlang die Arme um Tatsuomi, hob ihn hoch und bettete das tränenfeuchte Gesicht in seine Halsbeuge, wiegte den Jungen tröstend. Aber er war nicht sicher, wem der Trost tatsächlich galt. ~@~ Yuugo schloss die Wohnungstür auf, ließ ermattet seinen Rucksack sinken und streifte die leichten Turnschuhe ab. Die Luft in Katsumis Appartement stand förmlich, stickig-feucht raubte sie den Atem. "Engelchen?" Yuugo fühlte sich schmutzig durch den abgasbehafteten Smog, den Schweiß auf seiner Haut und gereizt, weil er keinerlei Nachricht erhalten hatte, wie Katsumi mit der Verhaftung seines Vaters umgegangen war. Selbst das Mobiltelefon hatte dieser abgestellt. "Engel?" Yuugo sich im Gehen das klamme T-Shirt vom Leib und steuerte das Wohnzimmer an, das in einer staubigen Dunkelheit lag. Lediglich ersterbende Sonnenstrahlen glitten vereinzelt durch die heruntergelassenen Rollläden hinein. Er rang nach Atem und suchte blicklos den Schalter für den Deckenventilator. Während seine Augen sich noch an die Semi-Dunkelheit gewöhnten, spürte er die Anwesenheit einer anderen Person. Ein kompakter Schatten kauerte tief in sich selbst verkrümmt auf der Couch. Yuugo hielt erschrocken darauf zu, streckte die Hand aus, um sich mit einem vorsichtigen Tasten nach den schlohweißen Haaren Gewissheit zu verschaffen. "Katsumi? Was ist passiert?" Katsumi zog die Schultern noch höher, das Gesicht hinter den Knien verborgen. Yuugos Augenbrauen wanderten nach oben. Zu gut erinnerte er sich an das letzte Mal, dass er seinen Freund so vorgefunden hatte. Verschwitzt und schmuddelig oder nicht, er schlang beide Arme kräftig um das kompakte Bündel und zog es an seine Brust. "Hey, mein Engel, warum redest du nicht mehr mit mir, hm?" Unter seinen Muskeln spürte er ein minimales Zittern von Sehnen, die sich vage entkrampften. Er schmiegte sich enger an den fragilen Körper, flüsterte mit trockener Stimme weiter, lechzte heimlich nach einer Erfrischung. "Engelchen, ich mache mir Sorgen um dich...hast du denn kein Vertrauen zu mir?" Als noch immer keine stärkere Reaktion erfolgte, griff Yuugo zum nächsten Mittel. Suchte den entblößten Nacken, biss sanft hinein, um dann die wunde Stelle mit der Zunge zu umkreisen, eine andere zu wählen, an dieser nachdrücklich zu saugen. Seine Beharrlichkeit zeigte Wirkung. Nach sofortigem Verspannen lösten sich die Glieder, vibrierte Katsumi unter dem Ansturm, beschleunigten sich seine Atemzüge. Yuugo konnte ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken, aber Katsumi schien dies erwartet zu haben, denn mit einem erregten Wutschrei stieß er sich ab, kam stolpernd auf die Beine. Yuugo keuchte überrumpelt, als ihn eine Ohrfeige traf. "Hör sofort damit auf, ja?! Denkst du, ich merke das nicht?!! Kannst du immer nur an das Eine denken?!" Yuugo schraubte sich in die Höhe, verdaute die teilweise ungerechtfertigten Vorwürfe. "Ich möchte nur, dass du mich nicht aussperrst", bemühte er sich um einen versöhnlichen Ton, die Hände behutsam nach Katsumi ausgestreckt. "Ich will aber nicht darüber reden, klar?! Ich will überhaupt nicht reden!! Lass mich in Ruhe!" Yuugos Augen verdunkelten sich wütend. Im Zwielicht konnte er auch Katsumis kämpferische Körperhaltung ausmachen. "Was soll das?! Glaubst du, ich schaue nur zu, wie du hier im Dunkeln herumvegetierst?! Niemals!" Katsumi wich ihm in einer kreisenden Bewegung aus, die Fäuste geballt. "Das geht dich nichts an!! Wenn ich hier ohne Licht herumhocken will, ist das meine Sache!!" Yuugo versperrte ihm wütend den Weg. "Darum geht es nicht!! Ich will wissen, wenn es dir schlecht geht!" "Ach ja?! Und was nützt das?! Du kannst ja doch nichts tun!!" Katsumi spie die Worte sich überschlagend schrill in den Raum. "Gib mir eine Chance!", forderte Yuugo zornig, wich einem geschleuderten Sitzkissen behände aus. "Nein!! NEIN!!" Außer sich warf Katsumi mit weiteren Kissen, von erregten Atemzügen erschüttert. Yuugo tauchte unter den Geschossen hinweg, umklammerte die Handgelenke des schmächtigen Freundes hart, schüttelte ihn nachdrücklich. "Lass das!! Katsumi!!" Aber Katsumi verlegte sich nun auf Ausschlagen und Herumwerfen, mit einer solch entfesselten Energie, dass Yuugo nur einen Ausweg sah, dem hysterischen Anfall ein Ende zu bereiten. Er ließ die Handgelenke fahren, umschlang dafür die schlanken Hüften, hob den zappelnden jungen Mann an und torkelte mit seiner widerspenstigen Last Richtung Badezimmer. Katsumi fauchte atemlos, zog ihn an den Haaren, trat ihm fest gegen die Beine, während eine freie Hand Yuugos Rücken zerkratzte. Dieser stöhnte zwischen zusammengebissenen Zähnen, überwand ungeachtet des fehlenden Lichts allein durch sein Gespür den niedrigen Rand der Dusche. Schmetterte Katsumi atemraubend gegen die Kacheln, um den Augenblick der Benommenheit zu nutzen und das kalte Wasser aufzudrehen. Katsumi wirbelte herum, fand sich aber sofort im Wasserstrahl von starken Armen umschlungen, die beharrlich seiner Gegenwehr trotzten. Bis er in seinen ziellosen Attacken erlahmte, sich keuchend geschlagen gab. Dann lockerte sich auch vorsichtig der erstickende Griff um seinen fragilen Oberkörper. Katsumi sackte haltlos in die Knie, rutschte an der glatten Kachelwand herab und konzentrierte sich allein auf seinen pfeifenden Atem, die galoppierenden Herzschläge. Vage erkannte er an vereinzelten Spritzern, dass sich Yuugo ihm gegenüber gekniet haben musste, sich wohl bewegte, weil das Wasser in unterschiedlicher Dichte und Richtung von ihm abprallte. Yuugo rieb sich über verschiedene Körperstellen, die Katsumi unerwartet zielsicher malträtiert hatte in seinem Ausbruch, rang nach Atem. "Sag... mir... was... passiert... ist", forderte er keuchend. Und Katsumi feuchtete seine wunde Kehle mit Leitungswasser an und rollte tonlos, ohne Dynamik, die Ereignisse der letzten Stunden auf. "Als ich bei Gericht war, wurde mir eröffnet, dass ich nicht zu meinem Vater dürfe, aus ermittlungstaktischen Gründen. Einen Anwalt hatte er noch nicht, aber wenn ich einen Vertreter, der der Staatsanwaltschaft kommodiert, entsende, darf ich mit ihm indirekt Kontakt aufnehmen." Katsumi wischte sich Tropfen aus dem Gesicht, reckte sich dann, um die Brause auszustellen. Zusammensackend fuhr er fort. "Ich konnte nichts ausrichten, also wollte ich das Gericht verlassen. Draußen sammelte sich eine Menschenmenge, Reporter und auch Familienangehörige. Und die fielen über mich her, ohne dass ich wusste, warum." In seiner Stimme giftete ein bitteres Lachen. "Die Staatsanwaltschaft hatte wohl verbreitet, dass ich einer der wenigen Shibuyas bin, der nicht belangt wird, weil er als Kronzeuge dient. Und da ich ja das Unternehmen im Streit verlassen hatte, sprach alles dafür, dass ich aus Rache die Familie verraten hatte." Er seufzte zentnerschwer. "Also glaubte mir die Meute, perfekt abgelichtet von der Presse, kein Wort meiner Unschuldsbeteuerungen. Sie zerrten an mir herum, schrien, schlugen nach mir, dem gewissenlosen Verräter." Katsumi spürte vertraute Hände, die sich auf seine Knie legten, Yuugos Atem, der seinen nassen Körper trocknete. Emotionslos ergänzte er. "Als ich nach Hause kam, war hier natürlich auch eine ganze Rotte. Ich kam kaum zur Tür rein. Sie haben mir fast die Kleider vom Leib gerissen. Und dann klingelte es so lange Sturm, schrillte das Telefon, bis ich alles ausgestellt habe." Yuugo rutschte zwischen seine aufgestellten Beine, bestrich Katsumis herabhängende Arme sanft. "Ich dachte wirklich, ich werde verrückt hier. Sie standen vor dem Haus und skandierten Parolen, wollten mich herausholen und totschlagen." Yuugo hauchte Küsse auf Katsumis Gesicht, fiebrig, ohne diesen am Sprechen zu hindern. "Um mich abzulenken setzte ich mich mit Ohrstöpseln vor das Internet, als da gleich die nächste Hiobsbotschaft erschien." Katsumi wich fahrig Yuugos Händen aus, die ihm das durchnässte ärmellose Hemd abstreiften. "Mein Vater wurde nun als Kronzeuge benannt. Um seinen Sohn zu schützen, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft so süffisant zu bemerken wusste. Er habe zugegeben, Sachwerte und auch Geld angeboten zu haben für Gefälligkeiten im Rahmen der Konzertorganisation, bestimmte Einträge vom Verkauf von Merchandise nicht zur Versteuerung gemeldet zu haben... Eben die üblichen Verfehlungen, die auch den anderen Sparten unseres Familienunternehmens vorgeworfen werden." Mit beiden Händen stieß er Yuugo zurück, der sich vorbeugte und über die nackte Haut seines Oberkörpers leckte. "Kapierst du das?! Er hat diese ganze Scheiße unter meinen Augen auf sich genommen, ohne dass ich es jemals bemerkt habe!!" Er umklammerte Yuugos Gesicht mit beiden Händen, zwang diesen trotz der Dunkelheit, sein Gesicht anzuvisieren. "Verdammt, das ist alles nur meine Schuld!! Mein Vater ist Arzt, ein durch und durch anständiger Mensch. Und nur weil ich unbedingt diesen verfluchten Managerjob machen wollte, ist er in die Firma zurückgekehrt!!" Katsumi ließ den Kopf auf die Brust sinken, murmelte ausgelaugt. "Alles nur meine Schuld, nur meine allein..." "Unsinn", murmelte Yuugo, umfasste Katsumis Gesicht, küsste ihn fordernd, bestrich heftig Hals und Nacken, kämmte die nassen Strähnen nach hinten. "Ich will das nicht!" Katsumi wischte seine Hände verärgert weg, aber Yuugo hinderte ihn mit festem Griff an weiterem Widerstand. "Aber ich brauche es", knurrte er kehlig, erstickte den Protest nachdrücklich. Katsumi wand sich, versuchte, auf dem nassen Boden hochzukommen, behindert durch seine durchtränkten Hosen, glitt jedoch aus. Eine zweite Chance zur Flucht bekam er nicht, da Yuugo seine Handgelenke in eiserner Umklammerung hielt, während er gleichzeitig mit der freien Hand in einer hinteren Hosentasche kramte. "Yuugo, ich will nicht!!" Katsumi presste sich rücklings fester an die Kacheln, suchte in der Finsternis nach Yuugos Gesicht, seinen Augen. Sollte er bitten? Yuugo, der vor ihm aufragte, die schwere Luft noch mit seiner körperlichen Präsenz aufheizte, zerriss etwas mit den Zähnen. "Du kannst wählen..." Katsumi schluckte trocken, zappelte verunsichert, aber Yuugo war ihm viel zu nah, als dass er die Beine anwinkeln konnte. "Wähle, Katsumi!", raunte Yuugo drängend an seinem Ohr, und Katsumi begann zu zittern, ungeachtet der dampfenden Wärme. "Tu mir nicht weh", wisperte er tonlos. Yuugos Antwort bestand in einem leidenschaftlichen Kuss, dann gab er Katsumis Handgelenke frei, zog diesen hoch, um ihn vollständig zu entkleiden. ~@~ Kapitel 15 - Niemals aufgeben und nichts bereuen Katsumis Hände glitten immer wieder an den beschlagenen Kacheln ab, fanden in den Fugen keinen Halt. Er rang stöhnend nach Luft, lehnte sich gegen Yuugos Brust, den Kopf in den Nacken geworfen, rieb seine noch immer tropfend nassen Haare an dessen Hals. Yuugo kniete hinter ihm, ein Bein zwischen Katsumis geschoben, um diesen ein wenig zu entlasten. Sein glühender Atem fauchte über dessen Schultern und den durchgedrückten Rücken. Ein Arm umschlang Katsumis Brust, massierte die Muskulatur über dessen heftig trommelndem Herz, während die andere Hand sich mit einer fast schmerzhaften Erektion befasste. Katsumi entfuhr ein leiser Schrei. Er spreizte die Beine weiter, sackte ein wenig tiefer an Yuugos Schenkel hinab. Als er den Kopf blind herumwarf, fing Yuugos Zunge seinen Mund ab, leckte Speichel vom Kinn, saugte sich dann am Ohrläppchen fest. Katsumi drückte die Handflächen auf den Kacheln durch, spannte die Arme an, seufzte schneller im Rhythmus der verbundenen Körper. Dass sich salzige Tränen mit dem kondensierenden Dampf auf seine Schultern und seinen Rücken ergossen, bemerkte er nicht. ~@~ Balu schob Tatsuomi behutsam den Bus hinein, dirigierte den erschöpften Jungen vor sich her zu ihren Sitzplätzen. Es war noch mitten in der Nacht, nur wenige Pendler hatten sich schon eingefunden. Ihre morgenmüden Gesichter waren leer oder voller Argwohn gegen die beiden jungen Männer, die mit vollkommen zerdrückten Kleidern, salzverkrustet und nach Meer riechend nebeneinander saßen. "Der Junge..?!", fragte ein verlebt aussehender Mann mit der bulligen Gestalt eines notorischen Schlägers, in seiner Stimme bereits den Unterton, der nur auf einen Anlass wartete, sich zu exponieren und Streit zu finden. Balu blinzelte müde. "Mein Bruder", ließ die tätowierten Muskeln tanzen. Die eisblauen Blitze zuckten aggressiv auf seiner stark gebräunten Haut. Der andere war nicht überzeugt, niemand war es, doch Balu kümmerte das nicht weiter. Sie machten keinen Ärger, also gab es keinen Grund, ihnen die Mitfahrt zu verweigern. Tatsuomi rutschte tiefer in seinen engen Sitz hinein, lehnte sich an Balus Schulter an, suchte wie ein Kind körperliche Nähe, um sicher und behütet in Schlaf zu fallen. Balu wandte den Kopf und musterte die salzigen Spuren auf der Haut, die unter den strähnigen Haaren hervorblinzelten, die Linien, die Verunsicherung und innerer Kampf in Tatsuomis Gesicht gezeichnet hatten. In diesem Augenblick ähnelte er seinem Onkel so stark, dass Balus Herz aussetzte. Unwillkürlich umklammerte er Tatsuomis Hand und hielt den Atem an. »Wäre es besser, wir würden nicht lieben? Wäre es ein gutes Leben, nur von unserem Verstand gelenkt?« Sein Daumen streichelte über den hellen Handrücken des Jüngeren. »Wir haben wohl keine Wahl.« ~@~ Kouji erwachte und riskierte einen Blick auf die Leuchtziffern des Weckers. Neben ihm verrieten Atemzüge, dass Takuto ebenfalls nicht schlief. "Wenn ich ihn erwische..." Koujis Stimme brannte vor Zorn lichterloh. "Lass ihn erst mal erklären, was passiert ist." Takutos warme Finger umfingen Koujis unversehrte Hand beruhigend. "Dieses Gör...!!" Takuto setzte sich auf, legte die freie Hand auf Koujis nackte Brust, zeichnete müßig die lange Narbe nach, spielte mit dem Kreuz. "Warum hast du den Klub gekauft? Damit überhaupt jemand mit deinem schwulen Freund Fußball spielt?" Kouji versuchte, Takuto an sich zu ziehen, doch dieser entwischte den flinken Fingern immer wieder geschickt. "Antworte mir bitte!", forderte er in klarem Ton Aufklärung. Kouji seufzte ungeduldig. "Izumi... müssen wir das breittreten?", nörgelte er betont gelangweilt. "Kouji..." Der Tonfall war eindeutig, eine Warnung, sich nicht durch Ungebärdigkeiten oder vorgeschobene Arroganz in sein übliches Gehabe zu flüchten. Kouji seufzte, ein wenig frustriert, aber nicht in dem Maße, das Takuto beleidigen konnte. "Ich will, dass du spielst. Ich will dir zusehen können. Und wenn diese verknöcherten Funktionärsekel dich aussperren vom nationalen Kader und der 1.Liga, dann muss es eben die 2. Liga sein. Wie weit werden sie wohl ohne dich kommen?! Wenn du dich hier beweist, mit diesem nicht gerade überragendem Haufen, dann müssen sie dich aufstellen." Takuto lachte leise. "Glaubst du wirklich, dass es so einfach ist? Dass sie einfach vergessen können, was geschehen ist und wer ich bin?" Kouji schwieg. Takuto wischte ihm ein paar Strähnen aus dem Gesicht, zeichnete im Halbdunkel die vertrauten Züge nach. "Einen Versuch ist es ja wohl wert!", gab Kouji kämpferisch zurück, aber sein Zögern verriet Takuto, dass auch er genau wusste, wie gering die Aussichten waren. "Dieser Klub, das Doujou, dein Label...übernimmst du dich nicht?" Takuto bewegte sich auf trügerischem Grund, wie ihm wohl präsent war. Kouji grinste, eine Ausstrahlung, die Takuto nicht sehen musste, um sie zu erkennen. Er fühlte die Entspannung, das minimale Vibrieren des anderen in der Atmosphäre. "Mach dir darüber keine Gedanken, Izumi, ich habe nicht vor, als reicher Mann zu sterben", scherzte er samtig, hauchte Küsse auf die streunende Hand, die seine Lippen liebkoste. "Ich stehe nicht gerne in deiner Schuld", stellte Takuto klar. Kouji schoss augenblicklich hoch, umklammerte Takutos Genick mit seiner Hand, die Fingerspitzen jeweils zwischen einen zerbrechlichen Wirbel gelegt. "Izumi, ich will so etwas nicht hören", fauchte er fast lautlos, arktisch kalt. "Zwischen uns gibt es keine Schuld und keine Schulden." Takuto versteifte sich unter seinem Griff. "Das lässt sich leicht sagen, wenn man nicht derjenige ist..." Weiter kam er nicht. Kouji küsste ihn auf den Mund, setzte dann seine Zähne ein und biss fest in Takutos Unterlippe, riss die dünne Hautschicht auf und verbrannte die Wunde mit der Säure seines Speichels. Takuto fauchte katzenhaft und holte mit der freien Hand zum Schlag aus, bremste sich dann aber. "Willst du alles aufrechnen? Wie viel kostet mich das Erste Mal mit dir, wie viel die Wunden, die du trägst? Hmm?!", wisperte Kouji rau an seinem Ohr, zog sich dann ein wenig zurück, um die wunde Stelle sanft mit Küssen zu belegen. Takuto ließ die Hand unverrichteter Dinge sinken, erwiderte nach einer Besinnungspause die lockenden Zungenstöße. "Ich will, dass du glücklich bist", keuchte Kouji zwischen intensiven Zärtlichkeiten, umschlang Takuto atemraubend. Takuto grub die Finger in die lackschwarzen Haare. "Ich bin glücklich... wenn du bei mir bist." ~@~ Balu zog Tatsuomi hinter sich her. Es dämmerte bereits, dennoch war die Rückfahrt schneller vonstatten gegangen, als sie erwartet hatten. "Du kannst im Waisenhaus duschen", offerierte Balu schleppend. Sein Akzent schimmerte verstärkt durch, weil er erschöpft war. Auch Tatsuomi taumelte automatisiert neben ihm her, umklammerte Balus Unterarm wie eine verlässliche Boje in stürmischer See. "Besser, ich gehe gleich heim." Seine Zunge war schwer, stolperte über die einzelnen Silben. "Dann trennen wir uns hier." Balu zögerte. Ihm missfiel der Gedanke, den Jüngeren so ungeleitet nach Hause wandern zu lassen. Als habe ein versprengter, noch aktiver Teil von Tatsuomi diese Meinung aufgefangen, hob er tadelnd einen Finger an, schwankte leicht. "Ich schaff das schon!" "Sicher?" Balu musterte ihn besorgt, beide Handgelenke mit seinen Händen sichernd. Tatsuomi zwinkerte übertrieben, aber die dunklen Ringe unter seinen Augen verdarben jeden Anflug von Munterkeit. "Sicher." Balu zog die Augenbrauen zusammen, noch nicht restlos überzeugt, als Tatsuomi vorschnellte und ihn auf den Mund küsste. Sich dann langsam zurückzog, die Augenlider noch halb gesenkt über den trüben Augen. "Führe mich nicht in Versuchung", wisperte er kehlig, um dann in übermüdetes Kichern zu verfallen. Balu löste seinen Griff, nickte Tatsuomi zu. "Ruh dich aus, Sunny." Seine kräftige Hand zwirbelte klebrige Strähnen hinter ein Ohr, streiften hauchzart die aparten Wangenknochen. Tatsuomi nickte fahl. "Bis später", haspelte er, drückte Balus Hand kurz, wandte sich ab und fiel in flüchtenden Trab. ~@~ Katsumi lauschte in die Dunkelheit, dann drehte er sich auf die Seite und setzte sich vorsichtig auf, bedacht, die verräterische Matratze nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er atmete tief durch. Spürte einen leichten, vertrauten Schmerz. Wollte sich nicht umdrehen, um nach seinem Geliebten zu sehen. Das erste Mal. Dass er nicht gewollt hatte, aber Yuugo nicht nachgegeben hatte. Ihn 'überredet' hatte. Sie hatten ihre Unschuld in dieser Nacht verloren. Katsumi trieb die Finger tief in die Polsterkammern der Matratze. Im Resultat hatte Yuugo vielleicht Recht gehabt, er hatte die aufgestaute Verzweiflung, diese Schuldgefühle irgendwie loswerden wollen. Und deshalb Streit gesucht. »Aber das hier...« Katsumi kniff die Augen zusammen und ballte die Fäuste. »Ich habe es mir selbst zuzuschreiben. Wenn ich ihn angerufen hätte, geredet hätte...« Er wandte sich herum, suchte die Silhouette des Jüngeren. Und fand Yuugo mit geöffneten, roten Augen neben sich liegen, stocksteif, die Decke hochgezogen. Sie wechselten einen verunsicherten Blick. Katsumi spürte, dass Yuugo ebenso wie er selbst die Veränderung bemerkt hatte. »Habe ich dich dazu gezwungen?«, fragte sich Katsumi unglücklich. Er rutschte näher an Yuugo heran, schmiegte sich an seine Seite, legte wie sonst einen Arm über die muskulöse Brust. Yuugos linker Arm wanderte wie immer, möglicherweise ein wenig scheu, unter seiner Flanke hindurch, um ihn dann sicher an sich zu ziehen und zu halten. "Verzeih mir", brach es aus Katsumi stockend hervor. Yuugo erstarrte, drehte sich dann auf die Seite, sah Katsumi an. Dann kauerte er sich Trost suchend neben ihm zusammen, das Gesicht auf Katsumis nackte Brust gepresst, tiefe Schluchzer unterdrückend. Katsumi sackte auf den Rücken, umschlang den Bebenden, streichelte über den verkrümmten Leib. "Yuugo?" Dieser stockte, rieb sich über die Augen, richtete sich dann zögerlich auf. Katsumi strich mit den Fingerspitzen Tränen weg. "Wirst du für mich meinen Vater besuchen?" ~@~ Kouji löschte gerade das Licht im Badezimmer, als er den Schlüssel in der Eingangstür vernahm. Tatsuomi torkelte schwankend hinein, stützte sich an einer Wand ab. "Wo, verdammt noch mal, kommst du her?" Kouji materialisierte sich eisig fauchend neben ihm. Tatsuomi zuckte nicht. "Antworte mir! Und sieh mich gefälligst an!" Kouji zischte förmlich, ein Kessel vor der Explosion. Tatsuomi hob den Kopf an, schmutzige Tränenspuren zeichneten sich ab, die Augen erloschen. "Ich bin so durcheinander", brachte er schwerfällig über die Lippen, bevor er die Arme um Kouji schlang und vollkommen erschlagen lautlos zu weinen begann. Kouji, der mit diesem Resultat nicht gerechnet hatte, hielt erschrocken den Jüngeren mit seinem verbliebenen Arm aufrecht, wiegte ihn verstört. "Sonnenschein, was ist los? Warum bist du verwirrt?" Aber Tatsuomi war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken abzusondern, immer wieder knickten seine Beine ein. Takuto, der die Stimmen vernommen hatte und besorgt hoffte, dass Kouji nichts Unbesonnenes tat, kam ihm zur Hilfe, stützte Tatsuomi. "Lassen wir ihn schlafen", schlug er leise vor. Kouji nickte bleich. Sie dirigierten den Jungen zwischen sich in sein Zimmer, halfen ihm auf sein Bett. Noch bevor seine ehemals honigblonden Strähnen das Kissen berührten, war Tatsuomi eingeschlafen. Ratlos standen seine Erziehungsberechtigten neben seinem Lager. Schließlich zog Takuto Kouji auf den Flur hinaus. "Er riecht nach Meer und ist voller Sand und Salz", eröffnete Takuto mit konzentriert zusammengezogenen Augenbrauen das Gespräch. "Wenn dieser Balu das zu verantworten hat...!" Kouji ballte seine Faust Knochen knackend. "Kouji, was spielt das für eine Rolle? Tatsu-chan ist mitgegangen." Takuto bemühte sich um sachlichen Realismus. "Kannst du heute hier arbeiten? Ich werde mich fertig machen und mit dem Zug zum Training rausfahren." "Ich bringe dich", beharrte Kouji sofort hitzig, aber Takuto schüttelte bestimmend den Kopf. "So was fangen wir erst gar nicht an, Kouji! Ich bin kein Haustier, das man zum Spielen raus lässt." Kouji knurrte kampfeslustig, aber Takuto hatte sich bereits abgewandt, um zur Küchenzeile zu schlendern. "Willst du denn jeden Morgen mit einer Horde schwitzender Anzugsaffen zwei Stunden durch die Gegend gondeln?" Kouji gab nicht auf. Takuto beugte sich vor dem offenen Kühlschrank nach einer Flasche Milch, sich durchaus der Wirkung bewusst, die seine laszive Haltung in den mehr als knappen Hosen auf seinen Geliebten hatte. Kouji schreckte aus weniger druckreifen Gedanken hoch, als Takuto vor ihm die Flasche auf die Anrichte knallte. "Ich bin ein erwachsener Mann, Kouji, kein Spielzeug." Kouji verzog das Gesicht zu einer gelangweilten Miene der Überdrusses, winkte ungeduldig den Einwand ab, aber Takuto fing seine Hand in der Luft ab. Seine brennenden Augen lieferten sich mit Koujis abgründigem Blick ein blitzendes Duell, bis dieser einlenkte, den Kopf senkte. Takuto gab Koujis Hand frei, und dieser wechselte zur Couch hinüber, trotzig die Haare nach hinten werfend. "Dass du es weißt, ich hasse jede Sekunde, die ich dich anderen abtreten muss!", zischte er verärgert, um dann schmollend in die Polster zu fallen. Takuto lächelte spitzbübisch. "Warum betrachtest du nicht die andere Seite?! Was glaubst du, wie stark die Wiedersehensfreude ist, wenn ich abends zurückkomme?", gab er Kouji eine mentale Steilvorlage. "Ist das ein Versprechen?!", hakte Kouji sofort nach, um sich provozierend animalisch über die Lippen zu lecken. Takuto streckte ihm die Zunge raus und suchte nach Zutaten zu einem aufbauenden Frühstück. Kouji befleißigte sich unterdessen damit, seine mediale Kommandozentrale hochzufahren. Sein lästerlicher Fluch alarmierte Takuto, der gerade selbst gemachten Joghurt mit Früchten versüßte. "Was ist denn?", umrundete er die Theke, um sich hinter Kouji auf die Lehne der Couch zu stützen. Kouji saß alert vorgebeugt wie ein Habicht vor dem sanft schimmernden Monitor seines Laptop, die unergründlichen Augen gewittrig zusammengezogen. "Großer Gott...", entfuhr es Takuto erschrocken, als sich die Meldungen über den vernichtenden Schlag gegen die Shibuya Corporation und Tochterunternehmen förmlich überschlugen. Kouji rief eine E-Mail auf, die Katsumis Kennung trug. Kurz und bündig schilderte dieser mit dem Datum des späten gestrigen Nachmittags die Situation, die Verwicklung seines Vaters in die Affäre. Und bat, im Interesse des neu gegründeten Labels, um seine Entlassung als Geschäftsführer. "So ein kleiner Idiot!", knurrte Kouji guttural. Gleichzeitig wählte er bereits auf dem Mobiltelefon Katsumis Nummer, aber die neutrale Stimme verriet lediglich, dass der Angerufene nicht zu erreichen war. "Versuch es mit Yuugos Nummer", schlug Takuto vor, wieder in die Sicherheit seiner kleinen Küchenzeile flüchtend. Er wollte sich mit etwas beschäftigen, um seine Gedanken nicht zu beängstigenden Kapriolen zu verleiten. "Geh ran!" Koujis zusammengezogene, hauchfeine Augenbrauen bildeten schlanke Pfeile des Unmuts. Eine ruhige Stimme antwortete. "Hol mir Katsumi ran!", fauchte Kouji ohne Begrüßung knapp, um dann Funken sprühend vom Leder zu ziehen. "Was denkst du dir mit diesem Quatsch?! Wir sind Partner, das weißt du hoffentlich noch?! Da kann man sich nicht entlassen!" Seine Stimme triefte vor Ironie. "Und freikaufen wirst du dich auch nicht! Mir ist verflucht egal, wer wo was in die Tasche steckt!! Ich vertraue dir, das solltest du verdammt noch mal inzwischen kapiert haben!! Also erspar mir solche blödsinnigen Operetten-Auftritte, so was macht mich stinksauer!" Da seine Stimme sich reibeisenartig aufraute, musste er sich unterbrechen. Um dann, leicht verblüfft, das Glas Eistee an die Lippen zu setzen, was von Takutos Hand vor seinem Gesicht schwebte. Am anderen Ende der Leitung blieb es bemerkenswert ruhig. "Zumindest muss ich mir keine überflüssigen Entschuldigungsetüden anhören", reizte Kouji, um eine Reaktion hervorzulocken. Erst erstickte Atemzüge beunruhigten ihn genug, dass er sich abkühlte und nachfragte. "Katsumi?? Shibuya, bist du noch dran?!" Takuto stellte eine Schüssel mit Haferflocken vor Kouji, musterte sein angespanntes Gesicht, die Hand, die fahrig die lackschwarzen Strähnen durchpflügte. "Hey, hör mit diesem Geschluchze auf, okay? Das schlägt mir sonst noch auf den Magen", brummte er gequält. Die Replik konterte er zungenschnalzend. "Ich muss mich wirklich über dich wundern, Shibuya. Für was für eine niedere Lebensform hältst du mich eigentlich?! Ich versuche hier gerade eine Revolution durchzuziehen, da sind alle meine Freunde fest eingebucht!" "Nein, natürlich scherze ich nicht! Ich scherze nie!" Zufrieden grinsend schaufelte Kouji einen Löffel in sich hinein, kaute knuspernd. "Du denkst zu viel, Shibuya. Frechheit siegt, vergiss das nicht!" Mit einem boshaften Lächeln unterbrach er die Verbindung. Takuto lehnte an der Anrichte und schaufelte in gemäßigtem Tempo seine Flocken in sich hinein, die Augenbrauen erwartungsvoll gelupft. Kouji zwirbelte eine Strähne um die langen Finger, legte den Kopf schief und musterte Takuto eindringlich. "Das wird schon wieder." Um dann die Lider auf Halbmast zu senken und sich langsam, eine Fingerspitze nach der anderen, mit seiner Hand zu befassen, Takuto immer im Blick. "Heute Abend...sei bloß in Form", raunte er endlich maliziös. ~@~ Tatsuomi erwachte mit bleiernem Kopf, mühte sich auf wacklige Beine und schwankte zum Badezimmer, wo er sich mangels Energie in bekleidetem Zustand unter die kalte Dusche stellte. Die sommerliche Hitze, die trotz Takutos Anstrengungen zur Verdunkelung des Hauses die Räume aufheizte, erschwerte ihm jeden Atemzug, legte sich wie eine erstickende Decke auf seine Brust. Triefend nass stolperte er, nur geringfügig munterer, aus der Dusche heraus, kämpfte sich aus den Kleidern, die seinen Bemühungen erheblichen Widerstand leisteten. Als er endlich vollkommen nackt gegen die Kacheln lehnte, war er bereits wieder von winzigen Schweißperlen übersät, rang nach Luft. Um ihn herum herrschte betäubte Stille. Er fuhr sich entnervt durch die Haare, blieb auf halber Strecke stecken. Mit einem gequälten Seufzer tappte er erneut unter die Dusche, um sich dieses Mal aber sorgfältig einzuseifen. Nun, mit weichgespülter Haut und seidigem Haar, stopfte er seine nasse Wäsche einfach in die Wäschetrommel, aktivierte energisch den Betrieb. Mit knappen Shorts bekleidet, die müden Augen reibend, erkundete er das Wohnzimmer, fand im Kühlschrank Eiskaffee, der bereits hochdosiert roch. Schenkte sich ein Glas aus, keuchte unter dem Koffeingehalt und ließ den Kopf auf die Theke sinken. Leise Schritte hinter ihm signalisierten, dass er nicht vollkommen allein war. "Endlich wach?" Kouji schlüpfte neben ihm auf einen Barhocker, füllte sich ebenfalls ein Glas von Takutos Spezialmischung. "Tut mir leid", murmelte Tatsuomi in das Resopal. Kouji schluckte geräuschvoll, stellte dann sein Glas betont ab. "Was ist passiert?" Tatsuomi seufzte geplagt, legte den Kopf auf die Seite und drehte sein Glas müßig in einer Hand, zeichnete runde Kondensflecken auf die Theke. "Wir waren am Strand. Balu und ich." Kouji sah strikt geradeaus, präsentierte Tatsuomi nur sein markantes Profil. "Alles ist so verwirrend...", klagte Tatsuomi melancholisch. "Zum Beispiel?", fing Kouji den Gesprächsfaden auf. Tatsuomi stellte das Glasrücken ein. "Wir sind Freunde...manchmal Gegner. Wie ein hervorragender Partner im Kampf, verstehst du?", eröffnete er rhetorisch. "Jeder fordert den anderen heraus, mehr zu versuchen, stärker zu werden, schneller..." Tatsuomi drehte den Kopf auf die Stirn, was seine Stimme dämpfte, da diese sich nun am Resopal niederschlug. "Aber dann...funkt es. Immer wieder. Und ich will explodieren, wenn er bei mir ist...dass es uns beide in Stücke reißt...die Energie frei wird." Kouji wandte unbemerkt den Kopf, starrte auf den honigblonden Schopf, der sich über dem zerbrechlichen Nacken scheitelte. "Da brennt etwas in mir, das unbedingt raus will..." Tatsuomi schluchzte kurz auf, bitter. "Wahrscheinlich bin ich schon genauso wahnsinnig wie Akihito." Koujis Hand legte sich beruhigend auf seinen entblößten Nacken, kraulte seine Haut, die Haare, wie bei einem Tier. "Du bist nicht wahnsinnig", betonte Kouji knapp. "Ach ja?!" Tatsuomi richtete sich mit einem Ruck auf. "Dann sag mir doch, wie ich ruhiger werden kann?! Wie ich aufhören kann, meinem besten Freund an die Kehle zu fahren und diese ständigen Stimmungsschwankungen abstelle?" Koujis Gesicht blieb ausdruckslos, lediglich seine Augen glühten vor mitfühlender Wärme. Tatsuomis Züge verhärteten sich, ließen ihn älter erscheinen, als er war. "Es gibt keine Lösung, oder? Richtig?" Koujis Antwort bestand darin, Tatsuomi sanft über die Wange zu streicheln, die honigblonden Haare hinter das Ohr zu kämmen. "Verflucht!", murmelte Tatsuomi mit abgewandtem Gesicht, massierte sich die Nasenwurzel mit geschlossenen Augen. Aber Kouji spürte, dass er Tatsuomi nur bestätigt hatte, was dieser längst befürchtete. Kouji stieß sich von seinem Hocker ab und zog Tatsuomi an einer Hand hinter sich her. "Komm, Kleiner, gehen wir runter und arbeiten ein wenig für das nächste Konzert." Tatsuomi trottete ruhig hinter ihm her. "Kouji, was ist das Geheimnis?", fragte er kaum hörbar, als sie in die Garage traten. Kouji ließ seine Hand fahren, strich sich übertrieben posierend die Haare aus dem Gesicht und funkelte ihn lasziv-raubtierhaft an. "Niemals aufgeben und nichts bereuen!", hauchte er in sein jüngeres Spiegelbild. ~@~ Yuugo betrat behutsamer als sonst ihr Appartement. Wenn sich auch heute dort Medienvertreter oder verärgerte Verwandte zusammengerottet hatten, so waren sie vor seinem Eintreffen verschwunden. Er war gespannt, wie man auf Katsumis Gesuch reagieren würde, ihn als Vertreter zu akzeptieren. Ob dies überhaupt noch notwendig war, wenn dessen Vater sich als Zeuge zur Verfügung stellte? Und, was am Stärksten an ihm nagte, wie Katsumi ihn wohl nach der letzten Nacht empfangen würde. Er beschloss, zunächst einmal den Schmutz und Schweiß des hochsommerlichen Tages abzuwaschen, und dann nach seinem Freund zu schauen. Yuugo fand Katsumi auf der Couch, umgeben von großen Blättern verstärkten Papiers, über einer Tafel gebeugt. Vor ihm verdunstete ein Glas Eistee, in dem eine traurige Limettenscheibe ertrank. "He Engelchen", flüsterte er behutsam, was ihm einen verschleierten Blick einbrachte, der bewies, dass Katsumi seit geraumer Zeit an den Entwürfen arbeitete und seine Augen überanstrengte. "Wie war dein Tag?" Yuugo tastete sich schüchtern heran. Katsumi rieb sich die Augen mit den geballten Handrücken und streckte sich knackend. "Eigentlich ganz gut. Keine Meute schäumender Irrer vor der Tür, mein Vater hat einen Deal mit der Staatsanwaltschaft gemacht, sodass er Straferlass bekommt... Kouji schmeißt mich nicht raus..." Endlich sah er zu Yuugo hinüber. "Hat er denn nun einen Anwalt, oder ist keiner mehr nötig? Darfst du zu ihm?", sprudelte Yuugo unbehaglich hervor. Katsumi schob seine Tafel auf den Couchtisch, massierte sich gedankenverloren die betäubten Knie. "Sie sagen, in zwei Tagen sind die Zeugenaussagen protokolliert. Dann kann ich ihn sehen. Die haben sogar auf seine Anweisung Wäsche und Kleinkram aus dem Haus ins Untersuchungsgefängnis gebracht." "Ist... ist doch ein gutes Zeichen, oder?" Katsumi drehte den Kopf in verschiedene Richtungen, massierte vorsichtig sein Genick. "Kouji hat mir sogar angeboten, dass mein Vater nach seiner Entlassung ja mit Hotsuma den Doujou führen könnte, als kaufmännischer Direktor. Er meint, das Leben wäre dort gesünder." Yuugo hielt es nicht mehr länger auf Distanz. Er erhob sich und kniete sich hinter Katsumi auf die nachgiebigen Polster, legte seine Finger auf den verspannten Rücken und massierte behutsam die Sehnen. Katsumi seufzte wohlig, schloss die Augen. Für Minuten war sein kehliges Schnurren der einzige Laut in ihrem Zimmer. Dann umschlang ihn Yuugo mit beiden Armen fest, hauchte Küsse auf seinen Hals und zog ihn fest an sich. Katsumi ließ ihn gewähren, streichelte die dunkle Haut der muskulösen Arme. "Ich liebe dich, Engelchen!", raunte Yuugo erstickt an seinem Hals, drückte ihn noch enger an sich, als sich Katsumi in der Umarmung herumwand und Yuugo seine Frontpartie anbot. "Ich weiß", antwortete er sanft, küsste Yuugo zärtlich und kuschelte sich an ihn. Sie verharrten eine Weile, lauschten auf ihre gemeinsam schlagenden Herzen, die ruhigen Atemzüge des anderen, jede unwillkürliche Regung einer Sehne oder eines Muskels. Endlich brach Yuugo verlegen die Dichte dieser Empfindung. "Sag mal, was sind das für Entwürfe?" Katsumi löste die dünnen Arme von Yuugos Nacken und angelte die Tafel heran. "Kouji will einen weiteren Satz Kostüme haben. Er hat noch ein neues Stück geschrieben. Aber irgendwie..." Katsumi seufzte frustriert. "Was ist das, ein Karabiner?" Yuugo inspizierte jeden Entwurf neugierig. "Hmmm", bestätigte Katsumi unter leichtem Gähnen. Er studierte Yuugos konzentriertes Profil, die lange Narbe, die unter den schwarzen, fransigen Haaren hervorlugte, die sich lockenden Strähnen auf den breiten Schultern. "Es sind nicht die richtigen Farben", gab Yuugo langsam sein Urteil ab. Katsumi runzelte die Stirn, reichte Yuugo aber wortlos einen ganzen Kasten an farbiger Zeichenkreide. Ohne zu zögern wählte Yuugo aus, schraffierte die Flächen der noch nicht eingefärbten Entwürfe. Katsumi setzte sich hellwach auf, beugte sich inspizierend vor. Ihre Blicke trafen sich, als Yuugo langsam die Kreide sinken ließ. "Nichts ist mehr, wie es war", hauchte dieser leise. ~@~ Tatsuomi lockerte mit zusammengebissenen Zähnen seine schmerzenden Muskeln. Seine Arme waren fast taub, die Schultern vollkommen steif, sein Nacken knackte bei jeder ungeschickten Bewegung. Er musste sich konzentrieren, um auf dem Mobiltelefon die richtige Ziffernfolge einzutippen. Als sich eine vertraute Stimme müde meldete, sackte er erschöpft aufseufzend auf seinem Bett zusammen, visierte die Zimmerdecke an, wo Schattenspiele ihr Unwesen trieben. "Hey", meldete er sich kehlig. "Selber hey", brummte es schleppend aus der Muschel. "Was machst du gerade?" "Futon ausbreiten... bin fix und alle." Tatsuomi lachte leise und winselte kurz auf. Auf die erschrockene Rückfrage gab er lässig Auskunft. "Nein...Kouji hat ein neues Stück...ich soll japanische Trommeln schlagen...mir tut alles weh..." Er jaulte leise zur Untermalung. Balu gab mitfühlendes Schnalzen von sich. Tatsuomi konnte hören, wie er sich auf dem Futon hinlegte. "Bist du gut nach Hause gekommen?" "Na ja...Kouji war sauer...aber er hat mich schlafen lassen...du musstest sicher arbeiten, richtig?" Balu stöhnte leise zur Bestätigung. "Ist es bei dir auch so stickig?" "Mir kleben meine Boxershorts am Leib", drang es gedämpft durch den Hörer. "Heiß wie im Dschungel...und genauso feucht", raunte Tatsuomi heiser. "Ich wünschte, ich könnte zu dir kommen." Balu lachte rau an seinem Ohr. Tatsuomi konnte mit geschlossenen Augen die spitzen Zähne vor sich sehen, die sich so erregend unter seiner Zunge schärften, wenn sie sich küssten. "Sunny, da hättest du gar nichts von, ich kann mich kaum noch regen." Tatsuomi leckte sich unbewusst über die Lippen. "Mir würden deine Finger reichen...", provozierte er lasziv. Am anderen Ende wurde es still. Tatsuomis Miene verzog sich träumerisch-aggressiv. Im Plauderton, mit aufgerauter Kehle, fuhr er samtig fort. "Bei der Hitze... schlafe ich immer nackt... über der Decke... meine Haut ist trotzdem ganz klebrig...alle Glieder so schwer." "Hmmmmm...", seufzte er guttural, "weißt du, was ich mir gerade vorstelle?" Nur die harten Atemzüge am anderen Ende antworteten ihm. "Wenn du neben mir liegst... deinen Arm auf meinen Bauch gelegt hast... und dich dann auf die Seite drehst... dann kann ich diese eisblauen Flammen sehen... Wenn du dich im Schlaf bewegst... unter meinen Bauchnabel gleitest... deine Finger zucken... die Flamme züngelt... das ist wie ein elektrischer Schlag." Tatsuomi keuchte genießerisch. "Sunny... hör auf..." "Warum?" Tatsuomi strich sich durch die Haare, schwelgte in dem Rasen seines eigenen Pulses. Er legte das Telefon auf seine sich rasch hebende Brust, sicher, dass die trommelnden Schläge in ihrer drängenden Abfolge dem anderen ein Bild seiner selbst vermittelten. "Sunny..." "Ja...?", wisperte Tatsuomi leise. "Ich werde wohl auch nackt schlafen müssen, sonst..." Der amerikanische Akzent verschleppte träge die Silben. Tatsuomi kicherte leise. "Du fehlst mir", bekannte er sehnsüchtig. "Wir sehen uns morgen, versprochen!", kam die entschiedene Replik. Tatsuomi seufzte leise. Er wollte dieses Gespräch nicht beenden, diese dunkle, dumpf vibrierende Stimme nicht verlieren. "Träum von mir", flüsterte er in die Muschel. Ein warmer Seufzer antwortete ihm. "Deswegen schlafe ich nackt..." Tatsuomi schloss mit einem verzückten Lächeln die Augen. Er konnte jedes Detail in seinem eigenen fiebrigen Traum auskosten. ~@~ Eine Woche später stieg als Höhepunkt der Tournee das im Tokio Dome angesetzte Konzert. Kouji war schon sehr oft dort aufgetreten, er kannte alle Gegebenheiten. Es kam ihm wie ein Heimspiel vor, als er vor dem Spiegel saß und sich schminkte. Hinter ihm ließ sich Tatsuomi die Muskeln seiner Arme von Balu lockern, mit einem leichten Ölfilm einreiben und immer wieder massieren. Die beiden lachten und scherzten miteinander, wie beste Freunde dies zu tun pflegten, aber Kouji erkannte auch die Stille zwischen ihnen. Tatsuomi, der den Kopf zurücklegte, seine Kehle entblößte, mit einem aufreizenden Lächeln etwas flüsterte, was bei Balu ein Funkeln in den Augen auslöste, das Anspannen der Muskeln. Ein gefährlicher Flirt, aber Kouji fühlte sich ungewohnt ambivalent. »Solange sie aneinander nicht ernsthaften Schaden zufügen...« Er konnte auch nicht umhin zu bemerken, dass Balu imponierend und sehr attraktiv aussah. Sonnengebräunt, die eisblauen Flammen auf dem Unterarmen züngelnd, die schwarzen Haare kurz getrimmt, eine ebenso gefärbte Stoffhose aus Satin unter einem hautengen, ärmellosen Top aus Tactel in Kobaltblau. Tatsuomi war noch nicht umgezogen. Er zögerte dies zwecks Aufwärmen hinaus. Lediglich sein Gesicht war schon gepudert, die Lippen dunkel nachgezogen, die schönen Augen betont worden. Koujis Blick flog zu seiner Uhr. Takuto hatte heute das erste Spiel mit seiner Mannschaft bestritten und ein achtbares Unentschieden eingefahren, er würde mit dem Taxi anreisen. Yuugo und Katsumi waren auf Gefängnisbesuch, sie würden ebenfalls kurz vor Beginn zu ihnen stoßen. Kouji zupfte an seinem Kostüm herum und erhob sich. Zeit, seine Band zu kontrollieren. ~@~ In der VIP-Lounge wimmelte es vor aufgekratzten, erwartungsfrohen Menschen. Natsumi und Maiko hatten sich zur Feier des Tages aufgebrezelt. Maiko in einem Minikleid mit feuerrotem Rüschenbesatz, Natsumi trug einen luftigen Anzug in ihrem favorisierten Blau, allerdings aus durchscheinendem Material, das einen offenherzigen Einblick auf schwarze Unterwäsche bot. In Bewunderung tummelten sich die Tiere, im jeweiligen Maß herausgeputzt, unter ihnen der tollkühne Anführer Kenji mit Yohko. Nun gesellten sich auch, ein wenig außer Atem, Yuugo und Katsumi zu ihnen. Sie trugen einen Teil der Kostüme des heutigen Abends in abgewandelter Form. Yuugo war in Anthrazitgrau gehüllt, eine gerade geschnittene Stoffhose, während sich darüber ein knapp rippentiefes, halbärmliges Shirt fand, in dem gleichen Farbton, allerdings mit scharlachroten Ziernähten. Seine schwarzen Haare waren zu einem sich lockenden Zopf zusammengefasst. Eine einfache Sonnenbrille thronte auf seinem Kopf. Katsumi, vertraulich an seiner Hand, hatte einen fast knielangen, ärmellosen Kasack in Silbergrau gewählt, der eine körperbetonte Hose verdeckte. Wie auch bei Yuugos Kollektion fand sich auf der Rückenpartie in scharlachrotem Garn ein stilisiertes Herz, das in Flammen stand. Katsumi nahm das bereitliegende Walkie Talkie und meldete sich anwesend. Als sich auf der Bühne die Lichter einzeln verabschiedeten, stießen auch Takuto und Balu zu ihnen. Gespannte Stille breitete sich Nerven zehrend aus. Endlich entzündete sich ein Scheinwerfer, leuchtete den leeren Mikrophonständer aus. Der durchscheinende Vorhang schwang in einer leichten Brise. Oder wurde er etwa durch die heftigen Atemzüge aller Anwesenden bewegt? Ein mächtiger Trommelschlag ließ alle zusammenzucken. Dann, stetig, wie ein mächtiges Herz, folgte Schlag auf Schlag, hinter der unbeleuchteten Bühne. Und setzte aus. Fast schmerzhafte Seufzer waren aus dem Zuschauerraum zu vernehmen, aber niemand wagte, wie sonst üblich, kreischend den Beginn zu fordern. Wieder ächzte die Trommel unter einem gewaltigen Schlag, dann aber schloss nicht das Herz auf, sondern ein fast schlendernder Rhythmus, den ein Jazzbesen über das gespannte Fell streichelte. Eine Melodie spazierte zwischen Lead und Rhythm hin und her, der Bass summte vergnügt, als stellte er eine Hummel auf einem Ausflug dar. Das Keyboard zwitscherte lieblich. Bis ein wütendes Knurren sich heraufschraubte, immer lauter wurde, um in einem verzweifelten Urschrei zu explodieren und die Idylle zu beenden. Der Vorhang fiel herab. Die Lichter blendeten gleißend hell auf, bevor sich ihre Dominanz wieder in ein erträgliches Maß senkte. Auf der Bühne standen die Desperate Rogues hinter ihrem Frontmann Kouji. Während die männlichen Mitglieder anthrazitgraue, ärmellose Tops trugen, die gerade die untersten Rippenbögen umschmeichelten und mit scharlachroten Karabinern darunter die silbergrauen Hosen hielten, flatterten an ihrer Rückseite, mit ebensolchen Karabinern befestigt, jeweils zwei dreieckige, spitz zulaufende Stoffstreifen in entbranntem Scharlach. Ai trug in Varianz ihr Top aufgeschnitten, nur von quer gespannten Karabinern vor völliger Entblößung bewahrt. Ein anthrazitfarbener Petticoat bedeckte knapp ihren Unterleib über der silbergrauen Netzstrumpfhose. Spielerisch flatterte ein dreieckiger Flügel über ihre Schulter, während der andere ihre Knöchel umschmeichelte. Rose trug ein bodenlanges Kleid, die Fülle ihrer weiblichen Figur durch raffinierte Schlitze aufgelockert, auch hier unter Einsatz der bewährten Karabiner, während aus ihrer Hochsteckfrisur übergroße Silbernadeln staken. Katsumi hatte dies das Prinzip der abnehmbaren Flügel genannt, wie es gefallenen Engeln zukam. Kouji lächelte in das Publikum. Aber er sah nur eine Person vor seinem geistigen Auge. Sie hatte einen wirren, von der Sonne ausgebleichten Schopf, steckte sicherlich in einem lockeren Shirt und kurzen Hosen, ohne jeden Versuch von Eleganz. Die Arme vor der Brust verschränkt, duftend nach Sommersonne und staubigem Gras, ein wenig Skepsis im Blick der glühenden Augen lehnte er in der Dunkelheit dort draußen und wartete ab. "Wir", eröffnete Kouji heiser, griff mit seinen Handschuhen in die gesichtslose Menge vor sich, "sind die Desperate Rogues." Ein ekstatischer Aufschrei aus allen Kehlen antwortete ihm. Mit einem tiefgründigen Lächeln strich er sich lasziv durch die Haare, das Signal für Tatsuomi, seine Trommel anzuwärmen. Und mit dem ersten Song zauberten die riesigen Leinwände sein Konterfei in die Luft. "Freibeuter der Liebe und Lust!", deklamierte er dramatisch. "Das Ende der Unschuld ist unser Gebot!" Senkte die geschminkten Augenlider, auf denen in Glitzerschrift ein Name zu lesen stand. [IZUMI.] ~@~ >Born sinners< >From days of old< >we were told< >love's a sin< >when you begin< >to wish for ecstasy< >it's the heresy< >that tumbled heaven< >will never be forgiven< >created hell< >through love's deadly spell< >I'm a born sinner< >but feel like a winner< >It was my lover's luscious call< >which caused my innocence's fall< >dragged me to stampede wild< >scream for mercy like a child< >host my beloved as a beast< >make love one orgiastic feast< >heart breaking< >breath taking< >mind wasting< >hips aching< >I'm a born sinner< >but feel like a winner< >It was my lover's luscious call< >which caused my innocence's fall< >dragged me to stampede wild< >scream for mercy like a child< >host my beloved as a beast< >make love one orgiastic feast< >hot kisses lushing< >sweet blood rushing< >burning flesh crushing< >tasty sperms flushing< >I'm a born sinner< >but feel like a winner< >It was my lover's luscious call< >which caused my innocence's fall< >dragged me to stampede wild< >scream for mercy like a child< >host my beloved as a beast< >make love one orgiastic feast< >I guess by now< >I can't let go< >Heaven or hell< >I yearn for your spell< >If paradise will explode< >like I was told< >I couldn't care less< >this I have to confess< >'cause I'm a born sinner< >and an infernal winner< ~@~ ENDE ~@~ Vielen Dank fürs Lesen kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Lonely Hearts" gab es noch immer nicht das erlösende Band 12 der Serie... und ich stand im Wort, eine Fortsetzung zu publizieren ^_^ Da ich schon vorab meine Vision ausgewälzt hatte und dieses Mal fest entschlossen war, mich weder von Anfragen, noch von freundlichen Bittgesuchen beeindrucken zu lassen, ging das Schreiben flüssig von der Tastatur ^_^ Zu meiner eigenen Verblüffung bemerkte ich, dass ich einen ganzen Stall von Charas eingebaut hatte, die nicht dem Original entsprachen, sich aber mit Begeisterung und pestilenzialischer Anhänglichkeit in meiner "Welt" tummelten, sodass dieses Mal eine Einführung Pflicht wurde... meine bislang umfangreichste Arbeit ^_^ Wie bezeichnend, diese dann mit den Worten "Ich bin wieder da" zu beginnen *g* Das Outing der einzelnen Charas, sowie die unterschiedliche Reaktion der betroffenen Eltern stellte nur eine der Seiten dar, die ich ausbreiten wollte, dann musste es ja auch weitergehen mit der Ersatzfamilie... und so kamen die Bandmitglieder, das eigene Label, Balu und lastnotleast die TIERE dazu ^_^ Die Reaktionen auf dieses Mammutwerk hatten einen gemeinsamen Nenner: sind Hotsuma und Tatsuomi im Original tatsächlich so?! Tja, schwer zu sagen, da beide nur einige Kurzauftritte hatten (bisher), doch die implizierten Andeutungen haben mir die Sicherheit gegeben, sie nach meinem Gutdünken zu gestalten ^_~ Nein, ich denke nicht, dass die gesamte Nanjou-Familie homosexuell veranlagt ist *g*, trotzdem kann man nichts gegen guten Geschmack und Herausforderungen machen... (murmel, doch, "machen" kann man jede Menge...*hust*) Ich freue mich, einen echten "Balu" kennengelernt und meine erste Leih-Band zu ihrem legendären Auftritt begleitet zu haben... *Eg* Wird es eine Fortsetzung geben? Tja, ausschließen kann ich es nicht, obwohl Ozaki derzeit wieder publiziert, sodass ich nicht in einer Pflicht stehe. Allerdings wird sich das Schwergewicht vermutlich im Falle einer Fortsetzung auf Tatsuomi verlagern, und ob er viel zu lachen haben wird...??